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German Pages [120] Year 2010
© 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-56937-5 — ISBN E-Book: 978-3-647-56937-6
Jüdische Religion, Geschichte und Kultur Herausgegeben von Michael Brenner und Stefan Rohrbacher
Band 13
Vandenhoeck & Ruprecht
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Stefan Siebers
Der Irak in Israel Vom zionistischen Staat zur transkulturellen Gesellschaft
Vandenhoeck & Ruprecht
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-525-56937-5 ISBN der elektronischen Ausgabe: 978-3-647-56937-6
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Für all unsere Siebers und Grabowskis, Baums, Gleyzes und Brasseurs
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Dank
Mein Dank geht an Stefan Rohrbacher und Dagmar Börner-Klein, Professoren des Instituts für Jüdische Studien an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Sie haben mich ermuntert, über das orientalische Israel und seine Bücher zu schreiben, die mir von zahlreichen Reisen und meiner Tätigkeit als Lektor und literarischer Übersetzer seit langem vertraut waren. Ich danke Stefan Rohrbacher und Professor Michael Brenner, München, insbesondere auch für ihre Bereitschaft, den fertigen Text in ihrer Reihe beim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht zu veröffentlichen. Als in mannigfaltiger Weise inspirierend erwiesen sich die ungezählten kulinarischen, literarischen und musikalischen Sitzungen zwischen KölnEhrenfeld, dem Chemin des Rois im kanadischen Norden und dem luftigen Dach des Kreuzklosters in Rechawia/Jerusalem mit Andrea Schatz, heute am King’s College London, sowie die lebhafte Diskussion des Entwurfs dieses Texts mit Iris Liebig am schönen Fürstenplatz in Düsseldorf. Dankbar bin ich auch Michaela Siebers für den Satz des Manuskripts und Joachim Kern für die treue Unterstützung sowie allen Geschichtenerzählern, Sängerinnen und Köchen (nicht nur aus dem Orient), die unsere Interaktion beflügelten. Mein besonderer Dank jedoch richtet sich an meine Familie. Denn sie hat mir aufs Beste vorgelebt, was im Alltag wie der Erinnerung Transkulturation bedeutet, ohne dass wir dieses Wort kannten noch je gebrauchten. Ihr ist dieses Buch gewidmet. Köln, im Oktober 2009
Stefan Siebers
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Inhalt
1. „Heimkehr“ nach Israel.....................................................................
13
2. Von einer nationalen zu einer hybriden Kultur.................................
17
Reizwörter: Inter- und multikulturell................................................
19
Der Begriff Transkulturation und die Juden des Irak.......................
21
Geliebtes Klischee: Der unvereinbare Andere..................................
26
3. Literatur – Spiegel oder Motor der Gesellschaft?.............................
31
Aufstieg der Autoren aus dem Orient ...............................................
35
Werke und Themen der Iraki ............................................................
40
4. Transkulturelle Identität im erneuerten hebräischen Roman ............
43
Zwischen-Intimitäten I: Essen und Musik ........................................
44
Zwischen-Intimitäten II: Liebe, Sprache und Nation .......................
53
5. Orient und Okzident: Der schwierige Weg zueinander ....................
61
Zeit des Rückzugs .............................................................................
62
Umbruch in den 60ern.......................................................................
71
Orientalische Formen, orientalische Perspektiven?..........................
82
6. Fernziel: West-östlicher Ausgleich (Resümee und Ausblick) ..........
89
Anhang: Biogramme weiterer Autoren...................................................
99
Quellenverzeichnis .................................................................................. 109 Hinweise zur Transkription und Orthografie .......................................... 117 Register.................................................................................................... 119
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Gib das Glas in meine Hand, Mein Freund, sei nicht dumm. Siehst du nicht, wie sich die Dunkelheit Wendet und das Licht kommt? Die Sonne ist wie ein Glas In der Hand eines Freundes, der Feuer anfacht. Der Osten ist das Getränk, Der Westen der Trinkende. Unbekannter hebräischer Dichter in al-Andalus, dem maurischen Spanien (Übers. d. Autors)
Wer für eine Vermischung der Kulturen ist, für wechselseitige Bereicherung plädiert, wird die Auseinandersetzung nicht nur nicht scheuen und ausschließen dürfen, er wird sie als Motor der Verschmelzung anerkennen. Stefan Weidner
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1. „Heimkehr“ nach Israel
Akkulturation und Transkulturation, zwei zentrale Begriffe der Ethnologie, doch inzwischen auch anderer Bereiche der Wissenschaft, bedeuten zuallervorderst eins: Bewegung – die Bewegung einer Kultur oder ihrer Vertreter auf eine andere zu bzw. die (zumindest partielle) Verschmelzung beider infolge ihrer Begegnung. Vor dem Hintergrund zunehmender Wanderungstendenzen, die einhergehend mit fortschreitender Technisierung und politischer wie ökonomischer Verflechtung weltweit zu beobachten sind, spielen beide Begriffe eine immer wichtigere Rolle bei der Erörterung gesellschaftlichen und kulturellen Wandels. Das gilt auch im Hinblick auf das Judentum, speziell auf Israel/Palästina. Indes ist die freiwillige oder erzwungene Migration in der jüdischen Geschichte kein neues Phänomen. Schon die Bibel berichtet über die Emigration aus Mesopotamien in ein verheißungsvolles Land im Westen, über das Entstehen einer hebräischen Kolonie am Nil und über erneute Wanderung nach deren Niedergang. Abgesehen von diesen ins Mythische gesteigerten Erzählungen, für die sich mangels außerbiblischer Textzeugnisse keine faktische Grundlage nachweisen lässt, haben mehrere große historische Wanderungsbewegungen die jüdische Tradition und das jüdische Selbstverständnis dauerhaft geprägt: das Babylonische Exil (6. Jahrhundert v.Chr.), die Zerstreuung nach der Zerstörung des Zweites Tempels (70 n.Chr.), die Verfolgungen in Aschkenas (ab 1096) und Westeuropa (Ausweisung aus den Königreichen England und Frankreich 1290 bzw. 1394), der Verlust Sepharads (Kastilien-Aragón 1492, Portugal 1496) sowie in neuerer Zeit die Flucht vor russischen Pogromen und schließlich die mit dem nationalsozialistischen Genozid und der beschleunigten Gründung des Staates Israel verbundenen dramatischen Verschiebungen in der Demografie des Judentums in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Jedes dieser Ereignisse bildete eine Zäsur in der jüdischen Geschichte, jedesmal hat sich jüdische Kultur aufgrund politischer und sozialer Umwälzungen transformiert und neu zusammengesetzt. Zu den Verschiebungen in der Mitte des 20. Jahrhunderts zählen auch der „Exodus“ der irakischen Juden und ihre „Heimkehr“ in den Staat Israel, die lange Zeit als Untergang der jüdisch-irakischen Kultur und Lebensform betrachtet wurden, zumal die orientalischen Immigranten in Israel zwar mit lebensnotwendigen öffentlichen Dienstleistungen (Unterkunft, Verpflegung, Arbeit, Bildung) unterstützt wurden, doch als Vertreter einer eigenständigen oder gar gleichberechtigten Tradition kaum Anerkennung fanden.
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Der Irak in Israel
Ungefähr eine Generation hat es gedauert, bis ihre gesellschaftliche Emanzipation einsetzte und orientalische Juden in nahezu allen Bereichen des öffentlichen Lebens Israels sichtbar wurden. Das gilt für die Iraki in ähnlichem Maße wie für Marokkaner, Tunesier und Jemeniten. Auch in der hebräischen Literatur, auf die in der vorliegenden Untersuchung das Augenmerk gerichtet werden wird, sind erst seit Mitte der 70er Jahre Orientalen in den Vordergrund getreten: passiv als Figuren in den Werken anderer Autoren und aktiv als Autoren. Und neben die Juden aus dem Orient rückten allmählich die Araber Palästinas. Bei aller Unterschiedlichkeit und Distanz, die zwischen diesen Gruppen herrschen mag, werden beide doch annähernd übereinstimmend als Orientalen gesehen und sehen sich selbst ebenfalls so. Dabei gilt es, zwei parallel bestehende Bilder vom „Orientalen“ zu unterscheiden: Das eine ist Produkt eines dichotomisierenden westlichen Diskurses, der versucht, Menschen aus dem Orient als das „Andere“, „Exotische“, ja mitunter „Zerstörerische“ zu definieren, das domestiziert und untergeordnet werden müsse. Das zweite ist eine neue Selbstdefinition der Menschen aus dem Orient, die mit wachsendem Selbstbewusstsein auf ihren eigenen Werten bestehen und sie als starke, gleichberechtigte Töne im Konzert der Kulturen begreifen, die auf Bestehendes einwirken und Neues mit hervorbringen.1 Ein Anliegen dieses Buches ist es, anhand von zwei noch im Irak geborenen jüdischen Schriftstellern (Eli Amir und Sami Michael) darzustellen, inwieweit ihre Werke Tendenzen der Akkulturation und Transkulturation der israelischen Wirklichkeit widerspiegeln: Wie äußern sich politische, soziale und kulturelle Annäherungen, die mittel- oder unmittelbar mit dem irakischen „Exodus“ zusammenhängen, zum Beispiel in Handlung und Form ihrer Romane? Welche Beispiele geben diese für Akkulturation und Transkulturation zwischen orientalischen und nicht orientalischen Juden in Israel oder zwischen jüdischen und nicht jüdischen Orientalen im Irak und in Israel/Palästina? Diesen Fragen wird insbesondere im zentralen Kapitel 4 der vorliegenden Arbeit nachgegangen, mittels der Analyse ausgewählter Texte der orientalischen Autoren. Doch bleiben diese Fragen nicht der alleinige wesentliche Gegenstand unserer Untersuchung. Vielmehr bieten sie dazu Anlass, den literarischhistorischen Kontext, der auf die Autoren einwirkt und den sie selbst beeinflussen, in Augenschein zu nehmen. Ohne ihn, das natürliche Umfeld der Autoren, blieben ihre stark autobiografisch gefärbten Werke, speziell im Hinblick auf die Frage nach kulturellen Grenzen und ihrer Verrückung oder Überwindung, unverstanden. Um die Antworten und Einblicke, die uns die 1
Zur Sicht des Westens auf den „Rest“ der Welt vgl. Said, Kultur und Identität.
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„Heimkehr“ nach Israel
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Romane geben, in ihrer vollen Tragweite zu erfassen, wird daher diesem Umfeld breiter Raum zugemessen (Kapitel 3 und 5). Beispielhafte Texte von in Deutschland bekannten israelischen Schriftstellern, vor allem Amos Oz und A.B. Jehoschua, werden dabei ebenso durchleuchtet wie die historiografische Tradition, in der wichtige Literaturhistoriker stehen. Wir wagen einen tour d’horizon der israelischen Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts, immer im Hinblick auf das Orientalische, seine Manifestationen und Transformationen. Ein Resümee mit einem Ausblick in die Zukunft rundet unsere Analyse ab (Kapitel 6). Im Anhang finden sich neben dem Quellenverzeichnis und einem Register die Biogramme weiterer, in diesem Buch nicht oder nur beiläufig behandelter orientalischer Autoren – als Anreiz zu weiteren Lektüren und zur Fortsetzung des hier begonnenen Weges. Sie kommen aus Ägypten, Syrien, dem Irak, aus Israel und Palästina, und ihre Sprache ist mal Hebräisch, mal Arabisch. Beim Studium der für unser Vorhaben ausgewählten Schriftsteller und ihres literarisch-historischen Kontextes werden wir feststellen, dass entgegen dem großen westlich-zionistischen Narrativ, das die Selbstsicht des offiziellen Israels und seine Geschichtsschreibung bis in jüngste Zeit dominiert hat, orientalische Impulse von Anfang an eine Rolle spielten. Zwar wurden sie verleugnet und verfügten lange über keinen anerkannten öffentlichen Raum, um sich sichtbar zu entfalten, doch unter der Oberfläche, dem Guss der europäisch-zionistischen Kultur wirkten sie unentwegt weiter und schafften es so, das alte westlich geprägte Stereotyp von Kultur aufzuweichen und einen Prozess der Transkulturation in Gang zu setzen, der nicht nur dem „zweiten“, dem orientalischen Israel eine Stimme verleiht, sondern die israelische Kultur auf Dauer verändert. Aus dem „ersten“ und „zweiten“ Israel entwickelt sich ein „neues“ Israel, an dessen Erschaffung die orientalischen Autoren und ihr Werk maßgeblich beteiligt sind. Ehe wir aber zum Kern unserer Betrachtungen vordringen, sollen in Kapitel 2 der Begriff Kultur und einige seiner vielfältigen Ableitungen vorgestellt werden, um zu benennen, weshalb gerade das Konzept von Akkulturation (wessen an wen?) und Transkulturation im Kontext von „Exodus“ und „Heimkehr“ der Iraki und seiner literarischen Verarbeitung als geeignetes Instrument für unsere Untersuchung erscheint. Dabei werden wir feststellen, dass uns dieses ursprünglich völkerkundliche und heute in allen kulturwissenschaftlich beeinflussten Disziplinen genutzte Konzept zwar von „festen“ Größen wie Volk, Nation, Diaspora oder Assimilation, die in der judaistischen Sekundärliteratur traditionell Verwendung finden, entfernt, dass es zugleich aber den Blick für Zwischenbereiche schärft, für das Hybride, das, wie manche Quellen behaupten, einen erheblichen, wenn nicht gar
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Der Irak in Israel
den entscheidenden Bestandteil jüdischen Lebens und jüdischer Kultur ausmacht.2
2 Vgl. Gerson D. Cohen, The Blessing of Assimilation sowie Funkenstein, The Dialectics of Assimilation. Beide Autoren arbeiten zwar noch mit dem Begriff Assimilation, relativieren seine traditionelle Interpretation jedoch, indem sie die neuen, befruchtenden Impulse, die aus Annäherung und Mischung entstehen können, hervorheben. Vgl. auch Myers, „The Blessing of Assimilation“ Reconsidered. Dieser Aufsatz unterstreicht die Aktualität von Cohens auf einem öffentlichen Vortrag aus dem Jahr 1966 basierendem wegweisendem Text.
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2. Von einer nationalen zu einer hybriden Kultur
In der vorliegenden Arbeit soll es, wie eingangs dargelegt, nicht um Kultur als fest umrissene Größe, etwa als dominantes „Leitbild“ oder als Ausdruck des „seelischen Gesamtzustands“ einer Nation oder Epoche1 gehen, sondern um die kulturelle Bewegung und Beweglichkeit bestimmter Bevölkerungsgruppen, ihrer Ausdrucksformen und Lebensweisen. Über die Beweglichkeit kultureller Identitäten bemerkt Stuart Hall, der Begründer der Cultural Studies in Großbritannien:2 Cultural identity [...] is a matter of ‚becoming‘ as well as of ‚being‘. It belongs to the future as much as to the past. It is not something which already exists, transcending place, time, history and culture. Cultural identities come from somewhere, have histories. But, like everything which is historical, they undergo constant transformation. 1
Zu Letzterem vgl. etwa Burckhardts stilbildendes Epochenwerk Die Kultur der Renaissance in Italien von 1860. Hatte cultura im klassischen Latein und den späteren europäischen Volkssprachen zunächst noch vor allem Pflege und Landbau bedeutet („action de cultiver la terre“ in „pays de grande culture“, „culture fruitière“ etc.; Robert, Le petit Robert, 436f), so begann sich der Begriff in der Mitte des 16. Jahrhunderts in Frankreich zunehmend auch auf die Pflege der inneren Natur des Menschen zu beziehen. Der Naturrechtler Samuel von Pufendorf hat diesen Schritt etwa hundert Jahre später in Deutschland nachvollzogen. Die Encyclopédistes interpretierten Kultur im Sinne der Aufklärung als „Höherentwicklung [der Menschen] zu Selbstständigkeit, Freiheit, Frieden [...] und Sieg über die Armut“ (Nünning, Literatur- und Kulturtheorie, 357). War jedoch mit Kultur zunächst die Vervollkommnung des Individuums gemeint, so wurde der Begriff seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, insbesondere in Deutschland, mit Nation zu einem universellen Fortschrittskonzept verknüpft. Es entstand der „zeit- und raumbezogene Kulturbegriff als Ausdruck eines einheitlichen vergangenen oder gegenwärtigen Geschichtskörpers“, so Nünning, „[...] Kultur wird zum seelischen Gesamtzustand einer Zeit und einer Nation [... und ist] damit nicht mehr auf Einzelmenschen als Teil der Menschheit insgesamt, sondern auf abgrenzbare soziale Gruppen bezogen“. Dadurch wurden Kulturen als Individuen beschreibbar, analysierbar und vergleichbar. Wir erkennen hier den Kulturbegriff Herders wieder, der auf die „Blüte“ des Daseins eines Volkes zielt. Diese bis heute gängige Vorstellung ist von drei Charakteristika geprägt: „ethnische Fundierung, soziale Hegemonisierung und interkulturelle Abgrenzung“, so Welsch, Transkulturalität, 86. Herder meint demnach: 1) Ein Volk könne sein „Wesen“ nur in seiner spezifischen Kultur entfalten. 2) Diese Kultur müsse das Leben des Volkes im Ganzen wie im Einzelnen prägen und jede Handlung und jedes Objekt zu einem unverkennbaren Bestandteil dieser Kultur machen. 3) Jede Kultur solle als die eines bestimmten Volkes von denen anderer Völker unterscheidbar sein. Zum Herderschen Kulturbegriff und seinem Fortwirken s. auch Klingebiel, Kultur und Nation in einer säkularisierten Welt. 2 Hall, Cultural Identity and Diaspora, 23.
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Der Irak in Israel
Um diese Art der sozialen und geistig-zivilisatorischen Mobilität beschreiben zu können, wurde in jüngerer Zeit der Begriff Kultur durch eine Reihe von Ableitungen differenziert. Diese abgeleiteten Begriffe drücken Distanz zu überkommenen Definitionen des Kulturbegriffes aus, leiten aber auch zur Differenzierung zwischen neu entstandenen Kulturauffassungen an, und sie helfen, aktuelle gesellschaftliche Vorgänge besser zu erfassen. Ob Akkulturation oder Transkulturation, Multi- oder Interkulturalität – sie alle stehen teilweise oder vollkommen im Widerspruch zu den klassischen Definitionen von einer höheren Kultur oder Zivilisation (eines Individuums, eines Volkes/einer Nation oder der Menschheit im Allgemeinen), und sie unterscheiden sich, obwohl binnen weniger Jahrzehnte und teils parallel entstanden, erheblich voneinander. Warum es dringend notwendig ist, solche neuen Konzepte, die den Kulturbegriff geschmeidiger und durchlässiger machen, zu entwickeln, beschreibt der Kulturphilosoph Wolfgang Welsch folgendermaßen:3 Er [der klassische Kulturbegriff] setzt ganz und gar auf Einheitlichkeit, und daher fehlen ihm, an den heutigen Verhältnissen gemessen, elementare Differenzierungsmöglichkeiten, beispielsweise nach regional, sozial und funktional unterschiedlichen Kulturen, nach hoher und niedriger, leitender und alternativer Kultur – von den Besonderungen einer wissenschaftlichen, technischen, religiösen etc. Kultur gar nicht erst zu reden. Moderne Gesellschaften sind multikulturell in sich. Sie umfassen unterschiedliche Lebensformen und Kulturen. Und das nicht [...] aufgrund von Immigrationsprozessen, sondern zuvor schon infolge eigenproduzierter Differenzierungen und Autonomisierungen. Die ethnische Multikulturalität [...] macht nur einen Teil der faktischen Multikulturalität moderner Gesellschaften aus [... Der] traditionelle Kulturbegriff [scheitert] also schon [...] an der inneren Komplexität der modernen Kulturen – angesichts ihrer erweist er sich als bloß noch ideologisch.
Hinsichtlich des Zustands heutiger Kulturen hören wir bei Welsch sowohl von aus dem Innern der Gesellschaft wirkenden Differenzierungsfaktoren als auch von durch äußere Entwicklungen hervorgerufenen, zu denen er in seinen weiteren Ausführungen, neben der Migration, die zunehmende Vernetzung von Kulturen zählt.
3
Welsch, Transkulturalität, 87.
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Von einer nationalen zu einer hybriden Kultur
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Reizwörter: Inter- und multikulturell Betrachten wir im Folgenden, ehe wir zu Akkulturation und Transkulturation vordringen, die inzwischen zu Reizwörtern degradierten Begriffe Multiund Interkulturalität, die der gesellschaftlich-kulturellen Auffächerung bereits gerecht zu werden versuchen. Dabei wird sich klären, warum sie uns für unser Anliegen trotzdem genausowenig nützlich erscheinen wie die älteren Kulturbegriffe. Multi- und Interkulturalität gehen bereits deutlich auf Distanz zu einem Verständnis à la Herder, das weder die gegenseitige Durchdringung von Kulturräumen4 noch ein Networking zwischen diesen5 kennt. Bei der Nationwerdung, die in vielen Ländern erst im 19. oder 20. Jahrhundert zum Abschluss kam und in deren Kontext Herders Kulturkonzept gesehen werden muss, ging es ja zunächst darum, arrondierte politische Gebilde zu homogenisieren, und zwar nicht nur rechtlich und verwaltungstechnisch, sondern zwecks langfristiger Sicherung der erreichten politischen und wirtschaftlichen Einheit auch sozial und kulturell. Hinzu kam, dass die geografischen Entfernungen früher größer und die Kulturen anderer Länder ferner als heute schienen; Kontakte waren schwerer herstellbar und daher seltener. Der Prozess innerer Homogenisierung wurde als Konzentrierung der eigenen Kräfte bei gleichzeitiger Distanzierung nach außen verstanden. Nach dieser Vorstellung treiben die Kulturen Inseln gleich im Ozean der Geschichte oder schweben wie Planeten oder Kugeln umeinander, meist ohne Reibung oder Zusammenstoß. Zwar sind die Küsten der Inseln mitunter erodiert, doch ragen diese wie trutzige Felsen aus der Flut. Die Kugelmetapher Herders6 suggeriert sogar eine glatte äußere Oberfläche, an der fremde Einflüsse abperlen; alles Wesentliche findet im Zentrum statt, und die die Kugel umschließende Schicht ist nur die von außen sichtbare Peripherie. Multi- und Interkulturalität halten, wenn auch unter veränderten Vorzeichen, an dieser Auffassung, dass jede Kultur „definiert“ sei, fest. Das revolutionär Neue an ihnen besteht darin, dass die Grenzen von Kultur und Staat nicht mehr zwingend zusammenfallen – innerhalb eines Territoriums darf es mehrere Kulturen geben, und alle sollen gleichrangig sein. „Multikultu4
Die es aber längst gab. Man denke etwa an den spätantiken Kulturraum Kleinasiens und des Nahen Ostens, in dem lokale Kulturen mit den überregionalen Prägungen griechischer, aramäischer und lateinischer Kultur in Wettstreit traten und Mischungen eingingen. 5 Man denke hier an die bewusste Kontaktaufnahme zu anderen Kulturen, die die gesamte europäische Kunst-, Musik- und Architekturgeschichte geprägt hat, oder das kulturelle Networking der Klöster, durch das etwa landwirtschaftliche Techniken europaweit Verbreitung fanden. 6 Herder, Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit, 44f.; erstmals veröffentlicht im Jahr 1774.
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Der Irak in Israel
ralität betont die kulturellen Unterschiede in einem egalitären Kontext im Sinne der Bereicherung der gesamten Gesellschaft durch die Heterogenität ihrer Bestandteile“, heißt es dazu bei Nünning.7 Gewiss kommt es infolge der räumlichen Nähe zwangsläufig zu Berührung und Reibung, doch das soll die einzelnen Kulturen nicht daran hindern zu bleiben, wie sie sind, oder sich isoliert voneinander zu entwickeln. Sich vom reinen Multikulturalismus absetzend, betont das Konzept der Interkulturaliät neben der Vielzahl der Kulturen den Aspekt der Kommunikation zwischen diesen, basiert jedoch auch auf der Primärthese eines Herderschen Kugelsystems. Dem Dialog wird nur deshalb Bedeutung beigemessen, weil sich negative Reibungen zwischen den Kulturen häufen und man dies als Problem erkennt, das einer Lösung harrt. Allerdings stellt sich die Frage, ob ein Modell, das auf den Dialog zwischen geschlossenen Systemen setzt, der Wirklichkeit gerecht werden kann. Führt Reibung, ob positive oder negative, nicht zwangsläufig zu Erosion? Trägt die versiegelte Oberfläche der Kugel nicht Kratzer davon, und sickern von da an nicht äußere Einflüsse in sie ein, die die durchlässig gewordene Kultur bis in ihr Zentrum verändern? Und selbst wenn man hypothetisch die Unverletzbarkeit der äußeren Schutzhülle annimmt, erhebt sich ein anderes Problem, das den Zweifel an diesem Modell nährt: Solange von einem isolierten Charakter der Kulturen ausgegangen wird, ist das Sekundärproblem der schwierigen Koexistenz nach Welsch nicht lösbar, da nach außen abgeschlossene Einheiten tendenziell kommunikationsunfähig seien. Das Konzept der Interkulturalität wirkt folglich nicht radikal genug, sondern „bloß kosmetisch“.8 Was den Begriff Interkulturalität darüber hinaus als für unsere Zwecke wenig hilfreich, da zu vage, erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass bislang kein Konsens über seine Differenzierung von Multikulturalität und Transkulturalität herrscht, zu denen er häufig sogar synonym verwendet wird.9
7 Nünning, Literatur- und Kulturtheorie, 478. Entsprechend ist Multikulturalität ein zentraler Begriff in der Diskussion über postkoloniale Literaturen. Interessanterweise wurde er erst in diesem Zusammenhang populär, nachdem multikulturelle Entwicklungen in Europa oder Nordamerika als nicht stilbildende Ausnahmen vom uniformierenden nationalststaatlichen Prinzip vernachlässigt worden waren. So definierten sich die Schweiz und Kanada frühzeitig als multikulturell (ohne diesen Begriff zu gebrauchen) – freilich nicht im Hinblick auf Ureinwohner oder Migranten, sondern um einen Ausgleich zwischen den rivalisierenden Kantonen bzw. den beiden weißen Gründernationen zu schaffen. 8 Welsch, Transkulturalität, 95. 9 Nünning, Literatur- und Kulturtheorie, 295.
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Von einer nationalen zu einer hybriden Kultur
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Der Begriff Transkulturation und die Juden des Irak Wie wir gesehen haben, sind Kulturbegriffe nötig, die den osmotischen Charakter des Kulturkontakts und die Momente der Interaktion berücksichtigen. Akkulturation und Transkulturation10 erfüllen diese Voraussetzung auf unterschiedliche Weise. Während der Begriff der Akkulturation, in der Judaistik meist als Assimilation auftretend, lediglich auf die Angleichung einer Kultur an eine andere anspielt, fußt Transkulturation in der Erkenntnis der Wechselseitigkeit der Beeinflussung und der Veränderbarkeit nicht nur einer, der „schwächeren“ oder „minoritären“ Kultur, sondern beider beteiligten Kulturen. Der Schöpfer des Begriffs transculturación, der Kubaner Fernando Ortiz, setzte sich damit bewusst vom eurozentristisch belasteten Begriff der Akkulturation ab, da dieser einen eher „passiv-aufnehmenden“ Prozess bezeichnet, wohingegen er auf einen „aktiv-transformatorischen“11 abhebt. Dabei behauptet Ortiz nicht nur die Umwandlung von Bestehendem, sondern weit mehr:12 [...] the word transculturation13 better expresses the different phases of the process of transition from one culture to another because this does not consist merely in acquiring another culture [...] but the process also necessarily involves the loss of uprooting of a previous culture, which could be defined as a deculturation.14 In addition it carries the idea of consequent creation of new cultural phenomena, which could be called neoculturation.15
Eine Kultur (nennen wir sie A) gibt ihre Beschaffenheit auf und passt sich an die einer anderen (B) an. Unterdessen wird A aber nicht Teil von B, sondern schafft neue, bis dahin nicht existente Formen (C), die künftig neben B bestehen und B sogar transformieren können. Damit verwirft Ortiz sowohl das europäische Konzept des Kultur-Synkretismus als auch das bis dahin gültige lateinamerikanische Konzept der mestizaje, die von einer 10 Die genannten Ableitungen von Kultur haben Varianten gebildet, mit denen im Allgemeinen aber keine semantische Differenzierung einhergeht. Neben Transkulturalität gibt es Transkulturation, neben Multikulturalität steht gleichberechtigt Multikulturalismus etc. Wir werden im Sinne des Duktus dieser Arbeit Transkulturation den Vorzug vor Transkulturalität geben, da die Endung -ation den Vorgang, die Bewegung betont, während -alität eher abstrahiert und einen statischen Zustand suggeriert. 11 Nünning, Literatur- und Kulturtheorie, 508. 12 Ortiz, Cuban Counterpoint, 102. In dem 1940 erschienenen, für die postkoloniale Diskussion grundlegenden Buch deutet der Verfasser die gesamte kubanische Geschichte aus dieser Perspektive. 13 Hervorhebung durch den Autor. 14 Dto. 15 Dto.
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Der Irak in Israel
bloßen Mischung ausgehen, die in eine neue Form von Einheitlichkeit mündet. Auch das Konzept der Globalisierung nimmt als Endpunkt einen weltweiten kulturellen Ausgleich an, in diesem Fall in Gestalt einer – erhofften oder gefürchteten – Vereinheitlichung nach westlichem Vorbild. Huntington weist in seinem umstrittenen Clash of Civilizations? auf das Entstehen weiterer Prozesse hin, die bereits Produkt der Globalisierung sind, sich neben dieser aber als neue, eigenständige Kulturen behaupten und, beinah im Sinne unseres A/B/C-Modells, gestalterisch auf sie zurückwirken werden. Allerdings malt er ein von aggressiven Spannungen beherrschtes Tableau, während Transkulturation nach Ortiz „breathes life into reified categories, bringing into the open concealed exchanges among peoples and releasing histories buried within fixed identities“.16 Im Zuge unserer Argumentation wollen wir jedoch nicht mit Ortiz Akkulturation und Transkulturation als sich ausschließende Begriffe annehmen, sondern nach dem eben entworfenen A/B/C-Modell Akkulturation im Sinne von Annäherung, Ähnlichwerdung als Bezeichnung eines Vorgangs zulassen, der zu Transkulturation führen oder mit ihr einhergehen kann. Weshalb interessieren aber die postkolonialen Kulturbegriffe im Zusammenhang der Geschichte der irakischen Juden und ihres Niederschlags in der hebräischen Literatur? Auf diese Frage gibt es zwei Antworten: Bei den Juden im Irak haben wir es mit einer gesellschaftlichen Gruppe zu tun, die in dem arabischen Land weitgehend integriert war, Arabisch als Muttersprache hatte und am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben einen erheblichen Anteil nahm, obwohl sie sich gleichzeitig in bestimmten Bereichen, aufgrund ihrer religiösen Tradition, von der muslimischen Bevölkerungsmehrheit absetzte. Wie viele Gesellschaften in der Levante war der Irak multiethnisch; nicht nur Juden und muslimische Araber wohnten dort, sondern auch arabische Christen, Kurden, Turkmenen, Türken, Engländer und andere Europäer. Die Präsenz von Engländern und Türken weist auf die die autochtone Gesellschaft überlagernden kolonialen Kontexte hin. Das seit 1514 dem Osmanischen Reich unterstellte Land gerät im 19. Jahrhundert aufgrund seiner strategischen Lage und des wachsenden Interesses an Handelsplätzen und der Ausbeutung der nahöstlichen Bodenschätze ins Spannungsfeld zwischen den Osmanen und europäischen Mächten. Nach dem Ersten Weltkrieg geht es in den britischen Herrschaftsbereich über und wird – formal – im Jahr 1921 ein unabhängiges Königreich.17 Unterschiedliche geistige und politische Strömungen konkurrieren 16
Ortiz, Cuban Counterpoint, XXX (Introduction von Fernando Coronil). Die Briten bleiben aber als Mandatsmacht (1920–1932) und Besatzer (1941– 1945) präsent. Über die Geschehnisse im Irak ab 1921 informiert ausführlich: Marr, Modern History of Iraq. Speziell vom jüdischen Aspekt handeln Juden im Orient von Bunzl (29–36 über die osmanische Periode, 42–48 über den Irak), Bergs Exile from Exile 17
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in diesem Zeitraum miteinander: Sunna, Schia, orientalisch-christliche Konfessionen und das Judentum, die Prinzipien der osmanischen Staatlichkeit, die irakische und panarabische Nationalbewegung, Kolonialismus und Antikolonialismus, ein erwachender bürgerlicher Geist, Monarchismus und kommunistische Tendenzen sowie schließlich, über einen kurzen Zeitraum,18 auch der Zionismus. In Zusammenhang mit Letzterem gerät der Irak (jüdisch-irakische Geschichte „from its foundings“ bis zu „urbanization“, „secularization“ und „farhud“, 15–28) sowie Kedourie, The Break between Muslims and Jews (über die seit der britischen Intervention am Ende des Ersten Weltkriegs zunehmenden Spannungen, die schließlich zum „Exodus“ führen). Das Erreichen der vollen Unabhängigkeit des Landes 1932 war ein erster Wendepunkt in der Koexistenz von Juden und Muslimen. Unter dem Einfluss nationalistischen Gedankenguts und der nach dem Ersten Weltkrieg erneut verschobenen Entflechtung des Nahen Ostens aus dem Herrschaftsgebiet fremder Mächte war Unruhe in die irakische Gesellschaft gekommen; das Gewicht der Kräfte musste neu austariert werden. Vgl. dazu Gat, Exodus from Iraq, 17: „The Iraqi response to the demand for autonomy voiced by the Assyrians [...] was a massacre conducted by the army in August 1933. That was an ominous sign for the Jewish community [...] King Faisal, known for his liberal policies [...], died in September 1933 and was succeeded by Ghazi, his [...] nationalistic and anti-British son [...] Ghazi sanctioned the activities of the nationalist associations, headed by Palestinian and Syrian exiles. During [...] the Arab revolt in Palestine [...] these exiles were joined by rebels such as the Mufti of Jerusalem [...] The exiles preached pan-Arab ideology and fostered anti-Zionist propaganda, depicting the Jews as collaborators with British imperialism.“ Die irakische Regierung nahm die Juden in Schutz, doch die Siege Nazi-Deutschlands, die Präsenz der prodeutschen Exilanten und deutsche Propaganda veränderten in der Folgezeit das Klima. (Deutsche Revolutionspropaganda für den Nahen Osten hatte seit dem Ersten Weltkrieg Tradition. So leitete der Ethnologe und Diplomat Max von Oppenheim ab 1914 die Nachrichtenstelle für den Orient in Berlin, die Broschüren, Comics u.ä. mit panarabischen, antibritisch und antifranzösisch gefärbten Inhalten herausgab, eine Aufgabe, die später, in modernerer Form, die arabischen Kurzwellenprogramme aus Berlin übernahmen; s. RautenstrauchJoest-Museum, Faszination Orient, 19.) Im April 1941 putschten Armeeoffiziere im Irak; Regent und Premierminister flohen, und der nazifreundliche Raschid Ali al-Kilani wurde Regierungschef. Im selben Monat besetzten britische Truppen das Land. Raschid Ali floh, und noch ehe die Briten Anfang Juni in Bagdad einzogen, zettelten fanatisierte Soldaten ein Pogrom an; 180 Juden kamen ums Leben. „The government – particularly after Nuri as-Said came to power in October 1941 – took swift action to suppress proNazi elements and other supporters of Rashid Ali“ (Gat, Exodus from Iraq, 23). Und damit beruhigte sich die Lage der Juden wieder. Die Diskriminierung hörte auf, und sie wurden wie früher selbst in hohe Staatsämter zugelassen. Zudem bescherten der Eintritt der Sowjetunion in den Krieg und die massive britische Militärpräsenz den Juden wie den Muslimen Prosperität. 18 Erst 1920 war der Zionistische Verein Mesopotamiens entstanden, die erste zionistische Organisation im Irak. Aus Rücksicht auf den aufkeimenden arabischen Nationalismus wurde sie 1929 verboten; danach war einige Jahre die illegale Vereinigung Achi’ever aktiv. Die meisten Juden im Irak dachten jedoch nicht an Emigration, auch nicht nach dem Pogrom von 1941; der Zionismus stellte keine Alternative für sie dar, die positive Erfahrung der zweitausendjährigen Koexistenz an Euphrat und Tigris wog schwerer. Tatsächlich wanderten nach den Ereignissen von 1941 nur wenige Juden aus, davon die meisten nach Indien, Großbritannien und in den Iran. Allerdings bildeten Jugendliche nach dem farhud Untergrundzellen. Sie nannten sich schabab al-inkadh
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in den Palästinakonflikt, was, neben anderen Faktoren, 1941 zu Unruhen und Ausschreitungen gegen Juden (farhud) und letztlich zur beinahe vollkommenen Emigration der jüdischen Iraki nach Israel führt, in eine weitgehend westlich-europäische, aschkenasisch-jüdische Gesellschaft mit ungewohnt starker ideologischer Prägung. Wir haben es demnach mit einer Reihe von Überschneidungen, Verschmelzungen, ein- oder wechselseitigen Beeinflussungen und Antagonismen zu tun, die später, in der literarischen Verarbeitung dieses historischen Szenarios, als Motive und tragende erzählerische Grundstruktur dienen. Die Frage nach dem Ak- und Transkulturellen stellt sich geradezu von selbst. Denn wie ließen sich in einem so komplexen, dynamischen Kontext ethnisch-soziale Aspekte, aber auch Kultur und Literatur anders beschreiben und einordnen als mithilfe offener, beweglicher Konzepte? Zwar gibt uns keins von ihnen ein konkretes Instrumentarium an die Hand, um Annäherungen, Mischungen und Neuerungen zu „messen“ (es handelt sich nicht um empirische Methoden), doch bieten sie eine Perspektive, die es erleichtert, Entwicklungen an den Rändern vertraut scheinender Entitäten (der „jüdischen Kultur“, des „jüdischen Volkes“, der „hebräischen Literatur“ u.ä.) angemessen zu würdigen. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass wir dem nuancierenden Aspekt des trans, des Hinübers vom Einen zum Anderen, möglichst auch terminologisch Rechnung tragen wollen. Daher wird im Folgenden versucht werden, den Gebrauch einer Reihe von Eindeutigkeit suggerierenden Begriffen in Frage zu stellen und zu reduzieren. So werden wir oft mit Anführungszeichen und Bindestrich-Wörtern arbeiten oder eingeschliffene Wendungen durch genauere ersetzen bzw. mit diesen alternierend verwenden. Ist doch kaum zu entscheiden, ob die Juden des Irak eher jüdische Iraki oder irakische Juden waren. Und handelt es sich bei ihrem „Exodus“ um eine „Rückkehr“ in die alte Heimat oder um eine aus Not geborene Emigration? Um ins Bewusstsein zurückzurufen, dass israelische Literatur nicht per definitionem hebräisch ist, werden wir etwa zwischen israelischer, (arabisch: „Jugend des Heils“), suchten Kontakt zu den zionistischen Organisationen in Palästina und waren nicht wie die Vereine der 20er Jahre vorwiegend kulturell ausgerichtet, sondern trieben darüber hinaus Sport und übten Selbstverteidigung, auch den Umgang mit der Waffe. Während etwa Sami Michael der kommunistischen Bewegung im Irak angehörte, sammelte Eli Amir erste Eindrücke des politischen Geschehens in Kontakt mit eben diesen zionistischen Jugendgruppen. In einem Interview bekannte Michael noch im Jahr 2002: „[...] ich bin nicht aus zionistischer Ideologie gekommen. Ich wurde als Kommunist verfolgt [...] Als einziger Zufluchtsort blieb mir Israel. Ich dachte erst, ich würde nur eine kleine Weile bleiben und mich dann wieder der Mehrheit der Juden in der Diaspora anschließen. [Doch] ich begann dieses Land zu lieben, bekam zwei Kinder hier. Deren Heimat ist Israel, und somit ist es auch meine. Es war keine Liebe auf den ersten Blick, sondern eine, die mit der Zeit wuchs“ (Dachs, Außenseiter aus Überzeugung).
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hebräischer und israelisch-hebräischer Literatur unterscheiden. Wie wenig selbstverständlich die Wahrnehmung dieser Unterschiede ist und wie spät sie ins Bewusstsein auch der israelischen Öffentlichkeit dringen, zeigt das Beispiel der israelischen Schriftstellerin Ida Fink, die auf Polnisch schreibt und 2008 als erste nicht hebräische Autorin in ihrem vielsprachigen Land den Staatspreis für Literatur erhielt. Auch soll bei uns von jüdischen und arabischen Israeli (statt von „Israeli“ und „israelischen Arabern“) die Rede sein, um die Staatsbürgerschaft nicht fälschlich mit „jüdisch“ gleichzusetzen. All dies entspricht einer in unserem Kontext wichtigen Neutralisierung aufgeladener Begriffe, die etwa im Fall des letztgenannten Beispiels die Konstruktion der Alterität, das zionistische othering untergräbt. Auf diese Weise wollen wir mit hartnäckigen Ideologismen, mit formalen und semantischen Klischees brechen. Die zweite Antwort auf die oben gestellte Frage ist dem besonderen Umstand geschuldet, dass wir im Falle der irakischen Juden und ihrer unfreiwilligen Verquickung in den Nahostkonflikt (zwar anders als in Asien oder der Karibik, woher viele Denker der postkolonialen Kulturkonzepte stammen) auch mit kolonialen Positionen konfrontiert sind. Allerdings ist dabei nicht die Kolonialgeschichte des Iraks19 oder Palästinas für uns von Belang (diesen Aspekt kann unsere Untersuchung nur streifen), sondern die Tatsache, dass Orient und Okzident in einem kolonialen Verhältnis von Abhängigkeit und Dominanz stehen, das bis heute die Beziehungen zwischen Israel und seinem arabischen Umfeld sowie zwischen Aschkenasen und Sepharden/Misrachim20 bestimmt. 19 Bezüglich dieser schreibt Berg, dass konkrete osmanische und britische Maßnahmen ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine Veränderung der irakischen Gesellschaft in Gang setzten, die den Juden in besonderem Maße zugute kam: „The rule of Midhat Pasha (1869–72) as the Ottoman wali and the opening of the Suez Canal in 1869 created conditions favorable for Jews to move south from the mountains and to urban areas (primarily Baghdad and Basra). Midhat Pasha’s policies included land reforms, modernizing the educational system, controlling the Bedouin tribes to the south and offering the cities protection from these tribes and other marauders. The opening of the Suez Canal established a sea route for European-Far Eastern trade. Basra in the south became an important port at the expense of Mosul and other northern cities along the overland route. Business and economic opportunities also encouraged the move to the cities. Few Jews were landowners, thus they were [...] easily mobile [...] In the mid-nineteenth century most Jews were engaged in crafts, hawking and small commercial businesses. The opening of the Suez Canal enabled the Iraqi Jews to capitalize on the ‘Jewish advantage’ in trade and commerce, based in part on an international network that extended to India, the Far East and England“ (Berg, Exile from Exile, 18). All dies führte zum Wachstum des irakischen Mittelstands, an dem Juden einen vergleichsweise hohen Anteil hatten – freilich ohne, dass sie wie beispielsweise in Algerien auf die Seite der fremden Herrscher gezogen und nach dem Prinzip divide et impera aus der Mehrheitsgesellschaft isoliert wurden. 20 Misrachi („östlich“, Plural: Misrachim) im Sinne von „Jude von orientalischer Abstammung und Tradition“.
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Geliebtes Klischee: Der unvereinbare Andere Amnon Raz-Krakotzkin bringt auf den Punkt,21 wie „friedlich“, „westlich“, „aufgeklärt-säkular“, „universell“ zu einem ideologischen Amalgam geworden sind, das vorgibt, sich von „nationalistisch“, „religiös“, „ethnisch“ zu unterscheiden, in Wirklichkeit jedoch, so der Autor, auf der Übersetzung eines weiterhin wirksamen national-religiösen Mythos in die Terminologie von Aufklärung und Moderne beruht. Dabei würden Letztere und Orient zu einem unvereinbaren Gegensatz stilisiert, der einer scheinbar aufgeklärten Gesellschaft einen Vorwand liefere, das Arabisch-Orientalische herabzuwürdigen, auszugrenzen und aus dem Bewusstsein zu verdrängen, um eigene politische Ansprüche guten Gewissens durchsetzen zu können. Die Diskussion über aufklärerische Werte und ihre Rolle bei der Lösung des Nahostkonfliktes werde, etwa in den progressiven Foren der israelischen Medienöffentlichkeit, nahezu ausschließlich von aschkenasischen Juden geführt. Positionen, nach denen die Dichotomie von Religiösem und Säkularem nicht zwingend sei, etwa jene orientalischer Juden, aber auch dezidiert säkular-demokratische Positionen aus Kreisen der arabischen Israeli oder der Palästinenser würden konstant ignoriert. Dan Diner erinnert uns daran, dass im Orient zwar seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert die Tendenz entstand, konfessionelle Zugehörigkeit national zu denken, dass aber, im Gegensatz zur europäischen nationalen Tradition, keine Abkoppelung von der Religion stattfand. Man denke an das vom klassisch-islamischen dhimmi-, also „Schutzgenossen“-Prinzip abgeleitete Millet-System der Osmanen, nach dem jeder Religionsgemeinschaft eine gewisse Autonomie und Privilegien zuteil wurden. Diese Millets wurden zwar, nicht zuletzt aufgrund des wachsenden europäischen Einflusses, zunehmend national gedeutet, dennoch fühlten sich nach Diner Misrachim und Sepharden eher einem religiös konnotierten am jisrael („Volk Israel“) als einem im europäischen, nationalen Geschichtsbewusstsein fußenden am jehudi („jüdisches Volk“) zugehörig22 und konnten, so lässt sich folgern, am Modernisierungsprozess ihrer Gesellschaften teilnehmen, statt sich aus diesen durch einen gesamtjüdischen Nationalismus auszugliedern.23
21
Raz-Krakotzkin, A National Colonial Theology, insbes. 312ff. Diner, Historische Anthropologie nationaler Geschichtsschreibung, 215f. 23 Dazu äußert Sami Michael: „Die Araber sahen in uns Juden kein fremdes Element [...] Ich bin in einer gemischten Nachbarschaft aufgewachsen, mit Christen und Muslimen. Die Ironie war, dass sich der Einfluss der Nazis auch auf unser Zusammenleben auswirkte. Ich galt als ein beliebter Jugendführer, und auf einmal war ich in den Augen der Anderen zum schmutzigen, feigen Juden geworden, so wie ihn Hitler haben wollte“ (Dachs, Außenseiter aus Überzeugung). 22
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Durch die oben erwähnte Dichotomisierung werden künstliche Gegenpole aufgebaut, die die Klischees vom unvereinbaren „Anderen“ stärken: Orientalische Juden sind rückwärtsgewandt und ethnizistisch, die Araber undemokratisch und fanatisch nationalistisch. Beides steht in der aufgeklärten Werteskala weit unten. So nimmt das „post“-zionistische Lippenbekenntnis des Säkularen, das seit geraumer Zeit immer mehr Stimmen zum Maßstab erheben, eine zutiefst kolonialistische, da exklusionistischorientalistische Dimension an. Diejenigen, deren Vorfahren in Europa orientalisiert wurden, erreichen die Emanzipation mit ihrem früheren Unterdrücker, indem sie nun selbst orientalisieren; damit schreiben die Postzionisten eine wesentliche Tradition des in Europa entstandenen politischen Zionismus fort. Nach Raz-Krakotzkin ist Israel kein moderner Staat im Sinne der Aufklärung (und kann, wenn wir die Argumentation des Autors weiterdenken, auch unter postzionistischem Einfluss kein solcher werden), solange es seinen Lebenszweck nicht im Wohlergehen – aller – seiner Bürger sucht, sondern in der Erfüllung eines verweltlichten jüdischen Messianismus. Brubaker macht darauf aufmerksam, dass viele nationalistische Narrative die Form eines Erlösungsdramas annehmen, und verweist auf Durkheimers Vorstellung vom Nationalismus als ziviler Religion, als Ort des Sakralen in einer säkularen Welt. Dabei wird die Geschichte stets „von ihrem Ausgang her gelesen“ und „kulminiert in der nationalstaatlichen Unabhängigkeit“.24 Insofern gleicht der Zionismus durchaus anderen Nationalismen, doch hat uns schon Scholem auf eine besondere Ambivalenz hingewiesen, die ihn von anderen nationalen Erlösungsmythen unterscheidet. Einerseits sei er rational, modern und aktiv-produktiv (im Gegensatz zum passiven religiösen Messianismus, der sich auf das rettende Eingreifen Gottes verlässt); andererseits wohnten ihm jedoch irrationale, apokalyptische Momente inne, die nur in der religiösen Tradition zu finden seien, welcher die Zionsutopie – im Gegensatz zu anderen Nationalismen – unmittelbar entstamme. Diese Momente verleihen dem zionistischen Messianismus eine besondere Vitalität, bedeuten zugleich aber eine Gefahr für seine Erfüllung, weil sie das befreiende „Chaos“ im Bereich des Konkreten heraufbeschwören.25 Dass in Israel den orientalischen Juden nur eine seltsame Zwischenposition zugestanden wird im Spannungsfeld zweier künstlich definierter Pole, muss als tragisches Kuriosum ihrer Geschichte erscheinen.26 Als Teil des
24
Brubaker, Nationalistische Mythen und eine post-nationalistische Perspektive,
218f. 25
Scholem, Grundbegriffe des Judentums, 167. Von dem sie sich jedoch befreit haben, indem sie – wie beispielsweise Amir und Michael – offensiv als Orientalen auftreten. Übrigens blickt Raz-Krakotzkin nicht weit 26
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jüdischen Volkes,27 so wie es die jüdische religiöse Tradition und – in ihrem Gefolge – der areligiöse Zionismus definieren, und der orientalischen Kultur, von der sich der politische Zionismus abgrenzt, sitzen sie zwischen den Stühlen. Aber gerade dieses zwischen wird uns beim Blick in ihre Texte und deren gesellschaftlich-literarisches Umfeld besonders interessieren. Bei der Verortung von Kultur werden wir nach dem Beispiel Bhabhas den Bereich der „Zwischen-Intimität“ favorisieren, denn genau die entwickeln Privates und Öffentliches, Vergangenheit und Gegenwart, Psyche und Gesellschaft im vielfach gespaltenen Dasein des Individuums. Sie stellt die binären Trennungen in Frage, durch die die Bereiche sozialer Erfahrung einander oft entgegengesetzt werden. „Diese Lebensbereiche werden durch eine ‚Zwischen‘-Zeitlichkeit verbunden, welche die Wohnung im Heim ausmisst“, schreibt Homi K. Bhabha, und das sei das Moment, das die Geschichte zweischneidig mache, die nun wie beispielsweise „das farbige südafrikanische Subjekt“ eine Hybridität darstelle, einen inneren Unterschied, „ein Subjekt, das den Rand einer ‚Zwischen‘-Wirklichkeit bewohnt“.28 genug, um diesem Dualismus gerecht zu werden, sondern bleibt in seiner Zionismuskritik bei der Vorstellung vom Orientalen als Konstruktion der Aschkenasen stehen. 27 Natürlich dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, dass die religiöse Tradition selbst in einer akkulturierten jüdischen Bevölkerung wie jener Bagdads weiterhin Wirkung entfaltete. Sie wurde von dieser nicht als obsoletes Relikt betrachtet, sondern als integrativer Bestandteil der eigenen Identität. So behielt das mythische Diktum von der Trennung der Völker durch Gott (Gen 10 u. 11,1–9) auch im modernen Irak Gültigkeit, ebenso wie die von der Vorstellung Gottes als ohev ger (Dt 10,18) abgeleiteten rabbinischen Gebote der Liebe gegenüber dem Fremden, die Respekt, aber nicht Vereinnahmung fordern (Sanhedr. 56a–59b). Die Überwindung dieser traditionellen Grundsätze bildete keine Voraussetzung für die erfolgreiche Teilnahme am öffentlichen Leben im Irak, denn dieser verstand sich, wie oben bemerkt, nicht als Nationalstaat im westlichen Sinne mit stark homogenisierendem, kulturelle Differenzen ausgleichendem Impetus, sondern war noch dem osmanisch-islamischen Millet-dhimmi-System verhaftet. 28 Bhabha, Die Verortung der Kultur, 20f. Konkret bezieht sich diese Stelle auf das Buch My son’s story der südafrikanischen Romancière Nadine Gordimer. Bhabha, Spezialist für koloniale und englische Literatur, arbeitet mit Denkfiguren wie „Zwischenraum“, „Spaltung“ und „Doppelheit“ und plädiert für die Annahme der Differenz und Brechung als produktive Desorientierung, statt sie als vereinnehmbare Andersartigkeit zu verhandeln. Er formuliert, so Elisabeth Bronfen in ihrem Vorwort zur deutschen Ausgabe Bhabhas, die Dringlichkeit, in unserer zeitgenössichen Welt „Meistererzählungen von Heimat und Verwandtschaftsverhältnissen als Schutzdichtungen zu begreifen, die dazu dienen, uns mit dem traumatischen Wissen zu verschonen, dass wir alle keinen festen Boden unter den Füßen haben“. Zu erkennen, dass sich unsere Identität an einem dritten Ort, einem Zwischenraum, konstituiere, könne natürlich für diejenigen, die nicht gewohnt seien, mit Ambivalenzen, Kontingenzen und unlösbaren Widersprüchen spielerisch umzugehen, zerstörerische Folgen haben, „löst es doch einen Wunsch nach Einfachheit, Transparenz und Kohärenz aus, für den einige bereit sind, bis zum bitteren Ende zu gehen. Auf diese Gewalt, die einem auf transparente Stimmigkeit ausgerichteten, Differenzen tilgenden Identitätsbegriff innewohnt, lenkt Bhabha dezidiert unseren Blick. Aber
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Aber zunächst, im folgenden Kapitel, soll der literarisch-historische Kontext geklärt werden, in dem die orientalischen Autoren Israels und ihre Werke angesiedelt sind.
auch auf die produktive Kraft, die daraus entstehen kann, dass man festgeschriebene, tradierte Identitätsbegriffe in Frage stellt, sie auf die ihnen zugrunde liegenden Antagonismen hin untersucht, um sie neu auszuhandeln“ (ebd., XIIf).
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3. Literatur – Spiegel oder Motor der Gesellschaft?
In diesem Kapitel wird deutlich werden, dass trotz erster Zweifel am Erfolg und der Zukunftsfähigkeit des aschkenasisch-zionistischen Projekts die alte mittel-osteuropäische Führungsgarde ihre geistige und politische Vorherrschaft zunächst bewahren kann. Das zionistische Ideal, das stets auch auf den Grundton der hebräischen Literatur einwirkt, bleibt nahezu unverändert und entfernt sich dadurch von der sich wandelnden Wirklichkeit. Zwar besteht mit der Ankunft der Orientalen – nach den einzeln gezählten Alijot aus Europa simplifizierend alija hamonit („Masseneinwanderung“) genannt1 – die Chance, eingefahrene Wege zu verlassen, doch blühen transkulturelle Tendenzen, die zu einer raschen Diversifikation führen könnten, erst einmal eher im Untergrund, als proletarische Massenkultur ohne gesellschaftliches Prestige. Die irakischen Autoren brauchen noch eine Weile, um ihre Sprache und ihre Themen zu entwickeln und durchzusetzen. Das Setting scheint zunächst eindeutig: Palästina um das Jahr 1950 – Herzls Judenstaat ist endlich gegründet und hat seine geostrategische Feuerprobe bestanden. Der erste Nahostkrieg ist vorüber, der jüdischen Bevöl1 Hebr. alija, Plural alijot = Aufstieg, auch: Hinaufgehen zum Vorlesen der Tora während des Synagogengottesdienstes; im übertragenen Sinne: Einwanderung nach Israel. Die Alijot werden wie folgt gezählt: Mit der Ersten Alija (ab 1881) kamen zwar nur wenige Juden nach Palästina, überwiegend aus Russland und Rumänien, doch hatten sie ein klar umrissenes nationales Ziel: Sie wollten landwirtschaftliche Kolonien gründen, um die Grundlage für die jüdische Ansiedlung in der historischen Heimat zu legen. So entstanden u.a. Rischon le-Zion, Sichron Jaakow und Rosch Pina. Doch war man mangels Erfahrung und Geld auf ausländische Gönner wie den Baron Edmond de Rothschild angewiesen, die das Projekt der ersten Siedler materiell und mit Know-how (z.B. Weinbautechnik) unterstützten. Die Zweite Alija (1904–1914) belebte das Pionierideal der Ersten Alija neu, das darin bestand, das eigene Leben der nationalen Wiedergeburt zu weihen. Die Einwanderer kamen fast ausschließlich aus Russland, wo die Juden schwere Pogrome erlebt hatten, und waren von sozialistischem Gedankengut beeinflusst. 1914 lebten nach Ettinger rund 85.000 Juden im Land; beinah die Hälfte war im Jahrzehnt der Zweiten Alija eingewandert. Mit 45.000 jüdischen Einwohnern bildete Jerusalem den Schwerpunkt des Jischuw; in Jaffa lebten 10.000, in Tiberias 5000 und in Haifa 3000 Juden sowie weitere 12.000 in landwirtschaftlichen Siedlungen (Ettinger, Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 1127–1131). Durch die Erste und Zweite Alija waren wesentliche Merkmale der Siedlungsbewegung festgelegt worden, insbesondere das Leben als aufopferungsbereite Pioniere und das sozialistische Gesellschaftsmodell. Diese blieben auch später (Dritte Alija 1919–1923, Vierte Alija 1924–1932, Fünfte Alija 1933–1939) prägend, selbst wenn z.B. mit der „deutschen Alija“ der 30er Jahre Einwanderer ins Land kamen, die eher aus einem urbanen bürgerlichen Milieu stammten und der zionistischen Ideologie teils distanziert gegenüberstanden.
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kerung eine vorteilhafte Wende gelungen: die Ausweitung ihres Hoheitsgebiets ungefähr auf die „Grenzen von 1967“, die Verschiebung des arabischjüdischen Bevölkerungsproporzes zugunsten des Jischuw2, des jüdischen Siedlungs- und Gemeinwesens in Palästina, und eine weitgehende internationale Anerkennung.3 Es wäre also naheliegend, wenn sich dieser Erfolg entsprechend positiv im gesellschaftlichen und kulturellen Klima des Landes, auch in der hebräischen Literatur, niedergeschlagen hätte, doch das Gegenteil ist der Fall. Statt Optimismus treten in den 50er Jahren Zweifel und ein differenzierendes Moment in den Vordergrund, die vor allem auf innergesellschaftliche Prozesse zurückzuführen sind. Masseneinwanderung und die geopolitisch-militärisch prekäre Lage lasten schwer auf dem jungen Staat. Die finanzielle Situation ist bedrückend, doch immer mehr bedürftige Menschen müssen integriert werden.4 Im Alltag geht es kaum mehr um die Schaffung des „neuen Hebräers“ und Selbstfindung des Individuums im Dienste der erneuerten Nation, sondern schlicht um die Verwaltung äußerer und innerer Not.5 Vor diesem Hintergrund ändert sich zum einen der
2 Unterschiedlichen Quellen zufolge wichen im ersten Nahostkrieg zwischen einer halben und einer Million Araber den vorrückenden Israeli (geschätzte Werte); die rund 156.000 Araber, die auf dem in diesem Krieg erweiterten Territorium Israels blieben, wurden israelische Staatsbürger. Untersuchungen aus jüngster Zeit legen sich auf 800.000 arabische Flüchtlinge fest, die mehr oder weniger systematisch vertrieben worden sind; so Pappé, The Ethnic Cleansing of Palestine. Der jüdische Jischuw umfasste beim Abzug der britischen Mandatsmacht 1948 rund 759.000 Einwohner, während sich die Gesamtzahl der Araber Palästinas bereits 1947 auf über 1,3 Millionen belief. Vgl. Wagner, Der arabisch-israelische Konflikt im Völkerrecht, 335, Landau, The Arab Minority in Israel, 6f, Schoeps, Neues Lexikon des Judentums, 375 und Smooha, Israel. Pluralism and Conflict, 66. 3 Innerhalb eines Jahres erkannten 55 Staaten Israel diplomatisch an. Im Jahr 1950 folgte die Aufnahme Israels in die Vereinten Nationen. 4 Einerseits fiel es schwer, alle Einwanderer ausreichend zu versorgen, andererseits war eine erhebliche Zunahme der Bevölkerung nötig, um dem jüdischen Gemeinwesen auf lange Sicht ein ökonomisch und militärisch stabiles Fundament zu geben. „Die ersten Einwanderer [nach der Staatsgründung] waren die Insassen der Lager auf Zypern und in Deutschland. Unmittelbar nach ihnen kamen die Juden aus den arabischen Ländern. Bis Jahresende waren etwa 45.000 jeminitische Juden eingetroffen [...] 1950/51 wanderten ungefähr 122.000 der insgesamt 130.000 irakischen Juden ein. Mehrere der älteren Gemeinden verloren fast sämtliche Mitglieder – 30.000 (von 35.000) aus Libyen, 37.000 (von 45.000) aus Bulgarien [...] Bis zum Jahresende trafen 104.000 aus Polen und 119.000 aus Rumänien ein. Alles in allem kamen in den ersten dreieinhalb Jahren [...] 685.000 Personen ins Land“ (Ettinger, Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 1322), also fast so viele Menschen, wie nach Pappé vertrieben worden waren. 5 Der Kontakt der Immigranten mit den im Lande ansässigen Israeli sei unpersönlich und „bureaucratical“ gewesen, heißt es bei Hillel, Operation Babylon. „The need to bring [the immigrants] to Israel as fast as possible took precedence over the preparation of optimal material conditions for their absorption. The quality of their treatment, once the immigrants arrived, was thus unavoidably sacrificed to the need to absorb them as
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Grundton der zionistisch geprägten Literatur und bilden sich zum anderen neben ihrem Hauptstrom Seitenflüsse: Die so genannte Maabara- und Schoah-Literatur nehmen ihren Anfang. Seit dem Wiederaufleben der hebräischen Literatur im 19. Jahrhundert hatte nahezu jede Generation ihren Dichterfürsten hervorgebracht, der über zwei oder mehr Dekaden hinweg das jüdische Literaturleben beherrschte – oft in Europa und Palästina zugleich. So erhob sich, als sich die mit der dritten Alija eingewanderten Autoren vom Vorbild des großen, noch dem 19. Jahrhundert und Europa verhafteten Bialik lösten,6 Avraham Schlonski zur literarischen Leitfigur der nächsten Generation. Er wurde der Begründer der „palästinischen Dichtung“. Das Attribut „palästinisch“ deutet an, dass in den Werken dieser aufsteigenden literarischen Richtung der Blick auf Palästina nicht länger von außen,7 sondern aus dem Land selbst kam, auch wenn die Autoren, die ihn vermittelten, meist noch chuz la-arez, außerhalb Palästinas, geboren waren.8 Schlonskis Fokus lag auf der Verherrlichung des zionistischen Pionierlebens,9 das allein, so glaubten er und viele seiner Zeitgenossen, Erlösung und Erfüllung bringe. Sich selbst stilisierte Schlonski zum dichtenden Straßenbauer, und sein realistischer, von Pathos durchtränkter Stil bestimmte das literarische Klima, bis sich, wie oben erwähnt, die politische und ökonomische Lage zuspitzte und unter dramatischen Bedingungen der Staat Israel entstand. Die Skepsis, die sich angesichts der sozialen und politischen Probleme einschlich, begünstigte bei den zionistisch-hebräischen Autoren einen geschmacklichen und inhaltlichen Umschwung. Das Ende der Ära der idealistischen Pionierliteratur, die stets
quickly as possible“ (Horowitz/Lissak, Trouble in Utopia). Beide Zitate nach Berg, Exile from Exile, 176f. 6 Der 1873 geborene Chaim Nachman Bialik ließ sich erst 1924 in Palästina nieder, als sein künstlerischer Zenith schon überschritten war. In seiner Glanzzeit war er einer der führenden Köpfe des Zentrums osteuropäisch-jüdischer Kultur, Odessa, gewesen, wo er von 1900 bis 1921 gelebt hatte. Er starb 1934 in Wien. 7 Bialik hingegen ist der Dichter der osteuropäischen Chibat Zion, der er poetischen Ausdruck verlieh. Der andere große hebräische Lyriker und Romancier jener Tage, Agnon, der ebenfalls erst 1924 endgültig in den Nahen Osten übersiedelte, blickt in seinem frühen Werk kaum nach Palästina, sondern vorzugsweise auf das jüdische Leben Osteuropas. Palästina/Israel rücken erst allmählich in den Mittelpunkt seines Schreibens. Einen Übergang markiert im Jahr 1939 Nur wie ein Gast zur Nacht, worin er die darniederliegende osteuropäische Heimat zum Siedlungswerk in Palästina in Bezug setzt. Dieses jedoch sieht Agnon durchaus zwiespältig. In Gestern, vorgestern von 1945 sucht sein Held, Jizchak Kummer, im alten, statt im neuen, zionistischen Jischuw sein Glück, da sich in Letzterem seine Ideale nicht erfüllen ließen. 8 Schlonski erblickte im Jahr 1900 in der Ukraine das Licht der Welt und schloss sich bereits als junger Mann 1921 dem Jischuw an. 9 Vgl. Schlonski, In diesen Tagen.
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die Bedürfnisse des Individuums jenen des Kollektivs untergeordnet hatte, nahte, und die Suche nach neuen Perspektiven begann.10 Ein günstiger Zeitpunkt also für eine Diversifikation der hebräischen Literatur und das Aufkommen neuer, etwa „ethnischer“ Sichtweisen? Dies als selbstverständlich anzunehmen, wäre ein Trugschluss. Denn die Mehrheit der im Land ansässigen Juden waren trotz der Zweifel, die sich nun ausbreiteten, Zionisten. Dagegen enthielten die Biografien der HolocaustÜberlebenden und Orientalen, die neuerdings nach Israel strömten, kaum Anzeichen einer tieferen Verbundenheit mit dem zionistischen Projekt. Im Fall dieser Menschen handelte es sich vielmehr um Einwanderer aus Not, nicht aus Überzeugung, und ihre Lebenserfahrung war von jener der Pioniere grundverschieden. Gleichgültig, wie hoch der Anteil der neuen Einwanderergruppen an der israelischen Bevölkerung auch war oder wurde – aufgrund ihrer Andersartigkeit sollten sie auf lange Zeit ein „Phänomen am Rande“ bleiben, das sich aus kulturellen Gründen mit seiner Eingliederung schwer tat. Der israelische Mainstream, auch auf literarischem Gebiet, blieb
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Trotzdem halten die aufsteigenden Stars der hebräischen Literatur, etwa der Lyriker Natan Alterman und der Prosaist S. Yishar, am zionistischen Ideal fest. Indes schwindet bei ihnen das alte Pathos, und sie deuten auch Brüche an. Innenansichten aus der gespaltenen Gefühlswelt ihrer Helden nehmen einen breiten Raum ein, so im wohl berühmtesten israelischen Roman der 50er Jahre, S. Yishars Tage von Ziklag über sieben Tage des Septembers 1948 an der ägyptischen Front. Darin sinnieren die Soldaten, die Shaked treffend als „ideale Heldenfigur[en] des ‚unbefleckten‘ jungen Mannes“ bezeichnet (und insofern als typische Vertreter der zionistischen Pionier-Literatur, die ihm allesamt als „psychisch steril“ erscheinen), über die Landschaft, den Kampf gegen die Ägypter und ihr Leben, etwa über ihre Wurzellosigkeit; Halt finden sie nur in der weiten, leeren Landschaft, in der sich jedoch die feindlichen Soldaten verbergen (S. Yishar, Tage von Ziklag, 374ff, 556 u.ö.). S. dazu auch Shakeds Aufsatz Das Bild des Helden in der modernen hebräischen Literatur. Dass die Abkehr vom alten, glorifizierenden Ansatz nicht alle Bereiche von Kunst und Gesellschaft erfasste, dokumentiert Baruch Dinars Filmepos Sie waren zehn von 1960, der erste israelische Film, der einen internationalen, in diesem Fall sogar US-amerikanischen Verleih fand (Twentieth Century Fox) und beim Filmfestival in Cannes ausgezeichnet wurde. Der Filmhistoriker Dittrich nennt ihn den „ideologischsten Western aller Zeiten“ und ein „Meisterwerk des zionistischen Realismus, voll von heroischem Pathos“ (Dittrich, Entdeckungen, o.S.) Wie im klassischen Western betreten die jüdischen Pioniere ein scheinbar unberührtes Land, und in der Dichotomie von Gut und Böse sind sie „ungebrochen die Guten“. Neun Männer und eine Frau, geflohen vor den antisemitischen Pogromen im zaristischen Russland, lassen sich in Galiläa nieder. In einer ärmlichen Behausung, bedroht von türkischen Polizisten und beargwöhnt von den arabischen Nachbarn, gehen sie die Erschließung des Landes an, obwohl keiner von ihnen je einen Pflug geführt oder gesät hat. Nicht alle besitzen die körperliche und seelische Stärke, um die Strapazen zu ertragen, doch schreitet ihr Aufbauwerk unaufhaltsam voran. Vgl. auch Thorold Dickinsons Hill 24 Doesn’t Answer aus dem Jahr 1954, der mit einem anderen, bereits am Neorealismus Rosselinis geschulten Blick die wichtigsten Argumentationslinien zionistischer Propaganda zusammenführt.
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zionistisch-aschkenasisch.11 Die ideologischen und institutionellen Grundlagen dafür waren seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert gelegt worden.
Aufstieg der Autoren aus dem Orient Die Gründung eines jüdischen Staates ist also vollzogen, und die forcierte Einwanderung bringt immer mehr Juden ins Land. Damit sind wichtige Ziele des politischen Zionismus erreicht. Unterdessen kommen Probleme auf, die den Glauben an die Realisierbarkeit des Ideals vom gleichberechtigten jüdischen Individuum erschüttern ... An diesem Angelpunkt der Geschichte Israels und seiner Literatur melden sich neue, kritische Stimmen zu Wort, die einen ungewohnten Tonfall sprechen: die Autoren (und werdenden Autoren) aus dem Irak, die ab 1949 eingewandert sind und von jüdischen Schriftstellern aus anderen orientalischen Ländern Unterstützung erhalten.12 Allerdings werden sie erst rund eine Generation später, nach einem mühsamen Transkulturationsprozess, literarisch und gesellschaftlich Breitenwirkung erzielen.13 Der israelische Literaturhistoriker Gershon Shaked erwähnt in seiner bis etwa 1980 reichenden Literaturgeschichte neben dem gebürtigen Ägypter Jizchak Gormesano Goren und Amnon Schamosch aus Syrien die Baghdadi Schimon Ballas und Sami Michael.14 Dagegen eröffnet Nancy E. Berg ein weiteres, bis zum Erscheinen ihres Buchs von 1996 weitgehend unbekanntes Panorama. In Bergs Auseinandersetzung mit den „Israeli writers from Iraq“ zeigt die sowohl des Hebräischen wie des Arabischen mächtige USAmerikanerin, dass jüdisch-irakisch-israelische Literaturgeschichte zum einen nicht allein von Hebräisch schreibenden Autoren gemacht wurde (und wird) und zum anderen nicht erst in Israel ihren Anfang genommen, viel11
Aschkenasen stellten 1948 rund achtzig Prozent der jüdischen Bevölkerung Palästinas/Israels, nur 15 Prozent des Jischuw waren orientalischen Ursprungs (Schoeps, Neues Lexikon des Judentums, 627). Smooha dagegen schätzt den Anteil der orientalischen Juden am Vorabend der israelischen Unabhängigkeit bereits auf 23 Prozent (Smooha, Israel. Pluralism and Conflict, 57). Bei den meisten Statistiken und Schätzungen zu diesem Thema bedeutet „Orientalen“ Juden aus den arabischen Ländern und Gebieten des ehemaligen Osmanischen Reiches und fasst beispielsweise ladinosprachige Sepharden und arabischsprachige Misrachim verallgemeinernd zusammen. Auch der „alte“, vorzionistische Jischuw wird ihnen zugeschlagen. 12 Zwischen 1948 und 1962 trafen über 163.000 Juden aus Marokko ein. Ab 1956 kamen außerdem ca. 60.000 Juden aus Tunesien und von 1961 an rund 24.000 aus Algerien (Bunzl, Juden im Orient, 69ff). 13 Berg, Exile from Exile, 50f, 56ff u.ö. über erste schriftstellerische Aktivitäten der Iraki in Israel. Größere Erfolge erzielten Autoren orientalischer Abkunft mit einer gewissen Kontinuität erst von den 70er Jahren an. 14 Shaked, Geschichte der modernen hebräischen Literatur, 269.
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mehr eine Vorgeschichte im Irak hat.15 Die orientalischen Autoren tauchen nicht „geschichtslos“ aus den Migranten-Auffanglagern, den Maabarot, auf und reagieren nicht lediglich auf akute soziale Gegebenheiten, sondern stehen in einer nahezu hundertjährigen modernen Tradition, die sie mit geprägt haben und die zunächst vor allem in arabischer Sprache Ausdruck fand.16 Berg würdigt das Werk Anwar Schauls, der, 1904 geboren, erst 1971 nach Israel kam, Jaakub Balbubs (geboren 1920, nach Israel emigiriert im Jahr 1951) und Schalom Darwischs (1912 oder 1913 im Westirak geboren, Emigration 1950 über den Iran) und belegt, dass die arabische Literaturgeschichte diese abgewanderten Autoren durchaus nicht vergessen hat.17
15 Berg, Exile from Exile. Ein rein arabischsprachiges Spektrum beschrieb zuvor schon Shmuel Moreh, indem er die Kurzprosa jüdisch-irakischer Autoren aus den Jahren 1924 bis 1978 ordnete, vorstellte und einige Beispiele im Original neu veröffentlichte (Moreh, Short Stories by Jewish Writers). Moreh nennt, in zwei Generationen geteilt, zunächst 22 und dann weitere 15 Autoren aus dieser Periode und liefert darüber hinaus einen kurzen Abriss über die von Juden geschriebene arabische Literatur von der vorislamischen Zeit bis ins 19. Jahrhundert. Er erwähnt, ältere Forschungsergebnisse aufgreifend, mehr als 400 Bücher auf Hebräisch oder Arabisch in hebräischen Buchstaben (und damit an ein rein jüdisches Publikum gerichtet), die zwischen 1863 und 1950 in Bagdad erschienen seien. „In contrast, the number of books and booklets written or translated by Iraqi Jews in Arabic between 1909–1971 reached 166, including the writings of Jews who were converted to Islam. Although the number is limited, it is a product of a generation of Jewish writers who had a Western education and attended the Alliance Israélite Universelle School and the Baghdad Law School [… They] studied European languages and knew classical and modern Arabic well, which enabled them to pioneer in bringing modern Western influences to Iraqi literature. These writers excelled in a fluent Arabic style, which was characterized by humanist romanticism, revolutionary ideas and patriotism towards Iraq [...] They wanted to create a typical Arabic-Iraqi literature, to bring about a cultural revolution and to improve Iraqi society, so that Iraq could become an independent, secular state with a high level of culture, equal to other developed Arab countries and even Europe“ (ebd., 14ff). Die niedrig scheinende Zahl von Büchern im 20. Jahrhundert ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die wesentliche literarische Form der jungen Autoren die Erzählung, nicht der Roman war und diese vor allem in Zeitungen und Zeitschriften erschien. „Much of the poetry, short stories, novels and drama created by the Jews appeared in one of the fifteen Jewish newspapers (and even non-Jewish ones) which appeared in Arabic in Iraq and in other Arabic countries“ (ebd., 17). 16 Insofern wirkt die oben mit Zurückhaltung verwendete, doch durchaus gängige Bezeichnung „Maabara-Literatur“ nicht nur bedeutungsschmälernd, sondern ist von Grund auf falsch. Bei Shaked lässt sich der kulturelle Bruch in der Biografie der Autoren nur erahnen, wenn er in knappen Worten erklärt: „Mit dem erlernten Hebräisch gaben sie ihrer Verbitterung literarischen Ausdruck“ (Geschichte der modernen hebräischen Literatur, 269). Sie lernten Hebräisch und fanden so – scheinbar zum ersten Mal – eine künstlerische Sprache, um sich der Umwelt mitzuteilen. 17 Berg, Exile from Exile, 31–39. So werde Balbub trotz gewisser inhaltlicher Mängel seiner Erzählungen als „literary pioneer“ betrachtet: „Even the most critical of modern scholars [Izz ad-Din] sees fit to list him among the twenty-one most important writers of the novel and short story between 1920 and 1955.“ Noch positiver fällt das Urteil arabischer Literaturwissenschaftler über Schalom Darwisch aus (ebd., 36f).
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Sobald wir uns den Iraki zuwenden, die sich in Israel weiterhin schriftstellerisch betätigten oder erst dort zu Schriftstellern wurden, sind sprachbedingt mehrere Gruppen zu unterscheiden: diejenigen, die wie Balbub dem Arabischen treu blieben, jene, die wie Darwisch, Ballas – und Sami Michael – zum Hebräischen wechselten, und schließlich die, die, obwohl Arabisch ihre Muttersprache ist, von Anfang an Hebräisch schrieben – beispielsweise Eli Amir. Zu den komplexen Gründen für die jeweilige Sprachwahl, die nicht allein auf praktischen Motiven beruhte (wie dem möglichen Verbreitungsgrad oder der Frage, in welcher Sprache sich was leichter, genauer, interessanter ausdrücken lässt), erklärt Berg u.a.: Most of the Iraqi-born Jews who continued to write in Arabic in Israel were those who made the move at a more advanced age [...] Paradoxally, those writers who chose Arabic as their linguistic medium had some background in Hebrew from childhood, while those who chose to write in Hebrew had hardly any Hebrew background.18
Mit Bergs Einteilung in drei linguistische Kategorien ist bereits ein Kriterium für die Auswahl der Autoren, deren Texte uns in den zentralen Kapiteln dieser Untersuchung beschäftigen werden, genannt. Sami Michael schrieb zunächst Arabisch, später Hebräisch, Eli Amir hingegen immer und ausschließlich auf Hebräisch. Mit ihnen als Beispiel sollen die das Hebräische integrierenden Konstellationen, die Berg skizziert, von uns abgedeckt werden. Dabei wird deutlich werden, dass die Sprachwahl bestimmte poetische Entscheidungen beeinflusst hat. Wesentliche Gründe für die Wahl Amirs und Michaels zu einem Gegenstand des vorliegenden Buches sind außerdem: Beide haben sich in das „mehrheits“-israelische öffentliche Leben integriert und gehören zu den erfolgreichsten der genannten orientalischen Autoren.19 Damit erfüllen sie 18
Ebd., 50. Der Sprachwahl räumt die Verfasserin im Anschluss breiten Raum ein. Weiteren Aufschluss über orientalische, speziell irakisch-jüdische Autoren gibt Somekh, Lost Voices, insbes. 14–20. Hingegen interessiert sich Rachel Feldhay Brenner, die mit Inextricably Bonded ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Transkulturellen in der zeitgenössischen hebräischen Literatur leistet, nicht für die arabischen Wurzeln einzelner israelischer Autoren, sondern für Bindungen, die zwischen jüdisch-israelischen und palästinensischen Autoren aufgrund gemeinsamer historischer Erlebnisse entstanden sind. Sie schreibt über innerisraelische transnationale Narrative und erkennt so beispielsweise Verknüpfungen zwischen S. Yishar und Emile Habibi („traumas of victory and defeat“; ebd., 139). 19 Nach Angaben des Instituts für die Übersetzung hebräischer Literatur in Bne Brak (Israel) sind die Werke Amirs und Michaels diejenigen, die etwa am häufigsten übersetzt und auch auf fremden Märkten publiziert wurden. So erschienen Michaels Trompete im Tal auf Englisch, Deutsch, Niederländisch, Französisch und Italienisch,
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nicht nur inhaltlich und stilistisch gute Voraussetzungen, um bei der Beobachtung transkultureller Prozesse dienlich zu sein, sondern haben auch, im Gegensatz zu den weiter auf Arabisch schreibenden Schriftstellern, am meisten Aussicht darauf, ihre literarisch formulierten Botschaften breitenwirksam einzusetzen. Auflagen und Vertrieb ihrer Bücher sind höher bzw. professioneller – und beide Autoren haben ein Publikum, woran es den relativ isolierten Arabisch schreibenden jüdischen Erzählern Israels eher mangelt. Bevor wir die Romane und Aspekte auswählen, um die es später ausführlicher gehen soll, einige biografische Hinweise:20 Victoria zudem auf Griechisch und Arabisch sowie Amirs Sühnehahn unter anderem auf Russisch und Jasmin wiederum auf Arabisch und sogar Türkisch. Amir erhielt 1985 den jüdischen Literaturpreis in Mexiko; Michael wurde mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, etwa in Paris (WIZO) und Berlin (IBBY). 20 Einen möglichst vollständigen Überblick über die Werke beider Autoren enthält die Bibliografie am Ende dieser Untersuchung. Sami Michaels Theaterstücke sind dort nicht berücksichtigt, da sie weder in deutschen Bibliotheken noch im israelischen Buchhandel erhältlich sind und offenbar nicht in Buchform vorliegen. Die Titel der 1983 bzw. 1988 am Theatron Haifa aufgeführten Dramen Michaels lauten: ʳʺʸʮʡ ʭʩʣʹ [Phantome im Keller] und ʭʩʮʥʠʺ [Zwillinge]; 1999 folgte ʠʥʤ [Er] am Tzavta-Theater. 1988 wurde auch eine Bühnenfassung seines Romans Eine Trompete im Tal am Bet-Lessin-Theater uraufgeführt. Auch die vielen Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge, die beide Schriftsteller zu sozial-, kultur- und tagespolitischen Themen verfasst haben, konnten aus Platzgründen in die belletristisch fokussierende Publikationsliste nicht aufgenommen werden. Ebensowenig die arabische Prosa Michaels, die nicht Gegenstand dieser hebraistisch ausgerichteten Untersuchung sein kann, sowie Übersetzungen der Werke beider Autoren in weitere Sprachen. Die Übersetzungen ins Deutsche bilden eine Ausnahme; sie werden am Ende des Buches aufgelistet, um Leserinnen und Lesern ohne Hebräischkenntnisse die Lektüre Amirs und Michaels zu ermöglichen. Speziell zur – in unserem Kontext des entre-deux zwischen Orient und Okzident durchaus interessanten – Rezeption hebräischer Literatur in arabischer Übersetzung vgl. Kayyal, Bibliografie arabischer Übersetzungen der modernhebräischen Literatur. Anhand von umfangreichen bibliografischen Untersuchungen und Publikationslisten (auch zu Amir und Michael) dokumentiert Kayyal diese Tradition des hebräisch-arabischen Kulturflusses vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegen ʡ ʤʬʤʰʺʤ>@ʭʥʢʸʩʺʤ ʺʥʬʩʲʴ wart. Im hebräischen Vorwort seines Buches heißt es: „ʤʡʥʸ -ʥʠʬʤ ʤʲʥʰʺʤ ʯʩʡʬ ʣʧʠ ʣʶʮ ʬʠʸʹʩ ʺʰʩʣʮʥ ʺʩʰʥʩʶʤ ʤʲʥʰʺʤ ʯʩʡ ʪʹʥʮʮʥ ʭʩʬʠ ʩʨʩʬʥʴ ʺʥʮʩʲ ʬʶʡ ʤʡʸ ʤʣʩʮʡ ʲʡʷʹ ʩʨʱʩʰʥʢʨʰʠ ʢʥʬʠʩʣʬ >@ ʬʩʡʥʤ ʤʦ ʺʥʮʩʲ .ʩʰʹ ʣʶʮ ,ʡʸʲ ʺʥʰʩʣʮʥ ʺʩʰʩʨʱʬʴʤ ʺʩʮ ʺʥʬʩʲ ʴ ʤʺʥʠ ʩʴʬʫ ʱʧʩʤ ʺʠʥ ʭʥʢʸʩʺʤ ʺʥʩʰʩʣʮ ʺʠ [Die übersetzerische Arbeit ... vollzog sich meist im Schatten der gewaltsamen politischen Konfrontation zwischen der zionistischen Bewegung und dem Staat Israel einerseits und der palästinensischen Nationalbewegung und den arabischen Staaten andererseits. Der Jahrzehnte dauernde Konflikt führte zu einem antagonistischen Dialog ..., der großenteils die Übersetzungspolitik und die Haltung gegenüber dieser Tätigkeit bestimmte. St.S.]“ (ebd., 24f). Halten wir mit Kayyal fest, dass Übersetzung und damit Kulturtransfer über die Fronten hinweg stattgefunden haben, selbst wenn politische Vorgänge sie oft massiv behinderten. Vor diesem Hintergrund enttarnt sich die Behauptung stolzer Abgrenzung, die bei kriegerischen Auseinandersetzungen oft laut vorgetragen wird (man denke als eines der berühmtesten Beispiele hierfür an die spanisch-portugiesische Reconquista, während der zwischen Christen und Muslimen der Handel, nicht nur mit Kulturgütern, blühte), als ideologisches Konstrukt.
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Eli Amir wurde 1937 in Bagdad geboren und kam 1950 oder 195121 mit seiner Familie nach Israel. Dort wurde er für die Dauer seiner schulischen Ausbildung in einen Kibbuz geschickt. Amir studierte Arabistik und begann seine spätere politische Karriere als Praktikant im Büro des Premierministers. Er stieg zum Regierungsberater für arabische Angelegenheiten auf und stand im Dienst Schimon Peres’, Golda Meirs und Jizchak Rabins. Schließlich wurde ihm eine Führungsposition im Ministerium für Immigration und Eingliederung übertragen sowie die Leitung der Abteilung für Jugend-Alija bei der Jewish Agency. Darüber hinaus gab er Kurse an der Ben-GurionUniversität in Beerschewa. Sein erster Roman erschien 1984. Sami Michael hingegen wurde bereits 1926 in Bagdad geboren. Sein ursprünglicher Name war Salah Menasse, sein späterer arabischer Autorenname Samir Mared.22 Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs schloss sich Michael der verbotenen irakischen kommunistischen Partei an, wurde 1948 als deren Mitglied enttarnt und setzte sich in den Iran ab. Als er an den Irak ausgeliefert werden sollte, floh er 1949 nach Israel, wo er Redakteur der in Haifa erscheinenden arabischsprachigen Wochenzeitung al-Itihad23 wurde und dort vor allem im literarischen Feuilleton schrieb. Nach einer hydrologischen Ausbildung kontrollierte er 25 Jahre lang im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums Quellen und Wasserläufe nahe der syrischen Grenze. Er studierte zudem arabische Literaturwissenschaft und Psychologie an der Universität Haifa und erhielt die Ehrendoktorwürde mehrerer israelischer Universitäten. Seit 2001 ist er Vorsitzender der israelischen Vereinigung für Menschenrechte. Sein erstes größeres hebräischsprachiges Prosawerk kam 1974 heraus.
Kriege sind nicht nur aggressive Auseinandersetzung, sondern zugleich Bewegung und Berührung und scheinen Prozesse, die auf kultureller und geografischer Nähe beruhen, kaum aufhalten zu können. 21 Die Angaben darüber sind widersprüchlich. 22 In seine Anthologie Short Stories by Jewish Writers hat Moreh eine arabische Erzählung aufgenommen, die unter dem Autorennamen Samir Mared 1955 schon einmal veröffentlicht worden war, nämlich Abas (ebd., 225–232). 23 Der Gründer der Zeitung war der arabisch-israelische Schriftsteller Emile Habibi, ein dezidierter Verfechter der Koexistenz von Juden, Moslems und Christen in Palästina. Das Blatt war ein Forum vor allem für kommunistische Autoren. Wie viele arabische Intellektuelle jener Zeit stand auch Sami Michael dem Kommunismus nahe und war bis 1955 Mitglied der kommunistischen Partei. Abgesehen von einigen religiösen Splitterparteien war diese in Israel die einzige, die sich nicht als jüdisch-zionistisch definierte. Unter ihren Anhängern war immer ein hoher Anteil Araber.
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Werke und Themen der Iraki Die Handlung der meisten Romane Sami Michaels und Eli Amirs beruht auf spannungsgeladenen Paarungen. Sie bilden die Grundkonstellation, die die jeweilige Erzählung trägt. Dabei werden persönliche Verbindungen zwischen zwei Hauptfiguren stets von spezifischen gesellschaftlichpolitischen Verbindungen überlagert und dramatisch zugespitzt. So ist Michaels Eine Handvoll Nebel die um das Jahr 1945 spielende Liebesgeschichte von Ramsi, einem jüdisch-irakischen Revolutionär, und Suham, einer jungen Araberin, die mit einem anderen Mann verheiratet werden soll, doch zugleich auch ein politischer Roman über die ideologische Auseinandersetzung zwischen Ramsi und seinem älteren Bruder. Letzterer ist überzeugter Zionist, während Ramsi an das friedliche Zusammenleben zwischen Juden und Arabern im Irak glaubt. Für Ramsi bedeutet die Gründung eines jüdischen Staates erneute Gettoisierung, für seinen Bruder Befreiung. Auch im Zentrum von Michaels Eine Trompete im Tal stehen ungewohnte bipolare Verhältnisse: Ort der Handlung ist Wadi Nisnas, ein Überrest des einst arabischen Haifa. Hier leben in einem Stockwerk eines alten Hauses die Schwestern Huda und Marie, arabische Christinnen, während in das obere Stockwerk Alex, ein junger jüdischer Trompetist aus Russland, einzieht. Huda und Alex, die beiden Außenseiter in der israelischen Stadt, verlieben sich ineinander. Von der gesellschaftlich tabuisierten Problematik jüdisch-arabischer Paare handelt auch Michaels vorletzter Roman, Tauben am Trafalgar-Square. Schon in einem seiner ersten Romane, Zuflucht, hat Sami Michael dieses aus „Gegen“-Polen konstruierte Grundmuster entworfen. Eine der Hauptfiguren seines 1977 veröffentlichten Buches ist Marduk, ein eingeschworener Kommunist – und Zionist mangels Alternative –, der im Irak viele Jahre im Gefängnis zugebracht hat und dem (antikommunistischen) Israel seine Rettung verdankt. Die minoritäre kommunistische Partei Israels, der er und Schula, seine aschkenasische Frau, angehören und die zu dem Zeitpunkt die einzige bedeutendere nicht zionistische, arabisch-jüdische Partei des Landes ist, schickt während des Jom-Kippur-Krieges einen untergetauchten arabischen Parteigenossen zu Schula, die ihm Versteck gewähren soll. Eine Vielfalt von auch später wiederkehrenden Schablonen ist über Marduks und Schulas Geschichte gebreitet: die (vermeintlichen? tatsächlichen?) Antagonismen von internationalistischem Kommunismus und partikularistischem Zionismus, von Land nehmenden Juden und marginalisierten Arabern, europäischen Aschkenasen und „fremden“ Misrachim, persönlicher und kommunitärer Verantwortung etc.
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Auch Eli Amir, der jüngere der beiden hier behandelten Autoren, arbeitet, in Anlehnung an diese oft als ethnisch bezeichnete Literatur,24 intensiv mit kulturellen, sozialen und politischen Kontrastierungen. Sieht sich in Der Sühnehahn der orientalische Junge Nuri der zionistischen Ausbildungs- und Integrationsmaschinerie ausgeliefert, so scheitert in Schauls Liebe aus kulturellen wie aus in der Familiengeschichte angelegten psychologischen Gründen die Liebe zwischen Schaul, einem jungen Sepharden aus alteingesessenem jüdisch-palästinischem Elternhaus, und Chaja, der Tochter polnischer Holocaust-Überlebender.25 Im Folgenden wollen wir jedoch die soeben konturierten Schablonen sogleich wieder abwerfen und nicht die unmittelbare und mittelbare Abbildung des spannungsreichen historischen Kontexts26 in Amirs und Michaels Romanen nachzeichnen, sondern uns einzelner spezifischer Aspekte annehmen, die der Welt der Transkulturation besonders entsprechen und allesamt dem Alltag, nicht übergeordneten politischen, militärischen oder ideologischen Strukturen entnommen sind: Musik, Essen, das Sprechen und die Liebe. Keine dieser vielleicht schönsten „Nebensachen“ ließ sich je wirklich einfangen, und die angemessene Aufmerksamkeit für das Hybride, Transkulturelle, hehre Grenzen Verwischende bedeutet auch, gerade dem, was schon immer widerspenstig, unzuverlässig und verräterisch schien, mit größerer Neugier – und neuer Ehrfurcht – zu begegnen. Wir werden also im 24 Das o.g. Beispiel der Figur des Alex zeigt, dass in Michaels Romanen ethnische Grenzen durchaus überwunden werden. Die vom Autor vorgenommene Kontrastierung beruht nicht auf einer aus der Konstruktion von Alterität erwachsenden Opposition: Alex ist aschkenasischer Jude und trotzdem in der aschkenasisch-israelischen Mehrheitsgesellschaft marginalisiert; und gerade das führt ihn zur arabischen Christin Huda, mit der der Autor wiederum die indifferent-undifferenzierte westlich-israelische Sicht „der Araber“ aufzubrechen sucht. Zwar dient Ethnizität in postkolonialen Zusammenhängen oft als Instrument der Selbstbehauptung einer Gruppe gegenüber anderen und der Wiederherstellung beschädigter kultureller Identitäten, doch Michael und Amir eine solche Absicht zuzuschreiben, widerspricht ihrem emanzipatorisch-integrativen Ansatz. So findet sich in ihren Werken kein Hinweis auf eine ethnizistische „Irakitude“ etwa im Sinne der négritude Senghors und anderer; vgl. dazu Sollors, Who is Ethnic?, 219ff. 25 Breiter angelegt als die bisher vorgestellten Romane sind Michaels Victoria und Amirs Taubenzüchter, die das in den 80er Jahren aufkommende Bedürfnis des Lesepublikums nach „exotischen“ Familiensagas befriedigen. 26 S. dazu beispielsweise die Ausführungen zu Michaels Romanen Sturm unter Palmen und Eine Handvoll Nebel im Kapitel Different Perspectives on Life in Iraq. Narratives in Hebrew bei Berg, Exile from Exile, 129–149 (speziell 141ff). Über das historische Geschehen vor, während und nach dem „Exodus“ der jüdischen Iraki informieren neben Marr, Modern History of Iraq (insbes. Kap. 3 u. 4) auch Gat, Exodus from Iraq, Hayyim J. Cohen, The Anti-Jewish Farhud und Kedourie, The Break between Muslims and Jews. Sasson Somekh schildert in Bagdad gestern memoirenhaft die Stadt und die Milieus seiner Jugend und gibt Einblick in den jüdischen Alltag dort in den 30er, 40er und 50er Jahren; Themen wie Schulbildung, Kleidung, Namensgebung, Sprachen, Berufe und Feste werden eingehend erörtert.
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Der Irak in Israel
Sinne Bhabhas Momente des Alltags, die jenseits oder in Überschneidung mit mächtigen soziopolitischen Konstellationen Identitäten bestimmen und verändern, näher betrachten und fragen: Wie lebt es sich in den „von oben“, nämlich von der Geschichte, den Machthabern, der Tradition, den Institutionen vorgegebenen Kontexten, und wo entspricht Alltag gerade nicht den, meist willkürlich, am bescheidenen train-train quotidien vorbei bestimmten Definitionen und Abgrenzungen? Als nützlich erscheinen dafür vor allem zwei Romane Eli Amirs: Der Sühnehahn und Jasmin aus den Jahren 1992 und 2005. Bei der Erörterung von Stilfragen wird später, in Kapitel 5 (Orientalische Formen, orientalische Perspektiven?), speziell von den Romanen Sami Michaels die Rede sein, der sich nicht nur als engagierter Verfechter transkultureller Konstellationen, sondern auch als ausgezeichneter Stilist profiliert hat. Darüber hinaus werden wir zuweilen auf andere Texte beider Autoren rekurrieren.
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4. Transkulturelle Identität im erneuerten hebräischen Roman
Wir stellten eingangs fest, dass Wanderungstendenzen, ökonomische und politische Verflechtungen etc. den gesellschaftlichen und kulturellen Wandel beschleunigt haben und dass Migration zwar kein neues Phänomen ist, jedoch heutzutage häufiger vorkommt als in früherer Zeit. Diese Tatsachen haben einen entscheidenden Einfluss nicht nur auf den Kulturbegriff im Allgemeinen, wie oben erläutert, sondern auch auf die Identitätsbildung des modernen Individuums. Zur Frage der Identität schreibt der Philosoph und Bewusstseinstheoretiker Ferdinand Fellmann in Neumann/Teuteberg/Wierlachers Essen und kulturelle Identität:1 Wie schmerzlich der Verlust traditioneller Identifikationsmuster empfunden wird, kann jeder bestätigen, der rasche Veränderungen der persönlichen Lebensverhältnisse oder der gesellschaftlichen und politischen Strukturen durchlebt [...] Angesichts der rasanten Beschleunigung aller Veränderungsprozesse geraten wir in Zustände, die sich als Identitätskrise beschreiben lassen.
Von einer solchen, Ortiz würde sagen: durch den Prozess der „Dekulturation“ ausgelösten Identitätskrise und vom Bedarf an neu zu entwickelnden Identifikationsmustern, also an „Neokulturation“,2 handelt Eli Amirs Jugendbuch Der Sühnehahn. Die Hauptfigur ist Nuri, ein Junge aus Bagdad, der wie Zehntausende mit seiner Familie überstürzt nach Israel emigriert ist und dort, zusammen mit einer Gruppe weiterer irakischer Jugendlicher, den schweren Neuanfang in der Fremde meistern muss. Die Familien sind allesamt in einem Auffanglager untergebracht; die Jugendlichen hingegen, um die sich die Handlung des Buches dreht, haben das Glück, dem deprimierenden Lagerleben zu entkommen, indem sie probeweise von einem Kibbuz aufgenommen werden, der neue Mitglieder sucht. Der Hauptschauplatz des Romans ist dieser Kibbuz. Hier müssen Nuri und seine Kameraden ihre Fähigkeit, sich in das zionistische Projekt zu integrieren, unter Beweis stellen, damit sich die Chance, schon bald ein gesichertes Auskommen zu finden, für sie erfüllt. Die Konfrontation mit dem Kibbuz, diesem Idealbild israelischer Wirklichkeit mit seinen fremden Werten, Sitten und Gebräu1 2
Fellmann, Kulturelle und persönliche Identität, 28. Vgl. Ortiz, Cuban Counterpoint, 102.
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chen, sowie mit der hoffnungslosen Situation der entwurzelten und sozial degradierten Familien im Lager und der Erinnerung an das gute Leben in Bagdad liefert den Zündstoff, der die Romanhandlung vorantreibt.
Zwischen-Intimitäten I: Essen und Musik Zwei Schlüsselerlebnisse ziehen sich, mehrfach variiert und wiederholt, leitmotivisch durch Amirs Roman: die Begegnung mit israelischen Essgewohnheiten3 und der klassischen europäischen Musik4. In beiden Fällen – beim ersten Betreten des Speisesaals im Kibbuz ebenso wie beim „Musikquiz“ der angegliederten Eliteschule der asoriim,5 bei dem die Jugendlichen Kompositionen beispielsweise von Mozart und Beethoven wiedererkennen sollen – stehen die jungen Orientalen wie erstarrt. Sie spüren die Erwartungen, die an sie gestellt werden, und wissen, dass sie außer Stande sind, sie zu erfüllen. Jedesmal endet die Situation in einem großen, vom Spott der anderen oder der eigenen Scham verursachten Chaos, das einmal mehr zu beweisen scheint, dass sie nichts als „Asiaten“, „Araber“, „Wilde“6 sind. Das Eintreten in den Speisesaal beschreibt Amir wie folgt:7 ʸʣʧ ʬʹ ʥʸʥʡʨʡ ʥʰʩʩʤ ʭʩʣʮʥʲ .ʸʦʥʮ ʤʩʤ ʨʷʹʤ .ʤʮ –ʯʮʦʬ ʭʺʥʠ ʤʺʱʩʤ ʬʫʥʠʤ ʸʣʧʬ ʥʰʺʱʩʰʫ .ʺʥʹʣʧ ʹʠʸ ʺʥʧʴʨʮʡ ʺʥʸʲʰʤʥ ʺʥʷʩʤʡʮ ʺʥʧʸʷʡ ʭʩʸʲʰʤ ,ʺʹʩʥʡʮ ,ʺʩʰʱʱʤ ʤʣʩʮʲ ,ʬʫʥʠʤ .ʤʩʰʴ ʯʥʸʥʥʩʧ ʺʠ ʨʩʬʡʤ ʯʥʠʩʰʤ ʸʥʠʥ ʤʴʶʩʸʡ ʤʩʰʩʲ ʺʠ ʤʶʲʰʤʰʬʩʠʬ ʡʱʥʤ ʤʮʹʹ ,ʺʩʰʫʸʠʤ ʥʰʡ ʥʶʲʰʰ ʭʩʩʰʩʲʤ .ʳʸʥʨʮ ʡʶʷʡ ʥʲʡʶʠ ʬʲ ʤʺʥʠ ʡʡʥʱʥ ʥʱʩʫʮ ʺʸʹʸʹʤ ʺʠ ʳʬʹ ʥʬʢʦʥʡ .ʸʣʲʫ ʤʦʬ ʤʦ ʥʰʣʮʶʰ .ʭʩʣʥʴʩʹʫ ʸʡʲ ʬʫʮ [Unser Eintreten ließ sie einen Augenblick innehalten. Ein seltsames Schweigen breitete sich aus. Eingeschüchtert standen wir in der Mitte des Saals, die Jungen mit ihren glänzenden Schädeln, die Mädchen mit ihren neuen Kopftüchern. Das magere Mädchen, das jetzt Ilana hieß, starrte auf den Fußboden, im Neonlicht war ihr Gesicht noch blasser. Bouzaglo zog die Kette aus seiner Tasche und drehte sie nervös. Wie Spieße richteten sich von allen Seiten Blicke auf uns. Wir hielten uns wie eine Herde dicht beisammen. St.S.]
Die Reaktion der Jugendlichen auf die Verunsicherung, der sie ausgesetzt sind, schwankt zwischen Rebellion und Rückzug. Bei einem Picknick wäh3
Amir, Sühnehahn, insbes. Kap. 3 u. 7. Musik dient z.B. in Kapitel 3, 4, 11, 12 und 13 als wichtiges Motiv. 5 Das Wort asoriim („Regionale“) bezeichnet hier die Schüler einer reputierten Schule der Umgebung. Der Autor vergleicht sie mit Prinzen. 6 Ebd., 40, 45, 78 u.ö. 7 Ebd., 47. 4
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rend eines Arbeitstags im Weinberg schleudern sie die Butterbrote weit von sich, singen: ʹʠʬʡ ʤʰʩʡʢʥ ʤʰʩʸʢʸʮ[...] ʬʥʦʤ–ʬʩʦʡ ʬʥʦʡ ʤʰʩʡʢʥ ʤʰʩʸʢʸʮ [Das ist doch bloß Margarine und billiger Käse ... Margarine und Käse sind billiger Fraß!]8
… und johlen in wütendem Spaß, um die Kibbuzniks zu reizen:9 ʫʸʠʡʺ ʺʩʣʥʤ ʤʡʮʲ [...] ʤʩʡʥʬ ʤʩʡʥʬ [...] ʸʥʰʺ ʹʠ ʸʥʰʺ ʹʠ ʺʩʷʠʸʩʲ ʤʺʩʴ ʤʬʬʠ ʠʩ ʭʤʬʹ ʭʩ‘ʶʩʥʥʣʰʱʤ ʬʦʠʦʲʬ [...] ʤʬʬʠ [Ja Allah, irakische Pita direkt vom Feuerofen ... Lubia, Lubia, Amba wie aus Indien, Allah sei gepriesen ... zum Teufel mit denen ihren Stullen! St.S.]
Statt solchen Fraß in sich hineinzustopfen, essen sie lieber gar nichts. Auch die Momente des Rückzugs sind von Enttäuschung, Zorn und Leidenschaftlichkeit geprägt. Nachdem sich die Iraki bei einer Theateraufführung, in der sie osteuropäische Juden darstellen sollten, wegen ihres Akzents vor allen lächerlich gemacht haben, bereiten sie selbst eine Aufführung vor, mit ihrer Musik, nach ihrer Tradition.10 Doch niemand von den Eingesessenen interessiert sich dafür; nicht einmal die Kinder kommen um zuzuschauen. Also singen und feiern sie allein, und dieser ersten hafla11 folgen allabendlich weitere, immer wildere. Die Jungen singen arabische Lieder, sich auf der Ud und der Trommel begleitend, und einige der Mädchen tanzen Bauchtanz. Bei den Kibbuzniks stoßen diese von Trauer und verzweifelter Lebensfreude getriebenen Feste, die Unruhe in die stillen Nächte bringen, auf Verwunderung, Ärger, ja sogar Abscheu. Doch das ändert zunächst nichts an der Haltung der jungen Immigranten:12 ʥʶʲʰʰ ʥʩʰʩʲ ʥʫʫʸʺʤ ʭʩʧʥʹʷʤ ʥʩʰʴ [...] ʣʥʲʤ ʺʠ ʥʡʩʬ ʬʠ ʵʮʠʮ ʭʩʱʠʷʺʡ ʧʺʴ ʪʫ–ʸʧʠ ʥʩʺʥʲʡʶʠʮ ʩʨʡʮ ʺʠ ʷʩʺʤʬ ʩʺʬʥʫʩ ʠʬ [...] ʭʥʧʡʥ ʺʥʷʩʡʣʡ ʯʢʩʰ ʠʥʤʥ ʬʬʧʡ ʤʮʥʬʲ ʤʣʥʷʰʡ –ʩʠ ʠʥʤʹ ʥʰʬ ʤʩʤ ʤʮʣʰʥ ʥʩʰʴ ʺʲʡʤʡ ʤʺʩʩʤ ʤʡʸ ʤʢʥʺ ʺʩʰʮʬʥʧ ʺʹʸʠ ʥʹʡʬʥ ʥʰʸʷʹ ʥʩʰʴʮ ʺʡʤʬʹ ʤʧʷʬʺʤ ʭʩʠʡʤ ʺʥʬʩʬʡ ʭʢ [...] ʥʩʺʥʡʷʲʡ ʺʫʬʬ ʥʰʬ ʠʸʥʷ ʣʥʠʮ ʷʥʧʸ ʭʹ
8 9 10 11 12
Ebd., 77. Ebd. Ebd., Kap. 11. Arabisch: „Feier, Fest“. Ebd., 107f.
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ʩʩʥʥʤʬ ʭʩʢʸʥʲ ʭʩʸʤʸʥʤʮ ʭʩʩʧʬ ʩʷʥʮʱ ʭʹʬ ʸʧʠ ʭʬʥʲʬ ʵʥʡʩʷʤʮ ʥʰʹʸʴ ʥʬʩʠʫ ʺʥʬʴʧʤ ʭʩʬʩʬʶʤ ʩʮʸʦʡ ʭʩʴʸʢʰ ʥʰʩʩʤ >@ ʧʫʹʰʥ ʷʥʧʸ [Danach spielte Massul die Ouvertüre. Er drückte die Ud an seine Brust ... Seine harten Züge wurden weich, und seine Augen schauten zu einem fernen Punkt. Er spielte mit Hingabe und Wärme ... Ich konnte meinen Blick nicht abwenden von diesen Händen und diesem leuchtenden, träumenden Gesicht. Große Trauer lag darin. Massul war weit weg und schien uns zu sich zu rufen ... Fortan loderte die Flamme der Begeisterung jede Nacht: Wenn wir feierten, schienen wir aus dem Kibbuz in eine andere Welt überzutreten. Mit geröteten Wangen, in Gedanken versunken, voll Sehnsucht nach einem fernen, in Vergessenheit geratenen Leben, ließen wir uns vom Strom der Klänge forttragen ... St.S.]
Erst nach einiger Zeit legt sich der innere Aufruhr, und bei ihnen kehrt Nachdenklichkeit ein – die Atmosphäre beginnt sich zu wandeln. Angesichts der Unnachgiebigkeit ihrer Umgebung deutet sich bei den jungen Einwanderern der Beginn eines Akkulturationsprozesses an, auch beflügelt von dem Umstand, dass einige der Protagonisten und Protagonistinnen mit einheimische Mädchen und Jungen anbändeln. Wegen einer blonden Gymnasiastin, die für ihn jedoch unerreichbar bleibt, beginnt sich Nuri für klassische europäische Musik zu interessieren,13 und Nili-Michnassaim („Hosen-Nili“) singt, nachdem sie mit Zwika getanzt hat, bei der abendlichen hafla plötzlich hebräische Volkslieder; andere Mädchen stimmen in ihren Gesang ein.14 Doch führen diese Tendenzen in eine innere Zerrissenheit. So gibt Nuri seinem Freund Massul schließlich Recht, wenn dieser behauptet, Iraki und Sabres15 passten nicht zueinander und es wäre am besten, Letztere zu ignorieren. Doch könnten sie das wirklich? Waren nicht die Sabre-Kinder die „Prinzen“ im Tal, sein Stolz und seine Zukunft? Sie repräsentierten „das Neue“ und die Iraki „das Alte“ – sie seien „die Rettung“, die Iraki jedoch „das Exil“, sinniert Nuri.16 Wobei speziell an dieser Stelle auffällt, dass, entgegen Nuris Sicht, auf Bagdad und Mozart eigentlich dasselbe zutrifft: Beide gehören zu einer Vergangenheit, von der sich die in Israel lebenden Juden getrennt haben oder von der sie getrennt wurden. Allerdings sind die
13
Ebd., 121. Ebd., 129. 15 Selbstbezeichnung der in Israel/Palästina geborenen Juden, abgeleitet vom arabischen Wort für „Feigenkaktus“. Danach verbirgt sich in ihnen unter einer stacheligen Oberfläche ein süßer Kern. 16 Ebd., 118. 14
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Machtverhältnisse17 in der israelischen Gesellschaft so, dass Mozart „das Neue“ auf andere Weise definieren kann als etwa das Spiel der Ud.18 Trotzdem kommt Nuri letztendlich zu dem Schluss, dass er in die Maabara zurückkehren müsse, weil seine Familie ihn brauchte. Er sei jung und in der Lage, seinen verstörten Eltern zu helfen, doch ginge dies nicht, wenn er sich, wie im Kibbuz, räumlich und geistig von ihnen entfernte. Er würde ihnen den Weg in die fremde israelische Gesellschaft und zu einem bescheidenen, doch neuen Glück bereiten.19 ʺʠ ʳʹʩʫʹ – ʪʸʣʡ ʩʹʩ ʩʬ ʸʮʠʭʱʥʷ ʠʥʤ ʨʸʶʥʮ – ʭʱʷʤ ʣʥʱ ʺʠ ʧʶʴʬ ʩʺʩʶʸʩʺʡʹʷʤ ʲʩʢʤ ʨʩʬʷʺʤ "ʭʬʥʲʡ ʠʬ ʩʰʠ "ʩʰʠ ʤʴʩʠ "ʩʰʠʥ ʩʺʥʡʸʺʤ ʭʬʥʲʤ ʩʹʰʠ ʬʫʥ ʭʩʩʸʥʦʠʤ ʡʬ ʩʰʠʥ ʩʰʮʩʮ ʷʬʧ ʤʩʤʩ ʠʬ ʤʦ ʭʬʥʲʬ .ʣʥʡʠ ʬʥʫʤʭʥʬʫ ʠʬʺʩʹʩʬʹʡ ʨʧʮʤ ʺʠ ʩʺʮʹʥʮʥʩʱʬ ʤʸʡʲʮʬ ʡʥʹʬ: ʩʮʶʲ ʭʲ ʭʬʹ ʺʥʩʤʬ ʤʶʥʸ ʩʰʠ ʭʠ ʩʩʰʴʬ ʺʧʠ ʪʸʣʭʬʥʲʬ ʭʤʥʮʫ ʤʩʤʠ ʠʬ ʭʤ ʭʤ [...] ʵʥʡʩʷʤ ʺʥʮʥʬʧ ʬʱʧ ʩʬʹ ʠʩʤ ʬʡʠ ʹʴʸ ʠʩʤ ʩʬʥʠ ʤʩʺʥʧʩʸʬʥ ʤʩʺʥʰʩʢʰʮʬ .ʠʬ ʭʬʥʲʬʠʬ ʣʧʩʠʬ ʩʬʥʠʥʩʬʥʠ .ʩʣʣʤ ʣʥʡʫʥʰʧʰʠ ʥʰʧʰʠʥ [Ich horchte. Ich wollte den geheimen Zauber dieser Musik ergründen. Hatte Ischai nicht unterwegs gesagt, Mozart sei ein Zauberer, der die Herzen aller asoriim und der Menschen in der ganzen zivilisierten Welt erobert hatte? Und ich? Wo war ich? Lebte ich auf einem anderen Planeten? Als das Stück endete, setzte ich die Nadel zum dritten Mal auf. Nichts! Es hatte keinen Zweck. Niemals könnte diese Musik ein Teil von mir sein, und ich würde nie ein Sabre werden. Unmöglich! Es gab nur einen Weg für mich, wenn ich Frieden finden wollte: Ich musste in die Maabara zurück, zu ihren Melodien und Gerüchen. Vielleicht glich das Lager einem Sumpf, aber es war meine Welt. Schluss mit dem Traum vom Kibbuz ... Sie waren sie, und wir waren wir. Gegenseitiger Respekt? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber zusammenleben? Nein, niemals. St.S.]20
17
Vgl. dazu Edward W. Said, der in vielen seiner Schriften hervorhebt, dass bei der Begegnung von Kulturen die politische und wirtschaftliche Dominanz einen Faktor darstellt, der die Tendenzen und Gewichtungen im Transkulturationsprozess maßgeblich beeinflusst; so in seinem Aufsatz Kultur und Identität über die politische, ökonomische und kulturelle Vereinnahmung der Welt durch den Westen. Ähnlich äußert sich Stuart Hall in Cultural Identity and Diaspora: „They had the power to make us see and experience ourselves as ‚Other‘ [...] This inner expropriation of cultural identity cripples and deforms“ (ebd., 24; Hervorhebung im Original). 18 Eine interessante Zuspitzung in Amirs Roman besteht darin, dass er die „kanaanäischen“ Artefakte der israelischen Identität, etwa den Horatanz, ausspart. So wird das Buch zum Schauplatz einer Konfrontation zwischen zwei Vergangenheiten, zwei Traditionen: einer mächtigen, die sich durchzusetzen scheint, und einer ohnmächtig scheinenden, die sich nur insgeheim, gleichsam im Untergrund neu entfalten und mit Verzögerung ihren Einfluss auf die mächtigere geltend machen kann. 19 Amir, Sühnehahn, 192f. 20 Ebd., 121.
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Trotz der Armut und des Schmutzes in der Maabara sind die dortigen Melodien und Gerüche für Nuri, des Autors Alter Ego, positiv besetzt und stehen in scharfem Kontrast zu denen der Umwelt. Wenden wir unsere Aufmerksamkeit zunächst noch einmal den Gerüchen und den Speisen zu, von denen sie herrühren. Susanne Enderwitz schreibt über Essen als „letztes Bollwerk gegen politische Auslöschung“,21 und Claudia Roden behauptet, die Kochkunst – und man darf annehmen: auch der damit eingeübte Geschmack – sei „always that part of culture and tradition which survives the longest“.22 Denn Essen bedeutet nicht allein Nahrungsaufnahme und Sättigung, sondern ist Teil der eigenen Identität – eine Beobachtung, die im Falle der Orientalen umso mehr Gültigkeit beansprucht, als bei ihnen, Juden und Arabern ohne Unterschied, Kochen und Essen „intensely social activities“ bilden, „while the dishes hold within them centuries of local culture, art and tradition“.23 Roden erklärt, dass sich bei Aschkenasen und Sepharden die Einstellung zum Essen infolge spezifischer historischer Erfahrungen aus der Diaspora grundlegend unterscheidet: Die der Aschkenasen sei von ärmlichen Lebensumständen in einer bedrohlichen, abgeschotteten Umgebung,24 die der Sepharden von Wohlstand und gesellschaftlicher Offenheit geprägt.25 Trotz dieser Differenz, die sich auch in unterschiedlichen Anforderungen an die Qualität der Speisen ausdrückt, ist für die orientalischen Migranten, die an ihrem neuen Aufenthaltsort unter Assimilationsdruck stehen, die graduelle Übernahme der dort herrschenden Speisegewohnheiten Teil einer Identitätsarbeit, der sie sich nicht ganz entziehen können. Dabei erfüllt die zumindest partiell weiter praktizierte mitgebrachte Küche die wichtige Funktion eines „emotionalen Ausgleichs“.26 21
Enderwitz, Essen, Kultur und Identität, 236. Roden, Jewish Food in the Middle East, 154. 23 Dies., Middle Eastern Food, 25. 24 Vgl. den ersten Teil von Kapitel 5 (Zeit des Rückzugs) über die Tendenz der Abschottung der aschkenasisch dominierten Gesellschaft Israels auf politischem und kulturellem Gebiet. 25 Dies., Jewish Food in the Middle East, 154. In National, Communal and Global Dimensions in Middle Eastern Food Cultures stellt Sami Zubaida fest: „The nations, regions and communities of the Middle East share a common set of cultural idioms“, doch „this is not to assert a cultural homogenity [...] Localities and communities have their own distinctive food styles“ (34f). Und während Roden Besonderheiten der jüdischen Küche auf die religiösen Speisegesetze zurückführt (Jewish Food in the Middle East, 155), ergänzt Zubaida, dass es auch darüber hinaus Unterschiede gebe. Manche Eigenheiten der jüdischen Küche Bagdads würden etwa als „persisch“ identifiziert, was als Folge von Migration, als Überrest der Lebensweise einer früheren Heimat interpretiert werden kann. Zur Bedeutung von Essen in der arabischen Literatur s. Hafez, Food as a Semiotic Code. 26 Zingerle, Identitätsbildung bei Tische, 85. Der Verfasser spricht vom „schwierigen Prozess des Identitätswechsels“, doch im Licht der Texte Ortiz’ und Welschs er22
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Am Ende des Romans steht es unentschieden zwischen der sephardischen und der israelisch-aschkenasischen Kulinarik. Ähnliches gilt für die Musik. Bei der Diskussion über die Begegnung – oder zuweilen auch ins Gefährliche hochgespielte Konfrontation – von Orient und Okzident werden, populär ausgedrückt, oft Äpfel mit Birnen verglichen. Und dies geschieht auch im Mikrokosmos des aschkenasisch-zionistischen Kibbuz der frühen 50er Jahre, wie Amir ihn schildert. Werden heute die Gründe für politische Spannungen und die „mangelnde“ Angepasstheit orientalischer, speziell arabischer Kulturen an den aktuellen Stand der Globalisierung (d.h. an die vom Westen überwiegend als positiv empfundene Verwestlichung der Welt) thematisiert, so sind die dabei angelegten Maßstäbe und Bezugsgrößen bereits die eines verwestlichten Kulturkonzepts, das schon im Kibbuz jener Tage zum Tragen kam. Entsprechend wurde in jüngster Zeit aus niedrigeren Buchauflagen in arabischsprachigen Ländern und der geringeren Zahl an Übersetzungen, etwa aus dem Amerikanischen ins Arabische,27 auf einen kulturellen Rückstand der arabischen Welt geschlossen, der gleichsam zwangsläufig in Opposition und Gewalt münden müsse. Dass die kulturelle Werteskala nicht überall gleich – und dies a priori weder problematisch noch gefährlich – ist, wird dabei übersehen.28 So kann auch und vor allem die für Amirs Geschichten wichtige Musik29 durchaus andere, zentra-
scheint dieser Begriff als zu harsch. Schließlich handelt es sich nicht um eine im Auswechseln zweier Identitäten bestehende Zäsur, sondern um einen Prozess des Übergangs von einer mitgebrachten zu einer neuen, sich erst bildenden Identität bei gleichzeitiger Wechselwirkung zwischen diesen beiden. 27 Vgl. dazu Naggar, Von Allende bis Zweig. Andererseits gibt der Islamwissenschaftler Weidner in seinem Aufsatz über Übersetzungen aus dem Arabischen Beispiele für die mangelnde Befähigung selbst wohlwollender okzidentaler Beobachter, Kulturen des Orients zu dechiffrieren (Weidner, Wenn Kritiker fremdgehen). 28 Wie sehr sich die Akzeptanz der einzelnen Künste von westlichen Gewohnheiten unterscheiden kann, illustriert der indische Romancier Nagarkar am Beispiel seines – ebenfalls orientalischen – Landes. In seinem Artikel Der Busen von Ravans Mutter veranschaulicht er, dass englische Bücher im (zweitsprachlich anglophonen) MilliardenEinwohner-Reich Indien höchstens Auflagen von 3000 bis 5000 Exemplaren erzielen, der wahre kulturelle Ausdruck Indiens hingegen im Film zu suchen sei – wobei dieser wiederum völlig anders konzipiert ist und eine andere Wirkung als etwa das klassische Holywood-Melodram oder der europäische Autorenfilm entfaltet. (So spielen Tanz und der in orientalischen Kulturen allgegenwärtige lyrische Gesang eine tragende Rolle, ohne die kein Film beim Publikum wirklich erfolgreich ist.) 29 Der Roman ist gespickt mit Liedstrophen, teils auf Arabisch, teils ins Hebräische übersetzt. Auch in Jasmin nimmt Amir mehrfach auf die arabische Musik, insbesondere auf Oum Kalsoum, Bezug, u.a. um auf das mangelnde Verständnis der Sabres für die Lebensweise der Araber hinzuweisen. Nuri hingegen, die aus dem Irak stammende Hauptfigur, kennt sich besser aus. Nuri weiß, dass der Grund für das Schweigen des Funknetzes an einem bestimmten Abend kein Trick feindlicher Geheimdienste ist, sondern zu diesem Zeitpunkt Oum Kalsoum ihr monatliches Konzert in der Kairoer Oper
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lere Funktionen erfüllen, als ihr im Okzident im Allgemeinen zugestanden werden, etwa solche, die dort bis ins 20. Jahrhundert hinein dem Roman zukamen. Man denke daran, dass eine bedeutende Sängerin wie Oum Kalsoum auch über bedeutende welt- und sozialpolitische Themen, über den Assuan-Staudamm ebenso wie über Hochöfen und den Palästinakonflikt, gesungen hat.30 Im Orient kann ein lyrisches Lied, sogar ein Liebeslied eine politische Metapher sein,31 während der künstlerische Diskurs über vergleichbare Themen im Okzident eher in der Literatur und auf dem Theater stattfindet. Ähnlich wie für die Rezipienten des biblischen Liedes der Lieder der/die Geliebte zugleich für das Höhere, Göttliche steht, beschwört das Du, das der Poet eines orientalischen „Liebeslieds“, sein(e) Sänger(in) und insgeheim ihre Zuhörer anrufen, nicht nur das Bild des tatsächlichen oder ersehnten Geliebten, sondern die Liebe, das Glück, die Freiheit, das Leben in einem höheren Sinne. Beim Vortrag in einem konkreten zeitgeschichtlichen Kontext können diese dann auch politische Konnotationen annehmen und somit auf einen unmittelbareren Ausdruck ihrerselbst anspielen als den, der im Liedtext wörtlich genannt wird.32 Die weltweite Wahrnehmung der Kunstgattungen ist bis auf den heutigen Tag nur an der Oberfläche globalisiert-westlich; d.h. in diesem Bereich werden westliche Maßstäbe nicht überall akzeptiert.33 Vor diesem Hintergrund ist auch in Der Sühnehahn die gibt und die arabische Welt für Stunden gleichsam den Atem anhält, um dem großen Idol im Radio zu lauschen (Amir, Jasmin, 44). 30 Nassib, Oum, 241f. 31 Vgl. etwa Oum Kalsoum, Die Ruinen. Darin heißt es (Übersetzung von Bennani, Oum Kaltoum, 46): „Rends-moi ma liberté, délie mes liens / J’ai tout donné, rien ne me reste / Ah combien tes chaînes ont fait saigner / Mes chevilles, pourquoi les conserver alors / Qu’elles m’ont brisée? Pourquoi tenir / Des serments que tu as trahis? / Pourquoi cette prison alors que la vie est / A portée de mes mains?“ Zur suggestiven Wirkung speziell dieses Textes s. Nassib, Oum, Tl. 4, Kap. 2. 32 Im Falle der oft auf klassizistischen zeitgenössischen Gedichten, etwa Ahmad Ramis und Ahmad Schaukis, beruhenden Lieder Oum Kalsoums beispielsweise auf den Hoffnungsträger Nasser oder die politischen und sozialen Verhältnisse in Ägypten und der arabischen Welt. Bemerkenswert bei dieser allegorischen Poesie, deren Wirkung durch die musikalische Dramatik gesteigert wird, ist die Tatsache, dass meist bereits der erste, nach der instrumentalen Ouvertüre gesungene Vers den inhaltlichen und emotionalen Tenor des Vortrags, der hafla vorgibt. Vgl. dazu weitere Lieder vor allem Oum Kalsoums: Du bist mein Leben, Hoffnung meines Lebens, Die Geduld hat Grenzen. 33 Über die Rezeption klassischer europäischer Musik im Kibbuz reflektierend, wundert sich Nuri, wie die Sabres dabei zuhören – ohne Zwischenrufe und Bewunderungsschreie! Er fragt sich, welchen Sinn Musik habe, die nicht zu Herzen gehe und die Menschen nicht sanfter blicken lasse (Amir, Sühnehahn, 118). Über den Bereich der Musik hinausblickend, lässt sich feststellen: Wenn in einem orientalischen (oder auch afrikanischen) Land etwa eine Theatertradition westlicher Prägung be- oder entsteht, so hat sie noch lange nicht die selbe Funktion und entfaltet nicht die gleiche Wirkung wie in einer westlichen Gesellschaft; Ähnliches gilt für Kunstgalerien, -museen und -messen. Oft haben sich zwar hybride Kunstformen entwickelt, die aus westlichen und einheimi-
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von der Umgebung der jungen Einwanderer ignorierte Bedeutung des arabischen Gesangs zu sehen. Weder das Theater noch die klassische Musik, die von den europäisch geprägten Sabres im Kibbuz als ernstzunehmendes kulturelles Medium favorisiert werden, ist für die jungen Iraki ein wirklicher Ersatz oder eine alternative Ausdrucksform für das, was sie in ihre – arabische – Musik legen.34 Entsprechend sind die Verse, die sie intonieren, nicht vom Geschmack ihrer neuen Umwelt, sondern von der Poetik und Interpretation der großen arabischen Sänger jener Zeit abhängig, etwa wenn sie inbrünstig singen:35 ʭʩ‘ʨʬʬ ʩʰʩʺʡ‘ʢ ʤʮʩ ʠʩ ʤʮʩ !ʠʮʩʠ ʩʥʤ ʠʮʩʠ ʩʥʤ .ʷʹʥʲ ʩʩʧʬ ʩʺʥʠ ʺʠʡʤ [Jama, ja jama, dschibtini lis-sim, Mutter, oh Mutter, Du hast mich ins Elend gestürzt! St.S.]
Und an anderer Stelle:36 ʠʰʠʲʮ ʭʥʤ ʠʮ ʯʩʲ ʠʩ ʠʰʡʠʡʧʠ ʥʰʺʩʠ ʭʰʩʠ ʥʰʩʡʥʤʠ
schen Elementen auswählen, sie verbinden und umgestalten, doch gehören sie nicht in vergleichbarem Maße wie im Westen zu einem allseits anerkannten „Kulturkanon“ der betreffenden Gesellschaften; vgl. Siebers, Von Gauguin zur globalen Kunst und Ein kurzes Jahrhundert. 34 Anhaltspunkte zur enormen Bedeutung des lyrischen Gesangs in der arabischen Welt liefert Hassan Dawud in seinem Artikel über Abd al-Halim Hafis, Die Stimme der Nachtigall. Zur Akzeptanz von Lyrik, sogar in populären zeitgenössischen Medien, vgl. Hassan, Finalist defies Death Threats und Blincoe, Declaim Academy. Während im deutschen Fernsehen der „Superstar“ des Teeny-Pops gesucht und zweifelhafte „Promis“ ins „Dschungel-Camp“ gesperrt und dort gefilmt werden, ist der Renner des Formats Reality TV in Abu Dhabi ein Poesiewettbewerb, bei dem die Zuschauer online und per SMS abstimmen. In Scha’ir al-maljun werden seit 2006 arabische Lyriktraditionen aufgriffen und erneuert, von Kandidaten, die noch nicht publiziert, sich jedoch während einer sechswöchige Tournee durch die Golfregion etappenweise qualifiziert haben. Die Kulisse erinnert an den Eurovision Song Contest („Grand Prix“), die Jury aber bilden Dichter und Literaturwissenschaftler. 17 Millionen Zuschauer meldete die britische Presse für das Event 2007 und nennt die mit 3 Millionen Euro honorierten Siegerinnen und Sieger augenzwinkernd „pop idol[s] Abu Dhabi-style [...] as glitzy as a Sloane Street handbag“. 2010 gewann eine Teilnehmerin aus Saudi-Arabien, die in einem dunklen Ganzkörperschleier auftrat, doch in ihrem Gedicht fatwas der Geistlichkeit kritisierte. 35 Amir, Sühnehahn, 57. 36 Ebd., 85f.
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Der Irak in Israel
ʥʰʮʩʲʮ – ʭʤʥ ʭʤʮ ʥʰʷʧʸʥʤ .ʤʸʮʥ ʤʹʷ ʤʣʩʸʴʤʥ [Ahbabuna ja ’ein ma hum ma’ana, Unsere Lieben sind nicht bei uns, Man hat sie uns genommen, Und die Trennung ist bitter und schwer. St.S.]
Der Sühnehahn ist eine Momentaufnahme: Der Roman spielt unmittelbar nach dem Eintreffen der Iraki in Israel. Die Kibbuzgesellschaft scheint nichts von der Lebensweise Nuris und seiner Freunde annehmen zu wollen, wohingegen die jungen Iraki schließlich Ansätze zur Anpassung zeigen – selbst wenn der Ausgang des Romans, Nuris Rückkehr zur Familie, einen Bruch mit der fremden neuen Umgebung markiert und Rückzug und Einigelung ins Altvertraute vermuten lässt. Die Realität der Gegenwart lehrt jedoch, dass im Laufe der Jahrzehnte ein zögerlicher Prozess der Transkulturation, der gegenseitigen Durchdringung und Veränderung stattgefunden hat, dessen Ausgangspunkt symbolisch wie faktisch in der Maabara liegt. Das betrifft auch und insbesondere den kulinarischen und musikalischen Bereich,37 deren Reiz im Sinnlichen liegt und nicht im Intellektuellen, weswegen De- und Neokulturation besonders schmerzlich, da „am eigenen Leib“ zu erfahren sind. So wird in Jasmin die Titelheldin zum dreißigjähri37 Roden, Jewish Food in the Middle East, 153. Die Verfasserin stellt eine schleichende „orientalization of the food“ in Israel fest und belegt dies mit Beispielen aus Schulen und dem privaten Bereich. Trotzdem, schreibt sie, würden orientalische Speisen noch immer als „ethnic“ gelten, und viele Misrachim und Sepharden verleugneten ihre heimischen Essgewohnheiten in der Öffentlichkeit. Auch ist gefilte fish als Sabbatessen der „typischen“ israelischen Familie aus Kinderbüchern und ABC-Fibeln offenbar noch nicht verschwunden, selbst wenn auch hier ein Wandel spürbar sei. Orientalische Tendenzen im musikalischen Sektor belegen die sich häufenden Veröffentlichungen von aufwändig produzierten, künstlerisch hochwertigen Interpretationen z.B. „klassischen“ arabischen Liedguts durch orientalische Sänger aus Israel und Kooperationen mit arabischen Orchestern aus Israel/Palästina; vgl. etwa Ben, Zehava Ben singt auf Arabisch(mit Stücken von Farid al-Atrasch, Muhamad Abd al-Wahab u.a.) und dies./al-Firka al-Arabija lil-Musika Haifa, Du bist mein Leben. Auch ist die orientalische Musik in den hebräischsprachigen israelischen Medien, speziell im Hörfunk, aus dem Getto der vormals einstündigen, in den Abend verbannten Sendung Al ha-dwasch we-al ha-kefak (übers.: „Süß wie Honig, so, wie du’s magst“, auf dem Armeesender Gale Zahal) ausgebrochen und hat sich seit den frühen 90er Jahren breiteren Raum erobern können. Eine jemenitische Sängerin wie Margalit Zanaani, die bis dahin vor allem auf Hochzeiten sang und deren Lieder auf Audiokassette im Souk verkauft wurden, tritt heute im Fernsehen auf – für orientalische Darbietungen einst „verbotenes“ Terrain –, und ihre Lieder erscheinen selbstverständlich auf CD; s. Zanaani, Begegnung und Golden Hits. Zwar mag orientalische Musik in Israel, in größerem Maße als orientalische Speisen, weiterhin als „ethnisch“ und „minoritär“ empfunden werden, doch zeigen die genannten Entwicklungen eine deutliche Statusverbesserung und den Fall alter Vorurteile und Grenzen an.
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Transkulturelle Identität im erneuerten hebräischen Roman
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gen Nuri sagen: „ʺʩʸʡʲʡ ʸʹ ʪʺʥʠ ʩʺʲʮʹ ʠʬ ʭʲʴ ʳʠ [Ich habe dich noch nie Hebräisch singen gehört]“, worauf Nuri antwortet: „ʺʩʸʡʲ ʡ ʸʩʹʬ ʨʲʮʮ ʩʰʠ ʩʫ [...] ʥʩʤʹʫ ʥʸʠʹʰ ʭʮʶʲʮ ʩʡ ʭʩʬʥʲʤ ʭʩʸʩʹʤ [... weil ich kaum Hebräisch singe. Die Lieder, die mir in den Sinn kommen, sind immer die von früher aus Bagdad.]“ Und in ihrer ersten Liebesnacht werden Nuri und Jasmin lustvoll von arabischen Speisen schwärmen.38
Zwischen-Intimitäten II: Liebe, Sprache und Nation Jasmin ist eine Geschichte des Scheiterns – des Scheiterns einer Liebe an den Verhältnissen. Jerusalem 1967: Der Sechs-Tage-Krieg endet mit der Besetzung des Westjordanlands durch israelische Truppen, und zum ersten Mal seit fast zwei Jahrzehnten öffnet sich der eiserne Vorhang, der den arabischen Teil Palästinas vom jüdischen trennte. Zum ersten Mal begegnen sich auch die beiden Bevölkerungsteile wieder und wagen vorsichtig den Schritt über die – scheinbar – gefallene Grenze, zumindest um die Orte zu sehen, an denen sie vor der Teilung gelebt, gebetet oder Familienkontakte gepflegt haben. Und so kommt es auch, dass an der Nahtstelle der beiden Landesteile, in Jerusalem, Jasmin und Nuri aufeinandertreffen: Die christliche Araberin aus dem Osten und der in Bagdad geborene Israeli aus dem Westen der Stadt lernen sich kennen und lieben – und müssen einsehen, dass die gesellschaftliche und vor allem politische Kluft zwischen ihren Völkern zu groß ist und ihre Liebe keine Zukunft hat. 1968, ein Jahr nach ihrer Rückkehr in das sich wandelnde Palästina, verlässt Jasmin Nuri und fliegt wieder nach Paris, um ihre Promotion an der Sorbonne fortzusetzen. Offenbar ist die Liebe im Zusammenhang des Nationalen die heikelste „Zwischen-Intimität“,39 der wir bei der Analyse transkultureller Tendenzen in der israelischen Gesellschaft und Literatur begegnen. Die Sekundärliteratur zur Geschichte des Staates Israel und des Nahostkonflikts zeigt, dass dieses Thema kaum erforscht worden ist. So fehlen empirische Daten und ihre Analyse, die Aufschluss geben könnten, wie Liebesbeziehungen zwischen Juden und Arabern vor dem Hintergrund eines hundertjährigen Konflikts innerhalb des Staates Israel und in den besetzten Gebieten aussehen, wie das gesellschaftliche Umfeld auf sie reagiert und welche Tendenzen mit Blick auf eine nähere oder fernere Zukunft erkennbar wären.40 Lediglich in 38
Amir, Jasmin, 374 bzw. 351. Bhabha, Die Verortung der Kultur, 20f. 40 Ethnische Grenzen überschreitende Liebesbeziehungen fallen durch das Raster aller national orientierten Geschichtsnarrative, die in Gesellschaft und Wissenschaft lange Zeit dominierten. Danach bedeutet Vermischung das Ausscheiden aus der eigenen Gruppe, der eigenen Kultur; und das Ergebnis (ob Familiengründung mit Nachkommenschaft 39
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Der Irak in Israel
den Sozialwissenschaften gibt es seit längerem Ansätze, Licht in die geheime Welt der transnationalen Liebe zu bringen. Bereits 1978 verglich Sammy Smooha die israelische Gesellschaft mit einem Kastensystem41, das sexuelle und familiäre42 Bindungen zwischen Mitgliedern verschiedener Gruppen tabuisiert und verhindert. Ziel sei es, auf diesem Wege das endogame Prinzip43 der jüdisch-israelischen Gesellschaft dauerhaft zu sichern und dazu beizutragen, die jüdische Mehrheit und den jüdischen Charakter des Staates zu bewahren:44 Because of the legal separation between the religious communities, Jews and Arabs (or Gentiles) may not marry, and marriage within the group is the rule. Intermarriage is tabooed and those who violate it [gemeint ist: dieses Tabu; St.S.] are either marginal to the society or become so later.
Schon angesichts der räumlichen Segregation der Bevölkerungsgruppen erweist sich das Knüpfen von gesellschaftlichen Beziehungen als äußerst schwierig:45 „The near-complete residential segregation causes a virtual absence of the neighbourly relations which are of special importance in oder die Ausprägung hybrider Kulturen) wird als steriler, absterbender Zweig gesehen. Auf derartige Abgrenzungen im literaturwissenschaftlichen Bereich geht im Folgenden Kapitel 5 ein und dort speziell Zeit des Rückzugs. Auf die transnationale Liebe als literarisches Motiv kommen wir in Umbruch in den 60ern im selben Kapitel zurück, mit Beispielen von Amos Oz, A.B. Jehoschua u.a. 41 Er spricht wörtlich von „quasi-castes“ und begründet diese Einschränkung des Kastenbegriffs damit, dass zwar das Gesetz Religion und Nationalität gleichsetze, doch sowohl nach dem Gesetz als auch nach der religiösen Tradition die Konversion zur jüdischen Religion/Nation zulässig sei. Moslemische wie christliche Araber könnten durchaus Juden werden, was ihren rechtlichen Status verändert (Smooha, Israel. Pluralism and Conflict, 75). Zu Aspekten des Ausschlusses der im Lande ansässigen Araber aus dem israelischen Kontext vgl. Jamal, „Othering“ in Zionist Thought. Der Artikel geht auf das othering gegenüber Arabern und Misrachim ein, doch auch auf das speziell der Misrachim gegenüber den Arabern. Letzteres ist ein Aspekt, der bei Amir nur am Rande vorkommt. Amirs Helden, ob Nuri in Jasmin und Der Sühnehahn oder Schaul in Schauls Liebe, verstehen sich als Bindeglied zwischen Arabien und dem okzidentalen Israel. Jamal erklärt das othering orientalischer Juden gegenüber Arabern in Israel mit einer Überidentifikation mit westlichen Werten und Vorurteilen. Um in einer westlich dominierten Gesellschaft dazuzugehören, distanzieren sie sich besonders deutlich von dem, was ihnen kulturell am nächsten steht und womit sie verwechselt werden könnten. Bunzl spricht in diesem Zusammenhang von einem eingebildeten „Geburtsmakel“, den viele orientalische Juden durch Anti-Arabismus zu tilgen versuchten (Bunzl, Juden im Orient, 126). 42 Vgl. Smooha, Israel. Pluralism and Conflict, 134: „Legislation concerning marriage, divorce and inheritance is officially assigned to the religious communities.“ 43 Ebd., 27. 44 Ebd., 75. 45 Ebd., 136.
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Arab society.“ Außerdem stellt sich das Verhältnis der arabischen Minderheit zur jüdischen Mehrheit Israels „in terms of an effective machinoy of control-exclusion, dependence and subordination“ dar.46 Entsprechend ist die Konversion einer Jüdin, die einen Moslem oder Christen heiratet, mit gesellschaftlichem Abstieg und Ächtung verbunden. Obwohl die Chancen für transkulturelle Liebesbeziehungen äußerst schlecht stehen, kommt es vereinzelt zur Heirat zwischen Juden und Arabern. Bezogen auf den Staat Israel ohne die 1967 besetzten Gebiete, geht man insgesamt von rund 400 Paaren aus, die zwischen 1948 und 1975 zusammenfanden.47 Da sich die gesellschaftlichen und rechtlichen Bedingungen seither kaum verändert, ja aufgrund der Intifada tendenziell verschlechtert haben, dürften in den letzten drei Jahrzehnten höchstens ebenso viele hinzugekommen sein.48 Den Versuch einer solchen Beziehung beschreibt Eli Amir in seinem letzten Roman. Die eben dargelegten Umstände ihrer Liebe sind den beiden Hauptfiguren, Jasmin und Nuri, jederzeit bewusst. Nur selten erleben sie Momente des unbeschwerten Umgangs miteinander, und selbst diese sind vor allem deshalb möglich, weil Jasmin, die bis 1948, dem Jahr der Vertreibung, in Talbija im Westen Jerusalems aufwuchs, perfekt Hebräisch spricht und sich nach ihrem mehrjährigen Aufenthalt in Paris wie eine Französin kleidet. Außerhalb Ostjerusalems hält sie niemand für eine Araberin.49 Warum sich Nuri und Jasmin trotz des gesellschaftlichen und politischen Drucks ineinander verliebt haben? Jenseits der Gefahr der Ächtung und des Ausschlusses aus dem gewohnten sozialen Kontext (Arbeit, Familie, Nachbarschaft)50 spüren sie, dass ihre Seelen einander verwandt sind. Beide sind Unbehauste, auf sozialer und emotionaler Ebene „marginals“, wie Smooha sagt, die am Rande ihrer Gesellschaft stehen: Jasmin, Christin in einem moslemischen Umfeld und zudem dreißigjährige Witwe, die allein im Ausland gelebt hat und in eine patriarchalisch geprägte Gesellschaft zurückkehrt, und Nuri, der unentschlossene Wanderer zwischen zwei Welten, 46
Ebd., 45. Manche Quellen sprechen sogar von mehreren Tausend. Smooha hält solch hohe Schätzungen jedoch für unwahrscheinlich, ohne Gründe für seine Position zu nennen (ebd., 136 bzw. 385). 48 Einen lebendigen Eindruck vom Tabu-Bereich intermarriages vermittelt mit Fallbeispielen (Betroffeneninterviews) Shipler, Arab and Jews. Danach kommen interkonfessionelle Ehen in Israel einer „sin of love“ gleich. 49 Amir, Jasmin, 344ff, über Kaffeehaus- und Kinobesuche im Westteil der Stadt sowie Kapitel 42 über eine Reise Nuris und Jasmins in den Kibbuz, in dem Nuri nach der Emigration aus dem Irak einige Zeit gelebt hat (vgl. Der Sühnehahn). Dort stellt Nuri seine Freundin als ausländische Forscherin vor, ihre arabische Herkunft verschweigend. Sie wollen die glückliche Reise, die sie gemeinsam aus dem schwierigen Alltag in Jerusalem herausführt, nicht durch peinliche Konfrontationen gefährden. 50 Amir, Jasmin, 311ff, 346 u. 352. 47
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zwischen der israelischen Gegenwart und der jüdisch-arabischen Vergangenheit Bagdads, Kenner des Orients und engagierter, doch scheiternder Mittler zwischen dem aschkenasischen Establishment und der Bevölkerung in den besetzten Gebieten. So heißt es über ihn im Roman:51 ʭʠʤ ʤʺʩʠ ʯʺʧʺʮ ʤʩʤʥ ʲʺʸʰ ʤʩʤ ʠʬ ʦʩʸʠʴʡ ʥʠ ʯʥʣʰʥʬʡ ʤʩʩʸʶʥʰʡ ʡʤʠʺʮ ʤʩʤ ʩʸʥʰ ʭʠ ?ʺʩʰʩʨʱʬʴ ʤʩʩʡʸʲ ʬʩʡʹʡ ʭʩʥʥʷʤ ʺʠ ʺʥʶʧʬ ʬʫʥʩ [Hätte sich Nuri in London oder Paris in eine Christin verliebt, würde er nicht zögern, sie zu heiraten. Doch könnte er die Grenze überschreiten und eine palästinensiche Araberin zur Frau nehmen? St.S.]
Und über Jasmins aussichtslose Position lesen wir wenige Seiten weiter:52 .ʤʺʥʠ ʭʩʬʡʷʮ ʥʩʤ ʠʬ ʭʩʣʥʤʩʤʥ ʤʺʥʠ ʭʩʠʩʷʮ ʥʩʤ ʭʩʡʸʲʤ [Das arabische Milieu würde sie ausspucken, und die Juden würden sie nicht aufnehmen. St.S.]
Jasmins Aufenthalt im „wiedervereinten“ Land Israel beginnt und endet mit einer Leibesvisitation: einer symbolischen und einer realen, der sich die „Fremde“, die als Araberin nicht hierher gehört53 und die als Störfaktor, ja als Gefahr und potenzielle Attentäterin/Mörderin54 angesehen wird, demütig zu unterziehen hat. Diese beiden Erlebnisse bilden den Ausgangs- und Endpunkt eines psychologischen und weltanschaulichen Wandlungsprozesses, der Jasmin schließlich ins Pariser Exil zurückführt. Bei der Einreise von Amman, wo ihr Flugzeug auf dem Hinflug gelandet ist, betastet der Soldat, der ihr Gepäck kontrolliert, lüstern ihre seidene Unterwäsche.55 Zu diesem Zeitpunkt reagiert sie noch stolz und selbstbewusst, und das Verhalten des Soldaten bestärkt sie in ihren israelfeindlichen Ansichten. Am Ende einer gemeinsamem Reise durch Israel und die besetzten Gebiete, während der Nuri und Jasmin zum ersten Mal wie ein Paar gelebt haben, geraten sie bei Jericho an eine Straßensperre. Trotz der Einwände Nuris, der seine Freundin schützen will und auf seine Position als Regierungsbeamter ver51
Ebd., 312. Ebd., 314. 53 Vgl. die Äußerungen von Nuris Vorgesetzten darüber, wie sich das Araberproblem zumindest partiell lösen ließe, nämlich durch Ausweisung, die Verweigerung der Wiedereinreise nach Verwandtenbesuchen in Jordanien oder die Verschleppung der rechtlich möglichen Familienzusammenführung (ebd., 250ff, 309f u.ö.). 54 Ebd., 320. 55 Ebd., 134. 52
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weist, wird Jasmin von ihm getrennt und in ein Zelt geführt. Erst nach Minuten quälenden Wartens sieht Nuri sie desillusioniert und niedergeschlagen zurückkommen.56 Jasmins Wille, sich zu widersetzen oder einen lebbaren Kompromiss zu finden (zwei Positionen, die sie im Laufe der Romanhandlung einnimmt), ist gebrochen. ʧʥʸʶʬ ʤʶʥʸ ʷʺʥʹʮ ʩʰʠ ʤʰʤʥ ʤʰʲʮʬ ʬʥʫʤ ʺʥʹʲʬ ʩʮʶʲʬ ʩʺʧʨʡʤ ʷʧʸʺʤʬ ʩʬ ʤʦʮʸ ʯʩʮʱʩ ʤʺʩʩʤ ʤʫʥʸʠ ʤʲʹʬʤʥʠʡ ʩʰʴʥʢ ʹʥʴʩʧʬʥ ʤʸʩʷʧʬ ʺʧʷʬʰʤ ʩʺʡʥʤʠ ʤʠʸʮʬ ʭʩʰʥʠ–ʯʩʠ ʣʮʥʲʥ .ʤʮʣʠʡ ʹʥʡʫ ʤʹʠʸ ʨʠʬ ʤʫʬʤ ʤʸʸʧʥʹʹʫʥ ʭʹ ʩʰʠ“ .ʥʧʩʸʩ ʦʫʸʮʡʹ ʤʰʨʷʤ ʸʫʩʫʬ ʪʥʮʱ ʩʺʸʶʲ ʸʮʥʬ ʤʮ ʩʺʲʣʩ ʠʬʥ ʺʩʰʥʫʮʬ ʥʰʱʰʫʰ ³ʩʺʡʥʤʠ ʤʴʷ ʪʩʸʶ ³ʤʺʩʡʤ ʩʺʥʠ ʧʷʠʰʠ“ ³ʤʸʷʹ ʤʮ ʬʲ ʸʲʨʶʮ ʩʰʠ“ ³"ʺʥʹʲʬ ʺʬʥʫʩ ʤʮ“ [Jasmin machte mir ein Zeichen, ich solle zurückbleiben. Ich hatte mir geschworen, alles für sie zu tun, aber jetzt stand ich wie gelähmt. Ich wollte schreien, doch ich sah ohnmächtig zu, wie meine Geliebte zum Verhör und zur Leibeskontrolle abgeführt wurde. Sie blieb lange in dem Zelt, und als man sie freiließ, ging sie langsam und mit gebeugtem Kopf. Wir stiegen ins Auto. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Auf dem kleinen Platz im Zentrum von Jericho hielt ich an. „Jetzt brauche ich einen Kaffee, Liebes“, sagte ich. „Bring mich nach Haus“, antwortete sie. „Es tut mir leid, was geschehen ist.“ „Du hättest nichts tun können.“ St.S.]
Mit diesen Szenen vom erniedrigenden Eindringen in die körperliche Intimität unterstreicht Amir, dass die sich dem Dialog und der Veränderung widersetzende Gesellschaft über die Macht verfügt, durch den nahezu totalen Zugriff auf jedes ihrer Subjekte den Respekt vor ihren Regeln, ihrer Ordnung einzufordern. Als Jasmin das begreift, sieht sie für ihre schwierige Liebe zu Nuri keine Zukunft mehr und verlässt ihn und die Heimat, die ihr fremd geworden ist. In Anbetracht der Leibesvisitationen wird verständlich, weshalb der Autor in Jasmin, etwa im Gegensatz zu Schauls Liebe,57 positive Intimität nicht im Bereich der sexuellen Inbesitznahme ansiedelt, sondern in Augenblicken der Verliebtheit, in denen Nuri und Jasmin vom arabischen Essen, arabischer Musik und der arabischen Sprache schwärmen.58 Diese drei Kompo56
Ebd., 396f. In diesem Roman unterhält Amir seine Leser lustvoll mit seitenlangen Beschreibungen der erotischen Erfahrungen seines Helden (ders., Schauls Liebe, 70ff u. 89ff). 58 Ders., Jasmin, Kap. 37. 57
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nenten ihres Alltags werden zu Metaphern ihrer Liebe – und gewinnen dadurch für den Transkulturationsprozess zusätzlich an Gewicht. Dies sind auch die Momente, in denen Jasmin Nuri zum ersten Mal zeigt, dass sie ihn nicht nur als ʸʧʠ ʩʬʠʸʹʩ, als „anderen“, besseren Israeli anerkennt, sondern als ˎʸʲ–ʯˎʠ , „Sohn Arabiens“, selbst wenn sie ihn erst in ihrem Abschiedsbrief ausdrücklich so nennt.59 Der gebürtige Baghdadi Nuri, Eli Amirs alter ego, hat Arabisch als Muttersprache und erst als Heranwachsender in Israel Hebräisch gelernt, die Sprache, in der er seine weitere Ausbildung erhielt. Jasmin, deren Muttersprache ebenfalls das Arabische ist, hat bis zum Ende ihrer Kindheit in Westjerusalem in der Nachbarschaft von Juden gelebt. Ihre beste Freundin war Jüdin, und sie selbst lernte, Hebräisch zu sprechen wie eine Sabre. Nach der Vertreibung ihrer Familie in den Ostteil der Stadt ist sie von allem Hebräischen abgeschnitten; nur der Rundfunk böte die Möglichkeit, den Kontakt zu Sprache und Kultur des jüdischen Staates aufrecht zu erhalten. Doch Jasmin ignoriert dessen Sprache bewusst, denn aus dem Idiom ihrer Nachbarn und Freunde ist das der Vertreiber geworden. Erst bei ihrer Rückkehr aus Paris, kurz nach der Besetzung Ostjerusalems durch Israel, ist Jasmin zwangsläufig wieder mit dem Hebräischen konfrontiert – diesmal als Sprache der Besatzer und künftigen Unterdrücker. Ihre Weigerung, mit Nuri Hebräisch zu sprechen, muss vor diesem Hintergrund gesehen werden. Doch selbst das Arabische kommt für sie lange Zeit als Medium nicht in Frage. Stattdessen zieht sie sich auf neutrales Terrain zurück, das sie Nuri zu betreten zwingt: Solange sie sich seiner Aufrichtigkeit bezüglich seiner politischen und amoureusen Absichten nicht sicher ist, spricht sie Englisch mit ihm, und je stärker seine Liebe zu ihr wird, umso heftiger sehnt Nuri sich danach, sich mit ihr in der gemeinsamen Muttersprache auszutauschen. Indem die Liebenden schließlich ihre gemeinsame Sprache entdecken, fallen die von der Gesellschaft definierten Barrieren, die Jasmin aus Misstrauen und Verbitterung über ihr Schicksal so lange aufrecht erhalten hat. Erst jetzt, fast am Ende ihres Jahres im Nahen Osten und kurz vor der schmerzlichen Niederlage im Armeezelt bei Jericho, treten Entspannung und die Unbeschwertheit von Liebenden ein. So kann der Autor auf Seite 355 des 411 Seiten umfassenden Romans endlich notieren: „ʭʸʥ ʦ ʬʥʫʤʹ ʡʥʨ ʬ ʡʥʨʥ [Es ist gut, dass alles fließt, und gut, selbst zu fließen.]“ Zwei ʭʥʸʦ Ströme, die aus dem gleichen Wasser gespeist werden, fließen zusammen. Nuri erklärt: „ʭʧʤ ʺʩʡʤ ,ʩʬʹ ʭʠʤ ʺʴʹ ,ʺʩʣʥʤʩ–ʺʩʡʸʲʡ ʭʬʥʧʹ ʺʩʸʡʲ ʸʡʥʣ ʩʬʠʸʹʩ ʩʰʠ ʩʬʹ [Ich bin ein Hebräisch sprechender Israeli, der auf Judaeo-Arabisch träumt, in meiner Muttersprache, meinem warmen Haus]“60, und Jasmin, die 59 60
Ebd., 410. Ebd., 353.
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in Zerrissenheit lebende christliche Araberin, nimmt ihn ins Haus ihrer Muttersprache auf, um eins mit ihm zu werden.61 Transkulturation durch die Wiederzulassung gemeinsamer Ursprünge – die Gesellschaft mag sie ablehnen, doch im Bereich der Zwischen-Intimität findet sie statt und entfaltet ihre Wirkung, selbst wenn sich Nuri und Jasmin dem Druck der Umgebung letztendlich beugen und getrennte Wege gehen. Nach dem Ende ihrer Romanze ist nur scheinbar alles wieder so, wie es einmal war. Die Liebe und das Eintreten ins Haus der gemeinsamen Sprache haben das Verhältnis beider Figuren zur Nation, die dem Paar das schützende Dach verweigert, von Grund auf verändert. In Kapitel 4 haben wir anhand konkreter Beispiele aus den Texten Eli Amirs erörtert, wie sich transkulturelle Tendenzen im Romanwerk orientalischer Autoren niederschlagen. Im folgenden Kapitel soll der Frage nachgegangen werden, ob derartige Tendenzen die israelische Literatur in ihrer Gesamtheit erfasst haben oder ob sich deren Perspektiven, Motivik und Stilistik zumindest im Ansatz oder in Segmenten neu formieren. Inwieweit vollzieht die literarische Szene Israels den gesellschaftlichen Wandel des Landes nach, den die große räumliche, aber, wie deutlich wurde, oft auch soziale und geistige Nähe von Orientalen und Europäern begünstigt? Und: Gibt es Anzeichen dafür, dass hebräischsprachige Literaten, die eventuell gar nicht orientalischen Ursprungs sind, diesen Wandel inspiriert haben und maßgeblich vorantreiben? Nachdem bereits im dritten Kapitel analysiert wurde, in welchen politischen, sozialen und kulturellen Zusammenhängen die orientalischen Schriftsteller ihr Werk begannen, soll sich unsere Aufmerksamkeit jetzt erneut auf ihren literarisch-historischen Kontext richten. 61 Wie die meisten Nationalstaaten, die sich als einsprachig verstehen (was nicht voraussetzt, dass sie es de facto auch sind; vgl. als markantestes Beispiel Frankreich, dessen Geschichte vom 12. bis ins 21. Jahrhundert von der Sprachenfrage, dem Ausbau des françois zur Nationalsprache und der Zurückdrängung aller anderen im hexagone gesprochenen Sprachen durchzogen ist), führt auch der – offiziell zweisprachige – Staat Israel keine Statistiken über die Muttersprachen seiner Bürger. Während in Frankreich oder auch Deutschland davon ausgegangen wird, dass jeder Staatsbürger die Nationalsprache spricht und Bildung, Rechtswesen, Verwaltung und Politik ausschließlich in dieser Sprache organisiert sind, differenziert das sich als jüdischer Nationalstaat verstehende Israel nach der religiösen Zugehörigkeit. Die Angehörigen der in israelischen Pässen ausgewiesenen „Nationen“ der Moslems und Christen gelten automatisch als arabischsprachig, die als „Jude“ Ausgewiesenen werden dem Hebräischen zugerechnet. Dementsprechend unterliegen die Moslems und Christen dem – wie jüngst die PisaStudie gezeigt hat – vernachlässigten arabischsprachigen Bildungssystem des Staates und Juden dem laut Pisa besseren hebräischsprachigen. Die Verschmelzung der Minderheit mit der Mehrheit ist, im Gegensatz zu den meisten anderen Nationalstaaten, nicht intendiert – eine Tatsache, die uns Smoohas Kastensystem in Erinnerung ruft und die Frage aufwirft, inwieweit Israel tatsächlich eine Gesellschaft im westlichen demokratischen Sinne darstellt, als die es sich international präsentiert („die einzige Demokratie im Nahen Osten“).
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Der Irak in Israel
Anschließend werden wir zur Analyse der Texte der Iraki zurückkehren. Ihr Stil und ihre Formensprache werden untersucht werden sowie mögliche Perspektiven, die sich für die israelische Literatur daraus ergeben. Denn als sie schließlich nach einem Vierteljahrhundert vom Rande der israelischen Gesellschaft in deren Mittelpunkt vorrücken, reflektieren ihre Bücher in einer eigenen, neuen Poetik sowohl die Vergangenheit der jüdischen Iraki als auch die Gegenwart der irakischen Israeli. Der mit ihrer Ankunft 1951 begonnene Transkulturationsprozess erreicht einen ersten Höhepunkt.
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5. Orient und Okzident: Der schwierige Weg zueinander
In diesem Kapitel werden wir sehen, dass sich in der hebräisch-israelischen Literatur nach einer Zeit der Zweifels und der Erstarrung ab den 60er Jahren orientalische Momente einstellen, dass sie zunächst von jungen „europäischen“ Autoren wie Amos Oz inszeniert werden und erst danach zum eigenständigen Phänomen, einer neuen, von den Orientalen selbst getragenen Richtung heranreifen. Doch bleibt trotz dieser Öffnung für orientalische Farben und Töne abzuwarten, inwieweit diese sich dauerhaft durchsetzen werden und die Werke Amirs und Michaels sich vom Stempel des „Ethnischen“ und „Minoritären“ befreien können, um den traditionellen Kulturkanon Israels1 zu sprengen und kulturelles Allgemeingut zu werden. Der Transkulturationsprozess der israelischen und palästinensischen Gesellschaft ist in vollem Gange, seine Ergebnisse sind noch nicht absehbar. Allerdings lässt sich feststellen, dass die Formensprache der orientalischstämmigen, Hebräisch schreibenden Autoren Israels eher westlich ist, was einem Trend auch in ihren Herkunftsländern und anderen Ländern der „zweiten“ und „dritten“ Welt entspricht: Aus den marginalisierten Bereichen der Weltkultur aufsteigende Künstler greifen auf Mittel der zur „Weltsprache“ stilisierten westlichen Kunst zurück, um durch raffinierte Schattierungen und Marken einen neuen Stil zu kreieren. Auf diesem Wege wird erreicht, dass das „Marginale“, statt sich gänzlich zu akkulturieren, auch in den Zentren verstanden wird und dort einen Platz findet, von dem aus es in Interaktion mit den anderen dort präsenten Formen zu immer neuen transkulturellen Blüten führt. Hilfestellung bei der Beleuchtung des literarhistorischen Kontexts Amirs und Michaels2 leistet Gershon Shaked, der Autoren und Strömungen der modernhebräischen Literatur eines Jahrhunderts in einem umfangreichen Überblickswerk zusammengefasst und analysiert hat.3 Mit ihm wollen wir 1 Zur Kanonisierung ausgewählter Kulturgüter im Sinne einer Nationenbildung s. Hever, Producing the Modern Hebrew Canon. 2 Gemeint ist der jüdisch-hebräische. Auf den arabisch-irakischen einzugehen, der auf irakischstämmige Autoren in Israel in der Generation Amirs und Michaels ebenfalls einwirkte und ein gesondertes Forschungsfeld darstellt, können wir in einer Forschungsarbeit mit vorwiegend judaistisch-hebraistischem Ansatz nur am Rande eingehen, etwa bei der Erörterung stilistischer Fragen; s. Kap. 5 (Orientalische Formen, orientalische Perspektiven?). Einen ersten Überblick über den arabisch-irakischen Aspekt gibt Berg, Exile from Exile, insbesondere im Kapitel Jewish Writers of Modern Iraqi Fiction, 29–39. 3 Shaked, Geschichte der modernen hebräischen Literatur, insbesondere das Kapitel Eine Literatur „trotz allem“, 9–23.
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uns, auf unsere zentralen Fragestellungen bezogen, auseinandersetzen, wenn wir im Folgenden zwei Phasen der israelisch-hebräischen Literaturgeschichte definieren: die des Rückzugs und die der Öffnung.
Zeit des Rückzugs Viele Wege, die die hebräische Literatur seit ihrem Neuanfang im 18./19. Jahrhundert gegangen ist, lassen sich mit Shaked als Führer bequem und scheinbar umfassend zurückverfolgen. So berichtet er bezüglich ihrer Genese zunächst von der Wiederbelebung der hebräischen Sprache unter dem Einfluss der deutsch-jüdischen Haskala, von zionistischer Chibat Zion4 und sozialistischem Bund sowie von hebräischen (und jiddischen) Autoren, die diesen Bewegungen nahe standen.5 Bald jedoch mischen sich – für unser Anliegen interessante – Zwischentöne in seine Darstellung, die einen Hinweis geben, mit welcher geschichtswissenschaftlichen Tradition der Verfasser affiliert ist. Wir lesen bei ihm von „der verstärkten Auswanderung der Literatur und ihrer Autoren seit dem Ersten Weltkrieg nach Erez Israel“6 und dem allmählichen Übergang vieler Schriftsteller vom Jiddischen zum Hebräischen als Ausdrucksmittel, es scheinen die ersten großen Namen des israelischen Literaturkanons auf, Bialik, Agnon, Tschernichowski, und die hebräische Literatur entwickelt sich „stürmisch und überstürzt“, so der Verfasser, „innerhalb von dreißig Jahren von einer wandernden Literatur zu einer Literatur mit festem Zentrum“.7 An dieser Stelle gilt es, einen Augenblick innezuhalten, denn die Tatsache, dass einerseits die moderne hebräische Literatur nicht primär „wanderte“, sondern durchaus über Zentren verfügte, zum Beispiel das aufgeklärte Berlin Moses Mendelssohns oder das proletarische London Josef Chaim Brenners, und dass andererseits, wie Shaked selbst bemerkt, eine Reihe von Autoren, die nach Palästina kamen, zunächst auf Jiddisch schrieben (also keine dezidiert hebräischen Schriftsteller waren), stellt eine Unschärfe in seinem Bericht dar, die im Fortlauf des Textes deutlicher zutage tritt. Das neue Zentrum, fährt Shaked fort, habe zwar „andere Einschränkungen“ mit sich gebracht (vermutlich meint er die schwierige politische und ökonomische Lage in Palästina, die nicht die besten Voraussetzungen für
4 Wörtlich: „Zionsliebe“; Vorläufer der zionistischen Bewegung, jedoch nicht politisch, sondern kulturell ausgerichtet. 5 Ebd., 9f. 6 Ebd., 13. 7 Ebd., 15.
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einen florierenden Literaturbetrieb bot8), doch ein entscheidendes Problem sei gelöst worden: „das Fehlen einer Leserschaft und natürlicher lokaler Grenzen, welches die hebräische Literatur seit ihren Anfängen begleitet hatte.“9 An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, ob es vorstellbar ist, dass Shakeds „wandernde“ hebräische Literatur vor ihrer Ankunft in Palästina tatsächlich keine Leser hatte. Muss man im Falle der Literatur wie anderer Künste nicht vielmehr generell von einer zumindest indirekten Interaktion zwischen Autoren und Publikum ausgehen, ohne die der künstlerische Impetus rasch erlahmen würde? Und müsste man folglich nicht annehmen, dass (nicht nur in der Neuzeit) dort, wo Aussicht auf ein Publikum bestand, d.h. wo Juden wohnten, die gebildet genug und des Hebräischen mächtig waren, auch hebräische Literatur geschrieben wurde? Russland, Deutschland, England und später vor allem die Vereinigten Staaten sind Orte, an denen ein reges jüdisches Verlagsleben bestand, in dem es teils auch „hebräische Zeitschriften und eine Reihe hebräischer Schriftsteller“10 gab, wie Shaked trotz seiner vorherigen Klage über das Fehlen einer Leserschaft einräumt. Doch vielleicht will er mit seiner Kontrastierung vom einen „festen Zentrum“ und der unglücklich „wandernden Literatur“ auf den ephemären Bestand mancher Diaspora-Konstellationen hinweisen, die, so könnte man sagen, glänzenden Seifenblasen ähnelten, die von hier nach dort schwebten und jederzeit zu zerplatzten drohten. Tatsächlich scheinen jüdische Autoren und Verleger angesichts der nach den Pogromen im Zarenreich am Ende des 19. Jahrhunderts einsetzenden Migrationswellen mit ihrer Leserschaft mitgewandert zu sein. Man denke nur an Brenner, der sich, ehe er nach Palästina ging, vorübergehend dem ostjüdischen Proletariat Londons anschloss, oder an Bialik, der über Odessa und Deutschland nach Tel Aviv gelangte, ähnlich wie Buber, der ebenfalls über Deutschland nach Palästina zog.11 Nur angesichts der Furcht vor den Gefahren für Leib und Seele, die mit derlei erzwungenen Verschiebungen einhergingen, lässt sich die Sehnsucht nach „natürlichen lokalen Grenzen“ nachvollziehen, von der Shaked wie selbstverständlich ausgeht. Welche Grenzen er meint, ist klar: Palästina, die alte jüdische Heimat, und dort
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Selbst heute, nach der schwierigen Konsolidierung des israelischen Staates, können in Anbetracht des kleinen inländischen Marktes nur wenige Autoren vom Buchverkauf vor Ort leben. Lange Zeit galt Amos Oz als der einzige, der genug verkaufte, um dazu in der Lage zu sein. Mittlerweile dürften jedoch die zahlreichen Auslandslizenzen auch anderen Autoren ein erfreuliches Zubrot bescheren. 9 Ebd. 10 Ebd. 11 Andere wählten andere Wege, wie Isaac Bashevis Singer, der über Warschau in die USA ging (Ankunft 1935) und nicht wie die meisten derer, die in Palästina eine neue Heimat fanden, Hebräisch, sondern neben Jiddisch auch Englisch zu schreiben begann.
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insbesondere den Jischuw, der nicht nur die nötige Leserschaft stellen, sondern auch Schutz geben soll.12 Shakeds Sicht der Ereignisse lässt sich zusammenfassend so ausdrücken: Die hebräische Literatur hat Alija gemacht; sie kehrte zu ihrer Wiege und damit zu ihrem – im ursprünglichen Wortsinne „natürlichen“ – Zentrum zurück, dorthin, wo sie geboren wurde und, endlich sesshaft geworden, nicht nur zu neuer, sondern vor allem auch dauerhafter Blüte erwacht ist. Allerdings ist das Primat der Sicherheit kein literarisches, wie wir es von einem Literaturhistoriker erwarten würden, sondern ein politisches. Bei aller Berechtigung dieses Anspruchs, der der Bewahrung hunderttausender Menschenleben dienen will, erhebt sich aus literaturwissenschaftlicher Sicht Zweifel. Ist eine wandernde, eventuell sogar bedrohte Literatur per definitionem weniger produktiv und von geringerer Qualität als eine auf Dauer räumlich verankerte? Gerade das 20. Jahrhundert veranschaulicht in großer Fülle, dass politische und soziale Sicherheit nicht zwingend Voraussetzung für literarischen Glanz sind; eher das Gegenteil scheint zuzutreffen: In Zeiten des Exils und der Bedrückung schwang sich die Weltliteratur der Moderne immer wieder zu Höhepunkten empor.13 Es muss also gefragt werden (und damit nähern wir uns wieder dem Kern unseres Themas, den Iraki), woher die Vorstellung rührt, dass Einschließen und Umfrieden die Literatur gedeihen lasse. Bedeutet ihre vermeintliche Heimkehr in ein als kulturell leer wahrgenommenes, abgeschot12 Bei vielen Immigranten lässt sich feststellen, dass sie auch nach Jahrzehnten die am neuen Aufenthaltsort erworbene Sprache fast nur in praktischen Zusammenhängen, vor allem im Beruf und in der Öffentlichkeit, benutzen; die Beschäftigung mit gehobener Literatur fällt im Allgemeinen nicht in diese Bereiche. Zwar liegen keine Auskünfte über die tatsächlichen Leserzahlen hebräischer Literatur in Palästina vor der Gründung des Staates Israel vor, doch scheint die Annahme plausibel, dass zahlreiche vom Zionismus überzeugte Autoren, die an das Hebräische als Sprache des „neuen Hebräers“ glaubten, dem tatsächlichen Lesebedarf „vorausschrieben“. Viele Autoren wanderten nach Palästina ein, noch ehe dort größere Bevölkerungskreise genügend Hebräisch konnten, um gehobene Literatur zu lesen (das bestätigt Stemberger, Geschichte der jüdischen Literatur, 205), und ehe die Frage der künftigen Landessprache, etwa der „Sprachenkrieg“ im Bildungswesen zwischen Deutsch und Hebräisch, entschieden war. Zu diesen Autoren zählen Samuel Josef Agnon (Ankunft 1907), Josef Chaim Brenner (1909), Avraham Schlonski (1921) und Nachman Bialik (1924). Um 1919 lebten 65.000 Juden im Land, und selbst 1930, am Ende der vierten Einwanderungswelle, waren es erst 165.000. Wegen ihrer Vielsprachigkeit bildete diese Gemeinschaft ein denkbar begrenztes Publikum für hebräische Bücher. 13 Aus der Feder der Familie Mann, Salman Rushdies, Tahar Ben Jellouns, Assia Djebars u.v.a.m. Insbesondere die migrierenden, in stark hybriden Kulturen erzogenen Autoren aus den Entwicklungsländern lassen sich keiner Nationalliteratur mehr zuordnen und sind herausragende Vertreter von Transkulturalität. In diesem Zusammenhang verdient auch Isaac Bashevis Singer Erwähnung, der trotz des Verfalls osteuropäischjüdischer Kultur – oder besser gesagt: wegen ihrer Transformation – zu einem der bedeutendsten jiddischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts aufstieg.
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tetes Land nicht zugleich eine Provinzialisierung, die sie der meisten Kontakte und Inspirationsquellen beraubt? Shaked erklärt ja selbst, dass sich, einhergehend mit der Verlagerung nach Palästina und der Entfernung vom europäischen Einfluss, sogar die Bindung an die traditionelle jüdische Kultur und die jiddische Literatur lockerte.14 Darüber hinaus ist nicht zu übersehen, dass vor dem Nationalsozialismus überhaupt nur ein kleiner Ausschnitt des Spektrums jüdischer Kultur nach Palästina tendierte: Ein Bruchteil der Diaspora zog sich in das den Vätern verheißene Land zurück, erklärte es zum kulturellen und politischen Herzen des Judentums und betrachtete fortan den großen „Rest“ der jüdischen Welt als Satelliten, als seine Diaspora. Andere jüdische Kulturen, jene, die nicht zionistisch und nicht mittel- oder osteuropäischer Herkunft waren, kamen (und kommen zum Teil noch heute) in dieser Wahrnehmung nur als Randerscheinung, als
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Shaked, Geschichte der modernen hebräischen Literatur, 15. Die Ausgliederung der hebräisch-israelischen Literatur aus einem größeren jüdischen Kontext interpretiert Yosef Oren, anders als Shaked, als Folge einer Zäsur in der jüdischen Sozialgeschichte. Die Umkehrung der sozialen Pyramide im Jischuw (Handarbeit geht jetzt vor [Thora]studium) habe die hebräische Literatur revolutioniert und ihre wichtigste Transformation seit dem Übergang vom Mittelalter zur Aufklärung bewirkt. Die ganze jüdische Geschichte hindurch habe sie sich mit dem geistigen und gesellschaftlichen Zustand des Judentums auseinandergesetzt, doch seit der Gründung des Staates Israel sei ihre Antriebsfeder nicht mehr die Erneuerung und Anpassung des Judentums und seiner messianischen Erwartung an die jeweiligen soziopolitischen Gegebenheiten. Vielmehr bilde ihren Lebensinhalt nun, nach der Erfüllung aller Ansprüche, die sie in den Phasen des „enlightment“, der „renaissance“ und der „immigrations“ gestellt habe, die kritische Diskussion des Zionismus bis hin zu seiner Überwindung. „Subsequent to the establishment of the State, which signaled the victory in all three of the demands addressed to Judaism, the polemic dialogue with Judaism ended and a dialogue with Zionism began [... This dialogue started] with criticism, in other words, by raising doubts about the morality of the vision because of the manner in which it was realized (in war, conquest and dispossession of Arabs from their land), and developed into skepticism regarding the feasibility of the comprehensive vision’s realization, in other words, recommendations to abandon Zionism“ (Oren, An Unconventional Attitude, 11). Man erkennt hier, auf das literarische Feld übertragen, die Postzionismus-Diskussion, in der seit den 80er Jahren die überkommene zionistisch beeinflusste Geschichtsschreibung vehement in Frage gestellt wird; einen Überblick darüber gibt die Anthologie von Schäfer, Historikerstreit in Israel. Auch Oren geht es letztlich um eine Nationalkultur, aber nicht um eine jüdische, sondern eine israelische. Diese jedoch definiert er nicht als transethnisch – das legt seine Äußerung zu den nicht jüdischen Autoren nahe, die israelische Bürger sind und auf Hebräisch Literatur schreiben: „Their writing is part of the literature of the nation to which each of them belongs“ (Oren, An Unconventional Attitude, 15). Demnach unterscheidet Oren eine Mehrheits- und eine Minderheitskultur in Israel, die zunächst einmal nebeneinander und jede für sich und ihre spezifischen „values“ steht. Damit deutet er an, dass eine Annäherung zwischen israelischen Juden und israelischen Arabern über diese Werte stattfinden müsste, wobei die israélitude, die er verficht, nicht zuschaden kommen möge. In kritischer Spannung dazu steht Raz-Krakotzkin; s.o. Kap. 2.
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zu vernachlässigende, da selbstverständlich in Auflösung begriffene15 Größe vor. Mit dieser Einschätzung steht der Literaturgeschichtler Shaked16 in jener von Amos Funkenstein beklagten Tradition jüdischer Historiografie, die das Diasporadasein als Verwässerung, Zerfall und Endpunkt einer Kultur ansieht.17 15 Raz-Krakotzkins Gedankengang folgend, kann man hier eine direkte Verbindung nicht nur zum Zionismus, sondern bis zurück in die religiöse Tradition erkennen: etwa zu den Fluchandrohungen in Dt 28, die Gebrechlichkeit und Siechtum (Vers 22, 27, 35 u.a.) in einen Zusammenhang mit Zerstreuung (Vers 64) stellen, wohingegen Überfluss und Wohlergehen allein im Land der Väter warteten (Dt 28,1ff). 16 Und nicht nur er. Auch außerhalb Israels erschienene Anthologien zeitgenössischer hebräischer Literatur tendieren, zumindest in den ersten Jahrzehnten des Bestehens des Staates Israel, in diese Richtung; vgl. Blocker, Israeli Stories. Im Vorwort formuliert Blocker das tiefere Anliegen seiner Publikation: „Hopefully, above and beyond their primary literary intentions, these stories will serve to correct some current misconceptions and debased notions about Zionism and the State“ (ebd., 8). Die Literatur wird hier in den Dienst der Ideologie und der politischen Apologetik gestellt – eine Neigung, die mit den Jahrzehnten nachlässt, wie spätere Erzählbände zeigen, etwa von Kaufmann, Ich ging durch Meer und Steine und Reimann, Israel. 17 Funkenstein, The Dialectics of Assimilation, 4ff; vgl. außerdem ders., Perceptions of Jewish History, insbes. 32ff, über das Spannungsfeld zwischen „Geschichte“ und historiografischen „Narrativen“ von der Bibel bis zum Zionismus. Bei Shaked steht Israel für das Jüdische an sich, speziell für „die“ jüdische Literatur, die vorzugsweise hebräisch ist, während die Diaspora (die wandernden Autoren) höchstens eine vorbereitende Stufe auf dem Weg ins literarische Mutterland sein kann. Hebräische Literatur findet nach Shakeds Logik spätestens vom Zeitpunkt der Staatsgründung nur noch in Israel und israelische Literatur seit der dritten Alija nur noch auf Hebräisch statt. Zum „Untergang“ anderer jüdischer Kulturen vgl. Shaked, Geschichte der modernen hebräischen Literatur, 100: „Isoliert betrachtet, mögen diese Zahlen über die demografischen Veränderungen [d.h. das zunächst nur langsame Anwachsen der Zahl jüdischer Einwohner in Palästina; St.S.] nicht sehr bedeutungsvoll erscheinen, doch während in Erez Israel das neue geistige Zentrum entstand, begann die wirtschaftliche, demografische und dann auch kulturelle Auflösung des osteuropäischen Judentums.“ Transformationen, die nicht nach Israel führten, sondern etwa in die USA, wo seither eine neue jüdische Kultur entstand, liegen außerhalb von Shakeds Weltbild. (Gegenbeispiele zu seiner Position – also für die mögliche Vitalität der Diasporakultur – sind die Namen großer jüdischer US-Schriftsteller wie Saul Bellow oder Philip Roth; den kulturellen Aufschwung in der Diaspora belegt auch die zeitweise steigende Zahl jüdischer US-Schüler, die jüdische Schulen besuchen.) Übrigens findet sich der europäisch-zionistisch fokussierende Blick nicht selten auch bei nicht jüdischen Historikern, so bei Maier, Das Judentum, 973ff. In seinen Zeittafeln stellt Maier Blütezeiten in der frühen arabischen und frühen ottomanischen Periode fest, trägt jedoch nach Schabtai Zwi (1665/66) nur noch „Niedergang des sephardischen Judentums im Orient“ ein. Damit entgleitet der Orient dem Blick des Lesers für beinahe dreihundert Jahre. Im selben Fahrwasser wird hin und wieder bezüglich der hebräischen Sprache argumentiert, etwa wenn Benjamin Harshav zu belegen versucht, dass das Hebräische eine europäische und keine semitische Sprache mehr sei (Language in the Time of Revolution, Kap. 3; danach müssten wir uns allerdings fragen, inwieweit etwa das Deutsche nach mehrfacher, d.h. römisch-antiker, römisch-katholischer, höfisch-französischer, französisch-aufklärerischer etc. Transkulturation noch eine germanische Sprache ist – eine Überlegung, die für Germanisten gemeinhin keine Rolle spielt. Und weisen andere
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Im Hinblick konkret auf das Orientalische in der hebräischsprachigen israelischen Literatur stellt die selektive, hierarchisierende Sicht des israelischen „Literaturpapstes“ ein aufschlussreiches Indiz dar, gerade weil sie nicht singulär ist, sondern exemplarisch für eine ganze Richtung der Geschichtsschreibung steht, die letztlich – ähnlich wie die hebräische Literatur selbst – Abbild soziopolitischer Wirklichkeit ist. Der mit Eurozentrismus gepaarte Zionismus aus der Anfangszeit des „neuen“ Jischuw wirkt in Alltag, Kulturbetrieb und Geschichtswissenschaft noch nach, als sich die demografischen Verhältnisse in Israel/Palästina längst zugunsten der orientalischen Juden – und Araber – verschoben haben. Der Vollständigkeit halber muss hier erwähnt werden, dass europäische Herkunft und zionistische Überzeugung nicht immer ein Interesse an der ungewohnten orientalischen Umwelt verhinderten. Dafür gibt es Beispiele aus der Literatur18 wie aus dem Siedleralltag.19 Doch erstickten solche Ansätze der Annäherung und Adaptation, als die Spannungen zwischen Arabern und Juden zunahmen und die Integrierbarkeit des zionistischen Projekts in den Orient immer zweifelhafter wurde.20 semitische Sprachen, etwa das Arabische, nicht ähnliche semantische, teils auch syntaktische Verschiebungen wie das Hebräische auf, die der europäischen Moderne und ihren globalen Folgen geschuldet sind?) 18 Vgl. Ben-Ezer, Brenner und die Araber. Josef Chaim Brenner, der allerdings kein erklärter Zionist war, führte z.B. Arabismen ins Hebräische ein. S. auch Hasas’ Roman Die in den Gärten saß, in dem der Autor die schwierige Integration der Jeminiten in den Jischuw thematisiert. In Smilanskis Söhne Arabiens ist die Verwendung arabischer Wörter, Redewendungen und Bräuche ein wichtiges Stilmittel, um die Ähnlichkeit und Verbundenheit mit dem Land und den Einheimischen zu unterstreichen. „Daran war der Versuch gekoppelt, die Seele des arabischen Nachbarn zu verstehen, ihm nachzueifern, sein Heldentum und seine Stärke nachzuahmen und sich, wie der Araber, mit wenig zu begnügen und sich so rasch wie möglich an das Klima zu gewöhnen“ (Ben-Ezer, Die Figur des Arabers, 81). 19 Fotografien vom Anfang des 20. Jahrhunderts dokumentieren noch Juden in Fellachen- oder Beduinentracht, u.a. Waisenkinder aus der osteuropäischen Pogromstadt Kischinew, die nach Palästina geholt worden waren (1903), Anführer des sozialistischen Schomer (1909), Schomrim in Kfar-Sawa (1911) und Chaim Weizman mit Emir Faissal (1919); gesammelt und abgebildet bei Naor, Buch eines Jahrhunderts, 25, 44, 55 bzw. 87. Später verliert sich der Brauch, sich zu bestimmten Anlässen landestypisch zu kleiden. Eine kurze Blüte erlebte auch das Ideal der semitischen Aussprache des Hebräischen; vgl. Amir, Schauls Liebe, 282, und als beispielhaftes Klangdokument Damari, Die schönsten Lieder. Die Interpretin pflegte diesen Aussprachestil bei der Darbietung ihrer alten Erfolge noch in den 90er Jahren. 20 Im Zusammenhang mit der kurzzeitigen Anziehung und letztendlichen Abstoßung von Europäern und Orientalen denke man an Arnold Zweig und seinen 1932 erschienenen Roman De Vriendt kehrt heim. Dessen fiktive Hauptfigur, Jizchak Josef de Vriendt, ist von der historischen Persönlichkeit Jakob Israel de Haan inspiriert, vielleicht zum Teil auch vom Schicksal des Autors selbst, der im Jischuw Außenseiter blieb und 1948 nach 13 Jahren des Exils enttäuscht nach Ostberlin übersiedelte. De Vriendt setzt sich für Verständigung mit den Arabern ein, unterhält auch private Kontakte zu ihnen und
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Dementsprechend kam es auch auf literarischem Sektor zu keiner dauerhaften Annäherung. Die konkreten Umstände, die dies verhinderten, sind vielfältig: Einerseits dürfte es an einer gemeinsamen Sprache gemangelt haben, weil vermutlich nur wenige Araber Hebräisch und ebenso wenige jüdische Einwanderer gut genug Arabisch konnten. Hinzu kam der weitgehend bäuerliche Charakter sowohl der palästinensisch-arabischen Gesellschaft wie des Jischuw, was einem gemeinsamen literarischen Leben kaum förderlich war. Außerdem lebten die geistigen Eliten von Jischuw und Arabern in relativ großer räumlicher Entfernung zueinander; die städtischen Zentren Palästinas, selbst Haifa, Jaffa und Jerusalem, galten gemessen an Kairo, Beirut und Damaskus nach arabischem Maßstab als provinziell, weshalb Teile der palästinensischen Elite nicht im Land selbst, sondern beispielsweise im Libanon wohnten. Doch auch wenn sich auf lokaler Ebene Vertreter der Eliten trafen, etwa in Jerusalem (im Umfeld der binationalen Bewegung und besonders auch der britischen Mandatsverwaltung), ging es in Anbetracht der aufgeheizten politischen Situation um dringlichere Probleme als die literarische Verständigung. Man könnte daher sagen, dass sich, von der erwähnten zionistischen Distanzierung gegenüber der Dispora bereits beschränkt, die hebräischen Autoren in Palästina mangels Alternative zunächst ausschließlich an Vorbildern orientierten, die sie aus der nichtjüdischen Tradition Europas kannten. Momente der (einseitigen) Akkultura-
verliebt sich in einen arabischen Mann. Zwar hat er sich als führende Persönlichkeit des „alten“, präzionistischen Jischuw profiliert, doch gerät er später bei den Zionisten in Verdacht, ein arabischer Agent zu sein, und wird von Fanatikern erschossen – „ʯʫʺʩʩʥ ʤʥʡʢʮ ʸʥʹʩʠʡʹ [Möglicherweise mit Genehmigung von oben]“, schreibt Naor auf Presseartikel aus jener Zeit gestützt über de Haans Ende (Naor, Buch eines Jahrhunderts, 115). Der fromme Jude de Haan wird zum Opfer des ersten politischen Attentats in der Geschichte des Zionismus und Israels. Nach seiner Ermordung im Jahr 1924 beginnen orthodoxe Kreise sogar, ihn als Märtyrer zu verehren. Die prekäre Situation Zweigs/de Haans/de Vriendts zeigt, wie schwer es aufgrund moralischer, doch insbesondere ideologischer und politischer Zwänge gewesen sein muss, sich dem „Anderen“, dem „Fremden“, zu stellen und zu nähern. Bereits in den 20er Jahren, nachdem Großbritannien und Frankreich ihr Versprechen, nach der Niederlage des Osmanischen Reiches die arabische Unabhängigkeit zu fördern, gebrochen hatten, war das Klima zwischen Juden und Palästinensern rauer geworden. Jüdischer Landerwerb und Einwanderung auf der einen Seite und arabische Ausschreitungen auf der anderen (1921, 1929 usf.) schufen Misstrauen und Verunsicherung in beiden Lagern und vergifteten die Beziehungen. Figuren wie Arnold Zweig oder die erklärt binationalen Vordenker Martin Buber und Max Brod blieben trotz aller Anerkennung, die ihnen im Jischuw und später im Staat Israel mitunter widerfuhr, am Rande der Gesellschaft. So verwundert es auch nicht, dass ein nicht Hebräisch schreibender Literat wie Zweig zwar de facto an der Literaturgeschichte Israels Anteil hat, aber in einer auf eine hebräische Nationalliteratur fokussierenden Geschichtsschreibung keinen Platz finden kann.
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tion entstanden vor allem hieraus und nicht aus der Begegnung mit dem Orient.21 Über Orientalisches in der modernhebräischen Literatur ist aus Shakeds Geschichtswerk folglich kaum etwas zu erfahren.22 Zwar treten, wie der 21 Shaked nennt deutsche, skandinavische, sowjetische, französische und später zunehmend angelsächsische Einflüsse (Geschichte der modernen hebräischen Literatur, 19). Stemberger hebt hervor, dass der hebräische Dichter wegen seines begrenzten Umfelds sogar mehr als die Vertreter anderer Literaturen auf den Kontakt mit dem literarischen Schaffen in weiteren Sprachen angewiesen gewesen sei (Geschichte der jüdischen Literatur, 205). Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass viele hebräische Autoren zugleich als Übersetzer westlicher Literatur tätig waren. Bialik übertrug Werke Schillers und Cervantes’, Brenner solche Hauptmanns und Dostojewskis, Natan Alterman brachte Racine und Molière ins Hebräische, Gordon nahm sich Byrons und Lea Goldberg Ibsens, Heines und Petrarcas an. Die Aufzählung lässt sich fortsetzen, bis schließlich nach der Staatsgründung, bei den im Land geborenen Autoren, das Interesse an Rezeption und Übertragung anderer Literaturen schwindet, offenbar in Ermangelung des bildungsbürgerlichen Hintergrundes und einer umfassenden Fremdsprachenkenntnis, die in Israel nicht gefördert wurde. 22 Vgl. hingegen Shaked, The Arab in Israeli Fiction. In diesem Aufsatz gibt der Verfasser einen Überblick über Werke, die das Thema behandeln, doch nimmt er weder qualitative noch quantitative Wertungen vor, sondern begnügt sich mit der These, das Auftreten arabischer Figuren bilde ein Kontinuum in der modernen hebräischen Literatur. Dass solche Werke schon von der Menge her ein Randphänomen darstellen, sollte indes nicht übersehen werden, und auch die Art der Darstellung gilt es zu berücksichtigen. Darüber urteilt Lisa Domb, die sich in ihrem Buch The Arab in Hebrew Prose auf die Zeit von 1911 bis zur Gründung des Staates Israel konzentriert, also auf die Epoche, die der kulturellen Isolation des Staates, seiner Gesellschaft und Kultur vorausgeht: „The writers studied in this book, with the exception of Y. Shami, do not depict the Arab as an individual, either in his physical appearance or in his mental makeup. Regardless of the different literary genres employed and the writer’s country of origin, the portrayal is stereotyped“ (ebd., 153). Domb untersucht je einen, in einem Fall zwei Texte von sieben Autoren, die über Araber geschrieben haben: Jizchak Schami, Jehuda Burla, Mosche Stawi, Mosche Smilanski, Nachum Jeruschalmi, Jakob Rabinowicz und Israel Sarchi. Dabei gibt sie Aufschluss über verschiedene Aspekte und ihre Verarbeitung: der Araber als Individuum, die soziale Struktur der arabischen Gesellschaft, Religion und Brauchtum der Araber sowie ihre Beziehungen zu den Juden. Selbst die ideologische Ausrichtung der einzelnen Autoren habe das Bild des Arabers in ihren Werken nicht wesentlich ausdifferenziert: „[...] and there seems to be neither gradual nor collective progression in their attitudes to this subject, but rather personal and unrelated responses. On this level they are all outsiders looking at the Arabs from distance, and not even from an equal status“, bilanziert die Autorin (ebd., 154). Mit der Darstellung des Arabers in der hebräischen Literatur setzt sich die Forschung vor allem seit Ende der 80er Jahre auseinander, von einem Zeitpunkt an, da unübersehbar wurde, dass das scheinbar beruhigte Verhältnis zwischen Besatzern und Besetzten nicht länger aufrecht erhalten werden kann (Ausbruch der ersten Intifada). Man kann behaupten, dass sich „der Araber in Israel“ zu einem Modethema verschiedenster Disziplinen (Geschichts-, Gesellschafts-, Literaturwissenschaften) entwickelt hat, nachdem einige grundlegende Arbeiten schon seit den 70er Jahren vorlagen, wie etwa Smooha, Israel. Pluralism and Conflict und Wagner, Der arabisch-israelische Konflikt im Völkerrecht. Trotz der widersprüchlichen Schlussfolgerungen, die die Autoren der neuen Untersuchungen zogen, markiert die Beschäftigung mit dem Thema immer auch eine Öffnung – zeigt sie doch den grundsätzlichen Willen, sich
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Literaturhistoriker darlegt, in mehreren Werken Orientalen auf, aber in der Gesamtschau lässt sich feststellen, dass sich ihre Spuren im großen Strom einer zionistisch motivierten „europäischen“ Literatur verlieren. Zu dieser Sicht kann sich Shaked jedoch nicht entschließen, obwohl er sie an anderer Stelle indirekt bestätigt: „Die zionistischen Leser erwarteten [...] jenen ‚neuen Hebräer‘, den sie in ihrem Denken und ihren Utopien entworfen hatten.“23 Dieser Satz zielt beim Verfasser zwar auf die Abgrenzung von
mit einem bislang vernachlässigten oder verdrängten Aspekt der eigenen Lebenswelt auseinanderzusetzen. Eine Fülle von literaturwissenschaftlichen Publikationen ist in diesem Zusammenhang entstanden: neben dem erwähnten Beitrag Shakeds auch Nurit Govrins Aufsatz Enemies or Cousins?, David Pattersons Buch A Darkling Plain und Gila Ramsas-Rauchs Abhandlung The Arab in Israeli Literature – bis hin zur Anthologie Sleepwalkers von Ehud Ben-Ezer aus dem Jahr 1999, in deren Einleitung es verallgemeinernd heißt: „Writers are conditioned by the past, its accumulation of pain and grief; writers are also conditioned by the old view of the Arab Other as hindering the Israeli ‚good life‘“ (ebd., 16). Bis in jüngste Zeit ist in vielen Beiträgen eine Polarisierung spürbar, die politisch-ideologisch statt ästhetisch-literarisch argumentiert. So liest sich auch Govrins Artikel streckenweise wie eine Apologetik der israelischen Araberpolitik (Enemies or Cousins?, 14–17). Unabhängig von verschiedenen Stilen und Generationen spaltet sie die hebräische Literatur von der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bis zum SechsTage-Krieg in zwei divergierende Richtungen: Auf der einen Seite stehe die Schule von Mosche Smilanski („in the shadow of the orange grove“), auf der anderen jene Brenners („the bitterness of reality“). Erstere „emphasized the loftier Arab characteristics: hospitality at any cost, even to an enemy; unswerving dedication to the soil; the ability to make do with very little“, Qualitäten also, die den mittellosen zionistischen Pionieren als Vorbild erscheinen mussten. Zu dieser „träumerisch-romantischen“ Richtung rechnet Govrin auch Smilanskis Zeitgenossen Chemda Ben-Jehuda und Meir Wilenski sowie später noch S. Yishar und Binjamin Tammus, die nach dem ersten Nahostkrieg nostalgische Töne über die verlorene Jugend in einem besseren, hoffnungsvollen Land angeschlagen hätten. Es ist offensichtlich, dass die Autorin die Haltung Brenners als vernünftiger einstuft, da sie nicht von der Bewunderung für die kulturellen Errungenschaften des „Gegners“ getrübt ist. Zu Recht hebt sie hervor, dass die beiden von ihr definierten Richtungen an alte Mythen anknüpfen: So habe Smilanski unter dem Einfluss eines „extremist Canaanite approach“ gestanden, wobei Govrins Einordnung des Brit Schalom als extremistische Organisation – und damit die implizite Gleichsetzung mit anderen extremistischen, ja terroristischen Gruppen – irritiert (vgl. Wiechmann, Traum vom Frieden zum doch dezidiert pazifistischen Brit Schalom). „They believed in the ‚Semitic ideology‘, which would merge all the races living in the Land of Israel“, fasst sie die Überzeugung Smilanskis und anderer zusammen, wonach Juden und Araber zu ein und der selben Familie gehören, weil sie von Israel und Ismael abstammen. Brenner zitiere den selben Mythos, gelange jedoch zur entgegengesetzten Deutung: Die Araber seien die Nachkommen des „accursed brother“ und als solche „primitive and backward, and the most negative national traits are imputed to them: treachery, violence, deceit, murder, rape“, schreibt Govrin. Der Araber mag ein Sohn Abrahams sein, „but he is Ishmael [...] ‚his hand is against every man and every man’s hand is against him‘“. Dass die Autorin diesen biblischen Fluch als literarischen Realismus wertet, scheint ebenso befremdlich wie die beharrliche Suche einiger Literaturwissenschaftler nach dem Trennenden-Destruktiven statt dem VerbindendenProduktiven, das neue Inhalte und Formen hervorbringt, die eine Betrachtung verdienen. 23 Shaked, Geschichte der modernen hebräischen Literatur, 222.
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den „alten Juden aus dem Exil“24 und nicht explizit auf mögliche orientalische Einflüsse, aber er zeigt, welches Thema den Lesern zu jener Zeit, besonders von den 20er Jahren an, am meisten lag. Das Orientalische stand nicht im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses, weder im Jischuw noch später im Staat Israel, als bereits mehrere Hunderttausend Juden aus arabischen Ländern eingewandert oder eingeflogen worden waren. Es wurde nicht als konstituierendes Element der eigenen Gesellschaft und Geschichte, sondern als fern und exotisch empfunden – eine Wahrnehmung, die die Literatur, wenn sie sich gelegentlich doch mit orientalischen Sujets beschäftigte, belegt.25 Auch in dieser Frage bildet Shakeds Literaturgeschichte zugleich literarische wie gesellschaftliche Wirklichkeit ab. Tatsächlich waren 1980, in dem Jahr, in dem sein großes Überblickswerk endet, in herausgehobenen gesellschaftlichen Bereichen, darunter der Literatur, wenige Orientalen präsent; Araber wie Misrachim waren aus dem Bewusstsein der mitteleuropäischzionistisch markierten „Hochkultur“ noch immer ausgesperrt,26 Israel verstand sich als Teil der westlichen Welt. In diesem Punkt hat die hebräische Literatur also weder eine kulturelle noch eine soziopolitische Vorreiterrolle gespielt, sondern erst auf den allmählichen Aufstieg der Orientalen aus dem verarmten Einwandererproletariat der 50er und 60er Jahre reagiert.
Umbruch in den 60ern Zitieren wir noch einmal Gershon Shaked, der konstatiert, dass in den 60er Jahren die übergeordnete zionistische Sicht ins Wanken geraten sei, „weil sie bestimmten Schichten und Gruppen, wie den Juden orientalischer Herkunft oder den Überlebenden der Schoah, nicht die versprochenen gleichen Chancen [...] einräumte“.27 Wie wir sehen werden, wirkte sich das Bewusstsein für dieses gesellschaftliche Defizit auch auf die literarische Szene und ihre Produktion aus, zunächst vorsichtig und von der Mitte der 70er Jahre an massiver.
24
Ebd. Vgl. das Statement Ben Gurions am Anfang von Kapitel 6. 26 Entsprechend werden sie in der Literaturgeschichte Shakeds in das knapp eine Seite füllende Kapitel Randgruppen eingeordnet und wird später, nach Kapiteln über Frauenliteratur, Trivialliteratur u.a., auf nur dreieinhalb Seiten „der soziale Realismus der orientalischen Autoren“ gewürdigt (ebd., 246 bzw. 268–272). Das sind zusammen gerade viereinhalb von 373 Seiten, die das Werk umfasst. 27 Ebd., 246. Bereits der Titel von Sami Michaels erstem Buch aus dem Jahr 1974 verdeutlicht den zionismuskritischen Grundton des Autors: Gleich und gleicher. 25
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Der Einzug des Orientalischen in die hebräisch-israelische Literatur ereignete sich, das werden Beispiele veranschaulichen, in den undefinierten Gefilden zwischen Tag und Traum, und seine Vertreter sind anfangs kaum als eigenständige literarische Figuren und handelnde Protagonisten erkennbar. Hatten die frühen jüdischen Siedler, wie oben erwähnt, den Orientalen, speziell den Beduinen, noch zum Vorbild für die erdverbundene Existenz des „neuen Hebräers“ stilisiert, so trugen die ersten Begegnungen mit Arabern in den Büchern der „neuen Welle“28 deutliche Spuren der Entfremdung, die sich im Laufe von über drei Jahrzehnten eingestellt hatte29. Sie setzen zunächst noch den „Monolog“ der hebräischen Schriftsteller über den Orient fort.30 Frühe Werke Amos Oz’, des wohl berühmtesten und erfolgreichsten Repräsentanten dieser neuen Schriftstellergeneration, machen das sichtbar. In einer seiner ersten Erzählungen, Nomaden und Viper von 1962,31 ent28 Zur gal he-chadasch (übers.: „die neue Welle“), auch dor ha-medina („Generation des Staates“) genannt, rechnet man die Autoren, die ab Mitte der 50er Jahre zu schreiben begannen, d.h. nach der Staatsgründung. Verallgemeinernd gesprochen, unterscheiden sie sich von der vorausgehenden Schriftstellergeneration (dor ha-palmach oder dor ha-arez, also „Palmach-“ oder „palästinische Generation“), die einen realistischen, doch pathetischen, das gesellschaftliche System verherrlichenden Stil pflegte, durch ihre Hinwendung zu einer Art fantastischem Metarealismus mit gesellschaftskritischer Grundtendenz. 29 Allerdings waren die Beduinen auch am Anfang des Jahrhunderts nicht als Individuen wahrgenommen worden, sondern als Typus und Projektionsfläche, was schon damals, trotz der positiven Bewertung, einer wirklichen Annäherung im Wege stand. Zudem ging das zionistische Siedlungswerk, das der Schaffung eines neuen jüdischen Menschenschlags dienen wollte, von der Gründung rein jüdischer Dörfer aus. Hier sollten die durch die Zwänge des Diasporalebens „deformierten“ Juden zu sich selbst finden, d.h. zur stolzen Tradition des biblischen Hirten und Ackerbauern zurückkehren. Araber traten in diesem Kontext nur als Hilfs- und Arbeitskräfte in Erscheinung, deren Lebensmittelpunkt außerhalb lag. Später, mit dem Wachsen des Bewusstseins für die Problematik der arabischen Präsenz in Palästina und die Unvereinbarkeit gleichzeitiger nationaler Ansprüche beider Seiten, wird in zionistischen Kreisen der „Transfer“, d.h. die Abschiebung der arabischen Bevölkerung immer lauter diskutiert; vgl. dazu die ausführliche Studie von Masalha, Expulsion of the Palestinians, die sämtliche Transferpläne vorstellt und analysiert. Zum segregativen Charakter der israelischen Gesellschaft s.u. die Ausführungen über A.B. Jehoschuas Roman Der Liebhaber. 30 Yochai Oppenheimer spricht von einer „monological mentality“ der hebräischen Autoren in der Epoche vor, aber auch nach dem Unabhängigkeitskrieg Israels (The Arab in the Mirror, 207). In seinem Artikel beleuchtet er das Werk von Smilanski, Brenner, Schami, Reuveni, Burla und Steinberg sowie, hinsichtlich der Zeit nach der Staatsgründung, besonders auch S. Yishar. 31 Nach Stemberger erstmals veröffentlicht im Jahr 1965. Kurz darauf (laut Letzterem 1968, nach anderen Quellen schon zwei Jahre früher, doch in jedem Fall nach Oz’ Nomaden und Viper) erschien Angesichts der Wälder von A.B. Jehoschua. Auch diese Erzählung führt einen Israeli und einen Araber zusammen – wie bei Oz im Dickicht eines Waldes am Rande der Zivilisation. Ein „ewiger Student“, der seine Abschlussarbeit über die Kreuzzüge beenden will, hat einen Job als Brandwächter in einem Waldgebiet ange-
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rückt Oz den Auftritt des jungen Beduinen in eine bedrückende Atmosphäre. Sie lastet vom ersten Satz an auf dem Schauplatz der Geschichte, sobald der Verfasser verkündet: „ʭʠʩʡʮ ʡʲʸʤ [Der Hunger treibt sie herbei.]“32 Die dramatische Stimmung, die diese knappe, nur angedeutete33 Wahrheit, (die dennoch einen eigenen Absatz bildet und wie ein dramatisches Signal über dem Text schwebt), evoziert, wird im Folgenden durch immer wieder eingestreute Fakten und atmosphärische Schilderungen verdichtet. So lesen wir innerhalb weniger Seiten mehrmals schicksalsschwere Sätze wie: „ʸʡʣʮʤ ʯʮ ʤʬʧʮʤ ʤʠʡ [Aus der Wüste kommt die Krankheit]“34, mit denen der Autor Zäsuren setzt und uns den Atem anhalten lässt. Oder ausführlicher:35 ʺʥʬʥʷʤ [...] ʸʩʥʥʠ ʡ ʺʴʧʸʮ ʺʫʹʥʮʮʥ ʤʮʥʢʲ ʤʬʬʩ ʯʩʲʮ ʤʬʩʬ ʩʣʮ ʭʺʸʩʹ ʯʫ –ʥʮʫ ʤʺʠ ʤʮʥʺʱ ʺʥʣʩʡʫ ʥʮʫʡ ʥʰʩʺʥʬʩʬ ʺʠ ʭʩʸʩʹʲʮʥ ʥʩʰʢʥ ʵʥʡʩʷʤ ʩʬʥʲʹʮ ʯʩʡ ʬʠ ʭʩʬʧʬʧʮ ʺʥʬʩʬʤ ʭʩʮʧ ʹʷʩʲ ʡʬ ʺʥʮʩʲʴ ʥʮʫ ʪʺʮʩʣʸʺ ʺʠ ʪʬ ʡʶʥʷ ʷʥʧʸ ʳʥʺʥ ʪʡʫʹʮ ʬʲ ʤʬʥʲ .ʣʠ–ʩʴʲʥʶʮʥ [Und dann ihr Gesang jede Nacht. Eine Art trauriges Heulen erfüllt die Luft ... Die Töne schleichen sich zwischen Wegen und Gärten in den Kibbuz ein und
nommen, wo er die nötige Ruhe zu finden hofft. Dort lebt er in Nachbarschaft mit einem stummen Araber. Eine bedrückende Spannung baut sich auf. Die Gefahr eines ausbrechenden Feuers steigert sich zum Albtraum, von dem sich der Student zu befreien versucht, indem er selbst einen Brand legt. Damit entspricht er dem geheimen Trachten des Arabers, der zu eben diesem Zweck mehrere Kanister Benzin versteckt hält. Denn der Wald verbirgt eine grausame Wahrheit: Er wurde an der Stelle eines arabischen Dorfes gepflanzt, das 1948 zerstört worden war und dessen Einwohner seither verschwunden sind. Der stumme Araber, auch er aus diesem Dorf stammend, ist der einzige Zeuge. Letzte Erzählungen vor Oz und Jehoschua, in denen arabische Protagonisten im Mittelpunkt stehen, stammten aus den Jahren 1949 und 1951, Der Gefangene von S. Yishar und Das Wettschwimmen von Binjamin Tammus. Beides waren unmittelbare Reaktionen auf den ersten israelisch-arabischen Krieg. Tammus thematisiert den Umgang mit Arabern, die in die Hände israelischer Soldaten gefallen sind: Der Ich-Erzähler trifft bei der Besetzung Jaffas Abdul Karim wieder, den er als Kind kannte und dem er damals bei einem Wettschwimmen unterlag. Er hat Abdul Karim geschworen, wenn er eines Tages groß wäre, würde er Revanche fordern und ihn besiegen. Während er nun, nach dem Einfall der israelischen Armee, in Erinnerungen versunken durch das alte Schwimmbecken watet, wird der gefangene Abdul Karim erschossen. Auf ähnliche Weise erzählt S. Yishar in seiner Geschichte von einem jungen Mann, der zu Humanität und Toleranz erzogen wurde und nun ohnmächtig miterlebt, wie ein arabischer Hirte, der ebenfalls in Gefangenschaft geraten ist, hingerichtet werden soll. Der Autor wird rund zehn Jahre später, in Tage von Ziklag, noch einmal über diese Zeit schreiben, doch wirkt dieser große Roman wie eine Reminiszenz an die unbewältigten Fragen der Vergangenheit und erscheint als Solitär inmitten einer Phase des Rückzugs und des allgemeinen Schweigens, das sich nach dem Unabhängigkeitskrieg in Israel durchsetzte. 32 Oz, Die Länder des Schakals, 26. 33 Wer sind „sie“…? 34 Ebd., 28. 35 Ebd., 27.
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Der Irak in Israel erfüllen unsere Nächte mit einer unerklärlichen Schwermut. Du schläfst im Rhythmus einer fernen Trommel, die wie der Pulsschlag eines eigensinnigen Herzens ist. Warm sind diese Nächte und in Dunst gehüllt. St.S.]
Und schließlich über die entscheidende Nacht, in die die Erzählung uns führt, wieder in einfacher, rhythmischer Sprache: „ʬʲ ʡʸʲʤ ʣʸʩ ʨʤʥʬʥ ʭʥʺʱʥ ʧʬ ʵʥʡʩʷʤ ʩʺʡ [Feucht, drückend und heiß senkte sich der Abend auf die Häuser des Kibbuz.]“36 Damit ist das Feld bereitet. Wir befinden uns mit der Hauptperson, Geula, einer alleinstehenden Mittzwanzigerin, auf dem Weg in den bustan37. Die schwüle Hitze treibt uns gemeinsam mit der jungen Frau, auf die abends, nach ihrem Tagewerk, niemand wartet, hinaus an den Rand der Zivilisation, ins Grenzland zwischen Realität und Imagination, zwischen Vertrautem und Fremdem, zwischen Wunsch und Erfüllung. Nur dort scheint die Begegnung, die der Autor vor unseren Augen inszenieren will, möglich, an der Grenze des Erlaubten und der Konvention. Und dort tritt, angekündigt von einer magischen Trommel, er ins Bewusstsein nicht nur Geulas, sondern auch des längst nicht mehr überzeugt zionistischen Lesers: der eingeborene, exotische Orientale – nicht als militärische Bedrohung in einem kriegerischen Konflikt, sondern als Mensch aus Fleisch und Blut mit den gleichen Bedürfnissen und Sehnsüchten wie unsere. Die „natürlichen lokalen Grenzen“ der israelisch-hebräischen Literatur öffnen sich einen Spalt breit. Dass die Außenwelt, die sich nun, im Zwielicht des dumpfigen bustan, einzuschleichen beginnt, noch vor allem als Projektionsfläche dient, belegt die Figur Geulas ebenso wie die Chana Gonens in Oz’ zweitem, überaus erfolgreichem Roman, Mein Michael, der wenige Jahre nach Nomaden und Viper erschienen und einer der ersten israelischen Romane ist, die auch im Ausland Beachtung fanden. Geula und Chana sind unglückliche Frauen in einer Gesellschaft, die sich für individuelle Belange nicht interessiert: die eine zwar tatkräftig und jovial, wofür sie in ihrem Kibbuz Anerkennung erfährt, doch weder schön noch attraktiv und deshalb „noch immer“ Junggesellin; die andere zwar mit einem fleißigen Geologen verheiratet und Mutter eines Kindes, doch zugleich depressiv und sexuell nicht befriedigt. Was beide suchen, ist Erfüllung jenseits des engen Rahmens, den ihnen die überschaubare Kibbuzgemeinschaft bzw. die enge Teilstadt Westjerusa-
36 37
Ebd., 31. Arabisch-hebräisch für „Obstgarten“.
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lem38 stecken: eine Erfüllung, die sie sich – die eine unbewusst, die andere bewusst – von einer Flucht aus der Wirklichkeit erhoffen. So trifft Geula im bustan auf den jungen Beduinen; ob sie am Ende wirklich mit ihm geschlafen hat oder nur in Ohnmacht gefallen ist, bleibt offen. In ihrem Innern jedoch beschuldigt sie den Beduinen der Vergewaltigung und freut sich einen Moment lang, dass noch in der selben Nacht jugendliche Heißsporne aus dem Kibbuz ausziehen werden, um sich an den hungernden Beduinen für eine Anzahl lässlicher Diebstahldelikte zu rächen. Chana dagegen lenkt ihre Träume voller Absicht zu den arabischen Zwillingen, den Spielgefährten aus ihrer Kindheit, die sie in ihren Fantasien als potente Männer, als Terroristen und Mörder, wiederkehren sieht, um sich erschauernd von ihnen malträtieren zu lassen:39 ʭʩʨʡʮʬ ʤʴʥʹʧ ʤʺʩʩʤ ʠʩʤ ʧʸʷʤ –ʩʧʩʸʠ ʬʲ ʤʫʩʱʰʤ ʤʹʬʴʺʤ ʤʷʣʤ ʤʬʩʬʤ–ʺʰʥʺʥʫʡ ʺʴʬʥʧ ʺʥʡʥʨ ʺʸʹʡʮ ʤʰʰʩʠʹ ʤʣʩʲʸ ʺʥʰʩʡʬʮ ʭʤʩʰʩʹ ʥʮʥʠʺ ʬʠ ʹʩʠ ʭʩʷʧʨʶʮ ʭʩʧʣʥʷʤ ʤʮʩʦ ʤʺʥʴʫ ʤʩʩʧ ʺʷʰʠʰʹ ʩʴʫ ʭʩʸʧʸʧʮ ʭʤʩʰʹ ʩʬʠ ʺʥʰʥʥʫʺʮ ʭʩʧʶʥʸʤ ʩʣʩ [...] ʭʸʹʡʡ ʭʩʶʢ ʭʩʦʩʺʮ ʺʥʰʥʤʡ ʣʲ ʺʥʴʫ ʣʲ ʭʩʺʩʶʮ ʭʩʴʨʥʹ ʭʩʨʩʨʸʮ ʡʠʫʤ ʩʢʥʰʩʲ ʭʤʩʰʩʲʡ ʺʹʲʢʺʮ ʺʸʷʲʰ ʤʧʩʥʥʶʤ ʬʥʫʤ ʳʸʥʲʤ ʭʩʩʴʩʺʫʤ ʡʢʤ ʤʶʷ ʣʲ ʡʢʤ ʤʶʷʮ ʤʷʥʺʮ ʺʸʥʮʸʮʱ ʭʩʡʸʥʶ ʠʥʤ ʯʩʠʤ ʭʩʩʰʩʲ ʧʷʴʠʹ ʥʰʥʶʸ ʺʥʲʢʥʰ ʯʰʩʠʥ ʺʥʲʢʥʰ ʩʩʰʴ ʬʲ ʩʬʲʡ ʺʥʲʡʶʠ ʭʮʥʣ ʤʮʩʰʴ ʩʩʰʩʲ ʺʥʧʥʷʴ ʤʮʫ ʤʠʥʸ [In einem dünnen Nachtgewand schleicht die Prinzessin über die eisigen Fliesen, den glühenden Blicken schutzlos ausgesetzt. Sie grinsen sich an. Ihre Zähne blinken weiß. Durch ihre Körper fährt ein Zucken, das nichts Gutes verheißt ... Die Hände der Mörder zeigen auf mich. Sie schnauben wie ein gefesseltes Tier, und in ihren Augen ist ein wütendes Flackern. Ein lustvoller Schmerz erfasst mich, entflammt mich bis in die Zehenspitzen. Beißende Funken sprühen, und ein süßer Schauder steigt von meinem Gesäß auf zu den Schultern, dem Nacken und überall hin. Ein Schrei wird noch in der Kehle erstickt. Ich spüre die Berührung meines Mannes. Er will, dass ich die Augen öffne. Sieht er nicht, dass sie weit geöffnet sind? St.S.]
Bezichtigt Geula den Beduinen der Vergewaltigung, so bezeichnet Chana ihre Träume von den Zwillingen als Albdruck. Ihr Mann versucht sie daraus zu befreien, doch sie öffnet die Augen nicht, um aus der anderen Wirklichkeit nicht zurückkehren zu müssen. Sie weiß längst, dass die bösen lustvollen Träume das Intimste und Wichtigste überhaupt in ihrem Leben sind:40
38 Vgl. dazu auch die Aufsätze War and Siege (1948–1967) und War and Siege after 1967 von Ehud Ben-Ezer. Der Autor stellt weitere literarische Beispiele vor, die die israelische Belagerungsmentalität reflektieren. 39 Oz, Mein Michael, 138f. 40 Ebd., 70.
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ʤʹʩʧʬʡ ʩʺʸʴʩʱ ʭʩʮʥʠʺʤ ʬʲ ʩʡ ʤʩʤʹ ʸʺʥʩʡ ʸʩʡʹʤ ʸʡʣʤ ʺʠ ʷʥʧʸʤ ʩʬʲʡʬ ʩʺʹʧʬ ʩʰʠ ʩʰʠ ʩʺʷʧʩʹ ʸʷʥʡ–ʺʥʰʴʬ ʣʲ ʸʡʣ ʩʺʩʱʩʫ ʠʬ ʭʩʮʥʠʺʤ ʺʫʬʮ ʤʺʩʩʤʹ ʺʴʢʥʮʤ ʤʣʬʩʤ ʬʲʥ ʤʰʹʩ ʩʰʠ ʡʥʹ ʹʧ ʠʬʥ ʤʫʩʮʹʤ ʪʥʺʡ ʥʹʠʸ ʯʩʮʨʤ ʠʥʤʥ ʺʩʬʠʮʹʤ ʥʣʩ ʺʥʲʡʶʠʡ ʪʹʥʧʡ .ʤʬʩʬʡ ʩʬʲʡ ʣʶʬ [Ich flüsterte meinem fernen Ehemann das zarteste Geheimnis zu, das ich besaß. Ich erzählte ihm von den Zwillingen. Und von dem gefangenen Mädchen, das die Königin der Zwillinge war. Ich verheimlichte nichts. Bis zum Morgengrauen spielte ich in der Dunkelheit mit den Fingern seiner linken Hand, während er seinen Kopf im Kissen verbarg und nichts spürte. So verbringe ich die Nächte wieder an der Seite meines Mannes ... St.S.]
In Geulas wie Chanas Fall dient die Figur des unheimlichen Fremden als Kristallisationspunkt unausgelebter Begierden und erinnert an ähnlich angelegte literarische Paarungen zwischen Europäern und Angehörigen „exotischer Minderheiten“, die zum lockenden, Befreiung verheißenden Sexobjekt reduziert werden.41 Hier öffnet sich zwar für einen Augenblick der 41
Dieser gleichsam koloniale, immer auch mit Machtausübung verbundene Blick auf das Fremde (vgl. dazu Said, Kultur und Identität sowie Hall, Cultural Identity and Diaspora) begegnet uns leitmotivisch im Spiegel der Weltliteratur, beispielsweise in der über die Jahrhunderte vielfach neu geschriebenen Geschichte la Malinches, einer Aztekenfürstin, die von einem spanischen Conquistador begehrt und „erobert“ wurde, oder in Gryphius Bericht von einer armeno-georgischen Prinzessin und einem siegreichen persischen Schah sowie schließlich, in jüngerer Vergangenheit, in der ambivalenten InternetPaarung Bushs und Bin Ladens nach dem New Yorker Attentat von 2001; s. Bandau, Zwischen Aneignung und Subversion, Kiesant, Fremdes Begehren und Nader, Bend over Bin Laden. Angesichts der Fülle von Beispielen sogar aus neuerer Zeit verwundert es nicht, dass auch Jahrzehnte nach Amos Oz einige begabte hebräische Autoren nicht dagegen gefeit sind, sich zu diesem speziellen (doch in der hebräischen Literatur interessanterweise weiblich-männlich verdrehten) Blick verführen zu lassen; vgl. noch 1986 die aus Sicht der weiblichen Hauptfigur beschriebene erotische Spannung zwischen einer biederen aschkenasischen Bürgersfrau und arabischen Bauarbeitern in der Erzählung Ein Zimmer auf dem Dach: „ʤʲʩʢʮʥ [...] ʺʬʴʨʮ ʬʶʠ ʸʷʥʡʤ ʺʥʲʹʡ ʩʣʥʠ ʺʠ ʤʣʩʷʴʮ ʤʬʧʤ ʸʧʠʥ ,ʯʠʫ [...] ʭʩʱʴʱʥʧʮ ʭʩʹʩʸʷʡ ʺʫʮʺʰ ,ʭʩʰʱʫʥʬʮ ʤ ʯʥʨʩʡʤ ʺʥʧʥʬ ʬʲ ʺʱʴʨʮ [...] ʭʤʤ ʺʥʮʥʷʮʬ ʧʩʸ ʺʥʬʲʮʤ ʺʥʰʩʴʮ ʤʬʥʮ ʭʩʠʡ [...] ʭʩʰʴ–ʬʠ–ʭʩʰ ʴ ʤʰʥʹʠʸʬ ʭʺʥʠ ʤʺʠʸ ,ʸʺʥʩ ʸʧʥʠʮ ʤʮʶʲʬ ʸʮʠʺ ʧʩʴʥ ʺʥʩʸʢʩʱ ʯʹʲʡ ʤʬʥʮʤ ʤʲʩʦ :ʭʩʥʱʮʤ ʭʧʩ ʸ ʤʩʸʩʧʰʬ ʠʥʡʩ ʭʢ ʯʠʫ [...] ʭʤʬ ʣʧʠ ʳʥʶʸʴ ʭʬʥʫ ,ʯʺʹ [Von da an brachte sie Udi in den Vormittagsstunden zu einer Kinderfrau und kehrte zu den Baustellen zurück [...] sie kletterte schräg liegende Betonplatten hinauf, hielt sich an rauen Holzlatten fest [...] hier, würde sie sich später sagen, hatte sie sie zum erstenmal von Angesicht zu Angesicht gesehen. Aus nach Urin stinkenden Ecken waren sie auf sie zugekommen, und alle hatten gleich ausgesehen [...] Hier hatte sie auch zum erstenmal ihren besonderen Geruch eingeatmet, diese Mischung aus Schweiß, Zigarettenrauch und Ruß. St.S.]“ (Liebrecht, Äpfel aus der Wüste, 44). Grundsätzlich kommt es übrigens nicht darauf an, ob der sexuelle Akt wirklich vollzogen wird; die Aneignung durch den Blick reicht oft aus. Schon er bietet die Chance, hinausschauen zu können in eine fantastische, den Zwängen des Alltags entzogene Welt. Ähnliches, doch von einem menschlichen Gegenüber vollkommen gelöst, begegnet dem Leser in La femme adultère, einer Erzählung von Albert Camus aus den 50er Jahren: Die frustrierte Protagonistin, Janine, tritt im
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hermetische Raum, in dem das Individuum gefangen ist, doch was anfangs Begegnung, Bewegung, ja vielleicht sogar Momente der Transkulturation verspricht, läuft auf Spiegelung, Selbstbefriedigung und Unterwerfung hinaus.42 Nach Oz’ Texten in den 60er Jahren bildet Avraham B. Jehoschuas Der Liebhaber von 1977 erneut einen Meilenstein auf dem Weg hin zur Öffnung der israelischen Literatur und Gesellschaft für neue Beobachtungen und Sichtweisen. Zum ersten Mal agiert in einem populären israelischhebräischen Roman ein Araber, der nicht bloß Reflektor der Befindlichkeiten anderer ist, sondern als eigenständiger, gleichberechtigter Charakter Konturen gewinnt: Naim. Das war seinerzeit eine Sensation und bedeutete Jehoschuas Durchbruch als angesehener Schriftsteller.43 Naims Status eines „Partners“ der jüdischen Protagonisten wird formal dadurch unterstrichen, dass er wie alle anderen wichtigen Figuren Ich-Erzähler ist. Bei der Entwicklung der Romanhandlung „redet“ er also im wörtlichen Sinne „mit“. Israel in der Zeit des Jom-Kippur-Krieges: Adam hat eine gutgehende Autowerkstatt, Asja, seine Frau, ist Lehrerin. Sie leben mit Dafi, ihrer 15jährigen Tochter, in Haifa. Eines Tages bringt ein Gast aus Paris, Gabriel, Bewegung in diese vom Alltag verhärtete Familienkonstellation. Gabriel wird Asjas Geliebter. Doch verschwindet er spurlos, als der Krieg ausbricht, feindlichen Algerien aus einer entlegenen Stadt hinaus, in der sie während einer Busreise mit ihrem Ehemann Station macht, sinkt erschöpft nieder und „vereint“ sich mit dem die Wüste überspannenden Nachthimmel (Camus, L’exile et le royaume, 9–36; die Werke von Camus wurden in Israel früh rezipiert, Übersetzungen entstanden kurz nach dem Erscheinen der französischen Originalausgaben.) 42 Zwar berichtet Chana, ihr Vater sei Anhänger von Brit Schalom gewesen, welcher einen Ausgleich mit den Arabern in einem binationalen Staat verfocht, doch dieses Detail hat für den Fortgang der Handlung und die Psychologie ihrer Hauptfigur keine Bedeutung. Vielmehr scheint der Autor damit auf seine eigene ideologische Verortung in jener Zeit hinzuweisen (Oz, Mein Michael, 12). 43 Selbst wenn die Romane orientalischer Autoren bereits in den vorangehenden Jahren zu erscheinen begannen, war die Breitenwirkung des Liebhabers besonders groß – vielleicht, weil der Autor nicht aus der noch im Schatten stehenden vermeintlichen Minderheit kam, sondern aus dem Umfeld des zionistisch-israelischen Establishments. An dieser Stelle bedenkenswert, doch ohne tiefere Bedeutung für Inhalt und Erfolg seines Buches ist die Tatsache, dass Jehoschua aus einer ursprünglich sephardischen Familie stammt, die dem „alten Jischuw“ angehört hatte, der lange vor den Immigrantengruppen der 50er und 60er Jahre im zionistischen Jischuw aufgegangen war (bis auf wenige Elemente, wie die im Zusammenhang de Haans/Zweigs erwähnten Orthodoxen). Jehoschua äußerte einmal zu diesem Thema, dass er seit seiner Kindheit von seiner Mutter eine unausgesprochene Botschaft erhalten habe, sich dereinst in der dominanten aschkenasischen Gesellschaft zu assimilieren (Liron, Im Spannungsfeld, 62). Zu potenziellen Antagonismen zwischen sephardischen Milieus des alten Jischuw und zugewanderten Aschkenasen s. auch Eli Amirs Roman Schauls Liebe, in dem der Autor ausnahmsweise keinen Iraki in den Mittelpunkt stellt, sondern einen jungen Mann von eben solcher palästinisch-sephardischen Abkunft.
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und nun begibt sich die ganze Familie – unterstützt von Naim, einem Angestellten in Adams Werkstatt – auf die Suche nach ihm, damit Asja wieder glücklich wird und der Familienfrieden gewahrt bleibt. Unterdessen lernen Dafi und der etwa gleichaltrige Naim einander näher kennen und werden ein Liebespaar. Der Liebhaber, der dem Buch den Titel gibt, ist anfangs Gabriel, aber im Laufe des Romans geht diese Rolle auf den jungen Araber über, der, scheinbar als Nebenfigur eingeführt, in den Fokus unserer Aufmerksamkeit rückt.44 Nicht nur das Handlungsschema des Romans zeigt, dass hier der Araber kein Fremder im Sinne früherer Erzählungen ist, sondern als zum israelischen Alltag dazugehörig präsentiert wird; auch die Sprache belegt das, denn Naim redet wie die Juden. Er kennt sich in ihrer Gesellschaft aus und ist im Alltag weitgehend akkulturiert. Ihm haftet nichts Exotisches an. Vom Autor bzw. den anderen Romanfiguren wird er weder dämonisiert noch idealisiert. Dass er in der Familie vorübergehend als Verehrer der Tochter durchgeht, mag ein Zufall sein: Asja und Adam sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie genau registrierten, was sich zwischen den beiden Jugendlichen anbahnt, und als dass sie Dafi Zügel anlegen könnten. Naim, der halbwüchsige israelische Araber, und Dafi, die halbwüchsige israelische Jüdin, verkörpern eine neue Generation. Zwar sind sich beide der Traditionen ihrer Familien und der Ansprüche, die diese an sie stellen, bewusst, doch verstehen sie sich zugleich als keiner Ideologie verpflichtete Individualisten, die ihre persönlichen Wünsche über jene der Gesellschaft stellen. Auf diese Weise können sie zusammenkommen – Gleich zu Gleich. Dabei begünstigt das Umfeld einer Autowerkstatt die soziale und kulturelle Grenzen überschreitende zwanglose Begegnung. Es gehört zu den wenigen „Schnittmengen“ in einem auf Segregation ausgerichteten sozialen Gefüge, das aus einer Reihe von sorgsam separierten Entitäten besteht.45 Solche Zwischenbereiche verdanken ihre Existenz praktischen Gründen: Vertreter beider Bevölkerungsgruppen verkehren miteinander, weil ihnen das ökonomische Vorteile bringt. Doch nimmt der Araber dabei noch grundsätzlich die Position eines zuweilen misstrauisch beobachteten Untergebenen ein. So erzählt Naim:46 44
Naim kommt erstmals am Anfang von Teil 4 zu Wort (Jehoschua, Der Liebhaber,
129ff). 45 Smooha, Israel. Pluralism and Conflict, 135f. Vgl. auch Jacobi, The Jewish-Arab City; damit liegt seit 2009 erstmals eine gründliche Studie über die Teilung öffentlichen Raumes in multiethnischen israelischen Städten vor. 46 Jehoschua, Der Liebhaber, 129. Zur asymmetrischen arabisch-jüdischen Interdependenz in Israel s. Smooha, Israel. Pluralism and Conflict, 99. Der Autor beschreibt die verheerenden Folgen, die der „Exodus“ der palästinensischen Araber für die sozioökonomische Situation der zurückbleibenden Araber hatte.
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Orient und Okzident: Der schwierige Weg zueinander
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ʠʬ ʸʤʦʩʤʬ ʬʥʷʤ ʺʠ ʪʩʮʰʤʬ ʵʥʥʫʺʤʬ ʭʩʫʩʸʶ ʥʰʧʰʠ ʭʩʢʸʤʰ ʭʤʹʫʥ ʭʩʢʸʤʰ ʭʤ ʡʥʹ ʸʷʥʡʡ ʱʥʡʥʨʥʠʡ ʭʠʱʩʲ ʭʥʩʤ ʭʤʩʬʠ ʸʹʷ ʤʬ ʯʩʠʹ ʤʧʩʣʡ ʬʲ ʥʬʩʴʠ ʭʺʱ ʷʥʧʶʡ ʵʸʴʺʤʬ ʹʠʸʤ ʺʠ ʥʡʡʥʱ ʭʩʩʮʣʷʤ ʭʩʡʹʥʮʤʮ ʭʩʣʥʤʩʤʥ ʷʧʶʥ ʭʸ ʬʥʷʡ ʸʡʩʣ ʺʥʹʣʧʤ ʯʮʦʡ ʩʮʹʸ ʩʥʰʩʮ ʥʬ ʯʩʠʹ ʥʬʩʴʠ ʥʰʬʥʫ ʬʲ ʩʠʸʧʠ ʣʩʮʺ ʩʰʩʶʸ ʣʩʮʧ ʣʩʮʥ ʤʫʫ ʹʡʩ ʥʰʡ ʭʩʰʰʥʡʺʮ .ʷʺʺʹʤ ʣʩʮ ʭʠʱʩʲʥ ʣʩʤ ʤʶʷʡ ʭʠʱʩʲʡ ʲʢʰ ʤʦʬ [Man tötet sie wieder. Und wenn sie getötet werden, müssen wir uns klein machen, unsere Stimmen senken und aufpassen, dass wir nicht loslachen, nicht mal über Witze, die nichts mit ihnen zu tun haben. Heute Morgen im Autobus, als die Nachrichten liefen, redete Issam und lachte laut, und die Juden auf den vorderen Plätzen drehten die Köpfe um und schauten uns durchdringend an. Sofort berührte Hamid – ernsthaft wie immer, als wenn er für uns verantwortlich wäre, obwohl ihn niemand zu unserem Aufpasser ernannt hat – Hamid also berührte Issam mit der Hand, und der hielt sofort den Mund. St.S.]
Naim allerdings hat Glück: Adam bittet ihn, ihm persönlich behilflich zu sein, und das hebt seinen Status. Damit bildet er zwar in der israelischen Wirklichkeit eine Ausnahme, doch gerade deshalb wird er – vorübergehend – zum Hoffnungsträger. Ist ein, wenn auch fiktives, heranwachsendes arabisch-jüdisches Liebespaar nicht Zeichen für eine gelingende Annäherung und den Beginn einer vielleicht tiefer gehenden Transkulturation? Am Ende der 70er Jahre neigte nicht nur die israelische, sondern auch die ausländische Öffentlichkeit,47 den Roman dahingehend zu interpretieren. „Die Araber können nicht umhin, Meinungen über die Juden zu haben, und umgekehrt. Aber sie täten besser daran, einander so nahe [wie Dafi und Naim] zu kommen, dass sich allgemeine Urteile und Meinungen erübrigen“, schrieb z.B. die Frankfurter Allgemeine Zeitung.48 Mit dem Liebhaber hat die hebräisch-israelische Literatur den von der Welt isolierten Kibbuz für immer verlassen und tritt ein in die (post)moderne Urbanität der Großstadt. Noch Oz’ Jerusalem war trotz der vielen beschreibenden Passagen, die sich auf die äußere Erscheinung und bestimmte Abläufe in der Stadt bezogen, kein realer Ort, sondern eine Metapher für Chana Gonens gefährdete Psyche. Wenn wir, trotz unserer Skepsis, Shakeds Bild von der wandernden Literatur noch einmal aufnehmen und weiterdenken, stellen wir fest, dass sich ihr geistiges Zentrum selbst nach der Ankunft im Nahen Osten noch mehrfach verschoben hat: vom
47 Mit diesem Roman setzte die „israelische Welle“ auf dem deutschen Buchmarkt ein. Mein Michael, ihr Vorbote, war noch aus einer englischen Übersetzung ins Deutsche gebracht worden. Von nun an war man bemüht, sich stets direkt am hebräischen Original zu orientieren, was auf Dauer eine erhebliche Professionalisierung und einen Gewinn an Werktreue und stilistischer Treffsicherheit der Übersetzungen bewirkt hat. 48 Zitiert nach Jehoschua/Hessing, Der Liebhaber, 2.
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aschkenasisch-zionistischen Kibbuz49 in die prekären Grenzzonen des ländlichen Israel und von den 70er Jahren an in die schillernde Großstadt, in der Ideologien und Traditionen als freigewählte Versatzstücke aufscheinen und neue Identitäten möglich werden.50 Dass der Optimismus am Ende von Jehoschuas Roman nur der trügerische Ausklang eines turbulenten, doch idyllischen Sommers war, sollte sich später erweisen: Wenige Jahre danach brach die Intifada aus. Daher drängt sich die Frage auf, ob unter den Autoren dieser Generation nicht doch die Orientalen, beispielsweise Sami Michael und Eli Amir, dank selbst erlebter Innenansichten den realistischeren Blick auf die „Randzonen“ der Gesellschaft haben. Erst bei ihnen wächst das Orientalische zu einem lebendigen Milieu,51 das der Leser mit seinen mannigfaltigen Schattierungen wahrnehmen kann und das nicht vornehmlich zur Kontrastierung innerhalb einer größeren Romanhandlung herhalten muss, die einmal mehr die Befindlichkeiten der israelisch-europäischen Gesellschaft reflektiert. Im Gegensatz zu 49 Es fällt auf, dass die überwiegend von Sepharden bewohnten Moschawim nie zu einem typischen Schauplatz modernhebräischer Prosa wurden. Das mag in der Tatsache begründet liegen, dass sich diese Siedlungsform aufgrund ihres gemilderten Sozialismus nicht zur thematischen Zuspitzung eignete. Sie taugte nicht zum Sinnbild höchster Form zionistischer Selbstaufopferung (und zionistischen Selbstzweifels). 50 Schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstanden Romane, die in der Stadt (Tel Aviv) spielten, doch erfüllte diese die gleiche Funktion wie die ländlichen Ansiedlungen: Als „erste jüdische Großstadt“ war Tel Aviv ein zionistisches Symbol. Auch die Handlung einiger Texte Appelfelds ist im städtischen Milieu Israels angesiedelt, doch dient es bei ihm als deprimierender Endpunkt der unglücklichen Biografien Überlebender des Holocausts, etwa in der im Sammelband Rauch erschienenen Erzählung Wiedergutmachung und später noch in seinem Roman Der unsterbliche Bartfuss. Zur Rolle der Großstadt bei der mentalen Öffnung von Gesellschaften und der Konstituierung neuer, „fließender“ Identitäten vgl. Hannerz, Cultural Complexity und dort speziell das Kapitel The Urban Swirl. Darin geht der Autor auf die Bedeutung von Städten wie Wien, Kalkutta oder San Francisco ein, die die nach seiner Argumentation unausweichliche „global ecumene“ der Zukunft eingeläutet hätten. Im kleinen israelischen Rahmen erfüllen Tel Aviv und Haifa eine ähnliche Funktion. Hier und in den neuen, so genannten Entwicklungsstädten fanden sich schon früh irakische Juden ein, die eine neue Art von (nicht zionistisch motiviertem) jüdischem Proletariat begründeten. 51 Nachdem das Lesepublikum das einmal bemerkt hatte, wuchs das Interesse an dieser neuen hebräischen Literatur rapide. Binnen weniger Jahre erschienen eine Reihe von farbenprächtigen, zumeist unterhaltsam geschriebenen Familiensagas von Autoren orientalischer Herkunft; der Duft der Souks und Kaffeehäuser wehte in die nüchternen aschkenasischen Wohnzimmer. Doch durch solche Lektüren entdeckten nicht nur „Europäer“ den ihnen unbekannten Teil der jüdischen Welt, sondern auch Orientalen fanden Gefallen an diesen Büchern, weil sie sich dank ihrer endlich in der israelischen Literatur wiederfinden konnten. Beispielhaft seien hier die in einem üppigen Erzählstil gehaltene Saga Unsere Hochzeiten der persischstämmigen Dorit Rabinyan und der aus skizzenhaften Kapiteln komponierte Türkische Marsch Benni Ziffers genannt. Manche „europäischen“ Autoren ließen sich vom Aufblühen dieses Genres inspirieren, so Meir Shalev zu seinem Russischen Roman.
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Oz oder Jehoschua sind die beiden Iraki und ihre orientalischen Kollegen in der Lage, diese wirklich von der „anderen“ Seite zu sehen und den notwendigen Brückenschlag voranzutreiben.52
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Eine weitere Generation hat es gedauert, bis die familiäre Herkunft eines Autors kaum mehr eine Rolle spielt. Möglicherweise sind wir einem Stadium nahe, das Hollinger postethnisch nennt: „[...] defenders of cultural diversity need to take a step beyond multiculturalism, toward a perspective I call ‘postethnic’. This perspective pulls together and defends certain elements of multiculturalism and criticizes others. A postethnic perspective favors voluntary over involuntary affiliations, balances an appreciation for communities of descent with a determination to make room for new communities, and promotes solidarities of wide scope that incorporate people with different ethnic and racial backgrounds“ (Hollinger, Postethnic America, 2f). Ein erfolgreicher Vertreter dieser jüngeren Schriftstellergeneration ist der vor allem als Filmemacher und Videoclip-Künstler arbeitende Etgar Keret (geboren 1967). Ihm merkt man nicht an, aus welcher „ethnischen“ Perspektive er erzählt. Er spricht eine der Mehrheit der israelischen Jugend gemeinsame Sprache, die sich durch Direktheit und frechen Witz auszeichnet und bewusst mit „political Un-Correctness“ zu spielen versteht, ohne sich über ein sofort erkennbares weltanschauliches Lager zu definieren. „ʭʥʬʫ ʥʡ ʤʩʤ ʠʬ ʭʠ ʥʬʩʴʠ .ʭʴʹ ʭʲ ʩʡʸʲ ʤʬʲ ʱʥʡʥʨʥʠʬ ʡ ʩʡʸʲ ʤʩʤ ʠʬ ʠʥʤ ʭʠ ʥʬʩʴʠ ,ʩʡʸʲ [Ein Araber ʭʴʹʤ ʩʴʬ ʤʦ ʺʠ ʺʥʠʸʬ ʬʥʫʩ ʺʩʩʤ ʸʹʩ ,ʬʬʫ mit Schnäuzer stieg in den Autobus ein. Auch wenn er nichts Arabisches an sich gehabt hätte, ja sogar wenn er überhaupt kein Araber gewesen wäre, hättest du ihn sofort als Araber erkannt – an seinem Schnauzbart]“, heißt es augenzwinkernd in Ein Araber mit Schnäuzer (Keret, Pipelines, 68). Vgl. im selben Band auch Hebräischer Klartext, 119ff. Daneben seien noch einige von der Kritik akklamierte Autoren erwähnt, die in keinerlei Mainstream mitschwimmen, vielmehr eigene, singuläre Positionen einnehmen und damit Achtungserfolge beim Literaturpublikum erzielten: 1) Der kürzlich verstorbene Avraham Chasson scheint der einzige jüdische Schriftsteller, der in einer der Grenzzonen zwischen der jüdischen Teil-Gesellschaft Israels und der arabischen, in engem Kontakt zur Westbank, gelebt und die Bereiche zwischen den Kulturen nicht aus der Ferne eines Tel Aviver oder Haifaer Schreibtischs beschrieben hat. Die spezifische Perspektive Chassons erklärt sich aus seinem Werdegang: Er war Landwirt und betätigte sich als Großhändler für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Seine Erzählungen veranschaulichen das Leben derer, die am Rande beider Gesellschaften stehen, verkrachte oder arme Existenzen, die ihr Glück mit allerlei Geschäften versuchen; vgl. Chasson, Abu Badjis genießt das Leben sowie Ein Mord und ein einfacher Schwur. 2) Als Sensation wurde seinerzeit Arabesken gewertet, denn der Verfasser dieses in elaboriertem Stil gehaltenen Romans ist ein christlicher Araber, der Journalist Anton Schammas aus Galiläa. „Ein Araber, der besser Hebräisch schreibt als die meisten (jüdischen) Israelis!“, stellten Publikum und Kritiker überrascht fest. Ein Novum, das bislang kaum Nachahmer fand: Schammas hat es bei dem einen Roman belassen, und erst 2002 erschien Tanzende Araber von Sayed Kashua, das sich ebenfalls zum Bestseller entwickelte. Zum „Phänomen“ Schammas s. Lothan, Towards an Israeli Literature; einen Vorläufer, der jedoch weniger beachtet wurde, Atallah Mansour, erwähnt Ben-Ezer, Die Figur des Arabers, 90. 3) Ebenfalls auf eine besondere Weise transkulturell ist „Yossi Avni“, so das Pseudonym eines im diplomatischen Dienst stehenden Autors, dessen Erzählungen zwischen „mehrheits“-israelischer, deutscher, orientalischer und Gay-Kultur angesiedelt sind (Avni, Garten der toten Bäume sowie Angesichts vier junger Männer).
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Orientalische Formen, orientalische Perspektiven? Die anfängliche Reserviertheit des Publikums und der Kritik gegenüber der „ethnischen“ Literatur der Iraki und anderer Orientalen begründet Shaked damit, dass diese einem sozialen Realismus verhaftet seien, den die meisten anderen hebräischen Autoren bereits in den 60er Jahren überwunden hätten.53 Tatsächlich äußerten sich viele israelische Literaten angesichts der sozioökonomischen und geostrategischen Krise, die den zionistischen Staat seit den 50er Jahren heimsuchte, skeptisch über dessen großes gesellschaftliches Projekt; der Kibbuz, aber auch die Streitkräfte hatten Schrammen davongetragen und erschienen nicht mehr als leuchtendes Vorbild. Aus dieser Verunsicherung heraus wurde der Naturalismus der vorangehenden Schriftstellergeneration in den Texten der jüngeren Autoren, vor allem der „neuen Welle“, durch surreale, symbolistische, stark psychologisierende Tendenzen ersetzt.54 Das lässt sich am Frühwerk Amos Oz’ hervorragend studieren. Die Orientalen indes wählten einen anderen, scheinbar nicht mehr zeitgemäßen Weg. Weidner vermerkt, dass die arabische Literatur im 19. Jahrhundert in Kontakt und Abhängigkeit zu europäischen Vorbildern geriet.55 Konkret bedeutet das: Arabische Autoren begannen unter dem Einfluss Balzacs, Hugos und Zolas Erzählungen und später auch Romane zu verfassen, nachdem die wichtigste und produktivste Gattung der arabischen Literatur zuvor immer die Lyrik gewesen war.56 Um 1900 bildet sich die Richtung aus, die Nancy E. Berg die „Arabic school of social realism“ nennt. Ihre Zentren waren Ägypten und der syrisch-libanesische Raum, aber auch auf den Irak strahlte sie aus.57 Der Realismus der im Zweistromland gebürtigen israelischen Autoren ist also keine Rückwendung hin zu einer überholten Epoche, sondern die Fortsetzung einer Tradition aus ihrem Heimatland, die zwar in Israel zunächst Befremden auslöst, doch letztlich auch hier greift. Schließlich geht es den orientalischen Autoren um klare sozialkritische Botschaften, nicht um den enttäuschten Rückzug in private Traumwelten! Und dass sie mit solchen Botschaften und dem entsprechenden literarischen Stil nicht 53
Shaked, Geschichte der modernen hebräischen Literatur, 269. Vgl. dazu die oben behandelten Texte von Amos Oz, aber auch S. Yishars Tage von Ziklag in Kontrast zu Eli Amirs Romanen, die weniger von der Psychologie ihrer Helden als von gesellschaftlichen Strukturen und ihren Mechanismen geprägt sind. 55 Weidner, Erlesener Orient, 12f. Eine umfassende literaturgeschichtliche Einführung ins Thema bietet Roger Allen in The Arabic Novel. 56 Deren Wirkung lässt trotz dieser Verschiebung nicht nach. Wir haben gesehen, dass sie im 20. Jahrhundert, dank der Zusammenarbeit bedeutender Musiker und Dichter und des Aufkommens des Tonträgers, sogar zu neuer Blüte und Popularität gelangt ist; vgl. Kap. 4. 57 Berg, Exile from Exile, 30f. 54
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falsch lagen, zeigt die Reaktion des Publikums, dessen Vorlieben sich allmählich änderten. Der Bestsellerstatus der Familiensagas der 90er Jahre beweist, dass immer mehr israelische Leser unter dem Einfluss der „ethnischen“ Literatur wieder Gefallen an naturalistischen Darstellungen fanden. So belegt der Erfolg des Realismus Amirs, Michaels und ihrer Kollegen eine Transkulturation des israelischen Literaturgeschmacks durch die jüdisch-orientalische Transkulturation einer bereits arabisch transkulturierten europäischen Erzählform! Von inhaltlichen und strukturellen Besonderheiten dieser mehrfach erneuerten Prosaform war in der vorliegenden Arbeit schon die Rede.58 Jetzt soll am Beispiel Sami Michaels, insbesondere seines Romans Zuflucht, ein weiteres, vielleicht ihr augenfälligstes Charakteristikum vorgestellt werden, das wiederum mit Sprache zusammenhängt: die arabischen Einsprengsel im hebräischen Text. Schon zu Beginn der 70er Jahre hat Michael dieses Stilmittel in der hebräischen Prosa neu etabliert.59 Mit weniger Geschick haben Amir und andere Autoren seine Technik nachgeahmt.60 Anders als bei der oben erörterten Sprachenthematik in Jasmin bewegen wir uns hier nicht mehr von einer klar definierten Sprache zur anderen und vollziehen dadurch Abgrenzungen und Grenzüberschreitungen der Romanfiguren nach.61 Sondern die Sprache selbst wird durchlässig, nimmt neue Elemente auf und wandelt sich; das Hebräische erhält eine neue Textur. Sprache scheint am anfälligsten für transkulturelle Impulse, da jeder Satz, jedes Wort einen Sprung in eine andere Welt, eine andere Kultur bedeuten kann.62 Außerhalb der Literatur 58
So in Kapitel 3. Bereits in Gleich und gleicher. 60 Über lange Passagen hinweg bringt Amir in Jasmin in Sätzen, die arabische Figuren sprechen, nach jedem arabischen Einsprengsel eine hebräische Übersetzung. Man kann sich fragen, ob er hier nicht des Guten zu viel tut. Die meisten Hebräischleser, auch die nicht orientalischen, die aus dem Alltag eine Reihe von arabischen Wendungen und Ausdrücken kennen und sie kontextgebunden mühelos verstehen, dürfte diese recht schematisch angewandte Technik ermüden. 61 Allerdings erklärt Amir nur, wer sich wann in welcher Sprache ausdrückt. So erhält der Leser die Information, dass Jasmin mit Nuri Englisch spricht, liest ihre englischen Dialoge aber in einem darüber hinaus nicht markierten Hebräisch. 62 Vgl. dazu die Statements von Schriftstellern, die erst lernen mussten, sich in einer Zweit- oder Drittsprache auszudrücken und ihren eigenen literarischen Stil darin auszuprägen: „En écrivant [...] je me figurais que je traduisais de l’arabe. Je commençais souvent les phrases par un verbe, j’utilisais des proverbes arabes, comme j’avais entendu mes parents le faire“, sagte unlängst der aus Syrien stammende Alon Hilu in einem Zeitungsinterview (Rérolle, L’errant de Damas), und Sami Michael bemerkt: „Anfangs schien mir das eine unmögliche Mission [auf Hebräisch zu schreiben; St.S.]. Denn die Sprache ist ja nicht nur Ausdrucksmittel, sondern der wichtigste Teil der Kreativität. So habe ich mich angestrengt, gearbeitet, studiert, und nach 15 Jahren kam dann plötzlich der erste Roman“ (Dachs, Außenseiter aus Überzeugung). Michael empfand den schwierigen Übergang 59
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geschieht das ständig, von den meisten Sprechern unbemerkt – selbst wenn keine fremdsprachlichen Elemente eingebracht werden: In einem einzigen Satz wechseln Sprecher oft mehrmals die diatopische und diastratische Ebene, und dies wird, zumindest im Gespräch, nicht als Stilbruch empfunden. Gerade in ihrer gesprochenen Form hält Sprache heutzutage kaum soziale oder ethnische Grenzen ein, es sei denn, der Sprecher ist in ein homogenes soziokulturelles Umfeld hineingeboren, das er nie verlassen hat, oder unterdrückt die Spontaneität seines Ausdrucks und pflegt bewusst einen bestimmten Sprachstil. Die Möglichkeit der Variabilität des Ausdrucks jedes Sprechers ist das Ergebnis einer sozialen, teils auch ethnischen Transkulturation, die die heutigen Gesellschaften prägt. Doch geschieht der Switch zwischen Hebräisch und Arabisch in den Romanen Sami Michaels nicht spontan und überall. Vor allem in Texten oder Textpassagen, die unmittelbar nach der Ankunft der Iraki in Israel spielen, gewinnt das Arabische an Bedeutung. Dann taucht es öfters in der wörtlichen Rede auf, allerdings nicht, weil es dem Autor darauf ankäme, exotische Marken zu setzen, sondern weil er kulturelle Differenzen herausarbeiten will. Häufig handelt es sich um den Versuch, eine multilinguale Situation auf Hebräisch nachzuzeichnen, ohne, wie in manchen zeitgenössischen Filmen,63 ganze Dialogteile in einer dem Rezipienten fremden Sprache ablaufen zu lassen. Darüber hinaus geht es auch darum, soziale Unterschiede sichtbar zu machen. So bemerkt Nancy E. Berg: „[...] the language contributes greatly to the characterizations [...] Each character speaks in an individual style.“64 Ein einfaches Mittel, um hebräisch geschriebene Dialogsätze arabisch zu markieren, ist die Verwendung traditioneller Anredeformen wie ja ... und zum Hebräischen aber auch als Befreiung von vorgegebenen Formen und Bildern. Leichter als auf Arabisch konnte er auf Hebräisch eine eigene, von der hebräischen wie der arabischen Tradition unabhängige Stimme finden. 63 Man denke an Filme wie Riklis’ Syrische Braut, die in hebräischsprachige und arabischsprachige Segmente zerfallen und so versuchen, die linguistische Wirklichkeit eins zu eins nachzubilden: Untereinander sprechen die Menschen in dem drusischen Dorf, in dem Riklis’ Handlung spielt, Arabisch, mit der Besatzungsmacht hingegen wie selbstverständlich Hebräisch. Der israelische Polizist, von dessen Willkür das Wohl der drusischen Familie abhängt und der sich damit brüstet, die orientalischen Sitten zu kennen, ist als negative Figur gezeichnet; er ist der Kolonisator, und seine oberflächliche kulturelle Annäherung ist Teil seiner Machtausübung. Genauso unsympathisch erscheinen übrigens die syrischen Grenzbeamten, die unbeugsam und borniert auf das Erscheinen der syrischen Braut reagieren. Diese will für immer nach Damaskus ausreisen, um dort zu heiraten, doch steht in ihrem Ausreisevisum, sie komme „aus Israel“. Nach syrischer Auffassung gehören die Golanhöhen zu Syrien, nicht zu Israel, und so sitzt die Braut schließlich zwischen dem israelischen Posten, der sie definitiv verabschiedet hat, und dem syrischen, der sie nicht einlässt, fest, und erst eine surreale Lösung des Problems hebt die Grenzen auf, und die Hochzeit in Damaskus kann doch noch stattfinden. 64 Berg, More and more equal, 51.
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abu ... Doch müssen nicht immer arabische Wörter gezielt in den hebräischen Text gesetzt werden, um zu verdeutlichen, dass orientalische Juden oder Araber sprechen – das Arabische wird auch erkennbar, ohne dass seine Lexik zum Einsatz kommt:65 ʤʰʤ ʤʠ" ʺʠʦʤ ʤʰʩʰʴʤ ʬʹ ʤʩʰʴʡ ʡʥʹ ʵʩʶʠʹ ʣʧʴʮ ʤʺʠ" ʹʩ ʤʮ ʩʺʥʠ ʧʬʹʮ ʸʡʫ ʤʺʠ“ ³"ʡʩʡʠ ʬʹ ʣʸʥ ʺʧʮʶ ʯʢ ʤʦʩʠʡ ʺˋ ʩʩʰʩʲ ʸʥʠʮ ʺˋ ʸʫ˒ʱ ʤʴʷ ʤʦʩʠ ʤʠʡ ʠʩʤ .ʤʸʲʰʤ ʤʷʷʧʨʶʤ “ʲʢʥʹʮ ʤʺʠ“ ³ʤʶʸʠ ʧʰʶʩ ʣʢʱʮʤ ʬʹ ʥʧʩʸʶ ʭʥʸʮʮ ʪʡ ʵʩʶʩ ʭʠ ʯʦʠ˒ʮʤ ʧʸʩ ʠʬʴ ʤʦ ʯʩʠ“ ³ʯʠʫʮ ʯʷʦʤ ʺʠ ʷʬʱ ʪʩʩʧ ʡ³.ʸʸʥʹʮʤ ʬʠ ʭʠʱʺʡʠ ʤʺʰʴ ʹʮʠ ʯʮʬ ʤʰʥʹʠʸʤ ʭʲʴʡ [„Du setzt mich schon vor die Tür? Was ist los? Hast du Angst, ich könnte noch einmal das Gesicht deines Juwels sehen? Ah, da kommt sie ja. Was für ein köstlicher Kaffee! Du bist Zucker, du bist das Licht meiner Augen. In welchem Garten bist du gewachsen, Rose des Frühlings?“ „Bist du verrückt?“, lachte das Mädchen. „Oh Mond, wen wundert es, dass der Muezzin vom Minarett fällt, wenn er dich sieht?“ Zum ersten Mal seit dem Vortag schaute Ibtassam dem Dichter in die Augen und sagte: „Um Himmels Willen! Werft den Alten endlich hinaus!“ St.S.]
Der Dialog enthält Wendungen, die so nur im Arabischen existieren und ins Hebräische transponiert wurden. Ein anderes Beispiel:66 ʸʥʡʩʣʤ ʯʥʰʢʱʮ ʲʢʴʩʤʬ ʪʩʸʶ ʪʰʩʠ“ʲʥʢʸʮ –ʠʱʩʫ ʬʲ ʧʥʸʱ ʭʣʠ ʺʥʥʬʹʡ ʬʩʮʠ ʸʮʠ ,“ ʣʠʥʴ“ ³ʤʬʹ ʤʮ ʩʬ ʸʴʱʺʹ ʪʬ ʩʺʸʮʠ ʤʰʩʡʬ ʩʰʩʡʹ ʯʩʩʰʲ ʤʦ ʬʡʠ ʪʬʹ ʺʩʹʥʸʡʫʲʤ ʯʮ ʩʺʲʢʴʰʯʫ “ ³ʯʠʫ ʤʸʥʷ “… ʯʫʡʥ“ ʺʠʦʤ ʤʩʩʣʥʤʩʤ" ʺʠʦʤ ¶ʯʫʡʥ¶ʤ ʺʠ ʺʩʰʷ ʤʴʩʠ" ʪʬ ʤʸʷ ʤʮ ʸʡʢ “ʥʩʸʡʣʬ ʱʰʫʰ ʣʠʥʴ ʭʥʮʩʱʷʮ ʺʥʮʺ ʪʫʥ ʹʴʥʨʮ ʩʸʶʥʰ ʤʺʠ ʷʮʷʮʧ ʤʩʤʺ ʠʬ ʭʬʥʲʬ ʩʣʥʤʩ ʸʧʥʱ ʪʺʥʠ ʤʺʹʲ ³ʺʥʬʥʢʰʸʺ ʨʧʥʹ ʤʦʩʠ ʬʶʠ ʪʬʹ ʯʩʦʤʮ ʤʫʩʺʧ ʪʬ ʦʩʺʺ ʠʩʤ ³ ʬʥʡʢʤ ʬʲ ʸʡʥʲ ʤʺʠ ʣʠʥʴ “ ³ʯʩʩʰʲʬ ʩʸʢʥʣ ʸʡʣ ʺʠʦʤ ʤʧʩʸʱʮʤ ¶ʯʫʡʥ¶ʤ ʭʲ ʬʩʧʺʺ ʬʠ ʦʠ“ [„Fuad“, sagte Emile seelenruhig, „mach dir nichts aus ihrer Ausdrucksweise.“ „Doch, deine kleine Ratte hat mich verletzt, wir können halt nicht miteinander. Ich hab dir gesagt, erklär mir, was hier vorgeht.“ „Es verhält sich so, dass ...“
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Michael, Zuflucht, 115. Ebd., 163.
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Der Irak in Israel „Mann, was ist los mit dir?“, fuhr ihm Fuad dazwischen. „Woher hast du dieses ‚Es verhält sich so, dass ... ‘? Hat deine Jüdin etwa einen jüdischen Kaufmann aus dir gemacht? Du wirst nie so ein schnittiger Bursche werden, du bist und bleibst ein dummer Christ! Sie schafft es höchstens, dass dir so ein Hühnerschächter ein Stück von deinem Dödel abzwackt.“ „Fuad! Jetzt reichts!“ „Dann komm mir nicht mit diesem verfluchten ‚Es verhält sich so, dass ... ‘! Sprich Klartext mit mir.“ St.S.]
Schon der Vorname Emile zeigt an, dass sich hier arabische Christen unterhalten, was später auch explizit gesagt wird. Doch selbst ohne diese Hinweise verstünde der Leser, dass die beiden Figuren sich „im wahren Leben“ nicht auf Hebräisch unterhalten und die gestelzte Floskel ʯʫʡʥ (in etwa: „also“, „es verhält sich so, dass ...“) als lächerlicher Barbarismus demaskiert wird. Er klingt umso aufgesetzter, als die Aussprache dieses Wortes in Israel immer grammatikalisch richtig gehandhabt wird, also u-we-chen entgegen dem volkstümlichen (grammatikalisch falschen) Sprachgebrauch, der in diesem Falle eigentlich we-be-ken erwarten ließe. Der Araber im Dialog sagt hochkorrekt u-we-chen. Die beiden angeführten Textausschnitte geben Beispiele für Dialoge zwischen Arabern. Ähnliche Techniken wendet der Autor an, wenn sich irakische Einwanderer unterhalten, insbesondere in der Zeit unmittelbar nach der Immigration nach Israel. Geht es hingegen um Handlungen, die vor dem „Exodus“ oder lange danach situiert sind, nutzt Michael die arabisierenden Stilmittel selten.67 In Bezug auf Juden dienen sie ihm meist dazu, auf Verunsicherungen und Nahtstellen hinzuweisen; der bilingual geprägte Stil steht im Roman für die Zwischenbereiche, die im Zuge der Transkulturation betreten werden. „Vorher“ sind die Sprecher noch zu Hause, in altgewohnter Sicherheit, und einige Zeit später haben sie ihr neues Heim eingerichtet und bezogen; wieder schützt sie ein sicheres Dach. Die Einsprachigkeit der Texte oder Textpassagen, die diese, letztgenannten Phasen beschreiben, symbolisiert Stabilität. Dabei stehen die rein hebräischen Dialoge in der Zeit vor der Verunsicherung für jene, die im realen Leben auf Arabisch stattgefunden haben, und nachher für solche, die sich entweder auf Hebräisch oder auf Arabisch abspielen. Wir sehen, wie sich Sprache, losgelöst von gesellschaftspolitischen, ideologischen Stilvorgaben und ohne reale Sprache eins zu eins abbilden zu wollen, als geschmeidiges, vielschichtiges Medium erweist, das transkulturelle Momente gleichsam en passant einfängt – so unbewusst, wie der 67 Das lässt sich beispielsweise in Victoria beobachten, einem Roman, der das Leben mehrerer Generationen schildert.
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Orient und Okzident: Der schwierige Weg zueinander
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Sprecher Sprache gemeinhin produziert, und so unbewusst, wie Transkulturation meist vonstatten geht. Spezifische Formen der traditionellen orientalischen Erzähl- und Dichtkunst, die andere arabischstämmige Autoren in ihr nicht arabisch geschriebenes Werk integriert und darin weiterentwickelt haben, kommen in den Texten Sami Michaels nicht vor. So arbeitet Michael auch nicht mit der starken oralen Tradition seines Ursprungslands,68 sondern konzentriert sich auf die moderne realistische Schriftprosa, der er, wie oben erläutert, mit zu neuer Geltung verholfen hat.
68 Im Gegensatz etwa zu Tahar Ben Jelloun in La nuit sacrée. Sowohl die Struktur dieses auf Französisch geschriebenen „marokkanischen“ Romans als auch seine „Handlung“ sind von den Geschichtenerzählern des Dschamaa-al-Fna-Platzes in Marrakesch beeinflusst. Die Geschichte, die Ben Jelloun in diesem mitunter verwirrenden, doch von westlichen Lesern und Kritikern hochgeschätzten Buch erzählt, entspricht weder der psychologischen noch der realistischen Logik europäischer Romane. Naturalistisch anmutende Szenen wechseln sich mit märchenhaft surrealen ab, manche Erzählstränge versanden unversehens, und die Lebenschronik einiger Figuren weist Widersprüche und Brüche auf. Der Leser ist oft nicht sicher, ob eine Figur, die er in einem Kapitel kennenlernt, in einem späteren tatsächlich noch dieselbe ist. (Ähnliches gilt auch für weitaus „westlichere“ Bücher, wie Plusieurs vies von Rachid O.) Ben Jelloun bedient sich auf suggestive, traumhafte Weise der oralen Erzähltradition seines Heimatlands, die gewissermaßen dem Pícaro-Roman nahesteht – zumindest insofern, als sie Geschichten aneinanderreiht und lose verbindet. Dabei achtet der Erzähler stets auf die unmittelbare Reaktion des Publikums, zu deren Gunsten er die o.g. psychologische oder realistische Stringenz nonchalant aufgibt. Diese Erzählweise ist für den westlichen Leser nicht immer leicht konsumierbar, ja sie wirkt sogar beunruhigend auf ihn, da sie ihn vom Realen unerwartet ins Irreale führt und sich die Grenzen zwischen beidem verwischen. Der Leser verliert den Boden unter den Füßen. So weit haben sich Sami Michael und Eli Amir ihren sozialkritischen Botschaften zuliebe nie vorgewagt. Vgl. auch Spiller, Tahar Ben Jelloun über das Schreiben zwischen den Kulturen.
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6. Fernziel: West-östlicher Ausgleich (Resümee und Ausblick)
In der Mitte der 60er Jahre äußert David Ben Gurion, auf die Immigration aus dem Orient zurückblickend:1 Those from Marocco had no education. Their customs are those of the Arabs [...] Maybe in the third generation something will appear from the Oriental Jew that is little different. But I don’t see it yet [...] The culture of Marocco I would not like to have it here. And I don’t see what contribution present Persians have to make [...] We do not want Israelis to become Arabs. We are in duty bound to fight against the spirit of the Levant, which corrupts individuals and societies, and preserve the authentic Jewish values as they crystallized in the Diaspora.
Der große Staatsgründer betrachtete die orientalische Masseneinwanderung mit Argwohn. Nicht, dass er sie hätte verhindern wollen, dazu war die Verbesserung der demografischen Verhältnisse zugunsten der Juden in Palästina zu wichtig. Doch war er wie weite Teile des zionistischen Establishments und der zunächst überwiegend aschkenasischen Bevölkerung des Jischuw und des jungen Staates überzeugt, dass Umerziehung und völlige Assimilation der Orientalen der einzige Weg in eine positive Zukunft sei – Israel sollte ein Brückenkopf des Okzidents im Nahen Osten sein. Die Kultur der orientalischen Juden wurde nicht als Teil einer „authentischen Diaspora“, sondern als gefährliches Abbild „verdorbener levantinischer Sitten“ gesehen, das ausgelöscht werden musste. Ziel unseres Buches war es nachzuweisen, dass vom Beginn der orientalischen Immigration an solche Vorstellungen in ihrer Absolutheit und Radikalität kaum mehr als Wunschdenken waren. Anhand der Werke orientalischer Autoren und ihres literarischhistorischen Umfelds haben wir demonstriert, dass viele in Israel einer starken, doch letztlich wirklichkeitsfernen Vision nachhingen und zum Teil noch bis heute nachhängen. Längst hat ein sich intensivierender Prozess der gegenseitigen kulturellen Befruchtung zwischen Okzident und Orient eingesetzt, der sich in spannungsreicher Form nicht nur in der gesellschaftlichen Wirklichkeit Israels ausdrückt, sondern auch in seiner Literatur.
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Zitiert nach Smooha, Israel. Pluralism and Conflict, 88.
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Der Irak in Israel
Im zweiten Kapitel, Von einer nationalen zu einer hybriden Kultur, das die theoretischen Grundlagen unseres Vorgehens erläutert, stellten wir fest, dass durch weltweite Migration und Vernetzung der klassische Kulturbegriff von homogenen nationalen Narrativen obsolet geworden ist. Um die vielfältigen Wandlungsprozesse, die – auch in Israel/Palästina – stattfinden, und die damit verbundene soziale und geistig-zivilisatorische Mobilität beschreiben zu können, haben sich die Ethnologie, die Sozial- und Kulturwissenschaften sowie in ihrem Gefolge andere wissenschaftliche Disziplinen vom Kulturbegriff à la Herder gelöst und neue Konzepte entwickelt. Im Hinblick auf unsere Untersuchung entschieden wir uns aus Gründen, die oben ausführlich dargelegt wurden, für das Konzept der Akkulturation und Transkulturation. Dabei beschlossen wir, „Akkulturation“ nicht in seinem ursprünglichen Sinn, also als Synonym für den passiv aufnehmenden Vorgang einseitiger Assimilation zu verwenden, sondern als Teil des aktiv transformatorischen Prozesses der Transkulturation zu verstehen, die nach Ortiz auf gegenseitiger Annäherung und Beeinflussung, auf Verschmelzung und Neokulturation beruht. Uns auf Ortiz stützend, entwarfen wir das A/B/C-Modell: Eine, meist „minoritäre“ Kultur (A), d.h. in unserem Fall die der Orientalen in Israel, gibt ihre Beschaffenheit auf und passt sich an die einer anderen, aus verschiedenen Gründen „stärkere“ (B) an, in unserem Fall an die in Israel etablierte aschkenasisch-zionistische Kultur; unterdessen wird A aber nicht Teil von B, sondern prägt neue, bis dahin nicht existente Formen (C) aus, die künftig neben B stehen und B sogar transformieren. Mit Raz-Krakotzkin und Bhabha wiesen wir darauf hin, dass die Transkulturation Israels bis heute ein oft schmerzlicher Prozess ist. Mit Raz-Krakotzkin hoben wir den kolonialen Aspekt hervor, der die Interaktion von Orient und Okzident auch in der so genannten postzionistischen Ära erschwert: „Friedlich“, „aufgeklärt“, „modern“ und „universell“ werden mit „westlich“ gleichgesetzt, während man dem Orient die Etiketten „nationalistisch“, „religiös“, „ethnisch“, „fanatisch“ aufklebt. So wird ein unvereinbarer Gegensatz stilisiert, der einer scheinbar aufgeklärten Gesellschaft, nämlich dem immer noch aschkenasisch dominierten „ersten Israel“, einen Vorwand liefert, das Arabisch-Orientalische herabzuwürdigen und aus dem Bewusstsein zu verdrängen, um eigene Ansprüche guten Gewissens durchsetzen zu können. Mit Raz-Krakotzkin haben wir belegt, dass das postzionistische Lippenbekenntnis des Säkularen, das seit geraumer Zeit „fortschrittliche“ Kreise in Israel zum Maßstab erheben, eine zutiefst kolonialistische, da exklusionistisch-orientalistische Dimension enthält, die alle Orientalen trifft – ob Juden oder Araber. Gestützt auf Bhabha, gingen wir auf die schwierige Zwischenposition der orientalischen Juden ein. Einerseits wird von ihnen gefordert, den west-
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Fernziel: West-östlicher Ausgleich (Resümee und Ausblick)
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lichen Charakter Israels nicht zu gefährden, andererseits wollen sie an ihren Traditionen festhalten. Im Sinne Bhabhas bezeichneten wir die Zustände, die daraus entstehen, als hybride Zwischen-Wirklichkeiten und begründeten, weshalb speziell auf sie bei der Analyse einzelner literarischer Werke das Augenmerk gerichtet sein soll. Das dritte Kapitel, Literatur – Spiegel oder Motor der Gesellschaft?, erläuterte, dass der Zionismus um 1950 angesichts der außenpolitischen Situation Israels, der Massenimmigration und der daraus erwachsenden wirtschaftlichen Not in eine Krise geriet. Es wurde deutlich, dass das alte zionistische Ideal der Gleichberechtigung nicht verwirklicht werden konnte – aus ökonomischen Gründen wie aus Gründen der kulturellen Fremdheit. Zu sehr unterschieden sich die Biografien der ins Land strömenden Orientalen, die aus Not, nicht aus Überzeugung kamen, von jenen der zionistischen Siedler. Die Spannungen, die sich daraus ergaben, verliehen dem gesellschaftlichen und kulturellen Klima einen skeptischen Grundton (speziell im literarischen Bereich denke man an Alterman und S. Yishar); das alte Pathos, das auch in der Literatur bestimmend war (etwa bei Schlonski), schwächte sich ab. Doch änderte dies nichts an der offiziellen Vorherrschaft des europäisch-zionistischen Establishments und seines Wertekanons, und auch die Autoren jener Zeit vertraten im Prinzip weiterhin zionistische Positionen. Wir folgerten daraus, dass die Chance einer Diversifikation der israelischen Kultur vertan wurde, und bezeichneten die Orientalen trotz ihrer großen Zahl als Phänomen am Rande. Ihnen mangelte es an öffentlichem Raum, in dem ihre Kultur sichtbar werden konnte. Die Autoren aus dem Orient sollten erst rund eine Generation nach ihrer Einwanderung, nach einem mühsamen Transkulturationsprozess, hörbar ihre Stimmen erheben. Zu diesem zählt auch die Sprachwahl, auf die wir mit Nancy E. Berg Bezug nahmen. Schriftsteller, die sich für das Hebräische entschieden, hatten von Anfang an größere Aussichten, ein Publikum zu finden und literarische und gesellschaftliche Breitenwirkung zu erzielen. Zu ihnen gehören Eli Amir und Sami Michael, die heute erfolgreichsten orientalischen Autoren Israels. Nachdem wir auf beider Biografie eingegangen sind, stellten wir die Themen vor, die ihre Bücher behandeln. Dabei fiel auf, dass die meisten Romane Amirs und Michaels auf spannungsreichen Paarungen beruhen, die die Dichotomien der israelischen Gesellschaft versinnbildlichen. Schablonen gleich strukturieren sie die Handlung der Romane. Doch wollten wir, wie im zweiten Kapitel festgelegt, unseren Blick gerade nicht auf die Abbildung allzu offensichtlicher Antagonismen des „großen“ historischen Kontexts richten, und so entschlossen wir uns, das Hybride, Transkulturelle, hehre Grenzen Verwischende in den Zwischen-Intimitäten des Alltags suchen, bei den vielleicht „schönsten Nebensachen der Welt“: der Musik,
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Der Irak in Israel
dem Essen, dem Sprechen und der Liebe. Denn es wäre ein Irrtum, deren Bedeutung gering zu schätzen, nur weil ihr Reiz im Sinnlichen liegt. Gerade das ist der Grund, weswegen De- und Neokulturation hier besonders schmerzlich sind. Sie werden nicht nur gedacht, sondern am eigenen Leib, der eigenen Seele erfahren. Im vierten Kapitel, Transkulturelle Realität im erneuerten hebräischen Roman, haben wir beispielhaft zwei Bücher Eli Amirs auf die eben genannten Aspekte untersucht: Der Sühnehahn und Jasmin. Im Sühnehahn werden zwei Schlüsselerlebnisse leitmotivisch variiert: die Begegnung Nuris aus Bagdad mit den aschkenasisch-israelischen Essgewohnheiten und der klassischen europäischen Musik. Mit beidem kommen er und seine Freunde nicht zurecht. Die Erwartungen, die an sie gestellt werden und die letztendlich nichts anderes als die kritiklose Übernahme der israelischen Gebräuche bedeuten, können sie nicht erfüllen. Nicht nur, weil sie einen anderen Geschmack haben, sondern vor allem, so wurde deutlich, weil die kulturelle Werteskala nicht überall auf der Welt gleich ist, obwohl man dies im Westen, der seine Kultur für universell hält, – und ebenso in weiten Teilen der israelischen Gesellschaft – gern behauptet. Die arabischen Lieder, die Nuri und seine Freunde singen, stoßen im Kibbuz auf Ablehnung. Die Gruppenleiter versuchen, die Jugendlichen zur europäischen Musik hinzuführen. Doch während die auf lyrischen Texten basierende arabische Musik stark emotional ist und in den haflas mit Leidenschaft zelebriert wird, präsentiert sich die symphonische Musik als ehrfurchtsvoll zu bewunderndes Kunstprodukt. Weder die klassische Musik noch das Theater, die von den Sabres im Kibbuz als ernstzunehmende kulturelle Medien favorisiert werden, ist für die jungen Iraki eine alternative Ausdrucksform für das, was sie in ihre poetischen Lieder legen. Wir machten uns auch Gedanken über die Metaphorik arabischer Lieder und gelangten zu dem Schluss, dass im Orient selbst Liebeslieder hochpolitisch sein können und die klassizistische arabische Liedkunst, wie sie sich Mitte des letzten Jahrhunderts ausgeprägt hat, oft Inhalte transportiert, die im Okzident künstlerisch nur in der Literatur oder auf der Bühne verhandelt würden. Auch anhand des Verhältnisses zu den Speisen, das im Roman erkennbar wird, konnte aufgezeigt werden, dass sich die aschkenasische und die sephardische Tradition erheblich unterscheiden. Mit Claudia Roden postulierten wir, dass spezifische historische Erfahrungen zu dieser Differenz geführt haben. Am Ende des Romans verlässt Nuri den Kibbuz und kehrt zu seiner Familie, den Gerüchen (Speisen) und Melodien der Maabara zurück. Doch ist dies nur als temporärer Rückzug zu verstehen, Ak- und Transkulturation haben längst begonnen. Der Ausblick, den wir ans Ende des Kapitels setz-
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ten, zeigt, dass sich in den folgenden Jahrzehnten die israelische Ess- und Musikkultur orientalischen Einflüssen geöffnet hat. Jasmin erzählt von der Liebe des erwachsenen Nuri zu einer arabischen Christin nach dem Sechs-Tage-Krieg in Ostjerusalem. Wir konstatierten, dass die transnationale Liebe die heikelste Zwischen-Intimität überhaupt darstellt, und haben mit Zahlen und Fakten belegt, dass sie in Israel gesellschaftlich und rechtlich geächtet ist. Dabei beriefen wir uns auf Smooha, der die Segregation der Bevölkerungsgruppen mit einem Kastensystem vergleicht. Wir glaubten ferner zu erkennen, dass bestimmte Charaktere trotz der erschwerten Umstände eher dazu neigen, transnationale Bindungen einzugehen. In diesem Zusammenhang bezeichneten wir Nuri und Jasmin als Unbehauste, die aus unterschiedlichen Gründen am Rande ihrer Kulturen stehen und sich an deren Nahtstelle begegnen und zu lieben lernen. Des Weiteren lasen wir die Leibesvisitationen, denen Jasmin ausgesetzt ist, als zum Teil willkürliche Machtdemonstration des Besatzungsregimes, das unerwünschten Personen, also Arabern, damit zeigt, dass seine Verfügungsgewalt bis in deren körperliche Intimität hineinreicht, die eigentlich allein dem Geliebten vorbehalten sein soll. Trotz dieser Erlebnisse und wegen ihrer Liebe macht Jasmin einen ideologischen Wandlungsprozess durch: Sie gibt ihre israelfeindliche Position auf. Nuri hingegen wird skeptischer, was den Transkulturationswillen der israelischen Gesellschaft angeht, und quittiert den Dienst als Staatsbeamter, der zwischen den Besatzern und der ansässigen arabischen Bevölkerung vermitteln sollte. So hat die Liebe beider Haltung zur Nation verändert. Bezüglich der Sprache als Zwischen-Intimität fiel uns auf, dass die Wahl des verbalen Mediums Nähe oder Distanz signalisieren kann. Um sich vor Verletzungen zu schützen, zieht Jasmin Grenzen, indem sie Englisch spricht. Sie will mit Nuri zunächst weder Hebräisch, die Zweitsprache ihrer Kindheit, noch Arabisch, ihrer beider Muttersprache, sprechen. Erst als sie sich der Aufrichtigkeit ihres „sanften Besatzers“ sicher ist, lässt sie ihn ein ins Haus der arabischen Sprache, die ihnen das Dach gewährt, das die israelische und die arabische Gesellschaft verweigern. So fallen die von diesen definierten Grenzen, und Jasmin und Nuri schaffen sich ihren eigenen Raum der Intimität. Wir nannten das Transkulturation durch die Wiederzulassung gemeinsamer Ursprünge. Noch gilt die Literatur der orientalischen Autoren in Israel als „ethnisch“ und „minoritär“. Doch in Kapitel 5, Orient und Okzident: Der schwierige Weg zueinander, äußerten wir uns verhalten optimistisch, was die endgültige Aufnahme der Orientalen und ihrer Erzählkunst als gleichwertige Komponente im Selbstbild Israels betrifft. In kritischer Auseinandersetzung mit dem Literaturhistoriker Shaked zeichneten wir den Weg der israelischhebräischen Literatur nach und erkannten dabei zwei Tendenzen: nach der
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Staatsgründung die Abschottung und Provinzialisierung durch den Rückzug aus der jüdischen Tradition und dem Israel umgebenden Orient; seit den 60er Jahren eine vorsichtige Öffnung, die ein Interesse auch an orientalischen Momenten zulässt. Wir identifizierten die Sicht Shakeds als Teil der traditionellen, auf das große nationale Narrativ ausgerichteten Historiografie, die den Blick auf die Entwicklungen und Möglichkeiten der jüdischen Kultur im Allgemeinen und der israelischen im Speziellen erheblich einengt, und stellten fest, dass die o.g. Öffnung mit einer neuen Autorengeneration um Oz und Jehoschua verbunden war. Diese haben erste Begegnungen mit dem Orientalischen inszeniert. Doch fiel bei der Analyse von Oz’ Erzählung Nomaden und Viper und seines Romans Mein Michael auf, dass sich der hermetische Raum, in dem sich die aschkenasisch-zionistisch geprägte Gesellschaft eingeigelt hatte, zwar einen Spalt breit öffnete, aber was anfangs Begegnung, Bewegung und Transkulturation verspricht, auf Spiegelung, Selbstbefriedigung, ja Unterwerfung hinausläuft. Erstmals darf in Jehoschuas Der Liebhaber ein Araber als gleichberechtigte Hauptfigur im wörtlichen Sinne „mitreden“. Das Orientalische wird nicht mehr dämonisiert, sondern tritt als beinahe selbstverständlicher Bestandteil der Gesellschaft und Kultur des Landes auf. Die Segregation der Bevölkerungsgruppen scheint für mehrere hundert Lektüreseiten aufgehoben. Doch hat die Intifada schon wenige Jahre später bewiesen, dass die Gesellschaft so weit, wie Jehoschua hoffte, längst nicht war. So kamen wir zu dem Schluss, dass es bislang nur orientalischstämmigen Autoren, dank der ihnen möglichen Innenansichten, gelungen ist, orientalische Figuren nicht als primär der Spiegelung aschkenasischer Befindlichkeiten dienende Versatzstücke zu verwenden, sondern als aktive Figuren in einem lebendigen Milieu. Dem tut auch der dem sozialen Realismus verpflichtete, zuweilen etwas grobe Strich, mit denen die Tableaus der multiethnischen israelisch-palästinensischen Gesellschaft und ihrer Probleme gezeichnet werden, keinen Abbruch. In Orientalische Formen, orientalische Perspektiven? fragten wir uns, wie die Wege der hebräisch-israelischen Literatur weitergehen könnten. Zu diesem Zweck diskutierten wir die orientalischen Formen, mit denen speziell Sami Michael seine Leser konfrontiert. Dabei wurde auf die von ihren Themen und sozialkritischen Anliegen bestimmten Strukturen der Romane verwiesen, die Kapitel 3 erläutert und die einen Trend in der hebräischen Literaturgeschichte gesetzt haben. Wir gingen dann, beispielhaft anhand des Romans Zuflucht, auf die sprachliche Form der Prosa Michaels ein, insbesondere auf das von ihm etablierte Stilmittel der Vermischung des hebräischen Texts mit arabischen Elementen. Dabei fanden wir heraus, dass der Autor sich seiner vor allem in Dialogen bedient, um kulturelle und soziale Differenzen herauszuarbeiten, und dass dies insbesondere in Szenen ge-
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schieht, die kurz nach der Ankunft der Iraki in Israel spielen. Dieser Kunstgriff wurde inzwischen von anderen hebräischen Autoren, auch von Eli Amir, übernommen. Er scheint eine formale Perspektive, die nicht nur auf die spezielle Situation der jüdischen Iraki, sondern auf viele Situationen anwendbar ist, die dazu einladen, in einem einsprachigen Text multilinguale, auch soziolektale Momente einer Phase der Transkulturation durch formale sprachliche Signale anzuzeigen. Allerdings hängt es vom stilistischen Geschick des Autors ab, diesen Kunstgriff so einzusetzen, dass er weder den Lesefluss stört, noch wie manieristisches Dekor wirkt. Wir merkten darüber hinaus an, dass Michael einen naturalistischen Stil pflegt und damit in der Tradition des sozialen Realismus steht, der bis heute kennzeichnend für die moderne arabische Literatur ist und sich besonders dazu eignet, klare soziopolitische Botschaften zu vermitteln. Wir nahmen in Michaels Texten keine stilistischen Merkmale wahr, die älteren Traditionen der arabischen Erzählkunst nahestehen.2 2
Nachdem umfassend vom Orientalischen, auch dem Arabischen in der israelischen Literatur und Gesellschaft die Rede war, soll an dieser Stelle, gleichsam als Kontrapunkt, der arabische Literaturwissenschaftler Adel al-Osta zu Wort kommen. Seine 1993 veröffentlichte Bestandsaufnahme Die Juden in der palästinensischen Literatur endet mit dem Ausbruch der Intifada, deren literarischen Niederschlag der Autor nicht mehr berücksichtigt; dennoch kann das Buch als Standardwerk gelten, das einen mit beispielhaften Textpassagen gespickten Überblick über Werke palästinensisch-arabischer Autoren gibt, in denen jüdische Figuren vorkommen. Interessant ist, dass gerade die nationale Katastrophe von 1948 und ihre Fortsetzung durch die israelische Okkupation aller arabischen Gebiete Palästinas im Sechs-Tage-Krieg zu einer Schärfung der Wahrnehmung geführt haben soll. Sahen die palästinensischen Autoren die jüdischen Siedler bis 1948 aus der Distanz, mit großem Misstrauen und deshalb fast ausschließlich negativ, so wandelt sich laut al-Osta ihr Bild später stufenweise. Während zunächst mit Klischees gearbeitet wurde und man sich für Juden nicht sonderlich zu interessieren schien, wird später z.B. zwischen orientalischen und europäischen Juden, zwischen Zionisten und Nichtzionisten unterschieden; gutmeinende Juden werden sogar als Opfer der zionistischen Ideologie vorgestellt. Die Fortdauer des Konflikts führt also zu einer Art Kennenlernen und Öffnung gegenüber dem auch hier als bedrohlich empfundenen Anderen. Im Gegensatz zur europäisch-hebräischen Literatur, in der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts orientalistische Tendenzen äußerten und bestimmte Züge des Orientalen pauschal idealisiert wurden, empfanden die arabischen Autoren die immer zahlreicher in ihrer Nachbarschaft lebenden Juden kaum als Vorbild. Vor allem sahen sie sie als Helfer der verhassten Engländer, die den Arabern im Kampf gegen die Osmanen die Unabhängigkeit versprochen, doch dieses Versprechen nach der osmanischen Niederlage gebrochen hatten, und beobachteten argwöhnisch die Geschäftstüchtigkeit der Juden, die u.a. in der Aneignung arabischen Landes zutage trat. All das spiegelt sich in den Texten der von alOsta untersuchten Autoren. Dennoch wurde Juden in der Frühphase manchmal auch Bewunderung gezollt, nämlich „wenn sie als aktiv und für ihr Volk verantwortlich handelnd geschildert werden“ (ebd., 235). Nach 1948 unterscheidet al-Osta zwischen in Israel lebenden arabischen Autoren und solchen, die ins Exil gegangen sind. „Erstere beschrieben häufig einzelne Figuren. Es stimmt, dass das Bild der dargestellten Juden oft negativ war, aber der Grund dafür liegt darin, dass die in Israel lebenden Araber bis 1966 unter Militärverwaltung lebten. Deshalb tauchen sehr oft jüdische Figuren, die dem
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Der Irak in Israel
Es ist schwer vorauszusagen, welche orientalischen Formen und Inhalte dauerhaft in die allgemein-hebräische Kultur Israels eingehen und dort Produktivität entfalten werden. Bunzl erkennt für die Orientalisierung Israels wegen seiner Abhängigkeit vom Westen und der Diaspora auf absehbare Zeit Grenzen:3 Fast alle Juden, die heute außerhalb Israels leben, sind Aschkenasim. Seiner Struktur, Funktion und Mission entsprechend hat Israel für diese Diaspora da zu sein und braucht wiederum auch deren Unterstützung. Die orientalischen Juden hingegen befinden sich heute nahezu vollständig in Israel und können auf keine mächtige Lobby außerhalb des Landes hinweisen.
Doch obwohl sich nach unserem anfangs entworfenen A/B/C-Modell derzeit noch A, das Orientalisch-Jüdisch-Arabische, an B, das AschkenasischZionistisch-Westliche, annähert, wird es nicht ganz zu B werden, sondern bildet ein neuartiges C aus, das fortan B beeinflusst. In dieses Stadium sind wir mit Autoren wie Eli Amir und Sami Michael eingetreten. Wenn man das auf Ortiz aufbauende Prinzip weiterdenkt, wird folglich C eines Tages B – ganz oder teilweise? – transformiert haben. Das Ergebnis müsste die Kennung „D“ tragen. Doch wie dieses mögliche D aussieht, lässt sich nicht einmal ahnen. Sicher ist nur, dass es das Produkt eines Jahrzehnte wirksaMilitär angehörten, auf [...] Die im Exil lebenden Autoren betrachteten die in Israel lebenden Juden oft als Feinde. Hier fällt jedoch auf, dass einige Autoren zwischen zionistischen und anderen Juden oder zwischen arabischen und europäischen Juden differenzierten. Letztere wurden als Hauptübel betrachtet. Die wichtigste Veränderung [...] vollzog sich nach dem Juni-Krieg. Zahlreiche Autoren teilten die Welt nicht mehr in Juden und Nicht-Juden [...] Der Unterschied zwischen dem Zionismus als kolonialistischer Bewegung und dem Judentum wurde klar zum Ausdruck gebracht. Gründe dafür sind u.a. die Ausbreitung der marxistischen Idee unter den arabischen Intellektuellen und auch der von der palästinensischen Bewegung Fatah gemachte Vorschlag eines demokratischen Staates, in dem Juden, Christen und Moslems zusammen leben können. Deshalb trifft man hier erstmals vom Zionismus betrogene jüdische Figuren aus schon von alters her in Palästina ansässigen Familien, die ihre Loyalität zuerst Palästina gegenüber zeigen. Als neues Motiv taucht hier außerdem der vom Zionismus betrogene israelische Soldat auf. Auch jüdische Frauen werden deutlich positiver gezeichnet als früher“ (ebd., 235f). In alOstas Fazit heißt es: „So ergibt sich das Gesamtbild, dass die negative Kennzeichnung von Juden in der palästinensischen Literatur hauptsächlich in Reaktion auf die Auswirkungen des Zionismus, teils auch in direkter Auseinandersetzung mit dessen Verfechtern auftraten, dass aber diese Reaktion angesichts der historischen Erfahrungen der Autoren und ihrer Landsleute keineswegs immer übermäßig heftig und pauschal ausfiel. Unter diesen Umständen darf vermutet werden, dass das Bild der Juden in der palästinensischen Literatur ohne die Konfliktsituation, die durch die zionistische Einwanderung und schließlich die Gründung des Staates Israel heraufbeschworen wurde, deutlich positiver aussähe“ (ebd., 238). 3 Bunzl, Juden im Orient, 113.
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Fernziel: West-östlicher Ausgleich (Resümee und Ausblick)
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men Transkulturationsprozesses ist, in dem die jüdischen Orientalen der „europäischen“ Kultur Israels ein Tor zum Orient geöffnet haben, während die Annäherung und Transkulturation Israels mit den arabischen Orientalen noch bevorsteht und ebenfalls nicht ausbleiben kann. Wir dürften also auch in Zukunft immer neuen Themen und Formen begegnen, die die hebräische Literatur in Bewegung halten und auf Dauer spannend machen. Aus der Perspektive Sami Michaels ist schon jetzt, trotz aller Konflikte, „etwas Wunderbares“ sichtbar, dessen sich die meisten Israeli noch gar nicht bewusst seien. Die Aschkenasim und Misrachim, die Religiösen und Sekularen, die Juden und Araber im Land haben, ohne es zu wissen, etwas Gemeinsames geschaffen, das ich „Israeliness“ nenne. Es handelt sich um etwas Verrücktes, Irres, Dummes, aber alle mögen und leben es. Das macht Hoffnung [...]
So lautet die Bilanz des hochbetagten Schriftstellers4 und erklärt die Distanz, mit der irakischstämmige Juden den heutigen Irak und seine Probleme sehen:5 Israel ist im Zuge seiner sozialen Öffnung und seines kulturellen Wandels zur Heimat geworden, mit neuen Hoffnungen und Perspektiven; der Irak hingegen ist lebendige und keineswegs verdrängte Vergangenheit, ein Baustein der eigenen west-östlichen israelischen Identität. Reale Anknüpfungspunkte im Irak von heute scheint es nicht mehr zu geben.
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Dachs, Außenseiter aus Überzeugung. Selbst jene, die in Israel nicht reüssierten und/oder den Glauben an die Integrationsfähigkeit der israelischen Gesellschaft verloren haben, sehnen sich zwar nach dem alten Bagdad, doch ist eine Rückkehr keine Option für sie. Manch eine, so die israelische Kulturwissenschaftlerin Ella Habiba Shohat, ist zu ganz neuen Ufern aufgebrochen, die das Versprechen auf Freiheit einlösen und doch noch entfernt an Euphrat und Tigris erinnern; vgl. Samir, Forget Baghdad. 5
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Anhang: Biogramme weiterer Autoren
Die folgenden Biogramme stellen Autorinnen und Autoren vor, die sich in den weiteren Kontext unseres Themas einfügen, doch aus konzeptionellen Gründen nur am Rande vorkommen können. Bemerkenswert ist, dass diese jüdisch-orientalischen Schriftsteller weder in der arabischen Welt noch später in Israel einer Bohème angehörten. Die Vertreter der älteren Generation sind oder waren fast allesamt studierte Juristen, Ökonomen oder Lehrer und die Jüngeren, in Israel Geborenen oft Literatur- oder Theaterwissenschaftler, was in beiden Epochen auf eine Art „Marsch durch die Institutionen“ schließen lässt: In Israel ist das Orientalische mit der Akkulturation und dem sozialen Aufstieg seiner Repräsentanten nicht verloren gegangen, sondern überhaupt erst kulturell wirkungsmächtg geworden. Nicht die bewusste Marginalisierung, sondern die gesellschaftliche Anerkennung und Aufnahme ins Bürgertum war sowohl hier wie schon vorher im Irak und den anderen Ländern der Region eine Voraussetzung für den künstlerischen Erfolg der jüdischen Orientalen. Die bibliografischen Angaben, die in die Biogramme aufgenommen wurden, beschränken sich auf beispielhafte Werke, die auch in europäischen Sprachen vorliegen. Sie sollen auch des Hebräischen (oder Arabischen) unkundige Leser zur Fortsetzung der begonnenen Lektüre und weiteren Erkundung des in dieser Arbeit entworfenen Panoramas ermuntern.
Naim Araidi Araidi ist Druse und wurde 1950 in Kafr Maghar (Israel) geboren, wo er noch heute lebt. Nach dem Militärdienst studierte er hebräische Literatur an der Universität Haifa und promovierte über den Dichter Uri Zwi Greenberg. Er unterrichtet an der Pädagogischen Hochschule Gordon College in Haifa und ist Leiter des Zentrums für arabische Kinderliteratur in Israel. Gedichte von ihm wurden u.a. ins Englische übersetzt: Back to the Village (Pennsylvania 1991).1
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Originalausgabe: ʸʴʫʤ ʯʮ ʩʺʸʦʧ, erstmals erschienen 1986.
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Schimon Ballas Der auch unter dem Namen Adib al-Kas auftretende Autor wurde 1930 in Bagdad geboren und kam 1951 nach Israel. Er veröffentlichte Erzählungen und Essays in der lokalen arabischen Presse, studierte Orientalistik in Paris und lehrte arabische Literatur an der Universität Haifa. Heute lebt und schreibt er in Tel Aviv und Paris. Ballas gehört zu den Autoren, die die israelisch-hebräische Literatur für neue Themen geöffnet haben; sein erster Roman erschien 1964 und trägt den programmatischen Titel Das Durchgangslager.2 Als Arabist und Literaturwissenschaftler veröffentlichte er auch in und für die arabischen Welt, so seine arabischsprachigen Untersuchungen über die arabische Literatur im Schatten des Krieges (1984) und über säkulare Strömungen in der arabischen Literatur (1992). Auf Englisch erschienen u.a. The Shoes of Tanboury (New York 1970)3 und Outcast (San Francisco 2007).4 Letzteres schildert das Leben von Ahmad Soussa, einem irakischen Juden, der in den 30er Jahren zum Islam übertrat, später für das Regime Sadam Husseins Propagandaschriften verfasste und, zumindest in Ballas’ Roman, als alter Mann in den 80er Jahren seine Erinnerungen niederschreibt.
Jaakub Balbul Balbul, der sich auf Hebräisch in Bilbul Lev umbenannte, ist 1920 im Irak geboren und veröffentlichte 1938, kurz nach dem Abitur, sein erstes Buch. Er gilt als wichtiger Vertreter der realistischen Schule in der arabischen Literatur und hat beispielsweise Dialoge im heimischen Dialekt geschrieben (damals revolutionär!), um die Authentizität seines Erzählstils zu erhöhen und die große Kluft zwischen arabischer Schrift- und Umgangssprache zu überbrücken. Nach dem Studium wurde er Beamter an der Bagdader Handelskammer, die von einem anderen jüdischen Dichter und Öknomomen geleitet wurde, Meir Basri, einem begeisterten Verfechter des irakischen Nationalgedankens. Bedauerlicherweise liegen uns keine westlichen Übersetzungen Balbuls vor, auf die wir verweisen könnten.
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Originalausgabe: ʤʸʡʲʮʤ, erstmals erschienen 1964. Offenbar nicht auf Hebräisch erschienen. Originalausgabe: ʸʧʠ ʠʥʤʥ, erstmals erschienen 1991.
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Anhang: Biogramme weiterer Autoren
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Jehuda Burla Vielleicht der einzige „Klassiker“ unter den sephardisch-hebräischen Autoren ist Jehuda Burla. Als einer der wenigen konnte er sich früh einen Platz in der öffentlichen Wahrnehmung und den Geschichtsbüchern der hebräischen Literatur erobern. 1886 in Jerusalem geboren und 1969 ebendort gestorben, stammte Burla aus einer jüdischen Gelehrtenfamilie aus Smyrna, dem heute türkischen Izmir. Im Ersten Weltkrieg diente er als Dolmetscher in der türkischen Armee, danach lebte er mehrere Jahre in Damaskus und war dort Direktor mehrerer jüdischer Schulen. Seit seiner Rückkehr nach Palästina verdiente er seinen Lebensunterhalt als Lehrer in Tel Aviv. Sein umfangreiches Prosawerk gibt Einblick in das nahöstlich-sephardische Milieu, beschreibt dessen Sprache, Gebräuche und Gedankenwelt. Einige seiner Bücher wurden in Israel ins Arabische übersetzt, nur wenige in europäische Sprachen. Obwohl er in Literaturgeschichten fast immer genannt wird, ist die Rezeption seiner Werke nach seinem Tod zum Erliegen gekommen. In Deutschland blieb er nahezu unbekannt, obwohl schon in den 30er Jahren im Berliner Schocken-Verlag ein Erzählband von ihm erschienen war: In den Sternen geschrieben.5
Schalom Darwisch Zwei Erzählungen des wahrscheinlich 1913 als Sohn eines kurdischjüdischen Tuchhändlers geborenen und 1950 über den Iran nach Israel emigrierten Autors wurden kürzlich in einer deutschen Übersetzung vorgelegt: im Band Zieh fort aus deiner Heimat, dem Land deiner Väter (Berlin 2007, herausgegeben von Angelika Neuwirth u.a.). Zu seiner Bagdader Zeit war Darwisch als Nachfolger Anwar Schauls (s.u.) Sekretär der jüdischen Gemeinde der Stadt, zudem Anwalt und äußerst politisch aktiv. Er kandidierte bei den Parlamentswahlen, verfehlte jedoch das angestrebte Mandat. In Israel praktizierte er als Anwalt und schrieb Erzählungen in arabischer Sprache. Er starb 1997.
Jizchak Gormesano 1941 in Kairo geboren, kam Jizchak Gormesano schon als Kind nach Israel; der Familienname wurde offiziell in Goren geändert. Er studierte englische 5
Originalausgabe: ʡʫʥʫ ʩʬʡ, erstmals erschienen 1927.
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und französische Literatur in Jerusalem und Tel Aviv und gehörte zu den Gründern des Bimat-Kedem-Theaters, deren Produktionen den Akzent bewusst auf die außereuropäischen jüdischen Kulturen legten. Sein bedeutendster, doch noch immer unübersetzter Roman, Ein Sommer in Alexandria,6 beschreibt die doppelbödige Sexualmoral der ägyptischen Bourgeoisie aus Sicht eines jüdischen Heranwachsenden. Darüber hinaus schrieb Gormesano Theaterstücke, Fernsehspiele und Jugendbücher.
Alon Hilu Alon Hilu ist nicht nur Schriftsteller, sondern vor allem als juristischer Berater in der israelischen Wirtschaft tätig. Erst im Alter von 36 Jahren veröffentlichte er seinen ersten Roman, der bald darauf ins Französische übersetzt wurde: La mort du moine (Paris 2008).7 Die Handlung ist von einer realen Figur inspiriert, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Damaskus lebte, der Stadt der Vorfahren des Autors: Aslan Farchi, Sohn eines jüdischen Notablen, beschwor eine unglückliche Verkettung von Missverständnissen und Verfolgungen herauf, die als l’Affaire de Damas in die Annalen eingingen. Auf Aslans Spuren entwirft der Autor das Bild einer fragilen Gesellschaft, deren drei Komponenten, die Muslime, die Christen und die Juden, in engem Kontakt und Austausch standen, sich jedoch nicht vermischten.
Sayed Kashua 1975 in der arabischen Stadt Tira (Israel) geboren, lebt Kashua heute bei Jerusalem, wo er Philosophie und Soziologie studiert hat. Als Journalist schreibt er in israelischen Zeitungen über Kultur, TV und gastronomische Themen. Er war mit zwei Romanen erfolgreich, die in der Folge auch auf Deutsch erschienen sind: Tanzende Araber (Berlin 2004) und Da ward es Morgen (ebd. 2005).8
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Originalausgabe: ʩʰʥʸʣʰʱʫʬʠ ʵʩʷ, erstmals erschienen 1978. Originalausgabe: ʸʩʦʰʤ ʺʥʮ, erstmals erschienen 2004. Originalausgaben: ʭʩʣʷʥʸ ʭʩʡʸʲ und ʸʷʥʡ ʩʤʩʥ, erstmals erschienen 2002 bzw.
2004.
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Ronit Matalon Als Tochter einer ägyptisch-italienischen Familie kam Ronit Matalon 1959 in Gane Tikwa (Israel) zur Welt. Sie studierte Literaturwissenschaften und Philosophie in Tel Aviv und berichtete für das israelische Fernsehen und die Tageszeitung Haaretz während der ersten Intifada aus dem GazaStreifen und der Westbank. Sie wurde Dozentin für hebräische und vergleichende Literaturwissenschaften an der Universität Haifa, unterrichtet aber auch an Theater- und Filmschulen und ist Mitglied des Forums für mediterrane Kultur am Van-Leer-Institut, Jerusalem. Seit 1989 schreibt sie fiktionale Literatur. Auf Deutsch erschienen sind ihr erstes, ein Kinderbuch mit dem Titel Eine Geschichte, die mit dem Begräbnis einer Schlange beginnt (München 1999)9 sowie zwei Romane. Ihre Prosa ist modern und experimentell. Während sie in Was die Bilder nicht erzählen (Reinbek 1998)10 noch größere zeitliche und erzählerische Zusammenhänge herausbildet, werden diese in Sara, Sara (München 2002)11 wie im Film zu Momentaufnahmen, zu Fragmenten von Szenen und Dialogen zerschnitten. Den Angelpunkt dieses Buches bilden zwei Stunden auf einem Flughafen: Sara, die Fotografin und linke Aktivistin aus aschkenasischem Hause, trifft Ofra, eine Kunsthistorikerin aus orientalischer Familie; beide sind 35 Jahre alt. Identitätspolitik, die im Nahen Osten eine so große Rolle spielt, wird hier durch neue Erzähltechniken symbolisch aufgebrochen.
Samir Nakasch Samir oder Mosche Nakasch war einer der letzten und wahrscheinlich der wichtigste jüdische Schriftsteller in Israel, der weiter auf Arabisch schrieb. Das zumindest ist die Einschätzung des irakisch-schweizerischen Filmemachers Samir, der in seiner Dokumentation Forget Baghdad mehrere jüdische Autoren aus dem Irak portraitiert hat. Nakasch wurde 1938 in Bagdad geboren, lebte in Teheran und Bombay, ließ sich in Petach Tikwa (Israel) nieder und arbeitete zuletzt in Manchester, ehe er 2003 in Israel verstarb. Er begann als Nachrichtenredakteur des arabischen Programms am israelischen Rundfunk und war ab 2001 Redakteur einer in England produzierten Zeitschrift für die arabische Welt. 1971 veröffentlichte Nakasch seinen ersten Erzählband, weitere Kurzprosa und mehrere Romane folgten. Er gehörte nach Anwar Schaul und Schalom Darwisch einer jüngeren Genera9 10 11
Originalausgabe: ʹʧʰ ʬʹ ʤʩʥʥʬʡ ʬʩʧʺʮʹ ʸʥʴʩʱ, erstmals erschienen 1989. Originalausgabe: ʥʰʩʬʠ ʭʩʰʴʤ ʭʲ ʤʦ, erstmals erschienen 1995. Originalausgabe: ʤʸʹ ʤʸʹ, erstmals erschienen 2000.
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tion arabischer Schriftsteller an, die sich vom sozialen Realismus abwendete und neue, experimentelle Ausdrucksformen suchte. Surreale, symbolistische und absurde Elemente gewinnen Gewicht in seinem Werk. Der libanesische Autor Elias Khoury sieht Nakasch als Symbol des Aderlasses, den die arabische Kultur durch den Verlust ihrer jüdischen Komponente im 20. Jahrhundert erlebt habe. Die Initiativen der kommunistischen Partei Israels, die auf den Austausch arabischsprachiger Literatur über die Grenzen hinweg abzielten, kamen durch die Zementierung der Situation im Nahen Osten Anfang der 70er Jahre zum Erliegen. So blieben Nakaschs Werke in der arabischen Welt fast unbekannt, und auch von der hebräisch-israelischen Kultur wurde er – wie die meisten seiner Arabisch schreibenden Kollegen – kaum rezipiert. Als Achtungserfolg kann immerhin die Auszeichnung Nakaschs mit dem Preis des Ministerpräsidenten für arabische Literatur gewertet werden, der kommerzielle Erfolg blieb ihm aber verwehrt. Als in den letzten Jahren der Austausch israelischer und arabischer Literatur in Gang kam und vermehrt hebräische Autoren in arabischen Verlagen außerhalb Israels erschienen sowie, umgekehrt, arabische Autoren in Israel, blieben die arabischsprachigen Israeli, die eigentlich eine Brückenfunktion haben sollten, vergessen. Mag sein, dass die überdurchschnittliche Präsenz der hebräischen Literatur im Ausland vor allem dem professionellen Marketing des Instituts für die Übersetzung hebräischer Literatur geschuldet ist – die Vermittlung arabischer Kultur gehört per definitionem nicht zu den Aufgaben dieser mit öffentlichen Geldern geförderten israelischen Einrichtung; einen vergleichbaren Mittler haben die arabischsprachigen Autoren Israels nicht. Ein rühriger Exilverlag in Köln-Deutz (al-Kamel, inzwischen nach Beirut umgezogen) hat in den vergangenen Jahren einige Texte Nakaschs im arabischen Original neu gedruckt. Die deutsche Übersetzung von drei seiner Erzählungen wurde jüngst in den Band Zieh fort aus deiner Heimat, dem Land deiner Väter aufgenommen, der einer Grenzgängerin zwischen den islamischchristlich-jüdischen Kulturen des Nahen Ostens, der Orientalistin Angelika Neuwirth, zu verdanken ist und auch Texte von Schalom Darwisch (s.o.) enthält.
Dorit Rabinyan Als Tochter einer iranisch-jüdischen Familie 1972 in Kfar Sawa (Israel) geboren, begann Rabinyan während ihres Militärdienstes Lyrik zu schreiben und reüssierte im Alter von nur 22 Jahren mit ihrem ersten großen
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Roman. In bilderreicher Sprache schildert sie in Die Mandelbaumgasse (München 1999) zwei Frauenschicksale in einem iranischen Dorf zu Beginn des 20. Jahrhunderts.12 Auch Unsere Hochzeiten (Frankfurt a.M. 2001) führte die Bestsellerliste in Israel während mehrerer Monate an. Mit Geschichten aus ihrem eigenen Leben, von persischen Vorfahren und bevorstehenden Hochzeiten macht die Hauptfigur des Buches ihren Töchtern Hoffnung auf Liebes- und Lebensglück.13
Anton Schammas Schammas, ein arabischer Christ, wurde 1950 in Fassuta in Galiläa (Israel) geboren. Er studierte arabische Literatur und Kunstgeschichte in Jerusalem und lebt heute als Hochschullehrer für Eastern Studies in den Vereinigten Staaten. In Israel war er Herausgeber eines arabischen Literaturmagazins und schrieb Kolumnen für die hebräischsprachige Presse. Er verfasste Gedichte auf Arabisch und Hebräisch sowie ein Kinderbuch und einen Roman, Arabesken (München 1989), auf Hebräisch.14 Obwohl er seit Arabesken keine weiteren literarischen Werke in dieser Sprache veröffentlicht hat, gilt er neben Sayed Kashua (s.o.) bis heute als wichtigster nicht jüdischer hebräisch-arabischer Schriftsteller.
Amnon Schamosch 1929 in Aleppo (Syrien) geboren, kam Schamosch schon im Kindesalter nach Palästina. Er nahm in einer Eliteeinheit der jüdischen Armee am israelischen Unabhängigkeitskrieg teil und war Mitbegründer des Kibbuz Maajan Baruch, in dem er noch heute lebt. Nach dem Studium unterrichtete er hebräische und englische Literatur an einem Gymnasium, dessen Leitung er schließlich übernahm. Erst im Alter von vierzig Jahren begann er fiktionale Prosa und Lyrik zu veröffentlichen. Einige seiner Bücher erschienen in Israel auch auf Arabisch. Im Ausland wurde u.a. Michel Ezra Safra et fils (Paris 1986) publiziert.15
12 13 14 15
Originalausgabe: ʯʠʩʸʮʥʠʡ ʺʥʩʣʷʹʤ ʺʨʮʩʱ, erstmals erschienen 1995. Originalausgabe: ʥʰʬʹ ʺʥʰʥʺʧʤ, erstmals erschienen 1999. Originalausgabe: ʺʥʷʱʡʸʲ, erstmals erschienen 1986. Originalausgabe: ʥʩʰʡʥ ʠʸʴʱ ʠʸʦʲ ʬʹʩʮ, erstmals erschienen 1978.
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Anwar Schaul Schaul wurde 1904 in Hila am Euphrat geboren und zog 1916 mit seiner Familie, einem Zweig des berühmten Sassoun-Clans, in die Hauptstadt Bagdad. Dort studierte er Rechtswissenschaften und diente der jüdischen Gemeinde mehrere Jahre als Sekretär. 1937 unterzeichnete er mit führenden Gemeindevertretern ein Memorandum gegen den Zionismus. Von 1933 bis 1949 war er Rechtsberater der königlichen Finanzverwaltung und verteidigte jüdische Bürger, die wegen ihrer kommunistischen Überzeugung gerichtlich verfolgt wurden. Schaul gilt als einer der Wegbereiter der arabischen Kurzgeschichte. Er gehört zu den Ersten, die in dieser Prosaform veröffentlichten, spielte jedoch vor allem als Mentor und Ermutiger junger Prosaisten eine Rolle. 1929 gründete er al-Hassid, eine Literaturzeitschrift, die für die Dauer von acht Jahren zum Forum einer neuen irakischen Schriftstellergeneration wurde. Er übersetzte Schillers Wilhelm Tell in seine Muttersprache. Erst 1971 kam er, bereits ein alter Mann, nach Israel und starb dort 1984. Außerhalb des arabischen Sprachraums wurde er kaum rezipiert und erst nach seinem Tod von der Forschung in Israel entdeckt. Ein Textbeispiel und Analysen seines Oeuvres finden sich im dreisprachig arabischenglisch-hebräischen Band Short Stories by Jewish Writers from Iraq von Shmuel Moreh (Jerusalem 1978).
David Schachar Geboren 1926, gestorben 1997. Schachar stammte aus einer Familie, die seit Generationen in Jerusalem ansässig war. Er studierte an der Hebräischen Universität und wohnte in seiner Heimatstadt sowie in Paris, wo er als anerkannte Persönlichkeit zum Commandeur de l’Ordre des arts et des lettres ernannt wurde. Schachar war als Lehrer, Autor und Übersetzer tätig und hinterlässt ein umfangreiches Prosawerk, in dessen Zentrum der siebenbändige Romanzyklus Der Palast der zerbrochenen Gefäße steht.16 Mit seiner symbolisierenden Technik und den nicht unbedingt logischrealistisch geknüpften Handlungssträngen gehört er der expressionistischsurrealistischen Richtung der modernhebräischen Literatur an. In den beiden ersten, auch in deutscher Übersetzung veröffentlichten Bänden, Ein Sommer in der Prophetenstraße und Die Reise nach Ur in Chaldäa (König-
16
Originalausgabe: ʭʩʸʥʡʹʤ ʭʩʬʫʤ ʬʫʩʤ, erstmals erschienen zwischen 1969 und
1994.
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stein i.Ts. 1984 bzw. 1985),17 verarbeitet der Romancier Erinnerungen an das Leben im Jerusalem der 30er Jahre. Der dritte Band, Le jour de la comtesse (Paris 1981), behandelt den arabischen Aufstand gegen den Jischuw im Jahr 1936.18
Jizchak Schami Der Sohn eines syrisch-jüdischen Seidenhändlers wurde 1888 geboren und wohnte seit seinem 17. Lebensjahr in Jerusalem, wo er sich zum Lehrer ausbilden ließ und erste Kurzgeschichten auf Hebräisch schrieb. Er unternahm ausgedehnte Reisen über Syrien bis nach Bulgarien, lebte seit den 30er Jahren in Haifa und starb 1949 in Hebron. Schamis Hauptwerk entstand in den 20er Jahren und umfasst neun Erzählungen und zwei Kurzromane. Als Übersetzungen erschienen The Vengeance of the Fathers in Eight Great Hebrew Short Novels (New York 1983)19 und zuletzt Nouvelles d’Hébron (Genf 2008).20
Ronny Someck Geburt in Bagdad 1951, Ankunft in Israel zwei Jahre später. Someck studierte hebräische Literatur und Philosophie an der Universität Tel Aviv und belegte zudem Kurse in bildender Kunst. Er verfasst seit dem Jom-KippurKrieg (1973) Gedichte, aber auch Kritiken und Essays und betreut für verschiedene Literaturzeitschriften Kolumnen, die israelische wie ausländische Literatur vorstellen. Er zählt zu den führenden israelischen Lyrikern. Texte von ihm wurden in 39 Sprachen übersetzt, etwa für den Band The Fire Stays in Red (Madison 2002).
17 Originalausgaben: ʭʩʠʩʡʰʤ ʪʸʣʡ ʵʩʷ und ʭʩʣʹʫ ʸʥʠʬ ʲʱʮʤ, erstmals erschienen 1969 bzw. 1971. 18 Originalausgabe: ʺʰʦʥʸʤ ʭʥʩ, erstmals erschienen 1976. 19 Originalausgabe: ʺʥʡʠ ʺʮʷʰ, erstmals erschienen 1927. 20 ʩʮʠʹ ʷʧʶʩ ʩʸʥʴʩʱ sowieʭʩʸʥʴʩ ʱ ʤʹʩʹ erschienen erstmals 1952 bzw. 1983.
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Quellenverzeichnis
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1 Soweit zusätzlich zum hebräischen Original deutsche Übersetzungen angegeben werden, verzichten wir auf die durch Mehrfacheditionen zuweilen unübersichtliche Auflagenzählung und nennen die jeweils jüngste Ausgabe der Übersetzung.
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© 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-56937-5 — ISBN E-Book: 978-3-647-56937-6
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© 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-56937-5 — ISBN E-Book: 978-3-647-56937-6
Hinweise zur Transkription und Orthografie
Die Umschrift hebräischer Begriffe und Namen im vorliegenden Buch folgt weitestgehend der hebräischen Phonetik, der Klang der Wörter wurde entsprechend deutschen Schreibgewohnheiten ins lateinische Alphabet gebracht. So schreiben wir sch und nicht sh, z und nicht ts und differenzieren konsequent zwischen ch und h; stimmhaftes und stimmloses hebräisches s fallen aufgrund deutscher Schreib- und Lesegewohnheiten fast immer zusammen. Eine Ausnahme bilden die Namen einiger bekannter Schriftsteller. Sie erscheinen in der Form, in der sie in deutschen Lexika, Anthologien und Literaturgeschichten oft oder immer geschrieben werden, beispielsweise Amos Oz (nicht Os). Ähnliches gilt für einige geläufige hebräische Termini sowie für Namen und Begriffe aus dem Arabischen. Bei ins Deutsche übersetzten Zitaten aus den Primärquellen, die arabische Wörter oder Sätze enthalten (in den Originalausgaben in hebräischen Buchstaben dargestellt!), wurde im Allgemeinen so transkribiert, wie es schon in Eli Amirs Im Schatten der Orangenhaine in Absprache mit Verlag und Autor der Fall war. Im Dienste der Lesbarkeit haben wir auf eine Transkription nach den Regeln der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft verzichtet; aufgrund von sozio- und dialektalen Varianten kommt es ohnehin zu Verwerfungen gegenüber dem hocharabischen Standard. Aus Gründen der Einheitlichkeit wurden Zitate in alter deutscher Rechtschreibung an die neue Rechtschreibung und alle hebräischen Zitate an die üblichere Pleneschreibung angeglichen. Hebräische und arabische Werktitel erscheinen im Text und den Fußnoten in wörtlicher deutscher Übersetzung. Der jeweilige Originaltitel ist dem Quellenverzeichnis zu entnehmen. Dort finden sich auch gegebenenfalls abweichende Titel der deutschen Buchausgaben sowie die Namen weiterer Urheber, d.h. der Übersetzerinnen und Übersetzer, die die Texte ins Deutsche gebracht haben und damit über Israel hinaus einem großen Leserkreis zugänglich machen.
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© 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-56937-5 — ISBN E-Book: 978-3-647-56937-6
Register
Agnon, Samuel Josef (Czaczkes) 33, 62, 64 Alterman, Natan 34, 69, 91 Amir, Eli 14, 24, 27, 37–47, 49ff, 53ff, 57ff, 61, 67, 77, 80, 82f, 87, 91f, 95f Appelfeld, Aharon 80 Araidi, Naim 99 Avni, Yossi (Levi) 81
Fink, Ida 23 Funkenstein, Amos 16, 66
Ballas, Schimon 35, 37, 100 Balbul, Jaakub (Bilbul Lev) 100 Balzac, Honoré de 82 Beethoven, Ludwig van 44 Basri, Meir 100 Bellow, Saul 66 Ben, Zehava 52 Ben-Jehuda, Chemda 70 Berg, Nancy E. 22, 25, 33–37, 41, 61, 82, 84, 91 Bhabha, Homi K. 28, 42, 53, 90f Ben Gurion, David 39, 71, 89 Bialik, Chaim Nachman 33, 62ff, 69 Brenner, Josef Chaim 62ff, 67, 69f, 72 Brod, Max 68 Brubaker, Rogers 27 Buber, Martin 63, 67, Bunzl, John 22, 35, 54, 96 Burla, Jehuda 69, 72, 101 Byron, George Gordon Lord 69
Habibi, Emile 37, 39 Hafis, Abd al-Halim 51 Hall, Stuart 17, 47, 76 Hasas, Chaim 67 Hauptmann, Gerhart 69 Heine, Heinrich 7, 69 Herder, Johann Gottfried v. 17, 19f, 90 Hilu, Alon 83, 102 Hugo, Victor 82 Huntington, Samuel Philips 22
Camus, Albert 76f Cervantes, Miguel de 69 Chasson, Avraham 81 Damari, Shoshana 67 Darwisch, Schalom 36f, 101, 103f Dickinson, Thorold 34 Dinar, Baruch 34 Diner, Dan 26 Djebar, Assia 64 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch 69 Enderwitz, Susanne 48 Fellmann, Ferdinand 43
Goldberg, Lea 69 Gordon, Judah Leib 69, 99 Gormesano, Jizchak (Goren) 35, 101f Greenberg, Uri Zwi 99 Gryphius, Andreas 76
Ibsen, Henrik Johan 65 Ichilov, Jael 110 Jehoschua, Avraham B. 15, 54, 72f, 77– 81, 94 Jelloun, Tahar Ben 64, 87 Jeruschalmi, Nachum 69 Kalsoum, Oum 49f Kas, Nadib al- 100 Kashua, Sayed 81, 102, 105 Keret, Etgar 81 Khoury, Elias 104 Liebrecht, Savyon 76 Mann, Familie 64 Mansour, Atallah 81 Mared, Samir 39 Matalon, Ronit 103 Menasse, Salah 39 Mendelssohn, Moses 62 Michael, Sami 14, 24, 26f, 35, 37–42, 61, 71, 80, 83–87, 91, 94–97 Molière, (Jean-Baptiste Poquelin) 69
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Der Irak in Israel
Moreh, Shmuel 36, 39, 106 Mozart, Wolfgang Amadeus 44, 46f Nakasch (Naqqash), Samir Mosche 103f Nassib, Selim 50 Neuwirth, Angelika 101, 104 Nünning, Ansgar 17, 20f Ortiz, Fernando 21f, 43, 48, 90, 96 Oz, Amos 15, 54, 61, 63, 72–77, 79, 81f, 94 Petrarca, Francesco 69 Rabinowicz, Jakob 69 Rabinyan, Dorit 69 Rachid, O. 87 Racine, Jean Baptiste 69 Rami, Ahmad 50 Raz-Krakotzkin, Amnon 26f, 65f, 90 Riklis, Eran 84 Roden, Claudia 48, 52 Roth, Philip 66 Rothschild, Edmond Baron de 31 Rushdie, Salman 64 Said, Edward Wadie (William) 14, 47, 76 Samir (Jamal Aldin) 97 Sarchi (Zarhi), Israel 69 Schachar, David 106 Schami, Jizchak 69, 72, 107 Schammas, Anton 81, 105
Schamosch, Amnon 35, 105 Schauki (Shawqi), Ahmad 50 Schaul, Anwar 36, 101, 103,106 Schiller, Friedrich v. 69, 106 Schlonski, Avraham 33, 64, 91 Scholem, Gerschom 27 Senghor, Léopold Sédar 41 Shaked, Gershon 34–36, 61–66, 69–71, 79, 82, 93f Shalev, Meir 80 Singer, Isaac Bashevis 63f Smilanski, Mosche 67, 69f, 72 Smooha, Sammy 32, 35, 54f, 59, 69, 78, 89, 93 Someck, Ronny 107 Soussa, Ahmad 100 Somekh, Sasson 37, 41 Stawi, Mosche 69 Tammus, Binjamin 70, 73 Tschernichowski, Schaul 62 Welsch, Wolfgang 17f, 20, 48 Wilenski, Meir 70 Yishar, S. (Smilanski) 34, 37, 70, 72f, 82, 91 Zanaani (Tsanani), Margalit 52 Ziffer, Benni 80 Zola, Emile 82 Zweig, Arnold 67f, 77
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