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German Pages 177 [208] Year 2019
Philosophische Bibliothek
Bernard Bolzano Vom besten Staat
Meiner
Bernard Bolzano (1781–1848), Ölgemälde von Franz Horčička
BER NA R D BOL Z A NO
Vom besten Staat
Mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Kurt F. Strasser
FEL I X M EI N ER V ER L AG H A M BU RG
PH I L O S OPH I S C H E BI BL IO T H E K BA N D 732
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliog raphische Daten sind im Internet a brufbar über ‹http://portal.dnb.de›. ISBN 978-3-7873-3710-1 ISBN eBook 978-3-7873-3711-8 www.meiner.de © Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2019. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfi l mungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Frontispiz: GetArchive LLC. Satz: Jens-Sören Mann. Druck: Strauss, Mörlenbach. Bindung: Josef Spinner, Ottersweier. Werkdruckpapier: alter ungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.
I N H A LT
Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ix Einleitung. Von Kurt F. Strasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xi 1. Der Ursprung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xi 2. Der Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xiv 3. Das Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xx 4. Der Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xxii 5. Die Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xxv Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xxviii Bernard Bolzano Vom besten Staat Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
ERSTER ABSCHNITT Von den Bürgern des Staates, von dessen Umfang und dessen Abteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 ZWEITER ABSCHNITT Von der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 DRITTER ABSCHNITT Von der Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 VIERTER ABSCHNITT Von den Zwangsanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
vi Inhalt
FÜ NFTER ABSCHNITT Von der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 SECHSTER ABSCHNITT Von der Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 SIEBENTER ABSCHNITT Von der Freiheit des Denkens und der Religion . . . . . . . . . 58 ACHTER ABSCHNITT Von der Erziehung und dem Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . 63 NEU NTER ABSCHNITT Von der Sorge für die Gesundheit und das Leben . . . . . . . . 74 ZEHNTER ABSCHNITT Von dem Eigentum der Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 ELFTER ABSCHNITT Vom Geld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 ZWÖLFTER ABSCHNITT Von den Beschäftigungen und Lebensarten der Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 DR EIZEHNTER ABSCHNITT Von den hervorbringenden Gewerben . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 VIER ZEHNTER ABSCHNITT Vom Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 FÜ NFZEHNTER ABSCHNITT Von den Gelehrten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 SECHZEHNTER ABSCHNITT Von Büchern und Zensur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
Inhalt vii
SIEBZEHNTER ABSCHNITT Von den schönen Künsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 ACHTZEHNTER ABSCHNITT Von der Nahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 NEU NZEHNTER ABSCHNITT Von der Kleidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 ZWANZIGSTER ABSCHNITT Von den Wohnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 EINU NDZWANZIGSTER ABSCHNITT Von einigen den Geschlechtsunterschied betreffenden Anstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 ZWEIU NDZWANZIGSTER ABSCHNITT Von der Befriedigung des Ehrtriebes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 DR EIU NDZWANZIGSTER ABSCHNITT Von den Reisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 VIERU NDZWANZIGSTER ABSCHNITT Von den Vergnügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 FÜ NFU NDZWANZIGSTER ABSCHNITT Von den Streitigkeiten der Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 SECHSU NDZWANZIGSTER ABSCHNITT Von der Besteuerung der Bürger und von den Staatsausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 SIEBENU NDZWANZIGSTER ABSCHNITT Von Belohnungen und Strafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 ACHTU NDZWANZIGSTER ABSCHNITT Vom Tode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
VORWORT
»In aller Wahrheit kann der Verfasser dieses Aufsatzes beteuern, dass er die Menschen als seine Brüder geliebt und sich von Jugend an mit keinem anderen Gegenstand des Nachdenkens lieber, öfter und angelegentlicher beschäftigt habe als mit der Frage, wie den vielen Übeln und Leiden, die unser Geschlecht auf Erden drücken, am wirksamsten gesteuert werden könnte …« – So beginnt das Vorwort zu Bernard Bolzanos utopischer Schrift Vom besten Staate. Seine Zeitgenossen und Biographen, Freunde und Feinde stimmen hier ausnahmsweise mit ihm überein: Selbst seinen schlimmsten Gegnern gelang es nicht, dem Menschenfreund irgendetwas Schlechtes glaubhaft nachzusagen. Diese Beschäftigung war Bernard Bolzanos Glück und Unglück zugleich: Sie brachte ihn zu seiner segensreichen Tätigkeit an der Prager Universität – und sie führte ihn in die Verbannung. Die hier vorgelegte Schrift dokumentiert den einmaligen Versuch, diese Verbannung wirksam zu durchbrechen. Den Zugang zur Gedankenwelt Bernard Bolzanos verdanke ich Edgar Morscher. Wir gingen gemeinsam (1995) den mehrfach behaupteten Einflüssen des Philosophen auf verschiedene Schriftsteller nach und mussten feststellen, dass die Behauptungen nicht haltbar waren. Dies hatte auch damit zu tun, dass über das Leben und Wirken des Philosophen wenig bekannt war. Das wiederum steht in einem verkehrten Verhältnis zu dessen wirklicher Bedeutung. Peter Demetz danke ich für die vielen anregenden Gespräche zu diesem Thema. Marcel Simon-Gadhofs vertrauensvollem Zugang auf die Sache verdanke ich die Öffnung des Meiner Verlages ihr gegenüber. Salzburg, Juni 2019
Kurt Friedrich Strasser
»… von jeher war es mein Wunsch, von den Gütern der Erde nicht allzu viel, höchstens nur so viel zu genießen, als bei einer gleichen Vertheilung derselben auf einen Jeden ausfallen würde.« Bernard Bolzano, Lebensbeschreibung
»Wer seiner Zeit nur voraus ist, den holt sie einmal ein.« Ludwig Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen
EI N L EI T U NG
1. Der Ursprung Ein Zeichen der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Blüte Böhmens und seiner Hauptstadt Prag war die Gründung der ers ten Universität in Mitteleuropa – wir nehmen den Begriff hier geographisch für die böhmischen und später österreichischen Länder von Schlesien bis ans Mittelmeer – im Jahre 1348 durch Karl I. (Prag, 1316–1378; König von Böhmen; ab 1355 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches als Karl IV) aus dem Geschlecht der Luxemburger. Schon bald nach ihrer Gründung im Jahr 1348 gab die Prager Universität kräftige Lebenszeichen von sich. Die Karlsuniversität war der Brennpunkt gelehrter Auseinandersetzungen des geistigen und geistlichen Lebens im Königreich Böhmen und darüber hinaus. Jan Hus (1370–1415), Jeroným Pražský und ihre Mitstreiter versuchten, die katholische Kirche zu reformieren. Man stritt damals im Grunde schon um nichts weniger als um die Richtung, in die sich die abendländische Kultur weiterentwickeln sollte. Der Streit ging um Begriffe, um die Frage, wie man die neue Zeit begreifen konnte und sollte. Ausgangspunkt war der große »Universalienstreit« gewesen, der an der philosophischen (Artisten-)Fakultät der Pariser Universität Sorbonne geführt wurde und von dort ins ganze Abendland ausstrahlte. Von Paris, wie auch von der englischen Oxford-Universität kommende Scholaren und Magister heizten die Diskussion auch in Prag an. Die eigentümliche Prager Position, die sich vornehmlich aus dem Studium der Lehren William Ockhams, John Wyclifs und Johannes Buridans entwickelte, war eine konkret-nominalistische Sicht der Dinge, verbunden mit starker religiös-sozialer Ausrichtung und Volksnähe. Im Gegensatz dazu stand der von den deutschsprachigen Ständen vertretene (Universalien-)Rea-
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lismus (mit der Annahme, dass beispielsweise die »Röte« etwas tatsächlich Existierendes sei, während die Nominalisten nur rote Gegenstände als existierend annahmen). Der gelebte böhmische Nominalismus äußerte sich unter anderem in der Verwendung der Volkssprache (Tschechisch) für die Predigten: So gelang es, die Gläubigen in die geistigen Vorgänge mit einzubinden. Dieselbe nominalistische Haltung prägte später auch das intellektuelle Leben an der 1365 gegründeten Wiener Universität. Der Streit entzweite die Gelehrten in Prag, und er führte schließlich zur Ermordung von Jan Hus in Konstanz 1415. Die daraus folgenden, ganz Europa verheerenden Kriege bewirkten, dass diese frühe böhmische Aufklärungsbewegung fast vollkommen niedergeschlagen und weitgehend vergessen wurde. Die böhmischen Stände wählten 1526 Ferdinand I. von Habsburg zu ihrem König und die böhmischen Länder wurden daraufhin Teil des habsburgischen Weltreiches. Unter der Herrschaft der böhmischen Königin Maria Theresia (1717–1780, Erzherzogin von Österreich, ab 1743 Königin von Böhmen und ab 1745 de facto Regentin des Habsburgerreiches) und ihres Sohnes Kaiser Joseph II. wurde die Rückbesinnung auf die reformerische Tradition erst wieder möglich, ja sie war sogar teilweise erwünscht. Die Reformbewegung wechselte so gesehen wieder ins Lager der katholischen Reichskirche. Sie unterscheidet sich von der mittlerweile in deutschen Ländern und weiter um sich greifenden protestantischen Glaubenslehre Martin Luthers insofern wesentlich, als der neue Protestantismus auf eine Art Rationalisierung des Glaubens hinauslief, während die katholisch gebliebene Religion die sinnliche Komponente des Glaubens beibehielt, also Ratio (besonders die Naturwissenschaften) und Mystik gleichermaßen pflegte. Daraus folgt ein weiterer Unterschied: Die Aufklärungstradition – wir nehmen hier den Begriff Aufklärung für eine von Aberglauben jeder Art befreiende Geistesbewegung und nicht für eine Epochenbezeichnung –, die sich im mehrheitlich protes tantischen Norden und Westen Europas ausbreitet, ist gewissen-
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maßen eine »rein« rationale. Mystik erscheint in dieser Tradition als Widerspruch zur Ratio. Diese Religionsauffassung trägt ein Merkmal, das der Soziologe Max Weber besonders deutlich aufgezeigt hat: die Verwandtschaft der protestantischen Ethik mit dem Kapitalismus. Dieser Zug entfaltet eine geradezu ungeheure Entwicklungsgeschwindigkeit. Dem scheint die katholische Reli gion und ihre Aufklärung im Südosten Europas nicht folgen zu können. Aber der Schein trügt: Es ist eine unvergleichbare, eine andere Aufklärungsbewegung, von der wir hier reden. Was war das für ein Staat, diese Habsburgermonarchie, in dem diese Art der Staatsphilosophie, die Bolzano in seiner Utopie weiterentwickelt, entstand und möglich war? Sie ist zu Bolzanos Zeit schon ein altes Weltreich. Seit dem Spätmittelalter (Rudolf II. von Habsburg, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches von 1273– 1291) und seit 1438 beinahe ausschließlich stellen Habsburger die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Die verschiedenen Länder dieses Reiches sind großteils friedlich (durch Heiratspolitik, Wahl und Erbschaft) zur Krone gekommen. Das HRR wurde von religiösen und dynastischen Kräften geeint, ein geräumiges gotisches Gebäude, nicht nach allen Regeln der Baukunst errichtet, aber lange Jahrhunderte konnte man darin in ziemlicher Sicherheit leben, wie der letzte Erzkanzler Theodor von Dalberg an dessen Ende (1804/6) feststellte. Kaiser Franz II. (1768–1835) übernahm die Kaiserwürde unter dem Druck Napoleons für das habsburgische Österreich. Dieses Reich Franz (I.) von Österreich barg nach wie vor eine bunte Vielfalt von Ländern, die einer gemeinsamen Verwaltung unterlagen. Die Verwaltungsbeamten einten das Reich auf eine umständliche, formale, aber aus heutiger Sicht doch recht effiziente Art. Man trachtete nicht danach, die vielen Landessprachen und -dialekte zu vereinheitlichen, unterdrückte auch volkstümliche Eigenheiten nicht. Die Verwaltung schaffte es, eine gewisse Einheit zu erreichen und zugleich die Vielfalt der Länder und Lebensformen beizubehalten. Man strebte auch nicht mehr nach Weltherrschaft und nicht
xiv Einleitung
danach, Kolonien zu erwerben, um sie auszubeuten, wie das in dieser Zeit in Europa üblich war. Abseits von diesem Weltmachtstreben konnte im Kaiserreich so etwas wie ein positives Heimatgefühl entstehen, dessen Projektionsfigur weiterhin der Kaiser war. Damit stand man ziemlich allein da zwischen den großen »modernen« Nationalstaaten wie Frankreich oder England oder aufstrebenden Nationalstaaten wie Preußen oder Italien.
2. Der Autor Bernard Bolzano, der Vater des Philosophen, war aus dem habsburgischen Kronland Lombardei in die Hauptstadt des Kronlandes Böhmen eingewandert, hatte eine Prager Bürgerin geheiratet und in der Stadt eine Familie gegründet. Als sein Sohn Bernard (1781–1848), viertes Kind dieser Familie, an der Prager Universität studierte, herrschten wieder bewegte Zeiten: Die Napoleonischen Kriege wühlten die Völker Europas auf; Not und Unsicherheit, aber auch neue Ideen, wie vor allem die des »Nationalismus«, griffen um sich. Es waren zugleich Zeiten im »Dämmerungslicht der Aufklärung«, so Bolzano: Die Industrialisierung setzte ein und schuf neue materielle und soziale Tatsachen. – Böhmische Gelehrte und Geistliche wie Karl Raphael Ungar, Chrysostomus Pfrogner, Josef Dobrovský, Jan Maria Mika und andere hatten sich der verschütteten böhmischen Aufklärungstradition besonnen: Es war die Generation der Lehrer von Bernard Bolzano. Dieser prüfte ihre Ideen, nahm sie auf und entwickelte sie weiter. Noch während des Studiums zeigte sich, dass er ein hervorragender Mathematiker war. Nicht nur das, er glänzte in beiden Grundzügen der alten mitteleuropäischen Geistestradition: Er verband die nominalistisch konkrete Denkweise mit der Idee einer mathesis universalis (dem Gedanken, dass alles Zähl- und Messbare genau bestimmbar sei) im Leibniz’schen Sinn einerseits – mit der religiös-barmherzigen, sozialen Lebensform anderer-
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seits: Ratio und Mystik, wie das in der katholischen Religion angelegt ist. Auch jetzt stritt man wieder um Begriffe, mit denen die neue Welt erfasst werden konnte, und letztlich ging es wieder um die Frage, in welche Richtung sich die abendländische Kultur weiterentwickeln sollte. – Dabei zeigt sich erneut, dass es zwei grundverschiedene Antworten auf die Frage nach dem Fortschritt gibt. Schon früh kam Bolzano zu klaren Gedanken über ihm wesentliche Dinge des Lebens. Als wichtigste Frage galt dem Jugendlichen bereits jene nach dem möglichst gedeihlichen Zusammenleben der Menschen.1 Als sich der junge Mann zwischen den beiden Schwerpunkten seines Interesses – Mathematik und Religion – für einen Beruf entscheiden musste, fiel seine Wahl auf die Religion. (Im Grunde war das keine Entscheidung, denn Mathematik und Religion sind hier nicht getrennt zu verstehen.) Aber diese Wahl legte die Hauptaktivitäten fest, und darin lag ein handfester Grund für diese Wahl: Bolzano konnte davon ausgehen, dass er durch seine Vorlesungen über Religion seinen Hörern einen bedeutenderen Nutzen würde stiften können, als es durch Vorlesungen in Mathematik möglich war.2 Das Amt des Religionsprofessors war nämlich mit der Pflicht verbunden, allwöchentlich Universitätsreden (Exhorten oder jetzt auch »Erbauungsreden« [ER] genannt) abzuhalten. Diese einstündigen Reden waren vor dem Plenum der Studenten der Artistenfakultät (»Philosophicum«) der Karlsuniversität vorzutragen. Zusammen mit Prager Bürgern, die wachsendes Interesse daran zeigten, waren das zuweilen über tausend Hörer. Das barg ungeheure Wirkungsmöglichkeiten in entscheidenden Zeiten. Bernard Bolzanos Erbauungsreden wurden sehr gut aufgenommen. Die Veranstaltung entwickelte sich bald zum Mittelpunkt aufgeklärter Bestrebungen in der böhmischen Hauptstadt. 1 Zeithammer
[1850], 41; Loužil, Einleitung zu Bolzano [1975], Bol zano Gesamtausgabe [BGA] 2A 14, 9. 2 Bolzano [1836] 29; Zeithammer [1850], 65.
xvi Einleitung
Der grundsätzliche Beweggrund von Bolzanos Denken ist ein ethischer. Als christlicher Denker sieht er Wahrheiten nicht nur abstrakt, sondern verwoben im Zusammenhang des mensch lichen Lebens. Die Unruhe, die ihn dazu treibt, sich mit ethischen Wahrheiten auseinanderzusetzen, ist von der Art jener, die der Kirchenvater Augustinus zu Beginn seiner Bekenntnisse so ausdrückt: »… unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir [Gott]«.3 Bolzano fasst »Gott« als den Inbegriff aller Wahrheiten auf, und das menschliche Streben nach Erkenntnis als den Trieb, diese Wahrheiten kennenzulernen. Das ist ein Prozess, der letztlich zur Gottgleichheit des Menschen führt. Erst wenn der Mensch zu dem wird, was er werden soll, gleicht er Gott und ist praktisch wahr. Seine Hauptaufgabe sah der Seelsorger jetzt darin, klare Begriffe zu schaffen. In der Begriffsklärung, von der Analysis bis hin zur Alltagssprache, sah Bolzano seine und überhaupt die alles entscheidende philosophische Grundlage einer wahren Aufklärung. Es gab tatsächlich viel zu klären, und Bolzano ging bis an die Grenze seiner physischen Belastbarkeit. Von der ersten bis zur letzten seiner insgesamt fast sechshundert Erbauungsreden4 zeichnete er den »Fortschritt« des Einzelnen und der Menschheit insgesamt als ein »stetes-weiser-[ethisch]besser-und-glücklicherWerden«. – Auf dem Weg dorthin geht es darum, Mensch und Natur immer besser zu verstehen, also unablässig nach Kenntnissen zu streben und im Einklang mit diesen, mit sich selbst und der Natur der Dinge zu handeln und zu leben. Das BesserWerden hängt so gesehen mit dem Weiser-Werden zusammen. Das verlangt keinen naiven, sondern einen vernünftigen Glauben. Bernard Bolzanos Ethik kommt nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern sie folgt aus der Einsicht in wesentliche Zusammenhänge. Die entscheidende letzte Einsicht ist jene, dass es gar keiConfessiones 1,1. 2A 15–25 [1805–1820].
3 Augustinus, 4 BGA
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nen anderen Weg gibt zum Glück des Einzelnen und letztlich zum Überleben der biologischen species Mensch als diesen. Es ist auch klar, wogegen Bolzano kämpft: gegen den Aberglauben, die Natur beherrschen zu können, gegen eine veräußerlichte Moral, welche die Liebe (caritas, amor, eros) langsam aus der Mitte des Lebens an den Randbereich der Sonntagspredigten schiebt. Auf diese Weise entschwindet dem Einzelnen, und der abendländischen Kultur insgesamt, das Glück: Als unquantifizierbarer Wert fällt es ihr/ihm gleichsam aus den Händen, und es will sich trotz allem immer sagenhafteren Luxus nicht einstellen. Er erkennt, dass der herrschende »Fortschritt« bald mit beachtlicher technischer Raffinesse in das archaische Schema zurückfällt und das Recht des Stärkeren ausübt. Er prägt einen völlig anderen Begriff vom »Fortschreiten des Menschengeschlechts« als den bereits herrschenden. Zunehmend tauchen aber auch Vorwürfe und Verdächtigungen gegen den Prediger auf. Bolzanos neue und harte Begrifflichkeit passt nicht allen. Besonders Geistliche werfen dem Erbauungsredner schlimme Sachen wie Heterodoxie und Neologie vor. Die katholischen Kleriker fürchten (zu Recht, wie wir sehen werden), dass derart aufgeklärte Glaubenslehren ihnen einen deutlichen Bedeutungsverlust bescheren würden. Sie denunzieren Bolzano in Rom. Seitens des Päpstlichen Stuhls wird daraufhin Druck auf den Kaiser ausgeübt. Der Angeklagte muss seine Erbauungsreden vorlegen und Theologen zeigen bei einem zweiten Anlauf der Anklage schließlich angebliche Verstöße gegen die katholische Glaubens- und Sittenlehre auf. Mehrfach wird Bolzano (nicht ganz zu Unrecht) mit Jan Hus verglichen, was in diesem Zusammenhang einem weiteren Verdammungsurteil gleichkommt. Der Beschuldigte, Bolzano selbst, bleibt völlig unbeeindruckt, nimmt diese Vorwürfe nicht ernst und informiert zudem seine Hörer in einer Erbauungsrede5 von diesen Vorgängen hinter den Kulissen. Die 5 Erbauungsrede
1819.1. BGA 24/1, 25–33
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staatlichen Eliten, ihrerseits verunsichert durch eine unabsehbar um sich greifende nationalistische und staatsfeindliche Dynamik, müssen erkennen, dass Bolzano schließlich nicht mehr im Amt zu halten ist. Sie fürchten, Bolzanos Lehren könnten missverstanden werden. Nur wenige haben erkannt, dass gerade sein klärender Einfluss ein Mittel geboten hätte, den überhitzten Diskurs auf rationalem Boden zu halten und den Zündstoff der Volksverhetzung durch wirksame Aufklärung zu entschärfen. Die österreichischen Behörden reagieren schließlich, und nach einem fragwürdigen kirchlichen Verfahren bekommt Bolzano im Jänner 1820 sein Absetzungsdekret überreicht. Schlagartig ist der Philosoph jetzt aller Wirkungsmöglichkeiten beraubt. Er fügt sich widerspruchslos in dieses Los, das ihn ins politische Abseits stellt. Bolzano wendet sich nun wieder der Mathematik und Logik zu. Er denkt grundsätzlich mathematisch und setzt voraus, dass es raum- und zeitunabhängige Wahrheiten gebe, unabhängig davon, ob diese entdeckt sind oder nicht. So gilt der Satz des Pythagoras längst vor dessen Formulierung, und er gilt zeitlich unbegrenzt. – Diejenige Wahrheit aber, die Bolzano die wichtigste war, blieb weiterhin unerhört und unverstanden. Er nannte sie das »Oberste Sittengesetz«. Seit er logisch dachte, stand sie vor seinen Augen; noch vor seiner Berufsentscheidung hatte er sie in groben Umrissen erkannt und jetzt machte er sich daran, sie zu formalisieren. Er formulierte diese für den Menschen »wichtigste Wahrheit« so:6 Wähle von allen dir möglichen Handlungen immer diejenige, die, alle Folgen erwogen, die Tugend und Glückseligkeit des Ganzen, gleichviel in welchen Theilen, am meisten befördert. Diese Wahrheit besagt, dass der Wert eines Menschen daran zu messen sei, was er in seinem Leben zum Wohl oder Schaden sei6 Bolzano
[1834] RW 1 § 88, S. 236.
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ner Mitmenschen, zum Gemeinwohl der Menschheit insgesamt, beigetragen habe. Diese Wahrheit ist, so Bolzano, vor allem7 eine praktische Wahrheit, aus der sich jede andere praktische Wahrheit (also auch jede einzelne Pflicht, die den Menschen betrifft) objectiv, d.h. so, wie die Folge aus ihrem Grunde, ableiten läßt. Bolzanos Sittengesetz ist kein Imperativ. Es befiehlt nicht. Es ist auch nicht kategorisch, bedingungslos, sondern es ist eine handfeste, praktische und überprüfbare Regel für eine(n) Jede(n) und für alles menschliche Handeln. Die damit inbegriffene Sozialkritik ist nominalistisch-konkret: Es fehlen hohle Universalien wie »Arbeiterklasse« oder leere, abstrakte, »dialektische« Formeln zur gedachten Durchführung. Dieses Oberste Sittengesetz richtet sich an den Einzelnen, der mit seiner Denkhilfe unschwer praktische, nachvollziehbare Handlungsrichtlinien im alltäglichen Leben finden kann. Wichtiger noch als die schriftliche Ausformung der Gedanken im vorliegenden Büchlein ist der Umstand, dass Bolzano seine Utopie lebte: Er führte ein bescheidenes Leben, das mit sehr geringem äußeren Aufwand eingerichtet war. Er war unablässig um Wissen bemüht und setzte es nach Möglichkeit auch im Dienste der Bedürftigen (Kinder, Arme, Kranke) in die Tat um. Bei näherer Betrachtung entsteht durchaus der Eindruck, dass es ein glückliches Leben war, das er geführt hatte, eines, in dem Glauben und Wissen vereint waren.
7 Bolzano
[1834] RW 1 § 88, S. 228.
xx Einleitung
3. Das Werk 1830 entschloss sich Bolzano, seine Gedanken über ein gedeih liches Zusammenleben der Menschen niederzuschreiben. Der Jurist und spätere österreichische Kultusminister Graf Leo ThunHohenstein »rehabilitierte« den Philosophen, indem er ihm, auf Bitte dessen Freundes Franz Schneider hin, im Jahr 1843 eine private Zusatzpension zukommen lassen wollte, zum Ankauf von Fachliteratur (die der Beschenkte testamentarisch dem Staat zurückgab). Bernard Bolzano schickte dem Grafen zuvor eine Abschrift seiner Gedanken über den besten Staat, weil er vermutete, dass viele seiner Vorschläge dem Grafen (zu Recht, wie wir sehen werden) gar nicht gefallen könnten. Er wollte ihm so Gelegenheit geben, sein Vorhaben wieder zurückzuziehen. Thun blieb bei seinem Angebot.8 Die hier vorgestellte utopische Schrift gibt ein ungefähres Bild, in welche Richtung sich die abendländische Kultur hätte weiterentwickeln können. Um die Welt als Lebensraum zu erkennen und zu schützen, hält Bolzano das religiöse Element für unverzichtbar; Kirchen sind für ihn unverzichtbar als Hüterinnen des Gemeinsinns und der gemeinsamen Sprache. Gerade hier wirkt der Irrtum des Nationalismus verheerend: So wie es zu Zeiten von Hus nicht um die tschechische Sprache ging, so geht es jetzt nicht um die deutsche, in der Bolzano und die Prager Gelehrten sich jetzt ausdrücken. Es geht um die gemeinsame Sprache der Menschheit. Bolzano entschied, als er den aufflammenden politischen Fana tismus und die nationalistische Demagogie des Jahres 1848 miterlebte,9 dass seine Utopie nicht veröffentlicht werden sollte, weil sie in der leidenschaftlichen Auseinandersetzung seiner Zeit nicht verstanden werden und daher auch nichts Gutes bewirken 8 Wißhaupt 9 Loužil,
[1858], S. 56. Einleitung zu Bolzano [1975] BGA 2,4,14; S. 9.
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würde. – Dies, obwohl er in ihr sein »beste[s], wichtigste[s] Vermächtnis« erkannte, das er der Menschheit hinterlassen konnte. Bernard Bolzano kannte alles, was in der Gelehrtenwelt seiner Zeit an utopischen Gedanken existierte. So wie Platon in seiner Politeia sieht er den besten Staat als einen, in dem die Bewohner nicht durch Privateigentum vom Wesentlichen, dem humanen Fortschritt, abgelenkt werden, sondern sich für das Gemeinwohl einsetzen. Auch in der Utopia des Thomas Morus gibt es keinen Privatbesitz; allerdings sind Bolzanos Gedanken nicht auf einer fiktiven Insel angesiedelt, und auch nicht an einem »Nicht-Ort«, sondern mitten im Leben Prags, Böhmens, Österreichs. Ein deutlicher Einfluss von Jean-Jacques Rousseaus Ideen ist bemerkbar, wenn er sich auf dessen dynamisches Konzept des Vergesell schaftungs- und Denaturalisierungsprozesses beruft. Bei der späteren Bearbeitung seines Büchleins zeigt sich Bolzano auch von dem aktuellen Werk Europa’s bevorstehende politische Verwesung (1842) des bayrischen Pädagogen und Priesters Heinrich Stephani beeindruckt. Stephani mahnt besonders das Fehlen der »göttlichen Staatslehre« in den modernen Verfassungen ein. Bolzano empfahl dieses Buch weiter, als Warnung. Eine weitere aktuelle Publikation, nämlich die Voyage en Icarie (1842) des utopischen Sozialisten Etienne Cabet, beeindruckte Bolzano so sehr, dass er es (in deutscher Übersetzung) zuerst einer Publikation des Büchleins beifügen wollte. Allerdings, der »ikarische Kommunismus« Cabets ist in der praktischen Umsetzung gescheitert, und zwar an der Nichteinhaltung der ursprünglich vereinbarten Regeln. Dieses Los teilt die Utopie Cabets mit allen übrigen Utopien im engeren Sinn. Bolzanos Büchlein trägt auch zeitgemäße Züge. So finden wir darin noch die Vorstellung vom verantwortungsbewussten pater familias, freilich ohne die damit verbundenen früheren patriarchalischen Rechtsvorstellungen. Er setzt die gütige Vaterfigur auch noch bei Kaiser Franz I. voraus (der diese Erwartungen allerdings nicht erfüllt). Die große Bedeutung, die Bolzano dem
xxii Einleitung
Staat als Schützer der Armen und Hüter des Gemeinsinns einräumt, erinnert an die Politik Kaiser Joseph II. Allerdings waren Bolzanos Vorstellungen viel weniger streng und abstrakt als die des kaiserlichen Aufklärers und Zwangsbeglückers; sie waren näher am gesunden Menschenverstand. Bernard Bolzano glaubte an die Verbesserungsfähigkeit der Kirche10 wie auch an jene des Staates und tat alles, was in seinen Kräften stand, um dazu beizutragen. Anlass zur Unzufriedenheit und Verbesserungsbedarf gab es genug in der Katholischen Kirche wie im Habsburgerreich. Aber Bernard Bolzano achtete darauf, dass seine Vorschläge, so radikal sie auch erscheinen mochten, nicht das Gebäude destabilisieren oder gar zum Einsturz bringen konnten, sondern er bemühte sich immer um schrittweise Verbesserungen und Erlösung von Übeln. Einen Umsturz strebte er in keiner Weise an. Bernard Bolzanos Büchlein ist vor dem Hintergrund seines Lebens zu sehen, gleichsam als konsequente gedankliche Weiterführung. Es ist bar jeder Ideologie und jedes Idealismus und liest sich stre ckenweise fast etwas trocken, als Katalog von konkreten Verbesserungsvorschlägen.
4. Der Text Das erste Manuskript ist 1830/31 entstanden. Am 18. Mai 1831 hat er es seiner Freundin Anna Hoffmann geschickt. Diese Urfassung ist verschollen. Aus dem Jahr 1846 existiert eine zum Teil von Bolzano selbst korrigierte Abschrift seines Freundes Franz Přihonský (Abschrift A). In den Jahren dazwischen sind keine wesentlichen Veränderungen am Text vorgenommen worden. Das Manuskript (A) wurde von einem weiteren Freund, Michael Josef Fesl, im selben Jahr kopiert (Abschrift B). Zudem gibt es noch eine dritte zeitgenössische Abschrift (C) aus dem Nachlass 10 Bolzano
[1845].
Kurt Friedrich Strasser
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von Frantisek Daneš. Alle drei Handschriften sind im Prager Literaturarchiv (Pámátnik národního písemnictví) aufbewahrt. Gedruckt sind drei Ausgaben erschienen: von Arnold Kowalewski 1932: Bernard Bolzano. Von dem besten Staat; Wilhelm Stähler 1933: Bernard Bolzano. Paradoxien in der Politik und die Ausgabe von Jaromír Loužil 1975: Bernard Bolzano. Das Büchlein vom besten Staate in der BGA. In tschechischer Sprache (O nejlepším státě) sind weitere drei Editionen erschienen, von Martin Jašek, Praha 1934, Jašek und Vorwort von Ludvík Svoboda, Praha 1949, und Josef Plojhar, Praha 1952. Die zuverlässigste Abschrift (A) ist Grundlage der kritischen Edition von Jaromír Loužil. Arnold Kowalewski greift in seiner Edition auf die Abschrift C zurück. Die Abschrift B ist Vorlage der Edition von Wilhelm Stähler. (A) und (B) weisen geringf ügige Unterschiede voneinander auf; die Überlieferungsvariante (C) weicht etwas mehr von den beiden früheren Versionen ab, da die Korrekturen Bolzanos nicht übernommen worden sind und der Kopist offensichtlich ohne Verständnis gearbeitet hat. Grundlage dieser vorliegenden Ausgabe sind die Handschriften A und B, genauer gesagt, ist die Kollation von Handschrift A und B. Nachdem ein Archetyp hier fehlt und andererseits eine kritische Edition des Textes bereits vorliegt, ist die ursprüngliche Textgestalt nicht von erster Wichtigkeit. Ich lege daher Wert auf eine möglichst verständliche Darstellung des Textes. Dieser verlangt dem Leser ohnehin genug Konzentration ab, denn Bernard Bolzano verwendet einen stark hypotaktischen Schreibstil mit ungewöhnlich langen Satzkonstruktionen. Das bleibt naturgemäß unverändert; aber um die Lesbarkeit zu erleichtern, wird hier der historische Sprachzustand vorsichtig aktualisiert und der Text der aktuellen Rechtschreibung angepasst: In der Orthographie: y ▷ i (bey ▷ bei); th ▷ t (Reichthum ▷ Reichtum) -niß ▷ -nis (Erlaubniß ▷ Erlaubnis). Bei Fremdwörtern c ▷ z (Censur ▷ Zensur) c ▷ k (Casse ▷ Kasse) und Fremdwortendungen -irt ▷ -iert (requirirt ▷ requiriert).
xxiv Einleitung
In den Flexionsformen: Bolzano verwendet durchgängig das Dativ-e (vom besten Staate). Hier wird diese Form an manchen Stellen zurückgenommen (vom besten Staat). Veraltete, betonte oder starke Verbformen und -endungen werden ersetzt bzw. getilgt (darbeut ▷ darbietet), (frug ▷ fragte); (übet ▷ übt); (gehet ▷ geht); so auch Adjektiva (lüderlich ▷ liederlich) und Substantivformen (Hülfe ▷ Hilfe). In den Fällen, wo etymologische Veränderungen verständnisstörend wirken, wurde eingegriffen: So wird das Verb »beobachten« im Text noch in der (heutigen) Bedeutung von »beachten« (eine Vorschrift beobachten) verwendet und hier dadurch ersetzt; ähnlich »verstatten« in der Bedeutung »gestatten«. Wenn Begriffe heute pejorative (oder sonst sinnstörende) Bedeutung haben, werden sie ersetzt (Weib ▷ Frau). Heute missverständliche Formen werden ersetzt und in den Fußnoten angeführt. Der aktuellen Sprachgestalt folgend werden auch Getrenntund Zusammenschreibung geändert (zu Stande ▷ zustande), Groß- und Kleinschreibung wird aktualisiert, und hier noch zuweilen verwendete doppelte Negation wird vereinfacht. Die Schreibung von Umlauten mit hoch- oder beigestelltem Umlaute oder -i (Aerger, Uibel) wird durch Umlautzeichen aufgelöst (Ärger, Übel). Kürzel (u. dergl.) werden vereinheitlicht. Die Interpunktion, besonders die Beistrichsetzung, variiert in den Abschriften (und bei Bolzano selbst tritt sie zuweilen inhomogen auf). Um das Verständnis dieser komplexen Syntax zu erleichtern, wird die Interpunktion hier vereinheitlicht und emendiert. Letzteres gilt auch für offensichtliche Schreibfehler. Insgesamt beträgt die Menge der geänderten Wörter deutlich weniger als ein Prozent der Gesamtwortzahl. Im Manuskript Unterstrichenes erscheint hier kursiv gesetzt.
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5. Die Wirkung Bolzanos Utopie ist tatsächlich bis auf den heutigen Tag weitestgehend unbekannt geblieben. Daran trägt er hier ausnahmsweise auch selbst Mitschuld. Es gibt kaum Rezeption und wenige Rezensionen: Manfried Welan spricht in seiner Rezension Bolzanos Lehre vom Staat einmal von einem »humanistischen Staatssozialismus« (Welan 2000, 59). Lucian Kerns Aufsatz über das Büchlein trägt den Titel Utopischer Utilitarismus. – Beides ist vielsagend und richtig erkannt. Kern verweist noch auf die Verwandtschaft der vorindustriellen gesellschaftlichen und technologischen Struktur, in der diese Utopie entstanden ist, mit einer nachindustriellen ökonomischen Struktur, die auch eine Art Mischsystem darstellt. Er hält auch fest, dass Bolzano hier die Erkenntnisse der jüngeren Wohlfahrtsökonomie umsetzt, ohne sie freilich kennen zu können« (Kern 2011, 287 ff). Bemerkenswert ist, dass Bolzanos Vorstellungen heute vielfach vernünftiger wirken, ja zuweilen zukünftiger als die tatsächlich eingetretene Kulturentwicklung. Die Idee des Gemeinwohls etwa ist heute verständlicher geworden, als sie es in der Hochblüte des Kapitalismus war; eine Verteilungsgerechtigkeit wird zunehmend als Notwendigkeit einer globalen Gesellschaft erkannt und nicht mehr als humanitärer Akt guten Willens Reicher und Mächtiger verstanden. Der große Mathematiker Bolzano stellt hier die einfache Rechnung an, dass ein Mensch alles, was er zu viel hat (was er also über das leibliche Wohlergehen hinaus sein Eigen nennt), den anderen Menschen wegnimmt: Heute genügt ein Blick auf Randgruppen der Gesellschaft oder auf ganze Staaten, die ausgebeutet werden, um zu erkennen, wie wahr das ist. Schließlich zeigt sich auch, dass Ressourcenschonung, die in Bolzanos Denken grundlegend ist (im Hinblick auf Mitmenschen und kommende Generationen), auch nicht freundliches Verzichten der
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Satten bedeuten kann, sondern letztlich mit der Überlebensfrage der Menschheit zusammenhängt. Bolzano hat das alles deutlich vorhergesehen, ohne es bedrohlich an die Wand zu malen. Er vertraute auf die Vernunft der Menschen. Wir leben heute freilich in vollkommen veränderten Umständen. Mit dem Ende der Donaumonarchie 1918 verschwand der letzte und mächtigste Staat, in dem die alte, ganzheitliche Form der Aufklärung noch eine bedeutende Rolle spielen konnte. Die abendländischen Siegermächte begannen tatsächlich bald, nachdem dieser Klotz am Bein abgeworfen war, eine im Grunde gnadenlose globale Weltherrschaft auszuüben. Der katholische Glaube verlor innerlich und äußerlich an Bedeutung. Die christliche Religion hatte, ohne ihre ursprüngliche spirituelle Kraft, weltpolitisch bald ihr Mitspracherecht verspielt. Heute ist es allein schon schwierig nachzuvollziehen, dass es eine andere Art oder Möglichkeit der Aufklärung im Abendland überhaupt gegeben hat. Die Verständnisvoraussetzungen wurden von einer durch Profitstreben und Geschäftemacherei gezeichneten Welt systematisch untergraben. Mathematische Wahrheiten haben, weit deutlicher als ethische, den Vorteil der klaren Überprüfbarkeit. Diesem Umstand verdanken wir, dass wir den schon zu Lebzeiten aus dem öffentlichen Bewusstsein entschwundenen Bernard Bolzano heute überhaupt kennen können: Eine mathematische Wahrheit hat ihn aus dem Meer des Vergessens gerettet: Bolzano hat einen logischmathematischen Satz über Folgen komplexer Zahlen und Häufungspunkte formuliert, der erst einige Jahrzehnte später von einem anderen Mathematiker, Karl Weierstraß, neuerlich entdeckt wurde und heute als »Theorem von Bolzano-Weierstraß« bekannt ist: eine grundlegende Wahrheit der Analysis. – Es besteht so gesehen kein Grund zu der Annahme, dass die »wichtigste Wahrheit« aus Bolzanos Sicht nicht auch irgendwann in ihrem ganzen Umfang erkannt – und befolgt – wird.
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Wenn ich hier das Büchlein vom besten Staate noch einmal vorlege, so in der Hoffnung, dass möglichst viele Leser dieses Werk – spät, aber doch noch – zu Gesicht bekommen und es unbefangen prüfen können. Dies geschieht auch (aber nicht nur), weil ich keinesfalls Mitschuld daran tragen will, »dass auch nur eine ersprießliche Wahrheit unter den Menschen später, als es sein musste, anerkannt wird«.
L I T ER AT U RV ER Z EICH N IS
BGA [1969 ff.] Bernard Bolzano-Gesamtausgabe. Hg. v. Eduard Winter, Jan Berg, Friedrich Kambartel, Jaromír Loužil, Edgar Morscher und Bob van Rootselaar. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann / Holzboog. Bolzano, Bernard – [1805–1820] Erbauungsreden der Studienjahre 1805–1820. Hg. von Edgar Morscher und Kurt F. Strasser. (BGA 2A 15–2A 25, 2007–2017). [ER] – [1813] Erbauungsreden für Akademiker Prag: Caspar Widtmann 1813. – [1834] Lehrbuch der Religionswissenschaft. Ein Abdruck der Vorlesungshefte eines ehemaligen Religionslehrers an einer katholischen Universität von einigen seiner Schüler gesammelt und he rausgegeben. Sulzbach: Seidel 1836 (BGA 1,6–8. 1994–2006). – [1836] Lebensbeschreibung des Dr. B. Bolzano mit einigen seiner ungedruckten Aufsätze und dem Bildnisse des Verfassers. Sulzbach: Seidel. – [1837] Wissenschaftslehre. Versuch einer ausführlichen und größtentheils neuen Darstellung der Logik mit steter Rücksicht auf deren bisherige Bearbeiter. Sulzbach: Seidel (BGA 1,11–14. 1985– 2000). – [1843] »Ein Paar Bemerkungen über die neue Theorie in Herrn Professor Ch. Doppler’s Schrift ›Ueber das farbige Licht der Doppelsterne und einiger anderer Gestirne des Himmels«. In: Abhandlungen der königlichen böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften 5. Folge, Bd. 2 , S. 71–78. Prag: Borrosch und André. (BGA 1, 18, S. 77–85). – [1845] Uiber die Perfectibilität des Katholicismus. Streitschriften zweier katholischer Theologen; zugleich ein Beitrag zur Aufhel-
Literaturverzeichnis xxix
lung einiger wichtigen Begriffe aus Bolzano’s Religionswissenschaft. Leipzig: Leopold Voß bei F. A. Brockhaus. (BGA 1, 19/1–2 1979). – [1975] Sozialphilosophische Schriften. Hg. von Jan Berg und Jaro mír Loužil. (BGA 2A 14). Bisher erschienene gedruckte Ausgaben von Bolzanos Büchlein vom besten Staate in deutscher Sprache Kowalewski, Arnold [1932] Bernard Bolzano. Von dem besten Staate. Nach den Manuskripten des Nationalmuseums in Prag. Mit einführenden Betrachtungen herausgegeben von Dr. Arnold Kowalewski, Professor an der Universität Königsberg (= Königliche Böhmische Gesellschaft der Wissenschaften. Bernard Bolzano. Bd. 3. Prag 1932). Stähler, Wilhelm [1933] Bernard Bolzano. Paradoxien in der Politik. Aus dem Nachlaß herausgegeben, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Wilhelm Stähler. Münster i. W.: Regensbergsche Verlagsbuchhandlung. Loužil, Jaromír [1975] Bernard Bolzano. Das Büchlein vom besten Staate. Herausgegeben von Jaromír Loužil. In: BGA 2A 14, S. 5–144. Weitere Literatur Künne, Wolfgang und Piša, Petr [2018] »weil ich den kirchlichen sowohl als den weltlichen Behörden mißfiel« Bernard Bolzano auf dem Index. St. Augustin: Academia. (= Beiträge zur Bolzano-Forschung 28). Loužil, Jaromír [1975] Einleitung zu Bolzano: Das Büchlein vom bes ten Staate. [Bolzano 1975], 9–17. Morscher, Edgar und Strasser, Kurt [1995] Fakten über fingierte Fiktionen oder Bolzano als angebliches literarisches Sujet. Eine kleine Lichtung. In: Euphorion 89, 3. Heft. S. 322–330.
xxx Literaturverzeichnis
Rumpler, Helmut [2000] [Hg.] Bernard Bolzano und die Politik. Staat, Nation und Religion als Herausforderung für die Philosophie im Kontext von Spätaufklärung, Frühnationalismus und Restauration. Wien–Köln–Graz: Böhlau. Kern, Lucian [2011] Utopischer Utilitarismus. Bernard Bolzano und der Entwurf frühbürgerlicher Institutionen. In: Zeitschrift für Politik. Neue Folge 58/3 [Sept. 2011]. Pope, Alexander [1993] Vom Menschen / Essay on Man. Hg. von Wolfgang Breidert. Hamburg: Meiner. Vinzenz von Lérins [1985] Commonitorium adversus haereticos (Corpus Scriptorum Latinorum 64). Turnhout: Brepols. S. 125–195. Welan, Manfried [2000] Bernard Bolzanos Lehre vom Staat. In: Rumpler [2000], 49–60. Wisshaupt, Anton [1850] Skizzen aus dem Leben Dr. Bernard Bol zano’s. Beiträge zu einer Biographie. Von dessen Arzte Dr. Anton Wißhaupt. Leipzig: Sechtling. Wittgenstein, Ludwig, Vermischte Bemerkungen. (Culture and Value) [1994]. Eine Auswahl aus dem Nachlaß. Herausgegeben von Georg Henrik van Wright unter Mitarbeit von Heikki Nyman. Neubearbeitung des Textes von Alois Pichler. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Zeithammer, Gregor [1850] Dr. Bernard Bolzano’s Biographie. BGA 4,2 1997, hg. von Gerhard Zwerschke.
BER NA R D BOL Z A NO
Das Büchlein vom besten Staate, oder Gedanken eines Menschenfreundes über die zweckmäßigste Einrichtung der bürgerlichen Gesellschaft
VORWORT
I
n aller Wahrheit kann der Verfasser dieses Aufsatzes beteuern, dass er die Menschen als seine Brüder geliebt und sich von Jugend an mit keinem anderen Gegenstand des Nachdenkens lieber, öfter und angelegentlicher beschäftigt habe als mit der Frage, wie den vielen Übeln und Leiden, die unser Geschlecht auf Erden drücken, am wirksamsten gesteuert werden könnte? Sooft ihn ein Missgeschick traf oder sooft er auch nur von einem Unglück hörte, das andere heimgesucht, war es von jeher seine Gewohnheit, bald nur im Stillen bei sich selbst zu erwägen, bald auch gemeinschaftlich mit anderen Personen, die ihm dazu geeignet schienen, über die Frage zu sprechen, ob und wie es dahin gebracht werden könnte, dass die Menschen von Übeln solcher Art dereinst entweder ganz verschont oder doch seltener, als es bisher geschieht, beunruhigt würden. Je älter er ward, um desto mehr wurde ihm einleuchtend, dass die verkehrten Einrichtungen, die wir mehr oder weniger noch in allen bestehenden bürgerlichen Verfassungen antreffen, zwar nicht das einzige, doch gewiss das mächtigste Hindernis sind, dass es nicht besser werden kann auf Erden. Von dieser Zeit an widmete er einen beträchtlichen Teil seiner einsamen, dem stillen Nachdenken geweihten Stunden der Untersuchung, wie ein Staat eingerichtet sein müsste, um der Beförderung des allgemeinen Wohles auf das Vollkommenste zu entsprechen? Obgleich er sich nun keineswegs einbildet, in dem Besitz einer vollständigen Lösung dieser überaus schwierigen Aufgabe zu sein, so entschloss er sich in einem schon etwas vorgerückten Alter doch, dasjenige, was sich ihm bei der vielfältigsten Prüfung und nach der unparteilichsten Vergleichung mit allem, was über diesen Gegenstand bisher von anderen gesagt worden, immer als richtig darstellte, in der gedrängtesten Kürze niederzuschreiben. Er entschloss sich hiezu nicht in der Erwartung oder auch nur
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mit dem Wunsch, dass man in irgendeinem Lande, wo seine Gedanken bekannt werden sollten, alsbald die bis dahin bestehende Verfassung niederreißen und ein ganz neues Gebäude nach dem von ihm angegebenen Grundrisse aufführen möchte. Ein solches Beginnen müsste er vielmehr im Voraus für übereilt und wegen der äußerst verderblichen Folgen, die es nach sich ziehen könnte, auch für strafwürdig erklären. Nein, er vertraute seine Gedanken einzig in der Absicht einer Feder an, damit – vorausgesetzt, dass man in irgendeinem Staate es für erlaubt erklärt, sie durch den Druck oder auch nur handschriftlich zu verbreiten – sachkundige und von Vorurteilen freie Männer, was darin Neues ist, prüfen, das Wahre behalten, das Irrige berichtigen und das noch Mangelnde ergänzen könnten. Bevor man es wagen darf, Veränderungen von einer solchen Wichtigkeit, wie die hier vorgeschlagenen größtenteils sind, in einem bürgerlichen Verein vorzunehmen, muss man sie erst von allen Seiten her erwogen und alle Weisen und Guten im Lande müssen sich einstimmig für sie erklärt haben. Ja nicht genug hieran; selbst wenn die Weisesten eines Volkes einig darüber sind, dass eine gewisse Einrichtung unter die Zahl derjenigen gehöre, die in dem vollkommensten Staate nicht fehlen dürfen, auch dann noch kann man ein sehr vernünftiges Bedenken tragen, diese Einrichtung in einem bestimmten Lande gleich auf der Stelle einzuführen; entweder weil noch nicht alle die übrigen Einrichtungen, welche mit ihr gleichzeitig eingeführt werden müssten, erdacht sind; oder weil gegenwärtig noch ein allzu heftiger Widerstand von Seiten derer zu befürchten wäre, die sich, es sei mit Recht oder Unrecht, vorstellen, dass sie für ihre eigene Person dabei verlieren würden; oder endlich auch, weil der Abstand zwischen dem, was bisher gegolten hatte und was der neuen Einrichtung zufolge von nun an gelten müsste, viel zu groß ist, als dass es billig und ratsam wäre, von dem einen Äußersten gleich zu dem anderen überzuspringen. Bevor man nämlich in irgendeinem der jetzt bestehenden Staaten die Einrichtungen, die in den besten gehören, einführen dürfte, müsste man erst eine
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ganze Reihe von Zwischenveränderungen vorausgeschickt haben; man müsste, sage ich, Anstalten treffen, die eine nur zeitweilige Dauer und die Bestimmung hätten, die Menschen zu dem, was kommen soll, vorzubereiten und einen so allmählichen Übergang von dem einen zu dem andern zu machen, dass nicht nur niemand in seinen Rechten verletzt werde, sondern dass nicht einmal jemand Grund zu der Klage erhalte, dass man ihm eine Beschwerlichkeit, die bei einem langsameren Vorgang zu ersparen gewesen war, verursacht habe. Diese Einrichtungen namentlich anzugeben, ist eine Sache, die sich begreiflicher Weise erst dann bewerkstelligen lässt, wenn man darüber, welche Einrichtungen in dem vollkommensten Staat vorhanden sein müssen, schon völlig einig sein wird. Überdies ist leicht zu erachten, dass für verschiedene Staaten auch verschiedene Zwischeneinrichtungen erfordert werden; denn ihre Beschaffenheit hängt nicht nur ab von dem gemeinschaftlichen Ziele, dahin sie führen sollen, sondern auch von den verschiedenen Standpunkten, auf denen sich verschiedene Völker der Erde bis jetzt befinden. In diesen Blättern also hat der Verfasser sich bloß mit der ersten Aufgabe oder mit der Beantwortung der Frage beschäftigt, welche Einrichtungen sich für einen Staat geziemen, der auf den Namen des vollkommensten Ansprüche macht; auf jene zweite Frage aber, wie nämlich ein solcher Staat allmählich herbeigeführt werden könne, hat er sich nirgends eingelassen.1 Ihm wird es genügen, wenn ihm einst zugestanden wird, dass er zur Beantwortung der ersten Frage einen nicht zu verwerfenden Beitrag geliefert habe. Dieses aber, meint er, sei in der Tat geschehen, und so gering daher auch die Anzahl dieser Bögen ist, so glaubt er doch, einigen Wert auf sie legen zu dürfen; ja es bedünkt ihn, stellt klar: Es geht in seiner Schrift um die Einrichtung eines besseren Staates, nicht um dessen Herbeiführung. Die Schrift ist kein Aufruf zum Umsturz. Im Gegenteil; sie warnt vor leidenschaftlichen und unüberlegten Umstürzen, die häufig nur das Bestehende gefährden und so von einem besseren Staat wegführen, statt ihm näherzukommen. 1 Bolzano
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dieses Büchlein sei das beste, wichtigste Vermächtnis, das er der Menschheit zu hinterlassen vermag, wenn sie es nur annehmen wolle. Darum, wer Du auch immer bist, dem diese Papiere einst zu Gesichte kommen, wisse, dass ihr Verfasser über den Gebrauch derselben Dir Rechenschaft abfordern wolle, bis er mit Dir einst steht vor Gottes Richterstuhle. Sowenig er es verlangt, dass Du seinen Ansichten ungeprüft beistimmst oder seine Vorschläge mit Übereilung oder durch Mittel, die ungerecht sind, ins Werk zu setzen versuchst; so streng fordert er, dass Du mit Unbefangenheit prüfst und nicht aus bloßer Leidenschaft bestreitest, was Dir im Innersten vielleicht als Wahrheit einleuchten wird. Noch dringender warnt er dich vor dem Vergehen, der Unterdrücker solcher Wahrheiten zu werden. Leicht ist es allerdings, diese wenigen Blätter, zumal sie Dir noch als Handschrift vorliegen, in die lodernde Flamme zu werfen und somit alles Gute, was sie etwa zu stiften vermochten, im Keime zu vernichten: aber das überlege vorher, ob Du es ebenso leicht würdest verantworten können, wenn Du auf diese Art schuld daran würdest, dass auch nur eine2 ersprießliche Wahrheit unter den Menschen später, als es sein musste, anerkannt wird.
2 In
der Vorlage A durch Majuskel hervorgehoben.
EI N L EI T U NG 3
W
enn man sich aufgelegt fühlen soll, zu untersuchen, welche Einrichtungen in einer bürgerlichen Gesellschaft die zweckmäßigsten wären, so muss man erst glauben, dass es nichts Gleichgültiges sei, ob unsere bürgerlichen Vereine4 so oder anders eingerichtet werden. Nun gibt es wirklich Leute, welche das Gegenteil zu glauben nicht bloß vorgeben (denn um solche brauchen wir uns hierorts nicht weiter zu bekümmern), sondern die allen Ernstes so meinen, wenn auch vielleicht nicht für immer, doch zu gewissen Zeiten, wenn sie ihr Augenmerk soeben auf Ereignisse gerichtet, die eine solche Behauptung zu bestätigen scheinen. Denn in der Tat, wenn die Beobachtung uns lehrt, dass fast in allen bisherigen Staaten, wie ihre Verfassungen auch immer beschaffen sein mögen, es sei der Wille nur eines Einzigen oder der Wille aller Gesetz, eine ohngefähr gleiche Anzahl von Unzufriedenen lebe; wenn die Geschichte uns erzählt, dass die verständigsten Völker ihre Verfassungen so oft gewechselt und bei keiner 3 Bolzano
denkt global. Was für das Königreich Böhmen oder das habsburgische Kaiserreich gedacht ist, ist universalisierbar, und letztlich sieht er die gesamte Menschheit als eine Familie. Er geht davon aus, dass es logisch möglich und grundsätzlich gerechtfertigt ist und sein muss, an Verbesserungen des jeweils herrschenden Zustandes der geltenden Verfassungen zu denken, den bürgerlichen Verfassungen eine vernünftigere Einrichtung zu geben und die Güter gerechter zu verteilen. Veränderungen müssen möglich sein, möglich gemacht werden, und sie sind zuweilen notwendig, um das »Wohl des Ganzen« herbeizuführen, also der Glückseligkeit der Menschen, der Menschheit insgesamt, näherzukommen und sie irgendwann zu erreichen. 4 Der Ausdruck »Verein«, in der heutigen Bedeutung von »Vereinigung«, bezieht sich auf eine Gemeinschaft von Bürgern eines Staates; »Verfassung« bezieht sich auf den strukturellen Rahmen einer solchen Gemeinschaft.
8 Einleitung
derselben das gehoffte Heil gefunden, dass sie nicht selten nach vielen misslungenen Versuchen es für das Beste erachtet, zu einer der bereits verlassenen Einrichtungen wieder zurückzukehren; wenn wir noch überdies erwägen, dass ja ein jedes Ding seine guten sowohl als schlimmen Seiten habe und dass es gewisser maßen in der Natur des Menschen liege, dass er, wenn ihn kein anderer bedrückt, sein eigener Quäler werde: so fühlen wir uns vielleicht alle mehr oder weniger versucht zu glauben, es werde am Ende kein großer Unterschied sein, ob wir unseren Staaten diese oder jene Einrichtungen geben. Und gleichwohl behaupte ich, dass nichts unrichtiger sei als diese Vorstellung. Denn so wahr es auch sein mag, dass es in allen Staaten Menschen gibt, die unzufrieden mit ihrem Lose sind, und dass es auch in dem besten Staate, der nur erdacht werden kann, an solchen Menschen nicht fehlen werde; so lässt sich doch auf keine Weise dartun, ja auch nur wahrscheinlich machen, dass die Anzahl dieser Menschen allenthalben ohngefähr gleich groß sei. In Europa gibt es doch ohne Widerspruch mehr Unzufriedene als in den Freistaaten von Nordamerika. Allein selbst wenn dieses nicht wäre; was würde es anderes beweisen, als dass die bisherigen Verfassungen alle in einem ohngefähr gleichen Grade mangelhaft sind? Dass aber nicht eine bedeutend bessere Verfassung als alle bisher bestehenden möglich sei und dass auch bei einer weiseren Einrichtung der bürgerlichen Gesellschaft, bei einer solchen, wie sie bisher nirgends angetroffen wird, derselbe Fall stattfinden müsste, das würde gar nicht folgen. Doch es ist, wie gesagt, nicht einmal wahr, dass in den gegenwärtigen Verfassungen überall eine fast gleichgroße Anzahl von Unzufriedenen angetroffen werde. Wo ein milder Fürst seinen Untertanen die Liebe eines Vaters beweist, da findet sich wohl vielleicht noch der ein und der andere, der murrt, weil ihm nur Recht widerfuhr; aber Hunderttausende preisen sich glücklich. In einem Lande dagegen, das ein Despot beherrscht, liest man auf jeder Stirne den Ausdruck des Missvergnügens, und während das glimmende Feuer der Empörung an dem einen Ende
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mit Mühe unterdrückt wird, lodert es schon wieder an einem andern auf. Überdies ist nicht zu vergessen, dass die Klagen eines Menschen noch kein genauer Maßstab für den Grad seines Leidens und seiner Unglückseligkeit sind. Es können Menschen sehr unglücklich sein und doch – aus einer Art von Trägheit oder aus Furcht – ihre Leiden mit stummem Schmerz tragen. Es gibt wieder andere Menschen, die, weil sie mehr Regsamkeit haben, weil sie nichts fürchten, weil sie im Gegenteil Verbesserung ihres Schicksals von ihren Klagen erwarten, bald über dies, bald über jenes sich beschweren, ohne sich darum besonders unglücklich zu fühlen. Wie übereilt also wäre es, wenn jemand bloß daraus, weil in einem Land vielleicht mehr Klagen lautbar werden als in dem anderen, sogleich den Schluss ziehen wollte, dass man dort mehrere oder auch nur ohngefähr ebenso viele Unglückliche zähle wie in dem letzteren. Auch aus den Gräbern ertönt keine Klage; aber sind Leichname glücklich? – Die Geschichte erzählt uns freilich, und von verständigen Völkern, dass sie mit ihren Verfassungen öfters gewechselt und nach vielen Versuchen zuweilen zu einer uralten Einrichtung wieder zurückgekehrt sind: aber folgt hieraus wirklich, dass jene verschiedenen Einrichtungen, die man versuchte, und nicht nur diese, sondern auch alle möglichen anderen, die man noch nicht versuchte, für das gemeine Beste von einem gleichen Einfluss waren? Einmal, so viele Versuche man wagte, so viele Beweise lieferte man, dass der gemeine Menschenverstand zu allen Zeiten die Wahrheit anerkannt habe, es müsse möglich sein, durch eine zweckmäßige Abänderung in den bisherigen Verfassungen einen weit höheren Grad des allgemeinen Wohlstandes zu erreichen. Wenn man aber eine Einrichtung kaum eingeführt hatte, als man schon wieder zu einer anderen überging; so lehrt dieses höchstens, dass man nie auf das Rechte verfallen sei; und darf uns dies wundern, da es so schwer ist, das Rechte zu erdenken, und wenn man es erdacht hat, so schwer, es auszuführen? Wenn wir endlich sehen, ein Volk kehre nach vielem Wechsel zuletzt wieder zurück zu einer alten Einrichtung; so
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kann dieses allenfalls beweisen, dass es geirrt habe, als es von dieser Einrichtung abging; keinesfalls aber, dass alle Einrichtungen gleichgültig sind. Genau betrachtet sehen wir inzwischen das Alte nirgends ganz unverändert wieder in Aufnahme kommen, sondern es ist nur ein Ähnliches, und es tritt auf nicht unter denselben, sondern unter geänderten Verhältnissen; und so dürfen wir nicht einmal behaupten, dass man gefehlt haben müsse, entweder als man es abschaffte, oder als man es wieder einsetzte; da beides zu seiner Zeit recht sein konnte. Übrigens ist freilich nicht zu leugnen, dass jede Einrichtung ihre guten sowohl als ihre schlimmen Seiten habe; aber nur darf man sich nicht vorstellen, als ob das Gute dem Bösen jedesmal das Gleichgewicht halten müsse; sondern hier ist das eine, dort wieder ist das andere überwiegend. So hat es zum Beispiel bei vielem Guten freilich auch einiges Schlimme, wenn niemand durch Zwang genötigt wird, sich zu einem gewissen Glauben zu bekennen; aber das Gute ist hier entschieden überwiegend. So hat es bei vielem Schlimmen auch einiges Gute, wenn Ämter und Würden erblich in einem Staate sind; aber wie sehr ist nicht hier das Schlimme überwiegend! Endlich ist auch das, leider! nicht zu leugnen, dass wir Menschen töricht genug sind, oft unsere eigenen Quäler zu werden; und weil wir auch durch die beste Verfassung nie alle weise und gut gemacht werden können und weil es überdies so manche in unserer Natur gegründete, ganz unvermeidliche Übel gibt; so folgt, dass wir auch bei der zweckmäßigsten Einrichtung des Staates immer noch Leiden genug erfahren werden; nicht aber, dass ihre Anzahl und Größe immer dieselbe bleiben werde. Im Gegenteil, je länger wir der Sache nachdenken wollen, um desto deutlicher wird es uns werden, wie viele und überaus viele Ursachen unserer Leiden der Staat durch eine zweckmäßige Einrichtung beseitigen oder doch vermindern könnte und sollte. Wie schwächlich ist unser Leib und wie so vielen Krankheiten unterliegt er; nicht, weil ein unabänderliches Naturgesetz es so erheischt, sondern weil wir, von schwächlichen Eltern geboren, in
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unserer Kindheit schon eine verkehrte Behandlung erfahren, bald sehr verweichlicht, bald ganz vernachlässigt werden, weil weder die Nahrung, deren wir genießen, noch die Beschäftigung, die wir treiben, noch unsere Kleidung und Wohnung den Regeln der Gesundheit gehörig angemessen ist. Lässt sich nun zweifeln, ob eine vernünftige Verbesserung nicht auf alle diese Bedingungen unserer Gesundheit und Leibesstärke vorteilhaft einwirken könnte? Wie viele tausende aus unseren Brüdern entbehren, o! auch noch in dem Augenblicke, da ich dieses schreibe, der Mittel zur Befriedigung ihrer wesentlichsten Lebensbedürfnisse, vergehen in ihrer Not; nicht weil die weite Erde nicht reich genug ist an Gütern, um alle ihre Kinder mit Überfluss zu versehen; sondern nur darum, weil zweckwidrige Einrichtungen im Staate es dulden, dass diese Güter auf eine so ungleiche Weise unter uns verteilt sind, und weil der größte Teil der Erdoberfläche so gut als ungenutzt5 bleibt. Wie viele Leiden von anderer Art, Verletzungen an der Ehre, Kränkungen, Misshandlungen fügen wir nicht der eine dem anderen zu; und der Staat lässt es geschehen, oder er wendet doch lange nicht alle ihm zu Gebote stehenden Mittel an, um solchen Unordnungen zu wehren. Kann man dies alles erwägen und noch der Meinung zugetan bleiben, dass keine Veränderung in unseren bürgerlichen Verfassungen denkbar sei, durch welche der Zustand der Glückseligkeit unseres Geschlechtes verbessert werden könnte? Um dieses auch jetzt noch wahrscheinlich zu finden, müsste man wirklich nur voraussetzen, es gebe irgendein Wesen von höherer Art, welches durch seine unsichtbare Einwirkung hindert, dass es auf dieser Erde je besser werden könne; ein Wesen, das uns auf einer anderen Seite immer gerade so viel von unserer Glückseligkeit abbricht, als uns durch die Verbesserungen, die wir in unseren bürgerlichen Verfassungen eingeführt haben, zuwachsen könnte. So gewiss es Torheit, ja Gotteslästerung wäre, an das Vorhandensein eines Wesens von 5 Im
Text »unangebaut«.
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dieser Art zu glauben; so zuversichtlich lasst uns erwarten, wir werden glücklicher werden, sobald wir unseren bürgerlichen Verfassungen erst eine vernünftigere Einrichtung werden gegeben haben. Doch hier sagt vielleicht jemand: Wenn sich die Sache in Wahrheit so verhalte, wenn unserem Geschlechte so wesentlich geholfen werden könnte, sobald nur eine zweckmäßigere Verfassung eingeführt wäre: wie kommt es, dass uns Gott nicht schon längst zur Erkenntnis dieser Verfassung geleitet hat? Wie kommt es, dass Er, der selbst die außerordentlichsten Mittel nicht sparte, um uns in jenen Wahrheiten, die uns zu unserem Heile notwendig sind, zu unterrichten, nie einen Mann erweckte, der uns mit der zweckmäßigsten Einrichtung der bürgerlichen Verfassung bekanntgemacht hätte? Sollen wir nicht bloß aus dem Umstande, dass Gott uns diese Einrichtungen nie hat erkennen lassen, schließen, dass ihre Kenntnis auch für uns von keinem wahren Nutzen sein würde? Es däucht mir nötig, dass ich auch diese Bedenklichkeit erst noch zu beseitigen versuche. Und hiezu bedarf es kaum eines Mehreren, als in Erinnerung zu bringen, was im Grunde schon jeder weiß, dass es in keinem Falle angehe, so zu schließen, weil uns Gott eine gewisse Erkenntnis bisher nicht hat zukommen lassen, so würde sie uns auch nicht wahrhaft nützlich sein. Die ungereimtesten Folgerungen würden sich ergeben, wenn dieser Schluss gültig und zulässig wäre. Oder treffen wir nicht auch noch in unseren Tagen ganze Völkerschaften in einem Zustand so roher Wildheit an, dass wir es mehr nur aus ihrer uns ähnlichen Menschengestalt, als aus den Handlungen, welche wir sie verrichten sehen, entnehmen können, dass sie zu unserm Geschlechte gehören? – Und weil diese Menschen bisher fast keine Ahnung haben von ihrer sittlichen Würde, von dem wahren Wesen der Tugend, von Gottes Dasein, von der Unsterblichkeit ihrer Seelen und von hundert anderen höchst wichtigen Wahrheiten; weil sie bisher nicht einmal die gemeinsten Mittel zur Verbesserung ihres irdischen Zustandes kennen, nicht einmal vielleicht mit dem Gebrauche des Feuers und der Metalle bekannt sind:
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sollte es irgendjemand im Ernste glauben können, dass die Bekanntmachung mit diesen Gegenständen von keinem wahren Nutzen für sie sein würde? Wenn es sich also verhielte; dann wäre ja alles Nachdenken und aller Gebrauch der Vernunft etwas Zweckloses und Vergebliches zu nennen. So ist es aber nicht; sondern der gütige und weise Schöpfer gab uns das herrliche Geschenk der Vernunft, damit wir, uns ihrer bedienend, je länger je weiter fortschreiten könnten in der Verbesserung unseres Zustandes auf Erden. So gewiss er uns das Auge zum Sehen gegeben; so gewiss hat er uns auch die Vernunft gegeben, sie zu benützen zu allem, wozu sie ihrer Natur nach benützt werden kann; unter anderem auch dazu, die zweckmäßigsten Einrichtungen für unsere bürgerlichen Vereine auszudenken. Warum hat er es aber geschehen lassen, dass wir die eine Wahrheit viel früher, eine andere erst viel später kennenlernen; warum es Gott gerade so geleitet habe, dass wir die Heilkraft des einen Krautes zum Beispiel schon seit Jahrhunderten kennen, mit den wohltätigen Kräften des anderen erst jetzt bekannt werden: das müssen wir nicht zu begreifen verlangen; denn das beruht auf Gründen, die im Zusammenhang des Ganzen liegen; das weiß nur Er allein, der das unendliche All überschaut. Haben wir unsere Vernunft gehörig angewendet, haben wir keine Mühe des Nachdenkens gespart, keine Mittel zur Erkenntnis unversucht gelassen; und gleichwohl gelingt es uns nicht, die Wahrheit zu erfahren: dann allerdings dürfen wir es uns zum Troste sagen, die Kenntnis dieser Wahrheit müsse, so nützlich sie auch scheine, bis jetzt wenigstens noch nicht ersprießlich für uns sein. Bloß dem Umstand aber, weil es uns bis auf den gegenwärtigen Augenblick nicht gelungen ist, eine Wahrheit zu finden, die Folgerung ableiten zu wollen, dass uns die Entdeckung derselben auch für die Zukunft nie gelingen werde, dass es somit vernünftiger sei, das Forschen nach ihr von nun an aufzugeben: das lässt sich durchaus nicht rechtfertigen. Und wenn wir uns vollends nicht einmal das Zeugnis geben können, dass wir der Wahrheit nachgeforscht, mit allem uns möglichen Fleiße ihr
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nachgeforscht haben: dann doch noch sagen, dass die bisherige Verborgenheit dieser Wahrheit beweise, Gott selbst wolle sie von uns nicht anerkannt wissen: das heißt, dasjenige, was die Schuld unserer Trägheit ist, auf Gottes Ratschlüsse schieben, das heißt, den Glauben an Gott aufs schändlichste missbrauchen. Sind wir noch bis auf den heutigen Tag nicht darüber einig geworden, welche Einrichtungen in einer bürgerlichen Verfassung die zweckmäßigsten wären; so kommt dieses nur daher, weil wir noch gar nicht alles dasjenige getan, was wir schon längst hätten tun können und sollen, um eine so wichtige Frage ihrer Entscheidung näherzubringen. Oder können wir uns wohl rühmen, dass wir mit der Betrachtung dieser Frage auch nur ein jeder für uns allein so oft beschäftigt waren, als sie es wert ist? Dass wir bei diesen Betrachtungen immer mit der gehörigen Unbefangenheit ver fuhren? Dass wir nie eine Einrichtung, deren Zweckmäßigkeit sich uns selbst aufdrang, bloß darum abwiesen, weil unsere Eigenliebe, unser Hochmut oder sonst eine andere unserer Leidenschaften durch sie beleidigt wurde? Was soll ich erst von gemeinschaftlichen, über diesen Gegenstand gepflogenen Berat schlag ungen sagen? In den meisten Ländern darf ja die Frage vom besten Staate entweder gar nicht zu einem Gegenstand der öffentlichen Untersuchungen erhoben werden, oder man darf sich darüber nur so erklären, dass die Verfassung, die eben hier besteht, als die zweckmäßigste gepriesen werde. Und unter solchen Umständen sollte es uns wundern, dass wir die Wahrheit noch nicht gefunden haben? Sollten wir verlangen, dass uns Gott Einrichtungen, die wir durch unser eigenes Nachdenken herausbringen können, durch eine eigene Offenbarung bekanntmache? Oder sollten wir, falls er dieses nicht getan hat, schließen dürfen, dass die Entdeckung derselben von keinem Nutzen für uns sein würde? Nein, einen solchen Schluss erlaubt sich keiner von Euch. Ihr Lieben, die ihr dieses Blatt leset! Befremdet es Euch (und es befremdet Euch wohl mit Recht), dass unser Geschlecht bereits 6000 Jahre zähle und noch so wenig darüber einig geworden sei,
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welche Einrichtungen es seinen bürgerlichen Vereinen geben solle: so geht hin und verbessert, so viel an Euch liegt, den Fehler dadurch, dass mindestens Ihr mit allem Euch möglichen Fleiß und ohne vorgefasste Meinungen und ohne Leidenschaft über einen Gegenstand nachdenkt, der unseres Nachdenkens würdiger als tausend andere ist. Wenn Euer Urteil in dieser Angelegenheit nicht etwa durch einen verkehrten Schulunterricht bereits irre geleitet ist; wenn Ihr die Sache vielmehr mit Eurem eigenen gesunden Menschenverstand betrachtet: so bin ich mir gewiss, Ihr werdet wenigstens über das erste, was hier gefragt werden muss, über den Zweck, auf welchen alle Einrichtungen einer bürgerlichen Verfassung, welche den Namen der vollkommensten verdienen soll, abzielen müssen, nicht lange in Unentschiedenheit bleiben. Ich glaube nämlich, dass Ihr mir alle beipflichten werdet, wenn ich behaupte, ein solcher Verein müsse sich die möglichst größte Beförderung der Tugend und Glückseligkeit des Ganzen zu seinem Zwecke machen; jedes Gesetz, jede Verfügung und Einrichtung müsse nur so beschaffen sein, wie die Beförderung der Tugend und Glückseligkeit es erheischt. Dieses ist in der Tat eine so einleuchtende Wahrheit, dass man es kaum begreiflich finden könnte, wie es Gelehrte gegeben, die es nicht haben zugeben wollen; wenn man nicht wüsste, dass nichts so ungereimt sei, was nicht von irgendeinem Weltweisen6 wäre behauptet worden. Ist es aber gewiss, dass nur derjenige Staat der beste und vollkommenste genannt zu werden verdiene, dessen gesamte Einrichtungen der Tugend und Glückseligkeit der Menschheit so zuträglich sind, dass sie bei keiner anderen Beschaffenheit zuträglicher sein könnten: so ist auch gewiss, dass nicht zu allen Zeiten und nicht an allen Orten völlig dieselben Einrichtungen zum Begriffe des besten Staates gehören. Denn nach Verschiedenheit der eben obwaltenden Verhältnisse kann auch dieselbe Einrichtung bald 6 Mit
diesem Ausdruck pflegt Bolzano in der Regel Immanuel Kant und dessen Nachfolger zu bezeichnen.
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mehr, bald minder zuträglich, hie und da wohl ganz nachteilig sein. Was an dem einen Orte sehr leicht ausführbar ist, kann an einem anderen mit bedeutenden Schwierigkeiten verknüpft, ja auch ganz unausführbar sein. Da es inzwischen bei aller Verschiedenheit der Zeit- und Ortsverhältnisse in diesen Verhältnissen auch viel Gemeinsames gibt und da die menschliche Natur überall die nämliche ist: so muss es nebst jenen veränderlichen Einrichtungen auch andere geben, die nicht veränderlich sind, die sich in einem jeden Staate, der auf Vollkommenheit Ansprüche machen will, vorfinden müssen, in welchem Weltteile er auch errichtet werden möge. Nur von Einrichtungen der letzteren Art soll hier gesprochen werden; nur von denjenigen Gesetzen und Anordnungen, welche in einem jeden wahrhaft zweckmäßigen Verein stattfinden müssen, will ich hier einen Begriff zu geben versuchen; und auch selbst darin verspreche ich keine erschöpfende Vollständigkeit, sondern nur Bruchstücke zu liefern, welche, sofern sie brauchbar sind, von anderen zu einem Ganzen vereinigt werden mögen. Kaum sollte es nötig sein zu erinnern, dass bei der Beurteilung der Frage, ob eine gewisse Einrichtung zu dieser zweckmäßigsten Verfassung gehöre oder nicht, den Menschen keineswegs, so wie er sein sollte7 oder wie die Sittenlehrer wollen, dass er einst werde, sondern nur so nehmen müssen, wie er in Wirklichkeit ist. Denn wenn wir Menschen schon vollkommen wären, dann wäre freilich auch die mangelhafteste Verfassung noch erträglich; aber eben weil wir fehlerhaft sind, so ist es notwendig, dass wir Verfassungen erhalten, in welchen auf diese Fehler schon gerechnet und alles so eingerichtet wäre, dass wir auch trotz dieser Fehler uns aufgelegt fühlen, gerade das zu tun, wodurch wir das Wohl des Ganzen befördern. Daraus ergibt 7 Bolzano
setzt sich dabei von den strengen Sittenlehren der idealistischen Aufklärungstradition ab: Er geht nicht davon aus, wie der Mensch sein sollte, sondern davon, wie er wirklich ist, nämlich schwach und fehlerhaft. Deshalb sucht er die Verfassung des Staates zu verbessern und so der Willkür der Bürger ihre Schranken zu weisen.
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sich schon, was man von dem berühmten Ausspruch,8 dass die beste Verfassung diejenige sei, die am besten verwaltet wird, zu halten habe. Ob eine Verfassung gut oder schlecht verwaltet werde, d. h. ob dasjenige, was die Verfassung der Willkür ihrer Bürger anheimstellt, von diesen gut oder nicht gut vollzogen werde; das gehört eben darum, weil es nicht durch sie selbst, sondern durch andere Umstände bestimmt wird, nicht zu dem Wesen derselben und kann mithin weder ihren Wert erhöhen noch vermindern. Wohl aber ist es ein Fehler einer Verfassung zu nennen, wenn es erst auf die Verwaltung derselben, also auf Zufälle ankommt, ob ihre Bürger glücklich oder unglücklich werden sollen. Eine gute Verfassung darf das Wohl ihrer Bürger nicht solchem Zufall preisgeben, sondern sie muss so eingerichtet sein, dass auch in dem Falle, wenn die Personen, denen eine gewisse Macht anvertraut ist, nicht eben jederzeit das Allerbeste tun, sondern nur ihrem eigenen Vorteil nachgehen, doch nicht das Ganze leidend werde.
8 Bolzano zitiert dazu einen bekannten Spruch nach Alexander Popes
(1688–1744) philosophischem Gedicht An Essay on Man von 1734, VI: »For forms of government let fools contest / Whate’er is best administer’d is best«. Eine gute Verwaltung ist wichtig; aber nicht sie, sondern eine gute Verfassung ist entscheidend. Pope [1993] 3. Brief, Vers 303 f.
ERSTER ABSCHNITT Von den Bürgern des Staates, von dessen Umfang und dessen Abteilungen 9 D as erste, wonach man sich hier fragen dürfte, ist wohl, wen ich als Glied des Staates anerkannt wissen wolle. Auf diese Frage erwidere ich nun zuerst im allgemeinen, dass man in einem zweckmäßig eingerichteten Staate jeden als ein zu diesem Staate gehöriges Glied betrachten müsse, bei dem aus einer solchen Betrachtung und aus ihren Folgen, dass man ihm nämlich nun alle Vorteile eines Bürgers angedeihen lässt, ihn aber auch zur Erfüllung aller Pflichten eines solchen, nötigenfalls selbst durch angewendete Zwangsmittel, anhält, im Ganzen mehr Nutzen als Schaden hervorgeht. Aus diesem Grundsatz ergibt sich, dass man 1) als echte Bürger betrachte: a) alle diejenigen, welche es selbst verlangen, als Bürger betrachtet zu werden, soferne sie den Gesetzen des Staates zu gehorchen nicht nur versprechen, sondern auch Hoffnung geben, dieses Versprechen zu halten; ingleichen b) auch alle ihre Kinder bis zu einem gewissen Alter der Mündigkeit, wo sie ohngefähr auf dieselbe Weise, wie es in einigen Religionen vorgeschrieben ist, öffentlich erklären, 9 Bürgerrechte
stehen in Bolzanos Staat grundsätzlich jedem zu. Es gilt unbedingte Religionsfreit. Menschen entscheiden sich für eine Religion, wenn sie sich von der Wahrheit eines gewissen religiösen Lehrbegriffes überzeugt haben. Die Bevölkerung strukturiert Bolzano aus verwaltungstechnischen Gründen: Die Familie sieht er als kleinste Einheit, dann folgt die Gemeinde, der Kreis, sonach die Länder (dazu einfache dekadische Größenangaben) und schließlich der Staat. Letztlich betrachtet er das ganze menschliche Geschlecht »als ein einziges Ganzes« (ER 1819.3 ff).
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ob sie in diesem Staate noch ferner verbleiben wollen; in welchem Falle sie den Gesetzen desselben zu gehorchen feierlich angeloben müssen. 2) Nebst diesen eigentlichen Bürgern aber kann man in einem zweckmäßig eingerichteten Staate auch manche anderen Menschen, als Fremde, dulden, sofern sie a) einen gültigen Grund dafür anführen, warum sie dem Staate nicht förmlich beitreten können; z. B. weil sie noch keine vollständige Kenntnis seiner Gesetze haben oder durch sein Gebiet nur durchzureisen gedenken u. dergl.; insofern b) auch nicht hervorgeht, dass sie dem Staate schädlich werden, z. B. durch ihre Lebensart anderen zum Ärgernis gereichen, sie von dem Gehorsam der Gesetze abzubringen suchen u. dergl. Im widrigen Falle erlaubt man sich, solche Fremde für ihre Vergehungen zu strafen und allenfalls auch aus dem Lande zu schaffen. Auch der Fremde muss also diejenigen Gesetze des Staates befolgen, die, ohne schädlich zu werden, von keinem Einzelnen übertreten werden können; zur Befolgung anderer wird er nicht angehalten werden; doch genießt er dann auch nicht der Vorteile, die eben nur als eine Belohnung aus jenen Leistungen fließen. Wer sich einmal erklärt hat, dass er als Mitglied des Staates angesehen werden wolle und auf diese Erklärung hin auch als ein solches aufgenommen wurde, kann nicht nach seinem Belieben gleich wieder austreten und durch diesen Austritt sich den Bestrafungen, die er durch seine Vergehungen etwa erwirkt hat, entziehen. Wohl aber kann er nach einmal ausgestandener Strafe, und mit ihm auch jeder andere Bürger, unter gewissen Bedingungen, nämlich, wenn daraus keine Gefahr für die übrigen erwächst, das Gebiet des Staates verlassen, d. h. auswandern. Das Letzte ist in der Voraussetzung gesprochen, dass es noch Orte und vielleicht ganze Völkerschaften gebe, wohin sich das
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Gebiet des besten Staates nicht erstreckt. Ich hoffe aber, es komme einst die Zeit, wo das gesamte menschliche Geschlecht sich nur als ein einziges Ganzes betrachten wird; dergestalt, dass jeder einzelne Mensch verpflichtet sein wird, sich in gewissen Stü cken nach demjenigen zu richten, was ihm als Wille aller übrigen bekannt wird, und dass man auch Mittel haben werde, ihn zur Erfüllung dieser Pflichten, nötigenfalls sogar durch Zwang, anzuhalten. Von einer solchen Zeit würde ich sagen, dass nun das ganze menschliche Geschlecht nur einen einzigen Staat ausmache. Wenn aber einige vermeinen sollten, dass der Zusammenhang, der zwischen den einzelnen Teilen dieses großen Ganzen bei einer zweckmäßigen Einrichtung stattfinden würde, nicht so genau sein könnte, als es notwendig sei, um den Ausdruck, dass ein solcher Verein nur einen einzigen Staat vorstelle, zu rechtfertigen; so will ich hierüber, als über ein bloßes Wort, nicht streiten; sondern es soll mir genügen, wenn man mir zugesteht, dass eine gewisse Vereinigung zwischen allen auf Erden lebenden Menschen, etwa ein allgemeiner Bund zwischen allen Staaten, ein Ziel sei, welchem wir nachstreben müssen. Doch wie man hierüber auch dächte, so ist doch das außer Streit, dass ein jeder zweckmäßig eingerichtete Staat, auch wenn er noch so beschränkt in seinem Umfang ist, eine Menge anderer kleinerer Gesellschaften und Vereine in seiner Mitte nicht nur dulden, sondern ihre Entstehung sogar veranlassen und für ihre Erhaltung Sorge tragen müsse. So muss es ohne Zweifel in jedem Staat gar viele Familien, d. h. solche Gesellschaften geben, in welchen Gatte und Gattin oder Eltern und Kinder, oder Geschwister miteinander leben. So muss es auch eine Menge Gesellschaften geben, die sich gebildet haben, um irgendeine Arbeit, z. B. die Bebauung der Erde, oder eine Reise, oder eine wissenschaftliche Untersuchung leichter und vollkommener zustande zu bringen. So wird man auch in einem jeden guten Staate religiöse, d. h. solche Gesellschaften dulden, in welche zu treten die Menschen bloß deshalb für ihre Pflicht erachten, weil sie sich von der
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Erster Abschnitt
Wahrheit eines gewissen religiösen Lehrbegriffes überzeugt haben usw.10 Insonderheit aber wird es auch in dem besten Staate gewiss ohngefähr ebenso wie schon in unseren jetzigen Staaten, geschehen, dass Familien, die, es sei nun durch Zufall oder Wahl, in naher Nachbarschaft leben, eben darum auch in eine gewisse nähere Verbindung miteinander treten und eigene Gemeinden11 bilden. Wenn diese Gemeinden nicht allzu geringzählig sind (wenn sie z. B. aus ohngefähr hundert Familien bestehen): so werden sich gar manche Erscheinungen, welche der Zufall in den einzelnen Familien auf eine sehr regellose Weise hervorbringt, in dem Verein nach einem fast immer gleichbleibenden Gesetz wiederholen. So wird es z. B. unter je hundert Familien, wenn nicht durch Ungleichheit ihrer übrigen Verhältnisse hierin ein Unterschied erzeugt wird, überall eine fast gleiche Anzahl von Kindern geben u. dergl. Wenn die Gemeinde auch nicht zu ausgebreitet ist, so wird die Übersicht derselben auch nicht zu schwer sein und es wird ohne Mühe jeder imstande sein, die Eigenheiten, Verhältnisse und Bedürfnisse aller übrigen Glieder derselben kennenzulernen. Hieraus ergibt sich, dass sie, der eine dem anderen, gar vielerlei Dienste zu leisten imstande sein werden und dass die mannigfaltigsten Vorteile daraus hervorgehen können, wenn solche nahe beisammen wohnenden Familien in einer bestimmten Anzahl zusammentreten und einen Verein untereinander bilden. Nicht minder einleuchtend ist aber, dass auch zwischen mehre10 Bolzano
selbst ist von der Wahrheit des »christkatholischen«, wie er es nennt, Lehrbegriffs überzeugt. Diese ist sehr allgemein und grundsätzlich und geht zurück auf Vinzenz von Lèrins These aus dem frühen 5. Jahrhundert, wonach alles, was immer von allen und jederzeit geglaubt worden ist, auch wahr ist. (Lèrins, Commonitorium, 149). In einem solchen Grundkonsens der Menschen sieht er eine mögliche Weltreligion angelegt. 11 Bolzano verwendet den Begriff »Gemeine« gleichbedeutend mit dem heutigen Begriff »Gemeinde«, der hier generell eingesetzt wird.
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ren solchen Gemeinden eine allerdings schon losere Verbindung von großem Nutzen sein wird, da es gar viele Bedürfnisse gibt, denen nicht eine Gemeinde für sich, wohl aber mehrere in Vereinigung abhelfen können. In einem Verein, der aus etwa hundert Gemeinden besteht, werden gar manche Erscheinungen, die in einer einzigen Gemeinde noch unregelmäßig erfolgen, schon eine ziemliche Gleichförmigkeit beobachten, z. B. die Anzahl derjenigen Kinder, die durch ihr ausgezeichnetes Talent zu den höheren Studien taugen u. dergl. Noch andere Erscheinungen, die auch bei einem solchen Verein nach keiner Regel folgen, werden doch bei Vereinen, die erst aus hundert solchen bestehen, Regelmäßigkeit erhalten; z. B. Feuer- und Wasserschäden u. dergl. Es ist also zweckmäßig, Vereine zu bilden, deren ein jeder aus ohngefähr hundert nebeneinanderliegenden Gemeinden besteht, sie mögen Kreise heißen; und wieder andere Vereine zu bilden, deren ein jeder aus ohngefähr hundert Kreisen zusammengesetzt ist; ich will sie Länder nennen. Usw.
ZWEITER ABSCHNITT Von der Gesetzgebung 12 Die nächste Frage, die sich mir darbietet, ist, wem die Macht der Gesetzgebung in einem zweckmäßig eingerichteten Staate eingeräumt werden müsse. Hier bin ich nun der Meinung, dass kein Glied des Staates, das Mündigkeit hat, von dem Anteil der Ge12 Die
Gesetzgebung muss nach Bolzano grundsätzlich Sache aller Bürger sein. Entscheiden sollen diejenigen, die über ausreichend Sachkenntnis verfügen. Hier führt Bolzano eine Institution ein, die er den Rat der Geprüften nennt, und dem die letzte Entscheidung in Zweifelsfällen obliegt. Diesem Rat gehören ältere Menschen beiderlei Geschlechts an (in der Regel ab dem sechzigsten Lebensjahr). Sie werden für je drei Jahre in diesen Rat gewählt. Die Entscheidungen dieses Weisenrates müssen fast einstimmig (9 von 10 Stimmen) erfolgen. – Bolzano setzt also auf die
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Zweiter Abschnitt
setzgebung ganz ausgeschlossen sein dürfe, dass aber auch ebenso wenig jedes bei einem jeden zu gebenden Gesetz mitzusprechen habe; sondern nach meinem Wunsche sollen bei einer jeden zu treffenden Verfügung immer nur diejenigen, aber auch diese insgesamt, ein Recht zu sprechen erhalten, welche durch ihre persönliche Beschaffenheit, durch ihre Einsichten, meine ich, und durch ihren sittlichen Charakter, dann aber auch durch ihre äußeren Verhältnisse die Hoffnung geben, dass es von Nutzen sein werde, sie in dem vorliegenden Falle mitstimmen zu lassen. Es gibt also Verfügungen, welche zu treffen der bloße Wille einiger schon hinreicht; es gibt Verfügungen, die nur Rechtsgültigkeit erhalten, wenn sie von vielen Hunderten gebilligt werden, und es gibt endlich Verfügungen, in Betreff derer ein jeder Bürger des Staates, sofern er mündig und kein Verbrecher ist, vernommen werden muss. Welcher von diesen Fällen jedesmal eintrete, muss teils durch eigene hierüber bestehende Regeln bereits entschieden sein, teils muss es aus der Natur der Sache erst noch beurteilt werden. Ausgeschlossen werden von dem Recht der Stimmabgabe a) a lle diejenigen, die von der betreffenden Sache offenbar keine Kenntnis haben; also auch b) a lle diejenigen, die keinen für Menschen bemerkbaren, weder vorteilhaften noch nachteiligen Einfluss davon verspüren können, die Sache mag so oder anders eingerichtet werden; es sei denn, dass diejenigen, die dabei interessiert sind, sich nicht vereinigen können und sie eben deshalb zu ihren Schiedsrichtern wählen; c) a lle diejenigen, die durch Vergehungen von verschiedener Art den Verdacht gegen sich haben, dass es ihnen an dem zur Beurteilung dieses Gegenstandes nötigen guten Willen fehle. erwiesene Lebenserfahrung, letztlich auf den gereiften Hausverstand als letzte Instanz bei der Gesetzgebung im besten Staat.
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Damit diejenigen, die Einsicht genug haben, um eine zweckmäßige Einrichtung oder Verfügung vorzuschlagen, hiezu so viel als möglich ermuntert würden, wird das Recht, Vorschläge zu machen, nicht nur jedem freigestellt, sondern das Verdienst des jenigen, der eine Einrichtung, die in der Folge als gut und gemeinnützig genehmigt worden ist, uneigennütziger Weise in Vorschlag gebracht hat, wird in den Gedenkbüchern der Gemeinde oder nach Umständen auch des ganzen Landes usw. dankbar erwähnt. Damit auch niemand Ursache habe zu fürchten, dass er durch seinen Vorschlag sich Feinde zuziehen werde, kann man seine Vorschläge auch versiegelt und mit Devisen13 versehen bei der Gemeinde der Landesbehörde usw. eintragen lassen; ohngefähr auf die Art, wie es in verschiedenen Staaten schon eingeführt ist. Wer einen solchen Vorschlag unberechtigterweise erbricht oder unterschlägt, wird dafür hart bestraft. Damit aber die Nation nicht mit der zugemuteten Prüfung solcher Vorschläge, die keiner Prüfung wert sind, belästigt werde, werden die eingebrachten Vorschläge erst einer vorläufigen Prüfung von etlichen (z. B. sechs) ganz voneinander unabhängigen Personen vorgelegt. Erklären diese einstimmig, dass der Vorschlag keiner Aufmerksamkeit wert sei, so wird er verworfen. Glaubt aber der Urheber, dass man ihm Unrecht tue und nur aus Missgunst oder Missverstand seinen Vorschlag verwerfe; so steht es ihm frei zu verlangen, dass eine diesen Vorschlag enthaltende Gedenkschrift in der Bibliothek der Gemeinde oder des Landes aufbewahrt werde. Damit umso weniger zu besorgen sei, dass die Personen, die diesen Vorschlag prüfen, ihr Amt missbrauchen, ist verordnet, dass sie ihre Namen beisetzen müssen, wenn sie denselben verworfen haben; so wie im Gegenteil, wenn sie denselben zur Beherzigung empfehlen, etwa noch einige verbessernde Anmerkungen hinzufügen u. dergl., sie an der Ehre der Einführung teilnehmen sollen. 13 Losungen,
Motti, Wahlsprüche.
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Zweiter Abschnitt
Wenn der Vorschlag von den Personen, die ihn vorläufig zu prüfen gehabt, nicht für so uneben erklärt wird, dass er gar keiner weiteren Betrachtung wert sei, so wird er allen denjenigen, die nach dem vorhin Gesagten eine Stimme für oder wider ihn abzugeben haben, bekanntgemacht; und zu dem Ende, wenn nötig, in Druck gelegt; in Fällen der Eile kann man sich auch wohl der Telegraphen bedienen. In jeder Ortschaft versammeln sich dann zu festgesetzter Zeit alle, die es der Mühe wert finden, ihre Stimme abzugeben. Sind geteilte Meinungen und glauben einige, dass die Ausführung des Vorschlages sie beeinträchtigen würde; so müssen sie den Schaden angeben, und wenn er der anderen Partei nicht einleuchtend genug ist, so muss eine unparteiische Gesellschaft sachkundiger Männer ihn schätzen. Die Partei derer, die für die Einführung sind, untersucht nun, ob der Vorteil, den sie für sich hofft, groß genug sei, um jenen Schaden zu vergüten, und leistet diese Vergütung, die unter die Einzelnen, wenn es nötig ist, gleichfalls auf ähnliche Art wie die Bestimmung des Schadens verteilt wird; indem man die Größe des Vorteils schätzt und diese Abschätzung durch andere beurteilen lässt. Macht jemand die Bemerkung, dass die im Vorschlag stehende Einrichtung gewisse andere Menschen, die ihre Stimme nicht abgeben können, etwa weil sie nicht anwesend sind oder erst noch geboren werden sollen, beeinträchtigen würde: so müssen eigene Personen gewählt werden, welche die Sache dieser Menschen vertreten; und ihre Gründe für und wider werden zu einer der Wichtigkeit des Falles angemessenen allgemeinerer Kunde gebracht, damit das Urteil des Publikums und selbst der Nachwelt ihnen ein Antrieb mehr sei, mit aller Gewissenhaftigkeit zu verfahren. Der scheinbarste Einwurf, welchen man gegen diese Verteilung der gesetzgebenden Macht unter so viele – ja eigentlich alle Bürger – vorbringen könnte, ist, dass eine solche Einrichtung einen viel höheren Grad intellektueller und sittlicher Bildung voraussetzt, als gegenwärtig in irgendeinem Staate zu finden, sondern
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als überhaupt je zu erreichen steht. Da ich mich aber so ausgedrückt habe, dass man immer nur denjenigen Mitgliedern des Staates das Stimmrecht zuerkennen möge, von denen es sich nach ihrer Einsicht und nach ihrer Sittlichkeit erwarten lässt, dass es von Nutzen sein werde, ihre Stimme zu beachten; so kann man mir diesen Vorwurf eigentlich nicht machen; weil ich ja diejenigen Bürger, welche nicht Einsicht oder Redlichkeit genug haben, selbst von dem Stimmrechte ausschließe. Man könnte höchstens mit einigem Anschein sagen, dass die Bestimmung derer, welchen das Stimmrecht zuzugestehen sei oder nicht, nach diesem Grundsatz oft äußerst strittig sein werde. Allein man vergesse nicht, dass ich ausdrücklich angemerkt habe, auch hierüber müsse es allerlei die Sache näher bestimmende Vorschriften geben, welche dasjenige, was in vielen Fällen strittig sein könnte, so entscheiden, wie es für die meisten Fälle am zuträglichsten ist. Wohl zu erwägen ist auch, dass eine gewisse intellektuelle Bildung der Menschen viel allgemeiner sein könne, als sie zurzeit noch in irgendeinem unserer bisherigen Staaten angetroffen wird; wie ich dieses in der Folge noch deutlicher zu machen gedenke. Was aber die Sittlichkeit anbelangt, so muss man keineswegs glauben, dass nur diejenigen ein Stimmrecht haben sollen, bei denen man einen so hohen Grad der Sittlichkeit voraussetzen kann, dass sie, ganz absehend von ihrem eigenen Vorteil, nur auf das antragen werden, was das allgemeine Beste erheischt. Nein, sie sollen sich immerhin durch ihren eigenen Vorteil bestimmen lassen, auf dieses oder jenes anzutragen; man will ja eben durch diese Abstimmung erfahren, welches die Einrichtung sei, die den meisten vorteilhaft ist. Unfähig zur Stimmgebung wegen ihres bösen sittlichen Charakters wären also nur diejenigen, die aus bloßer Bosheit etwas nicht zulassen wollten, wovon sie doch selbst keinen Nachteil haben, nur weil ein anderer einen Vorteil davon hat, oder die unredlich genug wären, den Nachteil, der ihnen aus einer gewissen Einrichtung erwachsen würde, über die Wahrheit zu vergrößern u. dergl.
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Zweiter Abschnitt
Bei allem diesen behaupte ich doch selbst, dass es in einem Staat, darin jedes beliebige Gesetz eingeführt oder aufgehoben werden könnte, sobald nur die Mehrheit der Bürger sich einmal für oder wider dasselbe geeinigt hat, immer, wie zweckmäßig auch sonst alle übrigen Einrichtungen wären, zu besorgen stände, dass mit der Zeit manche sehr heilsamen Einrichtungen abgestellt und mache sehr verderbliche Sitte durch das Ansehen der Gesetze geheiligt werden dürfte; alles – bloß weil die Sinnlichkeit der Menschen bei einer solchen Veränderung ihre Rechnung fände. Denn dass die größere Menge der Menschen bei einem Streit, in welchen ihre Sinnlichkeit mit der Vernunft gerät, nicht dieser, sondern der ersteren folge, dass besonders Menschen von einem jüngeren Alter (und diese machen doch immer die Mehrzahl in einem Staat aus) geneigt sind, mehr ihren Leidenschaften als der Vernunft zu gehorchen: das steht auch dann noch zu befürchten, wenn man die Menschen auf eine so zweckmäßige Art, als es nur immer möglich ist, erzieht. Um also jedem Missbrauch vorzubeugen, den eine gesetzgebende Gewalt befürchten ließe, wenn sie ganz unbedingt in die Hände der Mehrzahl eines ganzen Volkes gelegt würde, ist meines Erachtens folgende Einrichtung nötig: Kein Beschluss der Mehrzahl erhalte die Gültigkeit eines Gesetzes, wenn er von demjenigen Teil der Gesellschaft, den ich den Rat der Geprüften nennen will, nicht bloß mit Mehrheit der Stimmen, sondern fast einstimmig (d. h. mit einem Übergewicht von etwa 9 Stimmen gegen die zehnte) verworfen wird. Ich verstehe aber unter dem Rat der Geprüften eine Anzahl von Personen beiderlei Geschlechtes, welche von den Gemeinden, in denen sie leben, auf je drei Jahre durch Stimmenmehrheit zu dieser Würde erwählt und nach Verlauf dieser Zeit entweder wieder bestätigt oder, wenn etwa Altersschwäche sie minder fähig gemacht hat oder wenn sie sich irgendein Vergehen zu Schuld kommen ließen, entfernt werden können; wie es denn auch ihnen selbst freistehen soll, wegen zunehmender Altersschwäche ihre Entlassung zu verlangen. Es sollen aber zu dieser Würde nur Personen gewählt wer-
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den, die ohngefähr schon das sechzigste Jahr ihres Lebens zurückgelegt und von ihrer Rechtschaffenheit sowohl als auch von ihren Einsichten bei mehr als einer Gelegenheit entscheidende Proben geliefert und schwere Versuchungen bestanden haben. Da man nun gut und weise sein kann, ohne doch eben in Verhältnisse geraten zu sein, darin man eine solche für andere entscheidende Probe von den soeben genannten Eigenschaften ablegen konnte; so darf es niemand zur Schande angerechnet werden, wenn er, obgleich bereits in einem Alter, das ihn zur Aufnahme in diesen Rat der Geprüften fähig machen würde, doch nicht darin aufgenommen wird. Aus eben diesem Grunde gehört auch niemand (selbst nicht ein Seelsorger oder ein geistlicher Lehrer) schon seines Amtes wegen zum Rat der Geprüften. Vor ihrem sechzigsten Jahr können nur Personen, welche ganz außerordentliche Beweise ihrer unwandelbaren Rechtschaffenheit und hohen Einsichten abgelegt haben, auf keinen Fall aber darf jemand vor seinem vierzigsten Jahr zu dieser Würde erhoben werden. Menschen dagegen, die sich irgendeinmal eines Verbrechens schuldig oder auch nur verdächtig gemacht, haben für immer die Wahl fähigkeit verloren. Endlich hat jede Gemeinde das Recht, wenigs tens eine, höchstens fünf Personen zu diesem Rat zu wählen. Das Recht zu verlangen, dass ein gewisser Beschluss, den eine Gemeinde oder ein großer Teil der Gesellschaft gefasst hat, dem Rat der Geprüften, der sich in eben diesem Teil der Gesellschaft befindet, vorgelegt werde, steht den Mitgliedern dieses Rates selbst zu; doch ist nur anzunehmen, dass ein Rat der Geprüften bestehe, wo wenigstens zehn derselben sich finden. Übrigens versteht sich von selbst, dass der Rat der Geprüften nicht nur die Aufhebung einer bereits bestehenden Einrichtung oder Verordnung verhindern, sondern auch eine noch fehlende neue Einrichtung einführen könne. Wie nämlich jeder Bürger des Staates, so muss auch jedes Mitglied des Rates der Geprüften das Recht haben, eine noch nicht vorhandene Einrichtung oder ein neues Gesetz in Vorschlag zu bringen. Gesetzt nun auch, dass dieser Vorschlag bei der
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Zweiter Abschnitt
Gesamtheit der Bürger, denen er vorgelegt werden musste, durch die Mehrheit der Stimmen verworfen werde, so hindert dieses doch nicht, erst jetzt noch das gesonderte Urteil des Rates der Geprüften darüber einzuvernehmen, und wenn nun bei diesem nicht nur der größere Teil, sondern alle oder doch fast alle für die Einführung stimmen, so wird die Einrichtung eingeführt, ob sie gleich keine Mehrheit der Stimmen für sich hat. Die Zweck mäßigkeit eines mit solchen Rechten und Obliegenheiten bekleideten Rates der Geprüften wird man bei einigem Nachdenken hoffentlich nicht verkennen. Sollte indessen jemand nicht gleich auf den ersten Blick einsehen, wozu es bei der entscheidenden Macht, die man dem Rat der Geprüften hier einräumt, je nötig oder auch nur nützlich sein könne, die Stimmen der Übrigen zu vernehmen: so erinnere ich, dass dem Gesagten zu Folge der Rat der Geprüften nicht jedesmal, sondern nur dann allein ein entscheidendes Übergewicht über die Stimmen der übrigen habe, wenn bei ihm nicht geteilte Meinungen, sondern Einstimmigkeit herrscht. Sollte man aber hieraus die Folgerung ableiten wollen, dass es sonach zweckmäßiger wäre, den Rat der Geprüften immer zuerst und abgesondert zu vernehmen und nur in denjenigen Fällen, wo bei ihm keine Übereinstimmung herrscht, sich an die übrige Menge zu wenden: so erwidere ich, dass es immer erfreulicher für ein Volk sein müsse, wenn es sich eine gewisse Einrichtung selbst gewählt hat, und dass es sich geneigter finden werde, ein Gesetz zu befolgen, wenn es durch seine eigene Wahl besteht. Man muss dem Volk das Verdienst, ein weises Gesetz sich selbst gegeben zu haben, nicht rauben, sondern ihm vielmehr dazu alle Gelegenheit geben. Zu diesem Zweck wird man auch in einem jeden Fall, wo sich der Rat der Geprüften mit einer, sei es bisher auch nur noch überwiegenden Mehrheit der Stimmen, für ein gewisses Gesetz erklärt hat, die große Menge der übrigen Bürger durch alle nur immer zu Gebote stehenden Mittel des Unterrichtes dahin zu stimmen suchen, dass sie sich freiwillig dafür entscheide; man wird z. B. eigene Aufsätze unter das Volk verbreiten,
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welche die Vorteile oder die Notwendigkeit der betreffenden Einrichtung auseinandersetzen; man wird diejenigen Bürger, deren subjektive Überzeugung sich für diese Einrichtung bereits entschieden hat, auffordern, in ihren Zusammenkünften mit anderen jede Gelegenheit zu benützen, um die der neuen Einrichtung entgegenstehenden Vorurteile zu widerlegen usw. Aber noch könnte man fragen, warum ich dem Rat der Geprüften eine gegen die Mehrzahl des Volkes entscheidende Stimme nur in dem Fall zugestehen wolle, wenn bei ihm selbst nicht eine bloße Mehrheit der Stimmen sich für eine gewisse Einrichtung ausspricht, sondern wenn eine allseitige Übereinstimmung dafür zustande gebracht werden kann; da mir doch bei dem gesamten Volk, wenigs tens in gewissen Fällen (nämlich wenn sich der Rat der Geprüften nicht in ganzer Masse dawider erklärt) eine bloße Mehrheit der Stimmen zur Einführung eines Gesetzes genügt? Ich habe schon oben gesagt, dass es auch bei den zweckmäßigsten Erziehungsanstalten und Einrichtungen jeder Art nicht zu vermeiden sein dürfte, dass sich unter der sämtlichen Menge der Bürger, denen das Recht, bei den öffentlichen Angelegenheiten ihre Stimme abzugeben, eingeräumt werden muss, eine beträchtliche Anzahl solcher befindet, die schwach genug sind, um sich in einem einzelnen Fall durch ihre Leidenschaft gegen die bessere Einsicht verblenden zu lassen; und wir können also füglich nicht annehmen, dass es, sooft es sich nur um eine in der Tat gute Sache handelt, möglich sein werde, alle von dieser Güte derselben zu überzeugen und zu bereden, dass sie dafür stimmen. Zu jener Auswahl von Bürgern, aus welchen der Rat der Geprüften besteht, kann man dagegen wohl das Vertrauen hegen, dass sich, wenn die in Frage stehende Einrichtung wirklich gut ist, nicht bloß die Mehrzahl derselben dafür entscheidet, sondern dass sich alle oder fast alle dafür gewinnen lassen werden. Wir haben also keineswegs zu besorgen, dass eine wahrhaft ersprießliche Einrichtung nur darum nie in dem besten Staate werde eingeführt werden können, weil es nicht möglich ist, die Mitglieder des Rates der Geprüften
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alle dahin zu bringen, dass sie für ihre Einführung stimmen. Hiezu kommt noch, dass es demjenigen Teil der Bürger, die nicht für diese Einrichtung sind, sehr drückend vorkommen müsste, wenn eine auch noch so geringe Überzahl der Stimmen im Rat der Geprüften die Macht haben sollte, sie zum Gehorsam zu zwingen; sogar in dem Fall, wenn ihre Anzahl die bei weitem größere ist und wenn sie sehen, dass selbst diejenigen, die für die besten und weisesten im Lande gelten, nicht alle einverstanden sind. Wenn aber im Gegenteil verlangt wird, dass sich die Mehrzahl des Volkes nur dort dem Ausspruch der Minderzahl unterwerfe, wo es sich um eine Sache handelt, die von den Mitgliedern des Rates der Geprüften wie mit einem Munde verlangt wird: dann könnten sie dieses fürwahr nicht unbillig finden, sondern sie müssen selbst fühlen, dass sie unrecht gehabt in einem Urteil, in welchem ihnen, wie es sich jetzt zeigt, die Besten und Weisesten einstimmig widersprechen.
DRITTER ABSCHNITT Von der Regierung 14 Begreiflicher Weise ist es, wie für die einzelnen Menschen, so auch für ganze Staaten, oft überaus schwer zu entscheiden, was unter gewissen soeben obwaltenden Umständen zu unternehmen das Beste und Vernünftigste sei. Die verschiedenartigsten Kenntnisse sind oft erforderlich, um diese wichtige Frage auch nur mit eini14 So
nennt Bolzano den Inbegriff jener Personen, die über ausreichend Sachkenntnis verfügen und damit andere vertreten: Personen, die über zu wenig Sachkenntnis verfügen, oder auch andere; weil nicht jedes Mal alle zusammengerufen werden können. In einem vorsichtigen Verfahren werden sie gewählt. Wir würden das heute »basisdemokratisch« nennen. An keiner Stelle spricht Bolzano von politischen Parteien, wie wir sie heute kennen. Es gibt sie nicht in seinem »zweckmäßig eingerichteten« Staat.
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ger Richtigkeit zu beantworten; und ohne sich erst eine Übersicht von dem gesamten Zustand des Staates verschafft zu haben, ohne alle seine Bedürfnisse und den gesamten Vorrat seiner Kräfte zur Befriedigung dieser Bedürfnisse zu kennen, lässt sich hierüber zuweilen gar nichts sagen. Wenn es sich z. B. fragt, ob eine sehr kostspielige, von den Gelehrten eines Landes gewünschte Unternehmung, wie es etwa die in neuer Zeit versuchte Umsegelung des Nordpols war, gestattet oder nicht gestattet werden solle: so können den Nutzen, den eine solche Sache verspricht, vielleicht nicht einmal alle Gelehrten, sondern nur diejenigen, welche vom Fache sind, beurteilen. Auf diesen Nutzen aber kommt es allein nicht an, sondern es fragt sich hier auch noch, wie groß der Vermögensstand des Staates sei, was für andere Ausgaben noch zu bestreiten sind, ob es nicht viele andere, ungleich notwendigere oder doch auf jeden Fall nützlichere Unternehmungen gebe usw. Hieraus ersieht man, dass in einem jeden Staate Personen notwendig sind, welche man eigens in solche Verhältnisse setzt, damit sie sich die hier genannten Kenntnisse insoweit wenigstens verschaffen könnten, als es ein einzelner Mensch vermag; Personen also, die man nicht nur in jenen allgemeinen Grundsätzen, nach welchen Fragen der obigen Art zu beurteilen sind, von Jugend auf unterrichtet, sondern die man auch mit allen in ihrem Staat obwaltenden einzelnen Verhältnissen bekannt macht. Je größer die Anzahl solcher Personen im Staat, die, ohne ihre übrigen Geschäfte zu versäumen, sich mit den hierher gehörigen Kenntnissen vertraut gemacht haben, um desto besser. Es ist aber leicht zu erachten, dass man, um sich in diesem Fach eine erschöpfende Kenntnis zu verschaffen, und besonders, um eine umfassende Übersicht von den gesamten Bedürfnissen und Kräften des Staates zu erlangen, mehr Zeit anwenden müsse, als jeder Einzelne vermag. Damit es also nie an Personen, die diese innige Bekanntschaft mit den Staatsangelegenheiten haben, fehle und damit solche Personen immer zur Hand seien, ist nötig, dass es in jedem Land eine eigene Gesellschaft gebe, welche aus Bürgern zusammengesetzt ist,
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die jene Kenntnisse teils schon besitzen, teils aber erst auf ihrem Posten sich erwerben und beauftragt sind, in allen denjenigen Fällen ihre Stimme abzugeben, wo es sich um die Abfassung eines Beschlusses handelt, der nur mit solchen Kenntnissen vernünftig gefasst werden kann. Und wie es Fälle gibt, in welchen die übrige Menge der Bürger aus Mangel an hinlänglicher Kenntnis der wahren Lage der Dinge nicht zu beurteilen vermag, was zu geschehen habe; so gibt es auch wieder andere Fälle, wo selbst diejenigen, die an und für sich genommen Kenntnisse genug hätten, um sie beurteilen zu können, doch nicht beraten werden können, weil die zu einer solchen Beratung erforderliche Zeit nicht da ist oder weil die Sache, um deren Entscheidung es sich handelt, eines so großen Aufwandes an Zeit und Kräften, wie ihn die Einvernehmung so vieler Stimmen verursachen würde, nicht wert ist. Auch hier also bedarf es gewisser Personen, welche das Recht und die Verbindlichkeit haben, im Namen der Übrigen zu entscheiden. Ich nenne den Inbegriff15 dieser Personen kurz die Regierung oder den Vorstand des Landes oder die Staatsbehörde und jede im Einzelnen auch schon selbst einen Vorstand. In jeder Gemeinde schon wird es mit vielem Vorteil einen oder etliche Vorstände geben, welche die Angelegenheiten dieser Gemeinde besorgen; noch mehrere derselben wird man in jedem Kreis einsetzen müssen, um über dasjenige zu entscheiden, was sich nur aus der Übersicht der Kräfte und Bedürfnisse des ganzen Kreises beurteilen lässt. Ein Gleiches gilt vom ganzen Staat, und sofern mehrere Staaten in ein gemeinsames Bündnis getreten sind, so muss es begreif licherweise auch einen Vorstand des ganzen Staatenbundes geben. Dass nun die Kenntnisse und die Beschaffenheiten, die diese verschiedenartigen Vorstände nötig haben, um ihren Bestimmungen gehörig zu entsprechen, gar sehr verschieden sind, braucht nicht 15 Ein
»Inbegriff« ist nach Bolzano ein Ganzes, in welchem gewisse Dinge als Teile erscheinen. Bolzano [1837] 1, § 82.
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erst dargetan zu werden. Auch fast von selbst versteht sich, dass diese Vorstände, falls ihr Geschäft ihre ganze Zeit in Anspruch nimmt, auf gemeinsame Kosten, und zwar am füglichsten auf Kosten derjenigen, für deren Bestes sie zunächst sorgen sollten, also die Vorstände einer Gemeinde von dieser, die eines Kreises vom Kreise, die eines ganzen Landes vom ganzen Land, jene des ganzen Staatenbundes endlich vom ganzen Staatenbund unterhalten werden. Sind aber einige nur durch eine gewisse Zeit mit ihrem Dienst beschäftigt; so wird es hinreichen, ihnen auch nur für diese Zeit ein Gehalt von der Seite derjenigen, für deren Bestes sie sich beschäftigen sollen, verabfolgen zu lassen. Es wird ferner auch zweckmäßig sein, dass man die Dauer ihrer Anstellung nicht in bestimmte und umso weniger in solche Schranken einschließe, welche für alle gleichförmig wären. Denn da sie sich nur allmählich in ihr Geschäft einüben und in der Folge nur umso tauglicher werden, je größer die Fertigkeit ist, welche sie sich durch Übung beigelegt haben; so müssen wir nicht ohne Not mit ihnen wechseln wollen. Doch ist es andererseits nicht gut, sie mit der Aussicht auf eine lebenslängliche Dauer dieses Verhältnisses anzustellen; teils weil sie sich in ihren Gesinnungen ändern oder durch die veränderten Umstände oder durch das herannahende Alter an ihrer Tüchtigkeit für das Geschäft verlieren können, teils endlich auch, weil Personen heranwachsen können, die, so tauglich die ersteren waren, doch noch zu größeren Hoffnungen berechtigen. Es scheint also das zweckmäßigste, dass man dem Volk das Recht einräume, sich die Mitglieder seiner Regierung alljährlich oder doch alle zwei bis drei Jahre selbst zu wählen; bei dieser Wahl aber nach Belieben entweder bei den alten zu bleiben oder sein Glück mit neuen Individuen zu versuchen; für welchen letzteren Fall jedoch ausdrücklich festgesetzt sein müsste, dass die Nichtbeibehaltung der vorjährigen Beamten ihrer Ehre durchaus nicht nachteilig sein soll; es sei denn, dass jemand wegen wirklich erwiesener Vergehen von seinem Posten entfernt wird. Diese besoldeten Vorstände oder Regierungsbeamten sollen das
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Recht und die Obliegenheit haben, alle das Beste des Staates befördernden Anordnungen zu treffen; wobei sie nach gewissen ihnen vorliegenden Anweisungen (Instruktionen) zu verfahren haben, wo ihnen unter anderem vornehmlich auch angegeben wird, auf welche Fälle sich ihre Macht, Gesetze zu geben, erstrecke; in welchen anderen Fällen dagegen es ihnen obliege, den strittigen Gegenstand der Entscheidung des Ganzen (der Gemeinde, dem Kreise oder dem ganzen Land) vorzulegen; in welchen Fällen sie endlich zwar wohl die Macht haben, selbst zu entscheiden, jedoch nicht eher, als bis sie die Meinung und den Rat gewisser anderer Personen oder auch ganzer Gesellschaften, z. B. namentlich den der Gelehrten, vernommen. Zu den Gegenständen, worüber kein Vorstand, nicht einmal der des ganzen Staates, eigenmächtig zu entscheiden hat, sondern die von der ganzen Masse des Volkes mit der schon oben angegebenen Modalität entschieden werden müssen, gehört ein jedes Gesetz, welches auf immerwährende Zeiten gegeben und als ein Bestandteil in die Verfassungsurkunde des Staates selbst aufgenommen werden soll. In jeder Behörde, die aus mehreren Vorständen zusammengesetzt ist, führt einer derselben der Vorsitz und leitet den Geschäftsgang. Er hat aber sonst keine eigentümlichen Rechte und Obliegenheiten als solche, die zur Erhaltung der Ordnung und Förderung des Geschäftsganges notwendig sind. Die Vorstände fassen ihre Beschlüsse nach Stimmenmehrheit, und bei zufälliger Gleichheit der Stimmenanzahl gilt die Meinung desjenigen Teiles, der nach gewissen Regeln, z. B. weil sich darunter die meisten Geprüften befinden u. dergl., der wichtigere heißt. Sie dürfen ihre Beschlüsse nur, sofern es Eile hat, gleich in der ersten Versammlung, darin der Gegenstand zur Sprache gebracht worden ist, abfassen; außer diesem Fall dürfen und sollen sie sich eine angemessene Bedenkzeit nehmen, während welcher der Gegenstand in Überlegung genommen und besprochen werde. Verlangt es die Wichtigkeit der Sache und ist es irgend möglich (d. i. fordert nicht die Natur der Sache selbst eine Geheimhaltung), so
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soll der Gegenstand durch eine gedruckte Anzeige jedesmal erst dem ganzen Volk bekanntgemacht und dasselbe eingeladen werden, seine Meinung darüber durch einzelne Bürger oder durch ganze Gemeinden auszusprechen. Wie übrigens auch die Stimme des Volkes sich äußern möge; handelt es sich um einen Gegenstand, der seiner Natur nach nicht von der großen Menge beurteilt werden kann; so ist die Behörde auch nicht gebunden, ihr zu gehorchen. Allein auch wo man einer Meinung nicht zu gehorchen verpflichtet ist, kann es doch gut sein, sie anzuhören. Auch lassen sich die Menschen ein ihnen erteiltes Gesetz umso lieber gefallen, wenn man ihnen zeigt, dass man bei seiner Abfassung ihre Meinung, wenn auch nicht eben zur einzigen Richtschnur genommen, doch in Betrachtung gezogen habe. Und wenn viele Meinungen, die bei einer solchen Gelegenheit laut werden, unrichtig sind; so kann sich doch mancher recht brauchbare Rat vernehmen lassen. Darum muss also die Landesregierung wohl verbunden sein, den Gegenstand, worüber sie einen Beschluss zu fassen gedenkt, sooft es in anderer Hinsicht nur tunlich ist, vorläufig allgemein bekanntzumachen und die Meinungen des Volkes darüber zu vernehmen; nicht aber das Volk in einem jeden solchen Fall auch förmlich abstimmen zu lassen. Jedenfalls aber muss die Regierung ihre Beschlüsse und Verhandlungen wenigs tens hinterher alle Jahre durch den Druck bekanntmachen und ihre Mitglieder sind, wie es sich von selbst versteht, für ihren Anteil an der Regierung verantwortlich. Auf diese Weise erhält also das Volk alljährlich einen Bericht über das gesamte Verfahren seiner Regierung und bei dieser Gelegenheit wird dann auch insbesondere über die stattgefundene Einnahme sowohl als Ausgabe Rechnung gelegt. Bei diesen Einrichtungen, verbunden mit noch einigen anderen, die erst später erwähnt werden sollen, ist es nicht zu gedenken, dass sich die Staatsbeamten auch nur versucht fühlen sollten, große Summen Geldes zu unterschlagen oder viele Beschlüsse aus bloßem Eigennutz zum Schaden des Ganzen zu fassen. Ahnt man
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aber, dass ein oder der andere nicht redlich genug vorgehe oder nicht hinlängliche Einsichten habe; so wird er das nächste Mal nicht wieder gewählt; oder er wird wohl gar bei Gericht verklagt und in Untersuchung genommen. Die Anzahl dieser Vorstände hat man nach zwei Rücksichten zu bestimmen: die eine ist: es müssen deren wenigstens so viele sein, dass sie im Stande sind, die Beschlüsse, welche sie fassen sollen, alle gehörig zu überlegen und nicht aus Mangel an Zeit sich genötigt sehen, manches zu übereilen. Die andere Rücksicht ist, es müssen so viele sein, als eben notwendig ist, damit man erwarten könne, es werde alles mit der gehörigen Vielseitigkeit erwogen und redlich und gewissenhaft entschieden werden, weil, wenn etwa einige etwas parteilich und mit Leidenschaft beurteilen wollten, andere da sind, die solches wehren. Eine noch größere Anzahl als zu diesem doppelten Zweck erforderlich ist, wäre eine Überladung, die den Geschäftsgang nur erschweren und dem Staate nur unnötige Auslagen verursachen würde. Ohne Zweifel aber ist das zweckmäßigste, dass sich das Volk diese Vorstände selbst wählt, und zwar eine jede Gemeinde und ein jeder Kreis nach dem Verhältnis seiner Menschenzahl einen oder etliche. Dass aber auch jeder besondere Stand, jedes besondere Gewerbe u. dergl. seine eigenen Vertreter habe, dürfte zwar eben nicht notwendig sein, doch mag es immer sein Gutes haben und das Vertrauen und die Bereitwilligkeit im Gehorchen befördern. In einem zweckmäßig eingerichteten Staat wird es auch umso gewisser möglich sein, in einem jeden Gewerbe und Stand Individuen, welche zu Vorständen taugen, zu finden, da die gesamte Masse des Volkes eine viel gleichförmigere Bildung erhält und da besonders diejenigen Kenntnisse, die zur Regierung eines Landes gehören, viel allgemeiner verbreitet sein werden, als es jetzt noch in den meisten gebildeten Staaten der Fall ist. Aus diesem letzten Umstand folgt, dass wohl eine jede Gemeinde in ihrer eigenen Mitte Personen genug haben werde, die ihren Vorstand (den einer einzelnen Gemeinde) zu bilden fähig sind. Hieraus fließt
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weiter, dass es am besten getan sein werde, jeder Gemeinde die Wahl ihres eigenen Vorstandes selbst zu überlassen. Natürlich, dass ihre Wahl bei dieser Erlaubnis fast immer auf eine in ihrer Mitte lebende Person fallen werde; und damit wird sie in der Tat nicht fehlen; denn eben weil diese Person in ihrer Mitte gelebt, so muss sie allen hinlänglich bekannt sein und es steht kaum zu besorgen, dass man ein ganz unfähiges Individuum wählen sollte, da doch kein Mangel an Fähigen ist. Schwieriger ist die Frage, wie man es mit der Wahl derjenigen Vorstände halten solle, die nicht einer bloßen Gemeinde, sondern einem ganzen Kreis oder Land oder dem ganzen Staatenbund vorstehen sollen. Einerseits scheint es sehr billig, dass jeder einzelnen Gemeinde, auf deren Wohl oder Weh die hier zu treffende Wahl einen Einfluss haben wird, ein Stimmrecht bei derselben eingeräumt werde; andererseits lässt sich doch schwerlich voraussetzen, dass ein und eben dieselbe Person, so tauglich sie auch zu diesem Amt wäre, im ganzen Kreise und umso weniger in einem ganzen Land oder im ganzen Staatenbund jedem einzelnen Bürger bekannt genug sei, um sein Vertrauen zu besitzen und somit auch einen gegründeten Anspruch auf seine Stimme zu haben. Nur Männer, die bereits durch eine längere Zeit auf einem Posten gestanden, auf welchem ihr Benehmen von vielen Tausenden beobachtet werden konnte und einen auf viele Tausende sich erstreckenden Einfluss gehabt hat, können dem Rufe nach in einem ganzen Land bekannt sein; aber auch dieser Ruf ist nicht immer der Wahrheit gemäß und kann sonach keinen sicheren Bestimmungsgrund bei ihrer Wahl abgeben; und wie soll derjenige, der noch keine dergleichen Ämter bekleidet hat, einen Ruf haben, so groß auch seine Geschicklichkeit sein möchte? – Endlich muss auch noch zugegeben werden, dass die große Menge der Menschen selbst in dem besteingerichteten Staat wenig imstande sei, auch bei Personen, die sie genau genug zu kennen glaubt, zu beurteilen, ob sie diejenigen Beschaffenheiten haben, welche zu einem tüchtigen Staatsdiener in jenen höheren Sphären erforderlich sind. Aus al-
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lem diesen ziehe ich den Schluss, dass es wohl am vernünftigsten sein werde, wenn man dergleichen höhere Staatsbeamte nicht von der ganzen Masse des Volkes, sondern die Vorstände eines Kreises von jenen der einzelnen Gemeinden dieses Kreises, die Vorstände eines Landes von den Vorständen seiner einzelnen Kreise usw. wählen oder vielmehr nur in Vorschlag bringen ließe, und dieses zwar so, dass immer mehrere, ohngefähr doppelt so viele Personen als wirklich angestellt werden sollen, in Vorschlag gebracht werden müssen, worauf es denn diesen zuletzt selbst überlassen wird zu bestimmen, wer das Amt antreten solle. Von den Männern, die selbst Vorstände sind, lässt sich doch annehmen, dass sie die Eigenschaften, welche zu einem künftigen Vorstand, obgleich nicht eben von ihrer, sondern von einer noch höheren Klasse, gehören, zu beurteilen wissen; sie finden auch in ihren Verhältnissen bei weitem mehr Gelegenheit, die Individuen, die diese Eigenschaft etwa an sich haben, kennenzulernen. Es lässt sich also hoffen, dass die Personen, die sie in Vorschlag bringen werden, größtenteils würdig sein werden. Aus diesen Würdigen nun die Würdigsten herauszufinden ist eine Sache, die man am sichersten ihnen selbst überlassen kann, soferne man ihnen nur auch das Recht einräumt, die Prüfungen und Versuche, die sie zu diesem Zweck der eine dem andern anzustellen für nötig erachten, selbst einzuleiten, und überdies festsetzt, dass in den Gedenkbüchern des Staates neben den Taten der jeweiligen Vorstände auch die Namen derer, die als Miterwählte ihnen den Platz überließen, angeführt werden sollen. Bei den Wahlen selbst, sie mögen nun Vorstände oder was immer für andere Personen betreffen, dürfte, soferne sie durch eine bloße Stimmgebung zu geschehen haben, das natürlichste Verfahren etwa darin bestehen, dass die Gesellschaft der Wähler das erste Mal nur dazu versammelt werde, damit ein jedes Mitglied die übrigen auf die Personen, die ihm besonders tauglich scheinen, aufmerksam mache; ihre Beschaffenheiten, Talente, Grundsätze, bisherige Leistungen usw. zu einer allgemeinen Kunde zu
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bringen versuchen möge, damit aber auch ebenso jeder, dem diese Anempfehlungen unrichtig oder einseitig scheinen oder der einen noch Würdigeren zu kennen glaubt, widersprechen könne. Nach diesen vorläufigen Besprechungen mögen dann in der nächsten Versammlung die Stimmen abgegeben werden. Leicht wäre es, hiebei eine Verfahrungsart zu erdenken, die jeden Verdacht eines Betruges in der Einsammlung und Abzählung dieser Stimmen beseitigt, ja wenn man es wünscht, auch verhindert, dass bekannt werde, wem jemand seine Stimme gegeben. Es brauchte z. B. nur jeder Wähler den Namen dessen, für den er stimmt, auf einem gefalteten Blatt geschrieben in die Versammlung zu bringen; es könnten Kinder bestellt sein, die diese Zettel in eine Urne sammeln, dann aus derselben (etwa schon ältere) wieder hervorziehen, ablesen, ordnen, zusammenzählen usw. Dieses alles könnte in einem Saal vorgehen, in welchem die das Geschäft verrichtenden Kleinen von der übrigen Menge der Zuschauer durch ein Gitter gesondert sind und, weil sie sich auf einer Höhung befinden, von allen wahrgenommen werden können; usw. Da aber niemand zur Übernahme eines Amtes, zu dessen gehöriger Verwaltung viel guter Wille gehört, gezwungen werden darf, so versteht sich von selbst, dass es den auf was immer für eine Weise gewählten Vorständen jedesmal freistehen müsste, ob sie das ihnen angetragene Amt in der Tat annehmen wollen; ja es müsste auch jedem, der etwa meint, dass die Wähler auf ihn verfallen könnten, erlaubt sein, im Voraus zu bitten, dass man an andere denke, weil er sich für dieses Amt nicht geeignet fühle.
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VIERTER ABSCHNITT Von den Zwangsanstalten 16 Es würde wenig nützen, wenn in einem Staat die besten Gesetze gegeben wären, aber nicht auch zugleich dafür gesorgt würde, dass sie befolgt werden müssen. Es lässt sich aber im Voraus erwarten, dass nicht alle Bürger immer bereitwillig sein werden, die Gesetze des Staates zu befolgen, auch wenn sie die Zweckmäßigkeit derselben wohl einsehen, ja vielleicht selbst für ihre Einführung mitgestimmt hatten. Notwendig muss daher in jedem Staat eine Macht dasein, welche diejenigen, welche sich nicht fügen wollen, mit einer angemessenen Strafe bedroht und, wenn sie nicht gutwillig folgen, sie durch Zwang dahin bringt, zu lassen oder zu tun, wie die Gesetze verlangen. Von einer Gesellschaft, der es an dieser Macht durchaus gebräche, welche so ganz und gar keine Mittel besäße, um dasjenige, was doch der allgemeine Wille ist, nötigenfalls auch selbst durch Zwang zu erreichen, würden wir eben deshalb sagen, dass sie nicht einmal den Namen eines Staates verdiene, oder dass dieser Staat schon aufgelöst sei. An Zwangsanstalten also darf es auch in dem besten Staat nicht fehlen; und zuvörderst muss es schon in jeder einzelnen Gemeinde gewisse Personen (Richter) geben, denen ein Teil der Zwangs anstalt anvertraut ist, so zwar, dass sie, wenn sie auch nicht das Geschäft des Zwingens (des Züchtigens u. dergl.) selbst verrichten, doch einige andere Leute (Gerichtsdiener, Wachen Polizei diener) an ihrer Seite haben, die es auf ihr Geheiß vollziehen, die eben deshalb auch eigene Waffen und Strafwerkzeuge erhalten. Die Zweckmäßigkeit einer solchen Teilung, wobei der eine die 16 Nicht
zuletzt, weil Utopien in der Regel an der Durchführung scheitern, gibt Bolzano klare Regeln an, wie Unwillige (Unvernünftige oder nur auf Eigennutz Bedachte) zur Ausführung ihrer Pflichten notfalls gezwungen werden können. Dabei achtet er streng auf Gewaltenteilung, ein damals noch nicht durchgängig gültiges Prinzip. Bei Gefahr von außen setzt er auf eine Art von Miliz zur Landesverteidigung.
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Art des Zwanges, die angewandt werden soll, bloß angibt, der andere nur zu vollziehen hat, was jener angeordnet, leuchtet von selbst ein. Und so versteht es sich auch, dass man nur Männer, die mit vielen Einsichten auch einen sehr untadelhaften Charakter verbinden, zu Richtern auswählen dürfe. Bei ihren Dienern wird man mehr auf die körperliche Stärke zu sehen haben, doch auch darauf achten, dass ihr Wandel nicht ärgerlich sei, ingleichen, ob sie nicht etwa dem Fehler des Jähzorns ergeben sind, der sie zu einem Missbrauch ihrer Waffen und Strafwerkzeuge verleiten könnte. Als ein solcher Missbrauch aber würde ein jeder Gebrauch dieser Waffen und Strafgeräte betrachtet, der nicht der Weisung gemäß ist. Er müsste mit der äußersten Strenge geahndet und gleich bei dem ersten Mal die Unfähigkeit, Waffen je wieder zu führen, nach sich ziehen. Übrigens braucht nicht erst gesagt zu werden, dass weder die Richter noch ihre Diener ihr Amt zu ihrer ausschließlichen Beschäftigung haben; wie denn die letzteren auch gar nicht gebunden sein sollten, die Waffen unausgesetzt bei sich zu führen. Allein nur gewisse leichtere Zwangsmittel und Bestrafungen sind es, die der Anordnung der Richter jeder einzelnen Gemeinde einberaumt werden dürfen; härtere Strafen dürfen nur nach gemachter Anzeige an eine höhere Behörde (das Richteramt eines Kreises) von dieser zuerkannt werden; alles nach Vorschriften, welche hierüber festgesetzt und nicht so zahlreich sind, dass sie der Hauptsache nach nicht durch den öffentlichen Unterricht allen bekannt sein könnten. Alle diese Anstalten können inzwischen nur auslangen, wenn es ein oder etliche Menschen allein sind, welche dem Staate den Gehorsam aufsagen und mit Gewalt bezwungen werden sollen. Wenn viele auf einmal den Einfall hätten, sich dem zu widersetzen, was der Staat fordert; dann wäre eine ganz andere, eine viel größere Macht nötig, um in ihnen Furcht zu erregen und sie zu überwältigen. Gleichwohl scheint dieser Fall eben nicht zu den Unmöglichkeiten zu gehören. Denn auch in dem besten Staat gibt es Einrichtungen, welche nicht allen angenehm sind, für deren
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Einführung und fernere Beibehaltung nur ein Teil der Bürger, vielleicht nur der Rat der Geprüften, gestimmt hat; sollte es also nicht möglich sein, dass sich einst viele, ja wohl die Mehrzahl der Bürger erhebt, um zu erklären, dass sie diese Gesetze nicht länger achten wollen? Und wenn der beste Staat nie sicher davor ist, dass in seinem Inneren das Feuer der Empörung sich entzünde; so ist er noch viel weniger sicher, dass ihn nicht eine Macht von Außen her anfalle und zu zerstören versuche. Solange es neben dem besser eingerichteten Staate andere gibt, die minder zweckmäßige Einrichtungen haben, kann es ein wahrer oder eingebildeter Vorteil der letzteren erheischen, jenen womöglich zu stürzen. Wie nun, wenn ganze Kriegsheere von allen Seiten heranrücken, um die friedlichen Bürger des besten Staates zu zwingen, sich einer fremden Gewalt zu unterwerfen und statt nach ihren eigenen nach den Gesetzen eines anderen Staates zu leben? – Ich gestehe offen, dass ich kein Mittel kenne, durch dessen Anwendung die Bürger des besten Staates die hier zuletzt erwähnte Gefahr immer und überall von sich abwehren könnten; und eben in diesem Umstand liegt einer der vornehmsten Gründe, weshalb es keineswegs den Regeln der Klugheit angemessen wäre, wenn eine jede auch noch so kleine Gesellschaft von Menschen, unter was immer für einer Umgebung, einen Staat nach Grundsätzen, die ihnen die besten scheinen, unter sich einzuführen versuchte. Wo sich nicht hoffen lässt, dass man die bessere Ordnung werde erhalten können, da fange man lieber nicht an, was mit nichts anderem als mit Vergießung von Menschenblut endigen würde. Damit wir aber auch von der anderen Seite nicht nötig haben, mit der Einführung einer zweckmäßigen Verfassung länger, als sein muss, zu warten, und damit wir diejenigen, welche wir wirklich einführen, vor jeder Gefahr eines Umsturzes von innen sowohl als von außen insoweit sicherstellen, als es bei Menschen möglich ist: so müssen alle Bürger, die nicht durch ihre körperliche Beschaffenheit dazu ganz unfähig sind, in dem Gebrauch der Waffen und in der Kunst der Verteidigung geübt und unterrichtet werden, und es muss
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ferner auch eine hinlängliche Menge von Waffen und Kriegsgerätschaften geben, die man freilich nicht den Händen der einzelnen Bürger überlässt, wohl aber an sicheren Orten dergestalt aufbewahrt, dass man im Falle der Not den schleunigsten Gebrauch von ihnen machen könne. Durch solche Vorkehrungen werden wir imstande sein, die ganze Nation unter Waffen zu stellen, und wenn nun ein fremder Staat den Mut heben sollte, einen Angriff auf uns zu wagen; so wird er ein Kriegsheer, so zahlreich als unser ganzes Volk, zusammenbringen und dann noch erwarten müssen, dass seine Mietlinge17 nicht so tapfer streiten werden, als es diejenigen tun, die für den eigenen Herd, für ihre Freiheit, für ihre Frauen und Kinder, ja für ihr Leben kämpfen! Er würde sich endlich begnügen müssen, statt Menschen Leichname und statt eines blühenden Landes leere Brandstätte zu erobern! Können wir aber durch eine solche Einrichtung bewirken, dass nicht leicht irgendeine fremde Macht es sich wird beikommen lassen, den Bürgern unseres Staates eine andere Verfassung, als es die jenige ist, die sie sich selbst gegeben haben, aufdringen zu wollen; so werden wir in ebendieser Einrichtung auch die sicherste Schutzwehr dagegen finden, dass der Staat nicht durch Unzufriedene, die es in seiner eigenen Mitte gibt, erschüttert oder gar umgestürzt werde. Nur allzuoft hat es sich, leider, schon ereignet, dass auch selbst bessere Staaten, die mancher äußeren Macht durch Jahrhunderte glücklichen Widerstand geleistet, endlich der Meuterei ihrer eigenen Bürger erlagen oder dass die Empörung, wo sie auch nicht einen gänzlichen Umsturz zur Folge hatte, doch nicht eher gestillt werden konnte, als bis das Blut vieler Tausende geflossen. Untersuchen wir aber, was solche traurigen Ereignisse, deren Gedächtnis das Auge des Menschenfreundes immer mit Tränen erfüllt, herbeigeführt habe; so zeigt sich, dass eine jede Empörung immer nur aus einer von folgenden zwei Veranlassun17
»Mietling« für »bezahlter Knecht«, vgl. Neues Testament Joh. 10,12 (Lutherbibel).
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gen oder aus der Vereinigung beider hervorging. Die Empörer waren entweder Menschen, die durch die schlechte Verfassung des Landes, zum Teil auch durch ihre eigene Liederlichkeit, in die äußerste Not geraten waren, und was sie nun taten, in einer Art von Verzweiflung taten, weil sie nichts anderes mehr als das Leben zu verlieren hatten; oder sie waren durch Geld und Versprechungen gewonnene Anhänger eines einzelnen mächtigen Mannes, der durch die Umwälzung der bestehenden Ordnung bald nur gewisse selbstsüchtige Zwecke erreichen wollte, bald auch sie überredete, dass es der kürzeste Weg zur Herbeiführung eines besseren Zustandes wäre. Man wird mir zugestehen, dass ein Aufruhr, der die erste der beiden hier genannten Veranlassungen hat, in einem nur etwas zweckmäßig eingerichteten Staate nicht zu befürchten sei. Bürger, die ohne ihre Schuld der allernötigsten Lebensbedürfnisse ermangeln und sich versucht fühlen, die bestehende Ordnung nur deshalb zu erschüttern, um etwas für sich zu gewinnen, werden in einem zweckmäßig eingerichteten Staate gewiss nicht angetroffen; denn hier ist jedem Gelegenheit gegeben, sich seinen Lebensbedarf auf redliche Art zu verschaffen. An solchen dagegen, die durch ihr eigenes Verschulden, durch ihre Trägheit und Liederlichkeit darben, möchte es freilich auch in einem gut eingerichteten Staat nicht gänzlich fehlen; aber sie können doch nur als eine seltene Erscheinung vorkommen; und ihr böser Wille, sei er auch noch so groß, kann für das Ganze nie gefährlich werden, wenn man auf diese Art von Leuten nur wenigstens ebenso aufmerksam ist, als man es schon gegenwärtig in jedem besseren Staate zu sein pflegt. Dass aber auch die zweite, sonst so gewöhnliche Veranlassung zum Aufruhr in einem zweckmäßig eingerichteten Staat nicht eintreten könne, erhellt daraus, weil sie voraussetzt, dass es Bürger gebe, die einen so ungeheuren Reichtum und Einfluss besitzen, dass Tausende von ihrer Gnade leben und aus ihrer Gunst Vorteile für sich selbst zu ziehen hoffen können. Etwas von dieser Art kann sich, wie in der Folge gezeigt werden soll, im besten Staat niemals ereignen. –
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Und so sehen wir denn schon, dass jene Art von Aufruhr, die selbst noch hier zu befürchten sein mag, von einer ganz anderen Beschaffenheit sein müsste als alle Aufstände, die man bisher erlebt hat. Was sich auch hier zutragen kann, ist, dass ein großer, ja wenn man will, der größere Teil der Bürger – nicht mit der ganzen Verfassung, wohl aber mit einer einzelnen bestimmten Einrichtung oder Verfügung (sei sie nun neu oder alt) nicht zufrieden ist, sondern auf ihre Abstellung dringt. Auf das Begehren dieser Bürger wird dann (wenn es nicht erst kürzlich und schon zu mehreren Malen geschehen ist) die Sache in eine neue Beratung gezogen und die Stimmen für oder wider gesammelt. Setzen wir nun, dass trotz allen dem Volke gemachten Vorstellungen die Mehrzahl immer noch auf die Aufhebung dringe, so zwar, dass die bestrittene Einrichtung nur durch den Umstand, weil sich der Rat der Geprüften einmütig für ihre Beibehaltung erklärt hat, vermöge der Grundsätze des Staates noch immer als rechtsgültig angesehen werden müsste. Nehmen wir ferner an, dass jene Unzufriedenen es wissen, wie stark ihre Anzahl sei, dass lediglich der Rat der Geprüften es sei, der der Erfüllung ihrer Wünsche entgegensteht: werden wir darum sofort zu befürchten haben, dass sie in Masse aufstehen und Gewalt anwenden werden, um ihren Willen zu haben? O, es ereignet sich doch auch in unseren weit unvollkommeneren Staaten, dass der größere Teil der Bürger nur allzu oft sehr unzufrieden mit gewissen Verfügungen ist, von denen es überdies offen vorliegt, dass sie nicht das gemeine Beste, sondern den Vorteil des Einzelnen bezwecken: und gleichwohl trägt man das Joch von einem Jahr zum anderen und es entsteht gewöhnlicher Weise nicht eher ein Aufruhr, als bis zur Bedrückung auch noch beleidigender Übermut und Hohn hinzugefügt wird. Doch lasst uns annehmen, dass es im besten Staate ganz gegen den natürlichen Lauf der Dinge anders erfolge; lasst uns annehmen, dass die Unzufriedenen hier sogleich Versuche machen, sich mit Gewalt zu verschaffen, was sie auf rechtlichem Weg nicht durchzusetzen hoffen: was werden sie ausrichten, wenn es in der Ge-
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meinde auch nur einige besser Gesinnte gibt, die von dem ebenso törichten als strafwürdigen Beginnen der übrigen die schleunigste Anzeige an eine höhere Behörde machen, ja auch schon mittlerweile jede ihnen mögliche Vorkehrung treffen, um dem Fortschreiten dieser Unordnung Einhalt zu tun? Wenn ferner Waffen, wie wir schon wissen, nicht in den Händen des einzelnen Bürgers geduldet, sondern nur von gewissen gerichtlichen Personen getragen werden, der ganze übrige Vorrat derselben aber an eigenen Orten von der Regierung aufbewahrt wird; wenn endlich von Seite dieser soeben ein allgemeines Aufgebot an alle Gutgesinnten im Lande ergeht, sich zur Verteidigung des Vaterlandes unter die Waffen zu stellen, um jene Aufrührer wieder zu Paaren zu trei ben?18 Wird nicht auf diese Art im Kurzen eine Macht erscheinen, von deren Überlegenheit die Widerspenstigen, ohne dass noch viel Blut geflossen wäre, sich ergeben werden, zumal wenn sie die Hoffnung haben, dass man sie hinterher als bloß Verirrte mit a ller nur möglichen Milde und Nachsicht beurteilen werde? – Setzen wir noch hinzu, dass man im besten Staate von Kindheit an den Grundsatz höre, dass jeder ehrlos sei, der sich den Waffen der Regierung widersetzt; erwägen wir ferner, dass hier die Waffenführer die Weisung haben, sich ihrer Waffen mehr nur als Zeichen ihrer Macht, denn als wirklicher Werkzeuge zur Beschä digung zu bedienen und einen verletzenden Gebrauch von denselben nur dann erst zu machen, wenn sie selbst in Gefahr sind, verletzt zu werden; erwägen wir, dass bei einem Aufruhr, wenn er im besten Staat entstände, nicht Menschen, die gegeneinander erbittert sind, sondern dass eine Schar von Bürgern gegen eine andere Schar von Bürgern auftreten würde, in deren Mitte sie alle diejenigen fände, welche die Achtung und Liebe des ganzen Volkes genießen: beherzigen wir dies alles, so wird in uns auf jeden Fall die beruhigende Überzeugung entstehen, dass man im 18 Zeitgemäße
Redewendung in der Bedeutung von »jemanden zur Vernunft / Ordnung bringen«.
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besten Staate gewiss wenigstens keine so blutigen Auftritte, wie die Geschichte unserer bisherigen Staaten erzählt, zu besorgen haben werde.
FÜ NFTER ABSCHNITT Von der Freiheit 19 Schon im Begriff einer jeden, umso mehr bürgerlichen Gesellschaft liegt es, dass wir durch unseren Eintritt in sie die Freiheit unseres Tuns auf eine gewisse Weise beschränken. Denn überall machen wir uns anheischig, in gewissen Stücken nicht so wie unser eigener, sondern nur wie es der Wille des Ganzen verlangen wird, zu handeln. Diese Beschränkung seiner Freiheit, wie unangenehm sie auch dem Toren und Lasterhaften sein möge, sieht der Vernünftige nie als ein Übel an, wenn nur dasjenige, wozu er durch den Willen der Gesellschaft genötigt wird, nichts an sich Böses ist und seine eigene sowohl als auch die Glückseligkeit des Ganzen am Ende mehr befördert als beeinträchtigt. Ist vollends dasjenige, woran die Gesellschaft ihn hindert oder was sie ihm wenigstens erschwert, etwas, das ohnehin böse und unrecht wäre, wozu er sich gleichwohl versucht fühlen könnte; dann sieht er diese Einrichtung als eine Wohltat nicht nur für andere, sondern auch für sich an. In einem zweckmäßig eingerichteten Staat nun muss man dahin trachten, die Freiheit der Bürger durchaus auf keine andere als die jetzt eben beschriebene Art zu beschränken; also sofern es nur immer möglich ist, muss man hier alles so einrichten, dass niemand weder durch die Aussicht auf einen Vorteil noch durch die Bedrohung mit einer Beschwerde oder mit sonst 19 Gerade
in den Zeiten des politischen Vormärz waren naïve Vorstellungen von grenzenloser »Freiheit« zu propagandistischen Zwecken sehr verbreitet. Im besten Staat gibt es eine klare Bestimmung: Die Freiheit des Einzelnen wird nur durch Erfordernisse des Gemeinwohls eingeschränkt. So kann niemand gezwungen werden, etwas Abwegiges zu tun, und die Glückseligkeit des Ganzen wird konsequent befördert.
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einem Nachteil, am allerwenigsten durch eine eigentliche Strafe verleitet werden könne, etwas zu tun, was an sich böse ist, ja was es auch nur nach seinen Ansichten ist. Wenn dieses ist, wird man rühmen können, dass wahre Freiheit im Lande bestehe.
SECHSTER ABSCHNITT Von der Gleichheit 20 Nichts ist von denen, die mit unseren bisherigen Verfassungen unzufrieden sind, öfter und mit mehr Heftigkeit getadelt worden als die zu große Ungleichheit der Rechte und der Verbindlichkeiten, die zwischen den Bürgern eines und desselben Staates beinahe noch überall angetroffen wird. »Freiheit und Gleichheit« lau20 Auch
der Begriff »Gleichheit« wird in diesen Zeiten der Begriffsverwirrung, so Bolzano, häufig als Schlagwort gebraucht. Vollkommene Gleichheit wird kein Vernünftiger verlangen, so er, der seinerseits stets von der wesentlichen Gleichheit aller Menschen ausgeht (vgl. ER 1810.33 Von aller Menschen wesentlicher Gleichheit. BGA 2A 17/2 S. 369ff). Dennoch verlangt er nicht vollkommene Gleichheit, etwa im Vermögensstand, denn das würde einerseits »die bestehenden Unterschiede unter den Menschen trotz ihrer wesentlichen Gleichheit« missachten (vgl. ER 1810.34 Von den Unterschieden, die es unter den Menschen trotz ihrer wesentlichen Gleichheit geben kann und gibt. BGA 2A 17/2 S. 380ff). Nicht nur das; damit würde man ja zugleich Fleiß und Sparsamkeit abschaffen. Hier sind Grenzen sinnvoll und notwendig. Bolzano zieht sie: Er schlägt vor, dass das Vermögen des Einzelnen jenes des Durchschnitts höchstens um einige Male (!) übersteigt und dass es niemals gar »bis auf das Hundertfache« desselben ansteigen dürfe. Bolzano geht davon aus, dass »durch den übermäßigen Reichtum des einen andere verarmen müssen«. Um dies in Zukunft zu verhindern, erachtet er es für notwendig, erb liche Vorrechte oder solche, die aus der Abstammung folgen, abzuschaffen. Das Mäzenatentum früherer Zeiten hatte durchaus sein Gutes, so Bolzano; aber im zweckmäßig eingerichteten Staat kommt dieser selbst (mittels Steuereinnahmen) für die Leistungen zugunsten seiner Bürger auf.
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tet daher das Losungswort, das man von allen Seiten her ertönen hört, sooft sich der wütende Pöbel in einem unglücklichen Lande erhebt, um die bestehende Ordnung der Dinge wegen der Mängel, die sie an sich hat, gewaltsam umzustoßen, in der Meinung, dieses wäre das schnellste Mittel, um eine bessere herbeizuführen. Lasset uns sehen, wieviel Vernünftiges in dieser Forderung liege. Eine vollkommene Gleichheit in allen Rechten und Obliegenheiten, wenn man darunter versteht, dass allen Bürgern ganz ohne allen Unterschied dieselben Rechte eingeräumt wie auch dieselben Obliegenheiten auferlegt werden sollen; eine solche Gleichheit wird kein Vernünftiger verlangen. Die Rechte und Obliegenheiten der Menschen müssen sich unstreitig nach ihren Bedürfnissen und nach ihren Kräften richten. Sind also die einzelnen Glieder, die sich zu einer bürgerlichen Gesellschaft vereinigt haben, einander nicht durchaus gleich, weder in ihren Bedürfnissen noch auch in ihren Kräften: so wäre es töricht, wenn sie doch durchaus gleiche Rechte verlangen und durchaus gleiche Verbindlichkeiten auf sich nehmen wollten. Unter uns Menschen gibt es in den Bedürfnissen, welche wir fühlen, sowohl auch in jenen Kräften, welche uns beiwohnen, gar manche Unterschiede, die aus so unabänderlichen Natureinrichtungen entspringen, dass wir sie schlechterdings nicht zu verhindern vermögen. Andere Verschiedenheiten dürfte es geben, die wir zwar einigermaßen vermindern könnten, aber es fragte sich, ob wir auch wohl daran täten, ob wir an unserer wahren Glückseligkeit dabei gewännen oder verlören? Wie viele Verschiedenheiten in den Bedürfnissen und in den Kräften führt nicht schon das Geschlecht, das Alter, das Temperament herbei! Sollen wir, dieser nicht achtend, der Frau wie dem Mann völlig dieselben Verbindlichkeiten auflegen, dem Kind eben die Rechte wie dem Erwachsenen zugestehen? Das hat sich noch niemand einfallen lassen. Daraus erhellt aber deutlich, dass unter jener Gleichheit, auf deren Einführung wir vernünftiger Weise dringen können, etwas ganz anderes zu verstehen sein müsse, als was der Buchstabe aus-
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drückt, eine Gleichstellung aller in ihren sämtlichen Rechten und Obliegenheiten. Nein, nicht dieselben Rechte soll der Staat jedem seiner Bürger zugestehen, auch nicht dieselben Forderungen soll er an einen jeden machen; sondern nur das wollen wir, wenn wir vernünftig sind: der Staat soll keinen solchen Unterschied in seinen Forderungen und in seinen Zugeständnissen machen, der sich aus keinem Unterschied in den Bedürfnissen und Kräften rechtfertigen lässt; er soll keine Ungleichheit unter den Bürgern einführen oder dulden, die nicht zum Besten des Ganzen notwendig ist, die auf der bloßen Willkür und einer grundlosen Begüns tigung einiger zum Nachteil anderer beruht. Nur allzu wahr ist es, dass wir dergleichen schädliche Unterschiede zwischen den Bürgern und Begünstigungen einiger zum Nachteil anderer noch in allen bisherigen Verfassungen antreffen. Zwei ganz besonders verderbliche sind die Ungleichheit in dem Vermögensstand und die Ungleichheit in gewissen Rechten, welche einigen Personen ihrer bloßen Abstammung wegen eingeräumt werden. Über beide muss ich hier einiges sagen. Dass eine völlige Gleichheit in dem Vermögensstande der Bürger weder möglich noch wünschenswert sei, gebe ich im Voraus zu. Es verschlägt durchaus nichts, oder es hat vielmehr noch seine Vorteile, wenn solche Einrichtungen in einem Staat bestehen, vermöge deren es dem Einzelnen möglich gemacht wird, durch Fleiß und Sparsamkeit, besonders wenn ihn noch überdies ein glücklicher Zufall begünstigt, sich ein Vermögen zu verschaffen, welches dasjenige, das bei ganz gleicher Verteilung auf einen jeden käme, einige Mal übersteigt. Verderblich und durchaus nicht zu dulden sind meiner Meinung nach nur solche Einrichtungen, durch die es geschieht, dass das Besitztum eines Einzelnen eine viel größere Höhe ersteige, durch die er z. B. auf das Hundertfache von dem, was der nur eben erwähnte Durchschnitt angeben würde, anwachsen kann. Dass derjenige, der sparsamer und betriebsamer ist als andere, auch Gelegenheit finde, sich ein größeres Eigentum als andere zu erwerben, reicher zu werden als sie, das ist gewiss
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sehr gut, weil es ein Antrieb mehr zu den soeben genannten Tugenden wird. Und wenn das Besitztum, das sich ein Einzelner durch diese Tugenden, ja wäre es auch durch die bloße Begünstigung des Zufalls, erworben hat, eine gewisse Grenze nicht übersteigt; so werden wir eben noch keine Ursache haben zu klagen, dass durch den Reichtum des einen die übrigen um ihn her verarmen; noch haben wir zu besorgen, dass er sich dieses Reichtums als eines Mittels zur Bestechung des Willens anderer bedienen und so eine Art von verderblicher Herrschaft über sie werde ausüben können. Allein das eine sowohl als das andere ist der Fall, wenn die Ungleichheit von dem Vermögen der Bürger so ungemein groß ist wie fast in allen bisherigen Staaten, darin es Einzelne gibt, die als ihr wohl erworbenes und vom Staat geschütztes Eigentum eine Summe von Gütern betrachten, welche bei einer gleichen Verteilung für viele Tausende hinreichen müssten. Ein solcher Reichtum bei Einzelnen kann unmöglich zustande kommen, ohne dass viele andere verarmen; er kann noch weniger fortdauern, ohne dass seine Besitzer allmählich einen gefährlichen Einfluss auf ihre übrigen Mitbürger gewinnen und je länger, je weiter um sich greifen lernen. Wer hat, womit er Tausende beteilen und ihrer Not abhelfen kann, ist der nicht eben deshalb, wenn er nicht den erprobtesten sittlichen Willen hat, ein sehr gefährlicher Mann? Kann er nicht Tausende bloß dadurch, dass er ihnen von seinem Überfluss etwas zukommen lässt und noch ein Mehreres ihnen für die Zukunft verspricht, Tausende nach seinem Belieben bald dahin, bald dorthin lenken? – Eine Sache, die für sich selbst so einleuchtend ist, bedarf nicht, dass man sie mit vielen Worten beweise. Dabei will ich jedoch gar nicht in Abrede stellen, wünsche auch nicht, dass es je möge vergessen werden, dass die Ungleichheit in dem Besitztum zu ihrer Zeit gar manches Gutes gehabt habe und nötig gewesen sei, um die Menschheit erst auf diejenige Stufe der Bildung zu erheben, auf der sie sich gegenwärtig befindet. Zu einer Zeit, wo die große Menge der Menschen noch keinen Sinn für etwas Höheres als für die Befriedigung ihrer
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sinnlichen Triebe und Bedürfnisse hatte, war es ein wahres Glück, wenn einige von jenen Wenigen, welche durch irgendeinen glücklichen Zufall dahin gelangt waren, zu ahnen, dass es noch etwas Edleres gebe, durch die Ungleichheit der Verteilung der Güter sich in den Stand gesetzt sahen, aus ihren eigenen Mitteln das zu bestreiten, wozu die große Menge, wenn es auf ihre Stimme angekommen wäre, die Kosten nie hätte beitragen wollen; weil sie den Nutzen, der aus einer solchen Unternehmung auch für sie selbst hervorgehen könne, auf keine Weise würde begriffen haben. Wie viele der nützlichsten Erweiterungen unseres Wissens in allen Gebieten desselben haben wir lediglich den Begüterten und Reichen zu verdanken, die, sei es aus reinem Eifer fürs Gute, sei es auch nur, um sich einen erhöhten Genuss zu verschaffen, die kostspieligsten Unternehmungen wagten, von deren Zweck die große Menge nicht das geringste begriff, von denen auch sie, die Unternehmer selbst, sich nur mit Ungewissheit einen Erfolg versprachen und die am Ende gleichwohl der Menschheit einen Segen, den niemand geahnt hatte, brachten! – Sollten wir aber hieraus etwa die Folgerung ziehen, dass eine Ungleichheit, die sich uns in der Vergangenheit als so wohltätig erwiesen hat, auch für die Zukunft noch ähnliche Vorteile verspreche, oder dass es doch auf jeden Fall die Pflicht der Dankbarkeit erheische, den Reichen, die uns zu diesem Segen verhalfen, ihr Besitztum noch ferner ungestört zu lassen? – Der Schluss von der Vergangenheit auf die Zukunft ist, wie man weiß, nicht immer richtig, weil die Verhältnisse sich mächtig geändert haben können. Eine Ungleichheit in dem Vermögensstande der Bürger, welche so groß wie diejenige ist, gegen deren Beibehaltung auch in dem besten Staate ich mich hier erkläre, ist bei demjenigen Grad der allgemeinen Bildung, dessen wir uns z. B. schon gegenwärtig in den meis ten europäischen Staaten erfreuen, durchaus nicht notwendig, um jenes Gute zu erreichen, von dem ich gestand, dass es in früheren Jahrhunderten nur durch den Reichtum Einzelner möglich geworden sei. In unseren Tagen haben wir durchaus nicht nötig,
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erst auf die Gunst einzelner Reicher zu warten, ob diese auch bereit sind, gewisse zu einer gemeinnützigen Unternehmung erforderliche Summen herzugeben, sondern wir wissen dergleichen Summen durch Steuern einzutreiben; und es ist wohl zu merken, dass auch bei derjenigen Art, die zur Erhebung einer Steuer oder zur Verausgabung eines Gemeingutes erforderlichen Beschlüsse abzufassen, die ich in diesen Blättern vorschlage, nichts weniger notwendig sei, als dass die Nützlichkeit der Unternehmung, die eine solche Ausgabe verursacht, allen ganz einleuchtend gemacht werden könne. Dürfen wir aber einmal voraussetzen, dass Reiche nicht notwendig sind, um gewisse, viel Kosten verursachende Pläne, für welche die große Menge noch keinen Sinn hat, auszuführen: so hat ihr Dasein in jeder anderen Hinsicht nur schäd liche Folgen. Dass durch den übermäßigen Reichtum des einen andere verarmen müssen, wurde schon mehrmals angemerkt. Setzen wir nun hinzu, dass das Vorhandensein eines so reich begüterten Mannes den übrigen Bürgern, besonders allen denjenigen, die ihm ihre Verarmung glauben zuschreiben zu dürfen, eine fortwährende Versuchung zum Neid, zur Missgunst und zu Unternehmungen sei, die darauf abzielen, entweder auch sich selbst auf eine ähnliche Art zu bereichern oder, wenn diese nicht möglich ist, sich wenigstens dadurch, dass man jenem allerlei Schaden zufügt, an ihm zu rächen. Ist es ferner wohl möglich, dass der jenige, der es weiß, wie sehr er den Übrigen ein Gegenstand des Ärgernisses ist, seiner wie immer erworbenen Güter auch nur selbst froh werde? Welches Vergnügen kann der Besitz eines Gutes gewähren, das man uns überall missgönnt? Allein ihr sprecht: der Reichtum ist uns schätzbar, weil er uns Gelegenheit, Gutes zu tun, gewährt! Ich will es euch glauben, und ich gestehe, dieses sei der einzige Grund, aus welchem ein vernünftiger und gutgesinnter Bürger in unsern bisherigen Verfassungen zuweilen ein Vergnügen darüber empfinden kann, wenn ihm unvermutet Reichtümer zufließen. Aber wisset auch, dass es schon etwas Schlimmes ist, schon etwas, das man in einem zweckmäßig eingerichteten
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Staat unmöglich dulden darf, dass es von eurem bloßen Belieben abhängen soll, ob ihr von euren Reichtümern einen gemeinnützigen oder verderblichen Gebrauch machen wollt. Wisset, dass es für diejenigen, welche von euren Wohltaten leben, ein ungleich seligeres Gefühl wäre, wenn sie bei einer weisen Einrichtung nicht eurer Gnade bedürfend von dem leben würden, was sie mit vollem Rechte ansprechen und mit Gewissheit erwarten können. Wisset endlich, dass, wenn auch vielleicht ihr für eure eigene Person auch ganz gewiss seid, dass euer Reichtum euch nie zu etwas Bösem verleiten werde, so könne doch niemand gut dafür stehen, dass der Fall auch nur bei euren nächsten Erben und Nachkommen stattfinden werde; dass es vielmehr überaus wahrscheinlich sei, der Reichtum werde sie früher oder später verderben. Verhält es sich aber so mit dem Reichtum; dann fällt die Besorgnis von selbst weg, dass wir uns undankbar gegen die Reichen erweisen, wenn wir Einrichtungen einführen, welche die Folge haben, dass sich ihr Reichtum allmählich verliere. Denn es ist in der Tat kein Glück, welches wir ihnen entziehen, sondern im Gegenteil, wir befreien sie nur von einer Gefahr, in der sie früher oder später zugrunde gehen würden. Auch wird man uns nicht einmal vorwerfen können, dass wir ihnen insofern wehtun, als wir sie zwingen, von einer ihnen zur Gewohnheit gewordenen Weise zu leben und zu wirken, mit einem Male abzulassen, wenn wir die gegenwärtig herrschende Ungleichheit in der Verteilung der irdischen Güter nicht plötzlich aufheben, sondern durch viele Abstufungen erst in dem Verlaufe eines, ja wohl etlicher Menschenalter zu jener Art von Gleichheit, welche der beste Staat erfordert, übergehen. Doch ein vernünftiger Staat fordert nicht nur eine gewisse Gleichheit im Eigentum der Bürger, sondern er fordert auch, und zwar noch unnachsichtiger, die Aufhebung aller erblichen Vorrechte und Lasten. Keinem Bürger soll bloß wegen des Umstandes seiner Abstammung von diesen oder jenen Eltern irgendein Vorrecht eingeräumt oder das Tragen irgendeiner eigentümlichen Last zugemutet werden. Es ist zwar keineswegs zu leugnen, dass
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sich die Anlage zu gewissen Tugenden sowohl als Lastern von den Eltern zuweilen auf ihre Kinder fortpflanze; und es wird deshalb bei der Erziehung der Kinder auch in dem besten Staat auf ihre Abstammung einige Rücksicht genommen werden müssen; man wird zum Beispiel bei der Erziehung eines Kindes, dessen Eltern einem gewissen Laster ergeben waren, besonders aufmerksam darauf sein, ob sich nicht eine Hinneigung zu einem ähnlichen Laster auch bei den Kindern verrate, und man wird Sorge tragen, den schädlichen Keim beizeiten zu ersticken. Ebenso zweck mäßig ist, den Nachkommen solcher Männer, die sich durch seltene Tugenden ausgezeichnet haben, dieses Beispiel ihrer Vorfahren oft zu Gemüte zu führen und ihnen zu erkennen zu geben, dass man ein Gleiches auch von ihnen erwarte. Will man in diesem Verfahren eine Art von Duldung des Erbadels finden; so behaupte ich, dass auch im besten Staate eine Art von Erbadel bestehe. Denn was ich soeben verlangte, ist etwas so Natürliches, so heilsam und mit durchaus keinen Gefahren verbunden, dass es widersinnig wäre, es den Menschen verbieten zu wollen. Aber nur gehe man auch nicht weiter und nehme mit dem guten Gebrauch nicht auch den Missbrauch in Schutz. Ihr dürft den Sohn eines großen Mannes an seine Abstammung erinnern, sooft ihr wollt; ihr dürft, sooft ihr wollt, ihm zu erkennen geben, dass ihr euch einige Hoffnung macht, er werde dem Vater nachgeraten; aber ihr dürft dieses Letztere nicht als gewiss voraussetzen; ihr dürft ihm keine Art von Rechten zugestehen, die nur verdient, wer schon entschiedene Beweise seiner vorzüglichen Tugend an den Tag gelegt hat; ihr dürft ihm bloß um seiner Abstammung wegen kein größeres Eigentum als anderen einräumen, ihr dürft seiner Stimme kein Gewicht beilegen, welches nicht auch die Stimme eines jeden von ganz gemeiner Geburt besitzt, wenn er sich im übrigen unter denselben Umständen befindet; ihr dürft ihm nicht erlauben, an einen Platz zu treten, aus welchem durch seine Gegenwart irgendein anderer müsste verdrängt werden, der nicht durch seine Geburt, sondern durch sein Betragen eine ungleich
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stärkere Hoffnung begründet, dass er denselben würdig ausfüllen werde; ihr dürft niemand, von so unedler Geburt er auch sei, die Mittel und Wege zu seiner Ausbildung und zu den wichtigsten Ämtern und Würden im Staate abschneiden, wenn anders ein innerer Drang ihn treibt, nach solcher Ausbildung zu streben, und seine Lehrer bezeugen, dass er die nötigen Anlagen dazu habe. Nur die hier angedeuteten Missbräuche, die man sich in so vielen Staaten zukommen ließ, ja die größtenteils noch bis auf den heutigen Tag bestehen, nur diese sind es, welche das Institut des Adels in den Augen aller aufrichtigen Freunde der Menschheit so verhasst gemacht haben, dass mancher aus Besorgnis, dass man hiebei vielleicht nicht stehen bleiben würde, allen, auch selbst den unschuldigsten Unterschied zwischen Menschen, der von ihrer bloßen Abstammung genommen wird, aus dem besten Staat verbannt wissen wollte. Eine solche Besorgnis ist aber in einem Staat, darin auch alle übrigen Einrichtungen zweckmäßig sind, ohne hinreichenden Grund; und so glaube ich denn auch hier wiederholt sagen zu dürfen, dass man den guten Gebrauch behalte und nur den Missbrauch nicht dulde.
SIEBENTER ABSCHNITT Von der Freiheit des Denkens und der Religion 21 Der in dem fünften Abschnitt ausgesprochene Grundsatz von der Freiheit erheischt unter anderem, dass man, soviel es nur immer möglich ist, keine Einrichtung dulde, die irgendeinem Bürger eine Versuchung werden könnte, sich von der Wahrheit einer gewissen Meinung, die er bisher für unrichtig hielt, aus bloßem 21 In
einem zweckmäßig eingerichteten Staat gilt nach Bolzano vollkommene Religionsfreiheit und Unabhängigkeit von Staat und Kirche. Niemandem kann irgendein Glaube aufgezwungen werden, niemandem stehen Vorrechte oder Nachteile aufgrund der Zugehörigkeit zu irgendeiner Religion zu!
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Eigennutz oder aus Furcht vor Nachteilen zu überreden oder sich auch nur zu stellen, als ob er sie angenommen hätte, während er doch im Herzen etwas anderes glaubt. Gilt dieses von allen Meinungen, so gilt dieses umso mehr von denjenigen, die man zur Religion zählt; je größer das sittliche Verderben und je unseliger der Zustand eines Menschen wird, der sich zu gewissen Religionen aus bloßer sträflicher Selbstüberredung oder auch nur mit dem Munde bekennt. Zweckwidrig ist es also, wenn der Staat die Bekenner irgendeiner Religion als solche, d. h. auch abgesehen davon, wie sie durch Handlungen sich beweisen, auf irgendeine Art begünstigt oder zurücksetzt; z. B. ihnen gewisse Vorrechte oder einen gewissen Vorrang u. dergl. einräumt. Noch weit verkehrter als das Bestreben, die Menschen durch Belohnungen zur Annahme einer gewissen Meinung bestimmen zu wollen, ist der Versuch, dieses durch Androhung gewisser Strafen und durch Zwangsmittel zu bewirken. Nicht nur, dass solche Mittel vergeblich sind; sie wirken ihrem Zweck geradezu entgegen und machen den Menschen von der ihm aufgedrängten Meinung nur noch mehr abwendig. Auch die von Karl dem Großen und anderen bewirkten Heidenbekehrungen widerlegen das eben Gesagte nicht; denn eigentlich war es doch nicht der Zwang, den man den Heiden antat, sondern der Unterricht, den ihre Kinder erhielten, der sie allmählich zu Christen machte. Halten es einige Bürger für ihre Pflicht, diese und jene Handlungen, z. B. zur Verehrung Gottes, zu verrichten; so erlaubt es ihnen der Staat, auch wenn diese Handlungen an sich selbst eben nicht zu den Gemeinnützigen gehören (z. B. Opfer der Tiere, ehelose Lebensweise u. dergl.); es müsste denn sein, dass ihr Nachteil das Ärgernis, das diese Bürger an dem Verbot nehmen werden, offenbar überwiegt, z. B. wenn sie Menschenopfer verrichten wollten. Wollen einige Bürger eigene Geistliche haben, die ihren Gottesdienst leiten oder sie in den Lehren ihrer Religion vollständiger unterrichten usw.; so wird ihnen auch dieses gestattet, wiefern sich solche Geistliche freiwillig herbeilassen und nach den Geset-
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zen des Staates leben. Nicht der Staat also stellt dergleichen Geistliche an, sondern die Bekenner einer gewissen Religion müssen sich ihre Geistlichen selbst wählen und für ihren Lebensunterhalt sorgen. Dass aber jemand seine religiösen Ansichten andern aufdringe; d. h. sie ihnen wider Willen vorpredige, darf nicht gestattet werden. Wenn also z. B. ein Prediger seine religiösen Gesinnungen ändert und der Gemeinde predigt, was sie nicht hören will; so hat sie ein Recht, ihn seines Amtes zu entsetzen; dasselbe, wenn ihr sein sittlicher Wandel nicht ansteht u. dergl. Ebensowenig wird gestattet, dass jemand neue, von den bisherigen abweichende religiöse Ansichten zuerst und unmittelbar durch mündlichen Unterricht unter der Jugend zu verbreiten suche, sondern dieses kann höchstens in Schriften und unter den später anzugebenden Beschränkungen geschehen. Jedem ist es gestattet, von seinem bisherigen Glauben zu einem anderen überzutreten; nur wird zu seinem eigenen Besten verlangt, dass er zuvor Beweise ablege, dass er den früheren Glauben sowohl als auch denjenigen, zu dem er übertreten will, kenne. Wenn es also z. B. kein Theologe vom Fach ist; so verlangt man, dass er sich erst einer gewissen Prüfung unterziehe, sich einige Wochen hindurch unterrichten lasse usw. Wer, veranlasst durch seine religiösen Ansichten, etwas Gemeinschädliches, das die Gesetze des Staates ausdrücklich verbieten, vollzieht, der wird um dieser Tat willen bestraft, doch allerdings milder, wenn man sich überzeugt, dass er in guter Meinung gehandelt habe; auch werden, besonders wenn es sich zeigt, dass mehrere Bürger die religiöse Ansicht, nach welcher er gehandelt hat, teilen, die Gelehrten von Seiten des Staates selbst aufgefordert, nachzudenken, wie diese religiöse Ansicht am besten widerlegt und verdrängt werden könne, und hierzu brauchbare Werke zu schreiben. Wer das Bisherige nicht unrichtig findet (und ich hoffe, dass es dem, dessen Urteil nicht durch die Lehren der Schule beirrt
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wird, sehr einleuchtend vorkommen werde); der wird auch ohne Mühe das Wahre von dem Falschen sondern, was in nachstehenden Behauptungen, die man auch noch in unseren Tagen hie und da vernimmt, untereinander gemengt ist. Der Staat, sagen einige, soll gar keine Religion haben; andere dagegen wollen, dass er sich nur an die vernünftige halte, diese zur herrschenden erhebe, die übrigen nur als geduldete betrachte; Religionen aber, die etwas offenbar Vernunftwidriges enthalten, verbanne, dass er z. B. namentlich niemand dulde, der die Unsterblichkeit der Seele oder wohl gar das Dasein Gottes selbst leugnet, jeden Aberglauben verbiete usw. Die Behauptung, dass der Staat gar keine Religion haben solle, kann man doch einmal gewiss nicht so verstehen, dass sämtliche Bürger des Staates, auch nicht, dass nur die Mitglieder der Regierung desselben, keine Religion haben sollen; man kann dieses ferner nicht einmal so auslegen, dass die Regierungsbeamten in dem, was sie als solche tun, d. h. in den Beschlüssen, welche sie treffen, ihre eigenen religiösen Überzeugungen völlig beiseitesetzen sollen; denn gerade das Gegenteil sollen sie tun, und wenn es die Pflicht eines Menschen ist, bei jedem wichtigen Geschäft nach seiner besten Einsicht und Überzeugung vorzugehen, so muss es auch die Pflicht aller Regierungsbeamten sein, in jenen wichtigen Beschlüssen, von deren Beschaffenheit das Wohl oder Weh vieler Tausender abhängt, sich auf das Gewissenhafteste nur nach demjenigen zu richten, was ihnen als wahr und gut erscheint, was jene Religion, der sie aus Überzeugung zugetan sind, von ihnen fordert. Soll also jene Behauptung noch etwas Wahres enthalten, so wird sie ohngefähr so ausgelegt werden müssen: Die Regierungsbeamten dürfen bei Abfassung solcher Verfügungen, die Personen von einem anderen Glauben, als es der ihrige ist, betreffen, nie unterlassen, sich in die Lage dieser Personen hineinzudenken, um zu begreifen, wie diese Verfügungen auf sie wirken werden. Dass sich der Staat nur an eine vernünftige Religion halten solle, ist allerdings eine sehr wahre Vorschrift, mit deren Erteilung jedoch nicht
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viel gewonnen ist, weil es sehr strittig ist zu entscheiden, welche Religion den Namen einer vernünftigen und der vernünftigsten unter allen verdiene. Dass aber der Staat oder (was hier wohl einerlei wäre) die Regierung desselben berechtigt wäre, diejenige Religion, die ihre Mitglieder für die vernünftigste halten, zur herrschenden zu erheben, wenn dieses so viel heißen soll, als dass man den Bekennern derselben schon um des Bekenntnisses willen gewisse Vorrechte vor den übrigen Bürgern zugestehen solle; wäre eine sehr unrichtige Behauptung; denn dadurch würde man, wie schon gesagt worden ist, die Andersdenkenden nur zur Heuchelei oder zu einer ihr Gewissen beschwerenden Selbstüberredung verleiten. Wahr wäre es nur, wenn man es so verstände, dass die Mitglieder der Regierung alle nicht an sich unerlaubten Mittel, besonders also jenes des Unterrichts, anwenden sollen, um die religiösen Ansichten, die sie für die vernünftigsten und ersprießlichsten halten, je mehr und mehr zu verbreiten. Ebenso wahr ist es, dass sie im Gegenteil alle diejenigen religiösen Ansichten, die irrig und nachteilig sind, durch Aufklärung zu verbannen bestrebt sein dürfen und sollen. Daraus folgt aber gar nicht, dass sie die Menschen, die unglücklich genug sind, dergleichen irrige Vorstellungen zu haben, bloß dieser Vorstellungen wegen verfolgen oder gar des Landes verweisen dürften. Sind ihre Handlungen den Gesetzen des Staates gemäß, so mögen sie immerhin geduldet werden, bis es allmählich gelingt, sie eines Besseren zu belehren. Begehen sie aber Taten, die den Gesetzen des Staates zuwider sind, dann wird man allerdings um dieser willen berechtigt sein, sie zu strafen. Ob aber, und unter welchen Umständen, die Regierung berechtigt sei, zu den Handlungen, die sie verbietet, auch die Mitteilung der ihr unrichtig scheinenden religiösen Ansichten zu zählen, ist eine andere Frage. Hier müssen der größere oder geringere Grad der Gefährlichkeit einer Lehre, ingleichen die Art, auf welche, und die Personen, unter welchen man sie zu verbreiten sucht, berücksichtigt werden, und die Regierung muss hier lieber zu wenig als zu viel eingreifen. Wie unbillig z. B. wäre es, den
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Vortrag einer Meinung verbieten zu wollen, die, wenn sie gleich dem Regierungspersonal unrichtig scheint, doch denjenigen, die sie für richtig halten, Trost und Beruhigung gewährt; wie ungerecht, jemand stören zu wollen, der seine Ansichten nicht durch Künste der Überredung, sondern durch ruhige Darlegung seiner, gleichviel ob richtigen oder unrichtigen, Gründe zu verbieten sucht! Wie grausam wäre es, Eltern wehren zu wollen, dass sie ihre Kinder in einem doch eben nicht durchaus unvernünftigen Glauben, den sie für den alleinseligmachenden halten, erziehen! Und so kann man denn also im allgemeinen weder behaupten, dass die Regierung berechtigt sei, allem, was ihr als Unglaube oder als Aberglaube erscheint, auf jede beliebige Art entgegenzuwirken, noch dass sie verpflichtet sei, dergleichen überall und auf jede Weise zu dulden; sondern es kommt hier alles auf ein gewisses Mehr oder Weniger an, und nur durch eine Berücksichtigung aller obwaltenden Umstände und eine möglichst genaue Abwägung der guten sowohl als der nachteiligen Folgen lässt sich in jedem besonderen Falle entscheiden, was hier zu tun sei.
ACHTER ABSCHNITT Von der Erziehung und dem Unterricht 22 Die Eltern sind die natürlichen Pfleger und Erzieher ihrer Kinder, und was sie ihnen in dieser Hinsicht zu leisten vermögen und, falls sie erst selbst gehörig erzogen worden sind, fast immer leisten, 22 Die
Erziehung ist im besten Staate vorwiegend Sache der Eltern. Nur in Ausnahmefällen und zugunsten der Kinder geht man dort von diesem Prinzip ab. Bolzanos Anleitungen für den Unterricht verfolgen eine Erziehung des »ganzen Menschen«, also sinnliche und körperliche Ausbildung ebenso wie die Übung des Geistes, bis hin zum Studium moralischer und religiöser Wahrheiten; alles in größtmöglicher Anschaulichkeit, zur rechten Zeit und ein Leben lang. Halbwissen ist unbedingt zu vermeiden.
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Achter Abschnitt
das mag ihnen unter keinem anderen Verhältnisse, namentlich in keinem Erziehungshaus, ersetzt werden. Den Eltern also wird die Pflege und Erziehung ihrer Kinder auch in dem besten Staate der Regel nach anheimgestellt werden müssen; nur in dem Falle, wenn einer oder beide Gatten durch einen lasterhaften Wandel oder durch Jähzorn u. dergl. eine Unfähigkeit zu diesem Geschäfte beweisen, dürfen die Kinder ihnen genommen und anderen Eltern in einer anderen Gemeinde anvertraut werden; in einer anderen Gemeinde, damit die aufwachsenden Kinder über die wahre Ursache, weshalb man sie ihren Eltern entzogen, zu ihrem Schaden nicht allzu bald aufgeklärt würden. Zunächst versteht es sich von selbst, dass auch Kinder, die ihre Eltern frühzeitig verloren, zur Vollendung ihrer Erziehung andern Eltern, die etwa keine haben oder mehrere zu erziehen wünschen, übergeben werden. Alle Kinder, die es nach ihrer Leibes- und Geistesbeschaffenheit vermögen, werden in Schulen geschickt, die ihren ferneren Unterricht übernehmen. Solche Kinderschulen dürfte es in jeder Gemeinde von etwa hundert Familien wenigsten eine geben, bei welcher zwei bis drei Lehrer angestellt sind. Und diese Schulen würden bis zum vierzehnten oder fünfzehnten Jahre besucht. Die Gegenstände aber, auf die sich der Unterricht, den jeder Bürger männlichen sowohl als weiblichen Geschlechts zu erhalten hätte, erstreckte, dürften meines Erachtens folgende sein: a) A nleitung zum Gebrauch der Sinne, zur sinnlichen Aufmerksamkeit, zum Nachdenken, Übungen des Tastsinns, Geruchsinns, der Sehorgane, des Gehörs und des Geschmackes. b) Leibesübungen, als Laufen, Gehen auf schmalen Brettern, Schwimmen, Klettern, Schleifen23, auf Leitern Auf- und Absteigen, an einem Seil sich Herablassen, über Gräben Sprin23 Der
Begriff ist verwandt mit (süddeutsch, österreichisch) »schliefen«, d. h. »kriechen«, »sich dicht über eine Fläche gleitend bewegen« [DWB Grimm].
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gen usw. Diese Übungen sind für beide Geschlechter, doch werden sie abgesondert vorgenommen und so eingerichtet, dass sie die Gesundheit befördern und geschickt machen, sich und anderen in Lebensgefahr zu helfen. [Anm: Ob man gleich diese Übungen vornehmlich nur in der Jugend treibt; so müsste man sie doch auch im späteren Alter noch insoweit fortsetzen, als die Beförderung der Gesundheit und die Erhaltung der einmal erworbenen Geschicklichkeit es erheischt.] c) Religion, nämlich diejenige, welche die Vorstände für die vernünftigste halten, und insoweit, als auch die Eltern dazu Erlaubnis geben. d) Naturgeschichte; nicht die unendlich vielen Arten und Unterarten, wohl aber die merkwürdigsten24 Tiere, Pflanzen und Mineralien; besonders aber vom menschlichen Körper so viel als erforderlich ist, um e) auch von der Gesundheitspflege und der Heilkunde alles dasjenige zu erlernen, was einem jeden Menschen zu wissen dienlich sein kann. f) Arithmetik, Geometrie, Mechanik und Naturlehre – soviel als ein jeder Mensch von diesen Wissenschaften mit Nutzen anwenden kann. Astronomie, vornehmlich was dazu dient, uns die bewunderungswürdige Größe des Weltalls und die Weisheit Gottes in dessen Einrichtungen anschaulicher zu machen. g) Lesen und Schreiben. h) Singen, und wo sich Lust und Talent dazu finden, auch wohl eine oder die andere Instrumentalmusik. i) Richtiger Ausdruck in der Muttersprache und nebst dieser allenfalls noch eine andere Sprache, die als die allgemeine, 24 In
der früheren Bedeutung von »bemerkenswert«, »würdig, bemerkt zu werden« gebraucht.
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Achter Abschnitt
deren die Völker sich zu ihrem wechselseitigen Verkehr bedienen, angesehen werden könnte; wie man einst das Lateinische dazu hat erheben wollen. [Anm: In dieser Sprache würde dann alles geschrieben, was man von allen Gebildeten auf dem ganzen Erdenrund gelesen zu sehen wünschte].25 k) Aus der Geschichte nur Bruchstücke; nämlich nur die lehrreichsten Ereignisse derselben, wie Züge aus dem Leben großer Männer; kurz nur dasjenige, was in der Tat belehren, ermuntern, warnen und mit der Gegenwart zufrieden machen kann. l) Etwas Erdbeschreibung. m) Die Gesetze des Staates, soweit sie dieses Alter zu fassen vermag. n) Endlich lernt jeder junge Mensch, wenn auch nicht eben in der Schule, doch bei irgendjemand in der Gemeinde eine oder die andere Handarbeit, durch die er sich einst seinen ganzen oder doch einen Teil seines Lebensunterhaltes verdienen oder sich wenigstens in seinen Freistunden auf eine nützliche Weise beschäftigen könnte. Aber man zweifelt vielleicht, ob es möglich sei, so viele Gegenstände, als ich hier aufgezählt habe, in so wenigen Jahren zu lehren? Ich wage zu behaupten, dass es bei einer zweckmäßigen Unterrichtsweise und im Besitze der nötigen Hilfsmittel ein Leichtes sei, die genannten Gegenstände alle in einem Zeitraume von fünf bis sechs Jahren auch Kindern, die nur mittelmäßige Anlagen haben, beizubringen, und dieses zwar durch einen Lehrer, der selbst nur eine ganz gewöhnliche Geschicklichkeit zu seinem Amte besitzt. Er sei nur sittlich gut, habe einen gesunden Menschenverstand, eine heitere Sinnesart, Liebe zu seinem Beruf, sei auch gehörig belehrt, auf welche Weise er in seinem Unterrichte 25 Als
gemeinsame Gelehrtensprache hält Bolzano das Latein für am ehesten geeignet (Zeithammer 1850, 196).
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vorgehen müsse: und er wird mehr, als ich versprochen habe, leis ten. Da ich mich hier unmöglich in einen ausführlichen Beweis dieser Behauptungen einlassen kann, so will ich nur folgende Erinnerungen machen: Eine der wichtigsten Bedingungen zu dem verheißenen Erfolg ist es, dass man die Kenntnisse, die man dem kindlichen Alter beibringt, in der gehörigen Ordnung aufeinander folgen lasse. Diese gehörige Ordnung aber ist keineswegs diejenige, nach der wir diese Kenntnisse zu verschiedenen Wissenschaften zählen und in den Lehrbüchern derselben vortragen; sondern beim ersten Kinderunterrichte dürfen und sollen vielmehr Wahrheiten aus den verschiedensten Gebieten miteinander vereinigt und so zusammengestellt werden, dass sie durch ihre Abwechslung schon die Seele des Kindes ergötzen, alle Kräfte desselben beschäftigen, dass jede folgende immer durch die vorhergehende verständlich und anziehend werde und dass nirgends ein bloß totes Wissen, sondern überall eine lebendige und fruchtbare Überzeugung hervorgebracht werde. Eine große Erleichterung für diesen Unterricht ist es, wenn eigene Lehr- und Lesebücher da sind, in welchen jene Wahrheiten größtenteils schon in eben der Ordnung, in welcher sie den Kindern beigebracht werden sollen, aufeinanderfolgen und deshalb auch schon eingekleidet in Erzählungen oder Gesprächen vorgetragen werden. Dieses Letztere wäre besonders unerlässlich bei allen moralischen und religiösen Wahrheiten, die durchaus nicht anders zur Anschaulichkeit erhoben werden und also mit Nutzen gelehrt werden können, als durch Ereignisse, die man das Kind entweder selbst erleben lässt oder doch seiner Einbildungskraft durch eine lebhafte Erzählung vormalt. Endlich versteht es sich, dass man nebst Büchern auch noch andere Hilfsmittel des Unterrichts, Abbildungen, Modelle u. dergl. nicht sparen dürfe und dass man die Kinder anleiten müsse, alles dasjenige, was sie im Kreis ihrer Umgebung selbst nicht antreffen können, in der Wirklichkeit kennenzulernen. Doch es erhebt sich hier noch ein anderes Bedenken; denn gesetzt, dass es möglich sei, alle die oben genannten Lehrgegen-
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stände in jenem Unterricht, der einem jeden Bürger gleich in seiner frühesten Jugend erteilt wird, aufzunehmen: ist es auch ratsam, dies zu tun? Können nicht manche dieser Kenntnisse, wenn sie so allgemein verbreitet sind, mehr Schaden als Nutzen stiften? Dieses scheint namentlich bei den aus der Heilkunde zu entnehmenden Wahrheiten der Fall zu sein. Das Wenige, was man hier mitteilen kann, möchte man sagen, bildet nur Halbwisser, die in dem stolzen Wahne, dass sie des ärztlichen Rates entbehren könnten, bald sich, bald andere bei einer ausgebrochenen Krankheit behandeln und das Übel nur ärger machen. Und ist es für Personen, welche an einem unheilbaren Übel erkranken, nicht ein Unglück, wenn sie ein Kennzeichen desselben innehaben? Wie viele sind endlich nicht so geartet, dass sie bei jeder Erscheinung, die eine auch noch so entfernte Ähnlichkeit mit einem gewissen Krankheitssymptom hat, sobald sie dieses kennen, sich schon beängstigen, ja durch die bloße Einbildung und Furcht ein Übel erst herbeiziehen? – Auch ich wünschte nicht Halbwisserei zu verbreiten; allein nicht überall, wo man nur einen Teil der Lehren, welche das Ganze einer Wissenschaft ausmachen, innehat, ist ein Halbwissen vorhanden; sondern, wenn anders wir mit diesem Worte einen fehlerhaften Zustand bezeichnen wollen, so dürfen wir nur dort über Halbwissen klagen, wo jemand einige aus seiner Wissenschaft abgerissene Lehren auf eine solche Art kennengelernt hat, dass er sie nicht einmal gehörig versteht und anzuwenden vermag, sondern vielmehr aus ihnen Folgerungen, die in der Tat falsch sind, ableitet. Ein solches Halbwissen nun kann und soll man bei einem jeden Unterricht, so fragmentarisch er im übrigen ist, vermeiden; überall müssen wir für das gehörige Verständnis dessen, was wir dem Schüler beibringen, sorgen; überall ihn vor den falschen Folgerungen, die er daraus ableiten könnte, schon im Voraus warnen und ihm zeigen, dass sich dergleichen keineswegs aus unseren Lehren ergeben. Verfährt man mit dieser Vorsicht auch beim Vortrag der wenigen Lehren, die man der Jugend aus der Heilkunde mitteilen will,
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dann steht nicht zu befürchten, dass so Unterrichtete in der Folge glauben werden, der Hilfe eines Arztes entbehren zu können, wo er doch nötig ist; sondern sie werden vielmehr die Wohltat seiner Hilfe höher zu schätzen wissen, als es in unserer Zeit die meisten Menschen, selbst die Gebildeten, tun; sie werden es auch verstehen, dem Arzte ihren Zustand deutlicher zu beschreiben, seine Anordnungen gewissenhafter zu befolgen und in seiner Abwesenheit bei vorkommenden Fällen zweckmäßigere Vorkehrungen treffen. Wenn übrigens die Kennzeichen eines unheilbaren Übels von einer solchen Beschaffenheit sind, dass die Bekanntschaft mit denselben dem Nichtarzt gar keinen Nutzen gewährt, also z. B. nie dienen kann, ihn vor dem Übel zu sichern, so gehört die Lehre von diesem Kennzeichen ebendeshalb auch nicht in den Inbegriff derjenigen aus der Arzneikunde zu entlehnenden Wahrheiten, die sich zu einer allgemeinen Mitteilung eignen; aber wir dürfen nur nicht vergessen, wie viele andere Wahrheiten es in dieser Wissenschaft gibt, durch welche Tausende sich ihr Leben und ihre Gesundheit hätten erhalten können, wenn sie mit ihnen bekannt gewesen wären. Stoßen wir endlich auf Menschen, welche so ängstlich sind, dass sie durch eine jede medizinische Lehre nur beunruhigt werden; so erwägen wir, dass sie nur eine seltene Erscheinung sind und sich in einem krankhaften Zustande befinden, der wahrscheinlich nie bei ihnen eingetroffen wäre, wenn sie von Kindheit an die Grundsätze, auf welchen die Erhaltung der Gesundheit beruht, besser gekannt haben würden. Immerhin lasset uns also zu den Lehrgegenständen, die in den Schulen des besten Staates allgemein vorgetragen werden, auch einen Teil der Heilkunde zählen. Kinder, die eine vorzügliche Fähigkeit und Lust dazu verraten, werden auf höhere Schulen geschickt, 26 jedoch nur mit Bewilli26 Der
Zugang zu höheren Schulen und Universitäten ergibt sich im besten Staat aus den Leistungen der Kandidaten wie auch aus dem Bedarf von Absolventen seitens der Gesellschaft. Für die Studenten empfiehlt er
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gung des Kreis- oder Landvorstandes, der es allein wissen kann, ob nicht der Studierenden schon zu viele sind. Da man in jenem kindlichen Alter, für welches die allgemeinen Volksschulen bestimmt sind, unmöglich alles lernen kann, was man für das Leben zu wissen braucht; so besteht die Notwendigkeit eines noch fortzusetzenden Unterrichtes nach dem Austritt aus diesen Schulen. Er wird für diejenigen, die nicht die höheren Schulen beziehen, in gewissen Feiertagsschulen erteilt. So will ich den Unterricht nennen, den die der Kinderschule entwachsenen Jünglinge und Mädchen an den zur Ruhe von der körperlichen Arbeit bestimmten Tagen (denn solche Feiertage, etwa wie unsere Sonntage sind, muss es auch selbst im besten Staate geben) erhalten. Man unterrichtet sie hier in allem, was sie als Kinder noch nicht zu fassen fähig waren. In gewissen Stunden sind beide Geschlechter bei diesem Unterricht getrennt und die Jungfrauen werden von Frauen unterrichtet. Da dieser Unterricht nur an den Ruhetagen erteilt wird; so wird man leicht mehrere Personen in der Gemeinde finden, die sich dazu teilweise dazu benützen lassen. Da aber der Mensch, solange er lebt, fortfahren soll, seinen Geist zu bilden, und da man das meiste, wenigstens dasjenige, was von einer allgemeinen Brauchbarkeit ist, recht füglich aus Büchern lernen kann, wenn erst ein guter Grund durch den mündlichen Unterricht in den Kinder- und Feiertagsschulen gelegt ist: so wird jedem Bürger Gelegenheit gegeben zum Lesen nützlicher Bücher, indem es in jeder Gemeinde eine Bibliothek gibt, die alle Bücher enthält, welche für diese Gemeinde von Nutzen sein können, die brauchbarsten auch in mehreren Exemplaren. Es werden sich also in einer solchen Büchersammlung zuvörderst überall Werke von der Art vorfinden, welche geeignet sind, die Begriffe der wahren Lebensweisheit, die wichtigsten Wahrheiten von der Bestimmung des Menschen, von unseren Pflichten und Obliegenheiten, Unterkünfte, die wir heute »Wohngemeinschaften« nennen, welche freilich nach Geschlechtern zu trennen sind.
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von dem wahren Wesen der menschlichen Glückseligkeit und von dem verschiedenen Werte der irdischen Güter immer vollständiger zu entwickeln und ihnen immer mehr Stärke und Wirksamkeit zu verschaffen; es werden hier ferner Bücher zu finden sein, die dazu dienen, unseren Glauben an Gott, an Unsterblichkeit und an eine Offenbarung zu befestigen; es werden Bücher da sein, die Eltern und Erzieher die Kunst der Erziehung und des Unterrichtes lehren; Bücher, die jeden Bürger mit den im Staate bestehenden Einrichtungen und Gesetzen und mit den Gründen ihrer Einführung und mit den Grundsätzen, nach welchen er selbst den ihm vergönnten Einfluss auf die Regierung des Landes benützen soll, bekannt machen usw. In Gemeinden, deren Mitglieder sich mit dem Landbau oder mit gewissen Gewerben beschäftigen, wird es auch nicht an solchen Büchern fehlen, aus welchen man sich in Betreff dieser Gegenstände Rat holen kann. Endlich mangelt es auch nicht ganz an Büchern, deren vornehmster Zweck bloße Unterhaltung ist, wenn sie anders nicht den Sitten nachteilig sind und nicht verderbliche Gesinnungen verbreiten. Nun einige Worte noch über die höheren Schulen. Da ich so alle Anstalten nenne, in denen noch etwas mehr als in den allgemeinen Kinder- und Feiertagsschulen gelehrt wird, so begreift man, dass es dergleichen Schulen viele von verschiedener Art geben müsse. Denn wie wahr es sein mag, dass gar manches von demjenigen, was man auf unseren gegenwärtigen Universitäten von der Katheder herabliest, völlig ebenso gut von den Studierenden für sich gelesen werden könnte; so gibt es doch auch wieder andere Gegenstände, die ungleich leichter durch einen mündlichen Vortrag erlernt werden können, um deretwillen also die Errichtung eigener Lehrkanzeln allerdings zweckmäßig ist. Als Beispiel will ich nur die Logik, die Metaphysik und andere philosophische Wissenschaften, die Mathematik, die Physik, die Heilkunde nennen. Da die Studierenden diese höheren Schulen in einem noch sehr jugendlichen Alter (nämlich von 15 – 16 Jahren) beziehen; so ist es notwendig, sie unter eine sorgfältige Aufsicht zu stellen; und
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diese wird am besten den Lehrern selbst und allenfalls noch gewissen Gehilfen derselben anvertraut werden können. Für dieses Alter des erwachenden Geschlechtstriebes und bei dem Umstand, dass sich die jungen Leute jetzt ohnehin nicht mehr in ihrem väterlichen Hause aufhalten können (wenn nämlich anders der Ort, wo sich die Lehranstalt befindet, nicht zufälligerweise auch der Aufenthaltsort ihrer Eltern ist), wird es am geratensten sein, sie von den übrigen Bürgern der Stadt, besonders vom weiblichen Geschlechte, etwas entfernt zu halten und größtenteils nur auf den wechselseitigen Umgang untereinander und mit ihren Lehrern und den Gehilfen derselben zu beschränken. Von der einen Seite muss man dahin wirken, dass die jungen Leute alle die eigentümlichen Vorteile nützen, die eben die große Anzahl der Studierenden, welche aus allen Gegenden des Landes hier zusammenkommen, darbietet; dass nämlich jeder Bekanntschaft mit allen übrigen mache und durch die Fortsetzung derselben in seinen späteren Jahren sich in Stand setze, für die verschiedenen Ämter im Lande, die nur von solchen besetzt werden können, die einst studiert haben, tüchtige Individuen in Vorschlag zu bringen; dass ferner ein jeder das Gute, das er an anderen bemerkt, nachahmen und ihre Fehler sich zur Warnung dienen lasse; dass endlich diejenigen, die eine ganz ausgezeichnete Vortrefflichkeit haben (und unter so vielen sind deren einige jederzeit zu finden), durch ihr begeisterndes Vorbild auf die gesamte übrige Menge einen recht wohltätigen Einfluss ausüben mögen. Andererseits ist zu verhüten, dass durch ein allzu nahes Beisammenwohnen aller einzelnen Schlechten nicht die Macht gegeben werde, auf viele andere störend und ärgernd einzuwirken; ingleichen, dass sich die jungen Leute nicht zu sehr beobachtet und in ihrer Freiheit zu sehr beschränkt wähnen; ob sie gleich in der Tat beobachtet und beschränkt werden müssen. Dieses alles dürfte nun am besten erreicht werden können, wenn man den jungen Leuten Wohnungen in der Stadt einräumt, wo sie etwa zu dreien ein Zimmer bewohnen und hierin, wenigstens solange keine Klage des Missbrauchs
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dieser Freiheit wider sie einläuft, nach ihrem eigenen Belieben wählen dürfen; wenn ferner festgesetzt wird, dass sie nur an gemeinschaftlichen Tafeln, an welchen ihre Lehrer und dieGehilfen derselben den Vorsitz führen, ihre Mittagskost verzehren; wenn an den Tagen und zu den Stunden, die der Erholung gewidmet sind, alle mit allen zusammenkommen, um sich gemeinschaftlich zu belustigen; wenn endlich die Verlässlichsten von Zeit zu Zeit aufgefordert werden, die Missbräuche, welche sich etwa hie und da eingeschlichen haben, den Lehrern anzuzeigen. Den Lehrern und Gehilfen liegt es als Pflicht ob, die jungen Leute, gleichviel, ob ihre eigenen oder die Schüler anderer, in ihren Wohnungen zuweilen zu besuchen, um nachzusehen, auf welche Weise sie leben; sie haben ferner auch das Recht und die Obliegenheit, jeden Studierenden alle halben Jahre wenigstens einmal zu prüfen, und wenn sie durch diese Prüfung oder auf sonst eine andere Weise sich überzeugen, dass ein junger Mensch sich nicht gehörig beschäftige oder auf Abwege gerate oder die nötigen Talente nicht habe: so steht es ihnen zu, ihn von den Studien, je eher je lieber, zu entfernen. Glaubt sich der junge Mensch durch den Vorwurf des Mangels an hinlänglichen Kenntnissen in seinem Fache beschwert; so werden mehrere (etwa noch zwei) Lehrer ersucht, ihn gemeinschaftlich zu prüfen; wie denn dergleichen Prüfungen überhaupt gerne in Gegenwart mehrerer vorgenommen werden. Es ist aber festgesetzt, dass bei solchen Prüfungen überhaupt nicht das System dieses oder jenes einzelnen Gelehrten (etwa des Lehrers selbst), sondern die Wissenschaft selbst, und vornehmlich derjenige Teil ihrer Lehren, der eine erweisliche Anwendung hat, berücksichtigt werden müsse. Übrigens darf kein Zeugnis, das ein junger Mensch über seine Kenntnisse aus diesem oder jenem Fache in seinen früheren Studienjahren erhielt, als ein vollgültiger Beweis, dass er noch jetzt im Besitz dieser Kenntnisse sei, angeführt werden, sondern er muss sich, sofern er ein Amt verlangt, dabei diese Kenntnisse unumgänglich erforderlich sind, einer neuen Prüfung hierwegen unterwerfen.
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NEU NTER ABSCHNITT Von der Sorge für die Gesundheit und das Leben 27 Da Leben und Gesundheit Güter von der höchsten Wichtigkeit sind, weil die Bedingung zu dem Genusse fast aller übrigen in ihnen liegt; so muss man in einem zweckmäßig eingerichteten Staate auch alles anwenden, was sich von Seiten des Staates nur immer leisten lässt, um den Besitz dieser Güter den Bürgern, so lange es nur möglich ist, zu erhalten. Was also die Opfer belangt, welche der Staat zu bringen bereit ist, um eines Menschen Leben zu retten; so besteht hierüber der Grundsatz, dass man, um das Leben eines Menschen zu retten, kein Opfer zu groß finden dürfe; es wäre denn, dass es in dem Verlust eines anderen, gleichwichtigen Menschenlebens bestünde. Ich nenne aber ein Leben von gleicher Wichtigkeit mit einem anderen, wenn der Besitzer desselben eine gleich große Summe der Glückseligkeit entweder selbst noch auf Erden zu genießen oder unter anderen zu verbreiten Hoffnung gibt. So nenne ich z. B. das Leben einer Mutter wichtiger als das ihrer Leibesfrucht, weil bei der letzteren sehr wenig Hoffnung besteht, dass sie, wenn auch gerettet durch den Tod ihrer Mutter, am Leben bleiben und das reifere Alter erreichen werde. Nach jenem Grundsatz also wird man im besten Staate keinen Anstand nehmen, eine auch noch so große Menge von Nahrungsstoffen den Fluten preiszugeben, um eines einzigen Menschen Leben zu retten; es müsste denn sein, dass man kein Mittel wüsste, die Menschen, welche durch diese Stoffe hätten ernährt werden sollen, anderswoher zu versorgen. Da die gewöhnlichsten Ursachen der Erkrankungen und des frühzeitigen Todes so vieler nur in dem Umstand liegen, dass 27 Diese
Sorge übernimmt der zweckmäßig eingerichtete Staat. Die Gesundheit seiner Bürger liegt in seinem Interesse. Die Erhaltungswürdigkeit eines im Grunde gleichwichtigen Lebens, eines Säuglings und seiner Mutter etwa, wird hier pragmatisch beurteilt.
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die wenigsten Menschen die Bedingungen zur Erhaltung der Gesundheit und gewisse andere Wahrheiten von allgemeiner Brauchbarkeit aus der Heilkunde frühzeitig genug kennenlernen; so wird, wie ich bereits gesagt, im besten Staate schon in den Kinderschulen, was für das kindliche Alter von diesen Kenntnissen mitteilbar ist, gelehrt; ein Mehreres wird der heranwachsenden Jugend in den Feiertagsschulen beigebracht, und in den einer jeden Gemeinde zu Gebote stehenden Büchersammlungen sind Bücher vorrätig, aus welchen sich auch noch der Erwachsene unterrichten und bei vorkommenden Fällen Rat holen kann. Nebst diesen Büchern gibt es für jede Gemeinde wenigstens einen Arzt, der, in ihrer Mitte wohnend, verpflichtet ist, auf alles aufmerksam zu sein, was immer dem Leben oder auch nur der Gesundheit der Bürger gefährlich werden könnte, diejenigen Personen, welche schon wirklich erkrankt sind, ärztlich zu behandeln; wenn Ansteckungskrankheiten entstehen oder in anderen Fällen, wo eine weitere Anzeige dienlich sein kann, den gehörigen Bericht an das Kollegium der Ärzte des ganzen Landes zu machen usw. Die Frage, ob sich in den Beschäftigungsarten der Bürger, in ihren Nahrungsmitteln, Vergnügungen, kurz in ihrer ganzen Lebensweise nichts finde, was dem Leben und der Gesundheit nachteilig sei, betrachtet man als eine stehende Aufgabe für alle Ärzte und jeden anderen, der zur Beantwortung derselben etwa durch Zufall einen Beitrag zu leisten vermag. Ein Kranker, der in seiner eigenen Wohnung Bequemlichkeit und Pflege genug hat, auch nicht mit Ansteckung bedroht ist, mag, wenn er es vorzieht, in seiner eigenen Wohnung verpflegt werden. Andere werden in das in einer jeden Gemeinde vorhandene Krankenhaus gebracht, wo ihrer Personen warten, die durch ein höheres Alter von einer Ansteckung weniger zu besorgen haben. In schwierigen oder besonders lehrreichen Fällen hat jeder Arzt das Recht und die Obliegenheit, einige aus der Nachbarschaft herbeizurufen. Die gebräuchlichsten Arzneimittel und ärztlichen Instrumente, Mittel und Vorrichtungen zur Erwe
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ckung der Scheintoten, zweckmäßige Totenkammer usw. sind in jeder Gemeinde zu finden. Weder für Arzt noch für Arznei, noch für die Pflege wird von den Einzelnen, die sich genötigt sehen, davon Gebrauch zu machen, etwas bezahlt; sondern diese Kosten bestreitet nur die Gemeinde, die nötigenfalls noch der Kreis oder das Land unterstützt, auf eine Weise und nach Grundsätzen, von welchen bald ein Mehreres gesagt werden soll. Je mehr sich ein Arzt durch seinen Fleiß in der Behandlung der Kranken, durch die Aufmerksamkeit, mit der er die veranlassenden Ursachen zu Erkrankungen entfernt und durch den glücklichen Erfolg seiner Kuren, durch die verminderte Sterblichkeit in der Gemeinde auszeichnet; um desto mehr Lob erhält er von der Gemeinde sowohl als von den Vorständen des ganzen Landes.28
ZEHNTER ABSCHNITT Von dem Eigentum der Bürger 29 Ich komme nun zur Entwicklung der Grundsätze, nach welchen, wie ich mir vorstelle, das Eigentum der Bürger in einem zweckmäßig eingerichteten Staat bestimmt werden sollte. Ich gestehe 28 Der
beste Staat stellt die Ärzte und bezahlt die Heilmittel. Hauskrankenpflege ist in manchen Fällen dem Spitalsaufenthalt vorzuziehen. Die ärztliche Fürsorge umfasst auch prophylaktische Maßnahmen. Genaue Durchführungsbestimmungen balancieren auch hier zwischen staatlicher Vorsorge und Selbstbestimmung des Individuums. 29 Unter »Eigentum« versteht Bolzano vor allem die freie Verfügbarkeit über Dinge. Es geht ihm keineswegs um die grundsätzliche Abschaffung des Eigentums im herkömmlichen Sinn, aber er sorgt weitreichend dafür, dass materiellen Dingen nie übertriebener Wert beigemessen wird. Grundsätzlich räumt der Staat einer Person Eigentumsrecht nur dann ein, wenn es dem Gesamtwohl zuträglicher ist, dies zu tun, statt es ihr zu verweigern. Aus diesem Grund werden etwa Heilmittel vom Staat verwaltet und nicht von Privatpersonen. Eigentum, abgese-
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im Voraus, dass meine Begriffe hier am meisten von demjenigen, was man bisher insgemein angenommen hat, abweichen; allein ich darf beisetzen, dass ich die Behauptungen, in denen ich von anderen abweiche, vielfältig geprüft und überprüft habe und somit einiges Recht habe, von meinen Lesern zu verlangen, dass sie nicht sofort verwerfen, was ihnen wegen des Ungewohnten nicht auf der Stelle ganz einleuchten will. Sehr offenbar ist es und selbst in den schlechtesten Verfassungen anerkannt worden, dass es dem Staate ganz vornehmlich zustehe, die Umstände zu bestimmen, unter denen eine Sache unser Eigentum werden und verbleiben könne oder unter denen wir wenigstens ein Eigentumsrecht auf ihren Genuss für eine gewisse Zeit erlangen. Bekanntlich hat es sogar bürgerliche Vereine gegeben, welche dem einzelnen Bürger nicht das geringste Eigentum zugestehen wollten. Da ging man nun sicher zu weit, weil doch gar vieles Gute daraus hervorgeht, wenn man wenigstens den jenigen, die bereits mündig sind, ein wahres Eigentumsrecht an gewissen Gegenständen einräumt. Fragt man aber nach einem obersten Grundsatze, nach welchem der Staat bei diesem Geschäft der Erteilung des Eigentumsrechtes vorzugehen habe: so ist es leicht, einen von solcher Beschaffenheit anzugeben, in Betreff dessen mir wohl noch niemand sehr widersprechen wird. Er lautet, dass ein jeder Gegenstand nur dann, dann aber auch immer für das Eigentum einer gewissen Person erklärt werden dürfe, wenn es dem Wohl des Ganzen zuträglicher ist, dass man derselben dieses Eigentumsrecht einräume, als dass man es ihr verweigere. Aus diesem Grundsatz fließen, wie ich dafürhalte, gar manche Folgerungen, die man bisher noch selten anerkannt hat, von denen ich aber nichtsdestoweniger glaube, dass sie in einem zweckhen von gewissen persönlichen Gegenständen, kann im besten Staat auch nicht beliebig abgetreten und auch nicht (von Eltern auf ihre Kinder) vererbt werden. Stets wird an das Wohl des Ganzen gedacht. Auf diese Weise wird dem Materialismus regelrecht der Boden abgegraben.
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mäßig eingerichteten Staat als ebenso viele Gesetze, nach welchen das Eigentum der Bürger bemessen wird, angesehen werden sollten. Nur die allgemeinsten derselben sollen hier angeführt und mit einer kurzen Rechtfertigung begleitet werden. 1. Eine Sache, die nur ein einziger nützlich zu gebrauchen vermag, indes sie anderen keinen nützlichen Gebrauch gewährt, soll eben deshalb in einem zweckmäßig eingerichteten Staate nur jenem ersteren als Eigentum zuerkannt werden. Gegen die Richtigkeit dieses ersten Gesetzes wird man noch wenig einzuwenden haben. Auch hat man sich in unzählig vielen Fällen mit deutlichem oder nicht deutlichem Bewusstsein nach diesem Gesetz von jeher bestimmt. Warum erklären wir z. B. die Glieder unseres Leibes, ja den Leib selbst, den unsere Seele bewohnt, für unser Eigentum, als weil wir überhaupt zu reden, von unserem Leib ein jeder einen Gebrauch zu machen vermögen, wie niemand anderer ihn statt unser machen könnte? 2. Von einer Sache dagegen, die einem gewissen Menschen entweder gar keinen oder doch einen nur unbedeutenden Dienst zu leisten vermag, während sie andern höchst wichtig werden kann, darf eben deshalb in einem zweckmäßig eingerichteten Staate niemals gestattet werden, dass sie der erstere als sein Eigentum an sich bringe und auch als solches behalte. So wird man also z. B. nicht zulassen, dass ein Blinder, der keine Hoffnung hat, sehend zu werden, die herrlichsten Gemälde an sich kaufe und dem Genuss anderer hiedurch entziehe. Dass man auch schon in unseren bisherigen Staaten nach dieser Regel, obgleich nur in den schreiendsten Fällen, verfahre, ließe sich aus gar manchen Beispielen erweisen. Ich will nur eines anführen. Gesetzt, es hätte jemand alle auf Erden befindliche Chinarinde käuflich an sich gebracht und wollte sie etwa aus bloßer Grausamkeit, damit kein Kranker mehr sich ihrer Heilkräfte bedienen könnte, in das Meer versenken: so würde man ihn gewiss an der Ausführung dieses Vorhabens in einem jeden Staat, nötigenfalls selbst durch Zwangsmittel, hindern. Was heißt nun dieses anders, als dass
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man jene Chinarinde nicht als sein wahres Eigentum betrachtet. Denn was mein völliges Eigentum ist, damit kann ich zwar nicht eben alles, was mir nur immer beliebt, vornehmen, namentlich nichts, wodurch ich andere in dem Genuss des ihrigen störe; aber es steht doch niemand das Recht zu, gegen eine gewisse Veränderung, die ich mit meinem Eigentum vornehmen will, bloß aus dem Grund eine Einrede zu machen, weil ich hiedurch die Fähigkeit des Gegenstandes, zum Genuss für andere zu dienen, vernichte und vermindere. Gerade das aber ist es, was sich der Staat in Hinsicht auf den angeblichen Besitzer jener Chinarinde zu tun für berechtigt hält; nämlich ihm zu verbieten, dass er mit dieser Ware eine Veränderung von einer solchen Art vornehme, wodurch sie für den Genuss der Menschheit verlorengehen würde. Wahr ist es freilich, dass man in unseren bisherigen Staaten jenem Kaufmanne doch noch gar mannigfaltige Veränderungen mit der gekauften Ware beliebig vorzunehmen gestatten, dass man ihm z. B. den Preis, um den er sie an andere ablassen wolle, freistellen würde; es müsste denn sein, dass er diesen Preis übermäßig hoch anschlagen würde. Eben darum mag denn immer gesagt werden können, dass man in unseren bisherigen Staaten dem Kaufmanne ein, wenngleich nicht vollkommenes, doch gewisses Eigentumsrecht zugestehe. Dieses beweist nur, dass man den Grundsatz, den ich hier aufstelle, in den bisherigen Staaten noch nicht in seinem ganzen Umfange befolge; genug inzwischen, dass man sich ihm doch genähert und ohne ihn auszusprechen, ja vielleicht ohne sich seiner deutlich bewusst geworden zu sein, Verfügungen getroffen hat, die sich eigentlich nur aus ihm rechtfertigen lassen. Im besten Staate geziemt sichs, weiterzugehen; hier muss dieser Grundsatz nicht nur ausdrücklich aufgestellt sein, sondern man muss auch alle über das Eigentum der Bürger ausgehenden Verfügungen und Gesetze ihm gemäß einrichten. 3. Hieraus ergibt sich denn ferner, dass man im besten Staate den Umstand, dass jemand eine Sache, die bislang herrenlos gewe-
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sen, als erster aufgefunden habe, noch keineswegs als einen hinreichenden Grund betrachte, um ihm das Eigentumsrecht an derselben zuzugestehen. Denn folgt wohl daraus, weil jemand eine Sache als erster aufgefunden hat, dass er auch derjenige sei, der sie am besten werde zu benützen wissen? So lächerlich dieses, so töricht ist es auch, den ersten Finder immer und jederzeit zum Eigentümer zu machen. Wirklich hat man die Unschicklichkeit dieser letzteren Regel auch schon in unseren jetzigen Staaten erkannt und sie eben deshalb nicht ohne vielfältige Beschränkungen angenommen. So hat man z. B. demjenigen, der einen in der Erde verborgenen Schatz entdeckt, höchstens das Drittel des Fundes als Eigentum zuerkannt. Aber wer sieht nicht, dass dieses Drittel eine ganz willkürliche Bestimmung sei, welche überdies für jenen Zweck, den man vernünftigerweise hier einzig vor Augen haben kann, eine Ermunterung, nämlich zum Suchen und zur Anzeige des Gefundenen zu geben, oft viel zu groß, oft aber auch zu gering ausfällt. So wäre z. B. für einen Landmann, der bei Gelegenheit, da er sich einen Brunnen gräbt, einen großen Goldklumpen findet, das Drittel desselben eine gewiss zu große Belohnung seiner Mühe und gleichwohl doch kein hinreichender Antrieb, ihn zur Anzeige des gemachten Fundes zu bestimmen, wenn er sich Hoffnung machen kann, unentdeckt in dem Besitze des Ganzen zu bleiben. Und wenn im Gegenteil (wie bei den Einrichtungen, welche im besten Staate bestehen) diese Hoffnung wegfällt; dann ist es abermals zu viel, ein Drittel zu bieten, um zur Anzeige des Gefundenen zu bewegen. Ein Recht des Finders also ist eine Sache, die im besten Staate ganz unbekannt ist: wohl aber kennt man das Verdienst des Suchens, wiefern es absichtlich und aus uneigennützigen Beweggründen unternommen wird, ingleichen das Verdienst der redlichen Anzeige des Gefundenen, und beide weiß man, wiefern sie sich nicht schon durch sich selbst belohnt haben, auf eine angemessene Weise zu ehren und zu lohnen; und zwar das erstere, gleichviel, ob es durch den Erfolg des Findens gekrönt oder nicht gekrönt worden ist. Und bedarf es wohl erst
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noch einer weitläufigen Auseinandersetzung, wie verderblich dieses Vorurteil von einem Recht des Finders auf die Gesinnungen des Volkes einwirken müsse? Denn wenn der Staat diesem Recht auch noch so viele Beschränkungen beisetzt; man sieht diese doch nur als Eingriffe an und ist nicht geneigt, sich diese gefallen zu lassen. Auch ist nichts natürlicher, als dass derjenige, der durch das Finden einer herrenlosen Sache ein Eigentumsrecht auf sie erlangt zu haben glaubt, sich überrede, dass auch das Finden einer Sache, die ihren Eigentümer hat, diesem aber verloren gegangen ist, ihm einen wenigstens sehr starken Anteil an diesem Eigentumsrecht verschaffe. Und wie sehr fühlt er sich nicht bei dieser Vorstellung versucht, das gefundene Gut dem rechtmäßigen Eigentümer entweder ganz oder doch teilweise vorzuenthalten? – 4. Auch die auf einen Gegenstand verwendete Arbeit, durch die aus einer unbrauchbaren Sache erst etwas Brauchbares geworden ist, darf man im besten Staate noch nicht als einen hinreichenden Grund zur Entstehung eines Eigentumsrechts auf sie betrachten. Denn daraus, weil jemand einen Gegenstand durch seine Bearbeitung erst zu etwas Brauchbarem gemacht hat, folgt wohl, dass er für diese Bearbeitung belohnt zu werden verdiene; keineswegs aber, dass diese Belohnung eben in einem an diesem Gegenstande ihm zugestandenen Eigentumsrechte bestehen müsse, während noch gar nicht entschieden ist, ob der Gegenstand gerade für ihn eben am brauchbarsten sei, ja ob er nur irgendeinen wahren Wert für ihn habe. Man sage auch nicht, dass dem Bereiter eines Gutes ein Eigentumsrecht auf dasselbe wenigstens dann gewiss zugestanden werden müsse, wenn er eben nur in der Absicht, um es dann selbst genießen zu können, es bereitet habe; und man befürchte nicht, dass im entgegengesetzten Falle aller Antrieb zur Arbeit und zur Hervorbringung genießbarer Güter aus rohen Naturstoffen aufhören würde. Nein, um die Menschen geneigt zu solchen Arbeiten zu machen, genügt es, ihnen die Sicherheit zu geben, dass sie für ihre Arbeit nie unbelohnt bleiben sollen, dass
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ihnen also, wenn auch nicht eben der Genuss des Gutes, das sie durch ihre Arbeit hervorgebracht haben, doch irgendein anderer, diesem gleichgeltender oder noch höherer, Genuss zuteil werden solle. Dass aber der Gegenstand eben ihr Eigentum werden müsste, das ist zu diesem Zwecke weder nötig noch hinreichend. Nicht nötig ist es, weil es dem Menschen selbst dann, wenn er die Bearbeitung eines rohen Naturstoffes in der bestimmten Absicht anfängt, um sich daraus ein Gut zu seinem eigenen Genuss zu bereiten, in den meisten Fällen gleichgültig ist, ob ihm am Ende wirklich der nämliche oder irgendein anderer Gegenstand den gehofften Genuss gewährt. Nicht hinreichend ist es, weil in gewissen Fällen der zu erwartende Genuss, auch wenn wir dem Bearbeiter des rohen Naturstoffes ein volles Eigentumsrecht an dem hervorgebrachten Gute zugestehen, noch viel zu unsicher bleibt, um ihn zur Unternehmung der Arbeit zu bestimmen. So kann dem armen Landmanne, wenn er den Boden anbauen soll, wenig gedient damit sein, dass man ihm die zu erzeugenden Früchte als sein Eigentum zuspricht, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass er mit seiner Arbeit etwas zustande bringen werde, nicht eben sehr überwiegend ist; der Staat aber könnte, wenn der Erfolg bei solchen Unternehmungen nur überhaupt öfter lohnend als nichtlohnend ist, dem Landmanne für jeden Fall des Misswuchses eine vollkommene Entschädigung seiner Bemühungen versprechen und doch gewiss sein, dass er im Ganzen nichts verlieren, sondern gewinnen werde. Wirklich hat man auch trotz der verkehrten Begriffe, welche die Rechtslehrer über diesen Gegenstand aufgestellt haben, in allen Staaten Gebräuche eingeführt, die dem soeben Gesagten mehr oder weniger gemäß sind. Nur in den seltensten Fällen sieht man denjenigen, der einen ungenießbaren Stoff durch seine Bearbeitung in ein genießbares Gut verwandelt hat, als den Besitzer desselben an; meistens bezahlt man ihm nur seine Mühe; und die Gelehrten selbst, um dieses Verfahren, dessen Zweck mäßigkeit sie nicht zu verkennen vermochten, mit ihren Systemen in Übereinstimmung zu bringen, geben die Erklärung, dass
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der Staat dem Erzeuger eines gewissen Gutes das Eigentumsrecht an demselben nur abspreche, wenn er zur Hervorbringung seiner Ware einen gewissen anderen Gegenstand (als Stoff oder Werkzeug oder sonst eine andere Art) benützte, der, so unbrauchbar er auch an sich sein mochte, doch nicht sein Eigentum, sondern das eines anderen war. So glaubte man z. B. die Frage, warum die Metalle, die uns der Bergmann aus dem Inneren der Berge hervorholt, nicht dessen Eigentum wären, dadurch beantwortet zu haben, dass man erinnerte, die Erde, in der er sie findet, sei nicht sein Eigentum usw. Ein weiteres Nachdenken aber zeigt das Ungenügende solcher Erklärungen; denn wenn nur aus diesem Grunde das vom Bergmanne zutage geförderte Erz nicht sein Eigentum wäre, weil ihm die Erde, in der es sich erzeugte, nicht gehört; mit welchem Rechte würden wir uns die Vögel und die Fische zueignen, die von uns eingefangen werden, ganz abgesehen, aus welchen Gegenden sie zu uns kommen mögen. Überhaupt muss es jedem, der nur nicht eine vorgefasste Meinung hat, bei Betrachtung der Art, auf die wir die verschiedenen Güter der Erde unter uns ausgeteilt haben, einleuchtend werden, dass man hiebei nach ganz anderen Regeln, als die Rechtslehrer angeben, vorgegangen sei; dass man gesucht habe, einem jeden dasjenige als Eigentum zuzusprechen, was er am besten benützen konnte, und dass man dieser Regel nur dort untreu geworden sei, wo die Befriedigung der Habsucht einzelner ein Mehreres verlangte. Dass nun in einem zweckmäßig eingerichteten Staate diesen Forderungen der Habsucht nicht dürfe nachgegeben werden, versteht sich von selbst. 5. Die Grundsätze, die ich in dem Vorhergehenden besprochen habe, sind auch in unsern bisherigen Staaten nicht durchaus unbekannt geblieben, sondern selbst teilweise bereits befolgt worden. Nicht eben dieses lässt sich von den Regeln sagen, die ich noch ferner anzuführen habe. Unstreitig gibt es gar manche Gegenstände, deren Besitz von uns Menschen überaus hoch geschätzt wird, ohne dass sich auch bei der schärfsten Nachforschung, wel-
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che wir über die Gründe dieser Hochschätzung anstellen mögen, ein anderer auffinden lässt, als dass es Gegenstände von einer großen Seltenheit sind. Das ist so wahr, dass wir das Seltene und das Geschätzte, Kostbare, Teure zuweilen als gleichbedeutende Werte betrachten. Eine Untersuchung, woher dieses komme, ist uns hierorts nicht nötig; wohl aber müssen wir fragen, ob es in einem zweckmäßig eingerichteten Staate den Bürgern erlaubt werden dürfe, dieser Vorliebe der Menschen für alles Seltene in der Art nachzuhängen, dass sich ein Einzelner durch Zufall oder auf sonst eine andere Weise, z. B. dadurch, dass er die größte Summe des Geldes dafür bieten will, das Eigentumsrecht an einer Sache erwerbe, welche für ihn aus keinem anderen Grunde als ihrer Seltenheit wegen einen Wert haben kann? Und diese Frage glaube ich verneinen zu müssen. Alles, was lediglich nur durch seine Seltenheit einen Wert für gewisse Menschen bekommt, eignet sich eben darum nicht zum Besitz für einen Einzelnen, sondern es soll als Eigentum einer ganzen Gemeinde angesehen und nach seiner Beschaffenheit von ihr zur Verherrlichung gemeinschaftlicher Feste, zur Ausschmückung öffentlicher Gebäude u. dergl. benützt werden. Der Grund, den ich zur Rechtfertigung dieser Regel glaube anführen zu können, ist dieser: Ein Gegenstand, der unsere Begierde nach seinem Besitz bloß durch seine Seltenheit erregt, kann eben darum dem Einzelnen, dem wir das Eigentumsrecht an demselben zugestehen wollten, eben um der besagten Beschaffenheit willen keinen wahren Vorteil gewähren; wohl aber könne er ihn zur Eitelkeit, zur Prahlerei, zu törichten Geldausgaben und vielen anderen Fehlern verleiten; bei den übrigen Bürgern dagegen würde nur Unzufriedenheit mit dem Geschicke, das ihnen den Besitz dieses Gegenstandes versagt hat, nur Neid und Missgunst gegen denjenigen, der dessen Eigentümer geworden ist, veranlasst. Beispiele, die dies beweisen, haben wir täglich vor Augen. Ein Diamant ist, wie jeder weiß, für die Zwecke, zu denen wir ihn gebrauchen, wenn wir auf seinen Besitz einen so hohen Wert legen, durchaus von keiner größeren Brauchbarkeit
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als ein Stückchen Glas; bloß seiner Seltenheit wegen wird er so hoch geschätzt; und diese Hochschätzung und die in allen bisherigen Staaten gegebene Erlaubnis, dass sich der einzelne Bürger dergleichen Steine als Eigentum anschaffen könne, zu welchen Torheiten und Verbrechen hat sie nicht Tausende verleitet! Wie vieles Unheil hat nicht diese einzige verkehrte Einrichtung in den gebildetsten Staaten der Welt gestiftet! Diesem allem würde mit einmal vorgebeugt, sobald der Staat erklärte, dass kein Gegenstand, der bloß um seiner Seltenheit wegen vom Menschen begehrt werden könnte, Eigentum eines Einzelnen sein dürfe, sondern von seinem Finder, Hervorbringer oder bisherigen Besitzer sofort der Gemeinde als ein nur ihr zustehendes Eigentum ausgeliefert werden müsse. Man erachtet leicht, dass dieses Gesetz mit einiger Abänderung auch selbst auf solche Gegenstände ausgedehnt werden könnte und müsste, die zwar nebst ihrer Seltenheit noch eine gewisse Brauchbarkeit haben, doch nicht um dieser, sondern nur vornehmlich um jener Seltenheit willen geschätzt und begehrt werden. Auch solche dürften nicht als das Eigentum eines Einzelmannes geduldet, sondern von demjenigen, der sie etwa bisher besaß, um einen angemessenen Preis abgelöst werden. Gar nicht begriffen aber unter diesen Regeln sind Sachen, die, wie selten sie auch immer sein mögen, doch nicht dieser Seltenheit wegen, sondern um irgendeiner anderen Beziehung wegen einem Einzelnen besonders schätzbar werden; wie etwa eine Taschenuhr von sehr eigentümlicher Form, welche ein Sohn zum Andenken an seinen Vater, der sie einst trug, zu besitzen wünscht u. dergl. 6. Eine noch ungleich wichtigere Folgerung, die sich aus unserem gleich anfangs aufgestellten obersten Grundsatz ergibt, ist diese, dass es zwar allerdings einem jeden freistehe, auf sein an einer gewissen Sache haftenden Eigentumsrecht für seine eigene Person Verzicht zu leisten; nicht aber, dieses Eigentumsrecht auf einen anderen sofort zu übertragen, sobald nur dieser es anzunehmen bereit ist. Wollte man nämlich dieses zulassen, also
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gestatten, dass die Bürger all ihr ihnen angewiesenes Eigentum nach ihrem bloßen Belieben untereinander wie immer austauschen dürfen: so würde es auch bei der zweckmäßigsten Verteilung, die der Staat selbst ursprünglich getroffen hätte, bald dahin kommen können, dass jemand ganz gegen den allgemeinen Grundsatz und seine nächsten Folgerungen ein Eigentümer von Gegenständen würde, die er entweder gar nicht oder nur sehr schlecht zu seinem eigenen oder auch für das gemeine Beste(n) zu verwenden versteht. Soll also das Eigentumsrecht an vernünftige Regeln gebunden sein, so muss auch das Recht des Verkaufens sowohl als des Schenkens durch gewisse vernünftige Regeln beschränkt sein, weil jenes vom diesem zum Teil abhängig ist. Eine gewisse entfernte Ahnung von dieser Regel treffen wir doch auch schon in unseren Staaten an, weil es ja allerdings einige (folglich aus einer ganz anderen Absicht entsprungene) Vorschriften gibt, welche das Recht des Schenkens oder Verkaufens in gewissen Fällen beengen. 7. Und wie dem Eigentümer nicht das Recht zustehen soll, sein Eigentum an jeden anderen beliebig abzutreten, so darf ihm nicht einmal gestattet sein, sein Eigentum an jeden beliebigen anderen zu leihen, d. h. es diesem zu einer gewissen Benützung auf eine bestimmte Zeit mit oder ohne Entgelt zu überlassen. Denn auch ein solches Leihen schon erzeugt eine Art von Eigentumsrecht, nämlich das Eigentumsrecht an die Benützung der geliehenen Sache für die bestimmte Zeit. Durch eine unbeschränkte Freiheit des Ausleihens und durch einen zweckwidrigen Gebrauch, welchen die Bürger eines Staates von dieser Freiheit machten, könnten noch immer gar viele Unordnungen entstehen. Man denke z. B. nur an das Unheil, das eine unüberlegte Mitteilung30 eines Buches an jemand, für den es nicht geschrieben ist, anrichten kann! 8. So wird es also in einem wohleingerichteten Staate auch nicht erlaubt werden dürfen, dass jemand sein Geld beliebig bald 30 Im
Sinn von »Verleihung«, »Übergabe«.
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diesem, bald jenem vorstrecke. Denn zu wie vielen schädlichen Zwecken könnte da nicht mancher das Geld, das er so ohne Mitwissen der Gesellschaft von einzelnen Bürgern sich auslieh, verwenden! Der Staat verbiete dies also allgemein und drohe beiden, dem Gläubiger sowohl als dem Schuldner, im Betretungsfalle mit einer angemessenen Strafe. Dagegen muss aber freilich die Einrichtung bestehen, dass jeder, der Geld erübrigt, dasselbe beim Staat (bei der Gemeinde nämlich) anlegen und jeder, der Geld zu haben wünscht, es unter gehöriger Sicherheit, und wenn man Ursache hat, einen guten Gebrauch zu erwarten, vom Staate ausleihen kann. Dem, der Geld anlegt, müssten von Seiten des Staates selbst gewisse, doch nur sehr mäßige Zinsen (wie etwa ½ Prozent) und wenn die Summe größer ist, noch etwas weniger bezahlt werden. Ähnliche Zinsen hätte dann auch der Ausleihende zu entrichten. 9. Eine andere Folge von größter Wichtigkeit aus unserem Grundsatz ist es, dass Kinder in einem zweckmäßig eingerichteten Staat keineswegs als die rechtmäßigen Erben des Eigentums, das ihre Eltern besaßen, betrachtet werden dürfen, sondern dass nur der Staat allein (zunächst die Gemeinde, bei Sachen von allgemeinerer Brauchbarkeit auch wohl der Kreis oder das ganze Land usw.) als diesen Erben sich ansehen und betragen müsse. Auch dieses liegt nämlich schon in dem Grundsatz, dass man nur denjenigen zum Besitz eines Gegenstandes gelangen lasse, der den besten Gebrauch von demselben für sich und andere zu machen Hoffnung gibt. Denn dass es nicht eben die Kinder sein müssen, von denen sich jederzeit hoffen lässt, dass sie dasjenige, was ihre Eltern einst besaßen, am besten anwenden werden, springt in die Augen. Oder wer hat nicht Beispiele genug von dem auffallends ten Gegenteil gesehen? Das Recht der Beerbung der Eltern durch ihre Kinder, welches wir leider in allen bisherigen Staaten eingeführt finden, muss die verderblichsten Folgen unausbleiblich nach sich ziehen. Lässt man die Kinder ihre Eltern beerben, dann darf man sich nicht wundern, wenn es der Kinder zu tausenden
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gibt, die schlecht genug werden, um den Tod ihrer Eltern, ich sage nicht, eben herbeizuführen, aber ihn doch zu wünschen und sich nach ihm zu sehnen. Wenn Kinder wissen, dass sie die Eltern beerben werden, so befinden sich alle Kinder derjenigen Eltern, die ein ansehnliches Vermögen haben, in steter Versuchung, die kostbare Zeit ihrer Jugend, welche sie zur Erwerbung nützlicher Kenntnisse hätten anwenden sollen, in Müßiggang und Trägheit zuzubringen; und wie man sie auch zum Fleiße erhalten mag, so fehlt es ihnen doch an dem mächtigsten inneren Antrieb, der im Bedürfnisse liegt; sie beweisen daher (mit seltenen Ausnahmen) keinen wahren Eifer und erlernen trotz der günstigen äußeren Gelegenheiten meistenteils nur sehr wenig. Wenn Kindern erlaubt wird, die Eltern zu beerben, so kann sich in einzelnen Familien durch bloßen Zufall ein ungeheurer Reichtum anhäufen, während viele andere verarmen; und wie verderblich eine so große Ungleichheit in der Verteilung des Eigentums sei, wurde schon oben besprochen. Darf aber das Eigentum der Eltern nach ihrem Tod nicht sofort in die Hände ihrer Kinder geraten, so versteht es sich von selbst, dass es dem Staat (zunächst der Gemeinde) zufallen müsse. Dass man in unseren bisherigen Staaten eine solche Einrichtung noch niemals einzuführen wagte, eine so willkommene Gelegenheit zur Bereicherung sie auch gewissen Beamten dargeboten hätte; dass im Gegenteil auch sehr vernünftige Leute, wenn sie von diesem Vorschlag hören, im ersten Augenblick sich gar nicht dareinfinden, ist sehr begreiflich. Allerdings gibt es zwei in der Natur selbst liegende Gründe, die das in allen Staaten geachtete Eigentumsrecht der Kinder an der Verlassenschaft der Eltern veranlasst haben. Der eine, dass die Kinder den Eltern gewöhnlich am nächsten stehen und also am leichtesten von dem, was sie hinterließen, Besitz nehmen können; der andere, dass es den Eltern im allgemeinen am liebsten sein muss, ihr Eigentum einst nicht ganz fremden Personen, sondern den eigenen Kindern zu überlassen; dass sie durch diese Einrichtung einen verstärkten Antrieb erhalten, fleißig zu sammeln und zu sparen, weil sie sich
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vorstellen, auf diese Weise nach ihrem Tod noch ihren Kindern wohltun zu können. Gewiss also, wenn nicht sehr zweckmäßige Vorkehrungen eingeführt werden können, wenn nicht aufs sicherste vorgebeugt ist dem Unfug, dass die Verlassenschaft, die man Kindern entzieht, missbraucht werden könne, um die Kisten solcher zu füllen, die es weit weniger verdienen und bedürfen; wenn nicht die Kinder, die bei dem frühzeitigen Entschlafen ihrer Eltern noch einer ferneren Aufsicht und Pflege bedürfen, vonseiten des Staates selbst an Eltern angewiesen werden, die sie gleich ihren eigenen erziehen; wenn nicht als unverbrüchliches Gesetz besteht, dass man das Geld, welches der Staat aus den Verlassenschaften gewinnt, zu keinem anderen Zweck verwenden dürfe, bevor nicht erst für alle Kinder gesorgt ist: dann wehe dem, der die bisherige Einrichtung aufhebt, ohne etwas Besseres an ihre Stelle zu setzen! Nur aus der lobenswürdigen Besorgnis, ein Übel ärger zu machen, mochten so viele vernünftige Männer, welche die Unvollkommenheiten des bisher üblichen Erbrechtes sicher nicht ganz übersahen, doch keine Abänderung desselben in Vorschlag zu bringen wagen. Andere wurden vielleicht durch Gründe von anderer Art bestimmt, alles beim Alten zu lassen. Sie sahen, dass nur durch dieses Mittel ihrer Familie die Hoffnung grüne, durch viele Geschlechtsfolgen hindurch in dem Besitz ihrer einmal erworbenen Reichtümer zu bleiben. Dass uns so eigennützige Gründe nicht abhalten dürfen, für die Einführung einer besseren Verfassung, wenn erst die Menschheit reif dazu ist, zu stimmen, versteht sich von selbst. Und wenn erst dieser Zeitpunkt der Reife eingetreten wäre und wenn man die Einrichtung, welche ich hier empfohlen, nicht bloß vereinzelt, sondern verbunden mit allen übrigen, welche zum besten Staate gehören, einführen könnte: dann dürfte auch die Besorgnis, dass man zwar ein Übel entfernen, aber ein anderes, größeres wieder herbeiziehen würde, nicht ferner stattfinden. Übrigens brauche ich es wohl nicht erst zu sagen, dass ich das Recht der Erbschaft, das ich nicht einmal Kindern in Hinsicht auf die Verlassenschaft ihrer Eltern zuge-
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stehe, umso weniger in irgendeinem anderen Verhältnis zulassen könne. Wie niemand lebend befugt ist, sein Eigentumsrecht an einem Gegenstand beliebig auf einen anderen zu übertragen; so hat diese Befugnis auch im Sterben nicht statt, d. h. niemand darf es sich herausnehmen, festsetzen zu wollen, wem das oder jenes, das er lebend als Eigentum besessen, nach seinem Tode zufallen solle. Der Staat allein hat dieses Recht, ihm fallen die Güter dessen, der mit dem Tode abgegangen ist, zur weiteren Verwendung anheim. Vererben darf man nur solche Gegenstände, die von keinem anderen Wert sind, als dem bloß subjektiven, den ihnen das Andenken an ihren ehemaligen Besitzer in den Augen seiner Freunde und Verehrer gibt. Dinge, die auch noch außerdem einigen Wert haben, dürfen nur bedingungsweise, wenn es der Staat (die Gemeinde) genehmigt und wenn der Erbe ihren Wert ablöst, ihm als ein Zeichen des Andenkens abgeliefert werden. 10. Bekanntlich gibt es auch Gegenstände, die durch den Gebrauch, welchen der eine von ihnen macht, nicht sofort zerstört, d. h. für andere unbrauchbar werden, sondern im Gegenteil von mehreren entweder gleichzeitig oder zu verschiedenen Zeiten benützt werden können. Von dieser Art ist z. B. ein Gemälde, das recht füglich mehrere teils zugleich, teils nacheinander betrachten und genießen können; ein Buch, das von dem einen gelesen, noch lesbar für hundert andere bleibt; ein Wohnhaus, welches, nachdem es der eine zu bewohnen aufgehört hat, wieder von einem zweiten bewohnt werden kann; ein musikalisches Instrument, welches durch den langen Gebrauch nur noch vollkommener wird, und manche andere. Von Dingen dieser Art behaupte ich nun, dass sie in einem zweckmäßig eingerichteten Staat niemals als Eigentum eines Einzelnen angesehen werden dürfen, sondern dass Einzelnen bloß ein Benutzungsrecht derselben, und dieses zuweilen nur auf gewisse Zeiten, gestattet werde. Tut man, wie in den bisherigen Staaten, ein mehreres, gesteht man nämlich dem Einzelnen ein wahres Eigentumsrecht an solchen Gegenständen
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zu: so verwirrt dieses notwendig nur die Begriffe der Menschen und führt eine Menge der schädlichsten Missbräuche ein. Der Besitzer glaubt nun, dass er das Recht habe, den Gegenstand, der einmal sein Eigentum heißt, nach seinem Belieben zugrunde zu richten oder die Nutznießung desselben anderen bald nur unter den schwierigsten Bedingungen zu erlauben, bald auch ganz zu verweigern. Daher geschieht es denn, dass unzählig viele Gegenstände, die, wenn sie gebraucht würden, wie es ihre Natur zulässt, der Menschheit einen unübersehbar großen Nutzen gewähren würden, entweder ganz unbenützt liegen oder doch kaum den tausendsten Teil des Segens, dessen sie fähig sind, um sich her verbreiten; daher geschieht es, dass wir, um einen solchen Gegenstand benützen zu können, wenigstens uns in der Notwendigkeit sehen, uns erst ein Eigentumsrecht an ihm zu erwerben, d. i. ihn käuflich an uns zu bringen, was denn begreiflicherweise sehr große Schwierigkeiten verursacht; daher geschieht es, dass dergleichen Gegenstände nur von den vermögendsten Bürgern im Staate, nicht um sie zu benützen, sondern um mit ihrem Besitze zu prunken, angeschafft werden und dass gerade diejenigen, welche den wichtigsten und gemeinnützigsten Gebrauch von denselben machen könnten, ihrer entbehren müssen. Wer wird hier nicht unwillkürlich an Bibliotheken, Sammlungen von Naturalien, Kunstwerken und von anderen dergleichen Kostbarkeiten erinnert, welche, wenn sie kein Eigentum eines Einzelnen wären, zur Benützung für alle, die dafür Sinn haben, offenstehen würden? – Bei den Einrichtungen, welche bis jetzt bestehen, sollten wir wahrlich noch sehr froh sein und der Großmut unserer Reichen viel Dank dafür wissen, dass sie uns wenigstens unter gewissen Umständen und zum Teil nur Benützung dieser Dinge vergönnen. Erschrecken aber müssen wir, wenn wir erwägen, was jene Reichen bei diesen Einrichtungen und bei den bisherigen Begriffen unserer Rechtslehrer zu tun vermöchten, wenn sie erst böse genug wären, es zu wollen. Könnten sie nicht, wenn sie wollten, die herrlichsten Bibliotheken, nachdem sie dieselben erst
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käuflich an sich gebracht hätten, gleich jenem Omar31, den Flammen übergeben, könnten sie nicht alle Exemplare eines Buches von höchster Wichtigkeit, sobald ihnen beliebt, zusammenkaufen und vernichten? Gilt nicht dasselbe von Gemälden, Kunstwerken und von hundert anderen Dingen, durch deren Vernichtung der Menschheit ein unersetzlicher Verlust zugefügt würde? Ist es nicht arg, dass wir die Aufbewahrung und Erhaltung so großer Schätze dem Belieben einiger, ja wohl dem bloßen Zufalle überlassen? – 11. Aus dem Bisherigen erhellt, dass auch ein wohlerworbenes Eigentumsrecht an einer Sache im Verlauf der Zeit durch die Veränderung gewisser Umstände wieder erlöschen könne. Denn freilich kann derjenige, der einen Gegenstand bisher am besten zu nutzen vermochte, in der Folge die Fähigkeit dieser Benützung verlieren; dagegen kann sich ein anderer zeigen, dem der Besitz dieses Gegenstandes ungleich notwendiger ist; die Umstände können endlich auch von der Art sein, dass es ganz offenbar ist, man werde des Guten mehr stiften, wenn man das Eigentumsrecht von jenem auf diesen überträgt, als wenn man es lediglich dem Belieben des ersteren anheimstellt, ob er sein Recht zugunsten des anderen aufgeben wolle. Von der Beschaffenheit dieser Umstände wird überdies abhängen, ob der Staat diese Übertragung des Eigentumsrechts schlechthin und ohne Entgelt vornehmen dürfe oder ob er dem früheren Eigentümer für den Verlust, den er jetzt erleidet, eine Art von Ersatz auszumitteln habe. Wenn z. B. jemand in seinem Garten verschiedene Obstbäume züchtet, um ihre Früchte genießen zu können; sein kranker Nachbar aber bedarf zu einer Art von Labung, ja zur Arznei dergleichen Obstes, das nicht leicht irgendwo andersher zu verschaffen wäre; so unterliegt es wohl gar keinem Zweifel, dass man berechtigt sein 31
Auf Befehl des muslimischen Kalifen ’Umar ibn al-Chattāb (Omar) sollen im Jahr 642 die Bücher des Museion von Alexandria verbrannt worden sein, so die Legende.
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werde, von dem Eigentümer des Obstes zu fordern, dass er dasselbe dem Kranken überlasse; und es wird höchstens nötig sein, ihm etwas dafür zu ersetzen. Wer aber ein Augenglas hätte, das etwa, weil er nun völlig erblinde, oder aus sonst einem anderen Grund nicht ferner brauchbar für ihn ist, den könnte man billig anhalten, dass er dieses Werkzeug nun an einen anderen abtrete, auch ohne dass man ihm etwas dafür entgelte; denn er verliert ja im Grunde nichts, indem er etwas, das er nicht brauchen kann, weggibt. 12. Nach unserem obersten Grundsatz muss nun endlich auch der Preis, der für ein jedes Gut, das jemand als Eigentum an sich bringen will, zu entrichten kommt, wie auch die Größe des Lohnes, der für was für immer einen dem Staat oder nur einem Einzelnen geleisteten Dienst zuzuerkennen ist, bemessen werden. Die allgemeinsten Regeln, die man in dieser Hinsicht zu beachten hat, dürften ohngefähr folgende sein: 1. Wenn es demjenigen, der das Eigentumsrecht an einem gewissen Gegenstand zu erlangen wünscht, überhaupt zusteht, ein solches zu begehren; so kommt es bei der Bestimmung des Preises, um den man es ihm überlassen soll, noch auf zwei Umstände an: erstlich, ob dieser Gegenstand bisher noch keines Einzelnen, sondern nur Eigentum des ganzen Staates (oder doch einer ganzen Gemeinde) ist; und zweitens, ob der Besitzlustige irgendein anderes Gut, das ihm entbehrlich ist, hat oder doch wenigstens die Fähigkeit besitzt, andern durch seine Arbeit zu dienen. 1.1. 32 Wenn der Gegenstand, den jemand zu besitzen wünscht, keinem Einzelnen, sondern der ganzen Gemeinde oder dem Staat gehört, und der Besitzlustige hat überdies nichts Entbehrliches, was er für diesen Gegenstand hergeben könnte, so wird ihm derselbe ganz unentgeltlich als Eigen32 Die
alphanumerische Gliederung mit doppelter Verwendung von Buchstaben wurde hier durch eine Dezimalgliederung ersetzt.
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tum zuerkannt, sofern kein anderer da ist, dem dieser Besitz ein größeres Bedürfnis wäre. Sind mehrere von einem gleichgroßen Bedürfnis da und können gleichwohl nicht alle beteilt werden, so wird demjenigen der Vorzug zuerkannt, der bisher wichtigere Dienste dem Staat geleistet hat. Hat aber der Besitzlustige einige ihm selbst entbehrliche Güter oder vermag er doch wenigstens durch seine Arbeit dem Staat gewisse nützliche Dienste zu leisten; so wird der Staat auch gewiss berechtigt sein, entweder die Abtretung eines Teils dieser Güter oder die Übernahme einer Verbindlichkeit zur künftigen Leistung gewisser Dienste zu fordern. Es fragt sich nun um das Wieviel? Und darauf ist nun die allgemein geltende, eben darum aber sich auch schon von selbst verstehende Antwort, man sei berechtigt, so viel zu fordern, als der Beförderung des Wohles aller zusagt. Hieraus ergibt sich also: 1.1.1. Die Forderung darf nicht so groß sein, dass der Besitzlustige den gewünschten Besitz lieber aufgibt, als dass er diese Forderung erfüllte; denn in diesem Falle würde ja offenbar niemand gewinnen. 1.1.2. Die Forderung darf aber auch ferner nicht einmal so groß sein, dass zu besorgen ist, der Erwerbende werde es hinterher bedauern, dass er sie eingegangen sei, weil ihm nun klar wird, dass er mehr aufgeopfert als gewonnen habe; denn es soll niemand klagen dürfen, dass ihn der Staat überlistet, dass er sich seiner Leidenschaft bedient habe, um ihn zu einem Opfer zu vermögen, das er bei besserer Überlegung nie dargebracht haben würde. 1.1.3. Je mehr der verlangte Gegenstand zu der Gattung der schlechterdings unentbehrlichen gehört, ingleichen je mehr der Wunsch nach einem Besitz aus einem sittlichen Grund hervorgeht; um desto mehr muss der Staat die Erlangung des Besitzes erleichtern. Je mehr es dagegen nur um eine Sache sich handelt, die kein Bedürfnis ist, son-
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dern bloß zur Erhöhung des Lebensgenusses gehört, der eine bloße Laune den Wert gibt, um desto mehr kann er fordern, wenn er nur nicht unterlässt, die Bewerber auf diesen Umstand im Voraus aufmerksam zu machen. 1.2. Wenn der Gegenstand, den jemand zu besitzen wünschte, bereits das Eigentum eines Einzelnen ist; so überlässt es der Staat dem Besitzlustigen, sich mit dem Eigentümer auf die Art abzufinden, die beide für dienlich erachten, insofern nur kein schon bestehendes Gesetz dadurch verletzt wird. Empfohlen wird ihnen, ihren Tausch so einzurichten, dass er für die Beförderung des Wohles aller am vorteilhaftesten wäre. Verlangt aber wird, dass der Besitzer eines Gegenstandes bereit sein solle, ihn auch ganz unentgeltlich herzugeben, sooft er für ihn von gar keinem Gebrauch, dem anderen dagegen notwendig ist und dieser nichts hat, womit er die Gabe entgegnen könnte. Nicht geduldet wird ferner, dass irgend jemand die augenblickliche Verlegenheit, in der ein anderer sich befindet, benütze, um ihm aus den Händen zu winden, was dieser in der Folge bereuen muss, hergegeben zu haben. Die Grenzen, die sich der Staat bei seinen eigenmächtigen Einmischungen in die Bestimmungen und den Austausch des Eigentums der Bürger setzt, ist keine andere, als dass er nicht so weit gehe, bis der Verdruss derjenigen Bürger, die sich durch diese Einmischungen in der Erreichung ihrer selbstsüchtigen Zwecke beschränkt finden, der Ruhe und Ordnung des Ganzen gefährlich wird. Hiebei ist aber nicht zu vergessen, dass die Menschen umso geneigter sein werden, sich die Einmischungen der Regierung gefallen zu lassen, je unverkennbarer es ist, dass sie nur Gutes bewirken und bezwecken, je sittlich besser auch die Bürger eines zweckmäßig eingerichteten Staates schon durch die Erziehung sind. Lässt man sich doch schon in unseren jetzigen Staaten so viele Eingriffe in das Eigentum der Einzelnen gefallen, obgleich es nur
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allzu sichtbar ist, dass sie gar nicht von einem gemeinsamen Besten, sondern nur von dem Eigennutze einiger Wenigen geboten werden. 2. Wer seine Zeit mit einer Arbeit zubringt, wodurch er nicht sowohl sich, als vielmehr 2.1. dem Staate oder doch einer ganzen Gemeinde, z. B. mit der Erlernung von Kenntnissen, durch die er Hunderten nützlich zu werden vermag, dient, der ist es wert, dass er für eben diese Zeit auf Kosten des Staates oder der Gemeinde mit allen Lebensbedürfnissen und Genüssen versehen werde, die er sich, wäre er bloß für seine eigenen Vorteile besorgt gewesen, bei einer gleichen Anstrengung hätte verschaffen können. Die Billigkeit dieser Regel bedarf nicht erst weitläufig dargetan zu werden. Aus ihr ergibt sich aber, wie unrichtig so manche andere Regel sei, die man wohl sonst entweder ausdrücklich aufgestellt oder doch stillschweigend befolgt hat. Hierher ziehe ich die Regel, dass ein der Menschheit geleisteter Dienst in eben dem Grad höher zu lohnen sei, je größer seine Wichtigkeit ist und je seltener die Menschen anzutreffen sind, die einen solchen Dienst zu leisten vermögen, oder je mehr Vorkenntnisse und Vorbereitungen er fordert oder eine je größere Kraft und Anstrengung er voraussetzt u. dergl. Billig und klug ist es allerdings, wenn wir die Größe der Belohnung, durch die wir zur Leistung eines gewissen Dienstes ermuntern wollen, bei dem Vorhandensein der eben erwähnten Umstände einigermaßen erhöhen. Dass aber die Belohnung in eben dem Grad steige, wie jene Umstände gesteigert eintreten, dass wir z. B. demjenigen, der einen hundertmal wichtigeren Dienst geleistet hat, auch nur hundertmal größere Belohnung anweisen, ist weder billig noch klug. Denn wozu soll eine so überschwängliche Belohnung? Um denjenigen, der es vermag, der Menschheit einen wichtigeren Dienst zu leisten, dazu aufzumuntern, genügt es, ihm eine
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auch nur etwas ausgezeichnetere Belohnung zuzusichern; besonders da schon die Freude, die das Bewusstsein einer so wichtigen Dienstleistung gewährt, ein überaus großer Lohn ist. Irdische Güter, die uns in einem gleichen Verhältnis mit der Wichtigkeit unserer der Menschheit geleisteten Dienste zuwachsen, stören nur die im Staat so notwendige Gleichheit des Eigentums, geben uns nur dem Neid anderer bloß, setzen die Uneigennützigkeit unserer Gesinnungen in Schatten, können ein Fallstrick für unsere Tugend werden und verleiten, wenn nicht uns selbst, doch andere zu mancher Torheit und manchem Laster. Noch zweckloser ist es, die Seltenheit eines Dienstes zum Maßstab seiner Belohnung anzunehmen. Dass aber die zur Leistung eines Dienstes nötigen Vorkenntnisse und Vorbereitungen nicht unbelohnt bleiben dürfen, ist allerdings wahr; aber nur ist nicht zu vergessen, dass man in einem zweckmäßig eingerichteten Staat denjenigen, der sich durch einen längeren Zeitraum mit Vorbereitungen zu einer gemeinnützigen Unternehmung oder mit Einsammlung nötiger Vorkenntnisse beschäftigt hat, schon während dieser Zeit nicht ohne Aufmunterung und Unterstützung ließ. Den Lohn also, den er um ihretwillen verdiente, hat er nicht erst empfangen, sondern er wurde ihm bereits zuteil, und dieses zwar sehr mit Recht, denn ob es ihm gelingen werde, das Werk, zu dem er sich vorbereitete, zustande zu bringen, war ja noch ungewiss; er aber sollte nicht ungewiss bleiben, ob ihm sein Lohn auch zukommen werde, ja er bedurfte desselben schon damals, weil er schon damals eines Beitrages zu seinem Lebensunterhalt bedurfte. Sorgte man aber für ihn schon, als er sich zu Diensten vorbereitete; warum ihn jetzt noch einmal für diese Vorbereitungen gleichsam bezahlen wollen? – 2.2. Auch Dienste, die bloß einem Einzelnen geleistet werden sollen, z. B. ärztliche Hilfsleistungen, übernimmt öfters der
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Staat (die Gemeinde oder der Kreis usw. zu bezahlen). Dieses geschieht nämlich, wenn 2.2.1. der Zustand, in welchem uns solche Dienstleistungen notwendig werden, nicht von der Art ist, dass eben sehr zu befürchten steht, die Menschen würden sich diesen Zustand mutwillig zuziehen, sobald sie vorherwissen, dass ihnen unentgeltlich Hilfe werde geleistet werden, oder wenigstens 2.2.2. entschieden ist, dass ein noch größeres Übel daraus entstehen muss, wenn man sie nötigt, sich Hilfe auf ihre eigenen Kosten zu suchen; wenn ferner 2.2.3. auch nur durch diese Einrichtung erzielt werden kann, dass der Lebensunterhalt dessen, der diese Art von Hilfe den Menschen leisten soll, nicht vom bloßen Zufall abhängt, sondern eine ihm wohltuende Sicherheit gewinnt; und überdies noch 2.2.4. verhindert werden kann, dass er in seinen Dienstleis tungen nicht träge und schleuderhaft wird. Wo diese Umstände nicht eintreten, wird es dem Einzelnen, der Dienste von anderen verlangt, und diesen selbst überlassen, sich miteinander um die Vergütung dieser Dienste zu vereinigen, wiefern sie nur keinem Gesetz des Staates dabei entgegenhandeln. Empfohlen wird nun auch hier wieder, immer doch so zu verfahren, wie es dem beiderseitigen Vorteil, ja dem gemeinschaftlichen Besten aller am meisten zusagt. Überhaupt gelten hier ähnliche Bemerkungen wie oben bei 1,2. 2.3. Es ist noch übrig zu sagen, durch welche Einrichtung der Staat dahin wirke, dass die hier aufgestellten Regeln nicht bloß als fromme Wünsche bestehen, sondern von seinen Bürgern wirklich befolgt werden. Hierzu gehören nun erstlich Verordnungen, die in nicht allzu großer Anzahl, aber mit Bestimmtheit vorschreiben, was in gewis-
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sen Fällen zu geschehen oder nicht zu geschehen habe, z. B. die Preise einer Ware oder den Lohn einer Arbeit für gewisse Orte und Zeiten festsetzen. Hierher gehört ferner die Öffentlichkeit, welche der Staat auch allen zwischen den einzelnen Bürgern geschlossenen Verkäufen und Verträgen zu geben bestrebt ist. Es ist nämlich verordnet, dass dergleichen Verhandlungen immer an öffentlichen Orten (dem Marktplatz oder der Bank) und in Gegenwart mehrerer Zeugen, besonders solcher Personen geschehen, die ihre Billigkeit zu beurteilen wissen. Kann nachgewiesen werden, dass jemand eine Verhandlung dieser Art absichtlich habe verheimlichen wollen, dass er z. B. eine gewisse geheim zu haltende Bedingung mit seinem Gegner verabredet habe; so wird die Verhandlung nicht nur für nichtig erklärt, sondern der schuldige Teil, nach Umständen also auch beide, werden sehr nachdrücklich bestraft und mit Schande gebrandmarkt.
ELFTER ABSCHNITT Vom Geld 33 Die Vorteile, welche die Einführung eines allgemeinen Tauschmittels oder des Geldes gewährt, sind viel zu groß, als dass man sich des Gebrauches desselben in einem zweckmäßig eingerichteten Staate enthalten sollte, zumal man hier ungleich mehr Mit-
33 Bolzanos
Vater war Geschäftsmann. Er selbst richtete in seinem Exil-Aufenthaltsort bei der Familie Hoffmann im südböhmischen Těchobuz (1823–1830) eine Schule und eine Sparkasse für die dortige Landbevölkerung ein (Zeithammer 1850, 134). Damit bot er konkrete Unterstützung in Finanzdingen an. – Bolzanos Vorschläge für den besten Staat gehen weiter, sie zielen generell darauf ab, Überbewertung und Eigendynamik des Kapitals, ja Kapitalismus im modernen Sinn gar nicht erst aufkommen zu lassen.
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Elfter Abschnitt
tel kennt als in den jetzigen Verfassungen, um dem Missbrauch desselben zu steuern. Man wird sich aber eines Metallgeldes hier größtenteils nur im Verkehr mit anderen Staaten bedienen, sofern nämlich, als diese ein Geld von anderer Art nicht würden anerkennen wollen. Für den Verkehr im Inland aber bedient man sich beinahe ausschließlich eines bloßen Papiergeldes oder sonst anderer an sich wertloser Zeichen des Geldes, deren Verfälschung oder Nachahmung hier umso weniger sehr zu besorgen steht, weil sie fast immer nur durch eine Vereinigung mehrerer ausgeführt und hier nie ins Große getrieben werden könnte. Da auch in einem zweckmäßig eingerichteten Staate Umstände eintreten können, um derentwillen sich der Wert des Geldes, d. h. die Summe der Güter, die für ein und denselben Geldpreis zu haben sind, gar sehr verändert; so besteht das Gesetz, dass jeder Einzelne, sowohl als auch jede Gesellschaft mehrerer, welche die Verbindlichkeit über sich nahm, eine bestimmte Geldsumme zu einer bestimmten Zeit zu entrichten, nicht an den Nennwert dieser Summe gebunden ist, sondern verpflichtet ist, eine solche Summe von Geld zu erlegen, die von demselben Wert ist, wie die angegebene zur Zeit der Übernahme jener Verbindlichkeit war. Da aber zu eben der Zeit gewisse Waren in ihrem Geldpreise gestiegen, andere gefallen oder doch minder gestiegen sein können; und da es somit öfters streitig sein kann, wie groß der Wert des Geldes eigentlich anzunehmen sei; so ist dieses eine Sache, deren Entscheidung man dem Staate selbst anheimstellt, der für jede Gegend ein Verzeichnis von den gewöhnlichsten Lebensbedürfnissen entwirft und durch die Summe der Preise, für welche die zur Stillung dieser Bedürfnisse nötigen Mittel zu haben sind, den Wert des Geldes für diese Gegend jederzeit bestimmt.
Von den Beschäftigungen und Lebensarten der Bürger 101
ZWÖLFTER ABSCHNITT Von den Beschäftigungen und Lebensarten der Bürger 34 So herrschend auch in einem zweckmäßig eingerichteten Staat die Überzeugung ist, dass Beschäftigung dem Menschen notwendig sei und dass ihn Müßiggang verderbe, so betrachtet man doch jede Erfindung, durch die eine Arbeit, die bisher Menschenhände verrichten mussten, nun ohne sie mit einem nicht eben größeren Aufwand an genießbaren Stoffen und in derselben Vollkommenheit zustande gebracht werden kann, als eine wahre Wohltat. So nämlich urteilt man, weil man die doppelte Voraussetzung macht; einmal, dass es bei einer vernünftigen Einrichtung immer noch möglich sein werde, Beschäftigungen, die nützlich sind, in einer hinreichenden Menge für alle aufzufinden; sodann, dass es ein Leichtes sei, den Übelstand zu vermeiden, den die Einführung von Maschinen in unseren jetzigen Staaten dadurch hervorbringt, dass sie einem Teil der Bürger ihren bisherigen Erwerb entzieht. Bei diesen Voraussetzungen, deren die eine, wenigstens 34 Nicht nur durch seinen Lehrer Franz Joseph von Gerstner, den Phy-
siker, Gründer der Prager Ingenieursschule und Entwickler der ersten Eisenbahn in Kontinentaleuropa (Linz – Budweis) hatte Bolzano beste Kenntnisse vom Fortschritt moderner Technologien und von der praktischen Umsetzung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. – Grundsätzlich befürwortet er den Einsatz von Maschinen zum Ersatz mühsamer Handarbeit, merkt aber gleich an, dass dadurch Menschen nicht der bisherige Erwerb entzogen werden dürfe bzw. Ausgleich geschaffen werden müsse, dass der Gewinn gerecht in der Gesellschaft aufgeteilt werden müsse und überhaupt grobe Ungleichheiten in der Bezahlung und Wertschätzung von Arbeit zu beseitigen seien. Er erkennt auch, dass sinnvolle Arbeit ein für die Persönlichkeit wichtiges Gut, andererseits Beschäftigungslosigkeit ein psychologisches Problem für den Menschen darstellt und folglich zu vermeiden sei. Er erkennt die Fülle der durch den Einsatz von Technik verursachten sozialen Veränderungen und entwirft Steuerungsmechanismen, die das Glück des Einzelnen sowie der Gemeinschaft und der Menschheit insgesamt unter den geänderten Bedingungen ermöglichen und befördern sollen.
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Zwölfter Abschnitt
auf unabsehbare Zeiten, die andere ganz unbedingt gilt, muss eine jede Erfindung von der beschriebenen Art als ein Gewinn für die Menschheit erscheinen, weil sie uns in den Stand setzt, unsere Kräfte zu neueren, nützlichen Hervorbringungen, an die wir früher noch gar nicht zu denken Zeit hatten, zu verwenden. Ist es nicht ein Beweis, dass wir noch sehr törichte Einrichtungen haben, wenn wir einerseits eingestehen müssen, dass es noch eine Menge nützlicher Arbeiten gebe, die aber im Großen nicht ausgeführt werden können, weil sie zu viele Hände erfordern, und wenn wir andererseits doch Ursache finden zu klagen, dass durch die Einführung von Maschinen, die Hände ersparen, die Menschen brotlos gemacht werden? Wir können nicht leugnen, dass eine ohne Vergleich größere Menge von Nahrungsmitteln auf einem und demselben Boden erzeugt werden könnte, wenn Hände genug da wären, den Samen körnerweise zu stecken, die Erde wie Gartenland zu behacken, die Pflanzung zu rechter Zeit zu jäten, zu säubern, zu bewässern usw.; und doch erschrecken wir, wenn uns jemand lehren will, wie eine Arbeit, mit deren Verrichtung bisher viel hundert Menschenhände beschäftigt waren, durch eine einzige Maschine bestritten werden könnte? – Nein, in einem vernünftig eingerichteten Staat kann durch Erfindungen von einer solchen Art niemals Brotlosigkeit entstehen; und ebenso wenig wird man hier auch darüber verlegen, wie die Hände, die bisher mit einer von nun an entbehrlich gewordenen Arbeit beschäftigt waren, zu etwas anderem Nützlichen verwendet werden könnten. Aus diesem Grund wird denn in einem solchen Staate nie geduldet, dass irgendjemand, der doch erweislichermaßen imstande wäre, durch Anwendung seiner Kräfte etwas Nützliches zu leisten, entweder ganz müßig sei oder seine Zeit mit nutzlosen Arbeiten vergeude. Ob aber jemand arbeite oder nicht und ob es etwas Nützliches sei, wenn er arbeitet, und ob er nicht mehr arbeiten könne, das alles kann in den meisten Fällen von niemand besser als von denjenigen, die ihn zunächst umgeben, d. h. von den Bürgern seiner Gemeinde, und von diesen kann es hinläng-
Von den Beschäftigungen und Lebensarten der Bürger 103
lich beurteilt werden. Dieser seiner nächsten Umgebung muss also auch das Recht, dieses zu beurteilen, mit seltenen Ausnahmen zuerkannt werden. Damit aber ein hinlänglich starker Antrieb entstehe, bei niemand Trägheit oder Müßiggang oder eine ganz nutzlose Beschäftigung zu dulden; so bestehe die Einrichtung, dass eine jede Gemeinde die Nahrungsmittel und andere Güter des Lebens oder das allgemeine Eintauschmittel, das Geld, unter ihre Mitglieder nur nach dem Maße ihrer Verwendung zu verteilen berechtigt sei. Diejenigen Glieder, die wegen Krankheit und Schwäche nicht arbeiten können, z. B. Kinder, Greise, leben auf Kosten der Gemeinde; und nur in den Fällen, wenn die Gemeinde sich ausweisen kann, dass eine unverhältnismäßig große Anzahl solcher Personen bei ihr vorhanden sei und dass sie außer Stand sei, diese mit zu ernähren, wird ihr vom Kreis, so wie den Kreisen im Notfall vom ganzen Land usw. nachgeholfen. Ob ein Mitglied gesund und zu gewissen körperlichen Leistungen tüchtig genug sei oder nicht, entscheidet wohl meistens der bloße Anblick schon zur Genüge; in zweifelhaften Fällen kann noch überdies das Urteil des Arztes zu Rate gezogen werden. Was aber die Nützlichkeit einer Beschäftigung anbelangt; so gibt es allerdings solche, worüber schwer zu entscheiden ist; und wenn die Arbeit nicht eine leibliche ist, so lässt sich oft selbst von Gelehrten desselben Faches nicht recht beurteilen, ob jemand in der Tat sein Möglichstes tue oder nicht. In solchen Fällen also wird die Beurteilung Sachkennern aufgetragen; übrigens aber auch demjenigen, dessen Eifer für das gemeine Beste und Tätigkeitsliebe bereits geprüft ist, ein gewisses Vertrauen geschenkt. Personen solcher Art, welche mit Arbeiten beschäftigt sind, die keinen bereits bekannten Nutzen gewähren, sondern versuchsweise, bloß wegen eines Nutzens, den man nur hoffen kann, unternommen werden, ernährt nicht immer die Gemeinde, sondern der Kreis oder das ganze Land usw. Es versteht sich aber von selbst, dass dieses nur auf bestimmte Zeiten geschehe, solange
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Zwölfter Abschnitt
sie nämlich mit solchen Arbeiten eben beschäftigt sind, und dass hiezu eine Bewilligung des Kreises oder Landes notwendig sei. Da aber die Gesundheit und noch so manche andere Umstände erfordern, dass niemand unausgesetzt bei einer und derselben Beschäftigungsart verbleibe; da besonders Geistesarbeiten nie unausgesetzt betrieben werden, sondern mit Leibesübungen abwechseln müssen: so wird auch auf diesen Umstand im besten Staat geachtet, und es lernt jeder schon in seiner Jugend mehrere, mitunter auch körperliche Arbeiten, um sich mit ihnen dann abwechselnd beschäftigen zu können. So arbeitet z. B. ein Gelehrter nie ausschließlich an seinem Pult, sondern er bringt verschiedene Stunden des Tages mit einer angemessenen leiblichen Arbeit zu. Sehen sich doch auch in unserer Zeit die Gelehrten zur Erhaltung ihrer Gesundheit und zur Zerstreuung genötigt, in ihren gelehrten Arbeiten gar manche Pause zu machen; nur bringen sie diese größtenteils nutzlos, z. B. mit Spaziergängen oder am Schachbrett oder im Sprachzimmer35 bei einem Glas Wein, mit der Tobakpfeife u. dergl. zu. – Beschäftigungen, die erweislich keinen Nutzen gewähren oder wenigstens, nachdem man nützlichere erfunden hat, durch diese verdrängt zu werden verdienen, werden von Seite des Staates verboten, z. B. Dreschen mit Dreschflegeln, nachdem man Dreschmaschinen erfunden, oder Bereitung mühsamer Zeuge u. dergl. Personen, die von einer solchen, jetzt unnötig gewordenen Beschäftigungsart bisher ihren Lebensunterhalt bezogen, werden zu anderen verwiesen. Sollten sie aber unfähig sein, irgendetwas anderes zu verrichten oder sollte dasjenige, was sie allein noch vermögen, zu ihrer Ernährung nicht hinreichen, so muss das Übrige, was ihnen noch mangelt, von der Partei derer ersetzt werden, die durch die neue Erfindung gewinnen. Ist der Gewinn nicht so groß oder sind es nicht Einzelne, sondern ist es der ganze Staat, der gewinnt; so wird diese Schadloshaltung vom ganzen Staat bestritten. 35 Heute
als »Gesprächszimmer« bezeichnet.
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Aus dem Bisherigen erachtet man schon, dass es gar manche Gewerbe, Künste und Lebensarten gebe, die man in unseren bisherigen Staaten unbedenklich duldet, in einem zweckmäßig eingerichteten aber entweder ganz untersagen oder doch so beschränken muss, dass es niemand gestattet ist, eine solche Beschäftigung ausschließlich, d. h. als seine einzige Berufsarbeit und wohl noch überdies lebenslänglich zu treiben. Zuerst, sage ich, gibt es Beschäftigungen, die man im besten Staate durchaus verbietet. Hierher gehören diejenigen, die nur der Wollust, der Eitelkeit und anderen dergleichen verderblichen Leidenschaften frönen. So darf und soll man es z. B. durchaus nicht dulden, dass gewisse, zur Wollust reizende und die Gesundheit zerstörende Getränke und Nahrungsmittel bereitet und jedem, der sie nur zu bezahlen verspricht, zum Kauf dargeboten werden; so darf man es auch nicht dulden, dass sich unzählige Hände beschäftigen, um allerlei Gegenstände eines höchst törichten Schmuckes, wie Ringe, Ohrgehänge u. dergl., oft mit Zerstörung sehr genießbarer Stoffe, in jedem Falle doch mit einem unsäglichen Aufwand an Zeit und Kraft zustande zu bringen, usw. Andere Beschäftigungen sind sehr ehrenwert, aber es liegt in ihrer Natur, dass sie von niemand ausschließlich getrieben werden sollen, weil sie auf diese Art entweder der Gesundheit nachteilig werden oder die allseitige Entwicklung der Kräfte und das zur Vollkommenheit eines Menschen nötige Fortschreiten desselben hemmen oder ihn lindern in seinem Lebensgenuss oder weil endlich so vielleicht nicht einmal die zu verrichtenden Arbeiten selbst den höchsten Grad der Vollendung erreichen können. Einer von diesen Fällen, ja auch wohl mehrere zugleich, treten bei einer Lebensart, wie sie die meisten unserer Landleute, Handwerker, Künstler und sogenannte Gelehrte von Profession führen, beinahe unvermeidlich ein; oder wie ist es z. B. nur möglich, dass ein Mensch, welchen die bürgerliche Gesellschaft dazu verdammt hat, vom frühen Morgen bis in den späten Abend das ganze Jahr hindurch leibliche Arbeit zu treiben, auch seine Geisteskräfte entwickle und übe? wie kön-
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Zwölfter Abschnitt
nen Bergleute, die den größten Teil ihres Lebens in Schachten zubringen, wie so viele andere Gewerbsleute in ihren dumpfen Stuben, wo sie die schädlichsten Dünste einatmen oder durch die Art ihrer Arbeit zu einer Lage des Körpers genötigt sind, welche den freien Kreislauf der Säfte hemmt, ihre Gesundheit erhalten? Durch eine zweckmäßige Abwechslung in der Beschäftigungsart würde allen diesen Menschen mit einem Male geholfen; und sicher würden die meisten, wenn durch die weise Fürsorge des Staates ihnen nur erst Gelegenheit zu dieser Abwechslung gegeben würde, aus freien Stücken davon Gebrauch machen. Die wenigen aber, die etwa aus Unverstand, Trägheit oder aus Eigennutz ihre Beschäftigungsweise nicht gern abändern wollten, dürften sie wohl über Unrecht klagen, wenn die Gesetze des Staates sie zwängen zu tun, was am Ende nur ihr eigener Vorteil erheischt? – Zunächst erhebt sich die Frage, ob man im besten Staate auch Dichter, die eben durchaus nichts anderes als Dichter sein wollen, dulde? Ich würde dieses in der Tat verneinen; indem ich glaube, dass das Geschäft des Dichtens von niemand ausschließlich und für seine ganze Lebenszeit mit einem guten Erfolg getrieben werden könne. Darum meine ich aber doch nicht, dass der Staat nicht berechtigt sein sollte, Personen, die ein ganz ausgezeichnetes Dichtertalent beweisen und zur Vollendung einer gewissen Arbeit auf mehrere Jahre lang von jedem anderen Geschäft, das ihnen als Verbindlichkeit obliegen sollte, befreit zu sein wünschen, dieses zuzugestehen; muss doch bei so viel andern gelehrten Arbeiten ein Gleiches zugestanden werden. Was ich dagegen mit voller Zuversicht behaupten wollte, ist, dass man in einem wohl eingerichteten Staat nicht dulden werde, dass irgendein Bürger die Musik, den Tanz, die Schauspielkunst oder Mimik, die Taschenspielerei36 und andere ähnliche Beschäftigungsarten als ein Gewerbe, davon er leben will, ergreife. Dieses nämlich schon aus dem Grunde 36
Gaukler und Zauberkünstler, die zur Ausübung ihrer Künste weni ger Hilfsmittel bedürfen.
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nicht, weil man es, wie ich mir vorstelle, in allen diesen Künsten, sofern sie überhaupt der Menschheit nützlich sind, zu einem sehr hohen Grad der Vollkommenheit bringen kann, auch ohne sie ausschließlich zu betreiben. Damit sich nicht ein gewisser Geist der Trägheit allmählich bei einer ganzen Gemeinde einschleiche, im welchem Fall dann einer dem anderen seine Trägheit zugute halten würde, bestehen mehrere Vorkehrungen, besonders folgende: a) werden die jungen Leute auf Reisen geschickt, wo sie die Tätigkeit anderer Gemeinden sehen; b) werden die Sittenrichter und Inspektoren des Landes (von welchen noch späterhin gesprochen werden soll) beauftragt, zu untersuchen, wie fleißig man in jener Gemeinde lebe; c) steht es in ihren Jahrbüchern, wieviel von einer jeden Gemeinde alljährig zusammengearbeitet worden sei; d) werden die Glieder einer Gemeinde mit Gliedern anderer verheiratet; die neu aufgenommenen Glieder also bringen in die versäuerte Gesellschaft einen neuen, besseren Geist usw. Begreiflich gibt es für eine jede Beschäftigungsart, so nützlich, ja so notwendig sie auch an sich sein möchte, nur eine bestimmte Anzahl von Individuen, die sich zu einem wahren Vorteil für die Gesellschaft mit ihr befassen; verlegen sich mehrere darauf, so sehen sie sich entweder genötigt, aus Mangel an Bestellungen für ihre Arbeit müßigzugehen oder Arbeiten zu verrichten, auf welche sie sich nicht gehörig verlegt, oder sie erzeugen Waren, die keinen Absatz finden und zerstören Stoffe, die vielleicht zu etwas Brauchbarerem hätten verarbeitet werden können. Soll diesen Übeln so weit als möglich vorgebeugt werden, so muss der Staat eine Aufsicht darüber führen, welche und wie viele seiner Bürger sich dieser oder jener Lebensart widmen wollen; er muss von Zeit zu Zeit bekanntmachen, in welchen Ständen und Beschäftigungsarten Arbeiter gesucht werden, welche dagegen schon überladen sind; und wenn sich zu irgendeiner Beschäftigung oder für irgendein
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Zwölfter Abschnitt
Amt mehrere melden, als aufgenommen werden können, muss der Staat eine glückliche Auswahl zu treffen suchen. Nichts ist oft schwieriger als diese Auswahl; da nicht nur darauf zu sehen ist, welcher unter den Mitbewerbern der tauglichste zu dem Geschäft ist, für welche sie sich soeben erbieten, sondern auch darauf, in welchem Grad ein jeder derjenigen, die man um seinetwillen abweist, für irgendein anderes Geschäft taugt. Es däucht mir also, dass man im besten Staate hier in verschiedenen Fällen auch sehr verschieden vorgehen werde. Zuweilen, wenn z. B. die Individuen, die sich gemeldet haben, der Gemeinde bekannt genug sind und wenn ein hinreichend starker Grund für die Annahme des einen spricht, wird die Gemeinde selbst entscheiden. Zuweilen, besonders bei höheren, d. i. solchen Ämtern, denen ein großer, nur ihrem eigenen Gewissen zu überlassender Wirkungskreis zu Gebote steht, und wenn einige der Bewerber in einem gleichen Grad würdig erscheinen oder wenn ihre Tauglichkeit sich von der großen Menge nicht wohl beurteilen lässt, trägt man ihnen auf, es untereinander selbst auszumachen, wer das Geschäft übernehmen solle. Die Namen derjenigen, die dem Gewählten ihre Stimme gaben, werden, wenn er sich seines Auftrages ehrenvoll entledigt hat, in den Gedenkbüchern dem seinigen beigesetzt. Zuweilen stellt man auch wohl Versuche an und lässt den einen nach dem anderen durch eine gewisse Zeit das Amt zur Probe verwalten. Zuweilen tut man dieses nicht bloß zur Probe, sondern man hofft, dass jeder der mehreren Bewerber seine eigenen Vorzüge habe und dass es somit gut sein werde, wenn man einen jeden eine Zeit lang bei dem Geschäft lässt, damit ein jeder das Gute da stifte, was er nach seiner Eigenheit vermag. Bei Ämtern gewisser Art, besonders bei solchen, die mit vielen Beschwerlichkeiten, Gefahren und Opfern verbunden sind, ingleichen zu deren Übernahme gewisse für einen anderen nicht wohl zu beurteilende Verhältnisse und Beschaffenheiten notwendig sind, wird eine allgemeine Aufforderung vorausgeschickt, kraft welcher es jedem, der sich für fähig zu diesem Amte hält, erlaubt wird, sich zu melden. Von dieser Art
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sind z. B. die Anführerstellen im Kriegsdienst u. dergl. Zuweilen, wenn nach bloß menschlicher Einsicht alle Umstände gleich zu sein scheinen, lässt man das Los entscheiden. Wenn wir erkennen wollen, um wieviel besser man mit der Verteilung der Ämter und der Beschäftigungsarten nach diesen Einrichtungen daran sein würde, als es in unseren bisherigen Staaten der Fall ist; so müssen wir uns erinnern, was für verkehrte Einrichtungen statt der hier angedeuteten bestehen. Nicht nur, dass man so überaus wenig tut, um zu erforschen, wozu ein jeder geeignet sei, und um ihn auf die Bahn, für welche ihn die Natur geschaffen hat, hinzuleiten; die große Ungleichheit in den Begünstigungen, deren sich die verschiedenen Stände und Lebensarten erfreuen, die zahllosen Rangunterschiede, welche man zwischen denselben eingeführt hat, könnten nicht passender sein, wenn man es vorsätzlich darauf angelegt hätte, die Menschen in der Wahl ihres Berufes irrezuleiten. Oder wenn sich gerade dort, wo die beschwerlichsten Arbeiten aufgehäuft sind, die schlechteste Bezahlung vorfindet; wenn es Geschäfte gibt, welche das Tausendfache von dem eintragen, was andere ehrliche Leute durch eine gleich lange und wohl auch noch anstrengendere Arbeit verdienen können; wenn der eine Bürger so viele Vorzüge und Auszeichnungen vor einem andern genießt, bloß weil die Lebensart, die er sich wählte, nicht eben nützlicher ist, nein, nur für edler und vornehmer angesehen wird; wenn bloß um seiner Beschäftigung willen der eine das Recht zu haben glaubt, sich über den andern und dieser wieder sich über einen dritten ich weiß nicht wie hoch zu erheben usw.: ist es dann noch zu wundern, wenn sich alles drängt zu den begünstigteren Ständen? wenn man nicht fragt, wozu man tauge, sondern nur, wo man sich besser befinden werde? Eine sehr zweckmäßige Einrichtung wäre es endlich auch, wenn man in jeder Gemeinde ein oder etliche Häuser hätte, darin Gelegenheit zu verschiedenen nützlichen Arbeiten wäre, so zwar, dass jeder, der auch nur eine Stunde soeben frei hat oder
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zur Abwechslung mit etwas anderem zubringen will, nur in dieses Haus zu gehen brauchte, um da sogleich eine nützliche Arbeit zu finden, und wenn er wollte, auch seinen Lohn dafür erhielte. Dergleichen Häuser würden zum Teil mit eben demselben Vergnügen, wie jetzt die Gasthäuser, besucht, da man hier nicht nur Beschäftigung, sondern auch angenehme Gesellschaft zu finden hoffen könnte.
DR EIZEHNTER ABSCHNITT Von den hervorbringenden Gewerben 37 Je gewisser es zu erwarten ist, dass bei einer zweckmäßigen Einrichtung der bürgerlichen Gesellschaften, wenn keine unnötigen Kriege geführt werden, wenn für die Erhaltung des Leibes und der Gesundheit jedes einzelnen Bürgers die möglichste Sorge getragen wird, wenn man die ehelichen Verbindungen begünstigt usw., auch die Bevölkerung zunehmen werde: um desto ernst licher wird man nun darauf denken müssen, die Mittel zur Nah37
Kaiser Joseph II. hatte, nach ersten Lockerungen durch Maria Theresia, die Leibeigenschaft bereits im Jahre 1781 für Böhmen abgeschafft und im Jahr darauf für die gesamte Monarchie. Bolzano findet, dass das hierarchische Verhältnis von Landbesitzer zu Untergebenen, Bauern zu Knechten überhaupt unzeitgemäß sei, im Prinzip eine »Grausamkeit«, und in einem zweckmäßig einzurichtenden Staat jedenfalls abgeschafft werden müsse. Er empfiehlt überschaubare, kleinräumige Betriebe, will Selbstvermarktung fördern und schlägt vor, der Staat richte eine Art »Musterökonomie« ein, in welcher innovative Produktions- und Arbeitsbedingungen ohne finanzielles Risiko erprobt werden, um später sinnvoll eingesetzt werden zu können. Bei den produktiven Gewerben regt Bolzano allgemein eine Art Kosten-Nutzen-Abwägung an, – nicht materiell, sondern ganzheitlich verstanden, auch nicht aktuell, sondern über die Generationen hinweg gedacht. Auf der Kostenseite fallen Arbeitskräfte, Arbeitsmittel und Verwaltung an, – der Nutzen besteht im Zugewinn von Weisheit, Tugend und Glückseligkeit für die Menschheit insgesamt.
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rung, zur Kleidung und zu den übrigen Lebensbedürfnissen in einer hinreichenden Menge beizuschaffen. Aus diesem Grunde werden denn der Landbau, die Viehzucht und alle diejenigen Gewerbe, die sich mit der Hervorbringung oder Bereitung solcher Mittel beschäftigen (ich will sie hervorbringende oder produktive Gewerbe nennen) mit einer gar vorzüglichen Aufmerksamkeit von den Regierungen sowohl als auch von jedem einzelnen Bürger betrachtet; und jede Erfindung, durch welche die Summe der zur Bestreitung der menschlichen Bedürfnisse oder doch zur Verannehmlichung des Lebens dienlichen Gegenstände vermehrt oder ihre Erzeugung erleichtert, d. h. mit einem geringeren Aufwand von anderen genießbaren Stoffen oder weniger Arbeit bestritten werden kann, sieht man als eine dem Ganzen erwiesene Wohltat an. Überhaupt ist man im besten Staate gewohnt und eingeübt, bei einem jeden Gegenstand nach jenem Werte, den er für die Menschheit im Ganzen hat, und nach den Kosten, die seine Hervorbringung ihr verursacht hat, zu fragen; mit anderen Worten, man ist gewohnt und geübt zu untersuchen: was kann die Menschheit durch eine gehörige Benützung dieses Gegenstandes an wahrer Vollkommenheit (an Weisheit, Tugend und Glückseligkeit, gleichviel in welchem ihrer Teile) gewinnen, was musste sie aber auch, um diesen Gegenstand zu erzeugen, an Gütern anderer Art aufopfern? Gewerbe, die sich mit der Hervorbringung oder Bereitung eines Gegenstandes beschäftigen, von dem es sich bei einer näheren Betrachtung zeigt, dass er der Menschheit mehr kostet, als er ihr Nutzen bringt, dass er z. B. zur bloßen Verannehmlichung des Lebens (Luxus) diene und dass zu seiner Bereitung Stoffe zerstört werden müssen, die zum Leben notwendig sind; Gewerbe von solcher Art werden alsbald untersagt. Wie fast alle Unternehmungen, welche von einem größeren Umfang sind, nicht von den Einzelnen, sondern fast nur von einer Verbindung mehrerer Menschen gehörig ausgeführt werden können; so gilt dieses auch von den meisten Gewerben, z. B. namentlich vom Landbau und von der Viehzucht usw. Und schon in
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Dreizehnter Abschnitt
unseren jetzigen Staaten werden dergleichen Beschäftigungsarten selten von einem Einzelnen, sondern fast immer von mehreren, in einem gewissen Verein miteinander stehenden Menschen getrieben. So bestellt z. B. ein Landmann seine Wirtschaft, indem sein Weib, seine Kinder und einige Knechte und Mägde ihm dabei helfen. So muss es denn auch im besten Staate geschehen, oder vielmehr, hier werden noch mehrere Menschen in eine gewisse Vereinigung zu solchen Zwecken treten. Nur stelle ich mir nicht vor, dass sie in ebenso ungleichem Verhältnisse zueinander stehen werden, als es dasjenige ist, das wir in unseren Tagen zwischen dem einen oder etlichen, die die Besitzer eines Landgutes heißen, und zwischen ihren Beamten, dann ihren Untergebenen, den sogenannten Bauern und Häuslern, und endlich den Knechten statthat; sondern alle, die bei einer solchen Gesellschaft als Glieder erscheinen und ihre ganze Zeit dem Geschäfte widmen, werden auch einen ohngefähr gleichen oder doch nur nach dem Unterschied ihrer etwaigen Bedürfnisse verschiedenen Anteil an dem Gewinn, den das Ganze abwirft, beziehen; diejenigen aber, welche nur einen Teil ihrer Zeit dem Geschäft widmen, werden sich eben deshalb mit einem in eben diesem Verhältnis kleineren Anteil an dem Gewinn begnügen müssen. Eine Strecke Landes, nicht größer, als dass die auf derselben vorzunehmenden Arbeiten von einem bequem übersehen werden können (ich will sie ein Gut nennen), wird einer angemessenen Anzahl von Arbeitern, die unter einem Leiter stehen, überlassen; mehrere solcher Leiter stehen miteinander abermals, insoweit es Vorteile bringen kann, in Verbindung usw. Wer aber leiten oder wer diese oder jene Arbeit verrichten soll, das entscheidet teils die Tüchtigkeit des Mannes, teils seine eigene Lust, doch so, dass zu dem Geschäft der Leitung niemand zugelassen werden darf, der nicht von seinen dazu nötigen Kenntnissen und übrigen Eigenschaften durch seinen Aufenthalt an einer unter der näheren Aufsicht des Staates stehenden Musterökonomie befriedigende Beweise abgelegt hat. Da ferner die Arbeiten des Feldbaues das eigene haben, dass sie zu verschie-
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denen Zeiten eine sehr ungleiche Anzahl von Händen erfordern, z. B. zur Zeit der Aussaat und der Ernte bei weitem mehrere als zu einer anderen Zeit: so werden für diese Zeiträume auch Personen, welche sich außerdem nicht mit dem Landbau beschäftigen, namentlich Handwerker, Künstler u. dergl., zur Teilnahme aufgefordert, ja wenn sie sich weigern sollten, von Seite des Staates sogar gezwungen. Doch wird ihnen ihre Arbeit von jenen Landleuten, denen sie zunächst zustattenkam, oder vom Staat vergütet. Da aber nicht bloß Menschen, sondern auch Gespanne38 in einer weit größeren Anzahl für die Bestreitung der Landarbeit zu gewissen Zeiten notwendig sind; so wird auch mit diesen ausgeholfen, und es ist angeordnet, dass in gewissen Monaten alle nur immer entbehrlichen Pferde und Bezüge, die es im Kreise gibt, dem Landmann zur allfälligen Benützung zugeschickt werden müssen. Wenn auf irgendeinem Gut ohne Verschulden der Arbeiter und ihres Aufsehers ein Schaden entsteht; wenn z. B. der Hagel die Saaten vernichtet u. dergl.; so wird der den Bearbeitern daraus erwachsende Geldverlust vom ganzen Lande ersetzt. Trägt aber ein oder der andere einige Schuld an dem Schaden, so wird er auf eine angemessene Weise für diese Schuld bestraft. Will man auf irgendeinem Gute etwas versuchen, das einen Nutzen verspricht, und dabei noch im Fall des Misslingens vor Schaden gesichert sein, so zeigt man das Vorhaben dem Kreise oder dem Lande an; und wenn der Versuch von gewissen, zu seiner Beurteilung aufgeforderten Gelehrten unter den hier obwaltenden Umständen gebilligt wird: so verspricht der Staat, den Schaden zu vergüten. Damit die Gelehrten, deren man sich zu solcher Beurteilung bedient, nicht etwa aus bloßer Missgunst von dem Versuch abrieten, oder im Gegenteil, jeden Versuch, wie unzweckmäßig er auch sein möchte, gutheißen, werden ähnliche 38 Fuhrwerke,
»Bezüge«.
die meist von Pferden gezogen werden. In Abschrift A
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Vierzehnter Abschnitt
Maßregeln getroffen, wie wir sie in der Folge beim Zensurgeschäft der Bücher kennenlernen werden. Für die Erlaubnis, eine Strecke Landes bebauen zu dürfen, wird nichts entrichtet: wenn aber mehrere da sind, die sich zu diesem Geschäft erbieten; so wird nach einer derjenigen Arten, die ich im vorigen Abschnitt beschrieben habe, gewählt. Auch von den meisten Handwerken und Künsten gilt es, dass sie nur in Gesellschaft richtig betrieben werden können; daher sich denn das bisher Gesagte mit einigen Abänderungen größtenteils auch auf diese Beschäftigungsarten anwenden lässt.
VIER ZEHNTER ABSCHNITT Vom Handel 39 Einer noch größeren Umgestaltung als unsere Handwerke und Künste dürfte der Handel im besten Staate entgegensehen. Ich zähle hier aber zu den Handelnden alle diejenigen Personen, welche sich zwischen den Hervorbringer (den Produzenten) einer Ware und zwischen denjenigen, der sie gebrauchen soll (den Konsumenten), stellen und dafür, dass sie dieselbe aus den Händen des ersteren in jene des letzteren überliefern, gewisse Vorteile für sich selbst beziehen; also nicht nur die eigentlichen Kauf- und Handelsleute, sondern auch ihre Fuhrleute, Seefahrer, Spediteure, Wechsler usw. zähle ich hier zu dem Handelsstande. Da fällt es denn gleich auf, dass es eine überaus große Menge von solchen 39
Ausgehend von der Beobachtung, dass es im Handel (wartende Verkäufer in leeren Läden) und Transport (Leerstand, Leerfahrten) sehr viel Stillstand bzw. Gedränge (überlastete Verkäufer bei Andrang auf wichtige Güter; benötigte Transportmittel zu Erntezeiten) gibt, kommt Bolzano zu dem Schluss, den Handel von den betroffenen Gemeinden und letztlich vom Staat organisieren zu lassen. Davon verspricht er sich mehr Sicherheit für die Beschäftigten, stabilere Preise und insgesamt wirksameren Einsatz aller beteiligten Kräfte.
Vom Handel 115
Menschen gebe, dass ferner ein beträchtlicher Teil derselben die meisten Stunden des Tages geschäftslos zubringe, wie z. B. in den Läden der Krämer und Diener, nur wartend, bis sich ein Käufer einfinde; dass endlich die Glücksumstände dieser Bürger einem sehr starken Wechsel ausgesetzt sind, so zwar, dass sie oft ungeheure Reichtümer anhäufen und in kurzer Zeit darauf wieder zu Bettlern werden und da nicht selten hundert andere Menschen mit ins Verderben reißen. Es fragt sich also, ob sich durch eine zweckmäßige Einrichtung nicht die Anzahl dieser mit dem Handel beschäftigten Bürger um ein Bedeutendes verringern ließe, ohne doch der Bequemlichkeit der Produzenten und Konsumenten einen Abbruch zu tun, und dann, ob ihr Gewinn nicht besser geregelt werden könnte? Ich glaube nun, dass dieses beide sehr wohl erreicht werden könnte, wenn das Geschäft des Handels nicht mehr dem Einzelnen überlassen, sondern dem Staate (zunächst den Gemeinden, dann weiter den Kreisen, Länderbehörden usw.) eingeräumt würde, dergestalt, dass die Personen, die dabei gegenwärtig beschäftigt sind, künftig nur ohngefähr so, wie die sogenannten Kommissionäre, Ladendiener u. dergl. in einem wohl eingerichteten Handlungshaus ihre fixen Saläre bezögen. Durch diese Einrichtung würden, wie ich mir vorstelle, noch einige andere wichtige Vorteile erreicht; namentlich dass der Konsument, was er braucht, viel sicherer, wohlfeiler und von besserer Beschaffenheit erhielte, dass auch die Einnahme der Produzenten jetzt viel gleichförmiger ausfallen würde, dass man mit dem Verkauf der Waren eine zweckmäßige Besteuerung verknüpfen und eine Menge von Beamten, die sonst zur Erhebung der Steuern dienen, ersparen könnte usw. In jeder Gemeinde müsste sich nämlich ein eigenes Handels(Kauf- und Verkauf-)haus befinden; und eine jede Ware, welche der Produzent erzeugt, sie sei ein rohes Natur- oder ein schon verarbeitetes Kunstprodukt, brächte er in diesem Handelshaus an, welches sie ihm nach aller Billigkeit (d. h. nach dem Maße
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Vierzehnter Abschnitt
der darauf verwendeten Arbeit) bezahlen würde. Wer nun etwas haben wollte, der würde abermals nur bei der Gemeinde nachfragen und von ihr abkaufen. Die in jeder Gemeinde bestehenden Handlungshäuser würden ferner den in der Gemeinde erzeugten Überfluss an andere Gemeinden oder an die im Kreis errichteten größeren Handlungshäuser versenden und bei diesen dagegen wieder Bestellungen für alle Bedürfnisse der Gemeinden machen usw. Dass nun bei einer solchen Einrichtung zuerst das Personal, das mit dem Handel beschäftigt ist, sehr ansehnlich vermindert werden könnte, erhellt daraus, weil in dem Fall, wenn der vom Handel zu erwartende Gewinn nicht dem Einzelnen, sondern einer Gemeinde, einem Kreise oder gar einem ganzen Lande zufällt, kein größeres Personal angestellt werden wird als nur ein solches, das zur Bestreitung der hier vorfallenden Geschäfte (welche sich eben nicht vermehren, sondern im Gegenteil durch die Vereinigung nur noch einfacher werden) hinreicht, während dass gegenwärtig die bloße Hoffnung, einen Teil des Gewinns, den die bisherigen Handelsleute haben, an sich zu ziehen, die Ursache wird, dass man der Handelshäuser viel mehrere errichtet, als das genaue Bedürfnis erheischt. Aus einem ähnlichen Grunde wird es dann auch weniger Leute geben, die sich mit dem höchst unerfreulichen Geschäft der Überstellung40 einer Ware von einem Ort zum anderen befassen. Man wird die Straßen nicht mehr wie jetzt bedeckt mit Wägen sehen, die nur zur Hälfte befrachtet oder auch leer sind; man wird noch weniger Männer und Weiber antreffen, die ganze Tagereisen zurücklegen, um einen Korb voll Eier oder eine ähnliche Kleinigkeit zu Markte zu bringen. Ein oder etliche der ganzen Gemeinde gehörige Wägen und Schiffe werden alles bestreiten. Hieraus ergibt sich aber schon, dass man, weil das Geschäft des Handels weniger kosten wird, auch mit einem kleineren Aufschlage auf den Preis der Waren werde zufrieden sein können. Und schon um dieses Umstandes willen, dann aber auch, weil die 40 Im
Text »Übersetzung«.
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Gemeinde bei der Vereinigung so vieler, jetzt nur von Einzelnen gewagter Unternehmungen den Schaden, den ihr das eine Geschäft verursacht, durch andere wieder ausgeglichen sieht, weil sie ferner mehr Mittel hat, den Produzenten zu zwingen, dass er die Ware in der gehörigen Beschaffenheit liefere, unter dieser Bedingung ihm aber auch die Abnahme für immer zusichern kann, wird es möglich sein, beiden Teilen; dem Produzenten sowohl als auch dem Konsumenten Vorteile zuzuwenden. Dass endlich bei einer solchen Einrichtung kein Einzelner sich durch das Geschäft des Handels ungebührlich werde bereichern können, leuchtet von selbst ein, weil der Gewinn nicht in die Kasse eines Einzelnen fließt, sondern ein Eigentum der Gemeinde, des Kreises oder des ganzen Landes wird. Ebenso offenbar ist, dass sich auf diese Art mit der leichtesten Mühe eine beliebige Steuer für den Verbrauch gewisser Waren eintreiben lasse. Man wird jedoch hier fragen, wie ich es zu verhindern hoffe, dass die vielen Beamten, deren sich der Staat bei einem solchen Geschäfte bedienen müsste, nicht Gelder unterschlagen? – Weiß es schon gegenwärtig jedes größere Handelshaus, wenn es nur vorsichtig ist, zu verhüten, dass es von seinen Kommissionären bestohlen werde; so glaube ich, werde der Staat, dem noch mehrere Mittel zur Entdeckung jedes Betruges zu Gebote stehen, es umso sicherer vermögen. Eigentlich sind hier nur zweierlei Arten des Betruges zu besorgen. Einmal beim Einkauf, wenn der Handelsbeamte weniger zahlt, als er gezahlt zu haben vorgibt; was nur geschehen kann bei Waren, deren Preis von einer solchen Qualität derselben abhängt, die öfters zweifelhaft ist, z. B. Korn von der besten, mittleren und schlechtesten Gattung u. dergl. Dann beim Verkauf, wenn der Handelsbeamte eine schlechtere Ware dem nicht genug kundigen Käufer für eine bessere anhängt oder überhaupt weniger für sie einträgt, als er wirklich bekommen. Eine dritte Art des Betruges, wobei eine bessere Ware gegen Bestechung wie eine schlechtere verkauft wird, muss bald entdeckt werden, weil sich ein Defizit zeigen muss, wenn Waren, die als
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bessere eingekauft wurden, als schlechtere wiederverkauft worden sind. Ebenso leicht zu entdecken wäre jeder Betrug in Maß und Gewicht oder Bestehlung der Kasse, usw. Also sind eigentlich nur jene zwei Arten des Betruges zu befürchten. Bei sehr vielen Waren nun könnte diesen Betrügereien schon dadurch gesteuert werden, dass man genau festsetzte, wie vielerlei Sorten es zu geben habe und welche Kennzeichen eine jede erhalte. So sollen z. B. Tücher, Linnen u. dergl. nur zu etlichen bestimmten Preisen verfertigt und das Zeichen des Preises in das Stück sogleich eingewebt werden, z. B. durch einen Faden von eigener Farbe am Rande u. dergl. Bei Waren, in Betreff deren dieses durchaus nicht angeht, möge festgesetzt werden, dass sie weder gekauft noch verkauft werden dürfen, als zu bestimmten Stunden des Tages in Gegenwart eines Kontrollors von der Gemeinde, wozu man bald diesen, bald jenen (auch eben keinen Sachkundigen) zu nehmen brauchte, sofern er auf nichts anderes zu achten hätte als da rauf, dass, so viel als für die Ware wirklich gezahlt wurde, in den Büchern angemerkt worden sei. Wenn nun noch nebstdem die Einrichtung bestände, dass häufig und zu unerwarteter Stunde sachkundige Personen kommen und alles untersuchen (eine Einrichtung, die doch leicht einzuführen ist): so würde kaum eine Möglichkeit des Betruges übrigbleiben. Auch versteht sich von selbst, dass die erste Entdeckung der geringsten Unredlichkeit eines Beamten seine Absetzung nebst einer empfindlichen Strafe zur Folge haben müsste, ja dass eine Absetzung auch schon dann eintreten könnte, wenn sich auch nur ein starker Verdacht gegen ihn erhoben hätte.
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FÜ NFZEHNTER ABSCHNITT Von den Gelehrten 41 Nicht alle, die auf den hohen Schulen studierten, müssen in der Folge Gelehrte vom Fach werden, d. h. gelehrte Arbeiten zu ihrer Hauptbeschäftigung machen, sondern sie können die verschiedensten Lebenszweige ergreifen; ja zu manchen Geschäften, z. B. zum Richteramt, verlangt man sogar ausschließlich nur Personen, die gewisse gelehrte Schulen besucht haben. Diejenigen aber, welche gelehrte Arbeiten zu ihrer Hauptbeschäftigung wählen, die ich schlechtweg Gelehrte nennen will, müssen die Bewilligung hiezu vom Staate, und zwar nicht bloß von einer einzelnen Gemeinde, sondern vom Land ansuchen, von welchem ihnen auch ihr Lebensunterhalt für eben diese Zeit, da sie bloß mit gelehrten Arbeiten sich beschäftigen wollen, zugesichert, auch ihnen das Recht eingeräumt wird, Bücher und andere Hilfsmittel, deren sie zu ihren gelehrten Unternehmungen bedürfen, zu verlangen; doch wird zu dem, was etwa kostbarer ist, eine Zustimmung mehrerer erfordert, auch in den Jahrbüchern, neben dem, was jeder geleistet hat, angemerkt, was er für seine eigene Person gekostet und was für Auslagen er durch die Herbeischaffung seiner gelehrten Hilfsmittel verursacht habe. Endlich darf der Gelehrte jene Bücher und Hilfsmittel nicht als sein Eigentum ansehen, sondern er muss sie in einem möglichst brauchbaren Zustande, nachdem er den nötigen Gebrauch gemacht hat, dem Lande zur Benützung für andere wieder zurückstellen. 41 Auch
die Gelehrten sollen nach Bolzano vom Staat und dürfen nicht von den Interessen Einzelner abhängen, und ihre Leistungen sollen vom Rat der Geprüften verifiziert werden. Der Staat garantiert ihnen andererseits den Lebensunterhalt. Vorrechte stehen ihnen nicht zu. Bolzano wendet auch hier eine Art Kosten-Nutzen-Rechnung an. Er legt auch fest, dass besondere Leistungen und Fortschritte öffentlich bekannt gemacht werden und anderseits auch diejenigen Menschen, die solche Leistungen behindern oder verspotten.
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Dass die Gelehrten zum Behufe der Wissenschaften in verschiedene Verbindungen miteinander treten, duldet der Staat nicht nur, sondern er sucht solche Verbindungen möglichst zu unterstützen; keineswegs aber gestattet man, dass sich die Mitglieder irgendeiner Gesellschaft dieser Art gewisse Vorzüge und Vorrechte vor anderen, die nicht zu ihr gehören, anmaßen. Ein Mittel, wodurch man der auch dem Gemüte der Gelehrten, leider, nicht unzugänglichen Versuchung zum Neide und zur missgünstigen Unterdrückung anderer entgegenwirkt, besteht darin, dass allgemein festgesetzt ist, bei der Erzählung der Fortschritte, welche das menschliche Wissen gemacht hat, müsse jedesmal neben dem Namen dessen, der eine neue Wahrheit entdeckte, auch aller derjenigen gedacht werden, bei welchen die neue Lehre zuerst eine freundliche Aufnahme fand, sowie auch derjenigen, die sich ihr widersetzten und sie zum Spott zu unterdrücken suchten.42 Wenn ein Gelehrter durch Schriften oder wohl gar durch mündlichen Unterricht unter der Jugend bestrebt ist, Grundsätze zu verbreiten, die der Regierung des Landes falsch oder gefährlich scheinen; so wird er aufgefordert, seine Behauptungen, begleitet mit Gründen, welche für ihre Wahrheit und für die Ersprießlichkeit ihrer Verbreitung sprechen, in der gedrängtesten Kürze und ohne alle rednerische Einkleidung niederzuschreiben, und dieser Aufsatz wird dem Rate der Geprüften vorgelegt. Erklären diese einmütig, dass sie durch seine Gründe nicht überzeugt worden wären, sondern jene Lehren auch jetzt noch für gefährlich und irrig hielten: so wird es niemand unbillig finden können, wenn einem solchen Gelehrten die fernere Verbreitung seiner Ansichten von Seite des Staates selbst untersagt wird. Findet man, dass 42 Die
Leistungen des Physikers Christian Doppler, speziell die Entdeckung des nach ihm benannten Effekts (1842) in Prag, wurden von Bernard Bolzano erkannt und gegen die hämische Kritik von Fach gelehrten nach Kräften verteidigt (Bolzano 1843).
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er auch jetzt noch fortfährt, diese Ansichten unter der Hand, etwa durch mündlichen Unterricht unter der Jugend, zu verbreiten; so hat der Staat das Recht, ihm die Gelegenheit hiezu, etwa durch Absetzung von seinem Lehramt u. dergl. zu nehmen. Bei solcher Behandlung kann er nicht klagen, dass man ihn verfolge, ihn zu einer unredlichen Verleugnung seiner Grundsätze auf eine Weise versuche, die zu vermeiden wäre; auch wird auf diese Art, wenn er nur anders sich zu irgendeiner gemeinnützigen Arbeit, die seinen Kräften angemessen ist, bequemen will, sein Lebensunterhalt gar nicht gefährdet werden.
SECHZEHNTER ABSCHNITT Von Büchern und Zensur 43 Wie Bücher nie das Eigentum eines Einzelnen werden, so werden sie auch nur auf Kosten des Staates aufgelegt; woraus sich aber von selbst ergibt, dass man nicht alles drucken lasse, was jemand 43 Bücher
stellten zu dieser Zeit noch einen Wert dar, den sich einfache Menschen kaum leisten konnten. Davon ausgehend schlägt Bolzano vor, dass sie vom Staat hergestellt werden und öffentliches Eigentum bleiben sollen. Dies um zu verhindern, dass der Druck von Büchern vom bloßen pekuniären Vorteil eines am Gewinn interessierten Verlegers abhängt, und um zu erreichen, dass jede(r) Zugang findet zu Büchern. Eine uneingeschränkte Pressefreiheit lehnt Bolzano ab, denn er will verhindern, dass die Lektüre schlechter Bücher den Menschen unnötig Zeit raube. Das ist paternalistisch angelegt; aber Bolzanos Zusatzbestimmungen stimmen das Entmündigende darin deutlich herab. Er verlangt Zensur vor dem Druck, um unnötige Arbeiten zu ersparen. Dazu entwirft er eine Struktur von nachvollziehbaren Vorgangsweisen und Kriterien, die ihrerseits wieder kontrolliert werden. Es ist eine Art Lektorat, bei dem auch Verbesserungen vorgeschlagen und daraufhin eingearbeitet werden können. Schriftsteller können gegen ein Urteil berufen. Zensoren sollen zur Verantwortung gezogen werden können. Bolzano selbst wurde besonders ab 1815 von kirchlicher und staat
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Sechzehnter Abschnitt
gedruckt haben will, sondern dass man es erst einer vorläufigen Prüfung oder Zensur unterwirft. Eine ganz uneingeschränkte Freiheit der Presse, auf deren Einführung so viele in unseren Tagen dringen, mag wohl in Staaten, die noch sehr fehlerhafte Einrichtungen haben, etwa als kleineres Übel zur Vermeidung größerer erwünschlich sein; dass man sie aber keineswegs als die vollkommenste in einem Staate mögliche Einrichtung anzusehen habe, erhellt schon aus folgender Betrachtung. Die Drucklegung eines Buches ist keine Sache, die sich von selbst macht, sondern es wird dazu ein gar beträchtlicher Aufwand an Zeit und ein nicht weniger beachtungswerter Aufwand an brauchbaren Stoffen erfordert. Soll das Buch nicht bloß gedruckt erscheinen, sondern (und das ist doch der Wille aller, die etwas drucken lassen) gelesen und von mehreren gelesen werden; so wird noch ferner verlangt, dass so viele Menschen eine Zeit, die sie vielleicht weit besser benützen könnten, auf die Durch lesung dieses Buches verwenden. Da endlich alle diejenigen, die auf eine unbedingte Pressfreiheit dringen, ohne Zweifel damit auch eine unbedingte Freiheit des Lesens verbunden wissen wollen, so wird man, wenn ein schlechtes oder gefährliches Buch einmal gedruckt und ausgegeben worden ist, kaum verhüten können, dass es nicht unberechenbar viel Schaden anrichte. Man überlege z. B., wie vieles Unheil nur einige Blätter zu stiften vermögen, licher Zensur verfolgt. Geradezu verbissen reagierte die kirchliche Zensur, die bis hin zur Setzung der Erbauungsreden von 1813 und der Religionswissenschaften auf den päpstlichen Index librorum prohibitorum führte. 1820 wurde er all seiner Ämter enthoben. Die Absetzung erfolgte nicht auf eine von Bolzano hier vorgeschlagene, geregelte Vorgangsweise. Die staatliche Zensur umging er später großteils durch Veröffentlichung seiner Schriften im Ausland (dazu Künne & Piša 2018). Eine so geübte Zensur entsprach nicht den durchsichtigen Vorstellungen, die Bolzano in seiner Utopie darlegt. Er fühlte sich dadurch auch nicht wirklich angegriffen und nahm sie auch nicht ernst. – Die Verbreitung seiner Gedanken wurde dadurch allerdings wirksam und nachhaltig behindert.
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wenn sie die Heimlichkeiten einer Familie, welche zu ihrer und anderer Ruhe ewig verborgen bleiben sollten, aus Bosheit ans Tageslicht ziehen oder dem rechtschaffensten Manne ich weiß nicht was für schädliche Verbrechen andichten, den wahren Hergang einer Sache durch eine lügenhafte Erzählung entstellen, die trotz aller Widerlegungen von vielen Tausenden doch geglaubt werden wird, die verderblichsten Grundsätze mit einer einnehmenden Beredsamkeit empfehlen und durch die täuschendsten Trugschlüsse rechtfertigen, die sinnlichen Lüste der Menschen durch die üppigsten Schilderungen des Lasters aufreizen usw. Kann man den Schaden, den ein schlechtes Buch gestiftet hat, die viele Zeit, die es den Setzern, Druckern und Lesern geraubt, die unrichtigen Begriffe, die durch dasselbe verbreitet worden sind; den Ekel, den es bei manchen Lesern auch vor jedem besseren Buch erzeugt hat; das Verderbnis der Sitten, das es bewirkte, bloß damit, dass man den Verfasser hinterher auf was immer für Weise bestraft, wohl wieder gut machen? Kann man durch eine solche Bestrafung auch nur verhindern, dass es fortfahre, Schaden zu stiften, solange nur ein Exemplar in den Händen des Publikums zurückgeblieben ist? Ja kann man durch das Abschreckende, das eine solche Strafe hat, auch nur verhindern, dass ähnliche Bücher künftig nicht wieder geschrieben werden? Meiner Ansicht nach wäre folgende Einrichtung zweckmäßiger: Jedes Buch sollte, bevor es gedruckt wird, von gewissen, eigens dazu bestimmten Zensoren approbiert werden. Diese Zensoren aber sollten das Recht haben, nur unter einem von folgenden Titeln einzelne Stellen zu streichen oder das ganze Buch zu verwerfen: a) üppig oder überhaupt den Sitten nachteilig, wenn in einem Buch Szenen der Wollust oder andere Laster auf eine reizende Weise geschildert oder gar verteidigt würden. b) leidenschaftlich, wenn keine ruhige Sprache, sondern der Ton der Leidenschaft herrscht bei einem Gegenstand, der
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Sechzehnter Abschnitt
noch im Streit ist, also mit ruhiger Besonnenheit untersucht werden muss. c) ehrenrührig, wenn der gute Name gewisser Personen angegriffen wird und ihnen Verbrechen zur Last gelegt werden, deren sie doch bisher nicht überführt wurden. d) keiner Beachtung wert, wenn ein Buch weder zur Belehrung noch zur Unterhaltung zu dienen vermag, z. B. eine Theorie, die gänzliche Unkunde des Verfassers verrät, oder Gedichte, die durchaus misslungen sind u. dergl. Der Zensor soll nur verantwortlich sein, wenn er etwas gutheißt, was nach diesen Grundsätzen offenbar hätte gestrichen werden sollen, oder etwas unterdrückt, was nach eben diesen Grundsätzen offenbar nicht hätte unterdrückt werden sollen. Der Verfasser, dessen Handschrift entweder ganz verworfen oder in einzelnen Stellen gestrichen worden ist, kann von dem Urteil seines Zensors an mehrere (z. B. fünf) andere appellieren, die einer nach dem anderen oder nebeneinander, jedenfalls ohne dass der eine von dem Urteil des anderen etwas erfahren könne, befragt werden sollen; welches besonders dazu nötig ist, damit ein Zensor nicht aus bloßer Missgunst etwas recht Gutes oder doch Brauchbares unterdrücke. Ein Zensor, dem man eine solche böswillige Absicht nachweisen kann, wird nicht nur seines Amtes entsetzt, sondern mit öffentlicher Schmach gebrandmarkt; abgesetzt aber kann er werden, wenn er sich dieses Fehlers nur verdächtig gemacht hat. Um desto sicherer zu sein, dass nie ein Buch ungedruckt bleibe, das nur etwas Nützliches enthält, soll auch dasjenige Buch gedruckt werden, für dessen Druck sich unter mehreren nur ein Zensor erklärt hat. Die Namen der Zensoren, die für oder wider den Druck eines Buches oder einzelner Stellen gestimmt, werden dem Buch bei seiner Erscheinung beigesetzt. Vorschläge zu Verbesserungen in der bestehenden Verfassung, Tadel der bisherigen Einrichtungen,
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Einwürfe gegen die bisherigen religiösen Ansichten usw. sind jedermann gestattet, sobald er sie nur in dem leidenschaftslosen Ton der Untersuchung und vollends in der gelehrten Sprache vorträgt. Einem Schriftsteller, dessen Handschrift alle Zensoren verworfen haben, steht es noch frei, die Handschrift in der Bibliothek des Landes zu hinterlegen und einregistrieren zu lassen, zugleich mit dem Namen der Zensoren, die wider ihn gestimmt. Wenn es in unserer Zeit nötig sein kann, Schriften, in welchen jemand gewisser Verbrechen, die nicht erwiesen sind, beschuldigt wird, durch den Druck zu verbreiten, weil sich sonst nicht leicht ein Kläger, der gehört würde, fände: so ist dieses nur eine Folge unserer mangelhaften Verfassungen; in einem zweckmäßig eingerichteten Staat kann es nie notwendig werden, die Anklage eines Verbrechers durch eine Druckschrift gegen ihn einzuleiten, sondern hier wird eine schriftliche Klage, am gehörigen Orte angebracht, genügen. Wenn einige wollen, dass man zwar eine völlige Pressfreiheit einführe, aber den Verfasser oder Verleger hinterher für den Schaden, den er durch sein Buch angestiftet hat, verantwortlich mache; so scheinen sie nicht zu bedenken, dass es weit leichter sei für einen Zensor, sich darüber zu rechtfertigen, dass er eine Stelle nicht gestrichen oder ein Buch nicht unterdrückt, als für den Verfasser, dass er es geschrieben habe. Denn jener sollte alles durchgehen lassen, was nur offenbar nicht unter einen der vier oben erwähnten Titel gehört; der Schriftsteller aber war schuldig, so gut als er nur konnte, zu schreiben und jedes auch nur wahrscheinliche Ärgernis nach Möglichkeit zu vermeiden. Zu wundern ist übrigens, dass man in unserer Zeit so oft über die Hindernisse geklagt hat, welche die Regierungen dem Druck einer Schrift entgegenstellen, sehr selten aber über die Willkür, die in diesem Stück den Verlegern eingeräumt wird. Ist denn nicht auch dieses ein großer Übelstand, dass es von dem alleinigen Belieben des Verlegers – in unsern bisherigen Verfassungen
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Sechzehnter Abschnitt
gewöhnlich eines Mannes, der als ein bloßer Kaufmann nur auf den eigenen pekuniären Vorteil achtet – abhängen soll, ob ein Buch erscheinen und in welcher Gestalt es erscheinen und zu welchem Preis es zu bekommen sein soll? Die schlechtesten Bücher finden oft die bereitwilligsten Verleger und werden von ihnen auf das reichlichste ausgestattet; Werke von dem gediegensten Wert bleiben zuweilen ungedruckt, nicht weil die Regierung es so gebietet, sondern weil kein Verleger seine Rechnung bei ihnen zu finden hofft, oder sie erscheinen zwar, aber in einem abschre ckenden Gewand und zu einem Preis, der sie denjenigen, denen sie eben die besten Dienste leisten könnten, unerschwinglich macht, und wegen der ungeheuren Menge der übrigen wertlosen Bücher, die zugleich mit ihnen ans Tageslicht treten, können sie die verdiente Aufmerksamkeit nicht finden. Allen diesen Übelständen würde durch die Einrichtung, welche ich eben angedeutet habe, begegnet werden. Nicht vom Eigennutz oder vom Zufall, sondern von dem Ausspruch mehrerer vernünftiger und um ihrer eigenen Ehre willen zu einer aufrichtigen Äußerung ihrer Gesinnungen bemüßigter Personen würde es abhängen, ob ein Buch gedruckt werde und welch ein Schicksal es ferner erfahren solle. Mit der beschriebenen Zensuranstalt könnte zu vielem Vorteil noch eine andere Einrichtung verbunden werden. Es könnte nämlich den Zensoren zwar nicht als Pflicht auferlegt, wohl aber erlaubt, ja zum Verdienst angerechnet werden, den Verfassern allerlei Vorschläge zur Verbesserung ihres Buches zu machen, die sie jedoch nach Belieben annehmen oder auch nicht annehmen dürften. In dem ersten Fall würde für geziemend erachtet, dass der Verfasser den Namen des Zensors, durch dessen freundschaftliche Bemerkung er zu einer Verbesserung veranlasst wurde, nicht unerwähnt lasse. Jeder nur von sich selbst nicht allzu eingenommene Schriftsteller wird wissen, wie überaus viel ein Buch, besonders ein wissenschaftliches, gewinnen könne, wenn der Verfasser die Urteile, welche von anderen darüber gefällt werden, die Fehler, die sie demselben auszustellen wissen, und die Ver-
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besserungen, die sie in Vorschlag bringen, noch vor der Herausgabe kennenzulernen Gelegenheit hat. Die Männer, die in einem zweckmäßig eingerichteten Staat mit dem Geschäft der Zensur beauftragt wären, würden der Regel nach gewiss einsichtsvoll und sachkundig sein, und so ließe sich erwarten, dass sie bei jener Aufmerksamkeit, die sie dem ihrer Prüfung anvertrauten Werk widmen, die Fehler desselben nicht übersehen würden. Könnten sie hoffen, dass eine freimütige Rüge derselben nicht ohne Nutzen sein werde, so würden sie umso aufmerksamer lesen, und die kleine Mühe, welche die Mitteilung ihrer Bemerkung kostet, nicht scheuen. Bei weitem mehr, als was gegenwärtig durch Rezensionen erst bei der zweiten Auflage eines Werkes für die Verbesserung desselben geleistet wird, würde durch jede Einrichtung noch vor der Erscheinung des Buches erreicht werden können. Damit ist aber, wie sich von selbst versteht, gar nicht gesagt, dass nicht auch Rezensionen der schon erschienenen Werke zweck mäßig sein könnten und dass dergleichen nicht auch in dem besten Staat geschrieben werden sollten.
SIEBZEHNTER ABSCHNITT Von den schönen Künsten 44 Der Sinn für die Hervorbringung der schönen Künste, der Dichtund Redekunst, der Maler- und Bildhauerkunst, der Tonkunst usw. soll in einem zweckmäßig eingerichteten Staat möglichst gepflegt, und es darf nicht übersehen werden, dass diese Künste, 44 Die
Pflege der Schönen Künste liegt Bolzano ganz besonders am Herzen. Ethik und Ästhetik sind für ihn zwei Seiten einer Sache. Bolzano erwartet sich von der Ästhetisierung des Lebens durch die Künste einen moralisch läuternden Effekt auf die Menschen. Er schlägt deshalb vor, die Gemeinschaft solle besonders bei den in der Herstellung aufwändigen Kunstwerken die Finanzierung übernehmen, wertvolle Gemälde
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Siebzehnter Abschnitt
gehörig angewandt, nicht nur sehr viel zur Verannehmlichung unseres Lebens durch die Genüsse, welche sie uns darbieten, beitragen können, sondern auch auf die Bildung und Veredlung unserer Gefühle und unseres Herzens einen sehr wohltätigen Einfluss nehmen können und sollen. Eines aber ist die Benützung der schon vorhandenen Werke der Kunst, ein anderes das Hervorbringen neuer. Das erstere wird in dem besten Staate so sehr als nur möglich befördert. Es werden deshalb alle wahrhaft gelungenen Werke der Dichtkunst, die also eben darum auch sittlich sein müssen, allenthalben verbreitet, wo nur immer zu hoffen steht, dass jemand sie zu lesen und zu verstehen vermöchte. Für die Erhaltung schätzbarer Gemälde wird die möglichste Sorgfalt getragen und durch gelungene Kopien derselben sucht man den Genuss in jedem Land und in jeder Ortschaft, soviel es möglich ist, zu wiederholen. Abbildungen, wenigstens Schattenrisse von den einzelnen Gliedern hat man in jeder Familie; Gemälde aber und Bildsäulen, die einen hohen Kunstwert besitzen oder die wenigstens nicht bloß eine einzelne Familie angehen, sondern ein allgemeines Interesse haben, werden dem Künstler vom Staat bezahlt und nur an öffentlichen Orten als ein Gemeingut aufgestellt und benützt. Gesänge und musikalische Kompositionen, die etwas Erhebendes haben oder durch sanfte Rührungen unser Herz bessern können oder in eine freudige Stimmung versetzen, werden auch allenthalben verbreitet, und es wird überhaupt von der Musik, namentlich vom Gesang, zur Bildung der Sitten und zur Erheiterung des Lebens, zur Stimmung des Gemütes zu sanften Rührungen schon in der zartesten Kindheit ein sehr ersprießlicher Gebrauch gemacht. Bei allen Arbeiten, deren Natur es gestattet, sucht man sich durch Gesang zu erheitern, in jeder Schule wird zur Abwechslung gesungen. Was aber das zweite oder die neuen Hervorbringungen in der Kunst oder Skulpturen sollen der Öffentlichkeit zugänglich sein. Schlechtes oder auch nur Mittelmäßiges hat keinen Platz im besten Staat.
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anbelangt; so ist man bei ihrer Beurteilung eben nicht allzu nachsichtig im besten Staat; sondern denkt mit Horaz,45 dass eine mittelmäßige Arbeit kein anderes Schicksal verdiene, als der Vergessenheit übergeben zu werden. Darum lässt man sich auch nicht allzu leicht herbei zu erlauben, dass jemand aus dem Geschäft des Dichtens oder des musikalischen Komponierens u. dergl. sein Hauptgeschäft mache, wenn er nicht Hoffnung gibt, etwas ganz Außerordentliches zu leisten. Dramatische Stücke46 werden im besten Staate, wie ich meine, von niemand, selbst nicht von Dilettanten, aufgeführt; umso weniger duldet man ganze Gesellschaften von Menschen, deren Beschäftigung keine andere ist, als sich in der Nachahmung der verschiedenartigsten Gesinnungen und Gefühle zu üben, und die eine Ehre darin suchen, dass sie die Kunst besitzen, etwas anderes zu scheinen als sie in Wirklichkeit sind. Man wird, wie ich mir vorstelle, urteilen, dass die sogenannte Aufführung eines Dramas ein Verstoß gegen den guten Geschmack sei, ohngefähr von derselben Art wie das Bemalen einer Bildsäule; man wird es überdies als eine der Sittlichkeit gefährliche Übung betrachten, wie auch dafürhalten, dass die viele Zeit, welche die spielenden und die das Spiel unterstützenden Personen darauf verwenden müssen, das Einstudieren der Rollen, die Dekorationen usw. ein viel zu großer Aufwand seien für eine Wirkung, die durch ein wenig Einbildungskraft viel vollkommener als durch dieses alles erreicht werden kann.
Ars poetica 361–390, bes. 369–373. Eigenheit Bolzanos – man möchte fast sagen, eine Marotte – fällt hier etwas aus dem Rahmen: nämlich seine kategorische Ablehnung der dramatischen Kunst, die für ihn offenbar etwas Indirektes und damit (besonders für ihn als Utilitaristen) Überflüssiges hat. 45 Horaz, 46 Eine
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Achtzehnter Abschnitt
ACHTZEHNTER ABSCHNITT Von der Nahrung 47 Wie die Frage, ob die Nahrungsmittel, deren die Bürger sich bedienen, der Gesundheit und dem Leben nicht nachteilig seien, als eine stehende Aufgabe betrachtet wird, so ist es auch mit der Frage, ob es nicht nebst den bisher gebräuchlichen noch mehrere andere Stoffe in den drei Reichen der Natur gebe, aus welchen sich eine gesunde und schmackhafte Kost für Menschen bereiten ließe. Wenn sich nun die Ärzte hinlänglich überzeugt haben, dass eine gewisse Kost den Menschen gedeihlich sei, und ihrer Einführung steht nur die Gewohnheit entgegen; so hat man Geduld mit dem Erwachsenen und macht erst mit den Kindern den Anfang. Auf ähnliche Weise werden Nahrungsmittel, welche die Ärzte für schädlich erklären oder die nicht erzeugt werden können, ohne eine Menge anderer genießbarer Stoffe zu zerstören oder in ihrer Entstehung zu hindern, allmählich außer Gebrauch gesetzt. Die größte Sorge wird von Seite des Staates stets dafür getragen, dass Stoffe von solcher Art, die zu gesunden Nahrungsmitteln benützt werden können, stets in gehöriger Menge erzeugt und die erzeugten nicht etwa zu andern entbehrlichen Zwecken, sondern als Nahrungsmittel verbraucht werden. Ohne erst abzuwarten, dass sich in irgendeiner Gegend wirklicher Mangel an Lebensmitteln zeige, wird schon, wenn nur der Überfluss aufhört, aus anderen, wäre es noch so entlegenen Gegenden, herbeigeführt, 47
Im zweckmäßig eingerichteten Staat gibt es ausschließlich gesunde Ernährung. Schädliche Stoffe gelangen nicht in den Handel. Selbst redend wird grundsätzlich auf Ressourcenschonung geachtet und jede nachhaltige Schädigung von Natur und Mensch wird streng vermieden. Überschüsse werden ausgleichend verteilt. Von einer gemeinschaftlichen Verköstigung hält Bolzano nichts: die Verschiedenheit der Geschmäcker spricht dagegen; sie soll keinesfalls aufgehoben werden. Wie überhaupt die Wirtschaft hier dahin ausgerichtet ist, die bunte Vielfalt der Welt nicht nur zu erhalten, sondern zu fördern.
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was der einen fehlt. Wenn eine so weite Verfrachtung mit der Beschaffenheit der zu versendenden Nahrungsmittel nicht vereinbar ist oder zu lange dauern würde: so hilft man sich dadurch, dass man die ganze Strecke des Weges von dem entlegenen Orte des Überflusses bis zu dem Ort, der Mangel zu fürchten hat, wenn es angeht, in mehrere Teile zerlegt und den Überfluss aus der ersten Ortschaft nur an die nächste; das aber, was diese (nicht eben im Überfluss, sondern nur in gehöriger Menge) besaß, zu derselben Zeit an die nächstfolgende abgehen lässt usw. Es ist begreiflich, dass man durch eine solche Einrichtung einer mit Mangel bedrohten Gegend aushelfen könne durch den Überfluss einer anderen, die mehrere hundert Meilen von jener entlegen ist; vorausgesetzt, dass man ein solches Verfahren nur schnell genug, z. B. durch Telegraphe, einleiten kann. Nahrungsmittel, welche in einer geringeren Menge vorhanden sind, als dass sie für alle, die etwa Lust hätten, sich ihrer zu bedienen, hinreichen könnten, überdies aber von einer solchen Beschaffenheit sind, dass Schwache oder Kranke durch sie gelabt werden können, darf man nicht nach Belieben kaufen; sondern der Marktaufseher (so will ich den eigenen Beamten nennen, der über die Beschaffenheit und den Verkauf der Nahrungsmittel die Aufsicht führt) lässt von dem vorhandenen Vorrat erst nur diejenigen Glieder der Gemeinde beteilen, für welche der Arzt (durch gewisse, von ihm unterschriebene Scheine) es verlangt. Sind diese befriedigt, dann kommen die anderen daran. Nahrungsmittel, welche durch ihre Seltenheit oder auch andere Umstände dem Gaumen reizender erscheinen und daher vorzugsweise gesucht werden, werden mit einer Steuer belegt, d. h. ihr Preis wird in einem gewissen Verhältnis erhöht (z. B. verdoppelt), so zwar, dass diese Erhöhung nicht dem Erzeuger, sondern der Gemeinde zugute kommt. Diese Verfügungen wird man hoffentlich billiger und vernünftiger finden, als die von manchen verlangte gleiche und gemeinschaftliche Verköstigung aller Bürger. Ist doch der Unterschied in dem Geschmack und in den Bedürfnissen so groß, und gibt es der
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Neunzehnter Abschnitt
Stoffe, die uns zum Genuss dienen können, und der Bereitungs arten derselben so viele; und haben wir doch gesehen, dass gerade dadurch, dass man die Stoffe unter die Menschen verschiedentlich austeilt, nebst der Erhöhung des Vergnügens, auch manche andere sehr gute Zwecke erreicht werden können! – Gar viele Menschen haben die üble Gewohnheit, dass sie der Speise und des Trankes, besonders des letzteren, mehr zu sich nehmen, als ihnen notwendig, ja auch nur zuträglich ist; und doch nicht so viel, dass man sie wegen einer einzelnen dieser Handlungen der Unmäßigkeit füglich bestrafen könnte, obgleich sie durch die tägliche Wiederholung des Fehlers am Ende sich selbst sowohl als auch der bürgerlichen Gesellschaft mehr Schaden zufügen als mancher, der sich – doch nur bei seltenen Anlässen – einer ganz unverkennbaren Völlerei schuldig macht. Diesem Unfug könnte, soviel ich einsehe, auch selbst im besten Staate nicht anders als durch die Ärzte gesteuert werden, denen man es zu einer eigenen Obliegenheit machen müsste, auf alle in ihrer Gemeinde befindlichen Bürger in dieser Hinsicht genau aufmerksam zu sein und diejenigen, die diesem Fehler sich nahen, beizeiten zu warnen und zu versuchen, wieviel sie durch bloße vernünftige Vorstellungen bei ihnen ausrichten können; im Falle des Misslingens aber sie bei dem Sittenrichter des Ortes zu verklagen.
NEU NZEHNTER ABSCHNITT Von der Kleidung 48 Die vornehmsten Zwecke, denen die Kleidung entsprechen soll, sind ohne Zweifel Schutz gegen Frost und Nässe oder zu große Hitze; Bedeckung solcher Teile, welche die Schamhaftigkeit zu 48 Die
Kleidung soll funktionell und praktisch sein und es soll keine Verschwendung damit getrieben werden. – Der Mannigfaltigkeit des Geschmackes soll aber durchaus Rechnung getragen werden können.
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bedecken gebietet, und Erhöhung der Anmut. Hieraus folgt, dass sich die Kleidung hinsichtlich ihres Stoffes sowohl als ihrer Form nach der Beschaffenheit des Landes und der Jahreszeit, ingleichen nach dem Geschlecht, dem Alter, der stärkeren und schwächeren Leibesbeschaffenheit der Personen richten müsse. Verschiedene Geschlechter müssen sich auch durch die Kleidung unterscheiden, und zwar so, dass der Unterschied gleich in der Ferne auffällt; dieses mag nun durch die Form oder die Farbe oder beides zugleich geschehen. Eine Bekleidung der Beine däucht mir auch bei dem weiblichen Geschlechte schicklich und zweckmäßig zu sein. Eine Kleidung, die dem Leibe allzusehr anpasst, ist der Gesundheit sowohl als auch der Sittlichkeit nachteilig. Eine gewisse Mannigfaltigkeit in den Kleidungen, aber besonders in den Farben, dürfte auch selbst im besten Staate nicht unerlaubt sein; sie ergötzt das Auge, erleichtert das Erkennen und mag noch manche andere Vorteile gewähren; z. B. eine Verschiedenheit im Preis, das Vergnügen der Auswahl nach seinem eigenen Geschmack usw. Auch dürfte es in vieler Hinsicht gut sein, dass ledige Personen sich schon in der Kleidung von verheirateten unterscheiden. Noch gewisser ist es, dass sich die Kleidung nach dem Alter richten müsse, sodass also nicht bloß die Gesichtszüge des Menschen, sondern selbst der Stoff, die Farbe oder der Zuschnitt der Kleidung das höhere Alter der Personen merken ließe; wobei man jedoch, wie sich von selbst versteht, nicht eben die einzelnen Jahre erfahren will. Stoffe, deren Bereitung der Menschheit höher zu stehen kommt als anderer, die doch im wesentlichen dieselben Dienste leisten, z. B. geblümte Arbeit, die viel mehr Arbeit kos tet als glatte; seidene Stoffe in Ländern, wo die Erzeugung der Seide viel Land und Pflege erfordert u. dergl., werden von Seite des Staates verboten.
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Zwanzigster Abschnitt
ZWANZIGSTER ABSCHNITT Von den Wohnungen 49 Nach den schon oben aufgestellten Grundsätzen kann ein Haus nie das Eigentum eines Einzelnen sein, sondern es gehört der Gemeinde und die Bewohner zahlen bloß einen angemessenen Zins, ohngefähr so viel, als die Erhaltung desselben und die nach seinem grundsätzlichen Einsturz nötig gewordene Wiederherstellung fordert. Wie äußerst unzweckmäßig unsere bisherige Einrichtung mit den Häusern sei, verdient erwogen zu werden. Ein Haus, in welchem fünf bis sechs Familien wohnen, trägt dem Besitzer gewöhnlich an bloßem Mietzins soviel ein, dass er nach Abschlag aller Erhaltungskosten zum Lebensunterhalt für eine ganze Familie erübrigt. Welch eine Unbilligkeit! Ohne alle Arbeit soll von fünf bis sechs Familien eine andere leben dürfen, d. h. den sechsten Teil ihres Erwerbes in Anspruch nehmen! Muss man nicht eingestehen, dass das Hausherrnrecht eine Grausamkeit sei, welche der des Robotsystems und andern wenig nachsteht? Dass sich auch in der Art, wie diese Häuser eingerichtet werden, manche Verbesserungen anbringen ließen, durch welche der Aufenthalt in denselben bald der Gesundheit zuträglicher, bald doch bequemer und angenehmer würde oder wodurch die Dauer und Wohlfeilheit dieser Häuser gewänne, wird niemand in Abrede stellen. Sehr darauf sehen aber wird man, dass alle Wohngebäude trocken, licht und der Gesundheit zuträglich seien. In Ländern, 49
Das Hausherrnrecht ist aus der Sicht Bolzanos eine »Grausamkeit«. Es hat in einem zweckmäßig eingerichteten Staat nichts verloren. Häuser werden nicht mehr besessen, sondern auf Lebenszeit von der jeweiligen Gemeinde zum Wohnen vermietet und bewohnt. Erben ist ausgeschlossen. Durch solche Maßnahmen sollen Güteranhäufungen vermieden und das tendenziell damit einhergehende Klammern an materiellen Besitz zugunsten einer offenen, beweglichen Lebensform hintertrieben werden.
Von den Geschlechtsunterschied betreffenden Anstalten
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wo es die Jahreszeit so erheischt, sorgt man dafür, dass andere Zimmer im Winter, andere im Sommer bewohnt werden können. Übrigens darf in keinem zur Wohnung bestimmten Gebäude Pracht oder Kostbarkeit herrschen. Ausgeschmückt und mit Seltenheiten des Orts verziert sind nur die öffentlichen Gebäude. Zweckmäßig wäre es aber gewiss, wenn man an allen Gebäuden, in jedem Saale oder Zimmer und überhaupt an allen Orten, wo es sich tun lässt, Inschriften oder Zeichnungen anbrächte, die irgendetwas Lehrreiches darböten, z. B. Sittensprüche, Abbildungen aus der Naturgeschichte u. dergl., sodass derjenige, der auch nur fleißig diese Inschriften und Verzierungen betrachtete, schon mit den notwendigen Wahrheiten der Lebensweisheit und mit den nützlichsten Kenntnissen bekannt würde.
EINU NDZWANZIGSTER ABSCHNITT Von einigen den Geschlechtsunterschied betreffenden Anstalten 50 Einer der wesentlichsten Punkte in einer guten Staatsverfassung ist eine zweckmäßige Leitung des Geschlechtstriebes und solche Einrichtungen, dass dieser Trieb die Menschen nicht las 50
Über die damals herrschenden Vorstellungen vom Geschlechtstrieb ist die Zeit in den letzten zwei Jahrhunderten besonders weit hinweggeschritten. Bolzanos Vorstellungen sind von vorsichtiger Zurückhaltung geprägt. Er setzt auf Sexualaufklärung (a), ansonsten auf möglichste Zurückhaltung (b, d). Aber es finden sich dennoch bemerkenswerte Anregungen in der Schrift des katholischen Geistlichen: so etwa die Abkehr von dem »Vorurteil«, dass der jungfräuliche Stand vollkommener sei als der eheliche (c). Der eheliche Stand war auch im 19. Jh. noch an materielle Voraussetzungen geknüpft (h), die ein einfacher Knecht oder Arbeiter in der Regel nicht erfüllen konnte. Familiengründung war ohne Eheschließung nicht üblich und erlaubt. Das hieß, wer sich die Ehe nicht leisten konnte, musste lebenslänglich auf Sexualverkehr verzichten. Im besse-
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Einundzwanzigster Abschnitt
terhaft und unglücklich mache, sondern zu ihrer wahren Vervollkommnung und Erhöhung ihres Lebensglücks recht vieles beitrage. Einerseits kann man die Menschen nicht genug verwahren vor unzeitigen Aufreizungen des Geschlechtstriebes, besonders durch Einwirkung auf ihre Einbildungskraft; andererseits ist es doch nötig, sie über diesen Gegenstand zu belehren und zu ermuntern, dass sie den Eintritt in einen Stand, der ihnen eine rechtmäßige Befriedigung dieses Triebes gewährt, nicht verabsäumen sollen. Ich denke mir also: a) dass man im besten Staate die Jugend schon in den Schulen, nämlich den Sonntagsschulen, über die weisen Einrichtungen, die Gott zur Fortpflanzung unseres Geschlechtes getroffen hat, und über die Pflichten, die hieraus entspringen, besonders über das Unglück einer zu frühen Aufreizung des noch schlummernden Triebes, soviel es dienlich ist, belehren werde. Ich denke mir ferner, ren Staat wird diese Ungerechtigkeit abgeschafft; zunächst einmal, indem dafür gesorgt wird, dass alle grundsätzlich heiraten können. Auch eine Ehescheidung soll möglich sein, so auch eine zweite Ehe. Zudem sollen außereheliche Kinder ehelichen gleichgestellt sein. Eine Grausamkeit sieht Bolzano darin, dass irgendein Dienstverhältnis Männer zu einem ehelosen Leben zwinge. Auch wenn er es nicht extra anspricht, so gilt das auch für Bolzanos eigenes »Dienstverhältnis« als katholischer Priester. Er hielt den Zölibat für keinen grundlegenden Bestandteil der katholischen Glaubenslehre (Zeithammer 1850, 49). Trotz ihrer für ihn offensichtlichen Mängel hält er sich aber an die Regeln der Katholischen Kirche. Die Rolle der Frau wertet Bolzano, im Leben wie auch in dieser Schrift, eindeutig auf. Dennoch hält er zeitgemäß vorwiegend bei ihrer funktionalen Rolle als Mutter ein. Der Gedanke (n), dass Mütter, die oft »größere Verdienste« um ihre Kinder haben als ihre Väter, lässt es ihm ungerecht erscheinen, dass nur die Väter ihren Namen weitergeben dürfen. Originell ist auch sein (unerhörter) Vorschlag, »dass die Söhne den Namen des Vaters, Töchter den Namen der Mutter fortpflanzen«.
Von den Geschlechtsunterschied betreffenden Anstalten
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b) dass man in einem zweckmäßig eingerichteten Staate Bücher, Gemälde, Lieder und andere Gegenstände, die den Geschlechtstrieb reizen, die Einbildungskraft mit üppigen Bildern erfüllen usw. nirgends und unter keinem Vorwand dulden, sondern vielmehr durch Unterricht sowohl als auch durch das so wichtige Hilfsmittel der schönen Künste dahin wirken werde, dass sich zu richtigen Begriffen auch würdige Bilder und Empfindungen gesellen. c) Sollte sich hie und da das Vorurteil beim Volke vorfinden, dass der jungfräuliche Stand an und für sich, also abgesehen von den Verhältnissen, die ihn zuweilen erheischen, vollkommener sei als der eheliche; so sucht man dieses durch Aufklärung wegzuräumen. d) In den bisherigen Verfassungen ist es die Sitte der Jugend, besonders des männlichen Geschlechtes, sich in den Jahren der eintretenden Mannbarkeit von ihren Eltern zu trennen und nur mit anderen jungen Leuten, vornehmend eben desselben Geschlechtes, zusammenzuhalten, zum größten Nachteil für ihre eigene Charakterbildung, indem hier ein leichtsinniger und verdorbener Gefährte dann hundert andere verführt. Im besten Staate also wird es für unanständig gehalten, dass junge Leute des einen oder des anderen Geschlechtes, umso mehr beide Geschlechter zusammen, Gesellschaften bilden, ohne bejahrte Personen in ihrer Mitte zu haben. An den öffentlichen Belustigungsorten sieht man die Eltern begleitet von ihren Kindern erscheinen, die Jugend beiderlei Geschlechtes bildet dann wohl ihre eigenen Kreise, jedoch nur so, dass bald jene ältere Person dabei erscheint, ihren Spielen vorsitzt, ihnen erzählt oder sich von ihnen erzählen lässt und Lob und Tadel erteilt. Dadurch erhalten die jungen Leute Gelegenheit, einander wechselseitig kennenzulernen, und es finden sich diejenigen, die füreinander geschaffen sind, leichter zusammen.
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Einundzwanzigster Abschnitt
e) Auch in dem besten Staate geziemt es, däucht mir, nur dem Jüngling, zu suchen, dem Mädchen aber, sich aufsuchen zu lassen. f) Vorläufige Bekanntmachungen in gesetzlichen Terminen müssen auch im besten Staate jeder Eheverbindung vorangehen. g) Das Band der Ehe wird als ein solches betrachtet, das an sich selbst unauflöslich ist und nie geschlossen werden darf, schon mit dem Vorsatz, es später wieder zu lösen; doch werden Auflösungen in einzelnen Fällen aus wichtigen Gründen gestattet. h) Armut des einen oder des anderen oder auch beider Teile kann nie ein Hindernis der Verehelichung werden, weil jeder gesunde Mensch, der etwas gelernt hat, durch seine Arbeit so viel, als er zu seinem Lebensunterhalt bedarf, verdienen kann, für die Erziehung der Kinder aber eine Unterstützung von der Gemeinde erhält. Ebenso sieht man es als eine Grausamkeit an, dass irgendein anderes Verhältnis, z. B. das des Dienstes, jemand, der in den Jahren der Mannbarkeit und gesund ist, zu einem ehelosen Leben zwinge; daher denn solche Verhältnisse von Seite des Staates selbst gar nicht geduldet werden. i) Eine zweite Ehe wird nicht für tadelhaft gehalten, sobald die erste durch den Tod eines der beiden Gatten oder durch den auf die Gesetze gegründeten Ausspruch des Richters aufgelöst worden ist. k) Zwischen Personen, die sehr nahe beisammen leben, wie Vater und Tochter, Mutter und Sohn, Geschwistern und anderen dergl. ist die Ehe verboten; wenn aber eben diese Personen in entfernten Orten gelebt, ihre Verwandtschaft vielleicht nicht einmal gekannt, als sie einander zu lieben angefangen; so sieht man von Seite des Staates kein Hindernis zur Ehe.
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l) Kinder, die außerhalb der Ehe gezeugt worden sind, büßen nicht für die Sünde ihrer Eltern, sondern werden den ehelichen in allen Stücken gleichgehalten. m) In Fällen, wo die Stimmen aller Bürger abverlangt werden, haben Mann und Weib, nur wenn sie einstimmig sind, ein Stimmrecht, und zwar gilt ihre vereinigte Stimme für zwei Stimmen; können sie aber nicht vereinigen, so haben sie gar keine Stimme. n) Da Mütter insgemein keine geringere, wohl aber oft größere Verdienste um das Leben, die Gesundheit und die Erziehung der Kinder als ihre Väter haben; so ist es nicht ganz billig, dass nur die Namen der Väter, nicht aber jene der Mütter auf die Kinder fortgepflanzt werden. Da es aber nicht möglich ist, beide zugleich zu erhalten, weil die Zusammensetzung der Namen sonst ins Unendliche wüchse; so dürfte wohl das billigste sein, dass die Söhne den Namen des Vaters, Töchter den Namen der Mutter fortpflanzen.
ZWEIU NDZWANZIGSTER ABSCHNITT Von der Befriedigung des Ehrtriebes 51 Ein überaus mächtiger Trieb in der menschlichen Natur, der bei gehöriger Leitung gewiss ebenso vieles Gute veranlasst, an wieviel Bösem man ihm unter ungünstigen Umständen Schuld gibt, ist der Trieb nach Ehre und Auszeichnung; ein Trieb, bei dem man 51
In den Erbauungsreden hat Bolzano alles getan, um Begriffe zu klären und richtige Begriffe zu verbreiten. Hier wendet er sie an: Der Ehr trieb ist an sich wertvoll, so Bolzano. Aber die »törichten Begriffe«, die in dieser verkehrten Welt noch immer verbreitet sind, verzerren dieses Bild: Übermäßiger Besitz, Reichtum, Verschwendung, Völlerei, Leichtsinn, ja selbst Ausschweifungen werden auch zu Bolzanos Zeiten als ehrsam bewundert – statt sparsamer Verbrauch, Einsatz für das Wohl Ärmerer und wohltätiger Gebrauch seines Vermögens.
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Zweiundzwanzigster Abschnitt
glücklicherweise durch bloßen Unterricht weit mehr als bei irgend einem anderen zu bewirken vermag. Denn schon die Stärke der Begierde, mit der wir nach Ehre verlangen, hängt größtenteils von den Begriffen, die man uns beibringt, ab; noch mehr aber kommt es auf den Unterricht an, ob wir unsere Ehre in diesen oder in jenen Dingen suchen; und durch bloße Belehrung kann man uns oft dahin bringen, dass wir für eine Schande erachten, wessen wir uns noch kurze Zeit vorher gerühmt und wieder umgekehrt. Es versteht sich also von selbst, dass man in einem zweckmäßig eingerichteten Staate diesen Einfluss der Erziehung und des Unterrichtes auf unseren Ehrtrieb bestens benützen müsse. Man arbeitet darauf hin, dass dieser Trieb bei einem jeden erwache, aber man sucht zu verhindern, dass er bei jemand zu einer solchen Stärke erwachse, die jeden anderen Trieb unterdrückt und macht, dass der Mensch auf jedes andere Glück Verzicht leistet, um nur der Ehre zu genießen und selbst die schrecklichsten Verbrechen zu begehen bereit ist, wenn er sich dadurch einen Weg zur Ehre zu bahnen hofft. Mit einem noch ungleich wirksameren Erfolg aber bemüht man sich, den jungen Staatsbürgern frühzeitig schon einen richtigen Begriff von dem, worin die wahre Ehre bestehe, beizubringen. Die törichten Begriffe von Ehre, die wir in unseren bisherigen Verfassungen, leider, so weit verbreitet finden, die Vorstellungen, dass es z. B. eine Ehre sei, mehr Speise und Trank als andere vertragen zu können, kostbarer zu leben, mehr Eigentum als andere an sich gebracht oder vielleicht schon ererbt zu haben, Wenn die besseren Begriffe einmal durch Taten eingeführt sein werden, erübrigen sich auch alle äußeren Ehren- und Achtungsbezeichnungen, ebenso wie jede Art von »Titulaturen« (Hofrat, Professor etc.), die dem Namen beigesetzt werden. Ganz ohne Rangunterschied geht es freilich auch im besten Staat nicht, daher fügt Bolzano noch hinzu: Bei gleichstark begründeten Ansprüchen auf einen Rang schlägt er vor, dass (1) weibliche Personen männlichen vorzuziehen sind, und (2) jüngere den älteren Personen den Vorzug einräumen!
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in den verschiedenartigsten Ausschweifungen kein Neuling zu sein, sein Leben für eine Kleinigkeit zu wagen usw.; dergleichen Torheiten, sage ich, wird man in einer zweckmäßigen Verfassung kaum noch dem Namen nach kennen. Hier wird jeder wissen, dass er, um Ehre zu finden, wenigstens scheinen müsse, mäßig und nüchtern zu sein, Verdienste um die Menschheit zu haben, zu seinen eigenen Zwecken nur wenig zu verbrauchen, doch desto mehr zum Besten anderer zu leisten usw. Dass man im besten Staate Vermögen, umso mehr aber freilich gute Anwendung des Vermögens für ehrenvoll ansehen werde, ist sehr zu rechtfertigen. Denn a) gelangt man zu einem größeren Vermögen hier insgemein nicht durch bloßen Zufall (Erbschaft), sondern durch eigene Tätigkeit, und mithin setzt ein größeres Vermögen den Besitz eines seltenen Fleißes und viele Geschicklichkeiten vo raus; b) kann der Vermögendere auch jedem einzelnen seiner Mitbürger leichter gewisse Gefälligkeiten leisten, z. B. Geldvorstreckungen durch die Vermittlung des Staates; c) endlich zieht auch der Staat mehr von ihm als von anderen, er gibt mehr Steuern und hinterlässt mehr nach seinem Tod. Der Gegengrund, dass andere umso weniger besitzen können, je mehr sich der eine erwirbt, bleibt allerdings auch im besten Staate; aber da hier der Reichtum des Einzelnen nie so unmäßig groß werden kann, so wird dieser Grund auch nie so wichtig, um die vorigen aufzuwiegen. – Zu einem guten, ehrenvollen Gebrauche des Vermögens rechnet man aber, dass der Vermögende für die Ernährung seiner Kinder oder für einen geleisteten Staatsdienst die ihm gebührende Summe ganz oder zum Teil erlässt, dass er freiwillige Beisteuer leistet u. dergl. Doch es ist nicht genug, dass eine zweckmäßige Verfassung für die Verbreitung richtiger Begriffe von wahrer Ehre sorgt; auch
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Zweiundzwanzigster Abschnitt
ihre eigenen Anstalten müssen diesen Begriffen gemäß sein. Hier also wird nie einem einzigen Bürger das Recht zuerkannt, Ehren und Achtungsbezeugungen zu fordern, wenn sich ein solches Recht nicht nach den richtigsten Begriffen der Ehre verteidigen lässt. Der Staat erklärt nämlich, es habe eigentlich kein Bürger bloß wegen seines Standpunktes in der Gesellschaft, bloß wegen seines Amtes, das er bekleidet, ein Recht zu irgendeiner Achtungsbezeugung. Denn daraus, dass er dieses Amt bekleidet, folgt ja noch eben nicht, dass er desselben auch würdig sei, und nur dieses letztere könnte ihm in der Tat Achtung verdienen; diese lässt sich aber auf keinen Fall gebieten und wird ihm auch ohne Befehl zuteil, sofern seine Verdienste erst bekannter werden; äußere Achtungsbezeugungen aber, die nur erfolgen würden, weil sie befohlen worden sind, die ihm nicht freiwillig gezollt würden, können für keinen Vernünftigen etwas Erfreuliches haben. Unübersehbar viel Gutes (wage ich zu behaupten) werde aus dieser Einrichtung und aus der schon oben erwähnten gleichen Bezahlung aller Staatsbeamten oder vielmehr aus der Aufhebung jener verkehrten Einrichtungen, welche in diesem Stück bisher bestanden sind, entspringen! Wenn niemand bloß darum, weil er in der Gesellschaft dieses und jenes Amt versieht, diese oder jene Beschäftigung treibt, ein um so viel höheres Gehalt als andere bezieht und eigentümliche Achtungsbezeugungen fordern darf; so wird der stärkste Antrieb, sich um Ämter zu bewerben, denen man nicht gewachsen ist, wegfallen; so wird man sich künftig nicht mehr drängen zu einem wichtigen Posten aus bloßem Eigennutz oder aus Eitelkeit, sondern nur derjenige, der diesem Posten ruhmwürdig hofft vorstehen zu können, wird sich um ihn bewerben. Werden aber die wichtigsten Ämter im Staat mit würdigen Männern besetzt sein, dann werden schon eben darum auch alle glücklicher sein. Im besten Staate sind demnach alle amtlichen Titulaturen, d. h. Benennungen, die von dem Amte einer Person entlehnt in der Absicht gebraucht werden, sie damit zu beehren, gesetzlich untersagt; auch darf das Amt, das
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jemand bekleidet, dem Namen nie beigesetzt werden, als wenn es etwa zur Unterscheidung von andern, die einen gleichen Namen tragen, oder zur Erklärung, warum man seinen Namen gerade hier anführe, notwendig ist. Nur einen einzigen Rangunterschied schreibt, wie ich meine, der Staat selbst vor; er besteht darin, dass wir in allen denjenigen Fällen, wo mehrere Personen einen in aller Hinsicht gleich stark begründeten Anspruch auf eine Sache haben, unter Personen verschiedenen Geschlechtes, den weiblichen, und unter Personen desselben Geschlechtes den älteren den Vorrang einräumen mögen. Dass man dem weiblichen Geschlecht den Vorrang einräume, fordern die größere Schwäche und die eigentümlichen Leiden dieses Geschlechtes, welche das männliche zu einem gewissen Gefühl des Mitleids stimmen und auffordern sollen, sich zum Schutze desselben berufen zu denken. Dass man dem Alter den Vorrang zugestehe, beruht vornehmlich auf der natürlichen Voraussetzung, dass ein Mensch, der länger gelebt, sich auch schon mehrere Verdienste beigelegt habe. Aus diesen Gründen aber ergibt sich, dass man dem weiblichen Geschlechte den Vorrang vor dem männlichen nicht schon in den Jahren der Kindheit oder Jugend, sondern erst von der Zeit ihrer Volljährigkeit oder Mündigkeit an zuzugestehen habe, ingleichen dass sich dieser Vorrang nicht bis auf das männliche Greisen alter erstrecke. Dem Greise wird und muss auch jede Frau gerne den Vorrang abtreten. Anlangend endlich den Umgang der Kinder und jungen Leute untereinander, so versteht es sich wieder von selbst, dass man sie zu einer Nachahmung dessen, was sie bei älteren gesehen, verhalten werde, d. h. dass die Knaben und Jünglinge angeleitet werden, gerne den Vorrang den Mädchen einzuräumen.
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Dreiundzwanzigster Abschnitt
DR EIU NDZWANZIGSTER ABSCHNITT Von den Reisen 52 Reisen sind teils zur Befestigung der Gesundheit, teils zur Erweiterung der Begriffe notwendig. Sie sollen also auch im besten Staate nicht unterlassen werden. Junge Leute in den Jahren der angehenden Mannbarkeit sollen gesellschaftlich und unter Aufsicht älterer Personen Fußreisen vornehmen. Dieses gilt von beiden Geschlechtern, die jedoch bei solcher Gelegenheit sorgfältig geschieden werden müssen. Zum Behuf für solche Reisen gibt es Herbergen, die vom Staat ausgehalten werden, sodass der Reisende nichts zu bezahlen braucht, wenn er nur mit Erlaubnis des Staates (die jedem einige Male gegeben wird) reist. Dass die Reisenden endlich auch alle ihnen begegnenden Merkwürdigkeiten umsonst besehen dürfen, versteht sich von selbst. Warum ich aber wünsche, dass alle Reisen von dieser Art, deren vornehmster Zweck die Geistesbildung ist (von anderen Reisen, also z. B. Geschäftsreisen, die auch der Erwachsene, etwa in Angelegenheiten des Staates, unternimmt, spreche ich hier nicht), in Gesellschaft mehrerer unternommen werden sollen, wird jeder leicht erachten; nicht nur sind Reisen in Gesellschaft ergötz licher, sondern auch weniger kostspielig, mit geringeren Gefahren verbunden, und man lernt mehr, weil der eine den andern aufmerksam macht und das Gesehene, wenn man es gleich auf der Stelle mit den Gefährten bespricht, der Seele sich bleibender eindrückt.
52 Auch
über die Vorstellungen vom Reisen ist die Zeit eilig hinweggeflogen. Bolzano schlägt vor, beschaulich zu Fuß zu reisen, möglichst in Gesellschaft. Das hält gesund und dient dazu, sinnliche Erfahrungen zu sammeln und die Begriffe zu erweitern. Der Staat stellt dazu Herbergen bereit.
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VIERU NDZWANZIGSTER ABSCHNITT Von den Vergnügungen 53 Seine Vergnügungen genießt der vernünftige Mensch, soviel es möglich ist, nur in Gesellschaft mit andern; er tut dieses, sage ich, teils, weil das Bewusstsein, dass andere den Genuss mit ihm teilen, auch seinen eigenen Genuss erhöht, teils, weil die Gegenwart anderer bei seinem Genuss ihn vor Unmäßigkeit wahrt, teils endlich auch, weil die Gespräche, die mit den meisten in der Gesellschaft genossenen Vergnügungen sich vereinigen lassen, noch manche neue Freuden und selbst sehr wesentliche Vorteile, z. B. jenen der Übung im Denken und Sprechen, den einer besseren Verdeutlichung unserer Begriffe durch die versuchte Mitteilung an einen anderen, die mannigfaltigsten Belehrungen und die ersprießlichsten, wie in der besten Stimmung erteilten, so auch am besten aufgenommenen Zurechtweisungen gewähren können. Im besten Staat also ist es gebräuchlich, fast alle Vergnügungen nur in Gesellschaft zu genießen; und zwar, wer immer das Glück hat, ein Glied eines häuslichen Zirkels zu sein, sucht seine meisten Vergnügungen innerhalb dieses Zirkels und mit den Seinigen zu teilen. Das Gegenteil zu tun und sich z. B. an den öffentlichen Belustigungsorten ohne Begleitung der Seinigen sehr häufig antreffen zu lassen, wird als etwas, das nur zur Schande gereicht, betrachtet. Inzwischen fehlt es doch gar nicht an solchen öffentlichen Orten, wo man zusammenkommt, um an Vergnügungen, welche der häusliche Zirkel entweder gar nicht oder noch nicht 53 Vergnügen
sollten möglichst in Gesellschaft genossen werden, so Bolzano; zuhause oder an öffentlichen Orten. Bei geselliger Unterhaltung, Lektüre, (nicht agonistischen) körperlichen Tätigkeiten, Tanz, Musizieren. Das Töten von Tieren (Jagd) als Vergnügung zu empfinden, wird als Zeichen eines »verwilderten Gemüts« angesehen und da, wo es notwendig ist (zur Nahrungsbeschaffung), von Fachleuten erledigt. Gar nicht vergnüglich findet man im besten Staat auch Glücksspiele; denn der Gedanke, dass es ein bloßer Zufall sei, dem eine(r) seinen Reichtum verdanke, hat dort etwas Anstößiges.
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Vierundzwanzigster Abschnitt
in demselben Umfang gewähren konnte, meistens begleitet von den Seinigen, Anteil zu nehmen. Es sind aber die gewöhnlichsten Vergnügungen, die man an diesen öffentlichen Orten vornimmt, nachstehende: Es wird aus Tagesblättern das Neueste, was sich im Lande oder auch außerhalb desselben, ja auf dem ganzen Erd rund ergeben, mitgeteilt; es wird aus Büchern, die eigens zum Zwecke der Unterhaltung geschrieben sind, vorgelesen; es werden Gespräche von dem verschiedenartigsten Inhalt, wenn er nur unschuldig ist, auf die Bahn gebracht, Rätsel zu lösen gegeben, sinnreiche Sprüche zur Betrachtung vorgelegt, allerlei Spiele und Wetten, nur nicht um Geld und Geldeswert oder um eine unanständige Begünstigung; mäßige Leibesbewegungen, anständige Tänze, besonders für Personen von jüngerem Alter, Gesang und Musik vorgenommen, es werden endlich auch Speise und Trank in froher Gemeinschaft genossen. Da man nichts duldet, was den Sitten oder der Gesundheit schädlich werden kann, so versteht sich von selbst, dass der Genuss erhitzender Getränke, das Rauchen und Schnupfen, die Jagd als Vergnügungen untersagt sind. Mit dem Gewehr umgehen lernen zwar alle jungen Leute, und schießen zum Üben und zum Unterhalt auch wohl in Scheiben, dürfen zuweilen auch – mit Erlaubnis des Jägers – ein eben nötiges Wild erlegen; eine Lust aber an den Beschäftigungen der Jagd, des Vogelfanges und anderm ähnlichem zu finden, wird als das Merkmal eines grausamen oder auf jeden Fall doch verwilderten Gemüts angesehen. Noch offenbarer ist es, dass man in einem zweckmäßig eingerichteten Staate dasjenige, was wir heutzutage sehr uneigentlich Glücksspiele nennen, z. B. Lotterien, nicht dulde und nicht dulden könne; oder wem sollte der verderbliche Einfluss, den solche Wetten und Erwerbungsarten auf die Sittlichkeit haben, nicht von selbst einleuchten? Muss man nicht alle gesunden Begriffe vom Eigentumsrecht schon verloren haben, wenn man nichts Anstößiges in dem Gedanken findet, dass ein bloßer Zufall darüber entscheiden solle, wer der Besitzer einer ansehnlichen Geldsumme, eines Landgutes u. dergl. sei?
Von den Vergnügungen 147
Sollte es sich ergeben, dass der Geschmack des Volkes an einer Vergnügungsart von sehr untergeordnetem Wert, z. B. am Kartenspiel, hie und da zu sehr überhandnimmt: so werden nicht gleich Verbote erlassen, die in einer Sache, welche doch an sich selbst nichts Unrechtes ist, nicht füglich Platz greifen können, auch gewöhnlich nur doch die Begierde steigern; sondern man sucht die Aufmerksamkeit der Bürger auf gewisse andere, ihnen bisher noch minder bekannte Vergnügungsarten zu lenken, wo rauf denn zu erwarten ist, dass sie bald von freien Stücken das Bessere dem Schlechteren vorziehen werden. Auch wo es nicht schon die Religion, welcher die Bürger zugetan sind, selbst von ihnen verlangt, dass sie gewisse Tage zur Ruhe und Erholung bestimmen, werden dergleichen Tage durch die Regierung eingeführt; wo aber in einigen Religionen solche Feiertage eben zu dicht aneinandergedrängt sind, da sucht man durch allmähliche Aufklärung das Volk dahin zu bringen, dass es diesen Fehler in seinen religiösen Gebräuchen selber verbessere. Noch sorgfältiger ist man bestrebt, zu bewirken, dass diese Tage auch zweckmäßig angewendet werden. Zu dieser zweckmäßigen Anwendung zählt man, dass diejenigen, die an den übrigen Tagen ermüdende Leibesarbeit verrichten, von solcher wenigstens nun wieder ausruhen, dass eine angenehme Abwechslung in den Beschäftigungen und in der Lebensart für jeden eintrete, dass sich der Geist zu Gott und zur Betrachtung sittlicher Wahrheiten erhebe, dass man Vergnügungen, die nur nicht schädlich oder unerlaubt sind, genieße. Um diese Zwecke desto vollkommener zu erreichen, haben verschiedene dieser Festtage noch eine eigentümliche Bestimmung; einige sind dem freudigen Dank für empfangene Wohltaten Gottes gewidmet, z. B. das Erntefest und manche andere; einige sollen mit ernstem Nachdenken über die Mängel und Unvollkommenheiten, die das gemeine Wesen noch immer an sich hat, und über die Art, wie ihm abzuhelfen sei, zugebracht werden; usw.
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Fünfundzwanzigster Abschnitt
FÜ NFU NDZWANZIGSTER ABSCHNITT Von den Streitigkeiten der Bürger 54 Können sich einige Bürger in einem Streit (z. B. über Eigentum oder über die Erfüllung eines Vertrages u. dergl.) nicht vereinigen; so wählen sie sich eine oder etliche Personen zu Schiedsrichtern. Können sie sich über die Wahl dieser Schiedsrichter vereinigen und sind sie hinterher mit der Entscheidung derselben zufrieden: so ist die Sache begreiflich abgetan. Sollte jedoch bei dieser Gelegenheit von den gewählten Schiedsrichtern ein Verbrechen, dessen sich ein oder der andere Teil oder auch beide schuldig gemacht haben, entdeckt werden (z. B. ein pactum turpe)55: so wird es bestimmte Pflicht dieser Schiedsrichter, die gehörige Anzeige von diesem Verbrechen zu machen. Können sich die streitenden Parteien über die Person ihres Schiedsrichters nicht vereinigen, so machen die beide oder eine von ihnen (der der gekränkte Teil zu sein glaubt) die Anzeige bei der Gemeinde, die ihnen die Schiedsrichter selbst bestimmt. Von ihnen können sie zwar an andere appellieren, aber wenn auch diese, die von dem Kreis gewählt sind, denselben Ausspruch tun, so findet keine weitere Appellation statt. Entscheiden die letzten Schiedsrichter anders als die ersteren, so steht noch eine Appellation an das Land offen usw., bis zwei oder mehrere Schiedsrichterbehörden einerlei Sinnes sind oder die früheren durch bessere Belehrung ihr Urteil nach jenem der späteren selbst abändern. Die Schiedsrichter entscheiden nach Gründen der Billigkeit; nach dem, was für das Beste des Ganzen zuträglicher ist. Solche ganz fremdartigen Entscheidungsgründe, wie sie in einigen unserer bisherigen Verfassungen in Menge angetroffen werden, kennt man im besten Staate nicht, z. B. ob in einem Vertrage, betreffend die Auszahlung einer gewissen Geld54 Diese werden in einem zweckmäßig eingerichteten Staat durch von
den Streitparteien gewählte Schiedsrichter möglichst direkt geregelt. 55 Schlechter, daher juristisch ungültiger Vertrag.
Von den Streitigkeiten der Bürger 149
summe, diese oder jene Worte (klingende Münze, Konventionsgeld u. dergl.) gebraucht worden sind, macht keinen Unterschied auf das Urteil, ob und wieviel zu zahlen sei. Glaubt jemand von einer ganzen Gemeinde oder von einem ganzen Kreis usw. verletzt zu sein, so bringt er seine Klage bei den Vorstehern dieser Gemeinde, des Kreises, ein, – wenn er von diesen Gerechtigkeit hoffen kann, d. h. wenn nicht etwa sie selbst es sind, durch die er verkürzt worden ist. In diesem letzteren Falle klagt er sie selbst auf eine Weise an, die bald beschrieben werden soll. Bei einigen Lesern hat sich vielleicht die Besorgnis eingefunden, dass mehrere der Einrichtungen, die ich bisher beschrieb, eine fortwährende Veranlassung zu Zank und Streitigkeit sein würden. Wenn ich z. B. oben gesagt, dass eine jede Gemeinde größtenteils unter sich selbst zu entscheiden habe, was einem jeden ihrer Glieder als Eigentum zugehöre: so wird man vielleicht entgegnen, der Mensch sei wohl so geartet, dass er selbst große Beleidigungen geduldig ertrage, wenn sie ihm von Personen zugefügt werden, die er von Kindheit an als Wesen von höherer Art zu betrachten gewohnt ist, die er überdies gar nicht persönlich kennt u. dergl.; es schmerze ihn dagegen auch das geringste Unrecht, das ihm erwiesen wird von Menschen, die er als seinesgleichen betrachtet, mit denen er auch täglich umgehen muss usw. Ich leugne die Richtigkeit dieser Bemerkung gar nicht; erinnere aber, dass a) auch derjenige, der ein zugefügtes Unrecht mit Geduld trägt, ja vielleicht auch nicht einmal einsieht, dass ihm ein Unrecht zugefügt worden sei, darum doch immer leide und glücklicher wäre, wenn ihm dieses Unrecht nicht wäre zugefügt worden, b) dass uns eine kleine Ungerechtigkeit von unseresgleichen und von Personen, mit denen wir umgehen müssen, wohl nur dann aufreize, wenn wir uns vorstellen, dass es aus Bosheit geschehen sei. Dieses wird nun bei den Einrichtungen,
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Sechsundzwanzigster Abschnitt
welche ich angegeben habe, selten der Fall sein. Denn weil nicht ein einziger, sondern die ganze Gemeinde zu entscheiden hat; so wird sich kaum jemand, der bei gesundem Verstand ist, einfallen lassen, dass die ganze Gemeinde gegen ihn feindlich gesinnt sei.
SECHSU NDZWANZIGSTER ABSCHNITT Von der Besteuerung der Bürger und von den Staatsausgaben 56 Nicht die Größe der Steuern an sich ist als ein Übel zu betrachten, sondern sie wird es erst, wenn diese Gelder nicht gut angewendet werden. Werden sie verbraucht, bloß um die Bedürfnisse der Bürger auf eine bessere Art zu bestreiten, als es geschehen könnte, wenn jeder sein Geld behielte, aber auch für die Befriedigung 56 Wo
»ein milder Fürst seinen Untertanen die Liebe eines Vaters erweist«, da gibt es wenig zu klagen. Aber die Klage, so Bolzano oben in der Einleitung, ist noch kein genauer Maßstab für die Unglückseligkeit von Menschen. Klar ist für ihn nur, dass es möglich sein muss, durch zweckmäßige Verfassungsänderungen mehr Zufriedenheit zu erlangen. Eine zweckmäßige Verfassung braucht keinen gütigen Herrscher. Sie hebt vielmehr Steuern ein, um Gerechtigkeit zu schaffen. Ein zweck mäßig eingerichteter Staat gleicht aus, er steuert: Er verteilt das Gesamtvermögen möglichst flach, betreibt Gesundheitsvorsorge und Krankenbetreuung, er versichert gegen Unglücksfälle und Naturkatastrophen, organisiert Transporte verschiedenster Art (und vermag dies mit möglichst geringen Mitteln zu tun), beschafft und betreibt Maschinen größerer Art, ja er führt auch eine Art »Luxussteuer« ein, die dann von jenen, die es sich leisten können, gewissermaßen freiwillig bezahlt wird. Er stellt Gelehrte an, Lehrer, Ärzte, Richter, Beamte in verschiedenen Funktionen – Seelsorger nicht, da der gute Staat niemanden zwingt, einen bestimmten Glauben anzunehmen. – Das alles kann und soll bewirken, so Bolzano, dass seine Bürger ein positives Verhältnis zu ihrem Staat entwickeln und ihm immer »inniger anhängen«.
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seines Bedürfnisses selbst sorgen müsste: dann kann man vernünftiger Weise nicht klagen, saß die Steuern zu hoch sind. Und wirklich dürfte es der Fall sein, dass sich bei einer zweckmäßig eingerichteten Verfassung ein noch ungleich beträchtlicherer Teil des Nationalvermögens in den Händen des Staates (der Gemeinden, Kreise usw.) befindet als in den gegenwärtigen Staaten. Dass in einem zweckmäßig eingerichteten Staate dasjenige, was nach dem Tode eines Bürgers in Geld und Geldeswert zurückbleibt, vom Staate in Empfang genommen werde, wurde schon gesagt. Der Regel nach ist es die Gemeinde, in welcher der Bürger gelebt hat, der diese Hinterlassenschaft zufällt. Wenn inzwischen einiges von einer solchen Art ist, dass es der Menschheit einen viel größeren Nutzen leisten kann, wenn die Gemeinde es dem Kreis oder dem Land ausliefert, so muss dieses der Behörde des Kreises oder Landes zugeschickt werden. Von dieser Art wäre z. B. ein handschriftlicher Aufsatz, der Vorschläge zu Verbesserungen enthielte, die nicht bloß die Gemeinde, sondern das ganze Land betreffen. Bei Gegenständen, die der Verblichene zwar nicht als Eigentum besaß, z. B. Büchern, versteht sich dieses von selbst. Was die Besteuerung der Lebenden anlangt, so ist es der Grundsatz, dass man nur diejenigen zu besteuern suche, deren Vermögenszustand das mittlere oder Normalvermögen (d. h. diejenige Summe von Geldeswert, welche bei einer gleichen Verteilung des ganzen Nationalvermögens auf jeden einzelnen kommen könnte) übersteigt. Und ein anderer Grundsatz ist es, dass man diesen nicht eben alles, was sie mehr haben, abnehmen dürfe. Ein dritter endlich, dass man, um ja niemand wehzutun, im zweifelhaften Falle lieber jedem etwas mehr lassen als zu viel nehmen müsse. Da es nun am verdienstlichsten und erfreulichsten ist, wenn die Bürger aus eigenem Antriebe zum Gebrauch für das gemeine Beste hergeben, was für sie selbst entbehrlich ist, so werden sie auch zu solchen freiwilligen Steuern fortwährend, besonders aber dann, wenn irgendeine neue beträchtliche Staatsausgabe zu machen ist, ermuntert. Und wenn schon in unseren
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Sechsundzwanzigster Abschnitt
Verfassungen solche Ermunterungen nicht ganz erfolglos sind, so lässt sich hoffen, dass sie im besten Staate umso ergiebiger sein werden. Eine andere Art der Besteuerung, die zwischen dieser ganz freiwilligen und einer erzwungenen die Mitte hält, und zugleich die gewöhnlichste, besteht darin, dass man von jedem, der gewisse entbehrliche Güter des Lebens, d. h. solche, die wohl das Leben angenehmer machen, aber nicht schlechterdings dazu notwendig sind (sogenannte Gegenstände des Wohllebens oder Luxusartikel) genießen will, eine angemessene Abgabe fordert. Güter von dieser Art sind: Nahrungsmittel, welche der Gaumen reizender findet, schönere Stoffe der Kleidung, angenehmere Wohnzimmer, Tiere, die zum Vergnügen gehalten werden, z. B. Pferde, Hunde, Vögel u. dergl. Hiedurch wird erreicht, a) dass nur diejenigen besteuert werden, die überflüssiges Vermögen haben; oder dass sich auf jeden Fall doch niemand über eine solche Steuer beschweren kann, weil er sich ihr entziehen könnte, sobald er nur selbst wollte; b) dass hiedurch alle notwendigen Lebensbedürfnisse desto wohlfeiler bleiben, mithin umso gewisser und leichter von jedem erstanden werden können; c) dass der Reichere, wenn er dergleichen entbehrliche Dinge einkauft, vorwurfsfrei bleibt, weil er sich das beruhigende Zeugnis geben kann, dass er dem Staat nütze. Man könnte zwar einwerfen, dass es doch eine Verkehrtheit sei, wenn die Preise der entbehrlichsten Güter gerade am höchsten stehen, und dass die Menschen zu so einer verkehrten Schätzung des Wertes derselben verleitet werden könnten. Hierauf entgegne ich aber, dass diesem Missverstand durch Unterricht, ja durch die bloße gesunde Vernunft leicht vorgebeugt werden könne. Oder wer sollte wohl auf diesen Wahn verfallen, wenn er von seiner Kindheit an hört, dass man den Grundsatz im Staate habe, nur die entbehrlichen Dinge, und diese umso höher, je leichter sie ent-
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behrt werden können, mit Steuern zu belegen. Noch pflegt man einzuwenden, dass durch Besteuerung von Dingen, die entbehrlich sind, die Beziehung der Steuer unsicher gemacht werde, weil sich die Reichen verabreden könnten, diese entbehrlichen Artikel gar nicht einzukaufen. Diese Besorgnis aber fällt weg, sobald alle entbehrlichen Artikel besteuert sind, also dem Reichen kein Ausweg übrigbleibt, als Steuern zu entrichten, will er ein angenehmeres Leben führen. Hiezu kommt noch, dass er, wenn er es lebend nicht tut, doch nach seinem Tode sein ganzes Vermögen dem Staat überlassen muss. Wohl aber wird bei einer solchen Einrichtung, wie schon gesagt, der Reiche ohne Vorwürfe seines Gewissens genießen können, was die Natur Angenehmeres darbietet; denn er hat sichs durch seinen Fleiß verdient. Er ist nicht reich durch Zufall geworden, er schadet dadurch niemand, sondern übt, da er es tut, zugleich eine Wohltat aus. Dinge, die zwar im allgemeinen zu den entbehrlichen gehören, in besonderen Fällen aber, z. B. für Kranke, notwendig sind und vielleicht nur in eben der Menge von der Natur oder Kunst erzeugt werden können, in der sie zur Befriedigung dieses Bedürfnisses hinreichen, sind von der Steuer befreit und werden denjenigen, für die sie entbehrlich sind, ganz untersagt. Z. B. Weine in gewissen Ländern. Sind sie in großer Menge vorhanden, dann wird der Überfluss allerdings freigegeben, aber wie andere entbehrliche Güter besteuert. Auf die Frage, wie diese Steuern erhoben werden sollten, erwidere ich, so viel möglich nur unmittelbar vom Konsumenten, der diese Ware nicht vom Erzeuger, sondern vom Staat, nämlich aus den Handlungshäusern, bezieht. Bei Esswaren, die nicht erst in das Handelshaus eingebracht werden können, weil jeder längere Verzug sie verdirbt, ingleichen bei allen anderen Artikeln, wo dies aus was immer für Gründen nicht angeht, wäre es vielleicht eine der einfachsten Einrichtungen, dass solche Waren nur an bestimmten Plätzen verkauft werden, wo ein Marktaufseher jedem, der aus dem Ausgangstor von diesem Platz mit der gekauften Ware hervortritt, die gebührende Steuer abnimmt.
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Um Unterschleife57 (Paschen58 und Schmuggeln) zu verhindern, könnten verschiedene Waren bei ihrer Verfertigung mit einem eigenen Siegel und beim Verkauf mit einem zweiten bezeichnet werden. Wenn überdies jeder Bürger nicht nur das Recht, sondern die Pflicht hätte, eine Defraudation59 in den dem Staat gebührenden Steuern, wo er sie immer bemerkt, anzuzeigen, auch jeder straffällig würde, der sie nicht anzeigt, da er sie doch gewusst hat; so würde eben nicht zu besorgen sein, dass man den Staat sehr oft betrügen werde. In Betreff solcher Waren, bei welchen mancher Betrag dieser Art gleichwohl nicht zu verhindern stände, wäre es vielleicht der Sittlichkeit des Volkes zuträglicher, wenn der Staat erklärte, dass es jedem erlaubt sein soll, diese Waren vom Produzenten unmittelbar zu beziehen, wenn er Gelegenheit hat, sie von ihm leichter zu bekommen. Genug, wenn der Staat nur nicht duldet, dass es eigene Handelsleute gebe, welche die Waren aus den Händen der Produzenten in jene der Konsumenten liefern – neben den vom Staat (von der Gemeinde) selbst bestellten Handelspersonen. Das Vorhandensein solcher eigenen Handelsleute dürfte wohl jedenfalls leicht zu verhindern sein, da jeder seine Beschäftigung und Lebensart beim Sittenrichter angeben muss, auch die ganze Gemeinde doch davon Kunde haben müsste, wenn irgendjemand ein solches unerlaubtes Gewerbe bei ihr triebe. Also könnte nun höchstens jemand nur aus Gefälligkeit für einen Zweiten den Vermittler machen, was man denn gleichfalls für erlaubt erklären könnte. Endlich mag wohl zuweilen noch eine dritte Art der Besteuerung notwendig werden, nämlich die ganz erzwungene, welche dann eintritt, wenn der Staat einzelnen Bürgern geradezu die Summe angibt, die sie ihm abzuführen haben. Zu dieser Art der Besteuerung nimmt man nur zur Ergänzung dessen, was noch 57 Unterschlagung,
Unredlichkeit. mit Würfeln. 59 Hinterziehung von Abgaben. 58 Hasardspiel
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abgeht, seine Zuflucht, und die Zentralregierung verteilt die ganze Summe auf die einzelnen Länder, diese auf Kreise, diese auf die Gemeinden, diese auf die Familien. Lasst uns nun die wichtigsten Ausgaben, welche der Staat mit dieser Einnahme zu bestreiten hat, aufzählen. 1. Fürs erste ist es, wie ich schon einige Male andeutete, der Staat, der alle Kosten bestreitet, welche der Unterhalt, die Pflege, Erziehung und Unterweisung der Kinder und jungen Leute, von welchen Eltern sie immer abstammen mögen, verursacht. Dieses geschieht, weil a. nicht vorauszusetzen ist, dass die Eltern deshalb, weil ihre Ehe mit vielen Kindern gesegnet war, auch gleich imstande sein sollten, durch ihren Fleiß um soviel mehr zu erwerben, als die Verpflegung all dieser Kinder fordert; daher denn unumgänglich in einer solchen Familie Not einreißen müsste, wenn anders nicht etwa so zweckwidrige Einrichtungen beständen, dass jeder einzelne Bürger, wenn er nur will, imstande sein sollte, bei weitem mehr zu erwerben, als er zu seinem eigenen Lebensunterhalt bedarf. b. Nur wenn der Staat den Eltern, und zwar nicht bloß als ein Almosen, sondern als etwas, das sie zu fordern berechtigt sind, entrichtet, soviel ihnen zur Verpflegung ihrer Kinder notwendig ist, können und werden sie sich dieses Segens ihrer Verbindung erfreuen; im entgegengesetzten Falle ist nicht zu wundern, wenn sie bei jeder Vermehrung ihrer Familie mit Bangigkeit in die Zukunft sehen, auch auf Mittel, durch welche der Zweck der Fortpflanzung verhindert werden könnte, denken. c. Wenn es der Staat ist, der seine heranwachsenden Bürger auf diese Art von ihres Lebens erstem Augenblick an unmittelbar versorgt; lässt sich dann nicht erwarten, dass diese Bürger ihm auch inniger anhängen werden? Man könnte freilich entgegnen, es sei nicht billig, von denjenigen, die
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keine Kinder haben, die wohl gar ehelos leben, zu verlangen, dass sie zum Unterhalt fremder Kinder beisteuern sollen; es sei auch zu befürchten, dass die Eltern von den eigenen Kindern weniger geliebt werden würden, wenn diese erführen, wie wenig Kosten sie ihnen verursacht haben. Aber diese Einwürfe sind sehr seicht. Oder was sollte doch so Unbilliges darin liegen, dass man diejenigen, die keine Kinder haben, verpflichtet, einen Teil dessen, was sie eben darum entbehren können, an jene, die mit Kindern gesegnet sind, abzutreten? Werden die Arbeiten, die diese Kinder, wenn sie erst einst erwachsen sind, verrichten werden, nicht auch ihnen zugutekommen? Können sie nicht einigermaßen hoffen, von diesen Kindern geehrt zu werden, wie wenn sie ihre eigenen Eltern wären? Muss nicht ein jeder Mensch wünschen, in seinem hohen Alter nicht einsam und als der letzte Mensch in Gottes Schöpfung zurückzubleiben, sondern umgeben zu sein von jüngeren, kräftigen Personen, die ihn nähren und pflegen und ihm in seinem Todeskampf beistehen können? Wer keine eigenen Kinder hat, kann diesen wichtigen Dienst nur von den Kindern anderer erwarten; sehr billig also, dass er sie aufziehen60 helfe. Und wenn ihr dies alles nicht achtet, ihr Unempfindlichen! sagt an, was ihr beginnen wolltet, wenn sich diejenigen Familien, welche Kinder haben oder noch zu bekommen hoffen (und ihre Zahl ist die größte), vereinigen würden, um euch vom Angesicht dieser Erde zu vertilgen, weil ihr hart seid, ihren Kleinen, solange ihr lebt, nichts von dem Eurigen zu vergönnen? Was endlich noch die Besorgnis betrifft, dass diese Einrichtung die Liebe der Kinder zu ihren Eltern vermindern würde: ich fürchte nichts. Die Liebe der Kinder zu ihren Eltern entspringt nicht aus der erst in späteren Jahren möglichen Überlegung, wieviel sie ihren Eltern gekostet haben, sondern sie wird durch 60 Im
Text »auferziehen«.
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ganz andere Umstände, in denen bei der Art, wie ich mir das Verhältnis zwischen den Kindern und ihren Eltern im besten Staat denke, gar nichts geändert wird, erzeugt und wird nicht aufhören, wenn das heranwachsende Kind in der Folge hört, was der Staat zu seiner Erhaltung beigetragen habe, weil es begreifen wird, wie unendlich mehr noch dasjenige sei, was es der Liebe der Eltern schulde. 2. Der Staat ist es, der auch die Kosten der Erhaltung, Heilung und Pflege für alle kranken, bresthaften61, alten, gebrechlichen, blödsinnigen, kurz alle solche Personen bestreitet, die einmal außer Stande sind, sich das, wessen sie bedürfen, durch ihre eigene Arbeit zu verdienen. Die Billigkeit dieser Forderung fängt man auch schon zu unserer Zeit mehr und mehr an zu fühlen. Vermag doch niemand aus uns vorherzusehen, ob nicht ein solches Los auch ihn einst treffen werde; und jeder muss bekennen, dass er in diesem unglücklichen Fall doch gewiss wünschen würde, wenn eine solche Einrichtung im Staat bestände. 3. Der Staat ist es, der den Ersatz jeglichen Schadens auf sich nimmt, der nur durch unverschuldete Zufälle entstanden und von der Art ist, dass er durch Geld und Geldeswert ersetzt werden kann. Dass eine solche Einrichtung äußerst wohltätig sei, leuchtet von selbst ein. Denn welch eine unübersehbar große Menge menschlicher Leiden wird nicht auf diese Art mit einem Mal behoben, weil der Verlust, welchen der Einzelne erlitt, wenn er auf alle verteilt wird, gar nicht empfunden wird! Und sollen vernünftige Menschen nicht streben, dem blinden Zufall seine Macht über uns, soviel es nur möglich ist, zu beschränken? Daher hat man denn auch schon gegenwärtig durch die Errichtung so mancher Assekuranzgesellschaften auch in un61 Bei
schwach.
Bolzano »preßhaft« für bresthaft (süddt.): kränklich, alters-
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Sechsundzwanzigster Abschnitt
seren Staaten einen sehr dankenswerten Anfang zu dieser Einrichtung gemacht. Nur gibt es Güter, welche dem Menschen durch Zufall entrissen werden können und doch glücklicherweise nicht zu den unersetzlichen gehören, noch ungleich mehrere, als man bisher durch jene Gesellschaften versucht hat, sicherzustellen. In einem wohleingerichteten Staat bedarf es nicht erst eigener Gesellschaften zu diesem Zweck, sondern der Staat selbst ist es, der die Pflicht des Schadenersatzes bei all seinen Bürgern auf sich nimmt. Ob er auch dazu berechtigt sei; ob der Staat denjenigen, der an einer solchen Anstalt nicht freiwillig teilnimmt, auch dazu zwingen dürfe, wie es geschieht, wenn er den Schadenersatz der Verunglückten nicht aus einer besonderen Kasse, sondern aus jenen Steuern bestreitet, die er von allen seinen Bürgern nach einer gleichen Regel bezieht? Diese Frage kann wohl nur demjenigen beikommen, der die Begriffe der Schule kennengelernt hat. Dem bloßen gesunden Menschenverstand genügt es, einzusehen, dass es etwas offenbar Gutes sei, wozu man hier nötigt; dass im entgegengesetzten Falle, wenn es jedem einzelnen Bürger freigestellt werden sollte, ob und welcher Schadensversicherungsanstalt er eben beitreten wolle, eine unendliche Menge Rechnungen notwendig werden würde. Gegründeter ist der Einwand, dass solche Versicherungsanstalten die Menschen sorglos und unbehutsam machen. Aber können wir nicht durch andere Mittel, durch Unterricht und Erziehung dahin wirken, dass die auch bei allen Versicherungsanstalten noch immer notwendige Tugend der Vorsicht unter den Menschen nicht verlorengehe? Können wir diejenigen, welche sich einer erweislichen Unvorsichtigkeit schuldig gemacht, für diese nicht bestrafen? Und ist es wohl nötig, ja in den meisten Fällen auch nur möglich, den Schaden, den sich der Unvorsichtige zugezogen, so vollkommen zu ersetzen, dass er gar keinen Antrieb behält, künftig vorsichtiger zu werden?
Von der Besteuerung der Bürger und von den S taatsausgaben 159
4. Der Staat ist es, der die Bestreitung aller Auslagen für die Erzeugung oder Verfrachtung62 eines Gutes in all denjenigen Fällen auf sich nimmt, wo diese Auslagen eine zu hohe Summe ersteigen, als dass der Einzelne das Gut genießen könnte, wenn ihre Bestreitung ihm sollte zugemutet werden und wenn es gleichwohl bei genauerer Berechnung sich zeigt, dass auch bei diesen vielen Auslagen zwar nicht die Staatskasse, wohl aber die Menschheit im Ganzen gewinnen werde. Der Fall, den ich hier vor Augen habe, pflegt sich besonders dann oft zu ergeben, wenn es sich um ein Gut handelt, das zur Stillung solcher Bedürfnisse dient, für die nicht Güter genug herbeigeschafft werden können, wenn ferner die großen Auslagen, die dieses Gut verursacht, nicht etwa dadurch veranlasst werden, dass eine Menge anderer, genießbarer Stoffe um seinetwillen zerstört werden müssen, sondern bloß dadurch, dass die Erzeugung oder Verführung desselben sehr viele Arbeiten erfordert. Wenn nämlich die Anzahl der Menschen je mehr und mehr anwächst, und wenn noch überdies so manche Arbeit, wozu bisher Menschen erforderlich waren, mit der Zeit durch Maschinen betrieben wird: so ist leicht zu erachten, dass sich allmählich immer mehr Menschen vorfinden müssen, die zu beliebigen Arbeiten verwendet werden können. Wenn also auch die Arbeiten, welche die Erzeugung oder Herbeiführung gewisser Mittel zum Leben erfordert, noch so vielfältig sind, etwa so, dass die Summe der Nahrungsmittel, welche die Arbeiter verbrauchen, bei weitem mehr beträgt, als das herbeigeschaffte Gut wert ist: dennoch, wenn nur der Staat keine Beschäftigung für diese Menschen weiß, durch die sie etwas von höherem Wert hervorbringen könnten; so ist es besser, sie auf diese, als eine andere Art zu beschäftigen oder ganz unbeschäftigt zu lassen, und die Menschheit gewinnt, wenn sie dieses Gut herbeischaffen, doch immer etwas; wenn auch der Preis, um wel62 Im
Text »Verführung«.
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Sechsundzwanzigster Abschnitt
chen der Staat dasselbe endlich an die Genießenden überlässt, in gar keinem Verhältnis mit den gehabten Auslagen steht. Wir müssen, um billig zu sein, bekennen, dass auch in unseren jetzigen Staaten schon manches geschehe, was sich mit Unternehmungen von dieser Art vergleichen lässt. Jede Straße, die der Staat anlegt, jede Brücke, die er auf seine Kosten erbaut, kann uns als Beispiel dienen. Aber wie vieles andere in dieser Art, was noch geschehen könnte, unterblieb bisher; und wie manches, was bisher eben noch nicht zu geschehen brauchte, dürfte nicht erst in der Folge bei vermehrter Menschenzahl dringende Notwendigkeit werden! – So gibt es z. B. noch Wälder, in denen das Holz verfault, während in anderen Gegenden großer Holzmangel herrscht; weil die Kosten der Verführung in eine solche Ferne viel zu hoch steigen, als dass die Einzelnen, die jenes Holzes bedürfen, sie zu bestreiten vermöchten. Hier also wird es bald notwendig sein, dass der Staat eingreife und die Verführung des Holzes aus jenen Wäldern auf näher gelegene Plätze über sich nehme. 5. Der Staat übernimmt es, die Kosten aller Versuche und Unternehmungen zu bestreiten, die von der Art sind, dass sie ein Einzelner füglich nicht wagen kann. 6. Der Staat ist es, der begreiflicherweise auch alle solche Auslagen bestreitet, welche die Lagerung63 oder Versendung aller derjenigen Güter verursacht, die er überhaupt gar nicht als Eigentum eines Einzelnen, sondern nur als Gemeingut betrachtet wissen will. Also die Kosten der Aufführung und Unterhaltung aller Gebäude, Straßen, Kanäle usw., die Kosten der Auflagen aller Bücher, die Ausfertigung aller Gemälde und Bildsäulen, welche an öffentlichen Arten aufgestellt werden sollen usw., werden vom Staat bestritten.
63 Im
Text »Darstellung«.
Von der Besteuerung der Bürger und von den S taatsausgaben 161
7. Der Staat ist es endlich auch, der für den Lebensunterhalt derjenigen sorgt, die ihre Zeit mit Arbeiten von einer solchen Art zubringen sollen, dass zu erwarten steht, sie werden ihrer Bestimmung vollkommen entsprechen, wenn ihre Einnahme nicht vom Zufall oder guten Willen der Einzelnen abhängt: sondern vom Staat nach einer festgelegten Regel verabfolgt wird, und wenn sie eben deshalb auch vom Staat in Pflicht genommen werden. Hierher gehören meines Erachtens: a. Die gleich anfangs erwähnten Regierungsbeamten, sofern die Geschäfte, welche sie zu besorgen haben, den größten Teil ihrer Zeit in Anspruch nehmen; b. alle Gelehrten, die mit gemeinnützigen Untersuchungen oder mit Abfassung nützlicher Schriften beschäftigt sind; c. alle diejenigen, die sich mit dem Unterricht und der Erziehung befassen; d. alle Ärzte; e. alle diejenigen, die das Geschäft des Abkaufs der Waren von ihren Erzeugern und ihres Verkaufes an die Genießenden, ingleichen ihre Versendung64 von einem Orte zum anderen und ihre Aufbewahrung zu besorgen haben; f. alle diejenigen, deren der Staat zu dem Geschäft der Aufsicht (wie die Marktaufseher) oder zur Führung seiner Rechnungen oder zu anderen Geschäften bedarf, durch welche keinem Einzelnen ein unmittelbarer Dienst geleistet, wohl aber dem Ganzen genützt wird; g. alle Richter, die mit ihrem Amt nicht bloß zeitweilig, sondern fortwährend beschäftigt sein sollen. Usw. Alle diese Personen werden, so hoffe ich, ihre Berufspflichten mit mehr Lust und Eifer erfüllen, wenn ihr Lebensunterhalt gesichert ist; sie werden auch mit mehr Nachdruck wirken und sich den Launen des Einzelnen kräftiger widersetzen, wenn sie von ihm 64 Im
Text »Verführung«.
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Sechsundzwanzigster Abschnitt
nicht abhängen und nicht als seine, sondern als Diener des Ganzen erscheinen. Nicht also ist es mit denjenigen Personen, die eine jede einzelne Religionsgemeinde für nötig erachtet, um ihren öffentlichen Gottesdienst zu bestellen oder um ihre religiösen Begriffe durch Unterricht weiter zu verbreiten, die man gewöhnlich Geistliche oder Religionslehrer nennt. Personen dieser Art dürfen, weil der Staat niemand zwingen darf, dass er sich zu einer bestimmten Religionspartei halte, auch nicht von Seiten des Staates angestellt und versorgt werden, sondern die Bürger, die sich zu einer und eben derselben Religion bekennen, machen es unter sich selbst aus, ob und auf welche Art sie dergleichen Geistliche, immer noch mit der Bewilligung des Staates, unterhalten wollten. Sind mehrere Staatsgemeinden, ja ganze Kreise und Länder von einer und eben derselben Religion, so können sie sich ihre Geistlichen auf eine Weise wählen und für ihren Unterhalt durch Verfügungen sorgen, dabei es ganz so aussieht, als ob sie Staatsbeamte wären. Anlangend nun die Gehalte, die der Staat diesen Beamten oder auch anderen Personen, die nur gewisse zeitweilige Dienste ihm leisten, zahlt; so ist der Maßstab, nach welchem man sie bemisst, durchaus kein anderer als die Länge der Zeit, die man bei einer mäßigen Anstrengung auf die verrichtete Arbeit hätte verwenden müssen; dergestalt dass, wer dem Staate dient, nicht mehr noch weniger erwirbt als jeder andere, der seine Zeit fleißig zu Rate hält; nicht mehr, weil man sich sonst zum Dienste des Staates drängen und den Privatmann, der eines Dienstes bedarf, vernachlässigen, am Ende wohl gar auch Mittel finden würde, die Regierung dahin zu vermögen, dass sie gewisse Stände für notwendig erklärt, die es doch wirklich nicht sind. Nicht weniger, weil es auf jeden Fall unbillig wäre, dass, wer für das Allgemeine wirkt, weniger belohnt werde, als wer dem Einzelnen dient. Um nun die hier beschriebenen Einnahmen und Ausgaben des Staates gegeneinander am leichtesten ausgleichen zu können, um entbehrliche Hin- und Hersendungen, Rechnungslegungen usw.
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zu vermeiden und um die Übersicht des Ganzen nicht ohne Not zu erschweren, übernimmt die Gemeinde die Verlassenschaft ihrer Glieder mit den schon angedeuteten Ausnahmen gleich für die Ausgaben, die wieder sie zu bestreiten hat; dasselbe geschieht mit den freiwilligen Steuern sowohl als mit den übrigen, sofern sie durch ihre Hände gehen. Mit diesen Einnahmen nun sucht sie die Kosten zu decken, welche die Erhaltung der bei ihr lebenden Kinder verursachen, ingleichen die Kosten für die bei ihr sich befindlichen Beamten des Staates, die Auslagen für die bei ihr vorkommenden Baulichkeiten usw. Ist nun eine Gemeinde außerstande, alles zu leisten, was sie auf diese Art bestreiten sollte; ein Fall, der besonders dann eintreten könnte, wenn diese Gemeinde z. B. durch eine Feuersbrunst oder ein Missjahr Schaden genommen u. dergl., dann requiriert sie ihren Bedarf vom Kreis, nachdem die nachbarliegenden Gemeinden ihr bloß bezeugt, wie groß ihr Bedarf sei, und sie erhält das Verlangte gegen eine Art von Wechsel oder Schuldbrief, angemessen dem Geldwert des Empfangenen. Dergleichen Wechsel rollieren nun als Papiergeld. Man zahlt damit. Auf jedem steht der Name der Gemeinde, von welcher er ausgestellt ist, das Quantum und die Totalsumme der zur Zeit seiner Ausstattung bestandenen Schuld. Hat eben dieselbe Gemeinde, die heute etwas vom Staat empfängt, morgen etwas an andere abzugeben, so löst sie einen Teil ihrer Wechsel ein. Rollieren viele Wechsel von einer Gemeinde, die sie nicht einlösen kann, oder eigentlicher, ersteigt ihre Totalschuld eine zu hohe Summe: so wird von Seiten des Landes untersucht, ob nicht an der Gemeinde selbst die Schuld liege, ob sich z. B. nicht ein gewisser Geist der Trägheit bei ihr eingeschlichen habe. Findet sich dieses, so wird sie dadurch bestraft, dass ihr die Beziehung gewisser zum Leben eben nicht unentbehrlicher Dinge, z. B. gewisser Nahrungsmittel, die nur zur Erhöhung des Wohllebens dienen, untersagt wird. Wird aber die Gemeinde unschuldig befunden und ist sie bloß durch unvermeidliche Unglücksfälle oder durch die geringe Fruchtbarkeit ihrer Gegend, das raue, unwirtliche
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Siebenundzwanzigster Abschnitt
Klima, in diese Schuldenlast geraten, dann tilgt man einen Teil ihrer Wechsel, indem man den Inhabern derselben vom Staate gefertigtes Papiergeld gibt.
SIEBENU NDZWANZIGSTER ABSCHNITT Von Belohnungen und Strafen 65 Das Gute nach Möglichkeit zu befördern und das Böse dagegen zu hindern, ist eine natürliche Pflicht aller Menschen; sie mögen in diesem oder in jenem oder auch in gar keinem Staate leben. Aus dieser Pflicht ergibt sich für jeden, der in einem Staat lebt, dessen Regierung den Willen hat, das Gute zu lohnen und das Böse zu strafen, die Pflicht, alles Gute und Böse, das er an seinen Mitbürgern bemerkt, gehörigen Ortes anzuzeigen, wenn es anders von der Art ist, dass diese Anzeige Nutzen stiften kann, z. B. zur Ermunterung für andere oder zur Warnung für jemand, dem man irgendein Amt anvertrauen wollte, oder zur Rettung der jenigen, die durch ihn leiden, oder zu seiner eigenen Besserung oder zu seiner für andere abschreckenden Bestrafung u. dergl. In unseren neuesten Staaten wird diese Pflicht ganz verkannt; man macht sich oft noch ein Gewissen daraus und sagt: Ich will den Menschen nicht unglücklich machen u. dergl., man fürchtet sich vor einer Menge Unannehmlichkeiten und vor dem üblen Ruf 65 Es
wird in diesem Staat konsequent darauf geachtet, Gutes zu verstärken und vor Straftaten abzuschrecken. Zur Sicherung vor Pflichtverletzungen von Beamten entwirft Bolzano ein ausgeklügeltes System für Anzeigen von Vergehen. Erweisen sie sich als richtig, wird der Anlassgeber des Verfahrens belohnt, Verleumder werden bestraft. Bei notwendigen Strafen für Gesetzesbrecher aller Art setzt Bolzano grundsätzlich auf Einsicht und Milde; schließt aber, obwohl er ihren möglichst kurzen und schmerzlosen Vollzug vorschlägt, die Todesstrafe nicht aus. Wird der Beklagte unschuldig befunden; so fällt nun sein Ankläger, er sei es öffentlich oder nur insgeheim gewesen, in Untersuchung.
Von Belohnungen und Strafen 165
eines Anklägers. Daher befinden sich denn so viele lasterhafte Personen im Besitz der wichtigsten Staatsämter, und während jedermann von ihrem schlechten Wandel überzeugt ist, weiß nur diejenige Behörde nichts davon, von welcher die Besetzung eines solchen Amtes abhängt, oder auch hier weiß man davon, aber man duldet den Unfug, weil doch kein Kläger erscheint! In einem zweckmäßig eingerichteten Staat muss also die Pflicht einer solchen Anzeige schon in den Schulen vorgetragen und gehörig eingeschärft werden. Inzwischen dürfte es doch nicht geraten sein, ganz anonyme Anzeigen anzunehmen, weil sie aus bloßer Bosheit herrühren könnten und da nicht nur eine unnütze Mühe verursachen, sondern auch immer einen gewissen Flecken auf den guten Namen des Beklagten, der doch ganz unschuldig ist, hinterlassen würden. Damit aber niemand die Anzeige eines Vergehens aus bloßer Furcht vor Rache unterlasse; so wird der Mittelweg eingeschlagen, dass man bei einer bestimmten Behörde versiegelte und mit dem Namen des Klägers und einer beliebigen Chiffre versehene Anklagen annimmt. Der Vorsteher dieser Behörde, der diese Eingaben zu erbrechen hat, ist nun die einzige Person, welche den Namen des Klägers erfährt und die demselben beigegebene Chiffre durch die Zeitungen als solche bekanntmacht, die eine eingelaufene Klage kennzeichnet. So wird es diesem Vorsteher unmöglich gemacht, die Klage zu unterdrücken oder den Namen des Klägers zu verraten, weil sein Verbrechen in jedem dieser Fälle leicht zu entdecken wäre. Er leitet also die Untersuchung bei der betreffenden Behörde, z. B. bei der Gemeinde, in welcher der Beklagte lebt, ein. Von der Echtheit der Unterschriften aber überzeugt man sich leicht dadurch, dass die Unterschriften aller Bürger in den Gemeinden deponiert sind und also von Seite jener Behörde eingesehen werden können. Im Falle, dass ein Verbrechen erwiesen wird, dessen Begehung von mehreren anderen beobachtet werden konnte, werden selbst diese straffällig, besonders wenn sie zur Klasse derjenigen gehören, denen die Aufsicht über andere vornehmlich zukommt, z. B. Geistliche sind. Wenn er sich
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Siebenundzwanzigster Abschnitt
ausweisen kann, dass er vernünftige Gründe zu seinem Verdacht gehabt, so wird er losgesprochen; im Gegenteil aber als Verleumder bekannt gemacht und bestraft. Sollte man glauben, dass es bei allen diesen Einrichtungen in gewissen Fällen doch noch erwünschlich wäre, anonyme Anklagen zuzulassen: so dürften sie doch anfangs nur eine heimliche Untersuchung veranlassen, bis etwa wichtigere Inzichten66 zum Vorschein gekommen sind. Übrigens gilt, was hier von Anzeigen, die eine Klage enthalten, gesagt worden ist, mit den gehörigen Abänderungen auch von solchen Anzeigen, die auf Verdienste aufmerksam machen. Denn auch dergleichen wünscht der Staat zu erhalten, und es ist Pflicht der Behörde, bei der sie eingebracht werden, sie nicht unbeachtet zu lassen, sondern die fernere Untersuchung einzuleiten. Wenn nun auf solche Veranlassung oder auf sonst eine andere Weise der zu diesem Geschäft bestimmten Behörde offenbar wird, dass irgendein Bürger getan, was der Belohnung wert ist, so soll ihm diese auch keineswegs vorenthalten werden. Es zeigt sich aber, dass es zwei Arten von Handlungen gebe, welche ein zweckmäßig eingerichteter Staat auf eine gewisse Weise zu lohnen nicht außer Acht lassen soll: dass es aber aus eben diesem Grunde auch notwendig sei, zwei Arten der Belohnungen zu unterscheiden. Ein weiser Staat muss nämlich, soviel es möglich ist, dahin streben, dass einem jeden, der seinen Mitbürgern irgendeinen füglicher Weise von ihm nicht zu erzwingenden Dienst leistete, dafür entgolten werde; und dieses zwar auch, wenn es sichtbar genug ist, er habe diesen Dienst nicht aus den reinsten sittlichen Gründen geleistet; wenn nur nicht vorliegt, er habe in böser Absicht begonnen, was durch den bloßen Zufall anderen zum Heil gereichte. So muss der Staat verfahren, damit ein hinlänglich starker Ermunterungsgrund, Gutes zu tun, für einen jeden, auch für denjenigen entstehe, der sich zu einer ganz reinen und uneigennützigen Tugend noch nicht zu erheben vermag. Gestehen wir aber selbst sol66 Alter
Rechtsbegriff für »Beschuldigungen«.
Von Belohnungen und Strafen 167
chen Handlungen, die nur aus Eigennutz fließen, weil sie doch dem gemeinen Besten dienen, eine Entgeltung zu: können wir da verlangen, dass eine Tugend, die ohne alle eigenen Vorteile, ja mit der größten Aufopferung für das gemeine Beste bewirkt hat, ohne Belohnung verbleibt? Gewiss nicht; nur leuchtet ein, dass die Belohnungen in diesem und jenem Falle verschieden sein müssen. Taten der ersten Art können durch sinnliche Vorteile vergolten werden. Wer sich z. B. aus freien Stücken herbeiließ zu einer beschwerlicheren Leibesarbeit, die zu verrichten war, dem lohne es die Gemeinde durch eine Bezahlung, die etwas höher ist, als es nach der auf diese Arbeit verwandten Zeit ausfiele u. dergl. Bei einem Mann dagegen, der uns Beweise von höherer sittlicher Stärke gegeben, haben wir zwar noch eben keinen Grund, vorauszusetzen, dass er den sinnlichen Freuden ganz abgestorben sei. Er ist und soll es nicht sein und er verdiente gewiss, da er so vielen anderen zum Genuss des irdischen Glückes verholfen, auch selbst zu schmecken, was diese Erde Erfreuliches hat. Aber der Anteil, den ihm der Staat an dem Genuss solcher irdischer Güter gleich jedem anderen gestattet, kann ihm nicht als Belohnung angerechnet werden; und einen Vorzug, den man ihm hier auf Kosten anderer einräumen wollte, ein Besitztum von ganz besonderem Wert, Gerichte, die einen ganz ausgezeichneten Wohlgeschmack haben, Dinge von dieser Art würde er selbst verschmähen. Womit belohnen wir ihn also? Könnte es nicht etwa mit einem Amt sein, mit einem solchen Amte, das seinen Kreis wohltätigen Wirkens erweitert? Ich glaube es als einen allgemeinen Grundsatz aufstellen zu müssen, dass man in einem zweckmäßig eingerichteten Staat Ämter nie als Belohnungen ansehen, nie zur Vergeltung gewisser, sei es noch so großer, dem Lande geleisteter Dienste, verleihen dürfe. Allerdings gibt es Ämter, die auch im besten Staat nur Männern von der geprüftesten Rechtschaffenheit, von großen Einsichten oder von andern ausgezeichneten Eigenschaften anvertraut werden dürfen; und wem nun ein solches Amt von seinen Mitbürgern angetragen wird, der wird durch diesen Antrag frei-
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Siebenundzwanzigster Abschnitt
lich geehrt und mag diese Ehre immerhin als eine ihm zuteil gewordene natürliche Belohnung seiner Tugenden ansehen: was ich behaupte, ist nur, dass sich von Seite der Bürger unter den Gründen, durch deren Erwägung sie sich bestimmen lassen, ihm diesen Antrag zu tun, niemals der Grund, ihn zu belohnen, vorfinden sollte. Ein Amt nämlich, das so beschaffen sein soll, dass man sich durch den Ruf zu demselben geehrt glauben kann, muss doch gewiss ein Amt von wichtigem Einfluss sein. Bei der Besetzung eines solchen aber geziemt es sich, die Aufmerksamkeit aller, die eine Stimme hierüber abzugeben haben, bei der Betrachtung der einzigen Frage ungeteilt festzuhalten: wer der geeignetste sei, wer hoffen lasse, dass er das Amt mit dem gesegnetsten Erfolg für die Menschheit verwalten werde? – Diese Frage ist schon an sich so schwer und fordert zu ihrer richtigen Beantwortung so viele Rücksichtnahme, dass es uns notwendig nur beirren muss, wenn wir, statt uns mit ihr allein zu beschäftigen, noch auf einen anderen Umstand hinsehen wollen, auf einen Umstand, der höchstens erst dann eine Beachtung verdiente, wenn wir zwischen Personen, die eine vollkommen gleiche Tauglichkeit haben, zu wählen hätten. Denn nur in diesem seltenen Falle erst wäre es erlaubt, denjenigen vorzuziehen, der das Amt auch als Belohnung betrachtet und in einem höheren Grad verdient. Doch dieser Fall, wie gesagt, kann sich bei der so großen Mannigfaltigkeit der Menschen und bei den so vielfältigen Eigentümlichkeiten, welche ein jedes Amt zu seiner gehörigen Verwaltung nötig hat, nur äußerst selten ergeben. Und wie es den rechten Gesichtspunkt schon bei Wählern verrückt, wenn sie das zu vergebende Amt als eine Art von Belohnung ansehen wollen; so und noch mehr leitet eine solche Vorstellung denjenigen irre, der das Amt annehmen soll. Erklären wir, dass wir ihn mit diesem Amt beteilen, um ihn für seine Verdienste zu belohnen; muss sich ihm da nicht unwillkürlich der Gedanke aufdringen, dass wir mit diesem Amte ihm nicht sowohl neue Pflichten und Obliegenheiten auflegen, als vielmehr nur gewisse Vorteile und Bequemlichkeiten, deren er bisher
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entbehrt hatte, zugestehen wollen? Daher lehrt auch die Erfahrung in allen denjenigen Staaten, in welchen man Ämter als Belohnungen austeilt, wie überaus schlecht gerade die wichtigsten Ämter und Würden verwaltet werden; weil nichts gewöhnlicher ist, als dass die Personen, die sich mit diesen Würden geschmückt sehen, sie nur als Mittel betrachten, um ein bequemeres Leben zu führen. Aus dem Bisherigen erhellt nun von selbst, dass die Belohnung, welche ein zweckmäßig eingerichteter Staat dem sittlichen Verdienst bieten kann, in nichts anderem bestehe als in der Hochachtung, welche die übrigen Bürger dem Mann, der sich um sie verdient gemacht hat, teils jeder im Einzelnen bei den Gelegenheiten, die das Leben täglich und stündlich darbietet, ganz ungeheißen bezeugen, teils bei gewissen Anlässen auch öffentlich und in Gemeinschaft an den Tag legen werden, wenn erst der Staat dafür gesorgt, diese Verdienste desselben ihnen bekannter zu machen. Diese Bekanntmachung also ist das einzige, was hier von Seite des Staates zu geschehen hat. Zu den soeben erwähnten öffentlichen Anlässen aber gehören ganz vornehmlich Sittengerichte. Denn wenn man es schon in so manchen älteren Staaten für sehr ersprießlich erkannt hat, von Zeit zu Zeit eigene Sittengerichte zu halten; so wird es dergleichen gewiss auch im besten Staate geben. Wohl alle Jahre sollte in jeder Gemeinde ein solches Sittengericht veranstaltet werden; die Sittenrichter würden für jedes Jahr von der Gemeinde selbst durch Stimmenmehrheit erwählt, so zwar, dass niemand während des Verlaufs des Jahres vorauswissen könnte, wer etwa Sittenrichter sein wird. Die gewählten Richter fangen ihr Amt damit an, dass sie die ganze Gemeinde und jeden im Einzelnen auffordern, über jeden ihrer Mitbürger ihr aufrichtiges Urteil abzugeben, ob er Lob oder Tadel und in welchen Stücken er das eine oder das andere verdiene. Hierauf verlesen sie die Namen aller Bürger (nach den Hausnummern) die einzelnen Glieder der Familie bis zu dem 15. Jahre abwärts und fordern über jeden das Urteil der Anwesenden. Vornehmlich wird danach gefragt, womit sich jeder beschäftigt habe,
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Siebenundzwanzigster Abschnitt
wie fleißig er gewesen, ob er stets mäßig gelebt u. dergl. Am Ende legen auch sie selbst, die gewählten Richter, der ganzen Gemeinde Rechenschaft von ihrer Beschäftigung ab und bitten, man wolle auch sie auf ihre eigenen Fehler, deren gewiss ein jeder Mensch hat, aufmerksam machen. Verdienste von größerer Art werden durch eine schriftliche – von der Gemeinde, vom Kreis oder noch einer höheren Behörde ausgefertigte – Dankadresse geehrt; und die Nachricht hievon wird zur Ermunterung für andere auch in öffentlichen Blättern mitgeteilt. Ist der verdienstvolle Mann noch jung oder leben doch noch seine Eltern oder Erzieher und Lehrer und lässt sich auch mit Grund annehmen, dass es nur dieser Personen zweckmäßige Behandlung gewesen sei, welche den Grund zu seinen Vorzügen gelegt; so werden auch diese mit einer Gesandtschaft, die ihnen im Namen des Staates Dank sagen soll, erfreut. Hat der verdienstvolle Mann sein Leben erst beschlossen, dann wird sein Andenken noch freimütiger gefeiert. Es wird sein Bildnis an einem schicklichen öffentlichen Ort aufgestellt, es werden Lebensbeschreibungen von ihm geliefert, und in den Jahr büchern der Geschichte wird das Gedächtnis seiner Taten verewigt. Bei Bürgern, die noch auf einer niedrigeren Stufe der Bildung stehen, namentlich bei allen, die sich noch in einem jugendlichen Alter befinden, mag auch die Ausschmückung mit einem Ehrenzeichen, das sie an ihrem Leibe zu tragen berechtigt sind, ein nicht verwerfliches Belohnungsmittel sein, besonders wenn erklärt wird, dass man das Tragen dieses Ehrenzeichens immer der Absicht zuschreiben werde, dass der Beteilte hiedurch andere zur Nachahmung ermuntern wolle. Nach dem Gesagten braucht nicht erst erinnert zu werden, dass es im besten Staat nicht bloß das männliche Geschlecht sei, das man bestrebt ist, zu belohnen. Auch die Verdienste, die sich das weibliche Geschlecht erwirbt, müssen hier anerkannt und gewürdigt werden. So werden vornehmlich, wie schon erwähnt ist, eigene Dankadressen an Mütter erlassen, deren Söhne sich durch Verdienste ausgezeichnet haben; dergleichen Dankadressen werden auch solchen Müttern
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zuteil, welche dem Staat viele Kinder geboren und großgezogen haben, die, wenn sie auch eben noch nichts Außerordentliches geleistet, sich doch als rechtschaffene Bürger dargestellt haben. Wie niemand, der Belohnung verdient, unbelohnt bleiben soll, so auch niemand straflos, der Strafe verdient. Strafe verdient aber freilich nur derjenige, der ein Gesetz übertritt, das er gekannt hat oder das ihm doch hätte bekannt sein können und sollen. In unseren bisherigen Staaten verstoßen gar viele gegen die Gesetze, weil sie dieselben nicht kennen und nicht einmal Gelegenheit haben, sie kennenzulernen; im besten Staate werden die Gesetze in den Schulen nicht bloß gelehrt, sondern auch ihre Zweckmäßigkeit gezeigt. Die Übertretung dieser Gesetze wird mit gewissen Strafen bedroht, die jedoch nicht immer ganz genau bestimmt sind, sondern nach den jeweiligen Umständen (nach der sittlichen Bösartigkeit des Verbrechers, nach der gerade jetzt vorherrschenden größeren Hinneigung zu dieser Art von Vergehungen beim Volk u. dergl.) verschiedentlich modifiziert werden. Der Zweck, warum man Strafen ankündigt, ist lediglich jener der Abschreckung von dem Bösen; der Zweck, warum man Strafen vollzieht, kann nach Beschaffenheit der Umstände verschiedentlich sein: a) um die gemachte Ankündigung oder Drohung noch für die Zukunft in ihrer Glaubenswürdigkeit und Kraft zu erhalten; b) und durch die sinnliche Darstellung in einem wirklichen Fall ihr noch mehr Lebhaftigkeit und Nachdruck zu geben; c) um den angerichteten Schaden ganz oder zum Teil wiedergutzumachen; d) um dem Verbrecher die Gelegenheit zu ferneren Verbrechen dieser oder einer anderen Art zu nehmen; e) um seine Gesinnung zu ändern und zu bessern; usw. Aus der Beschaffenheit dieser Zwecke ist nun in jedem vorkommenden Fall die Art und Größe der Strafe zu beurteilen. Der wichtigste Umstand, wonach sich die Bestimmung der Strafe richtet, ist die Gesinnung des Täters. Ein Mensch, der aus blo-
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ßer Übereilung gesündigt hat, wird nur gelinde bestraft; sehr scharf dagegen, wer eine böse Gesinnung verrät, auch bei den kleinsten Verbrechen, z. B. einem Diebstahl von einigen Groschen, wenn es sich zeigt, dass er mit Überlegung ausgeführt worden sei. Menschen, die eine böse Gesinnung verraten, es sei nun durch die Natur des Verbrechens selbst oder durch andere Umstände, die bei dieser Gelegenheit ans Tageslicht treten, werden jedes höheren Amtes verlustig und dazu unfähig erklärt – bis die entschiedensten Beweise eines gebesserten Herzens geliefert sein werden. Daher wird bei jedem Gericht ganz vornehmlich darauf gesehen, was die herbeizuziehenden Bekannten und Nachbarn des Beschuldigten über sein sittliches Betragen und über seinen Charakter aussagen. Wenn nun schon in den Gesetzen selbst keine genaue Bestimmung der Strafe, sondern allenfalls nur gewisse Grenzen derselben festgesetzt sind, so wird man sich doch weniger in den Schulen bei diesen Strafen aufhalten; denn wozu sollte das nützen? Wer die Gesetze zu übertreten wagt, der mag sich gleich immerhin auf die strengste Strafe gefasst machen. Mit Recht wird übrigens die Untersuchung des Faktums67 und die Bestimmung der Strafe, welche es verdient, unterschieden. Nur möchte ich glauben, dass man gerade das Gegenteil von dem zu tun habe, was noch jetzt in einigen Staaten geschieht, wo man die Untersuchung des Faktums der Jury, einer Gesellschaft, die aus nicht geübten Rechtsgelehrten68, sondern aus Personen desselben Standes mit dem Beklagten zusammengesetzt ist, die Bestimmung der Strafe den Juristen überlässt. Gerade die Untersuchung des Faktums, was der Beklagte eigentlich begangen habe, die Herstellung eines vollgültigen Beweises, ist oft äußerst schwer und kann nur Personen, die in der Art Untersuchungen sehr eingeübt sind, mit einiger Sicherheit überlassen werden. 67 Heute
würde man von einem »Delikt« sprechen. der Art von Schöffen, wie sie auch heute noch in Deutschland und Österreich gebräuchlich sind. 68 In
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Wenn man aber einmal herausgebracht hat, was der Verbrecher begangen; dann wird es der gemeine Menschenverstand unbefangener als Gelehrte beurteilen, was für Strafe der Verbrecher verdiene. Nur zu dem ersten Geschäft also wird es eigener, vom Staat angestellter Personen (Inquisitoren oder wie man sonst sie nennen will)69 bedürfen; zum eigentlichen Richteramt aber dürften mehrere, etwa zwölf aus der Gemeinde des Verbrechers für diesen Akt eigens gewählte Personen genügen. Einen Termin, innerhalb dessen die Untersuchung der Inquisitoren beendigt sein soll, festzusetzen, scheint weder möglich noch nötig; sobald man nur einigermaßen verlässige und rechtschaffene Personen zu diesem Amt gewählt hat. Der Regel nach wird jedes gröbere Verbrechen, das jemand begangen, samt der darüber verhängten Strafe kundgemacht. Ausnahmen finden nur statt, wo diese Kundmachung selbst zu einem Ärgernis gereichen könnte. Die Strafen bestehen a) in Absetzung vom Amt, sobald es ein höheres ist; b) in Erlegung einer gewissen Geldsumme bei kleineren, vornehmlich nur aus Eigennutz entsprungenen Vergehungen, und diese Strafgelder werden teils zur Entschädigung des Beeinträchtigten, teils zu anderen gemeinnützigen Zwecken verwendet; c) in Gefängnissen, wo bei schmaler Kost beschwerliche oder gefährliche Arbeiten (die gleichwohl notwendig sind) verrichtet werden müssen. Eine Arbeit ohne Not zu erschweren, z. B. durch Eisen an den Füßen u. dergl. wird für grausam erachtet; d) in körperlichen Züchtigungen, die besonders nur bei Kindern oder sehr rohen Personen angewandt werden und nie lebensgefährlich sein dürfen; 69 Heute
würde man sie »Gerichtssachverständige« nennen.
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Siebenundzwanzigster Abschnitt
e) in öffentlicher Beschämung, z. B. durch Kundmachung des Verbrechens vermittels öffentlicher Blätter, oder durch Ausstellung auf einer Schaubühne; f) in Hinrichtungen; denn allerdings mag es auch Todesstrafen im besten Staat geben, weil es Verbrechen gibt, deren Täter einen so allgemeinen Abscheu erregen, dass es das sittliche Gefühl empören würde, Menschen, die solches getan, noch länger lebend zu wissen; weil auch sie selbst es zuweilen als eine Wohltat verlangen, ihrem Leben ein Ende zu machen. Doch sollten Todesstrafen (meine ich) nie vor den Augen des Volkes vollzogen werden, weil dies ein Grausen erregender Akt ist, der das sittliche Gefühl nur abstumpft. Der Verbrecher werde in einem finsteren Kerker von einer Maschine getötet, zu einer festgesetzten Stunde, während die Menschheit trauert, betet usw., und die Beweise der vollzogenen Hinrichtung, der Leichnam des Gerichteten, mögen zur Schau ausgestellt werden. Dass es je zweckmäßiger sein sollte, Menschen zu einer gänzlichen Untätigkeit als Strafe zu zwingen, wie man in manchen Staaten neuerlich mit einem so glücklichen Erfolg versucht haben will, kann ich bisher nicht begreifen. Es wird sich zeigen, ob die Erfahrung dies ferner bestätigt. Auch dass das eigene Geständnis, wenn man darunter ein mit ausdrücklichen Worten gegebenes versteht, zum vollen Beweis eines Verbrechens immer notwendig sei, will mir nicht einleuchten; wohl aber halte ich es für Pflicht, niemals zu strafen, solange noch ein Zweifel obwaltet, ob das Verbrechen auch begangen worden sei. Eben deshalb erachte ich auch jede Qual für grausam, die dem Bezichtigten zugefügt wird, um seinen Mund zu öffnen, es sei denn, dass sie in einer Qual bestehe, die er wegen schon hinlänglich erwiesener Verbrechen verdient. Um nun zuletzt noch ein paar Beispiele von Verbrechen und ihren Strafen zu geben; so würde ich die Todesstrafe nur für den Mord (den vorsätzlichen und überdachten) festsetzen; für einen
Vom Tode 175
Diebstahl nur die Erstattung des Gestohlenen in einem doppelten oder dreifachen Wert oder auch Arbeiten bei schmaler Kost oder körperliche Züchtigung oder die Schaubühne. Schwängerung einer ledigen Frauensperson, die kein Gewerbe mit ihrem Leibe getrieben, würde an ihr durch nichts anderes als durch die Schande bestraft, die sie sich selbst zuzog; an dem Manne aber durch Absetzung von seinem Amt (wobei er jedoch, wenn er sonst einen unverdorbenen Charakter hat und nur aus Schwäche fiel, an einem anderen Ort, wo sein Verbrechen nicht bekannt ist, wieder angestellt werden könnte) oder nach Umständen durch körperliche Züchtigung und Gemeindearbeit. Ein Ehebruch würde viel strenger geahndet, besonders wenn hervorgeht, dass der schuldige Teil mit Überlegung gehandelt und den anderen in seinem Umgang hart behandelt. – Trunkenheit, sofern sie nicht Gewohnheitssünde ist, sondern nur aus Unvorsichtigkeit entstand, würde mit einer Geldstrafe; wo sie aber herrschendes Laster ist, mit Absetzung vom Amt, mit Wegnahme der Kinder, mit Gefängnis und Gemeindearbeiten gezüchtigt usw. Auf Lebenslänge würde eigentlich keine Strafe verhängt, sondern es würde nur immer heißen, dass man die Strafe nicht eher verlassen würde, als bis sich entscheidende Proben von Besserung gezeigt. Diese würden sich aber freilich, leider, bei vielen nie einstellen.
ACHTU NDZWANZIGSTER ABSCHNITT Vom Tode 70 Da man noch lebend sein Eigentum nicht beliebig verschenken kann, so kann man es auch nicht im Tod vermachen, an wen man will. Wohl aber gestattet der Staat, dass man solche Gegenstände, die nur einen Wert durch ihre Beziehung auf die Person haben, von der sie uns zugedacht werden, unbedingt; andere dagegen mit 70 Den Toten wird die letzte Ehre erwiesen, – so sie dies verdient haben.
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Achtundzwanzigster Abschnitt
der Bedingung, sofern der Staat es genehmigen werde, für diesen und jenen bestimme. Die Besorgnis, dass diese Verfügung häufig umgangen werden dürfte, indem die Personen, die den Verstorbenen umgaben, Verschiedenes beiseite schaffen, – kann in einem zweckmäßig eingerichteten Staat gewiss nicht größer sein, als sie es gegenwärtig ist; im Gegenteil, dort ist es ja beinahe unmöglich, dass jemand, der irgendein Gut unrechtmäßiger Weise an sich gerissen hat, in dem Besitz desselben lange verbleiben sollte, ohne verraten zu werden, da dort so mancher Vorwand, durch den man in unseren jetzigen Verfassungen eine fernere Untersuchung, ja auch selbst jeden Verdacht von sich entfernen kann, z. B. dass man die Sache gefunden oder geschenkt erhalten oder für eine gewisse Dienstleistung empfangen habe u. dergl., nicht zu brauchen ist. Nach seinem Tod wird über jeden erwachsenen Bürger, wenigstens in seiner eigenen Gemeinde, eine Art von Gericht gehalten und ihm ein ehrenvolles Begräbnis versagt, wenn wichtige Klagen gegen ihn zum Vorschein kommen. Es unterscheidet sich aber ein ehrenvolles Begräbnis von einem anderen bloß darin, dass bei dem letzteren die Leiche von niemand, als etwa von den nächsten Anverwandten des Verstorbenen, begleitet wird. Wenn einem Bürger viel Gutes nachgerühmt wird, dann setzt man ihm wohl auch ein Denkmal, etwa auf seinem Grab einen Stein, oder es wird in den Gedenkbüchern der Gemeinde oder wohl gar des Landes eine kurze Leidensgeschichte von ihm und eine Erwähnung seiner Verdienste eingerückt. Das Andenken solcher Personen, deren Beispiel zur Ermunterung für viele andere dienen kann, sucht man auf alle Art zu erhalten und auszubreiten. Nicht zugelassen wird aber, dass bei Gelegenheit der Bestattung einer Leiche viele genießbare Stoffe zerstört werden, in der vermeintlichen Absicht, den Toten damit zu ehren; sondern im Gegenteil sucht man allenthalben die Überzeugung zu verbreiten, dass die Verstorbenen von uns nicht würdiger als durch Nach ahmung ihrer Tugenden und durch Vollendung des Guten, das
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sie nur anfingen, geehrt werden können. Gerne und oft pflegt man die Stätte zu besuchen, an der die Überreste geliebter Toten ruhen; aber die Trauer, die man um ihren Verlust empfindet, wird sehr gemäßigt durch die allgemein herrschende Überzeugung, dass sie noch sind und in einem seligeren Zustand leben und von uns wissen, und dass wir sie wiedersehen werden. Ende.