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German Pages 432 Year 2017
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 274
Der Irrtum im Urheberstrafrecht Ein konzeptioneller Beitrag zur strafrechtlichen Irrtumslehre und deren Übertragung auf die §§ 106 ff. UrhG unter besonderer Berücksichtigung neuer Medien
Von
Philipp Wissmann
Duncker & Humblot · Berlin
PHILIPP WISSMANN
Der Irrtum im Urheberstrafrecht
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg
Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg
und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 274
Der Irrtum im Urheberstrafrecht Ein konzeptioneller Beitrag zur strafrechtlichen Irrtumslehre und deren Übertragung auf die §§ 106 ff. UrhG unter besonderer Berücksichtigung neuer Medien
Von
Philipp Wissmann
Duncker & Humblot · Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Bernd Heinrich, Tübingen Die Juristische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen hat diese Arbeit im Jahre 2016 als Dissertation angenommen. Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D 21 Alle Rechte vorbehalten © 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-15137-0 (Print) ISBN 978-3-428-55137-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-85137-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meiner Familie
Vorwort Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im September 2016 von der Juristischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Die mündliche Doktorprüfung fand am 24. Oktober 2016 statt. Rechtsprechung und Literatur konnten bis November 2016 berücksichtigt werden. Besonderen Dank schulde ich meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Bernd Heinrich, an dessen Tübinger Lehrstuhl ich während der Zeit meiner Promotion als Akademischer Mitarbeiter beschäftigt war. Sowohl in fachlicher als auch in persönlicher Hinsicht war seine Betreuung stets herausragend. Neben einer ausgezeichneten akademischen Förderung gewährte mir Herr Professor Dr. Heinrich über die gesamte Promotionszeit hinweg reichlich Freiraum, um mich auch selbst wissenschaftlich und kreativ zu verwirklichen. Kurzum: Die Betreuung der Doktorarbeit hätte besser nicht sein können. Weiterhin danke ich Herrn Professor Dr. Jörg Eisele für die ausgesprochen zügige Zweitbegutachtung. Herrn Professor Dr. Dres. h.c. Friedrich-Christian Schroeder und Herrn Professor Dr. Andreas Hoyer danke herzlich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Schriftenreihe „Strafrechtliche Abhandlungen – Neue Folge“. Mein Dank gilt weiterhin dem Förderungsfonds Wissenschaft der Verwertungsgesellschaft (VG) Wort GmbH in München, der Johanna und Fritz Buch-Gedächtnisstiftung in Hamburg sowie der FAZIT-Stiftung Gemeinnützige Verlagsgesellschaft mbH in Frankfurt am Main, jeweils für die Gewährung großzügiger Druckkostenzuschüsse. Schließlich gilt mein besonderer Dank denjenigen Menschen, die mich zeit meines Studiums begleiten und welche die Anfertigung dieser Arbeit mit ihrer Unterstützung und ihrer unermüdlichen Geduld überhaupt erst ermöglicht haben. Allen voran sind dies meine Eltern, Gabriele und Jürgen Wissmann, meine Schwester Annabell Wissmann sowie ganz besonders meine Freundin Anne-Kathrin Göggel. Ihnen widme ich diese Arbeit. Stuttgart, im Dezember 2016
Philipp Wissmann
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis
Einleitung 17 § 1 Das Urheberstrafrecht: Eine „irrtumsfeste“ Materie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 § 2 Der strafrechtliche „Kompass“ der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 § 3 Der technische Fortschritt als „Motor“ des Urheberrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Kapitel 1
Einführung in das Urheberstrafrecht 25
§ 1 Die Strafvorschriften des UrhG im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 A. Die §§ 106 ff. UrhG als Bestandteil der Strafrechtsordnung .. . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Abhängigkeit vom Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 C. Das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 D. Die Strafvorschrift des § 106 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I. Das Werk als Tatobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verwertungshandlungen als Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nichtvorliegen eines gesetzlich zugelassenen Falles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fehlende Einwilligung des Berechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Urheberstrafrecht in der Rechtspraxis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 3 Parallelen zu anderen Rechtsgebieten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 A. Das Bürgerliche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 B. Gewerbliche Schutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 § 4 Symptomatische Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Kapitel 2
Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik 47
§ 1 Irrtümer als Elemente von Vorsatz und Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 § 2 Strafrechtliche Irrtümer im historischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 A. Der Irrtum in der Rechtsprechung des Reichsgerichts .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 B. Vorsatz- versus Schuldtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 I. Der Ursprung der Kontroverse .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 II. Tätigwerden des Gesetzgebers und Aktualität der Diskussion . . . . . . . . . . . 56 § 3 Herrschende Rechtslage und Irrtumslehre .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 A. Die verschiedenen Formen des Irrtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 I. § 16 StGB – Irrtum über Tatumstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
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Inhaltsverzeichnis 1. Umstände, die zum Tatbestand gehören . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das „Nicht-Kennen“ eines Umstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen des Tatumstandsirrtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 17 StGB – Verbotsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fehlende Einsicht, Unrecht zu tun .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Gegenstand des Unrechtsbewusstseins .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlende Normkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen des Verbotsirrtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vermeidbarkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Irrtum über das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes (Erlaubnistatumstandsirrtum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Irrtümer zulasten des Handelnden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Umgekehrte Irrtümer im Verbrechensaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der strafbare umgekehrte Irrtum .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das straflose Wahndelikt .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Spiegelbildlichkeit als Feuerprobe der Irrtumslehre . . . . . . . . . . . . . . B. Die Merkmale des Tatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Begrifflichkeiten und Abgrenzungsfragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deskriptive und normative Tatbestandsmerkmale .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Deskriptive Merkmale des Tatbestandes .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Normative Merkmale des Tatbestandes .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) „Mehr normative und mehr deskriptive Merkmale“ . . . . . . . . . . . . . 2. „Gesamttatbewertende“ Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Blankette .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Definition des Blankettstrafgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Weites Begriffsverständnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Enges Begriffsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Echte und unechte Blankettstrafgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Voll- und Teilblankette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Statische und dynamische Verweisungen .. . . . . . . . . . . . . . . b) Abschließende Definition des Blankettstrafgesetzes .. . . . . . . . . . . . 4. Normative Tatbestandsmerkmale in Abgrenzung zu Blankettverweisungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliches zur Problemstellung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtliche Vorgaben als Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Untaugliche Anknüpfungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die üblichen Kriterien einer Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Exkurs: Auslegungsfragen und Relativität der Rechtsbegriffe . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines zur Auslegung von Rechtsbegriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Relativität von Rechtsbegriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76 76 76 78 79 82 84 85 86 88 89 93 94 95
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Inhaltsverzeichnis
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3. Konsequenzen der Relativität von Rechtsbegriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 C. Die Behandlung von Irrtümern durch die Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . 116 I. Lehre der strikten Unterscheidung von Tatsachen- und Rechtsirrtümern . 117 II. Die „herrschende“ Lehre in Kürze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 III. Die „herrschende Lehre“ im Detail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Die psychologischen Faktoren „sinnliche Wahrnehmung“ und „geistiges Verstehen“ im rechtlichen Kontext .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2. Konkretisierung der Vorsatzerfordernisse in der Literatur . . . . . . . . . . . . . 127 a) Die tatbestandlich geforderte Kenntnis im Sinne des Wissenselements .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 aa) Die klassische Herangehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 bb) „Alternative“ Herangehensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 cc) Zwischenfazit: Normative und deskriptive Tatbestandsmerkmale werden im Ergebnis unterschiedlich gehandhabt .. . . . . . . 135 b) Die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 aa) Unproblematisch: Deskriptive Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . 137 bb) Der Problemfall: Normative Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . 138 c) Der Vorsatz in Bezug auf Blankettmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 aa) Die Grundproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 bb) Die Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (1) „Zusammenlesen“ von Blankett und Ausfüllungsnorm .. 145 (2) Kritik an der Technik des „Zusammenlesens“ .. . . . . . . . . . 147 cc) Zwischenergebnis zum Vorsatzverständnis bei Blankettvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 IV. Zusammenfassung zur Behandlung von Irrtümern in der Rechtswissenschaft .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 D. Die herrschende Irrtumslehre in der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 I. Zur fehlenden Kritik der Rechtsprechung an der herrschenden Irrtumslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 II. Kritische Würdigung der „herrschenden Grundsätze“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Die erste Schwachstelle: Die Unmöglichkeit einer trennscharfen Unterscheidung von Merkmalstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Normative Tatbestandsmerkmale als „Problemherde“ . . . . . . . . . . . 157 b) Kumulation der Probleme bei Blankettverweisungen . . . . . . . . . . . . 161 c) Zwischenergebnis zur Abgrenzungsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . 165 2. Die zweite Schwachstelle: Bruch mit dem Verständnis der Schuldtheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Die Schuldtheorie – ein Dorn im Auge der herrschenden Irrtumslehre? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Das „Schwert der Gerechtigkeit“ – ein Argument mit stumpfer Klinge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
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Inhaltsverzeichnis
c) Die verschiedenen Kategorien von Tatbestandsmerkmalen im Fokus der vertretenen Irrtumslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Normative Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gesamttatbewertende Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Blankettstrafvorschriften .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) „Unechte“ Blankettverweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) „Echte“ Blankettverweisungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Gebotenheit einer „großzügigen“ Vermeidbarkeitsprüfung .. 3. Die dritte Schwachstelle: Gesetzgebungstechnische Entscheidungen ohne materiell-rechtliche Zielsetzung entfalten materiell-rechtliche Wirkungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die vierte Schwachstelle: Umgekehrte Irrtümer als Feuerprobe . . . . . . . § 4 Die eigene Irrtumslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 3
Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts 193
§ 1 Die Brücke von der allgemeinen Irrtumslehre zum UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 § 2 Irrtümer im Bereich des Strafanwendungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 A. Exkurs: Das Strafanwendungsrecht im Kontext der Straftat .. . . . . . . . . . . . . . . . . 199 B. Irrtümer über Tatsachen, die die Anwendbarkeit deutschen Rechts begründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 C. Das Verkennen des Geltungsbereichs deutscher Strafvorschriften . . . . . . . . . . . 201 § 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 A. Tatobjekte: Irrtümer über das Werk, Bearbeitungen oder Umgestaltungen . . . 205 I. Irrtümer über das Vorliegen oder über die Einordnung eines Werks . . . . . 1. Irrtümer über das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung .. a) Irrtümer über das Vorliegen einer Schöpfung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erschaffung von etwas Neuem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schöpfung durch einen Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Irrtümer im Bereich der Geistigkeit und Persönlichkeit des Werkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die qualitativen Grundvoraussetzungen an ein Werk . . . . . . . . . bb) Das „quantitative Minimum“: Die Gestaltungshöhe . . . . . . . . . . cc) Irrtumskonstellationen in diesem Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Irrtümer über die Werkgattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Werke, die mehreren Gattungen angehören (können) . . . . . . . . . . . . b) Werke, die sich eindeutig zuweisen lassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis zum Irrtum über die Werkgattung .. . . . . . . . . . . 3. Sonstige Irrtümer betreffend die Schutzfähigkeit von Werken .. . . . . . . . II. Irrtümer über die Schutzfähigkeit von Werkteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
205 207 208 208 210 213 213 216 217 222 223 224 225 227 227 231
Inhaltsverzeichnis III. Irrtümer über die Schutzfähigkeit von Bearbeitungen und Umgestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Irrtümer bei besonders geregelten Werkarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Computerprogramme, § 69a UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sammel- und Datenbankwerke, § 4 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Amtliche Werke, § 5 UrhG .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung zum Irrtum über das Tatobjekt .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Tathandlungen: Irrtümer über die drei Varianten der Verwertung .. . . . . . . . . . .
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233 238 239 243 244 247 247
I. Dogmatische Einordnung der Begehungsvarianten des § 106 UrhG .. . . . . 250 II. Irrtümer im Bereich der Vervielfältigung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 1. Irrtümer über tatsächliche Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2. Irrtümer über die rechtliche Bewertung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 III. Irrtümer im Bereich der Verbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 1. Die Alternativen der Verbreitung als Tathandlung: Das Inverkehrbringen und das Anbieten von urheberrechtlich geschützten Werken .. 264 2. Der Bezug der Tathandlungsvarianten zum Merkmal der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 3. Das Anbieten an die Öffentlichkeit im Besonderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 4. Die Mehrzahl von Personen i.S.d. § 15 Abs. 3 S. 1 UrhG . . . . . . . . . . . . . 271 a) Das Erfordernis der Personenmehrzahl .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 b) Das Erfordernis fehlender persönlicher Verbundenheit . . . . . . . . . . 273 5. Der Erschöpfungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 6. Irrtumskonstellationen beim Tatbestandsmerkmal der Verbreitung . . . . 275 a) Der Irrtum darüber, ein Werk in den Verkehr zu bringen . . . . . . . . 276 b) Der Irrtum über das Anbieten eines Werkes an die Öffentlichkeit . 280 IV. Irrtümer im Bereich der öffentlichen Wiedergabe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 1. Die Öffentlichkeit der Wiedergabe im Besonderen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 a) Subjektive Ausrichtung des § 15 Abs. 3 S. 1 UrhG . . . . . . . . . . . . . . 288 b) Probleme insbesondere im digitalen Umfeld .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 2. Irrtümer über die Begehungsvarianten der öffentlichen Wiedergabe .. . 291 a) Irrtümer über die Tathandlungsvariante der öffentlichen Zugäng lichmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 aa) Besonders praxisrelevante Anwendungsfelder des § 19a UrhG . 293 bb) Die Verwendung von Hyperlinks und Frames als strafbare Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 cc) Der Vorsatzgegenstand beim öffentlichen Zugänglichmachen . 300 dd) Irrtumskonstellationen des § 19a UrhG .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 (1) Irrtümer über tatsächliche Umstände .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 (2) Irrtümer über die rechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 b) Irrtümer über die Tathandlungsvarianten des § 19 UrhG .. . . . . . . . 311 aa) Die Verwertungsrechte des § 19 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
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Inhaltsverzeichnis bb) Irrtumskonstellationen im Bereich von Vortrag, Aufführung und Vorführung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Irrtümer über die übrigen Tathandlungsvarianten der unkörperlichen Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Senderecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Zweitverwertungsrechte der §§ 21, 22 UrhG . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung zum Irrtum über die Tathandlung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Gesetzlich zugelassene Fälle: Irrtümer über Schranken des Urheberrechts .. .
312 315 316 319 321 322
I. Das Tatbestandsmerkmal in strafrechtsdogmatischer Hinsicht . . . . . . . . . . . 324 II. Irrtumskonstellationen im Bereich der „gesetzlich zugelassenen Fälle“ .. 327 1. Irrtümer im Bereich der Schranke des eigenen Gebrauchs, § 53 UrhG . 328 a) Irrtümer über die Freiheit der Privatkopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 b) Irrtümer über die Freiheit des „sonstigen eigenen Gebrauchs“ . . . 340 2. Irrtümer im Bereich des Erschöpfungsgrundsatzes, § 17 Abs. 2 UrhG . 344 3. Irrtümer im Bereich der Schutzfrist, §§ 64 ff. UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 III. Fazit zum Irrtum über die Schrankenregelungen des UrhG . . . . . . . . . . . . . . 351 D. Irrtümer über das Merkmal „ohne Einwilligung des Berechtigten“ . . . . . . . . . . 352 I. Dogmatische Einordnung des Merkmals .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 1. Die „herrschende Ansicht“: Einordnung als Element der Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 2. Einordnung ausschließlich als Merkmal des Tatbestandes .. . . . . . . . . . . . 354 3. „Doppelfunktion“: Rechtfertigende Einwilligung sowie Tatbestands ausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 a) Vorab: Trennung von Nutzungsberechtigung und Einwilligungs berechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 b) „Doppelfunktion“ zugunsten aller Nutzungsberechtigter . . . . . . . . 357 c) „Doppelfunktion“ nur zugunsten von Inhabern eines „Vollrechts“. 358 4. Überprüfung der Lehre einer „Doppelfunktion“ und eigene Lösung .. . 359 a) Vergleich mit § 107 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 b) Ablehnung einer „Doppelfunktion“ innerhalb des § 106 UrhG .. 361 c) Fazit: „ohne Einwilligung des Berechtigten“ als Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 II. Irrtumskonstellationen im Bereich des Tatbestandsmerkmals „ohne Einwilligung des Berechtigten“ .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 1. Der Glaube an die prinzipielle Entbehrlichkeit einer Einwilligung . . . . 367 2. Der Irrtum über das tatsächliche Vorliegen eines Nutzungsrechts . . . . . 369 3. Der Irrtum über die Wirksamkeit eines Nutzungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 371 4. Der Irrtum über den Umfang oder die Reichweite eines eingeräumten Nutzungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 5. Der Irrtum über die Person des Berechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 § 4 Irrtumskonstellationen bei gewerbsmäßigem Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 § 5 Irrtümer aus dem Bereich der Beteiligungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
Inhaltsverzeichnis
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§ 6 Irrtümer innerhalb der übrigen Strafvorschriften des UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 A. Unzulässiges Anbringen der Urheberbezeichnung, § 107 UrhG . . . . . . . . . . . . . . 394 B. Unerlaubte Eingriffe in verwandte Schutzrechte, § 108 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . 398 C. Unerlaubte Eingriffe in technische Schutzmaßnahmen und zur Rechtewahr nehmung erforderliche Informationen, § 108b UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 Resümee und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis
a.A. andere/-r Ansicht a.E. am Ende a.F. alte Fassung AfP Archiv für Presserecht AnwK Anwaltkommentar AT Allgemeiner Teil Aufl. Auflage BeckOK Beck-Onlinekommentar BeckRS Beck-Rechtsprechung BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblätter BGH Bundesgerichtshof BGHSt. Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen BGHZ Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BRD Bundesrepublik Deutschland BT-Drucks. Bundestag-Drucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts BW Baden-Württemberg bzgl. bezüglich CR Computer und Recht DesignG Designgesetz ders. derselbe d.h. das heißt DGStZ Deutsch-Georgische Strafrechtszeitschrift dies. dieselbe DIN Deutsches Institut für Normung DRZ Deutsche Richter Zeitung DSchG Denkmalschutzgesetz DSchGBW Denkmalschutzgesetz Baden-Württemberg d. Verf. der Verfasser/des Verfassers EG Europäische Gemeinschaft etc. et cetera EuGH Europäischer Gerichtshof EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht f. folgende ff. folgende FG Finanzgericht Fn. Fußnote GA Goltdammer’s Archiv für Strafrecht GebrMG Gebrauchsmustergesetz gem. gemäß
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Abkürzungsverzeichnis
ggf. gegebenenfalls GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht GRUR-Int. Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht International GRUR-RR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht-Rechtsprechungsreport HalbLSchG Halbleiterschutzgesetz h.M. herrschende Meinung i.d.R. in der Regel i.E. im Ergebnis insb. insbesondere i.R.d. im Rahmen des/der i.S.d. im Sinne des/der i.S.v. im Sinne von IT Informationstechnologie JR Juristische Rundschau JURA Juristische Ausbildung juris-PK juris-Praxiskommentar juris-PR-StrafR juris-Praxisreport zum Strafrecht JuS Juristische Schulung JZ Juristenzeitung KG Kammergericht KK Karlsruher Kommentar Lfg. Lieferung LG Landgericht LK Leipziger Kommentar LMRR Lebensmittelrechtsprechungsreport LTO Legal Tribune Online MarkenG Markengesetz MDR Monatsschrift für deutsches Recht MMR Multimedia und Recht MR-Int. Medien und Recht International Müko Münchner Kommentar m.w.N. mit weiteren Nachweisen NJW Neue Juristische Wochenschrift NK Nomos Kommentar NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-RR Neue Zeitschrift für Strafrecht-Rechtsprechungsreport OLG Oberlandesgericht OWiG Gesetz über Ordnungswidrigkeiten PatG Patentgesetz RG Reichsgericht RGSt. Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Strafsachen Rn. Randnummer Rspr. Rechtsprechung S. Seite SJZ Süddeutsche Juristenzeitung sog. sogenannt/-e/-er SortSchG Sortenschutzgesetz Sp. Spalte
Abkürzungsverzeichnis StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung StrRG Strafrechtsreformgesetz st. Rspr. ständige Rechtsprechung StV Strafverteidiger u.a. unter anderem UrhG Urheberrechtsgesetz usw. und so weiter u.U. unter Umständen v. von/vom vgl. vergleiche WiStG Wirtschaftsstrafgesetz wistra Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht www world wide web z.B. zum Beispiel ZGE Zeitschrift für Geistiges Eigentum ZIS Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik ZJS Zeitschrift für das Juristische Studium ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ZUM Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht
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Einleitung § 1 Das Urheberstrafrecht: Eine „irrtumsfeste“ Materie? Die Strafvorschriften des Urheberrechts spielen sowohl in der allgemeinen strafrechtlichen Diskussion als auch im urheberrechtlichen Diskurs eine untergeordnete Rolle. Dies mag einerseits daran liegen, dass die §§ 106 ff. UrhG in der Rechtspraxis als Bestandteil des Nebenstrafrechts wohl überwiegend dem Interesse von Spezialisten vorbehalten sind. Weiterhin ist das Urheberstrafrecht, sowohl im Vergleich mit anderen Nebengebieten des Strafrechts als auch gegenüber den zivilrechtlichen Normen des UrhG, von eher geringer praktischer Bedeutung.1 Teilweise ist mit Blick auf die Geschichte gar die Rede vom „Aschenputtel“ des Urheberrechts.2 Dass die strafrechtlichen Vorschriften des UrhG in der Rechtspraxis gewissermaßen ein Schattendasein führen, muss auf den ersten Blick allerdings verwundern angesichts der Emotionalität, mit welcher urheberrechtliche Debatten wiederkehrend in der Öffentlichkeit geführt werden. Medienwirksame Ereignisse wie das gerichtliche Verfahren gegen die Verantwortlichen des Video-Hosters kino.to,3 das international beachtete urheberrechtliche Tauziehen um den deutschstämmigen Internetunternehmer und Sharehosting-Mogul „Kim Dotcom“4 oder die „Abmahnwelle“ gegen die Nutzer des pornographischen Videoportals redtube.com5 werden zumeist im strafrechtlichen Kontext diskutiert. Tatsächlich kommt den 1 Für das Berichtsjahr 2014 erfasst die Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes insgesamt 135 Verurteilungen bei 186 Aburteilungen durch deutsche Gerichte nach den Strafvorschriften des UrhG. Die Polizeiliche Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts erfasst für denselben Zeitraum insgesamt 8.762 Fälle von Straftaten im Zusammenhang mit Urheberrechtsbestimmungen. 2 Achenbach/Ransiek/Rönnau-A. Nordemann, Teil 11 Kapitel 1 Rn. 3. 3 Vgl. zum Thema kino.to aus Sicht des Urheberstrafrechts nur Reinbacher, NStZ 2014, 57 ff.; umfassend zur Nutzung von Streamingportalen Galetzka/Stamer, MMR 2014, 292; aus der öffentlichen Debatte ferner http://www.welt.de/wirtschaft/webwelt/article133673849/Mache-ich-mich-als-Nutzer-von-Kinox-to-strafbar.html (zuletzt aufgerufen am 14. 11. 2016, 11:11 Uhr); http://www.t-online.de/computer/internet/id_71555182/grauzonestreaming-machen-sich-nutzer-von-illegalen-streamingdiensten-strafbar-.html (zuletzt aufgerufen am 14. 11. 2016, 11:12 Uhr). 4 Vgl. dazu http://www.zeit.de/digital/internet/2015 – 12/kim-dotcom-megaupload-aus lieferung (zuletzt aufgerufen am 14. 11. 2016, 11:13 Uhr). 5 Vgl. zur Nutzung von Streaming-Portalen am Beispiel von redtube.com: P. Hilgert/S. Hilgert, MMR 2014, 85 ff.; ferner umfassend zu redtube.com, kinox.to und vergleichbaren Portalen Galetzka/Stamer, MMR 2014, 292.
Einleitung
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Hebeln des Strafrechts allerdings eine ungleich geringere Bedeutung zu als dies in der öffentlichen Debatte vielleicht scheinen mag, innerhalb welcher „oft mit der – meist theoretischen – Strafbarkeit selbst geringfügiger Urheberrechtsverletzungen argumentiert wird.“6 Dass sich die geringe praktische Bedeutung der urheberrechtlichen Strafvorschriften auch in der Statistik der Gerichte widerspiegelt, ist also nur folgerichtig. Tatsache ist: Vor allem bezüglich allgemeiner Lehren – so auch mit Bezug zur Irrtumslehre – existiert nahezu überhaupt keine Rechtsprechung zum Urheberstrafrecht. Bedeutet dies nun, dass es auch keine Probleme gibt? Hildebrandt stellt in seinem umfangreichen Werk zum Urheberstrafrecht7 fest, dass ein Fehlen von Rechtsprechung zu zentralen Problemen „häufig nicht daran [liegt], dass sich keine rechtlichen Probleme stellen, sondern daran, dass die einschlägigen Probleme übersehen werden.“8 Dieser Aussage soll für das Thema dieser Arbeit freilich erst nachgegangen werden. Soviel jedoch lässt sich bereits an dieser Stelle vorwegnehmen: Allein, dass die Rechtsprechung die Behandlung von Irrtümern (auch) im Urheberrecht nicht in deren Grundsätzen hinterfragt, kann per se jedenfalls nicht bedeuten, dass die „gängige“ Vorgehensweise zwangsläufig zu richtigen Ergebnissen führt. Dies gilt unabhängig von der jeweiligen Materie, also für die Strafvorschriften der §§ 106 ff. UrhG ebenso wie für andere Gebiete. Roxin macht im Zusammenhang mit den grundlegenden Fragen der Strafrechtssystematik die Beobachtung, dass Studierende oder Fachfremde „oft mit einiger Ratlosigkeit vor der Vielfalt strafrechtssystematischer Bemühungen“ stünden und sich fragten, „warum sie so viel Raum in der wissenschaftlichen Diskussion einnehmen“.9 Ferner begegne man nicht selten der Auffassung, „dass es sich hier um Probleme recht akademischen Charakters handele, die der Praktiker des Rechts getrost vernachlässigen dürfe“.10 Dass Roxin diese Auffassung freilich nicht teilt, bedarf keiner besonderen Betonung. Die Verwandtschaft dieser Beobachtung zur eben zitierten Aussage Hildebrandts – und damit auch der Wert für diese Einleitung – ist augenscheinlich. So ist doch die grundsätzliche Behandlung von Irrtümern ein Aspekt, der nahezu ausschließlich akademische Behandlung erfährt. Roxin empfiehlt, „sich Nutzen und Nachteile systemgebundenen Strafrechtsdenkens zuvor möglichst deutlich und fallbezogen vor Augen“ zu stellen, „anstatt das Strafrechtssystem, wie es oft geschieht, in seiner gerade vorherrschenden historischen Erscheinungsform unbefragt hinzunehmen.“11 In diesem Sinne soll die vorliegende 6 Dreier/Schulze-Dreier,
§ 106 Rn. 2. Hildebrandt, Die Strafvorschriften des Urheberrechts, 2001. 8 Hildebrandt, S. 28, der indes noch einen Schritt weiter geht mit seiner Aussage, dass „in den vergangenen Jahren […] in wohl keinem anderen Rechtsgebiet so viele Fehlentscheidungen ergangen [sind] wie im Bereich des Urheberstrafrechts“, Hildebrandt, S. 27. 9 Roxin, AT I, § 7 Rn. 37. 10 Roxin, AT I, § 7 Rn. 37. 11 Roxin, AT I, § 7 Rn. 37. 7
§ 2 Der strafrechtliche „Kompass“ der Studie
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Arbeit einen Beitrag leisten, der die Irrtumslehre, angewandt auf das Urheberstrafrecht, kritisch hinterfragt – anstatt sie mit der „herrschenden Meinung“ schlicht anzuwenden. Die Lehre über Irrtümer im Strafrecht beim aktuellen Stand der Wissenschaft überhaupt zum Thema einer strafrechtlichen Monographie zu machen, mutet auf den ersten Blick womöglich kühn an, handelt es sich dabei doch um eine Materie, die durchaus als Klassiker zu bezeichnen ist. Mit dieser Qualifikation geht zwangsläufig ein breites Spektrum an Arbeiten einher – was wiederum darauf schließen lässt, dass kaum ein Aspekt der Thematik unbehandelt geblieben sein dürfte. Nichtsdestotrotz – beziehungsweise gerade aus diesem Grund – gibt es zahlreiche Fragen, die uneinheitlich beantwortet werden. Spätestens beim Verlassen des Kernstrafrechts eröffnen sich Problemfelder, die einer tiefer gehenden Bearbeitung von Irrtumsfragen nicht nur zugängig sind, sondern geradezu nach einer solchen rufen. Diese Feststellung markiert die erste von mehreren Zielsetzungen der vorliegenden Arbeit: Die Strafvorschriften des Urheberrechts bieten der strafrechtlichen Irrtumslehre gewissermaßen eine Plattform, einen Anknüpfungspunkt für die Veranschaulichung höchst abstrakter Fragestellungen des Allgemeinen Teils des Strafrechts. Es geht also unter anderem um eine Aufarbeitung der strafrechtlichen Irrtumslehre.
§ 2 Der strafrechtliche „Kompass“ der Studie Die vorliegende Arbeit verfolgt, wie soeben angedeutet, mehrere Ziele. Erstens soll die herrschende, allgemeine Irrtumslehre des Strafrechts kritisch hinterfragt werden. Zweitens ist es ein Ziel dieser Arbeit, eine umfassende Lösung von Irrtumsfällen innerhalb der urheberrechtlichen Strafvorschriften herauszuarbeiten. Erstgenanntes Ziel ist gleichermaßen eine notwendige Voraussetzung, um die anschließende urheberrechtliche Studie überhaupt zu ermöglichen. Um beide Forschungsgegenstände miteinander zu verknüpfen, soll an dieser Stelle in der gebotenen Kürze ein „roter Faden“ herausgearbeitet werden. Dieser – so viel vorweg – liegt in der lückenhaften Normierung der Anforderungen an das Vorsatzwissen eines Straftäters. Strafbar ist – dem gesetzlichen Leitbild zufolge – grundsätzlich nur vorsätzliches Handeln, § 15 StGB. Der Vorsatz wird im Strafrecht gemeinhin definiert als Wille zur Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestandes in Kenntnis all seiner objektiven Tatumstände, kurz: Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung.12 Diese Kurzformel wird „zwei Elementen menschlicher Verhaltensorien12 Vgl. RGSt 58, 247 (249); RGSt 70, 257 (258) dort jeweils: „bewußte[s] Wollen“; BGHSt 19, 295 (298); BGHSt 36, 1 (10); BGHSt 51, 100 (119 f.); BGHSt 52, 182 (189 f.); T. Fischer, § 15 Rn. 3; Heinrich, AT, Rn. 264; Jescheck/Weigend, AT, § 29 II 2; Rengier, AT, § 14 Rn. 5; Roxin, AT, § 10 Rn. 62; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 9; Welzel, Strafrecht, § 12 III; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 306.
Einleitung
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tierung“13 gerecht: dem kognitiven Element als „verstandesmäßiger Orientierung“ und dem voluntativen Element als „Orientierung über innere Bestrebungen“.14 Von besonderer Bedeutung im hiesigen Kontext ist die Feststellung, dass sich das Wissen und das Wollen des Täters nicht etwa auf „die Tat“ als solche beziehen, sondern jeden einzelnen Umstand erfassen müssen, der durch den Straftatbestand umschrieben wird.15 Wird der Fokus auf das Wissenselement gelenkt, so stellt sich die Frage, was genau ein Handelnder wissen muss, damit ihm eine solchermaßen geforderte Umstandskenntnis zuzuschreiben beziehungsweise anzulasten ist. Anders ausgedrückt: Es bedarf einer näheren Erörterung, was das Wort Wissen im Sinne der zitierten Kurzformel bedeutet. Dabei geht es um die Frage, wie weit die Kenntnis der objektiven Umstände gehen muss, um das Wissenselement im subjektiven Tatbestand zu bejahen. Diese Weichenstellung ist richtungsweisend, denn: Fehlt es am kognitiven Element des subjektiven Tatbestandes, spielt das voluntative Element keine Rolle mehr und es entfällt der Vorsatz – womit lediglich die Möglichkeit einer Bestrafung wegen Fahrlässigkeit übrig bliebe.16 Dies setzt allerdings zwingend die Existenz eines Fahrlässigkeitstatbestandes voraus, § 15 StGB. Im Urheberstrafrecht existiert ein solcher Tatbestand beispielsweise nicht, was ausnahmslos bedeutet: Vorsatzlosigkeit führt zu Straffreiheit. Bereits hieran wird deutlich, welches Gewicht der Einordnung eines Irrtums auch in der praktischen Fallbearbeitung zukommt. Umso wichtiger ist es, dieser Weichenstellung mit klaren Abgrenzungskriterien zu begegnen. Doch: Existieren solche klaren Kriterien? Beziehungsweise: Werden diese klaren Kriterien in der Praxis angewandt? Ganz grundsätzlich ist es die Aufgabe des Gesetzgebers, dort die entscheidenden Rahmenbedingungen zu schaffen, wo andernfalls unüberwindbare Probleme bei der Rechtsanwendung entstünden. Dies ergibt sich bereits aus dem verfassungsrechtlich gebotenen Vorbehalt des Gesetzes und der Wesentlichkeitstheorie.17 Bestenfalls regelt der Gesetzgeber also sämtliche entscheidenden Kriterien der Strafbarkeit vorab selbst, um mögliche Problemfälle bei der anschließenden Rechtsanwendung von vornherein auf ein Minimum zu beschränken oder – idealiter – auszuschließen. Dieses Idealbild kollidiert freilich mit der Lebenswirklichkeit, denn die Vielfalt an denkbaren Sachverhalten, die das „echte“ Leben mit sich bringt, lässt sich unmöglich gesetzlich „in Form pressen“ und haarklein Fall für Fall regulieren.
Schroth, S. 3. Schroth, S. 3. 15 Heinrich, AT, Rn. 266. 16 Schönke-Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 16 Rn. 4. 17 Vgl. BVerfGE 33, 125 (158); BVerfGE 33, 303 (337); BVerfGE 34, 52 (60); BVerfGE 34, 165 (192 f.); BVerfGE 40, 237 (249); BVerfGE 45, 400 (417 f.); BVerfGE 47, 46 (78 f.); BVerfGE 49, 89 (126 ff.); BVerfGE 57, 295 (327); BVerfGE 61, 260 (275); BVerfGE 76, 1 (74 f.); BVerfGE 83, 130 (142, 152). 13 14
§ 2 Der strafrechtliche „Kompass“ der Studie
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Um zurück zur Thematik zu finden: Es soll hinterfragt werden, ob unter den gegebenen gesetzlichen Bedingungen hinreichend klare Kriterien existieren beziehungsweise ob diese angewandt werden, wenn die Frage im Raum steht, ob eine Handlung in Anbetracht eines möglicherweise eingreifenden Irrtums vorsätzlich begangen wurde oder nicht. Wer einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich. Mit dieser negativen Formulierung gibt der Gesetzgeber in § 16 Abs. 1 S. 1 StGB einen (den einzigen!) Hinweis, wie er den Vorsatz definiert haben möchte – indem er festlegt, wann Vorsatz „jedenfalls zu verneinen ist“.18 Damit ist nach vorzugswürdiger Auffassung19 jedoch noch keine vollständige Definition gegeben – teilweise wird der Vorschrift des § 16 StGB sogar abgesprochen, überhaupt eine „positive Annäherung an Vorsatz“ zu liefern.20 Gleichwohl lässt sich Wesentliches aus § 16 StGB schöpfen: Vorsätzliches Handeln ist Handeln in Kenntnis der Umstände, die zu einem gesetzlichen Tatbestand gehören. Der Gesetzestext beschränkt sich also an dieser Stelle darauf, eine kognitive Anforderung zu formulieren, indem er die intellektuelle Komponente, also ein Wissenselement einführt.21 Eine Ergänzung dessen erfolgt an keiner anderen Stelle der Kodifikation. Nichtsdestotrotz muss dieser schmale Hinweis nach ganz herrschender Ansicht – freilich zugunsten des Täters – um ein weiteres, ungeschriebenes Erfordernis ergänzt werden: das voluntative Element des Vorsatzes.22 Der Täter muss erstens in Kenntnis aller Umstände handeln, die den Tatbestand ausmachen, und zweitens darüber hinaus den Willen zur Verwirklichung des Tatbestandes haben. Wer nun nicht über die geforderte Kenntnis verfügt, befindet sich im Irrtum über Tatumstände i.S.d. § 16 StGB und handelt nicht tatbestandsmäßig – er begeht dann kein vorsätzliches Unrecht. Wer hingegen alle objektiven Umstände kennt und dennoch nach ihnen agiert, handelt grundsätzlich tatbestandsmäßig, mithin jedenfalls nicht „rechtens“ im Sinne des Tatbestandes. Er begeht damit Unrecht. Ausweislich § 17 S. 1 StGB handelt ein Täter jedoch ohne Schuld, sofern er nicht einsieht, Unrecht zu tun und dies auch nicht vermeiden konnte. Hier präsentiert der Gesetzgeber sein Verständnis von Schuld. Allerdings wäre es verfehlt, die Schuld im Umkehrschluss aus § 17 StGB als „die Einsicht, Unrecht zu tun“ zu definieren. Wie sich bereits aus den §§ 19, 20, 21, 33, 35 StGB ergibt, erschöpft sich die Schuld keinesfalls im Bewusstsein dafür, etwas Unrechtes zu tun, sondern umfasst Hettinger, GA 1990, 531 (548); Safferling, S. 118. Meinung sind freilich die Vertreter der rein kognitiven Lehre, wonach ein voluntatives Element im Vorsatz komplett abgelehnt wird, vgl. Frister, AT, 11. Kapitel, Rn. 21 ff.; NK-Puppe, § 15 Rn. 23 ff., 64 ff., § 16 Rn. 1; Schlehofer, NJW 1989, 2017 (2019 f.). 20 Safferling, S. 118. 21 Vgl. zum Vorsatzinhalt noch ausführlich Kapitel 2 § 3 C. III. 2.; ferner insbesondere Safferling, S. 118 ff., 176. 22 Vgl. hierzu Hettinger, GA 1990, 531 (548); Lackner/Kühl, § 15 Rn. 19; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 60 ff.; D. Sternberg-Lieben/I. Sternberg-Lieben, JuS 2012, 976 ff. 18
19 Anderer
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Einleitung
vielmehr weitere Elemente wie die Schuldfähigkeit oder das Nichtvorliegen einer entschuldigenden Situation. Es ist auffällig, wie spartanisch der Gesetzgeber geregelt hat, was er unter Vorsatz und Schuld versteht. Und hierin liegt auch der Keim aller strafrechtlichen Irrtumsprobleme. Was „Kenntnis“ im Sinne von § 16 StGB genau ist, oder wann ein Täter über die „Einsicht, Unrecht zu tun“ im Sinne von § 17 StGB verfügt, bleiben Fragen, deren Klärung der Rechtsprechung und der Rechtswissenschaft überlassen wurde. Hieraus resultiert ein breites Meinungsspektrum, dessen Analyse auf den ersten Blick fast gar unmöglich erscheint. Unstreitig möglich ist jedoch bereits an dieser Stelle die folgende Aussage: In der Aufstellung klarer Anforderungen an das Vorsatzwissen liegt der Schlüssel zu einer adäquaten Lösung aller Irrtumsfälle. Allenfalls unbefriedigend gelöst erscheint bis heute darüber hinaus die Frage nach dem Umgang mit Verweisungen innerhalb von Straftatbeständen. Dies manifestiert sich in erster Linie im Bereich des Vorsatzwissens und ist omnipräsent im Nebenstrafrecht. Der von Welzel und Lange unter dem Deckmantel von Schuldund Vorsatztheorie intensiv ausgefochtene Streit um die Behandlung von Verweisungen ist bis dato keinesfalls ad acta gelegt.23 Ungeachtet der Tatsache, dass „die Schuldtheorie“ heute in den Augen der meisten Vertreter der Rechtswissenschaft für herrschend befunden wird, sind zahlreiche Fragen ebenso aktuell wie ungeklärt: Wie unterscheiden sich Blankettverweisungen und normative Tatbestandsmerkmale? Soweit sich diese überhaupt sinnvoll voneinander abgrenzen lassen, schließt sich folgende Frage an: Wie sind Irrtümer über Blankettmerkmale im Unterschied zu solchen über „echte Tatbestandsmerkmale“24 zu beurteilen? Worin liegt der Vorteil der herrschender Weise vorgenommenen Unterscheidung von normativen und deskriptiven Tatbestandsmerkmalen bei der Beurteilung des Vorsatzes? Vor allem im Nebenstrafrecht, wo der Gesetzgeber breitflächig auf außerstrafrechtliche Gesetze verweist und somit Elemente außerstrafrechtlicher Rechtssätze in Bezug nimmt, werfen Irrtumsfälle regelmäßig überkommene Probleme auf, die dann fast gebetsmühlenartig neu aufgerollt werden müssen, um sachgerechte Lösungen zu erarbeiten.25 Wenn aber die Gesetzestechnik der Verweisung (im weitesten Sinne) die herrschende Irrtumslehre auch im Urheberstrafrecht auf die Probe stellt, so muss doch das unbestrittene Ergebnis einer vermeintlichen Problemlosigkeit, welche durch das Schweigen der Gerichte insoweit indiziert wird, umso mehr verwundern.
23 Vgl. Lange, JZ 1956, 73 ff.; ders., JZ 1956, 519 (519); ders. JZ 1957, 233 (238); Welzel, JZ 1956, 238 (238). 24 Vgl. NK-Puppe, § 16 Rn. 21. 25 Vgl. jüngst ausführlich zum Irrtum im Wirtschaftsstrafrecht Bülte, NStZ 2013, 65 ff.; monographisch ferner Schuster, Das Verhältnis von Strafnormen und Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten, 2012.
§ 3 Der technische Fortschritt als „Motor“ des Urheberrechts
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§ 3 Der technische Fortschritt als „Motor“ des Urheberrechts Das Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 9. September 196526 feierte im Jahr 2015 sein 50-jähriges Bestehen. Das Regelungswerk erfuhr im Laufe der vergangenen Dekaden zahlreiche Modifizierungen, wobei die urheberrechtliche Rechtsentwicklung damals wie heute von ein und demselben „Motor“ angetrieben wird: dem technischen Fortschritt. Kaum ein „Geburtstagsgruß“ an das UrhG kommt dementsprechend ohne eine Betonung der wachsenden Herausforderungen aus, die das längst angebrochene „digitale Zeitalter“ dem Urheberrecht auferlegt: B. Neumann betont, es sei „unstrittig […], dass angesichts der digitalen Rundumversorgung ganz neue Herausforderungen für den Schutz des geistigen Eigentums erwachsen sind.“27 Denselben Aspekt betont der derzeitige Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz Maas und rückt insoweit die „tiefgreifenden Umbrüche, die Vernetzung und Digitalisierung derzeit mit sich bringen“,28 in den Fokus. Insbesondere der Wandel von der Dominanz einer analogen zur digitalen Nutzung des geistigen Eigentums bringe Besonderheiten mit sich: „Das digitale Ökosystem funktioniert nach anderen Regeln als das klassische Verlagsgeschäft.“29 Dass in Bezug auf diese „anderen“ Regeln aus Sicht der Bundesregierung zum Jubiläum des UrhG offenbar Handlungsbedarf bestand, belegt die Aussage, „das bestehende Urheberrechtssystem“ sei „extrem ausdifferenziert, teilweise auch schon völlig überkomplex.“30 Die in der Tat feststellbare Komplexität der urheberrechtlichen Regelungen führt auch in der Rechtpraxis zu Komplikationen. Fuchs/Farkas betonen, ebenfalls zum Zeitpunkt des urheberrechtlichen Jubiläums: „Derzeit besteht eine tiefe Kluft zwischen der Gesetzeslage und dem Rechts- und Gerechtigkeitsgefühl der Rechtsunterworfenen […]. Angesichts der verbreiteten Wahrnehmung, dieses diene doch nur den großen, marktbeherrschenden Verlagen und Plattenlabels als Verwertern, wird die Legitimation des Urheberrechts zunehmend infrage gestellt. Dies scheint eine Fehlannahme zu sein.“31 In dieselbe Richtung geht schon die etwas ältere Feststellung von Frey: „Die Diskussion und Kritik an massenhaften Abmahnungen aufgrund von Urheberrechtsverletzungen im Internet offenbart eine deutliche Divergenz zwischen rechtlichen Normen und sozialen Normen.“32 Becker stellt insoweit ebenfalls fest: „Dies geht soweit, dass gerade jüngeren Nutzern 26 Die amtlichen Kurzbezeichnungen lauten „Urheberrechtsgesetz“ und „UrhG“, BGBl. I 1965, S. 1273. 27 B. Neumann, ZUM 2016, 206 (206). 28 Maas, ZUM 2016, 207 (210). 29 Maas, ZUM 2016, 207 (210). 30 Maas, ZUM 2016, 207 (210). 31 Fuchs/Farkas, ZUM 2016, 370 (373). 32 Frey, ZUM 2014, 554 (554).
Einleitung
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Werke als ubiquitär verfügbares, grundsätzlich kostenloses Gemeingut gelten, dessen Entgeltlichkeit als ungerechtfertigt empfunden wird.“33 Genau an dieser Stelle entfaltet bei der Beurteilung von strafrechtlichen Sachverhalten die Irrtumslehre ihre Wirkung: Wenn das zitierte „Gerechtigkeitsgefühl“ der Rechtsunterworfenen von der tatsächlichen Rechtslage abweicht und rechtliche und soziale Normen tatsächlich divergieren, so sind strafrechtlich gesehen immer auch die Fragen nach dem Unrechtsbewusstsein und dem Vorsatz eines Handelnden eröffnet, wenn dieser im konkreten Fall daran glaubt, dass sein Handeln „erlaubt“ sei oder aber überhaupt nicht auf den Gedanken kommt, in irgendeiner Weise rechtlich relevant zu agieren, sei es, weil er eine Tatsache verkennt, oder weil ihm schlicht das Unrechtsbewusstsein fehlt. Die folgenden Ausführungen verfolgen daher auch das Ziel, diese „neuartigen“ Problemfelder, die sich aus der zunehmenden Digitalisierung im Bereich des geistigen Schaffens ergeben, mit besonderem Augenmerk zu berücksichtigen. Es ist nicht mehr der „klassische Raubdruck“, der die heutige urheberrechtliche Debatte dominiert – oder dominieren sollte. Dementsprechend verfolgt die vorliegende Arbeit den Anspruch einer aktuellen Studie, die einen verbindlichen Lösungsweg für alle Irrtümer im Bereich des Urheberstrafrechts aufzeigen soll. Von wachsender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang insbesondere der Umgang mit den sozialen Medien und dabei vor allem das Phänomen, dass Nutzer von sozialen Netzwerken – als prominentes Beispiel sei an dieser Stelle das Netzwerk Facebook genannt – oftmals unreflektiert und nahezu inflationär Medieninhalte aller Art „teilen“, wobei in zahlreichen Fällen urheberrechtlich geschützte Werke betroffen sind.
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Becker, ZGE 2016, 239 (251).
Kapitel 1
Einführung in das Urheberstrafrecht Kap. 1: Einführung in das Urheberstrafrecht
§ 1 Die Strafvorschriften des UrhG im Überblick Die strafrechtliche Ahndung von Urheberrechtsverletzungen hat, wie auch das Urheberrecht im Allgemeinen, eine rege historische Entwicklung durchlaufen. Mit Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg im Jahre 1440 war das Bedürfnis nach einem effektiven Schutz geistigen Eigentums entfacht, denn wo bis dato das bloße Abschreiben die einzige Möglichkeit gewesen war, um ein Werk zu kopieren, war nun eine Technik geboren, schnell und bequem mehrfach dasselbe Objekt schlicht zu reproduzieren. Diese „Geburtsstunde des Urheberrechts“1 brachte einen Stein ins Rollen. Über das Privilegienwesen zugunsten des Druckgewerbes und die Lehre vom Verlagseigentum hinweg bis hin zum UrhG in seiner heutigen Fassung unterlag nicht nur „das Urheberrecht“ als Schutzgut einem stetigen Wandel, sondern mit ihm auch seine schützenden Normen inklusive des Strafrechts. Jedoch verfolgt diese Arbeit nicht das Ziel einer rechtshistorischen Darstellung. Deswegen sei an dieser Stelle auf die bereits erschienenen, umfassenden Darstellungen verwiesen.2 Freilich wird auch in der vorliegenden Arbeit dort auf die geschichtliche Entwicklung eingegangen, wo diese für das heutige Verständnis oder die Auslegung des Gesetzes von Bedeutung ist. Der strafrechtliche Schutz des Urheberrechts erfolgt nicht über die Tatbestände des StGB, sondern mittels nebenstrafrechtlicher Normen innerhalb des UrhG. Dort nimmt das Urheberstrafrecht in den §§ 106 ff. einen eigenen Unterabschnitt unter dem Titel „Straf- und Bußgeldvorschriften“ ein. Strafrechtlich geahndet werden die unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke (§ 106 UrhG), das unzulässige Anbringen der Urheberbezeichnung (§ 107 UrhG), unerlaubte Eingriffe in verwandte Schutzrechte (§ 108 UrhG) sowie unerlaubte Eingriffe in technische Schutzmaßnahmen und zur Rechtewahrnehmung erforderliche Informationen (§ 108b UrhG). Darüber hinaus enthält § 108a UrhG eine Strafschärfung für Fälle gewerbsmäßigen Handelns. Mit § 111a UrhG existiert zudem eine Bußgeldvorschrift, die spezielle Rechtsverletzungen als Ordnungswidrigkeiten sanktioniert. § 109 UrhG stellt für alle Tatbestände ein relatives Strafantragserfordernis Ulmer, § 9 f.; U. Weber, S. 13. insb. U. Weber, S. 12 ff.; ferner Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, Einleitung UrhG Rn. 1 ff.; Fromm/Nordemann-Czychowski, Einleitung UrhG Rn. 24 ff.; Wandtke-Wandtke, Kapitel 1 Rn. 2 ff. 1 Vgl. 2 Vgl.
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Kap. 1: Einführung in das Urheberstrafrecht
auf, ausgenommen hiervon sind allerdings die gewerbsmäßigen Taten nach § 108a UrhG. § 110 UrhG modifiziert für das Urheberstrafrecht die in den §§ 74 ff. StGB allgemein geregelte Einziehung,3 während § 111 UrhG zu Rehabilitierungszwecken des Täters eine Bekanntgabe von Verurteilungen ermöglicht.4 In der vorliegenden Arbeit werden nicht alle strafrechtlichen Vorschriften des UrhG vertieft bearbeitet. Im Mittelpunkt des Interesses steht § 106 UrhG als „Zentraltatbestand“5 des Urheberstrafrechts. Die nachfolgend angesiedelten Paragraphen werden allenfalls kurz gewürdigt, was mehrere Gründe hat: Teilweise sind die Vorschriften mit Blick auf die Thematik der Arbeit schlicht bedeutungslos. Dies trifft zu auf die §§ 109, 110, 111 UrhG, welche von prozessualer Natur sind und deshalb keine Auswirkungen auf die Lösung von Irrtumsfällen zeitigen. Andere Normen hingegen wären zwar grundsätzlich taugliche Anknüpfungspunkte dieser Arbeit, sollen jedoch aus anderen Gründen außen vorgelassen werden. Die §§ 107, 108 und 108b UrhG sind erstens in der Praxis, wenn überhaupt, nur von äußerst geringer Bedeutung.6 Zweitens lassen sich sämtliche innerhalb der Erörterung von § 106 UrhG gefundenen Ergebnisse auf diese Strafvorschriften übertragen – weswegen am Ende der Arbeit nur knapp auf die genannten Tatbestände eingegangen wird.7 Nicht unterschlagen werden sollte hingegen eine Untersuchung des § 108a UrhG in Bezug auf mögliche Irrtümer über das Merkmal des gewerbsmäßigen Handelns.8 Schließlich soll die Bußgeldvorschrift des § 111a UrhG ausgespart werden. Die Erörterungen zur Allgemeinen Irrtumslehre des StGB lassen sich auf das Ordnungswidrigkeitenrecht übertragen,9 was eine Thematisierung, jedenfalls in der vorliegenden Arbeit, entbehrlich macht. 3 Vgl. Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 110 Rn. 1 f.; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 110 UrhG Rn. 1; Schricker/Loewenheim-Haß, § 110 Rn. 1; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 110 Rn. 1. 4 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 111 UrhG Rn. 1; Schricker/Loewenheim-Haß, § 111 Rn. 1. 5 Heinrich, Strafbarkeit, S. 176; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 1; U. Weber, S. 173. 6 Vgl. bzgl. § 107 UrhG einhellig BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 107 Rn. 1; Dreier/Schulze-Dreier, § 107 Rn. 4; Dreyer/Kotthoff/Meckel-Kotthoff, § 107 Rn. 1; Flechsig, GRUR 1978, 287 (289); Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 107 Rn. 2; Hildebrandt, S. 173; Löffler, NJW 1993, 1421 (1427); Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 107 UrhG Rn. 1; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, § 13 Rn. 649; U. Weber, S. 419 ff.; dem § 108 UrhG wird immerhin eine gewisse Bedeutung beigemessen im Kampf gegen Musik-, Video und Computerpiraterie, vgl. Dreier/Schulze-Dreier, § 108 Rn. 1; Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 108 Rn. 1; Hildebrandt, S. 203; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108 UrhG Rn. 1; bzgl. der Bedeutung von § 108b UrhG hat sich soweit ersichtlich noch keine Meinung herausgebildet – eine gerichtliche Praxis ist insofern jedoch nicht auszumachen. 7 Kapitel 3 § 6. 8 Kapitel 3 § 4. 9 Vgl. Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, § 1 Rn. 7; KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 1; U. Weber, ZStW 96 (1984), 376 (392).
§ 1 Die Strafvorschriften des UrhG im Überblick
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A. Die §§ 106 ff. UrhG als Bestandteil der Strafrechtsordnung Wie schon die amtliche Überschrift „Straf- und Bußgeldvorschriften“ erkennbar macht, handelt es sich bei den §§ 106 ff. UrhG (mit Ausnahme des § 111a UrhG) um Strafrecht. Hieraus ergibt sich eine Ambivalenz: Während die betreffenden Normen einerseits kraft Ihres Standorts zum Urheberrecht gehören, sind sie doch auch Teil der Strafrechtsordnung – als Nebenstrafrecht.10 Dies hat zur Folge, dass einerseits die zivilrechtlichen Grundsätze zur Geltung kommen (dazu sogleich). Andererseits sind bei einer Anwendung der §§ 106 ff. UrhG zwingend die verfassungsrechtlich gebotenen Besonderheiten des Strafrechts zu beachten, insbesondere die Grundsätze des Gesetzlichkeitsprinzips, § 1 StGB und Art. 103 Abs. 2 GG: das Bestimmtheitsgebot (lex certa), das Rückwirkungsverbot (lex praevia) sowie das Analogieverbot (lex stricta) und der Ausschluss von Gewohnheitsrecht (lex scripta).11 In denjenigen Fällen, in denen also beispielsweise im Urheber-Vertragsrecht eine analoge Anwendung von Vorschriften möglich ist, verbietet sich diese Vorgehensweise i.R.d. §§ 106 ff. UrhG per se, sobald sich dies für den Täter nachteilig auf dessen Strafbarkeit auswirkt. Die Vorschriften des Nebenstrafrechts sind unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass der Allgemeine Teil des StGB mitsamt aller ungeschriebenen Grundsätze für sie genauso gilt wie für die Normen des Kernstrafrechts.12 Die §§ 106 ff. UrhG sind also vor dem Hintergrund zu lesen, dass auch hier die allgemeinen strafrechtlichen Grundsätze gelten. Von besonderer Bedeutung ist im vorliegenden Kontext, dass der Vorsatzbegriff sowie das Verständnis von Unrecht und Schuld im Allgemeinen denjenigen des StGB entsprechen, weswegen die Behandlung von Irrtümern auch im Urheberstrafrecht nach den §§ 16, 17 StGB beziehungsweise nach den Grundsätzen der allgemeinen Irrtumslehre erfolgt. Dasselbe gilt für eine Strafbarkeit von Teilnehmern sowie für die Strafbarkeit des Versuchs, welche ebenfalls nach allgemeinem Strafrecht zu beurteilen sind.13 Eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit kommt im Urheberrecht mangels einschlägiger Tatbestände nicht in Betracht.14 In prozessualer Hinsicht ergeben sich im Urheberstrafrecht, mit Ausnahme des erwähnten relativen Antragserfordernisses (§ 109 UrhG) sowie der modifizierten 10 Heinrich, in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (62); Hildebrandt, S. 31; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 119. 11 Vgl. nur NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 13 ff. 12 Vgl. Art. 1 Abs. 1 EGStGB; ferner Dreyer/Kotthoff/Meckel-Kotthoff, § 106 Rn. 2; Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, Vor § 106 Rn. 5; Heinrich, in: Bosch/Bung/ Klippel, S. 59 (62); Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 119; vgl. auch U. Weber, S. 281 f. 13 Vgl. nur Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, Vor § 106 Rn. 5. 14 Vgl. § 15 StGB: Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.
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Kap. 1: Einführung in das Urheberstrafrecht
Einziehungsmöglichkeit (§ 110 UrhG) und der Option zur Bekanntgabe einer Verurteilung zu Rehabilitierungszwecken, keine Besonderheiten.
B. Abhängigkeit vom Zivilrecht Innerhalb der straf- und verfassungsrechtlichen, durch § 1 StGB und Art. 103 Abs. 2 GG gesteckten Grenzen ist auffällig, welche Dynamik dem Urheberstrafrecht innewohnt. Die Tatbestandsmerkmale aller Strafvorschriften des UrhG sind augenscheinlich durch eine starke Ausfüllungs- beziehungsweise Auslegungsbedürftigkeit geprägt. Bereits der erste Blick auf § 106 UrhG macht deutlich, dass dieser, stünde er allein, womöglich mit dem in Art. 103 GG, § 1 StGB fixierten Bestimmtheitsgebot in Konflikt geriete.15 Dieser Problematik wird dadurch entsprochen, dass die Strafvorschrift eben nicht für sich alleine betrachtet wird, sondern stets im Zusammenhang mit den zivilrechtlichen Normen des UrhG zu lesen ist,16 weswegen insoweit von einer Akzessorietät zum Zivilrecht17 beziehungsweise vom „Primat des Zivilrechts“18 gesprochen wird. Dasselbe meint Haß mit der Bezeichnung der §§ 106 ff. UrhG als „Auffüllungstatbestände“,19 wobei diese Bezeichnung doch eher impliziert, dass diese Vorschriften selbst andere Normen ausfüllen, statt ausgefüllt zu werden. Die wiederum andernorts getroffene Aussage einer „Urheberrechtsakzessorietät“20 ist ebenfalls wenig glücklich – impliziert dies doch strenggenommen, dass die Strafvorschriften des UrhG ihrerseits kein Urheberrecht darstellten, was angesichts ihres Standorts doch verwunderlich erschiene. Sowohl die zivilrechtlichen als auch die strafrechtlichen Vorschriften des UrhG sind Urheberrecht, weswegen für die §§ 106 ff. UrhG allein der Begriff der Zivilrechtsakzessorietät zutreffend ist. Die akzessorische Ausgestaltung des Urheberstrafrechts erfährt durchaus Kritik. Sternberg-Lieben meldet etwa Bedenken im Zusammenhang mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip an. So führe „jede Ausdehnung des zivilrechtlichen Urheber- und Leistungsschutzes […] ohne näheren strafrechtsspezifischen Filter zu 15 Vgl. zum Bestimmtheitsgebot allgemein etwa BVerfG NJW 2009, 2370; BeckOKStGB-v. Heintschel-Heinegg, § 1 Rn. 9 ff.; Lackner/Kühl, § 1 Rn. 2; NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 14 ff.; Schönke/Schröder-Eser/Hecker, § 1 Rn. 16 ff. 16 BGHSt 49, 93 (93); Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 1; Hildebrandt, S. 31; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., Vor § 106 UrhG Rn. 29, § 106 UrhG Rn. 2; U. Weber, S. 6. 17 BGHSt 49, 93 (93); Hildebrandt, S. 31, 247 sehr anschaulich von einer „enge[n] Verzahnung“ sprechend; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 2; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 6; vgl. auch U. Weber, S. 173. 18 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., Vor § 106 UrhG Rn. 29; Lampe, UFITA 83 (1978), 15 (15). 19 Schricker/Loewenheim-Haß, Vor § 106 Rn. 3. 20 BGH NJW 2004, 1674 (1674); Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 1.
§ 1 Die Strafvorschriften des UrhG im Überblick
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urheberstrafrechtlichen Sanktionen,“ mithin sei eine Strafbarkeit nicht auf schwerwiegende Verletzungen beschränkt.21 Abgesehen davon, dass es sich bei der Frage der Strafwürdigkeit um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers handelt, führt jedoch keineswegs jede Entwicklung innerhalb der zivilrechtlichen Normen zwangsläufig zur Ausdehnung der Strafbarkeit: So lassen sich die §§ 107, 108 und 108b UrhG doch als abschließende Kataloge verstehen. Etwaig entstehende weitere verwandte Schutzrechte müssten demnach bewusst erst durch die Strafvorschriften mit aufgenommen und insoweit unter Strafe gestellt werden. Überdies fällt auf, dass der strafrechtliche Schutz des UrhG hinter dem zivilrechtlichen Schutz zurückbleibt22 und sich auf die wesentlichen, also die Verwertungsrechte der Urheber (§ 106 UrhG) sowie auf Leistungsschutzrechte (§ 108 UrhG) konzentriert – und das Urheberpersönlichkeitsrecht und schlichte Vertragsverletzungen weitgehend ausgeklammert bleiben. Die Strafwürdigkeit geringfügiger Urheberrechtsverletzungen darf mit Sicherheit angezweifelt werden.23 Allerdings stellt dies kein rechtstechnisches Problem dar. Einen „Filter“ einzubauen, würde doch zwangsläufig bedeuten, eine komplett andere Wertung über die Strafwürdigkeit zu treffen. Doch: Wie sollen Strafvorschriften in einem so lebendigen und von den Entwicklungen technischer Möglichkeiten abhängigen Bereich überhaupt möglich sein, wenn sie nicht akzessorisch zu den zunächst positiv gewährten Rechten der Urheber ausgestaltet werden sollen? So stellte U. Weber einst in Bezug auf das Patentrecht zutreffend fest: „Naturgemäß mußte sich ein Rechtsgebiet, das so eng mit der Technik verknüpft ist […] im Zuge der stürmischen technischen und industriellen Entwicklung des 20. Jahrhunderts laufend erweitern und komplizieren.“24 Dem lässt sich keine Wertung hinzufügen, sondern allenfalls die Vermutung aufstellen, dass bestimmten technischen Vorgängen eben nicht immer auf einfache und gesetzgebungstechnisch durchweg befriedigende Weise begegnet werden kann. Insoweit erscheint das Urheberstrafrecht – rechtstechnisch betrachtet – durchaus schlüssig konzipiert zu sein. Dem Argument einer Überpönalisierung werden innerhalb des Schrifttums nicht zu vernachlässigende Gegenargumente entgegnet, wie etwa die Tatsache, dass mithilfe moderner Computertechnik durch eine einzige, privat online gestellte Datei millionenfach weitere Verletzungen von Urheberrechten ermöglicht wer21 BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben,
§ 106 Rn. 3. Vgl. Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., Vor § 106 UrhG Rn. 29. 23 Vgl. hierzu monographisch Albach, Zur Verhältnismäßigkeit der Strafbarkeit privater Urheberrechtsverletzungen im Internet, 2015; ferner die Überlegungen zur Installation einer Erheblichkeitsschwelle im gesamten Recht des Geistigen Eigentums bei Pfaffinger, S. 261 ff. sowie die rechtspolitischen Überlegungen von Hildebrandt, S. 519 ff.; eine Ausdehnung der Strafbarkeit fordert demgegenüber Dietz: Der „unterschiedliche Schutz von geistigem und Sacheigentum“ sei „äußerst bedenklich.“ So verwundere es kaum, „dass Urheberrechtsstraftaten, wie das Herunterladen von Musik aus dem Internet, bagatellisiert“ würden, Wandtke-Dietz, Kapitel 11 Rn. 2. 24 U. Weber, S. 7. 22
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Kap. 1: Einführung in das Urheberstrafrecht
den.25 Insofern erscheint die Akzessorietät als einzig geeignetes rechtstechnisches Mittel, um angemessen, da flexibel, auf regelmäßig unangekündigte technische Neuerungen reagieren zu können. Ausdrücklich beizupflichten ist der Aussage, dass es auch Aufgabe des Strafrechts ist, einer Herabwürdigung des geistigen Eigentums zu „Ramschgut“ entgegenzutreten.26 Dies kann nur gelingen, wenn Verletzungen geistigen Eigentums über das Internet nicht von vornherein als Kava liersdelikte abgestempelt werden, denn insoweit handelt es sich tatsächlich um ein Massenphänomen.27 Dass hierbei allerdings der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden muss, versteht sich von selbst. Es ist nicht die Aufgabe dieser Arbeit, die gesetzgeberische Technik oder die Entscheidung über die Strafwürdigkeit bestimmter Verhaltensweisen zu hinterfragen. Allerdings löst eben die strenge Akzessorietät zum Urheberzivilrecht Probleme aus, denen auch in dieser Arbeit richtungsweisende Bedeutung zukommt – nämlich bei der Frage nach dem Unrechtsbewusstsein beziehungsweise der Frage nach dem Vorsatzgegenstand.28 In vielen Bereichen des Nebenstrafrechts stellt sich das Problem von Verweisungen. Wo aber der Strafgesetzgeber auf andere Normen verweist, wird die Frage nach den Bezugspunkten des Vorsatzes virulent. Ohne allzu viel vorweg zu nehmen, lässt sich bereits an dieser Stelle folgende Behauptung aufstellen: Wo vom Täter verlangt wird, dass er bestimmte Ge- und Verbote befolgt, deren Sinn sich erst aus Normen ergibt, die außerhalb der Strafvorschrift liegen, wird es mit steigender Intensität beziehungsweise Tiefe der Verweisung auch schwieriger, seinen Vorsatz zu begründen und insoweit auch Irrtumsfälle zu lösen. An dieser Stelle bleibt, mit U. Weber, festzuhalten: Soll die Materie des Urheberstrafrechts „zutreffend erfaßt und voll gewürdigt werden“, so bedarf es zwingend eines Blickes in das „ihm zugrundeliegende Rechtsgebiet“,29 also in die vorangestellten zivilrechtlichen Normen des UrhG. Diese liefern nicht nur die verfassungsrechtlich geforderte Konkretisierung der Tatbestandsmerkmale, sondern auch den nötigen Hintergrund für ein Verständnis des Straftatbestandes des § 106 UrhG. Dieser soll im Folgenden kurz skizziert werden.
C. Das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte Von zentraler Bedeutung für das Verständnis des Urheberstrafrechts ist die Regelungstechnik des UrhG, wie sie sich in den Strafvorschriften widerspiegelt. § 106 25 Vgl. die restriktive Auffassung bei Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, Vor § 106 Rn. 8 ff., 14; ferner Wabnitz/Janovsky-Bär, Kapitel 14 Rn. 146; Wandtke-Dietz, Kapitel 11 Rn. 2. 26 Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, Vor § 106 Rn. 14; vgl. auch Albach, S. 184 ff., 238 ff.; Pfaffinger, S. 2 ff.; Wandtke-Dietz, Kapitel 11 Rn. 2. 27 Vgl. Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, Vor § 106 Rn. 8 f.; Wabnitz/Janovsky-Bär, Kapitel 14 Rn. 146. 28 Vgl. dazu noch ausführlich Kapitel 2 § 3 C. III. 2. 29 U. Weber, S. 6.
§ 1 Die Strafvorschriften des UrhG im Überblick
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UrhG stellt die unerlaubte Verwertung von Werken unter Strafe – er schützt damit das Urheberrecht „im engeren Sinne.“30 Hiermit ist gemeint: Den umfassenden Schutz dieser Norm genießen nur jene Gegenstände, die sich durch die §§ 1 – 4 UrhG als Werke beziehungsweise deren Bearbeitungen oder Umgestaltungen qualifizieren lassen. Schutzgut des § 106 UrhG ist allein das aus dem geistigen Eigentum resultierende Verwertungsrecht.31 Dementsprechend kann sich nur derjenige auf § 106 UrhG berufen, der als Rechtsgutträger selbst Verletzter sein kann – also der Urheber und seine Rechtsnachfolger (§§ 7 – 10, 28 UrhG) sowie der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts gem. § 31 Abs. 1, 3 UrhG.32 Dies spiegelt sich in § 109 UrhG wider, sodass nur die genannten Personen auch Strafantragsberechtigte sind.33 Über diesen Schutz des Urheberrechts „im engeren Sinne“ hinaus hat der Gesetzgeber anderweitige Schutzbedürfnisse erkannt und deshalb „im weiteren Sinne“ die verwandten Schutzrechte, die auch Nachbar- oder Leistungsschutzrechte genannt werden,34 ins UrhG aufgenommen. Diese sind in den §§ 70 ff. UrhG abschließend kodifiziert und stehen selbstständig neben „dem Urheberrecht.“35 Bei deren Normierung hatte der Gesetzgeber bewusst nicht die schöpferische Leistung von Urhebern im Blick, sondern ausdrücklich „Leistungen anderer Art.“36 Deren strafrechtlicher Schutz wird durch § 108 UrhG gewährt. Dieser hat – als solche Leistung anderer Art – in erster Linie die unternehmerische Leistung anderer Beteiligter (Lichtbildner, Tonträgerhersteller, Sendeunternehmen etc.) zum Schutzgegenstand.37 So betrachtet, ergibt sich eine gewisse Zweigleisigkeit der urheberrechtlichen Schutz- und Regelungssystematik. Diese lässt sich beispielhaft verdeutlichen am Schutz von Lichtbildern und Erzeugnissen, die ähnlich wie Lichtbilder hergestellt werden, § 72 UrhG: Bei diesen Lichtbildern handelt es sich um Bilder, die keine persönliche geistige Schöpfung darstellen und deshalb keine Lichtbildwerke i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 UrhG darstellen.38 Darum fallen sie nicht in den Schutzbereich des § 106 UrhG. Die höher bewerteten Lichtbildwerke „spiegeln die individuelle Kreativität § 106 Rn. 3; Lettl, § 1 Rn. 43. Vgl. Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 6. 32 Vgl. Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 1. 33 Vgl. Dreyer/Kotthoff-Meckel-Kotthoff, § 109 Rn. 2; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 109 UrhG Rn. 2 ff.; Schricker/Loewenheim-Haß, § 109 Rn. 3. 34 Lettl, § 9 Rn. 1; Loewenheim-W. Nordemann/Nordemann-Schiffel, § 4 Rn. 27; Rehbinder/Peukert, Rn. 759. 35 Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 2 Rn. 4; Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 72 Rn. 2; Rehbinder/Peukert, Rn. 759. 36 BT-Drucks. 4/270, S. 33. 37 Vgl. BT-Drucks. 4/270, S. 89, 95, 97; Hildebrandt, S. 204; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108 UrhG Rn. 1; U. Weber, S. 259. 38 Vgl. Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 72 Rn. 1; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108 UrhG Rn. 13. 30 Dreier/Schulze-Dreier, 31
Kap. 1: Einführung in das Urheberstrafrecht
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des Fotografen wider“,39 zeugen also von einer hohen kreativen, schöpferischen Leistung. Dagegen fallen unter die bloßen Lichtbilder auch alle übrigen, durch Menschenhand erschaffenen Bilder, gleich wieviel Kreativität in diese geflossen ist – mithin auch routinemäßige Produkt- oder Alltagsaufnahmen.40 Nichtsdestotrotz besteht in den Augen des Gesetzgebers ein Schutzbedürfnis auch für die Lichtbildner (§ 72 Abs. 2 UrhG), also die Hersteller von Lichtbildern, die trotz ähnlichen Herstellungsvorgangs keine Werkqualität erreichen.41 Es geht hier also allein um die unternehmerische, wirtschaftliche Leistung. Diesem Bedürfnis wird auch durch das Strafrecht Rechnung getragen: Flankierend zum zivilrechtlichen Schutz der verwandten Schutzrechte, werden diese durch § 108 Abs. 1 Nr. 3 UrhG strafrechtlich geschützt, der Strafrahmen ist dabei identisch mit jenem des § 106 UrhG. Neben dem Schutz von Lichtbildern sind im UrhG folgende Kategorien verwandter Schutzrechte abschließend42 geregelt: Rechte an wissenschaftlichen Ausgaben (§ 70 UrhG) und nachgelassenen Werken (§ 71 UrhG), Schutzrechte von ausübenden Künstlern beziehungsweise Veranstaltern (§§ 73 ff. UrhG), Verwertungsrechte von Tonträger-Herstellern (§ 85 f. UrhG) und Sendeunternehmen (§ 87 UrhG) sowie Rechte von Datenbankherstellern (§§ 87 a ff. UrhG) und Presseverlegern (§§ 87 ff. UrhG). Daneben existiert ein eigenes Leistungsschutzrecht von Filmproduzenten,43 das systematisch allerdings in die umfassenden Sonderregelungen über Filmwerke ausgelagert wurde (§ 94 UrhG). Mit Ausnahme des Leistungsschutzrechts von Veranstaltern darstellerischer Künste (§ 81 UrhG) sind alle verwandten Schutzrechte von § 108 UrhG erfasst, sodass sich insoweit ein vergleichbares Schutzniveau ergibt wie jenes des § 106 UrhG.44 Folglich existiert innerhalb des UrhG ein fein justiertes System aus dem Urheberrecht einerseits und den verwandten Schutzrechten andererseits. Beide Kategorien genießen gleichermaßen strafrechtlichen Schutz. Die Regulierungswirkung der gesamten Materie ergibt sich dabei erst bei Berücksichtigung sämtlicher Rechte.45 Im Rahmen dieser Arbeit spielen die verwandten Schutzrechte allerdings eine untergeordnete Rolle – im Mittelpunkt der Bearbeitung steht der strafrechtliche Schutz von Verwertungsrechten über § 106 UrhG. Alle dort gefundenen Ergebnisse lassen sich unproblematisch auf die übrigen Strafvorschriften des UrhG übertragen.
Rehbinder/Peukert, Rn. 774. Rehbinder/Peukert, Rn. 774; vgl. aber auch Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 72 Rn. 9 f. 41 Hildebrandt, S. 228; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108 UrhG Rn. 14. 42 Rehbinder/Peukert, Rn. 759. 43 Fromm/Nordemann-J. B. Nordemann, Vor § 88 Rn. 3, § 94 Rn. 1; Rehbinder/Peukert, Rn. 823 ff. 44 Vgl. Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108 UrhG Rn. 1. 45 Vgl. Rehbinder/Peukert, Rn. 768. 39
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D. Die Strafvorschrift des § 106 UrhG Die zentrale Strafvorschrift des Urheberrechts sanktioniert ausweislich ihrer amtlichen Überschrift unerlaubte Verwertungen urheberrechtlich geschützter Werke, § 106 Abs. 1 UrhG. Der Tatbestand lässt sich in folgende Elemente aufteilen: (I.) Tatobjekt (das Werk, dessen Bearbeitung oder Umgestaltung), (II.) Tathandlung (Verwertung, also Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Wiedergabe), (III.) Nichtvorliegen eines gesetzlichen Falles sowie (IV.) fehlende Einwilligung des Berechtigten.46 I. Das Werk als Tatobjekt Beim Tatobjekt muss es sich um ein urheberrechtlich geschütztes Werk oder eine Bearbeitung beziehungsweise Umgestaltung eines solchen Werkes handeln. Bereits an dieser Stelle kommt die Akzessorietät zum Zivilrecht in vollem Umfang zum Tragen, denn was ein solches Werk ist und mithin strafrechtlichen Schutz genießt, definieren die §§ 1, 2 UrhG. Deren Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein, um zu einer Schutzfähigkeit zu gelangen.47 Den Schutz des Urheberrechts „im engeren Sinne“ genießen dementsprechend nur solche Werke, die sich einer der Gattungen Literatur, Wissenschaft oder Kunst zuordnen lassen und bei denen es sich zudem um persönliche geistige Schöpfungen handelt (§ 2 Abs. 1, 2 UrhG). Dabei ist allgemein anerkannt, dass der urheberrechtliche Werkbegriff ein „offener“48 ist. Das bedeutet erstens, dass die drei Gattungsbegriffe weit auszulegen sind49 und zweitens, dass der Nummernkatalog des § 2 Abs. 1 UrhG – wie sich bereits aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut ergibt – nicht abschließend ist („insbesondere“).50 Hierdurch ist sichergestellt, dass neue Werkarten, die beispielsweise aus neu erwachsenen technischen Möglichkeiten entspringen, ebenfalls schutzfähig sind, ohne dass es hierfür einer allzu weiten Auslegung oder gar Gesetzesänderungen bedürfte.51 Als Paradebeispiel hierfür lassen sich Werke der „Multimediakunst“ anführen, die sich keiner Kategorie eindeutig zuordnen lassen.52 Wesentlich zentraler als die oftmals unproblematisch mögliche Einordnung in eine der vordefinierten Werkgattungen ist die Frage nach der erforderlichen Quali46 Die Einordnung des Erfordernisses einer fehlenden Einwilligung im Verbrechensaufbau ist umstritten, vgl. hierzu eingehend Kapitel 3 § 3 D. I. 47 BeckOK-UrhG-Ahlberg, § 2 Rn. 1; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 9; Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 2 Rn. 3; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 3. 48 Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 4. 49 Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 2 Rn. 4. 50 Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 1; Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 11; Loewenheim-Loewenheim, § 5 Rn. 2; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 4. 51 Vgl. BT-Drucks. 4/270, S. 29; Rehbinder/Peukert, Rn. 208; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 4. 52 Vgl. Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 34.
Kap. 1: Einführung in das Urheberstrafrecht
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tät eines möglichen Schutzgegenstandes: Um ein schutzfähiges Werk darzustellen, muss es sich gemäß § 2 Abs. 2 UrhG immer um eine persönliche geistige Schöpfung handeln. Die Wortkette steht für eine Vielzahl ausdifferenzierter Anforderungen, die zwar terminologisch oftmals voneinander abweichend wiedergegeben werden, wobei im Kern jedoch weitgehend dasselbe gemeint ist.53 Demzufolge besteht das Merkmal der persönlichen geistigen Schöpfung im Wesentlichen aus den folgenden Elementen: das Werk muss erstens eine persönliche Schöpfung darstellen, also durch einen Menschen erschaffen worden sein und auf dessen Einfall basieren. Zweitens muss es in eine wahrnehmbare Form geflossen sein. Drittens muss es den individuellen Geist des Schöpfers verkörpern, also Gedanken- und Gefühlsinhalte des Schöpfers erkennen lassen und erkennbar von der Persönlichkeit des Urhebers geprägt sein. Zuletzt muss das Werk nach herrschender Ansicht eine gewisse Gestaltungshöhe aufweisen, also mindestens über das bloße Handwerkliche hinausgehen, wobei – wie erwähnt – zahlreiche Einzelheiten innerhalb dieser Merkmale streitig sind.54 Dass diese Konkretisierungen des § 2 Abs. 2 UrhG ihrerseits ebenso ausfüllungsbedürftig wie auslegungsfähig sind, liegt auf der Hand. Deshalb verwundert es nicht, dass in der Rechtsprechung durchaus unterschiedlich hohe Anforderungen an die Qualifikation der unterschiedlichen Werkarten gestellt werden.55 Diese Definitionsfragen sollen vorliegend nicht vertieft, sondern vielmehr die herrschenden Kriterien aufgegriffen werden. Denn diese definitorischen Nuancen sind für die Beurteilung von Irrtümern allenfalls von untergeordneter Bedeutung. Auf die Einzelheiten der genannten Elemente wird indes an späterer Stelle im Rahmen der Behandlung der urheberstrafrechtlichen Irrtümer einzugehen sein.56 Es bleibt festzuhalten, dass der Werkbegriff nicht nur im Urheberzivilrecht, sondern auch innerhalb der Strafvorschriften des UrhG eine weichenstellende Funktion einnimmt. Insofern ist es auch für die vorliegende Arbeit nicht verfehlt, das Werk als „(Eingangs-)Tor zum Urheber[straf-]recht“57 zu bezeichnen. Dasselbe gilt folgerichtig in gleichem Umfang für die strafrechtliche Beurteilung einer unerlaubten Verwertung von Bearbeitungen oder Umgestaltungen (§§ 3, 23 UrhG). Denn in jedem Fall muss festgestellt werden, dass sich eine entsprechende Verwertungshandlung auf die Bearbeitung oder Umgestaltung eines geschützten Werkes bezieht.58 53 Vgl.
Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 19. Vgl. BeckOK-UrhG-Ahlberg, § 2 Rn. 52 ff.; Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 20; Loewenheim-Loewenheim, § 6 Rn. 7 ff.; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 9 ff.; Rehbinder/Peukert, Rn. 210 ff.; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 15 ff.; Wandtke-Wöhrn, Kapitel 2 Rn. 1 ff. 55 Vgl. hierzu eingehend Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 24 ff. 56 Vgl. Kapitel 3 § 3 A. I. 57 Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 1; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 1. 58 Vgl. ausführlich Kapitel 3 § 3 A. III. 54
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II. Verwertungshandlungen als Tathandlungen Als Tathandlungen sind in § 106 UrhG die Vervielfältigung, die Verbreitung und die öffentliche Wiedergabe aufgeführt. Diesbezüglich lässt sich feststellen, dass diese Begriffe sich nicht zwangsläufig in ihrem Wortsinn erschöpfen, sondern vielmehr auf den Katalog der Verwertungsrechte in den §§ 15 ff. UrhG Bezug nehmen. Die Auswertung dieser Normen bringt zum Vorschein, dass eine wesentlich größere Palette an tatsächlichen Handlungen zur Strafbarkeit führen kann, als die Trias an „Tathandlungen“ des § 106 UrhG dies zunächst vermuten ließe. Dies erlangt an späterer Stelle durchaus Bedeutung, wenn es darum geht, die Tatbestandsmerkmale des § 106 UrhG in Bezug auf den geforderten Vorsatzinhalt bei Verweisungsbegriffen auszuwerten.59 Auch hier kommt also die Zivilrechts-Akzessorietät, wie bei den Tatobjekten des § 106 UrhG, in vollem Umfang zum Tragen. Als taugliche Tathandlungen kommen alle durch § 15 UrhG gewährten und in den §§ 16 ff. UrhG näher ausgestalteten Verwertungsrechte des Urhebers in Betracht, mit Ausnahme des Ausstellungsrechts (§§ 15 Abs. 1 Nr. 3, 18 UrhG).60 Es geht bei den Tathandlungen des Urheberstrafrechts also um Handlungen, zu denen die Verwertungsrechte den Rechtsinhaber ausschließlich ermächtigen. § 15 UrhG ist dabei als ein allgemeines, umfassendes Verwertungsrecht zu verstehen, welches in den folgenden Paragraphen näher ausgestaltet wird und dem Urheber sowohl gegenwärtige als auch künftig erst entstehende Nutzungsarten ausschließlich zusichert.61 Demzufolge ist das Urheberrecht also auch in Bezug auf die Verwertungsrechte „zukunftsfest“. Diese weitgreifende potenzielle Strafbarkeit von Verwertungshandlungen unterstreicht den Charakter der Verwertungsrechte als Ausschließlichkeitsrechte des Urhebers.62 Der Schutzzweck dieser Rechte geht indes nicht ausschließlich dahin, Nichtberechtigte von der Nutzung des Werkes auszuschließen. Vielmehr soll dem Urheber die Macht eingeräumt werden, eben eine solche Nutzung seines Werkes durch Dritte zunächst zu erlauben, anschließend (alleine) zu kontrollieren – und sich diese Nutzung selbstverständlich auch vergüten zu lassen.63 Genau dies dürfte in den meisten praktischen Fällen wohl auch dem tatsächlichen Willen der Urheber entsprechen. Die Verwertungsrechte – und damit auch die Tathandlungen des § 106 UrhG – lassen sich kategorisieren in körperliche und unkörperliche Verwertungshandlungen. Während sich die Vervielfältigung und die Verbreitung ausschließlich auf 59
Vgl. Kapitel 3 § 3 B. nur Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 45 ff.; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 11. 61 Rehbinder/Peukert, Rn. 414. 62 Vgl. zur Ausschließlichkeit dieser Rechte Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 1; Loewenheim-Loewenheim, § 19 Rn. 1; Rehbinder/Peukert, Rn. 413; Schricker/Loewenheim-v. Ungern/Sternberg, § 15 Rn. 1. 63 Vgl. BT-Drucks. 4/270, S. 30; BGH GRUR 2003, 328 (330). 60 Vgl.
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körperliche Festlegungen des Werkes beziehen, also auf das Werk selbst oder seine Vervielfältigungsstücke,64 hat das Recht zur öffentlichen Wiedergabe all jene Verwertungsformen zum Gegenstand, bei denen einem Dritten das Werk bloß wahrnehmbar gemacht wird.65 Das Recht zur Vervielfältigung ist das Recht, Vervielfältigungsstücke eines Werkes herzustellen, § 16 Abs. 1 UrhG. Hierunter ist das umfassende Recht zu verstehen, gleich wie viele körperliche Festlegungen des Werkes zu erzeugen, die geeignet sind, das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Weise wiederholt – unmittelbar oder mittelbar – wahrnehmbar zu machen.66 Als Recht zur Verbreitung definiert § 17 UrhG das Recht, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes in körperlicher Form erstens der Öffentlichkeit anzubieten oder diese in Verkehr zu bringen, wobei erstgenannte Alternative die Vorstufe des Inverkehrbringens darstellt.67 Hiermit geht aus Sicht des Strafrechts die Strafbarkeit einer Vorbereitungshandlung einher, die sonst allenfalls zur Versuchsstrafbarkeit führen könnte.68 Der Öffentlichkeitsbegriff orientiert sich, wie auch sonst im UrhG, grundsätzlich an jenem des § 15 Abs. 3 UrhG – dazu sogleich mehr.69 Das Recht zur öffentlichen Wiedergabe schließlich vereint alle Möglichkeiten, ein Werk in unkörperlicher Form der Öffentlichkeit wahrnehmbar zu machen. § 15 Abs. 2 S. 2 UrhG listet nicht abschließend („insbesondere“) die wichtigsten unkörperlichen Verwertungsformen auf: Dies sind erstens dem Publikum „live“ zugängliche Verwertungsformen, nämlich Vorträge, Aufführungen und Vorführungen (§ 19 UrhG). Zweitens steht dem Urheber das Senderecht zu, also das Recht, über die Rundfunk- und ähnliche Ausstrahlung eines Werkes zu bestimmen (vgl. § 20 UrhG). Drittens verfügt er über das Recht der Wiedergabe durch Bild- oder Tonträger, womit die Wiedergabe der bereits angesprochenen „Live-Aufnahmen“ mittels Bild- oder Tonträger gemeint ist (§ 21 UrhG). Viertens normiert § 15 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 UrhG das oftmals als „Online-Recht“70 bezeichnete Recht der öffentlichen Zugänglichmachung, also die umfassende Befugnis des Urhebers, sein Werk in der digitalen Welt, also insbesondere dem Internet, bereitzustellen, abrufbar zu machen und damit anderen zu eröffnen (§ 19a UrhG).71 64 Vgl.
Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 15 Rn. 45; Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 18. 65 Vgl. Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 22; Loewenheim-Loewenheim, § 19 Rn. 5; Rehbinder/Peukert, Rn. 414, 431 ff. 66 BT-Drucks. 4/270, S. 47; BGH GRUR 1955, 492 (494); BGH GRUR 2001, 51 (52). 67 BGH GRUR 2007, 871 (873); Fromm/Nordemann-Dustmann, § 17 Rn. 11. 68 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 51, 53; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 18. 69 Vgl. Hildebrandt, S. 87 ff.; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 55; Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 17. 70 Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 24; Rehbinder/Peukert, Rn. 483. 71 Vgl. Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 24; Rehbinder/Peukert, Rn. 482 ff.
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Die unkörperliche Wiedergabe gehört allerdings nur dann zu den Ausschließlichkeitsrechten des Urhebers, wenn sie öffentlich erfolgt, wenn sie also gem. § 15 Abs. 3 UrhG für eine Mehrzahl von Personen bestimmt ist, die weder mit dem Verwerter noch untereinander in persönlicher Beziehung stehen. Das bedeutet, dass jede nichtkörperliche Verwertung von Werken im ausschließlich „privaten“ Rahmen immer zulässig ist und dementsprechend auch nie strafbar sein kann. Als Beispiele anführen lassen sich etwa private Filmabende, die Versendung von Download-Links zu mp3-Dateien auf einem eigenen Server an Freunde und Familienmitglieder, die heimische Aufführung eines urheberrechtlich geschützten Theaterstücks oder das „Covern“ im Sinne der Darbietung von geschützten Songs im entsprechend privaten Rahmen. III. Nichtvorliegen eines gesetzlich zugelassenen Falles Unerlaubt ist eine Verwertung gem. § 106 Abs. 1 UrhG nur dann, wenn sie in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen erfolgt. Nach „allgemeiner Auffassung“72 verweist das Merkmal auf die innerhalb des UrhG normierten Schranken des Urheberrechts, wobei im Detail nicht einheitlich beurteilt wird, welche Schrankenregelungen genau erfasst sein sollen. „Jedenfalls“73 als gesetzlich zugelassene Fälle anerkannt sind die §§ 44a bis 61 UrhG.74 Als wohl praktisch wichtigster Anwendungsfall ist damit der § 53 UrhG erfasst, welcher die Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke etwa zum privaten Gebrauch in bestimmten Konstellationen ausdrücklich erlaubt. Daneben sind anzuführen: die Vervielfältigung und Verbreitung von Werken, um behinderten Menschen einen Zugang zu denselben zu ermöglichen (§ 45a UrhG), die Verwertung zu Zwecken des Zitats (§ 51 UrhG) sowie die öffentliche Zugänglichmachung von Werken zu bestimmten Unterrichts- und Forschungszwecken (§ 52a UrhG). Auch der Erschöpfungsgrundsatz des § 17 Abs. 2 UrhG wird überwiegend – und richtigerweise – den gesetzlich zugelassenen Fällen zugeordnet.75 Weiterhin wird teilweise § 87c UrhG als spezielle Schrankenregelung zulasten von Datenbankherstellern als gesetzlich zugelassener Fall qualifiziert.76 Angesichts der umfangreichen Spezialregelungen für Computerprogramme in den §§ 69a ff. 72 Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher,
§ 106 Rn. 21. § 106 Rn. 30; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 78; vgl. auch Dreier/Schulze-Dreier, § 106 Rn. 6 – „insbesondere.“ 74 Vgl. BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 30; Dreier/Schulze-Dreier, § 106 Rn. 6; Hildebrandt, S. 124; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 78; Reinbacher, S. 174; Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 23; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 21. 75 BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 31; Dreier/Schulze-Dreier, § 106 Rn. 6; Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 23; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 78. 76 Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 23. 73 BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben,
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UrhG kommen die Schrankenregelungen der §§ 44a ff. UrhG darüber hinaus im Zusammenhang mit Softwareprodukten und dergleichen nur subsidiär zur Anwendung, soweit keine speziellen Schrankenregelungen innerhalb der §§ 69 ff. UrhG eingreifen.77 Besonders umstritten ist daneben, ob auch die abgelaufene Schutzdauer des Urheberrechts (§§ 64 ff. UrhG) bei einer Strafbarkeitsprüfung bereits dazu führt, dass es an einem tauglichen Tatobjekt, einem geschützten Werk fehlt,78 oder ob insofern eine Schranke des Urheberrechts eingreift, also das Vorliegen eines „gesetzlich zugelassenen Falles“ i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG anzunehmen ist.79 Rechtstechnisch betrachtet, handelt es sich bei den „gesetzlich zugelassenen Fällen“ nach herrschender Ansicht um negativ gefasste Tatbestandsmerkmale80 und nicht um Rechtfertigungsgründe.81 In diesem Zusammenhang wird zutreffend darauf hingewiesen, dass diese Einordnung streng von der sogenannten „Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen“ zu trennen ist,82 mithin nichts am dreistufigen Deliktsaufbau ändert. IV. Fehlende Einwilligung des Berechtigten Die Verwertung muss ferner „ohne Einwilligung des Berechtigten“ erfolgen, um eine Strafbarkeit nach § 106 Abs. 1 UrhG auszulösen. Dieses Merkmal wird überwiegend als Merkmal der Rechtswidrigkeit betrachtet,83 wobei im Einzelnen wiederum Streit über die genaue Einordnung herrscht – was an späterer Stelle ausführlich untersucht wird.84 Ob die Einwilligung bereits den Tatbestand oder (erst) die Rechtswidrigkeit oder unter Umständen beides ausschließen kann, sei an dieser Stelle dahingestellt. Ohnehin ist der Aussage zuzustimmen, dass diese Einordnung jedenfalls von eher geringer praktischer Bedeutung ist, wenn mit der herrschenden Ansicht der Irrtum über 77 Vgl. Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 79; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 22. 78 Dreier/Schulze-Dreier, § 106 Rn. 4; Kircher, S. 220; Reinbacher, S. 69; Wandtke/ Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 9, 22. 79 BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 31; Hildebrandt, S. 137; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 114; vgl. zu dieser Problematik ausführlich Kapitel 3 § 3 C. II. 80 Dreier/Schulze-Dreier, § 106 Rn. 6; BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 30; Hildebrandt, S. 133; Lauer, S. 39; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 78; Reinbacher, S. 175 f.; Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 23; U. Weber, S. 230. 81 So aber Kircher, S. 233 ff., allerdings ohne Begründung dieser Auffassung; vgl. dazu Kapitel 3 § 3 C. I. 82 Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 23. 83 H.M., vgl. Dreier/Schulze-Dreier, § 106 Rn. 8; Heinrich, Strafbarkeit, S. 260; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 115; U. Weber, S. 267; offenlassend Dreyer/ Kotthoff/Meckel-Kotthoff, § 106 Rn. 7. 84 Vgl. ausführlich Kapitel 3 § 3 D. I.
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das Vorliegen eines rechtfertigenden Umstands zumindest auf Rechtsfolgenseite gleich zu behandeln ist wie der Irrtum über Tatumstände, also nach § 16 StGB.85 Nichtsdestotrotz gibt es Konstellationen, in denen auch diese Streitigkeit Ergebnisrelevanz erlangt, etwa bei der Strafbarkeit von Teilnehmern, die stets eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat voraussetzt (§§ 26, 27 StGB) – oder im Rahmen einer eventuellen, wenn auch unwahrscheinlichen Notwehrprüfung, welche mit dem Vorliegen eines rechtswidrigen Angriffs steht und fällt (§ 32 Abs. 2 StGB). Fest steht ungeachtet aller Streitigkeiten, dass die Verwertung eines urheberrechtlich geschützten Werkes außerhalb der gesetzlich erlaubten Fälle nur dann zu einer Strafbarkeit führen kann, wenn die Verwertung gegen den Willen eines Rechtsgutinhabers verstößt.
§ 2 Urheberstrafrecht in der Rechtspraxis Die Rechtspraxis im Urheberrecht konzentriert sich stark auf das Zivilrecht. Wie bereits angedeutet, sind die Strafvorschriften des UrhG in der Praxis nur von untergeordneter Bedeutung.86 Dies dürfte nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass es im alltäglichen Leben selten um die Durchsetzung rein ideeller Interessen oder Werte geht, sondern regelmäßig um die Durchsetzung und Sicherung wirtschaftlicher Interessen, vor allem von (geldwerten) Ansprüchen, die aus diversen Rechtsverletzungen erwachsen können.87 Derlei Anliegen lassen sich regelmäßig über den Zivilrechtsweg hinreichend befriedigen. Die Verwertung von urheberrechtlich geschützten Werken erfolgt in den meisten Fällen nicht durch die Urheber selbst, sondern durch Unternehmen, denen im Vorfeld Rechte durch die Werkschaffenden eingeräumt wurden.88 Solche Unternehmen sind beispielsweise Buchverlage, Fernsehsender, Rundfunkanstalten oder Musikverlage, im alltäglichen Kontext werden diese oft verstanden als „die Film-
85 Hildebrandt, S. 129; vgl. zum „Erlaubnistatumstandsirrtum“ ausführlich Kapitel 2 § 3 A. III. 86 Vgl. Einleitung § 1. 87 Mangels zuverlässiger statistischer Angaben zu beiden Rechtsgebieten soll insoweit eine Urteilssuche nach Paragraphen als Beleg angeführt werden: Während sich bei Fertigstellung dieser Arbeit zur Zentralnorm des Urheberstrafrechts unter dem Stichwort „§ 106 UrhG“ 71 Treffer in der Rubrik „Rechtsprechung“ ergaben, ergab die Suche nach der Zentralnorm des Urheberdeliktsrechts unter dem Stichwort „§ 97 UrhG“ 1.631 Treffer in der entsprechenden Rubrik bei juris.de (Stand 14. 11. 2016) – hieraus ergibt sich, dass die Zahl der zivilrechtlichen Urteile die der strafrechtlichen Urteile um mehr als das 22-fache übersteigt. Für das Strafrecht sind für das Jahr 2014 weiterhin die folgenden Daten statistisch belegt: Die Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes erfasst 135 Verurteilungen bei 186 Aburteilungen nach den §§ 106 ff. UrhG. Die Polizeiliche Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts weist 8.762 festgestellte Straftaten im Zusammenhang mit Bestimmungen des UrhG aus. 88 Vgl. Loewenheim-Loewenheim/J. B. Nordemann, § 24 Rn. 1.
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industrie“ oder „die Plattenindustrie“, denen sie oftmals auch angehören.89 Die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen aus dem UrhG fällt dementsprechend regelmäßig zusammen mit den wirtschaftlichen Interessen von Industriezweigen und verwertenden Institutionen. Ebenfalls genannt seien in diesem Zusammenhang spezielle Verwertungsgesellschaften wie etwa die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA), die im Namen von Urhebern deren Rechte geltend machen. Deren Interessen dürften in der Regel ebenfalls weniger durch ein Strafurteil zu befriedigen sein, als in erster Linie durch deliktische Schadensersatz- oder Unterlassungsansprüche (§ 97 UrhG).90 Die verhältnismäßig geringe Dichte an urheberstrafrechtlicher Judikatur könnte durchaus auch damit zusammenhängen, dass der zivilrechtliche Schutz des Urheberrechts schlichtweg „umfassend und lückenlos“91 gewährt wird. Deswegen kann strafrechtlicher Schutz auch „nicht mit der Begründung gefordert werden, die urheberrechtlichen Güter seien andernfalls schutzlos.“92 Nichtsdestotrotz lässt sich feststellen, dass „in der öffentlichen Debatte oft mit der – meist theoretischen – Strafbarkeit selbst geringfügiger Urheberrechtsverletzungen argumentiert wird.“93 Dass eine solche auch tatsächlich meist ein Fall für die Theorie bleibt, wird im Schrifttum zumindest in Bezug auf Verletzungen im privaten Bereich regelmäßig positiv bewertet,94 nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt des Strafrechts als ultima ratio.95 Eine Suche nach Gerichtsurteilen, die sich mit Irrtümern innerhalb des Urheberstrafrechts beschäftigen, liefert nahezu keine Ergebnisse. Wenn überhaupt, dann beschäftigt sich die Rechtsprechung höchstens am Rande mit Irrtumsfragen, was dann erstens auf die Anwendung herrschender Grundsätze begrenzt ist und sich zweitens allenfalls auf die Vermeidbarkeit von Verbotsirrtümern beschränkt.96 Die vorliegende Arbeit muss dementsprechend komplett ohne spezifische Rechtsprechung zu ihrem Titelthema auskommen. Dies sollte allerdings keinesfalls als Nachteil begriffen werden, lässt sich doch im Schweigen der Rechtsprechung leLoewenheim-Loewenheim/J. B. Nordemann, § 24 Rn. 1. S. 4 GEMA-Dienstleistungskatalog: „Wer Musik komponiert, Musiktexte schreibt oder Musikwerke verlegt, hat einen Anspruch auf angemessene Bezahlung […] Die GEMA engagiert sich intensiv und mit hoher Fachkompetenz in der Umsetzung dieser rechtlichen Ansprüche“, abrufbar unter https://www.gema.de/fileadmin/user_upload/ Gema/gema_dienstleistungskatalog.pdf (zuletzt aufgerufen am 14. 11. 2016, 11:13 Uhr). 91 U. Weber, S. 172. 92 U. Weber, S. 172. 93 Dreier/Schulze-Dreier, § 106 Rn. 2. 94 Dreier/Schulze-Dreier, § 106 Rn. 2; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., Vor § 106 UrhG Rn. 28; Reinbacher, S. 327; ders., GRUR 2008, 394 (401); restriktiver wohl Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, Vor § 106 Rn. 8 ff. 95 Vgl. Reinbacher, S. 327. 96 Vgl. BGHSt 58, 15 = BGH GRUR 2013, 62 – im Anschluss an die Vorlagefrage in BGH GRUR 2011, 227 sowie daraufhin EuGH GRUR 2012, 817; vgl. ferner BGHSt 49, 93; KG Berlin BeckRS 2000, 15999; LG Wuppertal CR 1987, 599. 89 Vgl.
90 Vgl.
§ 2 Urheberstrafrecht in der Rechtspraxis
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diglich eine abermalige Bestätigung der These erblicken, dass die herrschende Irrtumslehre überhaupt nicht hinterfragt wird – was eine intensive Beschäftigung mit Irrtümern auch im Urheberstrafrecht überfällig macht. An dieser Stelle sei erneut auf Hildebrandt und seine Aussage verwiesen, dass ein Mangel an Rechtsprechung zu materiellen Fragestellungen „oft“ weniger an mangelnden Problemen, als vielmehr daran liegt, „dass die einschlägigen Probleme übersehen werden.“97 Es liegt nahe, noch einen Schritt weiter zu gehen: Dann lässt sich die Behauptung aufstellen, dass der konkrete Mangel an Rechtsprechung sogar darauf zurückgeführt werden kann, dass die Irrtumslehre in ihrer herrschenden Form schlichtweg angewandt und nicht ansatzweise hinterfragt wird. Ein Urteil gleich welcher Instanz, welchem die Beschäftigung eines Gerichts mit einem Irrtum über Tatumstände (§ 16 StGB) innerhalb der §§ 106 ff. UrhG zugrunde liegt, wurde – soweit ersichtlich – nicht publiziert. Doch genau dieser Irrtum müsste unter Anwendung der herrschenden Lehre gerade im Nebenstrafrecht dominieren, was freilich erst im weiteren Verlauf der Arbeit ausführlich behandelt werden kann. Nichtsdestotrotz liegt folgende Behauptung nahe: Dass der Irrtum über Tatumstände in der Rechtsprechung nicht auftaucht, ist nicht nur ein Ergebnis, sondern gleichermaßen auch der Grund dieses Ergebnisses selbst. Dies lässt sich in erster Linie durch prozessuale Aspekte begründen: Eine Erhebung der öffentlichen Anklage erfolgt auch bei den Vergehen98 des Urheberstrafrechts in allen Fällen, also auch nach einer Strafantragstellung durch einen Berechtigten, nur bei Vorliegen eines öffentlichen Interesses, § 374 StPO. Die Beurteilung hierüber liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Staatsanwaltschaft.99 Verneint diese ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung, so wird der Kläger auf den, in der Praxis nicht effektiven und daher auch kaum genutzten,100 Weg der Privatklage verwiesen, §§ 374 Abs. 1 Nr. 8, 376 StPO. Dass die Staatsanwaltschaft darüber hinaus von sich aus ermittelt, erfordert gem. § 109 UrhG sogar ein besonderes öffentliches Interesse, dessen Feststellung ebenfalls im pflichtgemäßen Ermessen der Staatsanwaltschaft liegt und nur in Ausnahmefällen tatsächlich positiv erfolgen dürfte.101 Zurück zur Irrtumslehre: Ein Irrtum nach § 16 StGB schließt bekanntlich den Vorsatz aus. Werden nun die tatsächlichen Fakten glaubhaft gemacht, die einen solHildebrandt, S. 28. Vgl. § 12 StGB i.V.m. §§ 106 ff. UrhG. 99 Dreyer/Kotthoff/Meckel-Kotthoff, § 109 Rn. 5; Hildebrandt, S. 306; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 109 UrhG Rn. 9; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 109 Rn. 2; vgl. in diesem Zusammenhang zur Strafverfolgungspraxis im Bereich der frühen Softwarepiraterie Heghmanns, NStZ 1991, 112. 100 Vgl. Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 109 Rn. 15: „Keine ernstzunehmende Möglichkeit“. 101 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 109 UrhG Rn. 9; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/ Reinbacher, § 109 Rn. 2; vgl. dazu auch Heghmanns, NStZ 1991, 112 (116 f.). 97 98
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Kap. 1: Einführung in das Urheberstrafrecht
chen Irrtum begründen, führt dies folgerichtig zu einer negativen Prognose seitens der Staatsanwaltschaft und daraufhin zu einer Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO. Dies lässt summa summarum vermuten, dass nur wenige Ersuchen überhaupt innerhalb der staatsanwaltlichen Ermittlungen bestehen, geschweige denn je einen Richter beschäftigen werden. Steht also ein Irrtum über Tatumstände im Raum, so wohnt diesem bereits eine beträchtliche Wahrscheinlichkeit inne, dass der Fall mangels hinreichender Erfolgsaussichten nicht weiterverfolgt wird. In Kumulation mit dem Erfordernis eines öffentlichen Interesses wird deutlich, warum der Irrtum über Tatumstände in kaum einem Gerichtsurteil zum Urheberstrafrecht auftaucht – wobei diese Feststellung freilich kein Spezifikum des Urheberstrafrechts darstellen dürfte. Überhaupt ist eine Strafverfolgung bei den „einfachen“ Urheberrechts-Delikten außerhalb des gewerblichen Bereichs sehr selten,102 was – wie erwähnt – überwiegend befürwortet wird. Dies wird greifbar anhand eines Beispiels: Der wohl am meisten beachtete und polarisierende Bereich von Urheberrechtsverletzungen ist das sogenannte Filesharing, also das „Teilen“ von Dateien (zumeist von Filmen oder Musikwerken) innerhalb von sog. Internet-Tauschbörsen.103 Selbst in diesem Bereich werden im Anschluss an eine Strafanzeige Verfahren gegen diejenigen, die einen urheberrechtsverletzenden Inhalt bereitstellen, die sog. „Filesharer“, derzeit ganz überwiegend nicht weiterverfolgt. Das lässt sich nicht zuletzt auf die Geschäftspraxis der Staatsanwaltschaften zurückführen, welche ihre anhängigen Verfahren oftmals einstellen, sofern in der Strafanzeige nicht zumindest die Verletzung von Urheberrechten an mehr als 100 Werken glaubhaft gemacht wurde.104 Bei 101 bis 500 betroffenen Dateien soll nach einer Empfehlung der Oberstaatsanwaltschaft Karlsruhe – die wohl bundesweit als Vorbild dienen soll – „eine Beschuldigtenvernehmung angemessen“ sein.105 Ermittlungen erfolgen wohl erst ab einer Anzahl von mindestens 500 verschiedenen Dateien, Hausdurchsuchungen werden ebenfalls erst ab dieser Schwelle für verhältnismäßig befunden.106
§ 3 Parallelen zu anderen Rechtsgebieten § 3 Parallelen zu anderen Rechtsgebieten
Das Urheberrecht weist Gemeinsamkeiten zu zahlreichen anderen Rechtsgebieten auf. Die wichtigsten „Verwandtschaftsverhältnisse“ sollen im Folgenden kurz aufgezeigt werden. 102 Vgl. etwa zur Strafverfolgungspraxis im Bereich des Filesharing: jurisPK-Internetrecht-Heckmann, 4. Aufl., Kapitel 3.2 Rn. 130. 103 Vgl. dazu noch ausführlich Kapitel 3 § 3 B. IV. 2. a) aa). 104 JurisPK-Internetrecht-Heckmann, 4. Aufl., Kapitel 3.2 Rn. 179 – unter Berufung auf die Meldung bei http://www.heise.de/newsticker/meldung/Massenstrafanzeigengegen-P2P-Nutzer-Bagatellregelung-durch-die-Hintertuer-162401.html (zuletzt aufgerufen am 14. 11. 2016, 11:14 Uhr); vgl. ferner Wabnitz/Janovsky-Bär, Kapitel 14 Rn. 168. 105 Vgl. jurisPK-Internetrecht-Heckmann, 4. Aufl., Kapitel 3.2 Rn. 179. 106 Vgl. jurisPK-Internetrecht-Heckmann, 4. Aufl., Kapitel 3.2 Rn. 179.
§ 3 Parallelen zu anderen Rechtsgebieten
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A. Das Bürgerliche Recht Zunächst lässt sich eine Verwandtschaft des Urheberrechts mit dem Bürgerlichen Recht nicht leugnen, insbesondere mit den das Sacheigentum schützenden Normen. So betreffen die zivilrechtlichen Vorschriften des UrhG als „Sondergebiet des Privatrechts“107 das geistige Eigentum, also ein immaterielles, geistiges Gut, an dem mangels Körperlichkeit keine Eigentumsrechte im Sinne des BGB begründet werden.108 Dass es sich bei dem geistig geschaffenen Gut auch ohne jede körperliche Manifestation gleichwohl um ein dem Eigentum ähnliches, schützenswertes Gut handelt, steht bereits angesichts des durch das UrhG gewährten Schutzumfangs außer Frage. § 97 Abs. 2 UrhG verdrängt dementsprechend auch im Wege der Spezialität und Subsidiarität die Deliktsnorm des § 823 BGB, in deren Rahmen das Rechtsgut „Urheberrecht“ ansonsten als „sonstiges Recht“ schutzfähig wäre.109 Der Anspruch auf Unterlassung und Beseitigung von Beeinträchtigungen des Eigentums aus § 1004 BGB wird in Bezug auf das Urheberrecht gleichermaßen ersetzt durch § 97 Abs. 1 UrhG.110 Die Wesensähnlichkeit von Urheberrecht und Sacheigentum ist dementsprechend nicht zu leugnen – was durchaus auch für die strafrechtliche Betrachtung eine Betonung verdient. Dies gilt zumindest insofern, als die unerlaubte Verwertung nach § 106 UrhG als „geistiger Diebstahl“111 regelmäßig mit dem Sachdiebstahl in § 242 StGB verglichen wird,112 dem bekanntlich das Sacheigentum beziehungsweise die Verfügungsmöglichkeit über die betreffende Sache als Schutzgut innewohnt.113
B. Gewerbliche Schutzrechte Das Urheberrecht im Ganzen weist zahlreiche weitere, wichtige Verwandtschaftsverhältnisse auf: Das UrhG ist ein Bestandteil des Immaterialgüterrechts, also des Rechts des Geistigen Eigentums.114 Diese Kategorisierung unterwirft das UrhG 107 Loewenheim-Götting, § 3 Rn. 6; Schricker/Loewenheim-Schricker-Loewenheim, Einleitung Rn. 42. 108 Vgl. Engels, Rn. 6. 109 Schricker/Loewenheim-Schricker-Loewenheim, Einleitung Rn. 42. 110 Vgl. Schricker-Loewenheim-Wild, § 97 Rn. 122 ff. 111 Achenbach/Ransiek/Rönnau-A. Nordemann, Teil 11 Kapitel 1 Rn. 83; oftmals jedoch wird unter dem Begriff „geistiger Diebstahl“ nur das klassische Plagiat verstanden, vgl. Kastner, NJW 1983, 1151 (1151). 112 Vgl. Achenbach/Ransiek/Rönnau-A. Nordemann, Teil 11 Kapitel 1 Rn. 83; Hildebrandt, S. 151. 113 Satzger/Schluckebier/Widmaier-Kudlich, § 242 Rn. 3; Schönke/Schröder-Eser/ Bosch, § 242 Rn. 1/2. 114 Engels, Rn. 5; Loewenheim-Loewenheim/Flechsig, § 3 Rn. 13 f.; Schricker/Loewenheim-Schricker-Loewenheim, Einleitung Rn. 28.
Kap. 1: Einführung in das Urheberstrafrecht
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zwangsläufig demselben Stammbaum, dem auch folgende Regelungswerke angehören: das Patentgesetz (PatG), das Gebrauchsmustergesetz (GebrMG), das Halbleiterschutzgesetz (HalbLSchG), das Designgesetz (DesignG), das Markengesetz (MarkenG) sowie das Sortenschutzgesetz (SortSchG). Weiterhin existieren inzwischen zahlreiche zwischen- und überstaatliche Regelungen zum Immaterialgüterrecht, deren eingehende Erörterung an dieser Stelle indes den Rahmen der Bearbeitung übersteigen würde und aus diesem Grunde nicht erfolgen kann.115 All diese, dem UrhG verwandten Regelungswerke, schützen gewerbliche Schutzrechte, also Rechte, die auf einer geistig-gewerblichen Leistung beruhen, wohingegen das Urheberrecht klassischerweise das geistige Schaffen im kulturellen Bereich zum Gegenstand hat.116 Dass das UrhG jedoch überhaupt keinen gewerblich-wirtschaftlichen Schutzzweck verfolgt, kann in dieser Allgemeinheit nicht behauptet werden – so ist das Urheberrecht doch auch ein „Recht der Kulturindustrie“.117 Dies wird besonders deutlich beim Blick auf die verwandten Schutzrechte, die, wie erwähnt, vor allem wirtschaftliche Leistungen honorieren. Insofern lässt sich durchaus hinterfragen, ob das Urheberrecht überhaupt weiterhin in erster Linie als „Kulturrecht“ begriffen werden kann oder ob es sich nicht im Wege einer stetigen Annäherung an die gewerblichen Schutzrechte ohnehin längst zu einem „Wirtschaftsrecht“ gewandelt hat.118 Vom Patent- und Gebrauchsmusterrecht unterscheidet sich das Urheberrecht in erster Linie durch die Art seiner Schutzobjekte: Während im UrhG Werke der Literatur, Wissenschaft und Kunst geschützt werden, geht es im PatG sowie dem GebrMG um technische Schöpfungen beziehungsweise um Erfindungen technischer Natur.119 Dasselbe gilt für das Halbleiterschutzgesetz, welches dreidimensionale Strukturen von mikroelektronischen Halbleitererzeugnissen (Topographien) zum Schutzgegenstand hat, vgl. § 1 Abs. 1 S. 1 HalblSchG. Gemeint ist damit die innere Struktur beziehungsweise die „Architektur“ oder das „Layout“ von Mikrochips,120 also eine höchst technisch geprägte geistige Leistung. Gewissermaßen zwischen diesen Zwecken ist das Designgesetz angesiedelt, das bis Januar 2014 noch Geschmacksmustergesetz hieß.121 Bis 2004 galt das Geschmacksmusterrecht noch als „kleines Urheberrecht“, weil es in vielen Fällen den Schutz von Erzeugnissen ermöglichte, denen es an der urheberrechtlich geforderVgl. stattdessen etwa die Übersicht bei Engels, Rn. 21 ff. Engels, Rn. 5 ff. 117 Loewenheim-Loewenheim/Flechsig, § 3 Rn. 13. 118 Vgl. zu dieser Frage nur Pfaffinger, S. 181 ff. 119 Vgl. Achenbach/Ransiek/Rönnau-Nentwig, Teil 11 Kapitel 2 Rn. 1; Graf/Jäger/Wittig-Zimmermann, Nr. 325 GebrMG § 25 Rn. 4; Nr. 595 PatG § 142 Rn. 7; Loewenheim-Loewenheim/Flechsig, § 3 Rn. 16. 120 Engels, Rn. 1106; Redeker, IT-Recht, Rn. 158; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, § 13 Rn. 643. 121 Neufassung des Designgesetzes v. 24. 2. 2014, BGBl. I 2014, S. 122 – bis 31. 12. 2013 „Gesetz über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen“ (Geschmacksmustergesetz – GeschmMG). 115
116 Vgl.
§ 4 Symptomatische Fallbeispiele
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ten Gestaltungshöhe fehlte.122 Nach 2004 wurde das GebrMG a.F. in die Nähe des Patent-, Gebrauchsmuster- und Markenrechts gerückt, nach der heutigen Gesetzesfassung sind Designs von Mustern oder Erzeugnissen in zwei oder drei Dimensionen geschützt, wobei es allein um die geschmackliche beziehungsweise die ästhetische Wirkung geht, „ohne dass es auf Kriterien der Schönheit oder Eleganz ankäme.“123 Das Markenrecht stellt zwar ebenfalls ein Immaterialgüterrecht dar, verfolgt dabei aber einen wesentlich anderen Regelungszweck als das UrhG.124 So geht es beim Markenrecht darum, die Kennzeichnung unternehmerischer Leistungen zu schützen, um eine Identifizierbarkeit und Unterscheidbarkeit zu ermöglichen und zu gewährleisten.125 Ein Zusammenfallen von urheberrechtlichem und markenrechtlichem Schutz tritt dabei immer dann ein, wenn ein Kennzeichen nach dem MarkenG zugleich ein schutzfähiges Werk des UrhG darstellt.126 Das Sortenschutzgesetz schützt den Ursprungszüchter oder Entdecker einer Pflanzensorte beziehungsweise deren Rechtsnachfolger, §§ 7, 1 SortSchG. Geschützt ist dabei das wirtschaftliche Interesse, eine neu gezüchtete beziehungsweise entdeckte Sorte wirtschaftlich zu verwerten, wie sich aus § 10 SortSchG ergibt, wonach der Sortenschutzberechtigte alleine dazu berechtigt ist, Vermehrungsmaterial der Pflanzensorte zu erzeugen, aufzubereiten, in den Verkehr zu bringen, ein- oder auszuführen oder aufzubewahren. All diese dem UrhG verwandten Gesetze enthalten Strafvorschriften, die ihrerseits ähnlich konstruiert sind und auch einen ähnlichen Schutzumfang bieten wie die §§ 106 ff. UrhG. Diese sind § 142 PatG, § 25 GebrMG, § 10 HalblSchG, § 51 DesignG, §§ 143 ff. MarkenG und § 39 SortSchG. Bei allen Vorschriften handelt es sich um Tatbestände des Nebenstrafrechts, die jeweils keine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit vorsehen und durch zahlreiche Verweisungen auf die entsprechenden zivilrechtlichen Normen der jeweiligen Gesetze geprägt sind. Für die Behandlung von Irrtumsfällen dürfte sich also auch in diesen Rechtsgebieten nichts anderes ergeben als im Urheberstrafrecht, weswegen die Ergebnisse dieser Arbeit insofern übertragbar sind.
§ 4 Symptomatische Fallbeispiele Um die nachfolgenden Erörterungen zum Allgemeinen Teil des Strafrechts nicht gänzlich vom Urheberstrafrecht zu isolieren, sollen einige Fallbeispiele vorangestellt werden, die im weiteren Verlauf der Arbeit aufgegriffen werden. 122 Achenbach/Ransiek/Rönnau-Ebert-Weidenfeller,
Teil 11 Kapitel 3 Rn. 2. Teil 11 Kapitel 3 Rn. 1. 124 Vgl. Loewenheim-Flechsig/Loewenheim, § 3 Rn. 20. 125 Vgl. Loewenheim-Flechsig/Loewenheim, § 3 Rn. 20. 126 Loewenheim-Flechsig/Loewenheim, § 3 Rn. 21. 123 Achenbach/Ransiek/Rönnau-Ebert-Weidenfeller,
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Kap. 1: Einführung in das Urheberstrafrecht
Beispielsfall 1: A möchte ihr neues Lieblingslied „teilen“. Darum lädt sie die kürzlich legal erworbene Musikdatei von der Festplatte ihres Computers auf einen Cloud-Server127 im Internet. Sodann versendet sie einen Hyperlink der – (allein) für die Empfänger dieses Links zugänglichen – Zieladresse der Datei per E-Mail an ihre Eltern und an ihre besten Freundinnen. a) Versehentlich und unbemerkt setzt A alle gespeicherten Mailkontakte „in cc“. 300 Personen, darunter auch flüchtige Kontakte, erhalten Zugang zum Download. b) A teilt den Download-Link zusätzlich auf ihrer Facebook-Pinnwand,128 was ihren 500 Facebook-„Freunden“ den Download ermöglicht. Unter Freunden, so denkt sie, darf man schließlich „teilen“. Beispielsfall 2: B hat für ihre Yoga-Übungen eine neue Meditations-CD käuflich erworben. Diese verleiht sie mit besten Wünschen an ihre Bekannte G, damit diese sich eine Kopie anfertigen kann. B geht fest davon aus, eine strafbare Urheberrechtsverletzung zu begehen und ist deswegen leicht „beschämt“. Beispielsfall 3:129 C lässt sich von seinem Tätowierer T mehrere, einzigartig ineinander verwobene Portraits prominenter Schönheiten über den gesamten Rücken „stechen“. Die Ideen kamen dem fachlich brillanten und außerordentlich kreativen T im Laufe der Tätowierung. Von dem Ergebnis begeistert, lässt C professionelle Fotos seines Rückens schießen und verkauft diese über das Internet als „Modern Art“. Er geht davon aus, dass es sich um „seine“ Tätowierung handelt, weitere Gedanken macht er sich nicht. T ist empört und sieht sich seines geistigen Eigentums an einem Kunstwerk beraubt. Beispielsfall 4: Musikliebhaber D veranstaltet einen Konzertabend mit Leinwand in seinem Garten. Er ist davon überzeugt, den 50 anwesenden Familienangehörigen seine legal erworbene DVD eines Rockkonzerts ebenso „legal“ zu präsentieren. Dass hinter dem Maschendrahtzaun zum Garten 20 Unbekannte zusehen, stört ihn nicht. Beispielsfall 5: E ist auf dem Konzert ihres Lieblingskünstlers und schneidet mit der Kamera ihres Smartphones einen Song mit. Den Video-Mitschnitt „teilt“ sie sogleich auf Facebook, wo sie über 500 „Freunde“ hat.
127 Cloud-Server ermöglichen Internet-Nutzern das Abspeichern von Inhalten in einer „Wolke des Internet“, vgl. allgemein zum „Cloud Computing“ Heidrich/Wegener, MMR 2010, 803 ff.; Hilgert/Greth, Rn. 600 ff.; ferner Jones/Nobis/Röchner/Thal-Jones, S. 24 ff. 128 Vgl. erläuternd zum Sozialen Netzwerk Facebook nur Hilgert/Greth, Rn. 349 ff.; zur Problematik des öffentlichen Zugänglichmachens unter Verwendung von Hyperlinks noch ausführlich Kapitel 3 § 3 B. IV. 2. a) bb). 129 Vgl. umfassend zum urheberrechtlichen Schutz von Tätowierungen Duvigneau, ZUM 1998, 535.
Kapitel 2
Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik Kap. 2: Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik
Nachdem das Urheberstrafrecht in seinen Grundzügen dargestellt wurde, rückt der Allgemeine Teil des Strafrechts in den Fokus der Bearbeitung. Bereits mehrfach erwähnt wurde, dass Irrtümer innerhalb der Strafnormen des UrhG gleich behandelt werden müssen wie solche im Rahmen der Tatbestände des Strafgesetzbuchs. Dementsprechend sind die folgenden Ausführungen auch allgemein-strafrechtlicher Natur, womit selbstverständlich der Anspruch auf Gültigkeit auch abseits des Urheberstrafrechts einhergeht. Umfassend lassen sich die Untersuchungen auf das gesamte Nebenstrafrecht übertragen, woraus nur beispielhaft die Strafvorschriften des Steuerrechts (§§ 269 ff. AO), des Marken- oder Patentrechts (§§ 143 ff. MarkenG, 142 PatG), des Wettbewerbsrechts (§§ 16 ff. UWG) oder des Aktienrechts (§§ 399 ff. AktG) genannt seien. Überall dort ist der Gebrauch von Verweisungen die Regel, weswegen die Problemstellungen mit denjenigen des Urheberstrafrechts identisch sind. Im Kernstrafrecht sind Verweisungen zwar seltener – aber gleichwohl zahlreich vorhanden,1 weswegen sich die Ausführungen dieser Arbeit umfassend auf das gesamte Strafrecht übertragen lassen.
§ 1 Irrtümer als Elemente von Vorsatz und Schuld Beim Blick auf den Titel dieser Arbeit stellt sich zunächst die Frage, was genau die Irrtumslehre im Strafrecht, also die Lehre des Irrtums oder der Irrtümer überhaupt ist. Dieser Frage lässt sich aus verschiedenen Perspektiven begegnen: Ein Ansatz ist, den Irrtum als Defizit der Strafbarkeit zum Ausgangspunkt zu machen. Dann ist die Irrtumslehre ein Instrument, um Problemfälle zu lösen. Sie ist dann eine Art Reparaturwerkzeug. Dieses Verständnis ließe sich beispielsweise dadurch gewinnen, dass in der juristischen Ausbildungsliteratur eigene Kapitel zur Irrtumslehre die Regel sind.2 Stützen ließe sich diese Herangehensweise zusätzlich durch die Gesetzestechnik: Denn statt den Vorsatz und die Schuld positiv zu normieren, bietet der Gesetzgeber mit den §§ 16, 17 StGB nur die beiden „Schubladen“3 der Irrtümer – und damit die Problemfälle an. Freilich ist dies keinesfalls als Kritik an der Ausbildungsliteratur zu verstehen, denn es kommt ersichtlich kein Werk Roxin, AT I, § 12 Rn. 110. Vgl. etwa Heinrich, AT, Rn. 1062 ff.; Kühl, AT, § 13 Rn. 1 ff.; Otto, AT, §§ 15 ff.; Rengier, AT, §§ 29 ff. Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 681 ff. 3 Vgl. Safferling, S. 112. 1 Vgl. 2
Kap. 2: Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik
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damit aus, den Tatumstandsirrtum nicht zugleich – zumindest knapp – im Kapitel zum subjektiven Tatbestand des Delikts anzusprechen. Hier erschließt sich die andere Betrachtungsweise: Denn weiterhin ist es möglich, die Irrtumslehre nicht aus sich heraus zu begreifen, sondern aus der Perspektive jener Ebenen oder Bereiche, innerhalb derer sie präsent ist. Das bedeutet, die Irrtumslehre von dort aus zu betrachten, wo sie ihre Wirkung entfaltet: Vom Tatbestand her gedacht, wirkt die Irrtumslehre innerhalb des subjektiven Tatbestandes – unter ihrer Anwendung lässt sich erst feststellen, dass in gewissen Konstellationen kein Vorsatz gegeben ist. Aus Perspektive der Schuld ist die Irrtumslehre ein Instrument, unter dessen Geltung sich feststellen lässt, wann es unter gewissen Umständen an der Vorwerfbarkeit einer Handlung fehlt, sodass diese trotz Vorliegens von objektiv und subjektiv tatbestandsmäßigem Unrecht straffrei bleiben soll. Während die Irrtumslehre also einerseits als Reparaturwerkzeug begreifbar ist, das in Problemfällen zum Einsatz kommt, lässt sie sich doch auch so verstehen, dass sie nicht korrigiert oder repariert, sondern gewissermaßen das Ergebnis selbst ist. Dann bringt nicht etwa die Anwendung einer Lehre den Vorsatz oder die Schuld zum Erliegen – im Gegenteil macht die Frage, wann ein Täter in den einschlägigen Fällen vorsatzlos und wann schuldlos handelt, die Irrtumslehre gerade erst aus. Insoweit ist die Aussage zutreffend, dass die Vorschrift des § 16 StGB nicht von anordnender, sondern bloß von beschreibender Natur ist.4 Ebenso treffend ist die Aussage, dass § 16 Abs. 1 S. 1 StGB bloß eine „eigentlich selbstverständliche Folge“ ausspricht, nämlich die Vorsatzlosigkeit in den betreffenden Konstellationen.5 Diese Aussagen dürften auf § 17 StGB ohne Weiteres übertragbar sein. Vorliegend soll die zweitgenannte Perspektive im Vordergrund stehen, denn sie macht am ehesten deutlich, wovon bei der Frage nach der Behandlung kritischer Konstellationen ausgegangen werden sollte: Nicht der Irrtum lässt den Vorsatz entfallen – vielmehr ist es eine Fehlvorstellung auf Sachverhaltsebene, die dazu führt, dass dem Täter vorsätzliches Verhalten nicht mehr vorgeworfen werden kann.6 Dies wiederum lässt sich dann als Irrtum kategorisieren beziehungsweise identifizieren. Ausgangspunkt muss demnach stets die Frage sein, ob die Vorstellung des Handelnden von der Wirklichkeit abweicht – sodann schließt sich die Frage nach den Konsequenzen einer festgestellten Diskrepanz an.7
§ 2 Strafrechtliche Irrtümer im historischen Kontext Eine umfassende Kodifizierung der Irrtumslehre im Sinne einer abschließenden Anleitung zur Behandlung von Irrtümern ist im deutschen Strafrecht bis zum heutigen Tage nicht erfolgt. Genauso wenig war dies in den Jahrzehnten bis zur Safferling, S. 112. Jescheck/Weigend, AT, § 29 V 1 a). 6 Safferling, S. 112. 7 Safferling, S. 112.
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§ 2 Strafrechtliche Irrtümer im historischen Kontext
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Schaffung der heute geltenden Normen der Fall. Zahlreiche Regeln und Werkzeuge, die die Rechtsprechung und die Wissenschaft im Umgang mit Irrtümern gebrauchen, finden sich dementsprechend seit jeher an keiner Stelle des Strafgesetzbuchs, sondern werden durch die Anwender und die Wissenschaft über den Normtext hinaus entwickelt. Gleichwohl liefert das StGB inzwischen zumindest „wesentliche Vorgaben für eine systematische Irrtumslehre.“8 Diese Vorgaben finden sich heute in den §§ 16 und 17 StGB, welche sozusagen die Zentralnormen der modernen strafrechtlichen Irrtumslehre sind. Deren – für den Täter stets begünstigende – Anwendung führt entweder zum Vorsatzausschluss (§ 16 StGB) oder zum Entfallen beziehungsweise zu einer Minderung der Schuld (§ 17 StGB). Eine „Rechtfertigung durch Irrtum“ kennt das deutsche Recht nicht. Ebenso denkbar wie ein begünstigender Irrtum sind Fehlannahmen, die sich zulasten des Täters auswirken: Diese sind im Rahmen der Frage nach einer möglichen Versuchsstrafbarkeit von Relevanz, wo es um die Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt geht.9 Diese Art von Irrtümern spielt jedoch in der „Irrtumslehre“ eine eher untergeordnete Rolle und ist, wie angesprochen, eher im Rahmen der Versuchsstrafbarkeit von Bedeutung.10 Dennoch ist auch dieser Irrtum für das Verständnis der Irrtumslehre wesentlich, da die Ergebnisse im Rahmen des Irrtums zu Gunsten des Täters auch auf den Irrtum zu Lasten des Täters übertragen werden können und müssen. Im Folgenden sollen die wesentlichen Aspekte in der historischen Entwicklung der strafrechtlichen Irrtumslehre skizziert werden.
A. Der Irrtum in der Rechtsprechung des Reichsgerichts Das Reichsgericht unterschied bei der Behandlung von Irrtümern im Laufe seiner „quantitativ kaum überschaubaren“11 Judikatur konsequent zwischen einem Tatirrtum und einem Rechtsirrtum, wobei nur erstgenannter gesetzlich geregelt war – in § 59 StGB a.F. Die Norm ähnelte im Wortlaut dem heutigen § 16 StGB12 Kühl, AT, § 13 Rn. 1. Heinrich, AT, Rn. 1070 f., 668 ff.; Rengier, AT, § 35 Rn. 1 ff.; Roxin, AT II, § 28 Rn. 6, 346 ff., 378 ff. 10 Vgl. aber Kapitel 2 § 3 A. IV. 2. 11 Schuster, S. 42. 12 § 59 StGB a.F.: „[Abs. 1] Wenn Jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das Vorhandensein von Thatumständen nicht kannte, welche zum gesetzlichen Thatbestande gehören oder die Strafbarkeit erhöhen, so sind ihm diese Umstände nicht zuzurechnen. [Abs. 2] Bei der Bestrafung fahrlässig begangener Handlungen gilt diese Bestimmung nur insoweit, als die Unkenntniß selbst nicht durch Fahrlässigkeit verschuldet ist.“ Vgl. zur Anwendung durch das Reichsgericht insb. BGHSt 2, 194 (196 ff.); ferner zur historischen Entwicklung Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (449 ff.); LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 1 ff. 8
9 Vgl.
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Kap. 2: Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik
und beschäftigte sowohl das Reichsgericht als auch später – bis zum Inkrafttreten des 2. StrRG13 – den Bundesgerichtshof mehrfach. Der Paragraph war wegen seiner erheblichen Auslegungsbedürftigkeit sehr umstritten,14 was einerseits zu einer besonders intensiven Problematisierung durch die Wissenschaft führte und andererseits – zwangsläufig – die Rechtsprechung in den Mittelpunkt des Interesses rückte.15 Die Abgrenzung wird rückblickend zutreffend als willkürlich kritisiert. Schuster spricht insoweit noch milde davon, die Abgrenzung zwischen unbeachtlichem und beachtlichem Rechtsirrtum sei „nicht immer eindeutig und oft nur schwer berechenbar“ gewesen.16 § 59 StGB a.F. knüpfte, wie heute § 16 StGB, an Tatumstände an, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören. Damit gemeint waren Irrtümer über „tatsächliche Gegebenheiten“17, mithin waren jedenfalls solche Irrtümer beachtlich, die sich auf „für das jeweilige Delikt konstitutive“18 Tatsachen bezogen („error facti non nocet“, ein Irrtum über Tatsachen schadet nicht).19 Keine gesetzliche Regelung erfahren hatte dagegen der bereits erwähnte „Rechtsirrtum“, worunter das RG „jeden Irrtum über Rechtssätze“ fasste.20 Nichtsdestotrotz war dessen Existenz in der Rechtsprechung des Reichsgerichts ebenso anerkannt wie die Notwendigkeit, diesen vom Tatirrtum nach § 59 StGB a.F. abzugrenzen.21 Lediglich an einer positivrechtlichen Grundlage fehlte es. Darum vermag es auch nicht im Geringsten zu verwundern, dass die Wissenschaft bis zur Aufnahme des Verbotsirrtums in das Strafgesetzbuch22 eine „fast unüberschaubare Fülle“23 an Veröffentlichungen zu dieser Thematik beisteuerte, gefüttert mit zahlreichen voneinander abweichenden Lösungsansätzen. 13 In Kraft ab 1. 1. 1975, BGBl. I 1973, S. 909; bekanntgemacht am 4. 7. 1969, BGBl. I 1969, S. 717. 14 Vgl. insbesondere Kuhlen, S. 80; Müller-Magdeburg, S. 33 f.; ferner Kircher, S. 5 ff.; Mezger, Lehrbuch, S. 335 ff.; Schuster, S. 42 ff. 15 Vgl. Kuhlen, S. 80. 16 Schuster, S. 44. 17 Müller-Magdeburg, S. 35 18 LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 1. 19 Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (450); LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 1; das Nicht-Schaden ist im lateinisch-historischen Kontext bezogen auf das Leben des Täters, sprich: der Irrtum schadet sehr wohl der Strafbarkeit, nicht jedoch dem Täter, der sich auf denselben berufen darf. Denn dieser bleibt von einer Strafbarkeit gerade verschont. 20 Vgl. BGHSt 2, 194 (197). 21 Vgl. nur RGSt 1, 368 (369); RGSt 2, 268 (269); ferner das historische Resümee in BGHSt 2, 194 (197 f.); von „Hunderten von Entscheidungen“ des Reichsgerichts zum Rechtsirrtum ist die Rede bei Kuhlen, S. 80; die Bemerkung, dass „es kaum einen Band der Entscheidungen des RG in Strafsachen gibt, in: dem sich nicht mehrere Urteile mit der Frage des Rechtsirrtums befassen“, trifft Warda, JR 1950, 546 (547). 22 Vgl. dazu sogleich Kapitel 2 § 2 B. 23 So die Einschätzung von Langer, GA 1976, 193 (193).
§ 2 Strafrechtliche Irrtümer im historischen Kontext
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Das Reichsgericht bediente sich zur Behandlung des Rechtsirrtums althergebrachter Prinzipien: So gilt in der Rechtsgeschichte der Grundsatz als „tief verwurzelt“, dass der bloße Rechtsirrtum im Gegensatz zum „error facti“ zu keiner Entlastung des Täters führt („error iuris nocet“, ein Rechtsirrtum schadet),24 was sich tendenziell auch in der heutigen Irrtumslehre widerspiegelt, in welcher ein Verbotsirrtum die Strafbarkeit nur bei Unvermeidbarkeit des Irrtums ausschließt (§ 17 StGB).25 Diese klare Trennung von Tat- und Rechtsirrtum weichte das RG allerdings im Laufe seiner Judikatur auf: So unterschied das Gericht innerhalb des Rechtsirrtums zwischen einem für die Strafbarkeit irrelevanten Rechtsirrtum über strafrechtliche Normen (ein Strafrechtsirrtum schadet, lat. „error iuris criminalis nocet“)26 und einem außerstrafrechtlichen Rechtsirrtum, der zum Vorsatzausschluss führte:27 Normbefehle, die nicht dem Strafrecht angehörten, aber von diesem in Bezug genommen wurden, behandelte das Reichsgericht wie Tatsachen, sodass insoweit ein Irrtum nach § 59 StGB a.F. in Betracht kam – nach verbreiteter Ansicht ein „Zugeständnis an die moderne Normenflut und an die Unmöglichkeit einer Kenntnis aller dieser Normen.“28 Im Ergebnis führte ein fehlendes Unrechtsbewusstsein des Handelnden immer dann zum Vorsatzausschluss, wenn sich – um mit der Terminologie des heutigen § 17 StGB zu sprechen – die fehlende Einsicht des Täters, Unrecht zu tun, auf eine Vorschrift bezog, die nicht dem Strafgesetzbuch zu entnehmen war – also insbesondere auf verwaltungsrechtliche Vorschriften, wie etwa solche des Polizeirechts, und auf Regelungen des Zivilrechts. Einen besonders anschaulichen Fall des außerstrafrechtlichen Rechtsirrtums hatte das Reichsgericht am 26. März 1889 zu entscheiden. Im zugrundeliegenden Sachverhalt erschoss ein Jäger einen fremden und nicht angeleinten Hund in dem Glauben, hierzu in seinem Jagdrevier berechtigt zu sein. Er wurde wegen Sachbeschädigung (§ 303 RStGB) angeklagt und berief sich sodann auf seinen fehlenden Vorsatz. Diesen erkannte ihm das Reichsgericht schließlich auch zu, wobei es in besonders anschaulicher Weise von seiner Lehre über die Trennung von außer- und innerstrafrechtlichem Rechtsirrtum Gebrauch machte:29 „Nur, wenn sich der Irrtum auf das Bestehen und den Sinn des Strafgesetzes bezöge, würde er den Angeklagten nicht [Hervorhebung durch d. Verf.] schützen können, weil diesem Erfolge die für die strafrechtliche Verantwortlichkeit grundsätzlich allgemein anerkannte Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (450); LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 3. LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 3. 26 Vgl. etwa RGSt 23, 374 (374 f.); RGSt 37, 389 (391); RGSt 52, 99 (100); RGSt 60, 423 (425); RGSt 67, 114 (115 f.); zu dieser Einordnung auch Tiedemann, Geerds-Festschrift 1995, S. 95 (98). 27 Vgl. aus der Literatur zur RG-Judikatur insbesondere Schlüchter, S. 38 ff.; ferner Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (450); Kuhlen, S. 122 ff.; LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 5 ff.; Roxin, AT I, § 21 Rn. 5. 28 Tiedemann, Geerds-Festschrift 1995, S. 95 (98). 29 RGSt 19, 209 (211). 24
25 Vgl.
Kap. 2: Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik
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Einflußlosigkeit der Unkenntnis des Strafgesetzes entgegenstünde. Daß aber der Irrtum [...] auf strafrechtlichem Gebiete liegt, […] ist […] nicht anzuerkennen.“30 Das RG bestätigte sodann die Tatsachenfeststellung, dass der Angeklagte sich im Recht gewähnt habe und führte hierzu aus: „Darin ist lediglich ein Irrtum über die civilrechtlichen Befugnisse des Jagdberechtigten zu finden, welcher die Anwendbarkeit des § 303 StGB’s ausgeschlossen erscheinen läßt.“31 Als weitere Beispiele für außerstrafrechtliche Rechtsirrtümer ließen sich an dieser Stelle zahlreiche weitere Konstellationen anführen, was indes den Rahmen der Bearbeitung übersteigen würde.32 Legion waren in der RG-Rechtsprechung Irrtumsfälle, welche sich – wie bereits im soeben skizzierten Fall – zwar auf Vorschriften des Strafgesetzbuchs bezogen, aber gleichwohl nur unter Heranziehung des Zivilrechts lösbar waren, wie beispielsweise der Irrtum über die Rechtswidrigkeit einer Zueignung,33 denn insoweit bedarf es zwingend einer Interpretation der zivilrechtlichen Eigentumsordnung. Ein weiteres Beispiel für den zivilrechtlichen Rechtirrtum ist der Irrtum über die Rechtswidrigkeit einer Handlung, die der Täter durch Eigentümerbefugnisse gedeckt sieht.34 Ein außerstrafrechtlicher und damit den Vorsatz ausschließender Irrtum wurde auch in einem Fall angenommen, in dem ein Geistlicher entgegen einer nebenstrafrechtlichen Bestimmung im Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes davon ausgegangen war, eine Trauung vollziehen zu dürfen, obwohl ihm dies erst nach förmlicher Beglaubigung der vorhergegangen standesamtlichen Eheschließung gestattet gewesen wäre.35 Diese über Jahre hinweg durch die Rechtswissenschaft kritisierte und gleichwohl konsequent bestätigte Rechtsprechung beendete der Bundesgerichtshof mit seiner richtungsweisenden Grundsatzentscheidung vom 18. März 1952.36 Er schloss sich dem Lager der sog. Schuldtheorien an – dazu sogleich – und stellte in gewisser Hinsicht die Weichen für die heutige Gesetzeslage. Der „überkommenen“37 Irrtumslehre des Reichsgerichts attestierte der BGH eine „Verletzung des unantastbaren Grundsatzes allen Strafens, daß Strafe Schuld voraussetzt“,38 soweit sich das fehlende Unrechtsbewusstsein eines im unverschuldeten Verbotsirrtum Handelnden auf eine Strafvorschrift bezog. Denn in diesen Fällen kam das RG nicht zum Ausschluss von Strafe, denn es handelte sich um einen innerstrafrechtlichen Rechtsirrtum. Der Bundesgerichtshof würdigte in seinem Urteil den Um30
RGSt 19, 209 (211). RGSt 19, 209 (211). 32 Für zahlreiche weitere Belege vgl. Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (451); Schlüchter, S. 40. 33 RGSt 49, 140 (143). 34 RGSt 19, 87 (89). 35 RGSt 4, 233 (239). 36 BGHSt 2, 194; vgl. hierzu die Rezension von Wissmann, DGStZ 2016, 23. 37 BGHSt 2, 194 (197). 38 BGHSt 2, 194 (202). 31
§ 2 Strafrechtliche Irrtümer im historischen Kontext
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stand, dass „in den politisch und sozial ausgeglichenen Zeiten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ die Meinung, dass „ein unverschuldeter Irrtum über das [strafrechtliche] Verbot nicht wohl denkbar“ gewesen sei, „einige Berechtigung“ gehabt haben dürfte, stellte allerdings klar, dass dies in Zeiten, „in denen das Gefüge des staatlichen und sozialen Lebens in seinen Grundfesten erschüttert oder geradezu umgestaltet wird“, nicht mehr zutreffen könne.39 Prägnant betonte der Bundesgerichtshof: „Was Recht und Unrecht ist, ist nicht mehr selbstverständlich. Damit eröffnet sich die Möglichkeit des Verbotsirrtums, und zwar auch des unverschuldeten.“40 Dass die Rechtsprechung des RG gleichwohl in vielen Fällen zu „befriedigenden Ergebnissen“ geführt habe, erkennt der BGH zwar an, beruft sich insoweit allerdings darauf, dass „dies vor allem dem Umstand zu verdanken [war], daß die logische Undurchführbarkeit jener Unterscheidung [zwischen strafrechtlichen und außerstrafrechtlichen Irrtümern] gestattete, die Entscheidung nach dem Rechtsgefühl zu treffen und mit der strafrechtlichen oder außerstrafrechtlichen Natur der verkannten Rechtsnorm zu begründen, je nachdem, ob nach dem Rechtsgefühl der Irrtum Beachtung verdiente oder nicht.“41 Der BGH wendete sich demzufolge auch ganz bewusst ab von einer Rechtsprechung, die er zutreffend als eine stark am Ergebnis orientierte Kasuistik identifizierte, wenn er ausdrücklich den „Anschein der Willkür“ betonte, der den Entscheidungen des RG „nicht selten“ angehaftet habe.42
B. Vorsatz- versus Schuldtheorie Von entscheidender Bedeutung bei der Behandlung von Irrtümern ist deren Einordnung im Verbrechensaufbau. Wie bereits betont wurde, lautet die Ausgangsfrage: Wie wirkt sich die konkrete Fehlvorstellung des Täters beziehungsweise das konkrete Defizit auf dessen Strafbarkeit aus? Diese Frage stellt sich zunächst im Rahmen des subjektiven Tatbestandes. Erst wenn der Vorsatz trotz eines festgestellten Defizits bejaht wurde, kann die Frage auf Ebene der Schuld erneut gestellt werden – hier muss dann festgestellt werden, ob dem Täter unter den gegebenen Umständen das Bewusstsein fehlte, Unrecht zu tun. Mit der Normierung der §§ 16, 17 StGB in ihrer bis heute geltenden Fassung im Jahre 197543 beendete der Gesetzgeber zumindest grundsätzlich einen lange schwelenden Theorienstreit, der in der Regel unter den Flaggen der „Vorsatzthe-
39
BGHSt 2, 194 (202). BGHSt 2, 194 (202). 41 BGHSt 2, 194 (203). 42 Vgl. BGHSt 2, 194 (203). 43 Durch das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts (2. StrRG) vom 4. 7. 1969, BGBl. I 1969, S. 717, in: Kraft getreten am 1. 1. 1975, BGBl. I 1973, S. 909. 40
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Kap. 2: Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik
orie“ und der „Schuldtheorie“ geführt wurde.44 Schon um die Jahrhundertwende war man sich innerhalb der Rechtswissenschaft einig über die Unhaltbarkeit der reichsgerichtlichen Rechtsprechung.45 Auf welche Weise man den Irrtümern dogmatisch sonst Herr werden sollte, darüber herrschte hingegen weitaus weniger Einigkeit. Ausgehend von völlig unterschiedlichen straftheoretischen Verständnissen entwickelten sich besagte Theorien, wobei „die Vorsatztheorie“ anfänglich als herrschend angesehen wurde.46 Da sich innerhalb beider Lager seit Entfachen der Streitigkeit jeweils – teilweise stark – voneinander abweichende Ansichten finden, ist es unter terminologischen Gesichtspunkten treffender, von vorn herein von den Vorsatztheorien und den Schuldtheorien zu sprechen.47 Im heutigen StGB ist – dazu sogleich – ein schuld theoretisches Verständnis verankert. Dies jedoch hat keinesfalls zum Verstummen jener kritischen Stimmen geführt, die der Vorsatztheorie in modifizierter Form zumindest im Nebenstrafrecht bis heute Geltung beimessen wollen.48 I. Der Ursprung der Kontroverse Ursprünglich standen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüber: Erstes bildeten die Vertreter der Vorsatztheorien, welchen zufolge das Unrechtsbewusstsein – und damit die Kenntnis der Norm – als Bestandteil des Vorsatzes anzusehen ist.49 Nach dem lange Zeit herrschenden, durch die kausale Handlungslehre geprägten Aufbau der Straftat, wurden dabei sämtliche subjektiven Elemente der Straftat im Rahmen der Schuld geprüft, sodass sich zumindest hinsichtlich des Prüfungsstandortes keine Besonderheiten ergaben. Nach dem heute gängigen, durch den Einfluss der finalen Handlungslehre geprägten Verständnis indes, wäre das Unrechtsbewusstsein unter Anwendung der Vorsatztheorien bereits im subjektiven Tatbestand zu prüfen. Die wesentlich weiter reichende Konsequenz einer Verortung des Bewusstseins über die Rechtswidrigkeit beim Vorsatz ist allerdings, dass sich ein Irrtum über das Verbotensein einer Handlung sodann stets tatbestandsausschließend auswirkt. Übrig bleibt dann, je nach Einzelfall, die Möglichkeit einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit: § 59 StGB a.F. war also in Fällen des Verbotsirrtums unmittelbar zur Anwendung zu bringen.50
44 Die Begrifflichkeit geht zurück auf Welzel, SJZ 1948, 368 (369); vgl. dazu auch Warda, Welzel-Festschrift 1974, S. 499 (499). 45 Vgl. Hartung, DRZ 1949, 342 (342 f.); Kuhlen, S. 81; Müller-Magdeburg, S. 50 f. 46 Welzel, SJZ 1948, 368 (369) – „überwiegende Meinung“. 47 Vgl. nur Langer, GA 1976, 193 (208 f.); dazu ferner Heinrich, AT, Rn. 1129 ff. 48 Vgl. Kapitel 2 § 3 C. III. 2. c). 49 Binding, Normen II, 2. Aufl. 1916, S. 935 ff.; Lange, JZ 1956, 519 (523); Langer, S. 323 ff., 356 f.; ders., GA 1976, 193 (208); Lang-Hinrichsen, JR 1952, 184 (190); Mezger, Lehrbuch, S. 303 ff., 307 ff.; Schmidhäuser, AT, 10/28, 32 ff. 50 Vgl. auch zu den Begrifflichkeiten BGHSt 2, 194 (205 i.V.m. 197).
§ 2 Strafrechtliche Irrtümer im historischen Kontext
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Demgegenüber standen – und stehen bis heute – die sogenannten Schuldtheorien, deren wesentliche Botschaft lautet, dass das Unrechtsbewusstsein entgegen der vorgenannten Auffassung kein Element des Vorsatzes ist, sondern ein selbstständiges Schuldelement darstellt.51 Die wichtigste Konsequenz dieser Lehren ist, dass die Unkenntnis einer rechtlichen Bestimmung den Vorsatz eines Handelnden nicht berührt, sondern erst auf Schuldebene im Rahmen des selbstständigen Elements des Unrechtsbewusstseins Auswirkungen haben kann. Die Entstehung der Schuldtheorien wird besonders anschaulich bei Welzel:52 Nach der bereits erläuterten, damals ganz herrschenden Vorsatztheorie handelte z.B. ohne Tatbestandsvorsatz, wer zu Zeiten des zweiten Weltkriegs auf einen rechtswidrigen Befehl hin unschuldige Zivilpersonen exekutierte, sofern er von der Rechtmäßigkeit seines Befehls ausging. Die Unhaltbarkeit dieser Rechtsauffassung steht nach heute geltendem Recht außer Frage. Seinerzeit jedoch sah sich Welzel zu der Feststellung genötigt, dass nach den damals herrschenden Grundsätzen „der Täter sein Opfer nur fahrlässig getötet“ habe.53 Welzel erkannte treffend, dass der Verweis auf eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in zahlreichen Konstellationen schlicht unhaltbar wäre – und zwar aus mehrerlei Gesichtspunkten: So gebe es einerseits „Verbotsirrtümer, die sich so leichtfertig über fundamentale ethische Normen hinwegsetzen, daß ihre Bestrafung im Rahmen der Fahrlässigkeitstatbestände ganz ungerecht wäre.“54 Weiterhin attestierte Welzel der Vorsatztheorie ein Versagen „in all den Fällen, in denen fahrlässiges Handeln nicht unter Strafe gestellt ist. Man denke an Freiheitsberaubungen oder an Menschenraub auf Grund offensichtlich rechtswidriger Befehle.“55 Es ist bemerkenswert, wie detailgetreu Welzel bereits 1948 mit seiner „strengen“56 Schuldtheorie vorschlug, was später sinngemäß in § 17 StGB normiert werden sollte: „In Wahrheit gehört das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit zur Schuld, nicht zum Tatvorsatz, sodaß sein Fehlen an der Vorsätzlichkeit der Tat nicht das mindeste ändert. Wer im irrigen Glauben, dazu berechtigt zu sein, einen anderen tötet, tötet ihn vorsätzlich, aber seine Schuld, d.h. die Vorwerfbarkeit der Tat, ist, wenn der Irrtum unvermeidlich war, ausgeschlossen; wenn der Irrtum aber bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt vermeidbar war, ist die Vorwerfbarkeit nach dem Grade der Entschuldbarkeit des Irrtums gemildert.“57
51 Welzel, SJZ 1948, 368 (371); ders., JZ 1952, 596 (598); ders., JZ 1956, 238 (240 f.); ders., StGB, S. 164 ff., 169; zustimmend Warda, S. 1 ff.; ders., JR 1950, 546 (547, 551). 52 Welzel, SJZ 1948, 368 (369 f.). 53 Welzel, SJZ 1948, 368 (370). 54 Welzel, SJZ 1948, 368 (370). 55 Welzel, SJZ 1948, 368 (370). 56 Langer, GA 1976, 193 (209). 57 Welzel, SJZ 1948, 368 (371).
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Kap. 2: Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik
II. Tätigwerden des Gesetzgebers und Aktualität der Diskussion Mit dem Bekenntnis des Gesetzgebers für die Verortung des Unrechtsbewusstseins auf Schuldebene ist die tragende Botschaft der Schuldtheorien nunmehr im Allgemeinen Teil des StGB verankert.58 Das macht dieses Verständnis unstreitig zur Basis aller Irrtumslösungen sowohl im Kern- als auch im Nebenstrafrecht.59 Schon vor Entstehung des § 17 StGB war das Bemühen des Gesetzgebers erkennbar gewesen, die „starre Haltung des Reichsgerichts“60 zugunsten der Schuldtheorien aufzulösen,61 wie sich bereits an § 31 WiStG 194962 unzweideutig erkennen lässt, der eine dem heutigen § 17 StGB sehr ähnliche Regelung enthielt. Nachfolgend bestätigte der Gesetzgeber diese Tendenz mit Schaffung der §§ 12 OWiG 1952,63 6 Abs. 3 OWiG 1968,64 26a WiStG 1952,65 und 6 WiStG 195466 sowohl für das Straf- als auch für das Ordnungswidrigkeitenrecht. Auch wenn der insoweit eindeutige Wortlaut des § 17 StGB als Bekenntnis „pro Schuldtheorien“ verstanden wird, flammen die althergebrachten Streitigkeiten auch heute vor allem bei Irrtumsfragen noch regelmäßig auf. Einerseits betrifft dies die Frage nach der Behandlung des Irrtums über Rechtfertigungsgründe – dort wirken sich vor allem die verschiedenen Auffassungen innerhalb der Schuldtheorien unterschiedlich aus.67 Andererseits ist die Gesetzgebung vor allem im Neben58 Vgl. Baumann, Welzel-Festschrift 1974, S. 533 (533); Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 21 Rn. 39; Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (450); Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 17 Rn. 1; NK-U. Neumann, § 17 Rn. 1; Roxin, AT I, § 21 Rn. 8; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 104, § 17 Rn. 3; SK-Rudolphi/Stein, 8. Aufl., 148. Lfg., § 15 Rn. 12; SK-Rudolphi, 8. Aufl., 148. Lfg., § 17 Rn. 1; Tiedemann, S. 287; ders., ZStW 81 (1969), 869 (870); Warda, Welzel-Festschrift 1974, S. 499 (499, Fn. 2); U. Weber, ZStW 96 (1984), 376 (391 f.); anders dagegen Schmidhäuser, JZ 1979, 361 (369), der eine „Handhabung im Sinne der sog. Vorsatztheorie nicht ausgeschlossen“ sieht; ders., AT, 10/28; differenzierend Otto, AT, § 7 Rn. 61 ff., der den Vorsatz nur dann bejahen möchte, wenn der Täter die Sozialgefährlichkeit beziehungsweise die Sozialschädlichkeit seines Verhaltens laienhaft erkannt hat. 59 Vgl. aus dem Lager der „Vorsatztheoretiker“ Tiedemann, S. 287: „Damit ist für das künftige Recht die Vorsatztheorie ausgeschlossen, und es wird nur auf dem Boden der Schuldtheorie […] eine den Eigenarten des Nebenstrafrechts Rechnung tragende Lösung zulässig bleiben.“ 60 Tiedemann, S. 298. 61 Eine insofern „deutliche legislatorische Tendenz“ sieht Tiedemann, S. 299. 62 Wirtschaftsstrafgesetz vom 26. 7. 1949, abgedruckt im Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1949, S. 193; vgl. eingehend zu § 31 WiStG 1949 und dessen Verhältnis zur allgemeinen Irrtumsregelung des § 59 StGB a.F. Warda, JR 1950, 546 ff. 63 BGBl. I 1952, S. 177. 64 BGBl. I 1968, S. 481. 65 BGBl. I 1952, S. 188. 66 BGBl. I 1954, S. 175; vgl. zu den „Vorläufer-Regelungen“ auch Tiedemann, S. 300. 67 Vgl. dazu Kapitel 2 § 3 A. III.
§ 2 Strafrechtliche Irrtümer im historischen Kontext
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strafrecht geprägt durch zahlreiche ausdrückliche oder konkludente Verweisungen auf andere Vorschriften68 sowie durch stark normativ geprägte Tatbestandsmerkmale,69 was die Diskussion über den Vorsatzgegenstand bei den so konstruierten Tatbeständen regelmäßig wieder aufleben lässt. Zur Verdeutlichung dient wiederum das Beispiel, in dem ein Täter irrigerweise davon ausgeht, ein ihm gegenüber geäußerter Schießbefehl sei rechtmäßig: Es dürfte wohl jedermann einleuchten, dass in dieser Konstellation Tötungsvorsatz gegeben ist. Der Appell eines Tötungsverbots ist eine absolute Grundvoraussetzung jeder vertretbaren Gesellschaftsform.70 Darum ist davon auszugehen, dass nahezu jeder Bürger den Appell kennt und verinnerlicht hat.71 Bei Normen des Nebenstrafrechts, deren Gehalt sich hingegen erst aus – teilweise mehrstufigen – wie auch immer gearteten Verweisungen ergibt, kann dagegen nicht in dieser Eindeutigkeit davon gesprochen werden, dass eine Vielzahl der Bürger den Appell kennt, geschweige denn ihn verinnerlicht hat. § 106 Abs. 1 UrhG stellt diesbezüglich ein Paradebeispiel dar. Man betrachte nur das Recht der öffentlichen Wiedergabe in Gestalt der öffentlichen Zugänglichmachung. Der hierauf bezogene strafrechtliche Appell lässt sich sogar grob erst beim Zusammenlesen der §§ 106 Abs. 1; 15 Abs. 2 S. 1, 2 Nr. 2; 19 a UrhG erkennen. Streng genommen ist mit dieser Normkette nicht einmal angedeutet, dass der Bürger darüber hinaus – untechnisch gesprochen – verstanden haben muss, was das Merkmal des urheberrechtlich geschützten Werkes besagt. Hierfür müssen mindestens die §§ 1, 2 UrhG bedient werden, was an späterer Stelle noch ausführlich erörtert wird.72 Es ist nicht das Ziel dieser Arbeit, die Kontroverse um die Vorsatz- oder die Schuldtheorien aufzuwühlen, geschweige denn diese aufzulösen. Vielmehr ist von vornherein jenen Stimmen beizupflichten, die im Wortlaut des § 17 StGB eine klare gesetzgeberische Entscheidung für die Schuldtheorien sehen. Diese insgesamt anzuzweifeln, verbietet sich sogar: Die „Einsicht, Unrecht zu tun“ ist Gegenstand des § 17 StGB. Die Konsequenz eines Fehlens dieser Einsicht lautet kraft eindeutiger gesetzgeberischer Anordnung Schuldlosigkeit – klarer hätte die Entscheidung des Gesetzgebers in dieser Frage also nicht ausfallen können.73 Ferner sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Verfassungsmäßigkeit des § 17 StGB durch das BVerfG bestätigt wurde,74 was insoweit auch eine Bindungswirkung entfaltet.75
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Vgl. dazu Kapitel 2 § 3 B. I. 3. Vgl. dazu Kapitel 2 § 3 B. I. 1. b). 70 Vgl. Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1, 2 EU-Grundrechte-Charta; Art. 2 Abs. 1 S. 1 EMRK. 71 Vgl. Roxin, Tiedemann-Festschrift 2008, S. 375 (385). 72 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 3 § 3 A. 73 Vgl. nur Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 17 Rn. 1. 74 BVerfGE 41, 121. 75 Vgl. die Analyse bei Langer, GA 1976, 193. 69
Kap. 2: Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik
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Dass die heutige Gesetzeslage überhaupt keine Fragen offenließe, wäre jedoch ein Trugschluss. Langer – damals ein Verfechter der Vorsatztheorie – ist beizupflichten in der Aussage, dass die „Theorienkompetenz“ auch nach Einführung des § 17 StGB bei der Rechtswissenschaft liegt,76 denn: „In die Kompetenz des Gesetzgebers fällt die Normierung der Irrtumsarten und ihrer Wirkungen auf die Rechtsfolgen. Die Aufgabe der Wissenschaft besteht vorrangig darin, ungeachtet der vorhandenen Regelungen zu klären, welche rechtliche Behandlung der Irrtumsphänomene sachgerecht ist. Die Grenze zwischen diesen beiden Funktionen wird bei der Auslegung der geltenden strafgesetzlichen Irrtumsregelungen […] abgesteckt.“77 Dem entspricht es, dass noch heute bisweilen Stimmen laut werden, die bei der Behandlung von Irrtümern die Vorsatztheorie „im Ergebnis zur Anwendung“ kommen lassen wollen78 oder in manchen Fällen jedenfalls übereinstimmende Ergebnisse beider Theorien sehen.79
§ 3 Herrschende Rechtslage und Irrtumslehre Im Folgenden gilt es darzustellen, wie Irrtümer unter dem geltenden Strafrecht behandelt werden. Hierfür wird zunächst die aktuelle Gesetzeslage erläutert, vorab ohne eingehende Problematisierung der Rechtsfigur der sog. normativen Tatbestandsmerkmale oder der Blankettstrafgesetze. Bereits an dieser Stelle soll aber betont werden, dass die Behandlung eben dieser „Kategorien“ eine Schlüsselfunktion in Bezug auf die anschließenden Ausführungen zum Urheberstrafrecht einnimmt. Die strafrechtliche Irrtumslehre gerät oftmals dort ins Wanken, wo Strafgesetze aus sich heraus verweisen – zunächst unabhängig davon, worauf und auf welche Weise. Darum werden sowohl normative Tatbestandsmerkmale als auch Blankettstrafgesetze im Folgenden jeweils innerhalb eines eigenen Blocks gewürdigt. Die vorangestellte Darstellung der verschiedenen Irrtumsformen ist dementsprechend vorwiegend deskriptiver Natur.
A. Die verschiedenen Formen des Irrtums Seit dem 2. StrRG folgt die Irrtumslehre – prima facie – einem klaren Muster, welches durch die §§ 16, 17 StGB vorgegeben ist und durch Erkenntnisse der Rechtsprechung und Wissenschaft ergänzt wird. Gar nicht oft genug kann betont werden, dass es sich bei „den Irrtümern“ oder „der Irrtumslehre“ nicht um eigene Rechtsinstitute handelt, die bestimmte Rechtsfolgen auslösen. Treffender ist es, wie oben gesehen,80 den strafrechtlichen Irrtum als eine Art Attest zu bezeichnen: Langer, GA 1976, 193 (208); vgl. ferner Roxin, AT I, § 7 Rn. 14. Langer, GA 1976, 193 (206). 78 So ausdrücklich Tiedemann, Geerds-Festschrift 1995, S. 95 (106, 108); in diese Richtung bereits ders., ZStW 81 (1969), 869 (insb. 884 f.). 79 Roxin, Tiedemann-Festschrift 2008, S. 375 (382). 76
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§ 3 Herrschende Rechtslage und Irrtumslehre
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Es handelt sich um ein Attest über das Vorliegen eines Defizits beim Täter, das sich je nach Art des Defizits auf der Ebene des Vorsatzes oder der Ebene der Schuld auswirken kann.81 Es trifft voll und ganz zu, wenn Warda in der Irrtumslehre „die Kehrseite der Lehre von den positiven Wissenserfordernissen des Vorsatzes und der Schuld“ sieht.82 Ebenso zutreffend heißt es andernorts, „die Lehre vom Vorsatz ist auch die Lehre vom Irrtum – und umgekehrt.“83 In der Tat wäre die Annahme einer Lehre mit eigenen Maßstäben „methodisch verfehlt.“84 80
Mag dies vielleicht auch trivial klingen, so ist doch die Botschaft von besonderer Bedeutung, dass „die Frage, welcher Irrtum jeweils vorliegt […] als Ausgangsfrage ungeeignet [ist,] weil sie den zweiten Schritt vorweg nimmt.“85 Im Gegenteil sollte nicht vom „Problemfall Irrtum“ ausgegangen werden. Die Ausgangsfragen in jedem konkret zu lösenden Fall müssen deshalb lauten: Geschah das objektiv tatbestandsmäßige Handeln vorsätzlich? Beziehungsweise: Geschah die vorsätzliche und rechtswidrige Handlung schuldhaft? I. § 16 StGB – Irrtum über Tatumstände Gegenstand des § 16 StGB ist der Irrtum über Tatumstände. Dieser wird abweichend von der amtlichen Überschrift zumeist als Tatbestandsirrtum bezeichnet.86 Ohne diese terminologische Frage an dieser Stelle zu vertiefen,87 erscheint es doch schlüssig, wenn die insofern kritischen Stimmen anführen, dass dem Wortlaut des Gesetzes mit der Bezeichnung Tatumstandsirrtum am ehesten entsprochen wird,88 weswegen vorliegend auch diese Terminologie verwendet werden soll:89 Jeder Irr80
Kapitel 2 § 1. Safferling, S. 112. 82 Warda, S. 32. 83 Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 21 Rn. 1; zustimmend Heinrich, AT, Rn. 1073; vgl. auch Kühl, AT, § 13 Rn. 12 – „Kehrseite des Wissenselements“; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 683. 84 Warda, S. 32. 85 Safferling, S. 112. 86 BGHSt 15, 1 (1); BGHSt 17, 87 (87); BGHSt 48, 322 (328); BGH NJW 2014, 401 (404); BGH PharmR 2015, 127 (131); Heinrich, AT, Rn. 1072 ff.; Lackner/Kühl, § 16 Rn. 1; Otto, AT, § 15 Rn. 2; Rengier, AT, § 14 Rn. 2, § 15 Rn. 1 ff.; Roxin, AT I, § 12 Rn. 95 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 683; kritisch bzgl. dieser Terminologie Kühl, AT, § 13 Rn. 2; LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 14; Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 16 Rn. 2; vgl. auch NK-Puppe, § 16 Rn. 2. 87 Eine „inhaltlich nicht abweichende Terminologie“ sieht Heinrich, AT, Rn. 1073 Fn. 1. 88 Vgl. nur die Kritik bei LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 14; dieselbe Terminologie findet sich bei Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 21 Rn. 1; Francuski, JuS 2014, 886 (889); Kühl, AT, § 13 Rn. 2, 7 ff.; Schall, NStZ 1992, 265 (265). 89 Auch in der Rechtsprechung wird diese Begrifflichkeit zumindest stellenweise bevorzugt – vgl. BGH NStZ 1993, 386 (387); BGH NStZ 594 (595); BGH NStZ 2012, 160 (160); OLG Stuttgart NStZ 1981, 481 (482); OLG Stuttgart NStZ-RR 2009, 356 (357). 81 Vgl.
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tum lebt doch maßgeblich von seinem Bezugsobjekt. Und als solches kommt im Rahmen des § 16 StGB nur „ein Umstand, der zum Tatbestand gehört“ in Betracht. Also bezieht sich der Irrtum auf einen Umstand – somit handelt es sich um einen „Tat-Umstands-Irrtum“. Dieses Verständnis lässt sich durch eine Parallele zu § 17 StGB stützen: so bezieht sich ein solcher Irrtum doch auf das Verbotensein; es handelt sich um den Irrtum über ein Verbot – weswegen es schlüssig ist, ebenfalls ausgehend vom Bezugsobjekt, diesen Irrtum als Verbots-Irrtum zu bezeichnen. Dies indes wird ersichtlich nirgends angezweifelt. Einem Tatumstandsirrtum unterliegt, wer (mindestens) einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Die Handlung ist dann nicht vorsätzlich, mithin nicht tatbestandsmäßig. Es liegt dann kein vorsätzliches Unrecht vor.90 1. Umstände, die zum Tatbestand gehören Kritik erfährt der Gesetzeswortlaut für die Formulierung, dass sich der Irrtum auf einen Umstand beziehen muss, „der zum gesetzlichen Tatbestand gehört.“91 So „gehören“ doch strenggenommen nicht die Umstände, sondern die Merkmale eines Tatbestandes zu demselben, wohingegen die Umstände, von denen § 16 StGB spricht, Elemente des zugrunde liegenden Lebenssachverhalts sind, der gegebenenfalls den Tatbestand des Gesetzes erst verwirklicht.92 Diese Umstände sind es aber, woran das „nicht kennen“ des Täters anknüpft – und nicht die Tatbestandsmerkmale als abstrakte Beschreibungen.93 Die Trennung zwischen den Merkmalen und den Umständen ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung, denn eben diese terminologischen Feinheiten können im Rahmen der Analyse verschiedener Irrtumslehren bisweilen zu Missverständnissen führen und unterschiedliche Ergebnisse bedingen. Korrekt ist nach dem Gesagten folgende Aussage: Der im Tatumstandsirrtum handelnde Täter „weiß nicht, was er tut.“94 Dagegen wäre es falsch, zu behaupten: „Der Täter weiß nicht, was er tun soll.“ Während erstgenannter Satz an das „Tun“, also den Lebenssachverhalt anknüpft, knüpft die zweite Aussage an das „Sollen“ an, also an den Normappell als Inhalt des Straftatbestandes. „Umstände“ i.S.d. § 16 StGB können jedoch nur Elemente des Lebenssachverhaltes sein, innerhalb welchem ein Täter im Sinne der Vorschrift „irren“ kann. Der Täter irrt sich nicht über das Merkmal beziehungsweise über die gesetzliche Begrifflichkeit, weswegen für 90 Zum „Tatbestand als Unrechtstypus“ vgl. Engisch, Mezger-Festschrift 1954, S. 127 (132); Schönke/Schröder-Eisele, Vor § 13 Rn. 17 f., 46. 91 Kühl, AT, § 13 Rn. 9; LK-Vogel, 12. Aufl., § 15 Rn. 15, insb. Fn. 34; vgl. auch Schönke/ Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 16 Rn. 8/9. 92 Vgl. Kühl, AT, § 13 Rn. 9; Schlüchter, S. 86 ff.; dies., wistra 1985, 43 (44). 93 Kindhäuser, GA 1990, 407 (407); Kühl, AT, § 13 Rn. 9; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 16 Rn. 8/9. 94 Heinrich, AT, Rn. 1073.
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das Vorliegen des Vorsatzes logischerweise auch keine rechtliche Subsumtion des Täters erforderlich ist.95 In diesem Sinne nicht falsch aber überflüssig erscheint die Aussage, dass der im Tatumstandsirrtum Handelnde „von der Appell- und Warnfunktion des Tatbestandes nicht erreicht“96 werde, denn dieser Satz lässt sich doch ebenso gut auf den Verbotsirrtum übertragen: Auch den vorsätzlich handelnden Täter erreicht der Appell der Strafvorschrift nicht, wenn dieser denkt, sein Handeln sei erlaubt. Dass er einen Sachverhalt den Umständen nach zutreffend erkannt hat, bedeutet noch nicht, dass den Täter auch der Appell erreicht, der sein Handeln zu einem strafbaren macht. Als Beispiel dient der folgende, klassische Sachverhalt: Der Täter gibt einen gezielten Pistolenschuss auf einen Menschen ab, denkt dabei jedoch, er schieße auf eine Schaufensterpuppe. Nicht eine Unkenntnis oder die falsche Einordnung des Merkmals „Mensch“ macht den Tatumstandsirrtum aus, sondern die Unkenntnis des tatsächlichen Umstandes, dass es sich beim Zielobjekt um einen Menschen handelt – statt um die vorgestellte Schaufensterpuppe. Das entscheidende Defizit liegt in der falschen Sicht des Sachverhalts – mit den Worten des Gesetzes: in dem „Nicht-Kennen“ des Umstandes (Tatobjekt Mensch), der zum gesetzlichen Tatbestand gehört (§ 212 Abs. 1 StGB). 2. Das „Nicht-Kennen“ eines Umstandes Der Tatumstandsirrtum knüpft daran an, dass ein Handelnder einen Tatumstand nicht kennt. Dieses „Nicht-Kennen“ umfasst einerseits Unkenntnis, also den Fall, dass ein Täter einen bestimmten Umstand überhaupt nicht in seine Vorstellung aufnimmt.97 Ein solcher Fall wäre beispielsweise der Schuss auf einen Menschen aus einer für ungeladen geglaubten Pistole.98 Hier scheitert der Vorsatz des Täters i.R.d. § 212 Abs. 1 StGB am Merkmal des Tötens respektive am Merkmal der körperlichen Misshandlung oder Gesundheitsschädigung i.R.d. § 223 Abs. 1 StGB, weil sich der Handelnde in Bezug auf die Tathandlungen nicht den geringsten Gedanken gemacht hat. Ferner erfasst der Tatumstandsirrtum Fehlvorstellungen, also Fälle, in denen sich der Täter im Lebenssachverhalt zwar objektiv etwas vorstellt, seine Vorstellung jedoch von der Wirklichkeit abweicht.99 Teilweise ist ergänzend davon die Rede, dass der Täter eine falsche Vorstellung von der Wirklichkeit habe, weil er der Wirklichkeit „etwas objektiv nicht Vorhandenes hinzufügt.“100 Hierunter wäre Heinrich, AT, Rn. 269 f. Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 356. 97 Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 21 Rn. 2; Heinrich, AT, Rn. 1073; Kühl, AT, § 13 Rn. 7; Roxin, AT I § 12 Rn. 95, 97. 98 Heinrich, AT, Rn. 1073. 99 Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 21 Rn. 2; Heinrich, AT, Rn. 1073; Kühl, AT, § 13 Rn. 7. 100 Kühl, AT, § 13 Rn. 7. 95 Vgl. 96
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etwa der bereits diskutierte Schuss auf eine vermeintliche Schaufensterpuppe zu subsumieren.101 Dort scheitert der Vorsatz am Merkmal des anderen Menschen, weil der Täter eine Schaufensterpuppe statt eines menschlichen Lebewesens in seine Vorstellung aufgenommen hat – es liegt also im Gegensatz zu den obigen Beispielen eine Verwechslung vor. 3. Rechtsfolgen des Tatumstandsirrtums Gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB handelt nicht vorsätzlich, wer einem Tatumstands irrtum unterliegt. Die doch recht geläufige Formulierung, dass der Vorsatz bei einem Irrtum entfalle,102 sollte vermieden werden – impliziert dies doch streng genommen, dass der Vorsatz durch die Irrtumslehre erst „beseitigt“ wird. Dagegen wurde bereits festgestellt, dass die Irrtumslehre nur feststellt – sie löst keine Rechtsfolgen aus. Terminologisch sauberer ist es dementsprechend, in Anlehnung an den Gesetzeswortlaut vom Fehlen des Vorsatzes oder vom „Ausgeschlossen-sein“ beziehungsweise vom „Ausschluss“ des Vorsatzes zu sprechen.103 Die gesetzlich angeordnete Folge der Straflosigkeit eines Tatumstandsirrtums hat zur Konsequenz, dass neben der Strafbarkeit des Handelnden wegen eines vorsätzlichen Begehungsdelikts zwangsläufig immer auch eine mögliche Bestrafung von Teilnehmern wegen Anstiftung oder Beihilfe entfällt. Die §§ 26, 27 StGB setzen jeweils eine „vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat“ voraus. Eine Beihilfe zur fahrlässig begangenen Tat ist dementsprechend nicht denkbar. Ebenso wenig existiert eine Strafbarkeit von Teilnehmern, die in fahrlässiger Weise anstiften oder Hilfe leisten: Die §§ 26, 27 StGB setzen jeweils Vorsätzlichkeit in Bezug auf den Eigenbeitrag des Teilnehmers voraus. Ein täterschaftlich begangenes Fahrlässigkeitsdelikt bleibt dagegen für alle Beteiligten möglich. Rein deklaratorischer Natur ist die Regelung des § 16 Abs. 1 S. 2 StGB.104 Dieser ordnet klarstellend an, dass eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit des Handelnden vom Irrtum „unberührt“ bleibt, also weiterhin in Betracht zu ziehen ist. Diese jedoch hängt einerseits von der Existenz entsprechender Fahrlässigkeitstatbestände ab, § 15 StGB, andererseits muss dem Täter aber auch eine Sorgfaltspflichtverletzung nachgewiesen werden.105 Ein ähnlicher Fall findet sich bei Kühl, AT, § 13 Rn. 8. Heinrich, AT, Rn. 1073; Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 16 Rn. 66; Müko-StGBSchmitz, 2. Aufl., § 242, Rn. 167; Schönke/Schröder-Stree/Sternberg-Lieben, § 231 Rn. 5. 103 Vgl. Kühl, AT, § 13 Rn. 13; Lackner/Kühl, § 16 Rn. 3; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 16 Rn. 10; terminologisch unglücklich Rengier, AT, § 15 Rn. 1: der Irrtum schließe „vorsätzliches Handeln“ aus; vgl. ferner die Lehre subjektiver Zurechnung bei Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 356: Irrtum schließt „die Zurechnung des objektiv gegebenen Tatumstandes zum Vorsatz“ aus. 104 Vgl. Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 16 Rn. 2. 105 Vgl. hierzu etwa T. Fischer, § 15 Rn. 12 ff.; Heinrich, AT, Rn. 1027 ff.; Kühl, AT, § 17 Rn. 14 ff. 101
102 Vgl.
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II. § 17 StGB – Verbotsirrtum § 17 StGB regelt – angesichts der amtlichen Überschrift unübersehbar – den Verbotsirrtum. Ausweislich § 17 S. 1 StGB handelt ein Täter ohne Schuld, wenn ihm bei Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun und er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Hätte der Täter seinen Irrtum hingegen vermeiden können, so ist er zwar aus dem Vorsatzdelikt zu bestrafen, jedoch ordnet § 17 S. 2 StGB die Möglichkeit einer Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB an. 1. Fehlende Einsicht, Unrecht zu tun Der Verbotsirrtum wird in § 17 StGB gesetzlich definiert als „die fehlende Einsicht, Unrecht zu tun“ – weitere Hinweise lassen sich dem StGB nicht entnehmen. Die Ausfüllungs- und Wertungsbedürftigkeit dieser gesetzlichen Aussage liegt auf der Hand. Den Verbotsirrtum unter Heranziehung des Normtexts prägnant zu Ende zu definieren, bereitet allerdings Schwierigkeiten. Dies liegt einerseits daran, dass sich in der Rechtswissenschaft fast unzählige, zumindest begrifflich voneinander abweichende Auffassungen finden. Andererseits ist, wie bereits angedeutet, bis heute der Streit über den „richtigen“ Gegenstand von Vorsatz und Schuld nicht endgültig entschieden. In dem bereits mehrfach zitierten, richtungsweisenden Urteil des Großen Senats von 1952 präsentiert der Bundesgerichtshof unmissverständlich, was unter einem Verbotsirrtum zu verstehen sei: „Der Irrtum über die Rechtswidrigkeit ist Verbots irrtum.“106 Auch mangelt es innerhalb der Rechtswissenschaft nicht an Versuchen, den Gehalt des § 17 StGB näher zu definieren. Teilweise wird davon gesprochen, dass dem Täter beim Verbotsirrtum das Wissen fehle, „dass sein Handeln unerlaubt ist.“107 An anderer Stelle ist die Rede vom Irrtum über „das Verbotensein der Tat“108 oder wieder andernorts vom Irrtum „über die Rechtswidrigkeit der Tat in ihrer tatbestandsspezifischen Gestalt.“109 In der Regel erfolgt weiterhin eine nähere Kategorisierung von Verbotsirrtümern je nach dem Grund des Irrtums.110 Von entscheidender Bedeutung ist an dieser Stelle allerdings weniger eine prägnante Definition, als vielmehr die Frage nach dem Gegenstand des Unrechtsbewusstseins i.S.d. Verbotsirrtums. Dieser Frage wird im Laufe der folgenden Ausführungen zunächst nachgegangen.
106 BGHSt 2, 194 (197), wo (nur!) dieser Satz sogar im Schriftbild besonders hervorgehoben wird. 107 Roxin, AT I, § 21 Rn. 1. 108 Heinrich, AT, Rn. 1114; NK-U. Neumann, § 17 Rn. 47. 109 Wessels/Beulke/Satzger, AT, 45. Aufl. 2015, Rn. 684. 110 Vgl. Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 21 Rn. 45 ff.; Kühl, AT, § 13 Rn. 49 ff.; MükoStGB-Joecks, 2. Aufl., § 17 Rn. 29 ff.; NK-U. Neumann, § 17 Rn. 47 ff.; Roxin, AT I, § 21 Rn. 20 ff.
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a) Der Gegenstand des Unrechtsbewusstseins Zunächst ist festzustellen, dass der Begriff des Unrechtsbewusstseins geprägt ist von einer „Mehrdimensionalität“111 in Bezug auf verschiedene Bezugsobjekte des Bewusstseins. So kann sich das Unrechtsbewusstsein, semantisch untersucht, sowohl auf moralische oder sozialethische „Normen“ oder aber auf (insbesondere straf-)rechtliche Normen beziehen.112 Anders ausgedrückt: Das Wort Unrechtsbewusstsein trifft denkbarerweise sowohl Aussagen über die Beziehung eines Menschen zu staatlichen Rechtssätzen als auch über sein Verhältnis zu all dem, was innerhalb der Gesellschaft als „Recht und Unrecht“, „Gut und Böse“ oder „anständig und unanständig“ bezeichnet wird – oder aber über alles zusammen. Wiederum ist auf den Bundesgerichtshof zurückzukommen mit der bis heute mehrfach bestätigten113 und ebenso richtungsweisenden Aussage: „Bewusstsein der Rechtswidrigkeit bedeutet: Der Täter weiß, dass das, was er tut, rechtlich nicht erlaubt, sondern verboten ist.“114 Das Wissen des Täters definiert der BGH also auf „das Recht“ bezogen. So ist nach höchstrichterlicher Auffassung das Unrechtsbewusstsein dann zu bejahen, wenn der Täter die „spezifische Rechtsgutverletzung als Unrecht erkennt,“115 die dem Tatbestand innewohnt. Hieraus lässt sich schließen, dass die Rechtswidrigkeit in diesem Zusammenhang nicht „formal als Verstoß gegen das positive Gesetz, sondern als materiale Wertwidrigkeit“116 zu verstehen ist. Dieses Verständnis darf als herrschende Meinung bezeichnet werden.117 Nach dem bislang Gesagten regelt § 17 StGB also jene Fälle, in denen ein Täter zwar objektiv wie auch subjektiv tatbestandsmäßig handelt, jedoch irrtümlicherweise davon ausgeht, dass sein Handeln nicht rechtswidrig ist – er verkennt, was erlaubt und was verboten ist. Einigkeit besteht dementsprechend darin, dass sich das Unrechtsbewusstsein nicht auf eine selbstständige Moral-, Werte- oder Sittenordnung bezieht,118 woraus sich bereits ableiten lässt, dass es für ein Bejahen des Unrechtsbewusstseins alleine noch nicht ausreichen kann, dass ein Täter sein Handeln für sittenwidrig oder moralisch verwerflich hält.119 Roxin stellt zutreffend
111 Müko-StGB-Joecks, 112 Müko-StGB-Joecks,
2. Aufl., § 17 Rn. 9; NK-U. Neumann, § 17 Rn. 11. 2. Aufl., § 17 Rn. 9; NK-U. Neumann, § 17 Rn. 11; vgl. ferner
Rudolphi, S. 34 ff. 113 BGHSt 3, 110 (128 f.); BGHSt 4, 236 (242); BGHSt 10, 35 (41); BGHSt 15, 377 (377); BGHSt 19, 295 (298 f.). 114 BGHSt 2, 194 (196). 115 BGHSt 15, 377 (377); BGHSt 22, 314 (318); BGH NStZ 1996, 236 (237); vgl. dazu auch BGH NJW 1996, 2804 (2806). 116 Rudolphi, S. 74 f. 117 So ausdrücklich Roxin, AT I, § 21 Rn. 12 Fn. 15; SK-Rudolphi, 8. Aufl., 148. Lfg., § 17 Rn. 3; vgl. ferner Jescheck/Weigend, AT, § 41 I 3 a); Rudolphi, S. 57, 74. 118 BGH GA 1969, 61 (61); OLG Karlsruhe NStZ-RR 2000, 61 (61); NK-U. Neumann, § 17 Rn. 12; Roxin, AT II, § 21 Rn. 12; SK-Rudolphi, 8. Aufl., 148. Lfg., § 17 Rn. 4.
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fest, dass die „moralischen Bewertungen in einer pluralistischen Gesellschaft so schwankend [sind], dass das Recht nicht die unbedingte Orientierung an ihnen verlangen kann“,120 er misst einem vorhandenen Bewusstsein der Schädlichkeit für moralische Werte jedoch positiv jedenfalls eine Indizwirkung für eine Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums bei. So soll ein derartiges Bewusstsein „in extremen Fällen zur Versagung jeder Schuldminderung führen“ können.121 Die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums wird indes an späterer Stelle eingehend thematisiert.122 119
b) Fehlende Normkenntnis Ebenso wenig ist nach überwiegender Auffassung zu fordern, dass der Täter über die Strafbarkeit seines Handelns Bescheid weiß,123 geschweige denn, dass er gar Kenntnis der konkret verletzten Norm besitzt.124 Vielmehr ist es ausreichend, wenn der Täter das Bewusstsein eines Verstoßes gegen die Rechtsordnung besitzt,125 also über einen Verstoß gegen das geschriebene Recht in einem übergeordneten Sinne. Dementsprechend ist nicht von Bedeutung, ob der Täter den als solchen erkannten Verstoß gegen die Rechtsordnung konkret als einen solchen gegen das Strafgesetzbuch einzuordnen vermag.126 Ebenso ist es für das Unrechtsbewusstsein ohne Bedeutung, ob ein Täter zwar glaubt, entweder gegen Straf-, öffentliches- oder Zivilrecht zu verstoßen, hierbei jedoch einem Irrtum über die vorgestellte Materie unterliegt.127 Wer also beispielsweise beim „Brennen“ einer CD damit rechnet, dass er dadurch fremde Urheberrechte im Allgemeinen verletzen könnte, besitzt – wie B in
119 BGHSt 10, 35 (41); T. Fischer, § 17 Rn. 3; Kühl, AT, § 12 Rn. 28; Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 17 Rn. 10; NK-U. Neumann, § 17 Rn. 12 f.; Rengier, AT, § 31 Rn. 4; Roxin, AT II, § 21 Rn. 12; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 5; SK-Rudolphi, 8. Aufl., 148. Lfg., § 17 Rn. 4. 120 Roxin, AT I, § 21 Rn. 12. 121 Roxin, AT I, § 21 Rn. 12. 122 Vgl. Kapitel 2 § 3 A. II. 3. sowie Kapitel 2 § 3 D. II. 2. d). 123 BGHSt 10, 35 (41); BGHSt 45, 97 (100 f.); Jescheck/Weigend, AT, § 41 I 3 a); Kühl, AT, § 12 Rn. 28; Maurach/Gössel/Zipf, AT II, § 44 Rn. 76; Roxin, AT I, § 21 Rn. 13; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 5; SK-Rudolphi, 8. Aufl., 148. Lfg., § 17 Rn. 3 f.; a.A. jedoch Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 17 Rn. 16 f.; NK-U. Neumann, § 17 Rn. 20 ff.: Bewusstsein über die strafrechtliche Sanktionierbarkeit des Verhaltens als Voraussetzung des Unrechtsbewusstseins. 124 BGHSt 10, 35 (41); T. Fischer, § 17 Rn. 3. 125 BGHSt 52, 227 (240); BGHSt 58, 15 (27). 126 BGHSt 10, 35 (41); BGHSt 11, 263 (266); Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/ Schuster, § 17 Rn. 5. 127 BGHSt 52, 227 (239 f.); Roxin, AT I, § 21 Rn. 13; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 5; vgl. aber wiederum Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 17 Rn. 16 f.; NK-U. Neumann, § 17 Rn. 20 ff.
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Beispielsfall 2128 – auch ein entsprechendes (strafrechtliches) Unrechtsbewusstsein. Und wer beim Verkauf der selbst angefertigten Fotografie eines Kunstwerks (worunter auch eine Tätowierung fallen kann, wie in Beispielsfall 3129) insgeheim damit rechnet, dass er vorab jemanden um Erlaubnis hätte fragen müssen, verfügt ebenfalls über das entsprechende Unrechtsbewusstsein – selbst, wenn er nicht konkret an eine Strafbarkeit denken sollte. Wenn etwa im Beispielsfall 4130 D weiß, dass der als private Vorführung geplante Konzertabend im heimischen Garten durch das Beiwohnen einiger Fremder am Gartenzaum womöglich zur öffentlichen Veranstaltung werden könnte und deshalb Probleme in Bezug auf eine womöglich erforderlich werdende Genehmigung wittert, so verfügt D über Unrechtsbewusstsein.131 An dieser Stelle verdient Erwähnung, dass derselben Frage – also jener, ob dem Täter eine gewisse Normkenntnis abverlangt wird, von manchen Autoren schon auf Ebene des Unrechtstatbestandes größte Bedeutung beigemessen wird.132 Denn das bereits angesprochene, einfach nachvollziehbare Vorsatzerfordernis der schlichten Kenntnis von Tatumständen, gerät im Nebenstrafrecht überall dort ins Wanken, wo Strafvorschriften auf andere Rechtssätze verweisen. So ist im strafrechtlichen Schrifttum die Meinung weit verbreitet, dass Vorsatz in Bezug auf ein Blankettstrafgesetz nur dann anzunehmen sei, wenn der Täter neben einer Kenntnis der ausfüllenden Tatumstände auch die ausfüllende Norm selbst kenne.133 Es liegt auf der Hand, dass eine Prüfung des Unrechtsbewusstseins im Rahmen der Schuld nach dem dargelegten Verständnis in besagten Fällen kaum mehr von Bedeutung sein kann, sofern eine noch exaktere Normkenntnis bereits als Vorsatz erfordernis fungieren soll. Diese Problematik indes stellt eine der elementaren Kritikpunkte innerhalb der Verweisungstechnik dar und ist dementsprechend an späterer Stelle eingehend zu beleuchten.134 An dieser Stelle sei lediglich noch einmal betont, dass das Unrechtsbewusstsein keine Normkenntnis voraussetzt, sondern dadurch gekennzeichnet ist, dass der Handelnde über das Bewusstsein verfügt, in irgendeiner Weise gegen die Rechtsordnung zu verstoßen.
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Vgl. Kapitel 1 § 4. Vgl. Kapitel 1 § 4. 130 Vgl. Kapitel 1 § 4. 131 Vgl. zur Lösung von derartigen Konstellationen Kapitel 3 § 3 B. IV. 2. b) bb). 132 Lange, JZ 1956, 73; ders., JZ 1957, 233 (234); LK-Tiedemann, 12. Aufl., § 283 Rn. 188a; Müller-Magdeburg, S. 128, 191 f.; NK-Puppe, § 16 Rn. 67; Puppe, GA 1990, 145 (166); Tiedemann, Geerds-Festschrift 1995, S. 95 (106); zustimmend nunmehr auch Roxin, Tiedemann-Festschrift 2008, S. 375 (381); vgl. auch Kuhlen, S. 386, 430; teilweise zustimmend auch LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 40. 133 Statt aller Tiedemann, Geerds-Festschrift 1995, S. 95 (106). 134 Vgl. Kapitel 2 § 3 D. II. 2. 129
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2. Rechtsfolgen des Verbotsirrtums Steht fest, dass einem Täter bei Begehung seiner Tat die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun (§ 17 S. 1 StGB), kommen zwei Rechtsfolgen in Betracht: War dieser Irrtum bei rückblickender Betrachtung nicht vermeidbar, so entfällt die Strafbarkeit mangels Schuld komplett. Hätte die falsche rechtliche Wertung durch den Täter hingegen vermieden werden können, so kann die Strafe gem. § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden, § 17 S. 2 StGB. Dies führt zu zwei Schlüssen: Erstens ist ein fehlendes Unrechtsbewusstsein nicht gleichzusetzen mit Straflosigkeit. Zweitens kommt der Frage nach der Vermeidbarkeit eines Irrtums weichenstellende Bedeutung zu. 3. Vermeidbarkeit135 Ein festgestellter Verbotsirrtum führt also im für den Täter günstigsten Fall dazu, dass ihm sein Verhalten nicht vorgeworfen werden kann.136 Er handelt allerdings nur dann ohne Schuld, wenn er seinen Irrtum nicht vermeiden konnte, § 17 S. 1 StGB. Wann diese Vermeidbarkeit anzunehmen ist beziehungsweise wonach sich diese richtet, wird oft und bezüglich nahezu aller Einzelheiten als ungeklärte Frage betrachtet.137 Liegt ein Verbotsirrtum vor, so steht fest, dass der Täter bei Vornahme seiner Handlung nicht über Unrechtsbewusstsein verfügte. Aus dem Gesagten folgt allerdings, dass ein fehlendes Unrechtsbewusstsein keinesfalls per se zur Straflosigkeit führt. Deswegen trifft die Aussage zu, dass im Unrechtsbewusstsein „kein konstitutives Moment der Schuld“138 zu erblicken ist. Das besondere Moment der fehlenden Vorwerfbarkeit liegt dementsprechend nicht bereits in der Tatsache des Irrens, sondern vielmehr erst darin, dass ein Handelnder unter den gegebenen Umständen davon ausgehen durfte, eben keinem Irrtum zu unterliegen: Der Schuldvorwurf ist „bereits dann begründet, wenn der Täter zur Erkenntnis der Rechtspflicht fähig war,“139 wofür keine sichere Kenntnis und kein sicheres Wissen erforderlich sind.140 Vielmehr genügt es, wenn ein Täter dazu in der Lage war, „sowohl die Möglichkeit [Hervorhebung durch d. Verf.] der Rechtswidrigkeit als auch die Tatsache zu erkennen, daß angesichts dieser 135 Vgl.
zur Kritik an den insoweit herrschenden Grundsätzen noch ausführlich Kapitel 2 § 3 D. 136 Vgl. zur älteren Rechtsprechung zu § 59 StGB a.F., die statt von „Vermeidbarkeit“ von „Vorwerfbarkeit“ sprach und zur Bedeutungsgleichheit der Begriffe: Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 13. 137 Vgl. Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 17 Rn. 44 – „Anforderungen […] umstritten“; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 690 – „noch nicht abschließend geklärt“. 138 NK-U. Neumann, § 17 Rn. 53. 139 Rudolphi, S. 193. 140 Vgl. Heinrich, AT, Rn. 1118; Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 17 Rn. 38; Lackner/ Kühl, § 17 Rn. 4; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 5a; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 690 f.
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Möglichkeit ein Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens nicht mehr gerechtfertigt, sondern im Gegenteil die als möglich erkannte Rechtswidrigkeit seines Verhaltens gerade ernstzunehmen ist.“141 Die Vermeidbarkeit lässt sich insofern nur schwerlich trennen von der Frage, die oftmals unter den Titeln eines „potenziellen“142 oder „bedingten“143 Unrechtsbewusstseins diskutiert wird: Denn an dieser Stelle ist zu fragen, wie sich Zweifel des Täters über die Strafbarkeit einer Handlung auswirken. Wann von einer Vermeidbarkeit auszugehen ist, wollte der Gesetzgeber offensichtlich nicht selbst bestimmen, sondern überließ diese Frage bewusst der Rechts praxis. Die so entwickelten und heute herrschenden Grundsätze führen im Ergebnis dazu, dass eine Vermeidbarkeit nur in den aller seltensten Fällen angenommen werden kann, weswegen durchaus von einem „sehr strengen Maßstab“144 gesprochen werden darf. Dieser Maßstab fußt auf der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.145 Dessen Judikatur folgt seit jeher der Vorgabe, dass „Mängel im Wissen […] bis zu einem gewissen Grad behebbar [sind]“ und der Mensch darum die Pflicht besitze, sich im Vorfeld eines jeden Handelns „bewußt zu machen, ob es mit den Sätzen des rechtlichen Sollens in Einklang steht. Zweifel hat er durch Nachdenken oder Erkundigung zu beseitigen.“146 Sodann folgt der Satz, der das Verständnis über das Vermeidbarkeitskriterium bis heute wohl am meisten prägt: „Hierzu bedarf es der Anspannung des Gewissens, ihr Maß richtet sich nach den Umständen des Falles und nach dem Lebens- und Berufskreis des Einzelnen.“147 Kurzum: Ein Täter muss nach Auffassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung vor jeder Handlung zunächst unter Gewissensanspannung reflektieren, ob sein Handeln eventuell einen Verstoß gegen die Rechtsordnung beinhaltet und jedem denkbaren Zweifel dadurch begegnen, dass er sich rechts- oder fachkundigen Rat einholt. Es sei vorweg genommen, dass im Rahmen des § 106 UrhG nach den vorstehend genannten Grundsätzen kaum ein vermeidbarer Verbotsirrtum denkbar ist, es sei denn, ein Täter handelt im Bereich einer umstrittenen und ihm unbekannten Rechtsfrage gutgläubig im Anschluss an eine rechtliche Falschauskunft, die zudem von einer in jeder Hinsicht außerordentlich qualifizierten Person stammen
Rudolphi, S. 193. Maurach/Gössel/Zipf, AT II, § 44 Rn. 72 ff., 76; NK-U. Neumann, § 17 Rn. 53; Tiedemann, Geerds-Festschrift 1995, S. 95 (104). 143 Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 5a. 144 Heinrich, AT, Rn. 1117. 145 BGHSt 2, 194 (201); BGHSt 3, 357 (366); BGHSt 4, 1 (5); BGHSt 4, 236 (242); BGHSt 9, 164 (172); BGHSt 21, 18 (20); BGHSt 35, 347 (350); BGHSt 40, 257 (264); BGH NStZ 2000, 307 (309); BGH NStZ 2013, 461 (461). 146 BGHSt 2, 194 (201). 147 BGHSt 2, 194 (201). 141
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muss.148 Zur konkreten Anwendung des Kriteriums wird indes an späterer Stelle, im Rahmen der Kritik an den herrschenden Grundsätzen der Literatur sowie auch der Rechtsprechung, ausführlich Stellung genommen.149 III. Irrtum über das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes (Erlaubnistatumstandsirrtum) Keine ausdrückliche Regelung im Strafgesetzbuch haben Fehlvorstellungen über tatsächliche Elemente der Rechtswidrigkeit erfahren, also jene Fälle, in denen ein Täter bedingt durch die Annahme tatsächlicher Umstände irrtümlicherweise vom Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes zu seinen Gunsten ausgeht. Die Einordnung und damit insgesamt die Behandlung dieser Erlaubnistatumstandsirrtümer150 ist stark umstritten. Der Täter, der sich über das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes irrt, handelt zunächst einmal zweifelsfrei in Kenntnis aller objektiven Umstände, die zum Tatbestand gehören im Sinne des § 16 StGB – er weiß also, was er tut. Jedoch denkt er, sein Handeln sei gerechtfertigt, mithin nicht rechtswidrig. Die Rechtfertigung greift allerdings nur in Fällen ein, in denen sich der Irrtum auch auf einen tatsächlich anerkannten Rechtfertigungsgrund bezieht. Nicht gerechtfertigt handelt der Täter hingegen, wenn er sein Handeln als gerechtfertigt wähnt, sich dabei aber einen Rechtfertigungsgrund vorstellt, der tatsächlich nicht existiert oder wenn sich der Täter über dessen Reichweite irrt (sogenannter Erlaubnisirrtum).151 Beim Erlaubnistatumstandsirrtum offenbart sich die bereits ausführlich behandelte Kontroverse zwischen den Vorsatz- und Schuldtheorien in all ihren Facetten:152 So ergäbe sich unter Anwendung der Vorsatztheorien stets das Ergebnis, dass der Handelnde in Anbetracht seines Irrtums ohne Vorsatz agiert – schließlich würde es ihm an einem für den Unrechtstatbestand konstitutiven Element fehlen: nämlich dem Bewusstsein über die Rechtswidrigkeit seines Handelns. Diese Theorie wird unter Geltung des § 17 StGB freilich nahezu einhellig abgelehnt, was vorliegend weder kritisiert noch weitergehend hinterfragt werden soll – der Widerspruch dieser Auffassung zum Gesetzestext (§ 17 StGB) ist unter der Maxime einer bewussten gesetzgeberischen Entscheidung zugunsten der Schuldtheorien evident. BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 42; Heinrich, in: Bosch/Bung/ Klippel, S. 59 (64); Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 124 f.; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 38. 149 Kapitel 2 § 3 D. II. 2. d). 150 Die Bezeichnung erfolgt hier wiederum abweichend von der wohl „herrschenden“ Terminologie – so ist die Bezeichnung als „Erlaubnistatbestandsirrtum“ wohl geläufiger, nach dem hiesigen Verständnis jedoch ebenfalls terminologisch unsauber, da doch über das Vorliegen rechtfertigender „Umstände“ geirrt wird, vgl. Kühl, AT, § 12 Rn. 63, 67. 151 Vgl. hierzu Heinrich, AT, Rn. 1120, 1142 ff.; Kühl, AT, § 13 Rn. 4; Wessels/Beulke/ Satzger, AT, Rn. 708 ff. 152 Vgl. bereits Kapitel 2 § 2 B. 148 Vgl.
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Erstmalig an dieser Stelle werden die unterschiedlichen Ausprägungen der Schuldtheorie relevant, welche im Rahmen dieser Arbeit ebenfalls nicht in aller Ausführlichkeit diskutiert werden können – insofern sei auf das überaus umfangreiche Schrifttum verwiesen.153 Im Wesentlichen existieren zwei Lösungsansätze:154 Der erste verfolgt die Schuldtheorie in ihrer strengsten und ebenso konsequentesten Form, welcher zufolge der Erlaubnistatumstandsirrtum zwangsläufig zur Anwendung des § 17 StGB führt.155 Unter anderem wird innerhalb dieser heute nur noch „selten“156 vertretenen Auffassung damit argumentiert, dass diese Anschauung allein zu einem sachgerechten Ergebnis führe, weil sie „weder Vorsatz noch Vorsatzunrecht in Abrede stellt, sondern gestuft nach dem Grad der Vermeidbarkeit einen Verbotsirrtum […] annimmt.“157 Diese, dem Gesetzeswortlaut gewiss am ehesten entsprechende Ansicht, wird indes überwiegend abgelehnt mit der Begründung, dass der Täter in den Fällen des Erlaubnistatumstandsirrtum „an sich rechtstreu“158 handle. Den im Erlaubnistatumstandsirrtum Handelnden gleich einem Vorsatztäter zu behandeln, bedeute doch, den grundlegenden Unterschied zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit zu verwischen – denn wer sich von Vorstellungen leiten lasse, die objektiv gesehen auf etwas rechtlich Erlaubtes gerichtet waren, verdiene einzig den Vorwurf der Fahrlässigkeit – und nicht jenen einer vorsätzlichen Tatbegehung.159 Darum entwickelten sich diverse, meist als „eingeschränkte“ Schuldtheorien bezeichnete Ansätze, die allesamt zu dem Ergebnis kommen, dass der im Erlaubnistatumstandsirrtum Handelnde nicht aus dem Vorsatzdelikt, sondern allenfalls wegen Fahrlässigkeit zu bestrafen sei. Die Wege hin zu diesem Ergebnis unterscheiden sich jedoch wesentlich. Der entscheidende Unterschied ist darin zu sehen, dass einerseits vertreten wird, mit dem Rechtswidrigkeitsvorsatz müsse zwingend der subjektive Tatbestand entfallen, sodass weder eine Versuchsstrafbarkeit noch eine potenzielle Teilnahme anderer in Betracht komme.160 153 Vgl. nur den Überblick mit umfassenden Nachweisen zu allen Ansichten bei Heinrich, AT, Rn. 1123 ff.; ferner Kühl, AT, § 13 Rn. 73 – „an solchen Darstellungen [besteht] kein Mangel.“ 154 Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen wird im Rahmen dieser Arbeit in Anbetracht einer klaren Entscheidung für den dreistufigen Deliktsaufbau bewusst außer Acht gelassen – vgl. zu dieser Lehre aber Kaufmann, JZ 1954, 653; ders., JZ 1956, 353. 155 Fukuda, JZ 1958, 143; Gössel, JR 1978, 292 (293); LK-Schroeder, 11. Aufl., § 16 Rn. 52; Maurach/Gössel/Zipf, AT II, § 44 Rn. 77; NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 108; Welzel, SJZ 1948, 368; ders., JZ 1952, 596 (597); ders., JZ 1955, 142. 156 Rengier, AT, § 30 Rn. 11. 157 NK-Paeffgen, Vor § 32 Rn. 108; vgl. auch Gössel, JR 1978, 292 (293). 158 BGHSt 3, 105 (107); Kühl, AT, § 13 Rn. 73 i.V.m. 75. 159 Roxin, AT I, § 14 Rn. 64. 160 Vgl. Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 30 Rn. 23; Frister, AT, 14. Kapitel Rn. 30; Kühl, AT, § 13 Rn. 73; Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 16 Rn. 132; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 35, § 16 Rn. 18.
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In Anbetracht dieser Konsequenzen vertritt die Gegenströmung innerhalb der eingeschränkten Schuldtheorien die Auffassung, dass der fehlende Vorsatz in Bezug auf die Rechtswidrigkeit einer Handlung nicht das Unrecht im subjektiven Tatbestand eliminiere, sondern erst auf Schuldebene die „Vorsatzschuld“ entfallen lasse.161 Diese Stimmen kommen unter einer – freilich den Täter begünstigenden – analogen Anwendung des § 16 StGB zu nahezu denselben Ergebnissen wie der Bundesgerichtshof.162 Den Vorzug verdient letztgenannte Auffassung, was im Rahmen der vorliegenden Arbeit allerdings nicht in aller Ausführlichkeit dargelegt werden kann. Einerseits wird dadurch die gesetzgeberische Entscheidung für das Verständnis der Schuldtheorien berücksichtigt, andererseits ist der im Erlaubnistatumstands irrtum Handelnde nur „ein Schussel, kein Schurke,“163 weswegen es in der Tat ungerecht erscheint, ihn dem Vorwurf auszusetzen, er sei ein vorsätzlich handelnder Straftäter. Deshalb ist es nur gerecht, in diesen Fällen dem Vorschlag der eingeschränkten Schuldtheorien zu folgen und im Ergebnis § 16 StGB zur Anwendung zu bringen. IV. Irrtümer zulasten des Handelnden Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Irrtümer nicht nur zugunsten des Handelnden denkbar sind, sondern sich durchaus auch zu dessen Lasten auswirken können. Konkret sind hierbei zunächst alle Sachverhalte angesprochen, in denen jemand glaubt, sein Handeln sei strafbar – was aber in Wirklichkeit nicht zutrifft. Wiederum sind Fehlvorstellungen tatsächlicher Natur ebenso vorstellbar wie falsche rechtliche Wertungen. Dementsprechend geht es im Verhältnis zu den durch die §§ 16, 17 StGB (begünstigend) geregelten Konstellationen exakt um „umgekehrte Irrtümer“.164 1. Umgekehrte Irrtümer im Verbrechensaufbau Die Kategorie der Irrtümer zulasten des Handelnden wird in der Regel weniger als Bestandteil der Irrtumslehre thematisiert, sondern im Rahmen der Regeln über die Versuchsstrafbarkeit behandelt: „Strukturell“165 geht es bei diesen aus der Per161 Vgl. etwa Heinrich, AT, Rn. 1133 f.; Jescheck/Weigend, AT, § 41 IV 1 d); Rengier, AT, § 30 Rn. 20; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 704; wohl zustimmend T. Fischer, § 16 Rn. 22 d. 162 BGHSt 3, 105 (107); BGHSt 45, 219 (224 f.); BGHSt 49, 34 (44); BGH NStZ 2001, 530 (530); BGH NStZ 2002, 141 (142); BGH NStZ-RR 2013, 139 (141); BGH BeckRS 2015, 14541 Rn. 16. 163 Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 699. 164 Vgl. Endrulat, S. 106; Exner, ZJS 2009, 516 (516 f.); Schönke/Schröder-Eser/Bosch, § 22 Rn. 68. 165 Heinrich, AT, Rn. 1070.
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spektive einer möglichen Strafbarkeit „positiven“166 Irrtümern um die Abgrenzung des regelmäßig strafbaren untauglichen Versuchs zum straflosen Wahndelikt.167 Beim umgekehrten Irrtum herrscht zunächst exakt dieselbe Ausgangslage, wie sie bereits für die §§ 16, 17 StGB aufgezeigt wurde – nämlich die Trennung von Fehlvorstellungen über tatsächliche Umstände einerseits und fehlendem beziehungsweise falschem Bewusstsein über die Rechtswidrigkeit einer Handlung andererseits. An dieser Stelle ist zunächst auf die Aussage zurück zu kommen, dass die §§ 16, 17 StGB keine eigenständigen Rechtsfolgen anordnen sondern bloß feststellende Kraft besitzen.168 Dementsprechend wurde die Einordnung als Tatumstands- oder Verbotsirrtum nach § 16 StGB beziehungsweise § 17 StGB bereits verglichen mit einem bloßen Attest über den fehlenden Vorsatz beziehungsweise das fehlende Unrechtsbewusstsein. Dieser Vergleich fällt bei den umgekehrten Irrtümern etwas schwerer. So geht es doch bei der Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt darum, einen Irrtum zu identifizieren, der die Versuchsstrafbarkeit doch erst begründet. Insofern erscheint es zunächst nicht verkehrt, an dieser Stelle tatsächlich von einem „Irrtum mit eigenen Rechtsfolgen“ zu sprechen. Freilich lässt sich nichtsdestotrotz auch hier wieder feststellen, dass die Einordnung des umgekehrten Irrtums nichts anderes ist, als ein Attest über das Vorliegen des schlichten Tatvorsatzes.169 Ob dieser im Einzelfall festgestellte Vorsatz eines Handelnden, auch zur Strafbarkeit führt, ist eine nachgelagerte Frage, die maßgeblich davon abhängt, ob für das jeweils infrage kommende Delikt eine Versuchsstrafbarkeit gesetzlich angeordnet ist oder nicht (§§ 23 Abs. 1, 12 StGB). Dementsprechend bleibt die Gültigkeit des vorweg Gesagten erhalten: Auch die Einordnung der festgestellten „inneren Seite“ des Täters als umgekehrter Irrtum ist nichts anderes als ein Attest über das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Tatvorsatz oder Unrechtsbewusstsein, wobei die Rechtsfolgen auch dieser (für den Täter nachteiligen) Irrtümer nicht aus der Irrtumslehre rühren, sondern diese erst begründen. a) Der strafbare umgekehrte Irrtum Wann im Falle eines umgekehrten Irrtums eine Strafbarkeit in Betracht kommt, richtet sich nach den gesetzlichen Vorgaben: Ein Täter muss i.S.d. § 22 StGB nach seiner Vorstellung von der Tat unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung ansetzen. Das bedeutet in erster Linie, dass sich die Vorstellung des Täters überhaupt auf einen real existierenden Straftatbestand beziehen muss. Denn nur in einem sol166 Schönke/Schröder-Eser/Bosch,
§ 22 Rn. 68. So die h.M. – vgl. T. Fischer, § 22 Rn. 40, 49; Heinrich, AT, Rn. 1070; Jescheck/Weigend, AT, § 50 II 1; Kühl, AT, § 15 Rn. 18, 96 ff.; Satzger/Schluckebier/Widmaier-Kudlich/ Schuhr, § 22 Rn. 23, 28; Schönke/Schröder-Eser/Bosch, § 22 Rn. 60 ff.; Wessels/Beulke/ Satzger, AT, Rn. 882. 168 Vgl. Kapitel 2 § 1. 169 Vgl. hierzu auch Puppe, AT, § 20 Rn. 6. 167
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chen manifestiert sich die gesetzgeberische Entscheidung für die Strafwürdigkeit gewisser Verhaltensweisen. Ansonsten scheitert bereits denklogisch jede Strafbarkeit am Grundsatz nullum crimen sine lege, Art. 103 Abs. 2 GG. Bereits aus dem Gesetz ergibt sich also das – streng logische – Denkmuster der herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur:170 Ein umgekehrter Irrtum kann hiernach nur dann eine Strafbarkeit begründen, wenn der Täter sich auf tatsächlicher Ebene irrt, sich also ein in Wirklichkeit nicht erfülltes Merkmal des – existierenden – objektiven Tatbestandes vorstellt (untauglicher Versuch).171 Hierin liegt das Spiegelbild zum Tatumstandsirrtum i.S.d. § 16 StGB – der Irrtum bezieht sich stets auf ein Element des Lebenssachverhalts, allerdings geht er „in die andere Richtung“. In diesen Fällen hat der Täter zwar einen für das Unrecht konstitutiven Tatentschluss gefasst, gelangt jedoch objektiv nicht zur vollständigen Verwirklichung des Tatbestandes, weil es am Vorliegen tatsächlicher Umstände mangelt, von deren Vorliegen der Täter allerdings ausgeht.172 Freilich wird, wie bereits angedeutet wurde, die Strafbarkeit im Ergebnis noch nicht allein durch den dargestellten Umkehrschluss ausgelöst – vielmehr hängt eine mögliche Bestrafung des Verhaltens noch von weiteren Faktoren ab (Versuchsstrafbarkeit, unmittelbares Ansetzen, Rechtswidrigkeit und Schuld).173 Die Strafwürdigkeit des untauglichen Versuchs liegt auf der Hand: So stellt doch erstens § 22 StGB im Wesentlichen auf die Vorstellung des Täters ab, weswegen nicht das objektive Gegebensein von Umständen, sondern die subjektive Täterseite versuchsbegründend ist; weiterhin stellt § 23 Abs. 3 StGB sogar den grob unverständigen Versuch grundsätzlich unter Strafe, was im Umkehrschluss bedeutet, dass in einem geringeren Maße unverständige Versuche nach dem Willen des Gesetzgebers erst recht strafbar sein sollen.174 b) Das straflose Wahndelikt Demgegenüber steht der Irrtum eines Handelnden, der zwar über eine umfassende und zutreffende Kenntnis des Lebenssachverhalts verfügt, jedoch über die 170 RGSt 42, 92 (93); RGSt 66, 124 (127); RGSt 68, 45, (54); BGHSt 1, 13 (13, 16); BGHSt 13, 235 (239 f.); BGHSt 14, 345 (350); BGHSt 16, 155 (160); BGHSt 42, 268 (268, 272 f.); T. Fischer, § 22 Rn. 40; Heinrich, AT, Rn. 683; Jescheck/Weigend, AT, § 50 I 1 ff.; Kühl, AT, § 15 Rn. 96; LK-Hillenkamp, 12. Aufl., § 22 Rn. 180, 183; Matt/Renzikowski-Heger, § 23 Rn. 8; Puppe, AT, § 20 Rn. 8; Rengier, AT, § 35 Rn. 1 ff.; Schönke/Schröder-Eser/ Bosch, § 22 Rn. 68 f.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 882. 171 Kühl, AT, § 15 Rn. 96; Schönke/Schröder-Eser/Bosch, § 22 Rn. 68; Wessels/Beulke/ Satzger, AT, Rn. 882. 172 Vgl. T. Fischer, § 22 Rn. 39. 173 Vgl. nur LK-Hillenkamp, 12. Aufl., § 22 Rn. 180. 174 Vgl. zum Strafgrund des untauglichen Versuchs im Allgemeinen vor allem Schönke/ Schröder-Eser/Bosch, § 22 Rn. 67; ferner zur ganz h.M. T. Fischer, § 22 Rn. 40; Otto, AT, § 18 Rn. 58; Roxin, AT II, § 29 Rn. 6; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 881; kritisch NK-Zaczyk, § 22 Rn. 37.
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Rechtswidrigkeit seines Verhaltens irrt: Der Akteur jener Fälle hält sein Handeln zu Unrecht für strafbar, weil er entweder von der Existenz einer Strafnorm ausgeht, die es eigentlich gar nicht gibt, oder sein Verhalten fälschlicherweise als von einer bestehenden Strafnorm erfasst sieht.175 Dieser Irrtum spiegelt bei Betrachtung seiner denkbaren Bezugsobjekte den Verbotsirrtum nach § 17 StGB exakt wider. Das Ergebnis lautet dabei allerdings immer Straflosigkeit,176 denn es handelt sich beim Wahndelikt um Fehlvorstellungen, die „gewissermaßen ins strafrechtliche Leere“177 laufen, weil sie an keinen gesetzlichen Straftatbestand anknüpfen – der Grundsatz nullum crimen sine lege (Art. 103 Abs. 2 GG) verbietet eine Strafbarkeit in diesen Fällen also von Grund auf.178 Die Spiegelbildlichkeit zum Verbotsirrtum wird demzufolge in gewisser Weise dadurch getrübt, dass eine Abstufung nach eventueller (Un-)Vermeidbarkeit von vornherein denklogisch ausscheiden muss. 2. Die Spiegelbildlichkeit als Feuerprobe der Irrtumslehre Die umgekehrten Irrtümer sind keineswegs allein bei der Frage des Tatentschlusses im Rahmen einer möglichen Versuchsstrafbarkeit von Bedeutung. Die angesprochene Spiegelbildlichkeit bringt ganz im Gegenteil starke Wechselwirkungen zum Vorschein, wenn es darum geht, die Ergebnisse der „sonstigen“ Irrtumslehre einer logischen Überprüfung zu unterziehen. Das Muster dieser Prüfung wird am deutlichsten bei Puppe, welche im Zusammenhang mit den umgekehrten Irrtümern den Begriff der Umkehrprobe einführte.179 Sie versteht hierunter die Konstruktion eines „Hilfsfalles“, in welchem die „Wahrheitswerte“ des tatsächlich gegebenen Sachverhalts spiegelbildlich ausgetauscht werden:180 Dasjenige, was sich ein Täter vorstellt, wird im Hilfsfall als objektiv gegeben fingiert, das tatsächlich objektiv Gegebene wird im Hilfsfall in die Vorstellung des Täters gespiegelt. Ergibt sich im so konstruierten, fiktiven Fall ein Tatumstandsirrtum, so handelt der Täter im tatsächlich gegebenen Sachverhalt mit Tatvorsatz und eine Strafbarkeit wegen Versuchs steht im Raum; ergibt die Hilfskonstruktion dagegen einen fiktiven Verbotsirrtum, so handelt es sich realiter um ein Wahndelikt – eine Versuchsstrafbarkeit scheidet aus.181 Diese Umkehrprobe entspricht ohne Weiteres dem Vorgehen der herrschenden Ansicht. Bedeutung für die vorliegende Thematik erlangt diese Probe deshalb, weil sie bei streng logischer Betrachtung zwingend auch „in die andere Richtung“ funkVgl. nur Kühl, AT, § 15 Rn. 96. Ganz h.M. – vgl. Schönke/Schröder-Eser/Bosch, § 22 Rn. 78 m.w.N. 177 Exner, ZJS 2009, 516 (517). 178 Vgl. Roxin, AT II, § 29 Rn. 378. 179 Puppe, Lackner-Festschrift 1987, S. 199 (213). 180 Puppe, AT, § 20 Rn. 6. 181 Vgl. Puppe, AT, § 20 Rn. 7. 175
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tionieren muss. Mit anderen Worten: Jene Grundsätze, die regulär die (begünstigende) Irrtumslehre ausmachen, müssen sich an der „umgekehrten Umkehrprobe“ messen lassen. Ergeben sich dort logische Ungereimtheiten, deutet dies auf einen Fehler im System hin.182 Dies gilt zumindest dann, wenn – mit den zitierten Auffassungen – davon ausgegangen wird, dass jeder umgekehrte Tatumstandsirrtum einen untauglichen Versuch zur Folge hat und jeder umgekehrte Verbotsirrtum ein Wahndelikt nach sich zieht. Diese „Gleichung“183 kommt in der Tat unter Geltung der herrschenden Lehre über normative und deskriptive Tatbestandsmerkmale an ihre Grenzen. Hierauf wird an späterer Stelle ausführlich einzugehen sein.184
B. Die Merkmale des Tatbestandes Die bisherige Darstellung der strafrechtlichen Irrtumslehre könnte womöglich den Eindruck erwecken, dass das Strafrecht insoweit nur wenig Konfliktpotenzial birgt. Wie bereits angedeutet wurde, ist dem mitnichten so. Allenfalls im Kernstrafrecht sind Irrtumsfragen mithilfe der gesetzlichen Mittel oftmals ohne größere Schwierigkeiten lösbar – und dort auch nur innerhalb der delicta mala per se, also jener Straftatbestände, deren Unrecht sich ohne Weiteres offenbart, wie etwa beim Mord, Totschlag oder der Körperverletzung.185 Diese Delikte lassen sich ohne komplexe Begriffsgebilde umschreiben, sodass die betreffenden Straftatbestände (wie auch deren Merkmale) meist auch für den juristischen Laien verständlich sind. Sobald der Gesetzgeber jedoch ein Verhalten als strafbar einstuft, dessen tatbestandliche Umschreibung weniger leicht „von der Hand geht,“ ergeben sich mit zunehmender Komplexität des zu umschreibenden strafbaren Verhaltens regelmäßig auch kompliziertere Tatbestände, die dann (allerdings nicht zwangsläufig) regelmäßig auch eine zunehmend normative Prägung erhalten. Hierin liegt die eigentliche Problematik – und damit sozusagen auch das Dilemma der Irrtumslehre. Eine Lösung der Probleme erfolgt nach kaum bestrittener Auffassung in der Rechtsprechung und der Wissenschaft inzwischen schon traditionell mithilfe der Einteilung in deskriptive und normative Tatbestandsmerkmale, die dann eine Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (463). Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (462 f.). 184 Vgl. Kapitel 2 § 3 D. II. 4. 185 Gegenbegriff sind die delicta mala mere prohibita, also Delikte, deren Unrecht erst zu einem solchen wird eben weil es verboten wird, vgl. Bülte, JuS 2015, 769 (769); vgl. zu den delicta mala per se auch Puppe, GA 1990, 145 (157): „Die Rechte und Rechtsverhältnisse, auf die Straftatbestände Bezug nehmen, sind, jedenfalls im Kernstrafrecht, so einfach und grundlegend, daß auch der juristische Laie einen klaren Begriff davon hat“; vgl. ferner U. Weber, ZStW 96 (1984), 376 (392), der die Tatbestände des StGB als „archetypisch“ bezeichnet und anhand der Beispiele Tötung, Körperverletzung und Diebstahl feststellt, dem Täter müsse sich die Verbotskenntnis „derart massiv aufdrängen, daß es hinnehmbar erscheint, ihn wegen bewußter oder gewollter, d.h. vorsätzlicher Auflehnung gegen das Recht zu bestrafen.“ 182 Vgl. 183
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unterschiedliche rechtliche Behandlung erfahren, sowie unter zusätzlicher besonderer Behandlung von Blankettvorschriften. Im Folgenden gilt es zunächst, sämtliche Begrifflichkeiten abzustecken und alle für die vorliegende Arbeit relevanten Kategorien von Tatbestandsmerkmalen zu definieren sowie Abgrenzungsfragen zu klären (B. I.). Erst anschließend kann die „herrschende Lehre“ zunächst ausführlich dargestellt (C.) und anschließend kritisch gewürdigt (D.) werden. Schließlich gilt es, einen verbindlichen Weg für die Behandlung aller denkbaren Irrtümer einzuschlagen (§ 4) und damit gewissermaßen die Koordinaten der urheberrechtlichen Bearbeitung vorzugeben. I. Begrifflichkeiten und Abgrenzungsfragen Tatbestandsmerkmale lassen sich vielfältig kategorisieren. Im Folgenden sollen alle für die weitere Bearbeitung relevanten Kategorien an Tatbestandsmerkmalen vorgestellt und definiert werden. Im besonderen Fokus steht dabei freilich die Einteilung in deskriptive und normative Tatbestandsmerkmale. 1. Deskriptive und normative Tatbestandsmerkmale Was genau ein Merkmal als deskriptiv oder normativ qualifiziert, wird in der Strafrechtswissenschaft zumindest terminologisch uneinheitlich beantwortet. Teilweise wird dabei behauptet, in „der Sache selbst“ herrsche trotz terminologischer Differenzen „weitgehend Einigkeit,“186 während Roxin konstatiert, „Abgrenzung und Einteilung […]“ seien „im Einzelnen sehr umstritten.“187 Als Begründer der herrschenden Abgrenzung oder zumindest der heute gängigen Begrifflichkeiten ist wiederum Welzel zu nennen, der 1954 konstatierte: „Alles menschliche Handeln vollzieht sich in einer bedeutungshaltigen Welt, von der nur einige Bestandstücke sinnlich wahrnehmbar, andere dagegen lediglich geistig verstehbar sind. Wie viel von einem ‚Tatumstand‘ sinnlich wahrnehmbar [‚deskriptiv‘], wie viel geistig verstehbar [‚normativ‘] ist, ist für den Begriff des Tatumstandes ganz belanglos.“188 a) Deskriptive Merkmale des Tatbestandes Deskriptive Umstände sind nach Welzels Verständnis sinnlich wahrnehmbare Bestandsstücke einer bedeutungshaltigen Welt.189 Diese Umstände „gehören“ i.S.d. § 16 StGB zum gesetzlichen Tatbestand und führen diesem Verständnis zufolge, deren tatsächliches Vorliegen vorausgesetzt, zur Verwirklichung eines deskriptiven Tatbestandsmerkmals. Soweit also ein Umstand des Lebenssachverhalts ohne 186 Jescheck/Weigend, AT, § 26 IV; wobei diese Einigkeit freilich nicht erfasst, ob eine solche Einteilung überhaupt nötig ist beziehungsweise wozu diese Einteilung im Ergebnis führt. 187 Roxin, AT I, § 10 Rn. 58. 188 Welzel, JZ 1953, 119 (120). 189 Welzel, JZ 1953, 119 (120).
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Weiteres sinnlich wahrnehmbar ist, reicht es für eine hinreichend bestimmte Wiedergabe im Gesetz prinzipiell aus, wenn ein zugehöriges Tatbestandsmerkmal dieses Sachverhaltselement „rein beschreibend“190 wiedergibt. An Vorschlägen zur näheren Beschreibung der deskriptiven Tatbestandsmerkmale mangelt es nicht. Trotz unterschiedlicher Begrifflichkeiten herrscht dabei in der Tat ein einheitliches Verständnis: In Anbetracht einer Vielzahl existierender und sich ersichtlich nicht widersprechender Auffassungen, handelt es sich bei den deskriptiven Merkmalen um „alltags- oder auch fachsprachliche Gesetzesbegriffe,“191 die Gegenstände der „realen Welt“192 beschreiben, die sich in erster Linie in einer sachlichen Beschreibung eines bestimmten Lebensvorgangs oder Gegenstandes erschöpfen.193 Es soll sich um Begriffe handeln, die der allgemeinen sinnlichen Wahrnehmung zugänglich (also kognitiv feststellbar)194 sind und keine spezifisch-juristische Bewertung enthalten.195 Es sollen solche Merkmale sein, die „in der Regel aufgrund sinnlicher Wahrnehmung festgestellt werden können“ beziehungsweise „die dem menschlichen Denken vorgegeben“ sind.196 Andernorts heißt es, die deskriptiven Merkmale bezeichneten „einen Seinssachverhalt,“197 wiederum an anderer Stelle findet sich die Aussage, deskriptive Merkmale bezögen sich auf „natürliche Eigenschaften von Personen und Objekten, deren Vorhandensein empirisch oder durch Berechnung festgestellt werden kann.“198 Der Bundesgerichtshof spricht in seiner jüngsten Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem Bestimmtheitsgebot von „unmittelbar in ihrer Bedeutung für jedermann erschließbaren deskriptiven Tatbestandsmerkmalen,“199 das Bundesverfassungsgericht bringt in demselben Kontext die Wendung „exakt erfassbarer“ Tatbestandsmerkmale ins Spiel.200 All diese Begriffsbestimmungen meinen ersichtlich dasselbe. Es sind stets solche Merkmale eines Tatbestandes gemeint, welche einen Umstand beschreiben, den ein Normadressat gewissermaßen „auf den ersten Blick,“ also ohne jeden EinBaumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 8 Rn. 16. 12. Aufl., § 16 Rn. 21. 192 LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 21; Satzger/Schluckebier/Widmaier-Kudlich, Vor § 13 Rn. 8; vgl. auch Schönke/Schröder-Eisele, Vor § 13 Rn. 64 – „vorgegebenes Phänomen des realen Seins.“ 193 Heinrich, AT, Rn. 125; vgl. auch Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 189 – „einfache“ Beschreibung. 194 Roxin, AT I, § 10 Rn. 58; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 18. 195 Vgl. Heinrich, AT, Rn. 125; Jescheck/Weigend, AT, § 26 IV 1; LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 21; Roxin, AT I, § 10 Rn. 58; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 18; Welzel, Strafrecht, § 13 I 4; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 189. 196 Müller-Magdeburg, S. 132. 197 Matt/Renzikowski-Renzikowski, Vor § 13 Rn. 22. 198 Kindhäuser, AT, § 9 Rn. 10. 199 BGH NJW 2014, 3459 (3460). 200 BVerfG NJW 1978, 1423 (1423). 190
191 LK-Vogel,
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satz seiner intellektuellen Fähigkeiten beziehungsweise ohne jeden Einsatz rechtlicher Kenntnisse richtig erfassen kann. Es muss also keine intellektuelle Hürde überwunden werden, damit das Tatbestandsmerkmal „richtig ankommt“ in den Hirnwindungen des Täters. Als Paradebeispiele deskriptiver Natur werden oftmals die Merkmale „Mensch“,201 „Sache“,202 „Gebäude“,203 „Töten“204 oder auch „Kraftfahrzeug“205 genannt. Auch das Merkmal „Wegnahme“206 soll ein deskriptives sein. Inwiefern diese Einordnungen in sich stimmig oder ob diese streitbar sind und vor allem, ob sich bei der Anwendung dieser Unterscheidung Probleme für die Irrtumslehre ergeben, wird an späterer Stelle aufgegriffen.207 b) Normative Merkmale des Tatbestandes Den deskriptiven Merkmalen wird die ungleich problematischere Kategorie der normativen Merkmale eines Tatbestandes gegenübergestellt. Dies sind – spiegelbildlich – solche Merkmale, die sich dem Normadressaten eben nicht allein unter Zuhilfenahme seiner Sinne erschließen, sondern vielmehr auf Gegebenheiten abzielen, die nach der viel zitierten Auffassung von Engisch „überhaupt nur unter logischer Voraussetzung einer Norm vorgestellt und gedacht werden können“208 und dementsprechend allein unter Hinzutreten einer (juristischen)209 Wertung festgestellt werden können.210 Nichts anderes dürfte es bedeuten, wenn die Rede ist von Merkmalen, die „auf eine (rechtliche oder außerrechtliche) Norm verweisen“,211 oder von „institutionellen Tatsachen, deren Existenz von rechtlichen oder 201 Otto, AT, § 7 Rn. 12; Rengier, AT, § 8 Rn. 11; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/ Schuster, § 15 Rn. 18. 202 Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 8 Rn. 16; Kühl, AT, § 5 Rn. 92; Matt/Renzikowski-Renzikowski, Vor § 13 Rn. 22; Otto, AT, § 7 Rn. 12; Rengier, AT, § 8 Rn. 11; Schönke/ Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 18; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 189. 203 Roxin, AT I, § 10 Rn. 58. 204 Matt/Renzikowski-Renzikowski, Vor § 13 Rn. 22; vgl. aber auch Harnos, S. 187 f. 205 Rengier, AT, § 8 Rn. 11. 206 Rengier, AT, § 8 Rn. 11; Roxin, AT I, § 10 Rn. 58; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 189. 207 Vgl. Kapitel 2 § 3 C. III. 2. sowie kritisch Kapitel 2 § 3 D. II. 208 Engisch, Mezger-Festschrift 1954, S. 127 (147). 209 Sofern die Rede ist von Elementen mit einer „rechtlichen Bewertung“ einerseits und solchen mit einer „kulturellen Bewertung“ andererseits, ist eine juristische Wertung freilich kein konstitutives Merkmal, vgl. Roxin, AT I, § 10 Rn. 58. 210 Vgl. Heinrich, AT, Rn. 126; Jescheck/Weigend, AT, § 26 IV 2; LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 25; Roxin, AT I, § 10 Rn. 58, 60; Satzger/Schluckebier/Widmaier-Kudlich, Vor § 13 Rn. 8; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 19; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 190; von „geistiger Verstehbarkeit“ spricht Welzel, Strafrecht, § 13 I 4. 211 Schlüchter, S. 26; ebenso Roxin, AT I, § 10 Rn. 58.
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außerrechtlichen (konventionellen oder moralischen) Normen abhängt.“212 Dieselbe Botschaft ist der Aussage zu entnehmen, dass das Vorhandensein normativer Merkmale „nur unter Bezugnahme auf die sie konstituierende Regel (Norm) festgestellt werden“ könne.213 Auch bezüglich der normativen Merkmale lässt sich demzufolge eine einheitliche Linie feststellen. Es handelt sich, mit eigenen Worten, um solche Merkmale, die im Anschluss an einen Akt des menschlichen Sehens, Hörens oder Fühlens erst eine zusätzliche geistige Hürde überwinden müssen, bevor sie beim Normadressaten „korrekt ankommen“. Wie vor allem die beiden letztgenannten Definitionen deutlich machen, sind normative Tatbestandsmerkmale darüber hinaus oftmals dadurch geprägt, dass sie in ihrem Gehalt und damit in ihrer Existenz regelmäßig von anderen (Rechts-)Normen abhängig sind. Es handelt sich also mitunter um Verweisungen.214 c) „Mehr normative und mehr deskriptive Merkmale“215 Die genannten Definitionen machen deutlich, dass eine Grenzziehung zwischen normativen und deskriptiven Merkmalen in zahlreichen Fällen Probleme bereitet. Deshalb herrscht weitgehend Einigkeit innerhalb der Rechtswissenschaft, dass insoweit jedenfalls eine haarscharfe Grenzziehung kaum möglich ist.216 Teilweise wird festgestellt, eine Abgrenzung sei „recht vage“,217 weswegen eigentlich „nur von mehr normativen und mehr deskriptiven Merkmalen“ die Rede sein dürfe.218 Andernorts wird betont, die Grenzen seien „teilweise fließend.“219 Stratenwerth/Kuhlen halten es gar für „mindestens zweifelhaft, ob sich die beiden Merkmalskategorien überhaupt hinreichend klar voneinander abgrenzen lassen.“220 Auch Roxin stellt fest, dass „bei der üblichen Definition […] rein deskriptive oder normative Umstände kaum auftreten [werden]“,221 und kommt zu dem Ergebnis, Kühl, AT, § 5 Rn. 92. Kindhäuser, AT, § 9 Rn. 11. 214 Herzberg, JuS 1980, 469 (473); LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 38; Schlüchter, S. 21, 23 f., 26; vgl. auch Tiedemann, S. 93 f., 316; ders., Wirtschaftsstrafrecht AT, § 5 Rn. 197 f. 215 Vgl. Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 8 Rn. 17. 216 Vgl. Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 8 Rn. 17; Haft, AT, S. 152; Harnos, S. 187 ff.; Heinrich, AT, Rn. 127; Jakobs, AT, 8/51; Kircher, S. 25; Krey/Esser, AT, Rn. 420; AnwK-StGB-Schaefer, § 15 Rn. 19; LK-Walter, 12. Aufl., Vor § 13 Rn. 42; Müko-StGBFreund, 2. Aufl., Vor § 13 Rn. 15 f.; Rengier, AT, § 8 Rn. 13; Roxin, AT I, § 10 Rn. 59, § 12 Rn. 100; Schönke/Schröder-Eisele, Vor § 13 Rn. 64; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/ Schuster, § 15 Rn. 39; SK-Rudolphi/Stein, 8. Aufl., 148. Lfg., § 16 Rn. 15; Stratenwerth/ Kuhlen, AT, § 8 Rn. 69. 217 Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 8 Rn. 17. 218 Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 8 Rn. 17. 219 Rengier, AT, § 8 Rn. 13. 220 Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 8 Rn. 69. 221 Roxin, AT I, § 10 Rn. 59. 212 213
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dass es „also weniger auf die (kaum mögliche) Trennung deskriptiver und normativer Merkmale als darauf an[kommt], die meisten Tatbestandsmerkmale als eine Mischung normativer und deskriptiver Elemente zu erkennen, bei der bald der eine, bald der andere Faktor überwiegt.“222 Ebenso anschaulich wie zutreffend erscheint dementsprechend das von Rudolphi/Stein gewählte Bild einer „gleitenden Skala“223 von Tatbestandsmerkmalen, auf welcher der Grad von „höchst normativ“ bis „in geringstem Maße normativ“ reicht, wobei auch an den beiden Enden der Skala weder die Normativität, noch die Deskriptivität jemals den Grad null erreichen werden.224 Dies lässt sich stützen durch die Aussage von Freund,225 es könne „überhaupt nur normative Tatbestandsmerkmale geben“ und jedes Tatbestandsmerkmal – also auch das deskriptive – sei einzig aus dem normativen Kontext heraus „richtig verstehbar.“226 Weiterhin existieren Stimmen, die, ähnlich Freund, entweder die Normativität aller beziehungsweise zumindest eine „Teil-Normativität“ aller Tatbestandsmerkmale,227 oder entgegengesetzt die Deskriptivität aller Tatbestandsmerkmale228 betonen: Kunert etwa sieht schlicht deshalb in allen Tatbestandsmerkmalen solche beschreibender Art, weil das Wesen des Tatbestandes doch gerade die Beschreibung der Verbotsmaterie sei.229 Dem liegt jedoch ein anderes Verständnis zugrunde als das durch Welzel geprägte Bild: So betont Kunert, dass es sich freizumachen gelte von der Vorstellung, dass es bei der Deskriptivität einzig darum gehe, etwas „Naturalistisches oder sinnlich Wahrnehmbares“ zu fassen – vielmehr umschreibe ein Tatbestand nicht nur äußerliche, natürliche Gegenstände, Vorgänge und Zustände, sondern vielmehr auch „seelische und geistige, überhaupt kulturelle Phänomene.“230 Insofern ist es nur konsequent, wenn Kunert betont, dass die Einteilung in die beiden Pole „sinnliche Wahrnehmbarkeit“ und „geistige Verstehbarkeit“ als „wesensmäßige Gegensätze […] zumindest ungenau [erscheint].“231 Deshalb fordert Kunert zur Feststellung von Vorsatz umfassend für alle Tatbestandsmerkmale ein „Verstehen“: „Wessen Geist so zerrüttet ist, daß er zu keinerlei Begriffsbildung imRoxin, AT I, § 10 Rn. 59. 8. Aufl., 148. Lfg., § 16 Rn. 15. 224 Vgl. SK-Rudolphi/Stein, 8. Aufl., 148. Lfg., § 16 Rn. 15. 225 Vgl. Müko-StGB-Freund, 2. Aufl., Vor § 13 Rn. 15 f. 226 Müko-StGB-Freund, 2. Aufl., Vor § 13 Rn. 16. 227 Vgl. aus dem älteren Schrifttum Wolf, S. 93; heutige Vertreter dieser These sind neben Freund weiterhin Gössel, GA 2006, 279 (281); Herzberg/Hardtung, JuS 1999, 1073 (1073); Matt/Renzikowski-Renzikowski, Vor § 13 Rn. 22; ähnlich LK-Walter, 12. Aufl., Vor § 13 Rn. 42. 228 Vgl. insbesondere Kunert, S. 86. 229 Kunert, S. 86. 230 Kunert, S. 86. 231 Kunert, S. 91. 222
223 SK-Rudolphi/Stein,
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stande ist, und wer deshalb einen Menschen nicht von einem Stuhl unterscheiden kann, der ist schon des Vorsatzes der Tötung eines Menschen unfähig.“232 Darum gehörten „zum Erkennen“ nicht nur Anschauungen, sondern auch Begriffe – ein „Verstehen“ der Tatumstände sei also „stets erforderlich“.233 Das Verständnis Kunerts erscheint unter den genannten Argumenten schlüssig: denn wenn der Tatbestand als eine einzige Umschreibung der Verbotsmaterie betrachtet wird, ist es doch klar, dass dessen Merkmale, sozusagen als „Fragmente dieser Beschreibung“ ihrerseits jeweils selbst beschreibender Art sind. Insgesamt muss jedoch betont werden, dass nach Kunerts Verständnis dieselben Termini wesentlich anders zu verstehen sind, weshalb ein Vergleich mit den zuvor genannten Ansichten nur schwerlich möglich ist. Ebenso einleuchtend stellt sich die – jedenfalls prima facie – diametral entgegengesetzt scheinende These bei Wolf dar:234 Erst die „Vergesetzlichung“ von Begriffen mache diese „überhaupt juristisch relevant“, wobei diese Relevanz unter anderem in der spezifischen Sinnbezogenheit eines Begriffes innerhalb des Systems des Strafrechts liege. Kurzum: Erst die Normativität eines jeden Begriffes macht diesen hiernach zu einem Tatbestandsmerkmal – weswegen strenggenommen jedes Tatbestandsmerkmal ein normatives sein muss. Auch dieses, ebenfalls extreme Verständnis, lässt sich nur schwer zur Diskussion der heute herrschenden Lehre heranziehen. Denn dass die These Wolfs in sich schlüssig ist, entbehrt jeder Streitbarkeit. Allerdings ist der Aussage zuzustimmen, dass dieses Verständnis von der Normativität aller Tatbestandsmerkmale im vorliegend diskutierten Kontext wenig hilfreich ist.235 Denn: Dass Begriffe durch die Einfügung in den Tatbestand überhaupt erst ihre juristische Relevanz erlangen, wird ersichtlich nirgends bestritten. So sind es doch allein die Tatbestände des Strafrechts, die eine Strafbarkeit begründen können – und nicht gesellschaftlichen Normen oder Anschauungen per se. Die Frage, welche Anforderungen genau an den Vorsatz zu stellen sind, vermag die These Wolfs trotz aller Schlüssigkeit jedoch nicht zu beantworten. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass nach ganz herrschendem Verständnis normative und deskriptive Tatbestandsmerkmale in Reinform kaum auftreten dürften. Deswegen ist es korrekt, von „mehr deskriptiven“ oder „mehr normativen“ Merkmalen zu sprechen.236
Kunert, S. 91. Kunert, S. 91. 234 Wolf, S. 92 f. 235 Vgl. nur Papathanasiou, S. 47. 236 Vgl. Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 8 Rn. 17. 232 233
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2. „Gesamttatbewertende“ Merkmale Eine weitere Kategorisierung wird mit den sog. „gesamttatbewertenden“237 Merkmalen eines Tatbestandes vorgenommen.238 Diese zusätzliche Kategorie an Tatbestandsmerkmalen geht zurück auf Roxin,239 im Anschluss an Welzels Lehre von den „Rechtspflichtmerkmalen“ beziehungsweise von den „speziellen Rechtswidrigkeitsmerkmalen“.240 Hierbei dreht es sich um „Elemente“ des gesetzlichen Straftatbestandes, deren Funktion sich nicht vollständig in derjenigen eines „klassischen“ Tatbestandsmerkmals erschöpft, sondern welche vielmehr Funktionen des Tatbestandes und der Rechtswidrigkeit in sich vereinen. Welzel geht davon aus, dass es einerseits „geschlossene“ Straftatbestände gibt, deren Verwirklichung per se rechtswidrig ist, sofern kein Rechtfertigungsgrund eingreift – die Erfüllung des Tatbestandes indiziert insoweit die Rechtswidrigkeit.241 Daneben sollen „offene Tatbestände“ existieren, bei denen „ein sachliches Leitbild für die Tatbestandsergänzung fehlt, wie vor allem bei der Nötigung des § 240 [StGB].“242 Bei diesen bedürfe es zusätzlich zur tatsächlichen Handlung eines selbstständigen, richterlichen Werturteils über die Rechtswidrigkeit. Das bedeutet, dass bei dieser Art von Tatbeständen eine „bloße“ Tatbestandserfüllung die Rechtswidrigkeit gerade noch nicht per se indizieren soll.243 So verhält es sich nach der Auffassung Welzels insbesondere bei § 240 StGB, was – um ein Beispiel zu nennen – im Ergebnis dazu führt, dass etwa das Merkmal der „Verwerflichkeit“ erst auf Rechtswidrigkeitsebene geprüft wird, womit „das Unrecht“ auch erst dort begründet werden-, der Tatbestand mithin keine unrechtsbegründende Wirkung haben soll.244 Dieses Verständnis wird allerdings innerhalb der modernen Strafrechtswissenschaft nicht geteilt.245 Die Gründe hierfür sind im Einzelnen vielfältig und bedürfen an dieser Stelle auch keiner erschöpfenden Vertiefung, zumal das Urheberstrafrecht keine Tatbestandsmerkmale dieser Kategorie kennt. Jedoch leuchtet es 237 Begründer dieser Kategorisierung von Tatbestandsmerkmalen und der entsprechenden Begrifflichkeit ist Roxin, S. 81 ff.; vgl. auch ders., AT I, § 10 Rn. 45 ff. 238 Vgl. BeckOK-StGB-Kudlich, § 16 Rn. 18 f.; Kühl, AT, § 5 Rn. 97, § 13 Rn. 59 b; Lackner/Kühl, § 15 Rn. 16; NK-Puppe, Vor § 13 Rn. 27; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/ Schuster, § 15 Rn. 22; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 354. 239 Vgl. Roxin, S. 81 ff.; ders., AT I, § 10 Rn. 45 ff. 240 Vgl. zu diesem Verständnis Welzel, JZ 1952, 19 (20); ders., JZ 1952, 133 (135 f.); ders., JZ 1952, 208 (209); ders., JZ 1953, 119 (120 f.); sich selbst in begrifflicher Hinsicht korrigierend ders., ZStW 67 (1955), 196 (224 ff.); ders., Strafrecht, S. 82 f. 241 Vgl. Welzel, Strafrecht, § 14 I 2. 242 Welzel, Strafrecht, § 14 I 2. 243 Vgl. Schönke/Schröder-Eisele, Vor § 13 Rn. 66. 244 Vgl. hierzu nur Roxin, AT I, § 10 Rn. 43 f. 245 Vgl. nur Müko-StGB-Freund, 2. Aufl., Vor § 13 Rn. 18 ff.; Roxin, AT I, § 10 Rn. 43 f.; Schönke/Schröder-Eisele, Vor § 13 Rn. 66 f.
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– unter Zugrundelegung eines modernen Verständnisses – ein, dass ein Tatbestand, sofern es tatsächlich seine Funktion sein soll, einen Unrechtssachverhalt zu kennzeichnen,246 stets in sich „geschlossen“ sein muss: Denn „jedes Merkmal, das den Unrechtsgehalt der betreffenden Deliktsart mitbestimmt, ist dann ein Tatbestandsmerkmal, gleichgültig, inwieweit der Unrechtssachverhalt vom Gesetz selbst gegenständlich näher umschrieben ist.“247 Die Lehre Welzels wurde mehr oder weniger ersetzt beziehungsweise abgelöst durch Roxins Lehre von den „gesamttatbewertenden“ Merkmalen. Hierunter werden solche Merkmale eines Tatbestandes verstanden, die sich nicht in einer bloß äußerlichen Beschreibung des Unrechts erschöpfen, sondern, aufgrund ihres hohen normativen Gehalts, jene Gesamtbewertung mit umfassen, die sonst allgemeinen Rechtswidrigkeitsmerkmalen vorbehalten ist.248 Als Beispiele werden regelmäßig angeführt: „grob verkehrswidrig“ (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB), „zumutbar“ (§ 323c StGB), „verwerflich“ (§ 240 StGB) oder die Garantenpflicht i.S.d. § 13 StGB.249 Diese Art von Merkmalen soll sich dadurch auszeichnen, dass sie sich „grammatisch auf den gesamten Tatbestand“250 beziehen und nicht etwa auf ein einziges Merkmal. Die „Verwerflichkeit“ einer Nötigung muss demzufolge dem gesamten tatsächlichen Geschehen anhaften. Beziehungsweise: Sie ergibt sich erst aus dem Lebenssachverhalt, der – um mit den Worten des § 16 StGB zu sprechen – die „zum Tatbestand gehörenden“ Umstände verwirklicht. Puppe spricht deshalb auch von „sachverhaltsbewertenden“ Merkmalen und begründet diese Terminologie damit, dass es sich um Merkmale handle, die „unter Verwendung mehr oder weniger allgemein gefasster Wertungskriterien zum Ausdruck bringen, dass ein bestimmtes Verhalten gegen ungeschriebene, aber allgemein gesellschaftlich anerkannte Normen verstößt.“251 Der entscheidende Unterschied zur skizzierten Lehre Welzels besteht nun darin, dass die weitestgehend geteilte Auffassung Roxins diese „Elemente“ des Tatbestandes spaltet: Dem Tatbestand werden die „objektsprachlichen Tatsachen“252 zugerechnet, also die „den Sachverhalt kennzeichnenden Bestandteile“.253 Die „tatsächlichen Bewertungsgrundlagen“254 des „gesamttatbewertenden“ Tatbestandsmerkmals müssen deswegen vom Vorsatz umfasst sein. Die wertenden Elemente jener Merkmale hingegen betreffen das „allgemeine Rechtswidrigkeitsurteil“.255 246
Vgl. Schönke/Schröder-Eisele, Vor § 13 Rn. 46. Vor § 13 Rn. 66. 248 Vgl. Lackner/Kühl, § 15 Rn. 16; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 354. 249 Vgl. BeckOK-StGB-Kudlich, § 16 Rn. 18; Lackner/Kühl, § 15 Rn. 16; Roxin, AT I, § 10 Rn. 45 ff.; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 22. 250 NK-Puppe, Vor § 13 Rn. 27. 251 NK-Puppe, Vor § 13 Rn. 30. 252 NK-Puppe, Vor § 13 Rn. 27. 253 Jescheck/Weigend, AT, § 29 II 3 d). 254 Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 354. 255 Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 354. 247 Schönke/Schröder-Eisele,
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Die Auswirkungen auf Vorsatz und Schuld lassen sich wiederum am Beispiel der Nötigung verdeutlichen: Fehlt dem Täter das Wissen bezüglich der tatsächlichen Umstände, die die Verwerflichkeit ausmachen beziehungsweise begründen, so kommt das Tatbestandsmerkmal „Verwerflichkeit“ auf Ebene des subjektiven Tatbestandes zum Tragen: Der Vorsatz entfällt.256 Nimmt der Täter hingegen in Kenntnis sämtlicher tatsächlicher Umstände lediglich eine falsche rechtliche Wertung vor, weil er das Geschehen abweichend vom richterlichen Werturteil für nicht verwerflich hält, so fehlt es ihm am Unrechtsbewusstsein, die falsche Wertung wirkt sich erst auf Schuldebene aus, es liegt ein Verbotsirrtum vor gemäß § 17 StGB.257 Die Verwendung von so definierten „gesamttatbewertenden“ Tatbestandsmerkmalen durch den Gesetzgeber soll damit gleichermaßen bewirken und bezwecken, dass gewisse Handlungen (etwa eine mögliche Nötigungshandlung) nicht bereits kraft Erfüllung einer abstrakten tatbestandlichen Unrechtsbeschreibung das „Unrecht“ bedeuten, das die Strafbarkeit auslöst, sondern umfassend von der wertenden Feststellung des Gesamtgeschehens durch einen Richter abhängig sind.258 Strenggenommen bedarf es einer eigenständigen Kategorie der „gesamttatbewertenden Merkmale“ unter den folgenden Gesichtspunkten allerdings nicht: Selbst, wenn das Merkmal der „Verwerflichkeit“ im Tatbestand des § 240 StGB keine besondere Einstufung als „gesamttatbewertend“ erfahren würde, so müsste der Richter doch trotzdem in jedem Fall feststellen, ob ein Handelnder erstens Vorsatz hinsichtlich der objektiven Umstände des Merkmals hatte (§ 16 StGB) und zweitens, ob die für eine Strafbarkeit obligatorische Unrechtseinsicht bei ihm vorhanden war (§ 17 StGB). Der Aspekt, dass sich die Verwerflichkeit nach § 240 Abs. 2 StGB auf die ganze Tat beziehen muss, macht eine Bezeichnung als „gesamttatbewertend“ zwar möglich, lässt die Kategorisierung aber gleichwohl als überflüssig erscheinen.259 3. Blankette Ein gesetzestechnischer Spezialfall sind Blankettstrafgesetze, deren rechtliche Behandlung unter mehreren Gesichtspunkten seit jeher streitig ist, beginnend bei der Frage nach deren Verfassungsmäßigkeit.260 Es wurde bereits mehrfach erwähnt, dass auch die Strafvorschriften des Urheberrechts von Verweisungen durchzogen Jescheck/Weigend, AT, § 29 II 3 d); Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 354. Jescheck/Weigend, AT, § 29 II 3 d); Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 354. 258 Vgl. Roxin, AT I, § 10 Rn. 46. 259 Vgl. mit demselben Ergebnis auch Harnos, S. 210. 260 Ausführlich zur Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgrundsatz Raabe, S. 36 ff.; ferner Bode/Seiterle, ZIS 2016, 91; dies., ZIS 2016, 173; Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, 76. Lfg., Art. 103 Abs. 2 GG Rn. 199 ff.; Schönke/Schröder-Eser/Hecker, Vor § 1 Rn. 3; vgl. zur Rechtsprechung des BVerfG zu den Blanketten nur Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, § 5 Rn. 199 ff. 256 Vgl. 257 Vgl.
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sind. Reichlich Diskussionsbedarf gibt es daher auch im Urheberrecht – insbesondere bei der Lösung von Irrtumsproblemen.261 Geschürt wird die Problematik vor allem durch begriffliche Wirren, die nicht selten einen Bezug zur Lehre über normative und deskriptive Tatbestandsmerkmale aufweisen.262 Um eine Untersuchung von Irrtümern in diesem Kontext überhaupt sinnvoll gestalten zu können, ist es unentbehrlich, zunächst das vorherrschende Knäuel an Begrifflichkeiten zu entflechten und einen roten Faden für die folgende Untersuchung herauszuarbeiten. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes wird durch die Rechtswissenschaft nicht einheitlich definiert. Im Gegenteil: Er ist vielmehr dadurch geprägt, dass ihm je nach Blickwinkel und je nachdem, wie weit oder tief der Blick des Betrachters reicht, völlig unterschiedliche Bedeutung zukommt – mit potenziellen Auswirkungen auf die Irrtumslehre. Vor allem im historischen Kontext wird klar, dass die uneinheitliche Verwendung der Begrifflichkeiten durchaus Probleme geschürt hat. So ist man sich doch heute weitgehend uneinig, was ein (echtes oder unechtes) Blankettgesetz ist und wie sich der Begriff zu jenen des Voll- oder Teilblanketts verhält. Ferner gilt es zu klären, was unter dem Begriff der Verweisungsnorm zu verstehen ist oder was ein Blankettmerkmal eigentlich darstellt. Müller-Magdeburg ist voll und ganz darin zuzustimmen, dass der „untechnische“ Sprachgebrauch in Bezug auf die Blankettgesetze vor allem im Zusammenhang mit Irrtümern „besonders gefährlich“ ist.263 a) Definition des Blankettstrafgesetzes Als Schöpfer der Begrifflichkeit Blankettstrafgesetze wird gemeinhin Binding genannt,264 der den Terminus bereits im Jahre 1872 für solche Strafgesetze einführte, die zwar eine Strafandrohung enthielten, allerdings hinsichtlich der Voraussetzungen der Strafbarkeit auf ein Verbot in einer anderen Vorschrift verwiesen.265 Damals hatte Binding zunächst allein solche Strafvorschriften im Blick, die durch ihre Verweisung Normen der Partikulargesetzgebung sowie von Polizei- und anderen Behörden erlassene Vorschriften flankierten.266 Diesem Verständnis zufolge, handelte es sich bei den Blanketten einzig um solche Strafnormen, die durch ein Kompetenzgefälle geprägt waren,267 also dadurch, dass das Strafgesetz auf eine Norm verwies, die eine dem Strafgesetzgeber untergeordnete Instanz erlassen Hildebrandt, S. 259; Lauer, insb. S. 53 ff.; Reinbacher, S. 177; U. Weber, S. 229. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 2 § 3 C. III. 2. c) sowie Kapitel 2 § 3 D. II. 1. b). 263 Müller-Magdeburg, S. 9. 264 So etwa bei Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 8 Rn. 101; Lauer, S. 40; Raabe, S. 27; Warda, S. 4. 265 Binding, Normen I, 1. Aufl. 1872, S. 71, 74; ders., Handbuch, S. 180. 266 Binding, Normen I, 1. Aufl. 1872, S. 71, 74; fortführend ders., Normen I, 3. Aufl. 1916, S. 161 f. 267 So ausdrücklich Moll, S. 24; Raabe, S. 27; ebenso, allerdings mit dem Hinweis, dass zu jener Zeit „diese Art der Verweisung allein bekannt war“, Müller-Magdeburg, S. 10 f. 261 Vgl. 262
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hatte. Als konkrete Beispiele aus dem Reichsstrafgesetzbuch nannte Binding die §§ 327, 328.268 Diese ahndeten Verstöße gegen Absperrungs- oder Aufsichtsmaßregeln oder Einfuhrverbote, welche durch Behörden – also untergeordnete Organe – zur Verhütung des Einführens oder Verbreitens einer ansteckenden Krankheit beziehungsweise von Viehseuchen angeordnet worden waren. Dementsprechend kam dem ursprünglichen Begriff der Blankettvorschrift nicht allein ordnende Funktion, sondern vielmehr auch ein materiell-rechtlicher Gehalt zu. Diese Denkweise bestätigte Binding in einer späteren Publikation, indem er zumindest in den angeführten Beispielen auf kaiserliche Verordnungen und polizeiliche Anordnungen Bezug nahm.269 Diese Fallbeispiele einmal ausgeblendet, konnte sich jedoch auch ein anderes sprachliches Verständnis ergeben: So formulierte Binding die Merkmale des Blanketts vielmehr ganz allgemein, indem er, ohne ein Kompetenzgefälle zur Charakteristik der Blankette zu erheben, von einem solchen Gesetz sprach, dessen „Straffolge […] an die Übertretung eines nur generisch bezeichneten Verbotes oder Gebotes“270 geknüpft sei. Dies sei ein Blankett, „das seinen Inhalt erst durch die Norm erhält, das durch verschiedene Normen in verschiedenster Weise ausgefüllt werden und den Wandel der Normen unverändert überdauern kann.“271 Unabhängig vom materiellen oder nur ordnenden Gehalt, wurde die Begrifflichkeit jedenfalls durch die Rechtsprechung272 sowie durch die Wissenschaft übernommen,273 wenngleich das Begriffsverständnis bis zum heutigen Tage kein einheitliches ist. aa) Weites Begriffsverständnis Überwiegend herrscht ein weites Begriffsverständnis über das Blankettstrafgesetz, wobei in terminologischer Hinsicht oftmals Unterkategorien definiert werden, um einen bestimmten Sinngehalt zu erzielen.274 Unproblematisch wäre zunächst, die Definition damit einzuleiten, dass es sich um ein Strafgesetz handeln muss. Weiterhin wird nicht bestritten, dass die Blankettnorm in gewisser Hinsicht un-
Binding, Normen I, 3. Aufl. 1916, S. 162, vgl. dort Fn. 10. Binding, Handbuch, S. 179 f. 270 Binding, Handbuch, S. 179. 271 Binding, Handbuch, S. 180. 272 Vom „Charakter eines sog. Blankett- oder blinden Strafgesetzes“ sprechend RGSt 7, 201 (206). 273 Zur frühen historischen Entwicklung der „unvollständigen Strafgesetze“ und dem Sieg des bis heute gängigen Titels über die Konkurrenz wie etwa „hypothetische Strafanordnung“, „blinde Strafanordnung“, „eventuelle Strafanordnung“, „unvollständige Polizeivorschrift“ oder „Rahmenstrafgesetz“, vgl. O. Neumann, S. 7 ff. 274 Vgl. sogleich Kapitel 2 B. I. 3. a) bb). 268 269
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vollständig, also ausfüllungsbedürftig ist. Sodann weichen die Verständnisse voneinander ab. Verbreitet ist das Verständnis von Warda, der Blankettstrafgesetze definiert als solche, „die ihre Strafdrohung auf ein ganz oder teilweise durch andere Rechtsquellen tatbestandlich umschriebenes Verhalten beziehen“.275 Rein terminologisch betrachtet, handelt es sich hierbei um ein außerordentlich weites Begriffsverständnis, welches zumindest grundsätzlich mit den noch zu erörternden Definitionen übereinstimmt. Allerdings darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass Warda an anderer Stelle eine erhebliche Einschränkung seines Überbegriffes vornimmt. So kämen als blankettausfüllende Normen nur solche Rechtsquellen in Betracht, „die die Verpflichtung zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen aufstellen.“276 Als Negativbeispiel wird unter anderem das Merkmal „fremde Sache“ (§ 242 StGB) angeführt, welches Warda als normatives Tatbestandsmerkmal qualifiziert und nicht als Blankettvorschrift, weil es in diesem Fall „nur der Ergänzung durch beschreibende Erläuterung einzelner Begriffe“ bedürfe, wozu die Vorschriften des bürgerlichen Rechts heranzuziehen seien.277 Dies indes wird ersichtlich nirgends bestritten. Eine Vertiefung der Problematik ginge an dieser Stelle auch zu weit – geht es vorliegend doch nur darum, Begrifflichkeiten abzustecken. Die Abgrenzung von Blanketten und normativen Tatbestandsmerkmalen wird an späterer Stelle behandelt.278 Warda betont ausdrücklich, dass er die erläuterte Beschränkung der Blankettvorschriften auf solche, deren Ausfüllungsnormen Ge- oder Verbote enthalten, in seiner Definition berücksichtig sieht.279 Diese Beschränkung wird von zahlreichen Autoren – mehr oder weniger ausdrücklich – abgelehnt.280 In der Tat ist ein Grund für eine derartige begriffliche Eingrenzung, und allein um eine solche geht es vorliegend, auf den ersten Blick auch nicht ersichtlich. Auch die Definition lässt entgegen der Einschätzung ihres Verfassers nicht hierauf schließen: So soll die Blankettstrafvorschrift ihre Strafandrohung auf ein „ganz oder teilweise durch andere Rechtsquellen tatbestandlich umschriebenes Verhalten beziehen.“281 Damit ist jedoch noch nichts darüber gesagt, wie umfassend oder in welcher Intensität die Umschreibung in der anderen Rechtsquelle zu erfolgen hat. Deshalb verdient es
275
S. 9
Warda, S. 5; ders., JR 1950, 546 (550 f.); zustimmend Moll, S. 26; Müller-Magdeburg,
Warda, S. 6. Warda, S. 7. 278 Vgl. Kapitel 2 § 3 B. I. 4. 279 „Alle diese wesentlichen Umstände erscheinen bei der obigen Begriffsbestimmung berücksichtigt“, vgl. Warda, S. 7, unter Bezugnahme auf seine Definition auf S. 5. 280 Vgl. nur die ausführliche Kritik von Lauer, S. 53 f.; ferner Otto, AT, § 2 Rn. 5 ff.; Puppe, NStZ 1993, 595 (595 f.); Tiedemann, JuS 1989, 689 (694 f.); zustimmend für das UrhG Hildebrandt, S. 265 f. 281 Warda, S. 5. 276
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Zustimmung, dass Lauer dem entschieden entgegentritt.282 Auch Otto meint, bezogen auf den Überbegriff, prinzipiell nichts anderes, wenn er formuliert, es handle sich um „Vorschriften, die hinsichtlich ihres Verbotsinhalts auf andere Normen (Ausfüllungsnormen) verweisen.“283 Die wohl ausführlichste Definition findet sich bei Vogel, der unter Blankettstrafgesetzen solche versteht, „die eine Strafdrohung enthalten, aber das tatbestandliche Unrecht nicht oder nicht vollständig selbst umschreiben, sondern ganz oder teilweise, ausdrücklich oder sinngemäß, statisch oder dynamisch auf andere gesetzliche oder untergesetzliche Normen und gegebenenfalls auch auf Verwaltungsakte (Verbote, Untersagungen, Erlaubnisse, Genehmigungen usw.) verweisen, die das Blankettstrafgesetz vervollständigen oder ausfüllen und deshalb als ‚blankettausfüllende Normen‘ bezeichnet werden.“284 Hieran lässt sich deutlich erkennen, dass im Bereich des weiten Begriffsverständnisses prinzipiell Einigkeit herrscht – denn jedes von Vogel ergänzte Element ließe sich beliebig auch in die weit gefassten Definitionen Ottos oder Wardas integrieren, ohne eine andere Bedeutung zu kreieren. Insgesamt lässt sich feststellen, dass der weite Begriff des Blankettstrafgesetzes lediglich ausdrücken soll, dass es sich um eine Strafnorm handelt, die ganz oder zumindest teilweise für ihren Tatbestand auf andere Rechtssätze verweist, also im Tatbestand einer Ausfüllung bedarf. bb) Enges Begriffsverständnis Regelmäßig285 werden als „Blankettstrafgesetze“ nur solche Normen bezeichnet, die gar keinen eigenen Tatbestand aufweisen, sondern allein Art und Maß der Strafe sowie die Verweisung auf den externen Tatbestand enthalten.286 Für die vorliegende Arbeit würde dieses Begriffsverständnis freilich bedeuten, dass beispielsweise § 106 UrhG nicht als Blankettvorschrift zu qualifizieren wäre, denn dieser enthält unzweifelhaft mehr als eine Strafandrohung und daneben einen bloßen, ausdrücklichen Verweis auf andere Normen. Dieses Verständnis lässt sich jedoch bereits unter Verweis auf die zahlreichen, hier erörterten Gegenansichten ablehnen. Es besteht schlichtweg kein Bedürfnis, Lauer, S. 52 ff.; zustimmend Hildebrandt, S. 265 f. Otto, AT, § 2 Rn. 5 ff.; ebenso Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 157. 284 LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 36. 285 Vgl. Reinbacher, S. 177. 286 Jescheck/Weigend, AT, § 12 III 2; Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 104 (104); Maurach/Zipf, AT I, § 8 Rn. 30; Müller-Gugenberger-Heitmann, § 3 Rn. 3; NK-Puppe, § 16 Rn. 60; Schönke/Schröder-Eser/Hecker, Vor § 1 Rn. 3; zurückhaltender aber i.E. identisch T. Fischer, § 1 Rn. 9; Satzger/Schluckebier/Widmaier-Satzger, § 1 Rn. 61; ebenso Roxin, AT I, § 12 Rn. 110; ders., Tiedemann-Festschrift 2008, S. 375 (381); besonders deutlich wird die unsaubere Terminologie innerhalb der Wissenschaft bei Müller-Gugenberger-Niemeyer, § 17 Rn. 8 ff. wo ein deutlich „weiteres“ Verständnis zugrunde gelegt wird als von Müller-Gugenberger-Heitmann, § 3 Rn. 3. 282 283
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einen übergeordneten Begriff (künstlich) zu verengen soweit die Möglichkeit besteht, diesen vielfältig zu spezifizieren beziehungsweise zu ergänzen. Das sollte vor allem dann gelten, wenn von diesen Möglichkeiten offensichtlich bereits mannigfach Gebrauch gemacht wurde. Außerdem steht dieses Begriffsverständnis ersichtlich im Widerspruch zur regelmäßig bestätigten Auffassung des Bundesverfassungsgerichts.287 Dieses spricht unter Zugrundelegung eines weiten Begriffsverständnisses zwar dann von einem Blankettstrafgesetz, wenn die Beschreibung des Straftatbestandes ersetzt wird durch die Verweisung.288 Allerdings handelt es sich laut BVerfG um eine Ergänzung, die zudem entweder im gleichen Gesetz oder aber in anderen, sogar erst noch zu schaffenden Gesetzen oder Rechtsverordnungen erfolgen könne, die nicht einmal notwendig von derselben rechtsetzenden Instanz erlassen werden müssen.289 Entscheidend ist jedoch folgender Aspekt: Nach Auffassung des BVerfG ist der Verweis auf eine Rechtsverordnung nur dann zulässig, wenn „die Voraussetzungen der Strafbarkeit sowie Art und Maß der Strafe im Blankettgesetz selbst hinreichend deutlich umschrieben werden.“290 Wenn jedoch das verweisende Strafgesetz in manchen Fällen die Voraussetzungen der Strafbarkeit – also den Tatbestand – selbst hinreichend beschreiben muss, so kann endgültig nicht mehr davon die Rede sein, dass ein Blankettstrafgesetz mit der hier diskutierten Ansicht nur dann vorliege, wenn der gesamte Tatbestand ausgelagert sei. Dieses enge Begriffsverständnis verdient dementsprechend keine Zustimmung. Klarstellend könnte zwar vom Blankettstrafgesetz im übergeordneten Sinne gesprochen werden, welches durch die Wissenschaft, wie sogleich aufgezeigt, spezifiziert wird. Dies ist jedoch nicht notwendig – insofern wird die übergeordnete Gattung hier schlicht als Blankettgesetz bezeichnet. (1) Echte und unechte Blankettstrafgesetze Geläufig ist die Trennung zwischen echten und unechten Blankettstrafgesetzen. Wann die erst- und wann die zweitgenannte Variante einschlägig ist, wird weitgehend einheitlich beurteilt, wenn auch in Nuancen nicht immer dasselbe gemeint sein dürfte. So werden als echte Blankettnormen solche Vorschriften bezeichnet, bei denen die ausfüllende Norm von einer anderen Stelle als dem Gesetzgeber der Strafvorschrift erlassen wird,291 wobei „insbesondere […] Verordnungs- oder Lan287 BVerfG NJW 1962, 1563; BVerfG LMRR 1978, 9; BVerfG NVwZ-RR 1992, 521; BVerfG wistra 2010, 396. 288 BVerfG NJW 1962, 1563 (1564); BVerfG NVwZ-RR 1992, 521 (521); BVerfG wistra 2010, 396 (402). 289 BVerfG NJW 1962, 1563 (1564); BVerfG NVwZ-RR 1992, 521 (521); BVerfG wistra 2010, 396 (402). 290 BVerfG LMRR 1978, 9; BVerfG wistra 2010, 396 (402). 291 LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 36; Otto, AT, § 2 Rn. 6 f.; ders., JURA 2005, 538 (538); Warda, S. 11; vgl. auch BGHSt 6, 30 (40 f.): Dort wird das zusätzliche Kriterium aufgestellt,
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desrecht oder Verwaltungsakte“292 gemeint sind – sprich: solche, die von anderer Stelle erlassen werden als vom Bundesgesetzgeber. In den echten Blankettstrafgesetzen soll sich also derselbe „Kompetenzsprung“293 wiederspiegeln, der schon für Binding seinerzeit charakteristisch gewesen war.294 Ein anschauliches Beispiel hierfür ist § 58 Abs. 1 Nr. 18 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB), wonach bestraft wird, wer „einer Rechtsverordnung nach § 10 Absatz 4 Nummer 1 Buchstabe b, d oder Buchstabe e, § 13 Absatz 1 Nummer 1 oder 2, § 22, § 32 Absatz 1 Nummer 1, 2 oder 3, jeweils auch in Verbindung mit § 28 Absatz 1 Nummer 2, oder § 34 Satz 1 Nummer 1 oder 2 oder einer vollziehbaren Anordnung aufgrund einer solchen Rechtsverordnung zuwiderhandelt […].“295 Das konkrete strafwürdige Verhalten wird hier durch den Verordnungsgeber (das Bundesministerium, vgl. § 10 Abs. 4 LFGB) bestimmt, während der Gesetzgeber in der Strafvorschrift des § 58 LFGB einzig die Verweisung regelt. Ein weiteres Beispiel liefert § 58 Abs. 2 LFGB, wonach sich strafbar macht, „wer gegen die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments […] verstößt […].“ Diesmal handelt es sich um eine „echte“ Blankettverweisung auf europäisches Recht, die wiederum einen Kompetenzsprung spiegelt. Das unechte Blankettstrafgesetz ist demgegenüber durch das Fehlen eines solchen Kompetenzsprungs gekennzeichnet, weil die Verweisung entweder innerhalb desselben Gesetzes erfolgt oder weil auf eine Norm verwiesen wird, für die zumindest derselbe (meist der Bundes-)Gesetzgeber zuständig ist.296 Darüber hinaus wäre es möglich, auf Bundesebene zwischen mehreren potenziellen Gesetzgebern zu differenzieren,297 etwa unter Zugrundelegung der Auffassung, dass der Strafgesetzgeber im fraglichen Kontext ein anderer sei wie der Gesetzgeber zivil- oder verwaltungsrechtlicher Normen. Dies soll indes nicht näher vertieft werden, führte es doch bloß zu einer zusätzlichen Verkomplizierung. Der Gesetzgeber wird weiterhin hierarchisch definiert – was bedeutet, dass insbesondere der Begriff des Bundesgesetzgebers nicht gespalten wird. In gleicher Weise spezifiziert auch Mezger, spricht dabei allerdings statt von „echten“ Blankettstrafgesetzen von solchen „im engeren Sinn“, was auch vielerorts übernommen wird.298 Blankettvorschriften „im weiteren Sinn“ sollen demgegendass die Ausfüllungsvorschrift „von einer anderen Stelle zu einer anderen Zeit selbständig“ erlassen werde. 292 LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 36. 293 Die Begrifflichkeit verwendend Raabe, S. 27; ferner LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 36; vgl. hierzu auch Warda, S. 11 f. 294 So ausdrücklich LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 36; vgl. ferner Otto, AT, § 2 Rn. 6 f. 295 Vgl. zur Problematik um die Blankettverweisungen im Lebens- und Futtermittelrecht Zipfel/Rathke-Dannecker, 163. Lfg., Vor § 58 LFGB Rn. 33 ff. 296 LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 36; Otto, AT, § 2 Rn. 6 f.; ders., JURA 2005, 538 (538). 297 Vgl. Moll, S. 29, dort insb. Fn. 21. 298 Mezger, Lehrbuch, S. 196; ebenso Francuski, JuS 2014, 886 (887); O. Neumann, S. 4 ff.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, § 5 Rn. 197; Warda, S. 11; Wittig, § 6 Rn. 15 f.
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über solche Tatbestände sein, die entweder auf eine Norm in demselben Gesetz verweisen oder Bezug nehmen auf ein Gesetz derselben gesetzgeberischen „Instanz“, womit Mezger tatsächlich dieselbe Instanz im Sinne des Wortes meint, also damals den Reichsgesetzgeber.299 Zur weiteren Verständlichkeit trägt die Verwendung dieser Synonyme indes nicht bei, weswegen im Folgenden auf diese Begrifflichkeiten verzichtet – und stattdessen ausschließlich von echten und unechten Blankettstrafgesetzen die Rede sein – wird.300 Dietmeier301 weist auf ein geringfügig abweichendes begriffliches Verständnis des Bundesgerichtshofs über „echte“ und „unechte“ Blankettstrafgesetze hin: So sollen „echte“ Blankettstrafgesetze solche sein, bei denen der Tatbestand und die Strafandrohung dergestalt voneinander getrennt sind, dass die blankettausfüllende Ergänzung von einer anderen Stelle zu einem anderen Zeitpunkt vorgenommen wird.302 Dies weicht nur in der Hinsicht von der zuvor genannten Definition des „echten“ Blankettstrafgesetzes ab, dass per definitionem ausdrücklich auch der andere Zeitpunkt als konstitutives Merkmal eines Blankettstrafgesetzes betrachtet würde. Wird jedoch – mit der obigen Definition – davon ausgegangen, dass es sich nur dann um ein „echtes“ Blankett handelt, wenn zur Ausfüllung eine andere legislatorische Instanz tätig werden muss, so erweist sich diese Erweiterung der Definition als überflüssig. Denn es dürften sich kaum Konstellationen finden, in denen die andere Instanz exakt zu demselben Zeitpunkt tätig wird wie der das Blankett schaffende Gesetzgeber. Ebenfalls gebräuchlich sind die Begriffe Binnenverweisung (für das unechte Blankettgesetz) und Außenverweisung (für das echte Blankettgesetz).303 Die Verwendung dieser Begrifflichkeit ist jedoch in Anbetracht deren Anfälligkeit für Missverständnisse kritisch zu hinterfragen: so impliziert der Begriff der Binnenverweisung doch, dass es sich (ausschließlich) um eine Verweisung innerhalb desselben Gesetzes handelt.304 Nach dem Verständnis von Otto jedoch sind Binnenverweisungen eben nicht durch diese Art der Gesetzesidentität geprägt, sondern vielmehr dadurch, dass es sich um dieselbe legislatorische Instanz handelt,305 weswegen ausdrücklich auch dann eine Binnenverweisung vorliegen soll, wenn ein Bundesgesetz auf ein anderes Bundesgesetz verweist.306 Mezger, Lehrbuch, S. 196. in diesem Zusammenhang das ebenfalls überflüssige Synonym „eigentliches Blankettstrafgesetz“ bei Moll, S. 26; ferner die Kategorisierung in absolut vollständige, relativ vollständige und absolut unvollständige Strafgesetze bei O. Neumann, S. 4 ff. 301 Dietmeier, S. 41 f.; vgl. hierzu auch Francuski, JuS 2014, 886 (887). 302 BGHSt 6, 30, 40 f. 303 Otto, JURA 2005, 538 (538); Raabe, S. 30; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 6 Rn. 16; vgl. ferner Dietmeier, S. 43 f. 304 So jedenfalls auch Schönke/Schröder-Eser/Hecker, Vor § 1 Rn. 3. 305 Otto, JURA 2005, 538 (538 f.). 306 Otto, JURA 2005, 538 (538); ebenso Dietmeier, S. 43 f. 299
300 Vgl.
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Missverständnisse dieser Art sind leicht zu vermeiden durch die Aufgabe zusätzlicher, strenggenommen unnötiger Begriffe. Wie aufgezeigt, lassen sich die Begriffe „echtes Blankettgesetz“, „Blankettgesetz im engeren Sinn“ sowie „Außenverweisung“ synonym verwenden, ebenso wie die Begriffe „unechtes Blankettgesetz“, „Blankettgesetz im weiteren Sinn“ und „Binnenverweisung“. Wie bereits erwähnt, haftet dem Begriff „Binnenverweisung“ das Problem an, dass dieser dem Wortsinn nach eher eine Verweisung innerhalb desselben Gesetzes impliziert,307 allerdings wesentlich „weiter“ aufgefasst wird. Ein wirklicher Mehrwert lässt sich durch die Verwendung mehrerer, synonymer Begriffe nicht erzeugen. Im Gegenteil: Die uneinheitliche Terminologie stiftet Verwirrung. So wird beispielsweise unter ausdrücklichem Verweis auf Otto davon gesprochen, dass ein unechtes Blankett dann vorliege, wenn „die verweisende und die ausfüllende Norm in demselben Gesetz normiert sind (Binnenverweisung).“308 Ein echtes Blankettstrafgesetz liege dann vor, „wenn auf eine Ausfüllungsnorm außerhalb des ursprünglichen Gesetzes verwiesen wird (Außenverweisung).“309 Dies widerspricht dem dargelegten Verständnis Ottos allerdings, denn dieser spricht erst dann von einem „echten“ Blankettstrafgesetz, wenn die ausfüllenden Normen zudem durch eine andere legislatorische Instanz erlassen werden.310 Dass begriffliche Wirren dieser Art einer Klärung von Problemen abträglich sind, liegt auf der Hand. Nichtsdestotrotz sollen die Begriffe Binnenverweisung und Außenverweisung vorliegend aufgegriffen werden – allerdings nicht (unnötig) synonym zu einer bereits bestehenden Kategorie, sondern in dem Sinne, der erstens semantisch am nächsten liegt und zweitens als weitere Unterscheidung einen echten Mehrwert bringt:311 So sind unter Binnenverweisungen Verweisungen innerhalb desselben Gesetzes zu verstehen, wohingegen Außenverweisungen aus dem Gesetz heraus auf einen anderen Rechtssatz Bezug nehmen. Eine Binnenverweisung ist dementsprechend immer ein „unechtes“ Blankett. Um keine unnötigen Synonyme zu erzeugen, gilt es weiterhin, die Außenverweisung vom „echten“ Blankettstrafgesetz abzugrenzen, welches denklogisch ebenfalls immer auf einen „externen“ Rechtssatz verweist. Außenverweisungen sollen dementsprechend, ebenso wie Binnenverweisungen, als Unterfall der „unechten“ Blankettstrafgesetze verstanden werden: Sie müssen durch dieselbe legislatorische Instanz erlassen worden sein wie das ausfüllungsbedürftige Gesetz. Hierdurch lassen sie sich von den „echten“ Blankettstrafgesetzen abgrenzen.
307
Vgl. Schönke/Schröder-Eser/Hecker, Vor § 1 Rn. 3. Raabe, S. 29. 309 Raabe, S. 30. 310 Otto, AT, § 2 Rn. 6. 311 Dieses Verständnis legt auch Raabe zugrunde, allerdings – wie erläutert – gerade abweichend von Otto. 308
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(2) Voll- und Teilblankette Die Blankettstraftatbestände lassen sich auch nach deren Verweisungsumfang einteilen. So existieren Strafgesetze, die tatsächlich nur aus der Strafdrohung und einer Verweisung bestehen und solche, die selbst Merkmale des Tatbestandes enthalten, allerdings zumindest teilweise auf einen anderen Rechtssatz verweisen.312 Diese Differenzierung findet sich unter anderem bei Puppe, die allerdings nur für das Vollblankett den Begriff des Blankettstrafgesetzes verwenden möchte – was jedoch, wie bereits erörtert wurde, abzulehnen ist. Puppe kennt Blankettgesetze, die „keinen eigenen Tatbestand haben“,313 also ihren Tatbestand bzgl. jedes einzelnen Merkmals aus einer anderen Norm ziehen (Vollblankette). Daneben stünden „Teilblankettgesetze“, welche „das strafbare Verhalten zum Teil beschreiben, zum anderen Teil aber nur dadurch charakterisieren, dass es Pflichten verletzen muss, die dem Täter durch andere Gesetze auferlegt und tatbestandlich beschrieben sind.“314 Unter letztgenannte Kategorie fallen mithin zahlreiche Normen, die entweder als echte oder unechte Blankettstrafgesetze angesehen werden – nämlich alle Vorschriften, die nicht vollständig auf einen ausgelagerten Tatbestand Bezug nehmen, gleich ob die in Bezug genommene Vorschrift durch dieselbe Instanz erlassen wurde oder nicht. Ebenso gut kann hiernach eine Norm als Vollblankettgesetz angesehen werden, die als echtes oder unechtes Blankettstrafgesetz einzuordnen wäre. Es handelt sich dementsprechend schlicht um eine anders gelagerte Kategorisierung. Innerhalb dieser Kategorisierung lassen sich vielfach „Mischformen“ ausmachen,315 also Tatbestände, die aus „Vollblankett“-Elementen einerseits und „Teilbankett“-Elementen andererseits bestehen – oder zusätzlich zu einer blankettartigen Verweisung normative Tatbestandsmerkmale enthalten. Als Beispiel ließe sich etwa § 48 Abs. 1 Nr. 1 WeinG anführen, der unter Strafe stellt, wer „in anderen als den in § 49 Nummer 1, 2, 4, 5 oder Nummer 6 oder § 50 Absatz 2 Nummer 1 oder 6 bis 10 bezeichneten Fällen [Vollblankett-Element] entgegen einer Vorschrift dieses Gesetzes [Vollblankett-Element] ein Erzeugnis oder ein Getränk, das mit einem Erzeugnis verwechselt werden kann [Teilblankett-Elemente oder normative Tatbestandsmerkmale], verarbeitet, in den Verkehr bringt, mit anderen Getränken vermischt […], lagert oder transportiert [überwiegend deskriptive Tatbestandsmerkmale].“316 In diesem Zusammenhang soll auch auf Folgendes hingewiesen werden: Alle Tatbestände, die Verweisungen enthalten, lassen sich beliebig in Tatbestände mit einem anderen „Verweisungscharakter“ umformulieren. Dieses Phänomen lässt 312
Vgl. die Beispiele bei NK-Puppe, § 16 Rn. 18 ff. § 16 Rn. 18, 60; vgl. auch dies., GA 1990, 145 (162). 314 NK-Puppe, § 16 Rn. 19, 61; ebenso Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 16 Rn. 73. 315 Vgl. KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 24. 316 Vgl. zu den umstrittenen Fragen der Bestimmtheit des WeinG NK-WeinG-Boch, § 48 Rn. 6 ff.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, § 11 Rn. 550. 313 NK-Puppe,
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sich am Beispiel des § 106 UrhG gut verdeutlichen: Die Vorschrift verweist für die „gesetzlich zugelassenen Fälle“ nach herrschender Auffassung auf die §§ 44a ff. UrhG. Dasselbe gilt für die Merkmale „Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung“ (§§ 2, 3, 23 UrhG) sowie für alle Tathandlungsformen (§§ 15 ff. UrhG). Genauso gut wäre es dem Gesetzgeber aber beispielsweise möglich gewesen, in § 106 UrhG statt der Tathandlungen „Vervielfältigung“, „Verbreitung“ und „öffentliche Wiedergabe“ einen Verweis aufzunehmen im folgenden Stil: „Wer ein Werk […] entgegen der §§ 16, 17, 19 […] verwertet, wird […] bestraft.“ Eine andere materielle Regelung enthielte eine solche Formulierung mithin nicht. Genauso wäre ein urheberrechtlicher Straftatbestand denkbar, der erschöpfend alle denkbaren Tathandlungen selbst wiedergibt, insoweit also das Urheberzivilrecht schlicht „in Kopie“ wiedergibt. Indes: Die Unübersichtlichkeit einer solchen Tatbestandstechnik liegt auf der Hand. Evident sind dementsprechend die Vorteile der Blanketttechnik aus gesetzgeberischer Sicht: Die Bildung von Blankettstrafgesetzen ermöglicht die Schaffung übersichtlicher Tatbestände, die zudem von hoher Flexibilität geprägt sind, die eine „vollständige“ Strafvorschrift schlechterdings nicht bieten kann.317 (3) Statische und dynamische Verweisungen Weiterhin lassen sich Blankette danach unterscheiden, ob sie statisch auf eine andere Norm verweisen oder dynamisch sind, also auf eine Vorschrift in deren jeweiliger Fassung Bezug nehmen.318 Dass statische Blankettverweisungen kaum von praktischer Bedeutung sind, erschließt sich bereits aus dem Zweck der Verweisungstechnik: Neben einer besseren Lesbarkeit der Tatbestände geht es doch gerade darum, gesetzgeberisch flexibel auf gesellschaftliche, technische oder wirtschaftliche Prozesse reagieren zu können.319 Die dynamische Verweisung hat im Gegensatz zur statischen Inbezugnahme zur Konsequenz, dass eine Ausfüllungsnorm geändert werden kann und in ihrer veränderten Fassung weiterhin Bezugsgegenstand des Blanketts bleibt, ohne dass es eines (weiteren) legislatorischen Aktes des (Straf-)Gesetzgebers bedürfte.320 Genau hierin dürfte in der Regel auch die Intention des Gesetzgebers zur Aufnahme eines Blankettstraftatbestandes zu sehen sein. 317 Vgl. Momsen/Grützner-Rotsch, Kapitel 1 B Rn. 14; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, § 5 Rn. 197. 318 Vgl. Dietmeier, S. 139; Müko-StGB-Schmitz, 2. Aufl., § 1 Rn. 54 ff.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 206; zur Verfassungsmäßigkeit dynamischer Verweisungen am besonders anschaulichen – da von zahlreichen Kettenverweisungen geprägten – Beispiel des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs Bode/Seiterle, ZIS 2016, 91; dies., ZIS 2016, 173. 319 Vgl. zum Zweck der dynamischen Verweisung nur BVerfG NStZ-RR 2004, 275 (278); Dietmeier, S. 141 f. 320 Vgl. Dietmeier, S. 139.
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Zwar ist die dynamische Blankettverweisung unter Gesichtspunkten des Bestimmtheitsgebots sowie in Bezug auf das Milderungsprivileg (§ 2 Abs. 3 StGB) kritisch zu reflektieren.321 Durch das Bundesverfassungsgericht wird indes regelmäßig die grundsätzliche Vereinbarkeit dieses flexiblen Instruments bestätigt.322 Betonung findet dabei vor allem, dass ein Verzicht auf dynamische Verweisungen die Gefahr „starrer und kasuistischer“323 Gesetze mit sich brächte, was wiederum die „notwendige Anpassung an die raschem Fortschritt und Wandel unterworfene“ Naturwissenschaft, Technik und Marktwirtschaft erschweren würde.324 In der vorliegenden Arbeit kann eine umfassende Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von Blankettverweisungen in allen möglichen Ausprägungen nicht erfolgen. Deshalb werden derlei verfassungsrechtliche Fragen auch im Folgenden nur dort thematisiert, wo diese für die Beurteilung von Irrtümern Bedeutung erlangen. b) Abschließende Definition des Blankettstrafgesetzes Zusammenfassend ergibt sich folgende Definition: Blankettstrafgesetze sind Strafgesetze, deren Tatbestandsvoraussetzungen ganz oder teilweise in einer anderen Vorschrift normiert sind, gleich ob innerhalb oder außerhalb desselben Gesetzes. Welcher Instanz die ausfüllende Norm entspringt, ist dabei gleichgültig. Die Instanz entscheidet aber über eine weitere Kategorisierung innerhalb der Blankettstrafgesetze. Diese lassen sich unterscheiden in echte und unechte Blankettstrafgesetze. Das echte Blankettstrafgesetz ist ein solches, dessen Tatbestand durch einen Rechtssatz vervollständigt wird, dessen Rechtsetzungskompetenz einer anderen Instanz obliegt als dem jeweiligen Strafgesetzgeber, also in der Regel325 dem Bundesgesetzgeber.326 Spiegelbildlich sind unechte Blankettstrafgesetze solche, die von demselben Gesetzgeber erlassen werden wie die ausfüllungsbedürftige Norm, ohne dass es darauf ankommt, wo (das heißt, ob in demselben oder in einem anderen Gesetz) der ausfüllende Rechtssatz steht. An dieser Stelle sei bereits vorweggenommen, dass diese Unterscheidung keineswegs allein terminologisch, sondern auch materiell-rechtlich sinnvoll ist. Denn sie orientiert sich sozusagen Vgl. nur Enderle, S. 180 ff.; Bode/Seiterle, ZIS 2016, 91; dies., ZIS 2016, 173. 14, 245 (252 ff.); BVerfGE 26, 338 (365 ff.); BVerfGE 75, 329 (345 f.); BVerfG NStZ-RR 2004, 275 (278); vgl. insbesondere zur Zulässigkeit von Verweisungen von Landes- auf Bundesrecht auch BayVerfGH NVwZ 1989, 1053 (1054 f.). 323 BVerfGE 75, 329 (345); BVerfG NStZ-RR 2004, 275 (278). 324 BVerfGE 75, 329 (345); BVerfG NStZ-RR 2004, 275 (278). 325 LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 36; vgl. jedoch beispielsweise die presserechtlichen Sonderstraftatbestände in vielen Landespresse- bzw. Landesmediengesetzen, so z.B. § 20 Abs. 2 PresseG Baden-Württemberg, der sich überdies ebenfalls als Blankettnorm qualifizieren lässt; zum Presserecht im Speziellen auch Soehring/Hoene-Soehring, § 26 Rn. 3, 8; Wandtke/Ohst-Heinrich, Band 4, Kapitel 6, Rn. 337, 339. 326 Keine echten Blankettverweisungen sind also Inbezugnahmen von Bundesgesetzen durch Bundesgesetze beziehungsweise von Landesgesetzen durch Landesgesetze etc. 321
322 BVerfGE
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am neuralgischen Punkt der Blankettmerkmale, nämlich an der Tatsache, dass eine andere Stelle als der „entsprechende“ Gesetzgeber „konstitutiv, die Strafbarkeit begründend, eingreifen kann.“327 Überdies lassen sich die unechten Blankettstrafgesetze einteilen in Binnen- und Außenverweisungen, wobei Binnenverweisungen auf Normen innerhalb desselben Gesetzes verweisen und Außenverweisungen auf ein anderes Regelungswerk Bezug nehmen, das durch dieselbe legislatorische Instanz erlassen wurde. Ferner lassen sich Blankettstrafgesetze unterscheiden in Voll- und Teilblankette. Während die erstgenannte Kategorie eine Strafnorm beschreibt, deren Tatbestand vollständig ausgelagert ist, ist innerhalb der zweitgenannten Kategorie der Tatbestand zumindest teilweise in der verweisenden Vorschrift selbst normiert. 4. Normative Tatbestandsmerkmale in Abgrenzung zu Blankettverweisungen Weil normative Tatbestandsmerkmale, wie festgestellt, ebenso wie Blankettvorschriften als Verweisungen begriffen werden, stellt sich oftmals die Frage, ob es sich bei einem konkret betrachteten Tatbestand um ein Blankett handelt oder um einen „vollständigen“ Straftatbestand, der „bloß“ ein normatives Tatbestandsmerkmal enthält (oder mehrere). Die Frage ist deswegen von Bedeutung, weil die Qualifikation einer Vorschrift als Blankettstrafgesetz vor allem in verfassungsrechtlicher Hinsicht Besonderheiten mit sich bringt. Dies betrifft insbesondere den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB), das Rückwirkungsverbot (§ 2 StGB) sowie – vorliegend von besonderer Bedeutung – auch die konkreten Anforderungen an das Vorsatzwissen.328 Aus eben diesen Besonderheiten ergibt sich ein enormes praktisches Bedürfnis, Blankettstrafgesetze von solchen Strafvorschriften zu unterscheiden, die „lediglich“ mittels normativer Tatbestandsmerkmale auf andere Rechtssätze Bezug nehmen. a) Grundsätzliches zur Problemstellung Die Abgrenzung von normativen Tatbestandsmerkmalen und Blanketttatbeständen wird oftmals als problematisch empfunden.329 Dabei ist die Unterscheidung unter Geltung der als herrschend anzusehenden Grundsätze richtungsweisend bei der Behandlung von Irrtümern,330 was ihr auch eine besondere praktische Bedeutung verleiht. Aus Perspektive der Irrtumslehre lässt sich sogar feststellen, dass die anVgl. instruktiv Lange, JZ 1956, 73 (75). zur Bedeutung der Unterscheidung etwa Francuski, JuS 2014, 886 (887, dort auch Fn. 5); Ransiek, JuS 2015, 769 (772 ff.); Schuster, S. 394 f.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, § 5 Rn. 199; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 6 Rn. 17, 167 ff., 171. 329 Vgl. AnwK-StGB-Schaefer, § 15 Rn. 27 f.; Momsen/Grützner-Rotsch, Kapitel 1 B Rn. 17; Ransiek, JuS 2015, 769 (772); Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 103; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, § 5 Rn. 198. 330 Vgl. ausführlich Kapitel 2 § 3 C. III.; ferner Bülte, NStZ 2013, 65 (65 f.); ders., JuS 2015, 769 (773); Momsen/Grützner-Rotsch, Kapitel 1 B Rn. 17; Müller-Magde327
328 Vgl.
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gesprochene Unterscheidung ihre praktische Relevanz überhaupt „in erster Linie aus der unterschiedlichen irrtumsrechtlichen Betrachtung beider Merkmalsgruppen bezieht.“331 Angenommen, in Bezug auf Blankette und normative Tatbestandsmerkmale würden ganz grundsätzlich dieselben Vorsatzerfordernisse herrschen, so wäre die vorliegend zu diskutierende Abgrenzung allenfalls von akademischem Interesse. Ob es eventuell vorteilhaft beziehungsweise sogar geboten ist, beide Kategorien bezüglich des Vorsatzes gleich zu behandeln, lässt sich freilich erst im Rahmen der späteren, ausführlichen Analyse der jeweiligen Vorsatzerfordernisse feststellen.332 Insofern sind die vorab diskutierten Abgrenzungsfragen zwar richtungsweisend, dabei allerdings vorwiegend von deskriptivem Charakter. Das Blankettstrafgesetz wird mitunter als „Extremfall eines Tatbestandes mit Verweisungsbegriffen“333 bezeichnet. Zum „Extremfall“ wird es allerdings nur in seiner stärksten Form, also als Vollblankett, das, wie beschrieben, den gesamten Tatbestand aus dem Strafgesetz „auslagert“ und abgesehen von einem Verweis nur noch die Strafandrohung beinhaltet. Diese Form der blankettartigen Verweisung lässt sich unproblematisch vom normativen Tatbestandsmerkmal unterscheiden und bereitet insofern keine Abgrenzungsschwierigkeiten. Allerdings soll bereits an dieser Stelle erwähnt werden, dass die ausfüllende Norm freilich ihrerseits wiederum normative Tatbestandsmerkmale enthalten kann – wodurch die Vorsatzprobleme der normativen Tatbestandsmerkmale durchaus auch beim „Vollblankett“ zum Tragen kommen. Als Beispiel lässt sich wiederum § 48 Abs. 1 Nr. 2 WeinG anführen, der auf voranstehende Vorschriften in demselben Gesetz verweist, die ihrerseits gespickt sind mit normativen Tatbestandsmerkmalen wie beispielsweise „Reinheitsanforderungen für die zugesetzten Stoffe“ (§ 13 Abs. 3 Nr. 2 WeinG). Demzufolge können sämtliche Probleme im Zusammenhang mit der Lehre über normative Tatbestandsmerkmale, unabhängig von einer unterschiedlichen Behandlung jener gegenüber den Blanketten, auch bei den „Vollblanketten“ grundsätzlich in Erscheinung treten. Wesentlich schwieriger als beim „Vollblankett“ wird die Abgrenzung zu den normativen Tatbestandsmerkmalen mit abnehmender Deutlichkeit beziehungsweise Erkennbarkeit einer Blankettverweisung. Je „versteckter“ die Inbezugnahme einer externen Vorschrift durch das Blankett ist, desto mehr Schwierigkeiten ergeben sich auch bei der Abgrenzung. Ein „schwieriges Problem“334 der Abgrenzung existiert insofern zutreffend allenfalls bei den unechten Blanketten. burg, S. 160 ff.; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 103; Tiedemann, Geerds-Festschrift 1995, S. 95 (106); ders., Wirtschaftsstrafrecht AT, § 5 Rn. 198. 331 Lauer, S. 45; ebenso: AnwK-StGB-Schaefer, § 15 Rn. 27 f. 332 Vgl. Kapitel 2 § 3 D. II. 333 Burkhardt, wistra 1982, 178 (179). 334 Vgl. Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, § 5 Rn. 198; ebenso Francuski, JuS 2014, 886 (887).
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Dieses Problem wird dadurch verschärft, dass sich häufig „Mischformen“ von Verweisungen finden lassen. Als Beispiel hierfür lässt sich auch an dieser Stelle die Vorschrift des § 106 UrhG anführen: Unabhängig davon, ob das Merkmal „in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen“ als Blankettverweisung begriffen wird oder nicht,335 lässt sich nicht leugnen, dass wenigstens das Merkmal „Werk“ überwiegend als normatives Tatbestandsmerkmal eingestuft wird.336 Daneben besteht die Möglichkeit, dass eine Strafnorm blankettartig auf ein normatives Tatbestandsmerkmal verweist, was sich ebenfalls am Beispiel des § 106 UrhG verdeutlichen lässt: Denn wenn die „gesetzlich zugelassenen Fälle“ als Blankettverweisungen auf die §§ 44a ff. UrhG zu begreifen sind, so nehmen diese unter anderem höchst normativ geprägte Begriffe in Bezug wie z.B. das Merkmal „wesentlicher Teil eines technischen Verfahrens“ (§ 44a UrhG). Auch derlei Konstruktionen lassen die Probleme normativer Tatbestandsmerkmale also kumuliert auftreten mit jenen der Blankettstrafgesetze. b) Verfassungsrechtliche Vorgaben als Rahmen Der gemeinsame Nenner aller Abgrenzungsansätze muss zwingend in den Vorgaben des Verfassungsrechts gesucht werden, insbesondere in Art. 103 Abs. 2 GG.337 Was die hier diskutierte Abgrenzung überhaupt erforderlich macht, ist doch die Tatsache, dass sich das Strafrecht angesichts der Verfassung in einem Rahmen „normhierarchisch höherrangiger Bedingungen“338 bewegt als jene zivilrechtlichen Vorschriften, um welche es bei der Inbezugnahme durch Blankettstrafvorschriften oftmals geht. Das Strafrecht unterliegt in der Tat „anderen Sachzwängen“339 als das Zivilrecht. Denn Art. 103 Abs. 2 GG und der im Wortlaut identische § 1 StGB stellen für jeden Straftatbestand folgende, essentielle Bedingung auf: Jedermann muss vorhersehen können, welches Verhalten verboten und deshalb mit Strafe bedroht ist,340 damit er „sein Verhalten entsprechend einrichten“341 kann. 335 Vgl. ausführlich Kapitel 3 § 3 C. I.; zu diesen Fragen ferner Hildebrandt, S. 265 f.; Lauer, S. 40 ff., 59; Rochlitz, S. 131 f. Fn. 117; U. Weber, S. 228 ff. 336 Vgl. zum Streitstand nur Hildebrandt, S. 255 ff. 337 Ebenso Bülte, JuS 2015, 769 (774), allerdings leicht missverständlich mit der Forderung, dass „die strafrechtsdogmatische Unterscheidung zwischen Blankett und normativem Tatbestandsmerkmal nicht über die Anwendung [Hervorhebung durch d. Verf.] von Art. 103 II GG […] entscheiden“ solle – korrekterweise sind die Vorgaben der Verfassung nie mehr oder weniger „anwendbar“, sondern schweben vielmehr als höchste Instanz über der gesamten Rechtsordnung. Ob sich ein „Baustein“ eines Gesetzes am Bestimmtheitsgebot messen lassen muss oder nicht, ist dementsprechend keine Frage der Anwendbarkeit von Verfassungsrecht. 338 Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 704 (707). 339 Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 704 (707). 340 Vgl. BVerfGE 25, 269 (285); BVerfGE 28, 175 (183); BVerfGE 41, 314 (319); BVerfGE 45, 364 (351); BVerfGE 64, 389 (393 f.); BVerfGE 73, 206 (234 f.); BVerfGE 75, 329 (341). 341 BVerfGE 41, 314 (319).
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Für Blankettstrafgesetze hat das Bundesverfassungsgericht in einer Vielzahl von Entscheidungen bestätigt, dass die Technik des Blanketts per se zwar nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstößt,342 dass aber sowohl die verweisende als auch die ausfüllende Norm jeweils dem Bestimmtheitsgrundsatz entsprechen müssen.343 Das bedeutet, dass erstens die verweisende Norm, also das Blankett, klar erkennbar machen muss, worauf sie Bezug nimmt, und die – den Tatbestand stellende – Ausfüllungsnorm ihrerseits klar erkennbar machen muss, welches Verhalten der Gesetzgeber unter Strafe stellen möchte.344 Anders verhält es sich in den Augen des BVerfG bei den Bezugsnormen normativer Tatbestandsmerkmale. Diese müssen ihrerseits gerade nicht dem Bestimmtheitsgebot entsprechen – woran deutlich wird, weswegen die Abgrenzung beider Kategorien aus der Perspektive des Grundgesetzes so hoch wiegt: Die Inbezugnahme über ein Blankett bringt wesentlich höhere Bestimmtheitsanforderungen mit sich als die Verweisung mittels eines normativen Tatbestandsmerkmals.345 Auf eine ausführliche Erörterung dieser Fragestellungen muss in der vorliegenden Arbeit indes verzichtet werden. Insofern soll auf die ausführliche Rechtsprechung sowie auf das umfangreiche Schrifttum verwiesen werden.346 Besonders deutlich wird das soeben skizzierte Spannungsverhältnis beziehungsweise die Diskrepanz im Zusammenhang mit Art. 103 Abs. 2 GG anhand eines verfassungsgerichtlichen Urteils zum baden-württembergischen Denkmalschutzgesetz (DSchG): § 23 DSchGBW ordnet in bestimmten Fällen einen Eigentumsübergang von Fundsachen zugunsten des Landes an, so etwa beim Fund eines herrenlosen beweglichen Kulturdenkmals von hervorragenden wissenschaftlichen Wert, das lange verschollen war. Es handelt sich also um eine Regelung von Eigentumsverhältnissen, die mithin im Rahmen der strafrechtlichen Vermögensdelikte beim Tatbestandsmerkmal der „fremden Sache“ Bedeutung erlangt.347 Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass es sich bei § 23 DSchGBW weder um eine Strafvorschrift noch um eine Norm handle, die zur Ausfüllung eines strafrechtlichen 342 BVerfGE 14, 245 (252); BVerfGE 48, 48 (55); BVerfGE 51, 60 (74); BVerfGE 75, 329 (342); BVerfGE 78, 205 (213). 343 BVerfGE 14, 245 (252); BVerfGE 41, 314 (319); BVerfGE 48, 48 (55); BVerfGE 51, 60 (74). 344 Vgl. in diesem Kontext jüngst die Entscheidung des BVerfG zur Unvereinbarkeit des § 10 Abs. 1 des Rindfleischetikettierungsgesetzes (RiFlEtikettG) mit dem Grundgesetz, BVerfG NJW 2016, 3648. 345 Kritisch hierzu Rönnau, ZStW 119 (2007), 887 (905). 346 Vgl. etwa LK-Dannecker, 12. Aufl., § 1 Rn. 148, 216; Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, 76. Lfg., Art. 103 Abs. 2 GG Rn. 199 ff.; Müller-Magdeburg, S. 16 ff.; Schönke/ Schröder-Eser/Hecker, Vor § 1 Rn. 3; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, § 5 Rn. 199 ff. 347 Gegenstand der Entscheidung BVerfGE 78, 205 war eine Unterschlagung nach § 246 StGB, wobei zur Verteidigung ein Irrtum über den Eigentumsübergang an das Land angeführt wurde.
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Blanketts bestimmt sei, und betont: „Sie braucht deshalb den nur für Strafgesetze geltenden Anforderungen der Art. 103 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG nicht zu entsprechen. Die §§ 242, 246 StGB und vergleichbare Strafvorschriften (z.B. § 249 StGB) sind keine Blankettstrafgesetze, die der Ausfüllung […] bedürften.“348 Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, dass die genannten Strafvorschriften zwar auf die Eigentumsordnung abstellten und dementsprechend einer Ausfüllung bedürften. Doch habe dies nicht zur Folge, dass „sämtliche gesetzlichen Vorschriften über die Eigentumsordnung dem auf das Strafrecht bezogenen Bestimmtheitsgebot […] gerecht werden müßten.“349 Insofern erscheint es nicht verfehlt, von einem Urteil mit weitreichendem Charakter zu sprechen. Der für die vorliegende Arbeit wohl interessanteste Hinweis des BVerfG im soeben zitierten Urteil ist zugleich dessen Schlussbemerkung, in welcher das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auf Folgendes hinweist: Es bestehe durch die zitierten Grundsätze kein Schutzdefizit, im Gegenteil seien Betroffene „bei Zweifeln über die Eigentumslage durch das strafrechtliche Vorsatzerfordernis [Hervorhebung durch d. Verf.] in ausreichendem Maße geschützt.“350 So liege doch ein nach § 16 StGB zu beurteilender Irrtum vor, wenn ein Handelnder den wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Wert einer Sache nach DSchGBW nicht erkenne. Ungeachtet der Frage, ob das BVerfG in dem geschilderten Fall mit seiner Einordnung der Fehlvorstellung als Tatumstandsirrtum Zustimmung verdient oder nicht, ist es jedenfalls bemerkenswert, welche richtungsweisende Bedeutung das Verfassungsgericht der Irrtumslehre beziehungsweise der Lehre vom Vorsatz in dem Komplex um normative- und Blankettmerkmale beimisst. Den Verbotsirrtum beziehungsweise „das Unrechtsbewusstsein“ spricht das BVerfG hingegen nicht an. c) Untaugliche Anknüpfungspunkte Zur Abgrenzung normativer Tatbestandsmerkmale von Blankettverweisungen haben sich in der Strafrechtswissenschaft zahlreiche Ansätze herausgebildet, die nicht immer zielführend sind.351 Insgesamt lässt sich von einer höchst streitigen Thematik sprechen, die bis heute keiner befriedigenden Lösung zugeführt werden konnte.352 Dabei wird die Berechtigung einer Abgrenzung an sich ebenso angezweifelt wie deren praktische Durchführbarkeit.353
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BVerfGE 78, 205 (213). BVerfGE 78, 205 (213). 350 BVerfGE 78, 205 (213). 351 Vgl. zu allen Abgrenzungskriterien die übersichtliche Darstellung bei Lauer, S. 45 ff.; ferner mit Blick auf die Rechtsprechung des BVerfG Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, § 5 Rn. 198. 352 Vgl. Enderle, S. 110 f.; Momsen/Grützner-Rotsch, Kapitel 1 B Rn. 17; Ransiek, JuS 2015, 769 (772). 349
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Ausscheiden müssen als Anknüpfungspunkte einer Unterscheidung jedenfalls die Aspekte der Ausfüllungsbedürftigkeit und des Verweisungscharakters eines Tatbestandsmerkmals – denn beide Aspekte kennzeichnen, wie bereits deutlich gemacht wurde, sowohl die Blankette als auch die normativen Tatbestandsmerkmale.354 353
Ebenso wenig lässt sich in diesem Kontext fruchtbar machen, dass Blankettstrafvorschriften – mit Binding – zwingend auf Akte fremder Rechtsetzungsinstanzen verweisen.355 Dies trifft nur auf „echte“ Blankettvorschriften zu, nicht hingegen auf die nach ganz überwiegender Ansicht gleichwohl existierenden „unechten“ Blankette, die innerhalb desselben Gesetzes quer verweisen oder auf eine Rechtsquelle derselben legislativen Instanz Bezug nehmen. Insofern wurde dieser Abgrenzungsansatz bereits auf Definitionsebene gewissermaßen „entwertet“. Auch eine allzu formalistische Betrachtungsweise nach dem Grad der Verweisungsdeutlichkeit führt im Ergebnis nicht weiter: So ist heute allgemein anerkannt, dass ein Blankett nicht bloß dann vorliegt, wenn die Verweisung auf einen anderen Rechtssatz ausdrücklich als solche erkennbar ist, also „sofort ins Auge fällt.“356 Vielmehr kann sich die Qualifikation als Blankettvorschrift unstreitig aus einem einzigen, für sich gesehen sinnvollen Wort als Tatbestandsmerkmal ergeben, sodass auch dann ein Blankett vorliegen kann, wenn rein „optisch“ das Vorliegen eines normativen Tatbestandsmerkmals näher zu liegen scheint. Andernfalls wäre es unmöglich, etwa das Merkmal „pflichtwidrig“ in zahlreichen Tatbeständen als Blankettverweisung zu qualifizieren, was jedoch oftmals der Fall ist.357 Eine Abgrenzung muss demzufolge zwingend nach materiellen Gesichtspunkten erfolgen.358 d) Die üblichen Kriterien einer Abgrenzung Es wurde bereits erwähnt, dass nur die Ausfüllungsnormen von Blankettstrafvorschriften ihrerseits dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen müssen, nicht hingegen die Vorschriften, die durch ein normatives Tatbestandsmerkmal in Bezug genommen werden.
353 Vgl. Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (460 f.); Müller-Magdeburg, S. 166 f., 173 ff.; Puppe, GA 1990, 145 (168 ff.); Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 103; Tiedemann, S. 388 ff.; ders., Wirtschaftsstrafrecht AT, § 5 Rn. 198. 354 Vgl. nur Puppe, GA 1990, 145 (163). 355 Vgl. bereits Kapitel 2 § 3 B. I. 3. a). 356 Lauer, S. 46. 357 Vgl. etwa BGHSt 3, 400 (402); BVerfG NJW 2011, 3778 (3779); Lackner/Kühl, § 315a Rn. 3a; Müko-StGB-Schmitz/Wulf, 2. Aufl., § 370 AO Rn. 17, 284; NK-Puppe, § 16 Rn. 61; zur Gegenansicht bzgl. § 266 StGB nur Rönnau, ZStW 119 (2007), 887 (904 f.); ferner Leite, GA 2015, 517 (527 ff.) – „Gemischtes Blankett- und tatbewertendes Merkmal.“ 358 Vgl. Backes, S. 118 f.; Enderle, S. 110; KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 28.
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Gleichermaßen müsste sich jede Abgrenzung an dieser Aussage umgekehrt überprüfen lassen: Sofern eine Strafvorschrift isoliert betrachtet, sprich ohne die ausfüllende Rechtsnorm, ihrerseits nicht Art. 103 Abs. 2 GG genügt, kann es sich bei dem verweisenden „Element“ nicht um ein normatives Tatbestandsmerkmal handeln. Insofern bedarf es denklogisch einer weitergehenden Ausfüllung durch eine Rechtsvorschrift, die ihrerseits dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot entsprechen muss, damit ein hinreichend bestimmter „Gesamttatbestand“ vorliegt – es liegt dann ein Blankett vor. Andererseits müsste es sich bei einem verweisenden „Element“ eines Tatbestandes immer dann um ein normatives Tatbestandsmerkmal handeln, wenn den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots bereits durch den Straftatbestand selbst genüge getan ist: Sofern jedermann vorhersehen kann, welches Verhalten durch den Tatbestand mit Strafe bedroht wird, bedarf es nach den skizzierten Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts schlichtweg keiner Ausfüllungsnorm mehr, die ihrerseits dem Bestimmtheitsgrundsatz gerecht werden muss. Es liegt dann ein hinreichend bestimmter „Gesamttatbestand“ vor, der ein normatives Merkmal enthält. Die Strafvorschrift des § 242 StGB beispielsweise zeigt dem Bürger hinreichend deutlich auf, welches Verhalten unter Strafe gestellt ist, obwohl für die Beurteilung der Fremdheit einer Sache strenggenommen die zivilrechtliche Eigentumsordnung bedient werden muss. Es müsste sich beim Merkmal „fremd“ also um ein normatives Tatbestandsmerkmal handeln – und nicht um eine Blankettverweisung auf die das Eigentum regelnden Vorschriften. Als Gegenbeispiel lässt sich das Tatbestandsmerkmal „in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen“ in § 106 UrhG anführen: Ohne die Lektüre dieser Fälle ist ein Normadressat nicht dazu in der Lage herauszufinden, ob ein gewisses Verhalten nun strafbar ist oder nicht. Es müsste sich bei der Verweisung also um ein Blankett handeln – und nicht um ein normatives Tatbestandsmerkmal. Dass sich aus dem zuletzt Gesagten ein Zirkelschluss konstruieren lässt, liegt freilich auf der Hand. Allerdings sollte angesichts des hohen Grades an Abstraktion, welcher der vorliegend diskutierten Abgrenzung innewohnt, nicht aus den Augen verloren werden, worum es eigentlich geht: Es geht um die Frage, ob eine Strafvorschrift, die dem Bürger nicht selbst vollumfänglich anzeigt was sie unter Strafe stellt, dennoch einen hinreichend bestimmten Tatbestand enthält. Erst dann, wenn der objektive Tatbestand eines Delikts hinreichend bestimmt ist, kann überhaupt die Frage gestellt werden, worauf sich das Vorsatzwissen eines Täters bei der wie auch immer „zusammengesetzten“ Strafvorschrift beziehen muss, denn: Wie bereits ausgeführt wurde, muss das Strafrecht dem Bürger deutlich machen, was unter Strafe steht. Nur dann kann der Täter überhaupt etwas wie „Vorsatz“ und „Unrechtsbewusstsein“ besitzen beziehungsweise bilden. Deshalb ist die Frage nach den Bedingungen für die Verfassungsmäßigkeit einer Verweisung dem gesamten Komplex um das geforderte Vorsatzwissen zwingend vorgelagert. Die Notwendigkeit, überhaupt eine Abgrenzung zu treffen, ist damit allerdings noch nicht belegt.
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Im Schrifttum scheint weitestgehend Einigkeit zu herrschen, dass die Grenze im Ergebnis dort verläuft, wo statt der Merkmale der Ausfüllungsnorm (dann Blankett) nur deren Rechtsfolge in das Blankett einbezogen wird (dann normatives Tatbestandsmerkmal).359 Hier lässt sich wiederum der Diebstahl (§ 242 StGB) als Beispiel anführen: Nach dem hier dargestellten Verständnis wird über das Merkmal „fremde Sache“ nicht etwa die gesamte Eigentumsordnung des Zivilrechts in Bezug genommen, sondern nur deren „Ergebnis“. Die Verweisung bezieht sich nur auf die Aussage, wann eine Sache fremd ist – nicht auf die Regeln, aus denen die Fremdheit resultiert. Verweist ein Straftatbestand auf eine andere Vorschrift, so soll stets nur dann ein Blankett vorliegen, wenn die Verweisung auf die ausfüllenden Normen selbst Bezug nimmt, sich also deren Merkmale als Tatbestandsmerkmale zu eigen macht.360 Sofern ein Tatbestandsmerkmal nur auf Rechtsfolgen anderer Gesetze Bezug nimmt, so liegt laut Puppe bereits eine in sich stimmige und sinnvolle strafrechtliche Bestimmung vor.361 Mit „Rechtsfolgen“ sind hierbei Rechtsverhältnisse gemeint, also beispielsweise das Bestehen eines Eigentumsrechts als Ergebnis einer Anwendung der Eigentumsordnung (immer einschlägig beim Merkmal „fremd“),362 das Bestehen eines Jagdrechts als Resultat einer Auswertung der landesrechtlichen Jagdvorschriften363 oder das Bestehen anderer, im Tatbestand als solche bezeichneter Rechte wie Pfand-, Nießbrauch-, Gebrauchs- oder Zurückbehaltungsrechte (§ 289 StGB).364 Bei Rudolphi/Stein wird in einem anderen Zusammenhang (bei den später zu erörternden Vorsatzerfordernissen) besonders deutlich, was die Inbezugnahmen anderer Normen mittels normativer Tatbestandsmerkmale im Gegensatz zum Blankett charakterisiert: Die in Bezug genommenen Rechtsverhältnisse sind „[ihrem] Inhalt nach praktisch jedermann geläufig“,365 wenngleich dies auch nicht zutrifft auf deren „manchmal recht kompliziert geregelte Entstehungsbedingungen“.366 Das bedeutet, dass bereits dem verweisenden Element des Tatbestandes selbst, also dem normativen Merkmal, gleichsam ein Sinn entnehmbar ist. Es stellt keine andere Abgrenzungsmethode dar, wenn andernorts danach differenziert wird, ob eine Ausfüllungsnorm bereits bemüht werden muss, um einen vollständigen Tatbestand zu erhalten (dann Blankett), oder ob die Verweisung lediglich zu Zwecken der Auslegung erfolgt (dann normatives Tatbestandsmerk359 Vgl. Achenbach/Ransiek/Rönnau-Ransiek, Teil 8 Kapitel 1 Rn. 11; Lauer, S. 48 ff.; LK-Dannecker, 12. Aufl., § 1 Rn. 149; NK-Puppe, § 16 Rn. 21 ff.; dies., GA 1990, 145 (163); Roxin, AT I, § 5 Rn. 40; Schlüchter, S. 23 f.; SK-Rudolphi/Stein, 8. Aufl., 148. Lfg., § 16 Rn. 19; ähnlich Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Bosch, § 15 Rn. 103. 360 Vgl. Lauer, S. 48. 361 NK-Puppe, § 16 Rn. 21. 362 Vgl. NK-Puppe, § 16 Rn. 21; SK-Rudolphi/Stein, 8. Aufl., 148. Lfg., § 16 Rn. 19. 363 Vgl. NK-Puppe, § 16 Rn. 21; SK-Rudolphi/Stein, 8. Aufl., 148. Lfg., § 16 Rn. 19. 364 Vgl. SK-Rudolphi/Stein, 8. Aufl., 148. Lfg., § 16 Rn. 19. 365 SK-Rudolphi/Stein, 8. Aufl., 148. Lfg., § 16 Rn. 19. 366 SK-Rudolphi/Stein, 8. Aufl., 148. Lfg., § 16 Rn. 19.
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mal).367 Hierdurch ist genau dasselbe gesagt, wie durch die soeben erörterte Abgrenzung: Denn wenn es bei normativen Merkmalen des Tatbestandes – mit dem zuvor erörterten „Abgrenzungskompass“ – darum gehen soll, Rechtsverhältnisse in Bezug zu nehmen, so erfolgt diese Inbezugnahme zwangsläufig immer nur zur Auslegung eines Merkmals – denn der Tatbestand ist dann als solcher bereits „vollständig“. Dieselbe Abgrenzung nimmt, lediglich unter Verwendung einer abweichenden Terminologie, Rengier vor: Entscheidend sei, ob es sich bei der verweisenden Norm um „eine in sich geschlossene Tatbestandsbeschreibung handelt, welche die Unrechtsmaterie […] vollständig umfasst“ (dann normatives Tatbestandsmerkmal) oder die Verweisungsnorm „dagegen so lückenhaft [ist], dass das tatbestandliche Ge- oder Verbot erst mit Hilfe der Ausfüllungsnorm begründet werden kann“ (dann Blankett).368 Diese Herangehensweise lässt sich – mit Rochlitz – folgendermaßen veranschaulichen: Beim Blankettstraftatbestand muss sich der Richter nicht fragen: „Wie bewerte ich dies, sondern lediglich: In welcher Norm finde ich die ergänzenden Tatbestandsmerkmale.“369 An dieser Stelle sollte allerdings betont werden, dass die Feststellung von Tatsachen durch einen Richter freilich keine Wertung darstellt, weswegen insofern der Begriff „Auslegung“ vorzugswürdig wäre. Im Kern dürfte bei Rochlitz jedoch dasjenige gemeint sein, was auch Rengier mit seinem Unterscheidungskriterium schwerpunktmäßig ausdrücken möchte. Eine ähnliche Sichtweise offenbart sich bei Sternberg-Lieben/Schuster mit der Aussage, dass es beim normativen Tatbestandsmerkmal um die „bewusste Miss achtung eines Regelungseffekts […], welcher in der sozialen Wirklichkeit ein eigenständiges Dasein führt“,370 geht. Eine solche, bewusste Missachtung, kann nur in Bezug auf ein Tatbestandsmerkmal (als Gesetz gewordener Regelungseffekt) angenommen werden, wenn dieses in sich schlüssig und hinreichend bestimmt ist. Insofern dient der Blick in die ausfüllenden Normen in diesen Fällen lediglich zur Klärung definitorischer Fragen, also von Fragen der Auslegung. Gewissermaßen als „Paradebeispiel“ lässt sich insofern wiederum die „Fremdheit“ der Sache (etwa §§ 242, 246 StGB) anführen:371 Dass es sich bei einem bestimmten Gegenstand eines Lebenssachverhalts um eine fremde Sache handelt, ist ein Regelungseffekt der Eigentumsordnung. Wie die Sache etwa nach dem Regime der §§ 903 ff. BGB oder anderweitig zu Eigentum wird, ist für die Fremdheit im Sinne des Strafrechts irrelevant – es geht einzig und allein um das Ergebnis.
367 AnwK-StGB-Schaefer, § 15 Rn. 27; Schlüchter, S. 23 f.; vgl. auch Roxin, AT I, § 5 Rn. 40, der zwischen einer Verweisung auf „Strafbarkeitsvoraussetzungen“ einerseits (Blankett) und dem Anschluss an „Begriffsbildungen anderer Rechtsgebiete“ andererseits (normatives Tatbestandsmerkmal) unterscheidet. 368 KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 28. 369 Rochlitz, S. 132. 370 Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Bosch, § 15 Rn. 103. 371 Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Bosch, § 15 Rn. 103.
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Tiedemann möchte zur Abgrenzung danach fragen, ob das verweisende Merkmal eines Tatbestandes das Schutzobjekt des Straftatbestandes selbst bezeichnet (dann normatives Tatbestandsmerkmal).372 Dies soll etwa beim Merkmal der Unterhaltspflicht in § 170 StGB oder auch bei der Fremdheit einer Sache innerhalb der Vermögensdelikte des StGB der Fall sein: Diese Merkmale sollen „dem Schutz des außerstrafrechtlichen Rechtsinstitutes“ dienen, also der Eigentumsordnung oder der Unterhaltspflicht etc.373 Dabei knüpfe die strafrechtliche Regelung an dieses Rechtsinstitut an, ohne dessen Beschreibung „zu einer strafrechtlichen zu machen.“374 Dannecker ergänzt diese Abgrenzungstheorie um den Aspekt, dass die Strafbestimmungen in diesen Fällen den Tatbestand inhaltlich selbst gestalten würden, „also vollständig“ seien, „selbst wenn sich einzelne Rechtsbegriffe aus anderen Rechtsteilen ergeben, deren ursprüngliche Auslegung sich die Strafnorm zu eigen macht.“375 Ähnliche Kriterien stellt Roxin auf, indem er normative Tatbestandsmerkmale im Gegensatz zu Blankettverweisungen dadurch gekennzeichnet sieht, dass erstgenannte sich „an Begriffsbildungen anderer Rechtsgebiete“ anschließen.376 Bei Blankettvorschriften hingegen handle es sich um einen Verweis „hinsichtlich der Strafbarkeitsvoraussetzungen“.377 e) Zwischenergebnis Bülte kann nur zugestimmt werden mit der Aussage, dass sich aus den gängigen Abgrenzungskriterien nicht mehr als eine „Faustformel“ ableiten lässt.378 Die angeführten Leitlinien zur Abgrenzung von normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettverweisungen zeigen, dass innerhalb der Wissenschaft zumindest grundsätzlich ein Konsens herrscht, wenn es um die Frage geht, wann ein Strafgesetz als Blankett zu qualifizieren ist. Dies darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die angeführten Theorien gewiss keine zuverlässige, trennscharfe Abgrenzung ermöglichen379 und zudem bezüglich zahlreicher Verweisungen trotz vermeintlichen Konsenses unterschiedliche Meinungen vertreten werden.380 372 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, § 5 Rn. 205; zustimmend LK-Dannecker, 12. Aufl., § 1 Rn. 149. 373 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, § 5 Rn. 205. 374 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, § 5 Rn. 205. 375 LK-Dannecker, 12. Aufl., § 1 Rn. 149. 376 Roxin, AT I, § 5 Rn. 40. 377 Roxin, AT I, § 5 Rn. 40. 378 Bülte, JuS 2015, 769 (774). 379 Vgl. erneut Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (460 f.); Müller-Magdeburg, S. 166 f., 173 ff.; Puppe, GA 1990, 145 (168 ff.); Tiedemann, S. 388 ff.; ders., Wirtschaftsstrafrecht AT, § 5 Rn. 198. 380 Vgl. zum Merkmal „in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen“ des § 106 UrhG Hildebrandt, S. 265 f.; Lauer, S. 40 ff., 59; Rochlitz, S. 131 f. Fn. 117; U. Weber, S. 228 ff.
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Insbesondere fällt auf, dass die Argumentation in jenen Fragen allzu oft die Gefahr von Zirkelschlüssen birgt: So wird einerseits bereits verfassungsrechtlich vorausgesetzt, dass eine Strafvorschrift hinreichend bestimmt ist, um überhaupt den Vorsatz begründen zu können – andererseits wird jedoch regelmäßig mit dem Vorsatz selbst argumentiert, um zu begründen, dass es sich bei einer Strafnorm um ein Blankett handeln müsse oder nicht. Besonders deutlich wird dies im Kontext von § 370 AO bei Backes: „Muß der Täter einen Rechtsverweisungsbegriff vollinhaltlich erfassen, also auch die in Bezug genommenen Rechtsvorschriften kennen […], so liegt ein normatives Tatbestandsmerkmal vor. Genügt es dagegen, daß der Täter die Tatbestandsmerkmale der in Bezug genommenen Rechtsvorschriften kennt, um vorsätzlich zu handeln, so ist ein Blankettstrafgesetz gegeben.“381 Diese Herangehensweise erscheint wenig zielführend. Die hierdurch zusätzlich bestätigte Konfusion belegt jedenfalls, dass schon die Möglichkeit einer Abgrenzung vollkommen zu Recht angezweifelt wird. Untermauern lässt sich dieses Ergebnis exemplarisch anhand des breiten Meinungsspektrums bezüglich § 370 AO, welcher gewissermaßen dasjenige Blankett ist, das auch in der Praxis das größte Konfliktpotenzial birgt – und deswegen auch Eingang in die höchstrichterliche Rechtsprechung gefunden hat. Die Vorschrift stellt ausweislich ihrer amtlichen Überschrift die „Steuerhinterziehung“ unter Strafe und beinhaltet ein fein justiertes Normgefüge mit mehreren Absätzen und Nummern, das wiederum zahlreiche unterschiedliche Handlungen unter Strafe stellt. Ausdrückliche Blankettverweisungen beinhaltet die Vorschrift nicht, sondern verweist lediglich mittels grundsätzlich sinnhaltiger Rechtsbegriffe auf andere steuerrechtliche Normen (beispielsweise: „steuererhebliche Tatsachen“, „pflichtwidrig“, „Steuerzeichen“, „Steuern verkürzen“). Die Vorschrift wird teilweise umfassend als Blankettverweisung begriffen,382 andererseits wird dies abgelehnt und § 370 AO stattdessen als „hochgradig normativ bestimmter Tatbestand“ bezeichnet.383 Wiederum andernorts herrscht das Verständnis, dass es sich um einen „gemischten“ Tatbestand handle, der beide Verweisungstechniken gebrauche.384 Jedenfalls mit Blick auf die Terminologie lässt sich bezüglich § 370 AO durchaus von einer konfusen Lage sprechen. Ob die vertretenen Ansichten im Einzelnen nichtsdestotrotz zu ähnlichen Ergebnissen gelangen, ist freilich eine Frage, deren Klärung steuerrechtlichen Arbeiten vorbehalten sein sollte und vorliegend nicht vertieft werden 381 Backes, S. 119; vgl. in diesem Zusammenhang auch Enderle, S. 110 – mit der Vermutung, dass die Rechtsprechung ihre Abgrenzung „nach den gewünschten Rechtsfolgen“ vornehme, also nach „der Behandlung des Irrtums als vorsatzausschließend oder als lediglich schuldrelevant.“ 382 Vgl. etwa BVerfGE 37, 201 (206 ff.); BVerfG NJW 2011, 3778 (3779); BGHSt 34, 272 (282); BGHSt 47, 138 (143); BGHSt 53, 45 (53); Erbs/Kohlhaas-Hadamitzky/Senge, 208. Lfg., § 370 AO Rn. 1; Harms, NStZ-RR 1998, 97 (97); Klein-Jäger, § 370 Rn. 5 ff.; offenlassend wohl Ransiek, wistra 2012, 365 ff. 383 LK-Dannecker, 12. Aufl., § 1 Rn. 149. 384 Vgl. Backes, S. 152 ff.; Müko-StGB-Schmitz/Wulf, 2. Aufl., § 370 AO Rn.13 ff.
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kann. Allerdings sind Rückschlüsse auf die Vorgehensweise im Urheberstrafrecht unstreitig möglich – und auch geboten. Fraglich bleibt, wie eine Abgrenzung von Blankettverweisungen und normativen Tatbestandsmerkmalen am besten vorgenommen werden kann. Wie erwähnt wurde, liefern die vorhandenen Abgrenzungsmethoden allenfalls eine grobe „Faustformel“, die keine exakte Grenzziehung ermöglicht. Dies kann keinesfalls befriedigen. Aus diesem Grunde soll an dieser Stelle bewusst auf eine Entscheidung zugunsten einer der genannten Methoden verzichtet werden. Weil, was ebenfalls bereits erläutert wurde,385 eine Abgrenzung von Blanketten und normativen Tatbestandsmerkmalen darüber hinaus ohnehin nur von akademischem Interesse ist, wenn die beiden Kategorien bei der Prüfung des subjektiven Tatbestandes keine unterschiedliche Behandlung erfahren, erscheint eine Entscheidung sogar als obsolet, solange nicht alle Irrtumsfragen geklärt sind – was im Verlauf der folgenden Ausführungen geschieht. II. Exkurs: Auslegungsfragen und Relativität der Rechtsbegriffe Gesetzliche Verweisungen, also Inbezugnahmen von extern normierten Begriffen, wie sie normative Tatbestandsmerkmale oder Blankettvorschriften enthalten, bringen zwangsläufig Auslegungsfragen mit sich. Dieser Umstand stellt insbesondere das Strafrecht vor Probleme, das bekanntlich unter dem Regime des Gesetzlichkeitsprinzips steht („nulla poena sine lege“, § 1 StGB) – wodurch der Auslegung im Strafrecht jedenfalls dort Grenzen gesteckt sind, wo ein Terminus zulasten des Täters ausgelegt werden soll (Analogieverbot).386 Vor allem dort, wo strafrechtliche Tatbestände Regelungen anderer Rechtsgebiete in Bezug nehmen, ist oftmals fraglich, ob die außerstrafrechtlichen Begrifflichkeiten identisch zu übernehmen sind oder ob diesen im strafrechtlichen Kontext eine andere Bedeutung zukommt. Anders herum formuliert, muss gefragt werden: Können dieselben Worte in verschiedenen Gesetzen etwas Verschiedenes bedeuten?387 Genau diese Frage wird durch die Rechtswissenschaft unter dem Stichwort der Relativität von Rechtsbegriffen erörtert und ist für die vorliegende Arbeit von nicht zu unterschätzender Bedeutung, denn die §§ 106 ff. UrhG verweisen umfassend auf das Urheberzivilrecht.388 Weil zudem das Vorsatzwissen des Täters als – wie auch immer geartete – „Kenntnis von Umständen“ denklogisch (irgend-) ein Verständnis von den einzelnen Tatbestandsmerkmalen voraussetzt, ist insoweit auch ein Bezug zur Irrtumslehre evident.
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Kapitel 2 § 3 B. I. 4. a). dazu etwa Heinrich, AT, Rn. 35 f.; Roxin, AT I, § 5 Rn. 8 ff., 26 ff.; Schönke/ Schröder-Eser/Hecker, § 1 Rn. 25 ff. 387 Vgl. Engisch, Relativität, S. 68. 388 Vgl. zur Zivilrechts-Akzessorietät des Urheberstrafrechts bereits Kapitel 1 § 1 B. 386 Vgl.
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1. Allgemeines zur Auslegung von Rechtsbegriffen Jeder Begriff, den ein Gesetz verwendet, ist in irgendeiner Weise (mehr oder weniger) mehrdeutig.389 Dies wirft die Frage auf, welcher Sinn eines Begriffes zugrunde zu legen ist, wenn sich mehrere Auslegungsmöglichkeiten eröffnen, vor allem wenn sich diese im Ergebnis unterschiedlich auf die Strafbarkeit auswirken. Die äußerste Grenze der Auslegung ist im Strafrecht durch das Analogieverbot gesteckt. Allerdings bleibt die Frage offen, wie unterhalb der Schwelle der unzulässigen Analogie dem verfassungsrechtlich verankerten Bestimmtheitsgebot entsprochen werden kann, wenn einem Rechtsbegriff mehrerlei Bedeutungen innewohnen. Ist es in diesen Fällen überhaupt jemals möglich, mit dem Bundesverfassungsgericht davon zu sprechen, dass anhand der betreffenden Strafvorschrift „jedermann“ vorhersehen könne, welches Verhalten mit Strafe bedroht ist? U. Weber sieht in der Auslegung von Tatbeständen, die er als „Entfaltung der Begriffsbedeutung“ begreift,390 die Hauptaufgabe eines Juristen. Die Zahl von Lücken im Strafrecht sei „unendlich groß“, was U. Weber keinesfalls als Nachteil begreift und stattdessen hervorhebt, dass es sich beim Strafrecht um ein „gewachsenes Recht“ handle, dessen systematische Konzeption in der Vergangenheit ebenso gescheitert sei, wie sie künftig wohl scheitern werde.391 Sofern sich hieraus Strafbarkeitslücken ergeben sollten, müsse man sich auf die „Notwendigkeit der Rechtssicherheit besinnen“ und sich ferner damit trösten, dass „selbst bei Ausschöpfung der Analogiemöglichkeit immer noch neue Fälle auftreten würden, die zwar gleich strafwürdig erschienen, bei denen aber das Gesetz auch nicht den leisesten Anhalt mehr [für eine Bestrafung] böte.“392 Unter Zugrundelegung dieser Auffassung ist die Unvollständigkeit des Strafrechts also vielmehr dessen Trumpf statt dessen Problem, was sich auch dadurch bestätigen lässt, dass U. Weber ausdrücklich für einen „Abbau“ des Strafrechts plädiert, statt für dessen Ausdehnung.393 Um die Bedeutung gesetzlicher Begriffe festzustellen, werden (auch) im Strafrecht in aller Regel die folgenden Methoden bedient:394 Das Merkmal wird in Hinblick auf das geschützte Rechtsgut des Tatbestandes untersucht (teleologische Auslegungsmethode), es wird anhand seiner systematischen Stellung innerhalb 389 Vgl. LK-Dannecker, 12. Aufl., § 1 Rn. 291; NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 20; Roxin, AT I, § 5 Rn. 27; vgl. auch Kirsch, S. 126 – mit der Aussage, die semantische Eindeutigkeit sei eine „eher selten anzutreffende Ausnahme.“ Eindeutig seien im Grunde nur „numerische, eindeutig relationale Merkmale sowie logische Verknüpfungen.“ 390 Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 9 Rn. 58. 391 Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 9 Rn. 96. 392 Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 9 Rn. 96. 393 Vgl. Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 9 Rn. 97. 394 Insoweit ist die Rede vom „klassischen Kanon“ der Auslegungsmethoden, vgl. dazu Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 319 ff.; Pawlowski, Methodenlehre, 3. Aufl. 1999, Rn. 360 ff.; Rengier, AT, § 5 Rn. 4.
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des Gesetzes ausgelegt, wobei versucht wird, Rückschlüsse aus den benachbarten Vorschriften zu ziehen (systematische Methode), es wird mit Blick auf seine Geschichte, also insbesondere den ursprünglichen gesetzgeberischen Willen untersucht (historische Methode) und – vor allem – mit besonderem Fokus auf seinen Wortlaut inspiziert, also mit Blick auf den allgemeinen, umgangssprachlichen- sowie in Bezug auf den juristischen Sprachgebrauch (grammatikalische Methode).395 Allein die Existenz mehrerer Auslegungsmethoden wirft schon die Frage auf, ob unter ihnen ein Vorrangverhältnis besteht, das im Kollisionsfall eingreift. Ein grundsätzlicher Vorrang einer Auslegungsmethode im Verhältnis zur anderen ist allerdings nicht auszumachen,396 vielmehr „sind alle Methoden gleichwertig und in ihrer Gesamtheit, also nicht vereinzelt, zu sehen.“397 Jedoch ist nicht zu leugnen, dass bezüglich der Auslegungscanones eine „Meta-Ebene“398 hilfreich wäre, um zu verhindern, dass eine Kollision im Einzelfall „zur Entscheidungsunfähigkeit oder zu einer willkürlichen Auslegung [führt], weil der Rechtsanwender sich für die Regel entscheidet, die ihm das als am passendsten empfundene Ergebnis liefert.“399 Eine „unantastbare“ Kollisionsregel zu definieren, ist bis heute zwar nicht gelungen und kann auch in der vorliegenden Arbeit nicht gefunden werden. Allerdings hat sich in der Rechtsprechung und Wissenschaft folgendes Vorgehen etabliert:400 Im ersten Schritt wird der Wortlaut – als äußerste Grenze der Auslegung – untersucht, also eine grammatikalische Interpretation des Begriffs vorgenommen. Diese Auslegung ist zwingend: Wird der Wortlaut überschritten, so kann nicht etwa mithilfe der anderen Auslegungsmethoden eine Art „Korrektur“ vorgenommen werden. Ist die Wortlautgrenze also gewahrt, so wird der auszulegende Begriff, soweit Unklarheiten verbleiben oder unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten existieren, sodann mithilfe der systematischen, der teleologischen und der historischen Methodik ausgelegt.
395 Vgl. Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 9 Rn. 6 ff.; Heinrich, AT, Rn. 140 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 17 IV 1; LK-Dannecker, 12. Aufl., § 1 Rn. 299 ff.; Rengier, AT, § 5 Rn. 1 ff. 396 LK-Dannecker, 12. Aufl., § 1 Rn. 350 ff.; Pawlowski, Methodenlehre, 3. Aufl. 1999, Rn. 7; Rengier, AT, § 5 Rn. 22; Satzger/Schluckebier/Widmaier-Satzger, § 1 Rn. 54; Schönke/Schröder-Eser/Hecker, § 1 Rn. 36. 397 Rengier, AT, § 5 Rn. 22. 398 Müko-StGB-Schmitz, 2. Aufl., § 1 Rn. 90. 399 Müko-StGB-Schmitz, 2. Aufl., § 1 Rn. 90; vgl. auch LK-Dannecker, 12. Aufl., § 1 Rn. 350. 400 Vgl. BVerfG NJW 2007, 1666 (1667); BGHSt 14, 116 (118); BGHSt 29, 204 (206); Demko, S. 117 ff.; LK-Dannecker, 12. Aufl., § 1 Rn. 294, 300 ff.; Müko-StGB-Schmitz, 2. Aufl., § 1 Rn. 91; Rengier, AT, § 5 Rn. 22; Schönke/Schröder-Eser/Hecker, § 1 Rn. 36 ff.; a.A. Jescheck/Weigend, AT, § 17 IV 2 und zustimmend SK-Rudolphi/Jäger, 8. Aufl., 148. Lfg., § 1 Rn. 34h – mit der Auffassung, die teleologische Auslegungsmethode genieße den Vorrang.
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Wichtig zu betonen ist, dass grundsätzlich jeder durch das Gesetz verwandte Begriff einer Auslegung bedarf, wohingegen die Analogie zulasten des Täters von Verfassungs wegen ein nicht gangbares Mittel ist, das über die gebotene Auslegung eines Begriffes hinausgeht. Eine Analogie zugunsten des Täters bleibt hingegen im Rahmen gebotener Auslegung möglich.401 Der Begriff „Analogie“ wird im strafrechtlichen Kontext nicht bloß im klassischen, ausschließlich rechtstechnischen Sinne verstanden – also nicht ausschließlich im Sinne einer Übertragung von rechtlichen Regeln auf gesetzlich nicht geregelte Fälle im Wege des Ähnlichkeitsschlusses.402 Vielmehr umfasst das strafrechtliche Analogieverbot nach gängiger Auffassung jede Rechtsanwendung, die über den Inhalt der gesetzlichen Sanktionsnorm oder über deren mögliche Auslegung hinausgeht – weswegen sich das Verbot auch auf eine Auslegung erstreckt, die den Straftatbestand (bloß) seiner Vorhersehbarkeit beraubt.403 Damit geht der Begriff des Analogieverbots wesentlich über den „technischen Wortsinn“ einer Analogie hinaus und regelt dementsprechend für das Strafrecht umfassend Fälle von Verstößen gegen verfassungsrechtliche Grundsätze.404 2. Die Relativität von Rechtsbegriffen Die vorstehenden Ausführungen zur Auslegung beanspruchen allgemeine Gültigkeit und haben für sich dementsprechend noch nicht zwingend etwas mit der Relativität der Rechtsbegriffe zu tun. Aus ihnen lässt sich noch kein Hinweis darauf entnehmen, ob Rechtsbegriffe nun absolut in ihrem Bedeutungsgehalt sind, oder ob sie tatsächlich einen relativen Bedeutungsgehalt haben können, also in unterschiedlichem Kontext auch unterschiedlich ausgelegt werden können. Dieser Thematik widmen sich die folgenden Ausführungen. Vorab sei angemerkt, dass schon der Begriff „Relativität“ selbst durchaus unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten zulässt,405 worauf allerdings nicht im Detail eingegangen werden soll. Vorliegend bedeutet „Relativität“ das Folgende: Wenn Begriffen unterschiedliche Bedeutungen zukommen können, so sind diese mehrdeutig,406 sprich sie sind „relativ“, also „elastisch“407 bezüglich mehrerer denkbarer Deutungsmöglichkeiten. Ausschließlich bezogen auf diese Mehrdeutigkeit ist auch die Theorie der Relativität von Rechtsbegriffen zu verstehen. 401 Vgl. Heinrich, AT, Rn. 136 ff.; LK-Dannecker, 12. Aufl., § 1 Rn. 246; Rengier, § 4 Rn. 33 ff. 402 Vgl. AnwK-StGB-Gaede, § 1 Rn. 28; LK-Dannecker, 12. Aufl., § 1 Rn. 244. 403 BVerfGE 71, 108 (115); BVerfGE 92, 1 (12); BVerfG NJW 2008, 3627 (3627); AnwK-StGB-Gaede, § 1 Rn. 28; LK-Dannecker, 12. Aufl., § 1 Rn. 245. 404 Vgl. nur BVerfGE 71, 108 (114 ff.). 405 Vgl. dazu nur Engisch, Relativität, S. 65 ff. 406 Vgl. Engisch, Relativität, S. 68. 407 Vgl. Engisch, Relativität, S. 68.
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Die Frage nach einer möglichen Relativität von Rechtsbegriffen kann in mehreren Varianten auftreten, je nach Standort (beziehungsweise den Standorten) des Begriffs. Insoweit muss unterschieden werden zwischen der Konstellation, dass ein Begriff innerhalb desselben Rechtsgebietes mehrfach Verwendung findet („innerstrafrechtliche Relativität“) und der Konstellation, dass etwa ein zivilrechtlicher Terminus durch das Strafrecht aufgegriffen wird („intradisziplinäre Relativität“).408 Für die vorliegende Arbeit von Bedeutung ist ausschließlich die intradisziplinäre Relativität, denn die §§ 106 ff. UrhG verweisen auf Begriffe innerhalb der Vorschriften des Urheberzivilrechts. Ein Bedürfnis, die mehrfach verwandten Begriffe innerhalb der urheberrechtlichen Strafvorschriften (etwa „Werk“ oder „Urheber“) unterschiedlich auszulegen, ist ersichtlich nicht gegeben. Jedoch zeigt sich am Urheberrecht eine weiterhin denkbare Kategorie: die intradisziplinäre Relativität innerhalb ein und desselben Gesetzes, welche sich dann wiederum als eine Art „Feuerprobe“ der Zivilrechts- oder anderweitigen Akzessorietät herausstellt: Denn eine intradisziplinäre Relativität durchbricht notwendigerweise eine Akzessorietät. Es herrscht Klarheit, dass jedenfalls eine Identität von juristischen Begriffen in deren Bedeutungsgehalt und dem begrifflichen Verständnis innerhalb der Gesellschaft nicht herstellbar ist.409 Nichtsdestotrotz ist die Umgangssprachlichkeit eine wichtige Bezugsgröße: So wird „der Rahmen durch den möglichen umgangssprachlichen Wortsinn des Gesetzestextes abgesteckt.“410 Dies deckt sich mit der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, wonach der mögliche Wortsinn als „äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation“411 aus der „Sicht des Bürgers“412 zu bestimmen sei. Wirklich gewonnen für die Frage nach der Zulässigkeit einer relativen Interpretation von Begriffen ist damit allerdings noch nichts. Zutreffend stellt Demko fest, dass sowohl die Umgangssprache als auch ein spezieller Fachsprachgebrauch stets nur „einen ersten Indizcharakter für die betreffende konkrete Wortbedeutung haben.“413 Nach dem bislang Gesagten konsequent, betont Engisch, es sei „falsch, aus der Übereinstimmung des gesetzlichen Sprachgebrauchs mit dem alltäglichen Sprachgebrauch sichere Schlüsse auf die Bedeutung der Rechtsbegriffe ableiten zu wollen.“414 Diese Aussage verdient Zustimmung, was sich anhand eines urheberrechtlichen Terminus belegen lässt: Dass vom Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ auch das Recht eines drahtlosen oder drahtgebundenen Bereitstellens von Medieninhalten über das Internet erfasst sein soll (§§ 15 Abs. 2 S. 2 Nr. 2; 19a UrhG), Heinrich, Amtsträgerbegriff, S. 164, 201 ff. Vgl. nur Engisch, Relativität, S. 69. 410 Roxin, AT I, § 5 Rn. 28. 411 BVerfGE 71, 108 (115); BVerfGE 92, 1 (12). 412 BVerfGE 71, 108 (115). 413 Demko, S. 178. 414 Engisch, Relativität, S. 69. 408
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lässt sich dem Wort „Wiedergabe“, wie es umgangssprachlich verwendet wird, mit Sicherheit nicht entnehmen, sondern ergibt erst im Kontext der Einteilung in körperliche und unkörperliche Verwertungshandlungen Sinn.415 Die Ableitung von Begriffsbedeutungen aus einem „vermeintlich vorgegebenen absoluten Begriffsinhalt“416 birgt also Gefahr in sich. Fraglich ist, ob ein in anderem Kontext bestehendes juristisches Verständnis eines Begriffes zwingend vorgibt, wie derselbe Begriff in einem anderen Zusammenhang zu verstehen ist – zunächst gleich, ob innerhalb derselben Materie oder desselben Gesetzes. In dieser Konstellation herrscht gegenüber der Umgangssprachlichkeit immerhin ein „Spezialistenverständnis“ vor, auf das zurückgegriffen werden kann. Insoweit lässt sich jedenfalls nicht von der Hand weisen, dass ein einheitliches, auch rechtsgebietübergreifendes Begriffsverständnis der Einheitlichkeit der Rechtsordnung zuträglich wäre. Hierin liegt durchaus ein gewichtiges Argument, was auch dem Verständnis des Bundesgerichtshofs entspricht, der betont, dass die Auslegung darauf bedacht sein müsse, dass sich „die Gesamtheit der gesetzlichen Bestimmungen tunlichst zu einem widerspruchslosen Ganzen“ zusammenfüge.417 Eine möglichst einheitliche Deutung von Begriffen brächte darüber hinaus – neben evidenten Vorteilen für den Rechtsanwender – auch den positiven Effekt einer gesteigerten Erkennbarkeit für den Bürger mit sich. Indes geht die ganz herrschende Auffassung mit guten Gründen davon aus, dass ein Begriff sowohl innerhalb unterschiedlicher Rechtsgebiete als auch innerhalb derselben Materie durchaus verschiedene Bedeutungen haben kann.418 Zwei Aussagen sollen in diesem Zusammenhang besonders hervorgehoben werden: Lenckner spricht davon, es handle sich bei der Relativität der Rechtsbegriffe um ein „geläufiges Phänomen“419 und Engisch prognostiziert: „Wir werden […] die Relativität der Rechtsbegriffe schwerlich aus dem Recht austreiben können.“420 Letztgenannte Aussage fußt argumentativ auf derjenigen Begründung, die mit Sicherheit am deutlichsten vermittelt, warum alle Anstrengungen zur Herstellung eines „absoluten“ Begriffsverständnisses innerhalb der Gesetze besser zu unterlassen sind: Der Gesetzgeber hat schlechterdings keine Möglichkeit, sämtliche Rechtssätze frei von mehrdeutigen Begriffen zu halten. Die Rechtswissenschaft unterliegt demselben Wandel wie die Gesellschaft, was bezüglich aller erdenklichen Vokabeln zwangsläufig die Gefahr mit sich bringt, dass sich Begriffe in 415
Vgl. bereits Kapitel 1 § 1 D. II. Engisch, Relativität, S. 69. 417 BGHSt 13, 102 (117). 418 BeckOK-StGB-von Heintschel-Heinegg, § 1 Rn. 20 ff.; Bruns, JR 1984, 133 ff.; Demko, S. 174 ff., 321 ff.; Engisch, Relativität, S. 68 ff.; Heinrich, Amtsträgerbegriff, S. 204 ff.; Lenckner, ZStW 106 (1994), 502 (507 ff.); Schönke/Schröder-Eser/Hecker, § 1 Rn. 39; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 80 f. 419 Lenckner, ZStW 106 (1994), 502 (509). 420 Engisch, Relativität, S. 71. 416
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ihrem Bedeutungsgehalt verändern – sei dies nun im umgangssprachlichen oder im fachsprachlichen Kontext begründet. Zutreffend stellt Engisch fest, dass eine Absolutheit nur dadurch konstruierbar wäre, dass sich der Gesetzgeber einer „künstlichen Sprache“ bediente, was allerdings deshalb unmöglich ist, weil das Gesetz „nicht nur den Juristen, sondern auch der Allgemeinheit nach Vermögen verständlich“ sein muss.421 Deshalb ist auch die Feststellung Lenckners vollkommen korrekt, dass das Phänomen relativer Rechtsbegriffe ein geläufiges sei: Die Geläufigkeit resultiert schlichtweg aus der Sache selbst, denn wo keine andere Regelungsmöglichkeit besteht, müssen mehrdeutige Begriffe zwangsläufig in gewisser Regelmäßigkeit im Gesetz auftauchen. Beste Beispiele hierfür liefert Engisch mit den Begriffen „Verursachung“, „Fahrlässigkeit“, „Einwilligung“, „Verwandtschaft“, „Besitz“, „Vermögen“, „Verfügung“.422 Dass Rechtsbegriffe zwangsläufig relativ in ihrem Bedeutungsgehalt sind, ist also ein Umstand, den es überhaupt nicht anzugreifen lohnt. Dementsprechend erscheint es gewinnbringender, sogleich lösungsorientiert an das Phänomen heranzugehen. Und hierfür stehen mit dem gängigen Kanon der Auslegungsmethoden auch die erforderlichen Mittel zur Verfügung. Heinrich hebt die Wichtigkeit hervor, die unterschiedlichen Funktionen verschiedener Regelungsmaterien bei der Auslegung von Tatbestandsmerkmalen zu berücksichtigen.423 So würden zivilrechtliche Vorschriften primär die Aufgabe verfolgen, „einen gerechten Ausgleich der Interessen der beteiligten Parteien zu schaffen“, wohingegen das Strafrecht „vorrangig dem Schutz verschiedener Rechtsgüter“ dienen soll.424 Das Strafrecht müsse infolge seiner besonderen Funktion grundsätzlich unabhängig sein was die Auslegung seiner Begriffe anbelangt, was Heinrich durch eine materiell geprägte Auffassung vom Prinzip einer einheitlichen Rechtsordnung stützt:425 Diese fordere keine schematische Gleichbehandlung von Begriffen, sondern die Vermeidung von Wertungswidersprüchen und der dadurch bedingten Rechtsunsicherheit. Diese Auffassung teilt Lenckner, der die gebotene Einheitlichkeit der Rechtsordnung abgrenzt von einer nicht notwendigerweise herzustellenden Einheitlichkeit der „Begriffsordnung“.426 Mit hervorstechendem Realismus steht auch Eser den Bestrebungen einer Begriffseinheitlichkeit gegenüber, wenn er davon spricht, dass eine solche „zwar dem ästhetischen Verlangen nach einem harmonischen Begriffshimmel besser entgegenkommen“ möge, es allerdings dem Recht „weniger um formale Ästhetik als material um rechts- und gesellschaftsethische Richtigkeit“
Engisch, Relativität, S. 70 f. Engisch, Relativität, S. 70. 423 Heinrich, Amtsträgerbegriff, S. 204. 424 Heinrich, Amtsträgerbegriff, S. 204. 425 Vgl. Heinrich, Amtsträgerbegriff, S. 205 f. 426 Lenckner, ZStW 106 (1994), 502 (513). 421
422 Vgl.
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gehe.427 Eser betont, dass die Einheitlichkeit der Rechtsordnung nicht etwa durch eine „nur vordergründige“ Einheitlichkeit von Begriffen, sondern vielmehr durch die „innere Stimmigkeit ihrer Funktionszusammenhänge gewährleistet“ werden müsse.428 Dem ist in vollem Umfang beizupflichten. Denn jede andere Auffassung würde im Umkehrschluss bedeuten, die Auslegung von Begriffen in ein „grammatikalisches Korsett“ zu zwängen. Weil zahlreiche Begriffe mehrfach in verschiedenen Gesetzen gebraucht werden, also sowohl innerstrafrechtlich als auch intradisziplinär, wäre die Herstellung einer Begriffseinheitlichkeit zumindest bei diesen Begriffen faktisch gleichzusetzen mit einem Verbot der teleologischen oder historischen Auslegungsmethode. Denn: Wo eine vorgegebene Bedeutung zwingend zu übernehmen ist, bleibt kein Raum mehr für eine Untersuchung der teleologischen oder historischen Hintergründe. 3. Konsequenzen der Relativität von Rechtsbegriffen Dass Begriffe in verschiedenen Zusammenhängen unterschiedliche Bedeutungen haben können, bedeutet freilich nicht, dass dies zwangsläufig immer der Fall sein muss. Der Umstand, dass Begriffe mehrdeutig sind, bleibt für die Rechtswissenschaft jedenfalls problematisch und macht einen sensiblen Umgang erforderlich. Engisch hebt hervor, dass die Relativität der Rechtsbegriffe „überhaupt nur dann erträglich“ sei, wenn Mehrdeutigkeiten gekennzeichnet würden.429 Die Rechtswissenschaft könne es sich nicht leisten, „unter Berufung auf eine unvermeidliche Relativität schwankende Begriffe zu bilden und Äquivokationen zu ertragen.“430 Diese, ersichtlich auf die Bildung von Rechtsbegriffen bezogenen Ausführungen, sagen allerdings nicht allzu viel darüber aus, wie mit einmal entstandenen Mehrdeutigkeiten zu verfahren ist. Demko betont, dass eine Anerkennung der Relativität von Rechtsbegriffen zwingend mit sich bringe, dass es „weder zulässig ist, den Bedeutungsgehalt eines Wortes in einer bestimmten Rechtsnorm für alle übrigen Rechtsnormen einfach ungeprüft zu übernehmen, noch, daß eine Bedeutungsverschiedenheit des Wortes mit dem schlichten Hinweis auf die andere Materie begründet wird.“431 Vielmehr bedürfe es „stets einer besonderen Begründung unter Heranziehung sämtlicher, den Wortinhalt beeinflussender Kontextfaktoren“,432 wobei bezüglich dieser Begründung dem Normzweck eine entscheidende Rolle zukomme. Dem ist beizupflichten – und grundsätzlich nichts hinzuzufügen. Wenn feststeht, dass eine Relativität von Rechtsbegriffen existiert und dass sie existiert, weil ansonsten eine Eser, JZ 1972, 146 (147). Eser, JZ 1972, 146 (147). 429 Engisch, Relativität, S. 71. 430 Engisch, Relativität, S. 71. 431 Demko, S. 324 f. 432 Demko, S. 325. 427
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gebotene Auslegung nicht erreichbar wäre, so liegt die Lösung auf der Hand: Jedes Tatbestandsmerkmal ist auszulegen – und zwar unter Rückgriff auf den gesamten Kanon an Methoden. Wenn Grammatik, Telos, Systematik und Historie konsequent ausgewertet werden, ist auch die Relativität von Rechtsbegriffen ohne Weiteres in den Griff zu bekommen. Im Zweifel ist dabei selbstverständlich einer einheitlichen Auslegung des Begriffs der Vorzug zu gewähren. Besonders im Bereich der Blankettstrafgesetze erscheint eine sensible Auslegung geboten zu sein, wie folgendes Denkbeispiel aufzeigt: Wenn etwa ein Tatbestandsmerkmal einer zivilrechtlichen Norm mit der herrschenden „Inkorporationstheorie“ in einen Straftatbestand „hineingelesen“ wird, so ließe sich unter Verweis auf die Relativität von Rechtsbegriffen zumindest im Grundsatz begründen, dass der in Bezug genommene Begriff im Strafrecht anders auszulegen sei als im Zivilrecht. Diese Vorgehensweise verstößt aber streng genommen gegen die aufgezeigten (herrschenden) Grundsätze zur Abgrenzung von normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettverweisungen. Denn wenn ein Blankett – wie aufgezeigt wurde – nur dort vorliegen soll, wo ein extern normierter Begriff selbst zum Tatbestandsmerkmal wird (und nicht nur ein Auslegungsergebnis), so muss dieser Rechtsbegriff doch zwingend mitsamt seiner Bedeutung übernommen werden. Andernfalls würde es schwerfallen, weiterhin von einer Verweisung zu sprechen, sodass schlichtweg kein Blankett mehr vorliegen würde – mit der Konsequenz, dass die Strafvorschrift selbst, also ohne Ausfüllungsnorm gelesen, dem Bestimmtheitsgrundsatz entsprechen müsste.433 In verschärftem Maße muss dies mit Blick auf diejenigen Fälle betont werden, in denen sich eine abweichende strafrechtliche Auslegung zulasten des Täters auswirken könnte. Die Problematik lässt sich veranschaulichen anhand des folgenden Beispiels: § 106 UrhG enthält mit dem Merkmal „in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen“ nach herrschender Ansicht eine Blankettverweisung auf die in demselben Gesetz geregelten, den Täter begünstigenden Ausnahmefälle. Würden nun die ausfüllenden Bestimmungen im Rahmen des § 106 UrhG anders ausgelegt als im Urheberzivilrecht, so liefe doch strenggenommen jede Einschränkung eines „gesetzlich zugelassenen Falles“ Gefahr, als Analogie zulasten des Täters gesehen zu werden. Doch auch dieses Problem lässt sich durch konsequente Auslegung lösen – zumal die Blankettstrafgesetze im Allgemeinen eine rege Fülle an zusätzlichen Besonderheiten und Problemen mit sich bringen, die es in der Praxis zu lösen gilt. Jeder gesetzliche Begriff muss unter Heranziehung aller (und ohne Ausklammerung einzelner) verfügbaren Methoden ausgelegt werden. In der Regel dürfte dies dazu führen, dass identische Begriffe auch identisch ausgelegt werden müssen. Denn es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei der Einführung von Begriffen auch Rücksicht auf bereits verwandte Begrifflichkeiten nimmt und dementsprechend nur in Ausnahmefällen (oder versehentlich) einen anderen Sinn intendiert haben wird. Zumindest sind die gesetzgebenden Organe bei der Wahl von gesetzlichen Begriffen dazu verpflichtet, Mehrdeutigkeiten im Rahmen ihrer 433
Vgl. bereits Kapitel 2 § 3 B. I. 4. b).
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Möglichkeiten zu verhindern.434 Gleichwohl steht fest, dass Mehrdeutigkeiten unvermeidbar sind und diesem Umstand im Rahmen der Auslegung Rechnung getragen werden muss. Eine unterschiedliche Auslegung identischer Begriffe ist immer möglich und auch zwingend geboten, wenn dies sachlich begründet ist.435 Eine täterfreundliche Auslegung stellt das Strafrecht dabei – in Anbetracht des „ultima ratio“-Grundsatzes vor keine Probleme. Ein Versuch, zivilrechtliche oder verwaltungsrechtliche Vorschriften im Strafrecht zulasten des Täters einzuschränken, liefe hingegen Gefahr, mit dem Analogieverbot in Konflikt zu geraten.
C. Die Behandlung von Irrtümern durch die Rechtswissenschaft Im Folgenden wird erörtert, welche Lösungsmodelle innerhalb der Strafrechtswissenschaft für die Lösung von Irrtumsfragen bei den verschiedenen, bereits vorgestellten Kategorien von Tatbestandsmerkmalen vertreten werden. Im Mittelpunkt steht dabei die (herrschende) Lehre, die normative und deskriptive Tatbestandsmerkmale unterscheidet und einer differenzierten Bewertung hinsichtlich der darauf bezogenen Irrtümer unterwirft. Eine Sonderstellung nehmen auch hier wiederum die Blankettvorschriften ein, deren Untersuchung dementsprechend innerhalb eines eigenen Abschnitts erfolgt.436 Im Anschluss an diese umfassende Darstellung werden die überwiegend angewandten Grundsätze einer kritischen Würdigung unterzogen.437 Von der Norm des § 16 StGB her gedacht, ist das Vorsatzwissen eines Täters, also die kognitive Komponente des subjektiven Tatbestandes, gleichzusetzen mit der Kenntnis tatsächlicher Umstände – dies wurde bereits dargestellt. Darüber, wann genau von einer „Kenntnis“ in diesem Sinne gesprochen werden kann, beziehungsweise wie ausgeprägt das „Wissen“ eines Täters in Bezug auf ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal zur Bejahung des Vorsatzes im Einzelnen sein muss, herrscht allerdings Uneinigkeit. Dabei geht es nicht um die „Erscheinungsformen des Vorsatzes“,438 also um die Abstufung von bedingtem Vorsatz zur Absicht und zum sicheren Wissen. Die Probleme drehen sich vielmehr um die Frage, wie tief die „Kenntnis“ als intellektuelles Moment in Bezug auf jedes einzelne Tatbestandsmerkmal gehen muss – beziehungsweise worauf sich diese Kenntnis eigentlich zu beziehen hat. Zur Verdeutlichung dient der bereits bekannte Beispielsfall 1:439 Das „Hochladen“ von Musikdateien auf einen Server könnte eine Vervielfältigung oder eine öffentliche Wiedergabe darstellen. Dieselben Tathandlungen Engisch, Relativität, S. 71. Vgl. auch Heinrich, Amtsträgerbegriff, S. 205 ff. 436 Kapitel 2 § 3 C. III. 2. c). 437 Kapitel 2 § 3 D. 438 Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 316. 439 Kapitel 1 § 4. 434 Vgl. 435
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kommen auch für das „Teilen“ des die Datei betreffenden Download-Links auf einer Facebook-Pinnwand infrage. In den meisten dieser Fälle dürften die betreffenden Personen unzweifelhaft zielgerichtet handeln. Problematisch ist in diesen Sachverhalten also nicht, ob die Handlungen bedingt vorsätzlich, wissentlich oder absichtlich geschehen, sondern vielmehr, ob die oder der Handelnde weiß, was sie oder er gerade (zielgerichtet) tut. Fraglich ist also, ob die Person eine hinreichende „Kenntnis“ i.S.d. § 16 StGB darüber hat, dass ihre tatsächlichen Handlungen unter Umständen einen Straftatbestand erfüllen. Im Folgenden wird zunächst die vereinzelt im Schrifttum vertretene, streng am Wortlaut des Gesetzes orientierte Herangehensweise dargestellt (I.). Hierauf folgt eine ausführliche Darstellung der „herrschenden“, in der Rechtsprechung ausschließlich gepflegten und in der Literatur überwiegend vertretenen Auffassung. In diesem Kontext von einer „einheitlichen herrschenden Lehre“ zu sprechen, ist strenggenommen allerdings verfehlt, denn innerhalb der Strafrechtswissenschaft herrscht eine letztlich unüberschaubare Fülle an Strömungen, die im einen Punkt mehr und im anderen Punkt weniger voneinander abweichen. Nichtsdestotrotz lässt sich aus all diesen Strömungen eine „herrschende“ Vorgehensweise beziehungsweise eine überwiegend gewählte Herangehensweise ableiten, was es im Folgenden zu belegen gilt. Diese Grundsätze sollen zunächst skizziert werden (II.), bevor die wesentlichen Aussagen aller Strömungen im Einzelnen untersucht werden (III.). I. Lehre der strikten Unterscheidung von Tatsachen- und Rechtsirrtümern Das Strafgesetzbuch enthält, wie festgestellt wurde, prinzipiell nur wenige Anhaltspunkte für eine Irrtumslehre. Vorgegeben wird lediglich, dass es einen Irrtum über Umstände (Tatumstandsirrtum, § 16 StGB) gibt, der zum Vorsatzausschluss führt – daneben kennt das Gesetz die fehlende Einsicht, Unrecht zu tun, welche allerdings nur dann zum Schuldausschluss und damit zu Straflosigkeit führt, wenn sie unvermeidbar war (Verbotsirrtum, § 17 StGB). Diese vorgegebene Kategorisierung wird durch die „herrschende Lehre“ in Bezug auf normative beziehungsweise normativ geprägte Tatbestandsmerkmale durchbrochen, was im Rahmen der folgenden Ausführungen erschöpfend dargestellt wird. Eine streng am Wortlaut der §§ 16, 17 StGB orientierte Irrtumslehre wird hingegen nur vereinzelt vertreten. Konsequent plädiert innerhalb des modernen Schrifttums insbesondere Heinrich für eine Irrtumslehre, die sich stringent an die Vorgaben der strafrechtlichen Irrtumsparagraphen hält. Hiernach werden alle Tatbestandsmerkmale, also sowohl „eher normative“ als auch „eher deskriptive“ Merkmale, ausnahmslos gleichbehandelt und Irrtümer allein danach unterschieden, ob sich diese auf einen durch das Merkmal umschriebenen tatsächlichen Umstand beziehen (dann § 16 StGB) oder ob sie auf eine falsche rechtliche Wertung zurückzuführen sind (dann § 17 StGB). Wie konsequent diese Vorgehensweise ist, zeigt
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sich daran, dass Heinrich unter diese „Tatsächlichkeit“ auch wirklich nur tatsächliche Umstände im engeren Sinne fasst: Rechtsverhältnisse werden konsequent nicht als Anknüpfungspunkte eines Tatumstandsirrtums anerkannt, wie dies andernorts etwa – was es noch ausführlich zu erörtern gilt – bei Puppe,440 Vogel441 oder auch Kindhäuser442 geschieht, die beim Vorsatz ansonsten ebenfalls nicht von vornherein nach normativen und deskriptiven Tatbestandsmerkmalen unterscheiden. So kommt beispielsweise beim Merkmal „fremd“ (§ 242 StGB) nach Heinrich ein Tatumstandsirrtum nur in solchen Fällen in Betracht, in denen ein Täter tatsächliche Umstände nicht erkennt, die die Fremdheit der Sache ausmachen: Wenn ein Täter also z.B. den von der Garderobe genommenen Mantel für seinen eigenen hält oder aber denkt, dass das auf dem Tisch liegende Smartphone sein eigenes sei. Der überwiegende Teil innerhalb der Literatur – dies wird noch ausführlich erörtert – kommt hingegen auch dann zum Tatumstandsirrtum, wenn der Täter ein Rechtsverhältnis – im Beispielsfall die Eigentumsordnung (als Ausfüllung des normativen Tatbestandsmerkmals „fremd“) – entweder laienhaft falsch interpretiert oder aber, weil er das zugrundeliegende Rechtsverhältnis nicht oder nur unzureichend kannte. Diese Fälle bleiben nach Heinrich dem Unrechtsbewusstsein und damit dem Regime des Verbotsirrtums, § 17 StGB, vorbehalten, denn die fehlende Kenntnis oder falsche Bewertung eines Rechtsverhältnisses ist nach seiner Ansicht ein Irrtum über die Rechtslage. Eine klare Grenzziehung zwischen Tatumstands- und Verbotsirrtum wird nach Heinrich also dadurch ermöglicht, dass „die an sich klar zu treffende Unterscheidung zwischen einem tatsächlichen Irrtum (Irrtum über einen tatsächlichen Umstand) und einem Irrtum über die rechtliche Einordnung auf sämtliche Tatbestandsmerkmale“ angewandt werde, „gleichgültig ob diese eher deskriptiv oder eher normativ geprägt sind.“443 Zu demselben Ergebnis gelangt Dopslaff:444 Der Wissenskomponente im Vorsatz werde eine Hemmungsfunktion zugeschrieben, also die Funktion, dem Täter zu vermitteln, dass dieser von seinem Tatentschluss absehe. Diese Funktion könne der Vorsatz unter dem Regime der Schuldtheorien allerdings nicht alleine erfüllen, sondern nur in Verbindung mit dem Unrechtsbewusstsein: „Betrachtet man […] den Vorsatz und das Unrechtsbewußtsein als zwei selbstständige Schuldelemente, dann kann von dem intellektuellen Element des Vorsatzes allein kein handlungshemmender Impuls ausgehen.“445 Deshalb soll vom 440 Vgl.
NK-Puppe, § 16 Rn. 46 ff. LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 30. 442 Vgl. Kindhäuser, Lehr- und Praxiskommentar, § 16 Rn. 8 ff. 443 Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (464); vgl. auch ders., AT, Rn. 1081 ff., insb. 1087; speziell zum Urheberrecht auch ders., in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (65 f.; 73 f.). 444 Vgl. Dopslaff, GA 1987, 1 (1 ff., insb. 20 ff.). 445 Dopslaff, GA 1987, 1 (20 f.). 441 Vgl.
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Täter im Rahmen des Vorsatzes keine „Kenntnis der Bedeutung der Tatbestandsbegriffe gefordert“ werden, weswegen auch die „ohnehin nirgendwo präzise herausgearbeitete Parallelbeurteilung in der Laiensphäre“ ersatzlos preiszugeben sei.446 Nach dieser Auffassung wird im Rahmen der Vorsatzprüfung weder eine – später noch ausführlich zu besprechende – „Parallelwertung in der Laiensphäre“ vom Täter gefordert, noch auf andere Art und Weise gefragt, ob der Täter „verstanden“ hat, was ein Tatbestandsmerkmal umschreibt. Das Vorsatzwissen ist also konsequent gleichzusetzen mit der Kenntnis tatsächlicher Umstände, was § 16 StGB grundsätzlich auch ausschließlich anordnet. Sobald ein Täter in tatsächlicher Hinsicht „genau weiß, was er tut,“447 soll dessen Vorsatz zu bejahen sein. „Irrt er [der Täter] sich [hingegen] über die rechtliche Bewertung eines bestimmten Verhaltens, so fehlt ihm lediglich das Unrechtsbewusstsein.“448 In diesen Fällen müsse es dann genügen, einem Täter auf Schuldebene einen Verbotsirrtum zuzubilligen.449 Übereinstimmend mit der Auffassung Heinrichs plädiert auch Harnos im Rahmen einer kartellrechtlichen Untersuchung zur Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage für eine Aufgabe der Unterscheidung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen bei der Prüfung des subjektiven Tatbestandes.450 Insbesondere arbeitet Harnos heraus, dass es „weder den Gerichten noch der Wissenschaft gelungen“ sei, „ein greifbares Abgrenzungskriterium zu finden“.451 Die mit der herrschenden Differenzierung erzielten Ergebnisse seien „meist keine Folge eines in sich stimmigen Systems“.452 Vielmehr handle es sich insoweit um „Bauchgefühl entscheidungen“, was die Rechtsanwendung erschwere und zu Rechtsunsicherheit führe.453 Harnos spricht sich angesichts der festgestellten Abgrenzungsprobleme – mit Heinrich – für eine strikte Trennung von Tatsachen- und Verbotsirrtümern aus.454 Auch Safferling vertritt die These, dass eine Unterscheidung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen bei der Bestimmung des Vorsatzes nicht überzeugen könne.455 Die Unterscheidung sei „ein Relikt aus naturalistischem Denken“, worin noch immer der Glaube mitschwinge, „dass Tatbestandsmerkmale immer rein sinnlich wahrnehmbar sind.“456 Unabhängig davon, ob ein TatbestandsDopslaff, GA 1987, 1 (25). Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (465). 448 Vgl. Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (465); ferner mit demselben Ergebnis Dopslaff, GA 1987, 1 (1, 19, 25). 449 Vgl. Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (465). 450 Harnos, S. 208 ff., 215. 451 Harnos, S. 215. 452 Harnos, S. 229. 453 Harnos, S. 229. 454 Harnos, S. 230. 455 Vgl. Safferling, S. 139 ff. 456 Safferling, S. 139 f. 446
447 Vgl.
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merkmal eher deskriptiv oder normativ sei, soll es nach Safferling für die Annahme des Vorsatzes genügen, „dass der Täter die Umstände kennt und er erkennt, dass sein Verhalten soziale Relevanz hat.“ Rechtsnormen müsse er „dafür nicht nachvollziehen können.“457 Unabhängig von den hiergegen geäußerten und im Folgenden ausführlich zu erörternden Bedenken durch die herrschende Auffassung, lässt sich Folgendes festhalten: Durch die von Dopslaff, Heinrich und Safferling vorgeschlagene Gleichbehandlung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen im Rahmen des Vorsatzes erübrigen sich zunächst sämtliche Abgrenzungsprobleme auf Tatbestandsebene.458 Es kommt dann beim Vorsatz einzig darauf an, ob sich ein Irrtum auf tatsächliche Umstände bezieht oder nicht. Ist der Ursprung beziehungsweise das Objekt einer Fehlvorstellung kein tatsächlicher Umstand, sondern vielmehr eine Frage „des Rechts“, so kommt auf Schuldebene ein Verbotsirrtum in Betracht, wenn dem Täter bei seiner Handlung die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun. Diese Herangehensweise ermöglicht in der Tat eine klare Abgrenzung von Tatbestandsund Verbotsirrtum und gibt dementsprechend „dem Richter klare Kriterien an die Hand, wie ein entsprechender Irrtum des Täters einzuordnen ist.“459 Weiterhin lässt sich festhalten, dass dieses Modell unproblematisch mit den dogmatischen Grundsätzen der Schuldtheorien vereinbar ist, die das Unrechtsbewusstsein bekanntlich auf Schuldebene ansiedeln und rechtliche Wertungen komplett aus dem Tatbestand ausklammern.460 Während Heinrich, Harnos und Dopslaff ganz konsequent jede Art von rechtlichem Verständnis aus dem Vorsatz ausklammern, fordert Safferling vom Täter, dass dieser neben der reinen Umstandskenntnis „erkennt, dass sein Verhalten soziale Relevanz hat.“ Rechtsnormen müsse er dafür allerdings „nicht nachvollziehen können.“461 Diese Formulierung fordert Missverständnisse zutage.462 Diese rühren insbesondere daher, dass Roxin – als ein Vertreter der „herrschenden Lehre“ – weitaus früher mit denselben Worten gänzlich andere Voraussetzungen aufstellte. Das Erkennen der sozialen Relevanz soll nach der Ansicht Safferlings allerdings etwas anderes sein als die soziale Sinnkenntnis bei Roxin,463 der sich bei normativen Merkmalen allerdings für die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ ausspricht und „sein“ Verständnis vom sozialen Sinn mitunter auch davon abhängig macht, ob der Täter eine bestimmte „rechtliche Qualifikation“ nachvollSafferling, S. 143. Vgl. ausführlich Kapitel 2 § 3 D. II. 1. 459 Vgl. Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (464), für den die Unmöglichkeit einer klaren Grenzziehung ein maßgeblicher Kritikpunkt an der „Lehre über normative Tatbestandsmerkmale“ darstellt – hierzu noch ausführlich Kapitel 2 § 3 D. II. 1. 460 Vgl. bereits Kapitel 2 § 2 B. 461 Safferling, S. 143. 462 Vgl. nur die Kritik bei Papathanasiou, S. 96 f. 463 Vgl. zum Vorsatzverständnis Roxins noch Kapitel 2 § 3 C. III. 2. a) aa). 457
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zogen hat.464 Safferling lehnt dies ausdrücklich ab und plädiert dafür, das „soziale Verstehen […] besser nicht auf rechtliche Wertungen“ zu beziehen, „ob diese das soziale Umfeld nun bestimmen oder nicht.“465 Es komme „nur auf den Handlungsvorgang“ an.466 Der Täter habe bereits dann ein hinreichendes Verständnis, wenn er wisse, dass sein Tun überhaupt soziale Bedeutung habe. Zur Verdeutlichung rekurriert Safferling auf den berühmten „Trierer Weinversteigerungsfall“467 und die zivilrechtliche Problematik des fehlenden Erklärungsbewusstseins bei einer Willenserklärung. Auch in dem Falle, dass jemand in einer Weinversteigerung die Hand hebe ohne die Regeln zu kennen, müsse er sich an seiner Handlung festhalten lassen, obwohl er die spezifischen Rechtsfolgen (Vornahme eines konkreten Geschäfts) nicht kenne.468 Naturgemäß lasse sich der Fall nicht auf das Strafrecht übertragen – allerdings zeige das Beispiel, dass „das Recht häufiger an bloße Umstandskenntnis für die Tatbestandserfüllung anknüpft und die Rechtskenntnis – in allen Belangen – auf einer anderen Zurechnungsebene als der Tatbestandsebene löst.“469 Durchaus einleuchtende Kritik an der dargestellten Irrtumslehre von Safferling übt Papathanasiou,470 die sich argumentativ bei Pawlik471 bedient. So fordert Saf ferling doch an anderer Stelle, dass der Täter, „damit Vorsatz angenommen werden kann, die risikobegründenden Faktoren erkannt“ habe, was bedeute, dass er gewusst habe, „dass sein Verhalten zu einer Verletzung eines Rechtsguts führen wird oder führen kann.“472 Pawlik hat ganz Recht mit seiner Aussage, dass genau dieses von Safferling geforderte Wissen doch „unabdingbar jenes wertende Moment voraus[setzt], das Safferling aus dem tatbestandlichen Unrecht verbannen will.“473 Hierin liegt in der Tat ein Widerspruch, denn sobald vom Täter gefordert wird, dass dieser voraussieht, mit seiner Handlung eine Rechtsgutverletzung zumindest zu provozieren, wird von ihm doch auch erwartet, dass er sein Handeln zumindest laienhaft juristisch wertet. Konsequent im Sinne einer streng an den Leitlinien der §§ 16, 17 StGB orientierten Irrtumslehre erscheint mithin allein die Herangehensweise von Heinrich und Harnos, die allerdings innerhalb des Schrifttums kaum geteilt wird.474 Hierauf Roxin, AT I, § 12 Rn. 101, 103. Safferling, S. 142. 466 Safferling, S. 142. 467 Vgl. BGHZ 91, 324; Müko-BGB-Armbrüster, 7. Aufl., § 119 Rn. 93. 468 Safferling, S. 142 f. 469 Safferling, S. 143. 470 Vgl. Papathanasiou, S. 95 ff. 471 Pawlik, ZIS 2010, 339 (339 f.). 472 Safferling, S. 178. 473 Pawlik, ZIS 2010, 339 (340); vgl. auch die Wiedergabe bei Papathanasiou, S. 96. 474 Vgl. aber mit wohl identischen Ergebnissen bereits die Studie von Dopslaff, GA 1987, 1 (1, 20 ff.). 464 Vgl. 465
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wird indes, im Rahmen der umfassenden, wertenden Kritik an den „herrschenden“ Grundsätzen, ausführlich einzugehen sein.475 Eine ebenso unabweisliche wie bewusst anvisierte Folge der skizzierten, streng an der schuldtheoretischen Konzeption orientierten Irrtumslehre, ist die Verlagerung vieler Irrtümer auf die Ebene der Schuld. Safferling spricht in diesem Zusammenhang – positiv – von einer „Verschlankung“ des Vorsatzbegriffs unter gleichzeitiger „Verstärkung der Schuldstation“.476 Im Schrifttum hingegen entzündet sich genau an diesem Punkt Kritik.477 Regelmäßig wird eine Ausdehnung der Strafbarkeit befürchtet, weil nur der unvermeidbare Verbotsirrtum gemäß § 17 S. 1 StGB zur Straflosigkeit führt, wohingegen nach § 16 StGB in der Tat jede Fehlvorstellung den Vorsatz ausschließt, also auch jene Irrtümer, die unter Beachtung der gebotenen Sorgfalt vermeidbar gewesen wären. Demgegenüber betonen sowohl Safferling als auch Heinrich, dass es bei der Anwendung der skizzierten Grundsätze im Ergebnis nicht zu einer Ausdehnung der Strafbarkeit kommen müsse. Beide Autoren plädieren für eine großzügigere Handhabung der Vermeidbarkeit nach § 17 StGB durch die Gerichte, um einer möglicherweise zu weit gehenden Strafbarkeit entgegenzuwirken.478 Ein Verzicht auf den Sonderstatus der normativen Tatbestandsmerkmale sei für den Täter „keinesfalls ungünstiger, sofern man sich dazu durchringen kann, bei der Vermeidbarkeitsprüfung im Rahmen des § 17 StGB keine überzogenen Anforderungen an die ‚Anspannung des Gewissens‘ zu stellen“,479 betont Heinrich, der in diesem Zusammenhang den Vorschlag macht, bei der Beurteilung der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums diejenigen Kriterien anzuwenden, die „im Rahmen der ‚Beachtlichkeit‘ eines Irrtums über normative Tatbestandsmerkmale entwickelt wurden.“480 Für dieselbe Konsequenz spricht sich Safferling aus: „Die Frage der ‚Unvermeidbarkeit‘ von Verbotsirrtümern tritt in den Vordergrund und muss neu definiert werden.“481 Ferner betont Safferling einen entscheidenden Vorteil für den Rechtsanwender, nämlich jenen, dass im Rahmen der Vermeidbarkeitsprüfung „individuelle Fähigkeiten des Täters besser eingeführt werden könnten.“482 Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Gerichte enorm hohe Anforderungen an eine Unvermeidbarkeit von Verbotsirrtümern stellen, wohingegen im Schrifttum oftmals niedrigere Hürden befürwortet werden.483 Dementsprechend 475
Vgl. Kapitel 2 § 3 D. Safferling, S. 146. 477 Vgl. dazu noch ausführlich Kapitel 2 § 3 D. II. 2. b). 478 Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (464 f.); Safferling, S. 146, 224 ff. 479 Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (465). 480 Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (465). 481 Safferling, S. 146. 482 Safferling, S. 146. 483 Vgl. dazu etwa Heinrich, AT, Rn. 1117 f.; Kühl, AT, § 13 Rn. 61; LK-Vogel, 12. Aufl., § 17 Rn. 35 ff.; Roxin, AT I, § 21 Rn. 38 ff.; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 144 ff. 476
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muss der herrschenden Irrtumslehre immerhin zugestanden werden, dass eine Verlagerung von Irrtümern auf die Schuldebene jedenfalls unter Anwendung der herrschenden Vermeidbarkeitskriterien der Rechtsprechung tatsächlich eine signifikante Ausdehnung der Strafbarkeit mit sich bringen würde. Ein Umdenken im Rahmen der Vermeidbarkeitsprüfung, für das sich Heinrich und Safferling ausdrücklich aussprechen, ist dementsprechend obligatorisch für eine Anwendung der hier erörterten Ansicht. II. Die „herrschende“ Lehre in Kürze Es ist ersichtlich unstreitig, dass sich die Merkmale von Tatbeständen vielseitig kategorisieren lassen. Eine dieser Kategorisierungen ist die Einteilung in deskriptive und normative Tatbestandsmerkmale, was bereits festgestellt wurde. Von Bedeutung ist diese Einteilung – nach der überwiegenden Auffassung im Schrifttum, wie auch in der Rechtsprechung – innerhalb des Vorsatzes, konkret bei der Behandlung von Irrtümern, wenn es darum geht, bei der Anwendung des § 16 StGB zu bestimmen, ob ein Täter die erforderliche „Kenntnis“ aller Umstände hatte, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören. Die „herrschende Lehre“484 geht folgendermaßen vor: Steht der Vorsatz in Bezug auf ein Tatbestandsmerkmal infrage, beziehungsweise steht insofern ein Irrtum im Raum, so wird zunächst festgestellt, ob es sich bei dem fraglichen Merkmal nach den bereits erörterten Definitionen um ein deskriptives oder um ein normatives handelt. Sodann wird differenziert: Bei deskriptiven Tatbestandsmerkmalen, nach dem dargelegten Verständnis also solchen, die der allgemeinen sinnlichen Wahrnehmung zugänglich sind und die keine spezifisch-juristische Bewertung enthalten,485 soll es für den Vorsatz ausreichen, wenn der Täter den Gegenstand des Tatbestandsmerkmals sinnlich erfasst hat. Ein darüberhinausgehendes, intellektuelles „Verstehen“ oder „Werten“ des Geschehens soll nach allgemeiner Auffassung entbehrlich sein. Um den Vorsatz eines Täters bejahen zu können, soll es also ausreichend sein, wenn sich ein Handelnder Folgendes denkt beziehungsweise wenn er Folgendes weiß: „Dieser Passant da ist ein ‚Mensch‘, dieses Auto da eine ‚Sache‘, dieses Zerstechen des Reifens ‚beschädigt‘ das Auto“.486 Allesamt handelt es sich bei diesen Beispielen um kraft des Sehsinns festgestellte Umstände. Ist der Vorsatz in Bezug auf ein normatives Merkmal streitig, soll es hingegen weitergehender Anstrengungen bedürfen. Als normativ nach „herrschendem“ Verständnis wurden solche Merkmale definiert, die „überhaupt nur unter logischer Vo484
Vgl. zu den einzelnen Vertretern die Zitate der folgenden Ausführungen. Vgl. bereits Kapitel 2 § 3 B. I. 1. a); ferner Heinrich, AT, Rn. 125; Jescheck/Weigend, AT, § 26 IV 1; LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 21; Roxin, AT I, § 10 Rn. 58; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 18; Welzel, Strafrecht, § 13 I 4. 486 Herzberg/Hardtung, JuS 1999, 1073 (1073). 485
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raussetzung einer Norm vorgestellt und gedacht werden können“487 und nur unter Hinzutreten einer rechtlichen Wertung festgestellt werden können.488 Sie sind „nur geistig verstehbar“,489 weswegen die reine Sinnesleistung nicht ausreichen könne – insoweit herrscht Einigkeit innerhalb der vorliegend als „herrschende Ansicht“ bezeichneten Auffassungen. Entscheidend soll sein, ob ein Täter die Bedeutung eines Tatbestandsmerkmals verstanden hat, beziehungsweise ob er den durch das Merkmal umschriebenen Umstand in dessen Sinn korrekt erfasst hat. Hierfür bedient sich die zumindest weitgehend unbestrittene490 Ansicht einer sog. „Parallelwertung in der Laiensphäre“. Vorsatz soll nur dann zu bejahen sein, wenn der Täter den „rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalt“ eines Merkmals – beziehungsweise seiner Handlung491 – erkannt habe. Und hierfür bedürfe es keiner exakten juristischen Wertung, sondern eben nur einer Wertung „nach Laienart“. Dieses Vorgehen wird im Folgenden als „klassische Herangehensweise“ bezeichnet. Weiterhin existieren Stimmen, die zwar konstruktiv anders an die Frage nach dem Vorsatzwissen herangehen, allerdings nichtsdestotrotz der „herrschenden Ansicht“ zuordenbar bleiben, weil sie deskriptive und normative Tatbestandsmerkmale unterschiedlich behandeln. Diese werden auf den folgenden Seiten unter dem Titel der „alternativen Herangehensweisen“ diskutiert. All jene Stimmen, die der Trennung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen bei der Behandlung von Vorsatz und Irrtum überhaupt entgegenstehen, mithin keine Teile der hier ausgemachten „herrschenden Ansicht“ sind, werden erst anschließend im Rahmen der ausführlichen Kritik an der „herrschenden Lehre“ erörtert.492 Die skizzierte Vorgehensweise führt – so viel vorweg – im Ergebnis zu einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 16 StGB auf Konstellationen, die unter dem Regime der Schuldtheorien prinzipiell dem Verbotsirrtum nach § 17 StGB unterfielen: Denn die Konsequenz einer Anwendung der skizzierten Grundsätze ist jene, dass eine falsche „Parallelwertung“, also eine rechtlich-intellektuelle Fehlleistung des Täters, die bei strenger Anwendung der Schuldtheorien prinzipiell nicht auf Ebene des Vorsatzes, sondern auf der Ebene des Unrechtsbewusstseins einzuordnen wäre, zum Vorsatzausschluss führt statt zum fehlenden Unrechtsbewusstsein (§ 17 StGB).
487 Engisch, Mezger-Festschrift 1954, S. 127 (147); zustimmend etwa Roxin, AT I, § 10 Rn. 60. 488 Vgl. bereits Kapitel 2 § 3 B. I. 1. b); Jescheck/Weigend, AT, § 26 IV 2; LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 25; Roxin, AT I, § 10 Rn. 58, 60; Satzger/Schluckebier/Widmaier-Kudlich, Vor § 13 Rn. 8; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 19. 489 Welzel, Strafrecht, § 13 I 4. 490 Vgl. zu den Kritikern im Einzelnen noch Kapitel 2 § 3 C. III. 2. b). 491 Vgl. Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (455). 492 Vgl. Kapitel 2 § 3 D.
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Für die Praxis ergibt sich hieraus ferner ein zweistufiges Vorgehen: So muss immer zuerst geprüft werden, ob ein Merkmal sinnlich oder nur geistig wahrgenommen werden kann,493 um anschließend festzustellen, ob die jeweils für erforderlich befundene Art der Wahrnehmung, des „Kenntnisgewinns“, beim Täter gegeben war. III. Die „herrschende Lehre“ im Detail 1. Die psychologischen Faktoren „sinnliche Wahrnehmung“ und „geistiges Verstehen“ im rechtlichen Kontext Roxin bringt sein Verständnis – welches der nahezu einhellig vertretenen Vorsatzlehre entspricht – mit folgender Aussage auf den Punkt: „Kenntnis bedeutet sinnliche Wahrnehmung der deskriptiven und geistiges Verstehen der normativen Tatumstände.“494 Puppe stuft diesem Zitat entsprechend folgende Aussage als „einigermaßen repräsentativ“495 für das Verständnis innerhalb der Strafrechtswissenschaft ein: „Bei diesen normativen Tatbestandsmerkmalen genügt für den Vorsatz nicht die Kenntnis der reinen Tatsachen; der Täter muß vielmehr zudem den unter das normative Tatbestandsmerkmal zu subsumierenden Sachverhalt in seinem für die Unrechtsbegründung wesentlichen Bedeutungsgehalt erfaßt haben.“496 Die Differenzierung beruht auf der Feststellung, dass es neben den als deskriptiv definierten Merkmalen, die in der Regel alltägliche Gegenstände oder Umstände beschreiben und dementsprechend leicht „zu fassen“ sind, eben auch Tatbestandsmerkmale gibt, die etwas umschreiben, das beim Menschen nicht automatisch kraft seiner sinnlichen Wahrnehmung richtig „ankommt“.497 Diese Feststellung lässt sich zurückführen auf Welzel, der betont, dass die „soziale Welt des praktischen Handelns […] eine von Sinnbezügen durchzogene, bedeutungshaltige [Original-Hervorhebung] Wirklichkeit“ ist.498 Deshalb soll nach der Auffassung Welzels zum Vorsatz auch der Bedeutungsgehalt gehören, der in den Tatbestandsmerkmalen verkörpert ist, „der aber nicht sinnlich wahrgenommen, sondern nur geistig verstanden werden kann.“499 Die Problematik erweist sich als Schnittmenge von Recht und Psychologie: Der Vorsatz des Täters lässt sich verstehen als „rechtliche Größe“, die wiederum Bezug nimmt auf eine andere „rechtliche Größe“, nämlich den objektiven Tatbestand als Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (453). Roxin, AT I, § 12 Rn. 100. 495 Puppe, GA 1990, 145 (146). 496 Puppe, GA 1990, 145 (146). 497 Vgl. Herzberg/Hardtung, JuS 1999, 1073 (1073): „Daran ist richtig, daß die ‚deskriptiven‘ Merkmale meist ziemlich anschaulich sind […]. Die ‚normativen‘ Merkmale hingegen sind meist nicht so anschaulich […].“ 498 Welzel, JZ 1953, 119 (120). 499 Welzel, JZ 1953, 119 (120). 493 Vgl. 494
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Kap. 2: Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik
Umschreibung eines tatsächlichen Geschehens, wie es sich in der Lebenswirklichkeit abspielt. Dieser Bezug, also das Bindeglied zwischen objektivem Tatbestand und dem auf diesen bezogenen Vorsatz lässt sich allerdings nicht rechtlich greifen, weil es sich bei den entscheidenden Dreh- und Angelpunkten um psychologische Faktoren handelt, die einer Generalisierung kaum oder gar nicht zugänglich sind. Bedeutungskenntnis lässt sich nicht messen, denn sie hängt von psychologischen Vorgängen im jeweiligen Einzelfall ab. Deshalb trifft es aus Sicht der herrschenden Ansicht zu, dass „je nach Art des Merkmals, zu dessen Kenntnis der Täter gelangen muss, […] der psychologische Vorgang des Erkennens verschieden sein [kann].“500 Dieser „Vorgang des Erkennens“ soll zunächst in den Fokus gerückt werden. Insoweit kommen zahlreiche „Vorgänge“ in Betracht, die sich in zwei Gruppen einteilen lassen: Die erste Gruppe bildet die sinnliche Wahrnehmung. Die hierin gebündelten „Vorgänge“ sind insbesondere das Sehen und das Hören. Handelt es sich um ein deskriptives Tatbestandsmerkmal, so soll die sinnliche Wahrnehmung bereits ausreichen, um zur erforderlichen Kenntnis zu gelangen. Als „Paradebeispiel“ unter den deskriptiven Tatbestandsmerkmalen wurde bereits das Merkmal „Mensch“, etwa in den §§ 211, 212 StGB, genannt. Das Merkmal, beziehungsweise dessen Bedeutung, dürfte sich einem Normadressaten in den meisten Konstellationen bereits auf den ersten Blick erschließen, also kraft ausschließlich sinnlicher Leistung in Form des Sehens.501 Eine darüber hinausgehende intellektuelle Leistung, ein „Akt geistigen Verstehens“502 dürfte in der Regel nicht erforderlich sein, um dem Täter zu unterzustellen, dass dieser die für den Vorsatz konstitutive „Kenntnis“ über das Merkmal „Mensch“ hatte. Wer im Dunkeln einen Torso sieht, wird diesen bereits ausschließlich sinnlich als menschlichen Körper identifizieren. Wer auf der Flucht vor der Polizei durch den Wald ein Knacken hinter sich hört und daraufhin über die eigene Schulter schießt, weil er dort einen Verfolger wähnt, hat ebenfalls rein sinnlich einen Menschen wahrgenommen. Natürlich ergeben sich selbst in Bezug auf dieses (wohl am wenigsten umstritten als deskriptiv einzustufende) Merkmal Probleme, etwa wenn es um die Frage geht, ob bereits – und bejahendenfalls ab wann – das ungeborene Kind im Mutterleib den strafrechtlichen Schutz der §§ 211, 212 StGB genießt. Es geht also um die Frage, ab wann ein Mensch ein Mensch im Sinne der strafrechtlichen Vorschriften ist.503 Diese Frage wird ausschließlich normativ bestimmt, wobei nach herrschender Ansicht der Beginn des Geburtsakts maßgebend ist, also „der Beginn der Eröffnungswehen.“504
500 Schönke-Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster,
§ 15 Rn. 39. Vgl. nur SK-Rudolphi/Stein, 8. Aufl., 148. Lfg., § 16 Rn. 15 – „in vollem Umfang der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich.“ 502 Vgl. Puppe, GA 1990, 145 (149). 503 Vgl. etwa BeckOK-StGB-Eschelbach, § 212 Rn. 3 ff.; T. Fischer, Vor § 211 Rn. 5; Schönke/Schröder-Eser/Sternberg-Lieben, Vor § 211 Rn. 12. 504 T. Fischer, Vor § 211 Rn. 5. 501
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Gewissermaßen das „Parade-Gegenbeispiel“ zum Tatbestandsmerkmal „Mensch“ ist im Schrifttum das Merkmal „Urkunde“ (z.B. in den §§ 267, 274 StGB). Anhand einer Analyse dieses Tatbestandsmerkmals erschließen sich weitere Vorgänge, welche die zweite Gruppe an psychologischen „Vorgängen der Erkenntnis“ bilden. Es handelt sich dabei um Vorgänge, die nicht auf sinnlicher, sondern auf intellektueller Ebene anzusiedeln sind: Das Verstehen, das Begreifen, das geistige „korrekt-Werten“. Sinnlich wahrnehmbar, also durch Sehen oder Fühlen, ist an einer Urkunde zunächst nur das bloße Papier (jedenfalls im „klassischen Fall“ einer auf Papier verkörperten Urkunde). Dass es sich bei einem Stück Papier um eine Urkunde im Sinne des Strafrechts handeln könnte, also um eine verkörperte Gedankenerklärung, die dazu geeignet und bestimmt ist, im rechtlichen Verkehr als Beweismittel zu dienen,505 dafür bedarf es hingegen zwingend einer weiteren, einer geistigen Leistung: Es muss also beim Täter eine geistige Hürde überwunden werden, damit bei diesem die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals – mit eigenen Worten – „korrekt ankommt“.506 Ohne diesen Vorgang des Verstehens bleibt es beim Täter beim bloßen Wissen über das Vorliegen eines beschriebenen Blattes Papier. Kurzum: Bei der Frage nach dem Vorsatzwissen soll von entscheidender Bedeutung sein, auf welche Art und Weise dieses „Wissen“ durch den Täter erlangt wird. Zu diskutieren sind in diesem Kontext stets „eher sinnliche“ Vorgänge einerseits und „eher intellektuelle“ Vorgänge andererseits. Beziehungsweise: Innerhalb der strafrechtlichen Irrtumslehre dreht sich schlechterdings alles um genau diese beiden Kategorien eines möglichen „Erkenntnisgewinns“. Dass sich die sinnliche Wahrnehmung und die anschließende Verarbeitung der sinnlich aufgenommenen Information im menschlichen Hirn zumindest physiologisch betrachtet niemals gänzlich voneinander trennen lassen, wird ersichtlich nicht bestritten. Schließlich führt jede Sinnesleistung erst kraft einer intellektuellen Verarbeitung durch das Gehirn dazu, dass überhaupt von „Wissen“ oder „Kenntnis“ gesprochen werden kann. Denn allein etwas zu sehen, bedeutet längst nicht automatisch, das Gesehene auch „erkannt“ zu haben. Allerdings ist genau in dieser – außerordentlich intensiv gepflegten – Grenzziehung durch die Rechtswissenschaft gewissermaßen der neuralgische Punkt der herrschenden Irrtumslehre zu erblicken. 2. Konkretisierung der Vorsatzerfordernisse in der Literatur Die Herangehensweise an die Frage nach dem Vorsatzwissen ist innerhalb der vorliegend als herrschend bezeichneten Strömungen weitestgehend einheitlich. Auch die Rechtsprechung folgt diesem hergebrachten Muster,507 allerdings mit505
Vgl. Schönke/Schröder-Heine/Schuster, § 267 Rn. 2. Welzel, JZ 1953, 119 (120). 507 St. Rspr. seit BGHSt 3, 248 (255); vgl. im Anschluss etwa BGHSt 8, 321 (323 f.); BGHSt 17, 87 (87); BGHSt 42, 268 (272 f.); BGHSt 54, 202 (213); BGH NJW 1985, 134 506 Vgl.
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unter unter Verwendung anderer beziehungsweise unter Vermeidung bestimmter Begrifflichkeiten.508 Jedenfalls im Ergebnis gehen die Gerichte konform mit der überwiegenden Meinung innerhalb der Wissenschaft. Die Untersuchung wird an dieser Stelle in zwei Teile gespalten: in ein „Ergebnis“ einerseits und in den „Weg zum Ergebnis“ andererseits. Die tatbestandlich geforderte Kenntnis im Sinne des Wissenselements ist dabei das Ergebnis. Kann diese nicht festgestellt werden, so liegt ein Tatumstandsirrtum vor, § 16 StGB. Im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit soll zunächst herausgearbeitet werden, was einem Täter nach „der herrschenden Meinung“ abzuverlangen ist, damit von einer „Kenntnis“ i.S.d. § 16 StGB zu sprechen ist (a)). Erst dann wird der „Weg zum Ergebnis“ erörtert: Die Art und Weise, auf welche der Täter zur Kenntnis gelangt, ist der zugehörige, der zur „Kenntnis“ führende Weg. Führt dieser Weg den Täter zu einem hinreichenden Wissen im Sinne des subjektiven Tatbestandes, so liegt kein Tatumstandsirrtum nach § 16 StGB vor. Dieser Weg ist nur bei den normativen Tatbestandsmerkmalen kritisch und streitig, denn in Bezug auf deskriptive Tatbestandsmerkmale soll, wie bereits angesprochen wurde, die – unschwer auszumachende – sinnliche Wahrnehmung genügen. Um hingegen festzustellen, ob die jeweils für erforderlich gehaltene Kenntnis des Täters in Bezug auf ein normatives Tatbestandsmerkmal vorliegt, bedienen sich die meisten Stimmen einer sogenannten „Parallelwertung in der Laiensphäre“ – beziehungsweise es wird vom Vorsatztäter gefordert, dass dieser mittels einer solchen Wertung die geforderte „Kenntnis“ erlangt. Dieses Instrument, dessen sich die allermeisten Autoren bedienen,509 wird erst im Anschluss an die Erörterung der Frage, was „Kenntnis“ als Ergebnis der „Erkenntnis“ eigentlich ist, ausführlich zu erörtern sein (b)). a) Die tatbestandlich geforderte Kenntnis im Sinne des Wissenselements aa) Die klassische Herangehensweise Es wurde bereits angedeutet, dass sich die meisten Ansichten innerhalb der Rechtswissenschaft nur unwesentlich unterscheiden, wenn es um die Frage geht, wann von „Kenntnis“ im Sinne des § 16 StGB zu sprechen ist. Dies soll im Folgenden dargestellt werden.
(135); BGH NJW 1986, 1623 (1623); BGH StV 1992, 106 (106); BGH wistra 2005, 304 (306 f.); OLG Celle wistra 2014, 109 (110); OLG Düsseldorf NJW 1992, 924 (924); OLG Düsseldorf NJW 2001, 167 (168); OLG München BeckRS 2011, 07197; FG Münster BeckRS 2013, 95474. 508 Vgl. zum Verzicht der Rechtsprechung auf eine „Parallelwertung“ Kapitel 2 § 3 D. I. 509 Für mindestens entbehrlich, wenn nicht gar verfehlt halten diese „Parallelwertung“ aus dem Lager der hier als herrschend bezeichneten Lehre allerdings Kindhäuser, GA 1990, 407 (417); LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 30; Matt/Renzikowski-Renzikowski, Vor § 13 Rn. 22; Puppe, GA 1990, 145 (150, 182); SK-Rudolphi/Stein, 8. Aufl., 148. Lfg., § 16 Rn. 15a.
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Für die Kenntnis von Umständen soll bei deskriptiven Tatbestandsmerkmalen bekanntlich die sinnliche Wahrnehmung der objektiven Umstände genügen, während bei normativen Tatbestandsmerkmalen eine weitergehende intellektuelle Leistung, ein „geistiges Verstehen“ der Umstände erforderlich sei. Otto verlangt deshalb für den Vorsatz bei deskriptiven Merkmalen, dass der Täter „eine hinreichende Vorstellung von diesen Gegenständen“, also von den umschriebenen Tat umständen, habe.510 Bei normativen Merkmalen hingegen, die Otto versteht als solche, „deren Inhalt nur im Wege einer ergänzenden Wertung festgestellt werden kann“, müsse „sich der Täter des Bedeutungsgehaltes dieser Wertung bewusst sein.“511 Dieselbe Vorgehensweise findet sich bei Jescheck/Weigend mit der Aussage, dass bei deskriptiven Tatbestandsmerkmalen „der natürliche Sinngehalt verstanden worden sein“ müsse, wohingegen bei normativen Merkmalen „volle Bedeutungskenntnis erforderlich“ sei.512 Nichts anderes meint Schmidhäuser mit der Aussage, dass „juristisch-gefärbte Begriffe wie Eigentum, Besitz, Gewahrsam, Beamter […]“ eine Bedeutungskenntnis voraussetzten.513 Diese Vorgehensweise deckt sich im Weitesten mit dem bereits zitierten Verständnis Roxins: „Kenntnis bedeutet sinnliche Wahrnehmung der deskriptiven und geistiges Verstehen der normativen Tatumstände.“514 Während diese Formel bei deskriptiven Tatbestandsmerkmalen „leicht handhabbar“ sei, setze das geistige Verstehen bei normativen Tatbestandsmerkmalen voraus, dass der Täter den „sozialen Bedeutungsgehalt des inkriminierten Vorganges“ verstanden habe.515 In der Sache selbst sieht sich Roxin auf einer Linie mit dem überwiegenden Schrifttum, wenn er feststellt, seine Auffassung entspreche „im Großen und Ganzen der h.M.“516 Roxin betont dabei, dass in Anbetracht der Tatsache, dass die meisten Tatbestandsmerkmale sowohl deskriptive als auch normative Elemente enthielten, „beide Formen der Kenntnis nötig [sind], indem deren deskriptive Elemente wahrgenommen und ihre normativen Gehalte verstanden werden müssen.“517 In Anlehnung an Roxin518 fordert Murmann ganz generell, also in Bezug auf alle Tatbestandsmerkmale, dass der Täter wertend nachvollzieht, „dass sein Verhalten ein Rechtsgut verletzt.“519 Erst mit einem Erfassen der „Verletzungsbedeutung seines Verhaltens“ habe der Täter eine Entscheidung getroffen, die eine VorsatzOtto, AT, § 7 Rn. 12. Otto, AT, § 7 Rn. 12. 512 Jescheck/Weigend, AT, § 29 II 3 a). 513 Schmidhäuser, AT, 10/52. 514 Roxin, AT I, § 12 Rn. 100. 515 Roxin, AT I, § 12 Rn. 101. 516 Roxin, AT I, § 12 Rn. 114. 517 Roxin, AT I, § 12 Rn. 100. 518 Roxin, JuS 1964, 53 (58 f.). 519 Murmann, AT, § 24 Rn. 9. 510 511
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bestrafung rechtfertige. Dementsprechend reiche „die bloße Tatsachenkenntnis“ jedenfalls nicht aus. Indes: Bei deskriptiven Merkmalen eines Tatbestandes erschließe der natürliche Sinngehalt dem Täter regelmäßig auch den sozialen Sinngehalt, sodass die Kenntnis der „den Begriff erfüllenden Tatsachen“ insofern ausreichend sei.520 Eine darüber hinausgehende Wertung durch den Täter soll jedenfalls bei normativen Tatbestandsmerkmalen erforderlich sein – ebenso allerdings bei manchen deskriptiven Merkmalen. Murmann spricht insoweit von „Grenzfällen“, in denen der normative Gehalt eines deskriptiven Tatbestandsmerkmals „zweifelhaft sein kann“521 und nennt als Beispiel die Frage, ob am „Beginn oder Ende des menschlichen Lebens“ das Tatbestandsmerkmal Mensch erfüllt sei.522 Zumindest prima facie findet sich eine etwas andere Herangehensweise bei Kühl, der vom Täter in Bezug auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale ganz generell sowohl sinnliche Wahrnehmung als auch Bedeutungskenntnis fordert und erst anschließend feststellt, dass die geforderte Bedeutungskenntnis beim normativen Tatbestandsmerkmal allerdings nur dann anzunehmen sei, „wenn der Täter den rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalt des Tatumstandes richtig erfasst hat.“523 Diese Formulierung legt den Umkehrschluss nahe, dass bei deskriptiven Merkmalen eine Bedeutungskenntnis bereits durch die bloß sinnliche Wahrnehmung erlangt werden soll. Im Ergebnis handelt es sich hierbei also um keine abweichende Auffassung, sondern bloß um eine genauere Beschreibung. Denn wenn für die Umstandskenntnis beim deskriptiven Tatbestandsmerkmal unstreitig die sinnliche Wahrnehmung genügen soll, ist es prinzipiell unerheblich, ob dieser Vorgang ein intellektuelles Verstehen einschließt oder nicht – die Ergebnisse entsprechen denjenigen der übrigen Autoren. Wiederum ein wenig anders, allerdings in die Richtung Kühls, formuliert Haft, der sowohl bei deskriptiven als auch bei normativen Tatbestandsmerkmalen zunächst fordert, „daß der Täter die tatsächlichen Umstände (den Sachverhalt) kennt, auf die sich das jeweilige Merkmal bezieht.“524 Hiermit dürfte die sinnliche Wahrnehmung aller Umstände gemeint sein. Darüber hinaus gelte Folgendes: „Genügt die Kenntnis der reinen Tatsachen nicht, um dem Täter die soziale Bedeutung seiner Handlung zu zeigen, muß er sich diese durch einen Akt geistigen Verstehens verdeutlichen.“ Für deskriptive Merkmale reiche diesbezüglich (als Akt geistigen Verstehens) die „Bedeutungskenntnis“ aus, während für normative Merkmale eine „Parallelwertung in der Laiensphäre“ erforderlich sei.525 Dies scheint zwar zunächst jenen Ansichten zu widersprechen, welche die Begriffe „Bedeutungskenntnis“ oder „Verstehen“ gleichsam exklusiv im Zusammenhang mit normativen TatbeMurmann, AT, § 24 Rn. 9. Murmann, AT, § 24 Rn. 10. 522 Murmann, AT, § 24 Rn. 10; vgl. hierzu bereits Kapitel 2 § 3 C. III. 1. 523 Kühl, AT, § 5 Rn. 92. 524 Haft, AT, S. 152. 525 Haft, AT, S. 152. 520 521
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standsmerkmalen ansprechen.526 Im Ergebnis soll jedoch auch nach dieser Auffassung bei den normativen Tatbestandsmerkmalen wiederum die „Parallelwertung“ entscheiden, was – unabhängig von der abweichenden Terminologie – am Ende dieselben Resultate nach sich ziehen wird. Etwas differenzierter erscheint die Herangehensweise von Joecks.527 Dieser kennt zunächst als deskriptive Merkmale solche, „die Gegenstände oder Vorgänge der realen Welt umschreiben, wie zum Beispiel Töten oder Fahren.“528 Bei diesen soll die bloße Tatsachenkenntnis ausreichen. Dasselbe soll gelten für solche Merkmale, die neben ihrem deskriptiven Gehalt einen „normativen Bezug“ aufwiesen, wie beispielsweise die Merkmale „Sache“ oder „Mensch“. Erst soweit „eine starke normative Komponente“ in ein Merkmal hinein spiele, „gelten die Regeln, die allgemein für normative Tatbestandsmerkmale aufgestellt worden sind.“529 Sodann nennt Joecks beispielhaft die Merkmale „Beamter“, „Schwören“, „Urkunde“ oder „Fremdheit“ und betont im Einklang mit der übrigen Lehre, dass sich diese einem Täter „nur durch einen Akt geistigen Verstehens erschließen.“530 bb) „Alternative“ Herangehensweisen Auch Vogel sieht bei normativen Tatbestandsmerkmalen einen anderen Vorsatzgegenstand als bei deskriptiven Merkmalen, weswegen auch eine „Umstandskenntnis“ hier anders zustande kommen soll als dort.531 Den entscheidenden Unterschied sieht Vogel nicht in der Weise des Erkenntnisvorgangs beim Täter, sondern in den „Eigenschaften“, auf die sich die Kenntnis des Täters beziehe: Bei den deskriptiven Merkmalen seien dies „natürliche“ oder „empirische“ Eigenschaften. Diese Eigenschaften müsse der Täter kennen, „sofern sie nach der „juristischen Sprachverwendungsregel erforderlich sind.“ Gemeint ist damit – und hierdurch unterscheidet sich das Verständnis Vogels von den übrigen – eine Kenntnis „im Sinne sinnhaften Verstehens.“532 Demzufolge sollen auch deskriptive Merkmale „verstanden“ werden. Dasselbe soll freilich für normative Tatbestandsmerkmale gelten. Diese jedoch bezögen sich nicht auf „natürliche“, sondern auf „konventionale“ oder „institutionelle“ Eigenschaften, weswegen sich die Kenntnis auch auf genau diese Formen von Eigenschaften bezöge. Auch hier sei die Kenntnis zu verstehen „im Sinne sinnhaften Verstehens.“533
526 Vgl. etwa Jescheck/Weigend, AT, § 29 II 3 a); Otto, AT, § 7 Rn. 12; Roxin, AT I, § 10 Rn. 59. 527 Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 16 Rn. 69. 528 Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 16 Rn. 69. 529 Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 16 Rn. 69. 530 Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 16 Rn. 69. 531 LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 21 ff. 532 Vgl. LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 23 f. 533 Vgl. LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 23, 30.
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Kap. 2: Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik
Der Irrtum über die „juristische Sprachverwendungsregel“ als solcher sei, so Vogel, sowohl bei deskriptiven als auch bei normativen Tatbestandsmerkmalen stets ein unbeachtlicher Subsumtionsirrtum.534 Damit sind Fehlvorstellungen angesprochen, die sich ausschließlich auf die juristischen Begrifflichkeiten in einer Vorschrift beziehen: Derlei Irrtümer sollen so lange unschädlich sein, wie der Täter trotz seines falschen Begriffsverständnisses „sinnhaft verstanden“ hat, dass er ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht. Im Ergebnis führt auch dieses Verständnis zu keinen abweichenden Ergebnissen. Denn was andere Autoren dadurch erreichen, dass sie dem Täter exklusiv bei normativen Tatbestandsmerkmalen eine „Wertung“ oder ein „soziales Sinnverständnis“ abverlangen, erreicht Vogel dadurch, dass er dem von ihm ausnahmslos geforderten „sinnhaften Verständnis“ des Täters beim deskriptiven Tatbestandsmerkmal einen anderen Bezugsgegenstand verleiht als beim normativen Tatbestandsmerkmal. Allerdings ist die Herangehensweise hier insofern anders, als Vogel explizit auch bei den normativen Merkmalen eines Tatbestandes auf die vom übrigen Schrifttum meist obligatorisch geforderte „Wertung“ (und damit insbesondere auf eine „Parallelwertung in der Laiensphäre“) verzichtet und stattdessen bei allen Tatbestandsmerkmalen eine „Kenntnis im Sinne sinnhaften Verstehens“ fordert.535 Für eine ähnliche Herangehensweise spricht sich Puppe aus, die im Übrigen, wie Vogel und Kindhäuser, auf die noch im Einzelnen zu besprechende „Parallelwertung in der Laiensphäre“ verzichten möchte. Dem Täter einzig bei normativen Tatbestandsmerkmalen ein Sinnverständnis abzuverlangen sei verkehrt, denn es gehe „vielmehr bei deskriptiven wie bei normativen Tatbestandsmerkmalen um Sinn und damit, wenn man so will, um einen Akt geistigen Verstehens.“536 Der Inhalt des Vorsatzwissens ist nach diesem Verständnis „nicht mehr und nicht weniger als der Sinn (Intension) der tatbestandsmäßigen Tatbeschreibung.“537 Der Täter muss hiernach also den Sinn des Tatbestandes kennen, beziehungsweise ihn verstanden oder verinnerlicht haben. Damit spricht Puppe weder von einer exakten Normkenntnis, noch von einer richtigen Subsumtion unter den Tatbestand. Es komme nur darauf an, ob der Täter „eine Beschreibung des Sachverhalts gibt, die entweder synonym mit der des Tatbestandes ist oder einen Spezialfall des Tatbestandes enthält.“538 Hierfür bedient sich Puppe des Modells der sogenannten „L-Äquivalenz“:539 Dieses besagt, dass jeder Sachverhalt auf verschiedene Weise 534 LK-Vogel,
12. Aufl., § 16 Rn. 24, 30. LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 30. 536 Puppe, GA 1990, 145 (149). 537 Puppe, GA 1990, 145 (182). 538 Puppe, GA 1990, 145 (182). 539 Vgl. Puppe, GA 1990, 145 (150 f.) – die „L-Äquivalenz“ ist ein sprachphilosophisches Modell, in welchem das „L“ für „Logik“ steht. L-äquivalente Sätze sind hiernach solche, die aus Gründen der Logik äquivalent sind; hierzu ferner Carnap, Einführung in die symbolische Logik, 2. Aufl. 1960, S. 16, 19 ff. 535 Vgl.
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in Worte gefasst werden kann, sodass am Ende diverse, anders lautende Sätze mit jeweils exakt demselben Sinn entstehen. Diese sind dann L-äquivalent und mithin verbunden durch den gemeinsamen Sachverhalt, den sie auf ihre jeweils eigene Art umschreiben. Genau hierin soll der Schlüssel zum Vorsatzwissen liegen: Wenn sich ein Täter einen Satz vorstelle, der zur Formulierung des gesetzlichen Straftatbestandes in L-Äquivalenz stehe, dann liege vorsätzliches Handeln vor.540 Anders ausgedrückt: „Der Täter kennt diese Tatsachen, wenn er weiß, dass er den im objektiven Tatbestand beschriebenen Sachverhalt wahr macht.“541 Im Ergebnis sympathisiert Puppe ausdrücklich mit der bereits dargelegten Rechtsprechung des Reichsgerichts, welche sie als missverstanden einordnet, und zwar bedingt durch deren „unglückselige Terminologie“.542 Puppe stützt sich, angelehnt an das Reichsgericht,543 auf die These, dass der außerstrafrechtliche Rechts irrtum zum Vorsatzausschluss führe und begründet diese Aussage innerhalb ihrer eigenen Theorie damit, dass ein Täter über ein – für das Vorsatzwissen erforderliches – Verständnis vom „Sinn“ des Tatbestandes nur dann verfüge, wenn er auch die Rechte oder Rechtsverhältnisse kenne, die ein Tatbestandsmerkmal beinhalte.544 Kurzum: Puppe behandelt Rechtsverhältnisse im Ergebnis wie Tatsachen des realen Lebens, sodass auch ihrer Ansicht nach diverse rechtliche Fehleinschätzungen als Tatumstandsirrtümer nach § 16 StGB behandelt werden. Ein ähnlicher Ansatz findet sich bei Freund,545 der bekanntlich die Normativität aller Tatbestandsmerkmale in den Fokus rückt.546 Das Ausbleiben einer intensiven Problematisierung des Vorsatzgegenstandes bei deskriptiven Tatbestandsmerkmalen liege nicht an deren „deskriptivem Charakter“, sondern allein daran, „dass die dadurch implizierte normative Wertung als evident richtig empfunden und deshalb nicht mehr weiter hinterfragt“ werde.547 Ausgehend von diesem Verständnis, könne es „überhaupt nur normative Tatbestandsmerkmale geben“,548 denn jedes Tatbestandsmerkmal sei einzig aus dem normativen Kontext heraus „richtig verstehbar“. Dementsprechend ist es nur konsequent, wenn Freund die Behauptung aufstellt, dass ein „deskriptives Vorverständnis“ zwar „zufällig zu dem normativ gesehen richtigen Ergebnis führen“ könne.549 Dann jedoch fehle es an der „Richtigkeitsgewähr“, die „nur durch eine Vergewisserung über den normativen Begründungszu-
Puppe, GA 1990, 145 (150). § 16 Rn. 42. 542 Puppe, GA 1990, 145 (154 f., 180). 543 Vgl. zur Irrtumslehre des Reichsgerichts bereits ausführlich Kapitel 2 § 2 A. 544 Vgl. Puppe, GA 1990, 145 (157). 545 Vgl. Müko-StGB-Freund, 2. Aufl., Vor § 13 Rn. 15 f. 546 Vgl. bereits Kapitel 2 § 3 B. I. 1. c). 547 Müko-StGB-Freund, 2. Aufl., Vor § 13 Rn. 15. 548 Müko-StGB-Freund, 2. Aufl., Vor § 13 Rn. 16. 549 Müko-StGB-Freund, 2. Aufl., Vor § 13 Rn. 16. 540
541 NK-Puppe,
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Kap. 2: Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik
sammenhang zu erzielen [ist], in dem ein bestimmter gesetzlicher Begriff steht.“550 Dann jedoch muss – um eine Richtigkeitsgewähr bei allen Tatbestandsmerkmalen zu erreichen – doch in Bezug auf jedes Tatbestandsmerkmal dieselbe Wertung erfolgen. Demzufolge ist auch hiernach das Vorsatzwissen bei deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen nicht bereits im ersten Schritt anders zu beurteilen. Auch Kindhäuser setzt sich aus einem alternativen Blickwinkel intensiv mit der herrschenden Irrtumslehre auseinander und legt dabei ein besonderes Augenmerk auf Zurechnungsfragen: Bei einem Straftatmodell, das zwischen Unrecht und Schuld differenziere, sei zu unterscheiden zwischen zwei Stufen der Imputation: „Es wird zunächst ein Verhalten […] als Pflichtverletzung zum Unrecht zugerechnet. Sodann wird das Unrecht zur Schuld zugerechnet.“551 Als Zurechnungskriterien dienen für Kindhäuser jeweils „Fähigkeiten, wobei sich die Zurechnung zum Unrecht auf die Handlungs- und die Zurechnung zur Schuld auf die Motivationsfähigkeit des Täters bezieht.“552 Unter Vorsatz versteht Kindhäuser die „für die Bildung des Vermeidemotivs hinreichende Faktenkenntnis“ eines Handelnden.553 Im Rahmen des subjektiven Tatbestandes soll nur danach zu fragen sein, ob ein Täter all jene Tatsachen des Sachverhalts gekannt hat, die er kennen muss, um seine Handlung als Unrecht zu erkennen. Diese Erkenntnis ist das sog. „Vermeidemotiv“. Auf Schuldebene wird sodann gefragt, ob der Täter Gründe dafür anführen kann, dass er dieses Motiv nicht gebildet hat (Vermeidbarkeit i.R.d. § 17 StGB). Und hierzu gehöre „de lege lata auch die unvermeidbare Unkenntnis der Normwidrigkeit des tatbestandsverwirklichenden Verhaltens.“554 Für die Feststellung der Tatsachenkenntnis auf Vorsatzebene unterstellt Kindhäuser allerdings zunächst, dass der Täter über das nötige Vermeidemotiv auch tatsächlich verfügt. Er fingiert also das Vorliegen eines Vermeidemotivs, um die Vorsatzprüfung nicht zu beeinflussen durch ein erst auf späterer Ebene zu prüfendes und daher möglicherweise gar nicht vorliegendes Element. Genau hierin liegt für Kindhäuser sodann auch der logische Bruch mit der im Folgenden ausführlich zu erörternden „Parallelwertung in der Laiensphäre“:555 Nach herrschender Ansicht wird bereits im Vorsatz unter Rückgriff auf dieses Institut nach dem Vermeidemotiv gefragt. Weil jenes bei Kindhäuser allerdings strikt der Schuldebene vorbehalten ist und zudem nicht nur die „Laiensphäre“, sondern gerade die korrekte juristische Wertung bei der Frage nach dem richtigen Vermeidemotiv entscheidend ist, erweist sich die „Parallelwertung“ für Kindhäuser folgerichtig als unhaltbar. Damit kommt Kindhäuser prinzipiell zu demselben Schluss wie Heinrich und Safferling: Die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ nimmt im Tatbestand vorweg, was eigentlich gesetzgeberisch dem Unrechtsbewusstsein, also der Schuld vorbehalten sein soll. Gleichwohl verlangt 550 Müko-StGB-Freund,
2. Aufl., Vor § 13 Rn. 16. Kindhäuser, GA 1990, 407 (415). 552 Kindhäuser, GA 1990, 407 (415). 553 Kindhäuser, GA 1990, 407 (415). 554 Kindhäuser, GA 1990, 407 (415). 555 Vgl. ausführlich Kapitel 2 § 3 C. III. 2. b). 551
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auch Kindhäuser dem Täter bei normativen Tatbestandsmerkmalen im Endeffekt bereits im subjektiven Tatbestand ein Normverständnis ab, wenn er für das Vorliegen des Vorsatzes fordert, dass der Täter eine „hinreichende Vorstellung vom tatsächlichen Resultat, also vom Vorliegen des Rechtsverhältnisses im konkreten Fall gewonnen“ habe.556 Ebenso spricht sich Schuster bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen für einen weitergehenden Vorsatzgegenstand aus: Diese nähmen auf eine konkrete Rechtsfolge Bezug, die „in der sozialen Wirklichkeit ein eigenständiges Dasein führt.“ Der Täter müsse das „maßgebliche Rechtsverhältnis als solches in seinen Vorsatz aufnehmen, ansonsten greift § 16 Abs. 1 StGB.“557 Schuster analysiert zahlreiche Beispiele normativer Tatbestandsmerkmale innerhalb des StGB, wie etwa die Merkmale der Fremdheit und der Rechtswidrigkeit bei Eigentums- und Vermögensdelikten (§§ 242, 246, 253, 263, 289 StGB),558 das Merkmal der Pflichtwidrigkeit bei der Untreue (§ 266 StGB) und ähnlichen Delikten,559 das Bestehen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses (§ 266a StGB)560 oder das Merkmal der Pflichtwidrigkeit der Diensthandlung bei der Bestechung (§§ 332, 334 StGB).561 Diese Rechtsnormen, so Schuster, schützten „wie Tatbestände, die auf Einzelakte Bezug nehmen, eine bestimmte durch einen zivil-, verwaltungs- oder sozialrechtlichen ‚Imperativ‘ begründete und an sich wertindifferente Position.“562 Damit der Täter insoweit verstehe, was er tue, müsse er diese kennen – andernfalls liege ein Tatumstandsirrtum nach § 16 Abs. 1 StGB vor. Die Position von Schuster deckt sich dementsprechend weitestgehend mit der herrschenden Ansicht. cc) Zwischenfazit: Normative und deskriptive Tatbestandsmerkmale werden im Ergebnis unterschiedlich gehandhabt An dieser Stelle lässt sich festhalten, dass trotz zahlreicher terminologischer Differenzen doch sämtliche Strömungen innerhalb des hier als „herrschend“ bezeichneten Lagers zu demselben (Zwischen-)Ergebnis gelangen: Das erforderliche Vorsatzwissen ist bei normativen Tatbestandsmerkmalen ein anderes als bei deskriptiven Tatbestandsmerkmalen. Ob nun von vornherein bei deskriptiven Merkmalen eine „rein sinnliche“ Wahrnehmung ausreichen soll oder mit der Auffassung anderer Autoren prima facie „Gleichbehandlung“ herrscht, aber dann der Bezugsgegenstand des Wissens beim normativen Tatbestandsmerkmal erweitert wird, spielt keine Rolle, wenn das ErKindhäuser, Lehr- und Praxiskommentar, § 16 Rn. 10. Schuster, S. 210. 558 Schuster, S. 170 f. 559 Schuster, S. 172 ff. 560 Schuster, S. 176 ff. 561 Schuster, S. 179 f. 562 Schuster, S. 182. 556 557
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gebnis stets lautet: Die Anforderungen an das Vorsatzwissen steigen mit dem Grad der Normativität eines Tatbestandsmerkmals. Dass zwischen normativen und deskriptiven Tatbestandsmerkmalen jemals eine klare Grenze gezogen werden kann, wurde hinreichend als Irrglaube entlarvt. Insofern bringt bereits das Beispiel der Urkunde evidente Ungereimtheiten zum Vorschein: Es ist unstreitig, dass auch dieses „Paradebeispiel“ eines normativen Tatbestandsmerkmals zumindest in Teilen der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich ist, mindestens soweit es um Papier und Tinte geht. Ein weiteres Beispiel zu demselben Tatbestandsmerkmal liefert das amtliche Kfz-Kennzeichen: Hier sind die Elemente des Schildes, also die hierauf lesbaren Buchstaben sowie die Verbindung zum Auto und die amtlichen Prüfplaketten ebenfalls sinnlich wahrnehmbar. Erst für die Einordnung als Urkunde im juristischen Sinne bedarf es der Überwindung einer geistigen Hürde.563 Hiervon ausgehend, erweist es sich jedenfalls als unschlüssig, das Vorsatzwissen weichenstellend bei (vorwiegend) deskriptiven Tatbestandsmerkmalen gänzlich auf die sinnliche Erfassung der umschriebenen Umstände beziehungsweise Vorsatzgegenstände zu beschränken. Puppe ist insoweit zuzustimmen in ihrem Verständnis vom „tatbestandlichen Sinn“, denn die Einordnung eines Tatbestandsmerkmals in eine der diskutierten Kategorien kann keinen Einfluss darauf haben, ob der Vorsatz durch rein sinnliche Wahrnehmung oder erst in Kumulation mit einer intellektuellen Leistung des Täters erlangt wird: Es geht bei allen Merkmalen „um Sinn und damit, wenn man so will, um einen Akt geistigen Verstehens.“564 Dass beispielsweise das Verständnis bei Jescheck/Weigend von der Aussage Puppes nicht allzu weit entfernt ist, belegt folgende Aussage: „Es versteht sich, daß auch bei den normativen Merkmalen meistens ein Moment der sinnlich erfaßbaren Realität mit im Spiel ist, so daß sie auch wiederum eine Beziehung zur Welt der Tatsachen aufweisen.“565 Wenn dem so ist, versteht es sich dann nicht ebenfalls – praktisch im Umkehrschluss – von selbst, dass den als deskriptiv kategorisierbaren Merkmalen immer auch ein Moment der nicht sinnlich erfassbaren Realität innewohnt? Noch ohne das Gesagte zu bewerten, lässt sich Folgendes festhalten: Die „herrschende Ansicht“, und zu dieser zählen nach dem hiesigen Verständnis neben den zitierten Vertretern zahlreiche weitere Autoren,566 geht davon aus, dass der Vorsatz 563 Vgl. zum Kfz-Kennzeichen BGHSt 45, 197 (200); Schönke/Schröder-Heine/Schuster, § 267 Rn. 36a. 564 Puppe, GA 1990, 145 (149). 565 Jescheck/Weigend, AT, § 26 IV 2. 566 Vgl. Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 3 Rn. 16 ff., § 20 Rn. 19 ff., § 21 Rn. 4 ff.; Frister, AT, 11. Kapitel Rn. 33 ff.; Gropp, AT, § 13 Rn. 91 ff.; Hilgendorf/Valerius, AT, § 4 Rn. 74 ff.; Krey/Esser, AT, Rn. 414 ff.; Otto, AT, § 7 Rn. 12 ff.; Rengier, AT, § 8 Rn. 10 ff., § 15 Rn. 4; Satzger/Schluckebier/Widmaier-Momsen, § 15 Rn. 9, 12, 24 ff.; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 39 f.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 189 ff., 351 ff.
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in Bezug auf ein normatives Tatbestandsmerkmal entweder anders gebildet wird (mehr „geistig“, weniger „sinnlich“) oder jedenfalls auf ein anderes Objekt Bezug nimmt („natürliche“ versus „konventionale“ Eigenschaften) als der Vorsatz in Bezug auf ein deskriptives Tatbestandsmerkmal. Die Komponente „sinnlicher Wahrnehmung“ wird im Verhältnis zum „geistigen Verstehen“ desto mehr in den Hintergrund gerückt, je stärker der normative Einschlag eines Tatbestandsmerkmals ist. b) Die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ Inzwischen steht fest, was üblicherweise gefordert wird, damit von einer Umstandskenntnis i.S.d. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB gesprochen wird. Beziehungsweise: Bis zu diesem Punkt wurde geklärt, wann eine solche als Ergebnis vorliegen soll. Noch nicht abschließend erörtert ist allerdings, wie dieses Wissen nach Auffassung der „herrschenden Lehre“ durch den Täter erlangt werden soll – beziehungsweise wie deren Vorliegen durch den Rechtsanwender festzustellen ist. Es besteht dementsprechend Klärungsbedarf in Bezug auf den Weg zum Ergebnis, also bezüglich des vom Vorsatztäter geforderten „Vorgangs der Erkenntnis“. Insofern werden bekanntlich „sinnliche“ und „intellektuelle Vorgänge“ diskutiert.567 aa) Unproblematisch: Deskriptive Tatbestandsmerkmale Die Frage, wie ein Handelnder Vorsatz in Bezug auf ein deskriptives Tatbestandsmerkmal erlangt, soll sich nach den bisherigen Erörterungen verhältnismäßig einfach beantworten lassen: Regelmäßig wird es für ausreichend befunden, wenn der Täter über bloße Tatsachenkenntnis verfügt – der „natürliche Sinngehalt“568 der tatbestandlichen Umschreibung soll verstanden worden sein, wohingegen eine (rechtliche) Bewertung des Merkmals vonseiten des Normadressaten jedenfalls entbehrlich sei.569 Mithin genügt in aller Regel die bloße Sinnesleistung, damit der Täter einen Tatumstand „kennt“ und somit Vorsatz in Bezug auf das betreffende Tatbestandsmerkmal erlangt. Die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ ist dementsprechend bei (rein) deskriptiven Tatbestandsmerkmalen ohne Bedeutung. Auch die dargestellten, „alternativen Herangehensweisen“, kommen bei deskriptiven Tatbestandsmerkmalen zu keinen abweichenden Ergebnissen: Nach Vogel etwa ist der Vorsatz in Bezug auf ein deskriptives Tatbestandsmerkmal gegeben, wenn der Täter die „natürlichen Eigenschaften, die nach der juristischen Sprachverwendungsregel erforderlich sind“, „sinnhaft“ verstanden hat.570 Dass sich insoweit kaum andere Ergebnisse ergeben werden, liegt auf der Hand. Dasselbe gilt für das Verständnis von Puppe, wonach es darauf ankommt, ob der Sinn des deskriptiven Merkmals verstanden wurde. Zwar geht es diesen Verständnissen 567
Vgl. bereits Kapitel 2 § 3 C. III. 1. Jescheck/Weigend, AT, § 29 II 3 a); Roxin, AT I, § 10 Rn. 58. 569 Jescheck/Weigend, AT, § 29 II 3 a); Roxin, AT I, § 10 Rn. 58. 570 Vgl. LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 24. 568
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zufolge auch beim Erfassen deskriptiver Tatbestandsmerkmale eher um geistig-intellektuelle Vorgänge als um reine Sinnesleistungen. Weil jedoch sowohl Puppe als auch Vogel dasselbe Verständnis von der Definition des deskriptiven Tatbestandsmerkmals haben wie das übrige Schrifttum, ist jedenfalls im Ergebnis ein Einklang feststellbar. bb) Der Problemfall: Normative Tatbestandsmerkmale Zunehmende Probleme bereitet der „Weg zur Erkenntnis“ allerdings, je stärker normativ ein Tatbestandsmerkmal geprägt ist. Wird für den Vorsatz in Bezug auf stark normativ geprägte Tatbestandsmerkmale, in Einklang mit den zitierten Auffassungen, ein „geistiges Verstehen“ oder eine „volle Bedeutungskenntnis“ gefordert, so stellt sich wiederum die Frage, wann diese Art einer „geistigen Leistung“ als erbracht gilt. Der überwiegende Teil im strafrechtlichen Schrifttum bedient sich zur Beantwortung dieser Frage der Konstruktion einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“.571 Die Begrifflichkeit geht zurück auf Mezger,572 der „sein“ Institut dahingehend erklärt, es handle sich um „eine der gesetzlich-richterlichen Bewertung gleichgerichtete Einschätzung des Tatbestandsmerkmals im Gedankenkreis der individuellen Person und Umgebung des Täters.“573 Hieraus ergebe sich weiterhin, dass die entscheidende „Sphäre“ bei einem juristisch gebildeten Täter nicht dieselbe sein könne wie diejenige eines juristischen Laien.574 Hintergrund dieser Konstruktion ist, dass kaum ein Bürger, der nicht eine juristische Ausbildung genossen hat, jemals alle Gesetze kennen – geschweige denn alle erdenklichen (Kriminal-)Sachverhalte unter die zugehörigen Strafgesetze subsumieren können wird. Deswegen stellt sich im Prinzip bei der Prüfung jeder im Raum stehenden Strafbarkeit – mit Arthur Kaufmann – folgende Frage: „Wie ist es möglich, daß Laien […] nach Gesetzen beurteilt und u.U. sogar verurteilt werden, die sie überhaupt nicht kennen?“575 In diesem Zusammenhang wird ersichtlich nicht bestritten, dass eine exakte Normkenntnis als konstitutives Element
571 Baumann/U. Weber/Mitsch, AT, § 21 Rn. 5; T. Fischer, § 16 Rn. 14; Francuski, JuS 2014, 886 (890); Frister, AT, 11. Kapitel Rn. 35; Gropp, AT, § 13 Rn. 99 ff.; Hilgendorf/ Valerius, AT, § 4 Rn. 74; Jescheck/Weigend, AT, § 26 IV 2, § 29 II 3 a); Krey/Esser, AT, Rn. 415 ff.; Kühl, AT, § 5 Rn. 93; Rengier, AT, § 15 Rn. 4; Roxin, AT I, § 12 Rn. 101 ff.; Satzger/Schluckebier/Widmaier-Momsen, § 15 Rn. 26; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 353; vgl. auch Otto, AT, § 7 Rn. 14 – „Parallelbeurteilung in der Laiensphäre“; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 39a, im Anschluss an Welzel, JZ 1954, 276 (279) – „Parallelbeurteilung im Täterbewusstsein.“ 572 Mezger, Lehrbuch, S. 328; ders., Traeger-Festschrift 1926, S. 187 (216 f.). 573 Mezger, Lehrbuch, S. 328. 574 Vgl. Mezger, Lehrbuch, S. 328 Fn. 12. 575 Kaufmann, S. 3.
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des Vorsatzes undenkbar ist – denn dann wären nur Juristen taugliche (Vorsatz-) Straftäter.576 Diesem Umstand möchte ein überwiegender Großteil der Stimmen innerhalb der strafrechtlichen Literatur bereits auf Vorsatzebene gerecht werden. Mithilfe einer „Parallelwertung“ soll festgestellt werden, ob ein Täter die Tat „in ihrem Unwertgehalt zutreffend erfaßt“577 hat, ohne dass dieser jedoch eine perfekte juristische Subsumtion vorgenommen haben muss. Aus diesem Grunde soll es nicht auf die Sphäre oder den Horizont eines „Ideal-Juristen“ ankommen, sondern auf die Sphäre eines juristischen Laien. Der Täter soll „die Wertung des Gesetzgebers, die in dem jeweiligen Begriff verkörpert ist, in seiner eigenen Verstandesebene“578 nachvollziehen. Roxin versteht die „Parallelwertung“ als Verständnis des „sozialen Sinns“ in „laienhaft-sozialer Weise“:579 „Wo […] eine verfehlte Rechtsauffassung dem Täter schon den sozialen Sinn seines Tuns verschleiert […], schließt ein solcher Irrtum den Vorsatz hinsichtlich des betreffenden normativen Tatumstandes aus.“580 Hiernach beschäftigt sich die „Parallelwertung“ also mit der Frage, ob ein Täter innerhalb seines eigenen (nichtjuristischen) Horizonts verstanden hat, was er sozial betrachtet durch sein Handeln tut beziehungsweise „anrichtet“. Kaufmann meint zweifelsohne dasselbe, wenn er verlangt, dass der Täter das „Unrecht im materiellen Sinne“ kenne,581 wohingegen ein Wissen des Täters über die formelle Rechtswidrigkeit nicht erforderlich sei. Es geht bei der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ im Ergebnis also immer darum, falsche rechtliche „Wertungen“ oder ein falsches rechtliches Verständnis des Täters nicht erst auf Schuldebene zu berücksichtigen, sondern ihm seinen diesbezüglichen Irrtum bereits auf Ebene des Tatbestandes anzurechnen beziehungsweise „zugute“ kommen zu lassen. Mag die Terminologie innerhalb des strafrechtlichen Schrifttums auch uneinheitlich sein, so ist im Kern doch ersichtlich immer dasselbe gemeint. Ein interessanter, soweit ersichtlich anderweitig nicht näher thematisierter Ansatz, findet sich bei Kaufmann. Dieser betrachtet die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ aus einer anderen Perspektive wie zuvor bereits Mezger und auch anders als das überwiegende moderne Schrifttum. Für ihn ist die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ ein Prinzip der „Zurechnung als Kommunikationsprozeß“.582 Dabei macht Kaufmann eine ebenso interessante wie auch zutreffende Beobachtung: Die 576 Vgl. Schlüchter, wistra 1985, 43 (44); Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 43a; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 351. 577 Kaufmann, S. 21. 578 Jescheck/Weigend, AT, § 29 II 3 a). 579 Roxin, AT I, § 12 Rn. 103. 580 Roxin, AT I, § 12 Rn. 104. 581 Kaufmann, S. 22. 582 Kaufmann, S. 36 f.
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„Parallelwertung in der Laiensphäre“ wird in der Regel ausschließlich als ein Element innerhalb des Täterbewusstseins dargestellt, deren einzige Funktion darin besteht, „[die] Bedeutung [der Straftat] in der Vorstellung des Täters wiederzufinden.“583 Von dieser als „allzu statische Betrachtungsweise“584 titulierten Sicht wendet sich Kaufmann ab, indem er nicht bloß den Horizont des Täters betrachtet, sondern eine Beziehung herstellt zwischen dem geforderten Täterwissen und dem als juristisch-perfekt vorausgesetzten Wissen des Richters, der im Prozess darüber zu urteilen hat, ob der vermeintliche Vorsatztäter in seiner nichtjuristischen Weise dasselbe „wusste“ wie es der Richter selbst – aus seinem professionellen Blickwinkel – für den Vorsatz fordert. Kaufmann betont zu Recht, dass es nicht auf die „Parallelwertung“ beim Täter ankommt, sondern um „die Entsprechung der beiden Verstehenshorizonte, desjenigen des Täters und desjenigen des Richters.“585 Konsequenterweise stellt Kaufmann fest: „Die ‚Parallelwertung‘ […] vollzieht sich im Richter [Original-Hervorhebung] und nirgendwo sonst.“586 Der Täter beurteile seine Tat dementsprechend bloß nach seinen eigenen Maßstäben, „nach Maßgabe der ihm vertrauten Verhaltensmuster.“587 Deswegen handle es sich bis zum „Kommunikationsprozeß vor dem Gericht“ auch nur um ein „vages“ Täter-Bewusstsein „von der sozialen Bedeutung der Tat.“588 Erst dann bilde sich schlussendlich ein präzises Bewusstsein des Richters von der rechtlichen Bedeutung der Tat.589 Einen der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ verwandten Ansatz verfolgt Papathanasiou mit ihrer „WGVT (Wiederspiegelung der gesetzgeberischen Grund entscheidung im Verständnishorizont des Täters)-Formel“.590 Der „ursprüngliche Kern der Parallelwertung“ sei „durchaus korrekt“, allerdings kranke das Kriterium selbst an diversen „neuralgischen Stellen“.591 Zur Lösung solle insbesondere statt der „Laiensphäre“ der „Verständnishorizont des Täters“ betrachtet werden, „zumal der Wortsinn der Strafnorm aus der Sicht des konkreten Normadressaten zu bestimmen ist und überdies individuelle Fähigkeiten bereits bei der Prüfung der Vorsätzlichkeit mit berücksichtigt werden.“592 Ferner solle statt der „wenig aussagekräftigen sozialen Bedeutung [wie sie etwa Roxin in den Fokus stellt, Anmerkung d. Verf.]“ die gesetzgeberische Grundentscheidung anvisiert werden. Im Ergebnis verfolgt allerdings auch Papathanasiou dasselbe Ziel: „Es lässt sich das äußern, Kaufmann, S. 36. Kaufmann, S. 36. 585 Kaufmann, S. 37. 586 Kaufmann, S. 40. 587 Kaufmann, S. 40. 588 Kaufmann, S. 40. 589 Kaufmann, S. 40. 590 Vgl. dazu Papathanasiou, Roxin-Festschrift 2011, S. 467 ff.; dies., S. 280 ff.; ferner auch die Rezension von Schuster, GA 2016, 60. 591 Papathanasiou, S. 280. 592 Papathanasiou, S. 282. 583
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was bereits innerhalb der Lehre der Parallelwertung in der Laiensphäre angenommen wird, dass nämlich für den Vorsatz bezüglich normativ geprägter Merkmale die Tatsachenkenntnis keineswegs ausreicht.“593 Letztlich gesteht Papathanasiou ein, dass in ihrer Formel „die herrschende Meinung mutatis mutandis“ zum Ausdruck komme.594 Schuster äußert berechtigte Zweifel daran, dass die „WGVT-Formel als solche die tradierte Irrtumsdogmatik zugunsten einer einheitlichen Lösung für normative Tatbestandsmerkmale und Blankette beeinflussen wird“,595 attestiert der Formel aber durchaus eine „Leistungsfähigkeit […] in einer Präzisierung der Parallelwertungslehre.“596 An dieser Stelle lässt sich festhalten, dass die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ – gleich, aus welchem Blickwinkel – das gängige Mittel sein soll, um das Vorsatzwissen in Bezug auf normative Tatbestandsmerkmale festzustellen. Auf die Kritik an diesem Institut, auch jene durch Stimmen innerhalb des hier als „herrschend“ bezeichneten Lagers, wird im Rahmen der umfassenden Kritik an der dargestellten, „herrschenden“ Vorgehensweise einzugehen sein.597 c) Der Vorsatz in Bezug auf Blankettmerkmale Als besonders problematisch erweist sich die Frage nach dem Vorsatzgegenstand bei den Blankettstrafgesetzen. Diese wurden – als übergeordnete Gattung – definiert als solche, deren Tatbestandsvoraussetzungen ganz oder teilweise in einem anderen Rechtssatz normiert sind, gleich ob innerhalb oder außerhalb desselben Gesetzes.598 Von normativen Tatbestandsmerkmalen werden Blankettverweisungen, wie oben ausführlich erörtert wurde,599 üblicherweise danach abgegrenzt, ob die verweisende Vorschrift „unvollständig“ ist, das Verbot oder Gebot also nicht selbst so umschreibt, dass es vom Normadressaten in einer dem Art. 103 Abs. 2 GG genügenden Weise verstanden werden kann, sodass es zur Vervollständigung des Tatbestandes der Merkmale einer Ausfüllungsnorm bedarf, die dann ihrerseits wiederum Art. 103 Abs. 2 GG entsprechen muss, damit ein hinreichend bestimmter „Gesamttatbestand“ entsteht. aa) Die Grundproblematik Die Grundproblematik des Blanketts liegt – auch im Hinblick auf den Vorsatz – darin begründet, dass die Blankettnorm zumindest auf den ersten Blick kein vollPapathanasiou, S. 282. Papathanasiou, S. 282. 595 Schuster, GA 2016, 60 (64). 596 Schuster, GA 2016, 60 (64). 597 Vgl. Kapitel 2 § 3 D. 598 Vgl. Kapitel 2 § 3 B. I. 3. a) aa). 599 Vgl. Kapitel 2 § 3 B. I. 4. 593
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ständiges Strafgesetz darstellt. Zu einem solchen wird das Blankett erst dadurch, dass die „fehlenden“ Elemente der Norm auf irgendeine Weise in den Straftatbestand integriert werden. Nur so entsteht ein „Gesamtstraftatbestand“, der den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügt.600 Ungeachtet aller – freilich in dieser Arbeit noch zu führenden – Diskussionen über die Frage, was alles zu dem „Gesamttatbestand“ der Strafnorm gehören muss und mithin Gegenstand des Vorsatzes ist, lässt sich also bereits an dieser Stelle festhalten, dass sich der Vorsatz des Täters beim Vollblankett ausschließlich, und bei einem Teilblankett zumindest partiell auf Elemente erstrecken muss, die außerhalb des Gesetzes verankert sind, welches seine Bestrafung anordnet. Mit Fokus auf das kognitive Vorsatzelement, stellt sich auch beim Blankettstrafgesetz zunächst die ganz grundsätzliche Frage, wann „Kenntnis“ i.S.d. § 16 StGB anzunehmen ist. Diese Frage wurde für deskriptive und normative Merkmale innerhalb bereits konstruktionsbedingt vollständiger Strafgesetze hinreichend aus der Perspektive der „herrschenden Ansicht“ erörtert. Beim Blankettstrafgesetz kommt nun, über die „Dimensionen“ der Deskriptivität und Normativität hinaus, gewissermaßen eine weitere Dimension hinzu: die Verweisung aus dem Tatbestand heraus zur Vervollständigung des Straftatbestandes. Zwar lassen sich, wie ebenfalls bereits klargestellt wurde, auch normative Tatbestandsmerkmale mitunter als Verweisungen begreifen. Allerdings ist der Verweis mittels eines Blanketts, wie bereits aufgezeigt wurde, von wesentlich stärkerer Qualität. Den Vorsatzgegenstand eines Blankettstrafgesetzes zu bestimmen, bereitet dementsprechend Probleme. Wo bei den „delicta mala per se“ des Kernstrafrechts argumentiert werden kann, dass die Normappelle jener Gesetze tief in der Gesellschaft verwurzelt sind, sodass diese prinzipiell jedermann „kennen“ müsste, entfällt dieses Argument klassischerweise im Nebenstrafrecht, das zu erheblichen Teilen Blankettstrafrecht darstellt.601 Dass es verboten ist, einen anderen Menschen zu bestehlen, zu verletzen oder gar zu töten, ist – was bereits dargestellt wurde – tief im Bewusstsein der Bürger einer jeden vertretbaren Gesellschaftsform verwurzelt. Deshalb wird ersichtlich keine Diskussion darüber geführt, ob die Kenntnis jener Verbotsnormen möglicherweise Gegenstand des Vorsatzes sein sollte. Eine diesbezügliche Kenntnis des Bürgers wird vielmehr schlichtweg als gegeben erachtet. Anders gestaltet sich die Situation hingegen im gesamten Nebenstrafrecht, auch bei den Strafvorschriften des UrhG: Dass persönliche, geistige Schöpfungen urheberrechtlich geschützte Werke darstellen und deren Urhebern absolute Rechte an diesen Werken zustehen, die darüber hinaus im Einzelnen stark ausdifferenziert sind und ohne urheberrechtliche Bildung kaum überhaupt „verstanden“ werden können, beruht auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers, die nicht jeder Bürger zwangsläufig kennen und nachvollziehen muss. Insoweit ließe sich im Gegensatz zu den dargestellten „per se verinnerlichten Appellen“ des Kernstrafrechts (wozu 600
Vgl. Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 99. Dietmeier, S. 1 f.; Lauer, S. 14; Roxin, AT I, § 12 Rn. 110.
601 Vgl.
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längst nicht alle Tatbestände des StGB zählen!) sprechen von „aufgesetzten“ Rechten und Pflichten. „Aufgesetzt“ sind sie deshalb, weil sie (jedenfalls aktuell) eben nicht zu jenem Kernbestand von Rechten und Pflichten gehören, deren Verinnerlichung durch die Bürger für das Bestehen der Gesellschaft (seit jeher) unerlässlich ist, sondern die erst aus einem speziellen Regelungsbedürfnis heraus geschaffen wurden. Es handelt sich dabei um Regeln, deren Existenz erst in jüngerer Zeit durch die gesetzgebenden Organe für nötig befunden wurde und die oftmals nur für einen beschränkten Personenkreis von Bedeutung sind. Dass diese womöglich in Zukunft einmal zum bereits skizzierten Kernbestand der Rechte und Pflichten zählen werden, ist ebenso möglich wie deren Fortentwicklung oder Entfallen. Als Beispiel dient das Urheberrecht: Dieses wuchs erst aus einem spezifischen Bedürfnis heraus und durchlief einen stetigen Wandel bis zum heutigen Tag. Seine Appelle richten sich oftmals an „Spezialisten“ (früher beispielsweise an „Raubdrucker“) und sind zu großen Teilen nicht im Bewusstsein der Allgemeinheit verankert. Ob das UrhG in einem oder mehreren Jahrzehnten überhaupt noch existiert oder ob es dann in abgewandelter Form – bedingt durch gewandelte Bedürfnisse – ganz andere Rechte und Pflichten enthält, ist ungewiss. Ebenso verhält es sich etwa mit dem Steuerrecht. Der Gesetzgeber entscheidet sich für bestimmte Steuerpflichten, deren umfassende Kenntnis gewiss nicht tief in der Gesellschaft verwurzelt ist. Sie werden der Gesellschaft aus Haushaltsgründen auferlegt und verändern sich fortlaufend. Derlei „aufgesetzte“ Gebote und Verbote sind im Nebenstrafrecht vielfach existent. Weitere repräsentative Beispiele hierfür sind – neben den §§ 106 ff. UrhG – etwa die Strafvorschriften im Arzneimittelrecht (§§ 95 ff. AMG), im Patentrecht (§ 142 PatG), im Lebens- und Futtermittelrecht (§§ 58, 59 LFBG)602 oder im Wertpapierhandelsrecht (§ 38 WpHG). Diese Liste ließe sich beliebig fortführen. Die so geregelten, strafrechtlichen Verbote sind augenscheinlich an Spezialisten adressiert und der „Allgemeinbildung“ nicht zugänglich. Sie zu kennen, wird von den meisten Bürgern offensichtlich nicht erwartet. Darum dürften sie auch niemals zum Kernbereich jener Rechte und Pflichten zählen, deren allgemeine Verinnerlichung unerlässlich ist für das Bestehen der Gesellschaft. Dieser Umstand wirft zunächst nur die Frage auf, ob das Vorsatzwissen im Nebenstrafrecht etwas anderes ist (oder etwas anderes sein sollte) als im Kernstrafrecht – was zumindest grundsätzlich nicht zwingend etwas mit der Problematik der Blankette zu tun hat. Am anschaulichsten und deswegen auch am intensivsten diskutiert wird diese Problematik allerdings bei den Blankettstrafgesetzen. Neben die Komponente einer Verteilung der Tatbestandsmerkmale auf mehrere Vorschriften tritt regelmäßig die Problematik eines zeitlichen Auseinanderfallens von Blankett und Ausfüllungsnorm.603 Das Strafrecht unterliegt einem stetigen 602 Vgl. zur Verfassungsmäßigkeit (beziehungsweise Verfassungswidrigkeit) dieser besonders unübersichtlich gefassten Blankettvorschriften nur Bode/Seiterle, ZIS 2016, 91; dies., ZIS 2016, 173. 603 Vgl. nur Dietmeier, S. 138 ff.; ferner Jakobs, AT, 4/66; Tiedemann, NJW 1986, 2475.
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Kap. 2: Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik
Wandel, der sich nicht bloß in der Neufassung von Straftatbeständen manifestiert, sondern oftmals auch darin, dass in Bezug genommene Vorschriften geändert werden. Dietmeier spricht insofern treffend von einem „stillen Wandel“.604 Dieser betrifft normative Tatbestandsmerkmale ebenso wie Blankettvorschriften. Wenn also beispielsweise die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften bezüglich des Eigentumserwerbs modifiziert werden, so wirkt sich dies zwangsläufig auf das strafrechtliche Merkmal der „fremden Sache“ aus. Ebenso verhält es sich mit dem Merkmal „in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen“ in § 106 UrhG: Entscheidet sich der Gesetzgeber zur Aufnahme einer neuen oder zur Abschaffung einer bestehenden Schrankenregelung, so tangiert diese Maßnahme zwangsläufig die Strafvorschriften des UrhG – egal, ob das Merkmal „in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen“ als Blankettverweisung begriffen wird oder als normatives Tatbestandsmerkmal.605 Zutreffend weisen Bode/Seiterle in diesem Zusammenhang auf die Problematik hin, dass die „hohe Informationsdichte“ eines Blanketts die Gefahr mit sich bringt, dass die verweisenden Vorschriften, die formal betrachtet eigentlich „einfach konzipiert erscheinen“, hierdurch mit dem ausfüllenden Rechtsmaterial „quasi geflutet“ würden, was die Gefahr eines „undurchdringlichen Regelungsdschungels“ mit sich bringe, „vergleichbar einer formal hoch komplex aufgebauten Norm, die viele geschriebene Querverweise enthält.“606 Für den Rechtsadressaten sehen Bode/Seiterle hierbei ein evidentes Problem, denn der Gang eines solchermaßen komplizierten Verweisungswegs gleiche „einem mühsamen Puzzlespiel nach dem Zufallsprinzip und dürfte zumindest einem Rechtsunkundigen nicht zumutbar sein.“607 Dieser Problematik wird im strafrechtlichen Schrifttum vor allem bei der Behandlung von Irrtumsfällen – und dort mithilfe verschiedener Lösungsansätze – begegnet. Bode/Seiterle stellen insofern fest, dass bei steigender Komplexität der Verweisungsketten „Verbotsirrtümer sogar den absoluten Regelfall, individuelle Unrechtseinsicht […] demgegenüber eine Seltenheit darstellen“608 dürften und erblicken dabei in der Lösung über die Irrtumslehre einen „Scheinausweg“, über welchen das Problem „auf die Ebene des Einzelfalles“ verlagert würde, womit das „generelle Bestimmtheitsproblem jedoch nicht überzeugend gelöst werden“ könne.609 Dieser Aussage ist in Bezug auf den Aspekt der Kasuistik nicht zu widersprechen. Indes: Die Verfassungsmäßigkeit von Blankettverweisungen zu erörtern, würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit übersteigen.610 Es soll demgegenüber von der Dietmeier, S. 138. Vgl. ausführlich Kapitel 3 § 3 C. I. 606 Bode/Seiterle, ZIS 2016, 91 (92). 607 Bode/Seiterle, ZIS 2016, 91 (93). 608 Bode/Seiterle, ZIS 2016, 91 (92). 609 Bode/Seiterle, ZIS 2016, 91 (95). 610 Vgl. zur Verfassungsmäßigkeit von Blankettvorschriften jüngst auch Hoven, NStZ 2016, 377. 604 605
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Verfassungsmäßigkeit der betreffenden Blankette ausgegangen werden, um gerade für die Irrtumslehre adäquate Lösungen zu eruieren. bb) Die Lösungsansätze Dass bei Blankettstrafvorschriften eine Integration der Ausfüllungsnormen in den Tatbestand erforderlich ist, wird nicht bestritten. Unklar ist allerdings, wie diese rechtstechnisch zu erfolgen hat – und weiterhin vor allem, was nach der Zusammenführung von Blankett und Ausfüllungsnorm alles vom Vorsatz erfasst sein muss. (1) „Zusammenlesen“ von Blankett und Ausfüllungsnorm Nach überwiegender Auffassung sind, um eine vollständige Strafvorschrift zu erhalten, das Blankett und sein ausfüllender Rechtssatz schlicht „zusammen zu lesen“.611 Nach dieser „Inkorporationstheorie“612 ist die Blankettvorschrift so zu betrachten, also stünde der ausfüllende Rechtssatz bereits in dem ausfüllungsbedürftigen Gesetz selbst.613 Dies hat zur Folge, dass die in Bezug genommenen Merkmale der Ausfüllungsnorm auch so behandelt werden, als stünden sie tatsächlich im ausfüllungsbedürftigen Strafgesetz. Nach deren Inkorporation in den Tatbestand soll vom Vorliegen einer vollständigen Strafvorschrift auszugehen sein, die nicht anders zu behandeln sei wie jede von vornherein „vollständige“ Vorschrift. Welzel, der gemeinsam mit Warda als Wegbereiter dieser Theorie zu nennen ist, betont mit Blick auf den Vorsatz ausdrücklich, dass die Blankettgesetze „gegenüber den sonstigen Strafrechtsnormen im Prinzip überhaupt keine Besonderheiten“ aufwiesen.614 Deshalb soll sich der Vorsatz beim Blankettstrafgesetz neben denjenigen Tatbestandsmerkmalen, die das Blankett womöglich selbst bereithält, darüber hinaus auch nur auf die inkorporierten Tatbestandsmerkmale beziehen. Das bedeutet insbesondere, dass die bloße Existenz der blankettausfüllenden Norm nicht vom Vorsatz umfasst zu sein braucht, die Verbotskenntnis also auch beim Blankettstrafgesetz irrelevant für die Bestimmung des Vorsatzes ist.615 Dieses Ergebnis stellt auf den ersten Blick nicht mehr als eine konsequente Anwendung der Schuldtheorien 611 Vgl. BGH NStZ 1993, 594 (595 f.); BGH wistra 2003, 65 (66); Jescheck/Weigend, AT, § 29 V 3; LK-Dannecker, 12. Aufl., § 1 Rn. 152; LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 37; Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 16 Rn. 74; KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 24 ff.; Satzger/ Schluckebier/Widmaier-Satzger, § 1 Rn. 61; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 100/101; Schuster, S. 209, 258 ff., 394; Warda, S. 36; Welzel, MDR 1952, 584 (586); Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 157. 612 Vgl. zu dieser Begrifflichkeit Bülte, JuS 2015, 769 (770); Satzger/Schluckebier/Widmaier-Satzger, § 1 Rn. 61; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 157. 613 Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 100/101; Warda, S. 36 ff. 614 Welzel, MDR 1952 584 (586); zustimmend Warda, S. 36. 615 Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 100/101; Warda, S. 37; Welzel, MDR 1952 584 (586).
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dar, was – wie bereits erörtert – ausweislich der Vorschrift des § 17 StGB dem klaren Willen des Gesetzgebers entspricht. Wenn die „Einsicht, Unrecht zu tun“ erst auf Ebene der Schuld zum Tragen kommt, so muss die Normkenntnis eigentlich bereits vom Grundsatz her als potenzieller Vorsatzgegenstand ausscheiden.616 Die Vorgehensweise dieser „wohl noch“617 herrschenden Meinung lässt sich anhand der §§ 106, 53 Abs. 1 UrhG verdeutlichen. Angenommen, das verweisende Merkmal „in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen“ in § 106 UrhG wäre eine Blankettverweisung, so müsste der Straftatbestand, bezogen auf die Schrankenregelung in § 53 Abs. 1 S. 1 UrhG, folgendermaßen gelesen werden: „Wer […] ein Werk […] vervielfältigt […], wird […] bestraft, es sei denn, es handelt sich um eine einzelne Vervielfältigung eines Werkes durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch auf beliebigen Trägern […], für die keine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwendet wurde.“
Nach dieser Lesart muss der Vorsatz nur in Bezug auf die objektiven Tatumstände festgestellt werden, wie sie sich aus dem fingierten Tatbestand ergeben. Das bedeutet, dass (mit der erörterten, herrschenden Ansicht zu den normativen Tatbestandsmerkmalen) jedes Merkmal des so gebildeten Tatbestandes zunächst darauf zu untersuchen wäre, ob es sich um ein deskriptives oder normatives Merkmal handelt, um sodann das erforderliche Vorsatzwissen zu bestimmen und dessen Vorliegen gegebenenfalls festzustellen. Auf das skizzierte Beispiel angewendet, bedeutet dies: Der Täter hat Vorsatz in Bezug auf das Nichteingreifen einer Schrankenregelung (als negativ gefasstes Tatbestandsmerkmal), wenn er die tatsächlichen Umstände kennt und nach Laienart korrekt erfasst,618 die deren inkorporierte „Elemente“ ausmachen: eine Vervielfältigung, ein Werk, eine natürliche Person, den Privatgebrauch, die beliebigen Träger, die Vorlage, eine mögliche Rechtswidrigkeit derselben, deren Herstellung, deren Zugänglichmachung sowie die diesbezügliche Öffentlichkeit. Ob der Täter bezüglich „seines“ gesetzlich zugelassenen Falles hingegen eine „Normkenntnis“ oder ein „Normverständnis“ hatte, soll im Rahmen der Vorsatzprüfung nicht thematisiert werden. Es bleibt also außer Betracht, ob er also tatsächlich wusste, dass eine Schrankenregelung zu seinen Gunsten existiert, und dass in dieser Hinsicht womöglich ein Irrtum zu seinen Gunsten eingreifen könnte. Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung folgt prinzipiell diesem – wie erwähnt „wohl noch herrschenden“ – Muster,619 allerdings ohne sich ausdrücklich zu einer „Inkorporationstheorie“ zu bekennen. 616 Vgl. nur Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 16 Rn. 74; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 99, 104. 617 Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (459). 618 Zur Kritik an der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ vgl. noch ausführlich Kapitel 2 § 3 D. II. 619 Vgl. BGHSt 3, 400 (402 f.); BGHSt 9, 164 (167, 172 f.); BGH NStZ 1993, 594 (594 f.); BGH wistra 1995, 306 (307); BGH wistra 2003, 65 (66 f.); BGH wistra 2006, 464 (464 f.); BGH wistra 2013, 153 (153).
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(2) Kritik an der Technik des „Zusammenlesens“ Der dargestellten Ansicht wird vor allem im Zusammenhang mit Vorschriften des Nebenstrafrechts (insbesondere des Wirtschaftsstrafrechts) regelmäßig entgegengehalten, dass sie die Eigenarten der blankettartig in Bezug genommenen Regelungsmaterien nicht berücksichtige. Innerhalb des modernen Schrifttums tritt – mehr als jeder andere – seit jeher Tiedemann der Technik des „Zusammenlesens“ mit Vehemenz entgegen.620 Das Zusammenlesen von Blankett und Ausfüllungsnorm lasse den Straftatbestand „zunehmend deskriptiv(er) werden“ und führe im Ergebnis dazu, dass der außerstrafrechtliche Normbefehl „schließlich ganz eliminiert“ werde.621 Deshalb sei gegenüber der herrschenden Auffassung zu rügen, dass „heute unter der Flagge der Schuldtheorie eine Auffassung vorherrscht, die für den Täter erheblich ungünstiger ist als etwa die RG-Rechtsprechung […].“622 Im Sinne einer „verfassungsorientierten Straftatlehre“623 setzt sich Tiedemann stattdessen dafür ein, das Wissen über die Existenz von blankettausfüllenden Normen zum Vorsatzgegenstand zu erklären. Durch das „Zusammenlesen“ von Blankett und Ausfüllungsnorm würde eine Umdeutung vorgenommen, wobei aus Art. 103 Abs. 2 GG folge, dass „Umformulierungen durch den Rechtsanwender nur dort vorgenommen werden dürfen, wo es um […] nur technische Formulierungen geht.“624 Bei Tiedemann findet sich eine Thematisierung der unbestrittenermaßen existenten Blankett-Problematik – wie soeben gezeigt – regelmäßig im Kontext von Vorsatz- und Schuldtheorie. In der Tat können, was bereits ausführlich erörtert wurde, sämtliche, auch rechtliche Fehlvorstellungen, unter dem Regime der Vorsatztheorie im Ergebnis zum Vorsatzausschluss führen.625 Ausgehend von dem Verständnis, dass die Kenntnis ausfüllender Rechtsnormen beziehungsweise das Wissen über deren Existenz zum Vorsatz gehören müsse, ist es demzufolge nur konsequent, wenn Tiedemann davon spricht, dass im Nebenstrafrecht zumindest partiell die Vorsatztheorie oder eine „gespaltene Schuldtheorie“ zur Anwendung kommen solle.626 Diese Ansicht stößt auf breite Zustimmung innerhalb der Strafrechtswissenschaft. Roxin schließt sich Tiedemann, unter Verwerfung seiner ursprünglich ver620 Vgl. Tiedemann, S. 92 f., 244, 250 ff.; ders., Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 339 ff.; ders., JuS 1989, 689 (695); ders., Geerds-Festschrift 1995, 95 (104 ff.); ders., JZ 2013, 733 (833); allgemein kritisch bzgl. der Behandlung des Verbotsirrtums insb. im Nebenstrafrecht ders., ZStW 81 (1969), 869. 621 Tiedemann, S. 93; ders., JZ 2013, 733 (833); vgl. auch ders., Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 339. 622 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 341. 623 Tiedemann, Geerds-Festschrift 1995, 95 (106). 624 Tiedemann, Geerds-Festschrift 1995, S. 95 (105). 625 Vgl. zur Vorsatztheorie bereits Kapitel 2 § 2 B. 626 Tiedemann, Geerds-Festschrift 1995, S. 95 (106).
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tretenen Auffassung, ganz ausdrücklich an,627 bezieht diese ausdrückliche Zustimmung allerdings zunächst nur auf „Vollblankette“.628 Eine Bedeutungskenntnis sei in diesen Fällen ohne Verbotskenntnis nicht zu erlangen. Ferner prognostiziert Roxin, dass sich diese Auffassung „wahrscheinlich allgemein durchsetzen“ werde.629 Weiterhin schlägt Roxin auch in Bezug auf „rechtliche Bezugnahmen anderer Art“ vor, die Verbotskenntnis umfassend zum Vorsatzgegenstand zu erklären: „In den überaus zahlreichen Fällen, in denen ein Tatbestand andere Rechtsvorschriften oder rechtliche Anordnungen integriert, gehört deren Kenntnis zum Vorsatz, was im Ergebnis mit der Vorsatztheorie übereinstimmt.“630 So setze der vorsätzliche Verstoß gegen ein Berufsverbot eine Kenntnis des Verbots voraus (§ 145c StGB), ebenso wie die vorsätzliche Nichtbefolgung eines Befehls dessen Kenntnis erfordere.631 Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang der Hinweis Roxins, dass die Unterschiede von Vorsatz- und Schuldtheorie „bei sachgerechter Auslegung“ nicht so groß seien, „wie dies ursprünglich vielfach (auch von mir) angenommen worden ist.“632 Dass seine Ergebnisse jenen der Vorsatztheorie entsprächen, gibt Roxin nun offen zu. Was allerdings – zumindest in den vorliegend diskutierten Konstellationen – überhaupt noch als Bestandteil des Unrechtsbewusstseins auf Ebene der Schuld übrigbleiben soll, wenn die Verbotskenntnis bereits zum Vorsatz gehört, das lässt Roxin in diesem Zusammenhang offen. Hieran entzündet sich auch die maßgebliche Kritik an dieser Auffassung: Wo die Verbotskenntnis zum Vorsatz gehören soll, kommt es zwangsläufig zum Bruch mit dem Verständnis der Schuldtheorien.633 Puppe ist ebenfalls der Ansicht, dass ein „Zusammenlesen“ von Blankett und Ausfüllungsnorm dazu führe, dass der Sinn des gesetzlichen Tatbestandes verkürzt werde.634 Weil nach Puppes bereits dargelegtem Verständnis das Vorsatzwissen gleichzusetzen ist mit einer „Sinnkenntnis“,635 leuchtet es ein, dass immer dort ein vorsatzausschließender Irrtum vorliegen soll, wo eine Sinnkenntnis durch den Täter nicht erlangt werden kann. Puppe betrachtet den Streit fokussiert aus Roxin, Tiedemann-Festschrift 2008, S. 375 (381). Roxin, Tiedemann-Festschrift 2008, S. 375 (381) Fn. 27 – dort findet sich ein Verweis auf Roxin, AT I, § 12 Rn. 110: „Das sind Tatbestände, die nur eine Sanktionsnorm enthalten […].“ 629 Roxin, Tiedemann-Festschrift 2008, S. 375 (381). 630 Roxin, Tiedemann-Festschrift 2008, S. 375 (382). 631 Vgl. Roxin, Tiedemann-Festschrift 2008, S. 375 (381). 632 Vgl. Roxin, Tiedemann-Festschrift 2008, S. 375 (382). 633 Vgl. nur Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (459); Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 16 Rn. 74; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 100/101, 104. 634 NK-Puppe, § 16 Rn. 67; dies., AT, § 8 Rn. 34; dies., GA 1990, 145 (154 ff., 157); zustimmend Enderle, S. 340 ff.; Fakhouri-Gómez, GA 2010, 259 (264, 265 ff.); Müller-Magdeburg, S. 124 f., 128 ff. 635 Vgl. erneut Puppe, GA 1990, 145 (153) sowie bereits Kapitel 2 § 3 C. III. 2. a) bb). 627
628 Vgl.
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der Sicht der §§ 16, 17 StGB und ordnet ihn als Abgrenzungsfrage von Tatumstands- und Verbotsirrtum ein: Richtigerweise soll als Anknüpfungspunkt des vorsatzausschließenden Irrtums nicht bloß „eine Verhaltensnorm, die sich an den Täter wendet“ dienen, sondern vielmehr eine Verhaltensnorm, die zusätzlich „zum Mindeststandard der in der herrschenden Rechtsethik der Gesellschaft begründeten Regeln des Zusammenlebens gehört.“636 Gerade bei den strafrechtlichen Nebengesetzen handelt es sich aber um Vorschriften, deren Appelle oft nicht zu diesem Mindeststandard zählen – im Gegensatz beispielsweise zu Mord, Totschlag, Diebstahl oder Raub. Der Täter müsse sowohl um die Erfüllung des ausfüllenden Tatbestandes wissen, weil es der Blankettvorschrift ansonsten am „deskriptiven Sinn“ fehle, als auch um die Erfüllung des „Blankettbegriffs“, welcher wiederum den „normativen Sinn“ des Blanketts verkörpere.637 So kommt Puppe schließlich zu einem identischen Ergebnis wie Tiedemann: Bei den „delicta mala mere prohibita“, also vor allem den Vorschriften des Nebenstrafrechts, muss die Kenntnis der ausfüllenden Norm vom Vorsatzwissen umfasst sein. Ist dies nicht der Fall, so hat der Täter – mit Puppe – keine hinreichende „Sinnkenntnis“, sodass der Irrtum ein solcher des § 16 StGB ist. Diese Kritik teilt auch Lauer, unter Verweis auf das bereits mehrfach zitierte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. März 1952,638 welches bis heute als richtungsweisende Entscheidung für das Verständnis der Schuldtheorien verstanden wird. Überall dort, so Lauer, wo „der Gesetzgeber Normen in strafrechtliche Tatbestände ohne nähere Bezeichnung miteinbezieht […], da gehören die Bezugsnormen nicht mehr zu dem, was nach dem Gedanken der […] BGH-Entscheidung und des § 17 StGB jeder Bürger wissen oder aber in Erfahrung bringen muß.“639 Die Deutlichkeit beziehungsweise Undeutlichkeit einer Verweisung markiert für Lauer deswegen auch die Grenze vom Vorsatzwissen i.S.d. § 16 StGB zur Einsicht, Unrecht zu tun i.S.d. § 17 StGB: So soll es „nicht den Schuldvorwurf, sondern bereits die Vorsätzlichkeit seines Handelns“ betreffen, wenn sich ein Normadressat „über Existenz oder Reichweite von Normen irrt, die konkludente oder unpräzise Blankettmerkmale in Strafvorschriften ausfüllen.“640 Auch Rudolphi/Stein sehen die Notwendigkeit, das Vorsatzwissen bei Blankettstrafvorschriften um „Existenz und Wirksamkeit“ von Bezugsnormen zu erweitern. Die Bezugsnormen, um die es in jenen Fällen gehe, gehörten nicht zu dem Kreis von Normen, „deren Grundstrukturen man normalerweise im Laufe der Sozialisation internalisiert und in deren Bereich man daher meist relativ leicht von dem wahrgenommenen Sachverhalt auf die Existenz oder Nichtexistenz einer
636 NK-Puppe,
§ 16 Rn. 67. § 16 Rn. 67. 638 Vgl. hierzu bereits Kapitel 2 § 2 B. II. 639 Lauer, S. 121. 640 Lauer, S. 121. 637 NK-Puppe,
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Verhaltenspflicht schließen kann.“641 Genau dies sei allerdings die Grundannahme, auf der die Schuldtheorie basiere. Aus einem ähnlichen Blickwinkel nähert sich Bülte demselben Ergebnis an: Der Tatbestand werde nach herrschender Auffassung als Unrechtstypus verstanden, was mit sich bringe, dass der Tatbestand – als abstrakt-generelle Unrechtsumschreibung – alle Umstände umschreiben müsse, „die eine bestimmte Straftat regelmäßig ausmachen.“642 Wenn nun das Gesetz eines Rückgriffs auf einen außerstrafrechtlichen Normbefehl bedürfe, dessen Nichtbeachtung erst die abstrakte Unrechtsverwirklichung begründe, so sei das verletzte (also beim Blankett das in Bezug genommene) Ge- oder Verbot Bestandteil der generellen Unrechtsumschreibung.643 Sofern sich das Unrecht allerdings nicht bereits aus einer allgemein anerkannten sozial-ethischen Wertung ergebe (wie bei den „delicta mala per se“) und die Strafvorschrift selbst keinen (vollständigen) Normbefehl beinhalte, liege schlicht überhaupt kein Unrecht vor.644 Dementsprechend sieht Bülte in der „Inkorporationstheorie“ einen Verstoß gegen die Systemfunktion des Tatbestandes als Unrechtsumschreibung.645 Dieselbe Argumentation findet sich bei Schroth, allerdings konkret nur auf „Vollblankette“ bezogen: Der Verstoß gegen „spezifische Normen in anderen Teil ordnungen“ sei unrechtsbegründend, er konstituiere „die konventionale Eigenschaft, die eine Handlung des Täters haben muß“.646 Deshalb sei eine Kenntnis über den „Sachverhalt, der den Normverstoß […] begründet“ nicht ausreichend, um den Vorsatz zu bejahen – vielmehr soll auch der Verstoß gegen das Gesetz selbst vom Vorsatz umfasst sein.647 Als Beispiel nennt Schroth zunächst § 28 VersG, der als „Vollblankett“ auf § 3 VersG verweist, also selbst überhaupt keinen Tatbestand enthält. Allerdings soll das Gesagte auch für „materielle Strafrechtsnormen, die Unrecht teilweise als Verstoß gegen Vorschriften begründen“ gelten,648 wobei etwa die §§ 107c, 283 Abs. 1 Nr. 7 StGB als Beispiele dienen. Auch diese beiden Vorschriften verweisen explizit auf bestimmte Rechtsgebiete beziehungsweise Themenkomplexe („dem Schutz des Wahlgeheimnisses dienende Vorschrift“ respektive „entgegen dem Handelsrecht“), ohne deren Vorschriften allerdings genau zu benennen. Insgesamt lässt sich den Ausführungen von Schroth allerdings der Wille entnehmen, auch im Falle von nur konkludenten Verweisungen vom Vorsatztäter eine Verbotskenntnis zu fordern.649 641 SK-Rudolphi/Stein,
8. Aufl., 148. Lfg., § 16 Rn. 18a. Bülte, NStZ 2013, 65 (70). 643 Bülte, NStZ 2013, 65 (70). 644 Bülte, NStZ 2013, 65 (70). 645 Vgl. Bülte, NStZ 2013, 65 (70). 646 Schroth, S. 60. 647 Vgl. Schroth, S. 60 f. 648 Schroth, S. 61. 649 Vgl. insbesondere die Übersicht der Vorsatzerfordernisse bei Schroth, S. 65 f. 642
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Kritik erfährt die „Inkorporationstheorie“ ferner für die unterschiedliche Behandlung von Blankettverweisungen und normativen Tatbestandsmerkmalen. Eine konsequente Anwendung der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ führe nämlich dazu, dass der Täter beim normativen Tatbestandsmerkmal durchaus (laienhafte) „Verbotskenntnis“, also auch „Kenntnis“ der in Bezug genommenen Vorschrift haben muss, um vorsätzlich zu handeln – wohingegen genau dies nach „herrschender Ansicht“ beim Blankett eben nicht gefordert wird mit dem Argument, dass ansonsten die Schuldtheorie umgangen werde.650 Weil allerdings Blankette und normative Tatbestandsmerkmale gleichermaßen als Verweisungen begriffen werden, wird regelmäßig die Frage gestellt, warum denn beide Kategorien in diesem Punkt überhaupt unterschiedlich behandelt werden sollen. Dieses Argument gewinnt vor allem unter dem Gesichtspunkt an Gewicht, dass eine Abgrenzung der beiden Verweisungskategorien voneinander, wenn überhaupt, dann nicht trennscharf möglich ist.651 Ob sich insoweit jedoch überhaupt unterschiedliche Resultate ergeben, ist fraglich: Denn mit der „Inkorporationstheorie“ muss doch nach dem Zusammenlesen des Tatbestandes bezüglich jedes einzelnen, inkorporierten Tatbestandsmerkmals festgestellt werden, ob dieses normativ oder deskriptiv ist. Und dies führt doch dazu, dass bei in Bezug genommenen normativen Tatbestandsmerkmalen doch dieselben Grundsätze zur Anwendung gelangen wie nach der (noch) herrschenden Auffassung. Übersichtliche Analysen aller vorherrschenden Ansichten treffen Vogel,652 der die Kritik im Ergebnis allerdings nur teilweise mittragen möchte, und Schuster,653 der in seiner eingehenden Untersuchung über Irrtümer im Spannungsfeld von Strafrecht und Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass eine partielle Anwendung der Vorsatztheorie bei Blankettvorschriften nicht begründbar sei. Der Wunsch nach einer vorsatzausschließenden Wirkung sei, so Vogel, insoweit zwar „nicht verwunderlich“,654 wobei Vogel grundsätzlich alle vorliegend bereits zitierten Kritikpunkte anerkennt. Nichtsdestotrotz gehe es zu weit, bei „unechten“ Blanketttatbeständen das Wissen über die in Bezug genommene Vorschrift zum Vorsatzgegenstand zu erklären, wobei Vogel unter „unechten“ Blanketten solche versteht, die in „eindeutig abkürzender, also eindeutig allein der Gesetzestechnik dienender Weise auf Vorschriften desselben Gesetzes beziehungsweise Gesetzgebers verweisen [Original-Hervorhebungen].“655 Denn dann könne von einer Verschiebung des tatbestandlichen Sinns nicht die Rede sein. Hiermit sind vor allem 650 Vgl. zur Widersprüchlichkeit dieser Auffassung nur Bülte, JuS 2015, 769 (776 f.); vgl. ferner Enderle, S. 340 f. sowie Roxin, Tiedemann-Festschrift 2008, S. 375 (381). 651 Vgl. bereits ausführlich Kapitel 2 § 3 B. I. 4. 652 LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 37 ff. 653 Schuster, S. 146 ff., 208 ff. 654 LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 40. 655 LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 40.
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strafrechtliche Nebengesetze angesprochen, die jeweils am Ende des Regelungswerks separate Strafvorschriften enthalten. Schuster betont, dass eine ausnahmslose Kenntnis von Gesetzen vom Bürger „freilich“ nicht verlangt werden könne, was indes auch von niemandem gefordert werde.656 Die „Spezialnormen des Nebenstrafrechts“ würden dabei auch nicht für jedermann relevant, sondern seien „jeweils auf Angehörige besonderer Berufsgruppen und bestimmte Lebenskreise zugeschnitten.“657 Schuster erblickt dementsprechend – entgegen der bereits zitierten breiten Meinung im Schrifttum – auch kein Problem in dem Umstand, dass entsprechende Informationen über Blankettverweisungen in die Strafgesetze einbezogen werden: „Die Unkenntnis etwa des Verbots von Kinderarbeit ist nicht deshalb entschuldbarer, weil dieses nicht unmittelbar in der Sanktionsnorm […] geregelt ist.“658 Ferner sei Jakobs659 darin zuzustimmen, dass „für den Fachmann eine Vielzahl von sozialethisch angeblich neutralen Regelungen in ihrer Notwendigkeit evident sein dürfte.“660 Als „problematisch“ stuft Jakobs hierbei einzig den Fall eines „Neulings“ im jeweiligen Gebiet ein.661 Für diesen Fall betont Schuster: „Selbst dort […] ist vom Neuling zu erwarten, dass er sich über die für ihn geltenden Vorschriften informiert.“662 Die Schuldtheorie ist somit nach Schuster ausnahmslos auch im Nebenstrafrecht – wo Blankette Legion sind – konsequent zur Anwendung zu bringen, wobei man „schließlich nicht gehindert“ sei, „den § 17 S. 1 StGB im Bereich des Nebenstrafrechts angepasst an die jeweilige Sachlage großzügiger anzuwenden.“663 cc) Zwischenergebnis zum Vorsatzverständnis bei Blankettvorschriften Nach dem vorstehend Erörterten lässt sich zunächst festhalten, dass die Frage nach dem Vorsatzgegenstand bei Blankettstrafgesetzen stark ergebnisorientiert beantwortet wird. Im Wesentlichen herrschen dabei zwei Auffassungen vor: Die Vertreter der „Inkorporationstheorie“ fingieren einen vollständigen Straftatbestand, indem sie den Inhalt der Ausfüllungsnorm in das Blankett „hineinlesen“. Die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ soll hierbei ganz regulär zur Geltung kommen, sodass bezüglich normativer Ausfüllungstatbestandsmerkmale ein laienhaftes Verstehen gefordert wird. Die Existenz des in Bezug genommenen Ge- oder Verbots wird gleichwohl nicht zum Vorsatzgegenstand. Insoweit bleibt ein Verbots irrtum denkbar, der aber bekanntlich nur dann zur Straflosigkeit führt, wenn er unvermeidbar war, § 17 StGB. Schuster, S. 149. Schuster, S. 149. 658 Schuster, S. 150. 659 Jakobs, AT, 19/19. 660 Schuster, S. 151. 661 Jakobs, AT, 19/19. 662 Schuster, S. 151. 663 Schuster, S. 156. 656 657
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Zahlreiche Stimmen fordern demgegenüber, neben den Tatumständen, wie sie sich aus der Ausfüllungsnorm ergeben, auch die Existenz derselben zum Vorsatzgegenstand zu erklären. Das bedeutet, dass ein Irrtum über das Bestehen oder die Reichweite eines ausfüllenden Ge- oder Verbots bereits auf Tatbestandsebene berücksichtigt wird und zum Vorsatzausschluss führt. Diese Auffassung ist für den Irrenden freilich wesentlich vorteilhafter, denn dann bleibt ihm das Risiko einer durchaus denkbaren – und nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung auch überaus wahrscheinlichen – Vermeidbarkeit seines Irrtums erspart. IV. Zusammenfassung zur Behandlung von Irrtümern in der Rechtswissenschaft Die bisherigen Ergebnisse sollen an dieser Stelle kurz resümiert werden: Es existieren zwei Kategorien von Tatbestandsmerkmalen, die im subjektiven Tatbestand durch das überwiegende Schrifttum sowie durch die Rechtsprechung unterschiedlich behandelt werden: mehr normative und mehr deskriptive Merkmale. Insoweit wurde zwar ein weitgehend einheitliches Vorgehen herausgefiltert. Dass gleichwohl nicht von einer in sich schlüssigen, „herrschenden Ansicht“ die Rede sein kann, steht in Anbetracht der vielfältigen Strömungen innerhalb des dargestellten Spektrums außer Frage. Nichtsdestotrotz stimmen die genannten Vertreter darin überein, dass in Bezug auf eher normative Tatbestandsmerkmale ein – mit eigenen Worten – „stärkerer Vorsatz“ zu fordern ist, als bei eher deskriptiven Tatbestandsmerkmalen. Während bei der letztgenannten Gruppe ein sinnliches Erfassen der durch das Merkmal umschriebenen Tatumstände ausreichend sein soll, wird bei eher normativ geprägten Merkmalen zumeist eine „Bedeutungskenntnis“ oder ein „Sinnverständnis“ gefordert. Daneben existieren Stimmen, die dem Täter auch bei eher deskriptiven Merkmalen ein „Sinnverständnis“ abverlangen. Diese kommen indes über einen Umweg zu denselben Ergebnissen, indem sie bei eher normativen Merkmalen schlicht andere Anknüpfungspunkte für das zu erlangende Verständnis sehen. Weil eine exakte, juristische Einordnung der Tatbestandsmerkmale vom Normadressaten unstreitig nicht gefordert werden kann (sonst könnten nur Juristen vorsätzlich handeln), wird zur Feststellung der geforderten Kenntnis überwiegend auf das Instrument der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ zurückgegriffen. Ein Sonderproblem stellen Blankettverweisungen dar, deren Behandlung ebenfalls umstritten ist.
D. Die herrschende Irrtumslehre in der Kritik Die Irrtumslehre, begriffen als logisches Ergebnis einer Anwendung der Lehren über Vorsatz und Schuld,664 hängt in ihren Resultaten entscheidend davon ab, welche Anforderungen an das Vorsatzwissen gestellt werden. Im subjektiven Tatbe-
664
Vgl. dazu Kapitel 2 § 1.
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stand erfolgen nahezu alle Weichenstellungen der Irrtumsdogmatik:665 Worauf bezieht sich der Vorsatz richtigerweise? Wo liegt die Grenze vom Tatumstandsirrtum zum Verbotsirrtum? Und gelten Besonderheiten bei Blankettverweisungen? Ziel der folgenden Ausführungen ist es, unter Auswertung der zuvor herausgearbeiteten Grundsätze tragfähige Antworten auf diese (und weitere) Fragen zu finden. I. Zur fehlenden Kritik der Rechtsprechung an der herrschenden Irrtumslehre Bereits die Vielfalt an Strömungen innerhalb der vorstehend als „herrschend“ dargestellten Auffassung legt deren Streitbarkeit nahe. Gleichwohl werden die sich aufdrängenden Fragen zumindest innerhalb der Rechtspraxis nicht gestellt. Auf eine ausführliche Darstellung der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann deswegen vorliegend verzichtet werden.666 Die Gerichte vermeiden es, unabhängig von einer kasuistischen „Feinjustierung“, an den dargestellten Grundsätzen zu rütteln, und urteilen grundsätzlich nach demselben Muster wie die dargestellten Vertreter innerhalb der Wissenschaft. Freilich ergeben sich je nach Einzelfall und je nach spezifischer Literaturmeinung auch insoweit (vereinzelt) Diskrepanzen. In seiner jüngeren Rechtsprechung stellt sich der Bundesgerichtshof gegen eine allzu schematische Herangehensweise bei Irrtümern und betont die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum bei normativen Tatbestandsmerkmalen.667 Zwar sehr fallbezogen, aber gleichwohl nicht ohne Anspruch auf Grundsätzlichkeit, betont der BGH, eine sachgerechte Einordnung etwaiger Fehlvorstellungen oder Fehlbewertungen (der Angeklagten) lasse „sich nicht durch schlichte Anwendung einfacher Formeln ohne Rückgriff auf wertende Kriterien und differenzierende Betrachtungen erreichen.“668 Am konkret einschlägigen Beispiel der Untreue führt der BGH aus, dass es einerseits nicht überzeugen könne, „jede (worin auch immer begründete) fehlerhafte Wertung, nicht pflichtwidrig zu handeln“, stets zum Vorsatzausschluss führen zu lassen.669 Andererseits soll es nach Auffassung des Bundesgerichtshofs für die Bejahung vorsätzlichen Handelns auch nicht per se ausreichen, wenn der Täter „alle die objektive Pflichtwidrigkeit seines Handelns begründenden tatsächlichen Umstände“ kenne.670 Deswegen dürfe ein Verbotsirrtum in diesen Konstellationen ebenso wenig von vornherein angenommen werden. Im konkreten Fall hatte der Bundesgerichtshof die aufgeworfe665 Freilich stellen sich auch im Rahmen der Anwendung von § 17 StGB weitere Fragen, vgl. insbesondere zur Prüfung der Vermeidbarkeit ausführlich Kapitel 2 § 3 D. II. 2. d). 666 Vgl. zu den Inkonsequenzen der Rechtsprechung insoweit auch Harnos, S. 193 ff. 667 BGH NJW 2006, 522 (531) – Abgrenzungsschwierigkeiten seien insoweit „häufig der Fall“. 668 BGH NJW 2006, 522 (531); ausdrücklich zustimmend LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 32. 669 BGH NJW 2006, 522 (531). 670 BGH NJW 2006, 522 (531).
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nen Fragen zwar nicht zu entscheiden, sondern verwies zurück an die Vorinstanz. Allerdings lässt sich der Anschein einer (gewollten) höchstrichterlichen Kasuistik nicht von der Hand weisen. Indes: Diese Kasuistik erscheint unter der Prämisse der „herrschenden Irrtumslehre“ generell unvermeidbar – denn wo sich der Irrtum auf ein normativ geprägtes Merkmal bezieht, eröffnen sich so viele Abgrenzungsfragen, dass der „Kasuistikvorwurf“ tatsächlich kaum als Vorwurf begriffen werden darf. Dass dieses Vorgehen der Rechtssicherheit nicht zuträglich ist, sollte allerdings im gleichen Zug betont werden. Denn Rechtssicherheit wäre in der Tat durch die vom BGH ausdrücklich abgelehnte schlichte Anwendung einfacher Formeln am ehesten erreichbar. In den meisten Fällen vermeidet die Rechtsprechung bei der Beurteilung von Irrtümern über normative Tatbestandsmerkmale zwar den Rückgriff auf die „Parallelwertung in der Laiensphäre“,671 bringt im Kern aber deren Grundsätze zur Anwendung. So stellen sowohl der Bundesgerichtshof als auch die Instanzgerichte regelmäßig darauf ab, ob ein Täter bei normativ geprägten Tatbestandsmerkmalen deren Bedeutung, Gehalt oder rechtliche Wertung gewürdigt beziehungsweise erfasst hat.672 Anders stellt sich das Verhältnis von Rechtsprechung und Wissenschaft bei Blankettstrafgesetzen dar. Die höchstrichterliche Rechtsprechung wird in diesem Kontext oftmals als unbefriedigend empfunden,673 was darauf zurückzuführen ist, dass insoweit auch innerhalb des strafrechtlichen Schrifttums – wie bereits festgestellt wurde – deutlich weniger Einigkeit herrscht.674 Der Bundesgerichtshof geht mit der herrschenden Literaturansicht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Kenntnis der ausfüllenden Verbotsnorm nicht zum Vorsatz gehört. Dementsprechend findet sich die Kritik an der höchstrichterlichen Judikatur folgerichtig im Lager der Kritiker der „Inkorporationstheorie“. II. Kritische Würdigung der „herrschenden Grundsätze“ Bereits die Diagnose einer Fehlvorstellung kann entscheidende Auswirkungen auf die Strafbarkeit eines Handelnden haben. Von ebenso richtungsweisender Kraft ist allerdings die nachgelagerte Frage, ob die konkret im Raum stehende Fehlvorstellung oder -wertung bereits auf Vorsatzebene oder erst auf Schuldebe671 Vgl. aber BGHSt 3, 248 (255); BGHSt 4, 347 (352) – vonseiten des Täters genüge eine „dem Gesetz entsprechende Wertung“, gleich, ob diese als „Parallelwertung“ oder anders bezeichnet werde; OLG Düsseldorf NJW 2001, 167 (168) – „Parallelbewertung in Laiensphäre“; vgl. dazu auch NK-Puppe, § 16 Rn. 51. 672 Vgl. etwa BGHSt 3, 110 (123); BGHSt 4, 80 (85 f.); BGHSt 5, 284 (288); BGHSt 8, 321 (323 f.); BGHSt 15, 332 (338); BGHSt 34, 379 (390); BGHSt 48, 322 (328 f.); BGH NJW 2006, 522 (531); BGH PharmR 2015, 127 (131 f.); OLG Braunschweig NStZ-RR 1998, 175 (177). 673 Vgl. LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 39; SK-Rudolphi/Stein, 8. Aufl., 148. Lfg., § 16 Rn. 18. 674 Vgl. bereits Kapitel 2 § 3 C. III. 2. c).
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ne zu berücksichtigen ist. Bei diesen Fragen handelt es sich keinesfalls um Streitigkeiten von bloß akademischem Interesse, sondern um Weichenstellungen von höchster praktischer Relevanz. Dementsprechend darf es zumindest verwundern, dass Rufe nach einer Irrtumslehre mit klaren Abgrenzungskriterien innerhalb der Strafrechtswissenschaft nur äußerst selten laut werden. Einzig die bereits dargestellte, „strenge“ Irrtumslehre scheint ohne derlei Abgrenzungsprobleme auszukommen.675 Gleichwohl wird dieses nur sehr vereinzelt vertretene Verständnis weder in der Rechtsprechung, noch im breiten strafrechtswissenschaftlichen Diskurs ernstlich thematisiert. Demgegenüber sollen in der vorliegenden Arbeit die Vorzüge dieser – prinzipiell durch die §§ 16, 17 StGB vorgegebenen – „klaren“ Logik herausgearbeitet und den seitens der „herrschenden Meinung“ gehegten Bedenken gegenübergestellt werden. Denn das Resultat eines gänzlich abgrenzungsresistenten Lösungsweges erscheint in Anbetracht der unübersichtlichen Meinungsvielfalt im Schrifttum doch zumindest verlockend. Die Einteilung in deskriptive und normative Tatbestandsmerkmale liefert als solche zunächst keinen Anknüpfungspunkt für Kritik. Denn dass von höchst normativ bis höchst deskriptiv alle Prägungen denkbar sind und dass auch tatsächlich Tatbestandsmerkmale jeder Prägung existieren, wird ersichtlich nirgends bestritten. Deren unterschiedliche Behandlung bietet hingegen reichlich Spielraum für eine kritische Auseinandersetzung. Dasselbe gilt für die Behandlung von Blankettverweisungen: Bereits die aufgezeigten Uneinigkeiten in Wissenschaft und Rechtsprechung weisen den Weg hin zu einer kritischen Erörterung. Im Folgenden werden die „herrschenden Grundsätze“ kritisch hinterfragt, um schlussendlich eine verbindliche Vorgehensweise für die urheberrechtlichen Untersuchungen herauszuarbeiten. Hierfür werden die Schwachstellen der „herrschenden Lehre“ punktuell analysiert (1. bis 4.). Anschließend wird eine eigene Irrtumslehre herausgearbeitet und damit eine verbindliche Vorgehensweise für die nachfolgenden Ausführungen festgelegt (§ 4). 1. Die erste Schwachstelle: Die Unmöglichkeit einer trennscharfen Unterscheidung von Merkmalstypen Es wurde bereits mehrfach erwähnt, dass weder eine Unterscheidung von normativen und deskriptiven Tatbestandsmerkmalen676 noch eine Abgrenzung von Blankettverweisungen zu Verweisen mittels normativer Tatbestandsmerkmale677 trennscharf möglich ist. Darum drängt sich die Frage auf: Ist es in Anbetracht dessen überhaupt geboten und statthaft, diesen Abgrenzungsfragen im Verbrechensaufbau eine solche Bedeutung beizumessen, wie es die Vertreter der herr675 Vertreter sind ersichtlich nur Dopslaff, Harnos, Heinrich und Safferling, vgl. Kapitel 2 § 3 C. I. 676 Vgl. Kapitel 2 § 3 B. I. 1. 677 Vgl. Kapitel 2 § 3 B. I. 4.
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schenden Lehre tun? Darüber hinaus wurde festgestellt, dass Inbezugnahmen von normativen Tatbestandsmerkmalen durch Blankette die Probleme der beiden Kategorien sogar kumuliert auftreten lassen.678 Treffend ist deswegen die Aussage von Bülte, der den gängigen Kriterien zur Abgrenzung von Blankettverweisung und normativem Tatbestandsmerkmal allenfalls die Funktion einer „Faustformel“ zubilligt, „die nicht über verbleibende Auslegungsprobleme hinwegtäuschen“ könne.679 Doch kann es tatsächlich angehen, dass eine bloße Faustformel unterschiedliche Rechtsfolgen für die Strafbarkeit auslöst? Dass zahlreiche Abgrenzungsschwierigkeiten existieren, steht nunmehr außer Frage und wird ebenso regelmäßig in der Literatur thematisiert. Gleichwohl existieren kaum Stimmen, die aus diesem Umstand auch tatsächlich Konsequenzen ziehen. a) Normative Tatbestandsmerkmale als „Problemherde“ Der Kern aller Abgrenzungsprobleme liegt zweifelsohne in der unterschiedlichen Behandlung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen im Hinblick auf den Vorsatz. Denn erst dadurch, dass das kognitive Vorsatzelement beim normativen Tatbestandsmerkmal um das Erfordernis einer – wie auch immer im Einzelnen ausgestalteten – Bedeutungskenntnis erweitert wird, eröffnen sich überhaupt Abgrenzungsfragen. Würden dagegen bei allen Kategorien von Tatbestandsmerkmalen stringent dieselben Regeln zur Anwendung gebracht, so wäre die Irrtumslehre insofern frei von Grenzbereichen, innerhalb welcher Abgrenzungsfragen erst entstehen können. Dann wäre bei der Prüfung des subjektiven Tatbestandes jene „schlichte Anwendung einfacher Formeln ohne Rückgriff auf wertende Kriterien und differenzierende Betrachtungen“680 möglich, welcher der Bundesgerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung die Sachgerechtigkeit für eine Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum abspricht.681 Den Aspekt mangelnder Abgrenzungstauglichkeit greifen ersichtlich bereits all jene Vertreter auf, die in Bezug auf jedes Tatbestandsmerkmal eine „Sinnkenntnis“682 verlangen beziehungsweise eine Kenntnis „im Sinne sinnhaften Verstehens“683 sowohl für normative als auch deskriptive Tatbestandsmerkmale fordern. Jedoch führen diese Herangehensweisen, wie bereits erörtert wurde, deswegen zu denselben Ergebnissen wie die „ganz herrschende“ Auffassung, weil sie für die geforderte Sinnkenntnis bei normativen Merkmalen weitergehende Anknüpfungspunkte konstruieren als bei deskriptiven Merkmalen: Während bei deskriptiven Merkmalen nämlich allein die tatsächlichen Umstände „verstanden“ werden müssen, soll bei normativen Tatbestandsmerkmalen das Verstehen von 678
Vgl. Kapitel 2 § 3 C. III. 2. c). Bülte, JuS 2015, 769 (774). 680 BGH NJW 2006, 522 (531). 681 Vgl. BGH NJW 2006, 522 (531). 682 Vgl. Puppe, GA 1990, 145 (149). 683 Vgl. LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 23 f. 679
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Tatsächlichem nicht ausreichen, sondern zudem auch ein Verstehen der „rechtlichen Umstände“ beziehungsweise „konventionalen Eigenschaften“ hinzutreten, um den Vorsatz bejahen zu können.684 Damit ist aber das Abgrenzungsproblem nicht gelöst: Denn es ist gleichgültig, ob bereits bei der Einordnung eines Tatbestandsmerkmals als deskriptiv oder normativ festgelegt wird, welcher Grad an Wissen zu fordern ist, oder ob dieselbe Weiche erst später mit der Frage gestellt wird, ob sich der Vorsatz auch auf alle ihn „konstituierenden“ (rechtlichen oder tatsächlichen) Umstände bezieht – das Problem, dass sich nicht klar unterscheiden lässt, welche Tatbestandsmerkmale „sinnlich“ und welche nur „geistig“ verstehbar sind, haftet auch diesen Modellen an, sodass durch diese in Bezug auf die Grenzbereichsfragen nichts gewonnen ist. Die einzig ersichtliche Möglichkeit, um der Tatsache zu entrinnen, dass eine Abgrenzung von normativen und deskriptiven Tatbestandsmerkmalen nie trennscharf möglich sein wird, ist die Herangehensweise von Heinrich, Harnos, Dopslaff und Safferling, die – was bereits festgestellt wurde685 – der vielgepflegten Ausnahmestellung der normativen Tatbestandsmerkmale ablehnend gegenüberstehen. Heinrich betont, dass es zumindest guter Gründe bedürfe, um die durch das Reichsgericht ursprünglich vorgenommene (und im Übrigen angesichts der heutigen Gesetzesfassung auch durch das StGB vorgegebene) Einteilung in Irrtümer über tatsächliche Umstände einerseits (§ 16 StGB) und in Irrtümer auf Ebene des Unrechtsbewusstseins andererseits (§ 17 StGB) aufzugeben.686 Diese sei tatsächlich einfach zu handhaben und führe darüber hinaus auch zu „gerechten“ Ergebnissen.687 Während letztgenannter Aspekt (die Gerechtigkeit) an dieser Stelle zunächst dahingestellt bleiben soll,688 lässt sich das Argument der „einfachen Handhabung“ von vornherein nicht von der Hand weisen. Es existiert ersichtlich keine unproblematischere Herangehensweise als die schlichte Trennung von Irrtümern über tatsächliche Umstände (des Sachverhalts) und Irrtümern über die rechtliche Bewertung (des Sachverhalts). Wo die Gegenansichten mitunter unter höchstem Begründungsaufwand herausarbeiten müssen, warum ein Tatbestandsmerkmal bereits sinnlich verstehbar ist oder warum es nur unter Hinzuziehung einer rechtlichen Wertung in vorsatzbegründender Weise verstanden werden kann, bietet die Herangehensweise von Heinrich, Harnos, Dopslaff und Safferling stets eine unkomplizierte Prüfung: Nur dann, wenn sich der Täter über einen tatsächlichen Umstand des Lebenssachverhalts irrt, liegt ein vorsatzausschließender Tatumstandsirrtum vor, § 16 StGB. Die hieraus notwendigerweise resultierende (und bewusst in Kauf genommene) Verlagerung zahlreicher Irrtümer in den Bereich des § 17 684
Vgl. hierzu bereits ausführlich Kapitel 2 § 3 C. III. 2. a) b). Vgl. bereits Kapitel 2 § 3 C. I. 686 Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (456). 687 Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (456). 688 Vgl. dazu Kapitel 2 § 3 D. II. 2. b). 685
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StGB und die hierauf gerichtete Kritik der herrschenden Auffassung werden an späterer Stelle thematisiert.689 Die ungleich größere Simplizität der streng am Wortlaut orientierten Herangehensweise soll verdeutlicht werden anhand von Beispielsfall 1:690 Wenn die Handelnde A beim Hochladen ihres Lieblingslieds in tatsächlicher Hinsicht alle Handlungen korrekt einordnet, also weiß, dass sie eine Musikdatei (ein Werk) ins Internet lädt und überdies weiß, dass sie mit dem anschließenden Versenden eines Hyperlinks zu dieser Datei auch ihren besten Freundinnen einen Download ermöglicht, so handelt sie vorsätzlich in Bezug auf diverse Tathandlungen des § 106 UrhG (zur genauen Einordnung vgl. später die erschöpfenden Ausführungen zum Urheberrecht). Setzt sie nun, wie in Fallvariante a), versehentlich teils unbekannte Dritte „in cc“, so hat sie diesen tatsächlichen Umstand nicht erkannt und handelt ohne Vorsatz in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal „Öffentlichkeit“. Denn dann erfasst ihre Umstandskenntnis nur einen Personenkreis abseits der Öffentlichkeit i.S.d. § 15 Abs. 3 UrhG. Irrt sie hingegen bloß, wie in Fallvariante b), darüber, dass das „Teilen“ des Links auf ihrer Facebook-Profilseite unter „Facebook-Freunden“ erlaubt sei (was es nicht ist), so hat sie dennoch in tatsächlicher Hinsicht alles korrekt erfasst – es liegt dann nur ein Irrtum über die rechtliche Bewertung des Merkmals „Öffentlichkeit“ vor, der höchstens nach § 17 StGB zur Straflosigkeit führen kann, sofern er unvermeidbar war. Beträchtlich schwieriger ist die Prüfung unter Rückgriff auf die herrschenden Grundsätze: Hiernach wäre in einem ersten Schritt zu prüfen, ob die jeweils einschlägigen Elemente des § 106 Abs. 1 UrhG (Vervielfältigen, öffentliche Wiedergabe und insbesondere das Merkmal der Öffentlichkeit) normative Tatbestandsmerkmale darstellen. Zumindest in Bezug auf das Merkmal der Öffentlichkeit innerhalb der „öffentlichen Wiedergabe“ wäre dies problematisch – und in Anbetracht des hohen normativen Gehalts sowie der abweichenden urheberrechtlichen Definition der „Öffentlichkeit“ im Vergleich zur umgangssprachlichen „Öffentlichkeit“ wohl zu bejahen,691 sodass im Ergebnis bereits auf Tatbestandsebene die Diskussion aufflammen würde, ob A in ihrer „Laiensphäre“ korrekt erfasst hat, dass der Link auf der Facebook-Seite i.S.d. § 15 Abs. 3 UrhG für eine Mehrzahl von Personen bestimmt war, die untereinander nicht durch persönliche Beziehungen verbunden sind. Die Ergebnisse dürften sich hier zwar nicht unterscheiden. Allerdings steht fest, dass der Weg zum Ergebnis mit der herrschenden Ansicht ungleich komplizierter, fehleranfälliger und dementsprechend von weitaus weniger Rechtssicherheit geprägt wäre. Auch Safferling stützt seine Ansicht unter anderem auf die mangelnde Durchführbarkeit einer entsprechenden Abgrenzung:692 Es fehle bereits an einer exakten 689
Vgl. dazu Kapitel 2 § 3 D. II. Vgl. Kapitel 1 § 4. 691 Vgl. dazu noch ausführlich Kapitel 3 § 3 B. III. 3. sowie Kapitel 3 § 3 B. IV. 1. 692 Vgl. Safferling, S. 125 ff. 690
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Definition des normativen Merkmals, mittels derer sich eine Abgrenzung zum deskriptiven Merkmal vornehmen lasse, sodass im Ergebnis Zufälligkeiten nicht ausgeschlossen werden könnten.693 Weiterhin „verlege“ sich die Lehrbuchliteratur überwiegend auf „die Wiedergabe einer Liste von Merkmalen, was kaum befriedigen kann.“694 Schließlich hinterfragt Safferling, warum die vorliegend diskutierte Unterscheidung überhaupt vorgenommen wird und erblickt als „das Entscheidende […] letztlich die Rechtsfolge, nämlich dass für eine Reihe von Merkmalen, aus welchem Grund auch immer, die reine Kenntnis des Täters für sein vorsätzliches Handeln nicht ausreichen soll, sondern er sich zusätzlich eines besonderen gesetzlichen Bedeutungsgehalts bewusst sein muss.“695 Safferling gelangt zu dem Ergebnis, dass eine Unterscheidung von deskriptiven und normativen Merkmalen unter Rückgriff auf die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ nicht überzeugen könne:696 Die Grundsätze führten zu einer zusätzlichen Verschleierung der Vorsatzvoraussetzungen und zu einer unnötigen Verkomplizierung der Vorsatz- und Irrtumslehre. Dies spiegelt die Kritik von Heinrich wider, welcher unisono vor einer „Verwässerung der gesamten Irrtumslehre“ warnt.697 In der Tat führen die herrschenden Grundsätze zwangsläufig zu der angeprangerten Verwässerung der Irrtumslehre, was im Übrigen auch die Befürworter der herrschenden Ansicht nicht leugnen, wenn sie sich die Undurchführbarkeit einer Abgrenzung von normativen und deskriptiven Tatbestandsmerkmalen eingestehen. Sternberg-Lieben/Schuster geben zu, dass die Differenzierung nach den herrschenden Kriterien zu einer „Vergröberung des Problems“ führe,698 setzen sich im Ergebnis aber doch dafür ein, neben der „Kenntnis des Sachverhalts“ eine „Bedeutungskenntnis, die das im Tatbestand typisierte Unrecht nach Laienart erfasst“, zu fordern, wenn der „Gehalt eines Tatbestandsmerkmals in seiner sozialen Bedeutung“ nicht bereits durch die Sachverhaltskenntnis vermittelt werde.699 Wer mit Stratenwerth/Kuhlen sogar daran zweifelt, dass sich „die beiden Merkmalskategorien überhaupt hinreichend klar voneinander abgrenzen lassen“,700 müsste, um einer klaren Abgrenzung willen, strenggenommen ebenfalls die unterschiedliche Behandlung aufgeben. Dasselbe gilt freilich für diejenigen Vertreter, die in jedem Tatbestandsmerkmal ein (rein) normatives oder deskriptives erblicken.701 Sensibel für die Abgrenzungsproblematik zeigt sich Roxin, der ebenfalls zugibt, Safferling, S. 129. Safferling, S. 129. 695 Safferling, S. 129. 696 Vgl. Safferling, S. 132. 697 Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (456). 698 Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 39. 699 Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 40. 700 Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 8 Rn. 69. 701 Vgl. etwa Kunert, S. 86; Müko-StGB-Freund, 2. Aufl., Vor § 13 Rn. 15 f.; Wolf, S. 92 f. 693
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dass „rein deskriptive oder normative Umstände kaum auftreten [werden]“,702 weswegen es „also weniger auf die (kaum mögliche) Trennung deskriptiver und normativer Merkmale“ ankomme als darauf, „die meisten Tatbestandsmerkmale als eine Mischung normativer und deskriptiver Elemente zu erkennen, bei der bald der eine, bald der andere Faktor überwiegt.“703 Nichtsdestotrotz werden auch bei Roxin normative und deskriptive Tatbestandsmerkmale unterschiedlich behandelt, weswegen auch diese Lehre in Grenzbereichen problembehaftet bleibt. Die einzige, in Bezug auf die vorliegend aufgeworfenen Abgrenzungsfragen „klare“ Lehre ist mithin jene von Heinrich. Diese wird jedoch – soweit ersichtlich – im heutigen Schrifttum nur von Dopslaff, Harnos und Safferling, und von Letzterem nicht ganz konsequent, geteilt. b) Kumulation der Probleme bei Blankettverweisungen Noch stärker verworrene Abgrenzungsprobleme treten regelmäßig auf, sobald sich ein Irrtum auf Merkmale von Blankettvorschriften bezieht. Weil Blankettverweisungen und normative Tatbestandsmerkmale oftmals nur schwer auseinanderzuhalten sind, beziehungsweise weil insoweit keine handfesten Abgrenzungskriterien existieren und die vorgeschlagenen Kriterien zudem – wie festgestellt – stark umstritten sind, gewinnt in diesem Zusammenhang auch die Irrtumslehre an Brisanz. Verschärft wird die Problematik dadurch, dass beim Blankett nicht nur die Abgrenzung zum normativen Tatbestandsmerkmal streitig ist, sondern zudem ein weiterer potenzieller Vorsatzgegenstand im Raum steht: die Kenntnis der Ausfüllungsnorm. Insofern stehen sich, was ebenfalls bereits erörtert wurde, zwei „Lager“ diametral gegenüber: Während ein Großteil der Literatur sowie auch die Rechtsprechung davon ausgeht, dass die ausfüllenden Elemente schlicht in das Blankett hineinzulesen sind, wodurch ein (als vollständig zu behandelnder) „Gesamttatbestand“ fingiert wird, geht eine im Vordringen befindliche Auffassung davon aus, dass der Vorsatz beim Blankettstrafgesetz zusätzlich eine Kenntnis des in Bezug genommenen Ge- oder Verbots umfasst, sprich: Die Verbotskenntnis ist nach diesem Verständnis ein Bestandteil des subjektiven Tatbestandes.704 Zusammengefasst stellen sich beim Blankett die folgenden, höchst problematischen Abgrenzungsfragen: Liegt überhaupt ein Blankett vor (oder handelt es sich um ein normatives Tatbestandsmerkmal)? Wenn ja, nimmt es normative Tatbestandsmerkmale in Bezug? Wenn ja, hat der Irrende nach Laienart die Bedeutung des ausfüllenden Merkmals korrekt erfasst (insofern ergeben sich keine Besonderheiten zu den bereits erörterten Problemen)? Und überdies: Muss der Täter die in Bezug genommene Ge- oder Verbotsnorm kennen, um vorsätzlich zu handeln? Wenn ja, kannte er das betreffende Ge- oder Verbot oder kannte er es nicht?
Roxin, AT I, § 10 Rn. 59. Roxin, AT I, § 10 Rn. 59. 704 Vgl. bereits ausführlich Kapitel 2 § 3 C. III. 2. c) bb) (2). 702 703
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Über keine dieser Fragen herrscht Konsens innerhalb der Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung, was bereits erschöpfend dargestellt wurde. Dass eine solche Kumulation problematischer Grenzbereichsfragen der Rechtssicherheit abträglich ist, bedarf darüber hinaus keines weiteren Nachweises. Fraglich ist also, ob sich eine alternative Herangehensweise finden lässt. Die Suche nach einer solchen erscheint jedenfalls geboten. Im Zusammenhang mit den hier diskutierten Abgrenzungsfragen tritt ein oft übersehenes, verfassungsrechtliches Problem in Erscheinung. Dieses wurzelt in dem – durch das BVerfG bestätigten – Umstand, dass die Ausfüllungsnormen von Blanketten ihrerseits dem Bestimmtheitsgebot entsprechen müssen, während jene Vorschriften, die durch ein verweisendes normatives Tatbestandsmerkmal in Bezug genommen werden, sich nicht am Bestimmtheitsgrundsatz messen lassen müssen.705 Ausgehend von der Tatsache, dass eine Abgrenzung in Ermangelung klarer Regeln meistens willkürlich erfolgen muss, zieht dieser Grundsatz irritierende Konsequenzen nach sich: Denn wenn die herrschenden Grundsätze angewandt werden, entscheidet eine – anerkanntermaßen unzuverlässige – Einordnung eines Tatbestandsmerkmals in eine ebenso unzuverlässig definierbare Kategorie darüber, ob ein Straftatbestand überhaupt den Mindeststandard erfüllt, den die Verfassung für Strafgesetze aufstellt. Nicht weniger irritierend ist die weitere, logische Konsequenz dieser Feststellung: Die Strafbarkeit eines Handelnden soll in diesen Fällen von einer mehr oder weniger willkürlichen und sogar als willkürlich erkannten Abgrenzungsfrage abhängen – denn eine unbestimmte Strafvorschrift ist verfassungswidrig und damit schlechterdings nicht existent! Selbst wenn die soeben aufgeworfene Problematik in der Praxis nur selten tatsächlich virulent wird, so verwundert es doch, mit welcher Leichtigkeit derlei Probleme in der Wissenschaft übergangen werden. Stellenweise wird immerhin festgestellt, die insofern herrschende Rechtsunsicherheit sei „unbefriedigend“.706 Deswegen soll bezüglich normativer Merkmale und Blankettverweisungen „zumindest für die Vorsatzfrage […] eine Angleichung in der Rechtsfolge dahingehend sachgerecht“ sein, dass der Täter jeweils, also bei beiden Kategorien „den Inhalt der Ausfüllungsnorm im Rahmen einer Parallelwertung in der Laiensphäre nachvollzogen haben muss.“707 Ob diese Konsequenz zu befürworten ist, sei zunächst zwar dahingestellt – ein solches Problembewusstsein ist an dieser Stelle aber wenigstens bemerkenswert. Zutreffend betont auch Bülte, dass „die strafrechtsdogmatische Unterscheidung zwischen Blankett und normativem Tatbestandsmerkmal nicht über die Anwendung von Art. 103 Abs. 2 GG […], § 2 Abs. 3 [StGB …] und § 16 [StGB …] entscheiden“ sollte.708 Diese Kritik trifft zunächst einmal den Kern der vorliegend 705
Vgl. dazu Kapitel 2 § 3 B. I. 4. b). § 15 Rn. 28. 707 AnwK-StGB-Schaefer, § 15 Rn. 28. 708 Bülte, JuS 2015, 769 (774). 706 AnwK-StGB-Schaefer,
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diskutierten Problematik – denn wo unlösbare Abgrenzungsprobleme existieren, dürfen diese sich nicht zulasten essentieller Entscheidungen auswirken. Dies gilt in verschärftem Maße, wenn die erzeugten Probleme verfassungsrechtlicher Natur sind. Und strenggenommen wäre doch jede andere Auffassung gleichzusetzen mit dem Einverständnis in ein anerkanntermaßen brüchiges und störanfälliges Strafrechtssystem. Bülte betrachtet die Problematik weiterhin verfassungsrechtlich fokussiert und gelangt zu dem Ergebnis, dass dort, wo das verweisende Gesetz „die Grundentscheidung über die Strafbarkeit“ selbst treffe, also „dem Verweisungsobjekt lediglich konkretisierende Funktion“ zukomme, dieses nicht seinerseits dem Bestimmtheitsgebot entsprechen müsse.709 Dies gelte für „außerstrafrechtliche Vorschriften, Regeln und Normen, die zur Konkretisierung von normativen Tatbestandsmerkmalen in Strafgesetzen herangezogen werden“ ebenso, wie für ausfüllende Exekutivakte, also Rechtsverordnungen beziehungsweise Satzungen.710 Für die „Geltung“ von Art. 103 Abs. 2 GG, des Milderungsgebots (§ 2 Abs. 3 StGB) sowie von § 16 StGB soll also die „Differenzierung danach, ob auf ein formelles Gesetz verwiesen wird“ maßgebend sein, denn nur auf solche Rechtssetzungsakte seien die betreffenden Vorschriften (Bülte argumentiert mit dem Wortlaut „Gesetz“) überhaupt anwendbar.711 Diese Aussage ist verfassungsrechtlich mit Sicherheit nicht zu beanstanden. Für die Vorsatz- und damit die Irrtumslehre kommt Bülte sodann – analog zum eben zitierten Vorschlag von Schaefer – zu dem Schluss, dass der Vorsatz in Bezug auf eine Blankettvorschrift dann auch eine (laienhafte) Kenntnis des in Bezug genommenen Ge- oder Verbots erfassen soll, wenn die Ausfüllungsnorm selbst kein formelles Gesetz ist. Insoweit soll also die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ faktisch auf Blankette ausgedehnt werden. Nur dann, wenn die Ausfüllungsnorm selbst ein formelles Gesetz ist, soll mit der „Inkorporationstheorie“ – ohne dass Bülte diese gezielt anspricht – die Ausfüllungsnorm mit dem Blankett „nur“ zusammengelesen werden.712 Dieser Herangehensweise ist zuzugestehen, dass sie unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten gewiss „saubere“ Ergebnisse hervorbringt. Allerdings bleiben die vorliegend diskutierten Abgrenzungsfragen auch bei Bülte ungelöst. Die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ partiell auf Blankettverweisungen auszudehnen, überträgt nur ein weiteres kritikbehaftetes Institut in einen schwer definierbaren Grenzbereich. Überdies bringt Bülte eine weitere, wenig aussagekräftige Stellschraube ins Spiel, wenn er zusätzlich danach fragt, ob der Gesetzgeber die „Grundentscheidung über die Strafbarkeit“ in der verweisenden Vorschrift selbst getroffen habe oder ob er diese in ein anderes formelles Gesetz auslagere.713 Weil Bülte, JuS 2015, 769 (774 f.). Bülte, JuS 2015, 769 (774 f.). 711 Bülte, JuS 2015, 769 (775). 712 Vgl. Bülte, JuS 2015, 769 (776 f.). 713 Vgl. Bülte, JuS 2015, 769 (774). 709 Vgl. 710 Vgl.
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Kap. 2: Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik
eine blanketthafte Inbezugnahme von formellen Bundesgesetzen zwar regelmäßig, aber nicht zwangsläufig eine „Auslagerung“ der Grundentscheidung für die Strafbarkeit bedeuten muss, erweist sich dieses Kriterium als ebenso schwammig, mithin als redundant. Die Rechtsunsicherheit wird zusätzlich verschärft durch die existierende Vielfalt an unterschiedlichen Begriffsverständnissen zum Blankettstrafgesetz, was indes ebenfalls bereits ausführlich dargestellt wurde.714 Fraglich ist, ob die prekäre Abgrenzung von Blanketten und normativen Tatbestandsmerkmalen überhaupt vermeidbar ist. Logisch vorgelagert ist diesem Grenzbereich wiederum die besondere Behandlung von normativen gegenüber deskriptiven Tatbestandsmerkmalen. Folgerichtig entfällt auch eine Ausnahmestellung von normativen Tatbestandsmerkmalen gegenüber den Blankettverweisungen, wenn normative Tatbestandsmerkmale ganz generell keinen „Sonderstatus“ mehr genießen. Diesen Weg gehen wiederum Heinrich, Harnos und Safferling. Nach Safferling soll der Vorsatz auch in Bezug auf Blankettverweisungen bereits dann gegeben sein, „wenn der Täter die Umstände kennt, die den tatbestandlichen Inhalt der Ausfüllungsnorm ausmachen“, wobei sich dieses Ergebnis bereits aus der zugrundeliegenden Verweisungstechnik ergebe.715 Der Täter müsse weder die Ausfüllungsnorm kennen, noch ihre rechtlichen Wertungen nachvollzogen haben. Unter Rückgriff auf Welzel und Warda716 betont auch Safferling, dass die Blankettnorm keine Besonderheiten im Vergleich zum konstruktionsbedingt bereits vollständigen Strafgesetz aufweise und damit auch genauso behandelt werden solle.717 Demzufolge ist der Vorsatz nach Safferling auch beim Blankett simpel auszumachen: Nach Inkorporation der Ausfüllungsnorm wird der so fingierte, vollständige (und sodann auch mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbare) „Gesamttatbestand“ betrachtet und dahingehend untersucht, ob der Handelnde alle tatsächlichen Umstände dieses Straftatbestandes erfasst hat. Rechtliche Wertungen werden auch beim Blankett im Vorsatz ausgeblendet – und können allenfalls einen Verbotsirrtum auf Schuldebene begründen.718 Für dieselbe Herangehensweise spricht sich Heinrich aus, der – wie bereits erwähnt wurde, im Ergebnis konsequenter als Safferling – in den Ungereimtheiten bei den Blanketten sogar einen der Hauptkritikpunkte an der herrschenden Irrtumslehre ausmacht. Heinrich erblickt in diesem Zusammenhang neben einer Verschärfung der vorherrschenden Rechtsunsicherheit primär einen Verstoß gegen die gesetzlich verankerte Schuldtheorie.719 Dieser Schwachstelle sind die nachfolgenden Ausführungen gewidmet.
714
Vgl. Kapitel 2 § 3 B. I. 3. Safferling, S. 144. 716 Vgl. Warda, S. 36; Welzel, MDR 1952, 584 (586). 717 Safferling, S. 144. 718 Vgl. Safferling, S. 144 f. 719 Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (460). 715
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c) Zwischenergebnis zur Abgrenzungsproblematik Es ist festzuhalten, dass die vorstehend erörterten Abgrenzungsprobleme die Rechtssicherheit in nicht zu vernachlässigendem Maße gefährden. Dieser Umstand wird innerhalb der Rechtsprechung gar nicht und im strafrechtlichen Schrifttum nur selten thematisiert – und dann in der Regel rasch umschifft.720 Die einzige Möglichkeit, um diese Schwachstellen zu überbrücken, liegt in der Aufgabe der besonderen Behandlung von normativen im Vergleich zu deskriptiven Tatbestandsmerkmalen. Wenn § 16 StGB – streng am Wortlaut orientiert – ausschließlich zur Behandlung von Irrtümern über tatsächliche Umstände des Sachverhalts herangezogen wird und alle Irrtümer über die rechtliche Bewertung eines Verhaltens dem Regime des Verbotsirrtums (§ 17 StGB) vorbehalten bleiben, existieren keine Grenzbereiche mehr. Damit erübrigen sich schließlich sämtliche Abgrenzungsfragen. Dasselbe gilt für Blankettstrafgesetze, wenn diese im Sinne der „Inkorporationstheorie“ mit ihren Ausfüllungsnormen zusammengelesen werden, sodass im Vorsatz wiederum allein die Frage auftaucht, ob der Täter über die tatsächlichen Umstände seines Verhaltens wusste. Für eine Normkenntnis verbleibt im Rahmen des Vorsatzes kein Raum – deren Fehlen wäre wiederum lediglich auf Ebene der Schuld dazu geeignet, u.U. einen (un-)vermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen. Mit diesem Vorgehen ist zwangsläufig eine Verlagerung zahlreicher, mit der herrschenden Meinung unstreitig als Tatumstandsirrtümer zu behandelnden Fehlvorstellungen in den Anwendungsbereich des § 17 StGB verbunden. Hiergegen werden oftmals Aspekte der Gerechtigkeit eingewandt. Diese Kritik wird sogleich, im Rahmen der nächsten Schwachstelle, ausführlich thematisiert. Denn sämtliche Fragen nach der Gerechtigkeit der Irrtumslehre sind untrennbar mit der gesetzgeberischen Entscheidung für die Schuldtheorien verbunden, welche wiederum durch die herrschende Irrtumslehre in vielerlei Hinsicht gezielt umschifft wird. 2. Die zweite Schwachstelle: Bruch mit dem Verständnis der Schuldtheorien Mit seinem richtungsweisenden Urteil aus dem Jahr 1952721 stellte der Bundesgerichtshof die Weichen für die heutige strafrechtliche Irrtumslehre, deren Fundament der Gesetzgeber bildhaft gesprochen wenig später in die beiden Säulen der §§ 16, 17 StGB goss:722 „Der Irrtum über die Rechtswidrigkeit ist Verbotsirrtum“ und „Bewußtsein der Rechtswidrigkeit bedeutet: Der Täter weiß, daß das, was er tut, rechtlich nicht erlaubt, sondern verboten ist. Es hat also nicht die Tatumstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, zum Gegenstand, mögen dieVgl. aber auch Harnos, S. 197 ff. 194; vgl. zu dieser Grundsatzentscheidung auch die Rezension von Wissmann, DGStZ 2016, 23. 722 2. StrRG vom 4. 7. 1969, BGBl. I 1969, S. 717, in Kraft getreten am 1. 1. 1975, BGBl. I 1973, S. 909. 720
721 BGHSt 2,
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Kap. 2: Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik
se auch in Rechtsbeziehungen oder Rechtsverhältnissen bestehen […].“723 Weiter betont der BGH, dass die Lösung der Schuldtheorien, wonach das Bewusstsein über die Rechtswidrigkeit ein selbstständiges Schuldelement und nicht Gegenstand des Vorsatzes ist, „im Vergleich zu derjenigen der Vorsatztheorie die bessere“ sei. Für eine Anwendung der Vorsatztheorien verbleibt nach dieser Rechtsprechung also grundsätzlich kein Raum. Noch heute lässt eine Wortlautinterpretation der §§ 16, 17 StGB bei unbefangener Lektüre strenggenommen keine andere Deutung zu: Wem die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun (mit dem BGH also wem „lediglich“ das „Bewußtsein der Rechtswidrigkeit“ fehlt), der handelt ohne Schuld, wenn dies unvermeidbar war. Wer hingegen über Tatumstände (also über tatsächliche Umstände des Lebenssachverhalts) irrt, handelt im Tatumstandsirrtum, mithin ohne Vorsatz. Unklarheiten in Bezug auf die gesetzgeberische Konstruktion verbleiben angesichts dieser unzweideutig gefassten Tatbestände nicht – was innerhalb der Wissenschaft auch anerkannt wird, wenn die Normierung der heutigen Irrtumsparagraphen nahezu einhellig als Bekenntnis des Gesetzgebers für die Schuldtheorien gedeutet wird.724 Bei streng logischer Herangehensweise ist, ausgehend von der Maxime einer schlüssigen Gesetzeskonstruktion, der folgende Schluss zwingend: Was zum Tat umstandsirrtum führt, kann niemals auch einen Verbotsirrtum begründen und umgekehrt. Denn wenn (im mehrstufigen Deliktsaufbau!) bereits auf Tatbestands ebene Straflosigkeit aus einer Fehlvorstellung resultiert, so kommt es gar nicht erst zu einer Prüfung auf Schuldebene – und wenn auf Schuldebene ein Verbotsirrtum thematisiert wird, so setzt dies denknotwendig voraus, dass zuvor auf Tatbestands ebene das verwirkte Unrecht bereits festgestellt worden ist. Dies wiederum zieht die folgende, ebenso logische Konsequenz nach sich: Der Irrtum über tatsächliche Umstände des Sachverhalts kann niemals „nur“ die Schuld beseitigen. Und die fehlende Einsicht, Unrecht zu tun, also das fehlende „Bewußtsein der Rechtswidrigkeit“, kann sich niemals schon auf Vorsatzebene täterbegünstigend auswirken – und niemals zum Ausschluss der Tatbestandsmäßigkeit führen. Zumindest sieht dies die Konstruktion des historischen Gesetzgebers vor. a) Die Schuldtheorie – ein Dorn im Auge der herrschenden Irrtumslehre? Diese logischen Schlüsse deuten auf die nächste zu analysierende Schwachstelle hin: Die soeben skizzierte Gleichung geht unter Anwendung der herrschenden Grundsätze nicht auf. Immer dann, wenn normativ geprägte Tatbestandsmerkmale und Blankette im Spiel sind, wird vom Täter verlangt, dass er die Bedeutung eines Tatbestandsmerkmals in seiner Laiensphäre korrekt erfasst hat. Wenn nun aber das (auf Schuldebene angesiedelte!) Unrechtsbewusstsein, was bereits festgehalten
723 724
BGHSt 2, 194 (196 f.). Vgl. bereits Kapitel 2 § 2 B. II.
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wurde,725 verstanden wird als das Wissen des Täters darüber, dass er in irgendeiner Weise gegen die Rechtsordnung verstößt beziehungsweise dass er irgendetwas Verbotenes tut (beides sind doch mehr oder weniger „laienhafte Deutungen“ der Rechtslage), so werden Tatbestand und Schuld untrennbar miteinander vermischt: Denn wenn für den Vorsatz verlangt wird, dass der Täter zumindest laienhaft nachvollzieht, was das Gesetz von ihm zu tun oder nicht zu tun erwartet, so ist diese Forderung doch nichts anderes, als die Frage nach der rechtlichen Wertung eines tatbestandlich umschriebenen Umstandes. Und genau hierin liegt, wie festgestellt wurde, der Kern des Unrechtsbewusstseins. Das Unrechtsbewusstsein wird nahezu einhellig also doch und stets bereits auf Tatbestandsebene fokussiert. Nur dann, wenn ein Merkmal nahezu komplett sinnlich erfassbar ist, verbleibt auch auf Schuldebene noch Raum für rechtliche Wertungen. Bei normativen Tatbestandsmerkmalen bleibt für das Unrechtsbewusstsein auf Schuldebene schlechterdings nichts mehr übrig – denn wenn ein Täter den Bedeutungsgehalt eines Tatbestandsmerkmals laienhaft erfasst hat (und nur dann kommt es überhaupt erst zur Prüfung der Schuld), wird man ihm kaum mehr zugutehalten können, dass ihm die Einsicht gefehlt habe, Unrecht zu tun (§ 17 StGB). Die neuerliche Feststellung des Unrechtsbewusstseins erweist sich in diesen Fällen also als Redundanz. Auch beim Blankettstrafgesetz überprüft die herrschende Lehre bereits im Tatbestand das Vorliegen des Unrechtsbewusstseins, wenn sie die inkorporierten Merkmale der Ausfüllungsnorm im „Gesamttatbestand“ auf deren normativen Gehalt untersucht und sodann die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ anwendet. Nach der im Vordingen befindlichen Gegenansicht soll beim Blankett sogar ausdrücklich eine noch weitergehende Rechtskenntnis vom Täter zu verlangen sein, indem zum kognitiven Element des subjektiven Tatbestandes auch die Kenntnis des in Bezug genommenen Ge- oder Verbots gerechnet wird, welchem der Täter zuwiderhandelt. Zutreffend stellt Tiedemann, der sich selbst für die letztgenannte Theorie ausspricht, fest, dass unter Anwendung dieser Grundsätze im Ergebnis nicht mehr das Verständnis der Schuldtheorien, sondern vielmehr jenes der Vorsatztheorie oder nur eine „gespaltene Schuldtheorie“ zur Anwendung gebracht wird.726 Wie bereits festgestellt wurde, pflichtet auch Roxin dieser Auffassung inzwischen bei – stellt allerdings ebenfalls fest, dass die Ergebnisse jenen der Vorsatztheorie entsprächen.727 Dass bei normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettverweisungen rechtliche Wertungen bereits auf Tatbestandsebene berücksichtigt werden, entspricht also der gängigen Praxis. Der überwiegende Teil aller Vertreter innerhalb der Strafrechtswissenschaft und auch die Rechtsprechung umschiffen die gesetzgeberische Entscheidung für eine schuldtheoretische Konzeption also ganz bewusst. 725
Vgl. Kapitel 2 § 3 A. II. 1. Tiedemann, Geerds-Festschrift 1995, S. 95 (106). 727 Vgl. Roxin, Tiedemann-Festschrift 2008, S. 375 (378 ff.). 726 Vgl.
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Es erscheint insofern nicht verfehlt, wenn Safferling die „Ergebnisorientiertheit“ der herrschenden Lehre im Rahmen seiner Kritik herausarbeitet. In der Tat liegt der Schluss nahe, dass „das Entscheidende“728 der herrschenden Irrtumslehre deren (gewolltes) Ergebnis ist, nämlich, dass „aus welchem Grund auch immer“729 bei bestimmten Merkmalen eine zusätzliche Bedeutungskenntnis gefordert wird. Hierauf aufbauend lässt sich sogar die Behauptung aufstellen, dass – entsprechend der zuletzt zitierten Aussage von Tiedemann zu den Blanketten – das Ziel der herrschenden Lehre gerade eine zumindest partielle Anwendung der Vorsatztheorie auf Umwegen ist. Zumindest im Nebenstrafrecht dürfte sich kaum leugnen lassen, dass die Schuldtheorie in dogmatischer Hinsicht ein Dorn im Auge der herrschenden Irrtumslehre ist. Doch lässt sich diese Vorgehensweise rechtfertigen? Nach dem vorliegend befürworteten Verständnis liefert die Irrtumslehre kein Instrumentarium zur Lösung von Problemfällen, sondern sie ist das Ergebnis einer schlüssigen Anwendung der Vorsatzlehre. Freilich ließe sich – gleichsam zur „Verteidigung“ der herrschenden Lehre – argumentieren, dass diese ausschließlich zugunsten des Täters wirkt – womit zunächst verfassungsrechtliche Bedenken beiseitegelegt scheinen. Dass hierdurch indes an anderer Stelle verfassungsrechtliche Brüche erzeugt werden, darf allerdings nicht ausgeblendet werden: Denn die Vorhersehbarkeit von Strafe i.S.d. Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB muss strenggenommen doch auch die Forderung einer möglichst eindeutigen, ja geradezu logisch-formelhaften strafrechtlichen Dogmatik erfassen. Dies gilt zumindest dann, wenn man das Bestreben ernst nimmt, unvorhersehbare staatliche Reaktionen insgesamt zu vermeiden.730 Denn: Ob sich solche aus unbestimmten Tatbeständen des besonderen Teils oder aus einer in höchstem Maße umstrittenen Anwendung allgemeiner Grundsätze ergeben, dürfte aus Tätersicht prinzipiell gleichgültig sein. Angesichts des bewussten Bruchs mit der schuldtheoretischen Grundkonzeption muss zumindest hinterfragt werden, ob die unterschiedliche Behandlung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen überhaupt geboten ist. Sofern dem so ist, sind freilich alle Bedenken zu verwerfen. Erfolgt die Differenzierung allerdings ohne triftigen Grund, so handelt es sich doch bloß um eine der Bestimmtheit abträgliche, unnötige Konstruktion. Zustimmung verdient deswegen die Aussage von Heinrich, dass ein Bruch mit den klar handhabbaren gesetzlichen Vorgaben der §§ 16, 17 StGB zumindest guter Gründe bedarf.731 In Anbetracht der bereits ausgemachten Abgrenzungsprobleme müssten diese Gründe sogar umso schwerer wiegen. Zutreffend stellen auch Rudolphi/Stein im Zusammenhang mit den Blankettvorschriften fest: „Zwar ist der historische Gesetzgeber zu Unrecht von einer viel einfacheren Strukturierung des Verhaltensnormensystems ausgeSafferling, S. 129. Safferling, S. 129. 730 Vgl. dazu BeckOK-StGB-v. Heintschel-Heinegg, § 1 Rn. 9. 731 Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (456). 728 729
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gangen, was aber nichts daran ändert, dass die dadurch motivierte gesetzliche Festschreibung der Schuldtheorie bindend [Hervorhebung durch d. Verf.] ist. Würde man die Unerlaubtheit des Verhaltens als solche zum Vorsatzgegenstand zählen, bliebe praktisch von der Schuldtheorie nichts mehr übrig.“732 Gleichwohl fordern auch Rudolphi/Stein sowohl bei normativen Tatbestandsmerkmalen als auch bei Blankettstrafvorschriften vom Vorsatztäter eine (sogar genaue, nicht bloß laienhafte) Kenntnis der normativen Umstände, also auch die Kenntnis von Rechtsverhältnissen.733 Bei Blanketten müsse der Täter sogar „das aus der Bezugsnorm folgende konkrete Verbot als solches kennen.“734 Als Begründung wird angeführt, dass die in Bezug genommenen Vorschriften „gerade nicht zum Kreis derjenigen Normen“ gehörten, „deren Grundstrukturen man normalerweise im Laufe der Sozialisation internalisiert und in deren Bereich man daher meist relativ leicht von dem wahrgenommenen Sachverhalt auf die Existenz oder die Nichtexistenz einer Verhaltenspflicht schließen kann.“735 Doch machen Rudolphi/Stein nicht genau dadurch eben „die Unerlaubtheit des Verhaltens als solche zum Vorsatzgegenstand“, was sie an anderer, soeben bereits zitierter Stelle prinzipiell ablehnen? b) Das „Schwert der Gerechtigkeit“ – ein Argument mit stumpfer Klinge? Die einfach handhabbare Gleichbehandlung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen wird regelmäßig, wenngleich dies nicht immer so deutlich ausgesprochen wird, aus Gründen der Gerechtigkeit verworfen. Dies lässt sich stellvertretend mit einer Aussage von Roxin veranschaulichen: „Wenn die Kenntnis des Sachverhalts dem Täter keinen ‚Unrechtsimpuls‘ vermitteln kann und keine ‚Appellwirkung‘ hat, kann man ihm im Fall der Tatbestandsverwirklichung zwar vielleicht Unaufmerksamkeit und Informationsmängel vorwerfen. Aber das begründet nur Fahrlässigkeit und verdient nicht den Vorwurf vorsätzlich-kriminellen Verhaltens. […] Den Vorwurf, ein vorsätzlicher Krimineller zu sein, verdient nur der, dessen Werthaltung von derjenigen des Gesetzgebers abweicht, bei dem wir eine vorwerfbar-unzulängliche rechtsethische Gewissensbildung feststellen können, nicht schon der, der bei rechtstreuer Persönlichkeitsartung nur im Bereich der äußeren Wahrnehmung oder der intellektuellen Kenntnis irrt.“736 Weiterhin stellt Roxin fest: „Demjenigen, der ‚Sinn‘ und ‚Bedeutung‘ seines Verhaltens nicht kennt, kann man keinen deliktischen Vorsatz zuschreiben.“737 Dass der überwiegende Teil
732 SK-Rudolphi/Stein,
8. Aufl., 148. Lfg., § 16 Rn. 17. 8. Aufl., 148. Lfg., § 16 Rn. 15a, 18a. 734 SK-Rudolphi/Stein, 8. Aufl., 148. Lfg., § 16 Rn. 18a. 735 SK-Rudolphi/Stein, 8. Aufl., 148. Lfg., § 16 Rn. 18a. 736 Roxin, Tiedemann-Festschrift 2008, S. 375 (375 f.). 737 Roxin, Tiedemann-Festschrift 2008, S. 375 (377). 733 SK-Rudolphi/Stein,
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im Schrifttum derselben Meinung ist, wurde bereits festgestellt.738 Doch zählen nicht Schlagworte wie „Werthaltung“ und „rechtsethische Gewissensbildung“ mitunter zu den elementaren Bestandteilen des Unrechtsbewusstseins? Papathanasiou stellt fest, dass „die entscheidende Frage“ nicht lauten müsse: „‚Wie kann man § 17 StGB am Großzügigsten anwenden‘, sondern: ‚Wie könnte man dem Täter bereits die Anwendung des § 16 StGB in größtmöglichem Umfang gewährleisten?“739 und stützt diese Aussage darauf, dass es nicht auf eine zwangsläufige Großzügigkeit, sondern vielmehr darauf ankommen müsse, „korrekt und gerecht dem Handelnden gegenüber“ zu sein.740 Auch im Kontext einer Unterscheidung von normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettverweisungen betont Papathanasiou, dass eine Verlagerung des Irrtums vom Tatbestands- zum Verbots irrtum durch ein schwächeres Vorsatzerfordernis „zweifellos ungerecht für den Angeklagten“ sei.741 Hierbei bleibt eine entscheidende Frage unbeantwortet: Warum überhaupt sollen die „Korrektheit“ und die „Gerechtigkeit“ fordern, dass man einem Täter seine falsche Rechtsauffassung bereits auf Vorsatzebene anrechnet? Mit § 17 StGB existiert prinzipiell eine Stellschraube, die gerade für die hier diskutierten Fragen ins StGB eingefügt wurde. Soll es etwa schon im Grundsatz nicht ausreichen, einen Täter auf Ebene der Schuld straflos zu stellen? Unter dieser Annahme müsste gar der gesamte Verbotsirrtum als Fehlkonstruktion bezeichnet werden, womit man im Ergebnis wiederum bei der Vorsatztheorie landen müsste. Doch ist „die Gerechtigkeit“ überhaupt bedroht, wenn eine „irrtumsfeste“ dogmatische Konstruktion unter dem Strich zu denselben Ergebnissen gelangt, allerdings ohne dabei die Irrtumslehre – mit Heinrich gesprochen – zu „verwässern“?742 Schadet es dem Täter oder der Rechtsordnung tatsächlich, wenn entgegen Roxin demjenigen, der aufgrund einer falschen Rechtseinschätzung „‚Sinn‘ und ‚Bedeutung‘ seines Verhaltens nicht kennt“, „nur“ Schuldlosigkeit attestiert wird? Eine Antwort auf die Frage nach dem konkreten „Ungerechtigkeitsfaktor“ bleibt indes aus. Ganz grundsätzlich ist zu hinterfragen, ob derlei Weichenstellungen nicht allein in den Händen des Gesetzgebers liegen. Dieser hat jedenfalls mit seiner Entscheidung für die Verortung des Unrechtsbewusstseins in der Schuld eine Entscheidung getroffen, die grundsätzlich bindend ist – und in Bezug auf Gerechtigkeitsfragen der Einschätzung von Papathanasiou, es sei „unbefriedigend und bestimmt nicht einleuchtend, bei falschen Wertungen den Vorsatz prinzipiell – quasi in absoluter Weise – nicht entfallen zu lassen“,743 diametral gegenübersteht. Genau diese Kon738
Vgl. bereits ausführlich Kapitel 2 § 3 C. III. 2. a). Papathanasiou, S. 98; vgl. auch dies., Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 467 (481). 740 Papathanasiou, S. 98. 741 Papathanasiou, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 467 (481). 742 Treffend ist insofern auch die Bezeichnung der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ als „Bauchgefühlkriterium“ durch Harnos, S. 229. 743 Papathanasiou, S. 99. 739
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struktion ist gesetzgeberisch gewollt in § 17 StGB angelegt, wenn dort die „Einsicht, Unrecht zu tun“ angesprochen ist, also eben jene Wertung über „Recht“ oder „Unrecht“. Die von Papathanasiou als unliebsame Folge erachtete Konsequenz,744 dass insoweit Notwehr gegen den (vorsätzlich, weil nicht im Tatumstandsirrtum) Handelnden möglich ist, wäre dann ebenfalls als bewusste gesetzgeberische Entscheidung schlichtweg hinzunehmen. Im Gegenteil lässt sich doch argumentieren, dass die Notwehr gerade nicht ausgeschlossen sein sollte gegen die Handlung eines Täters, der ganz bewusst handelt, dabei allerdings irrtümlich vom Erlaubtsein seines Handelns ausgeht, weil er sein Verhalten rechtlich falsch wertet. Zu weitgehende Notwehrhandlungen lassen sich auch in diesen Konstellationen durch eine sachgerechte Prüfung der Gebotenheit der Notwehr im Hinblick auf den sichtlich Irrenden einschränken. Papathanasiou rekurriert stellenweise auf Schroth,745 der sich selbst kritisch mit diversen Irrtumslehren, unter anderem auch mit der Ansicht von Kindhäuser,746 auseinandersetzt.747 Letztgenannter erachtet das Instrument der „Parallelwertung in der Laiensphäre“, wie festgestellt wurde, für „unzulässig“ und „dogmatisch unbrauchbar“,748 weil nur „eine exakte Kenntnis des Normsinns […] eine exakte Schlußfolgerung auf die Voraussetzungen des konkret gesollten Verhaltens“ gestatte.749 Diese Aussage entspricht der Ansicht von Puppe,750 die deswegen bekanntlich ebenfalls auf die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ verzichtet, weil es auf eine exakte Kenntnis der Rechtsverhältnisse ankomme, wo Rechtsverhältnisse (als Tatsachen) gekannt werden müssten. Kindhäuser versteht unter Vorsatz ausschließlich die „für die Bildung des Vermeidemotivs hinreichende Faktenkenntnis.“751 Schroth führt hiergegen nun ins Feld, dass „keine Tatsache, nichts was der Fall ist“, jemals ohne Kontext existiere, wobei dieser Kontext im Falle rechtlich relevanter Tatsachen immer auch ein sozialer Kontext sei.752 Deswegen sei es eine unangemessene Ausweitung des Vorsatzbegriffes zulasten des Täters, wenn man im Vorsatz bloß auf die reine Faktenkenntnis abstelle. Schroth geht davon aus, dass eine Vorsatzkonstruktion, die sich auf reines Faktenwissen beschränke, zwangsläufig eine „vollkommen homogene Gesellschaft und Wissensstruktur“ voraussetze – und eine solche sei (insofern ist Schroth freilich beizupflichten!) nicht gegeben.753 Deswegen fordert auch Schroth in Bezug Papathanasiou, S. 99. Schroth, S. 40 ff. 746 Kindhäuser, GA 1990, 407 ff. 747 Vgl. Papathanasiou, S. 102, Fn. 505. 748 Kindhäuser, GA 1990, 407 (417). 749 Kindhäuser, GA 1990, 407 (417 f.). 750 Vgl. Puppe, GA 1990, 145 (157). 751 Kindhäuser, GA 1990, 407 (415). 752 Schroth, S. 40. 753 Schroth, S. 40. 744 Vgl. 745
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auf alle (also auch deskriptive) Tatbestandsmerkmale, dass die Umstandskenntnis i.S.d. § 16 StGB sowohl den „zurechnungsrelevanten Sachverhalt“ als auch die „Bedeutung dieses Sachverhalts insoweit, als die Bedeutung conditio sine qua non des Unrechtsverständnisses ist“, erfasst.754 Dies spiegelt die herrschende Meinung freilich exakt wider. Auch bei Blanketten charakterisiert Schroth „den Gesetzesverstoß“ als Vorsatzgegenstand,755 befürwortet insofern also ebenfalls einen Bruch mit der gesetzlichen Logik. Offen bleibt allerdings auch bei Schroth die Frage, warum es überhaupt „unangemessen“ sein soll, rechtliche Verhältnisse aus dem Kreis der Bezugspunkte des Vorsatzes herauszunehmen. Es stellt ersichtlich niemand in Frage, dass Tatsachen stets in Kontext zum Recht beziehungsweise zu sozialen Normen stehen. Allerdings liefert diese Feststellung noch keine Antwort auf die Frage, ob dieser „Kontext“ durch den Täter im Rahmen seines Vorsatzes herzustellen ist oder ob es sich dabei um eine Aufgabe des Unrechtsbewusstseins handelt. Auf den Punkt gebracht, geht es bei der unterschiedlichen Behandlung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen also immer (nur) darum, den Täter schon auf Ebene des subjektiven Tatbestandes dort in Schutz zu nehmen, wo eine Umschreibung des vertypten Unrechts nicht in (rein) sinnlich erfassbaren deskriptiven Merkmalen möglich war. Überall dort, wo sich die Appellwirkung des Strafgesetzes erst nach Überwindung einer „geistigen Hürde“756 beim Täter entfaltet, wird es als ungerecht empfunden, einem Handelnden vorsätzliches Verhalten vorzuwerfen, wenn er diese „geistige Hürde“ nicht genommen hat. Wenn der Täter seine Handlung nicht zumindest laienhaft als tatbestandsmäßig erkennt, soll er also vor dem Vorwurf der Vorsätzlichkeit seines Handelns bewahrt werden, ganz gleich, ob er (abgesehen von der fehlenden Bedeutungskenntnis) ganz genau weiß, was er in tatsächlicher Hinsicht tut. Hierdurch bricht die herrschende Lehre ganz bewusst mit der gesetzgeberischen Grundkonstruktion der §§ 16, 17 StGB. Im Bereich rechtsnormativer Tatbestandsmerkmale wird dies oftmals dadurch verschleiert, dass auf die „Besonderheiten“ der normativen Tatbestandsmerkmale rekurriert wird. Ganz bewusst auf die Spitze getrieben wird der Bruch mit den Schuldtheorien dagegen im Bereich der Blankettstrafvorschriften – und zwar durch die gängige Auffassung, dass die Kenntnis der in Bezug genommenen Norm dort zum Vorsatzwissen gehöre. c) Die verschiedenen Kategorien von Tatbestandsmerkmalen im Fokus der vertretenen Irrtumslehren Fraglich ist, ob eine Aufgabe der unterschiedlichen Behandlung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen tatsächlich zu ungerechten Ergebnissen führt – oder ob sich nicht im Gegenteil durch eine „abgrenzungsresistente“ Schroth, S. 49. Schroth, S. 60. 756 Vgl. zu dieser eigenen Begrifflichkeit Kapitel 2 § 3 B. I. 1. b). 754 755
§ 3 Herrschende Rechtslage und Irrtumslehre
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Vorgehensweise ebenso gerechte Ergebnisse erzielen lassen, die darüber hinaus den Vorteil einer unproblematischen Handhabung für den Rechtsanwender bietet.757 Die Frage lautet also: Wirkt es sich tatsächlich in irgendeiner Weise negativ aus, wenn Irrtümer über die rechtliche Bewertung aller Tatbestandsmerkmale erst auf Schuldebene berücksichtigt werden, die „Eigenarten“ der normativen Tatbestandsmerkmale also beim Vorsatz ausgeblendet werden? Baumann sah früh voraus, dass die gesetzgeberische Entscheidung für das schuldtheoretische Verständnis durch die Rechtsprechung und die Wissenschaft womöglich ausgehebelt würde.758 Unmittelbar nach Aufnahme der §§ 16, 17 StGB in ihrer heutigen Fassung wagte Baumann, der übrigens seinerseits die Vorzüge der strengen Vorsatztheorie hervorhob,759 bereits die Prognose, dass „in dem Bestreben, den § 17 [StGB] auszuhöhlen […] möglicherweise eine ähnliche Jagd auf normative Umstände beziehungsweise eine erhebliche Erweiterung des Bedeutungsgehaltes vorhandener normativer Umstände einsetzen [wird], wie weiland die Jagd auf den außerstrafrechtlichen Rechtsirrtum.“760 Weiterhin prognostizierte Baumann „kuriose Entscheidungen […], die der Kasuistik des RG in nichts nachstehen.“761 Bereits erwähnt wurde die Ansicht des BGH, wonach eine „schlichte Anwendung einfacher Formeln ohne Rückgriff auf wertende Kriterien und differenzierende Betrachtungen“ bei der Einordnung von Irrtümern als Tatumstands- oder Verbotsirrtümer als unzureichend empfunden wird.762 Dass sich Irrtumssachverhalte nicht mittels „Paragraphenautomatik“ lösen lassen, wird indes auch ersichtlich nirgends bestritten. Allerdings bleibt fraglich, ob die bereits aufgezeigten Probleme in diesem Bereich tatsächlich schlicht hinzunehmen sind. Jedenfalls erscheint es nicht als geboten, aus der evidenten irrtumsdogmatischen Not (der problematischen Abgrenzung von Tatumstands- und Verbotsirrtum) dadurch eine Tugend zu machen, dass man die problematische Abgrenzung gleichsam als unumgänglich anerkennt. Denn das Gesetz sieht mit den §§ 16, 17 StGB zwei „Hebel“ vor, von denen einer (der § 16 StGB) zumindest nach derzeit herrschender Ansicht wesentliche Aufgaben des zweiten Hebels (§ 17 StGB) übernehmen soll. aa) Normative Tatbestandsmerkmale Es wurde bereits erwähnt, dass die Fragen, die durch die herrschende Irrtumslehre im Rahmen des subjektiven Tatbestandes bei der Frage nach der „Bedeutungskenntnis“ eines normativen Tatbestandsmerkmals behandelt werden, strengSo jedenfalls Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (456). Baumann, Welzel-Festschrift 1974, S. 533 ff. 759 Vgl. Baumann, Welzel-Festschrift 1974, S. 533 (535). 760 Baumann, Welzel-Festschrift 1974, S. 533 (539). 761 Baumann, Welzel-Festschrift 1974, S. 533 (540). 762 Vgl. BGH NJW 2006, 522 (531); ausdrücklich zustimmend LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 32. 757
758 Vgl.
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genommen allesamt als Fragen des Unrechtsbewusstseins im Rahmen der Schuld wiederkehren. Dies lässt sich verdeutlichen anhand der bereits bekannten Beispielsfälle:763 In Beispielsfall 1 lädt A eine legal erworbene Audiodatei auf einen Cloudserver. Anschließend verschickt sie einen Downloadlink zur Datei per Mail, wobei sie versehentlich zahlreiche Personen „in cc“ setzt, die sie nur flüchtig kennt (Fallvariante a)). Anschließend „teilt“ sie den Link auf Facebook – wobei sie denkt, sie dürfe das unter „(Facebook-)Freunden“ tun (b)). Wie bereits in anderem Zusammenhang festgestellt wurde, wird mit Heinrich nur danach gefragt, ob A in tatsächlicher Hinsicht wusste, was sie tut. Im Ergebnis unterliegt sie in Variante a) einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum, in Variante b) hingegen irrt sie über die rechtliche Bewertung ihres Verhaltens: Es gilt also im Rahmen der Schuld zu fragen, ob die Handelnde ihren Irrtum vermeiden konnte (was wahrscheinlich abzulehnen ist). Nach herrschender Auffassung wäre in Variante b) hingegen bereits auf Vorsatzebene zu hinterfragen, ob A laienmäßig richtig erfasst hat, dass sie durch das „Teilen“ auf Facebook das Werk der Öffentlichkeit i.S.d. § 15 Abs. 3 UrhG zugänglich macht. Weil dies vermutlich zu bejahen wäre, bleibt auf Schuld ebene bei der Frage, ob A Unrechtsbewusstsein hatte, bloß noch festzustellen, dass dies aus den bereits im Vorsatz angesprochenen Gründen der Fall ist. Es werden also jeweils dieselben Fragen gestellt, nur innerhalb anderer Prüfungsstandpunkte. In Beispielsfall 3 verkauft der frisch tätowierte C Fotos seiner – als urheberrechtliches Werk des Tätowierers T zu qualifizierenden – Tätowierung über das Internet, wodurch tatbestandlich eine Verbreitung des Werkes zu bejahen wäre. C irrt hier über die Eigenschaft der Tätowierung als urheberrechtlich geschütztes Werk, wobei er in tatsächlicher Hinsicht alles korrekt erfasst hat, mit Heinrich insofern also Vorsatz zu bejahen wäre. Nach herrschender Ansicht hingegen müsste in dieser Konstellation bereits im subjektiven Tatbestand hinterfragt werden, ob C in laienhafter Weise die Bedeutung des (normativen) Tatbestandsmerkmals „Werk“ korrekt erfasst hat. Weil dies nicht zu bejahen wäre, entfiele insoweit also bereits der Vorsatz. Mit Heinrich hingegen wäre erst auf Ebene der Schuld die Frage nach dem Unrechtsbewusstsein zu stellen, dessen Vorliegen wohl verneint werden müsste. Es stellen sich mithin auch hier dieselben Fragen, nur innerhalb eines anderen Rahmens. Nachgelagert müsste dann, nimmt man einen Verbotsirrtum an, die (Un-)Vermeidbarkeit des Irrtums eruiert werden. Wenn, wie von Heinrich vorgeschlagen,764 dort diejenigen Grundsätze angewandt werden, die durch die herrschende Lehre für die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ entwickelt wurden, ergäben sich insofern keine anderen Ergebnisse, der Irrtum wäre dann als unvermeidbar einzustufen. In Beispielsfall 5 macht sich Musikliebhaberin E, die auf einem Konzert mit ihrem Smartphone ihr Lieblingslied mitschneidet, mit Sicherheit keinerlei Gedan763
Vgl. zu diesen Beispielsfällen bereits Kapitel 1 § 4. Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (465).
764 Vgl.
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ken darüber, dass sie hierdurch bereits eine Vervielfältigungshandlung eines urheberrechtlich geschützten Werkes vornimmt.765 Sie irrt sich darüber, dass ihre Handlung eine Vervielfältigung ist. Mit Heinrich wäre nun lediglich zu fragen, ob sie in tatsächlicher Hinsicht alles korrekt erfasst hat. Dies wird zu bejahen sein – sie weiß, dass sie die Darbietung eines Songs aufnimmt und dadurch dauerhaft dem Speicher ihres Smartphones zuführt. Dass dies rechtlich als Vervielfältigung qualifiziert wird, interessiert dann für den Vorsatz nicht. Lediglich auf Ebene der Schuld wäre zu hinterfragen, ob E die Einsicht, Unrecht zu tun, gefehlt haben könnte – was in diesem Fall wohl bejaht werden müsste. Nach der herrschenden Ansicht hingegen wäre zunächst die in diesem Fall äußerst prekäre Frage einschlägig, ob das Tatbestandsmerkmal der Vervielfältigung deskriptiv oder normativ ist oder gar eine Blankettverweisung darstellt.766 Bei Annahme von Normativität müsste bei der Prüfung des Vorsatzes die Frage gestellt werden, ob E laienhaft den Bedeutungsgehalt ihres Handelns erfasst hat (was dann bereits auf dieser Ebene zu verneinen wäre), bei Annahme von Deskriptivität würde dieselbe Frage erst auf Schuldebene gestellt und bei einer Qualifizierung als Blankett wäre zu entscheiden, ob die hineinzulesenden Ausfüllungsnormen ihrerseits normative Merkmale enthielten, wodurch die Prüfung unstreitig aufgebläht würde. Mithin stellen sich auch mit der Lehre von Heinrich stets dieselben Fragen, nur eben erst auf Schuld ebene. Die Unvermeidbarkeit wäre auch in diesem Fall zu bejahen, sodass die Schuld und damit die Strafbarkeit entfallen würde. Vogel stellt fest, dass sich im Grenzbereich von Tatumstands- und Verbotsirrtum „keine der in der Lehre vertretenen Auffassungen […] als ‚Zauberformel‘ in dem Sinne erweisen [dürfte], dass sie stets zweifelsfreie und überzeugende Ergebnisse gewährleistet“767 und nimmt davon auch seine eigene Ansicht nicht aus. Dieser Aussage ist vor dem Hintergrund zuzustimmen, dass sich die Tatfrage des Irrtums wohl niemals eindeutig dahingehend klären lassen wird, dass sich ein Handelnder nur über tatsächliche Umstände oder ausschließlich über eine rechtliche Wertung geirrt haben wird. Zu widersprechen ist der Aussage Vogels allerdings im Lichte einer trennscharfen Irrtumslehre: Eine solche bedarf gar keiner „Zauberformel“, wenn die Irrtumsparagraphen nur konsequent angewandt werden. Nach hinreichender Klärung der Tatfrage ermöglichen die §§ 16, 17 StGB durchaus zweifelsfreie und auch überzeugende Ergebnisse. Denn wenn im Vorsatz allein auf die Kenntnis von tatsächlichen Umständen abgestellt wird, so bleiben sämtliche Irrtümer des Täters über die rechtliche Bewertung seines Verhaltens dem Unrechtsbewusstsein vorbehalten. Wie bereits festgestellt wurde, ist diese einzig vorzunehmende Abgrenzung unproblematisch durchführbar. Dass Fragen auf Tatbestandsebene ausgespart werden, bedeutet dabei keinesfalls, dass diese unter den Tisch gekehrt würden, sondern bloß, dass ihnen (redundanzfrei) auf Schuldebene 765 Vgl. nur Fromm/Nordemann-Dustmann, § 16 Rn. 10; Wandtke/Bullinger-Heerma, § 16 Rn. 4. 766 Vgl. dazu nur Hildebrandt, S. 259 ff., sowie ausführlich Kapitel 3 § 3 B. I. 767 LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 31.
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Beachtung geschenkt wird. Insofern ergibt sich bis zu diesem Punkt keinerlei „Gefahr für die Gerechtigkeit“. Einzig die Frage nach der Vermeidbarkeit von Verbots irrtümern liefert, was bereits erwähnt wurde, insofern noch eine Angriffsfläche. Welche Maßstäbe hierbei tatsächlich geboten erscheinen, wird noch erörtert.768 bb) Gesamttatbewertende Merkmale Auch in Bezug auf die gesamttatbewertenden Tatbestandsmerkmale ergeben sich keine Besonderheiten. Diese wurden definiert als Merkmale, die sich nicht in einer bloß äußerlichen Beschreibung des Unrechts erschöpfen, sondern, aufgrund ihres hohen normativen Gehalts, eine Gesamtbewertung mit umfassen, die sonst allgemeinen Rechtswidrigkeitsmerkmalen vorbehalten ist.769 Als Beispiele wurden die Merkmale „grob verkehrswidrig“ (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB), „zumutbar“ (§ 323 c StGB) und „verwerflich“ (§ 240 StGB) angeführt. Auch bei dieser Kategorie von Merkmalen führt die streng am Wortlaut orientierte Irrtumslehre nicht zu ungerechten Ergebnissen, was sich am Beispiel der Nötigung zeigen lässt: Irrt der Täter über tatsächliche Umstände, die die Verwerflichkeit der Nötigung begründen, so wirkt sich dieser Irrtum im subjektiven Tatbestand aus und der Vorsatz entfällt. Hält der Täter das Geschehen hingegen abweichend vom richterlichen Werturteil für nicht verwerflich, so fehlt ihm das Unrechtsbewusstsein, die falsche Wertung wirkt sich dann erst auf Schuldebene aus, es liegt ein Verbotsirrtum vor, § 17 StGB.770 cc) Blankettstrafvorschriften Besonders prekäre Abgrenzungsprobleme wurden bei einer Anwendung der herrschenden Grundsätze auf Blankettstrafvorschriften herausgearbeitet.771 Fraglich ist, ob dies tatsächlich in Kauf genommen werden muss oder ob die vorgeschlagene Gleichbehandlung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen auch bei Blanketten gerechte Ergebnisse ermöglicht. Sofern alle Tatbestandsmerkmale auf Vorsatzebene gleichbehandelt werden, erübrigen sich jedenfalls nach der (noch) herrschenden Inkorporationstheorie auch bei den Blanketten sämtliche Abgrenzungsprobleme: Der fingierte Gesamttatbestand ist dann schlicht in seiner Gesamtheit zu betrachten und beim Vorsatz zu hinterfragen, ob ein Handelnder alle tatsächlichen Umstände gekannt hat. Alle Fragen der rechtlichen Bewertung bleiben der Schuld vorbehalten. Auch insoweit lässt sich nicht feststellen, dass eine solche Vorgehensweise zu ungerechten Ergebnissen führen sollte. Dies gilt zumindest unter der Prämisse, dass im Rahmen 768
Vgl. Kapitel 2 § 3 D. II. 2. d). Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 354 sowie bereits ausführlich Kapitel 2 § 3 B.
769 Vgl.
I. 2.
Jescheck/Weigend, AT, § 29 II 3 d); Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 354. Vgl. Kapitel 2 § 3 B. I. 4.
770 Vgl. 771
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der Vermeidbarkeit auf Schuldebene dieselben Fragen gestellt werden, die nach herrschender Ansicht im Rahmen der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ aufgeworfen werden. Einzig die extreme Auffassung, die blanketthaft in Bezug genommene Ge- oder Verbote unverblümt zum Vorsatzgegenstand erklärt, kommt freilich auch unter Gleichbehandlung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen zum Bruch mit den Schuldtheorien – was allerdings bewusst in Kauf genommen wird. Dieser Auffassung muss jedenfalls dann widersprochen werden, wenn ein anderer Lösungsansatz ebenso gerechte Ergebnisse ermöglicht, ohne dabei mit der Gesetzeskonstruktion zu brechen – und genau dieses Ergebnis zeichnet sich nunmehr ab. Weil Blankettverweisungen aber in mehrerlei Formen denkbar sind, soll diese These im Folgenden eingehend überprüft werden. (1) „Unechte“ Blankettverweisungen Zunächst sollen unechte Blankettverweisungen untersucht werden, also jene, die eine Norm desselben Gesetzgebers, mithin derselben legislatorischen Instanz einbeziehen. Im vorliegend relevanten, strafrechtlichen Kontext ist dies der Bundesgesetzgeber. Derlei Blankette lassen sich wiederum einteilen in Verweisungen innerhalb desselben Gesetzes (Binnenverweisungen) und Verweisungen, die auf Normen externer Bundesgesetze Bezug nehmen (Außenverweisungen).772 Weil also immer der Bundesgesetzgeber, mithin die unstreitig zuständige legislatorische Instanz handelt, erweist sich dieses Blankett als das am wenigsten problematische. Dass insoweit auch eine einheitliche Behandlung normativer und deskriptiver Tatbestandsmerkmale tatsächlich keine Gerechtigkeitslücken erzeugt, lässt sich wiederum unter Rückgriff auf § 106 UrhG belegen, wenn angenommen wird, dass es sich beim Tatbestandsmerkmal „in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen“ um eine Blankettverweisung handelt.773 Wenn auf Ebene des Tatbestandes bloß danach gefragt wird, ob ein Täter die – ihn privilegierenden (!) – tatsächlichen Umstände des einschlägigen „gesetzlichen Falles“ gekannt hat, so bleiben wiederum sämtliche Fragen nach der rechtlichen Bewertung der Schuldebene vorbehalten. Dort sind sie dann zwingend zu stellen. Wird etwa die Schranke des Privatgebrauchs (§ 53 UrhG) in den § 106 UrhG „inkorporiert“, so interessiert auf Vorsatzebene nur, ob der Täter die tatsächlichen Umstände gekannt hat, die seine Handlung als ausschließlich Privatzwecken dienend qualifizieren. Genauso muss der Täter in tatsächlicher Hinsicht davon ausgehen, dass es sich beim Original nicht um eine offensichtlich rechtswidrige Vorlage handelt, § 53 Abs. 1 S. 1 UrhG. Ist er dagegen beispielsweise der (falschen) Auffassung, dass es nicht darauf ankomme, ob die Vorlage rechtswidrig ist oder nicht, so liegt hierin ein Irrtum über die rechtliche Bewertung der tauglichen Vorlage – somit ist das Unrechtsbewusstsein tangiert, § 17 StGB. Auf Ebene der Schuld wird 772 773
Vgl. zu den definitorischen Fragen beim Blankett Kapitel 2 § 3 B. I. 3. So unter anderem auch Lauer, S. 59; vgl. dazu Kapitel 3 § 3 C. I.
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dann gefragt, ob das Fehlen des Unrechtsbewusstseins vermeidbar war – wobei auch hier wiederum diejenigen Grundsätze angewandt werden können, die für die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ entwickelt wurden. Ein abweichendes Ergebnis kann sich also überhaupt nicht ergeben. Ebenso verhält es sich mit dem Beispiel der Steuerhinterziehung. Bei § 370 AO, der eine Vielzahl an Verweisungen enthält, ist – was bereits festgestellt wurde – höchst umstritten, ob dessen Verweisungen überhaupt Blankette darstellen und vor allem, wie mit dem Vorsatz umzugehen ist. Die Vorschrift verweist unter Verwendung von Rechtsbegriffen, also konkludent, auf andere steuerrechtliche Normen (beispielsweise: „steuererhebliche Tatsachen“, „pflichtwidrig“, „Steuerzeichen“, „Steuern verkürzen“). Teilweise wird die Vorschrift in Gänze als Blankettverweisung begriffen,774 teilweise ist die Rede von einem „hochgradig normativ bestimmten Tatbestand“775 oder von einem „gemischten“ Tatbestand, der beide Verweisungstechniken gebrauche.776 Diese Konfusion ist freilich exakt das Gegenteil dessen, was deren verantwortliche Vertreter innerhalb des Schrifttums stets anstreben: Rechtssicherheit. Zutreffend hat Bülte einige Widersprüche herausgearbeitet, die sich aus der herrschenden Lehre und der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Steuerstrafrecht ergeben.777 Ganz grundsätzlich folgt der Bundesgerichtshof bei Blanketten nämlich der Inkorporationstheorie, zählt also die Kenntnis des Ge- oder Verbots nicht zum Vorsatz. Mit diesem Vorgehen bricht der BGH allerdings im Steuerstrafrecht, wo er hiervon in ständiger Rechtsprechung eine Ausnahme macht.778 Zum Vorsatz der Steuerhinterziehung gehöre, „dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will.“779 Dies entspricht freilich dem Erfordernis einer Kenntnis von steueranspruchsbegründenden Vorschriften. In der Tat sind die hierdurch erzeugten Ergebnisse „wenig nachvollziehbar“,780 insbesondere vor dem Hintergrund, dass diese Ausnahme exklusiv nur im Steuerrecht greifen soll und dass vom Täter bei Verweisungen über rechtsnormative Tatbestandsmerkmale immer eine, wenn auch nur laienhafte Bedeutungskenntnis der Bezugsnormen verlangt wird. 774 Vgl. etwa BGHSt 34, 272 (282); BGHSt 47, 138 (143); BGHSt 53, 45 (53); BVerfGE 37, 201 (206 ff.); BVerfG NJW 2011, 3778 (3779) zumindest für § 370 Abs. 1 AO; Erbs/ Kohlhaas-Hadamitzky/Senge, 208. Lfg., § 370 AO Rn. 1; Harms, NStZ-RR 1998, 97 (97); Klein-Jäger, § 370 Rn. 5 ff.; offenlassend Ransiek, wistra 2012, 365. 775 LK-Dannecker, 12. Aufl., § 1 Rn. 149. 776 Vgl. Backes, S. 152 ff.; Müko-StGB-Schmitz/Wulf, 2. Aufl., § 370 AO Rn.13 ff.; Schuster, S. 183 ff., 211, 391 f. – Blankettcharakter „nur in der Unterlassungsvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO“. 777 Vgl. Bülte, NStZ 2013, 65 (65 f., 68 ff.); dazu ferner AnwK-StGB-Schaefer, § 15 Rn. 30; Müller-Magdeburg, S. 173 ff.; Ransiek, wistra 2012, 365. 778 Vgl. BGHSt 5, 90 (91 f.); BGH wistra 1986, 174 (174); BGH NStZ 2012, 160 (161). 779 BGH NStZ 2012, 160 (161). 780 Bülte, NStZ 2013, 65 (65).
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Deshalb fordert Bülte im Ergebnis ganz generell, bei derartigen Blankettverweisungen die Kenntnis der Rechtswidrigkeit zum Vorsatzgegenstand zu erklären.781 Dass hierdurch die Vorsatztheorie zur Anwendung gebracht wird und daneben zahlreiche Abgrenzungsprobleme ungelöst bleiben, bedarf an dieser Stelle indes keiner Betonung mehr. Das vorherrschende Durcheinander lässt sich auch im Steuerstrafrecht leicht vermeiden. Wenn beim Vorsatz nur auf die Kenntnis tatsächlicher Umstände abgestellt wird und die – unstreitig gebotenen – Fragestellungen der rechtlichen Bewertung eines Verhaltens auf Schuldebene angesiedelt sind, so lösen sich alle Grenzbereiche in Luft auf: Dass Tatsachen steuererheblich i.S.d. § 370 AO sind, ist eine Frage der rechtlichen Bewertung. Das bedeutet, dass diese ganz grundsätzlich dem Unrechtsbewusstsein unterfallen. Wenn also ein Täter in tatsächlicher Hinsicht ganz genau weiß, was er tut, wenn er beispielsweise unrichtige Angaben macht oder Wissen für sich behält, dann handelt er zunächst mit Vorsatz. Das Wissen darüber, dass diese Tatsachen auch steuererheblich sind, dass im Beispiel also die unterlassenen Angaben tatsächlich gemacht hätten werden müssen, entzieht sich dem Vorsatz. Es ist auf Ebene der Schuld im Rahmen des Unrechtsbewusstseins (als obligatorisch) anzusprechen und im Rahmen der Vermeidbarkeit intensiv so zu hinterfragen, wie dies die herrschenden Ansichten (unter Bruch mit den Schuldtheorien) im Vorsatz tun. Damit erübrigt sich jede Streitigkeit über die Natur der Verweisung innerhalb des § 370 AO: Denn ob es sich jeweils um Blankettverweisungen oder um normative Tatbestandsmerkmale handelt, macht keinen Unterschied, wenn diese Einordnung für die Beurteilung von Vorsatz und Schuld keine Rolle mehr spielt. Der Rechtsanwender würde von klar handhabbaren Grundsätzen profitieren und der Normadressat wäre keinesfalls schlechter gestellt. (2) „Echte“ Blankettverweisungen Verfassungsrechtlich problematisch sind Blankettverweisungen, die auf Normen Bezug nehmen, die nicht durch dieselbe legislatorische Instanz erlassen wurden („echte“ Blankette). Das bedeutet für das Bundesstrafrecht, dass es sich bei den in Bezug genommenen Vorschriften i.d.R. entweder um Exekutivakte oder um Landesrecht handeln wird. Ferner sind Verweisungen auf europäisches Recht denkbar.782 Die besondere Problematik des „echten“ Blanketts liegt also in dem Umstand begründet, dass jemand anderes als der eigentliche Strafgesetzgeber Voraussetzungen der Strafbarkeit von Handelnden aufstellt. Allerdings sind Besonderheiten für die Prüfung von Vorsatz und Schuld – und damit auch für die Irrtumslehre – auch bei „echten“ Blankettverweisungen gerade aufgrund der hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen ausgeschlossen. Die Verwendung von „echten“ Blanketten ist nämlich von Verfassungs wegen überhaupt nur dann zulässig, wenn der Gesetzgeber selbst alle wesentlichen Anforde781 782
Bülte, NStZ 2013, 65 (72). Vgl. zur so gelagerten Problematik am Beispiel des WpHG nur Raabe, S. 123 ff.
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rungen im förmlichen Bundesgesetz normiert.783 Das verweisende Gesetz muss seinerseits bereits die strafbaren Verhaltensweisen beschreiben, sodass der die Ausfüllungsnorm setzenden Instanz nur noch Spezifizierungen erlaubt sind.784 Damit ist auch das Erfordernis verknüpft, dass solche Spezifizierungen durch externe Ausfüllungsnormen, beispielsweise durch Rechtsverordnungen, bereits auf Grund der Regelung im förmlichen Gesetz voraussehbar sind.785 Unter diesen Gesichtspunkten ergeben sich also auch bei der Verwendung von „echten“ Blanketten keine Besonderheiten: Die Kenntnis der Ausfüllungsnorm gehört nicht zum Vorsatz. Sämtliche Fragen der rechtlichen Bewertung von Verhaltensweisen bleiben damit dem Unrechtsbewusstsein vorbehalten. d) Die Gebotenheit einer „großzügigen“ Vermeidbarkeitsprüfung Eine konsequente Gleichbehandlung von normativen und deskriptiven Tatbestandsmerkmalen bei der Prüfung des subjektiven Tatbestandes bringt für sich allein also noch keinerlei Nachteile für den Täter mit sich. Diese Aussage beansprucht auch im „Blankettstrafrecht“786 Geltung – zumindest dann, wenn die vorzugswürdige „Inkorporationstheorie“ angewandt wird, ohne die Verbotskenntnis in den Vorsatz „zu ziehen“. Eine beachtliche Weichenstellung, die unter Umständen tatsächlich täterunfreundliche Ergebnisse nach sich ziehen kann, erfolgt jedoch auf Schuldebene bei der Prüfung der Vermeidbarkeit. Denn nur der unvermeidbare Verbotsirrtum führt zur Straflosigkeit nach § 17 S. 1 StGB, andernfalls hat der Richter lediglich die Möglichkeit, die Strafe (fakultativ!) nach § 49 Abs. 1 StGB zu mildern, § 17 S. 2 StGB. Hier unterscheiden sich die Rechtsfolgen von Tatumstands- und Verbotsirrtum also durchaus. Nicht das Unrechtsbewusstsein als solches ist dementsprechend konstitutiv für die Schuld, sondern nur das vermeidbare Nichtwissen um das Verbot.787 Fraglich ist, ob diese Notwendigkeit der Unvermeidbarkeit des Irrtums für das Ergebnis einer Straffreiheit einer tatbestandlich betrachtet „strengen“ Irrtumslehre, wie sie Heinrich, Harnos und Safferling vertreten, entgegnet werden kann. Im Ergebnis plädieren diese Autoren insoweit konsequent aber für eine großzügigere Handhabung der Vermeidbarkeit nach § 17 StGB durch die Gerichte, um einer möglicherweise zu weitgehenden Strafbarkeit entgegenzuwirken.788 Heinrich schlägt in diesem Zusammenhang vor, im Rahmen der Vermeidbarkeit auf jene Grundsätze zurückzugreifen, die durch die herrschende Lehre für die „Parallelwertung in der 783 Vgl. Enderle, S. 21 ff.; LK-Dannecker, 12. Aufl., § 1 Rn. 118 f., 127; Schönke/Schröder-Eser/Hecker, § 1 Rn. 18; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 201, 205. 784 Vgl. Enderle, S. 21 ff.; AnwK-StGB-Gaede, § 1 Rn. 14; LK-Dannecker, 12. Aufl., § 1 Rn. 118 f., 127; Satzger/Schluckebier/Widmaier-Satzger, § 1 Rn. 15 ff. 785 Vgl. Enderle, S. 21 ff.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 201. 786 Kritisch zu dieser Begrifflichkeit im Steuerrecht Schuster, S. 195 f. 787 NK-U. Neumann, § 17 Rn. 53; Safferling, S. 224. 788 Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (464 f.); Safferling, S. 146.
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Laiensphäre“ entwickelt wurden.789 Wird dieser Vorschlag konsequent umgesetzt – so viel lässt sich bereits festhalten –, müssten Nachteile für den Täter denklogisch ausgeschlossen sein. Dass die strengen richterlichen Anforderungen an eine Unvermeidbarkeit von Verbotsirrtümern im Schrifttum überwiegend auf Ablehnung stoßen, wurde bereits erwähnt. Roxin etwa spricht sich insgesamt für eine „weichere Schuldtheorie“790 aus und zwar aus dem Grund, dass die Vermeidbarkeit nicht in dem Sinne verstanden werden dürfe, dass „nur die absolute Unmöglichkeit zur Erlangung der Unrechtskenntnis die Strafbarkeit ausschließen könnte. Dann würde es unvermeidbare Verbotsirrtümer kaum geben können.“791 Es sei dementsprechend verfehlt, auf das „äußerstenfalls Mögliche“ abzustellen – wenngleich die Formulierung in § 17 StGB – nach Roxin – durchaus auch in diesem Sinne verstehbar sein soll.792 In der Tat: Eine Analyse der Rechtsprechung bringt zum Vorschein, dass unvermeidbare Verbotsirrtümer eine äußerst seltene Ausnahme sind. Wie bereits festgestellt wurde,793 fordert die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung794 vom Täter, dass dieser sich im Vorfeld jeder Handlung bewusst macht, ob sein Handeln „mit den Sätzen des rechtlichen Sollens in Einklang steht.“795 Zweifel soll er „durch Nachdenken oder Erkundigung“ ausräumen, wofür es „der Anspannung des Gewissens [bedarf], ihr Maß richtet sich nach den Umständen des Falles und nach dem Lebens- und Berufskreis des Einzelnen.“796 Dies wird zutreffend so gedeutet, dass der Bundesgerichtshof die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums als Verletzung einer Rechtspflicht kategorisiert.797 Besonders deutlich wird diese Einordnung in der Aussage des BGH, dass die Frage, welche Anstrengungen der Täter im Rahmen der Vermeidbarkeit zu unternehmen habe, „eine Frage nach Inhalt und Umfang einer Rechtspflicht“ sei.798 Auf ein überaus relevantes Problem, das sich bei einer Anwendung dieser höchst richterlichen Grundsätze für die Prozesspraxis ergibt, weist Dahs hin. Dadurch, 789
Vgl. dazu bereits ausführlich Kapitel 2 § 3 C. III. 2. b). Roxin, Tiedemann-Festschrift 2008, S. 375 (388 f.); ders., AT I, § 21 Rn. 38 ff. 791 Roxin, AT I, § 21 Rn. 38. 792 Vgl. Roxin, AT I, § 21 Rn. 38. 793 Vgl. Kapitel 2 § 3 A. II. 3. 794 Vgl. BGHSt 2, 194 (201); BGHSt 3, 357 (366); BGHSt 4, 1 (5); BGHSt 4, 236 (242); BGHSt 9, 164 (172); BGHSt 21, 18 (20); BGHSt 35, 347 (350); BGHSt 40, 257 (264); BGH NStZ 2013, 461 (461). 795 BGHSt 2, 194 (201); vgl. hierzu auch die praktische Sichtweise von Dahs, StV 2014, 14. 796 BGHSt 2, 194 (201); vgl. aus dem Urheberstrafrecht auch LG Wuppertal, CR 1987, 599 (600). 797 NK-Paeffgen, § 17 Rn. 81; Rudolphi, S. 195 f.; vgl. auch SK-Rudolphi, 8. Aufl., 148. Lfg., § 17 Rn. 25. 798 BGHSt 2, 194 (209). 790
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dass dem Täter auferlegt werde, den Nachweis dafür zu erbringen, „alle seine geistigen Erkenntniskräfte“ in adäquater Weise eingesetzt zu haben, werde dessen Schweigerecht gleichsam ausgehebelt: „Realistisch betrachtet hat der Angeklagte danach faktisch eine Art ‚Bringschuld‘, die sein Recht auf Schweigen überlagert; denn es dürfte in aller Regel nicht möglich sein, allein durch Beweisanträge der Verteidigung dem Gericht ausreichende und überzeugende Erkenntnisse über die ‚Anspannung von Verstand und Gewissen‘ beim Angeklagten zu verschaffen.“799 Auch Rudolphi kritisiert, dass die fehlende Vorwerfbarkeit der vom Täter verübten Unrechtstat „in unzulässiger Weise durch die Verletzung der allgemeinen Prüfungs- und Informationspflicht ersetzt“ werde.800 Stratenwerth/Kuhlen sehen hiermit „jedes vernünftige Maß“801 überschritten und stellen fest, dass unvermeidbare Verbotsirrtümer unter dieser Maxime höchstens in Fällen denkbar wären, „in denen man sich nach der Rechtsprechung auf (unzutreffende) Auskünfte sachverständiger Personen verlassen“ dürfe.802 Diese Kritik wird bestätigt durch Roxin, der feststellt, dass die „Annahme einer besonderen Pflicht der genannten Art […] zu dem Trugschluss [führt], dass ihre Verletzung eo ipso die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums begründet.“803 Außerdem lege die Statuierung einer solchen Pflicht die irrige Annahme nahe, dass die Schuld objektiv und nicht nach den individuellen Fähigkeiten des Täters zu bestimmen sei,804 was freilich – insofern besteht kein Zweifel – ein grober Fehler wäre. Dahs wirft in diesem Kontext wiederum folgende berechtigte Frage auf: „Ist es danach ausreichend und geboten, dass ein ‚Fachanwalt für Strafrecht‘ beauftragt wird – oder muss auf eine noch engere Kompetenz geachtet werden? Wie soll die Beauftragung eines Fachanwalts für andere Rechtsgebiete, z.B. Familienrecht, gewertet werden?“805 Jedenfalls müsse ein Angeklagter mindestens „mit erheblich gesteigerten Anforderungen an die eigene Überprüfung der anwaltlichen Auskunft“806 rechnen, was unter anderem die Problematik von „Gefälligkeitsauskünften“ aufwerfe. Die vorliegende Arbeit kann keine erschöpfende Aufarbeitung der Fragen um die Unvermeidbarkeit von Verbotsirrtümern liefern. Insoweit soll einerseits die Feststellung des Umstandes genügen, dass nach den „bemerkenswert hohen Anforderungen“807 der Rechtsprechung nur in den allerseltensten Fällen eine Unvermeidbarkeit angenommen werden kann. Darüber hinaus ist festzustellen, dass im Schrifttum zahlreiche unterschiedlich nuancierte Lösungsmodelle und AnsatzDahs, StV 2014, 14 (14). 8. Aufl., 148. Lfg., § 17 Rn. 25. 801 Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 10 Rn. 83. 802 Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 10 Rn. 83. 803 Roxin, AT I, § 21 Rn. 36. 804 Roxin, AT I, § 21 Rn. 37. 805 Dahs, StV 2014, 14 (15). 806 Dahs, StV 2014, 14 (15). 807 Jescheck/Weigend, AT, § 41 II 2 b).
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800 SK-Rudolphi,
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punkte existieren, um mit dem Merkmal umzugehen. Zustimmung verdienen die folgenden, im Großen und Ganzen in der Literatur als herrschend zu bezeichnenden808 Grundsätze. Erstens muss für den Täter eine reale Möglichkeit bestanden haben, die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens überhaupt zu erkennen, um einen Irrtum vermeiden zu können. Hierbei sind zunächst alle denkbaren „Wege der Erkenntnis“ einzubeziehen, insbesondere (und klassischerweise) sind dies der Einsatz der eigenen geistigen Fähigkeiten sowie das Einholen von Rat bei (fachkundigen) Dritten.809 Zweitens muss für den Täter irgendein Anlass bestanden haben, sein Verhalten zu hinterfragen.810 In der Regel dürfte dieser Anlass in (wenn auch geringen) Zweifeln des Täters an der Rechtmäßigkeit seines Verhaltens zu sehen sein, die i.d.R. durch sein Umstands- und Faktenwissen ausgelöst werden.811 Daneben kann auch beim festen Glauben an die Rechtmäßigkeit ein Anlass des Täters zur Unterlassung seiner Handlung anzunehmen sein, wenn er etwa weiß, dass ähnliche Handlungen Unrecht darstellen812 oder wenn sich ihm aufgrund seiner bisherigen Lebenserfahrung hätte aufdrängen müssen, dass die Handlung Unrecht darstellt.813 Drittens muss es dem Täter auch zumutbar gewesen sein, die (ihm attestierte) Möglichkeit der Erkenntnis auch tatsächlich wahrzunehmen.814 Die Schnittmenge der soeben zitierten Schuldgrundsätze mit den Vorsatzanforderungen der herrschenden (Irrtums-)Lehre ist überdeutlich. Der Vorschlag von Heinrich, im Rahmen der Vermeidbarkeit eben auf diese Grundsätze zurückzugreifen, erscheint dementsprechend angesichts der folgenden Überlegungen als durchaus praktikabel. Wenn im Rahmen der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ danach gefragt wird, ob der Täter die „Bedeutung seines Tuns“ oder dessen „sozialen Sinn“ nachvollzogen hat beziehungsweise ob er in nichtjuristischer Weise erkannt hat, dass 808 Vgl. Joecks, StGB, § 17 Rn. 4 ff.; NK-Paeffgen, § 17 Rn. 62 ff.; Rudolphi, S. 291 ff.; Satzger/Schluckebier/Widmaier-Momsen, § 17 Rn. 46 ff.; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 13 ff.; SK-Rudolphi, 8. Aufl., 148. Lfg., § 17 Rn. 30; U. Weber, S. 292 f. 809 Vgl. Jescheck/Weigend, AT, § 41 II 2 b); NK-Paeffgen, § 17 Rn. 67; Rengier, AT, § 31 Rn. 20, 22; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 16; SK-Rudolphi, 8. Aufl., 148. Lfg., § 17 Rn. 32; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 691. 810 Vgl. NK-Paeffgen, § 17 Rn. 63; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 16 – der Täter muss den „Impuls zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit“ verspüren; SK-Rudolphi, 8. Aufl., 148. Lfg., § 17 Rn. 31. 811 Vgl. SK-Rudolphi, 8. Aufl., 148. Lfg., § 17 Rn. 31; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 10 Rn. 84 f. 812 Vgl. Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 10 Rn. 86; ablehnend NK-Paeffgen, § 17 Rn. 64. 813 Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 16; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 10 Rn. 86. 814 Vgl. Rudolphi, S. 211 ff., 295 f.; SK-Rudolphi, 8. Aufl., 148. Lfg., § 17 Rn. 30; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 10 Rn. 85.
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Kap. 2: Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik
sein Verhalten ein Rechtsgut verletzt, so ist dies eigentlich keine andere Prüfung als jene, ob ein Täter Anlass hatte, sein Verhalten zu hinterfragen, und dies hierauf basierend auch tatsächlich getan hat. Und bei den letztgenannten Fragen handelt es sich, wie soeben festgestellt wurde, um solche der Vermeidbarkeit des Verbots irrtums. Die Frage, ob ein Täter die Bedeutung einer Handlung nachvollzogen hat, dürfte sich auch dem Sprachsinn nach durchaus durch die Formulierung ersetzen lassen, ob er sein Verhalten hinterfragt hat. Zumindest erscheint es durchaus vertretbar, in diesem Zusammenhang auf derlei sprachliche Finessen um einer schlüssigen Konzeption willen zu verzichten. Weiterhin fragt die herrschende Lehre im Rahmen des Vorsatzes bei normativen Tatbestandsmerkmalen nur danach, ob der Täter die Bedeutung seiner Handlung „laienhaft“ nachvollzogen habe. Dies wiederum stößt oftmals auf die – berechtigte – Kritik, dass für eine rechtliche Bewertung des Täterverhaltens eigentlich gerade nicht die subjektive Sicht des Täters, sondern die richtige juristische Einschätzung ausschlaggebend sein müsse.815 Dieser Kritik lässt sich problemlos dadurch begegnen, dass die Einstellung des Täters zur Rechtsordnung erst auf Schuldebene berücksichtigt wird: Denn dort soll es auch nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich auf die Fähigkeiten, die Werte und die Rechtsauffassung des Täters, also gerade auf dessen subjektive Seite ankommen – dementsprechend wird auf Schuldebene zwangsläufig immer auch der Fähigkeit des Täters Beachtung geschenkt, juristische Formulierungen „laienhaft“ zu verstehen. Darüber hinaus lassen sich jene Gesichtspunkte, die Puppe mit ihrer Lehre über die Sinnkenntnis des Täters im Rahmen des Vorsatzes behandelt wissen möchte, ebenso unproblematisch auf Schuldebene integrieren: Denn abgesehen davon, dass dies eventuell (unzutreffend) als „ungerecht“ empfunden wird, lässt sich kein Argument dafür finden, warum der Täter nicht erst im Rahmen der Schuldprüfung danach gefragt werden sollte, ob er den – juristisch-korrekt zu bestimmenden – Sinn seines Verhaltens unter Ausschöpfung seiner Fähigkeiten „gekannt“ hat. Vielmehr bietet sich im Rahmen der Vermeidbarkeit die Gelegenheit, individuelle Fähigkeiten des Täters zu berücksichtigen, deren Beachtung beim Vorsatz mittels einer „Parallelwertung“ unter berechtigter Kritik, wie etwa von Puppe816 oder Kindhäuser817 geäußert, steht. Die umständliche und angreifbare Konstruktion der herrschenden Lehre auf Vorsatzebene erweist sich unter diesen Gesichtspunkten als ebenso überflüssig wie fehlerhaft. Momsen stellt überaus treffend fest: „Die Vermeidbarkeit ist […] das zentrale Kriterium, um den Anforderungen einer immer stärker wachsenden und moralisch-ethisch häufig indifferenten Normenmenge und -dichte gerecht werden zu können.“818 In der Tat: § 17 StGB gibt alles vor, was zur Bewältigung der Pro815
Vgl. bereits Kapitel 2 § 3 C. III. 2. a) bb). Puppe, GA 1990, 145 (157). 817 Kindhäuser, GA 1990, 407 (417 f.). 818 Satzger/Schluckebier/Widmaier-Momsen, § 17 Rn. 45. 816
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bleme nötig ist, die sich daraus ergeben, dass „das Strafrecht“ in seiner Gesamtheit nicht in einer für jedermann leicht verständlichen Lektüre verfasst ist. Warum dieses Instrumentarium partiell – und unter Systembruch – bereits beim Vorsatz eingesetzt werden soll, lässt sich nicht hinreichend gewichtig begründen. Vielmehr führt der Vorschlag von Heinrich, auf Schuldebene die Grundsätze der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ anzuwenden, zu schlüssigen Ergebnissen, die sich nicht von jenen der herrschenden Lehre unterscheiden. 3. Die dritte Schwachstelle: Gesetzgebungstechnische Entscheidungen ohne materiell-rechtliche Zielsetzung entfalten materiell-rechtliche Wirkungen Die Entscheidung des Gesetzgebers für den Gebrauch einer Verweisung, ganz gleich ob diese mittels normativer Begriffe oder mittels eines Blankett erfolgt, kann mehrerlei Gründe haben. Diese sind, was sogleich aufgezeigt wird, grundsätzlich formaler Natur. Soweit der Verwendung einer bestimmten Gesetzestechnik jedoch keinerlei materiellen Gründe innewohnen, so stellt sich die grundsätzliche Frage, ob der so bedingte Gebrauch dieser Technik materiell-rechtliche Folgen nach sich ziehen sollte.819 Für Rudolphi/Stein legt der Gesetzgeber „durch die Strukturierung des objektiven Tatbestands […] nicht nur fest, worin das tatbestandliche objektive Handlungsunrecht und das Erfolgsunrecht des jeweiligen Delikts liegt, sondern er definiert dadurch zugleich den Vorsatzgegenstand.“820 Diese Auffassung ist unter dem Regime der herrschenden Lehre freilich alternativlos. Denn wenn deskriptive und normative Tatbestandsmerkmale beim Vorsatz eine unterschiedliche Behandlung erfahren, ist keine andere Aussage möglich – dann macht es unter materiellen Gesichtspunkten tatsächlich einen Unterschied, ob der Gesetzgeber sich technisch für ein normatives Tatbestandsmerkmal oder für eine Blankettverweisung entscheidet. Die zitierte Aussage verliert indes ihre Bedeutung, wenn alle Tatbestandsmerkmale beim Vorsatz gleich behandelt werden. Ein Hauptgrund für die Aufnahme einer Verweisung ist der Faktor Übersichtlichkeit. Durch den Gebrauch einer Verweisung vermeidet der Gesetzgeber einerseits die Wiederholung von bereits andernorts ausführlich normierten Merkmalen, wodurch sich ein „Anschwellen der Gesetzesblätter“821 vermeiden lässt.822 Insofern lässt sich von „Gesetzesökonomie“823 sprechen. Diese Ökonomie bewirkt darüber hinaus, dass das Gesetz gleichzeitig auch für seine Adressaten übersichtlicher und transparenter wird.824 Würde statt des Merkmals „fremde Sache“ in § 242 StGB Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (460). 8. Aufl., 148. Lfg., § 16 Rn. 16. 821 Schenke, NJW 1980, 743 (743). 822 Vgl. allgemein zur Funktion von Verweisungen in gesetzlichen Vorschriften Karpen, S. 11 ff.; ferner Schenke, NJW 1980, 743 (743). 823 Karpen, S. 11; ebenso Schenke, NJW 1980, 743 (743). 824 Vgl. Karpen, S. 11 ff.; Schenke, NJW 1980, 743 (743). 819 Vgl.
820 SK-Rudolphi/Stein,
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Kap. 2: Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik
beispielsweise die gesamte (zivilrechtliche) Eigentumsordnung wiederholt, so wäre die Strafvorschrift schlicht unlesbar. Demselben Zweck dürfte beispielsweise auch § 11 StGB dienen, der mit seinen Legaldefinitionen „vor die Klammer gezogen“ für ein einheitliches strafrechtliches Begriffsverständnis sorgt. Neben diese Funktion tritt die Komponente der Flexibilität. Durch die Aufnahme einer Verweisung hält sich der Gesetzgeber die Möglichkeit offen, durch Änderung der Bezugsvorschrift die Rechtslage auch für das Blankett zu verändern, weswegen insofern von einer „Anpassungsautomatik“ gesprochen werden kann.825 Diese Funktionen lassen sich am Beispiel der „gesetzlich zugelassenen Fälle“ in § 106 UrhG verdeutlichen: Einerseits hat der Gesetzgeber durch die Verweisung die Möglichkeit, im Nachhinein den Katalog an zugelassenen Fällen zu erweitern oder zu beschränken, ohne dass es dafür einer Änderung der Strafvorschrift bedarf. Andererseits würde eine Aufnahme aller Schranken in die Vorschrift des § 106 UrhG diesen zu einem absolut unleserlichen Straftatbestand machen, weswegen die Verweisung hier durchaus der Bestimmtheit und Ökonomie dient. Demgegenüber entschied sich der Gesetzgeber etwa in § 108b Abs. 1 UrhG – ebenfalls um der Lesbarkeit willen – bewusst gegen eine Verweisung auf die §§ 95a, 95c UrhG, obwohl dies rechtstechnisch ebenso möglich gewesen wäre.826 Begründet wurde diese gesetzgeberische Entscheidung damit, dass die letztgenannten Vorschriften „voneinander abweichende subjektive Merkmale“ aufwiesen, weswegen die Verweisungstechnik in diesem Falle zur Schaffung einer „in ihrer Komplexität schwer verständlichen Vorschrift“ geführt habe.827 § 108b Abs. 2 UrhG hingegen enthält weiterhin eine ausdrückliche Verweisung auf § 95a Abs. 3 UrhG. Sowohl die Entscheidung dafür, in dem einen Absatz des § 108b UrhG eine Blankettverweisung aufzunehmen, als auch die Entscheidung, eben dies in einem anderen Absatz nicht zu tun, basieren also auf Gründen der Übersichtlichkeit – und nicht auf materiellen Gesichtspunkten. Fraglich ist aber, ob rein formale Gesichtspunkte materiell-rechtliche Folgen auslösen dürfen. Dieses Vorgehen scheint aus strafrechtlicher Perspektive jedenfalls so lange unproblematisch zu sein, wie aus derlei „gesetzgeberischer Zufälligkeit“828 auch keine materiell-rechtlichen Konsequenzen, also insbesondere keine unterschiedlichen Folgen für die Strafbarkeit von Handelnden, resultieren. Genau solche Folgen treten allerdings zwangsläufig ein, wenn nach herrschender Auffassung normative Tatbestandsmerkmale anders behandelt werden als Blankettverweisungen. Deshalb ist es – mit Vogel – in der Tat „nicht verwunderlich“,829 wenn zunehmend auch bei Blanketten die Verbotskenntnis zum Vorsatz gerechnet wird, um hierdurch eiVgl. dazu Schenke, NJW 1980, 743 (743). Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (460); Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108b UrhG Rn. 2. 827 BT-Drucks. 15/837, S. 35. 828 Vgl. Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (460). 829 LK-Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 40. 825
826 Vgl.
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nen gewissen Gleichlauf mit Verweisungen über normative Tatbestandsmerkmale zu erreichen. Allerdings verstößt diese Auffassung, was bereits ausführlich erörtert wurde, in eklatanter Weise gegen das Verständnis der Schuldtheorien. Wenn hingegen auch bei Blanketten mithilfe der „Inkorporationstheorie“ zunächst ein Gesamttatbestand gebildet wird, sodann beim Vorsatz bezüglich aller Merkmale nur die Kenntnis tatsächlicher Umstände entscheidet, wird sowohl bei Blanketten als auch bei normativen Tatbestandsmerkmalen die Verbotskenntnis stets erst auf Schuldebene relevant. Somit lassen sich durch diese Auffassung auch alle Bedenken in Bezug auf die durch den Gesetzgeber gewählte Technik entkräften: Denn die Wahl der Gesetzgebungstechnik spielt dann schlichtweg keine Rolle mehr. Auch hierin steckt ein gewichtiges Argument für die Gleichbehandlung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen. 4. Die vierte Schwachstelle: Umgekehrte Irrtümer als Feuerprobe Es wurde bereits festgestellt, dass sich die Schlüssigkeit der strafrechtlichen Irrtumslehre auch an den „Irrtümern zulasten eines Handelnden“ messen lassen muss.830 Schuster stellt zutreffend fest, dass die Abgrenzung von Tatumstandsund Verbotsirrtum sowie von untauglichem Versuch und Wahndelikt voneinander abhängen: „Jeder Lösungsentwurf zur Abgrenzung von vorsatz- und nichtvorsatzrelevanten Irrtümern muss […] in der Lage sein, problemübergreifend in sich widerspruchsfreie Ergebnisse zu liefern.“831 Das bedeutet: Die Rechtsfiguren des (strafbaren) untauglichen Versuchs und des (straflosen) Wahndelikts, die jeweils keine gesonderte Regelung im StGB erfahren haben, müssen in den logischen Rahmen der §§ 16, 17 StGB integrierbar sein, ohne Systembrüche zu provozieren. Unter Anwendung der herrschenden (Irrtums-)Lehre sind derlei Brüche (Heinrich spricht von „Ungereimtheiten“,832 Puppe von einer „Konfusion“,833 Harnos von „Unstimmigkeiten“,834 Traub von „systematischen Nöten“835 und Dopslaff von „besonderen Problemen“836) allerdings unumgänglich, was sich mithilfe des bereits bekannten Beispielsfalls 2 darstellen lässt:837 In diesem verleiht B ihre legal erworbene CD an G, um dieser die Anfertigung einer Kopie davon zu ermöglichen. B geht bei dieser Aktion fest davon aus, eine strafbare Urheberrechtsverletzung zu begehen (im Raum stünde eine Mittäterschaft, Anstiftung oder wenigstens Beihilfe zu § 106 UrhG). Sie irrt also über die 830
Vgl. Kapitel 2 § 3 A. IV. 2. Schuster, S. 209. 832 Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (462). 833 NK-Puppe, § 16 Rn. 146. 834 Harnos, S. 193. 835 Traub, NJW 1960, 348 (349). 836 Vgl. Dopslaff, GA 1987, 1 (26). 837 Vgl. Kapitel 1 § 4. 831
Kap. 2: Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik
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Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens, denn das Verhalten ist im Rahmen des zulässigen Privatgebrauchs nicht zu beanstanden (erstens handelt es sich um eine nichtöffentliche Weitergabe unter Freunden, also nicht um eine Verbreitung i.S.d. §§ 17, 15 Abs. 3 UrhG, zweitens wäre die Vervielfältigung seitens G gedeckt durch § 53 Abs. 1 UrhG). Konkret stuft B ihre Handlung allerdings – bedingt durch ein fehlerhaftes Rechtsverständnis – als „illegal“ ein, wobei sie in tatsächlicher Hinsicht alles korrekt erfasst hat. Hierin liegt nach herkömmlicher Auffassung, der auch die Rechtsprechung folgt,838 ein Wahndelikt, denn die Fehlvorstellung liegt im rechtlichen Bereich und nicht im Bereich der Kenntnis tatsächlicher Umstände (die B, wie erwähnt, allesamt zutreffend erfasst hat). Andernfalls läge ein untauglicher Versuch vor, der allerdings ebenfalls straflos bliebe, weil alle Delikte des UrhG Vergehen sind, § 12 Abs. 2 StGB, für die auch keine Versuchsstrafbarkeit besonders angeordnet wird, § 23 Abs. 1 StGB. Heinrich weist nun darauf hin, dass die Privilegierung des Täters auf Vorsatz ebene durch Anerkennung des Tatumstandsirrtums über die rechtliche Bewertung von normativen Tatbestandsmerkmalen prinzipiell ebenso spiegelverkehrt wirken müsste bei der Unterscheidung von Wahndelikt und untauglichem Versuch: Wenn ein Irrtum über die rechtliche Bewertung einerseits den Vorsatz eliminieren könne, so müsse doch anders herum ein Irrtum über die rechtliche Bewertung den Vorsatz genauso gut begründen können.839 Oder mit Traub gesprochen: „Wenn der Bedeutungsirrtum relevant ist (den Vorsatz ausschließt), muß der umgekehrte Bedeutungsirrtum auch relevant sein und zum untauglichen Versuch führen.“840 Bei Blanketten müsste dies je nach vertretener Auffassung dann natürlich bedeuten, dass der Glaube an das Bestehen einer Verbotsnorm – spiegelverkehrt zur Unkenntnis einer tatsächlich bestehenden Norm – statt eines Wahndelikts einen untauglichen Versuch begründet.841 Ansonsten geht die Logik des Umkehrschlusses nicht auf. Unter Zugrundelegung dieser Überlegungen wäre das Verhalten von B im Beispielfall 2 keinesfalls eindeutig straflos, denn es müsste zunächst untersucht werden, welche Natur das Tatbestandsmerkmal hat, auf welches sich der Irrtum bezog. Im Beispiel ist dies das Merkmal „Verbreiten“, welches ein Anbieten oder Inverkehrbringen nur in der Öffentlichkeit erfasst. Demzufolge handelt es sich um eine Fehlvorstellung betreffend ein normatives Tatbestandsmerkmal,842 sodass die angedeuteten Probleme allesamt virulent wären. Hiervon möchte die Rechtsprechung indes nichts wissen, die beim umgekehrten Irrtum in aller Regel einzig danach differenziert, ob ein Tatsachenirrtum oder ein Rechtsirrtum vorliegt.843 838
Vgl. nur die umfassende Darstellung der Rechtsprechung bei T. Fischer, § 22 Rn. 51 f.
839 Vgl. Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (462 f.); ebenso Harnos, S. 192 f.
Traub, NJW 1960, 348 (349). Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (463). 842 Vgl. zum Merkmal der „Öffentlichkeit“ noch ausführlich Kapitel 3 § 3 B. III. 3. sowie Kapitel 3 § 3 B. IV. 1. 843 Vgl. etwa BGHSt 2, 74 (76); BGHSt 3, 221 (226); BGHSt 3, 248 (253 f.); BGHSt 10, 272 (275 f.); BGHSt 13, 235 (239 ff.); BGHSt 14, 345 (350 f.); BGHSt 42, 268 (272 f.). 840
841 Vgl.
§ 4 Die eigene Irrtumslehre
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Der Problembereich der „umgekehrten Irrtümer“ kann in der vorliegenden Arbeit nicht erschöpfend untersucht werden – dies ist allerdings auch nicht notwendig. Denn ohne zu tief in den Bereich der Irrtümer zulasten Handelnder einzusteigen, lässt sich jedenfalls Folgendes feststellen: Die Abgrenzung von Wahndelikt und untauglichem Versuch (den umgekehrten Irrtümern) stellt nur unter Zugrundelegung der herrschenden Lehre über normative und deskriptive Tatbestandsmerkmale einen weiteren, schwer handhabbaren Grenzbereich dar.844 Wird dagegen die Sonderstellung der normativen Tatbestandsmerkmale und der Blankettverweisungen aufgegeben, erübrigen sich alle Probleme mit den umgekehrten Irrtümern: Dann geht der oft kritisierte Umkehrschluss der Rechtsprechung (vom Tatumstandsirrtum auf den untauglichen Versuch und vom Verbotsirrtum auf das Wahndelikt)845 ohne Weiteres logisch auf: Bei der irrigen Annahme von tatsächlichen Umständen, die einen Straftatbestand erfüllen würden (umgekehrter Tatumstandsirrtum), begeht der Täter einen untauglichen Versuch; beim irrigen Glauben an das Bestehen einer Strafvorschrift oder allen sonstigen Fehlvorstellungen über die Bedeutung oder die Reichweite der Strafvorschrift, liegt ganz unproblematisch ein Wahndelikt vor, sofern sich der Täter nicht zusätzlich Tatsachen vorstellt, die den Tatbestand einer tatsächlich existierenden Strafvorschrift erfüllen würden.846 Kurzum: Werden Tatsächliches und Rechtliches sauber voneinander getrennt, so kann auch bei Anwendung der herrschenden Umkehrprobe ebenso sauber zwischen untauglichem Versuch und Wahndelikt unterschieden werden. Der Rechtsprechung würden also auch hier durch die Gleichbehandlung aller Tatbestandsmerkmale sowohl im subjektiven Tatbestand als auch beim Unrechtsbewusstsein klare Abgrenzungskriterien an die Hand gegeben.
§ 4 Die eigene Irrtumslehre Die Lehre über Irrtümer im Strafrecht muss sich als logisches Ergebnis aus einer schlüssigen Anwendung der Lehre über Vorsatz und Schuld ergeben. Hierfür ist eine Aufgabe der herrschenden Grundsätze in Rechtsprechung und Wissenschaft erforderlich. Die zentralen Irrtumsvorschriften der §§ 16, 17 StGB geben insoweit einen verbindlichen Rahmen vor. Die folgenden Grundsätze kommen zur Anwendung: Der Vorsatz besteht aus einem kognitiven Wissenselement sowie aus einem Willenselement. Auf kognitiver Seite wird hinterfragt, ob ein Täter die erforderliche 844 Vgl. Dopslaff, GA 1987, 1 (26); Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (463); Jescheck/Weigend, AT, § 50 II 2; LK-Hillenkamp, 12. Aufl., § 22 Rn. 210 ff.; NK-Puppe, § 16 Rn. 144 ff.; Roxin, AT II, § 29 Rn. 401 ff.; Schönke/Schröder-Eser/Bosch, § 22 Rn. 84 ff., 90. 845 Vgl. zur Kritik an der Praxis der Umkehrprobe sowie zur Verteidigung des Umkehrschlusses LK-Hillenkamp, 12. Aufl., § 22 Rn. 180 ff., 218 ff. 846 Ebenso Dopslaff, GA 1987, 1 (26); Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (462 f.).
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Kap. 2: Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik
„Umstandskenntnis“ i.S.d. § 16 StGB hatte. Diese Kenntnis bezieht sich nur auf Tatsachen, also reale Elemente des Lebenssachverhalts. Diese Umstandskenntnis ist zu verneinen, wenn der Täter tatsächliche Umstände nicht gekannt oder falsch erfasst hat, die den Sachverhalt ausmachen. Der Täter weiß dann also nicht, was er tut, er unterliegt einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum. Entgegen der herrschenden Meinung sind Fragen nach der rechtlichen Bewertung des Sachverhalts beziehungsweise Fragen nach der Bedeutung einzelner Tatbestandsmerkmale auf Vorsatzebene nicht von Relevanz. Diese werden erst auf Schuldebene gestellt, weil es sich insoweit um Bestandteile des Unrechtsbewusstseins handelt. Der Täter braucht die rechtliche Bedeutung seines Verhaltens also weder juristisch-korrekt, noch „laienhaft“ erfasst oder verstanden zu haben, um vorsätzlich zu handeln. Derlei Fragen sollten richtigerweise nur auf Ebene der Schuld – und zwar bei der Feststellung des Unrechtsbewusstseins – gestellt werden. Diese Auffassung entspricht nicht nur dem Wortlaut, sondern darüber hinaus auch allein dem Verständnis der Schuldtheorie und damit dem Willen des historischen Gesetzgebers. Im Rahmen der Schuld wird das Unrechtsbewusstsein des Täters untersucht, § 17 StGB. Hier wird hinterfragt, ob der Täter die rechtliche Bedeutung seines Verhaltens gekannt, erkannt, verstanden beziehungsweise hinterfragt hat. Dies ist gleichzusetzen mit der Frage, ob der Täter den „sozialen Sinn“ seiner Handlung korrekt erfasst hat. Es handelt sich hierbei insgesamt um die schwer zu umschreibende, aber gleichwohl zuverlässig feststellbare Einsicht, Unrecht zu tun im Sinne des § 17 StGB. Über diese Einsicht verfügt der Täter immer dann, wenn er seine Handlung zutreffend als Unrecht erkennt oder zumindest die Möglichkeit sieht, Unrecht zu tun. Richtigerweise kommen all jene Fragen, die nach überkommener Auffassung bei rechtlichen Irrtümern hinsichtlich normativer Tatbestandsmerkmale im subjektiven Tatbestand gestellt werden, erst hier zur Geltung: Weiß ein Handelnder (auch nur „laienhaft“) um die Bedeutung eines Tatbestandsmerkmals, so hat er die erforderliche Einsicht. Weiß er, welchen sozialen Sinn seine Handlung hat, so ist dies ebenfalls ein Beweis für seine Einsicht, Unrecht zu tun. Auf Schuldebene ist mit der Prüfung der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums die „finale“ Entscheidung über die Strafbarkeit des Handelnden zu treffen. Hier sollte die Rechtsprechung den Forderungen im Schrifttum nachkommen und weniger strenge Anforderungen – mit Heinrich: „keine überzogenen Anforderungen“847 – an die Unvermeidbarkeit eines Irrtums stellen. Ein „milderer“ Maßstab ist insoweit zwar obligatorisch, dessen Findung bereitet aber keine Probleme: Hier ist auf die Grundsätze zurückzugreifen, die von der herrschenden Lehre im Bereich der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ entwickelt wurden. Soweit der Täter hiernach in seiner „Laiensphäre“ nicht dazu imstande war, das Unrecht seiner Tat zu erkennen, etwa, weil er die Bedeutung eines Tatbestandsmerkmals nicht hinreichend verstanden hat, ist sein Verbotsirrtum als unvermeidbar einzustufen. Hierdurch werden Ergebnisse erzielt, die denen der herrschenden Meinung im Schrifttum und innerhalb der Rechtsprechung entsprechen, ohne systemwidrig – gleichsam 847
Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (465).
§ 4 Die eigene Irrtumslehre
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durch die Hintertüre – die Vorsatztheorie in das System des StGB zu implementieren. All jene Fälle, die heute auf diesem Wege bereits bei Prüfung des Vorsatzes zur Straflosigkeit geführt werden, lassen sich ohne Weiteres im Rahmen der Schuld über einen solchen „milden“ Maßstab zu demselben Ergebnis bringen. Die herrschende Vorsatz- und Irrtumslehre ist in Anbetracht ihrer festgestellten Schwachstellen nicht aufrecht zu erhalten. Neben den ausgemachten Abgrenzungsproblemen bei deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen sowie Blanketten, ist vor allem der eklatante Bruch mit dem schuldtheoretischen Verständnis eindringlich anzumahnen. Darüber hinaus ist nicht einzusehen, warum die oftmals vom Zufall abhängige Wahl einer bestimmten Verweisungstechnik durch den Gesetzgeber im Ergebnis materiell-rechtliche Konsequenzen haben soll: Die insoweit erzeugten Systembrüche wiegen zu schwer, um schlichtweg hingenommen zu werden. Dasselbe gilt für den Bereich der umgekehrten Irrtümer, wo evidente logische Brüche ganz offen toleriert werden. Die Grundsätze der herrschenden Irrtumslehre erscheinen umso irritierender, wenn man sich vor Augen führt, wie einfach die aufgezeigten Ungereimtheiten vermieden werden können: Die Lösung aller Irrtumsprobleme liegt in einer konsequenten Anwendung der §§ 16, 17 StGB. Es leuchtet nicht ein, warum eindeutige Fragen des Unrechtsbewusstseins dem Täter schon im Tatbestand zugutegehalten werden sollten – weswegen sich der Schluss aufdrängt, dass es der herrschenden Lehre im Ergebnis ausschließlich darum geht, das Unrechtsbewusstsein bei normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettverweisungen bereits bei der Prüfung des Vorsatzes fruchtbar zu machen. Doch erstens ist gerade hierfür die Schuldprüfung vorgesehen. Und zweitens bietet § 17 StGB mit dem Kriterium der Vermeidbarkeit genau jenes Instrumentarium, das der Vorsatzprüfung fehlt – und welches deswegen unnötig kompliziert über eine höchst umstrittene „Parallelwertung in der Laiensphäre“ an der Schuldtheorie vorbei in den Tatbestand integriert wird. Die insoweit gehegte Sorge einer Ungerechtigkeit gegenüber dem Täter erweist sich zudem als unbegründet: Denn wenn all jene Kriterien, die durch das herrschende Schrifttum und die Rechtsprechung über eine – wie auch immer im Einzelnen ausgestaltete – Bedeutungskenntnis, Sinnkenntnis oder „Wiederspiegelung der gesetzgeberischen Grundentscheidung im Verständnishorizont des Täters“ in den Tatbestand projiziert werden, schlicht im Rahmen des Unrechtsbewusstseins verortet bleiben, werden keinerlei Aspekte abgeschnitten. Einzig im Rahmen der Vermeidbarkeit ist dann eine weniger strenge Prüfung angezeigt, als sie in ständiger Rechtsprechung durch die Gerichte vorgenommen wird. Für einen solchen, „milderen“ Maßstab sprechen sich ohnehin die meisten Vertreter im strafrechtlichen Schrifttum aus. Ohne hierauf noch tiefer eingehen zu wollen, steht zu vermuten, dass genau jene Rigorosität bezüglich der Vermeidbarkeit von Verbotsirrtümern durch die Rechtsprechung entscheidend zu dem Bedürfnis beiträgt, dem Täter seine rechtlichen Fehlvorstellungen bereits im subjektiven Tatbestand positiv anzurechnen – denn auf einen Schuldausschluss wird sich dieser realiter ohnehin kaum einmal verlassen können. Es wird sich nicht leugnen lassen, dass die herrschende Irrtumslehre – und damit auch die Lehre vom Vorsatz – stark durch die erwünschten Ergebnisse geprägt
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Kap. 2: Die Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik
wird. Es wird in vielen Fällen schlichtweg als ungerecht empfunden, einen Handelnden als Vorsatztäter zu bezeichnen, der einen schwierigen rechtlichen Sachverhalt falsch einschätzt – aber dabei das was er tut ganz bewusst genau so tut. Doch sofern feststeht, dass derjenige nicht schlechter gestellt wird, ist es doch nur konsequent, ihm „nur“ das Attest eines schuldlos Handelnden auszustellen, statt jenes eines vorsatzlos Handelnden. Dieser einzig ersichtliche, „kosmetische“ Makel sollte doch in Kauf genommen werden, wenn hierin der einzige Preis für eine in sich stimmige, rechtssichere und schlüssige Irrtumslehre zu sehen ist. Diese Lehre bringt darüber hinaus auch den Vorteil mit sich, dass sie eine Bestrafung von Gehilfen und Anstiftern ermöglicht, die ansonsten mangels vorsätzlicher Haupttat von vornherein ausgeschlossen wäre. Darüber hinaus ist es – entgegen der Einschätzung von Papathanasiou848 – zu befürworten, wenn hierdurch die Möglichkeit einer Notwehr gegen Handlungen ermöglicht wird, bei denen ein Täter in tatsächlicher Hinsicht ganz genau weiß, was er tut und sein Verhalten lediglich in rechtlicher Hinsicht falsch bewertet. Schließlich sollen zwei Kategorien nicht unerwähnt bleiben, die innerhalb der vorstehenden Ausführungen mangels Relevanz ausgespart wurden. Der Erlaubnistatumstandsirrtum wird durch das Gesagte nicht tangiert, denn beim Irrtum über das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes stellen sich nach der vorliegend vertretenen Auffassung schlichtweg andere Fragen. Für diese Irrtumskategorie gilt das bereits Erörterte:849 Wähnt sich ein vollumfänglich tatbestandsmäßig und rechtswidrig Handelnder in einer Situation, deren tatsächliches Vorliegen durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt wäre, die aber tatsächlich nicht gegeben ist, so entfällt sein Vorsatz unter Anwendung der hier befürworteten, eingeschränkten Schuldtheorie analog § 16 StGB. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit haben mithin keine Auswirkung auf diese Art von Irrtum. Weiterhin wurde die Begrifflichkeit des Subsumtionsirrtums nicht gesondert thematisiert: Bei diesem erkennt der Täter sein Handeln zwar in tatsächlicher Hinsicht korrekt, hat also unstreitig Vorsatz, subsumiert sein Verhalten aber unter eine falsche Bestimmung oder ein falsches Tatbestandsmerkmal.850 Es handelt sich hierbei unproblematisch um eine Frage des Unrechtsbewusstseins, weswegen der Begriff des Subsumtionsirrtums ganz prinzipiell entbehrlich ist.851 Ebenfalls nicht von Relevanz für die vorliegende Arbeit waren im bisherigen Verlauf die Schlagwörter „error in persona vel obiecto“, also der Irrtum über das Handlungsobjekt, sowie „aberratio ictus“, also das Fehlgehen der Tat: Beides sind Irrtümer auf Ebene des Tatbestandes, die zwar ihrerseits umstritten sind,852 welche für die Unterscheidung von Tatumstands- und Verbotsirrtum aber keine Rolle spielen. Papathanasiou, S. 99. Vgl. Kapitel 2 § 3 A. III. 850 Vgl. nur Heinrich, AT, Rn. 1078 ff.; Lackner/Kühl, § 15 Rn. 14 ff. 851 Ebenso Heinrich, AT, Rn.1079. 852 Vgl. dazu etwa BeckOK-StGB-Kudlich, § 16 Rn. 6 f f.; Heinrich, AT, Rn. 1099 f f., 1105 f f. 848 849
Kapitel 3
Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
§ 1 Die Brücke von der allgemeinen Irrtumslehre zum UrhG Zu Beginn dieser Arbeit wurde die Frage aufgeworfen, ob das Urheberstrafrecht womöglich eine „irrtumsfeste Materie“ ist, denn Rechtsprechung zum Thema „Irrtum“ mit Bezug zu den §§ 106 ff. UrhG existiert kaum.1 Die Frage muss bereits aus dem Grund verneint werden, weil ein fehlendes Unrechtsbewusstsein insbesondere im Nebenstrafrecht – also auch im Urheberstrafrecht – sogar besonders häufig anzutreffen ist, was nach vorzugswürdiger Auffassung den Anwendungsbereich des Verbotsirrtums, § 17 StGB, eröffnet. Diese Konsequenz ergibt sich aus dem Umstand, dass die strafrechtlichen Nebengesetze oftmals nicht zu dem Kreis von Normen gehören, „deren Grundstrukturen man normalerweise im Laufe der Sozialisation internalisiert“,2 was im Ergebnis dazu führt, dass nicht jedermann von der bloßen Sachverhaltskenntnis darauf schließen kann, dass er einen Straftatbestand erfüllt – was im Gegensatz zu den meisten Tatbeständen des Kernstrafrechts (und dort insbesondere den delicta mala per se) steht, deren Appelle größtenteils im Bewusstsein der Menschen verankert sind. Es handelt sich beim Urheberstrafrecht also keinesfalls um eine „irrtumsfeste Materie“, sondern – im Gegenteil – um ein irrtumsanfälliges Rechtsgebiet. Die Regelungen des Allgemeinen Teils des StGB kommen, wie bereits festgestellt wurde, auch im Nebenstrafrecht umfassend zur Anwendung, Art. 1 Abs. 1 EGStGB.3 Hildebrandt und Lauer merken zutreffend an, dass es sich beim Urheberrecht nicht um eine Art „Spezialistenmaterie“ handelt, sondern dass sich die Vorschriften des UrhG an jedermann richten,4 also auch an den „normalen Bürger“, der keine urheberrechtlichen Kenntnisse oder Erfahrungen hat. Weil die Vorschriften aber mitunter einen hohen Abstraktionsgrad aufweisen, mithin „schwer zu durch1
Vgl. Einleitung § 1.
2 SK-Rudolphi/Stein,
8. Aufl., 148. Lfg., § 16 Rn. 18a. Vgl. zur Geltung des Allgemeinen Teils des StGB im Nebenstrafrecht bereits Kapitel 1 § 1 A. 4 Hildebrandt, S. 253 f.; ebenso Lauer, S. 73, die allerdings beide aus diesem Grund die vorstehend abgelehnten Vorsatzmodifikationen bei normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettgesetzen befürworten. 3
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
schauen“5 sind, und das urheberrechtliche Fachvokabular zudem in seiner Bedeutung teilweise erheblich vom allgemeinen Sprachgebrauch abweicht,6 stellen sich die bereits ausführlich erörterten Fragen des Unrechtsbewusstseins und des Vorsatzinhalts in solchen Sachverhalten nicht nur gelegentlich, sondern vielmehr sogar in aller Regel. Auch Kircher betont, dass Irrtümer „gerade auf dem Gebiet des Urheberstrafrechts eine besondere Rolle“7 spielen. Folgerichtig finden sich auch im urheberstrafrechtlichen Schrifttum Äußerungen zur Irrtumsthematik, die im Folgenden als „Brücke zum Urheberrecht“ dargestellt werden sollen. Nur wenige Autoren beschäftigen sich im urheberrechtlichen Schrifttum speziell mit Irrtumsfragen innerhalb der §§ 106 ff. UrhG. Zuvorderst sollten in diesem Zusammenhang die Monographien von Hildebrandt, Kircher, Lauer und U. Weber genannt sein. Daneben ragen die Kommentierungen von Heinrich und Sternberg-Lieben heraus, wobei die Schriften von Heinrich – angesichts seiner zu befürwortenden Mindermeinung – eine Sonderstellung im Schrifttum einnehmen. Im urheberrechtlichen Umfeld scheint die hier befürwortete Auffassung Heinrichs, wenn auch nicht immer ausdrücklich, allerdings eine deutlich größere Zustimmung zu erhalten, als im „blanken“ (Kern-)Strafrecht. Konsequent spricht sich Heinrich auch im Bereich der urheberstrafrechtlichen Vorschriften gegen eine Sonderstellung von normativen Tatbestandsmerkmalen aus.8 Ganz ausdrücklich wird diese Auffassung innerhalb der urheberrechtlichen Literatur zwar nicht geteilt. Im Ergebnis indes erntet die Herangehensweise reichlich Zustimmung. An erster Stelle sei Flechsig genannt, der davon ausgeht, dass sich der Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale als Verbotsirrtum darstelle und sich ausdrücklich von der Lehre einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ distanziert.9 Ein strafloser Irrtum über urheberrechtliche Tatbestände liege demgegenüber „nur und ausnahmsweise dann vor, wenn das Vorliegen von Strafbarkeitsvoraussetzungen nicht bekannt ist.“10 Diese Auffassung dürfte sich in nahezu allen Fällen decken mit der Ansicht von Heinrich. Gleichwohl ist – wie dargelegt – auch bei Lauer, S. 74. Vgl. nur den Begriff der Vervielfältigung, § 16 UrhG, der unter anderem die Erstfixierung eines Werkes erfasst, also auch den Mitschnitt eines live dargebotenen Songs – nach allgemeinem Sprachgebrauch hingegen dürfte die „Aufnahme“ kaum als „Vervielfältigung“ verstanden werden, sodass die Vorschrift des § 106 UrhG auf den ersten Blick aus der Sicht eines Laien keine „passende“ Tathandlung für die Anfertigung eines solchen Mitschnitts parat hält. 7 Kircher, S. 12. 8 Vgl. Heinrich, in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (65 ff.); Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 121. 9 Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 35 Fn. 44 – der allerdings fälschlicherweise davon ausgeht, dass Heinrich die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ befürworte. Insofern besteht eine nicht als solche erkannte Einigkeit. 10 Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 35. 5
6
§ 1 Die Brücke von der allgemeinen Irrtumslehre zum UrhG
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normativen Tatbestandsmerkmalen ein Tatumstandsirrtum nicht ausgeschlossen, weswegen die Pauschalität der Aussage von Flechsig nicht geteilt werden kann. Rehbinder/Peukert sprechen unter besonderer Betonung der Verortung des Unrechtsbewusstseins auf Schuldebene (wenn auch kurz und bündig) davon, dass im Urheberrecht der Verbotsirrtum „besonders häufig“ sei.11 Ebenso knapp äußert sich Kotthoff zu den Irrtümern, welcher der Tendenz nach ebenfalls für die hiesige Auffassung zu plädieren scheint, indem er von einem Verbotsirrtum ausgeht, sobald das „Verbotensein der Tat, also insbesondere die rechtliche Bewertung der Tathandlung durch den Täter“ betroffen sei.12 Konsequent verfolgt, lassen sich diese beiden Aussagen freilich nicht mit der herrschenden Irrtumslehre der allgemeinen Strafrechtsdogmatik vereinbaren – denn nach dieser müssten derlei rechtliche Bewertungen regelmäßig zum Vorsatzausschluss führen, sodass Verbotsirrtümer kaum vorkommen würden. Auch Ruttke/Scharringhausen sprechen davon, dass die „meisten Irrtümer über normative Tatbestandsmerkmale“ als Verbotsirrtümer zu qualifizieren seien13 und dass ein Verbotsirrtum dann anzunehmen sei, wenn „der Täter eine falsche rechtliche Würdigung vornimmt.“14 Der hier vertretenen Auffassung steht auch Hildebrandt positiv gegenüber,15 der im Nebenstrafrecht in Anbetracht dessen Spezialität beim Vorsatz ganz allgemein Korrekturbedarf sieht und deshalb die Lösung über eine großzügige Handhabung der Vermeidbarkeit i.R.d. § 17 StGB sogar für „ausschließlich“ vorteilhaft befindet.16 Die „gewöhnliche Irrtumslehre“ verlange dem Normadressaten eine „sehr weitgefächerte und praktisch unrealistische Gesetzeskenntnis ab.“17 Den Vorschlag, der Problematik über eine großzügige Handhabung der Vermeidbarkeit zu begegnen, möchte Hildebrandt allerdings aus dem Grund nicht weiterverfolgen, weil „nicht zu erwarten [ist], dass die Rechtsprechung bereit sein wird, ihre gefestigte Praxis aufzugeben.“18 Dieser zugegebenermaßen sehr pragmatische Ansatz verleitet Hildebrandt im Ergebnis dazu, sich der vorliegend bereits bei den Blanketten thematisierten BGH-Rechtsprechung zum Steuerrecht anzuschließen. Hildebrandt hält also der – hier abgelehnten – „Vorsatzlösung“ der herrschenden Lehre die Treue. Allerdings erweisen sich, was ausführlich erörtert wurde, die Bedenken von Hildebrandt als unbegründet, wenn nur die §§ 16, 17 StGB konsequent angewendet werden.
11
Rehbinder/Peukert, Rn. 1312.
12 Dreyer/Kotthoff/Meckel-Kotthoff,
§ 106 Rn. 9. § 106 Rn. 30. 14 Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 32. 15 Hildebrandt, S. 254. 16 Hildebrandt, S. 255. 17 Hildebrandt, S. 254. 18 Hildebrandt, S. 255; vgl. auch Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 32. 13 Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen,
196
Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Dem „herrschenden strafrechtlichen Muster“ folgen neben Hildebrandt auch die meisten übrigen Autoren innerhalb des urheberrechtlichen Schrifttums, was allerdings im Ergebnis dazu führt, dass für eine Anwendung von § 17 StGB – entgegen der Auffassung von Rehbinder/Peukert – im Urheberstrafrecht schon prinzipiell kaum Raum verbleibt.19 Sternberg-Lieben stützt dieses Ergebnis ausdrücklich auf die „Vielzahl von normativen Tatbestandsmerkmale[n]“ in § 106 UrhG.20 Eine diametral entgegengesetzte Einschätzung findet sich in diesem Zusammenhang offensichtlich bei Ruttke/Scharringhausen, die zwar ebenfalls den Charakter der „normativen Tatbestandsmerkmale des § 106 [UrhG]“ betonen,21 aber gleichwohl von einer Dominanz des Verbotsirrtums ausgehen.22 Diese Einschätzung dürfte sich unter Anwendung der herrschenden Lehre über normative Tatbestandsmerkmale kaum bewahrheiten, zumindest wenn die Grundsätze der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ konsequent zur Anwendung kommen. Denn dann müsste, wie bereits ausführlich dargelegt wurde, ein Großteil aller Irrtümer bereits auf Tatbestandsebene den Vorsatz eliminieren. Eine gewisse Sympathie seitens Ruttke/ Scharringhausen zugunsten der hier vertretenen Irrtumslehre lässt sich insoweit zumindest vermuten. Sternberg-Lieben spricht sich ausdrücklich für eine Geltung der herrschenden Irrtumslehre aus, sowohl was normative Tatbestandsmerkmale als auch Blankettverweisungen anbelangt.23 Dieselbe Vorgehensweise scheinen im Lager des urheberstrafrechtlichen Schrifttums ferner auch Reinbacher und Haß zu befürworten,24 ebenso wie Lauer, die sich zwar ausschließlich mit Blankettverweisungen auseinandersetzt (insbesondere mit dem Merkmal „in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen“ in § 106 UrhG), jedoch mehrfach auf die herrschende Lehre über normative Tatbestandsmerkmale Bezug nimmt.25 Kircher vermeidet eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Irrtumslehren ganz bewusst und beschränkt sich dementsprechend weitestgehend auf eine bloße Darstellung urheberstrafrechtlicher Fehlvorstellungen auf Basis der „eingeschränkten Schuldtheorie“,26 wobei er die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ als „unangefochten“ gültig bezeichnet27 und davon ausgeht, dass es „auf die Klassifizierung eines konkreten Tatbestandsmerkmals als deskriptiv oder normativ nicht 19 Reinbacher, S. 237, spricht in diesem Zusammenhang von einem „eingeschränkten Anwendungsbereich“ des Verbotsirrtums; zustimmend BeckOK-UrhG-Sternberg/Lieben, § 106 Rn. 40. 20 BeckOK-UrhG-Sternberg/Lieben, § 106 Rn. 40. 21 Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 30. 22 Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 31. 23 Vgl. BeckOK-UrhG-Sternberg/Lieben, § 106 Rn. 36 ff. 24 Vgl. Reinbacher, S. 262 ff.; Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 30 f. 25 Vgl. etwa Lauer, S. 86, 122. 26 Vgl. Kircher, S. 11 f. 27 Kircher, S. 20.
§ 1 Die Brücke von der allgemeinen Irrtumslehre zum UrhG
197
so entscheidend an[kommt].“28 Kircher hebt hervor, dass jedes Tatbestandsmerkmal sowohl deskriptive als auch normative Elemente enthalten und löst zahlreiche denkbare Irrtümer innerhalb der §§ 106 ff. UrhG sodann nach dem Muster der herrschenden Lehre auf. Auch U. Weber beschäftigt sich eingehend mit urheberstrafrechtlichen Irrtümern,29 wobei ebenfalls das Verständnis der herrschenden Irrtumslehre zugrunde gelegt wird. Offensichtlich nicht erfreut über die gesetzgeberische Entscheidung für die Schuldtheorien, sieht U. Weber insgesamt nur wenig Raum für Verbotsirrtümer im Urheberstrafrecht,30 was schon die folgende Aussage nahelegt: „Wenn es nunmehr […] schon nicht mehr möglich ist, bei fehlendem Unrechtsbewußtsein schlechthin Vorsatzausschluß anzunehmen, so sollte jedenfalls der vorstehende historische Rückblick [auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts, Anmerkung d. Verf.] für die Zukunft dazu ermahnen und sicherstellen, daß der Tatumstands irrtum stets als vorsatzausschließend behandelt wird, gleichgültig um welche Art von Tatbestandsmerkmal – deskriptives oder normatives – es sich handelt, und ohne Rücksicht darauf, worauf die Fehlvorstellung des Täters beruht, ob auf einer falschen Einschätzung der zu subsumierenden Tatsachen oder einer fehlerhaften Vorstellung von der Reichweite der Norm, unter die subsumiert werden soll, mag diese den Unrechtsgehalt der Handlung selbst vollständig umschreiben oder insoweit ganz oder teilweise auf andere Vorschriften, z.B. des Zivilrechts, verweisen.“31 An dieser Stelle sei jedoch erwähnt, dass U. Weber seinerzeit den Streit zwischen Vorsatz- und Schuldtheorie sowie die Reformdiskussion zur Kodifikation der §§ 16, 17 StGB miterlebte, wohingegen heute eine vorsatztheoretische Auslegung des Gesetzes in Anbetracht der unzweideutigen Entscheidung des Gesetzgebers – wie erörtert – schlechterdings nicht mehr diskutabel erscheint. Derlei Diskussionen müssen mithin de lege ferenda geführt werden. Kurzum: Die Meinungen zur Irrtumslehre sind speziell mit Bezug zum Urheberstrafrecht ebenso gespalten wie in Bezug auf das Kernstrafrecht. Im Folgenden werden Irrtumsfragen im Urheberstrafrecht unter Zugrundelegung der hier befürworteten Irrtumslehre und unter Berücksichtigung der urheberrechtlichen Literatur erschöpfend behandelt, wobei § 106 UrhG im Zentrum der Bearbeitung steht. Die nachfolgenden Ausführungen dienen dabei noch einem weiteren Zweck: In Auseinandersetzung mit dem vorhandenen Schrifttum zu den §§ 106 ff. UrhG, welches – wie dargestellt – ganz überwiegend von der herrschenden Irrtumslehre ausgeht, lässt sich die vorliegend vertretene Irrtumslehre anhand zahlreicher praktischer Beispielsfälle auf die Probe stellen. Die Gliederung folgt dabei einem klassischen Aufbau:
Kircher, S. 23 f. U. Weber, S. 284 ff. 30 Vgl. U. Weber, S. 292 ff. 31 U. Weber, S. 287 f. 28 29
Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
198
Zunächst werden Irrtümer im Bereich des Strafanwendungsrechts untersucht (§ 2), bevor anschließend der Zentraltatbestand des § 106 UrhG zunächst in Bezug auf seine Tatobjekte (§ 3 A), seine Tathandlungen (§ 3 B), die gesetzlich zugelassenen Fälle (§ 3 C) sowie in Bezug auf das Merkmal „ohne Einwilligung des Berechtigten“ (§ 3 D) untersucht wird. Anschließend werden Irrtumskonstellationen im Bereich der Gewerbsmäßigkeit, § 108a UrhG, (§ 4) aufgezeigt. In Bezug auf allgemeine Lehren des Strafrechts werden einige Irrtumskonstellationen aus dem Bereich der Beteiligungslehre herausgegriffen (§ 5). Schließlich werden die gefundenen Ergebnisse auf die benachbarten §§ 107, 108, 108b UrhG übertragen (§ 6).
§ 2 Irrtümer im Bereich des Strafanwendungsrechts Vor jeder Prüfung einer infrage kommenden Strafbarkeit – auch nach den §§ 106 ff. UrhG – ist die Frage zu klären, ob das deutsche Strafrecht zur Anwendung kommt.32 Vor allem im Internet sind grenzüberschreitende Sachverhalte an der Tagesordnung, weswegen Fragen des Strafanwendungsrechts33 im digitalen Zeitalter auch im Urheberstrafrecht nicht mehr hinweggedacht werden können. Zwar werden derlei Fragen im Kontext der Irrtumsdogmatik selten thematisiert. Fehlvorstellungen über die Geltung deutscher Rechtsnormen sind allerdings denkbar. Insoweit sind Irrtümer mit Bezug zum Urheberrecht sogar in vielfältiger Weise vorstellbar, wie etwa die Fehlvorstellung über die Anwendbarkeit deutscher Vorschriften beim Handeln eines Deutschen oder Ausländers im Ausland, oder der Irrglaube, dass ausschließlich deutsche Urheber auch durch deutsches Urheberrecht geschützt seien. In den §§ 120 ff. UrhG wird darüber hinaus der Anwendungsbereich des UrhG geregelt, was „teilweise erhebliche Modifikationen“34 des Strafanwendungsrechts im Urheberstrafrecht nach sich zieht, die angesichts deren Komplexität vermutlich für die wenigsten Normadressaten nachvollziehbar sein dürften. Insbesondere die strenge Akzessorietät zum Zivilrecht wirkt sich insofern auf die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts aus, als der strafrechtliche Schutz des UrhG niemals weiter gehen kann als der zivilrechtliche, weswegen die §§ 3 ff. StGB aufgrund des strengen Territorialitätsprinzips im Urheberrecht nur stark modifiziert zur Anwendung kommen.35 Im Ergebnis erfahren ausländische Urheber – zumindest nach herrschender Ansicht36 – durch das deutsche Urheberstrafrecht Heinrich, AT, Rn. 59; Rengier, AT, § 6 Rn. 3; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 97. Vorzugswürdigkeit des Begriffes des Strafanwendungsrechts gegenüber der ebenfalls geläufigen Bezeichnung der §§ 3 ff. StGB als „Internationales Strafrecht“ vgl. nur LK-Werle/Jeßberger, 12. Aufl., Vor § 3 Rn. 2 f.; Schönke/Schröder-Eser, Vor § 3 Rn. 5 f. 34 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., Vor § 106 UrhG Rn. 31. 35 Vgl. Hildebrandt, S. 320 f. – „Frage der Konkurrenz des Territorialitätsprinzips und der §§ 3 ff. StGB“; Reinbacher, S. 314 ff.; U. Weber, Stree/Wessels-Festschrift 1993, S. 613 (620 ff.). 36 Vgl. aber K. Weber, ZIS 2010, 220 (222 f.) – mit der Aussage, das Territorialitätsprinzip sei „antiquiert“. 32
33 Zur
§ 2 Irrtümer im Bereich des Strafanwendungsrechts
199
nicht denselben Schutz wie deutsche Staatsbürger beziehungsweise wie diesen ausdrücklich gleichgestellte EU-Staatsangehörige (vgl. § 120 Abs. 2 UrhG).37 Daneben führt die moderne Kommunikationstechnik zu dem Problem, dass zahlreiche Handlungen, etwa im Internet oder über Satellitenfernsehen, grenzenlos Wirkung entfalten können. So ist beispielsweise das nach deutschem Urheberrecht geschützte Recht der öffentlichen Zugänglichmachung eines Werks (§ 19a UrhG) betroffen, wenn vom Ausland aus geschützte Werke über das Internet in Deutschland bereitgehalten werden. Derlei Konstellationen werden insbesondere dann zum Problem, wenn eine Handlung durch einen Ausländer im Ausland vorgenommen wird (insoweit ist das Verhalten mangels Handlung im Inland straflos38), dann aber Auswirkungen im Inland zeigt: Denn dann kommt über die §§ 3, 9 Abs. 1 Var. 3 StGB tatsächlich eine Strafbarkeit in Betracht, sofern im Inland ein „zum Tatbestand gehörender Erfolg“ i.S.d. § 9 Abs. 1 StGB eingetreten ist und sich aus den §§ 120 ff. UrhG keine Einschränkungen in Bezug auf den Anwendungsbereich des UrhG ergeben.39 Auch in diesem Zusammenhang sind Fehlvorstellungen denkbar, die einer rechtlichen Würdigung bedürfen.
A. Exkurs: Das Strafanwendungsrecht im Kontext der Straftat Das Strafanwendungsrecht beziehungsweise die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts als solche wird nach herrschender Auffassung als „objektive Bedingung“40 oder „objektive Vorbedingung“41 der Straf barkeit eingeordnet. Insoweit handelt es sich also um „unrechtsneutrale“42 Bedingungen, die nicht vom Vorsatz umfasst zu sein brauchen.43 Tatumstandsirrtümer sind nach diesem Verständnis insoweit nicht denkbar. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn mit einer Minderansicht davon ausgegangen wird, dass es sich bei der Anwendbarkeit des deutschen Rechts um „ausgelagerte Tatbestandsmerkmale“ handelt,44 denn dann käme § 16 StGB ganz regulär zur Anwendung. Indes: Diese Problematik intensiv zu bearbeiten oder gar aufzulösen, ginge am Thema der vorliegenden Arbeit vorbei. U. Weber, Stree/Wessels-Festschrift 1993, S. 613 (623). Wandtke/Ohst-Heinrich, Band 4 Kapitel 6 Rn. 41. 39 Vgl. wiederum K. Weber, ZIS 2010, 220 (222 f.) – keine Einschränkungen. 40 BGHSt 27, 30 (34); Jescheck/Weigend, AT, § 18 V; Kühl, AT, § 1 Rn. 30; LK-Werle/ Jeßberger, 12. Aufl., Vor § 3 Rn. 268, 452; Müko-StGB-Ambos, 2. Aufl., Vor § 3 Rn. 3; Schönke/Schröder-Eser, Vor § 3 Rn. 6. 41 Heinrich, AT, Rn. 62a; Satzger, JURA 2010, 108 (111). 42 Pawlik, ZIS 2006, 274 (276). 43 Heinrich, AT, Rn. 62a; Jescheck/Weigend, AT, § 18 V; Kühl, AT, § 1 Rn. 30, § 5 Rn. 18; LK-Werle/Jeßberger, 12. Aufl., Vor § 3 Rn. 452; Müko-StGB-Ambos, 2. Aufl., Vor § 3 Rn. 3; Satzger, JURA 2010, 108 (111); Schönke/Schröder-Eser, Vor § 3 Rn. 79. 44 Vgl. Pawlik, ZIS 2006, 274 (276, 283); vgl. ferner Jakobs, AT, 5/12 f. 37 Vgl.
38 Vgl.
200
Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Das Unrechtsbewusstsein hingegen wird (unter Geltung der Schuldtheorien) durch den Charakter einer objektiven Strafbarkeitsbedingung nicht tangiert. Das bedeutet, dass durchaus auch falsche rechtliche Bewertungen über die räumliche Anwendbarkeit einer Strafvorschrift ein fehlendes Unrechtsbewusstsein begründen können.45 Treffend ist in diesem Zusammenhang die Formulierung von Valerius, ein Handelnder müsse „in der Lage gewesen sein, sich von dem strafrechtlich sanktionierten Ge- oder Verbot der betreffenden Rechtsordnung lenken zu lassen und sich somit entsprechend normunterwürfig zu verhalten“, um strafrechtlich belangt werden zu können.46 Einem Täter kann also die Einsicht, i.S.d. § 17 StGB Unrecht zu tun, fehlen, wenn ihm sein Verstoß gegen die einschlägige Rechtsordnung nicht bewusst ist oder „wenn er die Rechtsgutsverletzung nicht als Unrecht erfährt.“47
B. Irrtümer über Tatsachen, die die Anwendbarkeit deutschen Rechts begründen Ungeachtet der genauen dogmatischen Einordnung des Strafanwendungsrechts, sind jedenfalls Konstellationen denkbar, in denen ein Handelnder Fehlvorstellungen über Tatsachen unterliegt, welche erst die Anwendbarkeit des deutschen Rechts begründen. Beispielsfall (Tatumstand Landesgrenze): Ein Schweizer Staatsbürger wohnt im Schweizerischen Kreuzlingen am Bodensee und tätigt regelmäßig bewusst illegale Downloads mit seinem Smartphone. Er macht einen Spaziergang am See in Richtung der deutschen Universitätsstadt Konstanz und lädt ein urheberrechtlich geschütztes Werk aus dem Internet, wobei er davon ausgeht, sich noch in der Schweiz zu befinden. Tatsächlich ist er bereits in Deutschland. In dieser Konstellation kommt grundsätzlich eine Strafbarkeit nach § 106 Abs. 1 UrhG wegen Vervielfältigung eines urheberrechtlich geschützten Werkes in Betracht, denn gemäß §§ 3, 9 Abs. 1 Var. 1 StGB ist seine Handlung eine Inlandstat. Allerdings irrt er augenscheinlich über einen tatsächlichen Umstand, nämlich darüber, sich im deutschen „Inland“ i.S.d. § 3 StGB aufzuhalten. Nach herrschender Meinung – der im Übrigen auch die Rechtsprechung folgt48 – wäre dieser Irrtum unbeachtlich, denn wenn die Vorschriften des Strafanwendungsrechts als objektive Bedingungen der Strafbarkeit begriffen werden, ist bezüglich deren konstitutiver Tatumstände auch kein Vorsatz erforderlich.49 Zu einem anderen Ergebnis käme dagegen die zitierte Mindermeinung, wonach es sich bei den StrafanwendungsvoVgl. nur Satzger, JURA 2010, 108 (111); Valerius, NStZ 2003, 341 (343). Valerius, NStZ 2003, 341 (343). 47 Valerius, NStZ 2003, 341 (343). 48 BGHSt 27, 30 (34); BGHSt 45, 97 (100 f.). 49 Vgl. aber LK-Werle/Jeßberger, 12. Aufl., Vor § 3 Rn. 453 – ein Tatumstandsirrtum sei „denkbar, wenn sich der Irrtum auf den tatsächlichen Ablauf des Tatgeschehens bezieht.“ 45
46
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raussetzungen um „ausgelagerte Tatbestandsmerkmale“ handeln soll. Dann wäre § 16 Abs. 1 S. 1 StGB einschlägig. Ohne den Streit über die Rechtsnatur der §§ 3 ff. StGB zu entscheiden, lässt sich jedenfalls Folgendes festhalten: Die Mindermeinung dürfte wohl erhebliche Nachweisprobleme mit sich bringen und dazu führen, dass in Fällen der skizzierten Art die Anwendbarkeit des deutschen Rechts in der Regel „in dubio pro reo“ ausgeschlossen wird. Vom obigen Beispielsfall abgesehen, erscheint der Fragenkomplex über die Anwendbarkeit einer Rechtsordnung beziehungsweise eines Gesetzes zumindest grundsätzlich eher dem Bereich des Unrechtsbewusstseins zuordenbar, denn: Das Wissen darüber, etwas Unrechtes zu tun (vgl. § 17 StGB) erfasst denknotwendig auch den Glauben, Unrecht im Sinne des Aufenthaltsorts zu begehen.50 Irrtümer über die Anwendbarkeit begründenden Tatsachen, wie im obigen Beispielsfall, dürften zumindest in der Rechtspraxis überaus selten vorkommen, sodass auch mit der Gegenansicht nur in wenigen Fällen tatsächlich ein Tatumstandsirrtum angenommen werden dürfte.
C. Das Verkennen des Geltungsbereichs deutscher Strafvorschriften Häufiger als Irrtümer über tatsächliche, die Anwendbarkeit begründende Umstände, dürften in der Praxis Fehleinschätzungen bezüglich der Rechtslage vorkommen – also Irrtümer, die dem Bereich des Unrechtsbewusstseins zuzuordnen sind. Dass insoweit Verbotsirrtümer infrage kommen, wurde bereits angesprochen. Beispielsfall a (auf Ausländer anwendbares Recht): Eine italienische Staatsbürgerin ist zu Gast in Berlin und loggt sich mit ihrem Laptop ins hoteleigene WLAN-Netzwerk ein, wo sie mehrere geschützte Werke aus dem Internet auf ihre Festplatte herunterlädt. Sie weiß zwar genau, was sie tut und rechnet auch mit einer Strafbarkeit dieser Handlung in Deutschland, denkt aber fälschlicherweise, als Italienerin nicht nach deutschem Recht strafbar zu sein. In diesem Fall fehlt es der Handelnden eindeutig am Bewusstsein, Unrecht zu tun – sie unterliegt einem Verbotsirrtum, § 17 StGB, der zudem ohne Weiteres als vermeidbar eingestuft werden kann. Beispielsfall b (Reichweite des nationalen Rechts): Ein griechischer Staatsbürger lädt mehrere durch das UrhG geschützte Werke von einem Rechner in seinem Heimatland auf einen Server, auf den wiederum unzählige deutsche Staatsbürger über eine deutsche Website („.de“) zugreifen, um die Werke in Deutschland herunterzuladen. Der Hochladende weiß ganz genau, dass die Werke gerade in Deutschland heruntergeladen werden, geht aber fest davon aus, dass nur Handlungen in Deutschland dem deutschen Strafrecht unterfallen, nicht hingegen dort eintretende Wirkungen. 50
Vgl. wiederum Valerius, NStZ 2003, 341 (343).
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
In diesem Fall liegt ein Irrtum über die Reichweite des deutschen Strafrechts vor, das gemäß § 9 Abs. 1 StGB nicht nur den Handlungsort, sondern auch den Ort, an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist, als „Ort der Tat“ i.S.d. § 3 StGB kennt. Unter der – vorzugswürdigen – Annahme, dass die hier vorliegende öffentliche Zugänglichmachung von Werken (§ 19a UrhG) einen Außenwelterfolg voraussetzt (die ungehinderte Abrufbarkeit des Werkes durch die Öffentlichkeit) und es sich mithin nicht um ein bloßes Tätigkeitsdelikt handelt,51 wäre eine Strafbarkeit tatsächlich über die Anwendung des § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB denkbar. Allerdings liegt auch in dieser Konstellation ein Irrtum über die Reichweite des deutschen Strafrechts vor, weil dem Handelnden die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun. Es handelt sich also um einen Verbotsirrtum (der allerdings ebenfalls vermeidbar sein dürfte). Einen ähnlichen Fall spricht U. Weber mit der „illegale[n] Sendung eines deutschen Films durch einen ausländischen Privatsender“, bei dem „die Rechtsverletzung in die Bundesrepublik hineinreicht“, an.52 In dieser Konstellation liegt eine gewerbsmäßig begangene öffentliche Wiedergabe in Gestalt einer öffentlichen Funksendung vor, §§ 106 Abs. 1, 108a Abs. 1, 15 Abs. 2 S. 2 Nr. 3, § 20 UrhG. Abgesehen von der ebenfalls virulenten Frage, ob tatsächlich ein Erfolg i.S.d. § 9 StGB angenommen werden kann, wäre bei einem Irrtum über die Anwendbarkeit des deutschen Rechts hier ebenfalls ein Verbotsirrtum einschlägig. An dieser Stelle ist festzuhalten, dass wissenschaftliche Streitigkeiten über die Auslegung des Rechts bei der Prüfung der Vermeidbarkeit von Verbotsirrtümern Berücksichtigung finden müssen. Diese Frage wird in der Regel bei sich widersprechenden Gerichtsurteilen diskutiert, sollte allerdings für widersprüchliche Auffassungen innerhalb der Wissenschaft genauso Geltung entfalten. Denn wenn sich das strafrechtliche Schrifttum und die Rechtsprechung auf keine eindeutigen Anwendungsregelungen einigen können, kann vom Normadressaten schwerlich verlangt werden, sich auf diesen Zustand der Rechtsunsicherheit einzustellen. Insoweit ist der folgenden Aussage Safferlings uneingeschränkt beizupflichten: „Es kann nicht angehen, dass Normenunklarheit zu Lasten des Bürgers geht.“53 Ob diese Unklarheit aus unterschiedlichen Auffassungen mehrerer Gerichte resultiert, oder daraus, dass ein Großteil der Rechtswissenschaft anderer Meinung ist, sollte gleichgültig sein. Ohnehin werden die wenigsten Bürger tatsächlich vor Alltagshandlungen rechtlichen Rat einholen, sodass in den meisten Fällen eine hypothe51 Vgl. aber Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 20 – mit der Auffassung, bei der öffentlichen Zugänglichmachung handle es sich um ein „Tätigkeitsdelikt“; zur Rechtslage vor Einführung des § 19a UrhG Hildebrandt, S. 121; zu den Anforderungen an den „Erfolg“ in § 9 StGB Müko-StGB-Ambos, 2. Aufl., § 9 Rn. 19, 21 ff.; wie hier Erbs/ Kohlhaas-Kaiser, 208. Lfg., § 106 UrhG Rn. 19. 52 U. Weber, Stree/Wessels-Festschrift 1993, S. 613 (614). 53 Safferling, S. 231, auch Fn. 112 – mit dem Hinweis, dass die Rechtsprechung demgegenüber „gelegentlich sehr anwenderfeindlich“ sei; vgl. weiterhin Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 21; NK-U. Neumann, § 17 Rn. 71 f., 77 ff.
§ 2 Irrtümer im Bereich des Strafanwendungsrechts
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tische Prüfung über die Unvermeidbarkeit eines Irrtums entscheidet, deren Maßstäbe ihrerseits wiederum umstritten sind.54 Diese Prüfung sollte jedenfalls dann positiv für den Handelnden ausfallen, wenn feststeht, dass dieser bei eigener rechtlicher Recherche oder Nachfrage bei einem Rechtsanwalt zu der Einsicht gelangt wäre, dass bezüglich der Rechtslage Streit herrscht. Dann steht der Handelnde vor dem Problem, dass er sein Handeln schlechterdings nur noch unterlassen kann, um sich in Sicherheit zu wiegen – was indes einen zu starken Eingriff in dessen verfassungsrechtlich garantierte (grundsätzliche) Handlungsfreiheit bedeutet.55 Tiefergehende rechtliche Recherchen sollten ohnehin nur dort erwartet werden, wo auch gesteigerte Sorgfaltspflichten gelten, also insbesondere im Bereich des gewerblichen Schaffens. Diese Problematik wird im Urheberstrafrecht jedenfalls dann virulent, wenn Handlungen, die deutsche Urheberrechte verletzen, durch Ausländer im Ausland vorgenommen werden: Sowohl mit Blick auf die Tathandlung der Vervielfältigung,56 als auch auf die Verbreitung und die öffentliche Wiedergabe,57 erscheint nicht immer klar, ob die Tatvarianten überhaupt „Erfolge“ i.S.d. § 9 StGB voraussetzen oder worin genau ein solcher, in diesem Falle strafbarkeitsbegründender, „Erfolg“ gesehen werden kann. Die Problematik soll in der vorliegenden Arbeit zwar nicht erschöpfend bearbeitet werden.58 Allerdings erscheint in Anbetracht der zunehmenden Digitalisierung und der wachsenden Möglichkeiten, Urheberrechtsverletzungen grenzüberschreitend vorzunehmen, der Gedanke nicht von vornherein verfehlt, das deutsche Strafrecht über die Anwendung von § 9 StGB auch bei Handlungen im Ausland umfassend auf sämtliche Tathandlungen der § 106 ff. UrhG zur Anwendbarkeit zu bringen, wenn tatsächlich Urheberrechte im Inland verletzt werden. Diese Konsequenz liegt zumindest unter dem Gesichtspunkt nahe, dass der BGH bei der Volksverhetzung, § 130 Abs. 3 StGB, einen „Erfolg“ im Inland schon darin sieht, dass auf einem ausländischen Server volksverhetzende Inhalte hinterlegt werden, die in Deutschland abrufbar sind und hier dazu geeignet sind, „den öffentlichen Frieden zu gefährden.“59 Denn bei § 130 StGB handelt es sich strenggenommen ebenfalls nicht um ein Erfolgsdelikt im eigentlichen Sinne, sondern um ein „Eignungsdelikt“, welches gemeinhin eher der Kategorie der abstrakten Gefährdungsdelikte zugeordnet wird. Insofern sind Parallelen zur öf54
Vgl. zu diesbezüglichen Unklarheiten nur NK-U. Neumann, § 17 Rn. 82. NK-U. Neumann, § 17 Rn. 72; Safferling, S. 230 f.; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 10 Rn. 92 – jeweils zur Problematik widersprüchlicher Gerichtsentscheidungen. 56 Vgl. Hildebrandt, S. 65 f.; Spindler/Schuster-Gercke, § 106 UrhG Rn. 1; K. Weber, ZIS 2010, 220 (222 f.). 57 Vgl. Erbs/Kohlhaas-Kaiser, 208. Lfg., § 106 UrhG Rn. 19; Spindler/Schuster-Gercke, § 106 UrhG Rn. 1; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 20. 58 Vgl. dazu weiterhin Kapitel 3 § 3 B. IV. 2. a) cc). 59 BGHSt 46, 212; vgl. dazu Wandtke/Ohst-Heinrich, Band 4 Kapitel 6 Rn. 40 ff.; ferner Valerius, NStZ 2003, 341 ff.; kritisch Laue, jurisPR-StrafR 13/2009 Anm. 2 III. 1 – „Ausdehnung des […] Weltrechtsprinzips.“ 55 Vgl.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
fentlichen Zugänglichmachung urheberrechtsverletzender Inhalte über eben solche Server offensichtlich. Unabhängig davon gilt – im Sinne dieser Arbeit – jedenfalls, dass derlei Fragen eine Rolle im Rahmen der Prüfung des Unrechtsbewusstseins spielen können.
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG § 106 Abs. 1 UrhG stellt die Verwertung von urheberrechtlich geschützten Werken sowie von deren Bearbeitungen oder Umgestaltungen unter Strafe, wenn die Verwertung nicht durch eine Einwilligung des Berechtigten gedeckt ist und auch kein Sachverhalt vorliegt, der (aufgrund der vorgelagerten gesetzgeberischen Wertentscheidung) durch das UrhG privilegiert wird (gesetzlich zugelassene Fälle). Im Folgenden werden die einzelnen Tatbestandsmerkmale auf denkbare Irrtümer untersucht. Eine umfassende Studie über urheberrechtliche Irrtümer hat bislang nur Kircher veröffentlicht.60 Bedingt durch den technischen Fortschritt haben sich die „Koordinaten des Urheberrechts“ seither allerdings wesentlich verändert – weswegen insbesondere die Beispielsfälle Kirchers nur noch teilweise den heute ausschlaggebenden Rechtstatsachen entsprechen. Dies ist freilich nicht verwunderlich – denn bei Erscheinen der Arbeit im Jahre 1973 war Digitaltechnik in ihrer heutigen Form noch undenkbar, das meist verbreitete Audiomedium war die Schallplatte und auch die Computertechnik steckte – jedenfalls als Massenphänomen – damals noch in den Kinderschuhen. Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel einer aktuellen und zeitgemäßen Studie, weswegen im Folgenden auch zahlreiche Beispiele aus dem „Internet-Alltag“ gebildet werden. Dies erfasst neben der Nutzung moderner (und mobiler) Massenhardware wie Laptops, Tabletcomputern und Smartphones insbesondere den Verkehr innerhalb sozialer Netzwerke. Das damit einhergehende strafrechtliche „Irrtumspotenzial“ ist enorm – was im Folgenden erschöpfend dargestellt wird. Zunächst werden Irrtümer im Bereich der Tatobjekte (Werk, Bearbeitung und Umgestaltung) untersucht (A.), woraufhin Fehlvorstellungen in Bezug auf Tathandlungen des § 106 UrhG (Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe) erörtert werden (B.). Im Anschluss werden Irrtümer über gesetzlich zugelassene Fälle (C.) sowie in Bezug auf die fehlende Einwilligung des Berechtigten (D.) untersucht.
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Kircher, Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum im Urheberrecht, 1973.
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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A. Tatobjekte: Irrtümer über das Werk, Bearbeitungen oder Umgestaltungen Das Merkmal Werk ist, wie festgestellt wurde, das „Tor zum Urheber[straf-] recht“,61 denn eine Strafbarkeit nach § 106 UrhG kommt angesichts der zivilrechtsakzessorischen Ausgestaltung der Strafvorschrift62 nur infrage, wenn es sich um ein Werk im urheberzivilrechtlichen Sinne handelt – insofern liegt dem gesamten UrhG ein einheitlicher Werkbegriff zugrunde. Taugliche Tatobjekte sind daneben auch die Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes (§§ 3, 23 UrhG). Was ein Werk ist, ergibt sich aus den §§ 1, 2 UrhG, deren Voraussetzungen für eine Schutzfähigkeit kumulativ erfüllt sein müssen:63 Schutzfähig sind demnach nur persönliche, geistige Schöpfungen (§ 2 Abs. 2 UrhG), die darüber hinaus einer der Gattungen Literatur, Wissenschaft oder Kunst zuordenbar sein müssen. Jedes einzelne Element der Definition des Werkes bietet für sich betrachtet Anknüpfungspunkte für Irrtümer, die im Folgenden jeweils punktuell beleuchtet werden sollen (I.). Anschließend wird im Rahmen der Tatobjektbetrachtung auf die Schutzfähigkeit von Werkteilen (II.), auf die Schutzfähigkeit von Bearbeitungen und Umgestaltungen (III.) sowie auf besonders geregelte Werkarten des UrhG (IV.) eingegangen. I. Irrtümer über das Vorliegen oder über die Einordnung eines Werks Zu Beginn dieser Arbeit wurde das folgende symptomatische Fallbeispiel skizziert: C lässt sich von seinem Tätowierer T mehrere, einzigartig ineinander verwobene Portraits prominenter Schönheiten über den gesamten Rücken „stechen“. Die Ideen kamen dem fachlich brillanten und außerordentlich kreativen T im Laufe des Aktes der Tätowierung. Von dem Ergebnis begeistert, lässt C professionelle Fotos seines Rückens aufnehmen. Dieses Fallbeispiel zeigt in anschaulicher Weise, dass das Urheberrecht auch ungewöhnliche Konstellationen erfasst, denn die genannte Tätowierung genießt erstens in der Tat urheberrechtlichen Schutz,64 der zweitens nicht C – auf dessen Haut sie prangt –, sondern T als Urheber des Werkes gebührt. Soweit besitzt der Sachverhalt zwar noch keine praktische Relevanz. Aber einmal angenommen, C würde als prominente Persönlichkeit seine Fotos von der Tätowierung etwa im Rahmen einer Werbekampagne vermarkten, so stünde die rechtliche Bewertung dieses Sachverhalts durchaus im Raum, wenn der Tätowierer T – etwa um seinen Marktwert zu steigern – Ansprüche erheben würde oder jedenfalls darauf bestün61 Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 UrhG Rn. 1; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 1. 62 Vgl. dazu bereits Kapitel 1 § 1 B. 63 BeckOK-UrhG-Ahlberg, § 2 Rn. 1; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 9; Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 2 Rn. 3; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 3. 64 Vgl. dazu Duvigneau, ZUM 1998, 535.
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de, als Urheber der „Kunstwerke“ genannt zu werden. Weil der berühmte C in diesem Fall vermutlich nichts von der Tauglichkeit seiner Tätowierung als Werk i.S.d. UrhG wissen dürfte, gerät insofern auch die Irrtumslehre automatisch ins Rampenlicht. Irrtümer über die Werkqualität eines Tatobjekts sind vielfältig denkbar. Je nachdem, auf welches Element der Werkdefinition sich eine konkrete Fehlvorstellung bezieht, sind dabei sowohl Irrtümer über Tatsachen (Tatumstandsirrtümer) als auch falsche rechtliche Bewertungen (Verbotsirrtümer) in Bezug auf die Werkqualität möglich. Von größerer Bedeutung als die Zuweisung eines Objekts zu einer der Gattungen des § 2 Abs. 1 UrhG sind dabei Fragen der Schöpfungsqualität, § 2 Abs. 2 UrhG. Der herrschenden Irrtumslehre eröffnen sich dabei zahlreiche Abgrenzungsprobleme: Auf welche Weise werden die Anforderungen des § 2 Abs. 2 UrhG in den Straftatbestand einbezogen? Handelt es sich bei dem Merkmal Werk um eine Blankettverweisung oder um ein normatives Tatbestandsmerkmal? Sind die einbezogenen Elemente der Werkdefinition jeweils deskriptiv oder normativ? Und kommt die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ zur Anwendung? Im urheberrechtlichen Schrifttum herrscht prinzipiell Konsens darüber, dass das Merkmal Werk ein normatives Tatbestandsmerkmal darstellt.65 Hildebrandt vertritt dabei allerdings die Auffassung, dass „die Eigenschaft als Blankett und normatives Tatbestandsmerkmal […] zugleich gegeben sein [kann], wenn die Blankettbestimmung auf ein normatives Tatbestandsmerkmal verweist“66 und betont dabei, dass diese Einordnung für die rechtliche Bewertung in diesem Falle nicht von Relevanz sei.67 Lauer hingegen sieht auf Rechtsfolgenseite Unterschiede zwischen Blankettverweisungen und normativen Tatbestandsmerkmalen und möchte dementsprechend trennscharf zwischen den beiden Merkmalstypen trennen. Das Werk sei aus dem Grund als normatives Merkmal des Tatbestandes zu begreifen, weil § 2 UrhG (nur) eine Legaldefinition des Werkbegriffes beinhalte und eine Inbezugnahme von Definitionen niemals eine Blankettverweisung darstelle.68 Wie bereits erwähnt wurde, sind die aufgeworfenen Abgrenzungsfragen (nur) unter Anwendung der herrschenden Irrtumslehre von richtungsweisender Bedeutung, denn je nach Kategorisierung eines Tatbestandsmerkmals ändern sich dann die Anforderungen an das Vorsatzwissen erheblich: Wird beispielsweise davon ausgegangen, dass es sich beim Werk um eine unechte Blankettverweisung handelt, so wäre es – unter Bruch mit dem schuldtheoretischen Verständnis69 65 Heinrich, Strafbarkeit, S. 263 f.; ders., in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (66); Hildebrandt, S. 257; Kircher, S. 25 f., der allerdings in § 106 UrhG insgesamt ein „unechtes Blankettgesetz“ erblickt, S. 16; Lauer, S. 59, 137; Reinbacher, S. 263; Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 30; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 33; vgl. auch U. Weber, S. 288. 66 Hildebrandt, S. 258. 67 Hildebrandt, S. 258. 68 Lauer, S. 53 f. 69 Vgl. ausführlich Kapitel 2 § 3 D. II. 2. c) cc).
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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– durchaus vertretbar, vorsätzliches Handeln nur dann anzunehmen, wenn ein Akteur über Normkenntnis verfügt, also faktisch über urheberrechtliches Spezialwissen. Indes: Diese Probleme sind richtigerweise von vornherein dadurch zu umgehen, dass im Rahmen des Vorsatzes nur auf die Tatsachenkenntnis abgestellt wird. Ob der Handelnde (auch nur laienhaft) begreift, dass er ein urheberrechtlich geschütztes Werk verwertet, ist erst im Rahmen des Unrechtsbewusstseins von Relevanz. Deshalb ist eine (ohnehin nie trennscharf mögliche) Einordnung des Merkmals als deskriptiv oder normativ oder als Blankettverweisung entbehrlich. Die meisten Autoren kategorisieren das Tatbestandsmerkmal Werk, wie erwähnt, als normativ und betrachten es sodann im Rahmen der Irrtumsfragen lediglich als Ganzes, sodass in der Regel nicht gefragt wird, ob ein Irrtum etwa über die Schöpfungshöhe oder über das Persönlichkeitserfordernis vorliegt. Es wird vielmehr nur gefragt: Irrt der Täter über das Vorliegen eines Werkes (als Ganzes)?70 Diese Vorgehensweise begegnet grundsätzlich keinen Bedenken. In der Regel erfolgt dann allerdings keine explizite Auseinandersetzung damit, ob sich Irrtümer über die Schöpfungsqualität womöglich anders auswirken können, als beispielsweise falsche Vorstellungen bezüglich der Werkgattung oder etwa Irrtümer über die Gestaltungshöhe. Unter Anwendung der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ wird schließlich in aller Regel das Ergebnis vertreten, der Irrtum über das Tatobjekt sei ein Tatumstandsirrtum.71 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Elementen der Werkdefinition findet sich hingegen bei Kircher,72 der sich aber als einziger der genannten Vertreter nur mit den Irrtümern auseinandersetzt. Dasselbe Ziel verfolgen freilich die nachstehenden Ausführungen, weswegen im Folgenden ebenfalls die Einzelelemente der jeweiligen Tatbestandsmerkmale fokussiert werden. 1. Irrtümer über das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung Urheberrechtlichen Schutz genießen nur persönliche, geistige Schöpfungen, § 2 Abs. 2 UrhG. Diese Kurzdefinition bündelt eine Vielzahl an ausdifferenzierten Kriterien in sich, wobei innerhalb des Schrifttums trotz vieler begrifflicher Nuancen weitgehend Einigkeit in Bezug auf die Anforderungen an die Schutzfähigkeit herrscht.73 In der Rechtsprechung entwickelte sich eine Kasuistik, die je nach 70 Vgl. Hildebrandt, S. 255 ff.; Reinbacher, S. 263 ff.; Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 30; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 33; U. Weber, S. 288 ff.; differenzierend Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 30 ff. – Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale kann sowohl Tatumstands- als auch Verbotsirrtum sein; v. Gravenreuth, S. 72 f. – „vom Einzelfall abhängig“. 71 Vgl. etwa Hildebrandt, S. 257 f.; Reinbacher, S. 263 f.; U. Weber, S. 288 ff. 72 Kircher, S. 26 ff. 73 Vgl. Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 19; zum Beurteilungsmaßstab der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit in der Rechtsprechung Fallert, GRUR 2016, 248.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Werkgattung unterschiedliche Anforderungen für eine Schutzfähigkeit aufstellt.74 Im Wesentlichen jedoch lassen sich folgende Leitlinien hervorheben: Zunächst muss es sich bei dem jeweiligen Objekt um die persönliche Schöpfung eines Menschen handeln, die auch auf dessen eigenen Einfall basiert. Weiterhin muss es in eine wahrnehmbare Form geflossen sein und den individuellen Geist des Schöpfers verkörpern, also Gedanken- und Gefühlsinhalte des Schöpfers erkennen lassen und erkennbar von seiner Persönlichkeit geprägt sein. Schließlich ist eine Werkqualität nur anzunehmen, wenn das Objekt eine gewisse Gestaltungshöhe aufweist, also über das bloße Handwerkliche hinausgeht – wobei im Detail zahlreiche terminologische Unklarheiten bestehen.75 Im Folgenden werden die zentralen Elemente dieser Definition auf Irrtümer untersucht. a) Irrtümer über das Vorliegen einer Schöpfung Ein maßgebliches Kriterium der Schutzfähigkeit von Werken ist die schöpferische Leistung. Im Zentrum der urheberrechtlichen Vorschriften steht der Urheber als Schöpfer eines Werkes, §§ 1, 7 UrhG – und nicht das Werk als Produkt dieses Schöpfungsprozesses. Das Urheberrecht ist dementsprechend in erster Linie urheberbezogen ausgestaltet.76 Umso gewichtiger ist die Bedeutung des Schöpfungsbegriffes, der gewissermaßen die Verbindung vom Urheber zu demjenigen Objekt markiert, das ihn überhaupt zum Urheber macht.77 Irrtümer sind in diesem Zusammenhang in vielfältiger Art und Weise denkbar. aa) Erschaffung von etwas Neuem Die Schöpfung wird gemeinhin definiert als gestalterisches Tätigwerden eines Menschen, durch das etwas Neues, bisher nicht Vorhandenes erschaffen wird.78 Dabei muss es sich nicht um eine „absolute Neuheit“ handeln,79 denn sonst „würde 74 Vgl. dazu mit Beispielen aus der BGH-Rechtsprechung Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 6, 24 ff. 75 Vgl. BeckOK-UrhG-Ahlberg, § 2 Rn. 52 ff.; Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 8 ff.; Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 20; Loewenheim-Loewenheim, § 6 Rn. 7 ff.; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 9 ff.; Rehbinder/Peukert, Rn. 210 ff.; Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 2 Rn. 9; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 15 ff.; Wandtke-Wöhrn, Kapitel 2 Rn. 1 ff. 76 Vgl. Dreier/Schulze-Schulze, § 1 Rn. 1 f.; Ulmer, § 33 I; Wandtke/Bullinger-Wandtke, § 1 Rn. 1; U. Weber, S. 78 ff. 77 Vgl. Ulmer, § 33 I – „in seiner Person [in jener des Urhebers, d. Verf.] entsteht das Urheberrecht“, was „naturrechtlichem Denken“ entspreche. 78 Vgl. Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 16 f.; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 10; U. Weber, S. 73; ferner die Gesetzesbegründung zum Urheberrechtsgesetz 1962, BT-Drucks. 4/270, S. 38. 79 Vgl. BGH GRUR 1979, 332 (336); BGH GRUR 1982, 305 (307); Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 17; Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 28.
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der Urheberschutz auf wenige Werke großer Meister zusammenschrumpfen, denen eine Art Revolution der Ausdrucksform oder des Sinngehaltes gelang.“80 Vielmehr genügt es, wenn zumindest „eine Andersartigkeit“81 beziehungsweise eine „subjektive Neuheit“82 gegenüber bereits Bestehendem feststellbar ist. Beispielsfall a (Schöpfung bei kopierten Stilelementen): Musiker M dichtet für seine Freundin F eine schnulzige Ballade, wobei er sich stilistisch stark an seinem großen Vorbild orientiert, und nimmt diese auf CD auf. Nach der Trennung von M stellt F den (peinlichen) Song als mp3-File öffentlich online, macht diesen also öffentlich zugänglich, § 19a UrhG. Sie denkt, der Song könne in Anbetracht der „Stilkopie“ kein neues, eigenes Werk sein. Fallvariante: M lehnt sich nicht nur stilistisch an, sondern dichtet einen schwäbischen Text auf die (gemeinfreie) Ballade seines amerikanischen Vorbilds. Die peinlich berührte F denkt, eine solche „Kopie“ könne keinesfalls urheberrechtlichen Schutz genießen. In beiden Konstellationen irrt sich F über das Vorliegen einer Schöpfung i.S.d. § 2 Abs. 2 UrhG – im ersten Fall wohl eher auf das Musikwerk bezogen, im zweiten Fall eher in Bezug auf die literarische Leistung (wobei insoweit auch ein Irrtum über die Schutzfähigkeit einer Bearbeitung in Betracht kommt, dazu später ausführlich83). Dabei weiß F beide Male, was sie in tatsächlicher Hinsicht tut, denn sie ordnet den Song des M als solchen ein und weiß auch in beiden Fällen, dass sie diesen gegenüber der Öffentlichkeit abrufbar macht. Sie irrt also nicht über tatsächliche Umstände des Sachverhalts i.S.d. § 16 StGB. Vielmehr irrt sie sich über die rechtliche Bewertung ihres Tuns, nämlich darüber, dass das UrhG auch Lieder als Schöpfungen erfasst, die nicht in jeder Hinsicht „andersartig“ sind. Dementsprechend liegt richtigerweise ein Verbotsirrtum vor, der unter Berücksichtigung eines milderen Maßstabs i.R.d. § 17 StGB unvermeidbar gewesen sein dürfte. Diese Einordnung ist unproblematisch möglich. Zu einem Tatumstandsirrtum kommen, unter wesentlich gesteigertem Begründungsaufwand, hingegen die Befürworter der herrschenden Irrtumslehre: U. Weber etwa gesteht ein, dass so gelagerte Fälle „zwar Fehlvorstellungen über die Reichweite des urheberrechtlichen Schutzes“ seien, dass diese aber „eben doch dazu [führen], daß er [der Täter] über das Tatbestandsmerkmal ‚Werk‘ in § 106 UrhG“ irre.84 Weil dieser Irrtum nicht anders zu beurteilen sei wie etwa der Irrtum über die Fremdheit der Sache in §§ 242, 246 StGB, soll in derlei Fällen der Vorsatz entfallen. Dies entspricht der herrschenden Irrtumslehre und damit auch
80 Fromm/Nordemann-A. Nordemann,
§ 2 Rn. 28. § 2 Rn. 17. 82 Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 26. 83 Vgl. Kapitel 3 § 3 A. III. 84 U. Weber, S. 288. 81 Dreier/Schulze-Schulze,
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
dem herrschenden Vorsatzverständnis im Urheberstrafrecht.85 Worin der Vorteil dieser Annahme liegen soll, bleibt allerdings auch im urheberrechtlichen Kontext offen. Im Gegenteil macht doch die zitierte Aussage von U. Weber deutlich, dass die Einordnung von falschen rechtlichen Wertungen als Tatumstandsirrtümer per se ein enormes Begründungsbedürfnis auslöst. Denn: Ob ein Tatobjekt kraft gesetzgeberischer Entscheidung durch das UrhG geschützt ist oder nicht, bleibt eine Rechtsfrage, deren Beurteilung grundsätzlich dem Unrechtsbewusstsein vorbehalten ist. Die herrschende Irrtumslehre kommt also nicht umhin, sich fortlaufend selbst zu rechtfertigen. Anders verhält es sich freilich in Fällen von Irrtümern über tatsächliche Umstände, wie sich am folgenden Beispielsfall verdeutlichen lässt. Beispielsfall b (Tatsache Schöpfung): Die begabte aber kulturell ungebildete Karikaturistin K verfasst ihr erstes Comicheft. Sie greift für ihre Protagonisten auf Mäuse und Enten zurück, wobei sie versehentlich nahezu identische Zeichnungen kreiert zu urheberrechtlich geschützten Walt Disney-Figuren.86 Der Comic kommt in den Handel und wird verkauft. Hier unterliegt K einem Tatsachenirrtum: Sie geht irrigerweise davon aus, selbst etwas ganz Neues geschaffen zu haben. Sie weiß nichts von der Kopie, sie weiß also nicht, dass sie etwas reproduziert beziehungsweise kopiert. Hier liegt unproblematisch ein Tatumstandsirrtum nach § 16 StGB vor, unabhängig davon, wie das Merkmal des Werkes oder das diesem Merkmal immanente Element der Schöpfung eingeordnet wird. In diesem Fall erscheint es auch nur als gerecht, der Handelnden bereits den Vorsatz abzusprechen: Denn sie verhält sich an sich rechtstreu, wenn sie nichts über die berühmten Vorlagen ihres Comics weiß. Anders wäre der Fall zu beurteilen, wenn sie bewusst auf Disney-Enten als Vorlage zurückgreifen würde in dem Glauben, dass diese Handlung urheberrechtlich „frei“ sei – dann läge eine falsche rechtliche Bewertung, mithin ein Verbotsirrtum vor. bb) Schöpfung durch einen Menschen Keine Schöpfung stellen weiterhin Objekte dar, die nicht von Menschen, sondern von Maschinen oder Tieren geschaffen wurden.87 Während mancherorts allein das Wort Schöpfung – wie hier – zur Abgrenzung des menschlichen Schaffens herangezogen wird,88 wird andernorts betont, dass die Persönlichkeit der Schöpfung entfalle, wenn es am Schaffen eines Menschen fehlt.89 Allgemein ist 85 Vgl. etwa BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 37; Hildebrandt, S. 257 f.; Reinbacher, S. 263 f. 86 Vgl. zum Comicbeispiel auch v. Gravenreuth, S. 72 f. 87 Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 8; Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 7 Rn. 1; Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 21, § 7 Rn. 9; zur Schutzfähigkeit von „Affen-Selfies“ König/Beck, ZUM 2016, 34 (36). 88 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 10. 89 Achenbach/Ransiek/Rönnau-A. Nordemann, Teil 11 Kapitel 1 Rn. 13; Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 8.
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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feststellbar, dass eine einheitliche Terminologie im Urheberrecht fehlt, weswegen dieselben Aspekte oftmals unter verschiedenen Topoi diskutiert werden. So stellt A. Nordemann etwa fest, dass die persönliche Schöpfung nur vorliege, wenn das Werk einen geistigen Gehalt aufweise.90 Für diese Bündelung der Voraussetzungen besteht aber schlichtweg kein Anlass, wenn § 2 Abs. 2 UrhG das Erfordernis der Geistigkeit der Schöpfung explizit nennt. Auf derlei begriffliche Finessen braucht indes nicht weiter eingegangen werden, denn: Im Ergebnis herrschen – wie festgestellt – kaum Uneinigkeiten innerhalb des Schrifttums. Wo existent, werden diese auch im Verlauf der folgenden Bearbeitung angesprochen. Davon abgesehen, wohnt nach der hier vertretenen Auffassung – sowie der gesetzlichen Logik – dem Wort „Schöpfung“ das Erfordernis menschlichen Tätigwerdens zwangsläufig inne, denn das UrhG ist urheberbezogen ausgestaltet. Weil Tiere, Maschinen und juristische Personen aber keine Urheber sein können, kann eine Schöpfung im Sinne des Urheberrechts schon denklogisch nur von einem Menschen stammen, weswegen das definitorische Element der Persönlichkeit in diesem Zusammenhang nicht heranzuziehen ist – sondern strenggenommen sogar etwas anderes bedeuten muss. Aufgrund der Natur des Schöpfungsaktes als Realakt ist weder Geschäftsfähigkeit, noch Rechtsfähigkeit eines Menschen zu verlangen.91 Demzufolge können auch Schöpfungen in Trance, Hypnose oder ähnlichen Zuständen ebenso schutzfähige Werke sein wie die ersten (möglicherweise grandiosen) Kritzeleien eines Kleinkindes.92 Ferner ergibt sich aus dieser Definition, dass juristische Personen nicht als Schöpfer – und damit auch nie als Urheber in Betracht kommen, sondern allenfalls (aber regelmäßig) Nutzungsrechte von Urhebern ableiten können.93 Darüber hinaus ist es nicht ausgeschlossen, dass ein Mensch mithilfe von Maschinen (auch Computern) ein Werk erschafft, solange die „technische Beherrschung“ der Maschine noch beim Menschen liegt.94 Eine Schöpfung liegt also nur vor, wenn das maschinelle Ergebnis gleichwohl durch Menschenhand erschaffen wurde. Beispielsfall (menschliches Handeln): Der Pfleger P des Affen A ist ein unbekannter, aber begabter Maler. Hin und wieder malen P und A gemeinsam im Gehege, was zur Erheiterung des Zoopublikums beiträgt. Fallvariante a): Kunstkenner K amüsiert sich köstlich und findet vor allem ein bestimmtes Werk des P herausragend – er geht aber fälschlicherweise davon aus, dass dieses durch den Affen gemalt worden sei. Er fotografiert sein favorisiertes Bild mit der Digitalkamera ab, fertigt Kunstdrucke an und veräußert diese. In diesem Fall begeht K eine unerlaubte Verwertung eines urheberrechtlich geschützten Werkes des P. Allerdings denkt er, dass er ein Werk des Affen fotografiert, was keine Urheberrechtsverletzung darstellen würde, da keine schutz90 Fromm/Nordemann-A. Nordemann,
§ 2 Rn. 21.
91 Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 21, § 7 Rn. 9; Rehbinder/Peukert, Rn. 211. 92 Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer,
§ 7 Rn. 1; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 18.
93 Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 21, § 7 Rn. 9; Rehbinder/Peukert, Rn. 211. 94 Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 21, § 7 Rn. 9; Rehbinder/Peukert, Rn. 211.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
fähige Schöpfung durch einen Menschen vorliegt. K weiß also nicht, was er in tatsächlicher Hinsicht tut – ihm unterläuft eine Verwechslung, er unterliegt mithin einem Tatumstandsirrtum.95 Dasselbe gilt für ähnlich gelagerte Fälle, in denen ein Handelnder denkt, ein menschliches Werk sei ein Naturerzeugnis oder ein rein maschinelles Konstrukt – wenn er etwa einen künstlerischen Baum aus Bronze (also ein schutzfähiges Kunstwerk) für einen echten Baum96 oder einen Techno-Song für ein Sammelsurium an systemfehlerhaften Computertönen hält, die nicht durch menschliches Schaffen entstanden sein könnten. All diese Irrtümer betreffen Tatsachen des Lebenssachverhalts, deren Unkenntnis den Vorsatz ausschließt, weil der Täter nicht weiß, was er tatsächlich tut. Fallvariante b): K geht davon aus, dass nur „echte Künstler“ schutzfähige Werke erzeugen können – worunter der Pfleger mit Sicherheit nicht falle. Dementsprechend sieht er sich als befugt an, seinen „Schnappschuss“ daheim etwas aufzuwerten und zu verkaufen. Fallvariante c): K hält den Pfleger P in Anbetracht der Aktion im Affengehege für „offensichtlich wahnsinnig“, weswegen K sich sicher wähnt, dass P mangels Zurechnungsfähigkeit ohnehin keine rechtlich wirksamen Urheberrechte begründen könne. In den beiden Varianten b) und c) weiß K in tatsächlicher Hinsicht jeweils, was er tut, wenn er die schutzfähigen Werke des P verwertet. Allerdings unterliegt er anderweitigen Irrtümern, indem er jeweils falsch einschätzt, welche Anforderungen an die Fähigkeiten zur Schöpfung eines Werkes i.S.d. §§ 7, 2 Abs. 2 UrhG gestellt werden. Er irrt mithin über das Vorliegen eines urheberrechtlich geschützten Werkes, und zwar konkret über das Element der Schöpfung, § 2 Abs. 2 UrhG. Nach herrschender Auffassung wäre hierin der Irrtum über ein normatives Tatbestandsmerkmal zu erblicken, weswegen zu fragen wäre, ob K in seiner Laiensphäre den sozialen Sinn seines Verhaltens beziehungsweise die Bedeutung des Merkmals Werk erkannt hätte. Diese Prüfung bereitet in der vorliegenden Konstellation Schwierigkeiten: Denn fraglich ist bereits, ob K laienhaft erkannt haben muss, dass es sich bei dem Bild um ein Werk handelt (dann vermutlich positive „Parallelwertung“), oder ob er laienhaft den Bedeutungsgehalt des immanenten Merkmals der Schöpfung erkannt hat (dann eher negative „Parallelwertung“). In jedem Fall bereitet die Prüfung im Vorsatz erhebliche Schwierigkeiten. Überdies ergibt sich das Problem, dass K Kunstkenner ist, was „seine“ Laiensphäre zwangsläufig zu einer anderen macht als beispielsweise jene eines künstlerisch Unbegabten U, der das Bild ebenfalls schön findet und deshalb Aufnahmen davon anfertigt und veräußert. K handelt also in Bezug auf das Vorliegen eines Werkes in dem Fall eher mit Vorsatz als der Nichtkenner U – was unter dem Gesichtspunkt, dass beide derselben Fehlvorstellung unterliegen und dieselbe Handlung vornehmen, durchaus problematisch ist. 95 96
Vgl. auch Kircher, S. 27. Vgl. die ähnliche Konstellation bei Kircher, S. 39.
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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Diesen Problemen lässt sich dadurch begegnen, dass die rechtliche Fehlbewertung erst im Rahmen der Schuld berücksichtigt wird, wo sodann mit der Vermeidbarkeitsprüfung ein handfestes Kriterium für die Berücksichtigung von derlei Sonderwissen existiert: Denn wenn K Kunstkenner ist, konnte er seinen Irrtum eher vermeiden als U, der sich überhaupt nicht auskennt. Es bedarf dann keiner umständlichen Argumentation mehr, weshalb K, der bekanntlich demselben Irrtum unterliegt wie U, vorsätzlich handeln soll und U nicht – und daher das eine Mal eine rechtswidrige Tat, also objektives „Unrecht“ vorliegen soll und das andere Mal nicht. Daneben offenbart die zuletzt skizzierte Konstellation einen weiteren Vorteil der vorliegend vertretenen Irrtumslehre: Wenn dem Kunstkenner K bereits der Vorsatz abgesprochen wird, so scheidet eine Strafbarkeit von Gehilfen oder Anstiftern – etwa bei der auch gewerbsmäßig denkbaren Vervielfältigung oder Veräußerung des Werkes – mangels vorsätzlicher Haupttat zwangsläufig aus (§§ 26, 27 StGB). Handelt K hingegen vorsätzlich aber entschuldigt, so bleibt die Bestrafung von möglicherweise auch schuldhaft handelnden Dritten möglich. b) Irrtümer im Bereich der Geistigkeit und Persönlichkeit des Werkes Ähnliche Irrtumskonstellationen wie jene, die vorstehend im Bereich der Schöpfung erörtert wurden, ergeben sich bei der Frage, ob ein Tatobjekt eine persönliche und geistige Schöpfung darstellt – und ob es in quantitativer Hinsicht das erforderliche Mindestmaß erreicht, das an ein schutzfähiges Werk gestellt wird (Gestaltungshöhe). Um den weitreichenden Schutz des Urheberrechts auszulösen, genügt nicht jedes menschliche Schaffen. Allerdings ist bereits an dieser Stelle festzuhalten, dass der Schutz des UrhG im Zweifel deutlich weiterreicht, als dies womöglich angenommen wird – was reichlich „Angriffsfläche“ für denkbare Irrtümer bietet. aa) Die qualitativen Grundvoraussetzungen an ein Werk Wie bereits erwähnt wurde, ist die Terminologie innerhalb des Schrifttums und der Rechtsprechung nicht einheitlich, wenn es um die Bezeichnung der in § 2 Abs. 2 UrhG normierten Voraussetzungen geht. Dies betrifft vor allem die Erfordernisse eines geistigen Gehalts und der Persönlichkeit einer Schöpfung. Oftmals wird auch der Begriff der Individualität eines Werkes verwendet, wobei im Kern stets dieselben Kriterien angesprochen werden sollen: Ein Werk genießt nur dann urheberrechtlichen Schutz, wenn es vom individuellen Geist des Urhebers geprägt ist und das Ergebnis seines individuellen geistigen Schaffens ist.97 Zutreffend ist 97 Vgl. BGH GRUR 1987, 704 (705); BGH GRUR 1994, 206 (208); BGH GRUR 2005, 854 (856) – jeweils „schöpferische Eigentümlichkeit“; BGH GRUR 1992, 382 (385) – „schöpferische Eigenart“; BGH GRUR 1993, 34 (36) – „eigenschöpferische Leistung/Prägung“; ferner Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 2 Rn. 23; daneben auch Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 18; Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 2 Rn. 42; Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 24 f.; Müko-StGB-Heinrich, 2 Aufl., § 106 UrhG Rn. 12, 14.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
insoweit die Formulierung A. Nordemanns, dass sich in Konzeption, Inhalt oder Form der individuelle Geist des Urhebers im Werk ausdrücken muss und dadurch erreicht wird, dass sich das Werk von der Masse des Alltäglichen abhebt.98 Mit dem geistigen Gehalt einer Schöpfung ist das Erfordernis umschrieben, dass in dem Werk der menschliche Geist zum Ausdruck kommen muss, das Werk muss also gewissermaßen die Botschaft der Gedanken oder Gefühlsinhalte des Autors transportieren.99 Daran fehlt es, wenn Geschaffenes bloß zufällig entstanden ist, etwa wenn dem Künstler ein Eimer Farbe hinunterfällt oder im Beispiel der aleatorischen (gewürfelten, also vom Zufall abhängigen) Musik.100 Ein weiteres Beispiel wäre eine zufällig entstandene Fotografie, etwa mit dem Smartphone in der Hosentasche, die sich als anschauliches Bild entpuppt. Weiterhin fehlt es am geistigen Gehalt, wenn Schaffensprodukte das Ergebnis bloßer Gedankenspielereien sind,101 denen überhaupt kein geistiges Schaffen zu Grunde liegt, die also gewissermaßen beiläufig, „einfach so“ entstehen, wie etwa ein beiläufiges „Kritzeln“ auf dem Telefonbuch bei einem länger andauernden Telefonat. Schutzfähig ist somit nur das, was mit dem Willen des Urhebers geschaffen wurde.102 Der Urheber muss sich beim Erschaffen des Werkes „etwas gedacht haben.“103 Dabei werden in qualitativer Hinsicht keine hohen Anforderungen gestellt: „Unsinn“ und „Geschmackloses“ können ebenfalls urheberrechtlichen Schutz genießen.104 Unabhängig von der Qualität des Schaffens, kommt ein urheberrechtlicher Schutz aber nur dann in Betracht, wenn ein Werk „die Handschrift des Werkschaffenden“105 trägt, wenn es also nicht gleich gut durch jeden beliebigen Dritten hätte erschaffen werden können (etwa weil lediglich logische Gesetze angewandt werden, wie eine mathematische Formel).106 Unter dem Merkmal „persönlich“ i.S.v. § 2 Abs. 2 UrhG wird mitunter diskutiert, was vorstehend bereits im Rahmen der Schöpfung untersucht wurde, nämlich dass überhaupt ein Mensch handelt – und nicht etwa ein Tier oder eine Maschine.107 98 Achenbach/Ransiek/Rönnau-A. Nordemann,
Teil 11 Kapitel 1 Rn. 15. Teil 11 Kapitel 1 Rn. 15; Dreier/ Schulze-Schulze, § 2 Rn. 12; Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 2 Rn. 42; Lettl, § 2 Rn. 16; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 12. 100 Beispiele nach Graf/Jäger/Wittig-Ernst, Nr. 765 UrhG § 106 Rn. 10; vgl. weiterhin Achenbach/Ransiek/Rönnau-A. Nordemann, Teil 11 Kapitel 1 Rn. 15. 101 Graf/Jäger/Wittig-Ernst, Nr. 765 UrhG § 106 Rn. 10; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 12. 102 Achenbach/Ransiek/Rönnau-A. Nordemann, Teil 11 Kapitel 1 Rn. 15. 103 Graf/Jäger/Wittig-Ernst, Nr. 765 UrhG § 106 Rn. 10. 104 Graf/Jäger/Wittig-Ernst, Nr. 765 UrhG § 106 Rn. 10. 105 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 14. 106 Vgl. Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 14. 107 Vgl. Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 21; Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 8. 99 Vgl. Achenbach/Ransiek/Rönnau-A. Nordemann,
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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Dies ist insofern nachvollziehbar, als nur „Personen“ auch menschliche Schöpfer sein können. Wie bereits erwähnt wurde, wohnt dieses Kriterium aber bereits dem Merkmal „Schöpfung“ für sich inne,108 sodass dem Persönlichkeitserfordernis eine andere Bedeutung beizumessen ist: Der persönliche Gehalt einer Schöpfung macht diese zu etwas Individuellem und unterscheidet sie deshalb von rein handwerklich erstellten Erzeugnissen und von alltäglichem Schaffen.109 Mithin steht das Merkmal der Persönlichkeit synonym zu jenem der Individualität – wobei die Bezeichnung „Persönlichkeit“ in diesem Zusammenhang den klaren Vorteil bietet, dass sie eine Stütze im Gesetz findet, § 2 Abs. 2 UrhG. Zur „persönlichen“ Schöpfung wird das Geschaffene eines Menschen erst dadurch, dass es die Individualität des Urhebers erkennen lässt, es muss von der Persönlichkeit des Urhebers geprägt sein.110 Diese Prägung wird ein Werk oftmals bereits dadurch erfahren, dass die Schöpfung einem geistigen Schaffensprozess entspringt, dass also der Urheber sich bei seinem Schaffen etwas gedacht hat. Insofern ist die Feststellung zutreffend, dass sich Geistigkeit und Persönlichkeit der Schöpfung „nicht immer eindeutig“ unterscheiden lassen.111 Nach zutreffender Auffassung bringt das Persönlichkeitserfordernis allerdings nicht mit sich, dass sich das Werk aufgrund seiner Eigenart eindeutig einem bestimmten Künstler zuweisen lässt oder dass es die Handschrift des Urhebers dergestalt trägt, dass es alleine der Persönlichkeit des Schöpfers zuordenbar wäre.112 Weiterhin muss die Persönlichkeit eines Urhebers auch nicht zwangsläufig Eingang in das Werk gefunden haben,113 denn richtigerweise formen die Werke eines Künstlers – umgekehrt – gerade auch dessen künstlerische Persönlichkeit, sodass (ähnlich der Problematik bezüglich des Huhns und seines Eis) die Persönlichkeit eines Künstlers oftmals bereits deshalb nicht feststellbar in das Werk einfließen kann, weil diese vom Werk abhängt. Ein treffendes Beispiel liefert in diesem Zusammenhang A. Nordemann, der betont, dass beispielsweise der „Stierschädel“ des Künstlers Pablo Picasso andernfalls nicht schutzfähig wäre,114 denn diese Konstruktion (ein Fahrradsattel und eine Lenkerstange, die zusammengeschweißt werden) wäre mit Sicherheit auch vielen anderen „Künstlern“ möglich gewesen. Dasselbe gilt für die berühmte „Fettecke“ von Joseph Beuys: Dabei handelt es sich ebenfalls um ein anerkanntes (wenn auch streitbares) Kunstwerk, dessen Schöpfung jedem 108
Vgl. dazu bereits Kapitel 3 § 3 A. I. 1. a) bb). Vgl. Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 14. 110 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 14; vgl. ferner Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 18 f.; Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 2 Rn. 23; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 21. 111 Vgl. nur Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 14. 112 Vgl. Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 22; ferner Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 2 Rn. 18. 113 Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 2 Rn. 18. 114 Vgl. Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 22. 109
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Menschen möglich gewesen wäre, dem der Einfall gekommen wäre, Butter in die Ecke eines Raumes zu schmieren. Bereits die vorstehenden Ausführungen über die Persönlichkeit und Geistigkeit eines Werkes machen deutlich, dass hiermit komplizierte Rechtsfragen verbunden sind, deren Beantwortung auch der Rechtswissenschaft und der Rechtspraxis Schwierigkeiten bereitet. Umso komplizierter sind derlei Fragen aus der Perspektive des „Normalbürgers“, also eines durchschnittlichen Normadressaten – weswegen den Elementen der Werkdefinition auch insofern ein großes Irrtumspotenzial innewohnt. Dabei dürften falsche rechtliche Wertungen und somit Verbotsirrtümer die Regel sein, wohingegen Tatumstandsirrtümer, abgesehen von klassischen Verwechslungen, in der Praxis kaum denkbar sind.115 bb) Das „quantitative Minimum“: Die Gestaltungshöhe Unstreitig ist, dass es, um den Schutz des Urheberrechts auszulösen, einer gewissen Quantität schöpferischen Tätigwerdens bedarf, sodass sich das Geschaffene vom Alltäglichen und Banalen abhebt.116 Insofern handelt es sich um den „quantitativen Aspekt der Individualität“.117 Die Terminologie ist allerdings auch hier wieder uneinheitlich, weswegen neben dem Begriff der Gestaltungshöhe auch jene der Schöpfungshöhe118 und der Leistungshöhe oder – insofern unpräzise – der Individualität verwendet werden.119 Zutreffend stellt Schulze fest, dass alle verwendeten Begriffe gleichermaßen „wenig präzise“ sind.120 Nach dem vorliegenden Verständnis wohnt, wie soeben dargelegt wurde, dem Begriff der Individualität allerdings ein übergeordneter, vom Element der Gestaltungshöhe abweichender Gehalt inne. Weil die Individualität synonym zur Persönlichkeit eines Werkes steht, ist im Folgenden also von der Gestaltungshöhe die Rede, wenn das „quantitative Minimum“ der Schöpfung angesprochen ist. Der Bundesgerichtshof gebraucht ebenfalls regelmäßig den Begriff der „Gestaltungshöhe“. Auffällig ist dabei, dass der BGH keinen einheitlichen Maßstab anlegt, sondern für unterschiedliche Werkarten unterschiedliche Anforderungen aufstellt.121 Für die besonders relevanten Kategorien des musikalischen und literarischen Schaffens wird regelmäßig ein besonders niedriger Maßstab angelegt, sodass die „kleine Münze“ jedenfalls in diesen Bereichen dadurch weitreichenden Schutz genießt, dass auch „einfache, aber gerade noch schutzfähige Schöp115
Vgl. mit Beispielen sogleich Kapitel 3 § 3 A. I. 1. b) cc). Vgl. BeckOK-UrhG-Ahlberg, § 2 Rn. 69 f.; Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 30; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 15; aus der Rechtsprechung: BGH GRUR 1995, 581 (582); BGH ZUM 1992, 427 (428); OLG Celle StV 1988, 257 (258). 117 Loewenheim-Loewenheim, § 6 Rn. 16. 118 Vgl. Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 2 Rn. 59. 119 Vgl. zur Terminologie nur Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 2 Rn. 24. 120 Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 20. 121 Vgl. nur BGH GRUR 1995, 581 (582). 116
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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fungen“122 erfasst sind.123 Demzufolge werden gerade in den besonders alltagsrelevanten – und insbesondere für nichtgewerbliche Urheberrechtsverletzungen durch den „normalen Bürger“ besonders anfälligen – Schaffensbereichen geringe Anforderungen an die quantitative Höhe einer Schöpfung gestellt.124 Aus Sicht der vorliegenden Arbeit ist dieser Umstand von besonderem Interesse: Denkt ein Handelnder nämlich, dass ein urheberrechtlicher Schutz beispielsweise eines Musikstücks, eines Gedichts oder einer Fotografie in Anbetracht des Anscheins von Alltäglichkeit entfallen müsse, so wird er damit regelmäßig einem (rechtlichen) Irrtum unterliegen. cc) Irrtumskonstellationen in diesem Bereich Soweit es um die Anforderungen der persönlichen und geistigen Prägung eines Werkes – und dabei insbesondere um das „quantitative Minimum“ an Gestaltungshöhe – geht, entpuppen sich die meisten denkbaren Irrtumskonstellationen als rechtliche Fehlvorstellungen. Dies rührt schon daher, dass, wie erwähnt, die Anforderungen des § 2 Abs. 2 UrhG mit schwierigen Rechtsfragen verknüpft sind, die regelmäßig auch der konkretisierenden Rechtsprechung, wie auch der Rechtswissenschaft Probleme bereiten. Ausgehend von der herrschenden Irrtumslehre, wären die meisten Irrtümer über das Tatbestandsmerkmal Werk gleichwohl bereits unter Anwendung von § 16 StGB im Vorsatz aufzulösen. Dort würde gefragt, ob ein Handelnder den sozialen Sinn seines Tuns begriffen hätte oder ob er den Bedeutungsgehalt des Tatbestandsmerkmals korrekt erfasst habe. Hiernach verfährt, wie festgestellt wurde,125 auch das überwiegende urheberstrafrechtliche Schrifttum. Weil indes weder geklärt ist, ob es sich beim Tatbestandsmerkmal des Werks um ein deskriptives, normatives oder Blankettmerkmal handelt, und weil selbst dann absolut unklar wäre, wie im Einzelfall mit einem Irrtum umzugehen ist, ist dieses Vorgehen abzulehnen. Eine ebenso „abgrenzungsresistente“ wie gerechte Lösung ermöglicht dagegen die in dieser Arbeit vertretene Irrtumslehre: Dann sind Fehlvorstellungen über die 122
Vgl. BGH GRUR 1988, 810 (811); BGH GRUR 1995, 581 (582). Vgl. BGH GRUR 1981, 267 (268) – musikalische Schöpfungen von „geringem schöpferischen Wert“ seien erfasst; BGH GRUR 1988, 810 (811) – urheberrechtlicher Werkschutz, „ohne dass es auf den künstlerischen Wert ankommt“; BGH GRUR 1995, 581 (582) – höhere Anforderungen dagegen „bei Werken der angewandten Kunst“; relativierend wiederum BGH GRUR 2014, 175 (175) – „grundsätzlich keine anderen Anforderungen“. 124 Vgl. neben den bereits genannten Schrift- und Musikwerken für die Schutzfähigkeit von Filmwerken nur Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 207 – Anforderungen „denkbar gering“; ferner BeckOK-UrhG-Ahlberg, § 2 Rn. 146; Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 211; zur Schutzfähigkeit von Fotografien als Lichtbildwerke A. Nordemann/Heise, ZUM 2001, 128 (136) – „sehr niedrige Gestaltungshöhe“; ferner Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 198 – auch „einfache Urlaubsbilder, wenn sie etwas gestaltet worden sind“ seien erfasst. 125 Vgl. Kapitel 2 § 3 C. III. 2. 123
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Rechtslage generell erst auf Ebene der Schuld zu thematisieren, denn sie tangieren lediglich das Unrechtsbewusstsein, § 17 StGB. Nur dann, wenn ein Handelnder einen tatsächlichen Umstand verkennt, handelt er ohne Vorsatz, gleichgültig ob sein Irrtum vermeidbar war oder nicht. Die Vorzüge dieser Herangehensweise lassen sich exemplarisch anhand der folgenden praktischen Beispiele darstellen. Beispielsfall a (geistige Schöpfung): Fotograf F geht davon aus, dass die abstrakte Kunst seines Kumpels K nicht schutzfähig sei, schließlich schieße K bloß wahllos mit farbgefüllten Wasserpistolen auf die Leinwand. „Echte Kunst“, so F, könne nur geplant entstehen, nicht durch das zufällige Auftreffen von Farbklecksen aus einem Kinderspielzeug auf eine Leinwand. Weil F die Bilder dennoch „ganz nett“ findet, fotografiert er diese ab. In diesem Fall weiß F in tatsächlicher Hinsicht genau, was er tut: Er erfasst das Geschaffene des K als Farbkleckse auf einer Leinwand, was genügen muss, um ihm vorsätzliches Handeln zu attestieren. Wenn er davon ausgeht, dass der Schutz des UrhG weitergehende technische Fertigkeiten vom Künstler verlangt, so irrt er sich über eine (unkomplizierte) Rechtsfrage, sodass ein Verbotsirrtum vorliegt, der auch vermeidbar war. Die herrschende Irrtumslehre käme wohl zu demselben Ergebnis – allerdings erst, nachdem unter gehörigem Begründungsaufwand zunächst im Vorsatz festgestellt worden wäre, dass F den Bedeutungsgehalt des normativen Tatbestandsmerkmals Werk in seiner Laiensphäre korrekt erfasst, mithin Verbotskenntnis gehabt habe. Strenggenommen müsste sodann auf Schuldebene dieselbe Feststellung im Rahmen des Unrechtsbewusstseins erneut getroffen werden – denn dort wird wiederum die Frage virulent, ob ein Handelnder damit rechnet, dass er gegen eine Verhaltensnorm verstößt. Warum das Unrechtsbewusstsein überhaupt zweimal zur Geltung kommen soll, wird durch die herrschende Irrtumslehre allerdings nicht erklärt.126 Beispielsfall b (Individualität): Zeichenkünstler Z malt sehr detailgetreu im Stile des Fotorealismus unspektakuläre Objekte ab (am liebsten graue Steine). Laie L hält die täuschend realistischen Zeichnungen irrigerweise für einfallslose Fotografien – und diese für nicht schutzfähig, weil die Bilder für sich (was zutrifft) absolut nichts Besonderes darstellen. L ist gerade auf der Suche nach einem grauen Stein für eine selbstentworfene Kondolenzkarte, die er verkaufen möchte – und vervielfältigt zu diesem Zweck ein Steinportrait des Z. In diesem Fall unterliegt L zunächst Irrtum über den tatsächlichen Umstand, dass es sich bei dem konkreten Objekt statt einer Fotografie (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG) um ein Gemälde handelt, mithin um ein Werk der bildenden Künste, § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG, das in Anbetracht der besonderen künstlerischen Leistung auch unstreitig die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 UrhG erfüllt. Dementsprechend entfiele gemäß § 16 StGB der Vorsatz. Allerdings kann dieses Ergebnis nur dann gelten, wenn es sich bei der vorgestellten Fotografie nicht um ein gleichwertiges Tatobjekt handelt. Das wäre nur dann der Fall, wenn L tatsächlich davon ausgehen 126
Vgl. bereits die ausführliche Kritik in Kapitel 2 § 3 D. II. 2.
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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durfte, dass das von ihm gedachte „Steinfoto“ seinerseits kein geschütztes Werk darstellt. Insofern bietet der Sachverhalt zwar keine Anhaltspunkte – allerdings darf am Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung bei der eindeutig un spektakulären Fotografie durchaus gezweifelt werden (wenngleich solche Zweifel strenggenommen natürlich kollidieren würden mit einem Interesse am Motiv). Dieser Irrtum über die Schutzfähigkeit jedoch bewegt sich im Bereich einer rechtlichen Wertung, sodass das Unrechtsbewusstsein tangiert wird und § 17 StGB zur Anwendung kommt. Nach der herrschenden Irrtumslehre hingegen wäre auch der zweite Irrtum zunächst im Rahmen des § 16 StGB zu untersuchen, denn er betrifft ein normatives Tatbestandsmerkmal. Weil jedoch das Tatobjekt in diesem Fall einund dasselbe ist, liefe der Rechtsanwender Gefahr, die beiden Irrtümer nicht getrennt voneinander zu würdigen. Denn bei einer Handlung von zwei gleichzeitig vorliegenden Tatumstandsirrtümern über ein- und dasselbe Tatobjekt auszugehen, ist nicht denkbar. Dieser Fall eines möglichen doppelten Irrtums stellt unter Beweis, dass sich mit einer klaren Trennung von Fehlvorstellungen über tatsächliche Umstände und falschen rechtlichen Wertungen trennscharfe Ergebnisse finden lassen, ohne im Rahmen des Vorsatzes zu unnötig komplizierten Verschachtelungen genötigt zu sein. Beispielsfall c (Gestaltungshöhe): Urlauber U weist seine Frau F an, sich – in einigen hundert Metern Entfernung – vor dem „Big Ben“ in London so zu positionieren, dass das anschließend geschossene Foto den Anschein erweckt, dass sich F mit dem Arm am Glockenturm abstützt. Zusätzlich spielt U ein wenig mit der Schärfentiefe, was das Bild im Ergebnis ziemlich „Retro“ erscheinen lässt – zumal F ziemlich „Retro“ gekleidet ist. U „teilt“ den gelungenen Schnappschuss in einer privaten Gruppe auf Facebook, wo es erst ein „Freund“ und anschließend eine Reihe unbekannter Dritter selbst „teilen“. Dass ein derart „normales“ Urlaubsfoto urheberrechtlichen Schutz genießen könnte, kommt dabei keinem der Akteure in den Sinn. In diesem Fall dürfte, trotz der anzunehmenden geringen Schaffensqualität der Fotografie, ein Urheberrecht des U entstanden sein, weil das Foto in Anbetracht der gleichwohl gegebenen gestalterischen Einflussnahme im Rahmen der „kleinen Münze“ ein Lichtbildwerk (wenn auch im unteren Spektrum) darstellt, § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG.127 Die vorgenommenen Handlungen des „Teilens“ dürften allesamt als Vervielfältigungen beziehungsweise öffentliche Wiedergaben einzustufen sein.128 Kircher ordnet Irrtümer über die Gestaltungshöhe von Werken generell als Verbotsirrtümer ein.129 Der Täter lege in diesen Fällen strengere Maßstäbe an als die Rechtsprechung und handle somit im Subsumtionsirrtum. Ferner hätte sich der 127 Vgl. BeckOK-UrhG-Ahlberg, § 2 Rn. 142, 74; Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 198; A. Nordemann/Heise, ZUM 2001, 128 (136); zurückhaltender Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 117. 128 Vgl. dazu noch ausführlich Kapitel 3 § 3 B. II. sowie Kapitel 3 § 3 B. IV. 2. a). 129 Kircher, S. 95 ff.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Täter „durch Erkundigung bei einem Rechtsanwalt oder Nachschlagen in einem Kommentar […] informieren können.“130 Mit den „Erkundigungspflichten“ sind freilich Fragen angesprochen, die der Entscheidung über die grundsätzliche Einordnung des Irrtums nachgelagert sind – nämlich solche der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums.131 Davon abgesehen, bricht Kircher allerdings mit seiner grundsätzlichen Annahme, dass bei normativen Tatbestandsmerkmalen zunächst die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ zur Anwendung kommen müsse. Denn die Gestaltungshöhe lässt sich ihrerseits – isoliert betrachtet – ausschließlich als höchst normativ geprägte Komponente innerhalb eines normativ geprägten Tatbestandsmerkmals begreifen, sodass mit der herrschenden Irrtumslehre zunächst einmal gefragt werden müsste, ob ein Handelnder laienhaft verstanden hat, dass er ein Tatobjekt verwertet, dass Werkqualität besitzt.132 Hieran entzündet sich die Kritik von Hildebrandt, der den Ausführungen von Kircher insofern widerspricht und allein darauf abstellen möchte, ob ein Handelnder „die dem Werkbegriff zugrunde liegende Wertung tatsächlich erkannt hat“,133 weswegen „für eine Differenzierung“ nach Tatumstands- und Verbotsirrtum beim Tatbestandsmerkmal des Werkes kein Raum mehr verbleibe.134 Hildebrandt kommt also auch innerhalb des hier diskutierten Elements der Werkdefinition unter Anwendung der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ stets zu einem Tatumstandsirrtum. Wie bereits festgestellt, wird diese Auffassung von U. Weber geteilt.135 Durch die zitierte Auffassung bricht Kircher prinzipiell zwar mit der von ihm selbst vertretenen Irrtumslehre. Den hierdurch erzielten Ergebnissen ist indes nachdrücklich beizupflichten, was wiederum als Beleg dafür dient, dass die herrschende Irrtumslehre ein Konstrukt diverser Ausnahmen darstellt: Der Glaube daran, dass ein Werk gleich welcher Kategorie (noch) keinen urheberrechtlichen Schutz genieße, ist unzweifelhaft eine Falschbewertung der Rechtslage, mithin ein Verbotsirrtum. Die Einordnung von Kircher zeigt einmal mehr auf, dass die ausnahmsweise Behandlung von Rechtsirrtümern als Tatumstandsirrtümer selbst im Lager derjenigen, die sie vertreten, nicht konsequent gepflegt wird. Einfach handhabbar werden auch diese Fallkonstellationen hingegen dadurch, dass Irrtümer über Tatsachen von falschen rechtlichen Bewertungen unterschieden werden: So kommt in der Tat – mit Kircher – beim Irrtum über die Gestaltungshöhe in der Regel nur ein Verbotsirrtum in Betracht, dessen Vermeidbarkeit i.S.d. § 17 StGB schließlich entscheidend von den Kenntnissen, Fähigkeiten und der konkreten Situation des Täters abhängig ist: Hierdurch lassen sich spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten strafbarkeitsbegründend berücksichtigen, während der „totale Laie“ auf Kircher, S. 96. Vgl. dazu bereits Kapitel 2 § 3 A. II. 3. sowie Kapitel 2 § 3 D. II. 2. d). 132 Vgl. mit demselben Schluss Heinrich, in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (70). 133 Hildebrandt, S. 257. 134 Hildebrandt, S. 257 f. 135 U. Weber, S. 288 f. 130 131
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dieser Ebene richtigerweise Straflosigkeit erlangt, wo die herrschende Lehre auf Vorsatzebene die Laiensphäre täterbegünstigend berücksichtigen würde. Beispielsfall d (Gestaltungshöhe): Rapper R stolpert über eine Suchmaschine auf ein laienhaft aufgenommenes Musikvideo, dessen Gitarrenriffs und Beat er für eine Produktion verwendet. Von Laien, die keinem Plattenlabel angehören, dürfe man sich „inspirieren lassen“, denkt er, deren Produktionen seien als Hobbywerke ohnehin keine echten Musikstücke.136 Fallvariante: R stolpert in selbiger Weise über einen Song der ihm sehr gut gefällt. Am nächsten Tag nimmt er im Studio ein paar Spuren auf, wobei er stolz – offenbar geleitet durch sein Unterbewusstsein – genau denjenigen Beat und dieselben Riffs einspielt, die er tags zuvor gehört hat, ohne sich daran zu erinnern, die Sequenz schon einmal gehört zu haben. Die beiden zuletzt genannten Beispiele machen klar, dass eine Unterscheidung von Tatsachenirrtümern und rechtlichen Fehlbewertungen auch im vorliegenden Kontext leicht durchführbar ist und zudem die Findung gerechter Ergebnisse ermöglicht: Während in der ersten Konstellation beim Handelnden wiederum eine falsche Vorstellung darüber herrscht, „was Recht ist“, mithin unproblematisch ein Verbotsirrtum gegeben ist, unterliegt R in der Fallvariante einem Tatumstandsirrtum – denn er weiß schlichtweg nicht, dass er etwas Vorhandenes verwertet. Er irrt über den tatsächlichen Umstand des Kopierens eines bereits existenten Musikwerkes beziehungsweise einer geschützten Sequenz eines solchen.137 Beispielsfall e (Gestaltungshöhe): Kunstkenner K ist auf einer Ausstellung entzückt, als er hinter dem ausstellenden Künstler, der gerade seine Werke erläutert, einen bekritzelten Schmierzettel auf dem Boden entdeckt, den er rasch einsteckt. Er geht davon aus, dass es sich dabei um einen künstlerischen Entwurf handeln müsse und möchte diesen verwerten. In Wirklichkeit handelt es sich nur um einen karierten Schmierzettel, der keinerlei Schöpfungshöhe aufweist, sondern lediglich wenige ausgefüllte Kästchen enthält, die während eines langweiligen Telefonats des Künstlers mit seiner Agentur entstanden sind. K fertigt Postkarten von dem Zettel an und möchte diese veräußern. Fallvariante: K findet denselben Zettel, allerdings stammt dieser nicht vom ausstellenden Künstler selbst, sondern von einem anwesenden Gast.138 In beiden Fällen unterliegt K einem umgekehrten Irrtum zu seinen Lasten, der entweder als untauglicher Versuch oder als Wahndelikt einzustufen wäre, je nachdem ob K über Tatsachen oder über die rechtliche Bedeutung seines Handelns irrt.139 Im erstgenannten Beispielsfall irrt K über die Schöpfungsqualität des ge136 Vgl. zur Schutzfähigkeit von Stilelementen, insbesondere Beats und Rhythmussequenzen als Werke oder Werkteile Alpert, ZUM 2002, 525. 137 Vgl. bereits den ähnlichen Beispielsfall b) in Kapitel 3 § 3 A. I. 1. a) aa). 138 Vgl. den ähnlichen Fall bei Heinrich, in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (71 f.). 139 Vgl. zu den umgekehrten Irrtümern bereits Kapitel 2 § 3 A. IV. sowie Kapitel 2 § 3 D. II. 4.
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fundenen Zettels, er geht davon aus, dass er ein geschütztes Werk eines berühmten Künstlers gefunden habe, wobei das Objekt in Wirklichkeit die Grenze des Alltäglichen, Gewöhnlichen unstreitig nicht überschreitet. In tatsächlicher Hinsicht hat K dabei alles richtig erfasst – er weiß, dass er ein beschriebenes Stück Papier eines Künstlers in den Händen hält und verwertet dieses auch vorsätzlich. Sein Irrtum bezieht sich allein auf die Anforderungen an die Gestaltungshöhe, also auf Rechtsfragen.140 Insofern handelt es sich um einen umgekehrten Verbotsirrtum, mithin um ein strafloses Wahndelikt. In der Fallvariante hingegen irrt sich K über einen tatsächlichen Umstand – nämlich darüber, dass der Zettel von demjenigen stammt, den er als Urheber hinter der Kritzelei vermutet. Allerdings trifft dieser Irrtum zusammen mit der rechtlichen Falschbewertung in Bezug auf die Werkqualität, sodass untauglicher Versuch und Wahndelikt vorliegend zusammenfallen. In dieser Konstellation muss im Ergebnis ein Wahndelikt stehen, wie sich aus der folgenden Überlegung ergibt: Das Vorliegen eines geschützten Werkes ist festzustellen, bevor Fragen der Urheberschaft gestellt werden. Die Eigenschaft des Werkes als taugliches Tatobjekt ist prinzipiell unabhängig von der Frage zu beurteilen, von wem es stammt. So sind durchaus unerlaubte Verwertungen nach § 106 UrhG denkbar, wenn der Täter nicht weiß oder ihm egal ist, wer der Schöpfer des Werkes ist. Dies erlangt erst im Rahmen der Frage Bedeutung, ob eventuell eine Einwilligung durch den Berechtigten – also den Urheber, dessen Rechtsnachfolger oder den Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts – vorliegt. Dementsprechend ist der umgekehrte Verbotsirrtum in der skizzierten Fallkonstellation dem umgekehrten Tatumstandsirrtum vorgelagert. Der Täter hat Vorsatz in Bezug auf die Verwertung eines Werkes, das er aber aufgrund einer fehlerhaften Rechtseinschätzung irrigerweise als solches einordnet. Es liegt ein strafloses Wahndelikt vor. c) Zwischenergebnis Es bleibt festzuhalten, dass Irrtümer darüber, dass etwas Geschaffenes den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 UrhG genügt, in der Regel Verbotsirrtümer sind – denn die Kriterien, die dieser Einordnung zugrunde liegen, werden allesamt durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bestimmt und unterliegen darüber hinaus einem stetigen Wandel. Hierüber Kenntnis zu haben, bedeutet zwangsläufig immer, die Rechtslage in gewisser Hinsicht zu kennen. Irrtümer über Tatsachen sind, wie dargestellt wurde, insoweit zwar ebenfalls denkbar – werden aber in der Praxis kaum vorkommen. Und wenn, dann werden die Tatumstandsirrtümer im Bereich des § 2 Abs. 2 UrhG in aller Regel – leicht identifizierbare – Verwechslungen sein.
140 Vgl. aber Heinrich, in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (71 f.), der in einer ähnlichen Fallkonstellation einen untauglichen Versuch annimmt; ferner Hildebrandt, S. 291, der einen untauglichen Versuch im Urheberrecht offenbar kategorisch für ausgeschlossen erachtet.
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2. Irrtümer über die Werkgattung Ein urheberrechtlich geschütztes Werk liegt nur dann vor, wenn sich das betreffende Objekt einer der Gattungen Literatur, Wissenschaft oder Kunst zuordnen lässt, §§ 1, 2 Abs. 1 UrhG, wobei in § 2 Abs. 1 UrhG katalogartig und nicht abschließend („insbesondere“)141 die folgenden Erscheinungsformen genannt werden: Sprachwerke wie Schriftwerke, Reden und Computerprogramme (Nr. 1), Werke der Musik (Nr. 2), pantomimische Werke und solche der Tanzkunst (Nr. 3), Werke der bildenden Künste einschließlich solcher der Baukunst,142 angewandten Kunst sowie bereits die Entwürfe solcher Werke (Nr. 4), Lichtbildwerke und solche die ähnlich geschaffen werden (Nr. 5), Filmwerke und solche, die ähnlich geschaffen werden (Nr. 6) sowie Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art wie Zeichnungen, Pläne, Karten, Skizzen, Tabellen und plastische Darstellungen (Nr. 7). Wie bereits erwähnt wurde, ist der zitierte Katalog nicht abschließend, was bedeutet, dass auch sämtliche anderen Werke der Literatur, Wissenschaft und Kunst ebenfalls schutzfähig sind, sofern sie nur die Voraussetzungen an eine persönliche geistige Schöpfung erfüllen, § 2 Abs. 2 UrhG.143 Weil darüber hinaus auch eine eindeutige Zuweisung von Werken zu einer der Kategorien Literatur, Kunst und Wissenschaft in vielen Fällen nicht möglich sein wird, verliert das Erfordernis der Zugehörigkeit zu einer dieser Gattungen zusätzlich an Bedeutung:144 Denn viele Werke lassen sich mehreren Gattungen zuordnen, wie etwa wissenschaftliches Schrifttum (Literatur und Wissenschaft), Romane (Literatur und Kunst) oder oftmals auch vertonende Musik (Literatur und Kunst). Die Liste ließe sich in beliebiger Länge fortsetzen. Irrtümer über die Werkgattung eines Objekts sind gleichwohl vielfältig vorstellbar. So kann ein Handelnder entweder denken, ein geschütztes Werk sei weder der Kunst, noch der Wissenschaft, noch der Literatur zuordenbar, oder er unterliegt dem Irrtum, dass es sich bei einem Kunstwerk um ein solches der Wissenschaft handelt. Weiterhin sind (rechtliche) Fehlbewertungen in dem Sinne denkbar, dass nur Werke der einen oder anderen Gattung für schutzfähig erachtet werden.
141 Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 3; Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 2 Rn. 6; Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 11; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 2; U. Weber, S. 74. 142 Vgl. ausführlich zum Schutz von Werken der bildenden Künste Katzenberger, GRUR 1982, 715. 143 BeckOK-UrhG-Ahlberg, § 2 Rn. 2; Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 11; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 4; vgl. auch Loewenheim-Loewenheim, § 6 Rn. 1 – „grobe Abgrenzung des Schutzbereichs“. 144 Vgl. nur Loewenheim-Loewenheim, § 6 Rn. 4.
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a) Werke, die mehreren Gattungen angehören (können) Eine Sonderstellung nehmen in diesem Zusammenhang zunächst Werke ein, die sich aufgrund ihrer individuellen Eigenart mehreren Gattungen oder mehreren Begriffen des Kataloges in § 2 Abs. 1 UrhG zuweisen lassen.145 Das Filmwerk etwa bündelt als „Gesamtkunstwerk“146 in der Regel mehrere, teilweise vorbestehende Werke – ein Drehbuch (§ 2 Abs. 1 Nr. 1), u.U. einen vorher bestehenden Roman (Nr. 1), die Filmmusik (Nr. 2), Bilder (Nr. 5), Tanzkunst (Nr. 4) und je nach Einzelfall vieles mehr.147 Jedes einzelne Element des Films kann dabei für sich bereits urheberrechtlichen Schutz genießen. Selbst fotografische Ausschnitte aus einem Filmwerk („Screenshots“) genießen unter Umständen (eigenen) urheberrechtlichen Schutz als Lichtbildwerke148 oder – je nachdem, welche Technik gewählt wird – als Werke, die ähnlich wie Lichtbildwerke geschaffen werden, § 2 Abs. 1 Nr. 5.149 Als weiteres, sehr anschauliches Beispiel dienen in diesem Zusammenhang Werke der Musik: Mit Ausnahme von Instrumentalmusik, bündeln die meisten Musikwerke literarische (Nr. 1) und musikalische (Nr. 2) Elemente zu einem Gesamtkunstwerk, wobei auch hier sowohl der Liedtext150 als auch die musikalische Komposition151 jeweils für sich urheberrechtlichen Schutz genießen, sofern die weiteren Anforderungen des § 2 Abs. 2 UrhG erfüllt sind. Beispielsfall (geschnittene Hintergrundmusik): Der clevere C geht davon aus, dass nur der Film in seiner Gesamtheit ein schutzfähiges Werk im Sinne des UrhG darstellt. Er schneidet die (Hintergrund-)Filmmusik am PC, erstellt eine Audiodatei und bietet diese im Internet zum Verkauf an. Daneben schneidet er einige Bildaufnahmen aus dem Film und bietet diese ebenfalls zum Verkauf an. Er wundert sich, warum sonst niemand auf diese Idee gekommen ist. Im Beispielsfall unterliegt C einem Irrtum darüber, dass die Filmmusik ein schutzfähiges Werk darstellt, weil er diese fälschlicherweise nicht isoliert als Werk i.S.d. § 2 UrhG in Betracht zieht. Dabei weiß er in tatsächlicher Hinsicht ganz genau, was er tut. Er irrt sich aber über die Rechtslage bezüglich der Schutzfähigkeit der Filmmusik, unterliegt also einem Verbotsirrtum, § 17 StGB. Genau gleich verhält es sich mit den Bildausschnitten, sofern diese die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 UrhG erfüllen, mithin Schutz als Lichtbildwerke genießen.152 145
Vgl. die Beispiele bei Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 2 Rn. 242. § 2 Rn. 201. 147 Vgl. auch § 23 S. 2 UrhG. 148 Vgl. Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 197; Schulze, GRUR 1994, 855 (858) – Einzelbilder eines Filmwerks „in der Regel“ Lichtbildwerke; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 114; zurückhaltender Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 194, 202. 149 Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 2 Rn. 242. 150 Vgl. Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 87; Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 R n. 90. 151 Vgl. BGH GRUR 1988, 810 (811); Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 134 f.; Fromm/ Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 122. 152 Vgl. dazu Schulze, GRUR 1994, 855 (858 f.). 146 Fromm/Nordemann-A. Nordemann,
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Zu einem anderen Ergebnis könnte man – beziehungsweise müsste man wohl – mit der herrschenden Irrtumslehre gelangen: Denn dann stellt sich beim Vorsatz die Frage, ob C die Bedeutung oder den Sinngehalt des normativen Tatbestandsmerkmals Werk in seiner „Laiensphäre“ richtig erfasst hat. Einmal abgesehen von den bereits ausführlich diskutierten Abgrenzungsproblemen, die daraus resultieren, dass das Werk auch deskriptive Elemente enthält und mitunter sogar als Blankettmerkmal verstanden wird,153 wäre es in diesem Fall problematisch, die „Laiensphäre“ des C zu bestimmen, der offensichtlich dazu in der Lage ist, einen Film zu schneiden und aus der Hintergrundmusik eine Audiodatei zu fertigen. Weil diese Handlungen mithilfe moderner Computer und Software aber jedermann ganz einfach möglich sind, erscheint der Schluss vom technischen Können auf das rechtliche Verstehen (welcher sich hier im Vorsatz anbietet, denn der Täter wird sich zu seiner Verteidigung sicherlich auf seine fehlende Bedeutungskenntnis berufen) nicht rechtsfehlerfrei möglich. Im Ergebnis müsste für C wohl der Vorsatz verneint werden, wenn dieser glaubhaft macht, dass in seinen Augen Musik und Bild nur gemeinsam schutzfähig seien. Dies erscheint vor allem dann problematisch, wenn – wie hier – anschließend gewerbsmäßiges Tun steht, das wiederum oftmals das Bedürfnis nach einer Strafbarkeit von Teilnehmern auslöst. Gänzlich unproblematisch dagegen wäre es, dem irrenden C fehlendes Unrechtsbewusstsein zu attestieren: Denn im Rahmen des § 17 StGB sollen Rechtskenntnisse und die Fähigkeit zu rechtlichen Schlüssen gerade Berücksichtigung finden. Weil mit der Vermeidbarkeit auch explizit die Frage aufgeworfen ist, ob der Täter vielleicht in Anbetracht seines Handelns hätte besser nachdenken oder Rechtsrat einholen sollen, bereitet hier auch der Schluss vom technischen Können auf das rechtliche Dürfen keinerlei Probleme. Daneben bleibt eine Strafbarkeit von Teilnehmern, unabhängig von den Unzulänglichkeiten und der womöglich resultierenden Schuldlosigkeit des C, immer möglich. b) Werke, die sich eindeutig zuweisen lassen Beispielsfall a (Notenpartitur als Werk der Musik): Kunstliebhaber K sieht beim Musiker M in der Wohnung eine Notenpartitur an der Wand hängen. Er kann keine Noten lesen und weiß auch nicht, wie solche Noten aussehen, denkt aber, dass es sich um ein Kunstwerk handeln müsse. Er befindet das „Kunstwerk“ für außerordentlich ansehnlich, fotografiert es ab und druckt die Fotografie aus. In dieser Fallvariante vervielfältigt K zunächst einmal wissentlich und willentlich ein Stück beschriftetes Papier. Dieses stuft er fälschlicherweise als Werk der bildenden Künste ein, § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG, obwohl es sich eigentlich um ein Musikwerk handelt (Nr. 2) – denn die Niederlegung des Musikstückes als Akt der Äußerung einer geistigen Schöpfung kann sowohl in der Niederschrift auf Partitur als auch auf einem Tonträger geschehen.154 153 Vgl. nur Kircher, S. 16; ferner Hildebrandt, S. 258, der diese Einordnung als unerheblich ansieht. 154 Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 69; vgl. dazu ferner Fromm, GRUR 1964, 304 (304 ff.) – mit der Feststellung der heutigen Selbstverständlichkeit, dass, wo Musik nicht in
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Kircher spricht in diesen Fällen von Irrtümern, die „strafrechtlich bedeutungslos“ seien, weil sie sich im „Alternationsbereich“ des § 106 UrhG i.V.m. § 2 Ans. 1 Nr. 1 – 7 UrhG befänden.155 Es handle sich weder um Tatumstands- noch um Verbotsirrtümer.156 Dieser pauschalen Aussage kann indes nicht gefolgt werden: Jeder Irrtum speist sich entweder aus einem falschen Wissen über tatsächliche Umstände oder aus einer falschen rechtlichen Bewertung. Im konkreten Fall erfasst K in tatsächlicher Hinsicht alles ganz korrekt. Allerdings verkennt er eine rechtliche Wertung, nämlich jene, dass es sich bei der abfotografierten Partitur um ein Musikwerk handelt, wobei er alternativ davon ausgeht, dass es sich um ein Werk der bildhaften Künste handelt. Dieser Irrtum resultiert aus der Fehleinschätzung der rechtlichen Bewertung, die dem Stück Papier nicht die Eigenschaft eines Werkes der bildenden Künste zuschreibt. Kircher hat selbstverständlich Recht damit, dass es sich bei einem solchen Irrtum „im Alternationsbereich“ um einen (für den Vorsatz!) unbeachtlichen Irrtum handeln muss. Dieses Ergebnis rührt allerdings nicht daher, dass der Irrtum nicht einordenbar wäre, sondern schlichtweg aus seiner Natur als Rechtsirrtum – der allerdings dann zur Straflosigkeit führen kann, wenn er unvermeidbar war. Dieses Ergebnis ist nur gerecht – denn, angenommen Kunstliebhaber K hätte sich vorher in jeder Hinsicht (falschen) Rechtsrat eingeholt, könnte ihm sein Verhalten nicht mehr vorgeworfen werden, sodass gemäß § 17 StGB die Schuld entfallen müsste. Unproblematisch als Verbotsirrtümer lassen sich weiterhin Fehlvorstellungen von Handelnden darüber einordnen, dass bestimmte Werkarten oder -gattungen überhaupt urheberrechtlichen Schutz genießen, wie der folgende Beispielsfall zeigt. Beispielsfall b (Schutzfähigkeit von technischen Darstellungen): Beamter B stößt im Archiv seiner Behörde auf eine Skizze mit hunderten von mit Bleistift gezeichneten Rohren (den aufwendig gestalteten Plan eines Abwassersystems) und findet diese optisch sehr ansprechend. Weil er nur „echte Kunst“ für schutzfähig hält, denkt er sich nichts dabei, als er den Plan kopiert und als „Moden Art“ im Internet anbietet. In diesem Fall irrt B über die Schutzfähigkeit der Gattung des § 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG, denn er hält eine Darstellung technischer Art für nicht schutzfähig. Weil er in tatsächlicher Hinsicht allerdings alles korrekt erfasst hat, unterliegt er einem Verbotsirrtum, denn er geht fälschlicherweise von der Rechtslage aus, dass dem Urheberrecht nur künstlerische Werke unterfallen. Dass er das Werk gattungsmäßig nicht zutreffend erkennt, müsste unter Anwendung der herrschenden Irrtumslehre hingegen beim Vorsatz thematisiert werden, wo dann wiederum die – nicht eindeutig zu beantwortende Frage – zu stellen wäre, ob B den Bedeutungsgehalt des Werkes in seiner Laiensphäre korrekt erfasst hat. Würde dies verneint, etwa, einem ersten Skripturakt auf Partitur entsteht, der (ein-)spielende Musiker selbst oder der Dirigent Urheber sein muss. 155 Kircher, S. 81. 156 Kircher, S. 81.
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weil der Beamte ausschließlich Anträge abstempelt und auch sonst überhaupt keine Ahnung davon hat, wie es um die Schutzfähigkeit von Plänen steht, entfiele der Vorsatz. Wird dagegen angenommen, dass der Beamte laienhaft verstanden hat, dass ihm mit den „Rohren auf Papier“ ein Werk vorliegt, so muss sich auf Schuld ebene erneut die Frage stellen, ob der Täter Unrechtsbewusstsein hatte – ansonsten wäre § 17 StGB gänzlich obsolet. Das Unrechtsbewusstsein kann sodann jedoch nicht mehr ohne Brüche mit den Feststellungen beim Vorsatz verneint werden, denn wenn der Täter die Rechtslage laienhaft kennt, verfügt er zwangsläufig auch über das erforderliche Unrechtsbewusstsein. Jedes andere Ergebnis müsste strenggenommen dasjenige widerlegen, was beim Vorsatz unter Aufwendung größter argumentatorischer Mühen angenommen wurde. Dann jedoch liegt neuerlich eine doppelte Prüfung vor, was augenscheinlich unnötig ist. c) Zwischenergebnis zum Irrtum über die Werkgattung Fehlvorstellungen darüber, ob ein Werk der Wissenschaft, Kunst oder Literatur angehört, erweisen sich, in Anbetracht der tatbestandlichen Gleichwertigkeit der Gattungen,157 in der Regel als Verbotsirrtümer. Der Fall, dass ein Täter sein Tatobjekt überhaupt keiner Gattung zuweist, stellt dagegen keinen „Gattungsirrtum“, sondern einen solchen über die Schutzfähigkeit des Werkes überhaupt dar. Fälle, in denen der Täter Tatsachen verkennt, die ein Werk erst einer bestimmten Gattung zuordenbar machen, sind zwar vielfältig vorstellbar – diese spielen sich allerdings in anderen Bereichen ab, namentlich bei der Schutzfähigkeit des Werkes überhaupt, insbesondere in Bezug auf das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung. 3. Sonstige Irrtümer betreffend die Schutzfähigkeit von Werken Während im Rahmen der vorstehenden Ausführungen die Bestandteile der Werkdefinition auf Irrtümer untersucht wurden, sollen im Folgenden einige Irrtümer dargestellt werden, die sich nicht exemplarisch im Rahmen eines der Elemente der Werkdefinition fassen lassen – die aber gleichwohl von praktischer Relevanz sind. Einleitend soll an dieser Stelle zunächst der skizzierte Beispielsfall158 des Tätowierers T gelöst werden, der dem prominenten C ein spontanes Meisterwerk auf die Haut zaubert, welches C sodann professionell fotografieren lässt und die Aufnahme einer Werbeagentur für deren Großauftrag verkauft. Gedanken macht sich C dabei keine. Er denkt, vom Ruhm geblendet, dass es schließlich nur um seine Person gehen könne. – In diesem Fall weiß C in tatsächlicher Hinsicht ganz genau, was er tut. Sein Irrtum lässt sich dabei nicht in Bezug bringen zu einem bestimmten Element der Werkdefinition. Vielmehr irrt er sich darüber, dass eine Tätowierung überhaupt als schutzfähiges Werk in Betracht zu ziehen ist. Hierin ist eine falsche Sicht der Rechtslage zu erblicken, die zu einem Verbotsirrtum führt, 157 Zur problematischen Kategorie des Irrtums über Tatbestandsalternativen vgl. Kapitel 3 § 6 A. 158 Vgl. bereits Kapitel 1 § 4 sowie Kapitel 3 § 3 A. I.
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§ 17 StGB. Dieser dürfte jedoch unproblematisch als unvermeidbar einzustufen sein. Mit der herrschenden Irrtumslehre müsste dagegen bereits der Vorsatz verneint werden, da C den Bedeutungsgehalt des Merkmals „Werk“ in seiner „Laiensphäre“ nicht im Ansatz erfasst hat. Dies führt in dieser Konstellation – neben den bereits ausführlich dargelegten Problemen – unter anderem dazu, dass eine Strafbarkeit von ggf. weiteren Beteiligten mangels vorsätzlicher Haupttat entfällt, was besonders dann nicht befriedigen kann, wenn sich – wie hier – gleich mehrere kommerzielle Handlungen anschließen, die unter Umständen von urheberrechtlich geschulten Spezialisten (Verlagsangehörige, Agenten etc.) begangen werden, die C vielleicht sogar anstiften (§ 26 StGB) oder ihm bei der Vermarktung Hilfe leisten (§ 27 StGB). Beispielsfall a (Internet als Veröffentlichungsplattform): Bloggerin B ist aktiv als Netzaktivistin tätig und stellt regelmäßig politisch motivierte Gedichte auf ihre Website. Ihr Gegner G druckt diese hundertfach aus, versieht sie mit einem abwertenden Stempel und verteilt sie auf einer öffentlichen Demonstration. Er geht fest von der Gemeinfreiheit der „nur“ online veröffentlichten Gedichte aus, denn diese seien ja ohnehin für jedermann lesbar. In diesem Fall irrt sich G über das Vorliegen eines geschützten Werkes.159 Dieser Irrtum bezieht sich allerdings nicht etwa auf die Voraussetzungen des § 2 UrhG, sondern vielmehr auf die Plattform der Veröffentlichung. Hierin ist unproblematisch ein Verbotsirrtum zu sehen, denn G hat schlichtweg eine falsche Vorstellung über die Schutzfähigkeit von Onlineveröffentlichungen:160 Sowohl Websites in ihrer Gesamtheit161 als auch deren Einzelelemente (beispielsweise Fotos als Lichtbildwerke, Textbausteine als Schriftstücke, Flash-Animationen als filmähnliche Werke nach § 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG) genießen urheberrechtlichen Schutz,162 sofern die weiteren Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 UrhG erfüllt sind. In diesem Kontext sind freilich unzählige weitere Konstellationen denkbar, die allerdings nicht umfassend dargestellt werden können. Das voranstehende Beispiel zeigt jedoch deutlich, dass Fehlvorstellungen, die sich auf die rechtliche Qualifikation eines Tatobjekts als schutzfähiges Werk i.S.d. UrhG beziehen, auch in der digitalen Welt stets nur Verbotsirrtümer sein können. Für den Tatumstandsirrtum nach § 16 StGB bleibt insofern lediglich dann Raum, wenn es sich um Objektsverwechslungen handelt, beispielsweise dergestalt, dass ein Täter davon ausgeht, bei einem vervielfältigten Werk sein eigenes zu verwerten.
159 Zum insoweit ebenfalls denkbaren Irrtum über das Eingreifen einer tatsächlich nicht existenten Schrankenregelung vgl. Kapitel 3 § 3 C. II., III. 160 Vgl. zur Schutzfähigkeit von Online-Veröffentlichungen nur Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 156. 161 OLG Düsseldorf MMR 1999, 729 (730). 162 Vgl. zum urheberrechtlichen Schutz von Websites und deren Inhalten Schack, MMR 2001, 9 (10).
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Beispielsfall b („copy+paste“): Literat L stößt in einem Internet-Blog auf ein geschütztes Gedicht des Lyrikers Y und holt sich vom diesem als Urheber die erforderliche Einwilligung in Gestalt eines einfachen Nutzungsrechts, § 31 Abs. 2 UrhG. L möchte mithilfe der Tastenkürzel „Strg+A“ sowie „Strg+C“ (alles Markieren und Kopieren) den Text von der Website des Y kopieren und anschließend wie vereinbart verwerten, wobei er unbemerkt einige, jeweils für sich geschützte Bilddateien mit kopiert und verwertet. In diesem Beispielsfall irrt sich L beim Kopiervorgang mittels Tastenkürzel über eine Tatsache, nämlich darüber, dass er auch tatsächlich nur den Text kopiert, auf welchen sich die Einwilligung des Urhebers erstreckt. Er weiß nicht, was er tut – sodass der Vorsatz gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB unstreitig nach allen Auffassungen entfällt. Eine rechtliche Wertung liegt dem Irrtum dagegen nicht zugrunde. Beispielsfall c (Suchmaschinenergebnisse): Internetsurfer S liebt es, in Suchmaschinen zu stöbern und stößt bei der Stichwortsuche nach „schönen Frauen“ auf unzählige kleine aber durchaus ansehnliche Vorschaubilder („Thumbnails“), die er kopiert und in einem Fotoalbum namens „Schöne Frauen für alle“ auf Facebook „teilt“. Dabei handelt es sich tatsächlich um Kopien der kleinen Bilddateien als solche – und nicht um Hyperlinks zu den jeweiligen Originalen. Eine Schutzfähigkeit von derlei verkleinerten Aufnahmen kommt ihm nicht in den Sinn. Hier unterliegt S dem Irrtum, dass es sich bei den stark verkleinerten Vorschaubildern einer Suchmaschine nicht um schutzfähige Werke handle, wobei dieser Irrtum nicht den Glauben an das Fehlen der Schöpfungshöhe widerspiegelt (in der Regel dürften Web-User genau wissen, dass die Vorschaubilder irgendwo hochaufgelöst existieren), sondern vielmehr darin begründet liegt, dass die „Neutralität“ des Suchergebnisses – das jedermann zugänglich ist, sofern er die betreffenden Stichworte in die Suchleiste eintippt – womöglich den Eindruck der Gemeinfreiheit suggeriert. Tatsächlich jedoch sind auch „Thumbnails“ ebenso schutzfähige Werke wie die ihnen zugrundeliegenden Originaldateien,163 unabhängig davon, ob sie nun im Einzelnen als originäre Werke oder deren Bearbeitungen oder Umgestaltungen einzustufen sind.164 In diesem Kontext soll die – vor allem später für die Tathandlungen relevante – Aussage Dreiers aufgegriffen werden, dass sich insbesondere durch den Siegeszug der sozialen Medien eine „allgemeine Mentalität des Teilens ausgebreitet [hat], die auf fremde Urheberrechte wenig Rücksicht nimmt.“165 Der Irrtum von S ist jedenfalls ein solcher über die Rechtslage, weswegen das Unrechtsbewusstsein tangiert ist – und nicht der Vorsatz. Es handelt sich also um einen Verbotsirrtum, § 17 StGB.
163 Vgl. zur Schutzfähigkeit der „Thumbnails“ BGH GRUR 2010, 628 (629); OLG Hamburg BeckRS 2012, 00521; zur Haftung von Suchmaschinenbetreibern Ernst, MR-Int. 2009, 1. 164 Vgl. dazu nur Loschelder, GRUR 2011, 1078 (1081 f.). 165 Dreier/Schulze-Dreier, Einleitung UrhG Rn. 23.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Beispielsfall d (Irrtum über Copyright-Hinweis): Täter T geht davon aus, dass nur Werke schutzfähig seien, die auch einen Copyright-Vermerk enthalten, also einen ausdrücklichen Hinweis auf die Urheberschaft oder ein gängiges Zeichen (©-Vermerk).166 Er vervielfältigt und verbreitet daraufhin mehrere nicht mit einem solchen Vermerk gekennzeichnete urheberrechtlich geschützte Werke in der Ansicht, er dürfe dies. In dieser Konstellation hat T alle Tatsachen des Sachverhalts ganz korrekt erfasst. Er unterliegt deshalb einem reinen Rechtsirrtum, wenn er für das Eingreifen des urheberrechtlichen Schutzes von einem zusätzlichen Erfordernis ausgeht, das tatsächlich nicht existiert. Denn selbst wenn die Anbringung eines solchen Vermerks in der urheberrechtlichen Praxis üblich sein sollte, hängt der urheberrechtliche Schutz in Deutschland nicht von derlei Formalitäten ab.167 Der Irrtum des T ist dementsprechend ein Verbotsirrtum, § 17 StGB. Beispielsfall e (Unvorsichtige Putzfrau): Putzfrau P ist empört, als sie in der Ecke einer Kunstgalerie, in der sie regelmäßig arbeitet, diverse Leitern, Bretter und Werkzeuge herumstehen sieht. Aus Empörung über die Moral der heutigen Handwerker, die alles stehen lassen, fotografiert sie die Zusammenstellung ab und postet sie auf Facebook, bevor sie den Krempel aufräumt. Dass es sich dabei um ein modernes Kunstwerk handelt, kommt ihr nicht in den Sinn. In diesem Fall vervielfältigt P ein urheberrechtlich geschütztes Werk der bildenden Künste (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG). Dabei weiß sie in tatsächlicher Hinsicht ganz genau, was sie tut. Allerdings erkennt sie das Gerümpel nicht als Kunst, sie irrt sich dementsprechend darüber, ein taugliches Tatobjekt vor sich stehen zu haben. Innerhalb welches Elements der Werkdefinition sich diese Fehlvorstellung „abspielt“, kann dabei nicht mit Sicherheit festgestellt werden, denn sie denkt weder auch nur im Ansatz überhaupt an eine Schöpfung, noch macht sie sich Gedanken, die in die Richtung einer Einordnung über § 2 Abs. 2 UrhG gehen würden. Der Irrtum ist gleichwohl als Verbotsirrtum einzuordnen. Die herrschende Irrtumslehre hingegen käme unter Anwendung der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ wohl zu einem Tatumstandsirrtum und damit zur Vorsatzlosigkeit. Dass die Einstufung dieses Falles als Verbotsirrtum nicht ungerecht ist, zeigen die folgenden Überlegungen: Erstens ist das Ergebnis dasselbe, denn P bleibt vorliegend straffrei, da es sich um einen unvermeidbaren Irrtum handeln dürfte. Zweitens bliebe eine Notwehr gegen die Handlung der P (freilich im Rahmen der Gebotenheit) möglich, was durchaus zu begrüßen wäre, etwa wenn es sich um ein Kunstwerk von großem Wert handeln würde, dessen kommerzieller Erfolg von der Erstveröffentlichung abhinge. Und drittens lässt sich im Rahmen der Unvermeidbarkeitsprüfung auf Schuldebene das Umfeld der Tat angemessen berücksichtigen: Denn von P als Putzfrau in einer Galerie darf durchaus eine gewisse Sensibilität in Bezug auf den Umgang mit der Fotografie von herumstehenden Objekten erwartet werden, sodass Fallkonstella166 167
Vgl. zu demselben Beispiel Heinrich, in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (69). Vgl. nur Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 10 Rn. 13.
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tionen nicht ausgeschlossen sind, in denen das Ergebnis eines vermeidbaren Verbotsirrtums eher befriedigen würde als das Ergebnis eines vorsatzlosen Handelns aufgrund einer falschen „Parallelwertung“ des Täters. II. Irrtümer über die Schutzfähigkeit von Werkteilen Den Schutz des UrhG genießen nicht nur ganze, also vollständige Werke, sondern auch Teile von Werken.168 Dies gilt allerdings nur, wenn diese Teile ihrerseits – „für sich allein betrachtet“169 – den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 UrhG gerecht werden, also isoliert von den restlichen Teilen des „Gesamtwerks“ persönliche geistige Schöpfungen darstellen.170 Dieser Schutz ist vor allem dann von Bedeutung, wenn Dritte ohne Erlaubnis des Urhebers nur einzelne Teile eines Werkes entnehmen und verwerten.171 Insofern sei an die bereits angesprochene Verwertung von Filmelementen erinnert, etwa eine Verwertung der Filmmusik oder einzelner, als Lichtbildwerke geschützter „Screenshots“.172 Dabei werden ein Lied, das im Hintergrund eines Films läuft, oder eine für sich stehende Fotoaufnahme eines Filmstreifens, nur selten unter dem Topos der Werkteile diskutiert, weil diese Elemente für sich genommen weniger streitig „eigene Werke“ darstellen. Beim Schutz von Werkteilen geht es dagegen vielmehr um solche Elemente einzelner Werke, die regelmäßig nicht allein stehen werden (im Gegensatz zum Titelsong eines Films, der oftmals auch selbst im Rahmen eines Soundtracks vermarktet wird), aber gleichwohl schutzbedürftig sind.173 In diesem Bereich sind Tatumstandsirrtümer erneut kaum denkbar, wohingegen Verbotsirrtümer in vielfältiger Weise vorkommen dürften. Beispielsfall a (Filmausschnitte): Cineast C denkt, ein Film sei nur in seiner Gesamtheit schutzfähig, weswegen er am Computer regelmäßig Ausschnitte seiner legal erworbenen DVDs in unterschiedlicher Länge anfertigt und diese auf seiner Website veröffentlicht. 168 Vgl. nur EuGH ZUM 2009, 945 (947 Rn. 38); ferner Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 76 f.; Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 51; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 35; Rehbinder/Peukert, Rn. 207; Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 2 Rn. 67 f.; Ulmer, § 21 V; ferner BT-Drucks. 4/270, S. 108 zu § 116 – „Werkteile genießen jedoch, sofern sie persönliche geistige Schöpfungen sind, ohnehin vollen Werkschutz.“ 169 Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 51. 170 Vgl. aus der Rspr. etwa BGH GRUR 1990, 218 (219); BGH GRUR 2008, 693 (694); LG Frankfurt a.M. GRUR 1996, 125 (125); zu weiteren Fällen aus der Praxis Schricker/ Loewenheim-Loewenheim, § 2 Rn. 67. 171 Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 76. 172 Vgl. dazu bereits Kapitel 3 § 3 A. I. 2. a). 173 Vgl. mit Beispielen aus der Rechtsprechung Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 51 – schutzfähig sind danach beispielsweise markante Elemente im Stil des Anfangs takts aus Beethovens 5. Sinfonie (welche an sich freilich schon längst gemeinfrei ist, vgl. § 64 UrhG), ebenso kurze Ausschnitte aus Spielfilmen oder Teile von Computerprogrammen.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Beispielsfall b (Literaturfragmente): Literat L stößt in einem Roman (Schriftwerk) eines zeitgenössischen Autors auf einen prägnanten Dialog, den er so gut findet, dass er ihn abtippt, auf Folie drucken lässt und das Produkt im Internet anbietet. Dass einzelne Elemente eines Buches für sich genommen Schutz genießen, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Sowohl C als auch L wissen in tatsächlicher Hinsicht ganz genau, was sie tun. Beide Akteure entnehmen wissentlich und willentlich geschützten Werken Teile, die jeweils für sich betrachtet schon persönliche geistige Schöpfungen darstellen und deshalb eigenständig den urheberrechtlichen Schutz eines Werkes genießen. C und L irren also nicht über Tatsachen, denn die Umstände der jeweiligen Sachverhalte sind ihnen bekannt. Sie ordnen ihr Tun lediglich rechtlich falsch ein. Somit handelt es sich um Verbotsirrtümer, § 17 StGB. Beispielsfall c (Wahndelikt bei nicht schutzfähigem Werkteil): Werbefachmann W bedient sich für das Plakat eines Kunden der ebenso bekannten wie prägnanten Textzeile eines Schlagers: „Tausendmal berührt, tausend Mal ist nichts passiert“ – wobei er davon ausgeht, mit dem Aufdruck der Zeile Urheberrechte zu verletzen, diesen Gedanken allerdings ignoriert, weil ihm dies ohnehin egal ist.174 Hier unterliegt W einem für ihn negativen umgekehrten Irrtum, denn der kurze Slogan „Tausendmal berührt, tausend Mal ist nichts passiert“ erfüllt für sich genommen noch nicht die Anforderungen an eine persönliche geistige Schöpfung, genießt also keinen selbstständigen urheberrechtlichen Schutz.175 Dieser Irrtum kann entweder zur Strafbarkeit wegen eines untauglichen Versuchs führen, sollte sich W über einen tatsächlichen Umstand geirrt haben, oder aber als bloßes Wahndelikt straffrei bleiben, sofern der Irrtum des W von einer falschen rechtlichen Wertung herrührte. Letzteres ist der Fall: Denn in tatsächlicher Hinsicht ordnet W alles ganz richtig ein – er weiß genau, dass er den Teil eines urheberrechtlich geschützten Werkes verwertet, denkt dabei allerdings, dass der Schutz weiter reicht als dies tatsächlich der Fall ist. Konkret irrt W darüber, dass der betreffende Werkteil die erforderliche Schöpfungshöhe erreicht hat. Sein Handeln bleibt daher straffrei. Mit der herrschenden Irrtumslehre käme man zu demselben Ergebnis, allerdings, was bereits ausführlich dargestellt wurde, unter Bruch mit den systematischen Grundsätzen der Lehre über normative und deskriptive Tatbestandsmerkmale.176
174 Vgl. aber LG Frankfurt a.M. GRUR 1996, 125 (125); kritisch Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 51. 175 LG Frankfurt a.M. GRUR 1996, 125 (125) – „Der Umstand, daß die beiden Textzeilen einen Reim ergeben, reicht nicht aus, um dieses Werk aus der Masse des Alltäglichen und Trivialen herauszuheben […].“ 176 Vgl. dazu insbesondere Kapitel 2 § 3 D. II. 4. sowie ferner Kapitel 2 § 3 A. IV.
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III. Irrtümer über die Schutzfähigkeit von Bearbeitungen und Umgestaltungen Den urheberstrafrechtlichen Schutz des § 106 UrhG genießt neben dem Werk selbst auch „eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes“. Bei der Qualifikation von denkbaren Tatobjekten als Bearbeitungen oder Umgestaltungen stellen sich wiederum höchst komplizierte Rechtsfragen, was sich auch bei der Lösung von Irrtumsfällen bemerkbar macht. Unter einer Bearbeitung wird im Schrifttum und der Rechtsprechung überwiegend – und in Anbetracht des gesetzgeberischen Willens zutreffend – die Umgestaltung eines Werkes verstanden (vgl. § 23 UrhG), durch die den individuellen Zügen des Originals eine neue Identität verliehen wird, wobei die Bearbeitung den Zweck verfolgt, dem Ausgangswerk zu dienen und dessen Verwertungsmöglichkeiten zu verbessern.177 Sie soll das Originalwerk bestimmten Verhältnissen anpassen, es beispielsweise „in eine andere Sprache oder in eine andere Kunstform […] übertragen.“178 Die „anderen Umgestaltungen“ i.S.d. § 23 UrhG erfassen dagegen Fälle, in denen das Erschaffene gerade nicht dem Originalwerk dienen soll, wie dies oftmals insbesondere bei Plagiaten der Fall ist, die (wenn auch vergeblich) selbst als Originale ausgegeben werden.179 Gleichwohl können auch Umgestaltungen selbstständige, mithin schutzfähige Werke sein, sofern diese den Anforderungen des § 2 UrhG genügen (dazu sogleich). An dieser Stelle soll, in Anbetracht des Plagiats als genanntes Beispiel, nicht unerwähnt bleiben, dass der Begriff der Umgestaltung keinesfalls negativ besetzt ist: Eine Einwilligung des Urhebers vorausgesetzt, können Umgestaltungen, die ihrem Original gerade nicht dienen sollen, durchaus schützenswerte Werke sein. Insofern sei nur an musikalische Cover-Versionen oder Remix-Versionen von Liedern erinnert, die Jahre oder Jahrzehnte nach der Veröffentlichung eines Originals die Charts erobern und nicht zwingend eine dienende Funktion im Verhältnis zum Original einnehmen müssen, die aber dennoch mit Einwilligung des Berechtigten hergestellt und vermarktet werden können. Weil die Bearbeitung – als Beispiel nennt § 3 S. 1 UrhG die Übersetzung – gemäß § 3 UrhG dem Werk (§§ 1, 2 UrhG) ausdrücklich gleichgestellt ist, handelt es sich bei deren Erwähnung im Tatbestand des § 106 UrhG um einen rein dekla177 Vgl. BT-Drucks. 4/270, S. 51; OLG Düsseldorf, GRUR 1990, 263 (266); Dreier/Schulze-Schulze, § 23 Rn. 5; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 38, 41; Schricker/ Loewenheim-Loewenheim, § 23 Rn. 4; U. Weber, S. 77; a.A. Fromm/Nordemann-A. Nordemann, §§ 23/24 Rn. 9; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 23 Rn. 5. 178 BT-Drucks. 4/270, S. 51. 179 Vgl. BT-Drucks. 4/270, S. 51; Heinrich, Strafbarkeit, S. 181; Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 23 Rn. 4; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 41 – mit dem Hinweis, dass Plagiate als Eins-zu-Eins-Kopien selbstverständlich auch Vervielfältigungen des Originals darstellen können; zur Abgrenzung der Vervielfältigung zur Bearbeitung und Umgestaltung Loschelder, GRUR 2011, 1078.
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ratorischen Hinweis.180 Anders verhält es sich mit der Umgestaltung, die zumindest nach §§ 1, 2, 3 UrhG keinen selbstständigen Schutz genießt. Zivilrechtlich sind „Bearbeitungen und andere Umgestaltungen“ allerdings umfassend mit einem Einwilligungsvorbehalt zugunsten des Urhebers belegt, § 23 UrhG, weswegen es zutrifft, dass die wissenschaftlich geführten Diskussionen betreffend die Terminologie in der zivilrechtlichen Praxis im Ergebnis kaum von Relevanz sind.181 Weil § 106 UrhG diese gesetzgeberische Linie mit der Aufnahme der Umgestaltung als Tatobjekt fortsetzt, können die hierüber ausgetragenen Streitigkeiten182 auch in der vorliegenden Arbeit dahinstehen, denn: Jedes Tatobjekt des § 106 UrhG muss die Anforderungen an ein schutzfähiges Werk erfüllen, ganz gleich ob es sich dabei im Konkreten um ein originäres Werk, um eine Bearbeitung oder um eine Umgestaltung handelt.183 Andernfalls ginge der strafrechtliche Schutz bei Umgestaltungen weiter als der zivilrechtliche Schutz, was abzulehnen ist.184 Bei der Frage nach der Schutzfähigkeit einer Bearbeitung – dasselbe gilt nach dem Gesagten auch für die Umgestaltung – kommen also die bereits erörterten Anforderungen des § 2 Abs. 2 UrhG umfassend zum Tragen,185 wobei nachstehend auf einige Besonderheiten hingewiesen werden soll: Die „Zutaten“186 einer Bearbeitung bringen ihrem Schöpfer erst dann urheberrechtlichen Schutz ein, wenn es sich bei seinem Tun nicht um rein handwerkliche Veränderungen des bestehenden Werkes handelt und wenn die Veränderung auch tatsächlich einen „geistigen Abstand zum Original“ herstellt.187 Daneben gilt auch für die Bearbeitung, dass diese durch Menschenhand erschaffen sein muss, also kein Produkt eines rein maschinellen Vorgangs sein darf.188 Gewissermaßen als „Paradebeispiel“ hierfür fungiert die Übersetzung von Texten durch ein Computerprogramm, die mangels menschlicher Tätigkeit nicht schutzfähig ist.
180 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 40; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 10; U. Weber, S. 187. 181 Vgl. nur Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 23 Rn. 5. 182 Vgl. nur Fromm/Nordemann-A. Nordemann, §§ 23/24 Rn. 8 ff.; ferner Hildebrandt, S. 53 ff. – mit dem Begriffsvorschlag der „Abänderung“ als Oberbegriff für die Bearbeitung und die Umgestaltung; Loschelder, GRUR 2011, 1078 (1081 ff.). 183 Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 11; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 43; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 10. 184 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 43; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/ Reinbacher, § 106 Rn. 10. 185 Vgl. BGH GRUR 2000, 144 (144 f.); OLG München ZUM 2004, 845 (847); BeckOK-UrhG-Ahlberg, § 3 Rn. 9; Dreier/Schulze-Schulze, § 3 Rn. 11; Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 3 Rn. 15 ff.; Lettl, § 2 Rn. 102. 186 Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 3 Rn. 1. 187 Vgl. Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 3 Rn. 15 ff.; ferner Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 3 Rn. 27. 188 Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 3 Rn. 16.
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Die meisten Diskussionen ergeben sich auch bei der urheberrechtlichen Beurteilung von Bearbeitungen regelmäßig im Kontext der Gestaltungshöhe. Dabei gelten grundsätzlich diejenigen Voraussetzungen, die auch an die zugrundeliegende Werkart gestellt werden.189 Demzufolge wirkt sich insbesondere der jeweils durch die Rechtsprechung gewährte Schutzumfang der „kleinen Münze“ darauf aus, welcher Grad an individuellem Schaffen von einem Bearbeiter zu erwarten ist. Das bedeutet nach vorzugswürdiger Auffassung allerdings nicht, dass sich der konkrete Grad an Individualität des Originalwerks auf die zu fordernde Gestaltungshöhe der Bearbeitung auswirkt:190 Richtigerweise geht es bei der Gestaltungshöhe stets nur um die Bestimmung des Mindeststandards an schöpferischer Tätigkeit. Deswegen kann auch nur das zu fordernde Minimum an das Original auf die Bearbeitung übertragen werden. Andernfalls würde beispielsweise eine Bearbeitung „großer Meister“ kaum möglich sein, denn wenn von einem Bearbeiter verlangt wird, dass dieser ebenso hochkarätig schöpferisch tätig wird wie sein Vorbild, wären derlei Bearbeitungen wohl nur in den seltensten Fällen geschützt. Es ist zutreffend, wenn Bullinger feststellt, dass sich für diese Differenzierung auch keine Stütze im Gesetz findet:191 § 3 S. 1 UrhG zitiert den § 2 Abs. 2 UrhG im Wortlaut, weswegen für die Bearbeitung eines bestimmten Werkes, die derselben Werkkategorie angehört wie ihr Original, auch derselbe Maßstab angelegt werden muss. Besondere Relevanz im Rahmen der Irrtümer gewinnt die Feststellung, dass das Vorliegen aller Voraussetzungen der Schutzfähigkeit objektiv festzustellen ist, sich mithin nicht danach richtet, ob insbesondere der Bearbeiter – oder der Urheber des Originals – eine persönliche geistige Schöpfung in der Bearbeitung oder Umgestaltung erblickt oder nicht.192 Irrtumskonstellationen sind in diesem Bereich vielfältig vorstellbar. Der eigentliche Irrtum über die Schutzfähigkeit einer Bearbeitung oder einer Umgestaltung ist nach vorzugswürdiger Auffassung als Verbotsirrtum zu qualifizieren, denn ob ein mögliches Tatobjekt als Werk, Bearbeitung oder Umgestaltung durch § 106 UrhG geschützt ist, wird unter Anwendung der §§ 2, 3 UrhG beurteilt, wobei regelmäßig komplizierte rechtliche Wertungen nachvollzogen werden müssen.193 Allerdings kommen auch Tatumstandsirrtümer in Betracht. Wiederum lassen sich mit189 BGH GRUR 1968, 321 (324); BGH GRUR 1972, 143 (144); BGH GRUR 1991, 533 (533); BGH GRUR 2000, 144 (144 f.). 190 Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 3 Rn. 19; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 3 Rn. 17 f.; ähnlich BeckOK-UrhG-Ahlberg, § 3 Rn. 10 – „problematisch“; a.A. BGH GRUR 1972, 143 (144); BGH GRUR 1991, 533 (534); Dreier/Schulze-Schulze, § 3 Rn. 11; Dreyer/ Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 3 Rn. 25; Lettl, § 2 Rn. 102. 191 Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 3 Rn. 18. 192 BGH GRUR 1968, 321 (324 f.); BGH GRUR 1972, 143 (144); Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 3 Rn. 26 – mit der Werkgattung „einigermaßen vertraute Verkehrskreise“; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 3 Rn. 10. 193 Vgl. Heinrich, in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (73) – schwierige juristische Subsumtion erforderlich.
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hilfe der hier vertretenen Lehre gerechte Lösungen finden, die zudem gegenüber allen Abgrenzungsproblemen resistent sind. Beispielsfall a (Gemälde im Rahmen als Bearbeitung): Bildhauer B fertigt Kunstdrucke berühmter, aber inzwischen gemeinfreier Werke, und fasst diese dergestalt in künstlerisch gestaltete Rahmen ein, dass der Eindruck entsteht, das Gemälde setze sich im Rahmen fort.194 Kunstkenner K weiß um die Gemeinfreiheit der Gemälde und fertigt seinerseits Fotografien der Bilder mitsamt Rahmen an, die er sodann auf seinem Kunst-Blog öffentlich zugänglich macht. Über den Rahmen macht er sich keine Gedanken. In diesem Fall weiß K, dass die Gemälde als solche frei verwertbar sind. Allerdings irrt er sich über einen tatsächlichen Umstand, wenn er nicht erkennt, dass es sich bei der Verbindung des Rahmens mit dem Bild um eine Bearbeitung handelt, die ihrerseits nach § 3 UrhG geschützt ist – was zumindest nach Ansicht des Bundesgerichtshofs der Fall ist.195 Er befindet sich dementsprechend in einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum, § 16 StGB. Ebenso wäre der Fall zu bewerten, wenn K auch den Rahmen in seine Überlegungen mit einbezieht, allerdings fälschlicherweise annimmt, dieser stelle seit jeher eine Einheit mit dem Gemälde dar. Auch dann hätte er eine Tatsache verkannt. Ein anderes Ergebnis ergäbe sich indes dann, wenn K den künstlerischen Wert des Rahmens als selbstständige Leistung erkennt, aber davon ausgeht, dass die Kombination aus Rahmen und Gemälde trotz der evidenten künstlerischen Verbindung keine Schutzfähigkeit genießen könne. Dann irrt sich K über eine Rechtsfrage, was dem Unrechtsbewusstsein unterfiele – also würde K im Verbotsirrtum handeln. Beispielsfall b (Fotos von Werken als Umgestaltungen): Fotograf F begleitet Künstler K bei einer künstlerischen Live-Performance, wobei die Fotoaufnahmen die einzige Dokumentation des Aktionskunstwerks darstellen. Über die Verwendung der Fotografien wurde nichts vereinbart. F veranstaltet einige Jahre nach dem Tod des Künstlers eine vielbeachtete Fotografie-Ausstellung, die dem Willen der Klage einreichenden Erbin von K widerspricht.196 F sieht sich dabei als Urheber der Lichtbildwerke zur Ausstellung legitimiert. In diesem Fall verkennt F, dass er durch die Ausstellung seiner (!) eigenen Lichtbildwerke zugleich Umgestaltungen der Aktionskunstwerke des K ausstellt, sie mithin körperlich verwertet (§§ 15 Abs. 1 Nr. 3, 18 UrhG). Er identifiziert die Fotografien also nicht als geschützte Umgestaltungen, wobei er in tatsächlicher Hinsicht gleichwohl alles ganz korrekt erfasst – schließlich geht es ihm gerade darum, die Aktionskunst des K in Ausschnitten mithilfe seiner Fotografien darzustellen. Zwar 194
Vgl. BGH GRUR 2002, 532. GRUR 2002, 532 (534); a.A. Fromm/Nordemann-A. Nordemann, §§ 23/24
195 BGH
Rn. 8. 196 Im zugrundeliegenden Originalfall handelte es sich um ein Aktionskunstwerk von Joseph Beuys, das filmisch und fotografisch begleitet wurde. Dessen Erbin wandte sich schließlich gegen eine Verwertung der Aufnahmen, vgl. OLG Düsseldorf GRUR 2012, 173.
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ist die Anfertigung einer Umgestaltung urheberrechtlich frei, sofern kein Fall des § 23 S. 2 UrhG vorliegt.197 Weil bei der weitergehenden Verwertung einer Bearbeitung oder Umgestaltung aber immer auch das Urheberrecht am Original betroffen ist, ist dessen Urheber ebenfalls „Berechtigter“ i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG, sodass insoweit auch der strafrechtliche Schutz zu seinen Gunsten eingreift.198 Dass sich F selbst im Recht wähnt, zeugt nicht von fehlendem Vorsatz, sondern von fehlendem Unrechtsbewusstsein. F irrt sich hier lediglich über die Rechtslage, unterliegt also einem Verbotsirrtum, § 17 StGB, der angesichts des gewerblichen Tätigwerdens des F und der damit verbundenen besonderen Sorgfaltspflichten auch vermeidbar gewesen sein dürfte. Mit der herrschenden Irrtumslehre würde im zuletzt dargestellten Fall freilich bereits der Vorsatz ausgeschlossen – schließlich hat F den Bedeutungsgehalt seiner Handlung nicht im Geringsten erfasst. In seiner „Laiensphäre“ stellen seine Fotografien keine Umgestaltungen, sondern bloß seine eigenen Werke dar. Dieses Ergebnis ist allerdings unter dem Gesichtspunkt nicht gerecht, dass F mit der Aktionskunst des K posthum gegen den Willen der Rechtsnachfolgerin gewerblich tätig wird – und damit die Lorbeeren eines anderen Urhebers erntet. Denn andere Fotografien von F hätten im Zweifel weniger kommerziellen Erfolg gehabt. Im Rahmen der Prüfung der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums nach § 17 StGB lässt sich dieser Konstellation einzelfallgerecht begegnen: Denn wenn F tatsächlich nicht damit rechnen musste, dass er gegen fremde Rechte verstößt, bleibt er straflos, § 17 S. 1 StGB. Selbst wenn dem nicht so ist, so kann seine Strafe immer noch gemildert werden, § 17 S. 2 StGB. Die Konstellation ist überdies durchaus vergleichbar mit dem Fall, dass ein Fotograf unmittelbar Werke eines Künstlers unbefugt verwertet und sich etwa allein deshalb im Recht wähnt, weil die Werke mithilfe seiner Kamera beispielsweise in seinem Studio angefertigt wurden. In diesem Fall würde die herrschende Lehre indes nicht am Vorsatz des Fotografen zweifeln. Beispielsfall c (Schwäbischer Text als Bearbeitung):199 Hobbymusiker H schreibt ein gemeinfreies, schnulziges Liebeslied in schwäbischen Dialekt um, singt den neuen Text im Studio ein, legt diesen digital über die Originalmusik und präsentiert sein Werk seiner Angebeteten A. Diese macht das Werk nach der Trennung von H öffentlich zugänglich, wobei sie davon ausgeht, dass generell nur Originale schutzfähig sein könnten – eine so geschmacklose Fassung des Songs sei niemals geschützt. In diesem Fall irrt sich A über die Schutzfähigkeit der schwäbischen Version eines Liedes, das im Original gemeinfrei ist. Analog zur Übersetzung dürfte in dieser Konstellation – abhängig vom Einzelfall – urheberrechtlicher Schutz über § 3 197
Vgl. dazu Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 23 Rn. 1 – Herstellungsfreiheit. Achenbach/Ransiek/Rönnau-A. Nordemann, Teil 11 Kapitel 1 Rn. 57; Heinrich, Strafbarkeit, S. 187; Hildebrandt, S. 161; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 116; zum Merkmal „ohne Einwilligung des Berechtigten“ noch ausführlich Kapitel 3 § 3 D. 199 Vgl. bereits Kapitel 3 § 3 A. I. 1. a) aa). 198 Vgl.
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UrhG zu bejahen sein, denn die Transformation eines Liedtextes in einen Dialekt ist eine Schöpfung, die sowohl Gedanken- und Gefühlsinhalte des Schöpfers in sich trägt als auch von Individualität geprägt ist und über das bloße Handwerkliche hinausgeht, womit die Anforderungen des § 2 Abs. 2 UrhG erfüllt sein dürften. In tatsächlicher Hinsicht erfasst A auch alles ganz richtig. Jedoch irrt sie sich darüber, dass die bearbeitete Fassung des bekannten Songs vom Anwendungsbereich des UrhG erfasst ist (wobei insoweit, wie festgestellt wurde, auch ein Irrtum darüber, dass überhaupt eine Schöpfung vorliegt oder ein Irrtum über die Schöpfungshöhe in Betracht kommt).200 Es fehlt A somit an Unrechtsbewusstsein, sie unterliegt einem Verbotsirrtum, § 17 StGB. Selbstverständlich ließen sich an dieser Stelle noch zahlreiche weitere Beispiele finden. Indes: Die vorstehenden Ausführungen machen hinreichend deutlich, dass eine klare Trennung von Tatsachenirrtümern und Irrtümern über die rechtliche Bewertung des Sachverhalts insbesondere dann zu nachvollziehbaren und gerechten Ergebnissen führt, wenn den Tatbestandsmerkmalen komplizierte Rechtsfragen innewohnen. Die Bearbeitung und die Umgestaltung als Tatobjekte folgen prinzipiell den Koordinaten des § 2 Abs. 2 UrhG, sind allerdings verknüpft mit zusätzlichen, komplizierten Abgrenzungsfragen, die durch die Rechtswissenschaft bislang nicht gelöst wurden – und in der Praxis zumeist unter Hinweis auf deren Irrelevanz beiseitegeschoben werden. Insofern ist Hildebrandt mit seiner Aussage von einem „Durcheinander“ beizupflichten.201 Die Behandlung dieser Abgrenzungsfragen im Rahmen des Vorsatzes würde die ohnehin verwässerte, herrschende Irrtumslehre nur vor zusätzliche Unklarheiten stellen, zumal dann „versubjektiviert“ im Rahmen einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ aus Sicht des Handelnden gefragt werden müsste, ob dieser laienhaft begriffen hat, dass es sich bei einem Tatobjekt etwa um eine geschützte Umgestaltung handelte. Im Rahmen des § 17 StGB hingegen lässt sich den Irrtümern über rechtliche Bewertungen ganz unproblematisch begegnen: Es wird nur danach gefragt, ob der Handelnde über Unrechtsbewusstsein verfügte, ob er also die Rechtswidrigkeit seines Handelns erkannt hat (aktuelles Unrechtsbewusstsein) oder aber hätte erkennen können beziehungsweise müssen, dass er Unrecht tut (potentielles Unrechtsbewusstsein). Hierdurch werden stark fehleranfällige Subsumtionen vermieden, was einen Vorteil für den Rechtsanwender bedeutet und zugleich Rechtssicherheit fördert. IV. Irrtümer bei besonders geregelten Werkarten Grundsätzlich bietet das UrhG ein einheitliches Schutzniveau für alle Schöpfungen, die sich unter den Begriff der persönlichen geistigen Schöpfung subsumieren lassen. Allerdings bringen manche Arten von Werken Besonderheiten mit sich, die der Gesetzgeber berücksichtigt hat. Dies betrifft vor allem Computerpro200 201
Vgl. dazu bereits Kapitel 3 § 3 A. I. 1. a). Hildebrandt, S. 53.
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gramme (1.) sowie Sammel- und Datenbankwerke (2.). Daneben sollen Irrtümer im Anwendungsbereich der amtlichen Werke (3.) dargestellt werden. 1. Computerprogramme, § 69a UrhG Eine Sonderstellung im Urheberrecht nehmen in vielerlei Hinsicht Computerprogramme ein, die dementsprechend in den §§ 69a ff. UrhG umfassende Spezialregelungen erfahren.202 Auf Einzelheiten kann in der vorliegenden Arbeit in Anbetracht des hohen Grades an technischer Komplexität zwar nicht eingegangen werden. Dennoch sollen die Grundzüge der Materie im Folgenden kurz dargestellt werden. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG unterfallen Computerprogramme der Werkkategorie der Sprachwerke. Es handelt sich also um Schöpfungen, deren Ausdrucksmittel beziehungsweise Wiedergabemittel die Sprache ist, die also eine sprachliche Darstellung aufweisen.203 Weil Programme in jeder Gestalt geschützt werden, einschließlich deren Entwurfsmaterial, § 69a Abs. 1 UrhG, erfasst der Schutzbereich insofern nicht bloß „blanke“ Software, sondern auch solche Computerprogramme, die integraler Bestandteil von Hardware sind.204 Dabei sind ausweislich des § 69a Abs. 2 UrhG „alle Ausdrucksformen“ des Computerprogramms geschützt, also sowohl die Programmdaten (Maschinencodes, Objektcodes, Quellcodes – und zwar egal in welcher Form, also etwa digital oder ausgedruckt auf Papier205) als auch die „innere Struktur und Organisation des Computerprogrammes“.206 Auf eine Definition des Computerprogramms wurde von gesetzgeberischer Seite bewusst verzichtet, um nicht irgendwann vom technischen Fortschritt eingeholt zu werden.207 Insofern besteht Einigkeit, dass ein hohes Schutzniveau gewährt wird, das alle Arten von Computerprogrammen umfasst.208 Ausgelöst durch europäische Vorgaben 209 enthält § 69 Abs. 3 UrhG in Bezug auf die besonderen Schutzanforderungen an ein Computerprogramm eine Spezialregelung gegenüber § 2 Abs. 2 UrhG, die im Verhältnis deutlich geringere Mindestan202 Zur Geschichte des urheberrechtlichen Schutzes von Computerprogrammen vgl. Fromm/Nordemann-Czychowski, Vor § 69a Rn. 1; Loewenheim-Lehmann, § 9 Rn. 45 f.; Wandtke/Bullinger-Grützmacher, Vor § 69a Rn. 1 ff.; zum technischen Hintergrund Heinrich, Strafbarkeit, S. 44 ff.; kritisch zum Ganzen Hildebrandt, S. 44 f. 203 Vgl. Fromm/Nordemann-A. Nordemann, § 2 Rn. 54; Ulmer, § 22 I; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 45. 204 BT-Drucks. 12/4022, S. 9. 205 Vgl. dazu Lehmann/v. Tuchler, CR 1999, 700 (703). 206 Wandtke/Bullinger-Grützmacher, § 69a Rn. 23; vgl. ferner Dreier/Schulze-Dreier, § 69a Rn. 13. 207 Vgl. BT-Drucks. 12/4022, S. 9. 208 Vgl. nur mit zahlreichen Beispielen Dreier/Schulze-Dreier, § 69a Rn. 12. 209 Abl. EG Nr. L 122/42 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen, abgedruckt bei Lehmann, GRUR Int. 1991, 327 (336).
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forderungen für den urheberrechtlichen Schutz aufstellt. Statt einer persönlichen geistigen Schöpfung kommt es beim Computerprogramm darauf an, dass dieses ein „individuelles Werk in dem Sinne“ darstellt, dass es „das Ergebnis der eigenen geistigen Schöpfung“ seines Urhebers ist, § 69a Abs. 3 S. 1 UrhG. Hieraus schließt die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur, dass die „kleine Münze“ nunmehr auch bei Computerprogrammen umfassenden Schutz genießen soll,210 was vor Einführung dieser Spezialregelung noch anders beurteilt wurde – und erhebliche Schutzlücken im Bereich des Schaffens von Computerprogrammen zur Konsequenz hatte.211 Daneben enthalten die §§ 69a ff. UrhG Spezialregelungen, die sich nicht auf die Eigenschaft von Computerprogrammen als Tatobjekte auswirken, sondern – gewissermaßen als „Schranken-Schranken“ der §§ 53 ff. UrhG – im Rahmen des negativen Tatbestandsmerkmals „in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen“ Berücksichtigung finden müssen.212 Computerprogramme genießen als Tatobjekte – infolge der geschilderten Zivilrechtsakzessorietät – auch den umfassenden Schutz des Urheberstrafrechts. Obwohl sie in § 69a UrhG eine Modifikation erfahren, bleiben sie strafrechtlich gesehen Werke – und müssen auch als solche betrachtet werden. Hildebrandt bringt in diesem Zusammenhang ins Spiel, dass die Erweiterung des strafrechtlichen Schutzgegenstandes durch § 69a UrhG die Vorschrift des § 106 UrhG hinsichtlich des Werks zum Blankettgesetz mache, was sich sodann auch auf die Behandlung von Irrtümern auswirken müsse.213 Später indes stellt sich Hildebrandt, wie bereits andernorts ausgeführt, auf den Standpunkt, dass es im Hinblick auf Irrtümer doch keine Bedeutung habe, dass ein Tatbestandsmerkmal eine Blankettverweisung beinhalte, sofern diese ihrerseits ein normatives Tatbestandsmerkmal in Bezug nehme.214 Vor dem Hintergrund der herrschenden Irrtumslehre, welche auch Hildebrandt im Übrigen befürwortet, ist diese Aussage freilich problematisch, da gerade die Unterscheidung von Blankettverweisungen und normativen Tatbestandsmerkmalen höchst umstritten ist und die schwierigsten denkbaren Abgrenzungsfragen eröffnet, die die Irrtumslehre zu bieten hat.215 Gleichwohl erscheint die Einordnung des Merkmals „Werk“ als Blankettverweisung nicht von vornherein als verfehlt – allerdings leuchtet nicht ein, warum sich diese Eigenschaft erst aus § 69a UrhG ergeben soll, denn dieser schafft doch für Computerprogramme lediglich einen Gleichlauf mit den Anforderungen des 210 Vgl. BGH GRUR 1994, 39 (39 f.); BGH GRUR 2005, 860 (861); BGH GRUR 2013, 509 (510); Dreier/Schulze-Dreier, § 69a Rn. 25 f.; Lehmann, GRUR Int. 1991, 327 (329); Wandtke/Bullinger-Grützmacher, § 69a Rn. 33; zur vorher vertretenen restriktiven Auslegung von § 2 Abs. 2 UrhG bei Computerprogrammen BGH GRUR 1985, 1041 (1047 f.); zur Entwicklung in Europa Erdmann/Bornkamm, GRUR 1991, 877. 211 Vgl. Dreier/Schulze-Dreier, § 69a Rn. 25. 212 Vgl. dazu noch ausführlich Kapitel 3 § 3 C. 213 Hildebrandt, S. 44. 214 Hildebrandt, S. 258. 215 Vgl. bereits ausführlich Kapitel 2 § 3 B. I. 4. sowie Kapitel 2 § 3 D. II. 1. b).
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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§ 2 Abs. 2 UrhG und modifiziert nicht die Art und Weise, wie die Voraussetzungen des Werkbegriffs in Bezug genommen werden (was aber, wie erörtert, das maßgebliche Kriterium für die Einordnung einer Vorschrift als Blankett ist216). Ob das Tatbestandsmerkmal „Werk“ nun Blankett ist oder nicht, ist indes, wie bereits festgestellt wurde, ohne Bedeutung, wenn man bei der Beurteilung von Irrtümern zwischen solchen über Tatsachen (dann § 16 StGB) und solchen über die rechtliche Bewertung (dann § 17 StGB) trennt. Dass diese Lehre auch in diesem Zusammenhang einzig sachgemäß ist, wird im vorliegenden Zusammenhang besonders deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die Einordnung als Blankett beziehungsweise als normatives oder deskriptives Merkmal in der Regel von gesetzgeberischen Zufälligkeiten – und Gründen der Übersichtlichkeit – abhängt: Hätte der Gesetzgeber sämtliche Anforderungen an das Werk als Tatobjekt in den Normtext des § 106 UrhG aufgenommen, würden derlei Abgrenzungsfragen überhaupt nicht mehr gestellt. Dann aber wären mit der herrschenden Irrtumslehre über den Aspekt der Deskriptivität gänzlich andere Bewertungen denkbar als nach geltender Gesetzesfassung – obwohl der Strafvorschrift strenggenommen auch dann noch exakt dieselben gesetzgeberischen Wertungen und Intentionen zugrunde liegen würden. Im Folgenden sollen nun einige Irrtumskonstellationen aufgezeigt werden, die einen Zusammenhang mit Computerprogrammen i.S.d. § 69a UrhG als Tatobjekten aufweisen. Beispielsfall a (Falsche rechtliche Recherchen): Computerfreak C liest im UrhG nach und sieht, dass Computerprogramme als Schriftwerke geschützt sind. Er denkt sich daher, dass der Schutz nur Textprogramme erfassen könne, nicht dagegen Computerspiele. Deshalb kopiert er diese munter. In dieser Konstellation verfügt C sogar über eine Rechtskenntnis, wobei es sich bei dieser um eine falsche handelt. In tatsächlicher Hinsicht weiß er dabei ganz genau, was er tut. Ihm fehlt es ganz offensichtlich an Unrechtsbewusstsein, weswegen sein Irrtum als Verbotsirrtum einzustufen ist, der darüber hinaus auch vermeidbar gewesen sein dürfte, denn wer sich dazu genötigt sieht, rechtliche Nachforschungen über sein Tun anzustellen, hat bereits im Kern erkannt, dass sein Handeln rechtliche Relevanz hat – und muss dementsprechend im Rahmen seiner Möglichkeiten sicherstellen, dass er die Rechtslage auch korrekt erforscht. Unter Anwendung der herrschenden Irrtumslehre wäre dagegen wohl bereits beim Vorsatz höchst fraglich, ob C in seiner „Laiensphäre“ korrekt erfasst hat, welche (soziale) Bedeutung von seinem Handeln ausgeht. Dabei eröffnen sich die bekannten Abgrenzungsprobleme, vor allem wenn – mit Hildebrandt – sogar von einer Blanketteigenschaft der Norm ausgegangen wird. Denn dann wäre es – etwa mit der Ansicht von Tiedemann217 über Irrtümer im Nebenstrafrecht – sogar vertretbar, 216 Vgl. zur Definition des Blanketts ausführlich Kapitel 2 § 3 B. I. 3. sowie zur Abgrenzung vom normativen Tatbestandsmerkmal Kapitel 2 § 3 B. I. 4. 217 Vgl. Kapitel 2 § 3 C. III. 2. c) bb) (2).
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
den Vorsatz nur bei Verbots- beziehungsweise Normkenntnis zu bejahen, was allerdings, wie festgestellt, in Anbetracht des bewussten Verstoßes gegen die schuldtheoretische Konzeption des StGB unter keinen Umständen begrüßt werden kann. Beispielsfall b (Dokumente als Software): Sekretärin S arbeitet in einer Anwaltskanzlei. Weil ihr Bruder ebenfalls frisch gebackener Anwalt ist und sie diesem einen Gefallen tun möchte, „borgt“ sie sich einige CD-ROMs ihres Arbeitgebers mit zahlreichen privat abgespeicherten – aber gemeinfreien (vgl. § 5 Abs. 1 UrhG) – Gesetzen, Gerichtsurteilen und dergleichen, und vervielfältigt diese für ihren Bruder. Sie ordnet die Dateien auf den CD-ROMs nicht als für sich genommen gemeinfreie Dokumente ein, sondern geht fest davon aus, mit den CD-ROMs Computerprogramme zu vervielfältigen. In dieser Konstellation unterliegt S einem für sie negativen, umgekehrten Irrtum, wenn sie fälschlicherweise davon ausgeht, ein taugliches Tatobjekt zu vervielfältigen.218 Unbeschadet aller denkbaren Verletzungen von Tatbeständen des Kernstrafrechts sowie aller Verstöße gegen arbeitsvertragliche Pflichten, die vorliegend nicht erörtert werden sollen, ist die Handlung von S jedenfalls urheberstrafrechtlich nicht von Relevanz, denn es mangelt insofern an einem tauglichen Tatobjekt. Weil sie nun aber davon ausgeht, ein geschütztes Werk vor sich liegen zu haben (CD-ROM = Computerprogramm), stellt sich die Frage, ob es sich dabei um ein strafloses Wahndelikt oder um einen strafbaren untauglichen Versuch handelt. Weil sie in tatsächlicher Hinsicht alles ganz korrekt erfasst hat und sich nur über eine Rechtsfrage irrt – nämlich die pauschale Einstufung irgendeiner CD-ROM als Computerprogramm, was freilich nicht der Fall ist –, bleibt ihr Handeln vorliegend als Wahndelikt straffrei. Dieser „Umkehrschluss“ geht allerdings nur unter Anwendung der vorliegend vertretenen Irrtumslehre auf. Andernfalls müsste strenggenommen hinterfragt werden, ob die falsche rechtliche Beurteilung der S nicht ausnahmsweise einen umgekehrten Tatumstandsirrtum darstellt, mithin einen untauglichen Versuch begründen müsste, was indes auch nach herrschender Auffassung – dann aber, wie erörtert, unter Bruch mit dem eigenen Verständnis – nirgends befürwortet wird.219 Insofern wird deutlich, dass nur die vorliegende befürwortete Irrtumslehre zu trennscharfen und unproblematischen Lösungen führen kann. Beispielsfall c (Falsche Vorstellung über das Schutzniveau): Täter T denkt in Kenntnis der alten BGH-Rechtsprechung, dass Computerprogramme nur dann geschützt seien, wenn diese das „Programmschaffen eines Durchschnittsprogrammierers erheblich übersteigen.“220 Weil T selbst ein anerkanntermaßen herausragender Programmierer ist und seine Vorstellung vom Durchschnittskönnen zudem völlig übersteigert ist, befindet er die Software eines Kollegen für unterdurchschnittlich und deshalb nicht für schutzfähig. Weil er das Programm gleichwohl 218 Vgl. aber zur generell denkbaren Schutzfähigkeit digitaler Gesetzessammlungen als Datenbankwerke Nordemann/Czychowski, NJW 1998, 1603. 219 Vgl. dazu nur Heinrich, Roxin-Festschrift 2011, Band I, S. 449 (462 f.). 220 Vgl. nur BGH GRUR 1985, 1041 (1047 f.).
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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gut gebrauchen kann, spielt er es auf sämtliche seiner Rechner, vervielfältigt es mithin mehrfach (wobei hier anzunehmen sei, dass kein privilegierter Eigengebrauch nach § 53 UrhG vorliegt). In diesem Fall erliegt T unproblematisch einem Verbotsirrtum, § 17 StGB, denn die Kenntnis der Rechtslage unterfällt dem Unrechtsbewusstsein. Ob die Fehlvorstellung in Anbetracht der Kenntnis einer veralteten Rechtsprechung eventuell unvermeidbar war und dementsprechend zur Straflosigkeit führt, richtet sich grundsätzlich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles, wobei im vorliegenden Fall eine Vermeidbarkeit naheliegend ist, denn T obliegen als versiertem Computerspezialisten besondere Informationspflichten. 2. Sammel- und Datenbankwerke, § 4 UrhG Gemäß § 4 Abs. 1 UrhG werden „Sammlungen von Werken, Daten oder anderen unabhängigen Elementen, die aufgrund der Auswahl oder Anordnung der Elemente eine persönliche geistige Schöpfung sind (Sammelwerke)“ selbstständig durch das Urheberrecht geschützt, das heißt – unabhängig von einem unter Umständen daneben bestehenden Schutz der zugrundeliegenden Einzelelemente. Dieser Schutz wird, dem gesetzgeberischen Willen entsprechend,221 nicht nur durch das Urheberzivilrecht, sondern auch umfassend durch die Strafvorschrift des § 106 UrhG gewährt.222 Dabei sind die Datenbankwerke gemäß § 4 Abs. 2 S. 1 UrhG eine Unterkategorie der Sammelwerke, wobei Datenbankwerke solche sind, deren Elemente systematisch oder methodisch angeordnet und einzeln mit Hilfe elektronischer Mittel oder auf andere Weise zugänglich sind, § 2 Abs. 2 S. 1 UrhG. Als klassische Beispiele für Sammelwerke werden unter anderem genannt: Enzyklopädien, Anthologien, Festschriften, Lexika, Kochbücher oder elektronische Datenbanken.223 „Spezielle“ Irrtümer betreffend Datenbank- oder Sammelwerke dürften in der Praxis kaum auftreten. Gleichwohl sind Irrtumskonstellationen auch in Bezug auf diese besonderen Werkarten denkbar. Weil insofern allerdings keine Besonderheiten im Vergleich zu den „regulären“ Werken nach § 2 UrhG auszumachen sind, kann eine vertiefte Erörterung hier unterbleiben. Insbesondere gilt gemäß § 4 Abs. 1 UrhG, dass auch Sammel- und Datenbankwerke ihrerseits den Anforderungen an eine persönliche geistige Schöpfung entsprechen müssen, sodass sich sämtliche Irrtümer nach den bereits aufgezeigten Grundsätzen auflösen lassen. 221
Vgl. BT-Drucks. 4/270, S. 107. dazu Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 4; Heinrich, Strafbarkeit, S. 180 Fn. 30; Hildebrandt, S. 40 f., 46 ff.; Kircher, S. 15; Lampe, UFITA 83 (1978), 15 (28); Reinbacher, S. 65 f.; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 7 f.; U. Weber, S. 186 f. 223 Vgl. BeckOK-UrhG-Ahlberg, § 4 Rn. 11; Dreier/Schulze-Dreier, § 4 Rn. 1; Fromm/ Nordemann-Czychowski, § 4 Rn. 1; Wandtke/Bullinger-Marquardt, § 4 Rn. 7; ferner mit negativen Beispielen Wandtke/Bullinger-Marquardt, § 4 Rn. 6. 222 Vgl.
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Beispielsfall (Gemeinfreie Werke im Sammelband): Sammler S vervielfältigt einen Gedichtband in Gänze, der ausschließlich aus gemeinfreien Einzelwerken besteht, aber für sich als Sammelwerk urheberrechtlichen Schutz genießt. Er weiß, dass die Werke von Dichtern, die schon seit über 70 Jahren verstorben sind, Gemeinfreiheit genießen, und geht von der Rechtmäßigkeit seiner Verwertung aus, weil er den Sammelband nicht als solchen erkennt. In dieser Konstellation verkennt S die Schutzfähigkeit des Sammelwerks als Werk, das aufgrund der Auswahl und der Anordnung seiner Elemente eine persönliche geistige Schöpfung darstellt, § 4 Abs. 1 UrhG, wobei er ansonsten alle tatsächlichen Umstände des Tatbestands des § 106 Abs. 1 UrhG kennt. Hier käme, je nach getroffener Tatsachenfeststellung, sowohl ein Tatumstandsirrtum als auch ein Verbotsirrtum infrage: Verkennt S den tatsächlichen Umstand, dass es sich bei dem Gedichtband überhaupt um eine Zusammenstellung handelt, etwa weil er denkt, es handle sich um „ein einheitliches Werk“, das der Dichter schon in dieser Form ursprünglich veröffentlicht habe, so kommt § 16 StGB zur Anwendung. Ein Verbotsirrtum wäre dagegen anzunehmen, wenn S die Zusammenstellung als solche erkannt hätte und nicht glaubhaft machen kann, er sei von einer ursprünglichen Sammelveröffentlichung ausgegangen. Dann hätte er die zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände (Auswahl und Anordnung von mehreren Werken in einer Sammlung) korrekt erfasst und lediglich eine rechtliche Wertung nicht nachvollzogen. Ein Verbotsirrtum läge ferner vor, wenn S etwa der Auffassung wäre, dass das Sammelwerk nur dann Schutz genieße, wenn alle Gedichte durch den Herausgeber abgetippt würden, und nicht etwa Fotokopien von Originalen in alter Schrift darin enthalten wären. Dann würde S die Rechtsfrage verkennen, dass auch die Auswahl als solche eine Schutzfähigkeit begründet, und nicht etwa das einheitliche Layout. 3. Amtliche Werke, § 5 UrhG In § 5 UrhG werden besondere Regelungen hinsichtlich der Urheberrechte bei „Äußerungen des Staates“224 getroffen. Dabei handelt es sich durchweg um Einschränkungen zugunsten der Allgemeinheit mit dem Ziel, eine größtmögliche „Publizität für alle Äußerungen der Staatsgewalt zu schaffen.“225 In diesem Kontext soll nur am Rande erwähnt werden, dass dieses Bestreben, also der Normzweck des § 5 UrhG, nicht zuletzt im Sinne der vorliegenden Arbeit von Bedeutung ist, denn der freie Zugang zu Regelwerken, Urteilen und verbindlichen Vorgaben durch den Staat ist eine nicht hinwegzudenkende Voraussetzung für die Bildung 224 Fromm/Nordemann-J. B. Nordemann, § 5 Rn. 1; vgl. zur Tragweite der Regelung ferner Katzenberger, GRUR 1972, 686; zur Verfassungsmäßigkeit des § 5 UrhG Arnold, ZUM 1999, 283; zur Schutzfähigkeit von gerichtlichen Leitsätzen im Besonderen D. Fischer, NJW 1993, 1228. 225 BVerfG GRUR 1999, 226 (230); vgl. zum Normzweck auch Dreier/Schulze-Dreier, § 5 Rn. 3; Fromm/Nordemann-J. B. Nordemann, § 5 Rn. 1 ff.; Wandtke/Bullinger-Marquardt, § 5 Rn. 2.
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des Unrechtsbewusstseins der Bürger – und dadurch eng verknüpft mit der strafrechtlichen Irrtumslehre. § 5 Abs. 1 UrhG nimmt Gesetze, Verordnungen, amtliche Erlasse und Bekanntmachungen sowie Entscheidungen und amtlich verfasste Leitsätze solcher Entscheidungen vom urheberrechtlichen Schutz aus, sodass diese Gemeinfreiheit genießen. Dieselbe Ausnahme gilt gemäß § 5 Abs. 2 UrhG für andere amtliche Werke, unter den Auflagen des Änderungsverbots (§ 62 UrhG) sowie der Quellenangabe (§ 63 UrhG). Nicht berührt werden hierdurch die Urheberrechte an „privaten Normwerken“ i.S.d. § 5 Abs. 3 UrhG. Dies betrifft in erster Linie die Werke privater Normierungsinstitutionen wie etwa des Deutschen Instituts für Normung (DIN). Während der BGH im Jahr 1990 entschied, dass jede Inbezugnahme von DIN-Normen durch amtliche Normwerke, also auch die bloße Verweisung, zum Verlust des urheberrechtlichen Schutzes an dem jeweiligen Regelwerk führen sollte,226 regelt das Gesetz nunmehr, dass der urheberrechtliche Schutz nur insofern entfällt, als amtliche Werke derlei Normen „inkorporieren“,227 sie also im Wortlaut übernehmen, § 5 Abs. 3 S. 1 UrhG. Dadurch wird die Finanzierungsgrundlage der privaten Normungsorganisationen gewahrt,228 denn § 5 Abs. 3 S. 2 UrhG hält für diese Fälle eine Vergütungsregelung parat. Nicht von vornherein von der Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 1 UrhG erfasst sind Bearbeitungen und Sammelwerke von amtlichen Werken.229 Dies betrifft in der Praxis insbesondere Gesetzessammlungen, egal ob als Printversion oder als digitale Fassung, sowie Urteilssammlungen oder vergleichbare Zusammenstellungen von amtlichen Werken. Ebenfalls hiervon betroffen sind Bearbeitungen von deutschen amtlichen Werken, insbesondere deren Übersetzungen. Soweit diese Sammlungen oder Bearbeitungen ihrerseits persönliche geistige Schöpfungen i.S.d. § 2 Abs. 2 UrhG sind, bleibt deren urheberrechtliche Schutzfähigkeit unabhängig von der urheberrechtlichen Freiheit der Inhalte gewahrt. Überdies bleiben eigenständige, geschützte Inhalte von Sammlungen amtlicher Werke ebenfalls weiterhin selbstständig geschützt, wie dies regelmäßig bei Vorwörtern oder Geleitworten der Fall ist. Ebenfalls keine amtlichen Werke sind die nichtamtlichen Überschriften von Gesetzestexten, die indes in Anbetracht ihrer Kürze kaum einmal den Anforderungen an die Schöpfungsqualität genügen dürften. Auch bei amtlichen Werken als Tatobjekten (beziehungsweise als gedachten Tatobjekten oder Verwechslungsobjekten) sind Irrtümer vielfältig denkbar. In Bezug auf die Ausnahmeregelungen des § 5 Abs. 1, 2 UrhG scheinen dabei in erster Linie umgekehrte Irrtümer möglich zu sein. Wenn ein Handelnder beim „Teilen“ 226
BGH GRUR 1990, 1003; bestätigt durch BVerfG GRUR 1999, 226. § 5 Rn. 15; Fromm/Nordemann-J. B. Nordemann, § 5 Rn. 33. 228 Fromm/Nordemann-J. B. Nordemann, § 5 Rn. 29; vgl. für weitere Anwendungsfelder Wandtke/Bullinger-Marquardt, § 5 Rn. 26. 229 Dreier/Schulze-Dreier, § 5 Rn. 2; Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 5 Rn. 15; Rehbinder/Peukert, Rn. 615; vgl. zur Schutzfähigkeit von Gesetzessammlungen als Datenbankwerke auf CD-ROM Nordemann/Czychowski, NJW 1998, 1603. 227 Dreier/Schulze-Dreier,
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
eines Gesetzestextes über Twitter beispielsweise davon ausgeht, Urheberrechte des Staates zu verletzen, so liegt ein umgekehrter Rechtsirrtum – mithin ein strafloses Wahndelikt – vor. Dasselbe gilt für den Fall, dass ein Täter ein amtliches Werk, das zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlich wurde (§ 5 Abs. 2 UrhG) verwertet und dabei von einer strafbaren Vervielfältigung ausgeht, weil er von einer Quellenangabe absieht. Denn das Werk bleibt gemeinfrei – und die Strafbarkeit hängt in diesem Falle nicht von der Kennzeichnung der Quelle ab.230 Das Gebot der Quellenangabe, § 63 UrhG, setzt den urheberrechtlichen Schrankenregelungen zwar seinerseits eine Schranke,231 bleibt aber unter strafrechtlichen Gesichtspunkten ohne Bedeutung.232 Insofern kommen aber zivilrechtliche Ansprüche auf Schadensersatz und Unterlassung in Betracht.233 Im Bereich der amtlichen Werke sind auch Irrtümer über tatsächliche Umstände vorstellbar: Ein Tatumstandsirrtum zugunsten des Täters liegt etwa in dem Fall vor, in dem ein juristisch ungebildeter Handelnder einige gemeinfreie Urteile vervielfältigt, denen allerdings urheberrechtlich geschützte Anmerkungen anhängen, was ihm nicht bekannt ist. Denn dann weiß er bereits nicht, was er tut – der Irrtum spielt sich im Bereich der Sachverhaltskenntnis ab und hat nichts mit einer rechtlichen Wertung zu tun. In diesem Fall ist es nur gerecht, dem Handelnden den fehlenden Vorsatz zu attestieren, § 16 StGB.234 Einen (nicht umgekehrten, also für den Handelnden positiven) Verbotsirrtum stellt es dar, wenn ein Handelnder unter Kenntnis der alten Rechtslage davon ausgeht, dass die Inbezugnahme einer DIN-Norm mittels bloßer Verweisung dazu führt, dass das gesamte Regelwerk der DIN gemeinfrei wird. In dieser Konstellation weiß der Handelnde genau, was er tut – er geht lediglich von einer nicht mehr aktuellen Rechtslage aus. Je nach Einzelfall, ist dabei unter Anwendung von § 17 StGB zu prüfen, ob der Täter seinen Irrtum vermeiden konnte – was in diesem Fall oftmals anzunehmen sein wird. Ebenso verhält es sich in Fällen der folgenden Art: Derjenige, der aus dem Gesetzeswerk „Schönfelder“ oder aus einer vergleichbaren Gesetzessammlung nicht nur beispielsweise den gemeinfreien Text des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), sondern auch das Vorwort in dem Glauben verwertet, dass dieses ebenfalls als amtliches Werk gemeinfrei sei, unterliegt unproblematisch einem Verbotsirrtum. Auch hier stellt sich neuerlich unter Beweis, dass die schlichte Trennung von Irrtümern über Tatsachen und rechtlichen Fehlvorstellungen zu einfach begründbaren und gerechten Ergebnissen führt. Vor allem bei Irrtümern im Bereich des privilegierenden § 5 Abs. 1, 2 UrhG ist die herrschende Irrtumslehre demgegenüber mit 230 Vgl. nur Fromm/Nordemann-J. B. Nordemann, § 5 Rn. 28 – Wirkungen nur zugunsten der amtlichen Stelle. 231 Vgl. zum Irrtum über die gesetzlichen Schrankenregelungen noch Kapitel 3 § 3 C. 232 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 78. 233 Vgl. dazu Dreier/Schulze-Schulze, § 63 Rn. 30 f. 234 Vgl. zu einem ähnlichen Fall und weiteren Beispielen Kircher, S. 118.
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dem Problem konfrontiert, dass sie im Bereich der umgekehrten Irrtümer nicht ohne systematische Brüche auskommt, will sie doch Rechtsirrtümer im Bereich des umgekehrten Irrtums ausnahmsweise nicht unter Zuhilfenahme des Instruments der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ lösen.235 V. Zusammenfassung zum Irrtum über das Tatobjekt Im bisherigen Verlauf der Arbeit hat sich gezeigt, dass sich Irrtumsfälle im Urheberrecht problemlos mit der vorliegend befürworteten Irrtumslehre lösen lassen. Weil der Qualifikation eines Tatobjekts als urheberrechtlich geschütztes Werk i.S.d. § 106 i.V.m. § 2 UrhG regelmäßig komplizierte rechtliche Wertungen innewohnen, sind die meisten Irrtümer in diesem Bereich auf der Ebene des Unrechtsbewusstseins angesiedelt, führen also zum Verbotsirrtum, § 17 StGB. Etwas anderes gilt dann, wenn ein Handelnder vom Vorliegen tatsächlicher Umstände ausgeht, die einem Objekt die Eigenschaft als Werk absprechen würden. Bei diesen Fällen wird es sich regelmäßig um Verwechslungen handeln, denn wenn rechtliche Bewertungen zutreffend im Rahmen des subjektiven Tatbestandes ausgeblendet werden, so ist es für den Vorsatz grundsätzlich gleichgültig, wie der Täter einem Objekt gegenüber urheberrechtlich „steht“, beziehungsweise ob er dieses für schutzfähig befindet oder nicht. Abgesehen von der „klassischen“ Verwechslung zweier Objekte, wird in der Praxis allerdings meist genau diese Frage einschlägig sein: Hält der Täter sein konkretes Tatobjekt für geschützt oder nicht? Diese Frage wirkt sich indes zutreffenderweise erst auf der Ebene der Schuld aus, denn sie kennzeichnet allein das (urheberrechtsspezifische) Unrechtsbewusstsein des Täters.
B. Tathandlungen: Irrtümer über die drei Varianten der Verwertung Zahlreiche Anknüpfungspunkte für potenzielle Irrtümer im Rahmen des § 106 UrhG bieten dessen Tathandlungen – namentlich die Vervielfältigung, die Verbreitung und die öffentliche Wiedergabe. Es ist zu vermuten, dass in der urheberstrafrechtlichen Praxis gar die meisten Irrtumsfälle im Bereich der Tathandlung anzusiedeln sein dürften.236 Zumindest im digitalen Umfeld liegt diese Aussage besonders nahe, denn oftmals werden Handelnde, etwa beim „Teilen“ in sozialen Netzwerken, zwar wissen, dass sie es im weitersten Sinne mit einem „Werk“ zu tun haben (in diesem Umfeld klassischerweise Fotos, Musikvideos, Songs, Texte), aber nicht damit rechnen, in irgendeiner Weise urheberrechtlich relevant zu handeln. Dies wird gestützt durch folgende Überlegung: Während die Tathandlungen der Vervielfältigung und der Verbreitung noch halbwegs „griffig“ sind, ist mit den Begriffen der öffentlichen Wiedergabe (§ 15 Abs. 2 UrhG) und dabei insbesondere der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG) der Bereich der 235
Vgl. dazu bereits Kapitel 2 § 3 D. II. 4. sowie Kapitel 2 § 3 A. IV. v. Gravenreuth, S. 74.
236 Ebenso
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Umgangssprachlichkeit, und damit der Bereich der „laienhaften Subsumtionsfähigkeit“, zweifelsohne verlassen. Doch gerade diese Verwertungsformen sind es, die im modernen, multimedialen Alltag dominieren: Das „Teilen“, das „Hochladen“ in sozialen Netzwerken, das „Kopieren und Einfügen“ („copy+paste“) von Dateien im Web, das Publizieren von Medieninhalten im Internet – all dies sind alltägliche Handlungen, die regelmäßig in Gestalt der unkörperlichen Verwertung erfolgen. Dass man etwa ein Foto „öffentlich wiedergibt“, wenn man einen Hyperlink zu seinem privaten Ordner auf einem Cloudserver auf die „private“ Facebook-Pinnwand „postet“, dürfte dabei terminologisch kaum einem juristischen Laien einleuchten. Die irrtumsrelevante Kernproblematik liegt auch in Bezug auf die Tathandlungen in der strengen Zivilrechtsakzessorietät der urheberrechtlichen Strafvorschriften.237 Insofern stellen sich in Bezug auf die Charakterisierung der Tathandlungen als Blankettverweisungen beziehungsweise als normative oder deskriptive Tatbestandsmerkmale dieselben Fragen, wie sie bereits im Rahmen der Untersuchung der Irrtümer über das Tatobjekt dargelegt wurden.238 Schon ein kurzer Blick auf die zivilrechtlichen Verwertungsrechte des Urhebers macht dabei deutlich, dass sich die Tathandlungen nicht in ihrem Wortsinn erschöpfen, sondern, dass – ganz im Gegenteil – eine wesentlich größere Bandbreite an tatsächlichen Handlungen zur Strafbarkeit führen kann, als es die Trias des § 106 Abs. 1 UrhG prima facie vermuten ließe. § 106 UrhG erfasst all jene Verwertungsformen als Tathandlungen, die ausweislich der §§ 15 ff. UrhG ausschließlich dem Urheber zustehen – mit Ausnahme des Ausstellungsrechts (§§ 15 Abs. 1 Nr. 3, 18 UrhG), welches überwiegend persönlichkeitsrechtlicher Natur ist und dementsprechend nicht vom Schutzgegenstand des § 106 UrhG erfasst ist, sondern vielmehr dem Schutzbereich des § 107 UrhG unterfallen müsste (was es aber nicht tut).239 Wie bereits erwähnt wurde, ist § 15 UrhG als umfassendes Verwertungsrecht zu verstehen, welches in den §§ 16 ff. UrhG näher ausgestaltet wird und dem Urheber sowohl gegenwärtige als auch in der Zukunft erst entstehende Nutzungsarten ausschließlich zusichert.240 Klassischerweise werden die Verwertungsrechte – und damit auch die strafrechtlich relevanten Handlungen – in körperliche und unkörperliche Verwertungen eingeteilt. Die Vervielfältigung und die Verbreitung beziehen sich hiernach ausschließlich auf körperliche Festlegungen des Werkes oder seiner Vervielfältigungsstücke,241 während das Recht zur öffentlichen Wiedergabe all diejenigen Verwertungsfor-
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Vgl. bereits Kapitel 1 § 1 B. Vgl. Kapitel 3 § 3 A. 239 Vgl. nur BT-Drucks. 4/270, S. 108; ferner Dreier/Schulze-Dreier, § 106 Rn. 5; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 45; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 11. 240 Rehbinder/Peukert, Rn. 414. 241 Vgl. Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 15 Rn. 45; Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 18. 238
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men erfasst, bei denen das Werk bloß wahrnehmbar gemacht wird,242 wie insbesondere die „klassischen“ unkörperlichen Verwertungsvorgänge des Vortrags, der Aufführung und der Vorführung (§ 19 UrhG), aber auch etwa die Funksendung (§ 20 UrhG) deutlich machen. Bei der unkörperlichen Wiedergabe geht es also im weitesten Sinne darum, den Werkkonsum einmalig zu ermöglichen, ohne dass das Werk später erneut abrufbar gemacht würde. Die Herstellung einer Bearbeitung oder einer Umgestaltung erfüllt grundsätzlich keine der drei Tathandlungsvarianten und ist dementsprechend strafrechtlich nicht erfasst.243 Es handelt sich dabei also um „freie“ Handlungen. Hieran ändert sich zumindest für das Strafrecht auch im Bereich der Computerprogramme nichts, wo die Herstellung von Bearbeitungen und Umgestaltungen gemäß § 69c S. 1 Nr. 2 UrhG – allerdings nur zivilrechtlich – eine Urheberrechtsverletzung darstellt.244 Wie U. Weber zutreffend feststellt, kommt der „strafrechtliche Schutz […] nicht zu spät, wenn er erst dann eingreift, wenn der Verletzer durch die Vervielfältigung der Bearbeitung oder Umgestaltung massiv in das Verwertungsrecht des Urhebers eingreift.245 Von Bedeutung ist auch die Feststellung, dass die einzelnen Verwertungsrechte in jedem Sachverhalt getrennt voneinander berücksichtigt werden. Denn dem Urheber steht es im Rahmen seiner Vertragsfreiheit zu, auch nur bestimmte Nutzungsarten, etwa über die Vergabe von Lizenzen in Gestalt von einfachen Nutzungsrechten, § 31 Abs. 2 UrhG, zu gestatten. So ist es durchaus denkbar und im digitalen Umfeld sogar die Regel, dass in einem strafrechtlich relevanten Sachverhalt mehrere Verwertungshandlungen miteinander konkurrieren, wobei mitunter eine Verwertungshandlung strafbar ist, wohingegen eine andere Verwertungshandlung durch ein eingeräumtes Nutzungsrecht gedeckt ist.246 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Musikverlag, der die Rechte von Künstlern verwaltet und vermarktet, einem Musikportal als Vertragspartner ein Recht zur öffentlichen Zugänglichmachung von Werken dergestalt einräumt, dass den Nutzern des Portals zwar das Streaming,247 nicht aber der Download 248 von Werken ermöglicht werden soll.
242 Vgl. Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 22; Loewenheim-Loewenheim, § 19 Rn. 5; Rehbinder/Peukert, Rn. 414, 431 ff. 243 Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 3; Heinrich, Strafbarkeit, S. 186 f. 244 Vgl. dazu nur Heinrich, Strafbarkeit, S. 186 f.; U. Weber, S. 204. 245 U. Weber, S. 204. 246 Vgl. zum Spannungsfeld zwischen öffentlicher Zugänglichmachung, § 19a UrhG, und Vervielfältigung, § 16 UrhG, nur Jani, ZUM 2009, 722. 247 Vgl. zum Streaming und ähnlichen Nutzungsformen noch ausführlich Kapitel 3 § 3 B. IV. 2. a) aa). 248 Vgl. zum Download als Vervielfältigung noch ausführlich Kapitel 3 § 3 B. II.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
I. Dogmatische Einordnung der Begehungsvarianten des § 106 UrhG Hildebrandt spricht davon, dass „grundsätzlich […] alle Autoren Irrtümer hinsichtlich der Umschreibung der Tathandlung als Verbotsirrtum nach § 17 behandeln [wollen].“249 Dies müsste, wovon Heinrich zutreffend ausgeht,250 zwangsläufig mit sich bringen, dass die angesprochenen Autoren die Tathandlungen des § 106 UrhG allesamt als deskriptive Tatbestandsmerkmale verstehen. Denn würden die Handlungsvarianten des § 106 UrhG als normative Merkmale qualifiziert, käme man unter Anwendung der herrschenden Irrtumslehre (der im Übrigen auch all jene Autoren mit Ausnahme von Heinrich folgen) mit den Grundsätzen der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ nur selten zum Ergebnis eines Verbotsirrtums.251 Wie bereits erörtert wurde, geht es bei der Anwendung dieser Grundsätze gerade darum, dem Handelnden seine falschen rechtlichen Vorstellungen beziehungsweise sein fehlendes Unrechtsbewusstsein bereits im subjektiven Tatbestand positiv anzurechnen.252 Fraglich ist, ob die von Hildebrandt festgestellte Einordnung innerhalb des Schrifttums tatsächlich in der zitierten Pauschalität vorgenommen wird. U. Weber etwa spricht davon, dass „hinsichtlich der öffentlichen Wiedergabe […] vor allem vorsatzausschließende Irrtümer über den urheberrechtlichen Öffentlichkeitsbegriff denkbar“ seien,253 wobei dieser Feststellung die Aussage zugrunde liegt, dass „gleichgültig um welche Art von Tatbestandsmerkmal – deskriptives oder normatives – es sich handelt, und ohne Rücksicht darauf, worauf die Fehlvorstellung des Täters beruht [...]“, sicher zu stellen sei, „daß der Tatumstandsirrtum stets als vorsatzausschließend behandelt wird.“254 U. Weber kommt also, entgegen der Einschätzung von Hildebrandt, sogar in vielen Fallkonstellationen zu einem Tatumstandsirrtum, was ferner dadurch gestützt wird, dass U. Weber in seiner beispielhaften Auflistung denkbarer Verbotsirrtümer im Urheberstrafrecht nicht einen einzigen Irrtum betreffend eine der Tathandlungsvarianten auflistet.255 Vollends perfekt wird die Konfusion im Übrigen dadurch, dass U. Weber zudem anmerkt, dass die Tathandlungen auch als Blankettverweisungen verstehbar seien. So könne die Vorschrift des § 106 UrhG „insofern als Blankettgesetz bezeichnet werden, als die Begehungsmodalitäten […] nicht unbedingt aus sich heraus verständlich sind, sondern erst durch die Umschreibung der den Verletzungshandlungen entsprechenden Befugnisse des Urhebers in den §§ 16 bis 22 UrhG näher konkretisiert werden.“256 In Anbetracht der Hildebrandt, S. 261. Heinrich, in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (75). 251 Vgl. zu diesem Schluss auch Reinbacher, S. 273 f. 252 Vgl. Kapitel 2 § 3 D. II. 2. a), b). 253 U. Weber, S. 290. 254 U. Weber, S. 288. 255 Vgl. U. Weber, S. 292 ff. 256 U. Weber, S. 229; zustimmend Hildebrandt, S. 259 f.; a.A. Lauer, S. 54. 249
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§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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vorliegend vertretenen Irrtumslehre bedarf dies allerdings keiner näheren Auseinandersetzung – dazu sogleich. In der Tat scheinen gleichwohl die meisten Vertreter innerhalb des urheberstrafrechtlichen Schrifttums von einer Dominanz des Verbotsirrtums auszugehen, sobald sich eine Fehlvorstellung auf eine der Tathandlungsvarianten bezieht,257 wobei diese Annahme mitunter auch ohne eine Auseinandersetzung mit der zugrundeliegenden Irrtumslehre erfolgt.258 Nach dem hiesigen Verständnis empfiehlt es sich allerdings nicht, von vornherein gleichsam pauschal von einer Rechtsfolge (Verbotsirrtum, § 17 StGB oder Tatumstandsirrtum, § 16 StGB) auszugehen. Diese ergibt sich richtigerweise erst aus einer konsequenten Anwendung der Lehren über Vorsatz und Schuld. Ob in Bezug auf die Tathandlungen des § 106 UrhG im Ergebnis Verbotsirrtümer oder Tatumstandsirrtümer wahrscheinlicher sind oder in der Praxis öfter vorkommen, hängt davon ab, worüber Irrtümer insoweit überhaupt denkbar sind. In Ermangelung tatsächlich vorhandener Gerichtsurteile, kann insoweit ohnehin nur spekuliert werden. Hildebrandt geht, wie erwähnt, im hiesigen Zusammenhang grundsätzlich von einer Dominanz des Verbotsirrtums aus und stellt hiervon drei Ausnahmen auf:259 Erstens sei das Anbieten an die Öffentlichkeit (§ 17 Abs. 1 Var. 1 UrhG) ein normatives Tatbestandsmerkmal, das dem Regime des § 16 StGB unterfallen müsse;260 zweitens seien Irrtümer betreffend den Erschöpfungsgrundsatz im Rahmen der Verbreitung (§ 17 Abs. 2 UrhG) als solche über normative Tatbestandsmerkmale zu behandeln; und drittens ergebe sich – ohne dies schon an dieser Stelle tiefgehend zu thematisieren – eine Ausnahme bei der Vervielfältigung „hinsichtlich der Beschränkung durch die §§ 23, 24 UrhG.“ Obgleich Hildebrandt mit seiner Auffassung einer „Herrschaft des Verbotsirrtums“ im Bereich der Tathandlungen in vielen Fällen Recht behalten dürfte, sollte doch besser jede Pauschalisierung von vornherein vermieden werden. Denn die Möglichkeit, dass ein Handelnder einem Tatumstandsirrtum unterliegt, existiert generell ebenso wie die Möglichkeit seines fehlenden Unrechtsbewusstseins – nämlich immer dann, wenn er sich über tatsächliche Umstände des Sachverhalts irrt, wenn er also nicht weiß, was er tut.261 Zutreffend stellt beispielsweise Reinbacher 257 Vgl. v. Gravenreuth, S. 74 ff.; Heinrich, in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (74 ff.); ders., Strafbarkeit, S. 264 f.; Hildebrandt, S. 261 f.; Kircher, S. 138 ff.; Reinbacher, S. 265 f., 274; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 34; ebenso wohl BeckOKUrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 39 f.; Dreyer/Kotthoff/Meckel-Kotthoff, § 106 Rn. 9; Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 30. 258 Vgl. Dreyer/Kotthoff/Meckel-Kotthoff, § 106 Rn. 9; v. Gravenreuth, S. 74 ff.; Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 30. 259 Hildebrandt, S. 262 f.; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 34. 260 Wobei Hildebrandt insoweit von einer Verfassungswidrigkeit ausgeht, vgl. Hildebrandt, S. 98 ff., 262. 261 Ebenso nunmehr auch Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 34; noch anders die Voraufl. Wandtke/Bullinger-Hildebrandt, 3. Aufl. 2009, § 106 Rn. 34.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
klar, dass ein Täter im Tatumstandsirrtum handle, wenn er gar „keine Kenntnis davon hat, dass er das Werk vervielfältigt.“262 Dieselbe Konstellation lässt sich mannigfaltig abwandeln: Weiß ein Handelnder beim „Teilen“ auf Facebook etwa nicht, dass er statt des Hyperlinks zum eigenen Werk einen Download-Link zu einem geschützten fremden Werk „teilt“, so irrt er sich über einen tatsächlichen Umstand der Tathandlung der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG). Bemerkt ein Täter nicht, dass er ein geschütztes Werk, statt es wie geplant in einen anderen Ordner auf der lokalen Festplatte zu kopieren, aus Versehen über einen falschen Pfad auf den (womöglich tausenden Firmenangehörigen zugänglichen) Firmenserver speist, so irrt er über einen tatsächlichen Umstand der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG) – es fehlt ihm mithin unstreitig am Vorsatz, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Der vorzugswürdige Weg führt auch hier über eine klar strukturierte Irrtumslehre: Wie dies wohl bei allen strafrechtlichen Tatbestandsmerkmalen der Fall ist,263 wohnt auch den Tathandlungen des § 106 UrhG sowohl ein deskriptiver als auch ein normativer Gehalt inne. Dementsprechend stellen sich wiederum dieselben Fragen, die bereits im Rahmen der Tatobjektbetrachtung diskutiert wurden. Die Nachteile der herrschenden Irrtumslehre sind insofern evident: Dass eine trennscharfe Einordnung der Tathandlungen als deskriptiv oder normativ auch im Urheberstrafrecht nicht möglich ist, beweisen schon die dargelegten – und sich widersprechenden – Aussagen von Hildebrandt und U. Weber. Letztgenannter bringt sogar eine Einordnung als Blankettverweisung ins Spiel, wodurch endgültig das gesamte Spektrum an irrtumsrechtlichen Problemen virulent wäre. Dem lässt sich (nur) dadurch begegnen, dass auch bei Irrtümern im Bereich der Tathandlungen konsequent danach unterschieden wird, ob sich diese auf tatsächliche Umstände des Lebenssachverhalts beziehen (dann § 16 StGB) oder ob sie sich im Bereich der rechtlichen Bewertung des Sachverhalts abspielen (dann § 17 StGB).264 Dass hierdurch ebenso gerechte, wie auch dogmatisch einwandfrei konstruierbare Ergebnisse erzielt werden, soll im Folgenden anhand von Beispielen belegt werden. Dabei wird zunächst auf die Vervielfältigung (II.), anschließend auf die Verbreitung (III.) sowie auf die öffentliche Wiedergabe (IV.) eingegangen. II. Irrtümer im Bereich der Vervielfältigung Als erste Tathandlung nennt § 106 UrhG die Vervielfältigung und knüpft hierfür akzessorisch an die §§ 15 Abs. 1 Nr. 1, 16 UrhG an.265 Das zugrundeliegende Verwertungsrecht erlaubt es (nur) dem Urheber, Vervielfältigungsstücke seines Werkes herzustellen, gleichviel ob vorübergehend oder dauerhaft, in welchem VerReinbacher, S. 265. Vgl. dazu Kapitel 2 § 3 B. I. 1. c). 264 Ebenso Heinrich, in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (74 f.); wohl auch Dreyer/Kotthoff/ Meckel-Kotthoff, § 106 Rn. 9; Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 30, 32. 265 Vgl. etwa Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, Vor § 106 Rn. 1; U. Weber, S. 187, 194. 262
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§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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fahren und in welcher Zahl, § 16 Abs. 1 UrhG. Es handelt sich mithin um das umfassende Recht des Urhebers, körperliche Festlegungen seiner persönlichen geistigen Schöpfung zu erzeugen, die geeignet sind, das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Weise wiederholt (unmittelbar oder mittelbar) wahrnehmbar zu machen.266 § 16 Abs. 2 UrhG stellt dabei klar, dass erstmalige Fixierungen eines Werkes als „Aufnahme einer Wiedergabe“ – etwa die Erstaufnahme einer Uraufführung267 – ebenso als Vervielfältigungen einzustufen sind, wie die Übertragung eines bereits körperlich fixierten Werkes von einem Bild- oder Tonträger auf einen anderen.268 Weder die Art des Materials noch das konkrete Herstellungsverfahren und die Art und Weise der körperlichen Festlegung (etwa analog oder digital) spielen dabei eine Rolle.269 Das Abmalen eines geschützten Werkes kann dementsprechend ebenso eine Vervielfältigung sein wie das Einscannen.270 Es kommt also schlussendlich nur auf das Ergebnis an, also darauf, dass ein Werk körperlich fixiert wird, nicht hingegen wie, womit, wodurch, worauf, worin oder wie oft. Das entscheidende Moment der Vervielfältigung ist die Verkörperlichung eines Werks in einem beliebigen Medium, das eine wiederholte Wahrnehmbarkeit ermöglicht. Nicht von § 16 UrhG erfasst sind demgegenüber Nutzungen, die zu keiner Fixierung des Werkes führen, wie beispielsweise das bloße Spielen von Noten mit einem Musikinstrument271 oder die Projektion einer Overhead-Folie oder Computerpräsentation an der Wand.272 Diese Formen der Werkverwertung führen zwar dadurch zu einer Konsumierbarkeit des Werkes, dass dieses gewissermaßen „im Raum steht“, sie fixieren es aber nicht körperlich. Sie können allerdings anderweitig urheberrechtlichen Schutz genießen, nämlich als unkörperliche Verwertungshandlungen, § 15 Abs. 2 UrhG.273 Tatbestandlich erfasst sind damit einerseits „klassische“ und auch von vornherein als Vervielfältigungen identifizierbare Handlungen, wie etwa Überspielungen von Musikwerken oder anderen Schöpfungen durch Festlegung auf Kassette oder Brennen von CDs, DVDs oder Blu-rays,274 die Speicherung von Medien auf ei-
266 BT-Drucks. 4/270, S. 47; RGZ 107, 277 (279); BGH GRUR 1955, 492 (494); BGH GRUR 2001, 51 (52); vgl. auch Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 16 Rn. 6; Rehbinder/ Peukert, Rn. 446; U. Weber, S. 195. 267 Vgl. BGH GRUR 1975, 447 (448). 268 Vgl. dazu Dreier/Schulze-Schulze, § 16 Rn. 16 f. 269 Dreier/Schulze-Schulze, § 16 Rn. 7; Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 16 Rn. 9. 270 Vgl. BGH GRUR 2002, 246 (247); LG Hamburg, ZUM-RD 2008, 202 (204); Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 16 Rn. 9, 17. 271 Dreier/Schulze-Schulze, § 16 Rn. 6. 272 Vgl. dazu Reichel, GRUR 1981, 334 (334). 273 Zum Irrtum im Bereich der öffentlichen Wiedergabe vgl. Kapitel 3 § 3 B. IV. 274 Vgl. Hildebrandt, S. 63; Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 16 Rn. 17; LG Frankfurt a.M. MMR 2011, 617 (618); zu den Folgen u.a. für die Hersteller von Hardware OLG München GRUR-RR 2015, 457.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
ner Festplatte,275 der Raubdruck von Schriftwerken276 oder die Raubpressung von (inzwischen unter Musikliebhabern auch als Neuauflage wieder im Vordringen befindlichen) Vinylschallplatten.277 Ebenfalls eindeutig als Vervielfältigung lässt sich der Download von Dateien aus dem Internet identifizieren, denn dieser ist mit der eben genannten Speicherung auf einer Festplatte verbunden.278 In diesen Fällen ist die Tathandlung ohne Weiteres als Vervielfältigung identifizierbar – und wird auch regelmäßig als solche durch den Handelnden selbst erkannt werden. In dieselbe Kategorie gehört das weit verbreitete Phänomen des Streaming von Webinhalten, bei dem in der Regel Video- oder Audioinhalte direkt im Internetbrowser oder über spezielle Software geladen und wahrgenommen werden, wobei auch hier in aller Regel schon aus Gründen der flüssigen Wiedergabe eine lokale Zwischenspeicherung im „Buffer-“ oder „Puffer“-Speicher stattfindet.279 Neben diesen weitestgehend eindeutigen Erscheinungsformen der Vervielfältigung treten im Multimedia-Zeitalter allerdings weitere Phänomene in den Vordergrund, die zumindest nicht auf den ersten Blick als Vervielfältigungen erkennbar sind – und die sich oftmals auch als straffreie Nutzung herausstellen werden. Insofern kommen insbesondere die folgenden Handlungen in Betracht. Der Upload von Dateien ins Internet, gleich zu welchem Zweck, ist in der Regel mit einer Speicherung der betreffenden Datei auf einem anderen als dem (lokalen) Ursprungsserver oder -rechner verbunden. Diese Speicherung stellt, zunächst einmal abgesehen von deren rechtlicher Würdigung, jedenfalls eine Vervielfältigung dar.280 Ebenso verhält es sich mit dem „Surfen“ oder „Blättern“ im Internet (Browsing), denn jedes Aufrufen einer Internetseite führt zwangsläufig zu einer – wenn auch nur vorübergehenden – Festlegung der Seiteninhalte im Arbeitsspeicher.281 Auch im Bereich der Erstfixierung von Werken (also insbesondere beim Abfilmen von Livedarbietungen mit dem Smartphone) dürfte kaum ein Handelnder tatsächlich davon ausgehen, ein Werk zu „vervielfältigen“. Denn während das UrhG 275 BGH GRUR 1994, 363 (365) – „Einspeicherung auf die Computeranlage“; LG Frankfurt a.M. MMR 2011, 617 (618) – Vervielfältigung abgeschlossen mit dem Laden auf die Festplatte oder in den Zwischenspeicher. 276 Vgl. dazu nur U. Weber, S. 46 ff. 277 Vgl. dazu BGH NJW 1987, 2876 (2877). 278 Vgl. BGH GRUR 2011, 418 (419); OLG Stuttgart GRUR-RR 2012, 243 (244). 279 Vgl. Busch, GRUR 2011, 496 (498); Ensthaler, NJW 2014, 1553 (1553 f.); Reinbacher, NStZ 2014, 57 (61); Wandtke/v. Gerlach, GRUR 2013, 676 (678); zur aktuellen Diskussion Wagner, GRUR 2016, 874. 280 Vgl. OLG München, MMR 2010, 704 (704 f.); Hoeren/Sieber/Holznagel-S. Ernst, 42. Lfg. 2015, Teil 7.1 Rn. 55; Reinbacher, NStZ 2014, 57 (61); Vianello, MMR 2009, 90 (90); Wandtke/Bullinger-Heerma, § 16 Rn. 19; zur Rechtslage in Österreich ÖOGH MMR 2007, 359 (359 f.). 281 Vgl. dazu Hoeren, MMR 2000, 515 (516 f.); Spindler, GRUR 2002, 105 (107); Wandtke/Bullinger-Heerma, § 16 Rn. 20.
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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nach § 16 Abs. 2 UrhG jede, also auch die erstmalige körperliche Fixierung als Vervielfältigung kategorisiert, steht zu vermuten, dass hingegen im alltäglichen Sprachgebrauch wohl nur Reproduktionen von bereits körperlich fixierten Werken von dem Begriff der Vervielfältigung erfasst werden. Wo jedoch Alltags- und Fachsprache voneinander abweichen, wird Irrtümern ein breites Feld geboten. Die zuletzt genannten tatsächlichen Erscheinungsformen weisen also die Gemeinsamkeit auf, dass Handelnde in den betreffenden Konstellationen oftmals nicht darüber im Klaren sein dürften, dass sie gerade ein Werk vervielfältigen, womit im Strafrecht regelmäßig der Anwendungsbereich der Irrtumslehre eröffnet ist. Im Folgenden sollen Irrtümer über das Tatbestandsmerkmal der Vervielfältigung anhand von Beispielsfällen dargestellt werden. Dabei wird, der hier vertretenen Irrtumslehre entsprechend, zwischen Irrtümern über tatsächliche Umstände einerseits (1.) und Irrtümern über die rechtliche Bewertung andererseits (2.) unterschieden. 1. Irrtümer über tatsächliche Umstände Tatumstandsirrtümer im Bereich der Tathandlungen werden im Schrifttum nur selten thematisiert, weswegen auch Aussagen zu Irrtümern über die Vervielfältigung von Werken rar gesät sind. Allein Kircher282 setzt sich ausführlich mit Irrtümern zu den verschiedenen Tathandlungen auseinander. U. Weber283 nennt zu jeder Handlungsvariante ein kurzes Fallbeispiel, ohne sich jedoch in diesem Zusammenhang detailliert mit der Irrtumslehre zu beschäftigen. Hildebrandt284 geht, wie erörtert, von einer Dominanz des Verbotsirrtums aus, sieht jedoch in Ausnahmefällen auch einen Anwendungsbereich des Tatumstandsirrtums für gegeben. Kircher legt bei seiner Betrachtung der Tatvariante des Vervielfältigens einen besonderen Fokus auf den Verbotsirrtum – und erachtet Tatumstandsirrtümer in vielen Konstellationen schon deshalb als ausgeschlossen, weil es sich bei der Vervielfältigung um ein objektives Tatbestandsmerkmal mit „subjektivem Einschlag“ handle, weswegen bei subjektiven Defiziten in Bezug auf die Vervielfältigung bereits der objektive Tatbestand nicht erfüllt sei und der Tatumstandsirrtum insofern nicht in Betracht komme.285 U. Weber nennt als Tatumstandsirrtum über das Merkmal der Vervielfältigung den Fall, dass ein Handelnder irrtümlich glaube, dass das Abschreiben eines Werkes keine Vervielfältigung sei oder dass er glaube, ein Nachdruck sei nur dann eine Vervielfältigung, wenn er das gesamte Werk betreffe.286 In diesen Fällen irre der Handelnde zwar über Rechtsnormen. Gleichwohl müsse der Vorsatz nach § 16 StGB ausgeschlossen sein, denn „auch hier hat die falsche Vorstellung die VerKircher, S. 136 ff. U. Weber, S. 290. 284 Hildebrandt, S. 261. 285 Kircher, S. 137. 286 U. Weber, S. 290; zustimmend v. Gravenreuth, S. 75. 282 283
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
kennung eines Tatbestandsmerkmals […] zur Folge.“287 Hierin liegt freilich eine, wenn auch verkürzt dargelegte Anwendung der herrschenden Irrtumslehre. Wie U. Weber allerdings selbst zutreffend erkennt, handelt es sich in solchen Konstellationen um Fehlvorstellungen im Bereich der rechtlichen Bewertung. Nach dem vorliegend vertretenen Verständnis können derlei Irrtümer aber niemals den Vorsatz ausschließen, denn sie betreffen das Unrechtsbewusstsein und führen dementsprechend zum Verbotsirrtum, § 17 StGB. Allein: Die Einordnung von U. Weber ist nach dessen Irrtumslehre zwar konsequent, führt jedoch – wie bereits ausführlich erörtert wurde – zu zahlreichen Abgrenzungsproblemen und dementsprechend oftmals zu schwer nachvollziehbaren und willkürlichen Ergebnissen. Hildebrandt sieht den Tatumstandsirrtum, § 16 StGB, bei Fehlvorstellungen von Handelnden hinsichtlich ihres Tuns immer dann als einschlägig an, wenn eine Vervielfältigung subjektiv im Grenzbereich zur (freien Herstellung einer) Bearbeitung, Umgestaltung oder freien Benutzung anzusiedeln ist, §§ 23, 24 UrhG.288 Denn letztlich komme es hierbei darauf an, „ob und inwieweit die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 UrhG erfüllt sind.“289 Weil es sich insofern jedoch um normative Tatbestandsmerkmale handle, müsse dem Täter die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ zugutekommen. Kurzum: Hildebrandt hält den Begriff der Vervielfältigung als solchen zwar grundsätzlich für ein deskriptives Tatbestandsmerkmal, sodass ein sinnliches Erfassen der betreffenden Umstände durch den Täter prinzipiell ausreichend wäre. Allerdings soll der normative Gehalt des § 2 Abs. 2 UrhG immer dann berücksichtigt werden, wenn der Handelnde davon ausgeht, statt einer (deskriptiv zu bestimmenden) Vervielfältigung eine (normativ zu bestimmende) Umgestaltung, Bearbeitung oder freie Benutzung zu begehen. Ferner sei ein Tatumstands irrtum immer dann anzunehmen, wenn „der Täter gar nicht mitbekommt, was er in tatsächlicher Hinsicht tut.“290 Während der letztgenannten Aussage voll und ganz beizupflichten ist, stößt die Ausnahmeregelung Hildebrandts – schon ihrem Wesen nach – auf Bedenken. Die richtige Irrtumslehre ergibt sich, wie bereits mehrfach betont wurde, von selbst aus einer konsequenten Anwendung der Lehren über Vorsatz und Schuld.291 Sie liefert dementsprechend kein eigenständiges Instrumentarium zur Lösung von Problemfällen – und kann deswegen schon ihrem Wesen nach keine Ausnahmefälle parat halten. Mit anderen Worten: Jede Notwendigkeit einer Ausnahme ist in diesem Kontext ein Fehler im System. Tatumstandsirrtümer sind – mit Hildebrandt/Reinbacher „selbstverständlich“292 – immer dann anzunehmen, wenn ein Täter nicht weiß, was er tut. Denn dann kennt U. Weber, S. 290. Hildebrandt, S. 263; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 34. 289 Hildebrandt, S. 263. 290 Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 34. 291 Vgl. dazu Kapitel 2 § 1. 292 Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 34. 287
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§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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der Täter gemäß § 16 Abs. 1 StGB einen Umstand nicht, „der zum gesetzlichen Tatbestand gehört“. Dies ist insbesondere immer dann anzuerkennen, wenn ein Handelnder schlicht nicht bemerkt, dass er in urheberrechtlich relevanter Weise agiert. Derlei Fälle dürften in der Praxis kaum auftreten, denn die tatsächliche Unkenntnis über einen Vervielfältigungsvorgang ist nur schwer vorstellbar. Gleichwohl lassen sich Beispielsfälle bilden. Beispielsfall a (Ungewollte Aufnahme): Konzertfreundin E ist auf dem Konzert ihres Lieblingskünstlers. Sie surft während einer Pause mit ihrem Handy im Internet. Als das Konzert weitergeht, vergisst sie aus Versehen, die Tastatur zu sperren, weswegen sich der installierte Audiorekorder aktiviert, der sodann einige Songs mitschneidet und diese auf der Festplatte des Mobiltelefons speichert. Fallvariante: E möchte mit ihrem Smartphone ein Foto ihres Freundes aufnehmen, fertigt aber versehentlich ein Video an, wobei im Hintergrund das Musikwerk zu hören ist. Sie ärgert sich darüber, dass das Handy „partout kein Foto machen möchte“, bemerkt aber nicht, dass dies deshalb so ist, weil sich das Smartphone längst im Aufnahmemodus befindet. Im Ausgangsfall weiß E nichts von der Aufnahme ihres Handys. Weil sie also nicht im Ansatz ahnt, was sie (beziehungsweise vielmehr das Telefon) eigentlich gerade tut, unterliegt sie einem Irrtum über den tatsächlichen Umstand der körperlichen Fixierung des Werks, der dem Tatbestandsmerkmal der Vervielfältigung i.S.d. § 106 UrhG zugrunde liegt. Sie handelt ohne Vorsatz, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Dasselbe Resultat ergibt sich in der Fallvariante: Auch hier fertigt E nur versehentlich ein Video an, bemerkt also nicht, was sie gerade tut. Beispielsfall b (Ungewollter Download): Musikliebhaber M verfügt über ein Musik-Abonnement im Internet, über das er gegen Zahlung eines festgelegten Entgelts Musik „streamen“, sie also via Internetbrowser anhören kann. Was M nicht weiß, ist, dass sein Browser von Haus aus über ein „Tool“ verfügt, das die mittels „Webstreaming“ geladenen Audiodateien automatisch als mp3-Datei von der Zwischenablage in den Ordner „Downloads“ kopiert, die Dateien also gleichsam digital „aufnimmt“. In dieser Konstellation liegen strenggenommen gleich mehrere Vervielfältigungen vor: Erstens die flüchtige Kopie in den Arbeitsspeicher, die indes im Rahmen des § 44a Nr. 2 UrhG durch einen gesetzlich zugelassenen Fall gedeckt ist. Zweitens die sich anschließende, automatische Anfertigung der Audiodatei im Ordner „Downloads“. Beide Vorgänge stellen für sich genommen jeweils urheberrechtlich relevante Vervielfältigungen dar, denn die betreffenden Werke werden körperlich auf der Festplatte des Rechners des M fixiert. Während die Verkörperlichung im Zwischenspeicher schließlich unter Anwendung des § 44a UrhG vom Nutzungsrecht umfasst ist, trifft dies auf die zweite Vervielfältigung nicht zu. Diese ist als Privatkopie zwar u.U. durch § 53 UrhG Abs. 1 S. 1 privilegiert,293 was allerdings nichts am grundsätzlichen Irrtum des M ändert: Dieser weiß in Bezug auf die Tat293
Vgl. zum Irrtum in diesem Zusammenhang noch ausführlich Kapitel 3 § 3 C. II. 1. a).
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
handlung schon nicht, was er tut, denn er geht irrigerweise davon aus, die Musik nur zu konsumieren und nicht zu speichern, weswegen er einem Tatumstandsirrtum unterliegt, § 16 StGB. Beispielsfall c (Ungewollter „Kunstraub“): Architekt A fertigt im Auftrag seines Arbeitgebers zum Zwecke eines Kataloges Innen- und Außenaufnahmen von Gebäuden an, die das Büro irgendwann einmal entworfen hatte. Er bemerkt dabei nicht, dass er auch das eine oder andere Kunstwerk fotografiert, das in den Gebäuden steht oder hängt. In dieser Konstellation weiß A nur in Bezug auf die Gebäude ganz genau, was er tut. Dass er dabei Kunstwerke fotografiert und vervielfältigt, weiß er nicht, denn er nimmt diese schlichtweg nicht wahr. Insofern unterscheidet sich dieser Fall auch von demjenigen der Putzfrau P, die in einer Galerie Kunstwerke fotografiert, ohne diese als solche einzuordnen.294 Denn P fotografiert, im Gegensatz zu A, ganz bewusst ein gewisses Objekt. A hingegen nimmt überhaupt keine Kunst wahr, sondern ist einzig auf seine Gebäudefotografie fokussiert, weswegen er auch nichts von einer Vervielfältigung der Kunstwerke weiß. Er unterliegt mithin einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Beispielsfall d (Ungewollter Upload): Lehrer L verfügt über eine digitale Version eines Mathematikbuchs, die er auf der lokalen Festplatte seines Rechners gespeichert hat. Er installiert irgendwann einmal eine „Dropbox“, ohne zu wissen, dass sich der betreffende lokale Ordner auf seinem Computer permanent mit einem Cloudserver synchronisiert. In diesen Ordner schiebt er alle seine Dateien, wobei er davon ausgeht, dass es sich um „irgendeinen lokalen Sicherungsmechanismus“ handle – und nicht um eine Speicherung im Web.295 In dieser Konstellation erfüllt L den Tatbestand einer Vervielfältigung, denn die Datei wird, neben der weiterhin verfügbaren lokalen Version auf dem heimischen Rechner, zusätzlich auf dem Cloudserver körperlich fixiert. Allerdings weiß L nicht, was er tut, denn er weiß nichts über die Funktionsweise der „Dropbox“, sondern geht davon aus, weiterhin nur über eine einzige, lokal abgespeicherte Datei zu verfügen. Also kennt L einen Umstand nicht, der zum Tatbestand der Vervielfältigung gehört – er handelt ohne Vorsatz, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. 2. Irrtümer über die rechtliche Bewertung Wesentlich realistischer als Fehlvorstellungen über Tatsachen, die eine Vervielfältigung ausmachen, sind in der Praxis Irrtümer, die sich im Bereich der rechtlichen Bewertung abspielen, welche eine Handlung als Vervielfältigung qualifiziert. Es geht hierbei um Konstellationen, in denen Handelnde – im Gegensatz zu den zuletzt skizzierten Fällen – ganz genau wissen, was sie gerade tun, und sich über 294
Vgl. bereits Kapitel 3 § 3 A. I. 3. mit zahlreichen weiteren Fallbeispielen aus dem schulischen Umfeld Do Chi, S. 229 ff. 295 Vgl.
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alle Umstände des Lebenssachverhalts im Klaren sind. Dabei lässt sich eindrücklich untermauern, dass die vorliegend vertretene Lehre nachvollziehbare Ergebnisse ermöglicht, wohingegen die herrschenden Grundsätze zur Behandlung von Irrtümern an einer Vielzahl von Problemen kranken. Beispielsfall a (Gedankenloser Upload): Lehrer L verfügt neuerlich über eine digitale Version eines umfangreichen Mathematikbuchs (E-Book),296 die er auf der lokalen Festplatte seines Rechners gespeichert hat. Um sie künftig auch in der Schule nutzen zu können, verschiebt er die Datei in „seine Cloud“, die sich – wie er weiß – automatisch mit den Cloudservern des Anbieters sowie automatisch mit den lokalen Festplatten seines geschäftlichen Notebooks und seines Tabletcomputers synchronisiert. Wie diese Technik funktioniert, ist ihm schon in Ansätzen schleierhaft. Er geht aber davon aus, dabei nichts urheberrechtlich Relevantes zu tun, es handle sich bei dem künftig omnipräsenten Werk schließlich um „sein Buch“. Auch in dieser Konstellation erfüllt L wieder den Tatbestand einer Vervielfältigung, denn die Datei wird, neben der weiterhin verfügbaren lokalen Version auf dem heimischen Rechner, zusätzlich sowohl auf dem Cloudserver als auch auf der lokalen Festplatte des Notebooks und auf jener des Tabletcomputers dauerhaft (also nicht privilegiert durch § 44a UrhG) körperlich fixiert. Dass dies so ist, weiß L auch, denn er handelt schließlich gerade mit dem Ziel einer Omnipräsenz „seines“ Mathematikbuchs. Er hat also – anders als im obigen Beispielsfall, in dem L nichts über die Speicherung am anderen Ort wusste – in tatsächlicher Hinsicht alles korrekt erfasst. Gleichwohl irrt er sich darüber, im urheberrechtlichen Sinne zu vervielfältigen, wobei vorliegend aufgrund des zugrundeliegenden Erwerbszwecks seines Handelns sogar durchaus tatsächlich strafrechtliche Relevanz besteht, denn die Schranke des Privatgebrauchs, § 53 Abs. 1 S. 1 UrhG, greift in diesen Fällen in Anbetracht der beruflichen Zwecke nicht ein 297 und auch § 52a UrhG (die Schrankenregelung zugunsten einer öffentlichen Zugänglichmachung u.a. zu Unterrichtswecken) ist in Anbetracht dessen, dass es sich um ein umfangreiches Gesamtwerk handelt, nicht einschlägig. L vollzieht dabei eine rechtliche Wertung nicht nach, wenn er seine Handlung nicht unter das Tatbestandsmerkmal der Vervielfältigung subsumiert. Ihm fehlt es also am Unrechtsbewusstsein, er befindet sich in einem Verbotsirrtum, § 17 StGB. Über die Straffreiheit des L entscheidet mithin die Frage, ob er seinen Irrtum vermeiden konnte oder nicht – wofür jedenfalls weitere Tatsachenfeststellungen erforderlich wären. Die herrschende Irrtumslehre käme in diesem Fall wohl zu keinem anderen Ergebnis, denn wenn das Tatbestandsmerkmal der Vervielfältigung, wie bereits dargelegt, als deskriptives Merkmal eingestuft wird, würde insoweit bereits das sinnliche Erfassen der durch das Merkmal verkörperten tatsächlichen Umstände 296 Vgl. zum insoweit oftmals einschlägigen Irrtum über das Eingreifen des Erschöpfungsgrundsatzes, § 17 Abs. 2 UrhG, bei der „Weitergabe“ von E-Books Kapitel 3 § 3 C. II. 2. 297 Vgl. zum Privatgebrauch nur Reinbacher, S. 180 ff.; zu diesbezüglichen Irrtümern Kapitel 3 § 3 C. II. 1. a).
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für die Annahme des Vorsatzes ausreichen 298 – was bei L im Beispielsfall auch anzunehmen wäre, denn er nimmt schließlich durchaus wahr, dass sein Mathematikbuch fortan auf mehreren Endgeräten verfügbar ist. Im skizzierten Fall von einer „rein sinnlichen“ Wahrnehmung zu sprechen, leuchtet allerdings nicht ein: Denn strenggenommen ist jedenfalls im digitalen Umfeld die Vervielfältigung allein unter Anstrengung der Sinne überhaupt nicht von der öffentlichen Zugänglichmachung oder der Verbreitung zu unterscheiden – denn die Ergebnisse aller drei Handlungsvarianten erscheinen schlussendlich ausschließlich als (im Beispielsfall visuelle) Darstellungen auf dem Bildschirm irgendeines Endgeräts. Insoweit ist aber keinerlei Unterscheidbarkeit gegeben. So wäre es durchaus denkbar, dass der Lehrer von der Schule aus über eine Software einen direkten Zugriff auf seine lokale Festplatte zuhause herstellt, mithin allenfalls eine flüchtige Kopie im Arbeitsspeicher anfertigt (sodass § 44a Nr. 2 UrhG u.U. eingreifen könnte). Das Resultat indes wäre dasselbe: Die bloße Lesbarkeit des Mathematikbuchs auf dem Monitor des mobilen Endgeräts. Ohne Überwinden einer „geistigen Hürde“299 lässt sich dieser Vorgang aber nicht von einer Vervielfältigung, für die mitunter andere Schrankenregelungen eingreifen können, abgrenzen. Dasselbe gilt für zahlreiche weitere Abgrenzungen im Bereich der Tathandlungen, insbesondere der öffentlichen Wiedergabe und der Vervielfältigung. Diese deutliche Abgrenzungsproblematik spricht ebenfalls dafür, bei der Frage nach dem Vorsatz auf die Unterscheidung von sinnlich wahrnehmbaren (deskriptiven) und geistig wahrnehmbaren (normativen) Tatbestandsmerkmalen zu verzichten, denn die Ergebnisse sind allzu oft nicht nachvollziehbar oder weisen jedenfalls kaum Trennschärfe auf. Dann allerdings sind die Ergebnisse in vielerlei Konstellationen vom Zufall abhängig. Beispielsfall b (Unbedarfte Liveaufnahme):300 Konzertfreundin E ist auf dem Konzert ihres Lieblingskünstlers und schneidet mit der Kamera ihres Smartphones einen Song mit. Den Video-Mitschnitt „teilt“ sie sogleich auf Facebook, wo sie über 500 „Freunde“ hat. Über Urheberrechte macht sie sich überhaupt keine Gedanken. Fallvariante (Professionelles „Bootleg“): Rollstuhlfahrer R schmuggelt unter dem Sitz seines elektrischen Rollstuhls ein professionelles Recording-Gerät auf ein Open-Air-Konzert, mit welchem er – unter besten akustischen Bedingungen – von der Rollstuhltribüne aus einen Live-Mitschnitt anfertigt, um diesen zuhause zu vervielfältigen und im Internet zum Verkauf anzubieten.301 Die zuletzt skizzierten Fälle ähneln sich freilich stark – wobei sie sich in Bezug auf die konkrete Tathandlung nur in dem Punkt unterscheiden, dass die beiden Handelnden mit ihren Aufnahmen unterschiedliche Zwecke verfolgen, was sich 298
Vgl. zu dieser Lehre bereits ausführlich Kapitel 2 § 3 C. III. 2. Vgl. dazu Kapitel 2 § 3 B. I. 1. a), b). 300 Vgl. bereits Kapitel 3 § 3 B. II. 1. 301 Vgl. zur Aktualität solcher „Bootlegs“ nur LG Flensburg ZUM 2016, 299. 299
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sodann auch in deren Unrechtsbewusstsein widerspiegelt. Dass einmal eine professionelle Hardware zum Einsatz kommt, kann dabei für die urheberrechtliche Betrachtung der Tathandlung ebenso wenig von Belang sein wie dasjenige, was im Anschluss mit den „Bootlegs“ geschehen soll. In tatsächlicher Hinsicht wissen sowohl E als auch R jeweils, was sie tun. In der Fallvariante bestehen in Bezug auf die Strafwürdigkeit des Verhaltens freilich keine Bedenken, selbst wenn R davon ausgehen sollte, dass sein Verhalten legal sei. Denn ein solcher Verbotsirrtum ist unproblematisch als vermeidbar einzustufen. Im Beispielsfall b hingegen handelt es sich um eine Handlung, die heute auf Konzerten alltäglich ist und deswegen von kaum einem Handelnden als irgendwie verwerflich oder illegal eingestuft werden dürfte. Im Beispielsfall b verwirklicht E sowohl eine Vervielfältigung durch die Aufnahme, § 16 StGB – und zwar in Gestalt der Erstfixierung –, als auch eine öffentliche Wiedergabe in Gestalt des „Teilens“, welches den Tatbestand einer öffentlichen Zugänglichmachung nach § 19a UrhG erfüllt.302 Allerdings macht sie sich bei Vornahme der Handlung(en) keine Gedanken in Bezug auf eine mögliche Urheber- oder sonstige Rechtsverletzung. Dabei weiß E in tatsächlicher Hinsicht ganz genau, was sie tut. Sie weiß insbesondere um die dauerhafte Fixierung des Videos als Werk im Speicher ihres Smartphones, weswegen sie alle Tatumstände der Vervielfältigung „kennt“ i.S.d. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Nach der vorliegend vertretenen Auffassung handelt E also im Verbotsirrtum, weil es ihr am Unrechtsbewusstsein fehlt, § 17 StGB. Wiederum zeigt eine Analyse des skizzierten Fallbeispiels unter Heranziehung der herrschenden Irrtumslehre Ungereimtheiten auf: Wird mit der herrschenden Meinung im urheberstrafrechtlichen Schrifttum davon ausgegangen, dass es sich bei den Tathandlungsvarianten allesamt um deskriptive Tatbestandsmerkmale handelt, so wäre ein sinnliches Erfassen der Tatumstände für die Annahme des Vorsatzes insofern stets ausreichend, was auch im vorliegenden Fall anzunehmen wäre. Allerdings bringt diese Einordnung unter dem Gesichtspunkt der Deskriptivität des Merkmals diverse Unschlüssigkeiten zum Vorschein: Es wurde bereits erwähnt, dass insbesondere die Modalität der Erstfixierung, also die bloße Aufnahme eines „live“ dargebotenen Werks, im allgemeinen Sprachgebrauch kaum vom Begriff der „Vervielfältigung“ erfasst ist. Dann aber ergibt sich der wesentliche Gehalt des Tatbestandsmerkmals „Vervielfältigung“ in dieser Prägung ausschließlich aus dem normativen Bezug zu § 16 Abs. 2 UrhG, der diese Regelung trifft. Diese gesetzgeberische Entscheidung hinweggedacht, erfasst der Begriff der „Vervielfältigung“ eben keine Erstfixierungen, weswegen insofern auch nicht davon auszugehen ist, dass der Normadressat den Normappell kraft seiner Sinnesleistung korrekt aufnehmen könnte. Noch problematischer erscheint die Kategorisierung der Tathandlung „Vervielfältigung“ als deskriptives Tatbestandsmerkmal beim Vergleich mit dem Tatobjekt 302
Vgl. dazu noch ausführlich Kapitel 3 § 3 B. IV. 2. a).
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„Werk“, das, wie erörtert,303 im Gegensatz zu den Tathandlungen überwiegend als normatives Tatbestandsmerkmal verstanden wird: Warum bezüglich des Beispiels einer Erstfixierung in Gestalt der Videoaufnahme bereits das „sinnliche Erfassen“ für die Annahme vorsätzlichen Handelns genügen soll, aber für den Vorsatz in Bezug auf etwa ein Gemälde als Kunstwerk i.S.d. § 2 UrhG der rechtliche Bedeutungsgehalt nachvollzogen werden muss, leuchtet nicht ein – denn das Gemälde ist wesentlich leichter allein mit den Sinnen als Kunstwerk zu erfassen, als sich das Anfertigen eines kurzen Videos auf einem Konzert „sinnlich“ als Vervielfältigung eines Werkes erfassen lässt. Hier zeigt sich also einmal mehr das Folgende: Die herrschende Irrtumslehre leidet schon in ihrem Fundament (also bei der Trennung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen) unter evidenten Abgrenzungsproblemen, die die Lösung von Irrtumsfällen oftmals von Zufälligkeiten abhängig machen. Die vorliegend vertretene Irrtumslehre dagegen ermöglicht trennscharfe Ergebnisse: Irrtümer über die rechtliche Bewertung eines Verhaltens dürften dabei im Bereich der Tathandlungsvarianten, wie erwähnt, vermutlich den Regelfall darstellen. Im Rahmen der Frage, ob ein Irrtum vermeidbar war, lassen sich schließlich besondere Kenntnisse und Fähigkeiten eines Täters angemessen berücksichtigen: So sind Irrtümer in der zuletzt skizzierten Art für medienaffine Menschen regelmäßig eher vermeidbar, als für medientechnisch absolut unbegabte oder unbewanderte Menschen (wie etwa den Lehrer im genannten Beispielsfall). Sofern die Rechtsprechung ihren übermäßig strengen und darum ohnehin vielfach kritisierten Maßstab aufgibt,304 sind nicht nur dogmatisch einwandfreie und nachvollziehbare, sondern auch einzelfallgerechte Ergebnisse gesichert. Beispielsfall c (Fehlendes „Kopierbewusstsein“): Der technisch nicht versierte N liest gerne Nachrichten im Internet. Oftmals kopiert er diese und speichert sie auf dem Computer ab. Dass er damit Vervielfältigungen vornimmt, kommt ihm nicht in den Sinn, schließlich, denkt er, besteht in der digitalen Welt ohnehin alles nur aus Zahlen und Nummern. Ungeachtet der Tatsache, dass allein die Anfertigung der Kopien im skizzierten Beispielsfall höchstwahrscheinlich strafrechtlich keine Relevanz erlangen wird (vgl. § 53 UrhG), nimmt N jedenfalls Vervielfältigungen vor. Dabei erfasst er in tatsächlicher Hinsicht alles ganz korrekt. Er ordnet seine Handlung aber in Bezug auf die Tatvariante der Vervielfältigung in rechtlicher Hinsicht falsch ein: Er vollzieht eine rechtliche Wertung nicht nach, wenn er fälschlicherweise davon ausgeht, dass in der digitalen Welt ohnehin nur Zahlen und Nummern vorherrschen würden und seinen „copy+paste“-Vorgang deswegen nicht als relevant einstuft. Sein Irrtum wäre, sofern sich an diese Vervielfältigung überhaupt ein strafrechtliches Verhalten anschließen sollte, dann nach § 17 StGB zu beurteilen. Der Glaube an die fehlende Relevanz von Handlungen im Netz stellt sich damit in der Regel als Verbotsirrtum dar, wenn nicht zugrundeliegende Tatsachen 303 304
Vgl. Kapitel 3 § 3 A. I. Vgl. bereits Kapitel 2 § 3 A. II. 3. sowie Kapitel 2 § 3 D. II. 2. d).
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verkannt werden, was indes – wie erwähnt – in der Praxis nur selten vorkommen dürfte, mit Ausnahme jener Fälle, in denen ein Handelnder überhaupt nicht erkennt, was er tut. Beispielsfall d (Streaming): Filmliebhaber F schaut sich gerne Videos im Internet an. Hierfür nutzt er auch gängige Streaming-Plattformen wie etwa youtube. com. Angesichts der Popularität des Portals geht er davon aus, dass dessen Inhalte generell urheberrechtlich frei seien. Auch in dieser Konstellation ist unproblematisch festzustellen, dass F in tatsächlicher Hinsicht ganz genau weiß, was er tut. Er kennt also alle Umstände des gesetzlichen Tatbestandes – auch jene, die sein Handeln als Vervielfältigung i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG qualifizieren. Indes: Wie auch F im Beispielsfall, dürften sich in der Praxis nur die wenigsten Handelnden im „Netzalltag“ Gedanken machen, ob sie beim Anklicken eines Videos auf einer gängigen Plattform womöglich fremde Urheberrechte verletzen. Vor allem die flüchtige Vervielfältigung im „Buffer“ (im Arbeitsspeicher), die anschließend auch von selbst wieder verschwindet,305 dürfte kaum ein Handelnder als eine solche Vervielfältigung erfassen – was im Ergebnis unter strafrechtlichen Gesichtspunkten nach zutreffender Ansicht auch unproblematisch ist, weil die bloße Zwischenspeicherung zum rein rezeptiven (und deshalb urheberrechtlich freien) Genuss eines Werkes durch § 44a Nr. 2 UrhG privilegiert ist, also ein gesetzlich zugelassener Fall i.S.d. § 106 UrhG eingreift.306 Gleichwohl liegt in einem solchen Fall ein Verbotsirrtum vor, wenn der Handelnde irrtümlich davon ausgeht, bereits keine relevante Handlung im urheberstrafrechtlichen Sinne vorzunehmen, weswegen insoweit § 17 StGB einschlägig wäre. Nach herrschender Irrtumslehre müsste dagegen bereits im Tatbestand differenziert werden: Handelt es sich um ein deskriptives oder um ein normatives Merkmal? Mit der herrschenden – aber vorliegend, wie erörtert, für unzutreffend befundenen – Ansicht im Urheberrecht, handelt es sich bei den Tathandlungen um rein deskriptive Merkmale, weswegen insofern immerhin dieselben Ergebnisse erzielt werden dürften. Allerdings bleibt das „Manko“ bestehen, dass mit der herrschenden Ansicht strenggenommen im Rahmen des Vorsatzes dargelegt werden müsste, warum auch beim Streaming der Vorsatz in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal „Vervielfältigung“ durch rein sinnliches Erfassen der Tatumstände erlangt werden soll. Dies ist gerade nicht der Fall: Denn die Zwischenspeicherung im „Buffer“ wird durch den Handelnden überhaupt nicht wahrgenommen, sondern lässt sich nur unter Überwindung einer „geistigen Hürde“ überhaupt greifen. III. Irrtümer im Bereich der Verbreitung Als zweite Tathandlungsvariante nennt § 106 Abs. 1 UrhG die Verbreitung und nimmt auch insoweit die Vorschriften des Urheberzivilrechts akzessorisch in BeVgl. dazu nur Reinbacher, NStZ 2014, 57 (62). dazu Ensthaler, NJW 2014, 1553; Reinbacher, NStZ 2014, 57 (62); ferner auch die abweichende Auffassung des AG Leipzig, NZWiSt 2012, 390 (392). 305
306 Vgl.
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zug.307 Das Recht zur Verbreitung von urheberrechtlich geschützten Werken ist nach § 17 UrhG das Recht des Urhebers, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes in körperlicher Form der Öffentlichkeit anzubieten oder diese in Verkehr zu bringen, wobei das Anbieten zwar selbstständig neben der Variante des Inverkehrbringens steht, dabei allerdings gleichzeitig eine Vorbereitungshandlung hierzu darstellt,308 die ansonsten bloß eine Versuchsstrafbarkeit begründen könnte.309 Der Begriff der Öffentlichkeit orientiert sich wiederum, wie auch sonst im UrhG, grundsätzlich an der Definition in § 15 Abs. 3 UrhG.310 Irrtumsfälle sind auch in Bezug auf die Tatvariante der Verbreitung in vielfältiger Weise denkbar. Weil das Tatbestandsmerkmal mit dem Inverkehrbringen und dem Anbieten an die Öffentlichkeit zwei selbstständige Tathandlungsweisen in sich vereint und überdies der Begriff der Öffentlichkeit (§ 15 Abs. 3 UrhG) zahlreiche Probleme mit sich bringt, werden im Folgenden zunächst die wesentlichen, zumeist definitorischen Vorfragen beantwortet (1. bis 5.), woran sich eine Analyse von Irrtumskonstellationen anschließt (6.). 1. Die Alternativen der Verbreitung als Tathandlung: Das Inverkehrbringen und das Anbieten von urheberrechtlich geschützten Werken Das Verwertungsrecht des Inverkehrbringens i.S.d. § 17 Abs. 1 UrhG, welches durch § 106 UrhG als Tathandlungsvariante der Verbreitung in Bezug genommen wird, erfasst nach geläufiger Auffassung jede Handlung, die das Original oder seine körperlichen Vervielfältigungsstücke der allgemeinen Öffentlichkeit beziehungsweise dem Handelsverkehr zuführt.311 Dieser Tathandlung liegen in einem engeren Sinne also zunächst die folgenden Elemente zugrunde:312 Das körperlich fixierte Werk (das Werkstück) muss durch den Täter von dessen Verfügungsgewalt in die Verfügungsgewalt eines Dritten wechseln beziehungsweise überführt werden – insofern besteht Einigkeit. Ferner ist anzumerken, dass es sich beim Inverkehrbringen um ein Erfolgsdelikt handelt, dessen tatbestandlich vorausgesetzter Erfolg erst dort eintritt, wo ein Dritter tatsächlich die Verfügungsgewalt über ein Werkstück erlangt,313 was sich – wie erörtert – bei der Frage nach der Anwend307
Vgl. nur BGHSt 49, 93 (103). BGH GRUR 2007, 871 (873); Fromm/Nordemann-Dustmann, § 17 Rn. 11. 309 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 51, 53; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 18; kritisch und i.E. eine Strafbarkeit des Anbietens ablehnend Hildebrandt, S. 98 ff. 310 Vgl. Hildebrandt, S. 87 ff.; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 55; Rehbinder/Peukert, Rn. 442; Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 17. 311 Vgl. OLG Hamburg GRUR 1972, 375 (376); LG Köln ZUM 2008, 707 (708); Dreier/ Schulze-Schulze, § 17 Rn. 15; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 64; Rehbinder/Peukert, Rn. 453. 312 Vgl. dazu nur Hildebrandt, S. 93. 313 Heinrich, Strafbarkeit, S. 229; Hildebrandt, S. 98; Horn, NJW 1977, 2329 (2333); Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 18. 308
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barkeit des deutschen Strafrechts auswirken kann.314 Die meisten Besonderheiten dieser Tatvariante ergeben sich indes erst aus deren obligatorischem Bezug zur Öffentlichkeit (dazu sogleich). Das Anbieten an die Öffentlichkeit markiert eine Vorfeldhandlung zum Inverkehrbringen und umfasst als Tathandlung jede Offerte durch den Täter, die einem anderen die Bereitschaft kundtut, das Werkstück in den Verkehr gelangen zu lassen, zunächst unabhängig davon, ob es sich bei dem sich anschließenden Inverkehrbringen um einen Besitz- oder Eigentumserwerb handeln soll.315 Als „klassische“ Beispiele lassen sich etwa das Feilhalten über Prospekte, Schaufenster, Auslagen, Werbeanzeigen oder Rundschreiben sowie das Bewerben unter Zuhilfenahme sonstiger Werkzeuge wie etwa Zeitungs- oder Zeitschrifteninserate, Fernseh- Rundfunk- oder Kinoreklame, anführen.316 Tatbestandsmäßige Angebote sind auch im Bereich der neuen Medien vielfältig denkbar, denn solche sind in der „Netzwelt“ als ganz alltäglich einzustufen. Praxisnahe Beispiele sind etwa Offerten innerhalb von Facebook-Gruppen oder Gruppen innerhalb vergleichbarer Netzwerke (wie beispielsweise das Inserat in Gruppen wie „Kunst in Konstanz“, „Tonträger in Tübingen“ oder „Bildwerke Berlin“). Auch der Eintrag auf der eigenen Pinnwand, der anschließend (öffentlich oder nicht öffentlich) „geteilt“ wird, kann ein Angebot i.S.d. § 17 UrhG darstellen. Ebenso verhält es sich mit einem „Tweet“, der andere „Twitter-User“ erreicht, oder mit einer Rundmail an einen Mailverteiler. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass das „Angebot“ nicht im privatrechtlichen, sondern im wirtschaftlichen Sinne zu verstehen ist, sodass insbesondere auch die invitatio ad offerendum erfasst ist.317 Dabei stellt sich, wie bereits angedeutet, das grundsätzliche Problem, wie weit der Verbreitungsbegriff des deutschen Urheberrechts überhaupt reicht: Seit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Jahre 2008 ist umstritten, ob der (europäische) Verbreitungsbegriff 318 nur die Eigentumsübertragung – so der EuGH319 – oder auch die Vermietung, die Leihe oder eine sonstige Gebrauchsüberlassung erfasst. Diese Problematik vorliegend 314
Vgl. Kapitel 3 § 2. Vgl. KG NStZ 1983, 561 (561 f.) – es gehe um die Kundgabe des Willens, das Werk „entgeltlich oder unentgeltlich zu veräußern, zu vermieten, zu verleihen oder sonst zu überlassen“; ferner Dreier/Schulze-Schulze, § 17 Rn. 11; v. Gravenreuth, S. 14; Hildebrandt, S. 102; Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 17 f.; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 54; U. Weber, S. 213. 316 Vgl. BeckOK-UrhG-Götting, § 17 Rn. 11; Dreier/Schulze-Schulze, § 17 Rn. 11. 317 Vgl. KG NStZ 1983, 561 (562); BeckOK-UrhG-Götting, § 17 Rn. 11; Dreier/Schulze-Schulze, § 17 Rn. 11; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 54. 318 Vgl. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG – dieser spricht, grundsätzlich sehr weit gefasst, von dem ausschließlichen Recht der Urheber, „die Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten.“ 319 EuGH GRUR 2008, 604 (605) – es seien nur Handlungen erfasst, „die mit einer Übertragung des Eigentums an diesem Gegenstand verbunden sind“; vgl. dazu insbesondere Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 51 f.; ferner Dreier/Schulze-Schulze, § 17 Rn. 4a. 315
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ausführlich zu behandeln, würde indes den Rahmen der Bearbeitung übersteigen. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden daher die folgenden (herrschenden) Grundsätze zugrunde gelegt: Das deutsche Urheberrecht geht grundsätzlich von einem weiten Verbreitungsbegriff aus, der jede Form der Verbreitung erfasst, also auch diejenigen Handlungen, die nicht auf eine Eigentumsübertragung abzielen.320 Weil der europäische Begriff insoweit lediglich Mindestvorgaben bezüglich des Schutzniveaus macht, über die der deutsche Gesetzgeber zugunsten der Urheber hinausgehen darf,321 erfasst die Verbreitung im deutschen Urheberrecht nach zutreffender Auffassung sowohl im zivilrechtlichen als auch im strafrechtlichen Kontext sämtliche Weitergaben körperlicher Werkstücke – und damit, entgegen der Auffassung des EuGH, auch solche, die nicht auf eine Eigentumsübertragung gerichtet sind.322 Dies betrifft in der Praxis insbesondere die Vermietung, die Leihe und sonstige bloße Besitzeinräumungen. 2. Der Bezug der Tathandlungsvarianten zum Merkmal der Öffentlichkeit Das körperliche Verwertungsrecht der Verbreitung ist, ebenso wie die – noch im Einzelnen darzustellende323 – (unkörperliche) öffentliche Wiedergabe, ein Ausschließlichkeitsrecht des Urhebers, dessen weitgreifender Schutzbereich nur dann eröffnet ist, wenn die Tathandlung einen Bezug zur Öffentlichkeit aufweist. Während das Anbieten schon dem Wortlaut des § 17 Abs. 1 UrhG nach gegenüber der Öffentlichkeit erfolgen muss, ergibt sich diese Beziehung für die Alternative des Inverkehrbringens nicht bereits aus dem Gesetzestext, sondern erst daraus, dass von dem Merkmal nach zutreffender Auffassung jede Handlung erfasst ist, durch die ein Werkstück aus dem Herrschaftsbereich des Täters – oder aus der „internen Betriebssphäre“324 – heraus der Öffentlichkeit zugeführt wird.325 Es geht also stets darum, das Werk schlussendlich in einer körperlich fixierten Form an Personen zu überlassen, die ihrerseits nicht zum persönlichen Bekanntenkreis desjenigen gehören, der es in den Verkehr bringt.326 Im Umkehrschluss ergibt sich 320 Dreier/Schulze-Schulze, § 17 Rn. 4a; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 51. 321 Wandtke/Bullinger-Heerma, § 17 Rn. 9; v. Welser, GRUR Int. 2008, 596 (597). 322 Vgl. Dreier/Schulze-Schulze, § 17 Rn. 4a; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 51; Wandtke/Bullinger-Heerma, § 17 Rn. 9; v. Welser, GRUR Int. 2008, 596 (597); zur Gegenansicht, die nach der EuGH-Entscheidung nur mehr Übereignungshandlungen als erfasst ansieht BeckOK-UrhG-Götting, § 17 Rn. 19; Fromm/Nordemann-Dustmann, § 17 Rn. 19; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 17a. 323 Kapitel 3 § 3 B. IV. 324 Dreier/Schulze-Schulze, § 17 Rn. 15; Wandtke/Bullinger-Heerma, § 17 Rn. 19. 325 Vgl. BGH GRUR 1985, 129 (130); OLG Hamburg GRUR 1972, 375 (376); LG Köln ZUM 2008, 707 (708); Dreier/Schulze-Schulze, § 17 Rn. 15; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 64; Rehbinder/Peukert, Rn. 453; Wandtke/Bullinger-Heerma, § 17 Rn. 19. 326 Vgl. Rehbinder/Peukert, Rn. 453.
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hieraus, dass sowohl die nichtöffentliche Wiedergabe327 als auch die rein private, also nichtöffentliche Verbreitung von urheberrechtlich geschützten Werken an Dritte, zu denen der Verbreitende eine persönliche Beziehung pflegt, gemeinfrei möglich sind.328 Über den Verbreitungsbegriff herrschen innerhalb der Wissenschaft diverse Streitigkeiten, die in der vorliegenden Arbeit allerdings nicht erschöpfend behandelt werden können. Unter anderem ist umstritten, wie stark der Bezug von Weitergaben körperlicher Werkstücke zur Öffentlichkeit richtigerweise ist, denn: Das Merkmal des Inverkehrbringens nimmt, wie erwähnt, den § 15 Abs. 3 UrhG nicht direkt in Bezug, weswegen mitunter die Auffassung vertreten wird, dass das Inverkehrbringen im Gegensatz zum Anbieten keinen direkten Zugriff auf die Öffentlichkeit erfordere, weswegen auch die rein private Weitergabe (etwa an einen Freund) als Inverkehrbringen vom Tatbestand erfasst sein soll, sobald damit zu rechnen sei, dass diese Weitergabe schließlich in die Öffentlichkeit münde (etwa weil der Freund das Werk mit großer Wahrscheinlichkeit selbst weitergibt).329 Dem ist allerdings schon deshalb zu widersprechen, weil es nicht einleuchtet, warum das Anbieten als eigentliche Vorbereitungshandlung in diesem Zusammenhang anders behandelt werden soll als das spätere Inverkehrbringen. So stellt Heinrich zutreffend fest, dass das Urheberrecht erst dann überhaupt beeinträchtigt wird, wenn die Vervielfältigung tatsächlich – und nicht bloß potenziell – die Öffentlichkeit erreicht,330 denn die ausschließlich private Verwertung ist, wie erwähnt, urheberrechtlich „frei“. Im Folgenden soll dementsprechend davon ausgegangen werden, dass eine Verbreitung nur dann tatbestandsmäßig nach § 106 UrhG sein kann, wenn sie direkt gegenüber einzelnen Personen aus dem Kreis der Öffentlichkeit erfolgt. Bei der Verbreitung steht – im Gegensatz zur öffentlichen Wiedergabe – im Vordergrund, dass „der Anbietende aus der [Hervorhebung durch d. Verf.] internen Sphäre in die Öffentlichkeit hinaustritt“,331 wohingegen eine Wiedergabe ihrerseits bereits innerhalb der Öffentlichkeit stattfinden muss, um den Tatbestand der Öffentlichkeit überhaupt erfüllen zu können. Denn eine Wiedergabe inmitten einer abgegrenzten Privatsphäre, die gleichwohl die Öffentlichkeit erreicht, ist nicht denkbar. Insofern weisen die Wiedergabe und die Verbreitung schon ihrem Wesen nach entscheidende Unterschiede auf. Weil die Vorschrift des § 15 Abs. 3 UrhG 327 BeckOK-UrhG-Kroitzsch/Götting, § 15 Rn. 21; Wandtke/Bullinger-Heerma, § 15 Rn. 13; Wandtke/Ohst-Jani, Band 2, Kapitel 1 Rn. 127; Wandtke-Wöhrn, Kapitel 3 Rn. 114; vgl. zu Abgrenzungsfragen die Beispiele bei Rehbinder/Peukert, Rn. 441 ff.; zu dieser Tathandlungsvariante noch ausführlich Kapitel 3 § 3 B. IV. 328 BeckOK-UrhG-Götting, § 17 Rn. 20; Dreier/Schulze-Schulze, § 17 Rn. 8; Dreyer/ Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 17 Rn. 20; Fromm/Nordemann-Dustmann, § 17 Rn. 12; Wandtke/Bullinger-Heerma, § 17 Rn. 17. 329 BeckOK-UrhG-Götting, § 17 Rn. 20; U. Weber, S. 213. 330 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 65. 331 Dreier/Schulze-Schulze, § 17 Rn. 7.
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aber eine einheitliche Begriffsdefinition der Öffentlichkeit leistet,332 die auch auf die Variante der Verbreitung Anwendung findet, müssen dabei die „sich aus der Natur des körperlichen Verbreitungsrechts ergebenden Abweichungen“333 berücksichtigt werden, sodass es im Ergebnis nur zu einer entsprechenden Anwendung der Vorschrift innerhalb des § 17 UrhG kommt.334 Eine Wiedergabe ist gemäß § 15 Abs. 3 UrhG dann öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist. Wer zum Kreis der Öffentlichkeit zählt, ist – aus Gründen der Rechtssicherheit335 – ebenfalls gesetzlich geregelt: Gemäß § 15 Abs. 3 S. 2 UrhG gehört zur Öffentlichkeit „jeder, der nicht mit demjenigen, der das Werk verwertet, oder mit den anderen Personen, denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, durch persönliche Beziehungen verbunden ist.“ Bezogen auf die Wiedergabe, ergibt sich also bereits aus dieser Definition, dass die Tathandlung selbst innerhalb der Öffentlichkeit stattfinden muss, sodass das Werk zugunsten einer Mehrzahl der betreffenden Personen wahrnehmbar gemacht wird. Soll das Werk dagegen nur zugunsten einer Einzelperson wahrnehmbar gemacht werden, so ist keine öffentliche Wiedergabe nach § 15 Abs. 3 UrhG gegeben. Eine andere Situation ergibt sich indes zumindest bei der Verbreitung in der Variante des Inverkehrbringens: Die Schwelle zur Öffentlichkeit, gleichsam verstanden als „öffentliche Sphäre“, die alle Personen umfasst, die mit dem Verwertenden nicht durch persönliche Beziehungen verbunden sind, und die sich nicht untereinander allesamt persönlich kennen,336 ist hier immer schon dann überschritten, wenn das Werk in einem ersten Schritt auch nur einen einzigen ihrer Adressaten erreicht. Dann ist das Werk der „öffentlichen Sphäre“ zugeführt, der Verbreitende hat es aus seinen Händen gegeben und dementsprechend keinen Einfluss mehr auf die weitere Verteilung, Verbreitung oder den Verbleib des Werkstücks. Ein einzelnes Werkstück kann darüber hinaus auch nur im Wege der Einzelverbreitung überhaupt in die Öffentlichkeit gelangen.337 Deswegen ist es nach zutreffender Ansicht auch nicht erforderlich, dass die Verbreitung, um den Tatbestand der Öffentlichkeit zu erfüllen, ihrerseits – entsprechend dem Mehrzahlerfordernis in § 15 Abs. 3 S. 1 UrhG – an mehrere Personen erfolgen muss, sodass bereits die erste Weitergabe eines Werkexemplars an eine Person, die der Öffentlichkeit angehört, tatbestandsmäßig ist.338 332 Vgl. Dreier/Schulze-Dreier, § 15 Rn. 38; Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 15 Rn. 47; Rehbinder/Peukert, Rn. 442. 333 Fromm/Nordemann-Dustmann, § 17 Rn. 12. 334 BGH GRUR 1991, 316 (317); Dreier/Schulze-Schulze, § 17 Rn. 7; Fromm/Nordemann-Dustmann, § 17 Rn. 12; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 55. 335 Vgl. BT-Drucks. 4/270, S. 47. 336 Vgl. nur Dreier/Schulze-Dreier, § 15 Rn. 43. 337 BGH GRUR 1991, 316 (317). 338 Vgl. nur BGH GRUR 1991, 316 (317); ferner BGH GRUR 1985, 129 (130); Dreier/Schulze-Schulze, § 17 Rn. 7; Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 17 Rn. 20; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 66.
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Kurzum: In entsprechender Anwendung von § 15 Abs. 3 UrhG auf die Handlungsvariante des Inverkehrbringens ist die Öffentlichkeit allein dadurch bestimmbar, dass ihre Adressaten in keiner persönlichen Beziehung zum Verwertenden stehen, untereinander aber freilich persönlich miteinander verbunden sein dürfen.339 Denn ansonsten wäre bei lebensnaher Betrachtung die Weitergabe an nur eine Person niemals tatbestandsmäßig. Auf die Besonderheiten, die sich insoweit aber bei der Variante des öffentlichen Anbietens ergeben, wird sogleich eingegangen.340 3. Das Anbieten an die Öffentlichkeit im Besonderen Das Anbieten an die Öffentlichkeit wurde bereits als Begehungsvariante des § 106 UrhG erläutert. Uneinheitlich beurteilt wird dabei allerdings die Frage, ob neben dem Inverkehrbringen auch ein tatbestandsmäßiges Anbieten an die Öffentlichkeit bereits dann vorliegen kann, wenn der Handelnde das Werk nur einer Einzelperson offeriert.341 Insoweit wird das Erfordernis der Personenmehrzahl in § 15 Abs. 3 S. 1 UrhG mitunter doch auch innerhalb der Tathandlungsvariante der Verbreitung fruchtbar gemacht.342 Für das Inverkehrbringen wurde soeben festgestellt, dass ein solches schon dann angenommen werden kann, wenn auch nur ein einziges Werkstück an eine einzelne Person weitergegeben wird, die der Öffentlichkeit angehört. Indes: Die Konstellation beim Anbieten ist eine ganz andere, denn in diesem Fall gelangt das körperlich fixierte Werk als solches noch nicht in die Sphäre der Öffentlichkeit, sodass die eben geführte Argumentation zur Verbreitung strenggenommen nicht übertragbar ist. Auch dieser Streit kann vorliegend zwar nicht erschöpfend dargestellt werden. Weil insofern jedoch ein großes Irrtumspotenzial besteht, soll gleichwohl etwas tiefer auf die Problematik eingegangen werden. Einerseits erscheint es zunächst fraglich, weshalb für die Vorbereitungshandlung (Anbieten) etwas Anderes gelten sollte als für die tatsächliche Verbreitung des Werkstücks im engeren Sinne (in den Verkehr bringen). Beide Tathandlungsvarianten stehen selbstständig nebeneinander, was zunächst deren Gleichbehandlung indiziert. Auch der gesetzgeberische Wille legt zunächst nichts anderes nahe, denn das Angebot unterfällt hiernach eindeutig der Kategorie der körperlichen Verwertung, weswegen § 15 Abs. 3 UrhG auch insofern lediglich analog zur Anwendung Vgl. auch Rehbinder/Peukert, Rn. 453. Vgl. Kapitel 3 § 3 B. III. 3. 341 Befürwortend BGHZ 113, 159 (161); BGH GRUR 1982, 102 (103); Fromm/Nordemann-Dustmann, § 17 Rn. 12, 14; Hildebrandt, S. 104; Wandtke/Bullinger-Heerma, § 17 Rn. 18; wohl auch Dreier/Schulze-Schulze, § 17 Rn. 7; a.A. LG Wuppertal CR 1987, 599 (699) – erforderlich sei ein Angebot gegenüber einer „nicht bestimmt begrenzten […] Mehrheit von Personen“; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 58; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 18. 342 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 58. 339
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kommt. Hildebrandt stellt in diesem Zusammenhang ferner zutreffend fest: „Auch eine Einzelperson kann die […] Öffentlichkeit repräsentieren.“343 Andererseits sind evidente Unterschiede auszumachen, die eine unterschiedliche Beurteilung nicht nur rechtfertigen, sondern vielmehr nahelegen: Zwar ist das Anbieten an die Öffentlichkeit ausweislich des gesetzgeberischen Willens eine eigenständige Tathandlung. Allerdings ist nicht zu verkennen, dass das Anbieten unter strafrechtlichen Gesichtspunkten augenscheinlich eine Vorbereitungshandlung des Inverkehrbringens darstellt. Damit einhergehend, liegt das Gefährdungspotenzial für das Urheberrecht im materiellen Sinne (und damit auch der Unwert) bei einem Einzelangebot deutlich unter jenem einer einzelnen Weitergabe, denn das Angebot bringt allein noch keine konkrete Gefahr einer Weitergabe mit sich, wohingegen das Inverkehrbringen bereits für sich betrachtet eine konkrete Gefahr weiterer unerlaubter Verwertungen bewirkt, die durch den damit einhergehenden Machtverlust des Verwertenden zusätzlich potenziert wird. Schon unter diesem Gesichtspunkt erscheint, jedenfalls strafrechtlich, ein gesteigerter Öffentlichkeitsbezug für die Variante des öffentlichen Anbietens nicht als verfehlt. Im Lichte einer Relativität der Rechtsbegriffe stünde einer abweichenden strafrechtlichen Betrachtung grundsätzlich auch nichts im Wege.344 Freilich bringt die invitatio ad offerendum strenggenommen auch dann noch keine konkrete Gefahr mit sich, wenn sie gegenüber einem größeren Kreis an Interessenten erteilt wird. Allerdings ist das Gefährdungspotenzial gleichwohl um ein Vielfaches höher, denn praktisch erhöht die Möglichkeit einer gesteigerten Nachfrage ganz unzweifelhaft das Risiko, dass der Anbietende das Werk anschließend gleich mehrfach tatsächlich in den Verkehr bringt. Erst dieses gesteigerte Risiko vermag nach der hier vertretenen Auffassung das Bedürfnis einer Strafbarkeit des Anbietens auszulösen.345 Diese Lösung ist auch nicht aus dem Grunde zu beanstanden, dass womöglich ein Vergleich mit der Variante des Inverkehrbringens eine Gleichbehandlung fordern würde: Erstens ist, wie soeben erwähnt, mit der Theorie der Relativität von Rechtsbegriffen, grundsätzlich im Strafrecht eine andere Auslegung möglich als im Zivilrecht, sofern dies geboten ist.346 Darüber hinaus legt aber bereits eine nähere Untersuchung der Tathandlungen selbst eine solche Differenzierung nahe. Denn das Anbieten eines Einzelstücks kann, entgegen der Argumentation des BGH,347 unproblematisch gegenüber einer breiten Öffentlichkeit erfolgen (invitatio ad offerendum!) – wohingegen das Inverkehrbringen eines einzelnen Werkstücks schon denklogisch immer nur im Wege der Einzelverbreitung möglich ist.348 Hildebrandt, S. 106. Vgl. dazu bereits ausführlich Kapitel 2 § 3 B. II. 3. 345 Hildebrandt, S. 101, hält diese Tatvariante aus ähnlichen Erwägungen sogar für überhaupt nicht strafbar. 346 Ebenso Hildebrandt, S. 101. 347 BGH GRUR 1991, 316 (317). 348 Vgl. nur Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 58. 343
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Heinrich stellt in diesem Zusammenhang treffend fest, dass selbst ein Einzelstück regelmäßig im Wege einer invitatio ad offerendum gegenüber mehreren Personen angeboten werden dürfte, obgleich dieses im Ergebnis natürlich nur an eine Einzelperson weitergegeben werden kann.349 Wenn dieses Argument nun, wie bereits dargelegt wurde, zur Begründung der Tatbestandsmäßigkeit der Einzelweitergabe herangezogen wird, muss dieser Unterschied doch ebenso als Argument gegen die Tatbestandsmäßigkeit von Einzelangeboten herangezogen werden. Auch diese Erwägung legt also eine differenzierte Betrachtung nahe. Es bleibt festzuhalten, dass das bloße Angebot eines Werkes gegenüber der Öffentlichkeit nur dann tatbestandsmäßig i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG ist, wenn es an eine Mehrzahl von Personen i.S.d. § 15 Abs. 3 UrhG adressiert ist. Insofern ist der Öffentlichkeitsbegriff anders auszulegen als bei der Handlungsvariante des Inverkehrbringens, wo, wie festgestellt wurde, bereits die Weitergabe an eine Einzelperson, die der Öffentlichkeit angehört, tatbestandsmäßig sein kann. Diese unterschiedliche Behandlung ist auch deshalb unproblematisch möglich, weil es sich bei den beiden Alternativen der Verbreitung jeweils um selbstständige Tatbestandsmerkmale handelt, die im Rahmen der gebotenen entsprechenden Anwendung von § 15 Abs. 3 UrhG auch unterschiedlich ausgelegt werden können.350 4. Die Mehrzahl von Personen i.S.d. § 15 Abs. 3 S. 1 UrhG Wie soeben dargelegt wurde, ist das Mehrzahlerfordernis des § 15 Abs. 3 S. 1 UrhG nicht nur für die öffentliche Wiedergabe, sondern auch für die Begehungsvariante des Anbietens an die Öffentlichkeit durchaus von Relevanz. In den meisten Fällen dürften sich dabei zwar keine Probleme stellen, denn in den skizzierten Beispielen (Kataloge, Annoncen, Facebook-Postings, Schaufensterauslagen etc.) erreicht das Angebot regelmäßig eine unbestimmte Vielzahl von Personen, die weder mit dem Verwertenden, noch untereinander allesamt persönlich verbunden sind. Gleichwohl wird die Frage, ab wann eine Mehrzahl im Sinne der Vorschrift des § 15 Abs. 3 UrhG anzunehmen ist, zumindest im Bereich der unkörperlichen Verwertung – auf welche die Definition des § 15 Abs. 3 UrhG auch zugeschnitten ist – unterschiedlich beurteilt. Hier gilt zwar wiederum, dass § 15 Abs. 3 UrhG bei der Verbreitung bloß entsprechend anwendbar ist. Die diskutierten Probleme dürften sich indes allesamt auch hierauf übertragen lassen. So ist beispielsweise durchaus ein Fall denkbar, in dem eine Person in der Öffentlichkeit auf genau zwei Personen zugeht und diesen ein Werk anbietet. a) Das Erfordernis der Personenmehrzahl Mathematisch betrachtet, liegt eine Mehrzahl schon ab zwei Personen vor. Ob diese Aussage auch im Lichte des § 15 Abs. 3 UrhG Gültigkeit behält, bedarf indes einer etwas tiefer gehenden Erörterung. Grundsätzlich gilt, dass die Mehrzahl nach 349 Müko-StGB-Heinrich, 350 Müko-StGB-Heinrich,
2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 58. 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 58.
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objektiven Kriterien zu bestimmen ist,351 wobei es im Rahmen der Wiedergabe für die Frage, ob diese auch für eine Mehrzahl bestimmt ist, wiederum entscheidend auf die subjektive Seite des Werkverwerters ankommt.352 Mangels gesetzgeberisch oder höchstrichterlich festgelegter verbindlicher Grenzwerte, ist die praktische Entscheidung über das Vorliegen einer Personenmehrzahl der Einschätzung der einzelnen Tatgerichte vorbehalten. Bis ins Jahr 2016 hinein wurde diese Frage in Deutschland ausdrücklich offengelassen. Selbst der Bundesgerichtshof ließ in seiner „Zwei-Bett-Zimmer“-Entscheidung die Frage ausdrücklich unbeantwortet, ob zwei Personen bereits ausreichen, um den Tatbestand zu erfüllen, obgleich der Sachverhalt für eine Klärung geradezu prädestiniert gewesen war.353 In der Literatur wie auch der Rechtsprechung wird bis heute mitunter ab zwei Personen von einer Mehrzahl ausgegangen.354 U. Weber dagegen befindet eine zahlenmäßige Abgrenzung generell für „nur sehr schwer möglich“ und schlägt vor, danach abzugrenzen ob sich die Personen „bei der Veranstaltung mehr oder weniger zwangsläufig persönlich bekannt werden müssen, sich also später jeweils ohne Weiteres aufgrund des gemeinsamen Besuches der Veranstaltung wiedererkennen“ und sieht das Mehrzahlerfordernis hiernach „jedenfalls“ bei zehn Personen als erfüllt an.355 Mit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18. 6. 2015,356 in welcher sich der BGH überwiegend auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in einem ähnlich gelagerten Fall bezog,357 kam auch auf nationaler Ebene neuer Schwung in diese Diskussion. Der BGH schloss sich der ausdrücklichen Auffassung des EuGH an, dass die Öffentlichkeit einer Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 – welche auch dem deutschen Öffentlichkeitsbegriff zugrunde liegt – eine „unbestimmte Zahl potenzieller Leistungsempfänger“ verkörpere und ferner aus „recht vielen“358 beziehungsweise aus „ziemlich 351 Wandtke/Bullinger-Heerma,
§ 15 Rn. 19. Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 32; Wandtke/Bullinger-Heerma, § 15 Rn. 19; dazu noch ausführlich Kapitel 3 § 3 B. IV. 1. a). 353 BGH GRUR 1996, 875 (876); vgl. dazu Dreier/Schulze-Dreier, § 15 Rn. 40; Erbs/ Kohlhaas-Kaiser, 208. Lfg., § 15 UrhG Rn. 6 – welche dieses Urteil wohl als Beleg dafür deuten, dass zwei Personen genügen; ferner BeckOK-UrhG-Kroitzsch/Götting, § 15 Rn. 26; Loewenheim-Hoeren, § 21 Rn. 10; Wandtke/Bullinger-Heerma, § 15 Rn. 20 – welche von einer offenlassenden Rechtsprechung ausgehen. 354 OLG Hamburg BeckRS 2014, 02166; BeckOK-UrhG-Kroitzsch/Götting, § 15 Rn. 26; Dreier/Schulze-Dreier, § 15 Rn. 40; Erbs/Kohlhaas-Kaiser, 208. Lfg., § 15 UrhG Rn. 6; Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 31; a.A. aus praktischen Gründen Wandtke/Bullinger-Heerma, § 15 Rn. 20 – „kaum ein Fall vorstellbar“. 355 U. Weber, S. 218. 356 BGH GRUR 2016, 278; vgl. dazu J. B. Nordemann, GRUR 2016, 245 (245 ff.). 357 EuGH GRUR 2012, 593 (596). 358 EuGH GRUR 2012, 593 (596); BGH GRUR 2016, 278 (282 f.); ebenso BGH GRUR 2016, 171 (173); vgl. auch LG Köln, GRUR 2015, 885. 352 Vgl.
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vielen“359 Personen bestehen müsse. Weiterhin beruft sich der BGH darauf, dass mit dem Kriterium der „recht vielen Personen“ gemeint sei, dass der Begriff der Öffentlichkeit „eine bestimmte Mindestschwelle“ enthalte, weswegen eine „allzu kleine oder gar unbedeutende Mehrzahl betroffener Personen“ nicht ausreichend sei. Ferner sei „die kumulative Wirkung zu beachten, die sich aus der Zugänglichmachung der Werke bei den potenziellen Adressaten ergibt.“ Es komme insofern darauf an, wie viele Personen gleichzeitig und nacheinander Zugang zu demselben Werk hätten.360 Nach dem zuletzt Gesagten dürfte die Annahme einer Mehrzahl bereits ab zwei Personen freilich nicht mehr möglich sein. Eine klare Rechtslage besteht indes noch immer nicht, denn wann von „recht“ oder „ziemlich“ vielen Personen ausgegangen werden kann, bleibt offen.361 Grundsätzlich erscheint es auch förderlich, auf eine Festlegung starrer Grenzwerte zu verzichten, um der Vielfältigkeit aller Lebenssachverhalte gerecht zu werden. Auch nach der jüngsten BGH-Rechtsprechung spricht das von Dustmann genannte Beispiel der Fahrstuhlmusik362 indes noch immer eindrücklich für eine – zumindest theoretische – Anerkennung der Zwei-Personen-Konstellation: So ist es durchaus ein gängiger Sachverhalt, dass sich in einem durch den Betreiber beschallten Fahrstuhl etwa eines Hotels, eines Krankenhauses oder eines Geschäftsgebäudes schon aufgrund der Kapazität des Fahrstuhls immer exakt zwei, drei oder vier Personen aufhalten, die durch keinerlei persönliche Beziehung miteinander verbunden sind. Theoretisch ebenso denkbar ist die gegenteilige Konstellation, dass hunderte Menschen, etwa auf einer Hochzeit oder im Rahmen einer Abiturfeier, allesamt persönlich miteinander oder mit dem Verwertenden verbunden sind, womit trotz hoher Personenzahl das Merkmal der Öffentlichkeit gerade nicht erfüllt wäre.363 b) Das Erfordernis fehlender persönlicher Verbundenheit Eine Wiedergabe ist nur dann öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Personen bestimmt ist, die weder in einer persönlichen Beziehung zum Verwertenden stehen, noch untereinander persönlich miteinander verbunden sind, § 15 Abs. 3 UrhG. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass sich ein Ausschluss der Öffentlichkeit in zweierlei Situationen ergeben kann: Entweder der Verwertende kennt alle übrigen Adressaten persönlich (die sich dann aber ihrerseits nicht alle persönlich kennen müssen, wie etwa im soeben angeführten Beispiel einer Hochzeit, wo alle Gäste persönlich mit dem Brautpaar, aber nicht zwingend allesamt untereinander verbunden sind). Oder alle übrigen Adressaten sind untereinander persönlich verbunden, wobei dann nicht jeder von ihnen ein persönliches Band zum Verwerten359
EuGH GRUR 2013, 500 (502); EuGH GRUR 2016, 60 (61). BGH GRUR 2016, 171 (173); BGH GRUR 2016, 278 (282). 361 Vgl. dazu J. B. Nordemann, GRUR 2016, 245 (246 f.). 362 Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 31. 363 Zutreffend AG Bochum GRUR-RR 2009, 166 (167). 360
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den aufweisen muss (etwa auf einer Vereinssitzung, auf der ein Täter lediglich eines von vielen Vereinsmitgliedern kennt, die dabei allesamt untereinander persönlich miteinander verbunden sind). Die fehlende persönliche Beziehung zum Verwertenden festzustellen, bereitet dabei regelmäßig keine Probleme, denn insoweit ist das Zweipersonenverhältnis leicht auszuwerten. Ungleich schwieriger hingegen gestaltet sich die Frage nach persönlichen Bindungen innerhalb einer Personenmehrzahl, weil insofern oftmals mehrere „Beziehungsgeflechte“ ausgewertet werden müssen. Nach gesicherter Rechtsprechung hängt die Beantwortung der Frage, ob die Mitglieder eines Personenkreises durch persönliche Beziehungen untereinander verbunden sind, sowohl von der Personenzahl als auch im Einzelfall von der Natur und der Ausprägung ihrer Beziehungen ab.364 Der Begriff der persönlichen Verbundenheit wird dabei – zumindest grundsätzlich – weit ausgelegt, was bedeutet, dass es für eine Bejahung des Merkmals nicht zwangsläufig freundschaftlicher oder gar familiärer Beziehungen bedarf.365 Das Erfordernis einer fehlenden persönlichen Bindung hängt also grundsätzlich von wenig restriktiven Anforderungen ab. Gleichwohl wird in ständiger Rechtsprechung eine gewisse Tiefe der persönlichen Verbundenheit gefordert, weswegen ein Vertragsverhältnis für die Annahme einer persönlichen Bindung grundsätzlich ebenso wenig ausreicht, wie die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.366 Eine tatbestandsausschließende persönliche Verbundenheit wurde auch in einem Fall verneint, in welchem mehreren Bewohnern eines Altersheims der Zugang zu einem Fernsehgerät gewährt wurde.367 Der BGH führte aus, es sei entscheidend, ob ein enger gegenseitiger Kontakt bestehe, „der bei den Beteiligten das Bewusstsein hervorruft, persönlich miteinander verbunden zu sein“,368 wobei der notwendige engere persönliche Kontakt voraussetze, dass „es sich um einen überschaubaren Personenkreis handelt, dessen Mitglieder sich überhaupt persönlich kennen.“369 Ferner hat der BGH wiederholt entschieden, dass eine Verbindung über ähnlich gelagerte Interessen – etwa über einen Vereinszweck – allein nicht aus364 Vgl. BGH GRUR 1955, 549 (550); BGH GRUR 1961, 97 (99) – rein interne Vereinsveranstaltungen können öffentlich sein; BGH GRUR 1975, 33 (33 ff.) – Öffentliche Wiedergabe im Gemeinschaftsraum eines Alterswohnheims; BGH GRUR 1983, 562 (563 f.) – Öffentlichkeit eines schulischen Gemeinschaftsraums; BGH GRUR 1984, 734 (735) – Öffentlichkeit in einer Justizvollzugsanstalt; BGH GRUR 1996, 875 (876 f.) – Zweibettzimmer im Krankenhaus; OLG München ZUM 1986, 482 (482 f.); OLG Frankfurt NJW-RR 1986, 1056 (1056) – grundsätzlich Öffentlichkeit von Tanzkursen. 365 OLG München ZUM 1986, 482 (482); vgl. zum Merkmal der Öffentlichkeit im schulischen Bereich, insbesondere bei Schulklassen und vergleichbaren Konstellationen Do Chi, S. 83 ff. 366 OLG Frankfurt NJW-RR 1986, 1056 (1057); BGH NJW 1955, 1356 (1356). 367 BGH GRUR 1975, 33 (34). 368 BGH GRUR 1975, 33 (34). 369 BGH GRUR 1975, 33 (34).
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reichend sei, um ein „persönliches Band“ zu begründen und einer Veranstaltung einen „privaten Charakter“ zu verleihen.370 Ebenso wurde das Vorliegen einer persönlichen Beziehung für Häftlinge einer Justizvollzugsanstalt verneint – einerseits weil das alleinige Zusammenwohnen keine persönliche Verbundenheit begründe sowie andererseits unter dem Aspekt, dass selbst die möglicherweise vorhandene Verbundenheit unter einzelnen wenigen Personen nicht ausreichend sei.371 Auch eine mehrtägige gemeinsame Lehrgangsteilnahme mit berufsbildendem Hintergrund soll keine hinreichenden persönlichen Beziehungen unter sämtlichen Teilnehmern begründen, gleich ob diese „internatsmäßig“ untergebracht sind.372 Diese praktischen Fälle machen deutlich, dass die Annahme einer tatbestandsausschließenden Verbundenheit, obwohl es hierfür grundsätzlich keiner freundschaftlichen oder familiären Bindung bedarf, an relativ hohe Voraussetzungen geknüpft ist. Insoweit ist es wohl auch nicht verfehlt, von einer gerichtlichen Tendenz zur „Urheberfreundlichkeit“373 zu sprechen. 5. Der Erschöpfungsgrundsatz § 17 Abs. 2 UrhG bestimmt, dass die Weiterverbreitung von Werken, die im Original oder als Vervielfältigungsstücke mit Zustimmung des Berechtigten im Wege der Veräußerung in den Verkehr gebracht wurden, mit Ausnahme der Vermietung, zulässig ist. Dieser Grundsatz gilt ausweislich der Vorschrift aber nur für eine Verbreitung innerhalb der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum. Was unter einer Vermietung zu verstehen ist, definiert § 17 Abs. 3 UrhG. Dieses, als Erschöpfungsgrundsatz bezeichnete Prinzip des Urheberrechts, ist unter strafrechtlichen Gesichtspunkten indes dem negativen Tatbestandsmerkmal der „gesetzlich zugelassenen Fälle“ zuzuordnen374 und wird dementsprechend erst an späterer Stelle erörtert.375 6. Irrtumskonstellationen beim Tatbestandsmerkmal der Verbreitung Nachdem die Tathandlungsvarianten der Verbreitung nach § 106 Abs. 1 UrhG ausführlich dargestellt wurden, sollen im Folgenden Irrtumskonstellationen aufgezeigt werden, die sich in der strafrechtlichen Praxis ergeben können. Die Darstellung differenziert zwischen den Alternativen „Inverkehrbringen“ (a)) und „Anbieten an die Öffentlichkeit“ (b)). Dabei gilt es wiederum, der hier vertretenen 370 Vgl. dazu BGH NJW 1955, 1356 (1356); BGH GRUR 1961, 97 (99); BGH GRUR 1975, 33 (34); OLG Frankfurt NJW-RR 1986, 1056 (1057). 371 BGH GRUR 1984, 734 (735). 372 BGH GRUR 1983, 562 (563). 373 Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 35. 374 BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 31; Dreier/Schulze-Dreier, § 106 Rn. 6; Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 23; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 78. 375 Vgl. Kapitel 3 § 3 C. II. 2.
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Irrtumslehre entsprechend, Irrtümer über tatsächliche Umstände des Sachverhalts (§ 16 StGB) von Irrtümern über die rechtliche Bewertung (§ 17 StGB) zu unterscheiden. Wie erwähnt, werden Irrtümer im Bereich der Tathandlungen im urheberrechtlichen Schrifttum oftmals recht pauschal als Verbotsirrtümer eingestuft, weil es sich bei den Tatbestandsmerkmalen des § 106 Abs. 1 UrhG insoweit um deskriptive Merkmale handeln soll. Für die Verbreitung lassen sich dabei im Prinzip die obigen Ausführungen zur Tathandlung der Vervielfältigung entsprechend heranziehen: Es empfiehlt sich nicht, von vornherein gleichsam pauschal von einer Dominanz des Verbotsirrtums auszugehen, denn jede Tathandlungsvariante bietet sowohl einen „Spielraum“ für Fehlvorstellungen bezüglich tatsächlicher Voraussetzungen, also für Tatumstandsirrtümer, als auch eine „Angriffsfläche“ für ein fehlendes Unrechtsbewusstsein des Täters, also für Verbotsirrtümer. a) Der Irrtum darüber, ein Werk in den Verkehr zu bringen Um vorsätzlich ein Werk i.S.d. §§ 106, 17 UrhG in den Verkehr zu bringen, genügt nach dem hier vertretenen Vorsatzverständnis die Kenntnis aller tatsächlichen Umstände des Sachverhalts. Der Täter muss also wissen, dass er sein Tatobjekt aus der eigenen Herrschaftssphäre heraus in die Herrschaftssphäre eines anderen übergibt.376 In Anbetracht des bereits festgestellten Charakters des Inverkehrbringens als Erfolgsdelikt, muss sich der Vorsatz dabei auch auf den Erfolg beziehen, also darauf, dass das Tatobjekt auch tatsächlich bei einem Dritten ankommt und durch diesen in seiner Gewahrsamssphäre aufgenommen wird. „Entsorgt“ der Täter ein nicht mehr benötigtes Werk demgegenüber in einer Mülltonne, ohne es dabei einem anderen zur Verfügung stellen zu wollen, so handelt er nicht vorsätzlich in Bezug auf eine Verbreitung des Werkes – was indes freilich nur dann gilt, wenn er es tatsächlich entsorgen möchte und nicht billigend in Kauf nimmt, dass das Werk in die Hände eines dankbaren Dritten gelangt. Eine rechtliche Bewertung dieses Verhaltens durch den Täter ist für den Vorsatz nach zutreffender Auffassung nicht erforderlich, auch nicht im Sinne eines „geistigen Verstehens“ der sozialen Bedeutung, denn ein solches beinhaltet denklogisch immer eine, wenn auch nur „laienhafte“, rechtliche Wertung, die allerdings dem Unrechtsbewusstsein vorbehalten ist. Dementsprechend sind in der Praxis kaum Fälle konstruierbar, in denen ein Handelnder tatsächlich ohne Tatbestandsvorsatz agiert, es sei denn, er merkt überhaupt nicht, was er gerade tut – oder er unterliegt einer Verwechslung in Bezug auf den Empfänger des Tatobjekts.377 Beispielsfall a (falscher Empfänger): Kumpel K will seinem Freund F ein paar CDs ausleihen und sie zu diesem Zweck in dessen Briefkasten werfen. Aus Ver376 Hildebrandt, S. 94 f., möchte insoweit auf den Begriff des Gewahrsams i.S.d. § 242 StGB zurückgreifen. 377 Vgl. auch Kircher, S. 145.
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sehen wirft er die CDs in den Briefkasten des Raubkopierers R, der diese weiter vervielfältigt und verbreitet.378 In dieser Konstellation wird die Schutzrichtung des Straftatbestandes der unerlaubten Verbreitung urheberrechtlich geschützter Werke besonders deutlich: Wo Werkstücke in den „freien Verkehr“ gelangen, besteht immer ein (wenn auch „nur“ latentes) Risiko, dass diese in unlauterer Weise weiterverwertet werden. Indes: K weiß vorliegend nicht, dass er das Werk der „Öffentlichkeit“ zuführt, denn er glaubt daran, es in den richtigen Briefkasten zu werfen. Er weiß also nicht, was er tut – und verkennt damit einen tatsächlichen Umstand, der „zum Tatbestand gehört“, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Er handelt also ohne Vorsatz. Dieses Ergebnis wäre auch mit der herrschenden Irrtumslehre anzunehmen. Beispielfall b (Verlust): Die schusselige Studentin S vergisst auf dem Heimweg vom juristischen Seminar, wo sie eine ganze Reihe an Lehrbüchern ausgeliehen hat, ihren Rucksack in der Bahn. Die Werke gelangen daraufhin in die Hände des Raubdruckers R, der sie verwertet. Auch in dieser Konstellation gelangen urheberrechtlich geschützte Werke im Wege der Verbreitung in die Öffentlichkeit, denn bereits die Einräumung des Besitzes an einzelnen Werken zugunsten eines unbekannten, also der Öffentlichkeit angehörenden Dritten ist, wie festgestellt wurde, tatbestandsmäßig i.S.d. § 17 Abs. 1 UrhG. Auch hier realisiert sich wiederum die spezifische Gefahr der Verbreitung in der Öffentlichkeit. Allerdings weiß S überhaupt nicht, was sie tut, denn sie handelt (beziehungsweise unterlässt, § 13 StGB) weder wissentlich, noch willentlich – und damit ohne Vorsatz, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Dasselbe würde gelten, wenn S, anstatt die Bücher zu verlieren, diese bei der Lektüre in der Öffentlichkeit – ohne sich Gedanken zu machen – nur kurz unbeobachtet liegen lässt, um sich einen Kaffee zu holen. Auch insoweit ergeben sich innerhalb der verschiedenen Irrtumslehren keine Diskrepanzen. Beispielsfall c (Verkaufsmodalitäten): Kunstgalerist K bezieht von zahlreichen Künstlern hochpreisige, urheberrechtlich geschützte Kunstwerke für seine dauerhafte Ausstellung. Dabei wird ihm stets nur das Recht zur Ausstellung der Kunstwerke (§ 18 UrhG) auch vertraglich eingeräumt. Weil er nebenbei etwas „Geld machen“ möchte, verkauft er die Werke unter Eigentumsvorbehalt an seine betuchte Kundschaft, um sie notfalls zurückfordern zu können, sollte ein Künstler nach seinem Werk fragen. K geht davon aus, angesichts dieser Verkaufsmodalitäten keine urheberrechtlich relevante Verwertung zu begehen. In der vorstehend skizzierten Konstellation handelt es sich um einen Verkauf, der zwar unter Eigentumsvorbehalt erfolgt, dabei aber gleichwohl unproblematisch als Verbreitung zu qualifizieren ist, denn insoweit kommt es nach zutreffender Auffassung, wie festgestellt wurde, gerade nicht auf die Übereignung des Werkes an. Der Kunstexperte K weiß dabei ganz genau, was er tut. Er weiß um den Übergang der tatsächlichen Sach- und Verfügungsherrschaft an den Werken in die 378
Vgl. zur ähnlichen Konstellation mit demselben Ergebnis Kircher, S. 145.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Sphäre seiner Kunden. Er vollzieht lediglich eine rechtliche Wertung nicht nach. Er handelt also mit Vorsatz – ihm fehlt aber das Unrechtsbewusstsein. Dieser Verbotsirrtum, § 17 StGB, dürfte auch vermeidbar sein angesichts des gewerblichen Handelns des K, dem darum auch besondere Informationspflichten obliegen. U. Weber geht demgegenüber in derlei Fällen von einem Tatumstandsirrtum aus.379 Wie auch bei der Vervielfältigung, führe ein so gelagerter Rechtsirrtum des Täters dazu, dass dieser ein Tatbestandsmerkmal verkenne, was im Ergebnis den Vorsatz beseitigen müsse.380 An dieser Stelle kann indes umfassend auf die bisherigen Erörterungen verwiesen werden – der Irrtum über die rechtliche Bewertung eines Tatbestandsmerkmals zeugt von einem fehlenden Unrechtsbewusstsein des Täters und ist ein nach § 17 StGB zu behandelnder Verbotsirrtum. Neben der dogmatischen Trennschärfe dieser Lösung überzeugt im Ergebnis auch die Möglichkeit, auf Schuldebene im Rahmen der Vermeidbarkeit ggf. Spezialkenntnisse des Täters angemessen zu berücksichtigen – wie im Beispielsfall. Beispielsfall d (Privates und gewerbliches Handeln): Der audiophile A gibt sein ganzes Geld für CDs und Schallplatten aus und verfügt dementsprechend über eine gut ausgestattete Musiksammlung. Er vermietet seine CDs regelmäßig gegen ein geringes Entgelt an die mit ihm befreundeten Wirte W, X und Y, welche die Musikwerke gerne für die Beschallung ihrer Lokale nutzen und froh darüber sind, musikalisch „up-to-date“ zu bleiben. A glaubt an eine urheberrechtliche Freiheit solcher Vermietungen – schließlich ist er „Privatmann“.381 In dieser Konstellation irrt sich A darüber, urheberrechtlich geschützte Werke auch als Privatperson nicht in urheberrechtlich relevanter Weise vermieten zu dürfen. Hierbei handelt es sich um eine Fehlvorstellung in Bezug auf die Tathandlung, denn er ordnet sein Handeln nicht als tatbestandsmäßige Verbreitung ein. In tatsächlicher Hinsicht erfasst A dabei alles ganz korrekt – ihm fehlt es allerdings am Unrechtsbewusstsein, wenn er irrtümlicherweise davon ausgeht, dass die Vermietung nicht vom Tatbestand erfasst sei. Sein Irrtum ist damit ein Verbotsirrtum, § 17 StGB. Dieser Irrtum dürfte wiederum als vermeidbar einzustufen sein, denn A handelt gewerblich. Diese Aussage trifft – vorbehaltlich weiterer Sachverhaltsangaben, die vorliegend fehlen – auch dann zu, wenn man bei der Prüfung der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums (richtigerweise) einen „milderen“ Maßstab anlegt, denn A obliegen als gewerblich handelndem Täter gesteigerte Informationspflichten gegenüber einem „rein privat“ Handelnden: Er müsste dementsprechend weitergehende Auskunftsmöglichkeiten ausschöpfen, bevor er im Geschäftsverkehr agiert.382 Beispielsfall e („Leihkreise“): Die miteinander nicht bekannten A und B gehören einem „Leihkreis“ an, innerhalb dessen sich die Mitglieder untereinander BüU. Weber, S. 290. U. Weber, S. 290. 381 Vgl. die ähnliche Konstellation bei Kircher, S. 145 f. 382 Ebenso Kircher, S. 146. 379
380 Vgl.
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cher, CDs und sonst alle möglichen urheberrechtlich geschützten Werke, die sie in einer stetig aktualisierten Liste führen, zum Konsum auf Zeit überlassen. A belässt es beim bloßen Konsum, während B alle Werke vervielfältigt und weiter verwertet. Beide gehen davon aus, dass ihre Handlungen keine Verwertung darstellen können, weil sie schließlich selbst Eigentümer der Werke bleiben. In dieser Konstellation liegen ganz unproblematisch Verbreitungen in Gestalt des Inverkehrbringens vor, denn die Mitglieder des „Leihkreises“ sind untereinander nicht persönlich miteinander verbunden. Ungeachtet der Tatsache, dass insoweit gesetzlich zugelassene Fälle i.S.d. § 17 Abs. 2 UrhG denkbar sind, begehen A und B jedenfalls tatbestandsmäßige Handlungen. Dabei wissen beide auch um die Erfüllung der Tatumstände des § 17 Abs. 1 UrhG, denn sie wissen ganz genau, dass sie ihre jeweiligen Werke unbekannten Dritten überlassen. Allerdings fehlt es beiden Handelnden am Unrechtsbewusstsein, denn sie vollziehen die gesetzliche Wertung nicht nach, dass jede Form des Inverkehrbringens den Tatbestand erfüllt, und nicht nur die Eigentumsübertragung. Die Irrtümer sind also Verbotsirrtümer, § 17 StGB. Beispielsfall f (Wahndelikt): Die urheberrechtlich interessierte Großmutter G verleiht ihren Enkeln gerne Schlager-CDs, wobei sie davon ausgeht, dass sie das angesichts der leichten Kopierbarkeit des Mediums eigentlich nicht dürfe, schließlich liege dann eine Verbreitung vor, die den Enkeln mit ihrer „neuen Technik“ die Anfertigung von Raubkopien ermögliche. G unterliegt hier einem umgekehrten Irrtum, der entweder zu einer Strafbarkeit wegen untauglichen Versuchs oder zu einer Straffreiheit als Wahndelikt führen kann. Weil G ihr Handeln in tatsächlicher Hinsicht ganz korrekt einordnet, muss eine Strafbarkeit indes ausscheiden – die Großmutter verkennt lediglich eine rechtliche Wertung, wenn sie irrtümlicherweise davon ausgeht, dass man leicht vervielfältigbare Werkstücke, wie etwa CDs, nicht verleihen dürfe – es liegt damit ein straffreies Wahndelikt vor. Insofern kommen alle vertretenen Auffassungen zur Irrtumslehre unproblematisch zu demselben Ergebnis. Die Beispielsfälle zum Inverkehrbringen zeigen, dass es sich bei dieser Handlungsmodalität um eine für Irrtümer vergleichsweise „wenig anfällige“ Tatbestandsvariante handelt. Dies liegt zum einen daran, dass ein Verkennen der tatsächlichen Umstände, die dem Merkmal zugrunde liegen, praktisch nur schwer vorstellbar ist. Zum anderen handelt es sich um ein Tatbestandsmerkmal, das im Vergleich zu den bislang erörterten Merkmalen tatsächlich eine höchst deskriptive Prägung aufweist. Das Verkennen von rechtlichen Wertungen, die eine Handlung zur Verbreitung machen, erscheint hingegen in der Rechtspraxis vor allem dann denkbar, wenn die Verbreitung nicht zugleich mit einer Eigentumsübertragung verbunden ist, also insbesondere dann, wenn ein Täter das Werkstück verleiht, vermietet oder eine sonstige (bloße) Besitzübertragung vornimmt.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
b) Der Irrtum über das Anbieten eines Werkes an die Öffentlichkeit Ungleich kompliziertere Rechtsfragen liegen der Tatbestandsalternative des Anbietens an die Öffentlichkeit zugrunde (§ 17 Abs. 1 Alt. 1 UrhG) – was dem Tatbestandsmerkmal der Verbreitung, ungeachtet des soeben konstatierten Resultats beim Inverkehrbringen, im Ergebnis durchaus eine gesteigerte Anfälligkeit für Irrtümer verleiht. Auch hier stößt die herrschende Irrtumslehre mit der Trennung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen bereits in ihren Ansätzen an ihre Grenzen, wie die folgenden Ausführungen aufzeigen. Wie bereits mehrfach erwähnt wurde, herrscht im urheberstrafrechtlichen Schrifttum prinzipiell Konsens darüber, dass die Tathandlungsvarianten des § 106 UrhG als deskriptive Tatbestandsmerkmale einzustufen sind. Ein Tatbestandsvorsatz wäre also insoweit – nach herrschender Lehre – immer schon dann zu bejahen, wenn ein Handelnder alle tatsächlichen Umstände sinnlich erfasst, die seine Handlung als Tathandlung qualifizieren. Diese Einordnung erscheint allerdings immer dann zu pauschal, wenn ein Tatbestandsmerkmal – wie auch hier – mehrere tatsächliche Handlungsformen als Begehungsvarianten in sich vereint, die jeweils unterschiedliche Anforderungen an das „geistige Verstehen“ eines Täters mit sich bringen.383 Dass das Merkmal des Verbreitens in § 106 Abs. 1 UrhG eine starke deskriptive Prägung aufweist, steht außer Frage. In Bezug auf dessen Handlungsvariante des öffentlichen Anbietens jedoch leuchtet die pauschale Einordnung als deskriptives Tatbestandsmerkmal – mit allen sich hieraus ergebenden Konsequenzen – schlichtweg nicht ein. Denn um bereits die Vorfeldhandlung eines bloßen Anbietens an die Öffentlichkeit unter den Begriff der Verbreitung zu subsumieren (und dies damit faktisch einem Verkauf gleichzustellen), bedarf es der Überwindung einer „geistigen Hürde“ auf Seiten des Handelnden. Es ist also eine (wenn auch laienhafte) Rechtskenntnis des Anbietenden erforderlich, damit dieser sein Handeln als tatbestandsmäßig i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG erkennen kann. Insofern kann nicht davon gesprochen werden, dass die Umstände des Tatbestandes durch bloße Sinnesleistung erkennbar oder verstehbar wären. Deshalb ist es nur konsequent, dass Hildebrandt, der sich ohnehin insgesamt für eine Straflosigkeit des öffentlichen Anbietens ausspricht, zumindest in diesem Zusammenhang von einem normativen Tatbestandsmerkmal ausgeht, für welches angesichts der enthaltenen „rechtlichen Wertung“ die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ zur Anwendung kommen müsse.384 Dementsprechend müsste mit Hildebrandt in den meisten Irrtumsfällen im Bereich des öffentlichen Anbietens bereits der Vorsatz ausgeschlossen werden – und nicht erst das Unrechtsbewusstsein. Demgegenüber möchte Kircher die Grundsätze der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ nur in den Fällen zur Anwendung bringen, in denen der Täter über die 383
Vgl. zu dieser Problematik im Rahmen der Vervielfältigung bereits Kapitel 3 § 3 B. I. Hildebrandt, S. 262.
384 Ebenso
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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Öffentlichkeit seines Angebots irrt.385 Praktische Sachverhaltskonstellationen, in denen der Täter bereits die Umstände nicht kennt, die sein Handeln als Angebot qualifizieren, sieht Kircher dagegen nicht. Das Öffentlichkeitserfordernis stuft Kircher indes als normatives Tatbestandsmerkmal ein, weswegen ein Tatumstands irrtum (§ 16 StGB) bereits dann denkbar wird, wenn der Täter den § 15 Abs. 3 UrhG (rechtlich) falsch auslegt. Es sei einerseits erforderlich, dass sich der Täter „gewisse Vorstellungen über die Zusammensetzung und die Struktur seines ‚Publikums‘ macht“,386 worunter Kircher die bloße Tatsachenkenntnis versteht.387 Andererseits sei für den Vorsatz in Bezug auf die Öffentlichkeit zu fordern, dass dem Täter die „Bedeutung der tatsächlichen Umstände mitbewußt oder sachgedanklich bewußt ist“,388 wobei dies „nicht im Wege exakter juristischer Subsumtion unter den Begriff der ‚persönlichen Verbundenheit‘ […] vor sich gehen“ müsse und der Täter auch „nicht bewußt darüber reflektieren“ müsse.389 Diese Aussage spiegelt freilich die Lehre von der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ exakt wider. Auch U. Weber geht (im Kontext der noch zu behandelnden öffentlichen Wiedergabe) in der Regel von einem Tatumstandsirrtum aus, wenn sich ein Handelnder über den Öffentlichkeitsbezug seines Tuns irrt: So sei ein vorsatzausschließender Irrtum anzunehmen, wenn der „Veranstalter der von 2000 Personen besuchten Jubiläumsfeier eines Großvereins annimmt, diese Veranstaltung sei, eben weil es sich um eine Vereinsveranstaltung handle, nicht öffentlich.“390 Auch dieses Ergebnis fußt auf der Annahme, dass der Täter die rechtliche Bedeutung seines Handelns zumindest in laienhafter Art und Weise kennen müsse, um vorsätzlich zu handeln, denn U. Weber geht – wie erwähnt – großzügig mit dem Tatumstandsirrtum um.391 Nach dem hier vertretenen Verständnis hingegen ist der Irrtum in dem genannten Beispielsfall als Verbotsirrtum zu qualifizieren, denn der Konzertveranstalter weiß in tatsächlicher Hinsicht ganz genau, was er tut. Er irrt sich einzig über die Anforderungen, die das UrhG an das Merkmal „Öffentlichkeit“ stellt – hierbei handelt es sich allerdings um eine rechtliche Bewertung, die dem Unrechtsbewusstsein unterfällt und somit allenfalls die Schuld ausschließen kann, § 17 StGB. Die Probleme der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ wurden im Verlauf der vorliegenden Arbeit bereits mehrfach ausführlich thematisiert. Vor allem der Umstand, dass den Tathandlungen mitunter der Charakter von Blankettverweisungen attestiert wird,392 führt zumindest immer dann zu verschärften Abgrenzungsproblemen bei der Behandlung von Irrtumsfällen, wenn die sich bei Blanketten ergeKircher, S. 141 ff. Kircher, S. 152. 387 Vgl. Kircher, S. 153 f. 388 Kircher, S. 155. 389 Kircher, S. 154 f. 390 U. Weber, S. 290; a.A. in einem ähnlich gelagerten Fall Kircher, S. 156. 391 Vgl. nur U. Weber, S. 288 f. 392 U. Weber, S. 229; zustimmend Hildebrandt, S. 259 f.; a.A. Lauer, S. 54. 385 Vgl. 386
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benden Besonderheiten hinreichend gewürdigt werden (was indes meistens nicht geschieht). Dass die Grundsätze der herrschenden Irrtumslehre selbst durch deren Befürworter nicht konsequent eingehalten werden, unterstreicht deren Problematik, wie sich anhand einer Analyse der Ausführungen von Kircher verdeutlichen lässt: Kircher nennt den Fall eines Gastwirtes, der die geschlossene Veranstaltung eines Sportvereins einer Großstadt mit 300 geladenen Mitgliedern bewirtet und Musik öffentlich wiedergibt (dasselbe würde für ein öffentliches Angebot oder eine Verbreitung an die Öffentlichkeit gelten).393 Fraglich ist nun, ob der Wirt mit Vorsatz in Bezug auf die Verwertung eines Werkes in der Öffentlichkeit handelt. Der Wirt macht sich keine Gedanken. Er geht in Anbetracht der Geschlossenheit der Veranstaltung von deren Nichtöffentlichkeit aus. Dass U. Weber in dieser Konstellation zum Vorsatzausschluss käme, wurde soeben dargelegt. Nach dem bisher Gesagten, müsste Kircher strenggenommen ebenfalls einen Tatumstandsirrtum annehmen, denn der Wirt hat kein „sachgedankliches Mitbewusstsein“ in Bezug auf die Öffentlichkeit. Er kennt zwar die tatsächlichen Umstände, weiß aber nicht über die Bedeutung seines Handelns, weswegen seine „Parallelwertung in der Laiensphäre“ insoweit fehlgeht. Kircher kommt gleichwohl zu einem „Subsumtionsirrtum“ weil es „so sehr der Lebenserfahrung“ entspreche, dass in der skizzierten Konstellation unter den Anwesenden „kein engerer persönlicher Kontakt und kein gemeinschaftsbildendes Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen allen Mitgliedern“ bestehen könne.394 Dieses Ergebnis ist unter Anwendung der herrschenden Irrtumslehre freilich alles andere als konsequent, denn die Lebenserfahrung fungiert insoweit als objektiver Maßstab – welcher im Rahmen der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ allerdings gerade nicht angelegt wird, denn insoweit kommt es auf die persönliche „Laiensphäre“ des Handelnden an. Im Lichte der vorliegend befürworteten Herangehensweise ist das Resultat Kirchers gleichwohl begrüßenswert, denn: Dem Anschein nach sieht sich Kircher (intuitiv) gezwungen, mit seinen eigenen Grundsätzen zu brechen – und zwar (wiederum dem Anschein nach) aus dem Grund, weil diese in seinem konkreten Beispielsfall zu keinem sachgerechten Ergebnis führen: Von einem Gastwirt kann nämlich erwartet werden, dass dieser sich – angesichts seines gewerblichen Handelns – mit den urheberrechtlichen Vorschriften vertraut macht beziehungsweise Rechtsrat einholt, wenn er geschützte Werke verwerten möchte. Dieses Ergebnis lässt sich jedoch am besten im Rahmen der Schuld bei der Frage nach der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums berücksichtigen, denn genau diese Konstellation ist in § 17 StGB angelegt. Kurzum: Dass diverse Vertreter der herrschenden Irrtumslehre unter Anwendung ein und derselben Grundsätze auch im Urheberstrafrecht zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, unterstreicht einmal mehr, dass diese Lehre in sich 393 394
Kircher, S. 155 f.; vgl. zur Öffentlichkeit einer Wiedergabe noch Kapitel 3 § 3 B. IV. 1. Kircher, S. 155.
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nicht schlüssig ist und deren Resultate in vielen Fällen vom Zufall abhängen. Eine trennscharfe Lösung aller Irrtumsfälle lässt sich demgegenüber dadurch erreichen, dass – wie von Kircher im Beispielsfall intuitiv selbst vorgenommen – für die Bestimmung des Vorsatzes einzig auf die Kenntnis tatsächlicher Umstände abgestellt wird und Rechtsfragen konsequent dem Unrechtsbewusstsein vorbehalten bleiben. Dass sich somit auch gerechte Ergebnisse erzielen lassen, belegen die folgenden Beispiele. Beispielsfall a (Inserat):395 Jurastudent J möchte einen kleinen Nebenerwerb begründen. Er nimmt sich vor, in der Zukunft Lehrbücher im Seminar zu entleihen, diese zu digitalisieren und die Vervielfältigungsstücke als „E-Books“ auf CD gebrannt zu veräußern. Um sein Geschäft anzukurbeln, schaltet er ein Inserat in der Facebook-Gruppe seines Semesters, welche 500 Mitglieder hat: „Verkaufe juristisches Lehrbuch – Roxin AT I – aktuelle Auflage, Spottpreis.“ Allein das Inserat könne für sich betrachtet keine Probleme bereiten, denkt sich J. Fallvariante a: J möchte nur seine engsten Freunde anschreiben, „teilt“ sein Inserat aber versehentlich und unbemerkt in der Semestergruppe, woraufhin sich 100 ihm nicht näher bekannte Studierende bei ihm melden. Fallvariante b: J denkt, dass eine Strafbarkeit nur dann in Betracht komme, wenn er ein Werk anbiete, das er bereits vervielfältigt habe. Eine nicht vorhandene Kopie könne ihm insofern schließlich noch keine Probleme bereiten. In den skizzierten Fällen verwirklicht J den Tatbestand des Anbietens eines urheberrechtlich geschützten Werkes an die Öffentlichkeit, §§ 106, 17 Abs. 1 UrhG: Das Inserat als solches ist jeweils unproblematisch als tatbestandsmäßiges „Anbieten“ nach § 17 Abs. 1 UrhG einzustufen. Ferner ist mit dem Inserat in der Facebook-Gruppe auch die Öffentlichkeit i.S.d. § 15 Abs. 3 UrhG betroffen, denn es ist bei lebensnaher Betrachtung nicht anzunehmen, dass J alle seine Kommilitonen kennt – und ebenso wenig, dass diese untereinander allesamt persönlich miteinander verbunden sind, was indes nur dann von Bedeutung wäre, wenn die Freundesliste des J tatsächlich „Freunde“ enthielte, die nicht persönlich mit J verbunden sind.396 Er tritt deshalb mit seinem Angebot über das soziale Netzwerk aus der privaten Sphäre hinaus in eine (breite) Öffentlichkeit. Im Beispielsfall a sowie in der Fallvariante b weiß J in tatsächlicher Hinsicht ganz genau, was er tut. Er weiß in beiden Konstellationen, dass er gegenüber einer Mehrzahl von Personen die Bereitschaft kundtut, Werkstücke – also die auf CD gebrannten, verkörperlichten Lehrbuchfassungen des Roxin AT I in aktueller Auflage – in den Verkehr gelangen zu lassen. Er „kennt“ damit alle Umstände, die zum Tatbestand der Verbreitung in Gestalt des öffentlichen Anbietens geVgl. auch den ähnlichen Fall bei Heinrich, in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (75 f.). dazu auch Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 19a Rn. 6a – die Bestätigung einer Freundschaftsanfrage in einem sozialen Netzwerk ist für sich noch nicht ausreichend, um das geforderte persönliche Band zu begründen; ebenso Hornung/Müller-Terpitz-Spindler, 5. 2. 1.2. Rn. 7 f. 395
396 Vgl.
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hören (§ 16 Abs. 1 StGB), handelt hinsichtlich einer Verwirklichung des § 106 UrhG also mit Vorsatz. Anders verhält es sich dagegen in der Fallvariante a: Hier verkennt A den tatsächlichen Umstand, das Lehrbuch der Öffentlichkeit anzubieten, denn er geht irrtümlich davon aus, sein Angebot nur gegenüber seinen persönlich verbundenen Freunden zu unterbreiten. Wie bereits festgestellt,397 erfüllt ein solches Angebot nicht den Tatbestand der Öffentlichkeit, sodass sich seine Fehlvorstellung als Tatu mstandsirrtum erweist – J handelt in der ersten Fallvariante damit ohne Vorsatz. Im Ausgangsfall verkennt er hingegen „bloß“ eine rechtliche Wertung, wenn er davon ausgeht, dass das Anbieten von Werken noch nicht tatbestandsmäßig sein könne.398 Auch in der Fallvariante b handelt J im Verbotsirrtum: Die Tatbestandsmäßigkeit eines Angebots an die Öffentlichkeit hängt nach vorzugswürdiger Auffassung nicht davon ab, dass die angebotenen Werkstücke tatsächlich bereits existieren, denn in vielen Fällen wird gerade erst auf eine konkrete Bestellung hin tatsächlich die Herstellung von Werkstücken erfolgen.399 Insofern irrt sich J auch in dieser Fallvariante über eine rechtliche Frage, weswegen es ihm insoweit am Unrechtsbewusstsein fehlt – er unterliegt einem Verbotsirrtum, § 17 StGB. Beispielsfall b (Angebot zur Leihe): Cineast C leiht sich Filme in der Videothek aus. Auf seiner Facebook-Pinnwand, die er nicht „privat“ geschaltet hat, bietet er den „Freundschaftsdienst“ an, die entliehenen Filme im Rahmen der Frist selbst unentgeltlich weiterzugeben. Dabei macht er sich über rechtliche Fragen keine Gedanken. Als Filmkenner weiß er zwar, wie „heikel“ die Lage in Bezug auf illegale Raubkopien von Filmen ist – das Verleihen könne aber nicht strafbar sein, meint er. In dieser Konstellation verwirklicht C den Tatbestand der Verbreitung in Gestalt des öffentlichen Anbietens, §§ 106, 17 Abs. 1 Alt. 1 UrhG. Weil die Pinnwand ohne Weiteres für jedermann einsehbar ist, erreicht das Angebot eine breite Öffentlichkeit, weswegen § 15 Abs. 3 UrhG erfüllt ist. Daneben signalisiert C auch die Bereitschaft, Werke in den Verkehr zu bringen, wobei die Leihe nach zutreffender Auffassung, wie erörtert,400 ebenso von § 17 UrhG erfasst ist, wie auf Eigentumsübertragung gerichtete Handlungen. C weiß in tatsächlicher Hinsicht auch ganz genau, was er tut. Er irrt sich lediglich über eine Rechtsfrage, nämlich darüber, dass das Urheberrecht nicht nur Raubkopien verbietet, sondern auch das öffentliche Angebot des (Weiter-)Verleihens, denn die Werke wurden nicht „im Wege der Veräußerung in den Verkehr gebracht“ i.S.d. § 17 Abs. 2 UrhG. C fehlt es also am Unrechtsbewusstsein, er handelt im (wohl auch vermeidbaren) Verbotsirrtum, § 17 StGB. 397
Vgl. Kapitel 3 § 3 B. III. 3. Vgl. mit demselben Ergebnis Heinrich, in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (76). 399 Vgl. BGH GRUR 1987, 903 (905); BGH GRUR 1991, 316 (317); Dreier/Schulze-Schulze, § 17 Rn. 13; Heinrich, Strafbarkeit, S. 227 f.; ders., in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (75 f.). 400 Vgl. Kapitel 3 § 3 B. III. 1. 398
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Unter der Annahme eines deskriptiven Tatbestandsmerkmals käme auch die herrschende Irrtumslehre im zuletzt genannten Beispielsfall zu demselben Ergebnis. Wie festgestellt, ist hiermit allerdings ein Systembruch verbunden, denn die Begehungsvariante des Anbietens an die Öffentlichkeit ist, entgegen der überwiegend vertretenen Ansicht, kein deskriptives, sondern ein hochgradig normativ geprägtes Tatbestandsmerkmal, weswegen strenggenommen auch ein Tatumstandsirrtum unter Verwendung des Kriteriums der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ infrage kommen müsste. Werden deren Grundsätze hingegen konsequent angewandt, so eröffnen sich freilich die erörterten Abgrenzungsprobleme – was willkürliche Ergebnisse nach sich zieht. Die hier vertretene Irrtumslehre erweist sich dagegen wiederum als „abgrenzungsresistente“ Herangehensweise, die, ohne systematische Brüche zu erzeugen, ebenso nachvollziehbare wie gerechte Ergebnisse ermöglicht. IV. Irrtümer im Bereich der öffentlichen Wiedergabe Als dritte Begehungsform der „unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke“ nennt § 106 Abs. 1 UrhG die öffentliche Wiedergabe. Auch diese Tathandlungsvariante knüpft akzessorisch an die zivilrechtlichen Vorschriften des UrhG an.401 Über die umfassende Anwendbarkeit der zivilrechtlichen Begrifflichkeiten im Strafrecht besteht auch insofern wiederum Einigkeit.402 Die öffentliche Wiedergabe ist als einheitliches Verwertungsrecht in § 15 Abs. 2 UrhG normiert und erfasst exemplarisch und nicht abschließend („insbesondere“)403 die folgenden Ausschließlichkeitsrechte des Urhebers: das Vortrags-, Aufführungs- und Vorführungsrecht (§ 15 Abs. 2 S. 2 Nr. 1), welches in § 19 UrhG näher ausgestaltet wird; das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (Nr. 2), näher ausgestaltet in § 19a UrhG; das Senderecht (Nr. 3), näher ausgestaltet in § 20 UrhG; das Recht der Wiedergabe durch Bild- und Tonträger (Nr. 4), näher ausgestaltet in § 21 UrhG; und das Recht der Wiedergabe von Funksendungen und von öffentlicher Zugänglichmachung (Nr. 5), welches in § 22 UrhG näher ausgestaltet wird. Damit bündelt das Tatbestandsmerkmal der öffentlichen Wiedergabe als Oberbegriff alle Varianten der unkörperlichen Verwertung von Werken.404 Bereits anhand des Katalogs in § 15 Abs. 2 UrhG wird deutlich, dass die öffentliche Wieder401 Vgl. Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 6, 17; Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 23; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 69; Wandtke/ Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 20. 402 v. Gravenreuth, S. 19; Heinrich, Strafbarkeit, S. 184, 246; Hildebrandt, S. 117; Kircher, S. 147; Lampe, UFITA 83 (1978), 15 (34); Lauer, S. 27; Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 23; Müko-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 69; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 20; U. Weber, S. 217, 285. 403 Müko-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 70; Wandtke/Bullinger-Heerma, § 15 Rn. 15; U. Weber, S. 220. 404 Dreier/Schulze-Dreier, § 15 Rn. 29; Loewenheim-Hoeren, § 21 Rn. 1; Rehbinder/ Peukert, Rn. 472.
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gabe als Tathandlung – noch mehr als die Verbreitung und die Vervielfältigung – eine Vielzahl an tatsächlichen Handlungen in sich vereint, die dem Urheber ausschließlich zugewiesen sind. Die Akzessorietät zum Zivilrecht bringt es also insbesondere für die öffentliche Wiedergabe mit sich, dass die Einordnung einer tatsächlichen Handlung als relevante Tathandlung i.S.d. § 106 UrhG vielerlei komplizierte Rechtsfragen aufwirft, deren „Erfassen“ beziehungsweise – mit der herrschenden Irrtumslehre gesprochen – „geistiges Verstehen“ durch den Täter oftmals Spezialkenntnisse voraussetzt. Irrtümer in Bezug auf die Begehungsvariante, insbesondere solche über die rechtliche Bewertung eines bestimmten Verhaltens, sind dementsprechend in der Praxis vielfältig vorstellbar. Dies betrifft diejenigen Verwertungsformen in besonderem Maße, die mehr oder weniger alltägliche Handlungen des „Durchschnittsbürgers“ verkörpern. In erster Linie ist hiermit die öffentliche Zugänglichmachung angesprochen, § 19a UrhG. Daneben tritt insoweit auch das Auftrags-, Aufführungs- und Vorführungsrecht des Urhebers hervor, § 19 UrhG. Die vorliegende Arbeit verfolgt den Anspruch einer aktuellen Darstellung. Weil im „Multimedia-Zeitalter“ vor allem das Internet ständig neue Problemstellungen erzeugt und insofern, soweit ersichtlich, bislang kaum eine Auseinandersetzung mit strafrechtlichen Irrtümern in diesem Bereich stattgefunden hat, soll § 19a UrhG im Rahmen der folgenden Darstellungen im Mittelpunkt stehen. Die Vorschrift gewährt dem Urheber ein umfassendes, „interaktives“405 „Online-Recht“,406 das ihm die ausschließliche Berechtigung verleiht, die Verwertung seines Werks im Netz zu kontrollieren und sich diese Nutzung auch vergüten zu lassen.407 Bei den zugrundeliegenden Sachverhalten geht es – verkürzt – in der Regel darum, dass der eine Internetnutzer ein Werk in digitaler Form zur Verfügung stellt und ein anderer Nutzer das Werk abruft,408 wobei im Idealfall auf beiden Seiten jeweils Berechtigte handeln. Weil, wie festgestellt, in der „Netzgemeinde“ allerdings mitunter eine Mentalität des „Teilens“ herrscht, die sich dadurch auszeichnet, dass die „User“ im Internet oftmals unreflektiert mit Werken anderer Personen umgehen,409 dürften Irrtumsfälle in der Gestalt alltäglich sein, dass eine mögliche Strafbarkeit nicht im Ansatz für möglich gehalten oder gedanklich vorschnell beiseitegeschoben wird, eben weil das Bereitstellen und Abrufen von Inhalten im Internet kaum als urheberrechtlich relevante, geschweige denn als strafrechtlich relevante Handlung eingestuft wird. 405 Vgl. zu dieser Begrifflichkeit nur Schulze, ZUM 2011, 2 (3); ferner Lehmann, CR 2003, 553 (554 f.). 406 Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 24; Rehbinder/Peukert, Rn. 483. 407 Vgl. Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 24; Rehbinder/Peukert, Rn. 482 ff. 408 Vgl. Schulze, ZUM 2011, 2 (3). 409 Dreier/Schulze-Dreier, Einleitung UrhG Rn. 23 ff.; vgl. noch weitergehend Wabnitz/ Janovsky-Bär, Kapitel 14 Rn. 146 – mit der Aussage, dass Urheberrechtsverletzungen „vielfach“ gar als „Art ‚Notwehrhandlung‘ gegen die übermächtige Medienindustrie“ angesehen würden.
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Im Folgenden werden Irrtümer über die Tathandlungsvariante der öffentlichen Wiedergabe erörtert, wobei – wie angedeutet – wiederum ein besonderer Fokus auf der „digitalen Nutzung“ von Werken, insbesondere im Internet, liegt. Dafür soll mit dem Bezug zur Öffentlichkeit zunächst erneut ein „neuralgischer Punkt“ aller Wiedergabeformen angesprochen werden (1.), denn insofern ergeben sich Besonderheiten im Vergleich zu den obigen Ausführungen zur Tathandlung der Verbreitung. Daraufhin werden denkbare Irrtumskonstellationen in Bezug auf die einzelnen Formen der öffentlichen Wiedergabe analysiert (2.). 1. Die Öffentlichkeit der Wiedergabe im Besonderen Wie bereits erwähnt wurde, ist die nichtöffentliche Wiedergabe von Werken, also die unkörperliche Verwertung im rein privaten Umfeld, gemeinfrei möglich.410 Es handelt sich insoweit also um die „Grenzlinie zwischen urheberrechtlich relevanter und irrelevanter Nutzung.“411 Die Strafbarkeit hängt somit in vielen Fällen davon ab, ob die Wiedergabe für die Öffentlichkeit bestimmt war. Jani spricht insoweit – auch für das Strafrecht – prägnant von einem „Schlüsselbegriff“ des Urheberrechts.412 Die Öffentlichkeit wird auch hier wiederum nach § 15 Abs. 3 UrhG bestimmt, dessen Merkmale weitestgehend bereits im Rahmen der Ausführungen zum Verbreitungsrecht ausführlich dargestellt wurden.413 Im vorliegenden Zusammenhang kommt die Vorschrift allerdings unmittelbar, also nicht nur entsprechend zur Anwendung, denn § 15 Abs. 3 UrhG ist direkt auf die öffentliche Wiedergabe zugeschnitten.414 Ob die Begriffsmerkmale der Öffentlichkeit dabei im Konkreten erfüllt sind, wird in der Rechtsprechung als „eine Frage des Einzelfalls“ betrachtet.415 Von wachsendem Einfluss ist in diesem Zusammenhang auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die allmählich zahlreiche gefestigte Grundsätze der deutschen Gerichte „überformt“416 und das Urheberrecht vor allem im Bereich der öffentlichen Wiedergabe stark modifiziert.417 Inzwischen ist diese Entwicklung so weit vorangeschritten, dass die Rufe nach einem Einschreiten des deutschen Gesetzgebers lauter werden.418 Die vorliegenden Ausführungen können freilich nur 410 BeckOK-UrhG-Kroitzsch/Götting, § 15 Rn. 21; Rehbinder/Peukert, Rn. 441; Wandtke-Wöhrn, Kapitel 3 Rn. 114; Wandtke/Bullinger-Heerma, § 15 Rn. 13; Wandtke/Ohst-Jani, Band 2, Kapitel 1 Rn. 127. 411 J. B. Nordemann, GRUR 2016, 245 (245). 412 Wandtke/Ohst-Jani, Band 2, Kapitel 1 Rn. 127. 413 Vgl. Kapitel 3 § 3 B. III. 2., 3., 4. 414 Vgl. nur Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 27. 415 LG Frankfurt a.M. GRUR-RR 2005, 180 (180). 416 Leistner, EuZW 2016, 166 (166). 417 Vgl. im Zusammenhang mit der öffentlichen Zugänglichmachung sogleich Kapitel 3 § 3 B. IV. 2. a). 418 Vgl. nur Spindler, GRUR 2016, 157 (160).
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die herrschende Rechtslage berücksichtigen. Nichtsdestotrotz ist in näherer Zukunft damit zu rechnen, dass sich das Urheberrecht in diesem Bereich erheblich verändern wird. Obgleich die Vorschrift des § 15 Abs. 3 UrhG bereits vorgestellt wurde, sollen die wesentlichen Punkte an dieser Stelle erneut skizziert werden, wobei für Details auf die obigen Ausführungen verwiesen sei:419 Eine Wiedergabe ist öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Personen bestimmt ist, die weder mit dem Wiedergebenden, noch untereinander persönlich miteinander verbunden sind, § 15 Abs. 3 UrhG. Eine Mehrzahl erfordert nach Vorgabe des EuGH, welcher der BGH in seiner jüngsten Rechtsprechung nunmehr folgt, das Vorliegen einer „ziemlich [alternativ ‚recht‘] großen Zahl von Personen“,420 wofür allerdings keine konkreten Anhaltspunkte, geschweige denn Grenzwerte existieren. Entscheidend kommt es darauf an, dass die Personen, für welche die Wiedergabe bestimmt ist, untereinander nicht persönlich verbunden sind. Die Beantwortung dieser Frage hängt wiederum vom Einzelfall ab, wobei weder eine freundschaftliche noch eine familiäre Bindung erforderlich sind, um den Öffentlichkeitsbezug auszuschließen – allerdings stellt die Rechtsprechung insoweit recht hohe Anforderungen, sodass regelmäßig selbst Vereinsveranstaltungen oder Betriebsfeiern, inmitten welcher zahlreiche persönliche Bindungen vorherrschen, als öffentlich anzusehen sind.421 a) Subjektive Ausrichtung des § 15 Abs. 3 S. 1 UrhG Umstritten ist innerhalb der Rechtswissenschaft, wann eine Wiedergabe für die Öffentlichkeit bestimmt ist i.S.d. § 15 Abs. 3 S. 1 UrhG. Konkret geht es dabei um die Frage, ob die Bestimmung im Sinne der Vorschrift nach den objektiven Gegebenheiten oder nach dem subjektiven Willen des Verwertenden festzustellen ist. Während teilweise angenommen wird, dass es auf den subjektiven Willen insoweit nicht ankomme und sich die Bestimmung demgegenüber danach richte, ob die Wiedergabe objektiv betrachtet eine Vielzahl von Menschen erreiche,422 wird richtigerweise darauf abgestellt, welche Intention des Wiedergebenden objektiv feststellbar ist. Es kommt also darauf an, ob die Wiedergabe nach dem – objektiv zu bestimmenden – Willen des Verwertenden für eine Mehrzahl von Personen bestimmt war.423 Neben der Wortwahl des Gesetzgebers („bestimmt“) spricht für diese Auslegung vor allem der praktische Gesichtspunkt, dass hierdurch „Zaun419
Vgl. Kapitel 3 § 3 B. III. 2., 3., 4. GRUR 2012, 593 (596); EuGH GRUR 2013, 500 (502); EuGH GRUR 2016, 60 (61); BGH GRUR 2016, 171 (173); BGH GRUR 2016, 278 (282 f.); vgl. dazu J. B. Nordemann, GRUR 2016, 245. 421 Vgl. bereits ausführlich Kapitel 3 § 3 B. III. 4. b). 422 LG Frankfurt a.M. ZUM-RD 2005, 242 (242); Dreier/Schulze-Dreier, § 15 Rn. 46 – der allerdings nicht ohne Ausnahmen auskommt und die Öffentlichkeit etwa dann ablehnt, wenn sich „Fremde einschleichen“. 423 AG Erfurt, GRUR-RR 2002, 160 (160); AG Konstanz GRUR-RR 2007, 384 (384 f.); Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 32; Loewenheim-Hoeren, § 21 Rn. 11; Schri420 EuGH
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gast-Situationen“424 angemessen beurteilt werden können, in denen nicht zum Werkgenuss bestimmte Dritte zufällig von der Wiedergabe profitieren. Nach dem ausdrücklichen gesetzgeberischen Willen ist eine Wiedergabe nämlich dann nicht für die Öffentlichkeit bestimmt im Sinne des Urheberrechts, wenn der Verwertende nur einen privaten Kreis an Rezipienten im Blick hatte.425 Diese Auslegung entspricht darüber hinaus auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.426 Unerheblich für die Öffentlichkeit der Wiedergabe nach § 15 Abs. 3 UrhG ist demgegenüber, ob tatsächlich Rezipienten anwesend sind, die weder mit dem Verwertenden, noch mit den übrigen Anwesenden persönlich verbunden sind.427 Eine Strafbarkeit kommt insoweit auch dann in Betracht, wenn das Werk von überhaupt keiner Person wahrgenommen wird. Konsequenterweise wirkt es sich auch nicht auf den privaten Charakter einer Wiedergabe aus, wenn der Organisator einer Privatveranstaltung (etwa einer Hochzeit) eine unzureichende Einlasskontrolle organisiert hat, sodass im Ergebnis ungewollt unbekannte Dritte seiner Veranstaltung beiwohnen, denn dies ändert nichts an der einmal getroffenen Bestimmung.428 Diese subjektive Ausrichtung des § 15 Abs. 3 UrhG im Bereich der öffentlichen Wiedergabe wirkt sich freilich praktisch im Bereich von Irrtumsfällen aus, wenn ein Handelnder seine Wiedergabe subjektiv einem anderen Adressatenkreis „widmet“, als dies am Ende tatsächlich der Fall ist. Insofern kommen wiederum Irrtümer über Tatsachen (etwa über die Anwesenheit von Fremden auf einer Gartenparty), wie auch Irrtümer über die rechtliche Bewertung des Sachverhalts (etwa darüber, dass die Anwesenheit unbekannter Dritter die Wiedergabe überhaupt in urheberrechtlich relevanter Weise beeinflussen kann) in Betracht. b) Probleme insbesondere im digitalen Umfeld Probleme eröffnen sich in diesem Zusammenhang oftmals in Fällen der Werkverwertung im Internet, also insbesondere im Bereich des § 19a UrhG. Im digitalen Umfeld ist in vielen Fällen nur schwer feststellbar, wer alles eine tatsächliche Zugriffsmöglichkeit auf ein zugänglich gemachtes Werk hat. Im „world wide web“ hat grundsätzlich jeder Nutzer freien Zugang auf sämtliche Inhalte, denn das Internet ist, wie Bullinger treffend ausführt, „gerade für den unbegrenzten und öffentlichen Zugang konzipiert, so dass ein ‚Ins-Netz-Stellen‘ eines Werkes solange cker/Loewenheim-v. Ungern-Sternberg, § 15 Rn. 68; Spindler/Schuster-Wiebe, § 15 UrhG Rn. 11; Wandtke/Bullinger-Heerma, § 15 Rn. 19. 424 Schricker/Loewenheim-v. Ungern-Sternberg, § 15 Rn. 68. 425 Vgl. nur die amtliche Begründung im Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/38 S. 17 – Unklarheiten bei „zufälliger Öffentlichkeit“ sollen durch das Bestimmtheitserfordernis vermieden werden. 426 Vgl. EuGH GRUR 2012, 597 (598 f.); dazu ferner v. Ungern-Sternberg, GRUR 2012, 1198 (1200). 427 Schricker/Loewenheim-v. Ungern-Sternberg, § 15 Rn. 68. 428 AG Bochum GRUR-RR 2009, 166 (167).
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eine öffentliche Zugänglichmachung darstellt, wie keine geeigneten technischen Zugriffshindernisse bereitet werden.429 Richtigerweise ist also davon auszugehen, dass das unverschlüsselte Einstellen von Dateien jedenfalls in offene Bereiche des Internet als öffentliche Zugänglichmachung zu qualifizieren ist. Gleichwohl herrscht sowohl innerhalb der Rechtsprechung als auch im Schrifttum keine einheitliche Linie, wenn es um die Frage geht, wann die Bereitstellung von Werken im Internet zugunsten der Öffentlichkeit erfolgt. Dies wurzelt darin, dass selbst im frei zugänglichen Netz millionenfach Inhalte veröffentlicht werden, die sich schlechterdings, auch ohne verschlüsselt zu sein, ohne Kenntnis der exakten Zieladresse (URL = „Uniform Resource Locator“) nicht auffinden lassen.430 Insbesondere dann, wenn ein Werk nicht über eine Suchmaschine auffindbar ist, herrscht auch in der Rechtsprechung Uneinigkeit darüber, ob die Öffentlichkeit betroffen ist oder nicht.431 In der Tat ist eine Auffindbarkeit der Inhalte in diesen Fällen nur mithilfe der konkreten Internetadresse, gleichsam als „Schlüssel zum Inhalt“, möglich. Dementsprechend wird mitunter, analog zu den Fällen der Passwortverschlüsselung, darauf abgestellt, ob die URL in diesen Fällen an Personen weitergegeben wird, die der Öffentlichkeit angehören.432 Bleibt die Adresse dagegen im „privaten Kreis“, so soll die Öffentlichkeit nicht betroffen sein – obwohl die Inhalte grundsätzlich im öffentlichen Raum „schweben“. Die zuletzt zitierte Auffassung vermag indes nicht zu überzeugen. Das Internet ist schlechterdings ein öffentlicher Raum, dessen unverschlüsselte Inhalte grundsätzlich jedermann zugänglich sind, unabhängig davon, ob sie mithilfe einer Suchmaschine auffindbar sind oder nicht. Die Situation lässt sich insofern vergleichen mit einer öffentlichen Bibliothek, in der manche Bücher verschlossen sind, manche nur sehr schwer erreichbar sind und manche unproblematisch griffbereit stehen – etwa, weil sie in einem Katalog geführt werden. Erst der zusätzliche Verschluss, etwa in einer Vitrine, führt im Ergebnis dazu, dass ein Werk nicht öffentlich zugänglich ist – und nicht schon die Tatsache, dass das Werk vielleicht im siebten Stock der Bibliothek steht, nicht katalogisiert ist und zunächst entstaubt werden muss. Richtigerweise bleibt es also dabei, dass das Einstellen von Inhalten ins Netz grundsätzlich mit einer öffentlichen Bereitstellung einhergeht, die auch i.S.d. § 15 Abs. 3 S. 1 UrhG für die Öffentlichkeit bestimmt ist, sofern kein gegenteiliger Wil-
429 Wandtke/Bullinger-Bullinger,
§ 19a Rn. 6a. Vgl. auch Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 19a Rn. 6a. 431 Bejahend OLG Hamburg GRUR-RR 2008, 383 (383 f.); OLG Hamburg MMR 2010, 418; LG Berlin ZUM 2010, 609 (610); zustimmend Dreier/Schulze-Dreier, § 15 Rn. 46, § 19a Rn. 6; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 19a Rn. 6a.; wohl ebenso Dreyer/Kotthoff/ Meckel-Dreyer, § 19a Rn. 19; a.A. LG Berlin GRUR-RR 2008, 387 (387); ebenso Schricker/ Loewenheim-v. Ungern-Sternberg, § 15 Rn. 69. 432 Spindler/Schuster-Wiebe, § 15 UrhG Rn. 11; a.A. Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 19a Rn. 6a. 430
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le des Einstellenden erkennbar ist.433 Diese gegenteilige Intention, also der konkrete Wille eines Nutzers zur ausschließlich privaten Bereitstellung seiner Inhalte wird klassischerweise in Gestalt von Maßnahmen zum Schutz des Inhalts manifestiert, wie etwa durch Verschlüsselungen oder durch das Einstellen der Inhalte in geschützten Bereichen.434 Weist ein im Internet zugänglich gemachtes Werk also z.B. einen Passwortschutz auf, so ist es nicht zwangsläufig für die Öffentlichkeit bestimmt. Dies führt allerdings nur dann zum Ausschluss der Öffentlichkeit, wenn das Passwort ausschließlich an Personen weitergegeben wird, die ihrerseits nicht der Öffentlichkeit i.S.d. § 15 Abs. 3 S. 2 UrhG angehören.435 Der Bezug zur Öffentlichkeit bleibt dann gewahrt, wenn jedermann – etwa nach Erwerb eines Tickets – das Passwort durch den Berechtigten erhält, gleich ob er persönlich mit diesem verbunden ist oder nicht.436 Insofern verhält es sich gleich wie bei einer öffentlichen Veranstaltung, die erst nach dem Kauf einer Eintrittskarte besucht werden kann. Mithilfe dieser Grundsätze lassen sich alle Fälle adäquat lösen, in denen Werke über Netzwerke bereitgestellt werden. Dies gilt auch für Fälle des Intranet.437 Dabei handelt es sich um abgegrenzte, oftmals lokale Netzwerke (beispielsweise Firmennetzwerke), die nicht der allgemeinen Öffentlichkeit des Internet angehören. Hier lassen sich die Feststellungen zu betriebs- oder vereinsinternen Veranstaltungen entsprechend anwenden: Sobald die Personen, denen Zugriff auf Inhalte im Intranet gewährt wird, weder untereinander persönlich verbunden sind, noch allesamt gegenüber dem Bereitstellenden eine persönliche Bindung i.S.d. § 15 Abs. 3 UrhG aufweisen, ist der Bezug zur Öffentlichkeit hergestellt. 2. Irrtümer über die Begehungsvarianten der öffentlichen Wiedergabe Das Recht der öffentlichen Wiedergabe nach § 15 Abs. 2 UrhG, welches umfassend durch § 106 UrhG in Bezug genommen wird, vereint diverse Verwertungsrechte in sich, die in den §§ 19 ff. UrhG näher ausgestaltet werden. Im Fokus der vorliegenden Bearbeitung steht dabei die Untersuchung von Irrtümern über die Begehungsvariante der unerlaubten öffentlichen Zugänglichmachung von urheberrechtlich geschützten Werken, § 19a UrhG (sogleich unter a)). Anschließend werden Irrtümer im Bereich des Vortrags-, Aufführungs- und Vorführungsrechts, § 19 UrhG, untersucht (b)), bevor denkbare Irrtümer über die übrigen unkörperlichen Verwertungsrechte als Tathandlungen thematisiert werden (c)).
433 Wandtke/Bullinger-Bullinger,
§ 19a Rn. 6a. Vgl. Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 19a Rn. 6a. 435 Vgl. Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 19a Rn. 6a. 436 Schricker/Loewenheim-v. Ungern-Sternberg, § 15 Rn. 68 f.; Wandtke/Bullinger-Heerma, § 15 Rn. 23. 437 Vgl. dazu Dreier/Schulze-Dreier, § 19a Rn. 7; Loewenheim-Hoeren, § 21 Rn. 26; Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 19a Rn. 19; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 19a Rn. 6a. 434
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a) Irrtümer über die Tathandlungsvariante der öffentlichen Zugänglichmachung Das Recht zur öffentlichen Zugänglichmachung ist das Recht, das Werk drahtgebunden oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich zu machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist, § 19a UrhG. Wie erwähnt, handelt es sich dabei um das umfassende „Online-Recht“ der Urheber, denen die Befugnis eingeräumt wird, ausschließlich über den Verbleib und die Verwertung ihrer Werke zu bestimmen.438 Weil das Internet, wie Jani zutreffend feststellt, inzwischen zum „wichtigsten Kanal“439 für die Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke avanciert ist, stellt das Recht zur öffentlichen Zugänglichmachung – unbeschadet der übrigen Verwertungsformen – schlechterdings „das [Hervorhebung durch d. Verf.] Verwertungsrecht des 21. Jahrhunderts“440 dar. Diese Annahme wird durch die Entwicklung untermauert, dass zahlreiche Formen der Nutzung von urheberrechtlichen Werken zwar schon vor Anbruch des digitalen Zeitalters existierten – inzwischen aber nach und nach durch eine „Internetnutzung“ oder zumindest durch einen Besitzerwerb der Werke auf digitale Weise abgelöst werden. Eindrücklich zeigt sich dies an dem stark wachsenden Markt von E-Books und betreffenden Lesegeräten, an der Popularität von Musik- und Video-Streamingdiensten sowie an der Entwicklung von der Analogfotografie hin zur Digitalfotografie (und damit verbunden insbesondere der Entwicklung weg vom „klassischen“ Fotoalbum hin zum „Online-Album“ im sozialen Netzwerk). Die Besonderheit beim Recht der öffentlichen Zugänglichmachung liegt darin, dass das Werk den Rezipienten so zugänglich gemacht wird, dass diese es von dem Ort ihrer Wahl und auch zur Zeit ihrer Wahl konsumieren können, § 19a UrhG.441 Sowohl der Vortrag, die Aufführung und die Vorführung (§ 19 UrhG), als auch die Sendung (§ 20 UrhG), sind dadurch gekennzeichnet, dass den Rezipienten der Werkgenuss simultan eröffnet wird, in den Fällen des § 19 UrhG ist darüber hinaus regelmäßig sogar räumliche Identität gegeben.442 § 19a UrhG erfasst demgegenüber – und genau hierin lag auch die gesetzgeberische Intention bei Einführung der Vorschrift443 – auch die „sukzessive Öffentlichkeit“, also die Öffentlichkeit nach § 15 438 Vgl.
zur Bedeutung dieses „Online-Rechts“ Wandtke/Ohst-Jani, Band 2 Kapitel 1 Rn. 130 f. 439 Wandtke/Ohst-Jani, Band 2 Kapitel 1 Rn. 131. 440 Wandtke/Ohst-Jani, Band 2 Kapitel 1 Rn. 130. 441 Vgl. zuletzt BGH GRUR 2016, 171 (172). 442 Vgl. dazu BeckOK-UrhG-Götting, § 19a Rn. 1; Dreier/Schulze-Dreier, § 19a Rn. 1; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 75. 443 Eingeführt durch das Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10.9. 2003, BGBl. I 2003, S. 1774; vgl. dazu Dreier/Schulze-Dreier, § 19a Rn. 2 f.; zu den Problemen, die sich nach alter Gesetzesfassung bei Musiktauschbörsen ergaben im Besonderen Ahrens, ZUM 2000, 1029 (1030); ferner Lehmann, CR 2003, 553 (554 f.).
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Abs. 3 UrhG in der Ausprägung, dass die angesprochene Personenmehrzahl nicht in ein und demselben Moment auf das Werk zugreifen muss.444 Hierin liegt der Unterschied zu den „klassischen“ Wiedergabeformen – beispielsweise kann einem Konzert als Aufführung i.S.d. § 19 Abs. 2 UrhG nur beiwohnen, wer tatsächlich zu demselben Zeitpunkt im Konzertsaal ist wie der Rest der Zuhörerschaft. Und eine Sendung, § 20 UrhG, kann nur empfangen, wer sein Empfangsgerät gerade dann einschaltet und den entsprechenden Sender einstellt, wenn der Sender das Programm ausstrahlt oder zumindest das entsprechende Empfangsgerät einschaltet, ohne das Werk bereits zu diesem Zeitpunkt unmittelbar wahrzunehmen. Das entscheidende Moment der Zugänglichmachung als Verwertungsrecht – und damit auch als Tathandlung nach § 106 UrhG – liegt im Eröffnen des Zugriffs auf ein Werk,445 wobei es ausweislich § 19a UrhG ausdrücklich keine Rolle spielt, ob dies drahtgebunden oder drahtlos erfolgt. Das Recht ist dementsprechend „technologieneutral“446 und erfasst sowohl kabelgebundene Netzwerke, wie etwa durchgehende LAN-Verbindungen, Firmennetzwerke etc., als auch die heute weit verbreitete Nutzung von WLAN- oder Mobilfunknetzen. Hieraus ergeben sich vor allem die folgenden praktischen Anwendungsfelder.447 aa) Besonders praxisrelevante Anwendungsfelder des § 19a UrhG An erster Stelle ist die Bereitstellung von urheberrechtlich geschützten Inhalten im Internet zu nennen, zunächst gleichgültig innerhalb welches Umfelds und mithilfe welcher technischen Methode. Dabei eröffnen sich unzählige Verwertungsmöglichkeiten, die in Anbetracht deren Vielgestaltigkeit vorliegend auch nicht erschöpfend dargestellt werden können. Gleichwohl sollen im Folgenden einige besonders relevante Erscheinungsformen näher beleuchtet werden. Ebenfalls von § 19a UrhG erfasst ist die Bereitstellung von Werken in internen Netzwerken, beispielsweise in Netzwerken von Unternehmen, Verbänden oder einer Universität (Intranet), denn die Öffentlichkeit i.S.d. § 15 Abs. 3 UrhG ist, wie erörtert, nicht identisch mit der breiten Öffentlichkeit des „world wide web“ (www).448 Einen besonders praxisrelevanten, ebenfalls durch § 19a UrhG erfassten Fall, stellen On-Demand-Dienste dar. Dabei werden Inhalte aller Art, klassischerweise Filme oder Musik, durch einen Anbieter bereitgestellt, wobei der Nutzer diese In-
444 Vgl. BeckOK-UrhG-Götting, § 19a Rn. 1, 10; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 19a Rn. 9, 16. 445 BGH GRUR 2010, 623 (624); BGH GRUR 2010, 628 (629); BGH GRUR 2011, 56 (58); BGH GRUR 2011, 415 (416). 446 Dreier/Schulze-Dreier, § 19a Rn. 6. 447 Vgl. zu diesen und weiteren Beispielen Dreier/Schulze-Dreier, § 19a Rn. 6; Fromm/ Nordemann-Dustmann, § 19a Rn. 14 ff.; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 19a Rn. 22 ff. 448 Fromm/Nordemann-Dustmann, § 19a Rn. 16; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 19a Rn. 22.
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halte „auf Abruf“, also zu Zeiten und von Orten seiner Wahl konsumieren kann.449 Besondere praktische Fälle ergeben sich hierbei aus dem Umstand, dass diese Art der Nutzung oftmals nicht von einem Computer aus erfolgt, sondern direkt über den Fernseher oder ein dementsprechend technisch gerüstetes Empfangsgerät (Receiver) beziehungsweise direkt über Bluetooth- oder WLAN-fähige Lautsprechersysteme. Bei der Nutzung solcher Dienste handelt es sich um einen Unterfall des Streaming, dessen Begriff im alltäglichen Sprachgebrauch üblicherweise für Online-Plattformen verwendet wird, deren Nutzung direkt im Internetbrowser erfolgt.450 Auch beim Streaming greift der Nutzer zu einer von ihm gewählten Zeit an einem von ihm gewählten Ort auf ein Werk zu, das ihm durch einen Dritten bereitgehalten wird. Noch vor Aufkommen der Streamingportale erfreuten sich Peer-to-Peer-Dienste (P2P)451 großer Beliebtheit. Diese wurden – und werden – allerdings nach und nach durch erstgenannte Portale abgelöst.452 Dabei geht es um das Filesharing, also um das „Teilen“ von Dateien unter Zuhilfenahme des Internet, wobei die Werke hierbei jeweils auf einem lokalen Rechner gespeichert sind, auf den innerhalb der Netzgemeinde einem Dritten ein Zugang eröffnet wird, sodass dieser direkt auf den Rechner des Anbietenden zugreifen kann.453 Die Anbieter von Dateien laden diese hierbei also nicht erst auf einen Onlineserver, es erfolgt also keine Zwischenspeicherung auf einem „vermittelnden“ Server. Gleichwohl handelt es sich hierbei um eine Form der öffentlichen Zugänglichmachung.454 Die öffentliche Zugänglichmachung erfordert also grundsätzlich, dass ein Werk für die betreffenden Personen direkt abrufbar gemacht wird. Höchst umstritten ist die Einordnung hierunter für die Fälle von Verlinkungen im Internet, die erstens in zahlreichen verschiedenen Varianten auftreten können und zweitens als alltägliche Handlungen von besonderer Relevanz im „Netzalltag“ sind. Weil sich in diesem Zusammenhang auch ein breites Anwendungsfeld für die Irrtumslehre eröffnet, soll die Problematik im Folgenden tiefergehend behandelt werden. 449 Vgl. OLG Stuttgart NJW 2008, 1605 (1606); OLG Hamburg ZUM 2009, 414 (415); Dreier/Schulze-Dreier, § 19a Rn. 6; Fromm/Nordemann-Dustmann, § 19a Rn. 17; Hilgert/ Greth, Rn. 398. 450 Vgl. zu den technischen Vorgängen beim Streaming nur Busch, GRUR 2011, 496 (496 ff.); Galetzka/Stamer, MMR 2014, 292 (292 f.); ferner Fromm/Nordemann-Dustmann, § 19a Rn. 20; Hilgert/Greth, Rn. 391 ff.; zur aktuellen Diskussion um eine Strafbarkeit der Nutzer von Streamingportalen Wagner, GRUR 2016, 874. 451 Vgl. erläuternd zu Peer-to-Peer-Diensten und verwandten Erscheinungsformen Hilgert/Greth, Rn. 748 ff. 452 Vgl. Busch, GRUR 2011, 496 (496) – „Streaming ist das Filesharing von morgen“; Galetzka/Stamer, MMR 2014, 292 (292) – es sei „langfristig wohl eine Verdrängung des klassischen Downloads von Mediendateien zu Gunsten des Streaming zu erwarten“; Wagner, GRUR 2016, 874 (874) – „Download als Konsumform“ abgelöst. 453 Vgl. zu diesem Phänomen Heghmanns, MMR 2004, 14; J. B. Nordemann/Dustmann, CR 2004, 380; Reinbacher, S. 121 f. 454 Heghmanns, MMR 2004, 14 (15).
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bb) Die Verwendung von Hyperlinks und Frames als strafbare Handlungen In der jüngeren urheberrechtlichen Debatte ist die Frage nach der Behandlung von Verlinkungen im Internet besonders umstritten.455 Dabei geht es im weitesten Sinne immer um die Frage, inwiefern Rechte des Urhebers verletzt werden können, wenn ein bereits im Internet kursierendes Werk durch einen Nutzer auf einer anderen Internetseite „nur“ verknüpft wird, zunächst einmal unabhängig vom konkreten technischen Vorgang. Die Problematik erfasst einerseits den Hyperlink, bei dem die Zieladresse (URL) eines beliebigen Inhalts im Internet kopiert und auf einer anderen Internetseite so veröffentlicht wird, dass jede beliebige Person durch einen „Klick“ unproblematisch auf die Zieladresse gelangt.456 Jede Person, die dem Link folgt, gelangt schließlich auf die Zielseite – und erlangt damit in den betreffenden Streitfällen auch einen Zugriff auf das urheberrechtlich geschützte Werk. Eine besondere Form des Hyperlinks ist der sogenannte Deep-Link, der unter Umgehung überlagernder Internetseiten (insbesondere der Startseite) eine Verweisung auf eine tieferliegende, verknüpfte – aber grundsätzlich ebenfalls öffentlich zugängliche – Seite enthält.457 Dadurch werden Nutzer unter anderem an Werbeanzeigen „vorbeigeleitet“, die sich auf der überlagernden Internetseite befinden, was wiederum kommerzielle Interessen der Anbieter beeinträchtigt.458 Die Technik der Verlinkung macht zahlreiche Erscheinungsformen im modernen Internet überhaupt erst möglich. Vorrangig sind damit soziale Netzwerke angesprochen, die im Verlauf der 2000er Jahre eine explosionsartige Entwicklung durchlaufen haben.459 Im sozialen Netzwerk Twitter beispielsweise kommunizieren die Teilnehmer nahezu ausschließlich über Verknüpfungen. Dabei geht es weitestgehend um die Mitteilung von Kurztelegrammen (sog. Tweets, vom englischen „zwitschern“), die auf 140 Zeichen begrenzt sind und neben dem „Teilen“ von Fotos an andere Nutzer vor allem Verknüpfungen auf andere Internetseiten ermöglichen. Angesichts der wenigen Zeichen, können viele Botschaften ausschließlich mithilfe von Verlinkungen mitgeteilt werden. Auch in allen weiteren sozialen Netzwerken, insbesondere Facebook, sind Verlinkungen nicht hinwegzudenken – andernfalls gingen schlechterdings die Funktion, der Reiz und gewissermaßen auch der Charme des Agierens in sozialen Netzwerken verloren. 455 Vgl. zu dieser Diskussion vor allem BGH GRUR 2011, 56 (58); BGH GRUR 2016, 171 – Fortsetzung von EuGH GRUR 2014, 1196 und BGH GRUR 2013, 118; ferner Becker, ZGE 2016, 239 (254 ff.); Conrad, CR 2013, 305 (309 f.); Dreier/Schulze-Dreier, § 19a Rn. 6a; Fromm/Nordemann-Dustmann, § 19a Rn. 23c ff.; Grünberger, ZUM 2016, 905; Hornung/ Müller-Terpitz-Spindler, 5. 2. 1.2. Rn. 7 f.; Leistner, ZUM 2016, 580; ders., ZUM 2016, 980; Spindler, GRUR 2016, 157; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 19a Rn. 29. 456 Vgl. auch die Definition bei Eisele, Computer- und Medienstrafrecht, § 4 Rn. 11. 457 Vgl. nur BGH GRUR 2003, 958 (959); Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 19a Rn. 29. 458 BGH GRUR 2003, 958 (959). 459 Vgl. zur Entwicklung der „Social Networks“ nur Schmidt, Social Media, S. 15 ff.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Eine andere Ausprägung der Verknüpfung beziehungsweise der Verlinkung im weiteren Sinne, die im modernen Internet ebenfalls nicht hinweggedacht werden kann, ist das Einbetten von Inhalten fremder Webseiten auf die eigene Website beziehungsweise auf die eigene Pinnwand oder das eigene Profil in einem sozialen Netzwerk (Embedding).460 Es geht dabei um die unmittelbare Darstellung und Wiedergabe des fremden Inhalts auf der eigenen Seite, wofür oftmals sogenannte „Frames“ verwendet werden (Framing).461 Im Ergebnis erscheint also beispielsweise ein Video, das ursprünglich auf der Plattform youtube.com veröffentlicht wurde – und dort auch noch immer veröffentlicht sein muss, denn sonst geht der Link ins Leere –, in einem Rahmen (englisch „frame“) auf einer anderen Internetseite, ohne dass für den Nutzer zwangsläufig ersichtlich würde, dass das Video strenggenommen keinen „eigenen Inhalt“ der besuchten Webseite oder des besuchten Netzwerkprofils darstellt.462 Dasselbe gilt für das Einbetten von Fotos oder beliebigen anderen Dateiformaten. Durch diese Technik lässt sich vor allem Speicherkapazität sparen, denn die Inhalte werden – redundanzfrei – übernommen, ohne dass es einer Speicherung auf dem Server der Website bedarf, auf der die Einbettung erfolgt. Ursprünglich herrschte zumindest in Deutschland weitgehend Konsens darüber, dass das bloße Setzen eines Hyperlinks (auch eines Deep-Links) nicht als Wiedergabe des entsprechenden Inhalts erfasst sei, denn hierbei handelt es sich strenggenommen nicht um die Eröffnung eines Zugriffs, sondern bloß um die Herstellung einer Verknüpfung zu einem im Internet bereits öffentlich zugänglichen Inhalt.463 Diese Verknüpfung liefe schließlich ins Leere, wenn das Original auf der Ursprungsseite, auf die verwiesen wird, aus dem Netz entfernt werde (sog. „broken link“).464 Dasselbe sollte nach wohl herrschender Auffassung auch für das Framing gelten.465 Diese rechtliche Einordnung führt im Ergebnis freilich dazu, dass mit der einmaligen berechtigten öffentlichen Zugänglichmachung eines Werkes zwangsläufig eine Erschöpfungswirkung verbunden ist.466 Denn was einmal legal zugunsten aller ins Netz gestellt wurde, kann sodann unproblematisch weiter verVgl. dazu Eisele, Computer- und Medienstrafrecht, § 4 Rn. 12. Fromm/Nordemann-Dustmann, § 19a Rn. 23c ff.; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 19a Rn. 29. 462 Eine solche Konstellation lag auch BGH GRUR 2016, 171 zugrunde. 463 BGH GRUR 2011, 56 (58); ebenso zur alten Gesetzesfassung BGH GRUR 2003, 958 (961 f.); ferner Conrad, CR 2013, 305 (309 f.); Fromm/Nordemann-Dustmann, § 19a Rn. 23; Heydn, NJW 2004, 1361 (1361); Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 19a Rn. 29. 464 Vgl. zu dieser Problematik mit weiteren Nachweisen Heydn, NJW 2004, 1361 (1361, Fn. 7). 465 BGH GRUR 2016, 171 (174); Conrad, CR 2013, 305 (317 f.); Fromm/Nordemann-Dustmann, § 19a Rn. 23d; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 19a Rn. 29; vgl. auch den Rückblick von Spindler, GRUR 2016, 157, der davon ausgeht, dass insoweit „eine gewisse Konsolidierung der Diskussion eingetreten war, jedenfalls auf nationaler Ebene.“ 466 Vgl. J. B. Nordemann, GRUR 2016, 245 (248). 460
461 Vgl.
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linkt oder „geteilt“ – und damit unter Umständen auch erneut öffentlich zugänglich gemacht werden. Inzwischen ist dieser Konsens als überholt anzusehen. Am 9. 7. 2015 entschied der Bundesgerichtshof einem Vorabentscheidungsbeschluss des EuGH entsprechend, wonach die angesprochenen Hyperlinks, Framings etc. nur grundsätzlich, aber nicht in allen Fällen als urheberrechtlich „frei“ anzusehen sind.467 Dementsprechend soll zwar weiterhin gelten, dass „die bloße Verknüpfung eines auf einer fremden Internetseite bereitgehaltenen Werkes mit der eigenen Internetseite im Wege des ‚Framing‘“ kein öffentliches Zugänglichmachen darstelle, „weil allein der Inhaber der fremden Internetseite darüber entscheidet, ob das auf seiner Internetseite bereitgehaltene Werk für die Öffentlichkeit zugänglich bleibt.“468 Allerdings sei der Begriff der Wiedergabe im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG „im Blick auf das Hauptziel der Richtlinie, ein hohes Schutzniveau für die Urheber sicherzustellen […], weit zu verstehen“, weswegen es sich bei den angesprochenen Handlungsformen jedenfalls um Wiedergaben handle.469 Für die Einstufung als öffentliche Wiedergabe im Sinne der Richtlinie sei weiterhin erforderlich, dass „ein geschütztes Werk unter Verwendung eines technischen Verfahrens, das sich von dem bisher verwendeten unterscheidet, oder – ansonsten – für ein neues Publikum [Hervorhebung durch d. Verf.] wiedergegeben wird, also für ein Publikum, an das der Inhaber des Urheberrechts nicht dachte, als er die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe erlaubte.“470 Eine solche Wiedergabe an ein „neues Publikum“ liege nicht vor, wenn das Werk bereits andernorts mit Erlaubnis des Berechtigten für alle Internetnutzer frei veröffentlicht worden sei, wobei die konkrete Technik (Link, Framing etc.) hierauf keinen Einfluss habe.471 Allerdings sei dann von einem „neuen Publikum“ auszugehen, wenn für die Zugänglichmachung des Werks auf einer anderen Seite „keine entsprechende Erlaubnis“ vorliege. Habe der Urheberrechtsinhaber dies nicht erlaubt, „konnte er dabei zwangsläufig nicht an ein Publikum denken, an das sich diese Wiedergabe richtet. In einem solchen Fall richtet sich daher jede Wiedergabe des Werkes durch einen Dritten an ein neues Publikum […].“472 Kurzum: Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist derzeit zwar weiterhin von einer grundsätzlichen „Verknüpfungs-Freiheit“ auszugehen, die sämtliche Erscheinungsformen erfasst, gleich ob die Inhalte auf der verlinkenden Seite als „eigene“ dargestellt werden oder nur mithilfe eines Pfades in Bezug genommen 467 BGH GRUR 2016, 171 – Fortsetzung von EuGH GRUR 2014, 1196 und BGH GRUR 2013, 118; zustimmend Leistner, JZ 2014, 846 (850) – „den richtigen Weg eingeschlagen“; auch der Österreichische Oberste Gerichtshof hat inzwischen in diesem Sinne entschieden, vgl. ÖOGH GRUR Int. 2016, 589. 468 BGH GRUR 2016, 171 (172). 469 BGH GRUR 2016, 171 (172 f.). 470 BGH GRUR 2016, 171 (173). 471 BGH GRUR 2016, 171 (173 f.). 472 BGH GRUR 2016, 171 (174).
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werden.473 Allerdings liegt eine urheberrechtlich relevante Verwertungshandlung – zumindest nach dem aktuellen status quo – dann vor (der BGH geht insoweit von einem unbenannten Verwertungsrecht nach § 15 Abs. 2 UrhG aus),474 wenn die in Bezug genommene öffentliche Zugänglichmachung ihrerseits mit einer Rechtsverletzung des Urhebers verbunden ist. Dann soll ein „neues Publikum“ angesprochen und damit die Öffentlichkeit der Wiedergabe zu bejahen sein. Weiterhin ist von einer selbstständigen öffentlichen Wiedergabe auszugehen, wenn, um diese überhaupt zu ermöglichen, technische Schutzmaßnahmen umgangen werden.475 Spindler stellt zutreffend fest, dass die Folgen dieser Entwicklung kaum absehbar sind, denn strenggenommen bedeutet das Urteil für den Internetnutzer, dass dieser vor jedem Setzen eines Links „genau klären muss, ob der Inhalt, auf den er verweist, nicht urheberrechtswidrig ist.“476 Auch Fuchs/Farkas stellen völlig zutreffend fest, dass die „Praktikabilität des Mediums Internet enorm eingeschränkt werden“ könnte, sollten Verlinkungen tatsächlich als Urheberrechtsverletzungen qualifiziert werden.477 Rechtsunsicherheiten wären in diesem Kontext vorprogrammiert, denn beispielsweise einem öffentlich zugänglich gemachten Video lässt sich regelmäßig nicht ansehen, ob dieses berechtigterweise bereitgestellt worden ist oder nicht. Dies wäre zwangsläufig mit unübersehbaren Konsequenzen jedenfalls im Bereich der sozialen Netzwerke verbunden, was an dieser Stelle indes nicht vertieft werden kann.478 Für die vorliegende Arbeit ist diese Entwicklung gleichwohl von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Denn galten die hier angesprochenen Linksetzungen bislang „weitgehend als Teilnahmehandlungen, da die eigentliche Rechtsverletzung von einem Dritten ausging“,479 wird das bloße Setzen von Hyperlinks und die Einbettung fremder Inhalte nunmehr zur tauglichen Tathandlung i.S.d. § 106 UrhG. Weil sich kaum ein Internetnutzer, der nicht zufällig die höchst richterliche Rechtsprechung verfolgt (und diese auch versteht), beim Verlinken jemals auch nur ansatzweise im Bereich der Urheberrechtsstrafbarkeit wähnen dürfte, ist davon auszugehen, dass Irrtümer in diesem Zusammenhang weniger eine seltene Ausnahme als vielmehr den Regelfall darstellen. Die Frage nach der Behandlung von Hyperlinks und verwandten Phänomenen ist damit allerdings noch nicht im Geringsten geklärt. Am 8. September 2016 verfeinerte der Europäische Gerichtshof in einem mit Spannung erwarteten Ur473 Vgl. auch die Zusammenfassung bei Leistner, EuZW 2016, 166 (168); ebenso unter Berücksichtigung der jüngsten EuGH-Rechtsprechung Grünberger, ZUM 2016, 905 (919). 474 Vgl. BGH GRUR 2016, 171 (172); ebenso Spindler, GRUR 2016, 157 (157). 475 Dreier/Schulze-Dreier, § 19a Rn. 6a; Leistner, EuZW 2016, 166 (168). 476 Spindler, GRUR 2016, 157 (158); vgl. zum Embedding bei redaktioneller Arbeit und dem insoweit vorherrschenden Verständnis Primbs, Social Media für Journalisten, S. 159 f. 477 Fuchs/Farkas, ZUM 2016, 370 (372). 478 Vgl. dazu auch den Artikel von Abrar, LTO v. 2. 11. 2015, abrufbar unter http://www. lto.de/recht/hintergruende/h/eugh-c-160 – 15-c-527 – 15-link-framing-haftung/ (zuletzt aufgerufen am 14. 11. 2016, 11:10 Uhr). 479 Spindler, GRUR 2016, 157 (158).
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teil seine Grundsätze zur Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/ EG, welcher das Recht zur öffentlichen Wiedergabe einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung regelt.480 In der Entscheidung setzt sich der EuGH mit der Problematik auseinander, dass eine Verlinkung Inhalte betrifft, die auf der Zielseite bereits rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht wurden. Während die zuvor zitierten Grundsätze des Bundesgerichtshofs insbesondere auch für Verlinkungen auf rechtmäßig (erst-)veröffentlichte Inhalte Geltung beanspruchen, hatte sich der EuGH nicht speziell mit der Problematik rechtswidrig zugänglich gemachter Inhalte befasst. Der Gerichtshof stellte klar, dass Hyperlinks als solche zum „guten Funktionieren“ des Internet „und zum Meinungs- und Informationsaustausch in diesem Netz“ beitrügen, welches sich durch „die Verfügbarkeit immenser Informationsmengen auszeichnet.“481 Insoweit erkennt der EuGH auch ausdrücklich an, dass es sich „insbesondere für Einzelpersonen, die solche Links setzen wollen“ als schwierig erweisen könne zu überprüfen, „ob die Website, zu der diese Links führen sollen, Zugang zu geschützten Werken geben, und ggf., ob die Inhaber der Urheberrechte an diesen Werken deren Veröffentlichung im Internet erlaubt haben.“482 Der EuGH begegnet diesem „Dilemma“ auf subjektiver Ebene: Zum Zwecke der „individuellen Beurteilung“483 des Vorliegens einer öffentlichen Wiedergabe im Sinne der Richtlinie müsse zugunsten von Personen, die keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgen berücksichtigt werden, „dass der Betreffende nicht weiß und vernünftigerweise nicht wissen kann“, dass ein Werk zuvor ohne Erlaubnis des Urhebers veröffentlicht worden sei.484 Sei demgegenüber erwiesen, dass ein Verwertender wusste oder hätte wissen müssen, dass sein Link ein unerlaubt veröffentlichtes Werk zum Ziel habe, so sei „die Bereitstellung dieses Links als eine ‚öffentliche Wiedergabe‘ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 zu betrachten.“485 Zulasten des in Gewinnerzielungsabsicht handelnden Täters stellt der EuGH sodann die Vermutung auf, dass dieser „in voller Kenntnis der Geschütztheit des Werks und der etwaig fehlenden Erlaubnis“ verwertet.486 Freilich löst der EuGH damit zentrale Fragen des objektiven Tatbestandes unter Rückgriff auf Mittel des subjektiven Tatbestandes beziehungsweise der Schuld, was jedenfalls in dogmatischer Hinsicht durchaus zu beanstanden ist.487 Freilich kann eine Lösung dessen im vorliegenden Rahmen nicht im Ansatz erfolgen. Die Umsetzung der Grundsätze des EuGH beziehungsweise die entsprechende Auslegung der nationalen Vorschriften bleibt unterdessen den Gerichten vorbehalten. 480 EuGH ZUM 2016, 975; vgl. zur Rechtslage vorab Lauber-Rönsberg, NJW 2016, 744 (748) – „ungeklärt“; Spindler, GRUR 2016, 157 (157) – „noch immer keinen Schlusspunkt.“ 481 EuGH ZUM 2016, 975 (979). 482 EuGH ZUM 2016, 975 (979). 483 EuGH ZUM 2016, 975 (979). 484 EuGH ZUM 2016, 975 (979 f.). 485 Vgl. EuGH ZUM 2016, 975 (980). 486 EuGH ZUM 2016, 975 (980). 487 Vgl. nur Leistner, ZUM 2016, 580 (582 f.); ders., ZUM 2016 980 (982).
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Angesichts der dargestellten Rechtslage muss jedenfalls davon ausgegangen werden, dass die Gerichte zahlreiche Verlinkungen als öffentliche Wiedergaben qualifizieren werden.488 cc) Der Vorsatzgegenstand beim öffentlichen Zugänglichmachen Wie bereits angedeutet, eröffnet die Tathandlung der öffentlichen Zugänglichmachung zahlreiche denkbare Irrtumskonstellationen. Weil sich die meisten tatsächlichen Vorgehensweisen im Internet – für welches § 19a UrhG primär geschaffen wurde – nur unter Auseinandersetzung mit oftmals komplizierten Rechtsfragen auch tatsächlich als Tathandlungen identifizieren lassen, liegt eine Dominanz des Verbotsirrtums, wie sie im urheberrechtlichen Schrifttum üblicherweise bei allen Tathandlungsvarianten angenommen wird, in der Tat nahe. Bezüglich § 19a UrhG liegen indes noch keine Untersuchungen vor, denn sowohl die irrtumsspezifischen Monographien von Kircher und Lauer als auch die Standardwerke von Weber und Hildebrandt sind vor Einführung der Vorschrift erschienen. Wie bereits festgestellt wurde, beschränken sich darüber hinaus die meisten Kommentierungen auf eine recht pauschale Feststellung der Dominanz von Verbotsirrtümern. Diese Lücke wird mit der vorliegenden Arbeit geschlossen. Auch in Bezug auf das öffentliche Zugänglichmachen sind Irrtümer über tatsächliche Umstände eines Sachverhalts, also Tatumstandsirrtümer nach § 16 StGB, ebenso denkbar wie ein Fehlen des Unrechtsbewusstseins eines Handelnden, § 17 StGB. Das zentrale Moment des Zugänglichmachens liegt, wie festgestellt, darin, dass der Handelnde einem anderen den orts- und zeitunabhängigen Zugriff auf ein Werk ermöglicht. Dies geschieht in der Praxis in der Regel dadurch, dass ein Werk in ein Netzwerk „gestellt“ wird. Ebenso denkbar ist es, dass der Zugriff auf ein bereits online gestelltes Werk dadurch ermöglicht wird, dass ein Handelnder eine vorhandene Sperre entfernt oder eine Website freischaltet. Hier sind freilich zahlreiche verschiedene technische Vorgänge denkbar, die im Ergebnis allerdings alle auf dasselbe Ziel hinauslaufen müssen – nämlich die Eröffnung des Zugriffs. Umstritten ist, ob es sich bei der öffentlichen Zugänglichmachung um ein Erfolgsdelikt oder ein Tätigkeitsdelikt handelt.489 Einerseits trifft es zu, dass die Tat488 Dass diese Rechtslage alles andere als befriedigend empfunden wird, zeigt jüngst die diametral entgegengesetzte Auffassung von Schack, ZUM 2016, 266 (269) – der Gesetzgeber solle „der Realität ins Auge sehen.“ Dementsprechend schlägt Schack de lege ferenda vor, „Nutzungshandlungen, die unmittelbar der Strukturierung der im Internet frei zugänglichen Informationen oder der Erleichterung des Zugangs zu ihnen dienen“, ausdrücklich freizustellen, wozu insbesondere auch die „Verweisung auf Informationen durch Verlinken, einschließlich Framing, solange der Inhalt als fremder erkennbar bleibt“, zu zählen sei, Schack, ZUM 2016, 266 (282); kritisch auch Fuchs/Farkas, ZUM 2016, 370 (372 f.) – „fraglich, ob dies ein Schritt in die richtige Richtung ist.“ 489 Vgl. hierzu bereits im Zusammenhang mit der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts Kapitel 3 § 2 C.; Erbs/Kohlhaas-Kaiser, 208. Lfg., § 106 UrhG Rn. 19, sieht in der Möglichkeit der Kenntnisnahme einen Taterfolg; Spindler/Schuster-Gercke, § 106
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bestandsmäßigkeit einer Wiedergabe bei allen Begehungsformen des § 106 Abs. 1 UrhG nicht davon abhängt, dass das Werk tatsächlich wahrgenommen wird. Insofern ist die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme ausreichend, weswegen die wohl herrschende Meinung im Schrifttum auch bei allen Varianten der nichtkörperlichen Verwertung von bloßen Tätigkeitsdelikten ausgeht. Andererseits lassen sich durchaus Argumente für die Gegenauffassung anführen. So erscheint es durchaus plausibel, zumindest für die Variante der öffentlichen Zugänglichmachung von einem Erfolgsdelikt auszugehen. Der Außenwelterfolg könnte hier darin zu erblicken sein, dass Dritte auch tatsächlich Zugriff auf das Werk erhalten. Hierin liegt, verglichen mit den „klassischen“ Wiedergabeformen (Sendung, Vortrag, Aufführung, Vorführung), gerade die Besonderheit der öffentlichen Zugänglichmachung – nämlich, dass sich die Tathandlung im engeren Sinne nicht in sich selbst erschöpft und gewissermaßen mit ihrer Vornahme sogleich selbst wieder erledigt, sondern dass zusätzlich und vor allem zeitlich nachgelagert, also erst nach Vornahme der Handlung ein Zugriff auf das Werk durch Angehörige der Öffentlichkeit möglich ist. Ist diese zeitversetzte Zugriffsmöglichkeit nicht gegeben, so liegt bei lebensnaher Betrachtung kaum einmal eine öffentliche Wiedergabe vor. Besonders deutlich wird dies bei der Zugänglichmachung von Werken via E-Mail: Ohne Zugang im Mailpostfach des Empfängers (etwa aufgrund eines Serverfehlers) ist hier schlichtweg keine Zugriffsmöglichkeit erfolgt, die Tat bleibt im Versuchsstadium stecken. Auch beim Upload von Werken ins Internet fallen die Tathandlung im engeren Sinne (also der Mausklick, der den Upload einleitet) und die tatsächliche Zugriffsmöglichkeit im Regelfall auseinander. Für die Einordnung als Erfolgsdelikt spricht ferner eine Betrachtung der Begehungsvariante „aus dem subjektiven Tatbestand heraus“: Der Vorsatz desjenigen, der tatbestandsmäßig ein Werk öffentlich zugänglich macht i.S.d. § 106 UrhG, muss sich schon bei Vornahme der Tathandlung (also beim Klick auf den „Upload“-Button) zwangsläufig auf die Eröffnung einer nachgelagerten Zugriffsmöglichkeit zugunsten der Öffentlichkeit beziehen. Dass dieser Vorsatz bereits denklogisch einen – irgendwie gearteten – Erfolg erfassen muss, ergibt sich bereits daraus, dass allein die betreffenden Tätigkeiten für sich genommen noch keinerlei Unwert aufweisen: Während sich bei einem Vortrag, einer Aufführung oder einer Vorführung als tatsächlicher Handlung der Unwert in diesen Handlungen selbst erschöpft, ergibt sich der Unwert bei Tathandlungen i.S.d. § 19a UrhG wie etwa dem Upload ins Internet oder dem Setzen eines Hyperlinks oftmals nicht aus der Tätigkeit selbst, sondern erst aus deren Resultat, nämlich der faktischen Abrufbarkeit des Werkes (aber nicht daraus, dass irgendein anderer Nutzer das Werk tatsächlich abruft). Diese Abrufbarkeit lässt sich auch nicht etwa mit der „Besuchbarkeit“ eines Theaterstücks oder eines Konzerts oder mit der „Einschaltbarkeit“ eines Fernsehers (bei der Sendung) vergleichen. Derjenige, der etwa einen Film in der Öffentlichkeit unerlaubt vorUrhG Rn. 1, lässt die Frage offen; für eine Qualifikation als Tätigkeit sprechen sich aus: BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 28; Dreier/Schulze-Dreier, § 106 Rn. 5; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 20.
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führt i.S.d. § 19 Abs. 4 UrhG, begeht bereits Unrecht, sobald die erste Sequenz auf der Leinwand erscheint. Derjenige, der dagegen ein Filmwerk per E-Mail öffentlich zugänglich machen möchte, begeht erst dann Unrecht, wenn die E-Mail überhaupt ankommt. Ansonsten bleibt sein Tun im Versuchsstadium stecken. Es lassen sich also durchaus Argumente für eine Charakterisierung der öffentlichen Zugänglichmachung als Erfolgsdelikt anführen. Soweit aber allein der tatsächliche Abruf eines Werks als tauglicher Taterfolg in Betracht gezogen wird, greift freilich die Gegenargumentation. Gegen eine Qualifikation als Erfolgsdelikt lässt sich strenggenommen auch anführen, dass sich schließlich alle Wiedergabeformen irgendwie in Einzelakte „zerlegen“ lassen (etwa den Klick auf das Wiedergabegerät bei der Filmvorführung). Allerdings bleibt doch der Eindruck bestehen, dass die öffentliche Zugänglichmachung aus dem Muster der Wiedergabe heraussticht. Dies gilt umso mehr, als sich diese durchaus auch in gewisser Hinsicht als „Online-Verbreitung“ begreifen lässt, denn bei der Verbreitung i.S.d. § 17 UrhG als körperliche Verwertung (die ihrerseits unproblematisch ein Erfolgsdelikt darstellt) kommt es ebenfalls nur auf das „In-den-Verkehr-Bringen“ an, ohne dass es einer tatsächlichen Nutzung oder eines Konsums des Werkstücks bedürfte. Dass dieses körperliche „In-den-Verkehr-Gelangen“ und das digitale „In-den-Verkehr-Gelangen“ bei der Zugänglichmachung zumindest stark wesensverwandt sind, ist nicht von der Hand zu weisen. Ungeachtet dieser Diskussion steht jedenfalls fest, dass sich der Vorsatz beim öffentlichen Zugänglichmachen als Tathandlung des § 106 UrhG gerade auf eine Eröffnung der Zugriffsmöglichkeit zugunsten Dritter beziehen muss. Der Vorsatz muss also auch darauf gerichtet sein, einem anderen (der zudem der Öffentlichkeit angehören muss) diesen Zugriff zu ermöglichen, ganz gleich ob die Zugriffsmöglichkeit in dogmatischer Hinsicht nun einen tatbestandlichen Erfolg darstellt oder bereits als Element der Tätigkeit im engeren Sinne verstanden wird. dd) Irrtumskonstellationen des § 19a UrhG Nachdem die öffentliche Zugänglichmachung als Tathandlung ausführlich erörtert und insbesondere deren Vorsatzgegenstand konkretisiert wurde, sollen im Folgenden denkbare Irrtumskonstellationen gelöst werden. Dabei wird wiederum zwischen Irrtümern über tatsächliche Umstände ((1)) und Irrtümern über die rechtliche Bewertung ((2)) unterschieden. (1) Irrtümer über tatsächliche Umstände Im Tatumstandsirrtum handelt, wer einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, § 16 StGB. Der Täter weiß in diesen Fällen nicht, was er tut. Derlei Konstellationen sind durchaus auch im Bereich des öffentlichen Zugänglichmachens vorstellbar. Hierbei sind im Wesentlichen zwei Tendenzen auszumachen: Einerseits kann der Irrtum darin wurzeln, dass der Handelnde schlichtweg nicht erkennt, dass er ein Werk überhaupt drahtlos oder drahtgebunden bereitstellt.
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Andererseits kann derjenige, der das Werk bereitstellt, über Tatsachen irren, die dem Umstand zugrunde liegen, dass er zugunsten der Öffentlichkeit handelt. Beispielsfall a („geteilte“ Songs): Der Internetnutzer N surft auf einer offensichtlich zwielichtigen Website, die illegale Videodateien von aktuellen Charthits bereithält. Unter den jeweiligen Videos findet sich ein Button, dessen Betätigung dazu führt, dass der jeweilige Hit auf Facebook „geteilt“ wird. N gefällt ein aktueller Schlager so gut, dass er – ohne die Bedeutung des Buttons erahnen zu können und eher in dem Gedanken, es handle sich um eine Art „Bewertungssystem“ – den Button betätigt, woraufhin auf seiner Facebook-Pinnwand der Song eingebettet wird (was N allerdings nicht bemerkt). In dieser Konstellation verwirklicht N unter Berücksichtigung der jüngsten BGH- und EuGH-Rechtsprechung eine öffentliche Wiedergabe in Form der Zugänglichmachung, weil es sich bei der Verlinkung um die Verknüpfung zu einem seinerseits rechtswidrig zugänglich gemachten Werk handelt. Unabhängig vom ohnehin klärungsbedürftigen zivilrechtlichen Sorgfaltsmaßstab,490 gilt nach dem Gesagten, dass N – folgt man der Rechtsprechung – in strafrechtlicher Hinsicht jedenfalls den objektiven Tatbestand des § 106 UrhG verwirklicht. Weil er allerdings nicht weiß, dass er durch seine Handlung – das Anklicken des Buttons – eine Verknüpfung herstellt und das Werk auf Facebook „teilt“, kennt er den Umstand nicht, dass er anderen einen Zugang zu dem Werk eröffnet. Er handelt also im Tat umstandsirrtum, mithin ohne Vorsatz, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Ein anderes Ergebnis würde sich in der skizzierten Konstellation auch nicht auf der Basis einer anderen Irrtumslehre ergeben. Allerdings wären insoweit wiederum die bekannten Abgrenzungsprobleme virulent. Beim öffentlichen Zugänglichmachen wäre der erste Systembruch bereits bei der Frage vorprogrammiert, ob es sich bei dieser Begehungsvariante um ein normatives oder deskriptives Tatbestandsmerkmal handelt: Die herrschende Irrtumslehre müsste sich in diesem Zusammenhang nämlich dem Problem stellen, dass die Tathandlungsvarianten im urheberrechtlichen Schrifttum eigentlich allesamt als deskriptive Tatbestandsmerkmale begriffen werden, was indes – wie erörtert491 – in dieser Pauschalität nicht zutrifft. Insbesondere die öffentliche Zugänglichmachung, § 19a UrhG, weist einen solchermaßen starken normativen Bezug auf, dass sich deren verkörperte tatsächliche Handlungsmodalitäten in den seltensten Fällen mithilfe der Sinne auch nur ansatzweise als strafrechtlich relevantes Verhalten erfassen lassen. Der normative Bezug wird zusätzlich verstärkt durch den stetigen Wandel, dem die „digitalen“ Verwertungsrechte – die schließlich akzessorisch durch § 106 UrhG in Bezug genommen werden – im Besonderen unterliegen, was jüngst durch die Verschärfung der Rechtslage in Bezug auf Verlinkungen im Internet eindrücklich untermauert wird. Denn dass das Setzen eines Hyperlinks unter Umständen eine strafbare Verwertung von urheberrechtlich geschützten Werken darstellen kann, 490 491
Vgl. dazu Spindler, GRUR 2016, 157 (158 f.). Vgl. Kapitel 3 § 3 B. I.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
lässt sich ausschließlich unter Heranziehung der Rechtsprechung überhaupt erkennen, geschweige denn „verstehen“. Kurzum: Schon die erste Weichenstellung im Rahmen der herrschenden Irrtumslehre ist – neuerlich – mit erheblichen Einordnungsproblemen verknüpft. Beispielsfall b (falscher Ordner): Filesharer F ist Mitglied eines Peer-to-PeerNetzwerks, mit dessen Hilfe er der Netzgemeinde eigentlich nur eigene Fotos zur Verfügung stellen möchte (was auch vollkommen legal ist, sofern darauf keine anderen Personen abgebildet sind, deren Persönlichkeitsrechte der Veröffentliche verletzt, §§ 22, 23 KUG). Er weiß, dass in seinem Netzwerk viele andere auf illegale Art und Weise Musikwerke „teilen“, lehnt dies aber kategorisch ab. Aus Versehen verschiebt er aber doch einige Musikalben in den falschen Ordner auf seinem Rechner, die sodann im „P2P“-Netzwerk angezeigt – und hundertfach von anderen Nutzern geladen werden. In dieser Konstellation weiß F wiederum nicht, was er tut. Er weiß nicht, dass er im Netzwerk der Öffentlichkeit einen Zugriff auf die Musikwerke eröffnet – er kennt einen Umstand nicht, der der Tathandlung der öffentlichen Wiedergabe i.S.d. § 106 UrhG zugrunde liegt, also einen Umstand, „der zum gesetzlichen Tatbestand gehört“, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Es liegt somit ein Tatumstandsirrtum vor, F handelt ohne Vorsatz. Dasselbe würde auch für den Fall gelten, dass F überhaupt nicht weiß, dass er bei der Teilnahme am „P2P“-Netzwerk selbst Inhalte zur Verfügung stellt, sondern davon ausgeht, dass er bloß als Konsument auftritt.492 Beispielsfall c („unbedarfte Freigabe“): A ist Angestellter bei einer Fotoagentur und verwaltet Werke von Fotografen. Diese sind lokal gespeichert und werden den Kunden der Agentur (zumeist Verlage) bei Bedarf öffentlich zugänglich gemacht. Daneben gibt es ältere, „freie“ Aufnahmen, die aus Gründen des Eigenmarketings frei zur Verfügung gestellt werden. A vertippt sich bei der Vergabe eines Ordnerpfades, was dazu führt, dass alle Werke für einen gewissen Zeitraum im „freien“ Ordner online zur Verfügung stehen. Auch in der vorstehenden Konstellation weiß A nicht, was er tut. Er bemerkt nicht, dass er die Werke der Fotografie der Öffentlichkeit online zur Verfügung stellt. Er unterliegt also einem Tatumstandsirrtum, § 16 StGB, handelt also ohne Vorsatz. Beispielsfall d (Dropbox I):493 Lehrer L fertigt digitale Sicherungskopien (vgl. § 53 UrhG) seiner geliebten Schallplatten und CDs an und speichert diese in einem Ordner auf dem Computer. Eines Tages verschiebt er diesen Ordner versehentlich in seine „Dropbox“, die er für alle seine Schüler freigeschaltet hat, um mit diesen Fotos von Klassenfahrten auszutauschen. L verwirklicht im skizzierten Beispielsfall objektiv eine Wiedergabe der geschützten Musikwerke in Form einer öffentlichen Zugänglichmachung (wobei inHeinrich, in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (74 f.). Vgl. sogleich auch Kapitel 3 § 3 B. IV. 2. a) dd) (2); ferner Heinrich, in: Bosch/Bung/ Klippel, S. 59 (74 f.). 492 Vgl. 493
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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soweit diskutabel erscheint, ob die Öffentlichkeit bei einer Schulklasse überhaupt tangiert ist, § 15 Abs. 3 UrhG)494, denn er stellt seinen Schülern die Sicherungskopien auf digitalem Wege innerhalb eines Cloudspeichers zur Verfügung. Dass die Speicherung in der Dropbox mindestens eine Kopie und damit eine Vervielfältigung im Cloudspeicher (und je nach Konfiguration der „Dropbox“ womöglich sogar zahlreiche weitere auf den Festplatten der Schüler) darstellt, wäre ebenfalls urheberrechtlich unbedenklich, weil insoweit wiederum § 53 UrhG einschlägig wäre. Unabhängig davon, ob in dieser Lehrer-Schüler-Konstellation das Merkmal der Öffentlichkeit auch tatsächlich erfüllt ist, weiß L in Bezug auf die öffentliche Zugänglichmachung jedenfalls nicht, was er tut – er verkennt einen tatsächlichen Umstand, der sein Handeln als Zugänglichmachung qualifiziert, wenn er nicht einmal bemerkt, dass er die Werke in seine Dropbox zieht und damit anderen einen Zugang zu den Werken eröffnet. Damit handelt er ohne Vorsatz. Beispielsfall e (Öffentlichkeit der Wiedergabe): Der Smartphone-Hobbyfotograf S nutzt den Nachrichtendienst „WhatsApp“ und ist dort Mitglied in diversen Gruppen, wobei manche Gruppen eine Öffentlichkeit i.S.d. § 15 Abs. 3 verkörpern und manche Gruppen „privat“ sind. S hat einen Fotowettbewerb gewonnen, wobei er dem Organisator des Wettbewerbs ein ausschließliches Nutzungsrecht an seinen Aufnahmen eingeräumt hat, § 31 Abs. 3 S. 1 UrhG. Dabei wurde vereinbart, dass S seine Fotos ausschließlich in der Familie weiterhin verwerten darf, § 31 Abs. 3 S. 2 UrhG. Das weiß S auch und teilt seine Fotos in der von ihm selten gepflegten „WhatsApp-Familiengruppe“ mit seinen Eltern und Geschwistern. Was er dabei nicht weiß, ist, dass seine Schwester und seine Eltern die Gruppe inzwischen zweckentfremdet und um eine Vielzahl von Personen erweitert haben, sodass eine Öffentlichkeit i.S.d. § 15 Abs. 3 UrhG anzunehmen ist. In dieser Konstellation macht S „seine“ Werke öffentlich zugänglich i.S.d. § 19a UrhG, die er selbst nach Einräumung des ausschließlichen Rechts allerdings nicht mehr auf die durch ihn gewählte Weise verwerten darf. Dass dabei eine „App“, also eine Anwendung für Smartphones (vom englischen „application“) zum Einsatz kommt, ist für die strafrechtliche Beurteilung unerheblich, denn die Funktionsweise ist dabei dieselbe wie bei einer „Streuung“ von Dateien via E-Mail oder innerhalb eines anderen sozialen Netzwerks am Computer. S als Urheber kommt nach Einräumung eines ausschließlichen Nutzungsrechts weiterhin auch als Täter einer Urheberstraftat in Betracht.495 S eröffnet Dritten, die nach § 15 Abs. 3 UrhG auch der Öffentlichkeit angehören, damit den Zugriff zu einem urheberrechtlich geschützten Werk – er erfüllt durch seine Handlung also den objektiven Tatbestand des § 106 UrhG in Gestalt der öffentlichen Wiedergabe. Fraglich ist, ob er auch vorsätzlich handelt. Dafür müsste er alle Umstände kennen, die sein Handeln als tatbestandsmäßig qualifizieren. Ihm fehlt es indes an der Kenntnis eines die Öffentlichkeit begründenden Umstandes, wenn er nicht weiß, dass das Umfeld, das er mit den Werken „bedient“, auch unbekannte Dritte umfasst. Damit handelt 494 495
Vgl. zum Begriff der Öffentlichkeit im schulischen Bereich Do Chi, S. 83 ff. Vgl. dazu Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 24.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
er unvorsätzlich in Bezug auf die Öffentlichkeit seiner Wiedergabe, er handelt im Tatumstandsirrtum und ohne Vorsatz, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Die vorstehenden Beispielsfälle zeigen, dass Tatumstandsirrtümer im „Internet-Alltag“ beziehungsweise bei der Verwertung von Werken mithilfe von Netzwerkdiensten im Allgemeinen selten vorkommen dürften. Die meisten Zugänglichmachungen von Werken in der „digitalen Sphäre“ erfolgen nämlich ganz bewusst. Dass den Handelnden Tatumstände, die Ihr Handeln als tatbestandsmäßig nach § 106 UrhG qualifizieren, nicht bekannt sind, ist nur in Konstellationen denkbar, die sich dadurch auszeichnen, dass der Handelnde schlichtweg nicht erkennt, dass er überhaupt ein Werk anderen zugänglich macht oder einen Umstand verkennt, der die Öffentlichkeit ausmacht. In der Praxis viel wahrscheinlicher sind demgegenüber Sachverhalte, in denen jemand ein Werk „teilt“, auf digitalem Wege versendet, in einen Ordner verschiebt oder sonst irgendwie einem Publikum zugänglich macht, und dabei in dem Glauben handelt, dass seine Aktion rechtlich nicht von Relevanz sei. Diese Konstellationen werden sogleich untersucht. (2) Irrtümer über die rechtliche Bewertung Der rasante technische Fortschritt hat es den Menschen insbesondere seit Anbruch des 21. Jahrhunderts ermöglicht, sich in erster Linie über das Internet nahezu uneingeschränkt auszutauschen, miteinander zu kommunizieren und sich gegenseitig Dateien aller Art ebenso schnell wie komfortabel zukommen zu lassen. Wo „früher“ immerhin noch eine CD gebrannt werden musste, um Musik miteinander auszutauschen oder der Weg zum Kopierer angetreten werden musste, um eine Passage aus einem Buch zu „teilen“, genügt heute ein Klick, um schlichtweg jede denkbare Form von urheberrechtlich geschützten Werken weltweit zu publizieren oder auszutauschen. Es ist davon auszugehen, dass – damit einhergehend – die Hemmschwelle, die wiederum „früher“ (beim Gang zum Kopierer oder beim Brennen der CD) noch überwunden werden musste, im Durchschnitt zumindest stark, wenn nicht gar ganz „auf null“ gesunken ist. Im digitalen Umfeld ist es zu etwas Alltäglichem avanciert, die verschiedensten Werke auszutauschen, sie vielfach abzuspeichern und sie grenzenlos verfügbar zu machen – auch zugunsten Dritter. Dabei dürften sich die Handelnden in vielen Fällen kaum Gedanken machen, ob das, was sie gerade tun, unter Umständen Urheberrechte verletzt. Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung nach § 19a UrhG verleiht nun dem Urheber die alleinige Verfügungsgewalt über sein Werk in der „digitalen Welt“. Hieraus ergibt sich ein schwieriger Spagat für das Urheberrecht, auch in strafrechtlicher Hinsicht: Einerseits existiert das Recht des Urhebers, allein zu bestimmen, was mit seiner Schöpfung geschehen soll. Andererseits gibt es nun einmal dieses unberechenbare Umfeld, in dem ein Werk, einmal angekommen, kaum mehr unter Kontrolle gehalten werden kann. Verbunden mit der Tatsache, dass es sich beim „interaktiven Internet“, vor allem in Bezug auf die sozialen Netzwerke, um ein junges Phänomen handelt,496 führt dieser Umstand dazu, dass „das Recht“ in Gestalt 496 Vgl.
Schmidt, Social Media, S. 15 ff.
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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der Gesetze und der Rechtsprechung und das „allgemeine Unrechtsbewusstsein“, vor allem der jüngeren Generation, die weitgehend ohne Analogtechnik aufwächst, stark auseinanderfallen. Dreier stellt insofern völlig zu Recht eine wenig rücksichtsvolle „Mentalität des Teilens“ fest.497 Frey spricht im Zusammenhang mit der Akzeptanz des Urheberrechts von einer „wachsende[n] Kluft zwischen rechtlichen und sozialen Normen im Internet.“498 Indes: In diesem Zusammenhang kann nicht deutlich genug betont werden, dass es sich hierbei um ein brandaktuelles Phänomen handelt. Ein Unrechtsbewusstsein innerhalb der Bevölkerung kann aber nur stetig wachsen – und lässt sich nicht durch Gesetze und Rechtsprechung gleichsam einimpfen. Der Irrtumslehre – mit § 17 StGB gewissermaßen als Korrektiv für ein fehlendes Unrechtsbewusstsein – kommt deswegen im Urheberstrafrecht eine entscheidende Bedeutung zu. Es widerspricht strafrechtlichen Prinzipien, wenn die skizzierte phänomenologische Entwicklung alleine auf dem Rücken desjenigen ausgetragen wird, dessen Unrechtsbewusstsein nicht vorhanden ist, obwohl er dies nicht vermeiden konnte. § 17 StGB hält dementsprechend adäquate Rechtsfolgen parat: Beruht das fehlende Unrechtsbewusstsein eines Handelnden auf einem vermeidbaren Irrtum, so kommt eine Strafmilderung in Betracht. Konnte der Irrtum dagegen nicht vermieden werden, so bleibt die Handlung straflos. Die herrschende Irrtumslehre käme demgegenüber, sofern beim öffentlichen Zugänglichmachen richtigerweise – wie festgestellt – von einem normativen Tatbestandsmerkmal ausgegangen wird, in vielen Fällen bereits zum Ausschluss des Vorsatzes. Die damit einhergehenden Probleme wurden indes bereits ausführlich dargelegt. Im Folgenden werden praxisrelevante Irrtumskonstellationen im Bereich des Unrechtsbewusstseins erörtert, die sich bei der Tathandlung der öffentlichen Wiedergabe in der Form des öffentlichen Zugänglichmachens, § 19a UrhG, ergeben können. Beispielsfall a (Dropbox II):499 Musiklehrer M fertigt digitale Sicherungskopien (vgl. § 53 UrhG) seiner geliebten Schallplatten und CDs an und speichert diese in einem Ordner auf dem Computer ab. Eines Tages kopiert er diesen Ordner in seine „Dropbox“, die er für die Teilnehmer einer Projektgruppe im Rahmen der schulischen Projekttage (die er nicht persönlich kennt und die sich nicht allesamt untereinander persönlich kennen) freischaltet, um zu demonstrieren, was „echte Musik“ ist. Er geht davon aus, dass sein Verhalten rechtlich nicht zu beanstanden ist. In dieser Konstellation begeht M eine öffentliche Zugänglichmachung und erfüllt somit den objektiven Tatbestand des § 106 UrhG. Dabei fehlt ihm augenscheinlich das Unrechtsbewusstsein. In tatsächlicher Hinsicht hat er allerdings alles ganz korrekt erfasst – er weiß, dass er seinen Schülern den Konsum der Werke ermöglicht, denn genau hierin lag auch seine Intention. Er unterliegt damit einem 497 Dreier/Schulze-Dreier,
Einleitung UrhG Rn. 23. Frey, ZUM 2014, 554 (554). 499 Vgl. bereits den ähnlichen Fall in Kapitel 3 § 3 B. IV. 2. a) dd) (1); ferner Do Chi, S. 232 f. 498
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Verbotsirrtum, § 17 StGB, der auch vermeidbar war, denn M obliegen zumindest in seiner Tätigkeit als Lehrkraft gesteigerte Informationspflichten in Bezug auf den Umgang mit „Lehrmaterial“. Auch wenn es sich um private Dateien handelt, muss M jedenfalls tiefergehende Informationsmöglichkeiten ausschöpfen. Beispielsfall b (Weitergabe von E-Books): Lesefreund L ist aus Gründen der Umweltfreundlichkeit umgestiegen auf digitale Leseformate und liest seither vorrangig E-Books. Weil man Bücher schließlich auch verschenken darf, geht L großzügig mit seinen Dateien um, die er allesamt auf einen Cloudspeicher kopiert und den Link hierzu auf Facebook „teilt“. In dieser Konstellation begeht L gleich mehrere urheberrechtlich relevante Handlungen: Zum einen erfüllt er den Tatbestand der Vervielfältigung durch das Anfertigen der Kopien (die unter den gegebenen Umständen aber durch § 53 UrhG im Rahmen des Privatgebrauchs erlaubt sind).500 Zum anderen erfüllt er den Tatbestand einer urheberrechtlich relevanten öffentlichen Zugänglichmachung, indem er den Link zu seiner Dropbox „teilt“. Dabei weiß er in tatsächlicher Hinsicht auch ganz genau, was er tut. Er denkt lediglich, dass sein Verhalten erlaubt sei, weswegen es ihm an Unrechtsbewusstsein fehlt. Dass er die E-Books gedanklich mit Printversionen von Büchern gleichsetzt, kann sich als Fehlvorstellung auf zwei Ebenen der Strafbarkeit beziehen: Einerseits kann ihm ein fehlendes Unrechtsbewusstsein bereits in Bezug auf die Tathandlung unterstellt werden, wenn man annimmt, dass sich sein Irrglaube eher auf die Rechtmäßigkeit des digitalen Zugänglichmachens bezieht. Andererseits erscheint es denkbar, dass sich sein Irrtum auch auf den Erschöpfungsgrundsatz des § 17 Abs. 2 UrhG bezieht, der durchaus das Verschenken von gekauften Büchern rechtfertigt. Dann wäre der Irrtum als solcher über das Eingreifen eines gesetzlich zugelassenen Falls i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG einzustufen.501 Im Ergebnis handelt es sich dabei – was in Bezug auf die gesetzlich zugelassenen Fälle allerdings erst noch zu erörtern ist – in beiden Fällen um Verbotsirrtümer, denn es fehlt jeweils das Unrechtsbewusstsein, § 17 StGB. Beispielsfall c (Framing): K betreibt eine kleine Kaffeerösterei und vertreibt den Kaffee der Umwelt zuliebe ausschließlich in Bohnenform. Kaffeekapseln lehnt er aus diesem Grunde ab, weswegen er auf seiner Firmenwebsite auch Stimmung gegen diese umweltschädliche Form des Kaffeekonsums macht. Dafür bettet er in einem Frame ein Video ein, das er auf dem Portal youtube.com gefunden hat und das eindrücklich aufzeigt, wie viele Tonnen Müll allein in Deutschland durch die Kapseln produziert werden. Das Video ist allerdings mit Urheberrechten belegt, die schon durch die Erstveröffentlichung auf der Videoplattform verletzt wurden. K ist dieser Umstand allerdings nicht bekannt – auf youtube.com, denkt er, stünde ohnehin nur „freies“ Material. Fallvariante: K bettet das Video nicht ein, sondern setzt lediglich einen Hyperlink, der direkt auf das entsprechende Video auf youtube.com verweist. 500 501
Vgl. dazu nur Reinbacher, S. 174 ff. Vgl. dazu noch ausführlich Kapitel 3 § 3 C. II. 2.
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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In der erstgenannten Konstellation liegt ein klassischer Fall des Framing vor, der unter Berücksichtigung der jüngsten BGH-Rechtsprechung auch den objektiven Tatbestand einer unerlaubten öffentlichen Zugänglichmachung erfüllt, denn K bedient sich, indem er das Video auf seiner Firmenwebsite einbettet, eines ursprünglich rechtswidrig zugänglich gemachten Werks.502 Dabei weiß er in tatsächlicher Hinsicht auch genau, was er tut. Es kommt ihm gerade darauf an, das Video auf seiner Website einzubetten und dadurch anderen Menschen öffentlich zugänglich zu machen (nach nunmehr überholter Rechtsauffassung: sie mithilfe der Verlinkung auf das Original-Video „hinzuweisen“). Was er dagegen nicht weiß, ist, dass er bereits durch diese Handlung fremde Urheberrechte verletzt, weswegen es ihm augenscheinlich am Unrechtsbewusstsein fehlt, er handelt im Verbotsirrtum, § 17 StGB. Fraglich ist, ob dieser Irrtum vermeidbar war. Einerseits obliegen K jedenfalls höhere Informationspflichten angesichts seines gewerblichen Tätigwerdens. Andererseits kann in diesem Zusammenhang bei der Beurteilung der Vermeidbarkeit durchaus die Aktualität der Rechtsprechungsänderung Relevanz erlangen, zumal insoweit – wie erörtert – noch nicht einmal ein zivilrechtlicher Sorgfaltsmaßstab festgelegt wurde.503 Angesichts der hohen Rechtsunsicherheit, die in diesem Bereich vorherrscht, sollte dementsprechend ein besonders milder Maßstab angelegt werden, sodass kaum einmal ein vermeidbarer Verbotsirrtum anzunehmen sein wird, wenn nicht der Handelnde über Spezialkenntnisse verfügt, wie etwa ein Social-Media-Unternehmer oder ein Rechtsanwalt. Dieselbe rechtliche Bewertung ergibt sich für die Fallvariante. Zwar bettet K das Video hier nicht direkt ein, allerdings enthält der Hyperlink dieselbe Verweisung auf dasselbe (rechtswidrig öffentlich zugänglich gemachte) Ausgangsvideo, sodass sich unter Heranziehung der aktuellen Rechtsprechung des BGH keine Abweichungen zum Framing ergeben. Beispielsfall d (kino.to):504 Raubkopierer R erschließt neue Märkte und kommt auf die Idee, künftig nur noch von anderen „gerippte“505 Filme auf einer eigenen Seite zu verlinken, auf diese Weise also Dritten zum Konsum zu verhelfen. Damit, so denkt er, sei er dann auf der sicheren Seite – schließlich habe er mit den Raubkopien selbst nichts zu tun. In dieser Konstellation ist R einem Irrtum erlegen, wenn er sich auf der sicheren Seite wähnt, denn „in der Zurverfügungstellung einer Plattform, die dem Einstellen von Dateien im Internet dient, wobei die Möglichkeit des Lesezugriffs […] genügt, oder im Bereitstellen entsprechender Links“ liegt ein öffentliches Zugäng502
Vgl. – auch zum betreffenden Originalfall – bereits Kapitel 3 § 3 B. IV. 2. a) bb). Vgl. nur Spindler, GRUR 2016, 157 (158 f.). 504 Vgl. nur LG Leipzig ZUM 2013, 338; dazu ferner Reinbacher, NStZ 2014, 57. 505 Das Verb „rippen“ leitet sich aus dem englischen „to rip“ = „reißen“, „herunterreißen“, ab und bezeichnet im Computerjargon das Kopieren von Dateien von einer Datenquelle auf einen anderen Träger, i.d.R. auf eine Festplatte oder eine CD-ROM. 503
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
lichmachen.506 Weil er aber ganz genau weiß, was er tut, kennt er alle Tatumstände, die seine Handlung als öffentliches Zugänglichmachen qualifizieren. Es fehlt ihm bloß am Unrechtsbewusstsein, er handelt in einem (auch vermeidbaren) Verbots irrtum, § 17 StGB. Beispielsfall e (geteilte Songs): Die Freundinnen A und B tauschen gerne Songs miteinander aus. Gewissenhaft wie sie sind, informieren sie sich bei einem befreundeten Rechtsanwalt, der ihnen versichert, dass sie ihre legal erworbenen Dateien auch gegenseitig austauschen dürften, schließlich seien sie Freundinnen, sodass insoweit die Öffentlichkeit nicht berührt sei.507 Weil ihnen das Tauschen von CDs zu anstrengend geworden ist, beschließen sie, ihre Dateien fortan alle in der „Cloud“ zu speichern und die zugehörigen Download-Links auf Facebook zu „posten“. Dass hierbei die Öffentlichkeit tangiert sein könnte, kommt ihnen nicht in den Sinn, schließlich handle es sich bei den jeweils über 400 Kontakten auch um „Freunde“. Wie bereits erwähnt wurde, ist im Regelfall nicht anzunehmen, dass die „Freunde“ im sozialen Netzwerk tatsächlich allesamt reale Freunde sind, sodass hier davon ausgegangen werden soll, dass entgegen der Annahme von A und B eben doch der Öffentlichkeitsbegriff des § 15 Abs. 3 UrhG erfüllt ist, womit eine öffentliche Zugänglichmachung zu bejahen wäre. Auch kennen die beiden alle Umstände, die ihre Handlungen tatbestandsmäßig sein lassen, weswegen von einem vorsätzlichen Handeln auszugehen ist. Es handelt sich indes um einen „Paradefall“ des fehlenden Unrechtsbewusstseins in sozialen Netzwerken. A und B haben nicht vor, fremde Urheberrechte zu verletzen (wie auch die meisten Nutzer sozialer Netzwerke), sie haben sich sogar Expertenrat eingeholt. Allerdings ordnen sie ihr Handeln fälschlicherweise darum nicht als tatbestandsmäßig ein, weil sie nicht über die Einsicht verfügen, Unrecht zu tun – sie rechnen schlichtweg nicht mit einer Rechtswidrigkeit ihres Handelns. Über die Vermeidbarkeit dieses Irrtums kann hierbei keine klare Aussage getroffen werden, denn insofern bedürfte es weiterer Tatsachenfeststellungen. Allerdings zeigt der Fall sehr deutlich auf, wie schnell alltägliche Verhaltensweisen im Internet (und um solche handelt es sich bei den hier skizzierten Konstellationen) tatbestandsmäßige Urheberrechtsverletzungen darstellen können. Unabhängig davon, dass in den seltensten Fällen tatsächlich Strafanträge gestellt werden,508 § 109 UrhG, ist die Bedeutung der strafrechtlichen Irrtumslehre insofern jedenfalls nicht zu unterschätzen. Die vorstehenden Beispiele haben gezeigt, dass ein Fehlen des Unrechtsbewusstseins im „Netzalltag“ nahezu omnipräsent sein dürfte. Irrtümer in der vorstehend skizzierten Art sind in vielfältigen Prägungen denkbar, die sich nicht allesamt beispielhaft darstellen lassen. Gleichwohl sind die bisher getroffenen Feststellungen übertragbar, weswegen die meisten praxisrelevanten Konstellationen mit den 506
LG Leipzig ZUM 2013, 338 (345). Vgl. zum Privatgebrauch nur Reinbacher, S. 179 ff. 508 Vgl. zur Strafverfolgungspraxis im Urheberrecht bereits Kapitel 1 § 2. 507
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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bisherigen Erörterungen abgedeckt sein dürften. Über die Regelung des Verbots irrtums, § 17 StGB, lassen sich dabei stets schlüssige Ergebnisse erzielen. Der Prüfung der Vermeidbarkeit kommt dabei oftmals eine Schlüsselrolle zu. Soweit hierbei, wie mehrfach betont,509 keine überzogenen Anforderungen an den Handelnden gestellt werden, lassen sich unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere denkbarer Spezialkenntnisse und gesteigerter Informationspflichten, stets gerechte Ergebnisse erzielen. Besonders bei der Begehungsvariante der öffentlichen Zugänglichmachung sollte im Rahmen der Vermeidbarkeit sichergestellt werden, dass Unklarheiten in Bezug auf die Rechtslage, die sich hier unter anderem daraus ergeben können, dass das deutsche Recht durch europäische Entscheidungen überlagert wird, und dass die fortschreitende technische Entwicklung auch in tatsächlicher Hinsicht Neuerungen mit sich bringt, nicht einseitig zulasten des Täters gehen. b) Irrtümer über die Tathandlungsvarianten des § 19 UrhG Die Vorschrift des § 19 UrhG konkretisiert drei weitere Ausschließlichkeitsrechte des Urhebers, die ebenfalls dem Bereich der unkörperlichen Verwertung von Werken zuzuordnen sind, also Varianten der öffentlichen Wiedergabe, § 15 Abs. 2 UrhG, darstellen – und die angesichts deren akzessorischer Inbezugnahme durch § 106 Abs. 1 UrhG ebenfalls als taugliche Tathandlungen einer Urheberstraftat in Betracht kommen: das Vortragsrecht, das Aufführungsrecht und das Vorführungsrecht. Alle drei Verwertungsformen setzen zwingend voraus, dass ein Bezug zur Öffentlichkeit besteht. Die rein private Veranstaltung eines Vortrags, einer Aufführung oder einer Vorführung ist also urheberrechtlich „frei“.510 aa) Die Verwertungsrechte des § 19 UrhG Die Rechte des § 19 UrhG beziehen sich fast ausschließlich auf bestimmte Werkarten aus dem Katalog des § 2 Abs. 1 UrhG. Das Vortragsrecht (§ 19 Abs. 1 UrhG) ist das Recht, ein Sprachwerk durch persönliche Darbietung öffentlich zu Gehör zu bringen. Hierbei geht es um Live-Darbietungen von Sprachwerken i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG, also in erster Linie Lesungen – wobei nicht nur literarische und wissenschaftliche Werke angesprochen sind, sondern auch alle weiteren denkbaren Formen, sofern sie nur den Anforderungen des § 2 Abs. 2 UrhG entsprechen, beispielsweise Briefe, Tagebücher oder Werbetexte.511 § 19 Abs. 3 UrhG stellt insofern klar, dass nicht nur die eigentliche Darbietung selbst erfasst ist, sondern ggf. auch eine Live-Übertragung derselben in einen anderen Raum – oder unter
509
Vgl. insbesondere Kapitel 2 § 3 D. II. 2. d) sowie ferner Kapitel 2 § 3 A. II. 3. § 19 Rn. 1; Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 19 Rn. 4; Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 22; Wandtke/Bullinger-Ehrhardt, § 19 Rn. 2. 511 Vgl. Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 4 f.; Wandtke/Bullinger-Ehrhardt, § 19 Rn. 6. 510 Dreier/Schulze-Dreier,
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
freiem Himmel (Open Air, Public Viewing)512 – mithilfe von Bildschirmen, Lautsprechern oder ähnlicher Technik. Das Aufführungsrecht (§ 19 Abs. 2 UrhG) ist das Recht, entweder ein Werk der Musik durch persönliche Darbietung öffentlich zu Gehör zu bringen (also überwiegend in Form von Konzerten)513 – oder irgendein Werk öffentlich bühnenmäßig darzustellen. Die bühnenmäßige Darstellung ist dementsprechend nicht auf Musikwerke beschränkt und gilt somit auch für alle Arten von Werken, also Schöpfungen gleich welcher Gattung.514 Gegenstand der bühnenmäßigen Darstellung ist nach ständiger Rechtsprechung das Darbieten eines Werkes durch ein für Auge (und Ohr) bestimmtes, bewegtes Spiel im Raum.515 Hierunter können zahlreiche tatsächliche Erscheinungsformen fallen, wie beispielsweise Musicals (oder auch nur Auszüge aus solchen) oder Puppenspiele. Auch hier kommt wieder die Vorschrift des § 19 Abs. 3 UrhG zur Geltung, sodass die Live-Schaltung mittels technischer Einrichtungen in andere Räume und ähnliche Konstellationen der Übertragung ebenfalls geschützt sind. Das Vorführungsrecht (§ 19 Abs. 4 UrhG) ist schließlich das Recht, ein Werk der bildenden Künste, ein Lichtbildwerk, ein Filmwerk oder Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art durch technische Einrichtungen öffentlich wahrnehmbar zu machen. Als typische Beispiele hierfür sind etwa Kinovorführungen, PowerPoint-Präsentationen und Diashows zu nennen.516 Die konkrete technische Ausstattung ist dabei nicht von Belang, sodass alle möglichen Arten von Einrichtungen erfasst sind, wie beispielsweise Bildschirme, Lautsprecher, Projektoren, Computer etc.517 bb) Irrtumskonstellationen im Bereich von Vortrag, Aufführung und Vorführung Die durch § 19 UrhG gewährten Rechte erlauben es dem Urheber, ausschließlich darüber zu bestimmen, in welcher Weise sein Werk der Öffentlichkeit dargeboten wird. Dabei geht es in der Tat um Darbietungen in einem engeren Sinne – also nicht in dem Sinne, dass das Werk irgendwie „in die Öffentlichkeit getragen“ wird, wie dies bei der öffentlichen Zugänglichmachung geschieht, wo es „nur“ darum geht, einen Zugriff auf ein Werk zu ermöglichen, unabhängig davon, ob und in welcher Form dieses dann anschließend „konsumiert“ wird. Im Gegenteil: Der Vortrag, die Aufführung und die Vorführung markieren diejenigen Verwertungs512 Vgl. Schricker/Loewenheim-v. Ungern-Sternberg, § 19 Rn. 32; Wandtke/Bullinger-Ehrhardt, § 19 Rn. 47. 513 Vgl. Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 12 ff. – auch mit Negativbeispielen. 514 Dreier/Schulze-Dreier, § 19 Rn. 8; Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 11. 515 Vgl. BGH GRUR 1960, 606 (608); BGH GRUR 2000, 228 (230); BGH GRUR 2008, 1081 (1081 f.). 516 Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 27. 517 Dreier/Schulze-Dreier, § 19 Rn. 17; vgl. auch Wandtke/Bullinger-Ehrhardt, § 19 Rn. 54 i.V.m. Rn. 48.
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formen, die ein Werk gegenüber der Öffentlichkeit in der Form darbieten, für welche es seiner Bestimmung nach eigentlich auch geschaffen wurde. Die Verwertungshandlungen des § 19 UrhG sind – als Bestandteile des § 106 Abs. 1 UrhG gelesen – dementsprechend Tathandlungen von stark deskriptiver Prägung: Das Zugehörbringen eines Sprachwerks (Vortrag) oder eines Musikwerks (Aufführung) durch persönliche Darbietung oder das bühnenmäßige Darstellen irgendeines Werkes (Aufführung) sind Tathandlungen, die vollkommen zu Recht auch im urheberrechtlichen Schrifttum durchweg als deskriptiv eingestuft werden (wenngleich auch ihnen, wie allen Tatbestandsmerkmalen,518 unstreitig ein normativer Gehalt innewohnt). Weniger ausgeprägt, aber gleichwohl deutlich, ist diese Prägung beim Vorführungsrecht: Auch das Wahrnehmbarmachen eines Werkes mithilfe technischer Einrichtungen lässt sich überwiegend mithilfe der Sinnesleistung als Vorführung qualifizieren, wenngleich der normative Einschlag hier mitunter stärker ist – wie etwa beim Beispiel einer PowerPoint-Präsentation einer wissenschaftlichen Studie, die zumindest umgangssprachlich nicht unter den Begriff einer Vorführung subsumiert werden dürfte. Diese deskriptive Prägung führt im Ergebnis dazu, dass Tatumstandsirrtümer praktisch kaum vorstellbar sind. So ist es unwahrscheinlich, dass ein Mensch Umstände nicht kennt, die sein Handeln zu einem Vortrag oder zu einer Aufführung machen. Auch der Fall, dass jemand, der ein Filmwerk vorführt, nicht bemerkt, dass er dies gerade tut, oder dass jemand, der eine technische Darstellung anderen gegenüber wahrnehmbar macht, nicht bemerkt, was er gerade tut, ist praktisch schwer vorstellbar. Fehlvorstellungen dürften sich in diesem Zusammenhang meist eher auf die Schutzfähigkeit von Werken als Tatobjekten beziehen – oder auf das Verbotensein der Handlung als solcher. Insofern liegt Hildebrandt hier richtig mit seiner Einschätzung von einer Dominanz der Verbotsirrtümer,519 denn ein fehlendes Unrechtsbewusstsein ist insoweit wiederum in vielfältigen Konstellationen denkbar. Irrtümer über tatsächliche Umstände sind zwar unwahrscheinlich, aber denkbar – vor allem in Bezug auf das Erfordernis der Öffentlichkeit der Wiedergabe, § 15 Abs. 3 UrhG. Beispielsfall a (Private Lesung): Literat L hält regelmäßig Lesungen zeitgenössischer Werke im privaten Umfeld ab. Weil dies so gut ankommt, weitet er sein Angebot aus und tritt fortan auch in Kneipen auf, wo er einen Großteil des Publikums nicht kennt. Er ist der Meinung, dass in diesem kleinen Rahmen noch von einer Privatveranstaltung auszugehen sei. Fallvariante: L liest im Garten seiner WG ein urheberrechtlich geschütztes Werk vor und denkt, es seien nur Freunde anwesend. Tatsächlich schleichen sich zahlreiche Unbekannte ein, was L – ganz in Gedanken versunken – nicht bemerkt. In beiden Fällen begeht L eine tatbestandsmäßige öffentliche Wiedergabe. Im Beispielsfall a weiß er dabei ganz genau, was er in tatsächlicher Hinsicht tut. Er 518 519
Vgl. Kapitel 2 § 3 B. I. 1. c). Vgl. Kapitel 3 § 3 B. I.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
bringt ein fremdes, urheberrechtlich geschütztes Werk öffentlich zu Gehör und kennt damit also alle Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, §§ 106, 19 Abs. 1 UrhG. Er weiß insbesondere um den Umstand, nicht alle Anwesenden zu kennen. Allerdings fehlt es ihm an Unrechtsbewusstsein, wenn er den Begriff der Öffentlichkeit anders verstanden wissen möchte als der Gesetzgeber in § 15 Abs. 3 UrhG. Seine Auffassung über das Recht weicht dementsprechend von der des Gesetzgebers ab, weswegen ihm „die Einsicht, Unrecht zu tun“ fehlt, § 17 StGB. Zu demselben Ergebnis gelangt auch die herrschende Irrtumslehre, die angesichts der Deskriptivität der Tathandlung den Vorsatz hierauf auch ohne die „Parallelwertung“ bestimmen würde. In der Fallvariante dagegen kennt L einen tatsächlichen Umstand nicht, denn er weiß nicht um die Anwesenheit unbekannter Dritter, die seine Lesung zu einer öffentlichen macht. Dieser Irrtum wirkt sich allerdings im Ergebnis aus dem Grunde nicht begünstigend aus, weil seine Wiedergabe ohnehin nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen ist i.S.d. § 15 Abs. 3 UrhG.520 Es handelt sich insofern um eine klassische „Zaungast-Situation“, sodass die Wiedergabe nach zutreffender Auffassung ohnehin nicht den Tatbestand der Öffentlichkeit erfüllt hätte – schließlich hatte L keine Anwesenheit von Personen, die der Öffentlichkeit angehören, eingeplant gehabt. Beispielsfall b (Aufführung): Pianist P liebt das Bad in der Menge. Neben seinen „Dauerbrennern“, Mozarts Klaviersonate Nr. 11 und Beethovens Mondscheinsonate, spielt er gerne aktuelle Charthits. Bei einem Konzert am Konstanzer Seeufer, wo er seinen mobilen elektrischen Flügel aufgestellt hat, sind mehrere hundert Personen anwesend. Über rechtliche Fragen macht sich P keine Gedanken, schließlich hat er das Notenmaterial käuflich erworben. Die rechtliche Bewertung dieser Konstellation verhält sich identisch zu jener im Beispielsfall a – P führt hier Musikwerke öffentlich auf und weiß dabei in tatsächlicher Hinsicht ganz genau, was er tut, wobei er davon ausgeht, nicht gegen fremde Rechte zu verstoßen. Damit behält er in Bezug auf die klassischen Werke auch Recht, denn diese sind nach Ablauf der Schutzdauer längst gemeinfrei, § 64 UrhG.521 Dies trifft indes nicht auf die aktuellen Charthits zu. In Bezug auf deren öffentliche Wiedergabe kennt P alle Umstände des Tatbestandes und irrt sich einzig über die Reichweite des urheberrechtlichen Schutzes. Ein denkbarer Anknüpfungspunkt wäre hier unter Umständen auch die Schutzfähigkeit von Notenmaterial als solchem, wenn P gedacht hätte, dass solches an sich in seiner „musikalisch verkörperten“ Form nicht geschützt sei.522 Im skizzierten Beispielsfall weiß P zwar, was er tut, hat aber nicht die Einsicht, Unrecht zu tun, er befindet sich also in einem 520
Vgl. zur Öffentlichkeit der Wiedergabe ausführlich Kapitel 3 § 3 B. IV. 1. Schutzdauer urheberrechtlicher Werke endet 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers, beide Komponisten starben in Wien, Wolfgang Amadeus Mozart im Jahr 1791, Ludwig van Beethoven im Jahr 1827; vgl. zum Irrtum über die Schutzdauer Kapitel 3 § 3 C. II. 3. 522 Vgl. dazu bereits Kapitel 3 § 3 A. I. 2. b). 521 Die
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Verbotsirrtum, § 17 StGB. Auch die herrschende Irrtumslehre käme hier wiederum zu keinem anderen Ergebnis. Beispielsfall c (Vorführung): Kinobetreiber K zeigt vor seinen Filmen gerne monumentale Naturaufnahmen, um das Publikum in eine entspannte Stimmung zu versetzen. Dafür bedient er sich einer Präsentation, die er regelmäßig mit neuen Fotos bestückt, die er über eine Internetsuchmaschine findet. Fotos, so denkt er, dürfe man schließlich „zeigen“, solange man diese nicht körperlich vervielfältige. In dieser Konstellation erfüllt K den objektiven Tatbestand der öffentlichen Vorführung von Lichtbildwerken, § 19 Abs. 4 UrhG. In tatsächlicher Hinsicht weiß er dabei auch genau, was er tut. Wiederum ist hier allerdings ein fehlendes Unrechtsbewusstsein festzustellen, denn K geht von einer falschen Rechtslage aus, wenn er denkt, dass nur die körperliche Vervielfältigung von Lichtbildwerken geschützt sei, nicht aber deren Darbietung für ein öffentliches Publikum. K handelt also im (vermeidbaren) Verbotsirrtum, § 17 StGB. Die Beispielsfälle machen deutlich, dass Irrtümer in Bezug auf die stark deskriptiv geprägten Tatbestandsmerkmale des § 19 UrhG unschwer als Tatumstandsoder Verbotsirrtümer zu erkennen sind. Fälle des § 16 StGB sind in der Praxis dabei schwer vorstellbar. Wesentlich wahrscheinlicher sind in diesem Zusammenhang Irrtümer, die sich auf die Schutzfähigkeit der wiedergegebenen Werke beziehen. Und auch in diesen Konstellationen ist ein Fehlen des Unrechtsbewusstseins meist unproblematisch feststellbar. c) Irrtümer über die übrigen Tathandlungsvarianten der unkörperlichen Verwertung Das Recht zur unkörperlichen Verwertung von Werken wird, wie erwähnt, durch das UrhG zwar umfassend gewährt – aber nicht abschließend geregelt. Deswegen ist es nicht ausgeschlossen, dass über die kodifizierten Verwertungsformen des § 15 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 bis Nr. 5 UrhG hinaus in Zukunft weitere Formen der unkörperlichen Verwertung entstehen. Dies macht beispielsweise die jüngste Debatte zur Ahndung von Verweisungen auf geschützte Werke durch Framings und Hyperlinks deutlich: Hier wählte der BGH – angestoßen durch den EuGH – den Weg, über das Recht zur öffentlichen Zugänglichmachung i.S.d. § 19a UrhG hinaus, ein ungeschriebenes Recht des § 15 Abs. 2 UrhG anzunehmen.523 Dass künftig auf diese Weise weitere Wiedergabeformen entstehen werden, ist vor allem aus dem Grunde zu erwarten, weil im hochtechnisierten Computerumfeld stetig neue Phänomene entstehen, die das Urheberrecht tangieren – und denen die nationalen Gesetzgeber oftmals über längere Zeiträume hinweg nicht flexibel genug begegnen werden, sodass den Staaten schließlich im Rahmen des harmonisierten EU-Rechts übergreifende Lösungen mehr oder weniger „oktroyiert“ werden – was unter strafrechtlichen Gesichtspunkten mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot problematisch ist. 523
Vgl. bereits ausführlich Kapitel 3 § 3 B. IV. 2. a) bb).
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§ 15 Abs. 2 UrhG kennt drei weitere, katalogartig gewährte Ausschließlichkeitsrechte, die zwar im Vergleich mit den §§ 19a, 20 UrhG von eher untergeordneter praktischer „Alltags-Relevanz“ sind, aber gleichwohl im Folgenden kurz dargestellt werden sollen: das Senderecht (§ 20 UrhG), das Recht der Wiedergabe durch Bild- oder Tonträger (§ 21 UrhG) und das Recht der Wiedergabe von Funksendungen und von öffentlicher Zugänglichmachung (§ 22 UrhG). aa) Das Senderecht Das Senderecht ist das Recht, ein Werk durch Funk der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wobei auch hier wiederum gleichgültig ist, welche Drahtlostechnik genau genutzt wird. Exemplarisch nennt § 20 UrhG die „klassischen“ Funktechniken des Tonfunks, Fernsehrundfunks, Satellitenrundfunks und Kabelfunks. Auch diese Vorschrift ist dementsprechend „zukunftsfest“ formuliert. Die §§ 20a, 20b UrhG enthalten Erweiterungen der Vorschrift in Bezug auf grenzüberschreitende Sendungen sowie das Recht zur Kabelweitersendung – was im vorliegenden Kontext allerdings nicht von Bedeutung ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist unter dem Begriff „Funk“ „jede Übertragung von Zeichen, Tönen oder Bildern durch elektromagnetische Wellen zu verstehen, die von einer Sendestelle ausgesandt werden und an anderen Orten von einer beliebigen Zahl von Empfangsanlagen aufgefangen und wieder in Zeichen, Töne oder Bilder zurückverwandelt werden können.“524 Das Recht ist demnach abzugrenzen von § 19a UrhG, welcher gerade diejenigen Konstellationen erfasst, in welchen die Zeit und der Ort des Werkgenusses ausschließlich passiv, also durch den Empfänger allein bestimmt werden („von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl“). § 20 UrhG hat demgegenüber zuvorderst „klassische“ Funksendungen zum Gegenstand, bei denen der Zeitpunkt der Übermittlung ebenso wie die zeitliche Reihenfolge der Programmbestandteile zwingend und ausschließlich vom Sendenden vorgegeben werden.525 Es geht bei § 20 UrhG also immer um Sachverhalte, in denen sich das Publikum beziehungsweise die Empfänger „in die laufende Sendung einschalten“, wobei egal ist, ob sie „die Sendung auch zunächst nur, etwa per Videorecorder, aufzeichnen und dann zeitversetzt wahrnehmen.“526 Das Senderecht bezieht sich allein auf die aktive Veranstaltung einer Sendung im dargelegten Sinne. Es ist zu vermuten, dass eine nicht gewerbliche Verwertung von Werken auf diesem Wege schon angesichts der technischen Ausstattung, die für eine „klassische“ Sendung regelmäßig erforderlich ist, in der Praxis eher selten vorkommen wird. Davon abgesehen, geht die Intention von öffentlich agierenden Personen im Zeitalter des Internet in der Regel ohnehin dahin, Inhalte nicht bloß 524
BT-Drucks. 4/270, S. 50. dazu Dreier/Schulze-Dreier, § 20 Rn. 13 ff.; Fromm/Nordemann-Dustmann, § 20 Rn. 2 f.; Loewenheim-Schwarz/Reber, § 21 Rn. 75; Wandtke/Bullinger-Ehrhardt, § 20 Rn. 2 ff. 526 Fromm/Nordemann-Dustmann, § 20 Rn. 2. 525 Vgl.
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einmalig wiederzugeben, sondern sie für einen längeren Zeitraum bereitzustellen, sodass das Senderecht aus praktischer Perspektive auch „klassischen Sendern“ vorbehalten bleiben dürfte – also den Veranstaltern der TV- und Radiobranche. Gleichwohl gibt es neue Phänomene, die das Senderecht auch für den alltäglichen Massenverkehr prädestinieren: Das soziale Netzwerk Facebook führte im Jahr 2016 die Funktion des „Live-Videos“527 ein, welche von nicht unerheblicher urheberrechtlicher Brisanz ist. Dabei ermöglicht der Internetdienst seinen Nutzern, „live“ auf ihrer Pinnwand Videos von bis zu 30 Minuten Länge zu schalten. Klassischerweise dürften diese mithilfe einer Webcam oder mithilfe einer Smartphone-Kamera angefertigt werden. Dadurch bestimmen die Nutzer auch den Zeitpunkt der Bereitstellung i.S.d. § 20 UrhG, sodass das zentrale Abgrenzungskriterium der Sendung zur öffentlichen Wiedergabe erfüllt ist, soweit ein urheberrechtlich geschütztes Werk bereitgehalten wird. Weil die so gesendeten Videos im Anschluss weiterhin auf der Pinnwand verfügbar sind – und damit jederzeit durch die Facebook-„Freunde“ abrufbar bleiben, geht die Sendung mit Zeitablauf nahtlos in eine öffentliche Zugänglichmachung über. Strafrechtlich relevante praktische Fälle sind dabei mannigfach denkbar: Derartige Live-Übertragungen bergen vor allem dann Probleme, wenn die Nutzer etwa im Hintergrund musikalische Werke laufen lassen oder Werke bei einem Konzert filmen oder Ausschnitte eines gerade konsumierten Films am Fernseher oder sogar im Kino „teilen“. Weil von den Verantwortlichen von Sendungen i.S.d. § 20 UrhG, soweit sie gewerblich agieren, aufgrund deren gesteigerter Informationspflichten eine besondere Rechtskenntnis zu fordern ist, dürften selbst Verbotsirrtümer in den einschlägigen Fällen kaum einmal unvermeidbar sein. Dasselbe muss prinzipiell auch für einen Laien gelten, der eine hobbymäßige Radiosendung organisiert oder Werke über Facebook „live“ überträgt, denn insoweit kann ebenfalls erwartet werden, dass sich dieser vorab darüber informiert, ob er beispielsweise seine privat angeschafften CDs verwerten darf oder das Konzert gleichsam aus dem Kreis der zahlenden Gäste hinaus auch einer Öffentlichkeit konsumierbar machen darf. Kurzum: Ein fehlendes Unrechtsbewusstsein in Bezug auf eine Sendung, sofern dies tatsächlich in der Praxis einmal vorkommen sollte, wird sich nur selten strafbefreiend auswirken können. Weil darüber hinaus das Verkennen von Umständen, die den Tatbestand der Sendung ausmachen, nur schwer vorstellbar ist, erscheinen Irrtümer insoweit allgemein von untergeordneter Bedeutung. Einzig der unbedarfte Gebrauch der massenfähigen „Facebook-Sendung“ erscheint insoweit geeignet, in der Praxis tatsächlich Virulenz zu erlangen – was sich angesichts der Neuartigkeit des Phänomens indes erst weisen wird. Soweit sich eine Fehlvorstellung auf die Öffentlichkeit der Wiedergabe bezieht, gelten die bereits erörterten Grundsätze auch bei der Sendung. Beispielsfall a (Laienradio): Radiofreund R ist hobbymäßiger „Funker“ und organisiert jeden Abend um 19 Uhr eine Hobby-Radiosendung, in welcher er über 527 Vgl. zu dieser Funktion etwa http://www.zeit.de/digital/internet/2016 – 04/facebook-live-livestreams-android (zuletzt aufgerufen am 14. 11. 2016, 11:15 Uhr).
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das aktuelle Tagesgeschehen parliert, aber auch seine Lieblingslieder abspielt. Die Sendung strahlt er auf einer freien Frequenz, die im Umkreis von wenigen Kilometern empfangen werden kann, aus. Die Sendung ist vor allem beliebt bei ortsansässigen Jugendlichen. R denkt, er verstoße hierbei gegen keinerlei Rechte, schließlich habe er die CDs einmal legal erworben. Fallvariante: R strahlt für gewöhnlich keine Musik aus, sondern belässt es beim aktuellen Tagesgeschehen. Als er die Sendung eines Abends beendet, vergisst er, das Mikrofon stumm zu schalten, weswegen die durch ihn eingelegte Musik (allesamt geschützte Werke) sodann über mehrere Stunden hinweg einem breiten Publikum wiedergegeben wird. In beiden Konstellationen ist der Tatbestand einer öffentlichen Wiedergabe in Gestalt der Sendung erfüllt: R übermittelt auf dem Wege des Radiofunks urheberrechtlich geschützte Werke zugunsten eines nicht näher bestimmbaren Personenkreises, weswegen auch die Merkmale der Öffentlichkeit erfüllt sind, § 15 Abs. 3 UrhG. In der Fallvariante weiß R indes nicht, was er tut – er bemerkt nicht, dass er die Werke über Funk ausstrahlt, es fehlt ihm insoweit an Vorsatz, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Im Beispielsfall a dagegen veranstaltet R die Sendung ganz bewusst, wobei auch anzunehmen ist, dass er die Musikwerke als solche bewusst der Öffentlichkeit gegenüber wiedergeben möchte. Er kennt dementsprechend alle Umstände, die zum Tatbestand gehören, handelt also vorsätzlich. Allerdings fehlt ihm das Unrechtsbewusstsein, wenn er davon ausgeht, durch diese Handlung keine Rechte zu verletzten, weil er die CDs zuvor käuflich erworben hat. Er handelt im Verbots irrtum, § 17 StGB, der – wie erwähnt – auch vermeidbar sein dürfte, denn vom Veranstalter auch einer hobbymäßig veranstalteten Radiosendung ist zu erwarten, dass sich dieser über die rechtlichen Voraussetzungen seines Handelns zuvor informiert. Freilich bedürfte es strenggenommen weiterer Tatsachenfeststellungen, um hier eine verbindliche Aussage zu treffen. Beispielsfall b (Facebook-Livestream): Konzertbesucherin K hat 500 „Freunde“ auf Facebook, die sie nicht allesamt persönlich kennt. Um ihre „Freunde“ an ihrem Leben teilhaben zu lassen, sendet sie über die „Live-Funktion“ ihrer Facebook-„App“ mit dem Smartphone mehrere Videos eines besuchten Konzerts, die auch hunderte von „Freunden“ sowie – bedingt durch eine überaus offenherzige Privatsphäre-Einstellung von K deren „Freunde“ auf Facebook „live“ sehen können. Fallvariante: K gibt ihren „Freunden“ auf Facebook eine Schmink-Anleitung mithilfe der „Live-Funktion“. Sie spricht dabei nicht, weil sie sich voll auf das Schminken konzentriert. Im Hintergrund läuft, was sie allerdings nicht bemerkt, ein Album mit urheberrechtlich geschützten Werken, die den Rezipienten so in bester Qualität „radioartig“ zu Genuss gebracht werden. Im skizzierten Ausgangsfall weiß K in tatsächlicher Hinsicht genau, was sie tut. Wenn sie dabei davon ausgeht, nicht gegen fremde Urheberrechte zu verstoßen, so ist dies durch ein fehlendes Unrechtsbewusstsein bedingt. Insoweit gelten die Feststellungen zur bereits erörterten Konstellation, dass ein Konzertbesucher ein
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Video öffentlich zugänglich macht (§ 19a UrhG), entsprechend. K handelt in einem Verbotsirrtum, § 17 StGB, der je nach Einzelfall über eine weniger restriktive Anwendung des Unvermeidbarkeits-Kriteriums immer dann zur Straflosigkeit führt, wenn mit der herrschenden Irrtumslehre auf Vorsatzebene mit der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ der Vorsatz verneint werden müsste. Denn soweit ein Handelnder mit den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der „rechtlichen Erkenntnis“ tatsächlich nicht dazu in der Lage war zu erkennen oder zu begreifen, dass er gegen rechtliche Ge- oder Verbote verstößt, befindet er sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum, § 17 S. 1 StGB. Dies ermöglicht sodann etwa auch eine Bestrafung des Anstifters oder Gehilfen, §§ 26, 27 StGB (sofern diese nicht bereits als mittelbare Täter anzusehen sind, weil sie das schuldlose Handeln der K vorsätzlich ausnutzen, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB). Daneben bleibt die Möglichkeit der Notwehr, § 32 StGB, im gebotenen Rahmen erhalten, sodass beispielsweise der vorübergehende Entzug des Smartphones eines Abfilmenden durch einen Kinobetreiber in sämtlichen Konstellationen gedeckt bliebe. In der Fallvariante dagegen erkennt K überhaupt nicht, dass sie gerade ein urheberrechtlich geschütztes Werk in Gestalt der Sendung öffentlich wiedergibt (und es anschließend öffentlich zugänglich macht). Es fehlt ihr somit an der Kenntnis eines tatsächlichen Umstandes, sie handelt ohne Vorsatz, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. bb) Die Zweitverwertungsrechte der §§ 21, 22 UrhG Bei dem Recht der Wiedergabe durch Bild- oder Tonträger (§ 21 UrhG) sowie dem Recht der Wiedergabe von Funksendungen und von öffentlicher Zugänglichmachung (§ 22 UrhG) handelt es sich um sogenannte „Zweitverwertungsrechte“,528 die dem Urheber Nutzungen ausschließlich zusichern, „denen jeweils eine dem Urheber vorbehaltene Werkverwertung bereits vorausgegangen ist.“529 § 21 UrhG hat dabei das Recht zum Gegenstand, Vorträge oder Aufführungen (§ 19 UrhG) mittels Bild- oder Tonträger öffentlich wahrnehmbar zu machen. Es geht also darum, der Öffentlichkeit den Konsum von körperlichen Fixierungen solcher Wiedergaben, also von Vervielfältigungsstücken, mithilfe technischer Mittel und Methoden zu ermöglichen.530 Der Vorschrift des § 22 UrhG ist dieselbe gesetzgeberische Intention immanent: Es geht darum, dass Werke, die bereits im Wege der Sendung (§ 20 UrhG) oder im Wege der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG) der Öffentlichkeit zugeführt wurden, durch Bildschirm, Lautsprecher oder ähnliche technische Einrichtungen öffentlich wahrnehmbar gemacht werden – also erneut der Öffentlichkeit zugeführt werden. Dieses Recht steht ebenfalls ausschließlich dem Urheber zu, sodass in Bezug auf einmal in unkörperlicher Weise verwerte528 Fromm/Nordemann-Dustmann, § 15 Rn. 7 f., § 21 Rn. 1, § 22 Rn. 1; Loewenheim-Schwarz/Reber, § 21 Rn. 106; Wandtke/Bullinger-Ehrhardt, § 21 Rn. 1, § 22 Rn. 1. 529 BT-Drucks. 4/270, S. 46. 530 Vgl. Wandtke/Bullinger-Ehrhardt, § 21 Rn. 1 ff.
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te Werke insoweit keine Erschöpfungswirkung eintritt.531 Eine Besonderheit der Zweitverwertungsrechte der §§ 21, 22 UrhG im Verhältnis zu den §§ 19a, 20 UrhG ist, dass es in deren Kontext auf eine tatsächlich gegebene Wahrnehmbarkeit durch die Öffentlichkeit ankommt, sprich – im Gegenteil zu den §§ 19a, 20 UrhG genügt nicht die bloß theoretische Wahrnehmbarmachung, sondern es muss ein Personenkreis vor Ort sein, der die Anforderungen an die Öffentlichkeit i.S.d. § 15 Abs. 3 UrhG erfüllt – es geht also um die Wahrnehmbarmachung „an ein an einem Ort gemeinsam versammelten Publikum.“532 Die in diesem Zusammenhang denkbaren Irrtumskonstellationen entsprechen weitgehend denjenigen des Vorführungsrechts, § 19 Abs. 4 UrhG, sowie den Konstellationen, in denen eine Live-Schaltung eines Vortrags oder einer Aufführung erfolgt (§ 19 Abs. 3 UrhG).533 All jenen Rechten ist das Ziel gemein, mithilfe technischer Einrichtungen geschützte Werke öffentlich wahrnehmbar zu machen, sodass die Tathandlung jedenfalls in einem weiten Sinne dieselbe ist. Einzig in Bezug auf die Ausgangsform des Werkes bestehen Unterschiede: So muss sich der Vorsatz bei § 19 Abs. 4 UrhG auf die Übertragung der dort genannten Werke mithilfe eines körperlichen Werkstückes beziehen. Dasselbe gilt für § 21 UrhG, welcher das Werk ebenfalls in der körperlich fixierten Form schützt. Anders ist dies in den Konstellationen der §§ 19 Abs. 3, 22 UrhG: Hier muss sich der Vorsatz jeweils darauf beziehen, die Übertragung an die Öffentlichkeit zu erzeugen, wobei das Werk gerade erst „live“ aufgeführt (§ 19 Abs. 3 UrhG) beziehungsweise ausgestrahlt (§ 22 UrhG) wird. Diese Unterschiede dürften sich im Ergebnis allerdings kaum auswirken – denn ein Irrtum ist insoweit, abgesehen von den Merkmalen der Öffentlichkeit, nur in der Gestalt denkbar, dass der Handelnde schlechterdings davon ausgeht, dass sein Handeln erlaubt sei. Ob dieser Glaube sich nun im Ursprung auf ein verkörpertes Werk bezieht oder auf ein Werk, das „live“ ausgestrahlt wird, ist gleichgültig. Beispielsfall (Konzert-DVD):534 Gastwirt G hat in seinem Lokal einen Fernseher aufgehängt, auf welchem er gerne Konzertvideos zeigt. Er geht davon aus, dass diese Ausstrahlung gemeinfrei möglich ist, nachdem er die DVD käuflich erworben hat. Fallvariante a:535 G lässt auf seinem Fernsehgerät zum jeweiligen Sendetermin die aktuellen MTV-Charts laufen, weil ihm seine Gäste sonst „davonlaufen“. Eine Genehmigung hierfür möchte er nicht einholen, schließlich zahle er Gewerbesteuer. 531 Vgl. zur Diskussion über eine Erschöpfung des Senderechts Loewenheim-Schwarz/ Reber, § 21 Rn. 97 f. 532 Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 21 Rn. 5; vgl. ferner BGH GRUR 1994, 45 (46) – Werkvermittlung durch die „Wiedergabe für Anwesende“; Wandtke/Bullinger-Ehrhardt, § 21 Rn. 4. 533 Vgl. dazu Kapitel 3 § 3 B. IV. 2. b) bb). 534 Vgl. auch die Praxisbeispiele bei Fromm/Nordemann-Dustmann, § 21 Rn. 2. 535 Vgl. Fromm/Nordemann-Dustmann, § 22 Rn. 1; zur verwandten Konstellation des „Zitats“ von Laufbildern einer Fernsehsendung, die keine Werkqualität erreichen, durch eine andere Fernsehsendung LG Frankfurt ZUM 2004, 394.
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Während im Beispielsfall eine tatbestandsmäßige Handlung nach § 21 UrhG vorliegt, ist in der Fallvariante a § 22 UrhG erfüllt. G weiß in tatsächlicher Hinsicht jeweils genau, was er tut – es fehlt ihm aber in beiden Konstellationen die Einsicht, Unrecht zu tun. Es handelt sich dementsprechend beide Male um Verbotsirrtümer, § 17 StGB. Freilich wären insoweit auch Tatumstandsirrtümer konstruierbar, die indes – wie bereits oben im Rahmen des § 19 UrhG – in der Praxis äußerst unwahrscheinlich sind. Ein Beispiel liefert gleichwohl der folgende Fall. Fallvariante b: Gastwirt G hat auf seinem Laptop gemeinfreie klassische Musik, die er in seinem Bohème-Lokal abspielt, und urheberrechtlich geschützte Liveaufnahmen, die er nur privat nutzt. Er bemerkt nicht, dass sein Laptop am Ende der Wiedergabeliste auf die privaten Werke springt, die sodann öffentlich wiedergegeben werden. In dieser Konstellation weiß G nicht, was er tut, denn er bemerkt nicht, dass die Wiedergabe von gemeinfreien Werken auf eine solche von geschützten Werken „springt“, sodass § 21 UrhG einschlägig wird. Es fehlt ihm dementsprechend an der Kenntnis in Bezug auf einen Umstand, der zum Tatbestand gehört, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB – er handelt ohne Vorsatz. V. Zusammenfassung zum Irrtum über die Tathandlung Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass Irrtümer im Bereich der urheberstrafrechtlichen Tathandlungsvarianten in vielfältiger Art und Weise denkbar sind. In der Praxis sind Fehlvorstellungen dabei umso wahrscheinlicher, je stärker der Gehalt an Normativität eines Tatbestandsmerkmals ist. Eine besonders große Wahrscheinlichkeit von Irrtümern ist im Bereich der „digitalen Verwertung“ auszumachen. Beim Handeln im Internet sind einerseits Konstellationen gang und gäbe, in denen die „Täter“ etwaige Speicherungen (sprich Vervielfältigungen) gar nicht bemerken (§ 16 StGB) oder ihr Handeln aufgrund des fehlenden „Know-How“ nicht richtig einordnen können (§ 17 StGB). Darüber hinaus fehlt beim Handeln im Internet, insbesondere in den sozialen Netzwerken, in vielen Fällen die urheberrechtliche Sensibilität. Der Umgang mit dem fremden geistigen Eigentum anderer Personen in der „digitalen Welt“ ist geprägt von einer Unbedachtheit, die sich regelmäßig zulasten der Urheber auswirkt. Ein „digitales Unrechtsbewusstsein“ muss sich indes vor allem in Bezug auf Urheberrechte erst kontinuierlich entwickeln. Insoweit sollte bei der Prüfung einer infrage kommenden Strafbarkeit berücksichtigt werden, dass es sich bei den einschlägigen Phänomenen um neuartige Erscheinungen handelt, die sich zudem in einem stetigen Entwicklungsprozess befinden. Wenn beispielsweise eine durch europäische Vorgaben bedingte Rechtsprechungsänderung des BGH dazu führt, dass von heute auf morgen das Setzen eines Hyperlinks eine Urheberstraftat sein kann,536 so muss dieser Umstand erst Eingang in das Unrechtsbewusstsein der 536
Vgl. dazu Kapitel 3 § 3 B. IV. 2. a) bb).
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Normadressaten finden. Derlei Aspekte sind richtigerweise bei der Frage zu berücksichtigen, ob ein Verbotsirrtum vermeidbar oder unvermeidbar war. Dies soll allerdings nicht bedeuten, dass Urheber im Internet als einem „rechtsfreien Raum“ diese unbedachte Verwertung schlichtweg akzeptieren müssen – einer solchen Auslegung steht neben den Vermögensinteressen der Beteiligten auch der „überindividuelle Schutzzweck“537 des Urheberrechts entgegen: Denn wenn das Urheberrecht es nicht schafft, technischen Entwicklungen so entgegenzutreten, dass eine Entwertung des geistigen Schaffens vermieden wird, so widerstrebt diese Entwicklung unweigerlich der Intention des UrhG, Kulturschaffende zum schöpferischen Tätigwerden zu animieren und damit die kulturelle Entwicklung zu fördern und voranzutreiben.538 Kurzum: Es ist ein Spagat erforderlich, der das vorübergehende Fehlen eines in der Entwicklung befindlichen „digitalen Unrechtsbewusstseins“ mit der Notwendigkeit eines strafrechtlichen Urheberschutzes schon zum jetzigen Zeitpunkt vereinbar macht. Der „richtige Hebel“ ist dabei die Frage nach der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums – denn hier lassen sich alle Umstände angemessen berücksichtigen. Der Vorsatz indes sollte nicht dazu herangezogen werden, um mithilfe einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ den Umstand auszugleichen, dass ein Handelnder zwar weiß, was er tut, aber nicht wissen kann, dass seine konkrete Handlung urheberrechtlich durch § 106 UrhG verboten ist. Die vorstehenden Äußerungen haben also – wie schon jene zu den Irrtümern über Tathandlungen – erwiesen, dass nur eine strikte Trennung von Irrtümern über Tatsachen und Irrtümern über die rechtliche Bewertung des Sachverhalts in allen Konstellationen schlüssige Ergebnisse ermöglicht. Während die herrschende Irrtumslehre in zahlreichen der skizzierten Fallbeispiele Probleme damit hat, sich gleichsam selbst zu begründen, ist die hier befürwortete Vorgehensweise immer unproblematisch möglich – und führt auch stets zu gerechten Ergebnissen.
C. Gesetzlich zugelassene Fälle: Irrtümer über Schranken des Urheberrechts Bislang wurden Irrtümer im Bereich des Strafanwendungsrechts sowie im Bereich der Tatobjekte und der Tathandlungen des § 106 UrhG untersucht. Gegenstand der folgenden Erörterungen ist das Tatbestandsmerkmal „in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen“. Rechtstechnisch handelt es sich bei der Wortkette richtigerweise um ein negativ gefasstes Tatbestandsmerkmal,539 das nach „allge-
Schricker, GRUR 1992, 242 (246). Vgl. zu diesem Aspekt Pfaffinger, S. 179. 539 BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 30; Dreier/Schulze-Dreier, § 106 Rn. 6; Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 21; Hildebrandt, S. 133; Lauer, S. 39; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 78; Reinbacher, S. 175 f.; Schricker/ 537 Vgl. 538
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meiner Auffassung“540 auf die gesetzlich geregelten Schranken des Urheberrechts verweist. Welche Fälle genau durch § 106 UrhG angesprochen werden, wird unterschiedlich beurteilt. „Jedenfalls“541 erfasst sind die §§ 44a bis 61 UrhG.542 Dasselbe gilt für den Erschöpfungsgrundsatz, § 17 Abs. 2 UrhG.543 Umstritten ist demgegenüber, ob auch der Ablauf der Schutzdauer des Urheberrechts (§§ 64 ff. UrhG) zum Eingreifen eines gesetzlich zugelassenen Falles führt.544 Mitunter wird diese Einordnung abgelehnt und stattdessen vertreten, dass die Schutzdauer bereits im Rahmen der Betrachtung des Tatobjekts zu berücksichtigen sei: Dort müsse gefragt werden, ob sich die Tat auf ein urheberrechtlich geschütztes Werk beziehe.545 Indes: Weil beide Theorien im Ergebnis die Tatbestandsebene betreffen, umfasst der Vorsatz des Täters auch nach beiden Theorien zwingend die Aktualität des urheberrechtlichen Schutzes, weswegen der Streit für die vorliegende Betrachtung ohne Relevanz ist. Im Folgenden soll davon ausgegangen werden, dass mit Ablauf der Schutzfrist im Rahmen des § 106 UrhG ein gesetzlich zugelassener Fall zugunsten des Handelnden eingreift. Die nachstehenden Erörterungen sind nach dem folgenden Muster gegliedert: Zunächst werden die gesetzlich zugelassenen Fälle als negatives Tatbestandsmerkmal der Strafvorschrift des § 106 UrhG aus Perspektive der strafrechtlichen Irrtumslehre dogmatisch eingeordnet (I.). Dies ist vor allem deshalb notwendig, weil es sich bei der Wortkette nach herrschender Auffassung um eine Blankettverweisung auf die zivilrechtlichen Regelungen des UrhG handelt, weswegen sich insofern Besonderheiten bei Irrtumsfällen ergeben können. Anschließend werden einige Irrtumskonstellationen im Bereich der Schrankenregelungen erörtert (II.). Schließlich wird ein Fazit zum Irrtum über die gesetzlich zugelassenen Fälle gezogen (III.). Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 23; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 21; U. Weber, S. 230, 291; a.A. Kircher, S. 233 ff. – Rechtfertigungsgründe. 540 Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 21. 541 BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 30; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 78; vgl. auch Dreier/Schulze-Dreier, § 106 Rn. 6 – „insbesondere“. 542 Vgl. BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 30; Dreier/Schulze-Dreier, § 106 Rn. 6; Hildebrandt, S. 124; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 78; Reinbacher, S. 174; Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 23; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 21. 543 BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 31; Dreier/Schulze-Dreier, § 106 Rn. 6; Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 23; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 78. 544 Für eine solche Einordnung BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 UrhG Rn. 31; Hildebrandt, S. 137; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 114. 545 Dreier/Schulze-Dreier, § 106 Rn. 4; Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 5b; Kircher, S. 220; Reinbacher, S. 69; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 9, 22.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
I. Das Tatbestandsmerkmal in strafrechtsdogmatischer Hinsicht Wie erwähnt, handelt es sich bei dem Erfordernis des § 106 UrhG, dass die Verwertung – um strafbar zu sein – in einem anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen erfolgen muss, um ein negativ gefasstes Tatbestandsmerkmal – was bedeutet, dass sich der Vorsatz des Täters darauf erstrecken muss, dass gerade keiner dieser Fälle einschlägig ist. Mit anderen Worten: Der Täter muss wissen, „dass ein solcher Fall nicht gegeben ist.“546 Dabei reicht, wie bei allen anderen Tatbestandsmerkmalen des § 106 UrhG auch, bedingter Vorsatz aus.547 Der Täter braucht also kein sicheres Wissen darüber zu besitzen, dass kein gesetzlich zugelassener Fall vorliegt, sondern es genügt, wenn er das Risiko kennt und billigend in Kauf nimmt, dass kein solcher Fall zu seinen Gunsten eingreift. Im Einzelnen kommen hier freilich diverse Theorien zum Tragen, denn der dolus eventualis wird in der Literatur keinesfalls eindeutig definiert.548 Nach herrschender Auffassung dürfte der Handelnde auch dann Vorsatz hinsichtlich des Nichteingreifens einer Schrankenregelung haben, wenn er mit beiden Möglichkeiten rechnet und gleichwohl handelt. Bei der Inbezugnahme der urheberrechtlichen Schrankenregelungen handelt es sich, wie bereits angedeutet, um eine Blankettverweisung, die diverse zivilrechtliche Bestimmungen des UrhG in Bezug nimmt.549 Dies hat zur Konsequenz, dass sich bei der Lösung von Irrtumsfällen schwierige Fragen ergeben, je nachdem welche Irrtumslehre vertreten wird. Denn bei Blankettverweisungen ist im Einzelnen Vieles umstritten, was bereits ausführlich erörtert wurde.550 Die wichtigsten Eckpunkte seien gleichwohl an dieser Stelle kurz resümiert. Während die (wohl noch) herrschende Meinung davon ausgeht, dass die Merkmale der in Bezug genommenen Vorschrift in das Blankett „hineinzulesen“ sind, sodass im Ergebnis die §§ 16, 17 StGB auf einen so gebildeten Gesamttatbestand angewandt werden, geht eine im Vordringen befindliche Auffassung davon aus, dass der Vorsatz beim Blankett nur anzunehmen sei, wenn der Täter die ausfüllende Vorschrift beziehungsweise das enthaltene Ge- oder Verbot kenne. Indes: Nach vorzugswürdiger Irrtumslehre ist dagegen auch hier wieder eine klare Trennung von Irrtümern über Tatsachen einerseits und von Irrtümern über die rechtliche 546 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 122; vgl. auch Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 23. 547 Vgl. nur Reinbacher, S. 267; ferner allgemein zum Erfordernis bedingten Vorsatzes im Urheberstrafrecht Hildebrandt, S. 237; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 119; Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 30; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 29. 548 Vgl. zum Eventualvorsatz und zur Abgrenzung von der bewussten Fahrlässigkeit allgemein Heinrich, AT, Rn. 298 ff. 549 BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 36 f.; Hildebrandt, S. 266; Lauer, S. 59; Reinbacher, S. 178; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 35; vgl. auch Heinrich, in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (77). 550 Vgl. bereits eingehend Kapitel 2 § 3 C. III. 2. c) sowie die Kritik in Kapitel 2 § 3 D. II. 2. c) cc).
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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Bewertung andererseits erforderlich – was anhand der folgenden Fallbeispiele neuerlich bewiesen werden soll. Im urheberrechtlichen Schrifttum hat sich vor allem Lauer eingehend mit der Behandlung von Irrtümern über Blankettstraftatbestände am Beispiel des § 106 UrhG auseinandergesetzt. Sie trifft eine Unterscheidung zwischen solchen Blankettverweisungen, die eindeutig eine Kennzeichnung der in Bezug genommenen Vorschrift enthalten, die dem Adressaten also kenntlich machen, welche Normen einbezogen werden (etwa: „Wer gegen Vorschrift X verstößt, wird bestraft“) und unpräzisen Blankettmerkmalen, die nur konkludent aus sich heraus verweisen, dem Leser also nicht deutlich machen, worauf sich die Verweisung bezieht (als Beispiel hierfür lässt sich der Begriff der Vervielfältigung in § 106 Abs. 1 UrhG anführen, welcher die zivilrechtliche Vorschrift des § 16 UrhG in Bezug nimmt, allerdings nicht explizit auf diese verweist – dasselbe gilt auch für die übrigen Tathandlungsvarianten).551 Lauer kommt zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Inbezugnahme der urheberrechtlichen Schrankenregelungen um eine „ungenau gehaltene Bezugnahme“ handle, bei der dem Blankettmerkmal „eine eigene tatbestandliche Bedeutung“ zukomme, „weil es über die Tatsache der Verweisung auf andere Normen hinaus die grundsätzliche Begrenztheit des Straftatbestandes zum Ausdruck“ bringe.552 Diese Begrenztheit müsse dem Täter „in zutreffender Weise bekannt sein, wenn ihm vorsätzliches Verhalten zur Last fallen soll.“553 Lauer befürwortet deswegen die Lehren von Puppe und Tiedemann,554 wonach die Existenz und die Reichweite von außerstrafrechtlichen Ausfüllungsnormen (also der Schrankenregelungen des UrhG) bei „ungenauen“ Blankettverweisungen vom Vorsatz umfasst sein sollen, denn: „Wo der Gesetzgeber Normen in strafrechtliche Tatbestände ohne nähere Bezeichnung miteinbezieht, so daß das Wie und ggfs. sogar das Ob der Verweisung dem durchschnittlichen Normadressaten verschlossen bleiben muß, da gehören die Bezugsnormen nicht mehr zu dem, was nach dem Gedanken […] des § 17 StGB jeder Bürger wissen oder aber in Erfahrung bringen muß.“555 Kurzum: Der Täter soll das dort enthaltene Ge- oder Verbot schlichtweg kennen müssen, um vorsätzlich zu handeln. Dieser Auffassung schließt sich Hildebrandt ausdrücklich an.556 Zwar sei die Lehre Lauers immer dann nicht notwendig, wenn ein Blankett ein normatives Tatbestandsmerkmal in Bezug nehme, weil dann ohnehin § 16 StGB eingreife (dies ergibt sich daraus, dass Hildebrandt den Grundsatz der „Parallelwertung in der Lauer, S. 119 ff. Lauer, S. 138. 553 Lauer, S. 138 f. 554 Lauer, S. 139; vgl. dazu ausführlich Kapitel 2 § 3 C. III. 2. c) bb) (2). 555 Lauer, S. 121. 556 Hildebrandt, S. 270; vgl. auch noch Wandtke/Bullinger-Hildebrandt, 3. Aufl. 2009, § 106 Rn. 35; anders nunmehr Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 35. 551 Vgl. 552
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Laiensphäre“ anwendet und deswegen bei normativen Tatbestandsmerkmalen nur dann das Vorliegen eines Vorsatzes annimmt, wenn der Täter die Bedeutung der Norm zumindest laienhaft gekannt hat).557 Gleichwohl sei der von Lauer befürwortete, ausnahmslose Grundsatz, angesichts der folgenden Argumente zu befürworten: Erstens handle es sich bei den urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen um „eine relativ komplexe Regelung“,558 die sich zweitens „in steigendem Maße auch an Laien“ richte.559 Drittens sei zu beachten, dass sich die Beschuldigten von Urheberstraftaten „in aller Regel auf berechtigte Interessen“ stützen könnten.560 Und viertens stelle ein Verstoß gegen § 106 Abs. 1 UrhG kein Verbrechen, sondern „lediglich“ ein Vergehen dar, weswegen die Rechtsgutverletzung „in aller Regel nicht besonders schwer wiegen“ dürfe.561 Summa summarum ergebe sich hieraus, dass – Hildebrandt zieht eine Parallele zum Steuerrecht – es „einer Korrektur der irrtumsrechtlichen Grundsätze“562 bedürfe. Dass diese Auffassung mit der schuldtheoretischen Konzeption des StGB bricht, wurde im Verlauf der vorliegenden Arbeit bereits eingehend dargelegt.563 Darüber hinaus ergeben sich bei der Anwendung dieser Theorie unauflösliche Abgrenzungsprobleme, die in der Praxis zu willkürlichen Ergebnissen führen, was ebenfalls bereits ausführlich erörtert wurde.564 Als nicht weniger problematisch hat sich im Verlauf der bisherigen Untersuchung die herrschende Irrtumslehre über normative und deskriptive Tatbestandsmerkmale erwiesen, die auch in Bezug auf das Blankett „in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen“ zur Anwendung kommt, wenn man, anders als Lauer und Hildebrandt, mit der herrschenden Auffassung im Schrifttum davon ausgeht, dass die Tatbestandsmerkmale der Ausfüllungsnorm in das Blankett „hineinzulesen“ sind und am Schluss auf den hierdurch gebildeten „Gesamttatbestand“ die herrschende Irrtumslehre regulär angewendet werden soll. Diese Herangehensweise vertreten in den Reihen des urheberrechtlichen Schrifttums insbesondere Haß, Reinbacher, Sternberg-Lieben und U. Weber.565 Die entscheidenden Abgrenzungsprobleme bleiben dann erhalten, denn der – unbestrittene566 – Aspekt, dass sich normative und deskriptive Tatbestandsmerkmale niemals trennscharf voneinander abgrenzen lassen, bleibt freilich auch beim Blankett virulent. Hildebrandt, S. 268. Hildebrandt, S. 269. 559 Hildebrandt, S. 270. 560 Hildebrandt, S. 270. 561 Hildebrandt, S. 270. 562 Hildebrandt, S. 270. 563 Vgl. Kapitel 2 § 3 D. II. 2. 564 Vgl. ausführlich Kapitel 2 § 3 D. II. 1. 565 Vgl. BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 37; Schricker-Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 30; Reinbacher, S. 266 ff.; U. Weber, S. 290 f. 566 Vgl. Kapitel 2 § 3 B. I. 1. c). 557
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§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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Die vorliegend befürwortete Irrtumslehre vertritt im urheberstrafrechtlichen Schrifttum, wie erwähnt, auch in Bezug auf das Blankettmerkmal, nur Heinrich.567 Gleichwohl gibt es Autoren, die zu denselben Ergebnissen gelangen. Am deutlichsten erkennbar wird dies bei Flechsig, der die grundsätzliche Einordnung von Tatumstands- und Verbotsirrtum zwar nicht eruriert, aber zu dem pauschalen Ergebnis gelangt, dass Fehlvorstellungen im Bereich der normativen Tatbestandsmerkmale des § 106 UrhG allesamt Verbotsirrtümer seien.568 Auf dieser Annahme basiert sodann auch der Schluss, dass die „fehlerhafte Bewertung der Schrankenbestimmungen […] regelmäßig einen Subsumtionsirrtum dar[stellt].“569 Dasselbe Resultat prognostizieren Ruttke/Scharringhausen, die davon ausgehen, dass „die meisten Irrtümer über normative Tatbestandsmerkmale“ als Verbotsirrtümer einzuordnen seien, worunter ausdrücklich auch Irrtümer über die Schrankenbestimmungen fallen sollen.570 In dieselbe Richtung gehen offenbar die (allerdings nicht eingehend begründeten) Ansätze bei Kotthoff571 und Ulmer.572 Einen Sonderweg geht Kircher, der davon ausgeht, dass es sich bei dem Merkmal „in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen“ um einen Rechtfertigungsgrund handle.573 Dabei diskutiert er allerdings – angelehnt an die frühe Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – nicht die modernen „eingeschränkten“ Schuldtheorien, sondern verfolgt vielmehr zumindest in einem ersten Schritt schlicht die Grundsätze der hier vertretenen Irrtumslehre: Beim Irrtum über Tatsachen eines Rechtfertigungsgrundes solle § 16 StGB angewendet werden und bei Irrtümern über die rechtliche Bewertung des Sachverhalts § 17 StGB. Allerdings weicht Kircher diese klare Vorgehensweise im Ergebnis dadurch auf, dass er anschließend wiederum die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ anwendet, sodass „der Vorsatz nicht nur durch die irrige Annahme rechtfertigender Tatsachen ausgeschlossen werden [könne], sondern auch durch eine Verkennung der sozialen oder rechtlichen Bedeutung der Situation.“574 II. Irrtumskonstellationen im Bereich der „gesetzlich zugelassenen Fälle“ Im Folgenden werden Irrtümer im Bereich der urheberrechtlichen Schrankenregelungen, also der „gesetzlich zugelassenen Fälle“ i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG untersucht. Weil insofern zahlreiche Vorschriften in Betracht zu ziehen sind, innerhalb welcher sich eine Vielzahl an Irrtumskonstellationen ergibt, würde eine Vgl. insoweit nur Heinrich, in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (76 ff.). Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 35. 569 Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 43. 570 Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 31 f. 571 Vgl. Dreyer/Kotthoff/Meckel-Kotthoff, § 106 Rn. 9. 572 Vgl. Ulmer, § 133 V – der sich ausdrücklich gegen die Einordnung von U. Weber stellt. 573 Kircher, S. 233. 574 Kircher, S. 234. 567
568 Vgl.
Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
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erschöpfende Darstellung aller Schrankenregelungen des UrhG den Rahmen der vorliegenden Bearbeitung übersteigen. Dementsprechend sollen nur einige praktisch besonders bedeutsame Schrankenregelungen auf Irrtümer untersucht – und überwiegend exemplarisch anhand von Beispielsfällen – dargestellt werden. Diese sind das Recht zur Vervielfältigung zum eigenen Gebrauch, § 53 UrhG (1.), der Erschöpfungsgrundsatz, § 17 Abs. 2 UrhG (2.) und die Freiheit von Werken nach Ablauf der Schutzfrist, §§ 64 ff. UrhG (3.). Die dort gefundenen Ergebnisse sind auf die übrigen Schranken übertragbar. 1. Irrtümer im Bereich der Schranke des eigenen Gebrauchs, § 53 UrhG Gleich mehrere bedeutsame Schrankenregelungen finden sich in § 53 UrhG. Die Vorschrift schränkt das Vervielfältigungsrecht des Urhebers (§ 16 UrhG) mit Blick auf diverse Konstellationen ein, in denen das weitgreifende Vervielfältigungsverbot schlichtweg unangemessen erscheint. Die Vorschrift ist Ausdruck der Sozial bindung des Urheberrechts als Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) und schafft in diesem Sinne einen Ausgleich zwischen dem Interesse der Allgemeinheit, nicht über das gebotene Maß hinaus mit Erlaubnispflichten belegt zu werden und dem Interesse der Urheber und Rechteinhaber, die Nutzung ihrer Werke weitgehend zu kontrollieren und sich diese auch vergüten zu lassen.575 Gegenstand der Vorschrift ist der sogenannte eigene Gebrauch, worunter ausweislich der amtlichen Überschrift auch die – praktisch besonders bedeutsame – Unterkategorie des privaten Gebrauchs fällt.576 Während die Absätze 1 und 2 des § 53 UrhG Schranken des Vervielfältigungsrechts regeln, enthalten die Absätze 3 bis 7 ihrerseits Einschränkungen dieser Schranken, also „Schranken-Schranken“, was im Ergebnis zu einer starken „Verschachtelung“ führt. Die – in der Tat leserunfreundlich geratene – Vorschrift wird mitunter kritisiert für deren hohen Grad an Komplexität und Differenzierung, welcher vor allem unter dem Gesichtspunkt problematisch sei, dass die Regelung „für die privaten Werknutzer, deren Befugnisse [sie] doch regelt, kaum mehr verständlich sein dürfte.“577 Gleichsam ein Spiegelbild dieser Feststellung findet sich freilich bei der Behandlung von Irrtumsfällen wider: Denn oftmals werden Handelnde in dem Glauben an die „Freiheit“ ihrer Verwertungshandlung agieren, obwohl dies tatsächlich nicht zutrifft (etwa weil die „Schranken-Schranke“ des § 53 Abs. 7 UrhG das Anfertigen eines kurzen Konzertmitschnitts mit dem Smartphone selbst dann verbietet, wenn dieser ausschließlich privaten Zwecken dient). Andererseits ist es ebenso gut vorstellbar, dass Handelnde einem Irrglauben unterliegen, wenn sie in Unkenntnis der erwähnten Sozialbindung des Urheberrechts bei einer zulässigen Verwertungshandlung fälschlicherweise davon ausgehen, fremde Urheberrechte 575
Vgl. Dreier/Schulze-Dreier, § 53 Rn. 1; Fromm/Nordemann-Wirtz, § 53 Rn. 1. Reinbacher, S. 179; vgl. auch Dreier/Schulze-Dreier, § 53 Rn. 7, 18; Fromm/Nordemann-Wirtz, § 53 Rn. 9, 23; Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 53 Rn. 13, 34. 577 Dreier/Schulze-Dreier, § 53 Rn. 4. 576
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zu verletzen, wobei in Fällen dieser Art die Abgrenzung eines untauglichen Versuchs zum Wahndelikt einschlägig ist. Ganz allgemein ist festzustellen, dass die Schrankenregelungen des Urheberrechts einen überaus starken normativen Gehalt aufweisen, was sich bei der Behandlung von Irrtumsfällen gerade in der prekären Abgrenzung vom Tatumstands irrtum zum Verbotsirrtum bemerkbar macht: Ohne Rechtskenntnisse erscheint die Einordnung einer Handlung in eine der gesetzlich geregelten Schranken kaum möglich, zumal viele Merkmale, die den einzelnen Schranken zugrunde liegen, in der Rechtsprechung wie auch im Schrifttum uneinheitlich beurteilt werden, sodass sich oftmals kaum eine zuverlässige Prognose in Bezug auf einen konkreten Sachverhalt treffen lässt. Darüber hinaus finden sich in den „gesetzlich zugelassenen Fällen“ zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe, die im Einzelfall erst durch den Rechtsanwender konkretisiert werden – wie beispielsweise die Formulierungen „einzelne Vervielfältigungen“ (§ 53 Abs. 1 S. 1 UrhG) oder „von kleinen Teilen“ (§ 53 Abs. 3 S. 1 UrhG) eindrücklich verdeutlichen. An diesen neuralgischen Punkten des Tatbestandes scheiden sich die Irrtumslehren: Die herrschende Lehre muss (und tut dies auch ganz bewusst!) hier in vielen Fällen zum Vorsatzausschluss kommen, obwohl die Handelnden in diesen Fällen ausschließlich über die Reichweite ihrer „Freiheiten als Werknutzer“ irren. Dies indes kann nicht befürwortet werden, was vor allem im Rahmen der im Folgenden zuerst erörterten Schranke der Privatkopie belegt wird. a) Irrtümer über die Freiheit der Privatkopie § 53 Abs. 1 UrhG regelt die Freiheit der Privatkopie. Die Vorschrift bestimmt, dass einzelne Vervielfältigungen eines Werkes durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch zulässig sind, und zwar auf beliebigen Trägern. Weiterhin ist erforderlich, dass die Vervielfältigung keinerlei Erwerbszwecken,578 weder mittelbar noch unmittelbar, dient, und dass die verwendete Vorlage nicht offensichtlich rechtswidrig hergestellt oder öffentlich zugänglich gemacht wurde. Urheberrechtlich „frei“ bleibt damit die Vervielfältigung von Werken in der Privatsphäre zur Befriedigung rein persönlicher Bedürfnisse durch die eigene oder eine mit ihr durch ein persönliches Band verbundene Person.579 Die Privilegierung bezieht sich also ausschließlich auf den häuslichen Privatgebrauch sowie darüber hinaus allenfalls auf den Kreis „wahrer Freundschaft“,580 also auf eine Vervielfältigung zugunsten von Freunden, deren Beziehung „von innerer Gleichartigkeit geprägt ist und damit auf übereinstimmender Überzeugung und gegenseitiger Neigung, Achtung, Vertrauen und Treue begründet ist, auf identischem Geschmack oder sich deckender Gesinnung beruht und von der Übereinstimmung des Denkens, 578 Fromm/Nordemann-Wirtz,
§ 53 Rn. 13. BT-Drucks. 4/270, S. 70; ferner BGH GRUR 1978, 474 (475); Dreier/Schulze-Dreier, § 53 Rn. 7; Flechsig, GRUR 1993, 532 (534); Rehbinder/Peukert, Rn. 695. 580 Flechsig, GRUR 1993, 532 (534). 579 Vgl.
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Fühlens oder Wollens des Geistes, der Seele oder des Charakters bestimmt wird.“581 Dass in Bezug auf dieses Erfordernis ein gesteigertes Irrtumspotenzial besteht, liegt auf der Hand. Denn das Merkmal „privater Gebrauch“ eröffnet zunächst einen weiten Interpretationsspielraum, der allerdings durch die Rechtsprechung und Wissenschaft begrenzt wird und freilich nicht im Ermessen des Handelnden steht. Einschränkungen gelten nach § 53 Abs. 4 a) UrhG für Notenmaterial (graphische Aufzeichnungen von Werken der Musik), das stets nur mit Einwilligung des Berechtigten vervielfältigt werden darf, sofern es nicht entweder händisch abgeschrieben wird oder die Kopie zur Bildung eines privilegierten Archivs i.S.d. § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG erfolgt oder das Notenmaterial vergriffen ist. Dieselbe Einschränkung gilt für die Vervielfältigung von Büchern oder Zeitschriften, wenn diese „im Wesentlichen vollständig“ reproduziert werden, § 53 Abs. 4 b) UrhG. In § 53 Abs. 6, 7 UrhG werden weitere, außerordentlich praxisrelevante Einschränkungen der gewährten Freiheiten vorgenommen: So wird erstens klargestellt, dass die i.R.d. § 53 UrhG rechtmäßig hergestellten Vervielfältigungsstücke weder verbreitet noch zur öffentlichen Wiedergabe benutzt werden dürfen, es sei denn es handelt sich bei der Verwertung um ein Verleihen von Vervielfältigungsstücken von Zeitungen oder vergriffenen Werken oder von Werken, bei denen kleine beschädigte oder abhanden gekommene Teile durch Vervielfältigungsstücke ersetzt wurden (§ 53 Abs. 6 UrhG). Darüber hinaus regelt § 53 Abs. 7 UrhG für den besonders praxisrelevanten Fall der Aufnahme von öffentlichen Vorträgen, Aufführungen oder Vorführungen (§ 19 UrhG), dass diese Verwertung stets nur mit Einwilligung des Berechtigten zulässig ist. Dasselbe gilt für die Ausführung von Plänen und Entwürfen zu Werken der bildenden Künste und den Nachbau von Werken der Baukunst. Beispielsfall a (Überdehnung der privaten Sphäre): Musikliebhaber M kauft sich regelmäßig CDs und spielt diese auf seinen Rechner, um sie mit seinen mobilen Geräten zu synchronisieren. Außerdem fertigt er Sicherungskopien an, indem er jede CD brennt. Die gebrannten CDs verwendet er im Autoradio. Er erlaubt auch seiner Tochter, die Musik auf ihren mp3-Player zu spielen. Ferner fertigt er auf Anfrage auch gerne (kostenlose) Kopien für Klassenkameraden und weitere Bekannte seiner Tochter an, weil er ihre Wünsche nur schwer ausschlagen kann. Er macht sich überhaupt keine Gedanken über die rechtliche Bewertung seines Tuns. In dieser Konstellation wird die Grenze vom Privatgebrauch zur nicht mehr privilegierten Nutzungshandlung sehr deutlich:582 Zunächst ist festzustellen, dass es sich bei den angesprochenen Handlungen jeweils um körperliche Reproduktionen (Vervielfältigungen) auf beliebigen Trägern i.S.d. § 53 Abs. 1 UrhG handelt. Während die Sicherungskopien für M selbst sowie auch die Vervielfältigung durch seine Tochter noch zum privaten Gebrauch zählen, ist die Vervielfältigung zugunsten Dritter jedenfalls dann nicht mehr von § 53 Abs. 1 UrhG privilegiert, wenn diese nicht mehr dem Kreis „wahrer Freundschaft“583 angehören. Insoweit 581 582
Flechsig, GRUR 1993, 532 (538). Vgl. dazu nur Reinbacher, S. 179 ff.
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handelt es sich nicht mehr um Vervielfältigungen zur Befriedigung ausschließlich privater Bedürfnisse des M – denn er fertigt Kopien an, um diese außerhalb der privaten Sphäre nutzbar zu machen. Zwar dürfte der Schwerpunkt dieser Handlung weniger auf der Vervielfältigung, als vielmehr auf der anschließenden, ebenfalls tatbestandlich erfüllten Verbreitung liegen (denn die Klassenkameraden der Tochter gehören für M zur Öffentlichkeit, §§ 17, 15 Abs. 3 UrhG). Jedoch ist mit dieser Handlung auch der Privatgebrauch überschritten, sodass auch in Bezug auf die Vervielfältigung bereits an eine Strafbarkeit zu denken wäre. Was die Verbreitung anbelangt, wäre ferner an einen Irrtum über die Vorschrift des § 53 Abs. 6 S. 1 UrhG zu denken, der eine Verbreitung von privilegiert hergestellten Vervielfältigungsstücken ausschließt, wenn im konkreten Sachverhalt Anhaltspunkte für eine so gelagerte Fehlvorstellung ersichtlich wären. 583
Ganz gleich, ob nun konkret die Vervielfältigung oder die Verbreitung betrachtet wird: Wenn M davon ausgeht, bei seiner Handlung durch § 53 Abs. 1 UrhG privilegiert zu sein, weil es sich um einen Privatgebrauch handle, so irrt er zunächst einmal über eine Rechtsfrage, es fehlt ihm insoweit also an Unrechtsbewusstsein. Der Irrtum ist nach zutreffender Ansicht also nach § 17 StGB aufzulösen und führt nur dann zur Straflosigkeit, wenn M seinen Irrtum nicht vermeiden konnte. Wahrscheinlicher dürfte es hier allerdings sein, von einer Vermeidbarkeit auszugehen. Mit den anderen vertretenen Irrtumslehren würden sich dagegen zahlreiche Probleme im subjektiven Tatbestand ergeben, wie die folgende Darstellung zeigt: • Zunächst wäre die Problematik einschlägig, wie die Blankettverweisung des § 106 Abs. 1 UrhG auf die zivilrechtlich geregelten Schranken zu behandeln ist. Mit der herrschenden Meinung im Schrifttum sowie (vom Steuerrecht einmal abgesehen)584 auch innerhalb der Rechtsprechung, werden Blankett und Ausfüllungsnorm zusammengelesen, sodass ein Gesamttatbestand entsteht, auf den dann die herrschende Irrtumslehre über normative und deskriptive Tatbestandsmerkmale – inklusive der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ – angewandt wird. Mit einer im Vordringen befindlichen Gegenauffassung hingegen wäre zu fragen, ob der Handelnde das Ge- oder Verbot der Bezugsnorm gekannt hat. Ist dies zu verneinen, so fehlt es am Vorsatz. Kurzum: In der vorliegenden Konstellation wäre, je nach Ansicht, bereits ein Vorsatzausschluss denkbar. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass insoweit versucht wird, die Blankettverweisung mit der Verweisung mittels normativer Tatbestandsmerkmale in Einklang zu bringen. Dass dieses Ergebnis allerdings in eklatanter Weise mit der gesetzgeberischen Konstruktion bricht, wurde bereits mehrfach dargelegt.585 Insofern würde es sich, um den gewünschten Gleichlauf zwischen normativem Tatbestandsmerkmal und Blankettverweisung zu erzeugen, eher empfehlen, die Lehre über normative Tatbestandsmerkmale aufzugeben. Flechsig, GRUR 1993, 532 (534). Vgl. zur Sonderstellung des Steuerrechts in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits die Kritik in Kapitel 2 § 3 D. II. 2. c) cc) (1). 585 Vgl. Kapitel 2 § 3 D. II. 2. 583
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• Indes: Wird der herrschenden Meinung gefolgt, so müsste nach Bildung des Gesamttatbestandes untersucht werden, ob die inkorporierten Merkmale des § 53 Abs. 1 UrhG deskriptiver oder normativer Natur sind. Auch dann wären einer willkürlichen Handhabung wiederum Tür und Tor geöffnet. Denn wie nahezu alle Vorschriften, enthält § 53 Abs. 1 UrhG Elemente, die mehr deskriptiv geprägt sind und Elemente, die mehr normativ geprägt sind. Eine Abgrenzung ist deswegen niemals trennscharf möglich. Weil die Definition des Privatgebrauchs angesichts der insoweit herrschenden Streitigkeiten und vielschichtigen Rechtsauffassungen stark normativ geprägt ist, müsste im Beispielsfall die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ zur Anwendung gebracht werden. Weil dieses Instrument seinerseits stark umstritten ist und kaum Trennschärfe aufweist, wird die ohnehin vorherrschende Willkürlichkeit dadurch zusätzlich verstärkt, denn ob im Einzelfall nun nachgewiesen werden kann, dass M in seiner „Laiensphäre“ begriffen hat, was er tut, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Dabei handelt es sich aber richtigerweise um Faktoren, die besser auf der Ebene des Unrechtsbewusstseins zu berücksichtigen sind, welches nach dem Verständnis der Schuldtheorien gerade dazu dienen soll, die Haltung des Handelnden gegenüber der Rechtsordnung festzustellen. Zwar dürften diese verschiedenen Lehren in vielen Fällen zu denselben Ergebnissen kommen. Allerdings sind die aufgezeigten Probleme im Sinne der Rechtssicherheit doch möglichst zu vermeiden. Deshalb empfiehlt es sich, auch bei Blankettverweisungen schlicht zwischen Irrtümern über Tatsachen und falschen Rechtsvorstellungen zu trennen, denn die hierfür erforderlichen Tatsachenfeststellungen sind in der Praxis unproblematisch möglich. Im Beispielsfall weiß M ganz genau, was er tut – er handelt dementsprechend vorsätzlich. Ihm fehlt es aber an Unrechtsbewusstsein, er handelt im Verbotsirrtum, § 17 StGB. Dieses Ergebnis ist auch nicht etwa aus dem Grund „ungerecht“, weil es sich beim Urheberrecht um ein strafrechtliches Nebengebiet handelt, dessen Vorschriften ein Täter kennen müsse, um vorsätzlich zu handeln.586 Im Ergebnis ist immer und nur dann eine Straflosigkeit angezeigt, wenn eine falsche rechtliche Bewertung für den Handelnden im konkreten Fall auch unvermeidbar war, § 17 S. 1 StGB. Nur diese Auslegung entspricht der gesetzlichen Konstruktion in den §§ 16, 17 StGB und damit dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers. Ferner werden dem Rechtsanwender dadurch trennscharfe Lösungen ermöglicht, was der Rechtssicherheit zuträglich ist. Weiterhin ist nur die Herstellung „einzelner“ Vervielfältigungsstücke durch § 53 Abs. 1 UrhG gedeckt, was sich richtigerweise nicht an einer konkreten zahlenmäßigen Grenze festmachen lässt,587 sondern danach zu entscheiden ist, wie viele 586 So aber die vordringende Mindermeinung zu den Blankettvorschriften, vgl. Kapitel 2 § 3 C. III. 2. c) bb) (2). 587 Vgl. aber BGH GRUR 1978, 474 (476) – etwa sechs bis sieben Stücke; kritisch zum Ganzen Rehbinder/Peukert, Rn. 694 – „Was bleibt dem Richter angesichts dieses ‚genialen‘ Gesetzestextes anderes als Willkür übrig!“
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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Exemplare im konkret zu beurteilenden Fall „zur Deckung des rein persönlichen Bedarfs erforderlich sind.“588 Freilich sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um „einzelne“ Stücke handelt, mit steigender Stückzahl. Beispielsfall b (einzelne Vervielfältigungen):589 Lyriker L findet einen ansprechenden Gedichtband in der Bibliothek und möchte ein einzelnes Werk zum privaten Gebrauch aus der Sammlung herauskopieren. Er vertippt sich auf dem Kopierer und fertigt statt zweier Exemplare 200 Exemplare an, was ihm aber nicht auffällt, weil er nach Entnahme der ersten Kopie dem Kopierer den Rücken kehrt (zum Leidwesen des Papiervorrats). Fallvariante a: L fertigt bewusst 100 Exemplare eines zeitgenössischen Gedichts an, schließlich wisse man nie, wofür diese einmal noch gut seien. Außerdem wähnt er sein Handeln durch die Freiheit der Privatkopie gedeckt, solange er nur nicht gewerblich handelt. Fallvariante b: L kennt sich ein wenig im Urheberrecht aus und weiß, dass Streit über eine konkreten Zahlengrenze herrscht. Er denkt, solange dieser Streit noch nicht verbindlich entschieden sei, könne er kopieren so viel er wolle – schließlich könne dies nicht zu seinen Lasten gehen. Im Ausgangsfall fertigt L mehr als nur „einzelne“ Vervielfältigungen i.S.d. § 53 Abs. 1 S. 1 UrhG an. Allerdings weiß er dabei nicht, was er tut. Es fehlt ihm an der Kenntnis eines tatsächlichen Umstands, der einer Einordnung als Privatkopie entgegensteht. Sein Irrtum ist somit ein Tatumstandsirrtum, § 16 Abs. 1 StGB. In den beiden Fallvarianten dagegen weiß er in tatsächlicher Hinsicht jeweils ganz genau, was er tut. Allerdings fehlt ihm das Unrechtsbewusstsein, wenn er die Schranke des § 53 Abs. 1 UrhG zu seinen Gunsten überdehnt oder davon ausgeht, dass vorherrschende juristische Uneinigkeiten zu einer Art „rechtsfreiem Raum“ führen. Er handelt dementsprechend beide Male im Verbotsirrtum, § 17 StGB. Welches Medium für die Vervielfältigung im Einzelfall gewählt wird, ist ausweislich des klaren Gesetzestextes gleichgültig, sodass beispielsweise sowohl das Kopieren und das Abschreiben von Schriftstücken sowie das Aufnehmen oder Brennen von Musikwerken als auch das lokale Abspeichern oder die „digitale Kopie“ gleich welcher Dateiform im Internet (etwa auf einem Cloudserver oder per E-Mail an sich selbst etc.) erfasst sind. Insofern sind in der Praxis nahezu unzählige Konstellationen denkbar. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang allerdings § 53 Abs. 1 S. 2 UrhG, der es gestattet, die Vervielfältigung durch einen Dritten vornehmen zu lassen, sofern dies entweder unentgeltlich geschieht (erfasst ist insoweit die Vervielfältigung aller Werkarten) oder soweit es sich um „Vervielfältigungen auf Papier oder einem ähnlichen Träger mittels beliebiger photomechanischer Verfahren oder anderer Verfahren mit ähnlicher Wirkung handelt.“ Letztgenannte Alternative, für die keine Unentgeltlichkeit gefordert wird, 588 Dreier/Schulze-Dreier, § 53 Rn. 9; ebenso Fromm/Nordemann-Wirtz, § 53 Rn. 17; Nippe, GRUR Int. 1995, 202 (203 f.); Wandtke/Bullinger-Lüft, § 53 Rn. 13. 589 Vgl. zu ähnlichen Konstellationen, allerdings nach alter Rechtslage, Kircher, S. 238 ff.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
erfasst jedenfalls die klassische Kopie im Kopierladen,590 wobei über Einzelheiten zahlreiche Streitigkeiten herrschen.591 Die Unentgeltlichkeit erfordert nach zutreffender Auffassung nicht, dass gar kein Geld fließen darf, sodass ein reiner Unkostenbeitrag, der die Materialkosten ersetzt, noch nicht zur Entgeltlichkeit einer Herstellung führt.592 Als schwierig erweist sich in manchen Fällen die Abgrenzung der rein privaten Vervielfältigung zur Verwertung zu Erwerbszwecken. § 53 Abs. 1 UrhG wird durch die Rechtsprechung und die Wissenschaft restriktiv gehandhabt, sodass strenggenommen nicht der geringste Bezug zur beruflichen Tätigkeit bestehen darf.593 Eine Grenze ist allerdings dort zu ziehen, wo die Erwerbszwecke weit entfernt sind, etwa, wenn im Rahmen des privaten Selbststudiums Kopien angefertigt werden, deren Inhalte sich später positiv in der beruflichen Tätigkeit des Vervielfältigenden niederschlagen oder wenn das private Selbststudium später zum Erreichen einer besseren beruflichen Position führt.594 Weiterhin ändert es am privaten Charakter einer Vervielfältigung nichts, dass das Werkstück unter Umständen später einmal auch im Rahmen der beruflichen Tätigkeit verwendet wird.595 Für das Strafrecht ergibt sich dies freilich bereits aus dem Koinzidenzprinzip, wonach alle strafbarkeitsbegründenden Voraussetzungen zum Tatzeitpunkt simultan erfüllt sein müssen – was auch bedeutet, dass diese Voraussetzungen einzig zum ausschlaggebenden Tatzeitpunkt relevant werden. Eine etwaige (wenn auch zeitlich deutlich nachgelagerte) berufliche Zweckrichtung muss also zwingend bereits bei Vornahme der tatbestandlichen Handlung verfolgt werden. Beispielsfall c (Erwerbszwecke): Architekt A bekommt von seinem Arbeitgeber eine Fortbildung bezahlt, für deren Zwecke er sich Material kopiert. Unter anderem scannt er in der örtlichen Landesbibliothek zwei große Standardwerke in Gänze ein und speichert sie auf seiner Festplatte sowie in seiner privaten „Cloud“. Er geht davon aus, dass die Handlungen im Rahmen des Privatgebrauchs gedeckt sind, schließlich fertigt er die Kopien am Feierabend an. Fallvariante: A kopiert nur einige Seiten aus den Werken für sein privates Eigenstudium auf Papier – geht dabei aber davon aus, Urheberrechte zu verletzen, weil er alles, was irgendwie im Zusammenhang mit seiner Berufsausbildung steht, für Erwerbshandeln hält. Im skizzierten Ausgangsfall erfüllt A den objektiven Tatbestand des § 106 Abs. 1 UrhG, denn er vervielfältigt ein urheberrechtlich geschütztes Werk, wobei 590
Vgl. Dreier/Schulze-Dreier, § 53 Rn. 14; Wandtke/Bullinger-Lüft, § 53 Rn. 22. Vgl. zum Streitstand nur Dreier/Schulze-Dreier, § 53 Rn. 13 ff. 592 Vgl. anschaulich Reinbacher, S. 198; ferner Dreier/Schulze-Dreier, § 53 Rn. 16; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 101; Wandtke/Bullinger-Lüft, § 53 Rn. 22. 593 Vgl. mit Beispielen Dreier/Schulze-Dreier, § 53 Rn. 10; Fromm/Nordemann-Wirtz, § 53 Rn. 13. 594 Vgl. Dreier/Schulze-Dreier, § 53 Rn. 10; Fromm/Nordemann-Wirtz, § 53 Rn. 13. 595 Dreier/Schulze-Dreier, § 53 Rn. 10. 591
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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§ 53 Abs. 1 S. 1 UrhG nicht einschlägig ist, denn seine Vervielfältigung weist einen klaren Bezug zur Erwerbstätigkeit auf. Insbesondere macht es keinen Unterschied, dass die Kopien am Feierabend angefertigt werden. Darüber hinaus bestimmt § 53 Abs. 4 a) UrhG, dass komplette Vervielfältigungen eines Buches ohnehin nie vom Privatgebrauch gedeckt sind, wenn es sich nicht um ein länger vergriffenes Werk handelt oder ein privilegiertes Archiv gebildet werden soll. A weiß in tatsächlicher Hinsicht auch ganz genau, was er tut, auch in Bezug auf die Verknüpfung seiner Handlung zur beruflichen Fortbildung hat er alles richtig erkannt. Er irrt sich aber über eine rechtliche Wertung, indem er von falschen Anhaltspunkten für das Fehlen eines Erwerbsbezuges ausgeht. Sein Irrtum ist dementsprechend ein Verbotsirrtum, § 17 StGB, es fehlt ihm insoweit an der Einsicht, Unrecht zu tun. Für eine etwaige Straffreiheit kommt es also letztlich auf die Vermeidbarkeit dieses Irrtums an. In der Fallvariante irrt sich A ebenfalls über die (diesmal gerade nicht gegebene) Erwerbsmäßigkeit seines Handelns – allerdings zu seinen Ungunsten, denn er geht davon aus, fremde Urheberrechte zu verletzen und handelt gleichwohl. Fraglich ist, ob hierin ein strafbares Verhalten zu erblicken ist. In dieser Konstellation ist fraglich, ob ein (strafbarer) untauglicher Versuch vorliegt oder ob es sich um ein strafloses Wahndelikt handelt. Diese Abgrenzung ist mithilfe einer „Umkehrprobe“ festzustellen, wobei ein Irrtum über tatsächliche Umstände zur Annahme eines untauglichen Versuchs führt und eine falsche Interpretation der Rechtslage zum straflosen Wahndelikt.596 A hat in tatsächlicher Hinsicht alles ganz korrekt erfasst. Sein Irrtum bezieht sich lediglich auf die Rechtslage, die er in Bezug auf seine konkrete Handlung falsch interpretiert. Es liegt dementsprechend kein strafwürdiges Verhalten vor, denn A stellt sich einen Sachverhalt vor, der – wäre er tatsächlich gegeben – eine Strafbarkeit eben nicht begründen würde. Er begeht daher ein Wahndelikt, sein Verhalten bleibt straffrei. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich in der Rechtspraxis aus dem Erfordernis, dass die Vorlage nicht offensichtlich rechtswidrig hergestellt oder öffentlich zugänglich gemacht worden sein darf. Insofern ist bereits umstritten, ob die offensichtliche Rechtswidrigkeit nach objektiven597 oder nach subjektiven Kriterien598 zu beurteilen ist. Reinbacher stellt zutreffend fest, dass diese Frage zumindest für das Strafrecht zugunsten der objektiven Auslegung zu entscheiden ist: Bei der Wortkette „in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen“ handelt es sich um ein objektives Tatbestandsmerkmal in Form eines Blanketts, dessen ausfüllende 596 Vgl. zur Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt bereits Kapitel 2 § 3 A. IV. sowie Kapitel 2 § 3 D. II. 4. 597 Czychowski, NJW 2003, 2409 (2411); Fromm/Nordemann-Wirtz, § 53 Rn. 20; Jani, ZUM 2003, 842 (850 f.); Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 99; Reinbacher, GRUR 2008, 394 (398) – zumindest für das Strafrecht. 598 So ausdrücklich BT-Drucks. 16/1828, S. 26 – entscheidend sei, ob die Rechtswidrigkeit „für den jeweiligen Nutzer nach seinem Bildungs- und Kenntnisstand“ offensichtlich erkennbar sei; zustimmend Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 53 Rn. 22; Wandtke/ Bullinger-Lüft, § 53 Rn. 17.
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Merkmale auch nach objektiven Maßstäben zu bestimmen sind, denn „durch objektive Tatbestandsmerkmale wird nur das äußere Erscheinungsbild der Tat umschrieben, während erst subjektiver Tatbestand und Schuld die innere Einstellung des Täters und sein individuelles Verschulden bestimmen.“599 Im Rahmen des § 106 UrhG bedeutet dies freilich, dass sich der Vorsatz des Handelnden sowohl auf die Rechtswidrigkeit der Zugänglichmachung oder der Herstellung als auch auf die Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit beziehen muss.600 Diese Einordnung führt dogmatisch gesehen zu Problemen bei der Beurteilung von Irrtumsfällen.601 Denn für die Praxis erscheint es kaum zielführend, den Beschuldigten danach zu fragen, ob er in dem Glauben handelte, dass die Herstellung eines Werkes „nur rechtswidrig“ oder „offensichtlich rechtswidrig“ war. Insofern wäre es aus der Sicht eines Strafrichters einzig logisch, den Beschuldigten danach zu fragen, ob die Rechtswidrigkeit für ihn offensichtlich gewesen ist. Damit jedoch würde das Tatbestandsmerkmal „versubjektiviert“, was strenggenommen nicht mit der Einordnung als objektives Tatbestandsmerkmal konformgeht. Indes: Es macht keinen Sinn, den Täter im Rahmen des Vorsatzes danach zu fragen, ob er die Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit erkannt hat. Reinbacher stellt in diesem Zusammenhang zutreffend fest, dass sich „die Frage der Offensichtlichkeit nicht gänzlich ohne subjektiven Einschlag beurteilen“ lässt.602 Deswegen schlägt Reinbacher vor, bei der Feststellung der Offensichtlichkeit im objektiven Tatbestand – parallel zum Fahrlässigkeitsdelikt – danach zu fragen, welche Anforderungen an einen „besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und der sozialen Rolle des Täters“ zu stellen sind.603 Im Ergebnis führt diese Herangehensweise dazu, dass über das objektive Tatbestandsmerkmal „offensichtlich rechtswidrig“ in § 106 Abs. 1 UrhG ein Fahrlässigkeitselement in den Tatbestand integriert wird. Aus diesem Grund sollen denn auch Spezialkenntnisse des Handelnden zu dessen Lasten berücksichtigt werden.604 Dies führt dazu, dass der jeweils einschlägige Grad an Offensichtlichkeit – gleichsam als „objektivierter“ Sorgfaltsmaßstab – bereits im objektiven Tatbestand festzustellen ist, sodass im subjektiven Tatbestand nur noch der jeweilige Vorsatz des Täters in Bezug auf diesen objektiv festgelegten Grad der Rechtswidrigkeit festzustellen ist. Dieser Vorschlag ist ausdrücklich zu befürworten: Die Frage nach der Offensichtlichkeit ist im objektiven Tatbestand aus Sicht eines objektiven Betrachters Reinbacher, GRUR 2008, 394 (398); vgl. auch ders., S. 220 ff. Vgl. dazu Heinrich, in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (78 f.); Reinbacher, S. 222, 267. 601 Vgl. hierzu Reinbacher, S. 267. 602 Reinbacher, S. 220. 603 Reinbacher, S. 220. 604 Vgl. zum Sonderwissen des Täters beim Fahrlässigkeitsdelikt auch Heinrich, AT, Rn. 1023; Rengier, AT, § 52 Rn. 83, der zutreffend die Parallele der subjektiven Fahrlässigkeit zu den Vermeidbarkeitskriterien des Verbotsirrtums betont; ferner Wessels/Beulke/ Satzger, AT, Rn. 975. 599
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in Gestalt eines „Durchschnittsbürgers“ zu beurteilen. Dies führt dazu, dass beispielsweise für einen Rentner, der sich einen Computer zulegt und erstmals eine CD kopiert, derselbe Maßstab anzulegen ist wie für einen überaus computeraffinen (freilich schuldfähigen, § 19 StGB) Jugendlichen. Denn: „Musste einem Durchschnittsbürger klar sein, dass die verwandte Vorlage offensichtlich rechtswidrig hergestellt wurde, so ist der objektive Tatbestand erfüllt. Anders als bei den Fahrlässigkeitsdelikten, kann die Unkenntnis der Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens hier aber zum Ausschluss des Tatbestandsvorsatzes führen.“605 Auf der anderen Seite gelten für Spezialisten schärfere Maßstäbe, wenn festgestellt wird, dass die Rechtswidrigkeit der Herstellung oder öffentlichen Zugänglichmachung einer Vorlage für diese Personen wesentlich eher „offensichtlich“ war als für den Durchschnittsbürger. Auf diese Weise findet das tatbestandliche Element der Offensichtlichkeit auf dogmatisch sauberem Wege Berücksichtigung im Strafrecht. Wann eine Herstellung oder öffentliche Zugänglichmachung rechtswidrig ist, ist ebenfalls nicht erschöpfend geklärt.606 Richtigerweise wird in diesem Zusammenhang darauf abgestellt, ob diese Vorgänge ihrerseits unter Verstoß gegen Urheberrechte erfolgt sind.607 Die öffentliche Zugänglichmachung ist alternativ zur Herstellung zu betrachten, sodass es an der Rechtswidrigkeit einer Zugänglichmachung nichts ändert, wenn für diese eine rechtmäßig hergestellte Vorlage verwendet wird.608 Ohne Bedeutung ist auch die Eigentums- oder Besitzlage an den Vorlageobjekten – eine denkbare Rechtswidrigkeit des Besitzes eines Werkstücks ist dementsprechend unerheblich für die strafrechtliche Betrachtung, denn eine andere Auslegung würde im Strafrecht stets eine unzulässige Analogie zulasten des Täters bedeuten.609 Beispielsfall d (Offensichtlich rechtswidrige Vorlagen I): Der versierte Kunstsammler K ist auf der Suche nach Inspiration für seinen „Kunst-Talk“ im Freundeskreis und findet auf einer „Künstlerbörse“ ein paar nicht ganz perfekt gefertigte Hundertwasser-Prints. Die Motive sind ihm unbekannt, weswegen er die „Werke“ abfotografiert und zuhause, zum Zwecke der Diskussion in privater Runde, ausdruckt. Bei den Stücken handelt es sich um gute, aber mit genauem Auge erkennbare Fälschungen. K bemerkt – geblendet vor Freude – überhaupt nichts. Reinbacher, S. 222. Vgl. Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 97 – „derzeit noch weitgehend unklar“. 607 Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 53 Rn. 24; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 97; Reinbacher, S. 215; ders., GRUR 2008, 394 (395). 608 Vgl. Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 98; Reinbacher, GRUR 2008, 394 (397 f.). 609 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 97; Reinbacher, S. 213, 229; vgl. aber die a.A., jedenfalls für das Zivilrecht: KG GRUR 1992, 168 (169) – rechtmäßiger Besitz als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal; zustimmend Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 53 Rn. 21 – mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass diese Auffassung jedoch in der heutigen Kommentarliteratur überwiegend aufgegeben wurde. 605
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Fallvariante: Die Vorlagen sind wirklich außerordentlich schlecht gearbeitet, weswegen K sich Gedanken macht, ob „wirklich alles mit rechten Dingen zugeht auf dieser Börse“. Weil ihm die Motive neu sind, fertigt er gleichwohl Vervielfältigungsstücke zur Diskussion unter Freunden an. Im Rahmen des Privatgebrauchs, denkt er, komme es hierauf schließlich nicht an. Im Ausgangsfall weiß K mit Blick auf seine Tathandlung zunächst einmal ganz genau, was er tut. Er erkennt die Vorlagen als Abbilder geschützter Werke und fotografiert und druckt diese auch ganz bewusst aus. Allerdings möchte er die Vervielfältigungsstücke ausschließlich privat nutzen, denn er fertigt diese, um im engeren Freundeskreis über die Motive zu diskutieren. Insofern ist § 53 Abs. 1 S. 1 UrhG einschlägig. Fraglich ist aber, ob K zumindest billigend in Kauf nimmt, dass es sich dabei um offensichtlich rechtswidrig hergestellte Vorlagen handelt. Für die Irrtumsbetrachtung kommt insoweit wiederum das kognitive Vorsatzelement in Betracht: K erkennt überhaupt nicht, dass es sich bei den Vorlagen um rechtswidrig hergestellte Stücke handelt, ihm bleibt also ein tatsächlicher Umstand verschlossen. Ob die Rechtswidrigkeit der Herstellung offensichtlich erkennbar gewesen wäre, ist, wie soeben festgestellt, bereits vorab im objektiven Tatbestand aus Sicht eines objektiven „Durchschnittsbürgers“ zu beurteilen. In diesem Falle ist angesichts der guten Qualität der Fälschungen nicht von einer „allzu starken“ Offensichtlichkeit auszugehen, sodass zugunsten eines „Normalbürgers“ bereits objektiv keine „offensichtlich rechtswidrige Fälschung“ anzunehmen wäre. Etwas anderes gilt dagegen für K als Experten: Er hätte in seiner Eigenschaft als versierter Sammler die Fälschung erkennen müssen, sodass für ihn – objektiv betrachtet – von einer Offensichtlichkeit auszugehen wäre. Aber: Nichtsdestotrotz erkennt K nicht, was er tut. Dies begründet jedoch allenfalls einen Fahrlässigkeitsvorwurf. Und ein solcher ist im Rahmen des Vorsatzdelikts gänzlich irrelevant – er erkennt die Fälschungen nicht als solche. K handelt also im Tatumstandsirrtum, § 16 Abs. 1 StGB, und dementsprechend ohne Vorsatz. In der Fallvariante dagegen macht sich K in Anbetracht der schlechten Qualität der Vorlagen durchaus Gedanken über die Rechtmäßigkeit der Herstellung. Er zieht in Betracht, dass nicht alles „mit rechten Dingen“ zuging, sodass anzunehmen ist, dass er die tatsächlichen Umstände, die dem Merkmal „offensichtlich rechtswidrig“ zugrunde liegen, erkannt hat (was er auch musste, denn insoweit ist die Offensichtlichkeit ganz eindeutig auch aus Sicht eines „Normalbürgers“ anzunehmen). K handelt nach diesen Feststellungen also mit bedingtem Vorsatz in Bezug auf das Nichteingreifen des gesetzlich zugelassenen Falles des § 53 Abs. 1 UrhG. Sein Glaube daran, gleichwohl rechtmäßig zu handeln, stellt demgegenüber eine falsche Einordnung der Rechtslage dar, die einen Verbotsirrtum begründet, § 17 StGB. Beispielsfall e (Offensichtlich rechtswidrige Vorlagen II): Laie L ist auf einer Kunstausstellung und erkennt eine ganz offensichtliche Fälschung nicht als solche. Er fotografiert sie ab und druckt sie zuhause aus, um mit seiner Frau über das „tolle Werk“ zu diskutieren.
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In dieser Konstellation weiß L, ebenso wie K oben, in Bezug auf die Tathandlung ganz genau, was er tut. Allerdings geht er davon aus, dass es sich bei dem Werk um ein rechtmäßig hergestelltes Original handelt. Es fehlt ihm also grundsätzlich an der nötigen Faktenkenntnis in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal „offensichtlich rechtswidrig hergestellt“, weswegen insofern ein Tatumstandsirrtum in Betracht kommt, § 16 Abs. 1 StGB. Allerdings handelte es sich bei den vervielfältigten Werken objektiv gesehen um ganz offensichtliche Fälschungen, weswegen bei Beurteilung der „Offensichtlichkeit“ i.S.d. § 53 Abs. 1 S. 1 UrhG aus Sicht eines objektiven Betrachters in Gestalt eines „Durchschnittsbürgers“ ein hoher Maßstab anzulegen ist, der auch für den Laien L gilt. Dies ändert aber, wie schon in der zuvor erörterten Fallvariante, nichts daran, dass es dem L an Umstandskenntnis fehlt. Er unterliegt also einem Tatumstandsirrtum, § 16 StGB. Dass ihn unter Umständen ein Fahrlässigkeitsvorwurf trifft, ist für die strafrechtliche Beurteilung nach § 106 UrhG, wie erwähnt, irrelevant.610 Beispielsfall f (Offensichtlich rechtswidrige Vorlagen III): Die unbedarfte U surft im Internet und ist auf der Suche nach Musikvideos ihres Lieblingskünstlers. Eines Tages stößt sie auf einem gängigen Videoportal auf ein brandaktuelles Video, das eigentlich – wie sie weiß – noch gar nicht veröffentlicht sein kann, weil der Künstler die Veröffentlichung auf Facebook erst für einen späteren Zeitraum angekündigt hatte. Tatsächlich wurde das Video durch einen „Hacker“ online gestellt, der dem Künstler schaden möchte. U speichert das Video lokal ab. Fallvariante a: U macht sich, trotz der ihr bekannten Ankündigung, voller Freude überhaupt keine Gedanken und geht davon aus, dass alles seine Ordnung hat. Fallvariante b: U zieht in Betracht, dass die Website ihres Lieblingskünstlers „gehackt“ worden sein könnte, denkt aber, dass ihr Handeln „schon o.k.“ sei solange sie nur alles in ihrer eigenen Sphäre behält und nichts nach außen trägt, also etwa auf Facebook „postet“. Im Ausgangsfall vervielfältigt U, indem sie das Musikvideo auf ihrer Festplatte körperlich fixiert, ein urheberrechtlich geschütztes Werk, dessen Ursprung sie nicht kennt. Dies geschieht innerhalb ihrer Privatsphäre, sodass § 53 Abs. 1 UrhG zunächst einschlägig wäre. Allerdings wurde das Werk rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht (§ 19a UrhG), denn der „Hacker“ war nicht zur öffentlichen Wiedergabe befugt. Eine Privilegierung der U nach § 53 Abs. 1 UrhG scheidet demzufolge aus, sie handelt also zunächst objektiv tatbestandsmäßig (zum subjektiven Tatbestand sogleich). In der Fallvariante a kommt U allerdings nicht auf den Gedanken, dass die Vorlage rechtswidrig zugänglich gemacht worden sein könnte. Insofern unterliegt sie jedenfalls einem Irrtum. Fraglich ist, ob diese Fehlvorstellung den Vorsatz beseitigt, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Das Merkmal „offensichtlich rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht“ ist ein objektives Tatbestandsmerkmal des § 106 UrhG, weswegen U insofern vorsätzlich gehandelt haben muss. Fraglich ist, ob sie alle 610
Vgl. hierzu auch Reinbacher, S. 267.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
tatsächlichen Umstände gekannt hat, die die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Vorlage begründen. Die Vorlage ist jedenfalls objektiv rechtswidrig. Was die Offensichtlichkeit anbelangt, muss hier im objektiven Tatbestand das Sonderwissen der U berücksichtigt werden, sodass davon auszugehen ist, dass mit der Kenntnis der Ankündigung des Künstlers erkannt hätte werden müssen, dass es sich um eine rechtswidrig öffentlich zugänglich gemachte Vorlage handelte. Allerdings macht sich U in der Fallvariante a überhaupt keine Gedanken über eine mögliche Rechtswidrigkeit der Bereitstellung. Sie erkennt die Umstände nicht, die den Urheberrechtsverstoß bei der öffentlichen Zugänglichmachung begründen, sie weiß also nicht, was sie tut. Es fehlt ihr dementsprechend am Vorsatz, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Dass ihr ein Fahrlässigkeitsvorwurf zur Last fällt, ist – wie schon oben – insoweit nicht von Belang. Anders gestaltet sich die rechtliche Bewertung in der Fallvariante b: Hier zieht U einen „Hack“611 der Website durchaus in Betracht, sie rechnet also damit, dass die Zugänglichmachung unter Anwendung unlauterer Methoden erfolgt sein könnte. Dementsprechend kennt sie die tatsächlichen Umstände, die der Rechtswidrigkeit der öffentlichen Zugänglichmachung zugrunde liegen. Sie handelt also vorsätzlich. Dass sie in dem Glauben agiert, ihre Vervielfältigung sei im Rahmen des Privatgebrauchs gerechtfertigt, wirkt sich nicht auf den Vorsatz aus: Dieser Irrtum bezieht sich auf die rechtliche Bewertung des Verhaltens, weswegen U ein fehlendes Unrechtsbewusstsein zu attestieren ist – es liegt ein Verbotsirrtum vor, § 17 StGB. b) Irrtümer über die Freiheit des „sonstigen eigenen Gebrauchs“ Die Regelungen in § 53 Abs. 2 und 3 UrhG gewähren die Freiheit der Vervielfältigung zum sonstigen eigenen Gebrauch, der gegenüber dem privaten Gebrauch vor allem in der Hinsicht wesentlich weiter reicht als die Schranke des § 53 Abs. 1 UrhG, dass ein Eigengebrauch – soweit nicht die jeweils einschlägige Schranke eine Sonderregelung enthält – auch zu erwerbswirtschaftlichen Zwecken erfolgen kann und nicht zwingend durch eine Privatperson vorzunehmen ist, weswegen auch die Nutzung von Werken durch juristische Personen und deren Mitarbeiter im Rahmen des Eigengebrauchs durch § 53 Abs. 2, 3 UrhG privilegiert sein kann.612 Die zuletzt getroffenen Feststellungen zum Irrtum über die Schranke der Privatfreiheit lassen sich umfassend auch auf die weiteren Fälle des eigenen Gebrauchs übertragen. Auch insoweit handelt es sich um Schranken des Urheberrechts, die in das Blankett „in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen“ in § 106 Abs. 1 UrhG hineinzulesen sind, sodass dem Grunde nach identische Grundsätze gelten. 611 Der „Hack“ ist computersprachlich das Ergebnis des „Hackens“, also die Zugangsverschaffung zu den geschützten Inhalten einer fremden Website durch einen „Hacker“; vgl. zu diesen Erscheinungsformen der Internetkriminalität Ernst, NJW 2003, 3233; Hilgendorf/ Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, Rn. 561; Vassilaki, MMR 2006, 212. 612 Vgl. dazu Dreier/Schulze-Dreier, § 53 Rn. 18; Fromm/Nordemann-Wirtz, § 53 Rn. 23; Loewenheim-Loewenheim, § 31 Rn. 34; Wandtke/Bullinger-Lüft, § 53 Rn. 25.
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Im Folgenden sollen exemplarisch einige weitere Irrtumskonstellationen im Bereich des § 53 UrhG aufgezeigt werden. Beispielsfall a (Wissenschaft ohne gewerbliche Zwecke): Professor P ist Ordinarius für Zivilrecht an einer juristischen Fakultät. Im Rahmen seiner Forschungstätigkeit vervielfältigt er zahlreiche Werke und Ausschnitte von Werken zum wissenschaftlichen Gebrauch, um diese auch unterwegs parat zu haben, wo er oftmals am Laptop arbeitet. Daneben fertigt er unter Zuhilfenahme der kopierten Werke Gutachten für renommierte Anwaltskanzleien und private Unternehmen an, die er sich gut bezahlen lässt. Fallvariante a: P kopiert Ausschnitte geschützter Werke, die er für mehrere Zitate in einem Gutachten benötigt. Weil er vor lauter Arbeit den Überblick verloren hat und die Wissenschaft nicht mehr von seinem sonstigen Tun trennen kann, verkennt er, dass es sich bei der konkreten Arbeit nicht um eine wissenschaftliche Publikation handelt, sondern um ein kommerzielles Gutachten für eine Wirtschaftskanzlei, für dessen Anfertigung er vorzüglich entlohnt wird. Er geht daher davon aus, die Kopien zugunsten seiner wissenschaftlichen Tätigkeit anzufertigen. Fallvariante b: P kopiert dieselben Werke, wobei er sich völlig im Klaren darüber ist, dass die Kopien seinem privatgutachterlichen Zweck dienen werden. Er geht gleichwohl fest davon aus, dass er als Wissenschaftler umfassend zur Kopie berechtigt sei. § 53 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UrhG gewährt die Freiheit zur Vervielfältigung von Werken zum eigenen wissenschaftlichen Gebrauch, wenn und soweit die Vervielfältigung zu diesem Zweck geboten ist und kein gewerblicher Zweck verfolgt wird. Zweck der Regelung ist es, Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Instituten eine reibungslose Arbeit zu ermöglichen. Insofern wird den Urhebern bewusst zugemutet, auf „ihr Verbotsrecht zu verzichten.“613 Einem Missbrauch der Schrankenregelung soll in der gerichtlichen Praxis sowohl hinsichtlich des Schutzzwecks als auch hinsichtlich der konkreten Anzahl von Vervielfältigungsstücken mithilfe des Erfordernisses der Gebotenheit – einzelfallgerecht – entgegengewirkt werden.614 Problematisch erscheint innerhalb dieser Schrankenregelung vor allem das Erfordernis, dass keine gewerblichen Zwecke verfolgt werden dürfen, denn strenggenommen ist dies freilich auch in der Wissenschaft oftmals der Fall. Die Ansichten innerhalb der Rechtswissenschaft, was „noch Wissenschaft“ und was „schon nicht mehr Wissenschaft“ ist, gehen folglich stark auseinander. Eine ausgeschlossene Tätigkeit wird zumeist dann angenommen, wenn ein Professor im Rahmen einer Auftragsforschung wissenschaftlich arbeitet oder bereits dann, wenn er zur Er613
BT-Drucks. 4/270, S. 73. BT-Drucks. 4/270, S. 73; Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 53 Rn. 52; zur Überarbeitungsbedürftigkeit der „wissenschaftlichen Schrankenregelungen“ im Allgemeinen ferner die Überlegungen de lege ferenda von Schack, ZUM 2016, 266 (268 ff.), sowie die Sicht des Bundesministers für Justiz und Verbraucherschutz Maas, ZUM 2016, 207 (209) – „unverständlicher geht auch einfach nicht mehr.“ 614 Vgl.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
möglichung eigener Publikationen, die seinem zusätzlichen Verdienst dienen sollen, urheberrechtlich geschützte Werke vervielfältigt.615 Andernorts wird eine eher restriktive Auslegung des Merkmals vertreten, um den Zweck, die Wissenschaft zu fördern, nicht zu konterkarieren.616 Letztgenannter Auffassung zufolge, sollen auch „entgeltliche Auftragsarbeiten von Hochschullehrern“ einer Privilegierung nach § 53 Abs. 2 Nr. 1 UrhG durchaus zugänglich sein.617 Freilich kann diese Problematik im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht aufgelöst werden. Im Einzelnen ist diesbezüglich jedenfalls ein erhebliches Konkretisierungsbedürfnis auszumachen. Dasselbe gilt für den Begriff der Wissenschaft als solchen,618 was indes an dieser Stelle ebenfalls nicht vertieft werden soll. Im Beispielsfall verwirklicht P den objektiven Tatbestand des § 106 Abs. 1 UrhG in Gestalt der Vervielfältigung geschützter Werke. § 53 Abs. 2 Nr. 1 UrhG ist zumindest nach der als herrschend zu bezeichnenden Auffassung nicht einschlägig, weil die Zwecke, zu denen P die Kopien anfertigt, keine wissenschaftlichen, sondern solche von eigener gewerblicher Natur sind. In der Fallvariante a verkennt P dabei einen tatsächlichen Umstand, denn er erkennt schlichtweg nicht, zu welchem Zweck er gerade vervielfältigt. Es liegt dementsprechend ein Tatumstandsirrtum vor, der nach § 16 Abs. 1 StGB den Vorsatz ausschließt. Anders gestaltet sich die rechtliche Bewertung in der Fallvariante b: Hier „kennt“ P den Umstand des Erwerbszwecks. Er nimmt lediglich eine falsche rechtliche Bewertung vor, wenn er davon ausgeht, dass seine Profession ihm urheberrechtlich gesehen einen Blankoscheck zur freien Vervielfältigung von Werken verleiht. Er handelt im (für einen Professor der Rechte auch vermeidbaren) Verbotsirrtum, § 17 StGB. Beispielsfall b (Freiheit zum Privatgebrauch bei Presseerzeugnissen): Journalist J muss aus beruflichen Gründen „up to date“ bleiben, weswegen er regelmäßig Artikel aus Tageszeitungen kopiert. Weil er aber mit der Zeit gehen möchte, steigt er auf ein E-Paper um, dessen Artikel er fortan nicht nur ausdruckt, sondern in seiner „Cloud“ abspeichert. Er geht davon aus, dass diese Art der Nutzung seiner bisherigen Nutzung entspricht, die – wie er weiß – urheberrechtlich gestattet ist. § 53 Abs. 2 Nr. 4 a) UrhG gewährt die Freiheit zum sonstigen eigenen Gebrauch, wenn entweder nur kleine Teile eines erschienenen Werkes vervielfältigt werden oder es sich um einzelne Zeitungs- oder Zeitschriftenbeiträge handelt. Dies gilt nach § 53 Abs. 2 S. 3 i.V.m. S. 2 Nr. 1, 2 UrhG allerdings nur dann, wenn die Vervielfältigung auf Papier oder einem ähnlichen Träger mittels beliebiger photomechanischer Verfahren oder anderer Verfahren mit ähnlicher Wirkung vorgenommen wird (Nr. 1) oder eine ausschließlich analoge Nutzung stattfindet (Nr. 2). 615 Dreier/Schulze-Dreier, § 53 Rn. 23; Wandtke/Bullinger-Lüft, § 106 Rn. 28; das dem UrhG insoweit zugrundeliegende Ideal eines „staatlich bezahlten“ Wissenschaftlers, der „vor allem nach größtmöglicher Verbreitung, aber nicht nach dem Honorar“ strebt, betont auch Maas, ZUM 2016, 207 (211). 616 Fromm/Nordemann-Wirtz, § 53 Rn. 33. 617 Fromm/Nordemann-Wirtz, § 53 Rn. 33. 618 Vgl. Fromm/Nordemann-Wirtz, § 53 Rn. 31; Wandtke/Bullinger-Lüft, § 106 Rn. 27.
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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Kurzum: Eine digitale Vervielfältigung – wie im Beispielsfall – ist nur dann gestattet, wenn diese in eine analoge Nutzung mündet, also etwa in einen Ausdruck auf Papier, wohingegen der Scan grundsätzlich nicht privilegiert ist.619 Im Beispielsfall verwirklicht J den objektiven Tatbestand des § 106 Abs. 1 UrhG, indem er urheberrechtlich geschützte Werke vervielfältigt. Die Schranke des § 53 Abs. 2 Nr. 4 a) UrhG käme ihm hier prinzipiell ungeachtet seines verfolgten Erwerbszwecks zugute, denn er vervielfältigt Werke, die in Zeitungen veröffentlicht wurden, was im Rahmen des Eigengebrauchs, wie festgestellt, auch zu Erwerbszwecken gestattet ist. Allerdings greift die „Schranken-Schranke“ des § 53 Abs. 2 S. 3 i.V.m. S. 2 UrhG zu seinen Lasten ein, denn er stellt digitale Vervielfältigungsstücke her und nutzt diese auch digital. Hierbei unterliegt J einem Irrtum, denn er geht davon aus, dass die digitale Vervielfältigung der Analogkopie auf Papier insoweit gleichgestellt sei. Dabei weiß er in tatsächlicher Hinsicht genau, was er tut. Er irrt aber über eine Rechtsfrage, wenn er die gesetzgeberische Wertung gegen eine „digitale Kopierfreiheit“ verkennt. Er handelt also lediglich ohne Unrechtsbewusstsein, es liegt ein Verbotsirrtum vor, § 17 StGB. Beispielsfall c (Vergriffenes Werk):620 Musiker M möchte geschütztes Notenmaterial eines zeitgenössischen Popmusikers kaufen, das zu seinem Entsetzen seit einigen Wochen vergriffen ist, wie ihm ein Verkäufer mitteilt. Er entschließt sich darum, die Noten zu kopieren und geht davon aus, dass dies erlaubt sei, sobald Werke vergriffen sind. Fallvariante: M benötigt mehrere begehrte Werke. Teilweise sind diese seit über zwei Jahren vergriffen. Teilweise handelt es sich aber auch um Werke, die erst ein Jahr vergriffen sind und sich im Nachdruck befinden. Er kopiert eines derjenigen Werke, die erst seit einem Jahr vergriffen sind, aber noch nachgedruckt wird, wobei er davon ausgeht, dieses sei bereits länger vergriffen und würde nicht mehr nachgedruckt. In beiden skizzierten Konstellationen begeht M Vervielfältigungen urheberrechtlich geschützter Werke der Musik (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UrhG), die auch objektiv tatbestandsmäßig i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG sind. Insbesondere greift kein gesetzlich zugelassener Fall nach § 53 UrhG ein, denn die Vervielfältigungen sind weder als Privatgebrauch privilegiert, noch sind sie im Rahmen des sonstigen Eigengebrauchs gestattet, denn nach § 53 Abs. 4 a) UrhG steht die Vervielfältigung von graphischen Aufzeichnungen von Musikwerken unter einem grundsätzlichen Erlaubnisvorbehalt, es sei denn, die Werke werden händisch abgeschrieben, sind seit zwei Jahren vergriffen oder dienen einem privilegierten Archiv. Im Ausgangsfall geht M gleichwohl davon aus, eine „erlaubte“ Vervielfältigung vorzunehmen. Dabei kennt er den tatsächlichen Umstand, dass die Werke erst seit einigen Wochen vergriffen sind. Er handelt also vorsätzlich in Bezug auf das Nichteingreifen der 619 Vgl. BeckOK-UrhG-Grübler, § 53 Rn. 37; Dreier/Schulze-Dreier, § 53 Rn. 35; Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 53 Rn. 93; Fromm/Nordemann-Wirtz, § 53 Rn. 42. 620 Vgl. auch den Fall bei Lauer, S. 62.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Schrankenregelung – es fehlt ihm insoweit aber an Unrechtsbewusstsein.621 Anders verhält es sich in der Fallvariante: Hier geht M davon aus, ein Werk zu vervielfältigen, das länger als zwei Jahre vergriffen ist und das tatsächlich nicht mehr nachgedruckt wird. Dementsprechend verkennt er einen tatsächlichen Umstand, der zum Tatbestand gehört i.S.d. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Er handelt ohne Vorsatz. Dasselbe Ergebnis – Vorsatzlosigkeit – wäre mit Lauer und ihr zustimmend auch mit Hildebrandt bereits im Ausgangsfall anzunehmen, in dem M ganz genau weiß, was er tut und fälschlicherweise annimmt, die Vervielfältigung sei sogleich nachdem ein Werk vergriffen ist, erlaubt. Lauer erkennt zwar an, dass insoweit kein Irrtum über tatsächliche Umstände vorliegt:622 Der Täter wisse, dass er ein fremdes Werk vervielfältige, das noch nicht lange genug vergriffen sei. Allerdings müsse beim Täter „eine zutreffende Vorstellung über die Begrenztheit des Straftatbestandes vorliegen, wenn der Vorsatz erfüllt sein soll.“623 Deshalb sei ausschlaggebend, ob „der Täter des § 106 UrhG sein Verhalten als gesetzlich zugelassenen Fall der Verwertung eines fremden Werkes ansieht.“624 Warum diese Auffassung nicht zu befürworten ist, wurde bereits hinreichend dargelegt. 2. Irrtümer im Bereich des Erschöpfungsgrundsatzes, § 17 Abs. 2 UrhG § 17 Abs. 2 UrhG enthält den urheberrechtlichen „Erschöpfungsgrundsatz“. Die Vorschrift bestimmt, dass die Weiterverbreitung von Werken, die im Original oder als Vervielfältigungsstücke mit Zustimmung des Berechtigten im Wege der Veräußerung in den Verkehr gebracht wurden, mit Ausnahme der Vermietung, zulässig ist. Dieses im gesamten Immaterialgüterrecht verankerte625 Prinzip steckt dem Ausschließlichkeitsrecht des Urhebers dort eine klare Grenze, wo körperliche Werkstücke, seien dies Originale oder deren rechtmäßige Vervielfältigungsstücke, im Wege des Verkaufs an die Öffentlichkeit gelangt sind. Von diesem Zeitpunkt ab „soll der Urheber […] keine bleibende Kontrolle über die weitere Verbreitung dieses Exemplars ausüben können.“626 Hierdurch bleibt die Verkehrsfähigkeit von Werken gewahrt, für deren Nutzung dem Urheber bereits eine hinreichende Vergütung zugeflossen ist. Bei der Erschöpfung handelt es sich, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, nach vorzugswürdiger Auffassung um eine Schranke des Urheberrechts, weswegen § 17 Abs. 2 UrhG – strafrechtlich betrachtet – einen „gesetzlich zugelassenen Fall“ i.S.d. § 106 UrhG normiert.627
621 Vgl. mit derselben Aussage auch Lauer, S. 62 f., 123 f. – die allerdings gleichwohl zum Vorsatzausschluss kommt, wenn der Handelnde die Ausfüllungsnorm nicht kennt. 622 Lauer, S. 62. 623 Lauer, S. 124. 624 Lauer, S. 124. 625 Vgl. den Überblick bei Sack, GRUR Int. 2000, 610; ferner Engels, Rn. 20d, 62, 1239 ff., 1270 ff., 1322 ff. 626 Senftleben, NJW 2012, 2924 (2924).
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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Für Computerprogramme, die „als digitale Werke in besonderer Weise verletzlich sind“,628 wird der Erschöpfungsgrundsatz in demselben Umfang durch die Spezialvorschrift des § 69c Nr. 3 S. 2 UrhG gewährleistet. In der Rechtspraxis ergeben sich insoweit Besonderheiten, weil die Verbreitung von körperlichen Werkstücken im klassischen Sinne, also etwa durch Weitergabe von CD-ROMs, bei Softwareprodukten inzwischen unüblich ist. Gängig ist dagegen der (regelmäßig „freie“) Download von Computerprogrammen auf ein beliebiges Endgerät, auf dem das Programm anschließend mithilfe eines käuflich erworbenen Codes freigeschaltet wird.629 Dieser Umstand führte in der Rechtspraxis faktisch zu einer Ausweitung der Erschöpfungswirkung auch auf die Vervielfältigung und die öffentliche Wiedergabe (dazu sogleich). 627
Keine Geltung beansprucht der Erschöpfungsgrundsatz – wie sich zumindest de lege lata eindeutig aus der urheberrechtlichen Systematik ergibt – für die Verwertungsformen der Vervielfältigung und der öffentlichen Zugänglichmachung, was allerdings mit Blick auf die zunehmende Digitalisierung Probleme aufwirft. Weil die analoge Verwertung von Werken, für welche das UrhG auch in weiten Teilen entwickelt worden ist,630 zunehmend an Bedeutung einbüßt, steht zur Debatte, den Erschöpfungsgrundsatz in die „digitale Welt“ zu übertragen beziehungsweise entsprechende Prinzipien zu entwickeln.631 Insoweit besteht eine „heftige Kontroverse“,632 deren Klärung derzeit nicht abzusehen ist und die in steter Regelmäßigkeit durch neue Rechtsprechung sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene sowie durch wissenschaftlichen Fortschritt befeuert wird.633 Dieser Umstand wirkt 627 Vgl.
bereits Kapitel 3 § 3 B. III. 5.; ferner BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 31; Dreier/Schulze-Dreier, § 106 Rn. 6; Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 23; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 78. 628 Fromm/Nordemann-Czychowski, § 69c Rn. 54. 629 Vgl. Becker, ZGE 2016, 239 (242), mit dem Hinweis, dass dementsprechend hinsichtlich des Erschöpfungsgrundsatzes „in der Tat die Weitergabe der Nutzungsmöglichkeit [Hervorhebung durch d. Verf.] zum entscheidenden Gegenstand“ werde – statt der Weitergabe des verkörperlichten Werkes als solchem. 630 Leistner, JZ 2014, 846 (846). 631 Vgl. Dreier/Leistner, GRUR 2013, 881 (887 f.); Fromm/Nordemann-Czychowski, § 69c Rn. 17; Leistner, JZ 2014, 846 (846); ders., EuZW 2016, 166 (169); Senftleben, NJW 2012, 2924 (2927) – es sei „richtig, mögliche Funktionen des Erschöpfungsgrundsatzes im digitalen Umfeld auszuloten“. 632 Wandtke/Bullinger-Heerma, § 17 Rn. 27. 633 Ausdrücklich offen gelassen wurde die Frage nach einem allgemeinen „digitalen Erschöpfungsgrundsatz“ in EuGH GRUR 2012, 904 (906 f.); aktuell liegt dem EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen der niederländischen Rechtbank den Haag vor, eingereicht am 17. April 2015, Rs. C-174/15; vgl. dazu sowie umfassend zur aktuellen Diskussion de la Durantaye/Kuschel, ZGE 2016, 195; ablehnend hinsichtlich der „digitalen Erschöpfung“ bislang die nationalen Gerichte – vgl. OLG Hamburg GRUR-RR 2015, 361; OLG Hamm GRUR 2014, 853; OLG Stuttgart K&R 2012, 294; LG Berlin GRUR-RR 2009, 329; LG Berlin GRUR-RR 2014, 490.
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sich insbesondere dann auch bei der Behandlung von Irrtumsfällen aus, wenn Verwertende, bedingt durch eine unklare Rechtslage, ihr Handeln irrigerweise für rechtmäßig oder für rechtswidrig halten. Dann fallen „das Recht“ und „das Unrechtsbewusstsein“ regelmäßig auseinander, was im Strafrecht richtigerweise im Rahmen des Unrechtsbewusstseins auf Schuldebene aufgelöst wird. Zumindest nach geltendem Recht büßt der Erschöpfungsgrundsatz praktisch stark an Bedeutung ein, denn: Dürfen etwa körperliche Exemplare von Büchern, CDs, Prints von Gemälden und ausgedruckten Fotografien nach § 17 Abs. 2 UrhG und Computerspiele auf CD-ROM nach § 69c Nr. 3 S. 2 UrhG beliebig oft weitergegeben und verbreitet werden, so gilt dies prinzipiell nicht für die Vervielfältigung oder öffentliche Zugänglichmachung im Internet oder sonst unter Rückgriff auf digitale Speicher- beziehungsweise Trägermedien. Hier liegt jedoch inzwischen der Schwerpunkt der Verwertung dieser Werkformen – und gleichsam der „wundeste Punkt“ der Werke. Beispielsfall a (E-Book-Flohmarkt): Der bücherverliebte Lyriker L steigt der Umwelt zuliebe vom klassischen Buch aufs moderne E-Book um. Weil er aber Angst vor einem vollen Speicher hat und seinen „Reader“ frei von Datenmüll halten möchte, verkauft er die gelesenen E-Book-Dateien weiter, wofür er diese auf den Rechner kopiert und per E-Mail verschickt. Anschließend löscht er die Original-Dateien auf dem „Reader“. Rechtliche Probleme sieht er dabei keine, schließlich dürfe man gebrauchte Bücher auch auf dem Flohmarkt verkaufen. Die Weiterleitung eines E-Books ist, wie die skizzierte Konstellation belegt, zwangsläufig mit einem Eingriff in die Verwertungsrechte des Urhebers verbunden (dasselbe gilt für heruntergeladene Musikwerke oder Hörbuchdateien). Ein Eingreifen des Erschöpfungsgrundsatzes ist dabei in den meisten Fällen nicht denkbar. Nach zutreffender Auffassung scheidet auch eine entsprechende Anwendung auf digitale Inhalte insoweit aus.634 So liegt in den meisten denkbaren Formen der Weitergabe von E-Books notwendigerweise mindestens eine Vervielfältigung vor, wie etwa beim Speichern auf einem anderen Datenträger als dem ursprünglichen Gerät oder beim Versand der Datei per Mail.635 Dies ändert sich auch nicht dadurch, dass beispielsweise derjenige, der das „gebrauchte“ E-Book weiterleitet, seine Datei anschließend löscht, denn die körperliche Neufixierung ist dann notwendigerweise bereits erfolgt. Eine (zulässige) Verbreitung i.S.d. Urheberrechts kann dementsprechend nur in solchen Fällen vorliegen, in denen das E-Book ausschließlich in Gestalt seiner 634 Vgl. OLG Stuttgart, K&R 2012, 294 (295 f.); OLG Hamm GRUR 2014, 853 (857 ff.) – jeweils ablehnend für den Download eines Hörbuchs; LG Berlin GRUR-RR 2009, 329 (330) – keine Erschöpfung beim Download von Musik; ferner Dreier/Schulze-Schulze, § 17 Rn. 30; Jani, K&R 2012, 297 (298); zur Reformbedürftigkeit de lege ferenda Dreier/Leistner, GRUR 2013, 881 (887 f.); Leistner, JZ 2014, 846 (850 f.); zur aktuellen Diskussion Becker, ZGE 2016, 239 (240 ff.); de la Durantaye/Kuschel, ZGE 2016, 195; zu den Auswirkungen der „gemilderten“ Erschöpfung bei Computerprogrammen auf E-Books Peifer, AfP 2013, 89. 635 Jani, K&R 2012, 297 (298).
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ursprünglichen körperlichen Fixierung, also etwa auf einer Speicherkarte, weitergegeben wird. Dieser Fall dürfte in der Praxis allerdings deshalb nicht vorkommen, weil E-Books in der Regel heruntergeladen werden, also die – durch den Urheber genehmigte – Erstfixierung in der Regel durch den Download auf die Festplatte eines Endgeräts (E-Book-„Reader“, Tabletcomputer, Smartphone) erfolgt.636 Wird also nicht das Endgerät selbst weitergegeben, bedarf es in allen Fällen der Weiterleitung eines E-Books zwingend einer Vervielfältigung der Datei. Dementsprechend trifft die Aussage zu, dass es schlichtweg „keinen Flohmarkt für gebrauchte E-Books“637 geben kann. Im Beispielsfall geht der Lyriker L fälschlicherweise davon aus, dass er durch seine Handlung keine fremden Urheberrechte verletzt. Dieser Schluss basiert indes nicht auf einer falschen Tatsachenkenntnis, denn L weiß genau, was er tut. Insbesondere weiß er um die Tatsachen, die seine Handlung zur Vervielfältigung machen, denn er erfasst ganz korrekt, dass das Werk nach dem Versand der E-Mail an einem anderen Ort verfügbar sein wird. Genau hierauf kommt es ihm schließlich auch an. Er legt das Urheberrecht aber zu weit – und damit falsch – aus, es fehlt ihm dementsprechend an der Einsicht, Unrecht zu tun, § 17 StGB. Es liegt ein Verbotsirrtum vor. Ob dieser Irrtum im konkreten Fall vermeidbar war oder nicht, hängt freilich von weiteren Tatsachenfeststellungen ab. Allerdings kann an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass eine derartig unklare und in der Entwicklung befindliche Rechtslage, wie sie aktuell im Bereich der digitalen Verwertung in Bezug auf den Erschöpfungsgrundsatz vorherrscht, durchaus täterbegünstigend herangezogen werden kann (und in vielen Fällen auch muss), um eine Unvermeidbarkeit des Irrtums zu begründen. Dies gilt insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass höchstrichterlich bei Computerprogrammen inzwischen das Gegenteil der soeben zitierten Ansicht angenommen wird, wie sich anhand des folgenden Beispielsfalls veranschaulichen lässt. Beispielsfall b (Softwarelizenz): Rechtsanwalt R lädt sich eine Kanzleisoftware aus dem Internet herunter und erwirbt eine zeitlich unbegrenzte Softwarelizenz für das Computerprogramm. Ein Jahr später geht er in Rente und verkauft die „gebrauchte“ Software an einen jüngeren Kollegen, der sich andernorts gerade selbstständig macht. Seine Softwareversion löscht er anschließend. Er geht zwar davon aus, möglicherweise fremde Urheberrechte zu verletzen, sieht es aber auch nicht ein, das soeben erworbene Produkt „einfach so verfallen“ zu lassen. Wie bereits erwähnt wurde, gilt der Erschöpfungsgrundsatz gemäß § 69c Nr. 3 S. 2 UrhG auch für Computerprogramme, deren Verbreitung (mit Ausnahme der Vermietung) also urheberrechtlich „frei“ ist, soweit das konkrete „Vervielfältigungsstück eines Computerprogramms“ mit Zustimmung des Rechtsinhabers im Wege der Veräußerung in den Verkehr gebracht worden ist. Das Prinzip ist also auch in diesem Bereich – zumindest dem Grunde nach – klar auf die Verbreitung, 636 637
Vgl. nur Kuß, K&R 2012, 76 (77, 79 f.). Jani, K&R 2012, 297 (297).
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
also die Weitergabe von körperlichen Fixierungen nach § 17 UrhG beschränkt. Hiervon machen der EuGH638 und ihm folgend auch der BGH639 inzwischen aber eine Ausnahme bei Computerprogrammen (nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG sind diese als Sprachwerke einzustufen). Bei diesen Werken soll eine Erschöpfung auch dann eintreten, wenn ein Werk zunächst aus dem Internet heruntergeladen (also vervielfältigt!) und mittels Freischaltcodes aktiviert wird („Online-Erstverbreitung“640) und anschließend das auf diese Weise körperlich festgehaltene Werk unter Anfertigung einer Kopie gleichsam „verbreitet“ wird. Die Erschöpfungswirkung ist bei Computerprogrammen somit nicht mehr bloß auf die körperliche Weitergabe von käuflich erworbenen Werkstücken beschränkt. Im Einzelnen sind hier diverse Sachverhaltsgestaltungen denkbar. Diejenige Konstellation, die einer „echten“ Verbreitung i.S.d. § 17 UrhG insoweit am nächsten kommt, ist dabei jene, in der eine (zuvor rechtmäßig hergestellte) Kopie des Werks – wie im skizzierten Beispielsfall – weitergegeben und die ursprüngliche Version gelöscht wird. Dann lässt sich zumindest wirtschaftlich betrachtet kein Unterschied zur Verbreitung einer auf CD-ROM in den Verkehr gebrachten Version des Werks ausmachen. Die Erweiterung des Erschöpfungsgrundsatzes auf Vervielfältigungen wird durch den BGH sodann auch begründet mit einer solchermaßen „gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise.“641 In seiner jüngsten Rechtsprechung entschied der BGH indes noch weitergehend, dass die Erschöpfung sogar hinsichtlich weiterer, im Einzelnen erst noch anzufertigender Kopien eines Computerprogramms eintreten könne, wenn der Vervielfältigende etwa über mehrere Nutzungslizenzen verfüge, und zwar unabhängig davon, ob die „Verbreitung“ der Kopien anschließend auf körperlichem oder unkörperlichem Wege erfolge.642 Entsprechend müssten dann auch Fälle zu beurteilen sein, in denen der Inhaber einer Softwarelizenz zulässigerweise Sicherungskopien seines Computerprogrammes herstellt: Im Rahmen des Verbreitungsrechts ist grundsätzlich nur die Weitergabe des Originalprodukts vom Erschöpfungsgrundsatz gedeckt, § 17 Abs. 2 UrhG, denn nur dieses ist im Wege der Veräußerung auf den Markt gebracht worden. Etwas anderes gilt dann, wenn mehrere Lizenzen Gegenstand des Softwarelizenzvertrages waren – dann muss auch eine Verbreitung mehrerer Werkstücke vom Erschöpfungsgrundsatz gedeckt sein, solange der Verwertende die Anzahl der ihm eingeräumten Lizenzen nicht übersteigt. Im Beispielsfall ist zunächst das objektive Tatbestandsmerkmal der Vervielfältigung eines urheberrechtlich geschützten Werkes i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG erfüllt, 638 EuGH GRUR 2012, 904; vgl. auch die Anmerkung von Hansen/Wolff-Rojczyk, GRUR 2012, 908; ferner Becker, ZGE 2016, 239 (241 ff.). 639 BGH GRUR 2014, 264; BGH GRUR 2015, 772; vgl. auch die Anmerkungen von Stieper, GRUR 2014, 270 und Sattler, GRUR 2015, 779; ferner Becker, ZGE 2016, 239 (241 ff.); J. B. Nordemann/Waiblinger, NJW 2016, 772 (773 f.). 640 Wandtke/Bullinger-Heerma, § 17 Rn. 27. 641 BGH GRUR 2015, 772 (775); vgl. auch bereits BGH GRUR 2014, 264 (268 f.). 642 BGH GRUR 2015, 772 (775).
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allerdings greift objektiv zugunsten des Handelnden ein gesetzlich zugelassener Fall ein, denn er durfte die Software angesichts der eingetretenen Erschöpfung tatsächlich auch auf diesem Wege vervielfältigen. Dies weiß dieser allerdings nicht. Weil er gleichwohl alle tatsächlichen Umstände des Sachverhalts kennt und nur von einer falschen Rechtslage ausgeht, stellt sich sein umgekehrter Irrtum als fehlendes Unrechtsbewusstsein heraus, er handelt also im Wahndelikt – und bleibt straffrei. Beispielsfall c (Falscher Film): Cineast C verfügt über eine gut ausgestattete DVD-Sammlung. Die meisten dieser Werke hat er käuflich erworben. Außerdem leiht er sich regelmäßig Filme in der örtlichen Gemeindebibliothek aus, um diese für sich zum Privatgebrauch zu „brennen“. Weil ihm der Platz langsam ausgeht, entschließt er sich, einige seiner Original-DVDs zu verkaufen und bietet deshalb diverse Filme in einer Facebook-Gruppe zum Verkauf an. Darunter befinden sich aber auch einige Werke, die er einmal entliehen und gebrannt hatte, was ihm beim Erstellen des Inserats aber nicht auffällt, weil er den Überblick verloren hat. In dieser Konstellation erfüllt C hinsichtlich der Vervielfältigungsstücke der entliehenen DVDs den objektiven Tatbestand einer Verbreitung in Gestalt des öffentlichen Anbietens, §§ 106, 17 Abs. 1 UrhG. Während die Weiterveräußerung der käuflich erworbenen Filme durch den Erschöpfungsgrundsatz gedeckt ist, § 17 Abs. 2 UrhG, tritt bezüglich der Vervielfältigungsstücke keine Erschöpfung ein: Dies ergibt sich erstens aus § 17 Abs. 2 UrhG, der ausdrücklich nur solche Werkstücke erfasst, die im Wege des Verkaufs in den Verkehr gelangt sind. Darüber hinaus bestimmt § 53 Abs. 6 S. 1 UrhG, dass (die auch in dieser Konstellation durch § 53 Abs. 1 UrhG legitimierten) Privatkopien weder verbreitet, noch zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden dürfen. Allerdings bemerkt C gar nicht, dass er auch Vervielfältigungsstücke oder entliehene DVDs feilbietet. Er kennt damit einen Umstand nicht, der einem Eingreifen des Erschöpfungsgrundsatzes entgegensteht – und damit zum Tatbestand gehört i.S.d. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. C handelt also ohne Vorsatz. 3. Irrtümer im Bereich der Schutzfrist, §§ 64 ff. UrhG Die Schutzfrist für urheberrechtlich geschützte Werke erlischt nach § 64 UrhG grundsätzlich 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers („post mortem auctoris“, p. m. a.). Nach Ablauf dieser Frist tritt Gemeinfreiheit ein, was bedeutet, dass jeder Dritte zustimmungs- und vergütungsfrei in der Weise auf das Werk zugreifen kann, die zuvor dem Urheber exklusiv vorbehalten war.643 Wie bereits festgestellt wurde,644 handelt es sich hierbei um eine Schranke des Urheberrechts, sodass mit Fristablauf zugunsten der Handelnden ein „gesetzlich zugelassener Fall“ nach § 106 Abs. 1 UrhG eingreift. Steht das Urheberrecht mehreren Miturhebern zu, so entscheidet der Tod des Längstlebenden, § 65 Abs. 1 UrhG. Besonderheiten gelten nach § 65 Abs. 2, 3 643 Dreier/Schulze-Dreier, 644
Vgl. Kapitel 3 § 3 C.
Vor § 64 Rn. 2.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
UrhG für Filmwerke und Musikkompositionen, die regelmäßig mehrere schutzfähige Elemente enthalten, die von unterschiedlichen Urhebern stammen. Hier entscheidet jeweils der Tod des längstlebenden „Hauptakteurs“ der betreffenden Werke, wobei § 65 UrhG jeweils eine abschließende Aufzählung liefert. Die §§ 66, 67 UrhG enthalten Sonderregelungen für anonyme und pseudonyme Werke sowie für Lieferungswerke, die in mehreren Teilen veröffentlicht werden. § 69 UrhG bestimmt, dass die Fristen abweichend von den §§ 187 ff. BGB mit Ablauf des Kalenderjahres beginnen, in welches das maßgebende Ereignis (also regelmäßig der Tod des Urhebers) fällt. Beispielsfall (Falsche Frist): V ist Vorstand im Musikverein und plant für das anstehende Winterkonzert, Noten eines Werks eines erst kürzlich verstorbenen Komponisten an die aktiven Musikanten zu Probezwecken auszugeben. Er geht davon aus, dass er die Noten nach dem Tod des Komponisten nunmehr unproblematisch kopieren dürfe. Fallvariante: V geht zutreffend davon aus, dass nach dem Tod zunächst 70 Jahre verstreichen müssen ehe das Werk urheberrechtlich „frei“ wird. Weil er sich verrechnet, geht er fälschlicherweise davon aus, dass der Komponist in seinem konkreten Fall schon über 70 Jahre tot sei, während dieser tatsächlich erst 65 Jahre zuvor verstorben war. In den skizzierten Konstellationen begeht V tatbestandsmäßige Vervielfältigungen urheberrechtlich geschützter graphischer Aufzeichnungen von Werken der Musik, soweit keine Einwilligung der Rechtsinhaber vorliegt, § 53 Abs. 4 a) UrhG. Seine Handlungen sind dann objektiv tatbestandsmäßig nach § 106 Abs. 1 UrhG. Etwas anderes würde dann gelten, wenn die Schutzfrist der Werke abgelaufen wäre, denn die Grenze des § 64 UrhG gilt für alle Werke, sodass auch Notenmaterial – trotz der Spezialregelung in § 54 Abs. 4 a) UrhG – 70 Jahre post mortem auctoris grundsätzlich gemeinfrei wird. Allerdings ist diese Frist in den skizzierten Konstellationen objektiv betrachtet noch nicht abgelaufen, sodass der Schutz fortbesteht. Sowohl im Beispielsfall als auch in der Fallvariante irrt sich V aber darüber, dass das geschützte Musikwerk noch dem Schutz des Urheberrechts unterliegt. Während dieser Irrtum im Ausgangsfall bei voller Tatsachenkenntnis auf einer falschen Einschätzung der Rechtslage beruht, fußt der Irrtum in der Fallvariante auf dem Irrglauben, dass der Komponist tatsächlich schon seit 70 Jahren verstorben sei. Weil der Todeszeitpunkt indes einen tatsächlichen Umstand darstellt, unterliegt V in der Fallvariante also einem Tatumstandsirrtum, § 16 StGB. Im Ausgangsfall dagegen legt V das Urheberrecht falsch aus, wenn er denkt, gleich nach dem Tod seien die Werke gemeinfrei. Es handelt sich somit um einen Fall fehlenden Unrechtsbewusstseins – und damit um einen Verbotsirrtum, § 17 StGB.
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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III. Fazit zum Irrtum über die Schrankenregelungen des UrhG Dass die vorliegende Arbeit keine erschöpfende Darstellung von Irrtumskonstellationen zu allen urheberrechtlichen Schrankenregelungen leisten kann, wurde bereits erwähnt. Dies ist angesichts der klaren Ergebnisse der vorstehenden Untersuchung auch nicht vonnöten, denn: Wenn ein Fehlen des Unrechtsbewusstseins konsequent dem Verbotsirrtum vorbehalten bleibt, ergeben sich auch bei Blankettverweisungen, wie etwa in § 106 Abs. 1 UrhG mit dem Verweis auf die gesetzlich zugelassenen Fälle, keinerlei Abgrenzungsschwierigkeiten. In diesem Lichte erscheint es insbesondere als verfehlt, mit Lauer und Hildebrandt anzunehmen, dass ein Vorsatz in Bezug auf das Nichteingreifen eines gesetzlich zugelassenen Falles i.S.d. § 106 UrhG nur dann anzunehmen sei, wenn der Täter den Inhalt der Ausfüllungsnorm gekannt hat. Dies würde doch bedeuten, dass der Täter die Vorschrift kennen muss, die in seinem konkreten Fall gerade nicht zu seinen Gunsten eingreift. Lauer fordert ganz eindringlich, dass „im Falle der Verkennung der §§ 45 ff. UrhG der Vorsatz bei § 106 UrhG entfällt, da durch die Verweisung […] die Bezugsnormen nicht präzise bezeichnet werden.“645 Hierdurch wird jedoch die durch die §§ 16, 17 StGB getroffene gesetzgeberische Entscheidung ganz bewusst ausgeblendet, denn ein fehlendes Unrechtsbewusstsein würde bei dieser Betrachtungsweise stets den Vorsatz ausschließen. Dieser, zugegebenermaßen krasse Bruch mit dem schuldtheoretischen Verständnis, ist nicht zu befürworten. Er muss auch nicht um der Gerechtigkeit willen in Kauf genommen werden, wenn nur auf Schuldebene die Vermeidbarkeit nicht übermäßig streng gehandhabt wird – was im Schrifttum, wie erwähnt, ohnehin vehement gefordert wird.646 Die vorstehend erörterten Irrtumskonstellationen zeigen darüber hinaus, dass sich der Irrtum über das Eingreifen einer Schrankenregelung in der Praxis tendenziell als Verbotsirrtum entpuppt, wenngleich Tatumstandsirrtümer nicht ausgeschlossen sind. Die meisten in der Praxis denkbaren Sachverhalte werden in Bezug auf die gesetzlich zugelassenen Fälle in der Form auftreten, dass ein Handelnder schlichtweg davon ausgeht, dass sein Handeln – aus welchen Gründen auch immer – erlaubt sei, dass er dabei aber alle tatsächlichen Umstände kennt, die den objektiven Tatbestand erfüllen. Wie das Beispiel der Verbreitung von privat „gebrannten“ CDs zeigt, ist durchaus auch die Konstellation denkbar, dass ein Täter die Reichweite oder den Anwendungsbereich einer Schranke überdehnt, etwa indem er eine Verbreitung durch § 53 Abs. 1 UrhG gedeckt sieht, wo diese Schranke doch nur das Vervielfältigungsrecht beschränkt, oder dass ein Täter ganz allgemein darüber irrt, was „privat“ oder was als gewerblich anzusehen ist. Insofern ist ebenfalls eine Tendenz zum fehlenden Unrechtsbewusstsein auszumachen, denn die Konstellation, dass ein Handelnder nicht weiß, was er tut, wenn er ein Werk verwertet und dabei den gesetzlich gesteckten Rahmen einer Schranke überschreitet, ist nur schwer vorstellbar. 645 646
Lauer, S. 125. Vgl. Kapitel 2 § 3 A. II. 3. sowie Kapitel 2 § 3 D. II. 2. d).
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
D. Irrtümer über das Merkmal „ohne Einwilligung des Berechtigten“ Die ansonsten tatbestandsmäßige Verwertung eines urheberrechtlich geschützten Werks wird erst dadurch zu einer unerlaubten, dass sie ohne Einwilligung des Berechtigten erfolgt, § 106 Abs. 1 UrhG. Dass in Bezug auf dieses Merkmal der Strafvorschrift Irrtümer infrage kommen, liegt auf der Hand. So dürfte doch der Gedanke eines Handelnden, dass ein Urheber mit der Verwertung seines Werkes einverstanden sei, gewiss kein ausschließlich rechtsdogmatisches Konstrukt darstellen, sondern vielmehr auch im realen Leben vorkommen. Man denke nur an die vollen Hallen bei Live-Konzerten oder zehntausende Besucher von Musikfestivals: Spätestens seit dem Siegeszug des Smartphones ist es gang und gäbe, bei solchen Veranstaltungen ein kurzes Video aufzunehmen. Nicht weniger üblich ist es heutzutage, das Video gleich anschließend in ein soziales Netzwerk „hochzuladen“ oder es auf youtube.com zu veröffentlichen, um es mit „Freunden“ zu „teilen“. Ebenso wahrscheinlich ist, dass ein solchermaßen veröffentlichtes Video anschließend weiter „geteilt“ (also u.U. öffentlich zugänglich gemacht) oder heruntergeladen (also vervielfältigt) wird. Kurzum: Die „virale Gefahr“ für das Urheberrecht ist überdeutlich. Dass alle skizzierten Handlungen gleichermaßen strafrechtlich relevante Verletzungen des Urheberrechts darstellen können, wurde bereits erörtert. Vielfach werden die Betreffenden jedoch davon ausgehen, dass eben diese Aktionen durch den Willen von Künstlern oder Veranstaltern etc. gedeckt sind, im rechtlichen Sinne also eine „Einwilligung“ vorliegt. Vielfach werden sie sich darüber auch überhaupt keine Gedanken machen. In dogmatischer Hinsicht herrscht Uneinigkeit über die Einordnung des Merkmals „ohne Einwilligung des Berechtigten“ in § 106 Abs. 1 UrhG. Weil es sich insofern um richtungsweisende Aspekte für die praktische Behandlung von Irrtümern handelt, wird das Merkmal im Folgenden zunächst strafrechtsdogmatisch eingeordnet (I.). Sodann werden einige einschlägige Irrtumskonstellationen erörtert (II.). I. Dogmatische Einordnung des Merkmals 1. Die „herrschende Ansicht“: Einordnung als Element der Rechtswidrigkeit Das Merkmal der Einwilligung in § 106 UrhG wird innerhalb der urheberrechtlichen Literatur weitestgehend als ein solches der Rechtswidrigkeit betrachtet, dessen Vorliegen demgemäß rechtfertigende, nicht hingegen tatbestandsausschließende Wirkung entfaltet.647 Diese Sichtweise deckt sich mit dem allgemeinen straf647 H.M., vgl. Dreier/Schulze-Dreier, § 106 Rn. 8; Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 35; Heinrich, Strafbarkeit, S. 260; Hilgendorf/Valerius, Computerund Internetstrafrecht, Rn. 693; Kircher, S. 163 f.; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 115; U. Weber, S. 267; offenlassend Dreyer/Kotthoff/Meckel-Kotthoff, § 106 Rn. 7.
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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rechtlichen Begriffsverständnis, wonach mit einer Einwilligung i.d.R. die rechtfertigende Einwilligung gemeint ist.648 Vereinzelt wird im strafrechtlichen Schrifttum auch die Auffassung vertreten, dass die Einwilligung ebenso wie das Einverständnis immer den Tatbestand ausschließe, also nie rechtfertigend wirke.649 Dies soll indes nicht tiefergehend untersucht werden – wenngleich es zugegebenermaßen praktisch erschiene, mit der erwähnten Lehre der Einwilligung i.R.d. § 106 UrhG von vornherein tatbestandsausschließende Wirkung beimessen zu können.650 Das zivilrechtliche Äquivalent zur strafrechtlichen Einwilligung ist die vorherige Zustimmung i.S.d. § 183 S. 1 BGB. Es handelt sich hierbei um ein einseitiges, empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft.651 Teilweise wird der Begriff der Einwilligung im gesamten Urheberrecht ausschließlich in diesem Sinne gedeutet, also auch in Bezug auf die Einwilligung innerhalb der Strafvorschrift des § 106 UrhG.652 Dieses Verständnis ist deshalb problematisch, weil damit das strafrechtliche Institut der rechtfertigenden Einwilligung formell den zivilrechtlichen Erfordernissen entsprechen müsste, mithin stets eine Geschäftsfähigkeit des Einwilligenden vonnöten wäre.653 Dies erweist sich indes als problematisch, denn, wie bereits erörtert wurde, ist die Fähigkeit, Urheber von Werken zu sein, nicht abhängig vom Erreichen einer Altersgrenze.654 Ein Gleichlauf von Straf- und Zivilrecht ist in diesem Zusammenhang auch nicht zwingend herzustellen, vielmehr ist die strafrechtliche Einwilligungsfähigkeit nach herrschender Auffassung unabhängig vom zivilrechtlichen Begriff zu erörtern.655 Dies wird im urheberrechtlichen Schrifttum überwiegend ebenso beurteilt.656 Allerdings wird ebenfalls zutreffend darauf hingewiesen, dass die strafrechtlich relevante Einwilligung „in der Regel durch eine zivilrechtliche Einräumung eines entsprechenden Nutzungsrechts erteilt“ wird.657 Abweichend von der herrschenden Meinung finden sich im urheberrechtlichen Schrifttum aber auch einige Stimmen, die einer Einordnung der „Einwilligung 648 Vgl. Frister, AT, 5. Kapitel Rn. 4 ff.; Heinrich, AT, Rn. 438, 453 ff.; Kühl, AT, § 9 Rn. 20 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 550 ff. 649 Vgl. Roxin, AT I, § 13 Rn. 11 Fn. 19 m.w.N., der das tatbestandsausschließende Einverständnis und die rechtfertigende Einwilligung unter dem Begriff der Einwilligung zusammenfasst und als ausschließlich tatbestandsausschließendes Instrument behandelt. 650 Vgl. zur vorliegend befürworteten Lösung Kapitel 3 § 3 D. I. 4. c). 651 Müko-BGB-Bayreuther, 7. Aufl., § 182 Rn. 1 ff.; Jauernig-Mansel, § 182 BGB Rn. 1 f. 652 In diesem Sinne wohl Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 36. 653 Vgl. Müko-BGB-Bayreuther, 7. Aufl., § 182 Rn. 3. 654 Vgl. bereits Kapitel 3 § 3 A. I. 1. a) bb). 655 RGSt 41, 392 (396); BGHSt 4, 88 (90); Schönke/Schröder-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor § 32 Rn. 39. 656 BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 35; Hildebrandt, S. 241; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 117; Reinbacher, S. 135; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 24. 657 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 117.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
des Berechtigten“ in § 106 UrhG als Rechtswidrigkeitsmerkmal entgegentreten. Wiederum andere setzen sich zumindest für Modifizierungen ein. Die Erörterung dieser Auffassungen ist deshalb von praktischer Bedeutung, weil sich aus ihnen unterschiedliche Resultate ergeben können,658 und zwar insbesondere bei der Lösung von Irrtumsfällen. Denn: Unter der Annahme, dass die Einwilligung einen Rechtfertigungsgrund darstellt, wären Irrtümer über deren Vorliegen als (richtigerweise analog § 16 StGB den Vorsatz ausschließende)659 Erlaubnistatumstands irrtümer zu betrachten, während eine Einordnung der Einwilligung in § 106 UrhG als Tatbestandsmerkmal in den meisten Fällen (dazu sogleich) dazu führen würde, dass der irrtümliche Glaube an das Vorliegen einer Einwilligung entweder ein Tat umstands- oder ein Verbotsirrtum wäre. Aus der Perspektive der Irrtumslehre – und damit der Lehren über Vorsatz und Schuld – ist bei den im Folgenden erörterten Auffassungen zum Erfordernis einer fehlenden Einwilligung in § 106 UrhG stets die folgende Frage einschlägig: Beseitigt das Vorliegen einer Einwilligung des Berechtigten i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG bereits das tatbestandliche Unrecht oder erst die Rechtswidrigkeit?660 Erst hieran anknüpfend kann die Frage beantwortet werden, wie sich ein Irrtum eines Handelnden in Bezug auf das Merkmal der Einwilligung auswirkt. 2. Einordnung ausschließlich als Merkmal des Tatbestandes Eine breite Meinung innerhalb des urheberrechtlichen Schrifttums ist der Auffassung, dass das Vorliegen einer Einwilligung des Berechtigten bereits die Tatbestandsmäßigkeit beseitigt.661 Dies wird damit begründet, dass ein Ausschluss der Strafbarkeit immer dann schon auf Tatbestandsebene erfolgen müsse, wenn ein Tatbestand „ausdrücklich oder sinngemäß ein Handeln gegen oder ohne den Willen des Verletzten voraussetzt, sog. tatbestandsausschließendes Einverständnis [Hervorhebung durch d. Verf.].“662 Eben dies liege bei § 106 UrhG vor. Der Unwertgehalt einer Tat nach § 106 UrhG ergebe sich überhaupt erst daraus, dass eine Verwertungshandlung ohne „rechtsgeschäftliche Einräumung eines Nutzungsrechts oder schuldrechtliche Einwilligung erfolgt.“663 Andernorts wird damit arHildebrandt, S. 145. Vgl. zur Lösung des Erlaubnistatumstandsirrtums bereits Kapitel 2 § 3 A. III. 660 Vgl. zur ähnlich gelagerten Problematik bei Irrtümern über tatbestandliche Genehmigungserfordernisse BGH NStZ 1993, 594 (595) sowie die zugehörige Urteilsanmerkung von Puppe, NStZ 1993, 595 (596); ferner Tiedemann, ZStW 81 (1969), 869 (879). 661 Achenbach/Ransiek/Rönnau-A. Nordemann, Teil 11 Kapitel 1 Rn. 83; Erbs/Kohlhaas-Kaiser, 208. Lfg., § 106 UrhG Rn. 25, 32; Graf/Jäger/Wittig-Ernst, Nr. 765 UrhG § 106 Rn. 85; Rochlitz, S. 134 ff., 139; Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 27 f.; wohl auch Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 36, allerdings unter dem Titel „Rechtswidrige Urheberrechtsverletzung“. 662 Achenbach/Ransiek/Rönnau-A. Nordemann, Teil 11 Kapitel 1 Rn. 83. 663 Erbs/Kohlhaas-Kaiser, 208. Lfg., § 106 UrhG Rn. 25. 658 Vgl. 659
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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gumentiert, dass Verwertungshandlungen grundsätzlich „sozialadäquat“664 seien. Die gesonderte Erwähnung der Einwilligung könne deswegen nur bedeuten, dass einer Verwertungshandlung erst dann strafrechtliche Relevanz zukomme, wenn diese gegen den Willen eines Berechtigten erfolge.665 Überdies sei eine einheitliche Auslegung des Begriffs der „Einwilligung“ im Lichte eines einheitlichen zivil- und strafrechtlichen Urheberrechtsschutzes geboten.666 All diese Begründungen steuern ersichtlich in dieselbe Richtung, denn ihnen allen wohnt der Gedanke inne, dass ein tatbestandsmäßiges Handeln immer und ausschließlich nur gegen den Willen des Berechtigten möglich ist, weswegen ein Ausschluss der Strafbarkeit „erst“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit in diesen Fällen als ungerecht empfunden wird. 3. „Doppelfunktion“:667 Rechtfertigende Einwilligung sowie Tatbestandsausschluss Stark vertreten sind im Schrifttum weiterhin Stimmen, die zwar prinzipiell einverstanden sind mit der Existenz einer „klassischen“ rechtfertigenden Einwilligung auch im Urheberstrafrecht, welche jedoch der Formulierung des § 106 Abs. 1 UrhG eine weitere Funktion entnehmen. In Anknüpfung an Hildebrandt668 wird der Wortkette „ohne Einwilligung des Berechtigten“ inzwischen von zahlreichen Autoren eine „Doppelfunktion“669 zugeschrieben: So solle durch das Merkmal einerseits „hingewiesen werden“670 auf die Möglichkeit einer strafrechtlichen, rechtfertigenden Einwilligung. Insoweit folgen diese Stimmen also der zuerst genannten Auffassung, wonach einer Einwilligung des Berechtigten rechtfertigende Wirkung beizumessen sei. Daneben müsse der urheberrechtlichen „Einwilligung“ allerdings die zusätzliche Funktion beigemessen werden, eine Verwirklichung des Straftatbestandes durch Berechtigte bereits auf Tatbestandsebene auszuschließen.671 Das Merkmal soll also nicht nur auf einen Rechtfertigungsgrund hinweisen, sondern überdies den Kreis tauglicher Täter eingrenzen.
664 Schricker/Loewenheim-Haß,
§ 106 Rn. 28. § 106 Rn. 28. 666 Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 28. 667 Terminologie begründet von Hildebrandt, S. 145 ff., insb. 149. 668 Vgl. die ausführliche Begründung der Theorie einer „Doppelnatur“ bei Hildebrandt, S. 145 ff. 669 Hildebrandt, S. 150 f.; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 24; zustimmend BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 33; Heghmanns, GA 2003, 240 (241); Wandtke-Dietz, Kapitel 11 Rn. 11; wohl auch Fromm/Nordemann-Ruttke-Scharringhausen, § 106 Rn. 25. 670 Hildebrandt, S. 151. 671 Vgl. BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 33; Hildebrandt, S. 149; Wandtke/ Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 24. 665 Schricker/Loewenheim-Haß,
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
a) Vorab: Trennung von Nutzungsberechtigung und Einwilligungsberechtigung Die an dieser Stelle geführte Diskussion wird augenscheinlich erschwert durch eine uneinheitliche Terminologie, wobei sich die Auffassungen im Ergebnis oftmals kaum unterscheiden. Um die existierenden Auffassungen gleichsam „zusammenzubringen“, bedarf es einer etwas tiefergehenden Erörterung des vorhandenen Schrifttums. Im Lager derjenigen, die sich für eine Doppelfunktion der Einwilligung aussprechen, wird nicht immer zweifelsfrei nachvollziehbar kommuniziert, welcher Kreis von „Berechtigten“ als Täter auf Tatbestandsebene ausgesondert werden soll. Insoweit ist kein Konsens bezüglich der Frage auszumachen, um welche Berechtigung genau es gehen soll – was offensichtlich daran liegt, dass die Erörterung dieser Frage stets in einem Zug mit einer anderen Problematik erfolgt, nämlich zusammen mit der Frage, wer überhaupt eine Einwilligung im urheberrechtlichen Sinne erteilen darf, wer also als Einwilligungs-Berechtigter i.S.d. § 106 UrhG infrage kommt. Letztgenannte Berechtigung, also die Befugnis zur Erteilung einer Einwilligung im Sinne des Urheberrechts, steht ausschließlich dem Urheber oder dessen Rechtsnachfolgern sowie dem Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts unstreitig zu.672 Der Inhaber eines einfachen Nutzungsrechts (§ 31 Abs. 2 UrhG) ist i.d.R. nicht per se einwilligungsberechtigt im Rahmen des ihm eingeräumten Rechts, vielmehr bedarf es hierfür mindestens – wenn diese Konstellation überhaupt anerkannt wird – einer ausdrücklichen Abrede im Rahmen der Einräumung des einfachen Nutzungsrechts.673 Ausdrücklich hiervon zu trennen – also von der Frage, wer über die Berechtigung verfügt, eine Einwilligung i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG zu erteilen – ist die Frage der Nutzungsberechtigung, also die Frage, wer Verwertungs-Berechtigter ist (etwa, weil ihm ein Recht nach §§ 31 ff. UrhG eingeräumt wurde – oder weil er schlicht selbst der Urheber des betreffenden Werkes ist). Solche Nutzungsberechtigungen sind in vielfältiger Weise, also auch stark eingeschränkt einräumbar und dementsprechend qualitativ nicht per se vergleichbar mit der Urheberschaft oder einem ausschließlichen Nutzungsrecht.
672 Achenbach/Ransiek/Rönnau-A. Nordemann, Teil 11 Kapitel 1 Rn. 84; BeckOK-UrhGSternberg-Lieben, § 106 Rn. 33; Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 25; Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 37; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 116; Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 29; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 24, 26. 673 Vgl. Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 116; restriktiver wohl Fromm/ Nordemann-Ruttke-Scharringhausen, § 106 Rn. 25; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 26; ausdrücklich ablehnend bzgl. einfacher Nutzungsrechte Achenbach/ Ransiek/Rönnau-A. Nordemann, Teil 11 Kapitel 1 Rn. 85.
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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b) „Doppelfunktion“ zugunsten aller Nutzungsberechtigter Die Theorie der „Doppelfunktion“ nach Hildebrandt geht nun davon aus, dass auf Tatbestandsebene zu prüfen ist, ob ein Handelnder selbst Urheber ist oder ob er sich mit seiner Verwertungshandlung eventuell im Rahmen eines ihm eingeräumten – ausschließlichen oder einfachen – Nutzungsrechts bewegt, also ob er in irgendeiner, auch nur in beschränkter Weise, Nutzungsberechtigter ist.674 Diese Frage ist unter Heranziehung der zivilrechtlichen Regelungen zu beantworten. Handelt der potenzielle Täter also im Rahmen seiner zivilrechtlichen Befugnisse, liegt nach dieser Auffassung auch strafrechtlich kein tatbestandliches Unrecht vor, egal ob es sich um ein ausschließliches oder einfaches Nutzungsrecht handelt. Zuvorderst scheiden nach dieser Auffassung also der Urheber, seine Rechtsnachfolger sowie die Inhaber ausschließlicher Nutzungsrechte als Täter aus, welche sich selbstverständlich niemals selbst eine Einwilligung erteilen werden, sondern bereits kraft ihrer Voll-Inhaberschaft des Rechts umfassend verwertungsbefugt sind. Anders gestaltet sich die Lage bei den Inhabern von (nur) einfachen Nutzungsrechten. Diesen gegenüber liegt regelmäßig eine wirksame (zivilrechtliche) vorherige Zustimmung (§ 183 BGB) seitens des Urhebers in Bezug auf bestimmte Verwertungen vor – also eine Einwilligung nach § 106 UrhG. Hier wirkt sich die Auffassung von Hildebrandt tatsächlich aus: Denn die Inhaber von einfachen Nutzungsrechten scheiden tatsächlich erst kraft dieses Vorgangs über das Tatbestandsmerkmal „ohne Einwilligung des Berechtigten“ als taugliche Täter des § 106 UrhG aus. Beispielsfall (Beschränktes Nutzungsrecht): Der Urheber von Musikwerken schließt mit einem kommerziellen Anbieter einen Vertrag über die Verwertung seiner Musikwerke ab, wobei die öffentliche Zugänglichmachung der Werke im Wege eines relativen Nutzungsrechts in Gestalt von Streaming-Abonnements zugunsten Dritter (also der Konsumenten) erlaubt sein soll. Nicht hiervon erfasst sein sollen körperliche Verwertungshandlungen, also beispielsweise die Vervielfältigung und der Verkauf der Vervielfältigungsstücke. Weiterhin bleibt dem Urheber die Einräumung derselben Befugnisse zugunsten weiterer Dritter vorbehalten. Weil in dieser Konstellation in Bezug auf die unkörperliche Verwertung eine Einwilligung vorliegt, die allerdings andere Formen der Verwertung nicht erfasst, und Dritte weiterhin nicht von vornherein von derselben Nutzung ausgeschlossen werden, handelt es sich insoweit um ein bloß einfaches, relatives Nutzungsrecht, § 31 Abs. 2 UrhG. Nach der Auffassung von Hildebrandt wirkt diese Einwilligung zur relativen Nutzung nun tatbestandsausschließend, sodass schon tatbestandlich keine unerlaubte Verwertung vorliegt, wenn der Vertragspartner des Urhebers die Werke öffentlich zugänglich macht, § 19a UrhG. Dies wäre mit der herrschenden Meinung im Schrifttum anders zu beurteilen, wonach die Einwilligung nach § 106 674 Hildebrandt, S. 148 – „Der Berechtigte ist […] auch der Inhaber eines nach §§ 31 ff. UrhG eingeräumten Nutzungsrechts.“ Damit dürften unzweifelhaft alle einräumbaren Rechte gemeint sein.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Abs. 1 UrhG stets als rechtfertigende Einwilligung im Sinne des Strafrechts zu verstehen ist und daher nur die Rechtswidrigkeit beseitigen kann. Dann würden die Inhaber (nur) relativer Nutzungsrechte immer tatbestandsmäßig handeln, auch wenn sie sich „vertragstreu“ verhalten. Neben dieser, den Täterkreis eingrenzenden Funktion, misst Hildebrandt dem Merkmal „ohne Einwilligung des Berechtigten“ in § 106 UrhG noch die klarstellende Funktion bei, dass auch eine „klassische“ rechtfertigende Einwilligung nach den strafrechtlichen Maßstäben in Betracht kommen könne.675 c) „Doppelfunktion“ nur zugunsten von Inhabern eines „Vollrechts“ Teilweise wird die zuletzt dargestellte Theorie Hildebrandts in der abgewandelten Form vertreten, dass nur derjenige auf Tatbestandsebene als Täter auszuschließen sei, der seinerseits über die Berechtigung verfügt, wirksam in eine Verwertung durch Dritte einzuwilligen.676 In allen übrigen Fällen bleibe es „bei der Nichtberechtigung und der Prüfung der Einwilligung auf der Ebene der Rechtswidrigkeit.“677 Die Inhaber relativer Nutzungsrechte würden hiernach also immer tatbestandsmäßig handeln, selbst dann, wenn die Verwertung im Rahmen der ihnen eingeräumten Befugnisse stattfindet – denn nur derjenige, der selbst zur Erteilung einer Einwilligung berechtigt ist (also der Urheber, Rechtsnachfolger und der ausschließlich zur Werknutzung Berechtigte), soll nach dieser Auffassung über die „Tatbestands-Funktion“ des Merkmals „ohne Einwilligung des Berechtigten“ als Täter ausscheiden. Im zuletzt genannten Beispielsfall würde der Verwerter bei seiner – ihm vertraglich gestatteten – öffentlichen Zugänglichmachung dementsprechend tatbestandsmäßig handeln, denn sein Nutzungsrecht ist bloß relativer Natur, § 31 Abs. 2 UrhG. Allerdings wäre sein Handeln gerechtfertigt, denn das einfache Nutzungsrecht führt zur Annahme einer rechtfertigenden Einwilligung. Tatbestandlich betrachtet, wäre allerdings zunächst vertyptes Unrecht begangen. Diese Auffassung lässt allerdings unbegründet, warum strafrechtlich betrachtet überhaupt zwischen einfachem und ausschließlichem Nutzungsrecht unterschieden werden soll. Denn ein einfaches Nutzungsrecht gem. § 31 Abs. 2 UrhG unterscheidet sich zunächst einmal nur dadurch vom ausschließlichen Nutzungsrecht nach § 31 Abs. 3 UrhG, dass eine Nutzung durch weitere Dritte auf dieselbe Art und Weise nicht per se ausgeschlossen ist. Die Inhaber gleichartiger relativer Rechte an ein und demselben Werk können sich also gegenseitig deren jeweilige Nutzung nicht verbieten. Mangels Existenz eines „numerus clausus“ hinsichtlich der subjektiven Rechte im Urheberrecht ist eine Beschränkung sowohl durch relative als auch durch absolute Nutzungsrechte vielfältig möglich und erlaubt es dem Inhaber eines „Vollrechts“, sowohl räumliche als auch zeitliche und vor allem 675
Hildebrandt, S. 149.
676 Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, 677 Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher,
§ 106 Rn. 24. § 106 Rn. 24.
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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inhaltliche Schranken zu setzen, § 31 Abs. 1 S. 2 UrhG.678 Dabei handelt es sich nach herrschender Ansicht sowohl beim ausschließlichen als auch dem einfachen Nutzungsrecht um dingliche, also absolute Rechte.679 Qualitativ ist also kein Unterschied auszumachen, einzig die Reichweite der Berechtigung kann (!) sich in der Hinsicht unterscheiden, dass der Urheber beim relativen Nutzungsrecht dieselben Nutzungsbefugnisse auch noch weiteren Beteiligten einräumt. Hieraus ergibt sich, dass das einfache Nutzungsrecht, mit Ausnahme der Exklusivitätswirkung, an das Niveau eines ausschließlichen Rechts heranreicht. Dann jedoch ist der Inhaber dieses Rechts zumindest Nichtinhabern von Nutzungsrechten gegenüber genauso durch eine umfassende Einwilligung legitimiert wie der Inhaber eines absoluten Nutzungsrechts und es ist nicht einzusehen, warum dieser (nur einfach beziehungsweise relativ) Berechtigte von vornherein „nur“ gerechtfertigt handeln soll. Diese Folge ergäbe sich nach der hier diskutierten Ansicht doch ausschließlich aus dem Grund, dass er vertraglich nicht zur Einwilligung gegenüber Dritten berechtigt wurde. Hierin jedoch kann kein den Tatbestand erfüllendes Kriterium im Sinne des Strafrechts gesehen werden. Die Ansicht ist dementsprechend abzulehnen. 4. Überprüfung der Lehre einer „Doppelfunktion“ und eigene Lösung Im Folgenden soll geprüft werden, ob der Lehre einer „Doppelfunktion“ nach Hildebrandt gefolgt werden kann, beziehungsweise welcher Weg insgesamt zu befürworten ist. a) Vergleich mit § 107 UrhG Unter systematischen Gesichtspunkten drängt sich zunächst ein Vergleich mit der benachbarten Strafvorschrift des § 107 UrhG auf. Bemerkenswert ist zunächst, dass dem Merkmal ohne Einwilligung des Urhebers in § 107 UrhG, der das unzulässige Anbringen der Urheberbezeichnung unter Strafe stellt, trotz der ähnlichen Formulierung nach unbestrittener Ansicht die Funktion eines Einverständnisses auf Tatbestandsebene zugeschrieben wird.680 Diese Einordnung erfolgt mit dem guten Grund, dass § 107 UrhG primär das Persönlichkeitsrecht der Urheber im Blick hat, weswegen bereits „kein tatbestandliches Unrecht“ vorliege, wenn ein anderer mit Zustimmung des Urhebers dessen Signatur anbringe.681 Dem ist zuzustimmen, denn dieses Geschehen ist mit den Worten Flechsigs „gerade vom Geiste des Urhebers gedeckt.“682 678
Vgl. nur Wandtke/Bullinger-Wandtke/Grunert, § 31 Rn. 4 ff. B. Nordemann, § 25 Rn. 1. 680 BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 107 Rn. 2; Dreier/Schulze-Dreier, § 107 Rn. 8; Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 79; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 107 UrhG Rn. 11; a.A. U. Weber, S. 251, 264 ff.; unklar Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 107 Rn. 10. 681 Vgl. nur Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 107 UrhG Rn. 11. 682 Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 79. 679 Loewenheim-Loewenheim/J.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Dem stimmt auch Hildebrandt im Grundsatz zu,683 setzt sich jedoch auch i.R.d. § 107 UrhG für eine „Doppelnatur“ des Merkmals ein684 und nennt hierfür mehrere Anknüpfungspunkte. So soll einerseits analog zur Auffassung bei § 106 UrhG klargestellt sein, dass der Urheber selbst – auf Ebene des Tatbestandes – aus dem Kreis der möglichen Täter auszuscheiden sei. Genannt wird das Beispiel, dass die Signatur durch einen Miturheber eben nicht zur Strafbarkeit führen solle.685 Andererseits wird angeführt, dass „außergewöhnliche Fallkonstellationen denkbar“ seien, „in denen die zivilrechtliche Konstruktion versagt, etwa bei unwirksamen Verträgen Minderjähriger.“686 In diesen Konstellationen sei die Option der strafrechtlich rechtfertigenden Einwilligung zu erhalten. Indes besteht keine Notwendigkeit, dem Merkmal der Einwilligung in § 107 UrhG eine „Doppelfunktion“ in diesem Sinne zuzuschreiben. Die rechtfertigende Einwilligung ist im allgemeinen Strafrecht gewohnheitsrechtlich allgemein anerkannt und als nicht gesetzlich geregelter Rechtfertigungsgrund zu betrachten.687 Deswegen bedarf es grundsätzlich auch keiner besonderen Betonung derer Existenz in nebenstrafrechtlichen Normen, für welche die allgemeinen strafrechtlichen Grundsätze doch vollumfänglich zur Anwendung kommen.688 Wie bereits klargestellt wurde, ist im Lichte der Relativität von Rechtsbegriffen eine terminologische Einheit auch nicht zwingend herzustellen.689 Der Wille einer – mithin allenfalls denkbaren – deklaratorischen Erwähnung der Möglichkeit einer strafrechtlichen rechtfertigenden Einwilligung durch den Gesetzgeber ist darüber hinaus unwahrscheinlich, sofern sich nicht wenigstens ein Hinweis in den Gesetzesmaterialien hierüber findet. Viel eher könnte die ausdrückliche Normierung des Merkmals dahingehend zu deuten sein, dass dem Merkmal gerade eine weitergehende Funktion beigemessen werden sollte als jene der bloßen Klarstellung. Anders verhält es sich zwar im Beispiel einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch einen Miturheber. Allerdings ist kein Grund dafür ersichtlich, über den Weg eines Merkmals mit „Doppelnatur“ einen Blankoschein für die Straffreiheit von Miturhebern i.R.d. § 107 UrhG zu konstruieren. Dem ist vielmehr ausdrücklich zu widersprechen: So handelt es sich doch um einen Fall, der im Wege der Auslegung zum Tatbestandsmerkmal des „Urhebers“ zu bewältigen ist, denn eine bewusste Entscheidung für die Straffreiheit des Miturhebers in § 107 UrhG ist nicht erkennbar. Ganz im Gegenteil lässt sich doch aus der insoweit einschlägigen Vorschrift des § 8 UrhG gerade der gesetzgeberische Wille entnehmen, dass Hildebrandt, S. 188 f. Hildebrandt, S. 189. 685 Hildebrandt, S. 189. 686 Hildebrandt, S. 189. 687 Vgl. nur Kühl, AT, § 9 Rn. 20 ff. 688 Art. 1 Abs. 1 EGStGB; vgl. Heinrich, AT, Rn. 48, 58. 689 Vgl. Kapitel 2 § 3 B. II. 3. 683
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Alleingänge von Miturhebern dem Grundsatz nach eben nicht schutzbedürftig sind. Im Ergebnis sollte dem Merkmal „ohne Einwilligung des Urhebers“ in § 107 UrhG ausschließlich die Funktion eines Tatbestandsmerkmals zugeschrieben werden. Es trifft zu, dass dem Straftatbestand nach dem Hinwegdenken einer fehlenden Einwilligung durch den Urheber lediglich „ein Unrechtstorso“690 verbleibt. Dies jedoch kann kaum ausreichend sein, um tatbestandliches Unrecht zu begründen. In Anbetracht der Überflüssigkeit einer Klarstellung in Bezug auf die rechtfertigende Einwilligung erschöpft sich die Funktion der Wortkette zwangsläufig hierin. Auf eine möglicherweise identische Auslegung innerhalb des § 106 UrhG ist sogleich einzugehen. b) Ablehnung einer „Doppelfunktion“ innerhalb des § 106 UrhG Ein Vergleich mit § 107 UrhG legt es zunächst nahe, die beiden Strafvorschriften unterschiedlich auszulegen, denn wo der Tatbestand des § 106 UrhG mit der Einwilligung durch Berechtigte einen weitaus größeren Personenkreis anspricht, geht es in § 107 UrhG ausschließlich um die Rechte von Urhebern. Darum lässt sich das Erörterte nicht unbesehen auf § 106 UrhG übertragen. Gleichwohl erweist sich die Konstruktion einer „Doppelfunktion“ auch in Bezug auf § 106 UrhG als entbehrlich. Hildebrandt begründet seine Theorie damit, dass es sich bei der Frage, wer „von vornherein aus dem Kreis möglicher Täter ausscheidet, weil er selbst Inhaber des geschützten Rechtsgutes ist, um ein typisches Problem der Tatbestandsebene“691 handle. Dieser Aussage ist beizupflichten.692 Denn genau hierin liegt zutreffenderweise die Funktion des Tatbestandsmerkmals: Der Schöpfer des Werks ist als Inhaber des Urheberrechts per se „Berechtigter“, solange er keinem Dritten ein ausschließliches Nutzungsrecht eingeräumt und dabei auf die alleinige Ausübung seines Urheberrechts verzichtet hat (vgl. aber § 31 Abs. 3 S. 2 UrhG, wonach bestimmt werden kann, dass die Nutzung durch den Urheber selbst dann vorbehalten bleibt). Aus diesem Grund scheidet der Urheber als Berechtigter i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG ebenso als Täter einer unerlaubten Verwertung aus wie diejenigen Personen, die mit einem Nutzungsrecht zugleich eine tatbestandsausschließende Einwilligung erhalten haben. Der Ausschluss eines Urhebers und dessen Erben (§ 28 UrhG) ergibt sich unter teleologischen Gesichtspunkten bereits aus der Logik des Gesetzes – und wird in dogmatischer Hinsicht zutreffend auf ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal gestützt:693 Das Urheberrecht ist das ausschließliche subjektive Recht des Schöpfers an „seinem“ Geistesgut,694 690 Schricker/Loewenheim-Haß,
§ 107 Rn. 7. Hildebrandt, S. 151. 692 Vgl. sogleich Kapitel 3 § 3 D. I. 4. c). 693 Vgl. Kircher, S. 164, der zutreffend von einem „ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal im Sinne einer Einschränkung des Täterkreises“ ausgeht. 694 Vgl. Rehbinder/Peukert, Rn. 5, 126 ff. 691
Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
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steht diesem unabtretbar zu, § 7 UrhG, und kann lediglich im Wege von Nutzungsrechten zugunsten Dritter gleichsam „delegiert“ werden. Die Einräumung dieser Nutzungsrechte geht mit einer tatbestandsausschließenden „Einwilligung“ i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG einher. Es wäre in der Tat absurd anzunehmen, dass ein Urheber einerseits anderen Personen eine einfache Verwertung gestatten dürfte, aber andererseits für dieselbe Handlung selbst als Täter in Betracht käme. Diese Sichtweise hätte zur Konsequenz, dass der Berechtigte in seine eigene – tatbestandsmäßige – Werkverwertung einwilligen müsste, um erst auf Ebene der Rechtswidrigkeit Straffreiheit zu erlangen.695 Daneben besteht allerdings schlicht keine Notwendigkeit, in das Merkmal „ohne Einwilligung des Berechtigten“ einen deklaratorischen Hinweis des Gesetzgebers hinein zu deuten, dass das strafrechtliche Institut der rechtfertigenden Einwilligung auch in § 106 UrhG in Betracht zu ziehen sei. Dies bedarf, wie festgestellt wurde, überhaupt keiner Betonung oder Klarstellung durch den Gesetzgeber. Ein Hinweis hierauf wäre also überflüssig. c) Fazit: „ohne Einwilligung des Berechtigten“ als Tatbestandsmerkmal Im Ergebnis ist die Theorie der „Doppelnatur“, wie sie Hildebrandt vertritt, zutreffend was ihre rechtlichen Wertungen anbelangt. Nach der hier vertretenen Auffassung ist sie jedoch überflüssig. Die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang muss doch lauten: Kann überhaupt tatbestandliches Unrecht vorliegen, wenn eine Verwertungshandlung durch ein Nutzungsrecht gedeckt ist? Richtigerweise liegt kein tatbestandliches Unrecht vor, denn die Verwertung von Werken ist nur dann nicht „rechtens“, wenn sie gegen den Willen eines Urhebers oder eines ausschließlich zur Nutzung Berechtigten verstößt.696 Dann aber muss die Einwilligung i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG bereits auf Tatbestandsebene wirken. Auch ist Haß darin zuzustimmen, dass ein solches Verständnis den durchaus positiven Aspekt eines einheitlichen Einwilligungsbegriffs für das Urheberrecht mit sich bringt.697 Darüber hinaus wäre es auch unlogisch, dass der Inhaber eines einfachen Nutzungsrechts im Rahmen der ihm eingeräumten Befugnisse einen Straftatbestand verwirklichen soll. Immer dann, wenn ein Tatbestand sinngemäß ein Handeln gegen den Willen des Schutzgutträgers erfordert, dieser jedoch mit dem Handeln einverstanden ist, steht ein tatbestandsausschließendes Einverständnis im Raum.698 Es liegt nahe, in § 106 UrhG den „geistigen Diebstahl“699 zu betonen und eine Parallele zu § 242 StGB zu ziehen.700 Sobald eine Verwertungshandlung durch eine 695 Vgl.
Hildebrandt, S. 148 f.
696 Schricker/Loewenheim-Haß,
§ 106 Rn. 28. § 106 Rn. 28. 698 Vgl. Achenbach/Ransiek/Rönnau-A. Nordemann, Teil 11 Kapitel 1 Rn. 83; ähnlich Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 28. 699 Achenbach/Ransiek/Rönnau-A. Nordemann, Teil 11 Kapitel 1 Rn. 83. 700 Vgl. insofern auch Hildebrandt, S. 148, 151. 697 Schricker/Loewenheim-Haß,
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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zivilrechtlich wirksame Einwilligung – also die vorherige Zustimmung, § 183 S. 1 BGB – gedeckt ist, bleibt als tatbestandliches Unrecht so gesehen überhaupt nichts mehr übrig. Gegen einen Ausschluss der Strafbarkeit von Nutzungsberechtigten erst auf Rechtswidrigkeitsebene sprechen weitere systematische Aspekte: So setzt das UrhG in Bezug auf manche Verwertungshandlungen in diversen weiteren Vorschriften zwingend das Vorliegen einer „Einwilligung“ voraus. So etwa in § 52 Abs. 3 UrhG für bestimmte Formen öffentlicher Wiedergabe oder in § 53 Abs. 7 UrhG für gewisse Vervielfältigungshandlungen. Es handelt sich hierbei um gesetzliche Schranken gesetzlich zugelassener Fälle – die ihrerseits unstreitig als Tatbestandsmerkmale des § 106 UrhG zu verstehen sind. Nun wäre es zwar möglich, diese „obligatorischen Einwilligungen“ – unter dem Schirm der Relativität der Rechtsbegriffe – anders zu verstehen als die Einwilligung i.R.d. § 106 UrhG. Allerdings würde dies doch zu einer unnötigen Verkomplizierung des Tatbestandes beim gebotenen Zusammenlesen der beiden Vorschriften führen. Seltsam wäre es auch anzunehmen, dass diese „Schranken-Schranken“ ihrerseits auf einen Rechtfertigungsgrund verwiesen. Denn dasselbe Ergebnis wäre gesetzestechnisch doch wesentlich einfacher dadurch umzusetzen gewesen, dass der Gesetzgeber die in seinen Augen nicht privilegierungswürdigen Verwertungshandlungen schlechterdings von der Privilegierung ausnähme, ohne einen (offensichtlich überflüssigen) Verweis auf eine allgemeine strafrechtliche rechtfertigende Einwilligung einzufügen. Mögen die praktischen Unterschiede auch gering sein – dieselben Ergebnisse, wie sie durch eine „Doppelfunktion“ erreicht werden, sind wesentlich einfacher dadurch zu erzielen, dass man die „Einwilligung des Berechtigten“ als Merkmal des § 106 UrhG vollumfassend als Tatbestandsausschlussgrund ansieht. Darum wird vorliegend – mit einer verbreiteten Auffassung im Schrifttum701 – der Passus ohne Einwilligung des Berechtigten innerhalb § 106 Abs. 1 UrhG ausschließlich als Tatbestandsmerkmal verstanden – ebenso wie die identische Formulierung in § 108 UrhG sowie die Wortkette ohne Einwilligung des Urhebers in § 107 UrhG. Die darüber hinausgehende Möglichkeit einer rechtfertigenden Einwilligung nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen wird von diesem Verständnis nicht berührt, sondern besteht unangetastet fort.702 Praktische Auswirkungen hat dies beispielsweise in Fällen von unwirksamen Lizenzverträgen, etwa, weil der Urheber (noch) nicht geschäftsfähig ist. Eine tatbestandsausschließende „Einwilligung des Berechtigten“ i.S.d. § 106 UrhG kommt hier nicht in Betracht, denn diese richtet sich nach der zivilrechtlichen Vertragslage. Diese Konstellationen sind im 701 Achenbach/Ransiek/Rönnau-A. Nordemann, Teil 11 Kapitel 1 Rn. 83; Erbs/Kohlhaas-Kaiser, 208. Lfg., § 106 UrhG Rn. 25; Graf/Jäger/Wittig-Ernst, Nr. 765 UrhG § 106 Rn. 85; Rochlitz, S. 134 ff., 139; Schricker/Loewenheim-Haß, § 106 Rn. 27 f.; wohl auch Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 36. 702 Vgl. auch Erbs/Kohlhaas-Kaiser, 208. Lfg., § 106 UrhG Rn. 25.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Strafrecht aber über das Institut der rechtfertigenden Einwilligung aufzufangen,703 denn zur Erteilung einer solchen bedarf es keiner zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit. Insoweit ist bereits eine Einwilligungsfähigkeit im Sinne einer Einsichts- und Urteilsfähigkeit ausreichend, über die der Handelnde schon dann verfügt, wenn er infolge seiner geistigen Reife dazu imstande ist, die Tragweite seines Handelns zu erkennen.704 Hierdurch lässt sich vermeiden, dass dem Beschuldigten einer Urheberstraftat das (im Strafrecht unbillige) Risiko unwirksamer Lizenzverträge aufgebürdet wird.705 II. Irrtumskonstellationen im Bereich des Tatbestandsmerkmals „ohne Einwilligung des Berechtigten“ Nach den vorangegangenen Erörterungen ist also der Irrtum über das Vorliegen einer Einwilligung des Berechtigten nach § 106 Abs. 1 UrhG, entgegen einer verbreiteten Auffassung, kein Erlaubnistatumstandsirrtum, denn diese stellt keinen Rechtfertigungsgrund dar. Weil es sich insoweit um ein reguläres Tatbestandsmerkmal handelt, kommen die §§ 16, 17 StGB in Irrtumsfällen also unmittelbar in Betracht. Dabei sind diverse Konstellationen vorstellbar, die im Folgenden anhand praktischer Beispielsfälle erörtert werden sollen. Die, wie angeführt, gleichwohl denkbare Konstellation, dass ein Täter nach § 106 UrhG einem Erlaubnistatumstandsirrtum unterliegt, sich also über das Vorliegen der tatsächlichen Umstände eines Rechtfertigungsgrundes irrt, wird – ungeachtet der irrtumsdogmatischen Unterschiede – ebenfalls im vorliegenden Kontext erörtert. Denn neben der Tatsache, dass ohnehin zahlreiche Autoren die Einwilligung als Merkmal der Strafvorschrift des § 106 Abs. 1 UrhG im Rahmen eines Erlaubnistatumstandsirrtums behandeln, kommt als Rechtfertigungsgrund einer Tat nach § 106 UrhG in erster Linie eine strafrechtlich-rechtfertigende Einwilligung in Betracht, mithin ein durchaus wesensverwandtes Institut.706 Die Wahl der Irrtumslehre wirkt sich auch im Bereich des vorliegend diskutierten Tatbestandsmerkmals entscheidend auf die Behandlung von Irrtumsfällen aus: Sternberg-Lieben geht unter konsequenter Anwendung der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ davon aus, dass „ein Irrtum über die Nichtberechtigung […] als normatives Merkmal […] zum Vorsatzausschluss“ führe.707 Dies soll etwa gelten, wenn ein Täter sich irrig für einen Berechtigten halte, d.h. auch dann, wenn er sich bei fehlender „Parallelwertung“ für nutzungsbefugt halte. Dies sei z.B. dann der Fall, wenn der Inhaber eines Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechts an einem Vgl. dazu Hildebrandt, S. 149. Vgl. zu den Anforderungen an die Einsichtsfähigkeit im Sinne des Strafrechts RGSt 41, 392 (396); RGSt 77, 17 (20); BGHSt 4, 88 (90); BGH NStZ 2000, 87 (88); Heinrich, AT, Rn. 456; Kühl, AT, § 9 Rn. 33; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 554 f. 705 Vgl. dazu Hildebrandt, S. 149. 706 Vgl. dazu Kapitel 3 § 3 D. II. 3. 707 BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 39. 703
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Theaterstück sich auch zur öffentlichen Wiedergabe befugt sehe.708 Dieselbe Auffassung vertreten Hildebrandt/Reinbacher, die aufgrund der Normativität des Tatbestandsmerkmals „Nichtberechtigung“ davon ausgehen, dass derjenige, der sich selbst für den Urheber oder einen ausschließlich zur Nutzung Berechtigten halte, nicht vorsätzlich handle, „sofern er die Lage in einer Parallelwertung in der Laiensphäre nicht zutreffend einschätzt.“709 Irre sich der Handelnde dagegen über die strafrechtlich-rechtfertigende Einwilligung, so soll ein Erlaubnistatumstandsirrtum vorliegen, der „erst auf Ebene der Schuld zum Ausschluss der Vorsatzschuld“ führe.710 Sternberg-Lieben sieht einen Erlaubnistatumstandsirrtum zutreffend nur in „eher seltenen Fällen“ einschlägig, etwa dann, wenn ein Handelnder davon ausgehe, „der einwilligende Minderjährige verfüge über die für eine Einwilligung erforderliche natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit.“711 Dass die zuletzt genannten Ansichten nicht zu befürworten sind, ergibt sich zwar bereits aus der oben dargelegten Haltung zur Lehre einer „Doppelfunktion“, die sowohl Sternberg-Lieben als auch Hildebrandt/Reinbacher vertreten. Darüber hinaus machen aber auch die eben getroffenen Feststellungen deutlich, dass diese Auffassung nicht zu schlüssigen Ergebnissen führt. Denn glaubt der Inhaber eines einfachen Nutzungsrechts, beispielsweise der Inhaber einer Lizenz zur Radiosendung eines Musikstücks, bei voller Tatsachenkenntnis daran, das Werk im Rahmen seiner Lizenz auch vervielfältigen zu dürfen, so liegt hierin oftmals eine falsche rechtliche Wertung, was nach zutreffender Auffassung ein fehlendes Unrechtsbewusstsein markiert – und nicht schon den Vorsatz ausschließt. Eine andere Auffassung ist insbesondere aus dem Grund abzulehnen, dass andernfalls eine Teilnahmestraftat nicht denkbar wäre. Dies ist insbesondere deshalb dringend abzulehnen, weil hierbei oftmals Branchentäter freigestellt würden, wie die folgenden Ausführungen belegen: Es wurde festgestellt, dass nicht nur das ausschließliche, sondern auch das relative, einfache Nutzungsrecht eine tatbestandsausschließende Einwilligung i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG beinhaltet soweit im konkreten Fall eine durch diese Lizenz gedeckte Verwertungshandlung vorliegt. Denn dann liegt schon tatbestandlich kein Unrecht vor.712 Die Einräumung derartiger relativer Nutzungsrechte ist primär im gewerblichen Bereich üblich. So darf der Betreiber einer Radiostation Musikwerke senden, ein Fernsehsender Filmwerke (u.U. einmalig) ausstrahlen oder der Betreiber eines Online-Streamingdienstes Musikwerke öffentlich zugänglich machen. Wenn jedoch die Überdehnung eines so eingeräumten Nutzungsrechts in pauscha708 BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben,
§ 106 Rn. 39. § 106 Rn. 24, 36. 710 Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 36; ebenso BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 39, der indes bewusst offenlässt, ob der Erlaubnistatumstandsirrtum zum Ausschluss des Vorsatzes, des Vorsatzunrechts oder der Vorsatzschuld führt. 711 BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 39. 712 Vgl. Kapitel 3 § 3 D. I. 4. c). 709 Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher,
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ler Weise unter Anwendung von § 16 StGB zum Vorsatzausschluss führen soll (und dasselbe gilt analog § 16 StGB, wenn man von einer rechtfertigenden Einwilligung ausgeht), so wäre eine Anstiftung oder Beihilfe hierzu in den meisten Fällen ausgeschlossen. Beziehungsweise: Über die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ sind willkürliche Ergebnisse insoweit mangels klarer Abgrenzungskriterien vorprogrammiert. Denn wann ein Handelnder in „seiner Laiensphäre“ die Berechtigungslage korrekt erfasst hat, ist von Aspekten der Lizenzierung im konkreten Fall abhängig – und damit regelmäßig von durchaus schwierigen Rechtsfragen. Diese Unsicherheit kann vor allem im Bereich gewerblichen Schaffens nicht befriedigen. Die Auffassung von Hildebrandt/Reinbacher fördert – anders als die früher alleinig vertretene Auffassung Hildebrandts713 – eine weitere Ungereimtheit zutage: Denn wenn nur zugunsten von Urhebern, deren Rechtsnachfolgern und Inhabern ausschließlicher Rechte auf Tatbestandsebene die Strafbarkeit entfallen würde,714 so wäre der irrige Glaube, ein ausschließliches Nutzungsrecht zu besitzen, mit der herrschenden Irrtumslehre oftmals ein Tatumstandsirrtum, denn dann irrt der Handelnde über ein normatives Tatbestandsmerkmal. Der Glaube daran, ein einfaches Nutzungsrecht eingeräumt bekommen zu haben, das dem Grunde nach dabei genau gleich weit reichen kann, wäre hingegen höchstens ein Erlaubnistatumstandsirrtum. Sprich: Macht der Täter im Prozess glaubhaft, an ein ausschließliches Nutzungsrecht geglaubt zu haben, entfällt sein Vorsatz in direkter Anwendung von § 16 StGB – eine Teilnahme ist dann mangels vorsätzlicher Haupttat nicht denkbar, §§ 26, 27 StGB. Ebenso entfällt die Möglichkeit der Notwehr gegen diese Verwertung, § 32 StGB. Beruft sich der Täter demgegenüber darauf, sein – tatsächlich bestehendes – einfaches Nutzungsrecht zu weit ausgelegt zu haben, wäre eine Teilnahme, je nachdem welche Auffassung zum Erlaubnistatumstandsirrtum vertreten wird, möglich. Dasselbe gilt für eine Notwehr, die einen rechtswidrigen Angriff voraussetzt. Dass sich die skizzierte Problematik in der Praxis tatsächlich auswirkt, ist zwar unwahrscheinlich. Allerdings wird deutlich, dass die Einordnung von einfachem und ausschließlichem Nutzungsrecht auf unterschiedlichen Ebenen strafrechtlich betrachtet zu systematischen Brüchen führt, die indes leicht vermeidbar sind: Die Berechtigung eines Handelnden kann auch im Strafrecht, parallel zum Urheberzivilrecht, entweder aus einem einfachen oder einem ausschließlichen Nutzungsrecht resultieren, § 31 UrhG. Bei der Einräumung dieser Rechte erteilt der Urheber eine Einwilligung im jeweiligen Umfang i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG. Deren Vorliegen schließt den objektiven Tatbestand einer unerlaubten Verwertung nach § 106 UrhG aus. Hildebrandt äußert in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass sich „der Eingriff des Strafrechts ohnehin als besonders problematisch“ darstelle, „wenn ein Vertrag zwischen den Beteiligten vorliegt oder jedenfalls angestrebt wurde“,715 und 713
Vgl. Wandtke/Bullinger-Hildebrandt, 3. Aufl. 2009, § 106 Rn. 24 ff. § 106 Rn. 24. 715 Hildebrandt, S. 274. 714 Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher,
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spricht sich unter anderem deshalb für eine pauschale Anwendung von § 16 StGB aus:716 In Bereichen, in denen „vorwiegend zivilrechtserhebliche Vorgänge in das Strafverfahren gelangen“, sei eine „besondere Zurückhaltung von Polizei, Staatsanwalt und Strafrichter geboten.“717 Wie bereits im Rahmen des Tatbestandsmerkmals „in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen“ erörtert, erblickt Hildebrandt auch beim Einwilligungsmerkmal (zwar zutreffend) eine besondere Brisanz in der Zivilrechtsakzessorietät, gelangt aber neuerlich zu dem Schluss, dass „Irrtümer hinsichtlich des Merkmals ‚ohne Einwilligung des Berechtigten‘ stets [Hervorhebung durch d. Verf.] nach § 16 StGB und den Grundsätzen der Parallelwertung in der Laiensphären zu behandeln“ seien.718 Wiederum schlägt Hildebrandt eine „Korrektur der gewöhnlichen Irrtumslehre“719 vor, wie sie im Steuerrecht üblich sei. Wie mehrfach betont, ist ein solcher Bruch mit der Grundkonstruktion des StGB indes – zugunsten einer ebenso systemtreuen und schlüssigen wie gerechten Irrtumslehre – abzulehnen. Mit Nachdruck sei an dieser Stelle betont, dass sich „die Irrtumslehre“ aus einer konsequenten Anwendung der Lehren über Vorsatz und Schuld ergibt. Diesem Ziel läuft eine Vielzahl von verschiedenen Ausnahmen entschieden zuwider. Zu befürworten ist demzufolge auch in diesem Kontext, das fehlende Unrechtsbewusstsein konsequent unter Rückgriff auf § 17 StGB „aufzulösen“. Hier hält das Gesetz mit dem Kriterium der Vermeidbarkeit, wie bereits vielfach betont wurde, ein adäquates Instrumentarium zur einzelfallgerechten Lösung parat. Diesen Weg scheinen auch Rehbinder/Peukert zu befürworten, die den „Irrtum über die Reichweite der Einwilligung“ als Verbotsirrtum einstufen.720 Auch Kircher721 und U. Weber722 kommen in zahlreichen Konstellationen, ungeachtet deren Lösung über den Erlaubnistatumstandsirrtum, zu entsprechenden Ergebnissen wie die vorliegend vertretene Auffassung, worauf im Folgenden noch einzugehen sein wird. 1. Der Glaube an die prinzipielle Entbehrlichkeit einer Einwilligung Zunächst ist denkbar, dass ein Handelnder davon ausgeht, dass es zur Verwertung eines Werks schon prinzipiell keiner Nutzungsrechte, also keiner Einwilligung i.S.d. § 106 UrhG bedarf. Diese Fehlvorstellung kann wiederum auf diverse Ursachen zurückzuführen sein und von vielerlei Faktoren abhängen, die nicht zwangsläufig im Bereich des Tatbestandsmerkmals „ohne Einwilligung des Berechtigten“ zu verorten sind: Glaubt ein Verwertender, dass er keiner solchen EinHildebrandt, S. 274. Hildebrandt, S. 274. 718 Hildebrandt, S. 274. 719 Hildebrandt, S. 274. 720 Rehbinder/Peukert, Rn. 1312; als „undifferenziert“ wird diese Aussage kritisiert bei BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 39. 721 Kircher, S. 172 ff. 722 U. Weber, S. 295. 716 717
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willigung bedürfe, weil er ein Werk für gemeinfrei hält, etwa weil er den Urheber für seit über 70 Jahren verstorben wähnt, § 64 UrhG, oder weil er ein (geschütztes) „Snippet“723 eines Musikstücks wegen dessen fragmentarischen Charakters nicht für schutzfähig im Sinne des Urheberrechts befindet, so handelt es sich dabei um Irrtümer, die nur prima facie auf das Einwilligungserfordernis zurückzuführen sind – denn tatsächlich irrt der Betreffende in den skizzierten Konstellationen über die Schutzdauer als solche724 beziehungsweise über die Anforderungen an die Gestaltungshöhe, also das quantitative Minimum nach § 2 Abs. 2 UrhG.725 Konkret angesprochen ist hiermit also der Glaube eines Verwertenden, keiner Einwilligung zu bedürfen gerade weil er ein Werk nicht als geschützt ansieht oder gerade weil er eine bestimmte Verwertungshandlung für „erlaubt“ hält oder sich in einem gesetzlich zugelassenen Fall wähnt. Dann aber irrt sich der Täter stets über Umstände dieser Tatbestandsmerkmale – und geht erst dadurch ausgelöst von einer Einwilligungsfreiheit aus. Er irrt dann strenggenommen nicht über Umstände des Tatbestandsmerkmals „ohne Einwilligung des Berechtigten“. Den Umstand, dass in das Merkmal „ohne Einwilligung des Berechtigten“ regelmäßig auch die tatsächlichen Umstände anderer Tatbestandsmerkmale des § 106 Abs. 1 UrhG hineinspielen, betont auch Hildebrandt, der „die Frage der Berechtigung […] im Einzelnen durch eine Vielzahl normativer Tatbestandsmerkmale ausgefüllt“ sieht:726 Hier komme es „nicht nur auf die Urheberschaft an einem Werk und somit letztlich wieder auf das normative Tatbestandsmerkmal ‚Werk‘ an.“727 Vielmehr seien auch die Grundsätze der Rechteeinräumung nach §§ 31 ff. UrhG sowie die vertragsrechtlichen Grundlagen voller normativer Elemente, was zugunsten eines Beschuldigten zu berücksichtigen sei.728 Dem ist grundsätzlich beizupflichten. Allerdings verkennt Hildebrandt, dass das Merkmal „ohne Einwilligung des Berechtigten“ als Tatbestandsmerkmal auch eine eigenständige Bedeutung hat – und demzufolge in Bezug auf Irrtümer auch isoliert betrachtet werden muss. Erst wenn sich dabei herausstellt, dass sich ein Irrtum auf die Umstände mehrerer Tatbestandsmerkmale bezieht, kann dies auch so gewürdigt werden. Ein Beispiel für eine solche Konstellation ist der Glaube eines Handelnden, beim bereits zitierten „Snippet“ eines Songs keiner Einwilligung zu bedürfen, eben weil dieses für sich genommen nicht schutzfähig sei. Auch Kircher setzt sich mit Irrtümern dieser Art auseinander und findet in diesem Bereich ebenfalls Beispiele, die eher als Irrtümer über andere Tatbestandsmerkmale denn als Irrtümer über das Einwilligungserfordernis einzustufen sind. 723 Der Begriff des „Snippet“ entstammt dem Englischen für „Schnipsel“ und bezeichnet den Ausschnitt eines Musikstücks. 724 Vgl. zum Irrtum hierüber bereits Kapitel 3 § 3 C. II. 3. 725 Vgl. zum Irrtum hierüber bereits Kapitel 3 § 3 A. I. 1. b) bb). 726 Hildebrandt, S. 274. 727 Hildebrandt, S. 274. 728 Hildebrandt, S. 274.
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Kircher nennt in diesem Zusammenhang etwa Fehlvorstellungen im Bereich der Tathandlungen der öffentlichen Wiedergabe, wobei er das Beispiel nennt, dass ein Handelnder bei einem vertonten Gedicht davon ausgehe, dieses ohne Einwilligung des Textdichters vorsingen zu dürfen.729 Doch auch dieser Irrtum ist vielmehr auf den konkreten (isolierten) Schutz des dargebotenen Werkes als solches gemünzt, und nicht auf das Merkmal „ohne Einwilligung des Berechtigten“. Beispielsfall (Musik als gemeinfreies Kulturgut): Musiker M trägt das tief verwurzelte Bewusstsein in sich, dass Musik als Kulturgut Allen gehöre, weswegen er nicht auf den Gedanken kommt, vor der Verwertung von Musikwerken irgendeine „Erlaubnis“ einholen zu müssen. Fallvariante: Studentin S geht davon aus, mit der Zahlung der Rundfunkgebühren alle Rechte auch an musikalischen und filmischen Werken erworben zu haben, weswegen eine weitere Verwertung von Werken, die sie aus Rundfunkprogrammen mitschneidet, stets ohne weitere „Erlaubnis“ gestattet sei. Der Glaube an die Entbehrlichkeit überhaupt einer Einwilligung ist – was die beiden skizzierten Beispiele deutlich machen – in der Rechtspraxis ebenso unwahrscheinlich wie einfach aufzulösen. Denn insofern handelt es sich unproblematisch um Verbotsirrtümer: Der Glaube daran, ein Werk prinzipiell auch ohne das Einverständnis des Urhebers verwerten zu dürfen, setzt in den meisten Konstellationen voraus, dass ein Handelnder zumindest in Betracht zieht, eines eingeräumten Rechts zur Nutzung zu bedürfen. Die anschließende innere Entscheidung hiergegen geht zwangsläufig mit einer falschen Einordnung der Rechtslage einher, sie zeugt insoweit von fehlendem Unrechtsbewusstsein, § 17 StGB. Macht sich der Täter, wie im Ausgangsfall, indes überhaupt keine Gedanken über eine eventuell erforderliche Einwilligung, so fehlt es ihm von vornherein ebenfalls an der Einsicht, Unrecht zu tun.730 2. Der Irrtum über das tatsächliche Vorliegen eines Nutzungsrechts Wesentlich wahrscheinlicher als der Glaube an die prinzipielle Entbehrlichkeit überhaupt eines Nutzungsrechts ist die Konstellation, dass der Verwertende irrigerweise davon ausgeht, dass tatsächlich eine Einwilligung für die konkret vorgenommene Verwertungshandlung vorliegt. Gewissermaßen der „Paradefall“ eines Irrtums im Bereich der Einwilligung nach § 106 Abs. 1 UrhG ist der Glaube eines Handelnden, dass der Rechtsinhaber mit einer Nutzung einverstanden sei, obwohl dies tatsächlich nicht zutrifft. Hierin liegt zugleich die einzig denkbare Konstellation, in der ein Täter, der bewusst von einer Entbehrlichkeit eines Nutzungsrechts ausgeht, auch ausschließlich solche Tatsachen verkennt, die dem Bereich des Tatbestandsmerkmals „ohne Einwilligung des Berechtigten“ exklusiv vorbehalten sind, also nicht – wie oben thematisiert – zugleich einen Irrtum über eines der übrigen Tatbestandsmerkmale des § 106 Abs. 1 UrhG begründen. 729 730
Kircher, S. 165. Zu diesem Ergebnis gelangt ausdrücklich auch Hildebrandt, S. 275.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Beispielsfall a (Irriger Glaube an das Bestehen einer Einwilligung): Schüler S betreibt hobbymäßig eine Radiosendung (§§ 106 Abs. 1, 20 UrhG) und verfügt zu diesem Zweck über Nutzungsrechte zur Ausstrahlung bestimmter Songs. Eines Tages spielt er einen Song, für dessen öffentliche Wiedergabe ihm keine Rechte eingeräumt wurden, wobei er irrigerweise vom Bestehen eines Nutzungsrechts auch zugunsten dieses Werks ausgeht und darum davon ausgeht, nicht gesondert um Erlaubnis fragen zu müssen. In dieser Konstellation erfasst S in tatsächlicher Hinsicht zunächst einmal alles ganz korrekt: Er weiß, dass er ein geschütztes Musikwerk i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UrhG in Gestalt der Sendung (§ 20 UrhG) öffentlich wiedergibt, dieses also verwertet, und dass er nicht in einem gesetzlich zugelassenen Fall handelt. Er irrt aber darüber, für den konkreten Song eine Einwilligung i.S. eines Nutzungsrechts zu benötigen. Dabei verfügt S über aktuelles Unrechtsbewusstsein, wenn er weiß, dass er normalerweise eine Einwilligung braucht. Allerdings geht er fälschlicherweise davon aus, für den Song, den er spielt, bereits eine Einwilligung erhalten zu haben. Dabei handelt es sich um einen tatsächlichen Umstand des Sachverhalts. Der Glaube an die Entbehrlichkeit einer Einwilligung erweist sich dementsprechend in dieser Konstellation als Tatumstandsirrtum, § 16 Abs. 1 StGB.731 S handelt dementsprechend ohne Vorsatz. Beispielsfall b (Unkenntnis über bestehende Nutzungsrechte zugunsten Dritter): Schüler S hat von seinem Großvater, der ein berühmter Musiker war, die Urheberrechte an einigen Musikstücken geerbt (§§ 28, 30 UrhG). Manche von ihnen sind indes mit umfassenden Rechten zugunsten Dritter belegt, die dem S die öffentliche Wiedergabe verbieten, was S allerdings nicht weiß und diese dennoch wiedergibt. Auch in dieser Konstellation begeht S zunächst objektiv eine unerlaubte Verwertung, denn für die konkret wiedergegebenen Songs steht ihm das Recht zur öffentlichen Wiedergabe nicht zu. Allerdings weiß er nichts von den Rechten zugunsten der Vertragspartner seines Großvaters, weswegen er dem Irrglauben erliegt, keine Einwilligung einholen zu müssen. Dabei wertet er in rechtlicher Hinsicht alles ganz korrekt, verkennt allerdings den tatsächlichen Umstand, dass die Werke mit Rechten Dritter belastet sind. Er handelt also im Tatumstandsirrtum, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB, und dementsprechend ohne Vorsatz. Anders würde sich die Situation im zuletzt genannten Fall darstellen, wenn S zwar wüsste, dass Nutzungsrechte zugunsten Dritter bestehen, sich aber nicht über deren Reichweite informiert oder diese falsch auslegt oder aber davon ausgeht, das Werk als „Berechtigter“ trotz der Nutzungsrechte der anderen Personen verwerten zu dürfen. Dann würde S alle Umstände kennen, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Sein Irrtum wäre dann als Manifestation einer 731 Ebenso Erbs/Kohlhaas-Kaiser, 208. Lfg., § 106 UrhG Rn. 32; Rehbinder/Peukert, Rn. 1312; vgl. auch Heinrich, in: Bosch/Bung/Klippel, S. 59 (80 f.), der in dieser Konstellation ebenfalls einen Irrtum über tatsächliche Umstände annimmt, aber im Ergebnis nur analog § 16 Abs. 1 StGB zum Vorsatzausschluss gelangt, weil er die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund einordnet; ebenso Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 106 Rn. 35; Kircher, S. 168.
§ 3 Der Zentraltatbestand: Irrtümer innerhalb von § 106 UrhG
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falschen Rechtsauffassung einzustufen – ihm würde dann die Einsicht fehlen, Unrecht zu tun, § 17 S. 1 StGB. 3. Der Irrtum über die Wirksamkeit eines Nutzungsrechts Darüber hinaus sind Fälle denkbar, in denen der Verwerter eines Werks vom Vorliegen einer wirksam erteilten, tatbestandsausschließenden Einwilligung ausgeht, die tatsächlich aber – regelmäßig aus rechtsgeschäftlichen Gründen – unwirksam ist. Diese Kategorie erfasst auch die Konstellationen, in denen der Berechtigte überhaupt nicht fähig ist, Nutzungsrechte nach §§ 31 ff. UrhG einzuräumen, etwa, weil er geschäftsunfähig ist.732 Weil insofern nach dem vorstehend Erörterten eine wirksame tatbestandsausschließende Einwilligung i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG nicht möglich ist, kommt in diesen Fällen lediglich eine rechtfertigende Einwilligung in Betracht – und damit, im Falle eines Irrtums über das tatsächliche Vorliegen einer solchen Einwilligung, ein Erlaubnistatumstandsirrtum, der analog § 16 Abs. 1 S. 1 StGB aufzulösen ist. Ferner fallen in diesen Bereich jene Irrtümer, die sich auf das Zustandekommen beziehungsweise die Form einer tatbestandsausschließenden Einwilligung beziehen. Kircher nennt in einem anderen Zusammenhang das Beispiel, dass ein Handelnder davon ausgeht, eine bloße Duldung durch den Urheber oder dessen „inneres Einverstandensein“ sei eine Einwilligung.733 Richtigerweise handelt es sich in dieser Konstellation nicht um einen Irrtum darüber, dass es einer Einwilligung bedarf – so aber Kircher –, sondern um eine falsche Vorstellung über die formalen Anforderungen an die Einräumung eines Nutzungsrechts, also um einen Irrtum über die Wirksamkeit der Einwilligung. Beispielsfall a („Innere“ Zustimmung): Discobetreiber D kennt den Musiker M flüchtig und weiß, dass dieser es gerne sieht, wenn seine Musikwerke in der Diskothek des D gespielt werden. Der ansonsten urheberrechtlich bewanderte D geht darum davon aus, über eine gültige Einwilligung des M zu verfügen, schließlich sei dieser mit der Verwertung einverstanden. In dieser Konstellation ist M Urheber und damit Berechtigter i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG. D weiß bei seiner Verwertung (einer öffentlichen Wiedergabe) in tatsächlicher Hinsicht auch ganz genau, was er tut. Dass er irrtümlich davon ausgeht, über ein Einverständnis des M zu verfügen oder sich auf eine „mutmaßliche“ Einwilligung durch M berufen zu können (wobei hier nicht das strafrechtliche Institut der rechtfertigenden mutmaßlichen Einwilligung angesprochen ist, sondern eine „mutmaßliche“ den Tatbestand ausschließende Einwilligung i.S.d. § 106 UrhG), basiert nicht auf einer falschen Tatsachenvorstellung seitens D, sondern auf dessen falscher Auslegung des Urheberrechts. Es fehlt ihm dementsprechend am Unrechtsbewusstsein, er handelt im Verbotsirrtum, § 17 StGB. 732 Vgl. BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 39; Hildebrandt, S. 149; Kircher, S. 170; Reinbacher, S. 135. 733 Kircher, S. 168 f.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Beispielsfall b (Beschränkt geschäftsfähige Urheber): Musikproduzent P entdeckt auf dem Videoportal youtube.com das gesanglich überaus begabte 14-jährige Mädchen M, das bislang nicht professionell „gemanagt“ wird. Er kontaktiert M über das Internet und verspricht, sie zu einem „Kinderstar“ zu machen. M willigt begeistert ein und unterschreibt ein Formular, das P „alle Rechte“ an sämtlichen youtube-Videos zusichert. P vermarktet die Videos in Kenntnis des Alters der M erfolgreich. M wird berühmt – und P wird reich. Fallvariante a: M willigt nicht ein, sondern sie gibt P lediglich ein „Like“ für seine Seite auf Facebook. P wertet dies als „Einverstandensein“ zur Verwertung der Videos. Fallvariante b: M versichert P schriftlich, bereits 18 Jahre alt und damit voll geschäftsfähig zu sein, was dieser M auch abnimmt – geblendet durch die Videos, für welche sich M immer sehr stark schminkt, was sie tatsächlich deutlich älter wirken lässt. Fallvariante c: M lehnt das Angebot des P per E-Mail ab, traut sich aber nicht, dabei deutliche Worte zu finden. Sie setzt vor allem viele „Smileys“. Der vielbeschäftigte P, der Mails prinzipiell nur überfliegt, verliest sich und geht angesichts der positiven Ausstrahlung der E-Mail und der vielen „Smileys“ tatsächlich vom Vorliegen einer Einwilligung seitens M aus. In den zuletzt skizzierten Konstellationen verwertet P jeweils die urheberrechtlich geschützten Werke einer beschränkt geschäftsfähigen Person, die als Schöpferin der Werke zwar Urheberin ist (§ 7 UrhG), aber aufgrund des Alters in Anbetracht der Vorschriften des Bürgerlichen Rechts (§§ 104 ff. BGB) nicht in der Lage ist, „alle Rechte“ abzutreten, geschweige denn überhaupt Verträge ohne Mitwirkung von Erziehungsberechtigten zu schließen. Ungeachtet aller zivilrechtlichen Brisanz dieser Fälle, steht unter strafrechtlichen Gesichtspunkten jedenfalls fest, dass P in allen drei Fällen hinsichtlich Tatobjekt, Tathandlung und Nichteingreifen eines gesetzlich zugelassenen Falles den objektiven Tatbestand des § 106 UrhG erfüllt. Im Ausgangsfall liegt zwar keine tatbestandsausschließende „Einwilligung des Berechtigten“ i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG vor, denn M konnte ihrerseits in Anbetracht der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften mangels Geschäftsfähigkeit keine wirksamen Nutzungsrechte nach § 31 UrhG einräumen. Weil P allerdings gleichwohl vom „Einverstandensein“ der M ausging, ist die Verwertung hier durch das strafrechtliche Institut der rechtfertigenden Einwilligung seitens M gedeckt – eine solche ist, wie festgestellt, nach allgemeinen strafrechtlichen Kriterien zu beurteilen und kann auch durch zivilrechtlich geschäftsfähige Personen erteilt werden, wenn diese im Einzelfall die Bedeutung und Tragweise ihrer Entscheidung zutreffend erfassen.734 Dem Verwertenden soll, wie festgestellt, zumindest im Strafprozess nicht das Risiko unwirksamer Lizenzverträge aufgebürdet werden.735 Gleichwohl erfüllt 734 735
Vgl. dazu bereits Kapitel 3 § 3 D. I. 4. c) sowie Kapitel 3 § 3 D. I. 1. Vgl. nur Hildebrandt, S. 151.
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P tatbestandlich vertyptes Unrecht. Es ist also auch gerecht, ihm tatbestandsmäßiges (und damit auch vorsätzliches) Handeln zu attestieren und lediglich die Rechtswidrigkeit seines Handelns zu verneinen. In der Fallvariante a liegt dagegen keine strafrechtliche rechtfertigende Einwilligung seitens M vor, denn diese wollte gerade nicht, dass P ihre Werke (zu seinen Zwecken) verwertet – im „Like“ einer Facebook-Seite kann nach der Verkehrsauffassung unstreitig keine dahingehende Erklärung enthalten sein, selbst wenn es sich bei den Beteiligten um Vertragspartner oder in der Vertragsanbahnung befindliche Personen handeln sollte. Allerdings geht P davon aus, dass ihm M tatsächlich eine Einwilligung erteilt habe. Dabei erkennt er in tatsächlicher Hinsicht alles korrekt, er weiß insbesondere um das tatsächliche Alter der M. Dass P gleichwohl davon ausgeht, dass M durch den „Like“ wirksam eingewilligt habe, stellt eine falsche Auslegung der (zivilrechtlichen) Vorschriften über die Willenserklärung dar, die insoweit mittelbar über die §§ 31 ff. UrhG auch durch den Tatbestand des § 106 Abs. 1 UrhG akzessorisch in Bezug genommen werden – P fehlt das Unrechtsbewusstsein und er handelt im (als Musikproduzent wohl vermeidbaren) Verbotsirrtum, § 17 StGB. In der Fallvariante b hingegen bleibt P ein tatsächlicher Umstand verschlossen, wenn er davon ausgeht, dass M bereits voll geschäftsfähig ist. Weil beim Vorliegen der Geschäftsfähigkeit seitens M eine tatbestandsausschließende Einwilligung ihrerseits als Berechtigte möglich wäre, kommt hier sogar ein „echter“ Tatumstands irrtum in Betracht, der unter direkter Anwendung von § 16 StGB zum Vorsatzausschluss führen würde. Wäre der Vertrag dagegen aus anderen Gründen ungültig, so wäre zumindest von einem Erlaubnistatumstandsirrtum auszugehen, denn M signalisiert P eindeutig, „einverstanden“ zu sein. Insoweit greift wiederum der Grundsatz, dass die Wirksamkeit des Lizenzvertrages im Strafrecht nicht zulasten des Verwertenden gehen soll. P bliebe unter analoger Anwendung von § 16 Abs. 1 S. 1 StGB straffrei. Auch in der Fallvariante c irrt sich P über einen tatsächlichen Umstand, denn er erkennt schlichtweg nicht, dass M sein Angebot ausschlägt. Allerdings kennt er dieses Mal wiederum das wirkliche Alter der M – und damit den entscheidenden Umstand für die Unwirksamkeit von Verträgen. Weil M aufgrund ihrer beschränkten Geschäftsfähigkeit keinen wirksamen Lizenzvertrag begründen kann, scheidet eine tatbestandsausschließende „Einwilligung des Berechtigten“ nach § 106 Abs. 1 S. 1 UrhG also aus. Allerdings käme grundsätzlich eine rechtfertigende Einwilligung nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen in Betracht, sofern M dem P ihr Einverständnis auch tatsächlich signalisiert hätte. P geht jedenfalls vom Vorliegen der tatsächlichen Umstände aus, die eine solche Einwilligung begründen würden, er handelt also in einem Erlaubnistatumstandsirrtum – seine Handlung bleibt analog § 16 Abs. 1 S. 1 StGB straffrei.736 Dass seine Fehlvorstellung auf einer 736 Vgl. zur strafrechtsdogmatischen Lösung des Erlaubnistatumstandsirrtums Kapitel 2 § 3 A. III.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
unsauberen Lektüre der E-Mail basiert, begründet darüber hinaus allenfalls einen Fahrlässigkeitsvorwurf, der indes im Urheberrecht in Ermangelung eines entsprechenden Straftatbestandes ebenfalls straffrei bleibt, § 15 StGB. 4. Der Irrtum über den Umfang oder die Reichweite eines eingeräumten Nutzungsrechts Vielfältig vorstellbar sind in der Praxis auch Konstellationen, in denen der Inhaber eines Nutzungsrechts – und damit der Inhaber einer tatbestandsausschließenden Einwilligung nach § 106 Abs. 1 UrhG – die Grenzen der ihm eingeräumten Lizenz überschreitet und dabei denkt, sein Handeln halte sich im Rahmen der (zumeist vertraglichen) Abrede. Dieselbe Konstellation ergibt sich entsprechend auch im Bereich der rechtfertigenden Einwilligung nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen. Von entscheidender praktischer Relevanz sind dabei in erster Linie die Regelungsmechanismen des Zivilrechts, wohingegen dem Strafrecht wiederum eher eine untergeordnete Bedeutung beizumessen ist. Denn in den meisten Fällen wird es den Parteien, wie auch in den zuvor skizzierten Konstellationen, ausschließlich um die Geltendmachung eines monetären Anspruchs gehen, und nicht um eine strafrechtliche Wirkung – zumal das Anstoßen eines Strafprozesses zwangsläufig die Grundlage einer fortgesetzten Vertragspartnerschaft vernichten dürfte. Zumindest grundsätzlich kommt allerdings, bedingt durch die strenge Zivilrechtsakzessorietät des § 106 UrhG, immer auch eine Anwendbarkeit des Strafrechts in Betracht. Beispielsfall a (Falsche Auslegung des UrhG): Täter T nimmt an, dass ein ihm eingeräumtes Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht an einem urheberrechtlich geschützten Werk ganz grundsätzlich auch das Recht beinhalte, das Werk zu „entstellen“.737 Das skizzierte Fallbeispiel liefert neuerlich einen Beleg dafür, dass zahlreiche Irrtumskonstellationen im Bereich der Verwertungsberechtigung dem Tatbestandsmerkmal „ohne Einwilligung des Berechtigten“ nicht zwangsläufig „exklusiv“ zuzuschreiben sind. Sehr gut vorstellbar wäre auch, dass T in diesem Fall nicht die ihm erteilte Einwilligung als solche beziehungsweise die ihr zugrundeliegenden Rechte oder Umstände falsch auslegt, sondern ausschließlich im Bereich der Tathandlung irrt (etwa, wenn er denkt, dass eine „Entstellung“ eine Vervielfältigung darstellt).738 Wiederum zeigt sich somit, dass Irrtümer mit Bezug zum Einwilligungsmerkmal oftmals unter Beachtung mehrerer Tatbestandsmerkmale aufzulösen sind. Indes: Mit Blick auf das ihm erteilte Recht weiß T im skizzierten Beispielsfall in tatsächlicher Hinsicht ganz genau, was er tut, wenn er die Werke „entstellt“. Er 737 738
Fall nach U. Weber, S. 295. Vgl. zu den insofern einschlägigen Irrtumskonstellationen bereits Kapitel 3 § 3 B. II.
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legt aber die ihm eingeräumten urheberrechtlichen Befugnisse falsch aus, es fehlt ihm also am Unrechtsbewusstsein. U. Weber, der dem Merkmal der Einwilligung nach § 106 Abs. 1 UrhG, wie bereits dargelegt wurde, ausschließlich rechtfertigende Wirkung zuschreibt, kommt in demselben Fallbeispiel ebenfalls zur Annahme eines Verbotsirrtums, denn der Täter irre „nicht über die tatsächlichen Voraussetzungen der Einwilligung, sondern er schreibt der Einräumung von Nutzungsrechten eine Reichweite zu, die ihr nicht zukommt, nämlich die Befugnis zum Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Urhebers […].“739 Dem ist uneingeschränkt beizupflichten. Den „Grenzbereich zwischen Tatumstands- und Verbotsirrtum“ sieht U. Weber dagegen im folgenden Sachverhalt erreicht, wobei er im Ergebnis u.U. ebenfalls einen Verbotsirrtum annimmt.740 Beispielsfall b (Falschauslegung der eingeräumten Rechte): T glaubt, die Einwilligung des Urhebers in die Verbreitung und Vervielfältigung eines Dramas ermächtige ihn auch dazu, das Werk in einem Theater aufführen zu lassen. So geschieht es. In dieser Konstellation verwirklicht T den Tatbestand einer unerlaubten Verwertung in Gestalt der öffentlichen Wiedergabe nach §§ 106, 19 UrhG, denn seine Verwertungshandlung ist nicht mehr von der tatbestandsausschließenden „Einwilligung des Berechtigten“ gedeckt. U. Weber zieht hier zutreffend zweierlei Irrtümer in Betracht: Ein Tatumstandsirrtum liege dann vor, wenn der Täter zwar wisse, dass das Recht zur öffentlichen Wiedergabe gesondert eingeräumt werden müsse, aber davon ausgeht, dies sei geschehen – und ein Verbotsirrtum sei dann anzunehmen, wenn der Täter unter falscher Vorstellung vom Urheberrecht davon ausgehe, dass das Recht zur Wiedergabe durch die Rechte zur Verbreitung und zur Vervielfältigung gleichsam enthalten sei.741 Dieser Einschätzung ist wiederum beizupflichten: Wenn T bei voller Rechtskenntnis denkt, tatsächlich ein Vortragsrecht eingeräumt bekommen zu haben, so bezieht sich diese Fehlvorstellung auf einen tatsächlichen Umstand. Dann handelt er ohne Vorsatz. Legt er dagegen das UrhG „nur“ dahingehend falsch aus, dass er ein gesondertes Recht zur öffentlichen Wiedergabe etwa nicht für existent erachtet, so ist dies ein Fall fehlenden Unrechtsbewusstseins – und damit ein Verbotsirrtum, § 17 StGB. Im skizzierten Beispielsfall liefert das Kriterium der Vermeidbarkeit einmal mehr ein adäquates Instrument zur einzelfallgerechten Lösung: Denn von einem Branchentäter wie T im Beispielsfall muss erwartet werden, dass dieser sich über die Reichweite und den Inhalt der einzelnen Verwertungsrechte informiert. Ein unvermeidbarer Irrtum wäre insofern zugunsten eines Theaterveranstalters kaum zu begründen. Beispielsfall c (Vervielfältigung beim Streamingdienst): M verantwortet einen kostenpflichtigen Musik-Streamingdienst, für dessen Betrieb ihm auf vertraglicher Basis relative Nutzungsrechte an zahlreichen Musikwerken durch die InhabeFall nach U. Weber, S. 295. Fall nach U. Weber, S. 295. 741 Vgl. U. Weber, S. 295. 739
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rin der ausschließlichen Nutzungsrechte eingeräumt wurden. Diese gestatten ihm allein die öffentliche Zugänglichmachung bestimmter Musikwerke in Gestalt des Streamings. Als Service für die wachsende Gemeinschaft von „Mobil-Nutzern“ bietet M die Möglichkeit eines vorübergehenden Downloads mithilfe einer speziellen „Smartphone-App“ an, um diesen Kunden beispielsweise die Werknutzung unterwegs ohne Internetzugang zu eröffnen. Zur Anmeldung in der „App“ bedarf es eines gültigen Kundenkontos, nach einigen Wochen löscht die „App“ die Vervielfältigungsstücke automatisch aus dem Gerätespeicher, wenn der Kunde das Mobil-Abonnement der Werke nicht manuell verlängert. Nach Kündigung des Vertragsverhältnisses werden alle Werke endgültig vom Gerätespeicher gelöscht. Auf diese Weise möchte M kontrollieren, dass der „Charakter der öffentlichen Wiedergabe“ gewahrt bleibt. Er weiß zwar, dass die Werke auf diese Weise über den Arbeitsspeicher hinaus auch im Gerätespeicher körperlich fixiert werden, wähnt sein Handeln aufgrund des „Charakters des Streamings“ aber durch die Lizenz gedeckt. Bei dieser Konstellation handelt es sich ebenfalls um einen Fall, der – bezogen auf den Glauben des M, er handle „im Recht“ – in Bezug auf mehrere Tatbestandsmerkmale des § 106 Abs. 1 UrhG problematisch erscheint. Zunächst ist festzustellen, dass M durch seinen Dienst jedenfalls Vervielfältigungen der Werke erstellt – dass der letzte Anstoß hierzu durch den Kunden erfolgt, der auf seinem Smartphone den „Download-Button“ betätigt, ist nicht von Belang, denn die Vervielfältigung erfolgt ausschließlich durch die „App“, welche die Werke integral abspeichert. Die Vervielfältigung wird in dieser Konstellation also durch M gesteuert und dementsprechend auch unter rechtlichen Gesichtspunkten verantwortet. Dabei weiß M in tatsächlicher Hinsicht auch genau, was er tut, er weiß insbesondere um die Umstände, die sein Handeln als Vervielfältigung charakterisieren – und um den Umstand, dass er eine (den Tatbestand ausschließende) Einwilligung erhalten hat, die ihm die öffentliche Wiedergabe erlaubt. Allerdings geht M davon aus, dass sein erweitertes Angebot weiterhin durch diese Einwilligung gedeckt ist. M legt also das ihm eingeräumte Recht zu weit aus, denn die dauerhafte Fixierung der Werke im Gerätespeicher geht jedenfalls über die öffentliche Wiedergabe hinaus und stellt unstreitig eine Vervielfältigung dar. Zwar ist auch bereits die kurzzeitige Vervielfältigung im Zwischenspeicher zur Ermöglichung des Streamings eine solche – allerdings greift insoweit die Schranke des § 44a UrhG und damit ein gesetzlich zugelassener Fall nach § 106 Abs. 1 UrhG ein, was beim dauerhaften Verbleib der Werke im Speicher nicht der Fall ist. Der Irrtum des M kann also entweder dahingehend gedeutet werden, dass sich dieser auf die Tathandlung der Vervielfältigung bezieht, wenn M glaubhaft macht, von einer öffentlichen Zugänglichmachung ausgegangen zu sein. Oder er wird als zu weite Auslegung einer Schranke (§ 44a UrhG) interpretiert – oder aber als „Überinterpretation“ der erteilten Einwilligung (was an dieser Stelle angenommen werden soll). Ungeachtet der exakten Zuordnung des Irrtums handelt es sich im skizzierten Beispielsfall jedenfalls um einen Verbotsirrtum, denn M weiß in jeder Hinsicht ganz genau, was er tut. Der Glaube daran, dass sich die Einwilligung auch
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auf einen dauerhaften Verbleib der Werke im Gerätespeicher erstrecken soll, kann nur so gedeutet werden, dass M irrigerweise auch die Vervielfältigung der Werke als gedeckt erachtet. Hierin liegt eine rechtliche Falschbewertung der erteilten Lizenz, M handelt somit im Verbotsirrtum. Beispielsfall d (Absolutes und relatives Nutzungsrecht): Weil sein Geschäft floriert und er Lizenzstreitigkeiten satthat, sichert sich M zunehmend auch ausschließliche Nutzungsrechte an Werken aufstrebender Künstler. So geschieht es ausdrücklich für das erste Album der Sängerin S, die nach ihrem Berühmtwerden aber die absoluten Rechte ihres zweiten Albums dem Plattenlabel P einräumt, das einen entsprechenden „Deal“ mit M nicht mittragen möchte. Zwischen M und P besteht indes schon länger ein Rahmenvertrag, der M einfache Nutzungsrechte zur öffentlichen Zugänglichmachung an allen Alben, die bei P erscheinen, einräumt. Dieser Vertrag entfaltet Wirkung auch für das zweite Album der S. M verwertet auch die neuen Werke von S weiterhin in jeder Form. Fallvariante a: M hat das Vertragsverhältnis zwischen S und dem neuen Plattenlabel noch nicht zur Kenntnis genommen. Er sieht auch die Vervielfältigungen der Songs des zweiten Albums zunächst durch die erste Einwilligung seitens S gedeckt. Fallvariante b: M findet es zwar unverschämt von S, dass diese dem Label P irgendwelche Rechte überträgt. Er geht gleichwohl davon aus, ein ausschließliches Recht zur Verwertung des zweiten Albums von S aus dem Rahmenvertrag mit M zu besitzen. Die vertragliche Situation gestaltet sich im skizzierten Beispielsfall so, dass M die Songs des zweiten Albums der S aufgrund des Rahmenvertrages mit P ausschließlich öffentlich zugänglich machen, aber nicht anderweitig verwerten darf. Er darf die Musikwerke also insbesondere nicht vervielfältigen. Jede Verwertung, die die rahmenvertraglichen Lizenzen übersteigt, ist demzufolge nicht von einer tatbestandsausschließenden Einwilligung des Berechtigten nach § 106 Abs. 1 UrhG gedeckt und erfüllt somit den objektiven Tatbestand der Strafvorschrift. In der Fallvariante a kommen gleich mehrere, getrennt voneinander zu bewertende Irrtümer des M in Betracht: Zum einen irrt M über den tatsächlichen Umstand, dass S bei einem anderen Plattenlabel unter Vertrag ist, denn er weiß hiervon nichts. Fraglich ist aber, ob sich dieser Umstand tatsächlich vorsatzausschließend auswirkt. Denn M irrt sich daneben auch bei der Auslegung der ersten Einwilligung durch S – denn diese entfaltet ausdrücklich nur Wirkung für die Werke des ersten, älteren Albums. Dieser Irrtum bezieht sich aber auf eine rechtliche Bewertung, denn M kennt insoweit alle tatsächlichen Umstände ganz genau. Er überdehnt dabei den Umfang des erstmalig eingeräumten, absoluten Nutzungsrechts, wenn er glaubt, dass dieses Recht auch weitere Produktionen erfasse. Hierin manifestiert sich das fehlende Unrechtsbewusstsein von M, er unterliegt also einem Verbotsirrtum. Dieser ist dem ebenfalls gegebenen Tatumstandsirrtum zwingend vorgelagert, denn ob M nun wusste, dass S die Nutzungsrechte an dem zweiten Album anderweitig vergeben hat oder nicht, ist nicht von Belang – das
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Unrechtsbewusstsein des M fehlt unabhängig von der Kenntnis dieses Umstands, denn er durfte das zweite Album von S ungeachtet dieser Frage von vornherein überhaupt nicht verwerten, ohne eine weitere Einwilligung auch in Bezug auf die neuen Werke einzuholen. M handelt also in einem (für einen Branchentäter vermeidbaren) Verbotsirrtum, § 17 S. 2 StGB. Weiterhin kommt in der ersten Fallvariante auch ein umgekehrter Irrtum zulasten des Handelnden in Betracht: M geht davon aus, das zweite Album auch ohne Rücksprache mit S verwerten zu dürfen – was, wie festgestellt, nicht der Fall ist. Allerdings ist er in der Tat zur Verwertung der Werke in Gestalt der öffentlichen Zugänglichmachung befugt – und zwar mittelbar kraft seines Rahmenvertrages mit P. Dessen ist er sich aus dem Grunde nicht bewusst, weil er gar nicht weiß, dass S nun bei P unter Vertrag ist. Er verkennt damit einen für ihn günstigen tatsächlichen Umstand, wenn er die Werke gleichwohl öffentlich zugänglich macht. Hierin liegt dann ein untauglicher Versuch, der eine Strafbarkeit nach §§ 106 Abs. 1, 2 UrhG, 22, 23 Abs. 1 StGB begründet.742 Auch in der Fallvariante b unterliegt M einem Verbotsirrtum, wenn er davon ausgeht, weiterhin auch über die öffentliche Zugänglichmachung hinaus verwertungsberechtigt zu sein. Auch hier kennt M alle tatsächlichen Umstände, die seine Nichtberechtigung begründen. Sein Verbotsirrtum speist sich entweder aus dem Glauben daran, als relativ Berechtigter dieselben Rechte wie ein ausschließlich Berechtigter zu besitzen oder aber aus einer falschen Auslegung des Lizenzvertrages, was indes – wie dargelegt – ebenfalls einen Irrtum über die rechtliche Bewertung darstellt und damit nach § 17 StGB zu behandeln ist. 5. Der Irrtum über die Person des Berechtigten Neben Irrtümern, die sich auf das Nutzungsrecht als solches beziehungsweise auf den Inhalt oder die Reichweite der hierdurch gewährten tatbestandsausschließenden Einwilligung beziehen, ist auch denkbar, dass sich die Fehlvorstellung eines Handelnden auf die Person des Einwilligungsberechtigten bezieht. Insoweit kommt, wie festgestellt, nur der Urheber, dessen Rechtsnachfolger – oder aber, bei einfachen Nutzungsrechten, auch der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts in Betracht.743 Allein diese Personen sind dazu berechtigt, selbst Nutzungsrechte zugunsten Dritter einzuräumen, § 31 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 UrhG,744 wobei die Einräumung von Rechten durch den Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts regelmäßig von einer Einwilligung durch den Urheber abhängig ist, §§ 34 Abs. 1, 35 Abs. 1 UrhG. Weiterhin wurde bereits klargestellt, dass als Nutzungsberechtigter i.S.d. § 106 UrhG nicht nur der Einwilligungsberechtigte anzusehen ist, weswegen auch die 742 Vgl. zur Abgrenzung des strafbaren untauglichen Versuchs vom straflosen Wahndelikt schon Kapitel 2 § 3 A. IV. sowie Kapitel 2 § 3 D. II. 4. 743 Vgl. Kapitel 3 § 3 D. I. 1. 744 Vgl. dazu Wandtke/Bullinger-Wandtke/Grunert, § 31 Rn. 35.
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Inhaber bloß relativer Nutzungsrechte strafrechtlich gesehen „nutzungsberechtigt“ sind, sodass diese im Rahmen der ihnen eingeräumten Befugnisse nicht tatbestandsmäßig handeln. Die Gegenansicht, wonach ein Tatbestandsausschluss nur demjenigen zugutekommt, der seinerseits auch eine Einwilligung erteilen kann, ist demgegenüber – wie erörtert – nicht zu befürworten.745 Ein Irrtum bezüglich der Person desjenigen, der zur Einwilligung i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG berechtigt ist, kommt in vielfältigen Konstellationen in Betracht und wird desto wahrscheinlicher, je weiter das Urheberrecht bereits „gestreut“ wurde, also insbesondere dann, wenn bereits ein ausschließliches Nutzungsrecht durch den Urheber eingeräumt wurde, dessen Inhaber das betreffende Werk sozusagen „mittelt“ – oder gar, wenn dieses Nutzungsrecht seinerseits bereits abgetreten wurde. Als ebenso problematisch erweisen sich Konstellationen, in denen mehrere Urheber beteiligt sind, etwa bei der Miturheberschaft (§ 8 UrhG) oder bei „zusammengesetzten“ Werken wie Filmwerken, die aus mehreren einzelnen Werken bestehen (§§ 2 Abs. 1 Nr. 6; 88 ff. UrhG), bei Sammelwerken (§ 4 UrhG) oder bei Vorliegen einer ihrerseits schutzfähigen Bearbeitung oder Umgestaltung (§§ 3, 23 UrhG). Denn mit einer steigenden Zahl potenzieller Einwilligungsberechtigter wird die urheberrechtliche Lage für den Normadressaten zunehmend unübersichtlicher, was eine Antwort auf die Frage, wessen Einwilligung im Sinne des Straftatbestandes im Einzelfall tatsächlich einzuholen ist, erschwert – und damit, strafrechtlich gesehen, unmittelbar Virulenz für den Vorsatz und das Unrechtsbewusstsein entfaltet. Daneben ist festzustellen, dass das Stufenverhältnis vom Urheberrecht zum ausschließlichen Nutzungsrecht hin zum einfachen Nutzungsrecht ebenfalls eine breite Angriffsfläche für eventuelle Fehlvorstellungen bietet, denn der insoweit unbestrittenermaßen ohnehin hohe Grad an Komplexität des UrhG wird verstärkt durch die Vielgestaltigkeit urheberrechtlicher Nutzungsverträge,746 deren Regelungen – bedingt durch die vollumfänglich gewährleistete zivilrechtliche Vertragsfreiheit – für einen durchschnittlichen Nutzer kaum durchdrungen beziehungsweise „verstanden“ werden können. Weil vor allem einfache Nutzungsrechte beliebig oft eingeräumt werden können und daneben, wie soeben erwähnt, auch ausschließliche Nutzungsrechte übertragbar sind, §§ 34, 35 UrhG, ist die genaue Berechtigungslage i.S.d. UrhG in vielen Fällen für den Letztverwertenden nicht zweifelsfrei bestimmbar. Besonders anschaulich wird diese Problematik mithilfe der geläufigen Bezeichnungen des Urheberrechts als „Mutterrecht“ sowie der eingeräumten Nutzungsrechte als „Tochterrechte“ und „Enkelrechte“.747 Der exakte Verbleib und der Umfang 745
Vgl. dazu Kapitel 3 § 3 D. I. 4. c). zu diesen Fragen etwa Dreier/Schulze-Schulze, § 31 Rn. 15 ff.; Fromm/Nordemann-J. B. Nordemann, § 31 Rn. 5 ff., 46 ff.; Wandtke/Bullinger-Wandtke/Grunert, § 31 Rn. 27 ff. 747 Vgl. Dreier/Schulze-Schulze, § 31 Rn. 11; Wandtke/Bullinger-Wandtke/Grunert, § 31 Rn. 1. 746 Vgl.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
der einzelnen erteilten Berechtigungen wird mit steigender „Verästelung“ eines solchen „Stammbaums“ immer weniger beteiligten Rechteinhabern bekannt sein, was eine zutreffende Einschätzung der Berechtigungslage in Bezug auf ein Werk erschwert. Ein solchermaßen komplexer „Stammbaum“ ändert dabei freilich nichts an dem klaren Grundsatz, dass eine wirksame Einwilligung nach § 106 Abs. 1 UrhG immer nur durch den Urheber, den Inhaber des ausschließlichen Nutzungsrechts oder die Rechtsnachfolger des Urhebers erteilt werden kann. Indes steigt mit zunehmender Komplexität des „Stammbaums“ jedenfalls die Wahrscheinlichkeit, dass irgendein Nutzer in der Kette einem Irrtum hinsichtlich eines bestehenden – oder gerade nicht bestehenden – Nutzungsrechts an dem jeweiligen Werk unterliegt. All diese Umstände entfalten, angesichts der strengen Zivilrechtsakzessorietät der §§ 106 ff. UrhG, auch für die strafrechtliche Beurteilung eine nicht zu unterschätzende Wirkung. Mithilfe der folgenden Beispielsfälle sollen Irrtümer, die sich auf die Person des Einwilligungsberechtigten beziehen, exemplarisch dargestellt werden. Die hierbei gefundenen Ergebnisse lassen sich auf sämtliche Irrtümer, die in – angesichts der Komplexität der Berechtigungsfragen mannigfach denkbaren – ähnlichen Umständen begründet liegen, übertragen. Beispielsfall a (Personenverwechslung): F betreibt eine Fotoagentur, für die sie Fotografien (Lichtbildwerke nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG) direkt von den Urhebern bezieht und sich gegen einmalige Bezahlung die ausschließlichen Nutzungsrechte an den Fotos einräumen lässt, welche insbesondere auch das vorweggenommene Einverständnis der Urheber zur weiteren Vermarktung durch F beinhalten. Die Fotos bekommt F von den Fotografen per Mail zugesandt, woraufhin sie im Einzelfall entscheidet, welche Werke sie abnehmen möchte. Erst nach einem weiteren Mailkontakt erhält sie das vertragliche Nutzungsrecht eingeräumt. Fallvariante a: F verwertet Aufnahmen eines Fußballspiels in der Annahme, diese vom Fotografen X zugeschickt bekommen zu haben. Dessen Einwilligung holt sie auch ein. Tatsächlich handelt es sich aber um Aufnahmen von Y, den sie nicht mehr kontaktiert hatte. Y ist empört, zumal er tags darauf seine Fotos unter dem Namen des X in einer Zeitung entdeckt. Fallvariante b: F verwertet Aufnahmen von X, der ihr am Telefon gesagt hatte, sie dürfe die von ihm verschickten Fotos verwerten. Tatsächlich stammen die Aufnahmen aber von Y und X hatte diese vom prahlerischen Y nur zur Ansicht per Mail zugesandt bekommen. Fallvariante c: F verwertet wiederum Aufnahmen, die ihr X wie in Fallvariante b zugeschickt hatte, die aber eigentlich Y gehören – was sie auch gleich an der „Handschrift“ des Fotografen erkennt. Gleichwohl geht sie davon aus, angesichts der Aussage von X zur Verwertung berechtigt zu sein – dessen Fehlverhalten sei ihr schließlich nicht anzulasten. In allen Varianten verwertet F urheberrechtlich geschützte Werke, ohne eine (tatbestandsausschließende) Einwilligung des tatsächlich Berechtigten erhalten zu haben. Dabei geht sie sowohl in der Fallvariante a als auch in der Fallvariante b
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davon aus, den „richtigen“ Fotografen um dessen Einwilligung gebeten zu haben. Es handelt sich also jeweils um Verwechslungen, die dazu führen, dass F einen tatsächlichen Umstand verkennt, welcher der Berechtigung zur Erteilung einer den Tatbestand ausschließenden Einwilligung i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG zugrunde liegt. F handelt also beide Male im Tatumstandsirrtum, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Anders gestaltet sich die rechtliche Bewertung in der Fallvariante c: Hier erkennt F die Fotografien zutreffend als solche des Y – wenn sie nun davon ausgeht, gleichwohl zur Verwertung berechtigt zu sein, manifestiert sich hierin lediglich ihr fehlendes Unrechtsbewusstsein, denn sie weiß um alle tatsächlichen Umstände, die ihre Handlung zu einer unerlaubten Verwertung machen. Sie handelt also im Verbots irrtum, § 17 StGB. Auch Kircher erkennt einen Tatumstandsirrtum in dem Fall, dass „der Täter einer Personenverwechslung unterliegt und aufgrund dessen die falsche Person als Urheber ansieht.“748 Mit Vorsatz handle dagegen derjenige Täter, der eine falsche Urheberbezeichnung auf einem Werk als solche entlarve, aber gleichwohl davon ausgehe, dass die Einwilligung des „falschen Urhebers“ seine Verwertung rechtfertige.749 Dem ist zuzustimmen, denn dann liegt wiederum keine Verwechslung, sondern eine Fehlvorstellung über ein formales Erfordernis der Einwilligungsberechtigung vor, wenn der Verwertende den Aufdruck auf einem Werkexemplar für entscheidend hält. Dieser Irrtum basiert indes auf einer falschen Rechtsauslegung, er ist demzufolge – mit Kircher – als Verbotsirrtum einzustufen. Beispielsfall b (Abgetretenes Recht): Musiker M hat der Plattenfirma P vertraglich die absoluten Nutzungsrechte an all seinen Musikwerken eingeräumt, ohne dabei eine Bestimmung nach § 31 Abs. 3 S. 2 UrhG getroffen zu haben, wonach auch der Urheber selbst zur Nutzung berechtigt bleiben kann. Gleichwohl erteilt M dem ihm bekannten Filmproduzenten F eine Einwilligung zur Nutzung all seiner Songs für ein groß angelegtes Filmprojekt. F macht hiervon Gebrauch, ohne sich weitere Gedanken zu machen. Fallvariante: Nicht M als Urheber, sondern P in ihrer Funktion als Inhaberin des ausschließlichen Nutzungsrechts, erteilt F ein relatives Nutzungsrecht zur Verwertung der Werke zu Filmzwecken, allerdings ohne M, der selbst in der Filmbranche aktiv ist, einzubeziehen, obwohl sich dieser die Einräumung von Unterlizenzen für Filmprojekte vertraglich vorbehalten hatte (§ 35 UrhG). F rechnet damit, dass M (mit dem es inzwischen ein Zerwürfnis gegeben hatte) unter Umständen nicht einverstanden sein könnte. Im Ausgangsfall verwertet F urheberrechtlich geschützte Werke, ohne tatsächlich über eine tatbestandsausschließende Einwilligung des Berechtigten nach § 106 Abs. 1 UrhG zu verfügen, denn M konnte nicht mehr wirksam einwilligen. Allerdings macht sich F, ausgelöst durch das erteilte Einverständnis durch M, keine Gedanken über eine mögliche Rechtsverletzung. Fraglich ist, ob hierin ein vor748 749
Kircher, S. 179. Kircher, S. 180.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
satzausschließender Irrtum gesehen werden kann, § 16 StGB, oder ob es insofern lediglich am Unrechtsbewusstsein fehlt, § 17 StGB. Richtigerweise muss differenziert werden: Weiß M überhaupt nichts von der Rechteinhaberschaft der Plattenfirma, so fehlt ihm die Kenntnis eines tatsächlichen Umstandes, der das Einwilligungserfordernis zugunsten der Plattenfirma überhaupt auslöst. Er irrt dann über einen Umstand, der zum Tatbestand gehört i.S.d. § 16 Abs. 1 StGB und handelt somit ohne Vorsatz. Anders gestaltet sich die Beurteilung indes, wenn M jedenfalls damit rechnet – also billigend in Kauf nimmt, dass M als Urheber seine absoluten Nutzungsrechte einer Plattenfirma abgetreten haben könnte und gleichwohl davon ausgeht, dass der Urheber weiterhin in der Lage sei, alleine wirksam in die Verwertung „seiner“ Werke einzuwilligen. Dann verfügt er über die erforderliche Tatsachenkenntnis – sein Irrtum erweist sich dann als fehlendes Unrechtsbewusstsein, sodass § 17 StGB einschlägig wäre. F handelt dann vorsätzlich. In der Fallvariante liegt die umgekehrte Situation vor, dass der Inhaber des ausschließlichen Nutzungsrechts eine Einwilligung i.S.d. § 106 Abs. 1 UrhG erteilt, die für sich allein aber noch nicht wirksam ist, weil die Einräumung eines weiteren Nutzungsrechts (hier als „Enkelrecht“) auch der Einholung eines vorherigen Einverständnisses Urhebers bedarf – womit F als Verwertender in der konkreten Konstellation auch rechnet (ob dies in der Praxis auch tatsächlich realistisch ist, sei an dieser Stelle dahingestellt). F kennt also alle Umstände, die die Personen der Einwilligungsberechtigten ausmachen – und handelt somit vorsätzlich. Beispielsfall c (Miturheber): Die beiden Autoren A und B haben gemeinsam ein Drehbuch geschrieben, das sie auch gemeinsam vermarkten. Filmproduzent F ist begeistert vom Drehbuch und möchte dieses verwerten. Weil er A persönlich gut kennt, holt er sich dessen Einwilligung zur Verwertung des Werks. B äußert gegenüber F nur, dass er ihn nicht leiden könne und sich das Ganze gut überlegen müsse. Zwischen A und B entbrennt ein Streit, woraufhin die beiden ein Jahr lang nicht miteinander reden. In dieser Zeit kommt der Film des F auf den Markt.750 Fallvariante a: F hält die „beleidigende“ Aussage des B für eine treuwidrige Ausschlagung der Einwilligung und kümmert sich aus diesem Grunde nicht um eine Einwilligung von B. Fallvariante b: F geht tatsächlich vom Vorliegen einer Vertretungsmacht des A auch zugunsten des B aus. Er hält B ohnehin nur für den „kreativen Kopf“ des Gespanns, weil A auch in der Vergangenheit das Geschäftliche stets allein erledigt hat. Fallvariante c: F geht – anders als im Ausgangsfall – von vornherein davon aus, dass A das Drehbuch alleine verfasst habe und B nicht Urheber, sondern nur ein „Gehilfe“ sei, weswegen er die Einwilligung seitens des A für ausreichend hält. Die Vorschrift des § 8 Abs. 2 S. 1 UrhG bestimmt, dass die Verwertung eines Werkes, an dem Miturheberschaft besteht, den Miturhebern zur gesamten Hand 750
Vgl. zu ähnlichen Konstellationen auch Kircher, S. 166 f., 181 ff.
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zusteht. Dies hat zur Folge, dass eine wirksame Verwertung die vorherige Zustimmung aller Miturheber i.S.d. § 183 BGB voraussetzt, soweit nicht im Innenverhältnis einem der Urheber eine umfassende Vertretungsmacht zugunsten aller eingeräumt wurde.751 Im zivilrechtlichen Schrifttum wird daher überwiegend die Auffassung vertreten, dass eine nachträgliche Zustimmung durch einen übergangenen Urheber zu einer bereits erfolgten Verwertungshandlung, also eine Genehmigung i.S.d. § 184 BGB, generell nicht mehr möglich sei.752 Eine solche habe der Gesetzgeber im Sinne der Rechtssicherheit bewusst nicht zugelassen.753 Allerdings wird eine nachträgliche Erklärung dieses Inhalts im Schrifttum überwiegend als Verzichtserklärung des Miturhebers hinsichtlich seiner Ansprüche aufgefasst, die ihm ggf. angesichts der Verletzung seines Urheberrechts zustehen, sodass sich zumindest faktisch dasselbe Resultat ergibt.754 Für das Strafrecht gilt ungeachtet dessen unbestrittenermaßen, dass jede Verwertung, die ohne Einwilligung aller Miturheber erfolgt, eine unerlaubte i.S.d. § 106 UrhG ist. In allen skizzierten Varianten des Beispielsfalls verwertet F ein durch A und B gemeinsam geschaffenes Drehbuch, das sich nur in seiner Gesamtheit verwerten lässt. Es handelt sich also um ein Werk, an dem Miturheberschaft der beiden Schöpfer besteht, § 8 Abs. 1 UrhG. Prinzipiell benötigt F somit die zivilrechtlich wirksame Einwilligung beider Urheber, um eine für § 106 Abs. 1 UrhG wirksame tatbestandsausschließende Einwilligung des beziehungsweise der Berechtigten zu erhalten. In allen Varianten liegt F indes nur die Einwilligung des A vor. Die Verwertung des Werkes ist demzufolge in allen Konstellationen (unheilbar) unerlaubt. In der Fallvariante a verzichtet F nur aus dem Grund auf die Einholung einer Einwilligung von B, weil er dessen Aussage für eine treuwidrige Ausschlagung einer solchen hält. Insofern ist § 8 Abs. 2 S. 2 UrhG in Betracht zu ziehen, wonach ein Miturheber seine Einwilligung zur Verwertung nicht wider Treu und Glauben verweigern darf. Allerdings entfaltet diese Regelung ausschließlich Wirkungen im Innenverhältnis, sodass eine Verwertung nach zutreffender herrschender Auffassung selbst bei Vorliegen einer treuwidrigen Ablehnung erst nach – ggf. klageweiser – Geltendmachung der Einwilligung erfolgen darf.755 Das bedeutet, dass 751 Dreier/Schulze-Schulze, § 8 Rn. 16; Rehbinder/Peukert, Rn. 366; Wandtke/Bullinger-Thum, § 8 Rn. 31. 752 Dreier/Schulze-Schulze, § 8 Rn. 16; Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 8 Rn. 15; Wandtke/Bullinger-Thum, § 8 Rn. 31; a.A. BeckOK-UrhG-Ahlberg, § 8 Rn. 31 – „rechtlich nicht vertretbare Inkonsequenz zu der rechtlichen Behandlung der Veröffentlichung gem. § 6 [UrhG].“ 753 Vgl. BT-Drucks. 4/270, S. 41; ferner Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 8 Rn. 15; Wandtke/Bullinger-Thum, § 8 Rn. 31; kritisch hierzu BeckOK-UrhG-Ahlberg, § 8 Rn. 31. 754 Vgl. Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 8 Rn. 15; Wandtke/Bullinger-Thum, § 8 Rn. 31. 755 Dreier/Schulze-Schulze, § 8 Rn. 16; Dreyer/Kotthoff/Meckel-Dreyer, § 8 Rn. 40; Wandtke/Bullinger-Thum, § 8 Rn. 33; vgl. aber auch BeckOK-UrhG-Ahlberg, § 8 Rn. 32 – die Beschreitung des Klageweges sei ein „stumpfes Schwert“, die treuwidrige Nichtertei-
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es sich bei der Handlung von F selbst dann um eine tatbestandsmäßige unerlaubte Verwertung nach § 106 Abs. 1 UrhG handelt, wenn die Ausschlagung tatsächlich gegen Treu und Glauben verstoßen würde. Dass F dennoch davon ausgeht, kein zusätzliches Einverständnis des Miturhebers zu benötigen, ist eine falsche Auslegung des Urheberrechts und begründet einen Verbotsirrtum – in tatsächlicher Hinsicht hat F dagegen alles korrekt erfasst. In der Fallvariante b dagegen geht F davon aus, dass A als Vertreter auch wirksam für B einwilligen durfte. Es ist zumindest im skizzierten (kurzen) Sachverhalt davon auszugehen, dass F insoweit tatsächlich vom Vorliegen einer Vertretungsmacht ausging, sich also einen tatsächlichen Umstand vorstellte, der in Wirklichkeit nicht gegeben war. Somit wäre von einem Tatumstandsirrtum auszugehen, § 16 StGB. Allerdings wäre, je nach Sachverhaltsgestaltung im Einzelfall, durchaus ebenso gut denkbar, dass F „nur“ einem Verbotsirrtum unterliegt – was etwa dann angenommen werden müsste, wenn sich bei der Beweisaufnahme herausstellen würde, dass F die rechtlichen Voraussetzungen der Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB) falsch auslegt (beispielsweise, weil er denkt, die Vollmacht gelte als erteilt, nachdem B keinen schriftlichen Widerspruch gegen die Erklärung von A einlegt). In der Fallvariante c irrt sich F wiederum über einen tatsächlichen Umstand, wenn er B von vornherein nicht für einen Miturheber, sondern nur für einen Gehilfen von A hält. Er handelt demzufolge im Tatumstandsirrtum, § 16 StGB. Auch in dieser Konstellation rückt jedoch die Bedeutung einer genauen Tatsachenfeststellung in den Vordergrund, denn neuerlich wäre durchaus denkbar, dass F den B lediglich aus dem Grunde nicht für einen Miturheber hält, weil er die Vorschriften des Urheberrechts falsch auslegt (wenn er beispielsweise weiß, dass A und B das Drehbuch gemeinsam geschrieben haben, aber denkt, es könne immer nur einen Urheber geben). Dann wäre von einem fehlenden Unrechtsbewusstsein auszugehen, § 17 StGB.756 Beispielsfall d (Bearbeitungen): Kunstsammler K verwertet die schutzfähige Bearbeitung eines Kunstwerks und lässt sich hierfür ein Nutzungsrecht durch den Bearbeitenden einräumen. Er geht davon aus, dass diese Einwilligung genügt.757 Fallvariante a: K holt nur die Einwilligung des Urhebers des Originals ein – er denkt, der Urheber sei schließlich immer noch der Hauptverantwortliche in der Hinsicht. Fallvariante b: K erkennt die Bearbeitung zwar als solche, geht dabei allerdings irrigerweise davon aus, dass sowohl die Bearbeitung als auch das Werk von demselben Urheber stammen. An einer Bearbeitung bestehen, wie auch Kircher in seiner Untersuchung zur Irrtumslehre zutreffend feststellt, „zwei Urheberrechte“758 – dasjenige des Bearbeilung einer Einwilligung führe deswegen als unzulässige Rechtsausübung nach § 162 BGB „zumindest analog“ zum Eingreifen einer Erteilungsfunktion. 756 Vgl. dazu auch Kircher, S. 181 ff. 757 Vgl. zu ähnlichen Konstellationen auch Kircher, S. 184 ff. 758 Kircher, S. 184.
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ters an seiner Bearbeitung und dasjenige des Urhebers am bearbeiteten Original. Weil bei der Verwertung einer Bearbeitung dementsprechend zwangsläufig beide Urheberrechte tangiert sind, müssen beide Parteien in die Verwertung einer Bearbeitung einwilligen,759 damit der Tatbestand des § 106 Abs. 1 UrhG ausgeschlossen ist. In diesem Bereich irrt sich auch K im skizzierten Beispielsfall d sowie in der – entsprechend zu behandelnden – Fallvariante a: Er kennt dabei bereits dann alle tatsächlichen Umstände, wenn er die Bearbeitung als solche erkennt. Denn dann kennt er auch den Umstand, dass neben dem Urheber beziehungsweise dem Bearbeiter jeweils eine weitere Person als Einwilligungsgeber in Betracht zu ziehen ist. Der Glaube daran, dass die Einwilligung bereits eines Berechtigten insofern ausreichend sei, fußt auf einem fehlenden Unrechtsbewusstsein – K handelt vorsätzlich, aber im Verbotsirrtum, § 17 StGB. Anders gestaltet sich die Beurteilung in der Fallvariante b. Hier geht K bezüglich der Urheberschaft am Original und an der Bearbeitung von Personenidentität aus. Holt K in dieser Konstellation tatsächlich eine (tatbestandsausschließende) Einwilligung des Urhebers für die Verwertung der Bearbeitung ein, so ist bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass der Urheber – gleichsam in seiner „Doppelfunktion“ auch als Bearbeiter – gleichzeitig auch die Einwilligung hinsichtlich seines ursprünglichen Werks erteilt. Macht K nun glaubhaft, davon ausgegangen zu sein, dass das Original und seine Bearbeitung von ein- und derselben Person stammen, so liegt ein Irrtum über einen tatsächlichen Umstand vor, K handelt also ohne Vorsatz, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Identische Konstellationen ergeben sich insoweit auch bei Sammelwerken, § 4 Abs. 1 UrhG, sowie allen übrigen Werken, an denen mehrere Urheber beteiligt sind. Weitere praktische Beispiele sind insoweit das Filmwerk, welchem in der Regel zahlreiche Elemente zugrunde liegen (Laufbilder, Musik, Drehbuch etc.) oder ein gesungenes Musikwerk, dessen Text von einem anderen Urheber stammt als die Melodie. Insoweit lassen sich die getroffenen Feststellungen unproblematisch übertragen.760 Beispielsfall e (Urheber als Täter): Urheber U hat ein Buch geschrieben und seine ausschließlichen Nutzungsrechte an diesem Werk – wirksam – einem Verlag eingeräumt, ohne sich eine eigene Nutzung vorzubehalten. Er kommt dabei nicht auf die Idee, selbst gegen die Rechte des Verlages zu verstoßen, wenn er seine ihm – ausschließlich zu Rezensions- und nicht zu Verkaufszwecken überlassenen – Freiexemplare bei Lesungen veräußert.761 Fallvariante a: U verwertet eine Bearbeitung seines Werks, deren Verwertung durch den Bearbeitenden er ursprünglich einmal zugestimmt hatte. Er sieht sich dabei im Recht, schließlich stamme das Original von ihm und außerdem verwerte der Bearbeiter auch sein Originalwerk im Rahmen seiner Befugnisse jedes Mal mit. 759 BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 106 Rn. 33; Dreier/Schulze-Dreier, § 106 Rn. 9; Kircher, S. 184; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 116; U. Weber, S. 270. 760 Vgl. zum Irrtum über die Einwilligung beim Sammelwerk auch Kircher, S. 189 ff. 761 Vgl. zu ähnlichen Konstellationen auch Kircher, S. 211 ff.
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Fallvariante b: U hat das Buch gemeinsam mit seiner Partnerin P geschrieben, wobei den Anteilen nach gleichwertige Leistungen vorliegen, sodass unstreitig von Miturheberschaft nach § 8 UrhG auszugehen ist. U hält den Beitrag seiner Partnerin demgegenüber – fälschlicherweise – für vollkommen unbedeutend und sieht sich deshalb als alleinigen Urheber an. Er verwertet das Werk ohne Einwilligung von P. In den zuletzt skizzierten Varianten verwertet U jeweils urheberrechtlich geschützte Werke, wobei er in allen Fällen in tatsächlicher Hinsicht genau weiß, was er tut. Allerdings wähnt er sein Handeln jedes Mal durch sein eigenes Urheberrecht gedeckt und verkennt darum, dass er sowohl in Bezug auf die Verwertung „seines“ Werks, an dem er alle absoluten Rechte abgetreten hat (Beispielsfall e) als auch in Bezug auf die Verwertung der fremden Bearbeitung (Fallvariante a) sowie für die Verwertung des gemeinsam erschaffenen Werkes (Fallvariante b) eine Einwilligung der anderweitig berechtigten Personen einzuholen verpflichtet ist. Dabei handelt es sich jeweils um Verbotsirrtümer, die nach § 17 StGB zu behandeln sind.
§ 4 Irrtumskonstellationen bei gewerbsmäßigem Handeln Der Qualifikationstatbestand des § 108a UrhG stellt für die gewerbsmäßige unerlaubte Verwertung von urheberrechtlich geschützten Werken eine verschärfte Höchststrafandrohung von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe (statt bis zu drei Jahren) auf. Neben dem Zentraltatbestand des § 106 UrhG sind auch die §§ 107, 108 UrhG hiervon betroffen. Der Begriff der Gewerbsmäßigkeit ist in § 108a UrhG gleich auszulegen wie auch sonst im Strafrecht.762 Es geht also um Handlungen, die der Täter in der Absicht vornimmt, sich durch die wiederholte Begehung solcher oder ähnlicher Taten eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu schaffen, wobei diese Tätigkeit nicht zwingend den hauptsächlichen oder regelmäßigen Erwerb des Täters begründen muss, sondern auch einen Nebenerwerb darstellen darf, solange dieser nur nicht gänzlich untergeordnet oder geringfügig ist.763 Es kann insbesondere auch bereits ausreichend sein, dass die Tat nur mittelbar als Einnahmequelle dient, „der Täter sich also mittelbar geldwerte Vorteile über Dritte aus den Tathandlungen verspricht.“764 Ein Beispiel hierfür liegt etwa beim Betreiben einer „Filehosting“-Website vor, die sich nicht über die (zumeist kostenfreie) Nutzung des illegalen Videomaterials, sondern mittelbar über 762 BGH GRUR 2004, 421 (427); Fromm/Nordemann-Ruttke/Scharringhausen, § 108a Rn. 3; Hildebrandt, S. 232; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108a UrhG Rn. 2. 763 Vgl. BGHSt 1, 383 (383); BGH GRUR 2004, 421 (427); Dreier/Schulze-Dreier, § 108a Rn. 5; Dreyer/Kotthoff/Meckel-Kotthoff, § 108a Rn. 2; Heinrich, Strafbarkeit, S. 287; Hildebrandt, S. 232 f.; Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 113; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108a UrhG Rn. 2; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Bosch, Vor § 52 Rn. 95; Wandtke/ Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 108a Rn. 1. 764 BGH GRUR 2004, 421 (427).
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Werbung finanziert.765 Nicht erforderlich ist dabei, dass der Täter etwa ein (offensichtliches) „kriminelles Gewerbe“ unterhält oder „als typischer Urheberrechtspirat“ auftritt.766 Bezogen auf § 108a UrhG sind zahlreiche Fehlvorstellungen der Handelnden denkbar, die sich auf die Gewerbsmäßigkeit der Tat im Besonderen beziehen. Auch diese Fälle sind unter Rückgriff auf die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre zu lösen. Angesichts der festgestellten Einordnung des § 108a UrhG als Qualifikationstatbestand, stellt die Gewerbsmäßigkeit ein reguläres Tatbestandsmerkmal (das einzige „eigene“ Merkmal des § 108a UrhG) dar, auf welches sich demzufolge erstens auch der Vorsatz beziehen muss und in Bezug auf welches dem Täter, zweitens, auch das Unrechtsbewusstsein fehlen kann. Wie ansonsten auch, reicht bezüglich der Gewerbsmäßigkeit des Handelns bedingter Vorsatz aus.767 Wie Irrtümer bezüglich der Gewerbsmäßigkeit als solcher zu behandeln sind, wird in der urheberstrafrechtlichen Literatur nur am Rande behandelt und dabei unterschiedlich beurteilt. Beispielsfall a („Kleiner“ Nebenverdienst): Täter T vertreibt Raubkopien mithilfe einer Facebook-Gruppe und verdient sich so ein kleines, aber regelmäßiges Zubrot. Er hat gehört, dass die Staatsanwaltschaften (was, wie festgestellt,768 zutrifft) meistens nur gewerbsmäßiges Handeln auch tatsächlich verfolgen. Er geht davon aus, dass gewerbsmäßig im Sinne des Strafrechts nur derjenige handeln könne, der auch einen Gewerbebetrieb unterhalte. In der skizzierten Konstellation verwertet T in gewisser Regelmäßigkeit urheberrechtlich geschützte Werke und schafft sich hierdurch eine fortdauernde Einnahmequelle von einigem Umfang. Er weiß dabei auch um alle tatsächlichen Umstände, die den Tatbestand der gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung erfüllen, §§ 106 Abs. 1, 108a Abs. 1 UrhG. Gleichwohl wähnt er sich straffrei, wobei dieser Irrtum darin begründet liegt, dass er die Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal der Gewerbsmäßigkeit falsch bewertet. Deumeland stuft diesen Fall als einen – den Vorsatz ausschließenden – Tat umstandsirrtum ein, § 16 StGB.769 Heinrich nimmt demgegenüber in demselben Fall einen Verbotsirrtum an, sieht jedoch zumindest grundsätzlich auch die (theoretische) Möglichkeit anderweitig denkbarer Tatumstandsirrtümer in Bezug auf gewerbsmäßiges Handeln.770 Zumindest regelmäßig sei bei einem Irrtum „über
765 Vgl. LG Leipzig ZUM 2013, 338 (345 f.); AG Leipzig NZWiSt 2012, 390; zu diesen Verfahren insbesondere auch Reinbacher, NStZ 2014, 57. 766 Dreier/Schulze-Dreier, § 108a Rn. 5. 767 BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 108a Rn. 3; Dreier/Schulze-Dreier, § 108a Rn. 7; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108a UrhG Rn. 5; Schricker/Loewenheim-Haß, § 108a Rn. 3. 768 Vgl. zur Strafverfolgungspraxis im Urheberrecht bereits Kapitel 1 § 2. 769 Deumeland, StraFo 2006, 487 (487). 770 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108a UrhG Rn. 5.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
Elemente der Gewerbsmäßigkeit“ aber ein Verbotsirrtum anzunehmen.771 Flechsig hingegen stellt die These auf, ein Irrtum über „das subjektive Moment“ der Gewerbsmäßigkeit könne „allenfalls zu einem Subsumtionsirrtum“ führen, der nie einen Vorsatz-, sondern allenfalls einen Schuldausschluss zur Konsequenz habe.772 Warum Deumeland im skizzierten Fallbeispiel zur Annahme eines Tatumstandsirrtums kommt, bleibt ohne Begründung. Dieses Ergebnis kann nur dadurch erzielt werden, dass die Gewerbsmäßigkeit als normatives Tatbestandsmerkmal begriffen wird, das der Täter sodann verkennt, wenn er dessen rechtliche Bedeutung nicht zumindest „laienhaft“ korrekt erfasst. Diese Annahme ist freilich schon unter dem Gesichtspunkt problematisch, dass bereits die Annahme des objektiven Tatbestandes der Gewerbsmäßigkeit den Täter zu einem Branchentäter qualifiziert – wodurch ihm zwangsläufig verstärkte Informationspflichten aufzuerlegen sind. Die „Laiensphäre“ der solchermaßen qualifizierten Täter müsste dann aber auch – konsequenterweise – eine andere sein als diejenige eines nicht gewerbsmäßig Handelnden. Kurzum: In der Praxis einen Tatumstandsirrtum auch tatsächlich glaubhaft zu machen, dürfte kaum gelingen. Eine adäquate Lösung ermöglicht demgegenüber wiederum die Vorgehensweise von Heinrich, der sodann auch im Beispielsfall zur richtigen Annahme eines Verbotsirrtums kommt. Denn wenn T alles Tatsächliche richtig erfasst hat und nur eine falsche Vorstellung von der Rechtslage in Bezug auf die Gewerbsmäßigkeit hat, so fehlt ihm augenscheinlich das Unrechtsbewusstsein. Er handelt somit im Verbotsirrtum, § 17 StGB, dessen Unvermeidbarkeit – wie angedeutet – durch einen Branchentäter nur schwer glaubhaft gemacht werden kann. Im Ergebnis dürfte insoweit also – mit Heinrich – tatsächlich von einer Dominanz des Verbotsirrtums auszugehen sein. Der weitergehende Vorschlag von Flechsig, in Bezug auf das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit immer zu einem Verbotsirrtum zu gelangen, begegnet allerdings vom Grundsatz her durchgreifenden Bedenken. Dass Tatumstandsirrtümer niemals von vornherein ausgeschlossen werden können, zeigt sodann auch der folgende Beispielsfall. Beispielsfall b (Irrtum über Tatsachen, die die Gewerbsmäßigkeit begründen): Blogger B hält in seinem Blog allerlei Verschiedenes parat, von der eigenen täglichen Berichterstattung über Modefotos bis hin zur Verlinkung von Inhalten anderer Medien. Der ausschließlich hobbymäßig (zur Befriedigung des eigenen Geltungsbedürfnisses) betriebene Blog ist zwar nicht sonderlich gut frequentiert. Dennoch freut sich B hin und wieder über Werbeeinnahmen, die allerdings marginal sind (und dementsprechend nicht die Schwelle zur Gewerbsmäßigkeit begründen). Je nach Anzahl der tatsächlichen „Klicks“ bekommt B von einer Marketing-Agentur, die auf seinem Blog selbstständig die betreffenden Anzeigen veröffentlicht, nach einer halbjährlichen Abrechnung Geld überwiesen. Irgendwann beginnt B damit, auf seinem Blog auch Download-Links zu urheberrechtlich geschützten Musikwerken 771 Müko-StGB-Heinrich, 772 Loewenheim-Flechsig,
2. Aufl., § 108a UrhG Rn. 5. § 90 Rn. 114.
§ 5 Irrtümer aus dem Bereich der Beteiligungslehre
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zu veröffentlichen, wobei er damit rechnet, dass er dadurch Urheberrechte verletzen könnte. Dies ist ihm aber gleichgültig. Sein Blog gewinnt enorm an Zuspruch, was die Werbeeinnahmen exorbitant steigen lässt – was B allerdings erst sechs Monate später durch die Abrechnung erfährt. Bei Vornahme seiner Handlungen weiß B nicht, dass sich diese unter Umständen gewinnbringend auswirken würden. In dieser Konstellation weiß B zum Zeitpunkt seiner Handlungen in tatsächlicher Hinsicht jeweils ganz genau, dass er urheberrechtlich geschützte Werke ohne Einwilligung des Berechtigten zum Abruf bereithält, diese also öffentlich zugänglich macht. Er hat somit jeweils Vorsatz in Bezug auf eine Tat nach § 106 Abs. 1 UrhG. Fraglich ist, ob er auch vorsätzlich hinsichtlich einer Gewerbsmäßigkeit seiner Handlungen agiert. Objektiv betrachtet, ist die Gewerbsmäßigkeit zu bejahen, denn B begründet durch die Urheberrechtsverletzungen tatsächlich eine fortgesetzte Einnahmequelle, die auch (dies sei hier vorausgesetzt) von einigem Gewicht ist. Schon die erste in einer Kette einzelner Taten ist dabei geeignet, die Gewerbsmäßigkeit zu begründen.773 Weiterhin müsste B zum Zeitpunkt der jeweiligen Urheberrechtsverletzungen zumindest billigend in Kauf nehmen, dass sein Handeln überhaupt eine Einnahmequelle begründet. Er kommt zu den maßgeblichen Zeitpunkten, also beim Setzen der Links, allerdings nicht auf die Idee, dass ihm diese später einmal stattliche Auszahlungen bescheren könnten – denn es handelt sich bei seinem Blog um ein ausschließlich hobbymäßiges Projekt, weswegen insoweit auch nicht etwa von einer „latenten Gewinnerzielungsabsicht“ gesprochen werden kann. Es fehlt ihm also zum jeweils maßgeblichen Zeitpunkt an der Kenntnis einer Tatsache, die sein Handeln als gewerbsmäßig qualifiziert. B handelt im Tatumstandsirrtum, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB, und somit ohne Vorsatz. Darüber hinaus ergeben sich in Bezug auf § 108a UrhG aus der Eigenschaft der Gewerbsmäßigkeit als strafschärfendes, besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 Abs. 2 StGB,774 diverse Irrtumskonstellationen im Bereich der Teilnahme (§§ 26, 27 StGB) – dazu sogleich.
§ 5 Irrtümer aus dem Bereich der Beteiligungslehre Im Urheberstrafrecht kommen die Regelungen des Allgemeinen Teils des Strafrechts, wie mehrfach betont, umfassend zur Anwendung, Art. 1 Abs. 1 EGStGB – so also auch die Regelungen über Täterschaft und Teilnahme. Eine mittelbare Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) oder Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) ist also ebenso denkbar wie eine Anstiftung (§ 26 StGB) oder Beihilfe (§ 27 StGB) 773 Vgl. BGH NJW 2004, 2840 (2841); BGH NStZ 2004, 265 (266); BeckOK-UrhGSternberg-Lieben, § 108a Rn. 2; Dreier/Schulze-Dreier, § 108a Rn. 6; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 108a Rn. 2. 774 BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 108a Rn. 4; Heinrich, Strafbarkeit, S. 288; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108a UrhG Rn. 4; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 108a Rn. 2.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
zu einer Urheberstraftat. Insofern ergeben sich für die Strafvorschriften des Urheberrechts grundsätzlich keine Besonderheiten, weswegen für das Verständnis von Täterschaft und Teilnahme im Bereich der §§ 106 ff. UrhG umfassend auf das breite Schrifttum verwiesen werden kann.775 Zusammengefasst gilt das Folgende: Die Anstiftung und die Beihilfe sind grundsätzlich akzessorisch zur jeweiligen Haupttat, sodass sowohl der Anstifter als auch der Gehilfe einer Urheberstraftat, neben dem Vorsatz in Bezug auf seinen eigenen Tatbeitrag, auch jeden Umstand der Haupttat in seinen Vorsatz aufgenommen haben muss. Abweichend gilt nach § 28 Abs. 2 StGB für strafschärfende besondere persönliche Merkmale, dass diese bei jedem Beteiligten gesondert festzustellen sind (im Urheberstrafrecht tangiert dies den Qualifikationstatbestand des § 108a UrhG, da die Gewerbsmäßigkeit ein solches besonderes persönliches Merkmal darstellt). Urheberrechtsverletzungen sind oftmals von der Beteiligung mehrerer Personen geprägt.776 Dementsprechend kommen regelmäßig auch mehrere Beteiligte im strafrechtlichen Sinne in Betracht. Bloß exemplarisch sollen an dieser Stelle genannt sein:777 Drucker, Setzer, Verleger oder weitere Beteiligte in der Verlagsbranche (im Bereich des Raubdrucks); Händler oder Tauschpartner von Werkstücken (oder digitalen Versionen von Werken), die unter Verletzung von Urheberrechten hergestellt oder abgespeichert wurden; Anbieter von digitalen Diensten aller Art, Betreiber von Servern oder Websites oder sozialen Netzwerken oder (mit der noch herrschenden Auffassung im Schrifttum) auch etwa Personen, die Hyperlinks oder Frames zur Einbindung von urheberrechtswidrig öffentlich zugänglich gemachten Werken im Internet setzen. Weil auch Teilnehmer vielfältig irren können, soll im Folgenden exemplarisch auf einige relevante Irrtümer mit Bezug zur Beteiligungslehre und zum UrhG eingegangen werden. Eine annähernd umfassende Darstellung würde insoweit den Rahmen dieser Arbeit deutlich übersteigen. Beispielsfall a (Verlinkung als Teilnahme zur Urheberstraftat?): Facebook-Nutzerin F hat im Internet gelesen, dass das Verlinken von Internetseiten, auf denen urheberrechtswidrige Videos durch die Nutzer „geladen“ werden können, für sich genommen noch keine Urheberrechtsverletzung darstelle. Sie „teilt“ daher solche Links regelmäßig auf ihrer Facebook-Pinnwand in dem Glauben, sie sei in jedem Falle straflos. Wie bereits erörtert,778 kann bereits im Setzen einer Verlinkung auf einen rechtswidrigen Inhalt eine Urheberrechtsverletzung in Gestalt einer unbefugten öffent775 Vgl. aus dem urheberrechtlichen Schrifttum insbesondere die ausführliche Untersuchung von U. Weber, S. 296 ff.; ferner Hildebrandt, S. 292 ff.; Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 50 ff.; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 127 ff.; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 40 ff.; für Hyperlinks im Besonderen auch Flechsig/Gabel, CR 1998, 351 (354 ff.). 776 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 127. 777 Vgl. zu diesen und weiteren Beispielen Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 127; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 106 Rn. 41; U. Weber, S. 324 ff. 778 Vgl. Kapitel 3 § 3 B. IV. 2. a) bb).
§ 5 Irrtümer aus dem Bereich der Beteiligungslehre
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lichen Zugänglichmachung gesehen werden, §§ 106, 19a UrhG. Nach der – im Schrifttum wohl noch immer herrschenden – Gegenauffassung ist im Setzen eines Links auf einen andernorts öffentlich zugänglich gemachten, urheberrechtswidrigen Inhalt, dagegen bloß eine Erleichterung des Zugangs zum bereits verwertenden Werk zu sehen, die allenfalls eine Strafbarkeit als Teilnehmer und nur im Ausnahmefall eine Mittäterschaft begründen kann.779 Dem ist – entgegen der aktuellen Entwicklung der urheberrechtlichen Rechtsprechung – grundsätzlich beizupflichten, denn: „Indem der Linkende sowohl die Möglichkeit eröffnet als auch die Wahrscheinlichkeit erhöht, daß Dritte auf die betreffenden Inhalte zugreifen, unterstützt er objektiv die Haupttat.“780 Auch ungeachtet dieser Problematik steht fest, dass eine Strafbarkeit von F im Beispielsfall entweder als Täterin oder als Teilnehmerin jedenfalls in Betracht zu ziehen ist. Ihr Glaube an eine Straflosigkeit „in jedem Falle“ erweist sich dementsprechend als Fehlvorstellung über die urheberrechtliche Rechtslage. Soweit F bei ihren Handlungen (dem „Teilen“ der Links auf Facebook) alle tatsächlichen Umstände in Bezug auf die Haupttat erkennt und zumindest billigend in Kauf nimmt, dass sie die rechtswidrig zugänglich gemachten Inhalte über ihre Hyperlinks aufrufbar macht, also deren Abrufbarkeit erst ermöglicht oder zumindest erleichtert,781 handelt sie zumindest wissentlich hinsichtlich der Haupttat sowie wissentlich und willentlich hinsichtlich ihrer eigenen Hilfeleistung i.S.d. § 27 Abs. 1 StGB. Es ist dann – je nachdem, welche Auffassung konkret bezüglich des Gehilfenvorsatzes befürwortet wird – durchaus denkbar, vom Vorliegen des insoweit erforderlichen doppelten Gehilfenvorsatzes auszugehen.782 F unterliegt dementsprechend einem Verbotsirrtum, § 17 StGB. Beispielsfall b (Gewerbsmäßigkeit und Teilnahme I): Täter T ist der Freund von F und betreibt eine lukrative, werbefinanzierte Website, auf welcher illegal öffentlich zugänglich gemachte Vervielfältigungen von Filmwerken öffentlich zugänglich gemacht werden. Er bewegt F erst dazu, fleißig Links zu seiner Website auf Facebook zu teilen. Sie geht dabei erstens (wie schon im Beispielsfall a) davon aus, legal zu handeln. Zweitens weiß sie nichts von den durchaus gewinnbringenden Einnahmemöglichkeiten einer solchen Website. 779 Vgl. Hilgendorf/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, Rn. 692, 703, 708; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 106 UrhG Rn. 130; Reinemann/Remmertz, ZUM 2012, 216 (222 f.); Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 19a Rn. 10 f.; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/ Reinbacher, § 106 Rn. 43. 780 Flechsig/Gabel, CR 1998, 351 (355). 781 Vgl. zu den objektiven Voraussetzungen an eine Beihilfehandlung etwa BeckOKStGB-Kudlich, § 27 Rn. 3 ff.; T. Fischer, § 27 Rn. 9 ff.; Heinrich, AT, Rn. 1320 ff.; Lackner/ Kühl, § 27 Rn. 2 f. 782 Vgl. zum doppelten Gehilfenvorsatz etwa T. Fischer, § 27 Rn. 20 ff.; Heinrich, AT, Rn. 1335 ff.; Lackner/Kühl, § 27 Rn. 7; mit Bezug zum UrhG ferner Hilgendorf/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, Rn. 692 – mit dem Hinweis, dass eine Strafbarkeit von „Linksetzenden als Teilnehmer“ i.d.R. am fehlenden Vorsatz bzgl. der Haupttat scheitern werde.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
In diesem Fall liegen strenggenommen gleich zwei „Beteiligungsverhältnisse“ vor: Neben T in seiner Funktion als aktiver „Filesharer“, also unstreitig als Täter der „eigentlichen“, gewerbsmäßigen Urheberstraftaten nach §§ 106, 108a UrhG, ist wiederum das Handeln von F strafrechtlich zu bewerten. Auch hier erleichtert T zumindest die Auffindbarkeit der rechtswidrig öffentlich zugänglich gemachten Werke, worin objektiv ein Hilfeleisten i.S.d. § 27 StGB zu erblicken ist. Daneben bewegt T seine Freundin erst dazu, seine Website zu verlinken. Er ruft in dieser also einen dahingehenden Tatentschluss hervor, worin wiederum eine Anstiftung zu deren Handlung gesehen werden kann, die indes – als Anstiftung zur Beihilfe783 – eine Beihilfe zu seiner eigenen Tat darstellt und dementsprechend, ausgehend von einem „modernen“ Verständnis der Teilnahmelehre,784 nicht von eigenständiger Bedeutung ist. Während T in jeder Hinsicht vorsätzlich und schuldhaft handelt, unterliegt F in dieser Konstellation zwei Irrtümern. Erstens geht sie davon aus, von vornherein nicht strafbar zu sein, weil sie selbst „nur“ Verlinkungen setzt. Dieser Irrglaube erweist sich auch in der hiesigen Konstellation als Verbotsirrtum, soweit F ansonsten alle tatsächlichen Umstände kennt, die ihre Eigenschaft als Gehilfin sowie auch die Haupttat als solche qualifizieren. Zweitens aber weiß F nicht, dass ihr Freund – und damit der Täter der akzessorischen Haupttat nach § 27 StGB – überhaupt Geld mit seiner Website verdient. Es fehlt ihr damit bereits an der Kenntnis eines (des entscheidenden) Umstandes, der die Tat von T als gewerbsmäßig nach § 108a UrhG qualifiziert. F unterliegt in dieser Hinsicht also einem Tatumstandsirrtum, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Darüber hinaus wäre das bloße Wissen über das gewerbsmäßige Handeln des T ohnehin nicht ausreichend, um auch für F eine Gewerbsmäßigkeit zu begründen, denn diese müsste als besonderes persönliches Merkmal gemäß § 28 Abs. 2 StGB bei F in deren eigener Person erfüllt sein, diese müsste also ihrerseits in der Absicht handeln, eine fortdauernde Einnahmequelle zu begründen.785 Beispielsfall c (Gewerbsmäßigkeit und Teilnahme II): Raubkopierer R stellt gewerbsmäßig unerlaubt vervielfältigte Werke der Musik im Internet zum Download bereit. Dafür bedient er sich eines Servers, den der Unternehmer U verantwortet, der seinerseits durch die Serververmietung Geld verdient. Fallvariante a: U rechnet damit, dass die Webinhalte auf der Website von R unter Umständen auch Urheberrechte verletzen. Dies ist ihm allerdings vollkommen gleichgültig, er sieht seine Handlung insoweit vielmehr als neutral an. Fallvariante b: U rechnet nicht damit, dass die Webinhalte auf der Website von R auch Urheberrechte verletzen könnten. Im skizzierten Beispielsfall ist R jedenfalls strafbar nach §§ 106, 108a UrhG, denn er verwertet in tatbestandsmäßiger Weise unerlaubt und gewerbsmäßig urheVgl. dazu etwa Heinrich, AT, Rn. 1343; Schönke/Schröder-Heine/Weißer, § 27 Rn. 26. Vgl. mit zahlreichen weiteren Nachweisen nur Heinrich, AT, Rn. 1273 ff. 785 Vgl. Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108a UrhG Rn. 4; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 108a Rn. 2. 783
784
§ 5 Irrtümer aus dem Bereich der Beteiligungslehre
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berrechtlich geschützte Werke. Diese Tat ermöglicht U erst dadurch, dass er seine Server an R vermietet. Es liegt somit objektiv eine taugliche Beihilfehandlung nach § 27 Abs. 1 StGB vor. Fraglich ist aber jeweils, ob U in den beiden Fallvarianten auch vorsätzlich und schuldhaft handelt. Darüber hinaus kommt zugunsten des U, der hier als sogenannter „Host-Provider“ auftritt,786 freilich eine Haftungsprivilegierung nach § 10 des Telemediengesetzes (TMG) in Betracht, sofern er keine Kenntnis über die Vorgänge hatte – was vorliegend allerdings nicht vertieft werden soll. In der letztgenannten Fallvariante b rechnet U nicht damit, dass seine Handlung eine urheberrechtsverletzende Tat durch T ermöglicht. Ihm fehlt also die Kenntnis eines tatsächlichen Umstandes, der seine Handlung als Beihilfehandlung qualifiziert. Damit handelt er in dieser Fallvariante ohne Vorsatz, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Abgesehen davon wäre wohl auch § 10 TMG einschlägig. Anders gestaltet sich die Bewertung hingegen in Fallvariante a: Hier rechnet U damit, dass die Serververmietung in eine Urheberrechtsverletzung des R münden würde. Insoweit handelt er also mit Eventualvorsatz. Dass er seine Handlung als „neutral“ ansieht, ist insoweit zwar zunächst korrekt. Allerdings wird eine Strafbarkeit auch neutraler Beihilfehandlungen nicht durchweg abgelehnt.787 Mit einer entsprechenden Wertung käme eine Strafbarkeit durchaus in Betracht. Insofern wäre dann von einem fehlenden Unrechtsbewusstsein des U auszugehen, er handelte in einem Verbotsirrtum. Ob U von einer Gewerbsmäßigkeit bei R weiß oder nicht, ist, wie dargelegt, nicht von Bedeutung. Denn für die Annahme einer gewerbsmäßigen Beihilfe muss gemäß § 28 Abs. 2 StGB auf den jeweiligen Beteiligten abgestellt werden. Weil U vorliegend jedenfalls selbst in der Absicht handelt, sich eine fortdauernde Einnahmequelle durch die Vermietung des Servers zu sichern, wäre der Qualifikationstatbestand auf seiner Seite als erfüllt anzusehen. Beispielsfall d (Irrtum über das Eingreifen einer Schrankenregelung): Lehrer L digitalisiert zahlreiche Werke der Literatur und macht diese an seiner Schule allen Schulangehörigen – und damit einer breiten Öffentlichkeit – zugänglich. R ist Schulrektor und hat L bewusst zu seiner Tat angeregt, weil die Schule über keine Mittel verfügt und dringend Bücher benötigt. R, der sich noch an eine Rechtsschulung im Referendariat erinnern kann, sieht dies durch eine Schrankenregelung als „zum schulischen Gebrauch“ gedeckt an und stellt L sowohl einen Bücherscanner als auch eine entsprechend voluminöse Festplatte zur Verfügung. In der zuletzt skizzierten Konstellation kommt für R eine Strafbarkeit als Anstifter einer Urheberstraftat gem. §§ 106 Abs. 1 UrhG, 26 StGB in Betracht. Eine Mittäterschaft scheidet insoweit mangels Tatherrschaft des R (beziehungsweise mangels Handelns mit animus auctoris) aus. Weil vorliegend von einem vollverantwortlichen Tun seitens L auszugehen ist, kommt auch eine mittelbare Täter786
Vgl. dazu Spindler/Schuster-Hoffmann, § 10 TMG Rn. 1 ff. hierzu etwa Schönke/Schröder-Heine/Weißer, § 27 Rn. 9 ff.; Wessels/Beulke/ Satzger, AT, Rn. 830. 787 Vgl.
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schaft nicht in Betracht. R löst bei L im Wege eines geistigen Kontakts den inneren Impuls aus, eine Tat (beziehungsweise mehrere Taten) nach § 106 UrhG zu begehen, er stiftet ihn also objektiv an i.S.d. § 26 StGB. Dabei weiß er sowohl in Bezug auf seinen eigenen Beitrag als auch in Bezug auf die Handlung des L ganz genau, was er in tatsächlicher Hinsicht tut – R handelt also mit dem erforderlichen doppelten Vorsatz eines Anstifters. Dass R vom Eingreifen eines gesetzlich zugelassenen Falles ausgeht, ändert hieran nichts: Es handelt sich insofern um eine falsche Auslegung eines Tatbestandsmerkmals des § 106 Abs. 1 UrhG. R fehlt also das Unrechtsbewusstsein – er handelt somit in einem (auch vermeidbaren) Verbots irrtum, § 17 StGB. Ein Tatumstandsirrtum wäre hingegen dann anzunehmen, wenn R etwa im Glauben daran, dass die Werke allesamt von Urhebern stammten, die schon über 70 Jahre tot sind, von der Gemeinfreiheit aller Werke ausgegangen wäre – oder wenn R den L von vornherein darum gebeten hätte, nur gemeinfreie Werke zu verwerten: Dann würde R die Kenntnis tatsächlicher Umstände fehlen, die das Handeln von L – und damit die akzessorische Haupttat – in den Rang einer unerlaubten Verwertung „erheben“.
§ 6 Irrtümer innerhalb der übrigen Strafvorschriften des UrhG Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass sich durch die konsequente Anwendung eines schuldtheoretischen Verständnisses im Rahmen der §§ 16, 17 StGB alle Irrtumskonstellationen im Bereich der Strafvorschrift des § 106 UrhG adäquat lösen lassen. Dasselbe gilt – wie überhaupt für alle Strafvorschriften – auch für die Behandlung von Irrtümern im Bereich der benachbarten urheberrechtlichen Strafvorschriften der §§ 107, 108, 108b UrhG sowie im Bereich der Bußgeldvorschrift des § 111a UrhG, wo bei Anwendung der Irrtumsregelung des § 11 OWiG dieselben Grundsätze zur Anwendung kommen wie nach §§ 16, 17 StGB.788 Die Ergebnisse dieser Arbeit lassen sich also umfassend auf alle Tatbestände des Strafrechts und des Ordnungswidrigkeitenrechts übertragen. Im Folgenden sollen exemplarisch noch einige Irrtumskonstellationen zu den übrigen urheberrechtlichen Strafvorschriften dargestellt werden.
A. Unzulässiges Anbringen der Urheberbezeichnung, § 107 UrhG § 107 UrhG sanktioniert Verletzungen des Urheber-Persönlichkeitsrechts: Die erste Variante (§ 107 Abs. 1 Nr. 1 UrhG) betrifft das Anbringen der Urheberbezeichnung ohne Einwilligung des Urhebers oder die Verbreitung eines solchermaßen bezeichneten Werks. Als zweite Tatvariante erfasst § 107 Abs. 1 Nr. 2 UrhG das 788 Vgl. Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, § 1 Rn. 7; KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 1; U. Weber, ZStW 96 (1984), 376 (392).
§ 6 Irrtümer innerhalb der übrigen Strafvorschriften des UrhG
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Anbringen der Urheberbezeichnung auf einem Vervielfältigungsstück, einer Bearbeitung oder der Umgestaltung eines Werks der bildenden Künste auf eine Weise, die dem betreffenden Stück den Anschein verleiht, es handle sich um das Original. Während also die erste Begehungsvariante ausschließlich das persönlichkeitsrechtliche Interesse des Urhebers an seiner Anonymität schützt, zielt die letztgenannte Begehungsvariante zusätzlich auf den Schutz des Interesses der Allgemeinheit an der Lauterkeit des Verkehrs mit Kunstwerken ab.789 § 107 Abs. 2 UrhG bestimmt auch hier wiederum die Strafbarkeit des Versuchs. Der durch die Vorschrift gewährte, ohnehin nur stark lückenhaft790 ausgestaltete Schutz des Persönlichkeitsrechts, wird im Schrifttum zu Recht kritisiert und die Vorschrift des § 107 UrhG regelmäßig (und zutreffend) für komplett entbehrlich befunden.791 Dennoch soll im Folgenden kurz auf einige Irrtumskonstellationen eingegangen werden: Beispielsfall a (Urheberbezeichnung): Der wenig selbstbewusste Künstler K findet sein neues Gemälde furchtbar hässlich und möchte dieses verschwinden lassen. Seine Frau F findet, das könne nicht angehen. Sie versieht das Gemälde mit Ks Kürzel und bringt es auf den Markt. Dass sie sich dabei strafbar machen könnte, kommt ihr nicht in den Sinn. In dieser Konstellation handelt F in doppelter Hinsicht tatbestandsmäßig i.S.d. § 107 Abs. 1 Nr. 1 UrhG: Sie bringt eine Urheberbezeichnung i.S.d. § 10 UrhG auf dem Original eines Werkes an, ohne über die erforderliche Einwilligung des Urhebers zu verfügen. Des Weiteren erfüllt F den Tatbestand der Verbreitung eines solchermaßen bezeichneten Werks. Beide Male kommt F allerdings nicht auf den Gedanken, Unrecht zu tun. Es steht demgegenüber vielmehr zu vermuten, dass F das Werk gelungen findet. Gleichwohl verletzt sie damit das Persönlichkeitsrecht des Urhebers, denn § 107 UrhG hat den Schutz des Urhebers im Sinn, selbst darüber bestimmen zu dürfen, ob ein in seinen Augen womöglich unfertiges oder nicht gelungenes Werk als „sein Werk“ identifizierbar gemacht wird oder im Wege der Verbreitung auf den Markt kommt.792 Es geht also gerade darum, den Urheber in seiner Anonymität zu schützen.793 F erkennt dabei in tatsächlicher Hinsicht alles ganz korrekt – es geht ihr gerade darum, diese Anonymität zu beenden. Es fehlt ihr aber an Unrechtsbewusstsein, § 17 StGB, sie handelt im Verbotsirrtum. In Fällen, in denen ein Täter nach § 107 UrhG davon ausgeht, über eine wirksame Einwilligung des Urhebers zu verfügen, kommen dieselben Grundsätze zur Anwendung, die bereits zur Einwilligung des Berechtigten i.R.d. § 106 UrhG dar789
Vgl. BT-Drucks. 4/270, S. 107 f.; Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 76. auch Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., Vor § 106 UrhG Rn. 30 – „sehr fragmentarisch.“ 791 Vgl. BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 107 Rn. 1; Flechsig, GRUR 1978, 287 (289); Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 107 UrhG Rn. 1; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 107 Rn. 1. 792 Vgl. Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 107 UrhG Rn. 4. 793 Vgl. Flechsig, GRUR 1978, 287 (289). 790 Vgl.
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
gelegt wurden. Insoweit herrscht, wie erörtert, Einigkeit über einen entsprechenden Gleichlauf der Tatbestände.794 Beispielsfall b (Falsches Gemälde): F ist inzwischen geschieden von K, hat aber – aus sentimentalen Gründen – noch ein Vervielfältigungsstück eines seiner Werke in Besitz, dessen Original K, wie sie weiß, niemals an die Öffentlichkeit bringen wollte, weil er dieses für besonders schlecht befindet. F versieht die Replik mit dem Kürzel des K und bringt diese auf den Markt. Was F dabei nicht weiß, ist, dass es sich bei ihrem Stück um eine Kopie handelt. Sie geht vielmehr davon aus, das Original in Besitz zu haben und zu bezeichnen. In dieser Konstellation erfüllt F, wiederum zweifach, den objektiven Tatbestand des § 107 Abs. 1 Nr. 2 UrhG, wenn Sie das Werkstück bezeichnet und vermarktet. Diesmal fehlt es ihr allerdings an der Kenntnis eines tatsächlichen Umstandes, denn sie weiß nicht, dass sie die Urheberbezeichnung des K auf einem Vervielfältigungsstück des Gemäldes anbringt, denn sie denkt, es handle sich um das Original. Sie befindet sich bezüglich § 107 Abs. 1 Nr. 2 UrhG also in einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Allerdings geht F davon aus, den objektiven Tatbestand des § 107 Abs. 1 Nr. 1 UrhG zu verwirklichen. Sie unterliegt hierbei ebenfalls einem – diesmal umgekehrten – Irrtum über einen tatsächlichen Umstand. Sie stellt sich also eine Sachlage vor, die tatsächlich einen Straftatbestand erfüllt. Diese Konstellation führt bei einer konsequenten Anwendung der vorstehend erörterten Grundsätze zur Strafbarkeit von F wegen eines untauglichen Versuchs, §§ 107 Abs. 1 Nr. 1 UrhG, 22 StGB. Fraglich ist, ob dieses Ergebnis Bestand haben kann – und zwar unter dem Gesichtspunkt, dass es sich bei den beiden Nummern des § 107 UrhG um gleichwertig nebeneinanderstehende Tatbestandsalternativen handelt. Insofern wäre unter Umständen auch eine Strafbarkeit aus dem vollendeten Delikt in Betracht zu ziehen. An dieser Stelle wird die Problematik des „teilweise umstrittenen“795 Irrtums über Tatbestandsalternativen virulent, die in dieser Arbeit allerdings nicht erschöpfend dargelegt werden soll.796 Richtigerweise hängt es von der Auslegung eines Tatbestandes im Einzelfall ab, ob ein Täter, der irrigerweise statt der tatsächlich verwirklichten Begehungsvariante eines Delikts eine andere, ebenso strafbare Variante für erfüllt hält, wegen eines vollendeten Delikts zu bestrafen ist.797 Kudlich stellt zutreffend fest, dass es, um bei einem solchen Irrtum gleichwohl den Vorsatz zu bejahen, „keinesfalls […] formal ausreichend [ist], dass beide Merkmale im selben Tatbestand genannt sind, wenn sie einen qualitativ unterschiedlichen Unrechtsgehalt beschreiben.“798 Mit Joecks ist darauf abzustellen, „ob die verschiedenen Tatbestandsalternativen nach dem 794
Vgl. dazu bereits ausführlich Kapitel 3 § 3 D. I. 4. a) sowie Kapitel 3 § 3 D. I. 4. c). 2. Aufl., § 16 Rn. 108. 796 Vgl. zu dieser Problematik eingehend in monographischer Form J. Fischer, Der Irrtum über Tatbestandsalternativen, 2000; ferner Schittenhelm, GA 1983, 310 (314 ff.). 797 BeckOK-StGB-Kudlich, § 16 Rn. 12. 798 BeckOK-StGB-Kudlich, § 16 Rn. 12. 795 Müko-StGB-Joecks,
§ 6 Irrtümer innerhalb der übrigen Strafvorschriften des UrhG
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Willen des Gesetzes nichts anderes als eine Kasuistik einer bestimmten Angriffsform oder einer bestimmten Gattung von Angriffsobjekten darstellen, folglich ein einheitliches komplexes Merkmal vorliegt.“799 Als Beispiel hierfür dient etwa der Hausfriedensbruch (§ 123 StGB), wenn der eindringende Täter denkt, es handle sich bei einem Geschäftsraum um eine Wohnung oder umgekehrt. Gleiches gilt für die Brandstiftung (§ 306 StGB), wenn der Täter eine Betriebsstätte (§ 306 Abs. 1 Nr. 2 StGB) anzündet, ohne zu wissen, dass es sich dabei um eine solche handelt, wobei er die Stätte aber zutreffend als Gebäude (Nr. 1) erkennt. In diesen Fällen liegt ersichtlich eine solche, durch den Gesetzgeber bewusst normierte Kasuistik vor, die „dasselbe“ Verhalten für mehrere Fälle (hier mehrere äquivalente Tatobjekte) strafrechtlich ahndet. In diesen Fällen ist von einem unbeachtlichen Irrtum auszugehen. Beachtlich ist ein Irrtum über Tatbestandsalternativen demgegenüber jedenfalls dann, wenn die Alternativen, über die ein Täter irrt, verschiedene Rechtsgüter schützen oder sich sonst in qualitativer Hinsicht unterscheiden. Wie Schittenhelm zutreffend feststellt, muss sich eine Verwechslung immer dann vorsatzausschließend auswirken, wenn „qualitativ verschiedenes, wenn auch gleichwertiges Unrecht“ vorliegt.800 Sobald sich der Vorsatz eines Handelnden also auf eine Alternative bezieht, die ein anderes Rechtsgut schützen soll als die tatsächlich objektiv verwirklichte Alternative, kann ihm kein Vorsatz bezüglich der tatsächlich verwirklichten Rechtsgutverletzung angelastet werden. Es handelt sich bei dieser Art von Tatbeständen um solche, in denen der Gesetzgeber – meist aus formalen Gründen – tatbestandsmäßige Verhaltensweisen in einer Vorschrift bündelt, ohne dass diese zwingend einen austauschbaren Unwert in sich tragen müssen oder zwingend auf dieselbe oder eine ähnliche Situation gemünzt sein müssen. Die solchermaßen normierten Tatbestandsalternativen sind solche, die sich also im Rahmen des subjektiven Tatbestandes nicht gleichsam beliebig ersetzen lassen. Joecks nennt in diesem Zusammenhang das Beispiel des Mordparagraphen, § 211 StGB. Es handelt sich bei den Mordmerkmalen zwar jeweils um Merkmale, denen kraft gesetzgeberischer Wertung derselbe beziehungsweise ein äquivalenter Unwert innewohnt, und deren Erfüllung somit jeweils eine lebenslange Freiheitsstrafe rechtfertigt. Gleichwohl handelt es sich dabei um Merkmale, die „jeweils gesonderte und eigenständige Deliktsformen erfassen.“801 Der Vorsatz in Bezug auf eine (objektiv gegebene) Heimtücke lässt sich deshalb nicht ersetzen durch den Glauben des Täters, grausam zu töten. Ebenso verhält es sich auch bei § 107 UrhG. Dessen Varianten sanktionieren zwar jeweils Verletzungen des Persönlichkeitsrechts eines Urhebers der bildenden Künste.802 Abgesehen hiervon und abgesehen von der „räumlichen Nähe“ der bei799 Müko-StGB-Joecks,
2. Aufl., § 16 Rn. 111. Schittenhelm, GA 1983, 310 (316). 801 Müko-StGB-Joecks, 2. Aufl., § 16 Rn. 112. 802 Vgl. kritisch zu diesem beschränkten Schutzbereich unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes, Art. 3 Abs. 1 GG, Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 107 Rn. 1. 800
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Kap. 3: Irrtümer innerhalb von Strafvorschriften des Urheberrechts
den Tatbestandsalternativen in demselben Absatz einer Vorschrift tendieren die inkriminierten Verhaltensweisen aber in unterschiedliche Richtungen: Während es dem Täter bei § 107 Abs. 1 Nr. 1 UrhG immer nur darum gehen kann, die Anonymität des Urhebers zu beenden – und damit dessen Persönlichkeitsrecht zu verletzen, wohnt dem § 107 Abs. 1 Nr. 2 UrhG – sogar in erster Linie803 – noch der über die Persönlichkeitsrechtsverletzung hinausgehende Aspekt inne, dass mit der Bezeichnung des Werkstücks das Allgemeininteresse an der Lauterkeit des Verkehrs verletzt wird, denn die Bezeichnung durch den Täter nach § 107 Abs. 1 Nr. 2 UrhG erfolgt gerade nicht auf dem Original, sondern auf einer Replikation oder einer umgestalteten Fassung des Werks, wodurch diesen Exemplaren der „Stempel“ des Originals verliehen wird. Nach diesen Feststellungen bleibt es in der skizzierten Beispielskonstellation also bei einer Strafbarkeit von F wegen eines untauglichen Versuchs, §§ 107 Abs. 1, 2 UrhG, 22, 23 Abs. 1 StGB. Der womöglich ebenfalls feststellbare Glaube von F an die Rechtmäßigkeit ihrer Handlung wäre wiederum, wie schon in Beispielsfall a, ein Verbotsirrtum, § 17 StGB.
B. Unerlaubte Eingriffe in verwandte Schutzrechte, § 108 UrhG § 108 UrhG ahndet den unerlaubten Eingriff in verwandte Schutzrechte. Bei diesen, auch als Nachbar- oder Leistungsschutzrechte bezeichneten Rechten, handelt es sich, wie bereits dargelegt wurde,804 um selbstständig neben dem Urheberrecht stehende Befugnisse diverser Beteiligter, die in den §§ 70 ff. UrhG abschließend geregelt sind und bei denen nicht die schöpferische Leistung der Urheber, sondern ausdrücklich „Leistungen anderer Art“805 im Fokus stehen, insbesondere die – ebenfalls verfassungsrechtlich durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützte806 – unternehmerische Leistung anderer (auch juristischer) Personen, wie etwa das Schaffen von Lichtbildnern, Tonträgerherstellern, ausübenden Künstlern oder Sendeunternehmen.807 Mit Ausnahme der Leistung des Veranstalters (§ 81 UrhG) sind durch § 108 UrhG sämtliche urheberrechtlichen Verwertungsrechte abgedeckt, sodass auch insoweit von einem umfassenden flankierenden Schutz durch das Strafrecht gesprochen werden kann.808 Mitunter wird dieser weitreichende Schutz sogar für seine 803 Vgl.
Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 76. Vgl. Kapitel 1 § 1 C. 805 BT-Drucks. 4/270, S. 33. 806 Vgl. Heinrich, JZ 1994, 938 (941). 807 Vgl. BT-Drucks. 4/270, S. 89, 95, 97; Hildebrandt, S. 204; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108 UrhG Rn. 1; U. Weber, S. 259. 808 Vgl. BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 108 Rn. 1; Hildebrandt, S. 203; Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 94; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108 UrhG Rn. 1. 804
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„perfektionistisch“809 anmutende Regelungsdichte kritisiert und dessen sachliche Gebotenheit hinterfragt.810 Bei den Tathandlungen der Vorschrift handelt es sich umfassend um Verwertungshandlungen, die in ihrer Bedeutung denjenigen des § 106 Abs. 1 UrhG entsprechen: § 108 Abs. 1 Nr. 2, 4, 5, 6, 7, 8 UrhG sanktionieren jeweils die „Verwertung“ eines entsprechenden Objekts; § 108 Abs. 1 Nr. 1, 3 UrhG ahnden jeweils ausdrücklich die Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Wiedergabe. Insoweit herrscht also wiederum ein begrifflicher Gleichlauf mit § 106 UrhG, weswegen für die Behandlung diesbezüglicher Fehlvorstellungen umfassend auf die Ausführungen zum Irrtum über die Tathandlungen des § 106 UrhG verwiesen werden kann.811 Weiterhin fordert auch § 108 UrhG ein Handeln „in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten“, weswegen die Erörterungen zu § 106 UrhG auch insoweit umfassend Geltung beanspruchen.812 Die Strafvorschrift des § 108 UrhG unterscheidet sich also nur in Bezug auf die jeweiligen Tatobjekte von dem in dieser Arbeit ausführlich untersuchten „Zentraltatbestand“ des § 106 UrhG. Insofern nimmt § 108 UrhG ebenfalls die Vorschriften des Urheberzivilrechts akzessorisch in Bezug,813 weswegen sich dieselben Probleme ergeben, wie sie bereits ausführlich dargestellt wurden. Die einzige „besondere“ Konstellation im Rahmen des § 108 UrhG ist jene, in der ein Handelnder irrigerweise davon ausgeht, ein urheberrechtlich geschütztes Werk (§ 2 UrhG) zu verwerten (weswegen er eigentlich Vorsatz in Bezug auf eine Verwirklichung des § 106 UrhG hat), aber tatsächlich keine Werkqualität gegeben ist – oder umgekehrt. Beispielsfall (Lichtbilder und Lichtbildwerke): Täter T veröffentlicht eine Fotografie in unerlaubter Weise, die er für ein „herausragendes“ Werk befindet. Tatsächlich erreicht diese nicht die erforderliche Schöpfungshöhe nach § 2 Abs. 2 UrhG, weswegen es sich bloß um ein Lichtbild i.S.d. § 72 Abs. 1 UrhG handelt. In dieser Konstellation verwirklicht T den objektiven Tatbestand des § 108 Abs. 1 Nr. 3 UrhG. In subjektiver Hinsicht jedoch glaubt T an eine Verwirklichung von § 106 Abs. 1 UrhG, denn er geht davon aus, ein Lichtbildwerk zu verwerten, statt „nur“ eines Lichtbildes. Eine Strafbarkeit nach § 106 UrhG scheitert ebenfalls, denn hier mangelt es im objektiven Tatbestand an einem tauglichen Tatobjekt (Werk i.S.d. §§ 1, 2 UrhG). Ein für den Vorsatz irrelevanter Irrtum über eine Tatbestandsalternative kommt, entsprechend den obigen Erörterungen zu § 107 UrhG, hier von vornherein nicht in Betracht, denn es handelt sich um zwei getrennte Tatbestände, denen überdies sogar unterschiedliche Schutzrichtungen zugrunde 809 Vgl.
U. Weber, S. 255, 382.
810 Vgl. Lampe, UFITA 83 (1978), 15 (35 f., 61); U. Weber, S. 382 ff.; a.A. BeckOK-UrhG-
Sternberg-Lieben, § 108 Rn. 2; Flechsig, GRUR 1978, 287 (290 f.); Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 94; Rochlitz, S. 241 ff. 811 Vgl. Kapitel 3 § 3 B. 812 Vgl. dazu Kapitel 3 § 3 C. sowie Kapitel 3 § 3 D. 813 Hildebrandt, S. 203; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108 UrhG Rn. 1.
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liegen. Strenggenommen bliebe somit eine Versuchsstrafbarkeit nach §§ 106, 22, 23 Abs. 1 StGB übrig. Allerdings wäre es, wie Kircher zutreffend feststellt, in derlei Konstellationen nicht mit dem gesetzgeberischen Willen vereinbar, den Handelnden für keine vollendete Vorsatztat zu bestrafen.814 Kircher geht deshalb davon aus, dass die Tatbestände der §§ 106, 108 UrhG in einem Stufenverhältnis zueinander stünden, weswegen derjenige, der irrigerweise die höhere Stufe verletzen wollte, die niedrigere Stufe ebenfalls verletze: „Die Tatbestände der §§ 106, 2 Abs. 1 Nr. 5 und §§ 108 Nr. 3, 72 UrhG ergänzen sich somit nahtlos.“815 Auf den Tatumstandsirrtum könne sich ein Täter dementsprechend nicht berufen. Hildebrandt tritt dem entgegen: Die Auffassung ziele am Kern des Problems vorbei, vielmehr handle es sich um einen (unbeachtlichen) Fall des error in obiecto, „da der Irrtum über den Werkbegriff als normatives Tatbestandsmerkmal nach § 16 StGB zu behandeln ist. Nach allgemeiner Auffassung kommt es deswegen darauf an, ob das vorgestellte und das tatsächlich getroffene Objekt gleichwertig sind.“816 Dies sei im Einzelfall „weitgehend ungeklärt“ – Hildebrandt setzt sich dafür ein, die Gleichwertigkeit der Tatobjekte im Beispiel der Lichtbilder und Lichtbildwerke zu bejahen – und einen Irrtum „im Regelfall“ zu verneinen.817 Dem dürfte zu widersprechen sein, geht es doch beim Schutz auch des „bloßen“ Lichtbilds gerade darum, ein – im vorliegend ausschlaggebenden urheberrechtlichen Sinne – qualitativ oder quantitativ geringerwertiges Objekt durch § 108 UrhG gleichwohl strafrechtlich zu schützen. Die Gleichwertigkeit von Werken und anderen Schutzobjekten ist nach der Konzeption des UrhG gerade nicht gegeben, andernfalls bedürfte es schlichtweg keiner ergänzenden Strafvorschrift. Es erscheint in der Tat logisch, mit Kircher unter Vorsatzgesichtspunkten von einem Stufenverhältnis auszugehen und den Täter deswegen aus einer vollendeten Vorsatztat nach § 108 UrhG zu bestrafen. Dies entspricht erstens der gesetzgeberischen Intention eines lückenlosen strafrechtlichen Schutzes vom Leistungsschutzobjekt bis hin zum Werk i.S.d. §§ 1, 2 UrhG. Zweitens lässt sich ein solches, „vorsatzübergreifendes“ Stufenverhältnis entsprechend zahlreicher kernstrafrechtlicher Beispiele belegen, wovon auch Kircher einige Fälle benennt.818 Ein Beispiel hierfür ist etwa – zumindest nach herrschender Auffassung – der im Vorsatz des mittelbaren Täters enthaltene Vorsatz zur Anstiftung.819 Ebenso verhält es sich etwa beim Tötungsvorsatz, der, wiederum nach vorzugswürdiger herrschender Auffassung, im notwendigen Durchgangsstadium auch den Vorsatz Kircher, S. 129. Kircher, S. 129. 816 Hildebrandt, S. 278. 817 Hildebrandt, S. 278. 818 Kircher, S. 129 f. 819 Vgl. Heinrich, AT, Rn. 1256 Fn. 79; Jescheck/Weigend, AT, § 62 III 1; LK-Schünemann, 12. Aufl., § 25 Rn. 147; Roxin, AT II, § 25 Rn. 167. 814
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der Körperverletzung enthält.820 Ein eben solches Stufenverhältnis nimmt U. Weber sogar für § 107 Abs. 1 Nr. 2 UrhG und die Delikte des Betruges (§ 263 StGB) sowie der Urkundenfälschung (§ 267 StGB) an: Der Tatvorsatz hinsichtlich dieser Delikte schließe auch denjenigen der „irreführenden Signierung“ nach § 107 UrhG ein.821 Zumindest bei denjenigen Leistungsschutzrechten, die unstreitig ein „Minus“ gegenüber bestimmten Formen geschützter Werke verkörpern (wie dies bei Lichtbildern und Lichtbildwerken der Fall ist), bietet sich ein Rückgriff auf diese Grundsätze an, zumal bei lebensnaher Auslegung tatsächlich davon auszugehen sein dürfte, dass der Täter sich in den wenigsten Fällen genaue Gedanken über den genauen Grad an Leistungshöhe des von ihm verwerteten Werkes machen dürfte. Anders verhält sich dies freilich bei solchen Leistungsschutzrechten, die nicht zwingend in einem solchen Stufenverhältnis stehen, wie etwa bei der Darbietung eines ausübenden Künstlers (§ 108 Abs. 1 Nr. 4 UrhG). Fallvariante a: Täter T verwertet tatsächlich ein Lichtbildwerk, geht allerdings diesmal davon aus, dass es sich bei diesem „miesen Knipsbild“ nicht um ein schutzfähiges Werk handle. In dieser Konstellation verwirklicht T den objektiven Tatbestand des § 106 UrhG, denn er verwertet ein urheberrechtlich geschütztes Werk. Dass er dabei davon ausgeht, das Werk habe nicht die erforderliche Leistungshöhe erreicht, stellt zwar womöglich eine „Verwechslung“ der Tatobjekte der §§ 106, 108 UrhG dar. Dabei handelt es sich jedoch immer auch um eine falsche rechtliche Bewertung in Bezug auf das Tatobjekt des § 106 UrhG. Hierzu wurde bereits ausführlich Stellung genommen – T unterliegt hier einem Verbotsirrtum, § 17 StGB.822 Fallvariante b: Täter T ist fotografisch affin und verwertet eine Fotografie, die ein Lichtbild i.S.d. § 72 Abs. 1 UrhG ist. T weiß dabei, dass das Tatobjekt nicht die erforderliche Schöpfungshöhe eines Werkes erreicht. Er geht in Anbetracht dessen davon aus, dass die Verwertung dieses Stückes urheberrechtlich frei ist. Hier weiß T in tatsächlicher Hinsicht ganz genau, was er tut: Er weiß, dass er ein Lichtbild verwertet, verkennt dabei allerdings, dass auch solche Lichtbilder urheberrechtlichen Schutz genießen, die in Ermangelung der Gestaltungshöhe nicht die Qualität eines Werkes im Sinne einer persönlichen geistigen Schöpfung nach §§ 1, 2 Abs. 1, 2 UrhG erreichen. Dabei handelt es sich um eine falsche Bewertung der Rechtslage – T fehlt es also am Unrechtsbewusstsein, er handelt im Verbotsirrtum, § 17 StGB. Insoweit sind keinerlei Unterschiede zwischen § 106 UrhG und § 108 UrhG auszumachen.
820 Sogenannte „Einheitstheorie“, st. Rspr. seit BGHSt 16, 122 (123); vgl. ferner Müko-StGB-Schneider, 2. Aufl., § 212 Rn. 92; Schönke/Schröder-Eser/Sternberg-Lieben, § 212 Rn. 17a. 821 U. Weber, S. 289. 822 Vgl. zum Irrtum über das Tatobjekt in § 106 UrhG bereits ausführlich Kapitel 3 § 3 A.
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C. Unerlaubte Eingriffe in technische Schutzmaßnahmen und zur Rechtewahrnehmung erforderliche Informationen, § 108b UrhG Die Vorschrift des § 108b UrhG stellt unerlaubte Eingriffe in technische Schutzmaßnahmen und zur Rechtewahrnehmung erforderliche Informationen unter Strafe. Hierbei werden die zivilrechtlichen Regelungen der §§ 95a, 95c UrhG flankierend geschützt, allerdings ohne umfassend akzessorisch in Bezug genommen zu werden, denn § 108b UrhG wiederholt – aus Gründen der Lesbarkeit823 – die meisten Voraussetzungen der zivilrechtlichen Vorschriften.824 Tathandlung des § 108b Abs. 1 Nr. 1 UrhG ist die Umgehung einer wirksamen technischen Schutzmaßnahme i.S.d. § 95a UrhG. Auf subjektiver Seite existiert das weitergehende Erfordernis, dass der Täter in der Absicht handeln muss, sich selbst oder einem Dritten den Zugang zu einem Werk (§ 2 UrhG) oder einem anderen Schutzgegenstand i.S.d. UrhG oder deren Nutzung zu ermöglichen. Abweichend von § 95a Abs. 1 UrhG genügt insoweit nicht die Kenntnis oder das „Kennenmüssen“ des Täters, vielmehr bedarf es tatsächlich eines zielgerichteten Willens, weswegen die Anforderungen von Zivil- und Strafrecht an dieser Stelle divergieren.825 Weiterhin muss die Umgehung ohne Zustimmung des Rechteinhabers erfolgen, wobei es sich hierbei unstreitig um ein Tatbestandsmerkmal handelt,826 weswegen umfassend auf die Ausführungen zum Einwilligungserfordernis in § 106 UrhG verwiesen werden kann,827 denn die tatbestandsausschließende Einwilligung nach § 106 Abs. 1 UrhG ist nach zutreffender Auffassung ebenfalls nur im Wege einer vorherigen Zustimmung des Berechtigten erteilbar. Von der Strafbarkeit ausdrücklich ausgenommen sind auch i.R.d. § 108b Abs. 1 Nr. 1 UrhG – dies gilt für alle tatbestandsmäßigen Handlungen nach § 108b UrhG – Taten, die ausschließlich zum eigenen Gebrauch des Täters oder mit dem Täter persönlich verbundener Personen erfolgen oder sich auf einen derartigen Gebrauch beziehen, § 108b Abs. 1 UrhG a.E. Insoweit beanspruchen die bereits ausführlich dargelegten Grundsätze zum eigenen Gebrauch nach § 53 UrhG entsprechende Geltung. Für den Begriff der persönlichen Verbundenheit ist auch in diesem Zusammenhang auf § 15 Abs. 3 UrhG zurückzugreifen.828 Die Variante des § 108b Abs. 1 Nr. 2 a) UrhG sanktioniert das Entfernen oder Verändern einer Schutzmaßnahme i.S.d. § 95c Abs. 1 UrhG, wobei § 95c Abs. 2 823
BT-Drucks. 15/837, S. 35; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108b UrhG Rn. 2. Loewenheim-Flechsig, § 90 Rn. 118; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108b UrhG Rn. 1 ff.; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 108b Rn. 4. 825 Vgl. Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108b UrhG Rn. 6; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 108b Rn. 8. 826 Dreier/Schulze-Dreier, § 108b Rn. 4; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108b UrhG Rn. 5. 827 Vgl. dazu Kapitel 3 § 3 D. I. 4. c) sowie Kapitel 3 § 3 D. II. 828 Vgl. Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108b UrhG Rn. 3. 824 Vgl.
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UrhG eine Legaldefinition darüber enthält, was unter Informationen für die Rechtewahrnehmung zu verstehen ist. § 108b Abs. 1 Nr. 2 b) UrhG ahndet – flankierend zur zivilrechtlichen Vorschrift des § 95c Abs. 3 UrhG – schließlich die entsprechenden „Anschlusstaten“ hierzu, also die Verwertung von Werken, bei denen zuvor die wirksamen Schutzmaßnahmen des Urhebers entsprechend § 108b Abs. 1 Nr. 2 a) entfernt oder geändert wurden. Als taugliche Verwertungshandlungen kommen insoweit in Betracht: Die Sendung, die öffentliche Wiedergabe inklusive der öffentlichen Zugänglichmachung sowie im Vorfeld zu diesen Handlungen bereits das „Einführen zur Verbreitung“. Eine Strafbarkeit nach allen Begehungsvarianten des § 108b Abs. 1 Nr. 2 UrhG erfordert erstens, dass der Täter wissentlich unbefugt handelt und weiterhin, dass durch die Handlungen zusätzlich „wenigstens leichtfertig die Verletzung von Urheberrechten oder verwandten Schutzrechten veranlasst, ermöglicht, erleichtert oder verschleiert wird“, § 108b Abs. 1 UrhG a.E. Es handelt sich bei letztgenannter Anforderung um ein Fahrlässigkeitselement, das den Tatbestand somit zur Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination macht,829 was indes an dem Charakter des gesamten Delikts als Vorsatztat nichts ändert, § 11 Abs. 2 StGB. Dass der Täter „wissentlich unbefugt“ handeln muss, wirkt sich nach zutreffender Auffassung bereits auf Tatbestandsebene – und nicht erst im Rahmen der Rechtswidrigkeit830 – aus, wenn der Täter nicht über das entsprechende kognitive Element verfügt.831 Bei dem Merkmal geht es um das Wissen des Täters darüber, nicht vom Berechtigten autorisiert worden zu sein.832 Überwiegend wird insoweit vertreten, der Täter müsse die fehlende Befugnis „kennen“ oder um deren Fehlen „gewusst haben“ oder deren Fehlen müsse dem Täter „bewusst sein“.833 Es geht also stets um ein sicheres Wissen des Täters im Sinne eines zutreffenden Erfassens der Berechtigungslage. Insoweit lässt sich zwar eine Parallele zur fehlenden Einwilligung nach § 106 Abs. 1 UrhG ziehen, wobei es dort bereits genügt, wenn der Täter billigend in Kauf nimmt, ohne eine Berechtigung zu handeln. In Bezug auf § 108b Abs. 1 Nr. 2 UrhG dagegen muss der Täter zutreffend erkannt haben, nicht entsprechend berechtigt zu sein. In § 108b Abs. 3 UrhG wird für Taten nach § 108b Abs. 1 UrhG eine verschärfte Strafandrohung bei gewerbsmäßigem Handeln aufgestellt. Für Irrtumskonstellationen in diesem Zusammenhang kann auf die ausführlichen Erörterungen i.R.d. § 106 UrhG verwiesen werden.834 829
Vgl. Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108b UrhG Rn. 8. So aber ausdrücklich Schricker/Loewenheim-Haß, § 108b Rn. 12. 831 BeckOK-UrhG-Sternberg-Lieben, § 108b Rn. 7; Dreier/Schulze-Dreier, § 108b Rn. 5; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108b UrhG Rn. 8; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/ Reinbacher, § 108b Rn. 5. 832 Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108b UrhG Rn. 8. 833 Vgl. Dreier/Schulze-Dreier, § 108b Rn. 5; Dreyer/Kotthoff/Meckel-Kotthoff, § 108b Rn. 11; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108b UrhG Rn. 8; Wandtke/Bullinger-Hildebrandt/Reinbacher, § 108b Rn. 5. 834 Vgl. Kapitel 3 § 4. 830
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§ 108b Abs. 2 UrhG ahndet schließlich die Herstellung, Einführung und Verbreitung sowie den Verkauf oder die Vermietung einer Vorrichtung, eines Erzeugnisses oder eines Bestandteils entgegen § 95a Abs. 3 UrhG, wenn diese zu gewerblichen Zwecken erfolgen. Bei den betreffenden Tatobjekten handelt es sich um sogenannte „Umgehungsmittel“,835 die zur Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen verwendet werden,836 wie beispielsweise Brennsoftware, die zur Umgehung eines Kopierschutzes von Audio-CDs, Film-DVDs oder Computerspielen auf CD-ROM gebraucht wird. Der dem deutschen Recht ansonsten fremde Begriff der „gewerblichen Zwecke“837 deckt sich mit jenem der Gewerbsmäßigkeit in den übrigen Strafvorschriften des UrhG838 – und damit mit dem allgemeinen strafrechtlichen Verständnis. Beispielsfall (Kopierschutz): Täter T möchte eine käuflich erworbene DVD kopieren, die mit einem aktuellen Kopierschutz belegt ist. Er installiert deswegen eine hocheffiziente Software auf seinem Rechner, die jeden Kopierschutz „knackt“, und brennt die DVD. T geht davon aus, nicht in urheberrechtsrelevanter Weise zu handeln, weil der Schutz nicht „wirksam“ sei. Fallvariante: T legt die DVD ein und startet den Brennvorgang, allerdings ohne zu bemerken, dass sein Programm irgendwelche Schutzmaßnahmen umgeht. In beiden Konstellationen verwirklicht T den objektiven Straftatbestand des § 108b Abs. 1 Nr. 1 UrhG. Insbesondere ist auch jeweils vom Vorliegen einer „wirksamen“ technischen Maßnahme im Sinne der §§ 108b, 95a Abs. 2 S. 1, 2 UrhG auszugehen, weil es sich um einen Kopierschutz handelt, der dem aktuellen Standard entspricht. Mit dem Erfordernis der Wirksamkeit soll nicht sichergestellt sein, dass eine Umgehung der technischen Maßnahme unmöglich ist, sondern nur ein bestimmter Mindeststandard gesichert werden.839 Im Ausgangsfall erkennt T auch, dass die DVD mit einem Schutz belegt ist, weswegen er erst eine besonders effiziente Brennsoftware installiert. Er kennt damit alle tatsächlichen Umstände, die seinem Handeln urheberrechtliche Relevanz nach § 108b UrhG verleihen. Dass er gleichwohl davon ausgeht, ein Kopierschutz, der nicht jeder Software entgegensteht, erfülle nicht das Merkmal der „Wirksamkeit“, stellt eine falsche rechtliche Bewertung dar. T handelt also im Verbotsirrtum, § 17 StGB. In der Fallvariante dagegen legt T die DVD lediglich in den Brenner ein, ohne zu erkennen, dass diese mit einem Kopierschutz belegt ist. Von einem vorsätzlichen „Umgehen“ i.S.d. § 108b Abs. 1 Nr. 1 UrhG kann dementsprechend keine Rede sein, es fehlt ihm an der Kenntnis eines tatsächlichen Umstandes i.S.d. § 16 Abs. 1 StGB, T handelt insofern also ohne Vorsatz. 835 Müko-StGB-Heinrich,
2. Aufl., § 108b UrhG Rn. 11. 2. Aufl., § 108b UrhG Rn. 11. 837 Vgl. Dreyer/Kotthoff/Meckel-Kotthoff, § 108b Rn. 13. 838 Dreyer/Kotthoff/Meckel-Kotthoff, § 108b Rn. 13; Müko-StGB-Heinrich, 2. Aufl., § 108b UrhG Rn. 11. 839 Vgl. dazu Dreier/Schulze-Dreier/Specht, § 95a Rn. 15; Klickermann, MMR 2007, 7 (11); Loewenheim-Peukert, § 34 Rn. 12; Wandtke/Bullinger-Wandtke/Ohst, § 95a Rn. 47. 836 Müko-StGB-Heinrich,
Resümee und Ausblick Resümee und Ausblick
Die Irrtumslehre zählt zu den meist umstrittenen Kapiteln der deutschen Strafrechtsdogmatik – und das wird sie aller Voraussicht nach auch bleiben. Wie schon Hildebrandt mit Bezug zum Urheberstrafrecht feststellte, ist insbesondere nicht zu erwarten, dass die deutschen Gerichte mit Blick auf die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums von ihren „etablierten“ Grundsätzen abweichen werden.1 Gleichwohl sei betont, dass die vorstehenden Untersuchungen einen Anstoß liefern sollen, das Fundament der strafrechtlichen Irrtumsdogmatik in Erinnerung zu rufen und hiervon ausgehend die Grundsätze der überkommenen Lehre, wie sie auch durch die Rechtsprechung gepflegt werden, zu hinterfragen. Die folgenden Aussagen von Schuster bringen auf den Punkt, worin der eigentliche Kern überhaupt aller Irrtumsprobleme zu liegen scheint: „Das Bedürfnis, allein im Hinblick auf die typische Verzeihlichkeit von Irrtümern im Rahmen einer bestimmten Regelungsmaterie abweichende Abgrenzungsregeln aufstellen zu wollen, scheint mit einem zu restriktiv [Hervorhebung durch d. Verf.] gehandhabten § 17 StGB im Zusammenhang zu stehen […]. Die wichtigste Ursache für die Forderung, in Teilbereichen […] generell die Vorsatztheorie anzuwenden, sei es im Nebenstrafrecht, im Ordnungswidrigkeitenrecht oder bei Blankettnormen, dürfte […] auf der allzu strengen Handhabung des Begriffs der Vermeidbarkeit in der Praxis beruhen.“2 Vollkommen zutreffend konstatiert Schuster weiterhin: „Einer Vorsatztheorie (oder einer an diese angenäherte Variante der Schuldtheorie) bedarf es zur Erzielung eines Freispruches nicht – auch keiner nebenstrafrechtlichen Sonderdogmatik.“3 Diesen Aussagen ist mit Nachdruck beizupflichten. Doch wie ist nun in der Praxis mit einem Täter zu verfahren, der in tatsächlicher Hinsicht zwar alles ganz korrekt erfasst hat, aber gleichwohl die Bedeutung seines Handelns nicht begreift? Auch diejenigen Vertreter, die der Vorsatztheorie – wie Schuster – eine kategorische Absage erteilen, kommen in zahlreichen Fällen zumindest mittelbar zu deren Anwendung, indem sie den Vorsatz eines Täters bei normativ geprägten Tatbestandsmerkmalen nur dann bejahen, wenn dieser zumindest in seiner ganz eigenen „Laiensphäre“ begriffen hat, welche rechtliche Bedeutung seinem tatsächlichen Tun durch den Juristen in der „Expertensphäre“ beigemessen wird. Diese Frage ist und bleibt aber eine Rechtsfrage. Und Rechtsfragen bleiben nach dem vorgegebenen schuldtheoretischen Verständnis des Strafgesetzbuchs dem Unrechtsbewusstsein – und damit der Schuld – vorbehalten. Hildebrandt, S. 255. Schuster, S. 153 f. 3 Schuster, S. 156; vgl. in diesem Zusammenhang auch jüngst ders., GA 2016, 60 (61).
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Resümee und Ausblick
Erst an dieser Stelle beginnen die Probleme sprichwörtlich zu „wuchern“, welche der Irrtumslehre ihren Ruf als besonders problematische Materie verleihen – und welche im Rahmen dieser Arbeit ausführlich beleuchtet wurden: Abgrenzungsschwierigkeiten, Schwammigkeit, Systembrüchigkeit, Inkonsequenz und eine ausgeprägte Kasuistik. Dass all diese Kritikpunkte berechtigt sind, wurde im Verlauf der vorliegenden Studie ebenso bewiesen wie der positive Aspekt, dass sie sich allesamt ohne Weiteres vermeiden lassen – und zwar ohne dabei die Einzelfallgerechtigkeit zu vernachlässigen. Im Folgenden sollen die gefundenen Ergebnisse zusammengefasst werden. • Das Strafgesetzbuch gibt mit den Bestimmungen in §§ 16, 17 StGB die entscheidenden Weichenstellungen vor, welche im Ergebnis – deren konsequente Anwendung freilich vorausgesetzt – zu einer in sich schlüssigen Irrtumslehre führen. Der Gesetzgeber folgt dabei einem schuldtheoretischen Verständnis, wonach im subjektiven Tatbestand für den Vorsatz des Täters allein die Kenntnis von tatsächlichen Umständen zu fordern ist, die seine konkrete Handlung als objektiv tatbestandsmäßig qualifizieren. Er „kennt“ dann alle Umstände, die „zum Tatbestand gehören“, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB, und handelt somit vorsätzlich. Kennt der Handelnde einen Umstand nicht, so entfällt nach § 16 StGB immer der Vorsatz – ob er seinen Irrtum vermeiden konnte oder nicht, spielt keine Rolle. • Nicht zum Vorsatz gehört nach diesem Verständnis die Kenntnis der Rechtslage, also das Wissen um die rechtliche Bedeutung des Tuns in einem umfassenden Sinne. Jede Rechtsfrage bleibt richtigerweise dem Unrechtsbewusstsein vorbehalten. Jede falsche Vorstellung über die Rechtslage markiert – insoweit – die fehlende Einsicht, Unrecht zu tun, und begründet demzufolge einen Verbotsirrtum, § 17 StGB, der nur dann zur Straflosigkeit führt, wenn er unvermeidbar war. War der Verbotsirrtum hingegen vermeidbar, so kann (!) die Strafe durch den Richter gemildert werden, § 17 S. 2 StGB. In diesem Bereich sind insbesondere sämtliche Fragen nach der, wie auch immer gelagerten, Bedeutungskenntnis des Täters zu verorten. Eine fehlende Bedeutungskenntnis wirkt sich somit allenfalls schuldmindernd oder im äußersten Fall schuldbeseitigend aus. • Dieses Ergebnis ist nur konsequent, denn: Ob ein Handelnder im konkreten Sachverhalt die Bedeutung (oder den Sinngehalt oder den sozialen Sinn oder die Tragweite) seines Verhaltens auch nur ansatzweise (also „laienhaft“) oder vollständig erfasst beziehungsweise verstanden hat, kann immer nur im Zusammenhang mit der Frage nach seinem Unrechtsbewusstsein festgestellt werden: Wenn ein Täter die Bedeutung seines Verhaltens erfasst hat, hat er die Einsicht, Unrecht zu tun, § 17 S. 1 StGB. Hat er diese Bedeutung nicht – oder in seiner „Laiensphäre“ nur fragmentarisch oder fehlerhaft – erfasst, so fehlt ihm die Einsicht, Unrecht zu tun (und nicht der Vorsatz). Hat ein Handelnder den Sinngehalt eines Tatbestandsmerkmals bei voller Umstandskenntnis nicht verstanden, so liegt hierin eine falsche rechtliche Bewertung, es fehlt ihm also am Unrechtsbewusstsein.
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• Die hier vorgeschlagene konsequente Beachtung dieser – wie nicht oft genug betont werden kann: bereits durch das StGB vorgegebenen – Weichenstellung führt zwar dazu, dass zahlreiche Irrtümer, die mit der herrschenden Meinung im Schrifttum sowie auch der Rechtsprechung (zumeist unter Rückgriff auf eine „Parallelwertung in der Laiensphäre“) als Tatumstandsirrtümer eingestuft werden, gleichsam auf die Ebene des Verbotsirrtums verlagert werden. Allerdings führt dies in keinem Fall zu einem nachteiligen Ergebnis für den Beschuldigten, wenn nur bei Feststellung der Schuld keine überzogenen Anforderungen an die Begründung der Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums gestellt werden. • Das Instrument der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ kann dadurch in Bezug auf normative Tatbestandsmerkmale im Bereich der Vorsatzprüfung komplett aufgegeben werden. Die ohnehin unstreitig als problematisch anerkannte Unterscheidung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen erweist sich hiernach als obsolet. Dasselbe gilt für jene „alternativen“ Begründungsansätze, wonach der Täter den Sinn aller Tatbestandsmerkmale verstanden haben soll, also sowohl Sinnkenntnis bezüglich deskriptiver als auch bezüglich normativer Tatbestandsmerkmale haben muss: Im subjektiven Tatbestand sind keine Feststellungen geboten, die eine Bedeutungs- oder Sinnkenntnis in der (Laien-)Sphäre des Täters belegen oder widerlegen. Der Täter hat entweder Kenntnis aller objektiven Umstände oder nicht. Dies lässt sich in der Rechtspraxis unproblematisch feststellen. Alle weitergehenden Aspekte werden erst bei der Prüfung der Schuld relevant. • Fehlt einem Täter die Bedeutungskenntnis in Bezug auf seine Handlung oder bezüglich eines konkreten Merkmals des Tatbestandes, so handelt er im Verbotsirrtum. Seine konkrete „Laiensphäre“ ist richtigerweise bei der Frage zu berücksichtigen, ob sein Verbotsirrtum (un-)vermeidbar war. Hier sind alle Faktoren zu würdigen, die sich beispielsweise aus der konkreten sozialen Rolle des Täters, aus seinem Intellekt, seiner Bildung, seiner Profession oder etwa anderweitig erworbenem speziellen Wissen oder Unwissen ergeben. Kurzum: Alle Faktoren, die üblicherweise zur Begründung des Vorsatzausschlusses mithilfe der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ oder einem „allgemeinen Sinnverständnis“ herangezogen werden, sind richtigerweise von schuldmindernder oder schuldausschließender Wirkung. • Im Rahmen der Unvermeidbarkeitsprüfung ist – in Abkehr von der herrschenden Rechtsprechung – insbesondere darauf zu verzichten, dem Handelnden eine (übergesetzliche) Rechtspflicht aufzuerlegen, die ihm gebietet, alle Erkenntniskräfte bis ins Letzte ausgeschöpft zu haben, um einen unvermeidbaren Verbots irrtum zu begründen. Vor allem dann, wenn der Handelnde die Einholung von Rechtsrat hinreichend glaubhaft macht, darf ihm nicht unterstellt werden, diese Möglichkeit nicht bis ins Letzte ausgeschöpft zu haben. Im Ergebnis ist also bei der Unvermeidbarkeit derselbe Maßstab anzulegen, der üblicherweise im Rahmen der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ zur Geltung kommt.
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• Diese Grundsätze ermöglichen nicht nur im Bereich der „delicta mala per se“, also im Kernstrafrecht, eine adäquate Lösung von Irrtumsfällen. Auch im Bereich derjenigen Delikte, deren Ge- oder Verbote dem durchschnittlichen Norm adressaten nicht im Geringsten geläufig sind, lassen sich ebenso zuverlässige wie gerechte Lösungen erzielen. Dies gilt im Besonderen für hochgradig normativ aufgeladene Vorschriften sowohl des Kern- als auch des Nebenstrafrechts – sowie auch für Blankettstrafvorschriften: Wenn die Bedeutungskenntnis einer Vorschrift ausschließlich auf Schuldebene berücksichtigt wird, so erübrigen sich alle Probleme, die sich aus dem Standort oder dem Verweisungscharakter einer Vorschrift ergeben, denn das Vorhandensein oder das Nichtvorhandensein von Unrechtsbewusstsein ist unabhängig von der Frage, wo ein Verbot normiert ist. Die schwere Auffindbarkeit einer Norm wirkt sich hiernach allenfalls bei der Frage aus, ob ein Täter in seiner konkreten sozialen Rolle und Situation die Vorschrift hätte kennen, finden oder durch eine qualifizierte Auskunftsperson hätte finden lassen müssen – also wiederum bei der Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums. • Blankettstrafvorschriften unterliegen richtigerweise keinerlei Besonderheiten bei der Behandlung von Irrtumsfällen. Sie sind zusammen mit ihren Ausfüllungsnormen zu lesen – auf den so gebildeten „Gesamttatbestand“ sind die §§ 16, 17 StGB ganz regulär anzuwenden. Eine Anwendung der Vorsatztheorie im Bereich des „Blankettstrafrechts“ – und damit ein (gleichwohl vielfach befürworteter) eklatanter Verstoß mit der gesetzgeberischen Konzeption – wird somit vermieden. • Auch bei der Lösung von Fällen des sogenannten umgekehrten Irrtums ergeben sich strafrechtsdogmatisch schlüssige und gerechte Lösungen, wenn mithilfe eines Umkehrschlusses zwischen Irrtümern über Tatsachen und Irrtümern über die Rechtslage unterschieden wird: Stellt sich ein Handelnder irrigerweise Umstände vor, die einen tatsächlich existierenden Straftatbestand verwirklichen, so überschreitet er „geistig“ die Grenze dessen, was der Gesetzgeber für nicht strafwürdig erachtet – es kommt dann eine Strafbarkeit wegen untauglichen Versuchs in Betracht. Glaubt der Handelnde hingegen fälschlicherweise daran, einen Straftatbestand zu verwirklichen, den es tatsächlich nicht gibt, so handelt es sich um ein – straffreies – Wahndelikt. Dieses Ergebnis ist gerecht, denn in dieser Konstellation übertritt der Handelnde nicht die Grenze dessen, was der Gesetzgeber für strafwürdig erachtet. • Die Lösung dieser umgekehrten Irrtümer ist, wie soeben dargelegt, nach der vorliegend befürworteten Theorie ohne systematische Brüche möglich. Anders gestaltet sich dies mit den übrigen vertretenen Irrtumslehren, wonach ein täterbegünstigender Tatumstandsirrtum im Bereich der normativen Tatbestandsmerkmale oder im Bereich von Blankettvorschriften regelmäßig auch durch eine falsche rechtliche Bewertung begründet werden kann. Konsequenterweise müsste dies bei der Umkehrprobe dazu führen, dass die äquivalente, für den Täter ungünstige falsche rechtliche Bewertung – etwa dann, wenn der Täter ein
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normatives Tatbestandsmerkmal in seiner „Laiensphäre“ falsch bewertet – auch einen untauglichen Versuch begründet. Dieses Ergebnis wird indes ersichtlich nirgends befürwortet. • Für die Strafvorschriften des Urheberrechts wurde anhand zahlreicher Beispielsfälle bewiesen, dass mithilfe der hier befürworteten Grundsätze sämtliche denkbaren Irrtumskonstellationen adäquat lösbar sind. Insofern ergeben sich schon deshalb keinerlei Besonderheiten, weil die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre, sofern sie nur konsequent gepflegt wird, ein in sich schlüssiges System darstellt, das Irrtümer unabhängig von der jeweiligen Materie auf einheitliche Weise zuverlässig aufzulösen vermag. • Als besonders lebendige Materie des Nebenstrafrechts, die zudem stark vom technischen Fortschritt abhängig ist, gilt für das Urheberstrafrecht in starkem Maße der Grundsatz, dass die Unkenntnis der Rechtslage – sei es der Gesetzeslage oder der Rechtsprechung – nicht in allen Fällen zulasten des Täters wirken darf. Insbesondere dort, wo das Urheberrecht mithilfe der Rechtsprechung oder durch die Umsetzung europäischer Vorgaben konkretisiert respektive aktualisiert wird, muss ein „kollektives Unrechtsbewusstsein“ in der Bevölkerung erst allmählich wachsen. Weil das UrhG aber keine „Spezialistenmaterie“ ist, sondern zahlreiche Ge- und Verbote enthält, die sich an die Allgemeinheit richten, sind diese Besonderheiten des Urheberrechts bei der Prüfung der Unvermeidbarkeit von Verbotsirrtümern oftmals in den Fokus zu rücken. • In besonderem Maße wirkt sich dieser Aspekt beim Umgang mit den „neuen Medien“ aus, insbesondere dann, wenn es um Verwertungshandlungen im Internet geht, oder wenn sich Handelnde neu erwachsener Möglichkeiten bedienen, für deren Behandlung sich in der urheberrechtlichen Praxis noch keine „feste Linie“ etabliert hat. Denn oftmals wird es sich hierbei um Verhaltensweisen handeln, die gleichsam „kollektiv“ für erlaubt erachtet werden, sodass das breite Unrechtsbewusstsein innerhalb der Bevölkerung und die Rechtslage auseinanderfallen. Als Beispiel sei insofern abschließend die inzwischen als inflationär einzustufende Anfertigung von Foto-, Audio- und Videomitschnitten aller Art von geschützten Werken mithilfe von Smartphones genannt.
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Sachwortregister Sachwortregister
aberratio ictus 192 Akzessorietät 28, 33, 35, 111, 198, 248, 286, 367, 380 Amtliche Werke 244 Anbieten 264, 269 Anstiftung 389 Aufführungsrecht 312 Ausblick 405 Auslegung von Merkmalen 107 Außenverweisung 96 Bearbeitung 233, 384 Beihilfe 389 Beteiligung 389 Binnenverweisung 96 Blankett 84 –– Abgrenzung zum normativen Merkmal 96, 100, 101 –– als bloß gesetzgebungstechnisches Mittel 185 –– Definition 85 –– Echtes und unechtes 89 –– und Verfassungsrecht 98 –– und Vorsatzinhalt 141 –– Unmöglichkeit klarer Abgrenzung 161 –– Voll- und Teilblankett 93 Blankettstrafgesetze siehe Blankett Bürgerliches Recht 43 Computerprogramme 239 Copyrigt-Hinweis 230 Coverversion 209, 233, 237 Datenbankwerke 243 delicta mala mere prohibita 75, 149 delicta mala per se 75, 142, 150, 193, 408 Designgesetz 44
Deskriptives Tatbestandsmerkmal 76 –– Abgrenzung zum normativen Merkmal 79 –– Umstandskenntnis 129 E-Books 346 Eigener Gebrauch 328 Einwilligung 38, 352 –– als Tatbestandsmerkmal 354, 362 –– Dogmatische Einordnung 352 –– Glaube an Entbehrlichkeit 367 –– Glaube an Vorliegen 369 –– Irrtum über Berechtigte 378 –– Irrtum über Reichweite 374 –– Irrtum über Wirksamkeit 371 –– Irrtumskonstellationen 364 –– und Doppelfunktion 355 Erlaubnisirrtum 69 Erlaubnistatbestandsirrtum siehe Erlaubnistatumstandsirrtum Erlaubnistatumstandsirrtum 69, 192 error in persona vel obiecto 192 Erschöpfung 275, 344 Facebook Live 318 Fazit 405 Filesharing 42, 294 Filmwerk 224 Framing 295, 308 Freiheit der Privatkopie 329 Gebrauchsmusterrecht 44 Geistiger Gehalt 213 Gesamttatbewertende Merkmale 82, 176 Gesetzlich zugelassene Fälle 37 siehe Schranken des Urheberrechts Gestaltungshöhe 216
Sachwortregister Gewerbliche Schutzrechte Gewerbsmäßigkeit 386
43
Halbleiterschutzgesetz 44 Hyperlink 295, 308 Individualität 215 –– Quantitativer Aspekt 216 Inkorporationstheorie 145 –– Kritik 147 Inverkehrbringen 264 Irrtum über Tatumstände siehe Tatumstandsirrtum Irrtümer zulasten des Handelnden siehe Umgekehrter Irrtum Irrtumslehre 47, 58, 116 –– Alternative Ansätze 131 –– Eigene Lehre 189, 406 –– Herrschende Lehre 58 –– Herrschende Lehre im Detail 125 –– Herrschende Lehre in der Kritik 153, 155 –– Herrschende Lehre in Kürze 123 –– Historische Entwicklung 48 –– nach Heinrich, Safferling u.a. 117 –– Psychologische Faktoren 125 Judikatur siehe Rechtspraxis Kunst 223 L-Äquivalenz 132 Lehre vom Zusammenlesen siehe Inkorporationstheorie Leistungsschutzrechte 398 Lichtbild 31 Literatur 223 Markenrecht 45 Mehrzahl von Personen 271 Mittäterschaft 389 Normatives Tatbestandsmerkmal 78 –– Abgrenzung zum Blankett 96, 100, 101 –– Abgrenzung zum deskriptiven Merkmal 79
425
–– Umstandskenntnis 129 Normativität aller Tatbestandsmerkmale 133 Offene Tatbestände 82 Öffentliche Wiedergabe 36, 285 –– Irrtumskonstellationen 291 –– Zugänglichmachung 292 Öffentliche Zugänglichmachung 292 –– als Erfolgsdelikt 300 –– Framing 295 –– Hyperlinks 295 –– Irrtumskonstellationen 302 –– Praxisrelevante Felder 293 –– Verlinkungen 295 –– Vorsatzgegenstand 300 Öffentlichkeit –– bei der Verbreitung 266 –– beim Anbieten 269 –– der Wiedergabe 287 –– im Internet 289 Parallelwertung in der Laiensphäre 137 –– und deskriptive Merkmale 137 –– und normative Merkmale 138 Partitur 225 Patentrecht 44 Persönliche geistige Schöpfung 34, 207 Persönliche Verbundenheit 273 Presseerzeugnisse 342 Rechtspraxis 39, 154 –– des Bundesgerichtshofs 154 –– des Reichsgerichts 49 Reichsgericht 49 Relativität von Rechtsbegriffen 107, 110 –– Konsequenzen 114 Remix 233 Resümee 405 Sammelwerke 243 Schöpfung 34, 207, 208 –– durch einen Menschen 210
426
Sachwortregister
Schöpfungsqualität 208 Schranken des Urheberrechts 322 –– Dogmatische Einordnung 324 –– Eigener Gebrauch 328 –– Erschöpfung 344 –– Freiheit der Privatkopie 329 –– Irrtumskonstellationen 327 –– Schutzfrist 349 –– Sonstiger eigener Gebrauch 340 Schuldtheorie 53 –– als Problem der h.M. 166 Schutzfrist 349 Screenshot 224, 231 Senderecht 316 –– und Facebook 317, 318 Sonstiger eigener Gebrauch 340 Sortenschutzgesetz 45 Strafanwendungsrecht 198 Strafwürdigkeit 29 Subsumtionsirrtum 192 Tatbestandsirrtum siehe Tatumstandsirrtum Tatbestandsmerkmale 75 –– Abgrenzungsprobleme 79, 96 –– Deskriptive Merkmale 76 –– Kategorisierung 76 –– Normative Merkmale 78 –– Unmöglichkeit klarer Abgrenzung 156 Tathandlungen 35, 247 –– Dogmatische Einordnung 250 –– Öffentliche Wiedergabe 285 –– Verbreitung 263 –– Vervielfältigung 252 Tatobjekte 33, 205 Tätowierung 66, 174, 205 Tatumstandsirrtum –– Rechtsfolgen 62 Technische Schutzmaßnahmen 402 Teilblankett siehe Blankett
Teile von Werken siehe Werkteile Teilnahme 389 Überpönalisierung 29 Umgekehrter Irrtum 71, 187 Umgestaltung 233 Umkehrprobe 187, 408 Umstandskenntnis 60, 127 siehe Unrechtsbewusstsein 64, 167 Untauglicher Versuch 72, 378 Unvermeidbarkeit siehe Vermeidbarkeit Urheberbezeichnung 394 Urheberrechtsakzessorietät 28 Verbotsirrtum 63 –– Rechtsfolgen 67 Verbreitung 36, 263 –– Irrtumskonstellationen 275 –– und Öffentlichkeit 266 Vergriffene Werke 343 Vermeidbarkeit –– des Verbotsirrtums 67, 180 Vermeidbarkeitsprüfung 180 Vervielfältigung 36, 252 –– Irrtum über Tatsachen 255 –– Rechtsirrtum 258 Verwandte Schutzrechte 30, 398 Verweisung 94 –– dynamische 94 –– statische 94 Verwertungshandlungen 35, 247 Vollblankett siehe Blankett Vorführungsrecht 312 Vorsatzinhalt 127 Vorsatztheorie 53 Vorsatzwissen 127 Vortragsrecht 311 Wahndelikt 73, 221, 242, 279, 335 Werk 33, 205 –– Geistigkeit 213 –– Gestaltungshöhe 216
Sachwortregister –– Individualität 213 –– Persönlichkeit 213 Werkgattung 223 Werkqualität 206 Werkteile 231 WGVT-Formel 140 Wiedergabe durch Bild- oder Tonträger 319 Wiedergabe von Funksendungen 319 Wiedergabe von öffentlicher Zugänglichmachung 319
Wissenschaft 223 Wissenschaftlicher Gebrauch Wissenselement 128
427
341
Zivilrechtsakzessorietät 28 Zugelassene Fälle siehe Schranken des Urheberrechts zur Rechtewahrnehmung erforderliche Informationen 402 Zusammenlesen siehe Inkorporationstheorie Zweitverwertungsrechte 319