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German Pages 527 Year 2010
Anders / Stoll / Wilke (Hrsg.) Der Judenrat von Białystok
Der Judenrat von Białystok Dokumente aus dem Archiv des Białystoker Ghettos 1941-1943
Herausgegeben von
Freia Anders, Katrin Stoll und Karsten Wilke
Ferdinand Schöningh Paderborn · München · Wien · Zürich
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlages nicht zulässig. © 2010 Ferdinand Schöningh, Paderborn (Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.schoeningh.de Karte, Seite 8: © tombux, Thomas Buri Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Printed in Germany. Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-506-76850-6
Inhalt I. Einleitung von Freia Anders, Katrin Stoll, Karsten Wilke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Die Protokolle und Meldungen des Białystoker Judenrats in einer Übersetzung und mit einem Vorwort von Hans-Peter Stähli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Einführung von Freia Anders, Katrin Stoll, Karsten Wilke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 JUDENRÄTE: REZEPTION UND HISTORIOGRAFIE Kontroversen über die Judenräte in der jüdischen Welt 1945–2005. Das Ineinandergreifen von öffentlichem Gedächtnis und Geschichtsschreibung von Dan Michman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Holocaust-Debatten in Polen von Karol Sauerland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Täterschaft, das Verhalten der Opfer und Widerstand im Streit. Die Kontroverse um Hannah Arendts Prozessreport Eichmann in Jerusalem von Karsten Wilke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 ERKENNTNISPOTENTIALE UND LESARTEN: DIE DOKUMENTE DES BIAŁYSTOKER JUDENRATS Der Judenrat im Ghetto von Białystok: Struktur, Abteilungen, Personal von Sara Bender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 »Niemand/zeugt für den/Zeugen«. Was wissen wir über Jakub Goldberg? von Freia Anders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
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Inhaltsverzeichnis
Charakteristika der Bekanntmachungen des Białystoker Judenrats von Joanna Furła-Buczek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 Die Białystoker Judenratsdokumente als Beweismittel in der Strafsache gegen Dr. Altenloh und Andere von Katrin Stoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 Jenseits der Zeitzeugen. Möglichkeiten der Vermittlung des Holocaust am Beispiel der Białystoker Judenratsmeldungen von Hans-Wilhelm Eckhardt und Matthias Holzberg . . . . . . . . . . . . . . . . 449 DER ERKENNTNISWERT JÜDISCHER QUELLEN FÜR DIE GHETTOS IM BESETZEN POLEN Das Ghetto-Phänomen während der Shoah. Ein neuer Erklärungsansatz von Dan Michman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Das Bild der Judenräte in Aufzeichnungen aus der Zeit der Shoah von Monika Tokarzewska . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 Das Tagebuch des Adam Czerniaków. Warschau 6. September 1939 – 23. Juli 1942 von Andreas Ruppert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 Mordechai Chaim Rumkowski im Spiegel der Chronik des Ghettos Litzmannstadt. Sprachliche Überlieferung und Inszenierung von Monika Polit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525
I.
Einleitung von
FREIA ANDERS, KATRIN STOLL, KARSTEN WILKE
I. Zur Entstehungsgeschichte des Bandes Vorbemerkungen
Die Konzeption des vorliegenden Bandes Der Judenrat von Białystok. Dokumente aus dem Archiv des Białystoker Ghettos 1941–1943 bedarf der Erläuterung: Im ersten Teil wird erstmals eine vollständige deutsche Übersetzung aller erhaltenen Protokolle und Meldungen vorgestellt, die der Białystoker Judenrat zwischen Sommer 1941 und Frühjahr 1943 verfasste. Das Konvolut aus 433 amtlichen, an die jüdische Bevölkerung gerichteten und öffentlich angeschlagenen Bekanntmachungen, die für den Zeitraum vom 8. Juli 1941 bis zum 1. April 1943 vorliegen, sowie die 52 internen Protokolle von Judenratssitzungen, Abteilungsleitersitzungen des Judenrats und von öffentlichen Versammlungen im Ghetto, die für die Periode vom 2. August 1941 bis zum 11. November 1942 überliefert sind, sind eine Quelle ersten Ranges zur Geschichte des Białystoker Judenrats und des Białystoker Ghettos. Sie geben Auskunft über das Leben und Sterben im Ghetto, über die Arbeitsbedingungen in seinen Produktionsstätten, zur Wohn- und Ernährungslage oder zu den Anstrengungen, die lokale Infrastruktur, Ausbildungsstätten und Sanitätseinrichtungen aufrecht zu erhalten. Sie lassen die Ämter und Aufgaben des Judenrats sichtbar werden, und sie lassen erkennen, welche Reaktionen die deutsche Verfolgungs- und Vernichtungspolitik im Ghetto auslöste und wie der Judenrat ihr zu begegnen suchte. Im zweiten Teil des Bandes werden die Ergebnisse eines Workshops vorgestellt, der im Juni 2007 unter dem Titel »Quellen der Judenräte im besetzten Polen« im Internationalen Begegnungszentrum der Universität Bielefeld stattfand, um das vorliegende, von der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung, Zukunft« unterstützte Editionsprojekt historiographisch einzuordnen. Der Quellenkorpus wird im zweiten Teil aus geschichtswissenschaftlicher und linguistischer Perspektive analysiert und hinsichtlich der Voraussetzungen für seinen Einsatz als Quelle im Schulunterricht beleuchtet. Dieser Teil ist eigens mit einer Einführung versehen. Angefertigt wurde die Übersetzung der Quellen von dem Theologen Prof. Dr. Hans-Peter Stähli auf der Basis einer Edition der jiddischsprachigen Dokumente samt ihrer hebräischen Übersetzung, die Dr. Nachman Blumenthal1 1
In den Quellen und der Sekundärliteratur findet sich auch die Schreibweise Nachman Blumental.
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1962 in Jerusalem herausgab.2 Hans-Peter Stähli hat diese umfangreiche philologische Arbeit – in unablässiger wissenschaftlicher Neugier – mit der Erinnerung an einen Übersetzungsauftrag aufgenommen, den er im Jahre 1966 als junger Lektor für Hebräisch an der Kirchlichen Hochschule Bethel (Bielefeld) im Auftrag des Bielefelder Landgerichts während des Białystok-Prozesses ausführte.3 Er gab damit dem Wunsch der Herausgeberinnen und des Herausgebers nach, die Überlieferung des Białystoker Judenrats auch einer deutschsprachigen Leserschaft zugänglich zu machen. Respekt und Dankbarkeit der Herausgebenden, deren Interesse ursprünglich nur den in den Gerichtsakten enthaltenen Auszügen galt, lassen sich schwer in Worte fassen. Es gibt nur für wenige Orte eine Überlieferung über die Tätigkeit der Judenräte unter deutscher Besatzung. Was die größeren osteuropäischen Städte anbetrifft, sind – abgesehen von Białystok – Dokumente der Judenräte in Lublin4, Lemberg, Warschau5 und Łód´z/Litzmannstadt6 erhalten geblieben.7 Im Folgenden werden – vor dem Hintergrund eines ereignisgeschichtlichen Abrisses über die Ermordung der Juden in Białystok – die Überlieferungsge-
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Nachman Blumenthal (Hg.), Darko shel Yudenrat: Te‘udot miggeto Bialistoq [Conduct and Actions of a Judenrat. Documents from the Bialystok Ghetto (jiddisch/hebräisch)], Yad Vashem Archives Vol. IV, Jerusalem 1962. Das Urteil des Schwurgerichts (Az. 5 Ks 1/65), das auf der CD-ROM zu dem Sammelband »Bialystok in Bielefeld« neben anderen Materialien dokumentiert ist, verdeutlicht die grundlegende Bedeutung der Quellen des Białystoker Judenrats für den Prozess. Es nimmt auf 13 Seiten (Bl. 50–52, 56, 91, 192–198, 320) explizit auf die Meldungen und auf 20 Seiten (Bl. 50–53, 91, 184–188, 190–198, 201, 320) auf die Protokolle Bezug. Vgl. Freia Anders/Hauke-Hendrik Kutscher/Katrin Stoll (Hg.), Bialystok in Bielefeld. Nationalsozialistische Verbrechen vor dem Landgericht Bielefeld 1959–1967, Bielefeld 2003. Die Übersetzung der Meldungen wurde vornehmlich nach Kriterien angefertigt, die für das Strafverfahren Relevanz erlangen konnten. Insgesamt wurden 182 Meldungen für die Übersetzung ausgewählt. Es sind die Meldungen: 1, 3–8, 15, 16, 20, 24–26, 33–35, 39, 42, 52, 58, 61, 68, 75, 78, 79, 84, 87, 89, 90, 92–96, 98, 99, 101–105, 110, 111, 113, 116, 118, 119, 122, 126–128, 133–136, 140, 141, 143, 146, 147, 149, 151, 154, 157–160, 163, 166, 168, 170, 171, 174, 176–179, 183, 187, 188, 190, 201, 204–206, 215, 217, 218, 222, 226, 233, 235–237, 240, 242, 246–249, 251, 252, 257, 261, 271, 272, 275, 278, 281, 284, 285, 287, 291–295, 297, 298, 301, 302, 305, 307, 313, 316, 317, 335–338, 341, 344, 349, 351–353, 356 (357)–368, 370, 371, 373, 375, 376, 382, 383, 386–392, 396a, 397, 399, 400, 402, 409, 413–415, 418, 423, 425–430 und 432–434. Die Auszüge der Protokolle, deren Übersetzerin – sie wird im Urteil lediglich als Dr. Bloch, Frau des Stuttgarter Landesrabbiners, bezeichnet – nicht ausfindig gemacht werden konnte, sind in den Gerichtsakten nicht enthalten. Zur Genese der Übersetzung der Judenratsmeldungen siehe das Vorwort von Hans-Peter Stähli im ersten Teil dieses Bandes. Vgl. Nachman Blumenthal (Hg.), Documents from the Lublin Ghetto, a Judenrat without a Path, Jerusalem 1967 (Hebräisch). Eine Edition der Dokumente des Warschauer Judenrates von Jan Grabowski, die das Jüdische Historische Institut in Warschau veröffentlichen wird, erscheint demnächst. Vgl. die Ankündigung unter: http://www.history.uottawa.ca/faculty/prof_grabowski.html [30.8.2009]. Für Łód´z sind Dokumente des »Ältesten der Juden in Litzmannstadt« erhalten geblieben, darunter Schriftwechsel mit deutschen Behörden sowie Bekanntmachungen des Judenältesten Mordechai Chaim Rumkowski. Andrea Löw hat für ihre hervorragende Arbeit zum Thema »Juden im Getto Litzmannstadt« die Bestände im Staatsarchiv Łód´z und im Institute of Jewish Research (YIVO) in New York eingesehen und ausgewertet. Vgl. Andrea Löw, Juden im Getto Litzmannstadt. Lebensbedingungen, Selbstwahrnehmung, Verhalten, Göttingen 2006, S. 38. Vgl. N.B., Foreword, in: Blumenthal (Hg.), Darko shel Yudenrat.
Einleitung
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schichte des Ghettoarchivs und die Situation des Białystoker Judenrats unter deutscher Besatzung dargestellt. Die Ermordung der Białystoker Juden
Vom 23. März bis zum 14. April 1967 verhandelte die Schwurgerichtskammer am Landgericht Bielefeld gegen Dr. Wilhelm Altenloh, den ehemaligen Leiter der Dienststelle »Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes für den Bezirk Bialystok8« (KdS), und seine Mitarbeiter.9 Die Angeklagten waren nachweislich an den Deportationen der jüdischen Bevölkerung aus den Ghettos Białystok, Grodno und Pruz˙any10 in die Vernichtungslager Auschwitz und Treblinka beteiligt. Nur auf der Grundlage historischer Dokumente gelang es dem Gericht, den Angeklagten die Kenntnis von Ziel und Zweck der Deportationen nachzuweisen und sie der Beihilfe zum Mord schuldig zu sprechen. Für die Beweisführung im Urteil kam den Dokumenten des Judenrats entscheidende Bedeutung zu, da sie Auskunft über das Wissen der jüdischen Ghettobevölkerung um das ihnen zugedachte Schicksal geben. Die Rekonstruktion des damaligen Wissensstandes um die Ermordung der Juden bewies, dass die Angeklagten in dem Bewusstsein gehandelt hatten, die Juden durch die Deportationen in den Tod zu schicken. Białystok war ein Zentrum jüdischen Lebens in Polen. In der Stadt gab es jüdische Schulen, Theater, politische Parteien und Gewerkschaften, mehrere Jugendbewegungen, kulturelle Institutionen und viele Zeitungen und Zeitschriften.11 Unter der sowjetischen Besatzung von September 1939 bis 8
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Im Folgenden wird das diakritische Zeichen ł in Białystok nur verwendet, wenn von der Stadt die Rede ist. Wenn die Verwaltungseinheit gemeint ist, wird – aus Gründen historischer Korrektheit – die damalige deutsche Bezeichnung Bezirk Bialystok (ohne diakritisches Zeichen) benutzt. Die Verwaltungseinheit »Bezirk Bialystok«, die von den deutschen Besatzern am 1. August 1941 eingerichtet wurde, hatte eine staatsrechtliche Form sui generis, die als Provisorium gedacht war. Der Bezirk wurde nicht offiziell, sondern lediglich inoffiziell Ostpreußen und damit dem Deutschen Reich angegliedert. Auch verwaltungstechnisch hatte er einen Sonderstatus. Die Struktur des Besatzungsapparates im Bezirk Bialystok vereinigt Elemente, die sowohl für das Reich als auch für das Generalgouvernement charakteristisch sind. Vgl. Katrin Stoll, Strafverfahren gegen ehemalige Angehörige der Sicherheitspolizei für den Bezirk Bialystok, unveröffentl. Dissertation, Bielefeld 2008, S. 113 f. mit Verweisen auf Quellen und Sekundärliteratur. Vgl. Freia Anders/Hauke-Hendrik Kutscher/Katrin Stoll, Der Bialystok-Prozess vor dem Bielefelder Landgericht 1965–1967, in: dies. (Hg.), Bialystok in Bielefeld, S. 76–133; Stoll, Strafverfahren. In den Quellen und in der Literatur finden sich auch die Schreibweisen Pruzhany, Prushany, Pruz˙ana. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs gab es in Białystok die Jugendbewegung des Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbundes, der Kommunisten sowie folgende Organisationen: Hashomer Hatzair, Hanoar Haziyoni (Allgemeine Zionisten), Betar (Hatzahar), Hashomer Hadati (Mizrahi) und Hehalutz Hatzair-Dror (ein Zusammenschluss der Jugendabteilung der Zionistischen Sozialistischen Arbeiterbewegung Poalei Zion-C.S. und der Pionier-Jugendvereinigung Hehalutz Hatzair). Nach Bender existierten zwischen 1918 und 1939 mindestens sechzig jüdische Zeitschriften in Jiddisch und Polnisch. Zur kulturellen Infrastruktur siehe ausführlich Sara
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Juni 1941 verloren die Juden Białystoks ihre religiöse und kulturelle Selbstbestimmung.12 Die antijüdische Politik der deutschen Besatzer zielte dagegen darauf ab, die jüdische Welt zu zerstören und die jüdische Bevölkerung Białystoks zu vernichten. Die Mordaktionen in den ersten beiden Wochen nach der Besetzung der Stadt am 27. Juni 1941 wurden von Angehörigen des Polizeibataillons 309, vom Einsatzkommando 8 der Einsatzgruppe B und von Angehörigen der Polizeibataillone 316 und 322 durchgeführt.13 Die Deutschen ermordeten in diesem Zeitraum fast 7.000 Juden.14 Zu den grausamen Höhepunkten zählt die Zerstörung der Großen Synagoge in Białystok am 27. Juni. An diesem Tag trieben Männer des Polizeibataillons 309 mindestens 800 Frauen, Männer und Kinder in die Synagoge und ließen sie lebendig verbrennen.15 Die ersten Deportationen aus der Stadt erfolgten im Februar 1943.16 Zwischen dem 5. und 12. Februar 1943 organsierten KdS-Angehörige unter der Leitung Altenlohs den Transport von 10.000 Menschen aus dem Ghetto Białystok in die Vernichtungslager Treblinka und Auschwitz, weitere 900 Menschen17 wurden im Ghetto getötet. Zwei Jahre nach seiner Errichtung wurde das Ghetto fast vollständig aufgelöst. Georg Michalsen, Mitarbeiter des SS- und Polizeiführers für den Distrikt Lublin, Odilo Globocnik, organisierte zusammen mit Angehörigen der Sicherheitspolizei unter Federführung des Kommandeurs Dr. Herbert Zimmermann18 und unter Mithilfe des SS- und PolizeiRegiments 2619, des Polizei-Schützen-Regiments 34 und einer dem KdS unterstellten »weißruthenischen Schutzmannschaft« die Deportationen, die am 16. August 1943 begannen. Die Untergrundbewegung des Białystoker
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Bender, The Jews of Białystok during World War II and the Holocaust, Waltham, Mass. 2008, S. 33–38, 41 ff. Bei der Studie handelt es sich um die englische Übersetzung der 1997 in Tel Aviv auf Hebräisch veröffentlichten Dissertationsschrift ders., Mul mavet orev. Yehudei Bialystok be-milhemet ha-olam hasheniyah, 1939–1943, Tel Aviv 1997. Vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 49–89. Vgl. ebd. S. 90–98; Stoll, Strafverfahren, S. 107 f., mit Verweisen auf Quellen und Sekundärliteratur. Vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 98. Vgl. ebd., S. 90–92, und Stoll, Strafverfahren, S. 107, Anm. 32, mit Verweisen auf die Unterschiede in der von der Sekundärliteratur genannten Zahlen. Zur Strafverfolgung vgl. Michael Okroy, »Nach 26 Jahren nun Mammutprozess gegen Polizisten«. Die justizielle Aufarbeitung von NS-Verbrechen der Ordnungspolizei am Beispiel der Wuppertaler Bialystok-Verfahren, in: Jan-Erik Schulte (Hg.), Die SS, Himmler und die Wewelsburg, Paderborn 2009, S. 449–469. Zum Folgenden vgl. Stoll, Strafverfahren, S. 137–139. Christian Gerlach, Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrussland 1941 bis 1944, Hamburg 2000, S. 730. Der Oberregierungsrat und SS-Obersturmbannführer Dr. Herbert Zimmermann war von Mitte Mai 1943 bis Juli 1944 Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD für den Bezirk Bialystok. Der spätere Bielefelder Rechtsanwalt war ebenfalls Angeklagter im Bielefelder BiałystokProzess, nahm sich jedoch vor Beginn der Hauptverhandlung das Leben. Zu dem Strafverfahren gegen Dr. Zimmermann und Andere vgl. Stoll, Strafverfahren, Kapitel V, insbesondere S. 169– 202 und S. 225–230. Zur Mitwirkung des SS- und Polizei-Regiments 26 an der Auflösung des Białystoker Ghettos vgl. Katrin Stoll, Die »Räumung« des Białystoker Ghettos in den Aussagen von »Täter-Zeugen«, in: Wolfgang Schulte (Hg.), Die Polizei im NS-Staat, Frankfurt a.M. 2009, S. 263-304.
Einleitung
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Ghettos unter Führung von Mordechai Tenenbaum-Tamaroff20 leistete bewaffneten Widerstand. Er gilt indes als »nicht erheblich« und wurde sofort mit Waffengewalt gebrochen.«21 Mindestens 30.000 Menschen wurden im August 1943 aus dem Białystoker Ghetto abtransportiert, von denen 15.000 als »arbeitsfähig« galten.22 Vom 17. bis zum 23. August gingen zwölf Deportationszüge nach Treblinka. Am 29. und 31. August erreichten zwei Züge aus Białystok das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz.23 Die Waggons mit den als »arbeitsfähig« klassifizierten Frauen und Männern wurden auf den Bahnhöfen Małkinia oder Treblinka abgehängt und weiter nach Lublin befördert.24 11.000 Ghettobewohner wurden nach Lublin gebracht, größtenteils indes am 3. und 4. November 1943 bei Massenerschießungen im Rahmen der »Aktion Erntefest« ermordet, die übrigen 17.000 bis 19.000 Juden wurden in die Vernichtungslager deportiert und dort ermordet.25 In Treblinka wurden die Menschen unmittelbar nach ihrer Ankunft getötet, in Auschwitz blieb ein kleiner Teil der Deportierten – ungefähr 1.300 Menschen – von der sofortigen Ermordung verschont.26 Unter denjenigen, die in Vernichtungslagern getötet wurden, waren auch 1.264 Białystoker Kinder.27 Sie wurden am 21. August 1943 nach Theresienstadt verschleppt und von dort am 5. Oktober 1943 nach 20
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Mordechai Tenenbaum, auch Mordecai/Mordehai Tenenbaum-Tamaroff oder Mordechai Tenenboim (1916–1943), gehörte zu den führenden Persönlichkeiten der jüdischen Untergrundbewegung in Wilna, Warschau und Białystok und zu den maßgeblichen Organisatoren des bewaffneten Aufstandes im Ghetto Białystok. Vgl. Artikel ›Tenenbaum‹, in: Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, hrsg. von Israel Gutman/ Eberhard Jäckel/Peter Longerich/Julius H. Schoeps, 3 Bde., München/Zürich o.J., Bd. III, S. 1399–1400; Bender, The Jews of Białystok, insbesondere S. 174–176, 178–180, 192 f., 197 ff, 208–211, 228 f., 230 f., 237 f., 268 f., 284 f., 296 f.; eine erste Ausgabe seines Tagebuchs erschien 1947 unter dem Titel Dappim Min Hadleka [Pages from Fire], Ha-Kibbutz Ha-Meuhad, eine neue, verbesserte und erweiterte Auflage 1984 in Jerusalem. Vgl. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6195, Bl. 314. Bender kommt zu einer ähnlichen Einschätzung. Vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 263. Zum Verlauf der Kämpfe am ersten Tag der August-»Aktion« vgl. ebd., S. 258–263. Vgl. Urteil 5 Ks1/65, in: L/AOWL, D21A, Nr. 6195, Bl. 315. Vgl. ebd., Bl. 316 f. Ebd., Bl. 312. Vgl. Gerlach, Kalkulierte Morde, S. 732. Schwindt geht im Gegensatz zu Gerlach davon aus, dass 11.400 Juden nach Treblinka und 16.800 Juden nach Lublin deportiert wurden. Von den nach Lublin deportierten Juden aus dem Ghetto Białystok seien etwa 4.000 in das Zwangsarbeitslager Radom-Bliz˙yn und 11.000 nach Majdanek geschickt worden. Vgl. Barbara Schwindt, Das Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek. Funktionswandel im Kontext der »Endlösung«, Würzburg 2005, S. 258 f. Kranz beziffert die Zahl der Juden, die nach Majdanek deportiert wurden, auf 6.500. Vgl. Tomasz Kranz, Eksterminacja Z˙ydów na Majdanku i rola obozu w realizacji »Akcji Reinhardt« [Die Vernichtung der Juden in Majdanek und die Rolle des Lagers bei der Durchführung der »Aktion Reinhardt«], in: Zeszyty Majdanka [Hefte Majdaneks] 22 (2003), S. 7–55, hier: S. 18. Vgl. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Bl. 319. Zu den Białystoker Kindern vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 269–273; Anna Buchowska, »Te dzieci sa˛ moje!« Losy białostockiego transportu dziecie˛cego z 5 pa´zdziernika 1943 r. w relacjach s´ wiadków [»Diese Kinder gehören mir!« Das Schicksal des Białystoker Kindertransportes vom 5. Oktober 1943 in den Berichten von Zeugen], in: Studia Podlaskie XVI (2006), S. 179–296; Tobias Cytron, Das tragische Schicksal der Kinder aus dem Getto in Bialystok, in: Hefte von Auschwitz 22 (2002), S. 363–370; Vernehmung des Zeugen Dr. Aron Bejlin in der
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Auschwitz deportiert. Unmittelbar nach ihrer Ankunft am 7. Oktober wurden sie ermordet.28 Nach den August-Deportationen verblieb ein kleines Ghetto, das Mitte September endgültig aufgelöst wurde.29 Die letzten Bewohner des Ghettos, unter ihnen der geschäftsführende, stellvertretende Vorsitzende des Judenrates, Efraim Barasz, wurden entweder nach Majdanek deportiert und im Rahmen der »Aktion Erntefest« ermordet oder ins Gefängnis nach Białystok gebracht und von dort ins Konzentrationslager Stutthof verschleppt.30 Die Überlieferung des Białystoker Ghettoarchivs
Unter den durch das Bielefelder Schwurgericht in das Verfahren eingeführten Dokumenten waren die Protokolle und Meldungen des Białystoker Judenrats neben dem Tagebuch von Mordechai Tenenbaum-Tamaroff ein wichtiges Beweismittel.31 Sie blieben der Nachwelt in dem geretteten Teil des auf Initiative von Tenenbaum gegründeten geheimen Ghettoarchivs erhalten. Seine Arbeit für das Oneg Shabbat-Archiv des Warschauer Ghettos inspirierte Tenenbaum dazu, ein ähnliches Archiv in Białystok aufzubauen.32 Der Historiker und Überlebende des Białystoker Ghettos, Dr. Szymon Datner33, schreibt, das Archiv sei im November/Dezember 1942 nach Tenenbaums Rückkehr aus Warschau gegründet worden.34 Zu den Beweggründen Tenenbaums und seines Mitarbeiters und Archivdirektors Zwi Mersik35 bemerkt Datner: »Both Ta-
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Hauptverhandlung der Strafsache gegen Dr. Altenloh und Andere (5 Ks 1/65) vom 25. Mai 1966, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6341, Tonband 18 Rückseite und 19 Vorderseite. Vgl. Danuta Czech, Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. 1943. Das zweite Halbjahr, Hefte von Auschwitz 6 (1962), S. 43–87, hier: S. 69. Gerlach schreibt, am 16. September 1943 seien 1.200 bis 2.000 Juden aus Białystok deportiert worden. Vgl. Gerlach, Kalkulierte Morde, S. 732, Anm. 1237. 300 Juden – 139 Frauen und 161 Männer – wurden am 21. November 1943 aus dem Białystoker Gefängnis nach Stutthof deportiert. Die Deutschen brachten 253 (119 Männer und 134 Frauen) von ihnen am 12. Januar 1944 ins Konzentrationslager Auschwitz. Vgl. Urszula Kra´snicka, wste˛p [Einleitung], in: dies./Krzysztof Filipow, Z˙ydzi białostoccy [Die Białystoker Juden]. Getto – KL Stutthof – KL Auschwitz, Białystok 2003, S. 5–7, hier: S. 5. Das Gericht hatte durch den Historiker Dr. Wolfgang Scheffler von der Edition und von der Veröffentlichung des Tagebuchs erfahren. Vgl. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6195, Bl. 191. Es bat RA Dr. Friebertshäuser anlässlich seiner Israel-Reise im Rahmen des SobibórProzesses, zwei Exemplare von Blumenthals Edition auf Kosten des Gerichts mitzubringen. Vgl. Schreiben des Vorsitzenden des Schwurgerichts Bielefeld an Dr. Friebertshäuser vom 20. Juli 1966, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6171, Bl. 109. Vgl. auch Stoll, Strafverfahren, S. 236. Die beiden Exemplare werden im Archiv in Detmold aufbewahrt. Vgl. L/AOWL, D 21 A, Nr. 6349 und 6350. Vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 175. Zu Szymon Datner vgl. die Angaben im Prolog des Aufsatzes von Katrin Stoll im zweiten Teil des Bandes. Vgl. Szymon Datner, The Archives of Tenenbaum-Tamarof and Mersik, in: Bialystoker Center (Hg.), The Bialystoker Memorial Book, New York 1982, S. 80. Zwi Mersik, geboren in Mielnica, in der Nähe von Kowel, war ein führendes Mitglied der Jugendbewegung Hehalutz-Hatzair Dror, die Zionismus mit Sozialismus verknüpfte. 1938 wurde er in das zentrale Komitee der Bewegung gewählt. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ging er nach Wilna, wo er ein Mitglied des Pionier-Koordinationskomitees wurde. Im
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marof and Mersik were motivated to set up the archive because of the following considerations: the destruction of Warsaw, the liquidation of the Bialystok provincial towns, the impeding catastrophe for the Bialystok ghetto, the personal experiences of the two men, and the uncertainty whether anyone would survive the Holocaust to tell the world about the crimes of the Nazis«.36 Die Aufgabe des Sammelns und Verwahrens der Zeugnisse und Dokumente im Białystoker Ghetto übernahmen Mersik und Tenenbaums Freundin, Tema Sznajderman.37 Nach Mersiks Tod im Januar 1943 war Gedaliah Petlok für das Archiv zuständig.38 Zusammengetragen wurden unter anderem Augenzeugenberichte über die Ermordung der Juden, Protokolle von Treffen der Widerstandsgruppen, deutsche Dokumente, im Ghetto entstandene Lieder und andere kulturelle Zeugnisse. Tenenbaum, der das Archiv in seinem Tagebuch als »living encyclopedia of the catastrophe and martyrology of Polish Jewry« bezeichnete, ermutigte auch andere dazu, Tagebuch zu schreiben und Erinnerungen zu verfassen.39 Weil er von der bevorstehenden Ermordung aller Juden im deutschen Herrschaftsbereich überzeugt war, wollte er durch seine dokumentarische Tätigkeit das Andenken an die Juden und ihr Leiden bewahren, aber auch Beweise für die von den Deutschen am jüdischen Volk begangenen Verbrechen liefern. Wie die Strafsache gegen Dr. Altenloh und Andere zeigt, ist ihm dies gelungen. Szymon Datner veröffentlichte 1970 in der Zeitschrift bleter far geszichte eine Darstellung über die Entstehung des Archivs und dessen Überlieferung.40 Dem Text ist eine Liste über den Bestand des Archivs beigefügt, die von der aus Grodno41 stammenden Bronia Klibanski42 für die Gedenkstätte Yad Vashem erstellt worden war. Das Material lässt sich demnach in vier Teile gliedern: 1. Dokumente des Białystoker Judenrats (1941–1943); 2. Texte von Tenen-
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Januar 1942 kam er nach Białystok. Im Białystoker Ghetto verwaltete er das Archiv, widmete sich der lokalen Dror-Abteilung und sorgte dafür, dass sich die zionistische Jugend um den Gemüse-Garten, den er Anfang 1942 angelegt hatte, kümmerte. Im Januar 1943 erkrankte er. Er starb am 28. Januar 1943. An seiner Beerdigung nahmen Hunderte von Ghettobewohnern teil. Vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 177. Zu Hehalutz-Hatzair-Dror vgl. ebd., S. 162–164, zum Pionier-Koordinationskomitee ebd., S. 156–160. Datner, The Archives of Tenenbaum-Tamarof and Mersik, S. 80. Vgl. Bronia Klibanski, The Underground Archives of the Bialystok Ghetto Founded by Mersyk and Tenenbaum, in: Yad Vashem Studies 2 (1958), S. 285–329, hier: S. 296; Bender, The Jews of Białystok, S. 176. Vgl. ebd., S. 177. Introduction, in: Blumenthal (Hg.), Darko shel Yudenrat, S. VII–L, hier: S. VIII. Vgl. Szymon Datner, der untererdiszer bialistoker geto-archiv (m-t-archiv), I teil: di bialistoker »provinc«, dokumentn [Das unterirdische Białystoker Archiv, Teil I: Die Białystoker »Provinz«Dokumente], in: bleter far geszichte 18 (1970), S. I–LXV. Zur Überlieferungsgeschichte des Archivs vgl. auch Datners Aussage vor dem Bielefelder Schwurgericht, die in dem Aufsatz von Katrin Stoll im zweiten Teil dieses Bandes behandelt wird. Zur Geschichte der Stadt Grodno vgl. Felix Ackermann, Palimpsest Grodno. Nationalisierung, Nivellierung und Sowjetisierung einer mitteleuropäischen Stadt, 1919–1991, unveröffentl. Dissertation, Frankfurt/Oder 2008. Winicka war zusammen mit Grossman (als Verbindungsmädchen zur beziehungsweise auf der »arischen Seite«) für die Untergrundbewegung tätig und hatte während der Zeit im Ghetto engen Kontakt mit Tenenbaum.
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baum-Tamaroff; 3. Zeugnisse, Erinnerungen, Skizzen (zu Białystok, Grodno und anderen Städten, zu Treblinka, Texte der Gestapo usw.); 4. Persönliche Dokumente.43 Datner war als Vorsitzender eines im November 1944 gegründeten Jüdischen Wojewodschaftskomitees und als Mitglied einer dem Komitee angeschlossenen Historischen Kommission, in der Überlebende aus Białystok organisiert waren und Augenzeugenberichte zusammentrugen, über Auffindung und Ankauf des wertvollen Materials – vermutlich in der zweiten Jahreshälfte 1945 – informiert worden. Das Archiv war im Frühjahr 194344 unter Mithilfe von Bronia Winicka (später Klibanski), Mitglied der Widerstandsgruppe Hehalutz HatzairDror (Dror), und von Israel Blumental, der ebenfalls in der Białystoker Untergrundbewegung aktiv war, an einem sicheren Ort außerhalb der Grenzen des Ghettos vergraben worden. Als Finder der Dokumente gilt der Gynäkologe Dr. Lejb Blumental (der Bruder Israel Blumentals), der vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion Direktor eines Krankenhauses in S´ niadowo gewesen war und während der deutschen Besatzung von seiner polnischen Frau versteckt wurde. Nach seiner Entlassung aus der polnischen Armee gelangte er nach Beendigung des Krieges in die Stadt Białystok und konnte mittels eines Planes, der ihm im April/Mai 1943 von der Widerstandsbewegung zugespielt worden war, mit der Suche nach dem Archiv beginnen. Es befand sich in der Piast-Straße 29 in einem Stall des Polen Filipowski. Nach den Erkenntnissen Datners, der nach dem Krieg mit Lejb Blumental über das Auffinden des Archivs sprach und sich während seiner wissenschaftlichen Tätigkeit – von 1948 bis 1953 und 1969/70 – am Jüdischen Historischen Institut (Z˙ydowski Instytut Historyczny, Z˙IH) in Warschau mit den dort aufbewahrten Materialien aus dem Białystoker Ghettoarchiv befasste, sind Teile verloren gegangen.45 In den fünfziger und sechziger Jahren wurden von den in Warschau vorhandenen Originaldokumenten Kopien für die Gedenkstätte Yad Vashem angefertigt. Sie erhielten in Yad Vashem die Bestandsbezeichnung »Mersik-Tenenbaum-Archiv«.46 Datners Pläne, die im Z˙IH aufbewahrten Teile aus dem Archiv der Forschung zugänglich zu machen, ließen sich nicht realisieren. Aus dem Bestand sind bisher nur wenige Dokumente veröffentlicht worden, darunter Tenenbaums Tagebuch, ein Aufsatz von Pe[j]sach Kapłan (1870-1943) über den 43
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Zu der Liste mit Dokumenten vgl. Datner, der untererdiszer bialistoker geto-archiv (m-t-archiv), S. XX–XXIII; zu dem Quellenmaterial vgl. auch Klibanski, The Underground Archives, S. 298–301. Klibanski schreibt: »In March, 1943 Tenenbaum started the transfer of the archives through Mr. Blumenthal to Dr. Filipowski. The documents were placed inside hermetically closed in boxes. […] There were three boxes in all, and their transfer out of the Ghetto took place by stages. The first consignment left in March, 1943, and comprised two boxes. The third box was transferred in May, 1943.« Klibanski, The Underground Archives of the Bialystok Ghetto, S. 303. In der Einleitung zu der Edition Blumenthals heißt es dazu: »Documents were last smuggled out of the ghetto about April 1, 1943. This is evident, as the documents contain nothing concerning any events after that date. (We may assume that the work of collection continued in the ghetto till the very end, but the material did not reach our hands.)« Introduction, in: Blumenthal (Hg.), Darko shel Yudenrat, S. IX. Vgl. Datner, der untererdiszer bialistoker geto-archiv (m-t-archiv), S. VII–IX. Vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 176.
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Białystoker Judenrat47 und die Meldungen und Protokolle des Judenrats. Die Judenratsdokumente wurden bisher ausgewertet von Szymon Datner,48 von Wolfgang Scheffler in seinem Gutachten für das Bielefelder Schwurgericht,49 von Leni Yahil für ihre Gesamtdarstellung über die Ermordung der europäischen Juden,50 von Jenny Wajsenberg in einem Aufsatz über das Białystoker Ghetto,51 von Sara Bender in ihrer Dissertation zur Geschichte der Juden Białystoks unter sowjetischer und deutscher Besatzung52 und von Ewa Rogalewska in ihrer Dissertation über das Białystoker Ghetto.53 Für polnischsprachige Interessenten erschloss Adam Czesław Dobro´nski Meldungen des Judenrats auf der Basis von polnischen Abschriften, die im Z˙IH aufbewahrt werden. Die Herausgeberinnen und der Herausgeber dieses Bandes hoffen, dass die deutsche Übersetzung der Edition Nachman Blumenthals zur Erforschung der Lebensbedingungen in den Ghettos unter nationalsozialistischer Herrschaft und zum weiteren Erkenntnisgewinn über die Geschichte der Judenräte beiträgt.
II. Nachman Blumenthal und die Edition der Białystoker Judenratsdokumente Der Literaturwissenschaftler Nachman Blumenthal, 1902 in Borszczów in Polen geboren, begann noch während des Zweiten Weltkriegs damit, Quellen47
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Vgl. Pesach Kapłan, Judenrat w Białymstoku [Der Judenrat in Białystok], in: Biuletyn Z˙ydowskiego Instytutu Historycznego [Bulletin des Jüdischen Historischen Instituts] 60 (1966), S. 51–88. Kapłan schrieb den Artikel zwischen Februar und März 1943. Szymon Datner, bialistoker judenrat-meldungen [Białystoker Judenratsmeldungen], in: bleter far geszichte IV (1951), S. 56–74. Joanna Furła-Buczek setzt sich in ihrer linguistischen Analyse der Judenratsmeldungen mit Datners Thesen auseinander. Vgl. Joanna Furła-Buczek, Charakterystyka obwieszcze´n Białostockiego Judenratu [Charakteristika der Bekanntmachungen des Białystoker Judenrates], in: Kwartalnik Historii Z˙ydów 227 (2008), S. 313–321, und den Beitrag ders. im zweiten Teil dieses Bandes. Wolfgang Scheffler, Zur Organisation der Judendeportation unter besonderer Berücksichtigung des Schicksals der Juden im Bezirk Bialystok (1941–1943), Gutachten vom 8. Juli 1966, erstattet vor dem Schwurgericht Bielefeld, in: Barch, B 162/153, 4063, Bl. 1–94. Vgl. Leni Yahil, The Holocaust. The Fate of European Jewry, 1932–1945, Oxford 1991, S. 261–264. Die Studie erschien erstmals 1987 in Tel Aviv in hebräischer Sprache. Jenny Wajsenberg, Toward an Interpretation of Ghetto: Bialystok, a Case Study, in: John Milful (Hg.), Why Germany? National Socialist Anti-Semitism and the European Context, Oxford 1993, S. 193–207. Bender, Mul mavet orev. Und dies., The Jews of Białystok. – Für die westdeutsche Historiographie war die deutsche Besatzungspolitik im Bezirk Bialystok lange Zeit kein Forschungsgegenstand. Vgl. Stoll, Strafverfahren, S. 128–146. In Polen befasste sich vor allem Szymon Datner mit der Vernichtungspolitik im Bezirk Bialystok. Sein grundlegender Aufsatz aus dem Jahr 1966 – vgl. Szymon Datner, Eksterminacja ludno´sci Z˙ydowskiej w okre˛gu białostockim [Die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im Bezirk Bialystok] in: Biuletyn Z˙ydowskiego Instytutu Historycznego [Biuletyn Z˙IH] 60 (1966), S. 3–50 – geriet indes lange in Vergessenheit und wurde erst im Zusammenhang mit der Jedwabne-Debatte von der polnischen Holocausthistoriographie wiederentdeckt. Ewa Rogalewska, Getto białostockie [Das Białystoker Ghetto], Białystok 2008.
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materialien zur Verfolgung und Ermordung der Juden zu sammeln und zu edieren. Er arbeitete für die am 28. Dezember 1944 – unter der Ägide des Zentralkomitees der Juden in Polen (Centralny Komitet Z˙ydów w Polsce, CKZ˙wP) – gegründete Zentrale Jüdische Historische Kommission (Centralna Z˙ydowska Komisja Historyczna, CZ˙KH)54 unter dem Historiker Dr. Filip (später Philip) Friedman.55 Als ihre primären Ziele und Aufgaben benannte die CZ˙KH, die Geschichte der Juden in Polen während der Besatzung zu erforschen und die Verbrechen, die das nationalsozialistische Deutschland an der jüdischen Bevölkerung beging, zu dokumentieren. Folgende Themen sollten dabei im Mittelpunkt stehen: Die »Vernichtung des Judentums«, »der Kampf des Volkes gegen den verhassten Feind«, die »moralische Haltung« des jüdischen Volkes, das kulturelle Leben der Juden, literarische Werke und Folklore sowie die Wirkung, die verschiedene Gruppen und Individuen auf das gesamte jüdische Leben in der Zeit der Besatzung hatten.56 Um die genannten Ziele zu erreichen, sollten Dokumente, Materialien und Zeugnisse von Überlebenden gesammelt und Quelleneditionen und Monographien veröffentlicht werden.57 Die Kommission erarbeitete Fragebögen für Interviews mit Überlebenden und gab methodische Anweisungen und Leitfäden für die Sammlung des Quellenmaterials heraus.58 Es waren insbesondere Filip Friedman, Józef Kermisz und Nachman 54
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Die CZ˙KH ging aus der im August 1944 in Lublin gegründeten Historischen Kommission hervor. Zur CZ˙KH vgl. Noe Grüss, Rok pracy Centralnej Z˙ydowskiej Komisji Historycznej [Ein Jahr Arbeit der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission], Łód´z 1946; Stephan Stach, Geschichtsschreibung und politische Vereinnahmungen: Das Jüdische Historische Institut in Warschau 1947–1968, in: Simon Dubnow Institute Yearbook 7 (2008), S. 401–431, hier: S. 402– 410; ders., »Praktische Geschichte«. Der Beitrag jüdischer Organisationen zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Polen und Österreich in den späten 40er Jahren, in: Fritz Bauer Institut (Hg.), Opfer als Akteure. Interventionen ehemaliger NS-Verfolgter in der Nachkriegszeit, Frankfurt a.M. 2008, S. 242–262, hier: S. 245–251; Feliks Tych, The Emergence of Holocaust Research in Poland: The Jewish Historical Commission and the Jewish Historcial Institute (Z˙IH), 1944– 1989, in: David Bankier/Dan Michman (Hg.), Holocaust Historiography in Context. Emergence, Challenges, Polemics and Achievements, Jerusalem 2008, S. 227–244, hier: S. 228–239; Natalia Aleksiun, The Central Jewish Historical Commission in Poland 1944–1947, in: Gabriel Finder/Natalia Aleksiun/Jan Schwarz (Hg.), Making Holocaust Memory (Polin. Studies in Polish Jewry, Bd. 20), Oxford 2008, S. 74–97; Laura Jokusch, Khurbn Forshung – Jewish Historical Commissions in Europe, 1943–1949, in: Simon Dubnow Institute Yearbook 6 (2007), S. 441–473. Zu Friedman vgl. Roni Stauber, Philip Friedman and the Beginning of Holocaust Studies, in: Bankier/Michman (Hg.), Holocaust Historiography in Context, S. 83–102. Vgl. Daniel Grinberg, The Contribution of the Jewish Historical Institute in Poland to Writing the History of the Warsaw Ghetto, in: ders. (Hg.), The Holocaust. Fifty Years After. 50th Anniversary of the Warsaw Ghetto Uprising. Papers from the conference organized by the Jewish Historical Institute of Warsaw, March 29–31, 1993, Warszawa 1993, S. 11–21, hier: S. 13. Vgl. Jokusch, Khurbn Forshung, S. 445. Centralna Z˙ydowska Komisja Historyczna (Hg.), Instrukcje dla zbierania materiałów etnograficznych z okresu okupacji niemieckiej [Instruktionen für die Sammlung ethnographischen Materials aus der Zeit der deutschen Besatzung], Łód´z 1945; Centralna Z˙ydowska Komisja Historyczna (Hg.), Instrukcje dla zbierania materiałów historycznych z okresu okupacji niemieckiej [Instruktionen für die Sammlung historischen Materials aus der Zeit der deutschen Besatzung], Łód´z 1945.
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Blumenthal, die als Mitglieder des Leitungsgremiums der CZ˙KH59 die Dokumentations- und Forschungstätigkeit vorantrieben. Nachdem Friedman Polen 1946 verlassen hatte,60 wurde Blumenthal Direktor der CZ˙KH.61 Bis Dezember 1947 trugen die Mitarbeiter der CZ˙KH62 mehr als 3.000 Berichte von Überlebenden zusammen. Zwischen 1945 und 1947 veröffentlichte die CZ˙KH 38 Bücher,63 darunter von Blumenthal herausgegebene Quellensammlungen zu den nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern64 und zum Widerstand in Ghettos und Lagern65 sowie Blumenthals Buch Słowa niewinne,66 ein Verzeichnis von deutschen nationalsozialistischen Begriffen, die auf der Grundlage zeitgenössischen Quellenmaterials erläutert werden. Im Herbst 1947 wurde die Zentrale Jüdische Historische Kommission in das Jüdische Historische Institut umgewandelt. Am 23. Oktober 1947 traf das neue Leitungsgremium des Z˙IH, dem Nachman Blumenthal als Direktor67 und Józef Kermisz, Rafał Gerber, Artur Eisenbach und Jeszaja (später Iasiah) Trunk angehörten, zum ersten Mal zusammen.68 Blumenthal, Kermisz und Trunk blieben jedoch nicht lange am Institut – sie entschieden sich, wie so viele andere polnisch-jüdische Holocaust-Überlebende, zur Emigration. Blumenthal und Kermisz setzten ihre Arbeit in Israel fort. Sie waren zunächst für das Ghetto Fighters’ House im von Überlebenden der Ghettos und Lager gegründeten Kibbutz Lohamei Hagetaot tätig und wurden 1954 Mitarbeiter der Gedenk- und Forschungsstätte Yad Vashem.69 59
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Vgl. AZ˙IH, CZ˙KH, sygn. 303/XX, nr. 11 (Protokoły z posiedze´n kierownictwa CZ˙KH 1946– 1947), Bl. 1, Protokoł z posiedzenia z Egzekutywy C.Z.K.H. z dnia 29. IV. 1946. Dem Leitungsgremium gehörten folgende Personen an: Dr. Filip Friedman (Vorsitzender), Nachman Blumenthal (Stellvertretender Vorsitzender), Michał Borwicz (Stellvertretender Vorsitzender), Dr. Józef Kermisz (Generalsekretär), Józef Wulf (Schatzmeister). Das Gremium bildete gleichzeitig das Redaktionskollegium der Veröffentlichungen der CZ˙KH. Vgl. ebd., Bl. 1. Zu den Gründen vgl. Stauber, Philip Friedman, S. 89 f. Vgl. Aleksiun, The Central Jewish Historical Commission, S. 77. Eine Liste mit den Namen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter findet sich in: AZ˙IH, CZ˙KH, sygn. 303/XX, Tadeusz Epsztein, Monika Natkowska, Wste˛p [Einleitung], S. 3. und 4. Im Frühjahr 1945 wurden 25 Abteilungen der CZ˙KH eingerichtet. Regionale Historische Kommissionen bestanden in Kraków, Wrocław, Warszawa, Białystok und Katowice. Vgl. Jokusch, Khurbn Forshung, S. 445. Vorsitzender der Historischen Kommission in Białystok war zunächst Jakub Fabrycki, dann Menachem Turek, der eng mit Szymon Datner zusammenarbeitete. Vgl. Andrzej Z˙bikowski, U genezy Jedwabnego. Z˙ydzi nad kresach północno-wschodnich II Rzeczypospolitej, wrzesie´n 1939 – lipiec 1941 [Zur Genese Jedwabnes. Juden in den nord-östlichen Grenzgebieten der II. Republik, September 1939 – Juli 1941], Warszawa 2006, S. 249. Vgl. Feliks Tych, The Emergence of Holocaust Research in Poland, S. 234. Nachman Blumental (Hg.), Dokumenty i materiały z czasów okupacji niemieckiej w Polsce [Dokumente und Materialien aus der Zeit der deutschen Besatzung in Polen], tom 1 [Band 1], Obozy [Die Lager], Łód´z 1946. Nachman Blumental u.a. (Hg.), Ruch podziemny w gettach i obozach. Materiały i dokumenty, [Die Untergrundbewegung in den Ghettos und Lagern. Materialien und Dokumente], Kraków 1946. Nachman Blumental, Słowa niewinne [Unschuldige Wörter], Łód´z/Kraków/Warszawa 1947. Blumenthal hatte seine Arbeit am Z˙IH am 1. Oktober 1947 begonnen und war bis 1949 Direktor des Instituts. Vgl. Stach, Geschichtsschreibung und politische Vereinnahmungen, S. 410. Vgl. Orna Kernan, Between Memory and History. The Evolution of Israeli Historiography of the Holocaust, 1945–1961, New York 2003, S. 56.
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In Yad Vashem standen sich in den fünfziger Jahren zwei Gruppen gegenüber, die unterschiedliche Vorstellungen von den Zielen, Inhalten und Methoden der Holocaust-Forschung hatten: die Gruppe der Überlebenden aus Europa, darunter Rachel Auerbach70, Nachman Blumenthal, Nathan Eck und Mark (Meir) Dworzecki, und die Wissenschaftler von der Hebräischen Universität, von denen die meisten während des Holocaust in Palästina gewesen waren.71 Die Historiker der ersten Gruppe nutzten vor allem das Yad Vashem Bulletin als Forum, um ihre Ideen und Forschungsansätze bekannt zu machen. Auch Blumenthal veröffentlichte in dieser Zeitschrift. Ihm war es wichtig, Quellen zu sammeln und zu edieren, denn: »This is the way of history: it draws its knowledge from sources – and what is not written in sources never finds its way into the history books.«72 Er plädierte dafür, der Sammlung von Quellenmaterial Priorität einzuräumen und die Forschungstätigkeit zurückzustellen: »Remember that it will be possible to do research later, but it will not always be possible to collect materials.«73 Blumenthal selbst gab verschiedene Quellensammlungen heraus, darunter die Dokumente des Białystoker und des Lubliner Judenrates.74 Blumenthals Edition der Białystoker Judenratsdokumente enthält eine ausführliche Einleitung, die sich in zwei Teile gliedert: »A. Documents« und »B. Realities of the Ghetto«.75 In Teil A, um den es im Folgenden gehen soll, behandelt der Herausgeber die Geschichte des Mersik-Tenenbaum-Archivs und analysiert das Quellenmaterial.76 Es sind 433 Meldungen für den Zeitraum vom 70
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Zu Auerbach vgl. Boaz Cohen, Rachel Auerbach, Yad Vashem, and Israeli Holocaust Memory, in: Gabriel Finder/Natalia Aleksiun/Jan Schwarz (Hg.), Making Holocaust Memory, S. 197– 221. Zu den beiden Gruppen vgl. Boaz Cohen, Setting the Agenda of Holocaust Research: Discord at Yad Vashem in the 1950s, in: Bankier/Michman (Hg.), Holocaust Historiography in Context, S. 255–292. Nachman Blumenthal, The Reason for our Collecting Work, in: Yedi’ot Yad Vashem 3 (1954), S. 8–9, zitiert nach Cohen, Setting the Agenda of Holocaust Research, S. 276. Hervorhebung im Original. Blumenthal, zitiert nach ebd., S. 276. Blumenthal veröffentlichte darüber hinaus eine Vielzahl von Aufsätzen in jiddischer, hebräischer und englischer Sprache. Zu den frühen Veröffentlichungen Blumenthals vgl. die Einträge zu Blumenthal in: Jacob Robinson/Philip Friedman (Hg.), Guide to Jewish History under Nazi Impact, New York 1960 (Yad Vashem Martyrs’ and Heroes’ Memorial Authority, Jerusalem, YIVO Institute for Jewish Research, Joint Documentary Projects, Bibliographical Series No. 1), New York 1960. Die Einleitung ist nicht mit einem Namen versehen – lediglich das Vorwort trägt die Initialen des Herausgebers Nachman Blumenthal. Es ist aber davon auszugehen, dass auch die Einleitung aus der Feder Blumenthals stammt. Die Unterpunkte von Teil A lauten wie folgt: »1. Acquisition of the Material«; »2. Announcements; General Description«; »3. The Records of the Meetings and Sessions. Their Number and Period of Issue«; »4. The Relationship between the Records and the Announcements«; »5. Matters Revealed and Concealed by the Documents«. Punkt 2 und 3 sind in mehrere Abschnitte untergliedert, die zum Teil durch kursive Zwischenüberschriften kenntlich gemacht sind. Für »2. Announcements; General Description« lauten sie: »In Whose Name Were the Annoucements Issued?; The Language; Style«. In Punkt 3 ist ein Abschnitt überschrieben mit: »Their Character and Style«.
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8. Juli 1941 bis zum 1. April 1943 überliefert, die auf Jiddisch verfasst wurden.77 Blumenthal schreibt, es bestehe kein Zweifel, dass der Judenrat auch nach dem 1. April noch Meldungen im Ghetto bekannt gemacht habe. Diese seien aber nicht erhalten geblieben.78 Er geht unter Bezugnahme auf Chaika Grossman79 davon aus, dass die letzte Meldung am 16. August 1943, dem Beginn der August-»Aktion«, herausgegeben worden sei.80 Die Frage, ob der Judenrat auch vor dem 8. Juli 1941 Meldungen an die Öffentlichkeit gerichtet habe, wird verneint. Zur Begründung wird angeführt, dass zu einer Zeit, als sich die Juden davor fürchteten, auf die Straßen zu gehen und der Judenrat noch nicht organisiert war, das »mündliche Wort« öfter verwendet worden sei als »schriftliche Befehle«. Es sei »fraglich«, ob der Judenrat zu dem Zeitpunkt in der Lage gewesen sei, »sich an die Öffentlichkeit zu wenden«.81 Blumenthal weist darauf hin, dass der Judenrat viele Meldungen in eigenem Namen, andere im Namen der deutschen Behörden veröffentlicht habe.82 Unabhängig von der Frage, in wessen Namen die Meldungen ausgestellt wurden, konstatiert er, dass sie die Umstände jüdischen Lebens unter deutscher Besatzung und – zu einem geringeren Maße – die Politik der deutschen Stellen gegenüber den Juden spiegeln.83 Die Institution Judenrat als Exekutivorgan deutscher Politik interpretierend, kommt der Herausgeber hinsichtlich der Bekanntmachungen zu folgendem Schluss: »It, therefore, makes no difference whatsoever, whether the Judenrat, in its announcements actually states that a certain order was dictated by the Ger77
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Blumenthal unterteilt das Konvolut wie folgt: 1) Meldungen mit den Nummern 1 bis 195, für die Periode vom 8. Juli 1941 bis zum 31. Dezember 1941: 195 Meldungen; 2) Meldungen mit den Nummern 196 bis 375, für den Zeitraum vom 1. Januar 1942 bis zum 31. Dezember 1942: 180 (178) Meldungen; 3) Meldungen mit den Nummern 376 bis 435, für die Periode vom 1. Januar 1943 bis zum 1. April 1943: 60 Meldungen. Gesamt: 435 (433). Vgl. Introduction, in: Blumenthal (Hg.), Darko shel Yudenrat, S. XIII. Vgl. ebd. Chaika Grossman, ein Mitglied von Hashomer Hatzair in Wilna, wurde Anfang Januar 1942 – nach der Gründung der Widerstandsbewegung FPO (Fareynikte Partizaner Organizatsye) – in ihre Heimatstadt Białystok geschickt, um dort eine jüdische Untergrundorganisation aufzubauen. Grossman verließ zu Beginn des bewaffneten Kampfes der Widerstandsbewegung das Białystoker Ghetto und hielt sich während der August-»Aktion«, somit zum oben genannten Zeitpunkt, auf der »arischen Seite« auf. Vgl. Chaika Grossman, Die Untergrundarmee. Der jüdische Widerstand in Białystok. Ein autobiographischer Bericht, aus dem Amerikanischen übersetzt von Ingrid Strobl, Frankfurt a.M. 1993, S. 261 f. Zum Zeitpunkt von Grossmans Erscheinen in Białystok und den Umständen ihrer Entsendung vgl. ebd., S. 84; Bender, The Jews of Białystok, S. 166 f., aber auch die Ausführungen in dem Beitrag von Freia Anders im zweiten Teil dieses Bandes. Vgl. Introduction, in: Blumenthal (Hg.), Darko shel Yudenrat, S. XV. Ebd., S. XIV. Vgl. ebd., S. XVII. Wörtlich heißt es: »All these announcements, whatever their wording, their source, or the signature they bear – are an expression of the times and conditions of life under the German yoke, and reflect, to a greater or lesser extent, the policy of the German authorities regarding the Jews. The documents presented herein are from the administrative framework established by the German authorities, for the purpose of carrying out their will, as stated in an order issued two years earlier, in November 1939, by Frank, the governor of the General Gouvernement, dealing with the establishment of Judenrats in the General Gouvernement.« Ebd., S. XVII f.
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mans, or whether it does not do so, thus creating the impression that it is acting on its own behalf. All the announcements were issued under pressure of the authorities and executed their will, directly or indirectly.«84 Dass die deutschen Behörden in einigen Meldungen Erwähnung finden, erfüllte aus Sicht von Blumenthal den Zweck, die Wichtigkeit der Forderung zu betonen und die Öffentlichkeit anzuhalten, sie ernst zu nehmen.85 Der Herausgeber vertritt die These, einige Meldungen seien eher für die Deutschen als für die Juden verfasst worden, um zu beweisen, wie sehr der Judenrat sich darum bemühte, die Befehle auszuführen.86 Im Gegensatz zu den Meldungen handelt es sich bei den Protokollen laut Blumenthal um »private, inoffizielle Dokumente«.87 Die Originale der Protokolle tragen keine Unterschrift und sind nicht nummeriert.88 Überliefert sind: 32 Protokolle von den Sitzungen des Judenrats, zehn Protokolle von den Sitzungen der Abteilungsleiter des Judenrats, acht von verschiedenen Versammlungen, ein Protokoll des »Meeting[s] des jüdischen Ordnungsdienstes« und ein Protokoll [45], das den Titel »Feier: ein Jahr seit Errichtung des Ghettos«89 trägt.90 In der Einleitung finden sich Angaben zum Inhalt und zum Stil der Protokolle. Der Herausgeber bezeichnet die Protokolle als »schematisch« und »oberflächlich« und weist darauf hin, dass sie in den meisten Fällen lediglich eine Liste der Namen mit den Diskussionsteilnehmern – ohne Angaben zu den Redebeiträgen – enthalten. Nur der Beschluss sei notiert worden.91 Er bedauert, dass aufgrund der »schematischen Beschaffenheit der Protokolle« und der »nachlässigen Haltung des Sekretärs« Details, die für die Nachwelt von großem Interesse gewesen wären, verloren gingen.92 Blumenthal übt scharfe Kritik an der Einstellung und der Arbeitsweise des Protokollanten. Der Vorwurf 84 85 86
87 88 89
90 91 92
Ebd., S. XVIII. Hervorhebung im Original. Vgl. ebd., S. XVIII. Vgl. ebd., S. XXII f. Blumenthal verweist in diesem Zusammenhang auf Meldung 248 und Meldung 249. Introduction, in: Blumenthal (Hg.), Darko shel Yudenrat, S. XXV. Ebd., S. XXV. Zwei Protokolle tragen laut Blumenthal die Nummer 1. Der von Blumenthal herausgegebene jiddische Text erwähnt in der Überschrift zu Protokoll [45] die »Feier: ein Jahr seit der Errichtung (Gründung) des Ghettos«, während die hebräische Übersetzung an derselben Stelle von der »Einsetzung (Gründung) des Judenrats« spricht und in der englischsprachigen Einleitung von »the celebration held in honour of the first anniversary of the Judenrat« die Rede ist. Blumenthal weist in einer Anmerkung zu Protokoll [45] darauf hin, dass man auf Grund der fehlenden ersten Seite des Protokolls nicht wissen könne, »was der Grund für die Feier war und wer die daran Teilnehmenden waren. Aber da sie in den offiziellen Meldungen nicht erwähnt wird, ist daraus zu schließen, dass sie nicht für eine breite Öffentlichkeit bestimmt war. Der Judenrat wusste, dass es in den Augen der großen Masse keinen Anlass zu einer Feier gab.« Zugleich bemerkt er, dass das im Protokoll von Jakub Goldberg genannte Datum der Feier, der 29. Juni 1942, anscheinend der Tag der Einsetzung des Judenrats gewesen sei. Blumenthal (Hg.), Darko shel Yudenrat, S. 214, Anm. 1. Für die Übersetzung dieser und weiterer Stellen (bei Anm. 102 f.) sowie des gesamten hebräischsprachigen Anmerkungsapparates zu den Meldungen sei Hans-Peter Stähli herzlich gedankt. Vgl. ebd., Introduction, S. XXIII. Vgl. ebd., S. XXV. Ebd., S. XXVI.
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lautet, dieser habe kein Gespür für die »Ernsthaftigkeit des Moments« entwickelt und die »Bedeutung der Protokolle als historische Dokumente« nicht erkannt: »Evidently it did not occur to him that these [the records] might some day become a source of historical research of the era, every word to be cherished, and every word omitted to be regretted. Upon reading the records we are often disturbed by the lack of respect displayed by this man towards his own work.«93 Am Ende schwächt Blumenthal seine Kritik etwas ab, indem er hinzufügt, der Protokollant habe möglicherweise nicht geglaubt, dass die Protokolle jemals in die Hände irgendeines Menschen gelangen und zum Untersuchungsgegenstand der Forschung werden würden.94 Was den Inhalt der Protokolle angeht, wird betont, dass »das persönliche Element« eine wichtigere Rolle spiele als »das praktische«: »In them [den Protokollen] we may read about the conflicts between the members of the Judenrat, their suspicious attitude towards one another, and their quarrels and abuses (records 14, 18, 24, 41). We find out from them that there is no consensus of opinion in the Judenrat, nor any agreement regarding the methods of work or aims, even though Barash once bragged in a public assembly, that all decisions were reached unanimously. On the other hand, we also learn that all these quarrels had no effect whatsoever on the course of events.«95 Ob der Judenrat seine Meinung zu einer bestimmten Sache ausgedrückt habe und zu einer Entscheidung gekommen sei oder nicht, habe keinen großen Unterschied für den Verlauf der Ereignisse gemacht. Der Judenrat sei gezwungen gewesen, zu handeln ohne auf formale Entscheidungen zu warten und ohne die Öffentlichkeit zu informieren. Die Protokolle sind für Blumenthal ein Beleg dafür, dass weder Barasz noch der Judenrat das Ghetto »regierten«.96 Er verweist auf die besondere Rolle Baraszs, der in den Versammlungen und Sitzungen als »leading spirit« in Erscheinung getreten sei.97 Zu der Frage, wie sich die Meldungen und Protokolle zueinander verhalten, bemerkt Blumenthal, dass in den Meldungen verschiedene Angelegenheiten vorkommen, die nicht in den Protokollen erwähnt werden, und dass die Meldungen in einigen Fällen Befehle und Anweisungen enthalten, über die der Judenrat erst zu einem vielen späteren Zeitpunkt – nach der Bekanntmachung der relevanten Meldung – diskutierte.98 In Blumenthals Edition stehen die Meldungen vor den Protokollen. Die Herausgeberinnen und der Herausgeber dieses Bandes haben sich dafür entschieden, die Reihenfolge zu ändern. Es ist zwar keineswegs der Fall, dass der Veröffentlichung einer Meldung eine Sitzung des Judenrats vorausging, aber die Sitzungsprotokolle machen häufig die Themen und Entscheidungsprozesse transparent, die zur Veröffentlichung diverser Meldungen führten. Die Meldungen lassen sich nach der Lektüre der 93 94 95 96 97 98
Ebd., S. XXVI. Vgl. ebd. Ebd., S. XXVIII. Vgl. ebd. Ebd., S. XXIX. Vgl. ebd.
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Protokolle, die Auskunft geben über das interne Verwaltungshandeln und die Reaktionen des Judenrats auf die Forderungen der Deutschen, leichter erschließen. Im letzten Abschnitt zu Teil A geht Blumenthal darauf ein, welche Themen in den Meldungen und Protokollen nicht vorkommen. Er betont, die Dokumente spiegelten nicht die ganze Wahrheit, ohne zu sagen, was »the whole truth« aus seiner Sicht alles umfassen müsste. Den Befund, dass bestimmte Aspekte in den Quellen unerwähnt bleiben, erklärt er wie folgt: »First of all, the Judenrat was an official institution, and its announcements were public and it had good reasons, being aware of its miserable mistakes with regard to the Germans, for concealing many things from them. However, it often carried out a secret policy with regard to the Jews, hiding the truth from them, in order to avoid panic and preserve, by all possible means, ›the peace and order in the ghetto‹. Often various details are disclosed to us in the records, which were not revealed in the announcements, and which it was impossible to mention in public. Moreover, the Judenrat itself did not know the whole truth and therefore, it often presented, intentionally or not, a distorted picture of events. There were also matters which the Judenrat did not wish to publicize so as not to have written documents testifying to their guilt after the war.«99 Die Verwendung des Wortes »guilt« deutet darauf hin, dass Blumenthal die Institution Judenrat kritisch bewertete. Sie galt ihm als ein Element im System des deutschen Vernichtungsapparates,100 dessen nationalsozialistisches ›Führerprinzip‹ er auch im Judenrat verwirklicht sah.101 Blumenthals kritische Sicht auf den Judenrat spiegelt sich auch in seinen Erläuterungen der Meldungen und Protokolle. So findet sich in einer Anmerkung zu Meldung 56 der Kommentar, »der Judenrat beargwöhnte alles, was nicht unter seiner Hand war«102, und in einer Anmerkung zur jüdischen Poli99 100
101 102
Ebd., S. XXXI. Vgl. Ahron Weiss, The Historiographical Controversy Concerning the Character and Functions of the Judenrats, in: Israel Gutman/Gideon Greif (Hg.), The Historiography of the Holocaust Period. Proceedings of the Fifth Yad Vashem International Historical Conference, Jerusalem, March 1983, Yad Vashem 1983, S. 679–696, hier: S. 682 f. Blumenthal schrieb laut Gutman in einem 1953 auf Hebräisch erschienenen Artikel über die Judenräte: »In retrospect it can be said with certainty that had it not been for the aid of the Judenrats, the Germans would not have been able to carry out their extermination policy against the Jews – at least not to the extent that they did, and certainly not without substantial losses.« Dass Arendt Jahre später in ihrem Buch Eichmann in Jerusalem eine These vertrat, die fast wörtlich mit der Blumenthals übereinstimmte, ist nach Gutman nicht darauf zurückzuführen, dass Arendt Blumenthals Schriften kannte. Gutmans Annahme lautet: »It is more plausible to assume that these two writers reached an almost identical formulation from different points of departure by differing modes of analysis. Blumental was undoubtedly influenced by the material gleaned from Jewish primary sources shortly after their discovery and by survivors’ testimonies recorded directly after the war; Arendt simply superimposed her schematic conception of power struggles and social classes in totalitarian regimes on the circumstances of the occupation and the ghetto, although the two situations are totally incomparable.« Yisrael Gutman, Jewish Resistance – Questions and Assessments, in: ders./Greif (Hg.), The Historiography of the Holocaust Period, S. 641–677, hier: S. 665 f. Siehe auch die Einführung zum zweiten Teil dieses Bandes. Vgl. Introduction, in: Blumenthal (Hg.), Darko shel Yudenrat, S. XXVIII. Meldung 56, Anm. 78, in: Blumenthal (Hg.), Darko shel Yudenrat, S. 311.
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zei heißt es: »Ohne die Polizei, das ausführende Organ, konnte der Judenrat kaum etwas machen. Seine Kompetenz war gering, und sie wurde immer weniger in dem Maße, als die Forderungen der Deutschen größer wurden.«103 Obwohl die Anmerkungen Blumenthals sehr wichtige Informationen (zum Beispiel über historische Ereignisse oder Personen) und Verweise (zum Beispiel interne Verweise auf andere Meldungen und Protokolle oder Hinweise auf Sekundärliteratur und Quellen) enthalten, haben sich die Herausgeberinnen und der Herausgeber der deutschsprachigen Edition der Judenratsdokumente entschlossen, auf den Anmerkungsapparat Blumenthals zu verzichten. Die Anmerkungen hätten, wären sie übernommen worden, ihrerseits erläutert, kommentiert und ergänzt werden müssen, spiegeln sie doch den Forschungsstand zur deutschen Besatzungspolitik im Bezirk Bialystok, zur deutschen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik und zu den Judenräten vom Anfang der sechziger Jahre. Die Herausgeberinnen und der Herausgeber sahen sich aufgrund fehlender Ressourcen und mangelnder Fremdsprachenkompetenz nicht in der Lage, Blumenthals Anmerkungen zu integrieren. Sie hoffen dennoch, dass die Dokumente von der Forschung beachtet werden. Um die Lektüre der Quellen zu erleichtern, sollen im Folgenden die wichtigsten Dienststellen der deutschen Besatzungsverwaltung kurz vorgestellt werden, die dem Judenrat Befehle erteilten oder Forderungen an ihn herantrugen. Die Befehle zur Einrichtung des Judenrats und zur Bildung eines Ghettos erfolgten noch unter der Herrschaft der Militärverwaltung. Der im Folgenden dargelegte Befund, dass die verschiedenen Militär-, Zivil- sowie Polizei- und SS-Dienststellen im Bezirk Bialystok miteinander um das Ghetto konkurrierten und der Judenrat ihnen machtlos gegenüberstand, gilt auch für andere Orte unter deutscher Besatzung. So verweist Andreas Ruppert in seiner Analyse des Tagebuchs des Adam Czerniaków darauf, dass es für den Vorsitzenden des Warschauer Judenrats keine Möglichkeit gab, die Rivalität der verschiedenen deutschen Stellen zugunsten des Ghettos zu nutzen, da »sich alle Beteiligten in der Zielsetzung« einig gewesen seien und auch die Zivilverwaltung 1942 danach gedrängt habe, »am Morden beteiligt zu werden«.104 Die Judenräte befanden sich, wie Andrea Löw betont, in einer ausweglosen Lage: »Ihr Handeln hatte keinen Einfluss auf die Pläne der Deutschen.«105
III. Die deutschen Besatzungsinstitutionen und der Białystoker Judenrat Dan Michman schreibt, die Institution des Judenrats und das Ghetto-Phänomen seien zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstanden.106 Das gilt auch für Białystok, wo zum Zeitpunkt der deutschen Besetzung der Stadt am 26. Juni 103 104 105 106
Meldung 16, Anm. 26, in: Blumenthal (Hg.), Darko shel Yudenrat, S. 287. Das Zitat ist dem Beitrag von Andreas Ruppert im zweiten Teil des Bandes entnommen. Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 503. Siehe dazu die Literaturhinweise in der Einführung zum zweiten Teil des Bandes.
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1941 etwa 50.000 Juden lebten.107 Der Judenrat wurde kurz nach den ersten – vom Polizeibataillon 309 durchgeführten – Mordaktionen geschaffen. Offizielle Dokumente, aus denen hervorgeht, wie der Białystoker Judenrat entstand, fehlen indes.108 Bender schreibt unter Bezugnahme auf Pe[j]sach Kapłan, der Rabbiner Dr. Gedali (Gedaliah) Rozenman habe am 29. Juni 1941 von der deutschen Militärverwaltung den Befehl erhalten, innerhalb von 24 Stunden einen Judenrat einzurichten. Am nächsten Tag sei den Deutschen eine Liste mit zwölf Judenratsmitgliedern übergeben worden.109 Sie geht davon aus, dass sich die Mitgliederzahl verdoppelt habe.110 Es ist indes kein Dokument erhalten geblieben, das Auskunft über die genaue Zusammensetzung des Gremiums gibt.111 Feststellen lässt sich lediglich, dass sich die Zahl der Mitglieder112 im Laufe der Zeit veränderte. Anhand der den Protokollen vorangestellten Anwesenheitslisten lassen sich 31 Personen identifizieren, darunter die Sekretärin Dr. Franciszka Horowic113 und der Protokollant Rafael Gutman. Für 28 der Genannten lässt sich zeigen, dass sie regelmäßig oder häufig an den Sitzungen teilnahmen. Es 107
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Vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 298; Artikel »Bialystok«, in: Shmuel Spector (Hg.), The Encyclopdia of Jewish Life before and during the Holocaust, New York 2001, S. 138–141, hier: S. 140. Introduction, in: Blumenthal (Hg.), Darko shel Yudenrat, S. XI f. Vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 93. Bender weist im Zusammenhang mit der Frage nach der Entstehung des Judenrats noch auf Folgendes hin: »There are no official documents on how and by whom the Judenrat was set up. All we know is that this was the first Judenrat and that at the end of a month, its membership doubled, from twelve to twenty-four. However, a number of testimonies provide us with a fairly clear picture of how the Judenrat came into being. David Klementinowsky’s testimony indicates that Waldek Riegert, a senior manager of the municipal electricity station, who had been appointed interim mayor by the military governor of Białystok, entrusted Rosenman with the task of setting up the Judenrat. … [Kapłan, Der Judenrat in Białystok] indicated that Rosenman was ordered to set up the Judenrat on the first day of the city’s occupation, but Reizner recalled that the city’s commander summoned Barash as well as Rosenman and that the two together called a meeting of community activists, informed them of their discussion with the city’s commander, and elected the members of the Judenrat.« Bender, The Jews of Białystok, S. 316, Anm. 19. Vgl. ebd. Wajsenberg schreibt: »The composition of the Judenrat is not clear, as there is no complete list of members and the records we have are conflicting.« Wajsenberg, Toward an Interpretation of Ghetto, S. 201. Vgl. auch Introduction, in: Blumenthal (Hg.), Darko shel Yudenrat, S. XII, Anm. 22. Nach einer Verordnung des Chefs des Generalgouvernements, Hans Frank, sollte der Judenrat in Orten mit einer jüdischen Bevölkerung von nicht mehr als 10.000 Personen aus zwölf Mitgliedern, in größeren Städten aus 24 Mitgliedern bestehen. Blumenthal und Bender gehen deswegen davon aus, dass der Judenrat in Białystok 24 Mitglieder hatte. Vgl. Introduction, in: Blumenthal (Hg.), Darko shel Yudenrat, S. XII, Anm. 22; Bender, The Jews of Białystok, S. 321, Anm. 75. Wajsenberg weist darauf hin, dass die Judenräte im Allgemeinen 24 Mitglieder hatten und fügt hinzu, dass sich aus den Protokollen des Białystoker Judenrates 22 Personen identifizieren ließen, ohne Namen zu nennen. Vgl. Wajsenberg, Toward an Interpretation of Ghetto, S. 201 f. Frau Dr. Franciszka Horowic, eine Deutschlehrerin, kam während der Februar-»Aktion« im Białystoker Ghetto um. Vgl. Vernehmung des Zeugen Dr. Szymon Datner in der Hauptverhandlung der Strafsache gegen Dr. Altenlok und Andere (5Ks 1/65) vom 20. Mai 1966, in: L/ AOWL, D 21 A, Nr. 6341, Tonband 18 Rückseite.
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sind die Herren E. Barasz, Diamant, Finkel, A. Furman, Glikson, J. Goldberg, G. Goldfarb, Dr. Holenderski, Frau Dr. Horowic, die Herren Dr. M. Kacenelson, Dr. M. Kapłan, P. Kapłan, Dr. Kerszman, Dr. Kopelman, J. Lifszic, Sz. Lifszic, Liman [Limon], Markus, P. Melnicki, J. Nowik, Sz. Peciner, Sz. Polonski, Sz. Punia´n ski, G. Rozenman, M. Rubinsztejn, Frau Dr. Segal sowie die Herren B. Subotnik und M. Szwif. In den Protokollen findet sich außerdem ein Hinweis auf Dr. Kerszmans Rücktritt und die Übernahme seines Amtes durch Liman.114 Zwei Personen – Epsztejn und Szmigelski – werden in den Protokollen nur einmal angeführt.115 Es muss unbestimmt bleiben, ob es sich bei allen mehrfach erwähnten Personen um Mitglieder des Judenrates handelt. Einige von ihnen waren wahrscheinlich nur zeitweilig Judenratsmitglieder, andere wurden möglicherweise lediglich zur Beratung bestimmter Problemkreise zugezogen. Bender geht unter Bezugnahme auf die Erinnerungen Reizners davon aus, dass neben dem Vorsitzenden Dr. Rozenman und seinem Stellvertreter Barasz116 22 Personen dem Judenrat angehörten.117 Am 3. August 1941 legte Markus dem Judenrat einen Plan vor, in dem den Abteilungen des Judenrats folgende Personen zugeordnet werden: 1. Administrationsabteilung: Ing. Barasz, Subotnik, Goldberg; 2. Bautechnische Abteilung: Goldfarb, Szmigelski, J. Lifszic; 3. Sicherheitsabteilung: Markus, Polonski, Dr. Kopelman; 4. Arbeitsabteilung: Polonski, Szwif, Sz. Lifszic, Leiter – Liman; 5. Abteilung für Soziale Hilfe: Peciner, Rubinsztejn, Melnicki; 6. Gesundheitsabteilung: Dr. Kacenelson, Dr. Segal, Dr. Kapłan; 7. Finanzabteilung: Subotnik, Punia´n ski, Goldberg; 8. Sanitärabteilung: Dr. Kopelman, Dr. Holenderski, Szwif; 9. Approvisationsabteilung: Szmigelski, Goldfarb, Lifszic; 10. Wirtschaftsabteilung: Furman, Nowik, Melnicki; 11. Quartierwesen (Wohnungsabteilung): Goldberg, Subotnik, Nowik; 12. Bildungsabteilung: Kapłan, Rubinsztejn, Horowic; 13. Sekretariat: Dr. Horowic; 14. Industrieabteilung: Melnicki, Peciner, Szmigelski.118 Nach Protokoll Nummer 18 waren zudem Diamant als Leiter des »Arbeitsamtes« und nach Protokoll Nummer 6 Finkel in der Industrieabteilung tätig. Aus Protokoll Nummer 9 geht hervor, dass Glikson als 114 115
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118
Vgl. Protokoll der Sitzung des Judenrates vom 31. Januar 1942. Szmigelski wird in Protokoll Nr. 1 vom 2. August 1941 und Epsztejn in Protokoll Nr. 2 der Sitzung der Abteilungsleiter beim Judenrat vom 23. August 1941 angeführt. Zu Barasz vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 103 f. Es handelt sich laut Bender um: Abba Furman, Glikson, Jakub Goldberg, N. Goldfarb, Dr. Moshe Kacenelson, Dr. Mendel Kapłan, Pe[j]sach Kapłan, Avraham Limon, Jakub Lifszic, Yitzhak Markus, P. Melnicki, Szmuel Polonski, Sz. Punia´n ski, Mordecai Rubinsztejn, M. Szwif, Subotnik, Avraham Tyktin und Zwi Wider. Zudem nennt sie drei weitere Mitglieder, die in den Protokollen nicht erwähnt werden: Mordechai Chmielnik sowie die Rabbiner P. Eisenstadt (Ajzensztat) und B. Halpern. Vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 104 f. Vgl. auch Rajzner/ Lew, The Stories, S. 57. In der entsprechenden Anmerkung Benders zu der Liste mit den Namen findet sich neben dem Verweis auf Reizner folgender Hinweis: »No reliable list of the twentyfour members of the Judenrat is available. The minutes of sessions show that generally speaking, not all members were present at sessions, to which departmental directors and various officials were also invited. Evidently, the twenty-four members of the Judenrat retained their positions until the end of the ghetto’s existence, except for Peysekh Kaplan, who died in March 1943, after a serious illness.« Bender, The Jews of Białystok, S. 321, Anm. 75. Laut Protokoll vom 3. August 1941 wurde der Plan angenommen.
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Mitglied der Evidenzkommission für die »Evakuierung« bestimmt wurde. Der Judenrat fungierte nicht nur als Vermittlungsinstanz119 zwischen der jüdischen Bevölkerung und der deutschen Besatzungsverwaltung. Die Vertreter des Judenrats mit seinen verschiedenen Abteilungen120 und angegliederten Institutionen und Einrichtungen121 organisierten auch das Leben im Ghetto. Aus einer Bekanntmachung des Judenrats vom 26. Juli 1941 ergibt sich, dass die deutsche Besatzungsverwaltung, die zu diesem Zeitpunkt noch in den Händen der Militärbehörden lag, die Bildung eines Ghettos angeordnet hatte. Die »Überführung der evakuierten jüdischen Bevölkerung in die Ghettowohnungen« wurde dem Judenrat übertragen.122 Die Deutschen hatten das Viertel der Stadt (Chajnaki), das sich im schlechtesten Zustand befand, als zukünftiges Ghettogelände ausgewählt.123 Barasz gelang es jedoch, die Besatzer davon zu überzeugen, dass ein Gebiet in der Nähe des Białystoker Industriegebiets besser geeignet sei. Im Zusammenhang mit der Einweisung in das Stadtviertel hatten die Deutschen von den Juden die Abgabe von 25 kg Gold und eine Summe von 5 Millionen verlangt. Barasz erwirkte, dass die Deutschen ihre Forderungen auf 6 kg und 2 ½ Millionen Rubel reduzierten.124 Am 1. August 1941 schlossen sich die Tore hinter den circa 43.000 Ghettobewohnern.125 An diesem Tag erfolgte auch der Übergang von der Militär- auf die Zivilverwaltung.126 Der Oberpräsident für die Provinz Ostpreußen, Erich Koch, wurde von Hitler zum »Chef der Zivilverwaltung« (CdZ) ernannt. Gemäß einem »Führer«-Erlass vom 15. August 1941 unterstand er Hitler unmittelbar und war befugt, »durch Verordnung Recht« zu setzen.127 Die personelle Ausgestaltung der Zivilverwaltung, die ihren Sitz im Branicki-Schloss in Białystok hatte, wurde weitgehend von der Provinz Ostpreußen bestimmt. Kochs Amtschefs waren der Leiter der Handwerkskammer und der Deutschen Arbeitsfront Ostpreußen, Waldemar Magunia, und der ehemalige Landrat in Tilsit-Land, Dr. Friedrich Brix. Nach der Abberufung Magunias nach Kiew war Dr. Brix, der sein Amt im Stabe Magunias bereits am 1. August 1941 an119
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In der Einleitung zu Blumenthals Edition heißt es dazu: »The German authorities did not recognize the Jewish population, Jewish institutions or the individual Jew, but only the Judenrat, the sole mediator between the authorities and the Jewish population in all public and personal matters.« Introduction, in: Blumenthal (Hg.), Darko shel Yudenrat, S. XIX. Zu den Abteilungen des Judenrats vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 115–154, und ihren Beitrag im zweiten Teil dieses Bandes. Vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 106 f. Meldung 4 vom 26. Juli 1941. Vgl. das Protokoll der [1.] Versammlung der Judenratsbeamten mit dem Judenrat an der Spitze im Saal der »Linas Hacedek« vom 2. November 1941. Vgl. ebd. Vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 104. Bender geht davon aus, dass zu Beginn der deutschen Besatzung am 27. Juni 1941 etwa 50.000 Juden in Białystok lebten. Nach zwei Wochen seien etwa 7.000 Juden ermordet worden. Vgl. ebd., S. 298. Vgl. Scheffler, Zur Organisation der Judendeportation, Bl. 33; Waldemar Magunia, Bericht über den Bezirk Bialystok (Berichtszeit 1. August 1941 bis 31. Januar 1942), in: Barch, Ost-Dok. 8/803, Bl. 1–4, hier: Bl. 2. Zur Zivilverwaltung vgl. Stoll, Strafverfahren, S. 114–119. Vgl. Abschrift: Erlaß des Führers über die vorläufige Verwaltung des Bezirks Bialystoks vom 15. August 1941. Die Abschrift findet sich in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6333, B III, 2, Bl. 30.
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getreten hatte, der ständige Vertreter des CdZ und damit der höchste Beamte in der Zivilverwaltung des Bezirks. Die Angehörigen der Zivilverwaltung beteiligten sich auf unterschiedliche Art und Weise an der Ausplünderung, Ausbeutung und Unterdrückung der jüdischen Bevölkerung. Am 9. September 1941 verlangte die Zivilverwaltung beispielsweise vom Judenrat eine Vielzahl an Wertsachen, Möbeln, Geschirr, Haushaltswaren und anderen Gegenständen, die für die Einrichtung eines Kasinos bestimmt waren.128 Aus einem Protokoll des Judenrats vom 1. November 1941 geht hervor, dass der Stadtkommissar von Białystok, Dr. Heinz Schwendowius, von der jüdischen Bevölkerung eine Kopf- und Wohnungssteuer einforderte129 und vom Judenrat verlangte, er müsse »alle 3 Tage, von Donnerstag, dem 6-ten d. M. an beginnend, bis zu 800 oder 700-tausend Rubel bezahlen« – bei Versäumnissen drohten Sanktionen der Gestapo. Barasz kommentierte die Erpressung wie folgt: »Wenn wir der Forderung von A r b e i t u n d S t e u e r n nachkommen, werden wir unseres Lebens sicher sein, wenn nicht – lehnen wir die Verantwortung für das Leben des Ghettos ab. Gebe Gott, dass wir uns das zweite Mal alle treffen und keiner von uns fehle.«130 Stadtkommissar Schwendowius war – zusammen mit anderen Beamten der Zivilverwaltung – für die Versorgung des Ghettos mit Lebensmitteln zuständig.131 Die Deutschen verringerten die Rationen für die jüdische Bevölkerung schrittweise. So informierte der Judenrat die Ghettobevölkerung am 16. März 1942 darüber, dass die Deutschen die Brotversorgung um 25 Prozent reduziert hätten.132 Anfang Mai wurden die Brotrationen erneut gekürzt.133 Eine ausreichende Ernährung der Bevölkerung war allein mit dem, was die Deutschen den Juden zuteilten, nicht zu gewährleisten.134 Darüber hinaus war die Qualität der zur Verfügung gestellten Lebensmittel zum Teil sehr schlecht. So berichtet Kapłan, die deutschen Machthaber lieferten den Juden immer Fleisch von der 128 129 130
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Vgl. Meldung 92. Zu der Kopf- und Wohnungssteuer vgl. auch Meldung 116 und Meldung 146. Protokoll der [1.] Versammlung der Judenratsbeamten mit dem Judenrat an der Spitze im Saal der »Linas Hacedek« am 2/11 1941. Schwendowius scheint indes zunächst nur in den ersten Monaten federführend für die Versorgung der jüdischen Bevölkerung verantwortlich gewesen zu sein. Denn in einer Meldung des Białystoker Judenrats vom 14. November 1941 heißt es, laut einer Meldung des Stadtkommissars werde »von jetzt an die Versorgung der jüdischen Bevölkerung mit Lebensmittelprodukten nur durch den Kreisbauernführer geschehen«. Meldung 154. Folgt man der Aussage Friedels, war seit März 1942 die bei Schwendowius eingerichtete Ghettoverwaltung für die Ernährung der Ghettobevölkerung verantwortlich. Erklärung Fritz Friedel vom 4. April 1950, in: AZ˙IH, Procesy 35, Notatki o getcie w Białymstoku [Notizen über das Ghetto in Białystok], Heft XIX, S. 16. Vgl. Meldung 237 und Protokoll Num. 24 der Sitzung des Judenrats in Białystok am 22.3.1942. Nach eigenen Angaben gelang es dem Judenrat jedoch, »die frühere [Brot-]Norm für die Arbeitenden zu erreichen«. Vgl. Protokoll der [5.] Allgemeinen Versammlung im Saal der »Linas Hacedek«. Vgl. Meldung 261. Vgl. Kapłan, Judenrat w Białymstoku, S. 57. Im Vergleich zu anderen Ghettos scheint die Ernährungslage nach Bender relativ gut gewesen zu sein. Vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 299, und den Beitrag ders. im zweiten Teil des Bandes.
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Art, welches »das Herrenvolk nicht mehr essen möchte«.135 Die Deutschen teilten auch verdorbenen Fisch zu.136 Um die Versorgung zu verbessern, ließ der Judenrat in seiner Versorgungsabteilung Marmelade und Pferdewurst herstellen137 und im Ghetto Gemüsegärten anlegen.138 Felicja Nowak, die mit ihrer Familie im Białystoker Ghetto eingesperrt war, schreibt in ihren Erinnerungen: »Dank der vom Judenrat zugeteilten Gartenparzellen hatten wir Gemüse. Von evakuierten Polen zurückgelassene Grundstücke und Gärten wurden nutzbar gemacht. Selbst Kühe streiften im Ghetto umher. Nach der Schließung der Ghetto-Tore wurde es schwieriger, Waren hinein- und herauszuschmuggeln, umso mehr stieg der Wert selbst angebauter und hausgemachter Nahrungsmittel. Wir unternahmen alles, um eine Hungersnot zu verhindern. Der Sozialdienst und die Versorgungsabteilung des Judenrats hatten alle Hände voll zu tun.«139 Um den Kontakt mit der polnischen Bevölkerung zu verhindern und den illegalen Zufluss von Lebensmitteln und Medikamenten zu unterbinden, hatten die Deutschen nach den Erinnerungen Dr. Aron Bejlins am Ghettotor ein Schild mit einem Totenkopf und der Aufschrift »Achtung Seuchengefahr« angebracht.140 Im März 1942 wurde beim Białystoker Stadtkommissar Schwendowius eine Ghettoverwaltung eingerichtet,141 die unter anderem für die Versorgung der jüdischen Bevölkerung mit Lebensmitteln, für finanzielle Angelegenheiten der Ghettobetriebe und für die Vermittlung jüdischer Arbeitskräfte an deutsche Betriebe außerhalb des Ghettos zuständig gewesen sein soll.142 Die Ghettoverwaltung gab sich, wie aus einem Protokoll einer Sitzung des Judenrats vom 22. März 1942143 und aus einem Artikel von Pe[j]sach Kapłan hervorgeht, gegen135 136
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Kapłan, Judenrat w Białymstoku, S. 57. Vgl. Vernehmung des Zeugen Dr. Aron Bejlin in der Hauptverhandlung der Strafsache gegen Dr. Altenloh und Andere (5 Ks 1/65) vom 25. Mai 1966, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6341, Tonband 18 Rückseite. Vgl. Kapłan, Judenrat w Białymstoku, S. 57. Vgl. ebd., S. 63. Vgl. auch Meldung 406. Felicja Nowak, Mein Stern. Erinnerungen einer Holocaust-Überlebenden, Gerlingen 2001, S. 155. Vernehmung des Zeugen Dr. Aron Bejlin in der Hauptverhandlung der Strafsache gegen Dr. Altenloh und Andere (5 Ks 1/65) vom 25. Mai 1966, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6341, Tonband 18 Rückseite und 19 Vorderseite. Vgl. Scheffler, Zur Organisation der Judendeportation, Bl. 50. Vgl. auch Protokoll Nr. 23 der Sitzung des Judenrats vom 1. März 1942. Erklärung Fritz Friedel vom 4. April 1950, in: AZ˙IH, Procesy 35, Notatki, Heft XIX, S. 16. Zum Thema Ghettoverwaltung und Arbeiterfrage sagte Barasz gemäß dem Protokoll der Sitzung des Judenrats am 20. Juni 1942 Folgendes: »Es verschärft sich ein bisschen die Arbeiterfrage, weil sowohl in unseren Fabriken als auch außerhalb des Ghettos die Arbeiter nötig sind. Jetzt wird die Arbeiterfrage durch die Ghettoverwaltung geregelt werden, die darüber wachen wird, dass man uns nicht die Arbeiter aus den Fabriken im Ghetto wegnimmt.« Darin heißt es: »Es ist auch ein Brief der Ghettoverwaltung angekommen, dass ohne ihre Anordnung keiner das Recht hat, dem Ghetto Lieferungsforderungen zu stellen.« [35] Protokoll Num. 24 der Sitzung des Judenrats in Białystok am 22.3.1942.
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über dem Judenrat als einziger Ansprechpartner aus. Kapłan schreibt, die Ghettoverwaltung habe dem Judenrat einen Brief ausgehändigt, der den offiziellen Beschluss enthalte, dass außer ihr keine andere deutsche Stelle das Recht habe, Forderungen zu stellen. Indes sei die Zahl der Befehlsgeber, die etwas vom Judenrat verlangten, weiterhin beträchtlich.144 In den Worten Kapłans: »Sie fordern, dass alles geliefert wird: von A bis Z. Und alles muss man ihnen geben. Es gibt nichts, das sie nicht bräuchten, und wenn etwas gebraucht wird, fordern sie, dass es sofort vom Judenrat geliefert wird.«145 De facto änderte die Einrichtung der Ghettoverwaltung nichts an dem Kompetenzgerangel zwischen den einzelnen deutschen Dienststellen und deren Politik. Kapłan fasste die Beziehungen zwischen der deutschen Besatzungsverwaltung und dem Judenrat wie folgt zusammen: »Die Beziehungen zu den Behörden waren erschwert in Folge des Chaos, das in ihren Organen herrschte. Was die interne Hierarchie in der deutschen Militär-, Zivil- und Polizeiverwaltung anbetrifft, existiert nicht eine Behörde, sondern ein ganzes Konglomerat von Abteilungen und jede hält sich für die wichtigste in der Hierarchie und erlässt diktatorische, drakonische Anordnungen. Ganz oft stehen die Anordnungen der einen mit den Anordnungen der anderen im Widerspruch und man weiß nicht, auf wen man hören soll. Man spielt dann mit dem Leben, weil nicht selten mit Erschießung der Hälfte oder aller Judenratsmitglieder oder mit der Tötung von 100 bis 300 Juden gedroht wird.«146 Für den Judenrat und die jüdische Bevölkerung gab es in dieser Konkurrenz der Institutionen keine Sicherheit, sondern nur die Gewissheit, dass von allen deutschen Stellen Forderungen, Drohungen, Demütigungen und Terror zu erwarten waren.147 Der Judenrat musste sich insbesondere mit Vertretern der Zivilverwaltung, mit dem Stadtkommissar, mit verschiedenen Abteilungen der Stadtverwaltung, mit der »Treuhandstelle für den Bezirk Bialystok«, mit dem Polizeipräsidenten und mit Angehörigen des SS- und Polizeiapparates148 auseinandersetzen. Für den Judenrat war oft nicht zu überblicken, von welcher deutschen Dienststelle die Befehle kamen. In den Protokollen und Bekanntmachungen findet sich wiederholt die Wendung »die Behörde« oder »die deutsche Behörde« als Bezeichnung für eine Institution der deutschen Besatzungsverwaltung. Bemerkenswert ist, dass in einigen Fällen in Anspielung auf die 144 145
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Vgl. Kapłan, Judenrat w Białymstoku, S. 53. Ebd., S. 53: »Z˙a˛daja˛ dostarczenia wszystkiego: od A do Z. I wszystko musi sie˛ im da´c. Nie ma nic takiego, czego by nie potrzebowali, a jak czego´s potrzeba, to natychmiast z˙a˛daja˛ dostarczenia tego przez Judenrat.« Ebd.: »Stosunki z władzami były utrudnione na skutek chaosu panuja˛cego w ich organach, je´sli chodzi o ich wewne˛trzna˛ hierarchie˛ w niemieckiej administracji wojskowej, cywilnej i policyjnej, istnieje nie jedna władza, lecz cały konglomerat organów władzy, a kaz˙dy z nich uwaz˙a sie˛ za najwyz˙szy w drabinie [hierachicznej] i wydaje dyktatorskie, drako´nskie zarza˛dzenia. Do´sc´ cze˛sto zarza˛dzenia jednych krzyz˙uja˛ sie˛ z zarza˛dzeniami drugich i nie wiadomo kogo nalez˙y słucha´c. Igra sie˛ wtedy z˙yciem, bo nierzadko groz˙a rozstrzelaniem połowy lub wszystkich członków Judenratu, albo tez˙ zabiciem od 100 do 300 Z˙ydów.« Zum Folgenden vgl. Stoll, Strafverfahren, S. 110. Vgl. ebd., S. 119–127.
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Zivilverwaltung, die im Branicki-Palast residierte, das Wort »Schloss« verwendet wird. Der Polizeipräsident von Białystok,149 dessen Dienstvorgesetzter der CdZ war,150 befahl am 11. September 1941 die Deportation von Juden aus dem Białystoker Ghetto nach Pruz˙any und erließ am 16. September eine Verordnung, die den Ablauf des Abtransportes regelte.151 Der Judenrat fertigte eine Liste mit den Namen der Deportierten an. Auf der Sitzung vom 12. September wurde beschlossen, keine Fachleute, Handwerker und Mitglieder und Angestellte des Judenrats, des Ordnungsdienstes und der Feuerwehr auf die Liste zu setzen. Dem Judenrat wurde vorgeworfen, er habe die Bevölkerung schlecht informiert und es seien Fehler bei der Zusammenstellung der Namenslisten aufgetaucht. Barasz verteidigte sich, indem er auf die Abhängigkeit von den Deutschen verwies: »Wir sind ohnmächtig gegenüber der Behörde. Wir haben die Sache besser organisieren wollen, dass keine Fehler vorkommen, man fordert aber, wir sollen die Listen um 8 Uhr in der Früh zustellen, und wir können uns dem nicht entziehen. Inzwischen kommen Missbräuche vor, man stiehlt Listen, man macht Scheine.«152 Laut eines nachträglichen Vermerks auf der Judenratsmeldung vom 17. September 1941 wurden mindestens 4.000 Juden aus Białystok nach Pruz˙any deportiert.153 Auch aus anderen Orten des Bezirks Bialystok wurden Juden dorthin geschickt.154 Einem Teil der Juden, die nach Pruz˙any abgeschoben worden waren, gelang in den nächsten Monaten die Rückkehr nach Białystok. Die meisten wurden indes in Auschwitz ermordet.155 In Folge der Deportationen 149
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Der Polizeipräsident, dessen Dienstvorgesetzter der CdZ war, hatte nach der Erinnerung von Dr. Brix »orts- und kreispolizeiliche Funktionen in einer Zuständigkeit«, d.h. verwaltungspolizeiliche Aufgaben. Vernehmung des Zeugen Dr. Friedrich Brix in der Hauptverhandlung der Strafsache gegen Dr. Altenloh und Andere (5 Ks 1/65) vom 30. März 1966, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6341, Tonband 2 Rückseite. Der »Kommandeur der Schutzpolizei für die Stadt Bialystok« (KdSch) unterstand dem Polizeipräsidenten in Białystok. Unter dem KdSch wurden vier Polizeireviere eingerichtet. Das vierte Revier war ausschließlich für die Aufrechterhaltung der Ordnung im Ghetto zuständig. Die Beamten dieses Reviers waren berechtigt, Passierscheine für Juden auszustellen, die das Ghetto zu Arbeitszwecken verlassen durften. Die örtliche Schutzpolizei war auch für die Bewachung des Ghettos zuständig. Vgl. Einstellungsverfügung des Leiters der Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen bei dem Leitenden Oberstaatsanwalt in Dortmund (Zentralstelle Dortmund), Verfahren gegen Fromm und Andere (45 Js 18/64), in: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen/Staatsarchiv Münster (L/StAM), Staatsanwaltschaft Dortmund, Zentralstelle für NS-Verbrechen, Nr. 3652, Bl. 15, 16 f., 55. Vgl. Stoll, Strafverfahren, S. 126. Vgl. Verordnung des Oberpräsidenten, Zivilverwaltung für den Bezirk Bialystok (in Vertretung gez. Dr. Brix), über die Errichtung einer staatlichen Polizeiverwaltung in der Stadt Bialystok vom 16. Mai 1942, in: Amtsblatt des Oberpräsidenten, Folge 8, 30. Mai 1942. Vgl. Meldung 102 des Judenrats vom 17. September 1941, als Faksimile, Abb. 2b, in diesem Band. Protokoll der Sitzung des Judenrates vom 20. September 1941. Siehe Abb. 2b in diesem Band. Bender geht davon aus, dass insgesamt 10.000 Menschen aus dem Bezirk Bialystok nach Pruz˙any deportiert wurden, die Hälfte sei aus Białystok, der Rest aus Kamieniec, Hajnówka, Narew und zwanzig anderen Orten gewesen. Vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 113. Zwischen dem 29. Januar und 1. Februar 1943 gingen vier Deportationszüge von Pruz˙any ab, die zwischen dem 30. Januar und 2. Februar in Auschwitz ankamen. Vgl. Gerlach, Kalkulierte
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nach Pruz˙any verschlechterten sich die Beziehungen zwischen dem Judenrat und der Ghettobevölkerung.156 Baraszs Politik war darauf ausgerichtet, die jüdische Bevölkerung vor der Vernichtung durch die Deutschen zu schützen. Das erklärte Ziel »Überleben bis zum Ende des Krieges« sollte durch folgende Mittel erreicht werden: »Ausführen der Verordnungen zu ganzen 100%«; »nützlich sein« und »ein Verhalten, das die Deutschen zufriedenstellen soll«.157 Um die jüdische Bevölkerung vor der Vernichtung zu bewahren, ließ Barasz im Ghetto Werkstätten und Fabriken errichten, die für die Wehrmacht158 produzierten. Er forderte die Bevölkerung wiederholt dazu auf, für die Deutschen zu arbeiten. Am 11. Oktober 1942 erklärte er: »Wer eine Hand rühren kann, muss zur Arbeit gehen und damit unsere Sicherheit vergrößern! Der Prozentsatz der 14-tausend Arbeitenden gegenüber den 35-tausend Ghettoeinwohnern, darin steckt die Gefahr – Sogar wenn vonseiten der Behörde keine Arbeitsforderung käme, müssten wir selbst uns mit allen Kräften bemühen, in die Wirtschaft einzudringen, damit, wenn man uns vernichten wird, ein Loch in der Wirtschaft entsteht, so dass man uns [deshalb] verschont, dann kann man hoffen; aber nicht auf ihr Erbarmen warten, wie ich schon einmal gesagt habe, besonders [nicht], wenn man tagtäglich fordert und wir die Forderung nicht erfüllen! Was für Konsequenzen sich daraus ergeben können, könnt ihr euch selbst vorstellen!«159 Nur wenige Wochen nach Baraszs Aufruf wurde das Białystoker Ghetto abgeriegelt. Juden, die außerhalb des Ghettos arbeiteten, wurden am 2. November nicht herausgelassen. Grossman beschreibt die Stimmung unter der Ghettobevölkerung und Baraszs Verhalten in ihrem autobiographischen Bericht wie folgt: »Baraszs Karosse fuhr hin und her, das ganze Ghetto war in Bewegung, alle versuchten Arbeit zu finden. Die Menschen behielten Barasz im Auge, sie registrierten genau, wie oft er das Ghetto verließ und spekulierten darüber, welche Deutschen und deutschen Behörden er wohl jetzt aufsuchte – die Gestapo, die Wehrmacht, Canaris160 […] oder Klein von der Ghettoverwaltung. Die Stimmung schwankte ständig zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Als das Gerücht aufkam, die Deutschen hätten tatsächlich vor, das Ghetto zu reduzie-
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Morde, S. 728; Danuta Czech, Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager AuschwitzBirkenau, in: Hefte von Auschwitz 4 (1961), S. 63–111, hier: S. 70–71. Zum Verhalten des Judenrats und seines geschäftsführenden Vorsitzenden in der Pruz˙anyAngelegenheit vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 113 f. Protokoll der Sitzung des Judenrates vom 22. März 1942. Das Białystoker Ghetto war auch für die Wehrmacht von großem Interesse. Mitte August 1941 war in Białystok eine Außenstelle der Rüstungsinspektion der Wehrmacht eingerichtet worden, deren Aufgabe es war, den Bezirk Bialystok auf seine rüstungswirtschaftliche Verwertbarkeit hin zu erkunden, Betriebe zu errichten und zu betreuen. Vgl. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6194, Bl. 33 f. Das Protokoll vom 11. Oktober 1942 trägt den Titel »Spezielle Versammlung im Saal der ›Linas Hacedek‹«. Dr. Constantin Canaris wurde im November 1942 zum »Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD« (IdS) für den Wehrkreis I in Königsberg ernannt. IdS war bis zum Sommer 1942 formal Dr. Dr. Otto Rasch, ab Dezember 1941 indes faktisch sein Stellvertreter Canaris. Formal besaß der IdS gegenüber dem KdS Befehlsbefugnisse. Vgl. Stoll, Strafverfahren, S. 122.
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ren, wollten es aber nicht auf einmal auflösen, wie sie es in den Provinzstädten und in Grodno getan hatten, atmeten die Leute auf, als sei die Gefahr damit vorüber. Barasz hetzte von einer deutschen Behörde zur nächsten, traf sich mit den ›guten‹ Deutschen (denen, die sich bestechen ließen), machte Versprechungen, führte Belege an und schleppte nacheinander Prüfungskommissionen aus jeder einzelnen Institution an. Die Menschen arbeiteten fleißig und taten so, als wäre alles normal. Sobald aber die Kommissionen gegangen waren, versammelten sie sich und fragten nach Neuigkeiten. Diese Kommissionen waren so zahlreich wie die deutschen Einrichtungen in den besetzten Gebieten […]. Für das OKW [Oberkommando der Wehrmacht], das Rüstungskommando, die Gestapo, die Zivilverwaltung und für die Repräsentanten der Konzerne war das Ghetto eine Profitquelle (Arbeitskraft wie Maschinen kosteten sie nichts). Für andere war es eine Quelle der Bereicherung (sie nahmen Bestechungsgelder), und für wieder andere war es eine einmalige Beförderungschance. […] Barasz jedoch arbeitete hart, und das OKW und das Rüstungskommando standen auf seiner Seite. Für den Augenblick begnügten sie sich mit der totalen Liquidierung der Ghettos in den Provinzstädtchen des Bezirks Białystok.«161 Die von Grossman erwähnten Kommissionen sahen sich die Betriebe im Ghetto an und kontrollierten das Arbeitsverhalten der Juden. Auf einer Sitzung des Judenrats am 8. November 1942 erklärte Barasz, dass es dem Judenrat »gelungen« sei, »die heutige Delegation in die Betriebe zu bringen« und fügte hinzu: »Sie sind von unserer Arbeit entzückt gewesen.« Barasz schloss mit den Worten: »Lasst uns hoffen, dass die letzten 3 Alptraumtage sich nicht mehr wiederholen werden. Das sind die schlimmsten 3 Tage der Ghettoperiode gewesen. Wie gesagt, die heutige Delegation hat sich [dahingehend] ausgedrückt, dass sie sich nicht haben vorstellen können, dass Juden so arbeiten. Heute sind unsere neuen Hausherren an der Existenz des Ghettos auch interessiert. Sie selbst haben einen Plan für neue Fabriken ausgearbeitet.«162 Die Deutschen sahen im November noch davon ab, Juden aus dem Białystoker Ghetto zu deportieren. Auch nachdem der Judenrat Nachrichten von den Deportationen aus dem Warschauer Ghetto und über die Funktion von Treblinka erhalten hatte, glaubte Barasz weiterhin fest an die Formel »Rettung durch Arbeit« und bemühte sich, die deutschen Besatzungsinstitutionen von der Notwendigkeit der Existenz des Białystoker Ghettos zu überzeugen. Dass sich unter den deutschen Besatzern eine Gruppe fand, die für den Erhalt des Ghettos eintrat, war aus Sicht von Tenenbaum auf Baraszs geschickten Umgang mit denjenigen Deutschen zurückzuführen, die am Fortbestand des Ghettos interessiert waren: »It’s all thanks to Judenrat chairman – engineer Barash. The trouble is that even if there is a decent German, he is afraid to stand up for the Jews (since his friends would suspect him of taking bribes). This is where Barash comes in. He goes from one German to another saying: ›You have nothing to fear – sin161 162
Grossman, Die Untergrundarmee, S. 207 f. [51] Protokoll [31] der Sitzung des Judenrats vom 8. November 1942.
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ce they all think like you.‹ Thanks to him, local government officials have come out in our defense, so much so that sometimes an open conflict erupts between the ›bad guys‹ and the ›good guys‹. The ›good guys‹ have befriended the ghetto, not only because of the bribes (various gifts) they receive. Indeed, some of them have not received any bribes, and do not wish to receive any. They are guided by purely patriotic and objective motives – namely the ghetto’s leistungen …Rumor has it that a general of the Rüstungskommando … in Königsberg informed Berlin: ›If you destroy the Białystok ghetto – I may as well close down my office in Königsberg – for I shall have no one to sew me coats and boots.‹«163 Zu den Ghetto-Befürwortern gehörte auch der Regierungsrat und SS-Sturmbannführer Dr. Wilhelm Altenloh, der vom 4. April 1942 bis zum 3. April 1943164 Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in Białystok war. Seit November 1942 war die KdS-Dienststelle mit ihren Außenstellen in Grodno, Wołkowysk, Bielsk, Łomz˙a und Augustów für die Ghettos im Bezirk Bialystok und damit auch für das Białystoker Ghetto verantwortlich. Die KdS-Stelle, die ihren Sitz in der Sienkiewicz-Straße165 15 hatte, gliederte sich in die Abteilungen Personal und Verwaltung (I/II), Sicherheitsdienst (III), Gestapo (IV) und Kriminalpolizei (V). Die wichtigste Abteilung beim KdS war die von SS-Hauptsturmführer Lothar Heimbach geleitete Abteilung IV, Gestapo. Sie gliederte sich in mehrere Unterabteilungen. An der Spitze des Referates IV A (»Widerstand«) stand Waldemar Macholl, das »Judenreferat« (IV B) wurde von Fritz Friedel geleitet.166 Heimbach und Friedel erteilten dem Judenratsvorsitzenden Rozenman und seinem Stellvertreter Barasz bei deren täglichen Gängen zur Gestapo Befehle.167 Erster Ansprechpartner für den Judenrat soll Friedel gewesen sein, bei wichtigen Angelegenheiten soll der Gestapo-Chef Heimbach auf den Plan getreten sein.168 Als Verbindungsmann der Gestapo zum Judenrat fungierte außerdem Richard Dibus, ein Angehöriger von Friedels »Judenreferat«.169 Mit dem Białystoker Ghetto befassten sich beim KdS auch Angehörige der anderen Abteilungen. So war in der Verwaltungsabteilung beim KdS Polizeiinspekteur Gerhard Klein für das Ghetto zuständig. Er – und nicht länger die dem Stadtkommissar unterstellte Ghettoverwaltung – soll seit März/April 1943 für die
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Tenenbaum, Dappim Min Hadleka, zit. n. Bender, The Jews of Białystok, S. 186 f. Vgl. Scheffler, Zur Organisation der Judendeportation, Bl. 37, in Bezugnahme auf Dienststellenverzeichnisse und Befehlsblätter des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD. Die Straße war von den deutschen Besatzern in Erich-Koch-Straße umbenannt worden. Die ehemaligen KdS-Angehörigen Friedel und Macholl wurden nach dem Krieg wegen ihrer Verbrechen in Białystok von polnischen Behörden strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Der Prozess gegen Friedel fand vom 26. bis zum 28. Oktober 1949 vor dem Białystoker Appelationsgericht (Sa˛d Apelacyjny w Białymstoku) statt, und das Verfahren gegen Macholl vom 8. bis zum 25. März 1949 vor dem Bezirksgericht in Białystok. Beide wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. Vgl. Z˙IH, 344/27; 80; IPN, Sa˛d Okre˛gowy na Białymstoku, SOB, [Bezirksgericht Białystok] (SOB), 279. Vgl. Kapłan, Judenrat w Białymstoku, S. 52. Vgl. ebd., Anm. 6. Vgl. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6195, Bl. 228.
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Zuweisung jüdischer Arbeitskräfte an deutsche Betriebe verantwortlich gewesen sein.170 Die lokalen Behörden in Białystok, darunter die KdS-Dienststelle, setzten sich aus ökonomischen Gründen für den Erhalt des Ghettos ein. Dies geht aus einem Schreiben des Stadtkommissars Dr. Schwendowius an Koch hervor. Schwendowius berichtete am 21. Januar 1943, er habe »wegen der Liquidierung der Ghetto-Betriebe mit dem Leiter der Treuhandstelle, Landrat v. Einsiedel, verhandelt«, der im Sinne seiner Auffassung versuchen wolle, »eine Überleitung der Ghettobetriebe auf deutsche Betriebsführer und nichtjüdische Arbeiter vorzubereiten«. Ebenso sei der Kommandeur der Sicherheitspolizei, Regierungsrat Dr. Altenloh, nach Besichtigung der Ghettobetriebe und einer Besprechung mit ihm ebenfalls der Auffassung, dass »eine gewaltsame und plötzliche Lösung der jüdischen Arbeitskräfte aus dem Wirtschaftsprozess der Stadt erheblichen Schaden, insbesondere für die wehrwichtige Produktion, herbeiführen würde«. Altenloh wolle »in diesem Sinne bei einer Berliner Zentralstelle vorstellig werden«.171 Auch der Leiter der Rüstungsaußenstelle in Białystok, Froese, und der ständige Vertreter des CdZ, Dr. Brix, waren gegen den Plan, die jüdischen Arbeitskräfte durch Weißrussen aus dem Gebiet um Białowiez˙a zu ersetzen.172 Indes: Die »Produktionsbefürworter«, wie Christopher Browning diejenigen nennt, die für die wirtschaftliche Ausbeutung der Ghettobevölkerung eintraten,173 konnten sich auch in Białystok gegenüber den zentralen SS- und Polizeibehörden nicht durchsetzen. Am 19. Januar 1943 notierte Tenenbaum nach einem Gespräch mit Barasz in sein Tagebuch: »Die Gefahr ist nicht hier, sondern in Berlin.«174 Nur wenige Wochen später, Anfang Februar 1943, entsandte Adolf Eichmann seinen Stellvertreter, Rolf Günther, zum Kommandeur der Sicherheitspolizei nach Białystok. Altenloh hatte nach den Feststellungen des Bielefelder Schwurgerichts im Januar 1943 den Befehl erhalten, einen Teil der Ghettobevölkerung zu deportieren.175 Als Repräsentant des RSHA habe Günther dem Deportationsbefehl Nachdruck verleihen und dadurch, »wenn möglich, die unter Umständen zu erwartenden Widerstände der verschiedenen örtlichen Stellen von vornherein lähmen, sich ein eigenes Bild vom Arbeitsein170
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Vgl. Erklärung Fritz Friedel vom 4. April 1950, in: Z˙IH, Procesy 35, Notatki o getcie w Białymstoku [Notizen über das Ghetto in Białystok], Heft XIX, S. 17. Das Dokument ist abgedruckt in: Jüdisches Historisches Institut Warschau (Hg.), Faschismus – Getto – Massenmord. Dokumentation über Ausrottung und Widerstand der Juden in Polen während des zweiten Weltkriegs, Berlin 1961, S. 448f. Vgl. Gerlach, Kalkulierte Morde, S. 730. Zu dem Austauschplan vgl. Schreiben des Reichsministers für Bewaffnung und Munition, GB. – II/B Gr. Außendienst an den Reichsführer SS Heinrich Himmler, Hauptamt, Persönlicher Stab, vom 1. Februar 1943. Das Dokument ist zu finden in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6152, Bl. 55. Christopher Browning, Die nationalsozialistische Ghettoisierungspolitik in Polen 1939–1941, in: ders., Der Weg zur »Endlösung«. Entscheidungen und Täter, Hamburg 2002, S. 39–70. Mordehai Tenenbaum-Tamaroff, Pages From Fire: Dappim Min Hadleka, verbesserte und erweiterte Neuauflage, Yad Vashem, Bet Lohame Hagetaot (hebräisch), Jerusalem 1984, S. 20. Für die Übersetzung der Stelle und des ganzen Textzusammenhanges sei Dr. Hans-Peter Stähli herzlich gedankt. Vgl. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6194, Bl. 88.
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satz der Juden machen, möglicherweise auch Einfluß auf die Auswahl der abzutransportierenden Juden nehmen, vielleicht sogar die letzte Entscheidung über den Umfang der Deportationen nach den eigenen Erkenntnissen an Ort und Stelle treffen« sollen.176 Altenloh, der Leiter der Aktion im Ghetto, habe mit Günther die Zahl der Deportierten auf etwa 6.000 Menschen »heruntergehandelt«.177 Insgesamt wurden nach den gerichtlichen Feststellungen im Februar 1943 mindestens 8.000 Menschen aus dem Białystoker Ghetto abtransportiert, »davon höchstens 4.500 nach Auschwitz, die übrigen nach Treblinka«. Außerdem seien »mindestens« 300 Juden vor Ort erschossen worden.178 Auf der Rückseite einer Meldung des Białystoker Judenrates finden sich dagegen höhere Zahlen. Dort heißt es: »5.2.1943 bis 12.2.1943 A k t i o n i n B i a ł y s t o k . Tr e b l i n k a . Weggeführt 10.000 Juden. Auf der Stelle erschossen — 900 Juden.«179 Tenenbaum, von dem die handschriftliche Notiz wahrscheinlich stammt, spricht in seinem Tagebuch von 800 bis 900 Toten.180 Die höhere SS-Führung erteilte Globocnik »Ende Juli oder Anfang August« 1943 den Befehl, das Ghetto in Białystok aufzulösen, die Mehrzahl seiner Bewohner in Vernichtungslager zu deportieren und, »nur, soweit notwendig, Arbeitskräfte« auszuwählen und diese nach Lublin zu bringen.181 Barasz konnte die endgültige Auflösung des Białystoker Ghettos nicht verhindern. Bender schreibt über seine Fehleinschätzung der deutschen Politik: »Barash’s assumption that a nation with any sense would not murder its slaves was logical enough. What he did not and could not know was that German policy regarding the Jews was not based on rational considerations.«182 Weder der Judenrat noch die Untergrundbewegung konnten die jüdische Bevölkerung vor der deutschen Vernichtungspolitik schützen.
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Ebd., Bl. 90. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6195, Bl. 212. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6194, Bl. 101 f. Vgl. Meldung 386. Das Gericht hielt diese Zahl für »nicht überhöht«, ging aber »zugunsten der Angeklagten« von der »Mindestschätzung« 300 aus. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6194, Bl. 110. Vgl. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6195, Bl. 307. Bender, The Jews of Białystok, S. 300.
Die Protokolle und Meldungen des Białystoker Judenrats in einer Übersetzung und mit einem Vorwort von
HANS-PETER STÄHLI
Vorwort* Wie kommt ausgerechnet ein Schweizer, Theologe, aus Bern dazu, hier als Übersetzer einige Anmerkungen zu den Meldungen des Białystoker Judenrats zu machen?, so mag man vielleicht fragen. In der Tat, so selbstverständlich ist dies nicht. Das Ganze begann vor über vierzig Jahren. Aus Bern nach Bielefeld gekommen, hatte ich zum Sommersemester 1966 gerade meine Stelle als Lektor für Hebräisch an der Kirchlichen Hochschule Bethel (damals Theologische Schule) angetreten. Ich kannte die Stadt noch kaum und wusste noch weniger, was hier aktuell geschah, als – noch im Laufe des Semesters – einer meiner Studenten zu mir kam: Ich hätte doch, sagte er, in einem Gespräch einmal beiläufig erwähnt, dass ich ein Jahr in Israel gelebt und an der Hebräischen Universität in Jerusalem studiert habe. Er gehe doch wohl richtig in der Annahme, dass ich deshalb neben dem von mir unterrichteten Biblisch-Hebräischen auch modernes Hebräisch, Iwrit, verstehe und spreche? Ich bejahte dies, und auf meine Frage, worum es denn gehe, fuhr er fort: Ein Bekannter von ihm, Landgerichtsdirektor Witte vom Bielefelder Landgericht, habe ihn gefragt, ob er an der Hochschule jemanden kenne, der in der Lage wäre, Texte aus dem Neuhebräischen zu übersetzen. Genaueres könne er, der Student, mir nicht sagen, so viel aber wisse er, dass sie für den so genannten Białystok Prozess, der schon angelaufen sei und von dem ich möglicherweise gehört habe, vor Ort dringend jemanden suchten, der fähig und bereit wäre, für das Gericht Dokumente aus dem Hebräischen ins Deutsche zu übersetzen. Das Ganze sei allerdings dringlich und eile sehr, und er wäre froh, wenn er dem Landgerichtsdirektor einen positiven Bescheid geben könnte. Ich zögerte zunächst etwas, da für mich alles neu war und dies völlig überraschend auf mich zukam, sagte dann aber nach einer kurzen Bedenkzeit zu *
Das Vorwort wurde auf dem erwähnten Workshop in der Sektion IV. »Die Meldungen des Białystoker Judenrats« als Referat unter dem Titel »Anmerkungen des Übersetzers der Meldungen des Białystoker Judenrats« mündlich vorgetragen und ist für den Druck nur geringfügig überarbeitet worden. Auf die Protokolle wird hier kein Bezug genommen, da diese erst zu einem späteren Zeitpunkt übersetzt wurden.
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und setzte mich alsbald mit dem Landgericht in Verbindung, wo man mir das ganze Problem erläuterte. Im Laufe der Vorbereitungen für den Prozess sei das Gericht, so berichtete man mir, durch einen Hinweis glücklicherweise noch rechtzeitig, allerdings fast in allerletzter Minute, auf zwei wichtige in Israel erschienene Dokumente gestoßen, die im Zusammenhang der Zeugenbefragungen für die Wahrheitsfindung von großer Bedeutung sein könnten, da sie genau aus der im Prozess verhandelten Zeit stammten. So viel habe man gesehen und verstanden, dass die Dokumente Daten und Angaben enthielten, an denen sich vermutlich Aussagen über »Aktionen«, »Evakuierungen« und anderes Wichtiges mehr kontrollieren, verifizieren oder gegebenenfalls auch falsifizieren ließen. Zum einen handle es sich um die Meldungen des Judenrats aus dem Ghetto von Białystok, die, aus dem Jiddischen ins Hebräische übersetzt und kommentiert, vor ein paar Jahren in Jerusalem herausgegeben worden seien,1 zum anderen gehe es auch um Tagebuchnotizen eines gewissen Tenenbaum.2 Die Zeit dränge freilich sehr, was ich wohl verstehen könne, und diese Dokumente müssten dem Gericht in Übersetzung möglichst schnell zur Durchsicht und Bearbeitung vorliegen. Wegen der für die Übersetzung knapp bemessenen Zeit einigten wir uns darauf, wenn auch nicht alle, so doch möglichst viele, und dabei natürlich die für den Prozess relevanten Dokumente zu übersetzen; ich selbst könne und müsse dies im Laufe der Lektüre und Übersetzung sehen und entscheiden, hierin würde man mir freie Hand lassen. Auch so gab es in den folgenden Wochen eine anstrengende Tag- und Nachtarbeit, deren Resultat – bei den Meldungen des Judenrats eine Deutschübersetzung der hebräischen Übersetzung des original jiddischen Textes – ich dem Gericht termingerecht vorlegen konnte, das mich zu gegebenem Zeitpunkt vorlud, um mich als Übersetzer zu vereidigen und mich zugleich zu einigen Punkten zu befragen und um eine Stellungnahme zu bitten. In der Folgezeit hatte ich dann mehrmals die Gelegenheit, dem Prozess als Zuhörer beizuwohnen, wobei mich – dies eine erste Reminiszenz – die besonnene, überlegene und überlegte faire Verhandlungs- und Befragungsweise des Vorsitzenden Richters Witte, der für die Wahrheitsfindung vor keiner leichten Aufgabe stand, sehr beeindruckte. Auch jetzt, in der Rückschau und aus der Distanz von über vierzig Jahren und gewiss auch in subjektiver Wahrnehmung, darf ich dies an dieser Stelle betonen. Beim Zuhören – dies eine zweite Reminiszenz – wurde ich oft an den Eichmann-Prozess erinnert, den ich einige Jahre zuvor, im Jahre 1961, in Jerusalem ein- oder zweimal direkt hatte mitverfolgen können. Vieles lief auch jetzt wieder nach dem gleichen, schon bekannten Muster ab: Man erklärte sich im Sinne 1
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Gemeint war die Ausgabe von Nachman Blumenthal, Darko shel Yudenrat: Te‘udot miggeto Bialistoq [Conduct and Actions of a Judenrat. Documents from the Bialystok Ghetto (jiddisch/ hebräisch)], Yad Vashem Archives Vol. IV, Jerusalem 1962. Nach dieser Ausgabe sind im Folgenden die Protokolle und Meldungen übersetzt. Vgl. Mordehai Tenenbaum-Tamaroff, Pages From Fire: Dappim Min Hadleka, Ha-Kibbutz Ha-Meuhad 1947; verbesserte und erweiterte Neuauflage, Yad Vashem, Bet Lohame Haggeta‘ot Jerusalem 1984 (hebräisch).
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der Anklage für nicht schuldig, war man doch bloß ein Rädchen in der ganzen Vernichtungsmaschinerie gewesen. Auch wusste man nichts oder nichts mehr – alles lag schon so weit zurück. Man konnte sich nicht mehr erinnern, und wenn man sich denn erinnerte, dann war der Sachverhalt sicher anders, als Zeuginnen und Zeugen ihn selbst erlebt oder gesehen haben wollten und vor Gericht bis in Details eindrücklich zu schildern wussten, als wäre es eben erst gewesen. Man hatte nichts getan, und wenn man etwas getan hatte, dann nur, was von höherer Stelle als Befehl gekommen war, und weiter nicht darüber nachgedacht – Befehl war Befehl, da gab es nichts nachzufragen. Als Einzelperson war man, wie gesagt, selbst nicht schuldig, handelte es sich doch, wie der Eichmann-Verteidiger Dr. Robert Servatius seinerzeit im Prozess immer wieder argumentierte, um »Hoheitsakte eines Staates«, um einen »Act of State«. Umso erstaunlicher – vielleicht auch nicht – war freilich, wie gut ein Gedächtnis plötzlich funktionierte und wie genau man sich zu erinnern vermochte, wenn es um ein eher banales Detail ging, das einem Angeklagten aber für die Darstellung seiner Person offensichtlich wichtig zu sein schien. Als etwa ein Schuhmacher einmal bei der Zeugeneinvernahme ein Samtband, mit dem er seinerzeit seine Werkzeuge zusammengebunden hatte, hochhielt mit der Bemerkung, dies allein habe man ihm von seiner ganzen Familie übriggelassen, und dann unter anderem schilderte, wie einer der Angeklagten an einem bestimmten Tag aus dem und dem Grund vorbeigekommen war, mit blankgeputzten Stiefeln und mit eleganten grauen Handschuhen, da erhob der Betreffende sofort, leicht indigniert, Einspruch: An Datum und Begebenheit könne er sich zwar nicht erinnern, es könne so allerdings nicht gewesen sein. Er lege nämlich Wert darauf festzustellen, dass die Handschuhe weiß gewesen seien, graue Handschuhe habe er nie getragen – in diesem Punkt musste Ordnung sein. So weit ein paar kleine Reminiszenzen. Vierzig Jahre später nun, als Frau Dr. Freia Anders mir von ihrem Vorhaben, das nun zur Realisierung kommt, berichtete und mir die Teilübersetzungen der Meldungen des Judenrats zeigte, erkannte ich diese an typisch schweizerischen Schreibweisen und Ausdrücken als die meinen wieder, und ich erklärte mich bereit, die Meldungen noch einmal durchzugehen und zu überprüfen. Bei der Durchsicht ergab es sich für mich sehr bald – und ich schlug dies auch vor –, jetzt, ohne Zeitnot, nicht bloß eine Auswahl der Meldungen, sondern die Meldungen insgesamt zu übersetzen, und zwar nicht aus dem Hebräischen, wie seinerzeit für das Bielefelder Landgericht, sondern direkt aus dem jiddischen Original, um so auch bis in Formulierungen hinein näher am Ursprungstext zu bleiben. Mit großem Interesse und zugleich mit der gebotenen Distanz habe ich mich mit der Übersetzung der Texte beschäftigt: vom rein Sprachlichen her mit viel Gewinn und Freude, vom Inhaltlichen her nicht selten mit großer Beklemmung. Das Resultat, das dabei herauskam, liegt nunmehr vor. Dazu im Folgenden einige Bemerkungen. Wer je von einer Sprache in die andere zu übersetzen hatte, weiß, wie schwierig grundsätzlich ein solches Unterfangen ist. Nicht von ungefähr wird nicht selten gesagt, eine Übersetzung sei letztlich immer ein Verrat. Zumindest ist eine Übersetzung – hier aus dem Jiddischen ins Standard-Deutsche – immer
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eine Gratwanderung, bei der man auf die eine wie auf die andere Seite abgleiten kann: in eine allzu sklavische, wortwörtliche oder, um einer (angeblich) besseren Lesbarkeit willen, in eine allzu freie, sich vom Text entfernende Übersetzung. Beider Gefahren hat man sich stets bewusst zu sein. Sollte man deshalb von einer Übersetzung besser überhaupt die Hände lassen? Bei einem jiddischen Text, wäre er nicht in hebräischen Buchstaben geschrieben, könnte man sich allenfalls fragen, ob – abgesehen von wenigen Ausnahmen – eine Übertragung sich nicht erübrigt, wo doch das Jiddische, zwar mit vielen hebräischen und slawischen Wörtern durchsetzt, auch heute noch der deutschen Sprache und deren Mundarten mehr oder weniger nahe ist. Einige Meldungen wurden deshalb auch, exemplarisch, neben der Wiedergabe in Standarddeutsch in jiddischer Sprache (in Umschrift) aufgeführt, um wenigstens partiell den unmittelbaren Eindruck von einer Originalmeldung zu vermitteln. Insgesamt war es aber doch notwendig, den jiddischen Text ins Deutsche zu übertragen, wobei allerdings der Sprache des Originals, so weit es ging, möglichst nahe geblieben werden sollte, ohne dem Deutschen Gewalt anzutun. So wurde etwa eine Reihe von jiddischen Wörtern, die zur Zeit der Abfassung der Meldungen auch im Deutschen durchaus bekannt und gängig waren, heute aber laut Duden als veraltet, nicht mehr oder lediglich landschaftlich, regional gebräuchlich gelten, im Text belassen,3 um nicht einen (so falschen) Eindruck eines quasi modernen, heutigen Standard-Jiddisch-Deutsch zu suggerieren. Was nun beim Lesen und Übersetzen der Meldungen sehr bald auffällt – und damit ist ein zweites, inhaltliches Problem zu nennen –, ist der zum Teil ganz verschiedene Stil, in dem diese, je nach Kontext, gehalten sind. Da liest man auf der einen Seite Meldungen mit einem warmherzigen, bittenden Ton in der Sprache, wenn etwa der Judenrat bei den Bewohnern des Ghettos an deren Mitgefühl und Solidarität mit anderen Mitbewohnern appelliert, die sich in Not befinden – in noch größerer Not, als sie selbst sie schon kennen. So heißt es etwa: »Es naht der kalte, trübe Herbst, und viele Familien liegen noch unter freiem Himmel, ohne ein Dach über dem Kopf. Juden, Brüder! Wir appellieren an euer jüdisches Gewissen! Bedenkt die tragische Lage derer, die sich jetzt in solch einem schrecklichen Zustand befinden, obdachlos, Regen und Winden ausgesetzt. ess dernentert sich der kalter chmurner harbsst un assach familjess lign noch untern frajen himl, on a dach ibern kop. jidn, brider! mir apelirn zu ajer jidischn gewissn! fartracht sich iber der tragischer lage fun di, welche gefinen sich izt in asa schreklechn zuschtand, dachlos unter regnss un wintn.« (M 80, 31.8.1941)4
In ähnlichem Zusammenhang wird in einer anderen Meldung an die »Herzlichkeit« und »jüdische Wärme« der Mitbürger appelliert, wenn der Judenrat sich in einem »ojfruf« an die »brider un schwesster« richtet, sie möchten das tagtäglich Allernotwendigste für Abgebrannte und Obdachlose, Waisenhäuser, Kinder-, Altenheime und Spitäler spenden, um den Schrecknissen des kommenden Herbsts und Winters entgegenzuwirken. 3
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So etwa (in alphabetischer Reihenfolge) Approvisation, Doktor, Exekution, Feldscher, Lokatar, Riemer, Spital, Veloziped. Die Meldungen werden hier jeweils mit dem Buchstaben M gekennzeichnet.
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»Denkt daran, Juden«, – ruft der Judenrat auf – »dass wir auf uns allein angewiesen sind. Die Zeit ist kurz und die Not ungeheuer groß, deshalb müssen wir uns, was nur möglich ist, von uns selbst absparen und für die Sammelaktion schenken. Nehmt also unsere Sammler mit der gebührenden Herzlichkeit auf, kommt ihnen schnell und mit jüdischer Wärme entgegen. Lasst uns mit unseren Kräften wenigstens teilweise die Not auf den Winter hin stillen! gedenkt, jidn, as mir senen ongewisn ojf sich alejn. di zajt is kurz un di nojt umgehojer grojss, deriber musn mir opschporn fun sich woss nor meglech un schenken far der saml-akzje. nemt-she ojf unsere samlerss mit der geheriker harzikajt, entfert sej bald un mit jidischer warimkajt. lomir mit unsere kojchess schtiln chotsch tejlwajs di nojt ojf winter!« (M 91, 8.9.1941)
Und da sind auf der anderen Seite die kurzen, knappen Meldungen mit irgendwelchen Forderungen, wie etwa die Verordnung der deutschen Zivilbehörde vom 9. September 1941 (M 92), die der Judenrat am folgenden Tag weitergibt: »Ihr werdet hiermit aufgefordert, für das Regierungs-Kasino folgende Sache zu liefern.« Und nun wird aufgezählt: Tischdecken, Teppiche, Läufer, Girandolen, Wandbilder, Wandteppiche, Teller verschiedenster Art, Schalen und Schüsseln, Tassen und Gläser, Löffel, Gabeln und Messer, und so weiter und so fort, insgesamt 32 Posten. All dies ist noch am selben Tag bis abends sechs Uhr abzuliefern, und am nächsten und übernächsten Tag geht es so weiter. Alles muss von bestem Material, gleicher Größe und Art sein; Nichtpassendes wird vernichtet und ist zu ersetzen, für Fehlendes wird eine große Strafe verhängt, und für nicht rechtzeitiges Abliefern werden die Bewohner des Ghettos schwere Konsequenzen zu tragen haben, für die der Judenrat ausdrücklich die Verantwortung ablehnt – alles in einem administrativ-nüchternen und gerade so (hier wie auch anderswo) beklemmenden Ton. Und wiederum andererseits sind Meldungen zu lesen, die man irgendwo an einem Schwarzen Brett oder in einem amtlichen Mitteilungsblatt so oder ähnlich auch lesen könnte. Da ist von der Eröffnung neuer Schulen und Klassen, Neueinschreibung von Schülern für das neue Schuljahr, Einrichtung von Jiddisch- und Hebräischklassen die Rede, von Erste-Hilfe-Stationen und Öffnungszeiten der Apotheken, Eröffnung einer Badeanstalt und deren Öffnungszeiten, vom Verkauf von Trikotage- und Lederwaren, von Gemüse und Kartoffeln; da finden sich Mitteilungen über Steuer- und Finanzangelegenheiten, Mitteilungen der Gesundheitsabteilung, Bäckereireglemente, Mitteilungen und Anordnungen im Zusammenhang von Wohnungs- und Mietangelegenheiten oder von Strom- und Wasserversorgung, Reklamen von Handwerksbetrieben, Anordnungen über die Reinhaltung von Gassen und Höfen, Verdunkelungsvorschriften, Mitteilungen über Arbeitsangelegenheiten wie: Registrierung von Fachkräften, Handwerkern und Arbeitern, Ausschreibungen von Aus- und Fortbildungskursen für Handwerker, Fragen von Arbeitsunfähigkeit, aber auch Suchmeldungen oder Ankündigungen von Versammlungen. Kurzum, es findet sich alles, was ein quasi »normales« Leben eines Gemeinwesens – zwar unter Kriegsbedingungen (deshalb auch Vorschriften über Rationierung und Verdunkelung und andere Einschränkungen) – suggerieren und vortäuschen könnte, wäre da nicht das andere, Schreckliche, manchmal nur zwischen den
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Zeilen zu lesen, im Hintergrund, und stünde nicht alles unter dem Negativvorzeichen, dass es sich eben nicht um Meldungen an irgend einem Schwarzen Brett einer x-beliebigen Kommune an einem x-beliebigen Ort handelt, sondern um Meldungen in einem Ghetto, vom Judenrat – sehr oft im Auftrag der deutschen Behörden: »lojt farordenung fun der dajtscher macht« – an Jüdinnen und Juden gerichtet, die zur Kennzeichnung und Stigmatisierung gleich in der ersten Meldung vom 8. Juli 1941 unter der Androhung, bei Zuwiderhandlung »streng bestraft [zu] werden«, die Anweisung bekommen (minutiös, mit Zentimeterangabe), »ein weißes Band mit einem blauen Davidstern am rechten Arm zu tragen« oder, an dessen Stelle, auf weißem Band »ein gelbes, rundes Zeichen« (M 1). Es fällt allerdings auf, dass diese Verfügung trotz Strafandrohung anscheinend nicht das erwartete Resultat zeigt. Drei Tage später schon, am 11. Juli 1941, erscheint die nächste »Aufforderung und Warnung«, »sofort die erwähnten Zeichen anzubringen« – jetzt ein »gelbe[s] Zeichen vorne auf der linken Seite und hinten auf dem Rücken« –, andernfalls werde man »strengstens bestraft werden« (M 2). Und dies zieht sich so über ein ganzes Jahr durch die Meldungen hindurch: Gegen Ende des Monats, am 26. Juli 1941, wird mit strenger Bestrafung, »sogar mit Erschießen« gedroht (M 7), um darauf ein Jahr später, am 19. Juli 1942, angesichts des »große[n] Leichtsinn[s]« der Bevölkerung als »Letzte Warnung!« der deutschen Behörde anzudrohen, Zuwiderhandelnde würden »mit einer großen Geldstrafe und mit bis zu 2 Wochen Arbeit bestraft werden« und vom folgenden Tag an »nicht aus dem Ghetto herausgelassen« (M 304; vgl. M 305 und M 309). Dies paart sich bald mit weiteren Erniedrigungen und Schikanen: Menschen wird nicht erlaubt, »sich auf den Trottoirs und Straßenpflastern zu versammeln, weil dies«, so die Begründung, »den Verkehr in den Gassen aufhält und den Zugang zu den Häusern versperrt« (M 87, 5.9.1941). Etwas später ist es Juden überhaupt »verboten, die Trottoirs zu benützen. Sie haben neben dem Trottoir zu gehen und dabei sich so zu verhalten, dass der öffentliche Verkehr nicht gestört wird« (M 168, 26.11.1941). Noch später haben »Fußgänger mit Paketen […] die Hauptgassen zu meiden« (M 295, 2.7.1942). Und schließlich wird das Verhalten für die außerhalb des Ghettos tätigen jüdischen Arbeiter noch genauer angeordnet: »Um strenge Strafen zu vermeiden«, dürfen sie »1. Nicht mehr als zu zweien zusammen gehen. 2. Nicht mitten auf dem Straßenpflaster gehen, sondern rechts, nahe am Trottoir.« Und noch präziser »3. Das Gepäck, besonders Holz, nicht quer, sondern längs zur Gasse tragen.« (M 316, 10.8.1942, vgl. auch M 351). Jede und jeder, alles nur Mögliche – Personen wie Sachen gleichermaßen – wird immer wieder neu registriert und überprüft, was ein Dauerunbehagen und Gefühl der Unsicherheit schafft. Und immer geht es dabei – letztlich – auch darum, womöglich doch Lebensrecht zu sichern. Eine vollständige Erfüllung der Forderungen der Deutschen und »über die Kräfte geben«, so hofft, so suggeriert man, »sichert das Leben und die Existenz im Ghetto« (M 238, vgl. M 236). »In Massen zur Arbeit kommen«, ist »unser aller Lebensinteresse« (M 94). »Bewahrt euer Leben!«, lautet plakativ die Überschrift einer Meldung (M 166). Und: ja nicht gegen Verordnungen verstoßen! Denn alles und jedes, vom
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geringfügigsten, fast vorprogrammierten, bis zum schwerwiegenden Verstoß wird mit Maßnahmen und Strafen sanktioniert, und entsprechende Konsequenzen werden angedroht. Da ist von strengen und strengsten, unbarmherzigsten, herbsten und schärfsten Maßnahmen und Zwangsmaßnahmen die Rede, von Sanktionen und Konsequenzen, die Einzelnen oder, in Kollektivverantwortung, dem ganzen Ghetto drohen. Die Androhungen oder Meldungen, wer gegen dieses und jenes verstoße beziehungsweise verstoßen habe – eigentlich fast gegen alles –, werde bestraft beziehungsweise sei bestraft worden, beginnen mit der ersten Meldung und enden mit der letzten: Angefangen mit einem bloßen »wird bestraft werden« über alle Abstufungen von schwer, besonders schwer, herbe, streng, sehr streng, strengstens bestraft werden ist von Geldstrafen, Konfiszierung von Vermögen und anderem die Rede, von Entzug von Brotkarten und Brotportionen, von Arrest und Gefängnis, öffentlicher Prügelstrafe, von großer, größter, höchster, herbster, schwerster, strengster Strafe, herben, strengen, schweren Strafen, körperlichen Strafen, von besonders schwerer Zwangsarbeit, Arbeitslager, Straflager, Einzug in Strafbrigaden, Evakuierung und Todesstrafe.5 In nahezu einem Drittel aller Meldungen (136 von 435) liest man von angedrohten oder vollzogenen Strafmaßnahmen. Nicht umsonst zieht sich deshalb fast wie ein roter Faden das Wort »warnen« durch die Meldungen: »Der Judenrat warnt«, »wir warnen«, und viele Meldungen sind direkt als »Warnung« überschrieben. Und schließlich geht es auch nicht mehr »nur« um Strafmaßnahmen, vor denen man warnt, denen man – vielleicht – entkommen kann, für die man im einen oder andern Fall angesichts der Kriegssituation sogar Verständnis haben könnte, wenn freilich über Höhe und Angemessenheit des Strafmaßes zu diskutieren wäre. Es geht (ob schuldig oder nicht, spielt letztlich keine Rolle) nicht um Schikanen und Entwürdigungen allerübelster Art – dies allein wäre schlimm genug. Es geht ums Allerletzte, wie es die Białystoker Juden auf der Rückseite einer Meldung vom 21. Februar 1943 mit einer handschriftlichen Bemerkung, die Hitlers Deklaration zum Parteitag vom 5. Februar 1943 zitiert, festhielten: »Unser Kampf wird nicht mit der Vernichtung der arischen Menschheit enden, sondern mit der totalen Ausrottung des Judentums in Europa.« (M 400) Zeugnis davon geben Meldungen, die fast beiläufig, andeutungsweise, als scheue man sich, das Ungeheuerliche beim Namen zu nennen (aber für Ghettobewohner brauchte es nicht mehr), von »den schweren Erfahrungen der letzten Tage« berichten (M 94, 12.9.1941), von »den traurigen Tagen«, von »weggeführten Familien« (M 388, 14.2.1943), von »der Aktion« (M 396a, 19.2.1943). Und schließlich sind da in knappster, beklemmender Form jene auf der Rückseite einiger Meldungen handschriftlich hinzugefügten Bemerkungen, vermutlich von Mordechai Tenenbaum stammend, die man beinahe übersehen könnte:
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Einzelne Belege dafür erübrigen sich hier. Wer die Meldungen liest, wird auf die entsprechenden Formulierungen immer wieder stoßen.
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»Nach Pruz˙ani ungefähr 4000 Juden (viertausend) weggeschickt worden. (M 102, 17.9.1941) Viele sind [scil. zum Abtransport] nicht erschienen; man pflegt Menschen auf der Gasse aufzugreifen und sie abzutransportieren. (M 104, 24.9.1941) 2-ter November – Beginn der ›Aktion‹ im ganzen Bezirk. (M 356 [357], 2.11.1942) 5.2.1943 bis 12.2.1943 Aktion in Białystok. Treblinka. Weggeführt 10.000 Juden. Auf der Stelle erschossen – 900 Juden.6 (M 386, 29.1.1943) Gerüchte über Fortsetzung der ›Aktion‹ am 28-ten. (M 400, 21.2.1943)«
Demütigung, Zermürbung, Terror, Tod gehen um, in und mit diesen Meldungen. Der Tod geht um – subtil unter der Maske von tagtäglichen Verordnungen, Forderungen und Schikanen, zynisch, brutal in einer Meldung wie »Auf der Stelle erschossen – 900 Juden«. Nein, es ist nicht der »Verderber«, der »Würgengel«, der schlagend und vernichtend in die Häuser dringt (vgl. Exodus 12,23; 2 Samuel 24,16), es sind keine dämonischen Mächte, die im Ghetto wüten, auch wenn vieles so dämonisch anmutet. Deutungsversuche und -muster solcher Art würden der ganzen perversen Brutalität gar noch eine pseudoreligiöse Überhöhung verleihen. Es ist die Erniedrigung und Drangsalierung, die Zermürbung, der Tod, die Annihilation in Gestalt von kalt-nüchternen administrativen Verordnungen jedweder Art, von Menschen am Schreibtisch entworfen, und von Handlungen und Taten, von Menschen vor Ort angeordnet und ausgeführt: Menschen aus Fleisch und Blut, Menschen, die in Koffern »in gutem Zustand« (M 57), Juden abgenommen, für die Familie zu Hause Geschenke aller Art, anderen gestohlen, mit in den Heimaturlaub nehmen, um sie dort auf den Gabentisch zu legen. So beginnt es, vom ersten Tag, von der ersten Meldung an (M 1, 8.7.1941), und so geht es weiter, über fast zwei Jahre, bis zur letzten Meldung aus dem Ghetto von Białystok (M 435, 1.4.1943), der ein paar Monate später die Liquidierung des Ghettos folgen wird. »So hob es an«, schreibt der polnische jüdische Dichter Jizchak Katzenelson in den ersten Dezembertagen (4., 5., 6.) des Jahres 1943 im Zehnten Gesang seines großen Poems »Doss lid funm ojssgehargetn jidischn folk«, den er mit »inm onhejb funm ssof« (im Anfang vom Ende) überschreibt: »asoj hot sich ess ongehojbn bald in erschtn tog, ojfmorgn wider! un dernoch ojfssnaj! ojfssnaj! ss’hot jedn inderfri sich ongehojbn fun doss naj – nechtn erscht … o, nit bawisn hot doss unglik wern alt, hajnt baginen – horch: schojn naj a broch! naj a pached un a tojtschrek naj, der tojt baglejt, gejt noch unds wi a schotn traj.7 6
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Dies als Nachtrag zu einer auf den ersten Blick harmlosen und gerade so umso zynischer wirkenden Meldung der Gewerblichen Werkstätten bei der Industrieabteilung des Judenrats, die Handwerkerkurse für Jugendliche anbietet. Vgl. Jizchak Katzenelson – Wolf Biermann, dos lied vunem ojsgehargetn jidischn volk – Großer Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk, Köln 1994. Die vorliegende Transkription hat den faksimilierten Text zur Grundlage, die Übertragung ins Deutsche folgt möglichst nah dem jiddischen Text.
Die Protokolle und Meldungen des Białystoker Judenrats
So hob es an alsbald am ersten Tag, am folgenden Tag wieder!, und danach aufs Neue!, aufs Neue! Es hob jeden Frühmorgen von neuem an – Gestern erst … o, das Unglück vermochte nicht alt zu werden, heute beginnen – horch: schon neu ein Leid!, neu ein Entsetzen und ein Todesschrecken neu, der Tod begleitet, geht her hinter uns wie ein Schatten treu.«
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Protokoll Num. 1 des neugewählten Judenrats, zustande gekommen am 2-ten August 1941 A n w e s e n d : Rabbiner Dr. Rozenman, Ing. Barasz, J. Lifszic, G. Goldfarb, Sz. Lifszic, Sz. Punia´n ski, P. Melnicki, J. Markus, Sz. Peciner, Dr. Kopelman, Dr. Kerszman, Dr. Segal, Dr. Holenderski, M. Rubinsztejn, Dr. Horowic, Sz. Polonski, J. Goldberg, Ing. Szmigelski, M. Szwif, J. Nowik, A. Furman, Dr. Kapłan. R a b b i n e r D r. R o z e n m a n eröffnet die Sitzung, liest die Namen der Mitglieder des Rats vor und schlägt vor, Abteilungen beim Judenrat zu schaffen. H . I n g . B a r a s z ergänzt die Einleitung des Rabbiners. Es wird beschlossen, folgende Abteilungen zu schaffen: 1. Administrationsabteilung 2. Bautechnische Abteilung 3. Sicherheitsabteilung 4. Arbeitsabteilung 5. Abteilung für Soziale Hilfe 6. Gesundheitsabteilung 7. Finanzabteilung 8. Sanitärabteilung 9. Approvisationsabteilung 10. Wirtschaftsabteilung 11. Wohnungsabteilung 12. Sekretariat 13. Bildungsabteilung D r. K e r s z m a n schlägt vor, die Sanitär- mit der Gesundheitsabteilung zu vereinigen. H . M a r k u s ist gegen den Vorschlag von Dr. Kerszman. R a b b i n e r D r. R o z e n m a n schlägt vor: Wahl einer Kommission von 3–5 Personen, um eine Liste der leitenden Organe aufzustellen. H . M a r k u s schlägt vor, dies solle der ganze Rat erledigen.
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Die in eckige Klammern gesetzten Nummerierungen der Protokolle und der Meldungen entsprechen der Textausgabe bei Blumenthal. Eckige Klammern [ ] im Text der Protokolle und der Meldungen zeigen, wo nichts anderes vermerkt ist, vom Übersetzer gemachte Ergänzungen oder Erweiterungen im Deutschen an. Zahlen am Seitenrand geben jeweils die Seitenzahlen bei Blumenthal an, Seitenwechsel werden mit Schrägstrich angegeben.
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Es wird der Vorschlag von H. Rabbiner angenommen, eine Kommission von 5 Personen zu wählen. In die Kommission werden gewählt: Die HH. Markus, Goldberg, Melnicki, Dr. Kerszman und Ing. Szmigelski. H . G o l d b e r g schlägt vor: Durchführen einer Kontrolle in den Wohnungen, damit man diejenigen mit Wohnungen versorgen kann, die dies benötigen. 18 Personen des Rats müssen sich mit der Kontrolle befassen. H . B a r a s z schlägt vor: Man soll der Bevölkerung melden, dass sie die freien Wohnungen oder Zimmer angeben, und die Arbeit der Ausgabe von Bezugsscheinen10 soll nicht eingestellt werden.11 H . P u n i a ´n s k i schildert die traurige Lage der Personen, die sich in den öffentlichen Häusern befinden. H . M a r k u s schlägt vor, man solle Hilfskomitees organisieren. H . M e l n i c k i schlägt vor: Unterbringen der Personen, die sich auf den Höfen befinden, und kein Einstellen der Ausgabe von Bezugsscheinen. F r a u D r. S e g a l schlägt vor: Die Bevölkerung, die aus den verlassenen Orten gekommen ist, soll direkt an den Peripherien angesiedelt werden; wenn es möglich ist, die Wohnungen kontrollieren, die besetzten Plätze frei machen und sie mit physisch gesunden Personen komplettieren. Es wird beschlossen: 1. Dass eine Kommission von Doktoren die öffentlichen Orte besuchen und den sanitären Zustand feststellen soll. 2. H . M a r k u s den Auftrag erteilen, er solle Polizei und Feuerwehr organisieren.12 3. Anführer der Polizei soll H. Markus sein. 4. Anführer der Feuerwehr soll H. Bubrik sein. 5. Die Fortsetzung der heutigen Sitzung findet statt morgen, den 3/8, 5 Uhr nachmittags. H . P o l o n s k i schlägt vor, ein Lokal für eine Apotheke zu bestimmen. Vorsitzer des Judenrats
[2] Protokoll Num. 2 der Sitzung des Judenrats am 3-ten August 1941 7
A n w e s e n d : Rabbiner Dr. G. Rozenman, die Herren: Ing. Barasz, Liman13, Lifszic, Peciner, Rubinsztejn, P. Kapłan, J. Goldberg, Sz. Lifszic, Goldfarb, Szwif, Markus, Dr. Kapłan, Frl. Dr. Horowic.
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Jiddisch ordern. Vgl. Meldung 4, 5. Vgl. Meldung 16, 49 und 50. Meistens wird der Name als Liman angegeben (vgl. auch Surname Index, The Bialystoker Memorial Book, Published by Bialystoker Center, New York 1982), selten – bei derselben Person – als Limon (so generell die hebräische Übersetzung); die Übersetzung folgt den Angaben des jiddischen Textes.
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R a b b i n e r D r. R o z e n m a n eröffnet die Sitzung und erläutert das heutige Ereignis mit den Arbeitern. Wegen eines Irrtums hat das Präsidium heute viele Unannehmlichkeiten gehabt. H . I n g . B a r a s z schlägt vor, ein Damenkomitee zu schaffen, um Sachen zu sammeln und die Forderungen der Behörde zu erfüllen. H . M a r k u s liest den ausgearbeiteten Plan für die Abteilungen vor unter Angabe der Mitglieder, die zugeteilt werden sollen: 1. Administration – Mitglieder: Ing. Barasz, Subotnik, Goldberg. 2. Bautechnische – Goldfarb, Szmigelski, J. Lifszic. 3. Sicherheit – Markus, Polonski, Dr. Kopelman. 4. Arbeit – Polonski, Szwif, Sz. Lifszic, Leiter – Liman. 5. Soziale Hilfe – Peciner, Rubinsztejn, Melnicki. 6. Gesundheit – Dr. Kacenelson,14 Dr. Segal, Dr. Kapłan. 7. Finanzen – Subotnik, Punia´n ski, Goldberg. 8. Sanitäres – Dr. Kopelman, Dr. Holenderski, Szwif. 9. Approvisation – Szmigelski, Goldfarb, Lifszic. 10. Wirtschaft – Furman, Nowik, Melnicki. 11. Quartierwesen – Goldberg, Subotnik, Nowik. 12. Bildung – Kapłan, Rubinsztejn, Horowic. 13. Sekretariat – Dr. Horowic. 14. Industrie – Melnicki, Peciner, Szmigelski. Der von H. Markus vorgeschlagene Plan wird angenommen. Es wird auch beschlossen, dass jede Abteilung das Recht hat, nach ihrem Ermessen weitere Mitglieder zu kooptieren. Verantwortlich für jede Abteilung ist der Leiter der Abteilung. Es wird auch beschlossen, dass jede Abteilung nach ihrem Ermessen Angestellte einstellen wird. Die Frage der Organisation von Hauskomitees wird verschoben.
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[3] Protokoll Num. 3 der Sitzung des Judenrats am 12-ten August 1941 A n w e s e n d : Rabbiner Dr. Rozenman, Ing. Barasz, Goldfarb, Melnicki, Lifszic Sz., Liman, Frl. Horowic, Dr. Segal, Dr. Kapłan, Dr. Kacenelson, Markus, Rubinsztejn, Goldberg, Dr. Holenderski, Polonski, Dr. Kopelman, Nowik, Szwif, Subotnik, Punia´n ski, Lifszic J., Furman und Peciner. R a b b i n e r D r. R o z e n m a n eröffnet die Sitzung und erläutert ihren Zweck. H . I n g . B a r a s z liest die Tagesordnung der heutigen Sitzung vor: 1. Bericht 2. Bericht der Abteilungen 14
In den Protokollen 13 und 41 wird der Name als Kacnelson angegeben (so das Białystoker Telefonbuch von 1938, http://www.zchor.org/bialystok/ksiazka_tel.xls [17.8.2009] und die hebräische Übersetzung), sonst lautet der Name überall Kacenelson (vgl. auch Surname Index).
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3. 4. 5. 6.
Bericht des Rats Personalia Bereitschaftsdienste der Ratsmitglieder Freie Vorschläge Bericht über die im Verlauf der letzten Tage geleistete Arbeit: H. Ing. Barasz macht darauf aufmerksam, dass nicht alle Kommissionen schon normal arbeiten. Er bemerkt, dass die Abteilungen nicht allein, ohne die Administrationskommission, Angestellte einstellen sollen. H. J. G o l d b e r g erläutert, dass man in den nächsten Tagen schon Brot herausgeben wird. H . J . M a r k u s : Von morgen früh an beginnt schon der Sicherheitsdienst zu funktionieren.15 H. S u b o t n i k gibt einen Bericht über die Situation der Finanzen. H . D r. H o l e n d e r s k i schildert den traurigen sanitären Zustand, in dem sich die jüdische Bevölkerung des Ghettos befindet. H . P o l o n s k i teilt mit, dass man jeden Tag bis zu zweitausend Personen zur Arbeit hinausschickt.16 H . L i m a n erklärt, dass die Forderungen des Arbeitsamtes durch uns erledigt werden. Er beklagt sich darüber, dass man den Arbeitern die ¼ Kilo Brot nicht gibt. Die Zusammenstellung des Personals ist befriedigend. H . D r. K a c e n e l s o n : Die Gesundheitsinstitutionen, die Ambulatorien, Spitäler usw. müssen in kurzer Zeit geschaffen werden. Diese Arbeit erfordert große Anstrengungen.
[4] Protokoll Num. 4 der Sitzung des Judenrats am 14-ten August 1941 13
A n w e s e n d : Rabbiner Rozenman, Ing. Barasz, H. Subotnik, H. Goldberg, H. Peciner, H. J. Lifszic, H. Liman, H. Goldfarb, H. Rubinsztejn, H. Sz. Lifszic, H. Punia´n ski, Dr. Kapłan, Frl. Dr. Horowic, Dr. Kacenelson, Dr. Holenderski, Dr. Kopelman, H. Polonski, H. Szwif, H. Pejsach Kapłan, H. Markus, H. Dr. Kerszman, H. Melnicki. Der Rabbiner eröffnet die Sitzung. H . S z w i f schlägt vor: Billige Küchen eröffnen, die Personen, die keine Unterkunft17 auf den Winter hin haben, mit Wohnungen versorgen. H . M e l n i c k i sagt, dass man zuerst die Obdachlosen unterbringen muss; man muss 10 Personen bestimmen, welche die Wohnungen kontrollieren sollen, man muss sich an die zuständigen Instanzen wenden, sie möchten Baumaterial zum Einrichten von Küchen usw. geben. 15 16 17
Vgl. Meldung 42. Vgl. Meldung 20. Wörtlich Lokal.
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H . D r. R o z e n m a n : Betr. Küchen muss man unbedingt reden und beschließen. H . J . G o l d b e r g schlägt vor, man solle die Frage der Einrichtung einer Küche der Kommission für Soziale Versorgung übergeben, die einen Plan vorlegen soll. D r. K a p ł a n schlägt vor, man solle sich über die Schweiz an den »Joint«18 um Hilfe wenden. H . P u n i a ´n s k i sagt, man müsse unbedingt die Institutionen versorgen, die zu unterstützen der Judenrat verpflichtet ist. Das Präsidium muss sich Gedanken machen, wie man Lebensmittel für das Ghetto bekommt. H . P e c i n e r : Die Frage der Einrichtung einer Küche haben wir schon in den ersten Tagen beschlossen, aber die Frage ist sehr belastet durch den Mangel an Lebensmitteln, die man für Geld nicht kriegt. Man muss vorläufig ein Budget für die Institutionen ausarbeiten, die wir mit Nahrung versorgen müssen. H . S z w i f : Man muss das Budget in Rubel aufstellen, aber zum Teil muss man es auch in Lebensmitteln angeben. H . P e c i n e r : Zuerst muss man ein Budget erstellen, und darüber muss man jetzt debattieren. Über das Budget spricht H. Ing. Barasz. D r. K a c e n e l s o n : Einen Brief an die Apotheken herausschicken, sie sollen ein Budget für ihre Einnahmen und Ausgaben einreichen. H . B . S u b o t n i k : Der Vorschlag von H. Kacenelson hätte in normalen Zeiten angenommen werden können, jetzt ist er nicht annehmbar. H. Subotnik schlägt vor, das Gehalt für die Beamten zum Teil in Lebensmitteln festzusetzen. H . L i m o n 1 9 schlägt vor: Man soll das Budget in Mark oder Rubel aufstellen. H . D r. K a c e n e l s o n schlägt vor, dass man die Wohnung, die man belegt, in derselben Valuta abarbeiten soll, in der einer uns bezahlen wird. H . I n g . B a r a s z schlägt vor: Die Vorschläge von H. Szwif an die zuständigen Kommissionen übergeben: Wohnungsgeld, Steuern, Abzahlungen. Jede Abteilung soll ein Budget aufstellen, sich bemühen, dass der Magistrat möglichst viele Lebensmittel gibt. H . G o l d b e r g : Alle Forderungen, die wir an den Magistrat gestellt haben, sind zu 100% erledigt worden. Das Budget soll die Finanzkommission aufstellen. Die Approvisationsfragen müssen durch Personen erledigt werden, welche die größte Anstrengung zeigen sollen. D r. K a p ł a n : Eine Delegation mit einem Memorandum wegen Erhalts von Lebensmitteln von außerhalb des Ghettos zum Bürgermeister und zum Oberbürgermeister schicken. H . L i m a n schlägt vor: Einen Geschäftsführer bestimmen, weil das Präsidium, das aus 2 Personen besteht, nicht imstande ist, alles einzubringen. 18
19
Das bei Ausbruch des 1. Weltkriegs gegründete American-Jewish Joint Distribution Committee, kurz Joint genannt, die größte und wichtigste aller Organisationen, die sich der Wohlfahrtshilfe für jüdische Gemeinden und Einzelpersonen in Europa widmeten. Vgl. oben Anm. 13.
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H . G o l d b e r g : Den Vorschlag von H. Liman der Administrationskommission übergeben, auch müssen Bereitschaftsdienste der Ratsmänner eingerichtet werden. D r. K e r s z m a n unterstützt den Vorschlag von H. Liman. Rabbiner Dr. Rozenman schließt die Sitzung.
[5] Protokoll [1] der Sitzung der Abteilungsleiter beim Judenrat am 20/8 1941 17
Obmann Rabbiner Dr. Rozenman, HH. Ing. Barasz, Goldberg, Diamant, Holenderski, Limon, Markus, Nowik, Subotnik, Finkel,20 Furman, Peciner, P. Kapłan, Szwif, Frl. Dr. Horowic. H . M a r k u s referiert: 1. Über die Notwendigkeit von hygienischen Verordnungen, hauptsächlich hinsichtlich der Kupiecka Gasse21 in der Gegend des Judenrats und in den Lokalen des Judenrats. 2. Über die Normalisierung der Lebensmittelversorgung für die jüdische Miliz und die Feuerwehr, und 3. Über die baldige Versorgung der Bewohner der Feuerwehrgarage mit Wohnungen. H . D i a m a n t unterstützt den Vorschlag von H. Markus bezüglich Lebensmittelversorgung. H . I n g . B a r a s z teilt mit, dass es gelungen ist, die nötige Zustimmung zur Einrichtung eines Volksbades im Ghetto zu bekommen.22 Die Vorschläge von H. Ing. Barasz werden angenommen: 1. Alle Arbeiter des Judenrats sollen in gleichem Maß Verpflegung bekommen. 2. Von den Lebensmitteln, die der Judenrat schon bekommen hat, soll jeder 2 Kilogramm marinierten Hering kriegen. D r. H o l e n d e r s k i referiert über den Gesundheitszustand im Ghetto: 1. Es sind keine neuen Fälle von Flecktyphus vorgekommen, und an Scharlach hat es nur einen leichten Fall gegeben. 2. Der Magistrat hat zugesagt, einen wichtigen Apparat für die örtlichen Bäder zu geben. Er fordert, alle nötigen Plätze mit Karbol zu chlorieren und sich zu bemühen, Seife für die Bevölkerung zu bekommen. H . S z w i f sagt zu, über die Müllabfuhr in der kommenden Sitzung zu referieren. 20 21
22
Der Name wird im jiddischen Text sowohl mit [ (e): Finkel als auch ohne [: Finkl geschrieben. Das in den Protokollen und den Meldungen häufig vorkommende jiddische Wort gass bedeutet sowohl »Gasse« als auch »Straße«. Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen wird es auch in der Übersetzung mit »Gasse« wiedergegeben, unabhängig davon, ob es im konkreten Fall nach unserem Verständnis eine Gasse oder möglicherweise eher eine Straße bezeichnet. Vgl. Meldung 107.
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H . F i n k e l teilt mit: Es ist ihm gelungen, die Zustimmung zu bekommen, von nächstem Montag an die Fabrik »Chimtrud«23 in Betrieb zu setzen, gleichzeitig wird eine Möbelfabrik eröffnet werden, eine Schneiderei u.a. Eine Sodawasserfabrik wird für den Bedarf der jüdischen Spitäler arbeiten. Die Rohstoffe für die Fabrikation werden nicht bloß vom Ghetto, sondern auch von der ganzen Stadt geliefert werden. Die Arbeiter werden bloß aus Juden bestehen. Die Fabriken wird ein deutscher Kommissar verwalten. H. G o l d b e r g referiert über die Versorgungslage im Ghetto. Er verweist auf die Schwierigkeiten der Approvisation wegen des schlechten Transports: Es gibt keine Pferde, Wagen usw. H. M a r k u s schlägt vor, dass man ihn immer im Voraus über Zeit und Ort der Überführung von Lebensmitteln informieren soll, er wird die entsprechende Zahl Miliz stellen, um Ordnung zu halten. H. F u r m a n schlägt vor, eine Aktion für das Spital zu machen. H. R u b i n s z t e j n : Die Arbeit der Sozialen Kommission ist verzweigt. Das Waisenhaus an der Czenstochower24 7 ist schon übernommen worden. Jetzt sind wir im Begriff, das Waisenhaus an der Fabryczna und das Altersheim zu übernehmen. H. G o l d b e r g : 90–95 Prozent der Bevölkerung sind schon untergebracht worden, die Arbeit stößt auf gewisse Schwierigkeiten. H. G o l d f a r b : Die Arbeit der Bautechnischen Abteilung ist auf Kommissionen verteilt worden, es gibt hier einen ständigen Bereitschaftsdienst von Ingenieuren, die Meldungen für Arbeit annehmen. Im Spital an der Jurowcer25 Gasse 7 haben wir viel Arbeit schon gemacht. H. M e l n i c k i : Bis jetzt ist auf dem Gebiet der Industrie gar nichts getan worden. Man muss sich darum interessieren, jüdische Arbeiter in den Fabriken zu beschäftigen. H . J . M a r k u s schlägt vor, Arbeitsabteilungen von 25–30 Personen zu organisieren.26 Innerhalb von 24 Stunden soll die Polizei Listen der Personen aufstellen.
19
[6] Protokoll [2] der Sitzung der Abteilungsleiter beim Judenrat am 23.8.1941 A n w e s e n d w a r e n : Obmann Rabbiner Dr. Rozenman, HH. Ing. Barasz, Epsztejn, Finkel, Goldberg, Glikson, Horowic, Dr. Holenderski, Dr. Kacenelson, Dr. Kopelman, Dr. Kapłan, Lifszic, Limon, Markus, Melnicki, Nowik, Polonski, Peciner, Subotnik, Szwif. Das Protokoll der Sitzung vom 20. d. M. wird verlesen. 23 24 25 26
Betrieb für Chemikalien aus der Zeit der sowjetischen Besetzung. Polnisch Cze˛stochowska. Polnisch Jurowiecka. Vgl. Meldung 159.
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Es wird festgestellt, dass die Wohnungsabteilung die Wohnung[sfrage] für die Familie, welche die Garage belegt, noch nicht erledigt hat, weil den Bewohnern die vorgeschlagene Wohnung nicht gefällt. H . I n g . B a r a s z : Die Unterhandlungen mit dem Müllabfuhrunternehmer stehen kurz davor, mit Erfolg beendet zu werden. Bei der deutschen Behörde sind Bemühungen wegen der Approvisation für das Ghetto gemacht worden. Die Kreisbauernabteilung hat versprochen zu erlauben, im laufenden Monat 1 Pfund Kartoffeln pro Tag auf jede Person ins Ghetto einzuführen, d.h. 48-tausend Pfund Kartoffeln pro Tag oder 13.000 Zentner im Monat. Nach diesem Monat wird das Amt selbst Nahrung für die jüdische Bevölkerung verteilen. Arbeitende Juden werden 300g Brot pro Tag bekommen wie auch Fleisch und Fett in einem bestimmten Quantum. Bezüglich der weggeholten Juden hat H. Ing. Barasz von der Behörde die Zusage bekommen, sie werde sich bemühen, die Fachleute zurückzubringen, weil sie hier am Ort nützlich sein werden – auch Jugendliche und Ältere. Zu diesem Zweck wird beschlossen, die Hausverwalter aufzufordern, bis Dienstag eine Liste der Weggeholten, ihres Alters und Berufs, zuzustellen. Wegen der strengen Forderung des Polizeipräsidiums, 20 Maler und 10 Maurer zu stellen, die nicht gern zur Arbeit gehen, weil sie zu Hause beschäftigt sind, wird nach einer kurzen Diskussion beschlossen, diese Fachleute mit Hilfe des jüdischen Ordnungsdienstes für die Arbeit zu stellen. Nach einer kurzen Diskussion mit der Beteiligung der HH. Barasz, Goldberg, Szwif und Markus wird der Vorschlag von H. Barasz angenommen: Beim Judenrat ein Adressenbüro zu organisieren und für die Organisation H. Gutman zu kooptieren. D r. K a c e n e l s o n referiert über die schlechte Verpflegungssituation in den jüdischen Spitälern, die in der letzten Zeit auch mehr als 200 Waisen betreuen, und schlägt vor: (a) Die Spitäler von der Betreuung der Waisen zu befreien und (b) die Spitäler mit Nahrung zu versorgen. Es wird vorgeschlagen, dass die Vertreter der Gesundheitsabteilung ein genaues Memorandum über die Approvisation der Spitäler abliefern sollen; der Judenrat soll es beim Kreisbauernamt verwenden. D r. K a c e n e l s o n schlägt weiter vor, man solle auf einmal die Medikamentenmenge der jüdischen Apotheken aufkaufen und entsprechende Preise festsetzen, die es ermöglichen sollen, wieder die nötigen Medikamente zu kaufen. D r. K a c e n e l s o n schlägt vor, die Preise der medizinischen Hilfe in den Institutionen, wo die Preise zu niedrig sind, und für Privatvisiten von Doktoren, die oft übertrieben hoch sind, zu regeln. Nach einer Diskussion mit der Beteiligung der HH. Dr. Kopelman, Melnicki, Szwif, Peciner und Barasz wird eine spezielle Übereinkunft beschlossen, die Preise in den Institutionen zu erhöhen und Sanktionen gegen jene Doktoren zu ergreifen, die bei ihren Forderungen für Privatvisiten übertreiben. H . B a r a s z berichtet über 2 Briefe des Oberbürgermeisters. In dem einen vom 22-ten auf die Bitte des Judenrats vom 7/8, für die jüdische Bevölkerung Lebensmittel zuzuteilen, wobei auch auf die Gefahr einer Epidemie wegen
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Hungers hingewiesen wird, antwortet der Oberbürgermeister, es sei ein genügendes Quantum an Lebensmittelprodukten im Ghetto festgestellt worden und die Gefahr einer Epidemie sei viel mehr wegen des Schmutzes in den jüdischen Wohnungen [gegeben]. – Im zweiten Brief fordert der Oberbürgermeister, von der jüdischen Bevölkerung für die Instandstellung der Wohnungen, welche die Juden außerhalb des Ghettos haben verlassen müssen, 10 (zehn) Millionen Rubel aufzubringen.
[7] Protokoll Num. [5] der Sitzung des Judenrats am 24-ten August 1941 A n w e s e n d w a r e n : Obmann Dr. Rozenman, HH. Ing. Barasz, Goldberg, Goldfarb, Glikson27, Dr. Holenderski, Sz. Lifszic, J. Lifszic, Nowik, Melnicki, Peciner, Horowic, Punia´n ski, Liman, Finkl28, Subotnik, Dr. Segal, Polonski, Furman, P. Kapłan und Szwif. Doktoren: Kacenelson, Kapłan, Kerszman, Kopelman. Vorsitz: H. Dr. Rozenman. Der Vorsitzer verliest 2 Briefe des Oberbürgermeisters, die der Judenrat am 23-ten d. M. bekommen hat. Im ersten Brief lehnt der Bürgermeister die Bitte des Judenrats vom 7-ten d. M. betr. Zuteilung von Nahrungsmitteln für die jüdische Bevölkerung ab. Der Bürgermeister begründet seine Ablehnung damit, dass entgegen der Behauptung des Judenrats im Ghetto genügend Lebensmittel sein sollen und die Gefahr einer Epidemie nicht vom Hunger kommt, sondern wegen der Unreinlichkeit in den jüdischen Häusern. Im 2-ten Brief fordert der Oberbürgermeister 10 Millionen Rubel, um die Häuser außerhalb des Ghettos in Ordnung zu bringen, die Juden haben verlassen müssen. Der Vorsitzer liest dann das Memorandum vor, welches das Präsidium dem Oberbürgermeister und dem Oberpräsidenten zuzustellen beabsichtigt. H . I n g . B a r a s z fügt hinzu, dass auch die Polizei auf Grund der letzten Besuche in den jüdischen Häusern bestätigen kann, dass es im Ghetto kein Geld gibt.29 Nach einem kurzen Meinungsaustausch über den Text des Memorandums wird dieser mit k l e i n e n Ve r b e s s e r u n g e n a n g e n o m m e n . H . S u b o t n i k referiert über die traurige Finanzsituation des Judenrats und über den Bedarf an großen finanziellen Mitteln. Er wendet sich mit einem heißen Appell an die Anwesenden, sie möchten mitwirken, dass in der Zwischenzeit die Dinge und Stoffe beschaffen werden, die bis zum 25-ten und 26-ten d. M. benötigt werden. 27
28 29
Im jiddischen Text findet sich hier der Name Gliksman, doch wird es sich um eine Verschreibung handeln, und der Name ist wie sonst überall als Glikson zu lesen (so auch die hebräische Übersetzung). Vgl. oben Anm. 20. Über Hausdurchsuchungen vgl. Meldung 55.
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H . I n g . B a r a s z berichtet über die Notwendigkeit, für den Judenrat bis morgen 4 schöne Teppiche zu beschaffen. Die HH. Doktoren Kacenelson, Kerszman und Kapłan schenken auf der Stelle ihre schönsten Teppiche, was von den Versammelten mit großer Befriedigung aufgenommen wird.
[8] Protokoll [6] der Sitzung des Judenrats 28.8.1941 27
29
A n w e s e n d w a r e n : Obmann Rabbiner Dr. Rozenman, HH. Ing. Barasz, Goldfarb, Glikson, Holenderski, Horowic, J. Lifszic, Liman, Sz. Lifszic, Nowik, Subotnik, Szwif, Dr. Segal, Furman, Finkel, Polonski, Punia´n ski, Peciner, Kapłan, Dr. Kacenelson, Dr. Kopelman, Dr. Kapłan, Rubinsztejn. Vo r s i t z e r H . I n g . B a r a s z berichtet, dass die höchste Behörde die Berechtigung der Argumente in unserem Memorandum anerkannt und den Kontributionserlass (10 Millionen Rubel) aufgehoben hat. Weiter macht Ing. Barasz darauf aufmerksam, dass wir vor der Gefahr verschiedener Erlasse stehen, wie Einstellen der Approvisation des Ghettos, in welcher Form auch immer; so hat man inzwischen die Zusicherung, Kartoffeln zu geben, zurückgenommen, man sagt aber Gemüse zu. Es scheint, dass die Approvisation nur für Arbeitende bestimmt werden soll. H . I n g . B a r a s z berichtet weiter, dass die Vertreter des Judenrats erst ab morgen von neuem über die Approvisationsangelegenheiten verhandeln werden. Es steht auch bevor, dass man die nichtqualifizierten Männer zur Arbeit hinausbringt. – Überhaupt ist es nötig, für die wichtigen jüdischen Interessen auf der Wache zu stehen, und dazu sind auch große Geldmittel nötig. H . B . S u b o t n i k referiert über die Notwendigkeit, ein Budget zu schaffen, das den Aufgaben des Judenrats entsprechen soll. Der Referent weist auf die Einnahmen hin, die aus dem Wohnungsgeld [und] aus Bezahlungen für Scheine und andere Dokumente fließen können. Der Referent schlägt vor, zunächst ein außergewöhnliches Budget zu schaffen, das von der einmaligen Kopfsteuer aufgestellt werden soll, wobei zu beachten ist, dass für die laufenden außergewöhnlichen Ausgaben des Judenrats und um seine schon entstandenen Schulden zu decken eine Summe von ungefähr 1½ Millionen Rubel nötig ist. Auf die Bemerkung von H. Gutman, man solle die Notwendigkeit beachten, die Ärmsten und in erster Linie die Familien der weggeholten Familienernährer zu unterstützen, bemerkt Ing. Barasz, das alles werde bedacht werden, wenn das gewöhnliche Budget behandelt werde. Nach einer kurzen Diskussion, an der sich die HH. Szwif, Dr. Kapłan und Dr. Kopelman beteiligen, wird der Vorschlag von H. Goldberg angenommen, für diesen Zweck eine Kommission zu wählen. Es werden in die Budgetkommission gewählt: H H . G o l d b e r g , G o l d f a r b , M e l n i c k i , S u b o t n i k , D r. S e g a l u n d P u n i a ´n s k i .
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H . J a k o w L i f s z i c stellt eine Anfrage, ob die Gerüchte, die von Mitgliedern des Judenrats stammen sollen, wahr sind, dass aufs Neue das Aufgreifen von jüdischen Männern und das Wegschicken zur Arbeit droht, was die Einwohner des Ghettos stark beunruhigt. H. Ing. Barasz meldet, dass die Angelegenheit absolut nicht aktuell ist; es ist höchstens ein ferner Plan, den die Behörde bei der Gelegenheit ausgesprochen hat, als eine der delegierten Frauen unvorsichtig und zu Unrecht bemerkt hat, man hätte ihre Männer, die eine längere Zeit arbeiten, gegen andere Juden austauschen müssen. Weiter meldet H . I n g . B a r a s z , dass der Judenrat sich daran macht, in Verständigung mit der Behörde das Schulwesen zu organisieren, und erteilt in der Sache das Wort an H. P. Kapłan. H . P. K a p ła n berichtet in Kürze, dass eine Schulkommission geschaffen [und] eine Registrierung von Kindern im Schulalter und von Lehrern angeordnet worden ist. Die Geräte der chemischen und physikalischen Schulkabinette im Ghetto sind eingesammelt und an einen Ort gebracht worden (ins Lokal des Judenrats). Es sind allgemeine und Fachschulen projektiert. Jetzt ist die Reihe an entsprechenden Lokalen, die der Judenrat der Schulkommission zur Verfügung stellen soll. H . I n g . B a r a s z fügt hinzu, dass man sich abgesehen vom Lokal an der Fabryczna 39 bemühen wird, die Häuser an der Neuwelt30 und an der Ogrodowa 2 zu bekommen. H . F i n k l referiert über die Errungenschaften auf dem Gebiet der Industrie: 1. Es ist gelungen, eine Möbelfabrik für 250 Arbeiter zu eröffnen, es arbeiten schon 57 Handwerker. 2. Es ist eine Schneiderwerkstatt eröffnet worden, es arbeiten schon 22 Schneider, [und] es werden noch weitere 20 Schneider arbeiten können. Die Stoffe für die Schneider werden aus der Textilfabrik im Ghetto genommen werden. 3. Es ist eine Werkstatt für Mützenherstellung eröffnet worden. 4. Es ist »Chimtrud für chemische Erzeugnisse«31 in Betrieb genommen worden. Es arbeiten dort schon 33 Arbeiter. Auch Farbers Chemische Fabrik ist jetzt an den Judenrat übergegangen. 5. Es gibt den Vorschlag, sagt H. Finkl weiter, die Schuhfabrik von der Roz˙aner32/ Gasse an die Kupiecka zu verlegen, was ermöglichen wird, einige hundert Schuster zu beschäftigen, ebenso Tapezierer und Tapezierwerkstätten. 6. Die Wasserfabrik33 wird zu arbeiten beginnen können, wenn die Lokatare das Lokal verlassen werden. 7. Es ist eine Sortiererei projektiert, die 100 Menschen beschäftigen wird. 8. Gleichzeitig ist eine Kofferfabrik projektiert.34 30 31 32 33 34
´ Polnisch Nowy Swiat. Vgl. Protokoll 5 mit Anm. 23. Polnisch Róz˙a´nska. Vgl. Protokoll 5. Vgl. Meldung 57.
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Alle Bedürfisse der Industrie deckt die Behörde sehr gern. H . I n g . B a r a s z meldet, dass er bei der Behörde die Angelegenheit S t a r o s i e l c e klären wird.35 Was das Gehen von Juden auf den Trottoirs betrifft, gibt es keine öffentliche Verordnung, dass Juden [dort] nicht gehen sollen, auch die Fälle, dass man Juden deswegen geschlagen hat, sind seltene und individuelle Fälle.
[9] Protokoll Num. 3 [7] der Sitzung des Judenrats vom 12/9 1941 33
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A n w e s e n d w a r e n : Obmann Rabbiner Dr. Rozenman, HH. Barasz, Goldberg, Goldfarb, Horowic, Sz. Lifszic, J. Lifszic, Liman, Peciner, Polonski, Dr. Segal, P. Kapłan, Dr. Kapłan, Dr. Kopelman, Rubinsztejn, Szwif. R a b b i n e r D r. R o z e n m a n eröffnet die Sitzung. Macht aufmerksam auf den Ernst des Moments, wenn eine Evakuierung der jüdischen Bevölkerung aus Białystok bevorsteht, bemerkt gleichzeitig, man solle nicht in Verzweiflung fallen, sondern sich in Hoffnung stärken, und erteilt das Wort H. Ing. Barasz. H . I n g . B a r a s z hat den Eindruck, dass man die ganze jüdische Bevölkerung von Białystok zu evakuieren beabsichtigt.36 Das Projekt, die Evakuierten mit Fuhr[werken] wegzuführen, entfällt; die deutsche Behörde glaubt, dass es mit Fuhr[werken] nicht gelingen wird, wenn sie in Betracht zieht, dass dabei Kinder und schwache Menschen sein werden, für die eine längere und beschwerliche Reise gefährlich sein wird. Die Evakuierung soll mit Autos durchgeführt werden, man soll weiches Gepäck und auch etwas Nahrung mitnehmen können. Wir gehen – sagt H. Ing. Barasz weiter – in 2 Richtungen: 1. Dass der Erlass aufgehoben oder abgeschwächt werden soll. 2. Organisieren der Evakuierung. H. Ing. Barasz verliest den Brief der Zivilverwaltung betr. Art und Weise der Evakuierung, in dem betont wird, dass die Listen jeden Tag mit 1.000 Personen zugestellt werden müssen, familienweise und in der ersten Reihe ungelernte Arbeiter und unbeschäftigte Personen. Nach einer längeren Erörterung, an der die Herren Barasz, Dr. Kopelman, Rubinsztejn teilnehmen, w i r d b e s c h l o s s e n : a . D i e L i s t e n n a c h d e m A l p h a b e t a u f s t e l l e n . b . A u f d i e L i s t e n n i c h t d i e P e rsonen setzen, die in der zweiten Reihe evakuiert werden sollen. Nach einer längeren Diskussion wird erklärt, dass auf die ersten Listen keine im Judenrat registrierte F a c h l e u t e u n d H a n d w e r k e r kommen,/ die mit einem russischen, polnischen oder deutschen Schein nachweisen können, dass sie Fachleute sind. A u f d i e L i s t e k o m m e n , i n d e r e r s t e n 35 36
Betr. Starosielce vgl. Protokoll 19, Meldung 292, 402. Vgl. Meldung 102, 135.
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Reihe, auch nicht Mitglieder und Angestellte des Judenr a t s , d e s O r d n u n g s d i e n s t e s u n d d e r F e u e r w e h r. Dabei wird erklärt, dass zur Familie auch Eltern, nicht verheiratete Kinder und die nahen Verwandten gehören, die vom Familienernährer unterhalten werden. Alle Zweifel, die auftauchen werden, wird die Evidenzkommission entscheiden. E s w i r d e i n e E v i d e n z k o m m i s s i o n g e s c h a f f e n , in welche die H H . J . L i f s z i c , L i m a n u n d G l i k s o n gehen. Auf Vorschlag von H. Ing. Barasz wird beschlossen, nach Verständigung mit dem Polizeipräsidium die HH. Ing. Barasz und Liman zum Judenrat in Pruz˙any abzuordnen, um Wohnungen, Etappen auf dem Weg, Küchen u.a. zu organisieren.
35
[10] Protokoll Num. 4 [8] der Sitzung des Judenrats am 18-ten September 1941 Vorsitzer: Rabbiner Dr. Rozenman. (Habe von der Sitzung mitten in der Sitzung erfahren)37 … Frau Dr. Segal protestiert gegen die Ordnung in der Angelegenheit Evakuierung, sie fordert: 1. Mehr Beamte beschäftigen und nicht bei Nacht arbeiten, umso mehr als die Behörde selbst darauf hingewiesen hat, dass man zu dem Zweck mehr Menschen wird aufbieten müssen. 2. Die Informationen werden in einer schlechten Form herausgegeben und enervieren die unglückliche Bevölkerung. 3. Es muss angeordnet werden, dass jeder seinen Namen auf der Liste kontrollieren können soll, weil unsere Fehler es mit sich bringen, dass ausgerechnet die besseren Menschen weggeschickt werden, und die Behörde fordert doch nicht, ein bestimmtes Kontingent von Juden zu evakuieren. D r. K o p e l m a n bemerkt, man müsse mehr Herz haben und auf die Intelligenz achtgeben. H . G o l d b e r g sagt, es stimme nicht mit der Wirklichkeit überein, dass man nicht alles tue, was zugunsten der Bevölkerung möglich sei. D r. K e r s z m a n fordert, der Intelligenz und dem Mittelstand mehr Beachtung zu schenken. Er bittet um eine Aufklärung über den Konflikt zwischen der Feuerwehr und der Miliz. Es entwickelt sich eine Diskussion, an der sich die HH. Szwif, Goldberg, Melnicki beteiligen. H . P u n i a ´n s k i weist auf Fehler hin, die in die Listen hineingeraten, zum Beispiel wegen der Buchstaben »A«, »H«, »C«, »CZ« u.a. Er schlägt vor, man solle eine Kartothek von allerlei Privilegien schaffen. Eine Kommission soll einberufen werden, welche die Listen durchsehen, die Fehler berichtigen [und] 37
Das Protokoll ist deshalb nicht vollständig, sondern fängt mitten drin an.
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diejenigen neu melden soll, die sich der Ghettobedingungen wegen getrennt von ihren Familien haben melden müssen. H . S z w i f stimmt H. Punia´n ski zu, schlägt vor, eine Kommission zu schaffen, die in Ausnahmefällen neu melden können soll. Gewünscht ist dafür eine Pause in der Arbeit der Listenzustellung – wenigsten für 3 Tage. Weiter schlägt er vor, für Familien zu intervenieren, die der Ghettobedingungen wegen auseinandergerissen worden sind. H . M e l n i c k i schlägt vor, alle Handwerker anzuerkennen. H . J a k o w L i f s z i c : Eine Kommission soll die Listen kontrollieren, bevor sie abgegeben werden, [und] auch ununterbrochen mit der Öffentlichkeit in Kontakt sein. Es wird eine Kommission gewählt, bestehend aus den HH.: Bubrik, Melnicki, Szwif. D r. H o r o w i c berichtet von einem Fall, wo die Miliz einen Schein über fachmännische Befähigung herausgegeben hat, obschon dies gegen den Beschluss des Judenrats ist.
[11] Protokoll Num. 6 [9] der Sitzung vom 20/9 1941
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(Aus mir unbekannten Gründen habe ich von der Sitzung mitten in den Beratungen erfahren)38 …. H . P u n i a ´n s k i weist auf die Fehler in den Listen hin und macht verschiedene Vorschläge. H . S z w i f fordert Aufklärung darüber, wer in all den Angelegenheiten und Zweifelsfällen entscheidet, und stellt die Vertrauensfrage. H . I n g . B a r a s z : Wir sind ohnmächtig gegenüber der Behörde. Wir haben die Sache besser organisieren wollen, dass keine Fehler vorkommen, man fordert aber, wir sollen die Listen 8 Uhr in der Früh zustellen, und wir können uns dem nicht entziehen. Inzwischen kommen Missbräuche vor, man stiehlt Listen, man macht Scheine. Vor den Hausverwaltern muss man die Tür schließen. Im Hinblick auf Informationen ist die Beamtenkommission organisiert. H . L i m a n : Es ist schwierig, Fehler zu vermeiden. Die Schuldigen hat man nicht gefunden. H . M e l n i c k i : Überhaupt ist die Kontrollkommission wichtig, ein in der Liste hinzugefügtes richtiges Wort kann manchmal eine ganze Familie retten. Aber intern lauert eine Hand, die Listen stiehlt (von der Industrie zum Beispiel hat man sogar Siegel abgerissen). Morgen werden wir einen Gruß von den Evakuierten haben, vom Verschickungsort. H . G o l d b e r g : Gestern hat man die Kommission reorganisiert, kein Mensch darf dort hinaufgehen, wo man die Listen aufstellt, nicht einmal H. 38
Vgl. Protokoll 10.
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Szwif. Ich habe zu ihm auch kein Vertrauen. Dass die Bevölkerung direkt kontrollieren können soll, ist schlechterdings unmöglich. H . S u b o t n i k macht darauf aufmerksam, dass hunderte Menschen ununterbrochen wegen Informationen und mit Verbesserungen zu der Kommission kommen, und das stört in unzulässiger Weise bei der Arbeit. H . I n g . B a r a s z schlägt vor, H. Szwif solle seine Arbeit im 2-ten Stock fortführen, damit seine Klienten nicht bei der Arbeit stören. F r a u D r. S e g a l stellt seitens des Rates gegenüber H. Szwif die Vertrauensfrage. H . G o l d b e r g nimmt seine Worte gegenüber H. Szwif zurück. R a b b i n e r D r. R o z e n m a n erklärt, dass der Rat zu H. Szwif Vertrauen hat. H . B u b r i k erklärt, dass es vorgekommen ist, dass man vergessen hat, in die Evakuierungsliste eine Liste der Behörde einzutragen, wen man nicht evakuieren soll. Die Polizei hat deswegen ein Telephonogramm bekommen. Deshalb muss/ man alle Listen gut kontrollieren, bevor man sie abschickt. Gleichzeitig meldet er, dass die Evakuierten nicht mehr als 25 Pfund pro Person mitnehmen können. Auf Vorschlag von H. Liman wird beschlossen, bei k r a n k e n P e r s o n e n zu notieren, dass sie krank sind. Auf die Interpellation von H. Punia´n ski und die Erklärung von H. Subotnik hin, wie weit im jetzigen Moment Geldmittel zur Unterstützung der Evakuierten am Ort und in Pruz˙any nötig sind – w i r d b e s c h l o s s e n , d i e e i n malige Steuer mit ganzer Strenge zu erheben. H . S u b o t n i k referiert weiter, es sei nötig, die armen jüdischen Familien, die evakuiert werden, wie auch ein paar hundert Brandgeschädigte mit ein paar hundert Rubel und mit der nötigsten Wäsche zu versorgen. Es wird beschlossen, sich mit einem Aufruf an die Bevölkerung zu wenden, m a n m ö g e z u dem Zweck Bettzeug spenden, man möge Kleider und Wäs c h e s p e n d e n .39 Auf die Anfrage von H. Pejsach Kapłan hin, ob man bei der jetzigen Situation das Schulwesen weiterlaufen lassen solle, i s t b e s c h l o s s e n w o r d e n , d i e S c h u l e j a z u e r ö f f n e n . Zum Schluss wird bemerkt, dass in Białystok sich jetzt nicht mehr als 40.100 Juden befinden, weswegen es nötig ist, [dies] der Behörde zu melden.
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[12] Protokoll Num. 7 [10] der Sitzung des Judenrats am 24-ten September 1941 A n w e s e n d w a r e n : Obmann Rabbiner Dr. Rozenman, HH. Ing. Barasz, Goldberg, Dr. Holenderski, Sz. Lifszic, Liman, Melnicki, Markus, Nowik, 39
Vgl. etwa die Meldung 98 vom 13.9.1941.
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Subotnik, Dr. Segal, Peciner, Punia´n ski, Dr. Kacenelson, Kerszman und Rubinsztejn. H . I n g . B a r a s z teilt mit, dass das Memorandum wegen der 3-MillionenKontribution wie auch H. Ing. Barasz persönlich vom Stadtkommissar sehr schlecht aufgenommen worden sind. Aber im Schloss hat man ihn, wie es sich gebührt, empfangen und für morgen zugesagt, sich wegen der Angelegenheit mit dem Stadtkommissar zu verständigen. Für morgen früh (d.h. den 25.) ist wegen des Memorandums über die Evakuierung eine Audienz im Schloss festgesetzt. Es wird erklärt, dass es wegen Mangels an Mitteln unmöglich ist, die Forderung des Stadtkommissars zu erfüllen, sogleich eine Rate zu bezahlen. Der Stadtkommissar droht mit Zwangsmaßnahmen. Nach einem längeren Meinungsaustausch, an dem sich die HH. Ing. Barasz, Szwif, Dr. Rozenman, Punia´n ski, Rubinsztejn, P. Kapłan, Liman, Melnicki, Subotnik, Peciner, Markus beteiligen – wird beschlossen: E s s o l l a n g e o r d n e t w e r d e n , d a s s s o w o h l d i e Wo h n u n g e n a l s a u c h d a s Ve r m ö g e n d e r E v a k u i e r t e n a m Ta g i h r e r E v a k u i e r u n g d e r A u f s i c h t d e r N a c h b a r n u n d d e r e n Ve r a n t w o r t u n g ü b e r s c h r i e b e n u n d ü b e r g e g e b e n w e r d e n . J e d e n Ta g s o l l d e m J u d e n r a t a u c h e i n e L i s t e d e r We g g e s c h i c k t e n m i t i h r e r Adresse zugestellt werden. H . I n g . B a r a s z berichtet: Vonseiten der Behörde hat man ihm mitgeteilt, dass man in Pruz˙any anlässlich einer Durchsuchung bei den weggeschickten Białystokern viel Geld gefunden hat. Wie man mitgeteilt hat, hat man bei einer Frau 60-tausend Rubel gefunden, ein Kästchen Gold und in den Knöpfen des Mantels 20 Dollarstücke. Das wird vermutlich eine Warnung sein für andere. Weiter berichtet Ing. Barasz, dass im Magistrat Klagen eingehen, dass die Listen nicht ehrlich aufgestellt werden. Evakuierte in Pruz˙any haben sich beklagt, der Judenrat habe ihnen ihr Geld weggenommen und sie selbst weggeschickt. H . G o l d b e r g sagt, in der Angelegenheit herrsche kolossaler Protektionismus, es gebe Symptome von einem unsauberen Protektionismus, der nach Gefahr rieche. H. P. Kapłan schlägt vor, das Präsidium solle erlauben, anstelle von 8 Lehrern, die aus dem Schulwesen ausgetreten sind, 8 andere Lehrer einzustellen. H . G o l d b e r g bemerkt, dass die Lehrer doch überhaupt noch nicht arbeiten, es deshalb keinen Grund gibt, die vorgeschlagenen Lehrer einzustellen.
[13] Protokoll [11] der Sitzung des Judenrats vom 3/10 1941 49
Vorsitzer Rabbiner Dr. Rozenman, der Obmann, schlägt als Tagesordnung 3 Punkte vor: 1. Betreffs Evakuierung, 2. Betreffs Kontribution und 3. Verschiedene Angelegenheiten.
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H . P e c i n e r erklärt, dass, nachdem Gerüchte wegen Missbräuchen seitens von Beamten und seitens von Mitgliedern des Judenrats im Zusammenhang mit der Evakuierung umgehen, H. P. fordert, man solle die Reihen, von oben beginnend, säubern. H. Peciner will die Verantwortung für solche Machenschaften nicht tragen. H . I n g . B a r a s z erklärt, dass die Angelegenheit zu Punkt 3 behandelt werden wird. Dabei gibt H. Ing. Barasz eine Meldung weiter, dass i n d e r 2 - t e n Wo c h e d i e E v a k u i e r u n g e i n g e s t e l l t w e r d e n w i r d . H. Ing. Barasz meint, dass das von der Größe der bevorstehenden Winteraktion unter der jüdischen Bevölkerung in Białystok abhänge. (Zufriedenheitsäußerungen vonseiten der Beisitzenden). Die Winteraktion wird nicht in Geld, sondern in Sachen bestehen. Nach einem Meinungsaustausch über Form und Weg der Winteraktion, an dem sich die HH. Polonski, Szwif, Dr. Segal, Punia´n ski, Peciner, Dr. Kacnelson,40 J. Rubinsztejn, J. Lifszic, Markus, P. Kapłan beteiligen, ist beschlossen worden, dass die Aktion die Finanzkommission durchführen wird. Die HH. Furman, Szwif und Markus fügen hinzu, dass es hier eine Möglichkeit einer bedeutenden Winteraktion von Geld, Schmucksachen und Pelzen gibt. H . I n g . B a r a s z stellt die Frage, ob eine Unterbrechung der Evakuierung veröffentlicht werden soll. Die HH. Lifszic, Melnicki, Dr. Segal, P. Kapłan, Goldberg, Liman und Subotnik finden die Veröffentlichung für verfrüht, solange nicht ein Beschluss des Präsidiums vorliegt, die Sache zu melden.41 H . I n g . B a r a s z referiert über die Angelegenheit der Kontribution. Wir haben eine Liste von abgelieferten Sachen zugestellt, [nun] fordert man, die Preise aufzustellen. Insgesamt lässt sich das Problem nicht leicht rückgängig machen. D r. R o z e n m a n meint, man müsse in der Zwischenzeit einen Teil der Kontribution einzahlen. H . S u b o t n i k weist darauf hin, dass in allen okkupierten Gebieten eine solche Steuer bezahlt wird. Man darf dies aber nicht mit der großen Winteraktion verbinden. Auf die Anfrage, ob das Präsidium die Möglichkeit gehabt hat, wegen des peinlichen Zwischenfalls mit H. Goldberg zu intervenieren, meldet H. Barasz, dass sogleich nach dem Zwischenfall auf seine Intervention hin der Polizeipräsident gesagt hat, H. Goldberg werde sofort freigelassen werden. Zugleich hat der Polizeipräsident sofort verordnet, dass man jene Person nicht mehr ins Ghetto/ hineinlassen soll. Um 9.30 Uhr hat man Ing. Barasz ins Schloss gerufen, und der Polizeipräsident hat sich entschuldigt. Die Angelegenheit der Gebühr für Elektrizität und Wasser wird Mittwoch gelöst werden.
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Vgl. oben Anm. 14. Vgl. Meldung 135 vom 21. Oktober 1941.
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Zu Punkt 3 der Tagesordnung referiert Ing. Barasz, dass Gerüchte wegen Missbräuchen im Zusammenhang mit der Evakuierung umgehen. Es gibt Anklagen gegen Mitglieder des Rats selbst. Wenn ich konkrete Fakten haben werde, werde ich fordern, dass solche Mitarbeiter weggehen sollen. H. Ing. Barasz schlägt eine Bekanntmachung an die Öffentlichkeit vor, dass man jeden Fall von Gelderpressung melden soll und dass der Judenrat eine genaue Untersuchung machen und fordern wird, eventuell genommene Gelder zurückzugeben. H . G o l d b e r g berichtet Einzelheiten über den Umfang, den die Bestechung laut verschiedenen Gerüchten angenommen hat. Es wird beschlossen: 1. Wegen der Angelegenheit eine offizielle Meldung herausgeben.42 2. Die Kontrolle über die Anklagen wird dem Präsidium übertragen.
[14] Protokoll [12] der Sitzung des Judenrats am 19-ten Oktober 1941 53
Vorsitz: H. Ing. Barasz. D r. K a p ł a n ergreift das Wort in einer persönlichen Angelegenheit. Auf eine Verordnung des Judenrats hin hat der Advokatenrat Dr. Kapłan zu einer Erklärung aufgefordert, weil er wegen eines 10%-Zuschlags zur Elektrizitätsgebühr zugunsten des Judenrats mit einer Intervention bei der deutschen Behörde gedroht haben soll. H. Dr. Kapłan erklärt, dass die ganze Geschichte, er habe gedroht, nicht wahr ist, und er protestiert gegen eine solche Handlung. H . I n g . B a r a s z erklärt, dass das Präsidium es für nötig gefunden hat, die Meldung zu klären, die er deswegen bekommen hat. Man tritt auf die Tagesordnung ein: 1. Angelegenheit Evakuierung. 2. Kopfsteuer. 3. Gebühren für Elektrizität und Wasser. H . I n g . B a r a s z referiert: Zu Beginn hat man offiziell gemeldet, die Evakuierung sei beendet, nunmehr stellt man eine Bedingung: Wir sollen eine freiwillige Evakuierung von Flüchtlingen durchführen. Die Behörde wird täglich 100 Wegzugscheine, die zum Wegfahren verpflichten, herausgeben mit einer Drohung, die Zwangsevakuierung aufs Neue zu beginnen.43 Noch eine Bedingung: Die Juden sollen keine Einkäufe außerhalb des Ghettos machen, andernfalls werden sie weggeschickt werden. Auf die Fragen von Dr. Kacenelson und Dr. Kapłan, ob die freiwillige Evakuierung alle Fremden (Flüchtlinge) verpflichtet, und, wenn ja, was mit Kranken geschehen soll, erinnert H. Jakow Lifszic an die alte Verordnung der Behörde, laut der die Flüchtlinge nach Hause umkehren sollen. 42 43
Siehe Meldung 118. Vgl. Meldung 111, 115 und 122 (alle schon vor dem Datum des vorliegenden Protokolls herausgegeben).
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H . I n g . B a r a s z referiert über die Kopfsteuer. Die Steuer ist in allen okkupierten Gebieten eingeführt, lediglich Arier bezahlen die Hälfte. Wir müssen uns deshalb dem anpassen. Bezahlen mit Sachen wird die Lage nur erschweren, weil die Behörde solche Sachen fordert, die gar nicht aufzutreiben sind. Der Bürgermeister behält sowieso das Geld der jüdischen Arbeiter zurück. Wir werden die Listen über die eingeflossenen Summen fordern, und in der Zwischenzeit werden wir eine gewisse Summe auf dem Steuerkonto haben, und den Arbeitern werden wir den Rest von ihren Steuern bezahlen. Gleichzeitig muss man bei allen Bürgern die Kopfsteuer erheben. H . F u r m a n bemerkt inzwischen, dass man eine Reihe von Sachen bis morgen fordert. R a b b i n e r D r. R o z e n m a n fügt hinzu, dass wir eigentlich nicht für 48-t. Einwohner, sondern für 35-tausend bezahlen müssen, man wird auch den Wert der gelieferten Sachen verrechnen müssen. Für Arme werden die besser Vermögenden bezahlen müssen. H . S u b o t n i k schlägt vor, zu Sanktionen, Ermahnungen durch Miliz und zu Exekutionen44 zu greifen, die man auch hinsichtlich der einmaligen Steuer anwenden muss, welche die Vermögenden sehr schwach bezahlen. Für Elektrizität und Wasser müssen wir viel Geld zulegen: Für Arme, Evakuierte, für Lagerräume45 und sogar für einige Häuser außerhalb des Ghettos – muss der Judenrat bezahlen. H. Subotnik fordert, einen Beschluss über Sanktionen zu fassen. H . I n g . B a r a s z teilt mit, der Stadtkommissar habe das Memorandum wegen der Teuerung von Elektrizität und Wasser abgelehnt mit der Begründung, der Judenrat hetze damit gegen ihn, dass er sich an die höhere Behörde gegen die Verordnungen des Stadtkommissars wende. Für Mittwoch wird eine günstige Antwort von der höheren Behörde erwartet. H. Ing. Barasz schlägt vor, der Bevölkerung eine Meldung zu geben wegen der Notwendigkeit, alle Summen laut den erwähnten Paragraphen zu bezahlen. H . J . L i f s z i c schlägt eine Registrierung von Nähmaschinen vor, weil die Behörde [solche] in einer größeren Zahl fordert, in der Zeit, wo der größte Teil an Maschinen doch in den Artels oder in privaten Wohnungen außerhalb des Ghettos geblieben ist. Nach einem Meinungsaustausch mit der Beteiligung der HH. Furman, Szwif und Ing. Barasz wird für morgen Montag, 8 Uhr in der Früh, eine Versammlung von H. Szwif mit den Hausadministratoren wegen der Möbel der sowjetischen Bürger46 und der Evakuierten beschlossen, mit dem Zweck anzuordnen, dass dies in gebührender Ordnung an den Judenrat übergehen soll. An einer Diskussion in der Frage wegen der Arbeiter, die nicht pünktlich zur Arbeit kommen sollen, beteiligen sich die HH. Liman, Ing. Barasz, Lifszic J., Furman, die ihre Meinung über die Zweckmäßigkeit von öffentlichen Meldungen aussprechen. 44 45 46
D.h. Pfändungen. Wörtlich Basen. Vgl. Meldung 17.
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H . I n g . B a r a s z teilt mit, es gebe einen Vorschlag von H. Gutman wegen der Herausgabe einer wöchentlichen Zeitung, die über wichtige Angelegenheiten informieren soll, damit sich auch keine falschen Gerüchte und Tratschereien ausbreiten. H . B . S u b o t n i k : Um ein ständiges Budget zu schaffen, müssen wir ständige Einnahmen haben. Die Beamten zum Beispiel bekommen nicht einen Groschen, sie sind gute Bürger und arbeiten für die Bevölkerung gern, aber wir sind dennoch verpflichtet, sie zufriedenzustellen. Zu dem Zweck können Einnahmen aus dem Wohnungsgeld dienen. In Warschau sagt man, das Wohnungsgeld sei sehr teuer. H. Subotnik schlägt 1.50 R[ubel] vor für die ersten 3 Meter und dreimal soviel – für die übrigen Meter. Nach einer Diskussion wird beschlossen, dass die Finanzkommission am Dienstag dem Plenum des Judenrats einen Modus für das Wohnungsgeld zur Bestätigung vorlegen soll.
[15] 10. Protokoll [13] der Sitzung des Judenrats am 22-ten Oktober 1941 59
A n w e s e n d w a r e n : Obmann Rabbiner Dr. Rozenman, Ing. Barasz, Goldberg, Goldfarb, Horowic, Dr. Holenderski, J. Lifszic, Nowik, Subotnik, Polonski, Punia´n ski, Peciner, Dr. Segal, Dr. Kapłan, Dr. Kopelman, Dr. Kerszman, Dr. Kacenelson, P. Kapłan, Rubinsztejn, Szwif, Liman, Melnicki, Furman. H . I n g . B a r a s z [teilt mit] – dass die Angelegenheit betreffs Reduktion des Wasserpreises noch nicht geregelt ist. Inzwischen ist erreicht worden, dass man den Strom nicht abschalten wird, dafür hat der Judenrat noch einen halben Betrag einbezahlt. Morgen, den 23-ten, wird das Präsidium deswegen im Schloss sein. Weiter meldet H. Ing. Barasz, dass der Direktor der Sparkasse, bei dem er wegen der Überweisung des Betrags für jüdische Arbeit außerhalb des Ghettos an den Judenrat interveniert hat, vorgeschlagen hat, er möge sich über ihn schriftlich an den Stadtkommissar wenden. H . I n g . B a r a s z erzählt vom Bericht über die Tätigkeit des Judenrats, den das Präsidium dem SD zugestellt hat, der jetzt in einer höflichen Form Informationen über das Leben in Białystok in der Zeit der polnischen und sowjetischen Herrschaft fordert, das heißt: Vereine, Intelligenz (Advokaten, Doktoren, Lehrer usw.), Bibliotheken. H . B a r a s z beruhigt, dies habe rein wissenschaftliche Zwecke. Eine Abschrift des Berichts ist auch der Zivilbehörde zugestellt worden. Schließlich berichtet Ing. Barasz, dass die Zivilbehörde den Offizier daran gehindert hat, ins Ghetto zu kommen, der mit Gewaltmitteln gedroht hat, wenn man ihm nicht innerhalb einer Woche eine Reihe von Sachen (Maschinen, Möbel) liefern werde. Es wird der Brief der Zivilbehörde verlesen, dass die Evakuierung eingestellt worden ist unter der Bedingung, dass die Flüchtlinge von sich aus nach Hause
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zurückfahren, die Arbeiter regulär zur Arbeit kommen und – die Juden keine Einkäufe außerhalb des Ghettos machen.47 H . S u b o t n i k referiert über den Beschluss der Kommission wegen der Höhe des Wohnungsgeldes: B i s 3 M e t e r f ü r e i n e P e r s o n – 2 R u b e l p r o M e t e r. Vo n 3 M e t e r n a n – 7 R u b e l p r o M e t e r. F ü r We r k s t ä t t e n u n d H a n d e l s l o k a l e – 5 R u b e l p r o M e t e r. D r. K a p ł a n bemerkt, dass auch Doktorkabinette als Arbeitswerkstätten gerechnet werden. H . M e l n i c k i bemerkt, dass ein Unterschied sein muss zwischen besseren und schlechteren Wohnungen. – H. Furman schlägt ein Minimum von 5 Metern vor. H. Peciner hält [dafür], dass man für übrige 1-2 Meter nichts berechnen darf. H . P u n i an ´ s k i schlägt vor: 1.50 und 3 R. – Kopelman: 2 und 5 R. Dr. Kacenelson schlägt vor, die Beamten von der Bezahlung des Wohnungsgeldes zu befreien, weil sie kein Gehalt bekommen. H . S u b o t n i k antwortet allen Opponenten. Zum Vorschlag von Dr. Kacenelson sagt H. Subotnik, m a n w e r d e n a c h d e m A u f s t e l l e n e i n e s Budgets den Beamten ein Gehalt bezahlen. Mit Stimmenmehrheit wird der Vorschlag der Kommission über die Höhe des Wohnungsgeldes angenommen. H . I n g . B a r a s z referiert über das Faktum, dass in Białystok, legal und illegal, eine Immigration aus der Provinz stattfindet, wo die Situation eine schlimmere ist oder nicht sicher aussieht. H. Ing. Barasz sagt, dass unsere Gastfreundschaft zu einer Katastrophe für die ganze Bevölkerung zusammen mit den Flüchtlingen führen kann. Die Behörde will um jeden Preis die jüdische Bevölkerung verkleinern (Evakuierung Pruz˙any, freiwillige Evakuierung von Flüchtlingen). Es gibt aber Fälle, wie Tyktin,48 wo wir ihnen ein Asyl nicht ablehnen können. Nach Erörterung der Angelegenheit mit der Beteiligung der HH. Peciner, Szwif, Liman, Glikson, Ing. Barasz, J. Lifszic, P. Kapłan, Furman, Goldberg, Goldfarb, Subotnik, Nowik, Dr. Kacenelson – wird beschlossen, dass, weil Białystok sich in einer Periode der Evakuierung befindet, keine Rede von einer Vergrößerung der jüdischen Bevölkerung sein kann. Und nur in Ausnahmefällen, wie bei nahen Familienmitgliedern oder wie bei Tyktin, kann der Judenrat sich um Bewilligungen vonseiten der Behörde bemühen. Zum Schluss referiert Ing. Barasz, dass laut Informationen der Behörde jüdische Arbeiter begonnen haben, sich vor der Arbeit zu drücken. Die Behörde betrachtet dies als Sabotage. Dem Judenrat ist eine Liste von 90 Arbeitern übergeben worden, die sich nicht für den Flugplatz gemeldet haben.49 Solchen Arbeitern droht die Gefahr, erschossen50 oder zumindest evakuiert zu werden. 47 48 49 50
Vgl. Meldung 135. Polnisch Tykocin, ca. 20 km westlich von Białystok. Vgl. Meldung 121. Vgl. Meldung 136.
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H . L i m a n bemerkt, dass, wenn der Stadtkommissar den Arbeitern den Lohn nicht vorenthalten hätte, diese Erscheinung keinen Platz gehabt hätte. Vonseiten des Judenrats sind verschiedene Maßnahmen ergriffen worden wie Propaganda, Zwang durch die jüdische Miliz. Ein neuer Beschluss ist nicht gefasst worden.
[16] Protokoll [14] der Sitzung des Judenrats, Sabbat, den 1/11 1941 63
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Vorsitzer Obmann Rabbiner Dr. Rozenman eröffnet die Sitzung und macht auf die Gefahr aufmerksam, die der jüdischen Bevölkerung wegen der Schulden droht, die man bei uns einfordert. H. Ing. Barasz macht auf die ernste Lage aufmerksam, die wegen der Kopfund Wohnungssteuern geschaffen worden ist, zusammen 120 Rubel von jeder Person für 3 Monate, die der Stadtkommissar beim Judenrat einfordert. Das beträgt ungefähr 5 Millionen Rubel,51 die innerhalb von 2 Wochen bezahlt werden müssen, alle 3 Tage 700–800-tausend Rubel, und im Fall, dass nicht termingerecht bezahlt wird, droht die Einmischung der Gestapo. Die höhere Behörde, an die wir appellieren sollen, ist zufällig nicht in der Stadt anwesend. Es droht sogar die Gefahr, erschossen zu werden, zuallererst dem Judenrat und nachher der ganzen Bevölkerung. Der Judenrat wird nicht aufhören zu intervenieren, aber gleichzeitig und vor allem muss man das Geld beschaffen. H . J . L i f s z i c meint, man müsse sich bemühen, den Kommissar zu beschwichtigen und sein Vertrauen und gute Beziehungen zu den Juden zu gewinnen. Außerdem muss man wegen des Geldes sehen. H. Lifszic hält [dafür], dass man das Geld bei Juden finden wird, die in der letzten Zeit verdient haben. H . S u b o t n i k referiert über die Lage der Finanzen und schlägt ein Orientierungsmeeting in der »Linas Hacedek« für alle Beamten vor und macht darauf aufmerksam, dass Sanktionen nötig sind. Zu dem Zweck schlägt er auch vor, eine größere Kommission zu wählen, welche die Angelegenheit leiten soll. H . L i m o n meint, man müsse einen Bann ausrufen. H . K a p ł a n schlägt eine Reihe von Meetings vor. H . B a r a s z meint, die Informationen müsse man nach Branchen sammeln. Es wird eine Kommission mit den folgenden Personen gewählt: HH. Subotnik, Goldberg, Punia´n ski, Markus, Dr. Kopelman, Dr. Segal, Melnicki, Peciner, Liman, Dr. Kacenelson, Goldfarb. Schließlich wird beschlossen: 1. Einberufung eines Meetings der Beamten in der »Linas Hacedek«, Sonntag, den 2/11, damit diese danach die entstandene Lage unter/ der Bevölkerung bekannt machen. 2. Herausgeben einer entsprechenden Meldung. 3. Aufschub der Erhebung des Wohnungsgeldes. 51
Vgl. Meldung 116, 146.
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Vo r s i t z e r D r. R o z e n m a n teilt mit, dass sich im Saal gekommene Vertreter des Pruz˙aner Judenrats befinden, die HH. Goldsztejn und Szajn. Er heißt sie mit einem »bruchim habo’im« willkommen und erteilt das Wort H. Goldsztejn. H . G o l d s z t e j n : Am Anfang sind die Białystoker führungslos gewesen, jetzt ist aus ihnen eine Kommission von 8 Personen geschaffen worden. Sie bekommen von uns Tee mit Brot und Kartoffeln. Jetzt ist es nötig, auf den Winter hin Kartoffeln und Holz vorzubereiten, und Pruz˙any ist dazu nicht in der Lage. H . S z a j n : Alle Białystoker, 4.500 Personen, sind nach Pruz˙any gebracht worden, nicht in ein Dorf, wie man in Białystok gesagt hat. Pruz˙any gilt nur als eine Transitstation. Denn es liegt hart an der ukrainischen Grenze. Man fordert, sie weiterzuschicken. Wir haben deshalb 152 Personen wegschicken müssen. Ohne unsere Bemühungen wären sie einfach auf dem Feld geblieben. Uns ist es gelungen, sie bei Malcz anzuhalten. Leider hat man später alle Juden von Malcz nach Bereza weggeschickt. Wir haben uns bemüht, dass man die besseren Elemente nicht wegschickt. In Pruz˙any sind früher an die 4.000 Juden gewesen. Jetzt sind dort 12-tausend aus Kamene,52 aus Hajnówka, aus Narew, nicht bloß aus Białystok. Die Juden sind nackt gekommen, fast mit bloßen Hemden, insgesamt sind nach Pruz˙any Juden aus 30 Siedlungen gekommen. 50% sind krank angekommen. Den letzten Transport hat man schon nicht überprüft, das sind die ärmsten Weggeschickten gewesen – über 2.500 Personen leben von Unterstützung. Alle sind sie Białystoker. Von den 5.000 sind kaum 600–700 arbeitsfähig; die übrigen sind Alte, Kranke, Frauen, sogar schwangere, und Kinder. Diese Belastung ist für Pruz˙any einfach unerträglich. Keiner von den Flüchtlingen ist doch für das Leben vorbereitet, sie haben gar keine Vorräte. Man muss jetzt Vorräte machen für 1.000 Familien: Holz, Kartoffeln usw. Laut einer Verordnung der Behörde liefern die umliegenden Bauern Kartoffeln für die jüdische Bevölkerung, für die wir bezahlen. Weiter sind 6.000 Meter Holz nötig. Brot ist nötig, 2 Tonnen pro Tag. Es sind auch Baumaterialien nötig: Öfen, Scheiben, Betten, Materialien zum Reparieren von Kleidern. Für Wohnungsgeld müssen wir 18-tausend Mark bezahlen und Steuern – 9-tausend Mark im Monat. Insgesamt benötigen wir 370-tausend Mark. Wir haben zwei Kontributionen bezahlt. Wir haben eine starke Miliz organisiert, weil wir mit einer großen Prozentzahl von evakuierten Verbrechern rechnen. H . S z a j n wendet sich an den Rat um Hilfe für die Białystoker Evakuierten in Pruz˙any, da Pruz˙any die große Last in keiner Weise tragen kann. Es wird beschlossen, dass die weitere Unterhandlung mit den Vertretern von Pruz˙any das Präsidium führen soll.
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Polnisch Kamieniec (in Weißrussland gelegen).
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[17] Protokoll der [1.] Versammlung der Judenratsbeamten mit dem Judenrat an der Spitze im Saal der »Linas Hacedek« am 2/11 194253 67
Vorsitzer Rabbiner Dr. Rozenman eröffnet die Versammlung mit einer Erklärung, dass die Versammlung einberufen worden ist, um sich auf diese Weise mit dem ganzen Ghetto zu verständigen. Die jüdische Losung »Shma‘ Yisra‘el« erinnert an die Verantwortung des Einzelnen für die Allgemeinheit wie der Allgemeinheit für den Einzelnen. Wir müssen 5 Millionen Steuern haben, Kopfsteuern und Wohnungssteuer, alle ohne Ausnahme müssen bezahlen. Aber wir sollen mit Hoffnung in die Zukunft blicken: Es ist eine Zeit der Not für Israel, aber es wird daraus errettet werden.54 Das Wort ergreift H. Ing. E. Barasz: Sehr geehrte Versammlung! Im Lauf der letzten 4 Monate ist ein solches Maß noch nicht dagewesen. Was von uns getan worden ist, wird die Geschichte erzählen. Es hat noch keinen ruhigen Moment gegeben: Die Männer, Kontribution, Ghetto, Sachen, Evakuierung, Forderung von 10 Millionen. So weit als möglich sind Erleichterungen der Forderungen erreicht worden: statt 25 kg Gold – 6 kg, statt 5 Millionen – 2½ (zweieinhalb) Millionen, statt eines Ghettos im Viertel Chanajki55 – das heutige Ghetto. Die Zehnmillionenforderung ist annulliert worden. Nach Pruz˙any sind nicht mehr als 4.500 Personen evakuiert worden. Die Forderung, Listen der Intelligenz zuzustellen, ist aufgehoben worden. Das alles ist dank unserer guten Beziehungen zur Behörde nach großer und schwerer Mühe gelungen. Der Judenrat dient als Barriere und bewahrt das Ghetto vor all dem Bösen. Aber die Beziehung des Ghettos zum Judenrat ist nicht, wie es sich gehört. Es geht nicht um Dankbarkeit, wir tun alles aus dem Antrieb unseres Gewissens heraus. Aber Verfluchungen und Beschimpfungen haben wir doch nach allgemeiner Ansicht nicht verdient. Die Fehler, die vorkommen, bemühen wir uns zu korrigieren. Dann berichtet H. Barasz, dass laut der Forderung des Stadtkommissars der Judenrat alle 3 Tage, von Donnerstag, dem 6-ten d. M. an beginnend, bis zu 800 oder 700-tausend Rubel bezahlen muss. Wenn ein Termin versäumt wird, werden wir es mit »rücksichtslosen Mitteln der Gestapo« zu tun haben. – Nach Erläuterung der Lage endet H. Barasz: »Wenn wir der Forderung von A r b e i t u n d S t e u e r n nachkommen, werden wir unseres Lebens sicher sein, wenn nicht – lehnen wir die Verantwortung für das Leben des Ghettos ab. Gebe Gott, dass wir uns das zweite Mal alle treffen und keiner von uns fehle« – endet Ing. Barasz. 53 54 55
Irrtümlicherweise wurde das Datum mit 1942 statt mit 1941 angegeben. Vgl. Jeremia 30,7 (dort Jakob). Die Übersetzung »statt eines Ghettos im Viertel Chanajki« folgt dem Text der hebräischen Übersetzung, der jiddische Text ist verderbt.
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H . S u b o t n i k referiert über die Lage der Finanzen in allen Hinsichten. H. Subotnik bemerkt, dass auch Brandgeschädigte, arme Leute, Arbeiter außerhalb des Ghettos, die ihren Lohn nicht bekommen, auch Beamte, die wir auf unserem Gewissen haben, weil sie ohne Lohn arbeiten – alle sowohl die Steuern als auch für Elektrizität und Wasser bezahlen müssen. Da dies alles noch nicht die Hälfte der Forderungen decken wird (man fordert für 48-tausend Einwohner, und geblieben sind insgesamt 35-t.), wird man noch eine spezielle Steuer den Vermögenden auferlegen müssen. Wir werden die strengsten Sanktionen gegen die Widerspenstigen ergreifen, wie Arrest, Bann usw. H . S u b o t n i k appelliert an die Anwesenden, sie möchten den Ernst der Lage bedenken und dies weiter bekanntmachen. H. Goldberg berichtet, dass auf den ersten Appell bloß arme Leute reagiert haben; Vermögende – nicht. Jetzt gibt es Branchen, die gute Geschäfte machen: Fuhrmänner, Händler. Wir müssen bei den hochgekommenen Menschen beginnen. H . J . L i f s z i c : Bis jetzt, während 20 Jahren, ist es mir zugefallen, das jüdische Vermögen zu verteidigen, jetzt muss man das jüdische Leben verteidigen. Es muss ein Ende nehmen mit dem Luxus. Das ganze Geld muss man weggeben, aus dem Krieg das Leben zu retten, ist genug. Wir müssen auf alles verzichten, wenn wir nur das Leben retten. H . M a r k u s appelliert, man solle die Forderung der Behörde ausführen, er möchte nicht genötigt sein, Maßnahmen gegen die Widerspenstigen, zum Beispiel in Sachen Verdunkelung, Gassenhandel usw., zu ergreifen. H. Chmelnik zieht im Namen der Beamtenkommission die Listen der Vergünstigungen für die Beamten zurück, welche die Kommission in Übereinkunft mit den Beamten und mit dem Präsidium des Judenrats aufgestellt hat. Wegen der entstandenen Situation verzichten wir auf die Vergünstigungen, ungeachtet unserer materiellen Lage. Es wird der letzte Brief des Stadtkommissars wegen der Steuern verlesen. Der Vorsitzer Rab. Dr. Rozenman wendet sich mit einem Appell an die jüdischen Frauen, die nicht erst einmal in der Stunde der Gefahr das jüdische Volk gerettet haben, und bei einem guten Willen werden wir mit Gottes Hilfe die Sache durchführen.
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[18] Protokoll Num. 13 [15] der Sitzung des Rats am 8-ten November 1941 Vorsitzer H. Rabbiner Dr. R o z e n m a n eröffnet die Sitzung: Vorigen Sonntag haben wir eine Versammlung in der Frage von Steuern gehabt, heute werden wir einen Bericht über den Gang der Aktion geben, euch, der Barmherzige möge uns retten!, von einem neuen Erlass erzählen, der über uns schwebt. Aber hauptsächlich – haben wir euch wegen der Arbeiterfrage gerufen, die sich jetzt außergewöhnlich verschärft hat. Das Wort erhält H. Ing. Barasz.
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H . I n g . B a r a s z : Ich muss euch leider über ein noch größeres Unglück als die Kontribution berichten, wobei es nicht um eine Geldkontribution geht. Die Angst vor der Gestapo ist zwar geringer geworden, nachdem wir begonnen haben, die Steuern zu bezahlen. Den Wasserpreis hat man auf die Hälfte herabgesetzt. Die Elektrizitätsfrage ist noch nicht geregelt. Jetzt ist plötzlich ein neuer Erlass aufgetaucht. Wegen der Angst vor einer Epidemie will man das Ghetto völlig abschließen. Außerdem ist beschlossen worden, ein neues Ghetto für Fachleute zu machen, die an die 6-tausend zählen und die in die Gegend der B e m a [Gasse] umgesiedelt werden sollen. Dafür soll der ganze von der Jurowiecka Gasse an beginnende Teil des Ghettos an die Christen übergehen, an die man schon Zettel herausgeschickt hat. Vorläufig ist es uns gelungen, dass man mit dem Herausschicken von Zetteln an die Christen aufhört. Es ist ein zweites Projekt aufgetaucht, dass die Fachleute auf der andern Seite der Jurowiecka wohnen sollen. Man will aber durch die Ausgliederung der Jurowiecka Gasse aus dem Ghetto die Durchfahrt durch die Lipowa Gasse erleichtern. Es ist zu vermuten, dass daraus ein dritter Plan hervorgehen wird, wie man alle Białystoker Juden loswerden kann, die nicht zu den Fachleuten gehören. Die Gefahr ist groß, das ist ein großes Unglück. Wir bemühen uns auf der einen Seite um Erleichterung, auf der andern – um Verzögerung. Aber die heutige Beratung hat eine ganz andere Angelegenheit zum Gegenstand, eine nicht weniger gefährliche als die Kontribution. Die Behörde schüttet auf uns Pech und Schwefel wegen der Arbeiter. Alle sind sie aufgebracht gegen uns. Es droht eine konkrete Gefahr: Peitschenhiebe und Todesstrafe für Arbeiter, welche die auferlegten Pflichten nicht erfüllen. F r. H o r o w i c verliest in der Angelegenheit den Brief des Polizeipräsidiums. H . L i f s z i c schlägt vor, wir sollten uns bemühen, dass alle Scheine sich unter u n s e r e r K o n t r o l l e befinden und dass eine Kommission geschaffen wird, die Statuten ausarbeiten soll, die auch der Behörde zugestellt werden sollen. Dies soll bis morgen geschehen. – Das Einführen von Lebensmitteln bringt mehr Schaden als Nutzen. D r. K e r s z m a n bemerkt, es seien Fälle von Diebstahl durch jüdische Arbeiter vorgekommen und dies habe die Beziehungen zu ihnen verschlechtert. H . I n g . B a r a s z fügt hinzu: Alle Arbeiter werden von jetzt an ihren Lohn am Ort bekommen. Wegen der auf das Sparkonto einbezahlten Gelder – wird man sich wahrscheinlich auch streiten. Der R a b b i n e r bemerkt, das Bekommen von Lohn werde die Arbeiterfrage teilweise lösen. – Man braucht auch 40 Paar Stiefel für die Arbeiter in K r y w l a n y, sie arbeiten unter schlechten Bedingungen. Doch muss sich eine spezielle Kommission mit der Angelegenheit beschäftigen, man muss Mittel finden nach der Losung: »Stopfe die Mäuler unserer Feinde und Ankläger.«56 56
Der von Rabbiner Rozenman hebräisch zitierte Satz (stom piyot mastinenu umeqatrigenu) stammt aus dem Avinu-Malkenu-Bittgebet des Morgengottesdienstes: »Unser Vater, unser König, stopfe …«
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D r. K e r s z m a n schlägt eine allgemeine Versammlung für morgen vor, so wie vor acht Tagen. H . I n g . B a r a s z schlägt für die Versammlung die Beamten und die Bevölkerung vor. Auf H. Gutmans Frage, ob man nicht durch die Hausverwalter auch lokale Versammlungen in allen Höfen machen soll, bemerkt H. Ing. Barasz, dass in unserer Abwesenheit dies auch einmal schaden kann. Es wird beschlossen: (a) Eine Versammlung Sonntag früh 11 Uhr.57 (b) Es wird eine Arbeiterkommission gewählt: HH. Liman, Melnicki, Polonski, Szwif. H . G o l d b e r g schlägt vor, man solle morgen auf der Versammlung die Angelegenheit der Steuern mit der Arbeiterfrage verbinden. H . S u b o t n i k gibt einen Bericht über die Lage der Finanzen: Das Meeting vor acht Tagen hat hinsichtlich der Kopfsteuer, die man früher schlecht bezahlt hat, gute Resultate gebracht. Arbeiter, arme Leute haben bezahlt. Der größte Teil der Beamten hat es erledigt. Von der Kopfsteuer sind 800-tausend Rubel eingeflossen; von der Wohnungssteuer – 1 Million. Das Letztere ist dank guter Tätigkeit der Hausverwalter geschehen. Die individuelle Steuer fließt allgemein unbefriedigend ein, man arbeitet bis 2 in der Nacht. Inzwischen sind total 300-tausend Rubel eingeflossen. Die individuellen Zahler bezahlen ratenweise. Von unserer Seite aus sind Verhaftungen und Durchsuchungen vorgekommen. Ohne dies wird sich die Sache nicht vom Fleck rühren. Wir haben einbezahlt: Eine Rate von 400-tausend Rubel, eine Rate von 800-tausend Rubel und 50-tausend Rubel a conto der Pruz˙aner Vertreter. Die weiteren Raten werden schwierig ankommen. Von den 34-tausend Juden im Ghetto werden doch 10-tausend wegfallen, die nicht einmal etwas zu verkaufen haben. Das Schwierigste aber sind die individuellen Steuern. Es sind auf unserem Zettel 1.400 Menschen übriggeblieben, und ihnen muss man die größte Aufmerksamkeit schenken. H . L i f s z i c macht eine Rechnung auf, dass nach den bisherigen Einnahmen die Summen auf keinen Fall rechtzeitig einfließen werden. Er schlägt vor: P r u z˙ a n y und individuelle Listen. H. Goldberg stimmt der traurigen Rechnung von H. Lifszic zu, er steht den weiteren Raten skeptisch gegenüber. Die Doktoren haben gefeilscht, sind durchgekommen als Korporation, und danach feilscht jeder individuell, und am Ende fließt nicht einmal, wie erforderlich, die laut Abmachung zugesagte Summe ein. Inzwischen sind statt 280-tausend Rubel 63-tausend Rubel eingeflossen. Am heutigen Tag zum Beispiel sind 12-tausend Rubel statt 80-t. Rubel eingeflossen. H. Goldberg wirft auch dem Ratsmitglied H. Szmuel Lifszic vor, er habe noch nicht einen Groschen von den 25-tausend Rubel einbezahlt, die für ihn festgesetzt worden seien. Die Masse verkauft Kissen und bezahlt, die Vermögenden geben 57
Vgl. Meldung 152.
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nichts. Auch bei Doktoren muss man Durchsuchungen machen und verhaften. Anders werden die übrigen Raten nicht einfließen. Auf die Bemerkung von Dr. Segal, dass die Verhaftungen nicht wirken: Man muss sich mit den Deutschen verständigen, dass sie unerwünschte Elemente nach Pruz˙any wegschicken. H . I n g . B a r a s z meldet, dass Sonntag eine Gruppe nach Pruz˙any geht. Aber wir müssen dies im Voraus melden, weil inzwischen die Zahlungstermine anlaufen. H . P u n i a n´ s k i schlägt vor, man solle die Zimmerzahl vergrößern, um Interessenten in einer größeren Zahl als bisher aufzunehmen, statt 70 – 300 Menschen. Er bemerkt dabei, dass die Masse, die Halbschekel-Zahler, unsere Arbeit verstehen und mehr geben als die Individuellen. Nach einem Meinungsaustausch der HH. Kopelman, Peciner, Szwif, Melnicki, Furman, Lifszic resümiert Ing. Barasz – dass alle Anregungen in der Richtung einer intensiveren Arbeit der Kommission gehen, an der alle Mitglieder Anteil nehmen sollen. Die Doktoren-Mitglieder des Judenrats werden aufgefordert, morgen 4 Uhr teilzunehmen beim Erstellen eines Memorandums wegen des neuen Projekts, das Ghetto in 2 Teile aufzuteilen.
[19] Protokoll der [2.] Allgemeinen Versammlung in der »Linas Hacedek« am 9-ten November 1941 77
Der Vorsitzer Rabbiner Dr. Rozenman eröffnet die Versammlung und bemerkt, dass wie vor acht Tagen auch jetzt eine Situation geschaffen worden ist, die das Ghetto in große Gefahr bringt. Jetzt ist die A r b e i t e r frage verschärft worden. Am Anfang hat sich Białystok den Ruf einer arbeitswilligen [Stadt] erworben. Heute hat sich die Meinung über uns geändert, die Deutschen meinen, dass Juden nicht arbeiten wollen. Und das wird als Sabotage angesehen. Auch die neue Frage wegen des Ghettos hängt damit zusammen. Wir haben euch einberufen, damit ihr alles der ganzen Bevölkerung weitergebt. Ing. Barasz wird über die Angelegenheit genau referieren. H . I n g . B a r a s z : Unsere Versammlungen sind kein gutes Zeichen. Wir haben die Angelegenheit Kontribution noch nicht beendet – und wir haben schon einen neuen Erlass. Das ist die Arbeiterfrage. Was die Kontribution betrifft, so haben wir gewisse Erleichterungen erreicht. Die Wohnungssteuern werden künftig kleiner sein. Die Gebühr für Wasser ist auf die Hälfte reduziert worden. Für Elektrizität gibt es noch keine Entscheidung. Die Arbeiter werden nunmehr ihren Lohn auf die Hand [ausbezahlt] bekommen. Es ist auch möglich, dass man über Gelder auf der Bank die Arbeiter ausbezahlen wird. Wegen der Angelegenheit Kontribution werden andere Mitglieder referieren. H. Ing. Barasz bemerkt hierzu, dass beim Einziehen der Steuern die Haus-
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verwalter sich ausgezeichnet haben. Gut bezahlen die Armen. Die Vermögenden und die Intelligenz bezahlen sehr schlecht. Am Mittwoch müssen wir eine dritte Rate bezahlen. Inzwischen ist plötzlich, wie von hinten herum, ein neuer Erlass aufgetaucht. Es ist beschlossen worden, 2 Ghettos zu schaffen: Ein besonderes für Fachleute, die ungefähr 15-hundert Personen oder mit den Familien 6-tausend Personen zählen. Die Fachleute sollen in eine andere Gegend umziehen, in die Bema, Mazowiecka usw., und die Jurowiecka mit allen Gassen rechts von der Jurowiecka soll an Christen übergeben werden. Abgesehen von der Aufregung beim Suchen einer Wohnung [und] beim Umziehen wird es noch diese Konsequenzen geben: 1. Das Ghetto wird den besten und einen großen Teil mit den Spitälern, Schulen usw. verlieren. 2. Die Juden, die dableiben werden, werden als nicht nützliche Elemente angesehen werden, und das ist eine Gefahr. Wer weiß, ob alle unsere Bemühungen helfen werden, dass wenigstens die Jurowcer Gasse bei den Fachleuten bleiben wird. Wie gesagt, ist inzwischen unsere größte Sorge die Arbeiterfrage. Nach Pruz˙any haben viele Arbeiter aufgehört, zur Arbeit zu gehen, sogar zu Arbeit, die/ mit Landesverteidigung verbunden ist, wie Flugplatz. Gestern hat man auf der Sitzung im Schloss deswegen Pech und Schwefel auf uns geschüttet, so dass sogar die gemäßigten Elemente überzeugt worden sind, dass Juden keine Sympathie verdienen. H . I n g . B a r a s z verliest den Brief des Polizeipräsidiums, in dem Auspeitschen und sogar To d e s s t r a f e für Nicht-zur-Arbeit-erscheinen vorgesehen ist. Ing. Barasz meint, dies seien nicht bloß Drohungen, es werde durchgeführt werden, »damit sie es hören und sich fürchten«.58 Die Arbeitsfrage ist vielleicht die schwerste, weil wir kein Argument haben zu sagen, dass wir unter 35-tausend Juden keine 4–5-tausend Arbeiter haben. Unsere Pflicht ist es, euch zu warnen. Ihr müsst uns eine Möglichkeit geben, euch zu verteidigen. Gebt an die Bevölkerung diese Warnung weiter! H . S u b o t n i k referiert über den Gang der Kontributionsaktion. Auf das Konto der Kopfsteuer sind 50% eingezogen worden. Wohnungssteuer ist mehr eingeflossen. Aber die i n d i v i d u e l l e Steuer fließt sehr unbefriedigend ein. Es gibt sogar Fälle von Agitation gegen die Bezahlung, und man rühmt sich mit Nichtbezahlen. Man vergisst die Gefahr. Gegen die individuellen Zahler müssen weitere Repressionen angewandt werden. Ing. B a r a s z hat schon auf die Beziehung der Bevölkerung zum Judenrat aufmerksam gemacht. Sollte man uns mit dem Maßstab von Programmen der Menschen messen, die sich zum Beispiel zu Wahlen in ein Gemeindekomitee stellen, würde unsere Tätigkeit negativ aussehen. Wir haben keine Küchen für Hungrige organisiert, wir haben fast keine Hilfe der Masse der Brandgeschädigten gegeben, unsere sozialen Hilfsanstalten wie: Waisenhäuser, Altersheim, Spitäler sind zu wenige für unsere Zeiten, 100-tausend für Pruz˙any usw. sind 58
Hebräisch nach Deuteronomium 13,12; 17,13 und öfter.
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nicht genügend. Aber das ist doch nicht wegen unseres bösen Willens, wir durchleben doch alle Tage tiefere Tragödien. Wir können Notleidenden nicht helfen, und wir müssen alle Tage große Kontributionen tragen. Sogar die Angelegenheit der S t e l l e n in der Gemeinde ist auch eine Tragödie, alle wollen arbeiten, und wir wissen keinen Rat, wir haben keine Arbeit für die ganze Intelligenz. Wir werden glücklich sein, wenn wir euch einen Rechenschaftsbericht von unserer Tätigkeit geben können werden, wie wir bei euch das G e l d abgenommen und das L e b e n gerettet haben, wie wir die A r b e i t e r f r a g e geregelt haben, so dass man keine Angst haben muss, auf die Gasse hinauszugehen, da man [einen] aufgreifen könnte. Man greift [niemanden] mehr auf. Und man wird [niemanden] mehr aufgreifen, wenn man weiterhin von sich aus zur Arbeit gehen wird. Die Evakuierung hat aufgehört, und statt uns zu helfen, kritisiert man uns. Jetzt haben wir eine dritte Rate zu bezahlen – Mittwoch. Und man muss zu weiteren Sanktionen greifen, hauptsächlich gegen die i n d i v i d u e l l e n Steuerzahler: Arrest, Wegnehmen von Sachen und sogar – Pruz˙any. Richtet einen Dank aus an die, welche ihre Pflicht erfüllt haben, und erinnert zugleich die ganze Bevölkerung daran, dass die Erledigung der Steuern unsere und eure Pflicht ist. H . G o l d b e r g : Ich habe vorausgesehen, dass wir die größte Schwierigkeit mit den Vermögenden haben werden. Menschen wollen sich vom Vermögen nicht trennen, sie vergessen ihre Lebensgefahr. Nur nach Feilschen, Sanktionen und Rabatten kommen wir zu kleineren Resultaten. Einer hat [uns] sogar vorgeworfen, wir würden seine Milch trinken – das ist die Milch, die wir für Waisen, Alte und Kranke nehmen. Wir sind doch nur Exekutoren der deutschen Behörde. Wir haben gewisse Unterlagen von denen, die bezahlen können. Gebt uns die Informationen, die ihr habt. Das ist jedermanns Pflicht. Wer seine Informationen verheimlicht, begeht ein Verbrechen. Ein Jude, der sich beklagt hat, er habe nichts für Brot, hat nach Androhung von Arrest 18-tausend Rubel statt 15-tausend gegeben, die man vorher von ihm gefordert hat. Das ist die Summe gewesen, die er seinerzeit einem unserer Beamten als Bestechung gegen eine Wegschickung nach Pruz˙any vorgeschlagen hat, und der Beamte hat, natürlich, dies abgelehnt. Damit wir imstande sind, alle Tage die Raten zu bezahlen, müssen wir bei den Vermögenden nehmen. Aber die Intelligenz, wie die Doktoren, zahlen schlecht. Ich meine, dass die Masse die Lage versteht, wir wenden uns an die ganze jüdische Bevölkerung. Das muss jeden Sonntag getan werden. Die Widerspenstigen werden nach Pruz˙any weggeschickt werden müssen. H . L i m a n : ‘en rega‘ bli pega‘ [Kein Augenblick ohne Unglück].59 Früher – Steuern, heute die Arbeiterfrage. Ein großer Teil geht, anstatt zu arbeiten – handeln und sieht nicht die Gefahr, die uns lauert. Man muss nüchtern werden, sowohl bezüglich Steuern als auch bezüglich A r b e i t . Wir haben beschlossen, 59
Die (hebräische) Aussage gehört in einen größeren (pessimistischen) Zusammenhang »Kein … ohne …« und findet sich beim Rabbiner und Kabbalisten Jesaja ben Abraham Horowitz (Prag 1565–1630).
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Z w a n g s a r b e i t einzuführen. Man muss freiwillig kommen, nur die Leute kommen nicht. Ins Polizeipräsidium gelangen Listen von denen, die nicht zur Arbeit kommen. Ihr habt den Brief wegen Auspeitschung und Todesstrafe vorgelesen gehört. Wir appellieren an euch: Stellt euch alle wie e i n Mann zur Arbeit! Alle werden von jetzt an ihren Lohn am Ort bekommen. H . S o k o l s k i : Es gehen tagtäglich Klagen ein, dass sowohl Gruppen als auch einzelne Menschen Tage verstreichen lassen [und] nicht zur Arbeit kommen. Von 64 sind zum Beispiel 13 gekommen. In Starosielce fehlen auf 100 ununterbrochen 70–80 Personen. Menschen handeln, man macht Geschäfte. Die Kriegszeit erfordert es, sich ohne spitzfindige Diskussionen den Vorschriften zu unterwerfen. Diejenigen, welche sich nicht zur Arbeit stellen, werden schlussendlich vernichtet werden. Der Besitz eines Scheins hat keinen Wert. Wir schicken keine Menschen dahin, wo man geschlagen wird. Wir sind stets bereit, jedem nach seinem Beruf Arbeit zu geben. Allein darf man keine Arbeit mit einer anderen tauschen. Wir teilen hier unsere Beschlüsse hinsichtlich der Arbeiter mit: 1. Wir werden die Scheine allen Personen abnehmen, die sich nach 8.30 in der Früh im Ghetto befinden werden, und sie im deutschen Arbeitsamt abgeben. 2. Jeder Arbeiter, der von seinem Arbeitsplatz weg ins Ghetto nach Werkzeug usw. geschickt wird, muss bei sich eine Bescheinigung von seinem Arbeitsplatz haben, andernfalls wird ihm der Schein abgenommen werden. 3. Evakuierung nach Pruz˙any von allen, die sich systematisch von der Arbeit drücken. 4. Die Brigadiere sind persönlich für ihre Zahl Arbeiter verantwortlich. Jeder soll sich Rechenschaft ablegen über die Lage, und einer möge es dem andern mitteilen, damit wir die Gefahren vermeiden können. Rabbiner Dr. R o z e n m a n schließt die Sitzung mit dem Appell, jeder möge seinen Bekannten erklären, was sich ereignet, und dass wir den Fleck abwischen müssen, der auf uns gefallen ist, und dass anstatt der Gotteslästerung von unserer Seite die Heiligung des Namens sein soll.
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[20] Protokoll Num. 14 [16] der Sitzung des Judenrats am 22-ten November 1941 Vorsitzer: Rabbiner Dr. R o z e n m a n . H . I n g . B a r a s z gibt einen Bericht über die letzte Zeit, er sagt: Die wichtigste Neuigkeit der letzten Woche ist die lang erwartete gute Beziehung zum Stadtkommissar. Wir sind von ihm in der Woche dreimal empfangen worden – in einer freundlichen Weise. Als Resultat der Beratungen haben wir erreicht: (a) Eine Verlängerung der Zahlungstermine bis zum Ende des Jahres.
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(b) Anrechnung der Gelder von der Bank, die für die Arbeiter eingeschickt worden sind. (c) Die jüdische Bevölkerung ist auf 36-tausend Einwohner berechnet worden gegenüber 48-tausend, die beim Ausrechnen der Steuern berechnet worden sind. Hoffentlich werden alle Streitfragen zum Guten geregelt werden. Der Kommissar hat mit uns freundlich geredet und zugesagt, das Ghetto zu besuchen. Hauptsächlich interessiert er sich für die Betriebe. Jetzt wird eine Sattlerabteilung gegründet. Wir haben zugesagt, Muster zuzustellen. Die Grundsteuer ist von heute an bis auf weiteres auf 1 Mark statt auf 2 Mark festgesetzt worden. Die Entscheidung wegen der 2 Ghettos ist noch nicht erledigt. Unsere Taktik, inzwischen die Bema Gasse herauszubekommen, ist gelungen. Jetzt geht es noch um die Jurowiecka. Die Angelegenheit des Stellens von Arbeitern hat sich verschärft. Menschen stellen sich nicht zur Arbeit. Diese Woche sind sie zur Gestapo beordert worden. Sie sind schwer bestraft worden.60 Wir haben für nicht gewissenhaftes Erfüllen seiner Pflichten einen Beamten aus der Arbeitsabteilung entlassen.61 Jetzt steht die Frage der Prophylaxe gegen drohenden Flecktyphus an. Zu diesem Zweck schlagen wir vor, morgen, den 23-ten November, eine allgemeine Versammlung zu veranstalten. Über die Angelegenheit werden die Doktoren Holenderski, Zlotar und Bejlin referieren. I n g . B a r a s z referiert danach auch über die Hilfe für die Intelligenz, die sich inzwischen dafür ausspricht, eine K ü c h e zu gründen; die Form soll die der Selbsthilfe sein. Nach einer längeren Diskussion und einer Reihe von Vorschlägen der HH. Dr. Segal, Rubinsztejn, Szwif, Goldberg, Subotnik, Dr. Kopelman, Peciner, Ing. Barasz, Punia´n ski, Lifszic, Liman, Rabbiner Dr. Rozenman – werden folgende Beschlüsse gefasst: 1. Am 23. November wird eine allgemeine Versammlung stattfinden mit der Tagesordnung: (a) Bericht, (b) Flecktyphus. 2. Verantwortlichmachen der Hausadministratoren für den sanitären Zustand der Höfe, Häuser und Gassen in ihren Revieren. 3. Engagieren von P f ö r t n e r n , älteren Männern und Frauen für jedes Haus. 4. Möglichst baldige Beendigung des Baus der Badeanstalt.62 5. Organisieren einer Abteilung für Irre. 6. Gründen einer Gesundheitskommission. Die Zusammensetzung: Dr. Holenderski, Dr. Kapłan, Ing. Pape und Furman. 7. Gründen einer Selbsthilfe für die Intelligenz. 8. Kommission für Selbsthilfe: Dr. Segal, Dr. Kopelman, J. Lifszic. 9. Festlegen einer planmäßigen Kontrolle über den elektrischen Strom in allen Institutionen des Judenrats. 10. Reorganisieren des Arbeitsamtes durch das Präsidium. 60 61 62
Vgl. Meldung 157. Vgl. Meldung 160. Vgl. Meldung 107, 169, 245, 262.
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[21] Protokoll der [3-ten] Allgemeinen Versammlung in der »Linas Hacedek« am 23-ten November 1941 R a b b i n e r D r. R o z e n m a n eröffnet die Versammlung: Der Zweck der heutigen Versammlung: Durch die Versammelten der Bevölkerung einen Bericht über die Situation im Ghetto übermitteln und eine Anweisung der Spezialärzte über die Art und Weise, sich vor Flecktyphus zu schützen, der jetzt Białystok bedroht. Übrigens: Nicht die ganze Bevölkerung hält die Verdunkelungspflicht ein. Ich erinnere daran, dass es für Nichteinhalten der Vorschriften herbe Strafen geben wird. H . I n g . B a r a s z hat das Wort: An der heutigen Versammlung ist nichts über neue Erlasse zu melden, im Gegenteil, viele Erlasse sind abgeschwächt worden. So haben wir bis zum 21-ten d. M. 5 Millionen Rubel bezahlen müssen. Die Zeit ist kurz, die Armen bezahlen, wie es geht, die Vermögenden aber wollen nicht bezahlen. Jetzt ist uns der Termin verlängert worden bis Ende des Jahres. Die Zahl der Menschen ist von 48-tausend auf 36-tausend berechnet worden. Das neue Ghetto ist so gut wie geregelt. Es ist immer noch die Frage der Jurowiecka Gasse anhängig, das wird noch dauern, und ich hoffe, dass sie zu unseren Gunsten geregelt werden wird. Ganz schlecht steht es wegen der Schuld der Bevölkerung in der Arbeitsfrage. Menschen versäumen über Tage die Arbeit. Vergangene Woche sind 8 Personen sehr schwer bestraft worden. Man beordert noch 20 Personen zur Gestapo. Wir müssen unbarmherzig gegen die Arbeiter kämpfen, welche die Arbeit verlassen oder selber ihre Arbeit tauschen. Das ist eine Gefahr für das ganze Ghetto. Auch werden wir gegen die Starrköpfigen kämpfen, die keine Steuer bezahlen wollen. Gleichzeitig teilen wir mit, dass wir für moralisches Handeln im Judenrat kämpfen. Wir entfernen solche Menschen, die ihre Verpflichtungen nicht erfüllen, wie es sich gehört. Aber die Bevölkerung muss uns dabei mithelfen. Die jetzige Versammlung ist hauptsächlich der Verhütung von Flecktyphus gewidmet, der uns bevorsteht. Außerhalb des Ghettos sind schon 19 Fälle gewesen, und wenn er, Gott bewahre!, ins Ghetto eindringt, droht außer der Lebensgefahr für die Kranken und der Ansteckungsgefahr für die Gesunden die Gefahr der Schließung des Ghettos, so dass kein Fuß mehr hinein und hinaus kann. Spezialärzte werden euch über die Gefahr und über die Verhütungsmaßnahmen referieren. D r. H o l e n d e r s k i : Zusammen mit dem Winter ist die Gefahr von Epidemien sehr groß. In einem Krieg verbreiten sich Krankheiten, weil Millionen von Menschen nicht normal leben, hungern,/ unhygienische Bedingungen ha-
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ben. Läuse vermehren sich. Inzwischen sind im Ghetto 4 Fälle von Flecktyphus gewesen. Außerhalb des Ghettos sind 22 Fälle gewesen. Man muss sich jeden Tag bis zum Gürtel waschen. Alle 10 Tage baden. Das Bügeln der Wäsche mit einem heißen [Bügel-]Eisen ist auch ein Mittel. Reinlichkeit ist die Hauptsache. Dreckige und Kranke müssen wir isolieren. D r. Z l o t a r : Es gibt keine Mittel, die Gefahr zu vermeiden: Die Enge, die Wohnungsbedingungen erfordern spezielle hygienische Maßnahmen, die Anstrengung aller Kräfte. Im Sommer haben unsere Maßnahmen gegen Bauchtyphus und Dysenterie gewirkt. Unsere Arbeit ist schwierig. Ungeachtet aller Schwierigkeiten [und] Erlasse haben wir ein Spital für Infektionskrankheiten gegründet. Im Winter sitzen Menschen mehr in der Stube, sie ziehen viele Kleider an, sie werden schmutzig. In den Kriegen im 16. Jahrhundert wie auch 1812 sowie 1914–18 und im heutigen Krieg verbreiten sich Epidemien, die ansteckend sind. Der Hauptverbreiter – Läuse. »Hygiene kostet Geld«. Es ist schwer genug, aber sich schützen, das ist jedermanns Pflicht. Also: sich waschen, saubere Wäsche tragen, baden. In Warschau ist die normale Sterblichkeitsrate bei Flecktyphus von 8–9% bis auf 25% angestiegen, d.h. 420 Menschen pro Monat. Die Gefahr ist groß, hauptsächlich für die Altersgruppe von 20–30 Jahren. D r. B e j l i n erklärt genau, woher die Krankheit und die Ansteckung kommen. Symptome: Zittern, Fieber bis 40 Grad, Kopfschmerzen und leichter Hautausschlag, nach 14 Tagen fällt [das Fieber] auf 36 Grad. Volle Genesung nach 2–2½ Monaten. Einen Kampf für Reinlichkeit von Kleidern und Körper fordert das Wohl jedes Einzelnen und ganz Israels.
[22] Protokoll Num. 15 [17] der Sitzung des Judenrats am 29-ten November 194263 93
Vorsitz: Rabbiner Dr. Rozenman. H . I n g . B a r a s z referiert über die Situation im Verlauf der letzten Woche. 1. Unser Ansehen beim Stadtkommissar hat sich so sehr zum Guten geändert, dass der Kommissar bei sich im Kabinett unter Glas die Erzeugnisse des Ghettos ausgestellt hat, die in der Fabrik an der Roz˙aner 9 zu betrachten wir am Sonntag die Gelegenheit gehabt haben. 2. Wir haben ein Gesuch betreffs Einrichtung einer Postabteilung im Ghetto eingereicht. Inzwischen gibt es dagegen Gegner. Am 11-ten Dezember wird im Schloss eine Sitzung wegen Ghettoangelegenheiten sein, und dort wird entschieden werden. Jedenfalls wird die Korrespondenz in Deutsch sein müssen, auf Postkarten geschrieben, und sie wird durch eine Zensur gehen. 63
Irrtümlicherweise wurde das Datum mit 1942 statt mit 1941 angegeben.
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3. Man hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass es eine Verordnung der höheren Behörde gibt, dass Juden außerhalb des Ghettos nicht auf den Trottoirs gehen dürfen. Zugleich betont H. Ing. Barasz, dass bei uns im Judenrat nicht alles wie gewünscht klappt. So sind noch bis auf den heutigen Tag die Lokale für die Schulen und Fachkurse nicht frei. Die A r b e i t s a b t e i l u n g ist noch nicht in Ordnung, es kommen noch nicht alle Arbeiter, oder sie versäumen Tage. Die W i r t s c h a f t s a b t e i l u n g hat der Behörde 3 Schlafzimmer zugestellt – es passt keine einzige Matratze zu den Betten. Wir bauen ein Lastauto, es hat kein Licht, keine Bremsen, keine Räder, und der Oberinspektor, den man auf 10 Uhr bestellt hat, um das Auto abzunehmen, hat bis 11 Uhr warten müssen. R a b b i n e r D r. R o z e n m a n schlägt vor, eine Kleidersammlung für Nichtvermögende zu organisieren. Zu dem Zweck sollte gleich morgen eine allgemeine Versammlung einberufen werden. H . P e c i n e r hält [dafür], dass vor allem der Judenrat von seiner Seite aus etwas in dieser Richtung tun muss, zum Beispiel 50-tausend Rubel Geld assignieren und eine Sammlung als Ergänzung machen. H . G o l d b e r g meldet, so sei es in der Tat im Präsidium beschlossen worden. Nach einem Meinungsaustausch, an dem sich die HH. Rubinsztejn, Punia´n ski, Goldberg, Lifszic Jakow, Furman und der Obmann Rab. Dr. Rozenman beteiligen, wird beschlossen: Eine bestimmte Summe assignieren und gleichzeitig eine Aktion organisieren. Zu dem Zweck werden Meldungen an die Bevölkerung herausgegeben werden.64 H . M e l n i c k i alarmiert den Judenrat wegen der Tatsache, dass gewisse Personen, Juden, danach streben, die Schusterwerkstätten aus dem Ghetto hinauszuverlagern, was ein großer moralischer Schaden für das Ghetto wäre. H . I n g . B a r a s z antwortet, die Sache sei bekannt und es würden dagegen die entsprechenden Schritte unternommen. H . I n g . B a r a s z referiert über die Angelegenheit der nicht hiesigen Einwohner, die wegen der drohenden Lage in ihrer Stadt nach Białystok kommen oder hierherzukommen streben. Es ist eine Gefahr für Białystok, wenn die Behörde, welche die jüdische Bevölkerung hier verkleinern will, auf die bedeutende Vermehrung der Bevölkerung aufmerksam werden wird. H. Ing. Barasz schlägt vor, der Rat solle sich zu der Stellung des Judenrats in der Angelegenheit äußern. R a b b i n e r D r. R o z e n m a n sagt, dass vom jüdischen und vom moralischen Standpunkt aus es in der Frage gar keine Diskussion geben kann. Eine solche Zeit hat es doch in der Geschichte noch nicht gegeben. Der Rabbiner hält dafür, dass es überhaupt nicht schrecklich ist, wenn sogar ein paar tausend Menschen hinzukommen sollten. Sogar die Deutschen tragen der Zeit Rechnung und stoppen sogar die freiwillige Emigration aus Białystok. Wie also sollten wir die unglücklichen Flüchtlinge nicht nach Białystok hereinlassen 64
Vgl. Meldung 170.
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können! Wir wissen auch keinen Rat, die neue Immigration zu unterbinden. Wir sind auch verantwortlich für die Geschichte. H . P e c i n e r : Wir sollten beschließen, ob wir die Tore des Ghettos zumachen. Juden werden vernichtet, und wir machen vor ihnen die Tore zu? Unser Leben ist überhaupt nichts wert, wir müssen also den Preis für die Rettung von Juden bezahlen. Wir müssen so tun, wie Juden in allen Zeiten gehandelt haben. Nach einem längeren Meinungsaustausch der HH. Lifszic, Limon, Szwif, Punia´n ski erklärt H. Subotnik, dass das Präsidium wirklich der Meinung ist, dass man Juden nicht hindern kann, sich zu retten, aber sobald die Immigration verbunden ist mit einer Gefahr für die ganze Bevölkerung, muss der ganze Rat davon wissen und bewusst die Verantwortung auf sich nehmen. F r l . H o r o w i c : Es ist nicht richtig, dass man Scheine nur für nahe Verwandte herausgibt, es werden Scheine auch für Nichtverwandte herausgegeben. H . M e l n i c k i bemerkt, dass heute auch Bestechung praktiziert wird. Auf Vorschlag von H. Dr. Holenderski wird beschlossen, für jede Person eine Gebühr von 3.50 Rubel pro Monat für sanitäre Zwecke einzuführen: Müllabfuhr, Räumen von Schnee und Eis. H. Goldberg verliest den Brief von H. Kowalewski an alle Mitglieder des Rats, man möge die Angelegenheit seiner Entlassung/ vom Posten wegen Amtsmissbrauchs noch einmal überdenken. Er schreibt, man habe ihn, trotz seiner Forderung, nicht einmal zu einem Verhör zitiert.65 Nach einer längeren Diskussion wird folgende von H. Lifszic vorgeschlagene Resolution angenommen: »Gestützt auf den Beschluss des Rats, dass die letzte Instanz das Präsidium ist, beschließt der Rat, dass es gegen das Urteil des Präsidiums keine Appellation gibt.« H . L i f s z i c bemerkt, dass das Gerichtsverfahren nicht klar ist. H . K a p ła n P. bemerkt, dass das Präsidium nicht in Angelegenheiten entscheiden darf, wo es Kläger ist: »Der Prokuror66 kann nicht der Richter sein.« D r. S e g a l erhebt die Forderung, dass das Lokal für die Küche der Leute der Intelligenz schnellstmöglich fertig sein soll. H . R u b i n s z t e j n hat ähnliche Forderungen bezüglich der Lokale für die Schulen und für Kurse. Erläuterungen gibt H . S z w i f . Es wird ein Beschluss angenommen: Innerhalb von einigen Tagen das Lokal an der Kupiecka vorzubereiten.
65 66
Vgl. Meldung 160. Prokuror: Staatsanwalt im zaristischen Russland.
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[23] Protokoll Num. 16/17 [18] der Sitzung des Judenrats, die am 20.12.1941 stattgefunden hat Vorsitzer: Obmann Rab. Dr. Rozenman. Tagesordnung: Bericht von H. Ing. Barasz: Angelegenheit Fremde, Wohnungsgeld, Pförtner, Ordnungsdienst, Verschiedenes. H. Ing. Barasz teilt den Schluss der Behörde mit, dass der Preis für Wasser und Elektrizität herabgesetzt worden ist und wir vom 1-ten Dezember d. J. an denselben Preis bezahlen werden, den die nichtdeutsche Bevölkerung bezahlt. Weiter informiert der Referent, dass es gelungen ist durchzusetzen, dass alle Ghettobetriebe auch weiterhin im Ghetto bleiben. Wir haben zudem neue Bestellungen bekommen: Holzschuhe ohne eine [zahlenmäßige] Begrenzung. Es sind auch 1.000 Stück Bettdecken bestellt worden, man wird dafür neue Werkstätten zu organisieren haben. Man wird auch eine Kartonagefabrik eröffnen müssen; es ist eine Bestellung für 1 Million Zigarettenschachteln gemacht worden, wofür wir eine Kartonagefabrik gründen. Wir haben auch eine Erlaubnis vom Stadtkommissar, eine Brennerei zur Herstellung von Alkohol zu eröffnen. Alle Maschinen sind da. Ein Lokal dafür sehen wir an der Jurowiecka Gasse vor. Die schriftliche Erlaubnis werden wir im Januar bekommen. Die Beziehungen zum Stadtkommissar sind insgesamt befriedigend. Dieser Tage, am 14/12, haben wir auch eine schöne Küche für die Intelligenz eröffnet. Sie ist eine wahre Zierde, macht einen außergewöhnlichen Eindruck. Die Bestellung für 400 Paar Pantoffeln haben wir einen Tag vor dem geforderten Termin erledigt. Die Angelegenheit des Zustroms von F r e m d e n ist nicht gründlich geregelt worden. Es kommen Menschen zu Hunderten an, hauptsächlich aus Wilna und aus Slonim, in einer Zeit, wo es eine Verordnung gibt, dass sogar Deutsche eine spezielle Erlaubnis vom Oberpräsidenten haben müssen. Wir haben 240 Scheine herausgegeben. Der Zustrom von Juden erschwert einerseits die Wohnungsfrage, andererseits kann dies, wie bekannt, der ganzen Bevölkerung schaden. Nach einem Meinungsaustausch, an dem sich die HH. Limon, J. Lifszic, Subotnik, Peciner, Szwif, Markus, Dr. Horowic, Dr. Kapłan, Dr. Holenderski (wegen des Typhus, der im Ghetto herrscht), Dr. Segal beteiligt haben, wird beschlossen: Scheine nur für Białystoker Einwohner herauszugeben, ferner die Ankommenden einer gehörigen Desinfizierung zu unterziehen. H . S u b o t n i k schlägt vor, einen Termin zu bestimmen, von dem an zu beginnen ist, Wohnungsgeld zu nehmen, da im Prinzip die Sache beschlossen und der Modus schon bestätigt worden ist. Nach einem Meinungsaustausch mit der Beteiligung der HH. Lifszic, Ing. Barasz, Liman ist beschlossen worden: Das Wohnungsgeld, beginnend vom Monat Dezember an, festzusetzen, das im Monat Januar eingezogen werden soll.
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Nach dem Vorschlag von H. Szwif bezüglich Pförtner für die Häuserblöcke wird beschlossen: 1. Pförtner anzustellen. 2. Privaten Unternehmungen eine Zwangsabgabe aufzuerlegen. Auf Vorschlag von H. Ing. Barasz mit der Zustimmung von H. Markus wird beschlossen, dass das Einstellen von Kandidaten beim Ordnungsdienst durch einen Beschluss des administrativen Rats erfolgen soll – in gleicher Weise wie bei anderen Angestellten. Auf Vorschlag von H. Rubinsztejn wird beschlossen, eine Volksküche zu eröffnen. Die Organisation wird der Sozialen Versorgung zusammen mit dem Präsidium übertragen. An der Diskussion über die Angelegenheit wie auch über den Vorschlag von H. Rubinsztejn, ein Tagesheim und eine Kinderküche zu eröffnen, haben sich die HH. Ing. Barasz, Punia´n ski, Dr. Kopelman, Goldberg, Peciner, Furman, Szwif, Dr. Rozenman beteiligt. H. Punia´n ski, der als erster wegen der Volksküche aufgetreten ist, hat sich in Anbetracht dessen, dass die Volksküche eine koschere sein wird, dem Vorschlag von H. Rubinsztejn angeschlossen. Dementsprechend ist beschlossen worden, dass H. Punia´n ski an der Organisation der Küche zusammen mit der Sozialen Kommission teilnehmen wird.
[24] Protokoll der [3.] Sitzung der Abteilungsleiter beim Judenrat in Białystok am 3/1 1942 103
Vorsitzer Ing. Barasz erteilt das Wort Dr. Pilecki zu einem Referat über Statistik und die Statistische Abteilung. H . P i l e c k i erklärt, dass er, weil er die Einladung spät und unerwartet bekommen hat, kein statistisches Material vorbereitet hat. Er macht auf den Nutzen der Statistik aufmerksam. Zum Beispiel: Aus der Statistik erhebt man die Gründe für die größere Sterblichkeit unter Frauen und Kindern, wenn wir das Verhältnis von Frauen und Kindern zu den Männern feststellen, von Geburten und Sterblichkeit usw. Die Statistik bringt auch faktischen Nutzen in der Industrie, der Meteorologie, in Fragen von Baumwolle und Pflanzungen, in Kreditfragen usw. Dasselbe gilt hinsichtlich der ethnografischen Statistik. – Im Ghetto ist die Frage von Statistik erschwert, die Evidenz-Abteilung besitzt nur die Adressen, aber keine statistischen Informationen, obschon die Zahlen des Statistischen Amtes für die Allgemeinheit geheim sind. H . B a r a s z macht darauf aufmerksam, dass das Leben im Ghetto nicht normal ist und selbstverständlich auch die Statistik keine normalen Bedingungen hat. Menschen haben Angst vor der Öffentlichkeit. H . S z w i f : Die Zählung67 hat große Aufregung im Ghetto hervorgerufen. 67
Vgl. Meldung 190.
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H . K a p ł a n weist darauf hin, dass die Statistik bei unseren Bedingungen eine ziemlich schwere Aufgabe ist. Jeder Fragebogen muss zuerst vom Präsidium begutachtet werden, bevor er weggeschickt wird. Nach einem Meinungsaustausch mit der Beteiligung der HH. Bergman, Dlugacz, Subotnik und Barasz wird bestimmt, dass die Fragebögen immer zuerst durch das Präsidium gehen sollen. Bei der Gelegenheit macht H. Barasz darauf aufmerksam, dass einige Abteilungen untereinander nicht in Frieden leben, was für die allgemeine Arbeit schädlich ist. H . G o l d b e r g macht aufmerksam auf die Unpünktlichkeit der Beamten, welche die Zeit [zur Arbeit] zu kommen, nicht einhalten, und keiner kontrolliert sie. H . B a r a s z teilt mit, dass er jeden Tag von 8 bis 9 Uhr die Beamten in Angelegenheiten ihres Amtes empfangen wird.
[25] Protokoll68 der [4.] Sitzung der Abteilungsleiter am 10/1 1942 Auf der Tagesordnung: 1. Industrie im Ghetto und 2. Einstellen von Beamten im Judenrat. H . I n g . B a r a s z berichtet, dass in den letzten Tagen ein Kontakt mit der Wehrmacht hergestellt worden ist, die im Begriff ist, uns eine sehr große Bestellung für Stiefel, Filzstiefel usw. zu geben. B. hält dafür, dass dies die Sicherheit des ganzen Ghettos bewahren kann. Die Industrietätigkeit muss deshalb bei uns den obersten Rang einnehmen. Zu diesem Zweck müssen wir möglichst viele Gebäude haben. In der Zwischenzeit muss das »Altersheim« den 2-ten Stock für die Industrie abtreten.69 – Ferner bemerkt H. B., die Bauabteilung arbeite zu schwach, sie müsse sich energischer an die Arbeit machen. Dasselbe sagen über das Bauamt auch die HH. Rubinsztejn, Szwif, Dr. Holenderski und Melnicki, das Amt weise wenig Energie auf. H . M e l n i c k i : Die Vertreter der Wehrmacht haben gestaunt vor Verwunderung, als wir ihnen die Erzeugnisse des Ghettos vorgestellt haben. Wir werden von ihnen viele Bestellungen haben, die neue Fabriken erfordern werden, zum Beispiel für Filzstiefel. Zum zweiten Punkt der Tagesordnung macht Ing. Barasz darauf aufmerksam, dass Beamte durch die Abteilungen eingestellt und dann zur Bestätigung gebracht werden. Das Präsidium wird vor vollendete Tatsachen gestellt, und dies ist nicht erwünscht. Erstens erhöht man dadurch die Ausgaben. Zweitens 68
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Eine hebräische Textfassung des Protokolls, Protokoll 25a, unterscheidet sich in einigen wenigen Einzelheiten von Protokoll 25, datiert die Sitzung allerdings – fälschlicherweise – auf den 18. Januar 1942. Nach Protokoll 25a wendet sich Barasz an die Abteilung der Sozialen Hilfe und an die Bauabteilung, sie möchten sich bemühen, das Gebäude für den folgenden Dienstag bereitzustellen.
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blüht der Protektionismus stark. Im Präsidium kann jedoch nicht ein großer Protektionismus herrschen. Das Präsidium besteht immerhin insgesamt aus 3 Personen … Bei der Gelegenheit erklärt H. Barasz: »Solange es eine so große Zahl an Beamten gibt,70 kann keine Rede von Lohn für die Beamten sein.« H. B. fährt fort: Die Fälle, dass man ganzen Abteilungen Gratifikationen gibt, werden sich nicht mehr wiederholen, ab heute werden wir – nach Anweisung des Leiters – Gratifikationen nur einzelnen Beamten geben. Es werden noch die weiteren Angelegenheiten berührt: Durch H. Barasz, dass im Ordnungsdienst keine Ordnung ist. Durch H. Goldberg, dass in der Wohnungsabteilung Protektionismus herrscht. Durch H. Lifszic J., dass die Lagerräume nicht vor Diebstahl geschützt sind. Durch H. Melnicki, dass der Ordnungsdienst für die Lagerräume verantwortlich sein soll. Durch H. Lifszic und H. Bergman, dass man sich gut überlegen muss, ob man wahllos an jedermann Handelspatente ausgeben soll. Durch H. Dlugacz hinsichtlich eines Dispositionsfonds für Beamte und hinsichtlich der Eröffnung eines Kiosks, um der Bevölkerung Zigaretten zu verkaufen. H. Goldberg beschwert sich darüber, dass das Gericht71 beim Judenrat die Forderung des Bauamts an ein Hauskomitee wegen Bezahlung der Reparatur des Zauns, für den das Hauskomitee verantwortlich ist, zu Unrecht abgewiesen hat. Auf Vorschlag von H. Furman wird beschlossen: Herausgeben einer öffentlichen Meldung darüber, wie viel jeder für verschiedene Bedarfsartikel auf die Brotkarte hinzubezahlen muss.
[26] Protokoll der [5.] Sitzung der Abteilungsleiter beim Judenrat in Białystok am 16/1 1942 111
Vorsitz: Ing. Barasz. Es referiert H. S u b o t n i k : Obwohl wir schon zu Beginn unserer Tätigkeit bemerkt haben, dass wir ein festes Budget haben müssen, haben wir bis vor kurzem keine ruhige Minute gehabt, und wir haben nicht normal arbeiten können. Es hat deshalb kein ständiges Budget geben können, es ist aber nicht zulässig, weiter so zu arbeiten, ohne vorauszuwissen, welche Ausgaben wir haben werden. Unsere Abteilungen wachsen, und mit ihnen zusammen wachsen unsere Ausgaben. Jede Abteilung sorgt für sich selbst und klärt nicht, ob 70
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Nach Protokoll 25a gibt Barasz die Zahl der Beamten, die dreimal so groß als nötig sei, mit 1.600 an. Protokoll 25a spricht von den Rechtsanwälten beim Judenrat.
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der Judenrat imstande ist, die Ausgaben aller Abteilungen zusammen zu decken. Bloß in zwei Abteilungen ist die Frage geregelt worden, sie haben ihre festen Budgets, das sind die »Soziale Hilfe« und die »Gesundheitsabteilung«. Die Wirtschaftsabteilung, die Bauabteilung, die Industrieabteilung, die Schulabteilung, alle Abteilungen wachsen, die Ausgaben werden maßlos groß. Man muss jedoch vorausschauen, bevor man die Ausgaben macht, ob es eine Möglichkeit gibt, sie zu decken. Im Übrigen bemerkt H. Subotnik, dass die Einnahmen – die Steuern – immer kleiner werden und die Ausgaben nicht decken. H . S u b o t n i k schlägt vor, dass jede Abteilung ein Budget vorlegen soll, wenigstens für eine kurze Zeit. Auch muss ein spezieller Kommissar oder Budgetkontrolleur vonseiten des Judenrats eingesetzt werden. H . I n g . B a r a s z bringt Beispiele, wie wenig sparsam die Abteilungen arbeiten – sie haben, zum Beispiel, Kittel zu 200 Rubel gekauft, der Ordnungsdienst malt die Küche ausgerechnet mit Ölfarben usw. Nach einem Meinungsaustausch mit der Beteiligung der HH: Furman, Szwif, Melnicki, Goldfarb, Ing. Pape, Lifszic, Subotnik, Dr. Rozenman wird der Vorschlag von H. Barasz angenommen, dass j e d e A b t e i l u n g g e s o n dert ständige Budgets einreichen soll und – außergew ö h n l i c h e für außergewöhnliche Ausgaben. Dabei appelliert H. Barasz an die anwesenden Leiter, sie möchten die Ausgaben so weit wie möglich einschränken. H. Goldfarb berührt das Problem des sanitären Zustands im Ghetto. H. Szwif: Die Pförtner sind zu alt, die Geräte zum Reinigen sind schlecht, die Müllabfuhr ist schlecht organisiert. H. Ra/kowski: Es hat bis dato wenig Fässer gegeben, jetzt sind 10 Stück dazugekommen. Nach einem weiteren Meinungsaustausch mit der Beteiligung der HH. Dr. Landsberg, Wider, Barasz, Rakowski – wird die Angelegenheit vertagt.
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[27] Protokoll Num. 18 [19] der Sitzung des Judenrats, die stattgefunden hat am 18-ten Januar 1942 H . I n g . B a r a s z legt einen Bericht ab über die Lage im Ghetto, aus dem hervorgeht, dass die verschiedenen Gerüchte und die Beunruhigung im Ghetto in den letzten paar Wochen ohne jeden Grund gewesen sind und entweder einer Psychose entstammen oder dem bösen Willen von Personen, die möglicherweise daran interessiert sind, auch wenn man freilich niemals vor dem morgigen Tag sicher sein kann. Schlechte Nachrichten kommen stets unerwartet. Wir haben letztens Ärger gehabt wegen Handlungen von verantwortungslosen Personen im Zusammenhang mit Białystokern, die aus Wilna zurückgekehrt sind. Man hat auch einen Briefschmuggel von Pruz˙any nach Białystok abgefangen. Auch der Diebstahl außerhalb des Ghettos hat uns kein Vergnügen
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verschafft. Der Wächter hat gesagt, die Diebe hätten den Davidstern getragen. Aber wie ein Deutscher richtig bemerkt hat, ist dies eine verkehrte Ansicht, dass ein Nichtjude einen Fleck angelegt haben soll. Die Angelegenheit ist noch nicht erledigt. – Der Judenrat hat der Behörde ein Wintergeschenk für das Militär gegeben: 3½-tausend Kleidungsstücke: 500 Winterjacken, 500 Pullover, 500 Paar Handschuhe, 500 Mützen, Socken usw. Ferner wird unsere Industrie Filzstiefel, Stiefel, Schuhe, Mützen in unbegrenzter [Zahl] herstellen, und in der Schneiderei werden an die 500 Schneider arbeiten. H . D r. H o l e n d e r s k i referiert über die sanitäre Lage im Ghetto: Die Müllabfuhr klappt nicht, es fehlen Mistkästen und der Mist wird mitten auf den Hof geworfen, es fehlen Toiletten. Die Hausverwalter sind verantwortlich für den sanitären Zustand. Man muss drakonische Maßnahmen ergreifen. Die Pförtner machen den Eindruck von einem »Altersheim«, wissen sich keinen Rat. Und weiter: Die Bäckerei an der Kupiecka 19 ist nicht hygienisch, Brot wird in offenen, unhygienischen Wagen transportiert; Kartoffeln gibt man verfault heraus, in der Metzgerei an der Zamenhof lässt man die Sanitärkommission nicht herein. Nach einer erschöpfenden Diskussion, an der sich die HH. Markus, Goldfarb, Goldberg, Szwif, Liman beteiligen, wird ein Beschluss gefasst: (a) Bis zum 1-ten Februar bleibt die Institution der Pförtner als Frage bestehen, die Sanitärabteilung soll achtgeben, und die Miliz soll entsprechende Maßnahmen ergreifen. (b) Neue Müllhaufen, abgesehen von denen in den Flüchtlingsunterkünften, machen die Lokatare selbst. H . B a r a s z referiert über die Frage des Handels im Ghetto. Es sieht frech und sehr unanständig aus. Es werden Luxussachen und -produkte verkauft,/ die sich im Ghetto kaum ein Prozent der Bevölkerung erlauben kann. Wer hat es nötig, die ganze Bevölkerung aufzureizen und die anderen72 mit Luxussachen zu provozieren, die sich fast keiner erlauben kann? – Und dies kommt vor sowohl auf dem Markt, im Prages Garten, als auch auf der Hauptgasse, der Kupiecka. Nach einem erschöpfenden Meinungsaustausch, an dem sich die HH. Punia´n ski, Lifszic, Szwif, Subotnik, Goldberg, Markus, Dr. Kacenelson beteiligen, werden folgende Beschlüsse gefasst: 1. Nicht erlauben, Weißbrot wie auch alle Sorten von Weizengebäck zu backen und zu verkaufen. 2. Nicht erlauben, mit Luxusprodukten wie Fleisch, Fisch, Fett, Weißmehl, Grütze, Kakao usw. auf dem Markt zu handeln. 3. Dasselbe in den Geschäften verbieten. 4. Verbieten, auf den Gassen Kupiecka, Jurowiecka mit irgendwelchen Artikeln (Zigaretten, Gebäck usw.) zu handeln. 5. Kioske (2) für Zigaretten in den erwähnten Gassen eröffnen. 6. Keine neuen Geschäfte in der Kupiecka Gasse erlauben. 7. Den Metzgern die Patente abnehmen. 72
Gemeint sind vermutlich die Deutschen.
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8. Keine öffentlichen Restaurants an der Front[seite der Gassen] erlauben. 9. Mit allen Mitteln den Schmuggelhandel bekämpfen.
[28] Protokoll der [6.] Sitzung der Abteilungsleiter beim Judenrat am 27/1 1942 H . I n g . B a r a s z : Es gibt ein dringendes und wichtiges Problem, das im Judenrat übrigens oft auftritt. Es geht um das Arbeitsamt. Es fehlen, hauptsächlich in der letzten Zeit, Arbeiter für Straßenarbeiten. Nach ausführlichen Referaten über das Problem vom Leiter des Arbeitsamtes, H. Ing. Diamant, und vom Beamten Ing. Bornsztejn und nach einem Meinungsaustausch mit der Beteiligung der HH. Szwif, Bergman, Pape, Nied´zwiadowicz, P. Kapłan, Furman wird beschlossen, jede Abteilung solle an den Tagen, an denen eine Notwendigkeit bestehen wird, 5–6 % vom Beamtenpersonal stellen.
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[29] Protokoll Num. 19 [20] der Sitzung des Judenrats, die stattgefunden hat am 31-ten Januar 1942 H . I n g . B a r a s z referiert über den Zweck der Sitzung: 1. Die deutsche Behörde ist mit unseren Arbeitern nicht zufrieden, sie stellen sich zu spät zur Arbeit, sie arbeiten schwach, und dies wird bekanntlich als Sabotage angesehen. So erzählt Dr. Kennewig, er könne mit den jüdischen Arbeitern gar nichts anfangen, und die Firma Kirchhoff hat versucht, ein Arbeitslager einzurichten, wo man die Arbeiter einige Tage hintereinander festgehalten hat. Es wird dazu kommen, dass man solche Konzentrationslager für Arbeiter einrichten wird, wenn die Lage sich nicht verbessern wird. 2. Von der Gestapo gibt es Klagen über Juden, dass sie unrichtige Nachrichten über den Krieg erzählen, und »Die Israeliten bürgen einer für den andern«73. Grundsätzlich darf man mit Nichtjuden nicht über Politik reden, weil sie solches oft in falscher Weise und in falschem Licht weiterberichten. 3. Es gibt Klagen, Juden hätten russisches Geld gekauft, was in der heutigen Situation ein Verbrechen ist. Die Angelegenheit von 2 Ghettos, sagt H. Ing. Barasz weiter, ist noch nicht erledigt. Jetzt ist die Angelegenheit erneut aufgenommen worden. Ein Trost: wir hoffen, es immer wieder hinauszuschieben. 73
Vgl. Sifra zu Leviticus 26,37; bSanhedrin 27b.
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Die Entwicklung der Industrie im Ghetto ist unsere Hilfe. Heute haben der Stadtkommissar und der Vertretende Kommissar über die Ghettoindustrie unsere Industrie besucht. Die Angelegenheit Kupiecka 1 für eine Druckerei außerhalb des Ghettos ist noch nicht entschieden. Die Häuser Nummer 7, 9 und 11 an der Poleska kommen zum Ghetto zurück. H . M a r k u s berührt die Frage von Fällen einer Rückkehr aus Pruz˙any. Nach einem Meinungsaustausch mit der Beteiligung der HH. Goldberg, Peciner, Subotnik, Ing. Barasz, Punia´n ski, Szwif wird beschlossen: 1. Verbrecher (Diebe) zurückschicken; 2. die Evakuierten nicht anmelden; 3. Brotkarten den Mietern abnehmen, die Evakuierte bei sich wohnen lassen.74 H . I n g . B a r a s z meldet, dass an die Stelle von Dr. Sz. Kerszman, der selber aus dem Judenrat ausgetreten ist, als Mitglied des Rats H. Liman Awrom aufgenommen wird. Auf Vorschlag von H. Goldfarb wird beschlossen, die Metzgereien aufzuheben und an ihrem Ort Toiletten aufzustellen. Nach einem Meinungsaustausch mit der Beteiligung der HH. P. Kapłan, Dr. Holenderski, Subotnik, Ing. Barasz, Dr. Rozenman, Dr. Kapłan, Szwif, Markus, Goldberg wird der Vorschlag von H. Punia´n ski angenommen, dass die Pförtner von den Häusern selbst getragen werden sollen, nicht vom Judenrat, mit der Verbesserung von H. Subotnik, dass der Termin für die Änderung der Ordnung bezüglich der Pförtner der 5/2 sein soll. Die Pförtner sollen Binden tragen und bekommen vom Judenrat Scheine.
[30] Protokoll der [4.] Allgemeinen Versammlung in der »Linas Hacedek« 1/2 1942 125
Der Vorsitzer Rabbiner Dr. Rozenman eröffnet die Sitzung und bemerkt Folgendes: Gegenüber anderen Ghettostädten ist in Białystok ein Garten Eden, aber unverantwortliche Handlungen von Einzelnen sind eine Gefahr für die ganze Gemeinschaft. Erstens müssen Juden arbeiten. In einem Garten Eden sitzt man, »ihn zu bebauen und zu bewahren«75, und da kommen Beschuldigungen vonseiten der Deutschen, dass Juden schlecht zur Arbeit kommen, und auch, dass sie bei der Arbeit nicht fleißig genug sind, und das ist eine große Gefahr. Zweitens gehen Gerüchte um wegen des Krieges, und Polen berichten, dass die Gerüchte von Juden stammen. Deshalb muss man sich hüten und grundsätzlich mit den Polen keine Gespräche über solche Angelegenheiten führen. Die Ge74 75
Vgl. Meldung 215, 247, 301. Vgl. Genesis 2,15.
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rüchte können als Gräuelpropaganda angesehen werden, und das riecht nach Todesstrafe. Drittens – darauf macht der Redner aufmerksam – muss man großen Wert auf Reinlichkeit legen, weil Unreinlichkeit eine Gefahr für die Gesundheit ist, Epidemien hervorruft und auch die Behörde dies nicht dulden wird. Ferner ist eines der gefährlichsten Verbrechen der Schmuggel von Lebensmitteln ins Ghetto hinein, weil dies schwere Repressalien gegen das Ghetto hervorrufen muss. H . S u b o t n i k : Die früheren Allgemeinen Versammlungen sind einberufen worden wegen bevorstehender Erlasse bezüglich Steuern, Ghettoangelegenheiten, Arbeitsangelegenheiten. Heute geht es uns darum, dass, Gott bewahre!, keine neuen Erlasse herausgegeben werden. Die letzten paar Wochen haben wir von der Behörde strenge Bemerkungen bekommen. Erst letzten Freitag haben wir 4–5 strenge Bemerkungen gehabt, und dazu hätte es nicht kommen müssen, allen ist die jüdische Lage wohlbewusst. Alle 35-tausend Juden im Ghetto sollen wissen, dass das Programm ausgeführt wird, wir sind umzäunt. Man toleriert uns, aber man verlangt von uns: Arbeit, Industriebeschäftigung, Lieferungen pünktlich, ausreichende sanitäre Bedingungen. Auch hat man sich vor jeglichem Schmuggel zu hüten. Man muss daran denken: Ohne einen Schein nicht aus dem Ghetto hinausgehen. Man darf keine politischen Gerüchte verbreiten. Die Arbeitsfrage ist nicht in Ordnung, die Steuern fließen schwach ein. Ein Glück für das Ghetto – dass alle die Sachen nicht direkt von der Behörde erledigt werden, sondern durch Vermittlung des J u d e n r a t s . Und bei der Bevölkerung macht die Lage den Eindruck, alle Verordnungen stammten vom Judenrat, und die Bevölkerung führt die Verordnungen schlecht aus, zum Beispiel: Man stellt uns manchmal Maschinen zu ohne wichtige Teile. Beamte meinen, wir hätten normale Zeiten, und fordern Saläre oder entziehen sich der Arbeit außerhalb der Norm./ Wir sind doch kein Arbeitgeber, wir sind doch im Ghetto! Wenn wir dies nur überleben können! Wir haben die letzten Wochen große Bestellungen für das Ghetto bekommen, aber alles wird gut sein, wenn unsere Maschine gut funktionieren wird. Jetzt wegen der Finanzen: Dank der Bevölkerung haben wir die Möglichkeit gehabt, die großen Forderungen der Behörde zu erfüllen. Deshalb ist es uns gelungen, viele Forderungen zu reduzieren: Statt 2 Złoty – 1 Zl. Steuern; für Wasser und Elektrizität – die Hälfte des früher festgesetzten Preises. Aber man hat angefangen, die Steuern schlecht zu bezahlen. Unsere Winterhilfe ist von unserer Initiative gekommen. Wir haben geliefert: Etliche tausend Stück neue wollene Sachen. Es hat uns mehr als eine halbe Million gekostet, dafür werden die Pelze bei denen bleiben, die sie noch besitzen. – Die Möbellieferungen rufen bei denen, welchen ihre Möbel weggenommen werden, Verbitterung gegenüber dem Judenrat hervor, als ob wir dies für uns nehmen wollten. Im Übrigen wird für die Möbel etwas bezahlt, man muss aber den Moment abschätzen, wenn Juden für all dies zu euch kommen, nicht andere. Schätzt unsere Bedürfnisse ab: Die Küche, das Altersheim (mit Mittagessen für Menschen aus der Stadt), 2 Waisenhäuser, Gratisrezepte, Doktoren, Spitä-
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ler. Für Pruz˙any haben wir bis heute schon 300-tausend Rubel gegeben. Inzwischen haben unsere Aktionen Erfolg gehabt. Aber was wird weiter sein? Die Israeliten bürgen einer für den andern76 … Seht zu, dass wir, Gott bewahre!, nicht mit neuen Erlassen zu euch kommen! D r. H o l e n d e r s k i erinnert daran, dass ungesunde, unhygienische Bedingungen Krankheiten bringen und bei den heutigen Zeiten – große Epidemien. Er erwähnt den Flecktyphus, der in Warschau herrscht. Herr H. sagt, die Institution der Pförtner sei nicht gelungen, alle Höfe müssten aber daran denken, die Reinlichkeit bei sich einzuhalten. H . S z w i f : Unsere Versammlungen dienen anstelle von Zeitungen, alle sollen wissen, dass die sanitäre Lage bei uns fatal ist, die Pförtner sind faul, die Mieter machen selbst Schmutz, anstatt die Ordnung einzuhalten. Es ist ein Beschluss gefasst worden, dass die Mieter die Verantwortung für die Höfe tragen werden. Vom 5-ten d. M. an wird jedes Haus selbst einen Pförtner engagieren müssen. – Alle sollen wissen, dass der heutige unhygienische Zustand eine Lebensgefahr ist. H . L i m a n warnt alle, dass alle arbeiten müssen. Es fehlen 1.000 Arbeiter, arbeitsfähige Mannsleute. Morgen sollen sich alle in der Arbeitsabteilung beim Judenrat stellen. Wenn sich nicht die genügende Zahl stellen wird, dann wird die Behörde gewiss Konzentrationslager für jüdische Arbeiter organisieren. Denkt an die Gefahr. H . G o l d b e r g : Der Schmuggel und der Handel grenzen an Schamlosigkeit. Weißmehlgebäck und andere luxuriöse Speisen rufen auf der andern Seite des Ghettos Aufregung hervor. Das Backen von Weißmehlgebäck ist verboten, deshalb ist es eine Gefahr. Wir haben/ Maßnahmen ergriffen, eine Bäckerei zugemacht, aber die ganze Gesellschaft muss daran denken und weiße Challa77 boykottieren. Noch ernster ist die Angelegenheit mit geschmuggeltem Fleisch. Wir bekämpfen die Schmuggler, aber am Kampf muss die ganze Gesellschaft teilnehmen, man darf kein Fleisch kaufen, es droht eine Gefahr. – Lasst uns nicht vergessen, dass wir im Ghetto sind, lasst uns nicht selber Unglück über uns bringen. H . B e r m a n (Ordnungsdienst): Ich habe um das letzte Wort gebeten. Wir, der Ordnungsdienst, sind die jüdischen »Chappers«78. Besonders fällt es uns zu, mit unseren Juden einen Kampf zu führen für einen sanitären Zustand der Höfe und der Gassen. Es macht den Eindruck, dass wir Juden Schmutz wirklich lieben, dass man neben sich selbst [alles] verschmutzt. Das Gleiche haben wir mit der Verdunkelung. Außerhalb des Ghettos schießt man doch deswegen in die Fenster, und bei uns macht man sich noch lustig über einen Milizianten, wenn er an die Verdunkelung erinnern kommt. – Juden müssen sich am Abend 76 77 78
Vgl. Anm. 73. Challa ist das traditionelle Sabbatbrot. Jiddisch chapers, Häscher, Kidnapper. Angespielt ist auf die Zwangsrekrutierung von (etwa 60.000) jüdischen Kindern (meist im Alter von 12 Jahren und jünger) im zaristischen Russland unter Nikolaus I. (1825–1855), besonders auf die Praktiken der bezahlten Judenhäscher, der sog. »Chappers« (der halbamtlichen Kidnapper), die seit 1853 die Rekrutierung übernahmen und gewaltsam Kinder von armen Familien ohne Pass einziehen durften.
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verspäten und nach der Polizeistunde auf den Gassen herumtreiben. – Es ist sehr richtig, dass beschlossen ist, die Ordnung mit den Pförtnern zu ändern. Denkt an den sanitären Zustand! Redet darüber mit der Bevölkerung, damit es keine großen Strafen gibt! – R a b b i n e r D r. R o z e n m a n appelliert, man möge nicht über Politik reden, nicht mit russischem Geld handeln, nicht Lebensmittel von außerhalb des Ghettos hineinschmuggeln, man möge die Reinlichkeit in Wohnung, Höfen und Gassen einhalten, man möge pünktlich Steuern bezahlen, Arbeiter mögen sich pünktlich zur Arbeit stellen – dann wird, so Gott will, Friede sein über Israel.
[31] Protokoll Num. 20 [21] der [XXI.] Sitzung des Judenrats, die stattgefunden hat am 2-ten Februar 1942 Vor der Tagesordnung meldet H. Ing. Barasz den unerwarteten Besuch des Gauleiters aus Königsberg, H. K o c h , und eines hohen Vertreters aus Berlin, die nach Białystok gekommen sind und morgen, den 3-ten Februar, auch das Ghetto, die Betriebe besuchen werden. Er schlägt vor, dass der Ordnungsdienst während dieses Besuchs speziell auf die Ordnung im Ghetto achtgeben soll. Auf der Tagesordnung: Die Forderung des Arbeitsamtes, eine namentliche Liste der jüdischen Intelligenz in Białystok zuzustellen. H . I n g . B a r a s z berichtet, dass im Brief eine Liste von Doktoren, Advokaten, Händlern usw. gefordert wird. H . D i a m a n t erklärt: Anfänglich, am Freitag, hat man nur die Zahl gefordert, ohne Namen, am Sabbat hat man die Forderung geändert in eine namentliche [Liste]. Man hat erklärt: Lehrer, Dentisten, Buchhalter. Er meint, dass es hier nur um Mannsleute im Alter von 18 bis 55 Jahren geht. Nach einem Meinungsaustausch mit der Beteiligung der [oben] Erwähnten und von Dr. Segal und Polonski79 wird der Vorschlag von H. Ing. Barasz angenommen, dass deswegen eine Meldung herausgegeben werden soll, damit die Interessierten sich einschreiben und Informationen über sich angeben können, die der Judenrat nicht besitzt. Es wird auch beschlossen, noch eine Meldung herauszugeben betreffs Registrierung von Schreibmaschinen, Photoapparaten, Rechenmaschinen als Forderung der Gestapo,80 ebenfalls eine Meldung wegen der nach Pruz˙any Evakuierten. Sie sollen nicht wagen, illegal zurückzukommen, weil sowohl der Judenrat als auch die Behörde herbe Maßnahmen gegen sie ergreifen werden.
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Anstelle von Polonski hat die hebräische Übersetzung den Namen Punia´n ski. Vgl. Meldung 211, 214.
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[32] Protokoll Num. 21/22 [22] der Sitzung des Judenrats, die stattgefunden hat am 14.2.1942 133
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Vor der Tagesordnung berichtet H. Ing. Barasz, was für eine Situation dadurch geschaffen wird, dass am Sabbat der größte Teil der Abteilungen des Judenrats geschlossen ist und die Forderungen der Behörde, die ja am Sabbat arbeitet, nicht erledigt werden. Er schlägt vor, dass alle Abteilungen ganze sieben Tage in der Woche geöffnet sein sollen und dass die Beamten jeder individuell einen Ruhetag bekommen nach einer Ordnung, die jede Abteilung selbst anordnen wird. D e r Vo r s c h l a g w i r d a n g e n o m m e n . H . G o l d b e r g referiert über 55 Kühe, die von der Behörde eingezogen worden sind; der Schaden beträgt 800-tausend Rubel. Die Kuhbesitzer fordern vom Judenrat Entschädigung, weil dies ihre einzige Verdienstquelle gewesen ist. Deswegen müsste man der Bevölkerung eine Steuer von 1 Mark pro Kopf auferlegen. H . P. K a p ła n fragt, ob dies das Ghetto mit Milch versorgen wird und ob für die Institutionen nicht der Judenrat selbst Kühe kaufen sollte. H . B a r a s z ist gegen eine neue Steuer, die zu viel Last [bedeutet] und nicht gerechtfertigt ist. Höchstens könnte man eine Steuer auf die nicht registrierten Kühe erheben. Nach einem Meinungsaustausch, an dem sich die HH. Szwif, Dr. Kapłan, Punia´n ski, Melnicki, Horowic, Barasz, Goldberg, Dr. Kacenelson beteiligen, bleibt die Angelegenheit unerledigt. H . B a r a s z : Es kommt eine Menge von Bestellungen an, und wir haben schon gar nichts mehr auf Lager. Man macht auch im Polizeipräsidium ein Kasino, und es sind wiederum verschiedene Sachen nötig. Wir müssen eine neue Aktion machen. Man muss auf morgen eine Versammlung der Hausadministratoren und der Sammlerinnen einberufen, auch einen Aufruf an die Bevölkerung herausgeben.81 H . F u r m a n : Die Beamten und einige Doktoren weigern sich, bei den Sammlungen zu geben, man muss überall unter Zwang nehmen. Nach einer Diskussion unter den HH. Punia´n ski, Furman, Melnicki, Peciner wegen der technischen Durchführung wird der Vorschlag von H. Ing. Barasz angenommen. H . D i a m a n t erklärt, dass der Beschluss, die Abteilungen sollten von den Beamten 5% zu Schneearbeiten schicken, nicht Erfolg gehabt hat. Man muss darauf aufmerksam machen, dass die Leiter für die Ausführung/ der Verordnungen verantwortlich sind. Es wird beschlossen, auf morgen Sonntag, 10 Uhr in der Früh, eine Sitzung der Leiter einzuberufen. An der Diskussion beteiligen sich: die HH. Barasz, Melnicki, Goldberg. H . I n g . B a r a s z gibt folgenden Bericht: Laut einer Meldung der Elektrizitätsgesellschaft hätte man am Sonntag die Lieferung von elektrischer 81
Vgl. Meldung 219.
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Kraft für 10 Tage einstellen sollen. Nachher hat man gemeldet, dass die Sache inzwischen verschoben werde: Der Strom soll im Ghetto und in einigen Bezirken außerhalb des Ghettos unterbrochen werden. Anfang Januar hat man sich an uns gewandt und gesagt, im Ghetto solle sich eine Radiostation befinden und dafür solle man zuallererst den Judenrat erschießen. So hat man den Vertretern des Judenrats, Dr. Rozenman, Ing. Barasz und H. Markus, erklärt. In den letzten paar Wochen haben wir Visiten gehabt. Das sind keine Zufälle gewesen. Man ist speziell gekommen, um das Ghetto zu sehen. Einen Tag vorher hat das Polizeipräsidium das Ghetto besucht. Der Besuch im Ghetto hat einen guten Eindruck gemacht. Es gibt noch verschiedene Pläne hinsichtlich des Ghettos: 2 Ghettos, insgesamt ein geschlossenes Ghetto, aber wir bemühen uns, unsere Nützlichkeit zu beweisen.
[33] Protokoll der [7.] Sitzung der Abteilungsleiter am 15/2 1942 H . I n g . B a r a s z referiert über die Notwendigkeit, von den Büroangestellten und den Arbeitern in allen Ghettobetrieben Arbeiter zum Räumen des Schnees außerhalb des Ghettos zu stellen. Nach den Erläuterungen von H. Ing. Diamant und H. Sokolski wird beschlossen: Die Arbeitsabteilung beim Judenrat soll jeweils bei den Leitern namentlich die nötige Zahl an Arbeitern von den Listen fordern, welche die Leiter der Arbeitsabteilung zuzustellen haben. –
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[34] Protokoll Num. 23 der Sitzung des Judenrats, die stattgefunden hat am 1-ten März 1942 Der Obmann Rabbiner Dr. Rozenman eröffnet die Sitzung und erteilt das Wort zu einem Bericht H. Ing. Barasz. H . I n g . B a r a s z : 1. Wie bekannt, ist das Zentrum unserer Tätigkeit, die uns retten kann – die Industrie, die sich stark entwickelt. Wir kriegen neue Bestellungen: für Filzstiefel, Bürsten, Briefumschläge. Unsere guten Freunde führen Gäste ins Ghetto, vor allem zur Industrie. 2. Es wird eine spezielle Ghettoverwaltung geschaffen. Wie dies genau aussehen wird, ist schwer zu sagen, offenbar – ohne Veränderungen im Ghetto. 3. Es wird projektiert, spezielles Ghettogeld einzuführen. Der öffentliche Zweck – es soll keinen Schmuggel geben können. Vorläufig ist das Projekt noch nicht aktuell. 4. Es gibt ein Projekt, dass die Juden nicht außerhalb des Ghettos arbeiten sollen, Polen werden sie ersetzen. 5. H. Barasz berichtet weiter, dass einige Wochen
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zurück eine Extradelegation aus Pruz˙any hergekommen ist und uns alarmiert hat, für den folgenden Tag sei ein Wegtransport von 500 Familien aus Pruz˙any beschlossen worden. Das sollte Sonntag früh um 6 Uhr stattfinden. Wir haben bei der zuständigen Behörde sofort interveniert, mit großem Erfolg: Die Evakuierung ist unverzüglich eingestellt worden, und die Beamten, die dies projektiert haben, sind abberufen worden, und in Pruz˙any ist heute Friede und Sicherheit. 6. H. Barasz macht darauf aufmerksam, dass die Leiter der Abteilungen in ihrer Tätigkeit im Ghetto vollständige Freiheit haben. Aber außerhalb des/ Ghettos darf nicht jeder sich selbständig an die Behörde wenden, sondern immer über den Judenrat. Es ist uns bekannt, dass zum Beispiel Dr. Kapłan und der Ordnungsdienst sich wegen Nahrungsmitteln an das Kreisbauernamt gewandt haben, und solche Anträge können uns Schaden bringen. O b m a n n D r. R o z e n m a n berichtet über die Änderungen, die durch das Präsidium in den Leitungen des Judenrats stattgefunden haben: Ing. Diamant – Leiter des Arbeitsamtes; H. Liman – Sammlung von Möbeln, Einkauf von Materialien für Fabriken des Ghettos. Die Ghettoindustrie hat sich stark entwickelt, an die 18-hundert Arbeiter. So arbeiten zum Beispiel in der Sattlerfabrik über 300 Menschen, in Schusterwerkstätten – über 300 Menschen, in der Trikotage – 560 Arbeiter; ebenso auch in der Schneidereifabrik [und] der Glasschleiferei. Die Deutschen sind entzückt von unserer Arbeit. Wegen der großen Entwicklung [und] weil es eine deutsche Ghettoverwaltung geben soll, ist das Präsidium zum Entschluss gekommen, dass unter diesen Bedingungen als Leiter der Industrie Ing. Barasz Chef werden und H. Melnicki technischer Leiter und Vertreter des Chefs bleiben soll, und wir hoffen, dass H. Barasz auch hier seine Kräfte, seine Energie und seine Fähigkeiten beweisen wird. H . M e l n i c k i : Aus der Provinz kommen zu uns Delegationen, um unsere Industrie kennenzulernen, und sie sind entzückt. Ich will euch einen kurzen Bericht geben. Rohstoffe werden uns durch 40 Sammler zugestellt, die nach allem suchen: Eisen, Draht, Garn, Glas, Fäden. In 17 Abteilungen arbeiten 1.730 Arbeiter, die Administration besteht insgesamt aus 4% der Leute. Die Arbeit erfordert eine gewaltige Anstrengung: So müssen wir zum Beispiel Spagat auf veralteten Spinnrädern herstellen. In den Fabriken gibt es Tabellen für die Arbeiter, es wird größte Ordnung gehalten. Alle kommen pünktlich 8 [Uhr] früh. Die Direktoren melden sich regulär tagtäglich, geben Berichte ab, und es wird alles geregelt. Jede Woche finden Sitzungen mit den Direktoren statt. Vonseiten der Arbeiter herrscht der größte Respekt gegenüber der Ordnung in den Fabriken. Man erledigt alles rechtzeitig, und es herrscht eine Harmonie zwischen der Direktion und den Arbeitern. Sogar dringende Bestellungen, wie zum Beispiel ein paar Stiefel in einem Tag, werden pünktlich erledigt. Als man 1.000 Paar Babuschen zugesagt hat, haben wir kein Tuch gehabt, wir haben es schmuggeln müssen, Lappen schmuggeln, und gestern sind alle Babuschen fertig geworden. Man arbeitet Tag und Nacht. Finanziell: Wir haben eine Million Rubel eingebracht, außerdem hat eine Abteilung sogar mehr als eine Million abgegeben.
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Politisch: Wir haben uns direkt mit der Wehrmacht in Verbindung gesetzt. In zwei Tagen haben wir eine Schneiderei eingerichtet mit über 300 Näherinnen. Die bestellten 2.300 Hemden haben wir vorzeitig angefertigt. Ich habe den Inspektor Krüger gebeten, er möge unseretwegen in Berlin vorsprechen. Deshalb hat in der Tat der Besuch der Delegation stattgefunden. Krüger hat uns im Voraus gut rekommandiert. Sonntag vor acht Tagen hat Zählmeister82 einen Brief aus Berlin und aus Königsberg bekommen, die Bestellungen aus dem Białystoker Ghetto seien angekommen. Das schwierigste Problem sind Menschen: Angekommene sind nicht zufrieden, Nichtangekommene schelten, sie hätten nichts, wovon sie leben können. Ich habe das Maximum gegeben, was ich habe geben können, sogar [meine Stellung] als Meister außerhalb des Ghettos riskiert. Jetzt, wegen der Änderungen in der Leitung, die das Präsidium einführt, trete ich insgesamt von der Arbeit zurück, wenn ihr dafürhaltet, ich sei nicht in Ordnung. Die Replik von H . S u b o t n i k : Als Mitglied des Präsidiums erkläre ich feierlich, dass H. Melnicki bei uns niemals ein Vorwurf gemacht worden ist und dass es keine Politik hinter den Kulissen gibt. Aber da dies unser ganzer Lebensnerv ist, sind wir zu dem Beschluss gekommen, dass da noch jemand die Verantwortung tragen muss. Ich habe mir nicht vorgestellt, dass H. Melnicki wirklich eine solche Erklärung abgeben könnte, wo er sich so für die Industrie aufgeopfert hat. H. Melnicki muss auf dem Posten bleiben und nicht abtreten, um nicht Schaden zu bringen. Ich appelliere an euch, H. Melnicki, euren Entschluss zu ändern. H . J . L i f s z i c : Ich verstehe den Bericht so: Das ganze Leben des Ghettos hängt von der Industrie ab. Man muss diplomatische Fähigkeiten haben. H. Melnicki ist ein glänzender Organisator, aber H. Barasz ist ein glänzender Diplomat, ein Außenminister. Es ist auch in Ordnung, es sollen 2 Direktoren sein, und das ist für das Ghetto nötig. Wir werden keinen anderen finden können. H . G o l d b e r g : Ich bin derjenige, der schon vor längerem zu H. Barasz mit dem Projekt gekommen ist, er solle die Leitung der Industrie übernehmen. Wegen des Umfangs und der Bedeutung, welche die Industrie bekommen hat, muss H. Barasz dies übernehmen. Es gibt hier auch interne Mängel, wir müssen eine starke Hand haben. Ich negiere nicht die Verdienste von H. Melnicki, aber es muss noch vieles geregelt werden. Alle Menschen sind ersetzbar, aber von eurer Seite ist dies doch ein Verbrechen, weil ihr ja meint, dass das schaden werde. Bis jetzt hat doch H. Barasz auch mit euch zusammengearbeitet, ihr habt kein Recht zurückzutreten. H . B a r a s z bemerkt, dass er auch bis heute beim Bauen und Führen der Industriebetriebe großen und aktiven Anteil genommen hat. Ohne seine Zustimmung ist keine wichtigere Sache realisiert worden. – Jedoch hat er bis jetzt
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Nach dem Herausgeber ist eine Person dieses Namens unbekannt; möglicherweise handle es sich bei der Namensangabe um einen Irrtum und gemeint sei Zimmermann.
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nicht die Möglichkeit gehabt, sich mehr mit der Industrie zu beschäftigen, obschon er vor der Behörde und vor dem Ghetto die Verantwortung trägt. Nach einer längeren Diskussion, an der sich die HH. Rabbiner Dr. Rozenman, H. Subotnik, Furman, Lifszic, Dr. Kapłan, Peciner, Goldberg, Liman, Markus, Szwif, Barasz beteiligen, werden folgende 2 Resolutionen angenommen: Vo n H . P e c i n e r : Der Rat bestätigt den Beschluss des Präsidiums über die Nominierung von H. Ing. Barasz als Chef der Industrie. Vo n H . M a r k u s : Unter Berücksichtigung der aufopferungsvollen, nützlichen Arbeit von H. Melnicki drückt der Rat H. Melnicki [seine] große Anerkennung aus und nimmt seine Demission nicht an. D e r Vo r s i t z e r D r. R o z e n m a n t e i l t m i t , dass das Präsidium in Übereinkunft mit den Leitern der Küchenangelegenheiten beschlossen hat, folgende Änderungen in Sachen Mittagessen vorzunehmen: (a) Statt der bisherigen 1.500 Mittagessen pro Tag sollen alle Küchen zusammen 3.000 Mittagessen täglich herausgeben. (b) Statt jeden zweiten Tag sollen alle Konsumenten jeden Tag Mittagessen bekommen. (c) Alle Mittagessen werden einheitlich aus einer Speise und Brot bestehen. Auf die Bemerkung von H. Melnicki, man solle den 1.700 Industriearbeitern Mittagessen geben, erklärt H. Goldberg, man habe in der Tat vor allem 1.000 Industriearbeiter berücksichtigt, was dazu bewogen habe, die Zahl der Mittagessen zu vergrößern.
[35] Protokoll Num. 24 der Sitzung des Judenrats in Białystok am 22.3.1942 147
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Vo r s i t z e r I n g . B a r a s z gibt einen Bericht über die Lage im Ghetto. (a) Die Ghettoverwaltung ist schon 3 Wochen tätig. Die Ghettoverwaltung ist für uns keine negative Erscheinung, sie kann uns sogar Nutzen bringen, nur haben sich ihre Funktionen und Rechte vorläufig noch nicht herauskristallisiert. Die Menschen, die an der Spitze stehen, sind sehr anständig, sie erlauben kein Unrecht uns gegenüber. Politische Angelegenheiten bleiben auch weiterhin in den Händen der Gestapo und strafrechtliche – in jenen der Kriminalpolizei. Es ist auch ein Brief der Ghettoverwaltung angekommen, dass ohne ihre Anordnung keiner das Recht hat, dem Ghetto Lieferungsforderungen zu stellen. (b) Die Industrie entwickelt sich weiter, wenn auch nicht in einem solchen Tempo, wie wir es möchten, weil das Bekommen und Montieren von Maschinen nicht leicht fällt und Zeit erfordert. Es wird die Bürstenfabrik vorbereitet. Eingegangen ist eine Bestellung von 15-tausend Paar mit Leder zu verkleidenden Stiefeln. Die Ausstellung außerhalb des Ghettos wird auch Nutzen bringen. – Dieser Tage hat der Stadtkommissar H. Swendowicz83 an die 30 83
Es handelt sich (mit richtigem Namen) um Dr. Heinz Schwendowius, den ehemaligen Oberbürgermeister von Insterburg, der am 1. August 1941 (kommissarisch) Stadtkommissar von
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Vertreter ins Ghetto geführt, von denen alle entzückt gewesen sind. Auch der Hauptkommandant von Königsberg ist mit uns zufrieden gewesen. – Auf eine neue Erlaubnis für die Alkoholfabrik warten wir, nachdem diese aus rein prinzipiellen Gründen zurückgezogen worden ist. – Für die aus dem Ghetto herausgenommenen Häuser – Kupiecka 1 und, bevorstehend, Kupiecka 3 – kriegen wir mit Gewinn andere. Es steht auch die Wegnahme/ eines Teils der Z˙ydowska bis zur Zamenhofa und Białostocza´nska 6 bevor, an deren Stelle wir andere kriegen werden. Wegen der um 25% verkleinerten Brotportion84 machen wir eine Intervention, vielleicht werden wir es für die Arbeiter zurückbekommen. Die Ausstellung außerhalb des Ghettos kann man und muss man besuchen, nur nicht alle zusammen, um nicht Aufmerksamkeit hervorzurufen. Dort sind 500 Exponate, es macht einen imposanten Eindruck, wie vor dem Krieg. Wir haben von der Kritik unserer Arbeit gehört, ich will deshalb erklären, dass unser Ziel eines ist: Ü b e r l e b e n b i s z u m E n d e d e s K r i e g e s . Unsere Mittel: (a) Ausführen der Verordnungen zu ganzen 100%; (b) nützlich sein, das wird unseren Verteidigern Material zu unseren Gunsten geben, und (c) überhaupt ein Verhalten, das die deutsche Behörde zufriedenstellen soll, so wie Juden es in ihrem G a l u t l e b e n gewohnt sind. Die Industrieausstellung beweist unsere Nützlichkeit. Sie macht einen kolossalen Eindruck, und ich hoffe, dass dies nicht bloß dem Ghetto Nutzen bringen, sondern die Meinung über Juden überhaupt ändern wird. Die Befürchtung, dass bei einer Änderung des Regimes man uns deswegen schlecht ansehen wird, ist grundlos: Die Beziehung zu uns hat sich stets nicht nach unserem Verhalten und unserem Wert gerichtet, sondern nach der allgemeinen Politik. Wenn die zukünftige Politik nicht gegen uns gewandt sein wird, wird uns keiner etwas Böses tun. Białystok ist das zahlenmäßig größte Ghetto in den neuen Gebieten, und das ist eine Gefahr. Wir müssen uns in Białystok so verhalten, wie wir es gewohnt sind. Das Wort erhält H. Subotnik wegen der Lage der Finanzen. Es ist nicht gelungen, eine genaue Bilanz und Bezifferung zu machen. Man muss etwas tun. Die Ausgaben sind größer als die Einnahmen. Die Ausgaben verkleinern können wir nicht, es sind in der Mehrzahl Ausgaben, die sich nicht reduzieren lassen: für Lieferungen für/ die Behörde. Auch die Tätigkeit für das Ghetto hat sich in letzter Zeit verzweigt: Waisenhäuser, Altersheim, medizinische und individuelle Hilfe, 3.000 Mittagessen täglich. Man stürmt schon mit zusätzlichen Forderungen [auf uns] ein: Noch mehr Mittagessen, noch mehr Rezepte. Pruz˙any hat uns auch 350-tausend Rubel gekostet, und letztens sind die dortigen Delegierten im Zorn weggegangen. Bis zum Ende des vergangenen Jahres haben die Einnahmen aus 2 Kontributionen bestanden, die erste – in Gold, die zweite – in Steuern. Heute haben
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Białystok und Kreiskommissar des Landkreises Bialystok geworden war. Vgl. Meldung 237.
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wir: direkte Steuern, Wohnungsgeld, die deutschen Steuern, die wir den Deutschen im Voraus abgeben und sogar für die Nichtvermögenden decken müssen, Einnahmen von den Apotheken und von der Approvisation. Die letzten 2 Einnahmen liegen in Reserven von Lebensmitteln. Wegen der großen externen und internen Ausgaben, die sich auch nicht leicht reduzieren lassen, sind alle Geldreserven ausgeschöpft, und man muss neue Einnahmen finden: 1. eine einmalige Kontribution oder 2. beschließen, nicht für die Sachen zu bezahlen, für die wir bis jetzt hohe Preise bezahlen. Solange es noch Zeit ist, muss man darüber nachdenken. H . J . L i f s z i c bemerkt, dass, wenn man etwa erreichen würde, die 50% vom Lohn bei den Arbeitern außerhalb des Ghettos nicht abzuziehen, man davon Einnahmen haben könnte. Außerdem kann doch der Judenrat die Preise den Menschen diktieren, bei/ denen er kauft, da er doch der einzige Abnehmer ist. H . L i f s z i c schlägt vor, eine Kommission zu bestimmen, welche die ganze Angelegenheit überdenken soll. H . P. K a p ła n : Es ist nötig, dass eine Kommission die heutige Höhe der Verdienste klärt, die ungeheuer gestiegen sind. Mir scheint, dass die Steuern den Verdiensten nicht angepasst sind. Man verdient Hunderttausende, und keiner weiß etwas davon. Man muss doch auch die Arbeiter des Judenrats bezahlen. Man muss eine Nachforschung der Verhältnisse machen. D r. K a p ł a n : H. Kapłan ist im Irrtum, die meisten Verdienste sind unbedeutend. Man lebt vom Verkauf. Direkte Steuern zu nehmen wird schwierig sein, eher – indirekte, zum Beispiel höheres Wohnungsgeld. Menschen sind ja ungefähr gleichgestellt, es wird [darin] keine Ungerechtigkeit sein. H . P u n i a n´ s k i : H. Subotnik hat ein paar Zahlen genannt: Es fließt jeden Monat ½ Million an Wohnungsgeld und Steuern ein. Aber die Ausgaben sind groß. Man spürt schon einen Mangel an Geld. H. P. Kapłan schlägt vor, eine Gebühr nach den Verdiensten zu nehmen. Aber das Zimmer 14 ist doch schon eine Träneninsel geworden. 4.000 Familien sind besteuert, während man unter normalen Bedingungen nur 1/3 der Bevölkerung besteuern kann. Die heutigen Verdienste sind nicht größer geworden, wenn man die Steuern und die Ausgaben in Betracht zieht. Der Modus der Kontribution von Einzelnen wird nicht gelingen. Große Einnahmen können indirekte Steuern bringen. Er unterstützt den Vorschlag von H. Lifszic bezüglich einer Kommission. Indirekte Steuern, zum Beispiel auf Brot, Elektrizität, Wasser usw., können eine stabile Einnahme bringen. H . K a p ł a n P. bemerkt, dass indirekte Steuern gewöhnlich Reiche oder Beamte vorschlagen und direkte Steuern nur die Vermögenden bezahlen. Nach einigen Erläuterungen der HH. Barasz und Subotnik wird beschlossen, dass die Finanzkommission die Kommission sein soll, die sich mit der Finanzfrage beschäftigen soll. In die Kommission gehen die HH. Subotnik, Goldberg, J. Lifszic, Punia´n ski, Goldfarb und Dr. Segal. Zu den freien Vorschlägen bemerkt H . M a r k u s , die Plakate wegen Sachenkontributionen seien zu scharf! »Sichert das Leben« kann nicht gut schmecken. Weiter bemerkt er wegen der aus Pruz˙any Zurückgekommenen, dies sei eine Gefahr.
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H . J . L i f s z i c macht aufmerksam auf den zu großen Verkehr in den Gassen, vor allem auf der Kupiecka. H. Goldfarb wird aufgefordert, es solle eine kleine Brücke auf der Zamenhofa über die Biała gemacht werden. H. Barasz gedenkt zu intervenieren, dass man zur Jurowiecka von der Białostocza´nska aus einen Durchgang macht.
[36] Protokoll der [8.] Sitzung der Abteilungsleiter am 28/3 1942 Vo r s i t z e r H . B a r a s z referiert: Die Frage von Arbeitern außerhalb des Ghettos ist noch bis auf den heutigen Tag nicht erledigt. Heute ist es sehr schwierig gewesen, rechtzeitig 100 Frauen zu stellen. Dies wird bis zum 1-ten April durch die Ausgabe von neuen Scheinen geregelt werden. – Es ist ein neues Amt eingerichtet worden, ein Personalbüro. Unsere Fabriken verbrauchen viele Arbeitskräfte, und es werden gewiss Arbeiter für das deutsche Arbeitsamt fehlen. Deshalb muss man sich damit behelfen, die Arbeitenden eventuell aufzuteilen in Kategorien von Unantastbaren und von solchen, die man in einem Notfall zur Arbeit außerhalb des Ghettos schicken kann, und dies soll auf den Scheinen gekennzeichnet werden. H . L i m o n meint, eine solche Bemerkung auf einem Schein sei nicht erwünscht, besser sollten die Leiter entsprechende Bemerkungen bei sich in den Listen machen. H . M e l n i c k i : Von 11.30 bis 12 Uhr ist in den Fabriken eine Mittagspause, und genau dann greift sie der Ordnungsdienst zur Arbeit auf. Man muss dagegen [etwas] anordnen. Hinsichtlich der Arbeiter für außerhalb des Ghettos muss folgender Modus sein: Die Direktoren der Betriebe schicken in einem Notfall bloß nichtqualifizierte Arbeiter; Beamte wiederum müssen alle Immunität haben. H . G o l d b e r g : Ich stimme mit den vorangehenden Meinungen überein, dass man [Leute] mit Scheinen nicht zur Arbeit nehmen kann, dazu dienen ja die Scheine. Es muss das Aufgreifen in den Gassen aufhören. Aus den Fabriken müssen die Fabrikleiter auf Forderung des Arbeitsamtes Arbeiter stellen. Das ist der einzige Ausweg. H . B a r a s z meldet, dass eine Personalabteilung unter der Leitung von H. Liwerant geschaffen worden ist. H . L i w e r a n t bemerkt, dass, wenn man in den Betrieben Jüngere aufnehmen wird, für das deutsche Arbeitsamt Arbeiter fehlen werden. Weiter schlägt H. Liwerant vor, man solle die Scheine nur für die allernötigste Zahl von Beamten verlängern, die überflüssigen – reduzieren, womit auf jeden Fall Arbeitskräfte85 für das deutsche Amt bleiben werden. 85
Wörtlich Material.
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H . R u b i n s z t e j n : Wenn es überflüssige Beamte gibt, soll man sie nicht reduzieren, sondern sie vor allem als Arbeiter in die Betriebe überführen. H . I n g . B a r a s z erinnert daran, dass man die außerhalb des Ghettos [stattfindende] Ausstellung der Ghettoerzeugnisse jeden Tag von 11 bis 1 und von 3 bis 6 besuchen kann.
[37] Protokoll Num. 25 der Sitzung des Judenrats, die stattgefunden hat am 4/4 42 157
Vorsitzer Obmann Rab. Dr. Rozenman eröffnet die Sitzung und erteilt das Wort Ing. Barasz für einen Bericht. I n g . B a r a s z : Die Angelegenheit der Wiederzuteilung der früheren Brotportion an die Arbeitenden ist dank unserer Bemühung positiv geregelt worden – Wir haben auch eine Genehmigung zum Bau von 2 kleinen Brücken zur Jurowiecka Gasse bekommen: von der Zamenhofa und von der Białostocza´nska aus. Man wird nicht bloß durch die Kupiecka gehen müssen, es wird für das Ghetto sowohl bequemer als auch besser sein, dass die Kupiecka Gasse nicht so belastet sein wird. Die Ausstellung außerhalb des Ghettos wird stark besucht, obschon sie offiziell noch nicht eröffnet ist. Die heutige Sitzung haben wir speziell wegen der folgenden Angelegenheit einberufen: Das Ghetto wird größer durch Leute aus der Provinz und speziell durch die aus Pruz˙any Zurückgekommenen. Wer mit den Protokollen unserer Sitzungen vertraut ist, kann sehen, dass wir ununterbrochen mit großer Sorge auf das Phänomen der Vergrößerung des Ghettos aufmerksam gemacht haben. Jetzt werden wir von der Gestapo alarmiert, die Lage ist gefährlich. In Lida sind wegen des Hinzukommens von Flüchtlingen aus Wilna und anderen Orten große Unglücke vorgekommen. Wir tun alles, was möglich ist, um Erlasse vom Ghetto abzuwenden, aber, wie bekannt, ist in Białystok verhältnismäßig eine große Bevölkerung im Ghetto, und dies kann tragisch enden. Wir müssen hier Maßnahmen ergreifen. H . I n g . B a r a s z fragt den anwesenden H. Bergman, wie viele Menschen sich seit Oktober angemeldet haben, und bekommt die Antwort: An die 800. H. Ing. Barasz sagt weiter: Die Gestapo hält dafür, dass Juden ohne einen Schein der Behörde sich nicht bewegen dürfen. Man kann deshalb in Zukunft ohne die Erlaubnis der Gestapo niemanden anmelden. Die Behörde fordert die Liste der seit dem 1-ten Februar d. J. Angemeldeten. H . L i f s z i c meint, im Ghetto sei ein zu schwaches Regime. Wir haben gar nichts getan gegen die nicht gewünschte Immigration. Die Gefahr ist doch so groß. Man muss ein Kontingent Menschen sammeln und nach Pruz˙any zurückschicken, das wird eine Wirkung auf andere haben, dass man nicht mehr zurückkommt. Von anderen Hergekommenen hätte man fordern müssen, dass sie sich Białystoks nur als eines Transitplatzes bedienen. H. Lifszic schlägt vor, eine Kommission auszusondern, die spätestens bis morgen eine Reihe von rigorosen Maßnahmen gegen die Ankommenden ausarbeiten soll.
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Nach einem Meinungsaustausch mit der Beteiligung der HH. Szwif, Horowic, Bergman, Barasz werden folgende Beschlüsse gefasst, die Ing. Barasz vorschlägt: 1. Einstellen von jeder Anmeldung ohne die Erlaubnis der Behörde. 2. Aufstellen einer Liste für die Behörde bis zum 10-ten d. M. von den seit Februar Angemeldeten, wie die Behörde es fordert. 3. Erhalten einer Liste der im Ghetto nicht angemeldeten Einwohner. 4. Herausgeben einer kategorischen Aufforderung an die im Ghetto nicht angemeldeten Einwohner, Białystok zu verlassen. 5. An Nichtangemeldete keine Arbeitsscheine herausgeben. H . S u b o t n i k referiert über die Notwendigkeit, die Pruz˙aner dauernd zu unterstützen, die sehr bedürftig sind und immer mit neuen Forderungen kommen. Er schlägt vor, eine Gebühr von 5 Pfennig auf jedes Kilogramm Brot zu erheben. Das kann 5–6-tausend Mark pro Monat einbringen, die uns auch für andere Zwecke nützen werden. Der Vorschlag wird angenommen. Gleichzeitig meldet H. Subotnik, dass beschlossen worden ist, von den Bezahlungen für Käufe, die der Judenrat macht, 1% zugunsten des Judenrats abzuziehen.
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[38] Protokoll der [5.] Allgemeinen Versammlung im Saal der »Linas Hacedek« am 5/4 1942 Vorsitzer Dr. Rozenman erteilt das Wort Ing. Barasz. H . I n g . B a r a s z : Sehr geschätzte Versammlung! Es ist noch nicht die Zeit gekommen, ein Fazit über das Leben im Ghetto zu ziehen. Wir wissen nicht, wo wir stehen. Ich will euch heute kurz [etwas] über all die Gefahren sagen, die wir durchgestanden haben, und über die Gefahr, die dem Ghetto bevorsteht. Unsere Arbeit besteht in Prophylaktika, damit man nicht zu Krankheiten kommt, denn wenn die Krankheit kommen wird, kann es zum Heilen schon zu spät sein. Unser ganzes Leben im Ghetto ist eine Gefahr, man stellt uns ununterbrochen nach. Schlechte Taten von Einzelnen fallen auf die ganze Gemeinschaft zurück. Die ganze Gemeinschaft trägt die Verantwortung für den Einzelnen (Die Israeliten bürgen einer für den andern).86 Nach der letzten Allgemeinen Versammlung hat man uns von der Behörde gemeldet, im Ghetto befänden sich Empfangs- und Senderadios, und es kämen Fälle vor, dass man für das Radiohören Geld gebe. Dafür hätte man zunächst den Judenrat und nachher andere Juden erschießen müssen. Die Gefahr ist eine konkrete gewesen. Die Situation hat etliche Wochen gedauert. 86
Vgl. oben Anm. 73.
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Heute ist eine der Hauptgefahren die Arbeitsfrage: Die Deutschen fordern Arbeiten von Juden, und dies ist bis heute nicht befriedigend geregelt worden. In Baranowicz87 hat dies zweieinhalbtausend jüdische Leben gekostet. Zu diesem Zweck hat man möglicherweise zu Beginn von uns namentliche Listen der Intelligenz gefordert. – Wir haben auch einen Vorwurf gehört, wonach man im Ghetto, wie man sagt, russisches Geld verstecke. Das ist eine Gefahr. – In der letzten Zeit ist hier eine Ghettoverwaltung eingerichtet worden. Es hat verschiedene Projekte gegeben: Es ist projektiert worden, spezielles Ghettogeld einzuführen, um auf diese Weise den Schmuggel zu verhindern. Ein anderes Projekt ist gewesen, ein geschlossenes Ghetto zu machen, auch die Arbeiter sollten nicht aus dem Ghetto hinausgehen. Die Brotnorm ist verkleinert worden, aber es ist uns gelungen, wieder die frühere Norm für die Arbeitenden zu erreichen. Wir haben Erlaubnisse bekommen, von der Zamenhof- und der Białostocza´nska-Gasse zur Jurowcer Gasse kleine Brücken zu bauen. Auf diese Weise wird der Verkehr auf der Kupiecka Gasse, wo im Lauf eines Tages zu viele Menschen durchgehen, verringert werden. Die jetzige Situation auf der Kupiecka ist für das Ghetto gefährlich. – Von Zeit zu Zeit werden Häuser aus dem Ghetto ausgegliedert, aber man verkleinert nicht unseren Besitz, man gibt uns ein entsprechendes Äquivalent, das den Verlust ersetzt. So ist es mit dem Haus an der Kupiecka Nummer 1 gewesen. Die falschen Gerüchte, die von Zeit zu Zeit im Ghetto verbreitet werden, bringen uns keinen Nutzen, dies ruft große Aufregung hervor, wie es vorige Woche geschehen ist – und die Informationen gelangen schnell zu der Behörde. Man darf nicht [Informationen] verbreiten und man darf nicht Informationen glauben, die jeder Trunkenbold verbreitet. Geehrte Versammelte! Die größte Gefahr ist unsere verhältnismäßig große Bevölkerung – 35-tausend Juden im Ghetto. Was tut man dagegen? Wie soll man an den Rand des Abgrunds gehen und nicht in den Abgrund hineinfallen?! – Erstens: 100%-ig loyal die Forderungen der Behörde erfüllen. Zweitens: Persönliche Kontrolle, was uns eine Möglichkeit gibt, verschiedene Missverständnisse aufzuklären. Drittens: Das ist unsere Industrie, die sich von Tag zu Tag entwickelt und die Nützlichkeit der Juden für die Behörde hervorragend beweist. Alle, die in der Industrie arbeiten, retten sich selbst und auch das ganze Ghetto. Ihr habt von den großen Delegationen aus Berlin und Königsberg gehört. Wir haben uns bemüht zu beweisen, dass das Ghetto unbeschädigt bleiben muss. Wir haben außerhalb des Ghettos eine Ausstellung von 500 Exponaten der Ghettoarbeit eingerichtet. Die Ausstellung macht einen sehr guten Eindruck, und dies hat eine große Bedeutung sowohl für uns wie auch für ganz Israel. Ich habe aber auch eine Kritik unserer Arbeit gehört. Wir engagieren uns angeblich zuviel, wenn man ein späteres Regime in Betracht zieht. – Ich erkläre hiermit: Wir haben uns ein Ziel gesteckt, das dazu führen soll, dass wir alle unser Leben retten. Wir müssen alles tun, was zu diesem Ziel führt. 87
Polnisch Baranowicze.
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Was für ein Regime einmal auch sein wird, es wird sich doch nicht nach unseren Taten richten, sondern nach seiner eigenen Politik. Ein Teil der Polen, zum Beispiel, führt sich schon jetzt nicht anständig gegenüber den Juden auf, das sollen die Juden wissen, die Beziehungen mit Polen haben. Heute haben wir eine sehr ernste Angelegenheit. Schon längere Zeit reden wir auf den Sitzungen des Judenrats darüber, dass die Bevölkerung des Ghettos sich ununterbrochen vergrößert. Man hat uns kategorisch erklärt, dass es zu einer Katastrophe kommen kann. Die Vermehrung der Bevölkerung macht sich besonders in der letzten Zeit bemerkbar, weil man die Herausgabe von Scheinen zum Wegfahren eingestellt hat. – Die Angelegenheit Pruz˙any, von wo Evakuierte zurückzukommen sich erlauben, ist sehr gefährlich. Ihr sollt wissen, dass nicht bloß der Judenrat, sondern die ganze Bevölkerung darunter leiden wird. Dasselbe gilt von den Nichtangemeldeten, sie werden von der Behörde als Versteckte, als Verbrecher angesehen. Alle diese Personen, die Nichtangemeldeten und die Pruz˙aner, müssen Białystok sofort verlassen. Man hat uns gemeldet, dass, wenn man sie unter Zwang wird evakuieren müssen, man nicht garantiert, dass sie heil in Pruz˙any ankommen werden. Ich weiß, wie schwierig die Lage für sie alle ist, aber wir wissen uns für sie keinen Rat. Wir tun, was wir können, richten wird uns die Geschichte. Das Wort erhält H. Subotnik: Verehrte Versammelte! Wir haben die Gelegenheit gehabt, vom verehrten H. Ing. Barasz einen kurzen Bericht zu hören, der fast alle Probleme des Ghettos umfasst hat. Unsere Appelle an die Bevölkerung haben stets einen Zweck: Ihr sollt aufmerksam werden auf alle unsere Forderungen, persönliche, durch Boten oder durch Plakate. – Alle hören von den Geschehnissen um Białystok herum, und wenn ihr euch Rechenschaft ablegen würdet über die Lage, wären die Dinge anders. Ihr sollt nicht auf uns gucken wie auf jüdische Führer in normalen Zeiten, mit denen nicht zu rechnen ist. Wir sind nur Vermittler zwischen der deutschen Behörde und den Juden. Wir dürfen uns nicht beruhigen, denn außerhalb des Ghettos hört man nicht auf, über uns zu reden und nachzudenken. – Es kann vorkommen, dass in einer jüdischen Wohnung88 gleichzeitig einige Forderungen eintreffen: zur Arbeit gehen, Steuern bezahlen, Möbel abgeben, Wohnungsgeld einzahlen usw. – alles auf einmal. Aber das ist doch nicht unsere Schuld. Juden wenden sich manchmal an uns, wir sollten sie von der Arbeit befreien, da sie nicht verstehen wollen, dass die Arbeit uns das Leben rettet. Dasselbe ist mit Steuern, die der Judenrat im Voraus auf einmal für das ganze Ghetto bezahlen muss. – Juden müssen verstehen, dass die Steuern eine Notwendigkeit sind, sowohl die direkten von der Behörde als auch jene von unserem Steueramt. Es kommen doch so viele Forderungen auf uns zu! Wie werden wir weiter existieren, wenn wir bis jetzt durch ein Wunder existieren? – Die Industrie, die, wie wir hoffen, uns retten wird, kostet doch Zehntausende von Mark 88
Jiddisch schtub.
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– Maschinen, Installationen, Reparaturen usw. – Wenn ihr euch darüber nicht Rechenschaft ablegt, wo sollen wir das Geld hernehmen? Man muss darauf gefasst sein, dass es noch schwieriger werden wird, jeder wird das Letzte weggeben müssen. Man muss ein für alle Mal die Meinung ausrotten, der Judenrat nehme Geld. Die Tausende von Beamten arbeiten doch für ein halbes Kilo Brot. Vielleicht hat jemand den Verdacht auf Missbräuche, [aber] wir bitten doch schon lange, man solle uns alle Verdachte mitteilen. Wegen der Wegnahme von Möbeln haben wir Skandale und Krämpfe, obschon man ausnahmsweise doch noch etwas für die Möbel bezahlt. Es ist endlich Zeit zu wissen, dass im Ghetto kein Möbel bleiben wird. In anderen Ghettos gibt es schon lange keine Möbel mehr. Man muss auch an die Reinlichkeit im Ghetto erinnern, das ist eine Hauptsache gegen Epidemien. Im Winter ist es uns gelungen, uns vor Krankheiten zu schützen, aber es kommt bekanntlich der Frühling und der Sommer, wo die Gefahr größer ist. Viele Menschen vergessen oftmals unsere Lage. Wir haben Tanzklassen gefunden, man veranstaltet Vergnügungen, Bankette, – und wir alle tragen die Verantwortung dafür. Alle sollen daran denken, dass das in der heutigen Zeit wichtige Dinge sind. – Ich appelliere an euch: Zwingt uns nicht zu strengen Maßnahmen. Man hält Białystok für einen Garten Eden in der heutigen Zeit, das haben wir unserer Pünktlichkeit zu verdanken. Seht, gebt uns die Möglichkeit, auch weiterhin eine gute Meinung über Białystok aufrechtzuerhalten wie bisher. H . M a r k u s (polnisch): Es ist schon mehr als 8 Monate her, dass die Zäune für uns einen besonderen »Staat« geschaffen haben, das jüdische Ghetto. In diesem »Staat« erfüllt der Judenrat die Pflichten einer »Regierung«, und wir, der Ordnungsdienst, haben die schwierige Pflicht, die Ordnung und Ruhe im Ghetto zu hüten. Einige Male habe ich Ing. Barasz gebeten, Gespräche mit den Einwohnern des Ghettos zu organisieren. Die Sache ist so: Es werden die Verordnungen der Behörde nicht erfüllt, wie es sich gehört. Vielleicht bin ich wirklich selbst daran schuld, ich bin zu milde, maßvoll, und die Öffentlichkeit gibt sich nicht Rechenschaft darüber, dass wir Juden sind. Man hält die Polizeistunde nicht pünktlich ein: Um 9 Uhr muss man schlafen gehen, man darf sich nicht auf der Gasse befinden. Die Nichteinhaltung der Verordnung kann sogar dazu führen, erschossen zu werden, und Juden spazieren oft nach der Polizeistunde. – Man trägt nicht, wie es sich gehört, den Fleck, einer vergisst den vorderen, der zweite – den hinteren Fleck. – Dasselbe kommt vor bei der Verdunkelung. Es gibt Fälle von festlicher Beleuchtung ganzer Häuser. Es hat schon einen tragischen Fall im Ghetto gegeben, eine Frau ist zu Hause erschossen worden, das Zimmer ist schlecht verdunkelt gewesen. Juden sind ein halsstarriges Volk.89 – Der Gassenhandel hört nicht auf, und [dies] ausgerechnet auf der Kupiecka Gasse. Unsere Bemühungen helfen nicht. Es erweist sich, dass man mit starker Hand handeln muss. – Vom 4-ten Revier außerhalb des Ghettos telefoniert man, dass man jüdische Kinder ohne Flecke, ohne Scheine verhaftet habe. Dies kann einmal zu einem Unglück führen. – Auch das Para89
Zum Begriff »ein halsstarriges Volk« vgl. Exodus 32,9; 33,3.5; 34,9; Deuteronomium 9,6.13.
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dieren auf der Gasse mit Kindern in farbigen Kinderwagen ist sehr aufreizend, und die Mütter müssen es vermeiden. – Bei den Ghettotoren stehen Scharen von Juden und gehen nicht weg, nicht einmal, wenn die Deutschen sie fortjagen, und die Juden können sogar erschossen werden. Auch die Reinlichkeit ist nicht in Ordnung. Das Aufräumen kostet Tausende, und am folgenden Tag ist wieder [alles] verschmutzt. Juden nehmen sich nicht in acht, sie wollen nicht wissen, dass dies eine Gefahr ist. – Weiter: Tausende von Juden gehen zur Arbeit, arbeiten im Schweiß ihres Angesichts; zur selben Zeit verstecken sich viele auf verschiedene Weisen vor der Arbeit. – Die Hauskomitees sind verpflichtet, solche Personen herauszugeben, die Mitglieder des Ordnungsdienstes sollen nicht genötigt sein, in den Gassen die Passanten aufzugreifen und sich mit Juden herumzuzanken. Davon kommt auch weder der Bevölkerung noch dem Ordnungsdienst Respekt zu. Sollte es so noch lange dauern, wird es zweifelsohne eine Katastrophe geben. Darum: Wer leben will, der muss arbeiten! – Zum Schluss spricht Rabbiner Dr. Rozenman: »Die heutige Versammlung ist die wichtigste von allen bisherigen. Führt alle erwähnten Postulate für das Ghetto aus! Gebt es an alle, alle Bekannten weiter, man möge nicht leichtfertig sein, man möge ernst und pünktlich werden. – Wenn wir unsere Pflichten erfüllen werden, wird der Frieden kommen, und es werden auch für uns Juden gute Zeiten kommen.«
[39] 26. Protokoll der Sitzung des Judenrats am 2-ten Mai 1942 Vorsitzer H. Ing. Barasz gibt einen Bericht über die Zeit seit der letzten Sitzung. 1. Die Listen der neuangemeldeten Juden sind laut der Forderung zwei Instanzen übergeben worden: dem Polizeipräsidium und der Gestapo. Die Listen sind gesondert von den aus Pruz˙any Zurückgekommenen – 542 Personen – und gesondert von allen anderen Städten übergeben worden. Die Listen sind begleitet worden von einem Brief des Judenrats, in dem wir bitten, die aus anderen Städten Gekommenen hier zu lassen, weil sie schon unter der früheren Behörde gelitten haben, Paragraphen bekommen haben und zu ihren Familien zurückgekommen sind. – Wegen der Pruz˙aner haben wir gebeten, man möge dem Judenrat erlauben, sie mit eigenen Mitteln nach Pruz˙any zurückzuschicken. Gegenüber Pruz˙any herrscht bei der Behörde Gereiztheit. Es scheint, dass unsere Bitte Erfolg haben wird, hauptsächlich hinsichtlich der NichtPruz˙aner. In den nächsten Tagen werden wir den Entscheid kennen. 2. H. Ing. Barasz referiert danach über die letzten Besuche von hochgestellten Gästen im Ghetto und in der Ghettoindustrie. So hat der Gauleiter K o c h es für wichtig gefunden, sowohl das Ghetto als auch die Ausstellung zu besuchen. Er hat verschiedene Fragen gestellt. Es hat auf ihn einen sehr guten Eindruck gemacht. Er ist mit unserer Arbeit zufrieden gewesen. – Bald nach seiner Abfahrt hat er einen Brief geschickt, dass er dem Ghetto eine Bestellung
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über 15-tausend Fässer geben werde. Wir werden auch von der Stadt eine Bestellung über 4-tausend Fässer haben. 3. Einen zweiten Besuch haben Vertreter der Gestapo und andere gemacht. Sie haben alle Betriebe besucht, sich stark interessiert, sind auf der Ausstellung gewesen. Sie haben uns sehr gedankt, sie haben unsere Leistungen sogar bewundert. 4. Dieser Tage haben wir, unter viel günstigeren Bedingungen als früher, eine Konferenz beim Stadtkommissar gehabt, keine schlechte Beziehung gespürt. Man ist sogar höflich zu uns gewesen. Konkret ist über jüdische Frauen geredet worden, die laut der Berechnung in einer Zahl von 8-tausend noch keine Beschäftigung haben. Unser Memorandum ist beachtet worden. Es ist beschlossen worden, uns finanziell zu helfen. So wird die Beleuchtung für unsere Betriebe/ 10 Pfennig kosten – vom ersten Tag an. Die Z˙ydowska Gasse wird stufenweise evakuiert werden nach der Zahl der Wohnungen, die für die Evakuierten frei gemacht werden. 5. Die Industrie entwickelt sich in einer für uns günstigen Weise. Die Filzfabrik macht schon 100 Paar Stiefel pro Tag und wird 250 Paar erreichen. Für die Filzfabrik bekommen wir auch die Fabrik von Pines.90 Wir haben selbst 30-tausend Paar zu machen und 100-tausend Paar zu umnähen. Wir werden eine Maschinenwerkstätte einrichten. Die Fässerfabrik wird einen großen Platz einnehmen. Wir werden dafür auch die entsprechenden Maschinen kriegen. H . I n g . B a r a s z hat den Eindruck, dass die Krise inzwischen vorbei ist, wenn nicht unerwartet eine neue kommt. Auf Anfrage von H. J. Lifszic berichtet H. Ing. Barasz, die Behörde fordere, dass die Buchführung in Deutsch sein solle. H . S u b o t n i k gibt einen Bericht über die Finanzabteilung. Die Finanzkommission ist nicht einberufen worden, weil man noch nicht die Absicht gehabt hat, eine einmalige Steuer festzusetzen. Das Einziehen der Raten für die erste große Steuer, bei der wir 3 Millionen 800-tausend Rubel zu zahlen gehabt haben, dauert bis heute noch an. Eingeführt worden ist auch eine monatliche Steuer, eine Patentgebühr, eine monatliche Gebühr, [und] es gibt auch einzelne und individuelle Steuern. Die Lokalsteuer ist eigentlich eine große Ausgabe, weil nicht so viel einfließt, wie wir bezahlen: Ein Teil hat wirklich nichts, ein Teil entzieht sich, obschon sie dazu imstande sind. Deshalb haben wir diese Steuer von 1.10 Mark auf 1.30 erhöhen müssen, und wir haben das Einziehen dem Ordnungsdienst übergeben. Wir erreichen dadurch ein doppeltes Ziel: Es wird besser eingezogen, und der Ordnungsdienst hat, nebenbei bemerkt, vom Inkasso einen Verdienst. Sie ziehen schon seit längerer Zeit ein ohne irgendeinen Lohn. Elektrizität und Wasser wird uns für die Betriebe bald weniger kosten. Jedoch machen wir hier den Vorschlag, den Zuschlag auf die Rechnungen von 10% auf 20% zu erhöhen. Zusätzliche Einnahmen von anderen Abteilungen sehen wird vorläufig nicht. 90
Vgl. Białystoker Telefonbuch von 1938: Pines Izaak, fabryka sukna, Jurowiecka 14.
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Nach einer Erörterung mit der Beteiligung der HH. Goldfarb, J. Lifszic und Ing. Barasz wird der Vorschlag angenommen, beide Erhöhungen zu akzeptieren: Bei der Lokalsteuer auf 1.30 und beim Zuschlag auf die Rechnungen auf 20%. H . S z w i f schlägt vor, es solle ein Grundsatz eingeführt werden, dass man sich stets an den Rat wenden soll, bevor man irgendeine Steuer einführen wird. H . M a r k u s fordert, Planendecken beim Brottransport einzuführen. Weiter bemerkt er, dass in den Müllabfuhrwagen Lebensmittelprodukte hineingefahren werden, was einfach eine Gefahr ist. H . F u r m a n antwortet, die Kontrolle über die Speisen gehöre zum Ordnungsdienst. H . P e j s a c h K a p ł a n bemerkt, er habe einen unhygienischen Zustand eines Hofes festgestellt. Er macht darauf aufmerksam, dass die Fässer der Müllabfuhr auf bewohnten Höfen stehen bleiben und die Luft verpesten. Nach einer Erläuterung von H . F u r m a n wird beschlossen, an der Przejazd Num. 1 einen Schuppen für 20 Müllentsorgungsfässer zu bauen. H . M e l n i c k i schlägt vor, die Zahl der Mittagessen für die Industrie zu den 1.000, die auf seinen Vorschlag festgesetzt worden sind, um weitere 500 zu vergrößern. Er macht auf die Entwicklung der Industrie aufmerksam, dass die Zahl der Arbeiter stark vergrößert wird; die Arbeit in der Filz- und in der Bürstenfabrik ist eine sehr schwere, und die Mittagessen heben die Stimmung und [fördern] die Energie der Arbeiter. H . P. K a p ł a n sagt, wegen der Gerüchte, die Mittagessen seien letztens verdorben gewesen, müsse man die Liefermenge für die Küchen vergrößern oder eventuell eine entsprechende Kontrolle über die Küchen organisieren. Die HH. Barasz, Melnicki, Punia´n ski, Goldfarb stellen fest, dass die Mittagessen insgesamt befriedigend sind. H . G o l d b e r g erklärt, dass die Norm für Lebensmittel die ganze Zeit dieselbe ist. Man gibt bereits 3.700 Mittagessen pro Tag heraus, angefangen hat es mit täglich 850 Mittagessen. Wir geben 3–4 g Fett für jeden. Das Brot ziehen wir nicht von den Hausportionen ab, und es gibt einfach nicht so viel Lebensmittel, dass man die Zahl der Mittagessen wieder vergrößern könnte. Höchstens kann man die Zahl der Mittagessen proportional zur Vergrößerung der Industrie vergrößern. H . R u b i n s z t e j n bemerkt, dass die 300 Mittagessen, welche die Sozialabteilung bekommen hat, unbedingt [zu] wenig sind. Nach einem Meinungsaustausch mit der Beteiligung der HH. Barasz [und] Melnicki wird der Vorschlag von H. Peciner angenommen: Den Vorschlag an das Präsidium übergeben, das Notwendigkeit und Möglichkeit klären und beschließen soll. D r. H o l e n d e r s k i berührt die Frage der Isolation von Psychischkranken91 und einer Anstalt für Tuberkulosekranke. Die Fälle von Tuberkulosekrankheiten werden in einer erschreckenden Prozent[zahl] immer zahlreicher. 91
Vgl. schon Meldung 39.
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Die Sterblichkeit unter diesen Kranken vergrößert sich bis zu 400%. Es ist eine Gefahr für die Umgebung, es kann auch dazu kommen, dass man auch nicht aus dem Ghetto herauslassen wird, nicht einmal Arbeitende. Nach einer Erörterung mit Beteiligung der Doktoren Segal, Kapłan, Ing. Barasz, J. Lif…92
[40] Protokoll der [9.] Sitzung der Abteilungsleiter93 beim Judenrat in Białystok am 16.5.1942 175
Vorsitzer H. Ing. Barasz: Auf der Tagesordnung steht bei uns wieder die Arbeitsfrage. Jeden Tag vergrößert sich vonseiten der Behörde die Forderung nach Arbeitern, und in unseren Betrieben selbst wird doch der Bedarf an Arbeitern immer größer. Zur selben Zeit stellen Leute Scheine aus für außerhalb des Ghettos. Wenn nicht jeden Tag die nötige Zahl an Arbeitern gestellt wird, drohen schwere Konsequenzen. Jetzt fordert man von Montag an 50 Menschen für Straßenarbeit. Wir müssen deshalb Arbeiter aus unseren Fabriken und Beamtenpersonal stellen. Das ist die Aufgabe der heutigen Sitzung. H . K o r n f e l d : Bei uns arbeiten über 2-tausend Menschen. Wir benötigen täglich 200 neue Leute. H. Kornfeld schlägt vor, zu diesem Zweck jeden Tag von den Institutionen die nötige Zahl Angestellte zu stellen. Diese werden wir [zusammen] mit geschulten, physisch [starken] Arbeitern schicken, [wodurch] die Arbeit für sie leichter sein wird. H . M a r k u s schlägt vor, dass jedes Haus aus der Reihe der Nichtbeschäftigten Arbeiter stellen soll. Von den Beamten sollen Listen aufgestellt werden, aber man soll sie von der Arbeit im Judenrat nicht abziehen, ehe es nötig sein wird.94 Nach einer Erörterung mit der Beteiligung der HH. Ing. Barasz, Furman, Liman, Goldberg, Gawze, Abramowicz, Goldfarb, Szwif werden die Vorschläge von H. Ing. Barasz angenommen: 1. Aufstellen von Listen der Judenratsangestellten; 2. Ergreifen von Maßnahmen gegen unberechtigte Arbeitsscheine; 3. Durchkontrollieren der Arbeitenden des ganzen Ghettos. Es wird auch erklärt, dass Besitzer von Patenten des Finanzamtes ebenso zu arbeiten verpflichtet sind wie die Angestellten des Judenrats.
92 93 94
Der Schluss des Protokolls fehlt. Im Text Leiterabteilung – offensichtlich ein Fehler in der Protokollniederschrift. Vgl. Protokoll 28, 32, 36, Meldung 271–273.
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[41] Protokoll 27 der Sitzung des Judenrats am 31-ten Mai 1942 Vorsitzer – Rabbiner Dr. Rozenman. Das Protokoll der Sitzung vom 2-ten Mai d. J. wird verlesen und bestätigt. H . I n g . B a r a s z ergreift das Wort zu einem Bericht über die Geschehnisse in der Zeit seit der letzten Ratssitzung. Die Angelegenheit Pruz˙any ist noch nicht definitiv geregelt worden. Zwar ist das Auf-die-lange-Bank-Schieben von solchen Angelegenheiten ein gutes Zeichen, doch muss man in Bezug auf den Ausgang der Sache mit Optimismus vorsichtig sein. – Die Evakuierung aus der Z˙ y d o w s k a Gasse ist nicht erledigt worden, denn wegen des Unglücks, das den Vertreter der Behörde getroffen hat, der die Angelegenheit hätte erledigen sollen, sind neue Leute gekommen, die mit all den Einzelheiten nicht vertraut sind, und wir können nicht wissen, ob ihre Einstellung so wohlwollend uns gegenüber sein wird, wie sie sich vorher gezeigt hat. Der letzte Monat hat im Zeichen einer Reihe von B e s u c h e n im Ghetto gestanden. Es hat zweierlei Kategorien Besucher gegeben: Solche, die der Neugier wegen gekommen sind, wie Touristen, und solche, die politische Zwecke haben, was aus den Fragen ersichtlich ist, welche die Besucher stellen. Unter den Besuchern sind an die 20 Vertreter aus Ostpreußen gewesen, Militärleute u.a. Letzten Freitag sind die Anführer der Handelskammer in Berlin dagewesen. Sie haben unter anderem das Spital, die Handwerkerwerkstätten besucht, sich nicht mit dem Besuch in Wohnungen bemittelter Juden begnügt, [sondern] verlangt, die Armut zu sehen, [und] zugeguckt, wie es unter solchen schlechten Bedingungen unmöglich ist, von den Juden Arbeit zu verlangen. Die Ghettoverwaltung hat sich als ein positiver Faktor für das Ghetto erwiesen, wie H. Barasz es übrigens vorausgesehen hat. – »Der Białystoker Jude«95 wird zu den nützlichen Elementen gerechnet. D i e A u s s t e l l u n g der Ghettoerzeugnisse stopft unseren Feinden die Mäuler (stom piyot mastinenu).96 Die Beziehungen zu der Behörde sind [voll und] ganz befriedigend. Es gibt deshalb keinen Grund zur Beunruhigung. Was die I n d u s t r i e betrifft: Die Fässerfabrik ist schon in Betrieb genommen worden. Sie hat 2 Abteilungen: an der Kupiecka 9 und an der Jurowiecka in der Alkoholfabrik, weil wir dort die nötigen mechanischen Apparate zum Biegen der Fassdauben haben. Die Bürstenfabrik produziert schon 150 Bürsten pro Tag, usw. Die i n n e r e F r o n t : Die Verhältnisse im Ghetto selbst sind nicht so befriedigend. Wenn sich Menschen gefunden haben, die mit Aufopferung eine so schwere Aufgabe auf sich genommen haben, das Ghetto vor/ großen Unglücken zu bewahren, dann hätte man ihnen doch helfen müssen. Am Ende erfahren sie [nur] Behinderungen97 in ihrer Arbeit, besonders von der Intelligenz. 95 96 97
Deutsch mit hebräischen Buchstaben. Vgl. Anm. 56. Wörtlich Störungen.
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Wir haben letztens die Ämter reorganisiert, hauptsächlich das A r b e i t s a m t , in das wir jetzt die besten Kräfte hineingenommen haben, und jetzt sind wir mit dem Amt sehr zufrieden. – Das Wo h n u n g s a m t , wo der Zustand nicht so schlecht gewesen ist wie im Arbeitsamt, haben wir auf zwei Ämter aufgeteilt. – Aus der Evidenz-Abteilung haben wir einen Beamten entfernen müssen. – In der Müllabfuhr haben wir einen sehr fähigen Leiter engagiert, Kontrolleure ausgetauscht, neue Kontrolleure eingestellt. Über den Ordnungsdienst will ich ein anderes Mal referieren. – Aber im Ghetto herrscht schlicht Willkür. Man versteht nicht, dass ein Ghetto einem Belagerungszustand gleich ist. Eine Kleinigkeit kann zu einem Unglück führen. Und da bricht ein Streik von Fuhrmännern aus, ein Doktor zerbricht eine Heillampe, nur um dem Judenrat nicht nachzugeben.98 Die deutsche Behörde macht uns auf »Gefälligkeitsscheine« aufmerksam, die einige Doktoren wie Dr. Klaczkin u.a. herausgeben. Es kommt vor, dass wir eine Unterstützung für einen Kranken festsetzen müssen, damit er einen übertriebenen Preis für eine notwendige chirurgische Operation bezahlen kann. Das ist das Verhalten von Doktoren – von unserer Intelligenz … Jetzt wegen des Vorfalls mit dem Heilapparat: Ich habe Doktor Chwats Vertreter in allen seinen Bedingungen nachgegeben. Und wie unser Vertreter wegen des Apparats zum Doktor kommt, leistet er Widerstand, und schlussendlich zerbricht er die Lampe, mir nichts, dir nichts. Und das ist der eine und einzige Apparat im Ghetto, der sich für die Bevölkerung als von größter Notwendigkeit erweist. Eine solche Lampe ist nicht einmal in Warschau zu kriegen. Der Apparat ist übrigens auch nicht der Seine. – Ich habe auch eine Beschuldigung des Präsidiums wegen P a r t e i l i c h k e i t gehört, und dies trägt man weiter, auch außerhalb des Ghettos. Nicht alle verstehen ehrliche Arbeit für die Allgemeinheit. Wir gehören alle zu einer »Partei«, zu der Partei von sauberen, ehrlichen Menschen, die sich für die Allgemeinheit opfern können (sich gewissenhaft mit den Bedürfnissen der Öffentlichkeit beschäftigen). – D r. S e g a l sagt, die Doktoren seien keine Korporation, in der alle für die Handlungen jedes Einzelnen solidarisch verantwortlich sind, es gebe unter ihnen bessere und schlimmere Typen, und einzelne Fehler zu verallgemeinern sei nicht gerecht. – Wegen der Angelegenheit Dr. Chwat meint Dr. Segal, die ganze Schuld falle auf Dr. Kacnelson99, der Ing. Barasz über den Heilwert dieser Lampe schlecht informiert habe. Es ist eine ganz gewöhnliche, populäre Lampe, welche die Doktoren nicht einmal anerkannt haben. Die Tragödie ist jedenfalls nicht so groß. Gewiss, Dr. Chwat ist im Unrecht, dass er in einer solchen Zeit die Lampe hat behalten wollen. Aber auch da ist der Leiter schuld, dass er mit Dr. Chwat nicht verhandelt hat. Zudem hat man Dr. Chwat wegen des ganzen Vorfalls nicht angehört, und man hat ein Urteil/ gefällt. Auch hätte die Angelegenheit nicht aus den 4 Wänden des Judenrats hinausdringen dürfen. Dr. K a p ł a n hält wie Dr. Segal auch dafür, dass der Abteilungsleiter schlecht gehandelt hat, sowohl gegenüber dem Judenrat, den er schlecht informiert hat, 98 99
Vgl. Meldung 275. Vgl. oben Anm. 14.
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als auch gegenüber Dr. Chwat, mit dem er nicht verhandelt hat. [Er] macht darauf aufmerksam, dass der Nutzen der Bevölkerung es erfordert, dass man das Vertrauen zu Doktoren nicht zerstört. D r. K o p e l m a n bemerkt, man müsse die Angelegenheit wegen der Abwesenheit von Abteilungsleiter Dr. Kacnelson verschieben. H . G o l d b e r g : Nicht das Präsidium macht die Doktoren solidarisch verantwortlich, sondern sie selbst treten oft wie eine solidarische Körperschaft auf, so wie in der Kontributionsfrage. Das Präsidium hat genug Beweise für die Niederträchtigkeit der Handlung von Dr. Chwat gehabt. Es hat gar nichts zu tun mit dem Wert des Apparats. Für seine willkürliche Handlung sind unsere Sanktionen bis hin zu einer Verurteilung nötig gewesen. H . I n g . B a r a s z macht darauf aufmerksam, dass mit Dr. Chwat Verhandlungen geführt worden sind, nur hat dies zu keinen positiven Resultaten geführt. Vonseiten Dr. Chwats hat man auch noch mit der deutschen Behörde gedroht. – H . S u b o t n i k referiert über die Finanzfragen: Je schlimmer die materielle Lage im Ghetto wird, desto mehr Hilfe, mehr Geldmittel sind erforderlich. Jetzt haben wir neue Ausgaben wie diese: Wegen Mangels an Brot müssen wir im Bauamt mit Mark statt mit Brot bezahlen. Diese Ausgabe beträgt Tausende von Mark im Monat. Deshalb schlagen wir vor, die Einnahmen des Wohnungsamtes zu vergrößern. Unser Vorschlag ist folgender: 1. Bis 5 Meter pro Person das Wohnungsgeld um 10% erhöhen (statt 20 Pfennig 22 Pfennig, statt 70 Pfennig – 77 Pfennig). 2. 5 Meter und darüber statt 70 Pfennig auf 1.40 M. pro Meter erhöhen. 3. Von Geschäftswohnungen: statt 50 Pfennig – 1 Mark, 2 Mark und 3 Mark für einen Meter – abhängig von der Größe der Unternehmung. Die Vertreter des Wohnungsamtes schlagen größere Erhöhungen vor, um dadurch noch ein Ziel zu erreichen: Die überflüssigen Meter für Einwohner frei machen, die schlechte Wohnungen haben. Nach einem Meinungsaustausch mit der Beteiligung der HH. Dr. Kapłan, Melnicki, Punia´n ski, Szwif, Rubinsztejn, wird d e r Vo r s c h l a g i n d e r Formulierung des Präsidiums angenommen. Das Wort ergreift H . S u b o t n i k : Der Judenrat ist die höchste gesellschaftliche Instanz im Ghetto. Die Autorität des Judenrats ist wichtig, damit er seine große und schwere Aufgabe durchführen kann – das Ghetto vor all dem Bösen schützen. Die Bevölkerung muss daran denken und muss diszipliniert sein. Zu diesem Zweck ist es/ nötig, dass das Prestige des Judenrats gebührend geschützt wird. Dazu muss ein ständiges Strafgericht beim Judenrat einberufen werden. Im Namen des Präsidiums schlägt H. Subotnik folgende Zusammensetzung eines solchen Gerichts vor: Das Präsidium stellt eine Liste eines Richterkollegiums auf, das aus 15 Personen besteht: 6 Mitglieder des Judenrats, 6 aus der Bevölkerung außerhalb des Judenrats und 3 Juristen. Zu jedem Gerichtsfall soll das Präsidium 3 Personen für die Zusammensetzung des Gerichts nominieren: 1 Mitglied des Judenrats, 1 aus der Stadt und 1 Jurist, abgesehen vom Prokuror, alle aus den oben erwähnten 15 Personen. Einen Verteidiger wählt der Beschuldigte selbst aus. Die Liste
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des Richterkollegiums soll das Präsidium innerhalb von 2–3 Tagen aufstellen.100 Nach einem Meinungsaustausch mit der Beteiligung der HH. Melnicki, P. Kapłan, J. Lifszic, Polonski, Goldberg, Szwif und Subotnik w i r d d e r Vo r s c h l a g d e r K o m m i s s i o n a n g e n o m m e n , mit folgenden von H. Melnicki vorgeschlagenen Änderungen: 1. Die erwähnte Liste von 15 Personen im Richterkollegium muss vom Rat bestätigt werden. 2. Die erwähnten 15 Personen wählen aus sich einen ständigen Vorsitzer. 3. Bei jedem Prozess bestimmt der Vorsitzer des Kollegiums zusammen mit dem Vorsitzer des Präsidiums des Judenrats die Zusammensetzung des Gerichts; dieses Gericht wählt jedes Mal seinen Vorsitzer.
[42] Protokoll Num. 28 der Sitzung des Judenrats vom 20-ten Juni 1942 185
Obmann Dr. Rozenman eröffnet die Sitzung. Nach Verlesen des Protokolls der Sitzung vom 31-ten Mai wird auf die Bemerkung von H. Szwif hin der Entscheid über das erhöhte Wohnungsgeld so verbessert, dass auch für über 5 Meter noch der Zuschlag von 10% hinzukommt. Das Wort zu einem Bericht ergreift H . I n g . B a r a s z : Wenn man die Zeit mit Ereignissen messen sollte, dann haben wir in den 3 Wochen seit der letzten Sitzung viel Zeit erlebt. Aber lasst uns der Reihe nach berichten. 1. (a) Die Angelegenheit Pruz˙any ist von der Tagesordnung herunter; falls aber, Gott bewahre!, die Immigration der Pruz˙aner wieder beginnen sollte, wird es gewiss eine Katastrophe geben. (b) Die Herausnahme der Z˙ y d o w s k a Gasse aus dem Ghetto und die Kompensierung mit Wohnungen in anderen Gassen sind noch nicht geregelt. Wir müssen einige Schwierigkeiten überwinden. (c) In den letzten drei Wochen haben wir wieder wichtige B e s u c h e in den Industriebetrieben gehabt. So ist der Oberbürgermeister von Königsberg dagewesen, der Białystoker Bürgermeister hat unsere Arbeit in positivem Licht vorgestellt. Von den Arbeiterfonds, die der Bürgermeister zu seiner Disposition hat, hat er uns für die Ghettoindustrie 46-tausend Mark zur Disposition gestellt. Wir haben auch einen Brief erhalten, in dem der Bürgermeister uns schreibt, dass er aus den Fonds, die er zu seiner Disposition hat, unsere Küchen und Fachkurse in der Höhe von 50% der Ausgaben unterstützen wird. Dasselbe hat man uns hinsichtlich unserer Spitäler und der Industrie zugesagt. Wir haben auch Besuche von Beamten aus Holland gehabt, sie haben unsere Gärtnerei besucht, die Bäckereien und die Badeanstalt und besonders – das ganze Ghetto. 100
Vgl. auch Meldung 294.
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Gestern haben unsere Betriebe höhere Beamte der Wehrmacht besucht, die sich [davon] haben überzeugen wollen, welche Bestellungen man bei uns machen kann. Die Resultate sind für uns sehr gut gewesen. (d) Wegen der neuen Bestellungen werden wir binnen kurzem weitere Fabriken eröffnen: für Stricke, für Schuhleisten, (für Leisten) für Räder. Dazu hat man uns Maschinen gegeben, die sich außerhalb des Ghettos befinden. Man gründet im Ghetto auch eine große Konfektionsfabrik. Man wird s o f o r t 1.000 Arbeiter brauchen. Inzwischen haben wir schon 5.000 Meter Stoff erhalten, an dessen Verarbeitung in unserer Schneidereifabrik wir mittlerweile herantreten. Man wird 3 Schichten einführen müssen. Wir haben auch noch 2 größere Bestellungen für Fässer erhalten. Wie uns bekannt ist, ist die Meinung über uns bei der Behörde sehr gut. Die Beziehungen zu uns sind durchaus befriedigend. (e) Es verschärft sich ein bisschen die Arbeiterfrage, weil sowohl in unseren Fabriken als auch außerhalb des Ghettos die Arbeiter nötig sind. Jetzt wird die Arbeiterfrage durch die Ghettoverwaltung geregelt werden, die darüber wachen wird, dass man uns nicht die Arbeiter aus den Fabriken im Ghetto wegnimmt. (f) Die Arbeitsbedingungen in der Firma »Kirchhoff« sind so geregelt worden, dass die sehr schweren Arbeiten an den Maschinen die Strafkader ausführen werden;101 unsere Arbeiter werden normale Arbeit haben, dementsprechend werden die Klagen über Schlagen von Arbeitern aufhören. Wie zu sehen ist, haben sich die Beziehungen und die Lage im Ghetto sehr zum Guten geändert, unsere ehemaligen Ankläger sind unsere Beschützer geworden. Statt [der Auflage] einer Kontribution, zum Beispiel, bekommen wir Unterstützung für unsere Institutionen. 2. Demgegenüber ist intern, im Ghetto, die Lage nicht erfreulich. Man beschuldigt noch immer Ghettobewohner des großen Schmuggels etwa von Weißmehl, Nahrungsmitteln und anderem, und dafür macht man uns alle verantwortlich. Die Geschichte mit der Vergiftung ist bekannt. Zwar ist festgestellt worden, dass der Mensch nicht an einer Vergiftung gestorben ist, aber man verkauft doch Schnaps im Ghetto, und das ist für das Ghetto gefährlich.102 3. Auf der vorherigen Sitzung habe ich die Angelegenheit O r d n u n g s d i e n s t auf eine spätere Sitzung verschoben. Es hat einen gefährlichen Moment gegeben. Es ist die Zeit noch [zu] kurz, zu nah die Perspektive, als dass man die Lage gut sehen und verstehen könnte. Es ist bereits unmöglich gewesen zu arbeiten wegen Erpressung, Diebstahls, Raubs und Mordens durch Z e l i k o w i c z mit seinem Quintett und seinen Agenten. Es ist völlig unmöglich, alles zu berichten, was für eine blutige Orgie da stattgefunden hat. Einige Fakten als Beispiel: – Man hat bei einem Juden Polizei hineingesetzt, die 3 Tage und 3 Nächte nicht abgezogen ist, Wachen/ einquartiert, bis man beim Juden 10-tausend Mark herausgepresst hat. – Für einige geschmuggelte 101 102
Vgl. Meldung 171, 173, 225. Vgl. Meldung 284.
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Kilogramm Fleisch hat man in Krynki zwanzig und mehr Juden festgenommen. Zelikowicz hat bei den Familien Geld genommen, um sie zu befreien, er hat aber keinen Finger gerührt,103 und die Juden sind nach ein paar Monaten verurteilt worden. – Bei Dr. Szacki hat Zelikowiczs Bande eine Durchsuchung durchgeführt, man hat auch der Frau des Dr. persönlich [alles] durchsucht, und man hat weggenommen, was man gefunden hat – Wertsachen und Geld. Das alles ist angeblich im Namen der Behörde getan worden, und man hat alles für sich geraubt. Die Durchsuchung bei Zelikowicz hat seine Schandtaten bewiesen. Ihm ist aber das alles [zu] wenig gewesen. Die Leitung des Judenrats ist ihm ein Stück weit zum Stör[faktor] geworden. Ihn hat hauptsächlich die Finanzabteilung des Judenrats gelockt. Er hat [danach] gestrebt, den Judenrat und besonders mich persönlich zu liquidieren, es hat ihn nicht gestört, dass dies eine große Gefahr für das ganze Ghetto ist. Damit wir nicht auf seine niederträchtige Aktion gegen den Judenrat stoßen sollten, hat er vorgeblich mit uns »Unterhandlungen« geführt. Man ist zwischen uns und ihm vermitteln gekommen. Ich habe nicht begreifen können, was für einen Kompromiss es zwischen uns und Zelikowicz geben könnte. Wir haben vorsichtig sein müssen. Unsere Nachforschungen haben bewiesen, wie Zelikowicz uns hat umbringen wollen: (a) Er hat beweisen wollen, dass wir Bestechungsgeld geben, und auf diese Weise auch die Behörde diskreditieren wollen, die ihn bei seinen niederträchtigen Handlungen hätte stören können. (b) Wir betrieben eine Gräuelpropaganda, und der Beweis: wir würden mit Erschießen der aus Pruz˙any Zurückgekommenen drohen usw. – Er hat Juden von außerhalb des Ghettos [her]geführt, und sie haben seine Protokolle gegen uns unterschreiben müssen. Aber dieselben Juden haben uns dies alles nachher erzählt. Einer, ein hiesiger Advokat, hat von einem Memorandum gewusst, das Zelikowicz gegen uns geschrieben hat. Er hat es der Frau eines Doktors, eines in der Öffentlichkeit Tätigen, übergegeben, um mich zu informieren, aber leider ist es nicht zu mir gelangt. Nur während der »Unterhandlungen« habe ich von Zelikowicz eine Bestätigung herausgekriegt, dass er gegen uns seine Beschuldigungen geschrieben hat. Leider hat er im Judenrat selbst moralische Unterstützung gehabt. Es hat solche gegeben, die zu ihm zu Vergnügungen zu kommen pflegten; man hat ferner Gerüchte verbreitet, er sei im Ghetto nötig und nützlich. Uns ist es darum gegangen, dass die Aktion gegen Zelikowicz sich nicht ausbreiten, dass es keine unschuldigen Opfer geben sollte, aber im Zusammenhang mit Zelikowicz und seinem Quintett haben wir alsbald eine Säuberung im Ordnungsdienst überhaupt gemacht. – Es ist eine ziemlich schwierige Operation gewesen. Wir haben befürchtet, Zelikowiczs Vertreter könnten bleiben, und nur als das Fundament/ gefallen ist, haben wir die Säuberung in Angriff nehmen können. Ich hoffe, dass es uns gelingen wird, die Sache zu einem guten Ende zu bringen. 103
Wörtlich hat keine Hand ins Wasser hineingetan.
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H . J . L i f s z i c : Die Lage ist so ernst gewesen, dass wir Angst gehabt haben, daran zu rühren, uns über die Situation Fragen zu stellen. Wir haben alles nur von der Mimik her verstanden, wenn wir auf den Gesichtsausdruck unserer Vertreter geschaut haben. Jetzt müssen wir mit Anerkennung die Menschen erwähnen, die auf ihren Schultern alle Leiden getragen haben, und dem Präsidium unser Mitgefühl und unseren herzlichen Dank für seine schwierigen und großen Taten für die ganze Gemeinschaft ausdrücken. Der Vorschlag von H. J. Lifszic wird angenommen. H . S u b o t n i k : Im Zusammenhang mit den Worten von H. J. Lifszic will ich hinzufügen, dass auf den Konferenzen, die Zelikowicz letztens mit uns geführt hat, er gesagt hat, wir, das Präsidium, hätten ihm für seine Taten zu danken, und wir haben dies ruhig anhören müssen. Nach der Affäre Fenigsztejn haben wir uns nicht vorstellen können, dass Zelikowicz so weit gehen könnte. In einem gewissen Moment hat H. Ing. Barasz mit seinem Weitblick das gesehen, was uns noch verborgen gewesen ist. Und das ist ja in Minuten abgelaufen. Deshalb ist H. Barasz zu beglückwünschen, denn er ist in jener Zeit mit seiner Meinung einsam gewesen, ohne Unterstützung, nicht einmal von uns, seinen nächsten Gefährten. – H. Markus hat Zelikowicz geglaubt, deshalb ist die Energie von H. Ing. Barasz zu bewundern. – Noch ein Punkt: Im Finanzamt haben die vielen tagtäglichen Anweisungen von Zelikowicz aufgehört, die wir ja haben ausführen müssen, obschon wir verstanden haben, dass das meiste Erpressung war. Dennoch hat er sich gerühmt, er werde das Finanzamt liquidieren. H . G o l d b e r g : Im Judenrat muss man auch die Verhältnisse sanieren. Es gibt hier mit der Leitung Unzufriedene. Es ist eine traurige Erscheinung, dass das Präsidium hat vorsichtig sein müssen, sogar gegenüber Mitgliedern des Judenrats. Mir fällt es schwer, den Weg zur Gesundung der Lage zu finden. Es nehmen Ratsmänner Ämter ein, zu denen das Präsidium nicht das volle Vertrauen hat. Diese Ratsmänner wiederum warten darauf, dass das Präsidium ausglitscht. Eines von beiden: Entweder muss man uns offen vorwerfen, was nicht gefällt, oder man muss selbst zurücktreten. H . P e c i n e r : Es fällt schwer, mit Worten die Gefühle von Zufriedenheit und Dankbarkeit für das Glück des Ghettos auszudrücken, das durch die gewesene Situation ausgelöst worden ist, aber Ing. Barasz tut ja seine Arbeit nicht für einen Dank, sondern wegen des inneren Rufs seines Herzens, der Seele. Es ist aber nicht klar, wen von den Ratsmännern H. Goldberg mit seinen Beschuldigungen meint. Dieselbe Vorgehensweise – Beschuldigung ohne Namen – ist vorgekommen bei der Pruz˙any-Evakuierung. Bloß einfach reden darf man nicht. Man muss Namen/ nennen und die Beschuldigungen prüfen, vielleicht sind die Menschen in Ordnung. Vielleicht wäre es richtig gewesen, eine Kommission einzuberufen, welche die Sache klären sollte. – I n g . B a r a s z : Wenn wir uns beruhigt haben, werden wir uns mit der Sache auch beschäftigen. Bei der Gelegenheit erwähnt Ing. Barasz die Verdienste des Beamten H. J. Engelman. Er hat uns geholfen, die wichtige Aktion durchzuführen, und er hat darin ein großes Verdienst.
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R a b b i n e r D r. R o z e n m a n verbindet den Ausgang der Aktion mit der Parschat Korach104 und wünscht Ing. Barasz weiteren Erfolg in seiner nützlichen Arbeit zum Wohl der Allgemeinheit, und der Name105, gepriesen sei er, möge ihm dies mit Gesundheit und guten, langen Jahren vergelten.
[43] Protokoll Meeting des jüdischen Ordnungsdienstes in der »Linas Hacedek« Sabbat, 20. Juni 1942 195
Der Saal ist voll von Polizisten, unter denen auch Zivilleute sind. Die Tribüne ist von Mitgliedern des Judenrats besetzt. Um viertel eins eröffnet Rabbiner Dr. Rozenman das Meeting mit einer kurzen Rede, in der er sagt: Heute, nach der durchgeführten Säuberungsaktion, die hat stattfinden müssen, haben wir das Meeting veranstaltet, um euch die Wichtigkeit der Pflichten nachzuweisen, die zum Nutzen des Ghettos zu erfüllen euch obliegt. Ihr tragt den Ordnungs- und Sicherheitsdienst. Es ist ein Dienst, eine schwere Arbeit. Tag und Nacht haltet ihr Wache für die Sicherheit der Bevölkerung und die Zufriedenheit der Behörde, um Ordnung, Disziplin im Ghettoleben einzuführen, sowohl privat als auch in der Allgemeinheit. Das Ghetto, dieser Staat en miniature, erfordert besonders große Wachsamkeit. Deshalb hat die heutige Versammlung eine große Bedeutung. Wir werden uns mit einem Appell an euch wenden, euch durchdringen zu lassen von der tiefen Wichtigkeit eures Amtes und es ehrlich und getreu, mit großer Würde zu versehen. Das Wort erhält H. I n g . B a r a s z : Ich habe schon lange eine Gelegenheit gesucht, mit euch über unsere schweren Fragen und Sorgen zu reden, die eine gewaltige Bedeutung haben, besonders für eure Abteilung. Aber zwischen uns hat eine Wand gestanden, eine Störung, die es unmöglich gemacht hat, sich miteinander zu verständigen. In jener Situation sind Reden nicht nützlich gewesen, es sind Taten gefordert gewesen. Erst heute ist der Moment gekommen, wo wir sagen können, dass sich unter euch schlechte Elemente eingeschlichen haben. Wir selbst sind darin schuldig, dass wir am Anfang die Wichtigkeit eurer Aufgaben nicht verstanden haben. Das ganze 35-tausendköpfige Ghetto ist wie ein Organismus, der verschiedene Organe hat, wie Gehirn, Herz u.a. Der Ordnungsdienst – das sind die Hände, um verschiedene Verordnungen auszuführen, dem Ghetto Schutz und Sicherheit zu bringen. Das ist alles theoretisch; faktisch ist aber statt Schutz Schutzlosigkeit gewesen und statt Sicherheit Willkür. 104
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Es handelt sich um den im Judentum für die Toralesung bestimmten Wochenabschnitt Numeri 16–18,32, der in Kapitel 16 die Geschichte von der Empörung Korachs und seiner Anhänger Datan und Abiram gegen Mose und Aaron und von deren Untergang berichtet. Synonym für Gott.
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Ich bin weit davon entfernt, das ganze Korps des Ordnungsdienstes zu beschuldigen, aber gewisse Elemente wie Zelikowicz, Fenigsztejn, das Quintett und ihre Sympathisanten haben unsere schreckliche Lage im Ghetto ausgenutzt, um zu erpressen und Willkür zu üben im Leben von 35-tausend Juden. Sobald sie erfahren haben, dass es bei jemandem Stoff oder Gold gibt, haben sie es sofort notiert und dort eine Durchsuchung gemacht, ohne zu berücksichtigen, ob dort der Mann/ am Sabbat weggeholt oder ob er einfach erschossen worden ist! Wie die Chicagoer Gangster, wie der bekannte Al Capone hat der Bandit Zelikowicz Listen von Namen zusammengestellt, bei denen man Durchsuchungen machen muss, er wird es aber nicht mehr erleben, sie auszuführen. Und in gewissen hintersten Schenken und Kneipen haben gewisse Mitglieder des Ordnungsdienstes auf diese Rechnung getrunken. Bei diesem Banditen Zelikowicz hat man solche gewaltigen Schätze beschlagnahmt, dass es mir einfach unbequem wird, wenn man mit mir außerhalb des Ghettos darüber redet. Es hat dort verschiedene Stoffe, Parfums, Liköre, Champagner, Gold, Brillanten, Dollars gegeben. Die Durchsuchung ist noch nicht beendet. Unglückliche Menschen haben ihm das Letzte weggegeben, um irgendwie seiner Drohung mit einem gewissen Ort106 zu entgehen. Und es hat schon Nachahmer gegeben, die ununterbrochen erpresst haben; von Pruz˙any an beginnend, jenem großen Unglück und ungeheuren Schrecken, der unser Ghetto getroffen hat, und so bei allen Gelegenheiten – haben sie erpresst und auch andere miese Taten begangen. Es hat sich schon ein Netz von Mittelsmännern gebildet, welche die Bevölkerung wie eine Spinnwebe überzogen haben. Bei uns ist eine ganze Reihe von Fakten von ihren schändlichen Aktionen aufgezeichnet, über die hier zu reden mir sogar peinlich ist. Sie haben in ihr Netz auch den Schwarzmarkt hineingezogen, der ein besonderer Fleck in unserem Leben ist. Freilich, in Friedenszeiten sind wir nicht verpflichtet, jemandes Beschäftigung zu kontrollieren. Aber im Ghetto, da sind doch alle für die Taten von Einzelnen verantwortlich; sogar wenn die Diebe Gojim sind, ist es erlaubt und recht, dass man für einen Diebstahl 10 Juden erschießt! Und der Anführer des Schwarzmarktes ist Zelikowicz mit seinen Agenten gewesen! Das hat zu lange gedauert; aber schlussendlich ist die Zeit gekommen, dass er mit seinen Mitarbeitern beseitigt worden ist. Und jetzt können wir uns mit einer Warnung an euch wenden: Wenn jemand von euch versuchen wird, auf diesen Wegen zu gehen, werden wir mit ihm unbarmherzig abrechnen! Bei der Gelegenheit kann ich es nicht vermeiden, auch die verbrecherischen Taten bei den Toren zu erwähnen. Es ist ein schauderliches Bild, wenn 7-tausend Menschen nach einem schweren Arbeitstag kommen, etwas hineinzutragen versuchen, und dann nimmt man es ihnen ab, und die Mitglieder des jüdischen Ordnungsdienstes, die dabeistehen, kaufen es ab, später tragen sie die abgenommenen Lebensmittel weg und verkaufen sie in eigenen eröffneten Geschäften. Sie sind, heißt es, daran interessiert, dass man die Lebensmittel
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Gemeint ist offenbar die Gestapo.
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abnimmt, um selbst den armen Arbeitermenschen zu rauben, was sie mit ihrem Blut erworben haben!107 Gegen diese wird man vorgehen ohne Erbarmen! Es geht jetzt unter den Mitgliedern des Ordnungsdienstes eine Diskussion um, ob die letzte Säuberungsaktion ihr Prestige und ihre Autorität gehoben oder gesenkt habe./ Aber meine Herren! Die Rechnung beweist, dass unter euch 10 Prozent Verbrecher gewesen sind – ich habe es schlimmer erwartet –, ganze 90 Prozent von euch sind ordentliche Beamte! Die Gangrän hat man herausschneiden müssen, und das hat ohne Zweifel euer Prestige gehoben. Wenn es unter der Bevölkerung Menschen gibt, die dies anders deuten, wird es uns mit unseren Mitteln gelingen, sie zu zwingen, sich euch gegenüber mit der Achtung zu verhalten, die ihr verdient, und alle Mittel werden erlaubt sein, um jene zu bestrafen, die den Ordnungsdienst beleidigen. Unsere Lage im Ghetto ist klar. Bis heute, schon fast ein Jahr, ist es uns gelungen, die entsprechenden Bedingungen zu schaffen, um das Schicksal anderer Städte zu vermeiden. Aber um sich auch weiterhin zu schützen, ist eine Sache nötig, die jeder verstehen muss, vom Wächter bis zum Beamten – jeder muss 100-prozentig sein auf seinem Platz! Für uns besteht nur ein Ziel: Juden hindurchführen und herausführen aus dem Białystoker Ghetto. Jetzt ist nicht die Zeit, Karrieren zu machen! Wenn wir alle unsere Kräfte anstrengen werden, müssen wir eine solche Ordnung schaffen! Ich weiß, es ist für euch sehr schwer zu leben. Und ich kann euch keine Versprechen geben. Wir sind ein Staat ohne Finanzen, ohne Budgets, ohne Goldreserven. Aber das Präsidium hat im Sinn, euch bei unseren armen Mitteln entgegenzukommen, damit ihr die heilige historische Aufgabe zu einem glücklichen Ende führen könnt. (Starker Applaus). Das Wort erhält der neubestimmte Vizekommandant H . M o j s z e B e r m a n , der sagt: Verehrte, werte Kollegen! Mit dem Einverständnis unseres Kommandanten Markus habe ich das Amt des Vizekommandanten angenommen, und möge mit meinem Eintritt ein lebendiger Nerv in unsere Organisation dazukommen. Ich bin kein Gassenjude, kein Kabinettmensch. Ich werde mit dem Kommandanten Markus zusammen arbeiten, und möge es uns eine Befriedigung sein, wenn wir eine gemeinsame Sprache finden werden. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die Politik machen, die Nein! sagen, weil jener Ja! sagt. Meine Zusammenarbeit mit Markus ist eine Garantie; in uns beiden schlägt ein jüdisches Herz, ein Ghettoherz. An erster Stelle müssen die Interessen der Allgemeinheit stehen, unsere privaten Angelegenheiten müssen beiseite getan werden. Er ist ein wahrhaftiger, für die Gesellschaft Tätiger, meine Mentalität ist auch eine solche – warum sollten wir nicht zusammen arbeiten können? Die letzten Geschehnisse haben die Gruppe eliminiert, die durch die öffentliche Meinung verurteilt wird. Haben wir selbst früher nicht über eine nötige Säuberung geredet? Oder haben wir nicht gewusst, dass ein Flecken an uns haftet? Wir haben aber gezweifelt, ob wir ihn werden abwaschen können. Jetzt, da andere die Sache in die Hand genommen haben, jetzt, da die Sache schon
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Wörtlich um selbst … das blutige Eigentum zu rauben.
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beendigt ist, sind wir nun zufrieden, weil uns das in den vergangenen Tagen nicht wenig Kummer gekostet hat. Diejenigen, die weiterhin die Mützen tragen, mögen zufrieden sein. Ich bin glücklich und kann mir gar nicht vorstellen, dass dies nicht zu einer moralischen Lehre dienen wird. Wir sind intelligente Menschen, und lasst uns hoffen, dass es dem Judenrat gelingen wird, das Schlechte zu entwurzeln. Ich will aber unterstreichen, dass das Ghetto nicht ausgerechnet bei uns, sondern auf verschiedenen Ämtern Gelegenheiten zu Missbräuchen gibt. Ich wende mich [an euch] mit einem Appell, derselbe eiserne Besen möge den Schmutz überall auskehren (Applaus), nicht beim Ordnungsdienst, der kein Einzelkind und kein Stiefkind ist, stehenbleiben – wir sind alle eine Familie; der Schmutz muss hinausgeräumt werden. Das Ghetto dauert keine Ewigkeit. Es wird eine Zeit kommen, da wir uns mit unseren Brüdern ohne die Mütze treffen werden; alle Beamten müssen sauber bleiben! Ich danke Ing. Barasz für seine Zusage, üble Beleidigung gegenüber dem Ordnungsdienst zu bestrafen. Ich habe einen zum Plakatieren bestimmten Aufruf redigiert, der gewiss helfen wird. Mit Genugtuung erwähne ich die Worte von H. Ing. Barasz bei einem bestimmten Fall: Ich werde nicht erlauben, meine Milizianten anzugreifen! Eine Woche zurück hätte er dies nicht gesagt! (Applaus) Ein solches Verhalten hat einen kolossalen Wert! Was heißt ehrliche Arbeit? Mein privater Standpunkt ist der, dass wir alle in der Gesellschaft verantwortlich Tätige sind. Wir müssen militärische Disziplin haben, die Hauptsache aber – reine Hände! Für unreine Hände ist hier kein Ort! Ich schwöre, dass ich weiterhin so ehrlich sein werde, wie ich es bis jetzt gewesen bin! Und ich wende mich an euch: Geht auf meinen Wegen! Geht auf den Wegen von ehrlichen Leuten! Lasst uns das Unsere tun und das Unsere verlangen! Kommandant Markus hat eine Redensart108, dass die Medaille zwei Seiten habe. Lasst uns doch über die andere Seite der Medaille reden: Existenz, unsere Mägen, Kinder! Unter den Ghettobedingungen ist die Möglichkeit, zufriedengestellt [zu werden],109 begrenzt; aber ich werde in die Zimmer 1, 10, 16 laufen, ich werde Achtung, Anerkennung fordern, und ich zweifle nicht, dass man entgegenkommen wird. Was H. Ing. Barasz gesagt hat, ist eine heilige Zusage! Unsere minimale Existenz muss gegeben werden. Wir tragen zu der Arbeit mit der lauteren Absicht bei, dass, wenn die Zäune fallen werden, wenn sich für uns ein neues Leben eröffnen wird, wir mit offenen Augen unsere Brüder anblicken können, und ich hoffe, dass, wenn man einmal die Monographie über das Ghetto schreiben wird, man uns im Guten erwähnen wird (Applaus).
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Jiddisch a wertl, ein Wörtchen. Die eckigen Klammern stehen im Text.
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H . M a r k u s (redet polnisch) erzählt zuerst die Geschichte von der Gründung des Ordnungsdienstes und schlussfolgert die Notwendigkeit, ehrlich und getreu zu dienen. R a b b i n e r R o z e n m a n schließt das Meeting mit einer kurzen Rede.
[44] Protokoll der [6.] Allgemeinen Versammlung des Judenrats mit der jüdischen Bevölkerung in der »Linas Hacedek« am 21-ten Juni 1942110 203
Obmann Rabbiner Dr. Rozenman eröffnet die Versammlung und bemerkt, dass die zahlreiche Versammlung das Interesse der Bevölkerung an den letzten Geschehnissen beweist. Ihr müsst aber daran denken, dass der Wohlstand und die Sicherheit des Ghettos von euch abhängen, von euren Handlungen. Wenn ihr eure Pflichten erfüllen werdet, wenn ihr die Verordnungen der Behörde ausführen werdet – dann wird, so Gott will, alles in Ordnung gehen. Das Wort erhält H. Ing. Barasz. I n g . B a r a s z : Hochgeschätzte Versammlung! Bevor wir zum eigentlichen Zweck der Versammlung kommen, will ich die Gelegenheit benutzen, mit euch über die Lage zu reden und über alles, was uns quält. Vor allem vom politischen Standpunkt aus ist die größte Gefahr für das Ghetto das Faktum, dass Białystok das größte, das zahlreichste Ghetto ist. Es müssen spezielle Maßnahmen ergriffen werden, damit unsere 35-tausend Einwohner eine Berechtigung haben, dass man uns toleriert. Wir haben alle Einwohner in ein Element verwandelt, das man nötig hat. Unsere Sicherheit steht in einem direkten Verhältnis zu unseren Arbeitsleistungen. Wir haben hier schon 20 F a b r i k e n . In der letzten Zeit sind dazugekommen eine Filzfabrik, eine Bürstenfabrik, eine Fässerfabrik, für die sich der Gauleiter Koch persönlich interessiert hat. Weiter werden dieser Tage eröffnet werden: eine Strickefabrik, eine Leisten-(Schuhleisten)fabrik und eine Räderfabrik. Die deutsche Behörde, die unsere Leistungen sieht, übergibt uns aus den deutschen Betrieben außerhalb des Ghettos die nötigen Maschinen für die Fabriken. Es ist auch eine große Konfektionsfabrik für bis zu 2.000 Arbeiterinnen vorgesehen – es hängt nur von der Zahl der Nähmaschinen ab, die wir werden stellen können. Ihr wisst alle von V i s i t e n , die wir in der letzten Zeit gehabt haben. Es ist schwierig, alle aufzuzählen. Ich werde die wichtigeren erwähnen, solche, von denen das Schicksal des Ghettos abhängt: (a) Der Gauleiter Koch hat es für richtig erachtet, sogleich, wie er nach Białystok gekommen ist, das Ghetto zu durchfahren und die Ausstellung au-
110
Vgl. Meldung 290.
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ßerhalb des Ghettos zu besuchen. Mit den Arbeiten in den Ghettofabriken ist er zufrieden gewesen. (b) Militärische Delegationen, um die Möglichkeit unserer Leistungen kennen zu lernen. (c) Die höhere Leitung der Gestapo in Königsberg und Berlin. (d) Die Leitung der Handelskammer in Berlin. (e) Vertreter aus Ostpreußen. (f) Und letzten Freitag – der Oberbürgermeister von Königsberg. Alle Delegationen sind mit unserer Arbeit zufrieden gewesen, und im Zusammenhang mit den letzten Besuchen haben wir eine Masse Bestellungen bekommen, so dass wir in einigen Fabriken in 3 Schichten werden arbeiten müssen. Das Resultat von allen diesen Besuchen ist: Immer bessere Beziehungen zu uns. Und ausgerechnet die Person, die zu Beginn ganz und gar gegen uns gewesen ist, begegnet uns heute mit Sympathie. Statt [der Auflage von] Kontributionen, Evakuierungen usw. bekommen wir Subsidien für unsere Unternehmungen – für die Küche, für Kurse, Spitäler und Industrie. Dabei ist die materielle Seite nicht so wichtig wie die gute Beziehung zu uns. Wir hätten deshalb die Situation für befriedigend halten können, aber wir haben Störungen von i n n e n , v o m G h e t t o s e l b s t . 1. Da hat seinerzeit e i n e i l l e g a l e E m i g r a t i o n a u s P r u z˙ a n y begonnen. Wir sind von der Behörde alarmiert worden, dass die Bevölkerung des Ghettos ununterbrochen wächst. Sowohl vom Polizeipräsidium als auch von der Gestapo her hat man gesagt, dies sei Sabotage und es drohe [die Gefahr], erschossen zu werden. Seit damals müssen wir Listen der Ankommenden zustellen. Wir haben uns schriftlich an die Behörde gewandt und sind für alle eingetreten. Mittlerweile ist die Angelegenheit der Gekommen erledigt, aber in Zukunft ist die Rückkehr aus Pruz˙any – eine Gefahr. 2. Die Arbeitsfrage hat in vielen Städten Tragödien hervorgerufen. Bei uns arbeiten viele, sowohl außerhalb des Ghettos als auch im Ghetto. Aber es gibt hier noch viele Menschen, die nicht arbeiten, sich der Pflicht zu arbeiten entziehen, und das ist für das Ghetto gefährlich. 3. Sehr gefährlich ist der Schmuggel in großem Maßstab, speziell von solchen Luxussachen wie Weißmehl, wofür man in Deutschland selbst die größten Strafen erhält. Für den Schmuggel sind alle verantwortlich, das ganze Ghettokollektiv solidarisch. 4. Die so genannten S c h w a r z g e l d e r, d.h. der Handel mit Valuta, mit G o l d , das willkürliche Festsetzen eines Preises für deutsche Valuta – das ist ein großes Verbrechen, besonders vonseiten von Juden. 5. Wir haben schwere Erfahrungen gehabt wegen des Verkaufs von selbstgebranntem S c h n a p s im Ghetto.111 Und dies gibt man [auch] noch den Deutschen zu trinken. In einem anderen Ghetto hätte dies zu Hunderten von Opfern geführt.
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Vgl. Meldung 284 und Protokoll 42.
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6. Es läuft auch eine Untersuchung wegen G o l d s c h m u g g e l s , den Juden aus dem Ghetto zusammen mit Polen getrieben haben sollen. Alle diese Dinge werfen einen Schatten auf das Ghetto, verwischen die positive Meinung, die zu schaffen wir uns bemühen. 7. An den Störungen beteiligen sich leider alle Schichten der jüdischen Be/ völkerung, sogar die Intelligenz, von der eine musterhafte Handlung zu erwarten gewesen ist. Die I n t e l l i g e n z ist mehr als andere Schichten für ihre Handlungen verantwortlich. So geben Doktoren leichtsinnig und nicht genügend kontrolliert Scheine über Arbeitsunfähigkeit heraus. – Bei Dr. Chwat befindet sich ein Heilapparat, den nur Vermögende gegen gute Entschädigung benützen können; wir wollen die Lampe zu gewissen Bedingungen in die »Linas Cholim« überführen, damit die ganze Bevölkerung davon einen Nutzen haben kann, und wie wir nach der Lampe schicken, zerbricht der Doktor böswillig die Lampe: entweder er allein darf Nutzen von der Lampe haben oder – niemand!112 Wenn Arbeiter mit ein paar Kartoffeln auf ihren ermatteten Schultern niedergeschlagen von ihrer Arbeit zurückkehren, steht da eine organisierte Bande und hetzt die Wache auf sie, man solle ihnen die paar Kartoffeln wegnehmen, und die Bande nützt es aus. Uns sind bekannt die Namen: A t l a s , N a j d o r f , M u l j e (ein Frisör). Die deutsche Behörde stellt uns große Forderungen bezüglich M ö b e l . In Warschau gibt es anscheinend bei den Juden schon keine Möbel mehr. Was für Skandale machen uns Juden wegen der Möbel! Jetzt – Maschinen: Wir machen uns daran, eine neue Schneidereifabrik zu eröffnen. Es werden dort von 1.000 bis zu 2.000 Frauen beschäftigt sein können, wonach alle Ghettoeinwohner streben, und was für eine leidenschaftliche Empörung haben wir von derselben Bevölkerung! Man versteckt die Maschinen, einer unserer besten Mitarbeiter im Judenrat, H. Liman, hat sogar eine Ohrfeige bekommen. Wir werden mit solchen Unruhestiftern abrechnen. Wo wir alle Kräfte anwenden, um das Ghetto zu retten, darf doch die Bevölkerung Respekt haben vor denen, die sich für das Ghetto aufopfern! Es muss Ordnung sein, Ruhe und Disziplin, und wir werden es schaffen. Die Angelegenheit Z e l i k o w i c z . Euch sind die Taten des Banditen Zelikowicz sicherlich bekannt. Er hat ein Ziel gehabt: das ganze Vermögen des Ghettos, das ganze jüdische Hab und Gut sollte an ihn übergehen. Ihr kennt seine Taten noch von vor dem Krieg. Diese Person pflegte jeden Abend, zusammen mit seiner Bande, Listen von denen aufzustellen, die man erpressen und berauben sollte. Man pflegte die Häuser zu durchsuchen, und was nur irgendeinen Wert hat, hat man jeweils für sich weggenommen. Gesagt hat man, das komme von der Behörde. – Wenn man es für nötig erachtete, hat man bei einem Juden eine Wache von Milizionären für drei Tage untergebracht und beim Juden 10-tausend Mark herausgepresst! Solche Räubereien und Erpressungen sind Handlungen jeden Tag gewesen. Jetzt hat man bei Zelikowicz einen ganzen Schatz gefunden, Gold, 112
Vgl. Meldung 275 und Protokoll 41.
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Brillanten, Seiden, Parfums, Weine, allerlei Valuten. Bei wie vielen Menschen hat er Geld herausgepresst, um ihnen angeblich zu helfen? Wie viele Menschen hat er un/glücklich gemacht? Und im Ghetto haben sich naive Menschen gefunden, die gemeint haben, Zelikowicz sei für das Ghetto nützlich … Jetzt sind wir 2 Wochen ohne ihn, und die Durchsuchungen und Angriffe gegen Juden haben aufgehört. In der letzten Zeit, als die Handlungen von Zelikowicz einen unerhörten Umfang angenommen haben, hat er im Judenrat für sich einen Störfaktor gesehen, und er hat eine niederträchtige Aktion gegen den Judenrat begonnen. Ihm sind die Räubereien privat bei Juden [zu] wenig gewesen, es hat ihn nach den Fonds unserer Finanzabteilung gelüstet, die für Steuern, Industrie, Soziale Hilfe usw. dienen. Er hat begonnen, außerhalb des Ghettos Zeugenaussagen zu verbreiten, wir g ä b e n d e r B e h ö r d e B e s t e c h u n g s g e l d , wir führten eine G r ä u e l p r o p a g a n d a gegen die Deutschen usw. Dabei will ich feststellen, dass außer der Bande von Zelikowicz, dem Quintett, ein kleiner Prozent[satz] des Ordnungsdienstes nicht auf der erforderlichen Höhe gestanden hat. 90 Prozent des Ordnungsdienstes, das sind unsere ehrlichen und nützlichen Mitarbeiter. Aber die 10 Prozent haben Schmutz auf das ganze Kollektiv geworfen. Jetzt werden wir vom Ordnungsdienst nur Schutz und Ordnung haben. Ein solcher Zelikowicz ist zu allen Zeiten ein Unglück, aber im Ghetto, da unser Blut sich wie Wasser ergießt, erlaubt mir, im Einklang mit unserer Tradition auszurufen: Möge se i n N a m e u n d s e i n A n d e n k e n a u s g e l ö s c h t w e r d e n !113 (Beifall, die ganze Versammlung antwortet: A m e n ). Ich habe euch schon gesagt, dass wir uns Rechenschaft geben über unsere Verantwortung für 35-tausend Juden, wir sind ständig wachsam. Aber ohne die Unterstützung des ganzen Ghettos sind wir ohnmächtig. Feinde lauern uns auf, und es ist eine Anstrengung von allen Bürgern nötig. Jetzt, da das schwarze Blatt in der Geschichte des Ghettos gewendet ist, hoffe ich, dass es uns gelingen wird, [alles] zu einem glücklichen Ende zu führen! (Beifall) H . S u b o t n i k : Verehrte Versammlung! Wir organisieren die Meetings im Ghetto nicht das erste Mal. Die Meetings haben schlussendlich einen Zweck – die Beziehung zum Judenrat. Hätte man doch öfter Meetings machen, eine Zeitung herausgeben und euch über unsere Leiden und manchmal Freuden informieren können. Aber wir müssen uns mit wenig begnügen. Wenn die Welt in Blut ertrinkt – erfordert ein Ghetto von 35-tausend Juden, dass man ständig den Puls fühlen muss. Der Bericht von H. Ing. Barasz ist ja nur eine kurze Zusammenfassung. Unsere Aufgaben unterscheiden sich doch von den Aufgaben von öffentlich Tätigen in Friedenszeiten. Da geht es nicht um ideologische Fragen, Meinungsunterschiede. Es läuft darauf hinaus, einen Kampf mit Verbrechern zu führen. Leider versteht man nicht immer, dass 113
Eine hebräische Fluchformel; vgl. im Alten Testament etwa Exodus 17,14; Deuteronomium 29,19.
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dies nicht ein Kampf von Einzelnen ist. Da ist doch eine verbrecherische Bande gewesen, organisiert gegen die ganze jüdische Bevölkerung. Am Anfang hat man den jüdischen Ordnungsdienst vom Judenrat un/abhängig machen wollen. Wir bedürfen nicht der Ehre, im Gegenteil, wir haben gewollt, dass der Ordnungsdienst selbständig Ordnung halten und die Bevölkerung schützen soll, aber schließlich haben wir uns einmischen müssen. Man hat mit schändlichen Denunziationen begonnen. Nur durch ein W u n d e r ist es gelungen, das Ghetto zu retten. Gott sei Dank! Es sei hier gemeldet, dass wir auch weiterhin auf der Wache stehen werden, auch weiterhin werden solche Verbrecher beseitigt werden. Man hat uns sogar durch Mitglieder des Judenrats gedroht. Wir werden uns aber nicht abschrecken lassen. Solche Parasiten sollen sich bei uns nicht mehr finden. Die Bevölkerung würde ich auf zwei Schichten aufteilen: (a) Die Beamten und die Arbeiter in den Ghettobetrieben, die über 4-tausend zählen, und (b) die übrige Bevölkerung. Es ist uns gelungen, die Beziehungen so herzustellen, dass die Behörde sich nicht direkt, sondern immer über den Judenrat an die Bevölkerung wendet. Auch vonseiten der Deutschen selbst wendet sich nicht jede Institution direkt, sondern über die Ghettoverwaltung an den Judenrat. Und wir erfüllen in der Tat die Bitten der einzelnen Deutschen nicht ohne die Vermittlung der Ghettoverwaltung. Und der Judenrat führt alles, den Abteilungen entsprechend, durch die Beamten aus. Die Beamten müssen ihre Pflichten gewissenhaft ausführen, denn jedes Vergehen eines einzelnen Beamten wirkt sich auf den ganzen Apparat aus. Wir bezahlen den Beamten fast gar nichts für ihre verantwortungsvolle Arbeit. Unsere Beamten wissen aber, dass wir keine Mittel zum Bezahlen haben. Die Beamten haben die Genugtuung, dass sie das Ghetto retten. Natürlich stehen wir auf der Wache, und Missbräuche werden bestraft werden. Die schmerzhafteste Frage ist aber die Beziehung zu uns vonseiten der ganzen Bevölkerung. Menschen verhalten sich nicht ernsthaft zu unserer Arbeit. Man macht Späße, man witzelt auf unsere Kosten. Nicht Zufriedene sind unvermeidlich. Aber die Unzufriedenen möchten unseren Misserfolg, vergessend, dass dies ein Misserfolg des ganzen Ghettos wäre. Sie vergessen unsere Pflichten, dass alles für die Bevölkerung getan wird, und das große Netz der Sozialen Hilfe, und die Pruz˙aner Juden, für die wir bis zum heutigen Tag schon 45-tausend Mark gegeben haben und weiterhin 5-tausend Mark im Monat geben müssen. Der Beamte erfüllt seine Pflichten gegenüber der Gesellschaft, der Ordnungsdienst hütet eure Ehre. Aber wir müssen auch eure Hilfe haben, eure Unterstützung – für euch selbst! G . M a r k u s (polnisch): Ihr habt die Geschichte von den letzten Vorfällen schon gehört. Leider ist dem Ordnungsdienst viel vorgeworfen worden. Ich stelle fest, dass eine Instanz offiziell gesagt hat, wir sollten nicht dem Judenrat unterstellt sein, aber ich bin gegen eine solche Position gewesen (H. Ing. Barasz macht an dieser Stelle darauf aufmerksam, dass die erwähnte Instanz von Zelikowicz inspiriert oder gebeten worden ist. H. Markus ist mit der Bemerkung einverstanden). Aus/ dem Ordnungsdienst hat man nicht bloß die Genossen
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von Zelikowicz ausgeschlossen. Ich habe auch mein Amt zur Disposition des Judenrats abgegeben. Aber an unseren Fehlern trägt auch die Bevölkerung viel Schuld. Man hat bei uns nicht reklamiert, man hat Zelikowiczs Taten noch geleugnet, wenn ich bei den Betroffenen Anfragen gemacht habe. – Wie schon bekannt, hält sich das Białystoker Ghetto aufgrund der Arbeiter. Am Ende [aber] schätzt man nicht ab, wie zweckdienlich die Arbeit ist, man deckt manchmal noch jene, die nicht arbeiten. Weiter: man spaziert mit Kindern in farbigen Kinderwagen, man beachtet noch immer nicht die Verdunkelung, man ist noch spät, nach der Polizeistunde, in den Gassen. Alle sollen, wie es sich gehört, ihre Pflichten erfüllen, dann werden wir das Ghetto bewahren. R a b b i n e r D r. R o z e n m a n schließt die Versammlung mit der Bemerkung, dass die heutige Versammlung ernster und lehrreicher gewesen ist als die bisherigen. Sie hat viel Licht gebracht, viel Schatten aufgedeckt. Der Judenrat steht auf der Wache. Der Redner appelliert an die Bevölkerung, dass sie die Lage verstehen, dass Willkür aufhören, dass Disziplin sein soll – dann wird Friede sein über ganz Israel.
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[45] Protokoll [Feier: ein Jahr seit der Errichtung des Ghettos]114 … für den Judenrat, nachher – was mit dem Magistrat verbunden ist – A p p r o v i s a t i o n , weil es schnell eine Hungersnot gegeben hat, danach – Arbeitsamt, weil wir gewusst haben, dass die Forderung nach Arbeitern groß sein wird. Selbstverständlich haben wir uns schnell um die F i n a n z e n sorgen müssen. Es ist schwierig, die Geschichte der Entstehung des Judenrats genau wiederzugeben. Wir haben uns eine Aufgabe gestellt: Zur Arbeit angesehene, ehrliche, tüchtige Menschen, kämpferische Leute beizuziehen. Solche Menschen besitzen wir, ich will sie hier nicht rühmen, aber ein wenig soll sein Lob in seiner Gegenwart sein: H. Ing. Barasz, der auch Leiter der Industrie ist, mit seinen großen Fähigkeiten, seiner ungewöhnlichen Energie – kennen und anerkennen alle. Die Behörde hat sich tatsächlich überzeugt, dass wir ohne Eigennutz arbeiten, und die Beziehung zu uns ist mit der Zeit befriedigend geworden: Wie ihr wisst, sind viele Erlasse widerrufen worden, weil die Einstellung zu unserer Arbeit eine gute geworden ist. – Es ist nicht nachzuerzählen, wie zum Beispiel H. Subotnik und H. Liman gearbeitet und was sie unternommen haben. 6 Uhr in der Früh habe ich zusammen mit H. Liman Arbeiter zum Schloss weggeführt. Die Approvisation hat H. Szwif geleitet, die Finanzen – H. Goldberg. Ich muss auch H. Polonski erwähnen, der das Arbeitsamt, die Registrierung der Fachleute geleitet hat. Wir haben uns erlaubt, uns mit der Kontribution 114
Laut Herausgeber Nachman Blumenthal fehlt die erste Seite des Protokolls.
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sogar am Sabbat zu beschäftigen – Geld zu sammeln, 5 kg Gold und viel Silber. Der erste, der die Industrie organisiert hat, ist H. Melnicki, der viel unternommen hat. Die Industrie hat sich, wie bekannt, so entwickelt, und ihre Bedeutung für das Ghetto ist so groß, dass wir es für nötig gefunden haben, dass an die Spitze der I n d u s t r i e s i c h H . I n g . B a r a s z s t e l l e n s o l l , u n d d a s hat uns Achtung und Anerkennung bei der Behörde eingebracht. Heute, da ein Jahr schwerer, aber segensvoller Arbeit vorüber ist und ein neues Jahr beginnt, an diesem Neujahr beten wir: Gedenkt unser zum Leben! Der Name, gepriesen sei er, möge uns weiterhin nicht verlassen, so dass wir unsere Aufgabe zum Nutzen und Glück der ganzen Bevölkerung ausführen können. H . I n g . B a r a s z : Wir haben das heutige Datum nicht übergehen können, ohne uns wenigstens mit den nächsten Menschen zusammenzufinden und zu unterhalten. Es gibt keine Schilderungskraft – von keinem Künstler, keinem Schreiber oder Maler –, die imstande wäre wiederzugeben, was wir in den 365 Tagen erlebt haben. Wir glauben es selbst nicht, und keiner wird uns, scheint es, in der/ Zukunft glauben, was mit uns in dieser Zeit passiert ist. Ein Glück, dass man die Zukunft nicht voraussehen kann, wir hätten das Bild allein nicht überlebt. Wenn ich eine Liste der Nöte geben, sie bloß nennen, nicht schildern wollte, würde es lange, sehr lange dauern. Ich werde nur die traurigsten, ganz unerwarteten Geschehnisse erwähnen: 1. Die Donerschtikdike, 2. die Schabessdike,115 3. die Suntikdike, von da an ich meine persönliche Tragödie habe,116 4. die erste kolossale Kontribution,117 5. der schreckliche Ghettoerlass, 6. die zweite Kontribution,118 7. der Plan, die Approvisation wegzunehmen,119 8. der Plan, die Nichtfachleute wegzuführen,120 9. die grausame Evakuierung – Pruz˙any,121 10. die Kontribution in einem Wert von 5 Millionen,122 11. die Forderung von Listen der Intelligenz,123 12. der Arbeitseinsatz, man war doch im Begriff, 90 Arbeiter zu erschießen,124 13. der seinerzeit schon bestätigte Plan, zwei Ghettos zu schaffen, was vielleicht das größte Unglück gewesen wäre, wie uns die Dinge aus anderen Städten bekannt sind,125 14. die Drohung wegen Immigration nach Białystok,126 15. der Plan, die 115
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So die jiddische Bezeichnung der Donnerstags- und Sabbatopfer der gegen die Białystoker Juden durchgeführten Mordaktionen vom Donnerstag, dem 3. Juli, und Samstag, dem 12. Juli 1941. Vgl. u.a. Blumenthal, Introduction, in: Darko shel Yudenrat, S. XI mit Anm. 21. Unter den Sonntagsopfern (3. August?) war auch der Sohn von Barasz. Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, Anm. 5 zu Protokoll 45, S. 216. Vgl. Meldung 3. Vgl. Meldung 92. Vgl. Protokoll 8. Ebd. Vgl. Protokoll 9 ff. Vgl. Protokoll 16. Vgl. Protokoll 15, 17, 31. Vgl. Protokoll 15. Vgl. Protokoll 32. Vgl. Protokoll 37, 38.
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Jurowcer Gasse wegzunehmen,127 16. der Möbelerlass,128 17. der Plan, das Ghetto wegen Flecktyphus abzusperren,129 18. Unglücke wegen Denunziationen vonseiten der Polen,130 19. die Angelegenheit ›Radio‹,131 20. selbstgebrannter Schnaps132 usw. usw. Kurz, wir haben nicht einen ruhigen Tag gehabt, der nicht nach Gefahr gerochen hätte. Viele Erlasse sind, wie bekannt, dank unserem Handeln aufgehoben worden. Wir haben viele positive Taten bewiesen: 1. Unsere Fabriken, die sehr oft ein ›Etwas aus dem Nichts‹ geschaffen haben, haben bei den Feinden Bewunderung hervorgerufen. 2. Die Ausstellung außerhalb des Ghettos beweist ununterbrochen unsere Leistungen und Leistungsfähigkeiten. 3. Zugleich haben wir ein Schulwesen und Fachschulen geschaffen. 4. Unsere Soziale Hilfe, Spitäler usw. übertreffen in ihrem Umfang um ein Vielfaches unsere ähnlichen Institutionen vor dem Krieg. 5. Unsere Gärtnerei und andere Arbeit beweisen, dass Juden ein sehr nützliches Element sind. Es gibt verschiedene Meinungen über die Tätigkeit unseres Judenrats. Man muss aber die Lage des Judenrats in Betracht ziehen. Wir sind doch die Gei/ seln, Bürgen für alles, was im Ghetto passiert. Und was das bedeutet, wisst ihr ja von anderen Städten. Die Mitglieder des Präsidiums sind bekanntlich vorzeitig grau geworden. Die aufopfernde Arbeit des Präsidiums ist doch mit Worten nicht wiederzugeben. Wenn man [über]leben wird, wird man darüber ganze Bücher schreiben müssen. Später hat eine kardinale Wende in unserer Lage stattgefunden, was uns von allen besetzten Gebieten und Ghettos unterscheidet. Es ist nichts Neues, wenn schwache Menschen dem Starken Komplimente machen, das ist die bekannte Heuchelei. A b e r w i r, d i e S c h w ä c h s t e n , hören Komplimente von den Stärksten, von den Machthabern. Die Wende ist wegen unserer positiven Arbeit gekommen. Ich bewundere die starke Harmonie unter den Mitgliedern des Judenrats. Es kommen überhaupt keine Fälle von gegensätzlichen Meinungen vor. Alle unsere Beschlüsse und Handlungen sind einstimmig. Freilich, es ist kein Platz für Optimismus im Ghetto, aber wenn ich auf den Weg blicke, den wir zurückgelegt haben, und auf unsere Bagage, dann bin ich sicher, dass wir das Białystoker Ghetto zu einem glücklichen Ende führen werden. (Großer Beifall). H . S u b o t n i k : Verehrte Versammelte! Das Ghetto erlegt uns sehr schwere Pflichten auf. Uns, den Verantwortlichen, ist es oft zugefallen, für die Bevölkerung Berichte abzugeben, es sind schon übliche Reden gewesen. Aber im 127 128 129 130 131 132
Vgl. Protokoll 18, 19. Vgl. Protokoll 44. Vgl. Protokoll 18. Vgl. Protokoll 30. Vgl. Protokoll 32, 38. Vgl. Protokoll 42, 44.
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Ghetto ist ein anderer Inhalt und ein anderer Bezug. Unsere Verantwortlichen im Ghetto haben ja kein Ghetto durchgemacht. Solche Bedingungen sehen wir im Laufe von Hunderten von Jahren nicht. Wir müssen einen neuen Inhalt suchen. Bedauerlicherweise sind wir Staatsmänner geworden. Die bisherigen Ghettoerfahrungen teilen sich in zwei Epochen auf: a) ohne eine stabile Behörde, die jeden Tag gewechselt und sich geändert hat, und b) die Zivilverwaltung, die seit August existiert. Es ist nicht alles aufzuzählen, was wir durchgestanden haben, wie: Das Aufgreifen von Menschen zur Arbeit, Kontributionen, Ghettoerlasse, die Gefahr eines Ghettos in einer solchen Gegend, wo wir keine Fabriken mehr hätten haben können, Durchsuchungen im Ghetto, als man noch nicht alles weggenommen hat. Die zivile Behörde hat im Sinn gehabt, 20-tausend Menschen wegzuschicken, es hat jedoch mit 4-tausend Menschen geendet. Weiter Kontributionserlasse, 2 Ghettos, Radios. Kleinere Angelegenheiten sind [gar] nicht zu berichten. Die Meinung ist doch gewesen, dass Juden hier nicht bleiben dürfen. Der verehrte H. Ing. Barasz hat schon erwähnt, dass in größter Gefahr der Judenrat gewesen ist, und danach, wie gewöhnlich – die ganze Bevölkerung. Keiner von uns hat das Amt im Judenrat annehmen wollen. Ich habe ein paar Tage gezögert, bis man mich überzeugt hat, dass man/ dem Wohl der Allgemeinheit zuliebe auf sich selbst verzichten muss, wo es um das Leben einer solchen Gemeinde von Juden geht. Heute, da die Lage schon geklärt ist, finden sich Kluge, die es vielleicht gelüsten könnte, in den Judenrat zu gehen. Der Judenrat ist nicht sogleich das geworden, was er heute ist. Er ist bei der Arbeit mit der Zeit herangewachsen, dank der ersten Personen ist das alles geschaffen worden, was wir heute besitzen. Wie gesagt, keiner hat uns gewählt. Der verehrte Ingenieur Barasz hat uns zugeredet, die großen und schweren Pflichten auf uns zu nehmen, weil er die Pflicht des Augenblicks133 verstanden hat. Jetzt ist es eine Regierung sozusagen, mit allen Ämtern, Abteilungen, Ministerien. Der offizielle Obmann Dr. Rozenman ist jeweils selbst herumgegangen, um für die Deutschen Arbeiter zu beschaffen. Er hat sehr viel durcherlebt. Sein größtes Verdienst ist, dass er den verehrten Ingenieur Barasz nominiert hat, weil es nicht den Kräften von Rabbiner Rozenman entsprochen hat, all das durchzuführen, was nötig gewesen ist. Ich will nicht die Person rühmen, mir geht es um die Arbeit, um die Leistungen. Der verehrte Ingenieur H. Barasz ist in unserer ›Regierung‹ Premier, Innenminister, Industrieminister, weil im Ghetto sich alles in einer Hand befinden muss. Die Industrie zum Beispiel hat mit der Wehrmacht zu tun, das ist deshalb auch Außenpolitik. Wir wundern uns manchmal, wie er das alles durchführt, wie es klappt. Es ist eine Hilfe des Himmels, besonders in den letzten Wochen. Alles wird aufs Beste geregelt. Die anderen Funktionen, scheint es, üben andere Mitglieder aus, aber der Geist, die Richtung ist die Hauptsache. H. Ing. Barasz ist mit unmittelbaren Angelegenheiten beschäftigt, aber sein Auge ist in allen Ämtern. Überall ist er informiert, es ist da eine feste, ehrliche Hand. In dieser Richtung gehen wir von 133
Wörtlich der Minute.
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Anbeginn an. Wo etwas nicht in Ordnung gewesen ist, haben wir es bald gespürt. Auf der Feier zur Eröffnung der Garküche beim Ordnungsdienst hat man schon auf Missbräuche aufmerksam gemacht. Es sind damals die traurigberühmten Fenigsztejn und Zelikowicz dabeigewesen, und ihr wisst ja, wie es geendet hat. Sehr richtig hat der verehrte Rabbiner Rozenman die Parschat Korach134 erwähnt; es erinnert an Datan und Abiram, an die Nöte, die wir von ihnen mit dem berühmten Quintett erlitten haben. Unsere Richtung? – Stets haben wir in Gemeindeangelegenheiten auf Vermittlung, Kompromisse auszugehen gepflegt, alle zufriedenstellen wollen. Heute muss sein: Das Recht soll den Berg durchbohren.135 Wer sich fürchtet und verzagten Herzens ist, der gehe und kehre zurück in sein Haus!136 Die Richtung muss durchhalten, wenn wir am Leben bleiben wollen. Dazu muss das Ghetto sich als ein nützliches Element darstellen. Von allen ›Leben‹, [um die wir] in unseren Gebeten [bitten], wie ›ein Leben des Guten‹, ›des Unterhalts‹, ›ein Leben ohne Schmach und Schande‹ usw.137 begnügen wir uns heute mit bloßem ›Leben‹, und dies wirklich dank ›RB‹, den Anfangsbuchstaben von Rozenman-Barasz: Wir helfen nur, und sie, besonders H. Ing. Barasz, handeln für uns! Der Zweck der heutigen Feier ist nicht unser Egoismus,/ dass wir selbst bis heute überlebt haben. Wir gedenken der Białystoker Opfer, wir gedenken der Gemeinden, die ausgerottet worden sind. Man hätte die ›Klagelieder‹ lesen müssen, da man keinen Segensspruch ›Der uns am Leben erhalten hat‹ machen darf ohne Freude. Aber alles in Betracht ziehend, in Betracht ziehend, dass es dem Judenrat gelungen ist, die 35-tausend Einwohner zu retten, und dass ›jeder, der eine Seele erhält, ist wie wenn er eine ganze Welt erhalten hätte‹,138 ist der Vorschlag des verehrten Ing. Barasz gewesen, man solle der vergangenen Zeit gedenken und einen Rechenschaftsbericht abgeben über alles, was geschehen ist. Hier hat sich der ganze Apparat versammelt, der das Ghetto schleppt; die Gedenken werden eine S t ä r k u n g d e r G e m e i n s c h a f t sein, und wir müssen den Weg weitergehen. Unsere Industrie soll wachsen und unsere Lage sich bessern. Keiner kann sich heute freuen und ›lashana habba‘a‹139 wünschen! 134 135 136 137
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Vgl. oben Anm. 104. Im Sinne von Fiat iustitia, pereat mundus. Vgl. Deuteronomium 20,8. Vgl. bBerakhot 16b: »Rab pflegte nach seinem Gebet zu sprechen: Möge es dein Wille sein, Herr, unser Gott, uns langes Leben zu geben, ein Leben des Friedens, ein Leben des Guten, ein Leben des Segens, ein Leben des Unterhalts, ein Leben körperlicher Kraft, ein Leben voller Furcht vor der Sünde, ein Leben ohne Schmach und Schande, ein Leben des Reichtums und der Ehre, ein Leben, in dem die Liebe zur Tora und Gottesfurcht in uns ist, ein Leben, in dem du uns alle unsere Herzenswünsche zum Guten erfüllst.« Mit der Einleitung »Möge es dein Wille sein, uns den kommenden Monat zu erneuern zum Guten und zum Segen« wird dieses Gebet zur Verkündigung des neuen Monats am vorhergehenden Sabbat gesprochen. Vgl. Sanhedrin 4,5: »Deshalb ist ein einziger Mensch geschaffen worden, um dich zu lehren, dass jedem der eine Seele vernichtet, die Schrift es anrechnet, wie wenn er eine ganze Welt vernichtet hätte, und jedem, der eine Seele erhält, die Schrift es anrechnet, wie wenn er eine ganze Welt erhalten hätte.« Nächstes Jahr ist der aus der Pessach-Haggada stammende Gruß und Wunsch »Nächstes Jahr in Jerusalem«.
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Aber wir wünschen Energie in der weiteren Arbeit in derselben Richtung, besonders H. Ing. Barasz als Leiter der Industrie wünschen wir, seine Energie möge nicht aufhören. Gebe Gott, dass wir das Protokoll von der heutigen Feier lesen und uns freuen können, dass wir überlebt haben! (Großer Beifall). H . J . G o l d b e r g : Verehrte Versammelte! Man darf nicht beim vergangenen Jahr allein stehenbleiben. Lasst uns wünschen, dass wir uns am 29-ten Juni 1943 alle treffen können! Der einen Stadt unseres Bezirks, die bis jetzt besser gelebt hat als wir, ohne ein Ghetto, droht heute – der Untergang. Ich kenne den Obmann dieses Städtchens zufällig persönlich, und sein Schicksal ist mir heute nicht mehr bekannt … Es ist ein Gebot der Stunde zu erwähnen, dass es eine Zeit ist, da es keinen Ort für persönliche Interessen gibt. Man muss warten und überleben. Alle wissen, dass man hier den Menschen, die an der Spitze stehen, keine Komplimente hat machen wollen, man will nur die Gesamtheit retten, und deshalb, wer dies missbraucht, gefährdet sich und das ganze Ghetto. Es gibt Menschen, welche die heutige Lage für sich ausnützen wollen. Nicht alle verstehen, dass wir uns retten müssen und nicht private Interessen zu pflegen haben. Alle unsere Versammlungen und Reden sind Worte, die von Herzen kommen, aber leider – nicht zu Herzen gehen. Es gibt Menschen auf verantwortungsvollen Posten, die diese zum eigenen Nutzen ausnützen. Wir, der Judenrat, haben im Lauf des vergangenen Jahres alles ehrlich getan, um das Ghetto zu retten. H. Ing. Barasz hat schon darauf aufmerksam gemacht, dass es bei uns keine Parteipolitik gibt, wir gehören alle zu einer Partei von ehrlichen für das Gemeinwohl Tätigen, die voll bereit sind, ihre eigenen Interessen zu opfern. Aber man muss das ganze Ghetto beeinflussen. Es gibt offensichtlich noch Menschen, denen es zu gut geht und die alle Vergnügen dieser Welt wollen. Unsere Pflicht: Darauf achten, dass in unseren Reihen Ehrlichkeit und Pünktlichkeit beim Erfüllen unserer Aufgaben herrschen. Wenn wir auf diesem Weg gehen, werden wir hoffentlich bessere Zeiten erleben. (Beifall). H . M e l n i c k i erinnert an die erste Zeit, als das Heimgehen von einer Sitzung aus dem Haus des Rabbiners mit Gefahr verbunden war. Viele, unter ihnen er selbst und H. P. Kapłan, sind überfallen und mörderlich geschlagen worden. Er erinnert daran, wie das Lokal des Judenrats schrecklich demoliert worden ist. Aber stark ist die Lebenskraft von Juden, so dass in einer solchen Zeit die Fantasie gekommen ist, Industrie aufzubauen, ohne Maschinen, ohne Rohstoffe, auf die Gefahr hin, dass jede Minute daraus gar nichts werden könnte. Unsere Taten haben aber alle Hindernisse überwunden. H . J . L i f s z i c weist auf die schwere und verantwortungsvolle Arbeit des Judenrats hin, besonders der Präsidiumsmitglieder. Man muss sich deshalb über die Situation Rechenschaft geben und sehen, dass alle sich im Ghetto vom Bewusstsein durchdringen lassen, dass alle Juden Leistungen erbringen müssen, wenn wir in schwerer Zeit unsere Existenz so weit wie möglich sichern wollen. H . M . B e r m a n vom Ordnungsdienst rezitiert eine Humoreske über den Judenrat.
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H . L i m a n : Wir haben ein schweres Jahr von Verfolgungen, Räubereien, bestialischen Massenmorden in allen jüdischen Gruppen erlebt. Auch in Białystok haben wir ein Jahr von Bränden gehabt, Donerschtikdike, Schabessdike, Ghetto, Evakuierung usw. Wir haben alles getan, was von uns abhängt. Dank dem haben wir von Białystok viele Erlasse und Nöte abgewendet. Lasst uns hoffen, dass dank der Taktik des Judenrats – ein Jahr mit seinen Flüchen zu Ende geht und ein Jahr mit seinen Segnungen beginnen wird und wir alle auf dem Erdboden140 bleiben werden. (Beifall). R a b b i n e r D r. R o z e n m a n schließt die Sitzung mit einem Segen für Białystok und für ganz Israel.
[46] Protokoll der [10.] Sitzung der Abteilungsleiter am 25. Juli 1942 Vo r s i t z e r Ing. Barasz berichtet von 2 Briefen, die der Judenrat von der Behörde wegen Stellens von jüdischen Arbeitern erhalten hat. Der Stadtkommissar, die Ghettoverwaltung fordert eine Liste von 30 jüdischen Arbeitern ausgerechnet aus den Fabriken – nicht von denen, die außerhalb des Ghettos arbeiten, um dort nicht in der Arbeit zu stören. – Die 30 Arbeiter sind für 3 Wochen nötig. Ein zweiter Brief ist vom Oberbürgermeister angekommen mit einer Kopie eines Briefs der Reichsbahn an den Oberbürgermeister. Im Brief wird, wie im ersten Brief, von den Betrieben eine Liste von 60 Arbeitern gefordert, die der Behörde zum Entladen und Aufladen von Lasten ständig zur Verfügung stehen sollen. Nach einem Meinungsaustausch mit der Beteiligung der HH. Dines, Mincberg u.a. ist beschlossen worden: (a) Für die Liste von 30 Arbeitern sollen genommen werden: aus den Fachkursen – 10 Personen; Schlosserei Zamenhof 22 – 5; Schlosserei Ciepła 2 – 5; Schuhfabrik – 5; Sattler – 5 Personen. (b) Die Liste von 60 Arbeitern wird für den Monat August aufgestellt werden, eine Hälfte aus der Schusterei und eine Hälfte aus der Sattlerei zu je 30 Personen aus einer Fabrik. Hierzu erklärt H. Ing. Barasz, dass die Liste der 30 zugestellt werden wird, sobald die Angelegenheit bei der Behörde selbst, wo es wegen Einzelheiten noch Meinungsverschiedenheiten gibt, geklärt sein wird.
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[47] Protokoll [29] der Sitzung des Judenrats am 15-ten August 1942 Vo r s i t z e r Rabbiner Dr. Rozenman eröffnet die Sitzung. Das Protokoll der letzten Sitzung vom 20-ten Juni d. J. wird verlesen und ohne Bemerkungen angenommen. 140
Wörtlich auf der Oberfläche.
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H . I n g . B a r a s z ergreift das Wort zu einem Bericht. »Die wichtigsten Geschehnisse im Ghetto sind in den letzten Zeiten die B e s u c h e in unseren Betrieben und überhaupt im Ghetto. Sie sind für unser Schicksal wichtig, von den Besuchen hängt unser Sein und Nichtsein ab«, – sagt Ing. Barasz und geht über zu den wichtigsten Besuchen nach ihrer Reihenfolge. 1. Ein Besuch des Parteikreisleiters in den Betrieben mit guten Resultaten. 2. Ein Besuch in den Betrieben durch die Presse mit Beteiligung von 60 Korrespondenten. Die Eindrücke, die sie mitgenommen haben, sind zu ersehen aus einem Artikel in der Presse, der für uns positiv gewesen ist. 3. Wir haben auch Besuche gehabt vom Direktor des Wirtschaftsministeriums in Begleitung von Bürgermeister Schwendowius. 4. Vom Direktor des Innenministeriums mit anderen Vertretern der Behörde. 5. 2 Delegationen des Gauleiters – von dem wir die Meinung gehört haben, eine solche organisierte Arbeit hätten sie in ganz Ostpreußen nicht angetroffen. 6. Vonseiten der Behörde sind Filme vom Ghetto gemacht worden, alle positiv. Man hat die Ausstellung mit vielen Einzelheiten gefilmt, auf Vorschlag von H. Ing. Barasz ist auch die jüdische Armut gefilmt worden. 7. Es hat uns auch der Präsident vom Roten Kreuz zusammen mit Ärztinnen141 der Wehrmacht besucht. 8. Letzten Freitag hat man uns von der Leitung der Gestapo besucht – alte und neue Menschen – aus Berlin. Sie haben sich über unsere Leistungen [so] ausgedrückt: »Es ist zum Staunen.« 9. Am Freitagnachmittag hat uns der Oberpräsident von Ostpreußen besucht. Er hat keine Zeit gehabt und hat zu Beginn bestimmt, nur 2 Fabriken zu besuchen. Natürlich sind alle Gerüchte unbegründet, die im Zusammenhang mit dieser Visite verbreitet worden sind. Die Meinungen, die wir sowohl von ihnen als auch von ihren Begleitern gehört haben, beweisen, dass unser Weg – das Ghetto für die Behörde nützlich zu machen – der richtige ist. Der Umfang der Betriebe ist [so] geworden, dass man sie nicht wiedererkennt. In den Betrieben arbeiten 1.700 Personen. In der Trikotage hat sich die Zahl der Arbeiterinnen verdoppelt./ Die neuen Fabriken, die in Betrieb zu nehmen wir im Plan gehabt haben – für Fässer, Schuhleisten – arbeiten schon lange. Die neue Schneidereifabrik wäre schon um ein Vielfaches größer geworden, nur machen die hergeschickten deutschen Instruktoren Schwierigkeiten, sie haben ein anderes Organisationssystem als wir. Es sind in unseren Betrieben große Bestellungen gemacht worden, wie 100-tausend Mützen, 40-tausend Paar Handschuhe. Die Wehrmacht macht Druck auf das Arbeitstempo, dementsprechend wirkt sich dies auf die Entwicklung unserer Betriebe aus. H . I n g . B a r a s z schlägt bei der Gelegenheit vor, die Ratsmitglieder sollten an einem bestimmten Tag alle Betriebe besuchen. 141
Es ist nicht ganz klar, ob das jiddische frojen-doktojrim hier Ärztinnen, so die hebräische Übersetzung mit Fragezeichen, oder Frauenärzte meint.
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Der Besuch wird für Sabbat, den 22-ten August d. J., 10 Uhr in der Früh beschlossen. H . I n g . B a r a s z referiert weiter: Es gibt eine Reihe ernster Angelegenheiten: 1. Die wichtigste und traurigste Frage ist die der Flüchtlinge. Seit dem Brand rings um uns herum laufen Juden nach Białystok. Wir sind verpflichtet, Berichte über Ankommende an 3 Instanzen weiterzugeben, und das kann zu schlimmen Resultaten führen. Man kommt aus zwei entgegengesetzten Richtungen hierher: Slonim und Warschau. Man hat wieder angefangen, aus Pruz˙any zu kommen, und das ist noch schlimmer. Zunächst ist es in Pruz˙any gar nicht schlecht, und es ist ein Verbrechen, unsere Stadt in Gefahr zu bringen, wenn man dazu gar nicht genötigt ist. Zweitens wird dies bekanntlich als Sabotage angesehen, und die Pruz˙aner stehen selbst vor der größten Gefahr. 2. Wie bekannt, hat die Gestapo verordnet, bei uns die e l e k t r i s c h e n Geräte und das P e l z w e r k wegzunehmen.142 Die Situation ist leider so, dass schwer zu sagen ist, ob es sich lohnt, sich darum zu bemühen und – zu siegen. Von der Behörde hat sich einer so ausgedrückt: »Das Leben ist teurer als Pelz.« 3. Wegen des Tauschs der Z˙ydowska Gasse mit der Smolna bemühen wir uns, aber zurzeit ist die Sache noch nicht geregelt. Wegen unseres Schicksals? Jeder würde gerne von unseren Eindrücken hören. Im Ghetto werden oft verschiedene Gerüchte verbreitet. Das stammt offensichtlich vom großen Schrecken, der die Öffentlichkeit erfasst, und manchmal werden sie vielleicht mit bösen Absichten verbreitet, vielleicht ist jemand daran interessiert, unter Juden eine Panik zu verbreiten. H. Ing. Barasz stellt fest, dass die Gerüchte Lug und Trug sind. [Von den/ Dingen, vor denen wir Angst haben, hat der Oberpräsident gesagt, würde er als erster etwas wissen.]143 Wie sieht es mit Białystok aus? Ich bin überzeugt, dass unser Weg der einzig richtige ist. Allerdings gibt es solche Signale wie früher, das Białystoker Ghetto sei zu groß, zu viele Juden seien da. Hauptsächlich sprechen eine solche Meinung die neuen Gesichter aus, die frisch Angekommenen, aber die ständig hiesigen Deutschen sind für das Ghetto, die örtliche Behörde schätzt uns, und solange es keine allgemeine Verordnung von oben geben wird, steht uns keine Gefahr bevor. H . P u n i a ´n s k i : Bis jetzt hat sich die Zahl der Einwohner im Ghetto nicht geändert, die Anmeldungen haben sich gedeckt mit den Abmeldungen. Jetzt kommen sogar Flüchtlingskinder an,144 es sieht nach einem neuen Strom von Flüchtlingen aus. Sie bitten um Unterstützung, um eine Wohnung. Was tun in diesen Fällen? H . M a r k u s macht darauf aufmerksam, dass die Angelegenheit überhaupt gefährlich ist. »Ich sehe Symptome gegen die Pruz˙aner.«
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Vgl. Meldung 312, 317, 335, 337 und 348. Laut Anmerkung des Herausgebers Blumenthal ist der in eckige Klammern gesetzte Satz im Original durchgestrichen. Vgl. Meldung 251.
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H . G o l d b e r g schlägt vor, nach dem Muster von Wołkowysk zu fordern, dass die Flüchtlinge sich in den umliegenden Städtchen ansiedeln. H . S u b o t n i k bemerkt, man kriege bei uns keine Scheine. H . G o l d b e r g schlägt vor, ein Komitee einzurichten, das die ganze Angelegenheit regeln soll. H . M a r k u s : Der Judenrat ist verpflichtet, für das Białystoker Judentum auf der Wache zu stehen. Wir müssen alle Ankommenden anmelden – aber auf deren eigene Verantwortung. Gleichzeitig muss man von ihnen Arbeiterbrigaden gründen. H . S u b o t n i k bemerkt, dass trotz all der vorgeschlagenen Maßnahmen das Ghetto doch vergrößert werden wird. R a b b i n e r D r. R o z e n m a n : Nachdem nach Białystok Arbeiter aus anderen Städtchen hereingeschickt werden und für sie Arbeitslager organisiert werden, wäre das deutsche Arbeitsamt vielleicht einverstanden gewesen, Arbeitslager für die Ankommenden außerhalb des Ghettos zu organisieren, das hätte doch das Ghetto nicht belastet. H . P o l o n s k i meldet, dass alle, die kommen, zur Arbeit herangezogen werden. H . P e c i n e r : Vielleicht wäre die Behörde damit einverstanden, das Ghetto mit F a c h l e u t e n zu vergrößern? H . I n g . B a r a s z : Die Angelegenheit ist eine schwierige. Der Rat wird ja/ keine Beschlüsse fassen, das Präsidium – auch nicht. Die Deutschen werden O r d n u n g m a c h e n . Ich habe das vorausgewusst, aber ich habe es für nötig gefunden, den Rat darauf aufmerksam zu machen. D r. K a c e n e l s o n : Es gibt Menschen, die nicht wegen des Schreckens hierher gekommen sind, sondern zum Zweck, besser zurechtzukommen, obschon in ihren Orten alles in Ordnung ist. Er bringt dafür ein Beispiel. H . S u b o t n i k hält im Zusammenhang mit der Bemerkung von Dr. Kacenelson dafür, dass man einen Beschluss fassen kann, dass, wenn Menschen von ruhigen Punkten nach Białystok kommen werden, man sie wegeschicken soll, weil dies epidemisch werden kann. Auch die neuen Pruz˙aner müssen Białystok verlassen. H . J . L i f s z i c : Nachdem es bei uns das Prinzip gibt, keine neuen Menschen zu melden, muss man es ausnützen, damit jedenfalls Platz sein wird für Flüchtlinge aus gefährlichen Orten. Mit den Pruz˙anern muss der Ordnungsdienst sich beschäftigen und sie zwingen wegzufahren. H . J . G o l d b e r g schlägt vor, dass eine Versammlung der Pelzregistratoren organisiert werden soll. Man darf keine Pelze ohne das »Oberteil« geben, man muss das alles den Hausverwaltern erläutern. H . I n g . B a r a s z erinnert die Ratsmänner daran, dass sie alle morgen in der Früh zur Versammlung kommen müssen.
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[48] [7. Allgemeine Versammlung] Der Saal der »Linas Hacedek« ist vollgepackt. Die ersten 7 Reihen sitzen, und die übrigen stehen Kopf an Kopf, bis in den letzten Winkel. Auch die Treppen sind vollgepfropft, und man klopft ununterbrochen an die Tür. Auf der Bühne sitzt der Judenrat. R a b b i n e r D r. R o z e n m a n eröffnet die Versammlung und erteilt das Wort Ing. Barasz, der sagt: Die heutige Versammlung findet statt unter den schweren Eindrücken der Geschehnisse in den letzten Wochen sowohl auf der Ostseite als auch im Westen.145 Man kann die Augen nicht verschließen, auch [nicht] im Hinblick auf unser eigenes Schicksal, man muss der Wahrheit direkt in die Augen gucken. Białystok hat, abgesehen von den schweren Erfahrungen der ersten Monate, im letzten Jahr fast ein ruhiges Leben gelebt. Unsere Aufgabe ist – diese Lage aufrechtzuerhalten und sie bis zum Ende zu verlängern, das doch einmal kommen muss. Aber mit welchen greifbaren Mitteln, die in unserer Kraft liegen, können wir das tun? Wir dürfen offen und klar sagen, dass es absolut keine Gräuelpropaganda sein wird, dass wir nicht kommen und sagen können: »Wir wollen leben, wir haben Frauen und Kinder!« Da ist kein Erbarmen – nur ein Mittel gibt es: Taten! Das Ghetto in ein Element verwandeln, das zu vernichten ein Schaden ist, weil es nützlich ist. Und das tun wir. Ihr seid selbst Zeugen gewesen in den letzten Wochen, dass das Ghetto oft abgesperrt wird, weil Delegationen kommen. In einem Teil von ihnen sind die höchsten Spitzen der Behörde. Und sie kommen hierher nicht zu einem Spaziergang, nicht zum Begucken des Marktes, sondern um die Frage zu lösen, ob das Ghetto existieren muss. Das sind für uns Schicksalstage. In den Delegationen sind Vertreter der Parteileitung wie auch politische und zivile Führer. Letzten Freitag ist der Oberpräsident von Ostpreußen dagewesen, und es ist klar, dass wir uns nur mit solchen Mitteln retten können. Unsere Ausstellung ist nicht des Handels wegen, sondern um des Lebens willen organisiert worden. Und es entwickelt sich [alles] immer mehr: Schon 40% der jüdischen Bevölkerung sind durch uns in die Arbeit eingegliedert, fast die ganze [arbeits]fähige Bevölkerung. – Das macht einen starken Eindruck, und in einem gewissen Sinn schwächt es die Aktion gegen uns in den Kreisen unserer Feinde. Es versteht sich, dass wir ohne die aufopferungsvolle Arbeit der Tausenden von Juden dies nicht hätten durchführen können; wir müssen wissen, dass sie nicht für einige/ zehn Deka Brot arbeiten, sondern für unsere Leben. Wenn wir am Leben bleiben werden, wird es ihres Verdienstes wegen sein. Aber es gibt auch Fehler, die, so klein sie sein mögen, uns immer schaden können. Das Ghetto ist ein kranker Organismus, und ein Kranker kann immer schaden. Deshalb werde ich auf diese Fehler eingehen, und ich bitte alle, die 145
Vgl. den Hinweis auf Slonim und Warschau im vorangehenden Protokoll.
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meine Worte hören, sie mögen es auch jenen Tausenden weitergeben, die nicht im Saal drinnen sind und die Worte nicht hören. 1. In der letzten Zeit haben sich Gerüchte durch die Gassen zu verbreiten begonnen, gleichsam organisiert, wie wenn eine geheime Hand dahinter gesteckt hätte. Jeden Tag ein neues Gerücht über irgendeine neue Gefahr, aber nicht über die wahren Gefahren, die über uns schweben, sondern alles Lügen – über Litauer, Beratungen (obwohl jetzt Urlaub ist), über Registrierungen, zwei Ghettos. Man erzählt sogar Geschichten, die mich selbst betroffen haben sollen. Und das verbreiten Menschen von den niedrigsten Schichten bis zu der höchsten Intelligenz. In den Gerüchten selbst liegt eine Gefahr, da die Deutschen es von den jüdischen Reinmachefrauen erfahren, sie wissen sogar, dass die Bomben aus den deutschen Flugzeugen gefallen sind (Heiterkeit im Saal). 2. Eine große Gefahr, deretwegen man sehr vorsichtig reden muss, ist die folgende: Ich erfahre, dass in Fabriken politische Aktionen durchgeführt werden. Ich möchte hier nicht über Ideen reden. Wenn jemand es für richtig hält, einer Idee zuliebe seinen eigenen Kopf zu riskieren, muss man sich vor ihm verbeugen. Aber 35-tausend Köpfe aufs Spiel setzen – das ist die schlimmste Art Banditentum. Und das kann zu sehr schlimmen Folgen führen. 3. Es scheint eine leichte Sache zu sein, aber es ruft eine schlechte Stimmung hervor, gerade bei unseren guten Freunden. Ich meine den großen Verkehr der jüdischen Arbeiter auf den Gassen außerhalb des Ghettos. Lieb hat man uns nicht! Holz ist ja kein Luxus, aber man hat mich gewarnt, man solle nicht in den Haupt-, sondern in den Parallelgassen gehen, zum Beispiel: Ko´scielna, und nur durch das Czysta-Tor. Wir gehen auch zu breit, nicht rechts. In anderen Städten dürfen Juden nur einzeln gehen, und hier erlaubt man zu zweit … das ist eine Kleinigkeit, ruft aber Reibungen hervor, Stimmungen und Beschlüsse. 4. Die verstärkte Forderung nach Arbeit. Letzten Sonntag haben wir [Leute] zur Arbeit aufgegriffen, weil man ins Ghetto hat eindringen wollen. Aber die Bevölkerung hat, anstatt mitzuhelfen, eine feindliche Haltung eingenommen. Man weiß nicht, dass dies die schrecklichsten Folgen bringen kann. Wie es in anderen Städten schon gewesen ist. Bei der Gelegenheit muss ich wieder auf die Haltung der Doktoren hinweisen, die der Bevölkerung helfen wie ein Strick dem Gehängten: Geben Scheine heraus für geringere Arbeiten und ähnliches, aber sie werden in den nächsten Tagen/ gewisse Erfahrungen machen … 5. Die Möbelfrage: Die Forderung wird nicht kleiner, sondern größer, aber die Bevölkerung versteht [es] nicht … Wieder hat einer sich erlaubt, zu Limon zu sagen: Wie lange noch wird der Judenrat rauben? Zwar hat man jenen verurteilt, aber – auch wenn man ein Gericht nicht kritisieren darf, muss ich trotzdem sagen, dass das Urteil zu milde gewesen ist. 6. Nähmaschinen: Hier erlaubt man sich, kann man sagen, die niederträchtigste Handlung – hundert Maschinen verstecken und nicht herausgeben oder Teile herausnehmen und die Maschinen beschädigen. Sind das Verbrecher oder Verrückte? Es helfen ihnen keine Beispiele aus Slonim, aus Dreczyn! Sie meinen, sie seien in einem speziellen Verein eingeschrieben, so dass es sie nicht treffen kann.
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7. Elektrizität und Pelze: Ich weiß, dass die jüdische Bevölkerung die Pelze nicht zum Sich-wärmen, sondern für Essen braucht. Es hilft aber nicht! Eine Anordnung ist gefallen und muss ausgeführt werden. Ich will warnen vor dem bekannten Vergleich mit dem Weinfass, in das jeder ein Viertel Wasser hineingegossen hat; hier kann es mit einer Tragödie enden.146 In der Gestapo hat man Herrn Markus gesagt: Wehe dem Juden, bei dem man einen nichtregistrierten Pelz finden wird; er wird nicht mehr ins Ghetto zurückkommen! Und mir hat ein höherer Beamter gesagt: Das Leben ist teurer als ein Pelz … Diese Aktion wie auch jene mit den elektrischen Geräten muss am 18-ten August beendet werden. 8. Die Frage des Schmuggels: Man darf dies einfach nicht machen, das muss unbestreitbar sein, man darf keine Luxussachen einführen und nicht meinen, dass die Deutschen es nicht sehen – wenigstens nicht mit ihnen paradieren. Die Deutschen sagen: Ihr habt alles, wir – gar nichts. Jeder Einzelne von uns muss sich bemühen, dass durch alle zusammen das Musterghetto geschaffen wird, so dass es ein Schaden ist, es umzubringen. Vorläufig sind die Beziehungen gut: Man achtet sowohl die Leitung als auch die Taten. Ich will nicht zu viel Optimismus einpflanzen. Bei den heutigen Stimmungen ist dafür kein Platz. Dennoch müssen wir das Ghetto nützlich machen, und wenn es jemandem von den Juden beschert ist, am Leben zu bleiben, so wird das Białystoker Ghetto unter diesen sein, und wir werden es zu besseren Zeiten führen, die kommen müssen. K o m m a n d a n t M a r k u s unterstreicht die schwere Schufterei des Judenrats, besonders des Präsidiums, das von 7 in der Früh bis 9 am Abend arbeitet. H. Ing. Barasz hat nicht erwähnt, dass man eine ganze Reihe von Fabriken aufgestellt hat, wo an die 5-tausend Arbeiter arbeiten, und sie arbeiten nicht bloß für Brot, sondern hauptsächlich für einen Schein – für alle im Ghetto. Viel ist getan worden, und viel gibt es noch zu tun. Das ist aber eine Seite der Medaille; die zweite Seite ist die, dass verbrecherische Einzelne die ganze Arbeit verderben. Ich unterstehe dem Befehl sowohl der deutschen Behörde als auch des Judenrats und kann mich nicht des Erfolgs rühmen. Und der Redner zählt eine ganze Reihe von Übertretungen gegen die Verordnungen auf, gegen die es noch immer zu kämpfen gilt: 1. Man beachtet noch nicht die Flecke, und dabei kann man sehr miese abschneiden. 2. Man hält sich lärmend auf den Gassen auf. 3. Man beachtet nicht die Vorschriften, rechts und links zu gehen, und wenn ein Polizist darauf aufmerksam macht,147 streitet man sich mit ihm; es ist auch schon geschehen, dass man einem Polizisten die Revers abgerissen hat. 146
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Angespielt ist auf die Geschichte von den Bürgern eines Städtchens, die am Purimfest ein Trinkgelage veranstalten wollten und deshalb in der Synagoge ein Fass aufstellten und beschlossen, jeder solle ein Log (ein altes biblisches Flüssigkeitsmaß von etwa ½ l) Wein hineingießen. Jeder von ihnen aber dachte bei sich: Sollte das eine Log von mir etwas vermehren oder verringern? Und sogleich brachte er ein Log Wasser und goss es in das Fass. Am Schluss öffneten sie das Fass und fanden es voll Wasser. (Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, Anm. 8 zum Protokoll). Die Übersetzung folgt ab und links zu gehen der hebräischen Übersetzung; der jiddische Text ist hier (mit Ausnahme von aufmerksam) völlig durcheinander geraten und unleserlich.
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4. Man geht nach der Polizeistunde herum, mit Scheinen, ohne Scheine – willkürlich. Dagegen verstoßen sogar die Polizisten, die ihre Freundinnen begleiten. Der Redner sagt zu, dass man diese Kollegen nicht schonen wird. 5. Der Gassenhandel ist zu unverschämt geworden und führt sogar zu skandalösen Vorfällen. 6. Mit der Verdunkelung ist es eine große Not. Die Gestapo ist sehr verärgert, hat schon schießen wollen. Der Redner erzählt, dass, wenn man hineinschreit, man für eine Weile [das Licht] auslöscht und später wieder anzündet. Künftig wird man nicht Förmlichkeiten austauschen, sondern man wird einfach eine Scheibe einschlagen [und] auch verhaften. Die Verdunkelung muss eine totale sein, nicht der geringste [Licht-]Schein darf durchdringen. 7. Und die letzten zwei Sachen, Elektrizität und Pelze, können zu einer Katastrophe führen. Die Bevölkerung möge gewarnt sein! 8. Zur Arbeit muss man gehen, sogar am Sonntag. R a b b i n e r D r. R o z e n m a n schließt die Versammlung mit einer kurzen Rede. Man hat die Versammlung einberufen um zu warnen, denn »keine Strafe ohne Warnung«. In der Tora steht 4 Mal »Shma‘ Yisra‘el«, was bedeutet, dass alle vier Seiten hören sollen. Der Redner hofft, dass die Worte der zwei verehrten Redner, die aus dem Herzen gekommen sind, in die Herzen der Hörer dringen werden, welche alles aufs Beste ausführen werden.
[49] Protokoll [30] der Sitzung des Judenrats am 10-ten Oktober 1942 245
Vo r s i t z e r Rabbiner Dr. R o z e n m a n eröffnet die Sitzung. Das Protokoll der Sitzung vom 16-ten August 1942 wird verlesen und ohne Bemerkungen angenommen. Das Wort erhält H. Ing. Barasz zu einem Bericht über die letzte Zeit: Bevor ich auf den Hauptgegenstand eintrete, dessentwegen wir uns hier versammelt haben, will ich einen kurzen Überblick über die Lage im Ghetto geben. Die B e s u c h e der deutschen Behörde finden weiterhin statt, ohne Unterbrechung. Das Interesse an unserer Arbeit wird nicht schwächer. Es gibt Tage, an denen 2 Besuche stattfinden: von der Wehrmacht, der Partei, von Politikern, vom Innenministerium. – Der Reichsfinanzminister und der Gauleiter Koch haben uns nur deshalb nicht besucht, weil sie es zeitlich nicht geschafft haben, obschon in ihrem Arbeitsprogramm auch eine Visite im Ghetto [vorgesehen] gewesen ist. Ich will hier auf 2 Visiten hinweisen, die für uns besonders günstig gewesen sind. 1. Ein Besuch des Rüstungsgenerals vom Gebietsamt, der in einem Gespräch mit mir eine sehr gute Beziehung zu uns gezeigt hat.
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2. Während eines Besuchs von einer Korrespondentin des »Reich« hat diese mit ihrer Einstellung und Haltung uns an das große Deutschland von Goethe und Schiller erinnert. Ich habe ihr das Kompliment gemacht.148 Unsere Fabriken entwickeln sich ununterbrochen, so dass man sie kaum [wieder]erkennt, so oft ändert sich ihr Umfang. (a) Die Filzfabrik ist an einen [anderen] Ort verlegt worden, auf die Jurowiecka, und macht einen imposanten Eindruck. Wir werden dort weitere 400–500 Menschen beschäftigen können. (b) Wir haben eine große Stellmacherei gegründet, in der 14 Maschinen mit Elektromotoren konzentriert sind. Ein angesehener Deutscher hat sie stark gerühmt. Wir stehen kurz davor, eine Bestellung von ½ Million Mark zu kriegen. Wir haben auch eine Bestellung für 30-tausend Wagen gekriegt. (c) Wichtig ist auch die Abteilung für Spielzeug, die wir eröffnet haben. (d) Wie bekannt, haben wir eine zweite Schneiderei organisiert. Aus der Entscheidung, Frauen zur Arbeit zu schicken, ist Gutes erwachsen; wir haben weitere 140 Nähmaschinen gekriegt. (e) Es ist die Gründung einer großen Wäscherei vorgesehen. Das ist eine sehr wichtige Position. Es werden monatlich 30-tausend Stück Wäsche hinausgehen. f) Wir organisieren eine Konzentration unserer Maschinenwerkstätten und eine Schneiderei, die sehr nützlich ist. Ich will auch die unangenehmen Geschehnisse mitteilen: (a) Unsere Ausstellung außerhalb des Ghettos ist für die Öffentlichkeit geschlossen worden – aus politischen Gründen. Die Ausstellung ist für uns sehr wichtig gewesen. Sie ist aber geblieben für Kommissionen und Delegationen, die sie werden besuchen können. (b) Es gibt eine ganze Reihe von Gefahren für das Ghetto: örtliche, allgemeine und gemeinsame. Die F a b r i k e n – das ist unser Panzer, deshalb bemühen sich unsere Gegner, sie uns wegzunehmen. Zum Glück ist außerhalb des Ghettos niemand, dem sie sie übergeben könnten. Es ist ein Versuch gemacht worden, uns die Filzfabrik wegzunehmen. Die Wegnahme unserer Fabriken hat abgesehen von politischen Gründen auch geschäftliche, weil private Gesellschaften von den Fabriken großen Nutzen haben können. Es ist einmal beschlossen worden, die Fabriken bei uns zu belassen, doch steht die Frage wieder auf der Tagesordnung. Die Angelegenheit ist noch nicht entschieden. Die Wehrmacht steht in der Angelegenheit auf unserer Seite, wegen unserer guten Arbeit. In Łomz˙a zum Beispiel, in der einzigen [deutschen] Filzfabrik, sind 28-tausend Paar [Filzstiefel]149 als unbrauchbar zurückgewiesen worden, die man dann zu uns zum Reparieren gebracht hat. Man projektiert auch, in Białystok 3 neue große Fabriken mit jüdischen Arbeitern zu gründen. 148 149
Laut Herausgeber ist der letzte Satz im Original durchgestrichen. Die beiden in eckige Klammern gesetzten Präzisierungen stehen so in der jiddischen Textausgabe.
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Ich gehe über zu den örtlichen Gefahren. Ich weiß nicht, ob es nicht zu einer Katastrophe kommen wird. Der größte wunde Punkt ist der A r b e i t s e i n s a t z . Es arbeiten 14-tausend Menschen aus dem Ghetto auf 35-tausend Einwohner. Man will die kleinen Kinder, alte Leute und Kranke nicht in Betracht ziehen. Wir müssen mindestens 20–21-tausend Arbeitende haben, danach müssen wir streben. Wie bekannt, haben wir nicht rechtzeitig 200 Mädchen nach Wołkowysk gestellt, und der Leiter des deutschen Arbeitsamtes hat dies beim Kommandeur der SS angezeigt, der von mir gefordert hat, auf einem Platz alle Nichtarbeitenden zu stellen. Ich weiß nicht, womit das geendet hätte. Es ist mir gelungen [davon] zu überzeugen, dass es genügt, Listen von den Frauen zuzustellen. Und zwischenzeitlich ist es uns gelungen, die geforderte Zahl von Mädchen zu rekrutieren. Aber auf einer Konferenz beim Kommandeur der SS mit dem Leiter des deutschen Arbeitsamtes hat der Letztere darauf hingewiesen, dass ohne Zwangsmittel wir die Arbeiter nicht stellen. Jetzt steht verschärft die Frage des Kartoffelgrabens an, die das Ghetto auch in eine Katastrophe bringen kann, wenn wir nicht die nötige Zahl Arbeiterinnen stellen werden.150 Die zweite Gefahr ist in den Fabriken. [Bei einer schweren Krankheit muss man starke Mittel anwenden]. Wir müssen die beste Arbeit herausgeben. Wie bekannt, müssen Juden auf »Fünfen«151 hin arbeiten. Man hat bei uns eine ganze Reihe von Fehlern gefunden. So hat die Behörde einen Brief an die Stadtverwaltung geschickt, in dem man uns für das nicht korrekte Ausführen einer Arbeit in der Schneiderei fast der Sabotage beschuldigt. Man kann sich die Konsequenzen leicht vorstellen. Die örtliche Wehrmacht hat sich bemüht zu beweisen, dass es keine Sabotage ist, aber das erste Dokument ist trotzdem erhalten geblieben. Keine kleine Gefahr ist d e r S c h m u g g e l i m G h e t t o . Im Interesse des ganzen Ghettos ist der Schmuggel auszurotten. Die Absicht, die Z˙ y d o w s k a G a s s e w e g z u n e h m e n , ist auch eine Gefahr, wenn auch eine kleinere. Man will heute keine andere Gasse als Kompensation geben. Es hat ein Projekt gegeben, eine kleine E v a k u i e r u n g durchzuführen. Das Hindernis ist nur der Mangel an Transportmitteln. Wir haben auf leere Wohnungen hingewiesen, wo man 900 Einwohner der Z˙ydowska Gasse unterbringen kann. Vielleicht wird es gelingen. Der Judenrat muss d i e a l l g e m e i n e L a g e kennen. Man muss vorbereitet sein. Es gibt eine ganze Reihe von Symptomen und vertraulichen Nachrichten, dass die Aktion gegen Juden im Bezirk Bialystok und in Białystok selbst beginnen soll. Solange es von der örtlichen Behörde abhängt, haben wir eine Garantie, dass uns nichts Böses geschehen wird. Wir müssen das Białystoker Ghetto so hinstellen, dass man es nicht umbringen wird: Wir müssen unsere Betriebe vergrößern und verbessern, damit die Verteidigung es ausnützen kann [in den hohen
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Vgl. Meldung 344. Gemeint ist damit die beste Zensur.
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Fenstern]152. Deswegen finden schon Beratungen außerhalb des Ghettos statt. Sobald uns die Lage klar geworden ist, haben wir alles getan, um sie zu ändern. Man sichert uns zu, [uns] zu verteidigen. Vielleicht wird es uns gelingen. H . M a r k u s : »Der Schwerpunkt ist die Arbeitsfrage. Die morgige Versammlung werden nur 200 Personen besuchen.« Er schlägt vor, dass die Mitglieder des Rats in einem engen Kontakt mit der Bevölkerung sein sollen, indem sie das Ghetto in Bezirke aufteilen, [und] dass jeder in seinem Bezirk betreffs Arbeit agitieren soll. H . J a k o w L i f s z i c meint, dass die Einwohner des Ghettos die Lage überhaupt nicht verstehen, alle Meldungen und Appelle führen nicht dazu, sie zu überzeugen. Dasselbe gilt im Hinblick auf das Problem der Arbeiter. H . M e l n i c k i sagt, die Meinung, Aufklärung sei nicht nützlich, sei ein Irrtum. Unsere Versammlungen in den Fabriken haben die besten Resultate gebracht. Deshalb muss man auch durch die Hausverwalter Versammlungen organisieren. D r. S e g a l bemerkt, die Propaganda sei nützlich, aber sie erreiche nicht die, welche es betreffe, jeder schicke einen andern zur Arbeit. Vielleicht sollte man so viele Frauen in den Fabriken einstellen, dass man neue Arbeiterinnenbrigaden schaffen kann, weil in die Fabriken alle gerne gehen. Nach einem Meinungsaustausch mit der Beteiligung von Dr. Kopelman, J. Lifszic, Furman, Dr. Rozenman wird der Vorschlag von H. J. Lifszic angenommen, dass eine Propagandakommission gewählt werden soll, in welche die HH. Melnicki, Furman, Kapłan, Szwif, Peciner, Rubinsztejn, J. Lifszic hineingehen.
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[50] [8.] Spezielle Versammlung im Saal der »Linas Hacedek« am 11-ten Oktober 1942 Eingeladen: Judenrat, Direktoren und Vizedirektoren der Unternehmungen, Hausverwalter, Kommissare des Ordnungsdienstes und der Feuerwehr u.a. Der Saal ist vollgepackt. Auf der Bühne der Judenrat. Um halb eins eröffnet Rabbiner Dr. Rozenman die Versammlung. Die heutige Versammlung – sagt er – ist speziell zu Propagandazwecken einberufen worden im Zusammenhang mit der Orgie, die letztens im Ghetto getobt hat, [nämlich] die Verordnungen nicht zu befolgen, sich der Arbeitspflicht zu entziehen und die zur Arbeit Aufgeforderten zu verstecken. Das ruft bei der Behörde eine starke Unzufriedenheit hervor, und nachdem Białystok früher ein Muster gewesen ist, auf das wir stolz gewesen sind, haben sich jetzt die Verhältnisse geändert. Aber die Arbeitsfront ist eure eigene Leistung, und ihr müsst euch anstrengen, um normale Beziehungen zu schaffen, und dann werden wir die Hoffnung auf Existenzmöglichkeiten in der Zukunft haben. 152
Die eckigen Klammern stehen im jiddischen Text.
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Das Wort erhält H . I n g . B a r a s z . Heute – sagt er – haben wir zur Versammlung alle einberufen, die zusammen mit uns die ganze Schwere und Last des Ghettos tragen, um mit ganz offenen Worten zu erzählen, wie wir in der Welt dastehen. Es sind letztens konkrete Gefahren auf den Bezirk Bialystok und die Stadt Białystok zugekommen. Wir müssen versuchen, Mittel zu finden, die Gefahr abzuwenden oder wegzurücken und wenigstens ihr Ausmaß zu verkleinern. Leider ist unser Białystok in letzter Zeit das größte Ghetto nach dem Łód´zer geworden, und darin liegt eine große Gefahr. Die Blicke der Feinde sind auf uns gerichtet, und es müssen spezielle Gründe sein, dass das Unglück uns meidet. Das Feuer wütet von Osten und von Westen her, und es ist schon fast zu unserem Bezirk vorgedrungen, von der Ostseite bis Dreczyn und von der Westseite her bis Malkin153. Damit das Feuer nicht weiter vordringt, müssen alle, und in erster Linie Białystok selbst, zu außergewöhnlichen Mitteln greifen. Aber unser Ghetto verhält sich gerade umgekehrt, genau so, als wollte man die Katastrophe absichtlich herbeirufen; unser Ghetto ist in der letzten Zeit einfach verdorben, moralisch verkommen. Wenn unter 35-tausend Einwohnern bloß 14-tausend arbeiten, müssen sogar die wohlgesinnten Machthaber die Frage stellen: Wo sind die übrigen Menschen? Es gibt zwar verschiedene Rechtfertigungen, aber unter denen, die nicht arbeiten, gibt es eine Reihe von Arbeitsfähigen, besonders Frauen, und ihr wisst doch, durch wen die Vernichtung beginnt: Gerade durch die, welche nicht arbeiten. Abgesehen von denen, die sich mit falschen Scheinen drücken, gibt es 6-tausend nicht arbeitende Frauen. Und das ist geschehen: Vor ein paar Wochen hat das deutsche Arbeitsamt 200 Frauen zur Arbeit gefordert, man hat unter den 6-tausend die benötigten 200 nicht finden können. Das deutsche Arbeitsamt hat die Angelegenheit dem Kommandeur der Schutzpolizei übergeben, der uns eine Forderung zugeschickt hat, wir sollten an einem Morgen alle Arbeitslosen auf einem Platz aufstellen! Erst unter dieser Drohung hat das Ghetto die ersten 200 Frauen gegeben! Und was hat sich dabei abgespielt! Wie hat das Ghetto sich verhalten! Es hat Skandale gegeben, Menschen haben die Aufgeforderten versteckt, als ob ein Kampf zwischen dem Judenrat und der Bevölkerung gewesen wäre. Und als man sie weggeführt hat, ist man hinter dem Wagen hergelaufen und hat geschrien »Shma‘ Yisra‘el!« – Wenn man mit diesem falschen »Shma‘ Yisra‘el« nur nicht den Tag herbeiführt, an dem man das wahre »Shma‘ Yisra‘el« schreien wird. Wenn unser Ordnungsdienst seine Dienstaufgaben in den Gassen ausführen muss, dann haben sie bei der Bevölkerung genau so ein Ansehen wie die seinerzeitigen Chappers;154 man hilft ihnen nicht, sondern man behindert sie! Oftmals überlege ich: Sind die Menschen nicht meschugge? Oder verstehen sie nicht, was da vorgeht? – Es muss eine Umkehr in der Psychologie der Massen kommen, sonst wird es sehr schlimm sein. Das Ghetto meint, wir machten Erlasse! Man kommt zu mir mit verschiedenen Bitten wegen Müttern, die bei 153 154
Polnisch Małkinia. Vgl. Protokoll 30 mit Anm. 78.
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den Kindern sein müssen, und ähnlichem. Sicherlich müssen in normalen Zeiten Kinder bei der Mutter sein; aber jetzt gibt es eine größere Gefahr – dass Mütter mit den Kindern zusammen umgebracht werden sollen! Auch Doktoren – ich rede über ehrliche! – haben eine psychologische Einstellung wie in normaler Zeit. Sie weisen nach, dass, wer an Tuberkulose leidet, nicht zur Arbeit fähig ist. Gewiss! Aber hier ist die Gefahr, dass der Mensch nicht an Tuberkulose stirbt, sondern wegen Nichtarbeitens! – Mit all den Vorstellungen aus der normalen Zeit muss es ein Ende nehmen! Wer eine Hand rühren kann, muss zur Arbeit gehen und damit unsere Sicherheit vergrößern! Der Prozentsatz der 14-tausend Arbeitenden gegenüber den 35-tausend Ghettoeinwohnern, darin steckt die Gefahr – Sogar wenn vonseiten der Behörde keine Arbeitsforderung käme, müssten wir selbst uns mit allen Kräften bemühen, in die Wirtschaft einzudringen, damit, wenn man uns vernichten wird, ein Loch in der Wirtschaft entsteht, so dass man uns [deshalb] verschont; dann kann man hoffen; aber nicht auf ihr Erbarmen warten, wie ich schon einmal gesagt habe, besonders [nicht], wenn man tagtäglich fordert und wir die Forderung nicht erfüllen! Was für Konsequenzen sich daraus ergeben können, könnt ihr euch selbst vorstellen! Welche Skandale haben sich abgespielt, als man die Mädchen zum Kartoffelgraben hinausgeführt hat! Es ist einfach unverständlich! Alle wissen doch, was in Warschau, in Slonim gewesen ist. Heute ist es schon Zeit, die Städte zu zählen, wo die Katastrophen nicht stattgefunden haben! Wo ist das Gefühl, sich selbst zu schützen? Warum/ verstehen sie nicht, dass es besser ist, nach Wołkowysk wegzuführen als nach Treblinka? Es ist jetzt endlich Zeit, von der Rede zu Taten überzugehen! Ich bin kein Anhänger von Propaganda. Man wird praktische Maßnahmen ergreifen müssen. Aus unseren Ämtern werden Männer zur Arbeit weggehen müssen, und ihren Platz sollen Frauen einnehmen. Man hat uns sowieso schon darauf aufmerksam gemacht, dass wir zu viele Beamte haben. Es wird auch eine große Frauenbrigade geschaffen werden müssen,155 die ständig zur Arbeit bereit sein soll und nicht wie jetzt, dass statt 100 nur 20 herausgeschickt werden. Wenn das noch zu wenig sein wird, werden wir zur Arbeit auch größere Kinder aus den Schulen nehmen müssen. Eine ganze Reihe von Maßnahmen wird ergriffen werden müssen, und ich wende mich an euch als Helfer und Führer von verschiedenen Bereichen. Es wird auch eine Reorganisation im Ordnungsdienst durchgeführt werden müssen, schon einmal ist eine Säuberung gemacht worden. Gewisse Elemente sind entfernt worden, wir haben jetzt eine sehr anständige Leitung. Es ist aber noch ein Teil geblieben, der nicht hätte bleiben dürfen, und sie beschädigen den Namen der Übrigen. Das führt dazu, dass unsere Verordnungen manchmal nicht zu 100 Prozent, sondern nicht einmal zu 50 erfüllt werden. Es gehen Gerüchte um wegen Bestechung. Fakt ist, dass ein Teil des Ordnungsdienstes weggehen und durch andere ersetzt werden muss. Wir haben schon versucht, unsere Beamten zu rufen, zu denen wir Vertrauen haben, und sie aufgefordert, in den Ordnungsdienst einzutreten, aber sie 155
Vgl. Meldung 344.
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haben abgelehnt. So etwas darf nicht vorkommen, es ist unzulässig, und wir werden es in Zukunft nicht dulden! Wir müssen auch einen starken Kampf gegen Protektionismus anheben. Der Judenrat ist noch eine junge Regierung, und schon haben sich in ihm alte Fehler eingewurzelt. Keine Aktion kann durchgeführt werden wegen der Zettelchen und Briefchen. Dem muss ein Ende gemacht werden. Die erhaltenen Zettelchen muss man zerreißen, sogar solche von mir – auch wenn ich damit weniger sündige als alle. Wir haben die Frage im Präsidium noch nicht bedacht, aber wer sich von der Arbeit durch verschiedene unmögliche Mittel drückt, soll wissen, dass eine schwarze Liste von solchen Elementen aufgestellt werden wird, die bei uns bereitliegen wird. Und wenn einmal die Gefahr kommen wird, sollen diese Leute die ersten Opfer sein. Das sind alles sehr wichtige Sachen. Der zweite Punkt von außergewöhnlicher Wichtigkeit sind die Fabriken. Sie haben wahrhaftig etwas Kolossales geschaffen. Unsere Feinde müssen vor ihnen die Häupter neigen. Wenn es Hoffnungen gibt, dass Białystok die schreckliche Gefahr vermeiden kann, so ist es nur wegen der Fabriken. Aber die Fabriken selbst können die größte Gefahr über uns bringen, sollten sie nicht in Ordnung sein. Da haben wir in unserer Schneiderei den Fakt gehabt, dass eine Arbeit missraten abgegeben worden ist. Der Redner verliest dazu einen Brief des Stadtkommissars (siehe weiter unten). Man kann sich leicht vorstellen, wonach die Sache gerochen hat und noch jetzt riecht; es ist auch leicht zu verstehen, was droht, wenn es weitergehen wird wie bis jetzt. Es hat sehr viel Mühe gekostet, dass es vorläufig ruhig ist, dass man nicht reagiert; wenn aber, Gott bewahre!, solches sich wiederholen wird, werden wir nicht mehr hier stehen. Und wieder muss ich die psychologische Einstellung erwähnen. Der Judenrat baut keine Fabriken, heute steht das nicht an. Der Arbeiter darf auf den Judenrat nicht wie auf einen Gegner gucken, wie er einst den Fabrikanten betrachtet hat. Er muss wissen, dass er in erster Linie für sich und sein Weib und seine Kinder arbeitet. Wenn es wirklich Sabotage sein sollte, wird man als erste die Arbeiter der Fabrik erschießen. Ich bitte die Brigaden, dass sie es den Arbeitern mitteilen, besonders den Schustern, weil man sagt, die Schuster seien ein ahnungsloses Element – ich glaube das nicht, sie sollen aber wissen, dass die Arbeit ihr einziger Schutz ist. Bei der Gelegenheit will ich auch an die Schmuggler eine Warnung schicken, besonders an solche von Vieh. Es ist schon dazu gekommen, dass man uns vorwirft, wir äßen ihr Fleisch. Der Ordnungsdienst darf nicht davor zurückschrecken, (sie) auszuliefern. Solche Banditen darf man der Behörde ausliefern! Wir machen außergewöhnliche Anstrengungen, um die der Stadt und dem Bezirk Bialystok drohende Gefahr fernzuhalten. Die Wehrmacht hat ein Interesse daran, uns zu erhalten. Sie wollen außerhalb des Ghettos 3 Fabriken eröffnen, wo jüdische Fachleute arbeiten sollen: eine bei Triling,156 eine in der ehemaligen Brotfabrik, und die dritte hält man noch geheim. Eine soll eine 156
Vgl. Białystoker Telefonbuch von 1938: Trilling O. i Syn, fabr. sukna i kołder, Wasilków.
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Autoreparaturfabrik sein, die zweite für optische Geräte, und die dritte kann ich noch nicht sagen. Die Fabriken können nur dann eröffnet werden, wenn es eine genügende Zahl von Facharbeitern geben wird. Man hat an die Realisierung der Idee nicht herantreten wollen, ehe man nicht sicher weiß, dass genug Arbeiter sein werden. Man hat auf meine Antwort gewartet, und ich habe zugesagt, ohne jemanden zu fragen. Wenn in Białystok nicht genug Arbeiter sein werden, so werden wir im Bezirk suchen, und es ist die Pflicht jedes Einzelnen, der von einem Fachmann weiß, es sagen zu kommen [und] uns nicht zu Lügnern zu machen. Dadurch wird doch unser Gegendruck auf die Feinde stärker, weil man die gebrachten Maschinen wird einsparen können – wir müssen unsere Zusage erfüllen. Und zum Schluss: Wenn es drohende Symptome gibt, heißt das noch nicht, dass man resignieren und die Hände sinken lassen muss. Im Gegenteil, weil es Drohungen gibt, weil es eine Gefahr gibt, müssen unsere Anstrengungen stärker sein. Wir erleben große Momente, eine schreckliche Zeit, und das erfordert starke Menschen. Stark muss man sein! Mit 200 Prozent unsere Pflicht erfüllen! Stark soll man sein! (Applaus). Das Wort erhält H . S u b o t n i k : Nach dem genauen Bericht, den Ing. Barasz soeben in der letzten halben Stunde über die jetzige Lage gegeben hat, könnt ihr euch vorstellen, wie viel man tagtäglich erlebt, sogar etliche Male an einem Tag, und was eine solche Person wie Ing. Barasz erlebt. Nachdem die Arbeit der 16 Monate in einem gewissen Maß mit Erfolg gekrönt gewesen ist, hätte er Lust, die Last weiter zu schleppen. Es wird aber alles schwerer und schwerer. Die Hauptfrage ist: Wie kann man der Masse im Ghetto bewusst machen, dass sie uns helfen soll. Erst gestern haben wir auf einer Ratssitzung Mittel dafür gesucht. Wir haben versucht, Kommissionen für Propaganda zu wählen. Aber wir beginnen, die Hoffnung zu verlieren. Es wird einfach schwer, die Klagen anzuhören, und man überlegt sich, was man denn noch weiter tun kann, wenn es bist jetzt noch nicht gelungen ist, die Öffentlichkeit aufzuklären. Es gibt noch jetzt Krämpfe, ein Geweine wegen eines Tischchens, eines Schränkchens, das man jemandem wegnimmt! Es wird sehr schwierig zu führen. Und man überlegt sich: Sind Białystoker Juden anders als alle [andern]? Man droht uns mit Rache! Man sagt, der Judenrat gebe Verordnungen heraus! Da hat es eben erst einen Pelzerlass gegeben, und gebildete Menschen, sogar öffentliche Funktionäre, haben versucht, sich dem zu entziehen: Vielleicht wird man mir erlauben, meinen Pelz zu tragen! – So ist die Beziehung zu uns! Es braucht nur ein neuer Aufruf zu erscheinen, so sagt man alsbald: Gut, sie brauchen schon wieder Geld! Nach den 16 Monaten unserer Arbeit, nach all den erlebten Erschütterungen sind wir zum Schluss gekommen, dass andere Maßnahmen ergriffen werden müssen. Wir müssen wenigstens bei den leitenden Gremien sicher sein, die in der Arbeit stehen, die die besten Kräfte sein müssen, die im ernsten Moment auf der Wache stehen sollen. Wenn wir auch das nicht ausführen sollen, dann ist alles kaputt! Bis jetzt hat nicht alles geklappt. Es genügt, auf die paar Fakten hinzuweisen: Wenn man die Aufgabe ernst genommen hätte, dann hätte es nicht passieren können, dass man die 200 für die Arbeit benötigten Frauen
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nicht finden konnte, und als man 150 besucht hat, sind 70 von ihnen nicht zu Hause gewesen. Das ist doch der klarste Beweis, dass die leitenden Organe darin verwickelt sind und dass sie es auf ihr Gewissen nehmen müssen! Das haben die Führer ja schon getan. Auch in den Fabriken, unseren einzigen Stützpunkten, finden sich verbrecherische Elemente, die meinen, sie kämpften für Lohn, als ob sie gewöhnliche Arbeiter wären und dem Fabrikanten drohen könnten! Hier aber werden andere Bilanzen geführt, nicht solche von Mark, sondern von Leben! Jede kleinste Sabotage gefährdet das ganze Ghetto! – Wir verheimlichen euch keine Sache, ständig pflegten wir über örtliche Angelegenheiten zu reden, heute haben wir über allgemeine geredet. Der verehrte Ing. Barasz stärkt uns ununterbrochen mit seinem Optimismus. Unser einziger Versuch ist die heutige Versammlung. Wir haben noch große Hoffnungen, die Stadt und den Bezirk Bialystok zu retten. Wir appellieren an euch und sagen euch, dass/ in euren Händen das Schicksal liegt. Ihr wisst alles, und ihr könnt helfen, dass es uns einst noch vergönnt sein wird, es in Freuden zu erzählen. Das Wort erhält H . J . G o l d b e r g : Die vorangehenden verehrten Redner sind nicht genau auf die Angelegenheit des S c h m u g g e l s eingegangen. Wir haben schon etliche Male deswegen von der Tribüne herab zu euch geredet, aber alles ohne Erfolg. Für den Augenblick jeweils scheint es, dass wir die gehörige Warnung gegeben haben. Später aber stellt sich heraus, dass gar nichts [dabei] herauskommt. So ist es hinsichtlich der Polizeistunde, so hinsichtlich der Verdunkelung. Unsere Worte, die aus tiefstem Herzen kommen, gehen aber nicht zu Herzen. Man geht weg, und man winkt mit der Hand. Das kommt daher, dass es uns bis jetzt zum Glück gelungen ist, dass alles ruhig vorbei[gegangen] ist; darüber bagatellisiert man alle unsere Drohungen, jetzt aber ist die Lage sehr ernst. Ich rede vom Schmuggel, speziell von Kühen. Wie viele Opfer hat die Fleischfrage schon gekostet, und der Schmuggel von Kühen hört bis jetzt nicht auf. Nur der Ordnungsdienst hätte diesen157 ausrotten können. Bedauerlicherweise aber ist, wie viel man auch redet – alles umsonst158: Der Schmuggel wird getrieben bei Tag wie bei Nacht, und erst gestern hat man bei der deutschen Behörde einen Ochsen gestohlen, und die Spuren haben von Bagnówka ins Ghetto hineingeführt! Allerdings hat unser Ordnungsdienst ihn gefunden, und sie haben den Ochsen konfisziert und abgegeben, denn sie wissen [solches] und können ständig helfen! Wir haben verordnet, die Geschäfte zu schließen, die sich schon zu viel ausgebreitet haben, und wir haben erlaubt, durch eine Hintertür weiter zu handeln, unter der Bedingung, dass man nur legale Sachen verkauft, und das muss eingehalten werden! Weißmehlgebäck, Butter, Eier, Fleisch dürfen nicht verkauft werden! Es herrscht bedauerlicherweise eine zu leichtsinnige Haltung gegenüber unseren Verordnungen. Der Ordnungsdienst muss es uns nur melden, weil jede Kleinigkeit imstande ist, ein Feuer anzuzünden. Unsere Geschäfte sind schon bekannt geworden, man hat sie sogar schon fotografiert, 157
158
Der jiddische Text ist durch Wiederholung einer Zeile verdorben. Die Übersetzung folgt deshalb von der Schmuggel von Kühen bis zu diesen der hebräischen Übersetzung. Wörtlich herausgeworfen.
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und es ist leicht, sich vorzustellen, was daraus resultieren kann. Es hat schon größere Sachen gegeben, die in einer Nacht durch ein paar Menschen liquidiert worden sind, und dies wird nicht mehr vorkommen. Es gibt aber Sachen, die nicht liquidiert werden, und man darf sie keinen Augenblick vergessen und nicht bagatellisieren. Ob das die Frage der Arbeit oder der Fabriken oder des Schmuggels ist – alles ist außergewöhnlich wichtig. Vielleicht wird es uns bei unserer großen Anstrengung gelingen zu retten! R a b b i n e r R o z e n m a n hält das Schlusswort: Ihr habt die Berichte über die Lage gehört, hauptsächlich vom verehrten Ing. Barasz, und ich will zum Schluss hinzufügen: Wir bitten immer und beten: »stom piyot mastinenu umeqatrigenu«159 – Gott möge die Mäuler unserer Feinde und Beschuldiger schließen; und wir selbst, mit unserem Verhalten, öffnen ihnen die Mäuler. Wir müssen korrekt sein, damit man nicht sagt, Juden seien eine Bande von Lügnern,/ Parasiten, Faulenzern; wir müssen zeigen, dass wir arbeitsfähige und ehrliche Menschen sind, und dadurch wird uns geholfen werden. Ende Der Brief des Stadtkommissars (verlesen von Ing. Barasz auf der Versammlung in der »Linas Hacedek« am 11-ten Oktober 1942). Der Stadtkommissar des Stadtkreises Białystok. Ghettoverwaltung. Białystok, den 1-ten Oktober 1942. An den Judenrat h i e r. Betrifft: Fertigstellung von wattierter Kälteschutzbekleidung und von Winterbekleidung in den Werkstätten des Ghettos. Das Militärbekleidungsamt Königsberg (Preußen) hat in seinem Abnahmebericht vom 21-ten September 1942 über Winterbekleidungssachen, die im Ghetto gemacht worden sind, auf Mängel hingewiesen, die so schwerwiegenden Charakters sind, dass sie wie Sabotage gegenüber der Rüstungsarbeit der militärischen Behörde aussehen. Zwar sind die Probestücke befriedigend gewesen sind, aber die Arbeiten sind insgesamt so schlecht und schwach ausgeführt worden, dass, wenn sich das wiederholen sollte, die Militärbehörde auf weitere Bestellungen wird verzichten müssen. Ich habe heute den Judenrat schon persönlich sehr streng gewarnt, und ich mache ihn für alle weiteren Geschehnisse selbst verantwortlich. Abgesehen von den strengsten Bestrafungen werden die Juden wegen ihrer unverantwortlicher Handlungen sich selbst beschuldigen müssen, wenn daraus auch andere schwerwiegende Konsequenzen resultieren werden. Unterschrift
159
Vgl. oben Anm. 56.
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[51] Protokoll [31] der Sitzung des Judenrats am 8-ten November 1942 267
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Nach der Anhörung des Protokolls der Sitzung vom 1-ten November 1942 referiert der Vorsitzer Ing. Barasz: Auch heute wird der Bericht ein kurzer sein: Leider ist Ende der Woche die Lage in Białystok unsicher geworden. Am Donnerstag in der Früh hat die Behörde mir [zusammen] mit H. Markus dies gemeldet. Man hat die Zusage, das Białystoker Ghetto intakt zu lassen, nicht halten wollen. Jetzt ist die Situation bedeutend verbessert worden. Was uns tatsächlich bevorstehen kann – ist die Verkleinerung der [Zahl der] der Ghettogassen. Das Projekt stammt von uns selbst: Besser Gassen verlieren als Menschen verlieren. Man projektiert, nach Białystok 5-tausend Arier [Polen oder Weißrussen]160 zu bringen, [und] man benötigt für sie Platz.161 Deshalb ist unser Gegenvorschlag gewesen, dass wir Platz geben wollen. In dieser Richtung führe ich die Arbeit. Es ist uns gelungen, die heutige Delegation in die Betriebe zu bringen. Sie sind von unserer Arbeit entzückt gewesen. Wer das »Lager« sähe, würde erst verstehen, wie wichtig unsere Aktion ist, damit wir hier bleiben, in einem verkleinerten Ghetto. Man wird eine große Aktion machen müssen, um dies durchzuführen. Jetzt wegen des Arbeitseinsatzes: Irgendeine unverständliche Verrücktheit hat die Białystoker Einwohner ergriffen. In der heutigen Lage, da in Białystok Tausende von Arbeitern von der Arbeit außerhalb des Ghettos befreit worden sind, führen wir die Aufträge nicht aus, ausgerechnet für die Gestapo hat sich die erforderliche Zahl Menschen nicht gestellt! Im Ghetto klappt etwas nicht, und dasselbe [gilt] – für unser Arbeitsamt selbst. Die Aufgabe, Ordnung in die Angelegenheit des Arbeitseinsatzes zu bringen, wird H. Goldberg auf sich nehmen müssen, der uns stets Hilfe in solchen schweren Notfällen bringt. Es wird ihm H. Berman vom Ordnungsdienst zur Seite stehen.162 H . I n g . B a r a s z schließt: »Lasst uns hoffen, dass die letzten 3 Alptraumtage sich nicht mehr wiederholen werden. Das sind die schlimmsten 3 Tage der Ghettoperiode gewesen. Wie gesagt, die heutige Delegation hat sich [dahingehend] ausgedrückt, dass sie sich nicht haben vorstellen können, dass Juden so arbeiten. Heute sind unsere neuen Hausherren an der Existenz des Ghettos auch interessiert. Sie selbst haben einen Plan für neue Fabriken ausgearbeitet. Im Lauf der letzten Woche haben wir eine große Strecke zum Besseren hin durchlaufen. Es hat sich konkret um viele jüdische Leben in Białystok gehandelt.« Auf die Frage von Dr. Kopelman und Dr. Kapłan erklärt H. Ing. Barasz, er rechne [damit], wegen der 350 Mädchen, die aus Białystok nach Wołkowysk hinausgeschickt worden sind, mit Erfolg zu intervenieren, dass sie zurückkommen. 160 161 162
Die Präzisierung in eckigen Klammern ist laut Herausgeber mit Bleistift hinzugefügt. Vgl. Meldung 362 und 370. Der Satz ist laut Herausgeber mit Bleistift hinzugefügt.
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– Die Tausende von Arbeitern außerhalb des Ghettos werden in die Fabriken eingegliedert werden können, wo 3 Schichten arbeiten werden, und laut dem Plan, den H. Ing. Barasz der Behörde zugestellt hat, werden in den Fabriken 21.400 Menschen beschäftigt sein können, abgesehen von ein paar tausend Arbeitern, die allmählich außerhalb des Ghettos zu arbeiten beginnen werden. H . M e l n i c k i ergänzt, dass schon ab morgen in den Fabriken 2 und 3 Schichten arbeiten werden und im Verlauf einer Woche alle Betriebe laut dem Plan von Ing. Barasz vollkommen organisiert sein werden. H . S u b o t n i k macht darauf aufmerksam, dass die Białystoker Juden die Situation nicht verstehen und – weil Ing. Barasz erklärt hat, das Leben sei gesichert, die Białystoker Juden meinen, dass sie zu den »Du hast uns erwählt« gehören, dass sie gegen die Unglücke, die sich über das ganze Judentum im Land ergossen haben, assekuriert sind. Sie kommen nicht bloß nicht zur Arbeit auf Forderung des Arbeitsamtes, sondern sie kommen schon zum Judenrat mit ihren Forderungen. »Es ist Zeit zu verstehen, dass die ›Aktion‹ im Gang ist und wir noch nicht zum Ende durchgeschwommen sind.«
[52] Protokoll [32] der Sitzung des Judenrats am 11/11.1942 Vo r s i t z e r H. Ing. Barasz: Alle wissen, was wir in den letzten Tagen erlebt haben. Solche schwere Tage wie die letzten haben wir schon lange nicht erlebt. Ich will aber hoffen, dass die Krise vorüber ist und man uns für eine gewisse Zeit in Ruhe lassen wird. Wir werden ausziehen müssen aus den Gassen: Z a m e n h o f , Z˙ y d o w s k a , e i n e m Te i l B i a ł a u n d Bra´nska. In den Gassen wird man 5.000 Polen oder Weißrussen ansiedeln, die »man aus der Białowiez˙er Region bringt«. Mit der Angelegenheit der Umsiedlung der Einwohner aus den erwähnten Gassen wird sich eine Kommission mit H. Goldberg an der Spitze beschäftigen. Zu Beginn hat es eine Verordnung gegeben, dass die Juden ohne ihre Möbel umziehen sollen, später hat man erlaubt, die Möbel mitzunehmen. Wir geben einen Aufruf heraus,163 die ganze Bevölkerung möge den Leidtragenden entgegenkommen, damit die Menschen ruhig in die neuen Wohnungen umziehen können. – H . S u b o t n i k schlägt die Zusammensetzung der Wohnungskommission vor, die unter der Leitung von H. Goldberg die Aktion durchführen soll, und zwar die HH. Szacki, Berman, Lin, Kendz˙elewski und Tyktin, welche die erste Sitzung schon morgen, den 12-ten November, 6 Uhr in der Früh haben werden. Alle Beamten des Judenrats stellen wir zur Disposition der Kommission. Man muss Propaganda machen, damit der Umzug in bester Ordnung vonstatten gehen wird. Auf Vorschlag des Vorsitzers H. Ing. Barasz wird für morgen, d. 12-ten, 12 Uhr Mittag eine Konferenz mit den Hausverwaltern angesetzt. 163
Vgl. Meldung 362.
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Die Meldungen1
[1] Meldung
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Es wird der jüdischen Bevölkerung gemeldet, dass ab Donnerstag, dem 10-ten Juli 1941, frühmorgens alle Männer, Frauen und Kinder im Alter von 14 Jahren an verpflichtet sind, ein weißes Band mit einem blauen Davidstern am rechten Arm zu tragen. Die Breite des Bandes – 12 Zentimeter, die Größe des Davidsterns 10 Zentimeter, die Breite der blauen Linie des Davidsterns mindestens 1 Zentimeter. Wer sich den blauen Davidstern nicht beschaffen kann, muss stattdessen ein weißes Band von 12 Zentimetern Breite und auf diesem ein gelbes, rundes Zeichen, 10 Zentimeter im Diameter, tragen. Es wird streng gewarnt: Jeder jüdische Mensch muss diesen Befehl sogleich ausführen. Wer sich von Donnerstag an auf der Gasse2 ohne das Zeichen zeigt, wird streng bestraft werden. 8-ter Juli 1941 Judenrat3
[2] A u f f o r d e r u n g u n d Wa r n u n g der jüdischen Bevölkerung in Białystok In Anbetracht dessen, dass ein Teil der jüdischen Männer und Frauen in Białystok noch immer nicht das vorgeschriebene gelbe Zeichen vorne auf der linken Seite und hinten auf dem Rücken tragen, wiederholen wir nochmals, im Auftrag der Militärbehörde4, die dringliche Forderung, sofort die erwähnten Zeichen anzubringen. Andernfalls werden all jene, die sich diesem Befehl nicht unterwerfen, strengstens bestraft werden. Kein Jude darf sich, unter gar keinen Umständen, dieser Verordnung entziehen. 11-ter Juli 1941 Judenrat
1
2 3
4
Aus: Nachman Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 273–545 (zum vollständigen Titel vgl. oben Vorwort, Anm. 1). Vgl. Protokolle, Anm. 14. Neben der maschinenschriftlichen jiddischen Unterschrift Judenrat sind die Meldungen von deutscher Seite »legalisiert« und offiziell abgestempelt mit Judenrat in Bialystok (vgl. Blumenthal, Introduction, in: Darko shel Yudenrat, S. XI). Wörtlich Militär-Macht. Das im jiddischen Text häufig vorkommende Wort macht wird in der Übersetzung durchgehend mit Behörde wiedergegeben.
154
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[ 3]
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Bann5 Dringende Aufforderung! An die Białystoker jüdische Bevölkerung Da am Sabbat in der Früh der letztgültige Termin für die Ablieferung der geforderten Summe von 2 (zwei) Millionen Rubel abläuft, ist in Übereinkunft von Rabbinat und Judenrat Folgendes beschlossen worden: 1. Es liegt ein Bann[befehl] des Großen Gerichtshofs6 auf allen Białystoker jüdischen Einwohnern, Freitag von 7 in der Früh bis 6 nachmittags die Summe von im Minimum 3 Monaten Wohnungsgeld in die Gemeinde zu bringen, wie sie es der russischen Behörde bezahlt haben. Dies müssen alle einzahlen, außer den Brandgeschädigten7, die nach ihrer Möglichkeit zu geben haben. 2. Der Bann erstreckt sich auch auf alle Verwalter und andere, bei denen sich sowjetisches Regierungsgeld in bar befindet, die das ganze Geld sofort in die Gemeinde zu bringen haben, andernfalls fällt der Bann auf sie [zusammen] mit ihren Frauen und Kindern. 3. All jene, die die Gemeinde persönlich aufruft und besteuert, müssen in die Gemeinde sich [mit ihr] verständigen kommen und die Forderung der Gemeinde erfüllen, andernfalls fällt der Bann auf sie [zusammen] mit ihren Frauen und Kindern. Es liegt ein Bann des Großen Gerichtshofs mit aller Strenge und Herbheit eines Banns auf all denen, die alle die Beschlüsse nicht erfüllen werden. Wir glauben, dass alle Białystoker Juden den Ernst der Stunde und die Herbheit eines Verstoßes – Gott bewahre! – gegen einen Bann des Großen Gerichtshofs verstehen. Wir hoffen, dass alle in ihrem eigenen Interesse wie auch im Interesse der ganzen Białystoker jüdischen Allgemeinheit ihre Pflicht erfüllen werden. Białystok, den 17-ten Juli 1941 Rabbinat und Judenrat
[4] Meldung Im Zusammenhang mit der Meldung über die Schaffung eines jüdischen Ghettos in Białystok wird offiziell gemeldet:
5
6 7
Das im Text stehende hebräische cherem (jiddisch chejrem), Bann, bezeichnet die Strafe des Ausschlusses einer Person von der Gesellschaft oder von bestimmten gesellschaftlich-religiösen Rechten und Funktionen. Im Text (hebräisch/jiddisch) bj ‘‘d (bet-din) haggadol. Brandgeschädigte: Menschen, die Hab und Gut durch Feuer haben verloren, werden hier und in Meldung 98 mit dem aus dem Hebräischen stammenden Wort als nißrofim, Verbrannte, bezeichnet, in Meldung 91 als opgebrente, Abgebrannte.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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1. Die Durchführung des Beschlusses über die Überführung der evakuierten jüdischen Bevölkerung in die Ghettowohnungen ist von der Behörde dem Judenrat auferlegt worden. 2. Alle Hausbesitzer und Mieter im Ghettogebiet müssen den Beamten des Judenrats die genaue Meterzahl ihrer Wohnung wie auch die richtige Zahl der Zimmerbewohner angeben. 3. Alle Bewohner der Gassen außerhalb des Ghettos, die man noch nicht besucht und nicht registriert hat, müssen sich sofort im Judenrat in den Zimmern 14, 15, 16 registrieren. 4. Ohne einen Bezugsschein8 vom Ghettoamt beim Judenrat darf niemand ein Zimmer belegen. Eigenmächtige Besetzer werden gewaltsam hinausgestellt und außerdem auch streng bestraft werden. Białystok, den 26-ten Juli 1941 Judenrat
[5] Meldung
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Laut Verordnung der Behörde darf niemand eigenmächtig umziehen. Wer ein Zimmer besetzt ohne Erlaubnis des Judenrats, muss es sogleich frei machen. Wer dies nicht befolgen wird, wird durch die Polizei hinausgestellt werden, und man wird ihm keine andere Wohnung geben. Die alten Wohnungen, die man verlassen wird, müssen rein und sauber und in bester Ordnung sein, andernfalls werden die Mieter der Wohnungen streng bestraft werden. Białystok, den 26-ten Juli 1941 Judenrat
[6] Wichtige Meldung Auf Grund einer Verordnung der Behörde meldet der Judenrat der ganzen jüdischen Bevölkerung, dass alle Wohnungen beim Verlassen in einem sauberem Zustand bleiben müssen, nicht schmutzig, die Fußböden aufgewischt, die Wände, Türen und Fenster sauber. Dafür ist jeder Einzelne für sich allein und die jüdische Allgemeinheit zusammen mit dem Judenrat verantwortlich. Deshalb warnt der Judenrat nochmals mit aller Strenge, dass alle verlassenen Wohnungen in einem vollständig sauberen Zustand sein müssen. Die Wohnungsschlüssel muss man im Magistrat abgeben. 26-ten Juli 1941 Judenrat 8
Das im Zusammenhang der Genehmigung eines Wohnungs- oder Zimmerbezugs bzw. -tauschs und des Bezugs von Lebensmitteln verwendete order(s) wird meistens mit Bezugsschein(e) wiedergegeben.
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[7] Meldung Die Behörde hat den Judenrat [darauf] aufmerksam gemacht, dass ein Teil der Juden nicht die gelben Zeichen auf der Brust und auf dem Rücken tragen. Der Judenrat macht nochmals [darauf] aufmerksam, dass alle Personen, die nicht die gelben Zeichen gemäß der Verordnung tragen werden, streng bestraft werden, sogar mit Erschießen. Białystok, den 26-ten Juli 1941 Judenrat
[8] Meldung Es wird der jüdischen Bevölkerung in Białystok gemeldet, dass für morgen Freitag, den 1-ten August 1941, die unten aufgeführten Fachleute angefordert werden: Maurer, Tischler, Zimmerer, Maler, Schlosser, Klempner9, Automechaniker, Radiomechaniker und 30 Personen gewöhnliche Arbeiter. Alle diese Arbeiter werden von der Behörde für die ganze Zeit ihrer Arbeit spezielle Scheine zum Betreten und Verlassen des Ghettos bekommen. Białystok, den 31-ten Juli 1941 Judenrat
[9] Z u m l e t z t e n M a l e i n e Wa r n u n g an die jüdische Bevölkerung in Białystok Im Namen der Behörde machen wir darauf aufmerksam und warnen zum letzten Mal alle, die ausziehen, dass sie unbedingt die Wohnungen, die sie verlassen, rein und sauber machen sollen. Die Fenster, Wände und Fußböden reinigen. Den Mist10 vor dem Haus und von den Dachböden wegräumen. Jeder, der die Wohnung verlässt, ist für die Sauberkeit persönlich verantwortlich. Für Nichtausführen dieser Verordnung wird man streng bestraft werden. Die Schlüssel der verlassenen Wohnung muss man im Magistrat abgeben. Białystok, den 31/7/1941 Judenrat
9 10
Jiddisch blecher (vgl. das süddeutsche Blechner). Das im Jiddischen verwendete mist bezeichnet beides: sowohl Müll als auch Mist.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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[10] Meldung Es wird gemeldet, dass am 1-ten August die aufgeführten Fachleute sich sofort im Judenrat zu melden haben: Maurer, Tischler, Klempner, Zimmerer, Zimmermaler, Schlosser, Automechaniker, Radiotechniker wie auch 30 gewöhnliche Arbeiter. Diese Leute werden außerhalb des Ghettos beschäftigt sein, und sie werden spezielle Passierscheine bekommen, um die Grenzen des Ghettos zu überschreiten. Białystok, den 1.8.1941 Judenrat
285
[11] Meldung Der Judenrat teilt mit, dass alle Gassen vor den Häusern und die Höfe, Klosetts, Abfallplätze, Keller und Treppen von den Bewohnern jedes Hauses systematisch gereinigt werden müssen. Für die Ordnung und Sauberkeit der Höfe sind alle Mieter verantwortlich. Białystok, den 2-ten August 1941 Judenrat
[12] Meldung Galistowski Doniel Triwaks Szmuel Gwiasdowicz Bejle können ihre verlorenen Pässe im Judenrat, Zimmer 3, abholen. Białystok, den 2-ten August 1941
Judenrat
[13] Meldung Wer etwas von Frau Szwarc Sara weiß, 75 Jahre alt, früher wohnhaft Odesser 16, möge dies der Tochter Szwarc Szejge, Szlachecka Gasse 3, zu wissen geben. Białystok, den 2/8/1941 Judenrat
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[14] Meldung Frau Waser Pesze aus Slonim sucht ihre Kinder: Waser Rywka, Angielska 8 Krawec Lea, Angielska 8 Sokol Awrom, Mazowiecka 8 Sich melden im Judenrat, Zimmer 3. Białystok, 2/8/1941
Judenrat
[15] Wa r n u n g
278
Wir warnen im Namen der Behörde: Die Tore des Ghettos sind für Juden geschlossen. Jeder Jude, der aus dem Ghettotor hinaustritt ohne einen Durchgangsschein, gefährdet sein Leben. Białystok, den 3-ten August 1941 Judenrat
[16] Meldung Laut Bestimmungen des Judenrats vom 2-ten August 1941 wird eine Registrierung von Juden durchgeführt, die in der Polizei und in der Abteilung der freiwilligen Feuerwehr im jüdischen Rayon arbeiten wollen. Die Registrierung findet statt am 3-ten und 4-ten August 1941, von 9 bis 19, Neue Welt11 12, Wohnung 3 links, Zimmer 1. In den Anträgen muss angegeben werden: 1. Familie und Name 2. Adresse 3. Alter 4. Beschäftigung 5. Sprachkenntnis[se] Białystok, den 3-ten August 1941 Judenrat (Sicherheitsabteilung)
[17] Aufforderung Alle Einwohner, bei denen sowjetische Untermieter12 gewohnt haben und die zurückgelassen haben: 11 12
´ Polnisch Nowy Swiat. Jiddisch sublokatorn (vgl. deutsch veraltet Lokatar; siehe Meldung 148).
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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Wäsche Möbel Bettzeug Küchengeschirr und alle anderen Sachen, werden aufgefordert, innerhalb von 24 Stunden dies im Judenrat, Zimmer 17, abzugeben. Für Nichtabgeben wird man streng bestraft werden. Białystok, den 4-ten August 1941 Judenrat
[18] Aufforderung Alle Uhrmacher werden aufgefordert, sich sofort im Judenrat, Zimmer 2, zu melden. Białystok, den 4-ten August 1941 Judenrat
[19] Meldung Bramson Meir Bramson Rochel Bramson Awrom Bramson Ite Fisz Malka Bengelsdorf Szyfra Gerbowski Awrom haben ihre Pässe verloren. Wer sie gefunden hat, möge sie in den Judenrat, Zimmer 3, bringen. Białystok, den 5/8/1941 Judenrat
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[20] Meldung Laut einer Verordnung der Behörde werden ab morgen, Mittwoch, dem 6-ten August, täglich 2 . 7 0 0 A r b e i t e r, M ä n n e r u n d F r a u e n , angefordert. Sich melden 6 Uhr in der Früh im Hof des Judenrats. Die Arbeiter haben eigene Werkzeuge mitzubringen: Hämmer, Spaten, Spitzhacken, Hacken usw. Außerdem werden 10 Ingenieure und Techniker für die Leitung der Arbeit angefordert. Białystok, den 5-ten August 1941 Judenrat
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[21] Meldung Alle Frauen, die morgen, den 6-ten August d. J., zur Arbeit kommen werden, haben Eimer, Lappen und Besen mitzubringen. Białystok, den 5-ten August 1941 Judenrat
[22] Meldung Wer ein Paket mit Bettzeug verloren hat, möge sich im Judenrat, Zimmer 3, melden. Białystok, d. 6-ten August 1941 Judenrat
[23] Dringende Aufforderung Alle Personen, die wissen, wo sich im Ghetto oder außerhalb von ihm Taxis befinden, werden aufgefordert, dies sofort im Judenrat, Zimmer 3, zu melden. Białystok, d. 6-ten August 1941 Judenrat
[24] Aufforderung Die jüdische Bevölkerung wird dringend aufgefordert, auf den Höfen Gruben zu graben, so weit wie möglich von den Brunnen weg, und dort sofort den angesammelten Mist zu vergraben. Künftig ist es die Pflicht der Einwohner, keine Ansammlung von Mist zuzulassen, sondern ihn alle paar Tage zu verbrennen. Białystok, d. 6-ten August 1941 Judenrat
[25] Meldung Alle Bescheinigungen, die den Beamten des Judenrats bis heute ausgestellt worden sind, sind ungültig. Die Beamten werden neue Scheine mit einem runden Stempel bekommen. Białystok, den 7-ten August 1941 Judenrat
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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[26] Meldung Alle Personen, die freie Zimmer haben, sollen es im Judenrat, Zimmer 15, melden. Białystok, d. 8-ten August 1941 Judenrat
[27] Meldung Alle Personen, die sich in die jüdische Polizei eingeschrieben haben, haben sich unbedingt heute Freitag, den 8/8, 2 Uhr nachmittags13 zu melden. Białystok, d. 8-ten August 1941 Judenrat
[28] Meldung
295
Wer ein Veloziped14, ein Motorrad oder einen Teil eines Velozipeds hat, soll es innerhalb von 24 Stunden im Judenrat, Zimmer 3, melden. Białystok, d. 9-ten August 1941 Judenrat
[29] Meldung Frau Roz˙anski, wohnhaft gewesen an der Suraz˙er15 Gasse 40, hat sich Sonntag, den 10-ten August, punkt 9 Uhr früh im Judenrat, Zimmer 3, zu melden. Białystok, d. 9-ten August 1941 Judenrat
[30] Meldung Die Fachleute, die Meldungen bekommen, in den Judenrat zu kommen, müssen sich pünktlich zur angegebenen Zeit stellen.
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Das jiddische bajtog (bei Tag) wird je nach Zeitangabe mit mittags oder nachmittags wiedergegeben. Für Fahrrad wird in den Meldungen durchgehend das im Deutschen veraltete Wort Veloziped verwendet; das Motorrad wird als Motozykel bezeichnet. Polnisch Suraz˙ska. Die Straßen werden zum Teil mit dem polnischen, zum Teil mit dem jiddischen und zum Teil mit dem polnischen oder dem jiddischen Namen bezeichnet.
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Andernfalls werden gegen die Schuldigen die strengsten Maßnahmen ergriffen werden. Białystok, d. 9-ten August 1941 Judenrat
[31] Meldung Alle, die Kühe besitzen, haben ihre Kühe sofort im Judenrat, Zimmer 16, zu registrieren. Białystok, d. 9-ten August 1941 Judenrat
[32] Meldung Der Judenrat bittet alle, die übrige Matratzen in gutem Zustand wie auch Kissen, Bettdecken und Decken besitzen, dies in Zimmer 19 zu melden. Białystok, d. 10-ten August 1941 Judenrat
[33] Meldung Die Gesundheitsabteilung beim Judenrat fordert alle Doktoren16, Feldschere und Krankenschwestern auf, der Sanitärabteilung, Zimmer 8, jeden Fall von ansteckenden Krankheiten sofort zu melden. Die Meldungen müssen schriftlich gemacht werden, auf speziellen Meldebögen, die man in den Zimmern 8 und 14 bekommen kann. Jede Unterlassung einer Meldung von einem Fall ansteckender Krankheit wird von der Behörde streng bestraft werden. Białystok, d. 10-ten August 1941 Judenrat (Gesundheitsabteilung)
[34] Meldung Alle Doktoren, Dentisten, Krankenschwestern und Hebammen werden aufgefordert, sich sofort in der Gesundheitsabteilung beim Judenrat zu registrie16
Die Meldungen verwenden für Arzt grundsätzlich die im Deutschen umgangssprachliche Bezeichnung Doktor, jiddisch dokter. In gleicher Weise wird auch von Zahndoktoren gesprochen (Meldung 313).
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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ren unter Angabe von Familie, Name, Alter, Adresse, Spezialgebiet, Berufspraxis, Arbeitsplatz vor Kriegsausbruch und letztem Arbeitsplatz. Białystok, d. 10-ten August 1941 Judenrat (Gesundheitsabteilung)
[35] Aufruf Brüder und Schwestern!
299
Der Judenrat hat Nachrichten erhalten, dass im Białystoker jüdischen Viertel schon Fälle von ansteckenden Krankheiten wie: Dysenterie, Bauchtyphus, Flecktyphus vorgekommen sind. Das sind schreckliche Feinde der Menschen, die jeden treffen und angreifen können, ohne Unterschied von Alter, Stand oder Beruf. Um diese furchtbare Plage zu bekämpfen, ist es unbedingt nötig, sofort ein Infektionsspital zu schaffen, wo man die Kranken isolieren und dadurch der Epidemie Einhalt gebieten könnte. Wir können aber auf keine Hilfe von [irgend] einer Seite hoffen; wir sind ganz und gar nur auf unsere eigenen Kräfte und Mittel angewiesen. Deshalb hat der Judenrat beschlossen, unter der jüdischen Bevölkerung eine breit [angelegte] Sammlung von allem, was für ein Spital nötig ist, zu organisieren, angefangen von Betten, Bettzeug bis hin zu allen anderen Gegenständen – größeren und kleineren. Nehmt also unsere Sammlerpaare mit gebührender Herzlichkeit auf, kommt ihnen schnell entgegen, weil die Arbeit eilt, und beim Geben soll sich jeder über die Kräfte hinaus anstrengen. Denkt daran, dass mit der Schaffung des Spitals für ansteckende Kranke wir uns selbst, unseren eigenen Kindern und Nächsten helfen. Das Spital muss unbedingt von uns allein geschaffen werden! Białystok, d. 11-ten August 1941 Judenrat
[36] Meldung Alle Bäckereiarbeiter haben sich sofort in der Approvisationsabteilung17 beim Judenrat, Zimmer 16, von 7 in der Früh bis 1 nachmittags und von 5 bis 7 abends zu registrieren. Die Registrierung findet am 12 und 13-ten d. M. statt. Białystok, d. 11-ten August 1941 Judenrat
17
Approvisation: heute veraltetes Wort (der österreichischen Amtssprache) für Versorgung.
164
Hans-Peter Stähli
[37] Empfangt die Sammlerpaare für das Infektionsspital! Rettet die jüdischen Gassen vor den schrecklichen Schädlingen! Verlangt bei den Sammlern Zeugnisse und Quittungen des Judenrats. Białystok, den 11-ten August 1941 Judenrat
[38] Meldung
301
Alle, die verschiedene Schreibmaterialien besitzen, hauptsächlich liniertes oder glattes Papier, wie auch ganze Schreibgeräte, werden gebeten, dies in das Lokal18 des Judenrats, Zimmer 3, zu bringen. Białystok, d. 11-ten August 1941 Judenrat
[39] Meldung Alle Personen, die von Geisteskranken wissen, mögen dies im Judenrat, Zimmer 14, melden. Białystok, den 11-ten August 1941 Judenrat
[40] Meldung Wegen Mangels an Fläschchen in den Apotheken ist es unmöglich, die jüdische Bevölkerung mit den nötigsten Medikamenten zu versorgen. Beim Bestellen von Rezepten hat man deshalb leere Fläschchen oder Einmachgläser mitzubringen. Gleichzeitig bittet die Gesundheitsabteilung beim Judenrat alle, die leere Fläschchen von jeder Größe oder Einmachgläser haben, sie möchten diese in
18
Das im Jiddischen verwendete Wort Lokal bezeichnet je nach Zusammenhang einen Raum, Saal, eine Räumlichkeit wie auch den Sitz, das Gebäude (einer Institution); es wird in der Übersetzung überall beibehalten.
301
Die Meldungen des Białystoker Judenrats
165
der Apotheke »Linas Hacedek«19, Roz˙aner Gasse20 3 und Neue Welt 7, abgeben. Białystok, d. 12-ten August 1941 Judenrat (Gesundheitsabteilung)
[41] Meldung Awrom Kolin (oder Konin) soll sich umgehend im Judenrat, Zimmer 2, melden. Białystok, d. 12-ten August 1941 Judenrat
[42] Meldung
303
Laut einer Verordnung der deutschen Behörde ist ab heute, dem 12-ten August 1941, ein jüdischer Ordnungsdienst geschaffen worden. Der Judenrat fordert die jüdische Bevölkerung auf, alle Verordnungen des jüdischen Ordnungsdienstes zu befolgen und sofort auszuführen. Einhalten der Ordnung, absolute Sauberkeit der Gassen, Häuser, Treppen, Höfe und Wohnungen – das ist die Hauptsache. Die Personen, die die Verordnungen nicht beachten werden und die öffentliche Ruhe stören, werden streng bestraft werden. Białystok, d. 12-ten August 1941 Judenrat
[43] Meldung Alle Bäckereiarbeiter haben sich sofort in der Approvisationskommission beim Judenrat, Zimmer 16, am 12-ten und 13-ten d. M. von 7 in der Früh bis 1 nachmittags und von 5 bis 7 abends zu registrieren. Białystok, d. 12-ten August 1941 Judenrat
19
20
So die offizielle Schreibweise von hebräisch Linat Hazedek (»Herberge der Gerechtigkeit«) nach dem Telefonbuch von Białystok von 1938. Vgl. Białystok Old Telephone Book 1938, http:// www.zchor.org/bialystok/telephone.htm [17.8.2009]. Die Straße wird einmal mit dem polnischen Namen Róz˙a´nska bezeichnet (Meldung 292), sonst findet sich überall der jiddische Name Roz˙aner.
303
166
Hans-Peter Stähli
[44] Meldung Alle Fachleute wie Schlosser, Schneider, Schneiderinnen, Wäschenäherinnen, Schuster, Stepper, Tischler, Automechaniker, Radiomechaniker, Elektrotechniker, Klempner, Glaser, Zimmerer, Maler, Schildermaler, Tapezierer, Maurer, Schlachter und Fleischhacker, alle Arten von Textilberufen und andere Berufe werden aufgefordert, sich in ihrem eigenen Interesse laut Auftrag des deutschen Arbeitsamtes beim Judenrat zu registrieren, sowohl jene, die Werkzeug haben, als auch jene, die kein Werkzeug haben, mit dem Zweck, Beschäftigung zu bekommen. Die Registrierung findet statt in Zimmer 6 vom 13.–18. d. M. Białystok, d. 13-ten August 1941 Judenrat
[45] Meldung Laut Befehl der deutschen Behörde müssen alle Velozipede und Teile von ihnen innerhalb von 24 Stunden abgeliefert werden. / Die jüdischen Besitzer von Velozipeden und Teilen von ihnen werden hiermit aufgefordert, diese sofort im Judenrat, Zimmer 20, abzugeben. Białystok, d. 14-ten August 1941 Judenrat
[46] Meldung Wer etwas von C h a i m M e l n i k aus Suraz˙ weiß, den bittet man, dies im Judenrat, Zimmer 3, zu melden. Białystok, d. 14-ten August 1941 Judenrat
[47] Meldung S c h e n k i n N o c h u m , Gartenpächter in Wysoki Stoczek, früher wohnhaft an der Jurowiecka Gasse 8, möge sich sofort im Judenrat, Zimmer 3, melden. Wer weiß, wo er sich jetzt befindet, wird gebeten, dies im Sekretariat des Judenrats zu melden. Białystok, d. 14-ten August 1941 Judenrat
305
Die Meldungen des Białystoker Judenrats
167
[48] Meldung Laut Befehl der deutschen Behörde müssen alle Velozipede und Teile von Velozipeden innerhalb von 24 Stunden abgeliefert werden. Die jüdische Bevölkerung wird darum aufgefordert, dies alles sofort im Judenrat, Zimmer 20, abzugeben. Białystok, d. 14-ten August 1941 Judenrat
[49] Meldung Die Besitzer von Feuerlöschgeräten wie Pumpen, Schläuchen, Hydrantenrohren, Helmen u. a. werden aufgefordert, sich sofort im Judenrat, Zimmer 1, zu melden. Andernfalls werden sie streng bestraft werden. Białystok, d. 14-ten August 1941 Judenrat
[50] Meldung
307
Alle Mitglieder der jüdischen Feuerwehr werden hiermit aufgefordert, sich Sonntag, den 17/8, 7 Uhr in der Früh auf dem Platz Polna 32 zu melden. Alle Feuerwehrmänner21 sind verpflichtet, pünktlich zur angegebenen Zeit zu kommen. Białystok, d. 15-ten August 1941 Kommandant der jüdischen Feuerwehr
[51] Meldung Heute, 15. August, 5 Uhr abends wird man beginnen, in bestimmten Bäckereien Brot für die Bevölkerung auszugeben. Die Ordnung für die Brotausgabe ist folgendermaßen: 1. In jedem Haus haben die Mieter sofort unter sich ein Hauskomitee von 3 Personen zu wählen: das Komitee wählt aus sich einen Vorsitzer, einen Sekretär und einen Kassier. 2. Das Komitee der 3 führt sofort eine Zählung durch und stellt die faktische Zahl der anwesenden Personen in jeder Familie fest. Die aufgestellte Personenliste wird von allen 3 Komiteemitgliedern, die damit die Verantwortung für die 21
Wörtlich Feuerlöscher.
168
Hans-Peter Stähli
Richtigkeit und Genauigkeit auf sich nehmen, wie auch von dem vom Judenrat bestimmten Hausverwalter unterschrieben. 3. Sofort danach meldet sich der Verwalter mit der Liste im Judenrat, Zimmer 8, wo er einen Schein auf Brot bei einem bestimmten Bäcker bekommt. Das Hauskomitee verteilt das Brot unter die Familien nach dem [Verteilungs-]Modus zu 25 Deka pro Person für zwei Tage. Judenrat Białystok, d. 15-ten August 194122
[52] Meldung
307/309
Alle, die Scheine zum Verlassen des Ghettos haben, wie auch alle Brigadiere der Arbeitsabteilung beim Judenrat und die jüdischen Arbeiter, die aus dem Ghetto hinauskommen, / werden hiermit gewarnt, dass das Tätigen von irgendwelchen Einkäufen außerhalb des Ghettos, sei es in den Läden23 oder privat, für Juden von der deutschen Behörde streng verboten ist. Für Nichtbefolgen dieses Verbots werden sehr schwere Strafen erfolgen. Białystok, d. 15-ten August 1941 Judenrat
[53] Meldung Alle Handwerker und Facharbeiter, die sich beim Judenrat schon registriert haben, [wie] auch jene, die sich nicht registriert haben, müssen sich unbedingt neu registrieren unter genauer Angabe des Orts und des Tags ihrer Geburt wie auch des Platzes, wo sie früher gearbeitet haben. Die Registrierung findet in Zimmer 5 statt. Białystok, d. 16-ten August 1941 Judenrat (Arbeitsabteilung)
[54] Meldung Als Zusatz zu der Meldung vom 14-ten d. M. wird hiermit gemeldet: Das Nichtbefolgen der Verordnung über die Abgabe der Velozipede und Teile von ihnen kann für alle Bewohner der Häuser, wo Velozipede gefunden werden, schwere Strafen mit sich bringen. 22 23
Das Datum ist hier, unüblich, mit Bleistift und nicht mit der Schreibmaschine geschrieben. Jiddisch kromen, d.h. Kram(läden).
309
Die Meldungen des Białystoker Judenrats
169
Die Hauskomitees haben achtzugeben, dass die Verordnung vollständig durchgeführt wird. Białystok, d. 16-ten August 1941 Judenrat
[55] Meldung 309/11
Der jüdische Sicherheitsdienst meldet: 1. Durchsuchungen24 in den Häusern darf der jüdische Ordnungsdienst nur durchführen/ auf Grund eines Befehls des jüdischen Sicherheitsdienstes oder des Leiters des jüdischen Kriminaldienstes in Anwesenheit des Hauskomitees, das auch das Protokoll unterschreibt. 2. Klagen gegen ungehöriges Benehmen oder gegen Überschreiten der Vollmacht von Seiten der Mitglieder des jüdischen Ordnungsdienstes müssen durch die Hauskomitees im Hauptkommando des jüdischen Ordnungsdienstes, Neue Welt 12, Zimmer 3, eingereicht werden. Białystok, d. 16-ten August 1941 Sicherheitsdienst beim Judenrat
[56] Meldung
311
Alle Privatpersonen, die Backöfen besitzen und auf Bestellung Brot backen, haben sich sofort im Judenrat, Zimmer 16, zu registrieren. Gegen jene, die diese Verordnung nicht befolgen, werden strenge Maßnahmen ergriffen werden. Białystok, d. 17-ten August 1941 Judenrat
[57] Meldung Wer Valisen25 (Koffer) in gutem Zustand hat oder von solchen weiß, wird gebeten, dies sofort im Judenrat, Zimmer 17, zu melden. Białystok, d. 17-ten August 1941 Judenrat
[58] Meldung Um für die jüdische Bevölkerung im Ghetto Verdienstmöglichkeiten zu schaffen, macht der Judenrat bei den zuständigen Behördeorganen Bemühungen, 24 25
Wörtlich Revisionen. Vgl. französisch valise.
170
Hans-Peter Stähli
Fabriken und die ehemaligen Handwerker- und Produktionsartels26, die sich auf dem Gebiet des Ghettos befinden, in Gang zu bringen. Deshalb werden alle Anführer und Hauptmeister dieser Unternehmungen aufgefordert, sich sofort im Judenrat, Abteilung für Industrie und Handwerk, Zimmer 10, zu registrieren. Zur Registrierung ist es wichtig, bei sich genaue Kenntnisse über die Zahl der Arbeiter, Größe der Produktion, Zahl der Maschinen usw. vorbereitet zu haben. Zum eigenen Nutzen der interessierten Personen ist es wichtig, die Registrierung so rasch wie möglich zu beenden, und deshalb w e n d e t e u c h s o f o r t [hierher]. Die Registrierung endet Montag, den 18/8, 7 Uhr am Abend. Białystok, d. 17-ten August 1941 Judenrat Industrie- und Handwerksabteilung
[59] Meldung Die vom Judenrat bestimmte Milchsteuer von ½ Liter am Tag von jeder Kuh für die jüdischen Spitäler, Alten und Waisen wird bloß teilweise durchgeführt. Und es sind noch bis jetzt im Ghetto nichtregistrierte Kühe geblieben. Wir geben deshalb unsere letzte Warnung, dass gegen diejenigen, die bis Mittwoch, 20/8, 7 Uhr abends nicht alle ihre Kühe registrieren und die Milchsteuer umgehen, strenge Maßnahmen ergriffen werden. Wer sich erlauben wird, seine Kuh zu schlachten27, um die Registrierung zu umgehen, wird besonders schwer bestraft werden. Białystok, d. 18-ten August 1941 Judenrat
[60] Meldung Ab heute und künftig werden die Brotkarten nicht im Judenrat herausgegeben werden, sondern die Hausverwalter werden sie direkt den Hauskomitees übergeben, bei denen alle das Brot bekommen werden. Die Vertreter der Hauskomitees brauchen sich deshalb wegen der Brotkarten nicht mehr in das Lokal des Judenrats zu begeben. Białystok, d. 18-ten August 1941 Judenrat
26 27
Artels: Produktionsgenossenschaften im zaristischen Russland und in der UdSSR. Wörtlich keulen.
313
Die Meldungen des Białystoker Judenrats
171
[61] Meldung
315
Die deutsche Behörde hat festgestellt, dass ungeachtet des Verbots die jüdische Bevölkerung noch immer Nahrungsmittel28 und andere Waren außerhalb des Ghettos kauft. Wir warnen deshalb nochmals sehr streng: Das Verstoßen gegen das Kaufverbot wird sehr schwere Folgen [mit sich] bringen, sowohl für die Personen selbst als auch für die ganze jüdische Gesellschaft. Die Personen, die auf Grund von Durchgangsscheinen außerhalb des Ghettos gearbeitet haben und danach die Arbeit verloren haben, werden aufgefordert, den Durchgangsschein sofort in den Bezirkskommissariaten des Ghettos abzugeben. Białystok, d. 18-ten August 1941 Judenrat
[62] Meldung Die Besitzer von Plattformwagen, Droschken und Handwagen werden aufgefordert, diese sofort im Judenrat, Zimmer 5, zu registrieren. Białystok, d. 19-ten August 1941 Judenrat
[63] Meldung K o s m a n Jakow hat folgende Dokumente verloren: 1. Pass, 2. Pferdepass, 3. einen Fahrberechtigungsschein, 4. ein Patent. Der Finder wird gebeten, die Dokumente in den Judenrat, Zimmer 3, zu bringen. Białystok, d. 19-ten August 1941 Judenrat
[64] Meldung Die Arbeitsabteilung des Judenrats meldet, dass der Registrierungstermin für Handwerker und Fabrikarbeiter zum letzten Mal bis Mittwoch, den 20/8, 6 Uhr abends verlängert worden ist.
28
Wörtlich Speise.
172
Hans-Peter Stähli
Die Registrierung liegt in eines jeden eigenem Interesse, weil Arbeit in erster Linie jene kriegen werden, die registriert sind. Białystok, d. 19-ten August 1941 Judenrat (Arbeitsabteilung)
[65] Meldung Die Gebühr für Wasser und Elektrizität hat man im Judenrat, Zimmer 11, zu entrichten. Białystok, d. 20-ten August 1941 Judenrat
[66] Meldung Diejenigen, die in der ehemaligen »Gortop« für Holz einbezahlt haben und nicht dazu gekommen sind, das Holz abzuholen, haben dies im Judenrat, Zimmer 15, unter Vorweisen ihrer Quittungen zu melden. Białystok, d. 23-ten August 1941 Judenrat
[67] Meldung Alle Besitzer von Kühen sind verpflichtet, bis zum 27-ten d. M. im Judenrat, Wohnungsabteilung, 3-ter Stock, Bewilligungen29 für Ställe für die Kühe einzuholen. Białystok, d. 23-ten August 1941 Judenrat
[68] Meldung Alle Männer und Frauen, die in die Arbeitsabteilung beim Judenrat kommen, um außerhalb des Ghettos zu arbeiten, müssen ihre Passeports bei sich haben. Diejenigen, die ihre Passeports verloren haben, müssen ihre im Judenrat erhaltenen Scheine mitbringen. Białystok, d. 24-ten August 1941 Arbeitsabteilung beim Judenrat
29
Jiddisch orders; vgl. Anmerkung zu Meldung 4.
317
Die Meldungen des Białystoker Judenrats
173
[69] Arbeitsreglement
319
1. Die Arbeitsstunden sind von 8 bis 1 mittags und von 3 bis 6 abends. Alle Beamten sind verpflichtet, pünktlich, ohne eine Verspätung zur Arbeit zu kommen. In den Mittagsstunden von 1–3 bleiben Leute für den Bereitschaftsdienst in jenen Abteilungen, die direkt oder indirekt mit der Behörde zu tun haben. Diese Diensthabenden haben ihre Mittagszeit von 3 bis 5 nachmittags. 2. Die Öffnungsstunden für das Publikum sind in allen Abteilungen von 9 bis 1. 3. Am Sabbat wird in den Abteilungen nicht gearbeitet. Die Abteilungen, die wegen ihrer direkten Beziehungen mit der Behörde 7 Tage in der Woche arbeiten30 müssen, bestimmen auf Sabbat eine ausreichende Zahl von Beamten, die sie am Sonntag von der Arbeit freistellen. / 4. Alle Abschriften herausgehender Korrespondenz und die bekommene Korrespondenz selbst wie auch erledigte Dokumente müssen jeden Sonntag mit einer Unterschrift im Archiv des Sekretariats abgegeben werden. 5. Auf der erhaltenen Korrespondenz muss das Datum (der Ankunft) notiert werden. Die herausgehende Korrespondenz muss auch nummeriert werden. 6. Der Beamte, der die Abteilung leitet, ist verpflichtet, auf den hygienischen Zustand und das ästhetische Aussehen seiner Abteilung achtzugeben. 7. Für die Ausführung der Vorschriften ist besonders der Beamte verantwortlich, der an der Spitze von jeder Abteilung steht. Białystok, d. 25-ten August 1941 Judenrat
[70] Meldung Der Judenrat fordert alle unten aufgeführten Fachleute auf, sich im Lokal des Judenrats, Zimmer 5, zu melden, Bürostunden: 8–13, 15–18. Schlosser, Mechaniker, Elektrotechniker, Chauffeure, Tischler, Maler (von Schildern und von Zimmern), Schuster, Schneider, Riemer31, Bäcker und alle anderen Fachleute. Białystok, August 1941 Judenrat
[71] Reglement 1. Das Lokal der Bäckerei muss von den bewohnten Blöcken vollständig isoliert sein. 30 31
Wörtlich funktionieren. Jiddisch und deutsch (landschaftlich) für Riemenmacher (für Riemen-, Geschirrzeug der Zugtiere); vgl. Meldung 78.
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Hans-Peter Stähli
2. In den Arbeitsstunden dürfen im Lokal der Bäckerei nur die Arbeiter sein. 3. Nach den Arbeitsstunden darf niemand im Lokal der Bäckerei zurückbleiben. 4. Das Lokal muss zweimal am Tag gereinigt und aufgewischt werden: vor Beginn und nach Beendigung der Arbeit. 5. Die Bäckereiarbeiter müssen bei der Arbeit saubere weiße Kittel und Mützen tragen. 6. Das ganze Geschirr, das zur Arbeit benützt wird, muss unter strengster Sauberkeit aufbewahrt werden. 7. Mehl und Brot müssen sich an einem trockenen und sauberen Ort auf Regalen befinden. In keinem Fall dürfen Mehl und Brot sich auf dem Boden befinden. 8. Alle Bäckereiarbeiter müssen wenigstens einmal im Monat durch eine medizinische Kontrolle gehen. 9. Der Verkauf von Brot im Lokal der Bäckerei ist unzulässig. Białystok, d. 26-ten August 1941 Judenrat
[72] Meldung Laut Verordnung der deutschen Behörde müssen die gelben Flecke vorne und hinten nicht mit Stecknadeln angesteckt, sondern gut ringsum angenäht sein. Wer diese Verordnung nicht befolgen wird, wird streng bestraft werden. Białystok, 26-ten August 1941 Judenrat
[73] Meldung Alle, die bis zum 25-ten d. M. wegen verlorener Rechnungen für Elektrizität Meldung erstattet haben, werden aufgefordert, in den Judenrat, Zimmer 11, zu kommen, um die Rechnungen in Empfang zu nehmen und für Elektrizität zu bezahlen. Białystok, d. 28-ten August 1941 Judenrat
[74] Meldung W i l e n s k i Dowid und W i l e n s k i Rejzl haben ihre Pässe, 190 Rubel und 40 Złoty verloren. Der Finder wird gebeten, die Pässe [zusammen] mit den Złotys im Judenrat, Zimmer 3, abzugeben und die 190 Rubel bei sich zu behalten. Białystok, d. 28-ten August 1941 Judenrat
321
Die Meldungen des Białystoker Judenrats
175
[75] Hütet euch vor Ansteckung! Durch Früchte und Gemüse verbreiten sich Bauchtyphus, Dysenterie. 1. Wascht rohe Früchte und rohes Gemüse vor dem Essen. 2. Esst keine grünen Tomaten. 3. Esst keine unreifen Äpfel. 4. Esst keine Gurken mit Schalen. 5. Trinkt kein ungekochtes Wasser. 6. Wascht die Hände vor dem Essen. Białystok, d. 29-ten August 1941 Judenrat
[76] Meldung
323
Der Judenrat ist im Begriff, Schulen für jüdische Kinder zu organisieren. Im Zusammenhang damit wird eine Registrierung von Kindern im Schulalter durchgeführt. Die Registrierung findet statt in der Fabrik Gasse N.m. 3932 an den Tagen Sonntag, Montag und Dienstag, 31/8, 1/9 und 2/9, von 9 bis 1 und von 3 bis 6. Białystok, d. 29-ten August 1941 Judenrat
[77] Meldung Hiermit wird gemeldet, dass der Hausverwalter H . J o n a s seiner Tätigkeit enthoben wird, weil er seine Arbeit nicht pünktlich ausgeführt hat. Białystok, d. 29-ten August 1941 Judenrat
[78] Meldung Die Industrieabteilung des Judenrats eröffnet in den nächsten Tagen eine S a t t e l - u n d R i e m e r w e r k s t a t t 33. Alle Sattelmacher und Riemer haben sich sofort im Judenrat, Zimmer 13, zur Registrierung zu melden.
32
33
Die Meldungen verwenden für die Straße die polnische und die jiddische Bezeichnung: Fabryczna bzw. Fabrik. Die Abkürzung für Nummer folgt jeweils dem jiddischen Text: hier N.m., meistens Num., seltener Nm. Vgl. Anmerkung zu Meldung 70.
323
176
Hans-Peter Stähli
Die Registrierung beginnt: Sonntag, den 31/8, 8 Uhr in der Früh und endet Dienstag, den 2/9, 6 Uhr am Abend. Białystok, d. 30-ten August 1941 Industrieabteilung beim Judenrat
[79] Meldung Vom 1-ten September an hat die deutsche Behörde für Białystok eine vollständige Verdunkelung verordnet. Wir machen deshalb die jüdische Bevölkerung im Ghetto auf diese Verordnung aufmerksam. Jeder muss dafür sorgen, dass vom Beginn bis zum Ende der Verdunkelung kein [Licht]Schein nach außen dringt. Alle Fenster, Türen, Dachfenster usw. müssen völlig verdunkelt werden. Für einen Verstoß dagegen wird man s t r e n g s t e n s b e s t r a f t w e r d e n . Białystok, d. 31-ten August 1941 Judenrat
[80] Aufruf an die jüdische Bevölkerung in Białystok Es naht der kalte, trübe Herbst, und viele Familien liegen noch unter freiem Himmel, ohne ein Dach über dem Kopf. Juden, Brüder! Wir appellieren an euer jüdisches Gewissen! Bedenkt die tragische Lage derer, die sich jetzt in solch einem schrecklichen Zustand befinden, obdachlos, Regen und Winden ausgesetzt. Jeder freie Platz muss sofort von diesen Obdachlosen besetzt werden. Wir wenden uns an euch, dass, wer bei sich in der Wohnung ein freies Zimmer oder einen freien Winkel besitzt, dies bis Mittwoch, den 3/9, freiwillig im Judenrat, Zimmer 25, melden kommen möge. Dort wird er eine Liste der obdachlosen Familien und Personen bekommen und wird sich die passenden auswählen können. Andernfalls werden dort, wo freie Plätze gefunden werden, obdachlose Familien zwangsweise einquartiert werden, mit Hilfe der Polizei. Białystok, d. 31-ten August 1941 Judenrat
[81] Meldung Die Ausgabe von Bezugsscheinen für Wohnungen wird zeitweilig, bis Mittwoch, den 3-ten September 1941, eingestellt, um in der Zeit Wohnungen zu schaffen.
325
Die Meldungen des Białystoker Judenrats
177
Diejenigen, die ohne ein Dach über dem Kopf sind, müssen bis Dienstag einschließlich in Zimmer 25 neue schriftliche Anträge einreichen mit Bestätigungen der Hausverwalter, dass sie obdachlos sind. Nach dem erwähnten Termin werden keine Gesuche angenommen werden. Białystok, d. 1-ten September 1941 Wohnungsabteilung beim Judenrat
[82] Meldung
327
Die juridische Abteilung beim Judenrat erledigt folgende Angelegenheiten: 1. Gibt juridische Ratschläge 2. Schreibt Gesuche 3. Sie untersucht Zivilstreitigkeiten unter der jüdischen Bevölkerung. Empfangsstunden alle Tage, außer Sabbat, von 9 in der Früh bis 1 nachmittags in Zimmer 13. Białystok, d. 2-ten September 1941 Judenrat (Juridische Abteilung)
[83] Wa r n u n g Die deutsche Behörde lässt den Judenrat wissen, dass Straßenmädchen34 aus dem Ghetto über Nacht außerhalb des jüdischen Stadtteils bleiben. Der jüdische Ordnungsdienst hat den Befehl bekommen, dass, wenn man solche Frauen fassen wird, man sie der deutschen Behörde übergeben soll. Die Schuldigen werden mit dem Tod bestraft werden. Białystok, d. 2-ten September 1941 Judenrat
[84] Meldung Die Gesundheitsabteilung beim Judenrat teilt mit, dass, um Schwierigkeiten beim Bekommen von Geburtshilfe zu vermeiden, die Anträge der interessierten schwangeren Frauen beizeiten abgegeben werden müssen. Die Anträge müssen beizeiten schriftlich in der Abteilung für Soziale Versorgung, Zimmer 7, eingereicht werden. Białystok, d. 3-ten September 1941 Judenrat
34
Wörtlich: Gassenfrauen.
178
Hans-Peter Stähli
[85] Fachkurse Freitag, den 5/9 1941, beginnt eine Registrierung von Kandidaten und Kandidatinnen für folgende Kurse: 1. Kurs für Zimmerei 2. Kurs für Schneiderei Die Kandidaten dürfen nicht jünger als 14 Jahre sein. Die Registrierung findet statt an der Fabryczna Gasse 3935. Białystok, d. 3-ten September 1941 Judenrat
[86] Meldung Freitag, den 5/9, beginnt eine Registrierung von Lehrern. Die Registrierung findet statt an der Fabryczna 39, von 9 bis 1 und von 3 bis 6. Białystok, d. 5-ten September 1941 Judenrat
[87] Meldung Der jüdische Ordnungsdienst hat eine Verordnung bekommen, Menschen nicht zu erlauben, sich auf den Trottoirs und Straßenpflastern zu versammeln, weil dies den Verkehr in den Gassen aufhält und den Zugang zu den Häusern versperrt. Die Bevölkerung wird aufgefordert, diese Verordnung zu befolgen, andernfalls wird man s t r e n g b e s t r a f t w e r d e n . Białystok, d. 5-ten September 1941 Judenrat
[88] Meldung Alle, die ihre Gärten außerhalb des Ghettos haben, müssen diese Montag, den 8-ten September, zwischen 10 und 1 Uhr im Judenrat, Zimmer 15, registrieren. Białystok, d. 7-ten September 1941 Judenrat
35
Siehe Anmerkung zu Meldung 76.
329
Die Meldungen des Białystoker Judenrats
179
[89] Meldung Laut Verordnung der deutschen Behörde vom 5. September 1941 ist es den Bewohnern der Häuser 25, 27, 23 an der Fabryczna Gasse und 1, 3, 5, 7, 9 an der Kupiecka Gasse wegen der ansteckenden Krankheit, die dort herrscht, verboten, zur Arbeit außerhalb des Ghettos zu gehen. Die Bewohner der erwähnten Häuser, die man außerhalb des Ghettobezirks antreffen wird, werden erschossen werden. Das Verbot ist gültig bis zum 27-ten September 1941. Białystok, d. 7-ten September 1941 Judenrat (Arbeitsabteilung)
[90] Fachkurse
331
Mittwoch, den 10-ten September 1941, findet an der Fabryczna Gasse 39 von 9 bis 1 mittags und von 3 bis 6 abends eine Registrierung von Kandidaten für den Schlosserkurs statt. Die Kandidaten dürfen nicht jünger als 14 Jahre sein, mit Volksschulbildung. Białystok, d. 8-ten September 1941 Judenrat
[91] Aufruf! Brüder und Schwestern! Wir wenden uns an euch im Zusammenhang mit dem nahenden Herbst, dem kommenden Winter und ihren Begleiterscheinungen, den Winden, der Kälte und dem Schnee. Wir stehen vor der dringenden Aufgabe, Brandgeschädigte36 und Obdachlose, die Waisenhäuser, Kinderheime, Altersheime, Spitäler und andere Institutionen mit allem tagtäglich Notwendigen zu versorgen. Besonders aber muss man ihnen warme Kleider und Schuhe beschaffen, um so weit wie möglich Erkältungen und epidemische Krankheiten zu verhüten, die eine schwere Gefahr für uns alle bringen. Um diese Schrecken zu vermeiden, proklamiert der Judenrat eine breit [angelegte] Sammelaktion. Denkt daran, Juden, dass wir auf uns allein angewiesen sind. Die Zeit ist kurz und die Not ungeheuer groß, deshalb müssen wir uns, was nur möglich ist, von uns selbst absparen und für die Sammelaktion schenken. 36
Wörtlich Abgebrannte; vgl. Anmerkung zu Meldung 3.
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Hans-Peter Stähli
Nehmt also unsere Sammler mit der gebührenden Herzlichkeit auf, kommt ihnen schnell und mit jüdischer Wärme entgegen. Lasst uns mit unseren Kräften wenigstens teilweise die Not auf den Winter hin stillen! Möge die Gefahr von Epidemien vermieden werden! Fordert bei den Sammlern Quittungen mit dem Stempel des Judenrats. Białystok, d. 8-ten September 1941 Judenrat
[92] Meldung Der Judenrat hat von der deutschen Zivilverwaltung folgende Verordnung bekommen: Białystok, den 9-ten September 1941 Der Oberpräsident Zivilverwaltung für den Bezirk Bialystok Der Zivilkommissar Ihr werdet hiermit aufgefordert, für das Regierungs-Kasino folgende Sachen zu liefern: Bis Mittwoch, den 10-ten September 1941, 6 abends 30 Tischdecken in gleicher Form und gleicher Größe 20 gute Gardinen mit Gardinenstangen und Storen 10 große Teppiche 10 Läufer 10 Girandolen 10 Wandbilder 10 Wandteppiche37 100 flache Teller 100 tiefe Teller (für Suppe) 100 kleine Teller 100 Tassen 100 Untertassen 100 Biergläser, einfache 100 Biergläser, geschliffene 100 Kompottschalen 100 Weingläser 100 Likörgläser 50 Champagnergläser 50 Kaffeekannen 15 Zuckerdosen 15 Milchkännchen 20 Aschenbecher 100 Löffel 37
Wörtlich Wanddiwans; vgl. Meldung 397.
333
Die Meldungen des Białystoker Judenrats
355
181
100 Gabeln 100 Messer 100 Gabelmesser für Fisch 50 Teegläser 5 Samoware 15 Fleischplatten 15 große Tortenteller 15 Kartoffelschüsseln 15 Soßenschüsselchen Bis Donnerstag, den 11/9, 10 in der Früh 15 Tische, jeder für vier Personen 60 Stühle 3 Büfetts Bis Donnerstag, 6 abends 1 Klavier 1 Billard (mit Zubehör) 1 Tisch für Tischtennis 3 Schachtische mit Figuren 3 Rauchertische Bis Freitag, 12 mittags 12 Stühle mit Lederpolster 1 großer runder oder ovaler Tisch 12 große Fauteuils 12 weiche Stühle oder Stühle ohne Lehnen Bis Freitag, 5 abends 2 Bücherschränke 2 Bücherregale 3 Küchenschränke für Geschirr 3 Küchentische zum Geschirrspülen 20 Handtücher, 20 Geschirrtücher, 5 Besen, 5 Eimer, 5 Scheuerbürsten mit Handgriff, 10 Scheuerlappen, 10 Wischtücher. Alle diese Sachen haben von bestem Material zu sein. Das Essgeschirr, die Tische wie auch die Tischdecken und Stühle müssen von gleicher Sorte und Größe sein. Jede nicht taugliche Sache wird sofort vernichtet werden und muss durch eine andere ersetzt werden; für jede Sache, die fehlen wird, wird eine große Strafe verhängt werden. Alle gegebenen Sachen werden im Judenrat geschätzt werden, und die Summe wird dem Geber von seiner Steuer oder vom Wohnungsgeld abgerechnet werden. Ohne Quittungen mit dem rundem Stempel des Judenrats soll man keine Sache geben. Der Judenrat warnt: Wenn die geforderten Sachen nicht genau zur [festgesetzten] Zeit geliefert werden, lehnt der Judenrat die Verantwortung für die schweren Konsequenzen ab, die daraus der ganzen jüdischen Bevölkerung des Ghettos erwachsen können. Białystok, d. 10-ten September 1941 Judenrat
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Hans-Peter Stähli
[93] Meldung
337
Alle, die zur Arbeit außerhalb des Ghettos hinausgehen, müssen die Flecke in allen Ecken auf die Kleidung angenäht haben, andernfalls wird man [sie] nicht durch das Tor hinauslassen. Białystok, d. 11-ten September 1941 Judenrat
[94] Meldung Im Zusammenhang mit den schweren Erfahrungen der letzten Tage meldet der Judenrat, dass die deutsche Behörde jetzt wie bisher die geschuldete Zahl an jüdischen Arbeitern, Männern und Frauen, für Arbeiten außerhalb des Ghettos fordert. Und es ist die Pflicht der jüdischen Bevölkerung, sich massenweise in der Früh einzufinden, um die nötige Zahl an Arbeitern zu stellen und damit die schweren Konsequenzen zu vermeiden, die für jeden Einzelnen und für alle zusammen eintreten können. Wir fordern auf und warnen, man möge in Massen zur Arbeit kommen, weil dies unser aller Lebensinteresse ist. Białystok, d. 12-ten September 1941 Judenrat
[95] Meldung Alle Personen die auf Grund von persönlichen, namentlichen Scheinen außerhalb des Ghettos beschäftigt sind, haben sich Sonntag, den 14/9, von 8 bis 6 abends in der Arbeitsabteilung beim Judenrat (im Hof) mit ihrem Schein zu melden und auch eine abgeschriebene Kopie des Scheins mitzubringen. Białystok, d. 13-ten September 1941 Judenrat
[96] Meldung Alle Fachmänner, die eine Handwerkerkarte (Karta Rzemie´slnicza) besitzen oder einen deutschen Schein, dass sie außerhalb des Ghettos als Fachleute beschäftigt sind, und sich bei der Arbeitsabteilung des Judenrats noch nicht registriert haben, müssen sich Sonntag, den 14/9, von 8 bis 6 abends im Judenrat, Arbeitsabteilung, auf dem Hof des Judenrats melden. Alle, die sich schon registriert haben, müssen nachsehen kommen, ob sie in den Listen figurieren. Białystok, d. 13-ten September 1941 Judenrat
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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[97] Meldung Alle, denen der Judenrat Rechnungen für Elektrizität und Wasser zugestellt hat oder deren Namen sich auf den ausgehängten Listen finden, müssen die Rechnungen Sonntag, den 14/9, im Judenrat, Zimmer 12, bezahlen. Wer dies nicht erfüllen wird, dem wird man seine Brotportion wie auch andere Nahrungsmittel nicht herausgeben, und man wird ihm auch eine hohe Geldstrafe auferlegen. Białystok, d. 13-ten September 1941 Judenrat
[98] Aufruf! Brüder und Schwestern! Hunderte bedrängte und brandgeschädigte38 jüdische Familien sind völlig verarmt geblieben, ohne Wäsche, ohne Kleider, und wegen der bevorstehenden Evakuierung kommt es dazu, dass die unglücklichen Brüder und Schwestern nackt und barfuß und mittellos wegfahren müssen. Deshalb fordert der Judenrat die jüdische Bevölkerung, die noch irgendwelche Mittel besitzt, auf, sich über den ernsten Moment Rechenschaft zu geben und, ohne auf unsere Sammler zu warten, selbst in den Judenrat, Wirtschaftsabteilung, eine möglichst große Zahl an Wäsche für Frauen und Männer, Kleidern, Bettzeug, Schuhwerk, die in großen Mengen dringend nötig sind, zu bringen. Białystok, d. 13-ten September 1941 Judenrat
[99] Meldung Da sich an den Judenrat Juden mit Gesuchen wenden, man möge sie wegen persönlicher Gründe früher evakuieren, als sie nach dem Alphabet an der Reihe sind, fordert der Judenrat solche Familien auf, sie möchten dies sofort im Judenrat, Zimmer 3, von 9 Uhr bis 12 Uhr mittags melden, damit ihr Verlangen befriedigt werden kann. Białystok, d. 15-ten September 1941 Judenrat
[100] Meldung
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Laut Verordnung der deutschen Behörde hat man für jede Wohnung eine Steuer von zwei Mark (20 Rubel) zu bezahlen. 38
Vgl. Anmerkung zu Meldung 3.
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Hans-Peter Stähli
Die Steuer für August und September in der Höhe von 4 Mark (40 Rubel) muss dem Hausverwalter spätestens bis Dienstag, den 16-ten September, bezahlt werden. Białystok, d. 15-ten September 1941 Judenrat
[101] Meldung Alle Schwerkranken und im 9-ten Monat schwangeren Frauen, deren Familien[namen] mit den Buchstaben D, E, F beginnen39 und die nicht imstande sind, in der für sie bestimmten Zeit evakuiert zu werden, haben sich am 17/9 im Ambulatorium, Roz˙aner Gasse 3, zu melden, wo sie von einer Doktorenkommission untersucht werden. Im Fall, dass der Kranke wegen seines Gesundheitszustandes nicht ins Ambulatorium kommen kann, hat die Familie dies zu melden. Eine Liste der Kranken, die sich in Spitälern befinden, wird dem Judenrat direkt in den Spitälern zugestellt werden. Białystok, d. 16-ten September 1941 Judenrat
[102] Meldung Der Judenrat hat von der deutschen Behörde folgende schriftliche Verordnung bekommen: Der Polizeipräsident in Białystok 16-ten September 1941 an den Judenrat in Białystok Im Zusammenhang mit meinem Befehl vom 11/9 1941 verordne ich hinsichtlich der Evakuierung der Juden von Białystok nach Pruz˙any Folgendes: 1. Die Evakuierung beginnt am 18/9 1941 (Donnerstag). 2. Für den Transport werden Lastautos gestellt. 3. Die Namen der Juden, die jeden Tag evakuiert werden sollen, werden in der Liste, die man mir laut meines schriftlichen Befehls vom 11/9 1941 täglich zuzustellen hat, rot unterstrichen sein. Eine Kopie der Liste wird dem Judenrat einen Tag vor der Evakuierung zugestellt werden. 4. Die Juden, die in der Liste rot unterstrichen werden, stellen sich am entsprechenden Tag 6 Uhr in der Früh auf dem Osttrottoir der Fabryczna Gasse gemäß der Liste in der Reihe auf, bereit zum Abtransport40. 5. Man darf nur persönliches Gepäck mitnehmen: Kleidung, Wäsche und Bettzeug. Möbel oder andere größere Sachen mitzunehmen, ist verboten.
39 40
Im jiddischen Text die hebräischen Buchstaben b, [, d. Wörtlich zum Abschicken.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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6. In der Zeit der Aufstellung und des Abtransports darf sich niemand von den Juden auf der Fabryczna Gasse aufhalten außer einzelnen Mitgliedern des jüdischen Ordnungsdienstes. 7. Die Kosten für die Evakuierung werden nach deren Feststellung dem Judenrat auferlegt werden. 8. Alle Wohnungen und Häuser, die durch die Evakuierung frei werden, hat man zu reinigen und in Ordnung zu bringen, die Möbel und andere Sachen, die sich in ihnen befinden, darf man nicht entfernen. 9. Im Fall des Nichtbefolgens der Verordnungen werden herbe Zwangsmaßnahmen ergriffen werden. Białystok, d. 17-ten September 1941 Judenrat [Auf der Rückseite der Meldung ist handschriftlich hinzugefügt:]41 Nach Pruz˙any [sind] ungefähr 4000 Juden (viertausend) weggeschickt worden.
[103] Meldung Laut Verordnung der deutschen Behörde müssen die Personen, die einen Zettel zum Wegfahren bekommen, sich punkt 5 vor Tagesanbruch in der Fabryczna Gasse einfinden. Man darf für jede Person bloß kleineres Gepäck mitnehmen. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass, wer nicht pünktlich kommt, sein Recht auf Mitnehmen von Gepäck verliert. Białystok, d. 22-ten September 1941 Judenrat
[104] Meldung
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Alle Personen, die heute Mittwoch durch den Sicherheitsdienst Meldungen wegen Wegfahrens bekommen, müssen sich pünktlich zu der angegebenen Zeit melden. Ab 4 Uhr in der Früh darf man morgen schon auf der Gasse im Ghetto gehen und das Gepäck in die Fabryczna Gasse bringen. Mit dem Transport fahren auch Vertreter des Judenrats. Für nicht pünktliches Kommen wird es die höchste Strafe geben. Białystok, d. 24-ten September 1941 Judenrat 41
Die insgesamt neun zu den Meldungen 102, 104, 255, 357, 362, 386, 391, 396 und 400 handschriftlich hinzugefügten Bemerkungen sind nicht unterschrieben. Es darf aber wohl angenommen werden (vgl. Blumenthal, Introduction, in: Darko shel Yudenrat, S. XVII), dass sie von Mordechai Tenenbaum stammen, da einige von ihnen große Ähnlichkeit mit Bemerkungen in dessen Tagebuchnotizen aufweisen (vgl. oben Vorwort, Anm. 2).
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Hans-Peter Stähli
[Auf der Rückseite der Meldung ist handschriftlich hinzugefügt:] Viele sind nicht erschienen; man pflegt Menschen auf der Gasse aufzugreifen und sie abzutransportieren.
[105] Meldung Die Gesundheitsabteilung beim Judenrat fordert alle Doktoren und Dentisten auf, sich zu registrieren. Die Registrierung findet statt in der Gesundheitsabteilung, Zimmer 14, ab Mittwoch, dem 24/9, 8 in der Früh und endet Donnerstag, den 25/9. Białystok, d. 24-ten September 1941 Judenrat
[106] Fachkurse Freitag, den 26/9 1941, von 9 in der Früh bis 6 am Abend findet im Schullokal an der Fabrik-Gasse 39 eine Registrierung von Kandidaten für e i n e n K u r s f ü r H e r r e n s c h n e i d e r e i 4 2 statt. Die Kandidaten müssen im Alter von 15 bis 31 Jahren sein und Volksschulbildung haben. Białystok, d. 25-ten September 1941 Judenrat
[107] Meldung An der Jurowcer43 Gasse 7 ist von der Sanitärabteilung beim Judenrat ein Bad eröffnet worden, das alle Tage von 9 in der Früh bis 1 nachmittags in Betrieb ist44. Białystok, d. 26-ten September 1941 Judenrat (Sanitärabteilung)
[108] Meldung Im Zusammenhang damit, dass durch die Evakuierung nach und nach Zimmer und Wohnungen im Ghetto frei werden, warnen wir die Bevölkerung, dass 42
43
44
Im jiddischen Text ist von Männer- bzw. (für Damenschneiderei) von Damen- oder Frauenschneiderei die Rede. Die Meldungen verwenden für die Straße die polnische oder die jiddische Bezeichnung: Jurowiecka bzw. Jurowcer. Wörtlich funktioniert.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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niemand Wohnungen und Zimmer eigenmächtig, ohne einen Bezugsschein des Judenrats, belegen darf. Wer dagegen verstoßen wird, der wird aus der besetzten Wohnung hinausgesetzt werden und überhaupt keinen Bezugsschein bekommen. Die frei gewordenen Wohnungen wie auch die zurückgebliebenen Sachen werden durch Vertreter des Judenrats, die dafür die volle Verantwortung tragen, registriert werden. Białystok, d. 26-ten September 1941 Judenrat (Wohnungsabteilung)
[109] Wa r n u n g Alle Personen, die aufgefordert werden, sich zu melden, um nach Pruz˙any wegzufahren, müssen der Aufforderung Folge leisten. Diejenigen, die die Forderung nicht erfüllen, werden streng bestraft werden. Białystok, d. 28-ten September 1941 Judenrat
[110] Meldung Laut einer Verordnung der deutschen Behörde müssen alle Besitzer von Pferden, Plattformwagen, Droschken, Zaumzeug (Kummeten) und anderen Gespannteilen bis Dienstag, den 30/9 d. J., dies alles beim Judenrat (Zimmer für Transport) registrieren. Gleichzeitig sind alle Bürger verpflichtet anzugeben, wo sich Last- und Personenautos im Ghetto befinden, gleichgültig, in welchem Zustand sie auch sein mögen. Unter die oben erwähnte Registrierung fallen auch die Gespanne, die den Judenrat, die Chewro Kadiszo45, das Spital, die Müllabfuhr usw. bedienen. Für Nichtausführen der Registrierungsverordnung zum angegebenen Termin wird man von der deutschen Behörde streng bestraft werden. Białystok, d. 28-ten September 1941 Judenrat
45
Die sog. Chewra Kadischa (aramäisch/hebräisch, wörtlich: Heilige Vereinigung) ist eine in allen jüdischen Gemeinden bestehende »Beerdigungsbrüderschaft«, deren Zweck die Fürsorge in Krankheitsfällen sowie die Bestattung der Toten ist. Die Schreibweise folgt dem Białystoker Telefonbuch von 1938. Vgl. Białystok Old Telephone Book 1938, http://www.zchor.org/bialystok/telephone.htm [17.8.2009].
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Hans-Peter Stähli
[111] Meldung
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Um die Möglichkeit zu haben, Durchgangsscheine für jene zu bekommen, die von Białystok nach Hause zurückkehren wollen, registriert der Judenrat Personen, die nach Białystok nach dem 1-ten September 1939 gekommen sind, und auch Leute aus der Provinz46, die sich seit nicht langem in Białystok befinden und weg nach Hause wollen. Die Registrierung beginnt Donnerstag, den 2-ten Oktober 1941, von 9 bis 5 Uhr abends im Lokal der »Linas Hacedek«, Roz˙aner Gasse 3. Białystok, d. 30-ten September 1941 Judenrat
[112] Fachkurse Im Schullokal an der Fabrik-Gasse 39 findet täglich, außer Sabbat, von 10 bis 1 Uhr nachmittags eine Registrierung von Kandidaten zum Erlernen folgender Fächer statt: 1. M e t a l l b e a r b e i t u n g Schlosserei Dreherei Schmiederei Klempnerei 2. E l e k t r o t e c h n i k 3. H o l z b e a r b e i t u n g Tischlerei Holzdrechslerei Zimmerei 4. B e k l e i d u n g s p r o d u k t i o n Herrenschneiderei Damenschneiderei Herren-Zuschneiderei Damen-Zuschneiderei Wäschenäherei Putzmacherei47 Hutkürschnerei Korsettmacherei Stickerei, Strickerei 5. L e d e r b e a r b e i t u n g Stepperei Schusterei Babuschenmacherei 46 47
Wörtlich Provinzer. Wörtlich Hutputzerei.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
6. B e t o n h e r s t e l l u n g Białystok, d. 30-ten September 1941
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Judenrat
[113] Meldung Laut der Verordnung des Kreisarbeitsamtes (Deutsche Gasse 23) wird gemeldet: 1. Ab Montag, dem 1/9 d. J., werden alle Arbeiter, seien es Fachleute, seien es Tagelöhner, die außerhalb des Ghettos arbeiten, ihre Arbeit mit G e l d oder Lebensmitteln48 bezahlt bekommen. 2. Es ist den jüdischen Arbeitern s t r e n g verboten, außerhalb des Ghettos Nahrungsmittel oder andere Artikel einzukaufen. Im Fall eines Verstoßes kann man mit der To d e s s t r a f e bestraft werden. 3. Jede Gruppe von Arbeitern über 5 Personen wird durch einen von der Arbeitsabteilung beim Judenrat bestimmten Gruppenführer (Brigadier) geführt, der persönlich für seine Gruppe verantwortlich ist: a) Keiner darf den Arbeitsplatz verlassen, selbst nicht in der Zeit der Mittagspause. b) Keiner von seiner Gruppe darf irgendwelche Einkäufe machen. 4. Alle, die von der Arbeitsabteilung beim Judenrat durch die Hausverwalter wegen Arbeit Nummern bekommen, haben sich 6 Uhr in der Früh mit ihren persönlichen Dokumenten im Hof des Judenrats einzufinden. Wer seine Dokumente verloren hat, muss den entsprechenden Schein vom Judenrat mitbringen. Auch die Facharbeiter sind verpflichtet, ihre Dokumente oder Scheine zu bringen. Białystok, den 30/9 1941 Judenrat
[114] Meldung Die Kinder, die sich für die erste und zweite Klasse registriert haben, müssen Sonntag, Vorabend von Sukkot, 5-ten Oktober, punkt 10 Uhr in der Früh in die Schule, Fabrik Gasse 39, kommen. Białystok, d. 3-ten Oktober 1941 Judenrat
48
Wörtlich Produkte.
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Hans-Peter Stähli
[115] Meldung
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Die Registrierung der von auswärts Gekommenen, die nach Hause zurückkehren wollen, endet Sonntag, den 5-ten Oktober, einschließlich. Nach dem Termin wird niemand Scheine zum Verlassen von Białystok bekommen. Białystok, den 3-ten Oktober 1941 Judenrat
[116] Meldung Die deutsche Behörde hat der jüdischen Bevölkerung eine Kopfsteuer von 6 Mark (60 Rubel) pro Kopf auferlegt. Der Judenrat beginnt mit dem Einmahnen der Steuer ab Montag, dem 6-ten Oktober, und die Bürger werden aufgefordert, pünktlich zu dem Termin zu bezahlen, der für sie angeordnet werden wird. Für nicht pünktliches Bezahlen wird man streng bestraft werden. Białystok, den 5-ten Oktober 1941 Judenrat
[117] Meldung Ungeachtet unserer ersten Warnung kommen weiterhin Fälle eigenmächtigen Besetzens von Wohnungen und Zimmern Evakuierter vor, ohne einen Bezugsschein des Judenrats. Wir warnen zum zweiten und letzten Mal: 1. Niemand darf ohne einen entsprechenden Bezugsschein des Judenrats ein Zimmer oder eine Wohnung belegen. 2. Diejenigen, die Zimmer oder Wohnungen besetzt haben ohne einen Bezugsschein, sollen diese sogleich räumen. Wer diese Verordnung nicht erfüllt, wird mit Gewalt aus der belegten Wohnung oder dem belegten Zimmer hinausgesetzt werden und wird künftig überhaupt keinen Bezugsschein für eine Wohnung bekommen. Białystok, d. 6-ten Oktober 1941 Judenrat
[118] Meldung Es gehen Gerüchte um, dass verschiedene Angestellte und Mitarbeiter des Judenrats im Zusammenhang mit der Evakuierung sich haben bestechen lassen und dabei verbrecherische Taten begangen haben. Der Judenrat fordert alle auf,
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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die darunter gelitten haben oder etwas darüber wissen, sie möchten es dem Präsidium sofort melden. Die Meldung kann schriftlich oder mündlich gemacht werden, dabei wird die volle Verschwiegenheit zugesichert. Der Geschädigte wird sein Geld zurückbekommen, und gegen die Schuldigen werden die strengsten Maßnahmen ergriffen werden. Białystok, d. 7-ten Oktober 1941 Judenrat – Präsidium: (—) Dr. G. Rozenman (—) Ing. E. Barasz
[119] Meldung Die jüdische Bevölkerung muss Arbeiter außerhalb des Ghettos stellen, und der Arbeitszwang gilt für alle, sowohl für den, der einen Schein hat, als auch für den, der keinen hat. – Der Judenrat warnt deshalb, dass, wer diese Pflicht, sich zur Arbeit zu stellen, nicht erfüllen wird, die schwerste Strafe bekommen – auch aus Białystok evakuiert werden kann. Białystok, d. 7-ten Oktober 1941 Judenrat
[120] Meldung Alle Personen, die außerhalb des Ghettos (in der Stadt bei Bauern) Pferde, Wagen, Droschken zurückgelassen haben, werden aufgefordert, heute, den 9-ten Oktober 1941, sich in der Transportabteilung beim Judenrat, im Hof, zu registrieren. Białystok, d. 8-ten Oktober 1941 Judenrat
[121] Meldung Die Arbeitsabteilung meldet, dass für morgen, den 10-ten Oktober, 6 Uhr in der Früh 170 Männer zur Arbeit auf dem Flugplatz benötigt werden. Wir fordern alle Männer auf, die noch bis heute nicht beschäftigt sind, sich morgen in der Früh im Hof des Judenrats zur Arbeit zu stellen. Białystok, d. 9-ten Oktober 1941 Arbeitsabteilung beim Judenrat
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[122] Meldung Die Registrierung der Leute, die nach Hause zurückkehren wollen, beginnt wieder Freitag, den 10-ten Oktober d. J., und wird vier Tage dauern bis Mon-
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Hans-Peter Stähli
tag, den 13-ten Oktober, von 9 Uhr in der Früh bis 5 abends im Lokal der »Linas Hacedek«, Roz˙aner Gasse 3. Der Judenrat meldet – laut der Versicherung der Behörde, dass der Zweck der Registrierung nur der ist, allen registrierten Personen die Möglichkeit zu geben, nach Hause zurückzukehren, und gar keinen Zusammenhang mit irgendeiner Evakuierung hat. Białystok, d. 9-ten Oktober 1941 Judenrat
[123] Meldung Bei den Kursen für Damen- und Herrenschneiderei beim Judenrat werden, unter der Leitung von hochqualifizierten Meistern, auch Kurse für Zuschneiderei eingerichtet, um verschiedene ganze Arbeiten anfertigen zu können, private oder andere Bestellungen. Kandidaten für die Kurse müssen schon von früher her fachmännische Praxis haben. Besonders geeignet sind ehemalige Arbeiter oder Meister. Die Registrierung findet statt alle Tage von 10 bis 1 nachmittags im Lokal der Schneiderkurse, Fabrik-Gasse 39. Es werden ferner auch Jugendliche von 15 Jahren und älter für den Kurs für Herrenschneiderei registriert. Białystok, d. 9-ten Oktober 1941 Kulturkommission beim Judenrat
[124] Meldung Der Judenrat macht die jüdische Bevölkerung [darauf] aufmerksam, dass es auch künftig strengstens verboten ist, von 9 Uhr am Abend bis 5 in der Früh auf die Gasse hinauszugehen. Auch ist die Bevölkerung verpflichtet, alle beleuchteten Orte zu verdunkeln, sobald es finster wird. Wer gegen die erwähnten Verordnungen verstößt, wird bestraft werden. Białystok, d. 10-ten Oktober 1941 Judenrat
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[125] Eltern! Mittwoch, den 15-ten Oktober 1941, findet im Schullokal an der Fabrik Gasse 39 eine Registrierung von Kindern für die dritte und vierte Klasse statt. Auch die Kinder, die sich für diese Klassen schon registriert haben, müssen sich nochmals einschreiben. Zeit der Registrierung: von 10 in der Früh bis 2 nachmittags.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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Es werden auch Kinder für die Klassen 1, 2 und 3 der Schule 2 beim Judenrat, Neue Welt 24, registriert. Die Registrierung findet statt von 9 bis 1 und von 3 bis 5 abends. Białystok, d. 14-ten Oktober 1941 Kulturabteilung beim Judenrat
[126] Meldung Laut der Verordnung der deutschen Behörde müssen alle Männer des Ghettos von 18 bis 55 Jahren mit Arbeit beschäftigt sein. Wir fordern alle Männer von 18 bis 55 Jahren, die bis heute nicht beschäftigt sind, ohne Ausnahme auf, sich morgen, den 16-ten Oktober, 6 Uhr in der Früh im Hof des Judenrats zu stellen. Wir warnen, dass, wenn man es unterlassen wird, sich zu melden, sehr schwere Folgen eintreten können, und die Nichtbeschäftigten, die sich nicht stellen, werden herbe Strafen bekommen, bis [dahin,] aus Białystok evakuiert zu werden. Białystok, d. 15-ten Oktober 1941 Judenrat (Arbeitsabteilung)
[127] Meldung Wer bei sich Kinder ohne ein Zuhause aus Zambrów hat, wird gebeten, dies im Judenrat, Zimmer 3, zu melden. Białystok, d. 17-ten Oktober 1941 Judenrat
[128] Wa r n u n g
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Alle Personen, die Aufforderungen zum Bezahlen der Kopfsteuer bekommen haben, und der Termin ist vorüber, werden durch den Ordnungsdienst Mahnungen bekommen mit einer Frist von zwei Tagen. Für die Mahnung wird eine Mark berechnet. Im Fall, dass die Bezahlung nicht innerhalb der zwei Tage erledigt wird, werden durch den Ordnungsdienst verschiedene Gegenstände für die Schuld beschlagnahmt wie auch 5 Mark Requisitionskosten berechnet werden. Białystok, d. 17-ten Oktober 1941 Judenrat
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Hans-Peter Stähli
[129] Meldung Der Judenrat will 1.000 Säcke kaufen. Wer Säcke hat, wird gebeten, sie zu bringen oder es in der Transportabteilung des Judenrats, Kupiecka 32 im Hof, zu melden. Białystok, d. 20-ten Oktober 1941 Judenrat
[130] Meldung Wer Möbel in gutem Zustand besitzt, ohne die er auskommen kann, sei es im Ghetto, sei es außerhalb des Ghettos, wird gebeten, sie im Judenrat, Zimmer 17, zu registrieren. Der Judenrat wird die passenden Möbel abkaufen und bezahlen. Wir machen dabei [darauf] aufmerksam, dass nicht registrierte Möbel später zwangsweise abgenommen werden können, ohne Bezahlung. Białystok, d. 20-ten Oktober 1941 Judenrat
[131] Meldung Wir fordern alle auf, die Rechnungen für Elektrizität und für Wasser bekommen, sie möchten die Rechnungen pünktlich bezahlen. Wer den Termin vorübergehen lassen wird, bei dem wird der elektrische Strom abgeschaltet wie auch das Wasser abgestellt werden, und gleichzeitig werden die Rechnungen auf dem gesetzlichen Weg angemahnt werden zusammen mit einem speziellen Zuschlag für die Mahnungskosten. Białystok, d. 20-ten Oktober 1941 Judenrat
[132] Meldung Wer eine Nähmaschine hat, muss sie im Judenrat, Zimmer 17, registrieren. Für die Maschinen, die angenommen werden, wird der Judenrat bezahlen. Nicht registrierte Maschinen werden später zwangsweise abgenommen werden. Białystok, d. 20-ten Oktober 1941 Judenrat
Die Meldungen des Białystoker Judenrats 363
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[133] Meldung Der Handel in den Gassen ist verboten. Wer sich diesem Verbot nicht unterwerfen wird, dem wird die Ware abgenommen werden, und er selbst wird verhaftet werden. Für jugendliche Händler werden ihre Eltern verantwortlich sein. Białystok, d. 20-ten Oktober 1941 Judenrat
[134] Meldung Heute Dienstag, den 21/10, 3 Uhr nachmittags, findet im Hof des Judenrats eine Versammlung aller arbeitsfähigen Männer statt, die derzeit noch nicht beschäftigt sind, um die Arbeitsfragen zu erörtern. Alle haben unbedingt zu kommen. Białystok, d. 21-ten Oktober 1941 Judenrat
[135] Meldung Laut der Meldung der deutschen Behörde ist die Evakuierung nach Pruz˙any unter folgenden Bedingungen eingestellt worden: 1. Die Zwangsevakuierung wird ersetzt durch eine freiwillige Evakuierung der Flüchtlinge und allgemein von nicht hiesigen Einwohnern, die mit Passierscheinen nach Hause zurückzukehren haben. 2. Alle, die Aufforderungen zur Arbeit bekommen oder Scheine haben, dass sie arbeiten, und sich nicht stellen, werden auf Listen zur Evakuierung verzeichnet werden. 3. Wer beim Tätigen von irgendwelchen Einkäufen außerhalb des Ghettos gefasst wird, dessen Name wird auf der Liste zur Evakuierung aufgeschrieben werden. Dies gibt der Judenrat der Bevölkerung im Ghetto zu wissen. Białystok, d. 21-ten Oktober 1941 Judenrat
[136] Meldung Im Zusammenhang mit der Arbeitspflicht für die Juden des Ghettos wird gemeldet: In der letzten Zeit, seitdem die Evakuierung aufgehört hat, unterlässt es die Bevölkerung, die Sache gering schätzend, zur Arbeit zu erscheinen.
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Hans-Peter Stähli
Deshalb warnt die deutsche Behörde: 1. Nicht zur Arbeit erscheinen wird wie Staatsverrat und Sabotage betrachtet. 2. Der Arbeiter, der nicht zur Arbeit kommt, kann dafür erschossen werden. 3. Für Nichtstellen der geschuldeten Zahl von Arbeitern wird die Zustellung von Brot und anderen Lebensmitteln für das Ghetto gänzlich eingestellt werden. Białystok, d. 21-ten Oktober 1941 Judenrat
[137] Meldung 1. Die Kühe, die Privatleuten gehören, müssen in der Approvisationsabteilung des Judenrats registriert werden. 2. Alle Änderungen im Besitz der Kühe müssen im Register notiert werden. 3. Die Besitzer von registrierten Kühen bekommen vom Judenrat Registrierungskarten. 4. Nicht registrierte Kühe werden als nichtgesetzliches Vermögen betrachtet, das für den Judenrat beschlagnahmt werden muss. 5. Die Kuhbesitzer haben die Gebühr abzugeben, die vom Judenrat für Kuhbesitz bestimmt ist. 6. Für Nichtabgeben der für Kuhbesitz bestimmten Gebühr wird man mit sofortiger Wegnahme der Lebensmittelkarte wie auch mit Streichen der Kuh aus dem Register bestraft werden, bis die ausgestellte Rechnung beglichen49 wird. 7. Die Milch, die dem Judenrat geliefert wird, wie auch jene, die verkauft wird, muss vollwertig sein, und für jede Fälschung, die vom Judenrat festgestellt wird, wird man streng bestraft werden. Białystok, d. 21-ten Oktober 1941 Judenrat
[138] Meldung Wer Gummireifen (Pneus) hat oder weiß, wo sie zu finden sind, wird aufgefordert, dies sofort im Judenrat, Transportabteilung (im Hof), zu melden. Białystok, d. 21-ten Oktober 1941 Judenrat
[139] Meldung Die weiterlaufende Registrierung von Kindern in der Schule 2 beim Judenrat findet zeitweilig Neue Welt 28/4 von 10 bis 1 nachmittags statt. Białystok, d. 24-ten Oktober 1941 Judenrat (Bildungsabteilung) 49
Wörtlich reguliert.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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[140] Wa r n u n g !
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Der Hr. Zivilkommissar hat befohlen, dass die Juden, die die Reichssteuern nicht zum bestimmten Termin bezahlen werden, öffentlich m i t P e i t s c h e n h i e b e n 5 0 bestraft werden. Deshalb werden alle streng aufgefordert, sofort alle Reichssteuern (Wohnungssteuer – 2 Mark, Kopfsteuer – 6 Mark, für Wasser und Elektrizität) in die Kasse des Judenrats einzubezahlen. Białystok, d. 25-ten Oktober 1941 Judenrat
[141] Meldung Die Kopfsteuer von 6 Mark (60 Rubel) pro Person51 ist eine Pflicht für jeden Bürger, und keiner kann sich davon befreien. Wir warnen: Wer eine Aufforderung bekommt, Kopfsteuer zu bezahlen, muss dies innerhalb von 3 Tagen regeln, andernfalls lehnt der Judenrat die Verantwortung für die Konsequenzen ab. Białystok, d. 27-ten [Oktober] 1941 Judenrat
[142] An den Schandpfahl! Der Judenrat ist gezwungen, öffentlich unsere Pferdetransportführer anzuprangern52, die die Aufgabe gehabt haben, die nötigsten Lebensmittel für die Ghettoeinwohner wie: Mehl, Kartoffeln u. a. zuzustellen, und diese Pflicht nicht erfüllt haben, wie es sich gehört. Ihrem persönlichen Nutzen zuliebe haben sie die blutigsten Interessen der Bevölkerung vernachlässigt, nicht rechtzeitig die bestimmten Produkte zugestellt, und große Quanten von Nahrungsmitteln sind gänzlich verloren gegangen. Die vielmaligen Warnungen und langen Unterhandlungen haben nicht geholfen, und der Judenrat hat sie schlussendlich entlassen53 müssen. Wir stellen sie vor der jüdischen Öffentlichkeit an den Schandpfahl. Białystok, d. 28-ten Oktober 1941 Judenrat
50 51 52 53
Jiddisch schmiz; vgl. das landschaftliche Schmitz für Hieb, Schlag. Wörtlich auf einen Menschen. Wörtlich zu stempeln. Wörtlich beseitigen.
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Hans-Peter Stähli
[143] Passierscheine
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für jene, die registriert sind, um nach Hause zurückzukehren, werden im Judenrat, Zimmer 21, nach der Reihenfolge der Registrierung ausgestellt. Białystok. d. 29-ten Oktober 1941 Judenrat
[144] Fachkurse Fabrik-Gasse 39 Meldung Die Damenschneidereiwerkstatt beim Zuschneidereikurs beginnt am 2-ten November d. J., Bestellungen von verschiedenen Arbeiten auszuführen wie: Mäntel, Kostüme, Kleider usw. Die Arbeit wird von gutbekannten hiesigen Fachleuten ausgeführt. Die Ausführung ist präzise und pünktlich; die Preise [sind] erschwinglich. Białystok, d. 30-ten Oktober 1941 Judenrat (Fachkurse)
[145] Meldung Die deutsche Behörde gibt zu wissen, dass der sanitäre Zustand der Häuser und Wohnungen im Ghetto ein sehr schlechter ist und dass die Einwohner die Verordnungen über die Verdunkelung und über den Handel auf den Gassen nicht einhalten. Der Judenrat warnt die Bürger, dass für Unreinhalten der Gassen, Höfe und Wohnungen, für Verstoßen gegen die Verordnung, die Stadt verdunkelt zu halten, wie auch für Handeltreiben in den Gassen – für dies alles man streng bestraft wird. Wer die Vorschriften der Behörde nicht befolgt, wird mit Geld und Arrest bestraft werden, und der Ordnungsdienst (Milizia) wird seine Handelswaren vernichten. Białystok, d. 1-ten November 1941 Judenrat
[146] Meldung Die deutsche Behörde hat der jüdischen Bevölkerung in Białystok eine Kopfsteuer von 60 Rubel für jedermann auferlegt, zusammen 2.880.000/ (zwei Millionen achthundertachtzigtausend) Rubel, wie auch eine Steuer für die be-
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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nutzten Wohnungen (Grundstücksteuer) von 20 Rubel pro Kopf im Monat, 60 Rubel für die vergangenen drei Monate bis einschließlich Oktober – zwei Millionen hundertvierzigtausend (2.140.000) Rubel. Diese Gesamtsumme von knapp 5 Millionen Rubel muss in folgenden kurz[fristigen] Raten bezahlt werden: 800.000 Rubel bis 6/11 700.000 Rubel bis 15/11/ 700.000 " " 9/11 880.000 " " 18/11 800.000 " " 12/11. 740.000 " " 21/11 Die Steuern sind von der deutschen Behörde berechnet worden für 48-tausend Einwohner, d.h. auch für jene, die Białystok verlassen haben. Die Bevölkerung muss deshalb sofort, ohne jede Verspätung, die ganze Steuersumme, die jeder laut der oben aufgeführten Rechnung schuldet, einbezahlen, und die Vermögenden müssen auch eine besondere Steuer für die tausenden abwesenden Einwohner bezahlen. Auch die Juden, die außerhalb des Ghettos arbeiten, müssen die Steuern bezahlen, weil der Judenrat ihren Lohn von der Behörde nicht bekommen hat und für sie nicht bezahlen kann. Die Nichtbeachtung der genauen Einbezahlung der Raten stellt das Leben der Juden im Ghetto in Gefahr. Der Judenrat wird der Behörde die Liste der Nichtzahlenden zustellen, und gegen sie werden die unbarmherzigsten Maßnahmen ergriffen werden. Die Behörde hat die Sache der Gestapo übergeben. Białystok, d. 2-ten November 1941 Judenrat
[147] Meldung
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Zwei oder drei Mannsleute, die schon einmal an Flecktyphus krank gewesen sind, können außerhalb des Ghettos zu guten Bedingungen Beschäftigung bekommen. Sich im Judenrat, Zimmer 6, an H. Ingenieur Diamant wenden. Białystok, d. 3-ten November 1941 Judenrat
[148] Meldung
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Man berichtet uns von verschiedenen Fällen, die sich letztens ereignet haben, dass man für die Aufnahme eines Mieters bei sich in ein Zimmer Geld nimmt oder dass man von ihm Holz verlangt. Deshalb erklären wir: 1. Ein Hausbesitzer oder Mieter darf von einem neuen Lokatar54 kein Geld und kein Holz fordern. 54
Vgl. Anmerkung zu Meldung 17.
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Hans-Peter Stähli
2. Es ist streng verboten, Zimmer zu tauschen und überhaupt Wohnungen zu belegen ohne den entsprechenden Bezugsschein der Wohnungsabteilung. Gegen diejenigen, die die erwähnten Vorschriften nicht erfüllen, werden die herbsten Maßnahmen ergriffen werden, bis zur Eintragung auf der Liste der Personen, die Białystok verlassen müssen. Białystok, d. 4-ten November 1941 Judenrat
[149] Meldung Die Personen, die Hochzeit gehalten haben in den Jahren 1940–1941, haben sich in der Standesregisterabteilung einzuschreiben. Das betrifft auch die Personen, die sich in «ZAGS« registriert haben. Bei der Einschreibung müssen die persönlichen Dokumente (wenn möglich auch Geburtsurkunden), Ehevertrag wie auch eine Bestätigung des MesadderQiddushin55 vorgelegt werden. Es werden auch die Kinder eingeschrieben, die in den Jahren 1940–1941 geboren worden sind, auch die Kinder aus dem Jahr 1939, die in das GeburtenBuch des Jahres eingetragen sind, das sich in der Standesregisterabteilung befindet. Bemerkung: 1. Das Geburten-Buch des Jahres 1939 ist in «ZAGS« verloren worden. Bei der Einschreibung der Neugeborenen muss ein Heiratsakt vorgelegt werden, ebenso eine Bestätigung des Doktors oder der Hebamme. Für Heiraten und Beschneidungen, die jetzt stattfinden, muss vorher eine Erlaubnis der Standesregisterabteilung eingeholt werden. Empfangsstunden täglich, außer Sabbat, von 9 bis 1 Uhr nachmittags in Zimmer 8. Białystok, d. 4-ten November 1941 Judenrat
[150] Zirkular an alle Hausverwalter Es ist festgestellt worden, dass in einer ganzen Reihe von Wohnlokalen Backstein-, Eisenöfchen, Küchenherde usw. hineingestellt worden sind, von denen ein großer Teil nicht fachmännisch aufgestellt ist und die Häuser brandunsicher macht. Deshalb wird allen Administratoren vorgeschlagen, eine genaue Registrierung aller Öfchen durchzuführen und die Resultate der Registrierung schriftlich der bautechnischen Abteilung beim Judenrat bis zum 8-ten November d. J. zuzustellen. 55
Person, die die Hochzeitszeremonie leitet und durchführt.
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Das nicht termingerechte Ausführen dieser Verordnung wird bestraft werden wie Störung der öffentlichen Sicherheit. Białystok, d. 5-ten November 1941 Judenrat
[151] Meldung 10 Möbelschreiner und 6 Holzfachleute bekommen zu günstigen Bedingungen Beschäftigung im Sägewerk von Czarna Wie´s56. Anmeldungen werden in der Arbeitsabteilung beim Judenrat angenommen. Białystok, d. 6-ten November 1941 Judenrat
[152] Meldung Heute Sonntag, den 9/11 d. J., findet im Saal der »Linas-Hacedek« eine Versammlung statt. Beginn 11 Uhr in der Früh. Białystok, d. 9-ten November 1941 Judenrat
[153] Meldung der Schule Nm. 2 beim Judenrat, Neue Welt 24. Die Knaben, die sich registriert haben für die 1-te und 2-te Klasse, haben Montag, den 10/11 d. J., 9 Uhr in die Schule zu kommen, und die Mädchen – 1 Uhr. Białystok, d. 9-ten November 1941 Judenrat
[154] Meldung
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Der Judenrat hat am 13-ten d. M. den folgenden Brief bekommen: Polizeipräsidium in Białystok an den Judenrat, hier Laut der Meldung des Stadtkommissars wird von jetzt an die Versorgung der jüdischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln57 nur durch den Kreisbauernführer geschehen. Deshalb wird vom 14-ten November 1941 an verboten, Nahrungsmittel ins Ghetto hinein mitzunehmen wie auch solche einzukaufen. 56 57
Ca. 23 km nördlich von Białystok, heute Czarna Białostocka. Wörtlich mit Speiseprodukten.
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Mitgeführte Nahrungsmittel werden konfisziert werden. Białystok, d. 14-ten November 1941
Unterschrift
[155] Meldung Wegen der Notwendigkeit, die von der Behörde bestimmten Te r m i n e für die Steuerzahlungen pünktlich einzuhalten, arbeiten die Kommissionen und die K a s s e F r e i t a g Nachmittag und den ganzen Sabbattag. Białystok, d. 14-ten November 1941 Judenrat
[156] Meldung An die Kuhbesitzer! Laut der Verordnung der deutschen Behörde ist es streng verboten, Kühe zu verkaufen ohne eine spezielle Erlaubnis. Alle Kuhbesitzer haben daran zu denken, dass die Kühe im Judenrat, Zimmer 7, registriert werden müssen. Die Kühe, die nicht innerhalb von zwei Tagen registriert sein werden, werden ohne jede Entschädigung konfisziert werden. Białystok, d. 16-ten November 1941 Judenrat
[157] Wa r n u n g ! Der Judenrat warnt: Meldet euch pünktlich zur Arbeit! Verlasst nicht allein die Arbeitsplätze! Für Verlassen des Arbeitsplatzes ohne Erlaubnis und für Ungehorsam gegenüber der Behörde haben herbe körperliche Strafen bekommen: Nowokolski Mojsze Lew Josef Racki Jakow Stupnik Mojsze Lipnik Ben-Cyon Talinski Chaim Halpern Binjomin Klas Chajkel58 58
So im Text; anders in Surname Index, The Bialystoker Memorial Book, Published by Bialystoker Center, New York 1982 (http://www.shtetlinks.jewishgen.org/bialygen/MemorialBook_ Surnames.htm [28.2.2009]); hier wird der Name als Glas Chajkel angegeben.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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Die direkte Gefahr der Todesstrafe droht jedem, der gegen die oben angegebenen Verordnungen verstoßen wird. Wir warnen! Białystok, d. 18-ten November 1941 Judenrat
[158] Flecktyphus! Im Winter verstärkt sich die Gefahr von Flecktyphus: die Verbreiter sind Läuse, achtet also auf die persönliche Sauberkeit! Jeden Fall von Verschmutzung und Verlausung meldet sofort in der Sanitärabteilung beim Judenrat (Jurowiecka 7). Kommt selbst ins Bad und in die Entlausungsanstalt an der Jurowiecka 7. Białystok, d. 19-ten November 1941 Judenrat
[159] Meldung Eine bezahlte Arbeitsbrigade beim Judenrat.
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Um die dringenden Arbeitsaufträge für die deutsche Behörde zu erledigen59, hat der Judenrat beschlossen, eine ständige Reservebrigade von Arbeitern zu organisieren, die sich in der Verfügungsgewalt der Arbeitsabteilung beim Judenrat befinden wird. Die Reservebrigade wird vom Judenrat speziell entlohnt werden. In der Reservebrigade werden Männer im Alter von 17 bis 45 Jahren angenommen. Die Registrierung findet täglich statt im Lokal des Judenrats, Zimmer 5, bei der Feuerwehrabteilung, von 3 bis 6 abends. Białystok, d. 20-ten November 1941 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[160] Meldung Der Beamte der Arbeitsabteilung J . K o w a l e w s k i ist für nicht gewissenhaftes Erfüllen seiner Pflichten aus seinem Amt entlassen worden. Białystok, d. 20-ten November 1941 Judenrat
59
Wörtlich regulieren.
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[161] Meldung an das Sekretariat beim Judenrat. Im Zusammenhang mit der Ausgabe von Wegzug-Scheinen an verschiedene Personen bittet die Steuerabteilung beim Judenrat, an diese Personen keine Scheine auszugeben, bis sie nicht ein Dokument vorlegen, dass sie ihre Steuern bezahlt haben. In diesen Fällen haben sich die interessierten Personen in Zimmer 14 zu melden. Białystok, d. 22-ten November 1941 Steueramt beim Judenrat
[162] Meldung Heute Sonntag, den 23-ten November 1941, im Saal der »Linas Hacedek« G r o ß e Ve r s a m m l u n g Auf der Tagesordnung wichtige aktuelle Angelegenheiten. Beginn 11.30 Uhr. Białystok, d. 23-ten November 1941 Judenrat
[163] Achtung, Fachleute! Alle Fachleute, die im Ghetto oder außerhalb des Ghettos arbeiten, wie auch die Fachleute, die zeitweilig als Hilfsarbeiter arbeiten, müssen ihre Scheine in der Arbeitsabteilung beim Judenrat (im Hof rechts) registrieren. Andernfalls werden sie zu Zwangsarbeit gerufen werden. Białystok, d. 24-ten November 1941 Judenrat
[164] Meldung Dienstag und Mittwoch, 25-ten und 26-ten d. J. F r e i e r Ve r k a u f f ü r a l l e Trikotagen, Mützen und Lederkörbchen. Der Laden befindet sich an der Neue Welt 11, offen täglich von 9 in der Früh bis 5 abends. Białystok, d. 24-ten November 1941 Industrieabteilung beim Judenrat
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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[165] Meldung Alle Besitzer von Schlitten haben ihre Schlitten für Lasten und für Passagiere im Judenrat, Zimmer 17, zu registrieren. Die Registrierung findet statt Dienstag, 25-ten, und Mittwoch, 26-ten November, von 10 in der Früh bis 4 abends. Wer es unterlassen wird, seinen Schlitten zu melden, wird eine schwere Strafe bekommen. Białystok, d. 24-ten November 1941 Judenrat
[166] Bewahrt euer Leben! Wieder haben für Sich-Drücken von Zwangsarbeit schwere körperliche Strafen bekommen: Kagan Isroel Sapirsztein Mojsze Krawec60 Grochowski Hirsz Feder Szya Melamed Izchok Nowik Nochum Szwecher Szymon Wir warnen deshalb nochmals: Bewahrt euer Leben! Kommt pünktlich zur Arbeit! Verlasst nicht und wechselt nicht den Arbeitsplatz! Białystok, d. 25-ten November 1941 Judenrat
[167] Es muss finster sein!
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Die deutsche Behörde gibt uns zu wissen, dass im Ghetto noch immer, ungeachtet aller Warnungen, die Verordnung wegen Verdunkelung der Gassen missachtet61 wird. Es wird deshalb besonders achtgegeben werden, dass aus den Fenstern kein [Licht-]Schein fällt. Wer dagegen verstoßen wird, wird sehr streng bestraft werden. Białystok, d. 26-ten November 1941 Judenrat 60 61
Der Vorname fehlt. Wörtlich verwahrlost.
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Hans-Peter Stähli
[168] Meldung Wie die letzte Nummer der offiziellen Zeitung des Oberpräsidenten der Zivilverwaltung für den Bialystoker Bezirk meldet, ist es den Juden im Bezirk Bialystok verboten, die Trottoirs zu benützen. Sie haben neben dem Trottoir zu gehen und dabei sich so zu verhalten, dass der öffentliche Verkehr nicht gestört wird. Białystok, d. 26-ten November 1941 Judenrat
[169] Meldung Die B a d e a n s t a l t an der Jurowiecka Gasse 7 ist alle Tage, außer Sabbat, von 8 in der Früh bis 8 am Abend in Betrieb62. Białystok, d. 1-ten Dezember 1941 Sanitärabteilung beim Judenrat
[170] Meldung Der Winter, der gekommen ist, hat die hunderten armen Familien in unserem Ghetto, die keine warmen Kleider auf dem Leib haben und in den Häusern und auch bei der Arbeit frieren müssen, schwer getroffen. Der Judenrat hat eine größere Summe [dafür] bestimmt, um mit warmer Wäsche den Bedürftigsten zu helfen. Die Not ist aber viel stärker als unsere Hilfsmöglichkeit, und wir wenden uns an die Bevölkerung, jeder möge mithelfen, soviel er kann. Unsere bevollmächtigten Sammler werden euch besuchen und Kleider und Wäsche annehmen, die durch unsere Soziale Versorgung verteilt werden sollen. Wir bitten, den Sammlern mit der gebührenden Herzlichkeit zu begegnen. Białystok, d. 1-ten Dezember 1941 Judenrat
[171] Meldung Alle Männer von 17 bis 55 Jahren, die keine Facharbeiter sind und die vom 1-ten Dezember an wegen [Arbeits-]Reduzierung oder aus anderen Gründen nicht beschäftigt sind, werden aufgefordert, sich bis zum 5-ten Dezember in der Arbeitsabteilung des Judenrats, im Tor links, zu melden. 62
Wörtlich funktioniert.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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Wer gegen diese Verordnung verstößt, wird von der Behörde mit besonders schwerer Zwangsarbeit bestraft werden. Białystok, d. 2-ten Dezember 1941 Judenrat
[172] Meldung Beim Nahen der Schneezeit werden 150 Arbeiter benötigt, um die Gassen außerhalb des Ghettos zu kehren. Männer und Frauen, die die Beschäftigung annehmen wollen, haben sich in der Arbeitsabteilung beim Judenrat (im Tor links) zu registrieren. Białystok, d. 3-ten Dezember 1941 Judenrat
[173] Meldung
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Für nicht pünktliches Erscheinen zur Arbeit und Versäumen63 von Arbeitstagen ohne ausreichende Gründe sind zu Strafarbeit folgende Personen schwer bestraft worden: Korn Josef Galant Mordechaj Ridak Mojsze Bernsztejn Aron Galant Lejb Berezowski Hirsz Furman Hilel Wajnsztejn Lejb Wajnsztejn Fajwel Wir warnen: Haltet die Arbeitspflicht ein! Verlasst nicht die Arbeitsplätze! Vermeidet schwere Strafen! Białystok, d. 3-ten Dezember 1941 Judenrat
[174] Meldung Alle 1886-1924 geborenen Männer, die außerhalb des Ghettos arbeiten, wie auch jene, die in den Werkstätten und Institutionen des Judenrats im Ghetto 63
Wörtlich Durchlassen.
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beschäftigt sind, werden aufgefordert, sich in der Arbeitsabteilung beim Judenrat (im Tor links) zu registrieren. Bei der Registrierung müssen die individuellen Scheine vorgelegt werden, die ihren Arbeitsort feststellen lassen, und jene, die in Gruppen arbeiten, haben Bestätigungen ihrer Brigadiere mitzubringen. Die Registrierung wird dauern von Sonntag, dem 7-ten, bis Donnerstag, den 11-ten Dezember (einschließlich), und wird ohne Unterbrechung täglich von 8 in der Früh bis 8 am Abend stattfinden. Männer, erscheint alle zur Registrierung. Das liegt in eurem persönlichen Interesse. Diejenigen, die nicht erscheinen, werden als Arbeitslose angesehen und müssen zur Zwangsarbeit gehen. Białystok, d. 5-ten Dezember 1941 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[175] Meldung 1. Weber, die Teppiche weben können, 2. Spinnerinnen, die auf kleinen Rädern spinnen können, haben sich sofort in der Industrieabteilung beim Judenrat, Zimmer 13, von 9 in der Früh bis 1 nachmittags zu melden. Białystok, d. 8-ten Dezember 1941 Industrieabteilung beim Judenrat
[176] Meldung Um den sanitär-hygienischen Zustand im Ghetto zu heben und die Gefahren von schweren Epidemien, besonders des schrecklichen Flecktyphus, zu verhüten, hat die Sanitärabteilung beim Judenrat beschlossen, fliegende Brigaden durch die jüdischen Häuser zu schicken. Die Brigaden, die aus einem Doktor und einem Sanitärinspektor bestehen, werden die Sauberkeit in den Höfen und Wohnungen und auch die persönliche Sauberkeit der Juden kontrollieren. Dort, wo Schmutz und Unsauberkeit gefunden wird, werden scharfe Sanktionen ergriffen werden. Białystok, d. 8-ten Dezember 1941 Judenrat
[177] Meldung Die Gesundheitsabteilung meldet, dass die Erste64 Hilfe beim Ambulatorium, Roz˙aner Gasse 3, während ganzen 24 Stunden arbeitet65. 64 65
Jiddisch giche (d.h. jähe, schnelle) hilf. Wörtlich funktioniert.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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Preis für eine Visite in dringenden Fällen beim Kranken zu Hause66: Von 8 in der Früh bis 8 am Abend – 30 Rubel. Von 8 am Abend bis 8 in der Früh – 40 Rubel. Gleichzeitig haben in der Nacht die Apotheken nach folgendem Plan Dienst: Vom 1-ten bis zum 10-ten jeden Monat – Apotheke 1, Roz˙aner 3. Vom 11-ten bis zum 20-ten – Apotheke 2, Neue Welt 7. Vom 21-ten bis zum Monatsende – Apotheke Num. 3, Kupiecka 36. Białystok, d. 9-ten Dezember 1941 Judenrat
[178] Meldung Für den Judenrat werden Hofdiener (Wächter) benötigt. Angenommen werden Männer, älter als 55 Jahre, und Frauen. Bewerbungen abgeben in Zimmer 31 im dritten Stock. Białystok, d. 9-ten Dezember 1941 Judenrat
[179] E i n e s t r e n g e Wa r n u n g ! Alle Einwohner des Ghettos, die eine größere Meterzahl haben, müssen sich passende Mieter aussuchen und enger zusammenrücken67, um Zimmer freizumachen. Alle Änderungen müssen aber mit der Zustimmung der Wohnungsabteilung gemacht werden auf Grund eines Bezugsscheins, Zimmer zu tauschen. Die Änderungen, die allein gemacht werden, ohne die Erlaubnis der Wohnungsabteilung, werden nicht anerkannt werden. Zu den Einwohnern, die bis zum 15-ten d. M. die oben erwähnte Verordnung nicht ausführen werden und sich keine passenden Mieter aussuchen, wird die Abteilung der Hausverwaltung zwangsweise Mieter schicken. Wir warnen die Einwohner, dass es in ihrem eigenen Interesse ist, die Verordnung zu befolgen. Białystok, d. 10-ten Dezember 1941 Judenrat
[180] Meldung
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In der Frisieranstalt, Kupiecka 24, ist eine spezielle Abteilung f ü r F r a u e n eingerichtet. 66 67
Wörtlich in der Stube. Wörtlich sich enger machen.
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Von qualifizierten Meistern werden folgende Arbeiten ausgeführt: Scheren, Kämmen, Ondulationen, heiße und kalte wie auch langandauernde (Dauer[wellen])68, und Manikür. Zu mäßigen Preisen. Białystok, d. 11-ten Dezember 1941 Das Frisierkollektiv
[181] Meldung Die Registrierung der 1886–1924 geborenen Männer, die außerhalb des Ghettos arbeiten oder in den Ämtern, Institutionen und Werkstätten beim Judenrat beschäftigt sind, wird bis Sonntag, den 14-ten, 8 Uhr am Abend verlängert. Białystok, d. 12-ten Dezember 1941 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[182] Meldung Beim Ambulatorium, Roz˙aner Gasse 3, ist vom Judenrat eine E r s t e H i l f e geschaffen worden, die während ganzen 24 Stunden arbeitet. Preis für eine Visite in dringenden Fällen beim Kranken zu Hause: Von 8 in der Früh bis 8 am Abend – 30 Rubel. Von 8 am Abend bis 8 in der Früh – 40 Rubel. Gleichzeitig haben in der Nacht die Apotheken nach folgendem Plan Dienst: Vom 1-ten bis zum 10-ten jeden Monat – Apotheke Num. 1, Roz˙aner 3. Vom 11-ten bis zum 20-ten – Apotheke Num. 2, Neue Welt 7. Vom 21-ten bis zum Monatsende – Apotheke Num. 3, Kupiecka 36. Białystok, d. 12-ten Dezember 1941 Judenrat
[183] Ve r o r d n u n g über die Außergebrauchsetzung des Rubels und der Assignationen der Reichskreditkasse im Bezirk Bialystok. Auf Grund eines Befehls des Führers wegen der zeitweiligen Verwaltung des Bezirks Bialystok vom 15-ten August 1941 verordne ich hiermit Folgendes für den Bezirk Bialystok./ P. 1 Wenn diese Verordnung gültig wird, hören die Assignationen der Reichskreditkasse wie auch der Rubel auf, gesetzliche Zahlungsmittel im Bezirk Bialystok zu sein. 68
In Klammern steht das polnische Wort für dauerhaft, haltbar.
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P. 2 Die örtliche Reichskreditkasse oder die Reichsbank in Białystok, in Grodno und in Lomz˙a – sobald sie gegründet wird – werden bis zum 15-ten Februar 1942 alle Sorten von Rubelgeld und die Assignationen der Reichskreditkasse in Reichsmark umtauschen. Der Kurs wird bestimmt: 10 Rubel – 1 Mark. Wenn der Termin für den Umtausch vorbei ist, wird der Rubel wie ein ausländisches Zahlungsmittel betrachtet und fällt unter die allgemeinen Bestimmungen über Devisen vom 5-ten Dezember 1941. P. 3 Alle in Rubel ausgestellten Schuldrechnungen werden nach dem oben angegebenen Kurs in Mark umgerechnet. P. 4 Diese Verordnung tritt in Kraft am 1-ten Januar 1942. 15. Dezember 1941 Oberpräsident als Chef der Zivilverwaltung (––) Koch
[184] Meldung Im Laden der Industrieabteilung beim Judenrat, Neue Welt 11 im Hof, findet ein freier Verkauf von Mützen, Trikotagen und Lederkörbchen statt. Der Laden ist alle Tage (außer Sabbat) offen von 9 in der Früh bis 4 abends. Białystok, d. 16-ten Dezember 1941 Industrieabteilung beim Judenrat
[185] Meldung Es wird der jüdischen Bevölkerung gemeldet, dass die im Monat Dezember und künftig verbrauchte Elektrizität 4.50 Rubel pro Kilowatt kosten wird. Wasser wird vom Dezember an 3.50 pro Kubikmeter kosten. Białystok, d. 17-ten Dezember 1941 Judenrat
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[186] Meldung Es ist verboten, Mist außerhalb des Mistkastens wegzuwerfen. Es ist verboten, die Höfe außerhalb der Toiletten zu verschmutzen. Im Fall eines Verstoßes gegen die oben geschriebenen Verordnungen werden alle Bewohner des Hofs bestraft mit Entzug der Brotportionen während 4 Wochen. Białystok, d. 17-ten Dezember 1941 Ordnungsdienst beim Judenrat
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[187] Meldung Laut der Verordnung des deutschen Arbeitsamtes muss man am Sabbat, dem 27-ten Dezember, 7.30 in der Früh für Aufräumungsarbeit im Lokal, die 5 Tage dauern wird, 200 Frauen mit Eimern, Lappen, Besen oder Bürsten stellen. Wir fordern Frauen im Alter von 17 bis 55 Jahren auf, sich am Sabbat in der Früh, 7 Uhr, in der Arbeitsabteilung beim Judenrat zu stellen. Die Frauen, die bei den Ziegeln beschäftigt sind, sind von der oben erwähnten Arbeit befreit. Man kann sich beizeiten in der Arbeitsabteilung (im Tor links) täglich zwischen 1 – 4 nachmittags registrieren. Für die Arbeit wird bezahlt. Białystok, d. 24-ten Dezember 1941 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[188] Ve r o r d n u n g Laut eines Beschlusses des Judenrats haben sich alle Handwerker, die auf eigene Rechnung69 arbeiten, wie auch solche, die nur teilweise bei sich zu Hause70 arbeiten, wie: Schneider, Schuster, Friseure, Bäcker, Schlachter, Klempner, Schlosser, auch andere Berufe, und alle privaten Handels- und Industrieunternehmungen in der Finanzabteilung beim Judenrat, Zimmer 14, vom 25-ten Dezember 1941 bis zum 1-ten Januar 1942 in den Amtsstunden von 9 bis 2 und 4 bis 7 abends zu registrieren. Gegen Unternehmungen, die sich nicht registrieren, werden die strengsten S a n k t i o n e n ergriffen werden. Białystok, d. 24-ten Dezember 1941 Finanzabteilung beim Judenrat
[189] Meldung In der Schule Num. 1, Fabrik-Gasse 39, werden die dritte und vierte Klasse eröffnet. Die Kinder, die sich für diese Klassen eingeschrieben haben, müssen Montag, den 29-ten Dezember, 10 Uhr in der Früh in die Fabrik-Gasse 39 kommen. Die für die 1-te und zweite Klasse Eingeschriebenen, die bis jetzt noch nicht mit Lernen begonnen haben, müssen am selben Tag, 1 Uhr nachmittags, kommen. Es finden auch neue Einschreibungen für die 4 Klassen statt. Białystok, d. 26-ten Dezember 1941 Kulturabteilung beim Judenrat 69 70
Wörtlich auf die eigene Hand. Wörtlich in der Stube.
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[190] Meldung Um weiterhin den normalen Gang der Approvisation zu sichern, verordnet der Judenrat: Eine einmalige Zählung der Bevölkerung im Ghetto. Die Zählung findet statt Sonntag, den 28. Dezember 1941, und umfasst alle Einwohner, die sich an dem Tag im Ghetto befinden. Die Zählung, die 8.30 Uhr in der Früh beginnen und 8.30 am Abend enden wird, werden spezielle beauftragte Beamte durchführen, mit der Beteiligung von Hausverwaltern und Mitgliedern der Hauskomitees. Es liegt im Interesse der jüdischen Bevölkerung, unseren Zählern die genauesten Informationen zu geben, um für die Zukunft Missverständnisse zu vermeiden. Białystok, d. 27-ten Dezember 1941 Judenrat
[191] An die Kuhbesitzer In den Tagen vom 28-ten Dezember d. J. an wird eine Registrierung aller Kühe im Ghetto durchgeführt. Die Registrierung findet statt im Judenrat, Zimmer 7, von 9 in der Früh bis 12 mittags. Wer seine Kuh bis zum 31-ten Dezember nicht registrieren wird, dessen Kuh wird konfisziert werden ohne jede Entschädigung. Białystok, d. 27-ten Dezember 1941 Judenrat
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[192] Meldung Alle Männer, Fachleute und Hilfsarbeiter, die im Ghetto oder außerhalb des Ghettos arbeiten und sich bis jetzt noch nicht registriert haben, sind verpflichtet, ihre Arbeitsscheine in der jüdischen Arbeitsabteilung bis zum 31ten Dezember 1941 zu registrieren. Gleichzeitig müssen alle Verlängerungen von Arbeitsscheinen nach Erhalten der Verlängerung auch neu registriert werden. Für Nichtbefolgen dieser Verordnung wird den Schuldigen und ihren Familien die Brotkarte für zwei Wochen abgenommen werden. Białystok, d. 29-ten Dezember 1941 Arbeitsabteilung beim Judenrat
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[193] Meldung Laut der Verordnung der Behörde haben alle Besitzer von Skiern von 1.70 Meter [Länge] und mehr bis zum 6-ten Januar 1942 ihre Bretter mit den Bindungen und Stöcken in die Reviere des jüdischen Ordnungsdienstes zu bringen. Für die Ausführung der Verordnung zur richtigen Zeit sind die Hausverwalter und Hauskomitees verantwortlich. Białystok, d. 30-ten Dezember 1941 Judenrat
[194] Meldung In der Schule Num. 1 an der Fabrik-Gasse 39 werden die fünfte und sechste Klasse eröffnet. Einschreibungen von Schülern für diese Klassen finden statt jeden Tag von 9 in der Früh bis 5 abends. Es werden noch Schüler auf freie Plätze der ersten, zweiten, dritten und vierten Klasse in der Schule an der Fabrik-Gasse 39 angenommen. Białystok, d. 31-ten Dezember 1941 Kulturabteilung beim Judenrat
[195] Ve r o r d n u n g über die Regelung des Devisengesetzes im Bezirk Bialystok (Auszug) Die Menschen, die im Bezirk Bialystok wohnen, haben die unten angeführten Werte bis zum 15-ten Februar 1942 in der örtlichen Reichskreditkasse oder Reichsbank vorzuzeigen und sie auf Verlangen zu verkaufen oder zu übertragen: 1. Ausländische Zahlungsmittel. 2. Forderungen in ausländischer Valuta. 3. Wechsel und Schecks in heimischer Valuta, die für das Ausland ausgestellt sind. 4. Forderungen in heimischer Valuta gegenüber Ausländern. 5. Goldmünzen wie auch Feingold und Mischgold (roh oder Halbmaterial). 6. Ausländische Wertpapiere. 7. Depositen bei Kreditinstituten oder Postämtern, die sich im Reichsgebiet befinden, wenn der Betreffende71 sich diese Werte vor dem 1-ten September
71
Wörtlich der Mensch.
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angeschafft hat und er sie vor diesem Termin laut der deutschen Devisenvorschriften nur mit einer besonderen Erlaubnis hat besitzen können. Die Verpflichtungen, die dem Besitzer des [Wert-]Gegenstandes obliegen, der verkauft oder vorgezeigt werden muss, müssen in derselben Weise erfüllt werden, sei es durch den, der sein faktischer Besitzer ist, sei es durch dessen Treuhänder. Auch für einen Versuch, [dagegen] zu verstoßen, wird man bestraft. Wenn jemand das Verbrechen aus Nachlässigkeit begeht, bekommt er eine Geldstrafe, und wenn er nicht bezahlen kann – Gefängnis. Diese Verordnung ist gültig ab dem 1-ten Januar 1942. Białystok, d. 31-ten Dezember 1941 Judenrat
[196] Meldung Alle Pferde, die sich im Ghetto befinden und für den Judenrat oder für deutsche Einrichtungen arbeiten, müssen – um sie mit entsprechendem Futter zu versorgen – am 4-ten, 5-ten Januar in der Transportabteilung beim Judenrat, auf dem Hof, registriert werden. Białystok, d. 4-ten Januar 1942 Judenrat
[197] Wa r n u n g
405
Hiermit warnt die Finanzabteilung beim Judenrat alle, die noch keine Handelsregistrierungskarten für das Jahr 1942 eingelöst haben, dass dies durch Beamte der Finanzabteilung beim Judenrat schon kontrolliert wird. Bei wem festgestellt werden wird, dass man handelt oder man arbeitet oder dass eine Werkstätte geführt wird ohne eine Registrierungskarte, der wird streng bestraft werden. Deshalb empfiehlt die Steuerabteilung beim Judenrat allen Handels- und Industrieunternehmungen wie auch Handwerkern, sie mögen in ihrem eigenen Interesse im Judenrat, Zimmer 14, Handelsregistrierungskarten einlösen kommen. Białystok, d. 4-ten Januar 1942 Finanzabteilung beim Judenrat
[198] Meldung In der Schule Num. 2, Neue Welt 24, werden die vierte und fünfte Klasse für Knaben eröffnet.
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Hans-Peter Stähli
Einschreibungen der Schüler für diese Klassen finden täglich statt von 9 in der Früh bis 2 nachmittags im Schullokal, Neue Welt 24. Białystok, d. 6-ten Januar 1942 Judenrat
[199] Meldung Alle Arbeiter, die außerhalb des Ghettos arbeiten und im Judenrat Lebensmittel anstelle von Bezahlung bekommen, werden vom 1-ten Januar 1942 an die Lebensmittel nur bekommen können nach Vorweisen von Kopien der Lohnlisten der Dienststellen, wo sie arbeiten. Alle Brigadiere und Besitzer von Einzelscheinen haben sich mit Kopien der Lohnlisten zu versorgen, weil ohne diese keine Lebensmittel herausgegeben werden. Białystok, d. 6-ten Januar 1942 Judenrat
[200] Meldung In der Schule Num. 1 an der Fabrik Gasse 39 werden besondere Klassen für folgende Kategorien von Schülern eröffnet: 1) Für solche, die ganz und gar kein Jiddisch sprechen können. 2) Für Schüler, die schon ein gewisses Maß an Kenntnissen in Hebräisch haben. 3) Für Schüler, die ganz und gar kein Hebräisch können. Solche Kinder aus allen beliebigen Klassen können sich in der Schule an der Fabrik-Gasse 39 von 9 in der Früh bis 6 abends einschreiben. Białystok, d. 6-ten Januar 1942 Kulturabteilung beim Judenrat
[201] Meldung Laut der Verordnung der deutschen Behörde hat jede Person zehn Pfennig (10 Pfennig) pro Monat, einen Zuschlag zur Wohnungssteuer, berechnet vom Monat August an zu bezahlen: zusammen für die 5 vergangenen Monate (August – Dezember) 50 Pfennig. Dementsprechend wird jetzt [für] die Wohnungssteuer für den Monat Dezember anstatt der normalen Summe von 1 Mk. 10 Pfennig – 1.50 Mark eingezogen werden. Białystok, d. 8-ten Januar 1942 Judenrat
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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[202] Meldung Im Zusammenhang mit der Eröffnung einer neuen Schneiderwerkstatt im Ghetto beim Judenrat findet Sonntag, den 11-ten Januar 1942, von 9 in der Früh bis 1 nachmittags eine Registrierung von Schneidern und Wäschenähern mit eigenen Maschinen statt. Die Registrierung wird im Judenrat, Zimmer 13, sein. Białystok, d. 10-ten Januar 1942 Industrieabteilung beim Judenrat
[203] Meldung Alle Schüler, die sich für die 5-te und 6-te Klasse der Schule 1 an der FabrikGasse 39 mit Hebräisch oder Jiddisch als Unterrichtssprache eingeschrieben haben, müssen Montag, den 12-ten d. M., 10 Uhr in der Früh in das Lokal der Schule kommen. Es werden fortgesetzt die Einschreibungen in alle Klassen von der 1-ten bis zur 6-ten Klasse, täglich von 9 in der Früh bis 5 abends im Lokal der Schule 1, Fabrik Gasse 39. Białystok, d. 10-ten Januar 1942 Kulturabteilung beim Judenrat
[204] Meldung Alle arbeitsfähigen Mannsleute, die jetzt nicht beschäftigt sind, werden aufgefordert, sich sofort zu der Reservebrigade der Arbeitsabteilung beim Judenrat zu melden. In der Brigade werden Mannsleute, von 17 bis zu 45 Jahren alt, angenommen. Die Reservebrigade wird vom Judenrat speziell entlohnt. Bei der Meldung bekommt man gleichzeitig genauere Informationen beim Leiter der Arbeitsabteilung, Zimmer 21. Białystok, d. 21-ten Januar 1942 Judenrat
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[205] Meldung 1. Der Judenrat teilt laut der Verordnung der deutschen Behörde mit, dass die Arbeiter, die ihre Arbeit beendet haben, bevor die Gültigkeit ihrer Scheine abgelaufen ist, verpflichtet sind, ihre Scheine sofort im Büro der Arbeitsabteilung beim Judenrat, Zimmer 21, abzugeben.
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Hans-Peter Stähli
Für Verstoßen gegen diese Verordnung wird die deutsche Behörde streng bestrafen. 2. Auf Grund einer Verordnung der deutschen Behörde wird gemeldet, dass jeder Arbeiter (Mannsleute von 18 bis 55 Jahren), der sich in den Arbeitsstunden im Ghetto befindet, sich mit einem schriftlichen Auftrag seines Arbeitsplatzes zu legitimieren hat mit genauen Angaben über Tag, Stunden und Zweck seines Aufenthalts im Ghetto. 3. Alle Mannsleute, von 18 bis zu 55 Jahren alt, haben ständig persönliche Legitimationen bei sich zu tragen. Wenn man Mannsleuten begegnen wird ohne Legitimationen, wird man sie als Verdächtige verhaften und in gewissen Fällen zu der deutschen Behörde abführen. Białystok, d. 21-ten Januar 1942 Judenrat
[206] Meldung Wir warnen nochmals die jüdische Bevölkerung im Ghetto mit der größten Schärfe: 1. Die deutsche Behörde hat streng verboten, Nahrungsmittel, Handelswaren und verschiedene andere Artikel ins Ghetto hineinzuschmuggeln. 2. Deshalb müssen die Einwohner des Ghettos sich in größtem Maße der Schmuggelei enthalten, nicht selbst schmuggeln, nicht damit handeln, geschmuggelte Sachen nicht kaufen und nicht abnehmen. 3. Wer für schuldig befunden wird, Schmuggel zu treiben, bei dem wird die Ware konfisziert werden, und er wird die herbste Strafe bekommen. 4. Die Verantwortung für den Schmuggel tragen nicht bloß die Schmuggler allein, sondern auch alle, die dazu eine Verbindung haben. Die Bevölkerung möge also gewarnt sein. Białystok, d. 22-ten Januar 1942 Judenrat
[207] Meldung Die untenstehenden Ghettoeinwohner sind bestraft worden mit 100 Rubel und mit Entzug der Karten für die Zeit von einer Woche. Für Ausgießen von Schmutz auf den Hof Szturmak Gedalj’, Polna 4 Nieswiezki Aron, Roz˙aner 2 Wodzilowski Orlinski, Czysta 1 Sapirsztejn Awrom, Roz˙aner 10 Epsztejn Masze, Roz˙aner 10 Zalcman-Grobart, Roz˙aner 10 Frenkl Lola, Jurowcer 24
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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Kronenberg, Lelczuk, Jurowcer 11 Wir warnen alle Einwohner des Ghettos, die sanitären Vorschriften genau einzuhalten. Für Verstöße gegen sie werden die Schuldigen bestraft werden mit Entzug der Brotkarte und mit Geld und in besonderen Fällen auch mit Arrest. Białystok, d. 24-ten Januar 1942 Sanitärabteilung beim Judenrat
[209]72 Meldung Morgen Sonntag, den 25-ten d. M., sind alle Białystoker Einwohner verpflichtet, an der Reinigung ihrer Höfe teilzunehmen. Keiner kann sich davon befreien73. Białystok, d. 24-ten Januar 1942 Judenrat
[210] Meldung Dienstag, den 28/1 d. J., beginnt eine Registrierung von Kandidaten für einen Lehrkurs für O f e n m a u r e r u n d M a u r e r. Die Kandidaten dürfen nicht unter 16 Jahren sein und müssen eine Vorbildung [von] nicht weniger als 6 Klassen Volksschule haben. Die Registrierung wird stattfinden im Büro der Fachkurse, Kupiecka 49, täglich von 10 bis 2 Uhr. Białystok, d. 26-ten Januar 1942 Judenrat
[211] Meldung 411/13
Wir melden nochmals: alle Schreibmaschinen, Rechenmaschinen und Schapirographen74, Velozipede mit Zubehör, Photoapparate, Photochemikalien wie auch Ferngläser,/ die sich bei Juden befinden, hat man laut Verordnung der Gestapo bis zum 5-ten Februar 1942 im Judenrat, Zimmer 18, gegen Quittung abzugeben, andernfalls werden die Besitzer herbe bestraft werden. Białystok, d. 29-ten Januar 1942 Judenrat
72 73 74
Meldung 208 fehlt. Wörtlich sich davon absagen. Vervielfältigungsapparate.
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[212] Meldung Sonntag, den 1-ten Februar 1942, 11 Uhr in der Früh G r o ß e Ve r s a m m l u n g im Saal der »Linas-Hacedek«. Białystok, d. 31-ten Januar 1942
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[213] Meldung Alle Besitzer von privaten Wagen mit Pferden (außer denen, die schon beim Judenrat beschäftigt sind) haben laut einer Verordnung der deutschen Behörde ihre Wagen in der Transportabteilung beim Judenrat, im Hof, zu registrieren. Die Registrierung findet statt am 1-ten und 2-ten d. M. von 9 Uhr in der Früh bis 5 nachmittags. Białystok, d. 1-ten Februar 1942 Judenrat
[214] Meldung Laut der Verordnung der Gestapo melden wir nochmals, dass man alle Schreibmaschinen, Rechenmaschinen, Schapirographen, Velozipede mit Zubehör, Photoapparate und Photochemikalien wie auch Ferngläser, die sich bei Juden befinden, bis zum 5-ten Februar im Judenrat, Zimmer 18, abzugeben hat, andernfalls drohen den Besitzern sehr herbe Strafen. Białystok, d. 2-ten Februar 1942 Judenrat
[215] Meldung Es sind Fälle vorgekommen, dass Białystoker Juden, die nach Pruz˙any evakuiert worden sind, auf verschiedenen Wegen nach Białystok zurückgekehrt sind. Solche Zurückgekommenen werden nicht angemeldet werden, werden keine Brotkarten haben, keine Arbeit bekommen und werden wie illegale Landstreicher den herbsten Strafen von Seiten der deutschen Behörde unterworfen sein. Es werden auch jene bestraft werden, die solche Zurückgekommenen bei sich einquartieren werden. Diese Evakuierten müssen Białystok sofort verlassen. Białystok, d. 3-ten Februar 1942 Judenrat
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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[216] Meldung Mit der Überführung der Lehrwerkstätten von der Fabrik Gasse 39 in ein eigenes, neurenoviertes Lokal an der Kupiecka 49 (3-ter Stock) ist die Arbeit in allen unseren Werkstätten künftig noch in größerem75 Maßstab [angelegt] als früher. In unseren Herren- und Damenschneiderwerkstätten unter der Leitung der besten Fachmänner werden alle Bestellungen von Privatpersonen ausgeführt. Alle Bestellungen werden pünktlich ausgeführt, die Preisliste ist eine sehr mäßige. Białystok. d. 4-ten Februar 1942 Judenrat
[217] Meldung Montag, den 9-ten Februar, werden alle Institutionen des Judenrats aufhören, sowjetisches Geld und auch Mark der Deutschen Kreditkasse anzunehmen. Diese Gelder wird man bloß noch bis zum 13-ten Februar einschließlich umtauschen können in der Zentralkasse des Judenrats, Zimmer 11, von 9 in der Früh bis 7 am Abend, im Laden des Judenrats, Neue Welt 1 auf dem Hof, von 9 in der Früh bis 3 nachmittags. Białystok, d. 6-ten Februar 1942 Judenrat
[218] Meldung
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Alle Arbeiter müssen pünktlich zur Arbeit kommen! Wir warnen, dass das Nichtkommen schwere Konsequenzen bringen kann. Wer wegen Krankheit oder aus einem anderen wichtigen Grund nicht zur Arbeit kommen kann, muss dies beizeiten, persönlich oder durch einen Boten, in der Arbeitsabteilung des Judenrats melden. Wir warnen! Białystok, d. 15-ten Februar 1942 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[219] Meldung Der Judenrat bekommt tagtäglich immer größere Forderungen, Möbel und verschiedene andere Hausratsachen76 zu liefern. 75 76
Wörtlich in breiterem. Wörtlich Stubensachen.
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Es muss von Seiten der Juden eine schwere Anstrengung kommen; Menschen müssen sich von ihren teuersten Gegenständen trennen und sie für diesen Zweck abgeben. Damit werden unsere Leben geschützt, und es wird auch die Möglichkeit von allgemeinen Durchsuchungen im Ghetto vermieden. Die Wirtschaftsabteilung beim Judenrat hat spezielle Schritte unternommen, und die Bevölkerung wird sich danach richten müssen. Liste der geforderten Sachen: 280 Tischdecken 78 Fenstergardinen 290 Laken 176 Bettbezüge 530 Kissenbezüge 470 Handtücher 360 Geschirrtücher 178 Kissen 86 Teppiche und Kelims 90 Läufer 76 Bürolampen Nachtlampen 80 Spiegel Verschiedene harte und weiche Möbel: 41 Schlafzimmer 41 Esszimmer 176 Stühle 92 Tische 60 Küchen 176 zusammengehörige Gabeln, Löffel, Messer, und Teegläser. Verschiedene Glaswaren, Teller (tiefe, flache, kleine), Gläser, Kaffeetassen, Schnapsgläser, Weingläser, Service. Białystok, d. 17-ten Februar 1942 Judenrat
[220] Meldung Die Wohnungssteuer für den Monat Januar 1942 in der Höhe von 1,10 Mark muss spätestens bis zum 28-ten Februar d. J. einschließlich bezahlt werden. Nach diesem Termin muss der Judenrat, der Forderung der deutschen Behörde entsprechend, eine Liste der Personen einreichen, die die Wohnungssteuer nicht bezahlt haben Białystok, d. 18-Februar 1942 Finanzabteilung beim Judenrat
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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[221] Meldung Chaim und Nachman Cytrynblum werden von ihrem Bruder Awrom gesucht. Wer etwas von ihnen weiß, möge es im Sekretariat des Judenrats, Zimmer 3, melden. Białystok, d. 19-ten Februar 1942 Judenrat
[222] Meldung Sicherheitsabteilung
Kommandant des jüdischen Ordnungsdienstes beim Judenrat Der jüdische Ordnungsdienst macht alle Einwohner des Ghettos auf Folgendes aufmerksam: 1. Die Polizeistunde 9 abends muss pünktlich eingehalten werden. 2. Die Verdunkelungsvorschriften müssen genau ausgeführt werden, auch in den Fabriken. 3. Der Fleck (Davidstern) muss fest auf den Kleidern angenäht sein, sowohl auf der Oberbekleidung auf der Gasse wie auch auf der Arbeitskleidung in den Fabriken, Werkstätten und Büros. 4. Der jüdische Ordnungsdienst warnt, dass für Nichtbefolgen der oben erwähnten Verordnungen die schärfsten Maßnahmen ergriffen werden. Białystok, d. 20-ten Februar 1942 Kommando des jüdischen Ordnungsdienstes
223
[223] Meldung Die Kontrolleure im Ghetto haben festgestellt, dass fast überall unzulässiger Schmutz und Verwahrlosung herrschen. Dies kann Epidemien von Flecktyphus und Bauchtyphus bringen. Davor schützen kann nur eine gründliche Reinigung der Wohnungen und Höfe. Zu diesem Zweck wird verordnet: E i n e Wo c h e d e r R e i n i g u n g vom 21-ten bis zum 28-ten des Monats. Im Lauf der Woche müssen alle die Höfe in Ordnung bringen, die Wohnungen gründlich aufwischen, das Bettzeug und die Kleider auslüften und jede körperliche Unreinheit beseitigen. Keine Ausreden werden helfen. Gegenüber den Personen, die die Verordnung nicht befolgen, werden schon vom 1-ten März an Strafen und Zwangsmaßnahmen angewandt werden. Białystok, d. 20-ten Februar 1942 Sanitär-Epidemiologische Abteilung beim Judenrat
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Hans-Peter Stähli
[224] Meldung Sonntag, 22. Februar, 12 mittags G r o ß e Ve r s a m m l u n g im Saal der »Linas Hacedek« (Roz˙aner Gasse 3) Auf der Tagesordnung: Wichtige aktuelle Angelegenheiten. Białystok, d. 21-ten Februar 1942
Judenrat
[225] Wa r n u n g Für Nichterscheinen zur Arbeit, ohne Berechtigung, haben körperliche Strafen erhalten und sind in die Strafbrigaden eingezogen worden: 1. Gniazde Mates 2. Sokolski Lejzer 3. Kapłan Anszel 4. Bereslowski Dowid 5. Klajnsztejn Gedalj’ 6. Rudeler Hilel 7. Marer Lejzer77 Der Judenrat warnt: Meldet euch pünktlich zur Arbeit! Verlasst nicht allein die Arbeitsplätze! Bewahrt euer Leben! Białystok, d. 21-ten Februar 1942 Judenrat
[226] Meldung Der Judenrat teilt mit, dass Bestätigungen über zeitweilige Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit nur berücksichtigt werden, wenn sie von der Gesundheitsabteilung registriert und abgestempelt sind. Zum Abstempeln hat man sich am selben Tag der Ausstellung des Arbeitsunfähigkeitsscheins durch den Doktor an das Büro der Gesundheitsabteilung zu wenden. Im Fall, dass der Schein am Sabbat oder in den späten Abendstunden ausgestellt worden ist, muss er spätestens am [folgenden] Morgen früh abgestempelt werden.
77
So im Text; anders in Surname Index, The Bialystoker Memorial Book (vgl. oben Anm. zu Meldung 157); hier wird der Name als Macher Lejzer angegeben.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
225
Das Büro der Gesundheitsabteilung befindet sich an der Roz˙aner Gasse 3, 2-te Etage Zimmer 3, [und] fertigt Kunden täglich (außer Sabbat) von 9 bis 1 und von 4 bis 7 am Abend ab. Białystok, d. 23.2.1942 Judenrat in Białystok
[227] Wa r n u n g Die Sanitärabteilung beim Judenrat fordert die Einwohner des Ghettos auf, die Kartoffelschalen nicht in die Mistkästen wegzuwerfen, sondern unbedingt zu verbrennen. Nasse Schalen brennen sehr gut! Für das Wegwerfen von Schalen werden die Bewohner des ganzen Hauses streng bestraft werden. Białystok, d. 24-ten Februar 1942 Judenrat
[228] Meldung Kurse für Ofenmaurer und Maurer. Die Registrierung von Kandidaten für den Kurs für Ofenmaurer dauert bis zum 10/3 d. J. In erster Linie werden die Kandidaten angenommen, die schon im Baufach arbeiten. Der Unterricht im Kurs wird am 15/3 d. J. beginnen und in den Abendstunden stattfinden. Białystok, d. 24-ten Februar 1942 Judenrat
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[229] Kurs für Herrenschneider Donnerstag, den 26-ten März d. J., beginnen die Einschreibungen für einen Kurs für Herrenschneiderei. Die Kandidaten müssen im Alter von 14 bis 17 Jahren sein mit Vorbildung [von] nicht weniger als 5 Klassen. Białystok, d. 25-ten Februar 1942 Judenrat
[230] Meldung Scheine von einem Doktor über Arbeitsunfähigkeit müssen in der Gesundheitsabteilung am selben Tag registriert sein.
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Hans-Peter Stähli
Sich wenden an: Roz˙aner Gasse 3, 2-ter Stock, Zimmer 3. Białystok, d. 26-ten Februar 1942
Judenrat
[231] Meldung Appretur-Aufrauer sollen sich sofort im Judenrat, Zimmer 13, melden, um im ersten Textilkombinat Arbeit zu bekommen. Białystok, d. 27-ten Februar 1942 Judenrat
[232] Meldung Sonntag, den 8/3 d. J., beginnt eine Registrierung von Kandidaten für einen Kurs für Schusterei. Die Kandidaten dürfen nicht jünger als 14 Jahre sein und müssen eine Vorbildung von 5 Klassen Volksschule haben. Białystok, d. 28-ten Februar 1942 Judenrat
[233] Meldung Laut einer dringenden Forderung der deutschen Behörde muss man die Wohnungssteuer in der Höhe von 1.10 Mark im Monat pro Kopf für die Monate Februar und März, zusammen 2.20 Mark, sofort bezahlen. Für nicht pünktliches Erfüllen der Forderung werden Exekutionen78 gemacht wie auch die Brotkarte abgenommen werden. Białystok, d. 9-ten März 1942 Judenrat
[234] Wa r n u n g ! Wir warnen nochmals die jüdische Bevölkerung, dass alle photographischen Apparate im nächsten Revier des Ordnungsdienstes abgegeben werden müssen. Gleichzeitig wird gewarnt, dass, wenn man irgendwo einen photographischen Apparat finden wird, der Besitzer von der Behörde streng bestraft werden wird. Białystok, d. 14-ten März 1942 Der Ordnungsdienst beim Judenrat 78
Pfändungen; vgl. Meldung 372, 377.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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[235] Meldung Das deutsche Arbeitsamt teilt mit: Es ist festgestellt worden, dass die Arbeitsdisziplin bei den jüdischen Arbeitern sehr schwach ist. Deshalb sind in allen Unternehmungen genaue wöchentliche Listen eingeführt worden, wie viele Arbeitsstunden die Juden dort jeden Tag arbeiten79. Es stellt sich heraus, dass an verschiedenen Tagen ein Teil der Juden überhaupt nicht zur Arbeit kommt oder nur wenige Stunden am Tag arbeitet. Begründete Anlässe für diese Verbrechen gibt es nicht. Das Arbeitsamt hat schon in vielen Fällen [gegen] diese sich herumtreibenden Juden durch die Gestapo Strafmaßnahmen durchführen lassen. Künftig werden alle, die ihre Arbeitspflicht nicht voll und ganz erfüllen, auf Grund der erhaltenen Liste der Gestapo übergeben werden, um sie streng zu bestrafen. Białystok, d. 14-ten März 1942 Judenrat
[236] Meldung Die Sachenkontribution ist noch nicht beendet! Noch müssen wir uns sehr stark anstrengen, um die großen Forderungen befriedigen zu können! Wir verstärken die Sammelaktion und rufen die Bevölkerung auf, die Sammler mit der gebührenden Offenheit aufzunehmen. Jeder muss über seine Kräfte hinaus geben, weil nur durch eine vollständige Erfüllung80 der Sachenkontribution das Leben und die Existenz des Ghettos gesichert wird. Białystok, d. 16-ten März 1942 Judenrat
[237] Meldung
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Die deutsche Behörde hat Montag, 16-ten März, die Brotversorgung der Bevölkerung im Ghetto um 25 Prozent reduziert. Im Zusammenhang damit wird die Brotportion sowohl auf Karten als auch für Beamte und Arbeiter um 25 Prozent verkleinert werden. Białystok, d. 17-ten März 1942 Judenrat
79 80
Wörtlich geben. Wörtlich Deckung.
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Hans-Peter Stähli
[238] Die Sachen-Kontribution sichert das Leben und die Existenz im Ghetto. Wir verstärken die Sammelaktion. Alle müssen sich anstrengen! Über die Kräfte geben! Alles wird verzeichnet! Vermeidet Zwangsmaßnahmen! Białystok, d. 20-ten März 1942 Judenrat
[239] Meldung Sonntag, den 22-ten März d. J., beginnt eine Registrierung von Kandidaten für einen Kurs für Trikotage. Die Kursanten müssen im Alter von 16 Jahren sein mit Volksschulvorbildung. 21-ten März 1942 Lehrwerkstätten beim Judenrat Kupiecka 4981
[240] Meldung Die Gesundheitsabteilung kauft bei der Bevölkerung Apothekerfläschchen vom kleinsten Maß bis zu ¼ Liter. Die Fläschchen müssen sauber, gewaschen sein. Preis für ein Fläschchen bis 50 Gramm — 3 Pfennig über 50 bis 100 — 4 Pfennig " 100 bis 250 —7 " Zu bringen in die Apotheke Num. 3, Kupiecka 36. Białystok, d. 20-ten März 1942 Gesundheitsabteilung beim Judenrat
[241] Meldung Schuster können im Ghetto Arbeit bekommen. Registriert euch sogleich im Judenrat, Zimmer 13, von 9 Uhr in der Früh bis 4 nachmittags. Białystok, d. 22-ten März 1942 Judenrat
81
Das kursiv Gedruckte ist handschriftlich mit Bleistift hinzugefügt.
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[242] Meldung
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Kinder bis zu zwei Jahren werden jeden Mittwoch, Freitag und Sabbat von 9 bis 11 Uhr in der Früh gegen Pocken geimpft. Sich wenden an die Kinderkonsultation, Fabryczna Gasse 8. Białystok, d. 23-ten März 1942 Gesundheitsabteilung
[243] Meldung Der Judenrat hat folgende Meldung bekommen: Die Direktion der Wasserleitung teilt mit, dass die Überholung und Reparatur der Wasserleitung vor der [Wasser-]Uhr, wie sie bis jetzt im Ghetto gemacht worden sind, nicht zulässig sind. In Ausnahmefällen wird die Direktion eine schriftliche Erlaubnis erteilen, solche Arbeiten durchzuführen, die vor dem Zuschütten durch einen Vertreter unserer technischen Abteilung kontrolliert werden. Alle Arbeiten vor der Uhr, die gemacht werden ohne unsere Zustimmung, werden wie Diebstahl von Wasser betrachtet werden. Białystok, d. 26-ten März 1942 Judenrat
[244] Wa r n u n g ! Alle, die sich aus ihren Wohnungen in eine unbekannte Richtung abmelden und faktisch in Białystok bleiben, um sich verschiedenen Verpflichtungen, die ihnen obliegen, zu entziehen, werden strenge Strafen bekommen. Białystok, d. 30-ten März 1942 Judenrat
[245] Meldung Die neue Badeanstalt an der Kupiecka 40 wird von 11 in der Früh bis 7 am Abend in Betrieb sein82. Vorläufig: Für Männer — Sonntag, den 3-ten Mai Für Frauen — Montag, den 4-ten Mai Białystok, d. 1-ten April 1942 Badeanstalt beim Judenrat 82
Wörtlich funktionieren.
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[246] Ve r o r d n u n g über die Einführung der Arbeitspflicht im Białystok-Kreis vom 1-ten April 1942. Auf Grund eines Dekrets des Führers über die zeitweilige Verwaltung des Białystoker Kreises vom 15-ten August 1941 verordne ich Folgendes:/ Par. 1 Alle Einwohner des Białystoker Kreises im Alter von 15 bis 60 Jahren, geboren 1882–1927, sind verpflichtet, nach ihren Fähigkeiten zu arbeiten. Par. 2 a) Die Regelung und Verteilung der Arbeit führen die Arbeitsämter durch. b) Bei der Durchführung der Arbeitsverteilung können die Arbeitsämter unmittelbar die Hilfe des Ortskommissars in Białystok, des Bürgermeisters und der Amtskommissare benützen. c) Außerdem müssen auch alle anderen Ämter und Behördeorgane den Arbeitsämtern Hilfe geben. Par. 3 Alle Einwohner des Białystok-Kreises müssen die Aufrufe und Aufforderungen der Ämter, die in den vorangehenden 2 Paragraphen erwähnt sind, befolgen. Par. 4 Der Lohn für die Arbeit wird normiert laut der Verordnung des Oberpräsidenten (Chef der Zivilverwaltung) vom 18-ten September 1941. Par. 5 Für Verstoßen gegen die Paragraphen 1 und 3 der Verordnung wird man mit Arrest bestraft werden und bei ernsten Fällen, laut Paragraph 2 der Verordnung über die Einführung der Strafbemessung im Białystoker Kreis vom 19-ten Dezember 1941, mit der Todesstrafe. Par. 6 Diese Verordnung ist gültig ab 1-ten April 1942. Białystok, d. 1-ten April 1942 Oberpräsident als Chef der Zivilverwaltung (—) Koch
[247] Wa r n u n g ! Alle von der Pruz˙aner-Evakuierung Zurückgekommenen (Angemeldete und Nichtangemeldete) – müssen Białystok sofort verlassen! So fordert es kategorisch die deutsche Behörde. Die Dagebliebenen werden unter Zwang weggebracht werden und dazu streng bestraft werden.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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Man gibt keine Scheine aus. Für die Einquartierung der Pruz˙aner werden die Hausverwalter, Hauskomitees und die Mieter, bei denen sie wohnen, bestraft werden. Wir warnen! Białystok, d. 6-ten April 1942 Judenrat
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[248] Meldung Wegen der Gefahr, die dem Ghetto droht, meldet der Judenrat: 1. Jede Anmeldung von neu angekommenen Personen ist eingestellt. 2. Alle nicht angemeldeten Personen müssen das Ghetto sofort verlassen. 3. Die Verantwortung für das Einquartieren von Nichtgemeldeten werden die Nachbarn von ihren Wohnungen, die Hauskomitees und die Hausverwalter tragen. Białystok, d. 7-ten April 1942 Judenrat
[249] Meldung Laut der neuen Verordnung der Behörde darf sich im Ghetto kein einziger nicht gemeldeter Mensch befinden. Deshalb müssen sich alle nach Białystok Gekommenen innerhalb von 5 Tagen an die Hausverwalter wenden, man möge sie anmelden. Die Verantwortung für Nichtanmelden tragen, zusammen mit den Gekommenen, auch die Hausverwalter, die Hauskomitees und die Familien von den Wohnungen, in denen die Nichtangemeldeten sich befinden. Für Nichterfüllen der Verordnung betreffs Meldung droht von Seiten der Behörde die größte Strafe. Białystok, d. 12-ten April 1942 Judenrat
[250] Meldung Alle, die auf dem Markt handeln, haben innerhalb von 5 Tagen in der Steuersektion der Finanzabteilung Patente einzulösen. Wenn jemand nach dem Termin handeln wird ohne ein Patent, wird bei ihm die Ware konfisziert werden, und der Händler wird bestraft werden. Wer schon ein Patent eingelöst hat, muss das Patent ständig bei sich tragen und es bei jeder Aufforderung der Kontrolleure vorweisen. Białystok, d. 13-ten April 1942 Judenrat (Steuersektion)
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[251] Meldung Letztens haben sich Fälle ereignet, dass aus Pruz˙any Gekommene ihre kleinen Kinder im Stich lassen und allein verschwinden. / Wir warnen: 1. Die ausgesetzten und verlassenen Kinder werden keinen Schutz finden. 2. Die Behörde wird mit solchen Kindern genauso verfahren wie mit illegal gekommenen Erwachsenen. Białystok, d. 16-ten April 1942 Judenrat
[252] Wa r n u n g ! Im Ghetto verbreitet man ein Gerücht, dass in der Frage von Pruz˙any eine Erleichterung anstehe. Das Gerücht ist falsch. Die Forderung der Behörde ist so streng und herbe geblieben wie früher, die aus Pruz˙any Zurückgekommenen können in Białystok auf keinen Fall bleiben. Białystok, d. 22-ten April 1942 Judenrat
[253] Meldung Laut der Verordnung der deutschen Behörde wird am 25-ten d. M. eine P f e r d e i n s p e k t i o n stattfinden. Im Zusammenhang damit haben die Besitzer von Pferden am erwähnten Tag 6 Uhr in der Früh ihre Pferde zur Inspektion auf die Ksia˛cz˙e˛ca Gasse, neben dem Handelsmarkt, hinauszuführen. Vor der Registrierung hat jeder Besitzer auf dem Platz 1.50 Mark zu bezahlen. Für Nichtfolgeleisten wird eine herbe Strafe erfolgen. Białystok, d. 22-ten April 1942 Judenrat
[254] Meldung Pflanzen und Samen für Vorgärten83 erhältlich in der Gartenbasis, Nowogroder84 Gasse 1, von 10 bis 12 und von 3 bis 5 abends. Białystok, d. 23. April 1942 Judenrat
83 84
Wörtlich beistubige (d.h. beim Haus befindliche) Gärten. Polnisch Nowogródzka.
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[255] Meldung
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Wir haben im Ghetto, zum Nutzen der Bevölkerung, eine Reihe von Gärtnereiplantagen organisiert, auf denen verschiedene Gemüse wachsen werden. Wir sind sicher, dass die verantwortungsbewusste Gesellschaft sie hüten, achten und schützen wird. Gleichzeitig hat man bei den Häusern und auf den Höfen Gärtchen anzulegen, wo immer nur es eine kleine freie Fläche zum Ansäen und Bepflanzen für den eigenen Gebrauch gibt. Auf jede Anforderung hin werden wir mit Saatgut, Pflanzen und Instruktoren versorgen. Unser Büro befindet sich an der Nowogroder 1. Macht euch schnell an die Arbeit! Nutzt jede Spanne Erde! Białystok, d. 29-ten April 1942 Judenrat (Approvisationsabteilung) [Auf der Rückseite der Meldung ist handschriftlich hinzugefügt:] Gärtnereisektion Initiative und Leitung von Seiten des Hechaluz85-Sekretärs – Mersik Die Zahl der Beschäftigten im Sommer während der Saison – bis 300 Die Arbeiter – jugendliche Schüler, Mitglieder der Zionistischen86 Jugendorganisationen. Die Gärten – Sonnenflecke im finsteren Ghettoleben. Gesang, Jugendlichkeit. Im Laufe des Sommers: 190 Tonnen Gemüse.
[256] Meldung Es werden Kandidaten für einen Kurs für Elektromonteure registriert. Die Kandidaten müssen im Alter von 14 oder 15 Jahren sein mit einer Vorbildung von 6 Klassen Volksschule. Białystok, d. 30-ten April 1942 Judenrat
85
86
Hechaluz (hebräisch): zionistische, »Der Pionier« genannte Organisation, die jüdische Jugendliche in aller Welt für das Leben in Palästina vorbereitete. Im Text abgekürzt: Zin.
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[257] Meldung Kartoffeln auf Karten werden von den Lagerhäusern herausgegeben: Jurowiecka 21, Kupiecka 23, Zamenhof 26. Die Karten-Kartoffeln, die nicht abgeholt werden bis zum 10-ten Mai, werden verfallen sein. Białystok, d. 1-ten Mai 1942 Approvisationsabteilung beim Judenrat
[258] F r e i e r Ve r k a u f Gewächshausgemüse in der Gärtnereiwirtschaft des Judenrats, Nowogroder Gasse 1. Von 10 bis 12 mittags von 13 bis 5 abends Białystok, d. 1-ten Mai 1942 Gärtnereisektion beim Judenrat
[259] Meldung Hiermit melden wir, dass in Schule Num. 1 (Fabrik Gasse 39) 3 neue erste Klassen eröffnet werden. Schüler werden angenommen von 7 Jahren an. Einschreiben kann man sich in der Kanzlei der Schule, Fabrik Gasse 39, täglich von 9 bis 12 und von 3 bis 6. Die Zahl der Plätze ist begrenzt. Białystok, d. 3-ten Mai 1942 Kulturabteilung beim Judenrat
[260] Achtung! Im Laden Neue Welt 11 findet ein Verkauf von Trikotageerzeugnissen für Männer, Frauen und Kinder zu mäßigen Preisen statt. Białystok, d. 5-ten Mai 1942 Judenrat
[261] Meldung Seit Sonntag, dem 3-ten Mai, hat die deutsche Behörde die Brotzuteilung für die allgemeine Bevölkerung um 20 Proz. und für die arbeitende Bevölkerung um 25 Proz verringert.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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Im Zusammenhang damit werden die Brotportionen sowohl auf Karten als auch für die Beamten und Arbeiter nach den oben angegebenen Normen verkleinert. Białystok, d. 5-ten Mai 1942 Judenrat
[262] Meldung Im neuen Bad an der Kupiecka 40 gibt es87 besondere Abteilungen für Männer und für Frauen. Offen Freitag, Sabbat und Sonntag, den 8-ten, 9-ten und 10-ten Mai 1942, von 11 bis 7 am Abend. Białystok, d. 7-ten Mai 1942 Badeanstalt beim Judenrat
[263] Meldung
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Die Verwandten von Szolem Lewinski, geboren 1927, der sich im Grodner Waisenhaus befindet, werden gebeten, sich im Sekretariat des Judenrats, Zimmer 3, zu melden. Białystok, d. 9-ten Mai 1942 Judenrat
[264] Meldung Schuster und Stepper, die nicht beschäftigt sind oder nicht in ihrem Fach arbeiten, werden aufgefordert, sich bis zum 15-ten d. M. bei den Filzstiefelwerkstätten, Zamenhof 14, zu registrieren. Białystok, d. 11-ten Mai 1942 Judenrat
[265] Meldung Sonntag, den 15. d. M., beginnt eine Registrierung von Kandidaten für einen Kurs für Tischlerei. Die Kandidaten müssen im Alter von 14 bis 16 Jahren sein mit einer Vorbildung von 5 Klassen Volksschule. Die Registrierung findet täglich statt von 9 bis 1 und von 4 bis 6 Uhr. Białystok, d. 15-ten Mai 1942 Judenrat 87
Wörtlich funktionieren.
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[266] Meldung Vom 15/5 an sind beim neuen Bad, Kupiecka 40, täglich außer Sabbat beide Abteilungen, für Männer und Frauen, offen: Sonntag, Freitag von 11 in der Früh bis 7 am Abend, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag von 4 nachmittags bis 8 am Abend. Białystok, d. 15-ten Mai 1942 Judenrat
[267] Wa r n u n g ! In der letzten Zeit haben verschiedene Dienststellen viele Fälle festgestellt, dass man überhaupt nicht zur Arbeit kommt wie auch dass man nicht pünktlich auf den Arbeitsplatz kommt. Das deutsche Arbeitsamt fordert von jedem Arbeitsplatz eine tägliche Liste von diesen Personen, die streng bestraft werden. Wir warnen: Erscheint täglich zur Arbeit! Vermeidet Verspätung! Białystok, d. 16-ten Mai 1942 Judenrat
[268] Meldung Das Bad ist offen: Donnerstag, 21-ten Mai — von 11 in der Früh bis 7 am Abend. An Schawuot (Freitag und Sabbat) geschlossen. Białystok, d. 20-ten Mai 1942 Judenrat
[269] Meldung Es ist verboten, alle [möglichen] Sorten von Eiscreme (Glacen) zu machen und zu verkaufen. Für einen Verstoß [dagegen] wird man streng bestraft werden. Białystok, d. 22-ten Mai 1942 Judenrat
[270] Meldung Sonntag, den 24-ten Mai d. J., beginnt eine Registrierung von Kandidaten für einen Kurs für Herrenschneiderei und Futterkürschnerei.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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Die Kandidaten müssen im Alter von 14 bis 16 Jahren sein mit einer Vorbildung von 5 Klassen Volksschule. Białystok, d. 22-ten Mai 1942 Judenrat
[271] Meldung
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Im Zusammenhang mit der Verordnung der deutschen Behörde über das Vorgehen bei der Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsscheinen meldet die Gesundheitsabteilung Folgendes: 1. Arbeitende, die sich für medizinische Hilfe an einen Doktor wenden, müssen ihr persönliches Dokument und den Arbeitsschein mit sich bringen. Ohne dies werden keine Arbeitsunfähigkeitsscheine ausgestellt werden. 2. Die Arbeitsunfähigkeitsscheine müssen am Tag ihrer Ausstellung durch den Doktor in der Gesundheitsabteilung, Roz˙aner Gasse 3, 2-ter Stock Zimmer 3, von 9 bis 11 in der Früh und von 4 bis 6 nachmittags abgestempelt werden. Dazu hat man auch den Arbeitsschein mitzubringen. Dasselbe gilt auch bei der Verlängerung des Befreiungsscheins. Bemerkung: Wenn der Schein vom Doktor nach den Dienststunden ausgestellt wird, hat man sich spätestens am nächsten Morgen in der Früh an die Gesundheitsabteilung zu wenden. 3. Für die Verlängerung eines Arbeitsunfähigkeitsscheins hat man sich vor Ablauf des Termins der früheren Befreiung an den Doktor zu wenden. Beispiel88: Wenn jemand vom Doktor vom 18-ten bis 20-ten Mai von der Arbeit befreit worden ist, muss man sich wegen einer Prolongierung spätestens bis zum 20-ten [an diesen] wenden. 4. In den Fällen, wo der Kranke sich wegen der Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit an einen zweiten Doktor wendet, muss er dabei den Befreiungsschein vorlegen, den er vom ersten Doktor bekommen hat. Für Verstoßen gegen diese Verordnung oder für die Angabe von falschen Informationen, die den Doktor oder andere Instanzen in die Irre führen können, wird man streng bestraft werden. Białystok, d. 19-ten Mai 1942 Leiter der Gesundheitsabteilung Dr. Kacenelson
[272] Meldung Laut der Verordnung des deutschen Arbeitsamtes sind die jüdischen Arbeiter, die außerhalb des Ghettos arbeiten und vor dem Termin, der auf ihrem Arbeitsschein angegeben ist, von ihrem Arbeitsplatz entlassen werden, verpflich88
Wörtlich Muster.
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tet, dies innerhalb von 24 Stunden nach der Entlassung in der Arbeitsabteilung des Judenrats zu melden. Für Nichtbefolgen der Verordnung wie auch für Benützen eines Arbeitsscheins, nachdem er vom Arbeitsplatz schon entlassen ist, wird der Schuldige von der deutschen Behörde streng bestraft werden. Białystok, d. 25-ten Mai 1942 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[273] Meldung Wegen der dringenden Aufforderung der Behörde, physisch [kräftige] Arbeiter für verschiedene Arbeiten außerhalb des Ghettos zu stellen, wird die Aufnahme von gesunden, zu physischer Arbeit fähigen Männern im Alter von 17 bis 50 Jahren in die Reserve-Arbeiterbrigade bei den jüdischen Feuerwehrmännern wiederholt. Die Mitglieder der Reservebrigade bekommen individuelle Scheine mit dem speziellen Vermerk89 des deutschen Arbeitsamtes, dass sie von Zwangsarbeit befreit sind. Die Mitglieder der Brigade bekommen die festgesetzten Brotportionen und Lebensmittel vom Judenrat wie auch Bezahlung von den Dienststellen. Alle nicht beschäftigten Männer im oben erwähnten Alter können sich täglich von 9–13 und von 1090 bis 19 im Lokal des Kommandos der jüd. Feuerwehr, Kupiecka 44, 1-ter Stock, in die Reservebrigade einschreiben. Białystok, d. 26-ten Mai 1942 Jüdische Feuerwehr beim Judenrat
[274] Hutmacher mit Maschinen können sogleich von der Industrieabteilung beim Judenrat beschäftigt werden. Sich melden täglich von 9 bis 1 nachmittags im Sekretariat (Zimmer 3). Białystok, d. 27-ten Mai 1942 Industrieabteilung beim Judenrat
[275] An den Schandpfahl!!! Um der Ghettobevölkerung die Möglichkeit zu geben, zu Heilzwecken den einzigen Kurzwellenapparat zu benützen, der sich im Ghetto befindet, hat das Präsidium des Judenrats beschlossen, diesen Apparat Doktor M. Chwat wegzunehmen und der »Linas Cholim« zu übergeben. Dr. C h w a t hat aber den 89 90
Wörtlich Aufschrift. So im jiddischen Text; die hebräische Übersetzung korrigiert in: 15–19.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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Beauftragten des Judenrats Widerstand geleistet und hat den Apparat zerbrochen. Der Judenrat brandmarkt aufs schärfste die wilde und schändliche Handlung eines Doktors, eines Vertreters der Intelligenz, der der Bevölkerung als ein Beispiel zu dienen hat, und beschließt, folgende Maßnahmen zu ergreifen: 1. Doktor Chwat seine Tätigkeit sowohl im Ghetto als auch außerhalb des Ghettos zu verbieten. 2. Bei Dr. Chwat alle Behandlungsapparate zu konfiszieren und sie der Gesundheitsabteilung beim Judenrat zum Nutzen der Bevölkerung zu übergeben. 3. Dr. Chwat einem öffentlichen Gericht zu übergeben. Białystok, d. 29-ten Mai 1942 Judenrat
[276] Strick- und Spagatfachleute können sogleich von der Industrieabteilung beim Judenrat beschäftigt werden. Sich melden täglich von 9 bis 1 nachmittags im Sekretariat, Zimmer 3. Białystok, d. 30-ten Mai 1942 Industrieabteilung beim Judenrat
[277] Meldung Heute, am 31-ten Mai, beginnt eine Registrierung von Kandidaten für einen Kurs für Maurerei und Ofenmaurerei. Die Kandidaten müssen im Alter von 14 bis 16 Jahren sein mit einer Vorbildung von 5 Klassen Volksschule. Białystok, d. 30-ten Mai 1942 Lehrwerkstätten beim Judenrat
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[278] Aufruf Tausende von Kindern kommen um an Diphtherie. Die gefährlichste Form der Krankheit ist der allgemein bekannte Krupp, bei dem die Kinder buchstäblich ersticken. Bei uns im Ghetto sind die Fälle von Diphtherie sehr häufig, und bei den schwierigen Wohnungsbedingungen kann sehr leicht eine Diphtherieepidemie ausbrechen. Mütter! Rettet eure Kinder vor Diphtherie! Lasst sofort Schutzimpfungen gegen Diphtherie durchführen (ohne Schmerzen). Die Impfungen werden umsonst gemacht, im Lokal der Sanitär-Epide-
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miologischen Abteilung beim Judenrat, Jurowcer Gasse 7, jeden Sonntag von 4 bis 6 Uhr abends. Vor der Impfung wird jedes Kind von einem Doktor, einem Spezialisten, untersucht. Białystok, d. 31-ten Mai 1942 Sanitär-Epidemiologische Abteilung beim Judenrat
[279] Meldung Alle Wagen, seien es private oder solche des Judenrats, müssen Täfelchen mit dem Maß 15 auf 30 cm91 haben, mit folgender Aufschrift in deutscher Sprache: Name und Familie des Besitzers und seine Adresse (zum Beispiel: Szmuel Mendl Białystok, Jurowcer Gasse 3). Ohne ein solches Täfelchen werden mit Beginn vom 5-ten Juni d. J. an die Wagen nicht aus dem Ghetto herausgelassen und werden auch nicht auf den Gassen herumfahren92 können. Informationen gibt die Transportabteilung des Judenrats heraus. Białystok, d. 2-ten Juni 1942 Judenrat
[280] Nutzt jede Spanne Erde zum Säen und Pflanzen! Zum Verkauf: Tomaten-, Kraut-, Blumenkohl-, Rüben- und Salatpflanzen. Białystok, d. 5-ten Mai 1942 Gärtnereisektion beim Judenrat Nowogroder 1
[281] S c h a r f e Wa r n u n g ! Der Judenrat hat von der deutschen Behörde Meldungen und scharfe Warnungen bekommen wegen Schmuggels von Lebensmitteln ins Ghetto. Den Schmugglern droht die Todesstrafe! Wenn der Schmuggel nicht sofort aufhören wird, werden daraus sehr schwere Konsequenzen für das ganze Ghetto erfolgen, es werden auch Unschuldige leiden. Wir warnen die ganze Bevölkerung! Alle sollen den Schmuggel bekämpfen! Kauft keine geschmuggelte Ware! 91 92
Im Original abgekürzt sent. Wörtlich kursieren.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
Haltet euch von den Schmugglern fern! Białystok, d. 7-ten Juni 1942
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Judenrat
[282] Meldung Am 30-ten Juni läuft die Gültigkeit der Patente von Läden, Werkstätten und anderem für das 1-te halbe Jahr 1942 aus. Alle Besitzer der Unternehmungen müssen bis zum 30-ten Juni Patente für das 2-te halbe Jahr 1942 einlösen. Für Nichtbesitzen eines gültigen Patents wird man streng bestraft werden, bis zur Liquidierung der Unternehmung. Białystok, d. 8-ten Juni 1942 Steuersektion der Finanzabteilung beim Judenrat
[283] Meldung An der Szlachecka 4, wo sich das 2-te Revier des jüdischen Ordnungsdienstes befindet, hat das Revier einen Ruhe- und Spielplatz eingerichtet für Kinder mit Kinderwagen93 wie auch für Kinder bis zu 7 Jahren. Offen täglich von 10 in der Früh bis 8 am Abend. Es ist nicht erwünscht, dass in den Gassen des Ghettos Kinderwagen herumfahren, wie auch nicht, dass ältere Kinder sich ohne Aufsicht auf den Gassen herumtreiben. Alle interessierten Eltern müssen die Wichtigkeit der Angelegenheit verstehen und die Kinder mit Kinderwagen wie auch Kinder bis zu 7 Jahren auf den Platz Szlachecka 4 schicken, wo sie den ganzen Tag sich aufhalten und spielen können werden. Białystok, d. 8-ten Juni 1942 2-tes Revier des jüdischen Ordnungsdienstes
[284] Meldung
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Laut Verordnung der Behörde werden von heute, dem 9-ten Juni, bis zum 9-ten Juli alle Restaurants, Kaffee- und Teehäuser im Ghetto geschlossen als Strafe für gesetzwidriges Verkaufen von Schnaps. Nach Ablauf des Monats wird/ man eine Reihe Gesuche94 einreichen müssen, die individuell be93 94
Wörtlich Wägelchen. Nach Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 454, Anm. 333) ist zu korrigieren in neue Gesuche.
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Hans-Peter Stähli
trachtet werden, und nur jene werden eine Erlaubnis bekommen, zu denen man das Zutrauen haben kann, dass sie nicht mit verbotenen Sachen handeln werden. Białystok, d. 9-ten Juni 1942 Judenrat
[285] Meldung
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Die Gesundheitsabteilung, in Übereinkunft mit dem Ordnungsdienst beim Judenrat, meldet, dass das Recht, ein Rotes Kreuz zu tragen, nur jene haben, die bis zum 20-ten d. M. ihre Armbinden mit einer Nummer und einem Stempel der Gesundheitsabteilung versehen werden und dafür eine spezielle Erlaubnis mit einer Legitimation bekommen. Für das Tragen eines Roten Kreuzes nach dem oben erwähnten Termin ohne eine Erlaubnis wird man streng bestraft werden. Białystok, d. 15-ten Juni 1942 Gesundheitsabteilung beim Judenrat
[286] Schalen Der Judenrat hat beschlossen, [Kartoffel-]Schalen für Produktionszwecke zu nutzen und damit weitere Einwohner des Ghettos zu beschäftigen. Deshalb wird verordnet: 1. Jede Hausfrau darf die Schalen nicht in den Mistkasten wegwerfen, sondern muss sie bei sich sammeln. 2. Jeden Tag wird der Hauswächter bei allen Mietern seines Hofs vorbeigehen und bei ihnen die Kartoffelabfälle abholen. 3. Jeden Tag wird ein Fuhr[werk] des Judenrats bei den Hauswächtern die Kartoffelabfälle abholen, die sie bei den Mietern gesammelt haben. Białystok, d. 15-ten Juni 1942 Judenrat
[287] Meldung Im Zusammenhang mit der Säuberung95 des Ordnungsdienstes werden folgende Personen aus ihrem Amt entfernt: 1. Abramowicz Neli 2. Blejberg Mordechaj 3. Blemer Henryk 4. Gutman Zelig 95
Wörtlich Sanierung.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
5. Goland Simcha96 6. Hamburg Mordechaj 7. Welunski Jakow 8. Zylberblat Josef 9. Judelbojm Zalman 10. Samberg Binjomin 11. Pitacki Awrom 12. Fin Szlojme 13. Pralkes Mojsze 14. Kaczka Josef 15. Kwater Binjomin 16. Rewizn Pinchos97 Białystok, d. 16-ten Juni 1942
243
Ordnungsdienst beim Judenrat
[288] Meldung Die unten aufgeführten 5 Mitglieder des jüdischen Ordnungsdienstes sind wegen Missbrauchs ihres Amtes in ein Arbeitslager eingesperrt worden: 1. Blejberg Mordechaj 2. Fin Szlojme 3. Goland Simcha 4. Kwater Binjomin 5. Welunski Jakow Białystok, d. 17-ten Juni 1942 Judenrat
[289] Meldung Eis für Kranke wird gegen einen Zettel eines Doktors herausgegeben an der Jurowiecka 26 im Eiskeller. Białystok, d. 17-ten Juni 1942 Judenrat (Wirtschaftsabteilung)
96
97
Nach Blumenthal, Darko shel Yudenrat, liegt offenbar ein Fehler vor: der Betreffende heiße nicht Goland, sondern es handle sich um einen S. Gorland aus Bielsk (S. 456, Anm. 337, mit Hinweis auf David Klementynowski [Klementinowski], lebn un umkum in bialystoker geto [Life and Death in the Bialystok Ghetto], New York 1946, S. 39). So im jiddischen Text. Ist möglicherweise der (sonst nicht belegte) Name Rewizn in Rewzin zu ändern und der hier Genannte mit dem im Białystoker Telefonbuch von 1938 aufgeführten Pinchos Rewzin identisch? Vgl. Białystok Old Telephone Book 1938, http://www.zchor.org/ bialystok/telephone.htm [17.8.2009].
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Hans-Peter Stähli
[290] Meldung
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Sonntag, den 21-ten Juni d. J., 11 Uhr in der Früh findet im Lokal der »Linas Hacedek«, Roz˙aner Gasse 3, eine große allgemeine Versammlung der jüdischen Bevölkerung statt. Auf der Tagesordnung die Lage im Ghetto. Białystok, d. 19-ten Juni 1942 Judenrat
[291] L e t z t e Wa r n u n g Laut der Verordnung der deutschen Behörde wird die Bevölkerung des Ghettos zum letzten Mal gewarnt, dass, wer sich nach 9 Uhr am Abend auf der Gasse befindet, mit der herbsten Strafe bestraft werden wird, bis zur Wegschickung in ein Arbeitslager. Białystok, d. 24-ten Juni 1942 Der Judenrat
[292] Meldung Es wird eine Brigade von 200 Frauen für leichte Arbeit in Starosielce98 geschaffen. Für die Arbeit bekommt man 1 Mark in bar und eine Portion Brot täglich. Es ist erwünscht, dass sich Frauen im Alter von 18–35 Jahren melden, die zu Hause nicht kleine Kinder ohne Aufsicht lassen müssen. Die Registrierung findet statt den ganzen Tag bis zum 1-ten Juli auf den Revieren des jüdischen Ordnungsdienstes: 1-tes Revier — Jurowiecka 25 2-tes Revier — Szlachecka 4 3-tes Revier — Róz˙a´nska 7 4-tes Revier — Róz˙a´nska 7 Białystok, d. 25-ten Juni 1942 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[293] Meldung Die unten aufgeführten Personen sind zur Verantwortung gezogen und bestraft worden für Beleidigung und Widerstandleisten gegenüber Mitgliedern des jüdischen Ordnungsdienstes: 98
Städtchen, ca. 6 km westlich von Białystok, heute Stadtteil von Białystok.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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1. Kliaczko Awrom, 17 Jahre – zu zeitlich nicht terminierter Arbeit 2. Niewiadomski Michael, 32 Jahre – zu zwei Wochen verschärfter Arbeit 3. Goldsztejn Note, 16 Jahre – zu zwei Wochen verschärfter Arbeit 4. Feler Simcha, 41 Jahre – zu 75 Mark Geldstrafe 5. Gelbart Zalman, 17 Jahre – zu 75 Mark Geldstrafe Białystok, d. 26-ten Juni 1942 Judenrat
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[294] Urteil Mereminski Aron ist vom speziellen Gericht beim Judenrat mit 6 Wochen unbedingtem Arrest bestraft worden wegen physischer Beleidigung eines Mitglieds vom Präsidium des Judenrats. Białystok, d. 27-ten Juni 1942 Judenrat
[295] Meldung Laut Verordnung der Behörde vom 2-ten Juli d. J. wird das Tor 2 des Ghettos an der Kupiecka Gasse geschlossen. Man wird durch die Tore 1 (Jurowcer Gasse) und 3 (Czysta Gasse) hinausgehen und -fahren [können]. Fußgänger mit Paketen haben die Hauptgassen zu meiden und das Tor 3 an der Czysta zu benützen. Białystok, d. 2-ten Juli 1942 Judenrat
[296] Wa r n u n g ! Für Nichterscheinen zur Arbeit hat die Behörde folgende Arbeiter ins Straflager verbracht: 1. Lew Lejb, 1925, Fabryczna 23 2. Lew Awrom, 1923, Fabryczna 23 3. Szuster Jehuda, 1926, Łódzka 12 4. Sibirski Chaim, 1920, Kupiecka 35 5. Zazrin Nochum, 1924, Białostoczaner 799 Die Arbeitsabteilung beim Judenrat warnt alle Arbeiter, sowohl Männer als auch Frauen, sie möchten pünktlich zu ihrer Arbeit gehen. Wenn man auch
99
Die Straße wird einmal mit dem polnischen Namen Białostocza´nska genannt (Meldung 416), sonst wird überall der jiddische Name Białostoczaner und einmal (Meldung 383) die Abkürzung Białistocz. verwendet.
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nur einen Tag versäumt, zur Arbeit zu gehen, wird man von der Behörde streng bestraft werden. Białystok, d. 2-ten Juli 1942 Judenrat 463
[297] Wa r n u n g ! Für Nichterscheinen zur Arbeit auf dem Arbeitsplatz, der vom deutschen Arbeitsamt zugewiesen worden ist, wurde mit vier Wochen Arbeitslager bestraft Epsztejn Mordechaj, Neue Welt 21. Wir warnen: 1. Sowohl Männer als auch Frauen dürfen die Arbeitsplätze ohne die Erlaubnis des deutschen Arbeitsamtes nicht wechseln. 2. Pünktlich zur Arbeit erscheinen. 3. Sofort begründen im Fall, dass man nicht zur Arbeit kommt. Białystok, d. 3-ten Juli 1942 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[298] S t r e n g e Wa r n u n g ! Für Mithilfe beim Stehlen von Gemüse in den Gärten des Judenrats und für Schlagen der Wächter sind mit Einsperren in ein Arbeitslager auf längere Zeit folgende Personen bestraft worden: 1. Rozenblum Mojsze, 1895, Kosynierska 4 2. Rozenblum Rywka, 1898, Kosynierska 4 Wir warnen die Bevölkerung, dass die Verantwortung für Diebstahl in den Gärten sowohl auf die Diebe als auch auf ihre Familien fallen wird. Sie werden in ein Arbeitslager eingesperrt werden! Ihr Vermögen wird konfisziert werden! Białystok, d. 7-ten Juli 1942 Judenrat
[299] S c h u s t e r- M o b i l i s a t i o n Der Judenrat hat vom Stadtkommissar der Ghettoverwaltung die folgende Verordnung bekommen: »Hiermit verordne ich, dass die Schuster im Ghetto, die bis jetzt zu Hause arbeiten, sofort zu täglich 8 Stunden Arbeit in der Filzfabrik eingezogen werden sollen. Diejenigen, die [dem] nicht Folge leisten, werden bestraft werden.« Der Judenrat teilt deshalb mit: Alle Schuster im Ghetto, sowohl jene, die privat arbeiten, als auch jene, die für deutsche Dienststellen arbeiten, sind verpflichtet, sich innerhalb von 48 Stunden zur Arbeit zu registrieren.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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Die Registrierung findet statt in der Filzfabrik, Jurowcer Gasse 14, von 8 in der Früh bis 8 abends. Für Nichtregistrieren im erwähnten Zeitraum droht strenge Strafe – bis zu Arbeitsstraflager. Białystok, d. 9-ten Juli 1942 Judenrat
[300] Meldung
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Sonntag, den 12/7 d. J., beginnt eine Einschreibung von Kandidaten für Kurse für: Schusterei Herrenschneiderei Maurerei und Ofenmaurerei Futterkürschnerei Die Einschreibungen werden täglich von 9 bis 3 stattfinden. Białystok, d. 10-ten Juli 1942 Judenrat
[301] L e t z t e Wa r n u n g ! Ungeachtet der vielmaligen Warnungen des Judenrats hören die nach Pruz˙any Evakuierten nicht auf, nach Białystok zurückzukehren. Wir warnen zum letzten Mal, dass diese Menschen ihr eigenes Leben in Gefahr bringen wie auch das Leben von all jenen, die schon früher von Pruz˙any zurückgekommen sind. Białystok, d. 13-ten Juli 1942 Judenrat
[302] Meldung Die Behörde warnt, dass die Juden, die außerhalb des Ghettos arbeiten, nicht zuviel die Hauptgassen benützen sollen, besonders [nicht], wenn sie mit Säcken, Holz und anderem Gepäck von der Arbeit kommen. Wir fordern die Arbeiter auf, die Hauptgassen zu meiden und nicht die Warszewer Gasse, sondern die Starobojarer, nicht die Wasilkower100, sondern die Ko´scielna zu benützen. Überhaupt hat man noch mehr das Tor an der Czysta Gasse zu benützen und das Tor an der Jurowcer Gasse zu meiden. Białystok, d. 13-ten Juli 1942 Judenrat 100
So die jiddischen Straßenbezeichnungen für polnisch Warszawska, Starobojarska und Wasilkowska.
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[303] Meldung Laut der Verordnung der Behörde sind alle Besitzer von Pferden verpflichtet, morgen Donnerstag, den 16-ten Juli, pünktlich 6.30 in der Früh ihre Pferde zu einer Kontrolle auf dem Platz beim Markt zu stellen. Die Pferde hat man geputzt zu stellen. Für Nichtstellen der Pferde wird man streng bestraft werden. Białystok, d. 15-Juli 1942 Judenrat
[304] L e t z t e Wa r n u n g ! Ungeachtet der vielmaligen Warnungen verhält sich die Bevölkerung mit großem Leichtsinn gegenüber der Verordnung wegen der gelben Zeichen: 1. Die gelben Zeichen muss man auf der linken Brust und das zweite auf der rechten Seite auf dem Rücken tragen. 2. Die gelben Zeichen muss man sowohl auf dem obersten als auch auf dem untersten Gewand tragen. 3. Die Zeichen müssen ringsum angenäht und nicht angesteckt sein. Die deutsche Behörde warnt zum letzten Mal! Wenn man keine gelben Zeichen tragen wird oder man sie nicht laut der verfügten Verordnung tragen wird, so wird man mit einer großen Geldstrafe und mit bis zu 2 Wochen Arbeit bestraft werden. Ab Montag, dem 20-ten Juli, wird man nicht aus dem Ghetto herausgelassen, wenn man die Zeichen nicht tragen wird, wie es angeordnet ist. Białystok, d. 19-ten Juli 1942 Judenrat
[305] S p e z i e l l e Wa r n u n g für jene, die außerhalb des Ghettos arbeiten. Laut der Verordnung der Behörde teilt der Ordnungsdienst mit, dass man ab Montag, dem 20-ten Juli, durch die Tore des Ghettos diejenigen nicht hinauslassen wird: 1. Die die Zeichen nicht sowohl auf dem obersten als auch auf dem untersten Gewand gut angenäht haben. 2. Die keine Arbeitsscheine vom Arbeitsamt haben. Alle anderen Scheine sind nicht gültig. Außerdem wird man beim Hineingehen ins Ghetto alles requirieren, was jemand bei sich tragen wird, wie Holz, Kartoffeln oder andere Nahrungsmittelartikel. Białystok, d. 19-ten Juli 1942 Jüdischer Ordnungsdienst
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[306] S t r e n g e Wa r n u n g
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Ungeachtet der vielmaligen Warnungen wegen Verdunkelung jeder Beleuchtung wird dies von der Bevölkerung nicht vorschriftsmäßig101 eingehalten. Wir warnen jetzt zum letzten Mal: Wer sich weiterhin nicht mit der größten Genauigkeit daran halten wird, dass jeder elektrische [Licht-]Schein oder jede andere Beleuchtung abgeschirmt werden soll, wird von der Behörde streng bestraft werden. Białystok, d. 21-ten Juli 1942 Ordnungsdienst
[307] G r o ß e Wa r n u n g 1 0 2 Das Rabbinat wendet sich mit einem heißen Aufruf an die Bevölkerung: Laut eines Auftrags der Behörde wird eine Konfektionsfabrik eröffnet, wo ein paar tausend jüdische Frauen werden beschäftigt sein können. Es werden 200 Nähmaschinen benötigt. Es ist deshalb eine Pflicht, dass jeder, der eine Nähmaschine besitzt, dies sofort im Judenrat meldet, um die strengsten Maßnahmen, bis – Gott bewahre! – zu einem Bann, zu vermeiden. Wir warnen alle! Białystok, d. 22-ten Juli 1942 Rabbinat
[308] Meldung Der Judenrat hat die folgende Verordnung vom Polizeipräsidium bekommen: »Es ist eine verschärfte Kontrolle von Arbeitsscheinen und Passierscheinen verordnet. Die Juden, die außerhalb des Ghettos arbeiten, haben deshalb früher zur Arbeit hinauszugehen, damit sie sich auf ihren Arbeitsstellen gegenüber der vorgeschriebenen103 Zeit nicht verspäten, selbst wenn die Kontrolle [länger] dauern wird. Wer sich zur Arbeit verspätet, wird bestraft werden wie für Sabotage, in ein Straflager eingesperrt werden, oder noch strenger.« Białystok, d. 22-ten Juli 1942 Judenrat
101 102 103
Wörtlich gehörig. Die Überschrift ist hebräisch: ‹azhara (jiddisch as’hore) rabba. Wörtlich gehörigen.
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[309] Meldung Der Judenrat hat die folgende Verordnung vom Polizeipräsidium bekommen: »Die Juden, die außerhalb des Ghettos arbeiten, müssen, auf allen Kleidern (Mänteln, Blusen, Röcken) angenäht, ein gelbes Zeichen auf der linken Brust und ein gelbes/ Zeichen auf der rechten Seite auf dem Rücken tragen, ungefähr 25 Zentimeter unter der Achsel. Wenn ein Zeichen sein Aussehen verliert, hat man es sofort auszuwechseln Die Kontrolle darüber im Ghetto und beim Hinausgehen aus dem Ghetto wird vor allem durch den jüdischen Ordnungsdienst durchgeführt. Für Nichtbefolgen der Verordnung wird man vom 25-ten Juli d. J. an streng bestraft werden.« Białystok, d. 22-ten Juli 1942 Judenrat
[310] Meldung Der Judenrat fordert alle Besitzer von Kühen im Ghetto auf, diese sofort zu registrieren. Die Registrierung findet statt heute, am 29-ten Juli, von 3 bis 8 am Abend und morgen, den 30-ten Juli, von 7 bis 9 in der Früh, Neue Welt 6. Białystok, d. 29-ten Juli 1942 Judenrat
[311] Meldung Laut der Verordnung der Behörde sind alle Besitzer von Hunden verpflichtet, ihre Hunde bis zum 5-ten August 1942 in den zuständigen Revieren des jüdischen Ordnungsdienstes zu registrieren. Białystok, d. 31-ten Juli 1942 Jüdischer Ordnungsdienst
[312] Meldung Laut der Verordnung der Behörde findet eine Registrierung von allen Arten von elektrischen Haushaltgeräten statt, wie: Rechauds, Bügeleisen, Wasserkessel usw. Laut der Anweisung des Ordnungsdienstes werden Hauskomitees bis zum 10-ten August die Geräte registrieren, die sich bei allen Mietern befinden.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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Wenn sich nach der Registrierung herausstellen wird, dass man nicht alle Geräte angegeben hat oder man falsche Informationen gegeben hat, werden die Schuldigen von der Behörde streng bestraft werden. Białystok, d. 3-ten August 1942 Judenrat
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[313] Meldung Laut der Verordnung der Regierung sind zum Tragen von Binden mit dem Roten Kreuz nur Doktoren und Zahndoktoren berechtigt. Allen anderen medizinischen Mitarbeitern ist es verboten, das Rote Kreuz zu tragen. Wenn nach der Kontrolle, die gemacht werden wird, sich herausstellt, dass die Verordnung nicht eingehalten wird, werden die Schuldigen von der Behörde streng bestraft werden. Białystok, d. 3-ten August 1942 Judenrat
[314] Meldung Die Behörde hat Folgendes verordnet: In Białystok als Luftschutzort müssen sofort alle Wohnhäuser und anderen Gebäude mit trockenem Sand zum Feuerlöschen versorgt werden. Den Sand kann man in Eimer, in blecherne oder hölzerne Kistchen schütten. In Wohnhäusern, Büros u.a. müssen für jede Wohnung die Behälter mit Sand in den Hausfluren bei den Eingangstüren in die Wohnungen aufgestellt werden. Bei jedem Behälter mit Sand muss sich ein Stecken (von 1½ Meter Länge) befinden mit einem am Ende befestigten Lappen, der in Wasser nass gemacht werden muss, um das Löschen des Feuers zu erleichtern. Der Sand muss trocken und hell sein. Jeder Mieter oder Büroleiter hat sich selbst darum zu bemühen. Die oben erwähnte Verordnung weitergebend, warnt das Präsidium des Judenrats die Bevölkerung, dass für nicht genaues und sofortiges Ausführen der Verordnung, was durch spezielle Patrouillen der jüdischen Feuerwehrmänner kontrolliert werden wird, eine große Strafe mit ernsten Konsequenzen droht. Białystok, d. 7-ten August 1942 Judenrat
[315] Aufruf! Nach einer längeren Pause sind wir gezwungen, uns an euch zu wenden: Unsere Lager sind leer, die Forderungen ununterbrochen groß. Es fehlen: Kleidung, Wäsche, Bettzeug, Schuhwerk, Geschirr u. dgl.
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Hans-Peter Stähli
Wir proklamieren deshalb eine breit [angelegte] Sammlung. Wir appellieren an die ganze Bevölkerung, auf unseren Ruf warm zu antworten. Ausführlich über die Größe der Sammlung, den Zweck und die tagtäglichen Forderungen werden euch unsere Sammler aufklären. Nehmt sie auf mit jüdisch-brüderlicher Wärme, fertigt sie sofort ab (gegen Quittung des Judenrats). Białystok, d. 8-ten August 1942 Judenrat
[316] Meldung Der Judenrat hat von der Behörde folgenden Brief bekommen: »Die Juden, die außerhalb des Ghettos arbeiten, halten die Vorschriften über den Verkehr in den Gassen nicht ein, der Verkehr wird dadurch gestört, dass man gruppenweise geht, nicht nahe am Trottoir, sondern mitten auf der Gasse, und man das Gepäck quer dazu hält. Um strenge Strafen zu vermeiden, dürfen die jüdischen Arbeiter: 1. Nicht mehr als zu zweien zusammen gehen. 2. Nicht mitten auf dem Straßenpflaster gehen, sondern rechts, nahe am Trottoir. 3. Das Gepäck, besonders Holz, nicht quer, sondern längs zur Gasse tragen. Wer sich nicht nach der Verordnung richtet, wird von der Behörde streng bestraft werden.« Białystok, d. 10-ten August 1942 Judenrat
[317] Meldung Laut der Verordnung der Behörde sind alle Einwohner verpflichtet, bis zum 16-ten August alle Kürschnerwaren wie Pelze, Kragen, Westen, Mützen, Handschuhe, Felle usw. zu registrieren. Die Registrierung führt der Ordnungsdienst durch die Hauskomitees durch. Wenn die Durchsuchungen nichtregistrierte Kürschnerwaren zu Tage bringen werden, werden die Schuldigen von Seiten der Behörde mit der schwersten Strafe bestraft werden. Białystok, d. 12-ten August 1942 Judenrat
[318] Meldung Laut der Verordnung der Behörde sind alle Besitzer von Pferden verpflichtet, morgen Freitag, den 14-ten August, punkt 10.30 Uhr in der Früh ihre Pferde auf dem Platz beim Markt zu einer Kontrolle zu stellen.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
Die Pferde hat man geputzt zu stellen. Białystok, d. 13-ten August 1942
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Judenrat
[319] Meldung Die Einschreibungen in alle sieben Klassen für das neue Schuljahr 1942/43 beginnen Dienstag, den 18-ten August, und dauern bis Dienstag, den 25-ten August, von 9 bis 12 in der Früh und von 4 bis 6 nachmittags im Lokal der Schule, Fabrik-Gasse 39. Wegen Mangels an Plätzen werden nach dem 25/8 keine Einschreibungen gemacht werden. Auch die alten Schüler haben sich unter Vorlegen ihrer Zeugnisse vom vorigen Jahr nach folgender Ordnung zu registrieren: Für 2. und 3. Kl. 18/8 und 19/8 Für 4. und 5. Kl. 20/8 und 21/8 Für 6. und 7. Kl. 23/8 und 24/8 Białystok, d. 14-ten August 1942 Direktion
[320] Meldung Um die außerhalb des Ghettos Arbeitenden vor Strafe zu bewahren, erinnern wir nochmals daran, dass sie in der Kartothek der Arbeitsabteilung beim Judenrat sofort melden müssen: Jedesmalige Verlängerung ihres Scheins, Änderung des Arbeitsplatzes (Dienststelle), wie auch jede Unterbrechung der Arbeit wegen Arbeitsentlassung, Krankheit oder Befreiung durch einen Doktor. Arbeiter, die von ihrem Arbeitsplatz vor dem Termin auf ihrem Schein entlassen werden, haben sich am selben Tag in der Kartothek der Arbeitsabteilung anzumelden. Wer eine Aufforderung vom deutschen Arbeitsamt bekommt, ist verpflichtet, dort unbedingt am festgesetzten Tag und zur festgesetzten Stunde zu erscheinen. Für nicht rechtzeitiges Erscheinen droht Straflager. Białystok, d. 17-ten August 1942 Judenrat
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Hans-Peter Stähli
[321] Meldung Die Einschreibungen in alle Klassen der Schüler-Innen finden statt vom 18-ten bis zum 25-ten d. M. im Lokal der Schule, täglich von 11 in der Früh bis 2 nachmittags. Alle früheren Schüler-Innen haben sich auch einzuschreiben, andernfalls werden auf ihren Platz andere angenommen werden. Białystok, d. 18-ten August 1942 Die Schuldirektion
[322] Meldung Um den Gassenhandel außerhalb des Marktes, der von der Behörde verboten ist, zu bekämpfen, wird man in Zukunft Geldstrafen auferlegen und die Ware nicht bloß bei den Verkäufern, sondern auch bei den Käufern requirieren. Białystok, d. 20-ten August 1942 Judenrat
[323] Meldung Es wird, speziell für die Sonntage, eine ständige Arbeiter-Reservebrigade zum Ausladen der Waggons auf dem Bahnhof geschaffen, zu folgenden Bedingungen: 1. Diejenigen, die arbeiten werden, bekommen 3 Mark und eine Portion Brot. 2. Diejenigen, die in Reserve bleiben werden und nicht arbeiten, 1.50 Mk. 3. Die Auszahlung findet statt in den Revieren des Ordnungsdienstes. Die Zahl der Arbeiter in der Brigade ist eine begrenzte. Sich melden während des ganzen Tags in den Revieren des Ordnungsdienstes: 1. Jurowiecka 25 2. Szlachecka 4 3. Roz˙aner 7 4. Roz˙aner 7 5. Kupiecka 32 Białystok, d. 20-ten August 1942 Judenrat
[324] Meldung Beim Judenrat wird eine freiwillige Reservebrigade von Frauen im Alter von 18 bis 35 Jahren organisiert.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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Die Mitglieder der Brigade bekommen: 1. Für einen Arbeitstag 380 Gramm Brot und Geld in der Höhe, wie es am gegebenen Arbeitsplatz bezahlt wird. 2. Für Bleiben in Reserve zur Disposition der Arbeitsabteilung 250 Gramm Brot. 3. Die Mitglieder der freiwilligen Reservebrigade sind von Zwangsarbeit befreit. Einschreibungen werden angenommen in der Arbeitsabteilung beim Judenrat, Zimmer 20, ab Montag, dem 24-ten d. M., jeden Tag von 11 bis 1 und von 5 bis 6 abends. Białystok, d. 24-ten August 1942 Arbeitsabteilung beim Judenrat
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[325] Meldung Laut der Verordnung der Behörde sind folgende Familien der Białostoczaner 15 aus ihren Wohnungen exmittiert worden, weil sie sich neben dem Ghettozaun bei ihrem Hof mit Schmuggel beschäftigt haben: 1. Kruglianski Awrom 2. Gelbart Meir 3. Papilowski Szmuel 4. Zymel Judl 5. Caban Rywka Der Fall möge eine Warnung sein für alle Bewohner der Häuser beim Ghettozaun, die sich mit Schmuggel beschäftigen oder dem Schmuggler helfen. Białystok, d. 27-ten August 1942 Judenrat
[326] Meldung Für physische Beleidigung des Mitglieds des jüdischen Ordnungsdienstes B. Knyszynski ´ während der Erfüllung seiner Pflicht ist der Fuhrmann Awrom Nowinski (Polna 28) mit Straflager bestraft worden. Białystok, d. 28-ten August 1942 Judenrat
[327] Meldung Der Unterricht in allen Klassen beginnt Sonntag, den 6-ten September d. J. Die Registrierung und die Examen für neue Schüler finden statt jeden Tag von 9 bis Mittag in der Schule Fabryczna 39. Białystok, d. 30-ten August 1942 Direktion
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Hans-Peter Stähli
[328] Meldung Es wird eine Reservebrigade von 100 Frauen geschaffen zu folgenden Bedingungen: Die Frauen, für die es sich ergeben wird, am [entsprechenden] Tag zu arbeiten, werden ½ Kilo Brot täglich bekommen und Bezahlung in bar nach den Einsätzen. Die Frauen, für die es sich nicht ergeben wird zu arbeiten und die in Reserve bleiben werden, bekommen 38 Deka Brot pro Tag. Melden kann man sich in den Revieren des Ordnungsdienstes bis zum 5-ten September d.J. 1. Revier Jurowiecka 25 2. " Szlachecka Gasse [4] 3. " Roz˙aner 7 Białystok, d. 1-ten September 1942 Judenrat
[329] L e t z t e Wa r n u n g 1 0 4 Da die Bevölkerung sich keine Rechenschaft gibt über die Gefahr, die dem Ghetto wegen der schwachen Verdunkelung droht, und die herausgegebene Verordnung nicht vorschriftsmäßig ausgeführt wird, teilt der Ordnungsdienst mit, dass man in Zukunft für nicht volle Verdunkelung den elektrischen Strom für zwei Wochen in den ganzen Wohnungen abschalten wird, und die Verantwortung wird eine kollektive sein. Öffnen des Stroms wird 10 Mark kosten. Białystok, d. 7-ten September 1942 Jüdischer Ordnungsdienst
[330] Stellmacher und Schmiede haben sich in der Arbeitsabteilung für Fachleute beim Judenrat (im Hof rechts) bis Freitag, den 11/9, zu melden. Białystok, d. 8-ten September 1942 Judenrat
[331] Wa r n u n g Während der letzten Luftalarme haben Menschen, als sie sich versteckten, die Zäune der Gartenplantagen zerstört, zerbrochen und die Gärten zerstört. 104
Im Text steht das im Jiddischen als hassroe ausgesprochene hebräische Wort hatra‘a, Warnung.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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Wir warnen: Im Fall eines Luftalarms dürfen alle, die sich auf den Plantagen verstecken kommen, nur durch die angezeichneten Eingänge hineingehen und müssen sich genau den Anweisungen der bevollmächtigten Ordner auf den Plantagen unterwerfen. Für Nichtbefolgen wird der Schuldige mit Zwangsarbeitslager bestraft werden. Białystok, d. 9-ten September 1942 Judenrat
[332] Meldung Wegen Missbrauchs mit seinem Amt ist Szmuel Racki-Rackiner (Polna 12) seines Amtes als Kontrolleur in den Bäckereien enthoben worden mit Verlust des Rechts, auf irgendeinen Posten im Judenrat angenommen zu werden. Białystok, d. 17-ten September 1942 Judenrat
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[333] Meldung Die Lehrer und Kindergärtnerinnen, die sich mit Lehren und Erziehen von Kindern in Gruppen beschäftigen, haben ihre Gruppen in der Kulturabteilung beim Judenrat zu registrieren. Andernfalls werden die Gruppen geschlossen werden. Die Registrierung findet statt alle Tage, außer Sabbat, von 9 bis 1 Uhr in der Früh und von 4 bis 6 abends im Büro der Kulturabteilung, Zimmer 26. Białystok, d. 18-ten September 1942 Judenrat
[334] Meldung Wegen Missbrauchs mit seinem Amt und wegen Brotdiebstahls bei den Arbeitern bei der Werkzentrale S.S. ist der Brigadier Jakow Białostocki (Polna 23) mit Einsperren in ein Straferziehungslager bestraft worden. Białystok, d. 19-ten September 1942 Judenrat
[335] Meldung Es wird der Bevölkerung gemeldet, dass alle registrierten Pelze und Kürschnerwaren des 1-ten und 2-ten Reviers Sonntag (20.9) und Montag (21.9) durch die Hausverwalter eingezogen werden.
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Hans-Peter Stähli
Die Besitzer von Kürschnerwaren müssen die Sachen bereitlegen und den Hausverwaltern gegen Quittungen herausgeben. Białystok, d. 19-ten September 1942 Judenrat
[336] Meldung Für Verstecken ihrer Töchter, damit diese sich nicht zur Arbeit stellen müssen, sind die unten aufgeführten Eltern bestraft worden mit Einsperren in ein Straflager auf lange Zeit: 1. Calewicz Fejge — Fabryczna 33 2. Antman Mire — Fabryczna 9 3. Kucharewski Rochel — Biała 16 4. Lipowski Itke — Kupiecka 27 5. Ogurek Arj’-Lejb — Polna 5 6. Apelbojm Szmuel — Neue Welt 11 7. Sibirski Pesze — Polna 33 Wir warnen, dass alle Eltern ohne Ausnahme, bei denen die Töchter sich verstecken werden, die volle Verantwortung tragen und in ein Straflager eingesperrt werden. Białystok, d. 20-ten September 1942 Judenrat
[337] Meldung Es wird der Bevölkerung gemeldet, dass alle registrierten Pelze und Kürschnerwaren des 3-ten und 4-ten Reviers Dienstag (22.9) durch die Hausverwalter eingezogen werden. Die Besitzer von Kürschnerwaren müssen die Sachen bereitlegen und den Hausverwaltern gegen Quittungen herausgeben. Białystok, d. 21-ten September 1942 Judenrat
[338] Wa r n u n g Die Behörde hat dem Judenrat verordnet, der Bevölkerung im Ghetto Folgendes zu melden: Männer im Arbeitsalter von 16 bis 60 Jahren und Frauen von 16 bis 50 Jahren, die sich vor Arbeiten auf Forderung der Behörde verstecken, w e r d e n erschossen werden. Białystok, d. 25-ten September 1942 Judenrat
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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[339] Meldung Von heute an ist auf dem Hof des Judenrats in einem Kästchen ein Zifferblatt mit zwei Zeigern aufgehängt, die angeben werden, von wieviel bis wieviel Uhr man jeden Tag das Licht zu verdunkeln hat. Die Verdunkelung muss eine volle sein. Das Licht darf man nicht durch die Ritzen hindurch sehen. Wer sich nicht nach der Verordnung richten wird, wird bestraft werden, und die Elektrizität wird für zwei Wochen abgeschaltet105 werden, wie es schon gemeldet worden ist. Białystok, d. 28-ten September 1942 Judenrat
[340] Meldung 487/89
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Die Marmeladenfabrik beim Judenrat (Białostoczaner 5) veranstaltet Donnerstag, den 1/9, und Freitag, den 2/9,/ einen freien Verkauf ohne Bezugsscheine von einer speziellen Sorte Marmelade zu 90 Pfennig pro Einmachglas. Verkauf von 8.30 bis 12 mittags und von 1.30 bis 5 nachmittags. Man hat ein Einmachglas mitzubringen. Białystok, d. 30-ten September 1942 Marmeladenfabrik beim Judenrat
[341] Meldung Laut der Verordnung der Behörde muss man im Verlauf von 2 Tagen bis Dienstag (6.10.) folgende Sachen liefern: 120 Kissen 120 Kissenbezüge 120 Bettbezüge 120 Bettlaken 40 Steppdecken 90 Handtücher 110 Tischdecken 70 Waschschüsseln 60 Wandspiegel Die ganze jüdische Bevölkerung ist verpflichtet, sich an der Aktion zu beteiligen und die geforderten Sachen unseren Sammlern und Sammlerinnen abzugeben. Białystok, d. 4-ten Oktober 1942 Judenrat 105
Wörtlich ausgelöscht.
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Hans-Peter Stähli
[342] Meldung In den Tagen des Sabbats, des 10ten, und Sonntags, des 11-ten Oktober d. J., wird der Kartoffelverkauf auf Bezugsscheine in folgenden Speichern stattfinden: 1. Polna 8 2. Polna 29 3. Szlachecka 1 4. Szlachecka 9 5. Neue Welt 26 6. Zamenhof 5 von 8 in der Früh bis 4 nachmittags. Białystok, d. 9-ten Oktober 1942 Approvisationsabteilung beim Judenrat
[343] Meldung Bei den Lehrwerkstätten wird eine zweite Maurereikursgruppe organisiert. Es wird eine begrenzte Zahl von Jugendlichen im Alter von 14 bis 20 Jahren angenommen. Schüler werden bei praktischen Arbeiten zu den Bedingungen eines Arbeiters im Ghetto beschäftigt und nach den Normen der Bauabteilung beim Judenrat entlohnt werden. Einschreibungen: Im Sekretariat der Lehrwerkstätten, Kupiecka 49. Białystok, d. 10-ten Oktober 1942 Lehrwerkstätten beim Judenrat
[344] Meldung Im Zusammenhang mit dem Ausgraben von Kartoffeln auf den Feldern fordert das deutsche Arbeitsamt, Frauen für die Arbeit zu stellen. Die Arbeit ist nicht anstrengend und findet in Białystok oder in der näheren Umgebung statt. Im ganzen Land werden ohne Ausnahme alle Frauen zur Kartoffelarbeit eingezogen, und das Białystoker Ghetto darf nicht im Rückstand bleiben. Die Frauen mögen sich massenweise in die Reservebrigade einschreiben, nur auf solche Weise werden wir Repressionen von Seiten der Behörde vermeiden. Die Registrierung findet den ganzen Tag in den Revieren des Ordnungsdienstes statt: 1. Revier Jurowcer 25 2. " Szlachecka 4 3. " Roz˙aner 7 4. " Roz˙aner 7 5. " Kupiecka 32 Białystok, d. 10-ten Oktober 1942 Judenrat.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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[345] Meldung Laut der Verordnung der Behörde werden die Eigentümer von Kühen im Ghetto aufgefordert, alle Kühe in den Revieren des jüdischen Ordnungsdienstes bis zum 12-ten Oktober d. J., 12 Uhr, zu registrieren. Wer seine Kühe nicht registrieren wird, wird streng bestraft werden. Białystok, d. 10-ten Oktober 1942 Jüdischer Ordnungsdienst
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[346] Meldung Es werden 200 Frauen für die Arbeit in der Tabakfabrik gefordert. Registrieren kann man sich nur im Lauf des heutigen Tages in den Revieren des Ordnungsdienstes. 8 Uhr am Abend wird die Liste geschlossen. Białystok, d. 13-ten Oktober 1942 Judenrat
[347] Meldung Alle Schmiede, die im Ghetto und außerhalb des Ghettos arbeiten, wie auch arbeitslose Schmiede müssen sich sogleich in der Arbeitsabteilung für Fachleute beim Judenrat registrieren. Białystok, d. 14-ten Oktober 1942 Judenrat
[348] Meldung Im Lauf des heutigen Tages, Donnerstag, den 15/10, werden die Hausverwalter bei den Einwohnern die elektrischen Hausgeräte in Empfang nehmen, die durch die Hauskomitees registriert worden sind. Für Verstecken der elektrischen Geräte droht die strengste Strafe von Seiten der Behörde. Białystok, d. 15-ten Oktober 1942 Judenrat
[349] Meldung Im Zusammenhang mit den gestrigen Festnahmen etlicher Mitglieder des Judenrats wie auch anderer Personen meldet der Judenrat, dass ihr Schicksal von der Auslieferung des bekannten Schmugglers
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Hans-Peter Stähli
Zawinski Mejrim, Poleser Gasse 25106, »Bezruk« (ohne rechte Hand), an die Behörde abhängig ist, was eine heilige Pflicht jedes Ghettobürgers ist. Für die Auslieferung der oben erwähnten Person oder für die Weitergabe von nützlichen Informationen setzt der Judenrat eine Prämie von zweitausend Mark aus. Białystok, d. 16-ten Oktober 1942 Judenrat
[350] Meldung Ab Sonntag, dem 18-ten Oktober d. J., wird der Kartoffelverkauf auf Bezugsscheine in den Stunden von 7 in der Früh bis 5 abends an folgenden Verkaufsstellen stattfinden: Jurowcer 11 Kupiecka 22 Zamenhof 5 Neue Welt 26 Szlachecka 1 Szlachecka 9 Polna 8 Polna 29 Białystok, d. 17-ten Oktober 1942 Approvisationsabteilung beim Judenrat
[351] Meldung Die Behörde hat verordnet, dass ab morgen Montag, dem 19-ten Oktober d. J., verboten wird: 1. Auf den Hauptgassen außerhalb des Ghettos Säcke mit Holz und Balken zu tragen. 2. Säcke mit Holz durch das Tor an der Jurowcer Gasse hineinzutragen. 3. Das Holz wird man nur durch das Tor an der Czysta Gasse hineintragen können. Wer sich nicht nach der Verordnung richten wird, wird von der Behörde bestraft werden, und das Holz wird konfisziert werden. Białystok, d. 18-ten Oktober 1942 Judenrat
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Polnisch Poleska.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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[352] Meldung Alle Arbeiter und Angestellten, die bis heute ihre Arbeitsscheine (sowohl für das Ghetto als auch für außerhalb des Ghettos) noch nicht registriert haben, werden aufgefordert, sie sofort zu registrieren. Die Registrierung wird täglich durchgeführt von 8 bis 1 nachmittags und von 2 bis 7 am Abend in der Kartothek der Arbeitsabteilung beim Judenrat, im Hof rechts. Wer bis Ende Oktober seinen Schein nicht registriert, wird für die zweite Hälfte des Monats Oktober kein Brot bekommen. Białystok, d. 23-ten Oktober 1942 Judenrat
[353] Meldung Da schon Fröste kommen, werden alle, die Bezugsscheine für Kartoffeln bekommen haben, sowohl Arbeiter, Beamte als auch die übrige Bevölkerung des Ghettos, aufgefordert, sie möchten die Kartoffeln zu den angegebenen Terminen abholen. Später werden die Bezugsscheine ungültig werden, und die Kartoffeln werden verloren gehen. Białystok, 24-ten Oktober 1942 Judenrat
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[354] Meldung Der letzte Termin für die Bevölkerung, Arbeiter und Beamte zum Abholen der Kartoffeln auf Bezugsscheine endet Sonntag, 1 November, einschließlich. Nach diesem Termin werden die Bezugsscheine ungültig, und man wird auf sie keine Kartoffeln herausgeben. Um das Gedränge zu vermeiden, das am letzten Tag entstehen kann, muss man sich beeilen und die Kartoffeln im Lauf dieser Woche abholen. Białystok, d. 29-ten Oktober 1942 Approvisationsabteilung beim Judenrat
[355] Meldung Alle Schuster und Stepper außer denen, die in den Fabriken und Werkstätten des Ghettos beschäftigt sind, haben sich in der Industrieabteilung, Kupiecka 49, zu registrieren. Białystok, d. 1-ten November 1942 Judenrat
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Hans-Peter Stähli
[357 (356)]107 S t r e n g e Wa r n u n g ! Laut der Verordnung der Behörde ist es verboten, das Ghetto ab heute Montag, dem 2/11, bis zum Widerruf zu verlassen. Für Hinausgehen aus dem Ghetto droht die Todesstrafe! Białystok, d. 2-ten November 1942 Judenrat [Auf der Rückseite der Meldung ist handschriftlich hinzugefügt:] 2-ter November — Beginn der »Aktion« im ganzen Bezirk.
[358] Meldung Alle Tischler, Schmiede und Maurer, die bis jetzt außerhalb des Ghettos beschäftigt gewesen sind, haben sich sofort in der Industrieabteilung, Kupiecka 49, zu registrieren. Białystok, d. 3-ten November 1942 Judenrat
[359] L e t z t e s t r e n g e Wa r n u n g ! Alle, die sich auf die Aufforderung des Arbeitsamtes hin nicht zur Arbeit stellen, werden mit ihren Familien aus Białystok evakuiert werden. Białystok, d. 8-ten November 1942 Judenrat
[360] S t r e n g e Wa r n u n g ! Wer beim Auseinandernehmen und Stehlen von Brettern und Bauholz, Zäunen, Klosetts, Mistkästen usw. gefasst wird, wird zusammen mit seiner Familie aus dem Białystoker Ghetto evakuiert werden. Białystok, d. 10-ten November 1942 Judenrat
[361] Meldung Diejenigen, die freiwillig ihre Nähmaschinen melden, werden Arbeit für zwei Personen an einer Nähmaschine bekommen. 107
Eine Meldung 356 fehlt, während die vorliegende Meldung zwei Nummerierungen aufweist. Möglicherweise erschien diese mit demselben Text zweimal (vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 496, Anm. 411).
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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Wenn eine Nähmaschine durch den Ordnungsdienst oder durch Beamte des Judenrats eingezogen wird, werden die Besitzer keine Arbeit bekommen. Białystok, d. 11-ten November 1942 Judenrat
[362] Meldung
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Im Zusammenhang mit der Umsiedlung, die im Ghetto Donnerstag, Freitag und Sabbat stattfindet, werden alle Besitzer von Transport[mitteln], die im Ghetto oder außerhalb des Ghettos gearbeitet haben, aufgefordert, sich der Transportabteilung beim Judenrat zur Verfügung zu stellen und sich sofort in der erwähnten Abteilung, Kupiecka 4, zu registrieren. Für Nichtbefolgung wird die schwerste Strafe erfolgen, bis zur Konfiszierung der Transportmittel. Białystok, d. 12-ten November 1942 Judenrat [Auf der Rückseite der Meldung ist handschriftlich hinzugefügt:] Es wurden 25.000 Quadratmeter Wohnungen abgegeben (Zamenhof, ˙Zydowska, ein Teil Biała und Polna).
[363] Meldung Der Verkauf von benützten Kleidern ohne Stempel der Sanitär-Epidemiologischen Abteilung beim Judenrat, Jurowcer Gasse 7, ist verboten. Białystok, d. 13-ten November 1942 Sanitärabteilung beim Judenrat
[364] Meldung Der Judenrat unternimmt alle Schritte, um die Kinder, die nach Wołkowysk zur Arbeit geschickt worden sind, zu den Eltern zu bringen. Die Eltern sollen ruhig und diszipliniert die Resultate abwarten. Białystok, d. 14-ten November 1942 Judenrat
[365] Meldung Alle Arbeiter, Männer, die beim Bahnbetriebsamt 1 beschäftigt gewesen sind, bei den Firmen:
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Hans-Peter Stähli
1. Moritz Zudorn, 2. Modriker, 3. Jungblut, 4. Gz˙ebinski, 5. Kollin, wie auch jene von der Bahnmeisterei 1 sind verpflichtet, sich Donnerstag, d. 19-ten November, beim Tor Czysta Gasse 5.30 Uhr zur Arbeit zu stellen. Wir warnen: Wer sich nicht zur Arbeit stellen wird, wird streng bestraft werden. Białystok, d. 18-ten November 1942 Judenrat
[366] Meldung Alle Arbeiter, die sich bis heute aus welchen Gründen auch immer nicht registriert haben, müssen sich unbedingt Sonntag, den 29-ten November d. J., im Lokal der ehemaligen108 Transportabteilung beim Judenrat, Kupiecka 32 im Hof, registrieren. Die Registrierung findet statt von 8 bis 1 nachmittags und von 4 bis 7 am Abend. Wir warnen, dass von Montag an die nicht registrierten Arbeiter ohne Ausnahme zu Zwangsarbeit in ein Straflager überführt werden. Białystok, d. 18-ten November 1942 Judenrat
[367] Meldung Der Judenrat teilt den Eltern und Verwandten mit, dass alle nach Wołkowysk weggeschickten Frauen in den nächsten Tagen nach Białystok zurückgebracht werden. Białystok, d. 26-ten November 1942 Judenrat
[368] Meldung Alle Frauen, die in Wołkowysk der Brigadierin Rita Knyszy´nski Geld oder Wertsachen gegeben haben, sollen dies im Judenrat melden. Sie werden das Geld zurückbekommen. Białystok, d. 29-ten November 1942 Judenrat
[369] Meldung Der Judenrat teilt mit, dass noch komplette Nähmaschinen mit Gestellen angenommen werden. 108
Wörtlich abgekürzt gew. (gewesen).
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
Für jede Nähmaschine bekommen zwei Personen Arbeit. Gleichzeitig nimmt der Judenrat Nähmaschinengestelle an. Die Zeit der Ablieferung endet am 10/12. Białystok, d. 1-ten Dezember 1942
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Judenrat
[370] Meldung
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Es wird den Einwohnern von Przejazd gemeldet, dass sie laut der Verordnung der Behörde an andere Wohnorte im Ghetto evakuiert werden. Die Einwohner haben sich in der Wohnungsabteilung im Judenrat, Zimmer 24, Dienstag, den 18-ten Dezember d. J., von 9 in der Früh an zu melden, um ihre Bezugsscheine für andere Wohnplätze abzuholen. Die Evakuierung aus Przejazd muss bis zum 10-ten Dezember d. J. einschließlich beendet werden. Es wird gemeldet, dass keiner das Recht hat, ein Zimmer ohne einen Bezugsschein zu belegen. Wenn dies geschehen wird, werden die Schuldigen mit Gewalt aus der belegten Wohnung hinausgestellt werden. Alle Einwohner von Przejazd haben die Versicherung abzugeben, dass der von ihnen verlassene Wohnplatz nicht ruiniert ist. Ohne eine solche Versicherung werden sie den Bezugsschein nicht abholen können. Białystok, d. 8-ten Dezember 1942 Einquartierungskommission beim Judenrat
[371] Meldung Laut einer Verordnung der Behörde dürfen sich im Ghetto keine nicht angemeldeten Personen befinden. Diese sind verpflichtet, sich unbedingt bis zum 20-ten d. M. bei den Hausverwaltern anzumelden. Nach dem Termin werden die Nichtangemeldeten wie auch die, bei denen sie sich aufhalten, streng bestraft werden. Białystok, 14.12.1942 Judenrat
[372] Meldung Die Rechnungen für Elektrizität muss man pünktlich bezahlen. Für Versäumen des Termins wird man den Strom sperren109. Wieder anschließen wird kosten: 109
Wörtlich abschneiden.
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Für Rechnungen bis 3.24 — 1 Mark " " 5.40 — 1.50 " " " 8.10 — 2 " " " 10.80 — 2.50 " " " 13.50 — 3 " " " 16.20 — 4 " höher als 16.20 — 5 " Wenn im Verlauf von 10 Tagen nach Sperren des Stroms die Rechnung nicht bezahlt werden wird, wird man den Zähler abnehmen, und der Abonnent wird keine Elektrizität mehr bekommen. Die Schuld wird durch Exekution110 eingetrieben werden. Białystok, 17.12.1942 Judenrat
[373] Aufruf! Brüder, Juden! Wegen der großen Not und der Dringlichkeit der tagtäglichen Forderungen nach warmen Kleidern, Wäsche, Schuhwerk und Bettzeug proklamiert der Judenrat e i n e g r o ß e S a m m e l a k t i o n . Zu diesem Zweck werden euch unsere Sammlerpaare besuchen. Denkt an die tragische Lage von Tausenden von Juden und erfüllt eure Pflicht. Białystok, 19.12.1942 Judenrat
[374] Meldung Für eigenmächtiges Öffnen der Elektrizität nach der Sperrung durch den Judenrat wegen Nichtbezahlens der Rechnungen sind m i t 5 Ta g e n A r r e s t o d e r 1 0 0 M a r k die unten aufgeführten Personen bestraft worden: 1. Rubinsztejn Lea, Kupiecka 37 2. Berensztejn, Jurowcer 18 Wir warnen, dass in Zukunft in einem solchen Fall abgesehen von der oben erwähnten Strafe auch die Möglichkeit genommen wird, überhaupt Elektrizität zu nutzen. Białystok, 25.12.1942 Judenrat
[375] An die Arbeiter außerhalb des Ghettos! Laut Auftrag der Ghettoverwaltung teilen wir mit: 1. Bis zum 31-ten Dezember müssen alle Scheine mit dem Stempel der Gestapo in der Arbeitsabteilung zur Prolongierung vorgelegt werden. Zu dem 110
Pfändung; vgl. Meldung 233.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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Zweck haben alle Arbeiter an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen ihre Scheine den Brigadieren oder einem Vertreter der Arbeiter zu übergeben. 2. Alle nicht prolongierten Scheine verlieren am 31-ten d. M. ihre Gültigkeit. 3. Für das Hinausgehen nach dem 1-ten Januar ohne einen gültigen Schein droht die Todesstrafe. 4. Für das Benützen eines fremden Scheins oder für eigenwilliges Weggehen auf einen fremden Arbeitsplatz droht Straflager bis zu 8 Monaten. 5. Für unpünktliches und unregelmäßiges Zur-Arbeit-Kommen droht Straflager. Alle diese Verordnungen sind von der Ghettoverwaltung diktiert und müssen genau ausgeführt werden. Białystok, 28.12.1942 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[376] Meldung
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Laut Verordnung der Behörde sind gestern im Ghetto wegen Diebstahls von Produkten aus der Ölmühle (Olejarnia) folgende Personen aufgehängt worden: Lipa Szczedrowski Eli Dworski Jakow Jablonski Die gleiche Strafe erwartet einen jeden, der stehlen wird, sei es außerhalb des Ghettos, sei es in den Betrieben der Wehrmacht im Ghetto. Białystok, 1.1.1943 Judenrat
[377] Meldung Der Judenrat meldet, dass beginnend von Januar 1943 an die Lokalsteuer zum Betrag für das Brot auf Karten hinzugerechnet wird. Für die Monate November und Dezember 1942 wird die Steuer wie bis jetzt durch den Ordnungsdienst einkassiert werden, und im Fall des Nichtbezahlens wird die Steuer mit den Exekutionskosten [zusammen] durch die Exekutionsabteilung111 eingetrieben werden. Białystok, 3.1.1943 Judenrat
111
Pfändungskosten bzw. -abteilung.
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[378] Meldung Es werden 60 Frauen benötigt zum Reinigen der Gassen außerhalb des Ghettos. Die Arbeiterinnen bekommen 15 Pfennig pro Stunde und 380 Gramm Brot pro Tag. Einzuschreiben hat man sich in der Arbeitsabteilung (Jurowcer Gasse 6), Zimmer 2, bei Frl. Majzel. Białystok, 13.1.1943 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[379] Meldung Alle qualifizierten Schuster, Stepper, Lederzuschneider und Schmiede außer denen, die in den Ghettofabriken beschäftigt sind, haben sich, in ihrem eigenen Interesse, sofort zu registrieren. Die Registrierung findet statt am 23-ten, 24-ten und 25-ten Januar im Büro der Industrieabteilung, Kupiecka 49, von 4 bis 8 abends. Białystok, 22.1.1943 Industrieabteilung beim Judenrat
[380] Meldung Jeder, der eine komplette Nähmaschine abliefern wird, bekommt Arbeit für zwei Personen. Melden im Judenrat, Zimmer 17, nur bis zum 10-ten Februar d. J. Białystok, 22.1.1943 Judenrat
[381] Meldung Alle Gerbereiarbeiter werden gebeten, sich in der Gerberei, Jurowcer Gasse 23, am 23-ten und 24-ten Januar d. J. von 8 bis 12 und von 1 bis 4 nachmittags zu registrieren. Białystok, 22.1.1943 Industrieabteilung beim Judenrat
[382] Meldung Die Gesundheitsabteilung meldet, dass beim Zahnambulatorium, Roz˙aner Gasse 3, 1. Stock,
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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ein Zahntechnisches Laboratorium tätig ist, wo allerlei zahntechnische Arbeiten ausgeführt werden zu Preisen, die für alle Bevölkerungsschichten erschwinglich sind. Białystok, 25.1.1943 Gesundheitsabteilung beim Judenrat
[383] An alle Arbeiter außerhalb des Ghettos!
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Das Arbeitsamt teilt mit, dass von der Behörde ausgepeitscht worden sind: 1. F ü r H i n a u s g e h e n a u s d e m G h e t t o o h n e p e r s ö n l i c h e Scheine: 1. Notes Izchok, Chmielna 10 2. Nusbojm Mordechaj, Smolna 12 2. F ü r N i c h t - z u r - Z w a n g s a r b e i t - K o m m e n : 3. Naszelski Isroel, Polna 19 – ein Bäcker 3. F ü r N i c h t - z u r - A r b e i t - G e h e n a u f d i e z u g e w i e s e n e n Plätze: 4. Dinersztejn Melech, Neue Welt 12 (Neubauamt) 5. Nisenbojm Hirsz, Fabryczna 39 (Zielone) 6. Palanski Awrom, Białistocz. 16 (Reichsbahn) 7. Cytronenberg Ludwik, Fabryczna 13 (Schwerent) 8. Kantorowicz Gerszon, Chmielna 19 (Neubauamt) 9. Kadysz Izchok, Kupiecka 22 (Neubauamt) 10. Rozenberg Fiszl, Giełdowa 11 (Zielone) Für künftiges Hinausgehen aus dem Ghetto ohne Scheine oder Nicht-zurArbeit-Gehen auf den zugewiesenen Arbeitsplatz droht eine bedeutend herbere Strafe. Wir warnen, dass wegen solcher Verbrechen Sanktionen gegenüber dem ganzen Ghetto ergriffen werden können. Białystok, 28.1.1943 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[384] Nichtbeschäftigte Schlosser, Tischler, Elektrotechniker und Vulkaniseure werden in den Ghettofabriken beschäftigt werden. Die Registrierung — am 28-ten und 30-ten Januar in der Roz˙aner Gasse 7, Lokal der Sozialen Versorgung, von 4 bis 8 am Abend. Białystok, 28.1.1943 Judenrat
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[385] Meldung Die gewerblichen Werkstätten nehmen in der Schusterei nach einem festgesetzten Tarif bei der Bevölkerung Arbeit an. Das Leder gibt der Besteller. Białystok, 29.1.1943 Gewerbliche Werkstätten bei der Industrieabteilung des Judenrats
[386] Meldung Die Fachkurse bei den gewerblichen Werkstätten nehmen Kursanten an für: 1. Zimmererkurs 2. Maurerei und Bauhandwerk 3. Tisch1erei 4. Schneiderei im Alter: für Zimmerer- und Maurerkurs — 14–16 Jahre, " Tischler- und Schneidereikurs — 13–15 Jahre Bemerkung: Die Schüler müssen für die Arbeit eigene Werkzeuge besitzen. Die für den Schlosserkurs Eingeschriebenen müssen auch eigene Werkzeuge besitzen, wie Schraubstock, Hammer und Feile. Die Schüler im Arbeitspflichtalter haben Bescheinigungen der jüdischen Arbeitsabteilung zu bringen, dass sie für die Zeit des Kurses von der Arbeitspflicht befreit sind. Białystok, 29.1.1943 Gewerbliche Werkstätten bei der Industrieabteilung des Judenrats [Auf der Rückseite der Meldung ist handschriftlich hinzugefügt:] 5.2.1943 bis 12.2.1943 A k t i o n i n B i a ł y s t o k . Tr e b l i n k a . Weggeführt 10.000 Juden. Auf der Stelle erschossen — 900 Juden.
[387] Meldung Jeder, bei dem sich ein fremdes Pferd oder eine fremde Kuh befindet, ist verpflichtet, [diese] sofort an die Nowogródzka 1 in die Ställe des Judenrats wegzubringen. Gleichzeitig meldet der Judenrat, dass, wenn man bei Überprüfungen, die vorgenommen werden, fremde Pferde oder Kühe finden wird, man die Schuldigen der Behörde übergeben wird. Judenrat Białystok, 10.2.1943112 112
Nach Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 515, Anm. 444, scheint bei der Datumsangabe ein Fehler vorzuliegen; es müsse eher 13. oder 14. Februar heißen, da die vom 5. bis 12. Februar dauernde Aktion am 10. Februar noch voll im Gang gewesen sei.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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[388] Meldung Laut der Verordnung der Behörde hat man heute aufgehängt: 1. Czapnik Meir, Kupiecka 21 2. Birger Mordechaj, Neue Welt 16 3. Sztejn Chaim, Neue Welt 16 Die drei Verbrecher haben den Ermordeten die Kleider ausgezogen, die Häuser der weggeführten Familien geplündert und bestohlen. Wir warnen: Jeder, der beim Plündern gefasst wird, wird die gleiche Strafe bekommen. Białystok, 14.2.1943 Judenrat
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[389] Meldung Alle jüdischen Arbeiter, die bis zum 4-ten Februar d. J. in den Fabriken 1 und 27 des Textilindustrieaufbaus beschäftigt gewesen sind, werden aufgefordert, sich sofort in Fabrik 1 zu melden, um die Arbeit aufzunehmen. Białystok, 15.2.1943 Judenrat
[390] Meldung Um das Ghetto vor weiterer Gefahr zu retten, muss man sofort möglichst viele Juden beschäftigen. Dazu sind N ä h m a s c h i n e n nötig. Deshalb ist jeder Einwohner des Ghettos verpflichtet, innerhalb von 24 Stunden jede N ä h m a s c h i n e zu melden, die e r s e l b s t besitzt oder die s e i n e N a c h b a r n u n d B e k a n n t e n besitzen. Wer freiwillig melden wird, dass er e i n e N ä h m a s c h i n e hat, b e k o m m t A r b e i t und einen Schein. Sich melden bei H. Waksman, Schneiderwerkstatt, Kupiecka 48. Białystok, 17.2.1943 Judenrat
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Hans-Peter Stähli
[391] Meldung 5.000 Mark Belohnung vom Judenrat bekommt, wer angeben wird, wo sich Pogorelski Tanchum, geboren im Jahr 1923, befindet. Wohnt: Jurowcer Gasse 24. Białystok, 17.2.1943 Judenrat [Auf der Rückseite der Meldung ist handschriftlich hinzugefügt:] Außerhalb des Ghettos zwei junge Männer mit Waffen verhaftet, sie haben ausgesagt, dass Pogorelski (?) ihnen diese gegeben habe.
[392] Meldung Die Belohnung für die Auslieferung von P o g o r e l s k i Ta n c h u m wird erhöht a u f 1 0 . 0 0 0 M a r k . Białystok, 18.2.1943 Judenrat
[393] Meldung Nicht beschäftige S c h u s t e r und S t e p p e r haben sich sofort in der Filzfabrik, Jurowcer Gasse 14, zu melden. Białystok, 18.2.1943 Judenrat
[394] Meldung Jeder Jude ist verpflichtet, sofort M o t o r e n zu melden, die er hat oder die seine Bekannten haben. Für freiwilliges Melden e i n e s M o t o r s bekommt man A r b e i t und einen Schein. Melden: Elektrotech. Werkstätten, Kupiecka 49. Białystok, 18.2.1943 Judenrat
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[395] An die Arbeiter außerhalb des Ghettos Die Arbeitsplätze: Reichsbahn-Betriebswerk und Industriebahnhof berufen ihre Arbeiter ein auf Sabbat, den 20-ten Februar, 7 Uhr in der Früh zum Tor 2 (Kohlenlader) und zum Tor 1 (Industriebahnhof). Um die Arbeit auf 3 Schichten einzustellen, werden alle Kohlenlader aufgefordert, sich heute von 5–7 am Abend im Arbeitsamt bei Brigadier M a n a k e r zu melden. Białystok, 19.2.1943 Arbeitsamt beim Judenrat
[396 (a)] An den Schandpfahl! Liste Num. 1 (35 Personen) Die aufgeführten Personen werden öffentlich angeprangert113 und an den Schandpfahl gestellt, weil sie in den traurigen Tagen die Wohnungen von Evakuierten wie auch Wohnungen, die ohne Aufsicht geblieben sind, geplündert haben. Der größte Teil der Personen ist bestraft worden mit verschärftem Arrest von 2 bis 8 Wochen und mit unbefristetem Arrest und mit Abnahme der Arbeitsscheine, und diejenigen, die nicht arbeiten, werden keine Arbeit bekommen. Białystok, 19.2.1943 Judenrat 521
[Auf der Rückseite der Meldung ist handschriftlich hinzugefügt:]
Auf der blutigen Liste sind – unter dem Deckmantel von Dieben – Denunzianten aufgeführt, die den Deutschen zur Zeit der »Aktion« Verstecke verraten haben. Viele von ihnen sind von der Menge gelyncht worden.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 113
Ginzburg Szlojme Gorles Isroel Osipowicz Izchok Knyszynski ´ Rita Knyszynski ´ Marja Boryslawski Dowid Boryslawski Boruch
Wörtlich gestempelt.
[396 (b)]
1899 1906 1898 1920 1898 1926 1891
Jurowcer " " Ciepła " Jurowcer "
44 34 44 23 21
276
8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35.
Hans-Peter Stähli
Furmann Wigder Jelin Berl Zrencza Rochel Kagan Rachmiel Borensztejn Lejzer Reznik Josef Szlapak Hirsz Winokur Jakow Imber Szolem Umlenski Berl Lewit Masze Dinersztejn Szejne Gelczynski Izchok Famin Lejb Zylbersztejn Szymon Szer Emil Egerwald Awrom Chinkes Awrom Krywicki Chaim Krywicki Mojsze Bojm Ben-Cyon Chimder Chana Zemelman Rochel Feldman Mirke Bogumilski Sara Klaczko Aszer Zylberblat Lazar Pitlyuk Pejsach
1899 1923 1894 1897 1896 1921 1919 1926 1925 1925 1925 1905 1923 1922 1920 1922 1916 1928 1927 1924 1920 1913 1918 1916 1925 1894 1910
Białostoczaner Fabryczna Jurowcer " Fabryczna Zamenhof Białostoczaner Polna Zamenhof Polna " Neue Welt Białostoczaner Neue Welt " " " " Fabryczna " Szlachecka Kupiecka Fabryczna Zamenhof Jurowcer Kupiecka Polna Roz˙aner
7 6 11 13 7/3 21 2 10 13 34 32 12 16 9 25/6 25/2 25/9 25/2 15 4/10 5 15 30/7 10 35 24 1/1
[397] Meldung Die Bevölkerung ist verpflichtet, bis zum 23-ten Februar im Judenrat, Zimmer 26, alle Diwans (Teppiche), Kelims, Matten und Gardinen abzugeben. Nach dem Termin werden Überprüfungen durchgeführt werden, und bei wem man die oben erwähnten Gegenstände finden wird, dem wird man [sie] zwangsweise wegnehmen, und die betreffenden Personen werden bestraft werden mit Abnahme der Arbeitsscheine und Verlust der Möglichkeit, Arbeit zu bekommen. Białystok, 20.2.1943 Judenrat
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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[398] Wa r n u n g Man warnt die Bevölkerung, dass es verboten ist, ohne eine Erlaubnis der Wohnungsabteilung Wohnungen oder Zimmer zu belegen, die nach den Evakuierten [frei] geblieben sind. Die Personen, die eigenmächtig eine Wohnung besetzen, werden durch den Ordnungsdienst exmittiert und streng bestraft werden. Białystok, 21.2.1943 Judenrat
[399] Meldung Es wird gemeldet, dass die Nähmaschinen-Aktion Dienstag, den 23-ten Februar d. J., e i n g e s t e l l t wird. Nach dem Termin wird keine Arbeit gegen Nähmaschinen gegeben werden. Białystok, 21.2.1943 Industrieabteilung beim Judenrat
[400] Meldung Laut Beschluss des Präsidiums haben sich alle Beamten des Judenrats morgen Montag, den 22-ten Februar d. J., 7.45 Uhr in der Früh im Lokal der »Linas Hacedek«, Roz˙aner 3, zu melden. Für Sich-nicht-Melden wird man bestraft werden. Białystok, 21.2.1943 Judenrat 525
[Auf der Rückseite der Meldung ist handschriftlich hinzugefügt:] Hitlers Deklaration zum Parteitag (25.2.): »Unser Kampf wird nicht mit der Vernichtung der arischen Menschheit enden, sondern mit der totalen Ausrottung des Judentums in Europa«. Gerüchte über Fortsetzung der »Aktion« am 28-ten.
[401] Meldung Laut der Verordnung der Behörde sind alle Besitzer von Pferden verpflichtet, Sonntag, den 28-ten Februar d. J., 11.30 Uhr in der Früh ihre Pferde auf den Platz zwischen Kupiecka 47 und der Brücke hinzubringen. Für Nichtbringen wird man streng bestraft werden. Białystok, 24.2.1943 Judenrat
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[402] Meldung A l l e A r b e i t e r — Männer und Frauen, die früher in Starosielce114, Łapy, in der Ölmühle, bei Kurt Gajzler (Ölmühle), Zielone gearbeitet haben — melden sich m o r g e n D o n n e r s t a g , 5 U h r i n d e r F r ü h , b e i m To r 2 (Czysta) bei den Brigadieren Zylbersztejn und Pat, um zur Arbeit in Starosielce wegzugehen. Białystok, 24.2.1943 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[403] A n a l l e Te x t i l a r b e i t e r Der Textiltrust (Textilindustrieaufbau) sucht für seine Ghettobetriebe: Werk 1, 23, 27 und 32 allerlei Textilspezialisten wie: Weber, Bäumer, Mustermeister, Einfädler, Blattbinder, Kettenaufzieher, Scherer, Aufsteckerinnen, Stuhlmeister, Schneller-Arbeiterinnen, Nopperinnen, Stopferinnen, Spinner, Zwirnerinnen, [Wort unbekannt], Kremplerinnen, Reißwolfarbeiter, Mischwolfarbeiter, Putzer, Manipulanten, Appreturmeister, Wäscher, Walker, Scherer, Trockner, Färber, Stricker und andere. Alle oben erwähnten Textilfacharbeiter werden aufgefordert, sich morgen, Donnerstag, 7 Uhr früh im Werk 1 (Białostoczaner 16) bei Direktor Beneschek vorzustellen, um sogleich in den Fabriken an die Arbeit zu treten. Białystok, 24.2.43 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[404] Meldung Alle, die eigenmächtig Zimmer belegt haben, werden aufgefordert, sie sofort zu verlassen. Andernfalls wird man die Schuldigen zwangsweise exmittieren, sie in Arrest setzen, und man wird ihnen die Arbeitsscheine abnehmen. Białystok, 24.2.1943 Judenrat
[405] Meldung Der Judenrat kauft Tambure (niedrige) zum Sticken auf. Sich wenden an Zimmer 4. Białystok, 25.2.1943 Judenrat 114
Siehe Anm. zu Meldung 292.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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[406] An alle Abteilungen des Judenrats Meldung
529
Laut eines Gerichtsurteils sind die unten aufgeführten Mitarbeiter der Approvisationsabteilung bestraft worden: 1. Szalit Salomon – Leiter der Gärtnerei 2. Suchonicki Szlojme – Instruktor der Gärtnerei 3. Fliker Ber – Leiter der Gärtnereiwache dafür, dass sie am 13-ten d. M. als verantwortliche Mitarbeiter der Approvisationsabteilung beim Judenrat die Grenzen der amtlichen Kompetenz überschritten haben, indem sie ausdrücklich das illegale Nehmen von Kartoffeln aus dem Garten an der Nowogródzka 1 tolerierten und für sich Kartoffeln aus dem Garten nahmen, wodurch sie zum Schaden der Ghettobevölkerung gehandelt haben. Szalit und Suchonicki –mit einer Bezahlung von je 500 Mark Geldstrafe oder einem Monat Arrest. Fliker – mit 150 Mark Geldstrafe oder 7 Tagen Arrest. Und alle mit Verlust der bisherigen leitenden Posten wie auch des Rechts, irgendwelche leitenden Posten im Judenrat einzunehmen. 2. Weil am selben Tag ohne Berechtigung aus dem Judenrat-Garten an der Nowogródzka 1 Kartoffeln genommen haben: Kalmanowicz Chana – Kassiererin der Gärtnerei Rozental Meir – Brigadier der Gärtnerei Gorfinkl Isroel – Brigadier der Gärtnerei mit einer Bezahlung von je 50 Mark Geldstrafe oder 5 Tagen Arrest. Tenenbojm Izchok – Wächter der Gärtnerei Radyszkanski Leml – Arbeiter der Gärtnerei mit einer Bezahlung von je 25 Mark Geldstrafe oder 3 Tagen Arrest. Zafraniec Szolem – Fuhrmann der Gärtnerei – mit einer Bezahlung von 150 Mark oder 14 Tagen Arrest. Das Gericht hat beschlossen, das Urteil in den einzelnen115 Abteilungen des Judenrats zu veröffentlichen. Judenrat
[407] Meldung Die zentrale Schmiede, Fabryczna 19, benötigt dringend schwere Schmiedeambosse. Jede Person, die einen solchen Amboss abliefern wird, bekommt sofort Arbeit und einen Schein in den Ghettobetrieben. 115
Wörtlich besonderen.
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Sich melden in der zentralen Schmiede, Fabryczna 19. Białystok, 26.2.1943 Industrieabteilung beim Judenrat
[408] Meldung Alle ehemaligen Arbeiter der Firmen: Ö l m ü h l e und K u r t G a j z l e r (Ölmühle) haben sich Montag, den 1-ten März d. J., halb 7 in der Früh beim Tor 1 (Jurowcer Gasse) bei Brigadier Porecki zur Arbeit zu melden. Białystok, 28.2.1943 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[409] Meldung Die Reichsbahn beruft ein auf Montag in der Früh, 1 März 1943, 150 M a n n f ü r N e u b a u a m t 1 , D o j l i d y 1 1 6 ( To r 1 , h a l b 7 i n d e r F r ü h ) , 1 0 0 M a n n f ü r N e u b a u a m t 2 , Ł a p y 1 1 7 ( To r 2 , h a l b 5 i n d e r Früh). Alle Arbeiter, die früher in Łapy gearbeitet haben, melden sich bei Brigadier Wejcman. Diejenigen, die im Neubauamt 1 gearbeitet haben, wenden sich an Frau Futerman. Alle Arbeiter werden mit speziellen Reichsbahnscheinen geschützt. Białystok, 28.2.1943 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[410] Meldung Alle Arbeiter, die früher in Łapy gearbeitet haben, melden sich morgen Dienstag, 2-ten März, 4.30 in der Früh beim Tor 2, Czysta, um ins Neubauamt 2 (Łapy) wegzufahren. Die Arbeit findet 3 Mal in der Woche statt. Sich melden bei Brigadier Wejcman. Die Arbeiter werden mit Reichsbahnscheinen geschützt. Białystok, 1.3.1943 Arbeitsabteilung beim Judenrat
116
117
Dorf, ca. 4,5 km südöstlich von Białystok, heute Stadtteil von Białystok, bekannt (bis heute) durch eine Bierbrauerei und ein Sägewerk. Städtchen im Bezirk Bialystok, ca. 25 km südwestlich von Białystok, mit großen Eisenbahndepots.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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[411] Meldung Alle früheren Arbeiter des Neubauamts haben sich morgen Dienstag, den 2-ten März, 6 Uhr früh beim Tor 2, Czysta, bei Brigadier Laks zu melden. Von dort gehen sie weg ins Reichsbahnbetriebsamt. Die ständigen Arbeiter bekommen Reichsbahnscheine. Białystok, 1.3.1943 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[412] Meldung Alle ehemaligen Arbeiter (Männer) des Heeresbauamtes melden sich morgen Dienstag, 2-ten März, 6.30 in der Früh beim Tor 1 bei den Brigadieren Fefer, Czyz˙yk, Stolnicki und Ziembowski. Białystok, 1.3.1943 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[413] Meldung Es ist festgestellt worden, dass einige sich gleichzeitig in mehreren Betrieben für Arbeit registriert haben und auf diese Weise 2 und sogar 3 Scheine bekommen haben. Diese Personen werden aufgefordert, innerhalb von d r e i Tagen an ihrem faktischen Arbeitsplatz die übrigen, ungesetzlichen Scheine wie auch die »R«und »H«-Scheine abzugeben, andernfalls werden die Personen nach einer durchgeführten Kontrolle mit Abnehmen aller Arbeitsscheine und mit Entlassung aus der Fabrik bestraft werden. Białystok, 3.3.1943 Personalbüro beim Judenrat
[414] Meldung
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Frauen, die in Łapy arbeiten wollen, können sich bei Brigadier Wejcman (Czysta Gasse 12) oder in der Arbeitsabteilung beim Judenrat (Jurowcer Gasse 6) registrieren. Zu der Arbeit hat man sich 4/30 in der Früh, dreimal in der Woche, beim Tor 2 an der Czysta Gasse zu melden. Die Arbeiter[innen] bekommen 3 Kilo Brot pro Woche usw. [!]118 Białystok, 3.3.1943 Arbeitsabteilung beim Judenrat 118
Eckige Klammer original.
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[415] Meldung Laut der Aufforderung der Behörde müssen alle Arbeiter, die früher in Łapy gearbeitet haben, an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Sie müssen sich 4.30 Uhr in der Früh beim Tor Nummer 2 an der Czysta Gasse bei Brigadier Wejcman stellen, andernfalls werden gegen die betreffenden Personen die herbsten Strafen, bis zu ihrer Auslieferung an die Behörde, angewandt werden. Wir warnen deshalb, dass sie sich sofort zur Arbeit in Łapy zurückbegeben. Białystok, 3.3.1943 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[416] Meldung Alle Frauen, Maschinenschneiderinnen, die früher in der Bekleidungsindustrie (Konfektion Klopperburg) gearbeitet haben, wie auch alle Maschinenschneiderinnen, die sich im Arbeitsamt registriert haben, werden von der Fabrik sofort zur Arbeit gerufen. Die Arbeiter[innen] haben sich sofort, vor 10 Uhr abends, in der Białostocza´nska 32 zur Nachtschicht zu melden. Alle Arbeiter[innen] bekommen Scheine [die sie] als Tätige für die Wehrmacht [ausweisen]. Białystok, 4.3.1943 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[417] Meldung Alle Frauen, die irgendwann an Krempelmaschinen gearbeitet haben, wie auch Fadenanlegerinnen (Zwirnerinnen und [Wort unbekannt]) werden aufgefordert, sich sofort im Textiltrust (Werk 1), 7 Uhr in der Früh, bei Dir. Beneschek zu melden. Die Arbeiter des Textiltrusts bekommen S c h e i n e [die sie] a l s T ä t i g e f ü r d i e We h r m a c h t [ausweisen]. Białystok, 4.3.1943 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[418] Meldung Im Zusammenhang mit der Änderung der Grenzen des Ghettos wird die Bautechnische Abteilung vom 5-ten März an mit dem Abreißen119 verschie119
Wörtlich Auseinandernehmen.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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dener Häuser oder Ställe wie auch mit dem Bau des neuen Ghettozauns beginnen. Die Bevölkerung wird gewarnt, dass es verboten ist, sich am Ort der Arbeit aufzuhalten, und dass für das Entwenden von irgendwelchen Materialien oder Abfall man mit strengem Arrest und mit Verlust des Rechts auf Arbeit bestraft werden wird. Białystok, 4.3.1943 Judenrat
[419] Meldung
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Wegen der bevorstehenden Änderung der Ghettogrenzen wird aus verschiedenen Gassen eine Umsiedlung eines Teils der Einwohner stattfinden. Im Zusammenhang damit meldet der Judenrat Folgendes: 1. Die Umsiedlung wird quartierweise stattfinden nach einer Ordnung, die jedes Mal gemeldet wird. 2. Die erste Umsiedlung wird aus folgenden Gassen stattfinden: Fabryczna von 39 (einschließlich) bis 49 Ciepła " 34 " 38 " " 27 " 35 Wa˛ska " 7 " 13 Chmielna " 15 " 19 " " 10 " 12 Górna " 12 Poleser " 7 " 11 und 17 Und für die Einwohner wird die Wohnungsabteilung beginnen, ab Montag, dem 8-ten März d. J., durch die Hausverwalter Bezugsscheine herauszugeben, sobald sie Quittungen für bezahltes Wasser, Elektrisches und Kaminkehren vorlegen. 3. Die Einwohner, die umgesiedelt werden, sind verpflichtet, Deklarationen, die die Hausverwalter ihnen vorlegen werden, zu unterschreiben, dass sie sich verpflichten, die Wohnungen in Ordnung zu hinterlassen und nicht irgendwelche Einrichtungen wie: Kochplatten, Türen, Feuerherde, Toilettendeckel, [Wasser-]Krane usw. mitzunehmen. 4. Diejenigen, die Öfchen oder [Koch-]Platten mitnehmen wollen, werden gleichzeitig Deklarationen unterschreiben, dass sie sie vorsichtig wegnehmen, ohne die Zimmeröfen zu beschädigen, und nach der Wegnahme den Ort rein machen. 5. Es wird verboten, eigenmächtig irgendwelche Schuppen, Ställe, Toiletten oder Mistkästen auseinanderzunehmen. 6. Diejenigen, die gegen die Punkte 3, 4, 5 verstoßen, werden in den neuen Wohnungen nicht angemeldet werden, keine Approvisation bekommen, und man wird ihnen die Möglichkeit zu arbeiten wegnehmen.
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Hans-Peter Stähli
7. Die Anmeldung wird stattfinden nach Vorlegen einer Bestätigung der Wohnungsabteilung, dass die verlassenen Wohnungen gemäß den Punkten 3, 4 und 5 in Ordnung übergeben worden sind. Białystok, 5.3.43 Judenrat
[420] Meldung Das Ghetto befindet sich in einem unzulässigen unhygienischen120 Zustand. Ab Sonntag, dem 7-ten März d. J., werden die Sanitärinspektionen ihre Arbeit erneuern und die Bevölkerung auffordern, regulär die Gassen, Höfe, Toiletten und Treppen zu reinigen. Auf den Höfen, wo Wächter fehlen, sind die Mieter verpflichtet, die Reinigung durchzuführen nach einem Zeitplan, den die Hausverwalter aufstellen werden. Für Verstoßen gegen die Verordnung wird man streng bestraft werden. Białystok, 6.3.1943 Judenrat
[421] Meldung Für Beleidigung von Mitgliedern des Ordnungsdienstes ist der Bäcker P i a s e c k i I z c h o k , Giełdowa 12, bestraft worden mit: 1. Zustellung von 50 Laiben Brot für die Waisenhäuser. 2. Schließen der Bäckerei für 2 Wochen oder Bezahlen von 500 Mark Strafe. Białystok, 6.3.1943 Judenrat
[422] Meldung Die Bekleidungswerkstätten Kupiecka Gasse 49 benötigen eine e l e k t r i s c h e Zuschneidemaschine. Diejenigen, die eine solche Maschine dem Judenrat liefern können, werden Arbeit für zwei Personen oder eine entsprechende Belohnung bekommen. Białystok, 8.3.1943 Judenrat
[423] An die Arbeiter außerhalb des Ghettos! 1. Alle Arbeiter, die vor dem 5-ten Februar d. J. außerhalb des Ghettos beschäftigt gewesen sind und jetzt nicht in den Ghettobetrieben beschäftigt 120
Wörtlich antisanitarischen.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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werden, sind verpflichtet, sofort an ihre früheren, in Betrieb sich befindenden121 Arbeitsplätze zurückzukehren. 2. Alle Arbeiter, deren Arbeitsplätze sich nicht in Betrieb befinden, haben sich sofort in der Arbeitsabteilung (Jurowcer Gasse 6) zu registrieren. 3. Es haben sich auch jene Arbeiter zu registrieren, die nach dem 5-ten Februar in die Ghettobetriebe weggegangen sind, wie auch jene, die an n e u e n A r b e i t s p l ä t z e n außerhalb des Ghettos tätig sind. Sie haben einen Nachweis ihrer jetzigen Arbeit mitzubringen. 4. Für Nichteinhalten der oben erwähnten Verordnungen wie auch für Nichterscheinen zur Arbeit auf dem Platz, der von der Arbeitsabteilung zugewiesen wird, wird man mit den herbsten Strafen bestraft werden, bis zur Auslieferung der Schuldigen an die Behörde. Białystok, 9.3.1943 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[424] Strenge Aufforderung Alle Einwohner des Ghettos sind verpflichtet, s o f o r t das Wohnungsgeld für die ganze Zeit bis einschließlich Januar einzubezahlen. Gegen die, welche die Forderung nicht erfüllen, werden die strengsten Maßnahmen ergriffen werden. Białystok, 10.3.1943 Judenrat
[425] Ve r o r d n u n g Laut der Verordnung der Behörde wird die Bevölkerung des Ghettos a u f g e f o r d e r t , s i c h s o f o r t d a r a n z u m a c h e n , die Wohnungen, Treppen und Höfe von allerlei Schmutz, Schutt und dgl. zu räumen. Es wird gewarnt, dass vom 20-ten März d. J. an Kontrollen durchgeführt und die Schuldigen streng bestraft werden. Die Mistkästen und Hofklosetts müssen jeden Tag mit Chlor bespritzt werden. Białystok, 12.3.1943 Sanitär-epid. Abteilung beim Judenrat
[426] Meldung
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Für Stehlen von Holz beim Abreißen von Schuppen durch die Bautechnische Abteilung sind mit Abnehmen der Arbeitsscheine bestraft worden: 1. Szwecher Jakow, Chmielna 9, arbeitete in der Schmiede 121
Wörtlich tätigen Arbeitsplätze.
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Hans-Peter Stähli
2. Szwecher Awrom, Chmielna 9, arbeitete in der Schneiderei und verlieren das Recht auf Arbeit: 3. Ajzensztat Rochel, Zamenhof 13. Außerdem sind die genannten Personen mit einem längeren verschärften Arrest bestraft worden. Möge es eine Warnung sein für die, welche in Zukunft wagen sollten, Material von den Objekten zu stehlen, die die Bauabteilung abreißt. Białystok, 12.3.1943 Judenrat
[427] Meldung Alle Grodner Einwohner, die sich bei Verwandten oder Bekannten einquartiert haben, sind verpflichtet, sich im Lauf des heutigen Tages, des 13-ten März, bis 6 abends in den betreffenden Revieren des Ordnungsdienstes zu registrieren. Für Nichtanmelden werden die Białystoker Einwohner, die die Grodner einquartiert haben, zur Verantwortung gezogen werden. Białystok, 13.3.1943 Judenrat
[428] Meldung Alle aus Grodno Gekommenen sind verpflichtet, im Lauf des 13-ten und 14ten März durch die Entlausung, Jurowcer 7, zu gehen. Das Bad ist in Betrieb von 8 in der Früh bis 9 am Abend. Ohne einen Zettel des Bades wird man k e i n e n B e z u g s s c h e i n f ü r e i n e Wo h n u n g u n d f ü r A p p r o v i s a t i o n bekommen. Außerdem wird man streng bestraft werden und zwangsweise zur Entlausung gebracht werden. Białystok, 13.3.1943 Judenrat
[429] Meldung In der Textilfabrik 23 (Białostoczaner) werden folgende Fachleute benötigt: 1. Krempelputzer 2. Mischwolfarbeiter 3. Faden/Garn[?]-Arbeiterinnen122 4. Krempelarbeiterinnen 122
Nach der hebräischen Übersetzung; die Bedeutung des im Text stehenden jiddischen Wortes konnte nicht ermittelt werden.
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Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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5. Zwirnerinnen 6. Spulerinnen 7. Reißwolfarbeiterinnen D i e F a b r i k a r b e i t e t f ü r d i e We h r m a c h t . Sich wenden: Montag, 22 März, von 8 bis 10 in der Früh in der Fabrik (Białostoczaner 9) an H. Karpowicz. Białystok, 21.3.1943 Judenrat
[430]123 Meldung Laut Verordnung der Behörde hat man die Luftflugblätter, die im Ghetto gefunden worden sind, sofort in den Judenrat, Zimmer 3, zu bringen. Für das Behalten eines solchen Flugblattes droht die größte Strafe. Białystok, 20.3.1943 Judenrat
[430] BEKANNTMACHUNG Laut Anordnung der Behoerden sind saemtliche im Ghetto gefundenen Luftflugblaetter sofort beim Judenrat (Zimmer 3) abzugeben. Das Behalten dieser Luftflugblaetter wird s t r e n g s t e n s bestraft. Białystok, d. 20.3.1943 r Judenrat in Białystok
[431] Meldung Die Firma »Rohstoff-Verwertung, Fritz Finck« eröffnet im Ghetto, Polna 39, einen Betrieb zum Sammeln von Altwaren wie: Lumpen, Eisen, Metall usw. Alle Sammler von Altwaren, Sortierer und Sortierer i n n e n v o n L u m p e n , Eisen, Metall, Knochen, Papier, wie auch S t r i c k d r e h e r i n n e n werden aufgefordert, sich zu registrieren, täglich von 12 bis 2 nachmittags, Polna 39. Die Firma »Fritz Finck« ist ein Wehrmachtbetrieb. Białystok, 22.3.1943 Arbeitsabteilung beim Judenrat
123
Meldung 430 ist auf Jiddisch und auf Deutsch abgefasst. Die Schreibung der Umlaute in der deutschen Fassung folgt dem Original.
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[432] Wa r n u n g ! Laut der Verordnung der Behörde hat die A b e n d v e r d u n k e l u n g in den Wohnungen eine v o l l s t ä n d i g e zu sein! Während eines Luftalarms muss das Licht völlig ausgelöscht werden. Wir warnen: Es wird eine strenge Kontrolle sein. In die Wohnungen, aus denen Licht scheinen wird, w i r d h i n e i n g e s c h o s s e n w e r d e n !!! Białystok, 28.3.1943 Judenrat
[433] S t r e n g e l e t z t e Wa r n u n g ! Für nicht pünktliches Erscheinen zur Arbeit gemäß der Forderung der Arbeitsabteilung wird man, auf Befehl der Behörde, in ein Arbeitserziehungslager außerhalb des Ghettos hinausgeführt. Białystok, 30.3.1943 Arbeitsabteilung beim Judenrat
[434] Meldung Alle Juden, die ausländische [Staats-]Bürgerschaft haben, müssen sich sofort im Judenrat, Zimmer 6, melden. Białystok, 31.3.1943 Judenrat
[435] Meldung Für Nichtverdunkeln des Lichts ist der Einwohner M o w s z o w i c z Gedalja mit drei Tagen verschärftem Arrest bestraft worden. Białystok, 1.4.1943 Judenrat
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Faksimiles
Abb. 1: Meldung [1] [1]1 meldung ess wert gemoldn der jidischer bafelkerung, as fun donerschtik, dem 10-tn juli 1941 frimorgn senen ale mener, frojen un kinder, in elter fun 14 jor on, mechujew trogn a wajssn band mit a blojen mogn-dowid ojf der rechter hant. di brejt fun[e]m band – 12 ssentimeter, di grojss fun mogn-dowid 10 ssentimeter, di brejt fun der blojer linje fun mogn-dowid mindesstnss 1 ssentimeter. wer ess ken sich nischt ajnschafn dem blojen mogn-dowid mus anschtot dem trogn a wajssn band fun 12 ssentimeter di brejt un ojf dem a geln kajlechdikn zejchn 10 ssentimeter in diameter. ess wert schtreng gewornt: itlech jidischer mentsch mus dem dosikn bafel glajch ojssfirn. wer ess wet fun donerschtik on sich bawajsn ojf der gass on dem zejchn wet schtreng baschtroft wern. 8-ter juli 1941 jidnrot 1
Zur Umschrift der in hebräischen Buchstaben geschriebenen jiddischen Laute vgl. Ronald Lötzsch, Jiddisches Wörterbuch, Duden-Taschenbücher, Mannheim u.a. 21992, und die Bemerkungen »Zur Umschrift« (scil. des Jiddischen) von Rahel Hoffmann, in: Itzik Manger, Dunkelgold. Gedichte, Jiddisch und Deutsch, herausgegeben, aus dem Jiddischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Efrat Gal-Ed. Mit Umschrift des Jiddischen, Abbildungen und CD, Frankfurt a.M. 2004, S. 333. Dem jiddischen Alphabet entsprechend, das keine Unterscheidung von Groß- und Kleinbuchstaben kennt, ist der Text durchgehend in Kleinbuchstaben transkribiert. Dabei ist Folgendes zu beachten: Alle Vokale werden kurz und als einzelne Vokale gesprochen, ch wird immer wie in ach ausgesprochen, s bezeichnet ein stimmhaftes s wie in lesen, ss (unabhängig von dessen Position) ein stimmloses s wie in ist, Wasser, fließen, sh den stimmhaften Zischlaut wie in Journal oder Etage, und mit s’h wird die getrennte Aussprache von s und h angezeigt.
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Hans-Peter Stähli
Abb. 2a: Meldung 102
[102] meldung der jidnrot hot bakumen fun der dajtscher macht folgndike schriftleche farordenung: polizej-president in bialisstok 16-tn sseptember 1941 dem jidnrot in bialisstok in schajchess mit majn bafel fun 11/9 1941 farordn ich folgendikss benegeje der ewakuazje fun di jidn fun bialisstok kejn prushani. 1. di ewakuazje hejbt sich on dem 18/9 1941 (donerschtik). 2. zum transport wern zugeschtelt masse-ojtoss. 3. di nemen fun di jidn, woss darfn jedn tog ewakuiert wern, weln sajn rojt unterschtrochn in der lisste, welche men darf mir teglich zuschteln lojt majn schriftlechn bafel fun 11/9 1941. a kopje fun der lisste wet zugeschtelt wern dem jidnrot a tog far der ewakuazje.
Die Meldungen des Białystoker Judenrats
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Abb. 2b: Meldung 102 Rückseite [Auf der Rückseite der Meldung ist handschriftlich hinzugefügt:] arojss geschikt geworn kejn prushene an erech 4000 jidn (fir tojsnt).
4. di jidn, woss wern in der lisste rojt unterschtrochn, schteln sich zu in dem geherikn tog 6 asejger inderfri ojfn misrech-trotwar fun der fabritschne gass in der rej, lojt der lisste, grejt zum opschikn. 5. men meg mitnemen nor persenleche gepek: klejdung, wesch un betgewant. mitnemen mebl oder andere gressere sachn is farwert. 6. bejssn ojssschteln un opschikn tor sich kejner fun di jidn nit farhaltn oif der fabritschne gass a chuz ejnzlne mitglider fun jidischn ordnung-dinsst. 7. di hojzoess fun der ewakuazje weln, nochn fesstschteln sej, arojfgelegt wern ojfn jidnrot. 8. ale wojnungen un hajser, woss weln durch der ewakuazje fraj wern, darf men rejnikn un brengen in ordnung, di mebl un andere sachn, woss gefinen sich in sej, tor men nischt basajtikn. 9. in fal fun nit folgn di farordenungen weln ongenumen wern harbe zwang-mitlen. bialisstok, d. 17-ten sseptember 1941 jidnrot
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Hans-Peter Stähli
Abb. 3a/b: Meldung [357 (356)] und Rückseite
[357 (356)] schtrenge wornung! lojt der farordenung fun der macht is farwert zu farlosn di geto fun hajnt on, montik, dem 2/11 bisn oprufn. far aroissgejn fun geto drot tojt-schtrof! bialisstok, d. 2-tn nowember 1942 jidnrot [Auf der Rückseite der Meldung ist handschriftlich hinzugefügt:] 2-ter nowember — onhojb fun der »akzje« in ganzn bezirk.
Die Meldungen des Białystoker Judenrats
293
Abb. 4: Meldung [434] vom 31. März 1943 in der Übersetzung, die Dr. Hans-Peter Stähli am 23. August 1966 für das Bielefelder Schwurgericht abschloss, mit einer handschriftlichen Notiz und der Unterschrift des Übersetzers.
II.
Einführung von
FREIA ANDERS, KATRIN STOLL, KARSTEN WILKE
Der nun folgende zweite Teil des Bandes flankiert Hans-Peter Stählis Übersetzung der Białystoker Judenratsdokumente. Darin versammelt sind Beiträge zu einem interdisziplinären Workshop zum Thema »Quellen der Judenräte im besetzten Polen«, der im Juni 2007 im Internationalen Begegnungszentrum (IBZ) der Universität Bielefeld stattfand. An der von der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung, Zukunft« geförderten und vom AKE-Bildungswerk Vlotho unterstützten Veranstaltung nahmen deutsche, israelische und polnische (Nachwuchs-)Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler teil. Der Workshop verfolgte mehrere Ziele. Zunächst ging es darum, die Dokumente des Białystoker Judenrats historisch zu kontextualisieren und in ihrer Bedeutung für die Historiographie der Shoah im Allgemeinen und der Geschichtsschreibung des Białystoker Ghettos im Besonderen zu würdigen sowie Möglichkeiten ihrer pädagogischen Nutzung in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit zu erörtern. In einem zweiten Schwerpunkt wurden anhand der Auseinandersetzung mit weiteren Überlieferungen aus den Ghettos des deutsch-besetzten Polens Vergleichsperspektiven für künftige Untersuchungen angeregt. Die Ergebnisse stellen den an der Quellenedition interessierten Lesern und Leserinnen wertvolle Hintergrundinformationen zur Verfügung. Die Beiträge in ihrer aus unterschiedlichen Sprachkenntnissen, Fachdisziplinen, Wissenschaftskulturen und Rezeptionsbedingungen resultierenden Heterogenität tragen zur Vertiefung des Themas bei und lenken den Blick auf dessen Facettenreichtum. Für ihr produktives Mitwirken an der Tagung sei zunächst all denjenigen Teilnehmern und Teilnehmerinnen des Workshops gedankt – insbesondere Adam Czesław Dobro´nski, Havi Ben-Sasson, Jerzy Milewski und Piotr Weiser –, die in dem vorliegenden Sammelband nicht mit einem eigenen Beitrag vertreten sind.1 Weiterer Dank gebührt Karin Avdic, Karolina Furma´nczyk, Agnieszka Janiszewski, Bartosz Janiszewski, Kamila Kroczak und Andreas Ruppert, die mit großer Geduld die vielfältigen Aufgaben des Dolmetschens beziehungsweise Übersetzens ausführten und damit entscheidend zum Gelingen des Vorhabens beitrugen. Den organisatorischen Ablauf unterstützten Jürgen Piecha, Christian Schepsmeier und Volker Verhoff. Besonders verbunden sind die Herausgeberinnen und der Herausgeber Joanna Furła-Buczek, die 1
Giles Bennett, Tagungsbericht Quellen der Judenräte im besetzten Polen, 27./28. Juni 2007, Bielefeld, unter: H-Soz-u-Kult, 16.10.2007, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1726 [10.4.2009].
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Freia Anders, Katrin Stoll, Karsten Wilke
nicht nur aus dem Jiddischen und Polnischen übersetzte, sondern auch Koordinierungsaufgaben auf polnischer Seite übernahm. Wie bereits angedeutet, war die Überlieferung der Ghettoarchive, deren Materialien überwiegend im Archiv der Gedenkstätte Yad Vashem und im Jüdischen Historischen Institut in Warschau aufbewahrt werden, der internationalen Forschung lange nur schwer zugänglich. In den ersten Nachkriegsjahrzehnten erschienen zwar einige Übersetzungen besonders eindrucksvoller Tagebücher in westlichen Sprachen,2 aber erst in den letzten Jahren entstanden darüber hinaus umfangreiche Editionen weniger prominenter Materialien.3 Eines der frühen erfolgreich abgeschlossenen Vorhaben bildet die Edition der Protokolle und Meldungen des Białystoker Judenrats durch Nachman Blumenthal in jiddischer Sprache samt hebräischer Übersetzung aus dem Jahr 1962.4 Vor allem aus der nach dem Leiter der Archivgruppe des Warschauer Ghettos, Emanuel Ringelblum,5 benannten Sammlung liegen mittlerweile mehrere Quelleneditionen vor. Einen Überblick über die Bedeutung des Materials gibt die vom Jüdischen Historischen Institut in Warschau konzipierte WanderAusstellung Oneg Shabbat.6 Das Warschauer Großghetto stand lange Zeit im 2
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Z.B. Emanuel Ringelblum, Notes from the Warsaw ghetto. The Journal of Emmanuel Ringelblum, hrsg. von Jacob Sloan, New York 1958 (Erstausgabe: notitsn fun varshever geto, Warschau 1952). Chaim A. Kaplan, Scroll of Agony. The Warsaw Diary of Chaim A. Kaplan, hrsg. von Abraham I. Katsh, New York 1965. Weitere Hinweise unter dem Artikel ›Tagebücher‹, in: Israel Gutman u.a. (Hg.), Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Berlin 1993, 4 Bde., Bd. III, S. 1392–1395. Siehe z.B. Krystyna Radziszewska, Wege der polnischen Forschung zur Erschließung des Getto-Materials. Stationen und Beschreibung von Archivalien, in: Spiegel der Forschung 25 (2008), H. 1, S. 16–23, http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2008/6082/pdf/SdF-2008-01-16-23.pdf [3.3.2009]. Kürzlich: Sutzkever, Abraham, Wilner Getto 1941–1944 (Bd. 1), Gesänge vom Meer des Todes. Gedichte (Bd. 2), aus dem Jiddischen übersetzt von Hubert Witt, Zürich 2009; ders., Geh über Wörter wie über ein Minenfeld, Auswahl, Übersetzung und Anmerkungen von Peter Comans, Frankfurt a.M. 2009. Vgl. Nachman Blumenthal, Introduction, in: ders. (Hg.), Darko shel Yudenrat: Te‘udot miggeto Bialistoq [Conduct and Actions of a Judenrat. Documents from the Bialystok Ghetto], Jerusalem 1962, S. VII–L. Polnische Übersetzungen der Meldungen hat Dobro´nski in seiner Reihe Die Białystoker Juden veröffentlicht. Adam Czesław Dobro´nski (Hg.), Białostoccy Z˙ydzi, 4 Bde., Bd. I, Białystok 1993. Die Meldungen wurden von Józef Korzeniowski ins Polnische übersetzt. Vgl. Israel Gutmann (Hg.), Emmanuel Ringelblum. The Man and the Historian Jerusalem 2010. Das Geheimarchiv (Deckname: Oneg Shabbat) des Warschauer Ghettos wurde von dem Historiker Dr. Emanuel Ringelblum (1900–1944) gegründet und verwaltet. Die Mitarbeiter des Archivs sammelten sowohl amtliche Dokumente als auch Papiere und Quellen einzelner Personen, dokumentierten die wirtschaftliche und kulturelle Tätigkeit, fertigten Berichte über die Lage verschiedener Bevölkerungsgruppen an und trugen Berichte über das Schicksal der Juden in anderen Distrikten und Ghettos zusammen. Neben Tagebüchern, Aufzeichnungen, Fotographien, literarischen und religiösen Texten wurden auch Straßen- und Lebensmittelkarten aufbewahrt. Siehe die Dokumenteneditionen: Z˙ydowski Instytut Historyczny [Jüdisches Historisches Institut] (Hg.), Archiwum Ringelbluma. Konspiracyjne Archiwum Getta Warszawy [Ringelblum-Archiv. Konspiratives Archiv des Warschauer Ghettos], Bd. 1: Listy o Zagładzie [Briefe über die Vernichtung] hrsg. von Ruta Sakowska, Warszawa 1997; Bd. 2: Dzieci – tajne nauczanie w getcie warszawskim [Kinder – geheimer Unterricht im Warschauer Ghetto], hrsg. von ders., Warszawa 2000; Bd. 3: Relacje z Kresów [Berichte aus den östlichen Gebieten Polens], hrsg. von Andrzej Z˙bikowski, Warszawa 2002. Siehe auch: Z˙ydowski Instytut Historyczny (Hg.), Oneg Shabbat. Das Untergrundarchiv des Warschauer Ghettos [Ausstellungskatalog],
Einführung
299
Mittelpunkt von Forschung und öffentlichem Interesse – nicht zuletzt auf Grund des jüdischen Widerstandes und der brutalen Niederschlagung des Aufstandes im Frühjahr 1943.7 In den vergangenen Jahren gelang es der Gießener Forschungsstelle Holocaust-Literatur mit Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Quellen aus dem Ghettoarchiv in Łód´z zu edieren. In Zusammenarbeit des deutsch-polnischen Forscherteams erschien Ende 2007 die deutsche Ausgabe der mehr als dreitausendseitigen Chronik des Ghettos Lodz/Litzmannstadt, die in den Jahren 1940 bis 1944 von den Mitarbeitern des dortigen Ghettoarchivs in polnischer und deutscher Sprache nach Maßgaben des Judenrats angefertigt wurde. Die polnische Ausgabe erschien mit Unterstützung der Stadt Łód´z.8 Der erste Versuch einer polnischen Gesamtedition unter der Leitung des Litzmannstadt-Überlebenden und Historikers Lucjan Dobroszycki wurde nach dem Erscheinen der ersten beiden Bände 1968 im Zuge der antisemitischen Maßnahmen der Regierung Władysław Gomułkas abrupt abgebrochen.9 Im Jahre 1984 gab Dobroszycki, der Polen verlassen musste und in die USA emigriert war, eine einbändige englischsprachige Ausgabe heraus.10 Eine vierbändige hebräische Edition folgte zwischen 1986 und 1989 durch die Gedenkstätte Yad Vashem. In der Forschung zu den Ghettos und zur Ghettoisierungspolitik lassen sich verschiedene Ansätze und Perspektiven unterscheiden. Zwei der drei von Samuel Gringauz vorgeschlagenen Analyserahmen11 prägten die Forschung in besonderer Weise: der soziologische und der historisch-morphologische Ansatz. Tim Cole fasst die Unterschiede zwischen diesen beiden Richtungen wie folgt zusammen: »a focus on the victims versus the perpetrators; a focus on the ghetto as a ›Jewish‹ place versus the ghetto as part of the Holocaust process; and the adoption of the methodology of social and cultural history (and sociology) versus the methodology of political and institutional history (and poli-
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Warszawa ³2003; Samuel Kassow, Who Will Write Our History? Rediscovering a hidden archive from the Warsaw Ghetto, London 2009. Auch die Beschreibung des Geschehens innerhalb der Ghettos konzentrierte sich lange auf Warschau. Grundlegend: Joseph Wulf, Vom Leben, Kampf und Tod im Warschauer Ghetto, Bonn 1958; Israel Gutman, The Jews of Warsaw 1939–1943. Ghetto, Underground, Revolt, Bloomington 1982. Sascha Feuchert/Erwin Leibfried/Jörg Riecke (Hg.), Die Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt, 5 Bde., Göttingen 2007, insbesondere Bd. I, S. 5–7; dies. (Hg.), Letzte Tage. Die Łódzer Getto-Chronik Juni/Juli 1944, Göttingen 2004; Julian Baranowski u.a. (Hg.), Kronika getta łódzkiego/Litzmannstadt Getto 1941-1944, 5 Bde., Łód´z 2009. Zu den Gründen für den plötzlichen Abbruch der Herausgabe vgl. Sascha Feuchert, Die GettoChronik: Entstehung und Überlieferung. Eine Projektskizze, in: Die Chronik des Gettos Lodz/ Litzmannstadt. Supplemente und Anhang, Göttingen 2007, S. 166–190, hier: S. 186 f. Im Mai 1969 wurden fast alle geretteten Aufzeichnungen nach Łód´z gebracht und später im Staatsarchiv verwahrt. Vgl. ebd., S. 187. Lucjan Dobroszycki/Danuta Da˛browska (Hg.), Kronika getta łódzkiego [Die Chronik des Łód´zer Ghettos], 2 Bde., Łód´z 1965/1966, S. VIII; Lucjan Dobroszycki (Hg.), The Chronicle of the Lodz Ghetto, 1941-1944, New Haven 1984. Samuel Gringauz, The Ghetto as an Experiment of Jewish Social Organisation, in: Jewish Social Studies 11 (1949), S. 3–20, hier: S. 3 f.
300
Freia Anders, Katrin Stoll, Karsten Wilke
tical science).«12 Cole plädiert dafür, eine weitere Analyseebene zu berücksichtigen: »the spatiality of Holocaust ghettoization«.13 Eine Geschichte der Ghettos aus der Perspektive der Opfer hat Gustavo Corni vorgelegt, der vor allem veröffentlichte jüdische Erinnerungsberichte und Tagebücher als Quellen heranzieht.14 Seine Hypothese lautet, »that the ghetto represents a unique social structure in which elements of the traditional pre-war Jewish society continued to exist«.15 Corni analysiert das soziale Gefüge in den Ghettos sowie die Wahrnehmungen und Verhaltensweisen der jüdischen Bevölkerung. Eine systematische Untersuchung der Gesellschaft in den Ghettos steht indes, wie Andrea Löw betont, noch aus.16 Sie analysiert auf der Grundlage von Quellen, die von Juden in Łód´z/Litzmannstadt während und nach der Zeit der Besatzung hinterlassen wurden, »Lebensbedingungen, Selbstwahrnehmung und Verhalten« der Menschen im Ghetto Litzmannstadt.17 Anhand der Selbstzeugnisse schildert sie die Vielfalt der Handlungsweisen. Ein Ergebnis ihrer Untersuchung lautet, dass es den Menschen gelang, eine »Gegenwelt« zu schaffen, die »den destruktiven Erfahrungen des Gettos entgegengestellt« war und für »Humanität und Achtung der Würde des Einzelnen« stand.18 Das Ghetto »als Vorstufe der Vernichtung zu betrachten«, sei, so Löw, »eine unangemessene und nicht zutreffende Sichtweise«.19 Die Historiographie zur nationalsozialistischen Ghettoisierungspolitik, die sich bisher in erster Linie auf die Ghettos im besetzten Polen konzentriert hat,20 stützt sich aufgrund ihres Erkenntnisinteresses überwiegend auf die Akten der deutschen Besatzungsherrschaft. Viele Studien haben sich mit der Frage befasst, welche Bedeutung den Ghettos in den nationalsozialistischen Planungen zur so genannten »Endlösung der Judenfrage« zukam. Angesichts erbärmlichster Lebensbedingungen und hoher Sterberaten sehen einige Autoren in 12
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Tim Cole, Ghettoization, in: Dan Stone (Hg.), The Historiography of the Holocaust, Basingstoke 2004, S. 65–87, hier: S. 67. Vgl. ebd., S. 77 ff. Cole schreibt: »There is a need to examine the precise location of the ghetto within the larger place of the city. Doing so is to take seriously the notion of the ghetto as a spatial product which is located in a particular place for functional and ideological reasons.« Ebd., S. 81 f. Gustavo Corni, Hitler’s Ghettos. Voices from a Beleaguered Society, 1939–1944, London 2002. Vgl. auch die Rezension von Andrea Löw, in: h-net, http://www.h-net.org/reviews/showrev. php?id=17424 [8.5.2009]. Corni, Hitler’s Ghettos, S. 2. Löw wertete die Überlieferung des Łód´zer Ghettoarchivs aus. Vgl. Andrea Löw, Juden im Getto Litzmannstadt. Lebensbedingungen, Selbstwahrnehmung, Verhalten, Göttingen 2006, hier: S. 12; vgl. auch die Rezension von Johannes Vossen, in: H-Soz-u-Kult, 19.6.2007, www. hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-2-170 [9.4.2009]. Zu von Löw verwendeten Quellen und Autoren vgl. ebd., S. 31-43. Ebd., S. 499. Ebd., S. 508. Zur Ghettoisierungspolitik in Polen vgl. Christopher Browning, Before the »Final Solution«: Nazi Ghettoization Policy in Poland (1940–1941), in: ders. (Hg.), Ghettos 1939–1945. New Research and Perspectives on Definition, Daily Life and Survival, Washington 2005, S. 1–13; ders., Der Weg zur »Endlösung«. Entscheidungen und Täter, Hamburg 2002, S. 39–70; ders. Die Entfesselung der »Endlösung«. Nationalsozialistische Judenpolitik 1939–1942, Berlin 2006, S. 173–209.
Einführung
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der Errichtung der Ghettos einen intendierten Schritt zur totalen Vernichtung der Juden.21 Für Christopher Browning, Peter Longerich und Dan Michman sprechen sowohl die zeitliche Uneinheitlichkeit der Ghettobildung als auch die konkurrierenden Modelle ziviler, sicherheitspolizeilicher und militärischer Verwaltungsbehörden gegen diese These.22 Browning analysiert die Entscheidungsstrukturen der deutschen, für die Ghettoverwaltung zuständigen Behörden in Warschau, Łód´z, Krakau, Radom und Lublin. Er unterscheidet dabei zwei gegensätzliche Positionen: Die »Produktivitätsbefürworter« strebten entgegen der »Befürworter einer Vernichtung durch Hunger« die wirtschaftliche Ausbeutung der Ghettobevölkerung an und setzten sich deshalb für einen minimalen Lebensstandard ein. Die »Produktionsbefürworter« besaßen in diesem Konflikt die stärkere Position bis das Reichssicherheitshauptamt die Direktive zugunsten des systematischen Massenmords ausgab.23 Die Erforschung der Situation der Judenräte, deren Bildung noch vor der Ghettoisierung von den deutschen Besatzern erzwungen wurde, weist viele Defizite auf. Die Institution »Judenrat« ist dennoch vielfach interpretiert worden: als »jüdische Führerschaft«, als Exekutivorgan deutscher Befehle und Politik, als ein Bestandteil der nationalsozialistischen »Endlösungs«-Pläne, als Kristallisationspunkt jüdischen Selbstbehauptungswillens oder als scheinbare »Selbstverwaltung« mit stark eingeschränktem Spielraum.24 Bei Marian Fuks finden sich gleich mehrere Deutungen: Er bezeichnet die Judenräte als »fake self-government bodies«, als »an element of the Nazi plan of the extermination of the Jewish community« und als »collective leadership of the million of Jews«.25 Jehuda Bauer hat in seinem Abschlussvortrag auf einer dem Thema 21
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Andreas Hillgruber, Die ›Endlösung‹ und das deutsche Ostimperium als Kernstück des rassenideologischen Programms des Nationalsozialismus, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 20 (1972), S. 133–153. Philip Friedman, Roads to Extinction. Essays on the Holocaust, New York 1980; Isaiah Trunk, Judenrat. The Jewish Councils in Eastern Europe under Nazi Occupation, New York 1972. Vgl. Peter Longerich, Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung, München 1998, S. 280; Browning, Der Weg zur »Endlösung«, S. 40; ders.: Die Entfesselung der »Endlösung«. Nationalsozialistische Judenpolitik 193 – 942, München 2003, S. 251 f; Dan Michman, The Jewish Ghettos during the Holocaust: How and Why did they Emerge?, New York 2009; Dan Michman, The Jewish Ghettos under the Nazis and their Allies: The Reasons behind their Emergence, in: Guy Miron/Shlomit Shulhani (Hg.), The Yad Vashem Encyclopedia of the Ghettos during the Holocaust, Jerusalem 2009, S. XIII-XXXIX. Vgl. Browning, Die Entfesselung der »Endlösung«, S. 175. Vgl. Artur Eisenbach, Hitlerowska Polityka Zagłady Z˙ydów [Die Hitleristische Politik der Judenvernichtung], Warszawa 1961, S. 235–248; Lucy Dawidowicz, Der Krieg gegen die Juden 1933–1945, Wiesbaden 1979, S. 211–229. Dan Diner, Jenseits des Vorstellbaren. Der »Judenrat« als Situation, in: »Unser einziger Weg ist Arbeit«. Das Ghetto Łód´z 1940–1944, Wien 1990, S. 32–40; Philip Friedman, Social Conflicts in the Ghetto, in: ders., Roads to Extinction, S. 131–152, hier: S. 145 ff.; Marian Fuks, Das Problem der Judenräte und Adam Czerniakóws Amtstätigkeit, in: Stefan Jersch-Wenzel (Hg.), Deutsche – Polen – Juden, Berlin 1987, S. 229–239; Trunk, Judenrat; Aharon Weiss, Jewish Leadership in Occupied Poland. Postures and Attitudes, in: Yad Vashem Studies 12 (1977), S. 335–365. Ein Überblick findet sich bei Bauer, Die dunkle Seite der Geschichte, S. 163–173. Siehe auch Saul Friedländer, Das Dritte Reich und die Juden. Die Jahre der Vernichtung, München 2006, S. 65 ff. Marian Fuks, Judenräte – The People, The Problems, The Controversy, in: Daniel Grinberg (Hg.), The Holocaust Fifty Years After. 50th Anniversary of the Warsaw Ghetto Uprising,
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der Judenräte gewidmeten Tagung in Yad Vashem im April 197726 dafür plädiert, bei der Analyse des Phänomens zwei Dimensionen zu berücksichtigen: die Perspektive der »nicht-jüdischen Umgebung«, inklusive die der Mörder, und die Perspektive der Opfer.27 Seine Interpretation lautet: »The Judenräte as a whole did not oppose the Nazis, nor did they cooperate with them in the sense of collaboration – although there were Judenräte at both extremes. They all formed part of an administrative structure which the Nazis used to further their purposes, and yet revealed an enormous range of actions, activities and attempts, of which not a small part was aimed at relieving the Jewish community or even saving it. As far as the greater part of the community is concerned, these attempts ended in failure; with respect to a small minority – in success. What is important is undoubtedly not to examine the measure of success, but the motives and methods of those concerned.«28 Eine Interpretation des Gesamtphänomens der Judenräte wurde, so lässt sich resümieren, zwar mehrfach versucht, konnte aber vor allem aus drei Gründen nicht gelingen. Erstens war die empirische Basis lange Zeit unzureichend.29 Untersuchungen und populäre Darstellungen konzentrierten sich auf einige wenige Fälle und urteilten aufgrund ausgewählter Aspekte, wie zum Beispiel auf der Basis der Aktivitäten der Judenratsvorsitzenden und deren Verhaltensweisen. Zweitens mangelte es an Studien, die sich mit Hilfe eines theoretischen Modells dem Phänomen der Judenräte annäherten und versuchten, die Struktur dieser Institution zu erfassen. Hinzu kamen simplifizierende und moralisch aufgeladene Wertungen, wie zum Beispiel während der Kontroverse, die Hannah Arendts Thesen zum Eichmann-Prozess ausgelöst hatten,30 Wertungen, die aber bereits seit der Staatsgründung Israels im Raum standen. So betont Yisrael Gutman, dass Nachman Blumenthal bereits viele Jahre vor Arendts Veröffentlichung zu einer ähnlichen Schlussfolgerung wie die Philosophin gekommen sei. Blumenthal habe bereits 1953 geschrieben: »Without the assistance of the Judenräte, the Germans could not have managed to carry out their policy of
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Warszawa 1993, S. 189–198, hier: S. 190 f. Vgl. Israel Gutman/Cynthia J. Haft (Hg.), Patterns of Jewish Leadership in Nazi Europe 1933–1945. Proceedings of the Third Yad Vashem International Conference, Jerusalem, April 4–7, 1977, Jerusalem 1979. Vgl. Jehuda Bauer, The Judenräte – Some Conclusions, in: ebd., S. 393–405, hier: S. 405. Bauer skizziert die unterschiedlichen Perspektiven auf das Phänomen am Beispiel der Ansätze von Hilberg und Trunk. Jehuda Bauer, The Judenräte – Some Conclusions, in: Gutman/Haft (Hg.), Patterns of Jewish Leadership in Nazi Europe 1933–1945, S. 405. Der Text ist auch zu finden in: Michael Marrus (Hg.), The Nazi Holocaust. Historical Articles on the Destructions of European Jews, Bd. 6, The Victims of the Holocaust (1), London 1989, S. 165–177. Darauf hat Bauer schon früh hingewiesen. Vgl. Bauer, The Judenräte, S. 402 f. Vgl. den Beitrag von Karsten Wilke in diesem Band. Gutman setzt sich kritisch mit der Behauptung Arendts, die Gesamtzahl der Opfer wäre geringer gewesen, wenn die Juden »unorganisiert und führerlos« geblieben wären, auseinander. Vgl. Israel Gutman, The Judenrat as Leadership, in: Moshe Zimmermann (Hg.), On Germans and Jews under the Nazi Regime. Essays by Three Generations of Historians. A Festschrift in Honor of Otto Dov Kulka, Jerusalem 2006, S. 312–335, hier: S. 330 f.
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extermination against the Jews, in any case not on such a large scale and definitely without larger losses to the Germans themselves.«31 Die Rolle der Judenräte in den Ghettos ist ein Thema, das in der Forschung besondere Aufmerksamkeit fand.32 Raul Hilberg schreibt in seiner Gesamtdarstellung zur Judenvernichtung, dass der Ghettoisierungsprozess den Charakter der Judenräte grundlegend verändert habe: »In ihrer ursprünglichen Form erfüllten sie die Rolle eines Bindeglieds zwischen den deutschen Stellen und der jüdischen Bevölkerung, und ihre anfänglichen Aktivitäten drehten sich überwiegend um die Erfassung von Arbeitskräften und die Erfüllung fürsorglicher Aufgaben. Innerhalb des Ghettos wurden die Vorsitzenden der Judenräte de facto zu Bürgermeistern […], und die Räte hatten die Funktionen einer Stadtverwaltung zu erfüllen. Die aufkeimende jüdische Bürokratie, die bislang aus kleinen, mit Melde- oder Finanzvorgängen befaßten Stäben bestanden hatte, wurde nun ausgeweitet und untergliedert, um sich solch drängenden Problemen wie Wohnungsvermittlung, Gesundheit und öffentliche Ordnung zu widmen.«33 Hilbergs Urteil über die Tätigkeit der Judenräte fiel negativ aus: »In Ausübung ihrer traditionellen Funktion unternahmen die Judenräte bis zuletzt verzweifelte Versuche, das Leiden zu verringern und dem Massensterben in den Ghettos Einhalt zu gebieten. Doch gleichzeitig reagierten sie mit unbedingter Unterwerfung auf die deutschen Forderungen und beschwo31 32
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Nachman Blumenthal, zitiert nach ebd., S. 330. Tim Cole schreibt: »The role of the Jewish Councils in the ghettos has developed its own historiography, which is somewhat tangential to the historiography of the ghettos per se.« Cole, Ghettoization, S. 70. Ein wichtiges Thema ist das Verhältnis von Judenrat und Widerstandsbewegung in den Ghettos. Vgl. dazu Yitzhak Arad, The Armed Jewish Resistance in Eastern Europe. Its Unique Conditions and Its Relations with the Jewish Councils (Judenräte) in the Ghettos, in: Michael Berenbaum/Abraham J. Peck (Hg.), The Holocaust and History. The Known, the Unknown, the Disputed, and the Reexamined, Bloomington/Indianapolis 1998, S. 591-600. Arad konstatiert: »First, on two major issues there were no differences of opinion between the Judenräte and the Jewish armed underground in the ghettos: the latter did not oppose the main policy of the Judenräte in prolonging the existence of the ghettos by making the ghetto economically useful to the Germans. Therefore, the time of the uprisings was fixed (and they actually took place in Warsaw, Vilna and Białystok) when the Germans began the final liquidation of the ghettos. The councils, for their part, did not object to the idea that the underground would rise up and fight when the ghettos were about to be liquidated. When the inhabitants would be sent to the death camps, it was understood there would be nothing more to lose. Second, for ideological and practical reasons the Judenräte did not have, did not build and did not intend to build the tools of force to struggle against the armed Jewish underground. Third, the clashes between the Judenräte and the underground occurred only in cases in which underground activities [...] endangered the Judenräte’s policy of maintaining the existence of the ghettos. Fourth, the tragedy of this period was that neither the policy of the Judenräte nor that of the underground organizations could affect the ultimate survival of the Jewish masses in the ghettos. Germany’s strength and policy were the dominant factors«. Ebd., S. 599. Auch Diner kommt zu dem Schluss, dass die Trennlinie zwischen Judenrat und Widerstand häufig überzeichnet werde. Dan Diner, Gedächtniszeiten: Über jüdische und andere Geschichten, München 2003, S. 14. Zur Untergrundbewegung im Białystoker Ghetto vgl. Sara Bender, From Underground to Armed Struggle. The Resistance Movement in the Bialystok Ghetto, in: Yad Vashem Studies 23 (1993), S. 145–171, und dies., The Jews of Białystok, S. 155–184, S. 224–242 und S. 258–269. Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Frankfurt a.M. 1994, 3 Bde., Bd. I, S. 241.
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ren die deutsche Besatzungsmacht, um den Gehorsam ihrer Gemeinde zu erzwingen. So war es der jüdischen Führung beschieden, ihre Gemeinde zugleich zu retten und zu vernichten – sie rettete die einen Juden und vernichtete die anderen; sie verschaffte den Juden für den Augenblick Rettung, um sie im nächsten Augenblick der Vernichtung anheimzugeben. Einige Führer weigerten sich, auf diese Weise Macht auszuüben, andere ließen sich von dieser Macht verführen.«34 Hilberg sah in der Etablierung der Judenräte einen »Vorbereitungsschritt« der Ghettoisierung und in der Konzentration der Juden in den Ghettos eine Vorstufe der Vernichtung.35 Im Gegensatz zu Hilberg betont Dan Michman, einer der profiliertesten Forscher zur Geschichte der Judenräte und der Ghettos während des Zweiten Weltkrieges, die Einsetzung der Judenräte sei weder mit der Einrichtung der Ghettos noch mit der Konzeption der »Endlösung« verknüpft gewesen.36 Michman weist darauf hin, dass bisher keine Studie erschienen ist, die das Phänomen der Judenräte auf europäischer Ebene vergleichend analysiert.37 Ein weiteres Defizit der Forschung zu den Judenräten besteht aus seiner Sicht darin, dass die Erkenntnisgewinne der Forschung zum NS-Regime – insbesondere zur Struktur der NSHerrschaft und zur Entstehung der »Endlösung« – nicht hinreichend einbezogen werden.38 Mit der unhinterfragten Übernahme der Konzepte und Sichtweisen von Raul Hilberg (1961),39 Hannah Arendt (1963),40 Isaiah Trunk (1972)41 und
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Ebd., S. 228. Hilberg begriff die Vernichtung der Juden als »einen Prozess aufeinanderfolgender Schritte«, die auf Initiative unzähliger Entscheidungsträger innerhalb eines ausgedehnten bürokratischen Apparates ergriffen« worden seien. An allen Schritten – Definition, Enteignung, Konzentration, Ausrottung – sei die Vernichtungsmaschinerie (»machinery of destruction«), bestehend aus Ministerialbürokratie, Wehrmacht, Industrie und Partei, beteiligt gewesen. Hilberg zufolge verschmolzen die vier Hierarchien »nicht nur in ihrem Handeln, sondern auch in ihrem Denken«. Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd. I, S. 56 und S. 66. Vgl. Dan Michman, Jewish Leadership in Extremis, in: Stone (Hg.), The Historiography of the Holocaust, S. 319–340, hier: S. 328; ders., On the Historical Interpretation of the Judenräte Issue: Between Intentionalism, Functionalism and the Integrationist Approach of the 1990s, in: Zimmermann (Hg.), On Germans and Jews under the Nazi Regime, S. 385–397, hier: S. 395; ders., Judenraty, getto, ostateczne rozwia˛zanie kwestii Z˙ydowskiej. Trzy niezalez˙ne czy tez powia˛zane ze soba˛ komponenty polityki antyz˙ydowskiej? Kilka ogólnych spostrzez˙e´n i ich odniesienie do przypadku Łodzi (Litzmannstadt) [Judenräte, Ghetto, Endlösung der Judenfrage. Drei von einander unabhängige oder aufeinander bezogene Bestandteile der antijüdischen Politik? Einige allgemeine Bemerkungen und ihr Bezug zum Fall Łód´z (Litzmannstadt)], in: Aleksandra Namysło (Hg.), Zagłada Z˙ydów na polskich terenach wcielonych do Rzeszy [Die Vernichtung der Juden in den ins Reich eingegliederten polnischen Gebieten], Warszawa 2008, S. 163–168. Vgl. Michman, On the Historical Interpretation of the Judenräte Issue, S. 385. Ein Überblick findet sich bei Michman, Die Historiographie der Shoah, insbesondere Teil III, S. 103–119. Raul Hilbergs Studie The Destruction of the European Jews erschien erstmals 1961 in London. Eine deutsche Erstausgabe wurde 1982 veröffentlicht. Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. A Report on the Banality of Evil, London 1963. Isaiah Trunk, Judenrat. The Jewish Councils in Eastern Europe under Nazi Occupation, New York 1972.
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Aharon Weiss42 fänden auch deren intentionalistischen beziehungsweise funktionalistischen Interpretationen der Struktur der NS-Herrschaft Eingang in die Analysen. Die theoretischen Annahmen der »Integrationisten« dagegen, einschließlich der neueren Diskussion über die Rolle Hitlers, seien bisher nicht adäquat gewürdigt worden.43 Michman stellt als Gemeinsamkeit bisheriger Studien fest, dass die Judenräte als ein essentieller und integraler Teil der deutschen (Vernichtungs-)Politik gegenüber den Juden, und als deren ›Führer‹, die – wenn auch in unterschiedlicher Betonung ihrer Leistungen für die jüdische Gemeinschaft als Instrument der Deutschen – ›kollaboriert‹ hätten, betrachtet werden. Er plädiert dagegen für eine Perspektive, die die Institutionenkonkurrenz innerhalb des NS-Systems ebenso einbezieht, wie Fragen nach der Diskursgeschichte der Begriffe »G(h)etto« oder »Judenrat«, als auch nach den konkreten Entstehungszusammenhängen der Judenräte. Der Interpretation als ›Führer‹ (leader) setzt er den soziologischen Idealtypus des headship (»Herrschaft, Vorherrschaft«) nach einer Konzeption des Soziologen C.E. Gibbs entgegen. Es handelt sich um einen Terminus, dessen Definition durch folgende Merkmale bestimmt ist: 1. Die Vorherrschaft werde durch ein organisiertes System aufrechterhalten, nicht durch die spontane Anerkennung der Gruppenzugehörigen; 2. die Zielsetzung der Gruppe werde vom Oberhaupt (headman) gemäß seiner Interessen und nicht durch die Gruppe intern bestimmt. 3. Gemeinsames Befinden und Handeln habe in der headship-Beziehung wenig Bedeutung für das gegebene Ziel; 4. bestehe eine breite soziale Kluft zwischen den Gruppenzugehörigen und dem head, der sich bemühe, diese soziale Distanz als Zwangsmittel aufrechtzuerhalten. 5. Grundlegend unterschieden sich bei leadership und headship die Quelle der zur Anwendung kommenden Autorität. Während die Autorität des Führers (leader) durch Gruppenzugehörige und insbesondere auch durch die Anhängerschaft spontan eingeräumt werde, leite sich die Autorität des head von einer Macht außerhalb der Gruppe ab: »The authority of the head derives from some extra group-power which he has over the member of the group, who cannot meaningfully be called his followers. They accept his domination on pain of punishment, rather than follow.«44 Michman nimmt damit eine analytische Perspektive ein, die in künftige Interpretationen, die auch die zeitgenössische Überlieferung von Quellen der Judenräte einbezieht, Eingang finden dürfte. Der erste Abschnitt des Teilbandes greift israelische, polnische und deutsche Aspekte auf, die zu den Rahmenbedingungen der jeweiligen Rezeption und Historiographie der Judenräte gezählt werden müssen. Dan Michman behandelt in einem kurzen Essay ausgewählte »Kontroversen über die Judenräte in der jüdischen Welt« zwischen 1945 und 2005. Er verweist dabei auf das Ineinandergreifen von öffentlichem Gedächtnis und Geschichtsschreibung. Die 42
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Weiss veröffentlichte eine Reihe von Artikeln – überwiegend auf Hebräisch – zum Thema der Judenräte. Auf Englisch liegt von ihm vor: Aharon Weiss, Jewish Leadership in Occupied Poland. Postures and Attitudes, in: Yad Vashem Studies 12 (1977), S. 335–365. Michman, Die Historiographie der Shoah, S. 45. Vgl. C.E. Gibb, »Leadership«, in: Gardiner Lindzey/Elliot Aronson (Hg.), The Handbook of Social Psychology, Bd. 4, Reading, Mass. 1969, S. 212–213, zitiert nach Michman, Historiographie der Shoah, S. 105.
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unmittelbar nach 1945 einsetzende Erbitterung über die Judenräte interpretiert er als Bestandteil eines durch eine dichotomische Sichtweise geprägten Prozesses des Verstehens und Verarbeitens der unmittelbaren Vergangenheit, zu dem er auch die in vielen Ländern durchgeführten Gerichtsverfahren gegen Mitglieder der Judenräte zählt. In Israel setzte sich der Begriff schnell als jüdisches Äquivalent zu ›Kollaborateur‹ durch. Michman macht darauf aufmerksam, dass sich die Polemiken auf das Verhalten von führenden Persönlichkeiten der Judenräte oder der jüdischen Polizei zum Zeitpunkt der »Endlösung« konzentrierten und dabei situative Faktoren ausblendeten. Da sie insbesondere unter dem Einfluss Raul Hilbergs und Hannah Arendts Eingang in die Geschichtsschreibung und die akademische Welt fanden, entfalteten sie auch dort ihre Wirkmächtigkeit, während der Einfluss der seit den siebziger Jahren entstandenen historischen Studien bis heute begrenzt blieb. Karol Sauerland zeigt, warum es keine »Holocaust-Debatten in Polen« gab, insofern auch keine Diskussion über die Rolle der Judenräte oder eine diesbezügliche Forschung entstehen konnte. Dafür nennt er drei generelle Gründe: die Furcht von an Judenverfolgung und -mord beteiligten Polen, zur Rechenschaft gezogen zu werden; die Unmöglichkeit in einem undemokratischen System, in dem zudem in den vierziger Jahren Pogrome stattfanden und die Organisationsmöglichkeiten auch der jüdischen Bevölkerung eingeschränkt war, eine offene Debatte zu führen; und letztlich die unentschiedene Politik der katholischen Kirche. Er beschreibt, wie das antisemitische Denken innerhalb der Kommunistischen Partei, nicht nur die ›stalinistische‹ Phase zwischen 1949 und 1956 prägte, sondern in den sechziger Jahren zu einer Kampagne mit ›Säuberungen‹ nach rassistischen Kriterien führte. Erstmals in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre fanden vereinzelte polnische Selbstreflektionen einen – wenn auch sehr begrenzten – öffentlichen Widerhall. Aber erst durch die »Jedwabne-Debatte«45 wurde der herrschende, öffentliche Konsens, die Polen hätten bei der Vernichtung der Juden allein die Rolle des Zuschauers spielen müssen, aufgebrochen. Karsten Wilke hat sich der Aufgabe gestellt, die Kontroverse um Hannah Arendts Prozessreport Eichmann in Jerusalem nachzuvollziehen, die sich an der These der Philosophin entzündete, dass »ohne die Kooperation durch die jüdischen Funktionäre die ›Endlösungs‹-Politik nicht in dem tatsächlichen Umfange hätte realisiert werden können«.46 Dabei setzt er den Schwerpunkt auf die Interpretation der Kontroverse in der Bundesrepublik Deutschland, wo sie hauptsächlich als innerjüdische Diskussion um Arendts Eichmann-Bild 45
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Siehe die Dokumentation der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Brandenburg, zusammengestellt von Ruth Henning, Die »Jedwabne-Debatte« in polnischen Zeitungen und Zeitschriften, Potsdam 2001, und die Beiträge in: Barbara Engelking/Helga Hirsch (Hg.), Unbequeme Wahrheiten. Polen und sein Verhältnis zu den Juden, Frankfurt a.M. 2008, S. 150–232. Vgl. auch Karol Sauerland, Polen und Juden. Jedwabne und die Folgen, Berlin/Wien 2004, S. 223–277; Beate Kosmala, Polen – Juden – Deutsche. Die Debatte um die Ereignisse in Jedwabne, in: Wolfgang Benz (Hg.), Wann ziehen wir endlich den Schlussstrich? Von der Notwendigkeit öffentlicher Erinnerung in Deutschland, Polen und Tschechien, Berlin 2004, S. 113–133. Hans Mommsen, Hannah Arendt und der Prozess gegen Adolf Eichmann, in: Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München/Zürich 81998, S. 9–48, hier: S. 44.
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sowie als Streit um die Bewertung der Rolle der Judenräte gesehen und mit der bundesdeutschen Debatte um den Widerstand gegen den Nationalsozialismus verbunden wurde. Wilke würdigt dabei die originäre Stellungnahme des Historikers Wolfgang Scheffler, der die in dem Beitrag gezeigte enge Nähe von Zeitgeschichtsforschung und Gegenwartspolitik zu durchbrechen suchte, indem er Grundlagenforschung einforderte und als einer der ersten deutschen Forscher Arbeiten zum Thema vorlegte. Auch der zweite Abschnitt will die Sensibilität für den Rezeptionskontext schärfen. Er kehrt zurück zu dem zentralen Anliegen des Bandes, die Dokumente des Białystoker Judenrats zu erschließen, indem er auf Erkenntnispotentiale und Lesarten der Quellen aufmerksam macht. Sara Bender erarbeitet auf der Basis der Protokolle und Meldungen des Białystoker Judenrats eine detaillierte Schilderung des Verwaltungsaufbaus. Vorgestellt werden die Aufgaben zentraler Ressorts (Wohnen, Finanzen, Arbeit, Industrie, Versorgung, Polizei, Gesundheit/Hygiene, Wohlfahrt, Bildung/Erziehung, Recht). Bender betont das Ansehen und die Autorität des stellvertretenden Vorsitzenden Barasz, der den Aufbau wirtschaftlicher Beziehungen mit den Deutschen als Voraussetzung dafür betrachtete, ihnen Zugeständnisse abzuringen und Zeit zu gewinnen – mit der letztlich vergeblichen Hoffnung, die Vernichtung des Ghettos auf diese Weise zu verhindern. Freia Anders geht in ihrem Beitrag »Niemand/zeugt für die/Zeugen« der Frage nach, was wir über Jakub Goldberg wissen können. Wie über die meisten Mitglieder der Judenräte, nimmt man ihre Vorsitzenden aus, sind nur spärliche Informationen vorhanden. Indem Anders die Spuren der Erinnerung an Goldberg aufnimmt, zeigt sie, wie sich ungesicherte Aussagen perpetuieren und die Erinnerung durch moralische Debatten über die Rolle der Judenräte gespeist und strukturiert wird. In einem zweiten Schritt arbeitet sie die Rolle und die Positionen Goldbergs, wie sie in den Protokollen des Białystoker Judenrats kenntlich werden, heraus, und zeigt, dass es nicht möglich ist, ein abschließendes Bild zu präsentieren. Joanna Furła-Buczek hat sich den sprachlichen Charakteristika der Białystoker Judenratsmeldungen aus einer linguistischen Perspektive angenähert. Sie beschreibt den Entstehungskontext der öffentlichen Bekanntmachungen, mittels derer der Judenrat, und über diesen vermittelt, auch die deutschen Besatzungsbehörden mit der Ghettobevölkerung kommunizierten, und untersucht die formalen Elemente der Textgestaltung. Zudem entwickelt sie inhaltliche Einteilungskriterien und macht dabei auf die Nichtthematisierung des Widerstands beziehungsweise der Vernichtungsaktionen aufmerksam. Katrin Stoll behandelt den Stellenwert der Białystoker Judenratsdokumente als Beweismittel im Bielefelder Białystok Prozess, einem westdeutschen Strafverfahren gegen Angehörige der Dienststelle des Kommandeurs der Sicherheitspolizei für den Bezirk Bialystok. Sie untersucht, wie das Bielefelder Schwurgericht die Echtheit der Dokumente mit Hilfe des Tatzeugen und Historikers Dr. Szymon Datner bestimmte und worin deren strafprozessuale Relevanz lag. Stoll macht deutlich, dass die Dokumente in Zusammenhang mit dem Schuldnachweis des Angeklagten Dr. Wilhelm Altenloh (im Fall der Deportationen aus dem Białystoker Ghetto im Februar 1943) ein zentrales Element in der Argumentationskette des Gerichts darstellten.
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Hans-Wilhelm Eckhardt und Matthias Holzberg nehmen eine erziehungswissenschaftliche Perspektive ein und schlagen in ihrem Beitrag vor, wie das Thema für die Behandlung im Schulunterricht der Sekundarstufe II didaktisch aufbereitet werden und die Verhältnisse im Ghetto Białystok im Sinne einer Fallstudie zusammen mit Schülern und Schülerinnen exemplarisch untersucht werden können. Dabei befassen sie sich mit der Frage, worin die didaktische Relevanz, das heißt die Bedeutsamkeit des Themas für die lebensweltliche Reflektion der Jugendlichen, beziehungsweise für die Auseinandersetzung mit historischen Hintergründen aktueller außenpolitischer Beziehungen liegt. Sie stellen neben Sachinformationen auch methodische Anregungen zur Quellenarbeit vor und geben wichtige Hinweise zu weiterführenden Medien. Der letzte Abschnitt befasst sich mit dem Erkenntniswert jüdischer Quellen für die Geschichte der Ghettos im besetzen Polen. Vorangestellt ist ein weiterer Essay von Dan Michman, in dem er einen linguistisch-kulturellen Erklärungsansatz für das Phänomen Ghetto während der Shoah vorstellt, der auf einer neuen Interpretation zentraler Dokumente beruht. Michman verweist darauf, dass die bisherige Forschung Fragen nach dem diskursiven Kontext des Ghettobegriffs, den ideologischen Wurzeln des Ghettobildes in der nationalsozialistischen Ideologie der dreißiger Jahre – wie sie beispielsweise in den Schriften Heinz-Peter Seraphims zum Ausdruck kommen –, der weitgehenden Begrenztheit des Phänomens auf Osteuropa und der unsystematischen zeitlichen und räumlichen Errichtung vernachlässigt hat. Dabei weist er darauf hin, dass die Ghetto-Idee und das Judenrat-Konzept sich aus vollkommen verschiedenen Quellen speisten und nicht inhärent miteinander verbunden waren. Die übrigen Beiträge konzentrieren sich vornehmlich auf die Überlieferung der Ghettos Warschau und Łód´z/Litzmannstadt. Monika Tokarzewska skizziert ein Bild der Judenräte, wie es in Tagebuchaufzeichnungen, aber auch in Erinnerungen von Zeugen der Shoah aufscheint. Dabei fällt auf, dass das Bild der Judenräte vor allem in Aufzeichnungen, die während des Krieges entstanden sind, häufig ablehnend und kritisch ausfällt. Anhand von ausgewählten Ausschnitten zeigt sie, welche Formen der Zuschreibung von institutioneller und persönlicher (Mit-)Verantwortung an die Judenräte herangetragen wurden. Erkennbar werden Aspekte der Zuschreibung von (Mit-)Verantwortung für die Umsetzung der nationalsozialistischen Exklusions- und Vernichtungspolitik, für die soziale Lage im Ghetto sowie für die »Zersetzung« der Gesellschaftsstruktur durch persönliche Vorteilsnahme. Eine Analyse des berühmten Tagebuches des Adam Czerniaków unternimmt Andreas Ruppert. Er macht den Vorschlag, das Tagebuch neu zu lesen: als Quelle für die Geschichte des Ghettos, als Materialbasis für die Beurteilung des Judenrats und auch als Spiegel der Persönlichkeit des Autors. Dabei demonstriert er, wie ausweglos die Lage des Warschauer Judenratsvorsitzenden war. Monika Polit arbeitet heraus, wie Person, Rolle und Programm des Vorsitzenden des Judenrats im Ghetto Litzmannstadt, Mordechai Chaim Rumkowski, in der Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt dargestellt wurden und legt dar, dass sich die Ghettochronik als an die Nachwelt gerichtete Rechtfertigungs- und Propagandaschrift Rumkowskis verstehen lässt.
Judenräte: Rezeption und Historiografie
Kontroversen über die Judenräte in der jüdischen Welt 1945–2005 Das Ineinandergreifen von öffentlichem Gedächtnis und Geschichtsschreibung von
DAN MICHMAN
Bereits während des Holocaust gab es unter den Juden Animositäten gegenüber den Judenräten und ihren Äquivalenten (wie zum Beispiel den Judenvereinigungen). In ihrer vermittelnden Position zwischen den deutschen Behörden und der jüdischen Bevölkerung wurden diese Verwaltungsorgane zu Blitzableitern für die Wut in lebensbedrohlichen Situationen. So wurde in den Niederlanden der Amsterdamer Joodsche Raad von den Juden »Joodsch verraad«, also »Jüdischer Verrat«, genannt. Andererseits versuchten einige Mitglieder der Judenräte ihre Politik schon zu einem frühen Zeitpunkt offen zu verteidigen, wie zum Beispiel Maurice Benedictus von der belgischen Association des Juifs en Belgique, der bereits 1943 an seinem Fluchtort Lissabon damit begann, eine Beschreibung und Erklärung des Verhaltens und der Politik des belgischen Judenrats niederzuschreiben.1 Andere, wie zum Beispiel Mordechai Chaim Rumkowski in Łód´z2 oder Jacob Gens in Wilna,3 äußerten sich direkt gegenüber ihren Zuhörern. Unmittelbar nach dem Krieg, als das Ausmaß des Massenmords allmählich sichtbar wurde, wuchs die Erbitterung gegenüber den Judenräten weiter an und überschritt die Ebene lokaler Reaktionen – sie wurde zu einem grundlegenden Bestandteil im Prozess des Verstehens und Verarbeitens der schrecklichen unmittelbaren Vergangenheit. In der während der Kriegszeit in ganz Europa nicht nur unter Juden vorherrschenden dichotomischen Sicht der Beziehungen – eine Sicht, die die Welt zwischen den »Guten«, also den Widerständlern, und den »Bösen«, also den Deutschen und ihren Kollaborateuren, aufteilte – wurden die Judenräte eindeutig der zweiten Kategorie zugerechnet. Der Begriff wurde zum jüdischen Äquivalent für Kollaborateur. Darüber hinaus dachten viele Juden, dass die Unfähigkeit der jüdischen Bevölkerung, sich 1
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Maurice Benedictus, Historique du problème juif en Belgique depuis le 10 mai 1940 jusq’au 31 décembre 1942, Februar 1943, manuskript, Studie- en Documentatiecentrum Oorlog en Hedendaagse Maatschappij (SOMA), Brüssel. Vgl. Isaiah Trunk, Lodzsher geto, New York 1962, S. 311–312; Yitzhak Arad/Israel Gutman/ Abraham Margaliot (Hg.), Documents on the Holocaust, Jerusalem 1981, S. 283–284. Vgl. ebd., S. 440–444.
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gegen den deutschen Angriff auf ihre Existenz zu verteidigen, den »Führern« zuzuschreiben war, und die »Führer« wurden mit den Judenräten gleichgesetzt. Im ersten Jahrzehnt nach 1945 führte dies zu verschiedenen Versuchen, Mitglieder der Judenräte vor Gericht zu bringen, entweder vor offizielle Gerichte einzelner Staaten, wie in Belgien,4 den Niederlanden,5 der Tschechoslowakei,6 in Ungarn7 und Israel,8 oder vor jüdische Ehrengerichte in Vertriebenenlagern, so genannten DP-Camps, in den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands sowie in Italien,9 Polen,10 Frankreich11 und in
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Initiiert durch eine Anfrage bezüglich »Ullman et consts.« vom 17. Oktober 1944 durch Maurice Liebman an das Auditorat Militaire; siehe: Marc Donnet, Le procès de l’AJB n’aura pas lieu, Analyse du dossier 8036/44 de l’Auditorat militaire de Bruxelles., Verhandeling tot het behalen van het Diploma Aanvullende Studies in Geschiedenis, Katholieke Universiteit Leuven, Leuven 1992–1993, S. 36 ff. Der Jüdische Ehrenrat (Joodsche Ereraad) wurde Ende Januar oder Anfang Februar 1946 gegründet, einige Monate nachdem der niederländische Zionistenbund (Nederlandse Zionisten Bond) ein Komitee zur Vorbereitung von Säuberungen (Commissie tot Voorbereiding der Zuivering) eingerichtet hatte. Die Aufgabe dieses Komitees war es, ein Urteil über jeden Juden zu treffen, dessen Einstellung oder Verhalten während der Besatzung nicht kompatibel war mit der grundlegendsten jüdischen Solidarität, vgl. N. K. C. A. in ‘t Veld, De Joodse Ereraad, ‘s Gravenhage 1989, S. 34, 37–38, 43–44. Am 5. Juni 1945 wurde Dr. Benjamin Murmelstein, der letzte Judenälteste von Theresienstadt, auf Befehl der Nationalen Sicherheitsverwaltung in Litomˇerˇice verhaftet. Er wurde verhört und wegen Kollaboration angeklagt. Im August 1946 wurde er offiziell vor Gericht gestellt, jedoch durch das Gericht freigesprochen und entlassen. Vgl. Margalit Shlain, Jewish Leadership in Theresienstadt. Struggle for Survival, 1941–1945, Dissertation, Universität Tel-Aviv, Tel-Aviv 2005, S. 390–391 (hebräisch). Vgl. Randolph L. Braham, The Politics of Genocide. The Holocaust in Hungary, überarbeitete und erweiterte Fassung, New York 1994, Bd. 2, S. 498: Anm. 11, 505: Anm. 133, 1105 und 1159: Anm. 146. Vgl. auch: ders., Le Conseil Juif en Hongrie, in: Revue d’histoire de la Shoa, H. 185, Juli/Dezember 2006: Les Conseils Juifs dans l’Europe allemande, S. 287–288. Vgl. Isaiah Trunk, Judenrat. The Jewish Councils in Eastern Europe under Nazi Occupation, New York/London 1972, S. 561–569; Hanna Yablonka, The Olim from Europe and Holocaust Consciousness [Olei Eiropa ve-Toda’at ha-Shoah], in: Zwi Zameret/Hanna Yablonka (Hg.), The First Decade 1948-1958 [He’Asor ha-Rishon Tashah-Tav-shin-yod-het], Jerusalem 1997, S. 52–53; Hanna Yablonka, Ha-hok la’asiyat din ba-Natzim uv-Ozreihem: Hakika, Yisum veHashkafat Olam [The Law for trying Nazis and their Helpers. Legislation, Application and Worldview], in: Cathedra 82 (1997), S. 135–153. Vgl. Trunk, Judenrat, S. 549–561. Trunk bezieht in diesen Verhandlungen alle »Kollaborateure« ein, d.h. jüdische Polizisten und Leiter der Ghettopolizei, sowie Kapos. Am 8. Oktober 1946 entschied das Jüdische Zentralkomitee, ein »öffentliches (jüdisches) Gericht für frühere Kollaborateure mit den Deutschen« (sa˛d obywatelski nad byłymi współpracami z Niemcami) einzurichten; vgl. David Engel, »›Uvi’arta ha-Ra’ mi-Kirbecha‹«. Leveirur haMusag ›Shituf Pe’ula‹ bi-Tkufat ha-Shoah ba-Aspaklarya shel Mishpetei Michael Weichert [»Remove the Evil from the Midst of Thee«. On the Concept of Collaboration in the Trials of Michael Weichert], in: Shmuel Almog/Daniel Blatman/David Bankier/Dalia Ofer (Hg.), The Holocaust – History and Memory. Essays Presented in Honor of Israel Gutman [Hasho’a – Historiya ve-Zikkaron], Jerusalem 2001, S. 2. Ein Ehrengericht zur Aburteilung der Vorsitzenden der Union Générale des israélites de France wurde auf Veranlassung des Comité Générale de Défense des Juifs 1946 von der CRIF eingerichtet, es untersuchte in einem Fall das Verhalten der Organisation. Vgl. Jacques Adler, The Jews of Paris and the Final Solution. Communal Response and Internal Conflicts, 1940–1944, New York/Oxford 1987, S. 159–161.
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den Niederlanden.12 Ein Autor schrieb mit Blick auf dieses Problem in Polen, dass »es überall Säuberungen gab, wo Hitler zugeschlagen hatte, überall dort, wo die ›Moral‹ der Nazis die Seelen von Menschen vergiftet hatte, die der Versuchung nicht widerstehen konnten. Überall – in Polen, Frankreich, der Tschechoslowakei, Jugoslawien, Norwegen, Dänemark, Holland und Belgien – wurden Sondergerichte eingesetzt, um die Schuld jener Bürger zu untersuchen, die mit den Behörden des Hitlerregimes und ihren Repräsentanten kollaboriert hatten. Ein Volk, das sich selbst achtet, kann dieses Thema nicht vorsätzlich ignorieren. Wir begehen eine Sünde an den kommenden jüdischen Generationen, wenn wir die historische Wahrheit durch Auslassungen verzerren. Von allen europäischen Völkern sind wir zweifellos dasjenige, das die größte Rechnung mit dem deutschen Nazifaschismus offen hat. Aber wir sollten stark sein und dazu stehen, dass unser Volk nicht nur aus unschuldigen Opfern besteht. Unsere Position wird in den Augen der Weltöffentlichkeit keinen Makel erhalten, wenn wir unsere Verräter identifizieren und vor Gericht stellen.«13 Der vielleicht bekannteste Prozess wurde zwischen 1954 und 1958 in zwei Phasen in Israel geführt, das so genannte Kasztner-Verfahren, das von der breiten Öffentlichkeit wegen der vermuteten Kollaboration von Reszö Kasztner mit den nationalsozialistischen Funktionären Adolf Eichmann und Kurt Becher14 in Ungarn als »Judenrat-Prozess« aufgefasst wurde – obwohl Kasztner zu keinem Zeitpunkt als Mitglied eines Judenrats geführt wurde. Das verdeutlichte die Tatsache, dass der Begriff »Judenrat« zu einem Synonym für Kollaborateur geworden war.15 Im Umfeld dieser Gerichtsverhandlungen, aber auch unabhängig davon, wüteten in jüdischen Gemeinden jahrzehntelang heftige Polemiken über das Verhalten von führenden Persönlichkeiten der Judenräte, die auch Eingang in die Geschichtsschreibung fanden. Einige der allerersten historiographischen Arbeiten über den Holocaust hatten ihren Ursprung in diesem sensiblen Thema.16 In den meisten Fällen stand die große 12 13
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Vgl. ‘t Veld, De Joodse Ereraad. Tsintsinatus [pseud.], Di natsionale Verreter – tsum Volks-mishpet [Die nationalen Verräter – Stellt sie vor ein Volksgericht], in: Dos Naye Leben vom 18. Oktober 1946, S. 3; zitiert nach Engel, »Remove the Evil from the Midst of Thee«, S. 1. Vgl. Christian Gerlach/Götz Aly, Das letzte Kapitel. Realpolitik, Ideologie und der Mord an den ungarischen Juden 1944/1945, Stuttgart/München 2002, S. 318 ff. Vgl. Tom Segev, HaMilyon haShevi’i. HaYisre’elim vehaShoa [The Seventh Million. The Israelis and the Holocaust], Tel-Aviv 1991, Kap. V, insbesondere S. 244, 255, 266–267. Das wurde viele Jahrzehnte später wieder aufgegriffen in der israelischen TV-Serie Kasztner von 1993 unter der Regie von Motti Lerner, als in einer der Szenen ein Überlebender des Holocaust aus Ungarn im israelischen Gerichtssaal beim Eintreten Kasztners aufsteht und ihn einen »Judenrat« nennt! Vgl. auch: Moshe Zimmerman, Al Tig’u Li baShoa. Hashpa’at haShoah ‘al haKolnoa’ vehaHevra beYisrael [Leave My Holocaust Alone. The Impact of the Holocaust on Israeli Cinema and Society], Haifa/Lod 2002, S. 305–306. Zum Beispiel in den Niederlanden: K.P.L. Berkeley, Overzicht van het ontstaan, de werkzaamheden en het streven van den Joodsche Raad voor Amsterdam, Amsterdam 1945; Hans Wielek, De Oorlog die Hitler Won, Amsterdam 1947; Abel Herzberg, Kroniek der Jodenvervolging, Amsterdam 1950. Ein weiteres Beispiel ist das Buch von Hans Günther Adler, Theresienstadt 1941–1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft, Tübingen 1955.
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Mehrheit dem Verhalten der Judenräte skeptisch und ablehnend gegenüber, lediglich ehemalige Mitglieder dieser Gremien und ihre nächsten Angehörigen oder Anwälte verteidigten sie. Unter dem Eindruck zweier einflussreicher Bücher schlug diese Einstellung tiefe Wurzeln in der akademischen Welt: Raul Hilbergs The Destruction of European Jews (1961), und Hannah Arendts Eichmann in Jerusalem. A Report on the Banality of Evil (1963). Hilberg betrachtete die Judenräte als die einzige »Führung« der Juden. Einerseits wurde sie von den Deutschen ernannt, andererseits bestand mit den Räten – so wie er es darstellte – die bereits vor der NS-Zeit vorhandene jüdische Führung weiter. Diese Führung, in der tatsächlich – auf konzentrierte Art und Weise – Charakteristika der jüdischen Gemeinschaft personifiziert waren, zeigte laut Hilberg ein hervorstechendes Merkmal, nämlich »ein Wechselspiel von Appellieren und Nachgeben«. Dieses Charakteristikum war aus Hilbergs Sicht ein Ergebnis der »zweitausendjährigen Erfahrung« von Verfolgung, die das jüdische Volk als Gesamtheit überlebt hatte, auch wenn Einzelne umgekommen waren. »Diese Erfahrung«, so Hilberg, »war derart im jüdischen Bewusstsein verwurzelt, daß sie den Charakter eines Gesetzes annahm. [...] Eine zweitausend Jahre alte Lektion konnte nicht ungeschehen gemacht werden; die Juden vermochten sich nicht rasch genug [auf Widerstand] umzustellen.« Und er fasste die Dinge wie folgt zusammen: »Erst in den Jahren 1941, 1942 und 1943 erkannte die jüdische Führung, daß der moderne maschinenmäßige Vernichtungsprozeß, anders als die Pogrome der vergangener Jahrhunderte, das europäische Judentum verschlingen würde«.17 Hannah Arendt schrieb wenig später: »Von Polen bis Holland und Frankreich, von Skandinavien bis zum Balkan gab es anerkannte jüdische Führer, und diese Führerschaft hat fast ohne Ausnahme auf die eine oder andere Weise, aus dem einen oder anderen Grund mit den Nazis zusammengearbeitet. Wäre das jüdische Volk wirklich unorganisiert und führerlos gewesen, so hätte die ›Endlösung‹ ein furchtbares Chaos und ein unerhörtes Elend bedeutet, aber [...] die Gesamtzahl der Opfer hätte schwerlich die Zahl von viereinhalb und sechs Millionen Menschen erreicht.«18 Arendt bezog sich ebenfalls auf die Tätigkeit Reszö Kasztners. Es ist interessant zu sehen, dass Kasztner in ihrer Diskussion der jüdischen Führung beziehungsweise der Judenräte eine zentrale Rolle spielt, obwohl er nie Mitglied in einem derartigen Gremium war, sondern lediglich ehrenamtlicher Aktivist eines selbsternannten Rettungskomitees. Ein erstes Umdenken unter Akademikern und in der Öffentlichkeit begann sich ungefähr Mitte der fünfziger Jahre abzuzeichnen. In Israel wurde die Frage 1954 aufgebracht, angesichts der Kasztner-Affaire und in Verbindung mit dem herrschenden Ethos – gefördert in offiziellen Zeremonien am Holocaust-Gedenktag –, das den bewaffneten Widerstand bejubelte, während an17
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Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Frankfurt a.M. 1999, 3 Bde., Bd. III, S. 1109–1110; siehe auch ders., Täter, Opfer, Zuschauer. Die Vernichtung der Juden 1933–1945, Frankfurt a.M. 1992, S. 123–137. Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 1964, S. 162.
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deres Verhalten verurteilt wurde. Der tonangebende Poet, Publizist und Autor Nathan Alterman schrieb in The Seventh Column in der sozialistischen Tageszeitung Davar über »zwei [legitime] Wege« jüdischen Verhaltens, die es während des Holocaust gegeben hatte, nicht nur einen heroischen Weg des bewaffneten Widerstands19 – er empfand Mitleid angesichts des Dilemmas, dem sich die Judenräte gegenübergesehen hatten – und initiierte daher eine scharfe Kontroverse.20 Einige Jahre später, im Jahr 1958, entschied die damals von den Historikern Prof. Benzion Dinur und Dr. Jozeph Melkman (später: Michman) geleitete Gedenkstätte Yad Vashem, die Veröffentlichung von Raul Hilbergs Manuskript abzulehnen, und zwar genau wegen dessen Beurteilung des jüdischen Verhaltens im Allgemeinen und des der Judenräte im Besonderen.21 In den siebziger Jahren untersuchten Isaiah Trunk in seiner Arbeit Judenrat (1972), die aus der Hannah Arendt-Kontroverse nach dem Eichmann-Prozess entstanden war, und Israel Gutman in seiner Dissertation über das Warschauer Ghetto (1975) die Aktivitäten und die internen Dilemmata der Judenräte.22 Dabei stützten sie sich auf die interne Dokumentation und betrachteten aus einem jüdischen Blickwinkel schwerpunktmäßig die Aktivitäten zugunsten des jüdischen Alltagslebens und die Ausdauer in einer extremen Zwangslage. Auch die in den siebziger Jahren von Aharon Weiss durchgeführten Studien über verschiedene Judenräte in Polen trugen zu einer differenzierteren Sichtweise bei.23 In allen drei Fällen waren die Autoren selbst Überlebende, die die »wirklichen« Judenräte miterlebt hatten, ihre Beurteilung jedoch aufgrund historischer Forschung änderten. Nichtsdestotrotz vollzog sich die Änderung der Einstellung sehr langsam und blieb auf die akademische Welt beschränkt. Aus einer retrospektiven Perspektive ist der Blick Philip Friedmans, einer der profiliertesten Historiker des Holocaust überhaupt, auf einige führende Persönlichkeiten der Judenräte in zwei seiner Artikel aus der Zeit zwischen 1953 und 1954 von besonderer Bedeutung. Friedman, der bisher noch nicht angemessen rezipiert worden ist, stellte bereits in den frühen Forschungspha19
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Vgl. Nathan Alterman, Yom haZikkaron vehaMoredim [Memorial Day and the Revolters], HaTur haShevi’i [The Seventh Column], in: Davar vom 30. April 1954. Zu dem gesamten Bereich siehe: Nathan Alterman, ‘Al Shtey haDerachim. Dappim min haPinkas [Between Two Roads. Sections from a Diary], hrsg. und mit Anmerkungen und einem Schlusswort versehen von Dan La’or, Tel Aviv 1989. Vgl. Ronnie Stauber, HaLekach LaDor. Shoa uGvura baMahshava haTzibburit biShnot haHamishim [Lektionen für diese Generation. Holocaust und Heldentum im israelischen öffentlichen Diskurs in den fünfziger Jahren], Jerusalem 2000, S. 115–134. Vgl. Stauber, HaLekach LaDor, S. 214–225. Vgl. Isaiah Trunk, Judenrat, The Jewish councils in Eastern Europe under Nazi occupation, New York 1972; Israel Gutman, The Jews of Warsaw 1939–1943. Ghetto, Underground, Revolt, Bloomington 1982. Vgl. Aharon Weiss, LeHa’arachatam shel haYudenratim [A Contribution to the Assessment of the Judenräte], in: Yalkut Moreshet 11 (November 1969), S. 108–112; ders., LeDarkam shel ha’Yudenratim’ biDrom-Mizrah Polin [On the Policies of the Judenräte in South-East Poland], in: Yalkut Moreshet 15 (November 1972), S. 49–122; ders., Dfusey Hitnahagut shel haYudenratim [Behavior Patterns of Judenräte], in: Yalkut Moreshet 36 (Dezember 1983), S. 39–44; ders., The Historiographical Controversy Concerning the Character and Functions of the Judenrats, in: Israel Gutman/Gideon Greif (Hg.), The Historiography of the Holocaust Period, Jerusalem 1988, S. 679–696.
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sen einige interessante Interpretationsrichtungen und -hypothesen vor. In Bezug auf die Judenräte versuchte er, die in der allgemeinen Diskussion zum Ausdruck kommende dichotome Sicht zu überwinden und die menschlichen Beweggründe der Judenräte aus der Perspektive der jüdischen Geschichte zu ergründen. So kam er zu einer Charakterisierung der Mitglieder der Judenräte als »Pseudo-Retter« mit einem »messianischen Komplex«.24 Man kann sagen, dass das Verhalten der Judenräte im Allgemeinen und der meisten ihrer Mitglieder im Besonderen in akademischen Kreisen heute weitaus differenzierter, manchmal sogar positiv, gesehen wird. Das gilt sogar für hochgradig umstrittene Vorsitzende der Judenräte, wie zum Beispiel Mordechai Chaim Rumkowski aus Łód´z, David Cohen aus Amsterdam und Rabbi Zvi Koretz aus Saloniki, die bis heute einen attraktiven Forschungsgegenstand darstellen.25 Allerdings ist in der öffentlichen Meinung der jüdischen Welt insgesamt und ganz besonders in Israel die tief verwurzelte negative Bedeutung des Begriffs »Judenrat« als Synonym für »Kollaborateur« – welches bereits in den fünfziger Jahren in öffentlichen Debatten häufig verwendet wurde26 – erhalten geblieben. Das konnte beispielsweise 1993 in der hitzigen öffentlichen Diskussion in Israel um die Osloer Vereinbarungen mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO beobachtet werden, als Premierminister Yitzhak Rabin während rechtsgerichteter Demonstrationen und in Veröffentlichungen »Judenrat« genannt und zwei Jahre später ermordet wurde.27 Sogar noch im Jahr 2007, als Reszö Kasztners Nachkommen sein persönliches Archiv an Yad Vashem übergaben, gab es Stimmen in Israel, die gegen diesen Vorgang protestierten, indem sie Kasztner als »Judenrat« diffamierten.28 24
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Vgl. Philip Friedman, Roads to Extinction. Essays on the Holocaust, New York/Philadelphia 1980; ders., Pseudo-Saviors in the Polish Ghettos: Mordechai Chaim Rumkowski of Lodz, in: ebd., S. 333–352; The Messianic Complex of a Nazi Collaborator in a Ghetto: Moses Merin of Sosnowiec, in: ebd., S. 353–364. Die Artikel wurden ursprünglich in Hebräisch verfasst. Vgl. Michal Unger, Reassessment of the Image of Mordechai Chaim Rumkowski, in: Search and Research – Lectures and Papers 6, Jerusalem 2004; Peter H. Schrijvers, Rome, Athene, Jeruzalem. Leven en werk van Prof. dr. David Cohen, Leiden/Den Haag 2000; Minna Rozen, Jews and Greeks Remember Their Past: The Political Career of Tzevi Koretz (1933–43), in: Jewish Social Studies 12/1 (2005), S. 111–166. Siehe zu den vierziger und fünfziger Jahren in Israel: A. Shapira, Ha-Historiya shel ha-Mitologya. Kavim la-Historiografiya ‘al ‘odot Ben-Gurion veha-Shoah [Die Geschichte der Mythologie. Beobachtungen hinsichtlich der Geschichtsschreibung zu Ben-Gurion und dem Holocaust], in: Alpayim 18 (1999), S. 26–27; zum jüdischen Diskurs in den USA siehe Peter Novick, The Holocaust in American Life, New York 1999, S. 140–141, 316. Vgl. Dan Michman, Dimuyey Shoa baVikkuah haTzibburi haYisre’eli. Mishka’im uManipulatsiya [Intensivierung von Streit durch die Verwendung von Holocaust-Metaphern in der israelischen öffentlichen Diskussion. Sedimente und Manipulation], in: Gesher 135 (Sommer 1997), S. 52–60, insbesondere S. 58. Aharon Papo, Lapid Metaher et haSheretz. Yisrael Kasztner haya Judenrat, meshatef pe’ula, shehifkir et yahdut hungaria kdey lahatzil et oro. Yosef Lapid, yor ›Yad Vashem‹, tiher et hasheretz behizdamnut khagigit shehamishpakha he’evira lamossad haze et archiono haprati [Israel Kasztner war ein Judenrat, ein Kollaborateur, der die ungarischen Juden im Stich ließ, um seine eigene Haut zu retten. Joseph Lapid, Vorsitzender von Yad Vashem, wäscht den Übeltäter rein anlässlich des triumphalen Ereignisses, dass die [Kasztner] Familie sein Privatarchiv dieser Institution übergab.], in: Makor Rishon – Hatzofe vom 29. Juli 2007, S. 9.
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Abschließend können verschiedene Charakteristika genannt werden, die in den Diskussionen und Polemiken deutlich werden: Obwohl die Judenräte fast immer durch sehr umfangreiche Organisationen unterstützt wurden und diese Gremien sich aus mehreren Mitgliedern zusammensetzten, wird der Schwerpunkt tatsächlich immer auf die Personen gelegt, die die Räte leiteten, sowie in bestimmten Fällen auf die Kommandierenden der Ordnungsdienste, also der »jüdischen Polizei«. Der Kern der Diskussionen betrifft das Verhalten im Zeitraum der »Endlösung« – entweder gegenüber den Morden im Osten oder gegenüber den Deportationen in andere Teile Europas. Dem vorangegangenen, meist viel längeren Zeitraum von Aktivitäten wird häufig weniger Animosität und weniger Interesse entgegengebracht – er wird eher wie ein zur entscheidenden Phase führender Korridor gesehen. In der abschließenden Bewertung der Gesamtaktivitäten der Judenräte werden sie aus dem Blickwinkel der »Endlösung« gesehen, unter Betonung eines starken »intentionalistischen« Untertons. Die Erklärungen für das Verhalten der Mitglieder der Judenräte konzentrieren sich normalerweise auf ihre Person und nicht auf die Situation als solche – trotz der offensichtlichen Ähnlichkeiten dieses Verhaltens in vergleichbaren Situationen, die eigentlich auf die Bedeutung von strukturellen oder situativen Faktoren hinweisen. (Übersetzung aus dem Englischen von Karin Avdic)
Holocaust-Debatten in Polen von
KAROL SAUERLAND
Der Titel dieses Beitrags ist eigentlich irreführend. Bis vor kurzem wurde in Polen nur der Begriff »Zagłada« verwendet, der so viel wie Vernichtung, ›Glattmachen‹ bedeutet. Dieser Begriff enthielt etwas, wovon die polnischen NichtJuden immer sprachen: dass die Deutschen auch sie gänzlich zu vernichten beabsichtigten. Eine Holocaust-Debatte bedeutet hingegen, nur vom Schicksal der Juden, das heißt von ihrer Vernichtung, zu sprechen, und vor allem der Frage nachzugehen, wie es möglich war, dass innerhalb einer sehr kurzen Zeit so gut wie alle polnischen Juden umgebracht werden konnten. Diese Frage stellte sich bereits Calek Perechodnik in seinen Aufzeichnungen, die leider erst vor wenigen Jahren in Gänze erschienen sind.1 Seine Antworten erinnern in vielem an das, was Hannah Arendt und andere später thematisierten. Perechodnik diente in dem von den Deutschen errichteten Ghetto der kleinen, bei Warschau gelegenen Stadt Otwock als jüdischer Polizist. Er hatte den Abtransport der Juden nach Treblinka überlebt, aber seine Frau und seine kleine Tochter nicht retten können. Deshalb machte er sich größte Vorwürfe. Er war sich auch darüber im Klaren, dass er selber ein Rädchen in der Vernichtungsmaschine bildete. In einem Versteck in Warschau, das ihm ein sozialdemokratisch gesinnter Eisenbahnbeamter verschafft hatte, schrieb er das zuvor Erlebte nieder und reflektierte darüber, warum es den Deutschen gelang, so gut wie alle Juden zu vernichten. Hierbei hat er mit großer Schärfe die Methoden entlarvt, mit denen die Betroffenen hinters Licht geführt wurden und vielfach auch hinters Licht geführt werden wollten, indem sie nicht die Fragen stellten, die sich aufdrängten, und wenn sie sie stellten, sich nicht um ihre Beantwortung bemühten. Mit Bitternis vermerkt er, wie schnell nach jeder Vernichtungsaktion die Überlebenden zu der Überzeugung gelangten, ihnen drohe ein solches Schicksal nicht, denn die Deutschen bräuchten sie als Arbeitskräfte. Er gibt hierfür zahlreiche Beispiele. Ein »makabres Problem« sei es für die Deutschen gewesen, alle Juden »des ganzen Generalgouvernements« unter Einhaltung der folgenden Bedingungen zu ermorden: 1
Die ungekürzte Fassung der Aufzeichnungen von Calek Perechodnik, die David Engel 2005 unter dem Titel Spowied´z [Beichte], herausgab, ist in ihrer Aussage an vielen Stellen noch schärfer als die von 1993. Sie waren mit der Frage Czy ja jestem morderca˛? [Bin ich ein Mörder?] betitelt worden. Vergleiche hierzu auch Karol Sauerland, Die ermordeten Seelen. Unverfälscht: Die Notizen des Gettopolizisten Perechodnik, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. März 2005.
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»a) daß sie [die Juden] nicht merken, daß über sie das Todesurteil gefällt worden ist; b) daß sie sich nicht wehren, c) daß so wenig Deutsche wie möglich eingesetzt werden, d) daß die Juden selber den Deutschen helfen, diese Drecksarbeit auszuführen; e) daß andere Juden die verlassenen Ghettos aufräumen; f) daß jüdische Leichen durch Juden begraben werden [...] h) daß alle jüdischen Städte sicher sind, ›es kommt nicht in Betracht‹ [im Original deutsch, Anm. d. Verf.] für sie; [...] k) daß sie [die Juden] im Augenblick des Todes nicht rasend werden, sie bis zum letzten Augenblick in Unkenntnis ihres Schicksals bleiben, [...] m) daß ihre Rettung im polnischen Viertel verhindert wird«.2 Perechodnik klagt die Juden an, dass sie den Deutschen so bereitwillig zur Hand gegangen sind, insbesondere die jüdischen Polizisten, zu denen er sich selber rechnen muss. »Die Polizisten führen ihre eigenen Väter und Mütter in die Waggons, verriegeln selber die Türen, so, als nagelten sie eigenhändig ihren Sargdeckel zu«,3 schreibt er, um dann seine eigene fatale Rolle zu charakterisieren, die er bei der misslungenen Rettung seiner Frau und seiner kleinen Tochter gespielt hat. Eine große Enttäuschung sind für ihn auch die Polen, deren Sprache er spricht und deren Kultur er achtet. Die Deutschen wären nicht so erfolgreich gewesen, wenn nicht so viele Polen unzuverlässig in ihren Versprechungen gewesen wären, wenn sie nicht im Grunde genommen auf den Tod der Juden, die ihnen ihr Hab und Gut unter bestimmten Bedingungen überlassen hatten, gewartet, ja gelauert hätten. Soviel Niedertracht habe er nicht erwartet. »Ich bin keineswegs verblendet«, erklärt Perechodnik, »ich meine nicht, daß es die Pflicht eines jeden Polen wäre, unter Lebensgefahr einen Juden zu verstecken. Ich meine aber, daß es die Pflicht der polnischen Gesellschaft wäre, den Juden Bewegungsfreiheit im polnischen Stadtviertel zu gewähren. Die polnische Gesellschaft müßte alle, die Juden nachspüren, scharf verurteilen«.4 Dabei unterstreicht er, dass er selber aufopferungsvolle Polen kennen gelernt hat. Ohne die Hilfe einiger von ihnen hätte er ja »seine Beichte« nicht niederschreiben können, ohne sie wären seine Aufzeichnungen auch nicht erhalten geblieben. Er starb Ende Oktober 1944, entweder durch Typhus geschwächt oder infolge eines Raubüberfalls, vielleicht auch von der Hand eines Antisemiten. Der Warschauer Aufstand war kurz zuvor niedergeschlagen worden. Für bewaffneten Widerstand, welcher Art auch immer, hegt Perechodnik größte Sympathie. Einer seiner Helden ist ein guter Bekannter, der immer einen siebenschüssigen Revolver, einen so genannten Belgier, mit sich führte. Und sicher ist es kein Zufall, dass er sich am 7. Mai 1943, noch während des Warschauer Ghetto-Aufstands, der selbst die Polen in Erstaunen versetzte, zu der Niederschrift entschloss. Seine Aufzeichnungen enthalten den indirekten Schluss, man hätte sich von Anfang an zur Wehr setzen müssen, sich auf jeden Fall nicht bereit erklären dürfen, den Deutschen bei ihrer Drecksarbeit zu helfen in der Überzeugung, dass sie irgendwann befriedigt sein werden. 2
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Calek Perechodnik, Bin ich ein Mörder? Das Testament eines jüdischen Ghetto-Polizisten, Lüneburg 1997, S. 44 f. Ebd., S. 81. Ebd., S. 151 f.
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Der Warschauer Ghetto-Aufstand war für die ethnischen Polen insofern entscheidend, als sie plötzlich erkannten, dass ihre Auffassung von der Passivität der Juden ein dummes Stereotyp war. Sie erkannten endlich aber auch, dass es das Ziel der Deutschen war, die Judenheit auszurotten. Wir können uns ein gutes Bild aufgrund der Publikationen in der Untergrundpresse machen, die gesammelt in dem von Paweł Szapiro herausgegebenen Band Wojna Z˙ydowsko-niemiecka. Polska prasa konspiracyjna 1943–1944 o powstaniu w getcie Warszawy nachzulesen sind.5 Die meisten im Widerstand aktiven Polen kamen allerdings zu der Überzeugung, dass sie bei ihrem Aufstand im Unterschied zu den Juden erfolgreich sein werden. Sie seien die besseren Kämpfer und besser organisiert. Tatsächlich hätte der Warschauer Aufstand 1944 mit einem Sieg enden können, wenn sich die Sowjets nicht so schmählich verhalten hätten, wenn sie den westlichen Alliierten wenigstens erlaubt hätten, in den von den Sowjets besetzten Gebieten zwischenzulanden. Das große Ansehen, das der Ghettoaufstand in breiten Kreisen der polnischen Bevölkerung genoss, wurde nach dem Kriege verspielt, als ihn die neuen Machthaber dem Warschauer Aufstand gegenüberstellten. Der Ghettoaufstand durfte gefeiert werden, die Teilnehmer des Warschauer Aufstands wurden dagegen als ›Verräter‹ verunglimpft und zum großen Teil aufs schändlichste verfolgt. Eine Debatte über den Holocaust im heutigen Sinne des Wortes zu beginnen, erwies sich nach dem Ende der Kriegshandlungen aus drei Gründen als unmöglich: Erstens fürchteten all die Polen, die auf irgendeine Weise an dem Judenmord beteiligt waren, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden. Gemeint ist hier vor allem die Aneignung von jüdischem Hab und Gut durch Polen. Ganz zu schweigen von den vielen aktiven Mithelfern und Denunzianten. Zweitens – dieser Punkt ist viel wichtiger – war es in einem undemokratischen Polen nicht möglich, eine offene Debatte zu führen. Das beweist der Fall Tadeusz Borowski, der in seinen Erzählungen und in seiner Polemik gegen Zofia Kossak viele Dinge beim Namen nannte.6 Und dann kamen die Pogrome in Krakau und vor allem in Kielce Anfang Juli 1946. Die Schuldigen für die antisemitischen Ausschreitungen waren sofort erkannt worden: Es seien die reaktionären Rechten, die Anhänger des so genannten bourgeoisen, ja präfaschistischen Polens. Es gab keine wirklichen Prozesse, sondern nur willkürliche Verurteilungen. Nur wenigen gelang es, in der Presse etwas zu sagen, was über die offizielle Meinung der herrschenden Partei hinausging. Ein Untersuchungsausschuss im Sejm wurde von ihr verhindert. Etwa hunderttausend überlebenden Juden erlaubte man still und heimlich die Ausreise. Sie begaben sich über die Tschechoslowakei nach Österreich und Süddeutschland in die Lager für die so genannten Displaced Persons. In einem demokratischen Polen hätten sich die überlebenden Juden auf ihre Weise organisieren und auch internationale Unterstützung in einer Debatte über den Holocaust erhalten kön5
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Paweł Szapiro (Hg.), Wojna Z˙ydowsko-niemiecka. Polska prasa konspiracyjna 1943–1944 o powstaniu w getcie Warszawy [Der jüdisch-deutsche Krieg. Polnische Untergrundpresse 1943– 1944 über den Aufstand im Warschauer Ghetto], London 1992. Vgl. ausführlich Karol Sauerland, Tadeusz Borowski, Céline und die Rezensenten, in: Newsletter des Fritz Bauer Instituts (2007), Nr. 31, S. 14–18.
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nen. So waren sie hingegen auf den Schutz der Herrschenden angewiesen, der sich als ein sehr halbherziger Schutz erwies. Der dritte Grund für das fehlende Gespräch war, dass sich die katholische Kirche nicht zu einer eindeutigen Stellungnahme entscheiden konnte. Selbst unmittelbar nach dem Pogrom in Kielce hielt sie sich zurück. Sie sollte noch Jahrzehnte brauchen, bis sie ihr Verhältnis zum Judenmord und zum Antisemitismus insgesamt – vor allem zum eigenen Antisemitismus – zu thematisieren begann. Lange Zeit wollte sie ihr eigenes Fehlverhalten nicht erkennen. Ohne ein Einschreiten des Vatikans, insbesondere des polnischen Papstes, wäre dies nicht möglich gewesen. Entscheidend war auch die Rede von Benedikt XVI. in Auschwitz. Ich habe sie einmal mit den Auschwitz-Reden von Johannes Paul II. verglichen, die der deutsche Papst immer wieder zitiert. In einem Punkt geht er aber weiter als sein Vorgänger, und zwar indem er bekennt, dass die Vernichtung des Judentums auch gegen das Christentum gerichtet war. Ihm sollten seine Wurzeln genommen werden. Die Zeit von 1949 bis 1956 wird im Allgemeinen als die ›stalinistische‹ charakterisiert. Die Bauern wurden kollektiviert, die Kirche wurde aufs heftigste angegriffen, von einem jüdischen Eigenleben konnte nicht die Rede sein. Alles war gleichgeschaltet. Und dann kam die Wende 1956. Die Teilnehmer am Warschauer Aufstand und am Widerstandskampf gegen die deutschen Besatzer wurden schrittweise rehabilitiert. Die Partei bekannte sich in der Nachfolge des XX. Parteitages der KPdSU zu gewissen Fehlern und Irrtümern. Als die Hauptschuldigen am Terror der letzten Jahre wurden, wenn auch erst einmal unter der Hand, die Juden angesehen, weil einige führende Offiziere des Sicherheitsapparats jüdischer Herkunft waren. So erklärte der Sekretär des ZK Zenon Nowak auf dem VII. Parteiplenum im Juli 1956, dass bis vor kurzem alle Leitungsstellen im Sicherheitsdienst von Juden besetzt worden seien, ähnlich habe es in der Armee und anderswo ausgesehen. Er sei zwar nicht gegen die Juden, unterstrich er, aber dem Ansehen der Partei sei so etwas nicht dienlich. Was sollen die 27 Millionen Polen dazu sagen, dass sie bei der Besetzung von führenden Stellen nicht berücksichtigt werden, fragte er rhetorisch.7 Am 2. Mai 1956 hatte Aleksander Zawadzki auf der Politbürositzung ähnlich gesprochen. Den bis dahin allmächtigen Jakub Berman, der für den Sicherheitsdienst verantwortlich war, bezeichnete er als einen »jüdischen Intelligenzler aus einer bourgeoisen Familie«.8 Solche Fragen und Unterstellungen verbreiteten sich wie ein Lauffeuer, so dass, wie der in Breslau lehrende, international bekannte Mathematiker Hugo Steinhaus in seinen Erinnerungen schrieb, die 7
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Siehe Wiesław Władyka/Zbysław Rykowski, Polska Próba: Pa´zdziernik ‘56 [Der polnische Versuch: Oktober ‘56], Kraków 1989, S. 210 f. Zitiert nach Marcin Zaremba, Komunizm, legitymizacja, nacjonalizm. Nacjonalistyczna legitymizacja władzy komunistycznej w Polsce [Kommunismus, Legitimierung, Nationalismus. Die nationalistische Legitimierung der kommunistischen Macht in Polen], Warszawa 2001, S. 230. Berman hatte im Unterschied zu Zawadzki studiert und war sogar zeitweise als Assistent an der Warschauer Universität tätig. Als die Deutschen Polen besetzten, floh er in die Sowjetunion. Dort erwarb er sich das persönliche Vertrauen Stalins. In Volkspolen gehörte er neben dem Ersten Parteisekretär Bolesław Bierut und Hilary Minc zur engsten Parteiführung.
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»[…] neue Ära ein neues Phänomen mit sich brachte: den Antisemitismus. Im besten Fall beschränkt er sich darauf, daß Beschimpfungen an die Wohnungstüren geschrieben und durchs Telefon gesprochen werden, aber zum Beispiel fürchten sich die jüdischen Kinder in Dzierz˙oniów, ohne elterliche Begleitung auf die Straße zu gehen, die Ortsbehörden antworteten den Abgesandten der Religionsgemeinde, daß sie keine Zeit hätten, sich mit Juden zu beschäftigen. Aufgrund des Abkommens mit der UdSSR kommen wöchentlich Tausende von Menschen aus der Sowjetunion nach Polen; den polnischen Juden, die sogar schon in zweiter Generation in der Sowjetunion wohnen, wird die Ausreise nicht erschwert – das ist eine antisemitische Aktion, die dort schon sehr weit fortgeschritten ist. Es besteht die Furcht, daß sich diese Haltung auch bei uns verstärkt und die Mehrzahl der polnischen Juden zur Emigration veranlaßt. So wollen ausreisen Dr. Ludwik Fleck (korrespondierendes Mitglied der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Biologe), Milgrom und Majski (Hirszfelds Schüler), Dekierkunst (vom Hirszfeld-Institut, zur Zeit in Rokitnica), der Naturwissenschaftler Baer, Prof. Drobot usw. Die polnischen Behörden bereiten keine Schwierigkeiten. Die Leichtigkeit der Ausreise, die wirtschaftliche Katastrophe des Landes, die Furcht vor einer sowjetischen militärischen Intervention, das sind Motive, die nicht weniger stark für eine Ausreise sprechen als die, die die Emigranten offiziell angeben. Darüber hinaus die prosperity Palästinas, die Möglichkeit, in die Staaten, nach Kanada und Australien zu gelangen.«9 In dem etwa 50 Kilometer südwestlich von Breslau gelegen Dzierz˙oniów (Reichenbach), waren zu dieser Zeit zehn Prozent der Einwohner Juden.10 Die tätlichen Übergriffe auf sie nahmen ein solches Ausmaß an, dass sich Parteiangehörige jüdischer Herkunft angesichts der Passivität der zuständigen Ortsbehörden im Spätherbst 1956 entschlossen, das Zentralkomitee in Warschau um Hilfe zu bitten.11 Antisemitische Stimmen und auch Ausschreitungen waren im ganzen Lande zu beobachten, vor allem in Parteikreisen. Dort meinte man wahrscheinlich, auf diese Weise die begangenen Verbrechen, »Fehler« und »Irrtümer« genannt, auf die kommunistischen Juden abwälzen zu können. Zwar fanden sich auch Gegenstimmen in der Partei – im April 1957 versandte das Sekretariat des ZK sogar ein Rundschreiben an alle Parteigrup9
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Hugo Steinhaus, Wspomnienia i zapiski [Erinnerungen und Aufzeichnungen], bearbeitet von Aleksandra Zgorzelska, London 1992, S. 457. Gleich nach dem Krieg versuchten hier Juden, eine eigene Gemeinde aufzubauen. Sie zählte zeitweise 50.000 Personen. Eine wichtige Rolle spielte hierbei der Zionist Jakub Egita, der 1948 in Volkspolen eingesperrt wurde. Eine große Zahl von Juden hatte zu dieser Zeit Polen verlassen. Siehe hierzu Norman Davies/Roger Moorhouse, Mikrokosmos. Portret miasta s´ rodkowoeuropejskiego. Vratislavia, Breslau, Wrocław [Portrait einer mitteleuropäischen Stadt. Vratislavia, Breslau, Wrocław], Kraków 2002, S. 474 f. Auf die antijüdischen Ausschreitungen in den Jahren 1956/57 gehen die beiden Autoren allerdings nicht ein. Vgl. hierzu Paweł Machcewicz, Polski Rok 1956 [Das polnische Jahr 1956], Warszawa 1993, S. 227. Er nimmt in seinem Antisemitismus-Kapitel zu Recht gegen Che˛ci´nskis Ansicht Stellung, dass es in dieser Zeit zu keinen spontanen antisemitischen Aktionen gekommen und der Antisemitismus in den Parteikreisen von der Sowjetunion inspiriert worden sei. Vgl. dazu die entsprechenden Stellen in dem Buch von Michael Che˛ci´nski, Poland. Communism. Nationalism. Antisemitism, New York 1982.
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pen, sie mögen etwas gegen den um sich greifenden Antisemitismus tun und versuchen, die massenhafte Auswanderung von Juden aufzuhalten –, aber sie kamen zu spät und waren voller Halbherzigkeit.12 Der Exodus ließ sich nicht mehr stoppen. Zu Beginn der sechziger Jahre lebten nur noch circa 30.000 Juden im Lande, obwohl zwischen 20.000 und 40.000 polnische Juden, beziehungsweise Polen jüdischer Herkunft aus der Sowjetunion »repatriiert« worden waren.13 Nicht alle hatten sich weiter nach Israel, in die USA oder andere Länder begeben. In den Reihen der kommunistischen Partei sollte sich in den sechziger Jahren nationalistisches Denken immer stärker durchsetzen. Getragen wurde es unter anderem von Mieczysław Moczar, der im Verband der Kämpfer für Freiheit und Demokratie (ZBoWiD) aktiv war und 1964 zu dessen Vorsitzenden gewählt wurde. Im gleichen Jahr übernahm er das Innenministerium, bis dahin war er stellvertretender Innenminister gewesen. Unter seiner Führung wurden die AK-Leute nicht nur rehabilitiert, sondern auch nach und nach als Patrioten anerkannt, die sich im Kampf gegen die deutschen Okkupanten verdient gemacht hatten. Dass sie im Namen der Londoner Exilregierung gekämpft hatten, wurde übergangen. Dass sie gleich nach dem Krieg leiden mussten, wurde mit dem Hinweis überspielt, dass ja auch so mancher Angehörige der Armia Ludowa (AL), das heißt der kommunistischen militärischen Widerstandsorganisation, in den ersten Jahren der Volksrepublik Repressalien ausgesetzt war. Die Unterschiede wurden mit einem Wort auf allen Ebenen soweit wie möglich verwischt, damit der Mythos eines gemeinsamen polnisch-patriotischen Kampfes und Leids aufgebaut werden konnte. Diejenigen, die sich gegen die Verkleisterung der politischen Gegensätze wehrten, wurden als Unverbesserliche, die Polen nur Schaden zufügen wollen, hingestellt. Der Verband der Widerstandskämpfer bildete mit seinen 300.000 Veteranen eine recht einflussreiche Organisation. Bereits zu Beginn der sechziger Jahre soll man im Innenministerium begonnen haben, Listen jüdischer Mitarbeiter im Geiste der Nürnberger Gesetze anzufertigen.14 In den Reihen der Armee kam es zu ersten rassistisch motivierten ›Säuberungen‹, wobei die ›Säuberungen‹ auch mehrfach solche Offi12
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´ Abgedruckt in: Alina Cała/Helena Datner-Spiewak, Dzieje Z˙ydów w Polsce. 1944–1968 [Geschichte der Juden in Polen. 1944–1968] Warszawa 1997, S. 151–154. Zaremba verweist auf die Doppelbödigkeit dieses Rundschreibens und darauf, dass höchstwahrscheinlich kein Parteimitglied wegen antisemitischer Äußerungen bestraft worden sei. Siehe Zaremba, Komunizm, legitymizacja, nacjonalizm, S. 258 ff. Die Zahlenangaben schwanken verständlicherweise. Vgl. hierzu auf der einen Seite Andrzej Z˙bikowski, Z˙ydzi [Juden], Wrocław 1997, S. 282, der die Zahl 18.000 angibt, und andererseits ´ Cała/Datner-Spiewak, Dzieje Z˙ydów w Polsce, S. 175, die von 40.000 jüdischen Rückkehrern sprechen. Vgl. hierzu Jerzy Eisler, Marzec 1968. Geneza. Przebieg. Konsekwencje [Der März 1968. Genese. Verlauf. Konsequenzen], Warszawa 1991, S. 48. Bereits am 23. Mai 1959 wurde vom Außenministerium (MSZ) eine Liste der Mitarbeiter verschiedener Botschaften und Missionen an das ZK der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei gesandt, auf der diejenigen, die jüdischer Herkunft waren, rot angestrichen waren. Vgl. Dariusz Stola, Kampania antysyjonistyczna w Polsce 1967–1968 [Die antizionistische Kampagne in Polen 1967–1968], Warszawa 2000, S. 55.
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ziere betrafen, die mit Juden befreundet waren.15 Überaus aktiv in der ›Reinigungsaktion‹ war übrigens General Wojciech Jaruzelski. 1965 wurde Bolesław Piasecki – ein bekannter Antisemit aus der Vorkriegszeit, Vorsitzender der Organisation PAX, die die »fortschrittlichen Katholiken« als Gegengewicht zu der katholischen Kirche vereinigte beziehungsweise vereinigen sollte – Abgeordneter im Sejm, dem polnischen Parlament. Wasser auf die Mühlen der Antisemiten sollte dann die Rede Władysław Gomułkas, des damaligen Ersten Sekretärs der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei, kurz nach dem Sechstagekrieg am 19. Juni 1967 bilden. Er sprach unter anderem davon, dass sich Israel die Wehrmacht zum Vorbild genommen habe und dass jetzt die Bundesrepublik von einem Blitzkrieg à la Israel träume. Dessen Sieg sei von zionistisch gesinnten polnischen Juden gefeiert worden und es gäbe eine »fünfte Kolonne in unserem Land«.16 Dazu müsse er Folgendes erklären: »Wir haben den polnischen Bürgern jüdischer Herkunft nie Hindernisse in den Weg gelegt, nach Israel auszuwandern, wenn sie dies wünschen. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß jeder polnische Bürger nur ein Vaterland haben sollte: Volkspolen. Dieser Meinung ist die überwiegende Mehrheit der polnischen Bürger jüdischer Herkunft, und sie dienen treu unserem Lande. Jeder Bürger unseres Landes genießt die gleichen Rechte und auf jedem lasten die gleichen Bürgerpflichten Volkspolen gegenüber. Aber wir können nicht gleichgültig jenen gegenüber bleiben, die im Angesicht der Bedrohung des Weltfriedens, also auch der Sicherheit Polens und der friedlichen Arbeit unseres Volkes, die Partei des Aggressors, der Zerstörer des Friedens und des Imperialismus ergreifen. Mögen diejenigen, die meinen, daß diese Worte an ihre Adresse – unabhängig von ihrer Nationalität – gerichtet seien, die für sie entsprechenden Schlüsse daraus ziehen.«17 Nun begannen im Außenministerium entsprechende Säuberungen. Dort waren verständlicherweise nicht alle mit dem Beschluss einverstanden, die diplomatischen Beziehungen zu Israel abzubrechen. Zwar war dies von der Sowjetunion am 9. Juni während der Sitzung der politischen Führung des Warschauer Pakts förmlich diktiert worden, aber Rumänien war der Aufforderung nicht gefolgt. Gomułkas Rede schuf auch freie Bahn für entsprechende Maßnahmen des Sicherheitsdienstes. Für den 28. Juni berief der Innenminister Mieczysław Moczar, der aus seiner nationalkommunistischen Gesinnung kein Hehl machte, eine Sitzung der Direktoren und stellvertretenden Direktoren der einzelnen Departements ein. Ihnen lag entsprechendes Material vor, aus dem hervorging beziehungsweise hervorgehen sollte, dass die polnischen Juden in ihrer Mehrzahl Israel unterstützen und dass es einen lebhaften Kontakt zwischen den offiziellen Vertretern der polnischen Juden und den Vertretern der internationalen jüdischen Organisationen gegeben habe. So sei Nahum Goldmann, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, in Polen gewesen. 15 16
17
Vgl. ebd., S. 49. In den Pressemeldungen tauchte die Formulierung von der fünften Kolonne nicht mehr auf, aber die Rede war live im Rundfunk übertragen worden, so dass die westlichen Medien davon berichteten. Zitiert nach Eisler, Marzec 1968, S. 135.
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Auch Gaston Kahn, der Vorsitzende der Freimaurerloge Bnei Brith,18 habe mit dem Vorstand der Towarzystwo Społeczno-Kulturalne Z˙ydów w Polsce (TSKZ˙), das heißt der Gesellschaftlich-Kulturellen Vereinigung der Juden in Polen, Verhandlungen geführt. Besonders aktiv sei die Organisation American Jewish Joint Distribution Committee (Joint) gewesen. Sie habe den polnischen Juden 5,56 Millionen Dollar überwiesen, was die proisraelische Stimmung besonders gefördert habe. Leider habe der Vorschlag des III. Departements des Innenministeriums, diese Spenden zu verbieten, in der Parteileitung und Regierung keine Unterstützung gefunden. In dem Bericht werden Namen hochstehender Partei- und Regierungsvertreter genannt, denen eine zionistische Haltung nachgesagt werden müsse. In der anschließenden Aussprache, in der es darum ging, wie wer auf den Sechstagekrieg reagiert habe und was man tun müsse, um den von Gomułka vorgezeichneten Weg zu beschreiten, wurde »mit Bedauern« festgestellt, dass Teile der katholischen Kirche, vor allem Kardinal Stefan Wyszy´nski, für das Wohl von Israel gebetet hätten. Das entspreche ihrer antisowjetischen und antikommunistischen Haltung. Auch Vertreter der katholischen Intelligenz, wie Stanisław Stomma, Tadeusz Mazowiecki, Jerzy Turowicz und andere seien aufgrund ihrer Herkunft (gemeint ist ihrer jüdischen) proisraelisch. Mehrere Direktoren verlangten kategorisch die Einstellung der ausländischen Hilfeleistungen für die polnischen Juden. Andere Minderheiten, zum Beispiel die Weißrussen, würden so gut wie nichts bekommen. Es spreche nichts für die Bevorzugung der Juden. Moczar unterstützte dieses Verlangen, und tatsächlich wurde der Organisation Joint sehr schnell verboten, in Polen tätig zu sein. Für viele polnische Juden bedeutete dies eine große Einbuße. Am 8. Oktober verglich Moczar auf einer Veranstaltung zum 25. Jahrestag der Gründung der polnischen Volkspolizei die Zionisten mit den »Hitleristen«, das heißt den Nazis. Etwa zur gleichen Zeit setzte eine Kampagne gegen den bereits 1965 erschienenen achten Band der neuen Enzyklopädie des PWNVerlags, des Verlages der Polnischen Akademie der Wissenschaften ein, dessen Direktor Adam Bromberg war – auch er ein Pole jüdischer Herkunft.19 Als Anlass diente ein Artikel, in dem die NS-Konzentrationslager von den Vernichtungslagern unterschieden wurden. In den letzteren seien 99 Prozent der Opfer Juden und ein Prozent Zigeuner gewesen. Das entspreche nicht der Wahrheit, meinten die Moczar-Leute, alle Konzentrationslager hätten die Vernichtung ihrer Insassen zum Ziel gehabt. Es sei in den Lagern kein Unterschied zwischen Juden und Polen gemacht worden. Überhaupt werde in der Enzyklopädie der polnische Anteil am Kampf gegen die deutsche Besatzung unterund das jüdische Martyrium überbewertet. Immer wieder war in den offiziellen Verlautbarungen dieser Zeit von der zionistischen Zerstörung Polens die Rede. Die Begriffe »Jude« und »Zionist« waren mittlerweile austauschbar geworden. 18 19
Vgl. Stola, Kampania antysyjonistyczna w Polsce 1967–1968, S. 283. Von Brombergs Leben erzählt Henryk Grynbergs Memorbuch, das in Warschau im Jahre 2000 erschienen ist. Der Autor skizziert auch kurz die Attacken gegen den achten Band der Enzyklopädie. Eine gewisse Rolle spielte hierbei, dass Bromberg im Juni 1967 nicht bereit war, eine Resolution der Parteiorganisation gegen Israel zu unterstützen.
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Austauschbar wurden aber auch Israel und die Bundesrepublik Deutschland, wozu das Buch Israel i NRF [Israel und die BRD]20 von Tadeusz Walichnowski, dem Chef des Departements I im Innenministerium (Spionage),21 beitrug, das im Herbst 1967 erschien. Walichnowski hatte am 29. Juni 1967 diese Arbeit unter dem Titel Rola Izraela w załoz˙eniach polityki Niemieckiej Republiki Federalnej [Israels Rolle in den Voraussetzungen der Politik der Deutschen Bundesrepublik] als Dissertation verteidigt, schon kurz darauf sollte es als Buch erscheinen, was unter den damaligen Verlagsbedingungen einmalig war. Erstens war es nicht üblich, dass Doktorarbeiten veröffentlicht wurden, zweitens dauerte es im Allgemeinen zwei, drei Jahre, bis eine wissenschaftliche Studie die Hürden der Gutachter, der Verlagspläne und der Zensur genommen hatte. Doch im Falle der Arbeit von Walichnowski bestand in führenden Kreisen ein politisches Interesse, seine Thesen ›unters Volk zu bringen‹. Diese waren einfach: Israel und Westdeutschland seien ein Bündnis eingegangen, das den imperialistischen Wünschen der USA entgegenkomme. Israel solle über den Nahen Osten dominieren, Westdeutschland über Europa. In einem Interview mit Walichnowski, das die PAX-Tageszeitung Słowo Powszechne [Allgemeines Wort]22 am 2. Februar 1968 unter dem Titel Über das Bündnis des schwarzen Kreuzes und des Davidsterns veröffentlichte,23 kündigte dieser die Herausgabe eines zweiten Buches unter dem Titel Die zionistische Doktrin an. Er berücksichtige dort »die besonderen Verbindungen des Zionismus mit dem III. Reich und der Deutschen Bundesrepublik«.24 Diese vielen nationalistischen Töne und Attacken ließen Schlimmes befürchten. Der Funke musste eines Tages überspringen. Diesen Funken sollten das Aufführungsverbot des Stückes Dziady [Die Totenfeier] des großen polnischen Dichters Adam Mickiewicz Ende Januar 1968 und die darauf folgenden Proteste bilden. Während sich allein in Warschau 3.145 Personen fanden, die eine an den Sejm gerichtete Petition gegen das Aufführungsverbot unterschrieben,25 tauchten immer mehr Flugblätter antisemitischen Inhalts auf. In ihnen wurde gegen den »übermächtigen Einfluß« von Zionisten und die mit ihnen verbundenen Intellektuellen Stimmung gemacht. So hieß es in einem Flugblatt: »Michnik, Blumsztajn und Szlajfer können und werden uns nicht die patriotische 20 21
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Damals durfte man den Begriff Bundesrepublik Deutschland (RFN) nicht verwenden. Im Dezember 1967 wurde er in das Departement III berufen, das für die Bekämpfung oppositioneller Tätigkeiten zuständig war. Im gegebenen Augenblick hieß das: die Bekämpfung so genannter zionistischer Tätigkeiten. PAX war eine katholische Organisation, die von den Kommunisten mit dem Ziel geschaffen wurde, die Kirche zu spalten. Unter »schwarzem Kreuz« ist das Kreuz des Deutschen Ordens zu verstehen. Das Interview ist abgedruckt in Piotr Ose˛ka, Syjoni´sci, inspiratorzy, wichrzyciele. Obraz wroga w propagandzie marca 1968 [Zionisten, Inspiratoren, Aufwiegler. Das Feindbild in der Propaganda des März 1968], Warszawa 1999. S. 111–114, hier: S. 112. Die antikommunistische Opposition nannte ihn den Dr. Globke Volkspolens. Vgl. Roman Zimand, Piołu´n i popiół. Czy Polacy i Z˙ydzi wzajem sie˛ nienawidza˛? [Wermut und Asche. Hassen sich die Polen und Juden gegenseitig?], Biblioteka Kultury Niezalez˙nej, Warszawa 1987, S. 5 [erschienen im so genannten zweiten Umlauf, d.h. im polnischen Samisdat]. Vgl. Eisler, Marzec 1968, S. 159. In Breslau unterschrieben 1.098 Personen.
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Tradition unseres Volkes lehren.«26 Im Klartext lautete dies: Diese Juden können uns Polen nur in eine Sackgasse führen. Als am 29. Februar der Warschauer Schriftstellerverband zu einer außerordentlichen Versammlung zusammentrat, auf der mehrheitlich eine Resolution gegen die Kulturpolitik der Partei und Regierung verabschiedet wurde, und als Studenten im ganzen Lande diese Politik sowie das brutale Vorgehen der Ordnungskräfte gegen die Demonstranten verurteilten, leiteten die Machthaber eine antisemitische Kampagne von einem Ausmaß ein, wie es bis dahin in einem kommunistisch regierten Land unbekannt war.27 Offiziell wird die Kampagne gegen jene, welche für die Rücknahme des Verbots der »Totenfeier«-Aufführung demonstrierten, erst nach dem 8. März mit antisemitischen Argumenten angereichert. Am 11. März erscheint in der Tageszeitung Słowo Powszechne ein erster anonymer Artikel über die Herkunft der ›Unruhestifter‹ vom 8. März: Sie seien aufs engste mit den Zionisten, Revisionisten und Trotzkisten verbunden. Immer häufiger wird auf die jüdische Herkunft der Verhafteten hingewiesen: Dajczgewand, Szlajfer, Michnik von Haus aus ... Alle waren natürlich einmal Stalinisten beziehungsweise deren Eltern ..., kurzum Feinde des polnischen Volkes, die jetzt bei der ›Totenfeier‹ nur vorgeben, um die Erhaltung des nationalen Erbes zu kämpfen. Inoffiziell war der Sicherheitsdienst aber schon lange vorher auf antisemitische Argumentationen vorbereitet, wie das Beispiel von Beata Da˛browska zeigt, die am 23. Februar 1968 folgenden Brief an Gomułka schrieb: »Ich bin Studentin des dritten Studienjahrs der philosophischen Fakultät. Am 16. Februar wurde ich um 20 Uhr abends von Sicherheitsbeamten des Innenministeriums auf der Straße festgenommen und in das Polizeipräsidium gebracht. Die Sätze, die ich zu hören bekam, haben mich so erschüttert, daß ich sie in gewisser Kürze, aber einige wortwörtlich mitteilen möchte. Ich hörte: 1. Wie arbeitet man unter Juden? 2. Wieviel Juden waren unter denjenigen, die Unterschriften in Verbindung mit der ›Totenfeier‹ gesammelt haben? 3. Sie sind so intelligent und merken nicht die Überschwemmung durch das Judentum an den Lehrstühlen Ihrer Fakultät? 4. Sie verstehen, wir Polen müssen endlich zu Wort kommen. Denn solange die Juden alle hohen Posten einnehmen, können die Polen nicht hochkommen. Für Sie wird es beispielsweise keinen Platz am Lehrstuhl geben. Und hier die Beispiele, die angeführt wurden, um zu beweisen, wie die Jidden die Jidden unterstützen: a) Der Jidd Baczko (Professor an der Warschauer Universität) lancierte den Jidd Piotr Hoffmann [...] 5. Sie sind schließlich eine Arierin reinsten Blutes 6. Wir verstehen, daß es einige Frauen zu anderen Rassen hinzieht. So lieben zum Beispiel einige Neger, andere Juden. [...] Dabei zeigte sich, daß der mich verhörende Beamte das Wort Jude als 26
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Abgedruckt in: Wydarzenia marcowe 1968 [Die Märzereignisse 1968], Paris 1969, S. 139. Die Flugblätter waren – wie heute erwiesen ist – das Werk des Sicherheitsdienstes. Viele erinnerten in ihrem Sprachduktus und durch gewisse Losungen an antisemitische Losungen aus der Vorkriegszeit. Vgl. dazu Stola, Kampania antysyjonistyczna w Polsce 1967–1968, S. 82 f. Es gab allerdings schon Präzedenzfälle: die »Antikosmopolitismus-Kampagne« in der Sowjetunion Ende der vierziger und zu Beginn der fünfziger Jahre, die im Prinzip gegen Juden gerichtet war, der Slánský-Prozess und die so genannte Ärzteverschwörung, mit der Stalin kurz vor seinem Tod die Verfolgung der Juden im Lande einzuleiten gedachte.
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Schimpfwort verwendet. Als ich nämlich sagen sollte, woran man Juden erkennt und zur Antwort gab, an den dunklen Haaren, wonach der mich vernehmende Funktionär ein Jude sei, bekam ich zu hören, ich solle mir nicht zuviel herausnehmen. [...] Ich frage Sie, was bedeutet das, daß in Volkspolen 24 Jahre nach der Hitlerbesatzung erneut in der Sprache der Hitleristen und der ONR [polnischen Faschisten – K.S.] gesprochen wird? Ich schätze Sie, den Bürger und 1. Sekretär, so sehr, daß ich überzeugt bin, Sie werden sich dieser Sache annehmen und mir den Glauben an den guten Namen Polens, den der Bürger Volkspolens oder einfach an den des Menschen wieder zurückgeben.«28 Die Studentin hatte wahrscheinlich nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass die antisemitische Kampagne voll und ganz Gomułkas Unterstützung fand, was er am 19. März in seiner Rede vor dem Warschauer Parteiaktiv im Kulturpalast zum Ausdruck brachte. Erneut unterstrich er, dass man nur ein Vaterland haben dürfe, und jene, die auf Seiten von Israel stehen, forderte er auf, das Land zu verlassen. Vielen Teilnehmern der Versammlung war das zu wenig, sie riefen Gomułka zu: sei kühner, sei kühner. Auf den Gesichtern der Juden, die sich die Fernsehübertragung ansahen, malte sich dagegen der Schrecken ab. So schrieb Gabriel Tempkin ein Jahr später: »Dieses Fernsehspektakel werde ich wohl nicht vergessen. Als ich auf den Bildschirm, in den schreienden Saal schaute, erblickte ich Gesichter, die von Grausamkeit und Blutgier gezeichnet waren. Nicht nur ich. Wie ich später in Gesprächen mit verschiedenen Leuten, Müttern, die einen Zusammenhang mit der verurteilten Nation spürten, feststellen konnte, haben sie auf das Fernsehspektakel ähnlich reagiert: sie riegelten die Türen zu in der Furcht vor einem Pogrom.«29 Ida Kami´nska, die Direktorin des Jüdischen Theaters in Warschau, eine großartige Darstellerin, unter anderem der Mutter Courage, schrieb in ihrem Tagebuch: »Ich habe mich kaum beherrschen können, ich lief ins Schlafzimmer, schluckte eine Tablette und versuchte mit allen Kräften meine Emotionen zurückzuhalten [...] ich schrie: Fliehen wir! Sofort! Anders überlebe ich das nicht.«30 Die wenigsten Polen jüdischer Herkunft reagierten so. Sie meinten, es betreffe nicht sie, schließlich hätten sie ihre ganze Kraft für den Wiederaufbau und auch die Stärkung Polens eingesetzt. Doch wurden sie – zumeist durch die Leitungsorgane der kommunistischen Partei, der sie in großer Zahl angehörten – schnell eines anderen belehrt. Unter irgendeinem banalen Vorwand wurden sie degradiert oder entlassen. Manchmal bekamen sie auch direkt zu hören, dass ihre jüdische Herkunft oder die der Anverwandten der Grund für diese Maßnahmen sei. Parteifunktionäre scheuten nicht einmal vor dem Argument zurück, dass ihr Judentum auf der Hand läge, schließlich seien sie nicht getauft und damit keine echten Polen. Die Entlassungen erfolgten in den verschiedensten Behörden, in den Verlagen, an den Hochschulen, in den Kran28
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Nach Stola, Kampania antysyjonistyczna w Polsce 1967–1968, S. 317 f. Bronisław Baczko war Philosophieprofessor an der Warschauer Universität. Er wirkte nach 1968 in Frankreich und später in Genf. Gabriel Tempkin, Exodus 1968, in: Lewy Nurt [Die Linke Strömung] (1970), Nr. 3, S. 42. Ida Kami´nska, Moje z˙ycie, mój teatr [Mein Leben, mein Theater], Warszawa 1995, S. 254.
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kenhäusern und auch in den Betrieben. So mancher junge Mensch erfuhr erst in diesen Tagen, dass die Eltern, die Großeltern (oder auch nur einer von ihnen) jüdischer Abstammung waren.31 Die »Ahnentafeln« dieser jungen Menschen waren offensichtlich im Innenministerium angefertigt worden, wie überhaupt klar wurde, dass für die antisemitische Aktion alles wohl vorbereitet worden war. Die Studentenproteste beziehungsweise Streiks in den größeren Städten wurden relativ schnell abgewürgt; die Anführer der Proteste plötzlich als »Zionisten« und Feinde des polnischen Volkes verurteilt. Gleichzeitig nutzten die Machthaber den Augenblick, um sich der so genannten Revisionisten – wie Leszek Kołakowski, Bronisław Baczko, Zygmunt Bauman, Włodzimierz Brus und andere – zu entledigen. Die Antisemiten dieser Zeit, die sehr schnell gute Posten im Parteiapparat, in staatlichen Stellen und an den Hochschulen (die so genannten Märzdozenten) erhielten, sind, soweit sie nicht verstorben sind, bis heute aktiv. Sie werden nur selten moralisch verurteilt. Nach wie vor hat man den Eindruck, dass man sich keine Abrechnung wünscht. Ross und Reiter sollen nicht genannt werden. Das einzige, wozu es in letzter Zeit gekommen ist, sind Interviews mit jenen, die Opfer der so genannten Märzereignisse waren und ins Ausland gehen mussten. Eine Art Holocaustdiskussion entfachte die Interpretation zweier Gedichte von Czesław Miłosz (Campo di Fiori und Biedny Chrze´scijanin patrzy na getto [Der arme Christ schaut aufs Ghetto]),32 die der Literaturwissenschaftler Jan Bło´nski in der liberalkatholischen Wochenzeitung Tygodnik Powszechny 1987 veröffentlichte. Er sprach endlich aus, dass die Deutschen die Juden gänzlich vernichten wollten, während die Polen zu einem Sklavenvolk herabgewürdigt werden sollten. Der Aufsatz initiierte eine kurze lebhafte Diskussion. Ein Jahr später reflektierte Bło´nski auf einer internationalen Konferenz in Wien über den Aufruf der einst führenden katholischen Schriftstellerin Zofia Kossak-Szczucka (1890–1968)33, der 1942/1943 zu der Gründung des einzigartigen von der Londoner Emigrationsregierung akzeptierten und unterstützten Hilfskomitee für die Juden führte, das heute unter dem Namen Z˙egota bekannt ist.34 Kossak-Szczucka forderte in diesem Aufruf, dass das Schweigen 31
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Joanna Wiszniewicz sprach 1989 mit fünf Juden beziehungsweise Jüdinnen in Israel, die Polen 1968 verlassen hatten. Nur eine Person wusste vor den Märzereignissen von ihrer Herkunft. Vgl. Joanna Wiszniewicz, Z Polski do Izraela [Von Polen nach Israel], Warszawa 1992. Jan Bło´nski, Biedni Polacy patrza˛ na Getto [Arme Polen schauen aufs Ghetto], Kraków 1994, S. 12 (deutsche Fassung in: Marek Kiecal (Hg.), Polen zwischen Ost und West. Polnische Essays des 20. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 1995, S. 76–93). In deutscher Sprache liegen von ihr u.a. folgende Bücher vor: Die Walstatt von Liegnitz, übersetzt von Ottona Forst Battaglii, München 1931; Die Perlen der heiligen Ursula, Luzern 1956; Gottesnarren, Leipzig 1960; Die Kreuzfahrer, Berlin 1961; Der aussätzige König, Berlin 1969. Der Hilfsrat für Juden (Rada Pomocy Z˙ydom) wurde offiziell am 4. Dezember 1942 gegründet. Dem Rat gehörten Vertreter fünf polnischer und zweier jüdischer Organisationen an: Julian Grobelny von den rechten Sozialisten (PPS–WRN, Polnische Sozialistische Partei – Freiheit, Gleichheit, Unabhängigkeit), Piotr Grajewski von den linken Sozialisten, Tadeusz Rek von der Bauernpartei (PSL), Ferdynand Arczy´n ski von der Demokratischen Partei (Stronictwo Demokratyczne), Władysław Bartoszewski von der FOP (Front für die Erneuerung Polens), Adolf Abraham Berman vom Jüdischen Nationalkomitee (Z˙ydowski Komitet Narodowy) und Leon
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über die Untaten der Deutschen gebrochen werden müsse: »Dieses Schweigen kann nicht länger toleriert werden. Welches auch seine Beweggründe sind – es ist schändlich. Wer im Angesicht des Mordes schweigt, wird zu einem Komplizen des Mörders. Wer nicht verurteilt, der erlaubt«.35 Diese Worte sind nach dem Krieg immer wieder zitiert worden. Der darauf folgende Teil, über den Bło´nski in Wien ebenfalls sprach, war jedoch bis in die neunziger Jahre hinein in Polen kein Thema. Er wirkte zu beschämend, denn er klingt wie ein antijüdisches Manifest. Kossak-Szczucka gibt offen zu, dass sie als polnische Katholikin die Juden auf heimischem Boden »als politische, wirtschaftliche und ideelle Feinde Polens« ansehe. Diese würden wiederum in den Polen die eigentlichen Urheber ihres Unheils erblicken. Doch all das berechtige »uns
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Feiner vom Bund. Grobelny wurde im Mai 1944 verhaftet, an seine Stelle trat kurz Roman Jablonowski und danach Feiner. Wie aus der Zusammensetzung des Rats zu ersehen ist, ging es darum, einerseits die Möglichkeiten und Zielsetzungen der einzelnen Parteien und gesellschaftlichen Organisationen in Bezug auf die Hilfe für polnische Juden zu koordinieren, und andererseits gegenüber der Landesvertretung der Londoner Exilregierung als eine geschlossene Kraft aufzutreten. Von Anfang an forderte der Rat diese auf, einen Vertreter zu ihren Sitzungen zu entsenden, was auch geschah. Im Februar 1943 schuf die Exilregierung, die seit dem Herbst 1942 auf den Massenmord der Juden verwies, ein eigenständiges Referat für jüdische Fragen, dessen Leiter Władysław Bie´n kowski wurde. Ihm stand Władysław Bartoszewski als Stellvertreter zur Seite. Einer von beiden vertrat bei den Sitzungen des Hilfsrats die Interessen der Exilregierung. Ihnen oblag es auch, die Wünsche und Postulate des Rats an die nächst höheren Instanzen weiterzuleiten und die Antworten zu übermitteln und zu erläutern. Der Umstand, dass es sich bei dem Rat um eine von der Exilregierung unterstützte Einrichtung handelte, spielte eine wichtige Rolle für jene Gruppierungen in der polnischen Widerstandsbewegung, die die Repräsentanten in London als offizielle Vertretung Polens anerkannten. Es handelte sich bei diesen Gruppierungen um die gemäßigten Kräfte im Lande, die die Errichtung eines demokratischen, parlamentarisch regierten Polens unter Anerkennung der Minderheitenrechte anstrebten. In den ersten Monaten seines Bestehens half der Rat etwa 300 Personen, Ende 1943 waren es bereits 2.000, die eine finanzielle Unterstützung erhielten. Mitte 1944 hatte sich die Zahl verdoppelt. Für mehr fehlte es an Mitteln. Äußerst wichtig waren die Bemühungen um die Beschaffung von kostenlosen »arischen Papieren«. Nach Ferdynand Arczy´n ski sind bis zum Ausbruch des Warschauer Aufstands am 1. August 1944 etwa 50.000 solcher Papiere für Juden angefertigt worden, von denen etwa 80 Prozent zugestellt werden konnten (20 Prozent gingen entweder unterwegs verloren, oder die Personen waren nicht mehr auffindbar, zumeist weil sie bereits ermordet waren). Eines der größten Probleme war, Unterkünfte für Juden zu finden. »Der Kauf von Wohnungen erwies sich als nicht sinnvoll, denn nach einer Erpressung wären sie nicht mehr zu nutzen gewesen«, lesen wir in einem der zeitgenössischen Berichte. Der Hilfsrat versuchte auch, etwas gegen die Plage des Erpresser- und Denunziantentums zu unternehmen. Denn was nutzte es, Verstecke zu finden und falsche Papiere auszustellen, wenn sich gleich ein Nachbar fand, der alles aufdeckte und bestenfalls die beteiligten Personen nur in Angst und Schrecken versetzte. Um solche Nachbarn das Fürchten zu lehren, so wie es bei der Denunziation von polnischen Widerstandskämpfern der Fall war, musste auch die von Nationalisten verbreitete Ansicht überwunden werden, dass es sich nicht lohne, Juden beizustehen, da diese bei der geringsten Gefahr bereit sein würden, alles auszuplaudern und alle, die geholfen haben, zu verraten. Der Hilfsrat appellierte bereits Ende Dezember 1942 an die Delegatur der Londoner Regierung in Polen, den Erpressern und Denunzianten von Juden harte Strafen anzudrohen. Und im März 1943 sandte er der Delegatur ein gesondertes Schreiben, das nur der Frage des Erpressertums gewidmet war. Zofia Kossak, W Polsce podziemnej. Wybranie pisma dotycza˛ce lat 1939–1944 [Im Untergrundpolen. Ausgewählte Schriften aus der Zeit 1939–1944], hrsg. von Stefan Jo´nczyk, Mirosława Pałaszewska, Warszawa 1999, S. 207.
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polnische Katholiken« nicht dazu, den Mordaktionen schweigend zuzusehen. Aus christlich-religiösen und politischen Gründen müsse die Stimme gegen sie erhoben werden. Ein Christ mordet nicht, und ein Pole weiß, dass ihm »die deutschen Grausamkeiten« keinen »Vorteil« bringen. »In dem hartnäckigen Schweigen des internationalen Judentums« und in der deutschen Propaganda lasse sich nach Kossak-Szczucka schon heute erkennen, dass die Verantwortung für den Judenmord auf die Litauer und – es folgen drei Punkte – Polen geschoben werden soll. Nach Bło´nski fehlte in diesem Aufruf vor allem der Gedanke, dass man gemeinsam den deutschen Okkupanten zu bekämpfen habe, dass man sich gleichberechtigt in einem öffentlichen Raum befinde, eine gemeinsame civil society bilde, wie man es heute ausdrücken würde. Bło´nskis Artikel erschien auf Polnisch erst 1994,36 ohne ein besonderes Echo hervorzurufen. Bis zur Jedwabne-Debatte herrschte insgesamt die Annahme vor, die Polen hätten bei der Vernichtung der Juden allein die Rolle des Zuschauers spielen müssen. Und dass gerade dies bei den Juden, die überlebten, ihnen gegenüber eine Art Hassgefühl hinterlassen habe, denn kein Erniedrigter mag es, wenn andere seiner Erniedrigung zusehen. Während die Deutschen den Juden als Teil einer unmenschlichen Maschinerie erschienen, waren die Polen Nachbarn. Alle Feststellungen, wie viele Denunzianten und wie viele »Gerechte« es gegeben hätte, seien sinnlos. Beides seien Randerscheinungen in der Geschichte Polens zur Zeit der »Endlösung« gewesen. Während die Deutschen die Verbrecher und die Juden die Opfer gewesen seien, wäre den Polen nichts anderes übrig geblieben, als zuzuschauen. Irena Kisielewska hatte sich noch in den neunziger Jahren der gängigen Meinung angeschlossen, dass eine eventuelle polnische Mitwirkung an der »Endlösung« nur geringfügig gewesen und daher keiner Untersuchung wert sei: »Ich erinnere mich, wie die Deutschen zu Beginn der Besatzung Juden in der für sie typischen Kleidung durch die Straßen führten und wie wir auf den Bürgersteigen – auch ich – standen und zuschauten. Wir waren damals noch nicht im Getto eingeschlossen, ich stand daher unter den Fußgängern und schaute auch. Nur einer lachte höhnisch. Nur einer. Doch nicht um ihn geht es. Das Schlimmste war, diese Juden sahen in ihrem Kaftan, wie sie unter Schlägen hüpften und durch die Straßenmitte gejagt wurden, ungemein komisch aus. Sie hätten sich vielleicht besser gefühlt, wenn sie durch eine menschenleere Wüste gejagt worden wären, wo niemand ihren Schmerz und ihre Erniedrigung gesehen hätte. In Erinnerung daran erkenne ich mit Schaudern – es brennt nach wie vor –, daß all die Jahre den Geschmack der Bitternis nicht vermindert haben. Die Deutschen haben geschlagen, aber die Anwesenheit von Polen hat den Schmerz vergrößert. Diejenigen, die damals die Deutschen in Uniform, mit Helmen und Waffen, lauter Männer ohne Frauen, Kinder und Alten waren, machten nicht den Eindruck von Menschen. Sie waren die Quelle physischer Schmerzen und des Entsetzens, aber nicht der Bitternis. [...] Mehrere Jahre lang war Polen ein einziger riesiger Umschlagplatz, auf dem jeden Tag nur einige 36
In: Bło´nski, Biedni Polacy patrza˛ na Getto, S. 38–53.
Holocaust-Debatten in Polen
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von den Einwohnern dieses Landes herausgegriffen und vor den Augen der anderen in die Vernichtung geschickt wurden. Und vielleicht fällt es gerade jenen, die damals Juden waren, bis heute so schwer, den Polen zu verzeihen, obwohl es natürlich nicht deren Schuld war. Aber die Schadensberechnung ist nicht die Schuldrechnung. Andererseits nehme ich an, die Polen können den Juden nicht verzeihen, daß sie Zeugen ihrer eigenen normalen menschlichen Kleinmütigkeit waren. Aber nicht die Juden haben den Polen einen solchen Test zugemutet. Es ist nicht ihre Schuld. Was bleibt angesichts dessen? Versuchen wir, uns gegenseitig Mitleid dafür zu erweisen, daß wir einst – von Angesicht zu Angesicht – so gegenüber gestellt wurden, daß niemand seinen Blick abwenden konnte, ohne jemals zu vergessen, daß das nicht nach unserem Willen und nicht mit unserer Schuld geschah.«37 Kisielewskas Meinung, dass die Polen im Grunde genommen nur bedauernswerte Zuschauer waren, teilen die wenigsten Juden, die die Okkupation am eigenen Leib erfahren haben. Wenn man ihre Berichte aus jener Zeit liest, ergibt sich ein anderes Bild. Schon in den ersten Tagen der deutschen Besatzung mussten sich die Juden nicht nur vor den deutschen Besatzern fürchten, sondern auch vor ihren polnischen Nachbarn.38 Den Beginn einer wirklichen Holocaustdebatte stellte die Debatte um Jedwabne dar, die in meinem Buch Polen und Juden zwischen 1939 und 1968. Jedwabne und die Folgen ausführlich behandelt wird.39 Sie hat sich auch auf die neuesten Forschungen positiv ausgewirkt, was insbesondere die zweite Nummer der Zeitschrift Zagłada Z˙ydów [Vernichtung der Juden] beweist, in der recht heikle Themen wie Denunziation und Kollaboration während der 37
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Irena Kisielewska, W dziadku – moje korzenie [Meine Wurzeln – im Großvater], in: Marian ´ Turski (Hg.), Losy Z˙ydowskie. Swiadectwo z˙ywych [Jüdische Schicksale. Überlebende bezeugen], Warszawa 1996, S. 17 f. Kisielewska war mit vierzehn Jahren von Nonnen in einem Kloster aufgenommen worden, in dem sie als christliches Kind überleben konnte. Nach dem Krieg wandte sie sich allerdings vom christlichen Glauben wieder ab, sie sei zu sehr, berichtet sie, im chassidischen Milieu (vor allem durch den sehr autoritären und sehr gläubigen Großvater) verwurzelt, als dass sie eine überzeugte Christin hätte werden können. Die Schwestern behalte sie jedoch in guter Erinnerung. Man vergleiche hierzu unter anderem Chaim Kaplan, Buch der Agonie. Das Warschauer Tagebuch des Chaim A. Kaplan, hrsg. von Abraham I. Katsh, nach der amerikanischen Ausgabe übersetzt von Harry Maor, Frankfurt a.M. 1967; Emanuel Ringelblum, Ghetto Warschau. Tagebücher aus dem Chaos, eingeleitet von Professor Dr. Arieh Tartakower, Institut Yad Vashem Jerusalem, Stuttgart 1967, und die neueren Forschungen über das Denunziantentum gegenüber Juden von Jan Grabowski, Szmalcownicy Warszawscy, 1939–1942 [Warschauer Absahner 1939–1942], in: Zeszyty Historyczne [Historische Blätter] (Paris), 143 (2003), S. 85–117 sowie ders., »Ja tego Z˙yda znam!« Szantaz˙owanie Z˙ydów w Warszawie 1939–1943 [»Ich kenne diesen Juden!« Erpressung von Juden in Warschau 1939–1943], Warszawa 2004; Barbara Engelking, »Szanowny panie gistapo«. Donosy do władz niemieckich w Warszawie i okolicach w latach 1940–1941 [»Sehr geehrter Herr Gistapo«. Denunziationen an die deutschen Behörden in Warschau und Umgebung zwischen 1940 und 1941], Warszawa 2003, und Sławomir Buryła, Literatura polska o donosach i donosicielach [Polnische Literatur über Zuträger und Zugetragenes], in: Zagłada Z˙ydów. Pismo Centrum Bada´n nad Zagłada˛ Z˙ydów IFiS PAN [Die Vernichtung der Juden. Jahresschrift des Shoah-Forschungszentrums des Instituts für Philosophie und Soziologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften], 2 (2006), S. 76–98. Karol Sauerland, Polen und Juden zwischen 1939 und 1968. Jedwabne und die Folgen, Berlin 2004.
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Zeit der Shoah behandelt werden. Es gibt aber auch Stimmen wie die von Jan Z˙aryn, der im Institut für Nationales Gedenken (IPN) Direktor des Büros für öffentliche Bildung ist, nach denen die Holocaustforschung allein eine Sache der Deutschen sei.40 Trotzdem hat sich das Institut in als Abwehr zu dem neuen Buch Strach. Antysemityzm tuz˙ po wojnie. Historia moralnej zapa´sci [Angst. Antisemitismus gleich nach dem Krieg. Geschichte eines moralischen Verfalls] von Jan Tomasz Gross entschlossen, die amerikanische Publikation After the Holocaust. Polish-Jewish Conflict in the Wake of World War II von Marek Jan Chodakiewicz ins Polnische zu übersetzen.41 Dass es in Polen möglich war, die eigene Mitschuld am Holocaust so erfolgreich zu verdecken, liegt auch daran, dass in Deutschland und in breiten Kreisen der links eingestellten westlichen Intelligenz an bestimmten Dogmen nicht gerüttelt werden darf und andere Stimmen – etwa aus Polen – wenig Chancen haben, gehört zu werden. Die Geschichte Deutschlands wird insulär gesehen, was zur Folge hat, dass man so tut, als hätte der im Europa der dreißiger Jahre zunehmende Antisemitismus so gut wie nichts mit dem Holocaust zu tun. Auf nichtdeutsche Mitschuldige hinzuweisen, bedeute angeblich, das den Genozid anstrebende Programm der Nationalsozialisten zu relativieren. Schließlich bleibt ganz unberücksichtigt, wie sich auch in der Frage des Holocaust die beiden totalitären Regime gegenseitig hochschaukelten.
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Siehe Jan Z˙aryn in der Diskussion Polityka historyczna w Polsce i w Niemczech [Historische Politik in Polen und Deutschland], in: Biuletyn IPN (2006), 8/9 (67–68), S. 144. Siehe hierzu Karol Sauerland, Zum Antisemitismus in Polen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwei Bücher zu einer aktuellen Debatte, in: Polen-Analysen 31 vom 15. April 2008, http://www.laender-analysen.de/polen/pdf/PolenAnalysen31.pdf [23.2.2009].
Täterschaft, das Verhalten der Opfer und Widerstand im Streit Die Kontroverse um Hannah Arendts Prozessreport Eichmann in Jerusalem von
KARSTEN WILKE
I. Einleitung Von April bis Dezember 1961 wurde in Jerusalem der Prozess gegen den ehemaligen Leiter des Referates IV B4 im Reichssicherheitshauptamt (RSHA), Adolf Eichmann, durchgeführt. Der Angeklagte wurde zum Tode verurteilt und nach der Entscheidung der Berufungskammer im Jahre 1962 hingerichtet. Hannah Arendt wohnte der Verhandlung als Korrespondentin der monatlich erscheinenden Zeitschrift The New Yorker bei und veröffentlichte dort im Februar und März 1963 fünf Artikel, die sich mit dem Verlauf des Prozesses beschäftigten. Noch im selben Jahr erschienen die Aufsätze als erweiterte Kompilation in dem Band Eichmann in Jerusalem. A Report on the Banality of Evil.1 Mit der Kontroverse um Hannah Arendts Thesen untersucht der vorliegende Aufsatz eine erst vor kurzer Zeit wieder ins Bewusstsein gerufene Auseinandersetzung um die Verbrechensgeschichte des Nationalsozialismus.2 Nach Hans Mommsens Einschätzung generierte sich das Konfliktpotential vorrangig aus der These der Philosophin, nach der »ohne die Kooperation durch die jüdischen Funktionäre die ›Endlösungs‹-Politik nicht in dem tatsächlichen Umfange hätte realisiert werden können«.3 Die Kontroverse um Hannah Arendts Prozessbericht bildet damit die erste Debatte zum Thema, in der über das Verhalten der Opfer diskutiert wurde. Doch schon ein oberflächlicher Blick auf die Beiträge lässt daneben weitere Streit- und Diskussionspunkte erkennen, insbesondere die Überlegungen zu den Tatmotiven Eichmanns. 1 2
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Vgl. Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. A Report on the Banality of Evil, New York 1963. Vgl. Gary Smith (Hg.), Hannah Arendt Revisited: »Eichmann in Jerusalem« und die Folgen, Frankfurt a.M. 2000. Die Aufsätze des Bandes basieren auf den Ergebnissen der Tagung »Zur Historiographie des Holocaust. Hannah Arendts ›Eichmann in Jerusalem‹ Revisited« im Einstein-Forum, Potsdam. Hans Mommsen, Hannah Arendt und der Prozess gegen Adolf Eichmann, in: Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München/Zürich 81998, S. 9–48, hier: S. 44.
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Arendts Reflexionen boten vor allem in den Vereinigten Staaten und in Israel Anlass zu intensiven, leidenschaftlich und polemisch geführten Auseinandersetzungen. Erst seit den neunziger Jahren hat sich diesbezüglich die Bezeichnung »Arendt-Kontroverse« durchgesetzt,4 während noch in den achtziger Jahren enger gefasst von der »Eichmann-Kontroverse«5 gesprochen wurde. Obwohl die Rolle der von den deutschen Behörden eingesetzten jüdischen Verwaltungs- und Ausführungsinstanzen einen zentralen Streitpunkt darstellte, hat es eine gleichermaßen mögliche Titulierung als »Judenrat-Kontroverse« zu keinem Zeitpunkt gegeben. Kontroversen über den Nationalsozialismus durchziehen die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und bilden als unverzichtbare Bestandteile der Zeitgeschichtsforschung bis in die Gegenwart zentrale Prozesse der Vergangenheitsbewältigung ab. Paul Nolte plädiert deshalb inzwischen dafür, die »Nachgeschichte des Dritten Reiches« als ein Leitmotiv der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Bundesrepublik Deutschland anzuerkennen.6 Seit den fünfziger Jahren waren und sind Politik, Medien, interessierte Öffentlichkeiten und nicht zuletzt Vertreterinnen und Vertreter der Geisteswissenschaften daran beteiligt. Im Rahmen ihrer Fachdisziplinen setzen sie sich mit Forschungsergebnissen und -ansätzen auseinander, als Sachverständige fertigen sie Gutachten an und als Kommentatorinnen oder Kommentatoren beziehen sie in den Medien Stellung. Inzwischen nimmt die Geschichtswissenschaft historische Kontroversen als Untersuchungsgegenstand wahr.7 Kontroversen können einerseits auf vielfältige Weise Arbeits- und Erkenntnisprozesse beeinflussen. Dazu gehören die Präsentation neuer Ergebnisse, die Anregung zu weiterer inhaltlicher Durchdringung eines Themas oder auch der Verweis auf neue Forschungsrichtungen und -methoden.8 Darüber hinaus haben sie einen bedeutenden Anteil an der Konstruktion und Verbreitung von Geschichtsbildern und politischen Vorstellungen. Hartmut Lehmann vertritt die These, dass Auseinandersetzungen um historische Themen zeitgleich auf mehreren Ebenen ablaufen und Wirkung zeitigen. Kontroversen zeichnen sich seiner Ansicht nach dadurch aus, »dass in ihnen nicht eigentlich über das debattiert wird, was scheinbar im Vordergrund der Kontroverse steht, dass also hinter den strittigen Sachfragen andere strittige Komplexe stehen, die in der Kontroverse nicht ausdrücklich thematisiert werden, obwohl sie für Inhalt, Verlauf und Ergebnis der Kontroverse von großer Bedeutung sind.«9 4
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Vgl. Peter Novick, Nach dem Holocaust. Der Umgang mit dem Massenmord, Stuttgart/München 2001, S. 191; Doris L. Bergen, Controversies about the Holocaust. Goldhagen, Arendt, and the Historians’ Conflict, in: Hartmut Lehmann (Hg.), Historikerkontroversen, Göttingen ²2001 (2000), S. 141–174, hier: S. 147. Vgl. Elisabeth Young-Bruehl, Hannah Arendt. For Love of the World, Yale 1982, S. 337. Vgl. Paul Nolte, Einführung: Die Bundesrepublik in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, in: Geschichte und Gesellschaft (GG) 28 (2002), Heft 2, S. 175–182, hier: S. 178. Vgl. Lehmann, Historikerkontroversen; Klaus Große-Kracht (Hg.), Die zankende Zunft. Historische Kontroversen in Deutschland nach 1945, Göttingen 2005. Vgl. Hartmut Lehmann, Clios streitbare Priester: Zur Einführung, in: ders., Historikerkontroversen, S. 7–14, hier: S. 9. Ebd., S. 10 f.
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Unterschiedliche Quelleninterpretationen oder sich widersprechende Beurteilungen historischer Vorgänge sind demnach Ausdruck und Folge gegenwartspolitischer Auffassungen.10 Lehmanns Ansatz bildet die Matrix der folgenden Überlegungen zur Auseinandersetzung um Hannah Arendts Eichmann in Jerusalem. Noch vor Erscheinen der deutschen Ausgabe wurde das Publikum in Westdeutschland mit der Rezeption der Arendtschen Thesen konfrontiert. Ein Sammelband platzierte fünfundzwanzig kommentierende Beiträge unter dem Titel Die Kontroverse.11 Darin äußerten sich Vertreter unterschiedlichster Fachdisziplinen, wie zum Beispiel der Psychologe Bruno Bettelheim, der Schriftsteller Manés Sperber, die Historiker Golo Mann und Hugh Trevor-Roper sowie die Juristen Robert Rie, Robert Kempner und Michael Musmanno, der als Zeuge der Anklage in Jerusalem aussagte.12 Nach Mommsen handelt es sich um eine »im ganzen repräsentative«13 Textkollektion. Andere zeitgenössische und retrospektive Urteile sahen darin jedoch eine »einseitige Auswahl«14 an Artikeln, die »bis auf eine Ausnahme […] ablehnend waren«,15 oder »eine Sammlung meist polemischer Aufsätze, Abhandlungen und Kundgebungen«.16 Die Anthologie beeinflusste die Rezeption der deutschen Ausgabe zu Ungunsten der Verfasserin, nicht zuletzt wegen eines Beitrages von Golo Mann,17 den der Schriftsteller und Journalist Rolf Schroers als Intervention gegen die Veröffentlichung einer deutschen Ausgabe interpretierte.18 Hinzu kam, dass ebenfalls noch im Jahre 1963 die Vereinigung deutsch-jüdischer Emigranten in Israel, Council of Jews from Germany, vier besonders kritische Beiträge des Sammelbandes in einer weiteren Publikation ein zweites Mal veröffentlichte.19 Im Folgenden werden mit der Diskussion um Arendts Eichmann-Bild, dem Streit um die Bewertung der Rolle der Judenräte und einer vorwiegend in der Bundesrepublik geführten Debatte um den Widerstand gegen den Nationalsozialismus drei ausgewählte Aspekte der Kontroverse vorgestellt20 und unter Berücksichtigung politischer sowie wissenschaftsgeschichtlicher Entwick10 11
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Vgl. ebd., S. 12. Vgl. Friedrich A. Krummacher (Hg.), Die Kontroverse. Hannah Arendt, Eichmann und die Juden, München 1964. Im Folgenden zitiert als: Die Kontroverse. Kempner war stellvertretender Chefankläger im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Musmanno fungierte als Richter in den Nürnberger Nachfolgeprozessen. Mommsen, Hannah Arendt, S. 27 f. Naumann, Sympathy, S. 70. Nicolas Berg, Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung, Göttingen ²2003, S. 488. Hans E. Holthusen, Hannah Arendt, Eichmann und die Kritiker, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte (VfZ) 13 (1965), Heft 2, S. 178–190, S. 178. Vgl. Golo Mann, Der verdrehte Eichmann, in: Die Kontroverse, S. 190–198. Vgl. Rolf Schroers, Der banale Eichmann und seine Opfer, in: Die Kontroverse, S. 199–206, hier: S. 199. Vgl. Siegfried Moses (Hg.), Nach dem Eichmann-Prozess. Zu einer Kontroverse um die Haltung der Juden, London u.a. 1963. Vgl. Klaus Naumann, Sympathy for the Devil? Die Kontroverse um Hannah Arendts Prozessbericht »Eichmann in Jerusalem«, in: Mittelweg 36, 3 (1994), Heft 1, S. 65–79; Leora Bilsky, Between Justice and Politics: The Competition of Storytellers in the Eichmann Trial, in: Steven Aschheim (Hg.), Hannah Arendt in Jerusalem, Berkeley u.a. 2001, S. 232–252.
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lungen kontextualisiert. Eine besondere Betonung liegt dabei auf der Rezeption der Arendtschen Thesen in der Bundesrepublik.21
II. Die Arendt-Kontroverse Hannah Arendts Prozessreport bildet ein Konglomerat aus gegenwartspolitischen und historischen Fragekomplexen. Die Autorin zweifelt an der Legitimität des Strafverfahrens und stellt insbesondere dessen politische Implikationen heraus. Hinzu kommen Angriffe auf die Verhandlungsführung des Leitenden Staatsanwaltes Gideon Hausner, die durch unterschiedliche Auffassungen zur Persönlichkeit und Schuld des Angeklagten motiviert waren. Darüber hinaus, so eine weitere These, habe das Gericht ganz gezielt versucht, ein anschlussfähiges Geschichtsbild zu formen, insbesondere durch systematisches Ausklammern der Rolle der Judenräte während des Zweiten Weltkrieges. Ausgehend vom Verlauf der Verhandlung unternahm die Autorin historische Exkurse. Diese beschäftigen sich mit den Motiven Eichmanns, mit dem Verhalten der Opfer und mit einer »Kritik an ›den Deutschen‹«.22 Arendts historische Passagen sind jedoch wenig fundiert und können keine Geltung als geschichtswissenschaftliche Untersuchung beanspruchen. Eine Analyse weist der Autorin unzureichende Quellenkenntnis, eine methodologisch problematische Herleitung der Argumentation, zu starke Verallgemeinerungen und Fehlurteile nach.23 Im Zentrum der oftmals polemischen Ausführungen stehen das Strafverfahren selbst und dessen gegenwartspolitische Bedeutung. Starker Widerspruch entzündete sich an den Überlegungen zu der Persönlichkeit und zu den Handlungsmotiven des Angeklagten Adolf Eichmann.24 Arendt stellte wiederholt Eichmanns sprachliche und intellektuelle Defizite heraus. Dessen »heldenhafter Kampf mit der deutschen Sprache, in dem er regelmäßig unterlag« habe das Grauen mit Komik erfüllt.25 Er sei in erster Linie ein Wichtigtuer und Angeber,26 der in gewisser Weise durchaus »idealistisch« gehandelt habe.27 Schließlich habe er während der Vorkriegszeit – zumindest in der Eigenwahrnehmung – tatsächlich versucht, dem Wunsch der Juden nach Auswanderung nachzukommen und somit auf einen Interessenausgleich mit den deutschen Behörden hingewirkt.28 An dieser Stelle offenbare sich allerdings das spezifisch destruktive Moment: ein Mangel an Empathie. Nicht ideologische Verblendung, sondern die »totale Unfähigkeit, jemals eine 21
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Zur Rezeptionsgeschichte in der Bundesrepublik vgl. Richard I. Cohen, A Generation`s Response to Eichmann in Jerusalem, in: Aschheim, Arendt, S. 253–277; Holthusen, Kritiker, S. 178–190. Ebd., S. 181. Vgl. Wolfgang Scheffler, Hannah Arendt und der Mensch im totalitären Staat, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 14 (1964), Heft 45, S. 19–38. Vgl. Arendt, Eichmann, S. 93–133. Ebd., S. 124. Vgl. ebd., S. 122. Vgl. ebd., S. 117. Vgl. ebd., S. 124 und 127.
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Sache vom Gesichtspunkt des anderen her zu sehen«,29 habe Eichmann den Beitrag zu den verbrecherischen Handlungen ermöglicht. Dessen fortgesetzte Beteuerungen, er sei kein Antisemit gewesen, seien jedoch ignoriert worden.30 Statt als »Ungeheuer« erscheine ihr Eichmann vielmehr als ein »Hanswurst«: »Und da dieser Verdacht das ganze Unternehmen [des Strafprozesses, A. d. V.] ad absurdum geführt hätte und auch schwer auszuhalten war angesichts der Leiden, die Eichmann und seinesgleichen Millionen von Menschen zugeführt hatten, sind selbst seine tollsten Clownerien kaum zur Kenntnis genommen worden und fast niemals berichtet worden.«31 Hannah Arendts Intention unterschied sich von der des Gerichts und vom Tenor der Berichterstattung. Sie beabsichtigte nicht, den Angeklagten konkreter Straftaten zu überführen oder ihn persönlich zu denunzieren. Ihr ging es vielmehr darum, die Funktionsweise eines totalitären Staates zu erklären.32 Dessen verbrecherisches Potential resultiere nicht primär aus der Initiative ideologisch motivierter Aktivisten, sondern aus der Entmenschlichung, die eine kritiklose Mitwirkung aller bewirke. Eichmann bildete nach Arendts Überzeugung den Prototypen eines beflissenen, unreflektierten und damit austauschbaren Schreibtischtäters. Der Autorin wurde daraufhin unterstellt, sie idealisiere Eichmann und sehe in ihm lediglich einen unschuldigen, einfachen Beamten, der politischen Interessen des israelischen Staatspräsidenten zum Opfer gefallen sei.33 Robert Kempner beispielsweise, ehemals stellvertretender Chefankläger im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, zweifelte eine ausreichende Sachkompetenz der Autorin an. Ihr fehlten die historischen Kenntnisse sowie einschlägige Erfahrungen mit der Kommunikation vor Gericht: »faustdicke Lügen« des Angeklagten habe sie daher unhinterfragt übernommen.34 Der Schriftsteller Manés Sperber zeigte sich von der Brillanz der Formulierung zwar beeindruckt, bezweifelte aber ebenfalls deren Tragfähigkeit.35 Andere wiederum hoben auf sachliche Fehler ab36 oder stießen sich an der mitunter beißenden Ironie.37 Als einer der wenigen Kommentatoren vertrat der Psychologe Bruno Bettelheim, ein ehemaliger Konzentrationslagerhäftling, eine Gegenposition.38 29 30 31 32 33
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Ebd., S. 124. Vgl. ebd., S. 99. Ebd., S. 132. Vgl. Hannah Arendt, The Origins of Totalitarianism, New York 1951. Vgl. Hugh Trevor-Roper, Wie unschuldig war Eichmann, in: Die Kontroverse, S. 182–189, hier: S. 182. Vgl. Robert M. W. Kempner, Der »mißverstandene« Adolf Eichmann, in: Die Kontroverse, S. 82–84, hier: S. 82. Vgl. Manés Sperber, Churban oder Die unfassbare Gewißheit, in: Die Kontroverse, S. 9–32, hier: S. 31. Vgl. Robert Rie, Literarisches Nachspiel zum Eichmann-Prozeß, in: Die Kontroverse, S. 33–38, hier: S. 35. Vgl. Dorothee Kimmich, Kalte Füße. Von Erzählprozessen und Sprachverdikten bei Hannah Arendt, Harry Mulisch, Theodor W. Adorno, Jean-Francois Lyotard und Robert Schindel, in: Nicolas Berg/Jess Jochimsen/Bernd Stiegler (Hg.), Shoah: Formen der Erinnerung. Geschichte, Philosophie, Literatur, Kunst, München 1996, S. 93–106. Vgl. Bruno Bettelheim, Eichmann – Das System – Die Opfer, in: Die Kontroverse, S. 91–113.
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Arendts Buch handele – abgelöst von der Eichmann-Figur und vom historischen Kontext – von der Unmöglichkeit »restlos zu verstehen, wie moderne Technik und Organisation in den Händen eines totalitaristischen [sic!] Regimes einem normalen, ziemlich mittelmäßigen Menschen die Möglichkeit geben kann, eine so entscheidende Rolle bei der Vernichtung von Millionen Menschen zu spielen.«39 Bettelheim isolierte somit ein Kernproblem der Moderne: den »Widerspruch zwischen der ungeheuren Macht, die die Technik uns zur Verfügung stellt, und der Bedeutungslosigkeit, die das Individuum gerade durch sie bekommen hat«.40 Diesen Extrakt verknüpfte er folgerichtig mit der globalen nuklearen Bedrohung.41 Den Hintergrund dafür bildete die Kubakrise im Jahre 1962. Er betonte, dass das Eichmann-Portrait der Philosophin an ihre früheren Überlegungen zum Totalitarismus nicht nur anschließe, sondern zugleich als deren Praxisbeleg dienen könne.42 Die Voraussetzung dafür war allerdings, dass Eichmanns Ausführungen, er habe keine eigenen Interessen verfolgt, der Wahrheit entsprachen. Das allerdings erschien dem Gericht und den meisten Beobachtern undenkbar. So vermutete Norman Prodhoretz schon 1963, dass Eichmann in einem weitaus höheren Maße in seine Tätigkeit im Referat IV B 4 involviert gewesen sein musste, als er vor Gericht zugab.43 Unabhängig von dessen tatsächlicher Rolle bei der Organisation des Massenmordes, die in der Forschung inzwischen stärker betont wird,44 gründet die Auseinandersetzung um Hannah Arendts Täterbeschreibung im Antagonismus zweier verschiedener Annäherungen an den Völkermord an den europäischen Juden. Die Autorin sah darin ein universalgeschichtliches Ereignis. Viele ihrer Kritiker hingegen rezipierten ihn partikularistisch, da sie darin einen einschneidenden Vorgang innerhalb der Geschichte der Juden sahen. Die Staatsanwaltschaft formulierte fünfzehn Anklagepunkte, darunter zum einen spezifische Verbrechen gegen die Judenheit. Dazu gehörte »die Tötung von sechs Millionen Juden in Vernichtungslagern, durch Einsatzgruppen, in Zwangsarbeiterlagern und in Ghettos und Konzentrationslagern« sowie die »Schaffung schlechter Lebensbedingungen, die zum Tod führten« unter dem »Vorsatz der Vernichtung des jüdischen Volkes«.45 Zum anderen bezogen sich die Anklagepunkte auf Kriegsverbrechen, »Verbrechen gegen die Menschlich39 40
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Ebd., S. 93. Ebd. Bettelheim bezog sich auf seinen im Jahre 1960 erschienenen Band The informed Heard. Autonomy in a Mass Age. Vgl. Bruno Bettelheim, Aufstand gegen die Masse. Die Chance des Individuums in der modernen Gesellschaft, München 1980. Vgl. Bettelheim, Eichmann, S. 91. Dazu vgl. Moishe Postone, Hannah Arendts Eichmann in Jerusalem: Die unaufgelöste Antinomie von Universalität und Besonderem, in: Smith, Arendt Revisited, S. 264–290. Vgl. Norman Podhoretz, Hannah Arendt über Eichmann – Eine Studie über die Perversität der Brillanz, in: Die Kontroverse, S. 119–135. Vgl. Yaacov Lozowick, Hitlers Bürokraten. Eichmann, seine willigen Vollstrecker und die Banalität des Bösen, München/Zürich 2000; David Cesarani, Adolf Eichmann. Bürokrat und Massenmörder, Berlin 2004. Erwin Schüle, Die strafrechtliche Aufarbeitung des Verhaltens in totalitären Systemen – Der Eichmann-Prozess aus deutscher Sicht, in: Echter-Verlag (Hg.), Möglichkeiten und Grenzen für die Bewältigung historischer und politischer Schuld in Strafprozessen, Würzburg 1962, S. 63–84, hier: S. 71.
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keit«, und auf so genannte »Organisationsverbrechen«. Die Anklage griff somit das universalistische Rechtsdenken der Nürnberger Prozesse auf, gleichwohl war sie dichotomisch mit Vorwürfen verbunden, die sich auf ein konkretes Verbrechen, den Massenmord an den europäischen Juden, bezogen. Eichmann galt in der öffentlichen Wahrnehmung und nach Ansicht der Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang als einer der wenigen Haupttäter.46 Hannah Arendt griff Gideon Hausner für diese Verhandlungsstrategie wiederholt an, unterstellte ihm Fehler47 und sprach ihm die Fähigkeit, den Angeklagten nachzuvollziehen, ab.48 Die Angriffe können retrospektiv als Ausdruck eines grundlegenden Konfliktes begriffen werden.49 Im Kern handelte es sich um gegensätzliche historische Interpretationen des Massenmordes an den europäischen Juden. Hausner platzierte die Judenvernichtung im Kontext einer langen Geschichte der Verfolgung aus antijudaistischer und antisemitischer Motivation.50 Folgerichtig hob er während des Verfahrens konsequent auf die Umsetzung von Ideologie ab. Arendt hingegen fokussierte den Rahmen des Verbrechens. Nach dieser Sicht war lediglich die Auswahl der Opfer eine Folge des historischen Judenhasses, Struktur und Umsetzung durch die Akteure verortete sie im Wesen des Totalitarismus. Daraus ergaben sich konträre Handlungsoptionen für die Gegenwart. Nach Hausner stand dem Staat Israel als nationales jüdisches Kollektiv demnach das Recht zu richten zu, da dieser seine Existenz dauerhaft zu sichern habe. Arendt hingegen plädierte für eine universalistische Weltjustiz, die darüber hinaus darauf hinwirken könne, eine Wiederholung der Verbrechen an anderen Orten und anderen Völkern zu unterbinden. Während des Eichmann-Prozesses zeichnete sich ein Paradigmenwechsel ab. Der Begriff »Holocaust« wurde hier erstmals einer internationalen Öffentlichkeit bekannt gemacht und definierte den Massenmord an den europäischen Juden im Kontext des Zweiten Weltkrieges als spezifisches Ereignis.51 Die Tatsache, dass in Israel ein Prozess gegen einen mutmaßlichen Hauptverantwortlichen geführt werden konnte, bot zugleich die Möglichkeit, Opfer-Zuschreibungen durch demonstrativen Aktivismus abzulösen und den Staat Israel international zu profilieren. Hannah Arendts Überlegungen zum Totalitarismus hingegen mussten die Herausbildung einer »Holocaust-Fixierung«, wie Peter Novick diese Entwicklung nennt,52 konterkarieren und stießen daher auf breite Ablehnung und scharfen Widerspruch. In seinem Rückblick auf den Eichmann-Prozess, der gleichzeitig eine Replik auf Hannah Arendts Kritik bildet, verweigerte Hausner kategorisch eine Auseinandersetzung mit ihren Überlegungen.53 46
47 48 49 50
51 52 53
Vgl. Peter Novick, Nach dem Holocaust. Der Umgang mit dem Massenmord, Stuttgart/München 2001, S. 174 f. Vgl. Arendt, Eichmann, S. 154. Vgl. ebd., S. 99 f. und 326. Vgl. Bilsky, Justice, S. 245 f. Vgl. Gideon Hausner, Gerechtigkeit in Jerusalem, München 1967, insb. S. 25–36. Die Originalausgabe erschien unter dem Titel: Gideon Hausner, Justice in Jerusalem, New York 1966. Vgl. Novick, Holocaust, S. 178. Dazu vgl. die Einleitung in: ebd., S. 11–30. Hausner, Gerechtigkeit, S. 764.
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Eine weitere Erklärung für die Auseinandersetzung um Arendts EichmannPortrait bietet der forschungsgeschichtliche Hintergrund. Anfang der sechziger Jahre mangelte es an grundlegenden Kenntnissen über die Funktionsweise des NS-Staates. Die Einsicht, dass der Massenmord an den Juden keiner zentralen Befehlsgebung bedurfte, sondern vielmehr aus einer Abfolge von Initiativen verschiedenster Protagonisten in den Machtzentren und in der Peripherie resultierte, fehlte. Die Argumentation des Gerichts basierte deshalb auf der verbreiteten Vorstellung einer pyramidalen Befehlskette im Reichssicherheitshauptamt, an deren Spitze neben Himmler, Heydrich und Kaltenbrunner auch Eichmann stand. Diese Anschuldigungen bildeten eine Steilvorlage für die Verteidigung. Dem Angeklagten gelang es, konkrete Verantwortlichkeiten erfolgreich zu bestreiten und die Mitwirkung und Initiativen anderer beteiligter Personen und Dienststellen nachzuweisen.54 Zudem versuchte der Verteidiger Dr. Robert Servatius, einen »Befehlsnotstand« geltend zu machen.55 Eichmann selbst sei danach lediglich ein Glied in der Befehlskette gewesen und habe deshalb ohne niedere Beweggründe gehandelt. Die unzureichenden historischen Kenntnisse versetzten das Gericht nur bedingt in die Lage, die polykratische Herrschaftsstruktur des NS-Systems zu verstehen und die Rolle des Angeklagten exakt zu ermitteln. Auch Hannah Arendts Reflexionen lag die Vorstellung eines hierarchischen Apparates zu Grunde. In dessen Maschinerie habe ein Referatsleiter auch ohne ein hohes Maß an eigener ideologischer Triebkraft wirken können. Damit verwarf die Philosophin das verbreitete Geschichtsbild, nach dem Eichmann zu einer antisemitisch motivierten Kerngruppe des Nationalsozialismus zählte. Provozierend wirkte, dass Prämisse und These aus den Aussagen des Angeklagten abgeleitet worden waren und sich deshalb der Argumentation der Verteidigung annäherten. Die Folge waren mitunter empörte Anschuldigungen, wie zum Beispiel in einem Beitrag des aus Österreich stammenden Völkerrechtlers Robert Rie, der ihr unterstellte, sie habe sich als ständige Beobachterin des Gerichtsverfahrens nicht mehr ausreichend von den Akteuren und deren Rollenverhalten im Strafprozess distanzieren können und Sympathie für den Angeklagten entwickelt.56 Der Streit konnte Anfang der sechziger Jahre weder beigelegt noch aufgelöst werden. Den Verdienst der Arendtschen Überlegungen und der daraus resultierenden Auseinandersetzungen sieht Nicolas Berg darin, dass der Welt mit der Figur des »Schreibtischtäters« ein neues Erklärungsmodell für staatliche Verbrechen vorgestellt worden war.57 Klaus Naumann betont zudem, dass die Debatte die Formel von der »Banalität des Bösen« als Allgemeingut etabliert habe.58 Beide Beurteilungen basieren jedoch auf der Kenntnis der jahrzehnte54 55
56 57 58
Vgl. Schüle, Aufklärung, S. 72 f. Vgl. ebd., S. 86. Das Plädoyer von Servatius wurde noch während des laufenden Verfahrens veröffentlicht. Vgl. Robert Servatius, Verteidigung Adolf Eichmann. Plädoyer, Bad Kreuznach 1961. Servatius verteidigte im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher den Angeklagten Fritz Sauckel. Vgl. Rie, Nachspiel, S. 32. Vgl. Berg, Holocaust, S. 499. Vgl. Naumann, Sympathy, S. 71.
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langen Rezeptionsgeschichte und sind deshalb retrospektive Zuschreibungen. In der zeitgenössischen Wahrnehmung kann die Kontroverse allenfalls ein Bewusstsein für die Komplexität der Geschichte der Judenverfolgung und für eine große Anzahl eklatanter Forschungsdefizite vermittelt haben.59 Hannah Arendts Überlegungen waren verbunden mit Reflexionen über das Verhalten der Opfer. Aus ihrem Text spricht eine tiefe Verachtung gegenüber dem Wirken der von den Deutschen eingesetzten jüdischen Verwaltungs- und Ausführungsinstanzen. Ohne Abwägung im Einzelfall galten ihr deren Mitglieder als »jüdische Funktionäre«60, »jüdische Behörden«61 und »jüdische Führer«.62 Die Autorin unterstellte ihnen Fügsamkeit63 und betonte, dass die Verfolger bei der Realisierung des Massenmordes auf die »Kooperation« der Opfer angewiesen waren, zu der es »in einem wahrhaft erstaunlichem Maße« gekommen sei.64 Als Beispiele dienten das Erstellen von Personal- und Vermögenslisten, die Durchsetzung der Kennzeichnungspflicht, die Mitfinanzierung der Deportationen und der Einsatz jüdischer Polizisten. Darüber hinaus beklagte Arendt die Informationspolitik der »jüdischen Funktionäre«. Diese hätten, wie beispielsweise Leo Baeck, den sie in der englischen Originalausgabe als »Jewish Führer« bezeichnete,65 als freiwillige Geheimnisträger einschlägige Informationen unterschlagen und damit der Organisation des Widerstandes geschadet.66 Nach ihrer Auffassung hätte die so genannte Endlösung auch dann »ein furchtbares Chaos und ein unerhörtes Elend bedeutet«, wenn »das jüdische Volk wirklich unorganisiert und führerlos gewesen« wäre, »aber angesichts des komplizierten bürokratischen Apparats, der für das ›Auskämmen‹ von Westen nach Osten notwendig war, wäre das Resultat nur in den östlichen Gebieten […] gleich schrecklich gewesen«, aber »die Gesamtzahl der Opfer hätte schwerlich die Zahl von viereinhalb bis sechs Millionen Menschen erreicht.«67 Als Referenz dienten ihr allgemein gehaltene Hinweise auf Raul Hilbergs 1961 erschienene Gesamtdarstellung der Judenvernichtung68 sowie wiederum Aussagen Eichmanns.69 Erkenntnisse aus Detailstudien, Archivalien und Quelleneditionen flossen nicht in ihre Überlegungen ein.70 Hannah Arendt vermutete, dass die Prozessführung von Beginn an darauf ausgelegt war, das kompromittierende Thema der »Kooperation« auszuklammern, um das »Gesamtbild der Anklage« aufrechtzuerhalten, nach dem eine scharfe 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69
70
Vgl. Scheffler, Arendt, S. 19. Vgl. Arendt, Eichmann, S. 141. Vgl. ebd., S. 141. Vgl. ebd., S. 209. Vgl. ebd., S. 206 ff. Ebd., S. 208. Vgl. Scheffler, Arendt, S. 25. Vgl. Arendt, Eichmann, S. 208–211. Ebd., S. 218 f. Vgl. Raul Hilberg, The Destruction of European Jews, Chicago 1961. Darauf weist Anita Shapira hin. Vgl. Anita Shapira, The Eichmann Trial: Changing Perspectives, in: David Cesarani (Hg.), After Eichmann. Collective Memory and the Holocaust since 1961, New York 2005, S. 18–39, hier: S. 25. Vgl. Scheffler, Arendt, S. 23–29.
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»Trennungslinie zwischen Verfolgern und Opfern« bestehe.71 Daraus erkläre sich auch, dass Zeugen ausgiebig zum Widerstand befragt worden seien, während Fragen zu den Judenräten trotz möglicher neuer Erkenntnisse zur Schuld des Angeklagten nicht zur Sprache gekommen seien und angeblich kompromittierende Literatur nicht als Prozessmaterial zugelassen worden sei.72 Die Reaktionen auf diese Überlegungen und Behauptungen waren verständnislos, empört und mit Wut erfüllt, wie beispielsweise Arendts Briefwechsel mit Gershom Scholem aus dem Jahre 1963 vor Augen führt.73 Scharfer Protest entzündete sich daran, dass, so die Kritik, Arendt ohne Prüfung des Einzelfalls lediglich zwischen Ghettokämpfern, Judenräten und einer amorphen Masse fügsamer Opfer unterschieden habe.74 Der Vorwurf kam von dem aus Deutschland stammenden Zionisten Ernst Simon, der vor seiner Emigration die »Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung« im Erziehungsausschuss der »Reichsvertretung der Juden in Deutschland« geleitet hatte und sich nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich an der Gründung des Leo Baeck Institutes beteiligte. Die Kritiker warfen der Autorin unerträgliche Arroganz vor75 und äußerten ihre Betroffenheit. So spreche beispielsweise die Titulierung Baecks als »Jewish Führer« gegen sich selbst76 und stimme vor allem traurig.77 Der Schriftsteller Manés Sperber monierte, die Autorin klage die Vertreter der europäischen Juden für ihr Verhalten während des Zweiten Weltkrieges pauschal an und plädierte eindringlich für eine differenziertere Betrachtung.78 Die Angehörigen der Judenräte hätten zwar oft ihr Eigeninteresse verfolgt, jedoch gerade im karitativen Bereich viel Gutes bewirkt, jedenfalls sei es unmöglich, »sie in Bausch und Bogen zu verdammen«.79 Sich unter anderem während der Arendt-Kontroverse herausbildende Antagonismen zum Thema haben über Jahrzehnte moralische Urteile und geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse beeinflusst. Erst in jüngster Zeit hat Dan Michman scheinbar einander ausschließende Interpretationen des Phänomens der Judenräte in einer Synthese vereint, indem er darauf aufmerksam machte, dass unterschiedliche Perspektiven und unterschiedliche Erklärungsmodelle des Holocaust zwangsläufig auch den Blick auf die Geschichte der Judenräte verändern.80 Der zionistisch orientierte Rabbiner und Publizist Hans Tramer, der seit 1957 als Herausgeber des Leo Baeck Institute Bulletin fungierte, hinterfragte 71 72 73
74
75 76 77 78 79 80
Arendt, Eichmann, S. 212. Vgl. ebd., S. 212 f. Vgl. Stéphane Mosès, Das Recht zu urteilen: Hannah Arendt, Gershom Scholem und der Eichmann-Prozess, in: Smith, Arendt Revisited, S. 78–92. Vgl. Ernst Simon, Hannah Arendt – Eine Analyse, in: Die Kontroverse, S. 39–77, hier: S. 45–48. Zu Simon vgl. Ruth Nattermann, Deutsch-jüdische Geschichtsschreibung nach der Shoah. Die Gründung und Frühgeschichte des Leo Baeck Institute, Essen 2004, S. 144 und S. 153 ff. Vgl. Trevor-Roper, Eichmann, S. 184. Vgl. Simon, Hannah Arendt, S. 60. Vgl. Sperber, S. 31. Vgl. ebd., S. 22. Ebd., S. 24. Vgl. den Beitrag von Dan Michman, Kontroversen, in diesem Band.
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insbesondere Arendts Begrifflichkeit.81 Sie stelle die aufgezwungene »Beziehung der Juden zu den nationalsozialistischen Machthabern unter den Begriff der ›Kooperation‹«. Kooperation enthalte jedoch eine Vielzahl von Nuancen und müsse vor dem historischen Hintergrund erklärt werden. Es sei »ein ganz ungeheuerlicher, ein nahezu unfassbarer, jedenfalls aber ein gänzlich unverantwortlicher Vorwurf«, den Beteiligten ihre Mitwirkung anzulasten.82 Tramer äußerte zudem sein Unverständnis darüber, dass Arendt neben dem Wirken des Täters nicht auch das Verhalten der Opfer aus dem Wesen des Totalitarismus erkläre.83 Schließlich, so Norman Podhoretz, handelten diese angesichts der Umstände einfach menschlich.84 Die Autorin jedoch betrachte die Opfer als eigentlich Schuldige, wie Ernst Simon unterstellte.85 Gegen diesen grotesken Vorwurf wiederum nahm Bettelheim Arendt in Schutz. Schuldzuweisungen lägen ihr ebenso fern wie eine Entschuldung der Täter: »Hannah Arendt gesteht den ermordeten Juden die Heiligkeit des Märtyrertums mit Recht nicht zu, sondern sieht sie einfach als Menschen an. Dies ist ein Sakrileg für jene, die die Juden als Märtyrer reklamieren; und jeder, der die Ansicht vertritt, ihr Handeln könne zu ihrem Schicksal beigetragen haben, wird beschuldigt, er wolle behaupten, dass die Juden schuldig seien – oder dass es die Nazis nicht seien.«86 Ebenso wie die kritischen Angriffe rekurrierte auch diese Anmerkung auf die Menschlichkeit der Betroffenen. Dieses Paradoxon war die Folge wechselseitiger Zuschreibungen. Hannah Arendt wurde vorgeworfen, sie entwürdige die Opfer nachträglich, während Bettelheim den Kritikern eine angesichts weltweiter Gewaltphänomene unangemessene Sakralisierung derselben vorwarf. Die Auseinandersetzung offenbart sich an dieser Stelle als gegenwartspolitische Kontroverse um die Rolle des Zionismus, nach welcher der Staat Israel als Heimat der Überlebenden mit der unbedingten Verpflichtung zur Wehrhaftigkeit begriffen wurde. Als stellvertretend für diese Interpretation von Geschichte und Gegenwart sieht Leora Bilsky die Person des Leitenden Staatsanwalts Gideon Hausner. Die Voraussetzung für gesellschaftliche Integration und Binnensolidarisierung war danach das kollektive Vergessen der schmerzhaften Zusammenarbeit mit den deutschen Tätern. Die Kritik an den Opfern wurde Arendt deshalb als Distanzierung von ihrer jüdischen Identität ausgelegt und als unsolidarischer Akt gegenüber dem Staatskollektiv wahrgenommen.87 Der Verfasserin ging es vermutlich jedoch weder darum, das Modell der totalen Herrschaft umfassend und widerspruchsfrei auf die Judenverfolgung während des Dritten Reiches anzuwenden und die Folgen des 81 82
83 84 85 86 87
Zu Tramer vgl. Nattermann, Geschichtsschreibung, S. 163 ff. Hans Tramer, Ein tragisches Fehlurteil, in: Die Kontroverse, S. 161–175, hier: S. 164 f. Hervorhebung im Original fett. Vgl. ebd., S. 172. Vgl. Podhoretz, Hannah Arendt, S. 135. Vgl. Simon, Hannah Arendt, S. 56. Bettelheim, Eichmann, S. 95. Vgl. Naumann, Sympathy, S. 67. Arendt wurde u.a. der Vorwurf gemacht, eine »jüdische Dolchstoßlegende« geschaffen zu haben.
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Totalitarismus in all ihren möglichen Auswirkungen auch auf die Opfer zu veranschaulichen, noch beabsichtigte sie, eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung vorzulegen, denn ihre Argumentation fiel weit hinter eine methodologischen Annäherung von Philip Friedman zurück. Darin wurden bereits im Jahre 1958 zentrale Überlegungen zu einer systematischen Untersuchung und Bewertung der Rolle der so genannten »jüdischen Selbstverwaltung« publiziert.88 Friedman, der über eigene Ghettoerfahrungen verfügte, forderte beispielsweise eine Differenzierung zwischen dem Blick von außen und der Binnensicht,89 verlangte eine Berücksichtigung territorialer Unterschiede,90 machte auf Spielräume aufmerksam91 und wies darauf hin, dass die Judenräte von unterschiedlichsten politischen und sozialen Vereinigungen beeinflusst wurden.92 In der Geschichte der Judenräte sah er »a broad field for psychosociological investigation into the reactions of people under extreme stress and under the immediate pressure of terror and fear of death«.93 Schon im Jahre 1950 verweigerte er sich deshalb einem allgemein verbindlichen Urteil, indem er auf ein breites Spektrum verschiedenster Organisationsstrukturen und Verhaltensweisen verwies: »Some of the Judenrats were composed of representatives of Jewish political parties. Others were dominated by cliques or by individual ›strong men‹. In some of the instances the Germans dissolved Judenrats because they were too democratic and substitute Commissars of their own choice. Some Judenrats were passive instruments in German hands; others maneuvered and tried to rescue as many as they could. There were even some Judenrats which cooperated with the resistance movement and with the partisans. In any case, it is impossible to define the entire institutions of Judenrats as all black or all white«.94 Es wäre für die Kritik daher leicht möglich gewesen, die Thesen zur »Kooperation« unaufgeregt hinzunehmen und auf das Desiderat einer empirisch abgesicherten Studie zur Geschichte der Judenräte zu verweisen – eine Lücke, die auch Raul Hilbergs Studie und andere Arbeiten, wie zum Beispiel eine Fallstudie zum Budapester Judenrat,95 nicht adäquat schließen konnten. Die Philosophin hatte jedoch kein Interesse an einer ausdifferenzierten historischen Analyse. Vielmehr brachte sie ihr Unbehagen über den Verlauf des Jerusalemer Prozesses zum Ausdruck.96 Sie wandte sich entschieden gegen das skizzierte 88
89 90 91 92 93 94
95 96
Vgl. Philip Friedman, Preliminary and Methodological Problems of the Research on the Jewish Catastrophe in the Nazi Period, in: Yad Vashem Studies 2 (1958), S. 95–131, insb. S. 95–113. Vgl. ebd., S. 96. Vgl. ebd., S. 97. Vgl. ebd., S. 99. Vgl. ebd., S. 102. Ebd., S. 113. Vgl. ders., Jewish Reaction to Nazism, in: Jewish Frontier 9 (1950), S. 22, zit. in: Scheffler, Arendt, S. 27 f. Vgl. Bernhard Klein, The Judenrat, in: Jewish Social Studies 1 (1960), S. 27–42. Darauf weist auch Postone hin. Vgl. Moishe Postone, Reflections on Jewish History as General History. Hannah Arendt’s Eichmann in Jerusalem, in: Raphael Gross/Yfaat Weiss (Hg.), Jüdische Geschichte als Allgemeine Geschichte, S. 189–211, hier: S. 190 f.
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Geschichtsbild mit dem Holocaust als Kristallisationspunkt und verlangte – offenbar in Anlehnung an die zentrale Forderung in Karl Jaspers’ Überlegungen zur »Schuldfrage«97 – eine kollektive Auseinandersetzung mit den Fehlern der Vergangenheit. Hannah Arendt plädierte für »communication and storytelling of the ways in which Jews (and others) were led to cooperate with the Nazi system, so that this painful experience will acquire a permanent place and hence become part of the nations’ history«.98 Der Dämonisierung des Angeklagten entgegnete sie mit dem Verweis auf gleichfalls verwerfliches Verhalten anderer Beteiligter – sei es unter Opfern, Tätern oder Zuschauern – als Folge der »Totalität des moralischen Zusammenbruchs«, den die Nazi-Diktatur in allen Ländern Europas bewirkt habe, vor allem innerhalb der »höheren Schichten der Gesellschaft«.99 Den Prozess interpretierte sie als Instrument, mit dem ein Vorstoß zu einem Wesenskern der NS-Herrschaft möglich gewesen wäre. Durch das Ausklammern der Rolle der Judenräte und anderer Exekutivorgane habe das Gericht die Chance vertan, die umfassenden Auswirkungen der totalen Herrschaft insbesondere auf Angehörige von Führungsschichten zu veranschaulichen und der Welt auf diese Weise vor Augen zu führen, wie es zur umfangreichen »Kooperation« hatte kommen können. Die emotionalen Reaktionen verstellten jedoch den Blick auf diesen Gedankengang. Zwar gab es im Rahmen der internationalen Kontroverse Auseinandersetzungen mit der Geschichte des Nationalsozialismus, mit Herrschaftsstrukturen, Täterschaft und der Geschichte der Judenverfolgung. Der Erkenntnisgewinn war jedoch gering, da nur wenige Diskutanten über einschlägige historische Kenntnisse verfügten und ihre Urteile oftmals mit dem Bedürfnis fällten, eine anschlussfähige Vergangenheit zu konstruieren. Entgegen einer noch immer verbreiteten Auffassung waren die fünfziger Jahre in Westdeutschland keine »stillen Jahre«.100 Die Wahrnehmung von Nationalsozialismus und Krieg konzentrierte sich jedoch vorwiegend auf die deutschen Opfer. Der Eichmann-Report erreichte die Bundesrepublik Deutschland in einer erinnerungspolitischen Übergangsphase, da die Kultur der Viktimisierung mit dem Ende der fünfziger Jahre allmählich abgelöst wurde.101 Hannah Arendts Veröffentlichung wurde auch in der Bundesrepublik von einer Vielzahl von Stellungnahmen begleitet. Als Kommentatoren traten beispielsweise der Publizist Rolf Schroers oder der Historiker Golo Mann auf den Plan. Im November 1964 erschien zudem ein einschlägiges Themenheft in der Reihe »Aus Politik und Zeitgeschichte« mit Beiträgen von Paul Arnsberg sowie Wolfgang Scheffler.102 Bemerkenswert analytisch agierte Rolf Schroers. 97 98 99 100
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Vgl. Karl Jaspers, Die Schuldfrage, Heidelberg 1946. Bilsky, Justice, S. 244. Arendt, Eichmann, S. 219. Vgl. Hermann Lübbe, Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewusstsein, in: Historische Zeitschrift (HZ) 236 (1983), S. 579–599. Vgl. Thomas Herz/Michael Schwab-Trapp (Hg.), Konflikte über den Nationalsozialismus nach 1945. Eine Theorie der politischen Kultur, in: dies., Umkämpfte Vergangenheit. Diskurse über den Nationalsozialismus seit 1945, Opladen 1997, S. 11–36. Vgl. Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung »Das Parlament« 14 (1964), Heft 45.
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Die »deutsche Perspektive« interpretierte er als beobachtende, indem er konstatierte, dass »mehr die Diskussion über die englische Ausgabe diskutiert« worden sei »als das Buch selber«.103 Die Dynamik der Auseinandersetzung resultierte seiner Meinung nach aus der Kombination der beiden zentralen Überlegungen: »das spezielle Thema Eichmann mit dem ganz anderen des politischen Zionismus, des alljüdischen Anspruchs Israels«.104 Schroers meinte die Absicht Arendts zu erkennen, das Vorhaben des Staatsanwalts, Eichmann als Spiritus Rector des Holocaust zu verurteilen, durch eine Andersbewertung der Ereignisse zu desavouieren, »zum anderen aber diese Desavouierung« in einer eher unterschwelligen und polemischen Ausgestaltung »wiederum politisch gegen den Zionismus auszuspielen«. Insbesondere diese dichte Verknüpfung erkläre die scharfen Reaktionen »der überwiegenden Mehrzahl der Juden von Rang und Namen gegen ihr Buch«.105 Die Arendt-Kontroverse ist nach dieser Wahrnehmung eine innerjüdische Debatte. Zur Diskussion des Buches in Deutschland sah Schroers deshalb einzig das Eichmann-Portrait der Philosophin geeignet. Für die »Beurteilung anderer Partien des Buches« seien die Deutschen jedoch weniger zuständig.106 Die Tatsache, dass der Autor in dieser Bemerkung sogar darauf verzichtete, die Diskussion um die Rolle der eingesetzten jüdischen Verwaltungs- und Ausführungsinstanzen explizit zu benennen, unterstreicht seine Skepsis und Unsicherheit, eine derart heikle und widersprüchliche Auseinandersetzung nicht einmal zwanzig Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Deutschland zu führen. Die Diskussionen um Arendts Bewertung des Judenrat-Phänomens hätten ihm zufolge jedoch im Land der Täter eine pädagogische Wirkung erzielen können, da sie dazu hätten beitragen können, ein Bewusstsein für das aufgewühlte Leid zu schaffen und ein Verständnis dafür zu erzeugen, »dass die Deutschen eine unbewältigte Vergangenheit nicht nur sich selbst auferlegt haben, sondern dass ihre Verbrechen auch anderen zu schlimmen Prüfsteinen geworden sind«.107 Gleichfalls eher distanziert beobachtend und ausgewogen urteilend sind weite Teile des Beitrags von Paul Arnsberg. Arnsberg vermisste eine ernsthaft geführte geistige Auseinandersetzung mit »Eichmann in Jerusalem«. Zu diesem Zweck stellte er Schwächen der Arendtschen Analyse, wie zum Beispiel die mangelnde Unterscheidung zwischen Kooperation und Kollaboration, heraus. Die Kritik habe jedoch jedes Wort in die Waagschale geworfen und versuche offenbar, die Autorin zu einer mit Ressentiments beladenen Anti-Zionistin zu stilisieren.108 Die emotionalste Reaktion in Deutschland äußerte Golo Mann. Er hob eine scheinbare Nebensächlichkeit hervor, indem er eine Debatte über den deut103
104 105 106 107 108
Rolf Schoers, Der banale Eichmann und seine Opfer, in: Die Kontroverse, S. 199–206, hier: S. 199. Ebd. Ebd. Ebd., S. 200. Ebd. Vgl. Paul Arnsberg, War Eichmann ein Dämon, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 14 (1964), S. 3–18, hier: S. 12 und 14–17.
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schen Widerstand während der NS-Zeit einforderte. Seine Position war gekennzeichnet durch heftige Angriffe gegen Arendts Charakterisierung der Verschwörer des 20. Juli 1944. Die Verfasserin vertrat die zum damaligen Zeitpunkt noch sehr unübliche und provokante Sichtweise, dass Angehörige des konservativen Widerstandes bis zu einer sehr späten Phase des Regimes die Vernichtungspolitik getragen hatten und erst angesichts der aussichtslosen Kriegssituation für den militärischen Widerstand optiert hätten. Nur ein Jahrzehnt nach dem Remer-Prozess, in dem die konservative militärische Opposition gegen Hitler in einem Verfahren wegen Beleidigung vor dem Vorwurf des Hoch- und Landesverrats rehabilitiert worden war, sah er darin »die empörendsten Verleumdungen, die je über diese Bewegung verbreitet wurden«. Versuche, Juden zu retten, habe es sehr wohl gegeben und die Entscheidung zum Aufstand sei entgegen aller Anschuldigungen aufrichtiger politischer Überzeugung geschuldet gewesen.109 Auch Arnsberg kritisierte Arendts Thesen zum deutschen Widerstand. Darüber hinaus bedauerte er weitere Angriffe auf die Rolle der Deutschen während der Zeit des Nationalsozialismus sowie auf personelle Kontinuitäten in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik. Ohne argumentativ dagegen einzuschreiten prognostizierte er, dass »der leichte Wellenschlag, der von Amerika zu uns herüberkommt«, sich in eine Sturmflut verwandeln werde.110 Die Befürchtungen erwiesen sich jedoch im Großen und Ganzen als übertrieben. Eine derart starke Fokussierung des Themas Widerstand, wie sie bei Arnsberg und vor allem Mann zu finden sind, war eine Besonderheit und erscheint als Merkmal der Rezeption in Deutschland. Gleichwohl war das Thema auch in den Überlegungen anderer Diskutanten präsent und wurde von einigen sogar als Schlüssel zum Verständnis des Textes insgesamt betrachtet. A. Alvarez beispielsweise warf die Frage auf, ob der ProzessReport nicht doch eher als Abhandlung über individuelles Verhalten begriffen werden könne, da das Buch sich gegen jede Form der Führerschaft wende. Die Hoffnung für die Zukunft ruhe auf dem Individuum und seiner Fähigkeit, richtige Entscheidungen zu treffen.111 Auch Schroers betonte diesen Punkt. Der »eigentliche Kern des heftigen Buches« bestehe demnach aus der Frage, auf welche Weise Widerstand gegen die Banalität des Bösen überhaupt denkbar sei.112 Wolfgang Schefflers Fazit der Eichmann-Kontroverse bestand aus einer zwanzigseitigen, systematisch aufgebauten geschichtswissenschaftlichen Überprüfung der Arendtschen Überlegungen. Scheffler hatte im Auftrag des Auswärtigen Amtes der Verhandlung als Prozessbeobachter beigewohnt, vermied es allerdings, sich zu seinen dort gewonnenen Eindrücken zu äußern. Der Text weist vielmehr den Charakter eines historischen Gutachtens mit einem Plädoyer für die Intensivierung der Forschung auf. Seiner Auffassung nach verdeutlicht die Kontroverse vor allem, dass »die wesentlichen Faktoren des gesamten Vorganges, von ihren Vorbedingungen einmal ganz abgesehen, der 109 110 111 112
Mann, Eichmann, S. 194. Vgl. Arnsberg, Dämon, S. 16 f. Vgl. A. Alvarez, Es geschah nicht überall, in: Die Kontroverse, S. 176–181, hier: S. 179. Schoers, Eichmann, S. 199.
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Aufbau und die Funktion der verschiedenen Organisationsformen (geradezu ein Wesenselement des totalitären Staates), die verwirrende Vielfalt der beteiligten Kräfte usw. und auf der anderen Seite das Leben, die Verhaltensweisen der Opfer dieses unbeschreiblichen Terrors noch intensiver Grundlagenforschung bedürfen [...]«.113 Die Verfasserin habe »gewollt und wahrscheinlich auch ungewollt Tatbestände aufgedeckt, denen man sich stellen« müsse, »ob es opportun erscheint oder nicht«.114 Der Beitrag erschien einige Monate nach der Veröffentlichung der leicht überarbeiteten deutschen Arendt-Ausgabe und sollte ganz offensichtlich einer Versachlichung der Auseinandersetzungen dienen. Der Historiker behandelte die Quellenlage, äußerte sich zur Frage der »Kooperation«, besprach die Rolle Eichmanns, diskutierte grundlegende Fragen zur Motivation der Täter und widmete sich – allerdings sehr kurz – auch der Rolle des deutschen Widerstands. Sein Text beinhaltet harsche Kritik und ein insgesamt vernichtendes Urteil über die Herleitung der Hauptthesen. Der Holocaust-Forscher merkte an, dass die Argumentation bezüglich der »Kooperation« veränderte Zitate nutze,115 auf falschen Behauptungen basiere,116 sich aus isoliert betrachteten Zeugenaussagen generiere117 und Klischees aufgreife.118 Ein abschließendes Urteil zu diesem Fragenkomplex verweigerte Scheffler jedoch, da es aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive nicht möglich sei, allein aus der Tatsache ihrer Existenz und ihrer Tätigkeit Schlussfolgerungen zur Geschichte der Judenräte zu ziehen.119 Der Historiker konstatierte eine »Schieflage«, die seiner Ansicht nach nicht zuletzt auch die durch die Veröffentlichung hervorgerufenen Emotionen erkläre. Anstelle von Einfühlung habe die Verfasserin Halbwahrheiten und nicht Existentes vermengt, »nur um die Generalthese in aller Schärfe beweisen zu können«.120 Ähnlich urteilte Scheffler auch über das Eichmann-Portrait und über die Gedanken der Verfasserin zum Widerstand. In Deutschland biete einzig die Geschichtswissenschaft die Möglichkeit, das bestimmende Halbwissen zu berichtigen und Defizite aufzufüllen, um somit den unbefriedigenden Zustand zu überwinden. Jedoch – so Scheffler – bestünden noch immer Hindernisse, so zum Beispiel die noch im Fluss befindliche Quellenlage sowie Betroffenheit und Verwirrung der Menschen, »die sich nur zu häufig in einer geradezu hektisch anmutenden, sehr oft irrigen ›Vergangenheitsbewältigung‹ Luft machen«.121 Die Intervention war in zweifacher Hinsicht gewagt. Zum einen griff Scheffler in eine der Wahrnehmung nach innerjüdische Debatte ein. Die Methoden der Geschichtswissenschaft boten ihm als deutschen Diskutanten unter dem 113 114 115 116
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Scheffler, Arendt, S. 19. Hervorhebung im Original fett. Ebd., S. 20. Vgl. ebd., S. 24. Vgl. ebd. So widerlegt Scheffler z.B. eine Annahme Arendts, nach der zionistisch orientierte Gruppen die Politik der Reichsvertretung der Deutschen Juden bestimmten. Vgl. ebd., S. 26. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 29. Ebd., S. 27. Ebd., S. 20.
Täterschaft, das Verhalten der Opfer und Widerstand im Streit
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Anspruch, es gehe ihm »nur um die Wahrheit«,122 die Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen und eine inhaltlich eindeutige Stellungnahme – selbst zu dem hoch emotionalisierten Thema der »Kooperation« – vorzutragen. Zum anderen betrat Scheffler in der Bundesrepublik als professioneller Historiker Neuland, da er sich trotz eines verbreiteten Desinteresses und gegen zum Teil massive Widerstände123 systematisch mit der Erforschung der Judenvernichtung beschäftigte und zeitgleich zum Erscheinen des Arendt-Buches in Deutschland eine deutschsprachige Monographie zum Thema vorlegte.124 Die Durchsetzung eines Verständnisses für den Holocaust als Ereignis ermöglichte es einem deutschen Forscher, sich international auf diesem Gebiet zu profilieren und die bis zum damaligen Zeitpunkt dominierende anglo-amerikanische Forschung durch Impulse aus dem Land der Täter zu bereichern. In Westdeutschland selbst dauerte es jedoch noch fast zehn Jahre bis mit Uwe Adams Untersuchung über die Judenpolitik des Dritten Reiches eine weitere einschlägige Forschungsarbeit erscheinen konnte.125 Der Partikularismus, der erforderlich war, um das Thema zu definieren, ermöglichte eine Internationalisierung und zugleich eine Universalisierung der Forschung. Arendts Buch und die daraus resultierenden Debatten beflügelten diesen Prozess, da sie den Massenmord an den europäischen Juden weltweit als Diskussionsthema etablierten, letztlich möglicherweise sogar gegen die eigentliche Intention der Verfasserin.
III. Fazit Die Annahme Hartmut Lehmanns, dass Auseinandersetzungen um historische Themen sich dadurch auszeichnen, dass hinter strittigen Sachfragen andere strittige Komplexe zu vermuten seien, die in der Regel nicht ausdrücklich thematisiert werden, trifft – wie gezeigt – für die Arendt-Kontroverse in hohem Maße zu. Hinter der Diskussion um Eichmanns Tatmotive und um die Rolle der Judenräte findet sich die Auseinandersetzung um ein sich herausbildendes Verständnis für den Holocaust. In dem spektakulärsten Strafverfahren zum Nationalsozialismus seit den Nürnberger Prozessen stand in den Jahren 1961/62 in Jerusalem Adolf Eichmann vor Gericht, der während des Zweiten Weltkrieges maßgeblich an der Organisation des Massenmordes an den Juden beteiligt war. Mit dem Vorgehen gegen einen Hauptverantwortlichen war offenbar die Absicht verbunden, die Geschichte dieses Massenmordes national und international präsent zu machen, die Binnensolidarisierung innerhalb der israelischen Gesellschaft zu verbessern und zugleich durch demonstrativen Aktivismus Ansprüche und Handlungsfähigkeit des Staates Israel nach außen kundzutun. Innerhalb einer vergleichsweise kurzen Zeit etablierte sich eine 122 123
124 125
Ebd., S. 20. Beispielhaft hierfür ist die Rezeption der Holocaust-Studien Josef Wulfs. Vgl. Berg, Holocaust, S. 323–370. Vgl. Wolfgang Scheffler, Judenverfolgung im Dritten Reich, Berlin 1964. Vgl. Uwe-Dietrich Adam, Judenpolitik im Dritten Reich, Düsseldorf 1972.
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Karsten Wilke
Wahrnehmung des Holocaust als spezifisches Ereignis innerhalb der jüdischen Geschichte und darüber hinaus auch innerhalb einer Universalgeschichte. Hannah Arendt überraschte im Jahre 1963 die internationale Öffentlichkeit mit nonkonformistischen Überlegungen zum Strafverfahren und zu den historischen Ereignissen, auf die die Verhandlung Bezug nahm. Indem sie sich gegen gängige Geschichtsvorstellungen wandte und Durchführung und Ausrichtung des Strafprozesses vehement kritisierte, brachte sie ihren Unmut über die Produktion eines für die israelische Gesellschaft anschlussfähigen Geschichtsbildes, das auf einer nach ihrer Wahrnehmung verkürzten Dichotomie zwischen Tätern und Opfern beruhte, zum Ausdruck. Ihre Analyse von Geschichte und Gegenwart betonte andere Schwerpunkte: statt Antisemitismus akzentuierte sie Entmenschlichung und moralische Korrumpierung durch den Totalitarismus. Verbrecherisches und verfehltes Handeln waren damit Strukturelemente der NS-Herrschaft, der mutmaßliche Haupttäter war nach dieser Sichtweise austauschbar. Die heftige Debatte speiste sich aus der Unterstellung, Arendt habe beabsichtigt, die Konstruktion des Ereignisses »Holocaust« zu konterkarieren, um den Staat Israel zu delegitimieren und dessen Handlungsfähigkeit zu untergraben. In Deutschland wurde die Kontroverse um Hannah Arendts Thesen als innerjüdische Debatte wahrgenommen. In den Beiträgen spiegelt sich eine verbreitete Unsicherheit, die sich in eher zurückhaltenden und beobachtenden Stellungnahmen ausdrückte. Hinzu kam, dass mit dem Thema »Widerstand« ein spezifisch deutscher Streitpunkt geschaffen wurde, der eine Kritik an Arendt ermöglichte, ohne über den Massenmord an den europäischen Juden diskutieren zu müssen. Eine deutsche Intervention war Anfang der sechziger Jahre dabei in zweifacher Hinsicht schwierig. Deutsche Diskutanten sahen sich einerseits offenbar nicht in der Lage, einen vorgeblich innerjüdischen Diskurs zu erweitern und mussten andererseits trotz einer zunehmend veränderten Einstellung zu den Verbrechen des Nationalsozialismus befürchten, sich in Deutschland in eine Außenseiterposition zu begeben. Mit Wolfgang Scheffler bewies ein Vertreter der Geschichtswissenschaft als einer von wenigen die Courage, Stellung zu beziehen. Indem er die gegenwartspolitische Ebene konsequent ausklammerte, gelang es ihm, sich aus der Sicht des Forschers einzubringen. Mit großer Akribie wies er Arendt eine Reihe von Fehlern nach und konstatierte erheblichen Forschungsbedarf. Die Analyse der Arendt-Kontroverse offenbart die enge Nähe von Zeitgeschichtsforschung und Gegenwartspolitik und verdeutlicht die Notwendigkeit, alle Aspekte der NS-Verbrechen gründlich zu erforschen und adäquat zu vermitteln. Gleichzeitig wird damit das Potential der NS- und Holocaust-Forschung als das wichtigste, national und international verbindende, spezifisch jüdische und universalistische Ansätze integrierende, Opfer- und Täterperspektiven angemessen berücksichtigende Medium der Vergangenheitsbewältigung sichtbar.
Erkenntnispotentiale und Lesarten: Die Dokumente des Białystoker Judenrats
Der Judenrat im Ghetto von Białystok: Struktur, Abteilungen, Personal von
SARA BENDER
Als die Stadt Białystok am 27. Juni 1941 von deutschen Truppen besetzt wurde, hatte sie ungefähr 50.000 jüdische Einwohner. Bereits in den ersten 14 Tagen der Besatzung wurden davon 7.000 Männer getötet. Zwei Tage nach der Okkupation wurde dem Oberrabbiner von Białystok, Dr. Gedaliah Rozenman, befohlen, in den Büros des Militärgouverneurs der Stadt zu erscheinen, wo er aufgefordert wurde, innerhalb von 24 Stunden einen Judenrat mit zwölf Mitgliedern zu bilden. Dr. Rozenman rief bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens der Gemeinde zusammen, darunter auch Efraim Barasz, den vorherigen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Białystok. Die für den Judenrat erforderlichen zwölf Mitglieder wurden während der an diesem Tag abgehaltenen Zusammenkunft gewählt und ihre Namen dem Militärgouverneur bekannt gegeben. Nach weniger als einem Monat informierte der Judenrat die jüdische Öffentlichkeit, dass die Militärverwaltung die Errichtung eines Ghettos befohlen hatte. Fünf Tage später, am 1. August 1941, schlossen sich die Tore des Ghettos hinter den rund 43.000 verbliebenen jüdischen Einwohnern. Am Tag darauf traf sich der Judenrat zu seiner ersten Sitzung. Die meisten seiner Mitglieder, deren Gesamtzahl auf Befehl der deutschen Behörden auf 24 erhöht worden war, waren bei dem Treffen anwesend. Bei dieser ersten Sitzung richtete der Judenrat 13 Abteilungen zur Durchführung seiner Tätigkeiten ein. Der Judenrat hatte seinen Sitz in der KupieckaStraße 32 in einem dreistöckigen Gebäude, das zuvor als Altenheim genutzt worden war. Hier befanden sich auch die Büros der meisten seiner Abteilungen. Eine Reihe von Einrichtungen wurden dem Judenrat angeschlossen wie zum Beispiel Krankenhäuser, Waisenhäuser, Gefängnisse, Badehäuser, Apotheken, Schulen, Parks, Geschäfte, Ställe, Kinderkliniken, Linat Hazedek,1 eine Bäckerei, ein Kinderspielplatz, ein Altenheim, Lagerhäuser, ein Zahnlabor, eine Klinik, eine Arrestzelle im Keller des Judenratsgebäudes, ein Eiskeller, Werkstätten, eine Unfallstation, ein Markt und fünf jüdische Polizeistationen. In den Wochen nach der Errichtung des Ghettos begann der Judenrat mit der Organisation des Lebens der Juden im Ghetto und versuchte, unter den harten 1
Linat Hazedek [»Herberge der Gerechtigkeit«], nach der Übersetzung der Meldungen des Judenrats in diesem Band von Hans-Peter Stähli auch Linas Hacedek. Vgl. Meldung 40. Es handelt sich um eine Fürsorgeeinrichtung.
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Sara Bender
Besatzungsbedingungen weitestmögliche Normalität herzustellen. Nachrichten über die Judenvernichtung im Osten waren noch nicht bis in das Ghetto durchgesickert. Trotz des Traumas, das die Juden in den ersten Tagen der deutschen Besatzung erlebt hatten, entstand durch die danach eintretende relative Ruhe die Illusion, das Schlimmste sei vorüber.2 Die Mitglieder des Judenrats waren mehrheitlich Intellektuelle, für die es unter den Ghettobedingungen schwierig war, ein Auskommen zu finden. Die meisten von ihnen waren nicht zur Arbeit außerhalb des Ghettos bereit – aus Angst entführt zu werden. Die Arbeit als Judenratsmitglied erschien ihnen als das kleinere zweier Übel, so dass die Bereitschaft zur Mitarbeit im Allgemeinen sehr hoch war, nicht nur weil Angestellte des Judenrats eine bestimmte Immunität genossen, sondern auch, weil sie anstelle von Gehältern besondere Privilegien erhielten. Um eine große Anzahl von Personen davon profitieren zu lassen, versuchte Barasz darauf hinzuwirken, dass möglichst viele Familien einen Angehörigen in die Institutionen des Judenrats entsandten.3 Die Quellen lassen darauf schließen, dass die Anzahl der Judenratsmitarbeiter von Monat zu Monat wuchs. Bei einer Zusammenkunft der Abteilungsleiter am 18. Januar 1942 gab Barasz bekannt, dass die Zahl der Angestellten (1.600) dreimal so hoch sei wie die erforderliche Anzahl. Bis zum Juni 1942 wuchs die Zahl auf 4.000 an.4 Zwar erhielten Angestellte des Judenrats kein festes Gehalt, aber es wurde ihnen stattdessen pro Tag ein halbes Kilogramm Brot zugeteilt, ab Sommer 1942 schließlich 370 Gramm. Abteilungsleiter und leitende Angestellte erhielten bis November 1942 doppelte Brotrationen. Seitdem wurde es durch die hohe Anzahl der Angestellten notwendig, die Zuteilung auf 300 Gramm pro Tag zu kürzen. Von Zeit zu Zeit erhielten die Angestellten Gutscheine für Marmelade, dünne Würstchen, sehr selten Fleisch, Buchweizen, verschiedene Sorten Gemüse, Seife, Waschpulver und gelegentlich Zigaretten zu verbilligten Preisen. Im Herbst 1941 und im Winter 1942 erhielten Judenratsmitarbeiter auch große Mengen Kohle. Im Sommer 1942, als das Leben im Ghetto begonnen hatte sich zu normalisieren, wurden Hülsenfrüchte, Gemüse, Fleisch und Kartoffeln in regelmäßigeren Abständen zugeteilt. Dabei ist zu beachten, dass die ungefähr 8.600 Industriearbeiter, die im Sommer 1942 in den Fabriken des Judenrats arbeiteten, auch als Angestellte des Judenrats galten. Der bedeutende Beitrag, den die Fabriken für die Wirtschaft und Stabilität des Ghettos leisteten, führte auch zu einem beständigen Anstieg der Anzahl der Fabrikarbeiter. Zwar mussten die meisten Arbeiter für Nahrungsmittel bezahlen, die Ärmsten wurden jedoch kostenlos mit Essen und Schuhen versorgt.5 Im Frühjahr und Sommer des Jahres 1942 begann der 2
3 4
5
Basierend auf: Sara Bender, Mul mawet orew: Yehudei Bialystok be-milhemet haolam hasheniyah (hebräisch); englische Ausgabe: The Jews of Białystok during World War II and the Holocaust, Waltham, Mass. 2008. Yad Vashem Archive (YVA), M-11/29, S. 10–12. Nachman Blumenthal, Darko shel Yudenrat: Te‘udot miggeto Bialistoq [Conduct and Actions of a Judenrat. Documents from the Bialystok Ghetto (jiddisch/hebräisch)], Jerusalem 1962, S. 108 und 211. Vgl. ebd., S. 66, 104, 124; YVA, M-11/29, S. 15–16.
Der Judenrat im Ghetto von Białystok: Struktur, Abteilungen, Personal
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Judenrat, den Angestellten Gehälter zu zahlen, anlässlich von Feiertagen, wie zum Beispiel des Pessachfestes, gab es mitunter auch Bonusvergütungen zwischen 30,00 und 75,00 Reichsmark. Bestimmte Gruppen von Angestellten, wie Polizisten, »Hausverwalter« und Vorarbeiter der Bäckerei, bekamen besondere Vergünstigungen. Lehrer erhielten beispielsweise ein Gehalt von acht Mark pro Stunde. In den Fabriken des Judenrats wurde Facharbeitern ein höheres Gehalt gezahlt als ungelernten Arbeitern.6 Insgesamt schien sich die wirtschaftliche Lage im Ghetto zu stabilisieren. Diese Situation hielt bis November 1942 an, als das Ghetto abgeriegelt wurde. Im Folgenden werden zehn der 13 Abteilungen des Białystoker Judenrates vorgestellt, über deren Organisationsstruktur und Arbeit Informationen vorliegen. Als Quellenbasis werden hierfür insbesondere die Meldungen des Judenrates sowie die Protokolle der Sitzungen des Judenrates herangezogen.7
1. Die Wohnungsabteilung »Illegale Mieter und ihre Vermieter werden hart bestraft«
Die Wohnungsabteilung des Judenrats kümmerte sich um den Wohnraumbedarf im Ghetto. Als sich sein Status festigte, begann der Judenrat damit, Verfahren zum Umgang mit dem dort vorhandenen Eigentum und Vermögen festzulegen. Alle Gebäude im Ghetto wurden zum Eigentum des Judenrats erklärt und sämtliche Immobilienangelegenheiten oblagen von nun an der Aufsicht der Wohnungsabteilung. So waren beispielsweise Personen, die einen Umzug beabsichtigten, auf eine Genehmigung angewiesen. Die Ghettobewohner belagerten die Wohnungsabteilung ständig mit ihren Beschwerden und bei verschiedenen Gelegenheiten drohte der Judenrat, dass »Änderungen, die allein gemacht werden, ohne die Erlaubnis der Wohnungsabteilung […], nicht anerkannt« würden: »Wir warnen die Einwohner, dass es in ihrem eigenen Interesse ist, die Verordnung zu befolgen«.8 Offiziell waren alle Ghettobewohner Mieter, die an den Judenrat Miete zu zahlen hatten. Eine besondere Unterabteilung der Wohnungsabteilung war dafür zuständig, die Häuser und Wohnungen in gutem Zustand zu halten. Es wurden »Hausverwalter« ernannt, um Bezugsscheine für Brot zu verteilen, Steuern einzutreiben und den Mietern die Anweisungen des Judenrats bekanntzugeben. Drei oder vier Inspektoren der Wohnungsabteilung überwachten die Tätigkeit der Hausverwalter.9 6
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Eine Anweisung des CdZ, Erich Koch, vom 15. Dezember 1941 bestimmte ab Januar 1942 die Reichsmark zur offiziellen Währung des Ghettos. Damals hatte die Mark einen Marktpreis von 10 Rubel. Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 395. Zum Beispiel kostete ein halbes Kilo dünne Würstchen 1,50 Mark. Vgl. YVA, M-11/29, S. 15 ff. Bei wörtlichen Zitaten aus den Meldungen und Protokollen wurde die deutsche Übersetzung Hans-Peter Stählis herangezogen. Ebd., Meldung 179. Vgl. YVA, M-11/18, S. 16. Vgl. YVA, M-11/18, S. 16. Die Inspektoren waren: Moshe Wyssocki, der ehemalige Vorsitzende des Verbands der Kleinunternehmer in Białystok und Herausgeber der Wochenschrift Białystoker Shtime, Aaron Albek, ein weithin bekannter Kulturschaffender und ehemaliger
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Sara Bender
Die Hausverwalter wurden durch Wohnungskomitees unterstützt, die vom Judenrat zur Vereinfachung der Verteilung von Brotbezugsscheinen eingerichtet worden waren.10 Um eine regelmäßige Versorgung mit Brot sicherzustellen, beschloss der Judenrat die Durchführung einer Volkszählung. Jedes Haus wählte ein eigenes Wohnungskomitee, das sich aus einem Vorsitzenden, einem Sekretär und einem Schatzmeister zusammensetzte. Das Komitee erstellte für den Hausverwalter eine Liste der Mieter, die die Grundlage für die Zuweisung von Brotbezugsscheinen durch den Judenrat darstellte. Die Hausverwalter durften aufgrund ihres Status als Judenratsangestellte an besonderen Treffen des Judenrats zu Verwaltungsfragen teilnehmen. Die Hausverwalter waren auch für die Sauberkeit in den Höfen und auf den Straßen verantwortlich, eine Aufgabe, mit der sie wiederum Hausmeister betrauten, die offiziell durch den Judenrat anerkannt wurden. Die Hausmeister, normalerweise ältere Leute, erhielten einen speziellen Ausweis und eine Armbinde. Sie wurden nicht vom Judenrat, sondern von den Mietern bezahlt. Das System hatte jedoch seine Nachteile, wie der Leiter der Wohnungsabteilung, Moshe Szwif, während einer Abteilungsleitersitzung am 16. Januar 1942 feststellte: »Die Pförtner sind zu alt, die Geräte zum Reinigen sind schlecht, die Müllabfuhr ist schlecht organisiert.«11 Alle neu im Ghetto ankommende Personen, wie zum Beispiel die Rückkehrer aus Pruz˙any oder Menschen, die an anderen Orten vor »Aktionen« geflüchtet waren,12 mussten sich zuerst beim Judenrat anmelden. Die deutschen Behörden drohten mit Strafmaßnahmen, falls sich nichtregistrierte Personen im Ghetto aufhielten.13 Daher beauftragte der Judenrat die Wohnungskomitees und Hausverwalter damit, sicherzustellen, dass zukünftig alle Mieter registriert würden, andernfalls würden illegale Mieter und ihre Vermieter hart bestraft.14
2. Die Finanzabteilung »Niemand wird von der Steuerpflicht befreit«
Schon vor der Errichtung des Ghettos hatten die Militärbehörden eine hohe Steuer von den Juden gefordert, ein Vorgehen, das sich zu einer systematischen
10
11 12
13 14
Herausgeber der Zeitung Das Noye Lebn, und Asher Trosnowic, ehemaliger Herausgeber des Białystoker Kuryer. Siehe: Raphael Reizner, der umkum fun bialistoker jidntum, 1939–1945 [Der Untergang der Juden Białystoks, 1939–1945], Melbourne 1948, S. 61. Vgl. Meldung 307. Der Befehl zur Einrichtung von Wohnungskomitees wurde am 15. August 1941 gegeben, nachdem der Antrag in der Judenratssitzung vom 3. August abgelehnt worden war. Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 9. Ebd., S. 111. Siehe auch Meldung 190. Barasz kündigte in einer Judenratssitzung vom 15. August 1942 an: »Man kommt aus zwei entgegengesetzten Richtungen hierher: Slonim und Warschau.« Protokoll vom 15. August 1942. Vgl. Meldung 248. Vgl. Meldung 249 und 371.
Der Judenrat im Ghetto von Białystok: Struktur, Abteilungen, Personal
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Politik entwickeln sollte. Die Frage der Besteuerung wurde schon bald zu einem größeren Problem auf der Tagesordnung des Judenrats. Das Gremium war, vertreten durch seine Finanzabteilung, dafür verantwortlich, die Steuersätze zu schätzen, die Steuern einzutreiben und sie den Deutschen zu übergeben. Ein Teil des eingesammelten Geldes wurde für Ausgaben des Judenrats, zum Beispiel für Wohlfahrtsprojekte, beiseite gelegt. In der Sitzung des Judenrats vom 1. November 1941 verwies Rabbiner Dr. Rozenman auf die ernsten Folgen der dem Judenrat aufgegebenen enormen finanziellen Bürde für die Ghettobewohner. Barasz ergriff die Gelegenheit, um bekannt zu geben, dass der Stadtkommissar für das kommende Vierteljahr auch die Zahlung einer Kopf- und Wohnungssteuer von insgesamt fünf Millionen Rubel gefordert hatte. Das belief sich pro Person auf 120 Rubel, die innerhalb einer Frist von zwei Wochen gezahlt werden sollten, damit alle drei Tage etwas 700.000 bis 800.000 Rubel zusammenkamen. Sollte diese Summe nicht pünktlich gezahlt werden, so hätte dies ernste Konsequenzen. »Es droht sogar die Gefahr, erschossen zu werden, zuallererst dem Judenrat und nachher der ganzen Bevölkerung«, warnte Barasz bei dem Treffen.15 Dov (Berl) Subotnik, ein Mitglied von Yehiel’s Beit Hamidrash und berühmt wegen seiner außergewöhnlichen Talmudgelehrsamkeit, wurde zum Leiter der Finanzabteilung des Judenrats ernannt. Subotnik hatte ein außerordentliches Verständnis für Finanzangelegenheiten und zeigte eine ungewöhnliche Fähigkeit, die finanziellen Forderungen der Deutschen zu erfüllen und für einen ausgeglichen Haushalt des Ghettos zu sorgen.16 Obwohl die Einnahmen des Judenrats zu Anfang der Besatzung auf Goldreserven und allgemeinen Steuereinnahmen beruhten,17 wurde Anfang 1942 eine Reihe neuer Steuern verfügt: (a) Direkte Steuern: (1) Individuelle Besteuerung – eine extrem hohe Einkommensteuer. Diese Steuer war die Haupteinnahmequelle des Judenrats. Die Steuer basierte auf Schätzungen durch Angestellte der Finanzabteilung, beglaubigten Erklärungen oder den beeidigten Erklärungen von Arbeitgebern.18 (2) Allgemeine Besteuerung – diese beinhaltete: eine allgemeine Wohnungssteuer (anfangs 0,20 Reichsmark pro Monat, im Januar 1942 Anstieg auf 1,50 Mark pro Monat und im Mai 1942 Senkung auf 1,30 Reichsmark im Monat); eine Kopfsteuer; Miete für Wohn- und gewerbliche Gebäude (berechnet anhand der Quadratmeterzahl pro Person oder der Größe des Geschäfts); eine Hygienesteuer für sanitäre Zwecke.19 (3) Verschiedene Zölle und Gebühren, 15
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Blumenthal, Darko shel Yudenrat, Protokoll vom 1. November 1941, S. 63. Diese Summe zeigt, dass die Steuer von geschätzten 41.000 Menschen ausging und nicht von 35.000, wie Barasz und Dr. Rozenman in vorherigen Sitzungen angegeben hatten. Vgl. ebd., S. 55. Das kann daran gelegen haben, dass Barasz mehr Geld für die Finanzierung anderer Judenratsausgaben benötigte, oder daran, dass die deutschen Behörden fälschlicherweise von mehr als 40.000 Juden im Ghetto ausgingen. Die Androhung von Strafmaßnahmen für die Nicht-Zahlung von »Staatssteuern« (melukha shtayern) wurde in der Judenratssitzung vom 25. Oktober 1941 zur Sprache gebracht. Vgl. Meldung 140; YVA M-11/18, S. 24; YVA, M-11/29, S. 5. Vgl. YVA, M-11/18, S. 7. Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 151. Vgl. ebd., S. 73 ff. Vgl. Meldung 20; Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 171, 181 und 407.
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wie zum Beispiel für Handels- und Gewerbelizenzen, die alle sechs Monate erneuert werden mussten. Alle durch den Judenrat ausgestellten Dokumente wurden besteuert, und die Nutzung von Einrichtungen des Judenrats, wie zum Beispiel des Badehauses, des Schlachthauses, des Krankenhauses und der Apotheken, wurde von der Zahlung einer Gebühr abhängig gemacht.20 (b) Indirekte Besteuerung: (1) Steuern auf Strom, Wasser und Brot, geschätzt auf zehn Prozent des offiziellen Preises. Mit der Zeit wurde eine Abgabe von fünf Pfennigen pro Kilogramm Brot eingeführt, wie auch ähnliche Abgaben auf andere durch den Judenrat zur Verfügung gestellte Waren. Die Steuern für Strom und Wasser wurden später auf zwanzig Prozent angehoben. Die Kunden erhielten keine individuellen Rechnungen. Stattdessen wurden die Rechnungen an den Judenrat geschickt, der dann seinerseits jeder Familie eine Rechnung ausstellte. Dem Judenrat wurde nur eine kurze Frist für die volle Bezahlung zugestanden, daher musste er Zinsen auf verspätete Zahlungen erheben. Nachdem die Deutschen das Ghetto betreten hatten, erhöhten sie die Sätze für Wasser und Strom, und der Judenrat musste die wohlhabenderen Juden besteuern, um die Kosten zu decken. Nach sich lange hinziehenden Verhandlungen gelang es Barasz, die Behörden davon zu überzeugen, die Sätze für Wasser und Strom zu halbieren und sie so in Übereinstimmung mit den offiziellen Sätzen zu bringen, die gegenüber den Polen erhoben wurden. Der Verbrauch von Wasser und Strom unterlag Beschränkungen, und die Preise blieben während der gesamten Besatzung konstant.21 Die Instabilität des Ghettolebens machte es für den Judenrat unmöglich, einen regulären Haushalt auszuarbeiten. In einer Sitzung der Leiter von fünf Judenratsabteilungen am 16. Januar 1942 schrieb Subotnik das Fehlen eines Haushalts der Tatsache zu, dass »wir bis vor kurzem keine ruhige Minute gehabt« und daher nicht normal hätten arbeiten können.22 Da sich die sozialökonomische Hierarchie der Juden im Ghetto änderte, war es für die Finanzabteilung schwierig, gerechte Kriterien für die Besteuerung festzulegen. Soziale Unterschiede, die bereits unter der sowjetischen Besatzung begonnen hatten sich zu verwischen, wurden im Ghetto noch undeutlicher und eine wohlhabende Klasse als solche gab es nicht mehr. Die Höchstverdienenden im Ghetto waren Schmuggler und Schwarzmarkthändler, von denen die meisten vorher kein festes Einkommen gehabt hatten und einige sogar Teil der ›Unterwelt‹ gewesen waren. Eine andere Gruppe von Hochverdienenden waren die körperlich Starken, die zu jeder Art harter Arbeit bereit waren, sei es, einen Wagen zu fahren, Lasten zu tragen oder Müll zu beseitigen. Kurz gesagt, diejenigen, die wussten, wie sie die neuen Ghettobedingungen nutzen konnten, hatten ein gutes Einkommen und gelangten in kurzer Zeit zu einer guten wirtschaftlichen Stellung.23 Anfang November 1941 begann der Judenrat damit, Steuern von der Öffentlichkeit einzutreiben. Subotnik übernahm es, alle Ghettobewohner darauf hin20 21 22 23
Vgl. Meldung 250, 282 und 197. Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 159, 171; YVA, M-11/18, S. 24. Vgl. Protokoll vom 16. Januar 1942. Vgl. YVA, M-11/18, S. 11; YVA M-11/29, S. 12.
Der Judenrat im Ghetto von Białystok: Struktur, Abteilungen, Personal
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zuweisen, dass die Zahlung von Steuern für Strom und Wasser ohne Ausnahme die Pflicht aller Bürger sei. Trotz seiner Bemühungen verweigerte eine beträchtliche Anzahl der Einwohner die Zahlung. Der Judenrat, der Steuerhinterziehung als Gefährdung für das gesamte Ghetto ansah, drohte, die Namen der Verweigerer an die Deutschen weiterzugeben. Es war daher nicht verwunderlich, dass die Ghettobewohner anfingen, die Mitarbeiter der Finanzabteilung zu hassen, wie Raphael Reizner es so eloquent beschreibt. Nach ein oder zwei Tagen im Gefängnis waren die Steuerhinterzieher normalerweise dann doch zur Zahlung bereit.24 Einer der Gründe, weshalb der Judenrat bei der Durchsetzung der Steuerzahlungen derart streng vorging, war, dass diese seine einzige regelmäßige Einkommensquelle darstellten. Andere Einnahmen waren gelegentliche Beiträge oder »Spenden«, die von den Reichen des Ghettos zur Verfügung gestellt oder zu denen sie überredet worden waren, das Vermögen von Deportierten und die Löhne der außerhalb des Ghettos beschäftigten Arbeiter, die der Judenrat entweder ganz oder teilweise zurückbehielt. Natürlich war keine dieser Einkommensquellen zuverlässig. Die Unnachgiebigkeit des Judenrats in Bezug auf die Steuerzahlungen bedeutete, dass sich manchmal ein Überschuss ergab, den er für die Finanzierung der Tätigkeit seiner verschiedenen Abteilungen und für außergewöhnliche Ausgaben nutzte.
3. Die Arbeitsabteilung »Wir wollen erreichen, dass das Ghetto für die Behörden unentbehrlich wird«
Bereits vor der Schließung der Ghettotore hatten die deutschen Behörden verlangt, dass der Judenrat ihnen ein Kontingent an Arbeitskräften zur Verfügung stellte. Die von den Deutschen unmittelbar nach der Okkupation festgesetzten Kontingente waren derart hoch, dass die Arbeitsabteilung Schwierigkeiten hatte, sie zu erfüllen, sowohl aufgrund des Zeitdrucks als auch wegen des weitverbreiteten Widerstrebens der Ghettobewohner, außerhalb des Ghettos zu arbeiten. In das Ghetto zurückkehrende Arbeiter berichteten, dass sie beim kleinsten Fehler geschlagen, zu Überstunden gepresst und zum Tragen viel zu schwerer Lasten gezwungen worden seien, und dass sie mit Wagen in entfernte Gegenden gebracht und dort willkürlich misshandelt worden seien. Die Deutschen drohten ihrerseits dem Judenrat beständig mit Sanktionen. Obwohl der Judenrat jüdische Arbeit als grundlegend für das Überleben des Ghettos ansah und daher bereits täglich 2.000 Arbeiter zur Arbeit außerhalb des Ghettos geschickt hatte, bevor die Behörden ein entsprechendes Gesetz erließen,25 gelang es ihm nicht immer, die Kontingente der Deutschen zu erfül24
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Reizner, der umkum, S. 62. Siehe auch: Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 67 ff.; Meldung 146. Vgl. YVA, M-11/18, S. 12. Siehe auch Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 11; Meldung 20; Srulke Kot, khurbn bialistok [Die Zerstörung von Białystok], Buenos Aires 1947, S. 48.
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Sara Bender
len. Während eines langen Zeitraums war es der Arbeitsabteilung des Judenrats unmöglich, den Forderungen der Behörden nachzukommen. Awrom Liman, der erste Leiter der Arbeitsabteilung, trat frustriert und verzweifelt zurück. Seine Nachfolger, Sz. Polonski und Diamant, hatten nicht viel mehr Glück.26 Zeitdruck der Behörden und eine Verweigerungshaltung bildeten den Rahmen für die Rekrutierung von Arbeitskräften im Ghetto, ein Problem das ganz oben auf der Tagesordnung des Judenrats stand. Der Judenrat, der jüdische Arbeit als Voraussetzung für das Überleben des Ghettos ansah, investierte daher einen Großteil seiner Energie in diese Frage. Die unmittelbar durch Barasz ergriffenen Maßnahmen zur Lösung der Arbeitskrise schienen die Behörden zu beschwichtigen. Eine davon war die Errichtung weiterer Fabriken innerhalb des Ghettos. Bereits während einer Judenratssitzung am 29. November 1941 hatte Barasz berichtet: »Unser Ansehen beim Stadtkommissar hat sich so sehr zum Guten geändert, dass der Kommissar bei sich im Kabinett unter Glas die Erzeugnisse des Ghettos ausgestellt hat«.27 Der Judenrat hatte von Anfang an Fabriken innerhalb des Ghettos errichtet und Listen mit Facharbeitern und Besitzern von Arbeitswerkzeug erstellt. Das Ghetto besaß seit seiner Errichtung eine starke Führung, die durchgängig an ihren Grundsätzen festhielt. Diese Führung glaubte fest daran, dass die Juden des Ghettos überleben würden, indem sie den wirtschaftlichen Interessen des Deutschen Reiches durch die Bereitstellung billiger Arbeitskräfte dienten. Tatsächlich schienen die ersten 15 Monate des Lebens im Ghetto diesen Gedanken zu bestätigen, was die Glaubwürdigkeit der Führung erhöhte. Die Parole des Judenrats war »Rettung durch Arbeit«, eine Vorstellung, die zunächst innerhalb des Judenrats Verbreitung fand und später auch in der gesamten jüdischen Gemeinde. Der Gedanke hinter dieser Vorstellung – das Ghetto so unentbehrlich für die deutschen Behörden zu machen, dass sie zögern würden, es zu zerstören – war so logisch, dass er schwer in Frage gestellt werden konnte.28 Berichte von Judenratssitzungen bestätigen, dass dieses Thema sich wie ein Leitgedanke durch alle Sitzungen zog. Efraim Barasz glaubte aufrichtig daran, dass jüdische Arbeit ein sicheres – wenn auch schwieriges – Rezept für das Überleben war. Viele Monate lang versuchte er andere und möglicherweise auch sich selbst davon zu überzeugen, dass der Vorteil, den die Deutschen aus der Arbeit der Ghettojuden zogen, ihre Haltung ihnen gegenüber gemildert hätte. In seiner Eröffnungsrede am ersten Jahrestag stellte Dr. Rozenman fest: »Die Behörde hat sich tatsächlich überzeugt, dass wir ohne Eigennutz arbeiten, und die Beziehung zu uns ist mit der Zeit befriedigend geworden: Wie ihr wisst, sind viele Erlasse widerrufen worden, weil die Einstellung zu unserer Arbeit eine gute geworden ist.«29 Dieser Prozess der Selbst26 27 28
29
Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 155. Ebd., S. 93. Vgl. ebd., S. 237; Protokoll vom 15. August 1942. Darin wird Barasz wie folgt zitiert: »Die Meinungen, die wir sowohl von den Besuchern als auch von ihren Begleitern gehört haben, beweisen, dass unser Weg – das Ghetto für die Behörde nützlich zu machen – der richtige ist.« Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 215. Siehe Anders/Stoll/Wilke, Einleitung zu diesem Band, Anm. 89.
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täuschung nährte in Barasz erst die Hoffnung und dann die Überzeugung, dass das Białystoker Ghetto den Krieg intakt überstehen würde. Die Frage der Arbeit, die immer weit oben auf der Tagesordnung des Judenrats stand, bekam bald oberste Priorität. Vor dem Hintergrund seines früheren Status als Vorsitzender der Gemeinde und seiner Rolle als Vermittler zwischen den deutschen Behörden im Namen der Ghettojuden konnte Barasz seine Kollegen für seine Sicht der Dinge gewinnen. Sie akzeptierten seine Überlegungen, dass Einheitlichkeit essenziell sei, wenn sie ihre Aufgabe in diesen schwierigen Zeiten erfüllen wollten. Die verfügbaren Quellen lassen darauf schließen, dass die Führung des Judenrats (im Oktober 1942: Rabbiner Dr. Rozenman, Subotnik und Goldberg) Barasz bedingungslos unterstützte.30 Der größte Teil der jüdischen Öffentlichkeit hingegen teilte seine Ansichten nicht, zumindest im ersten Jahr des Bestehens des Ghettos. Im Oktober 1942 waren Arbeiter daher immer noch eine Minderheit in der Ghettobevölkerung. Die Menschen erklärten sich nur einverstanden zu arbeiten, wenn sie keine alternative Einkommensquelle fanden. Durch die relative Ruhe während des ersten Jahres im Ghetto fiel es mitunter schwer, Baraszs Drohungen einer bevorstehenden Zerstörung ernst zu nehmen. Bereits Mitte 1942 war Barasz davon überzeugt, dass das Białystoker Ghetto nur mittels Vollbeschäftigung seiner Bewohner vor dem Schicksal der anderen Ghettos bewahrt werden könne. Die meisten Ghettobewohner hingegen teilten diese Auffassung nicht und gingen offenbar davon aus, Krieg und Besatzung zu überleben.
4. Die Industrieabteilung »Die Arbeit für die Wehrmacht ist ein Gebot der Zeit«
Neben der Ermutigung von Bewohnern zur Arbeit außerhalb des Ghettos sah Barasz die industrielle Entwicklung innerhalb des Ghettos als weitere Möglichkeit an, die Juden für die Deutschen nützlich zu machen und damit ihr Überleben zu sichern. Als dem Judenrat Anfang November 1941 bekannt wurde, dass die Existenz des Ghettos gefährdet war und dass die Deutschen die Errichtung eines anderen Ghettos in der Stadt in Betracht zogen, begann Barasz sich auf den Aufbau von Industrie innerhalb des Ghettos zu konzentrieren. Die Waren, die in den Fabriken und Werkstätten – sie waren während der ersten Monate des Bestehens des Ghettos eröffnet worden –, hergestellt wurden, brachten Barasz zu der Schlussfolgerung, dass der Status des Ghettos sich in den Augen der Behörden verbessert habe.31 Ende 1941 erteilte die Wehrmacht einen großen Auftrag zur Herstellung von Stiefeln. Das erhärtete Ba30
31
Vgl. Subotniks Aussage im Protokoll vom 28. Juni 1942 anlässlich des ersten Jahrestags des Ghettos. Siehe auch die Aussagen von Subotnik, Goldberg und Dr. Rozenman im Protokoll vom 11. Oktober 1942. Vgl. ebd., S. 93.
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raszs Eindruck, dass industrielle Aktivitäten die Sicherheit des gesamten Ghettos gewährleisten könnten.32 Baraszs Sicht der industriellen Entwicklung als das zentrale Element für die Rettung war ein integraler Aspekt seiner grundsätzlichen Meinung, dass Arbeit notwendig sei. In diesem Zusammenhang war die industrielle Expansion nicht einfach ein Ergebnis der deutschen Nachfrage, sondern sie war tatsächlich darauf ausgerichtet, eine Abhängigkeit der Deutschen von im Ghetto hergestellten Waren herzustellen. Wie Barasz es ausdrückte: »Sogar wenn vonseiten der Behörde keine Arbeitsforderung käme, müssten wir selbst uns mit allen Kräften bemühen, in die Wirtschaft einzudringen, damit, wenn man uns vernichten wird, ein Loch in der Wirtschaft entsteht, so dass man uns [deshalb] verschont; dann kann man hoffen; aber nicht auf ihr Erbarmen warten […].«33 In der Sitzung des Judenrats vom 20. Dezember 1941 berichtete Barasz, dass es der Führung nicht nur gelungen sei, die Deutschen davon zu überzeugen, den Fabrikbetrieb auch im Winter zu gestatten, sondern, dass sie sogar neue Aufträge erhalten hatte: »Wir haben zudem neue Bestellungen bekommen: Holzschuhe ohne eine [zahlenmäßige] Begrenzung. Es sind auch 1.000 Stück Bettdecken bestellt worden, man wird dafür neue Werkstätten zu organisieren haben. Man wird auch eine Kartonagefabrik eröffnen müssen; es ist eine Bestellung für 1 Million Zigarettenschachteln gemacht worden, wofür wir eine Kartonagefabrik gründen. Wir haben auch eine Erlaubnis vom Stadtkommissar, eine Brennerei zur Herstellung von Alkohol zu eröffnen.«34 Die Industrieabteilung war dafür zuständig, geeignete Örtlichkeiten für Fabriken zu finden und sie mit Maschinen und Arbeitskräften auszustatten – Aufgaben, die zu dieser Zeit extrem schwer zu erfüllen waren. In einem Versuch, den deutschen Behörden das Produktionspotenzial des Ghettos vor Augen zu führen, übergab der Judenrat der deutschen Wehrmacht im Januar 1942 ungefähr 3.500 Kleidungsstücke als Geschenk, darunter 500 Wintermäntel, 500 Westen, 500 Paar Handschuhe, 500 Hüte und eine große Anzahl Socken.35 Wohnungen wurden in Fabriken umgewandelt und einzelne Ghettobewohner wurden mittels mehr oder weniger freundlicher Überredung davon überzeugt, Maschinen und Werkzeuge zu übergeben. Da dem Judenrat nur eine höchst rudimentäre Ausrüstung für die industrielle Entwicklung zur Verfügung stand, musste er alle verfügbaren Mittel einsetzen, um Maschinen und Werkzeuge zu beschaffen.36 Am 20. Juni 1942, während der sechsten Generalversammlung des Judenrats in der Linat Hazedek-Halle, informierte Barasz die Ghettobewohner darüber, dass nunmehr nicht weniger als zwanzig Fabriken in Betrieb seien. Die Anzahl neu gegründeter Fabriken war nicht der einzige Indikator für die industrielle Entwicklung. Weitere Indikatoren waren die ständige Erweiterung bestehender Fabriken, eine wachsende Produktion, neue Industriezweige und 32 33
34 35 36
Vgl. ebd., S. 105; YVA, M-11/18, S. 20. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, Protokoll vom 11. Oktober 1942, S. 255. Siehe auch: ebd., S. 121 und 247. Protokoll vom 20. Dezember 1942. Vgl. Protokoll vom 18. Januar 1942. Siehe auch: Reizner, der umkum, S. 62 f. Vgl. Meldung 78, 132, 175, 274, 275, 276 und 361.
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eine wachsende Zahl von Arbeitskräften.37 Die Fabriken und Werkstätten im Ghetto stellten folgende Produkte her: Kleidung, Schuhe, Fässer, Seile, Zigaretten, elektrische Geräte, Alkohol, Chemikalien, Filzwaren, Bürsten, Stiefel, Uniformen, Koffer, Sodawasser, Metalle, Seife, Kurzwaren, Strickwaren, Wagen, Leder, Stärke, Pelze, chemische Farbstoffe, Baumwolle, Spielzeug, Möbel, Decken und medizinische Verbände. Das Ghetto hatte auch eine Wäscherei, eine Glasschleiferei, eine Polsterei, Schneiderwerkstätten, einen Hufschmied und einen Sattler. Obwohl die meisten der hergestellten Waren für den Einsatz bei der Wehrmacht bestimmt waren, wurden einige auch auf dem privaten Markt verkauft.38 Der erste Leiter der Industrieabteilung war das Judenratsmitglied Pesah Melnicki, der diese Aufgabe mit außergewöhnlicher Phantasie und Begeisterung in Angriff nahm. Shemuel Finkel, ein Geschäftsmann, der bald nach der deutschen Besatzung in das Ghetto kam, nachdem er aus einem sowjetischen Gefängnis entkommen war, war zuständig für die organisatorische Straffung der Fabriken und die praktische Abstimmung mit deutschen Industrieeinrichtungen. In kürzester Zeit entstanden im Ghetto zwei große Betriebe, beide mit deutschen Eigentümern, aber von Juden geleitet. Diese beiden Fabriken, die Ende 1942 über 2.000 Arbeiter beschäftigten, waren nach ihren deutschen Eigentümern benannt. Die erste, bekannt als die Oskar-Steffen-Fabrik, wurde von Finkels Sohn geleitet und stellte Möbel, Kleidung, Schuhe, Pelze und verschiedene chemische Produkte her. Sie beherbergte auch ein Künstlerstudio, geleitet von Joshua Róz˙a´nski.39 Der zweite Betrieb, die Linde-Fabrik, stellte Kleidung, Frauenhandtaschen und Hüte her. Während die Ghettoindustrie sich immer weiter entwickelte, traute man nur Barasz zu, die Wirtschaftsabteilung zu leiten. Das war sowohl eine Anerkennung seines persönlichen Talents als auch ein Hinweis auf die bedeutende Rolle der Industrie im Ghetto. Barasz führte täglich Versammlungen mit den Fabrikleitern durch und unterzeichnete Arbeitsvorschläge und Arbeitsbestätigungen für D. Livrant, Leiter der Abteilung für industrielle Arbeitskräfte.40 Bei der Judenratssitzung vom 1. März 1942 berichtete Melnicki, dass eine Gruppe von 40 Männern für die Sammlung von Rohstoffen verantwortlich sei, wie zum Beispiel Eisen, Draht, Spinngarn und Glas, und dass in den 17 Fabriken des Judenrats 1.730 Arbeiter beschäftigt seien. Zu diesem Zeitpunkt musste die Ausstattung mit Rohstoffen und Maschinen immer noch hauptsächlich durch die Ghettobewohner gewährleistet werden. Erst ab November 1942, als die Vernichtung der jüdischen Gemeinden im Bezirk Bialystok begann, wurden alte Maschinen, Maschinenteile und Arbeitsgeräte aus nahe liegenden Städten in das Ghetto gebracht. Von da an gab es einen sprunghaften Anstieg der industriellen Aktivität: die Zahl der Arbeiter stieg von Monat zu Monat, die Fabriken wurden erweitert und die Produktion wuchs. Die Fa37 38 39
40
Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 203, 171, 229 und 245 ff. Vgl. ebd., S. 551. Siehe auch S. 31; Meldung 164, 184, 216 und 385; YVA, M-11/18, S. 20. Vgl. YVA M-11/18, S. 20–21; Reizner, der umkum, S. 80 f.; Bernard [Ber] Mark, der oifstand in bialistoker geto, Warschau 1950, S. 101. Vgl. YVA, M-11/18, S. 23; Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 155.
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briken bewiesen nicht nur gegenüber den Deutschen ihre produktive Kapazität, sondern verschafften ihren Arbeitern auch einen gewissen Schutz davor, von den Deutschen für die Zwangsarbeit entführt zu werden.41 Die zwei großen Textilfabriken in Białystok, die noch aus der Sowjetzeit überlebt hatten, beschäftigten sowohl Hunderte von Ghettobewohnern als auch Polen. Fabrik Nr. I, die sich zuvor im Eigentum eines Juden namens Pollak befunden hatte, gehörte nun einem Deutschen namens Artur Schade und befand sich außerhalb des Ghettos. Die jüdischen Arbeiter, die hierher zur Arbeit kamen, kehrten jeden Abend in das Ghetto zurück. Die andere Textilfabrik, Fabrik IV, wurde von Otto Beniske geleitet, einem Deutschen aus der Tschechoslowakei. Diese Fabrik lag an der Jurowiecka-Straße entlang der Grenze des Ghettos, so dass die Polen sie von der »arischen« Seite betraten und die Juden von der jüdischen Seite.42 Eine ständige Ausstellung von Ghettowaren, organisiert im März 1942 von der deutschen Ghettoverwaltung auf Initiative des Judenrats, war der Auslöser für einen Strom neuer Aufträge. Die Ausstellung befand sich außerhalb des Ghettos in einer Dreizimmerwohnung in der Warszawska-Straße. Die Exponate, hergestellt sowohl für den militärischen als auch den zivilen Gebrauch, umfassten zum Beispiel Geschirr und einen Sattel, ein paar hohe Reitstiefel, ein paar Wildlederschuhe, modische Schuhe für Frauen, verschiedene Bürsten, gefärbte Stoffe, Socken, Handschuhe, Taschentücher, Hüte, Kartons, Marmeladengläser, Seile, Kordel, gezimmerte Waren, Militärmäntel, kurze Mäntel, Militär- und zivile Hosen. Eine Künstlerin aus dem Ghetto beaufsichtigte die Ausstellung, während zwei jüdische Mädchen, die fließend Deutsch sprachen, deutsche Besucher der Ausstellung begrüßten, Erklärungen gaben und ihnen vorschlugen, die Ghettobetriebe zu besuchen, in denen die Ausstellungsstücke hergestellt worden waren.43 Während einer Sitzung des Judenrats, am 22. März 1942, betonte Barasz, dass die Ausstellung durch ihr hohes Maß an Professionalität für das Ghetto sehr wertvoll sei: »Die Ausstellung außerhalb des Ghettos kann man und muss man besuchen, nur nicht alle zusammen, um nicht Aufmerksamkeit hervorzurufen. Dort sind 500 Exponate, es macht einen imposanten Eindruck, wie vor dem Krieg. […] Die Industrieausstellung beweist unsere Nützlichkeit. Sie macht einen kolossalen Eindruck und ich hoffe, dass dies nicht bloß dem Ghetto Nutzen bringen wird, sondern überhaupt die Meinung über Juden ändern wird.«44 Dieses Zitat zeigt, dass Barasz nach jedem Strohhalm griff, der ihn in dem Glauben bestätigte, dass Produktivität und die Umgestaltung des Ghettos in ein Arbeitslager von hoher Bedeutung waren. Daher sah er in der Ausstellung einen Meilenstein für die Existenz des Ghettos. Die Ausstellung war für die Öffentlichkeit zugänglich und wurde von vielen Polen besucht, denen es nicht besonders gefiel, dass jüdische Produkte ausgestellt wurden. In ihren Kontakten mit Juden außerhalb des Ghettos verhielten diese Polen sich offen feindselig und weckten damit bei den Juden die Furcht 41 42 43 44
Vgl. YVA, M-11/18, S. 20; YVA M-11/29, S. 10; Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 141. Vgl. Zeugenaussage von Mina Dorn, YVA, 03/6205, S. 54 f.; YVA, M-11/18, S. 21. Vgl. YVA, M-11/18, S. 22. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, Protokoll vom 22. März 1942, S. 149.
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vor polnischen Reaktionen nach dem Krieg. Als Barasz herausfand, dass einige Polen der Ausstellung kritisch gegenüberstanden, reagierte er schlicht mit einer Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen: »Die Befürchtung, dass bei einer Änderung des Regimes man uns deswegen schlecht ansehen wird, ist grundlos: Die Beziehung zu uns hat sich stets nicht nach unserem Verhalten und unserem Wert gerichtet, sondern nach der allgemeinen Politik. Wenn die zukünftige Politik nicht gegen uns gewandt sein wird, wird keiner uns etwas Böses tun.«45 Obwohl Barasz zu diesem Zeitpunkt bereits wusste, dass eine »Aktion« bevorstand, überzeugte ihn die Tatsache, dass die Wehrmacht dem Ghetto immer noch Aufträge erteilte, davon, dass das Ghetto verschont bleiben würde. Bei der zuvor erwähnten Sitzung des Judenrats berichtete er, dass von den insgesamt 42.000 Ghettobewohnern 14.000 als arbeitende Bevölkerung gezählt werden konnten. Von diesen 14.000 arbeiteten 5.000 bis 7.000 außerhalb des Ghettos und 7.000 bis 9.000 innerhalb des Ghettos – viel zu wenige, um die drohende Katastrophe zu verhindern. Es sei essenziell, so stellte er fest, die Anzahl der Arbeiter innerhalb des Ghettos auf ungefähr 20.000 bis 21.000 erhöhen.46 Obwohl es Barasz bis zur Abriegelung des Ghettos im November 1942 nicht gelang, dieses Ziel zu erreichen, arbeitete er weiterhin unermüdlich daran, die Betriebe und Fabriken in Betrieb zu halten.
5. Die Versorgungsabteilung »Wir haben Gemüsegärten angelegt zu eurem Wohl«
Neben der Industrieabteilung war auch die Versorgungsabteilung für die Wirtschaft des Ghettos verantwortlich. Offiziell war es den Ghettojuden nicht gestattet, geschäftlich tätig zu werden, sei es innerhalb oder außerhalb des Ghettos. Die Versorgungsabteilung des Judenrats, geleitet von Jakub Goldberg, war dafür zuständig, die Grundbedürfnisse der Ghettobewohner zu decken. Die Zivilverwaltung versorgte die Gemeinde, die wiederum den Judenrat versorgte, der seinerseits die Lebensmittel unter den Bewohnern verteilte.47 Zuerst erhielt der Judenrat täglich Dutzende Kilogramm Mehl, aus dem für die 24 Mitglieder des Judenrats und für arme Bürger Brot gebacken wurde. Als Arbeiter in den Fabriken des Judenrats, die anfangs kein Gehalt erhielten, eine größere Brotration verlangten, entsprach der Judenrat ihrer Bitte und legte ein Kontingent für sie zur Seite. Dasselbe geschah für Juden, die körperlich harte Arbeit verrichteten, wie zum Beispiel Kohlenarbeiter oder Träger.48 Bald wurde der Judenrat zum ausschließlichen Versorger für Tausende Judenratsangestellte und Fabrikarbeiter, und die Versorgungsabteilung entwickelte sich zu 45 46
47 48
Ebd. Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 247. Im Juni 1942 berichtete Barasz, dass ungefähr 7.000 Bewohner außerhalb des Ghettos arbeiteten. Vgl. ebd., S. 197. Siehe auch: Reizner, der umkum, S. 83. Vgl. Meldung 52, 113, 133, 154, 206, 281, 325. Vgl. YVA, M-11/18, S. 8. Siehe auch: Reizner, der umkum, S. 81 f.
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einer bedeutenden eigenständigen Abteilung. Die Mengen an Gerste, Mehl, Zucker, Öl und anderen Waren wie Seife und Soda, die der Judenrat von den Behörden erlangen konnte, wurden in einem Lagerhaus der Versorgungsabteilung aufbewahrt und von dort aus an die Einrichtungen und Einzelpersonen verteilt. Die Versorgungsabteilung teilte auch Holz und Kohle zu, insbesondere an Institutionen und Angestellte des Judenrats. Während des ersten Winters im Ghetto im Jahre 1941 gelang es der Abteilung, ausreichend Brennstoff für die gesamte Bevölkerung zu bekommen. Im Winter 1942 jedoch erhielt der Judenrat eine viel kleinere Menge an Brennstoff, und da das meiste davon an öffentliche Einrichtungen, wie zum Beispiel Krankenhäuser oder Fabriken, verteilt wurde, blieben viele Privathaushalte ohne jede Beheizung. Zu ihrem Glück handelte es sich um einen vergleichsweise milden Winter.49 Die Versorgungsabteilung verteilte auch Kartoffeln an die Ghettobewohner, die zum Verbrennen der Schalen aufgefordert wurden, um die Ansammlung von Müll zu begrenzen. Die Tatsache, dass Kartoffelschalen verbrannt wurden anstatt gekocht zu werden, weist darauf hin, dass es Białystok tatsächlich besser erging als anderen Ghettos. Einige Monate später entschied der Judenrat, die Kartoffelschalen zur industriellen Verwendung aufzubewahren und gab entsprechende Sammelpunkte bekannt. Reizner schreibt, dass die Kartoffelschalen zur Produktion von Stärke verwendet wurden, und Fritz Friedel, der deutsche »Ghettoaufseher«, bestätigte, dass »die Schalen dafür benutzt wurden, um Klebstoffe herzustellen«.50 Die Versorgungsabteilung überwachte auch die Bäckereien und Milchbetriebe, um eine gerechte Verteilung von Brot und Milch sicherzustellen. Als die deutschen Behörden überraschend mehr als 50 Kühe konfiszierten, richtete die Versorgungsabteilung einen eigenen Milchbetrieb ein, der genug Milch für die Wohlfahrtseinrichtungen des Ghettos produzierte. Die Abteilung sorgte auch dafür, dass alle im Privatbesitz befindlichen Kühe des Ghettos registriert wurden, führte ein sorgfältiges Verzeichnis der Milchbestände und kontrollierte den Milchpreis auf dem freien Markt.51 Anfang 1942 verbesserte sich die wirtschaftliche Situation des Ghettos dank der wachsenden Wirtschaft und eines lebhaften Handels mit Schmuggelware. Trotz der hohen Lebenshaltungskosten war es möglich, über die Runden zu kommen.52 Ab Sommer 1942, als das Volumen der vorhandenen Handelswaren geschrumpft war, begann der Schwarzmarkt zu florieren. Der Judenrat erkannte den Bedarf nach einem Ort, an dem Waren gehandelt werden konnten, und bestimmte inoffiziell den »Praga Garten«53 nahe den Straßen Szlachecka und Nowy S´ wiat (Nai Velt) als Marktplatz. Der Markt befand sich unter der Aufsicht des Judenrats und alle, die hier einen Stand betrieben, mussten 49 50
51 52 53
Vgl. YVA, M-11/18, S. 9. Meldung 227 und 286. Reizner, der umkum, S. 92; Szymon Datner, bialistoker judenrat-meldungen [Białystoker Judenratsmeldungen], in: bleter far geszichte, Band IV (1951), S. 56–74. Vgl. YVA, M-11/18, S. 9 und S. 18 f; Meldung 31, 59, 67 und 137. Vgl. YVA, M-11/18, S. 7. Nach der Übersetzung Hans-Peter Stählis auch »Prages Garten«.
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eine Gebühr bezahlen. Wann immer die Deutschen das Ghetto betraten, räumte die jüdische Polizei rasch die Gegend. Auf dem Markt wurde eine Vielzahl von Waren verkauft, von Lebensmitteln bis zu Wertsachen. Vertreter der Judenräte anderer Städte kamen häufig ins Ghetto nach Białystok, um »Geschenke« für die Deutschen zu kaufen, wie zum Beispiel Pelze, teure Stoffe, Stiefel oder Schmuck.54 Zum Ende der ersten Besatzungsperiode erhielten Arbeiter einen Lohn von 1,00 bis 1,20 Mark pro Tag – etwa die Hälfte des Lohns polnischer Arbeiter – wobei Facharbeiter etwas besser bezahlt wurden. Im Sommer 1942 reichte der Tageslohn eines Arbeiters dafür aus, ein halbes Kilo Brot zu kaufen. Als Ergebnis floss mehr Geld in das Ghetto, die Lebensmittelsituation verbesserte sich, trotz Inflation, und die wirtschaftliche Situation schien sich zu stabilisieren.55 Einer der erfolgreichsten Unternehmungen der Versorgungsabteilung war die Anlegung eines Gemüsegartens im Frühjahr 1942 auf einem freien Grundstück in der Nowogródzka-Straße, unter der Aufsicht von Szalit, einem Agronomen aus Wilna. Gärtner wurden aus den Reihen der zionistischen Jugend unter der Führung von Zwi Mersik von der zionistischen Jugendbewegung Hehalutz Hatzair Dror56 rekrutiert, da sie lieber Lebensmittel für Juden anbauten als in deutschen Fabriken zu arbeiten. Der Gemüsegarten, bekannt als der »Barasz-Garten« oder auch als »Judenrat-Garten«, wurde von speziellen Wächtern bewacht. Hier wurden Gurken, Rote Bete, Karotten, Tomaten, Radieschen, Zwiebeln, Salat und Kohl angebaut, dann den Institutionen des Judenrats zur Verfügung gestellt und auf dem freien Markt verkauft.57 Selbst wenn man die relativ kleine Größe des Białystoker Ghettos berücksichtigt, so war es doch den Judenratsabteilungen für Wirtschaft und Versorgung zu verdanken, dass die Bewohner des Białystoker Ghettos nicht an Hunger starben. Die Wirtschaftsabteilung, geleitet von Abba Furman, betrieb alle »wirtschaftlichen« Aktivitäten des Judenrats, die im Grunde genommen darauf ausgerichtet waren, einen beständigen Strom an Geschenken für die Deutschen sicherzustellen. Sie sammelte Möbel und Haushaltsartikel von den Bürgern ein und bewahrte sie in ihren Lagerhäusern auf. Manchmal wurde Zwang eingesetzt, um die Bürger davon zu ›überzeugen‹, sich von ihren Besitztümern zu trennen.58 54
55
56 57
58
Vgl. Reizner, der umkum, S. 96; Abraham Vered, Lihiot be-Tsel ha-Shoah [Leben im Schatten des Holocaust], Ramot Menshe 1988, S. 31. Siehe auch: YVA, M-11/29, S. 7 f.; Aussage von Yehiel Shedler, mündliche Aussage, Hebrew University of Jerusalem, Institute for Contemporary Jewry, Department of Oral Testimony, (110) 14, S. 25. Vgl. YVA, M-11/29, S. 8 f., S. 14 und 16; YVA, M-11/18, S. 11 und 21. Siehe auch: Felicja Nowak, Moja Gwiazda [Mein Stern], Białystok 1991, S. 80. Zu Hehalutz Hatzair Dror vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 162–164. Vgl. YVA, M-11/18, S. 18; Reizner, der umkum, S. 90 und 148; David Klementinowski, lebn un umkum in bialistoker geto [Leben und Sterben im Białystoker Ghetto], New York 1946, S. 33; Chaika Grossman, The Underground Army. Fighters of the Bialystok Ghetto, New York 1987, S. 104. Siehe auch: YVA, M-11/29, S. 8. Die »Barasz-Gärten« lagen in unmittelbarer Nähe der Wohnungen Baraszs und Dr. Rozenmans, an der Kreuzung der Ciepła- und Nowogródzka-Straße. Vgl. YVA M-11/18, S. 19. Eine Mitteilung, die der Judenrat am 17. Februar 1942 anbrachte, bestand aus einer Liste benötigter Dinge. Vgl. Meldung 92, 130 und 219; siehe auch: YVA, M-11/29, S. 5.
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Die Wirtschaftsabteilung unterstützte auch die Wohlfahrtsabteilung, indem sie Kleidung, Bettzeug und Ähnliches entweder verschenkte oder mit einem Preisnachlass an Obdachlose und Arme, wie zum Beispiel die Flüchtlinge und Rückkehrer aus Pruz˙any, die häufig in Lumpen und barfuss im Ghetto ankamen, verkaufte. Die Wirtschaftsabteilung betrieb auch eine Fabrik für Unterwäsche, die sowohl für den Bedarf der deutschen Behörden als auch der jüdischen Institutionen produzierte. Eine Schneiderwerkstatt setzte Kleidung instand und änderte sie, damit sie den Notleidenden passte; dazu versorgte sie Tausende von Ghettobewohnern mit Kleidung.59 Goldberg, der Leiter der Versorgungsabteilung, war permanent damit beschäftigt sicherzustellen, dass seine Angestellten, von denen die meisten nur 300 Gramm Brot pro Tag erhielten, ihre Position nicht dazu missbrauchten, sich die eigenen Taschen zu füllen. Solcher Missbrauch wurde von den anderen Ghettobewohnern sehr übel genommen. Die Bemühungen des Judenrats zur Stabilisierung der Wirtschaft trugen Früchte, und das Białystoker Ghetto litt keinen Hunger. Sinnvolle Lebensmittelverteilung, legale Handelsgenehmigungen, Lebensmittelfabriken und die Umwandlung unbebauter Grundstücke in Gemüsegärten retteten die Ghettobewohner nicht nur vor dem Hungertod, sondern machten ihr Leben sogar erträglich. Obwohl das Białystoker Ghetto damals nur 42.000 Bewohner zählte – eine verhältnismäßig leicht zu ernährende Anzahl, verglichen mit den großen Ghettos wie Warschau und Litzmannstadt –, so waren doch die meisten klassischen Einnahmequellen bereits seit der Sowjetperiode nicht mehr vorhanden. Nur aufgrund einer hocheffizienten wirtschaftlichen Verwaltung konnten empfindliche Verknappungen und ernsthafte wirtschaftliche Not vermieden werden, sogar während der Kriegszeit. In dieser Hinsicht bestand der Białystoker Judenrat den Test mit Bravour.
6. Die jüdische Polizei »Als die Polizisten mit ihren grünen Hüten erschienen, waren alle erstaunt«
Die Deutschen griffen grundsätzlich nicht in die internen Angelegenheiten des Ghettos ein, sondern befahlen dem Judenrat die Gründung einer jüdischen Polizei, die die Durchsetzung der von den Besatzungsbehörden erlassenen Gesetze unterstützen sollte. Nach der Schließung des Ghettos übernahm die Polizei zusätzliche Funktionen. In der ersten Sitzung des Judenrats nach der Schließung des Ghettos wurden der Leiter der Sicherheitsabteilung, Jitzhak Markus, zum Polizeichef und Bubrik zum Leiter der Feuerwehr ernannt. Am nächsten Tag veröffentlichte der Judenrat einen Aufruf, sich für den Dienst bei der Polizei zu bewerben. Der Judenrat wies die ausgewählten Kandidaten an, am 8. August 1941 zum Dienst zu erscheinen, und am 12. August wurde folgende Meldung an den Wänden des Ghettos angeschlagen: »Laut einer Verord59
Vgl. YVA, M-11/18, S. 19.
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nung der deutschen Behörde ist ab heute, dem 12-ten August 1941, ein jüdischer Ordnungsdienst geschaffen worden. Der Judenrat fordert die jüdische Bevölkerung auf, alle Verordnungen des jüdischen Ordnungsdienstes zu befolgen und sofort auszuführen. […] Die Personen, die die Verordnungen nicht beachten werden und die öffentliche Ruhe stören, werden streng bestraft werden.«60 Sogar noch bevor die Polizei öffentlichen Rückhalt erhielt, war sie bei der Ghettobevölkerung alles andere als populär. Es gab nur wenige, die begierig waren sich einzutragen, und so wurde allgemein angenommen, dass ihre Mitglieder aus der ›Unterwelt‹ rekrutiert werden würden. Erst als Markus, ein weithin bekannter Industrieller und vorheriger Leiter der Feuerwehr, zum Polizeichef ernannt wurde, änderte sich die Einstellung der Öffentlichkeit der Polizei gegenüber. Ab diesem Moment entschieden sich auch viele Angehörige der Białystoker Intelligenz, ihr beizutreten.61 Die 200 jungen Mitglieder der Polizei aus der Mittelklasse – die sowohl den deutschen Behörden als auch dem Judenrat unterstanden – gehörten keiner politischen Richtung an. Praktisch wurde der Judenrat durch die Existenz einer jüdischen Polizei zu einer Art autonomen Regierung mit Exekutivgewalt. Die Funktionen der jüdischen Polizei im Ghetto waren denen einer regulären Polizeitruppe sehr ähnlich: Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung, Verkehrskontrolle, Verhinderung illegaler Versammlungen, Sicherstellung der Sauberkeit öffentlicher Durchfahrten, Höfe und Treppen, Kriminalitätsbekämpfung, Aufrechterhaltung der Ordnung in den Gebäuden des Judenrats, Bewachung des Ghettozauns und aller an die »arische« Seite angrenzenden Gebiete, sowie Bestrafung derjenigen, die sich den Anordnungen des Judenrats widersetzten.62 Obwohl dies den Eindruck einer normalen Polizeitätigkeit vermittelt, kam es zu ernsthaften Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und der jüdischen Bevölkerung, insbesondere wenn die Polizei die Anweisung hatte, Arbeiter für die Zwangsarbeit zu rekrutieren. Eine andere der Ghettopolizei obliegende Aufgabe war die Zerstreuung von Menschenansammlungen und die Räumung von Straßen im Vorfeld der Besuche deutscher Delegationen, womit dem Eindruck entgegengewirkt werden sollte, das Ghetto sei voller müßiger Menschen. Zu diesem Zweck wurde das Polizeihauptquartier in der Szlachecka-Straße 4 eingerichtet, wie auch ein Spielplatz für Kinder im Alter bis zu sieben Jahren, der täglich von 10 Uhr morgens bis 8 Uhr abends geöffnet war, um den Eindruck zu vermitteln, dass deren Mütter arbeiteten.63 Irgendwann bildete die Ghettopolizei eine besondere Abteilung zur Einziehung von Steuern. Steuereinziehung war ein bedeutender Teil ihrer Arbeit, da sie als Teil des Judenrats kein Gehalt erhielt, sondern mit Steuergeldern unterstützt wurde.64 60
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Meldung 42. Vgl. YVA, M-11/18, S. 6 und 34; Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 2 und 5; Meldung 16, 27, 49 und 50; Reizner, der umkum, S. 66 ff. Vgl. Kot, khurbn, S. 32; Klementinowski, lebn un umkum, S. 36; YVA, M-11/18, S. 6 und 37. Vgl. YVA, M-11/18, S. 6 und S. 34 f.; Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 131 und 241; Meldung 83 und 186. Siehe auch: Reizner, der umkum, S. 66. Vgl. Meldung 283; Klementinowski, lebn un umkum, S. 42. Vgl. Subotniks Aussage im Protokoll vom 2. Mai 1942, in: Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 171: »[…] wir haben das Einziehen dem Ordnungsdienst übergeben. Wir erreichen dadurch
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Die jüdische Polizei verfügte über eine Anzahl von Polizeistationen, die dem Judenrat angegliedert und als »Polizeistationen des Ghettobezirks« bekannt waren.65 Hierher kamen die Ghettobewohner, wenn sie Dokumente benötigten, sich als Arbeitsreserve eintragen wollten oder besondere Zahlungen leisten wollten. Hierher brachten sie auch Güter, die für den Bedarf der Deutschen konfisziert worden waren. Die Polizei nutzte eine Arrestzelle im Keller des Judenratsgebäudes und ein Gefängnis in der Zamenhof-Straße (Yatke Gas). Manchmal erhielt die Polizeiformation den Befehl, Juden zu den Büros der Gestapo in der Warszawska-Straße außerhalb des Ghettos zu begleiten, was natürlich nicht gerade dazu beitrug, sie bei der Ghettobevölkerung beliebt zu machen.66 Die negative Wahrnehmung der jüdischen Polizei lag an der Korruption durch von der Gestapo bezahlte Polizisten, die sowohl den Ghettobewohnern als auch dem Judenrat Furcht einflößten. Erst nach einer »Säuberung« der Polizeieinheiten am 16. und 17. Juni 1942, bei der über 20 korrupte Polizisten in Arbeitslager geschickt wurden, gab Barasz bei der Judenratssitzung vom 20. Juni 1942 bekannt, dass kriminelle Banden unter dem Schutz der Polizei den Judenrat fast unterminiert und seine Existenz gefährdet hätten.67 In seiner Rede bei dieser Versammlung behauptete Barasz: »Es geht jetzt unter den Mitgliedern des Ordnungsdienstes eine Diskussion um, ob die letzte Säuberungsaktion ihr Prestige und ihre Autorität gehoben oder gesenkt habe. Aber meine Herren! Die Rechnung beweist, dass unter euch 10 Prozent Verbrecher gewesen sind – ich habe es schlimmer erwartet –, ganze 90 Prozent von euch sind ordentliche Beamte! Die Gangrän hat man herausschneiden müssen, und das hat ohne Zweifel euer Prestige gehoben. Wenn es unter der Bevölkerung Menschen gibt, die dies anders deuten, wird es uns mit unseren Mitteln gelingen, sie zu zwingen, sich euch gegenüber mit der Achtung zu verhalten, die ihr verdient, und alle Mittel werden recht sein, um jene zu bestrafen, die den Ordnungsdienst beleidigen. […] Für uns besteht nur ein Ziel: Juden hindurchführen und herausführen aus dem Białystoker Ghetto. Jetzt ist nicht die Zeit, Karrieren zu machen! Wenn wir alle unsere Kräfte anstrengen werden, müssen wir eine solche Ordnung schaffen! Ich weiß, es ist für euch sehr schwer zu leben. Und ich kann euch keine Versprechen geben. […] Aber das Präsidium hat im Sinn, euch bei unseren armen Mitteln entgegenzukommen, damit ihr die heilige historische Aufgabe zu einem glücklichen Ende führen könnt.«68 In einem Versuch, das Ansehen der jüdischen Polizei zu verbessern, wurde Mojsze Berman anstelle von Bubrik zum stellvertretenden Polizeichef ernannt.
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ein doppeltes Ziel: Es wird besser eingezogen, und der Ordnungsdienst hat, nebenbei bemerkt, vom Inkasso einen Verdienst.« Siehe auch: Meldung 377. Vgl. Meldung 61. Vgl. YVA, M-11/18, S. 35; Meldung 234, 323 und 427. Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 187 und 256. Yehiel Shedler, der bis Februar 1943 außerhalb des Ghettos arbeitete, übte scharfe Kritik an der jüdischen Polizei, die an den Ghettotoren Wache stand und dabei mit der deutschen Polizei kooperierte. Vgl. Shedler testimony, in: Hebrew University of Jerusalem, Institute for Contemporary Jewry, Department of Oral Testimony, (110) 14, S. 27. Siehe auch: Meldung 287 und 288; YVA, M-11/18, S. 36. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, Protokoll vom 20. Juni 1942, S. 199.
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Anders als Markus, dessen Unkenntnis des Jiddischen ihn daran hinderte, sich die Ghettojuden zu Freunden zu machen, war Berman ein »warmer, aufrichtiger, moralischer, bescheidener, offener, intelligenter und liebenswürdiger Jude«, der sie schnell für sich gewinnen konnte.69 Berman wurde die Aufgabe übertragen, den guten Ruf und die Integrität der Polizei wiederherzustellen, so dass »wenn man einmal die Monographie über das Ghetto schreiben wird, man uns im Guten erwähnen wird«.70 Bei der zuvor genannten Versammlung erhielt Berman lauten Beifall für seine Rede, in der er einen leidenschaftlichen Appell formulierte an »diejenigen, die weiterhin die Mützen tragen«: »[…] Das Ghetto dauert keine Ewigkeit. Es wird eine Zeit kommen, da wir uns mit unseren Brüdern ohne die Mütze treffen werden; alle Beamten müssen sauber bleiben!«71 Im folgenden Zeitraum – von Juni 1942 bis zur Vernichtung des Ghettos im August 1943 – war die jüdische Polizei bekannt für ihre Integrität und ihren Mut.
7. Die Abteilungen für Gesundheit und Hygiene »Epidemien entstehen nicht durch Hunger«
In der dem Ghetto zugewiesenen Gegend gab es keine Krankenhäuser oder Kliniken, so dass sich die Frage der medizinischen Versorgung gleich während der ersten Zusammenkünfte des Judenrats stellte. Als sich Gerüchte über Epidemien auf der »arischen« Seite verbreiteten, brachte der Judenrat am 11. August 1941 einen Aushang an, auf dem vor der Gefahr einer Epidemie auch innerhalb des Ghettos gewarnt wurde. In einer Versammlung des Judenrats Ende November informierte Barasz über 19 Fälle von Typhus und warnte: »[…] wenn er, Gott bewahre!, ins Ghetto eindringt, droht außer der Lebensgefahr für die Kranken und der Ansteckungsgefahr für die Gesunden die Gefahr der Schließung des Ghettos, so dass kein Fuß mehr hinein und hinaus kann.«72 Auf dringenden Antrag von Dr. Mojz˙esz Kacenelson, dem Leiter der Gesundheitsabteilung des Judenrats, wurden bereits im ersten Monat des Bestehens des Judenrats ein Krankenhaus für ansteckende Krankheiten und eine Apotheke eingerichtet.73 Der Judenrat war sich der deutschen Propagandabehauptung, Juden würden Krankheiten verbreiten, bewusst und befürchtete, dass eine Epidemie schreckliche Folgen für das gesamte Ghetto haben würde. Daher appellierte er einige Tage nach der Errichtung des Ghettos an die Behörden, Lebensmittel an die jüdische Bevölkerung zu verteilen, um eine Epidemie zu verhindern. Glücklicherweise wurden die ansteckenden Krankheiten, 69 70 71 72 73
Reizner, der umkum, S. 68. Siehe auch: YVA, M-11/18, S. 36. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, Protokoll vom 20. Juni 1942, S. 201. Ebd. Ebd., Protokoll vom 23. November 1941, S. 89. Siehe auch Meldung 35. Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 5; Meldung 35, 37 und 40. Das Ghetto hatte drei ´ Apotheken: eine in der Róz˙a´nska-Straße 3, eine in der Nowy Swiat-Straße 7 und eine dritte in der Kupiecka-Straße 36. Siehe auch Meldung 240.
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die das Ghetto kurz nach seiner Errichtung bedrohten, nicht zu Epidemien, und am 20. August 1941 berichtete Dr. Holenderski, Leiter der Hygieneabteilung des Judenrats, dass es keine neuen Fälle von Typhus gegeben habe und nur leichte Fälle von Scharlach.74 Die Tatsache, dass der Judenrat viele Aushänge anbringen ließ, die zur Sauberkeit in den Straßen, Höfen und Häusern aufforderten, zeigt die Bedeutung, die der Judenrat Gesundheitsangelegenheiten beimaß. Die Gesundheitsabteilung des Judenrats betrieb Einrichtungen, die der Ghettobevölkerung kostengünstige oder sogar kostenlose medizinische Versorgung zur Verfügung stellte. Der Judenrat machte sogar dem Gewinnstreben privater Ärzte ein Ende, deren exorbitante Honorare sich nur die Reichen leisten konnten. Alle Ärzte und andere Angehörige von Gesundheitsberufen mussten sich bei der Gesundheitsabteilung des Judenrats registrieren lassen, die ihnen eine Lizenz ausstellte.75 Das Gebäude in der Fabryczna-Straße 27 wurde in ein allgemeines Krankenhaus umgewandelt, geleitet von Dr. Ovadiah Kaplan, und ausgestattet mit vier Abteilungen, einschließlich eines Operationsraums und einer Röntgenabteilung. Mit der Zeit belegte das Krankenhaus auch das gegenüberliegende Gebäude, in dem sich die Kinderabteilung befand sowie eine Säuglingsabteilung für Kleinkinder im Alter bis zu zwei Jahren, in der die Standardimpfungen durchgeführt wurden. Ein früheres Waisenhaus in der Jurowiecka-Straße 7 wurde in ein Krankenhaus für Infektionskrankheiten umgewandelt und beherbergte auch die Gesundheitsabteilung. In einem weiteren Gebäude wurde eine Entbindungsklinik eingerichtet. Das Linat Hazedek-Gebäude in der Róz˙a´nskaStraße beherbergte die Hauptklinik, mit Allgemein- und Fachärzten, die in regulären Schichten arbeiteten und den Großteil der Ghettobevölkerung entweder gegen eine bescheidene Gebühr oder kostenlos medizinisch versorgten. Dazu betrieb das Krankenhaus rund um die Uhr einen Erste-Hilfe-Service, der 30 Rubel für Hausbesuche zwischen 8 und 20 Uhr berechnete und 40 Rubel für Besuche zwischen 20 und 8 Uhr. Das Linat Haholim-Gebäude in der Zamenhof-Straße beherbergte eine Zahnklinik und ein Zahnlabor sowie eine Klinik für Elektrotherapie, deren Einrichtung aus der Enteignung privater Ärzte stammte.76 Als die Zamenhof-Straße aus dem Ghettogebiet ausgegliedert wurde, zogen die Kliniken in zwei Räume im Linat Hazedek-Gebäude. Ärzte und Krankenschwestern kümmerten sich auch um die medizinische Versorgung in den Fabriken des Judenrats. Die drei Apotheken des Ghettos arbeiteten unter der Aufsicht des Judenrats und verkauften Medikamente zu ermäßigten Preisen oder gaben sie umsonst an sehr arme Ghettobewohner ab, die von der Wohlfahrtsabteilung eine besondere Befreiungsbestätigung erhielten. Apotheker wurden als Angestellte des Judenrats betrachtet und erhielten, ebenso wie Fabrikarbeiter, Lebensmittelrationen anstelle einer Bezah74 75
76
Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 16 und 25. Vgl. Meldung 34, 75, 105, 145, 158, 169, 176, 186, 209, 223, 245, 262, 268, 285 und 313; Reizner, der umkum, S. 65; YVA, M-11/18, S. 11. Vgl. Meldungen 177 und 382. Siehe auch: YVA M-11/18, S. 15. Zu Impfungen siehe: Meldungen 242, 278 und 84. Siehe auch: Nowak, Moja Gwiazda, S. 82; Reizner, der umkum, S. 65.
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lung. Dr. Citron, ein Chirurg am allgemeinen Krankenhaus, berichtete von der Existenz einer deutschen pharmazeutischen Agentur in Białystok, die gegen Bezahlung Produkte ganz allgemein an die Öffentlichkeit vertrieb. Insgesamt gab es ausreichend Medikamente. Die Apotheken hatten abwechselnd nächtlichen Bereitschaftsdienst, so dass die medizinische Versorgung rund um die Uhr gesichert war. Die Gesundheitsabteilung sprach sich bei der Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aufgrund von Krankheit mit der Arbeitsabteilung ab.77 Barasz kritisierte die Ärzte wiederholt wegen der Berechnung überhöhter Gebühren und wegen der freizügigen Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.78 Die Ärzte stellten während des gesamten ersten Jahres des Bestehens des Ghettos weiterhin Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für alle und jeden aus, bis der Judenrat darauf bestand, dass er nur noch Bescheinigungen anerkennen würde, die den Stempel der Gesundheitsabteilung trugen.79 Die Gesundheitsabteilung und die Hygieneabteilung arbeiteten zusammen an der Einführung umfangreicher Präventionsmaßnahmen, die für die Aufrechterhaltung von Gesundheit und Hygiene in dem übervölkerten Ghetto essenziell waren. Zum Beispiel befahl die Gesundheitsabteilung allen Ärzten, Krankenpflegern und Krankenschwestern, die Hygieneabteilung über sämtliche Fälle von ansteckenden Krankheiten zu benachrichtigen. Die Hygieneabteilung ihrerseits betrieb eine umfassende Informationskampagne, um die Hygiene unter Ghettobedingungen zu verbessern. Am 23. November 1941 veranstaltete sie eine besondere Versammlung zu Möglichkeiten der Typhusprävention, während der Dr. Holenderski, Zlotar und Dr. Bejlin Vorträge über die Ursachen und Symptome der Krankheit, über Präventivmaßnahmen, Sterberaten im Warschauer Ghetto und die Notwendigkeit persönlicher Hygiene hielten. Die meisten Gesundheitsinformationen wurden als Meldungen angeschlagen, die vor der Ansteckung durch Läuse, vor Typhus und Ruhr warnten. In diesen Mitteilungen wurde die Sorge der Behörden wegen der schlechten sanitären Bedingungen im Ghetto thematisiert und denjenigen schwere Strafen angedroht, die sich nicht an der Sauberhaltung von Straßen, Höfen und Wohnungen beteiligten.80 Die Hygieneabteilung war außerdem für die beiden Badehäuser des Ghettos verantwortlich. In dicht bevölkerten Wohnungen und Gebieten war die Hygieneinspektion von Unterwäsche und Bettzeug üblich. Wenn notwendig, wurden Menschen dazu gezwungen, sich zu waschen und zu entlausen. In ihrer Angst, die Keime eines infizierten Ghettos könnten auf die »Herrenrasse« 77
78 79 80
Vgl. Meldung 226, 230, 271 und 177. Siehe auch: YVA M-11/18, S. 15; Vered, Lihiot be-Tsel ha-Shoah, S. 31; Reizner, der umkum, S. 65; Citron testimony, YVA, M-11B/103, S. 14 f. Auch Bronia Klibanski berichtet, dass sie Injektionen wegen einer Infektion am Fuß erhalten habe. Siehe Klibanski testimony, in: Hebrew University of Jerusalem, Institute for Contemporary Jewry, Department of Oral Testimony, (110) 17. Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 207 (Juni 1941) und S. 255 (Oktober 1941). Siehe Baraszs Aussage am 16. August 1942, vgl. ebd., S. 239; Meldung 226, 230 und 271. Vgl. Meldung 33, 75 und 145. Siehe auch Dr. Holenderskis Aussage bei Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 127; YVA M-11/18, S. 25 f.
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übergreifen, bestanden die Behörden auf absoluter Sauberkeit. Daher ist es nicht überraschend, dass die Hygieneabteilung laufend die Bedeutung von Reinlichkeit betonte und Informationskampagnen durchführte, um die Bevölkerung vor der realen Gefahr von Epidemien zu warnen. Tatsächlich war, aufgrund der – laut Dr. Citron von den Sowjets eingeführten – stabilen Hygieneinfrastruktur, die Situation besser als vom Judenrat befürchtet. Unter der deutschen Besatzung gehörten zu dieser Infrastruktur insgesamt ungefähr 160 jüdische Ärzte, die einer Bevölkerung von rund 42.000 Menschen zur Verfügung standen. Dank des Engagements der Hygieneabteilung für Sauberkeit gab es im Białystoker Ghetto keinen einzigen Fall von Typhus. Wenn kranke Menschen das Ghetto betraten, wurden ihre Häuser unter Quarantäne gestellt sowie anschließend desinfiziert und entlaust. Wenn Flüchtlinge in das Ghetto kamen, mussten sie, bevor sie eine Wohnerlaubnis und eine Lebensmittelkarte erhielten, eine Bestätigung des Badehauses vorweisen, dass sie entlaust worden waren.81 Die Hygieneabteilung spielte eine dienliche Rolle im Ghettoleben. Ein Beispiel dafür war die am 26. August 1941 ausgegebene Verordnung, die Sauberkeit unter den Angestellten der Bäckerei vorschrieb. Ghettobewohner, denen die Verschmutzung ihrer Höfe vorgeworfen wurde, erhielten Geldstrafen und ihre Brotkarten wurden für eine Woche konfisziert. Die Abteilung verbot den Verkauf von gebrauchter Kleidung, die nicht ihren offiziellen Stempel trug. Dazu organisierte sie sämtliche Säuberungs- und Desinfektionsoperationen im Ghetto. Schließlich setzte die Hygieneabteilung mobile Inspektions- und Kontrolleinheiten ein, die einen Arzt und einen Hygieneinspektor umfassten.82 Eine weitere wichtige Funktion in diesem Aufgabenbereich des Judenrats war die Sammlung und Entsorgung von Abfällen. Bereits im ersten Monat seines Bestehens hatte der Judenrat eine spezielle Einheit zur Müllsammlung eingerichtet, die von Abba Furman, dem Leiter der Wirtschaftsabteilung, betrieben wurde. Der Preis für Brotmarken wurde erhöht, um die Kosten für die Müllsammlung und -entsorgung zu decken. Wagenführer erhielten die spezielle Erlaubniss, den Müll und das Abwasser aus dem Ghetto zu entfernen. Die Wagenführer nutzten die Situation, um in den leeren Tonnen Lebensmittel und Feuerholz zurück in das Ghetto zu schmuggeln.83
8. Die Wohlfahrtsabteilung »Wir appellieren an euch«
Zu den Aufgaben des Judenrats gehörte auch die Unterstützung der Bedürftigen durch die Wohlfahrtsabteilung, die von dem Judenratsangehörigen Sz. Peciner, Mitglied der zionistischen sozialistischen Arbeiterbewegung, Poalei 81 82 83
Vgl. YVA, M-11/18, S. 26. Siehe auch: Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 125; Meldung 428. Vgl. Meldung 71, 176, 207, 209, 223, 363, 420 und 425. Vgl. YVA M-11/18, S. 26; Meldung 24.
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Zion-C.S.,84 geleitet wurde. Weitere Mitglieder der Wohlfahrtsabteilung waren Mordechai Chmelnik und Moshe Szwif (auch Leiter der Wohnungsabteilung), beide überzeugte Anhänger von Poalei Zion-C.S., und der Bundist Mordechai Rubinsztejn.85 Bereits während einer seiner ersten Sitzungen diskutierte der Judenrat einen Vorschlag zur Einrichtung von Suppenküchen. Nach Zuteilung eines Haushalts begann die Wohlfahrtsabteilung, in enger Zusammenarbeit mit den Abteilungen für Versorgung und Hygiene ein Netzwerk sozialer Einrichtungen aufzubauen. Die meisten Aktivitäten der Abteilung gründeten auf ehrenamtlicher Arbeit und freiwilligen Beiträgen. Ein besonderes Wohlfahrtskomitee eröffnete ein Altenheim, in dem Alte, Schwache und Flüchtlinge versorgt wurden. Die 200 Heimbewohner erhielten Brotrationen, die denen der Judenratsangestellten entsprachen, zweimal am Tag Kaffee und einen Teller Suppe als Mittagessen. Bis zu dessen Zerstörung im Februar 1943 belieferte die Versorgungsabteilung des Judenrats das Heim regelmäßig mit Lebensmitteln. Das Ghetto hatte zudem zwei Waisenhäuser, das alte Waisenhaus in der Cze˛stochowska-Straße 7, und ein neu gegründetes in der Fabryczna-Straße, in dem man sich um Kleinkinder aus Białystok und nahe liegenden Städten kümmerte. Beide Waisenhäuser wurden regelmäßig mit Öl, Zucker, Gerste, Mehl und Kartoffeln versorgt. Die Waisen erhielten eine angemessene medizinische Versorgung und, wie Kapłan in seiner Chronik schreibt, »bekamen die Bitterkeit des Ghettolebens nicht zu spüren«.86 Am 29. November 1941, als Dr. Rozenman eine Kleidersammlung für die Bedürftigen vorschlug, verlangte Sz. Peciner, dass der Judenrat zuerst seinen Teil beitragen solle, indem er die Summe von 50.000 Rubel für die Bedürftigen bereitstelle oder seinen eigenen Aufruf durchführe.87 Goldberg bestätigte, dass die Führung des Judenrats dieser Aufforderung zugestimmt hatte. Von Zeit zu Zeit führte die Wohlfahrtsabteilung besondere »Kampagnen« durch oder richtete »Appelle« an die Ghettobewohner, warme Kleider, Unterwäsche, Schuhe und Bettzeug für die Notleidenden zur Verfügung zu stellen. Der folgende Aufruf vom 8. September 1941 ist nur ein Beispiel von vielen: »Brüder und Schwestern! Wir wenden uns an euch im Zusammenhang mit dem nahenden Herbst, dem kommenden Winter und ihren Begleiterscheinungen, den Winden, der Kälte und dem Schnee. Wir stehen vor der dringenden Aufgabe, Brandgeschädigte und Obdachlose, die Waisenhäuser, Kinderheime, Altersheime, Spitäler und andere Institutionen mit allem tagtäglich Notwendigen zu versorgen. Besonders aber muss man ihnen warme Kleider und Schuhe beschaffen, um so weit wie möglich Erkältungen und epidemische Krankheiten zu verhüten, die eine schwere Gefahr für uns alle bringen. Um diese Schrecken zu vermeiden, proklamiert der Judenrat eine breit [angelegte] Sammelaktion. Denkt daran, Juden, dass wir auf uns allein angewiesen sind. Die Zeit ist kurz und die Not ungeheuer groß, deshalb müssen wir uns, was nur möglich ist, von 84 85 86
87
Zu Poalei Zion vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 25, 28 f, 64, 66, 77, 158, 162, 174, 179. Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 6 und 14; Reizner, der umkum, S. 65. YVA, M-11/18, S. 14 f. Siehe auch: Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 13; YVA, M-11/29, S. 9 f.; Klementinowski, lebn un umkum, S. 34. Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 93.
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uns selbst absparen und für die Sammelaktion schenken. Nehmt also unsere Sammler mit der gebührenden Herzlichkeit auf, kommt ihnen schnell und mit jüdischer Wärme entgegen. […]«88 Anders als bei anderen Abteilungen, wie der Industrie- und Arbeitsabteilung, die direkt durch den Judenrat betrieben wurden, lag die Zuständigkeit für die Wohlfahrtsabteilung bei öffentlichen Hilfsausschüssen, die auch private Suppenküchen finanziell unterstützen. Eine dieser Suppenküchen, vorgeschlagen von Barasz, versorgte Angehörige der Intelligenz mit Essen. Eröffnet am 14. Dezember 1941, wurde diese Suppenküche von einem besonderen Ausschuss betrieben und von Dr. Chana Segal und dem Zahnarzt Dr. Leon Kopelman geleitet. Nach Eröffnung dieser Suppenküche entschied der Judenrat, eine eigene öffentliche koschere Suppenküche einzurichten, die von dem Judenratsmitglied Szmuel Pu´nianski von der Mizrahi89 in Verbindung mit der Wohlfahrtsabteilung organisiert wurde. Mit der Zeit begann die Suppenküche der Intelligenz auch damit, Mitarbeiter des Judenrats zu versorgen. Da es immer weniger private Spenden gab, musste der Judenrat diese Suppenküche fast vollständig mit eigenen finanziellen Mitteln unterstützen und begann mit der Berechnung eines Mindestbetrags von zehn Pfennigen pro Mahlzeit.90 In den frühen Monaten des Ghettos bestand eine Mahlzeit in dieser Suppenküche aus Suppe und einem Gang mit Fleisch. Nachdem Fleisch knapp geworden war, trat eine dicke Gemüsesuppe an seine Stelle, und einige Monate später wurde auch diese durch eine Portion ziemlich verdünnter Suppe ersetzt. Bei der Sitzung des Judenrats am 1. März 1942 berichtete Dr. Rozenman, die Führung des Judenrats und die für die Suppenküche zuständigen Angestellten hätten entschieden, folgende Neuerungen einzuführen: Anstelle der 1.500 Mittagessen, die bis dahin pro Tag ausgegeben worden seien, würden alle Suppenküchen ab sofort insgesamt 3.000 Mittagessen pro Tag ausgeben. Alle Stammgäste der Suppenküchen sollten täglich eine Mahlzeit erhalten, statt einer Mahlzeit jeden zweiten Tag. Alle Mahlzeiten wären gleich.91 Die von den Suppenküchen ausgegebenen Mahlzeiten waren für Tausende mittelloser Juden eine bedeutende Hilfe. Später wurde noch eine weitere Küche eingerichtet, um die ungefähr 1.000 Mitarbeiter des Judenrats und andere arme Leute zu versorgen. Eine dritte Kantine wurde vom Judenrat eingerichtet, um jüdische Polizisten und Feuerwehrmänner mit ihren Familien zu versorgen. Die drei Küchen wurden regelmäßig von der Versorgungsabteilung des Judenrats beliefert. Insgesamt stellte der Judenrat im ersten Jahr des Ghettos täglich ungefähr 4.000 Mittagessen zur Verfügung. Die ultraorthodoxen Juden richteten ihre eigene Suppenküche ein, die über 1.000 Mittagessen mit jeweils zwei Gängen und Brot ausgab und dafür einen höheren Preis berechnete als die anderen Suppenküchen. Mit der Zeit sah sich dann auch diese Suppenküche gezwungen, ihre Mahlzeiten auf eine Portion Suppe zu beschränken, während sie immer noch 88 89 90
91
Vgl. ebd. S. 331; Meldung 35, 91, 98, 170 und 238. Zur Mizrahi-Bewegung vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 10, 28 f, 66, 147. Vgl. YVA, M-11/18, S. 17. Einer anderen Quelle zufolge lag der Preis für eine Mahlzeit bei acht Pfennig. Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 85, 99, 101; YVA M-11/29, S. 9. Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 145.
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den gleichen Preis verlangte. Eine andere private Suppenküche – allgemein als beste im Ghetto angesehen – wurde auf Initiative des der Wohltätigkeitsorganisation der Agudisten angehörenden Bunim Farbsztejn eingerichtet. Diese durch den Judenrat finanziell unterstützte Suppenküche befand sich in der »Frauengalerie« von Citrons Beit Hamidrash und versorgte jeden Tag Hunderte von Menschen mit nahrhaften koscheren Mahlzeiten.92 Die im Białystoker Ghetto entstandenen Hilfs- und Wohlfahrtseinrichtungen wurden in hohem Maße durch die Großzügigkeit von Białystoker Juden und Freiwilligen aufrechterhalten, die in Abstimmung mit der Wohlfahrtsabteilung des Judenrats arbeiteten. Obwohl das Białystoker Ghetto im Unterschied zum Warschauer Ghetto keinerlei Hilfe durch außerhalb operierende Unterstützungsorganisationen wie dem »Joint« erhielt, trug der Białystoker Judenrat doch viel dazu bei, die Not der Armen zu lindern – selbst in den schwierigsten Zeiten.
9. Die Abteilung für Bildung und Erziehung »Wir müssen unsere Kinder in Spielgruppen anmelden«
Bereits im August 1941 genehmigten die Deutschen dem Judenrat die Eröffnung von Schulen im Ghetto. Pejsach Kapłan, ein früherer Lehrer und Herausgeber der jüdischen Zeitung Unzer Lebn, wurde zum Leiter der Bildungs- und Erziehungsabteilung des Judenrats ernannt. Er begann seine Arbeit mit der Bildung eines Bildungs- und Erziehungsausschusses, der die Aufgabe hatte, zwei Schulen zu eröffnen – eine allgemeinbildende Schule und eine Berufsschule. Der Ausschuss hatte große Schwierigkeiten, passende Örtlichkeiten für die Schulen zu finden, da es kaum noch leere Gebäude gab. Aber am 29. August 1941, knapp einen Monat nach der Errichtung des Ghettos, verkündete der Judenrat, dass die Anmeldung an den jüdischen Schulen beginnen könne.93 Die ersten beiden Klassen begannen am Abend des Laubhüttenfestes am 5. Oktober 1941. Während der nächsten vier Monate kamen weitere Klassen hinzu, bis die Schule sich zu einer normalen Volksschule mit einem siebenjährigen Curriculum entwickelt. Die allgemeinbildende Schule, die sich in der FabrycznaStraße 30 befand, hatte ungefähr 39 Klassen mit 1.600 Jungen und Mädchen, die in drei Schichten lernten. Alle Schulkinder bekamen 100 bis 150 Gramm Brot pro Tag. Die zweite Schule, in der Nowy S´ wiat-Straße 24 gelegen, war eine religiöse Schule, die ungefähr 500 Jungen und Mädchen in getrennten Klassen unterrichtete. Kapłan schreibt, dass die jüdische Bildung und Erzie92 93
Vgl. Reizner, der umkum, S. 88; YVA, M-11/18, S. 18. Vgl. Meldung 76. So wie diese Meldung wurden am 3. und 8. September 1941 auch Meldungen zur Einschreibung für die Berufsschule angeschlagen (siehe Meldung 85) sowie am 5. September eine Meldung betreffend die Registrierung von Lehrern (siehe Meldung 86). Siehe auch: Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 29 und 79; Reizner, der umkum, S. 69; YVA M-11/18, S. 27.
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hung etwas Glück in das Leben dieser Kinder gebracht und sie davon abgehalten habe, sich auf der Straße herumzutreiben.94 Spielgruppen für Kinder im Vorschulalter wurden in Privathäusern eingerichtet. Eltern, die aus Angst vor einer Überraschungs-»Aktion« davor zurückschreckten, ihre Kinder in eine reguläre Schule zu schicken, meldeten sie oft in diesen Spielgruppen an. Der Judenrat versuchte seinerseits, diese Gruppen in seinen Zuständigkeitsbereich zu integrieren, indem er den Lehrern befahl, sie bei der Kulturabteilung des Judenrats registrieren zu lassen. Die Kulturabteilung sorgte auch für berufsvorbereitende Kurse in den Schulen, aus denen mit der Zeit kleine Werkstätten hervorgingen, und im Sommer 1942 organisierte sie Sommerfreizeiten. Ab dem 18. August 1942 konnten Anmeldungen für das Schuljahr 1942/1943 vorgenommen werden, das am 6. September 1942 begann. Zwei Monate später, nach den Deportationen der Juden aus dem Bezirk Bialystok, wurde das Ghetto jedoch abgeriegelt und die Schulen geschlossen.95 Auffällig ist, dass den Quellen keine Hinweise auf kulturelle oder religiöse Aktivitäten im Białystoker Ghetto entnommen werden können – vermutlich deswegen, weil derartige Aktivitäten bereits seit der sowjetischen Periode nicht mehr stattfanden.
10. Die Rechtsabteilung »Die Rechtsabteilung erteilt Rat«
Unter der deutschen Besatzung übernahm der Judenrat – als einziges von den Behörden anerkanntes Gremium – eine rechtsprechende Funktion bei Streitigkeiten zwischen Ghettobewohnern. Am 2. September 1941, ungefähr einen Monat nach der Errichtung des Ghettos, kündigte der Judenrat in einer Meldung die Einrichtung einer Rechtsabteilung an, die mit Entscheidungsbefugnis in Zivilstreitigkeiten unter Juden im Ghetto ausgestattet war.96 Die Rechtsabteilung entschied auch bei Streitigkeiten mit dem Judenrat. Ansprüche gegenüber Angestellten des Judenrats lagen indes außerhalb der Zuständigkeit der Rechtsabteilung und wurden dem Judenrat zur Entscheidung vorgelegt, nachdem der Antragsteller seine Beschwerde zuvor schriftlich oder mündlich vorgebracht hatte. Dem Antragsteller wurde versichert, dass der Mitarbeiter des Judenrats im Falle eines Schuldspruchs bestraft würde, und dass dieser gegebenenfalls unrechtmäßig erworbenes Geld würde zurückzahlen müssen.97 94
95 96 97
Vgl. ebd., S. 27 f. Zum Eröffnungstag der verschiedenen Klassen in der säkularen Schule vgl. Meldung 114, 125, 189, 194, 203 und 259. Die Schule hatte auch Klassen für Kinder, die kein Jiddisch konnten und für Kinder, die kein Hebräisch konnten (siehe Meldung 200). Zur religiösen Schule siehe Meldung 153. Siehe auch: Reizner, der umkum, S. 69. Vgl. YVA, M-11/18, S. 28; YVA, M-11/29, S. 9; Meldung 319, 321, 328 und 333. Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 325. Vgl. ebd. S. 355; Meldung 118. Diese Meldung wurde am 7. Oktober 1941 bekannt gemacht. Der Judenrat reagierte damit auf die vielen Beschwerden wegen Bestechung, die infolge der Deportation nach Pruz˙any laut wurden. Die Meldung sollte sowohl Judenratsangestellte ab-
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Die Härten des täglichen Lebens im Ghetto führten zu einem Ansteigen der ›Kriminalität‹. Der Judenrat war besorgt, dass die um sich greifende ›Gesetzlosigkeit‹ die Existenz des Ghettos gefährden könnte. In einem Versuch, die Autorität des Judenrats zu retten, schlug Subotnik am 31. Mai 1942 die Einrichtung eines Strafgerichts neben dem Judenrat vor: »Das Präsidium stellt eine Liste eines Richterkollegiums auf, das aus 15 Personen besteht: 6 Mitglieder des Judenrats, 6 aus der Bevölkerung außerhalb des Judenrats und 3 Juristen. Zu jedem Gerichtsfall soll das Präsidium 3 Personen für die Zusammensetzung des Gerichts nominieren: 1 Mitglied des Judenrats, 1 aus der Stadt und 1 Jurist, abgesehen vom Prokuror, alle aus den oben erwähnten 15 Personen. Einen Verteidiger wählt der Beschuldigte selbst aus. Die Liste des Richterkollegiums soll das Präsidium innerhalb von 2-3 Tagen aufstellen.«98 Im Namen des Judenratsvorstands wurde der Antrag mit den folgenden – von Melnicki vorgeschlagenen – Änderungen angenommen: »1. Die erwähnte Liste von 15 Personen im Richterkollegium muss vom Rat bestätigt werden. 2. Die erwähnten 15 Personen wählen aus sich einen ständigen Vorsitzer. 3. Bei jedem Prozess bestimmt der Vorsitzer des Kollegiums zusammen mit dem Vorsitzer des Präsidiums des Judenrats die Zusammensetzung des Gerichts; dieses Gericht wählt jedes Mal seinen Vorsitzer.«99 Das Strafgericht wurde am folgenden Tag eingerichtet. Aufgrund des besonderen Status des Judenrats gegenüber den Behörden mussten dem Gericht auch einige seiner Mitglieder angehören, und alle Termine mussten vom Judenrat genehmigt werden. Obwohl dem Gericht dadurch faktisch die Autonomie verweigert wurde, protestierte die jüdische Gemeinde nicht. Die Funktion des Strafgerichts war, die Autorität des Judenrats zu stärken. Meldungen des Judenrats weisen darauf hin, dass es sich bei den Fällen, die vor Gericht gebracht wurden, um Gewalttätigkeiten gegen Mitglieder des Judenratsvorstands handelte sowie um Fälle von Nichterscheinen zur Arbeit und Diebstahl von Brot, Kartoffeln und Ähnlichem.100
Zusammenfassung Obwohl Dr. Rozenman nominell als Vorsitzender des Judenrats eingesetzt war, führte Efraim Barasz die Geschäfte. Ohne Zweifel waren es Baraszs umfangreiche öffentliche Erfahrung und sein politisches Geschick in den Verhandlungen mit den Behörden, die Dr. Rozenman dazu veranlassten, sich ihm unterzuordnen. Es gab nicht nur keine Anzeichen von Rivalität zwischen ihnen, vielmehr bezeugt die Tatsache, dass sie eine Zeit lang das gleiche zweistöckige Gebäude in der Nowogródzka-Straße 1 teilten, eine starke freundschaftliche Bindung und Loyalität. Dr. Rozenmans schwächer werdende Gesundheit
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schrecken als auch den Ghettobewohnern zeigen, dass der Judenrat die Absicht hatte, Korruption zu bestrafen. Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, Protokoll vom 31. Mai 1942, S. 181 ff, und Meldung 294. Ebd., Protokoll vom 31. Mai 1942. Vgl. Meldung 294, 298, 326 und 421.
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könnte für ihn ein weiterer Beweggrund gewesen sein, die Führung des Judenrats an Barasz zu übergeben.101 Barasz hatte die Funktion des geschäftsführenden Vorsitzenden sogar bereits vor der Errichtung des Ghettos übernommen, ungefähr einen Monat nach dem Einmarsch der Deutschen in Białystok. Als erfahrene und umsichtige Führungsperson musste Barasz eine Politik formulieren, die der Strategie der neuen Herrscher entgegenkam. Zumindest zu Anfang wies Barasz die Annahme zurück, dass die Ermordung der Białystoker Juden in den ersten Tagen der deutschen Okkupation Teil eines allgemeinen Plans zur Ermordung der europäischen Juden war. Er gab sich keinerlei Illusionen über die Schwäche des Ghettos und die Macht der deutschen Herrscher hin, suchte jedoch nach allen möglichen Wegen, um die 40.000 Juden des Ghettos zu beschützen. Barasz glaubte vor allem, dass er der Öffentlichkeit etwas Hoffnung geben müsse. Obwohl er weder politisch noch religiös gebunden war, hielt er hartnäckig an dem Glauben fest, dass die Ghettojuden gerettet werden könnten, wenn sie sich für die Deutschen unentbehrlich machten. Die Quellen zeigen, dass Barasz ungefähr ein Jahr benötigte, um zur unbestrittenen Führungsfigur des Ghettos aufzusteigen. Obwohl er seine Maßnahmen während dieses Jahres praktisch unwidersprochen durchführen konnte, gaben ihm Öffentlichkeit und Judenrat erst nach der Säuberung der Polizeieinheiten und der Stabilisierung der Ghettowirtschaft den vollen Rückhalt als eine integere Persönlichkeit, der das Wohlergehen der Gemeinde am Herzen lag. Anlässlich der Feierlichkeiten zum ersten Jahrestag des Bestehens des Judenrats am 29. Juni 1942 ließ Barasz die Härten Revue passieren, die die Gemeinde bis zu diesem Zeitpunkt erduldet hatte, sowie die erstaunliche Konsolidierung, die das Białystoker Ghetto im Unterschied zu anderen Fallbeispielen erfahren hatte. Seine Rede war eine Achtungsbezeugung an das Engagement der kollektiven Führung, die eine große Rolle in diesem Prozess gespielt hatte, wie die letzten Worte der Rede bezeugen: »Ich bewundere die starke Harmonie unter den Mitgliedern des Judenrats. Es kommen überhaupt keine Fälle von gegensätzlichen Meinungen vor. Alle unsere Beschlüsse und Handlungen sind einstimmig. Freilich, es ist kein Platz für Optimismus im Ghetto, aber wenn ich auf den Weg blicke, den wir zurückgelegt haben, und auf unsere Bagage, dann bin ich sicher, dass wir das Białystoker Ghetto zu einem glücklichen Ende führen werden.«102 Obwohl die deutschen Behörden den Judenrat ermächtigten, der jüdischen Bevölkerung seine Autorität falls nötig mit Zwang aufzuerlegen, bevorzugte es Barasz, die Gemeinde über die Ereignisse zu informieren. Die allgemeinen Versammlungen, die er in regelmäßigen Abständen im Linat Hazedek-Gebäu101
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Am ersten Jahrestag des Judenrats machte Subotnik folgende Aussage über den Rabbiner Dr. Rozenman: »Er hat sehr viel durcherlebt. Sein größtes Verdienst ist, dass er den verehrten Ingenieur Barasz nominiert hat, weil es nicht den Kräften von Rabbiner Rozenman entsprochen hat, all das durchzuführen, was nötig gewesen ist.« Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 221. Auch Kapłan schreibt, der Rabbiner habe aufgrund seines Alters und seiner schlechten Gesundheit von seiner Position zurücktreten müssen. Vgl. YVA, M-11/18, S. 2 f. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 219.
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de, dem Bürgersaal des Ghettos, einberief, hatten genau diesen Zweck – die Bevölkerung mit Informationen zu versorgen. Vermutlich lag es an der Knappheit der finanziellen Mittel, dass der Vorschlag der Herausgabe einer Wochenzeitung niemals in die Tat umgesetzt wurde. Stattdessen erfüllten die allgemeinen Versammlungen die Rolle einer Zeitung, wenn sie auch nur eine viel kleinere Öffentlichkeit erreichten. Daher wurden diejenigen, die an den Versammlungen teilnahmen, aufgefordert, deren Inhalt in der allgemeinen Öffentlichkeit bekannt zu machen.103 Man muss beachten, dass die Generalversammlung auch noch einem anderen Zweck diente: die öffentliche Unterstützung für den Judenrat zu gewinnen. In dieser Hinsicht war Barasz in höchstem Maße erfolgreich.Von Beginn an sah Barasz den Aufbau wirtschaftlicher Beziehungen mit den Deutschen als Voraussetzung dafür an, ihnen Zugeständnisse abringen zu können. Sein Erfolg auf diesem Gebiet erhöhte sein Ansehen und seine Autorität. Seine »Innenpolitik« – Errichtung von Fabriken, Erweiterung der Produktion und Rekrutierung von Arbeitern – war seiner »Außenpolitik« untergeordnet, die darin bestand, den Deutschen zu beweisen, dass die Białystoker Juden unentbehrlich waren. Barasz hoffte, damit Zeit zu gewinnen und das Ghetto sicher durch den Krieg zu führen. (Übersetzung aus dem Englischen von Karin Avdic)
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Bei einer Versammlung am 9. November 1941 sagte Barasz: »Wir haben euch einberufen, damit ihr alles der ganzen Bevölkerung weitergebt.« Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 77. Dr. Rozenman eröffnete die Generalversammlung vom 23. November 1941 mit den folgenden Worten: »Der Zweck der heutigen Versammlung: Durch die Versammelten der Bevölkerung einen Bericht über die Situation im Ghetto übermitteln […].« Ebd., S. 89. Während der Generalversammlung vom 16. August 1942, die so gut besucht war, dass Leute an die Tür schlagen mussten, um eingelassen zu werden, gab Barasz einen detaillierten Überblick über die Situation und erklärte die seiner Politik zugrundeliegende Absicht. Unter anderem sagte er: »[...] und ich bitte alle, die meine Worte hören, sie mögen es auch jenen Tausenden weitergeben, die nicht im Saal drinnen sind und die Worte nicht hören.« Ebd., S. 239.
»Niemand/zeugt für den/Zeugen«.1 Was wissen wir über Jakub Goldberg? von
FREIA ANDERS »Die Tatsachen, wenn es denn welche gibt, sind in dieser Geschichte enthalten. Auch in der nächsten.«2
I. Einführung Was wissen wir über Jakub3 Goldberg? Vorab: Gesicherte Kenntnisse gibt es kaum. Von Goldbergs Tochter, der 1923 geborenen Esther Gessen, erfuhr die Verfasserin, dass er 1891 in einer vielköpfigen Familie in der zwischen Warschau und Białystok gelegenen Kleinstadt Ostrów Mazowiecka geboren worden sei. In der Zwischenkriegszeit sei er von Warschau mit seiner Frau Bella, einer Polnisch- und Literatur-Lehrerin, nach Białystok gezogen, wo er nach dem Scheitern als Privatbankier in der Wirtschaftskrise als Vertreter für eine Versicherungsfirma Arbeit fand. Goldberg sei Mitglied der liberal orientierten Allgemeinen Zionisten gewesen, seine Frau habe der jüdischen sozialistischen Arbeiterpartei, dem Bund, angehört. Hinzu kommen einige Schlüsselnarrative, die Esther Gessen in ihrer Erinnerung aufbewahrt hat. Goldbergs Urenkelin Masha Gessen hat sie in einen Familienroman eingefügt.4 Sieht man von Goldbergs Parteizugehörigkeit ab, werden die genannten Daten in Aufzeichnungen von Überlebenden der Shoah, die Goldberg kannten, nicht erwähnt. Berichtet wird, dass er ab Juni 1939 für die Zionisten der jüdischen Gemeindevertretung, der Kehilla, angehörte.5 Über Art und Zeitpunkt seiner Ermordung durch die 1 2
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Paul Celan, Aschenglorie, in: ders., Gedichte, 2 Bde., Bd. II, Frankfurt a.M. 132005, S. 72. Masha Gessen, Esther und Rusja. Wie meine Großmütter Hitlers Krieg und Stalins Frieden überlebten, aus dem Englischen von Klaus Binder und Bernd Leineweber, München 2005, S. 161; amerikanische Erstausgabe: Ester and Ruzya. How My Grandmothers Survived Hitler’s War and Stalin’s Peace, New York 2004. Hier und im Folgenden werden die Übersetzer aus quellenkritischen Gründen entgegen der zumeist üblichen Zitation angeführt. In der Literatur finden sich unterschiedliche Schreibweisen des Vornamens (Jakob, Jacob, Yaacov, Yakow, Åqkov). Der Text folgt dem Eintrag des Białystoker Telefonbuchs von 1938; www. zchor.org/bialystok/ksiazka_tel.xls [28.5.2009]. Esther Gessen im Gespräch mit der Verfasserin, Moskau im Mai 2007, aus dem Russischen gedolmetscht und übersetzt von Dr. Daria Ozerova (Universität Jaroslavl), der an dieser Stelle ausdrücklich gedankt sei. Siehe auch Gessen, Esther und Rusja, insbesondere S. 21 ff. Vgl. die Aufstellung bei Dowid Klementynowski [David Klementinowski], The Community before the War. The Scope of the Jewish Kehilla in Bialystok, in: The Bialystoker Memorial Book/der bialystoker yisker-bukh, hrsg. von I. Shmulewitz im Auftrag des Bialystoker Center,
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Deutschen gibt es divergierende Aussagen. Durch Zeitzeugen und zeitgenössische Dokumente belegt ist, dass Goldberg ab August 1941 ein Mitglied des Białystoker Judenrats war. Damit war er einer unter anderen, die während der Ghettoisierung und der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung durch die deutsche Besatzungsherrschaft in Polen ihre politische Erfahrung, organisatorische Kompetenz und ihre Reputation innerhalb der jüdischen Gemeinde den Judenräten zur Verfügung stellten. Diesen von den deutschen Besatzungsbehörden eingesetzten und kontrollierten Verwaltungsgremien oblag es, für die deutschen Besatzungsbehörden Bevölkerungs- und Beschäftigungsstatistiken zu führen, Abgaben einzutreiben, Wohnungen und Besitz zu konfiszieren, Zwangsarbeiter zu benennen und Deportationslisten anzufertigen. Im Wege der Verhandlungen mit den Deutschen hofften sie, deren Politik der Entrechtung, Enteignung und Vernichtung abmildern zu können. Innerhalb der Ghettos waren sie für die Verwaltung und Organisation aller Bereiche des öffentlichen Lebens und der dazu notwendigen Infrastruktur verantwortlich, dazu gehörte die Versorgung der notleidenden Bevölkerung mit Nahrung, Wohnung, Heizmaterial und kommunalen Dienstleistungen wie Müllabfuhr oder Gesundheitsfürsorge.6 Es konnte nicht ausbleiben, dass die Judenräte alle möglichen Formen des Aufbegehrens gegen die in ihrem Verantwortungsbereich liegenden Maßnahmen erfuhren. Sie reichten von individueller Kritik bis zu Formen aktiven Widerstands, von der individuellen Weigerung zu arbeiten oder Steuern zu zahlen bis hin zur Organisation von Streiks und Sabotageakten. Die Leidenserfahrung der jüdischen Bevölkerung äußerte sich auch in wertenden Zuschreibungen von Verantwortung gegenüber den Judenräten.7 Sie spiegelten sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in einer von dichotomischer Sichtweise – Verräter versus Helden – geprägten Zeitzeugenliteratur und den Kontroversen der Publizistik wider und fanden nicht zuletzt auch Eingang in die Geschichtsschreibung und die akademische Debatte. Die Zuschreibungen richteten sich verallgemeinernd gegen die Gremien als solche oder – personalisierend – aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung zumeist gegen ihre Vorsitzenden oder die Kommandanten der jüdischen Polizei. Michman verweist darauf, dass sich der Kern der Diskussionen und die Bewertung lange an ihrem persönlichen Verhalten im Zeitraum der »Endlösung«, der Phase der Morde und Deportationen gemessen habe, während dem vorangegangenen, meist viel längeren Zeitraum von Aktivitäten weniger Interesse entgegengebracht und die situa-
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New York 1982, S. 38–41, http://www.zchor.org/bialystok/yizkor4.htm [8.6.2009]. Klementinowski konnte seine Erinnerungen bereits 1946 über das Bialystoker Center in den USA publizieren; ders., lebn un umkum in bialistoker geto, New York 1946. Zu den Abteilungen des Białystoker Judenrats siehe den Beitrag von Sara Bender in diesem Band. Zu den negativen Zuschreibungsmustern siehe den Beitrag von Monika Tokarzewska in diesem Band, ihr sei für Hinweise aus der polnischsprachigen Literatur gedankt. Zum Überblick: Artikel ›Judenrat‹, in: Israel Gutman u.a. (Hg.), Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, 4 Bde., München/Zürich o.J., Bd. II, S. 691–699.
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tiven Rahmenbedingungen als solche vernachlässigt worden seien.8 Eine Perspektive, die nicht nur einer analytischen Geschichtsschreibung, sondern auch den involvierten Personen kaum gerecht werden konnte. Aufgrund ihres öffentlichen Bekanntheitsgrades sind es vor allem die Vorsitzenden der Judenräte, die in der Historiographie und Erinnerungsliteratur im Zentrum des Interesses stehen. Beim Białystoker Judenrat ist dies der stellvertretende Vorsitzende, Ingenieur Efraim Barasz (1892–1943).9 Beruflich heterogen zusammengesetzt repräsentierte der Rat mit (ehemaligen) Kaufleuten, Rabbinern, Ärzten, Lehrern, Publizisten, Gewerkschaftsführern und Verbandsvorsitzenden die Bandbreite des Bürgertums. Repräsentiert war das politische Spektrum der Zwischenkriegszeit mit Ausnahme der Kommunisten. Es reichte von Anhängern des sozialistischen Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbundes, kurz Bund, der zionistischen Arbeiterpartei Poalei Zion, der säkularen Allgemeinen Zionisten bis zu Mitgliedern der religiösen, zionistischen Mizrahi-Bewegung.10 Die Entscheidungsfindung innerhalb des Gremiums war schwierig, wie Amtsniederlegungen, Designierungen und Selbstmorde einzelner Mitglieder zeigen.11 Zum Gros der Ratsmitglieder finden sich nur spärlich nähere Informationen. Dies trifft auch für Goldberg zu, der hier exemplarisch vorgestellt wird. Gegenüber anderen Opfern der Shoah, deren Namen oft nur mühsam recherchiert werden können, kann die Quellenlage jedoch
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Siehe den Beitrag von Dan Michman, Kontroversen, in diesem Band, und Dan Diner, Jenseits des Vorstellbaren. Der »Judenrat« als Situation, in: Hanno Loewy/Gerhard Schoenberner, »Unser einziger Weg ist Arbeit«. Das Ghetto in Łód´z, Frankfurt a.M. 1990, S. 32–40, hier: S. 33. Weiss verweist auf die besonders polarisierende Rolle einiger Gruppierungen des jüdischen Widerstands. Aharon Weiss, The Historiographical Controversy Concerning the Character and Functions of the Judenrats, in: Yisrael Gutman/Gideon Greif, The Historiography of the Holocaust Period. Proceedings of the Fifth Yad Vashem International Historical Conference, Jerusalem, March 1983, Jerusalem 1988, S. 679–696, hier: S. 687. Zu Barasz vgl. Artikel ›Barasz‹, in: Gutman u.a. (Hg.), Enzyklopädie des Holocaust, Bd. I, S. 154–155. Zu einer eingehenden Würdigung seiner Person kommt Sara Bender, The Jews of Białystok during World War II and the Holocaust 1939–1943, aus dem Hebräischen übersetzt von Yaffa Murciano, Waltham, Mass. 2008. Zum Überblick über die soziale und politische Struktur des polnischen Judentums in der Zwischenkriegszeit vgl. Arno Lustiger, Jüdische Kultur in Ostmitteleuropa am Beispiel Polens, Bonn 2000, S. 10 ff. Vereinzelte Angaben zur Berufs- und Parteizugehörigkeit der Białystoker Judenratsmitglieder finden sich bei Rafael Rajzner [Refuel Rayzner, Rafael Reizner]/Henry R. Lew, The Stories our Parents found too Painful to Tell, Caulfield 32009, S. 57. Bei dem Werk handelt sich um eine von Lew organisierte Übersetzung der einzelnen Teilkapitel von Rajzner, der umk.um fun bialist.ok.er jidnt.um 1939–1945, Melbourne 1948, durch mehr als zwanzig Übersetzer, die die Aufgabe unvergütet auf idealistischer Basis verrichteten. Für den Białystoker Judenrat siehe z.B. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 31. Januar 1942 (Rücktritt Dr. Sz. Kerszman); Bender, The Jews of Białystok, S. 122 (Amtsniederlegung Awrom Liman); ebd., S. 340; Martin Gilbert, The Holocaust. A History of the Jews of Europe during the Second World War, New York 1987, S. 532; Isaiah Trunk, Judenrat. The Jewish Councils in Eastern Europe under Nazi Occupation, Neuauflage, Lincoln 1996, S. 60, 444 (Selbstmord Zwi Wider). Rajzner/Lew, The Stories, S. 57, 121, geht davon aus, dass der Vorsitzende der Künstlergewerkschaft Wider Selbstmord verübte, weil der Judenrat in Vorbereitung der so genannten »Februar-Aktion« 1943 eine Liste mit 12.000 zur Deportation bestimmten Personen erstellen sollte.
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als günstig bezeichnet werden, da Goldberg in Erinnerungen wie zeitgenössischen Dokumenten namentlich aufgeführt wird. Die Protokolle des Białystoker Judenrats sind für den kurzen Zeitraum vom 2. August 1941 bis zum 11. November 1942 erhalten geblieben. Aufgezeichnet wurden sie von dem in der Zwischenkriegszeit in Polen prominenten Pädagogen, Verfasser von Hebräisch-Lehrbüchern und als »Sprachpurist« des Jiddischen geltenden Rafael Gutman (verstorben 1943).12 Sie erlauben es nur teilweise, die politische Entscheidungsfindung im Judenrat zu erhellen. Überliefert ist, dass Barasz die Kommunikation mit den deutschen Besatzungsbehörden im Wesentlichen allein trug. Für die Mittlerrolle war er prädestiniert, weil er in Deutschland studiert und dort sein Ingenieursdiplom erworben hatte. Zudem war er nicht in der jüdischen Gesellschaft Białystoks aufgewachsen, sondern erst 1934 in die Stadt gekommen, um das Amt des Vorstandes des jüdischen Gemeinderats zu übernehmen.13 Der Anteil informeller Entscheidungsfindung durch Barasz allein, beziehungsweise innerhalb des Präsidiums, lässt sich nicht bestimmen. Blumenthal sieht in Barasz die letztliche Entscheidungsinstanz des Judenrats, in diesem Sinne habe sich das nationalsozialistische »Führerprinzip« auch im Judenrat fortgesetzt.14 Beschreibungen von Barasz verweisen auf eine charismatische Amtsführung, deren Legitimation sich aus dem Glauben an seine Person speiste.15 Das in Barasz gesetzte Vertrauen entband ihn jedoch nicht davon, um die Zustimmung des Judenrats und der Allgemeinen Versammlung zu werben. Die anderen Ratsmitglieder waren einerseits über die Aufgabenteilung in das Verwaltungssystem eingebunden, andererseits wurden die Entscheidungen gemeinsam getroffen, beziehungsweise beraten, bestätigt und öffentlich verantwortet. Auch wenn die Mitglieder des Judenrats weder in den Sitzungen, deren Protokolle nach Blumenthal für eine eventuelle Einsichtnahme durch die deutsche Verwaltung ins Deutsche übersetzt wurden,16 geschweige denn in den öffentlichen Versammlungen, ein gänzlich offenes 12
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Rajzner schreibt, dass sich Gutman und seine Frau dem Massenmord in Pietrasze im August 1943 durch Selbstmord entzogen. Rajzner/Lew, The Stories, S. 176. Im April 1943 verfasste Gutman einen Abriss über die Geschichte der Białystoker Juden während des deutsch-sowjetischen Krieges. Vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 360; Trunk, Judenrat, S. 13. Vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 104 f. Vgl. Einleitung zu Nachman Blumenthal, Darko shel Yudenrat: Te‘udot miggeto Bialistoq [Conduct and Actions of a Judenrat. Documents from the Bialystok Ghetto (jiddisch/hebräisch mit einer englischen Einleitung)], Jerusalem 1962, S. XXVIII ff. Grossman beschreibt die große Akzeptanz, die Barasz im Ghetto zumindest in der ersten Hälfte des Jahres 1942 gehabt habe: »Die Juden im Ghetto waren damals ruhig, sie vertrauten ihrem Führer und hielten ihn für allmächtig. […] Jeder Jude konnte damals die wundersamsten Geschichten über Barasz erzählen. Er war weise und intelligent, er war ein guter Jude […].« Chaika Grossman, Die Untergrundarmee. Der jüdische Widerstand in Białystok. Ein autobiographischer Bericht, aus dem Amerikanischen übersetzt von Ingrid Strobl, Frankfurt a.M. 1993, S. 101. Elemente der nach Max Weber auf dem Legitimationsglauben an eine Person und deren Bewährung in außeralltäglichen Situationen basierenden charismatischen Herrschaft lassen sich an der Person Barasz’ festmachen, ohne dass die empirisch zu beobachtende Mischform Michmans headship-Konzept als Idealtypus widersprechen muss. Blumenthal, Introduction, in: Darko shel Yudenrat, S. XXV.
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Wort führen konnten, wird erkennbar, wie der Białystoker Judenrat auf die Forderungen der deutschen Besatzungsmacht reagierte, wie er die sozialen Probleme im Ghetto wahrnahm und die sozialen Spannungen zu befrieden suchte, schließlich auch, wie er seine Beschlüsse vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Anfeindungen und mit Blick auf die Nachwelt reflektierte und intern und öffentlich zu legitimieren suchte. Auch wenn es sich überwiegend um Ergebnisprotokolle handelt, lässt sich mitunter anhand namentlich zugeordneter Redebeiträge nachzeichnen, wie einzelne Mitglieder Stellung bezogen.17 Das soll hier für Goldberg geschehen, der Mitglied des Präsidiums war18 und die Versorgungsabteilung leitete (III), insbesondere, weil es der Verfasserin vergönnt war, im Mai 2007 längere Gespräche mit seiner seit 1940 in Moskau lebenden Tochter Esther zu führen. Vorab wird daher quellenkritisch den Spuren der Erinnerung nachgegangen, die Goldberg im Gedächtnis ehemaliger Białystoker und seiner Nachkommen hinterließ (II). Vorauszuschicken ist, dass die Vorgehensweise keine Gegenüberstellung von Erinnerung und dokumentarisch belegbaren Fakten intendiert, sondern den Gehalt der Quellen in ihrer Eigenheit zu würdigen sucht. Indem die Perspektiven von Erinnerung und Geschichtsschreibung kenntlich gemacht und aufeinander bezogen werden, werden die unterschiedlichen Konstruktionen historischer Realität jenseits einer historischen ›Wahrheit‹ erkennbar.
II. Spuren der Erinnerung Im Internet auffindbar ist Jakub Goldbergs Name in jüngerer Zeit über die Partial List of the Holocaust Martyrs of Bialystok, die vor allem auf den in den Pages of Testimony zusammengestellten Kurzbiographien und der Central Database of Shoah Victims beruht. Nach ihnen konnten bisher mehr als drei Millionen Opfer der Shoah namentlich identifiziert werden – Namen, die in der Hall of Names von Yad Vashem bewahrt werden. Goldbergs Name wurde 1957 aufgrund der Eingabe von Rakhel Lakher, einer »Bekannten«, in Yad Vashem registriert. Auf seinem Gedenkblatt wird sein Todesdatum mit dem 17. August 1943 angegeben. Das ist der Tag nach Beginn der so genannten »August-Aktion«, der Auflösung des Ghettos und der Deportation der dort 17
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Blumenthal bedauert die mangelnde Ausführlichkeit und Präzision des Protokollanten (»he seems to have had no sense of the seriousness of the moment, nor of the importance of the records as historical documents […] disturbed by the lack of respect […] towards his own work«) sowie dessen Präferenzen für den rituellen Ablauf der Sitzungen. Vgl. ebd., S. XXVI f. Nach Kapłan gehörten dem Präsidium neben Goldberg der Vorsitzende, Rabbiner Gedaliah Rozenman, der stellvertretende Vorsitzende, Efraim Barasz, der Leiter der Finanzabteilung, Dov Berl Subotnik, und der Leiter der Arbeitsabteilung, Awrom Liman, an. Vgl. Pejsach Kaplan [Kapłan], Ghetto Diary, in: The Bialystoker Memorial Book, S. 71–74, http://www.zchor.org/ bialystok/yizkor7.htm#kaplan [9.6.2009]. Übereinstimmend: Rajzner/Lew, The Stories, S. 57. Zu nicht übereinstimmenden Angaben über die Etablierung des Judenrats bei Kapłan und Rajzner vgl. Blumenthal, Introduction, in: Darko shel Yudenrat, S. XI f., Anm. 22. Bender, The Jews of Białystok, S. 93, 316, Anm. 19, bezieht sich auf Kapłan.
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noch verbliebenen Bevölkerung in die Vernichtungslager.19 In das Bialystoker Memorial Book, das 1982 in New York erschien,20 ging sein Name über etliche, unterdessen verstorbene Zeitzeugen ein, die die Bürde der »historischen« und »moralischen« Zeugenschaft21 auf sich genommen hatten. David Klementinowski (1888–1961), der nach dem Krieg in New York einige Schriften zur politischen Geschichte der Białystoker Juden verfasste, führt ihn in seiner Beschreibung der jüdischen Gemeinde in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg als Vorstandsmitglied der am 6. Juli 1939 neu konstituierten Kehilla-Verwaltung auf.22 Die Einführung zu dem Teilkapitel Under Nazi Oppression vermerkt (ohne Verweis), dass Goldberg unter den ca. 2.000 von den Sowjets inhaftierten Personen gewesen sei, die am Morgen des 23. Juni 1941 – einen Tag nach Beginn des »Unternehmens Barbarossa« – freigelassen worden seien, als das Wachpersonal mit den sowjetischen Besatzungsbehörden abzog.23 Von seiner Tätigkeit für den von den deutschen Militärbehörden zwei Tage nach der Einnahme Białystoks am 29. Juni 1941 eingesetzten Judenrat erfährt man über die im »Mersik-Tenenbaum-Archiv« erhalten gebliebenen Fragmente der Tagebuchaufzeichnungen des in Białystok geborenen Pejsach Kapłan (1875– 1943). Der ehemalige Gründer und Herausgeber der größten und ältesten jiddischen Białystoker Tageszeitung Unzer Leben, Mitglied und Leiter der Bildungsabteilung des Judenrats, skizzierte im Februar/März 1943 die Abteilungen des Rats und nennt Goldberg daher als Leiter der Versorgungsabteilung. Zugleich erwähnt er sein Vorkriegsengagement in der Tarbut-Bewegung.24 19
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Vgl. Partial List of the Holocaust Martyrs of Bialystok, http://www.zchor.org/bialystok/yizkor. htm [6.5.2009]. Das Gedenkblatt findet sich über die Suchfunktion unter http://www.yadvashem.org [7.5.2009]. The Bialystoker Memorial Book, http://www.zchor.org/bialystok/yizkor1.htm [6.6.2009]. Aleida Assman unterscheidet idealtypisch juridische, religiöse, historische und moralische Zeugen. Der moralische Zeuge zeichnet sich gegenüber dem juridischen und historischen Zeugen durch die »verkörperte Wahrheit des Zeugnisses, die Konstruktion der moralischen Instanz und die Wahrheitsmission« aus, die in unmittelbarem Gegensatz zum »Verschleierungsbedürfnis des Täters« stehen. Zum Begriff des moralischen Zeugen vgl. Aleida Assmann, Vier Grundtypen von Zeugenschaft, in: Fritz-Bauer-Institut (Hg.), Zeugenschaft des Holocaust. Zwischen Trauma, Tradierung und Ermittlung, Frankfurt a.M. 2007, S. 33–51, hier: S. 41 ff., insbesondere S. 44. Es erübrigt sich fast hier anzumerken, dass autobiographische Texte eine Textform darstellen, in der Konstruktion und interpretierende Rekonstruktion von Geschehnissen, die durch subjektive Einstellungen und Glaubensprinzipien geformt werden, keine objektiven, historisch lückenlos nachprüfbaren Geschehnisverläufe wiedergeben können. Vgl. Jerome Bruner, The Autobiographical Process, in: Current Sociology 43 (1996), S. 160–177. Klementinowski, The Community before the War. N.N., Under Nazi Oppression, in: The Bialystoker Memorial Book, S. 59–61, http://www. zchor.org/bialystok/yizkor6.htm [9.6.2009]. So berichtet bei Rajzner/Lew, The Stories, 49 f. Kapłans Gedenkblatt findet sich unter http://www.yadvashem.org [20.6.2009]. Seine Aufzeichnungen wurden nach dem Krieg teilweise in der in New York erscheinenden Bialystoker Shtime. Ofitsieler organ fun der Białystoker landsmanshaft in Amerike und in der Zeitschrift des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau publiziert. Pesach [Pejsach] Kapłan, Judenrat w Białymstoku [Der Judenrat in Białystok], in: Biuletyn Z˙ydowskiego Instytutu Historycznego [Bulletin des Jüdischen Historischen Instituts] 60 (1966), S. 51–88, hier: S. 52, 56. Der Originaltext der jidnrat in białystok wird in Yad Vashem aufbewahrt. Nach Rajzner verlor Kapłan das Leben nach der ersten großen Deportation aus dem Białystoker Ghetto, der so genannten »Februar-Aktion« 1943, »a few weeks before Shavuot«. Vgl. Rajzner/Lew, The Stories, S. 153.
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Auch Rafael Rajzner (1897–1956), der seine Erinnerungen an die Vernichtung der Białystoker Juden unmittelbar nach dem Krieg in Australien verfasste, nennt Goldberg. Der Drucker gehörte der Druckerei-Kooperative, die Unzer Lebn produzierte, an und war mit Kapłan gut bekannt. Goldbergs Verdienste als Leiter der Versorgungsabteilung vermerkt er wie Kapłan positiv. Rajzner berichtet – ohne dass auszumachen ist, woher er diese Information erhielt –, dass Goldberg am zweiten Tag der Liquidation des Ghettos im August 1943 (also am 17. August, wie im Gedenkblatt aufgenommen) in seinem Versteck aufgespürt und von den Nazis erschossen worden sei.25 Mit der Rezeption der Aufzeichnungen von Kapłan, Rajzner und Klementinowski wurde Goldbergs Name Teil des kollektiven (und virtuellen) Gedenkens. Er teilt nicht das Schicksal der zahllosen Ungenannten, an die sich keiner der wenigen Überlebenden erinnerte, oder deren Angehörige, zum Beispiel wenn sie in den so genannten Ostblock-Ländern lebten, keinen Zugang zur israelischen oder amerikanischen Erinnerungskultur fanden. Frühe Spuren der Erinnerung an Goldberg finden sich auch in den 1949 – wenige Monate nach ihrer Ankunft in Israel ohne Rückgriff auf Dokumente und ohne Pathos – verfassten autobiographischen Aufzeichnungen der 1919 in Białystok geborenen Chaika Grossman (1919–1996).26 Sie wurde wie die etwas jüngere Esther Gessen auf dem hebräischsprachigen Tarbut-Gymnasium ausgebildet. Beide gehörten seit frühester Jugend der marxistisch-zionistischen, sich als sozialistische Avantgarde verstehenden Jugendorganisation Haschomer Hatzair [Der junge Wächter] an, deren Mitglieder sich in der Mehrzahl aus dem (klein-)bürgerlichen und studentischen Milieu rekrutierten.27 Unter
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Die Herausgeber des Bialystoker Memorial Book, S. 74, beziehen sich auf einen Brief von Rajzner, http://www.zchor.org/bialystok/yizkor7.htm#kaplan [5.5.2009]. – Die Tarbut [Kultur]Bewegung war in der Zwischenkriegszeit ein in Mittelosteuropa verbreitetes, säkulares zionistisches Netzwerk hebräischsprachiger Bildungsinstitutionen, das Kindergärten, Grundschulen, weiterführende Schulen, Lehrerseminare, Leihbüchereien und Einrichtungen der Erwachsenenbildung unterhielt. Ein eigener Verlag publizierte Lehrbücher und Kinderzeitschriften. Zum Begriff vgl. Eliezer Schweid, The Idea of Modern Jewish Culture, übersetzt von Amnon Hadari, Boston 2008, S. 3. Rafael [Refoel] Rajzner, The Ghetto in Flames, in: Bialystoker Memorial Book, S. 91–97, http:// www.zchor.org/bialystok/yizkor1.htm#flames [7.5.2009]; ders./Lew, The Stories, S. 69 ff., 142, 173. Die Angaben zu Grossmans Geburtsjahr variieren: Die Angaben zur Autorin der deutschen Ausgabe ihrer Erinnerungen (siehe oben) nennen das Jahr 1920; der Artikel ›Grossman‹, in: Gutman u.a. (Hg.), Enzyklopädie des Holocaust, Bd. I, S. 567 f., gibt das Jahr 1919 an. Grossman gehörte dem Vorstand von Haschomer Hatzair seit 1937 an, sie zählt zu den führenden Organisatorinnen des Ghetto-Aufstands im August 1943. Nach dessen Niederschlagung arbeitete sie mit Partisanengruppen zusammen. Vor ihrer Emigration nach Israel 1948 war sie für das Jüdische Komitee in Warschau tätig. 1969 wurde sie für die seit 1955 an der Regierung beteiligte Mapam-Vereinigte Arbeiterpartei, in der Haschomer Hatzair und Poalei Zion 1948 fusioniert hatten, in die Knesset gewählt, wo sie sich bis kurz vor ihrem Tod für eine emanzipatorische Gesetzgebung engagierte. Rajzner erinnert sie als »energetic woman«, vgl. Rajzner/Lew, The Stories, S. 154. Zu Haschomer Hatzair: Artikel ›Jugendbewegung‹, in: Gutman u.a. (Hg.), Enzyklopädie des Holocaust, Bd. II, S. 703–717, bes. S. 704–707. Die streng auf moralische Grundsätze und intellektuelle Erbauung achtende Gruppierung galt besonders unter nach Emanzipation strebenden jungen Frauen als attraktiv, da das Prinzip der Gleichberechtigung dort selbstverständlich ge-
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deutscher Besatzung diente Grossman der jüdischen Untergrundbewegung als leitende Funktionärin und Kurierin zwischen den Ghettos Wilna, Białystok und Warschau.28 Grossmans Erinnerungen an den Widerstand im Białystoker Ghetto wurden 1950 erstmals in Israel publiziert,29 in ihren politischen Reden in den fünfziger Jahren aufgegriffen und 1965 neu aufgelegt. Der Historiker Jehuda Bauer bezeichnet sie als »classic of Holocaust testimonials« und »crosschecked memoir«, eine Erinnerung, die mit den Erinnerungen anderer Überlebender abgeglichen worden sei.30 In Grossmans Beschreibungen werden die ideologischen und taktischen Differenzen der Widerstandsgruppen mit dem Judenrat und untereinander ablesbar. Während Kapłan und Rajzner die Leistungen des Judenrats hervorheben, schildert Grossman eindringlich die Spannungen zwischen dem »Establishment«31 des Judenrats und den (jugendlichen) Vertretern des marxistisch orientierten Widerstands. Nach Grossman entwickelte sich das Verhältnis von partieller Kooperation32 hin zur Gegnerschaft.33 Die Widerstandsgruppen sahen bereits zu Beginn des Jahres 1942 den einzigen Ausweg in der Organisation des bewaffneten Kampfes, waren aber uneinig darüber, wie dieser geführt werden sollte. Die Jugendbewegung34 setzte auf die Selbstermächtigung der Bevölkerung, den »Volkskrieg in den Straßen des Ghettos«, verstanden als Kampf um die »nationale Existenz«.35 Die Kommunisten optierten für den Partisanenkampf, verstanden als Teil einer europäischen antifaschistischen Front. Vertreter eines Dritten Weges wollten den Aufstand im Ghetto wagen und gleichzeitig eine Partisaneneinheit gründen, die nach dem Aufstand möglichst viele Teilnehmer einer »Massenflucht« aufnehmen könnte.36 Die Hoffnungen und Strategien des Judenrats, der versuchte, wenigstens einen Teil der jüdischen Bevölkerung durch Organisation von ›unentbehrlicher‹, von den Deutschen für kriegswichtig erachteter Arbeit zu retten und die Vernichtung durch »Selbstselektion« (Diner) zu entschleu-
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wesen sei. Vgl. Ingrid Strobl, »Die Angst kam erst danach«. Jüdische Frauen im Widerstand 1939–1945, Frankfurt a.M. 1998, S. 243, 248, 324. Zur Untergrundbewegung siehe den Artikel ›Bialystok‹, in: Gutman u.a. (Hg.), Enzyklopädie des Holocaust, Bd. I, S. 212–216, hier: S. 214 f. Chaika Grossman, Anshei ha-Mahteret [People of the Underground], Merhavya 1950. Die deutsche Ausgabe nennt als hebräische Originalausgabe die 1965 in Tel Aviv verlegte Ausgabe. Jehuda Bauer, Introduction, zu: Chaika Grossman, The Underground Army. Fighters of the Bialystok Ghetto, hrsg. von Sol Lewis, aus dem Hebräischen übersetzt von Shmuel Beeri, New York 1987, S. I–IV, hier: S. I. Vgl. Grossman, Die Untergrundarmee, S. 97. Die deutsche Übersetzung von Ingrid Strobl basiert auf der amerikanischen Ausgabe. Grossman und Tenenbaum halten den existentiellen Austausch von Informationen, die Inhalte von Gesprächen, die materielle Unterstützung und die Vergabe von Sondergenehmigungen für die Funktionäre durch Barasz fest. Siehe z.B. Grossman, Die Untergrundarmee, S. 107 f., 181, 216, 363. Ebd., S. 224, 270 f., 288, 293 f. Zum differenzierten Verhältnis Jugendbewegung/Judenräte vgl. Aharon Weiss, Youth Movements in Poland during the German Occupation, in: Asher Cohen/Yehoyakim Cochavi (Hg.), Zionist Youth Movements during the Shoah, New York 1995, S. 227–243, hier: S. 238 ff. Grossman, Die Untergrundarmee, S. 268. Vgl. Ingrid Strobl, »Sag nie, Du gehst den letzten Weg«. Frauen im bewaffneten Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung, Frankfurt a.M. 1989, S. 249.
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nigen, hielten sie für »illusionär«,37 auch wenn Barasz’ Intentionen und die Bedeutung der Behörde für das jüdische Leben im Ghetto punktuell unterschiedlich eingeschätzt wurden. Die spätere Leitfigur des Ghetto-Widerstands, der »Befehlshaber des vereinigten Untergrunds« und Funktionär des dem linken Flügel der Arbeiterpartei Poalei Zion nahestehenden Jugendverbandes Hehalutz Hatzair Dror, kurz Dror [Freiheit],38 Mordechai Tenenbaum (1916– 1943),39 beschreibt in seinem Tagebuch die Begegnungen mit Barasz durchaus nicht als belastet.40 Grossman hingegen erinnert sich ihrer Befürchtungen, dass Tenenbaum, den sein »Glauben an die Menschen« ausgezeichnet habe, Barasz zu großes Vertrauen entgegenbringe.41 Für sie zählen vor allem das taktische Moment des Verhältnisses und die Überlegenheit des Widerstands in der Informationsbeschaffung.42 In dem für die amerikanische Ausgabe verfassten ex post-Epilog vermittelt Grossman eine vorläufig abschließende Sichtweise: »Der Untergrund musste sich in jedem seiner Schritte gegen diese Institution stellen. […] Die Tatsachen, die der Judenrat schuf, waren physische Tatsachen, und ihre Konsequenzen komplex.«43 Explizit grenzt sie sich, nachdem sie die von Nachman Blumenthal edierten Protokolle und Meldungen des Białystoker Judenrats studiert und als Anmerkungen in ihre Erinnerungen eingearbeitet hat, von der Blumenthal zugeschriebenen Einschätzung ab, es sei für den Judenrat lange unvorstellbar gewesen, welches Ausmaß die Vernichtung annehmen würde.44 Grossman 37 38
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Grossman, Die Untergrundarmee, S. 214, 223, 369 f. Der linkszionistische Jugendverband Dror gilt als der größte jüdische Jugendverband der Zwischenkriegszeit in Polen. Er rekrutierte seine Mitglieder größtenteils aus den ärmeren Schichten der jüdischen Gesellschaft und bildete sie in Vorbereitung auf die Emigration nach Erez Israel in landwirtschaftlichen Tätigkeiten aus. Vgl. Artikel ›Jugendbewegung‹, in: Gutman u.a. (Hg.), Enzyklopädie des Holocaust, Bd. II, S. 703–717, bes. S. 704–707, und Strobl, »Die Angst kam erst danach«, S. 243. Siehe den Artikel ›Tenenbaum‹, in: Gutman u.a. (Hg.), Enzyklopädie des Holocaust, Bd. III, S. 1398–1401, Zitat: S. 1401; Bender, The Jews of Białystok, S. 172–184. Diese Einschätzung beruht auf der Lektüre von ins Deutsche übersetzten Auszügen von Tenenbaums Tagebuch. Für die gewährte Einsichtnahme sei Hans-Peter Stähli gedankt. (Mordehai Tenenbaum-Tamaroff, Pages From Fire: Dappim Min Hadleka, verbesserte und erweiterte Neuauflage, Yad Vashem, Bet Lohame Haggeta’ot, Jerusalem 1984 (hebräisch, erweiterte Neuausgabe gegenüber der Ausgabe Ha-Kibbutz Ha-Meuhad 1947). Siehe beispielsweise die Einträge vom 13., 19. und 29. Januar 1943. Die jüdische Polizei beurteilte Tenenbaum anfangs kritisch, kam aber nach der »Februar-Aktion« zu einer versöhnlichen Einstellung: »nischt gewen pojpsstlecher wi der poipsst«. Vgl. den Eintrag vom 20. Januar 1943 und den Nachtrag zur »Aktion«. Bei einer positiven Beurteilung der leitenden Kräfte der jüdischen Polizei bleiben Rajzner/Lew, The Stories, S. 74 f., und nach Trunk auch Kapłan, Trunk, Judenrat, S. 517. Grossman berichtet von der Zerrüttung des Verhältnisses zwischen Barasz und Tenenbaum im Sommer 1943, vgl. Grossman, Die Untergrundarmee, S. 383 f. Ebd., S. 223 f., 290, 383. Vgl. ebd., S. 103 ff., 141, 157, 201 f., 204, 371. Ebd., S. 536. In der amerikanischen Ausgabe heißt es: »The underground came up against the institution at every step. […] The facts determined by the Judenrat were physical, and their implications were complex.« Dies., The Underground Army, S. 398. Die Zitationen in der deutschen Übersetzung beziehen sich auf eine Ausgabe der Berichte des Judenrats, die unter dem Titel The Path oft the Judenrat 1975 von Nachman Blumenthal in Yad Vashem herausgegeben worden sei. Sie wird auch in Grossmans Nachwort ausdrücklich ange-
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verweist darauf, dass die Protokolle zwangsläufig wesentliche Ereignisse ausblenden, da sie nur bis November 1942 erhalten sind.45 Ihr Kapitel Der Judenrat behandelt vornehmlich den Zeitraum ab November 1942,46 als mit Ausnahme des Ghettos Białystok und des Ghettos I in Grodno alle Ghettos des Bezirks aufgelöst worden waren und sich die Angst vor einer »Liquidierung« massiv zugespitzt hatte. Grossman ist sich sicher, dass der Judenrat die Ziele der Deutschen, die endgültige Vernichtung der Juden, habe frühzeitig erkennen können, zumal sie Barasz persönlich bereits kurz nach ihrer Ankunft aus Wilna über die Massenmorde in Ponar47 informiert habe.48 Die Dokumente dienen ihr als Bestätigung ihrer während der Niederschrift gefassten Einschätzung: »Diese Dokumente widerlegen nicht nur nicht, was ich geschrieben habe, sie sind in ihren trockenen, formalen Feststellungen sogar noch schockierender.«49 Grossmans Epilog kann als ein Beispiel für die verbreitete dichotomische Sichtweise gelesen werden, zu deren Zuspitzung Hannah Arendts Prozessreport Eichmann in Jerusalem in zeitlicher Kongruenz zur Wiederauflage von Gross-
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führt (ebd., S. 536). Ein bibliographischer Eintrag solch einer Ausgabe konnte über Recherchen in weltweit vernetzten Bibliothekssystemen nicht aufgefunden werden, eine entsprechende Ausgabe ist auch der Expertin Sara Bender nicht bekannt. – Blumenthal zitiert die Erstausgabe von Grossmans Publikation. Seine Edition ist als Intervention in die gängigen Debatten zu verstehen. Mit der Publikation der Dokumente, die aus seiner Sicht eine »satisfactory basis for judgement of the role played by the Judenrat […]« darstellen, hofft er Fehlinterpretationen der Rolle begegnen zu können: »a matter which has been discussed at length, and which has been the subject of many different, and often wrong interpretations«. Für die Mitglieder des Präsidiums kommt er zu dem Ergebnis: »They have no illusions of any kind«. Blumenthal, Introduction, in: Darko shel Yudenrat, S. XXXIII. Bender, The Jews of Białystok, S. 115, bezeichnet den Zeitraum zwischen November 1941 und November 1942 als »The Period of Calm«. Vgl. Grossman, Die Untergrundarmee, S. 207–226. Bei Ponar [Ponary, Paneriai], einem Ausflugsort bei Wilna, hatte die vormalige sowjetische Besatzungsmacht Gruben zur Stationierung von Tanks ausgehoben. Sie wurden das Massengrab für zehntausende Juden und sowjetische Kriegsgefangene. Zwischen Juli und Ende Dezember 1941 ermordeten Wehrmacht, SS, Einsatzkommandos und litauische Unterstützer drei Viertel der jüdischen Bevölkerung von Wilna. Zu Ponar siehe die zeitgenössische Chronik von Herman Kruk, The Last Days of the Jerusalem of Lithuania. Chronicles from the Vilna Ghetto and the Camps, 1939–1944, hrsg. von Benjamin Harshav, übersetzt von Barbara Harshav, New Haven/ London 2002; und die Erinnerungen an Ponar: Szmerke Kaczerginski, hurben wilne. umkum fun di jidn in wilne un wilner gegent. der harige-tol ponar; perzenleche iberlebungen, zamlung fun eides-baweizn oder dokumentn, New York 1947; Jetta Schapiro-Rosenzweig, Sag niemals, das ist dein letzter Weg. Flucht aus Ponar. Eine Mutter und ihre kleine Tochter kämpfen ums Überleben [Hörbuch, gelesen von Marlies Wenzel], 2006, und die zeitgenössische Dichtung von Abraham Sutzkever, Wilner Getto 1941–1944 (Bd. 1). Gesänge vom Meer des Todes. Gedichte (Bd. 2), aus dem Jiddischen übersetzt von Hubert Witt, Zürich 2009; ders., Geh über Wörter wie über ein Minenfeld, Auswahl, Übersetzung und Anmerkungen von Peter Comans, Frankfurt a.M. 2009. Grossman datiert ihre Ankunft in Białystok im Epilog auf Dezember 1941, an anderer Stelle auf Anfang Januar 1942. Vgl. Grossman, Die Untergrundarmee, S. 36, 537. Sie berichtet auch, dass das Zeugnis einer Frau, die der Exekution in Ponar entkam, im Ghetto kursiert habe. Vgl. ebd., S. 103. Rajzner datiert Grossmans Ankunft auf Anfang 1942, »around Purim time«, vgl. Rajzner/Lew, The Stories, S. 91. Grossman, Die Untergrundarmee, S. 536. »These records not only do not contradict what I have written, but are even more shocking in their dry, formal statements.« Dies., The Underground Army, S. 398.
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mans Memoiren in Israel beitrug, indem sie die These aufstellte, dass die Organisation des Massenmords ohne die »Kollaboration« der Judenräte weniger effektiv gewesen wäre.50 Nicht zuletzt können ihre pointierten Aussagen dem Zeitpunkt der Überarbeitung ihrer Erinnerungen für die erneute Drucklegung geschuldet sein, und unter dem Einfluss der zeitgenössischen Kontroverse, in die sie sich mit der Neuauflage ihrer Publikation einbrachte, gestanden haben. Eine ausdifferenzierte zeitgeschichtliche Forschung, in der sogar die Zeitzeugen unter den Historikern ihre ursprüngliche Meinung über die Judenräte relativierten, war zu dem Zeitpunkt, als Grossman ihre Aufzeichnungen publizierte, erst im Entstehen begriffen. Der Epilog zur amerikanischen Ausgabe kann aber auch als Reflex auf die Ansätze der Fachhistoriographie der siebziger Jahre verstanden werden. Jedenfalls lässt sich beobachten, dass sich später verfasste Erinnerungen, auch die von Angehörigen des Widerstands, zuweilen polarisierender Positionen enthalten, vor allem dann, wenn (tages- und erinnerungs-)politische Motive in den Hintergrund treten. Dies gilt zum Beispiel für die von Adam Czesław Dobro´nski 2001 versammelten Berichte von Mitgliedern des kommunistischen Widerstands im Białystoker Ghetto. Sie konzentrieren sich vor allem auf die eigene Tätigkeit, so beispielsweise die Gründung von Partisanengruppen und den Waffenschmuggel. Ausführungen zum Judenrat bleiben spärlich. Regina Wojskowska (*1908), auf die noch zurückzukommen ist, führt an, dass dem Judenrat von den Deutschen mit der »Liquidierung« des Ghettos gedroht worden sei, wenn er deren Willen nicht erfülle. Sie hält fest, dass das einen Dritten Weg zwischen Ghettoaufstand und Partisanenkampf suchende Antifaschistische Komitee im Januar 1943 von den ihm angehörigen Mitarbeitern des Judenrats die Nachricht erhalten habe, dass die Gestapo beabsichtige, Waisenhäuser und Altenheime zu liquidieren. Dies habe ihren Kreis veranlasst, die Organisation des bewaffneten Widerstands und die Zusammenarbeit mit den anderen Gruppen zu intensivieren.51 Auch in den Erinnerungen des um 1920 geborenen und 1968 nach Frankreich emigrierten Historikers Pawel Korzec spielt der Judenrat keine wesentliche Rolle. Er bezeichnet den Vorsitzenden 50 51
Siehe die Beiträge von Dan Michman, Controversies, und Karsten Wilke in diesem Band. Regina Wojskowska, Niektóre fragmenty przez˙y´c z okresu okupacji hitlerowskiej w Białymstoku [Some Experiences during the Nazi Occupation of Białystok], in: Adam Czesław Dobro´nski (Hg.), Białostoccy Z˙ydzi, 4 Bde., Białystok 1993–2002, Bd. I, S. 53–65. Wojskowska gehörte zu einer der ersten Gruppen, die im Winter 1942/43 den Weg zu den Partisanen suchten. Vgl. Grossman, Die Untergrundarmee, S. 269; Bender, The Jews of Białystok, S. 168, 225. Später gehörte sie der durch den Antifaschistischen Kampfblock, der Vereinigung der im Ghetto agierenden Gruppen, gebildeten Partisanengruppe Forojs/Forois [Vorwärts] an, die unter ihrem ins Russische übersetzten Namen Vjeperod in eine neu gebildete sowjetische Partisaneneinheit unter General Kapusta eingegliedert wurde. Vgl. die Eintragungen in der Datenbank des Biuletyn Informacji Publicznej Instytutu Pamie˛ci Narodowej, www.katalog.bip.ipn.gov.pl [12.5.2009]; Strobl, »Sag nie, Du gehst den letzten Weg«, S. 249. Zu Forojs siehe Avraham Barkai, Ein deutscher »Gerechter« in Białystok, in: Monika Richarz/Marion A. Kaplan/Beate Meyer (Hg.), Jüdische Welten. Juden in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart, Göttingen 2005, S. 248–265, hier: S. 255 ff., und den Bericht des 1923 geborenen Forojs-Partisanen Sergej Berkner, The Struggle of Jews Against German Fascism in the Enemy’s Rear, in: Korni [Wurzeln] 1998, S. 92–123.
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Rozenman als gebildete und sensible, aber für den Vorsitz ungeeignete Person. Positiv vermerkt wird, dass es Barasz als guter Organisator verstanden habe, die Lage zeitweilig zu stabilisieren. Weder er noch die jüdische Polizei habe die kommunistische Untergrundtätigkeit verraten. Stattdessen habe er die der Gruppe drohende Gefahr, die entstanden sei, als Dr. Szymon Datner am Ghettozaun einen deutschen Polizisten niedergeschossen habe, mit einem üppigen Bestechungsgeld abwenden können. Korzec beurteilt die Bedingungen des Widerstands in Białystok besser als anderswo, da es dort unter den Flüchtlingen der Welle von 1939 viele junge, von ihren Familien gelöste Leute gegeben habe, zudem seien in der Phase der sowjetischen Besatzung betriebliche Netzwerke entstanden.52 Der mit Grossman gleichaltrige Shoah- und Gulag-Überlebende, Jakob Shepetinski, der sich ebenfalls dem Widerstand im Ghetto und später den sowjetischen Partisanen angeschlossen hatte, verfasste seine Erinnerungen nach seiner Emigration aus der Sowjetunion im Jahr 1986 in Israel in russischer Sprache. Er erwähnt den Judenrat lediglich als Verwaltung des Gemeinwesens.53 Für die Hypothese von der situativen beziehungsweise ZeitBedingtheit, oder um es mit Maurice Halbwachs zu sagen, für die Gebundenheit von Erinnerung an mögliche Adressaten und soziale Instanzen der Bestätigung, die zur Bewertung, Ergänzung und Korrektur von Erinnerung beitragen, von ausdrücklich wertend gefärbten Erinnerungen, sprechen auch weitere Zeugnisse von Shoah-Überlebenden aus Białystok, die nicht dem Widerstand zuzurechnen sind. Szymon Bartnowski und Felicja Nowak erinnern sich, 55 bis 65 Jahre nach dem Geschehen befragt, an die Verlesung von Namenslisten durch Mitglieder der Judenräte. Die Erinnerung wird im Zusammenhang mit der Erzählung von besonders dramatisch erlebten Umständen, zum Beispiel einer gelungenen Flucht aus dem Ghetto, mobilisiert, ohne dass explizit negative Zuschreibungen an den Judenrat erfolgen.54 52
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Vgl. Paweł Korzec, Fragmenty wspomnie´n [Fragmente aus den Erinnerungen, in: Dobro´nski (Hg.), Białostoccy Z˙ydzi, Bd. I, S. 21–52, hier: S. 37 ff. Buchs Bericht über das Antifaschistische Komitee erwähnt den Judenrat nicht. Marian Buch, »Marek«, in: ebd., S. 66–77. Vgl. Jacob Shepetinski, Die Jacobsleiter. Erinnerungen eines Shoah- und Gulag-Überlebenden, aus dem Russischen übersetzt von Michael Anderau, Zürich 2005, S. 59, 65 f. Der 1998 von Schülern interviewte Bartnowski, einer der letzten in Białystok lebenden Juden, der sich als Vertreter der Ronald S. Lauder-Stiftung vor Ort um den Erhalt jüdischen Kulturguts kümmerte, erwähnt den Judenrat bzw. die jüdische Polizei nur im Zusammenhang mit seiner Erzählung über die »Februar-Aktion« 1943. Vgl. das Zeugnis Szymon Bartnowskis im Webportal Lernen aus der Geschichte, http://www.holocaust-education.de/resmedia/document/ up200510/PL1_2005Dok1.pdf [6.6.2009]. Die 1971 nach Kopenhagen emigrierte Felicja Nowak (*1924) erwähnt den Judenrat im Zusammenhang mit der »August-Aktion« 1943, während der es ihr gelang, der Hinrichtung in Pietrasze zu entkommen, indem sie sich unter anderem Namen zum Arbeitseinsatz meldete. Interview mit Felicja Nowak, durchgeführt von Thomas Gaevert, aus dem Polnischen übersetzt von Joanna Furła-Buczek, entstanden während der Dreharbeiten für den Dokumentarfilm »Ausgelöscht – Białystok und seine Juden« (WDR 2006), in Białystok im August 2006. Für die großzügige Einsichtnahme in Interviews und andere Materialien sei dem Produzenten Martin Hilbert, Aquino Film, Köln, gedankt. In Nowaks Erinnerungen, erstmals 1991 in Białystok unter dem Titel Moja gwiazda publiziert, zeigt sie Verständnis für die dilemmatische Situation des Judenrats und der jüdischen Polizei und hebt die Versorgungsleistung hervor. Den Judenrat erwähnt sie auch im Zusammenhang mit ihrer bevorstehenden, aber abgewendeten Ausweisung nach Pruz˙any im Oktober 1941. Felicja Nowak, Mein Stern.
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Grossmans Einstellung zum Judenrat spiegelt sich auch in ihren Erinnerungen an Goldberg. Ausführlich berichtet sie lediglich über das erste Zusammentreffen im Ghetto. Gestützt auf Barasz’ Wohlwollen verhandelte sie mit Goldberg in seiner Funktion als Leiter der Versorgungsabteilung erfolgreich über die Legalisierung des Haschomer Hatzair-Kibbuz als Suppenküche. Goldberg zeichnete der Tochter seines Bekannten Nachum Grossman alle benötigten Dokumente bereitwillig ab, so dass die Gruppe künftig auf »seine Kosten« wirtschaften konnte. In ihrer Beschreibung der Begegnung offenbart sie die Emotionen, die Goldberg in ihr hervorgerufen habe. Sie schildert, welche Mühe sie während des Gesprächs gehabt habe, den Ausdruck ihrer Gefühle zu kontrollieren, als Goldberg unerwartet seine Meinung über die Haschomer Hatzair-Gruppe geäußert und sie mit der Befürchtung, die Gruppe könne aus »Dummheit« und »kommunistischen Ideen« heraus zu »unverantwortlichen Aktionen«, gar zum »bewaffneten Widerstand«, aufrufen,55 konfrontiert habe: »Da saß er in seinem eingebildeten Königreich, verteilte Lebensmittelrationen an die Juden und dachte, die Regierungsgeschäfte lägen in seiner Hand. Seine Engstirnigkeit, seine Sturheit und sein blinder Kommunistenhaß führten ihn total in die Irre. Offensichtlich glaubte er, die Deutschen seien garnicht so schlimm. Am liebsten hätte ich ihm seine deutschen Rationen […] vor die Füße geschmissen. Er war selbstgefällig. Zu selbstgefällig. Ich riß mich zusammen, um nicht die Selbstbeherrschung zu verlieren. […] Er hatte nicht einmal seine eigene Tochter verstanden. […] Bis zuletzt würde er sich für einen Auserwählten halten und vergessen, dass es die Nazis waren, die ihn ausgewählt und mit seiner eingebildeten Macht versehen hatten. Bis zum Ende seiner Tage und bis zum letzten Juden würde er glauben, es könnte sich jemand der jüdischen Tragödie entziehen und nach der großen Vernichtung einfach weiterleben. Leute wie ihn mußte man ausbeuten. Sie sollten, ohne es zu ahnen, dem Widerstand gegen die Nazis dienen. Er war nicht wie Barasz oder die anderen, mit denen wir in unserem Kampf um Wohnmöglichkeiten, Verstecke, Geld und Lebensmittel zusammentrafen.«56
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Erinnerungen einer Holocaust-Überlebenden, aus dem Englischen übersetzt von Anna Kaiser, Gerlingen 2001, S. 113, 117, 123 f., 155 f., 178 f., 188 f., 201 ff. Bender schreibt unter Berufung auf das Zeugnis von Birman, dass Goldberg und Barasz die zionistischen Pioniere äußerst geschätzt hätten (»could not praise the movement enough«), soweit sie die Ordnung nicht gefährdeten. Bender, The Jews of Białystok, S. 164. Grossman, Die Untergrundarmee, S. 108–110. »Here he was, sitting in his imaginary kingdom, distributing food rations to the Jews and believing that the government was in his hands. His narrowmindedness, stubbornness and blind hatred of communism were all leading him astray. I should throw the German rations […] at his feet. He was satisfied, too satisfied. I controlled myself, kept my self-restraint. Let that little man, so important in his own eyes, even proud of Zionism, think that we are ›only‹ chalutzim. […] He had never known or understood his own Shomeret daughter. […] To the end he would consider himself one of the elect and forget that it was the Nazis who had chosen him and granted him his imaginary power. He was actually only the emissary, their small and despicable servant. To the end of his days and to the last Jew, he would think that someone could hide himself from the Jewish tragedy and continue to live after the great holocaust. People like that should be exploited. They should unknowingly serve the war against the Nazis, serve the needs of the underground. It was right to exploit people like that. He was not like Barash, nor like the tens of others we met in the course of our struggle
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Den maßgeblichen Vorwurf, dass sich Goldberg seinen Illusionen hingegeben habe, wiederholt sie an anderer Stelle, als sie Barasz wiedergibt, der über Goldberg gesagt habe, dieser habe »nichts aus der Realität gelernt«.57 Sie erinnert sich zudem, in ihrem Misstrauen gegenüber Goldberg auch andere aufgefordert zu haben, Distanz zu wahren.58 Ein letztes Mal glaubt sie, Goldberg nach der Niederschlagung der Revolte im August 1943 – wie sie später erfuhr: auf dem Weg nach Majdanek – gesehen zu haben, als sie auf den Straßen Białystoks außerhalb des Ghettos zusammen mit der Dror-Kurierin Bronia Klibanski (*1923)59 die Lage erkundete: »Das Tor der Fabryczna-Straße öffnete sich weit und entließ eine lange Reihe von gutgekleideten Juden. Sie gingen langsam, würdevoll […] Da gingen Goldberg und Markus, der Kommandant der jüdischen Polizei, der gesamte Judenrat, und dahinter mehrere hundert Juden, alles Würdenträger […]. Alle 900 dieser jüdischen Elite endeten, zusammen mit den letzten Białystoker Juden, am 3. November 1943, […] in den Gaskammern von Majdanek.«60 In dieser bereits in der Erstausgabe von 1950 verfassten, von Blumenthal ausführlich zitierten Beschreibung (»penetrating description«)61 stehen die »gut gekleideten Juden«, Goldberg und die anderen »Würdenträger«, nicht nur für die endgültige physische, sondern auch für die ideologische Niederlage des von der Sozialistin Grossman bekämpften Bürgertums. Genugtuung über die realistischere Analyse der deutschen Vernichtungspolitik durch den Widerstand und über die Nivellierung des Klassenantagonismus innerhalb der jüdischen Gesellschaft konnte jedoch nicht aufkommen. Am Ende ihres Berichts schildert Grossman, wie sie mit Klibanski an der »Spitze der Partisanen« in die Stadt einzog: »Die Stadt war tot. Wir waren traurige Sieger.«62
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for places to live, places to hide, for pennies and for food.« Dies., The Underground Army, S. 66. Grossman, Die Untergrundarmee, S. 210; dies., The Underground Army, S. 144 (»haven’t learned a thing from reality«). So habe sie von dem für die landwirtschaftliche Ausbildung von Jugendlichen zuständigen Zwi Mersik gefordert, weder Goldberg noch anderen Abteilungen des Judenrats Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. Vgl. ebd., S. 153 f. Vgl. Grossman, Die Untergrundarmee, S. 337. Bronia Klibanski-Winicka erinnert sich ebenfalls, die Deportation der Judenratsmitglieder beobachtet zu haben. Vgl. das Kapitel ihrer Memoiren (Bronia Klibanski-Winicka, Ariadne, Tel Aviv 2002) The Revolt, das sich in englischer Übersetzung unter http://www.zchor.org/bialystok/ariadne.htm [12.5.2009] findet. Zur Person: Artikel ›Klibanski‹, in: Jewish Woman’s Archive (Hg.), Jewish Woman. A Comprehensive Historical Encyclopedia, http://jwa.org/encyclopedia/article/klibanski-bronka-bronia [12.5.2009]; und Bronia Klibanski, The Underground Archives in the Bialystok Ghetto, in: Yad Vashem Studies 2 (1958), S. 295–332; dies., In the Ghetto and in the Resistance. A Personal Narrative, in: Dalia Ofer/Lenore J. Weitzman (Hg.), Women in the Holocaust, New Haven 1998, S. 179–186. Grossman, Die Untergrundarmee, S. 433 f. »A wide gate opened on Fabrychna Street, long lines stretched through the gate and beyond. They were Jews, well dressed. They walked slowly, with dignity […] Goldberg, and Markus, the commander of the Jewish police, the whole Judenrat, and after them more hundreds of Jews, all dignitaries […]. All 900 of the Jewish elite were killed in the gas chambers of Maidanek, together with the last Bialystok Jews […] on November 3, 1943.« Dies., The Underground Army, S. 315. Blumenthal, Introduction, in: Darko shel Yudenrat, S. IL, Anm. 65. Grossman, Die Untergrundarmee, S. 533. »The city was dead. Sad victors.« Dies., The Underground Army, S. 395.
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Grossmans Schilderungen flossen auch in die Familiensaga von Masha Gessen ein, in der diese die Lebenswege ihrer beiden Großmütter, Esther Gessen und Rusja Solodownik, verfolgt. Die Texte der 1967 geborenen Journalistin, die 1981 mit ihren Eltern aus der Sowjetunion in die USA emigrierte und 1994 nach Russland zurückkehrte, gehören zur littérature engagée und stehen der Tradition russischer Dissidenz nahe. Sie wollen bewerten und gesellschaftlich Einfluss nehmen.63 Dabei verweigern sie sich einem indifferenten Konstruktivismus, indem sie Fragen nach Moral und Integrität aufwerfen.64 Im Vordergrund ihrer Auseinandersetzung steht die Frage, ob und wie der Mensch in totalitären Systemen – wie der Sowjetunion – unter den Bedingungen von Angst, Anpassung, Ausgrenzung, Hunger, Diskriminierung und in extremis angesichts drohender physischer Vernichtung integer bleiben kann. Als Enkelin zweier charakterstarker, gebildeter Frauen fragt sie sich, wie sie die Überlebensstrategien ihrer Familie in der Sowjetunion bewerten soll. Für ihr Kapitel über Goldberg wertet sie die Erzählungen ihrer Großmutter, die Erinnerungsliteratur und persönliche Gespräche mit Historikern aus. Dabei legt sie ihren persönlich durchlebten Erkenntnisprozess zur Frage nach der moralischen Integrität ihres Urgroßvaters offen. Auf ihrer Suche stellt sie zwei fiktive Erzählungen nebeneinander: (1) In der ersten Version schildert sie Goldberg als einsamen, gewissenhaften Vollstrecker seines Amtes, der sich vornehmlich der »Logik und der rationalen Entscheidungen« verpflichtet gesehen habe. Die Fähigkeit, pragmatische Entscheidungen treffen zu können, sei es gewesen, die es ihm trotz Selbstekel und Scham, noch am Leben zu sein, ermöglicht habe, Menschen zur Deportation zu bestimmen und gleichzeitig den Widerstand zu unterstützen. Goldberg habe der kommunistischen Gruppe um Tenenbaums Stellvertreter als »Befehlshaber des Untergrunds«, Daniel Moszkowicz (1905–1943), ermöglicht, über die Logistik der Versorgungsabteilung Waffen in das Ghetto zu schmuggeln.65
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Gessen lebt heute teils in Moskau und teils in Boston, wo sie einem Lehrauftrag der Harvard University nachgeht. In ihrem ersten Buch (Auf den Erfolg unserer hoffnungslosen Mission. Die russische Intelligenzija, München 1998), stellt sie die mutigen Wortmeldungen der Dissidenten in der Sowjetunion der politischen Lethargie der Intelligenz nach deren Auflösung gegenüber. Gessens Rezensent Schmid merkt an, dass sie »ohne mit der Wimper zu zucken […] Begriffe wie ›Wahrheit‹ oder ›Verantwortung‹ auf das Papier« setze. Ulrich M. Schmid, Moral und Kompromiss. Masha Gessen porträtiert ihre russischen Grossmütter, in: Neue Züricher Zeitung vom 20. April 2005, Nr. 91, S. 42. Siehe auch Gabriele von Arnim, Im Maul des Löwen. Überleben in Diktaturen: Masha Gessen schildert die bewegende Geschichte ihrer Großmütter, in: Die ZEIT vom 8. Dezember 2005, Nr. 50. Gessen, Esther und Rusja, S. 152–160. Zu Moszkowicz siehe den entsprechenden Eintrag bei Zofia Borzymi´nska/Rafał Z˙ebrowski, Polski słownik judaistyczny [Polnisches Judaistisches Wörterbuch], Warszawa 2003; Artikel ›Tenenbaum‹, in: Gutman u.a., (Hg.), Enzyklopädie des Holocaust, S. 1401. Zu den Problemen in der Zusammenarbeit der Gruppen bei der Vorbereitung des Aufstands siehe Grossman, Die Untergrundarmee, S. 379 ff. Grossman berichtet auch, dass ihr Barasz in einem persönlichen Gespräch nach der »Februar-Aktion« die Zusammenarbeit mit der kommunistischen Gruppe des Ghettos empfohlen und selbst Kontakt zu dieser gesucht habe. Ebd., S. 371.
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(2) Die zweite Erzählung nimmt die von Grossman beschriebenen Situationen auf. Goldberg wird als Person präsentiert, die sich trotz der Kenntnisse um das Geschehen in anderen Ghettos zum Werkzeug der Selektion habe machen lassen. Dabei sei ihm sein Wissen als Leiter der Versorgungabteilung um die »hoffnungslosen Fälle« zugute gekommen.66 Gessen stellt sich den Streit vor zwischen einem Goldberg, der zugunsten der jüdischen Gemeinde zu handeln glaubt, und der heroisch argumentierenden »Blondine« Grossman, die aufgrund ihres »arischen« Aussehens« begünstigt gewesen sei, außerhalb des Ghettos, auf der »arischen Seite« zu leben. Eine Überlebensmöglichkeit, die, dessen sei sich Goldberg bewusst gewesen, seiner dunkelhaarigen Tochter nicht offen stand. So kann sich der Leser Goldbergs Gefühlswelt als Gemengelage aus (väterlicher) Überheblichkeit und Mitleid mit der Grossman imaginieren.67 Die ideologischen Differenzen geraten gegenüber ungleichen Lebenschancen und Handlungsmöglichkeiten, die sich durch Aussehen, Lebensalter oder familiäre Bindungen bedingten, in den Hintergrund.68 Im Anschluss an diese zwei Narrative nimmt Gessen Esthers Erzählungen auf und fragt nach den Informationen über Goldbergs Verbleib, die seiner Frau Bella und seiner Tochter Esther über die Jahre zugänglich wurden. Danach erfuhr Esther durch die kommunistische Partisanin Regina (Rifka) Wojskowska, die bereits im Dezember 1944 in Moskau Kontakt mit ihrer Mutter aufgenommen habe, vom Waffenschmuggel ihres Vaters für den Widerstand.69 Es muss im Jahr 1946 gewesen sein, als sie eher zufällig auf Goldbergs ehemalige Vermieterin im Ghetto stieß, die von einer letzten Begegnung während der gemeinsamen Deportation nach Majdanek berichtete. Bei der Räumung Majdaneks 1944 hatte sie Goldberg im Transport nach Auschwitz nicht ausmachen können.70 Erst 1982 begegneten sich Esther Gessen und Chaika Grossman in Moskau. Ihre Verständigung litt jedoch unter Sprachschwierigkeiten. Da Esthers Hebräisch-Kenntnisse über Jahrzehnte brach gelegen hatten, unterzog sie sich nicht den Mühen, die ihr bei dieser Gelegenheit überreichten Erinnerungen zu lesen.71 Unklar bleibt, ob sie die englische Ausgabe, die ihre Enkelin 1997 aus den USA mitbrachte, gelesen hat, oder ob sie lediglich von Masha Gessen, die sich durch den »ideologischen Ton« an ihre »sowjetische Jugend« erinnert fühlte,72 auf die Aussagen über Goldberg hingewiesen wurde. Vergleicht man den Sprachduktus der von Gessen aus der amerikanischen Grossman-Ausgabe ausgewählten Zitate, 2004 ins Deutsche übersetzt, mit den äquivalenten Text66 67 68
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Ebd., S. 163. Ebd., S. 161–196. Gessens Konstruktionen können geradezu als Deduktion der Interpretationsmuster der Historiker, Isaiah und Aharon Weiss (1), Raul Hilberg (2), gelesen werden. Es ist nicht auszuschließen, dass Goldberg, sollte er mit dem Widerstand zusammengearbeitet haben, den Kontakt mit der als abwartend agierend beschriebenen, kommunistischen Gruppe vorzog, die nicht hauptsächlich aus sehr jungen Mitgliedern bestand und auf die reale Aussicht des Partisanenkampfes im Verbund mit sowjetischen Partisanen setzte. Vgl. Gessen, Esther und Rusja, S. 171 f. Vgl. ebd., S. 173–177. Ebd., S. 177.
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stellen der deutschen Übersetzung von Grossmans Bericht durch die Journalistin Ingrid Strobl aus dem Jahr 1993, erscheinen sie deutlich moderater.73 In der späteren Übersetzung wird Goldbergs Haltung beispielsweise nicht als »selbstzufrieden, sehr selbstzufrieden«, sondern lediglich als »zufrieden, zu zufrieden« bezeichnet. So mag auch Strobl, die zu den Aktivistinnen der bundesrepublikanischen Protestbewegungen der siebziger und achtziger Jahre zählte, in ihrem Duktus dem Bedürfnis gefolgt sein, gesellschaftliche Widersprüche und Konfliktlinien hervorzuheben.74 Dabei war sie für die Probleme der Übersetzung sensibilisiert und bemüht, den Tonfall ihrer Interviewpartnerinnen, sicher auch den der ihr im gemeinsamen Arbeitsprozess mittlerweile freundschaftlich verbundenen Chaika Grossman, wiederzugeben.75 Übersetzer, die unter dem Eindruck einer sich synthetisierenden, entpolitisierenden und populärwissenschaftlich orientierenden Forschungslandschaft der Gegenwart ihre Arbeit aufnehmen, dürften von diesem doppelten Impetus weniger beeinflusst sein. Gessen reiste Ende der neunziger Jahre zu Recherchen nach Białystok, wo sie unter anderem mit dem ehemaligen Staatsanwalt und Vorsitzenden der Bezirkskommission für die Untersuchung der NS-Verbrechen in der Region 73
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Eine ähnliche Beobachtung machte die Verfasserin beim Abgleich der Übersetzung der von Bender in der englischen Vorlage zu ihrem Beitrag in diesem Band zitierten Textstellen aus den Protokollen und Meldungen der Judenräte mit den entsprechenden Stellen in der hier von HansPeter Stähli vorgelegten Übersetzung. Es muss offen bleiben, ob der sprachliche Transformationsprozess vom Hebräischen ins Englische und wiederum vom Englischen ins Deutsche, oder aber die thematische Unbedarftheit der Übersetzerin Benders empathisch erscheinende Beschreibung des Białystoker Judenrats forciert. Beim Abgleich der Übersetzungen der Zitate im Beitrag von Monika Polit in diesem Band durch thematisch nicht eingearbeitete Übersetzer aus dem Polnischen ins Deutsche einerseits und die Editoren der Chronik des Ghettos Litzmannstadt andererseits, ließ sich eine gegensätzliche Beobachtung machen. Die These der Verfasserin zur propagandistischen Sprache und Strategie des Vorsitzenden des Judenrats im Ghetto Litzmannstadt, Mordechai Chaim Rumkowski, wird, greift man auf die Übersetzung der Editoren zurück, geschwächt. Festzuhalten bleibt, dass durch Übersetzung bedingte Verschiebungen, teilweise auch nur in Nuancen des Sprachgebrauchs, die (Be-)Wertung der Judenräte beeinflussen können. Strobl (*1952) forschte und publizierte bereits über den Widerstand von Frauen im Nationalsozialismus und insbesondere über den jüdischen und den bewaffneten Widerstand von Frauen, als das Thema in der historischen Forschung noch weitgehend unbearbeitet war. Ihre fundierten Recherchen sind von dem Anspruch getragen, die aufgrund eines »dreifachen Stigmas« – weiblich, jüdisch, kommunistisch – seit der unmittelbaren Nachkriegszeit in Gesellschaft und Forschung ausgeblendeten Leistungen der Widerstandskämpferinnen zu würdigen. Ihr Interesse am Widerstand von Frauen lässt sich auch biographisch deuten. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wurde die Feministin verdächtigt, eine Aktion der Gruppe Rote Zora, einer feministischen Abspaltung der Revolutionären Zellen, unterstützt zu haben. Das Urteil des OLG Düsseldorf wurde 1990 durch den BGH aufgehoben. Vgl. DER SPIEGEL 21/1990 vom 21. Mai 1990, S. 68–73. Ihre während der Haft fertiggestellten Reportagen »Sag nie, du gehst den letzten Weg« verstehen sich explizit als Hommage an die »unbekannten Heldinnen« der Geschichte, unter denen auch Grossman ihren Platz findet (ebd., Kapitel Białystok. »Chajkele, wohin gehst Du?«, S. 247-258). Siehe auch dies., Das Feld des Vergessens. Jüdischer Widerstand und deutsche »Vergangenheitsbewältigung«, Berlin/Amsterdam 1994; dies./Georg Heuberger/ Arno Lustiger (Hg.), Im Kampf gegen Besatzung und »Endlösung«. Widerstand der Juden in Europa 1939–1945, Frankfurt a.M. 1995. Vgl. Strobl, »Die Angst kam erst danach«, S. 39.
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Białystok, Waldemar Monkiewicz,76 zusammen traf. Er bestätigt ihr, dass Goldberg mit dem Widerstand zusammengearbeitet habe, kann aber nicht mehr rekonstruieren, welche Quelle seiner Auffassung zugrunde liegt.77 Ihre Begegnung mit der israelischen Historikerin Sara Bender, Tochter des ShoahÜberlebenden Zwi Lipszyc,78 zu Beginn des Jahres 2000 in Tel Aviv schildert Gessen durchaus lebhaft. »Dein Großvater war kein Kollaborateur!«, habe ihr Bender schon bei Betreten des Treffpunkts zugerufen.79 Mit Benders Expertise schließt sich für Gessen der Kreis ihres aus wohlabgewogenen Fakten und Fiktionen gewonnenen Erkenntnisprozesses: »Als Regina Wojskowska 1944 Bella erzählte, ihr Jakub sei Mitglied des Judenrats gewesen und habe den Widerstand unterstützt, enthielt diese Mitteilung noch keinen offensichtlichen Widerspruch. Die Geschichte war noch nicht geschrieben. […] Ich, die ich in den Vereinigten Staaten gelebt habe, wo die Dichotomie zwischen jüdischen Helden und jüdischen Verrätern als historische Tatsache etabliert war, hörte meiner Großmutter selektiv zu und strich den Judenrat zugunsten des Widerstands. Bis ich auf Haika Grossmans Buch stieß.«80 Letztlich findet auch Gessens Suche nach einer moralischen Schlussfolgerung Antwort: Ihr Urgroßvater habe einen »anständigen Kompromiss«81 gesucht, aber einen solchen gebe es nicht. Goldbergs Tochter Esther hat die Vernichtung der Białystoker Juden überlebt, weil sie 1940 ihr Literaturstudium in Moskau aufnahm. Sie erzählt, wie sie im November 1941 mit ihren Kommilitonen in das turkmenische Aschchabad evakuiert worden war und von allein quer durch die Sowjetunion gereist sei, nachdem sie Kontakt zu ihrer unterdessen nach Bijsk in Sibirien deportierten Mutter herstellen konnte. In Bijsk sei es ihr nur mühsam gelungen, sich den Anwerbeversuchen des Geheimdienstes zu entziehen. Ebenso schwierig sei es gewesen, nach dem Krieg in Moskau ein Arbeitsangebot als Übersetzerin für den Geheimdienst abzulehnen. Eine intellektuelle Nische fand Esther Gessen 1949 in der Tätigkeit als Redakteurin und Übersetzerin der polnischen Abtei-
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Monkiewicz verfasste zahlreiche Publikationen zur NS-Okkupation in der Region Białystok. Siehe z.B. Waldemar Monkiewicz, Zagłada ludno´sci Z˙ydowskiej w Białymstoku [Die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Białystok], Białystok 1983. Vgl. Gessen, Esther und Rusja, S. 183. Der in Grajewo geborene und aufgewachsene Zwi Lipszyc kam 1940 nach Grodno, wo er von 1941 bis Anfang 1943 im Ghetto lebte, bis es ihm mit Hilfe eines Polen gelang, nach Wilna zu fliehen. Lipszyc stellte sich dem Bielefelder Schwurgericht im sogenannten Białystok-Prozess (1965–1967) als Zeuge zur Verfügung. Vgl. Vernehmung des Zeugen Zwi Lipszyc in der Hauptverhandlung der Strafsache gegen Dr. Altenloh u.A. (5 Ks 1/65) vom 27. April 1966, in: L/ AOWL, D 21 A, 6341, Tonband 19 Vorderseite, und das Urteil 5 Ks 1/65 (hier: S. 283, 285, 287, 289, 292, 296, 365). Letzteres ist veröffentlicht auf der CD-Beilage zu Freia Anders/HaukeHendrik Kutscher/Katrin Stoll (Hg.), Bialystok in Bielefeld. NS-Verbrechen vor dem Bielefelder Landgericht 1958–1967, Bielefeld 2003. Vgl. Gessen, Esther und Rusja, S. 187. Ebd., S. 183. Ebd., S. 187 f.
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lung der Zeitschrift Sowjetskaja literatura na inostrannych jazykach,82 bei der sie bis zur Berentung 1990 blieb. In der Sowjetunion und im heutigen Russland lebte sie ohne öffentliche Kontroversen über Judenräte. Aber auch ihre Erinnerung reibt sich an den verschriftlichten Zeugnissen. Sie bestimmen ihre Erzählweise über ihren Vater heute mit. Im Gespräch mit der Verfasserin und ihrer Übersetzerin zeigen sich die methodischen Implikationen der Oral History überdeutlich. Der ›Beziehungsaspekt‹ der Gesprächssituation ist davon geprägt, dass Esther Gessen zwar Verständnis für die Neugierde der Historikerinnen hat, aber selbst auch gerne Neues erfährt. Sie interessiert sich für die Wege der Geschichtsforschung, die Arbeitsschwerpunkte ihrer Interviewerinnen, für die gegenwärtige Situation in Deutschland und in Polen. In der biographischen Kommunikation mit der jüngeren russischen Übersetzerin übernimmt sie die Rolle der Expertin, indem sie über die Verhältnisse in der Sowjetunion reflektiert.83 Erst nach und nach gelangen die Erinnerungen an ihren Vater in den Vordergrund. Dabei nimmt sie die Schlüsselgeschichten auf, die ihre Enkelin Masha Gessen, der Erzählweise der Großmutter sehr nahe, ansprechend verarbeitet hat und die in der Familiensaga nachgelesen werden können: Beschreibungen ihrer geborgenen Kindheit in einem säkularisierten Elternhaus, der unterschiedlichen politischen Ansichten ihrer Eltern, des Zionisten und der Bundistin, besonders in der Klassenfrage, die auch von den Erinnerungen an die Erzählungen der 1956 verstorbenen Bella Goldberg geprägt sein mögen. Präsent wird der stattlich und resolut geschilderte Goldberg in den Erfahrungen der Jugendlichen mit dem polnischen Antisemitismus, insbesondere in einer Erzählung, nach der er einen polnischen studentischen Verehrer seiner gerade dreizehn Jahre alten Tochter aus dem Haus geworfen habe, weil er ihn tags zuvor als Teilnehmer einer antisemitischen Demonstration beobachtet hatte. Gegenüber der Mitgliedschaft seiner Tochter bei Haschomer Hatzair und ihrem sozialistisch eingestellten Jugendfreund aus einfachem Hause habe ihn eine zwiespältige, aber tolerante Haltung ausgezeichnet.84 Weil er aufgrund der Erfahrung mit der ersten Besetzung Białystoks durch die Deutschen im September 1939 seine Tochter statt – wie bisher geplant – irgendwann in Jerusalem, lieber hinter künftigen Frontlinien gesehen habe, habe er ein Studium in Moskau befürwortet.85 Goldbergs Mitgliedschaft im Judenrat wird erst zum Gesprächsgegenstand, als Esther Gessen in der Abschlussphase des über mehrere Tage durchgeführten Interviews von der Verfasserin gefragt wird, wie ihr das Buch ihrer Enkelin gefallen habe: 82
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Nachfolgezeitschrift der Internacionalnaja literatura, dem 1931 gegründeten »Zentralorgan der Internationalen Vereinigung Revolutionärer Schriftsteller«. Zu den eindrücklich geschilderten Erlebnissen zählt die Wiederbegegnung mit ihrer Mutter im sibirischen Bijsk im April 1942. Bella Goldberg war zusammen mit ihrem Mann während der letzten Verhaftungswelle im sowjetisch besetzten Białystok vom 19./20. Juli 1941 festgenommen worden. Weil sie einer leichteren Kategorie der »Unzuverlässigen« als ihr Ehemann zugeordnet wurde, wurde sie nur wenige Tage vor der erneuten Okkupation durch die deutsche Wehrmacht in die Verbannung geschickt. Vgl. Gessen, Esther und Rusja, S. 86 f. Vgl. ebd., S. 21–33. Vgl. ebd., S. 57 f., ferner S. 63 ff.
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»Dieses Buch ist auf Englisch. Es gibt es weder auf Polnisch noch auf Russisch. Es war mir nicht leicht, es zu lesen, aber ich habe es doch geschafft, mehr oder weniger […]. Ich habe wenig im Gedächtnis behalten. Aber etwas habe ich im Gedächtnis behalten. Das Einzige, was ich im Gedächtnis behalten habe. Ich habe mich sogar schrecklich empört. Denn – ich habe Ihnen ja schon erzählt – mein Papa war im Judenrat. Sie hatte dort geschrieben, dass er ein Verräter war. Solch eine Folgerung. Dann schrieb sie zum Schluss aber noch eine andere Folgerung. Sie traf sich meiner Meinung nach in Israel mit einer Frau, die meinen Papa ganz gut kannte. Die empörte sich schrecklich, was sie über ihn geschrieben hatte. Sie schrie sie schrecklich an: ›Er half dort‹ und so weiter. Sie erkannte, dass sie wahrscheinlich nicht recht hatte. So schrieb sie am Ende des Buches eine andere Folgerung. […] Also außer dem Kapitel über meinen Papa, über das ich mich schrecklich empöre, hat es mir gefallen. Sie schreibt aber dort tatsächlich […], dass einige solche Juden für Kollaborateure gehalten haben, die anderen für Helden, aber sie hält sie für Kollaborateure. […].«86 Als die Verfasserin Esther Gessen nach ihrer Meinung zu Chaika Grossmans Buch fragt, wird ihr Unmut über das, was über ihren Vater geschrieben wurde, noch deutlicher: »Sie interessiert mich nicht […]. Zum Beispiel gefiel es mir nicht, wie sie über meinen Vater geschrieben hatte. Mein Vater war im Judenrat [...] und Chaika Grossman hat das sehr verurteilt, obwohl sie eine Klausel machte.«87 Für Esther Gessen haben sich die ihr im Laufe der Zeit zugänglich gewordenen Informationen zu einem stimmigen Bild ohne Widersprüche gefügt: »Einige meinten, dass das Zusammenarbeit mit den Deutschen war. Papa war wirklich im Judenrat, er half Waffen in Białystok einzuführen. In Białystok war im Jahre 1943 ein Aufstand. Er half die Waffen auf dem Ghettoterritorium einzuführen. Er eröffnete dort im Ghetto ein Altenwohnheim und eine Speisegaststätte für die armen Menschen. Er half auf jede Weise. Später sendeten meine Landsleute, die jetzt in Israel leben, Ausschnitte aus Memoiren von denen, die das Ghetto in Białystok erlebt hatten. Dort waren einzelne Seiten, 86
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»Ona po-anglijski qta kniøka. Ee net ni po-pol´ski, ni po-russki. Tak hto mne b´Ëlo ne tak prosto hitat´, no vse-taki å odolela, bolee-menee [...] Ä malo hto zapomnila. No å, meødu prohim, zapomnila. Edinstvennoe, hto å zapomnila. Ä daøe straπno voznegodovala. Poskol´ku å Vam govorila, moj papa b´Ël v üdenrate. Ona tam napisala, hto on b´Ël voobwe predatel´. Takoe zaklühenie. Potom ona napisala v konce drugoe uøe zaklühenie. Po-moemu, v Izraile ona vstretilas´, poznakomilas´ s øenwinoj, kotoraå xoro‚o znala moego papu, kotoraå stra‚no vozmutilas´ tem, to ona o nem napisala. Stra‚no na nee nakrihala: On tam pomogal? i tak dalee. Ona xoçet skazat´, ohevidno, ona b´Ëla ne prava. Tak ona v konce knigi napisala. [...] Nu, vot, za isklœheniem glav´Ë pro moego papu, po kotoroj å stra‚no vozmuwena. Ona pi‚et tam, pravda, vnahale, hto odni shitali vot takix evreev kollaboracionistami, a drugie shitali geroåmi, no ona shitaet ix kollaboracionistami.« Esther Gessen im Gespräch mit der Verfasserin. Gessen zog es gegenüber dem gemeinsamen Gebrauch des Englischen vor, ihre Erinnerungen in ihrer Alltagssprache Russisch zu erzählen. Zu den Auswirkungen von Übersetzungen auf den Inhalts- und Beziehungsaspekt der Kommunikation, insbesondere der Reduktion von Details, vgl. Ulrike Jureit/Karin Orth, Überlebensgeschichten. Gespräche mit Überlebenden des KZ-Neuengamme, Hamburg 1994, S. 201 ff. »Mne ona [Grossman] neinteresna [...]. Naprimer, mne ne ponravilos´, kak ona pisala o moem otce. Moj otec bæËl v üdenrate [...] i Xajka Grossmann qto ohen´ osuødala. Ona, pravda, sdelala takuü ogovorku.« Esther Gessen im Gespräch mit der Verfasserin.
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auf welchen man über meinen Vater erzählte. Man erzählte davon, dass er als Mitglied des Judenrates Möglichkeiten hatte, die Möglichkeiten, die andere nicht hatten, über Waffen und Waisenkinderheime […].«88 Der Historiker Dan Diner hat unter Berufung auf Jehuda Bauer darauf hingewiesen, dass sich die »vor allem im jüdischen Gedächtnis überscharf gezeichnete Trennungslinie zwischen ›Judenrat‹ und Widerstand […] gemessen an den historischen Befunden, kaum halten« lasse, sei doch die »Zusammenarbeit […] gang und gäbe« gewesen.89 Für Goldbergs Tochter Esther hat diese Trennlinie nie existiert.
III. Spuren der Dokumente Eine Auswertung der hier vorliegenden Dokumente, der Meldungen und Protokolle des Białystoker Judenrats, kann dem Bedürfnis nach Antwort auf die großen moralischen Fragen, nach Widerstand, Kollaboration, persönlicher und politischer Integrität, nicht gerecht werden. Sie können auch keine Auskunft darüber geben, in welchem Verhältnis Goldberg zu den Widerstandsgruppen stand, ob und inwieweit er sich an Aktionen, insbesondere dem genannten Waffenschmuggel beteiligt hat. Auch Tenenbaums Tagebuch belegt lediglich Absprachen zwischen den Trägergruppen des militanten Widerstands und dem Judenrat. Auf der Basis der gegenwärtigen Quellenkenntnis der Verfasserin lässt sich nicht beurteilen, inwieweit Goldberg in Widerstandsaktivitäten involviert war. Goldbergs Rolle im Judenrat, seine Leistungen und Positionierungen zu Fragen des sozialen Lebens im Ghetto lassen sich jedoch anhand der Protokolle für die Zeit zwischen August 1941 und November 1942 näher fassen. Die Protokolle belegen Goldbergs Teilnahme an den meisten Sitzungen des Judenrats und der Abteilungsleiter.90 Einmal war er verhindert, weil er, wie aus dem Protokoll vom 3. Oktober 1941 hervorgeht, von den deutschen Behörden festgenommen worden war. Dem Protokoll ist zu entnehmen, dass der Polizeipräsident auf Barasz’ Intervention hin Goldbergs Freilassung verspro-
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»Odni shitaüt, hto qto b´Ëlo sotrudnihestvo s nemcami. Papa lejstvitel´no b´Ël v œdenrate, on pomogal vvozit´ oruøie v ¿elostok. V ¿elostoke v 1943 godu b´Ëlo vosstanie. On pomogal vvozit´ oruøie na territoriœ getto. On tam v getto otkr´Ël dom dlå prestarel´Ëx i stolovuœ dlå bedn´Ëx. On vsåheski pomogal. Mne potom moi zemlåki, kotor´Ëe teper´ øivut v Izraile, pris´Ëlali mne otr´Ëvki iz memuarov tex, kto pereøil getto v ¿elostoke, tam b´Ëli otdel´n´Ëe stranic´Ë, gde rasskaz´Ëvalos´ pro moego otca. V nix rasskaz´Ëvalos´, hto kak hlen üdenrata u nego b´Ëli voz! moønosti, kotor´Ëx ne b´Ëlo u drugix, pro oruøie, priüt dlå sirot.« Ebd. Dan Diner, Die Perspektive des »Judenrats«. Zur universellen Bedeutung einer partikularen Erfahrung, in: Doron Kiesel u.a. (Hg.), »Wer zum Leben, wer zum Tod …«. Strategien jüdischen Überlebens im Ghetto, Frankfurt a.M. 1992, S. 11–37, hier: S. 17. Seine Teilnahme an den Sitzungen vom 19. Oktober und 23. November 1941, 27. Januar, 2. und 5. Februar, 4. April sowie 10. Oktober 1942, an den »Allgemeinen Versammlungen« in der Linas Hacedek am 5. April, 21. Juni und 16. August 1942 sowie an der Sitzung der Abteilungsleiter vom 25. Juli 1942 ist anhand der Protokolle nicht nachweisbar. Möglich ist aber auch, dass Anwesenheit und Wortmeldung nicht protokolliert wurden.
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chen und sich für den Vorfall entschuldigt habe.91 Anlass und Umstände der Haft lassen sich jedoch nicht klären. Die Dokumente zeigen, dass Goldberg die Beschlüsse des Judenrats kontinuierlich mitträgt. Dabei zeigt er als Mitglied des Präsidiums, das in seinen Beratungen wiederholt Vorentscheidungen traf,92 und diverser Kommissionen über seine Abteilung hinaus streitbare Präsenz,93 Pragmatismus und klare Ordnungsvorstellungen. Es ist mit Bender davon auszugehen, dass das Präsidium des Judenrats geschlossen hinter der Strategie »Rettung durch Arbeit« stand, auch wenn das Präsidiumsmitglied Liman94 sein im Ghetto verhasstes Amt95 als Leiter der Arbeitsabteilung niederlegte.96 Auch für Goldberg ist anzunehmen, dass er Barasz in dieser Hinsicht unterstützte.97 Belegt wird die Verbundenheit mit Barasz durch das Protokoll vom 1. März 1942. Vor dem Hintergrund der allgemein mit Stolz wahrgenommenen, sich ausdehnenden Entwicklung der Ghettoindustrie und den Plänen der Besatzungsbehörden, eine deutsche Ghettoverwaltung einzurichten, kam das Präsidium zu dem Schluss, dass Barasz aufgrund seiner »diplomatischen« Fähigkeiten auch das Amt des Leiters der Industrie übernehmen sollte, während Pesah Melnicki98 – nachdem er im Rat die Vertrauensfrage gestellt hatte – als technischer Leiter und Stellvertreter im Amt bleiben sollte. Es war Goldberg, der den Leitungswechsel zugunsten einer strafferen Amtsführung forciert hatte, und der sich in dieser Angelegenheit zugunsten optimierter Funktionsabläufe gegenüber Melnicki durchsetzen konnte: »Es gibt hier auch interne Mängel, wir müssen eine starke Hand haben. Ich negiere nicht die Verdienste von H. Melnicki, aber es muss noch viel geregelt werden.« Von Melnicki erwartete er, dass dieser trotz der persönlichen Zurücksetzung, seine Fähigkeiten weiterhin einbrachte: »Alle Menschen sind ersetzbar, aber von eurer Seite ist doch dies ein Verbrechen, weil ihr ja meint, dass das schaden werde. […] ihr habt kein Recht 91 92
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Vgl. Sitzung des Judenrats vom 3. Oktober 1941. So z.B. bei außerordentlichen Sammlungen bzw. Rücklagen für besondere Bedürfnislagen, hier einer Kleidersammlung. Vgl. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 29. November 1942. Vgl. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 3. August 1941. Nach Rajzner kam Liman aus Slonim. Er führt ihn fälschlicherweise als Leiter der Industrieabteilung an. Den Leiter der Industrieabteilung, Melnicki, erwähnt er nicht. Es muss offen bleiben, ob sich die Charakterisierung auf Liman oder Melnicki bezieht: »Liman […] was very energetic when it came to getting factories started. He was not beyond using force to get equipment, which made him many enemies. Despite this he had the people’s own wishes at heart. By creating as many jobs as possible inside the ghetto, he hoped to spare them the dangers of having to work outside it.« Zur Arbeitsabteilung schreibt er: »The people hated this office and its management.« Daher habe Barasz den Leiter der Abteilung für Außenarbeit mindestens dreimal auswechseln müssen. Rajzner/Lew, The Stories, S. 57, Zitate S. 71 f. Vgl. ebd., S. 72. Bender geht von »bedingungslos[er]« Unterstützung aus. Sie bezieht sich auf Subotniks Wortmeldung vom 28. Juni 1942 anlässlich des ersten Jahrestags des Ghettos und auf die Aussagen von Subotnik, Goldberg und Rozenman am 11. Oktober 1942. Bender, The Jews of Białystok, S. 122, Zitat: S. 127. Blumenthal nennt Goldberg Barasz’ »staunched supporter«. Vgl. Blumenthal, Introduction, in: Darko shel Yudenrat, S. XXX. Vgl. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 3. August 1941.
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zurückzutreten.«99 Nicht nur von den Ratskollegen, sondern auch von den Mitarbeitern der Behörde forderte Goldberg in erster Linie Integrität, Pflichterfüllung und Disziplin ein. Dazu zählte für ihn auch, sich gemeinnütziger Arbeit, wie beispielsweise Schneeschippen, nicht zu entziehen100 und den Dienst pünktlich anzutreten.101 Vor allem aber hielt Goldberg es für notwendig, die in der Regel nur mit Lebensmitteln vergüteten Angestellten zu kontrollieren und Fällen von Amtsmissbrauch und Verstößen gegen die Verordnungen nachzugehen.102 Goldbergs Mitgliedschaft in den diversen Kommissionen zeigt, dass er jederzeit Verantwortung für die Gremienarbeit übernahm.103 Die anderen Präsidiumsmitglieder wussten seine Tatkraft auch bei besonders diffizilen Aufgaben zu schätzen. Als die Arbeitsabteilung mal wieder Schwierigkeiten hatte, das von den deutschen Behörden geforderte Arbeitskräftekontingent zu stellen, wurde die »Aufgabe, Ordnung in die Angelegenheit des Arbeitseinsatzes zu bringen« Goldberg übertragen, von dem seine Kollegen wussten, dass er »stets Hilfe in solchen schweren Notfällen« wisse.104 Als die deutschen Behörden im November 1942 das Ghetto verkleinerten, war es Goldberg, der auf Vorschlag des Leiters der Finanzabteilung, B. Subotnik, von den anderen Amtsinhabern mit der Umsiedlung und der Leitung einer entsprechenden Wohnungskommission betraut wurde.105 Auch die öffentliche Repräsentation nahm Goldberg neben anderen Mitgliedern des Präsidiums wahr. Überliefert sind Fragmente dreier Reden, die er auf den Allgemeinen Versammlungen in der Linas Hacedek hielt.106 Sein in den Protokollen im Auszug enthaltener Redebeitrag zur »Feier: ein Jahr seit Errichtung des Ghettos«107 soll hier in ganzer Länge wiedergegeben werden, da er für Goldbergs öffentliche Ansprachen typische Argumentationsmuster enthält: »Verehrte Versammelte! Man darf nicht beim vergangenen Jahr allein stehenbleiben. Lasst uns wünschen, dass wir uns am 29-ten Juni 1943 alle treffen können! Der einen Stadt unseres Bezirks, die bis jetzt besser gelebt hat als wir, ohne ein Ghetto, droht heute – der Untergang. Ich kenne den Obmann dieses Städtchens zufällig persönlich, und sein Schicksal ist mir heute nicht mehr bekannt […] Es ist ein Gebot der Stunde zu erwähnen, dass es eine Zeit ist, da es keinen Ort für persönliche Interessen gibt. Man muss warten und überleben. Alle wissen, dass man hier keine Komplimente den Menschen hat machen wollen, die an der Spitze stehen, man will nur die Gesamtheit retten, und deshalb, wer dies missbraucht, gefährdet sich und das ganze Ghetto. Es gibt Men99 100 101 102 103
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Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 1. März 1942. Vgl. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 14. Februar 1942. Vgl. Protokoll der Sitzung der Abteilungsleiter des Judenrats am 3. Januar 1942. Vgl. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 1. November 1941. Siehe auch seine Mitgliedschaft in den in besonders prekären Lagen neu gegründeten Finanzkommissionen, vgl. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 1. November 1941 und vom 22. März 1942. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 8. November 1942. Vgl. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 11. November 1942. Vgl. Protokoll der Allgemeinen Versammlung vom 9. November 1941 und vom 1. Februar 1942. Vgl. hierzu Anm. 89 der Einleitung dieses Bandes.
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schen, welche die heutige Lage für sich ausnützen wollen. Nicht alle verstehen, dass wir uns retten müssen und nicht private Interessen zu pflegen haben. Alle unsere Versammlungen und Reden sind Worte, die aus dem Herzen kommen, aber leider nicht zu Herzen gehen. Es gibt Menschen auf verantwortungsvollen Posten, die diese zum eigenen Nutzen ausnützen. Wir, der Judenrat, haben im Lauf des vergangenen Jahres alles ehrlich getan, um das Ghetto zu retten. H. Ing. Barasz hat schon darauf aufmerksam gemacht, dass es bei uns keine Parteipolitik gibt, wir gehören alle zu einer Partei von ehrlichen für das Gemeinwohl Tätigen, die voll bereit sind, ihre eigenen Interessen zu opfern. Aber man muss das ganze Ghetto beeinflussen. Es gibt offensichtlich noch Menschen, denen es zu gut geht und die alle Vergnügen dieser Welt wollen. Unsere Pflicht: Darauf achten, dass in unseren Reihen Ehrlichkeit und Pünktlichkeit beim Erfüllen unserer Aufgaben herrschen. Wenn wir auf diesem Weg gehen, werden wir hoffentlich bessere Zeiten erleben. (Beifall).«108 Goldberg pflegte keineswegs Illusionen über den bevorstehenden Untergang, wie sein Hinweis auf die namentlich nicht genannte Stadt zeigt. Die Schreckensnachrichten aus dem Bezirk sind der Aufhänger seines Appells, individuelle Interessen zugunsten einer minimalen Überlebenschance einer von ihm nicht näher definierten Gesamtheit zurückzustellen. Er ist sich bewusst, dass der Judenrat wenig Ansehen genießt und seine Rede die Herzen der Bevölkerung kaum erreichen wird. Seine Rede zielte vornehmlich auf die Angehörigen der Behörde. Indem er eine duale Zuordnung vornimmt, in einen sich unter persönlichen Opfern um das Gemeinwohl sorgenden Teil, dem der hier wider Goldbergs sonstige Einschätzung als Einheit beschriebene Rat vorangeht, dem Einzelne gegenüberständen, die ihre Positionen ausnutzen würden oder denen es »immer noch zu gut« gehe, versucht er, seine Zuhörer von der Notwendigkeit tugendhafter Aufgabenerfüllung zu überzeugen. Eine andere Möglichkeit, die Glaubwürdigkeit des Rates zu verbessern und damit dem fortschreitenden Legitimationsverlust entgegenzuwirken, dürfte er nicht gesehen haben. Goldbergs Rede zeigt auch, dass er sich bereits zeitgenössisch mit Zuschreibungstopoi institutioneller und persönlicher (Mit-)Verantwortung auseinandersetzen musste. Die Vorwürfe, denen er begegnete, sollten später lange die Darstellungen der Judenräte in autobiographischen Texten und Erinnerungsberichten prägen. Sie stehen im Zusammenhang mit der Wahrnehmung der sozialen Lage im Ghetto, der »Demoralisierung« der Gesellschaft durch persönliche Vorteilsnahme beziehungsweise Korruption sowie der Umsetzung der nationalsozialistischen Exklusions- und Vernichtungspolitik.109 Es kann herausgefiltert werden, welche Aussagen man anhand der Protokolle über Goldbergs Positionierung zu diesen Problemkreisen treffen kann. Bender geht davon aus, dass die von Goldberg geleitete Versorgungsabteilung entscheidend zur Verbesserung der sozialen Lage im Ghetto beigetragen habe. Die Abteilung habe nicht nur die von der deutschen Zivilverwaltung zugestandenen Lebensmittel und Brennstoffe unter der Bevölkerung des Ghet108 109
Protokoll der Feier zum einjährigen Bestehen des Ghettos 1942. Siehe hierzu den Beitrag von Monika Tokarzewska in diesem Band.
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tos und den öffentlichen Einrichtungen verteilt, sondern sei auch zum ausschließlichen Versorger für Tausende von Judenratsangestellten und Fabrikarbeitern geworden. Zu den besonderen Leistungen zählt sie den Aufbau von Milchbetrieben und das Anlegen von Gemüsegärten. Somit kann Goldberg mit zugerechnet werden, wenn »die Bewohner des Białystoker Ghettos nicht an Hunger starben«. Vielleicht kann man sogar sagen, dass der anfängliche Erfolg seiner Bemühungen dafür sorgte, dass das Ghetto »keinen Hunger« litt.110 Im Winter 1942 fiel der Beschluss, seinem Verantwortungsbereich, der auch die Lebensmittelversorgung der Heime und Krankenhäuser umfasste,111 eine weitere (koschere) »Volksküche« für die Ärmsten der Armen zuzuordnen.112 Goldberg konnte bereits früh mit Erfolgen aufwarten. Während andere Abteilungen noch nicht arbeitsfähig waren, hatte er bereits am 12. August 1941 vermelden können, dass seine Abteilung bereits in den nächsten Tagen Brot herausgeben würde.113 Auch hinsichtlich der Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzungsbehörden stellte sich für Goldberg ein unverzüglicher Erfolg ein: » Alle Forderungen, die wir an den Magistrat gestellt haben, sind zu 100% erledigt worden.«114 Goldberg ließ sich jedoch von diesen Anfangserfolgen nicht blenden. Eine knappe Woche später brachte er die Versorgungsprobleme des Ghettos erstmals im Judenrat zur Sprache. Danach litt die Approvisation unter logistischen Mängeln, zudem schien es notwendig, die Überführung von Lebensmitteln durch die Miliz sichern zu lassen.115 Die Versorgungsfrage würde ihn künftig unter stetigen Rechtfertigungszwang vor seinen Kollegen setzen, ohne dass es je in seiner Macht gestanden hätte, den Bedürfnissen gerecht zu werden. Auch die Unterbringungsfrage ließ Goldberg keine Ruhe. Er war es, der bereits in den ersten Wochen des Ghettos darauf hinwies, dass die Unterbringung von fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung bisher nicht gewährleistet sei.116 Bereits während der ersten Sitzung des sich neu konstituierenden Judenrats vom 2. August 1942 hatte er als Angehöriger einer neu gewählten Kommission117 dafür plädiert, die Wohnungsfürsorge durch eine vom Rat ausgehende Kontrollgruppe zu sichern. Barasz setzte demgegenüber auf freiwillige Angaben der Bevölkerung. Schon hier zeigte sich, dass Goldberg im Vergleich mit Barasz durchaus bereit sein konnte, bürokratischere Kontrollstrukturen zu etablieren und härtere Sanktionen in Betracht zu ziehen, sich aber nicht
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Siehe den Beitrag von Sara Bender in diesem Band und dies., The Jews of Białystok, S. 107, 138, 142. Vgl. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 22. März 1942. Vgl. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 20. Dezember 1942. Vgl. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 12. August 1941. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 14. August 1941. Vgl. Protokoll der Sitzung der Abteilungsleiter des Judenrats am 20. August 1941. Zu weiteren Versorgungsschwierigkeiten vgl. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 2. Mai 1942. Vgl. Protokoll der Sitzung der Abteilungsleiter des Judenrats vom 20. August 1941. Der Kommission, die eine Liste der leitenden Organe aufstellen sollte, gehörten neben Goldberg Markus, Melnicki, Dr. Kerszman und Ing. Szmigelski an. Vgl. Protokoll des neugewählten Judenrats vom 2. August 1941.
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unbedingt damit durchsetzen konnte.118 Die Wohnungsabteilung betrachtete Goldberg in der Folgezeit mit besonderem Misstrauen, ging er doch davon aus, dass dort »Protektionismus« herrsche.119 Der Kampf um die Glaubwürdigkeit der Institution Judenrat gegenüber der Ghettobevölkerung und damit um die Akzeptanz der Institution scheint zu den zentralen Anliegen Goldbergs gezählt zu haben. Geht man vom Umfang der Goldberg persönlich zuordenbaren, protokollierten Äußerungen aus, fällt auf, dass sich viele seiner Wortbeiträge gegen Protektionismus und Korruption richten. Eng damit verbunden sind seine Polemiken gegen Praktiken, die soziale Ungleichheit im Ghetto kenntlich machten oder forcierten. So sah Goldberg die öffentliche Ordnung durch die (offen zur Schau gestellten) Privilegien der Begüterten durchaus gefährdet. Mit Barasz scheint er einig gewesen zu sein, dass es »frech und sehr unanständig« aussehe, wenn »Luxussachen und -produkte verkauft« würden, »die sich im Ghetto kaum ein Prozent der Bevölkerung erlauben« könne. Aktiv nahm Goldberg an der gemeinsamen Erörterung des Problems teil, nach der eine Reihe von Beschlüssen gefasst wurde. Die Herstellung von Weißmehlprodukten, der »Handel mit Fleisch, Fisch, Fett, Weißmehl, Grütze, Kakao usw. auf dem Markt« und in den Geschäften sollte verboten und der Straßenhandel mit Zigaretten über entsprechende Kioske kanalisiert werden. Beschlossen wurde auch, keine neuen Geschäfte in der Kupiecka-Gasse zuzulassen und »öffentliche Restaurants an der Front[seite] der Gassen« zu verbieten, vor allem jedoch den Schmuggel zu bekämpfen.120 Es ist jedoch nicht Barasz selbst, – hier lässt sich eine bewusst gewählte Arbeitsteilung nach dem good guy/bad guy-Prinzip zwischen den beiden Männern vermuten – der die unpopulären Maßnahmen der Ghettoöffentlichkeit verkündet, sondern Goldberg, der die Maßnahmen in der Allgemeinen Versammlung vom 1. Februar 1942 ankündigt, rechtfertigt und die Bevölkerung zur aktiven Unterstützung der Maßnahmen aufruft. Dabei verweist er immer wieder auf die Gefahr, die von der »andern Seite des Ghettos« drohe. Ihm bleibt nur, sein Anliegen mit konkreten, eingängigen Beispielen und deutlichen Warnungen vor dem Vernichtungswillen der deutschen Machthaber zu illustrieren, auch wenn dieser nie explizit benannt wird.121 Ein halbes Jahr später ist es an ihm, öffentlich zuzugestehen, dass Verbote und Apelle erfolglos geblieben sind. 118
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Nach dem Protokoll des neugewählten Judenrats vom 3. August 1941 sollte Goldberg auch an den Kommissionen zur Bildung der Administration sowie des Finanz- und Quartierwesens mitwirken. Auf seinen Vorschlag hin wurde eine Budgetkommission für außergewöhnliche Ausgaben des Judenrats gegründet. Vgl. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 28. August 1941. Das Phänomen, dass Goldberg gelegentlich bereit war, härter durchzugreifen als Barasz, zeigt sich auch an seiner Forderung, die Besitzer der von den Deutschen eingezogenen Kühe über eine der Bevölkerung auferlegte Steuer zu entschädigen. Der Protokollant vermerkt wie so häufig, dass die Diskussion ergebnislos blieb: » Nach einem Meinungsaustausch, an dem sich die HH. […] beteiligen, bleibt die Angelegenheit unerledigt.« Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 14. Februar 1942. Im Zusammenhang mit Wohnungsangelegenheiten übte Goldberg auch Justizkritik. Vgl. Protokoll der Sitzung der Abteilungsleiter vom 10. Januar 1942. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 18. Januar 1942. Protokoll der Allgemeinen Versammlung in der Linas Hacedek vom 1. Februar 1942.
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Über die Reichweite der Proklamationen und die Chance, Gehorsam zu finden, gibt er sich keinerlei Illusion hin. Stattdessen adressiert er die Vollzugsgewalt in einer Gemengelage aus Lob und Ansporn: »Das kommt daher, […] dass alles ruhig vorbei[gegangen] ist; darüber bagatellisiert man alle unsere Drohungen, jetzt aber ist die Lage sehr ernst. […] Wie viele Opfer hat die Fleischfrage schon gekostet, und der Schmuggel von Kühen hört bis jetzt nicht auf. Nur der Ordnungsdienst hätte diesen ausrotten können. Bedauerlicherweise aber ist, wie viel man auch redet – alles umsonst: Der Schmuggel wird sowohl bei Tag wie auch bei Nacht getrieben, und erst gestern hat man bei der deutschen Behörde einen Ochsen gestohlen, und die Spuren haben von Bagnówka ins Ghetto hineingeführt! Allerdings hat unser Ordnungsdienst ihn gefunden, und sie haben den Ochsen konfisziert und abgegeben, denn sie wissen [solches] und können ständig helfen! […] Unsere Geschäfte sind schon bekannt geworden, man hat sie sogar schon fotografiert, und es ist ein Geringes sich vorzustellen, was daraus resultieren kann. Es hat schon größere Sachen gegeben, die in einer Nacht durch ein paar Menschen liquidiert worden sind, und dies wird nicht mehr vorkommen. Es gibt aber Sachen, die nicht liquidiert werden, und man darf sie keinen Augenblick vergessen und nicht bagatellisieren. Ob das die Frage der Arbeit oder der Fabriken oder des Schmuggels ist – alles ist außergewöhnlich wichtig. Vielleicht wird es uns bei unserer großen Anstrengung gelingen zu retten!«122 In der Frage des Schmuggels und Schwarzhandels, die einerseits die soziale Ungleichheit im Ghetto forcierte, andererseits aber zur Stabilisierung der Versorgungslage und zur Verbesserung der Lebensqualität eines Teils der Bevölkerung insgesamt beitrug, herrschte für den Judenrat nur begrenzt Handlungsbedarf. Goldbergs Rede verweist darauf, dass man bereit war, eine Grauzone zuzulassen, zumal sich auch für den Rat Margen abschöpfen ließen. Das bedeutete für den Rat jedoch eine ständige Gratwanderung um den Preis der Demoralisierung.123 Goldbergs Ansprache betont die regulierende Funktion des Ordnungsdienstes, während sie darauf verzichtet, die immanente Sanktionsmacht zu benennen. Nicht bei allen Verstößen gegen die öffentliche Ordnung glaubte Goldberg auf das entsprechende Drohpotential verzichten zu können. Die unter permanenten Budgetproblemen leidende Verwaltung sah sich immer wieder zur Suche nach Ressourcen gezwungen und stieß dabei auf Bevölkerungsgruppen, die sich den mannigfaltigen Tributzahlungen zu entziehen suchten. Es scheint nicht nur gegen Goldbergs Gerechtigkeitsgefühl verstoßen zu haben, dass – wie er auf einer Versammlung der Judenratsbeamten mit dem Judenrat am 2. November 1942 ausführte – »auf den ersten Appell bloß arme Leute reagiert haben; Vermögende – nicht«, sondern auch seine Abneigung gegen Lobbyismus und persönliche Vorteilsnahme bestärkt zu haben. Vor den Angestellten der Behörde wies er darauf hin, dort anzusetzen, wo geringfügig etwas zu holen sei: »Jetzt gibt es Branchen, die gute Geschäfte machen: Fuhrmänner, Händler. Wir müssen bei den 122 123
Protokoll der Speziellen Versammlung im Saal der Linas Hacedek vom 11. Oktober 1942. Vgl. auch Blumenthal, Introduction, in: Darko shel Yudenrat, S. XLIII.
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hochgekommenen Menschen beginnen.«124 Auf der internen Beratung des Judenrats wenige Tage später wurde Goldberg jedoch wesentlich deutlicher und benannte die seiner Ansicht nach in der nachsichtigen Politik des Rates gegenüber den Eliten liegenden Ursachen für dessen Autoritätsdefizite. Mit einem Vorgehen gegen diese hoffte er, die allgemeine Zahlungsmoral heben zu können: »Die Doktoren haben gefeilscht, sind durchgekommen als Korporation,125 und danach feilscht jeder individuell, und am Ende fließt nicht einmal, wie erforderlich, die laut Abmachung zugesagte Summe ein. […] Die Masse verkauft Kissen und bezahlt, die Vermögenden geben nichts. Auch bei Doktoren muss man Durchsuchungen machen und verhaften. Anders werden die übrigen Raten nicht einfließen.«126 Bei dieser Gelegenheit macht er auch vor persönlichen Vorwürfen gegen ein anderes Ratsmitglied, einen stellvertretenden Leiter der Arbeitsabteilung, Szmuel Lifszic, nicht halt. Ihm wirft er vor, »noch nicht einen Groschen von den 25-tausend Rubel einbezahlt« zu haben, »die für ihn festgesetzt worden« seien. Hinsichtlich des Einwandes von Dr. Segal, dass die Verhaftungen durch den Ordnungsdienst nicht wirken würden, lässt Goldberg keine Missverständnisse aufkommen, wie man die Zahlungswilligkeit anregen könne: »Man muss sich mit den Deutschen verständigen, dass sie unerwünschte Elemente nach Pruz˙any wegschicken.« Barasz greift diese explizite Drohung gegenüber den Säumigen auf und will sie noch vor der nächsten Einziehung öffentlich gemacht wissen.127 Es ist wiederum Goldberg, der um Verständnis für den Judenrat werbend die unpopuläre Position gegenüber den Eliten bis hin zur Androhung der Deportation nach außen vertritt. Dabei spricht er in seiner Rhetorik Denunziationsbereitschaft und Sozialneid der Masse an: »Ich habe vorausgesehen, dass wir die größte Schwierigkeit mit den Vermögenden haben werden. Menschen wollen sich vom Vermögen nicht trennen, sie vergessen ihre Lebensgefahr. Nur nach Feilschen, Sanktionen und Rabatten kommen wir zu kleineren Resultaten. Einer hat [uns] sogar vorgeworfen, wir würden seine Milch trinken – das ist die Milch, die wir für Waisen, Alte und Kranke nehmen. Wir sind doch nur Exekutoren der deutschen Behörde. Wir haben gewisse Unterlagen von denen, die bezahlen können. Gebt uns die Informationen, die ihr habt. Das ist jedermanns Pflicht. Wer seine Informationen verheimlicht, begeht ein Verbrechen. Ein Jude, der sich beklagt hat, er habe nichts für Brot, hat nach Androhung von Arrest 18-tausend Rubel statt 15-tausend gegeben, die man vorher von ihm gefordert hat. Das ist die Summe gewesen, die er seinerzeit einem unserer Beamten als Bestechung gegen eine Wegschickung nach Pruz˙any vorgeschlagen hat, und der Beamte hat, natürlich, dies abgelehnt. Damit wir imstande sind, alle Tage die Raten zu bezahlen, müssen wir bei den Vermögenden nehmen. Aber die Intelligenz, wie die Doktoren, zahlen schlecht. Ich meine, dass die Masse die Lage versteht, wir wenden uns 124
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Protokoll der Versammlung der Judenratsbeamten mit dem Judenrat im Saal der Linas Hacedek vom 2. November 1942. Zur Frage der Begünstigung der Korporation siehe auch Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 31. Mai 1942. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 8. November 1941. Ebd.
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an die ganze jüdische Bevölkerung. […] Die Widerspenstigen werden nach Pruz˙any weggeschickt werden müssen.«128 In der Konsequenz seiner Einstellung zu Formen der persönlichen Vorteilsnahme engagierte sich Goldberg für eine interne Säuberung der Behörde und der Ordnungspolizei. In der Affaire Zelikowicz adressierte er eine im Judenrat vorhandene Opposition gegen das Präsidium und scheute nicht davor, die Spannungen aufbrechen zu lassen. Grisha Zelikowicz (hingerichtet 1942) wird in der Literatur zumeist als Gestapo-Informant bezeichnet.129 Die spärlichen Quellenbelege lassen ihn als Kopf einer mafiosen Struktur erahnen. Danach erpresste die Zelikowicz-Gruppe die Bevölkerung und führte »im Namen der Behörde« Konfiskationen und Verhaftungen größeren Ausmaßes durch. Über den ökonomischen Profit hinaus scheint es, als hätte sie mit dem Judenrat um politischen Einfluss konkurriert. Die Protokolle geben an, dass Zelikowicz zwischen den deutschen Behörden und auch im Kontakt mit Mitgliedern des Rats so geschickt agiert habe, dass er die Leitung des Judenrats gefährdet habe, indem er zu beweisen suchte, dass diese Bestechungen an die deutschen Behörden gebe und eine »Gräuelpropaganda« betriebe, die »mit Erschießen der aus Pruz˙any Zurückgekommenen« drohe. Barasz betont, dass Zelikowicz danach »gestrebt« habe, den Judenrat und ihn persönlich zu »liquidieren«. Ohne Namen zu nennen führt er an, dass der Beschuldigte »im Judenrat selbst moralische Unterstützung gehabt« habe: »Es hat solche gegeben, die zu ihm zu Vergnügungen zu kommen pflegten, ferner hat man Gerüchte verbreitet, dass er im Ghetto nötig und nützlich sei. Uns ist es darum gegangen, dass die Aktion gegen Zelikowicz sich nicht ausbreitet, dass es keine unschuldigen Opfer gibt, aber im Zusammenhang mit Zelikowicz und seinem ›Quintett‹ haben wir schon eine Säuberung im Ordnungsdienst überhaupt gemacht.« Der Leiter der Ordnungspolizei Jitzhak Markus, der sein Amt niederlegte, bekannte, Zelikowicz geglaubt zu haben. Goldberg erschien die Säuberung jedoch nicht weitgehend genug, er forderte eine ›Sanierung‹ der Beziehungen innerhalb des Judenrats: »Es gibt hier mit der Leitung Unzufriedene. […] Es nehmen Ratsmänner Ämter ein, zu denen das Präsidium nicht das volle Vertrauen hat. Diese Ratsmänner wiederum warten, dass das Präsidium ausglitscht. Eins von beiden: Entweder muss man uns offen vorwerfen, was nicht gefällt, oder man muss selbst zurücktreten.« Dabei fand er zwar das Verständnis des Leiters der Wohlfahrtsabteilung, des ehemaligen Poalei Zion-Mitglieds Peciner, der aber auch vor unklaren Beschuldigungen warnte und eine Prüfungskommission vorschlug. Entgegen Goldbergs Ansinnen zog Barasz es jedoch vor, die Angelegenheit zu vertagen und den Judenrat keiner weiteren internen Zerreißprobe auszusetzen. Nach außen scheint der Judenrat gestärkt aus der Affäre hervorgegangen zu sein, da die Säuberung der Polizei und die Hinrichtung von Zelikowicz die Zustimmung der Bevölkerung gefunden haben sollen.130 128 129 130
Protokoll der Allgemeinen Versammlung in der Linas Hacedek vom 9. November 1941. Ausführlich vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 134 ff. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 20. Juni 1942. Barasz hatte die deutschen Behörden von Zelikowicz Doppelspiel überzeugen können. Rajzner berichtet, dass die Bevölkerung Zelikowicz’ Festnahme mit Genugtuung verfolgt habe. Vgl. Rajzner/Lew, The Stories, S. 97 ff.
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Zu den umstrittensten Punkten gehört die Vorbereitung von Deportationslisten für die deutschen Behörden. Erstmals war der Białystoker Judenrat im September 1941 mit dieser Maßgabe konfrontiert, als die deutschen Behörden verlangten, dass ein Teil der Ghettobevölkerung nach Pruz˙any/Pruz˙ana umgesiedelt wird.131 Man reagierte in zweierlei Hinsicht, indem man einerseits versuchte, die Aufhebung beziehungsweise Abschwächung des Erlasses zu erreichen, und andererseits die geforderte Anfertigung der Listen in Angriff nahm. Anfänglich beteiligte sich Goldberg nicht an der Erörterung, wie man vorgehen könne. Beschlossen wurde, Listen nach dem Alphabet aufzustellen, und Fachleute, Handwerker, Angestellte des Judenrats, des Ordnungsdienstes und der Feuerwehr sowie deren Familien auszunehmen. Über Zweifelsfälle sollte eine »Evidenzkommission«, in die neben Liman der ehemalige Direktor der Handelskammer, Glikson, und ein ehemaliges Mitglied des Vorstands der Handelskammer, der stellvertretende Leiter der Baukommission, Jakub Lifszic132, berufen wurden, entscheiden.133 Für die darauffolgende Sitzung ist überliefert, dass Goldberg sich an der Diskussion beteiligte und feststellte, dass »man alles tue, was zugunsten der Bevölkerung möglich« sei. Auch in der Frage, inwieweit man »der Intelligenz und dem Mittelstand mehr Beachtung schenken« müsse, bezog er Stellung.134 Noch während die Listen angefertigt wurden, zeigte sich, dass sich die Angelegenheit kaum nach den ausgehandelten Kriterien durchführen ließ und die Kontrollkommission reorganisiert werden musste. Zudem, so Melnicki, lauere intern »eine Hand, die Listen stiehlt«. Goldberg verlangte, dass zur Sicherheit »kein Mensch dort […] wo man die Listen aufstellt« hinaufgehen dürfe. Seine Bedenken gegen den Ratskollegen Moshe Szwif, der der Leitung der Arbeitsabteilung und des Sanitätswesens angehörte,135 musste er jedoch zurücknehmen, nachdem die Vertrauensfrage gestellt und zugunsten Szwifs entschieden war. Dem Ansinnen, das Verfahren transparent zu machen, indem der Bevölkerung die Möglichkeit zur Einsichtnahme in die Listen eingeräumt wurde, widersetzte er sich vehement.136 Auch in den nächsten Sitzungen musste sich der Rat mit dem Problem des Missbrauchs der aufgestellten Kriterien seitens der Ratsmitglieder und Angestellten auseinandersetzen. Goldberg nahm sich der »Symptome von einem unsau-
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Blumenthal vermerkt: »The population supported the Judenrat without reservation.« Blumenthal, Introduction, in: Darko shel Yudenrat, S. XXXII. Nowak, die mit Zelikowicz’ Tochter befreundet war, ist von seiner Schuld nicht überzeugt. Vgl. Nowak, Mein Stern, S. 138 f. Bender gibt unter Verweis auf Tenenbaum an, dass Goldberg der Evakuierungskommission vorgestanden habe. Aus den Protokollen lässt sich dies nicht entnehmen. Vgl. Bender, The Jews of Białystok, S. 109, 334, Anm. 88. Nach Rajzner wurde Lifszic im August 1943 in Pietrasze ermordet. Vgl. Rajzner/Lew, The Stories, S. 176. Vgl. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 12. September 1941. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 18. September 1941. Rajzner führt Szwif als ehemaligen Vorsitzenden der Wohnungsabteilung an, der der Ungerechtigkeit in der Wohnraumzumessung bis zu seiner Ablösung nicht Herr geworden sei. Vgl. Rajzner/Lew, The Stories, S. 69. Vgl. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 20. September 1941.
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beren Protektionismus, der nach Gefahr rieche« an,137 indem er versuchte, den Umfang der Bestechung auszumachen. Leider sind die von ihm berichteten Einzelheiten durch den Protokollanten nicht festgehalten worden. Da der Rat beschloss, die Kontrolle über die Anklagen dem Präsidium zu übertragen, blieb Goldberg auch weiterhin mit dem Kampf gegen Amtsmissbrauch befasst.138 Der Judenrat stand in der Frage, was mit Fällen von Rückkehrern aus Pruz˙any und Flüchtlingen, die aus anderen Orten Zuflucht im Białystoker Ghetto suchten, geschehen sollte, vor einer prekären Entscheidung, fürchtete man doch einerseits, dass eine Zunahme der Bevölkerung neue Deportationen auslösen könne, andererseits die sozialen Spannungen im Ghetto verstärke. Inwieweit Goldberg den in Bezug auf Pruz˙any-Rückkehrer gefassten Beschluss, »1. Verbrecher (Diebe) zurückschicken; 2. Die Evakuierten nicht anmelden; 3. Brotkarten den Mietern abnehmen, die Evakuierte bei sich wohnen lassen«, vertreten hat, muss offen bleiben.139 Gleiches gilt für die Frage, welche Meinung er zu dem Vorschlag vertrat, sie durch den Ordnungsdienst zurückbringen zu lassen. In Bezug auf die Flüchtlinge setzte er nicht wie andere auf zusätzliche Arbeitsbrigaden. Stattdessen schlug er vor, bei den deutschen Behörden dafür einzutreten, »nach dem Muster von Wołkowysk […], dass die Flüchtlinge sich in den umliegenden Städtchen ansiedeln« zu verfahren.140 Ein Vorgehen, das die Białystoker Behörde von der moralischen und materiellen Verantwortung für die Flüchtlinge hätte entlasten können. Sucht man die eingangs gestellte Frage, was wir über Jakub Goldberg wissen, zu resümieren, bleibt festzustellen, dass die Momentaufnahmen der Protokolle seine beträchtliche organisatorische Kompetenz sowie seine politische Integrität und Streitbarkeit festhalten, die er über den ganzen dokumentierten Zeitraum eines langen, schweren Jahres nicht verlor, letztlich seine politische Ratio aber nicht erklären. Verfolgt man Goldbergs politische Interventionen wird deutlich, dass die Regierungsfähigkeit der Judenräte innerhalb der Ghettos nicht nur an der Abhängigkeit von den (durchaus divergierenden) Vorgaben der deutschen Besatzungsbehörden und den äußerst knappen Ressourcen litt, sondern auch an der mangelnden Legitimation ihrer Autorität.141 Der Rat konnte nur begrenzt auf herkömmliche Formen der Anerkennung von Herrschaft zurückgreifen, auch wenn es ansatzweise gelang, Gehorsam gegenüber bürokratischen Maßnahmen oder Vertrauen in den charismatisch agierenden Barasz zu erwirken. Selbst die offene Sanktionsandrohung, von der Goldberg Gebrauch machte, beziehungsweise ihr Vollzug durch die legitimatorisch fragile Exekutivgewalt der jüdischen Ghettopolizei, fand ihre Grenzen in dem zunehmenden Wissen der Bevölkerung, zur Vernichtung bestimmt zu sein. Das Bild, das wir von Goldberg gewinnen können, muss unscharf bleiben, ver137
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Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 24. September 1941; vgl. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 3. Oktober 1941. Vgl. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 3. Oktober 1941. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 31. Januar 1942. Protokoll der Sitzung des Judenrats vom 15. August 1942. Die begrenzte Autorität spiegelt sich auch in den Meldungen des Judenrats, in denen Anordnungen häufig wiederholt wurden. Vgl. Blumenthal, Introduction, in: Darko shel Yudenrat, S. XVII.
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wischt im Nebel der Erinnerung der Zeitzeugen, grobkörnig durch die Unzulänglichkeit der Fragmente und ihrer Interpreten, so unkenntlich wie der auf Porzellan gezogene Ausschnitt, den Esther Gessen aus einer Gruppenphotographie, der einzigen ihr verbliebenen Abbildung ihres Vaters, heraus vergrößern und auf dem Grab von Bella Goldberg in Moskau anbringen ließ.
Charakteristika der Bekanntmachungen des Białystoker Judenrates von
JOANNA FURŁA-BUCZEK
Die Dokumente des Białystoker Judenrates, über die wir heute verfügen, bilden einen wichtigen Teil des Białystoker Geheimarchivs, das in der zweiten Hälfte des Jahres 19451 auf dem Gebiet außerhalb des ehemaligen Ghettos gefunden wurde. Es handelt sich um 52 Protokolle der Sitzungen des Judenrates und über 400 Bekanntmachungen beziehungsweise Meldungen. Zum ersten Mal wurden sie 1962 von Nachman Blumenthal in Israel veröffentlicht und von David Linevsky-Niv aus dem Jiddischen ins Hebräische übersetzt. Der vorliegende Text befasst sich mit den Bekanntmachungen. Laut Definition bedeutet »bekanntmachen« etwas veröffentlichen, der Allgemeinheit zur Kenntnis bringen.2 Im Ghetto waren Bekanntmachungen Nachrichten des Judenrates, die der Ghettobevölkerung in Form eines Plakats bekanntgegeben wurden. Die Bekanntmachungen des Białystoker Judenrates liegen für den Zeitraum zwischen dem 8. Juli 1941 und dem 1. April 1943 vor. Im ersten Teil des Textes soll dargestellt werden, unter welchen Umständen die Bekanntmachungen entstanden sind. Danach werden formale Elemente wie Titel, Nummern und Unterschriften beschrieben. Ferner gilt es, formale und inhaltliche Einteilungen vorzunehmen. Zum Schluss werden einige Ereignisse und Erscheinungen des Ghettolebens genannt, die in den Bekanntmachungen nicht thematisiert wurden. Im Białystoker Ghetto wurden die Bekanntmachungen im Judenratsgebäude in der Kupiecka-Straße 32 vorbereitet. Pejsach Kapłan, ein ausgebildeter Lehrer, Journalist und Literat, im Ghetto ein Mitglied des Judenrates, schreibt in seinem Artikel über den Białystoker Judenrat: »[...] im Zimmer Nr. 3 ist eine Kanzlei oder anders gesagt ein Sekrätariat [sic!] des Judenrats. [...] Hier werden auch öffentliche Bekanntmachungen in der jiddischen Sprache vorbereitet, drei Kenner des Jiddischen arbeiten daran. Bekanntmachungen schreibt oder redigiert Pejsach Kapłan, mit einer schönen Handschrift schreibt sie ein bekannter 1
2
Szymon Datner, arejnfir, in: der untererdiszer bialistoker archiv (m-t- archiv), I teil: di bialistoker »provinc«, dokumentn [Das unterirdische Białystoker Archiv (Das M-T-Archiv) Teil I: Die Białystoker »Provinz«-Dokumente], in: bleter far geszichte. Czasopismo Z˙ydowskiego Instytutu Historycznego w Polsce [Blätter für Geschichte. Zeitschrift des Jüdischen Historischen Instituts in Polen] XVIII (1970), S. I – CLXV, S. V, VIII. Vgl. Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in 10 Bänden, hrsg. vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion, Mannheim ³1999, Bd. 2, S. 512.
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Warschauer Graphiker und Dichter T. Goldberg ab. An dieser Arbeit nimmt auch ein bekannter Warschauer Schulaktivist, Pädagoge und Buchautor, Rafael Gutman teil. Als Resultat wird die Sprachrichtigkeit und -reinheit des Jiddischen bewahrt.«3 Der von Kapłan erwähnte Rafael Gutman, ein ehemaliges Mitglied des Warschauer Judenrates, führte das Protokollbuch während der Sitzungen des Białystoker Judenrates.4 Goldberg hatte die Bekanntmachungen künstlerisch gestaltet, und jeweils ein Exemplar in Form eines handgemachten Plakats wurde an einer Anschlagtafel am Gebäude des Judenrats ausgehängt.5 Die gedruckten Plakate klebte ein bekannter Zeitungsträger namens Byszke an, der während der so genannten Februar-Aktion erschossen wurde.6 Kein originales Plakat ist erhalten geblieben. Aber die Abschriften der Bekanntmachungen, die im Ghetto gemacht wurden, befinden sich im Archiv des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau. Die erste Bekanntmachung, das älteste Dokument aus dem Geheimarchiv, trägt das Datum vom 8. Juli 1941,7 die letzte Bekanntmachung – Nr. 435 – datiert vom 1. April 1943. In Wirklichkeit stehen uns nicht 435, sondern 433 Bekanntmachungen zur Verfügung, weil die Bekanntmachung 208 fehlt, und die Bekanntmachungen 356 und 357 eine doppelte Nummerierung aufweisen. Die Abschriften wurden auf gewöhnlichem Papier maschinengeschrieben, meistens in einem Format, das wir heute als A4 bezeichnen würden, seltener ein Viertel Blatt, zwei Blätter oder mehr. Oben in der Mitte jedes Blattes steht ein Titel, oft unterstrichen oder mit einem Leerzeichen zwischen den Buchstaben. Die meisten Bekanntmachungen tragen auch diesen Titel. Manchmal kommen auch andere Überschriften vor, wie zum Beispiel »Wichtige Bekanntmachung« (6), »Aufforderung« (24), »Strenge (424)/Dringende (23) Aufforderung«, »Warnung« (109), »Letzte (304)/Spezielle (305)/Strenge (306)/Große (307)/Scharfe (281) Warnung«, »Aufruf« (91), »Verordnung« (246), »Bann« (3). In einem gewissen Sinne könnte man die Titel als Hinweise auf den Charakter der Texte betrachten. Sie stellen Sprechhandlungen dar, das heißt eine Bekanntmachung soll beispielsweise die Ghettobevölkerung über etwas informieren, eine Aufforderung zu einer Handlung auffordern, eine Warnung vor etwas warnen. Zum Teil spiegeln die Titel auch die Adressaten. Texte mit den Titeln »Bekanntmachung«, »Aufforderung«, »Warnung«, »Aufruf«, »Verordnung« sind an die Gesamtheit der Ghettobevölkerung gerichtet, während sich Bekanntmachungen mit den Titeln »Fachkurse« (85), »Eltern!« (125), »Zirkular an alle Hausverwalter« (150), »An die Kuhbesitzer« (191), »Hutmacher mit Maschinen« (247), »Schuster-Mobilisation« (299), »An die Arbeiter außerhalb des 3
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6 7
Pesach [Pejsach] Kapłan, Judenrat w Białymstoku [Der Judenrat in Białystok], in: Biuletyn Z˙ydowskiego Instytutu Historycznego [Bulletin des Jüdischen Historischen Instituts] 60 (1966), S. 51–88, hier: S. 73. Vgl. ebd. Vgl. Szymon Datner, bialistoker judenrat-meldungen [Białystoker Judenratsmeldungen], in: bleter far geszichte IV (1951), S. 56–74, S. 56. Vgl. Kapłan, Judenrat, S. 73. Siehe das Faksimile der Bekanntmachung [1], AZ˙IH, Signatur 204/59, als Abb. 1 in diesem Band.
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Ghettos« (375) an bestimmte Teile beziehungsweise bestimmte Gruppen der Bevölkerung richten. Man könnte noch eine Gruppe von Bekanntmachungen unterscheiden, deren Titel in Form von Imperativsätzen formuliert wurden, zum Beispiel: »Empfangt die Sammlerpaare für das Infektionsspital! Rettet die jüdischen Gassen vor den schrecklichen Schädlingen!« (37), »Hütet euch vor Ansteckung!« (75), »Bewahrt euer Leben!« (166). Diese Bekanntmachungen rufen zum Handeln für das Gemeingut aller Ghettoeinwohner auf und betreffen meistens Aspekte der Fürsorge und hygienische Angelegenheiten. Durch die Art, in der die Titel formuliert wurden, brachte der Judenrat seine Besorgnis zum Ausdruck. Unter dem Text jeder Bekanntmachung befindet sich eine gedruckte Unterschrift »jidnrat«. Über oder unter der Unterschrift sieht man auf vielen Bekanntmachungen einen flachen Stempel mit der deutschen Aufschrift »Judenrat in Bialystok«. In einigen Fällen werden Judenratsabteilungen einzeln angeführt, was uns etwas über die Struktur des Judenrates sagt, wie zum Beispiel »Gesundheitsabteilung« (40), »Industrie- und Handwerksabteilung« (58), »Arbeitsabteilung« (64), »Kulturabteilung beim Judenrat« (125), »Bildungsabteilung« (139), »Sanitätsabteilung beim Judenrat« (169), »Leiter der Gesundheitsabteilung Dr. Kacenelson« (271). Einige Bekanntmachungen wurden von den Ghetto-Institutionen unterschrieben, so zum Beispiel von der »Jüdische[n] Feuerwehr beim Judenrat« (273), vom »Jüdische[n] Ordnungsdienst« (305), von den »Lehrwerkstätten beim Judenrat« (343), von den »Gewerbliche[n] Werkstätten bei der Industrieabteilung des Judenrats« (386). Bekanntmachungen, die außergewöhnlich wichtige Ereignisse des Ghettolebens betreffen oder deren Ziel darin besteht, die Stellung der Judenratsleitung zum Ausdruck zu bringen, wurden von Efraim Barasz, Gedaliah Rozenman oder vom Rabbinat unterschrieben.8 Die dringende Aufforderung (3), die am 17. Juli 1941, 5 Tage nach der Ermordung von etwa 4.000 jüdischen Männern in Pietrasze,9 erlassen wurde, trägt die Unterschrift »Rabbinat und Judenrat«. Die Ghettobevölkerung wird darin aufgefordert, die Kontribution in Höhe von 2 Millionen Rubel zu bezahlen; dabei droht das Rabbinat allen, die sich nicht besteuern lassen werden, mit einem Bann. Eine andere Bekanntmachung (118), vom 7. Oktober 1941, die die Evakuierung nach Pruz˙any betrifft, und die sich auf mögliche finanzielle Missbräuche der Judenratsbeamten bezieht, wurde vom »Judenrat – Präsidium: Dr. G. Rozenman und Ing. E. Barasz« unterschrieben. Im rechten oberen Bereich jeder Bekanntmachung steht eine gedruckte originale Nummer. Bei den Bekanntmachungen von 1 bis 400 ist diese Nummer durchgestrichen und links oben eine neue vermerkt, die mit einem roten Bleistift aufgeschrieben wurde. Die Bekanntmachungen 401 bis 435 tragen nur eine gedruckte oder maschinengeschriebene Nummer, die in der linken oder rechten Ecke steht. Der Historiker Szymon Datner hat den Versuch unternommen, 8 9
Vgl. Datner, bialistoker judenrat-meldungen, S. 62. Vgl. Szymon Datner, Walka i zagłada białostockiego ghetta, Łód´z 1946 [Der Kampf und die Vernichtung des Białystoker Ghettos], deutsche Übersetzung in: Bundesarchiv [Barch], B 162/ AR-Z 900/68, Bl. 0351–0416, hier: Bl. 0366.
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den Grund der doppelten Nummerierung der ersten 400 Bekanntmachungen zu erklären, und zwei Thesen aufgestellt. Die erste besagt, es gebe Fehler in der gedruckten Nummerierung und sie seien mit einem roten Bleistift korrigiert worden.10 Die andere These lautet, es seien im Juli 1941 viele Bekanntmachungen abhanden gekommen in Folge von Unruhe und Chaos, die unter der jüdischen Bevölkerung und in der Kanzlei des Judenrates herrschten als Resultat der deutschen Vernichtungsmaßnahmen,11 die im ersten Monat der deutschen Besatzung stattfanden. Außerdem betraten die Deutschen am 3. Juli das Gebäude des Judenrates, was Datner als »Pogrom« bezeichnet. Er schreibt: »Weniger bekannt ist die Tatsache, dass an diesem Tag das einzige Mal in der Ghettogeschichte die ›Exterritorialität‹ des Judenratsgebäudes von den NaziMördern nicht respektiert wurde. Judenratsbeamte wurden damals weggebracht, Einrichtungen und dabei bestimmt auch gefundene Akten zerstört. In den nächsten Tagen im Juli 1941 lässt sich eine kleinere Zahl vorhandener ›Bekanntmachungen‹ und auch eine große Unordnung in der originalen [...] Nummerierung feststellen«.12 Datner ist der Überzeugung, dass Bekanntmachungen erneut nummeriert werden mussten, weil viele zerstört wurden oder verschwanden. Seiner Meinung nach stellte das Verhalten der Deutschen einen Grund dafür dar, dass nur neun Bekanntmachungen für Juli 1941 erhalten blieben, während die Zahl der Bekanntmachungen für August 71 beträgt. Er geht somit davon aus, dass schon vor dem 8. Juli 1941 Bekanntmachungen erlassen worden seien. Als Begründung für seine These führt er folgende Argumente an: Der Judenrat existierte seit dem 29. Juni 1941 und musste das Leben der jüdischen Bevölkerung in neuen Verhältnissen organisieren. In der Situation sei es unwahrscheinlich, dass der Judenrat in den ersten zehn Tagen nach seiner Berufung keine Bekanntmachungen herausgegeben habe. Außerdem behauptet er, auf der ersten Bekanntmachung mit dem Datum des 8. Juli 1941 könne man eine maschinengeschriebene, mit einem schwarzen Bleistift durchgestrichene, aber doch lesbare Nummer sehen. Auf der Bekanntmachung Nummer 1 sei die Ziffer sieben durchgestrichen worden.13 Das kann leider nicht nachgeprüft werden, weil sich die originale Abschrift der Bekanntmachung Nummer 1 nicht mehr im Archiv des Jüdischen Historischen Instituts befindet. Wenn wir Datner in diesem Punkt folgen, würde das bedeuten, dass vor dem 8. Juli 1941 mindestens sechs Bekanntmachungen erlassen wurden. Die letzte vorhandene Bekanntmachung des Białystoker Judenrates trägt das Datum 1. April 1943. Wahrscheinlich wurden Bekanntmachungen vom 1. April bis 16. August 1943 herausgegeben, aber keine blieb erhalten, und wir verfügen über keine Informationen zu den Bekanntmachungen, die vom Białystoker Judenrat erlassen wurden, nachdem das Untergrundarchiv vergraben worden war. Ein anderes formales Element jeder Bekanntmachung ist das Datum. Es 10 11
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Vgl. Datner, bialistoker judenrat-meldungen, S. 62. Es handelt sich vor allem um den Synagogenbrand am 27. Juni 1941, in dem mehrere Hundert Juden lebendig verbrannt wurden, und um die Erschießung von etwa 4.000 jüdischen Männern am 12. Juli 1941 im benachbarten Pietrasze. Vgl. Datner, bialistoker judenrat-meldungen, S. 68. Vgl. ebd., S. 67.
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steht gedruckt in der rechten unteren Ecke. Nicht selten wurde es auch handschriftlich mit einem schwarzen Bleistift geschrieben. Der Ort Białystok wird dabei nicht immer genannt. Auf den gedruckten Bekanntmachungen gibt es nicht viele handschriftliche Spuren. Außer den schon genannten Nummern und Daten sind auf Bekanntmachung 407, die von der Industrieabteilung erlassen wurde, die Initialen E.B. zu sehen, die mit lateinischer Schrift geschrieben wurden. Wahrscheinlich handelt es sich um die Initialen von Efraim Barasz, dem geschäftsführenden Judenratsvorsitzenden und zugleich Leiter der Industrieabteilung beim Judenrat.14 Auf der Rückseite von neun Bekanntmachungen (102, 104, 255, 357, 362, 386, 391, 396, 400) findet man handschriftliche Notizen in jiddischer Sprache. Datner schreibt: »Wir haben den Eindruck, es ist die Handschrift von Mordechaj Tenenboim. Ein graphologischer Vergleich mit der Fotokopie seines Tagebuchs ›Dappim Min Ha-deleika‹ – gleiche, sehr charakteristisch geschriebene Buchstaben alef, aijn, kuf – ruft diesen Eindruck hervor.«15 Auf den Inhalt der Notizen wird im weiteren Teil des Textes noch eingegangen. Gewisse Ausnahmen unter den Bekanntmachungen des Białystoker Judenrats bilden die Bekanntmachungen 1 und 430. Zur ersten Bekanntmachung, die die Pflicht betrifft, ein weißes Band mit einem blauen Davidstern zu tragen, war eine Zeichnung beigefügt, die die Maße des Davidsterns darstellte.16 Bekanntmachung 430 wurde in deutscher und in jiddischer Sprache abgefasst. Das ist der einzige Text, der in einer anderen Sprache als der jiddischen geschrieben wurde. Der Text betrifft die Pflicht, Flugblätter, die von den Sowjets abgeworfen worden waren, beim Judenrat abzugeben. Man kann vermuten, dass diese Bekanntmachung für die deutschen Behörden von besonderer Bedeutung war. Deswegen wurde sie auch auf Deutsch verfasst. Die Bekanntmachungen des Białystoker Judenrates wurden von unterschiedlichen Sendern unterschrieben. In der Regel lautet die Unterschrift: »jidnrat«, nicht selten werden Judenratsabteilungen einzeln angeführt, in wenigen Fällen auch ihre Leiter. Elf Bekanntmachungen wurden unmittelbar von der deutschen Behörde erlassen. Datner teilt die Bekanntmachungen in mehrere Gruppen auf. Zur ersten Gruppe gehören die Bekanntmachungen, die eine wörtliche Übersetzung der deutschen Verordnungen ins Jiddische bilden. Sie werden meistens mit folgenden Wendungen eingeleitet: »Der Judenrat hat von der deutschen Zivilverwaltung folgende Verordnung bekommen: [...]« (92); »Der Judenrat hat von der deutschen Behörde folgende schriftliche Verordnung bekommen: [...]« (102); »Der Judenrat hat vom Stadtkommissar der Ghettoverwaltung die folgende Verordnung bekommen: [...]« (299); »Der Judenrat hat die folgende Verordnung vom Polizeipräsidium bekommen: [...]« (308, 309); »Die Behörde hat Folgendes verordnet: [...]« (314); »Der Judenrat hat von der Behörde folgenden Brief bekommen: [...]« (316). 14 15 16
Vgl. ebd., S. 65. Ebd. Vgl. ebd., S. 64.
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Die oben genannten Bekanntmachungen wurden vom Judenrat unterschrieben und mit dem Stempel »Judenrat in Bialystok« versehen. Sie betreffen beispielsweise die Evakuierung nach Pruz˙any (102), die Schuster-Mobilisation für eine Filzfabrik (299), verschärfte Kontrollen von Arbeitsscheinen und Passierscheinen der Juden, die außerhalb des Ghettos arbeiteten (308) sowie deren Verpflichtung, ein gelbes Zeichen auf der linken Brust und auf der rechten Seite auf dem Rücken zu tragen (309). Es gibt aber auch jiddische Übersetzungen deutscher Verordnungen, die den ganzen Bezirk Bialystok betreffen. Die Verordnung 183 wurde wegen der Außergebrauchsetzung des Rubels erlassen, eine andere, 195, betrifft die Regelung des Devisengesetzes in Bezirk Bialystok, die Verordnung 246 bezieht sich auf die Einführung der Arbeitspflicht im Kreis Bialystok vom 1. April 1942. Sie wurden nicht eingeleitet und zwei von ihnen (183, 246) wurden vom Oberpräsidenten als Chef der Zivilverwaltung Koch unterschrieben. Zur zweiten Gruppe zählt Datner deutsche Verordnungen, die auf Anordnung der deutschen Behörde vom Judenrat redigiert und der jüdischen Ghettobevölkerung bekannt gemacht wurden. Oft wurden sie eingeleitet durch: »Im Namen der Behörde machen wir darauf aufmerksam und warnen zum letzten Mal [...]« (9), »Laut einer Verordnung der deutschen Behörde [...]« (42), »Der Hr. Zivilkomissar hat befohlen, [...]« (140), »Die deutsche Behörde gibt zu wissen, [...]« (145), »Laut der Verordnung des deutschen Arbeitsamtes [...]« (187). Bei vielen Bekanntmachungen ohne Einleitung lässt sich aus dem Inhalt erschließen, dass sie auf Anordnung der deutschen Besatzungsverwaltung verfasst wurden. Die Bekanntmachung 57 lautet: »Wer Koffer in gutem Zustand hat oder von solchen weiß, wird gebeten, dies sofort im Judenrat, Zimmer 17, zu melden.« Blumenthal ist der Meinung, die Bekanntmachung sei von der deutschen Behörde erlassen worden, weil Deutsche Koffer gebraucht hätten, um darin gestohlene Gegenstände abzutransportieren.17 Ein anderes Beispiel wäre die Bekanntmachung 165: »Alle Besitzer von Schlitten haben ihre Schlitten für Lasten und für Passagiere im Judenrat, Zimmer 17, zu registrieren.« Höchstwahrscheinlich brauchte die deutsche Armee Schlitten für den kommenden Winter und die Bekanntmachung wurde erlassen, um diesen Bedarf zu decken. Die dritte Gruppe beschreibt Datner folgendermaßen: »Im Rahmen der miserablen Ghetto-›Autonomie‹18 hat der Judenrat Verordnungen mit polizei17
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Vgl. Nachman Blumenthal (Hg.), Darko shel Yudenrat: Te‘udot miggeto Bialistoq [Conduct and Actions of a Judenrat. Documents from the Bialystok Ghetto (jiddisch/hebräisch)], Jerusalem 1962, S. 310, Anm. 79. Zum Begriff ›Autonomie‹ vgl. den Epilog bei Sara Bender, The Jews of Białystok during World War II and the Holocaust, Waltham, Mass. 2008, S. 299: »The Judenrat soon became an autonomous apparatus dealing with all the needs of the Jewish community, such as food, work arrangements, economic and social aid, medical services, internal security, legal matters, education, financial matters, population registration, transport, and the like. All these functions were, naturally, carried out with the approval and under the supervision of the occupation authorities. In theory, the Judenrat was totally subordinate to the authorities’ whims. In practice, the Jewish leadership in Białystok enjoyed a considerable amount of freedom and even support, after it
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lich-administrativen Charakter herausgegeben.«19 Gemeint sind wahrscheinlich Bekanntmachungen, in denen es sich um interne Ghettoangelegenheiten und interne Verordnungen des Judenrates handelt. Schließlich nennt er eine Gruppe von Bekanntmachungen, die einzelne Personen und private Angelegenheiten betreffen. Mit Hilfe dieser Bekanntmachungen suchen Leute zum Beispiel verschollene Angehörige oder verlorene Pässe. Es gibt jedoch Bekanntmachungen, die sich nicht eindeutig einer Gruppe zuordnen lassen. Sie scheinen an der Grenze zu stehen zwischen den Bekanntmachungen, die vom Judenrat auf Anordnung der deutschen Behörde erlassen wurden, und den polizeilich-administrativen Bekanntmachungen des Judenrates. Ein Beispiel dafür wäre Bekanntmachung 159, deren Anfang lautet: »Um die dringenden Arbeitsaufträge für die deutsche Behörde zu erledigen, hat der Judenrat beschlossen, eine ständige Reservebrigade von Arbeitern zu organisieren, die sich in der Befugnisgewalt der Arbeitsabteilung beim Judenrat befinden wird. Die Reservebrigade wird vom Judenrat speziell entlohnt werden.« Zwar hat der Judenrat eigenständig die Entscheidung getroffen, eine Reservebrigade zu organisieren, aber der Beschluss diente dem Ziel, deutsche Aufträge zu erfüllen. Bei der Einteilung Datners scheint das Kriterium des Senders, also der deutschen Behörde oder des Judenrats, entscheidend zu sein. Damit wird die Perspektive der Besatzer eingenommen. Ich möchte eine andere Einteilung vornehmen, die ein Versuch wäre, die Perspektive der Ghettoeinwohner darzustellen. Ich würde vorschlagen, Bekanntmachungen in offizielle und nicht-offizielle aufzuteilen. Verordnungen, Warnungen, Mitteilungen der deutschen Besatzungsverwaltung oder des Judenrats waren offizielle Texte, die mit dem Ziel erlassen und bekannt gemacht wurden, die deutsche Besatzungspolitik auszuführen. Im Ghetto erschien aber auch eine Anzahl von Bekanntmachungen, die Anzeigencharakter hatten. Diese Bekanntmachungen hatten die Aufgabe, den Informationsumlauf zu ermöglichen und erfüllten die Funktion einer Nachrichtenbörse, weil im Białystoker Ghetto keine Zeitungen herausgegeben wurden. Diese Bekanntmachungen betreffen sowohl Angelegenheiten einzelner Menschen als auch die private Sphäre der Ghettoeinwohner, wie Möglichkeiten der Einkäufe oder die Schönheitspflege. Als Beispiele seien genannt: Bekanntmachung 13: »Wer etwas von Frau Szwarc Sara weiß, 75 Jahre alt, früher wohnhaft Odeska 16, möge dies der Tochter Szwarc Szejge, Szlachecka Gasse 3, zu wissen geben.«; Bekanntmachung 164: »Dienstag und Mittwoch, 25-ten und 26-ten November d. J./ freier Verkauf für alle/ Trikotagen, Hüte und Ledertaschen./ Der Laden befindet sich in der Neuwelt 11, offen täglich von 9 in der Früh bis 5 abends./ Industrieabteilung beim Judenrat«; Bekanntmachung 180: »In der Frisieranstalt, Kupiecka 24, ist eine spezielle Abteilung für Frauen eingerichtet. Von qualifizierten Meistern werden folgende Arbeiten ausgeführt: Scheren. Kämmen, Ondulationen, heiße und
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proved its ability to supply the Germans with an efficient workforce and cheap products. It was this understanding between the Judenrat and the local Occupation authorities that lulled Barash into a false sense of security and distracted him from Hitler’s policy of genocide.« Datner, bialistoker judenrat-meldungen, S. 59.
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kalte wie auch lang andauernde Dauerwellen und Manikür. Zu mäßigen Preisen. Das Frisierkollektiv.«20 Die Bekanntmachungen des Białystoker Judenrats regeln viele Bereiche des Ghettolebens und umfassen ein breites Themenspektrum. Wir wollen uns eine thematische Einteilung ansehen, die Datner vorgenommen hat. Sie scheint vollständig zu sein und berücksichtigt folgende Themen: 1. Deutsche Verordnungen: Zeichen, Kontributionen, Beschlagnahmungen, die Vertreibung nach Pruz˙any, Hinrichtungen, Schmuggel – 61 Bekanntmachungen, 2. Zwangsarbeit, Schulung der Arbeiter und andere Arbeitsangelegenheiten – 127 Bekanntmachungen, 3. Interne administrativ-polizeiliche Verordnungen – 108 Bekanntmachungen, 4. Sanitäre und medizinische Angelegenheiten – 48 Bekanntmachungen, 5. Versorgung – 22 Bekanntmachungen, 6. Steuer und andere Gebühren zum Beispiel für Strom oder Wohnung – 25 Bekanntmachungen, 7. Schulen und Erziehung – 17 Bekanntmachungen, 8. Wohnungen – 12 Bekanntmachungen, 9. Private Angelegenheiten, wie zum Beispiel verlorene Pässe – 13 Bekanntmachungen.21 Ich würde noch zwei andere Kategorien vorschlagen: 10. Soziale Hilfe und Fürsorge: Aufrufe und Bitten vom Judenrat an die Ghetto-Bevölkerung, betreffend beispielsweise die Sammlung von Kleidung für Arme, 11. Anzeigen. Es gibt aber Bekanntmachungen, die sich nicht eindeutig einer Gruppe zuordnen lassen, zum Beispiel die Bekanntmachungen betreffend die Milchsteuer. Jeder Kuhbesitzer war verpflichtet, täglich einen halben Liter Milch pro Kuh abzugeben – beispielsweise für die Waisenhäuser. Diese Bekanntmachungen stehen an der Grenze zwischen den Kategorien Steuer und andere Gebühren (8) sowie Soziale Hilfe und Fürsorge (10). Interessant ist dabei, dass sich Bekanntmachungen zu einigen Themen mehrmals wiederholen. Es handelt sich beispielsweise um die Bekanntmachungen betreffend die Pflicht, das gelbe Zeichen zu tragen (1, 2, 7, 72, 93) oder Fahrräder (28, 45, 48, 54) und Kühe (31, 59, 67, 137, 156, 191, 310, 345) registrieren zu lassen. Bekanntmachung 7 lautet: »Die Behörde hat den Judenrat [darauf] aufmerksam gemacht, dass ein Teil der Juden nicht die gelben Zeichen auf der Brust und auf dem Rücken trägt. Der Judenrat macht nochmals [darauf] aufmerksam, dass alle Personen, die nicht die gelben Zeichen gemäß der Verordnung tragen werden, streng bestraft werden, sogar mit Erschießen.« Wahrscheinlich erschienen die Bekanntmachungen, die zum Tragen der Zeichen auffordern, deswegen mehrmals, weil Juden in 20
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Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 392, Anm. 224. Blumenthal ist der Meinung, davon hätten hauptsächlich Frauen profitiert, die ihr Aussehen ändern wollten, damit sie aus dem Ghetto hinausgehen konnten und man ihnen nicht ansah, dass sie Jüdinnen waren. Vgl. Datner, bialistoker judenrat-meldungen, S. 59.
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Białystok, ähnlich wie in anderen Städten, es vermieden, ein Zeichen zu tragen.22 Oft wiederholen sich Bekanntmachungen, in denen Ghettoeinwohner aufgefordert werden, Fahrräder und Kühe registrieren zu lassen, so zum Beispiel in Bekanntmachung 28: »Wer ein Fahrrad, ein Motorrad, oder einen Teil eines Fahrrads hat, soll es innerhalb von 24 Stunden im Judenrat, Zimmer 3, melden.« Oder in Bekanntmachung 31: »Alle, die Kühe besitzen, haben ihre Kühe sofort im Judenrat, Zimmer 16, zu registrieren.« Man kann vermuten, dass die Ghettoeinwohner ihr Eigentum nicht registrieren lassen wollten, damit es zu einem späteren Zeitpunkt nicht konfisziert werden konnte. Es ist auch möglich, dass die Juden passiven Widerstand leisteten, indem sie die oben genannten Verordnungen nicht ausführten. Vielleicht spiegelt sich darin auch eine Haltung der Resistenz. Man kann aber nicht ausschließen, dass einige Juden kein Jiddisch konnten oder die Bekanntmachungen einfach nicht lasen. Die Bekanntmachungen spiegeln wichtige Aspekte der Ghettorealität, es gibt aber Ereignisse und Erscheinungen, die in den offiziellen Dokumenten des Białystoker Judenrats nicht thematisiert wurden. Einige von ihnen wurden in Form von lapidaren, handschriftlichen Notizen auf der Rückseite von neun Bekanntmachungen: 102, 104, 255, 356 (357), 362, 386, 391, 396, 400 niedergeschrieben. Ihr Autor, wahrscheinlich Tenenbaum, schrieb auf der Rückseite der Bekanntmachung 357 (356) vom 2. November 1942, die ein Verbot war, das Ghetto zu verlassen: »2. November – Beginn der Aktion im ganzen Bezirk.« 23 Auf der letzten Bekanntmachung (386), die vor der Februar-Aktion herausgegeben wurde, steht: »5.2.1943 bis 12.2.1943 Aktion in Białystok. Treblinka. Weggeführt 10.000 Juden. Am Ort erschossen 900 Juden.« Vom 29. Januar 1943 bis zum 10. Februar 1943 wurden keine Bekanntmachungen erlassen. Außerdem berücksichtigte der Verfasser in seinen Notizen die Deportation nach Pruz˙any (102, 104), die Bewirtschaftung der Gärten im Ghetto (255), die Verkleinerung des Ghettos (362), die Untergrundbewegung im Ghetto (391), Denunzianten während der Februar-Aktion (396) sowie Hitlers Deklaration über die Ausrottung des europäischen Judentums (400). Die Bekanntmachungen des Białystoker Judenrates, Texte mittels derer die deutschen Besatzer und der Judenrat mit der Ghettobevölkerung kommunizierten, spiegeln zum Teil die Geschichte des Ghettos. Der zeitliche Rahmen, in dem die Bekanntmachungen erlassen wurden, umfasst die Zeit von der Errichtung des Ghettos noch vor seiner Schließung bis zum Transport des Geheimarchivs auf die »arische« Seite. Dabei lässt sich konstatieren, dass in den Perioden, in denen die deutschen Vernichtungsmaßnahmen das Leben der Bevölkerung besonders lähmten, wie zum Beispiel bei der Errichtung des Ghettos im Juli 1941 oder der so genannten Februaraktion 1943, nur wenige oder gar keine Bekanntmachungen erlassen wurden. Auf ihrer Vorderseite lesen wir vor allem Bekanntmachungen und Verordnungen, deren Aufgabe es war, die deutsche Besatzungspolitik mittelbar oder 22 23
Vgl. Blumenthal, Darko shel Yudenrat, S. 274, Anm. 3. Rückseite der Bekanntmachung 357 (356), AZ˙IH, Signatur 204/64, als Faksimile, Abb. 2b, in diesem Band.
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unmittelbar auszuführen. Die Vorderseite steht also für ein offizielles Ghettobild. Die handschriftlichen Notizen Tenenbaums auf der Rückseite, in denen er die Etappen der deutschen Vernichtungspolitik dokumentierte, betonen Aspekte des Ghettolebens, wie beispielsweise die Tätigkeit der Untergrundbewegung, die in dem offiziellen Bild nicht vorkommen durften.
Die Białystoker Judenratsdokumente als Beweismittel in der Strafsache gegen Dr. Altenloh und Andere von
KATRIN STOLL
I. Prolog Am 19. Januar 1943 schrieb der Widerstandskämpfer Mordechai TenenbaumTamaroff in sein Tagebuch: »Barasz promised to have the Judenrat documents typed and prepared for concealment.«1 Überzeugt, dass die Juden des Białystoker Ghettos2 die deutsche Besatzung nicht überleben würden, versuchte Tenenbaum sicherzustellen, dass wenigstens die Zeugnisse aus dem Ghetto, die Auskunft über Leben und Sterben der Bevölkerung geben, gerettet würden. Gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Zwi Mersik sammelte er Dokumente und Zeitzeugenberichte in einem Geheimarchiv, das die Erinnerung an die Juden bewahren und die deutschen Verbrechen dokumentieren sollte. Der geschäftsführende Vorsitzende des Białystoker Judenrats, Efraim Barasz, unterstützte Tenenbaums Bemühungen, indem er ihm und Mersik Kopien der offiziellen Bekanntmachungen an die jüdische Gemeinde, die Protokolle der Sitzungen des Judenrats und Informationen über Treblinka aushändigte.3 Tenenbaums Anstrengungen waren nicht umsonst: In einem westdeutschen Nachkriegsprozess gegen die ehemaligen Verantwortlichen für die Deportationen aus dem Bezirk Bialystok bildeten sowohl sein Tagebuch als auch die Dokumente des Białystoker Judenrats eine entscheidende Grundlage der Beweisführung. Zwischen dem 23. März 1966 und dem 14. April 1967 mussten sich der ehemalige Leiter der Dienststelle »Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD für den Bezirk Bialystok« (kurz KdS), Dr. Wilhelm Altenloh, und drei weitere Angehörige der Sicherheitspolizei vor der Schwurgerichtskammer am Landgericht Bielefeld wegen ihrer Beteiligung an der Verfolgung und Vernich1
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Mordehai Tenenbaum-Tamaroff, zitiert in: Introduction, in: Nachman Blumenthal (Hg.), Darko shel Yudenrat: Te‘udot miggeto Bialistoq [Conduct and Actions of a Judenrat. Documents from the Bialystok Ghetto (jiddisch/hebräisch)], Jerusalem 1962, S. VII–L, hier: S. VII. Zum Białystoker Ghetto vgl. Ewa Rogalewska, Getto białostockie [Das Białystoker Ghetto], Białystok 2008; Sara Bender, The Jews of Białystok during World War II and the Holocaust, Waltham, Mass. 2008. Vgl. Tenenbaum-Tamaroff, zitiert in: Introduction, in: Blumenthal (Hg.), Darko shel Yudenrat, S. VII.
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tung der Juden aus dem Bezirk Bialystok verantworten.4 Gegenstand des so genannten Bielefelder Białystok-Prozesses waren die Deportationen der Juden aus den Ghettos Grodno (im Januar und Februar 1943), Białystok (im Februar und August 1943) und Pruz˙ana/Pruz˙any (im Januar 1943) sowie aus dem Sammellager Zambrów (im Januar 1943) in die Vernichtungslager Auschwitz und Treblinka. Neben der Mitwirkung an den Deportationen wurde den Angeklagten zur Last gelegt, sie hätten Juden auf Befehl oder aus eigener Initiative töten lassen und selbst erschossen. Um die strafrechtliche Schuld der Angeklagten feststellen zu können, musste das Gericht den Nachweis erbringen, dass sie zum Zeitpunkt der Deportationen von den tödlichen Folgen der Deportationsbefehle gewusst und mit dem Vorsatz5 gehandelt hatten, durch ihr Tun zur Judenvernichtung beizutragen. Nach den Feststellungen des Bielefelder Schwurgerichts wurden im Februar 1943 mindestens 8.000 Menschen aus dem Białystoker Ghetto abtransportiert, »davon höchstens 4.500 nach Auschwitz, die übrigen nach Treblinka«. Die Mehrzahl der Deportierten wurde in den Vernichtungslagern ermordet. »Allenfalls 500 dieser 8.000 Juden« seien »von der Tötung sofort nach der Ankunft verschont« geblieben.6 Das Gericht bezeichnete die Geschehnisse, die sich zwischen dem 5. und 12. Februar 1943 im Białystoker Ghetto abspielten, mit dem Begriff »Teilräumung«. Sie sei von der Sicherheitspolizei »mit unerbittlicher Härte und Grausamkeit« durchgeführt worden. Während der ganzen »Aktion« seien »ohne Rücksicht auf Geschlecht und Alter Hunderte von Menschen durch die Räumungstrupps der Sicherheitspolizei erschossen« worden. Nach den Feststellungen des Schwurgerichts schossen die KdS-Angehörigen »aus Willkür auf Kranke, auf Nichtgehfähige, auf Bittsteller, auf Juden, die sich in den bereits durchkämmten Teil des Gettos retten wollten, auf solche, die nicht, nicht sofort oder nicht schnell genug aus ihren Verstecken kamen und aus dergleichen Anlässen mehr«.7 Das Gericht ging davon aus, auf diese Weise seien mindestens 300 Menschen getötet worden. Der Widerstandskämpfer Tenenbaum-Tamaroff spricht in seinem Tagebuch von 800 bis 900 Toten. Das Gericht hielt diese Zahl für »nicht überhöht«, ging aber »zu4
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Vgl. Freia Anders/Hauke-Hendrik Kutscher/Katrin Stoll, Der Bialystok-Prozess vor dem Landgericht Bielefeld 1965–1967, in: dies. (Hg.), Bialystok in Bielefeld. Nationalsozialistische Verbrechen vor dem Landgericht Bielefeld 1958–1967, Bielefeld 2003, S. 76–133; Katrin Stoll, Strafverfahren gegen ehemalige Angehörige der Sicherheitspolizei für den Bezirk Bialystok, unveröffentl. Dissertation, Bielefeld 2008. Der Vorsatz im strafrechtlichen Sinn ist gebunden »an ein Kennen bzw. an eine Vorstellung«, denn »wenn der Täter bei Tatbegehung einen zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstand ›nicht kennt‹, dann handelt er nach § 16 Abs. 1 StGB ›nicht vorsätzlich‹, und ohne ›die Vorstellung‹ der ›Verwirklichung des Tatbestandes‹ (§ 22 StGB) begeht er keinesfalls den Versuch einer Straftat«. Rolf Dietrich Herzberg, Der Vorsatz als »Schuldform«, als »aliud« zur Fahrlässigkeit und als »Wissen und Wollen«?, in: Claus-Wilhelm Canaris u.a. (Hg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. IV: Strafrecht, Strafprozeßrecht, München 2000, S. 51–82, hier: S. 64. Urteil des Schwurgerichts bei dem LG Bielefeld, 5 Ks 1/65, (im Folgenden zitiert als: Urteil 5 Ks 1/65), in: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Ostwestfalen-Lippe (L/AOWL), D 21 A, Nr. 6194, Bl. 101 f. Ebd., Bl. 102.
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gunsten der Angeklagten« von der »Mindestschätzung« 300 aus.8 Die Feststellungen des Gerichts über die Umstände der Februar-»Aktion« beruhen auf dem Tagebuch Tenenbaum-Tamaroffs und auf den Aussagen der jüdischen Zeugen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Altenloh als Kommandeur »die Oberleitung« der Februar-»Räumung« inne gehabt hatte. Auf seinen Befehl, »mit seinem Wissen und Willen« seien Angehörige seiner Dienststelle aus allen Abteilungen eingesetzt worden, insbesondere Angehörige der Abteilung IV, Gestapo.9 Der Nachweis der Kenntnis gelang nur auf der Grundlage von Urkunden. Um die Dokumente des Białystoker Judenrats im Urteil als Beweisgrundlage verwenden zu können, musste sich das Gericht zunächst von ihrer Echtheit und Zuverlässigkeit überzeugen. Es beauftragte den Historiker Dr. Szymon Datner (1902–1989)10 mit der Prüfung der Quellen aus dem Białystoker Untergrundarchiv. Datner hatte während seiner Tätigkeit für das Jüdische Historische Institut (Z˙ydowski Instytut Historyczny, Z˙IH)11 mit den Quellen gearbeitet. Seine Dokumentations- und Forschungstätigkeit zur Geschichte der NS-Verbrechen in Polen begann ein paar Monate nach der Befreiung Białystoks durch die Rote Armee am 27. Juli 1944. Datner, der in seiner Geburtsstadt Kraków aufgewachsen war und dort sein Studium und seine Promotion absolviert hatte,12 kam 1928 nach Białystok und unterrichtete dort als Lehrer am Hebräischen Gymnasium. Nach der Besetzung der Stadt durch die Deutschen im Juni 1941 wurde er zusammen mit seiner Familie gezwungen, ins Ghetto zu ziehen, in dem er fast zwei Jahre eingesperrt war. Datner gelang es im Juni 1943, aus dem 8 9 10
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Vgl. ebd., Bl. 102, 110. Vg. ebd., Bl. 113. Zu Leben und Werk Szymon Datners vgl. Zofia Borzymi´nska/Rafał Z˙ebrowski, Datner Szymon, in: dies. (Hg.), Polski Słownik Judaistyczny [Polnisches Judaistisches Wörterbuch], Warszawa 2003, S. 320; Zbigniew Romaniuk, Szymon Datner (1902–1989) – historyk, dyrektor Z˙ydowskiego Instytutu Historycznego [Szymon Datner – Historiker, Direktor des Jüdischen Historischen Instituts], in: Polskie Towarzystwo Historyczne, Oddział w Białymstoku [Polnische Historische Gesellschaft, Abteilung in Białystok] (Hg.), Słownik biograficzny białostocko-łomz˙y´nski [Biographisches Wörterbuch für Białystok und Łomz˙a], Zeszyt [Heft] 1, Białystok 2002, S. 32–35; Natalia Aleksiun, Datner Szymon, in: Jerzy Tomaszewski/Andrzej Z˙bikowski, Z˙ydzi w Polsce. Dzieje i kultura [Juden in Polen. Geschichte und Kultur], Warszawa 2001, S. 78–80; »No Fear in me«, in: Małgorzata Niezabitowska/Tomasz Tomaszewski, Remnants. The last Jews of Poland, New York 1986, S. 229–260; Szymon Datner, Moi nauczyciele (Szkic autobiograficzny) [Meine Lehrer (Autobiographische Skizze)], in: Kalendarz Z˙ydowski [Jüdischer Kalender] 5748, (1987–88), S. 120–129. Die Verfasserin arbeitet derzeit an einer Studie über Datner. Zum Z˙IH vgl. Eleonora Bergman (Hg.), Jewish Historical Institute: The First Fifty Years, 1947–1997. Conference Papers, Warsaw 1996; Stephan Stach, Geschichtsschreibung und politische Vereinnahmungen: Das Jüdische Historische Institut in Warschau 1947–1968, in: Simon Dubnow Institute Yearbook 7 (2008), S. 401–431; Feliks Tych, The Emergence of Holocaust Research in Poland: The Jewish Historical Commission and the Jewish Historcial Institute (Z˙IH), 1944–1989, in: David Bankier/Dan Michman (Hg.), Holocaust Historiography in Context. Emergence, Challenges, Polemics and Achievements, Jerusalem 2008, S. 227–244. Vgl. Zygmunt Hoffman, W 85-ta˛ rocznice˛ urodzin Szymona Datnera [Zum 85ten Geburtstag Szymon Datners], in: Biuletyn Z˙ydowskiego Instytutu Historycznego 142 (1987), S. 155–160, hier: S. 155–158.
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Katrin Stoll
Ghetto zu fliehen. Er gehörte den Partisaneneinheiten Forojs/Forois [Vorwärts] – von August 1943 bis Mai 1944 – und 26 Jahre Oktober an.13 Im Ghetto hatte er sich im Frühling 1943 der Widerstandsorganisation der Kommunistin Judyta Nowogródzka (Organisation Judyta) angeschlossen. Datners Frau Róz˙a und seine beiden Töchter (Miriam, 18 Jahre alt, und Szulamit, 14 Jahre alt) wurden im Ghetto von den Deutschen ermordet.14 Im August 1944 kehrte Datner ›aus den Wäldern‹ in das befreite Białystok zurück,15 wo er Vorsitzender der kehilla – der jüdischen Gemeinde – wurde16 und sich am Wiederaufbau jüdischen Lebens nach dem Holocaust beteiligte. Im November 1944 wurde er zum Vorsitzenden des jüdischen Wojewodschaftskomitees in Białystok gewählt, das »eine breit gefächerte gesellschaftliche Arbeit« für die wenigen Überlebenden aus Białystok und Umgebung durchführte. Beim Jüdischen Wojewodschaftskomitee wurde eine Historische Kommission gegründet, deren Ziel es war, Zeugnisse der überlebenden Juden zu sammeln, um »das Unglaubliche für die Ewigkeit festzuhalten, das dem jüdischen Volk gerade eben unter der Naziherrschaft zugestoßen war«.17 Datner, der aus seiner Verfolgungserfahrung und seinen Erlebnissen unter deutscher Besatzung den Schluss gezogen hatte, sein Leben der Erforschung der NS-Verbrechen zu widmen,18 arbeitete beim Zusammentragen der Überlebendenberichte mit. Das Material wurde nach der Auflösung der Jüdischen Historischen Wojewodschaftskommission in Białystok der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission (Centralna Z˙ydowska Komisja Historyczna, CZ˙KH)19, der Vorläuferorganisation des Jüdischen Historischen Instituts in 13
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Vgl. Z˙yciorys Szymona Datnera [Lebenslauf Szymon Datners], 13. Juni 1970, in: AZ˙IH, Dział Kadr [Personalabteilung], teczki personalne [Personalakten], sygn. 80, Bl. 14. Vgl. Szymon D., in: Karl Fruchtmann, Zeugen. Aussagen zum Mord an einem Volk, Hamburg 1982, S. 28; Vernehmung des Zeugen Dr. Szymon Datner in der Hauptverhandlung der Strafsache gegen Dr. Altenloh und Andere (5 Ks 1/65) vom 23. Mai 1966, in: L/AOWL, D 21 A, 6341, Tonband 17 Rückseite. Vgl. Szymon Datner, der untererdiszer bialistoker geto-archiv (m-t-archiv). I teil: di bialistoker »provinc«, dokumentn, in: bleter far geszichte 18 (1970), S. I – CLXV, hier: S. I. Gespräch der Verfasserin mit Dr. Helena Datner, der Tochter Szymon Datners, am 22. April 2009 in Warschau. Datner, der untererdiszer bialistoker geto-archiv (m-t-archiv), S. IV. Datner erwiderte in einem Interview auf die Frage, warum er nicht in Palästina – er hatte sich von 1946 bis 1948 dort aufgehalten, um seinen kranken Vater zu besuchen – geblieben sei: »I had gone there to fulfil my obligations as a son. I had done homage to my father, but my wife [Datner hatte nach der Befreiung eine jüdische Frau namens Edwarda Orłowska geheiratet] waiting for me in Warsaw. Besides, I had already decided long before to dedicate my life to research into the war crimes that the Germans had committed against the Jews. The best place for doing that was Poland. I returned and went to work at the Jewish Historical Institute.« »No Fear in me«, S. 239. Vgl. AZ˙IH, CZ˙KH, sygn. 303/XX; Noe Grüss, Rok pracy Centralnej Z˙ydowskiej Komisji Historycznej [Ein Jahr Arbeit der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission], Łód´z 1946; Stephan Stach, »Praktische Geschichte«. Der Beitrag jüdischer Organisationen zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Polen und Österreich in den späten 40er Jahren, in: Fritz Bauer Institut (Hg.), Opfer als Akteure. Interventionen ehemaliger NS-Verfolgter in der Nachkriegszeit, Frankfurt a.M. 2008, S. 242–262, hier: S. 245–251; Natalia Aleksiun, The Central Jewish Historical Commission in Poland 1944–1947, in: Gabriel Finder/Natalia Aleksiun/Jan Schwarz (Hg.), Making Holocaust Memory (Polin. Studies in Polish Jewry, Bd. 20), Oxford 2008, S. 74–97;
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Warschau, übergeben.20 Die Zentrale Jüdische Historische Kommission veröffentlichte 1946 Datners Studie über das Białystoker Ghetto,21 in der er sich in erster Linie auf seine eigenen Beobachtungen, Erlebnisse und Erfahrungen im Ghetto und auf Dokumente der Jüdischen Historischen Kommission stützt. Datner betrachtete seine Arbeit als Grundlage für eine »zukünftige Monographie« über die Geschehnisse in Białystok unter deutscher Besatzung.22 Nach dem Krieg veröffentlichte Datner im Rahmen seiner Tätigkeit für das ˙ZIH (von 1948 bis 195323 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut und von 1969 bis 1970 Direktor) und für die polnische »Hauptkommission zur Untersuchung hitleristischer Verbrechen in Polen« (von Februar 1956 bis Dezember 1969) zahlreiche wichtige Aufsätze zum Holocaust24 und mehrere Studien über die Verbrechen der Wehrmacht in Polen.25
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Laura Jokusch, Khurbn Forshung – Jewish Historical Commissions in Europe, 1943–1949, in: Simon Dubnow Institute Yearbook 6 (2007), S. 441–473, hier: S. 444 f.; Andrzej Z˙bikowski, U genezy Jedwabnego. Z˙ydzi nad kresach północno-wschodnich II Rzeczypospolitej, wrzesie´n 1939 – lipiec 1941 [Zur Genese Jedwabnes. Juden in den nord-östlichen Grenzgebieten der II. Republik, September 1939 – Juli 1941] Warszawa 2006, S. 248 f. Datner, der untererdischer bialistoker geto-archiv (m-t-archiv), S. IV. Szymon Datner, Walka i zagłada białostockiego ghetta [Der Kampf und die Vernichtung des Białystoker Ghettos], Łód´z 1946. Die Arbeit wurde für das Bielefelder Schwurgericht aus dem Polnischen ins Deutsche übertragen. Vgl. Bundesarchiv [Barch], B 162/AR-Z 900/68, Bl. 0351–0416. Vgl. ebd., Bl. 0351. Aufgrund einer Auseinandersetzung mit dem Direktor, Bernard Mark, wurde Datner im April 1953 entlassen. Mark betrieb die ›stalinistische‹ Umstrukturierung des Z˙IH, die sich, so Stephan Stach, in »ideologischen Überformungen« und in der »ideologischen Überarbeitung« der vierten Nummer der Institutszeitschrift Biuletyn Z˙IH spiegele. Datner, der als einziger leitender Mitarbeiter des Z˙IH nicht Mitglied der kommunistischen Partei PZPR war, wollte unter diesen Umständen nicht länger für das Institut tätig sein. Bereits Anfang März 1953 hatte er seine Kündigung zum 30. April eingereicht, betonend, dass »seine weitere Zusammenarbeit mit der Leitung« des Z˙IH »nicht möglich« sei. Am 7. April legte Datner dann schriftlich Beschwerde bei der Direktion ein, da in seinen 1952 in dem Biuletyn Z˙IH erschienenen Artikel unter dem Titel »Wehrmacht a ludobóstwo« [Wehrmacht und Völkermord] ohne sein Wissen und ohne seine Billigung eine Passage eingefügt worden war, die sich gegen das American Jewish Joint Distribution Committee (kurz Joint) richtete. Datner wehrte sich gegen die Verunglimpfung des Joint in seinem Namen. Er forderte, die Täter zu ermitteln und zu bestrafen und die Passage in allen Exemplaren der Zeitschrift zu streichen. Dies geschah jedoch nicht. Mark wertete, wie aus einem Protokoll der Mitarbeiterversammlung vom 8. April 1953 hervorgeht, Datners Erklärung als Angriff auf die Parteigruppe innerhalb des Instituts. Bemerkenswert ist, dass sich alle Mitarbeiter auf die Seite Marks stellten und Datner illoyales Verhalten verwarfen. Datner wurde entlassen und in seiner Personalakte wurde vermerkt, dass er für »Intelligenzberufe« ungeeignet sei. Erst 1966 nahm Mark, gegen den Datner einen Zivilprozess in dieser Sache geführt hatte, in dem Biuletyn Z˙IH eine Richtigstellung vor und entschuldigte sich beim Autor für die Einfügung. Vgl. Stach, Geschichtsschreibung und politische Vereinnahmungen, S. 416, 417 und S. 419; Schreiben Szymon Datner an die Direktion des Z˙IH vom 5. März 1953, in: AZ˙IH, Dział Kadr, teczki personalne, Szymon Datner, sygn. 80, Bl. 74 und 76, sowie IPN, BU 01178/1141, 2945/2-1, Bl. 13-20. Vgl. die Literaturhinweise bei: Romaniuk, Szymon Datner (1902–1989), S. 34 f. Hervorzuheben ist hier insbesondere folgender wegweisender Aufsatz Datners: Szymon Datner, Eksterminacja ludno´sci Z˙ydowskiej w okre˛gu białostockim [Die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im Bezirk Bialystok], in: Biuletyn Z˙IH 60 (1966), S. 3–50. Auf Englisch liegen folgende Studien vor: Szymon Datner, Crimes Committed by the Wehrmacht during the September Campaign and the Period of Military Government (1.9. –
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In seiner Funktion als Tatzeuge und Historiker des Holocaust war Szymon Datner eine wichtige Beweisperson für das Bielefelder Schwurgericht. Die folgenden Ausführungen befassen sich mit ausgewählten Aussagen des Sachverständigen Datner vor Gericht. Die Untersuchung lässt sich von drei Fragen leiten: Was berichtete Datner dem Gericht über die Herkunft und den Zustand der Judenratsmeldungen und -protokolle? Welche Maßnahmen wurden angewandt, um die Echtheit der Dokumente zu überprüfen? Worin liegt ihre strafprozessuale Relevanz? Bevor diese Fragen beantwortet werden, soll zunächst dargestellt werden, warum sich das Gericht während der Hauptverhandlung auf die Suche nach Urkunden begab und wie es auf die Dokumente des Białystoker Judenrates stieß.
II. Die Suche nach Dokumenten: Zu den Ermittlungen des Schwurgerichts während der Hauptverhandlung Die Hauptverhandlung des Verfahrens gegen Dr. Altenloh und Andere wurde am 23. März 1966 eröffnet. Verhandelt wurde gegen vier Angeklagte: Wilhelm Altenloh, Lothar Heimbach, Heinz Errelis und Richard Dibus. Die Angeklagten Dr. Herbert Zimmermann und Hermann Bloch hatten sich vor Prozessbeginn das Leben genommen. Altenloh, der vom 4. April 1942 bis zum 3. April 1943 Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in Białystok gewesen war, musste sich wegen seiner Beteiligung an den Deportationen von 6.000 Juden aus Zambrów, von mindestens 10.000 Juden aus Grodno und mindestens 6.000 Juden aus Białystok (Februar 1943) vor Gericht verantworten. Die Anklage warf dem ehemaligen Leiter der Abteilung IV (Gestapo) beim KdS, Heimbach, und dem ehemaligen Mitarbeiter des »Judenreferates« beim KdS, Dibus, vor, im Februar 1943 zur Tötung von 6.000 und im August 1943 zur Tötung von mindestens 15.000 Menschen aus dem Białystoker Ghetto beigetragen zu haben.26 Der ehemalige Leiter der KdS-Außenstelle in Grodno, Errelis, wurde beschuldigt, »befehlsgemäß« den Abtransport von mindestens 10.000 Juden aus dem Ghetto I in Grodno in die Vernichtungslager geleitet zu haben. Für die Deportationen aus Białystok im August 1943 habe Errelis persönlich die erforderliche Anzahl an Zügen bei der Reichsbahndirektion Königsberg bestellt und während der »Räumung« eine »weißruthenische Schutzmannschaft« befehligt.27 Was die angeklagten Handlungen zum Tatkomplex der Deportationen anbetrifft, fällt auf, dass die Staatsanwaltschaft nur einen
26
27
25.10.1939), in: Polish Western Affairs 3 (1962), S. 294–338; ders., Crimes of the Wehrmacht in Poland during the September 1939 Campaign and the Period of Military Administration (1.9. – 25.10.1939), in: ders./Janusz Gumkowski/Kazimiersz Leszczy´nski (Hg.), War Crimes in Poland. Genocide 1939–1945, Warszawa 1962, S. 10–40; ders., Crimes against POWs. Responsibility of the Wehrmacht, Warszawa 1964. Vgl. Anklageschrift des Leiters im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund (45 Js 1/61), vom 15. Dezember 1964, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6270, Bl. 1–184, hier: Bl. 10 f. Ebd., Bl. 14.
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Teil der Abtransporte von Juden aus dem Bezirk Bialystok zum Gegenstand des Strafvorwurfs machte. So waren die ersten Deportationen von Juden aus Grodno und Umgebung im November und Dezember 1942, aus Sokółka und Wołkowysk im Januar 1943 sowie aus Pruz˙ana/Pruz˙any im Januar und Anfang Februar 1943 nicht Teil der Anklage. Dass diese Deportationen im Prozess überhaupt zur Sprache kamen, ist ein Ergebnis der Recherchen des Bielefelder Schwurgerichts während der Hauptverhandlung.28 Da den Richtern das von der Staatsanwaltschaft zusammengetragene Beweismaterial nicht ausreichend erschien, um die Angeklagten wegen ihrer Beteiligung an den Deportationen schuldig zu sprechen, begaben sie sich während der Beweisaufnahme auf die Suche nach Urkunden.29 Der Beisitzende Richter, Dr. Horst Gaebert, sandte Anfragen an die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, an das Institut für Zeitgeschichte in München, die israelische Gedenkstätte Yad Vashem, das Bundesarchiv Koblenz, die Polnische Hauptkommission und an den Historiker Dr. Szymon Datner.30 Das Gericht benötigte Dokumente, die den Tod der nach Treblinka und Auschwitz Deportierten dokumentierten. Von besonderer Relevanz für das Gericht waren in diesem Zusammenhang die »Hefte von Auschwitz«, in denen ein Kalendarium von Ereignissen, die das Konzentrations- und Vernichtungslager betreffen, zusammengestellt ist. Es listet unter anderem auch die Deportationen aus dem Bezirk Bialystok auf. Gaebert bat darum, die Historikerin Danuta Czech, die das Kalendarium erstellt hatte, auf die Zeugen-Reserve-Liste zu setzen und sie zum Thema »Zustandekommen, Grundlagen und Zuverlässigkeit des ›Kalendariums der Ereignisse in Auschwitz‹ in den Auschwitz-Heften 3, 4 und 6, soweit es die RSHA-Transporte« aus den Ghettos des Bezirks Bialystok und aus Zichenau in dem Zeitraum November 1942 bis August 1943 betrifft, zu befragen. Czech erhielt eine Ladung des Schwurgerichts und wurde am 24. und 26. Oktober 1966 gehört.31 Gaebert bemühte sich auch, die Autorin des Aufsatzes über das Untergrundarchiv im Białystoker Ghetto, Bronia Klibanski,32 dazu zu bewegen, von Israel nach Deutschland zu reisen und vor dem Schwurgericht als Zeugin über den Inhalt ihres Artikels und die inhaltliche Richtigkeit von Urkunden aus dem Geheimarchiv eine Aussage zu machen.33 Die Untersuchungsstelle für nationalsozialistische Gewaltverbrechen beim Landesstab der Polizei Israel musste 28 29 30 31
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Vgl. Stoll, Strafverfahren, S. 249 f. Vgl. ebd., S. 233–238. Vgl. L/AOWL, D 21 A, Nr. 6171. Vernehmung der Zeugin Danuta Czech vom 24. und 26. Oktober 1966 in der Hauptverhandlung der Strafsache gegen Dr. Altenloh und Andere (5 Ks 1/65), in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6178, Bl. 736–737c und Bl. 748–753; L/AOWL, D 21 A, Nr. 6342, Tonband 36 Rückseite, 37 Vorderseite. Stoll, Strafverfahren, S. 245–249. Vgl. Bronia Klibanski, The Underground Archives of the Bialystok Ghetto Founded by Mersyk and Tenenbaum, in: Yad Vashem Studies 2 (1958), S. 285–329. Klibanski gehörte der Widerstandsbewegung im Białystoker Ghetto an. Vgl. Schreiben des Vorsitzenden des Schwurgerichts Bielefeld, i.A. LGR Gaebert, an Bronia Klibanski vom 8. August 1966, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6171, Bl. 144–146.
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Gaebert jedoch mitteilen, dass Frau Klibanski aufgrund einer längeren Reise nach Afrika nicht imstande sei, als Zeugin vor dem Bielefelder Schwurgericht zu erscheinen. Die Polizei in Israel war der Auffassung, dass der Herausgeber der Białystoker Judenratsdokumente, Nachman Blumenthal, »ein für die Wahrheitsfindung wesentlich wichtigerer und bedeutenderer Zeuge« sei als Klibanski. Vor seiner Einwanderung nach Israel sei der Historiker Direktor des Historischen Instituts in Warschau gewesen und habe die Dokumente aus dem Untergrundarchiv, um deren Beschaffung sich das Gericht bemühe, im Original eingesehen. Er sei bereit, als Zeuge vor dem Schwurgericht Bielefeld zu erscheinen.34 Blumenthal war für den 24. Oktober 1966 als Zeuge geladen, konnte jedoch nach eigenen Angaben aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Deutschland reisen. Er bedauerte, keine Aussage vor Gericht machen zu können und betonte, er habe »den besten Willen« gehabt, »nach Deutschland zu kommen, um dem Gericht behilflich zu sein, die Wahrheit festzustellen«. Er sei »noetigenfalls bereit«, in Israel vor berufener Behörde auszusagen, da ihm »sowohl die Reisebeschwerden als auch die fremde, teilweise feindliche Umgebung erspart bleiben würde«.35 Das Gericht hatte durch den Historiker Dr. Wolfgang Scheffler36 von Blumenthals Edition der Meldungen und Protokolle des Judenrats in Jiddisch und Hebräisch sowie von der Veröffentlichung des Tagebuchs des Widerstandskämpfers Tenenbaums in hebräischer Sprache37 erfahren.38 Zu Beginn der Hauptverhandlung hatte Gaebert an den Historiker geschrieben und ihn gebeten, für das Verfahren gegen Dr. Altenloh und Andere ein Gutachten zu erstatten zur Organisation der Judendeportationen, insbesondere in der Zeit von Mitte 1942 bis Oktober 1943. Schefflers Gutachten sollte zwei Problemfelder behandeln: die allgemeine Organisation der Judendeportation und die Deportationen in die Vernichtungslager. Was den ersten Punkt anbetrifft, interessierte sich das Gericht insbesondere für allgemeine Richtlinien, Zuständigkeiten, Befehlswege, mitwirkende Stellen und Einzelpersonen. Hinsichtlich 34
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Vgl. Schreiben der Untersuchungsstelle für NS-Gewaltverbrechen beim Landesstab der Polizei Israel an den Vorsitzenden des Schwurgerichts Bielefeld vom 11. August 1966, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6171, Bl. 163–164. Schreiben von Nachman Blumenthal an das LG Bielefeld vom 2. Oktober 1966 in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6177, Bl. 747 Wolfgang Scheffler (1929–2008) war in vielen Verfahren wegen NS-Gewaltverbrechen als historischer Sachverständiger tätig. Schefflers Gutachten für den Bielefelder Białystok-Prozess blieb bis zur Veröffentlichung der Dissertation seines Schülers Christian Gerlach (vgl. Christian Gerlach, Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941–1944, Hamburg 2000) die einzige historische Abhandlung eines westdeutschen Historikers zur Vernichtung der Juden des Bezirks Bialystok. Dieter Pohl hat Scheffler in einem Nachruf als »den führenden deutschen Holocaustforscher bis in die 80er-Jahre« bezeichnet. Vgl. http://www. taz.de/1/leben/koepfe/artikel/1/urgestein-deutscher-forschung-ist-tot [26.7.2009]. Mordehai Tenenbaum-Tamaroff, Pages From Fire: Dappim Min Hadleka, Ha-Kibbutz HaMeuhad 1947. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6195, Bl. 191. Das Gericht bat RA Dr. Friebertshäuser anlässlich seiner Israel-Reise im Rahmen des Sobibór-Prozesses, zwei Exemplare von Blumenthals Edition der Meldungen und Protokolle des Judenrats auf Kosten des Gerichts mitzubringen. Vgl. Schreiben des Vorsitzenden des Schwurgerichts Bielefeld an Dr. Friebertshäuser vom 20. Juli 1966, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6171, Bl. 109.
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der Deportationen in die Vernichtungslager wurde Scheffler gebeten, das Schicksal der Juden aus dem Bezirk Bialystok besonders zu berücksichtigen und auf die Frage der dienstlichen Kenntnis der mit den Deportationen befassten Stellen und Personen einzugehen.39 Durch das schriftliche Gutachten erfuhr das Bielefelder Schwurgericht von der Existenz weiterer Dokumente. Es bemühte sich, alle von Scheffler verwendeten Quellen zu beschaffen und auf ihre Zuverlässigkeit prüfen zu lassen.40 In seinen Ausführungen zur Geschichte des Białystoker Ghettos stützt sich Scheffler auch auf die Dokumente des Judenrats. Den Meldungen, die für den Zeitraum vom 8. Juli 1941 bis zum 1. April 1943 vorliegen, ist zu entnehmen, dass am 26. Juli 1941 die Bildung des Ghettos angeordnet und die Bevölkerung veranlasst wurde, bis Ende Juli in das neue Wohnviertel umzuziehen.41 Die Quellen geben Auskunft über die Maßnahmen der deutschen Behörden gegenüber der Ghettobevölkerung. Scheffler nennt einige »Schwerpunkte«, die sich aus den Bekanntmachungen und Protokollen ergeben: »Bußezahlungen; Beschlagnahme von allen möglichen Gebrauchsgegenständen für die Belange der deutschen Behörden; häufige Registrierung der Bevölkerung; Arbeitseinsatz außerhalb des Ghettos; Ausgangssperre innerhalb des Ghettos; Kampf um die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung; Einführung der allgemeinen Arbeitspflicht; Deportation von 4.500 Arbeitsunfähigen, Alten und Kranken nach Prushana und Notwendigkeit der Unterstützung des dortigen Ghettos durch den Judenrat in Bialystok; die wachsende Gefahr der illegalen Einwanderung in das Ghetto und die dadurch drohenden Deportationsmaßnahmen durch die deutschen Behörden; die immer wieder auftretende Gefahr einer Verkleinerung des Ghettos; die ständige Drohung der Behörden, bei Verstößen die Geheime Staatspolizei einzuschalten und die Todesstrafe anzuwenden; die sich verstärkende Flucht vor der Einbeziehung in die allgemein bekannten Massenexekutionen, wie sie sich laufend in den angrenzenden litauischen und sowjetischen Gebieten ereigneten.«42 Scheffler führte drei Gründe für die Tatsache an, dass das Białystoker Ghetto relativ lange existierte: Erstens sei der Bezirk und damit auch das Ghetto nicht Teil des Generalgouvernements gewesen. Zweitens habe Gauleiter Koch »ein gewisses Interesse an der Existenz des Ghettos« gehabt. Drittens habe der Judenrat »die einzig richtige Politik in der Gefahr der drohenden Situation« 39
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Vgl. Schreiben des LG Bielefeld, Dr. Gaebert, an Dr. Wolfgang Scheffler vom 7. April 1966, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6171, Bl. 56. Vgl. den Artikel der Freien Presse vom 9. April 1966, Nr. 182, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6250. Vgl. Wolfgang Scheffler, Zur Organisation der Judendeportation unter besonderer Berücksichtigung des Schicksals der Juden im Bezirk Bialystok (1941–1943), Gutachten vom 8. Juli 1966, erstattet vor dem Schwurgericht Bielefeld, in: Barch, B 162/153, 4063, Bl. 1–94, hier: Bl. 48. Ebd., Bl. 48 f.
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eingeschlagen, »nämlich das Ghetto in bestimmter Weise für die deutschen Behörden interessant und wichtig erscheinen zu lassen«. Der eigentliche Leiter des Judenrats, Barasz, habe erkannt, dass »in der systematischen Errichtung von Produktionsstätten im Ghetto eine gewisse Chance für das Fortbestehen des Ghettos lag«.43 Dem Judenrat sei es gelungen, die zuständigen Beamten der örtlichen Verwaltung bis zum Winter 1942/1943 »von der Notwendigkeit der Fortexistenz des Ghettos zu überzeugen«. Der Judenrat habe neben der Zivilverwaltung und dem Stadtkommissar mit verschiedenen Abteilungen der Stadtverwaltung zu tun gehabt. Im März 1942 sei eine Ghettoverwaltung beim Stadtkommissar eingerichtet worden.44 Dabei hätten sich die deutschen Behörden am Beispiel des Ghettos in Łód´z orientiert. Der »Grundzug in der Behandlung der jüdischen Bevölkerung in den Ghettos« sei der gleiche gewesen: »die restlose Ausnutzung der Arbeitskraft der isolierten Ghettobevölkerung«.45 Dennoch sei sich auch der Judenrat darüber bewusst gewesen, dass die Ghettobevölkerung von der Vernichtung bedroht sei. Barasz habe über »gute Informationen über die Geschehnisse außerhalb des Bezirks« verfügt, und auch in der Bevölkerung sei »die Kenntnis von der Existenz des Vernichtungslagers Treblinka weit verbreitet« gewesen. Am 11. Oktober 1942 habe Barasz gewarnt, die Vernichtung beginne bei denjenigen, die nicht arbeiteten.46 Dies ergibt sich aus einem Protokoll, das der Białystoker Judenrat von einer »Speziellen Versammlung« im Ghetto anfertigen ließ.47
III. Der Sachverständige Dr. Szymon Datner zu den Dokumenten des Białystoker Judenrats Dr. Bloch, die Frau des Stuttgarter Landesrabbiners, übersetzte die Protokolle von den Sitzungen des Białystoker Judenrats, Hans-Peter Stähli, Lektor für Hebräisch an der Kirchlichen Hochschule Bethel (Bielefeld),48 die Meldungen des Judenrats für das Gericht.49 Stähli, der auch eine Übersetzung des Tagebuchs von Tenenbaum-Tamaroff anfertigte, sollte nicht alle, sondern nur die für den Prozess relevanten Dokumente ins Deutsche übertragen. In den von Stähli für das Gericht übersetzten Meldungen50 geht es unter anderem um: Verordnungen, Maßnahmen, Anweisungen, Mitteilungen, Drohungen und Warnungen deutscher Behörden, die Ausplünderung der Ghettobevölkerung durch die deutschen Dienststellen, die Arbeitssituation innerhalb und außer43 44 45 46 47 48
49
50
Ebd., Bl. 49. Vgl. ebd., Bl. 50. Ebd., Bl. 51. Ebd., Bl. 52. Vgl. Protokoll Nr. 50 vom 11. Oktober 1942. Hans-Peter Stähli wurde 1966 Lektor, später Studienprofessor für Hebräisch und Altes Testament an der Kirchlichen Hochschule in Bethel. Vgl. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6195, Bl. 191. Stähli schloss seine Übersetzung am 23. August 1966 ab. Vgl. L/AOWL, D 21 A, Nr. 6188, Bl. 196. Stählis Übersetzung ist zu finden in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6188.
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halb des Ghettos, angedrohte beziehungsweise vollzogene Strafmaßnahmen, hygienische und sanitäre Angelegenheiten, die Versorgung der Ghettobevölkerung, die Deportation eines Teil der Bevölkerung nach Pruz˙ana/Pruz˙any, besondere Ereignisse im Ghetto. Bevor die übersetzten Quellen des Białystoker Judenrats verlesen wurden, ließ das Gericht sie von dem Historiker Dr. Szymon Datner auf ihre Echtheit prüfen. Er wurde im Bielefelder Białystok-Prozess mehrfach vernommen.51 Als Beweisperson übernahm Datner zwei verschiedene Rollen: die des Zeugen und die des Sachverständigen.52 Der Sachverständige wirkt an der Aufklärungs- und Beweistätigkeit mit, indem er – eine spezielle, dem Richter fehlende Sachkunde anwendend – über Tatsachen oder Erfahrungssätze Auskunft erteilt oder einen bestimmten Sachverhalt beurteilt. Die Anwendung und Vermittlung von »Sachkunde« ist jedoch kein hinreichendes Kriterium für die exakte Abgrenzung der Rolle des Sachverständigen zu der des Zeugen, denn gemäß § 85 StPO ist sachverständiger Zeuge, wer »zum Beweis vergangener Tatsachen oder Zustände, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde erforderlich war«, vernommen wird. Verfahrensrechtlich gesehen ist der sachverständige Zeuge ein Zeuge wie jeder andere auch.53 Ausgehend vom ›Idealtypus‹ des Sachverständigen, der nur sein Erfahrungswissen vermittelt, nennt Gerald Grünwald zwei Aspekte, die den Unterschied zwischen der Funktion des Sachverständigen und der des Zeugen begründen. Der erste betrifft die verschiedenen Leistungen, die erwartet werden. Der Zeuge solle »seine Erinnerung an Wahrnehmungen über konkrete Umstände mitteilen«. Im Gegensatz dazu beziehe sich »die Tätigkeit des Sachverständigen auf die Beurteilung solcher Umstände mithilfe von allgemeinen Erfahrungssätzen«.54 Daraus folge, dass es »sachgemäß« sei, »dem Sachverständigen die (vorläufigen) Ergebnisse der Beweiserhebungen zu unterbreiten«. Dem Zeugen dagegen sei »ihre Kenntnis (zunächst) so weit wie möglich vorzuenthalten«, um sicherzustellen, dass er nicht durch sie beeinflusst werde. Da der Sachverständige »bei der Beurteilung von Fakten tätig« werde und das »beim Richter vorhandene Defizit an Fachwissen« beheben solle, werde er häufig als ›Gehilfe des Richters‹ bezeichnet. Grünwald betont, er sei »nur Gehilfe«, denn er solle dem Richter die Beurteilung nicht abnehmen, sondern sie vielmehr ermöglichen. Der Sachverständige habe dem Richter »nur bei der Beurteilung im Bereich des Tatsächlichen, nicht bei der rechtlichen Bewertung« zu helfen. Als zweiten Aspekt nennt Grünwald, dass der Sachverständige im Gegensatz zum Zeugen »ersetzbar« sei. So verfüge »ein – mehr oder weniger großer – Kreis von Personen« über »die erforderliche Sachkunde«. Es bedürfe »einer Entscheidung über die Auswahl des zu beauftragenden Sachverständigen«.55 Bestrebt, eine »genauere Abgrenzung zwischen der Sach51
52 53
54 55
Datner wurde am 20. und 23. Mai sowie am 31. Oktober, am 2. und am 4. November 1966 vernommen. Vgl. Stoll, Strafverfahren, S. 239 ff. und S. 463 ff. Vgl. Sascha Vyhnálek, Die Abgrenzung von Sachverständigen und Zeugen im Strafverfahren, Kiel 1997, S. 17. Gerald Grünwald, Das Beweisrecht der Strafprozeßordnung, Baden-Baden 1993, S. 46 f. Ebd., S. 47.
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verständigen- und der Zeugenrolle« vorzunehmen, nennt Grünwald zwei Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit eine Aussageperson, die über von ihr wahrgenommene Tatsachen berichtet, zum Sachverständigen wird: Es komme darauf an, ob es sich um Tatsachen handele, »die nur vermöge besonderer Sachkunde wahrgenommen oder verstanden werden« könnten und »die der Betreffende in Ausführung eines Auftrages zur Erstattung eines Gutachtens erkundet« habe.56 Die Frage der Abgrenzung von Zeugen und Sachverständigen war im Fall Datners insofern von Relevanz, als er am 31. Oktober 1966 zunächst als Zeuge vernommen wurde. Im Verlauf der Vernehmung entschied das Gericht indes, den Historiker, der während seiner Tätigkeit für das Jüdische Historische Institut in Warschau Unterlagen aus dem Białystoker Ghettoarchiv eingesehen und ausgewertet hatte, zu bitten, sich gutachtlich über die von dem israelischen Historiker Nachman Blumenthal herausgegebenen Meldungen und Protokolle des Białystoker Judenrats zu äußern. Nachdem der Vorsitzende den Prozessbeteiligten verkündet hatte, dass er beabsichtige, Datner als Sachverständigen zu vernehmen, erfolgte eine Verhandlungspause, die der Historiker dazu nutzte, einen stichprobenartigen Abgleich der Blumenthal-Edition mit den Materialien aus Warschau vorzunehmen. Der genaue Wortlaut der Anweisung, die das Gericht Datner mündlich erteilte, ist nicht überliefert. Ob der Historiker den Auftrag erhalten hatte, ein schriftliches Gutachten anzufertigen, lässt sich den Quellen nicht entnehmen. Wahrscheinlich hatte er nur Zeit, um sich Notizen zu machen, denn er trug dem Gericht keinen ausformulierten Text zum Thema Herkunft, Zustand und Quellenwert der Meldungen und Protokolle des Białystoker Judenrats vor, sondern er wurde lediglich vom Beisitzenden Richter Gaebert dazu befragt: Beisitzer:
Dr. Datner: Beisitzer: Dr. Datner: Beisitzer: Dr. Datner: Beisitzer:
Dr. Datner: Beisitzer: Dr. Datner: 56
Ebd., S. 49.
Herr Dr. Datner, als erstes interessiert uns die Frage: Sind beim Jüdischen Historischen Institut in Warschau Judenratsprotokolle und Judenratsbekanntmachungen des früheren Judenrates von Białystok vorhanden? Ich kann es nur in der Vergangenheit sagen. Bitte ja. Sie waren vorhanden, als sie in meine Hand kamen. Und Sie waren von 1948 bis 1953 Mitarbeiter dieses Instituts? Jawohl. Sie waren also bis 1953 enth_ ä dort vorhanden. Und in welcher Form waren sie vorhanden? Wie sahen diese Judenratsbekanntmachungen aus? Ä, ich möchte die Frage heute ä nicht mit Sicherheit beantworten, wie das technisch, technisch aussah ä_ Darf ich eine Ergänzungsfrage stellen? Ja.
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Beisitzer: Dr. Datner: Beisitzer: Dr. Datner:
Waren sie handschriftlich? Waren es Handschriften? Nein. War es Schreibmaschin_ Alle, sämtliche Unterlagen, sowohl die Judenratsprotokolle als auch die Judenrats sogenannte Meldungen Beisitzer: Ja Dr. Datner: waren Jiddisch in ein_ durch eine ä, äm Handmaschine. Übersetzerin: Schreibmaschine. Dr. Datner: Durch eine Schreibmaschine geschrieben. Beisitzer: Durch Schreibmaschine geschrieben und in Jiddisch. Dr. Datner: und in Jiddisch. Beisitzer: Und in Jüdisch, jüdisch. Ja. Dr. Datner: Jawohl. Beisitzer: Und Sie selbst haben Bekanntmachungen und auch Meldungen gesehen, in der Hand gehabt, damit gearbeitet. Dr. Datner: Jawohl, ich hab’ sie bearbeitet Beisitzer: Ja Dr. Datner: und sogar teilweise veröffentlicht. Beisitzer: Teilweise veröffentlicht. Dr. Datner: Ja. Beisitzer: Trugen diese Schreibmaschinenblätter eine Unterschrift? Dr. Datner: Nein. Beisitzer: Keine Unterschrift. Dr. Datner: Sie trugen keine Unterschrift. Immer ma_ immer war es stereotypisch geschrieben Der Judenrat in Białystok als Unter_ Beisitzer: Stereotyp war als Unterschrift, aber kein Handzug, keine handschriftliche Unterschrift. Dr. Datner: Nein, soviel ich gedenke, keine. Keine. Beisitzer: Und ä wiesen diese Schreibmaschinenblätter sonst irgendeine Auffälligkeit auf? Waren sie zerknüddelt, zerknittert, gebraucht, oder waren sie frisch, neu, ungebraucht? Dr. Datner: Ä, soweit ich gedenke, ä waren sie nicht in einem schlechten Zustand, sondern ich möchte sagen, dass ä sie ein Jahr, ein halbes Jahr, zwei Jahre oder drei Jahre alt sind. Beisitzer: Ja. Gut lesbar. Dr. Datner: Sehr lesbar. Beisitzer: Sehr lesbar. Dr. Datner: Ja. […] […]57 57
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Vernehmung Dr. Szymon Datner durch das Bielefelder Schwurgericht in der Strafsache gegen Dr. Altenloh und Andere (5 Ks 1/65) vom 2. November 1966, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6341, Tonband 38 Vorderseite.
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Der Vernehmungsauszug zeigt, dass Datner sich bei der Beantwortung der Fragen auf seine Erinnerung verlassen musste, denn er hatte die Dokumente aus dem Archiv des Jüdischen Historischen Instituts nicht vor sich. Das Gericht hatte die Unterlagen aus Warschau nicht mehr anfordern können, da es den Beschluss, Datner als Sachverständigen zu den Dokumenten des Judenrats zu vernehmen, erst während seiner Vernehmung gefasst hatte. Zum Białystoker Ghettoarchiv und dessen Überlieferungsgeschichte befragt, berichtete Datner dem Gericht, dass Bronka Winicka (später Klibanski), ein ehemaliges Mitglied der Widerstandsgruppe Hehalutz Hatzair-Dror (Dror), ihn im Jahr 1944 aufgesucht und ihn um Mithilfe bei der Suche nach dem Białystoker Archiv gebeten habe. Winicka habe das Archiv in der Chmielna-Straße, die damals zum Ghetto gehört hatte, gesucht, es aber dort nicht gefunden. Eines Tages sei Menachem Turek, der Vorsitzende der Historischen Kommission beim jüdischen Wojewodschaftskomitee, zu ihm gekommen und habe ihm erklärt, sie müssten 30.000 Złoty auftreiben, um das Białystoker Ghettoarchiv zu kaufen. Turek habe das Geld bekommen, und das Material sei beschafft worden. Wie es schließlich in das Jüdische Historische Institut in Warschau gelangte, konnte Datner nicht genau sagen. Er vermutete, es sei nach Łód´z zur Zentralen Jüdischen Historischen Kommission, die nach dem Umzug nach Warschau 1947 in das Jüdische Historische Institut umgewandelt wurde, befördert worden. In Warschau sah Datner die Quellen aus dem Archiv nach eigenen Angaben zum ersten Mal. Er erklärte dem Gericht, er habe in Stettin den Mann getroffen, der das Untergrundarchiv ausgegraben habe: Dr. Lejb Blumental. Blumental sei nicht im Ghetto gewesen, sondern von seiner polnischen Frau versteckt worden. Sein Bruder (Israel), ein naher Mitarbeiter Tenenbaums, habe Lejb Blumental durch Vermittlung seiner Frau einen Plan des Ortes übergeben, wo das Archiv außerhalb des Ghettos bei einem bekannten Polen namens Filipowski begraben worden sei. Blumental habe von seinem Bruder auch eine Flasche mit besonders wichtigen Dokumenten erhalten, die nicht vergraben worden sei. Die Flasche sei indes durch Kriegseinwirkungen zerstört worden.58 Datner versicherte dem Gericht, dass die Materialen aus dem Geheimarchiv echt seien: Beisitzer:
Haben bei Ihnen im Jüdischen Historischen Institut in Warschau Zweifel an der Echtheit dieser Dokumente bestanden? Dr. Datner: Niemals. Beisitzer: Niemals. Vorsitzender: Herr Heise oder Herr Riedenklau? Herr Riedenklau. Dr. Datner: Niemals. Beisitzer: Niemals. (schweigt) Und sind auch während der ganzen Zeit der historischen Forschungen, die sich ja eben auch gerade unter Ihrer Assistenz mit Białystok ä beschäftigt haben, nicht aufgetaucht, derartige Zweifel. 58
Ebd.
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Dr. Datner: […] Beisitzer: RA Heise:
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Niemals sind solchwelche Zweifel aufgetaucht. Wenn etwas echt das ist, dann ist das echt.
Bitte schön. Herr Dr. Datner, wie sind nun diese Dokumente, die Bestandteil des Archivs sind, zustande gekommen. Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Sprechen wir zuerst von den so genannten Bekanntmachungen. Es ist denkbar, dass es Originalbekanntmachungen sind, es ist aber auch denkbar, dass von den Originalbekanntmachungen schon von vornherein Abschriften zur Archivierung angefertigt worden sind. Haben Sie darüber irgendwelche Aufschlüsse erlangt? Dr. Datner: Ä ich kenne mit hundertprozentiger Sicherheit heute ohne Unterlagen_ ich bin so ein solcher Experte, der Unterlagen haben muss, sogar wenn er seinen eigene, seinen eigenen Aufsatz liest, das kann vielleicht kontrovers sein. Aber ich habe den Eindruck, dass die äm, dass die Judenratsmeldungen keine Abschriften waren, nur Originale waren, waren und sind, wenn sie sind_ wenn sie in Warschau noch vorhanden sind, weil ich mich jetzt erinnere, dass vielleicht an zwei oder drei ä Reversen es Beisitzer: Rückseiten Dr. Datner: auf der Rückseite. Übersetzerin: Rückseite. Dr. Datner: auch ä Handbemerkungen gemacht wurden. Beisitzer: Handschriftliche Zusätze Dr. Datner: Handschriftliche Bemerkungen gemacht wurden. Beisitzer: Ja. Dr. Datner: Das ist natürlich noch nicht ein Beweis, dass das Original war, aber das sind originale handschriftliche Anmerkungen ä, äm auf diesem, auf der Rückseite. Und so, wie ich sehe, diese, ä bei den Judenratsprotokollen, so viel ich mich erinnere, gibts keine handschriftliche_und Unterschriften gab es überhaupt nicht. Bei den Judenratsprotokollen gibt’s solche handschriftliche ä nicht. Die Judenratsprotokolle haben, so viel ich mich jetzt nach 16 oder 17 Jahren erinnern kann, teilweise den Eindruck Original gemacht, teilweise, dass sie Abschriften waren, aber darüber kann ich Ihnen, Herr Richter nicht RA Heise: Ja. Dr. Datner: auf das sichere_ RA Heise: Es kann ja, es könnte ja so gewesen sein, dass man gleich Durchschläge angefertigt hat, nicht wahr? Dr. Datner: Jawohl. RA Heise: Und daher meine nächste Frage: ist Ihnen erinnerlich, dass Sie Durchschläge gelesen haben? Sie wissen, was Durchschläge sind, also mit Kohlepapier. Übersetzerin: […]
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Kopie, kopie, kopie. Ich bin fast sicher, dass die Judenratsmeldungen nicht Durchschläge waren, nur Originale. Ich kann diese Sicherheit dem Hohen Gericht nicht vortragen, was die Judenratsprotokolle anbelangt. Waren das Originale oder nicht. Ich müsste mir es noch heute anschauen, und vielleicht würde ich auch ä nicht die Sicherheit haben, ob das Original ist oder nicht, aber ich müsste alles durchschauen, und dann könnte ich zu einem Schluss kommen.59
Datners Einschätzung, dass es sich bei den Judenratsmeldungen um Originale und bei den Protokollen der Sitzungen des Judenrats zum Teil um Originale und zum Teil um Abschriften handele, konnte nicht verifiziert werden. Das Gericht ging davon aus, dass für die Untergrundakten Abschriften angefertigt worden waren. Im Urteil heißt es, »soweit von den Meldungen nur Abschriften erhalten sind«, erkläre sich das daraus, dass »die Originale öffentlich aushingen, sodann wahrscheinlich bei den offiziellen Judenratsakten verbleiben mußten«.60 Datners Aussage ist ein Beleg dafür, dass er die Quellen intensiv studiert hatte. 1951 hatte er in der Zeitschrift bleter far geszichte einen Aufsatz über die Białystoker Judenratsmeldungen verfasst61 und für einen 1959 veröffentlichten Aufsatz eine aus dem Bestand des Jüdischen Historischen Instituts stammende Meldung abdrucken lassen. Es handelt sich um die Meldung vom 1. Januar 1943. Darin informiert der Judenrat die Ghettobevölkerung darüber, dass »wegen Diebstahls von Produkten aus der Ölfabrik« drei Menschen (Lipa Szczedrowski, Eli Dworski und Jakow Jablo´nski) erhängt worden seien. Datner verglich für das Bielefelder Schwurgericht den Wortlaut und die Form dieser Meldung mit der bei Blumenthal abgedruckten. Er versicherte dem Gericht, dass der Inhalt beider Meldungen übereinstimmte. Bei seinem Vergleich hatte Datner lediglich zwei kleine Unterschiede entdeckt. Der erste betrifft die Nummerierung der Meldung. In der Blumenthal-Edition ist die Meldung mit der Nummer 376 versehen, während die in seinem Aufsatz abgedruckte Meldung die Nummer 375 trägt.62 Die zweite Abweichung betrifft den Wortlaut des Textes. Datner wies darauf hin, dass in der bei Blumenthal abgedruckten Meldung von Diebstahl aus der »Ölmühle« die Rede sei, während in der Meldung, die 1959 in Datners Aufsatz veröffentlicht wurde, das Wort »Ölfabrik« verwendet worden sei.63 Das Gericht war von der Authentizität des Materials aus dem Białystoker Archiv überzeugt,64 weil in der israelischen und polnischen Forschung keine 59
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Vernehmung des Zeugen Dr. Szymon Datner in der Hauptverhandlung der Strafsache gegen Dr. Altenloh und Andere (5 Ks 1/65) vom 2. November 1966, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6342, Tonband 38 Vorderseite. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6195, Bl. 197. Vgl. dazu den Aufsatz von Joanna Furła-Buczek in diesem Band. Die Meldung aus dem Bestand des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau trägt die Nummer 376. In der Meldung 376 aus dem Bestand des Jüdischen Historischen Instituts ist von »ojl-mil« die Rede. Im Urteil heißt es dazu: »Das Gericht ist überzeugt, daß die genannten Veröffentlichungen [Blumenthals Edition der Meldungen und Protokolle des Judenrats von 1962 und die Edition
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Zweifel an der Echtheit bestanden,65 weil »die umfangreiche Beweisaufnahme eine Fülle von gegenseitigen Bestätigungen ergeben«66 habe und weil einige der in den Dokumenten genannten Ereignisse und Geschehnisse von Zeugen bekundet wurden oder in anderen Quellen erwähnt werden.67 So wurde die in der Meldung 376 genannte Erhängung dreier Juden unter anderem von den jüdischen Zeugen Dr. Aron Bejlin, Abraham Karasik, Meir Zawadzki, Abram Oniman, Dow Borys Schewach, Sara Perman, Dr. Szymon Datner und Chaim Kaplan bezeugt.68 Die Meldungen und Protokolle des Białystoker Judenrats wurden am 77. und 78. Verhandlungstag (28. November und 30. November 1966) verlesen.69 Im Urteil nimmt das Gericht auf ausgewählte Meldungen und Protokolle Bezug, um die Einlassung des Angeklagten Altenloh, er habe geglaubt, die Białystoker Juden seien zum »Arbeitseinsatz« gebracht worden, zu widerlegen.
IV. Die Judenratsdokumente als Beweismittel im Urteil des Bielefelder Schwurgerichts Altenloh erklärte vor Gericht, er habe nicht gewusst, dass die Juden im Februar 1943 aus Białystok abtransportiert wurden, um in Vernichtungslagern ermordet zu werden. Da das Gericht keinen dokumentarischen Beleg dafür besaß, dass ihm die Deportationsziele schriftlich oder mündlich mitgeteilt worden waren und keine Äußerung Altenlohs aus der Zeit überliefert ist, aus der seine Kenntnis von der Vernichtung der Deportierten hervorgeht, war es auf andere Beweise angewiesen. Die Aussagen, die andere ehemalige Angehörige des deutschen Besatzungsapparates machten, trugen nicht dazu bei, die Frage nach der Kenntnis zu klären. So sagte der stellvertretende Chef der Zivilverwaltung, Friedrich Brix, vor Gericht aus, er habe angenommen, bei der Februar-»Aktion« habe es sich um eine »Umquartierung der Juden von einem Ghetto zu einem anderen Ghetto« im Bezirk Bialystok gehandelt. Von Vernichtungslagern habe er nichts erfahren.70 Dass Altenloh spätestens bei der »Teilräumung« des Białystoker Ghettos »in dem klaren Bewußtsein« gehandelt habe, »die Juden, die nicht in Auschwitz
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der Tagebuchaufzeichnungen Tenenbaums von 1947] auf authentisches Material zurückgehen und es korrekt wiedergeben.« Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6195, Bl. 191. Vgl. ebd., Bl. 191. Ebd., Bl. 193. Im Urteil heißt es dazu weiter, die »gegenseitigen Bestätigungen« hätten »wohl bei allen« Beteiligten des Prozesses »sofort bei der Einführung der Urkunden den Eindruck unbedingter Authentizität« hervorgerufen. Vgl. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6195, Bl. 193 f. Vgl. ebd., Bl. 195. Vgl. Protokoll der Hauptverhandlung, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6177, Bl. 845–848. Aus dem Protokoll der Hauptverhandlung geht hervor, dass keiner der Anwälte Einspruch gegen die Einführung der Dokumente als Beweismittel erhob. Transkript der Vernehmung des Zeugen Dr. Friedrich Brix in der Hauptverhandlung der Strafsache gegen Dr. Altenloh und Andere (5 Ks 1/65) vom 30. März 1966, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6204.
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als Arbeitskräfte ausgesucht werden würden, in den sicheren Tod zu schicken«, folgt zur Überzeugung des Gerichts aus vier Umständen, namentlich: »aus der damaligen Kenntnis der Juden über das ihnen zugedachte Schicksal; aus der sogenannten Kleiderpanne71 Ende Januar 1943; aus der Reaktion des Angeklagten dem RSHA bzw. Günther [Eichmanns Stellvertreter im RSHA, Rolf Günther] gegenüber, als auch Bialystok-Stadt von der Deportationswelle erfaßt werden soll, und aus der Durchführung der Teilräumung selbst.«72 Was die Kenntnis der Juden von der Vernichtung anbetrifft, führt das Gericht Urkunden und Zeugenaussagen als Beweismittel an. Die Protokolle von den Sitzungen des Judenrats offenbarten dem Gericht, dass der Judenrat unter Führung von Barasz seit Herbst 1942 Kenntnis von den Massakern an Juden der Umgebung, von der Tötung der Juden aus dem Warschauer Ghetto in Treblinka im Sommer 1942 und »von der akuten Todesdrohung für alle Juden« gehabt hatte.73 Baraszs Politik, das Ghetto für die Deutschen unverzichtbar zu machen, sei ein Versuch gewesen, dieser Bedrohung entgegenzuwirken. Um zu belegen, dass Barasz genau über die Todesgefahr informiert war, zitiert das Gericht im Urteil ausführlich aus den Protokollen der Sitzungen des Judenrats. Am 16. August 1942 erklärte Barasz demnach: »›Die heutige Versammlung steht unter dem schweren Eindruck der Ereignisse, die sich in den letzten Wochen sowohl im Osten wie im Westen von uns abgespielt haben […] Man darf die Augen nicht vor unserem eigenen Schicksal verschließen. Man muß der Wahrheit Auge in Auge gegenüberstehen. […] – Bialystok hat abgesehen von den schweren Erlebnissen in den ersten Monaten das letzte Jahr ein beinahe ruhiges Leben geführt. Unsere Aufgabe ist es, diese Situation aufrechtzuerhalten bis zum Ende, das doch einmal kommen muß. – Aber mit welchen greifbaren für unserer Hände Kraft erreichbaren Mitteln können wir dies tun? Wir dürfen offen und deutlich erklären […], daß wir nicht kommen und sagen können: ›Wir wollen leben, wir haben Frauen und Kinder!‹ Es gibt kein Erbarmen. Nur ein Weg ist vorhanden: Taten! Das Getto in ein Element zu verwandeln, das zu vernichten einen Verlust bedeuten würde, weil es nützlich ist. Und das tun wir. […]‹«74 Am 11. Oktober 1942 warnte Barasz: 71
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Nach Feststellungen des Gerichts kehrten vor den Februar-Deportationen Eisenbahnwaggons aus Treblinka nach Białystok zurück, in denen sich Kleidungsstücke der bereits aus Białystok abtransportierten Juden befanden. Diese waren für die Lumpenzerreißfabrik in Białystok bestimmt. Die Juden, die beim Entladen der Wagen eingesetzt gewesen seien, hätten in den Kleidern Ausweise von Deportierten entdeckt. Nach den Erkenntnissen des Schwurgerichts gehörten die ins Ghetto Białystok transportierten Kleider Juden, die im Januar 1943 aus dem Lager Centipolk in Białystok nach Treblinka deportiert worden waren. Die Juden hätten die Kleider ihrer »deportierten Leidensgenossen« erkannt und damit »den greifbaren Beweis für die Richtigkeit ihrer Befürchtungen« gehabt. Aufgrund der Tagebucheintragungen Tenenbaums kam das Gericht zu der Feststellung, dass sich der Vorfall Ende Januar 1943, »wahrscheinlich vor dem 25. Januar, sicher aber vor dem 29. Januar 1943« ereignet habe. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/ AOWL, D 21 A, Nr. 6195, Bl. 204 und 206. Ebd., Bl. 183 f. Ebd., Bl. 184. Ebd., Bl. 185 f.
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»›[…] Das Feuer züngelt vom Osten und Westen her und hat schon beinahe unseren Bezirk erreicht. Vom Osten bis Derezin und vom Westen bis Malkinia. Damit das Feuer sich nicht ausbreitet, müssen alle und in erster Linie Bialystok selbst außerordentliche Maßnahmen ergreifen. Aber unser Getto benimmt sich gerade im Gegensatz dazu, als ob man absichtlich die Katastrophe herbeiführen wolle. Unser Getto ist in letzter Zeit nachlässig geworden, demoralisiert. Wenn von 35.000 nur 14.000 arbeiten, dann müssen selbst die gutgesinnten Machthaber fragen, wo sind die übrigen. Es gibt wirklich allerlei Gründe. Aber unter den Nichtarbeitenden gibt es eine Reihe Arbeitsfähige, vor allem Frauen. Und Ihr wißt doch, wo die Vernichtung beginnt: Gerade bei denen, die nicht arbeiten. … In diesem Prozentsatz von 14.000 Arbeitenden auf 35.000 Gettoeinwohner liegt der Gefahrenpunkt. Selbst wenn die Behörden von uns selbst keine Arbeiter verlangten, müßten wir selbst uns mit aller Kraft bemühen, in die Wirtschaft einzudringen; damit, falls man uns vernichten wollte, eine Lücke in der Wirtschaft entsteht und daß man uns deshalb schonen würde. Nur dann besteht Hoffnung für uns; Barmherzigkeit dürfen wir nicht erwarten, wie ich schon einmal gesagt habe; … – Es wissen doch alle, was in Warschau, in Slonim geschehen ist. Heute ist es soweit, daß man schon die Städte zählen kann, in denen keine Katastrophen vorgekommen sind. Wo ist der Selbsterhaltungstrieb? Warum versteht man nicht, daß man besser nach Wolkowysk als nach Treblinka fährt? ... […] – Wenn überhaupt eine Hoffnung besteht, daß Bialystok der Vernichtung entgehen wird, dann nur dank ihrer … (der Fabriken nämlich). […]‹«75 Baraszs Aussagen, die Tatsache, dass das Białystoker Ghetto ein Anlaufpunkt für Flüchtlinge aus den Vernichtungsstätten der näheren und weiteren Umgebung war und ein Tagebucheintrag Tenenbaums vom 19. Januar 1943 über die Funktion Treblinkas als Vernichtungslager, dienten dem Gericht als Beweis dafür, dass der Judenrat und die Widerstandsgruppe Tenenbaums über die Vernichtungsabsichten der Deutschen informiert waren. Im Ghetto selbst sei die Kenntnis bezüglich »des den Juden allgemein zugedachten Todesschicksals« und hinsichtlich der Funktion Treblinkas »zunächst als konkrete, sich immer mehr verdichtende Befürchtung stark verbreitet« gewesen.76 12 der 17 jüdischen Zeugen, die das Gericht zum Tatkomplex der Deportationen im Februar 1943 vernahm, bekundeten »bis zu Beginn der Februar-Räumung gewußt, geglaubt oder zumindest aufgrund bestimmter Anhaltspunkte gefürchtet« zu haben, dass »die Deportationen in den Tod gehen würden«. Von diesen zwölf Zeugen sagten neun aus, »sie hätten damals bereits von Treblinka als Vernichtungsstätte erfahren«. Fünf Zeugen gaben an, »schon Ende des Jahres 1942 aus verschiedenen Anhaltspunkten, Nachrichten, Gerüchten, die drohende Todesgefahr für sie alle angenommen und von Vergasungen in Treblinka gehört zu haben«.77 So bejahte der Zeuge Datner die Frage des Vorsitzenden, ob er davon ausgehen solle, dass »die jüdische Bevölkerung des Ghettos bei Beginn der Februar-›Aktion‹ der Meinung war, dass 75 76 77
Ebd., Bl. 186 f. Ebd., Bl. 198. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6195, Bl. 199.
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die Züge auch in die Vernichtung und in den Tod« gingen. Von Wissen wollte Datner indes nicht sprechen: Vorsitzender: »Ich darf resümieren: Der damalige Tischler Datner [Datner arbeitete im Ghetto als Tischler in der Steffen-Fabrik, A.d.V.] und seine Freunde und die Angehörigen seines Volkes vermuteten oder ahnten oder wußten es, dass diese sogenannte Aussiedlung der Vernichtung galt. Zeuge Dr. Wissen ist etwas ganz genau wissen, absolut wissen. Also von wissen Datner: konnte keine Rede sein. Wenn ich selber nach Treblinka gefahren wäre und das mit eigenen Augen gesehen hätte, dann hätte ich sagen können: Ich wußte es. Aber dann wäre ich hier auch nicht an dem Tisch gesessen. Aber wenn es um die Frage geht: fast Wissen, das Ahnen und damit rechnen, ja, das kann ich bejahen.«78 78
Von der Kenntnis der Opfer schloss das Gericht auf die Kenntnis der Täter. Dr. Altenloh hatte nach Auffassung des Gerichts »spätestens bis zu Beginn« der Februar-»Aktion« von den »Befürchtungen der Juden, getötet zu werden« und »von den unter ihnen umgehenden Nachrichten und Gerüchten über Treblinka als Vernichtungsstätte«, erfahren. Zur Begründung heißt es im Urteil, es »wäre ein groteskes Ergebnis, annehmen zu müssen, die eingepferchten, bewachten und bespitzelten Opfer hätten mehr gewußt als die Handlanger der Täter. Es war nicht so, wenn Dr. Altenloh das auch glauben machen« wolle.79 Zur Überzeugung des Gerichts erhielt Altenloh im Januar 1943 vom RSHA den Befehl zur »Teilräumung« des Białystoker Ghettos und zur endgültigen Auflösung des Ghettos I in Grodno.80 Er habe im Februar 1943 gewusst, dass die Ghetto-Auflösungen »der unmittelbaren Vorbereitung zur Tötung der Juden« dienten, und er habe gewusst, dass seine Tätigkeit – die Weitergabe der Deportationsbefehle und die Durchführung der Deportationen – die »Haupttat« gefördert habe. Er habe auch gewusst, dass »die Tötung der friedlichen und unschuldigen Menschen« aus Rassenhass erfolgt und damit »niedrigen Beweggründen« entsprungen sei. Er sei sich »des außerordentlichen Unrechts der Deportationsbefehle und ihrer Durchführung« bewusst gewesen. Deshalb habe er sich unter anderem »auch zu der hartnäckigen Auflehnung gegen den Teilräumungsbefehl« für Białystok entschlossen.81
V. Epilog Die Angeklagten wurden der »gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord« schuldig gesprochen. Altenloh wurde wegen seiner Beteiligung 78
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Vernehmung des Zeugen Dr. Szymon Datner in der Hauptverhandlung der Strafsache gegen Dr. Altenloh und Andere (5 Ks 1/65) vom 23. Mai 1966, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6204 (Transkription des Gerichts). Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6195, Bl. 200. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6194, Bl. 87 f. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6195, Bl. 386.
Die Białystoker Judenratsdokumente als Beweismittel
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an den Februar-Deportationen aus Grodno und aus Białystok und an der Erschießung von 100 Menschen im Anschluss an das »Säureattentat«82 als Gehilfe der nationalsozialistischen Führungsspitze, der »Haupttäter«, verurteilt. Das Gericht sprach ihn am 14. April 1967 schuldig, Beihilfe zum Mord an mindestens 6.500 Białystoker Juden und mindestens 3.500 Grodnoer Juden geleistet zu haben. Altenloh wurde als Mordgehilfe ohne eigenen Täterwillen eingestuft. Er habe »die Tötung der Juden innerlich nicht gebilligt« und sich mit der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik »nicht identifiziert«.83 Als Beleg dafür, dass er »die Verbrechensbefehle mißbilligt und ihnen widerstrebt, sie aber gleichwohl aus menschlicher Schwäche ausgeführt« habe, verwiesen die Richter auf Altenlohs Bemühungen um Verhinderung des Abtransports der Juden, um Aufschub der »Teilräumung« des Białystoker Ghettos im Februar 1943. Im Urteil heißt es, er habe die verbrecherischen Befehle deswegen befolgt, »weil er der Übermacht der Staatsautorität nicht gewachsen gewesen« sei, »und weil er den Mut zu weiteren Schritten nicht aufgebracht« habe.84 Altenloh erhielt eine Zuchthausstrafe von acht Jahren unter Anrechnung der Untersuchungshaft.85 Im Fall des Tatvorwurfs der Deportationen beruhte der Nachweis der Schuld auf einer Indizienkette. Um die Kenntnis der Angeklagten von der Vernichtung der Deportierten zu belegen, führte das Gericht Dokumente aus dem Aktenbestand der Deutschen Reichsbahn, Einträge aus dem Kalendarium der »Hefte von Auschwitz«, Zeugenaussagen Überlebender und Zeugnisse aus dem Białystoker Ghettoarchiv als Beweismittel an. Die Bekanntmachungen des Białystoker Judenrats an die Ghettobevölkerung und die Protokolle von den Sitzungen des Judenrats bildeten in Zusammenhang mit dem Schuldnachweis von Altenloh ein zentrales Element in der Argumentationskette des Gerichts. Darin liegt ihre strafprozessuale Relevanz. Für die Januar-Deportationen aus Zambrów, Pruz˙ana/Pruz˙any und Grodno fehlten dem Gericht zeitgenössische Quellen von Juden. Trotz einer genauen Rekonstruktion des historischen Geschehens gelang es in diesen Fällen nicht, die Angeklagten juristisch zu überführen. Allein auf der Grundlage deutscher Dokumente konnte das Gericht den Schuldnachweis nicht erbringen. Die genaue Rekonstruktion des historischen Geschehens reichte nicht aus, um zu beweisen, dass die Angeklagten vorsätzlich gehandelt hatten.
82
83 84 85
Bei dem so bezeichneten Vorfall handelt es sich um eine Widerstandshandlung eines zur Deportation bestimmten Juden namens Itzhak Małmed, der einem gewaltsam in sein Haus eindringenden KdS-Angehörigen Säure ins Gesicht schüttete, um sich und seine Familie vor dem Abtransport zu schützen. Der geblendete KdS-Angehörige erschoss in der Verwirrung versehentlich einen anderen Angehörigen der Sicherheitspolizei. Nach den Feststellungen des Gerichts ließen die KdS-Angehörigen Altenloh, Heimbach und Friedel auf Befehl des RSHA als »Vergeltungsmaßnahme« 100 Juden – Männer, Frauen und Kinder – ermorden. Vgl. Stoll, Strafverfahren, S. 431–485. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6195, Bl. 391. Ebd., Bl. 392. Urteil 5 Ks 1/65, in: L/AOWL, D 21 A, Nr. 6194, Bl. 3 und Bl. 4.
Jenseits der Zeitzeugen Möglichkeiten der Vermittlung des Holocaust im Schulunterricht am Beispiel der Białystoker Judenratsmeldungen
von
HANS-WILHELM ECKHARDT UND MATTHIAS HOLZBERG
I. Geschichtsdidaktische Fragestellungen Im Film Full Metal Village1 der koreanischen Regisseurin Sung Hyung Cho wird dem Zuschauer ein etwa fünfzehnjähriges Mädchen vorgestellt, das darüber erzählt, dass es fasziniert sei von den Erlebnisberichten der Großmutter, die aus Ostpreußen fliehen musste. Davon angestoßen, sei ein großes Interesse an Geschichte entstanden. Sein größter Wunsch sei es, für kurze Zeit einmal in dieser Vergangenheit zu leben, im Zweiten Weltkrieg, zu erfahren, »wie das alles so war«, den Großvater zum Beispiel in der Hitlerjugend zu sehen. Und dann, als fürchte es plötzlich, dass das vielleicht zu weit geht, setzt das Mädchen hinzu, nur als Beobachter wolle sie das alles einmal sehen, von außen, nur für kurze Zeit. Die Szene ist in vielfacher Hinsicht für Geschichtslehrer und -lehrerinnen interessant. Sie zeigt, dass bei Jugendlichen ein zunächst unreflektiertes und undistanziertes Verhältnis zur Vergangenheit besteht. Sie haben den Wunsch, ›eintauchen‹ zu können und die scheinbar abenteuerliche Vergangenheit noch einmal nach- beziehungsweise miterleben zu dürfen. Außerdem ist es die Lebensgeschichte der Großmutter, die dieses Verlangen ausgelöst hat, nicht etwa der Geschichtsunterricht. Das trifft sich mit dem Befund des Geschichtsdidaktikers Christian Noack für die Stufe 3 seines ›Modells zur Entwicklung des Geschichtsbewusstseins‹. Er bezeichnet diese Phase als »Konventionell-affirmativ; Geschichtskenntnisse dienen der bewussten Eingliederung in maßgebliche Herkunftsgruppen. Gruppenidentität wird affirmativ und unkritisch nachvollzogen. [...] Das eigene Geschichtsbild wird noch nicht bewusst wahrgenommen.«2 Das ergänzt Bodo von Borries noch dahingehend, dass er feststellt, mit 17-19 Jahren erfolge ein »allenfalls langsamer Übergang zu 1 2
Full Metal Village, Regie: Sung-Hyung Cho, Deutschland 2007. Christian Noack, Stufen der Ich-Entwicklung und Geschichtsbewusstsein, in: Bodo von Borries/Hans-Jürgen Pandel (Hg.), Zur Genese historischer Denkformen. Jahrbuch für Geschichtsdidaktik, Bd. 4, Pfaffenweiler 1994, S. 9–46, hier: S. 29.
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Hans-Wilhelm Eckhardt und Matthias Holzberg
St(ufe) 4.« Diese werde allerdings meist erst »nach dem Abitur«3 erreicht. »Identifikation mit der Herkunftsgruppe« wird auch von diesem Mädchen deutlich vollzogen. Sie kennt eine Zeitzeugin in der Familie und darüber erwacht das Interesse. Wenn wir nach dem Einsatz von jüdischen zeitgenössischen Quellen, mit denen sich dieser Band befasst, im Geschichtsunterricht der Schulen fragen, dann bewegen wir uns – anders als das Mädchen – »jenseits der Zeitzeugen«. Aber die meisten unserer Schülerinnen und Schüler bringen ein Geschichtsbewusstsein mit, wie es oben zitiert wurde. Demnach stellt die Unterrichtssituation den extremen Gegensatz zu einer reflektierten, komplexen und kritischen Auseinandersetzung mit einem Thema dar, dessen Bedeutung unbestreitbar erscheint. Das unterscheidet sich sehr vom Zugriff des Mädchens. Zwischen beiden Polen vermittelt die Geschichtsdidaktik. Sie braucht als Fundament die Ergebnisse der historischen Forschung, sie erfordert aber auch einen genauen Blick für die Jugendlichen, will sie nicht völlig wirkungslos, ohne jede Nachhaltigkeit bleiben.4 Sie muss die Frage des Abstraktionsvermögens, die Altersangemessenheit bedenken, und beurteilen, ob beziehungsweise wie sie den Gegenstand mit der Erfahrungswelt ihrer Schülerinnen und Schüler vermitteln kann. Sie braucht den inhaltlichen »Überschuss«, der geeignet erscheint, eine Orientierung auch für die eigene Lebenspraxis der Schülerinnen und Schüler zu erleichtern und die Ausbildung von Geschichtsbewusstsein und historischer Identität zu ermöglichen. Zugleich erfolgt Unterricht nicht im beliebigen Zugriff, sondern ist eingespannt in staatlich organisierte Vorgaben, seien es die Richtlinien früher oder die Kerncurricula heute. Ein Blick in die Lehrbücher für den Sekundarbereich I (Sek I.) zeigt, dass dort die Entwicklung in und um Białystok keine Rolle spielt. Politik und Maßnahmen gegen Polen werden für die Zeit direkt nach dem Überfall 1939 angesprochen, dann wendet sich das Interesse dem Überfall auf die Sowjetunion zu und die Entwicklungen im vormals sowjetisch besetzten Teil Polens geraten aus dem Blick. Nur in einem didaktischen Werk, Unterrichtsmodelle zum Nationalsozialismus, das Rolf Schörken herausgegeben hat, findet sich überhaupt ein Hinweis auf Białystok, dieser bezieht sich aber auf die wirtschaftlichen Gründe für die geplante Eingliederung in Ostpreußen.5 Die 3
4
5
Bodo von Borries, Genese und Entwicklung von Geschichtsbewusstsein, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, 1 (2002), S. 44–58, hier: S. 49. Mirow erläutert an zwei Beispielen, bei denen kein messbarer Lernzuwachs vorhanden war, die Bedeutung altersangemessenen Vorgehens: »Anscheinend stellen die beiden letztgenannten an Abstraktheit und Kompliziertheit eine Überforderung der damit konfrontierten Klassenstufen 6 und 8 dar.« Jürgen Mirow, Geschichtswissen durch Geschichtsunterricht?, in: Bodo von Borries/Hans-Jürgen Pandel/Jörn Rüsen (Hg.), Geschichtsbewusstsein empirisch, S. 53–109, Pfaffenweiler 1991, hier: S. 75. An anderer Stelle heißt es: »Jene Sachverhalte, die im Mittelstufendurchgang üblicherweise nur in einem kurzen Abschnitt (fast) nur einer einzigen Stunde vorkommen, die also so gut wie nicht geübt, verstärkt und umgewälzt werden, weisen gar keine oder nur minimale Lernzuwächse von 0 – 9 % auf.« Ebd., S. 77. Vgl. Dieter Riesenberger, Deutsche Besatzungs- und Wirtschaftspolitik in Polen und Frankreich, in: Rolf Schörken (Hg.), Unterrichtsmodelle zum Nationalsozialismus, Stuttgart 1982, S. 139–147, explizit: S. 141.
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Politik gegen die polnischen Juden in Stadt und Region spielt auch hier keine Rolle. Dieser Befund ergibt sich einerseits daraus, dass Łód´z und Warschau in Deutschland bisher wesentlich besser dokumentiert sind, ist aber auch Ausdruck eines Curriculums, das unter dem Vorzeichen des chronologischen Durchgangs durch die Geschichte hetzen muss, um dem, was für die wichtigste Entwicklung gehalten wird, nachzueilen. Das muss man kritisieren und kann es bedauern, aber es wird wohl noch lange, trotz aller fundierten Kritik, ein scheinbar unumstößliches Organisationsprinzip von Geschichtsunterricht bleiben. Anders sieht es im Bereich der Sekundarstufe II (Sek. II) aus. Zwar werden auch für das Zentralabitur enge Vorgaben entwickelt, was die Themen der einzelnen Halbjahre betrifft. Die Zeit des Nationalsozialismus wird hier aber sehr wahrscheinlich immer eine gewisse Rolle spielen. In der Kursstufe ist auch ein größeres Zeitbudget gegeben, das eine Einbeziehung auch der Entwicklung in Białystok, die hier in Rede steht, ermöglicht. Das Thema »Erlebte Verfolgung: von der Entrechtung und Ausgrenzung der Juden bis zur Shoa«6 aus den Vorgaben für das Abitur 2009 lässt sich zum Beispiel hervorragend an unserem Gegenstand erarbeiten – auch wenn bei den Autoren der Vorgaben deutsche Verhältnisse im Vordergrund gestanden haben mögen. Hier, im Sekundarbereich II, ist das Thema unseres Erachtens auch angemessen verortet. Quellenlage und Kompliziertheit des Gegenstandes lassen es als zu schwierig für den Unterricht in der Sek. I erscheinen. Es stellt dort eine Überforderung dar, die, bedenkt man die Ergebnisse der Studie von Jürgen Mirow,7 zu den Behaltensleistungen durch und im Geschichtsunterricht, dazu führen wird, dass so gut wie nichts gelernt werden wird. Die Verhältnisse im Ghetto von Białystok können in der Sek. II im Sinne einer Fallstudie exemplarisch untersucht werden. Der Unterricht muss darauf konzentriert werden, was bedeutet, dass die Vorgeschichte und der historische Kontext nicht durch die Schülerinnen und Schüler selbst erarbeitet werden, sondern ihnen komprimiert dargeboten werden sollte. Das kann zum Beispiel in Form von Schülerreferaten, Filminformationen oder durch einen Lehrervortrag erfolgen. Gehen wir also von einer angemessenen Arbeit mit dem Gegenstand im Sekundarbereich II aus, so müssen wir grundlegende Fragen beantworten: Warum lohnt es sich, diesem Thema Raum im Geschichtsunterricht zu geben? Worin liegt seine Bedeutsamkeit für 17-18jährige Schülerinnen und Schüler, worin die Bedeutsamkeit für die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland? Das heißt, worin bestehen didaktische Relevanz und damit Bedeutung des Themas, also das, was über die reine Vermittlung von Sachkenntnissen hinausgeht, wenn es Gegenstand des Geschichtsunterrichts wird? Der Blick auf Entwicklungen in Polen unter deutscher Besetzung, speziell das »Schicksal« polnischer Juden jenseits der deutsch-sowjetischen Demarkationslinie bis 1941, ermöglicht es, unter anderen räumlichen und historischen 6
7
Niedersächsisches Kultusministerium Juli 2006, Abitur 2009 – Thematische Schwerpunkte Geschichte 1 von 5, S. 4, http://www.nibis.de/nli1/gohrgs/zentralabitur/zentralabitur_2009/1 0Geschichte2009.pdf [26.9.2007]. Vgl. Mirow, Geschichtswissen.
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Hans-Wilhelm Eckhardt und Matthias Holzberg
Bedingungen Kenntnisse zu vertiefen, die bereits in der 10. Klasse erworben wurden. Dort sollten Diskriminierung, Verfolgung und Ermordung der Juden in Deutschland und Europa besprochen sein. Mit der Osterweiterung der Europäischen Union (EU) und den damit einhergehenden sich vertiefenden Formen des Austauschs zwischen Schulen in Deutschland und in Osteuropa rückt die Region an der Grenze zu Weißrussland auch in das Blickfeld deutscher Schulen. Daneben wird die deutsche Politik sicher auf Jahre hinaus noch ein besonderes Verhältnis zu Polen und Israel beziehungsweise zur Gruppe der deutschen Juden pflegen. Hier bedarf es historischer Kenntnisse, um einen reflektierten Umgang miteinander zu ermöglichen. Lebensweltlich kann die Auseinandersetzung mit dem Thema dazu beitragen, das Verhalten von Bevölkerungsgruppen zu studieren, die sich angesichts einer massiven Verfolgungssituation und der permanent gegenwärtigen Notwendigkeit, das eigene Leben retten zu müssen, verhalten und ihr Leben neu organisieren. Auf der Ebene der Methodenkompetenz verlangt die Auseinandersetzung mit den Meldungen des Judenrats im Ghetto Białystok eine quellenkritische Arbeit, in der die kommunikativen Aspekte, aus denen heraus die Quellen zu verstehen sind, genau bedacht werden müssen. Das führt zur Festigung von Methoden, die einen zentralen Baustein innerhalb des fachspezifischen Methodencurriculums darstellen.
II. Sachinformationshintergrund Vor dem Hintergrund dieser didaktischen Begründungen lassen sich dennoch durchaus tragfähige inhaltliche Konzepte entwickeln. Um die »Meldungen des Białystoker Judenrates« sinnvoll mit Schülern untersuchen zu können, müssen diese Meldungen im Zusammenhang einer größeren Unterrichtsreihe stehen, etwa: »Die NS-Politik gegenüber den Juden«. Je nach Altersstufe, Vorkenntnissen der Schüler und Rahmenbedingungen gehören in diesen Zusammenhang ein Überblick über die Geschichte der Juden in Deutschland und Polen vor der Zeit des »Dritten Reiches«, der Verlauf des Krieges gegen Polen und die Sowjetunion und die Geschichte des Ghettos selbst, wobei in der Regel aus Zeitmangel nur einige der im Folgenden aufgeführten Aspekte aufgegriffen werden können. Für Deutschland wichtig sind dabei als Voraussetzungen der christliche Antijudaismus und der Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts und die daraus resultierenden Formen von Akzeptanz und Ablehnung des NS-Rassismus sowie den Verfolgungsmaßnahmen gegenüber den Juden nach 1933. Untersucht werden sollten dabei auch die Reaktionen der Betroffenen, um die Perspektive auszuweiten. Zum Verständnis der Situation gerade in Białystok gehören Informationen über den Raum Białystok und über die rechtliche, ökonomische, kulturelle und religiöse Situation der Juden im Vorkriegspolen, besonders auch über die Heterogenität dieser Gruppe. Diese Heterogenität spiegelt sich zum Teil auch in den Meldungen wider, beispielsweise bei der Einrichtung von Klassen für
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Kinder ohne Hebräisch- und Jiddischkenntnisse (Meldung 200 des Judenrats vom 6. Januar 1942). Die besondere Situation in Białystok müsste in das Geschehen des 2. Weltkrieges eingeordnet werden, vom »deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag«, dem so genannten Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 bis zur Besetzung durch deutsche Truppen am 27. Juni 1941. Die Politik des Judenrates und der Charakter der Meldungen lassen sich nur aus dem Schicksal des Ghettos zwischen August 1941 und August 1943 erklären. Bestimmend sind sicherlich die Morde an Juden schon am Tage der deutschen Besetzung und in den ersten Wochen. Auch die Einsetzung der Spitze des Judenrates durch die Besatzer, seine Zusammensetzung, seine Verantwortlichkeit und Haftung gegenüber der Besatzungsmacht erklären seine Politik sicherlich zum Teil. Die Gründung von Betrieben zur Belieferung der Wehrmacht, die Deportation nach Pruz˙any, die großen Deportationen im Februar 1943 und schließlich die Auflösung des Ghettos im August 1943 sind weitere bestimmende Grundlagen. Parallel gab es die Entwicklung und Tätigkeit des Widerstandes in Białystok, der eine weitere Realität für das Leben der Bewohner war. Die Information darüber könnte sich – mit quellenkritischer Distanz – vor allem auf die in Deutschland am leichtesten zugänglichen Erinnerungen von Chaika Grossman8 oder die Recherchen von Arno Lustiger9 stützen. Quellenarbeit: Die Lebensbedingungen im Ghetto und die Politik des Judenrates, seine Reaktion auf die Situation und die Probleme der jüdischen Ghettobevölkerung sollten dann durch die Schüler und Schülerinnen aus den Quellen selbst erschlossen werden. Dabei muss den Jugendlichen bewusst gemacht werden, dass die Meldungen von der deutschen Besatzungsmacht zensiert wurden, dass sie zum Teil sogar wörtliche Wiedergaben deutscher Befehle waren. Auf die Quellen kann am sinnvollsten unter zwei Aspekten zugegriffen werden. Für die Oberstufe ist eine Untersuchung der verschleiernden Sprache möglich, welche die wirklichen Ereignisse nur andeutet. Zum einen geschah das wohl vor allem auf deutschen Befehl, zum anderen vielleicht zur Beruhigung der Betroffenen. Als Beispiele für diese verschleiernde Sprache bietet sich zum Beispiel die Meldung 94 an, in der die Deportation nach Pruz˙any mit »schweren Erfahrungen« umschrieben wird, und in der die Deportationen zur Strafe als »schwere Konsequenzen« bezeichnet wird. In den Meldungen 98 und 135 wird die Deportation als »Evakuierung« bezeichnet, in der Meldung 109 wird von den Menschen gesprochen, die nach Pruz˙any »weggefahren« seien. Die »Aktion« und Deportation im Februar 1943 wird in den Meldungen auch nicht als solche bezeichnet, sondern es wird von »weiteren Gefahren« (390) für das Ghetto gesprochen, die Meldung 396a spricht von den »traurigen Tagen«, die Meldung 398 wieder von »Evakuierten«. 8
9
Chaika Grossman, Die Untergrundarmee: Der jüdische Widerstand in Bialystok. Ein autobiographischer Bericht, Frankfurt a.M. 1993. Arno Lustiger, Zum Kampf auf Leben und Tod. Zum Widerstand der Juden in Europa 1933– 1945, Köln 1994.
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Einen weiteren Komplex bildet die drohende und schroffe Sprache der Befehle, das reicht von dem noch milden »alle Bäckereiarbeiter haben sich sofort [...] registrieren zu lassen« in Meldung 36 über »Personen, die die Verordnungen nicht beachten [...] werden streng bestraft werden« in Meldung 42 bis hin zu »unbarmherzigsten Maßnahmen«, die bei Nichtzahlen von Steuern ergriffen werden (146) und Androhung des Erschießens bei Nichtantritt zur Zwangsarbeit (338).10 Dem gegenüber steht die höflichere, menschliche Sprache bei Aufrufen des Judenrates auf eigene Initiative, in denen er meist um Spenden bittet. Meldung 35 wendet sich an »Brüder und Schwestern zur Unterstützung bei einer Sammlung für ein Krankenhaus, Meldung 40 »bittet«, in Apotheken leere Flaschen abzugeben, bei einer weiteren Sammelaktion soll den Sammlern die »gebührende Herzlichkeit« entgegengebracht werden (91). Ein weiterer Spendenaufruf in Meldung 373 wendet sich an »Brüder, Juden«. Im Folgenden müsste dann erarbeitet werden, unter welchen Umständen welche Wortwahl getroffen wurde. Bei einer Untersuchung der verschleiernden Sprache sollten die Judenratsmeldungen einmal mit ähnlichen Dokumenten, zum Beispiel mit der »Reichsvereinigung der Juden in Deutschland« verglichen werden. Davon ausgehend lässt sich eine Reflexion über Gründe für diese besondere Sprachgebung anschließen, die sich dann auch auf Beobachtungen auf der Ebene eigener Erfahrungen beziehen könnte. Soll der Gegenstand ganz exemplarisch erarbeitet werden, so bietet sich zunächst ein Vergleich der Meldungen 94 (Vorfeld der Deportation nach Pruz˙any) und 396a (Lynch-Justiz an Denunzianten) an, wobei in dieser Meldung vor allem die Nachschrift für Schülerinnen und Schüler von so großem Interesse sein könnte, da sie zu Nachfragen anregt. In ihr ist eine Situation aufgehoben, die ein Höchstmaß an existentieller Bedrohung bedeutete, die jedem Einwohner des Ghettos klar war. Die Quellen wären zunächst textimmanent zu deuten, dann mit Informationen zu den Deportationen zu konfrontieren und vor diesem Hintergrund noch einmal »reflektiert« zu lesen. Erst dann entsteht unter Umständen eine Erkenntnis im eigentlichen Sinne. Auch der unterschiedliche Tonfall bei Aufrufen, die auf Initiative des Judenrates erfolgen, und solchen, in denen deutsche Befehle weitergegeben werden, lässt sich immanent auf textanalytischer Ebene etwa über die Meldungen 42 (Weitergabe einer deutschen Verordnung) und 35 (Aufruf zur Gründung eines Infektionshospitals) erfassen. Rekonstruktion der Lebensbedingungen im Ghetto: Besonders umfangreich sind folgende Bereiche dokumentiert: Wohnungssituation, Arbeitssituation, Deportationen, Ernährungssituation, die Ausplünderung durch Zwangsabgaben, manche Bereiche der Infrastruktur. Der Widerstand kann nur sehr indirekt erschlossen, nur durch umfangreiches Zusatzmaterial vermittelt werden. Das brutale Vorgehen der deutschen Besatzer findet sich in der Mehrzahl der Meldungen und ist in fast allen Lebensbereichen omnipräsent. 10
Hervorhebungen durch die Verfasser.
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Wohnungssituation: Schon in den Meldungen 4 bis 6 wird von der Errichtung des Ghettos gesprochen, in den Meldungen 362, 370 und 418 von seiner Verkleinerung. Dabei musste das Ghetto zusätzlich Menschen aus anderen Orten aufnehmen (111, 427), es gab Obdachlosigkeit (80, 81), der Wohnraum musste bewirtschaftet werden (26, 108, 117), die Menschen lebten in katastrophaler Enge. Arbeitssituation: In zahlreichen Meldungen, zum Beispiel 8, 10 und 95, wird auf Arbeitsmöglichkeiten außerhalb des Ghettos hingewiesen, ebenso auf Fachkurse zur Qualifizierung (106, 112, 123, 386). Sehr häufig werden verschiedene Berufsgruppen zur Zwangsarbeit befohlen (20, 21, 30, 121), wobei Arbeitsgerät selbst gestellt werden muss (20, 21) und auch am Sabbat gibt es die Pflicht zur Arbeit (187). Es gibt eine Arbeitspflicht für Männer, zunächst von 18 bis 55 Jahren (126), später von 15 bis 60 Jahren (246). Die Strafen für Arbeitsversäumnisse sind hart, von Prügelstrafe (157, 166, 173) über Arbeitslager (297) bis zur Todesstrafe (136, 338). Deportationen: Auf Deportationen wird, wenn auch oft in verschleiernder Sprache, häufig hingewiesen: Breit dokumentiert ist die Deportation nach Pruz˙any, man findet Termine, Personenkreis, Gepäck, Ende der Deportationen (Meldungen 94, 98, 99, 101–104, 109, 135). Dann werden lange Zeit Deportationen vor allem als Drohung in den Raum gestellt (135). In Meldung 383 vom 28. Januar 1943 wird von »Sanktionen gegenüber dem ganzen Ghetto« bei Arbeitsversäumnissen Einzelner hingewiesen, zu einem Zeitpunkt, als die meisten anderen Ghettos im Bezirk Bialystok schon aufgelöst waren. Auf die große »Aktion«, das heißt die Deportation von 10.000 Menschen nach Treblinka zwischen dem 5. und 12. Februar 1943 weist nur eine Nachschrift zu Meldung 386 hin. In Meldung 388 wird von »Getöteten« und »Weggeführten« gesprochen. Nach dieser »Aktion« war die drohende Deportation ständig präsent, immer wieder wird von »Scheinen«, also der Berechtigung zur Arbeit, und damit der Hoffnung nicht deportiert zu werden, gesprochen (397, 413, 416, 418, 426). Dabei wurde der »Schein« oft als Strafmaßnahme entzogen. In einer der letzten Meldungen (434), in der Juden ausländischer Nationalität zur Registrierung aufgerufen werden, findet sich ein Hinweis auf weitere geplante Deportationen. Ernährungssituation: Von Anfang an war die Ernährungssituation sehr schlecht, wenngleich es im Ghetto Białystok niemals zu umfassenden Hungersnöten kam (Meldung 36 vom 11. August 1941). Die sehr niedrige Ration wurde am 16. März 1942 (237) um ein Viertel reduziert. In dieser verzweifelten Lage kam es zu Diebstählen von Lebensmitteln (71, 298). Der Judenrat versuchte, die Lage zu verbessern durch Rationierung (60), Erfassung der Milchproduktion (137) und Förderung des Gartenbaus (254, 280). Für Arbeitende wurden die Rationen minimal erhöht (324, 414). Versuche, sich durch Lebensmittelkäufe außerhalb des Ghettos vor dem Hunger zu bewahren, wurden bestraft (52, 206), sogar die Todesstrafe wurde angedroht (113, 281).
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Ausplünderung: Schon am 12. Juli 1941 wurde der jüdischen Bevölkerung Białystoks eine Kontribution aus Geld und Edelmetallen auferlegt (3). Immer wieder wurden sehr hohe Kopfsteuern auferlegt (116, 146). Daneben kam es zu häufigen Konfiskationen von Sachwerten, zunächst von Fahrrädern (45, 48, 54), dann Einrichtungsgegenständen (92, 219, 341), optischen Geräten (214, 234), Pelzwaren (317, 335), elektrischen Geräten (348). Auch Valuta mussten zwangsweise umgetauscht werden (195). Infrastruktur: Der Judenrat versuchte unter den Bedingungen des Ghettos eine Infrastruktur für die jüdische Bevölkerung zu schaffen. Dies wird aus den Quellen vor allem auf zwei Gebieten deutlich. Einmal wurde versucht, eine medizinische Versorgung herzustellen. Es wurde ein Krankenhaus gegründet (35), ebenso Apotheken (40), ein Ambulatorium (177), dann ein Zahnambulatorium (382). Für medizinisches Personal bestand eine Meldepflicht (33, 34, 35, 105). Auch Schulen wurden wieder eingerichtet. Der Unterricht zunächst für die unteren Klassen begann am 9. November 1941 (153), nach einer Registrierung von Schülern (76, 125) und Lehrern (86). Schüler höherer Klassen wurden später registriert (189, 194, 259, 319). Im Schuljahr 1942 begann der Unterricht am 6. September für alle Klassen (327), nachdem vorher zur erneuten Registrierung aufgerufen worden war (319, 321). Es wurde sogar zur Registrierung zu Examina aufgerufen (327). Widerstand: Wie erwähnt, finden sich in den Meldungen nur sehr indirekte Hinweise auf die Widerstandsbewegung. Es finden sich aber genügend Hinweise darauf, dass die Anordnungen der Deutschen und des Judenrates oft nicht befolgt wurden. Schon in Meldung 2 erfährt man, dass nicht alle Juden das »Judenzeichen« trugen. In Meldung 17 wird diesen Personen mit der Erschießung gedroht. In der Nachschrift zu Meldung 104 wird berichtet, dass viele Juden nicht dem Deportationsbefehl nach Pruz˙any nachgekommen sind. In Meldung 109 werden diese Menschen streng verwarnt. Aus der Meldung 301 erfahren wir, dass trotz wiederholter Warnungen weiterhin Juden aus Pruz˙any nach Białystok zurückkehren. Auch der Arbeitspflicht sind nicht alle Juden nachgekommen, sondern ein Teil hat sich versteckt (338). Juden aus anderen Orten lebten oft ohne Anmeldung in Białystok (371), sehr viele versuchten, sich durch Verstecken vor der großen Deportation im Februar 1943 zu bewahren (338). Auf die Untergrundbewegung findet sich nur ein sehr indirekter Hinweis in den Meldungen 391 und 392, in denen nach dem Untergrundkämpfer Pogorelski gefahndet wird.
III. Unterrichtskonzepte Ein exemplarisches Vorgehen ist bei der Rekonstruktion der Verhältnisse im Ghetto schwierig. Möglich wäre aber am Beginn der Einheit eine Benennung der Aspekte, die sich über die Meldungen rekonstruieren ließen, wenn der
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Lernzusammenhang etwa in Form eines advance organizers11 durch den Lehrer oder die Lehrerin vorgestellt wird. Die Lerngruppe könnte dann eine Entscheidung darüber treffen, welcher Teilbereich vertieft im Unterricht besprochen werden soll. Möglicherweise könnte es dabei zu einer Entscheidung für die Thematisierung von Widerstand oder Deportation kommen. Wie immer auch die Wahl aussähe, ließe sich der Gegenstand über ein Arrangement von circa fünf Quellen beispielhaft erfassen. Das Leben im Ghetto lässt sich darüber hinaus im Unterricht verschieden vermitteln. Interessant ist in diesem Zusammenhang das neu geschaffene Seminarfach: Es dient explizit dem Aufbau von Methodenkompetenz, Interdisziplinarität und Projektarbeit. In diesem Fach wird im Land Niedersachsen auch die Facharbeit geschrieben. Die Judenratsmeldungen aus Białystok wären in jeden dieser Bezüge hervorragend zu integrieren und könnten einen ausgezeichneten Kern der Arbeit bilden, gerade auch dann, wenn die Schule Beziehungen nach Israel oder Polen unterhält. Letztlich braucht man für diese Projektarbeit aber nicht das Seminarfach, sondern könnte sie auch in das normale fachdidaktische Curriculum integrieren, dort werden allerdings wohl die Vorgaben durch das Abitur immer im Fokus stehen. Die Meldungen könnten nach einem allgemein informierenden Vorlauf nach thematischen Schwerpunkten binnendifferenziert in Gruppen bearbeitet werden. Über den Austausch der Ergebnisse in Form eines Gruppenpuzzles ließen sich komplexe Erkenntnisse erarbeiten. Natürlich ließe sich zum Beispiel an der sprachlichen Gestaltung und der Frage des Quellenwerts, wie oben angedeutet, auch im ganz normalen Frontalunterricht arbeiten, vielleicht weniger ertragreich, aber sicher so, dass der Fokus deutlich auf diese Ebene des Erwerbs von Methodenkompetenzen gesetzt werden kann. Da die Situation der Juden während des Krieges aus den Meldungen zum Teil nur indirekt erschlossen werden kann, muss sie durch andere Berichte und Medien ergänzt werden, über die die Perspektive und der Quellentypus geändert werden. Das kann einmal durch die Analyse entsprechender antijüdischer Gesetze ermöglicht oder durch Maßnahmen für das »Altreich« kenntlich gemacht werden, die oft fast zeitgleich durchgeführt wurden, so die große Deportation aus Białystok in der ersten Februarhälfte 1943 und die »Fabrikaktion« in Deutschland Ende Februar.12 Daneben steht für das jüdische Leben in Deutschland eine Fülle gerade auch biographischen Materials zur Verfügung, über das die distanzierte, weitgehend unpersönliche Vermittlung der Judenratsmeldungen besser verdeutlicht werden kann. Dadurch werden Einzelschicksale personalisiert, Empathie ermöglicht und Anschaulichkeit geschaffen. Zu nennen wären hier vor allem die Tagebücher Viktor Klemperers,13 welche die Verfolgung zeitlich unmittelbar wiedergeben, oder Memoiren, die das Leben junger Menschen schildern, wie 11 12
13
Vgl. Diethelm Wahl, Lernumgebungen erfolgreich gestalten, Bad Heilbrunn ²2006, S. 139 ff. Vgl. Mona Körte, Artikel ›Fabrikaktion‹, in: Wolfgang Benz u.a. (Hg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1998, S. 452–453. Victor Klemperer, Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933–1945, Berlin 1995.
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zum Beispiel von Sally Perels,14 Inge Deutschkron,15 Ezra Ben Gershom16 Michael Degen,17 Michael Wieck,18 und Klaus Scheurenberg.19 Besonders zu empfehlen sind in diesem Zusammenhang die inzwischen in deutscher Sprache erhältlichen Autobiografien aus der Zeit des Ghettos von Chaika Grossman20 und Felicja Nowak.21 Es bietet sich an, Auszüge aus diesen Werken, die sich auf die oben genannten Probleme beziehen, mit heranzuziehen. Empfehlenswert ist ergänzend auch eine Filmsichtung, da über die Geschichte der Besatzungszeit in Białystok und das dortige Ghetto inzwischen ein beeindruckender Dokumentarfilm geschaffen wurde.22 Ebenso erscheint es sinnvoll für den Unterricht, Prozessaussagen, die während des Białystok-Prozesses vor dem Bielefelder Landgericht getätigt wurden, heranzuziehen. Als Tondokumente sind einige Ausschnitte schon seit längerer Zeit der Öffentlichkeit zugänglich.23 Für Kurse mit erhöhtem Anforderungsniveau liegt auch die Diskussion der Dilemmata, der Politik und der Rolle der Judenräte, insbesondere desjenigen von Białystok, beispielsweise ausgehend von Hannah Arendts Eichmann in Jerusalem,24 nahe. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Judenratsmeldungen aus dem Ghetto in Białystok ein lohnender Gegenstand für den Unterricht sind, gerade weil sie in sich problemhaltig sind. Deshalb bedürfen sie besonderer didaktischer Begründungen, wie sie oben skizziert wurden. Auf Grund von Quantität und Qualität der Quellen zieht das ein methodisches Vorgehen nach sich, das sicher motivierend wirkt, aber abseits der gängigen am Lehrbuch orientierten Unterrichtspraxis liegen wird. Vor diesem Hintergrund erscheint die Arbeit im Geschichtsunterricht aber grundsätzlich durchführbar und ergiebig und könnte »jenseits der Zeitzeugen« einen Einfluss auf die Ausbildung des Geschichtsbewusstseins junger Menschen gewinnen.
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Sally Perels, Ich war Hitlerjunge Salomon, Berlin 1992. Inge Deutschkron, Ich trug den gelben Stern, Köln 1978. Ezra Ben-Gershom, David. Aufzeichnungen eines Überlebenden, Frankfurt a.M. 1993. Michael Degen, Nicht alle waren Mörder. Eine Kindheit in Berlin, München 1999. Michael Wieck, Zeugnis vom Untergang Königsbergs. Ein »Geltungsjude« berichtet, Heidelberg 1990. Klaus Scheurenberg, Ich will leben. Ein autobiographischer Bericht, Berlin 1982. Grossman, Untergrundarmee. Felicja Nowak, Mein Stern. Erinnerungen einer Holocaust-Überlebenden, Gerlingen 2001. Ausgelöscht. Białystok und seine Juden, Regie: Thomas Gaevert/Martin Hilbert (WDR/RBB), Deutschland 2007. Vgl. Freia Anders/Katrin Stoll/Hauke-Hendrik Kutscher (Hg.), Bialystok in Bielefeld. Nationalsozialistische Verbrechen vor dem Landgericht Bielefeld 1958–1967, Anlage CD-ROM, Bielefeld 2003. Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 1964. Zur Problematisierung siehe auch den Beitrag von Karsten Wilke in diesem Band.
Der Erkenntniswert jüdischer Quellen für die Ghettos im besetzen Polen
Das Ghetto-Phänomen während der Shoah Ein neuer Erklärungsansatz
von
DAN MICHMAN
Das Ghetto-Phänomen während der NS-Zeit wurde häufig beschrieben, und inzwischen bildet die entsprechende Forschungs- und Memoirenliteratur einen umfangreichen Korpus in vielen Sprachen. Erstaunlicherweise wurden jedoch die Ursachen für das Entstehen dieses Phänomens kaum analysiert. Im gesamten Korpus der Holocaust-Forschung sind es eigentlich nur Philip Friedman, Raul Hilberg und Christopher Browning, die versucht haben, die grundlegenden Fragen ernsthaft in Angriff zu nehmen. Friedmans Abhandlung (1954) geriet weitgehend in Vergessenheit. Die beiden letztgenannten Autoren nahmen die Invasion Polens im September 1939 als Ausgangspunkt für ihre Untersuchungen und näherten sich dem Problem über die Logik gezielter bürokratischer Maßnahmen. Sie wiesen auf Reinhard Heydrichs Schnellbrief vom 21. September 19391 als »Ghetto-Befehl« für Polen hin und bewerteten ihn als Schritt innerhalb des auf die »Endlösung« ausgerichteten Eskalationsprozesses. Fast die gesamte Holocaust-Forschung hat diese Ansicht akzeptiert. Diese Erklärungslinie geht jedoch nicht auf einige der grundlegendsten Probleme des Phänomens ein. Warum wurden Ghettos überhaupt gebraucht? Warum wurde der historische Begriff »Ghetto« gewählt, manchmal abwechselnd mit anderen äquivalenten historischen Begriffen, wie zum Beispiel »Judenviertel« oder »Judenstraße«? Warum blieb das Phänomen ausschließlich auf Osteuropa sowie Theresienstadt (Terezín) und Saloniki begrenzt? Warum war das »System« nicht systematisch, weder in Bezug auf die ordnungsgemäße räumliche und zeitliche Errichtung noch in Bezug auf Vollständigkeit (manchmal nahm die Errichtung eines Ghettos ein ganzes Jahr in Anspruch und es gab mehrere Regionen, in 1
Nürnberger Dokument PS-3363, abgedruckt in: Jüdisches Historisches Institut Warschau (Hg.), Faschismus – Getto – Massenmord. Dokumentation über Ausrottung und Widerstand der Juden in Polen während des Zweiten Weltkrieges, Frankfurt a.M. 1962, S. 37–41.Unter Punkt »II. Jüdische Ältestenräte« heißt es u.a.: […] »Die Ältestenräte in den Konzentrierungsstädten sind verantwortlich zu machen für die geeignete Unterbringung der aus dem Lande zuziehenden Juden. […] Die Konzentrierung der Juden in den Städten wird wahrscheinlich aus allgemein sicherheitspolizeilichen Gründen Anordnungen in diesen Städten bedingen, daß den Juden bestimmte Stadtviertel überhaupt verboten werden, daß sie – stets jedoch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Notwendigkeiten – z.B. das Ghetto nicht verlassen, zu einer bestimmten Abendstunde nicht mehr ausgehen dürfen, usw. […].« Ebd., S. 38 f.
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denen zwar in der einen Stadt ein Ghetto errichtet wurde, in der benachbarten Stadt aber erst viel später; selbst in vielen jüdischen Gemeinden Osteuropas existierten bis zur Vernichtung keine Ghettos)? Warum stammen Beispiele, die die übliche Erklärung stützen, nur von einer sehr begrenzten Zahl größerer Ghettos, nämlich weniger als 20, vor allem in Polen, wobei Warschau und Litzmannstadt (Łód´z) am häufigsten genannt werden, während es doch nach unserem jetzigen Kenntnisstand ungefähr 1.140 gab, darunter viele in Rumänien und Ungarn?2 Ich schlage vor, einen linguistisch-kulturellen Ansatz zu verwenden, um die historische Entwicklung und ihre Umrisse zu verstehen. Dabei ist es unerlässlich, den lange zurückliegenden historischen Hintergrund des Begriffs Ghetto und seiner Konzeption einzubeziehen.3 Wie weithin bekannt ist, gab es seit dem Hochmittelalter jüdische Siedlungen – normalerweise auf freiwilliger Grundlage, aber manchmal auch zwangsweise. Das Wort »Ghetto« als Begriff zur Bezeichnung eines jüdischen Viertels innerhalb einer Stadt hat seinen Ursprung in der frühen Neuzeit in Venedig, genauer gesagt: 1516, als es Juden gestattet wurde, sich im Ghetto Nuovo dieser Stadt niederzulassen. Der Begriff wurde drei Jahrzehnte danach erstmals in Dubrovnik an der kroatischen Küste (1546), danach im Vatikanstaat in Rom aufgegriffen (1555), dieses Mal als Bezeichnung für das durch den Vatikan eingerichtete jüdische Pflichtwohnviertel. Von hier breitete sich der Begriff in ganz Italien weiter aus. Auf der materiellen Ebene wurden Ghettos nach und nach abgeschafft, wobei das Ghetto in Rom am längsten bestand – offiziell bis 1848, tatsächlich bis 1870. Aber während das wirkliche Phänomen verschwand, fand der Begriff Ghetto im 19. Jahrhundert und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts weite Verbreitung. Unter Zionisten und Antisemiten und in der akademischen Literatur wurde er in kritisch-negativer Weise verwendet, während diejenigen Juden, die die Assimilierung beklagten, ihm eine nostalgische Bedeutung gaben. Der Ghetto-Diskurs umfasste zwei Versionen: Bei der einen stand der Begriff als Metapher für eine faktische soziale Abtrennung von den NichtJuden, bei der anderen bezeichnete er das physische Phänomen großer, enger und armer jüdischer Viertel in den Städten und wurde vor allem im Polen der Zwischenkriegszeit verwendet. Nachdem Hitler und die NSDAP 1933 in Deutschland die Macht ergriffen hatten, waren es die deutschen Juden, die den Begriff in ihrem Diskurs während der ersten Jahre des NS-Regimes metaphorisch verwendeten. Sie bezogen sich damit auf ihre sich verschlechternde soziale und rechtliche Lage. Von hier fand der Begriff Eingang in die Sprache maßgeblicher deutscher Politiker, sowohl metaphorisch4 als auch (im Sommer 1938) ganz materiell in Bezug auf das 2
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Vgl. Guy Miron/Shlomit Shulhani (Hg.), The Yad Vashem Encyclopedia of the Ghettos during the Holocaust, Jerusalem 2009. Für eine ausführliche, umfassende und vollständig mit Anmerkungen versehene Version der folgenden Ausführungen vgl. Dan Michman, Die Angst vor den Ostjuden. Zur Entstehung und Bedeutung der Ghettos in der Shoah, Frankfurt a.M. (erscheint 2010). So zum Beispiel Heydrich an den Stellvertreter des Führers am 1. Februar 1937; zitiert in: Wolf Gruner, Die NS-Judenverfolgung und die Kommunen. Zur wechselseitigen Dynamisierung von
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mögliche Ergebnis der Wohnraumpolitik gegenüber Juden, vor allem hinsichtlich der wachsenden Konzentration von Juden in Berlin.5 Im Herbst 1938 jedoch erfuhr der Begriff plötzlich eine höchst dramatische Änderung, verursacht durch den Einfluss des Buches Die Juden im osteuropäischen Raum6 von Peter-Heinz Seraphim. Dieses Produkt nationalsozialistischer Juden- und Ostforschung7 wies auf die Existenz faktischer Ghettos in Osteuropa hin. Das waren, wie bereits erwähnt, die großen jüdischen Konzentrationen in besonders engen und armen Vierteln der großen osteuropäischen Städte. In Seraphims Augen waren dies die Machtzentren des »Judentums« und darüber hinaus Brutstätten von Krankheiten und Epidemien. Seine Beschreibung basierte auf dem internen jüdischen Diskurs, der die Lebensbedingungen und die Situation der Juden in Osteuropa in der Zwischenkriegszeit kritisch betrachtete, aber Seraphims Interpretation verkehrte dessen Sinn ins Gegenteil und ließ ihn Eingang finden in die antisemitische Gedanken- und Vorstellungswelt. Das veranlasste SS und Polizei im November 1938, sich gegen jegliche Ghettoisierung in Deutschland auszusprechen,8 ein Standpunkt, den Heydrich während des berüchtigten Treffens auf höchster politischer Ebene am 12. November 1938, zwei Tage nach der »Reichskristallnacht«, deutlich machte: »Das Ghetto in Form vollkommen abgesonderter Stadtteile, wo nur Juden sind, halte ich polizeilich nicht für durchführbar. Das Ghetto, wo der Jude sich mit dem gesamten Judenvolk versammelt, ist in polizeilicher Hinsicht unüberwachbar. Es bleibt der ewige Schlupfwinkel für Verbrechen und vor allen Dingen von Seuchen und ähnlichen Dingen. Heute ist es so, dass die deutsche Bevölkerung – wir wollen die Juden auch nicht in demselben Haus lassen – in den Straßenzügen oder in den Häusern den Juden zwingen, sich zusammenzunehmen. Die Kontrolle des Juden durch das wachsame Auge der gesamten Bevölkerung ist besser, als wenn Sie den Juden zu Tausenden und aber Tausen-
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zentraler und lokaler Politik 1933–1941, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 48 (2000), S. 75–126, hier: S. 93. Vgl. Wolf Gruner, »Lesen brauchen sie nicht zu können...« Die »Denkschrift über die Behandlung der Juden in der Reichshauptstadt auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens« vom Mai 1938, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 4 (1995), S. 305–341, hier: S. 322. Peter-Heinz Seraphim, Das Judentum im osteuropäischen Raum, Essen 1938. Zu Seraphim siehe auch: Hans-Christian Petersen, Bevölkerungsökonomie – Ostforschung – Politik. Eine biographische Studie zu Peter-Heinz Seraphim (1902–1979), Berlin 2007; Alan Steinweis, Studying the Jew. Scholarly Antisemitism in Nazi Germany, Princeton 2006, S. 142–151; Götz Aly/ Susanne Heim, Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Frankfurt a.M. 1993, S. 96–101; Claudia Koonz, The Nazi Conscience, London 2003, S. 199. Vgl. Michael Burleigh, Germany Turns Eastwards: A Study of ›Ostforschung‹ in the Third Reich, Cambridge 1988; Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle u.a. (Hg.), Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 1999; Gerhard F. Volkmer, Die deutsche Forschung zu Osteuropa und zum osteuropäischen Judentum in den Jahren 1933–1945, in: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 42 (1989), S. 109–214; Koonz, The Nazi Conscience, S. 193–220; Schwerpunkt: ›Judenforschung‹ – Zwischen Wissenschaft und Ideologie, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts/Simon Dubnow Institute Yearbook V (2006), S. 303–598. Vgl. Dok.: SD II 112 an den SD-Führer des SS-O.A. Ost, II 112, Berlin, Betr.: Ghettoisierung der Juden vom 1. November 1938, United States Holocaust Memorial Museum Archives, Washington, Sonderarchiv Moskau 500-1-343, S. 243.
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den in einem Stadtteil haben, wo ich durch uniformierte Beamte eine Überwachung des täglichen Lebenslaufes nicht herbeiführen kann. Göring: Wir brauchten nur das Telefonieren nach auswärts unterbinden. Heydrich: Ich könnte den Verkehr des Judentums aus diesem Stadtteil heraus doch nicht ganz unterbinden.«9 Die Invasion Polens am 1. September 1939 kennzeichnete allerdings einen Wendepunkt. Nun traf der Antisemitismus der Nationalsozialisten physisch auf Das Ostjudentum und die bereits bestehenden Ghettos und musste einen Umgang damit finden. Propagandaminister Joseph Goebbels entsandte Filmteams in die Ghettos; Heinrich Himmler, Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei, sprach über »das Gesindel«; Kommandeure, Soldaten und andere drückten ihren Abscheu aus, als sie die jüdischen Viertel und die dort lebenden Menschen sahen.10 In diesem Zusammenhang betrachtet und durch unvoreingenommene Lektüre wird vollständig klar, dass – im Unterschied zu Hilbergs Ansicht11 – in Heydrichs Schnellbrief an die Kommandeure der Einsatzgruppen vom 21. September 1939 und im Protokoll des Treffens vom gleichen Tag niemals von der Errichtung von Ghettos als einer neuen und gut geplanten bürokratischen Maßnahme die Rede war, sondern von der Konzentration städtischer Juden in den bereits bestehenden Ghettos. Das kann eindeutig als Reaktion verstanden werden, um der »Gefahr« der polnischen Juden zu begegnen, der man sich nun gegenübersah. Einige Zeit später schlug der Generalgouverneur Hans Frank vor, im Fall von Krakau, der Hauptstadt des Generalgouvernements, das Gegenteil zu tun und »die Stadt Krakau bis zum 1. November 1940, soweit irgend möglich, judenfrei zu machen und eine große Aussiedlungsaktion der Juden in Angriff zu nehmen, und zwar mit der Begründung, daß es absolut unerträglich sei, wenn in einer Stadt, der der Führer die hohe Ehre zuteil werden lasse, der Sitz einer hohen Reichsbehörde zu sein, Tausende und Abertausende von Juden herumschlichen und Wohnungen inne hätten. [...] Das Ghetto werde dann gesäubert werden, und es werde möglich sein, saubere deutsche Wohnsiedlungen zu errichten, in denen man eine deutsche Luft atmen könne.«12 Jedoch wurde sogar Heydrichs Empfehlung nicht innerhalb der drei bis vier Wochen ausgeführt, die er in dem Schnellbrief vorgeschlagen hatte. Es gab auch keinen Druck von oben, die Errichtung von Ghettos umzusetzen. So wurde die Errichtung zu einer lokalen Entscheidung, die an verschiedenen Orten zögernd umgesetzt wurde und sich selbst dann normalerweise über einen – manchmal sehr – langen 9
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Stenographische Niederschrift der Sitzung im Reichsluftfahrtministerium am 12. November 1938, in: International Military Tribunal (IMT), Bd. XXVIII, (Dok. 1816-PS), S. 510, 533–536. Vgl. Jochen Böhler, Auftakt zum Vernichtungskrieg, Göttingen 2006, S. 46–48 und Anm. 178, 181, 182, 194; zu weiteren verbalen Äußerungen siehe das Arbeitspapier von Markus Roth, Die Kreishauptleute im Generalgouvernement vor und nach 1945, vorgestellt während des deutschisraelischen Doktoranden-Workshops in Yad Vashem am 9. Oktober 2007. Inzwischen erschienen: Markus Roth, Herrenmenschen. Die deutschen Kreishauptleute im besetzten Polen. Karrierewege, Herrschaftspraxis und Nachgeschichte, Göttingen 2009. Vgl. Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, 3 Bde., Bd. I, S. 197 f. Werner Präg/Wolfgang Jacobmeyer (Hg.), Das Diensttagebuch des deutschen Generalgouverneurs in Polen 1939–1945, Stuttgart 1975, S. 165 (Eintrag vom 12. April 1940).
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Zeitraum hinzog. In Warschau dauerte er von Oktober 1939 bis November 1940 und stieß auf viele Widerstände seitens anderer deutscher und lokaler Behörden. Der funktionale Erfolg – aus einem organisatorischen Blickwinkel – des Ghettos Litzmannstadt (Łód´z), das im April 1940 eingerichtet worden war, machte aus diesem Ghetto ein Beispiel, das später an vielen Orten überall im besetzten Polen wiederholt wurde; es kamen sogar Besucher von weit her, um davon zu lernen. Diese Ghettos der Jahre 1940 bis 1941 werden normalerweise in der Holocaust-Forschung als typisch für die »klassischen« Ghettos der NS-Herrschaft angesehen; allerdings war ihre Zahl begrenzt und aus einem rein bürokratischen Blickwinkel verursachten sie mehr Probleme als sie lösten: Der Verkehr in der Stadt musste umgeleitet und Menschen mussten umfassend umgesiedelt werden, und es wurden Verwaltungs- und Sicherheitskräfte benötigt. Sie waren auch eindeutig keine Antwort auf Hindernisse bei den Vertreibungsprogrammen, wie Götz Aly vorschlägt,13 oder eine bürokratische Zwischenlösung angesichts des Scheiterns der Vertreibungspläne nach den ersten Phasen der Besatzung in Polen, wie Christopher Browning nahelegt.14 Das »klassische« Ghetto als Antwort auf die Gefahr durch Das Ostjudentum erklärt sehr gut, warum es in West-, Nord-, Zentral- und Südeuropa oder Nordafrika unter deutscher Kontrolle keine Ghettos gab. Seraphim, der Berater im Generalgouvernement wurde und bis 1943 Schriftleiter der Zeitschrift Der Weltkampf. Monatsschrift für die Judenfrage in allen Ländern des Frankfurter Instituts zur Erforschung der Judenfrage war,15 stellte ausdrücklich fest, dass die Ghetto-Idee in Mittel- und Westeuropa nicht anwendbar war.16 In diesem Zusammenhang sind die Initiative zur Errichtung eines Ghettos in Amsterdam und die diesbezüglichen Diskussionen in der ersten Hälfte des Jahres 1941 besonders interessant.17 Obwohl die Motive, die zu dieser Initiati13
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Vgl. Götz Aly, »Endlösung«. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden, Frankfurt a.M. 1995, S. 131. Vgl. Christopher R. Browning, The Origins of the Final Solution. The Evolution of Nazi Jewish Policy, September 1939–March 1942, Lincoln 2004, S. 111–168. Das Institut zur Erforschung der Judenfrage Frankfurt am Main wurde im März 1941 als Einrichtung einer geplanten Hohen Schule der NSDAP eröffnet. Die durch den Verlag der Hohen Schule erworbene Zeitschrift Der Weltkampf wurde in den Dienst des Instituts gestellt. Institutsleiter war bis Oktober 1942 Wilhelm Grau, dem Otto Paul und Klaus Schickert folgten. Grau und Seraphim planten eine »Abteilung Ostjudentum« des Instituts im Ghetto Litzmannstadt, die Seraphim im Juli 1942 einrichtete. Vgl. Dieter Schiefelbein, Das Institut zur Erforschung der Judenfrage Frankfurt am Main. Vorgeschichte und Gründung 1935–1939, Frankfurt a.M. 1995; ders., Das »Institut zur Erforschung der Judenfrage Frankfurt am Main«. Antisemitismus als Karrieresprungbrett im NS-Staat, in: Fritz-Bauer-Institut (Hg.), »Beseitigung des jüdischen Einflusses…«. Antisemitische Forschung, Eliten und Karrieren im Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 1999, S. 43–72, hier: S. 54–58, 65; Hans-Christian Petersen, Der Wissenschaftler als Sozial-Ingenieur. Die Konstruktion der ›Fremdheit‹ des osteuropäischen Judentums im Werk Peter-Heinz Seraphims, in: Jewish History Quarterly (2005), S. 12–29. Bevölkerungs- und wirtschaftliche Probleme einer europäischen Gesamtlösung der Judenfrage, in: Der Weltkampf 1 (1941), S. 43–44; zitiert nach Philip Friedman, The Jewish Ghettos of the Nazi Era, in: ders., Roads to Extinction. Essays on the Holocaust, New York/Philadelphia 1980, S. 59–87, hier: S. 64. Vgl. Heinz Wielek, De Oorlog die Hitler Won, Amsterdam 1947, S. 37; Ben A. Sijes, De Februaristaking: 25–26 Februari 1941, ’s Gravenhage 1954, S. 92; Louis de Jong, Het Koninkrijk der
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ve führten, nicht dokumentiert sind, kann sie doch damit erklärt werden, dass einige der Charakteristika der Amsterdamer Juden denen der osteuropäischen Juden ähnelten, wie zum Beispiel hinsichtlich Anzahl, Konzentration sowie Armut, und dass einige der führenden Personen der deutschen Verwaltung in den Niederlanden, wie Reichskommissar Arthur Seyß-Inquart und der Kommandeur der Sicherheitspolizei Wilhelm Harster, vor ihrer Versetzung in die Niederlande in Polen stationiert gewesen waren. Für einen derartigen Zusammenhang spricht die Tatsache, dass die jüdische Gemeinde in Saloniki, wo 1943 für eine kurze Zeit Ghettos eingerichtet wurden, in der Photosammlung des Frankfurter Instituts im September 1941 als das »Warschau am Mittelmeer« beschrieben wurde.18 In diesem Zusammenhang sollte auch betont werden, dass die in der Forschungsliteratur übliche Verwendung des Begriffs »Ghettoisierung« auch für solche Ausprägungen von Rassentrennungspolitik, die nicht die Errichtung eines tatsächlichen Ghettos beinhalteten – insbesondere durch einige der niederländischen Forscher –, verzerrend wirkt und der zeitgenössischen Verwendung des Begriffs zuwiderläuft. Eine neue Phase der Ghettoisierung begann mit der Invasion der Sowjetunion. Ungefähr 500 Ghettos wurden überall in den von Nazi-Deutschland besetzten Gebieten errichtet. Jetzt wurden sogar offizielle militärische und zivile Befehle auf höchster Ebene erlassen, aber der Umsetzungsprozess verlief auch dieses Mal wieder eher unsystematisch. Dazu kam, dass diese Ghettos mitten in der eskalierenden Mordkampagne entstanden. Die Errichtung der Ghettos wurde ganz eindeutig nicht als Phase in diesem Prozess benötigt, der sowieso durchgeführt wurde und zwar vor und begleitend zur Ghettoisierung. Die Ghettos dienten in vielen Fällen dazu, benötigte jüdische Arbeitskräfte eine Zeit lang zur Verfügung zu halten. Aber in anderen Fällen scheint es, als wären die Ghettos einfach aus dem Gedanken – der in den vorangegangenen ein bis zwei Jahren Fuß gefasst hatte – heraus errichtet worden, dass die anti-jüdische Politik ganz selbstverständlich die Errichtung eines Ghettos beinhalte. Was den Charakter dieser Ghettos betrifft, so waren sie nun eher Konzentrations- oder Arbeitslager innerhalb von Städten als die Art von »umbauten Stadtvierteln«, die die vorherigen Ghettos gewesen waren. In vielen Fällen bestanden sie nur für einen sehr kurzen Zeitraum, aber es gab Ausnahmen, wie zum Beispiel in Kovno (Kaunas), wo das Ghetto länger als zwei Jahre bestand. Mit dem Wechsel in der grundlegenden Bedeutung der Ghettos für maßgebliche deutsche Politiker wurden einige von ihnen auch zu Zwischenstationen für die weitere Deportation. Das war die Bedeutung, die Heydrich während
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Nederlanden in de Tweede Wereldoorlog, vol. 4/b, ‘s Gravenhage 1972, S. 880–885; Jacques Presser, Ondergang. De vervolging en verdelging van het Nederlandse jodendom 1940–1945, ‘s Gravenhage 1965, 2 Bde., Bd. I, S. 58, 79 ff., 167, 173, 207–208, 319, 373 f., 392–398, Bd. II, S. 184, 385 (gekürzte englische Fassung: ders., Ashes in the Wind. The Destruction of Dutch Jewry, Detroit 1998, S. 47, 114); Bob Moore, Victims and Survivors. The Nazi Persecution of the Jews in the Netherlands 1940–1945, London 1997, S. 63, 67 f.; Friso Roest, Jos Scheren, Oorlog in de Stad, Amsterdam 1998, S. 225–246, 335–360, 447–457. Vgl. Photosammlung des Instituts zur Erforschung der Judenfrage, YIVO, New York.
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der Wannseekonferenz im Januar 1942 Theresienstadt zuschrieb.19 Sie wurde später auch für die kurze Konzentration, »Ghettoisierung«, wie es in einem Dokument hieß,20 der salonikischen Juden in drei Stadtvierteln verwendet, die der vorbereitende Schritt für ihre Deportation im Februar 1943 war, eine Konzentration, die vollständig parallel verlief zur Funktion der so genannten Judendurchgangslager Westerbork, Mechelen und Drancy in Westeuropa. Innerhalb des allgemeinen Deportationsschemas ungarischer Juden nach Auschwitz (April bis Juli 1944) übernahm auch das ungarische Regime diese Bedeutung für die Konzentration von Juden in Stadtvierteln überall im Land. Parallel zu diesen Entwicklungen wandte Rumänien die Ghettoidee ab Sommer 1941 auf die Juden von Bessarabien und der Bukowina an, wie auch auf sehr schreckliche Weise in Transnistrien. Im lokalen Vokabular wurden die Worte »Ghettos«, »Lager« und »Kolonien« zu austauschbaren Begriffen – eine Tatsache, die in der Historiographie zu unterschiedlichen Zählungen der Anzahl von Ghettos in Transnistrien führte (zwischen 50 und 150). In jedem Fall waren die transnistrischen Ghettos unter rumänischer Verwaltung oft chaotischer als die deutschen, aber nachdem Ion Antonescu 1942 entschied, seine Vernichtungspolitik zu ändern, wurden diese Ghettos zu Orten, an denen die Juden, die bis dahin überlebt hatten, bis Kriegsende weiterleben konnten. Aus der Untersuchung des gesamten Phänomens der Ghettos während der Shoah lassen sich folgende Schlüsse ziehen: Das »klassische«, von den Nazis errichtete Ghetto war eine Reaktion auf die Wahrnehmung der Ostjuden als Gefahr mit der Absicht, diese Gefahrenträger »einzudämmen«, und war daher ein Ergebnis der Internalisierung antisemitischer Feindbilder, die bereits einige Zeit zuvor geprägt worden waren – es war keine wohlüberlegte, bürokratische, »rationale« Entscheidung zur Isolierung aller Juden. Im Laufe der Geschichte erfuhr der Begriff Ghetto mehrmals eine Änderung seiner Bedeutung, im Allgemeinen und während der Shoah im Besonderen. Die Ghetto-Idee und das Judenrat-Konzept entstanden aus vollkommen verschiedenen Quellen und zu verschiedenen Zeitpunkten, sie überschnitten sich nur teilweise, und sie waren nicht inhärent miteinander verbunden.21 Das Aufkommen des »klassischen« Ghetto-Phänomens um die Jahreswende 1939/1940 war Ausdruck einer Radikalisierung der Naziideologie im Rahmen des historischen Antisemitismus – nichtsdestotrotz blieb es eine Reaktion, die sich über niedere Ränge des NS-Regimes ausdrückte und von diesen ausgeführt wurde, während die Entscheidung zur »Endlösung« im Sommer 1941 ein strategischer Sprung war und auf höchster Ebene entschieden wurde – von 19
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Vgl. Leon Poliakov, Josef Wulf, Das Dritte Reich und die Juden. Dokumente und Aufsätze, Berlin 1955, S. 123. Vgl. Dok.: »Massnahmen gegen die hiesigen Juden« (Memo des deutschen Konsuls Schönberg nach Berlin) Salonik [sic!], 26. Februar 1943, Yad Vashem Archives, TR.3 1003. Zur Geschichte des Konzepts der Judenräte vgl. Dan Michman, Holocaust Historiography. A Jewish Perspective, London 2003, S. 159–175; ders., Jewish Leadership in Extremis, in: Dan Stone (Hg.), The Historiography of the Holocaust, Houndmills 2004, S. 319–340; ders., On the Historical Interpretation of the Judenräte issue. Between Intentionalism, Functionalism and the Integrationist Approach of the 1990s, in: Moshe Zimmermann (Hg.), On Germans and Jews under the Nazi Regime. Essays by Three Generations of Historians, Jerusalem 2006, S. 385–397.
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Dan Michman
Hitler selbst.22 Die Ghettoisierung war folglich weder auf ideologischer noch auf faktischer Ebene ein zur »Endlösung« führender Schritt. (Übersetzung aus dem Englischen von Karin Avdic)
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Zum Entscheidungsprozess zur »Endlösung« vgl. Christopher Browning, The Origins of the Final Solution. The Evolution of Nazi Jewish Policy September 1939–March 1942, Lincoln 2004; Ian Kershaw, Hitler 1936–1945, London 2000.
Das Bild der Judenräte in Aufzeichnungen aus der Zeit der Shoah von
MONIKA TOKARZEWSKA
I. Vorbemerkungen1 Wissenschaftliche Studien zu den Judenräten in den Ghettos unter nationalsozialistischer Besatzungsherrschaft lassen heute ein differenziertes Bild dieser Institutionen erkennen. Der Grund liegt in der doppelten Distanz zum historischen Geschehen: In der zeitlichen und der des unterschiedliche Quellentypen interpretierenden Forschers. Durchgesetzt hat sich die Erkenntnis, dass das Wirken der Judenräte unter Einbeziehung der regionalen Rahmenbedingungen analysiert werden muss.2 Es wird darauf hingewiesen, dass viele Mitglieder dieser Gremien ihre Aufgabe darin sahen, das Leid ihres Volkes zu mildern oder dass sie nach Strategien gegenüber den mörderischen deutschen Besatzungsbehörden suchten, die ihnen Handlungsspielräume erhalten und möglichst viele Menschen retten sollten.3 Liest man dagegen autobiographische Dokumente, Tagebücher, Erinnerungen und sonstige Texte von Zeugen der Shoah, fällt auf, dass das Bild der Judenräte vor allem in Aufzeichnungen, die während des Krieges entstanden sind, häufig ablehnend und kritisch ausfällt. Das erscheint kaum verwunderlich, bedenkt man, dass die persönlichen Zeugnisse durch den situativen Kontext geprägt sind: durch die Angst, der Vernichtung zum Opfer zu fallen. Da jede Kleinigkeit, jede Begegnung mit anderen Menschen und jede Entscheidung eine definitive Bedeutung erhalten konnte, erscheinen die Wertungen der Betroffenen oft entsprechend bitter, um so mehr, als es sich um eine Kritik an Angehörigen des eigenen Volkes handelt, das als Ganzes zum Tode und zur Auslöschung verurteilt war. Die hier vorgestellten Ausschnitte aus zeitgenös1
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Ich möchte mich bei Freia Anders für die langen Diskussionen über diesen Beitrag bedanken, die für mich vielfach von entscheidender Bedeutung waren. Siehe dazu die Hinweise von Dan Michman in diesem Band. Vgl. beispielsweise die Fallstudien von Andrea Löw, Ordnungsdienst im Ghetto Litzmannstadt, in: Paweł Samu´s/Wiesław Pu´s, Fenomen getta łódzkiego [Das Phänomen des Ghettos Litzmannstadt], Łód´z 2006, S. 155–167; Joanna Podolska, Nie w naszej mocy przebacza´c. Chaim Mordechaj Rumkowski, Przełoz˙ony Starsze´nstwa Z˙ydów w łódzkim getcie [Es ist nicht an uns zu verzeihen. Chaim Mordechaj Rumkowski, der Vorsitzende des Ältestenrates der Juden im Ghetto Łód´z], in: ebd., S. 205–234. Zur administrativen und sozialen Infrastruktur, die der Kompetenz der Judenräte unterstellt war, am Beispiel des Warschauer Ghettos siehe Ruta Sakowska, Menschen im Ghetto. Die jüdische Bevölkerung im besetzten Warschau 1939–1943, Osnabrück 1999, S. 81 ff.
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Monika Tokarzewska
sischen Aufzeichnungen und später verfassten Erinnerungsberichten geben einen – freilich noch nicht wissenschaftlich systematisierten und nicht immer distanzierten – Einblick in individuelle Wahrnehmungen von der Rolle der Judenräte in einzelnen Ghettos. Dabei waren die Judenräte nicht der Anlass, aus dem die hier interpretierten Texte entstanden, sondern es war die Situation des Schreibens im Angesicht des Todes, der spätestens seit Mitte 1942 nicht mehr als jüdischer Massentod, sondern als Vernichtung des jüdischen Volkes als solche wahrgenommen wurde. Die meisten Autoren wollten Zeugnis ablegen angesichts einer Katastrophe, die auch sie selbst nicht überleben würden. Vor diesem Hintergrund gestalten sich die Konturen der im Wort festgehaltenen Ereignisse und Personen besonders scharf. Das bedeutet auch, dass Taten und Charaktere vor dem Hintergrund der »Endlösung« gesehen werden: sie werden danach beurteilt, ob sie als Beitrag zur Katastrophe oder als Widerstand gedeutet werden können. Auf jeder individuellen Tat lastet das Gewicht des gemeinsamen Schicksals – deshalb wiegt alles Negative schwerer als unter ›normalen‹ Bedingungen, und alles Positive kann schnell als Heroismus betrachtet werden, der in den meisten Fällen auch vorhanden war. Diese Perspektive wird nicht selten in die Vergangenheit projiziert: in die erste Kriegshälfte, vor Beginn der »Aktion Reinhardt«, als das Schicksal der Juden noch ungewiss schien. Diese Perspektive begleitet nicht selten auch Erinnerungen und Berichte, die nach dem Kriegsende verfasst wurden. Ausgewählt wurden Dokumente, die überwiegend auf den Erfahrungen im besetzten Polen basieren und in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Geschehen in polnischer, hebräischer oder jiddischer oder als Erinnerungsberichte auch in englischer Sprache verfasst wurden. Die Aufzeichnungen haben meiner Auffassung nach, obwohl sie historische Dokumente darstellen, insofern einen universellen Charakter, als dass sie auf psychosoziale Mechanismen schließen lassen, die in extremen Situationen entstehen: Anomie der bisher anerkannten Werte, Angst um das eigene Leben, die von Machthabern ausgenutzt und instrumentalisiert werden konnte, Selbsttäuschung und Verdrängung als Überlebensstrategie sowie eine Verengung des Wahrnehmungshorizonts. All das beschränkt sich nicht auf die Geschichte und die Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg. Totalitäre Systeme haben totale Ansprüche an den Menschen, nicht zuletzt in dem Sinne, dass sie sich auch ihre Opfer einzuverleiben versuchen, um ihnen alle Reste von Denk- und Handlungsfreiheit zu rauben. In solche Mechanismen Einblick gegeben zu haben, verdanken wir den hier interpretierten jüdischen Autoren Chaim Kaplan, Calek Perechodnik, Perec Opoczy´nski, Emanuel Ringelblum und anderen. Die Auswahl der Quellen stützt sich nicht zuletzt auf die besondere Qualität der von ihnen hinterlassenen Zeugnisse. Trotz furchtbarer Lebensbedingungen und steter Todesdrohung waren sie imstande, über die individuellen Erlebnisse hinaus einen kollektiven Prozess zu beschreiben, eine ›Logistik der Vernichtung‹, der seine Effizienz nicht zuletzt daraus schöpfte, dass die Opfer enerviert und instrumentalisiert wurden. Wie Karol Sauerlands Beitrag in diesem Band aufweist, waren öffentliche Debatten über die Shoah oder gar über die Rolle der Judenräte – sieht man von
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vereinzelten Hinweisen ab – kein Thema der polnischen Publizistik. Das gilt auch für die wissenschaftliche Behandlung. Die in der Volksrepublik Polen verhinderte Forschung zu diesem Thema entwickelte sich im letzten Jahrzehnt allerdings besonders rasch.4 Obwohl es von großem Interesse wäre, kann die Rezeption der hier ausgewählten autobiographischen Dokumente im Rahmen dieses Artikels nicht verfolgt werden. Es muss daher offen bleiben, inwiefern sie Wirkmächtigkeit erlangten. Festzuhalten ist, dass sie erst etliche Jahrzehnte 4
Nach 1989 wurde innerhalb der Polnischen Akademie der Wissenschaften das Centrum Bada´n nad Zagłada˛ Z˙ydów [Zentrum für Holocaustforschung] gegründet. Es versammelt namhafte Forscher, vor allem der mittleren und jüngeren Generation, die sich der Erforschung der Shoah auf den polnischen Gebieten und im Kontext der polnischen Gesellschaft widmen. Ein wichtiges Arbeitsgebiet ist die Herausgabe von zeitgenössischen Dokumenten bzw. ihre Übersetzung aus dem Jiddischen ins Polnische. Das reichhaltig vorhandene Material stieß bisher kaum auf Interesse, zumal es nur wenige Historiker und Philologen gibt, die des Jiddischen mächtig sind. Das Zentrum gibt das Jahrbuch Zagłada Z˙ydów. Studia i materiały [Die Vernichtung der Juden. Studien und Materialien] heraus. Zu den wichtigsten jüngeren Veröffentlichungen zählen u.a.: Barbara Engelking/Dariusz Libionka, Z˙ydzi w powsta´nczej Warszawie [Juden während des Warschauer Aufstandes], Warszawa 2009; dies., Prowincja Noc. Z˙ycie i zagłada Z˙ydów w dystrykcie warszawskim [Provinz Nacht. Leben und Vernichtung der Juden im Distrikt Warschau], Warszawa 2007; Agnieszka Haska, Jestem Z˙ydem, chce˛ wej´sc´ . Hotel Polski w Warszawie 1943 [Ich bin Jude, will hier rein. Hotel Polski in Warschau 1943], Warszawa 2006; Anna Skibi´nska u.a. (Hg.), Z˙ródła do bada´n nad zagłada˛ Z˙ydów na okupowanych ziemiach polskich [Quellen zur Erforschung der Judenvernichtung in den besetzten polnischen Gebieten], Warszawa 2007. Das Institut hebt sich dank seiner Wissenschaftler und der Möglichkeit, ohne Zensur und in einer anderen Streitkultur als der bisher in Volkspolen üblichen, zu wirken, durch seine seine Dynamik und seinen Willen, neue Wege einzuschlagen, hervor. Das Jüdische Historische Institut wurde 1947 in Warschau gegründet und 2009 in Emanuel Ringelblum-Jüdisches Historisches Institut umbenannt. Es arbeitete jahrzehntelang unter den Bedingungen stark eingeschränkter politischer Freiheit, hat sich jedoch große Verdienste, zu denen nicht zuletzt eine frühe Zeitzeugenbefragung gehört, erworben. Anknüpfend an die jüdische Forschung der Zwischenkriegszeit versteht es sich als Fortsetzung des 1925 in Warschau gegründeten Instituts für Judaistische Wissenschaften. Es zeichnet für Quelleneditionen und Forschungsprojekte verantwortlich, z.B. die Gesamtedition des Ringelblum-Archivs in Originalsprachen und Übersetzung, koordiniert von Ruta Sakowska, oder die deutsch-polnische Edition von Kinderzeugnissen, betreut von Feliks Tych. Auch das 1998 gegründete Instytut Pamie˛ci Narodowej [Institut des Nationalen Gedenkens], dessen Aufgabe es ist, die jüngste Geschichte Polens zu erforschen und das u.a. die Akten der Staatssicherheit der VR Polen betreut, hat etliche Publikationen zur Shoah und zur Lage der Juden unter deutscher und sowjetischer Besatzung aufzuweisen. Siehe z.B. Andrzej Z˙bikowski (Hg.), Polacy i Z˙ydzi pod okupacja˛ niemiecka˛ 1939 – 1945 [Polen und Juden unter deutscher Besatzung], Warszawa 2006. Das Institut hat elf Zweigstellen und fördert entgegen der sonstigen Konzentration auf Warschau regionale Studien. Auch an den Universitäten etablieren sich Studien zur Shoah. In Warschau existiert zudem seit 1990 das Mordechaj Anielewicz-Zentrum zur Erforschung der jüdischen Geschichte und Kultur in Polen. Ein wesentlicher Impuls zur Shoah-Forschung entsprang der Jedwabne-Debatte, die in den polnischen Medien nach der Veröffentlichung des Buches Sa˛siedzi [Nachbarn] von Jan Tomasz Gross geführt wurde. Vgl. hierzu Karol Sauerland, Polen und Juden. Jedwabne und die Folgen, Berlin 2004. Eine andere Frage ist jedoch die öffentliche Wahrnehmung dieser Forschung, die in der Regel über interessierte Fachkreise kaum hinausgeht. Am Fall Sa˛siedzi lässt sich beobachten, dass provokativ formulierte Studien in den Medien kurzfristig für Aufregung sorgen können, während das 2008 ins Polnische übersetzte Buch von Gross Strach (Fear. Anti-Semitism in Poland after Auschwitz. An Essay in Historical Interpretation, Princeton/Oxford 2006) deutlich weniger Aufmerksamkeit erregte. Das Institut des Nationalen Gedenkens reagierte mit einem Projekt zur Erforschung von Hilfeleistungen von Polen für Juden während der Besatzung.
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nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, verstreut über viele Länder, oftmals zuerst in Übersetzungen und nur selten in großen Verlagen erschienen. Dennoch ist davon auszugehen, dass die hier herausgehobenen, wertenden Elemente das Bild der Judenräte auch in der jüdischen Welt retrospektiv lange mitprägten.5 Im Kontext der Forschung zu den Judenräten6 wird auch gefragt, welche Formen der Zuschreibung von institutioneller und persönlicher (Mit-)Verantwortung die Darstellung der Judenräte kennzeichnen.7 Diese Perspektive ist aus verständlichen Gründen auch in den hier analysierten Texten präsent, sofern Vertreter jüdischer Verwaltungsorgane das Thema sind. Drei Aspekte werden erkennbar: Zuschreibungen der Mit-Verantwortung für die Umset5
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Siehe dazu den Beitrag von Dan Michman, Kontroversen, in diesem Band; und: Zagłada Z˙ydów. Pismo Centrum Bada´n nad Zagłada˛ Z˙ydów IFiS PAN [Die Vernichtung der Juden. Zeitschrift des Zentrums für Holocaustforschung am Institut für Philosophie und Soziologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften] 2 (2006), hier u.a. Boaz Tal zu den Prozessen gegen Mitglieder der Judenräte in Israel. Für eine heftige Auseinandersetzung über die juristischen und ethischen Dimensionen des Problems sorgten Urteile, die in Israel aufgrund des 1950 von der Knesset verabschiedeten Gesetzes über Kriegsverbrechen gefällt wurden. Sakowska schreibt hierzu: »Im allgemeinen gesellschaftlichen Bewußtsein, in der Publizistik, in Diskussionen in der Presse bekam das Wort ›Judenrat‹ eine pejorative Bedeutung, wurde zum Synonym für Willfährigkeit gegenüber dem Feind und Brutalität gegenüber der eigenen Gemeinschaft. Mit dem massenhaften Exodus der Juden aus den von der NS-Besatzung befreiten Gebieten wurde die Frage nach der Verantwortung zum Gegenstand gesetzgeberischer Arbeit im Staat Israel. In der damaligen Emigrationswelle fanden sich auch ehemalige Polizisten, Kapos aus den Konzentrationslagern und einige ehemalige Mitglieder der Judenräte. Vor israelischen Gerichten fand auf der Grundlage des Gesetzes über Kriegsverbrechen […] eine Reihe von Prozessen statt. Moralische oder rechtliche Zweifel entstanden nicht dort, wo es um die Qualifizierung des Tatbestands der Zusammenarbeit mit dem Feind ging, wo Gewinnsucht, Machtstreben oder Brutalität das Motiv gewesen war. Als komplizierter erwies sich das Problem einer unter Todesdrohung erzwungenen Zusammenarbeit. Hier sah der israelische Gesetzgeber Folgendes vor: Nach § 10 des Gesetzes über Kriegsverbrechen konnte ein Gericht Personen von strafrechtlicher Verantwortung freisprechen, wenn diese in einer Situation unmittelbarer Todesdrohung oder mit dem Ziel, tragische Folgen für die ganze Gemeinschaft abzuwenden, mit den Okkupanten zusammengearbeitet hatten.« Sakowska, Menschen im Ghetto, S. 172 f. Wie schwer es war, juristische (aber auch moralische) Urteile zu fällen, wurde erst klar, nachdem man durch den Eichmann-Prozess ein umfassenderes Bild über die Organisation der ›Endlösung‹ erhielt. Eine der ersten und grundlegendsten Studien legte 1972 Joshua Isaiah Trunk vor (Judenrat. The Jewish Councils in Eastern Europe under Nazi Occupation, New York/London). Trunks Buch, wie auch die von ihm 1967 im New Yorker YIVO-Institut organisierte Konferenz, trugen dazu bei, ein komplexeres und differenzierteres Bild der Judenräte zu entwerfen, als das, welches sich nach Kriegsende etabliert hatte, als die – verständlichen – Schuldzuweisungen von Seiten der Überlebenden dominierten. In den fünfziger Jahren waren Judenräte kaum ein Thema der Forschung, sondern eine nahe und schmerzhafte Erinnerung vieler Überlebender. Da sie infolge der Ghettoisierung öfter mit Vertretern der Räte und der jüdischen Polizei zu tun hatten als mit den Deutschen, richtete sich die Verbitterung der Opfer entsprechend oft auch unmittelbar gegen die, mit denen man verkehrte, ohne allerdings die eigentlichen Befehlsgeber, d.h. die Nazis, außer Acht zu lassen. Nach einem Vorschlag des israelischen Historikers Dan Michman lässt sich die Organisationsform der Judenräte mit dem headship-Konzept analytisch fassen. Vgl. Dan Michman, »Judenräte« und »Judenvereinigungen« – Aufbau und Anwendung eines verwaltungsmäßigen Konzepts, in: ders, Die Historiographie der Shoah aus jüdischer Sicht. Konzeptualisierungen, Terminologie, Anschauungen, Grundfragen, Hamburg 2002, S. 104–117, hier: S. 105 f.
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zung der nationalsozialistischen Exklusions- und Vernichtungspolitik, der Mit-Verantwortung für die soziale Lage im Ghetto sowie für die »Zersetzung« der Gesellschaftsstruktur durch persönliche Vorteilsnahme. Der Wert der Quellen beruht jedoch nicht darauf, dass sie das Verhalten von Menschen porträtieren, so dass ihre Lage durch ein konkretes Gesicht interpretierbar war, sondern darauf, dass die Texte als eine spezifische Form von Herrschaftskritik interpretiert werden können. Dabei ist offensichtlich, dass es keinen Sinn hat, moralische Kategorien unseres Alltags auf die Situation der ghettoisierten und vom Mord bedrohten Menschen zu übertragen. Auch ist hier nicht der Ort, einzelne überlieferte Beobachtungen historisch zu verifizieren. Dies könnte nur in einer differenzierten Konstellationsanalyse auf breitester Quellenbasis geschehen.
II. Die Zurechnung von (Mit-)Verantwortung für die deutsche Exklusions- und Vernichtungspolitik Der von Hannah Arendt durch ihren Prozessbericht Eichmann in Jerusalem populär gemachten Behauptung,8 die Einwilligung der osteuropäischen Juden, sich zu organisieren, habe letztendlich deren Aussonderung und Vernichtung, die ja als »logistisches« Problem sozusagen eine »Herausforderung« für die Besatzer darstellte, erleichtert, taucht bereits zeitgenössisch in Form von niedergelegten Zweifeln an den Handlungsstrategien der Judenräte auf. Diesen Vorwürfen ist entgegengehalten worden, dass sich die Institution der Selbstverwaltung und der Gemeinde seit Jahrhunderten im jüdischen Volk bewährt hatte: als Schutz in Krisenzeiten und angesichts einer oft feindlich oder misstrauisch eingestellten Umgebung. Dabei wurde nicht übersehen, aber unterschiedlich interpretiert, inwieweit sich die Deutschen diese Tradition zu Nutze machten. Es ist leicht nachvollziehbar, dass an eine organisierte Massenvernichtung, wie sie in Treblinka, Bełz˙ec oder Sobibór durchgeführt wurde, anfänglich kaum jemand unter den Opfern glauben konnte. Es wäre interessant, aufzuzeigen, wie altgewohnte Lebensformen einer Gemeinschaft, in diesem Falle der ostjüdischen, gegen diese Gemeinschaft selbst genutzt werden konnten. Gab es früh genug Indizien, die die Juden hätten warnen können und sollen, dass die Lage eine völlig andere war, eine Lage, in der sich die bewährten Formen des Selbstschutzes diesmal nicht bewähren würden? Verfügte die Gemeinschaft über andere Formen kollektiver Organisation und Kommunikation, die auf Kosten der von den Besatzern aufgezwungenen Ältestenräte nicht zur Geltung kommen konnten, und die sich womöglich als ergiebiger für die Selbsterhaltung hätten erweisen können? Welche Bedeutung für die Bereitschaft, sich auf die fremdbestimmte Weise zu organisieren, hatte die Haltung der übrigen Bevölkerung: der Polen, Litauer, Letten, Russen und Anderer, die 8
Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 2004, S. 209 ff. Siehe zur Problematik den Beitrag von Karsten Wilke in diesem Band.
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bereit waren, Juden an die Deutschen zu denunzieren oder ihre Lage materiell auszubeuten?9 Wo Judenräte etabliert wurden, kam ihnen auch eine Mittlerrolle zwischen den Anliegen der Ghettobevölkerung und den Befehlen der Besatzungsbehörden zu. Leid und Erniedrigung der jüdischen Bevölkerung in den Ghettos erhielten damit nicht nur das Gesicht der Deutschen, sondern auch der Judenratsmitglieder. Sie waren als Vermittler auch für die Umsetzung und Bekanntmachung von deren Anordnungen zuständig und mussten diese in der Regel sogar selbst unterzeichnen. Wenn der ehemalige Direktor einer hebräischen Grundschule, Chaim Aaron Kaplan, der dem polnischen Judentum sein Leben lang distanziert gegenüber gestanden hatte, in seinem Tagebuch, dessen Eintragungen den Zeitraum vom Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bis zum 4. August 1942 umfassen, über die Zustände in Warschau berichtet,10 differenziert er nicht zwischen den »Eroberern« und dem »Judenrat«. Es scheint eine Komplizenschaft zwischen beiden zu bestehen. Schließlich ist es der Judenrat, der die Ghettomauer errichtet, wie Kaplan bemerkt: »Die Eroberer haben sich eine neue Taktik ausgedacht, deren Zweck niemand bekannt ist. Selbst die Geheimniskrämer geben diesmal freimütig zu, dass es ein unlösbares Rätsel ist. An fast jeder Kreuzung, die keine Straßenbahnschienen hat, errichtet der Judenrat – auf Befehl des Eroberers, aber auf 9
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In den Zeitzeugnissen und Erinnerungen nicht nur von jüdischer, sondern auch von nicht-jüdischer Seite heißt es immer wieder, dass die Deutschen zumeist nicht imstande gewesen seien, in den osteuropäischen Ländern einen Juden von einem Nicht-Juden zu unterscheiden, wenn dieser nicht die charakteristische Bekleidung orthodoxer Juden trug. Die Deutschen hätten weder den Akzent heraushören, noch Besonderheiten der Körpersprache identifizieren können, die für die Einheimischen erkennbar waren. Hinweise, längere und flüchtigere, auf die Gefahr, auf der so genannten ›arischen‹ Seite als Jude erkannt und denunziert zu werden, finden sich in den meisten Erinnerungen und Berichten von jüdischen und nicht-jüdischen Zeitzeugen. So berichtet Opoczy´nski davon, dass – das genaue Datum des Vorfalls ist nicht zu ermitteln, aufgrund der im Text erwähnten Daten handelt es sich um das Jahr 1940 oder 1941 – die Deutschen polnische Polizisten ins Warschauer Ghetto schickten, damit diese als Juden verkleidete ›Gojim‹ auf den Ghettostraßen identifizieren, die Geschmuggeltes verkauften. Bis zu Beginn der mit der ›Aktion Reinhardt‹ verbundenen Razzien wurde im Ghetto intensiver Schmuggel und illegaler Handel mit der so genannten ›arischen‹ Seite der Stadt betrieben. Vgl. Perec Opoczy´nski, Goje w getcie [Gojim im Ghetto], in: ders., Reportaz˙e z warszawskiego getta [Reportagen aus dem Warschauer Ghetto], aus dem Jiddischen ins Polnische übersetzt und kommentiert von Monika Polit, Warszawa 2009, S. 125–162, hier: S. 139. Der Text entstand im Oktober 1941. Chaim A. Kaplan, Buch der Agonie. Das Warschauer Tagebuch des Chaim A. Kaplan, hrsg. von Abraham I. Katsh, Frankfurt a.M. 1967. Kaplans Tagebuch erschien erstmals 1965 in englischer Übersetzung unter dem Titel Scroll of Agony in den USA. 1966 erschienen die von Katsh und Nachman Blumenthal in Tel Aviv herausgegebene hebräische Originalausgabe und die französische Übersetzung aus dem Amerikanischen von Jean Bloch-Michel als Chronique d´une agonie: journal du ghetto de Varsovie in Paris. Auch die deutsche Übersetzung von Harry Maor folgt der amerikanischen Ausgabe. Eine polnische Übersetzung existiert nur in Auszügen: Chaim Aron Kaplan, Ksie˛ga z˙ycia. Dziennik z getta warszawskiego [Buch des Lebens. Tagebuch aus dem Warschauer Ghetto], in: Biuletyn Z˙IH 45/46 (1963), S. 174–211, und Biuletyn Z˙IH 50 (1964), S. 101–122. – Kaplan (1880–1942) war ein Vertreter einer direkten Sprachmethode, nach der das Hebräische als gesprochene Sprache vermittelt wurde. Er veröffentlichte vor dem Zweiten Weltkrieg hebräische Textbücher sowie Essays und Aufsätze zur hebräischen Sprache und jüdischen Erziehung. Vgl. Katsh, Einleitung, in: Kaplan, Buch der Agonie, S. 13 f.
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seine eigenen Kosten – eine dicke Trennungsmauer, die keinen Platz zum Passieren lässt und daher den Verkehr zwischen der einen und der nächsten Straße unterbindet.«11 Kaplan blieb es unverständlich, warum der Judenrat die als Teil einer rätselhaften Taktik des »Eroberers« wahrgenommenen Vorgaben umsetzte: der Rat errichte die Mauer zwar auf Befehl der Besatzer, aber auf eigene Kosten und mit jüdischen Händen. Ein Teil der berüchtigten Macht der »Eroberer« scheint somit an den Rat delegiert – genug, um ihn als repressive Einrichtung wahrzunehmen, zu wenig aber, als dass er als Verwaltungskörper den Befehlshabern Widerstand entgegensetzen könnte. Die Ghettoisierung und Isolierung der Juden scheint so aus der zeitgenössischen Perspektive ohne den Beitrag der Institution »Judenrat« nicht denkbar. Der Judenrat, der als verantwortlich für die Umsetzung der Befehle erkannt wurde, schien keinerlei Schutz bieten zu können: »Dieses große Massengrab wird vom Judenrat aus seinen eigenen Mitteln errichtet«, schreibt Kaplan über das Ghetto, wobei er erneut feststellt, dass zu dem von den Deutschen hinzufügten Leid noch die Bedrückung hinzukomme, selbst, als Volk der Opfer, zum Teil der Vernichtungsmaschine zu werden.12 Der Judenrat verlieh den unzähligen Befehlen, Anordnungen und Schikanen sozusagen sein Gesicht. Für die erzwungene Willfährigkeit gibt Kaplan ein distinktes Erklärungsmuster: Am 27. Oktober 1940 schreibt er, mit der Schließung des Ghettos werde die Judenschaft Warschaus zu einem in sich geschlossenen, fremden Körper, einem »fremde[n] nationale[n] Organismus«, und der Judenrat werde der einzige Vertreter und Vermittler sein, sowohl nach innen als auch nach außen. In diesen frühen Tagen der Ghettoisierung scheint auch in Warschau die Ansicht verbreitet gewesen zu sein, die Einrichtung von Judenräten erinnere an die alte Tradition der jüdischen Autonomie. Mit dieser Zuordnung ließ sich offensichtlich das Neue, das auf die jüdische Bevölkerung zukam, in bekannte traditionelle Muster ordnen und Orientierung und Hoffnung gewinnen. Wie prägend diese Muster gewesen sein konnten, kann die anfängliche Wahrnehmung der jüdischen Ghetto-Briefträger bezeugen, die der Schriftsteller und Journalist Perec Opoczy´nski in einer seiner Reportagen aus dem Warschauer Ghetto festgehalten hat. Viele Ghettobewohner hätten sich auf positive Weise gewundert, einen Juden in einer Position zu sehen, die sie als die eines Beamten deuteten, zumal im Vorkriegspolen die Laufbahn eines Beamten für Juden in den allermeisten Fällen verstellt war. »Ein jüdischer ›Beamter‹? Über ganze Jahre mit Minderwertigkeitsgefühlen begleitet, aller Rechte beraubt, war er dermaßen überrascht, dass er für einen Augenblick die Qualen des Ghetto vergaß, die schrecklichste Rechtlosigkeit, die er erfuhr und wollte sich naiv täuschen, dass da eine Zeit jüdischer Autonomie beginnt [...].«13 Opoczy´nski gibt in seinen Texten Aus11 12 13
Ebd., S. 183 (Eintrag vom 18. Mai 1940). Ebd., S. 264 (Eintrag vom 10. November 1940). Perec Opoczy´nski, Z˙ydowski listonosz [Der jüdische Briefträger], in: ders., Reportaz˙e, S. 163– 183, S. 163 [Übersetzung des Zitats ins Deutsche durch die Verfasserin]. Der Text entstand im Oktober 1941. Der Schriftsteller und Journalist Opoczy´nski, geboren 1892 in Lutomiersk in der Nähe von Łód´z, gestorben im Warschauer Ghetto, wahrscheinlich im Januar 1943, veröf-
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kunft über die Gemütslage des durchschnittlichen Juden, der weder wohlhabend war, noch einer Einrichtung der Ghettoverwaltung angehörte. Es war, wie man den Reportagen entnehmen kann, durchaus üblich, den Ältestenrat mit dem Wort ›Gemeinde‹ zu bezeichnen, das sich eindeutig auf die traditionelle jüdische Selbstverwaltung bezog. Der Sprachgebrauch konnte durchaus die Illusion von Kontinuität hervorrufen.14 Kaplan betrachtet diese Interpretation
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fentlichte seine Artikel in der Łód´zer und Warschauer jüdischen Presse. Seit den späten zwanziger Jahren war er Mitglied der zionistischen Partei Poalei Zion [Arbeiter Zions], die eine starke linke Fraktion hatte. 1935 zog er von Łód´z nach Warschau, wo er von Krieg und Besatzung eingeholt wurde. Im Warschauer Ghetto arbeitete er mit der Gruppe Oneg Shabbat um den linken Historiker Emanuel Ringelblum zusammen. Der umfangreiche jiddischsprachige Nachlass von Opoczy´nski, u.a. sein Tagebuch aus den Kriegsjahren, befindet sich im Archiv des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau. Im Frühjahr 2009 ist eine Auswahl seiner im Ghetto in jiddischer Sprache verfassten Texte in polnischer Übersetzung von Polit erschienen. Vgl. Monika Polit, Autor i jego teksty [Der Autor und seine Texte], in: Opoczy´nski, Reportaz˙e, S. 9–28. 1954 erschienen fünf Reportagen von Opoczy´nski im jiddischen Original: Ber Mark (Hg.), Reportaz˙n fun Warszawer Geto [Reportagen aus dem Warschauer Ghetto], Warsze 1954. 1970 folgte eine hebräische Auswahl (Reshimot, hrsg. von Zvi Szner, übersetzt von Avraham Yeivin, Tel Aviv), ferner Übersetzungen einzelner Texte ins Englische. Vgl. hierzu Polit, Autor i jego teksty, S. 13. Die Ghettopost wurde im Januar 1941 gegründet, sie unterstand dem Rat der Judenältesten, die jüdische Post musste mit der Deutschen Post über die für Juden in Warschau ankommenden Briefe und Pakete in Bargeld abrechnen. Man darf die hier aufgeworfene Problematik nicht insofern interpretieren, als ginge es lediglich um die Frage, ob die Judenräte eine Fortsetzung der traditionellen jüdischen Gemeinde waren oder nicht. Die einzig mögliche Antwort darauf ist, dass sie es auf keinen Fall sein konnten, schon deshalb, weil sie eine von den Besatzern aufgezwungene Institution waren. Als eine Form der Kontinuität hätten die Judenräte von den Deutschen selbst betrachtet werden können, griffen sie doch, um Ordnung und Logistik der Ghettoisierung, Ausbeutung und schließlich der Vernichtung zu gewährleisten, auf die Tradition der jüdischen Autonomie und Selbstverwaltung zurück. Eine solche Sicht ist jedoch nur ›von außen‹ möglich. Dass die Judenräte keine traditionelle Gemeinde waren, schließt allerdings keineswegs aus, dass sie auch von Juden als Form der Kontinuität betrachtet wurden, nicht im Sinne einer tatsächlichen religiösen und politischen institutionellen Fortsetzung, sondern, wie die Quellen bezeugen, aufgrund von sprachlichen Automatismen und bekannten Denkmustern oder auch aufgrund von Hoffnungen auf eine eingeschränkte Selbstverwaltung. Eine solche hegten nicht wenige in der Anfangsphase der Besatzung durchaus, nicht zuletzt rekurrierte sie auf die Erfahrungen, die die Juden in Polen mit der deutschen Besatzung während des Ersten Weltkrieges gemacht hatten. Dass man auf eine gewisse Kontinuität hoffte und sich täuschte, bedeutet nicht, dass eine solche tatsächlich bestand. Auf diese Weise ließe sich interpretieren, dass Adam Czerniaków in seinem Tagebuch oft das Wort ›Gemeinde‹ (gmina) verwendet, das er auf den von ihm geleiteten Warschauer Judenrat bezieht. Der Begriff war im jüdischen Sprachgebrauch etabliert, darüber hinaus hoffte Czerniaków bis zu seinem Selbstmord auf einen Handlungsspielraum, der es ihm ermöglichen würde, einen Teil seiner Bevölkerung zu retten, auch wenn sich diese Hoffnung nicht erfüllte. Aspekte der subjektiven Wahrnehmung gegenüber den objektiven Tatsachen sollten unbedingt berücksichtigt werden; ohne deren Einbeziehung läuft eine Diskussion, ob der Judenrat eine Fortsetzung der traditionellen Gemeinde war oder nicht, leer, denn sie verläuft dann so, als ginge es um normalen gesellschaftlichen Wandel der Institutionen, und nicht um eine Situation des Ausnahmezustands. Vgl. hier z.B. den Kommentar von Marian Fuks zu Czerniakóws Sprachgebrauch: »His Diary clearly shows that Czerniaków strongly disapproved of the concept of the ›Judenräte‹ and was convinced about the negative form of this organization, imposed on the community by the occupiers. He considered his office as a mission, a civic and patriotic duty to fulfil an obligation assigned to him by the last representative of the Polish government, the last mayor of Warsaw Stefan Starzy´nski.« Marian Fuks, Judenräte – The People, The Problems, The Controversy, in: Daniel Grinberg (Hg.), The Holocaust Fifty Years After. 50th Anniversa-
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allerdings als falsch und irreführend. Er stellt fest: »Der Judenrat ist nicht dasselbe wie unser traditioneller Jüdischer Gemeinderat, der so glänzende Kapitel in unserer Geschichte geschrieben hat. Fremde in unserer Mitte, unserem geistigen Wesen fern, Söhne Hams, die uns mit Füßen treten, sind der Präsident des Judenrats und seine Ratgeber Gewaltmenschen, die von Fremden über uns gesetzt wurden.«15 Damit stellt er die Legitimität der Vertretung durch »Fremde […] unserem geistigen Wesen fern« nicht nur insofern in Frage, als dass die Mitglieder des Rats nicht gewählt worden waren. Seiner Ansicht nach bestand er aus Menschen, denen man normalerweise nie öffentliche Pflichten in der Tradition des Gemeinderates anvertraut hätte. Die Deutschen hätten Menschen vorgefunden und eingesetzt, die sich nach vorne gedrängt hätten. Kaplan nennt an der zitierten Stelle keine Namen, er scheint jedoch auch auf Adam Czerniaków zu zielen, den er sowohl aus religiöser als auch zionistischer Sicht als Assimilanten – weniger aus »ideologischen, sondern [… aus] utilitaristischen Gründen« – betrachtet;16 eine Einschätzung, die er später angesichts von Czerniakóws Freitod revidieren sollte. Für Kaplan war es Teil einer Strategie der Deutschen, den eigenen Wurzeln entfremdete Juden willkürlich einzusetzen. Er denkt hier sehr traditionsbezogen, wobei ihm bewusst zu sein scheint, dass er die Dimensionen der neuen Ordnung noch nicht klar zu erkennen vermag. Was ihm als Kern der Einrichtung erschien, »Fremde« zu privilegieren, um sich auf sie zu stützen, kann ebenso als arbiträre Geste mit der Tradition der Wählbarkeit und des Bürgervertrauens zu brechen, verstanden werden, sodass die
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ry of the Warsaw Ghetto Uprising, Warszawa 1993, S. 189–198, hier: S. 193. Was die von Gutman aufgestellte Alternative in der Betrachtung und Beurteilung des Status der Judenräte nicht thematisiert, ist der Unterschied zwischen Fakten, die die Besatzer geschaffen haben einerseits, und subjektiver Wahrnehmung andererseits, den ich für aufschlussreich halte: »The issue of continuity and discontinuity in the context of the Jewish councils and Judenräte has been greatly discussed. The crux of the question is whether one may regard the Judenräte – in terms of their personnel composition and the types of functions that they handled – as a continuation of the Kehilla (Jewish community administration) leaderships that had existed and functioned for generations. Unequivocal critics of the Judenräte argue that the very fact that the Judenräte were established as the result of a decision and an imposed rule of the Nazi governing authority, and that they were meant to serve this hostile authority as helping hand against Jews, suffices to define the Judenrat as a non-Jewish institution. Thus, any similarity of them to previous forms of Jewish leadership is nil. Indeed, it was definitely the Nazis’ explicit intent to create a Jewish institution such as the Judenräte that would be subordinate to them and obey them unquestioningly.« Israel Gutman, The Judenrat as Leadership, in: Moshe Zimmermann (Hg.), On Germans and Jews under the Nazi Regime. Essays by Three Generations of Historians, Jerusalem 2006, S. 313–335, hier: S. 314. Kaplan, Buch der Agonie, S. 255 (Eintrag vom 27. Oktober 1940). Ebd., siehe auch Katsh, Einleitung, in: ebd., S. 12. Der Judenrat in Warschau wurde auf Befehl der Besatzungsmacht am 7. Oktober 1939 gebildet. Adam Czerniaków, der in den Tagen der Belagerung Warschaus vom Stadtpräsidenten Stefan Starzy´nski zum Vorsitzenden der Jüdischen Kultusgemeinde ernannt worden war, wurde festgenommen und in die Szuchallee, den Sitz der Arbeitsgruppe IV der deutschen Sicherheitspolizei, abgeführt. Auf der Basis der Einsatzgruppe IV bildete sich das Amt des Führers der Sicherheitspolizei (Sipo) und des Sicherheitsdienstes (SD) im Warschauer Distrikt, gewöhnlich Gestapo genannt. Dort wurde Czerniaków befohlen, 24 Kandidaten für einen so genannten Ältestenrat zu nominieren, der die jüdische Kultusgemeinde in Warschau ersetzen sollte. Am 13. Oktober 1939 übergab er die geforderte Liste, die von den Deutschen akzeptiert wurde. Vgl. Ruta Sakowska, Menschen im Ghetto, S. 176.
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Macht, über die der Rat verfügte, ganz der Entscheidungsgewalt der Besatzer unterstand. Für die Deutschen war es nicht wichtig, dass ein Assimilierter, also ein Fremder, als Vorsitzender an der Spitze stand: Weltanschauliche, politische oder konfessionelle Meinungsverschiedenheiten interessierten sie nicht. Sie betrieben in Bezug auf die Juden keine Machtpolitik nach dem Prinzip divide et impera und versuchten auch nie, auf die Meinung der Bevölkerung in den Ghettos Einfluss zu nehmen. Die Politik der Deutschen war auf einer anderen Ebene platziert: die Juden sollten auf der Basis der Rassenideologie ausgesondert werden. Was für die Besatzungsbehörden zählte, waren eher »praktische« Momente, zum Beispiel, dass Mitglieder der Judenräte Deutsch sprachen und/oder einen guten Überblick über ihre soziale Umgebung besaßen, etwa aufgrund von Positionen, die sie vor dem Krieg inne hatten; zum Beispiel war Adam Czerniaków, der Vorsitzende des Judenrates in Warschau, in Vorkriegspolen Senatsmitglied.17 Kaplan war religiös, als Lehrer gehörte er der Mittelklasse an. Er bemühte sich, seine Person nicht in den Vordergrund der Beschreibungen zu stellen, sondern das Schicksal seines Volkes. Indem er auch Gerüchte, Ängste und typische Verhaltensweisen aufzeichnete, versuchte er, Stimmungen einzufangen, die die Öffentlichkeit des Ghettos beherrschten. Sein Tagebuch gibt so über seinen eigenen Standpunkt hinaus einen Einblick in die Gemütslage vieler Warschauer Juden, die im Sinne des Westjudentums nicht als assimiliert galten, religiös gebunden und nicht besonders wohlhabend waren. Mit dem Judenrat identifizierte er sich in keiner Weise. Dennoch nahm er aufmerksam wahr, dass die Judenratsmitglieder – insbesondere der Vorsitzende – und ihr Verhältnis zu den Deutschen stets beobachtet wurden. Er interpretierte diese Anteilnahme als das Bedürfnis der Bevölkerung, hieraus das Schicksal aller abzulesen. So gab Kaplan am 6. November 1940 an, in der Stadt kursiere die Nachricht, Czerniaków sei verhaftet worden, ohne dass jemand die Details kenne. »Wir glaubten, dass die Verhaftung des Präsidenten des Judenrates ein übler Vorbote dessen, was noch kommen wird, sei.«18 Kaplan selbst verfügte nicht über Bekannte im Judenrat, zumindest lässt sich aus der Lektüre seines Tagebuchs nicht darauf schließen. In seiner Darstellung erscheint der Judenrat vornehmlich als unpersönliche Institution, namentlich wird lediglich ab und zu der »Ingenieur Czerniaków« stellvertretend für das ganze Gremium genannt. Zugleich wird jede Erniedrigung des Judenrats durch die Deutschen als Niederlage aller empfunden. In der Anteilnahme an den Erpressungen und Gewalttaten, die Czerniaków zu erleiden hatte, müssen sich Ahnungen der Ghettobevölkerung gespiegelt haben, denn sonst wäre die zu konstatierende Spaltung zwischen fehlender und zugleich vorhandener Identifikation in den Aufzeichnungen vielleicht weniger präsent: Unter der Besatzung schienen alte Strategien und Maßnahmen zur Machtausübung ihre Geltung verloren zu haben. So ließen sich beispielsweise Hierarchien oder 17
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Siehe das Vorwort von Israel Gutman zu Adam Czerniaków, Im Warschauer Ghetto. Das Tagebuch des Adam Czerniaków 1939–1942, München 1986. Kaplan, Buch der Agonie, S. 263.
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privilegierte Gruppen, auf die sich Ordnung stützen konnte, nicht etablieren. Alles wirkte insofern provisorisch, als dass sich prinzipiell jeder in verschiedensten Position wiederfinden konnte; die Deutschen wurden als unberechenbar erlebt. Denen, die als Verwalter anerkannt wurden, wurde gleichzeitig grausam mitgespielt. Die Quelle vermittelt den Eindruck, dass die Bevölkerung keine kontinuierlichen Handlungsmuster erkennen konnte und folglich auch hinsichtlich von Gegenstrategien, die sich hätten bewähren können, orientierungslos blieb. Da die Ghettobewohner – außer bei Razzien – kaum in Berührung mit den Deutschen kamen, erwies sich deren Umgang mit dem Judenrat als der einzige, obgleich dunkle Hinweis darauf, was geschehen könnte. Die Unterschrift des Judenratsvorsitzenden auf deutschen Anordnungen konnte als symbolisches Zeichen der Komplizenschaft wahrgenommen werden. Deshalb ist es für Kaplan von großem symbolischen Wert, dass Czerniaków das Deportationsdekret vom 22. Juli 1942 nicht unterschreiben wollte. Meistens beziehen sich Berichte über diesen Tag auf die tragische Entscheidung Czerniakóws, sich das Leben zu nehmen, wobei dies von den Juden unterschiedlich beurteilt wurde. Die Verweigerung, den Vollstrecker des Todesurteils des eigenen Volks zu spielen, für die Czerniaków nicht anders als mit dem Leben zahlen konnte, fand Anerkennung und Beachtung. Es gab und gibt allerdings auch Stimmen, die betonen, dass die Geste des Todes allzu privat und damit kein eindeutiger, öffentlicher Appell und Aufruf zur aktiven Verteidigung erfolgt sei. Kaplan widmet der Verweigerung, den eigenen Namen unter das Dekret zu setzen, große Aufmerksamkeit: »Das erste Opfer des Deportationsdekrets war der Präsident, Adam Czerniaków, der sich mit Gift im Judenratsgebäude das Leben nahm. Er verewigte seinen Namen durch seinen Tod mehr als durch sein Leben. Sein Ende beweist, dass er für das Wohl seines Volkes wirkte und arbeitete, dass er sein Wohl und seinen Fortbestand wollte, selbst wenn nicht alles, was in seinem Namen geschah, Lob verdient. Die Ausweisungsproklamation, die am Nachmittag des 22. Juli in den Straßen der Stadt bekanntgemacht wurde, war nicht in der üblichen Art der Bekanntmachungen des Judenrats mit ›Leiter des Judenrats, Dipl.-Ing. Adam Czerniaków‹ unterzeichnet, sondern lediglich mit ›Judenrat‹. Diese Neuerung machte jene Kreise stutzig, die bürokratische Änderungen in Bekanntmachungen studieren. Nach dem Tode des Präsidenten wurde der Grund klar. Czerniaków hatte sich geweigert, seine Unterschrift unter den Ausweisungsbefehl zu setzten. Er folgte dem talmudischen Gesetz: Wenn jemand kommt, um mich mit Hilfe seiner Gewalt und Macht zu töten, und für alle meine Bitten nur ein taubes Ohr hat, kann er mit mir tun, wonach es ihn gelüstet, da er die Macht hat, und die Gewalt triumphiert stets. Aber mich mit der Unterzeichnung meines eigenen Todesurteils einverstanden zu erklären – dazu kann mich keine Macht der Welt zwingen […].«19 19
Ebd., S. 385–386 (Eintrag vom 26. Juli 1942). Czerniaków war nicht das einzige Judenratsmitglied, das sich geweigert hat, eine Deportationsliste zu unterschreiben. So wurden im Mai 1942 vier Mitglieder des Judenrats in Biłgoraj (der Vorsitzende Hillel Janower, sowie Szymon Bin, Szmuel Olender und Efraim Wakszul) erschossen, weil sie diesem Befehl nicht Folge leisteten. Es gab auch weitere solche Fälle, vgl. Sakowska, Menschen im Ghetto, S. 174.
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Jerzy Lewi´nski, ein ehemaliger Angehöriger des jüdischen Ordnungsdienstes im Warschauer Ghetto, sagte in einem viele Jahre nach den Ereignissen gegebenen Interview, dass die Geste der Verweigerung von Seiten Czerniakóws keine materielle Bedeutung gehabt habe und auch nicht gehabt haben könne, denn die Unterschrift des Vorsitzenden hielt er nicht im geringsten Maße für eine Quelle der Macht.20 Die Transporte waren eine beschlossene Sache der Deutschen. Dennoch bleibt die Verweigerung der Unterschrift als Geste der Ablehnung des allherrschenden Prinzips, Namen gegen Namen zu setzen, ein Individuum auf Kosten eines anderen (kurzfristig!) überleben zu lassen, von Bedeutung, da sie auf ihre eigene Weise der Anerkennung von Macht eine Grenze setzt. Interessant ist, dass Czerniaków auch in politisch anders gesinnten Kreisen auf Reserve bis hin zur Ablehnung stieß: der jüdische Historiker Emanuel Ringelblum,21 einer der Mitbegründer der Jüdischen Kampforganisation (polnisch: Z˙OB) sieht in ihm einen Vertreter der jüdischen assimilierten Vorkriegselite, die sich vom Volk und dessen Realien entfernt habe.22 Die Verhältnisse im Ghetto interpretiert Ringelblum vielfach in Kategorien der Klassen und des Milieus. Diese Rhetorik ist bei Ringelblum allerdings erst seit Mitte 1941 deutlich erkennbar, das heißt seit der Zeit, in der sich die Lage der Juden beträchtlich verschlechterte. Im November 1941 wurde das Betreten des Ghettos durch 20
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´ Siehe Ewa Ko´zmi´nska-Frejlak, Swiadectwo milczenia. Rozmowa z Jerzym Lewi´nskim, byłym funkcjonariuszem słuz˙by porza˛dkowej getta warszawskiego [Zeugnis des Schweigens. Gespräch mit Jerzy Lewi´nski, einem ehemaligen Funktionär des Ordnungsdienstes im Warschauer Getto], in: Zagłada Z˙ydów. Pismo Centrum Bada´n nad Zagłada˛ Z˙ydów IFiS PAN 2 (2006), S. 245–279, hier: S. 264. Ringelblum, geboren 1900 in Buczacz in der Nähe von Lemberg, erschossen im März 1944, nachdem sein Versteck in Warschau in der Grójecka-Straße entdeckt wurde, war ein anerkannter Historiker, der sich in der Vorkriegszeit mit der Geschichte der polnischen Juden beschäftigte und mit dem YIVO-Institut in Wilna zusammenarbeitete. Er war Mitglied der links-zionistischen Partei Poalei Zion. Im Warschauer Ghetto gründete er das Untergrund-Archiv, das unter dem Decknamen Oneg Shabbat in die Geschichte eingegangen ist. Seine Chronik des Warschauer Ghettos ist, allerdings nicht vollständig, Anfang der fünfziger Jahre im jiddischen Original erschienen: Emanuel Ringelblum, Notitsn fun Varshever geto, Varshe 1952. Ein Jahrzehnt später gab das Jüdische Historische Institut in Warschau den ganzen Nachlass Ringelblums aus der Ghettozeit im jiddischen Original heraus: Dziennik warszawskiego getta. Notatki i szkice [Tagebuch des Warschauer Ghetto. Notizen und Skizzen], 2 Bde., Warszawa 1961/1963. Die erste Teilübersetzung ins Polnische erschien in den achtziger Jahren, obwohl sie bereits 1963 zum Druck vorbereitet worden war: Emanuel Ringelblum, Kronika getta warszawskiego. Wrzesie´n 1939 – stycze´n 1943 [Chronik des Warschauer Ghettos. September 1939 – Januar 1943], aus dem Jiddischen ins Polnische übersetzt von Adam Rutkowski, Warszawa 1983. Es existiert auch eine englische (Notes from the Warsaw Ghetto. The Journal of Emanuel Ringelblum, übersetzt von Jacob Sloan, New York 1958), sowie eine 1992 in Jerusalem erschienene hebräische Übersetzung. Die französische (Chronique du ghetto de Varsovie, Paris 1952) und italienische (Sepolti a Varsovia; Appunti dal Ghetto, Mailand 1962) Ausgabe basieren auf der englischen Fassung von Jacob Sloan. Die in deutscher Sprache erschienene Publikation Ringelblums, Ghetto Warschau. Tagebücher aus dem Chaos, Stuttgart 1967, ist keine Übersetzung der Chronik, sondern seines Essays Stosunki polsko-z˙ydowskie w czasie drugiej wojny ´swiatowej [Polnisch-jüdische Beziehungen während des Zweiten Weltkrieges]. Dieser Text wurde auf Polnisch verfasst und im Jahre 1958 im Bulletin des Jüdischen Historischen Instituts Warschau veröffentlicht. 1988 erschien eine von Artur Eisenbach herausgegebene kritische Edition des Manuskripts. Vgl. Ringelblum, Kronika getta warszawskiego, S. 262–263, 271ff, 275.
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Nicht-Juden wie dessen Verlassen durch Juden ohne Erlaubnis mit der Todesstrafe belegt. Ringelblum beginnt in dieser Zeit, die jüdischen Verwaltungsorgane pauschal zu verurteilen, sie seien korrupt und mit dem Volk unsolidarisch. So schreibt er am 26. April 1941: »Die Herrschaften arbeiten bei der Polizei, bei den Sozialeinrichtungen, sie sind in der Krankenkasse versichert, da sie angeblich in irgendwelchen Firmen beschäftigt seien, deshalb können sie sich als erste von den Arbeitslagern freikaufen.«23 In dem Eintrag vom 14. November 1941 lesen wir: »Es ist wahr, dass auf den Versammlungen der Hauskomitees die Tätigkeit der Gemeinde scharf kritisiert wird, aber das erfolgt aus deren Politik, die einen ausgesprochen klassenhaften Charakter hat, sie will alle Steuerlasten auf die arme Bevölkerung übertragen und die reiche davon ganz befreien.«24 Czerniakóws Tod fasst Ringelblum in einer kurzen Notiz zusammen: »Czerniakóws Selbstmord – zu spät, ein Beweis der Schwäche. Er hätte zum Widerstand aufrufen sollen. Ein schwacher Mensch.«25 Die Notiz schließt einen längeren Eintrag ab, der über die großen Razzien im September 1942 berichtet, in einer Zeit, in der Ringelblum bereits klar über die Absicht der Deutschen schreibt, das jüdische Volk ausrotten zu wollen. Der Eintrag zu Czerniakóws Tod erfolgt nicht am Tag seines Selbstmordes, dem 23. Juli 1942, sondern Tage danach. Ringelblum setzt seine Notiz darüber als Schluss einer längeren, sehr dramatischen Passage über die Razzien und Transporte, die zwischen Juni und September 1942 stattfanden und lässt diese Todesnachricht somit als Ausdruck der Hilflosigkeit des obersten jüdischen Beamten im Ghetto ausklingen. Ringelblum scheint der Meinung zu sein, dass ein Mensch in der Position Czerniakóws, der immerhin – trotz der Fremdbestimmung der jüdischen Verwaltungsorgane durch die Besatzer – für viele eine symbolische Figur war, nicht das Recht auf einen ›stillen‹ Tod in der Einsamkeit gehabt habe.26 Der gleichen Ansicht ist Marek Edelman, ein Mitanführer des War23
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Ebd., S. 271. Zitat übersetzt ins Deutsche von der Verfasserin. Zum Vorwurf der Korruption siehe auch Kaplan, Buch der Agonie, S. 335, 354 (Einträge vom 29. Mai und 26. Juni 1942). Ebd., S. 335. »Die Hauskomitees waren eine Form der Selbstorganisierung der Ghettobevölkerung zu Fürsorgezwecken auf dem Niveau eines Hauses oder eines Hofes. Sie […] entstammten den Luftabwehreinheiten des Warschauer Zivilverteidigungssystems vom September 1939; die Luftabwehreinheiten der Häuserblocks erfüllten neben der Verteidigung eine Reihe von sozialen Funktionen (Lebensmittelversorgung für die Mieter, Kinderbetreuung, Hilfe für Verletzte, Flüchtlinge, Ausgebombte und Soldaten). Die mit der Kapitulation aufgelösten Luftabwehreinheiten setzten ihre soziale Tätigkeit in den polnischen Stadtvierteln als sogenannte Verpflegungsbeauftragte fort. Im jüdischen Stadtviertel, das schwere Bombardements erfahren hatte, und mit Flüchtlingen und Ausgebombten überfüllt war, entstanden schon Ende 1939 Hauskomitees. Die ersten beschränkten sich auf den eigenen Hof, waren unabhängig voneinander tätig und hatten weder einen einheitlichen Plan noch eine gemeinsame Organisation. Die Vereinigung der Hauskomitees geht auf die Tätigkeit von Emanuel Ringelblum zurück […].« Sakowska, Menschen im Ghetto, S. 85. Ringelblum, Kronika getta warszawskiego, S. 409. Sakowska geht in Anlehnung an Zimand davon aus, dass die Art und Weise, wie Czerniaków gehandelt und wie er sich selbst verstanden habe, aus seinem bürgerlich-positivistischen Ethos hergerührt habe: »Das assimilierte Milieu, aus dem er kam, knüpfte an den polnischen Positivismus an.« Deshalb habe Czerniaków vor allem auf die »organische Arbeit«, auf die praktische, nicht spektakuläre Tätigkeit, die der Ausdauer und Selbsterhaltung des Volkes dienen sollte, Wert gelegt. Vgl. Sakowska, Menschen im Ghetto, S. 181, und Roman Zimand, »W nocy od 12
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schauer Ghettoaufstands. Er erklärt nicht nur, dass Czerniaków seinen Selbstmord mit einer entscheidenden Klarstellung der Lage hätte verbinden müssen, sondern dass er auch etwas für den bewaffneten Aufstand hätte tun können. Notabene sei der Aufstand unter anderem dadurch vorbereitet worden, dass den reicheren Juden im Ghetto ihre Habe genommen worden sei, damit man Mittel für den Waffenkauf hatte, und dass all jene ausgeschaltet worden seien, die mit den Deutschen auf irgendeine Art zusammenarbeiteten. Der Warschauer Judenrat habe in den Wochen vor dem Aufstand praktisch nichts mehr zu sagen gehabt und die Deutschen hätten sich seit Januar 1943 nicht mehr ins Warschauer Ghetto getraut.27 Hier sieht man, wie die Judenratsfrage gleichzeitig die Problematik des aktiven Widerstands tangiert. Die Frage der persönlichen Zeichnung besaß in Berichten aus der Zeit der Shoah und in der Erinnerung der Überlebenden insofern Gewicht, als dass der Judenrat nicht als bloßer anonymer Verwaltungskörper wahrgenommen, sondern mit konkreten Gesichtern verbunden wurde. Es waren konkrete Personen, die mit ihrem Verhalten und ihren diversen Taktiken, das Bild von der Einrichtung »Judenrat« bestimmten. Die Personalisierung drückte sich auch darin aus, dass Judenräte als »lokale Clique« wahrgenommen wurden, die nicht nur über Karrieren und Wohlstand, sondern auch über Leben und Tod entschieden. Aus den Berichten kann man den Eindruck gewinnen, dass hier nicht Regeln, Verfahrensweisen und Prinzipien – selbst die grausamsten – wirkten, sondern konkrete Personen. Reaktionen der Judenräte auf die arbiträren Entscheidungen der Deutschen, individuelle Angst und Egoismus, der Wille eines Gestapo-Mannes, Sadismus auszuleben, ebenso wie der eines Juden zu überleben, wurden nicht immer primär als Teil des nationalsozialistischen Herrschaftssystems begriffen, sondern individualisiert betrachtet. In der Holocaust-Forschung herrschte lange eine Tendenz vor, in Bezug auf die Organisation des Massenmordes das Bürokratisch-unpersönliche, Technische und »Banale des Bösen« zu betonen. Diese Sichtweise wurde inzwischen selbst für die Planer und Verwalter der Vernichtung in Frage gestellt. Das, was in den Vorräumen der Gaskammern von Treblinka, Sobibór und Bełz˙ec geschah, lässt sich unmittelbar konkreten Personen zurechnen, auch wenn dahinter ein systematischer Plan stand. Es ist einleuchtend, was Klaus-Michael Mallmanns Forschungen über die Täter, am Beispiel der Sicherheitspolizei im Krakauer Distrikt, ergeben haben. Mallmann schreibt: »Die Vorstellung, dass der Prozess der Judenvernichtung umfassend von ›oben‹ gesteuert und normiert war, zerbricht. Sichtbar wird statt dessen ein
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do 5 rano nie spałem.« Dziennik Adama Czerniakowa. Próba lektury [»Von 12 Uhr nachts bis 5 Uhr morgens schlief ich nicht.« Das Tagebuch von Adam Czerniaków. Versuch einer Lektüre], Warszawa 1982. Eine solche Strategie Czerniakóws musste auf Unverständnis sowohl religiös-orthodoxer als auch linker Kreise stoßen, zumal sie sich auf tragische Weise als uneffektiv erwies. Vgl. Marek Edelman, Straz˙nik: Marek Edelman opowiada [Der Hüter: Marek Edelman erzählt], Kraków 1999, S. 61 ff. Die deutsche Übersetzung des ursprünglich auf Italienisch erschienenen Interviews mit Edelman erschien unter dem Titel Der Hüter: Marek Edelman erzählt 2002 in München.
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beträchtliches Maß an Selbstregulierung und Eigeninitiative, wird die individuelle und kollektive Perspektive der Täter vor Ort, dass es sich zu ›lohnen‹ hatte, dass man auch Gewinn, pekuniären, sexuellen und/oder symbolischen, möglichst alles zusammen, davon tragen wollte. Sichtbar wird ein Subtext des Vernichtungskrieges, der eigensinnig formuliert, aber deswegen nicht weniger grausam war. Sichtbar werden Profiteure mit eigenen Zielen und eigener Logik, wird eine Eigendynamik subjektiver Interessen. […] Die Täter waren weder Automaten noch Marionetten und noch weniger Befehlsempfänger als bisher angenommen. Sie drückten dem Vernichtungskrieg ihren eigenen Stempel auf, indem sie Befehle eigenmächtig erweiterten oder völlig auf eigene Faust handelten, die Normen, die ihnen nicht ›passten‹, schlichtweg ignorierten, und die Situation durchaus subjektiv und geradezu postmodern als einmalige Chance zur Selbstverwirklichung begriffen.«28 Das System funktionierte nicht, weil es die individuellen Züge auslöschte – das war im Angesicht des Todes der Fall –, sondern es schien auf eine nahezu spontane Weise Freiraum für ein Sich-Ausleben des Einzelnen zu bieten. Dem entspricht, dass Hans Biebow, der Leiter der deutschen Ghettoverwaltung in Litzmannstadt (so die von den Besatzungsbehörden eingeführte Bezeichnung der Stadt Łód´z), eines Tages mit dem Ältesten der Juden, Mordechai Chaim Rumkowski, nahezu höflich vor den Augen der Ghettobevölkerung sprach, ihn bei anderer Gelegenheit aber öffentlich krankenhausreif prügelte. Jakub Pozna´nski berichtet darüber in seinem in polnischer Sprache verfassten Tagebuch, dass die Bevölkerung des Ghettos Litzmannstadt, anders als die Warschauer Juden in Bezug auf Czerniaków, mit Schadenfreude auf die öffentliche Erniedrigung reagierte.29 In der Ghetto-Chronik finden sich Einträge, die darauf verweisen, dass die Bevölkerung die Gemütslage Rumkowskis als Seismograph der Situation betrachtete. Als er sich von den Prügeln, die er von Biebow erhalten hatte, wieder genesen zeigen konnte, sei er »allseits mit Freu28
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Klaus-Michael Mallmann, »Mensch, ich feiere heut’ den tausendsten Genickschuß.« Die Sicherheitspolizei und die Shoah in Westgalizien, in: Bogdan Musial (Hg.), »Aktion Reinhardt«. Der Völkermord an den Juden im Generalgouvernement 1941–1944, Osnabrück 2004, S. 353–379, hier: S. 376. Jakub Pozna´nski, Dziennik z łódzkiego getta [Tagebuch aus dem Łód´zer Ghetto], Warszawa 2002, S. 168, Eintrag vom 17. Juni 1944. Pozna´nski war vor dem Krieg Fabrikdirektor in Łód´z und gehörte der vermögenden Schicht der Stadt an. Im Ghetto begann er im Oktober 1941 Tagebuch zu führen. Die sechs erhaltenen Hefte umfassen die Zeitspanne vom 4. Oktober 1941 bis zum 2. Juni 1945. Als das Litzmannstadt-Ghetto Ende August 1944 aufgelöst wurde und die Bewohner nach Auschwitz abtransportiert werden sollten, gelang es der Familie Pozna´nski, sich bis zum Abzug der Deutschen aus Łód´z zu verstecken. Pozna´nskis Tagebuch wurde 1960 erstmals veröffentlicht. Allerdings sah sich der Herausgeber, Horacy Safrin, gezwungen, Auslassungen an Pozna´nskis politischen Kommentaren vorzunehmen. Der Titel der Erstausgabe pamie˛tnik [Erinnerungsbuch] ist insofern irreführend, da es sich um ein Tagebuch mit sorgfältig datierten Einträgen handelt. Jakub Pozna´nski, Pamie˛tnik z getta łódzkiego [Erinnerungsbuch aus dem Ghetto Łód´z], Łód´z 1960. Pozna´nski willigte kurz vor seinem Tod 1959 noch in den Druck ein. Der Erinnerung seiner Tochter nach hat er aber das fertige Manuskript nicht mehr sehen können. So ist nicht festzustellen, ob er die Auslassungen akzeptiert hat. Vgl. Hanna Pozna´nska-Linde, Wste˛p [Vorwort], zu: Pozna´nski, Dziennik z łódzkiego getta, S. 8–9. Es existieren bisher keine Übersetzungen des Tagebuchs.
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de begrüßt« worden.30 Situative Entscheidungen, die man in Bezug auf die Juden oft als bewusst gewählte Überlebensstrategien begriffen hat, und die man in Bezug auf die Deutschen als Willkürakt gesehen hat, haben wesentlich dazu beigetragen, die Effizienz des Gewaltsystems und der Vernichtung zu erhöhen. Keiner hat diese Auswirkungen besser und verbitterter beschrieben als Calek Perechodnik, auf den noch zurückzukommen sein wird. Neben Czerniaków prägte Rumkowski das Bild der Judenräte. Eine Vorstellung seines Selbstbildes gibt die auf seine Anordnung hin angelegte Ghettochronik. Sie wurde anfänglich in polnischer, später in deutscher Sprache verfasst, also zuerst in der Sprache der Assimilierten, dann in der der Besatzer. Das lässt den Wunsch Rumkowskis, sich eher der Außen- und Nachwelt als der Ghettobevölkerung zu präsentieren, vermuten. Das Jiddische blieb hier ausgeklammert. Rumkowski muss sich sicher gewesen sein, dass er als Privilegierter überleben würde. Seine Strategie, das Überleben des Ghettos durch die Steigerung der Produktivkräfte zu sichern, nimmt viel Platz in der Chronik ein, sie spiegelt sich in den beschriebenen Maßnahmen und in den Reden des Judenältesten wider. Wer arbeitsfähig war, sollte eine Chance erhalten, wer nicht, die Übrigen nicht belasten.31 Rumkowski willigte im Gegensatz zu Czerniaków in die Deportation von Kindern ein. In der Ghettochronik wird das Bild eines strengen, aber gerechten und sich um das Wohl der Bevölkerung kümmernden Judenratsvorsitzenden kreiert. Fraglich ist, wie es zu interpretieren ist, dass er als »Prezes«32 in die Konvention verfällt, die zugleich an die antijüdische nationalsozialistische als auch an die Propaganda der Sowjetunion anknüpft. Er kündigt Kämpfe gegen allerlei Gemeinschaftsfeinde an. Diejenigen, die »die Arbeitspflicht sabotieren«, werden namentlich genannt und als »soziale Schädlinge« und »unerwünschte Elemente« gebrandmarkt. Der Chronist spricht in diesem Zusammenhang davon, man müsse »das Böse samt den Wurzeln ausrotten«. Unterschieden wird zwischen den Menschen, die Handel betreiben, statt in der Produktion tätig zu werden, oder zwischen denjenigen, die ohne Gegenleistung Unterstützungen entgegen nehmen, und »anständigen Menschen«, denen eine Absicherung durch einen Arbeitsplatz gewährt werden soll und muss. In dieser Rhetorik verschwinden die Nationalsozialisten, die Gestapo und die Schutzpolizei. So wird beispielsweise das »Spekulantentum« folgendermaßen beschrieben: »Montag, 27. Januar 1941 / Wetterlage. Starker 30
31 32
Sascha Feuchert/Erwin Leibfried/Jörg Riecke (Hg.), Letzte Tage. Die Łódzer Ghetto-Chronik Juni/Juli 1944, Göttingen 2004, S. 121. Natürlich ist zu bedenken, dass den Verfassern der Chronik, die auf Anweisung und Wunsch des Judenratsvorsitzenden Rumkowski geführt wurde, daran lag, die Beziehung zwischen ihm und dem Ghettovolk in gutem Licht erscheinen zu lassen. Psychologisch sind solche Bemerkungen allerdings glaubwürdig, und zwar unabhängig von der Tatsache, dass Rumkowski zugleich bei vielen Juden verhasst gewesen sein mag. Das, was mit dem Präses geschah, schien einfach das beste Indiz zu sein, auf die Haltung der Deutschen den Juden gegenüber zu schließen, da Rumkowski als wichtigste, wenn nicht einzige Schnittstelle an der Grenze zwischen dem Ghetto und der deutschen Verwaltung fungierte. Vgl. hierzu auch Henryk Grynberg, Kronika [Chronik], Lublin 2005, S. 107. Grynberg, selbst Überlebender, machte aus großen Teilen der Ghettochronik ein Dokumentardrama. Siehe dazu den Beitrag von Monika Polit in diesem Band. Im polnischen Teil der Chronik wird er meistens als Prezes (Präsident) bezeichnet.
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Frost bis 14 Grad unter Null. […]. Paradoxien des Lebens. Auf dem Lebensmittelmarkt wurde heute der Tausch eines Brotleibs gegen 2 fast neue Tischdecken und ein Bettlaken beobachtet. Diese ungewöhnliche Transaktion charakterisiert deutlich die Lebensbedingungen.«33 Rumkowskis Chronik operiert mit einer Klassen- und Arbeitsrhetorik, »Arbeit und Ruhe« – so heißt das Exposé vom 1. Februar 1941. Darin wird der Judenälteste als unersetzlich beschrieben: Er müsse alles selbst einsehen und kontrollieren, da es an Schädlingen, die Scheine fälschen und Lebensmittel stehlen, nicht fehle. Aus dem Ghetto würden nur die ausgesiedelt, die es verdient hätten. Menschen »guten Willens« dagegen hätten nichts zu befürchten, erklärte Rumkowski in einer Rede vom 4. Januar 1942 im Kulturhaus vor den Vertretern der Verwaltung. Man kann nur vermuten, wie Rumkowski wahrgenommen wurde. Einen möglichen Eindruck vermittelt das bereits erwähnte Tagebuch von Pozna´nski. Der Ingenieur studierte unter anderem an der Technischen Hochschule in Charlottenburg. Vor dem Krieg war er in einer Textilfabrik beschäftigt. Er bewertet die willkürlichen Entscheidungen Rumkowskis als Teil der Zersetzung der Gesellschaftsstruktur. Dieser habe es nicht nur versäumt, klare Regeln für das Agieren unter den extrem schwierigen Bedingungen zu schaffen, sondern handle nach persönlichem Belieben. Pozna´nski hält eine Situation fest, in der er beschreibt, dass sich Rumkowski am 21. Juni 1943 das Ghetto-Kinderballet angeschaut und danach den Kindern ein Kilo Bonbons überreichte habe. Er konstatierte anlässlich dieses Auftretens: »Wenn man sich unser Ghettoleben von außen ansähe, zu welch traurigen Schlüssen käme man da. Für eine Handvoll Lebensmittel, für einige Löffel Suppe verwandeln sich die Menschen in Kriechtiere, sie verbeugen sich vor jedermann und schauen ihm voller Hingabe in die Augen und warten auf sein Zeichen.«34 Das Ghetto Litzmannstadt blieb am Längsten von der Auflösung verschont. Im Sommer 1944 befanden sich dort noch ungefähr 70.000 Juden. Wäre die Offensive der Roten Armee nicht aus politischen Gründen aufgehalten worden, hätte für Rumkowski und die Ghettobewohner eine Chance auf Rettung bestanden. Die immer wieder aufgeworfene Frage, ob Rumkowski dann als Henker seines eigenen Volkes verurteilt oder als dessen Retter gefeiert worden wäre, kann nicht beantwortet werden.
III. Die Mit-Verantwortung für die soziale Lage des Ghettos und die Korruption Die Wahrnehmung des Judenrats als Erfüllungsgehilfe der deutschen Behörden spiegelt sich auch in den überlieferten Reaktionen auf die mannigfaltigen bü33
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Sascha Feuchert/Erwin Leibfried/Jörg Riecke u.a. (Hg.), Die Chronik des Ghettos Lodz / Litzmannstadt 1941, Göttingen 2007, S. 45. Vgl. auch Grynberg, Kronika, S. 18. »Gdyby tak stan˛ac´ na uboczu i przyjrze´c sie˛ uwaz˙nie naszemu z˙yciu w getcie, jakz˙e smutne moz˙naby wysnu´c wnioski. Za odrobine˛ jadła, za pare˛ łyz˙ek gor˛acej zupy ludzie upodabniaj˛a sie˛ do płazów, płaszcz˛a sie˛ przed byle kim, patrz˛a mu słuz˙alczo w oczy, czekaj˛a na jego skinienie […].« Pozna´nski, Dziennik z łódzkiego getta, S. 70, Eintrag vom 2. Juni 1943.
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rokratischen Maßnahmen. So war der Warschauer Judenrat, wie Kaplan in seinem Tagebuch im Herbst 1940 notiert, für Fragebögen an die Hausverwaltungen zuständig, in denen die Anzahl der Wohnungen und Bewohner wie auch die Höhe der Mietbeträge anzugeben waren.35 Die Angaben sollten helfen, Obdachlose und Neuankömmlinge, die massenhaft aus kleineren Ortschaften und nach der Auflösung kleinerer Ghettos in das Warschauer Ghetto kamen, einzuquartieren. Vor dem Hintergrund der katastrophalen Wohnbedingungen scheint die Fragebogenaktion panische Reaktionen hervorgerufen zu haben, obwohl sie lediglich der Aufrechterhaltung der öffentlichen Wohnungsfürsorge diente. Einziehungen und Steuererhebungen, die die Judenräte zu vollziehen hatten, um Forderungen der Deutschen nachkommen und die lokale Infrastruktur aufrecht erhalten zu können, stießen nur begrenzt auf die Akzeptanz der Ghettobevölkerung. Kaplan beschreibt in diesem Zusammenhang auch verbreitete Akte eines massiven, allerdings stillen Widerstands gegen die Einschränkung religiöser Rituale. Er notiert hierzu am 26. Dezember 1940 unter vermeintlicher Genugtuung mit dem Gestus der ›Unterdrückten‹: »Diesmal legten wir sogar den Judenrat hinein. Er versuchte, Chanukkafeiern zu verbieten, die ohne eine Genehmigung, die von einem eigens für diesen Zweck errichteten Amt einzuholen war, abgehalten wurden. Aber das blieb nur auf dem Papier in Kraft; der Judenrat wurde zum Narren gehalten. Es wurden hunderte von Feiern veranstaltet, und der dumme Judenrat erhielt nicht einen einzigen Pfennig.«36 Die Deutschen ließen den Judenräten insofern freie Hand, als sie lediglich an der Erfüllung ihrer Forderungen, nicht an deren Umsetzung, an Zahlen, nicht an Individuen interessiert waren. Zu Beginn der Ghettoisierung scheinen Judenräte versucht zu haben, an historische Erfahrungen anzuknüpfen, die sie gelehrt hatten, man solle versuchen, sich bei den Machthabern loszukaufen. Blanca Rosenberg, die nach ihrer Flucht aus dem Ghetto in Kołomyja unter falscher Identität überlebte und nach dem Krieg in die USA emigrierte, berichtet in ihren Anfang der fünfziger Jahre niedergeschriebenen Erinnerungen: »In Übereinstimmung mit den Verordnungen wurde ein Judenrat gebildet. Der Leiter war ein Herr Horowitz. Er wurde zur einzigen Verbindung zwischen den Deutschen und der jüdischen Bevölkerung. Der erste Befehl an die Gemeinde bestand aus der Forderung, vierzigtausend Złoty zu den deutschen Kriegskosten beizutragen. Um den Geldeingang sicherzustellen, wurden vierzig Juden als Geiseln genommen. Die Summe sollte innerhalb von sieben Tagen bezahlt werden. Bargeld, Silber, Juwelen und Goldmünzen wurden dem Judenrat übergeben. Der Betrag wurde schnell zusammengebracht und ordnungsgemäß übergeben. Aber die Geiseln wurden nicht freigelassen.«37 35 36 37
Vgl. Kaplan, Buch der Agonie, S. 251 (Eintrag vom 22. Oktober 1940). Ebd., S. 278 f. Blanca Rosenberg, »Versuch zu überleben«. Polen 1941–1945, Frankfurt a.M. 1996, S. 35. Englische Ausgabe: To Tell at Last: Survival under False Identity, 1941–1945, Urbana 1993. Kołomyja wurde im September 1939 von sowjetischen Truppen besetzt, der Einmarsch der Deutschen erfolgte im Juni 1941.
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Nicht nur diese Erfahrung lehrte, dass sich die neue Ordnung mit den traditionellen Praktiken nicht »neutralisieren« ließ. Die Besatzungsmacht forderte beispielsweise, dass sich eine bestimmte Anzahl Menschen zum Abtransport zu stellen hatte, wobei dem Judenrat befohlen wurde, die Namenslisten anzufertigen. So musste der Judenrat von Warschau im März 1941 den Deutschen ein Arbeitsbataillon zur Verfügung stellen. »Zu unserer Schande benützte es der Judenrat für seine eigenen Bedürfnisse und sein eigenes Budget«, schreibt Kaplan hierzu.38 Kaplan berichtet, dass ›wohlhabendere‹ Ghettobewohner sich von der Arbeitspflicht mit einem ›Lösegeld‹ freikaufen konnten. Die Mittellosen seien dagegen zur Arbeit gezwungen, mit dem Resultat, dass die Armen als erste zu leiden hatten, in einer Situation, in der das Überleben des Einen direkt auf Kosten eines Anderen erfolge. Er beschreibt damit eine Form der Korruption als Teil der Ghettorealität, und macht, wie das folgende Zitat belegt, den Judenrat mitverantwortlich, da dieser für die Kontrolle der Mitarbeiter seiner Behörde, die Ausgabe von Passierscheinen, Quittungen, Talons, Lebensmittelkarten oder Arbeitsausweisen zuständig war: »Die Nazis erkennen nur die jüdische Gemeinschaft und ihren Vertreter, den Judenrat, an – nicht den einzelnen Menschen. Wenn einige hundert jüdische Jugendliche zur Frontarbeit benötigt werden, um am Schluß gebrochen und verstümmelt entlassen zu werden, wenden sich die Nazis an den Kommissar für Ghettoangelegenheiten, und der wendet sich an den Judenrat. Der Judenrat macht dabei ein schönes Geschäft.«39 Nach Kaplan spielte Korruption selbst bei Transporten in die Vernichtungslager eine Rolle: Die Namen derer, die imstande gewesen seien, sich von den Transportlisten freizukaufen, seien gestrichen und an ihrer Stelle andere Namen eingetragen worden.40 Der Zwang, für Hilfe zum Überleben zahlen zu müssen, die vom Judenrat auferlegten Steuern und eingeforderten Spenden – die zum großen Teil an die Besatzungsverwaltung gingen, zum Teil Verwaltungszwecken dienten, aber wiederum auch durch die Korruption verschlungen wurden – führten in vielen Ghettos zu einer eklatant fortschreitenden Verarmung. Kaplan verweist darauf, dass im Mai 1942 die Steuern für Medikamente und Haushaltsausgaben auf 40 Prozent festgesetzt wurden. Er reagierte mit einer annähernden Gleichsetzung von Judenrat und Besatzungsmacht: »Nach dem Nazi-Blutegel kommt der Judenrat-Blutegel. Es besteht kein Unterschied zwischen den beiden, außer dem der Rasse.«41 Als Vollstreckungsorgan der Anordnungen des Judenrats konnte es nicht ausbleiben, dass auch die jüdische Polizei in Misskredit geriet, deren Handlungen aber wiederum dem Judenrat zugerechnet wurden, beziehungsweise dieser mit der jüdischen Polizei gleichgesetzt wurde: Bei den Razzien hätten sich vielerlei Gelegenheiten ergeben, die Mitmenschen auszubeuten; so hätte 38
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Kaplan, Buch der Agonie, S. 306 (Eintrag vom 20. März 1941). Siehe auch den Eintrag vom 31. Mai 1942, S. 339. Ebd., S. 339 (Eintrag vom 31. Mai 1942). Vgl. ebd., S. 388 f., 392 (Einträge vom 27. und 29. Juli 1942). Ebd., S. 329 (Eintrag vom 23. Mai 1942). Zum Vorwurf, der Judenrat lebe vom Elend der Masse, vgl. auch ebd., S. 324, 354 (Einträge vom 16. Mai und 20. Juni 1942).
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die jüdische Polizei regelmäßig mehr Personen als von den Nazis gefordert festgenommen, wobei sich die ›Wohlhabenden‹ hätten loskaufen können.42 Es ist Kaplans Anliegen festzuhalten, dass die traditionelle Solidarität der Gemeinde durch diese Praktiken von Grund auf zerstört worden sei.43 Damit folgt er einer mit Pozna´nski vergleichbaren Einschätzung der Zersetzung der Gesellschaftsstruktur.
IV. Zwischen Verantwortung und Vorteilsnahme Die Mitglieder der Judenräte zogen wegen ihrer vermeintlich besseren Überlebenschancen auch Hass und Neid auf sich. Dass die strukturellen und situativen Vorteile, die sich daraus ergaben, zum Mitglied eines Judenrats rekrutiert worden zu sein, durchaus divergierend interpretiert werden können, lässt sich an einigen Beispielen illustrieren. Die Journalistin Katarzyna Zimmerer beschreibt in ihrer Studie Zamordowany S´ wiat. Losy Z˙ydów w Krakowie 1939– 1945, dass sich die Auswahl der Kontaktpersonen, an die sich die Deutschen wandten, in Krakau zufällig ergab. So sei der SS-Oberscharführer Paul Siebert, der Chef des jüdischen Referats des Sicherheitsdienstes für den Distrikt Krakau, am 8. September 1939 in die Wohnung von Professor Marek Bieberstein, der als engagiertes Gemeindemitglied bekannt war, gekommen, weil ihm dieser von dem polnischen Stadtpräsident Stefan Klimecki genannt worden sei. Siebert habe Bieberstein den schriftlichen Befehl erteilt, innerhalb von 48 Stunden einen Judenrat zu organisieren, dem er selbst vorsitzen sollte. Der Angefragte habe sich anfänglich geweigert und erst zugestimmt als ihm Verhaftung angedroht worden sei.44 Letztlich sei er im Sommer 1940 festgenommen und mit einer Phenolspritze im Konzentrationslager Płaszów ermordet worden, weil er durch Bestechung versucht habe, 10.000 Menschen vor der Deportation zu retten.45 Persönliche Vorteilsnahme wird dem sozial geachteten Bieberstein dabei nicht unterstellt. Die Beschreibungen anderer Judenratsmitglieder weisen diffizilere Wertungen auf, Vorteilsnahmen werden dabei an Formen sozialen Aufstiegs geknüpft. Henryk Schönker erinnert sich, dass ein gewisser Mosche Merin aus Sosnowiec die Initiative ergriffen habe, als die Gemeinden in Oberschlesien aufgelöst und die Judenräte errichtet wurden. Merin, der in den ersten Besatzungstagen zusammen mit anderen jungen Juden zur Zwangsarbeit überstellt und dort bald Gruppenführer geworden sei, habe als Vermittler zur Gestapo agiert. Als diese die Sosnowiecer Gemeinde aufgelöst habe, habe sie Merin zum Judenältesten ernannt und ihm aufgetragen, in der ganzen Gegend die Errichtung der Räte zu beaufsichtigen beziehungsweise zu organisieren. Neben ge42
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Vgl. ebd., S. 331, 392 (Einträge vom 26. Mai und 27. Juli 1942). Zur Korruption der jüdischen Polizei siehe vgl. ebd., S. 319, 331, 373 (Einträge vom 7. und 23. Mai sowie vom 13. Juli 1942). Vgl. ebd., siehe auch die Einträge vom 29. Mai und 26. Juni 1942, S. 335, 354. ´ Vgl. Katarzyna Zimmerer, Zamordowany Swiat. Losy Z˙ydów w Krakowie 1939–1945 [Ermordete Welt. Das Schicksal der Juden in Krakau 1939–1945], Kraków 2004, S. 14. Vgl. ebd., S. 45.
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schätzten Bürgern und ehemaligen Gemeindemitgliedern – wie Bieberstein – habe er auch seine Vertrauten in diese Gremien integriert.46 Für Otwock vermerkt der rechtszionistisch orientierte Angehörige der jüdischen Polizei Calel Perechodnik in seinen 1943 in polnischer Sprache verfassten Memoiren, dass es vereinzelt »aufrichtige Bürger« gebe, die den Judenräten nicht beigetreten seien. Für sich selbst lehnte er es ebenfalls ab, Funktionen in den von den Deutschen angeordneten Judenräten zu übernehmen, da er dies als Dienst für die Deutschen betrachtete.47 Im Laufe der Zeit aber habe bei vielen die Hoffnung gesiegt, zumindest sich selbst und die eigene Familie auf diese Weise retten zu können. Pozna´nski wiederum erwähnt einen gewissen Dawid Gertler als eine der neben Rumkowski einflussreichsten Personen des Ghettos Litzmannstadt. Vor dem Krieg sei der Handelsvermittler nicht in Erscheinung getreten, im Ghetto aber zum Konkurrenten Rumkowskis aufgestiegen. Dies sei den Deutschen gelegen gekommen, um Rumkowski zu verunsichern. Die Gunst der Gestapo habe Gertler errungen, als er aus dem Ghetto in das Polizeigefängnis Radegast, das den Charakter eines Konzentrationslagers hatte, kam.48 Neben solchen ›Aufstiegsbiographien‹, die Personen aus den unteren Schichten der Gesellschaft nachsagen, die Gelegenheit genutzt zu haben, stehen Beschreibungen von Personen, die einer Elite zugerechnet wurden. Einen erschütternden Erinnerungsbericht verfasste der 1928 als Ernst David Haber in Innsbruck geborene David Ben Dor, der die Konzentrationslager BergenBelsen und Dachau überlebte und nach dem Krieg nach Israel emigrierte, mehr als 50 Jahre nach Kriegsende in englischer Sprache. Seine Ausführungen lassen sich auch als Abrechnung mit seinem Vater, Dr. Moses Haber, und dessen 46
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Vgl. Henryk Schönker, Dotknie˛cie anioła [Berührung eines Engels], Warszawa 2005, S. 40 ff. Merin (polnisch: Meryn) muss sich eines besonderen Rufes erfreut haben, denn er wird in mehreren Berichten erwähnt. Ringelblum notierte im Januar 1940: »Ich sah das Dokument, das M[eryn] zur Ernennung von Verwaltern im Kattowitzer Distrikt befugt, zum Ausgeben von Befehlen, Widerstand Leistende zu verhaften, er darf sich bei Tag und Nacht ungestört bewegen, 20.000 Złoty besitzen, seine Anordnungen an Mauern öffentlich bekannt geben.« Ringelblum, Kronika getta warszawskiego, S. 82. (Übersetzung der Verfasserin). Vgl. Calek Perechodnik, Bin ich ein Mörder? Das Testament eines jüdischen Ghettopolizisten, aus dem Polnischen von Lavinia Oelkers, Lüneburg 1997, S. 33. – Der Ingenieur Perechodnik (1916–1944) überlebte nach der Liquidation des Warschauer Ghettos im Untergrund, bis er während des Warschauer Aufstands umkam. Sein Bericht erschien erstmals unter dem Titel Czy ja jestem morderca˛? 1993 in Warschau, und noch im selben Jahr in hebräischer Übersetzung in Jerusalem. 2004 erschien in Warschau eine erweiterte Ausgabe unter dem Titel Spowied´z: dzieje rodziny Z˙ydowskiej podczas okupacji hitlerowskiej w Polsce [Geschichte einer jüdischen Familie im von Hitler besetzten Polen], mit einem Vorwort von David Engel. Der Erstausgabe folgten mehrere Übersetzungen: ins Französische von Aleksandra Kroh und Paul Zawadzki, Suis-je un meurtier?, Paris 1995; ins Amerikanische von Frank Fox, Am I a Murderer: Testament of a Jewish Ghetto Policeman, Boulder, Colo. 1996, und ins Italienische von Francesco Cataluccio/Mauro Martini, Sono un assassino? Autodifesa di un poliziotto ebreo, Milano 1996. Die Bahnstation Radogoszcz [Radegast] wurde für Transporte der Juden aus dem Ghetto Litzmannstadt in die Vernichtungslager genutzt. In Radogoszcz existierte seit 1940 ein erweitertes Polizeigefängnis, durch das nach Schätzungen ca. 40.000 Menschen gingen. Vgl. Stanisław Lewicki (Hg.), Radogoszcz, Warszawa 1971, sowie das Verzeichnis von Quellen und frühen Zeugenaussagen unter http://www.muzeumtradycji.pl/page/index.php?str=120 [10.8.2009].
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Rolle im Ghetto Kowno (Kaunas) verstehen. Haber, der zwar nicht dem Judenrat angehörte, aber dennoch engen Kontakt zur deutschen Besatzungsbehörde pflegte, war ein angesehener Arzt und österreichischer Staatsbürger. Ben Dor beschreibt, dass es durch die beruflich bedingten Kontakte seines Vaters zu litauischen Regierungskreisen nach dem Anschluss Österreichs möglich war, nach Kaunas überzusiedeln. Als die Familie Haber vom Krieg gegen die Sowjetunion eingeholt worden war, habe Moses Haber als österreichisch-jüdischer Arzt schnell den Weg zu den Deutschen gefunden und von ihrer Gunst profitieren können, während die Juden von Kaunas ermordet wurden. Haber setzte darauf, als Angehöriger der deutschen Sprache und Kultur und einer Bildungsschicht, etwas Besseres als die litauischen Ghettojuden zu sein.49 Sein Sohn berichtet, dass er – obwohl seine Mutter aus Polen stammte und er selbst noch Jiddisch konnte – der Familie verboten habe, Jiddisch zu sprechen. Haber dürfte nicht der Einzige gewesen sein, der dem Denkmuster, er bleibe aufgrund von Bekanntschaften mit Deutschen, Sprachkenntnissen und einem relativen Wohlstand vom Schicksal der »gewöhnlichen« Juden verschont, folgte. Stattdessen dürfte es unter den Eliten unterschiedlicher Provenienz durchaus verbreitet gewesen sein. Perechodnik berichtet, dass Kronenberg, der Polizeikommandant im Ghetto Otwock, ähnlich wie Haber senior mit den Deutschen kooperierte und Transportlisten verändert habe. Zudem habe er sich »die Taschen gefüllt, und […] ein paar anständige Leute, die er nicht mochte, ins Lager geschickt.50 Kronenberg habe den Deutschen Gelder übergeben, die er bei zum Transport abgeführten Juden gestohlen habe. Perechodnik hatte bereits erkannt, dass das System der Vernichtung die ihren Illusionen erliegenden Eliten nicht verschonte, wenn sie ihre Funktion erfüllt hatten: »Am dreiundzwanzigsten April wurde der Vorsitzende des Judenrates, Ingenieur Lichtenbaum, auf den Umschlagplatz gebracht. Er ist es gewesen, der nach Czerniakóws Selbstmord den Aufruf an die jüdische Bevölkerung unterschrieben hatte, sie solle sich freiwillig für die Abreise nach Osten stellen, und in dem zugesichert wurde, dass nicht mehr als zehn Prozent der Bevölkerung ausgesiedelt werden. Zusammen mit ihm wurden auch führende Vertreter des Judenrates: Ingenieur Szereszewski, der Anwalt Wielikowski und Ingenieur Sztolcman dorthin gebracht. Bis zum letzten Augenblick hatten diese klugen, intelligenten und gebildeten Menschen nicht damit gerechnet, dass sie das Schicksal aller anderen Juden teilen würden. Jetzt wurden sie einfach in eine Reihe gestellt und an der Stelle erschossen.«51 Darüber hinausgehend, dass aus dem Text eine verständliche Hoffnung auf das eigene Überleben spricht, ließe sich eine derartige Haltung möglicherweise als Mimikry bezeichnen, bei der sich das Opfer mit der Ähnlichkeit zu 49
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Vgl. David Ben Dor, Die schwarze Mütze. Geschichte eines Mitschuldigen, aus dem Englischen übersetzt von Ingrid Rein, Leipzig 2000. Die englische Originalversion erschien unter dem Titel The Darkest Chapter 1996 in Edinburgh. Perechodnik, Bin ich ein Mörder?, S. 42. Ebd., S. 218 f.
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seinem Henker tarnt. Ben Dor interpretiert eines der handschriftlichen Dokumente des Judenrates von Kaunas in diesem Sinne: »Ein äußerst bemerkenswerter Akt der Verschleierung ist mit einem von Tory vorgelegten Dokument verbunden. […] Es handelt sich um den Entwurf der am 27. Oktober 1941 vom Ältestenrat veröffentlichten Aufforderung an die Ghettobevölkerung, sich am nächsten Morgen zu versammeln, wohlwissend, dass zehntausend der Versammelten von den Deutschen abgeführt und erschossen werden sollten. Der Chronist (wie auch die Herausgeberin) behauptet, die Streichungen und Korrekturen im Faksimile ›zeigten die schweren Skrupel des Judenrates‹, während jeder, der mit der deutschen Sprache einigermaßen vertraut ist, sofort merkt, dass die ›Skrupel‹ ausschließlich grammatikalischer Natur waren und mit dem Wunsch zusammenhingen, ein Dokument in perfektem Deutsch herauszugeben, um diejenigen, die den Versammlungsbefehl gegeben hatten, zufriedenzustellen und zu beeindrucken. Auch ich – oder zumindest mein Vater – war Teil dieses Verwaltungssystems, und dieser Tatsache ist denn auch mein Überleben zu einem großen Teil zuzuschreiben.«52 Insgesamt liefern die autobiographischen Beschreibungen der Shoah ein facettenreiches Bild der Judenräte. Es gibt viele Zeugnisse, aus denen hervorgeht, dass ihre Tätigkeit im Sinne der Tradition der jüdischen Gemeinden, sich um das Gemeinwesen: etwa durch die Einrichtung von Waisenhäusern und öffentlichen Küchen zu kümmern, interpretiert wurde. Czerniakóws Tagebuch zeugt davon, wie sehr er mit dem Schicksal der Warschauer Juden verbunden war.53 Es gab Menschen, die ihre Tätigkeit mit dem Leben bezahlten, wie Biberstein in Krakau, oder die Mitglieder des ersten Judenrats in Łódz, die bis auf einige – darunter Rumkowski – erschossen wurden. Die hier angeführten Aussagen zeigen qualitative Abstufungen von der Akzeptanz, die den Judenräten durch die Bevölkerung entgegengebracht wurde. Dazu gehört das infrage stellen der Legitimität, die Rolle der Repräsentation inne zu haben; die Kritik, den sich aufdrängenden Aufgaben nicht gerecht zu werden; der Vorwurf, der Korruption weder Einhalt zu bieten, noch sich persönlich und als Institution davon gänzlich fern zu halten, bis hin zum Vorwurf individuell zuordenbarer Vorteilsnahmen. Über allem aber stand das Verdikt, den Deutschen in die Hände zu spielen. Dabei fällt auf, dass die Zuschreibungen auch Personen betreffen, die aus unterschiedlichen Gründen Kontakte zu den deutschen Besatzern unterhielten, aber niemals Mitglieder eines Judenrates waren, und dass Handlungen der jüdischen Polizei den Judenräten als Aufsichtsbehörde zugerechnet wurden. Der zeitliche Faktor scheint für die Interpretation der Gegenwart durch die Zeugen von Bedeutung gewesen zu sein. Je mehr sich die Lage der jüdischen Bevölkerung verschlimmerte, desto mehr wurde ein Egoismus der vergleichsweise Privilegierten wahrgenommen und hervorgehoben. Der Abschluss des Ghettoisierungsprozesses und der Beginn der Transporte der »Aktion Reinhardt« markieren hier einen Umbruch der Wahrnehmung. Sehr deutlich kann 52 53
Ben Dor, Die schwarze Mütze, S. 148. Siehe den Beitrag von Andreas Ruppert in diesem Band.
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man das in Ringelblums Chronik des Warschauer Ghettos beobachten. Im Dezember 1942 spricht er erstmals vom »Verrat der Gemeinde, des Ordnungsdienstes, des Werkschutzes, der Leitung der Werkstätten um den Preis des eigenen Lebens und des ihrer Familien«.54 Dass das Bild der Judenräte in den Erinnerungen, und insbesondere in den Aufzeichnungen aus der Shoah-Zeit derart abwertend ausfällt, resultiert daraus, dass nichts, was zur Linderung der Lage unternommen wurde, die Tragödie verhindern konnte. Selbst wenn die Judenräte versuchten, alle Spielräume im Interesse ihrer Gemeinden auszuschöpfen, blieben sie machtlos. Hierbei kamen die Pathologie, Korruptheit und das bloße Agieren aus Angst um das eigene Leben nur noch deutlicher zum Vorschein. Tragisch mutet es an, dass den Räten auch dort, wo sie im Sinne der traditionellen jüdischen Leitung handelten, wo sie alles taten, um unter den Bedingungen des Ghettos ein Gemeinwesen zu schaffen und zu erhalten, ein Beitrag zur Isolierung und am Ende zur Vernichtung des eigenen Volkes unterstellt wurde. Eine Unterstellung, zu deren Wirkmächtigkeit allerdings Hannah Arendts publizistische Provokation und die Kontroversen in der jüdischen, westlichen Welt mehr beigetragen haben dürften als die Überlieferung der situativen Wahrnehmungsmuster der Zeitzeugenliteratur. Der tiefe Sinn, sich mit dem Bild der Judenräte zu beschäftigen, wäre also nicht ethischer Natur, sondern eine Reflexion über die Strategien eines verbrecherischen totalitären Systems, das die Opfer zu instrumentalisieren versucht, um seine Effektivität zu steigern. Dabei ist immer zu berücksichtigen, dass das Thema der Judenräte nicht als isoliertes Phänomen gesehen werden darf. Erst die Einbeziehung des ganzen Kontextes der Vernichtungsmaschinerie, der deutschen Besatzer und ihrer jeweiligen Politik sowie nicht zuletzt die Rolle der einheimischen nichtjüdischen Bevölkerung, auf die sich die Juden en gros nicht verlassen konnte, lässt die Komplexität erahnen, unter der die Handlungsspielräume dieser Einrichtungen analysiert werden müssen.
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Ringelblum, Kronika getta warszawskiego, S. 425.
Das Tagebuch des Adam Czerniaków Warschau 6. September 1939 – 23. Juli 19421
von
ANDREAS RUPPERT
Am 15. November 1939 notierte Adam Czerniaków in sein Tagebuch:2 »Seinerzeit habe ich mein Leben theoretisch in 3 Teile eingeteilt: I – Studium und Unterhaltung, II – Arbeit, III – Aussöhnung mit Gott und mein Innenleben. Das Schicksal hat mir einen Strich über die Rechnung gemacht.«3 Das Mosaik des Geschehens, mit dem wir uns beschäftigen, ist in seinen Umrissen bekannt. Es heißt für Warschau: geplanter Mord an einer halben Million Menschen mit den Etappen Konzentration, Hunger, Epidemien, Willkürmorde, Deportation und Mord in Treblinka und an anderen Orten. Es geht nun darum, das Mosaik auszufüllen, so viele kleine Steinchen wie möglich zusammenzutragen, um das Bild dieser vernichteten Welt zu retten. Nicht, weil die »Erinnerung das Geheimnis der Erlösung« sei – »Erlösung« ist eine Kategorie der Religion und hat in der Geschichtswissenschaft nichts verloren, hier gibt es keine Erlösung –, sondern weil die Erinnerung für sich selbst eine Verpflichtung ist. Für sie tragen wir die Artefakte zusammen, wie sie Raul Hilberg bezeichnet:4 Briefe, Aufzeichnungen, Plakate, Flugschriften, Fotografien 1
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Der vorliegende Text ist eine überarbeitete Fassung eines Vortrags, der am 28. Juli 2007 in Bielefeld auf der Tagung »Quellen der Judenräte im besetzten Polen« gehalten wurde. Das polnisch geschriebene Tagebuch, das in acht Notizheften überliefert ist (ein neuntes, in der Reihenfolge das fünfte für den Zeitraum vom 14. Dezember 1940 bis zum 22. April 1941, ist verloren), konnte von Dr. Felicja Czerniaków, Adam Czerniakóws Ehefrau, gerettet werden. 1964 wurde es von Yad Vashem erworben. Eine erste Edition in hebräischer Übersetzung erschien 1968 in Jerusalem (herausgegeben von Nachman Blumenthal, Nathan Eck, Joseph Kermish und Ariel Tartakower). Im Bulletin des Jüdischen Historischen Instituts Warschau wurde 1972 das polnische Original veröffentlicht. Raul Hilberg, Stanislaw Staron und Josef Kermisz gaben 1979 in New York unter dem Titel The Warsaw Diary of Adam Czerniakow. Prelude to Doom eine englische Übersetzung heraus. In Buchform wurde das polnische Original dann von Marian Fuks 1983 in Warschau ediert und mit ausführlichen Annotationen versehen: Adama Czerniakowa dziennik getta warszawskiego – 6. IX. 1939 – 23. VII. 1942, Warszawa 1983. Siehe dazu auch Marian Fuks, di judenratn-frage un di tetikejt fun Adam Czerniakow, in: bleter far geszichte 22 (1984), S. 75–94, hier: S. 92–93, Anm. 13. Eine deutsche Ausgabe erschien 1986 unter dem Titel Im Warschauer Getto. Das Tagebuch des Adam Czerniaków 1939–1942 in München, nach ihr wird im Folgenden zitiert. Ebd., S. 15, Eintrag zum 15. November 1939, kursiv: im Original deutsch. Hilberg: »Das ist ein Artefakt. Das einzige Zeugnis, das bleibt. Die Toten sind nicht mehr«, in: Claude Lanzmann, Shoah, Düsseldorf 1986, S. 189.
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und Tagebücher. Die deutsche Forschung hat sich dabei etwas verspätet, weil sie sich lange Zeit auf die Artefakte der Täterseite konzentrierte und die Aussagen der Opfer ignorierte, deren Sprachen sie in der Regel auch nicht zu lernen bereit war: Jiddisch vor allem, die Sprache der ostjüdischen Opfer, oder Polnisch, die Sprache, in der Czerniaków schrieb.5 Bei den überlieferten Materialien lassen sich zwei Provenienzen unterscheiden. Zum einen handelt es sich um bewusst verfasste Dokumente oder gezielt zusammengestellte Sammlungen, die das Ziel hatten, das erlebte Geschehen der Nachwelt zu überliefern. Dabei ist schon als Möglichkeit angenommen, dass Überlebende, die persönlich Zeugnis ablegen könnten, fehlen würden. Dafür steht vor allem Emanuel Ringelblum in Warschau mit seinen eigenen Aufzeichnungen und mit seinem Untergrundarchiv des Ghettos, das heute nach ihm benannt ist,6 dafür steht auch die Chronik von Herman Kruk in Wilna.7 Andrea Löw hat dieses Motiv auch für den größten Teil der aus dem Ghetto Litzmannstadt überlieferten Texte konstatiert.8 Daneben liegen die Zufallsfunde vor, für die hier nur die unzähligen Fotos und Dokumente genannt werden sollen, die von den in Auschwitz Ermordeten erhalten geblieben sind.9 Tagebücher sind eine Quellengattung für sich. Sie dienen bei der Abfassung in erster Linie ihren Autoren, die sich ihrer selbst vergewissern und den Alltag mit seinen positiven und negativen Eindrücken zu bewältigen suchen. Das Tagebuchschreiben hat etwas Zwanghaftes und gleichzeitig etwas Therapeutisches, insofern es auch Objekte historischen Geschehens im Akt des Schreibens in Subjekte verwandelt und sie ihrer eigenständigen Identität versichert. Gleichzeitig sind Tagebücher wichtige Dokumente ihrer Zeit, und man kann davon ausgehen, dass Personen, die um ihre eigene Bedeutung in der Geschichte wissen, Tagebücher auch gezielt als Bericht für die Nachwelt verfasst haben. Dies gilt umso mehr, wenn sie nicht nur Beobachter, sondern Handelnde in ihrer Zeit waren. Das Tagebuch von Adam Czerniaków hat dabei eine dreifache Bedeutung: als Quelle für die Geschichte des Ghettos, als Materialbasis für die Beurteilung des Judenrats, und auch als Spiegel der Persönlichkeit des Autors. Die Fülle und die Tiefe dieser Aufzeichnungen wird man nie ganz erfassen können. Wer sie gelesen hat, wird sie nicht mehr vergessen.
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So auch Andrea Löw, Juden im Getto Litzmannstadt. Lebensbedingungen, Selbstwahrnehmung, Verhalten, Göttingen 2006, S. 10. Emanuel Ringelblum, Getto Warschau. Tagebücher aus dem Chaos, Stuttgart 1967; siehe auch Jürgen Hensel (Red.), Oneg Schabbat. Das Untergrundarchiv des Warschauer Gettos. Ringelblum-Archiv, Warschau 32003. Herman Kruk, togbuch fun wilner geto, New York 1961. »Die Menschen im Getto wollten unbedingt mitbestimmen, wie das Getto später erinnert und dargestellt wird, und wenn ihnen dies nicht möglich wäre, dann sollten wenigstens ihre Texte überdauern«, Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 8. Kersten Brandt/Hanno Loewy/Krystyna Oleksy (Hg.), Vor der Auslöschung ... Fotografien gefunden in Auschwitz, 2 Bde., O´swie˛cim 32001.
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I. Zum Autor Adam Czerniaków war am 23. September im belagerten Warschau vom Stadtpräsidenten Starzynski zum Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde (= Kultusgemeinde) ernannt worden. Er notierte: »Eine historische Rolle im belagerten Warschau. Ich werde mich bemühen, ihr gerecht zu werden.«10 Er hatte sich dafür qualifiziert, da er zuvor schon im Warschauer Stadtrat die Interessen der jüdischen Handwerker vertreten hatte, außerdem sprach er Polnisch und Jiddisch. Die Besatzer ließen ihn im Amt, auch, weil er in Dresden studiert hatte und Deutsch sprach. Er wurde aber am 4. Oktober 1939 gezwungen – gemäß dem Befehl Heydrichs vom 21. September 1939 und noch vor der Verordnung von Hans Frank vom 25. Oktober 1939 – einen »Ältestenrat« aus 24 Männern zusammenzustellen.11 Er selbst war offiziell der »Obmann« dieses neuen Gremiums – Begriffe, die er im Tagebuch nicht verwendete. Czerniaków sprach vom Rat immer nur als von der »Gemeinde« (im Original: »Gmina«). Czerniaków wurde zum einzigen Ansprechpartner der deutschen »Dienststellen«. Deren Kompetenzabgrenzungen erscheinen bis heute unklar, sie alle wollten die Politik gegenüber dem »Jüdischen Wohnbezirk«12 mitbestimmen. Das Tagebuch verzeichnet in monotoner Weise die täglichen Gänge zur Militärverwaltung, zur Zivilverwaltung, zu SS und Gestapo. Dan Michman erhellt die Hintergründe einer Konkurrenzsituation, die schon viele Jahre früher im Reich begonnen hatte.13 Nur in ihrem Verhalten der jüdischen Bevölkerung gegenüber waren alle deutschen Stellen gleich, hier sahen sie eine menschliche und materielle Verfügungsmasse, die man nach Belieben erniedrigen und ausbeuten konnte.14 Eine Chance, die Rivalität zugunsten des Ghettos auszuspielen, bestand objektiv nicht, da alle Beteiligten in der Zielsetzung einig waren und sich auch die Zivilverwaltung 1942 danach drängte, sogar am Morden beteiligt zu werden.15 10 11
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Czerniaków, Im Warschauer Getto, S. 4. »Das bedeutet aber, dass Himmler in der Judenfrage nicht nur von Frank unabhängig, sondern diesem voraus war. So kam es, dass der Vernichtungsprozess in Polen in den Händen dieser beiden Männer lag. Bezeichnenderweise wetteiferten Himmler und Frank als Gegner und Rivalen nur in ihrer Rücksichtslosigkeit. Dieser Wettstreit brachte den Juden keinerlei Nutzen; er beschleunigte ihre Vernichtung.« Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden. Die Gesamtgeschichte des Holocaust, Berlin 1982, S. 149; zur Zusammensetzung der Judenräte siehe S. 157. Karol Sauerland wies in der Diskussion am 28. Juni 2007 darauf hin, dass der Begriff »Ghetto« in Warschau offiziell nie verwendet wurde; der offizielle Terminus war »Jüdischer Wohnbezirk«. Dan Michman, »Judenräte« und »Judenvereinigungen« unter nationalsozialistischer Herrschaft. Aufbau und Anwendung eines verwaltungsmäßigen Konzepts, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 46 (1998), S. 293–304; siehe auch seine Beiträge in diesem Band. Andrea Löw hat es prägnant formuliert: »Für die jüdische Wahrnehmung war es kaum von Bedeutung, ob derjenige, der prügelte oder schoss, ein SS-Mann oder ein Wehrmachtsoldat war. Entscheidend war vielmehr, dass von allen Seiten Gefahr drohte, dass es keine Instanz gab, bei der man um Hilfe hätte bitten können; und es gab auch kaum Möglichkeiten, einzuschätzen, vor wem man sicher war.« Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 30. Vgl. dazu Bogdan Musial, Die Zivilverwaltung und der Holocaust. Verfolgung und Vernichtung der Juden im Generalgouvernement, in: Andrea Löw/Kerstin Robusch/Stefanie Walter (Hg.),
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Zum 1. Mai 1941 war für die Ghettoverwaltung eine neue Struktur geschaffen worden. Für den nun auch offiziell so genannten Jüdischen Wohnbezirk wurde ein Kommissar zuständig. Seit 10. Mai 1941 war dies Dr. Heinz Auerswald – eine besondere Karriereetappe für einen jungen Juristen –, der damit zwar nicht zum einzigen, aber wichtigsten Ansprechpartner Czerniakóws geworden war. Ihm war auch die Transferstelle zugeordnet, die den Güteraustausch des Ghettos über den so genannten Umschlagplatz organisierte. Von hier aus begannen im Juli 1942 die Deportationen nach Treblinka. Czerniaków erlebte den täglichen Zerfall der jüdischen Welt und ihrer Normen, er beschrieb die einzelnen Etappen ihrer Zerstörung, aber er wusste nicht, wo das Ende dieser Entwicklung liegen würde. Noch deutete nichts auf einen Völkermord hin, anfangs ging das Verhalten der Deutschen nicht über die Gräuel einer Besatzungsmacht hinaus, verschärft durch einen Antisemitismus, der aber noch nicht tödlich bedrohlich wirkte. Czerniaków war in eine Situation gestellt, für die es keine historische Erfahrung gab. Er war plötzlich der Vorsitzende der größten jüdischen Gemeinschaft, die es vor der Gründung des Staates Israel in der Geschichte gegeben hatte,16 aber unter den Bedingungen einer völligen Abhängigkeit von einer Besatzungsmacht. Er versuchte, ein Gegengewicht gegen den Zwang der Besatzer aufzubauen, die Momente von Autonomie zu nutzen, die die Deutschen gelassen hatten. Im Außenverhältnis war es eine nur scheinbare Autonomie, eine Illusion, wie Marian Fuks sie bezeichnet.17 Czerniaków war sich darüber völlig im Klaren, aber für die jüdische Seite war es dennoch eine Chance, ein Leben im Ghetto zu organisieren, das nicht völlig perspektivlos war. Die Parallele zu den Erfahrungen der Juden in Deutschland sind deutlich: Die Hoffnung, dass mit jeder Verschlechterung eine Stufe erreicht sei, auf der es nicht weitergehen könne, bis die nächste Erfahrung kam. Im Rückblick waren es Stationen auf dem Weg in den Tod, die damals Lebenden sahen es nicht so. Den bewussten Kampf um den reinen Zeitgewinn angesichts des schon verhängten Todesurteils, wie ihn Jakob Gens in Wilna, Mordechai Chaim Rumkowski in Litzmannstadt oder Efraim Barasz in Białystok führten, hat Czerniaków nicht mehr erlebt.
II. Zum Tagebuch Adam Czerniakóws Motive, ein Tagebuch zu führen, sind uns nicht bekannt.18 Es bleibt aber zu vermuten, dass er auch schon zuvor Tagebücher geführt
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Deutsche – Juden – Polen. Geschichte einer wechselvollen Beziehung im 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2004, S. 97–117. Dies betonte Dan Michman in der Diskussion am 28. Juni 2007. Vgl. Fuks, di judenratn-frage, S. 76. In der Diskussion des Bielefelder Workshops am 28. Juni 2007 wurde auf zwei mögliche Motive hingewiesen: den Wunsch, Unterlagen für eine möglicherweise notwendige Rechtfertigung nach dem Kriege zu sichern, und die Begegnungen mit den deutschen Dienststellen zu vermerken, um ihre Ergebnisse rekapitulieren zu können. Beide Argumente treffen aber gerade für den September 1939 noch nicht zu, als Czerniaków sein Tagebuch begann.
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hatte, die nicht erhalten sind. Er wusste im September 1939, dass er eine historisch bedeutsame Zeit erleben werde. Er wollte sie festhalten, aber als private Aufzeichnung. Gleichzeitig ist bekannt, dass er auf der Sitzung des Warschauer Judenrates am 28. Juni 1942 – im Rückblick wissen wir, dass es seine letzte Sitzung war –, Passagen daraus vorgelesen hatte, die »durch ihre Lakonik« erschütterten.19 Auch Ringelblum wusste um dieses Tagebuch, dessen Wert er hoch einschätzte, und bedauerte nach Czerniakóws Tod seinen vermeintlichen Verlust.20 Über den Wert des Tagebuchs als Quelle für die Geschichte des Ghettos und über seinen Autor sagt Raul Hilberg: »Er hat uns ein Fenster hinterlassen, durch das wir eine jüdische Gemeinde beim Erlöschen ihrer Existenz beobachten können. Eine Gemeinde in der Agonie, zum Tode verurteilt von Anfang an.«21 Und doch muss eins mitbedacht werden: Wie ein Fenster nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit zeigt, so spiegelt sich in Czerniakóws Tagebuch auch nur ein Teil der in jeder Hinsicht fernen und unbegreiflichen Welt. Es liefert wichtige Einblicke in die Geschichte des Ghettos, aber nicht die Geschichte des Ghettos. Das Tagebuch als Quelle für die Geschichte des Ghettos
Czerniaków hält die dramatische Entwicklung des Ghettos fest: die tägliche Bedrohung durch Verhaftung und willkürlichen Mord, die Ausbeutung durch Arbeit, den ebenfalls mörderischen Hunger, die Ausbreitung der Seuchen angesichts der Enge und der immer neu dazu kommenden Menschen aus anderen Ghettos und aus anderen von den Deutschen besetzten Ländern, die Abschließung und zuletzt das, was bei ihm seit dem Herbst 1941 als »Aussiedlung« immer wieder genannt wird und Deportation und Ermordung meint. Zur Ausbeutung gehören willkürliche finanzielle Belastungen – das Tagebuch ist durchzogen von den Mühen auf der Suche nach Geld. Alles musste von der Gemeinde bezahlt werden, während gleichzeitig deutsche und polnische Dienststellen über die jüdischen Konten verfügten und Czerniaków zum Betteln um das zwangen, was der Gemeinde rechtmäßig gehörte. Bezeichnend ist sein Eintrag vom 11. Juni 1941: »Es regnet. Zum Glück ist das nicht mit Kosten für die Gemeinde verbunden.«22 Zur Ausbeutung gehörte auch die ständige Anforderung jüdischer Arbeitskräfte für Arbeiten in Warschau und außerhalb, selbst in entfernten Lagern. 19
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Hier zitiert nach Czerniaków, Im Warschauer Getto, S. 270–271, Anm. 19; Czerniakóws eigener Eintrag zu dieser Sitzung am 28. Juni 1942, S. 270–271. Ludwik Hirszfeld (1884–1954) war ein renommierter Immunologe, der die Erblichkeit der Blutgruppen bei Menschen entdeckt hatte. Im Warschauer Judenrat gehörte er zu den wenigen zum Christentum konvertierten Mitarbeitern. In seiner Autobiographie (Historia jednego z˙ycia [Die Geschichte eines Lebens], Warszawa 1946, Warszawa 21957) berichtet er wiederholt über Czerniaków. Vgl. Fuks, di judenratn-frage, S. 81. Siehe auch Emanuel Ringelblum, ksovim fun geto, 2 Bde., Bd. II, Tel Aviv 1985, S. 98. Raul Hilberg, in: Lanzmann, Shoah, S. 239. Czerniaków, Im Warschauer Getto, S. 160, Eintrag vom 11. Juni 1941.
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Die Arbeiter wurden schlecht bezahlt und schlecht verpflegt, was von ihnen und den Angehörigen auch der Gemeinde zum Vorwurf gemacht wurde. Die Gemeinde versuchte, die Arbeiter selbst bereit zu stellen, um brutale deutsche Razzien zu verhindern, und war an diesem Punkt kooperativ. Auf deutscher Seite ergänzten sich die Mentalität von Besatzern und von kapitalistischer Ausbeutung, wie sie etwa die deutschen Firmenvertreter Toebbens und Dr. Lautz verkörperten, die im Oktober 1941 offensiv einforderten, dass ihre jüdischen Arbeitskräfte von der Gemeinde (dem Judenrat) verpflegt und mit Kleidung versorgt werden müssten.23 Czerniakóws Ziel war ein anderes: den Alltag im Ghetto so zu regulieren, dass jüdisches Leben und jüdische Kultur eine Zukunft haben würden. Denn diesen Alltag gab es noch, und auch eine Infrastruktur, in deren Rahmen er sich abspielte. Darin unterschied sich das Ghetto von den Lagern.24 Czerniaków versuchte, diesen Alltag »gerecht« zu organisieren. Dass er daran scheiterte, ist ihm nicht anzulasten. Weder konnte er die inneren Widersprüche der Ghettogesellschaft überwinden, die aus der Vor-Ghettozeit mit hinein genommen worden waren. Denn die Sozialstruktur war die gleiche geblieben, bis zuletzt stand eine soziale Elite der Mehrheit der Ausgebeuteten und den Hunderttausenden der Ärmsten gegenüber, die zuerst starben.25 Noch konnte er, wie ausgeführt, an den Widersprüchen etwas ändern, die zur Besatzungsmacht bestanden. Das Tagebuch als Quelle für die Einschätzung des Judenrats
Czerniaków ist von Zeitzeugen und von der Forschung in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten nicht positiv dargestellt worden. Ihm wurde wie anderen Vorsitzenden der Judenräte vorgeworfen, sich falsch verhalten, sich zum Erfüllungsgehilfen der Deutschen bei der »Endlösung« gemacht zu haben. Die Antipoden in der Diskussion um die Judenräte sind bekannt, von Hannah Arendt auf der einen Seite bis Isaiah Trunk auf der anderen.26 Vor allem Hannah Arendts absolute Verurteilung der »jüdischen Führer«27 hat das Bild eine Zeit lang stark geprägt. Falsch geprägt – weil es die Komplexität jüdischer Gesell23 24
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Vgl. ebd., S. 193, Eintrag vom 10. Oktober 1941. Darauf verweist auch Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 29; siehe auch Arnold Mostowicz, Alltagsleben im Getto, in: Doron Kiesel/Cilly Kugelmann/Hanno Loewy/Dietrich Neuhauß (Hg.), »Wer zum Leben, wer zum Tod ...«: Strategien jüdischen Überlebens im Getto, Frankfurt a.M./New York 1992, S. 37–49. Am 6. Dezember 1941 notierte Czerniaków seine Einschätzung: Monatlich kämen für 1,8 Millionen Złoty Lebensmittel legal ins Getto, aber für 70–80 Millionen Złoty illegal; die Schichtung der Ghettogesellschaft gab er wie folgt an: 10.000 Kapitalisten, ± 250.000, die von ihrer Arbeit leben, bis zu 150.000 von der Sozialfürsorge Abhängige, Czerniaków, Im Warschauer Getto, S. 209. »Die Literatur zu diesem Thema ist gewaltig« – Dan Michman, »Judenräte«, S. 293, Anm. 1; Michman differenziert darin nach den wichtigsten Exponenten der Debatte eine »HilbergSchule« und eine »Trunk/Weiss-Schule«. Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 1964; Erstausgabe unter dem Titel: Eichmann in Jerusalem. A Report on the Banality of Evil,
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schaft im Ghetto unterschlägt; weil es den einzelnen handelnden Persönlichkeiten nicht gerecht wird; und weil sie vergaß oder nicht wusste, wie wenig Spielraum diese Entscheidungsträger in der Ghettowirklichkeit hatten. Denn für alle Ghettos gilt Andrea Löws Diktum: »Die deutschen Besatzer definierten den Rahmen, in dem sich das Leben der jüdischen Bevölkerung bewegte.«28 Die Auswertung des Tagebuchs seit 1964 hat dieses Bild grundlegend geändert. Sie erzwang eine grundsätzliche Neubewertung der Rolle und der Möglichkeiten der Judenräte.29 Danach kann man nicht mehr zu ihrer einseitigen Verurteilung zurückgehen. Dan Michman hat diese Veränderung in der Forderung auf den Begriff gebracht, die Judenräte nicht mehr nach moralischen Gesichtspunkten, sondern nach den strukturellen Bedingungen zu beurteilen, unter denen sie agierten.30 Das Tagebuch als Spiegel der Persönlichkeit des Autors
Generell lässt sich sagen, dass persönliche Dinge in seinem Tagebuch ähnlich zu kurz kommen, wie sie in Czerniakóws Alltagsleben zu kurz gekommen sind. Die Sorge um die Gemeinde und die ihm anvertrauten Menschen forderten seine ganze Kraft, täglich von morgens bis abends, sieben Tage in der Woche. Am 24. März 1940, dem Ostersonntag, notiert Czerniaków als Besonderheit, dass er freie Zeit zu Hause verbringe. Der Alltag in seinen Zwängen wird im historischen Rückblick, der sich auf das Besondere fokussieren möchte, oft vergessen: Dass es, trotz aller Bedrohung, Mühe und Arbeit einforderte, auch nur einen einzigen Tag zu gestalten und zu überleben; dass täglich unzählige kleine Hindernisse zu überwinden waren, hinter denen das größte Hindernis versteckt war. Er notierte hin und wieder seine Erschöpfung und seine Krankheiten. Er notierte die Beleidigungen und Erniedrigungen durch die Deutschen. Im Winter und Frühling 1939/1940 erwähnte er zum Beispiel regelmäßig, wenn es ihm gelang, den Weg vom Gemeindebüro zu den deutschen Dienststellen »ungeschoren« hinter sich gebracht zu haben.31 Er erlebte auch das Gegenteil: Festnahmen, Bedrohungen, Beleidigungen und Schläge.32 Das schlimmste Erlebnis dieser Art war seine »Begegnung« mit deutschen Soldaten, die ihn zusammenschlugen und einsperrten, so dass ausgerechnet die Gestapo seine
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New York 1963. Zur Wirkung von Arendts Bericht siehe den Beitrag von Karsten Wilke in diesem Band. Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 25. Vgl. Fuks, di judenratn-frage, S. 78. Vgl. Michman, »Judenräte«, S. 304. In seinem Beitrag Kontroversen im vorliegenden Band weist Michman auf die Diskrepanz zwischen der Einschätzung durch die Wissenschaftler und die immer noch populäre Verurteilung der Judenräte in der israelischen Öffentlichkeit hin. Vgl. etwa die Einträge vom 26. und 27. Februar 1940, Czerniaków, Im Warschauer Getto, S. 45. Marian Fuks’ Hinweis, dass ihm von deutschen Dienststellen, von Ausnahmen abgesehen, mit Respekt und Anerkennung begegnet wurde, ist aus dem Tagebuch nicht nachvollziehbar. Vgl. Fuks, di judenratn-frage, S. 87.
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Freilassung erreichen musste. Czerniaków hielt im Tagebuch seine Verletzungen fest und ging dann, wie immer, zur Gemeinde, um seine Arbeit zu tun.33 Es sollen nun an drei Beispielen die Mühen Czerniakóws verdeutlicht werden, und die Grenzen, die ihm gezogen wurden. Es sind: das Geschehen um die Nalewkistraße 9 im November 1939; der Tausch von Schaffellen gegen Inhaftierte im Winter 1941/42; sein Bemühen um die Kinder 1942. Die Nalewkistr. 9
Die Eintragungen zu dieser Episode reichen vom 17. bis zum 30. November 1939, dann erscheint sie noch einmal im April 1940. Am 17. November finden sich zwei kryptische Einträge: »300.000 Zloty Kontribution bis Montag«, und kurz darauf das irritierende Detail: »Auf meinem Schreibtisch das Modell eines jüdischen Grabsteins.«34 Am 13. November hatte ein jüdischer Krimineller in der Nalewkistraße 9 einen polnischen Polizisten erschossen, der Täter war entkommen. Es handelte sich weder um einen Akt politischen Widerstands, noch hatte die jüdische Gemeinde mit dieser Tat auch nur das Geringste zu tun. Dennoch hatte die Gestapo 53 Männer aus dem Haus Nr. 9 verhaftet und verlangte für ihre Freilassung die genannten 300.000 Złoty Lösegeld von der Gemeinde. Deutlich wird die Struktur deutschen Handelns: die willkürliche Verhaftung zufälliger Personen für Taten, mit denen sie nichts zu tun hatten; die finanzielle Erpressung der jüdischen Gemeinde (wobei das Stereotyp des »reichen Juden« gleich mitbedient wurde); die Illusion von Zusagen, zuletzt die Ermordung der Geiseln. Dieser Ablauf sollte sich wiederholen, nur die Details variierten. Eins allerdings gilt immer: In keinem Moment gab es für Czerniaków einen Handlungsspielraum. Czerniaków versuchte verzweifelt, das Geld aufzutreiben. Er suchte Bargeld zusammen, suchte freie Konten, kämpfte erfolglos um den Zugriff auf gesperrte Konten – die Gestapo wollte Überweisungen aus von ihr selbst gesperrten und damit kontrollierten Konten nicht akzeptieren –, er rang der Gestapo Aufschübe ab. Es ist erstaunlich, dass er überhaupt etwas erreichte, aber am Ende fehlten immer noch 38.000 Złoty. Die Angehörigen der 53 Männer bedrängten ihn. Mehrfach besuchten ihn Mütter der Inhaftierten. So war am 21. November eine Abordnung aus dem Haus Nr. 9 bei ihm, am 24. November wieder eine Abordnung von sieben Frauen. Am 26. November schrieb Czerniaków von einem »skandalösen Auftritt« der Mütter.35 Der entscheidende Tag sollte der 28. November werden. Um 9 Uhr morgens teilte ein deutscher Beamter Czerniaków mit, dass die 53 Geiseln inzwischen erschossen waren. Die Gestapo hatte das bisher gesammelte Geld erhalten und konnte davon ausgehen, dass vorerst nicht mehr zu erwarten war. Man konnte ihr formal nicht vorwerfen, dass sie ihre Zusagen nicht eingehalten hätte, obwohl sie sicher nie daran dachte, 33 34 35
Siehe die Einträge vom 4. und 5. November 1940, Czerniaków, Im Warschauer Getto, S. 127 f. Ebd., S. 16. Ebd., S. 19.
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sie einzuhalten. Czerniaków selbst wurde beauftragt, die Erschießungen den Angehörigen mitzuteilen. Ihn zum Übermittler dieser Botschaft zu machen, war ein Moment deutschen Kalküls, denn es verstärkte die Stimmung, die ihm indirekt den Tod der Geiseln anlastete, und es verstärkte den Riss innerhalb der jüdischen Gemeinschaft. Dennoch wollte Czerniaków diese schwere Aufgabe nicht aufschieben und rief die Angehörigen bis 13:30 Uhr nacheinander in sein Büro in der Gemeindeverwaltung. Er schrieb von einer »schwer zu beschreibenden Szene«. Die Angehörigen verwünschten ihn, und als er das Gemeindebüro verließ, klammerten sich einige »Opfer«, wie er sie nannte, an seine Droschke. Am Nachmittag des gleichen 28. November, um 15 Uhr, ging Czerniaków zur SS, um zu erreichen, dass den Angehörigen die Leichname herausgegeben würden. Es wurde verweigert, ohne dass wir einen Grund dafür erkennen. Als er nach Hause kam, wartete dort erneut eine Abordnung der Opfer. Jeden normalen Menschen hätte ein solcher Tag überfordert – Czerniaków aber musste sich danach noch um eines der jüdischen Krankenhäuser kümmern.36 Denn darauf soll noch einmal hingewiesen sein: Der deprimierende Alltag im Ghetto ging mit seinen Sorgen weiter, und zwar nicht nur der private Alltag, sondern auch der Alltag des Vorsitzenden der Gemeinde. Jeden Tag musste Czerniaków um Fragen ringen, wie die, wann und unter welchen Bedingungen das Ghetto eingegrenzt würde, wie Medikamente und Lebensmittel zu besorgen seien, wie soziale Einrichtungen (Krankenhaus, Waisenhäuser, Altersheim) von der Gemeinde übernommen und wie die Männer im Arbeitseinsatz versorgt werden könnten. Zwei Tage später, am 30. November, an seinem 59. Geburtstag, brachte man Czerniaków eine Tageszeitung, den Nowy Kurier Warszawski. Darin standen drei für das Ghetto bedeutsame Bekanntmachungen: die Verpflichtung jüdischer Personen zum Tragen von Armbinden, die Verpflichtung zur Kennzeichnung jüdischer Geschäfte, die Erschießung der 53 Männer aus der Nalewkistraße 9.37 Am 1. Dezember 1939 notiert er, dass eine Frau ihn als Mörder bezeichnet habe. Czerniaków war fast von Anfang an das Objekt der Angriffe, und von hier zieht sich eine Linie konsequent bis zu den Beschuldigungen der Überlebenden und in der Sekundärliteratur noch Jahrzehnte nach dem Krieg weiter, mit dem hier noch latenten, später immer offener werdenden Vorwurf, Czerniaków habe versagt. Dagegen steht die Frage, die er selbst an jenem 28. November verzweifelt notierte: »Was hätte ich denn für sie tun können.«38 Zum letzten Mal kam das Geschehen am 11. April 1940 zur Sprache, als endlich die Leichname doch noch herausgegeben wurden. Die Angehörigen baten Czerniaków um die Zuteilung von Einzelgräbern. Das Einzelgrab war das letzte Zeichen der Würde, während die Beerdigung im Sammelgrab als Verlust an Würde empfunden wurde.39 Als das Massensterben durch Hun36 37 38 39
Das ganze Geschehen ist unter dem 28. November 1939 notiert, ebd. Vgl. ebd., S. 20. Ebd., S. 19, Eintrag vom 28. November 1939. Vgl. auch den Bericht vom 10. Januar 1940 über eine Sängerin, die den Leichnam eines geliebten Kollegen aus einem Gemeinschaftsgrab herausholte und ihn in einem Einzelgrab beerdigte, ebd., S. 32.
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ger und Seuchen einsetzte, zeigte sich die nächste Stufe der Entwürdigung, als Leichen nicht mehr bedeckt werden konnten und nackt beerdigt werden mussten.40 Czerniaków erreichte es, dass alle Opfer aus der Nalewkistraße 9 auf dem jüdischen Friedhof in Praga einzelne Gräber erhielten.41 Der Tausch der Schaffelle gegen Menschen
Am 23. Dezember 1941 notierte Czerniaków eine gewisse Unruhe über das Verhalten der Deutschen. Vermutlich war ihm die katastrophale Lage der Wehrmacht in Russland bekannt geworden, und er regte mit einer Spur von Optimismus im Gespräch mit Auerswald an: »vielleicht sei es an der Zeit, die Einstellung gegenüber den Juden zu ändern.«42 Tatsächlich hat die Lage an den Fronten das Schicksal der jüdischen Bevölkerung nie positiv, aber immer negativ beeinflusst. Man kann davon ausgehen, dass der Rückschlag der Wehrmacht vor Moskau im Herbst 1941, der signalisierte, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war, auch die Berliner Entscheidung zum Völkermord beeinflusst hat.43 Dass die deutsche Ostfront im Dezember 1941 nicht völlig zusammenbrach, lag an Hitlers »Haltebefehl«. Die Wehrmacht war aber auf den russischen Winter nicht vorbereitet. Überall im Reich wurde warme Kleidung gesammelt und am 24. Dezember 1941 wurden auch die Einwohner des Warschauer Ghettos aufgefordert, ihre gesamte Pelzkleidung innerhalb weniger Tage abzuliefern. Drei Tage später kamen die Forderungen nach weiterer warmer Kleidung und nach Stiefeln dazu. Das Ghetto wurde also ausgeraubt, und zwar zum Beginn eines Winters, der sehr hart werden würde.44 Es mag absurd klingen, dass für die abgelieferten Pelze Quittungen ausgestellt wurden,45 denn es war klar, dass sie nie zurückgegeben und auch nie bezahlt würden. Dennoch hatten die Quittungen ihren Sinn: Wer bei den folgenden Razzien keine Quittung vorzeigen konnte, stand im Verdacht, seine Pelze nicht abgeliefert, sondern versteckt zu haben. Hier wird auch deutlich, dass die Deutschen sich die Pelze geholt hätten, wären sie nicht abgeliefert worden, und dass die Kooperation ähnlich wie bei der Gestellung der Arbeitskräfte tatsächlich geschah, um ein 40 41 42
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Vgl. ebd., S. 205, Eintrag vom 20. November 1941. Vgl. ebd., S. 61, Eintrag vom 11. April 1940. Ebd., S. 211, Eintrag vom 23. Dezember 1941. Im Dezember waren außerdem die USA in den Krieg eingetreten. Nicht nur, weil alle mehr oder weniger fiktiven Umsiedlungspläne (Madagaskar-Projekt, NiskoProjekt) angesichts der Kriegslage illusorisch geworden waren, sondern weil sich angesichts der Erkenntnis, dass auch dieser Krieg verloren gehen würde, die ganze Brutalität der deutschen rassistischen Überlegenheitsideologie gegen die einzige Menschengruppe richtete, die man besiegen konnte. Wir wissen nicht, ob Czerniaków auf eine militärische Niederlage Deutschlands gebaut hat, aber er vermerkt resigniert die deutschen Erfolge im Frühjahr 1942 in Afrika und in Russland. Am 2. Januar 1942 notierte Czerniaków eine Temperatur von -15 bzw. -20 Grad, Czerniaków, Im Warschauer Getto, S. 214. Vgl. ebd., S. 212, Eintrag vom 27. Dezember 1941.
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direktes Eingreifen der Deutschen zu vermeiden. Am 5. Januar 1942 war die Pelzsammlung beendet. Czerniaków bat für die Ablieferungen um eine Entschädigung, Auerswald meinte, dass er »vielleicht ein Sonderkontingent an Lebensmitteln bewilligen könne«.46 Czerniaków aber präsentierte am 7. Januar eine andere Idee. Er bat um die Freilassung der im Gefängnis innerhalb des Ghettos Inhaftierten. Es ist nicht anzunehmen, dass die deutsche Seite diese Bitte ernst genommen hätte, wenn sie nicht selbst eine neue Forderung gehabt hätte, deren Erfüllung diesmal nicht einfach zu erzwingen war. Da die bisher eingegangenen warmen Kleidungsstücke nicht ausreichten, wurde zwei Tage später, am 9. Januar, von Czerniaków für die in Aussicht gestellte Freilassung der Gefangenen die Ablieferung von 1.500 Schafspelzen innerhalb einer Woche – die Frist wurde dann einmal verlängert – verlangt. Czerniaków kämpfte nun um das Geld, mit dem innerhalb und außerhalb des Ghettos Pelze und Felle aufgekauft werden konnten, und um die freiwilligen Arbeitskräfte in den Kürschnerwerkstätten, die sie für die Deutschen aufbereiteten. Am 27. Januar hatte er die 1.500 Felle zusammen. Die Deutschen spielten dabei mit ihm Katz und Maus und ließen nie einen Zweifel an seiner Abhängigkeit. Entlassungen wurden mehrfach angedeutet, aber immer wieder verschoben. Listen der Inhaftierten wurden verlangt, aber dann nicht bearbeitet. Auch die mögliche Entlassung einzelner Inhaftierter hätte allerdings nur die Funktion gehabt, die Illusion Czerniakóws weiter aufrecht zu erhalten und die Pelze zu bekommen. Für die Deutschen galt als Regel in diesem »Tauschgeschäft«, dass sie für jeden Freigelassenen jederzeit neue Personen inhaftieren konnten. Gründe hätten sie immer gefunden, aber sie benötigten keine Gründe. Das nahezu tägliche Ringen hat für die Leser des Tagebuchs zwei Höhepunkte. Der eine besteht in Auerswalds Feststellung, er sei zwar inzwischen vom Gouverneur des Distrikts Warschau47 bevollmächtigt worden, die Gefangenen freizulassen, fürchte aber, dass dann in den Akten des zuständigen Staatsanwalts ein Chaos entstünde.48 Man kann darin den Gipfel an Verhöhnung sehen. Man sollte darin aber eher ein zentrales Motiv deutschen bürokratischen Handelns sehen, dem die Ordnung in den Akten wichtiger war als Freiheit oder Leben einzelner Menschen. Die Verhungerten auf den Straßen des Ghettos konnte ein deutscher Verwaltungsbeamter ertragen, Unordnung in den Akten nicht. Den zweiten Höhepunkt markiert die Antwort Czerniakóws auf Auerswalds Klage darüber, wie angeblich kompliziert die Arbeit der Freilassung der Häftlinge sei: »Ich sagte, er solle seine Rechnung vor allem mit Gott machen.«49 Bis heute bewundert man den Mut, mit dem der täglich beleidigte und gedemütigte Obmann des Warschauer Judenrates in diesem Moment seine unangreif46 47 48
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Ebd., S. 215, Eintrag vom 7. Januar 1942. Dr. Ludwig Fischer, hier nicht genannt. Vgl. Czerniaków, Im Warschauer Getto, S. 228, Eintrag vom 19. Februar 1942; Czerniaków verwendet das deutsche Wort »Staatsanwalt«. Ebd., S. 231, Eintrag vom 26. Februar 1942. Unerklärlicherweise wird das polnische »z Bogiem« (»mit Gott«) des Originals in der englischen Ausgabe mit »the voice of his conscience« übersetzt.
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bar überlegene Würde demonstrierte. Am 11. März gelang es Czerniaków, 151 Häftlinge aus dem jüdischen Gefängnis freizubekommen. Sie wurden auf der Straße von einer Menschenmenge erwartet. Sechs Tage später wurden ihm Fotografien dieses Geschehens übergeben. Im Laufe der gesamten Geschichte des Ghettos hat Czerniaków wenig erreicht, und doch war die Freilassung ein Erfolg, der sogar im Bild festgehalten wurde: »Auf den Photographien ist die Freude sogar der versammelten Menschenmenge zu sehen. Zum ersten Mal sehe ich das Ghetto lächeln. Auf dem Gesicht eines freigelassenen Häftlings.«50 Einen Tag später, am 18. März 1942, notierte Czerniaków die »Aussiedlung« von 90.000 Menschen aus Lwów.51 Die Kinder
Am 19. Januar 1942 notierte Czerniaków, dass Kommissar Auerswald »nach Berlin gerufen wurde«.52 Wir kennen den Zusammenhang: die später so genannte Wannsee-Konferenz vom 20. Januar, und man kann davon ausgehen, dass Auerswald seit diesem Zeitpunkt wusste, dass die Warschauer Juden noch im gleichen Jahr ermordet werden sollten. Czerniaków kannte den Zusammenhang nicht, war aber zutiefst beunruhigt. Unmittelbar danach vermehrten sich im Ghetto die Gerüchte über so genannte »Aussiedlungen«. Immer deutlicher schwang bei diesem Begriff die Bedeutung »Deportation in den Tod« mit. Czerniaków erwähnte sie nicht, aber seine wachsende Verunsicherung verrät, dass er wusste, was »Aussiedlung« bedeutete. Parallel zu dieser Unruhe im Ghetto lässt sich eine auffällige Veränderung in Czerniakóws Handeln erkennen. Das Schicksal der Kinder rückte plötzlich in den Mittelpunkt seines Interesses. Der Kinder, die einerseits die Hoffnung eines Volkes sind, andererseits aber zu den Schwächsten und deswegen am meisten Schutzbedürftigen zählen. Dies galt noch mehr für die Kinder im Ghetto, und dort am meisten für die Waisenkinder, deren Schicksal Czerniaków immer wieder beschäftigte. Es tauchen neue Zielsetzungen auf. Czerniaków wollte im Ghetto Gärten für die Kinder einrichten, die außer den Straßen, Mauern und engen Wohnungen nichts kannten. Er schilderte am 7. Juni 1942 seine Freude über die feierliche Einweihung des ersten dieser Gärten, der gegenüber seinem täglichen Arbeitsplatz in der Gemeinde lag: »Der Garten wurde den Kindern von Kindern übergeben. 2 männliche und eine weibliche Delegierte verkündeten dies feierlich in polnischer, jiddischer und hebräischer Sprache. Ich redete 2 mal. Die Feier machte einen großen Eindruck auf die Versammelten. Balsam auf die Wunden! Das Lächeln der Straße!«53 Es ist das zweite Mal, dass Czerniaków das Lächeln erwähnte. In der gleichen Zeit ordnete er Razzien in Luxusläden und Restaurants an, die sich die Ghetto-Elite immer noch leistete. Czerniaków 50 51
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Ebd., S. 236, Eintrag vom 17. März 1942. Seit dem 1. August 1941 war Galizien mit der Hauptstadt Lemberg (polnisch: Lwów) als 5. Distrikt dem Generalgouvernement zugeordnet worden. Czerniaków, Im Warschauer Getto, S. 219. Ebd., S. 263–264, Eintrag vom 7. Juni 1942.
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ging es nicht um einen Klassenkampf von oben – er konnte die sozialen Gegensätze im Ghetto nicht ausgleichen –, sondern darum, die Kinder mit etwas zu beschenken, zu dem sie nie Zugang hatten und zu dem sie nie Zugang haben würden.54 Am auffälligsten war aber sein Wunsch, die Kinder in den Gärten mit Musik zu beglücken. Es sei noch einmal die Eröffnung des ersten Gartens erwähnt: »Das Orchester spielte unter Leitung von Kataszek, Chöre sangen, und Kinder aus den Ratsschulen führten Tänze und Gymnastikübungen vor.«55 Dass bei der Eröffnung neuer Gärten Orchester spielen, ist für Czerniaków so wichtig, dass er dafür sogar einen Konflikt mit der religiösen Fraktion der Gemeindeverwaltung riskiert. Nachdem Anfang Juli 110 Menschen von der Gestapo erschossen worden waren, verlangte die Religionskommission eine mehrwöchige Trauerzeit.56 Dies kann durchaus als Widerstandsform verstanden werden, als Versuch, deutsche Willkür nicht als neue Normalität hinzunehmen, sondern ihr eigene Regeln entgegenzusetzen und auf eigener Identität zu bestehen. Für die Kinder setzte sich Czerniaków darüber hinweg und sah sich dabei in der Rolle des Kapitäns der untergehenden Titanic, der die Jazzband weiterspielen ließ, um den Passagieren Mut zu machen.57 Wir wissen nicht, was Czerniaków wirklich antrieb. Die Rolle als Kapitän auf dem sinkenden Schiff mag für sein Handeln im Jahre 1942 allgemein zutreffen. Seine Haltung den Kindern gegenüber ist damit allerdings nicht adäquat beschrieben. Hier wird ein anderes Motiv sichtbar: dass er alles versuchte, um den Kindern etwas zu geben, winzige Lichtstrahlen in ihre sonst so düstere Existenz zu bringen, über die er sich selbst keinen Illusionen hingab. Nach einer Begegnung mit »seinen« Kindern notiert er die emotional tiefste Sequenz seines Tagebuchs: »Es sind lebendige Knochengerippe, die sich aus Straßenbettlern rekrutieren. Ein Teil von ihnen besuchte mich in der Gemeinde. Sie redeten mit mir wie Erwachsene – achtjährige Bürger. Ich schäme mich zu sagen, dass ich schon lange nicht mehr so geweint habe.«58 Das Schicksal der Kinder war es schließlich, das Czerniaków zuletzt nicht mehr ertrug. Die jüdischen Führungspersönlichkeiten in den Ghettos standen angesichts der deutschen Mordpolitik vor der bis heute traumatisch besetzten Frage: Durfte man einen Teil der Gemeinschaft opfern, wie es die Deutschen verlangten, wenn dem anderen Teil die Perspektive blieb, gerettet zu werden? Die »klassische« Antwort von Maimonides aus dem Mittelalter wurde den Bedingungen der modernen Massengesellschaft nicht mehr gerecht, auf sie konnten sich die Vorsteher der Ghettokollektive nicht berufen. Jakob Gens in Wilna und Mordechai Chaim Rumkowski in Litzmannstadt haben sich für die Auslieferung entschieden. Auch Adam Czerniaków war am 22. Juli 1942 vor diese Frage gestellt. An diesem Tag begannen die Massendeportationen vom »Umschlagplatz« des Ghettos nach Treblinka, die über mehrere Wochen anhalten sollten. 54 55
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Siehe Einträge vom 20. April, 21. und 22. Mai 1942, ebd., S. 245, 256–258. Ebd., S. 263 f., Eintrag vom 7. Juni 1942. Szymon Kataszek (1898–1943) war ein in Polen populärer Musiker, Dirigent und Komponist, u.a. von Schlagern und Filmmusiken. Ebd., S. 273, Eintrag vom 2. Juli 1942. Vgl. ebd., S. 276, Eintrag vom 8. Juli 1942. Ebd., S. 266, Eintrag vom 14. Juni 1942.
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Wir wissen nicht, wie weit er diese Frage durchdachte und welche Alternativen er erwog. Entscheidend war, dass von ihm nicht nur die Auslieferung eines Teils seines Volkes verlangt wurde, sondern explizit die der Kinder: »Das tragischste Problem ist das der Kinder in den Waisenhäusern usw. Ich habe es zur Sprache gebracht – vielleicht lässt sich etwas machen.«59 Es ließ sich nichts machen. Czerniaków hatte weit über das erträgliche Maß hinaus kooperiert. Als er kollaborieren sollte, war für ihn die Grenze erreicht.60 Hier verweigerte er sich, wie es seine letzte erhaltene Aufzeichnung, nicht im Tagebuch, sondern auf eigenem Blatt für den Rat, bezeugt: »Damit ist mein bitterer Kelch bis zum Rand gefüllt, denn ich kann doch nicht wehrlose Kinder dem Tod ausliefern. Ich habe beschlossen abzutreten. Betrachtet dies nicht als einen Akt der Feigheit oder eine Flucht. Ich bin machtlos, mir bricht das Herz vor Trauer und Mitleid, länger kann ich das nicht ertragen.«61 Sein Tod blieb nicht unkommentiert. Emanuel Ringelblum rief ihm hinterher, sein Tod sei zu spät gekommen und nur ein Zeichen von Schwäche.62 Jonas Turkow, ein Überlebender, stellte später Czerniakóws lauteren Charakter heraus, äußerte aber auch die Vermutung: »Vielleicht wäre ein anderer an seiner Stelle unter den gleichen Umständen erfolgreicher gewesen.«63 Marian Fuks, der Herausgeber der polnischen Ausgabe, zählt ihn dagegen unter die großen Märtyrer des Ghettos, neben Janusz Korczak, Mordechai Anielewicz, Szmuel Zigelbojm.64 Man darf zweifeln, ob diese Bewertungen den komplexen Bedingungen gerecht werden, unter denen Czerniaków agieren musste. Zwischen Verurteilung und Glorifizierung scheint das Urteil von Ludwik Hirszfeld, dem ehemaligen Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung, Czerniakóws Persönlichkeit am nächsten zu kommen: »Er stellte sich gern als harter Mann dar, hatte jedoch die empfindliche Seele eines Menschen, der weiß, dass sein Schicksal besiegelt ist, und der sich freiwillig aufopfert. [...] Mit sich selbst hatte er kein Mitleid [...] Doch um das Leben derjenigen, die seiner Obhut anvertraut waren, focht er wie ein Löwe.«65 Wir sollten uns dieses Mannes mit tiefstem Respekt erinnern. 59 60
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Ebd., S. 284, Eintrag vom 22. Juli 1942. Die sprachlich ungenaue Differenzierung von ›Kooperation‹ einerseits und ›Kollaboration‹ andererseits wird von vielen Autorinnen und Autoren in diesem Zusammenhang verwendet, siehe zuletzt Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 16, die wiederum Hilberg zitiert. Czerniaków, Im Warschauer Getto, S. 284. Czerniaków hatte sich mit einer Cyankalikapsel das Leben genommen. Schon 1939 hatte er die Mitglieder des Judenrates darüber informiert, dass er in seinem Schreibtisch 24 solcher Kapseln bereit hielt, siehe Apolinary Hartglas, How did Czerniakow Become Head of the Warsaw Judenrat?, in: Yad Vashem Bulletin 15 (1964), S. 4–7, hier S. 7. Vgl. Fuks, di judenratn-frage, S. 88–89. Zitiert von Israel Gutman in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe des Tagebuchs, Czerniaków, Im Warschauer Getto, S. XIII. Es ist schwer vorstellbar, was Turkow in diesem Zusammenhang unter »Erfolg« versteht. Vgl. Fuks, di judenratn-frage, S. 91. Hirszfeld, Historia jednego z˙ycia, hier zitiert aus dem Vorwort Israels Gutmans in der deutschen Ausgabe des Tagebuchs, Czerniaków, Im Warschauer Getto, S. XII.
Mordechai Chaim Rumkowski im Spiegel der Chronik des Ghettos Litzmannstadt Sprachliche Überlieferung und Inszenierung
von
MONIKA POLIT
Das Ghetto Litzmannstadt (Łód´z) zählte neben denjenigen von Warschau und Krakau zu den größten im besetzten Polen. Zwischen 1940 und 1944 lebten hier zeitweise mehr als 200.000 Menschen, die sukzessive in die Vernichtungslager deportiert wurden. Die Lebensbedingungen im Ghetto Litzmannstadt hat Andrea Löw erst vor Kurzem eindrücklich geschildert.1 Als Forschungsthema stand dieser Ort der nationalsozialistischen Verfolgung lange hinter den Arbeiten zum Fallbeispiel Warschau zurück. Dies hat sich in den vergangenen Jahren maßgeblich verändert. Zu nennen sind hier neben der Dissertation von Löw die Editionsarbeiten der Gießener Forschungsstelle Holocaust, der in deutsch-polnischer Zusammenarbeit die Herausgabe der mehr als 2.000 Seiten umfassenden Ghetto-Chronik gelungen ist.2 Bereits in den sechziger Jahren hatten polnische Forscher den Versuch unternommen, die Ghetto-Chronik zu edieren, scheiterten jedoch nach der Herausgabe der ersten beiden Bände an den politischen Rahmenbedingungen. Für den Zeitraum von Januar 1941 bis Dezember 1942 stellten sie damit jedoch wesentliche Informationen zu den Vorgängen im Ghetto und über Mordechai Chaim Rumkowski (1877–1944), den »Judenältesten«, bereit.3 1
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Vgl. Andrea Löw, Juden im Getto Litzmannstadt. Lebensbedingungen, Selbstwahrnehmung, Verhalten, Göttingen 2006. Siehe auch Isaiah Trunk, The Łód´z Ghetto. A History, Indiana 2006. Vgl. Sascha Feuchert/Erwin Leibfried/Jörg Riecke (Hg.), Die Chronik des Gettos Lodz / Litzmannstadt, 5 Bde., Göttingen 2007 [zitiert im Folgenden: Chronik]. Polnische Ausgabe: Julian Baranowski u.a. (Hg.), Kronika getta łódzkiego/Litzmannstadt Ghetto 1941–1944, Bde. 1–5, Łód´z 2009. Zu den Schwierigkeiten des Editionsvorhabens vgl. Artikel ›Anlaufstelle für Überlebende des Naziterrors‹, in: Gießener Anzeiger vom 8. November 2008. Zu Rumkowski siehe: Monika Polit, Lettres à Mordechai Haïm Rumkowski. Conservées dans les collections des Archives nationales à Lodz. Une sélection de problématiques, in: Revue d´histoire de la Shoah (2006), Nr. 185, S. 227–236; Julian Baranowski, Chaim Mordechaj Rumkowski – kolaborant czy zbawca? [Chaim Mordechaj Rumkowski – Kollaborateur oder Retter?, in: Aleksandra Namysło/Instytut Pamie˛ci Narodowej [Institut des Nationalen Gedenkens] (Hg.), Zagłada Z˙ydów na polskich terenach wcielonych do Rzeszy [Die Vernichtung der Juden in den ins Reich eingegliederten polnischen Gebieten], Warschau 2008, S. 169–175; Joana Podolska, Pardonner n´est pas en notre pouvoir: Haïm Mordechaï Rumkowski. Doyen des Juifs du ghetto de Lodz, in: Revue d’histoire de la Shoah (2006), H. 185, S. 195– 225; Etienne Jaudel,
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Der hier vorliegende Beitrag nimmt die Edition von Lucjan Dobroszycki und Danuta Da˛browska4 zum Ausgangspunkt, um aufzuzeigen, in welcher Weise Rumkowski und sein Wirken in der Chronik geschildert werden. Dazu gehört auch, deren Entstehungskontext zu berücksichtigen sowie den Einfluss, den Rumkowski während der ersten Phase seiner Amtszeit auf die Darstellung seiner Person genommen haben könnte, herauszuarbeiten. Das Augenmerk wird auf sprachliche Formen gelegt, in denen sich die (Selbst-)Inszenierung Rumkowskis spiegelt und die – so die These – einen manipulativen, propagandistischen Charakter aufweisen. Die These ist nicht neu, verdient aber eine vertiefte und differenzierte Beachtung. Philip Friedman hielt die Organisation der Propaganda, zu der er auch die Erstellung der Kronika Getta Łódzkiego zählte, für eine Perle in der Krone der Herrschaft Rumkowskis.5 Der Herausgeber der polnischen Erstedition, Lucjan Dobroszycki, beurteilte die zu vermutende Selektion der Informationen vorsichtiger: »Die Chronisten haben alle Erfolge im Ghetto sehr sorgfältig beschrieben, aber alle Niederlagen haben sie berücksichtigt.«6 Letztendlich stellte er fest, dass die Chronik mit einer Fülle an Informationen zukünftigen Forschern ein erschütterndes Bild der Verfolgung und Ausrottung der Juden im Ghetto von Łód´z vermittelt.7 Isaiah Trunk hielt sie für eine Quelle, mit deren Hilfe die interne Geschichte des Ghettos untersucht und beschrieben werden könne.8 Nach Arnold Mostowicz lässt das in ihr versammelte Material »keinen Zweifel aufkommen, […] wenn es um das Schicksal der im Ghetto eingeschlossenen Juden geht«.9 Die Autoren stimmten mit Dobroszycki darin überein, dass die Fakten für sich sprächen, vorausgesetzt, es gelänge dem Leser, die Chronik richtig zu lesen und zu interpretieren.10
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La malédiction du pouvoir. L’ histoire tragique de Mordechaï Chaïm Rumkowski président du Conseil juif du ghetto de Lodz, Paris 2005; Michal Unger, Reassessment of the Image of Mordechai Chaim Rumkowski, in: Search and Research. Lectures and Papers 6, Jerusalem 2004; Shmuel Huppert, King of the Ghetto: Mordecai Haim Rumkowski. The Elder of Lodz Ghetto, in: Yad Vashem Studies 15 (1983), S. 125–157; Lucille Eichengreen, Rumkowski, der Judenälteste von Lodz. Autobiographischer Bericht, Hamburg 2000; sowie den Dokumentarfilm von Peter Cohen, The Story of Chaim Rumkowski and the Jews of Lodz, POJ Filmproduction AB/ Swedish Television, 1983. Lucjan Dobroszycki, Wste˛p do Kroniki getta łódzkiego [Einführung in die Łód´zer GhettoChronik], in: Lucjan Dobroszycki/Danuta Da˛browska (Hg.), Kronika getta łódzkiego [Die Łód´zer Ghetto-Chronik], 2 Bde., Łód´z 1965/1966, Bd. I, S. VIII. Siehe auch die gekürzte englische Ausgabe: Lucjan Dobroszycki (Hg.), The Chronicle of the Lodz Ghetto 1941–1944, New Haven 1984. Vgl. Philip Friedman, Pseudo-Savivors in the Polish Ghettos: Mordechai Chaim Rumkowski of Lodz, in: ders., Roads to Extinction. Essays on the Holocaust, New York 1980, S. 333–352, hier: S. 340. Wörtlich heißt es: »The ›crowning gem‹ in Rumkowski’s government was the organization of propaganda in support of the chairman«. Dobroszycki, Wstep, Kronika, Bd. I, S. X. Vgl. ebd., S. XV. Izaiah Trunk, Lodz˙er geto, New York 1962, S. XI–XIII. Arnold Mostowicz, Łód´z, moja zakazana miło´sc´ [Łód´z, meine verbotene Liebe], Łód´z 1999, S. 37–39. Vgl. Dobroszycki, Wste˛p, Kronika, Bd. I, S. XV.
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I. Zum Entstehungskontext der Chronik Am 17. November 1940 gab Rumkowski die Direktive aus, in der Verwaltung des »Judenältesten« eine Archivabteilung zu gründen.11 Sie wurde als fünfte Unterabteilung dem Amt für Statistik angeschlossen. Die Archivgründung war im Gegensatz zu anderen Abteilungen, die auf Anordnung der deutschen Besatzungsbehörden entstanden waren, eine Initiative der jüdischen Verwaltung. Sie ging auf die Idee eines der engsten Mitarbeiter Rumkowskis, Henryk Neftalin (1885–1944),12 zurück. Obwohl die deutsche Ghettoverwaltung über die Existenz des Archivs informiert war und Teile der gesammelten Dokumente an das Statistische Amt der deutschen Besatzungsverwaltung übergeben werden mussten, versuchte man dessen Arbeit für die deutschen Behörden möglichst intransparent zu halten. Der einzige überlebende Archivar, Bernard Ostrowski (*1908), äußerte nach dem Krieg: »Der archiv iz gefirt gevorn halbkonspirativ.«13 Ein weiterer Mitarbeiter, Dr. Oskar Singer, vermerkte auf den während der deutschen Besatzung angefertigten Karten zu einer Enzyklopädie des Ghettos, dass sich die Tätigkeit der Abteilung in aller Stille vollziehe und man auch gegenüber der Bevölkerung Stillschweigen wahre.14 Zur Tarnung der Archivabteilung wurde sie in isoliert gelegenen Zimmern mit gesondertem Eingang untergebracht. Seinen Stammsitz erhielt sie in der Miodowa 4, einen weiteren Standort auf dem Plac Ko´scielny 4. Die Mitarbeiter rekrutierte Rumkowski auf Empfehlung von Neftalin aus der jüdisch-polnischen Intelligenz der Vorkriegszeit, darunter Journalisten und Schriftsteller, wie zum Beispiel Józef Zelkowicz (1897–1944),15 Julian Stanisław Cukier-Cerski (1900–1943),16 oder aber der Ingenieur Ostrowski sowie der Prokurist Dr. Józef Klementynowski (1892–1944), der erste Leiter des Archivs. Als Juden aus dem Deutschen Reich und dem ›Protektorat Böhmen und Mähren‹ in das Ghetto deportiert wurden, kamen unter anderem der durch wirtschaftshistorische 11
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Vgl. Sascha Feuchert, Einleitung, in: ders., Erwin Liebfried/Jörg Riecke (Hg.), Letzte Tage. Die Łódzer Getto-Chronik Juni/Juli 1944, Göttingen 2004, S. 7–42, hier: S. 25 f., Anm. 47. Der Rechtsanwalt Neftalin leitete nacheinander das Amt für Statistik, das Standesamt und das Rabbinat. Als Initiator des Archivs ist er durch den Bericht von Bernard Ostrowski aus dem Jahr 1947 belegt. Bericht Ostrowski, Archiwum Z˙ydowskiego Instytutu Historycznego w Warszawie [Archiv des Jüdischen Historischen Instituts Warschau, AZ˙IH], Signatur 301/2841 (handschriftliche Abschrift in jiddischer Sprache). Bericht Ostrowski, AZ˙IH, 301/2841, Bl. 3. Nach dem Krieg emigrierte Ostrowski zusammen mit seiner Frau nach Israel. Vgl. Oskar Singer, AZ˙IH, Getto-Enzyklopädie, Karten 13 und 15. Zu Singer siehe Sascha Feuchert, Oskar Rosenfeld und Oskar Singer. Zwei Autoren des Lodzer Gettos. Studien zur Holocaustliteratur, Frankfurt a.M. 2004. Von der Existenz des Archivs wussten nur Wenige, darunter einige Beamte und Schriftsteller. Vgl. Bericht Ostrowski, AZ˙IH, 301/2841, Bl. 4. Vgl. Monika Polit, Józef Zelikowicz – reporter w łódzkim getcie. Mie˛dzy prywatno´scia˛ a oficjalno´scia˛ [Józef Zelikowicz – Reporter im Ghetto Łód´z. Zwischen Privatsphäre und Offizialität], Arbeitspapier, Warszawski Kongres Judaistyczny [Warschauer Judaistischer Kongress] vom 16.–18. Juni 2008, unter http://www.wkj.ihuw.pl/wkj/index.php?page=sekcja-dzienpowszedni-zaglady [9.3.2009]. Der Publizist Cukier-Cerski war bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs für die Zeitung Republiki in Łód´z tätig.
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Publikationen ausgewiesene Dr. Bernard Heilig (1902–1943), der Literat Dr. Oskar Rosenfeld (1884–1944)17 und eben Singer, der das Archiv ab 1943 leitete, hinzu. Unter den zehn bis fünfzehn Archivmitarbeitern gab es keine ausgebildeten Historiker und Archivare. Die Aufgabe der Archivmitarbeiter bestand darin, Materialien sowohl aus bereits aufgelösten Ghettos als auch aus den noch bestehenden zu sammeln.18 Ihnen wurde Zutritt zu allen Institutionen des Judenrates gewährt, mit Ausnahme der von der Sekretärin Dora Fuchs geführten Kanzlei Rumkowskis am Bałucki Markt, in der unter anderem die Briefwechsel der »Selbstverwaltung« mit der deutschen Ghettoverwaltung und der Gestapo aufbewahrt wurden. Singer sah die Hauptschwierigkeit einer genauen Berichterstattung darin, dass aus dem Büro Rumkowskis nahezu nichts zu erfahren gewesen sei und wichtige Unterlagen unter Verschluss geblieben seien. Der »Judenälteste« selbst habe sich in allen politischen Belangen äußerst zurückhaltend und schweigsam verhalten und sei kritischen Fragen mit stereotypen Antworten ausgewichen.19 Stattdessen schien es Ostrowski, als sei das Archiv vornehmlich zu dem Zweck gegründet worden, Rumkowskis angebliche Errungenschaften und Verdienste zu belegen.20 So ist anzunehmen, dass Rumkowski den Archivmitarbeitern Unterlagen vorenthielt, die seine Kontakte mit den NS-Behörden in ein schlechtes Licht hätten rücken können.21 Stattdessen scheint er Wert darauf gelegt zu haben, dass ihn die Materialien als guten und fürsorglichen ›Führer‹ des Ghettos auswiesen. Sie mussten daher einer speziellen »Zensurkommission«22 vorgelegt werden, der neben Neftalin auch Dr. Abraham Szalom Kamieniecki (1874–1943)23 und Mojz˙esz (Mosze) Karo (1893–1945)24 angehörten. Die Kommission hatte die Erzeugnisse der Archivangehörigen zu überarbeiten, bevor sie archiviert wurden. Folgerichtig lassen viele Dokumente handschriftliche Streichungen und Berichtigungen erkennen. Das gilt auch für die von den Archivaren erstellten Karten der Enzyklopädie des Ghettos und die Chronik des Ghettos. Im Folgenden soll herausgearbeitet werden, wie Person, Rolle und Programm Rumkowskis in der Chronik25 dargestellt wurden. Ein erster Teil des 17
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Heilig und Rosenfeld wurden 1941 von Prag nach Łód´z deportiert. Heiligs Todesanzeige findet sich in der Chronik, vgl. Feuchert/Leibfried/Riecke, Die Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt, 1943, S. 284 f. Rede zum Jahrestag der Gründung des Amtes für Statistik, Archiwum Pa´nstwowe w Łodzi, Przełoz˙ony Starsze´nstwa Z˙ydów w Getcie Łód´zkim [Staatsarchiv Łód´z, Bestand: Der Älteste der Juden im Ghetto Łód´z], im Folgenden APŁ, PSZ˙, Nr. 1096, Bl. 93. Vgl. Oskar Singer, Archiwum, AZ˙IH Getto-Enzyklopädie, 205/311, Bl. 15. Vgl. Bericht Ostrowski, in: AZ˙IH, 301/2841, Bl. 1. Feuchert bemerkt, dass sich über die Gründe nur spekulieren lasse. Vgl. ders., Zur Entstehung und Überlieferung der Getto-Chronik Lodz/Litzmannstadt, in: Spiegel der Forschung 25 (2008), S. 26–35, hier: S. 30. So der Begriff von Singer unter dem Stichwort »Archiwum« in der Getto-Enzyklopädie. Der Journalist, Talmudist und Hebraist Kamieniecki leitete die Schulabteilung des Ghettos bis zu ihrer Auflösung. 1942 begann er seine Tätigkeit im Archiv. Vgl. Singer, Archiwum, Bl. 14 f. Der zionistische Aktivist Karo gehörte dem Präsidium der Schulabteilung bis zur Auflösung derselben an. Der hier vorliegende Artikel wurde vor Erscheinen der Neuedition (vgl. Anm. 2) verfasst. Gearbeitet wurde mit der polnischen, zweibändigen Ausgabe, die – herausgegeben von Lucjan
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im Original mehr als 2.000 Seiten umfassenden Gesamtwerkes lag bereits am 12. Januar 1941, nicht einmal zwei Monate nach der Archivgründung, vor und setzte sich aus statistischen Angaben, beispielsweise über das Wetter, die Geburten, die Todesfälle, das kulturelle Leben und die Deportationen sowie längeren Texten, den so genannten Bulletins, zusammen. Bis zum 1. September 1942 wurden die Bulletins (Biuletyn Kroniki Codziennej) in polnischer Sprache unter der Leitung von Cukier-Cerski verfasst. Aus dem letzten Quartal des Jahres liegen eine polnische und eine deutsche Version vor. Die deutsche Tageschronik, deren Chefredaktion der Prager Schriftsteller Singer übernahm, wurde bis zum 30. Juli 1944 geführt. Die Versionen wurden eigenständig von verschiedenen Bearbeitern verfasst. Folgerichtig finden sich unterschiedliche Gewichtungen, jedoch nur selten widersprüchliche Angaben oder Beurteilungen. Die Ausgaben unterscheiden sich im Layout, in der thematischen Abfolge, im Stil und einigen unwesentlichen Textverschiebungen zwischen Kladde und Reinschrift. In der Chronik fehlen gegenüber der Tageschronik vereinzelt Tageseinträge. Es finden sich weder Anzeichen dafür, dass die Chroniken oder andere Texte im Ghetto in Umlauf gerieten noch dafür, dass die deutsche Ghettoverwaltung über die Arbeit an den Chroniken informiert war. Dobroszycki geht davon aus, dass das Wissen um die Tätigkeit den Kreis der Eingeweihten nicht verließ,26 Trunk hingegen vermutet einen halboffiziellen Status.27 Auf den geheimen Charakter der Chroniken weisen zudem, wenn auch widersprüchlich, ehemalige Ghettobewohner hin. Lucille Eichengreen, Singers Sekretärin, gab in ihren Erinnerungsberichten an, dass die Deutschen keinerlei Kenntnis über die Chronik gehabt hätten: »Ab und zu schauten bei uns die Leute von Rumkowski vorbei, auch die Deutschen, und sagten ›Wir hoffen, dass wir irgendwas hier finden werden‹. Das war nicht angenehm. Aus den Fenstern des Archivs konnte man den Sitz der Kripo sehen. Sie haben nichts gefunden.«28 Dagegen vertritt der Arzt und Literat Arnold Mostowicz
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Dobroszycki und Danuta Da˛browska – 1965 in Łód´z erschien. Sie umfasst den Zeitraum vom Januar 1941 bis Dezember 1942. Die redaktionelle Bearbeitung der deutschen Übersetzung übernimmt in der Zitierung auch die entsprechenden Stellen der Neuedition. Zur Geschichte des polnischen Editionsvorhabens siehe Krystyna Radziszewska, Wege der polnischen Forschung zur Erschließung des Getto-Materials. Stationen und Beschreibung von Archivalien, in: Spiegel der Forschung 25 (2008), H. 1, S. 16–23, http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2008/6082/pdf/SdF-2008-01-16-23.pdf [3.3.2009]; Sascha Feuchert, Die Getto-Chronik: Entstehung und Überlieferung. Eine Projektskizze, in: Chronik, Supplemente und Anhang, Göttingen 2007, S. 166–190, hier: S. 185 ff. Vgl. Dobroszycki, Wste˛p, Kronika, Bd. I, S. VIII. Vgl. Trunk, lodsher geto, S. XII f. Vgl. Krzysztof Wo´zniak, Bez Niemców nie byłoby Rumkowskiego. Wywiad z Lucille Eichengreen [Ohne die Deutschen hätte es Rumkowski nicht gegeben. Interview mit Lucille Eichengreen], in: Tygiel Kultury (2002), Nr. 1–3, S. 121. In dem Begleittext zur Sammlung von Singers Reportagen findet sich eine gegensätzliche Aussage. Demnach soll Eichengreen davon überzeugt gewesen sein, dass zumindest der Leiter der deutschen Ghettoverwaltung, Hans Biebow, durch Spitzel über die Chronik informiert war. Vgl. Oskar Singer, Przemierzaja˛c szybkim krokiem getto [Mit schnellen Schritten durch das Ghetto], hrsg. vom Archiwum Pa´nstwowe w Łodzi [Staatsarchiv Łód´z], Łód´z 2002, S. 16. Lucille Eichengreen kam 1925 unter dem Namen Cecilie Landau in Hamburg zur Welt, 1941 wurde sie nach Łód´z deportiert und und überlebte als einziges Mitglied ihrer Familie. Nach dem Krieg emigrierte sie nach Kalifornien, wo sie 1999
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die feste Meinung, dass die Deutschen gut informiert gewesen seien. Seiner Ansicht nach haben die Autoren die Chronik so geführt, dass die Deutschen nichts hätten beanstanden können.29 So fehlen Angaben über den Verlauf des Zweiten Weltkrieges und über die deutschen Besatzer. Ostrowski verweist auf die Vorgänge der Selbstzensur: Man habe in den Bulletins weder über die Tätigkeiten der Deutschen schreiben noch Kritik an Rumkowski üben dürfen, da dieser immer eine Kopie der festgehaltenen Ereignisse erhalten habe. Seiner Aussage nach scheint die Zensurkommission zur Zufriedenheit des »Judenältesten« gearbeitet zu haben.30 Die Loyalität reichte bis hin zu übertriebenem Lob. Jakub Pozna´nski ging in seiner zeitgenössischen Beurteilung so weit, zu behaupten, dass in der Chronik nichts außer Lobhymnen auf den Vorsitzenden sowie einige statistische Angaben aufgezeichnet seien.31
II. Das Bild Rumkowskis Der Vorsitzende als Führer: Die Person Rumkowski findet in jeder Nummer des Bulletins Erwähnung. Bezeichnungen wie »Herr Vorsitzender«, »Der Vorgesetzte der Judenältesten«, »Vorsitzender Rumkowski« oder »Der Ghettovorgesetzte« heben hervor, dass er die zentrale Persönlichkeit des Ghettos war. Seine Person und seine Aktivitäten werden ausschließlich beschönigend beschrieben.32 Danach scheint Rumkowski über ein großes Arsenal geistiger Fähigkeiten verfügt zu haben, die ihn in die Lage versetzten, im Ghetto »königliche« Macht auszuüben.33 Seine Ratschläge wurden von den Abteilungsleitern
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eine in ihre persönlichen Erinnerungen eingebettete Abrechnung mit Rumkowski (Rumkowski and the Orphans of Lodz, San Francisco 2000; deutsch: Rumkowski, der Judenälteste von Lodz. Autobiographischer Bericht, Hamburg 2000) verfasste. Vgl. Mostowicz, Łód´z, moja zakazana miło´sc´ , S. 37. Siehe auch den Zeitzeugenbericht: Arnold Mostowicz, Es war einmal ein König, in: Hanno Loewy/Gerhard Schoenberner, »Unser einziger Weg ist Arbeit«. Das Ghetto in Łód´z 1940–1944, Frankfurt a.M. 1990, S. 41–44. Zu dem Journalisten und Schriftsteller Mostowicz (1914–2002) siehe auch Joanna Podgórska, Z˙yd, wieczny Polak. Podwójna toz˙samo´sc´ Arnolda Mostowicza [Ein Jude, der ewige Pole. Die doppelte Identität von Arnold Mostowicz], in: Polityka, Nr. 14 (2292) vom 7. April 2001. Vgl. Bericht Ostrowski: AZ˙IH, 301/2841, Bl. 2. Vgl. Jakub Pozna´nski, Dziennik z łódzkiego getta [Tagebuch aus dem Ghetto Łód´z], Warszawa 2002, S. 90. Eintrag vom 26. Juli 1943. Zweifel am Vorgehen des Vorsitzenden oder seinen Anordnungen vermerken die Chronisten nur in graphischer Abweichung vom sonstigen Text. Möglicherweisen sind es Nachträge. Selbst hier finden sich keine Aussagen zur Korruption oder anderen drängenden Problemen, die auch Rumkowski nicht zu bewältigen wusste. Siehe beispielsweise die Einträge vom 14. Mai 1942 (Kronika, Bd. I, S. 549/Chronik 1942, S. 187) und vom 2. Juli 1942 (Kronika, Bd. II, S. 107/ Chronik 1942, S. 339). Alicja de Buton vermerkte: »Der Vorsitzende – der repräsentative ältere Herr mit grauen Haaren, ist ihr König, und die aus allen Seiten zusammengezogene Menge sind seine Untertanen.« Alicja de Buton, Drobny przekrój Getta [Kleiner Überblick über das Ghetto], APŁ, PSZ˙, Nr. 1101. Zu Alicja de Buton, auch Alice Chana de Buton (*1901), siehe: Arbeitsstelle HolocaustLiteratur, Porträts der wichtigsten Chronisten der Getto-Chronik, unter http://www.holocaustliteratur.de/index.php?content=58 [3.3.2009].
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des Judenrats geschätzt34 und seine Talente öffentlich gewürdigt.35 Selbst Besucher des Ghettos hätten die Wahrnehmung der Ghettobevölkerung geteilt und ihrer Bewunderung über das Talent des Ghettovorstehers Ausdruck verliehen, so zum Beispiel bezüglich der Organisation der Krankenversorgung.36 Rumkowski wird als energischer Mensch von eiserner Ausdauer und unbegrenzter Energie geschildert. In seiner Funktion als Verantwortlicher für das Ghetto habe er Initiative ausgestrahlt und Innovationen eingeführt, zudem sei er ein herzlicher Gastgeber gewesen. Überliefert ist, dass er sich selbst gern als Gesetzesund Ordnungshüter präsentierte. So habe er zu sagen gepflegt: »Ich selbst bin nichts anderes als nur ein aufrichtiger und wachsamer Wächter«,37 »[…] ich bin ein Soldat auf seinem Posten, ich bin der Kapitän auf einem Schiff.«38 Der Vorsitzende als Wohltäter und Auserwählter Gottes: Viele Einträge der Bulletins beschreiben Rumkowski als Wohltäter oder Vaterfigur. So präsentierte er sich beispielsweise mit tanzenden Kindern, an die er mit gebefreudiger Hand bei öffentlichen Anlässen Brot und Bonbons verteilte.39 Die Geste des öffentlichen Verteilens wird an mehreren Stellen beschrieben So berichtet die Chronik, dass Rumkowski zu besonderen Feiertagen unter der Bevölkerung beispielsweise zusätzliche Lebensmittelrationen verteilt habe,40 unter anderem anlässlich seiner eigenen Hochzeit. Dort sollen aber nicht nur Lebensmittel verteilt worden sein, wie aus dem Bulletin vom 26. bis 28. Dezember 1941 hervorgeht, sondern auch 1.000 Holzpantoffeln für Bedürftige.41 Obwohl Rumkowski die Stellung als »Judenältester« von den deutschen Besatzungsbehörden zugewiesen worden war, legitimierte er seine Rolle im Sinne traditionaler Herrschaft mit einem Eingreifen Gottes.42 Der Historiker Emanuel Ringelblum hielt in seinem Tagebuch nach einem Besuch Rumkowskis in Warschau43 ebenfalls fest, dass Rumkowski meine, er sei »ein Auserwählter Gottes«.44 Die Chronik berichtet, dass er in einer Rede vor den 34 35
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Vgl. Eintrag vom 1. März 1941, Kronika, Bd. I, S. 63/Chronik 1941, S. 71 (Tagesbefehl Nr. 35). Vgl. Bulletin Nr. 7 vom 14.–31. Januar 1942, Kronika, Bd. I, S. 396/Chronik 1942, S. 47 (Sonderbericht). Vgl. ebd., Kronika, Bd. I, S. 393/Chronik 1942, S. 40–50. Ebd., Eintrag vom 14.–31. Januar 1942. Kronika, Bd. I, S. 400/Chronik 1942, S. 50. Ebd., Eintrag vom 2. März 1942, Kronika, Bd. I, S. 442/Chronik 1942, S. 87. Die Chronik hebt wiederholt die besondere Fürsorge Rumkowskis für Kinder hervor, so zum Beispiel bei der Aufrechterhaltung des Schulwesens. Vgl. Bulletin Nr. 17 vom 17. April 1942, Kronika, Bd. I, S. 469/Chronik 1942, S. 117; Bulletin für den Monat September 1941, Kronika, Bd. I, S. 250/Chronik 1941, S. 226; Bulletin Nr. 6 für den Zeitraum vom 10.–13. Januar 1942, Kronika, Bd. I, S. 387/Chronik 1942, S. 39. Vgl. Bulletin Nr. 37 vom 20./21. Mai 1942, Kronika, Bd. I, S. 580/Chronik 1942, S. 214. Der Hochzeit des Vorsitzenden wird in der Chronik viel Platz gewidmet. Siehe zum Beispiel: Bulletin vom 26.–28. Dezember 1941, Kronika, Bd. I, S. 340/Chronik 1941, S. 328 f. Wolf Jasny meint, Rumkowski sei durch seinen ›Hof‹ darin bestätigt worden, ein Bote des Himmels zu sein. Wolf Jasny, di geszichte fun jidn in lodz in di jorn fun der dajczer jidn-ojsrotung [Die Geschichte der Łód´zer Juden in den Jahren der deutschen Judenvernichtung], Tel Aviv 1960, S. 401. Vgl. Friedman, Pseudo-Savivors in the Polish Ghettos, S. 34. Emanuel Ringelblum, notitsn fun varshever geto [Notizen aus dem Warschauer Ghetto], Warszawa 1952, S. 41.
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Vertretern der Verwaltungsressorts am 3. Januar 1942 über seine »Mission« gesprochen habe.45 Als »Auserwählter« führte er eine neue Eidesformel bei Gericht ein, in der ein Zeugnis »vor Gott, den Menschen und dem Vorgesetzten der Juden« abverlangt wurde.46 Die religiöse Dimension in Rumkowskis Führung zeigte sich beispielsweise, als das Rabbinat des Ghettos im Oktober 1942 seine Aufgaben niederlegte und in Folge dessen Trauungen nach religiösem Ritus entfielen. Die Chronik berichtet, dass der Vorsitzende sich nach Rücksprache legitimiert habe, Trauungen zu vollziehen. Nach dem Bericht habe die reformierte Hochzeitszeremonie auf die Leute Eindruck gemacht,47 zumal die Hochzeitsreden des Präses voller »Humor und Witz« sein konnten.48
III. Die Darstellung politischer Strategien zur Aufrechterhaltung der politischen Ordnung Arbeit, Ruhe und »Gemeinwohl«: Die Triade Arbeit, Ruhe und Normalität wird von den Chronisten besonders betont. In einer Rede vom 3. Januar 1942 gab Rumkowski sein politisches Programm für das Jahr 1942 bekannt. Das Ghetto sollte »ausschließlich aus arbeitenden Menschen« bestehen und »jeder arbeitsfähige Ghettobewohner einer Arbeit« nachgehen. Für die »Armee von nahezu 50.000 Menschen« sollten neue »Arbeitsbataillone« bereitgestellt werden. Dabei fällt die militaristische Terminologie auf, mit der das Wirtschaftspotential des Ghettos hervorgehoben wurde.49 Noch im Vorjahr hatte der Vorsitzende seinen diesbezüglichen Appell deutlich anders verfasst: »Nur eins kann uns retten: – uns kollektiv dem produktiven Leben im wahrsten Sinne des Wortes anzuschließen, in einer Atmosphäre vollkommener Ruhe. Mühevolle und redliche Arbeit und Ruhe – das sind die Gebote des heutigen Tages.«50 Der Begriff »Arbeit« steht zentral, wie auch das folgende Zitat belegt: »Der Plan zu Beginn des neuen Jahres: Dieser Plan heißt: Arbeit, Arbeit und noch einmal Arbeit«.51 Rumkowski suggerierte »allen Menschen guten Willens« eine Chance auf Überleben, wenn er an das »Gemeinwohl« appellierte: »Ihr müsst auf eure egoistischen Ziele verzichten, weil es andernfalls zu einer schier katastrophalen Situation kommen kann. Ich hoffe jedoch, dass es mir mit Hilfe derer, die […] mit mir, auf alle Nebenziele verzichtend, gemeinsam arbeiten, gelingen wird, die bestmöglichen Resultate im Hinblick auf das Gemeinwohl 45
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»[...] Ich bin mir sicher, nur dank eurer Hilfe meine Mission erfüllen zu können: solche Bedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, gesund die jetzige Zeit zu überstehen, das Leben und die Gesundheit der meisten Gettomitglieder und deren junger Generation zu erhalten.« Bulletin vom 3. Januar 1942, Kronika, Bd. I, S. 374/Chronik 1942, S. 27. Trunk, lodsher geto, S. 365. Vgl. den Eintrag vom 28. Oktober 1942, Kronika, Bd. II, S. 327/Chronik 1942, S. 523 f. Vgl. Eintrag vom 2. November 1942, Kronika, Bd. II, S. 378/Chronik 1942, S. 534. Vgl. Bulletin vom 3. Januar 1942, Kronika, Bd. I, S. 368–374/Chronik 1942, S. 23–28. Vgl. Bulletin Nr. 22 vom 1. Februar 1941, Kronika, Bd. I, S. 53/Chronik 1941, S. 60. Bulletin vom 3. Januar 1942, Kronika, Bd. I, S. 374/Chronik 1942, S. 27.
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zu erzielen.«52 Es handelt sich um eine Rhetorik, die bis zum Beginn der Deportationen in die Vernichtungslager seit Mitte Januar 1942 überzeugend schien.53 In der Chronik wird der Begriff der Arbeit stets positiv besetzt. Die steigende Beschäftigungsrate wird ebenso mit Stolz vermerkt wie erfinderische Leistungen. Beurteilte man die Produktivkraft des Ghettos nach den Einträgen der Chronik, scheint diese ständig angestiegen und laufend Rekorde gebrochen zu haben. Die Rhetorik betonte die Bedeutung des Produktionsstandortes. Im Ghetto würden quasi »aus dem Nichts«, wie Rumkowski stolz unterstrich, Werkstätten und Fabriken errichtet und Produkte von höchster Qualität hergestellt.54 Das Ghetto sei zum Zentrum einer industriell-handwerklichen Produktion geworden. Der Eindruck einer gelungenen Industrialisierung wurde durch Adjektive wie »groß«, »riesig«, »universell« oder »imposant« bekräftigt. Der so charakterisierten Produktion schrieb Rumkowski »eine riesige moralische Bedeutung« zu: »[…] sie bewahrte einige tausend Menschen vor dem völligen sozialen Abstieg, erlaubte ihnen, in ihren eigenen Beruf zurückzukehren, wieder produktive und für die Gesellschaft nützliche Menschen zu werden und dem Gemeinwohl zu dienen.«55 Die Produktivität und Ruhe des Ghettos erschien allerdings durch Agitatoren bedroht, die, so der Vorwurf, Verwirrung verbreiten und Streiks organisieren würden. Es wurde angenommen, dass insbesondere Gerüchte eine Störung der öffentlichen Ordnung bewirken könnten; deren Verbreitung sei daher straf- und verurteilungswürdig.56 Arbeit und Ruhe bildeten zentrale Kategorien in der Rhetorik der Chronik. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass Arbeitern, die ihre Normen nicht erfüllen konnten, vorgeworfen wurde, sich ihrer elementaren Pflicht gegenüber dem Arbeitgeber und der Gesamtheit des Ghettos, zu entziehen. Dabei wurde mangelnde gesellschaftliche Disziplin für die Demoralisierung des Ghettodaseins verantwortlich gemacht. Verpflegung und Heizmaterial: Der Hunger im Ghetto war allgegenwärtig. Nur eine Gruppe von etwa 1.500 Personen, darunter diejenigen, die höhere Posten in der Administration innehatten, lebten auf Grund zusätzlicher Fleisch-, Mehl- und Zuckerportionen besser.57 Die tägliche Lebensmittelration belief sich im Jahre 1941 noch auf etwa 1.800 Kalorien, wurde jedoch bis Mitte 1942 auf 600 Kalorien abgesenkt.58 Dies führte zu Hungerkrankheiten und massenhaftem Tod durch Entkräftung. Der Hunger wurde durch einen auffal52 53 54 55 56
57 58
Bulletin Nr. 22 vom 1. Februar 1941, Kronika, Bd. I, S. 53/Chronik 1941, S. 59. Siehe die Aufstellung bei Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, S. 265. Vgl. Bulletin vom 3. Januar 1942, Kronika, Bd. I, S. 369/Chronik 1942, S. 23. Bulletin Nr. 29 vom 8. Februar 1941, Kronika, Bd. I, S. 54/Chronik 1941, S. 61. Bezogen auf die Streiks der Kesselschmiede, Schneider oder Schuster im November und Dezember 1941 warnte Rumkowski: »Wenn die Behörden etwas von den Streikversuchen erfahren hätten, die hier kürzlich stattfanden, wäre der Schnee rot wie Blut gewesen.« Bulletin vom 3. Januar 1942, Kronika, Bd. I, S. 373/Chronik 1942, S. 25 f. Vgl. Trunk, lodsher geto, S. 109 f. Vgl. Julian Baranowski, Łódzkie getto 1940–1944 [Das Łód´zer Ghetto 1940–1944], Vademecum, Archiwum Pa´nstwowe w Łodzi & Bilbo, 1999, S. 34.
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lenden Heizmaterialmangel begleitet.59 Die extreme Mangelsituation wird in der Chronik jedoch nicht adäquat gespiegelt. Das Wort »Hunger« erscheint auf den 623 Seiten des ersten Bandes lediglich sechs Mal. In vier Fällen betrifft es den Tod einzelner Menschen in den Wintermonaten der Jahre 1941 und 1942.60 Zwei weitere Einträge beschreiben die »Dramatik des Tabakhungers«,61 und einen Hunger, der »immer allgegenwärtiger und immer unerträglicher« geworden sei.62 Auch im zweiten Band ist nur selten von einem »Hungerproblem« die Rede.63 Häufiger wird in der Chronik dagegen von Lieferschwierigkeiten gesprochen. Oft geht aus der Chronik nicht explizit hervor, ob Kohle oder Kartoffeln fehlen, stattdessen wird der Begriff »Disproportion« verwendet, vor allem aber gibt es unzählige Berichte über angebliche Versorgungserfolge. Die Chronisten berichten über die Versorgungslage regelmäßig unter dem Stichwort »Approvisationsverbesserung«. Derartige Formulierungen erlauben es, die Versorgung des Ghettos als einen dynamischen Prozess mit laufenden Verbesserungen zu denken. Damit entsteht der Eindruck des Ghettos als gut funktionierender wirtschafts-gesellschaftlicher Organismus. Begünstigt wird dies auch durch Nachrichten, die in hieratischer Ordnung die allgemeinen Ereignisse beschreiben. So könne man die Verteilung des Heizmaterials durch die Kohleabteilung, die sich nach dem Grundsatz »Der Kunde ist König« ausrichte, als »beinahe perfekt« bezeichnen.64 Im Endergebnis werden Teilerfolge impliziert, wo es keine gab. Spricht man von einer weiteren Verbesserung der Kohleversorgung, heißt das für die Bevölkerung lediglich, dass sie weiterhin frieren wird. Gleichwohl: Der Aufwand des »Judenältesten« wird ausgiebig geschildert und seine angeblichen Erfolge werden akribisch aufgeführt, auch wenn die Einträge einem Abgleich mit der Realität nicht standhalten dürften. Insgesamt konnten auch Reorganisierungsmaßnahmen65 die reale Situation der Ghettobevölkerung nicht verändern. Die Einwohnerinnen und Einwohner des Ghettos entschieden sich daher mitunter zu verzweifelten Schritten, wie Beispiele von Lebensmittel- oder Holzdiebstahl zeigen.66 Die Chronik beschreibt derartige Ereignisse mit scharfen, anklagenden Formulierungen. In den Berichten werden Diebe in ihrer Not nicht bedauert, sondern als Teil einer gefährlichen anonymen Menschenmenge gesehen, deren unverantwortliches und brutales Verhalten den Tod anderer verursache. Folgerichtig berichtet die Chronik über 59 60
61 62 63
64 65 66
Vgl. Trunk, lodsher geto, S. 173. Nach Trunk, ebd., wurden die meisten der 1.218 Sterbefälle vom Januar 1941 durch Hunger und Kälte verursacht. Bulletin Nr. 30 vom 12. Mai 1942, Kronika, Bd. I, S. 537/Chronik 1942, S. 178. Bulletin Nr. 37 vom 20./21. Mai 1942, S. 582/Chronik 1942, S. 215. Siehe zum Beispiel den Eintrag vom 27. September 1942, Kronika, Bd. II, S. 268/Chronik 1942, S. 475. Eintrag vom 28. November 1941, Kronika, Bd. I, S. 279/Chronik 1941, S. 252 f. Vgl. Eintrag vom 3. August 1942, Kronika, Bd. II, S. 183/Chronik 1942, S. 405. Tabaksblat schreibt über die drastischen Konsequenzen solcher Taten. Vgl. Izrael Tabaksblat, churbn lodz [Die Zerstörung von Łód´z], Buenos Aires 1946, S. 5.
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den Tod einiger Personen während der Belagerung von Lebensmittelwagen.67 Die Masse erscheint dabei nicht durch Hunger angetrieben, sondern von kriminellen Motiven und von Emotionen geleitet. Die Menschenmenge »stürzt sich«, »raubt aus« und »demoliert«. Tatsächlich motivierten Verzweiflung und Hilflosigkeit die Ghettobewohner wiederholt zu Hungerdemonstrationen. Die Chronik verharmloste Bedeutung und die Reichweite dieser Proteste, indem sie sie einer kleinen Gruppe von »Schiebern« zuordnete, die in der Absicht gehandelt habe, gegen die Interessen des überwiegenden Teils der Bevölkerung »die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung« zu zerstören.68 Die hier vorgenommene Analyse einiger Bulletinausschnitte beabsichtigt, das in ihnen kreierte Bild des »Judenältesten« Rumkowski sowie dasjenige seiner Herrschaft im Ghetto Litzmannstadt aufzuzeigen. Der hermeneutisch angelegte Versuch erlaubt folgende Schlussfolgerungen: Es war nicht Aufgabe des Bulletins, die Bevölkerung zu informieren, sondern zu überzeugen. Die eingenommene Perspektive bleibt daher einseitig. Die sprachliche Form der Publikation vermittelt eine hermetische Interpretation der Realität mit dichotomischen Unterscheidungen, beispielsweise zwischen Ordnung und Chaos oder Ordnungshüter und Unruhestifter. Nach der Definition von Anthon Pratkanis und Elliot Aronson handelt es sich somit um eine »propagandistische Sprache«69 die verschiedene Techniken des Überredens nutzt, um Zustimmung und Wohlwollen der Rezipienten zu gewinnen. Dazu gehört beispielsweise die Suggestion, dass lediglich eine Interpretation und Lesart des Textes möglich ist, das heißt eine spezifische semantisch-begriffliche Klassifikation der Wirklichkeit und ihre ästhetische, moralische und praktische Wertung. In den hier analysierten Abschnitten der Chronik werden vor allem wertende und polarisierende Begriffe benutzt. So wurden fügsame Menschen als produktiv und nützlich, Streikende aber als »Schieber« bezeichnet. Dabei wurde der Stil jeweils dem Gegenstand angepasst – er ist voller hieratischer Beschreibungen sowohl in Bezug auf die Person und die Taten Rumkowskis als auch auf diejenigen seiner Gegner. Ein weiteres Mittel der Beeinflussung war die Auswahl der Informationen. Ausgewählt wurden nur Informationen über Erfolge und Errungenschaften, niemals über Niederlagen. Das selektive Vorgehen zielte darauf, die Nachwelt zu beeinflussen. Als ein Mittel bewährte sich der Gebrauch von Euphemismen; so war während der Hungerunruhen nicht von »Streiks«, sondern von »vorübergehenden Stilllegungen« die Rede. Es stellt sich die Frage, wer als potentieller Leser in Frage kommt und wer überzeugt werden sollte. Rumkowski hatte keinen Zweifel, dass der Leser der Chronik derjenige sein werde, der in der Zukunft – also nach dem Krieg – den versteckten Text entdecken und sich mit Hilfe der Chronik eine eigene Meinung über das Schicksal der Bevölkerung im Ghetto und vor allem über ihn selbst bilden würde. Das offizielle Vorhaben der Chronisten war es, das Ghetto als gut funktionierenden Mechanismus mit einem herausragenden ›Führer‹ 67 68 69
Vgl. Bulletin Nr. 1 vom 12. Januar 1941, Kronika, Bd. I, S. 6/Chronik 1941, S. 21. So unter anderem der Eintrag vom 1. Februar 1941, Kronika, Bd. I, S. 53/Chronik 1941, S. 56. Vgl. Anthon Pratkanis/Elliot Aronson, Age of Propaganda. The Everyday Use and Abuse of Persuasion, New York 2002.
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der jüdischen Bevölkerung darzustellen. Der zukünftige Forscher und Historiker sollte die Geschichte des Ghettos so wahrnehmen und untersuchen, wie sie in den offiziellen Materialien des Archivs, vor allem in der Chronik, festgehalten wurde. Auch die Chronisten dachten an ihren zukünftigen Leser. Sie waren davon überzeugt, dass er in einer so ausführlichen Sammlung von Informationen, die manipulierten Beschreibungen und Beurteilungen70 der Situation im Ghetto dekonstruieren würde. Dies illustriert ein Kommentar von Eichengreen, Singers Sekretärin: »Ich kann nicht sagen, ob diese Notizen fiktiv sind. Sie wurden aber mit solcher Überzeugung festgehalten, dass einige Informationen so festgehalten wurden, andere anders, z.B. hat man das Wort ›Brot‹ benutzt, aber das war kein echtes Brot, weil Mehl in diesem Brot nur eine Ergänzung von Sägespänen war.« Die Chronisten hofften auch darauf, dass der Leser die Chronik so lesen werde, dass er die Sprache dechiffrieren und den Worten ihre richtige Bedeutung geben werde. So schrieb der Chronist Dr. Oskar Rosenfeld in seinem Ghettotagebuch: »Die Sprache ist eine sicherere Quelle der Wahrheit als andere, materielle Spuren: dies ist eine durch lange akademische Tradition belegte These.«71 Die Sprache der Chronik bildet eine derartige Wahrheitsquelle. Es ist eine Wahrheit, die mit der offiziell verordneten, oft verschönten, oder deformierten Vision zusammenstößt. In der Chronik kommt der Wunsch nach einem reichhaltigen, detailtreuen Zeugnis in einer Situation der zweifachen Zensur – einer äußeren, von den deutschen Besatzern angelegten sowie einer durch die inneren Machtverhältnisse des Ghettos bewirkten – zum Ausdruck. Ihre Sprache führt den Zusammenstoß der persönlichen Ambition Rumkowskis mit inständigen Bemühungen eines Kollektivs vor Augen, das sich jederzeit seiner schreibhistorischen Mission bewusst war und das, trotz aller Schwierigkeiten, die Unabhängigkeit des Denkens bewahren wollte.
70 71
Vgl. Wo´zniak, Bez Niemców nie byłoby Rumkowskiego, S. 121. Zitiert nach Oskar Rosenfeld, In the Beginning was the Ghetto: Notebooks from Łód´z, hrsg. von Hanno Loewy, aus dem Deutschen übersetzt von Brigitte M. Goldstein, Evanston 2002, S. 75. Siehe auch die deutsche Ausgabe: Oskar Rosenfeld, Wozu noch Welt. Aufzeichnungen aus dem Getto Lodz, hrsg. von Hanno Loewy, Frankfurt a.M. 1994.
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Abiram Protokoll: [45] Abramowicz P: [40] Abramowicz, Neli Meldung: 287 Ajzensztat, Rochel M: 426 Antman, Mire M: 336 Apelbojm, Szmuel M: 336 Barasz, Efraim, Ing. P: [1–9], [11–29], [31–51]; M: 118 Bejlin, Aron Dr. P: [20], [21] Beneszek (Beneschek) M: 403, 417 Bengelsdorf, Szyfra M: 19 Berensztejn M: 374 Bereslowski, Dowid M: 225 Berezowski, Hirsz M: 173 Bergman P: [24], [25], [28], [37] Berman, Mojsze P: [30], [43], [45], [51], [52] Bernsztejn, Aron M: 173 Bialostocki Jakow, Brig. M: 334 Birger, Mordechaj M: 388 Blejberg, Mordechaj M: 287, 288 Blemer, Henryk M: 287 Bogomilski, Sara M: 396 Bojm, Ben-Cyon M: 396 Borensztejn, Lejzer M: 396 Borislowski, Boruch M: 396 Borislowski, Dowid M: 396 Bornsztejn, Ing. P: [28] Bramson, Awrom M: 19 Bramson, Ite M: 19 Bramson, Meir M: 19 Bramson, Rochel M: 19 Bubrik P: [1], [10], [11] Caban, Rywka M: 325 Calewicz, Fejge M: 336 Capone, Al P: [43] Chimder, Chana M: 396 Chinkes, Awrom M: 396 Chmelnik, (Mordechai) P: [17] Chwat, M. Dr. P: [41], [44]; M: 275 Cytronenberg, Ludwik M: 383 1
Cytrynblum, Awrom M: 221 Cytrynblum, Chaim M: 221 Cytrynblum, Nachman M: 221 Czapnik, Meir M: 388 Czyz˙ik, Brig. M: 412 Datan P: [45] Diamant, Ing. P: [5], [28], [31–34], M: 147 Dinersztejn, Melech M: 383 Dinersztejn, Szejne M: 396 Dines P: [46] Dlugacz P: [24], [25] Dworski, Eli M: 376 Egerwald, Awrom M: 396 Epsztejn P: [6] Epsztejn, Masze M: 207 Epsztejn, Mordechaj M: 297 Feder, Szya M: 166 Fefer M: 412 Feldman, Mirke M: 396 Feler, Simcha M: 293 Fenigsztejn P: [42], [43], [45] Fin, Szlojme M: 287, 288 Finkl (Finkel), (Shemuel) P: [5–8] Fisz, Malka M: 19 Fliker, Ber M: 406 Fomin, Lejb M: 396 Frenkl, Lola M: 207 Furman, A(bba) P: [1–3], [5], [7], [8], [13–15], [18], [20], [22], [23], [25], [26], [28], [32], [34], [39], [49] Furman, Hilel M: 173 Furman, Wigdor M: 396 Futerman, Frau M: 409 Galant, Lejb M: 173 Galant, Mordechaj M: 173 Galistowski, Doniel M: 12 Gawze P: [40] Gelbart, Meir M: 325 Gelbart, Zalman M: 293
Das Personenregister bezieht sich auf die Protokolle und Meldungen des Białystoker Judenrats. Die eckige Klammer um die Ziffer der Protokolle bezeichnet die Zählweise der Protokolle bei Nachman Blumenthal. Die Schreibweise der Namen und die abgekürzten Berufsbezeichnungen orientieren sich soweit darin auffindbar am Białystoker Telefonbuch von 1938. Abweichende Schreibweisen in den Quellen werden in runden Klammern wiedergegeben, ebenso Vornamen, die lediglich der Erinnerungs- und Sekundärliteratur entnommen wurden. Das Telefonbuch findet sich online unter http://www.zchor.org/bialystok/telephone.htm [26.8.2009].
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Personenregister
Gelczynski, Izchok M: 396 Gerbowski, Awrom M: 19 Ginzburg, Szlojme M: 396 Glikson P: [6–9], [15] Gniazde, Mates M: 225 Goethe, Johann Wolfgang P: [49] Goland, Simcha M: 287, 288 Goldberg, Jakub P: [1–13], [15–20], [22-25], [27], [29], [30], [32], [34–36], [39–42], [45], [47], [50–52] Goldfarb, G. P: [1–5], [7–9], [15], [16], [26], [27], [29], [35], [39], [40] Goldsztejn, Note M: 293 Gorfinkl, Isroel M: 406 Gorles, Isroel M: 396 Grochowski, Hirsz M: 166 Gutman, (Rafael) P: [6], [14], [18] Gutman, Zelig M: 287 Gwiazdowicz, Bejle M: 12 Halpern, Binjomin M: 157 Hamburg, Mordechaj M: 287 Holenderski, Dr. P: [1–8], [12–14], [20-23], [25], [27], [29], [39] Horowic, (Franciszka) Dr. P: [1–10], [15], [18], [22], [23], [32], [37] Imber, Szolem M: 396 Jablonski, Jakow M: 376 Jelin, Berl M: 396 Jonas, H. M: 77 Judelbojm, Zalman M: 287 Kacenelson (Kacnelson), Mojz˙esz Dr. M: 271; P: [2], [4], [6–8], [12–16], [27], [32], [41], [47] Kaczko, Josef M: 287 Kadysz (Akdysz), Izchok M: 383 Kagan, Isroel M: 166 Kagan, Rachmiel M: 396 Kalmanowicz, Chana M: 406 Kantorowicz, Gerszon M: 383 Kaplan, Anszel M: 225 Kapłan, Mendel, Dr. P: [1–4], [6–9], [14], [15], [20], [23], [29], [32], [34], [35], [39], [41], [51] Kapłan, Pejsach P: [2], [4], [5], [7–9], [11–13], [15], [28], [29], [32], [35], [39], [41], [45] Karpowicz, H. M: 429 Kendz˙elewski P: [52] Kennewig, Dr. P: [29] Kerszman, Sz. Dr. P: [1], [4], [7], [10], [12], [13], [18], [29] Kirchhoff P: [29], [42] 2
Klaczko, Aszer M: 296 Klajnsztejn, Gedalja M: 225 Klas, Chajkel M: 157 Kliaczko, Awrom M: 293 Knyszi´nski, B. M: 326 Knyszi´nski, Marja M: 396 Knyszi´nski, Rita, Brig. M: 368, 396 Koch, Erich P: [31], [39], [41], [49] Kolin (oder Konin), Awrom M: 41 Kopelman, Leon, Dr. P: [1-4], [6-10], [15], [16], [18], [20], [23], [41], [49], [51] Korn, Josef M: 173 Kornfeld P: [40] Kosman, Jakow M: 63 Kowalewski P: [22] Kowalewski, J. M: 160 Krawec M: 166 Krawec, Lea M: 14 Kriwicki, Chaim M: 396 Kriwicki, Mojsze M: 396 Kronenberg, Lelczuk M: 207 Krüger P: [34] Kruglianski, Awrom M: 325 Kucharewski, Rochel M: 336 Kwater, Binjomin M: 287, 288 Laks, Brig. M: 411 Landsberg, Dr. P: [26] Lew, Awrom M: 296 Lew, Josef M: 157 Lew, Lejb M: 296 Lewinski, Szolem M: 263 Lewit, Masze M: 396 Lifszic, Jakow P: [1], [2], [4], [(6)]2, [7–10], [13–18], [20], [22], [23], [(26)], [(27)], [34], [35], [(37)], [39], [41], [42], [45], [47], [49] Lifszic, Szmuel P: [1], [2], [4], [(6)], [7-9], [12], [18], [(26)], [(27)], [(37)] Liman (Limon), Awrom P: [2-9], [11-16], [1820], [22], [23], [27], [29], [30], [34], [36], [40], [44], [45], [48] Lin P: [52] Lipnik, Ben-Cyon M: 157 Lipowski, Itke M: 336 Liwerant P: [36] Majzel, Frl. M: 378 Melamed, Izchok M: 166 Manaker, Brig. M: 395 Marer, Lejzer M: 225 Markus, J(itzhak) P: [1-6], [12-14], [17], [23], [27], [29], [32], [34], [35], [38], [39], [40], [4244], [47–49], [51]
Die doppelte Klammer zeigt an, dass unklar bleiben muss, ob es sich an dieser Stelle um Jakow oder Szmuel Lifszic handelt.
Personenregister
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Melnicki, P(esah) P: [1–7], [10–13], [15], [16], [18], [22], [25], [26], [32], [34], [36], [39], [41], [45], [49], [51] Melnik, Chaim M: 46 Mereminski, Aron M: 294 Mersik, (Zwi), Hächaluz-Sekr. M: 255 Mineberg P: [46] Mowszowicz, Gedalja M: 435 Mulje P: [44]
Rozenman, Gedali (Gedaliah) Dr. M: 118; P: [1–23], [26], [29], [30], [34], [37], [38], [41– 45], [47–50] Rozental, Meir, Brig. M: 406 Rubinsztejn, J. P: [13] Rubinsztejn, Lea M: 374 Rubinsztejn, M(ordechai) P: [1–5], [8], [9], [12], [15], [20], [22], [23], [25], [36], [39], [41], [49] Rudeler, Hilel M: 225.
Najdorf P: [44] Naszelski, Isroel M: 383 Nied´zwiadowicz P: [28] Nieswiezki, Aron M: 207 Niewadomski, Michael M: 293 Nisenbojm, Hirsz M: 383 Notes, Izchok M: 383 Nowik, J. P: [1–3], [5–8], [12], [15] Nowik, Nochum M: 166 Nowinski, Awrom M: 326 Nowokolski, Mojsze M: 157 Nusbojm, Mordechaj M: 383
Samberg, Binjomin M: 287 Sapirsztejn, Awrom M: 207 Sapirsztejn, Mojsze M: 166 Schiller, Friedrich P: [49] Segal, (Chana), Dr. P: [1–3], [7-13], [16], [18], [20], [22], [23], [31], [35], [39], [41], [49] Sibirski, Chaim M: 296 Sibirski, Pesze M: 336 Sokol, Awrom M: 14 Sokolski P: [19], [33] Sokolski, Lejzer M: 225 Stolnicki, Brig. M: 412 Stupnik, Mojsze M: 157 Subotnik, B. (Dov Berl) P: [2–8], [11–20], [22–24], [26], [27], [29], [30], [34], [35], [3739], [41], [42], [44], [45], [47], [50–52] Suchonicki, Szlojme M: 406 Swendowicz (Schwendowius), Heinz P: [35] Szacki, Moijz˙esz, Dr. P: [42], [52] Szajn P: [16] Szalit, Salomon M: 406 Szczedrowski, Lipa M: 376 Szenkin, Nochum M: 47 Szer, Emil M: 396 Szlapak, Hirsz M: 396 Szmigelski, Ing. P: [1], [2] Sztejn, Chaim M: 388 Szturmak, Gedalja M: 207 Szuster, Jehuda M: 296 Szwarc, Sara M: 13 Szwarc, Szejge M: 13 Szwecher, Awrom M: 426 Szwecher, Jakow M: 426 Szwecher, Szymon M: 166 Szwif, M(oshe) P: [1–15], [18], [20], [22–30], [32], [34], [37], [39–41], [45], [49]
Ogurek, Arje-Lejb M: 336 Osipowicz, Izchok M: 396 Palanski, Awrom M: 383 Pape, Ing. P: [20], [26], [28] Papilowski, Szmuel M: 325 Pat, Brig. M: 402 Peciner, Sz. P: [1–9], [12], [13], [15], [16], [18], [20], [23], [29], [32], [34], [39], [40], [42–44], [47–49], [51] Piasecki, Izchok M: 421 Pilecki, Dr. P: [24] Pitacki, Awrom M: 287 Pitlyuk, Pejsach M: 396 Pogorelski, Tanchum M: 391 Polonski, Sz. P: [1–4], [6–9], [13], [15], [18], [31], [41], [45], [47] Porecki M: 408 Pralkes, Mojsze M: 287 Punia´nski, Sz. (Shemuel) P: [1–4], [7], [8], [10–13], [15], [16], [18], [20], [23], [27], [29], [32], [35], [39], [41], [47] Racki, Jakow M: 157 Racki-Rackiner, Szmuel M: 332 Radyszkanski, Leml M: 406 Rakowski P: [27] Rewzin, Pinchos M: 287 Reznik, Josef M: 396 Ridak, Mojsze M: 173 Roz˙anski, Frau M: 29 Rozenberg, Fiszl M: 383 Rozenblum, Mojsze M: 298 Rozenblum, Rywka M: 298
Talinski, Chaim M: 157 Tenenbojm, Izchok M: 406 Trivaks, Szmuel M: 12 Tyktin P: [17], [52] Umlenski, Berl M: 396 Vodzilowski, Orlinski M: 207 Wajnsztejn, Fajwel M: 173
522 Wajnsztejn, Lejb M: 173 Waksman, H. M: 390 Waser, Pesze M: 14 Waser, Rywka M: 14 Wejcman, Brig. M: 409, 410, 414, 415 Welunski, Jakow M: 287, 288 Wider, Zwi P: [26] Wilenski, Dowid M: 74 Wilenski, Reizl M: 74 Winokur, Jakow M: 396 Zafraniec, Szolem M: 406 Zalcman-Grobart M: 207
Personenregister Zawinski, Mejrim M: 349 Zazrin, Nochum M: 296 Zelikowicz, (Grisha) P: [42–45] Zemelman, Rochel M: 396 Ziembowski M: 412 Zilberblat, Josef M: 287 Zilberblat, Lazar M: 396 Zilbersztejn M: 402 Zilbersztejn, Szymon M: 396 Zimel, Judel M: 325 Zlotar, Dr. P: [20], [21] Zrencza, Rochel M: 396.
Abkürzungsverzeichnis
AK AL Art. AZ˙IH
Armia Krajowa (Heimatarmee) Armia Ludowa (Volksarmee) Artikel Archiwum Z˙ydowskiego Instytutu Historycznego w Warszawie (Archiv des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau) Barch Bundesarchiv CdZ Chef der Zivilverwaltung ˙ CZKH Centralna Z˙ydowska Komisja Historyczna (Zentrale Jüdische Historische Kommission) CRIF Conseil Répresentatif des Institutions juives de France (Repräsentativrat der jüdischen Institutionen Frankreichs) DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft Dok. Dokument DP-Camps Displaced Persons Camps EU Europäische Union FOP Front Odrodzenia Polski (Front für die Erneuerung Polens) Gestapo Geheime Staatspolizei GG Geschichte und Gesellschaft H./HH. Heft; Herr/Herren Hg. Herausgeber HZ Historische Zeitschrift IdS Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD Ing. Ingenieur IFiS PAN Instytut Filozofii i Socjologii Polskiej Akademii Nauk (Institut für Philosophie und Soziologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften) IPN Instytut Pamie˛ci Narodowej (Institut für Nationales Gedenken) Joint American-Jewish Joint Distribution Committee KdS Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion LG Landgericht L/AOWL Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Ost-Westfalen Lippe L/StAM Landesarchiv Nordrhein-Westfalen/Staatsarchiv Münster LGR Landgerichtsrat M Meldung MSZ Ministerstwo Spraw Zagranicznych (Außenministerium) Nr./NM./N.m./Num. Nummer NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei OKW Oberkommando der Wehrmacht ONR Obóz Narodowo-Radykalny (Nationalradikales Lager) Ost-Dok. Ost-Dokumentation P Protokoll PLO Palestine Liberation Organisation
524 PPS – WRN PSL PWN PZPR RA Rab. RSHA Sek. SOB SOMA SS StGB sygn. StPO TSKZ˙ UdSSR UP USA VfZ Vol. VR YIVO YVA ZBoWiD ZfG ZK Z˙OB
Abkürzungsverzeichnis
Polska Partia Socjalistyczna – Wolno´sc´ , Równo´sc´ , Niepodległo´sc´ (Polnische Sozialistische Partei – Freiheit, Gleichheit, Unabhängigkeit) Polskie Stronnictwo Ludowe (Polnische Volkspartei, Bauernpartei) Wydawnictwo Naukowe (Verlag der Polnischen Akademie der Wissenschaften) Polska Zjednoczona Partia Robotnicza (Polnische Vereinigte Arbeiterpartei) Rechtsanwalt Rabbiner Reichssicherheitshauptamt Sekundarstufe Sa˛d Okre˛gowy w Białymstoku (Bezirksgericht in Białystok) Studie- en Documentatiecentrum Oorlog en Hedendaagse Maatschappij (Studien- und Dokumentationszentrum für Krieg und Zeitgeschichte) Schutzstaffel Strafgesetzbuch sygnatura (Signatur) Strafprozessordnung Towarzystwo Społeczno-Kulturalne Z˙ydów w Polsce (Gesellschaftlich-Kulturelle Vereinigung der Juden in Polen) Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken University Press United States of America Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Volume Volksrepublik Yidisher visnshaftlekher institut (Institute for Jewish Research) Yad Vashem Archive Zwia˛zek Bojowników o Wolno´sc´ i Demokracje˛ (Verband der Kämpfer für Freiheit und Demokratie) Zeitschrift für Geschichtsdidaktik/Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zentralkomitee Z˙ydowska Organizacja Bojowa (Jüdische Kampforganisation)
Abbildungsnachweis Abb. 1: Meldung [1] vom 8. Juli 1941, AZ˙IH Warschau, 204/59; Abb. 2a/b: Meldung [102] vom 17. Juli 1941, Vor- und Rückseite, AZ˙IH Warschau, 204/59; Abb. 3a/b: Meldung [356 (357)] vom 2. November 1942, Vor- und Rückseite, AZ˙IH Warschau, 204/64; Abb. 4: Meldung [434] vom 31. März 1943 in der Übersetzung, die Dr. HansPeter Stähli am 28. August 1966 für das Bielefelder Schwurgericht abschloss, mit einer handschriftlichen Notiz und der Unterschrift des Übersetzers. L/AOWL, D 21 A, Nr. 6188, Bl. 196
Autorinnen und Autoren
FREIA ANDERS, Dr. phil.; Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Sonderforschungsbereich 584 »Das Politische als Kommunikationsraum« der Universität Bielefeld, Projekt »Gewaltsame Aktion und politische Kommunikation. Die Autonomen – eine Kommunikationsguerilla?«. Studium der Geschichte und Deutsch als Fremdsprache an der Universität Bielefeld. Aktuelle Veröffentlichung: Strafjustiz im Sudetengau 1938–1945, München 2008. SARA BENDER, Prof. Dr., geb. 1948; Professorin für Jüdische Geschichte an der Universität Haifa. Studium der Jüdischen Geschichte, Promotion an der Hebrew University in Jerusalem. Aktuelle Veröffentlichung: The Jews of Białystok during World War II and the Holocaust, Waltham, Mass. 2008. HANS-WILHELM ECKHARDT, Dr., geb. 1953; Lehrer für Deutsch und Geschichte am Schiller-Gymnasium Hameln und Fachleiter für Geschichte am Studienseminar Hameln. Studium der Geschichte und Germanistik an der Universität Hannover. Mitarbeit an den Lehrwerken »Zeit für Geschichte« und »Thema Geschichte«. JOANNA FURŁA-BUCZEK, M.A., geb. 1979; Studium der Germanistik an der Universität Warschau, Promotionsprojekt an der Universität Warschau zum Thema »Bekanntmachungen als offizielle Wissensquelle über die Shoah – eine pragmalinguistische Gattungsanalyse«; Tätigkeit als Deutschlehrerin und Übersetzerin. Veröffentlichung: Charakterystyka obwieszcze´n Białostockiego Judenratu, in: Kwartalnik Historii Z˙ydów 227 (2008), S. 313–321. DAN MICHMAN, Prof. Dr., geb. 1947; Professor für Moderne Jüdische Geschichte und Inhaber des Arnold und Leona Finkler Lehrstuhls am Institut für Holocaustforschung der Bar-Ilan Universität in Ramat Gan, Chief Historian an der Gedenkstätte Yad Vashem. Studium der Jüdischen Geschichte und der Hebräischen Linguistik an der Hebrew University in Jerusalem. Wichtige Veröffentlichung: Die Historiographie der Shoah aus jüdischer Sicht. Konzeptualisierungen, Terminologie, Anschauungen, Grundfragen, Hamburg 2002; im Druck: Die Angst vor den »Ostjuden«. Zur Entstehung und Bedeutung der Ghettos in der Shoah, Frankfurt a.M. 2011. MATTHIAS HOLZBERG, geb. 1953; Studienrat am Gymnasium Alfeld. Studium der Geschichte, Slawistik und Evangelischen Theologie in Göttingen, Deutschlehrer für Aussiedler. Forschungstätigkeit zur Geschichte der Deutschbalten 1939–1941.
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Autorinnen und Autoren
MONIKA POLIT, geb. 1975; Dozentin für Jiddisch, Tätigkeit am Jüdischen Historischen Institut (Warschau). Studium der Interdisziplinären Geisteswissenschaften an der Universität Warschau. Übersetzung wichtiger Studien und Quellen zur polnischen und jüdischen Geschichte, neuestens aus dem Jiddischen: Perec Opoczy´nski, Reportaz˙e z warszawskiego getta, Warzawa 2009. Herausgeberin (zusammen mit Ewa Geller) des Bandes: Jidyszland. Polskie przestrzenie, Warszawa 2008. ANDREAS RUPPERT, Dr. phil., geb. 1948; seit 2000 Leiter des Stadtarchivs Detmold, Studium der Osteuropäischen Geschichte, Mittleren und Neueren Geschichte sowie der Slawistik in Frankfurt am Main. Tätigkeit in Museen, Bibliotheken und Archiven, Mitarbeit in der Gedenkstätte Wewelsburg. Verschiedene Veröffentlichungen zur Zeitgeschichte und zur Regionalgeschichte. KAROL SAUERLAND, Prof. Dr. em.; Professuren an den Universitäten Warschau, Toru´n und Ústí nad Labem. Gastprofessuren in Zürich (ETH), Mainz, Frankfurt am Main, Berlin (FU), Amiens, Hamburg und Kassel; Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin 1994. Studium der Philosophie, Mathematik und Germanistik in Berlin und Warschau. Wichtige Veröffentlichung: Polen und Juden zwischen 1939 und 1968. Jedwabne und die Folgen, Berlin/Wien 2004. HANS-PETER STÄHLI, Dr. theol., geb. 1935; Studium der ev. Theologie, der hebräischen Sprache und der Altorientalischen Sprachen in Bern, Basel, Montpellier und Jerusalem. Nach einer Assistentenzeit an der Universität Bern wurde er 1966 Lektor und später Studienprofessor für Hebräisch und Altes Testament an der Kirchlichen Hochschule Bethel (Bielefeld). Seit seiner Emeritierung 1999 lebt er in Bern. Ausgewählte Veröffentlichungen: HebräischKurzgrammatik, Göttingen 2005; Hebräisch-Vokabular, Göttingen 2002; Solare Elemente im Jahweglauben des Alten Testaments, Orbis Biblicus et Orientalis, Bd. 66, Freiburg/Göttingen 1985; Antike Synagogenkunst, Stuttgart 1988. KATRIN STOLL, Dr. phil., geb. 1976; Gastwissenschaftlerin am DHI Warschau, Studium der Anglistik und der Geschichtswissenschaft an der Universität Bielefeld und an der National University of Ireland, Maynooth, Promotion an der Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie der Universität Bielefeld. Jüngste Veröffentlichung: Selbst- und Fremddeutung von NS-Tätern im Bielefelder Białystok-Prozess. Angeklagte und Richter zu den Deportationen aus Grodno, in: Andreas Wirsching u.a. (Hg.), Vom Recht zur Geschichte. Akten aus NS-Prozessen als Quellen der Zeitgeschichte, Göttingen 2009, S. 154–166. MONIKA TOKARZEWSKA, Dr., geb. 1975; Oberassistentin am Germanistischen Lehrstuhl der Nikolaus-Kopernikus-Universität Toru´n. Studium der Polonistik und Germanistik an der Universität Warschau. Jüngste Veröffentlichung: Über die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit, Biographien und Geschichte zu
Autorinnen und Autoren
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schreiben, in: Tobias Weger (Hg.), Grenzüberschreitende Biographien zwischen Ost- und Mitteleuropa. Wirkung – Interaktion – Rezeption, Frankfurt a.M. 2009, S. 35–46. KARSTEN WILKE, M.A., geb. 1971; Studium der Geschichte und Literaturwissenschaft in Bielefeld und Groningen. Langjährige gedenkstättenpädagogische Tätigkeit im Kreismuseum Wewelsburg, Promotionsprojekt an der Universität Bielefeld. Veröffentlichung: gemeinsam mit J. Doerry, A. Klei und E. Thalhofer, Nationalsozialistische Zwangslager in Westdeutschland, Frankreich und den Niederlanden. Geschichte und Erinnerung, Paderborn u.a. 2008.