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German Pages 296
Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht Band 51
Der Europäische Integrationsauftrag der EU Überlegungen zur Erweiterungs-, Assoziierungsund Nachbarschaftspolitik der EU aus der Warte einer europäischen Prinzipienlehre
Von
Katrin Alsen
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
KATRIN ALSEN
Der Europäische Integrationsauftrag der EU
Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht Herausgegeben von Thomas Bruha, Meinhard Hilf, Hans Peter Ipsen †, Rainer Lagoni, Gert Nicolaysen, Stefan Oeter
Band 51
Der Europäische Integrationsauftrag der EU Überlegungen zur Erweiterungs-, Assoziierungsund Nachbarschaftspolitik der EU aus der Warte einer europäischen Prinzipienlehre
Von
Katrin Alsen
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2008 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0945-2435 ISBN 978-3-428-12925-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg im Wintersemester 2007 / 2008 als Dissertation angenommen. Ich möchte mich bei allen bedanken, die mich bei der Erstellung der Arbeit begleitet und auf vielfältige Weise unterstützt haben. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Thomas Bruha, der mich von Anfang an wohlwollend betreut und mir in zahlreichen Gesprächen wertvolle Hinweise gegeben hat. Er hat mein wissenschaftliches Denken und damit auch diese Arbeit grundlegend geprägt. Besonderer Dank gilt außerdem Herrn Prof. Dr. Armin Hatje für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens und seine Anregungen zu den politischen Kosten der Prinzipienlehre. Der Studienstiftung des deutschen Volkes danke ich für ihre großzügige finanzielle und ideelle Förderung. Insbesondere die Doktorandenforen habe ich als große persönliche Bereicherung erlebt. Dank gilt auch der Johanna und Fritz Buch-Gedächtnisstiftung für die Förderung meiner Arbeit mit einem Zuschuss zu den Druckkosten, der mir die Veröffentlichung erheblich erleichterte. Meinen Freunden danke ich für die wunderbaren Gespräche und die zahlreichen Aufmunterungen. Der Familie Henninger danke ich für ihre herzliche Zuneigung und die vielen schönen gemeinsamen Stunden auf dem Bauernhof und anderswo. Besonders herzlicher Dank gilt meiner Familie, die mich so lang ich denken kann bedingungslos unterstützt und mir damit so viel ermöglicht hat. Ihr widme ich diese Arbeit. Hamburg, Juli 2008
Katrin Alsen
Vorbemerkung Die Frage nach einer rechtlichen Bindung der EU und ihrer Mitgliedstaaten bei Entscheidungen über die Erweiterung und die Assoziierung europäischer Staaten gewinnt im Zuge der Konstitutionalisierungsdebatte an Bedeutung und mit Blick auf den umstrittenen Beitritt der Türkei und die Europäische Nachbarschaftspolitik an Aktualität. Im Zentrum dieser Arbeit steht die Begründung und Konkretisierung eines rechtlich determinierten Integrationsauftrags der EU gegenüber europäischen Staaten. Bedeutsam dabei ist das rechtliche Verhältnis zwischen der Erweiterung und der Vertiefung der EU. In Politik und Politikwissenschaft werden bestehende Spannungen bei der Verfolgung beider Integrationsziele teilweise als „ErweiterungsVertiefungs-Dilemma“ bezeichnet. Juristisch betrachtet handelt es sich bei der Erweiterung und der Vertiefung um verbindliche, primärrechtlich verankerte Integrationsziele der EU. Sie werden in dieser Arbeit als (Verfassungs-)Rechtsprinzipien und damit als Optimierungsgebote qualifiziert. Etwaige Spannungen zwischen beiden Integrationszielen erscheinen folglich als Prinzipienkollision und damit als lösbares und zu lösendes Abwägungsproblem, in dessen Zentrum die Integrationsfähigkeit der EU steht. Der Lösungsweg besteht in der Herstellung praktischer Konkordanz und lässt in rechtlichen Grenzen Raum für politische Erwägungen. Die (Verfassungs-)Prinzipienlehre findet im Europarecht bereits Beachtung. Werden europarechtliche Prinzipien genannt, wird dabei aber selten auf das „Erweiterungs-Vertiefungs-Dilemma“ eingegangen. Hingegen sind die Integrationsziele und etwaige Kollisionen Gegenstand zahlreicher Untersuchungen, von denen aber bislang nur sehr wenige ein Wort zur Prinzipienlehre verlieren, selbst wenn im Ergebnis eine Abwägung zwischen Erweiterung und Vertiefung verlangt oder gar als Rechtspflicht formuliert wird. Die vorliegende Arbeit wird diese Literaturströme zusammenführen, indem sie den Prinzipiencharakter von Erweiterung und Vertiefung begründet, eine Rechtspflicht zur Abwägung zwischen beiden Prinzipien herleitet und die entsprechenden Konsequenzen für die Lösung aktueller Rechtsfragen aufzeigt.
Inhaltsverzeichnis Einführung
19
A. Gegenstand der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
I. Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte um die Grenzen der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
III. Die Forderung einer europäischen (Verfassungs-)Prinzipienlehre . . . . . . . . . . . . . .
27
IV. Stand der wissenschaftlichen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
B. These: Der europäische Integrationsauftrag der EU als tauglicher Anknüpfungspunkt einer europäischen Prinzipienlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
C. Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
I. Die EU als Gebilde zwischen internationalem und konstitutionellem Regime . .
32
II. Berücksichtigung verschiedener Rechtsdisziplinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
III. Interdisziplinäres Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
IV. Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
D. Gliederung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
1. Kapitel Rechtliche und politische Grundlagen des europäischen Integrationsauftrags der EU
42
A. Primärrechtliche Vorgaben zum Integrationsauftrag der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
I. Präambel- und Zielbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
II. Art. 49 EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
III. Art. 310 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
10
Inhaltsverzeichnis IV. Regelungen im Vertrag über eine Verfassung für Europa und im Reformvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
1. Regelungen im (nicht ratifizierten) Vertrag über eine Verfassung für Europa
51
2. Geplante Neuerungen im Reformvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
V. Grenzen der klassischen Auslegungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
B. Anhaltspunkte für die Annahme eines Primats der Politik bei der Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
I. Politische Präferenzen und Positionen zum tatsächlichen Verhältnis von Erweiterung und Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
II. Zuspitzung in der Debatte um die Grenzen der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
1. Der Fall Türkei als Beispiel für das Scheitern des Konzepts „Erweiterung und Vertiefung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
2. Der Einsatz der ENP zur flexiblen Lösung aktueller Spannungen zwischen Erweiterung und Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
3. Überblick über flexible Gesamteuropakonzepte in Politik und Politikwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
a) Die Forderung flexibler Außengrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
b) Gesamteuropakonzepte mit der EU als Zentrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
2. Kapitel Sozialwissenschaftliche und völkerrechtliche Ansätze zur Erklärung und Bewertung der europäischen Integration
79
A. Die Übertragung der Aussagen der traditionellen Integrationstheorien auf die Erweiterung der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
B. Die Klubtheorie – Die Bedeutung von Kosten-Nutzen-Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
C. Die Gemeinschaftstheorie – Die Bedeutung von Werten, Normen und Identität .
87
D. Der Mehrebenenansatz – Die Bedeutung von Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
I. Aussagen über die Gestalt und die Zukunft der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
II. Aussagen über die Problemlösungsfähigkeit der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
Inhaltsverzeichnis
11
III. Erkenntnisse für die Verfassungsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
IV. Erkenntnisse für die Erweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
E. Das völkerrechtliche Universalitätsprinzip und die Lehre von den notwendigen Internationalen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
3. Kapitel Eine europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz zur Begründung und Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags der EU
98
A. Einbettung der Prinzipienlehre in die europäische Verfassungsdiskussion . . . . . . .
99
I. Das problematische Verhältnis von Recht und Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
II. Die Konstitutionalisierung des Europarechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 III. Die Forderung einer Konstitutionalisierung durch (Verfassungs-)Prinzipien . . . . 106 B. Konkretisierung der europäischen Prinzipienlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 I. Der Prinzipienbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Der Prinzipienbegriff im deutschen Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Leit- und Strukturprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Prinzipien als rechtsverbindliche Optimierungsgebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 2. Kein völkerrechtlicher Prinzipienbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 3. Europäischer Prinzipienbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Bisherige Vorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4. Fazit: Keine wesentliche Relevanz der Unbestimmtheit von Normen . . . . . . . . 120 II. Herleitung europäischer Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 1. Herleitung aus dem Primärrecht und der Praxis der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2. Herleitung aus dem Recht der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 III. Wirkungen europäischer Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Rechtsverbindlichkeit der Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
12
Inhaltsverzeichnis 2. Änderungsfestigkeit von Prinzipien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Wandelbarkeit von Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Materielle Grenze für die Vertragsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3. Eigenständige Bedeutung der Prinzipien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 4. Ergänzende Bedeutung der Prinzipien im Verhältnis zu Spezialnormen . . . . . 133 IV. Auflösung von Prinzipienkollisionen durch Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1. Voraussetzungen der Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Anforderungen an die Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 a) Herstellung einer bedingten Vorrangrelation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 b) Strukturierung mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . 138 3. Die Pflicht zur Abwägung als reine Verfahrenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Der Streit um die Leistungsfähigkeit von Abwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 b) Die Abwägung als berechtigte Rationalisierung des Entscheidungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 4. Die Pflicht zur Abwägung als Rechtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 V. Justiziabilität von Prinzipienkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1. Justiziabilität von Vertragszielbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Denkbare prozessuale Grundkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3. Eingeschränkte Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
C. Kritik an einer europäischen Prinzipienlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 I. Grundsätzliche Kritik an der Prinzipienlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 1. Kritik bezüglich der Handhabbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2. Kritik am Abwägungskonzept („Zuviel“ an Politik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3. Kritik an der Konstitutionalisierungsfunktion („Zuviel“ an Recht) . . . . . . . . . . 150 II. Kritik an einer europäischen Prinzipienlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Kritik an der Verfassungsleseart des europäischen Primärrechts . . . . . . . . . . . . 151 2. Zweifel am ordnenden Nutzen einer europäischen Prinzipienlehre . . . . . . . . . . 153 3. Denkbare Einwände gegen die Anwendung der Prinzipienlehre in intergouvernementalen Bereichen des EU-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
Inhaltsverzeichnis
13
D. Das Spannungsverhältnis zwischen Erweiterung und Vertiefung als Prinzipienkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I. Der Rechtsprinzipiencharakter des Erweiterungs- und des Vertiefungsziels . . . . 156 1. Rechtsverbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2. Strukturtheoretischer Prinzipiencharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. Abstrakte Gleichrangigkeit der beiden Integrationsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 4. Kapitel Die Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags anhand von Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Erweiterungs-, Assoziierungsund Nachbarschaftspolitik der EU
160
A. Die materiellen Voraussetzungen im Rahmen von Art. 49 EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 I. Europäischer Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Meinungsspektrum zur Auslegung der Beitrittsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . 163 3. Aussagen der Prinzipienlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 II. Die Kopenhagener Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 1. Die Rechtsnatur der Kopenhagener Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Die Auslegung der Kopenhagener Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Das erste Kopenhagener Kriterium – Politische Grundsätze des Art. 6 Abs. 1 EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 aa) Die einzelnen Elemente des ersten Kopenhagener Kriteriums . . . . . . . 173 bb) Qualitative Anforderungen an die Verwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Das zweite Kopenhagener Kriterium – Die Binnenmarktfähigkeit . . . . . . . 180 c) Das dritte Kopenhagener Kriterium – Die Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 d) Das vierte Kopenhagener Kriterium – Die Integrationsfähigkeit der EU . . 182 aa) Die Berücksichtigung von Eigenschaften der Kandidatenstaaten . . . . 184 bb) Konkretisierung durch die EU-Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 3. Entscheidungsspielraum bei der Anwendung der Kopenhagener Kriterien . . 189
14
Inhaltsverzeichnis 4. Aussagen der Prinzipienlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Aussagen zur Rechtsnatur der Kopenhagener Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Aussagen zum Inhalt der Kopenhagener Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 aa) Grundsätzliche Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 bb) Bewertung der Kopenhagener Kriterien und ihrer Konkretisierung . . 194
B. Die Rechtsfolgen des Art. 49 EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 I. Kein Recht auf Beitritt, aber eine abstrakte Beitrittsperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Meinungsspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 2. Aussagen der Prinzipienlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 II. Die Reichweite des Rechtsfolgenermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 1. Freies politisches Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 2. Rechtlich gebundenes Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 3. Aussagen der Prinzipienlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 C. Das Stufenverhältnis der verschiedenen Integrationsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . 210 I. Unzulässige Partizipationsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Meinungsspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2. Aussagen der Prinzipienlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 II. Das Verhältnis der zulässigen Partizipationsinstrumente zueinander, insb. der Grundsatz der bestmöglichen Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 1. Meinungsspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 2. Aussagen der Prinzipienlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 D. Auslegung der Assoziierungsabkommen mit europäischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . 220 E. Änderbarkeit des europäischen Integrationsauftrags der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 I. Die Abgrenzung zwischen Art. 48 und 49 EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 II. Materielle Grenzen der Vertragsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 III. Die Zulässigkeit der Reduzierung des Stands der Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
Inhaltsverzeichnis
15
IV. Die Zulässigkeit der Einführung von Teilbeitritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 V. Die ENP als Alternative zum Beitritt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 VI. Die Zulässigkeit eines exklusiven Kerneuropas aufgrund völkerrechtlicher Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 VII. Aussagen der Prinzipienlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
Abkürzungsverzeichnis Abl.
Amtsblatt
Abs.
Absatz
BBPS
Beutler / Bieber / Pipkorn / Streil
BRIEWP
Berkeley Roundtable on the International Economy Working Paper
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
CAP
Centrum für angewandte Politikforschung, Universität München
CDDRL
Center on Democracy, Development, and the Rule of Law
CDU
Christlich Demokratische Union Deutschlands
CEFTA
Central European Free Trade Association
CEPS
Centre for European Policy Studies
CFSP
Common Foreign and Security Policy
CSU
Christlich Soziale Union
doc.
document
EA
Europa Archiv
EAGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft
EC
European Community
EEA
European Economic Area
EFTA
European Free Trade Association
EG
Europäische Gemeinschaft / Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
EGKSV
Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
EIoP
European Integration online Papers
ELJ
European Law Journal
EMRK
Europäische Menschenrechtskonvention (Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten)
endg.
endgültig (Zusatz zu Dokumenten der Kommission)
ENI
Europäisches Nachbarschaftsinstrument
ENP
Europäische Nachbarschaftspolitik
EP
Europäisches Parlament
EU
Europäische Union / Vertrag über die Europäische Union
Abkürzungsverzeichnis EuGH
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
EUI
European University Institute
EuR
Europarecht
EUV
Vertrag über die Europäische Union
EVP-ED
Europäische Volkspartei-Europäische Demokraten
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EWGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
EWR
Europäischer Wirtschaftsraum
EWWU
Europäische Wirtschafts- und Währungsunion
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
FCE
Forum Constitutionis Europae
FIIA
Finish Institute of Internation Affairs
FS
Festschrift
GA
Generalanwalt / Generalanwältin
GASP
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
GG
Grundgesetz
h. M.
herrschende Meinung
Hrsg.
Herausgeber
IGH
Internationaler Gerichtshof
IP
Internationale Politik
JEPP
Journal of European Public Policy
JZ
Juristenzeitung
KOM
Kommission (der EU)
lat.
Lateinisch
lit.
Buchstabe
LpB
Landeszentrale für politische Bildung
MOEL
Mittel- und osteuropäische Länder
MPIfG
Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung
MüKo
Münchener Kommentar
NATO
North Atlantic Treaty Organisation (Nordatlantikvertrag-Organisation)
NZZ
Neue Züricher Zeitung
OSCE
Organization for Security and Co-Operation in Europe
17
OSZE
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
PJZS
Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen
PLO
Palestine Liberation Organization (Palästinensische Autonomiebehörde)
R.I.Z.
Rechtszentrum für Europäische und Internationale Zusammenarbeit
Rn.
Randnummer
Rs.
Rechtssache
18
Abkürzungsverzeichnis
RSC
Robert Schuman Centre
SEF
Stiftung Entwicklung und Frieden
Slg.
Sammlung
SMWR
Schwarzmeerwirtschaftsregion
Spstr.
Spiegelstrich
st. Rspr.
ständige Rechtsprechung
SWP
Stiftung Wissenschaft und Politik
UNCh
Charta der Vereinten Nationen
UNCLOS
United Nations Convention on the Law of the Sea
UNO
Organisation der Vereinten Nationen
UPI
Ulkopoliittinen instituutti
verb.
verbundene
VO
Verordnung
Vol.
Volume
Vorbem.
Vorbemerkungen
VVE
Vertrag über eine Verfassung für Europa
WVK
Wiener Vertragsrechtskonvention
WWU
Wirtschafts- und Währungsunion
ZP
Zusatzprotokoll
ZSE
Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften
Einführung Die Erweiterung und die Vertiefung der EU gingen bisher Hand in Hand. Seit der Gründung der EGKS wurde nicht nur die immense Bedeutung des Integrationsprozesses für das Friedensziel betont, sondern auch die Verknüpfung zwischen dem Vertiefungs- und dem Erweiterungsziel. Gegenwärtig stehen die Spannungen bei der Verwirklichung der beiden Integrationsziele im Zentrum der politischen und wissenschaftlichen Debatte, teilweise spricht man überspitzt gar von einem „Erweiterungs-Vertiefungs-Dilemma“.1 Die vorliegende Arbeit sucht nach einer kohärenten Lösung für aktuelle Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Debatte über die Grenzen der europäischen Integration. Die Lösung soll dem Trend der Konstitutionalisierung des Europarechts entsprechen und der Forderung einer zumindest interdisziplinären Europawissenschaft nachkommen. Lange Zeit wurde den rechtlichen Grenzen der Erweiterungspolitik nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt, während die Frage nach dem Austritt aus der EU auch in der Rechtswissenschaft reichlich Beachtung und eine Klärung im Vertrag über eine Verfassung für Europa bzw. im geplanten Reformvertrag gefunden hat.2 Spätestens aber mit Ende der Osterweiterung wird offen über die geographischen und sonstigen Grenzen der EU diskutiert. Das Tempo der Erweiterung erhöhte sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989. Die EU suggerierte eine schnelle Mitgliedschaft aller europäischen Staaten; eine EU der 35 oder mehr schien möglich.3 Die Osterweiterung 2004 fand jedoch ohne einen entsprechenden internen Reformwillen der EU statt und wird wegen der Belastung ihrer Handlungsfähigkeit oft kritisiert.4 Heute prägen Zweifel an der Funktionsfähigkeit der EU, die gescheiterten Verfassungsreferenden und die Finanzdebatte das Geschehen. Erstmals scheint nicht nur der künftige Integrationsprozess, sondern auch der Status Quo in Gefahr.5 Detailliert dazu im 1. Kapitel. Art. I-59 f. VVE; dazu Bruha / Nowak, S. 1 ff.; Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-60 VVE; Kühnhardt, S. 148 f. und Ruffert, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-59 VVE; zum Diskussionsstand zum geltenden Recht vgl. statt vieler Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 51 EU Rn. 1 – 4. 3 Vgl. z. B. Bruha / Vogt, S. 477. 4 Kritisch z. B. Inotai, 2004, S. 4 ff.; Lippert, 2004, S. 13 (13 f., 35 ff., 61 f.); W. Wallace, 1992, S. 34 (43); Erweiterungskommissar Olli Rehn, FAZ vom 7. Juni 2006, S. 10 verweist auf entsprechende Eurobarometer-Umfragen und die Meinung zahlreicher Politiker. 5 Z. B. Calliess, Verfassung der EU, 2004, S. 9 ff.; Deppe, S. 63 (74 f.); Fierke / Wiener, S. 99 (110 ff.); Haukkala, 2005; Haukkala / Moshes, S. 15; Kaiser / Elvert, S. 1 f.; Kennedy / Webb, S. 1095 (1102 f.); Kohler, FAZ vom 23. Juni 2005, S. 1; Langenfeld, S. 73 (73, 75 f.); Lippert, Erweiterung, 2006, S. 120 (128); bereits vor der Osterweiterung bestand ein „nicht 1 2
20
Einführung
Die Kritik an der übermütigen Erweiterung wirkte sich auch auf den Umgang mit europäischen Nachbarstaaten aus. Selbst europäische Länder, denen bereits eine Beitrittsperspektive zugesagt wurde – insb. die Türkei – bangen mittlerweile um deren Verwirklichung.6 Noch größere Sorgen plagen die Ukraine, die unter die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) fällt und die Einleitung eines endgültigen Erweiterungsstopps vermutet. Denn nicht wenige warnen vor einer erneuten Erweiterung, begründe diese doch die Gefahr einer Überdehnung der EU. Folge wäre der Verlust ihrer Handlungs- und Leistungsfähigkeit, wenn nicht sogar ihr Zerfall.7 Auch gewinnt die Frage nach dem Bestehen und dem Umfang rechtlicher Bindungen der EU und ihrer Mitgliedstaaten bei Entscheidungen über die Erweiterung im Zuge der Konstitutionalisierungsdebatte an Bedeutung. Haltern fordert: „Wir müssen uns auf die Suche nach einer Rechtswissenschaft machen, die ihren Gegenstand nicht nur als Integrationsinstrument begreift, sondern auch einen inneren Zusammenhang mit den gegenwärtigen Fragen nach den Grenzen der Erweiterung, nach prä-politischen Integrationsvoraussetzungen und nach dem Zuschnitt kollektiver Identität und Vergemeinschaftung herstellt. Die Rechtswissenschaft kann und darf diese Fragen nicht allein der Politik oder anderen Wissenschaften überlassen.“8
Die vorliegende Arbeit wird der Forderung Halterns nicht vollumfänglich nachkommen, sie aber bei der Suche nach einer kohärenten Lösung der aufgeworfenen Rechtsfragen berücksichtigen. Erster Schritt einer solch kohärenten Lösung ist die Erkenntnis, dass bei zahlreichen aktuellen Rechtsfragen der Erweiterungs-, Assoziierungs- und Nachbarschaftspolitik die Spannungen zwischen den beiden Integrationszielen der EU – Erweiterung und Vertiefung – bedeutsam sind. Die Arbeit möchte aber auch unabhängig von aktuellen Konfliktlagen das Verhältnis zwischen dem Erweiterungs- und dem Vertiefungsziel beleuchten. Zweiter Schritt ist die Begründung eines europäischen Integrationsauftrags im Sinne einer rechtlichen Optimierungspflicht und die Lösung bestehender und aufkeimender Konflikte mit Hilfe einer europäischen Prinzipienlehre. Die (Verfassungs-)Prinzipienlehre findet bereits Beachtung im Europarecht. Werden entsprechende Prinzipien genannt, wird dabei aber nie auf den europäiüberbrückbarer Konflikt zwischen dem sogenannten Vertiefungs- und dem Erweiterungsziel“, so Francke, S. 199 (200); zu entsprechenden Ängsten in einigen Mitgliedstaaten Batt u. a., S. 119; laut Kommission war die Erweiterung 2004 indes „die am besten vorbereitete in der Geschichte der EU“, vgl. Mythen und Fakten über die Erweiterung, 2006, Frage 2, http: //ec. europa.eu/enlargement/questions_and_ answers/myths_de.htm. 6 Durch die Grenzdebatte sehen sich Staaten mit Beitrittsperspektive dazu veranlasst, auf weitere Zugeständnisse und insb. auf einen konkreten Zeitplan für ihren Beitritt zu drängen. Allgemein dazu Batt u. a., S. 119; speziell zur Türkei Triantaphyllou, S. 77 (82 f.); zum Westbalkan ders., S. 60 (68 – 70, 74 – 76). 7 Zu diesem „Negativszenario“ Calliess, Verfassung der EU, 2004, S. 9 (10 – 13); Oppermann, FS Zuleeg, 2005, S. 72 (72, 77 – 79); ähnlich der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier in der FAZ vom 6. März 2006, S. 6. 8 Haltern, Dogmatik, 2005, S. 22.
Einführung
21
schen Integrationsauftrag der EU mit seiner doppelten Zielbindung eingegangen. Zwar sind das Integrationsziel und das Verhältnis zwischen Erweiterung und Vertiefung Gegenstand zahlreicher Untersuchungen; diese verlieren jedoch ihrerseits kein Wort zur Prinzipienlehre, selbst wenn im Ergebnis eine Abwägung zwischen Erweiterung und Vertiefung verlangt oder gar als Rechtspflicht formuliert wird. Diese beiden Strömungen werden in dieser Arbeit zusammengeführt, indem der Prinzipiencharakter von Erweiterung und Vertiefung begründet wird und die entsprechenden Konsequenzen herausgearbeitet werden. Im Ergebnis führt dies zu einer Rechtspflicht der EU zur fortschreitenden Integration der EU und im Fall einer Kollision zwischen Erweiterung und Vertiefung zu einer Pflicht zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen zwei Optimierungsgeboten. Im deutschen Verfassungsrecht, dessen Prinzipienlehre maßgeblich von Alexy geprägt wurde, ist dies eine Selbstverständlichkeit; nicht aber im Europarecht, das nicht in einer einheitlichen förmlichen Verfassungsurkunde kodifiziert ist. Spätestens mit Einführung sog. Querschnittsklauseln9 ist zwar die Notwendigkeit einer Abstimmung zwischen bestimmten Vertragszielen ausdrücklich im Primärrecht verankert. Was aber fehlt, ist eine normstrukturelle Analyse, die das gesamte Primärrecht erfasst, einschließlich politisch so sensibler Bereiche wie den Umgang der EU mit ihren europäischen Nachbarn. Dass die Annahme einer Rechtspflicht zur Abwägung bei einem Zielkonflikt im Europarecht keine Selbstverständlichkeit ist, verdeutlicht auch die Praxis der EU, in der selbst Grundsatzfragen pragmatisch gehandhabt werden und in der man sich eher an Interessenlagen als an Prinzipien orientiert.10 Die vorliegende Arbeit stellt einen Zusammenhang her zwischen der Diskussion über die Grenzen der EU und der Verfassungsdebatte und zwar nicht im häufig vertretenen Sinne, dass eine Verfassung Europas nur bei einem Erweiterungsstopp realisierbar sei. Vielmehr wird aufgezeigt, dass gerade die Konstitutionalisierung des Unions- und Gemeinschaftsrechts – verstanden als Verrechtlichung der Entscheidungsprozesse und damit als Ausprägung der Vertiefung – die Erweiterung auch in Zukunft befördern kann. Die derzeitige Krise ist kein Beweis für einen unüberbrückbaren Widerspruch zwischen der Erweiterung und der Vertiefung der EU oder für eine Richtungsänderung. Sie demonstriert lediglich die enge Verbindung zwischen den beiden Integrationszielen und die Notwendigkeit einer rationalen und rechtlichen Ausbalancierung. Gerade die Konstitutionalisierung hält Instrumente bereit und stellt Forderungen, die die Ausbalancierung gewährleisten und somit die Integrationsdynamik erhalten und zugleich die Legitimität der Entscheidungen11 erhöhen. Ein solch konstruktiver Ansatz bewegt sich auf der 9 Vgl. z. B. Art. 6, 127 Abs. 2, 151 Abs. 4, 152 Abs. 1, 153 Abs. 2, 157 Abs. 3, 178 EG; Art. III-116; III-121 VVE. 10 Zu diesen Besonderheiten der europapolitischen Diskussion und konkret zur Grenzfrage H. Schneider, S. 193 (205 f.). 11 Dazu im 3. Kapitel.
22
Einführung
Schnittstelle zwischen Recht und Politik einerseits und zwischen Völkerrecht und Verfassungsrecht andererseits und bedient sich folglich Methoden, die über die klassischen Auslegungsmethoden hinausgehen. Im Folgenden werden Gegenstand und These dieser Arbeit genauer umschrieben und der Gang der Untersuchung, einschließlich methodischer Besonderheiten, erläutert.
A. Gegenstand der Arbeit Dreh- und Angelpunkt der vorliegenden Arbeit ist der positiv zu verstehende europäische Integrationsauftrag der EU, der sich nicht nur auf die Vertiefung, sondern auch auf die Erweiterung bezieht. Bereits seit gut zwei Jahrzehnten werden v. a. die Spannungen diskutiert, die sich bei der Verfolgung der beiden Integrationsziele ergeben können. Die aktuellen „großen“ Debatten in der EU – über die Grenzen und über die Verfassung der EU – sind ein Beispiel für die einseitige Wahrnehmung des vermeintlichen Erweiterungs-Vertiefungs-„Dilemmas“. Die Diskussionen entflammten stets im Zusammenhang mit anstehenden Erweiterungsrunden. Die Erweiterung wurde oft als Gefahr für die Vertiefung wahrgenommen; umgekehrt aber wurden nur selten konkrete Vertiefungsschritte als Gefahr für die Erweiterung angesehen. Erst bei der folgenden Beitrittsrunde wurde als Besonderheit die erhöhte Beitrittshürde festgestellt; nie aber eine Vertiefung mit dem Argument ihrer „Erweiterungsfeindlichkeit“ ernsthaft zu verhindern versucht.12 Folglich berücksichtigt auch diese Arbeit etwaige Spannungen zwischen Erweiterung und Vertiefung nur bei der Lösung von Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen der EU und ihren europäischen Nachbarstaaten, also mit Blick auf die Erweiterung. Nicht mit gleicher Aufmerksamkeit behandelt werden Vertiefungskonzepte; die Verfassungsdebatte interessiert in dieser Arbeit allein aus rechtstheoretischer Sicht. Einleitend wird im Folgenden der dieser Arbeit zugrunde liegende Begriff „europäischer Integrationsauftrag“ der EU definiert und die in dieser Arbeit hergestellte Verbindung zwischen Erweiterung und Vertiefung erläutert. Zu diesem Zwecke werden auch die Begriffe „Erweiterung“ und „Vertiefung“ geklärt. Anschließend werden die Rechtsfragen formuliert, die sich im Zusammenhang mit der aktuellen Grenzdebatte ergeben und in dieser Arbeit kohärent beantwortet werden sollen. Daraufhin wird die von von Bogdandy formulierte Forderung einer europäischen Prinzipienlehre vorgestellt, die sich teilweise an Alexys Prinzipienlehre anlehnt und als derzeitiger Höhepunkt der Vertiefungsdiskussion qualifiziert werden kann. Der Abschnitt endet mit einer Skizze des bisherigen Stands der wissenschaftlichen Forschung zur Lösung der aufgeworfenen Rechtsfragen.
12
Vgl. z. B. Nugent, S. 56 (63 f.).
A. Gegenstand der Arbeit
23
I. Begriffsklärung Der „europäische Integrationsauftrag“ der EU beschreibt die Pflicht der EU, einen immer engeren Zusammenschluss aller Staaten und Völker Europas durch Schritte der Erweiterung und Vertiefung herbeizuführen. Kommt es bei der Verwirklichung dieser Pflicht zum Konflikt zwischen Erweiterung und Vertiefung, müssen beide Integrationsziele derart aufeinander abgestimmt werden, dass beide möglichst optimal erreicht werden. Dabei handelt es sich um eine primär politische Pflicht, die allerdings rechtlich determiniert ist.13 „Integration“ wird als mehrdimensionaler Prozess verstanden, nämlich als „die Institutionalisierung von Entscheidungsabläufen, die Vernetzung der Gemeinschaft mit anderen Staaten und Organisationen, die Verflechtung der Gesellschaften innerhalb der Gemeinschaft und die Bildung einer gemeinsamen Identität und Solidarität.“14 Relevant ist dabei der Unterschied gegenüber der bloßen Kooperation.15 Bei der Integration geht es um die (begrenzte) Verschmelzung zwischen vorher getrennten Einheiten durch gemeinsame Organe mit (begrenzten) eigenen Entscheidungsbefugnissen und Kompetenzen und um die Schaffung einer autonomen Rechtsordnung. Kooperationen sind alle sonstigen Vergesellschaftungsprozesse.16 „Erweiterung“ bedeutet in diesem Zusammenhang die Ausdehnung des räumlichen Geltungsbereichs des Unionsrechts (i. S. v. Art. 299 EG). Traditionell fallen darunter nur der Beitritt neuer Mitgliedstaaten und die Vergrößerung eines Mitgliedstaates um ein neues Territorium, nicht aber rein völkerrechtliche Assoziierungen.17 Neue Mitgliedstaaten beteiligen sich an den Institutionen der EU, haben Zugang zu bestimmten Programmen und Fonds, ihre Bürger haben als Unionsbürger bestimmte Rechte und Freiheiten. Mit dem Beitritt einher geht aber auch die Pflicht zur Übernahme und Anwendung des gemeinsamen Besitzstandes.18 „Vertiefung“ hingegen wird als Oberbegriff benutzt für die zunehmende Verrechtlichung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der EU, also für jede thema13 Insb. im 3. und 4. Kapitel wird dieser Integrationsauftrag hergeleitet und konkretisiert; vgl. zu diesem Begriff auch Bruha, 2007. 14 Gstöhl, 2001, S. 15 m. w. N.; zum mehrdimensionalen Charakter der europäischen Integration z. B. Rittberger / Schimmelfennig, S. 19 ff. 15 Dazu m. w. N. Constantinesco, S. 113 ff., 123 ff., 333 ff.; Ginther, S. 7 (20 f.); Welz / Engel, S. 129 (135 ff.); Delors mahnte den Unterschied bei Gesprächen über die Zusammenarbeit mit den MOEL an (wobei er wohl mit Integration ausschließlich den Beitritt meint, da er die Handlungsfähigkeit der EU betont), Torreblanca, S. 48. 16 Welz / Engel, S. 129 (136). 17 Unterhalb der Schwelle der Mitgliedschaft komme es zu keinem Konflikt zwischen Erweiterung und Vertiefung, so ausdrücklich z. B. H. Wallace, 1998, S. 12. 18 So anschaulich die Kommission, Mehr Einheit und mehr Vielfalt, 2003, S. 4, http: //ec. europa.eu/publications/booklets/move/41/index_de.htm.
24
Einführung
tisch-inhaltliche aber auch institutionelle Verstärkung dieser Zusammenarbeit. Viele Arbeiten in der Literatur greifen nur einen Teilaspekt heraus. Die beiden Integrationsziele – Erweiterung und Vertiefung – sind rechtlich und tatsächlich eng miteinander verknüpft und stehen daher in einem latenten Spannungsverhältnis. Der Begriff „Erweiterungs-Vertiefungs-Dilemma“ tauchte erstmals 1989 auf.19 Seither nutzen zahlreiche Wissenschaftler das Spannungsverhältnis zwischen den zwei Integrationszielen als Aufhänger ihrer Untersuchungen.20 Nicht immer wird dabei klar herausgestellt, was mit „Erweiterung“ und „Vertiefung“ genau gemeint ist. Mit „Dilemma“ wird mal der tatsächliche Konflikt zwischen der Erweiterung und der Vertiefung umschrieben, mal die Frage der politischen Prioritätensetzung. Diese Unsicherheiten im Umgang mit den Begrifflichkeiten sind wohl ein Grund für die gegenteiligen Ansichten bei der Lösung von Konfliktlagen. Ziel der Arbeit ist es, den beklagten Konflikt zwischen Erweiterung und Vertiefung zu relativieren und etwaige Spannungen einer rechtlichen Lösung zuzuführen. Das sogenannte „Dilemma“ wird als lösbares und zu lösendes Optimierungsproblem begriffen.
II. Die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte um die Grenzen der EU Die Debatte um die Grenzen der EU21 wirft zahlreiche Rechtsfragen auf. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf solche, die sich im europäischen Primärrecht stellen und sich mit seiner Hilfe lösen lassen. Rechte und Pflichten, die sich aus bilateralen Abkommen zwischen der EU und den Nachbarn oder aus besonderen Umständen des Einzelfalls, und damit v. a. aus Vertrauensschutzgründen, ergeben, werden nicht untersucht.22 Diese Arbeit befasst sich zudem ausschließlich mit dem europäischen Integrationsauftrag der EU. Nur die Gemeinschaftsorgane und die Mitgliedstaaten sind an das Primärrecht gebunden. Rechtspflichten der euroH. Wallace, 1989. Z. B. H. Arnold, S. 318 ff.; Brunner, S. 179 ff.; Calliess, Verfassung der EU, 2004, S. 9 ff.; Cameron, Widening, 2005, S. 1 ff.; ders., 1997, S. 241 (243); Deighton, 1999; Faber, S. 103 ff.; Frankenberger / Nonnenmacher, FAZ v. 11. August 2005, S. 6; Große Hüttmann, S. 4 (6); Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 219 f.; Kirchner, NZZ Online vom 31. März 2007, S. 3; Langhammer, 1998; Laurent / Maresceau (Hrsg.), 1998; Rehn, 2006, S. 33 ff.; G. Schneider, S. 183 ff.; von Trott zu Solz, 2003; Weigelt u. a., 1994; Wessels, 1995; Wiener, Finality, 2003, S. 157 ff.; Willgerodt, S. 195 ff. 21 Dazu ausführlich im 1. Kapitel. 22 Vgl. dazu z. B. U. Becker, 2001, S. 8 Fn. 38; Krenzler, S. 1255 (Rn. 73): Europaabkommen begründeten eine „Anwartschaft auf den Beitritt“, nicht aber Kooperationsabkommen; Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 8: leitet aus vertraglichen Bindungen einen Anspruch auf ernsthafte und wohlwollende Prüfung des Beitrittsantrags und Eintritt in Vertragsverhandlungen her sowie eine wachsende Begründungslast der EU mit Fortschreiten der Beitrittsvorbereitungsphase; Zeh, 2002, S. 46, 56 ff., 73. 19 20
A. Gegenstand der Arbeit
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päischen Nachbarstaaten werden nicht angesprochen. Ohnehin werden gegenwärtig die Beitrittswünsche europäischer Nachbarn als Problem angesehen, nicht deren Beitrittsverweigerung.23 Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die EU den Beitritt neuer Staaten ablehnen darf. Bezüglich der Türkei wurde die Frage aktuell, was einen europäischen Staat ausmacht und welche Anforderungen im Übrigen an ein neues Mitgliedsland zu stellen sind. Auch die Nichterfüllung des vierten Kopenhagener Kriteriums – die Aufnahmefähigkeit der EU – wird seit der Osterweiterung häufig als Grund für ein jedenfalls vorläufiges Erweiterungsstopp genannt. Dahinter verbirgt sich das juristische Problem der Herleitung und Auslegung der materiellen Beitrittsvoraussetzungen des Art. 49 EU. Es ist zudem fraglich, ob und inwieweit die EU und ihre Mitgliedstaaten einen Entscheidungsspielraum haben, falls ein Beitrittsanwärter die Beitrittsvoraussetzungen erfüllt. Zurzeit scheint diese Frage nicht aktuell. Jedoch wird zum Teil schon ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Nachbarn mit der Erfüllung der Aktionspläne im Rahmen der ENP der Erfüllung der Beitrittskriterien sehr nahe kommen.24 Die Frage nach einer Pflicht der EU zur Aufnahme neuer Mitglieder und gar nach einem Recht auf Beitritt der europäischen Nachbarn ist also keine rein theoretische.25 In der vorliegenden Arbeit werden auch nicht unmittelbar beitrittsbezogene Rechtsfragen thematisiert, geht es doch um einen weiter verstandenen Integrationsauftrag. Für viele europäische Staaten ist der Beitritt mangels Erfüllung der Beitrittsvoraussetzungen jedenfalls mittelfristig ausgeschlossen. Für sie wird die Frage aktuell, ob die EU dazu verpflichtet ist, dem Erweiterungsinteresse anderweitig zu genügen, notfalls durch die Flexibilisierung ihrer Politiken und institutionellen Strukturen. Viele politikwissenschaftliche Gesamteuropakonzepte fordern Teilbeitritte; lange Übergangsfristen sind bereits heute Bestandteil von Beitrittsverträgen.26 Dies wirft die Frage nach den zulässigen Partizipationsinstrumenten auf. Diskutiert wird zudem, ob das Primärrecht ein bestimmtes Verhältnis zwischen den zulässigen Partizipationsinstrumenten vorschreibt. Beim EWR war der Umschwung der Zielsetzung von einer Beitrittsalternative zu einer Beitrittsvorbereitung nicht problematisch. Einerseits gab es noch keine Diskussion über endgültige Grenzen der EU, andererseits ging es um Staaten, die beitreten konnten, aber nicht wollten. Bei den osteuropäischen Nachbarn ist dies umgekehrt.27 Die Heranfüh23 Zu den Beitrittsmotiven der Kandidatenländer bei vergangenen Erweiterungsrunden z. B. Elvert, S. 189 – 208. 24 Jacobsen / Machowski, S. 31 (37). 25 Im Hinblick auf das Verhältnis der EU zu ihren Nachbarstaaten stehen diese beitrittsbezogenen Fragen in der Wissenschaft bisher im Vordergrund, vgl. v. a. Richter, 1997 und Zeh, 2002. 26 Dazu statt vieler U. Becker, 2001, S. 4 – 6; Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 19 (Fristen bisher zwischen 4 – 10 Jahre).
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rungsstrategie war für die Osterweiterung enorm wichtig; nicht nur die Beitrittskriterien und deren Überwachung, sondern auch die finanzielle und technische Unterstützung ermöglichten die reibungslose Integration.28 Dies wird in Zukunft weiterhin so sein. Denn nur Beitrittskandidaten, die bereits bisher im Rahmen von EWR und EFTA untereinander bzw. mit der EU verflochten sind, würden den Beitrittsprozess ohne eine Heranführungshilfe meistern können.29 Hingegen sind Integrationsfortschritte in den ENP-Staaten abhängig von der Erreichung bestimmter von der EU gesetzter und geförderter Ziele. Bislang wird die Leitung, derer die Transformationsstaaten bedürfen, bei der ENP allerdings vermisst.30 Aus juristischer Sicht muss folglich erörtert werden, ob die EU dazu verpflichtet ist, beitrittswilligen aber -unfähigen Staaten wie der Ukraine dabei zu helfen, beitrittsfähig zu werden. Umgekehrt kann man fragen, ob die EU eine Pflicht dazu hat, sich selbst aufnahmefähig zu machen, ob sie im Vorfeld einer Erweiterungsrunde also die Voraussetzungen im Innern schaffen muss, um neue Mitglieder verkraften zu können. Unterhalb der Beitrittsschwelle stellt sich ein weiteres Problem: Einige Politikwissenschaftler vermissen bei der ENP und speziell den Aktionsplänen einen genauen Stufenplan, also die Festlegung genauer Daten für konkrete Schritte, denn nur so könne man die Erfüllung der Beitrittskriterien messbar machen. Erhoben wird der Verdacht der bewussten Fernhaltung der Nachbarn durch die Vermeidung konkreter Ziele, damit nicht die EU durch die Belastung mit weiteren Beitritten Opfer ihres eigenen Erfolgs wird.31 Aus rechtlicher Sicht muss daher untersucht werden, ob das Primärrecht ein Stufenverhältnis zwischen unterschiedlichen Partizipationsformen vorschreibt. Die Frage nach einer Pflicht zur bestmöglichen Partizipation auch unterhalb der Schwelle des Beitritts kann auch für die Türkei relevant werden. Eine Pflicht zur bestmöglichen Partizipation könnte sich zudem auf die Auslegung bereits bestehender Assoziierungsabkommen mit europäischen Staaten auswirken. Diese Problematik wurde zwar noch nicht im Zusammenhang mit der ENP diskutiert, dürfte aber insb. für die Ukraine bedeutsam sein. All diese Rechtsfragen beziehen sich auf Rechte und Pflichten nach geltendem EU-Recht. Die aktuelle Diskussion über die ENP und die Grenzen der EU betrifft aber auch die Frage nach der Änderbarkeit des Integrationsauftrags. Insbesondere anlässlich der Debatte über die Zukunft des Verfassungsvertrags häufen sich die Vorschläge flexibler Integrationsinstrumente; sie reichen bis hin zu einer gesamtLynch, S. 34 (55); Stratenschulte, Illusionstheater, 2004, S. 4. Kommission, Mythen und Fakten über die Erweiterung, 2006, Frage Nr. 2, http: //ec. europa.eu/enlargement/questions_and _answers/myths_de.htm; übersichtlich zu den Instrumenten der Heranführungsstrategie Lippert, 2004, S. 13 (28 f.). 29 Lippert, Erweiterung, 2006, S. 120 (125 f.). 30 So der Botschafter der Ukraine Chaly, 129. Bergedorf Round Table (Körber-Stiftung), S. 33. 31 Diese Fragen wurden am. 1. / 2. Juni 2006 auf der Konferenz „Draußen vor der Tür?“ zur ENP in Berlin aufgeworfen. 27 28
A. Gegenstand der Arbeit
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europäischen Aufgabenföderation32 bzw. zu einem „multioptionalen“ Verfassungsvertrag, einer „Verfassung der Integrationsoptionen“.33 Geprüft werden muss angesichts der zum Teil sehr spekulativen Gesamteuropakonzepte,34 ob und inwieweit derzeit unzulässige Partizipationsinstrumente eingeführt werden dürfen. Es wird zudem untersucht, ob derzeit vorgesehene Partizipationsinstrumente aufgegeben werden dürfen. Wäre eine endgültige Grenzziehung durch die Abschaffung des Art. 49 EU rechtmäßig? Beide Fragen betreffen das juristische Problem der materiellen Grenzen von Vertragsänderungen. Drittens ist zu klären, in welchem Verhältnis Art. 48 und 49 EU zueinander stehen: Gelten für Vertragsänderungen im Rahmen eines Beitritts dieselben Grenzen wie für „normale“ Vertragsänderungen? Inwieweit dürfen durch Beitrittsverträge die Strukturen der EU geändert werden? Alle Rechtsfragen betreffen mehr oder weniger direkt das Problem, wie frei die EU bei der Festlegung einer (zeitweiligen oder prinzipiellen) Priorität zwischen der Erweiterung und der Vertiefung der EU ist. Eine derartige Klammerfunktion des Erweiterungs-Vertiefungs-Konflikts wurde bisher noch nicht ausführlich behandelt, obwohl dieser Konflikt an mehreren Stellen in den Einzeldiskussionen hervortritt.35
III. Die Forderung einer europäischen (Verfassungs-)Prinzipienlehre Während das Ende der Erweiterung zur Diskussion steht, ist ein Ende der Vertiefung der EU noch nicht absehbar. Im Gegenteil – einen neuen Höhepunkt der Integration „nach innen“ stellt die Verfassungsdebatte36 dar. Einen „Königsweg zu einer europäischen Verfassungsrechtswissenschaft“ bietet laut von Bogdandy eine Prinzipienlehre.37 Bedeutung, Funktionen, Vorteile und Nachteile einer Prinzipienlehre können freilich nur ermittelt werden, wenn der Prinzipienbegriff klar umrissen ist. Eben dieser wird aber nicht einheitlich verwendet, sondern ist je nach Kontext verschieden. von Bogdandy selbst hat ein sehr weites Verständnis; Prinzipien seien „als Rechtssätze niedergelegte normative Strukturentscheidungen, die wesentliche Anliegen einer Rechtsordnung zum Ausdruck bringen.“38 Die Prinzipienlehre diene der Hierarchisierung innerhalb des geltenden Primärrechts durch die Lippert, Assoziierung, 2006, S. 149 ff. Kirchner, NZZ Online vom 31. März 2007 (Konstitutionenökonomik, Interessen der Bürger im Mittelpunkt). 34 Dazu ausführlicher im 1. Kapitel unter B.II.3. 35 Dazu ausführlich im 4. Kapitel; zur Annahme einer entsprechenden Klammerfunktion vgl. Bruha, 2007, S. 201 ff. 36 Dazu im 3. Kapitel unter A. 37 von Bogdandy, 2003, S. 149. 38 von Bogdandy, 2003, S. 149 (156); ähnlich Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 580. 32 33
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Änderungsfestigkeit einiger Prinzipien entsprechend Art. 79 Abs. 3 GG und durch die Identifizierung grundlegender Kriterien für den Umgang mit Prinzipienkollisionen.39 Vor allem helfe sie beim Entwurf eines großen Strukturplans, der die Verfassung als Einheit und einzelne Verfassungsbestimmungen als Teil eines übergreifenden Konzepts versteht.40 Die Forderung nach einer Prinzipienlehre ist also letztlich eine Forderung nach der rationalen Erklärung rechtlicher Entscheidungen, nach der Systematisierung des Rechts und auf europäischer Ebene letztlich nach einer weiteren Konstitutionalisierung des Primärrechts, um v. a. dessen Kohärenz und damit die Rechtssicherheit zu erhöhen. Auch ist die Prinzipienlehre ein Mittel, um das Verhältnis von Recht und Politik und von Recht und Moral in modernen Rechtsordnungen zu klären oder im Wege der konstruktiven Interpretation neu zu definieren. Die Forderung von Bogdandys lässt offen, welche Elemente eine europäische Prinzipienlehre prägen und zur Beantwortung welcher Fragen sie beitragen können. Die Offenheit seiner Forderung wird in der vorliegenden Arbeit als Auftrag verstanden, nach einer für das europäische Recht adäquaten Prinzipienlehre zu suchen und diese einzusetzen zur rationalen und kohärenten Klärung verschiedener Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem „doppelten“ europäischen Integrationsauftrag der EU.
IV. Stand der wissenschaftlichen Forschung Bislang steht die Diskussion über die Zukunft der europäischen Integration und damit über die Erweiterung relativ unverbunden neben der Forderung einer europäischen Prinzipienlehre. Zwar wird teilweise ein genereller Zusammenhang zwischen der Konstitutionalisierung der EU und der europäischen Integration bzw. Erweiterung gesehen.41 Auch werden in den konkreten Debatten rund um den europäischen Integrationsauftrag Lösungen vorgeschlagen, die an die Prinzipienlehre erinnern bzw. deren Anwendbarkeit im europäischen Primärrecht offenbar voraussetzen. Dazu zählen die Forderung einer möglichst beitrittsfreundlichen Auslegung des Begriffs „europäisch“ in Art. 49 Abs. 1 EU im Interesse einer möglichst optimalen Erfüllung des primärrechtlich verankerten Erweiterungsziels und die Annahme einer Pflicht zur Abwägung zwischen dem Erweiterungs- und dem Vertiefungsziel.42 In den entsprechenden Beiträgen wird aber nicht explizit erläutert, ob und warum solche aus dem deutschen Verfassungsrecht bekannten Pflichten im Primärrecht gelten.43 Insbesondere wird in diesem Zusammenhang nicht von Bogdandy, 2003, S. 149 (151 f.). von Bogdandy, 2003, S. 149 (152); ähnlich zum Sekundärrecht Möllers, S. 1 (55). 41 Nettesheim, S. 36. 42 Vgl. insb. Bruha, 2007; weitere Nachweise im 4. Kapitel. 43 Immerhin wird teilweise auf den Zusammenhang zwischen Konstitutionalisierung und Integration bzw. Erweiterung aufmerksam gemacht, vgl. von Danwitz, S. 1125 (1126) zum VVE-Entwurf; Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 577; zur komplexen Bezie39 40
B. Der europäische Integrationsauftrag der EU als Prinzipienlehre
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diskutiert, ob in der europäischen Rechtsordnung der der Prinzipienlehre zugrunde liegende Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung bzw. der Einheit der Verfassung verwirklicht ist. Auch werden Erweiterung und Vertiefung im Zusammenhang mit der Lösung konkreter Rechtsfragen nicht ausdrücklich als (Verfassungs-)Prinzipien qualifiziert. Dies mag auch ein Grund dafür sein, dass die Abwägung zwischen Erweiterung und Vertiefung nicht zur Lösung anderer Rechtsfragen herangezogen wurde. von Bogdandy selbst zählt im Anschluss an seine Forderung einer europäischen Prinzipienlehre einige Konflikte im europäischen Primärrecht auf, zu deren Lösung sein Ansatz beitragen könne; den europäischen Integrationsauftrag und insb. das Spannungsverhältnis zwischen Erweiterung und Vertiefung erwähnt er aber nicht. Bezeichnen andere Autoren Integration, Erweiterung und / oder Vertiefung als Verfassungsprinzipien, dann stets ohne eine Einbindung in die dogmatische Diskussion und damit ohne eine schlüssige Herleitung dieser Qualifizierung und vor allem ohne Benennung der Rechtsfolgen, die sich aus dem (Verfassungs-) Prinzipiencharakter ihrer Ansicht nach ergeben. Dies wiegt umso schwerer, als es nicht den Prinzipienbegriff oder die Prinzipienlehre gibt. Es muss folglich begründet werden, ob eine genauer umschriebene europäische Prinzipienlehre zur Lösung des Erweiterungs-Vertiefungs-Dilemmas und der sich daraus ergebenden Rechtsfragen beitragen kann. Schon aufgrund der aufgezeigten Berührungspunkte zwischen der Grenzdebatte und der Prinzipienlehre einerseits und dem bisher lückenhaften Zusammendenken andererseits lohnt sich eine Auseinandersetzung mit einer klar ausgesprochenen Zusammenführung dieser beiden Forschungsbereiche, selbst wenn man der folgenden These im Ergebnis nicht zustimmt, weil man die Prinzipienlehre generell ablehnt, ihre Anwendbarkeit im EU-Recht bezweifelt oder ihre Erklärungskraft bei der Lösung der aufgeworfenen Rechtsfragen verneint.
B. These: Der europäische Integrationsauftrag der EU als tauglicher Anknüpfungspunkt einer europäischen Prinzipienlehre In dieser Arbeit wird die These begründet, dass Erweiterung und Vertiefung der EU verbindliche Rechtsprinzipien der EU sind. Daraus ergeben sich für die Unionsorgane und für die Mitgliedstaaten verbindliche Optimierungsgebote und im Falle von Kollisionen rechtliche Abwägungspflichten, die sich auf die Auslegung des geltenden Rechts und auf die Weiterentwicklung des europäischen Primärrechts auswirken. All diese Pflichten begründen den europäischen Integrationsaufhung zwischen (Ost-)Erweiterung und Verfassungsdiskussion in der EU Walker, 2003, S. 365 ff.
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trag der EU, der als primär politischer Auftrag rechtlichen Bindungen unterliegt. Als Vorfrage muss erstens geklärt werden, weshalb überhaupt Rechtsbindungen bestehen und nicht bloße politische, moralische oder historische Pflichten bzw. wirtschaftliche Gebote. Zweitens wird dargelegt, weshalb nur eine Abwägungspflicht und damit eine Verfahrenspflicht aus dem Recht herzuleiten ist statt einer definitiven Pflicht zur Aufnahme beitrittswilliger Staaten, zum Erweiterungsstopp, o. ä. An dieser Stelle seien einige Worte zur Begründung dieser beiden Vorfragen vorweggenommen; begonnen wird mit der zweiten. Das Primärrecht sieht insbesondere in seinen Präambeln und Zielbestimmungen eine Fortführung der Integration vor. Statt eines bestimmten Endzustands verlangt es einen dynamischen Prozess im Sinne eines „immer mehr“. Dem entsprach auch die bisherige Praxis. Eine Facette dieser rechtlich vorgesehenen Integration ist die Erweiterung, die andere ist die materielle und institutionelle Vertiefung. Immer wenn diese beiden Integrationsziele in ein Spannungsverhältnis geraten, kommt es auch zu einem rechtlichen Konflikt. Geht man von der Anwendbarkeit der Prinzipienlehre im Europarecht aus, müsste man zuerst prüfen, ob das Recht ein abstraktes Rangverhältnis zwischen Erweiterung und Vertiefung vorsieht. Nur wenn dies nicht der Fall ist, wird das Verhältnis zwischen Erweiterung und Vertiefung im Einzelfall durch Abwägung bestimmt. Es muss also u. a. geklärt werden, welchen Rang das Primärrecht den beiden Integrationszielen jeweils zumisst. Warum aber sollte die Zukunft der Europäischen Union überhaupt rechtlich vorgegeben sein? Zum einen erachtet der EuGH Präambeln und Zielbestimmungen im Primärrecht als verbindlich. Da zum anderen von einem breiten Forum die Konstitutionalisierung des Europarechts gefordert bzw. behauptet wird, liegt es nahe zu analysieren, welche Auswirkungen dies für die Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags der EU und insb. für die Lösung von Spannungen zwischen Erweiterung und Vertiefung hat. Die Forderung von Bogdanys nach Leit- und Strukturprinzipien, die die Konstitutionalisierung des Primärrechts und die Einheit der europäischen Rechtsordnung fördern, kann ebenso wie das zum deutschen Verfassungsrecht entwickelte Prinzipienmodell Alexys zur kohärenten Lösung des sog. „Erweiterungs-Vertiefungs-Dilemmas“ beitragen. Jede der mit den verschiedenen Prinzipientheorien behandelten Fragen findet sich in den rechtlichen Diskussionen rund um den europäischen Integrationsauftrag der EU wieder: Die normstrukturelle Abgrenzung zwischen Regeln und Prinzipien und das daraus hergeleitete Kollisionsverhalten beantwortet die Fragen, wann ein Ziel optimiert werden muss und gegebenenfalls einer Abwägung zugänglich ist und in welchem Verhältnis verschiedene Ziele der EU zueinander stehen. Dies könnte Maßstab sein für die Auslegung von Art. 49 EU und von Assoziierungsabkommen, aber auch Aufschluss geben über das Stufenverhältnis zwischen den verschiedenen Integrationsinstrumenten. Nun gibt es aber nicht nur rechtliche, sondern auch politische oder ökonomische Optimierungsgebote. Auch Politik-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler ana-
B. Der europäische Integrationsauftrag der EU als Prinzipienlehre
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lysieren und bewerten die Integration und einzelne Beitrittsentscheidungen. Für sich genommen beantworten sie aber nicht die aufgeworfenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem europäischen Integrationsauftrag, sondern setzen ein jedenfalls partiell bestehendes Primat der Politik, der Moral bzw. der Ökonomie voraus. Eine Prinzipienlehre liefert Maßstäbe für die Unterscheidung von politischen Wunschvorstellungen und rechtlich verbindlichen Prinzipien und damit für die Bestimmung der Rechtsnatur von Primärrechtsbestimmungen. Aufgrund dessen könnte ermittelt werden, ob und inwieweit ermessensbeschränkende Rechtsbindungen bestehen. Auch dies beeinflusst die Herleitung und Auslegung von Beitrittsvoraussetzungen und die Auslegung von Assoziierungsabkommen. Die Unterscheidung zwischen Prinzipien und Verfassungsprinzipien betrifft die Frage, wann Rechtsnormen zukunftsweisende Funktion in dem Sinne haben, dass sie nicht oder nur erschwert abänderbar sind. Aufschlussreich könnte dies für die Frage nach der Änderbarkeit des Integrationsauftrags sein. Es wird bereits deutlich, dass eine Prinzipienlehre und die damit verbundene Verfassungsdiskussion auch ganz grundsätzliche Aussagen über das Verhältnis zwischen Recht und Politik in der Integrationsdebatte machen. Gerade deswegen wurde diese Arbeit erstellt im Bewusstsein der Gefahren rechtswissenschaftlicher Forschung im Umgang mit Prinzipien, vor denen insb. im Völkerrecht gewarnt wird: So eilen Lehrmeinungen oft der Praxis voraus – auch um diese zu beeinflussen. Zudem werden nicht selten die Grenzen zwischen „lex lata“ und „lex ferenda“ verwischt, Regelungen zu Teilbereichen auf andere Bereiche übertragen, die spärliche Judikatur ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände verallgemeinert und die normative Wirkung politischer Aussagen überschätzt.44 Daher werden in dieser Arbeit soweit wie möglich Recht und Politik einerseits sowie Theorie und Praxis andererseits einander gegenübergestellt. Ausgangspunkt sind primärrechtliche Bestimmungen; etwaige Unterschiede zwischen EG- und EU-Recht und zwischen allgemeinen und speziellen Normen werden beachtet. Auch werden die Absichten offen gelegt und konstruktive Ansätze als solche gekennzeichnet. Die juristische Unlösbarkeit bestimmter abstrakter Probleme wird anerkannt; die Arbeit beschränkt sich da, wo es die eine richtige Lösung nicht gibt, auf das Aufzeigen eines in sich schlüssigen Lösungswegs.45 Es wird vertreten, dass die Auslegung des europäischen Primärrechts und insbesondere der Integrationsnormen im Lichte der Prinzipienlehre eine zulässige Auslegung ist, die den (rechts-)politischen Anforderungen an das Europarecht gerecht wird; aber keine zwingende. Dies und
Auflistung dieser Gefahren bei W. Lang, S. 9 (10) m. w. N. Ein solch pluralistisches Vorgehen befürworten auch: von Bogdandy, 2003, S. 149 (153) m. w. N. zur europäischen Prinzipienlehre; Peters, S. 268 ff., 765 f. Nr. 6 zum Verhältnis zwischen Etatismus und Automatismus in der Diskussion über einen autonomen Geltungsgrund des Gemeinschaftsrechts; zur Auslegung des Primärrechts im Lichte verschiedener Integrationsparadigma Thalmaier, insb. S. 426, 428; vgl. auch die entsprechende Forderung an rechtswissenschaftliche Arbeiten von Stein, S. 2 ff. 44 45
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einige Besonderheiten der EU begründen auch die Vorgehensweise, die im Folgenden erläutert wird.
C. Methodisches Vorgehen Herausforderung dieser Arbeit ist, eine Prinzipienlehre, die noch nicht klar umschrieben ist und deren Anwendung auf das EU-Recht bisher nur gefordert wird, zur kohärenten Lösung von verschiedenen aktuellen Rechtsfragen heranzuziehen. Gefunden werden muss ein rechtstheoretisch befriedigender Ansatz, der zugleich praktische Erklärungskraft besitzt. Bedingt und erschwert wird dieses Vorhaben durch den Gegenstand „EU-Recht“.46 Er verursacht erstens Unsicherheiten bei der Anwendung von Völkerrecht und / oder Verfassungsrecht. Zweitens wird die Beschreibung der Integration von politikwissenschaftlichen Analysen dominiert, auf die die Rechtswissenschaft reagieren muss. Drittens ist das Verhältnis zwischen geschriebenen Rechtsnormen, Rechtstheorie und Rechtspraxis im dynamischen Europarecht ein Besonderes. An die Rolle des EuGH bei der Fortentwicklung des Europarechts und dem Vorantreiben der Integration sei hier nur erinnert. All diese Besonderheiten werden berücksichtigt.
I. Die EU als Gebilde zwischen internationalem und konstitutionellem Regime Nur kurz verwiesen sei als Ausgangspunkt auf ein Dauerthema: die Besonderheiten der Gestalt der EU. Lange stand der Streit darüber im Mittelpunkt, ob die EU eine Internationale Organisation ist und bleiben soll oder ein staatsähnliches Gebilde. Einigkeit besteht heute weitgehend darüber, dass die EU und auch die EG die Merkmale des Staates im Sinne der Drei-Elemente-Lehre nicht erfüllen. Auch besteht und bestand stets Widerstand gegen die Finalität eines europäischen Bundesstaats.47 Ebenso einig ist man sich darin, dass sich die Gestalt der EU inzwischen nicht mehr umfassend mit dem Begriff der Internationalen Organisation beschreiben lässt.48 Mehr und mehr widmete sich die Wissenschaft daher den Eigenarten der EU.49 Je nach integrationstheoretischem Hintergrund und For-
46 Vgl. zur verwirrenden Vielfalt unterschiedlicher Ansätze und den damit bereits im nationalen Recht verbundenen Schwierigkeiten der Methodenwahl Stein, S. 9 f.; zu den Besonderheiten des EU-Rechts in diesem Zusammenhang statt vieler Knelangen / Varwick, S. 13 (14) und Wiener, ELJ 2003, S. 1 (3 f.). 47 Statt vieler Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 1 EU Rn. 20 ff.; Griller, S. 201 (220 ff.); Kleger / Karolewski / Munke, S. 183, 195; Magnette, S. 195 ff.; Steiger, S. 51 ff.; Thalmaier, S. 157 ff., 388, 396, 425 f.; Weiler, 2003, S. 9 (11 f.). 48 Statt vieler m. w. N. Griller, S. 201 (203) und Thalmaier, S. 165 ff.
C. Methodisches Vorgehen
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schungsziel bezeichnete man die EU als Mehrebenensystem (Föderalismus), Verfassungsverbund (Konstitutionalismus) oder schlicht und einfach als Gebilde sui generis, um ihrem historisch einzigartigen Charakter Rechnung zu tragen.50 Längst lässt sich nicht mehr mit endgültiger Sicherheit sagen, welche Elemente der EU typisch verfassungsrechtlichen oder typisch völkerrechtlichen Charakter haben. Insbesondere der Beitrittsvertrag „erscheint [ . . . ] als ein Rechtsinstrument an der Schnittfläche zwischen Völkerrecht, Europarecht und nationalem Recht, in dem atypische, dogmatisch nur schwer einzufangende Phänomene kumulieren. Dies macht ihn so interessant und dies stellt eine rechtliche Herausforderung dar, die künftig noch stärker angenommen werden sollte.“51 Die Einordnung ist schon deshalb schwierig, weil auch das Völkerrecht und das Verfassungsrecht ihre Eigenarten mehr und mehr ablegen. Im Völkerrecht werden beispielsweise verfassungsähnliche Funktionen von Prinzipien angenommen.52 Selbst wer derartige Annahmen ablehnt, kann sich jedenfalls nicht der Tatsache verschließen, dass die Konstitutionalisierungsdebatte längst nicht mehr auf das nationale Recht beschränkt ist. Sollte eine Typisierung der EU überhaupt möglich sein, so ist sie doch fast zwangsläufig verbunden mit Zirkelschlüssen.53 Um sich nicht der Gefahr von Pauschalisierungen auszusetzen, verzichtet diese Arbeit von vornherein auf eine Begrifflichkeit zur Umschreibung der Gestalt der EU. Besonderheiten werden im Zusammenhang mit konkreten Fragestellungen berücksichtigt. Geschriebenes Recht und Rechtsprechung werden auf bestimmte Aussagen und Wirkungen hin untersucht. Wichtig sind an dieser Stelle nur folgende Schlussfolgerungen: Die EU hat noch immer nicht ihre endgültige Gestalt erreicht, noch immer befindet sie sich in einem dynamischen Prozess. Dieses primärrechtlich vorgesehene Phänomen führt zu methodischen Besonderheiten bei jeder Analyse des Europarechts. Die Erweiterungspolitik entwickelt sich besonders schnell, so dass wissenschaftliche Aussagen oft kaum mehr als Spekulationen sein können.54
49 Dazu statt vieler m. w. N. Oppermann, 2006, S. 187 ff., 200 ff.; Thalmaier, S. 169 ff. und Weiler / Haltern, 1996; zu den supranationalen Eigenarten der EU z. B. Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 6 Rn. 15 f.; Griller, S. 201 (204 f., 212 ff.); Haltern, Dogmatik, 2005, S. 43 ff. und Thalmaier, S. 169 ff. 50 Zum sui generis-Charakter z. B. Holzinger, S. 81 (82 ff.) und Schuppert, 2005, S. 3 (5); guter Überblick über die zahlreichen Sprachschöpfungen bei Griller, S. 201 (248 ff.) und Thalmaier, S. 173 ff.; kritisch gegenüber einer vergleichsfeindlichen Sonderterminologie sind u. a. Schönberger, S. 11, 59 und Wahl, 2005, S. 916 (920). 51 Niedobitek, S. 369 (375). 52 Siehe dazu im 3. Kapitel unter B.I.2. 53 Vor einer Begriffsjurisprudenz, die zirkulär den „Verfassungsbegriff als Füllhorn für beliebige weitere rechtliche Ableitungen benutzt“ warnt Peters, S. 167 f.; ebenso kritisch Heintzen, 1994, S. 35 (40) und Nicolaysen, Europarecht I, 2002, S. 63, 70. 54 Maresceau, 2003, S. 9 zur Heranführungsstrategie im Vorfeld der Osterweiterung.
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II. Berücksichtigung verschiedener Rechtsdisziplinen Nicht mehr ungewöhnlich ist heutzutage die Übertragung staatsrechtlicher Kategorien auf die EU bei gleichzeitiger Heranziehung des Völkerrechts zur Beschreibung bestimmter Phänomene oder zur Lösung bestimmter Rechtsfragen. Weder lehnt man die Anwendung traditioneller Kategorien als Erkenntnisquelle ab noch wendet man sie schematisch auf die EU an.55 Viele verstehen die schwer definierbare Gestalt der EU als Einladung zu konstruktiven (Rechts-)Theorien. Meist prüfen diese Wissenschaftler in einem ersten Schritt, ob bislang im staatsrechtlichen Sinne verwendete Begriffe (z. B. Verfassung, Demokratie) auf die EU übertragbar sind. Wird dies verneint, folgt ein zweiter konstruktiver Schritt: Den bekannten Begriffen wird ein Neuverständnis gegeben, welches die Supranationalität der EU berücksichtigt. Damit wird die Verbindung zwischen beschreibendem Begriff und Staat aufgehoben, ohne dass Kategorien der allgemeinen Staatslehre für irrelevant erklärt werden. Gleiches lässt sich für Theorien der Staatenverbindungen sagen.56 Dieser Vorgehensweise bedient sich auch die vorliegende Arbeit. Insbesondere bei der Anwendung ursprünglich staatsbezogener Begriffe, Methoden und Erklärungsmodelle auf die EU wird aber die im Vergleich zum Staat erhöhte Komplexität und Dynamik des Integrationsprozesses mit der „Vielfalt an Interessen und Logiken“ beachtet.57 Für die Frage nach der Anwendbarkeit der insbesondere im deutschen Verfassungsrecht wurzelnden Prinzipienlehre ergibt sich daraus, dass ihre Zwecke und ihre Wirkungen ebenso wie ihre Vor- und Nachteile besprochen werden müssen, um dann zu klären, inwieweit diese für die EU gültig bzw. wünschenswert sind. In dieser Arbeit wird weder durch Bejahung einer europäischen Prinzipienlehre die Verfassungseigenschaft des Primärrechts behauptet, noch wird der Verfassungscharakter einer Rechtsordnung als zwingende Voraussetzung einer Prinzipienlehre angesehen. Es wird vielmehr begründet, weshalb die Prinzipienlehre als Rechtstheorie generell zu begrüßen ist, warum sie im EU-Recht anwendbar ist und inwieweit sie zur rechtlichen Begründung und Konkretisierung eines europäischen Integrationsauftrags der EU beiträgt. Dabei sind konstruktive Schritte notwendig; es 55 Z. B. Benz, S. 141; Dann, S. 37 (54 ff.); Griller, S. 201 (246 ff.); Haltern, Europawissenschaft, 2005, S. 37 (64); Müller-Graff / Riedel, S. 9 (14); Zeh, 2002 zieht zur Lösung der Frage nach einem Recht auf Beitritt völkerrechtliche und europarechtliche Ansätze heran, wobei sie bei letzteren auf verfassungsrechtliche Kategorien wie die praktische Konkordanz zwischen kollidierenden Normen abstellt. 56 So gehen mit unterschiedlicher Akzentuierung z. B. vor: Griller, S. 201 (246 ff.); Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, insb. S. 273, 284 ff., 385; Kleger / Karolewski / Munke, S. 178 ff. (insb. S. 183, 195, 204 ff.); Peters, insb. S. 32 f., 38 ff., 163 ff., 504 f.; Schönberger, insb. S. 10 f., 31 ff.; Thalmaier, S. 131 ff., 175, 385 – 390, 396 ff., 425 ff.; Wahl, 2005, S. 916 ff.; Walter, S. 1 ff.; vgl. dazu auch m. w. N. Haltern, Dogmatik, 2005, S. 19, 23; ders., Europawissenschaft, 2005, S. 37 (64 f.); Hertel, S. 59 ff.; Oeter, 2002, S. 43; Schuppert, 2005, S. 3 (27 f.); Shaw, 2000, S. 337 (343); Wiener, ELJ 2003, S. 1 (2). 57 Haltern, Europawissenschaft, 2005, S. 37 (39); ähnlich Benz, S. 141 (141 f.).
C. Methodisches Vorgehen
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wird aber offen gelegt, ob dadurch die bestehende Rechtspraxis erklärt oder kritisiert wird oder ob dadurch das geltende Recht fortentwickelt wird.
III. Interdisziplinäres Vorgehen In dieser Arbeit werden nicht nur verschiedene Rechtsgebiete berücksichtigt, sondern darüber hinaus auch die Erkenntnisse nicht-juristischer Disziplinen beachtet und in den rechtswissenschaftlichen Diskurs eingebracht. Ein Blick über den Tellerrand, eine Ergänzung der Dogmatik ist von besonderer Bedeutung bei einer konstruktiven Leseart des Primärrechts als Verfassung bzw. im Lichte einer Prinzipienlehre, können doch Funktionen und Leistungen einer solchen Auslegung, insb. ihre Durchsetzungskraft, nur mit Hilfe nicht-juristischer Theorien beurteilt werden.58 Ins Blickfeld geraten hier v. a. die Diskussion über die Gestalt und die Finalität der EU und die Debatte um die Anforderungen an die Legitimität europäischen (Verfassungs-)Rechts.59 Aber auch andere Besonderheiten der EU zwingen geradezu zur Auswertung und Diskussion von Beiträgen verschiedener Wissenschaften: Aufgrund ihrer Komplexität ist die europäische Integration „Gegenstand unterschiedlichster Integrationstheorien, seien diese nun wirtschaftlicher, rechtlicher, historischer oder gar anthropologischer oder archäologischer Herkunft“.60 Insbesondere bei der Osterweiterung der EU spielten Kosten-Nutzen-Erwägungen, politische Verhandlungsmacht sowie geschriebene und ungeschriebene Normen und Regeln der EU eine Rolle.61 In der „Gemengelage aus ökonomischen Interessen, politischen Querständen, sozialen Parametern und innerhalb eines komplizierten kulturellen Kaleidoskops“62 finden sich nur verhältnismäßig wenige juristische Beiträge. Folglich ist es schon aus rein praktischen Gründen notwendig, disziplinfremde Arbeiten zu sichten. Die Komplexität der europäischen Integration hat zudem Einfluss auf das Verhältnis der verschiedenen Ansätze zueinander: Sie kann nicht anhand einzelner 58 Vgl. dazu insb. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 11; ders., ZSE 2005, S. 235 (236); Haltern, Dogmatik, 2005, S. 4 ff.; ders., Europawissenschaft, 2005, S. 37 (45 ff.); Kaufmann, S. 521 (524); Ruffert, EuR 2004, S. 165 (166) m. w. N.; Schuppert, 2004, S. 529 (533 ff., 548 f.). 59 Haltern, Dogmatik, 2005, S. 18 ff.; ders., Europawissenschaft, 2005, S. 37 (45 ff.); ders., Integration durch Recht, 2005, S. 399 (416 f.). 60 So statt vieler Haltern, Europawissenschaft, 2005, S. 37 (38); zu den Integrationstheorien jeweils m. w. N. z. B. Bieber, in: Bieber / Epiney / Haag, 2005, § 1 Rn. 39 ff.; Bieling / Lerch, S. 9 (10 ff.); Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 1 EU Rn. 11 ff.; ders., in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-1 VVE Rn. 10 ff.; Diez / Wiener, S. 1 ff. und S. 237 ff.; Kaufmann, S. 521 (525); zum Europarecht allgemein Buckel / Christensen / Fischer-Lescano, S. VII (X ff.). 61 Z. B. Mattli / Plümper, S. 52 (54 ff.); Schimmelfennig, 2005, S. 142 ff.; Schimmelfennig, ZSE 2004, S. 465 (466); Schimmelfennig / Sedelmeier, 2005, S. 3 (7 ff.). 62 Haltern, Europawissenschaft, 2005, S. 37 (38).
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Einführung
Theorien erfasst werden, es bedarf vielmehr einer Verflechtung.63 Folglich werden in dieser Arbeit verschiedene Ansätze als komplementär zueinander angesehen, soweit sie unterschiedliche Aspekte des Erweiterungs-Vertiefungs-Konflikts betreffen. Nur wo eine Konkurrenz auszumachen ist, wird geprüft, welche Auffassung die besseren Gründe auf ihrer Seite hat.64 Allen theoretischen Ansätzen in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften gemeinsam ist der Versuch, Stabilitätskriterien des Entscheidungsverhaltens herauszufiltern, um darauf aufbauend Vorhersagen für die Zukunft zu machen (oder auch nur einzelne Optionen auszuschließen).65 Die rechtswissenschaftliche Ergänzung ist erforderlich, da es in dieser Arbeit gerade um die Beantwortung einzelner Rechtsfragen geht. Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Theorien können und wollen für sich genommen nicht klären, welches Verhalten rechtmäßig ist. Von einer bloßen Ergänzung ist die Rede, weil nicht-juristische Theorien Beleg für die Überzeugungskraft einer rechtswissenschaftlichen Theorie sein können. Einerseits lassen sich Erkenntnisse gewinnen aus Disziplinen, die in der Rechtswissenschaft auftauchende Probleme bereits breiter und methodisch genauer diskutieren.66 Andererseits kann das Aufdecken von Unzulänglichkeiten nicht-juristischer Theorien Folgen für die Reichweite der Forderungen an das Recht haben: Vom Rechtsanwender kann kaum verlangt werden, dass er Zusammenhänge zugrunde legt, die wissenschaftlich nicht beschrieben werden können. Wo die Theorienlandschaft entsprechend der Realität komplex, pluralistisch und nicht vollständig überschaubar ist, kann vom Rechtsanwender nicht die einzig objektiv richtige Entscheidung gefordert werden; selbst rechtsetzende Organe müssen dann konstruktiv tätig werden, selbst bei guter Begründung bleibt ein Entscheidungsspielraum, ein „Moment der Dezision“.67 Will man also Stabilität, Kohärenz und Vorhersehbarkeit, so ist dies in einer komplexen Welt nur durch generalisierendes Recht zu leisten, dann aber auf Kosten bestimmter anderer Werte oder der Effizienz. Umgekehrt können Erkenntnisse rechtsfremder Theorien strukturierend und damit stabilitätsfördernd wirken, wo das Recht keine eindeutigen Vorgaben macht.68 So basieren z. B. zahlreiche (Ermessens-)Entscheidungen von EU-Politikern, Mitgliedstaaten oder des EuGH auf einem integrationstheoretischen Leitbild und sind nur vor diesem Hintergrund verständlich.69 63 So z. B. auch Bieling / Lerch, S. 9 (21); Everling, 2004, S. 1053 (1054 f., 1076 f.); Jachtenfuchs, S. 279 (280 ff.); Kaiser / Elvert, S. 1 (7); Kaufmann, S. 521 (525); Miles, S. 253 f.; Pollack, S. 13 (14). 64 Allgemein zum Umgang mit verschiedenen theoretischen Ansätzen Stein, S. 9 f. 65 Bieling / Lerch, S. 9 (15 ff.) m. w. N.; Sedelmeier, 2005, S. 120 (121 f.): letztlich ginge es nicht um die sichere Vorhersage bestimmter Handlungen und Ereignisse, sondern nur um den Ausschluss bestimmter Optionen; Steunenberg, S. 3 (8 f.). 66 So zu rechtswissenschaftlichen Abwägungsproblemen Schlink, S. 15. 67 Zum deutschen Verfassungsrecht Schlink, S. 179, 210; zur EuGH-Rechtsprechung O. Koch, S. 266 ff. 68 Auf die Irrelevanz sozialwissenschaftlicher Ansätze bei der Anwendung zwingenden geltenden Rechts verweist Stein, S. 20. 69 Vgl. nur Peters, S. 502 ff. und Thalmaier, S. 21.
C. Methodisches Vorgehen
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von Bogdandy selbst erkennt die Unzulänglichkeiten der Rechtswissenschaft zur Identifizierung einer logischen und stabilisierenden Einheit des europäischen Primärrechts. Diese Unzulänglichkeiten gleicht die Prinzipienlehre zu einem gewissen Grade aber selbst aus, denn Prinzipien haben die Funktion von „ ,Schleusen‘, über welche die Rechtswissenschaft Anschluss an allgemeine normative Diskurse hält.“70 Dies erinnert an die Qualifizierung der Verfassung als Begegnungsort von Recht und Politik.71 Die Prinzipienlehre ist also schon für sich genommen interdisziplinär. Für den europäischen Integrationsauftrag der EU konkret bedeutet dies, dass nicht-juristische Theorien Aufschluss darüber geben, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Konflikt zwischen den beiden Integrationszielen Erweiterung und Vertiefung besteht, welche Auflösung des Konflikts nach bestimmten Kriterien optimal ist und inwieweit eine Abwägung methodisch befriedigend zur Lösung dieses Konflikts beitragen kann. Die Rechtswissenschaft hat dann zu klären, ob eine Abwägung als Teil einer Rechts- oder gar Verfassungsrechtspflicht zur Optimierung zu verstehen ist oder ob gerade eine Rechtspflicht zum Verzicht auf die (aus einer Perspektive) optimale Lösung besteht und welche Begründungslast die Entscheidungsträger haben.
IV. Theorie und Praxis „Eine Prinzipienlehre als Frucht rechtswissenschaftlicher Konstruktion kann zudem nicht identisch sein mit der Rechtspraxis als tatsächlich gelebter Ordnung. Dies ist kein Mangel, sondern vielmehr Beweis des kritischen Gehalts rechtswissenschaftlicher Konstruktionen.“72
Dementsprechend stehen die konstruktive rechtswissenschaftliche Theorienbildung und deren Anwendbarkeit zur Lösung konkreter Rechtsfragen im Mittelpunkt dieser Arbeit. Sie wird aber durch die EuGH-Rechtsprechung gestützt, wo es um die Anwendbarkeit der Prinzipienlehre im EU-Recht geht. Die Praxis der EU-Organe im Umgang mit den europäischen Nachbarstaaten wird am Ende der Arbeit den gefundenen Erkenntnissen gegenübergestellt. Untersucht wird also „lediglich“, ob diese Praxis der guten Rechtfertigung entspricht. Damit wird die Anwendung in der Praxis nicht als eine Voraussetzung für einen guten theoretischen Ansatz angesehen. Die Praxis ist vielmehr Gegenstand deren Bewertung und zugleich Argument für die tatsächliche Relevanz und Durchsetzbarkeit der Prinzipienlehre im Europarecht und insbesondere zur kohärenten und rationalen Beschreibung des von Bogdandy, 2003, S. 149 (152 f., 203). Schuppert, 2004, S. 529 (548). 72 von Bogdandy, 2003, S. 149 (153) m. w. N.; ähnlich zum Selbstverständnis der Rechtswissenschaft Häberle, ZSE 2005, S. 235 (239); Haltern, Europawissenschaft, 2005, S. 37 (68) und Sieckmann, S. 200, 204 mit Verweis auf die Grundgedanken Dworkins; allgemein zur Notwendigkeit von Rechtstheorien Buckel / Christensen / Fischer-Lescano, S. VII (IX). 70 71
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Einführung
europäischen Integrationsauftrags der EU und zur Lösung von Konflikten zwischen der Erweiterung und der Vertiefung.73 Die Praxis der Organe zu beleuchten ist überdies wichtig, weil der EuGH in ständiger Rechtsprechung das Primärrecht im Lichte der späteren Übung auslegt.74
D. Gliederung der Arbeit Die Arbeit ist wie folgt gegliedert: Das erste Kapitel widmet sich den Grundlagen des europäischen Integrationsauftrags im Recht und in der politischen Praxis. Es verschafft zunächst einen Überblick über die geltenden primärrechtlichen Vorgaben zum europäischen Integrationsauftrag der EU, um das Verständnis der anschließenden Meinungsstreitigkeiten und die Beurteilung theoretischer Konzepte zu erleichtern. Auch die ursprünglich im Verfassungsvertrag vorgesehenen Neuerungen werden dargestellt. Denn obwohl mittlerweile feststeht, dass der VVE nicht in Kraft treten wird,75 hat sein Inhalt doch Diskussionen befördert. Auch offenbart der VVE gewisse Tendenzen, die auch künftig befolgt oder jedenfalls reflektiert werden.76 Die Änderungen im vom Europäischen Rat im Juni 2007 beschlossenen Verhandlungsmandat für einen „Reformvertrag“ werden ebenfalls berücksichtigt. Wichtiges Ergebnis wird sein, dass Spannungen zwischen Erweiterung und Vertiefung zu einem Vertragszielkonflikt führen und damit als Rechtsproblem erscheinen.77 Das Primärrecht enthält aber weder eine ausdrückliche Erwähnung noch eine Lösung dieses Integrationszielkonflikts; insbesondere ein Vorrangverhältnis ist nicht ausdrücklich vorgegeben. Gerade die Unbestimmtheit der Normen zum Integrationsauftrag ist Grund vieler Streitigkeiten. Hinzu kommt die noch immer bestehende Unklarheit über die Rechtsnatur des Primärrechts bezüglich des intergouvernementalen Bereichs, in Bezug auf die Präambeln und hinsichtlich der Grenzen des Ermessensspielraums.78 Vor allem diese Unsicherheiten können mit den klassischen Auslegungsmethoden alleine nicht gelöst werden (zu alldem unter A.). Die Unbestimmtheit des Primärrechts mag ein wesentlicher Grund sein für die 73 Zur bloß faktischen, nicht rechtsverbindlichen Wirkung der Beitrittspraxis Nettesheim, S. 36 (44). 74 Vgl. z. B. EuGH, Rs. 1 / 54, Frankreich / Hohe Behörde, Slg. 1954 / 55, S. 7, 27; Rs. 151 / 73, Irland / Rat, Slg. 1974, S. 285, Rn. 20, 22; Rs. 192 / 83, Griechenland / Kommission, Slg. 1985, S. 2791, Rn. 21. 75 Europäischer Rat von Brüssel, Tagung vom 21. / 22. Juni 2007, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage I, insb. Nr. 1. 76 R. Hofmann, 2005, S. 7 (12). 77 U. Becker, 1999, insb. S. 74 ff.; Bruha / Alsen, S. 161 (172 f.); Bruha / Vogt, S. 477 (501 f.); Brunner, S. 179; Dorau, S. 736 (749 f.); Giegerich, S. 13 (39 f.); Meier, S. 12 (18 ff.); Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 8; Walker, 2003, S. 365 (377 – 379) und Zeh, 2002, S. 19. 78 Zu einzelnen Aspekten z. B. Bleckmann, 1986, S. 65 (268) m. w. N.; Langeheine, S. 47 (119); Stein, S. 93; Zürn / Wolf, S. 113 (113 f., 119, 123 – 130).
D. Gliederung der Arbeit
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häufige Annahme des Primats der Politik bei der Lösung des „Erweiterungs-Vertiefungs-Dilemmas“. In Politik und Wissenschaft werden alle denkbaren Ansichten zum Verhältnis der beiden Integrationsziele vertreten. Im Vorfeld der Osterweiterung und auch im Zusammenhang mit früheren Erweiterungsrunden wurde oft der Zielkonflikt zwischen Erweiterung und Vertiefung diskutiert. Geführt wurden die Diskussionen meist mit politischen, historischen, moralischen und ökonomischen Argumenten. Einige erachten die Integration dabei als Selbstzweck, andere sehen sie als Mittel zur Erreichung anderer, v. a. nationaler Ziele an.79 Derzeit spitzt sich die Debatte zu. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind ausgesprochen schwierig und werden daher nicht selten als vorläufiger Höhepunkt eines „Erweiterungs-Vertiefungs-Dilemmas“ angesehen. Als Lösung bestehender Spannungen wird v. a. ein flexiblerer Umgang mit den europäischen Nachbarn angesehen. Insbesondere die ENP ist in den Augen vieler ein erster Schritt hin zu einem Erweiterungsstopp durch Flexibilität. Diese neue Politik der EU wird mit Blick auf die Grenzdebatte näher erläutert. Anschließend werden sonstige Gesamteuropakonzepte vorgestellt, die von Politik und Wissenschaft zur Lösung des aktuellen Konflikts zwischen Erweiterung und Vertiefung vorgeschlagen wurden (zu alldem unter B.). Da die Analyse des Primärrechts mithilfe der klassischen Auslegungsmethoden nicht zu einer kohärenten Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags der EU und einer Lösung von Spannungen im Zusammenhang mit seiner doppelten Zielbindung führt und neue Gesamteuropakonzepte mit ihrer Hilfe nicht bewertet werden können, werden in den folgenden beiden Kapiteln Ansätze vorgestellt, die dieses Ziel zu erreichen suchen. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen sowie völkerrechtlichen Ansätzen, die bereits in der Vergangenheit auf die Erweiterung der EU Bezug genommen haben. Die europäische Integration ist nicht nur Gegenstand zahlreicher empirischer Untersuchungen, sondern wurde auch vielfach theoretisch erforscht.80 Eine umfassende EU-Erweiterungstheorie gibt es bislang aber nicht,81 ebenso wenig eine Theorie, die das Verhältnis von Erweiterung und Vertiefung umfassend erklärt oder zu lösen versucht. So komplex und dynamisch die europäische Integration ist, so vielfältig sind auch die Perspektiven, aus denen sie betrachtet und bewertet wird.82 Den Überblick zu behalten, fällt schwer, obwohl bereits Systematisierungen versucht wurden.83 Die wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Ansätze Bideleux / Taylor, S. x. Zum Verhältnis zwischen empirischen und theoretischen Arbeiten Kaiser / Elvert, S. 1 (5 ff.). 81 Den Mangel an theoretischen Untersuchungen zur Erweiterung kritisiert u. a. Steunenberg, S. 3 (8); den Umriss einer denkbaren Erweiterungstheorie zeichnet Miles, S. 253 (254 ff.): i. E. befürwortet er Theorien, die die Flexibilität der EU berücksichtigen. 82 Vgl. dazu z. B. Bieling / Lerch, S. 9 (14); Thalmaier, S. 2 und Wessels, 2005, S. 427 ff. 83 Vgl. z. B. Bieling / Lerch, S. 9 ff.; Miles, S. 253 ff.; Kaiser / Elvert, S. 209 ff. (Auflistung wichtiger wissenschaftlicher Werke von Historikern und Sozialwissenschaftlern); sehr über79 80
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Einführung
unterscheiden sich v. a. durch die gefundenen Stabilitätskriterien – Präferenzen, Werte und Normen oder Institutionen. Der Übersichtlichkeit halber und mit Blick auf den Umfang dieser Arbeit werden nur einige besonders aussagekräftiger Ansätze dargestellt,84 nämlich die Weiterentwicklung der Integrationstheorien von Lippert (A.), die Klubtheorie (B.), die Gemeinschaftstheorie (C.) und der Mehrebenenansatz (D.). Die Rechtswissenschaft hat sich bislang mit den Bindungen bei der Aufnahme neuer Mitglieder in Internationale Organisationen beschäftigt. Abgesehen von ermessenslenkenden Vertrauensschutzregeln, die unter bestimmten konkreten Voraussetzungen greifen,85 werden im Völkerrecht allgemeine Kooperationspflichten von Internationalen Organisationen mit Hilfe des sog. Universalitätsprinzips hergeleitet (E.). Für zahlreiche der in dieser Arbeit aufgeworfenen Rechtsfragen bietet dieser völkerrechtliche Ansatz allerdings keine Antworten. Aus diesem und weiteren Gründen bedarf es einer rechtswissenschaftlichen Prinzipienlehre, die sich vornehmlich mit der Rechtsnatur, dem Inhalt und der Auslegung des Europarechts beschäftigt. Im dritten Kapitel wird eine europäische Prinzipienlehre zunächst einmal umschrieben. Da eine europäische Prinzipienlehre als rechtswissenschaftliche Methode bisher nur gefordert wurde, ihre Ausgestaltung und ihre Anwendungsfälle im Einzelnen aber noch sehr unbestimmt und z. T. streitig sind, bedarf es an dieser Stelle eines größeren Begründungsaufwands. Zunächst einmal wird der Ansatz in die gegenwärtige Verfassungsdiskussion eingeordnet und damit seine Bedeutung für den Konstitutionalisierungsprozess verdeutlicht (dazu unter A.). Anschließend wird die europäische Prinzipienlehre näher konkretisiert und zwar in Bezug auf den Prinzipienbegriff, die Herleitung und Wirkung von Prinzipien, die Abwägung als Kollisionsinstrument und die Justiziabilität von Prinzipienentscheidungen. Zu diesem Zwecke wurde nicht nur Literatur speziell zur (nationalen, europarechtlichen und völkerrechtlichen) Prinzipienlehre ausgewertet. Um die Überzeugungskraft der gefundenen Ergebnisse zu sichern, wird vielmehr auch auf Aussagen Bezug genommen, die sich unabhängig von der Prinzipienlehre mit entsprechenden Aspekten europarechtlicher Normen beschäftigen, etwa mit deren Adressat oder deren Unabänderlichkeit (zu alldem unter B.). Es folgt eine kritische Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteilen einer europäischen Prinzipienlehre (dazu unter C.). Das dritte Kapitel endet mit der Frage, ob mit Hilfe der so sichtlich zu Erklärungsansätzen der Integrationsforschung Lippert, 2004, S. 13 (15 ff.); Holzinger u. a., 2005 und Pollack, S. 13 ff. 84 Der Übersichtlichkeit halber nicht behandelt werden die Grenztheorie (vgl. dazu z. B. Zielonka, 2002, S. 1 (3 ff.); ders., 2001, S. 507 (507 f., 516 ff.) und ähnlich Anderson / Bort, 2001), komplexe Erweiterungs-Vertiefungs-Theorien (dazu Balázs, S. 67 (76 ff.) und G. Schneider, S. 183 ff.); die betriebswirtschaftliche und soziologische Organisationslehre (dazu Peters, S. 174 f. m. w. N.); die Regimetheorie (dazu m. w. N. Gstöhl, 2001, S. 35 ff. und Peters, S. 200 f.) und der Ansatz von Heinz, 2005 (er zieht theoretische Grundlagen des natürlichen und künstlichen Zusammenlebens zur Erklärung von Formen des politischen Zusammenlebens – insb. der EU und deren Verfassungsentwicklung – heran). 85 Dazu ausführlich und m. w. N. Zeh, 2002, S. 56 ff.
D. Gliederung der Arbeit
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konkretisierten Prinzipienlehre auftauchende Spannungen zwischen der Erweiterung und der Vertiefung rechtlich gelöst werden können und ein verbindlicher Integrationsauftrag der EU entsprechend konkretisiert werden kann (unter D.). Im vierten Kapitel werden schließlich die eingangs aufgeworfenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Erweiterungs-, Assoziierungs- und Nachbarschaftspolitik der EU beantwortet. Darin ist zugleich die maßgebliche rechtliche Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags der EU zu sehen. Zu diesem Zweck werden die Praxis der EU im Umgang mit ihren europäischen Nachbarn analysiert und die in der Politik und Wissenschaft jeweils vertretenen Ansichten wiedergegeben. Geprüft wird deren Vereinbarkeit mit der Prinzipienlehre. Die Arbeit bewegt sich also zunächst auf einer Metaebene gegenüber den Meinungsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem europäischen Integrationsauftrag der EU, mit Blick auf das Ziel, die geführten Diskussionen zu strukturieren. Erst auf dieser Grundlage erfolgt eine Einmischung in die Rechtsdebatten, bemüht um eine kohärente Lösung mit Hilfe einer europäischen Prinzipienlehre. Im letzten Kapitel wird ein Ausblick gewagt bezüglich der Etablierung einer europäischen Prinzipienlehre und deren Anwendung zur Lösung der mit dem europäischen Integrationsauftrag der EU verbundenen Rechtsfragen. Die Arbeit endet mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse.
1. Kapitel
Rechtliche und politische Grundlagen des europäischen Integrationsauftrags der EU Das Primärrecht beantwortet viele Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem europäischen Integrationsauftrag nicht eindeutig. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit ist Grund für ein breites politisches Meinungsspektrum bei der Lösung bestehender Spannungen zwischen Erweiterung und Vertiefung. Sie wiegt besonders schwer, seitdem die Hoffnung europäischer Nachbarstaaten auf den Beitritt mit der Einführung der ENP schwindet. Dies kann den europäischen Nachbarstaaten nicht nur den Anreiz für Reformen nehmen, sondern auch deren Rechtfertigung gegenüber den eigenen Bürgern erschweren.
A. Primärrechtliche Vorgaben zum Integrationsauftrag der EU Im Folgenden werden die für die Lösung der aufgeworfenen Rechtsfragen maßgeblichen Primärrechtsbestimmungen vorgestellt. Aus den Präambel- und Zielbestimmungen des geltenden Primärrechts folgt nicht nur die Verpflichtung der EU zur Integration und zur Friedensförderung, sondern auch ein latentes Spannungsverhältnis zwischen den beiden Integrationszielen Erweiterung und Vertiefung. Kommt es tatsächlich zu Spannungen, führt dies folglich zu einem Vertragszielkonflikt und damit zu einem Rechtsproblem.1 Ein Vorrangverhältnis ergibt sich aus diesen allgemeinen Bestimmungen nicht, allerdings lässt sich aus ihnen schließen, „dass Erweiterung und Vertiefung zusammengedacht werden müssen und nicht zu einem Gegensatz werden dürfen.“2 Gerade dieses Zusammendenken und Vermitteln zeichnet den europäischen Integrationsauftrag der EU aus. Die einschlägigen Spezialnormen, insb. Art. 49 EU und Art. 310 EG, enthalten einige Vor1 U. Becker, 1999, insb. S. 74 ff.; Bruha / Alsen, S. 161 (172 f.); Bruha / Vogt, S. 477 (501 f.); Brunner, S. 179; Dorau, S. 736 (749 f.); Giegerich, S. 13 (39 f.); Meier, S. 12 (18 ff.); Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 8; Walker, 2003, S. 365 (377 – 379) und Zeh, 2002, S. 19. 2 Dorau, S. 736 (749 f.); ähnlich Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-1 VVE Rn. 53.
A. Primärrechtliche Vorgaben zum Integrationsauftrag der EU
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gaben, sind aber insgesamt sehr „weich“ formuliert. Konkretisiert wurden sie durch die Praxis der EU-Organe und die Rechtsprechung. Besonders hingewiesen sei auf die Ausformulierung der Kopenhagener Kriterien als Beitrittsvoraussetzungen durch den Europäischen Rat. Selbst der VVE trägt wenig zu mehr Bestimmtheit und Kohärenz bei; und schon gar nicht der ihn „ersetzende“ geplante Reformvertrag. Das Spannungsverhältnis zwischen Erweiterung und Vertiefung wird nicht ausdrücklich gelöst; die beiden Integrationsziele stehen vielmehr weiterhin als Vertragsziele nebeneinander. Auf Antrag Belgiens, der Niederlande und Luxemburgs wurde zudem jüngst aus der vorbereitenden Erklärung zum Europäischen Rat von Brüssel (Dezember 2006) eine Passage gestrichen, in der die Europapolitik erstmals ausdrücklich eine Parallelität zwischen der Erweiterung und der Vertiefung festgeschrieben hätte.3 Anlass für zusätzliche Diskussion hat die ausdrückliche Verankerung der Nachbarschaftspolitik im VVE geboten. Sowohl im geltenden Unionsrecht als auch in Bezug auf die geplanten Neuregelungen gelingt eine kohärente Lösung der aufgeworfenen Rechtsfragen allein mit Hilfe der klassischen Auslegungsmethoden nicht.
I. Präambel- und Zielbestimmungen Ein „Spannungsfeld zwischen Erweiterung und Vertiefung ist bereits in der Präambel des EG-Vertrages angelegt“4 und zwar gleich im 1. Erwägungsgrund. Danach besteht der feste Wille, „die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen“. Auch in den Präambelbestimmungen des EU-Vertrags und in den Zielbestimmungen des Primärrechts sind das Erweiterungsziel einerseits und das Vertiefungsziel andererseits verankert. Zunächst zum Ziel der Erweiterung:5 Neben dem 1. wird auch der 8. Erwägungsgrund der Präambel zum EG-Vertrag als Ausdruck der Offenheit der EG nach außen angesehen.6 Diese sei „logische Konsequenz“ der ideellen Ausrichtung der Gemeinschaft auf die Schaffung und Wahrung von Frieden und Freiheit in Europa.7 Im 2. Erwägungsgrund der Präambel zum EU-Vertrag unterstreicht die EU ihre Verantwortung für ganz Europa durch die Bezugnahme auf die historische FAZ vom 16. Dezember 2006, S. 1 (2). Wasielewski, S. 15. 5 Qualifizierung als Gründungsprinzip z. B. durch Emerson, ENP, 2004, S. 1; Nicolaysen, EuR-Beiheft 3 / 2002, S. 120 (120 f.); Sˇarcˇevic´, S. 461 (466, 477); Zeh, 2004, S. 81 (82); dies., 2002, S. 17 f.; z. T. abweichend zu nachfolgenden Ausführungen verweist Lippert, Erweiterung, 2006, S. 120 als „Vertragsgrundlage“ der Erweiterung auf die Präambel zum EU-Vertrag, auf Art. 6 Abs. 1, 7, 49 EU und auf Art. 4 Abs. 1 EG. 6 Dazu z. B. U. Becker, 1999, S. 83; Meng, in: von der Groeben / Schwarze, 2003, Art. 49 EU Rn. 13; Mosler, S. 275 (281 f.); Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 8. 7 Zeh, 2002, S. 17; ähnlich Meng, in: von der Groeben / Schwarze, 2003, Art. 49 EU Rn. 23 f. 3 4
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1. Kap.: Rechtliche und politische Grundlagen
Bedeutung der Überwindung des Ost-West-Konflikts und auf die Zukunft Europas.8 Die Wesensbestimmung in Art. 1 Abs. 2 EU bezieht wie der 1. Erwägungsgrund der Präambel zum EG-Vertrag auch die Völker der europäischen Staaten ein, die noch nicht Mitglieder der EU sind; mit „Verwirklichung einer immer engeren Union“ ist daher auch das Erweiterungsziel gemeint.9 EG und EU verstehen sich selbst also nicht als westeuropäischen Zusammenschluss, sondern als „Stabilitätsanker des europäischen Kontinents“.10 Auch die Vertiefung der EU ist in den Gründungsverträgen als Ziel verankert.11 Art. 1 Abs. 2 EU spricht wie der 1. Erwägungsrund der Präambel zum EG-Vertrag von einer „immer engeren“ Union.12 Die zentralen Elemente dieser immer engeren Union sind als Ziele in Art. 2 EU aufgelistet.13 Insbesondere der 5. Spiegelstrich dieser Norm wird von einigen Autoren als juristische Antwort auf die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit einer Rückentwicklung der Vertiefung durch den Abbau der Integration bzw. durch ihre Flexibilisierung angesehen.14 Problematisch ist die Definition des „gemeinschaftlichen Besitzstands“. Das Primärrecht selbst beantwortet diese Frage nicht.15 Herkömmlich wird der Begriff definiert als „die Rechte und Pflichten, die mit der Union und ihrem institutionellen Rahmen verbunden sind“.16 Verbindliche Rechte und Pflichten ergeben sich nicht nur aus dem Gemeinschaftsrecht im engeren Sinne, sondern auch aus allen Rechtsakten, die im 8 Dazu z. B. U. Becker, 1999, S. 83; Bieber, in: BBPS, 2001, Rn. 1285 f.; Bitterlich, in: Lenz / Borchardt, 2003, Präambel zum EU-Vertrag Rn. 3; Bruha / Vogt, S. 477 (482); Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 1; Zeh, 2002, S. 9, 17 f. m. w. N.; vorsichtig Hilf / Pache, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Präambel zum EU-Vertrag Rn. 14. 9 Dorau, S. 736 (748 f.); Hilf, in: Grabitz / Hilf I alt, 1999, Art. A EUV Rn. 12; Zacker / Wernicke, S. 24; Zeh, 2004, S. 81 (82, 91); relativierend Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 1 EU Rn. 16; a. A. Stumpf, in: Schwarze, 2000, Art. 1 EU Rn. 20. 10 Dazu z. B. Bieber, in: BBPS, 2001, Rn. 1285 f.; Inotai, 1994, S. 139 (insb. S. 139 f.) und Portes, S. 172. 11 So ausdrücklich z. B. Brunner, S. 179; Zacker / Wernicke, S. 24; Zeh, 2004, S. 81 (82); dies., 2002, S. 18. 12 Dazu z. B. Traian Ba˘sescu, FAZ vom 6. Juli 2005, S. 1; Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 1 EU Rn. 7 ff. (langfristig dürfe die EU nicht Instrument intergouvernementaler Zusammenarbeit sein); Hilf, in: Grabitz / Hilf I alt, 1999, Art. A EUV Rn. 11 (Ausschluss der Desintegration); Hilf / Pache, in: Grabitz / Hilf I, 2006, EUV-Vorbem. Rn. 7; dies., in: Grabitz / Hilf I alt, 1999, EUV-Vorbem. Rn. 3; Horst Köhler u. a., FAZ vom 15. Juli 2005, S. 10; Stumpf, in: Schwarze, 2000, Art. 1 EU Rn. 20 f. (integrationstheoretischer Funktionalismus); Oppermann, FS Zuleeg, 2005, S. 72 (73, 79) (Vertiefungsziel als eigentliches Ziel der Gründungsväter). 13 Z. B. Dorau, S. 736 (748) m. w. N. 14 Kleger / Karolewski / Munke, S. 182 f.; siehe dazu auch im 4. Kapitel unter E.III. 15 So ausdrücklich die Task Force Erweiterung des EP, Themenpapier Nr. 23, 19. Mai 1998, S. 7; sehr weit ist die Definition der Kommission, zitiert z. B. von Pechstein, S. 163 (171 f.); Suche nach Definition und Funktion des Acquis Communautaire und letztlich kritisch zum wenig präzisen Begriff Weatherill, S. 153 ff. 16 So jüngst die Task Force Erweiterung des EP, Themenpapier Nr. 23, 19. Mai 1998, S. 7 m. w. N. auf Dokumente der EU-Organe.
A. Primärrechtliche Vorgaben zum Integrationsauftrag der EU
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Rahmen des zweiten und dritten Pfeilers der Union erlassen werden, sowie aus den in den Verträgen festgeschriebenen gemeinsamen Zielen.17 Auch Art. 2 und 3 EG werden als Ausdruck des Vertiefungsgrundsatzes verstanden. Hervorzuheben ist zudem Art. 14 EG, der in seinem ersten Absatz für die Verwirklichung des Binnenmarktziels, dem wesentlichen Pfeiler der Vertiefung, konkrete Ziele samt Zeitplan festlegt. Art. 14 EG ist ebenso wie die effet utile-Rechtsprechung des EuGH und die verschiedenen Flexibilisierungsinstrumente zum Vorantreiben der Integration nach innen18 Ausdruck eines im Vergleich zum Erweiterungsziel höheren Konkretisierungsgrades. Der 3. Erwägungsgrund der Präambel zum EU-Vertrag gilt zwar nicht als Ausdruck des Vertiefungsziels, allerdings wird mit dem Bekenntnis zu bestimmten Grundwerten ein wichtiger Teil der Identität der EU festgeschrieben. Dieser Wertebezug wird gelegentlich als absolute Grenze der Offenheit der EU für neue Staaten angesehen.19 Wichtig ist neben der Festlegung der beiden Integrationsziele Erweiterung und Vertiefung auch die Festlegung auf die Dynamik des Integrationsprozesses, die häufig als „Methode Monnet“ bezeichnet wird. Die stufenweise Entwicklung war seit Beginn der europäischen Union vertraglich im Primärrecht und in Beitrittsverträgen angelegt, nicht zuletzt, weil die Integrationsziele nicht von heute auf morgen erreicht werden können.20 Zum Ausdruck kommt dies vor allem in den Worten „immer enger“ im 1. Erwägungsgrund der Präambel zum EG-Vertrag und in Art. 1 Abs. 2 EU. Auch der 12. und 13. Erwägungsgrund der Präambel zum EU-Vertrag verdeutlichen, dass die EU mit dem geltenden Recht noch nicht ihren Abschluss gefunden hat,21 vielmehr eine Weiterentwicklung der EU geboten ist.22 Die Auf17 Vgl. z. B. die Definition von Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 2 EU Rn. 15; ähnlich die Kommission, Die Erweiterung der EU – Eine historische Chance, 2003, S. 36. 18 Vgl. Art. 43 EU ff., Art. 11 f. EG. 19 Z. B. Hilf / Pache, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Präambel zum EU-Vertrag Rn. 17; Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 5; in diese Richtung Schorkopf, Rn. 2 f.; kritisch Calliess, JZ 2004, S. 1033 (1039 f.); zum Begriff Identität und der Gefahr seines Missbrauchs Muschg, 2005, S. 11 (v. a. S. 17). 20 Lopian, S. 20 f.; wesentliche Gründe für das Fehlen primärrechtlicher Zeitvorgaben für die Erweiterung mögen sein, dass die EU kaum Einfluss darauf hat, ob und wann außenstehende Staaten einen Beitrittsantrag stellen, und dass die Beitrittsvorbereitung entscheidend vom jeweiligen Beitrittskandidaten abhängt. 21 So z. B. Bieber, in: BBPS, 2001, Rn. 1297; Bitterlich, in: Lenz / Borchardt, 2003, Art. 1 EU Rn. 11; von Bogdandy, 2003, S. 149 (186); Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 1 EU Rn. 6; ders., in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-1 VVE Rn. 8; kritisch bzgl. des Vorantreibens der Integration Calliess, Verfassung der EU, 2004, S. 9 (10); Giegerich, S. 13 (39 f.); Glaeßner, S. 667 (678); Hilf, in: Grabitz / Hilf I alt, 1999, Art. A EUV Rn. 10 f.; Hilf / Pache, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Präambel zum EU-Vertrag Rn. 34; Wilms, in: Hailbronner / Wilms, Art. 1 EU Rn. 5, 8, 14; Zuleeg, in: von der Groeben / Schwarze, 2003, Art. 1 EU Rn. 2, 4, 10. 22 Zuleeg, in: von der Groeben / Schwarze, 2003, Präambel zum EU-Vertrag Rn. 5.
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1. Kap.: Rechtliche und politische Grundlagen
forderung an andere Völker Europas im 8. Erwägungsgrund der Präambel zum EG-Vertrag, sich dem Integrationsstreben anzuschließen, „schafft eine unerlässliche Voraussetzung für die Integrationsdynamik“.23 Auch der häufig verwendete Begriff „Union“ bringt die Offenheit der Finalität des Zusammenschlusses zum Ausdruck.24
II. Art. 49 EU Art. 49 EU regelt den Beitritt zur EU. Schon immer enthielt das Primärrecht eine spezielle Regelung zum Beitritt,25 stets war diese aber nur rudimentär ausgestaltet. Unvollkommen ist bereits die Regelung des Beitrittsverfahrens: nachdem der Bewerberstaat seinen Beitrittsantrag an den Rat gerichtet hat, beschließt dieser einstimmig nach Anhörung der Kommission und Zustimmung des EP (gemeinschaftliche Phase). In der zwischenstaatlichen Phase schließen die Mitgliedstaaten und der Bewerberstaat einen Beitrittsvertrag, der als völkerrechtlicher Vertrag zu ratifizieren ist.26 Das Beitrittsverfahren wurde von Erweiterung zu Erweiterung weiterentwickelt.27 Insbesondere erfolgte in der Praxis noch vor der Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen eine Einschätzung der Beitrittsmöglichkeiten.28 Für die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und Kroatien sind zusätzliche Verfahrenselemente vorgesehen, um den Mitgliedstaaten eine stärkere Kontrolle zu ermöglichen und Automatismen entgegenzuwirken.29 Die ursprünglich rein verfahrensrechtliche Beitrittsvorschrift enthält mittlerweile auch materielle Beitrittsvoraussetzungen, die die Zukunft Europas steuern sollen,30 Zeh, 2002, S. 17 m. w. N. Hilf / Pache, in: Grabitz / Hilf I alt, 1999, EUV-Vorbem. Rn. 2, 58; Nicolaysen, Europarecht I, 2002, S. 63 f.; Stumpf, in: Schwarze, 2000, Art. 1 EU Rn. 5, 19. 25 Frühere Regelungen: Art O EUV (Maastrichter Fassung), Art. 237 EWGV, Art. 205 EAGV und Art. 98 EGKSV. 26 Siehe dazu z. B. EP, Task Force Erweiterung, Themenpapier Nr. 23, 19. Mai 1998, S. 4; Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-58 VVE Rn. 4; Ruffert / Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 49 EU Rn. 2 ff.; Zeh, 2002, S. 22, 74; zur völkerrechtlichen und gemeinschaftsinternen Bedeutung des Ratsbeschlusses z. B. Niedobitek, S. 369 (371 – 373). 27 Guter Überblick über die Ergänzungen und Modifikationen bei Lippert, Erweiterung, 2006, S. 120 (122 ff.); dies., 2000, S. 105 (149 ff.); wichtige Verfahrensgrundsätze sind festgelegt im Ratsbeschluss über das Beitrittsverfahren vom 9. Juni 1970; zur Rolle der einzelnen Institutionen im Erweiterungsprozess z. B. Lippert, 2005, S. 119 (120) m. w. N.; dies., 2004, S. 13 (23 ff.). 28 Allerdings ist auch während der Verhandlungen die Entscheidung über die Annahme des Beitrittsantrags ergebnisoffen; dies betonen z. B. Lippert, 2005, S. 119 (129) m. w. N. auf Dokumente von Europäischem Rat, EP und KOM; Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 16 f. 29 Lippert, Erweiterung, 2006, S. 120 (122). 30 Vedder, in Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 3. 23 24
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die zugleich aber als wenig substantiell kritisiert werden.31 Gemäß Art. 49 EU kann jeder europäische Staat einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft stellen, wenn er die in Art. 6 Abs. 1 EU genannten Grundsätze achtet.32 In den sog. Kopenhagener Kriterien hat der Europäische Rat 1993 die Beitrittsvoraussetzungen ausformuliert und zusätzlich das Erfordernis der Aufnahmefähigkeit der Gemeinschaft angeführt: „Als Voraussetzung für die Mitgliedschaft muß der Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben; sie erfordert ferner eine funktionsfähige Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten. Die Mitgliedschaft setzt außerdem voraus, daß die einzelnen Beitrittskandidaten die aus einer Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen übernehmen und sich auch die Ziele der politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion zu eigen machen können. Die Fähigkeit der Union, neue Mitglieder aufzunehmen, dabei jedoch die Stoßkraft der europäischen Integration zu erhalten, stellt ebenfalls einen sowohl für die Union als auch für die Beitrittskandidaten wichtigen Gesichtspunkt dar.“33
Das erste Kopenhagener Kriterium der politischen Stabilität und Verfassungsstaatlichkeit deckt sich weitgehend mit den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EU.34 Das zweite Kopenhagener Kriterium fordert die Binnenmarktfähigkeit; es wird in der Praxis eher flexibel gehandhabt.35 Das dritte Kopenhagener Kriterium verlangt die Fähigkeit zur Übernahme des EU-Acquis.36 Wie sich später noch zeigen wird, ist dieses Kriterium umstritten, denn Art. 49 EU selbst definiert nicht den Grad, zu dem neue Mitgliedstaaten in die EU integriert werden müssen und auch nicht, zu welchem Grad Ausnahmen von der Übernahme des Acquis zulässig sind.37 Dennoch wird vertreten, dass das Kriterium „nach eindeutiger Beitrittspraxis seit 1973 nicht zur Disposition der Verhandlungen [steht]. Die Identität der Union muss unverändert bleiben.“38 Laut Kommission werden Ausnahmen nur bei außerZ. B. U. Becker, 2001, S. 7; Kochenov, S. 2, 23; Nettesheim, S. 36 (43 f.). Art. 6 Abs. 1 EU wurde 1997 mit dem Vertrag von Amsterdam eingeführt. 33 Europäischer Rat von Kopenhagen vom 21. / 22. Juni 1993, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Nr. 7.A)iii), S. 13. 34 Bruha / Vogt, S. 477 (486 f.); Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 9; Tretter / Grill / Röhsler, S. 39 (40); auf dieser Grundlage wurden die Beitrittsanträge der Türkei (1989, 1997) und der Slowakei (1997) abgelehnt, vgl. dazu Lippert, Erweiterung, 2006, S. 120 (122); dies., 2005, S. 119 (121 f.); die Anforderungen an das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip in der Praxis analysierte Kochenov, 2004. 35 Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 11. 36 Wegen der Pflicht zur Übernahme auch der Regelungen, die noch während der Beitrittsvorbereitung von der EU erlassen werden, wird die EU für die Anwärter zum „moving target“, vgl. z. B. Lippert, 2004, S. 13 (32 f.). 37 U. Becker, 2001, S. 7 f., 10; ders., 1999, S. 60 m. w. N. 38 Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 13; ohne Wertung zu dieser Beitrittspraxis U. Becker, 2001, S. 7. 31 32
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gewöhnlichen Umständen und in begrenzter Reichweite zugelassen.39 Das vierte Kopenhagener Kriterium verlangt die Aufnahmefähigkeit der EU. Bei den letzten Erweiterungsrunden wurde es stillschweigend bejaht;40 neuerdings aber steht es im Zentrum der Erweiterungs- und Grenzdiskussion.41 Seit dem Europäischen Rat von Luxemburg 1997 wird überdies ausdrücklich verlangt, dass die Beitrittskandidaten die Grundsätze des Völkerrechts achten und territoriale Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln, insb. mit Hilfe des IGH, lösen.42 Als Rechtsfolge sieht Art. 49 EU den Beitritt zur EU als Ganzer43 vor. Der beitretende Staat wird „Mitglied der Union“.44 Was ein Mitglied ausmacht, regelt der Vertrag nicht ausdrücklich.45 Laut EuGH gilt der „Grundsatz der sofortigen vollständigen Anwendung des Gemeinschaftsrechts [und des Unionsrechts]“.46 Übergangsregelungen werden als bloße Modifikation dieses Übernahmegrundsatzes angesehen.47 Der Beitrittsvertrag regelt neben den „Aufnahmebedingungen“ auch „die durch eine Aufnahme erforderlich werdenden Anpassungen der Verträge“. Jeder Beitritt führt zumindest zu einer institutionellen Reform.48 Die zulässige Reichweite der „Anpassungen“ ist nicht definiert. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der auch heute noch „knappe, vage und missverständliche Wortlaut“ des Art. 49 EU Anlass zu zahlreichen Diskussionen über Rechtsnatur und Inhalt einzelner Voraussetzungen gibt.49 Der Europäische Rat versuchte, durch Heranziehung der Gesamtsystematik von EU- und EG-Vertrag die Norm im Wege autoritativer Interpretation materiell zu konkretisieren. Mit Nachweis zitiert bei Weatherill, S. 153 (154). Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 14. 41 Ausführlich dazu im 4. Kapitel unter A.II.2.d). 42 Europäischer Rat von Luxemburg, Tagung vom 12. / 13. Dezember 1997, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Nr. 5; Ruffert / Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 49 EU Rn. 10; Sˇarcˇevic´, S. 461 (469); Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 60. 43 Zum einheitlichen Beitritt zur EU und den Gemeinschaften vgl. z. B. EP, Task Force Erweiterung, Themenpapier Nr. 23, 19. Mai 1998, S. 7; U. Becker, 2001, S. 7; Bruha / Vogt, S. 477 (495); Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 4; Pechstein, in: Streinz, 2003, Art. 49 EU Rn. 1; Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 4. 44 Zu den bereits vor Ratifikation, nämlich ab Unterzeichnung des Beitrittsvertrags eintretenden Wirkungen z. B. Niedobitek, S. 369 (373 f.). 45 U. Becker, 2001, S. 7 f., 10; ders., 1999, S. 60 m. w. N. 46 EuGH, Rs. 259 / 81, Metallurgiki Halyps / Kommission, Slg. 1982, S. 4261 Rn. 8: allerdings Herleitung aus der Beitrittsakte selbst, Abweichungen müssten ausdrücklich durch Übergangsregelungen erlaubt sein; Herleitung aus dem Primärrecht z. B. durch Oppermann, FS Zuleeg, 2005, S. 72 (76): grds. gleiche Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten. 47 Statt vieler Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 19; zu den Übergangsregelungen in den früheren Erweiterungen gibt U. Becker, 2001, S. 4 – 6 einen Überblick. 48 EP, Task Force Erweiterung, Themenpapier Nr. 23, 19. Mai 1998, S. 6; U. Becker, 2001, S. 8; zu Änderungen des sekundären Gemeinschaftsrechts durch den Beitrittsvertrag z. B. Niedobitek, S. 369 (374 f.). 49 Zeh, 2002, S. 13. 39 40
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Europäisches Parlament, Kommission und Rat formten durch die Praxis das Beitrittsverfahren. Aus der Sicht der Beitrittskandidaten ist dabei problematisch, dass sie quasi vorleisten müssen, denn sie müssen die Kopenhagener Kriterien bereits vor dem Beitritt erfüllen, die EU entscheidet aber erst nach Ende der erfolgreichen Reformen über die Erweiterung.50 Zudem besteht eine Abhängigkeit von der EU, die ihre eigene Aufnahmefähigkeit gewährleisten muss.
III. Art. 310 EG Da Art. 49 EU als Rechtsfolge die einheitliche Mitgliedschaft vorsieht, muss nach Instrumenten der Zusammenarbeit unterhalb dieser Schwelle in anderen Normen gesucht werden. Von erheblicher Bedeutung ist dabei Art. 310 EG.51 Diese Norm ist Rechtsgrundlage für Assoziierungsabkommen der Gemeinschaft und damit auch für Nachbarschaftsabkommen im Rahmen der ENP.52 Mit derartigen Abkommen wird ein institutionelles Gefüge als Grundlage für eine dauerhafte Zusammenarbeit geschaffen und die Rechtsverbindlichkeit der getroffenen Vereinbarungen gesichert. Bezüglich der Reichweite und Ausgestaltung der Assoziierung schweigt Art. 310 EG jedoch. Dies entfachte eine Diskussion über die Teilnahme am Gemeinschaftssystem.53 Inzwischen besteht Einigkeit darüber, dass die Assoziierung als offenes Konzept gedacht ist. Weder der Zweck noch die geographische Ausdehnung noch das Integrationsniveau sind determiniert, inhaltlich können die Abkommen alle Bereiche des Primärrechts betreffen.54 Als Beispiel für ein besonders intensives völkerrechtliches Vertragsverhältnis mit eigenen Organen dient der EWR. Einschränkungen ergeben sich nur aus der Abgrenzung zu anderen Formen der Zusammenarbeit, die das Primärrecht vorsieht. Hallstein prägte die Formel „von einem Handelsvertrag plus eins bis zu einem Beitritt weniger eins“.55 Die assoziierten Länder werden also weder Mitglied der EU noch deren Institutionen.56 50 Steunenberg, S. 3 (6 – 8) sieht darin die Gefahr einer „downward spiral“, die zum Aufgeben der Erweiterung führen kann. 51 Inhaltlich fast identisch, praktisch aber ungenutzt ist die Regelung in Art. 206 EAGV, vgl. Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 34; das Primärrecht hält neben Art. 310 EG noch weitere Tatbestände für die Assoziierungs- und Kooperationspolitik bereit (Art. 24 EU, Art. 133, 182 – 188, 308 EG; im VVE: Art. III-286 – 291, III-315, III-323 – 325); für den Integrationsauftrag gegenüber europäischen Staaten interessant sind aber nur die Assoziierungsverträge, daher beschränkt sich die Darstellung auf diese. 52 Lippert, 2005, S. 119 (133 Fn. 79): „allerdings ohne Etikettierung als Nachbarschaftspolitik“. 53 Dazu m. w. N. Wichard, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 310 EG Rn. 8 f. 54 Z. B. Algieri / Weske, S. 65 (66); Bruha, 2002, S. 109 m. w. N.; anders die sog. konstitutionelle Assoziierung gemäß Art. 192 ff. EG, vgl. Bruha, 2002, S. 109. 55 Zitiert z. B. bei Bruha, 2002, S. 109. 56 Betont z. B. von Wichard, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 310 EG Rn. 7; Streinz, Europarecht, 2005, Rn. 701; Thym, S. 26.
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Assoziierungen führen immer nur zu einer völkerrechtlichen, also externen Annäherung.57 Anders als einige andere Internationale Organisationen kennt die EU keine Form der „internen Assoziierung“.58 Auch (Homogenitäts-)Anforderungen an die assoziierten Partner stellt Art. 310 EG nicht, was wohl daran liegt, dass der Schutz des Integrationsniveaus der EU erst bei der Aufnahme in die EU relevant wird.59 Assoziierungsabkommen selbst aber enthalten neuerdings häufig Konditionalitätsklauseln, die einen Zusammenhang herstellen zwischen Grundsätzen wie Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit einerseits und den spezifischen Inhalten des jeweiligen Abkommens, auf denen die Beziehungen basieren, andererseits.60 Die Erfüllung dieser Voraussetzungen ist aber keine Bedingung für den Abschluss des Assoziierungsvertrags, sondern (nur) für die Erfüllung der festgelegten Pflichten und die Weiterführung bzw. Verlängerung des Abkommens. Entsprechend vielfältig sind Assoziierungen in ihrer tatsächlichen Ausgestaltung. Sie bezwecken u. a. die Förderung einer etwaigen Mitgliedschaft in der EU, die Förderung demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen in den Partnerstaaten, die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der assoziierten Staaten im Welthandel oder sonstige privilegierte völkerrechtliche Beziehungen.61 Traditionell werden Assoziierungsabkommen in drei Typen unterteilt: Freihandelsassoziierungen, Beitrittsassoziierungen und Entwicklungsassoziierungen.62 Während Freihandelsassoziierungen nur Handelszwecke verfolgen, haben Beitrittsund Entwicklungsassoziierungen auch politische Ziele. Bruha ergänzt diese drei Typen zusätzlich um den Typus der Binnenmarktassoziierungen, um deren rechtlicher Besonderheit (Herstellung binnenmarktgleicher Verhältnisse zwischen der EU und den Drittstaaten) Rechnung zu tragen.63 Allen Assoziierungsverträgen gemeinsam scheint, dass der assoziierte Staat bereit sein muss, das Recht der EU zu einem gewissen Grade zu übernehmen, auch wenn ihm die Assoziierung selbst keine Möglichkeit bietet, das Recht der EU seinerseits (mit) zu gestalten.64 Vielleicht wird gerade aus diesem Grund dem Verhältnis zum Beitritt eine große Rolle beigemessen. Weit verbreitet ist die Annahme, dass die Assoziierungsabkommen in einigen Fällen eine EU-Mitgliedschaft vorbereiten und in den anderen Fällen als Seidl-Hohenveldern / Loibl, Rn. 0519. Dies kritisierte an den Beziehungen zu den osteuropäischen Ländern z. B. Bideleux, S. 225 (241 f., 245 f.); zu entsprechenden Möglichkeiten in anderen Internationalen Organisationen u. a. Schön, S. 229 ff. m. w. N.: z. B. UN-Sonderorganisationen. 59 H. Wallace, 1998, S. 12. 60 Algieri / Weske, S. 65, 68; Schorkopf, Rn. 3, 76. 61 Algieri / Weske, S. 65. 62 Statt vieler m. w. N. Herrnfeld, in: Schwarze, 2000, Art. 310 EG Rn. 1; Wichard, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 310 EG Rn. 35; Thym, S. 26. 63 Bruha, 2002, S. 109 (110 ff.). 64 Seidl-Hohenveldern / Loibl, Rn. 0525. 57 58
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Kompensation für eine Nichtmitgliedschaft dienen.65 Spätestens mit dem EWR wurde durch die „Teilintegration“ die strikte Alternativität zwischen Mitgliedschaft und Nichtmitgliedschaft verwischt.66 Auf die Handels- und Kooperationsabkommen i. S. v. Art. 133 EG sei hier nur kurz verwiesen; sie haben generell einen geringeren Integrationsgrad. Beispielhaft dafür ist das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und der Ukraine.67 Auch im Verhältnis zu den MOEL waren Handels- und Kooperationsabkommen der erste Schritt einer bilateralen Annäherung.68 Der höhere Integrationsgrad der Assoziierungsabkommen ergibt sich teils aus dem Gesetz (nur Art. 310 EG sieht ein „gemeinsames Vorgehen und besondere Verfahren“ vor),69 teils aus der Praxis.
IV. Regelungen im Vertrag über eine Verfassung für Europa und im Reformvertrag Sowohl im Vertrag über eine Verfassung für Europa als auch im geplanten „Reformvertrag“ ist noch immer die Erweiterungs-Vertiefungs-Dynamik verankert; die Finalitätsfrage wird nicht geklärt – und das, obwohl sich die Spannungen zwischen den beiden Integrationszielen zugespitzt haben.70 1. Regelungen im (nicht ratifizierten) Vertrag über eine Verfassung für Europa Im VVE ist das Erweiterungsziel niedergelegt in Art. I-1 Abs. 2 VVE71; erstmals wird das „Konzept der offenen Organisation“ wörtlich verankert.72 Es fällt allerdings auf, dass im 2. Erwägungsgrund der Präambel zum VVE vom „nunmehr Z. B. Algieri / Weske, S. 65. Z. B. Bruha, 2005, S. 71; Isensee, S. 103 (126 f.); Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 4. 67 Amtsblatt Nr. L 49 / 3 vom 19. Februar 1998; die Beziehungen zur Ukraine seit 1989 analysiert Vahl, 2003. 68 Hrbek, 1993, S. 581 (588 f.). 69 Z. B. Herrnfeld, in: Schwarze, 2000, Art. 310 EG Rn. 12; Wichard, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 310 EG Rn. 4; Bsp. für die Austauschbarkeit der Rechtsgrundlage bei Streinz, Europarecht, 2003, Rn. 616. 70 Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-1 VVE Rn. 53; Giegerich, S. 13 (40 f.); Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 216 f.; Müller-Graff, 2004, S. 186 (188 f.); Thalmaier, S. 41 – 49, 426 – 428. 71 Art. I-1 Abs. 2 VVE lautet: „Die Union steht allen europäischen Staaten offen, die ihre Werte achten und sich verpflichten, sie gemeinsam zu fördern.“ 72 Lippert, Erweiterung, 2006, S. 120 (121); Zeh, 2004, S. 81 (91) (jedoch keine ausdrückliche Begründung eines Beitrittsanspruchs). 65 66
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geeinte[n] Europa“ die Rede ist; dies klingt nach einer Erfüllung der jedenfalls historischen Pflicht zur Überwindung der Spaltung des Kontinents.73 Allerdings spricht der 3. Erwägungsgrund der Präambel zum VVE von den „Völkern Europas“, die „entschlossen sind, die alten Gegensätze zu überwinden und immer enger vereint ihr Schicksal gemeinsam zu gestalten“; entsprechendes gilt für den 1. Erwägungsgrund der Präambel zur Grundrechtecharta im zweiten Teil des VVE.74 Noch immer ist also auch das Vorantreiben der Integration nach außen geboten. Art. I-58 VVE enthält die ursprünglich vorgesehene neue Beitrittsregelung. Beitrittsberechtigt sind danach weiterhin ausschließlich europäische Staaten.75 Der erste Absatz der Vorschrift ist weiter formuliert als Art. 49 EU, da nicht nur von einem Antragsrecht europäischer Staaten die Rede ist, sondern wie in Art. I-1 Abs. 2 VVE von der Offenheit der EU für solche Staaten. Ähnlich Art. 49 Abs. 1 S. 1 EU i.V.m. Art. 6 Abs. 1 EU wird durch den Verweis auf Art. I-2 VVE76 die Wertebezogenheit bekräftigt, die sich in materiellen Beitrittsvoraussetzungen niederschlägt.77 Am Verfahren ist die Unterrichtung auch der nationalen Parlamente neu; das Europäische Parlament soll außerdem mit einfacher, statt bisher mit absoluter Mehrheit über den Beitrittsantrag beschließen. Auch das Vertiefungsziel ist noch immer festgeschrieben, insb. neben dem Erweiterungsziel im 3. Erwägungsgrund der Präambel zum VVE und im 1. Erwägungsgrund der Präambel zur Grundrechtecharta im zweiten Teil des VVE. Die Normen zur Kooperations- und Assoziierungspolitik sollten kaum geändert werden.78 Neu war allerdings die ausdrückliche vertragliche Verankerung der Nachbarschaftspolitik in Art. I-57 VVE.79 Ziel ist laut Absatz 1 ein „Raum des In diese Richtung Ruffert, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-3 VVE Rn. 3. Der 1. Erwägungsgrund der Präambel zur Grundrechtecharta lautet: „Die Völker Europas sind entschlossen, auf der Grundlage gemeinsamer Werte eine friedliche Zukunft zu teilen, indem sie sich zu einer immer engeren Union verbinden.“ 75 Dazu K. H. Fischer, Art. I-58, S. 212 f. 76 Art. I-2 VVE lautet: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“ 77 Betont von Lippert, 2005, S. 119 (121). 78 Vgl. Art. III-286 – 291, III-315, III-323 – 325 VVE. 79 Art. I-57 VVE lautet: „(1) Die Union entwickelt besondere Beziehungen zu den Ländern in ihrer Nachbarschaft, um einen Raum des Wohlstands und der guten Nachbarschaft zu schaffen, der auf den Werten der Union aufbaut und sich durch enge, friedliche Beziehungen auf der Grundlage der Zusammenarbeit auszeichnet. (2) Für die Zwecke des Absatzes 1 kann die Union spezielle Übereinkünfte mit den betreffenden Ländern schließen. Diese Übereinkünfte können gegenseitige Rechte und Pflichten umfassen und die Möglichkeit zu gemeinsamem Vorgehen eröffnen. Zur Durchführung der Übereinkünfte finden regelmäßige Konsultationen statt.“; dazu z. B. K. H. Fischer, Art. I-57, S. 211; Gstöhl, 2005, S. 187 (194). 73 74
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Wohlstands und der guten Nachbarschaft“,80 Instrumente sind gemäß Absatz 2 „spezielle Übereinkünfte“. Die Literatur versteht diese als besonders weitgehende Assoziierungsabkommen.81 Vertragspartner sind Länder „in der Nachbarschaft“; diese müssen, wie sich aus dem zweiten Absatz ergibt, die Werte der Union achten. Die Voraussetzungen sind also wenig spezifisch. Wie bei der ENP ist das Verhältnis zur Erweiterung unklar. Nicht zuletzt wegen der systematischen Stellung neben der Beitrittsklausel und der Entstehung der Vorschrift in einer Zeit, in der offen über die Grenzen der EU diskutiert wird, sehen einige in Art. I-57 VVE eine „erste offizielle Initiative [ . . . ], die Grenzen der Union zu bestimmen.“82 Art. I-57 VVE wird als Erschwerung des Beitritts durch Schaffung einer Alternative wahrgenommen, nicht als Erleichterung durch eine vertragliche Verankerung einer Heranführungsstrategie.83 Sowohl die Erweiterungs- als auch die Nachbarschaftspolitik werden im VVE ausgerichtet an den Werten der EU. Generell werden Werte stärker als bislang betont, so dass teilweise von einer „europäischen Wertorientierung“84 und der „EU als Wertegemeinschaft“85 gesprochen wird.86 2. Geplante Neuerungen im Reformvertrag Das Verhandlungsmandat für einen den VVE ersetzenden „Reformvertrag“ sieht weit weniger Neuerungen vor. Mit dem VVE gemeinsam hat dieses Mandat die stärkere Betonung der Werte der EU.87 Dementsprechend wird auch in Art. 49 EU die Bezugnahme auf die „Grundsätze“ in Art. 6 EU ersetzt durch die Bezugnahme auf die „Werte“ der Union, wie sie bislang in Art. I-2 VVE niedergeschrieben sind und in einem neuen Art. 2 EU verbindlich verankert werden sollen. Zusätzlich wird die Verpflichtung, diesen Werten Geltung zu verschaffen, hinzugefügt. Darüber hinaus ist erstmals eine Verankerung sämtlicher Kopenhagener Kriterien Dazu Gstöhl, 2005, S. 187 (195). K. H. Fischer, Art. I-57, S. 211 f.; Gstöhl, 2005, S. 187 (194 f.); Langenfeld, S. 73 (76). 82 Z. B. Oppermann, FS Zuleeg, 2005, S. 72 (78); zur Widersprüchlichkeit der Nachbarschaftsnormen im VVE Kühnhardt, S. 148. 83 Bruha, Diskussionsbericht von Quaderer, S. 219 (221); ähnlich Gstöhl, 2005, S. 187 (195). 84 Müller-Graff, 2004, S. 186 (200 f.); vgl. auch den 2. Erwägungsgrund der Präambel zum VVE. 85 Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-2 VVE Rn. 3; Thalmaier, S. 400 f.; ähnlich Hilf / Pache, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Präambel zum EU-Vertrag Rn. 36; Kühnhardt, S. 217 ff.; die Kommission spricht von der „Union der Werte“, KOM(2003) 606 endg., S. 14. 86 von Danwitz, S. 1125 (1129) macht noch immer eine „minimalistische[ . . . ] Wertehaltung“ aus; kritisch zur Betonung der Werteordnung auch Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 40; differenziert Rensmann, S. 49 ff. 87 Europäischer Rat von Brüssel, Tagung vom 21. / 22. Juni 2007, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage I, Nr. 8, Anlage 1, Nr. 2a, 3. 80 81
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1. Kap.: Rechtliche und politische Grundlagen
vorgesehen, allerdings in einer recht schwachen Form.88 Der neue Art. 49 EU wird wie folgt lauten: „Jeder europäische Staat, der die in Artikel 2 genannten Werte achtet und sich für ihre Förderung einsetzt, kann beantragen, Mitglied der Union zu werden. Das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente werden über diesen Antrag unterrichtet. Der antragstellende Staat richtet seinen Antrag an den Rat; dieser beschließt einstimmig nach Anhörung der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments, das mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder beschließt. Die vom Europäischen Rat vereinbarten Kriterien werden berücksichtigt.“89
Ob bei der Auslegung der Bezugnahme auf die Kopenhagener und sonstigen Kriterien des Europäischen Rates das „Mehr“ gegenüber dem bisherigen Art. 49 EU im Vordergrund stehen muss, oder aber das „Weniger“ gegenüber der bisherigen Praxis, die diese Kriterien als zwingend angesehen hat, wird im 4. Kapitel diskutiert.90 Von einer Offenheit der EU für europäische Staaten wird im Reformvertrag nicht so explizit wie im VVE die Rede sein. Auch die Nachbarschaftspolitik wird nicht primärrechtlich festgeschrieben. Bezüglich der Vertiefung der EU ist erwähnenswert, dass in Art. 48 EU für das ordentliche Vertragsänderungsverfahren ausdrücklich festgehalten wird, „dass die Verträge mit dem Ziel geändert werden können, die der Union übertragenen Zuständigkeiten auszuweiten oder zu verringern.“91
V. Grenzen der klassischen Auslegungsmethoden Wie gezeigt, sind die einschlägigen Primärrechtsbestimmungen sehr unbestimmt. Unsicher ist zudem die Rechtsnatur insb. der Präambelbestimmungen und der vom Europäischen Rat aufgestellten Kopenhagener Kriterien. Die klassischen Auslegungsmethoden, die auf den Wortlaut, die systematische Stellung, den Zweck und die Historie der Normen abstellen, setzen den Rechtssatzcharakter von Normen voraus,92 beantworten selbst aber nicht die Frage, wo die Grenze verläuft zwischen geltendem Recht und bloßem politischen bzw. moralischen Wunschdenken, zwischen Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung. Zudem bieten die Auslegungsmethoden kaum Anleitung für den Umgang mit der Kollision von Rechtssätzen. 88 Europäischer Rat von Brüssel, Tagung vom 21. / 22. Juni 2007, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage I, Nr. 16. 89 Europäischer Rat von Brüssel, Tagung vom 21. / 22. Juni 2007, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage I, Anlage 1, Nr. 9; die Hervorhebung entspricht der im Verhandlungsmandat. 90 Siehe dazu die Ausführungen im 4. Kapitel unter A.II.1. 91 Europäischer Rat von Brüssel, Tagung vom 21. / 22. Juni 2007, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage I, Nr. 16; die Hervorhebung entspricht der im Verhandlungsmandat; vgl. dazu die Ausführungen auf S. 193. 92 Anschaulich Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 207.
A. Primärrechtliche Vorgaben zum Integrationsauftrag der EU
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Zwar stellen sowohl die teleologische als auch die systematische Auslegung einen Zusammenhang her zwischen den Normen einer Rechtsquelle; wie dieser Zusammenhang aussieht, ist aber wiederum stark abhängig vom Vorverständnis des Rechtsanwenders bezüglich der Rechtsnatur des Europäischen Primärrechts. Dieses ist aber wie bereits erwähnt sehr unterschiedlich. Das Vorverständnis setzt sich zusammen aus vorrechtlichen Wertungen und deskriptiven Aussagen zu Einflussfaktoren. Es kann nicht aus dem Rechtstext selbst hergeleitet werden. Dem Vorverständnis sind durch das Recht allenfalls Grenzen gesetzt.93 Alles in allem vernachlässigen die Auslegungsmethoden durch den Fokus auf Einzelaspekte das Gesamtsystem eines Regelungswerks.94 Sie genügen damit nicht zur Deutung des sich ständig fortentwickelnde Unions- und Gemeinschaftsrecht. Noch mehr als im nationalen Verfassungsrecht müssen die Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen der Interpretation besser erfasst werden.95 Noch mehr als im nationalen Verfassungsrecht geht es im Europarecht um die Konkretisierung von Normen, da sich Lösungen für einzelne Rechtsfragen meist nicht klar dem Primärrecht entnehmen lassen. Das Primärrecht enthält kein abgeschlossenes und einheitliches System.96 Dementsprechend konkretisiert der EuGH das Europarecht, indem er insb. versucht, die Vertragsziele optimal zu verwirklichen (sog. effet utile-Rechtsprechung); getarnt wird dies meist als teleologische oder systematische Auslegung.97 Auch der Europäische Rat erkannte die Notwendigkeit der Konkretisierung des Art. 49 EU im Lichte des Gesamtsystems des Primärrechts. Die Konkretisierung von Normen ist nicht nur verknüpft mit dem konkret zu lösenden Problem. Sie sollte vielmehr auch stets ihr jeweiliges Vorverständnis thematisieren, will sie zu einer kohärenten Lösung von Rechtsfragen bezüglich der Entstehung, des Wandels und der Wirkungsweise von Rechtsnormen beitragen.98 Zudem trägt nur eine so verstandene Konkretisierung durch ihre Anschlussfähigkeit der Forderung einer interdisziplinären Europawissenschaft Rechnung und ermöglicht so eine transparente Lösung komplexer Sachverhalte. Die Prinzipienlehre ist nach ihrem Selbstverständnis eine Konkretisierung und damit konstruktiver als die klassische Auslegung. Als Verfassungstheorie versteht sie das Primärrecht als Verfassungsrecht. Dieses Vorverständnis ist nicht beliebig, weil es mit Blick auf die europäische Rechtsordnung entwickelt und durch Fallpraxis bestätigt wird.99 Die Prinzi93 Stein, S. 62; zur Bedeutung des Vorverständnisses bei der Interpretation des VVE Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-1 VVE Rn. 2. 94 Zu den Unzulänglichkeiten der Auslegungsmethoden im deutschen Verfassungsrecht Hesse, § 2 Rn. 57 ff.; ähnlich Stein, S. 27, 32. 95 Zum deutschen Verfassungsrecht Hesse, § 2 Rn. 59; zum Europarecht Dann, S. 37 (46 ff.). 96 Vgl. zum deutschen Verfassungsrecht Hesse, § 2 Rn. 67. 97 Statt vieler Stein, S. 86 ff.; vgl. dazu aber auch Bleckmann, 1986, S. 265 (268) m. w. N. 98 Hesse, § 2 Rn. 61 ff.; Stein, S. 56 f. 99 Zu Verfassungstheorie und Vorverständnis Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 248; Hesse, § 2 Rn. 63.
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1. Kap.: Rechtliche und politische Grundlagen
pienlehre ergänzt die Auslegungsmethoden, wo es um die Rechtsnatur und das Zusammenspiel der anzuwendenden Normen geht.100 In der Debatte um die Erweiterungs-Vertiefungs-Dynamik herrscht hingegen noch immer das Primat der Politik, wo das Recht keine klare Lösung bereithält. Der folgende Abschnitt ist dieser Debatte gewidmet.
B. Anhaltspunkte für die Annahme eines Primats der Politik bei der Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags In Politik und Politikwissenschaft spielt nicht nur die immense Bedeutung der europäischen Gemeinschaft für die Integration der europäischen Länder schon seit Langem eine Rolle, sondern auch das Verhältnis zwischen der Erweiterung und der Vertiefung dieser Gemeinschaft. Tatsächlich zeichnete sich die Integration im Rahmen der Europäischen Union durch ihr enormes Tempo aus. Die Leitformel lautete „Vertiefung und Erweiterung“.101 Selbst wenn das Wechselspiel zwischen beiden Integrationszielen nicht auf lange Sicht geplant, sondern eher das Ergebnis reagierender Politik war, bedeutete Integration doch stets die rationale Abfolge einer Aufnahme neuer Mitglieder und einer Konsolidierung im Innern.102 Das Beitrittsversprechen galt als das erfolgreichste Instrument der Außenpolitik und verbreitete seit 1989 auch im Osten Europas Frieden, Wohlstand und Stabilität. Spätestens seit der Osterweiterung hat sich allerdings die Frage zugespitzt, ob die Vertiefung nur bei einem Erweiterungsstopp zu verwirklichen ist.
I. Politische Präferenzen und Positionen zum tatsächlichen Verhältnis von Erweiterung und Vertiefung Trotz der bislang tatsächlichen Parallelität zwischen Erweiterung und Vertiefung in der Praxis der EG / EU gab es schon immer unterschiedliche Präferenzen einzelner Mitgliedstaaten,103 die scheinbar unabhängig von wechselnden Umständen
100 Den im Hinblick auf die Auslegungsmethoden nur ergänzenden Charakter der Prinzipienlehre betont ausdrücklich Ávila, S. 38. 101 Calliess, Verfassung der EU, 2004, S. 9; vgl. auch W. Wallace, 2003, S. 3. 102 Eine Chronologie der europäischen Integration findet man bei Barbato, S. 471 – 484; deutschsprachige Chronologie zur Erweiterung z. B. von der Kommission, Die Erweiterung der Europäischen Union – Eine historische Chance, 2003, S. 34 f.; englischsprachige Chronologie mit dem Schwerpunkt auf der EU-Erweiterung bei Nugent, S. 274 – 279; A. Smith / H. Wallace, S. 429 (431) bezeichnen nur die dritte Erweiterungsrunde um Portugal und Spanien als wirklich gelungenen Ausgleich zwischen Erweiterung und Vertiefung, der auch die neuen Mitgliedstaaten zufrieden stellte.
B. Anhaltspunkte für die Annahme eines Primats der Politik
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waren.104 Offenbar hängt die Präferenz im Erweiterungs-Vertiefungs-Konflikt eng zusammen mit der Vorstellung über die Finalität der EU.105 So haben deutsche Politiker schon immer die Parallelität von Erweiterung und Vertiefung befürwortet.106 Dies war auch die offizielle Politik der EU;107 insb. die Kommission galt als „Gralshüter der Doppelstrategie von Erweiterung und Vertiefung.“108 Die typisch britische Präferenz war stets die Erweiterung vor bzw. anstelle einer Vertiefung;109 Frankreich gab hingegen der Vertiefung der EU den Vorzug vor ihrer Erweiterung.110 Zum Teil wird versucht zu belegen, dass selbst die Präferenzen der Bürger im Großen und Ganzen mit der traditionellen Haltung der Mitgliedstaaten übereinstimmen.111 Letztlich können in Politik und Literatur mindestens vier Positionen zum Verhältnis zwischen Erweiterung und Vertiefung ausgemacht werden.112 Die erste Position sieht die Erweiterung als Priorität an und nimmt folglich jede Vertiefung als Anhebung der Beitrittsschwelle war.113 Die entgegengesetzte Position gibt der Vertiefung Priorität.114 Anhänger dieser Position sehen in Erweiterungen meist eine Erschwerung echter Reformstrategien und bezeichnen Erweiterungsbefürworter daher als „Integrationsbremser“; sie selbst befürworten eine strenge Konditionalität.115 Befürworter der dritten Position setzen sich für eine parallele Erweiterung und Vertiefung ein,116 wobei Parallelität nicht einen streng zeitlichen Gleichlauf meint, sondern, dass je nach Verwirklichungsgrad mal das eine, mal das andere Integrationsziel Priorität haben kann.117 Konditionalität ist bei dieser Position ein Mittel zur Lösung bestehender Spannungen zwischen den beiden Integrationszielen.118 Daneben werden (notfalls) flexible Formen der Inte-
103 Zu den Präferenzen Deutschlands, Frankreichs und Großbritannien z. B. Janning, 1994, S. 527 (531) und Skålnes, S. 213 (216 ff.). 104 Im Gegensatz dazu betonten Lippert / Wessels, S. 439 (456) die zeitliche Dimension der Prioritäten und damit die Abhängigkeit von konkreten Umständen; zu den Antriebskräften zu Beginn der europäischen Integration vgl. z. B. Loth, 2004, S. 23 ff. 105 Deppe, S. 63 (67). 106 Z. B. Joschka Fischer, Verweis in Kleger / Karolewski / Munke, S. 111 (Fn. 101); Verheugen, S. IX. 107 Faber, S. 103 (112); Zielonka, 2001, S. 507 (510). 108 Lippert, 2004, S. 13 (25 f.); vgl. auch die Ansicht von Rehn, 2006, S. 18 f., 33 ff. 109 Z. B. Faber, S. 103 (109 f.); kritisch zur britischen Haltung z. B. Meier, S. 12 (13 f.). 110 Z. B. Faber, S. 103 (106); Janning, 1994, S. 527 (531). 111 Medrano, S. 248, 260; a. A. Lippert, 2004, S. 13 (31). 112 Lippert / Wessels, S. 439 (439, 442 – 449); noch differenzierter Faber, S. 103 (104 ff.); Wessels, 1995, S. 383 (385 ff.); Wessels / Jantz, S. 345 (351 ff.). 113 Vgl. dazu Lippert / Wessels, S. 439 (443 f.). 114 Vgl. z. B. H. Arnold, S. 318. 115 Z. B. Nonnenmacher, FAZ vom 5. Oktober 2005, S. 1; K. E. Smith, S. 105 (106 ff.). 116 Zu dieser Position können auch diejenigen gezählt werden, die sowohl eine zu schnelle Erweiterung als auch eine zu weitgehende Vertiefung kritisieren. 117 Shaw, 2003, S. 45 (50).
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1. Kap.: Rechtliche und politische Grundlagen
gration und neue Teilhabeformen zur Sicherstellung der Doppelstrategie begrüßt und gefordert.119 Denkbar ist eine vierte Position, die die Vertiefung nur zum Zwecke der Erweiterung befürwortet. Die Vertiefung wird also nicht als Selbstzweck anerkannt, sondern als bloße „Vorstufe für unabwendbare oder gar angestrebte Erweiterungen“.120 Bei jeder Vertiefung müsse die gesamteuropäische Vision im Hinterkopf behalten werden. Zu dieser Position passt auch die Unterscheidung zwischen erweiterungsfreundlichen und erweiterungsfeindlichen Vertiefungen.121 Inhaltlich-thematische Vertiefungen und damit verbundene Finanzplanungen werden als erweiterungsfeindlich kritisiert.122 Da institutionelle Reformen hingegen die Erweiterung erst ermöglichen bzw. die Handlungsfähigkeit der EU trotz ihrer Erweiterung sicherstellen, gelten sie als erweiterungsfreundlich.123 Befürwortet wird von den Vertretern der vierten Position oft eine ausdrückliche Beitrittsperspektive für beitrittswillige Staaten. Begründet wird die prinzipielle oder zeitweilige Priorität für ein Integrationsziel jeweils mit einem Mix aus Gemeinschaftsinteressen, nationalen Interessen und bestimmten Sachinteressen.124 Nur selten wird juristisch argumentiert; manche halten die Lösung von Spannungen zwischen Erweiterung und Vertiefung ausdrücklich für eine Frage der politischen Prioritätensetzung.125 Dies gilt umso mehr für die Ziehung endgütiger Grenzen der EU. Trotz des konstruktivistisch-dezisionistischen Charakterzuges verlangen aber nicht wenige eine „Entscheidung in Ansehung der gegebenen Verhältnisse und orientiert an Kriterien“.126 Als solche 118 Maresceau, 2003, S. 9 (18); Pechstein, S. 163 (S. 163 – 174); K. E. Smith, S. 105 (107 – 109, 136 ff.); Zielonka, 2001, S. 507 (511 f.); allgemein zu Konditionalität und Erweiterung Cremona, 2001, S. 193 (194 – 197, 204 ff.) und Pinelli, S. 354 ff. 119 Z. B. Bideleux, S. 225 (243 ff.); Cameron, Europe’s Future, 2005, S. 149 (152); Guicherd, S. 13 f., 18, 25 f.; Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 219 f.; Hänsch, S. 17 (21); Krenzler, S. 1255 (Rn. 43); Kocka, S. 275 (285 f.); Langner, S. 183 – 188; Loth, 1997, S. 13 (14); Maresceau, 1997, S. 3 (21 f.); Maurer, S. 31 (56 ff.); Mayhew, S. 329 f.; Nugent, S. 266 (270 f.); Pechstein, S. 163 (180 – 182); Richter, S. 199 f.; K. E. Smith, S. 105 (107 – 109, 119, 136 ff.); W. Wallace, 1992, S. 34 (44 f.); Wasielewski, S. 16 – 18, 35 f.; Weidenfeld, 2002, S. 10 (11); Zielonka, 2001, S. 507 (512, 526 ff.); kritisch dargestellt bei Lippert / Wessels, S. 439 (446 ff.). 120 Vgl. dazu Lippert / Wessels, S. 439 (448 f.). 121 Definition dieser Begriffe und Beispiele bei Willgerodt, S. 195 (204 ff.). 122 Z. B. Baur, S. 115 (121 ff.); ders., Diskussionsbericht von Schnabel, S. 224 (233 f.); in diese Richtung auch A. Smith / H. Wallace, International Affairs 70, 3 (1994), S. 429 (438) in Zusammenhang mit dem Maastricht-Vertrag. 123 Beispiele für erweiterungsfreundliche institutionelle Vertiefungen bei Gstöhl, 2005, S. 187 (210); dies., Diskussionsbericht von Quaderer, S. 219 (221 f.). 124 Einige Beispiele bei Brok, 1998, S. 191 (191 – 193, 203); Brunner, S. 179 (179 f.); Emerson, Matrix, 2004, S. 15 ff., 82 – 84; Kocka, S. 275 (282 ff.); Kok, S. 25 f., 29, 35, Verheugen, in: KOM, Die Erweiterung der EU – Eine historische Chance, 2003, S. 3 (unter http: //www.europa-waechst-zusammen.de/aktuelles_det.php?id=3). 125 Z. B. H. Arnold, S. 318. 126 Kocka, S. 275 (283).
B. Anhaltspunkte für die Annahme eines Primats der Politik
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Kriterien werden teils moralische und historische Argumente angesehen, teils Kosten-Nutzen-Analysen oder der sich aufgrund wachsender Interdependenzen ergebende faktische Zwang zur Zusammenarbeit.127 Die einzelnen Positionen zum Rangverhältnis zwischen Erweiterung und Vertiefung gründen aber z. T. auch auf unterschiedlichen Ansichten zu den tatsächlichen Wechselwirkungen zwischen den beiden Integrationszielen. Diese sind keineswegs geklärt.128 Einige gehen optimistisch von einer tatsächlichen gegenseitigen Begünstigung aus. Insbesondere die Erweiterung sei in der Vergangenheit oft auch eine Chance für den Vertiefungsprozess gewesen; umgekehrt ermöglichen Reformen im Innern oft erst die Erweiterung.129 Zu beachten ist allerdings, dass einige Vertreter dieser Ansicht nur institutionelle Vertiefungen im Blick haben, erweiterungsfeindliche also von vornherein ausblenden. Andere sehen das Verhältnis pessimistisch als tatsächliche gegenseitige Behinderung. Die durch den Beitritt neuer Mitgliedstaaten gesteigerte Heterogenität erschwere künftige Vertiefungsschritte,130 umgekehrt heben Vertiefungen die Beitrittshürde an.131 In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff „Erweiterungs-Vertiefungs-Dilemma“ verwendet. Eine dritte Ansicht bezweifelt schon die Wechselwirkungen zwischen Erweiterung und Vertiefung an sich. Insbesondere die Zurückhaltung bei inhaltlich-thematischen Vertiefungen lasse sich mit generellen Integrationsängsten begründen, hätte aber wenig mit Erweiterungen zu tun. Sollten Wechselwirkungen bestehen, seien diese zu komplex, um ihnen Gewicht beizumessen.132 In den aktuellen Ereignissen erblicken manche den Beweis für das von Politikwissenschaftlern häufig beschworene Erweiterungs-Vertiefungs-Dilemma. Im folgenden Abschnitt wird die Zuspitzung der Erweiterungs-Vertiefungs-Diskussion in der Debatte um die Grenzen Europas nachgezeichnet.
Theoretisch fundiert dazu ausführlich im 2. Kapitel. Nachweise zu den ersten beiden Ansichten bei Torreblanca, S. 61 f.; übersichtlich zu den Wechselwirkungen zwischen Erweiterung und Vertiefung und den sich daraus ergebenden Chancen und Gefahren Meng, in: von der Groeben / Schwarze, 2003, Art. 49 EU Rn. 27 ff. 129 Z. B. Cameron, 1997, S. 241 (243, 251); Cremona, 2003, S. 3 (8); Giegerich, S. 13 (39); Grabbe, 2004, S. 70 ff.; Hänsch, S. 17 (20); Kok, S. 10 f., 19, 30; Kreis, S. 118; Mayhew, S. 385 – 388. 130 Kritisch dazu Nugent, S. 266 (266 – 268). 131 Z. B. Brok, FAZ v. 6. Oktober 2005, S. 5; Calliess, Verfassung der EU, 2004, S. 9 ff.; Cremona, 2003, S. 3 (4 ff.); Hänsch, S. 17 (21); Janning, 1994, S. 527 (529 f.); Kok, S. 60 ff.; Lippert, Erweiterung, 2006, S. 120 (128); Maurer, S. 31 (33 f.); Oeter, 1999, S. 901 (915); Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 46; ders., FS Zuleeg, 2005, S. 72 (73, 79); Pechstein, S. 163 (174 ff.); Weiler, 2000, Rn. 7. 132 Mayhew, 1998, S. 386 f.; G. Schneider, S. 183 ff. m. w. N.; Steunenberg, S. 97 (97 f.); ähnlich zur Integration allgemein Kleger / Karolewski / Munke, S. 186. 127 128
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1. Kap.: Rechtliche und politische Grundlagen
II. Zuspitzung in der Debatte um die Grenzen der EU Die Debatte über die Grenzen und die Identität der EU ist aktuell wie nie zuvor. Freilich wurde die Integration stets von Diskussionen über die Zukunft Europas begleitet.133 Allerdings wurde bis 1993 die europäische Identität in offiziellen Erweiterungsdebatten selten offen angesprochen.134 Ein Gesamtkonzept zur Lösung der Finalitätsfrage(n) wurde nicht einmal ansatzweise realisiert. Die Beitrittspolitik betraf immer nur einige Nachbarländer. Alle anderen waren mit der EU völkerrechtlich durch Handels- und Assoziierungsabkommen verbunden. Dieses Entweder-Oder wurde schon oft kritisiert. Das Netz aus Assoziierungsabkommen sei ein wankelmütiges Ausweichmittel, die EU drücke sich vor einer Neuorganisation. Erforderlich seien flexible Organisationsformen, mit denen die Nachbarn auf verschiedenen Ebenen in die EU eingebunden werden.135 Entsprechend wurden schon im Vorfeld der Osterweiterung Beitrittsalternativen für europäische Staaten diskutiert, aber stets als unbefriedigende Halblösungen verworfen, sobald es die EU mit beitrittswilligen Staaten zu tun hatte.136 Ein Grund dafür mag auch die integrationspolitische Überzeugung gewesen sein, dass nur eine den ganzen Kontinent umfassende EU die Zukunft Europas sichert.137 Jedenfalls ist die bloße – wenn auch nachhaltige – Betonung der Beitrittsreife der Kandidaten der Osterweiterung und der Aufnahmefähigkeit der EU Ausdruck für ein Festhalten am Idealtyp der Vergemeinschaftung, nämlich der Parallelität von Vertiefung und Erweiterung. Spätestens mit Abschluss der Osterweiterung 2004 wurde der Ruf nach Lösungen für die Grenz- und die Identitätsfrage lauter und mit ihm die Forderung einer abgestuften Mitgliedschaft.138 Das EP vertritt in seinem Entschließungsantrag zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung „die Ansicht, dass die Festlegung des Charakters der Europäischen Union, einschließlich ihrer geographischen Grenzen für das Verständnis des Konzepts der Aufnahmekapazitäten von grundlegender Bedeutung ist“.139 Noch ausdrücklicher anerkennt die Politikwissenschaft den fundamentalen Charakter der Grenzdebatte und die Bedeutung ihres 133 Zum zyklenartigen Verlauf der Diskussion m. w. N. die Forschungsgruppe Europa der Bertelsmann Stiftung, S. 179. 134 Lippert / Wessels, S. 439 (454). 135 Watrin, Diskussionsbericht von Schnabel, S. 224 (237); Weidenfeld / Giering, S. 19 (27, 61, 82 – 85). 136 Balázs, S. 67 (69); Bruha, 2002, S. 109 (119); Hrbek, 1997, S. 199 ff.; Peers, S. 187 ff. schlug den EWR lediglich als Heranführungsstrategie für die MOEL vor; Schön, S. 228: zum Vorschlag des damaligen Vizepräsidenten der Kommission Frans Andriessen, für die MOEL eine neue Form der Teilmitgliedschaft zu schaffen; H. Wallace, 1998. 137 Bruha, 2002, S. 109 (119). 138 Kreis, S. 127 f.; ähnlich Knelangen / Varwick, S. 13 (16 f., 19); Rehn, 2006, S. 13; Wissmann, IP 2006, S. 64 ff.; ders., Thesenpapier 2006, S. 3 ff.; Zielonka, 2001, S. 507 – 536. 139 EP, P6_TA-PROV(2006)0096, 16. März 2006, Nr. 5; verbunden mit der Aufforderung an die Kommission, bis Ende 2006 die Prinzipien der Aufnahmefähigkeit zu erläutern.
B. Anhaltspunkte für die Annahme eines Primats der Politik
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Ausgangs für das Wesen und die Zukunft der EU.140 Lediglich den zeitlichen Abstand zwischen den Beitrittsrunden zu verlängern, genüge angesichts des Reformbedarfs im Innern und der Herausforderungen außerhalb der Grenzen nicht mehr. Zunehmend wird gefordert, über die Grenzen der EU nachzudenken, statt sich ratlos der Zukunft zu stellen.141 Solche Forderungen blieben nicht unerwidert; nach der Osterweiterung regte Romano Prodi in der EU die Diskussion über die endgültigen Grenzen der EU an: „Wir müssen in Europa eine Debatte führen, um zu entscheiden, wo die Grenzen Europas liegen, und um zu verhindern, dass diese Grenzen von anderen festgelegt werden. Wir müssen uns auch eingestehen, dass wir unsere Bürger und Bürgerinnen bisher nicht von der Notwendigkeit überzeugen konnten, die Grenzen der EU noch weiter nach Osten zu verlegen.“142
Unterstützung erhielt Prodi insb. vom spanischen Außenminister Miguel Moratino nach den gescheiterten Verfassungsreferenden in Frankreich und in den Niederlanden143 Am Ende einer zweijährigen Phase der Reflexion sollten einerseits die geographischen Grenzen, andererseits der Rahmen gemeinsamer Politiken festgelegt werden.144 Die Zukunft des Verfassungsvertrags wird ausdrücklich mit der Frage verbunden, wie schnell und um welche Länder die EU noch erweitert wird.145 Probleme bereitet die Grenzdebatte nicht allein wegen der Befürchtungen einiger Nachbarn, niemals vollwertiges EU-Mitglied zu werden. Auch wird die EU oft fälschlicherweise mit Europa gleichgesetzt; dies verschärft die mit Grenzen ganz allgemein verbundene Ausschlussfunktion zusätzlich.146 Heute kann man sich der Grenzdebatte jedoch schwerlich entziehen. Grund dafür ist vor allem die Europäische Nachbarschaftspolitik, die von einigen bereits als erster Schritt zur Lösung der Grenzfrage durch mehr Flexibilität nach außen angesehen wird. Sie wird im Folgenden vorgestellt. Anschließend wird ein Überblick verschafft über einige flexible Gesamteuropakonzepte, die in Politik und Wissenschaft zur Lösung der Grenz- und Finalitätsfrage entwickelt wurden. Zuvor werden wichtigte Besonderheiten der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei genannt, 140 So Kocka, S. 275; ähnlich z. B. Anderson / Bort, S. 6, 181 ff.; H. Arnold, S. 318; Booß / Forman, S. 95 (96); Dannreuther, 2004, S. 202; Deppe, S. 63 (67); Emerson, ENP, 2004, S. 1; Guicherd, S. 13; Langenfeld, S. 73 (73 f.); Weidenfeld, 2002, S. 10 (47 ff.), Zielonka, 2002, S. 1 ff. 141 Kreis, S. 127, 132 f.; Weidenfeld, 2002, S. 10 (48 f.). 142 Prodi, Rede vor der 6. Weltkonferenz des Studienverbandes der EG vom 6. Dezember 2004. 143 FAZ vom 25. Oktober 2005, S. 12. 144 Kritisch dazu Frankenberger, FAZ vom 25. Oktober 2005, S. 12; ders. zur verstärkten Ablehnung neuer Mitglieder nach den gescheiterten Verfassungsreferenden in der FAZ vom 28. Juli 2005, S. 8. 145 FAZ vom 2. Januar 2006, S. 4. 146 Dazu z. B. Anderson / Bort, S. 6; Weiler, 1999, S. 247 ff. und Danuta Hübner, SPEECH / 06 / 58, Februar 2006, S. 2.
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1. Kap.: Rechtliche und politische Grundlagen
welche als ein Grund für das Scheitern der Parallelität von Erweiterung und Vertiefung angeführt werden.
1. Der Fall Türkei als Beispiel für das Scheitern des Konzepts „Erweiterung und Vertiefung“ Das Beitrittsverfahren mit der Türkei ist durch zahlreiche Besonderheiten und Tücken geprägt.147 Die Beitrittsverhandlungen begannen am 3. Oktober 2005 und waren schon in der Anfangsphase zäh. Denn noch bei der Eröffnung der Beitrittsverhandlungen bestanden große Interessenunterschiede zwischen den entscheidenden politischen Akteuren auf EU-Seite. Zudem war bei der türkischen Regierung die Beitrittseuphorie inzwischen verflogen.148 Im Vorfeld der Eröffnung der Verhandlungen drängte insb. Österreich auf eine „alternative Bindung“ unterhalb der EU-Mitgliedschaft – trotz der bereits damals schon ausgesprochenen Beitrittszusage in zehn bis fünfzehn Jahren.149 Allerdings konnte sich das von CDU und CSU entwickelte Konzept der „privilegierten Partnerschaft“150 letztlich nicht durchsetzen, was allerdings durch die Besonderheiten des Einzelfalls bedingt war, nämlich durch den weit fortgeschrittenen Stand der Einigungsgespräche: „Denn einmal in schwierigen Verhandlungen vereinbarte Formulierungen sind künftig wie in Stein gemeißelt.“151 Nach der Eröffnung der Beitrittsverhandlungen kam es zu zwei Besonderheiten: Erstens veröffentliche die Kommission am 8. November 2006 ihre aktuelle Erweiterungsstrategie, die sich auf die Türkei und die Länder des westlichen Balkans bezieht und v. a. die „Integrationsfähigkeit“ der EU zum Gegenstand hat.152 Die Integrationsfähigkeit beruhe auf drei Prinzipien: der Konsolidierung der eingegangenen Verpflichtungen, der strengeren und präziseren Handhabung der Konditionalität der Erweiterung und der besseren Kommunikation der Erweiterung gegenüber der Öffentlichkeit.153 Noch stärker als die Kommission Kühnhardt, S. 85 ff.; Lippert, 2005, S. 119 ff. Dazu Kramer, September 2005; ders., Mai 2005; Motika, S. 211 (213). 149 FAZ vom 1. Oktober 2005, S. 8. 150 Dazu Kramer, September 2005, S. 2 ff.; dieses Konzept befürworten für die Türkei u. a. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 659 f. und Langenfeld, S. 73 (73, 76). 151 Zur Ablehnung des Vorschlags der EVP-ED Fraktion, den „zieloffenen Charakter“ der Gespräche mit Ankara von Anfang an mit konstruktiven Alternativen zu versehen vgl. die FAZ vom 29. September 2004, S. 2. 152 KOM(2006) 649 endg.; die Kommission wurde vom EP dazu aufgefordert, bis spätestens zum 31. Dezember 2006 das Konzept der Aufnahmekapazitäten zu erläutern, vgl. P6_TA-PROV(2006)0096, 16. März 2006, Nr. 5; der Europäische Rat vereinbarte, auf der Grundlage der Kommissionsmitteilung eine eingehende Aussprache zur Erweiterung zu führen, vgl. Europäischer Rat von Brüssel vom 15. / 16. Juni 2006, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Nr. 53; vgl. zur „neuen Erweiterungsstrategie“ auch Bruha, 2007. 153 KOM(2006) 649 endg., S. 6, 15 ff.; diese drei Prinzipien wurden schon herausgestellt im „Strategiepapier 2005 zur Erweiterung“, KOM(2005) 561 endg., S. 2 ff.; als Grundpfeiler 147 148
B. Anhaltspunkte für die Annahme eines Primats der Politik
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verknüpfte der Europäische Rat auf seiner Tagung im Dezember 2006 das Kriterium der Aufnahmefähigkeit der EU mit der Zukunft des VVE.154 Aus der vorbereitenden Erklärung wurde aber eine Passage gestrichen, in der die Europapolitik erstmals ausdrücklich eine Parallelität zwischen der Erweiterung und der Vertiefung festgeschrieben hätte.155 Alles in allem drückt sich in den Bemühungen um die Konkretisierung der Beitrittsvoraussetzungen, insb. des vierten Kopenhagener Kriteriums,156 das Bekenntnis zum Festhalten der EU an den Beitrittsperspektiven aus;157 die Erweiterung selbst soll aber vorsichtiger gehandhabt werden als bislang. Zweitens verständigten sich die EU-Außenminister am 11. Dezember 2006 über eine Teilaussetzung der Beitrittsverhandlungen wegen der Nicht-Anerkennung des griechischen Südzyperns und der Weigerung der Türkei, die Zollunion mit der EU auf Zypern auszudehnen.158 Auch diese Schwierigkeit berührt aber nicht das Festhalten an der prinzipiellen Beitrittsperspektive der Türkei. Einige Autoren erachten den Fall Türkei trotz der noch bestehenden Beitrittsperspektive als richtungweisend. Sie halten eine Verschärfung der traditionellen Beitrittsbedingungen und eine Abkehr vom herkömmlichen Ziel der Erweiterung, der Vollmitgliedschaft, für möglich. Dies würde nicht nur zu einer Zäsur der Erweiterungspolitik, sondern auch der europäischen Integration insgesamt führen.159 Insbesondere eine realpolitisch begründete Entscheidung der EU gegen den Beitritt der Türkei sei ein wahrscheinlicher „Präzedenzfall für eine Abgrenzungspolitik“.160 Noch nie zuvor war der Beitritt eines Landes von weiten Teilen der Öffentlichkeit derart unerwünscht.161 In der öffentlichen Debatte geht es um mehr als die herkömmlichen Beitrittsvoraussetzungen, im Zentrum stehen das Kriterium der Identität der EU und damit langfristige integrationspolitische Ziele.162 Das Wesen der Erweiterung bestätigt durch den Europäischen Rat von Brüssel vom 15. / 16. Dezember 2006, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Nr. 4, 6. 154 Europäischer Rat von Brüssel vom 15. / 16. Dezember 2006, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Nr. 9. 155 FAZ vom 16. Dezember 2006, S. 1 (2). 156 Zur Betonung dieses Kriteriums vgl. auch das EP, P6_TA-PROV(2006)0096, 16. März 2006, Nr. 5; ebenso die Außenminister der EU-Mitgliedstaaten in der Salzburger Erklärung vom 11. März 2006, Nr. 2, http: //www.eu2006.at/de/News/Press_Releases/March/1103EU WesternBalkansStatement.html. 157 Vgl. u. a. Europäischer Rat von Brüssel vom 15. / 16. Dezember 2006, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Nr. 7, 8; Kommission, KOM(2006) 649 endg., S. 2; EP, P6_TAPROV(2006)0096, 16. März 2006, Nr. 10. 158 Vgl. Europäischer Rat von Brüssel vom 15. / 16. Dezember 2006, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Nr. 10. 159 Lippert, Erweiterung, 2006, S. 120 (128); ähnlich dies., 2005, S. 119 ff. und 2004, S. 13 (58); Emerson, Matrix, 2004, S. 82. 160 Lippert, 2004, S. 13 (60). 161 Hervorgehoben von Kramer, Mai 2005, S. 5. 162 Vgl. dazu u. a. Kramer, Mai 2005, S. 8; ders., 2003, S. 5 f.; Leggewie, S. 11 (12 ff.); Motika, S. 211 (215 ff.).
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1. Kap.: Rechtliche und politische Grundlagen
der EU sei v. a. durch die Aufnahme eines nicht-christlichen Landes gefährdet.163 Aber auch das Sicherheitsrisiko eines an Krisengebiete grenzenden Landes sei nicht zu unterschätzen.164
2. Der Einsatz der ENP zur flexiblen Lösung aktueller Spannungen zwischen Erweiterung und Vertiefung Noch größer als bei der Türkei ist die Sorge, niemals Mitglied der EU zu werden, bei den europäischen Staaten, die unter die Europäische Nachbarschaftspolitik165 fallen. Am skeptischsten betrachtet die Ukraine diese neue Politik; das Land befürchtet eine radikale Änderung der Erweiterungsstrategie. Die ENP verfolgt, wie seit jeher die Erweiterungspolitik, das außenpolitische Ziel der Stabilität,166 ohne allerdings die EU durch den Beitritt neuer Mitglieder zu gefährden. Geburtshelferin der Europäischen Nachbarschaftspolitik in ihrer heutigen Ausprägung war die Osterweiterung 2004. Offizielles Ziel ist die Vermeidung neuer Trennlinien zwischen der erweiterten EU und ihren Nachbarn,167 welche insb. angesichts der Verschiebung des Schengen-Regimes nach Osten und der neuen kapitalistischen Armutsgrenze drohen.168 „Die Vision der Europäischen Nachbarschaftspolitik ist ein Ring aus Ländern, die die grundlegenden Werte und Ziele der EU teilen und in eine zunehmend engere Beziehung
163 Darstellend m. w. N. Lippert, Erweiterung, 2006, S. 120 (127); Kramer, 2003, S. 10 ff. 164 Übersichtlich zu den Hauptargumenten im Streit um den Türkeibeitritt in die EU Leggewie, S. 11 (17) und Kramer, 2003. 165 Einen Überblick über Rechtsgrundlagen, Dokumente, Ziele, Partnerländer, Instrumente und Finanzierung verschaffen z. B. Koopmann / Lequesne, 2006; Lippert, ENP, 2006, S. 163 – 167 und Schmalenbach, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-57 VVE Rn. 1 ff.; wissenschaftliche Vorarbeiten zur ENP lieferten mit jeweils unterschiedlichem Schwerpunkt z. B. Batt u. a., 2003 (übergangsweise Nachbarschaftspolitik v. a. aus sicherheitspolitischen Gründen); Guicherd, 2002 (Eastern Dimension); Kempe, 2003 (multi-layered Europe als Ausgleich zwischen der GASP und dem Grenzregime der PJZS); dies., 1998 (Direkte Nachbarschaft); Kermpe / van Meurs, 2002 (Alternative zur Beitrittsvorbereitung); Kempe / van Meurs / von Ow, 1999 (Grenzregionen); Kempe / Mildner, 2001 (stabilitäts- und sicherheitspolitische Herausforderungen in (Süd-)Osteuropa); J. Smith / Jenkins (Hrsg.), 2003 (Vermeidung von Trennlinien in Osteuropa); W. Wallace, 2003 (Nachbarschaftspolitik als außenpolitische Priorität); Weidenfeld, 2001 (stabilitäts- und sicherheitspolitische Herausforderungen); ders., 1997 (umfassendes Nachbarschaftskonzept für Osteuropa). 166 Diesen gemeinsamen außenpolitischen Ansatz betont v. a. Haukkala, 2003, S. 11 ff. 167 KOM(2004) 373 endg. v. 12. Mai 2004, S. 3. 168 Kreis, S. 86, 96 f.; die Übernahme des Schengen-Acquis war eine zwingende Voraussetzung für die MOEL; davon ist insb. das Verhältnis zwischen Polen und der Ukraine betroffen; vgl. zu dem Problem des „paper curtain“ Batt, S. 102 (103 ff.); J. Smith / Jenkins (Hrsg.), 2003, S. 1 f., 191 verweisen ausdrücklich auf die Worte Leonid Kuchmas in diesem Zusammenhang; Weidenfeld, 2001, S. 45 ff.
B. Anhaltspunkte für die Annahme eines Primats der Politik
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eingebunden werden, die über die Zusammenarbeit hinaus ein erhebliches Maß an wirtschaftlicher und politischer Integration beinhaltet.“169
Die ENP verfolgt im Wesentlichen zwei Zielsetzungen: Zum einen sollen die Nachbarländer ihrerseits einen größtmöglichen Nutzen aus der Osterweiterung ziehen. Statt neuer Trennlinien soll es eine Teilnahme an EU-Aktivitäten geben, um Stabilität und Wohlstand für alle Betroffenen zu gewährleisten. Zum anderen ist die Nachbarschaftspolitik für die Europäische Sicherheitsstrategie bedeutsam, die der Europäische Rat im Dezember 2003 gebilligt hat.170 Operationell sollen die Ziele durch die Fortentwicklung bestehender Kooperationen verwirklicht werden: bestehende Assoziierungsabkommen werden durch die ENP ergänzt und überwölbt, nicht aber ersetzt;171 teilweise reagiert die ENP aber auf neue Gegebenheiten nach der EU-Erweiterung. In jedem Fall soll die ENP zu einer „verstärkten Zusammenarbeit“ mit der EU führen.172 Daneben geht es der EU aber auch um die Förderung der regionalen Zusammenarbeit zwischen den Nachbarn, insbesondere wenn diese geographisch nah beieinander liegen.173 Der Aufbau einer privilegierten Partnerschaft174 und damit die Integration in die EU soll auf zwei Wegen geschehen: Zum einen sollen in Aktionsplänen realistische und messbare Reformen vereinbart werden. Zum anderen will die EU diese Reformen unterstützen. Dafür hat sie das Finanzierungsinstrument ENI vorgesehen. Bei alldem wird der Ansatz der graduellen Integration in verschiedene EU-Politiken (Bildung, Wissenschaft und Binnenmarkt) stärker betont.175 Überdies ist die ENP pfeilerübergreifend, bezieht also Komponenten aller drei Säulen der EU ein.176 Dementsprechend wird das Angebot der EU von einigen als großzügig bewertet, als „Vision eines großeuropäischen gemeinsamen Lebensraumes“, der „alles, was die Europäische Union bisher kennzeichnete und ausmachte“, enthält – nur nicht Sitz und Stimme in den Organen der Europäischen Union.177 Am 4. Dezember 2006 veröffentlichte die Kommission eine Mitteilung über die „Stärkung der Europäischen Nachbarschaftspolitik“.178 Am 5. März 2007 beganKOM(2004) 373 endg., S. 5. KOM(2004) 373 endg., S. 5 f. 171 In den südlich der EU liegenden Staaten geht es vor allem um die Weiterentwicklung der Kooperation, welche in den vergangenen zehn Jahren im Barcelonaprozess bereits aufgebaut wurde; in Osteuropa sind bisher Partnerschafts- und Kooperationsabkommen Grundlage der Zusammenarbeit. 172 KOM(2004) 373 endg., S. 7 f. 173 KOM(2004) 373 endg., S. 22. 174 Diese Formulierung taucht ausdrücklich auf im Strategiepapier KOM(2004) 373 endg., S. 3. 175 Betont von Emerson, 2005. 176 KOM(2004) 373 endg., S. 5; Emerson, Matrix, 2004, S. 30. 177 Hartmann, S. 4; Hummer, S. 231 (241) lobt insb. die vorgesehene Einbindung in die Ausarbeitung eines Gemeinsamen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. 178 KOM(2006) 726 endg.; dazu Jacobsen / Machowski, S. 31 ff. 169 170
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1. Kap.: Rechtliche und politische Grundlagen
nen die offiziellen Verhandlungen zwischen der EU und der Ukraine über den Abschluss eines erweiterten Abkommens. Dabei geht es u. a. um eine Freihandelszone und eine engere Energiepartnerschaft.179 Unklar bleibt aber, welche Art von Beziehungen im Rahmen der verstärkten Nachbarschaftspolitik genau angestrebt werden.180 Auch der Europäische Rat von Brüssel bekräftigte im Juni 2007 „die überragende Bedeutung der ENP“ und den Wunsch „zur weiteren Stärkung der Nachbarschaftspolitik“, ohne dieses Ziel weiter zu konkretisieren.181 Ursprünglich und schwerpunktmäßig als Ostpolitik gedacht, entwickelte sich die ENP ab 2002 zu einem geographisch weitläufigeren Konzept.182 Zum so genannten Ring der Freunde zählen grundsätzlich alle Staaten, die mit der EU eine Landoder Seegrenze teilen. Auf Protest der Kaukasusstaaten gegen diese enge Reichweite wurden auch sie in die neue Politik einbezogen.183 Nicht erfasst sind jedoch solche Staaten, die gegenwärtig184 oder potentiell185 eine Beitrittsperspektive haben.186 Damit gibt es derzeit 16 „Nachbarländer“: Ägypten, Algerien, Armenien, Aserbaidschan, Belarus / Weißrussland, Georgien, Israel, Jordanien, Libanon, Libyen, Moldawien, Marokko, die Palästinensische Autonomiebehörde,187 Syrien, Tunesien und die Ukraine. Da die Teilnehmerstaaten als „Nachbarschaft“ zwar wertneutral umschrieben sind, die EU die Anwendung der ENP letztlich aber doch an bestimmte materielle Voraussetzungen wie die Achtung ihrer grundlegenden Werte und Ziele knüpft, ist wegen der politischen Lage die Zusammenarbeit mit Belarus / Weißrussland und Libyen auf bestimmte Nachbarschaftsprogramme beschränkt und eine vertragliche Beziehung ausgeschlossen.188 Einen Sonderfall IP / 07 / 275 v. 2. März 2007. Entsprechend forderte das EP am 13. Dezember 2006 die KOM auf, eine genauere Definition der „verstärkten“ ENP vorzulegen, P6_TA-PROV(2006)0568, Erwägung O.41; vgl. auch Bericht A6 – 0436 / 2006 endg. vom 29. November 2006, Erwägung N.38. 181 Europäischer Rat von Brüssel, Tagung vom 21. / 22. Juni 2007, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Nr. 45 f. 182 Schlussfolgerungen des Rats für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen v. 18. November 2002, doc. 14183 / 02 (Presse 350), S. I Nr. 2; Maresceau, 2004, S. 181 (217 f.); Timmermann, S. 5, 7. 183 Dazu zählen Armenien, Aserbaidschan und Georgien, KOM(2004) 373 endg., S. 11; Einbezug in ENP durch den Rat auf Vorschlag der Kommission, vgl. Schlussfolgerungen des Rats für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen vom 14. Juni 2004 (Luxemburg), Pressemitteilung 10189 / 04 (Presse 195), S. 12, Nr. 12. 184 Bulgarien, Rumänien, Kroatien und die Türkei. 185 Staaten des westlichen Balkans Albanien, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Montenegro, Serbien einschließlich Kosovo. 186 Unter www.europa.eu.int / comm / world / enp / faq_en.htm, Fragen Nr. 2.1 und 2.3 (letzter Zugriff: Oktober 2005). 187 Mangels der Staatsqualität Palästinas unterhält die EU Beziehungen zur als Völkerrechtssubjekt anerkannten Palästinensischen Autonomiebehörde; vgl. zur PLO statt vieler Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 9 und Heintze, ebd., § 27 Rn. 14. 188 KOM(2004) 373 endg., S. 4, 11 f. und unter www.europa.eu.int/comm/world/enp/ faq_en.htm, Fragen 1.9, 2.8 und 2.9 (letzter Zugriff: Oktober 2005). 179 180
B. Anhaltspunkte für die Annahme eines Primats der Politik
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stellt zudem Russland dar. Das Land ist zwar ein Nachbar der EU, lehnte aber ausdrücklich die Einbeziehung in die ENP ab. Jedoch wird die schon bestehende Strategische Partnerschaft zur EU ausgebaut und zwar basierend auf den Elementen der ENP.189 Für die Ukraine entsteht durch die ENP folgender Konflikt: Die Annäherung an den Westen soll maßgeblich durch eine Teilnahme an den entsprechenden Organisationen vorangetrieben werden.190 Der Weg der Ukraine in die NATO beispielsweise gilt mittlerweile als unumkehrbar: Nach der „orangenen Revolution“ im Dezember 2004 wurden die Beziehungen aufgewertet, ein intensivierter Dialog bereitet die künftige Mitgliedschaft vor. Nichtsdestotrotz bleibt die Aufnahme abhängig von politischen und militärischen Reformen der Ukraine.191 Nicht nur Vertreter der Ukraine selbst aber zweifeln daran, dass die Politik der EU ebenso offen ist, eine Aufnahme also nur von der Erfüllung der Beitrittskriterien abhängig gemacht wird. Denn die EU stellt die ENP neben die Beitrittsvorbereitung, sieht sie also nicht ausdrücklich als Teil dieser an.192 Nur für Nachbarn, denen bereits eine Beitrittsperspektive zugesagt wurde, ist die Nachbarschaftspolitik der EU folglich gleichbedeutend mit Beitrittsvorbereitung.193 Sie gelten aber nicht als „Nachbarn“ im Sinne der Europäischen Nachbarschaftspolitik.194 Dadurch verliert der Begriff „Nachbar“ seine rein beschreibende Funktion für angrenzende Staaten und gewinnt eine bewertende: „Nachbarn“ sind nur die Länder, die den Sprung zur Mitgliedschaft nicht schaffen. Dieses Konzept mag durch seine „Logik und Einfachheit“ bestechen,195 gibt zugleich jedoch Anlass zur Sorge über ein endgültiges Erweiterungsstopp. Privilegiert werden die „Nachbarn“ zwar gegenüber sonstigen Drittländern, weil sie unter einer Politik zusammengefasst werden, deren kurz- und mittelfristige Zielsetzungen klar umrissen und insoweit unabhängig von konkreten strategischen Belangen sind. Spätestens seit der Verstärkung der Nachbarschaftspolitik deckt sich die Entwicklung der ENP auch inhaltlich mit den Beitrittsvorbereitungen, indem sie auf eine Angleichung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse in den Nachbarländern an EU-Standards abzielt. Bewertet wird dies teilweise als „paradoxe[r] Vorgang eines Beitrittsprozesses ohne Beitrittsper189 KOM(2004) 373 endg., S. 4, 6 f. und unter www.europa.eu.int/comm/world/enp/ faq_en.htm, Frage Nr. 2.1 (letzter Zugriff: Oktober 2005). 190 Zum Beitrittsgesuch der Ukraine mit zahlreichen Nachweisen auf politische Dokumente Maresceau, 2004, S. 181 (insb. S. 205 f.). 191 So der ukrainische Verteidigungsminister Anatolij Stepanowytsch Hryzenko, FAZ vom 25. Oktober 2005, S. 2; von Lucius, FAZ vom 24. Oktober 2005, S. 12 erwartet die NATOMitgliedschaft der Ukraine im Jahr 2008. 192 Das Strategiepapier erwähnt die Nachbarländer mit Beitrittsperspektive nicht; ausdrücklich aus der ENP ausgenommen werden sie unter www.europa.eu.int/comm/world/enp/ faq_en.htm, Fragen 2.1 und 2.3 (Zugriff: Dezember 2005). 193 Heusgen, S. 694 (695). 194 Kok hingegen bezieht in seinem Bericht an die Kommission aus dem Jahre 2003 in die Nachbarschaftspolitik alle Nachbarn (mit und ohne Beitrittsperspektive) ein, S. 71. 195 Heusgen, S. 694 (701); der Autor selbst erkennt aber auf S. 702 die offenen Fragen.
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1. Kap.: Rechtliche und politische Grundlagen
spektive“.196 Dass den Teilnehmern der ENP eine Beitrittsperspektive abgesprochen wird, erscheint gerade für die Ukraine als negatives Signal. Das Land ist nicht nur einer der europäischen Nachbarn, sondern darüber hinaus der einzige „Nachbar“, der der NATO beitreten wird. Daher vergleicht sich die Ukraine nicht mit beliebigen Drittländern, sondern mit europäischen Ländern mit Beitrittsperspektive. Verschärft wird der negative Eindruck durch den als beleidigend empfundenen Titel „Europäische Nachbarschaftspolitik“, denn einige Nachbarn sind keine Nachbarn Europas, sondern Nachbarn der EU. Dementsprechend steht die Frage, ob die ENP als Beitrittsalternative konzipiert ist, im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Diskussion. Wissenschaftler sahen eine Nachbarschaftspolitik schon früh als „dritte Option“ zur Lösung der Spannungen zwischen Erweiterung und Vertiefung an.197 Der Erfolg der ENP insgesamt hängt in hohem Maße vom Umgang mit beitrittswilligen Staaten wie der Ukraine ab.198 Die Politiker selbst äußerten sich bislang zurückhaltend und ambivalent zum Verhältnis von Beitritt und ENP.199 Zwar wird die Vollmitgliedschaft europäischer Staaten mittlerweile ausdrücklich als nicht ausgeschlossen bezeichnet, allerdings wird die ENP in offiziellen EU-Dokumenten und sonstigen Äußerungen der Entscheidungsträger auch nicht ausdrücklich als bloßer Zwischenschritt hin zu einer Vollmitgliedschaft deklariert.200 Die Begründung für die Richtungsänderung in der Erweiterungspolitik wird häufig in äußeren Umständen gesucht, insb. in den Besonderheiten der heutigen EU-Nachbarn. Diese seien „fragile oder defekte Demokratien, deren territoriale Einheit und innere wie äußere Souveränität häufig noch unbefestigt ist“, und damit schwierige Kandidaten und Nachbarn.201 Dass die EU aber mit solchen Nachbarn überfordert ist, liege v. a. an ihrer Unfähigkeit, derzeit die Aufnahmekapazitäten zu erhöhen.202 So Konrad Schuller, FAZ vom 5. März 2007, S. 10. Emerson, ENP, 2004, S. 1; Lippert, 2005, S. 119 (135). 198 Gromadzki u. a., S. 9. 199 Vgl. Kempe / van Meurs, 2003, S. 11 (57 f.); die Ambivalenz wird häufig kritisiert, vgl. nur Batt u. a., S. 127; Chourou, in: SEF News Nr. 17, 2003, S. 9; Lynch, S. 34 (59); Stratenschulte, Illusionstheater, 2004, S. 4 f.; W. Wallace, 2003, S. 12. 200 Zum EP siehe P6_TA-PROV(2006)0096, 16. März 2006, Nr. 10 und die aufgeweichte Formulierung in P6_TA-PROV(2006)0568, Erwägungen O.42 und O.44; zur KOM siehe den Aktionsplan EU / Ukraine, 21. Februar 2005 (Geltung für drei Jahre), http: //ec.europa.eu/world/enp/pdf/action_plans/ukraine_enp_ap_final_en.pdf; die Mitteilung „Europäische Nachbarschaftspolitik – Strategiepapier“ KOM(2004) 373 endg., S. 3; die Mitteilung über die Stärkung der ENP KOM(2006) 726 endg., S. 2, 16; die offizielle Website http: //ec.europa.eu/world/enp/policy_en.htm (am 4. Dezember 2006 waren die Aussagen schon viel beitrittsfreundlicher als noch am 15. August 2005); die Reden der für die ENP zuständigen Kommissarin Benita Ferrero-Waldner SPEECH / 05 / 797, S. 2, SPEECH / 06 / 149, S. 2 und SPEECH / 06 / 325, S. 3; die Aussagen des Generaldirektors für Außenbeziehungen in der Kommission (zuvor Generaldirektion Erweiterung) Eneko Landaburu, S. 1, 3 und die Stellungnahme der Kommissarin für Regionalpolitik Danuta Hübner SPEECH / 06 / 58, S. 4. 201 Lippert, 2005, S. 119 (119 f., 124); ähnlich Haukkala, 2003, S. 2. 196 197
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Alles in allem erinnert die ENP an Modelle der flexiblen Grenzgestaltung, die bereits seit längerem von Politikern und Wissenschaftlern als Lösung für ein etwaiges „Erweiterungs-Vertiefungs-Dilemma“ vorgeschlagen wurden. Zum Teil wird die ENP als Neudefinition der EU-Außengrenzen betrachtet. Bezeichnet wird sie als Teil einer neuen europäischen Struktur, als Ausdruck für einen neuen „Dimensionalismus“,203 eine Schicht in einem „multi-layered Europe“.204
3. Überblick über flexible Gesamteuropakonzepte in Politik und Politikwissenschaft Schon seit längerem reagieren Politiker und Politikwissenschaftler auf die Notwendigkeit der Kooperation mit europäischen Nachbarstaaten und die zunehmenden Schwierigkeiten bei der Festlegung von Grenzen der EU. Ausgangspunkt war die Abkehr vom Verständnis der EU als eine westeuropäische Organisation, der Begriff „Gesamteuropa“ wurde geprägt.205 Gefordert wurde die Teilhabe der europäischen Nachbarstaaten an der europäischen Integration, selbst wenn die EU der Erweiterungspolitik vorläufig oder dauerhaft ein Ende setzt.206 Bereits heute ist Europa nicht nur durch die EU, sondern durch komplexe Formen der Zusammenarbeit geprägt: Die verstärkte Zusammenarbeit ist eine Form der Flexibilisierung der Integration innerhalb der EU, nach außen ist die EU mit europäischen NichtMitgliedstaaten durch völkerrechtliche Abkommen verbunden207, hinzu treten Abkommen jenseits der EU zwischen den europäischen Staaten208. Die derzeit diskutierten Gesamteuropakonzepte betreffen die künftige Gestalt der EU. Während die einen an der Integrationslogik festhalten und die Finalitätsfrage bewusst offen lassen,209 denken andere bereits laut über den Endzustand der EU nach.210 Ins202 EP, P6_TA-PROV(2006)0096, 16. März 2006, Nr. 6; Wissmann, IP 2006, S. 64 (64 f.); ders., Thesenpapier 2006, S. 3. 203 Haukkala, 2003, S. 2 – 4, 14. 204 Kempe / van Meurs, 2003, S. 11 (74 f.); dies., 2002, S. 4, 16 f.; ähnlich Gasteyger, S. 24, 35; Valionis / Weidenfeld, 2002. 205 Z. B. Bender, S. 235 ff. 206 Z. B. Baldwin, insb. S. xv; Bideleux, S. 225 (243 f.); Bideleux / Taylor, S. x (xi); East West Institute u. a., S. 4 Nr. 17 f.; Lippert, 2005, S. 119 (134 f.); dies., 2000, S. 105 ff.; Maude, S. 27 (30 ff.); Streinz, Europarecht, 2003, Rn. 57. 207 Je nach tatsächlichem und angestrebtem Integrationsgrad unterscheidet man Handelsund Kooperationsabkommen, Partnerschaftsabkommen, Assoziierungsabkommen, usw. Zum Teil sind die bilateralen Abkommen mit einem multilateralen Rahmen umspannt. Dies wird nicht selten als Stückwerkspolitik kritisiert, vgl. z. B. Haukkala, 2003, S. 4, 7. 208 Z. B. die Benelux-Zusammenarbeit, die CEFTA, die deutsch-französische Kooperation, der Ostseerat, die Schwarzmeerwirtschaftsregion (SMWR), der Zusammenschluss von Viségrad, der Europarat und die Zentraleuropäische Initiative (ZEI). 209 Vgl. z. B. Frankreichs Europaministerin Catherine Colonna, FAZ vom 12. Juli 2005, S. 6; Kleger / Karolewski / Munke, S. 183, 195; Shaw, 2003, S. 45 (45 – 47, 49, 52); Varwick,
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1. Kap.: Rechtliche und politische Grundlagen
besondere Politiker zeigen sich zurückhaltend bei der Beantwortung der Finalitätsfrage.211 Die politikwissenschaftlichen Vorschläge lassen sich drei Modellen zur Verwirklichung der gesamteuropäischen Zusammenarbeit zuordnen: Befürworter des ersten Modells halten an der Integrations- und insb. an der Erweiterungslogik fest und damit an der Teilhabe der europäischen Staaten an den Institutionen der EU. Alternativen zum Beitritt seien Alternativen zur Stabilität, erfolgreiche Außenpolitik der EU in Europa wird gleichgesetzt mit konditionalitätsgebundener Aufnahme neuer Mitglieder.212 Mehrheitlich wird aber die Entstehung eines (gesamteuropäischen) Bundesstaats abgelehnt.213 Ein solcher sei nicht wünschenswert, diene die Zusammenarbeit im Rahmen der EU doch gerade der Verhinderung der Auswüchse der Staatlichkeit.214 Auch wird ein weiterer Souveränitätsverlust der Mitgliedsstaaten abgelehnt.215 Zudem sei ein Bundesstaat EU spätestens nach der Osterweiterung illusorisch; der Mangel an Budget und Ressourcen sei zu groß, ebenso die Interessenkonflikte zwischen den Mitgliedstaaten.216 Problematisch an diesem Modell ist, dass es jedenfalls für die kommenden Jahre keine Fortschritte verspricht, denn die EU wird einige Zeit benötigen, um die Osterweiterung zu verkraften. Als Zukunftsperspektive bleibt es bedeutsam. Vertreter des zweiten Modells sehen Europas Zukunft in einem „europäischen Dorf“, also in einer Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen europäischen Organisationen. Ein Mehrebenen-Europa sei besser als eine Mehrebenen-EU.217 Statt
S. 69 (71, 76) hält nicht zwingend an der bisherigen Integrationslogik fest, ist aber der Meinung, „Finalität kann nicht eine auf alle Ewigkeit festgeschriebene Statik bedeuten.“ 210 Übersichtlich zur Finalitätsdebatte seit 2000 Thalmaier, S. 16 – 21, 35 – 49, 86 f.; sie kritisiert das Fehlen eines umfassenden Konzepts, „das auf eine langfristige Perspektive ausgerichtet ist und auch vor einer weitreichenden Reform nicht zurückschreckt.“ 211 Siehe die vorherige Anm. und Cameron, Europe’s Future, 2005, S. 149 ff.; Weiler, 1999, S. 256 ff.; Wiener, Finality, 2003, S. 157 (183 ff.). 212 Z. B. Kommissarin Danuta Hübner, SPEECH / 06 / 58, Februar 2006, S. 4 f.; der rumänische Präsident Traian Ba˘sescu, FAZ vom 6. Juli 2005, S. 5 hält eine abgestufte Integration im Sinne mehrerer Kreise der Zusammenarbeit für einen Fehler; wenn es einmal ein vereintes Europa gibt, wäre eine solche gruppenweise Zusammenarbeit nach bestimmten Verantwortlichkeiten allerdings möglich. 213 Zum ursprünglichen Ideal der Gründungsväter (insb. Walter Hallstein) und zu dessen Schwachpunkten Kleger / Karolewski / Munke, S. 187 – 195; Peters, S. 179 – 181, 205; Argumente gegen einen Bundesstaat Europa bei Zielonka, 2001, S. 507 (523 – 526, 529) und in den Beiträgen in Zielonka, 2002; dies bedeutet nicht, dass föderalistische Eigenschaften der EU abgelehnt werden, vgl. z. B. von Bogdandy, 2004, S. 1033 ff.; Schönberger, S. 10, 41; Wahl, 2005, S. 916 (920). 214 Bideleux, S. 1 (16 f.); Calliess, Verfassung der EU, 2004, S. 9 (13 f.) m. w. N.; Thalmaier, S. 426; Watrin, Diskussionsbericht von Schnabel, S. 24 (237 f.); Weiler, 1999, S. 94 ff., 250 ff. 215 Z. B. Brunner, S. 179 (180) mit Verweis auf BVerfGE 89, 155 (186). 216 Baur, Diskussionsbericht von Schnabel, S. 224 (237); Cameron, Widening, 2005, S. 1 (8); Hänsch, S. 17 (21); Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 20.
B. Anhaltspunkte für die Annahme eines Primats der Politik
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die EU durch die Überforderung mit neuen Mitgliedern und komplexen Aufgaben zu „töten“, sollte man insb. die „Leiche Europarat“ wieder beleben. Die EU soll also nur eine von mehreren europäischen Institutionen sein, die von einem europäischen Staatenbund umgeben ist.218 Dieser Ansatz entfernt sich von einem etwaigen Integrationsauftrag der EU. Im dritten Modell wird wie im ersten die EU weiterhin als Gravitationszentrum Europas angesehen,219 zugleich aber versucht, die strikte Alternativität zwischen Erweiterung und Vertiefung durch Flexibilität aufzulösen.220 Gegenstand der Untersuchung ist für die Vertreter dieses Modells nicht nur die geographische Grenze der EU, sondern auch deren Gestalt. Aktualität erlangten Modelle der abgestuften Mitgliedschaft und flexibler Formen der Integration spätestens mit dem Scheitern der Referenden zum VVE221 in Frankreich und den Niederlanden.222 Problematisch ist die „inhaltliche Vielfalt“ und „terminologische Unübersichtlichkeit“ der Erscheinungsformen der Flexibilität.223 Die juristische Systematisierung steckt erst in den Kinderschuhen. Nur wenige Autoren legen sich auf eine Definition fest; wird der Begriff der Rechtsdifferenzierung definiert, dann im weiten Sinne „als juristischer Oberbegriff für alle Erscheinungsformen der Konzeption einer differenzierten Integration“224 bzw. als „rechtliches Konzept“ im Sinne einer Abweichung vom Prinzip gleicher Rechte und Pflichten für alle Mitgliedstaaten225. Bei den schon bestehenden Rechtsdifferenzierungen im Primär- und Sekundärrecht der EU kann man unterscheiden zwischen punktuellen Rechtsdifferenzierungen, die als Übergangsbestimmungen v. a. beim Beitritt neuer Mitgliedstaaten oder beim Erlass neuer Rechtsakte auftauchen, und bereichspezifischen Rechtsdifferenzierungen, die gesamte Politikbereiche betreffen und sich regelmäßig auf die insti217 Stratenschulte, Illusionstheater, 2004, S. 6 ff.; ders., Integration 1 – 2 / 2004, S. 95 (99 f.). 218 Johannes Varwick auf der Wissenschaftlichen Konferenz „Draußen vor der Tür?“ zur ENP am 1. / 2. Juni 2006 in Berlin; ähnlich ders., S. 69 (77). 219 Emerson, Matrix, 2004, S. 83. 220 Z. B. Kocka, S. 275 (285 f.). 221 Sehr übersichtlich zu Stand und Entwicklungspotenzial des Ratifizierungsprozesses Göler / Jopp, S. 91 (92 – 97). 222 Frankenberger, FAZ vom 28. Juli 2005, S. 8; allgemein zu dem Phänomen, dass Stagnationenphasen im Integrationsprozess und Erweiterungen stets politischer Anlass für Rechtsdifferenzierungen im Gemeinschaftsrecht waren Göler / Jopp, S. 91 (103); John, S. 172; Langner, S. 19 und Wasielewski, S. 35 f.; bereits im Vorfeld der Referenden wurden flexible Formen der Zusammenarbeit als Alternative bei Scheitern des Ratifikationsprozesses diskutiert, wobei man stets voraussetzte, dass „wichtige Staaten“ wie z. B. Frankreich ratifizieren, dazu Allen, S. 18 (33); Göler / Jopp, S. 91 (103); Pechstein, S. 163 (181). 223 So Wasielewski, S. 36; ähnlich Krenzler, S. 1255 (Rn. 21); Langner, S. 29 f.; MüllerGraff, 2007, S. 129 (129 f.); noch kritischer zum Begriff der „differenzierten Integration“ Freiburghaus, Tagungsbericht von John, S. 172 (174); Wessels / Jantz, S. 345 (346). 224 Wasielewski, S. 36 m. w. N. 225 Kölliker, S. 53 (54).
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1. Kap.: Rechtliche und politische Grundlagen
tutionelle Struktur der EU auswirken.226 Abgesehen von einigen punktuellen Rechtsdifferenzierungen haben „Rechtsdifferenzierungen immer nur die Rolle eines Vorreiters für die zurückgebliebenen Staaten“.227 Dieser letzte Aspekt verweist auf die integrationspolitische Unterscheidung zwischen Übergangskonzepten,228 also einer vorübergehenden Flexibilisierung, und Konzepten einer dauerhaft differenzierten Integration.229 Genannt werden kann in diesem Zusammenhang auch die – noch nicht realisierte, aber seit 1989 immer wieder diskutierte – Abbauflexibilisierung, die auf die Reduzierung bzw. Verwässerung der bestehenden EU zielt.230 Integrationspolitische Vorschläge einer Rechtsdifferenzierung werden aber auch noch auf andere Weise systematisiert. Gängig ist die Unterscheidung zwischen der Flexibilität im Innern der EU, also der Differenzierung zwischen den Mitgliedstaaten, und der Flexibilität nach außen.231 Aussagekräftig ist auch die Unterscheidung zwischen der Aufbauflexibilität, die nur neue Politiken betrifft, und der Bestandsflexibilität, die auch bestehende Politikfelder neu ordnet.232 Im Folgenden wird untersucht, wie das dritte Modell im Einzelnen ausgefüllt wird. Bevor einige flexible Gesamteuropakonzepte vorgestellt werden, wird zunächst die Forderung nach flexiblen Außengrenzen der EU näher erläutert.
a) Die Forderung flexibler Außengrenzen Bei der Forderung flexibler Außengrenzen der EU geht es im Wesentlichen um die Forderung nach einem Gesamteuropa, in dem die Staaten in unterschiedlicher Weise miteinander kooperieren, wobei die Teilnahme an allen EU-Institutionen und EU-Politiken die stärkste Form der Kooperation ist. Der Beitritt zur EU soll also nicht länger Zeichen sein für die Überwindung einer Grenze zwischen der EU und Resteuropa. In der Politikwissenschaft ist die Unterscheidung zwischen harten – aber verschiebbaren – und weichen Außengrenzen bekannt.233 In Europa 226 Diese Unterscheidung macht Wasielewski, S. 38; zu den bereichsspezifischen Rechtsdifferenzierungen zählt er z. B. die WWU, das Sozialprotokoll und die europäische Justizund Innenpolitik; interessant auch die Beobachtung von Göler / Jopp, S. 91 (104): bisher stets nur dazu gedacht, konkrete Probleme in bestimmten Politikbereichen zu überwinden, nicht als umfassende Reform der EU. 227 Wasielewski, S. 38; ähnlich Göler / Jopp, S. 91 (104) und die Mehrheit der Teilnehmer der Tagung zum Thema Differenzierte Integration, vgl. Tagungsbericht von John, S. 172 (179). 228 Z. B. Giering, S. 30. 229 So die Unterscheidung bei Wasielewski, S. 36 f. m. w. N. 230 Vgl. dazu m. w. N. Wessels / Jantz, S. 345 (348). 231 Wessels / Jantz, S. 347 sprechen von Vertiefungs- und Erweiterungsflexibilisierung. 232 Varwick, S. 69 (71). 233 Im Englischen existieren dafür begriffliche Abschichtungen, vgl. z. B. Gow, S. 61 (69 – 76); Haukkala, 2003, S. 9; Zielonka, 2002, S. 1 (14, Note 1) m. w. N.; sehr ausführlich zu den unterschiedlichen Charakteristika der verschiedenen Grenzkonzepte Zielonka, 2001,
B. Anhaltspunkte für die Annahme eines Primats der Politik
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sind die europäischen Nicht-Mitgliedstaaten bereits heute auf vielfältige Weise mit der EU verbunden; funktionelle und geographische Grenze stimmen nicht mehr überein.234 Es existiert allerdings eine „rote Linie“ zwischen „drinnen“ und „draußen“. Diese Linie wird markiert durch die Teilhabe am Rechtsetzungsprozess der EU, also den Sitz und die Stimme in EU-Institutionen,235 und durch die Unionsbürgerschaft236. Dieses strikte Entweder (Mitglied) – Oder (Nicht-Mitglied) wird nicht nur aufgrund seiner negativen psychologischen Wirkung auf die Außenstehenden kritisiert, sondern vor allem, weil es das Erweiterungs-Vertiefungs-Dilemma nicht löst.237 Daher wird für die EU mehr „Differenzierung nach außen“ gefordert.238 Vorschläge zur Aufweichung der Grenze reichen von einem Gastrecht im EP239 über eine vorzeitige und sektorale Beteiligung an Entscheidungen im Vorfeld eines Beitritts240 bis zur Teilmitgliedschaft in der EU.241 Die Teilmitgliedschaft würde einem Staat erlauben, einem Teilbereich des gemeinschaftlichen Besitzstandes beizutreten und andere Bereiche (z. B. Währungsunion) auszuschließen. Damit einher ginge die Unterwerfung unter die Organisationsgewalt der EU. Der Staat hätte in den vom Teilmitgliedschaftsvertrag erfassten Sachgebieten alle Rechte und Pflichten eines Vollmitglieds, erhielte insbesondere Stimmrecht und Mitentscheidungsbefugnisse wie bei einer Vollmitgliedschaft, müsste sich aber auch an der Finanzierung beteiligen.242 Grundsätzlich keinerlei Bindungen bestünden in den nicht von der Teilmitgliedschaft umfassten Sachgebieten. Jedoch könnte die Teilmitgliedschaft de facto ausgedehnt werden durch einen Beobachterstatus und die Möglichkeit, Beschlüsse der EU durch einseitige Annahme für sich verbindlich zu machen.243
S. 507 (509 f.); auch Ökonomen beschäftigen sich mit diesem Phänomen, vgl. nur Kölliker, S. 53; Schäfer, 1994. 234 Z. B. Anderson / Bort, S. 181 – 183; Isensee, S. 103 (126 f.); zu den sehr unterschiedlichen Ursachen der bisherigen Flexibilität in den Außenbeziehungen der EU Griller, Tagungsbericht von John, S. 172 (176): (1) Reflex der Differenzierung im Innern, (2) Folge fehlender Regelung / Harmonisierung im Innern (insb. fehlende bzw. geteilte Kompetenzen der EU), (3) unterschiedliche Interessen ggü. bzw. von den externen Verhandlungspartnern. 235 Hartmann, S. 4; Lippert, Assoziierung, 2006, S. 149 (152). 236 Betont von Bruha / Alsen, S. 161 (186). 237 Z. B. Emerson, Matrix, 2004, S. 83; Guicherd, S. 13 f., 18, 25 f. 238 Z. B. Amato / Batt, S. 8, 10, 61, 64; U. Becker, 2001, S. 2 f.; Emerson, ENP, 2004, S. 1; Faber, S. 103 ff.; Gow, S. 61 (70, 73, 76); Janning / Giering, S. 8 ff.; Kocka, S. 275 (285). 239 Kocka, S. 275 (285); ähnlich Lippert, Assoziierung, 2006, S. 149 (155). 240 Janning / Giering, S. 8 ff.; allgemein zur internen Assoziierung Schön, S. 231 ff. 241 Einen sehr ausdifferenzierter Vorschlag für eine Teilmitgliedschaft liefert Emerson, Matrix, 2004, S. 62 f.; vgl. auch Kocka, S. 275 (285); Wissmann, IP 2006, S. 64 (66 ff.) und ders., Thesenpapier 2006, S. 3 ff. 242 Umfassend Schön, S. 233; zu Einzelaspekten Krenzler, S. 1255 (Rn. 50); weitere Definition bei Wasielewski, S. 187 f. 243 Schön, S. 234 f.
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1. Kap.: Rechtliche und politische Grundlagen
Die Gegner flexibler Außengrenzen zweifeln an deren politischen Realisierbarkeit. Insbesondere die Erfahrungen mit der „Nördlichen Dimension“ der EU hätten gezeigt, dass einerseits die EU-Bürokraten gegen eine „Einmischung“ von NichtMitgliedstaaten in interne EU-Politiken sind und sich andererseits die Nicht-Mitgliedstaaten mit einer nur teilweisen Teilhabe nicht zufrieden geben.244 Auch sei eine Grenzverwischung im Interesse der Funktionsfähigkeit und der Identität der EU nicht wünschenswert; eine endgültige Ausformung der Binnenwelt sei nur möglich bei einem klaren Verständnis darüber, was zur Außenwelt gehört – umgekehrt gelte das Gleiche.245 Die praktischen Schwierigkeiten reichen von der Festlegung der Pflichten und Rechte über die Besteuerung und Umverteilung bis hin zur inneren Sicherheit.246 Besser sei eine zunehmende Flexibilisierung im Innern der EU.247
b) Gesamteuropakonzepte mit der EU als Zentrum Die Differenzierung beim Beitritt liegt „auf der Schnittstelle zwischen externer und interner Differenzierung“.248 Die Gesamteuropakonzepte, die die EU weiterhin als Gravitationszentrum erachten, gehen daher entweder von einer zunehmenden Flexibilisierung im Innern der EU aus oder von einer Differenzierung nach außen; einige Vorschläge verbinden auch beide Ansätze. Die flexiblen Gesamteuropakonzepte unterscheiden sich aber nicht nur durch die Methode der Zusammenarbeit, sondern auch durch das jeweilige Motiv der Zusammenarbeit und durch die Mitglieder.249 Alle Modelle suchen durch partielle Integration gesamteuropäische Lösungen, die das Spannungsverhältnis zwischen der Erweiterung und der Vertiefung der EU mehr oder weniger umgehen oder lösen; bei einigen Vorschlägen steht aber auch das Drohpotential gegenüber Integrationsgegnern im Vordergrund.250 An dieser Stelle erfolgt nur ein Überblick über die wichtigsten Gesamteuropakonzepte.251 244 Baldwin, S. 3, 201 – 205 (Kritik an langen Übergangsfristen); Haukkala, 2003, S. 20 (keine Kritik an Differenzierung nach außen generell, sondern an konkreter Ausformung); Haukkala / Moshes, S. 18; Mayhew, S. 328 ff. 245 W. Wallace, 2002, S. 78 (78 f., 83 – 85, 91); Zielonka, 2002, S. ix; ders., 2001, S. 507 (527). 246 W. Wallace, 2002, S. 83 – 85. 247 Mayhew, 1998, S. 328 ff. 248 U. Becker, 1999, S. 50. 249 Wer darf an welchen Integrationsstufen teilnehmen? Wer entscheidet über die Aufnahme? 250 John, S. 172; Loth, Tagungsbericht von John, S. 172 f. 251 Übersichtlich Bieber / Kahil-Wolff / Kallmayer, S. 65 ff; Giering, S. 1 ff.; Krenzler, S. 1255 (Rn. 21 ff.); Langner, S. 9 ff.; Wessels / Jantz, S. 345 (350 ff.); die folgende Darstellung bezeichnet lediglich die Idealtypen der vertretenen Modelle, ohne auf alle Feinheiten der Vorschläge einzugehen.
B. Anhaltspunkte für die Annahme eines Primats der Politik
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Einige dieser Konzepte befürworten nur übergangsweise Differenzierungen. Im „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“ wird das Ziel einer europäischen Lösung von allen Mitgliedstaaten geteilt. Es soll lediglich zeitverzögert innerhalb festgelegter Fristen umgesetzt werden. So würden Fortschritte der Integration ermöglicht, selbst wenn ein Teil der Mitgliedstaaten zu diesen Integrationsschritten noch nicht fähig ist.252 Die noch nicht vertiefungsfähigen Staaten werden institutionell eingebunden und materiell unterstützt; Effizienz und Solidarität werden auf diese Weise miteinander verbunden.253 Dieses Konzept wird meist auf die innere Flexibilisierung bezogen, lässt sich aber auch auf die Flexibilisierung nach außen übertragen. Ganz ähnlich gestaltet ist das „Konzept der abgestuften Integration“, das ein unbefristetes, aber nicht dauerhaftes Voranschreiten einzelner Mitgliedstaaten in eine zuvor von allen gemeinsam festgelegte Richtung vorsieht.254 Andere Konzepte nehmen eine dauerhafte Differenzierung jedenfalls in Kauf. Dazu gehört erstens das sog. „Europa à la carte“.255 Dieses Konzept geht am weitesten bezüglich der Flexibilität, indem es die Integration vollständig in den Willen der Mitgliedstaaten stellt. Diese sollen frei in ihrem Ermessen sein, in welchen Politikfeldern sie sich an welchen Aktionen beteiligen. Weder ein verbindlicher Zeitplan noch ein einheitlicher Vertragsrahmen geben obligatorische Felder der Zusammenarbeit vor. Einmal bestehende Kooperationen können nach dem „trial and error“-Verfahren beliebig wieder aufgelöst werden. Durch ein reines „pick and choose“ entstünden mehrere Kreise der Zusammenarbeit mit unterschiedlicher Mitgliedschaft.256 Leitbild des Europa à la carte ist „nicht das Europa der Institutionen [ . . . ], sondern das Europa der kulturellen, politischen und ökonomischen Vielfalt, das durch gleichzeitige Interessen und nicht durch ein irgendwie geartetes ,europäisches Interesse‘ geschaffen werde und sich eher dezentral organisiere.“257 Gerade darin wird von Kritikern die Gefahr für das Zusammengehörigkeitsgefühl und für die Integration gesehen.258 Als Extremfall der Abbauflexibilisierung diene dieses Modell letztlich der Reduzierung bzw. Verwässerung der bestehenden EU.259 Das zweite Konzept, das eine dauerhafte Differenzierung nicht scheut, ist das Modell eines Kerneuropas, das eine räumliche Differenzierung vorschlägt. Um einen inneren Kern, der alle Integrationsbereiche gleichzeitig vertieft, befindet M. w. N. dargestellt z. B. bei Langner, S. 27 und Thym, S. 28. Wessels / Jantz, S. 345 (353). 254 Grundlegend dazu die Beiträge in Grabitz, 1984; dargestellt z. B. bei Langner, S. 24 f. und Giering, S. 1 ff. jeweils m. w. N. 255 Im Jahre 1979 vorgeschlagen von Ralf Dahrendorf, vgl. Langner, S. 24. 256 Dargestellt z. B. bei Langner, S. 24; Janning, 1994, S. 527 (534 f.) und Wasielewski, S. 37. 257 Langner, S. 24. 258 Varwick, S. 69 (72); Wasielewski, S. 37 m. w. N. 259 Wessels / Jantz, S. 345 (348, 358). 252 253
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1. Kap.: Rechtliche und politische Grundlagen
sich die „Peripherie der Nachzügler“. Diese Nachzügler können je nach Integrationswillen und -fähigkeit in den Kern eintreten.260 Aktuelle Vorschläge lehnen sich auffällig oft an das Kerneuropamodell an: nach der Verfassungskrise forderte der französische Präsident Jacques Chirac die Bildung einer Pioniergruppe, zu der auch Frankreich gehöre. Der belgische Premierminister Guy Verhofstadt schlug die Vertiefung der Zusammenarbeit der Euro-Gruppe vor, mit dem Ziel einer föderalen EU, welcher die übrigen Mitgliedstaaten beitreten könnten.261 Weiterentwickelt wurde der Kerneuropa-Ansatz durch das Modell der konzentrischen Kreise, das insb. die außergemeinschaftliche Integrationsordnung, die Peripherie, stärker ausdifferenziert: Nur im Kern nehmen alle Beteiligten an allen Politiken teil; in den konzentrischen Kreisen um diesen Kern herum nimmt die Beteiligung an den Politiken ab, je mehr sich der Kreis vom Kern entfernt.262 Als Ziel dieses Modells wird die rasche Realisierung einer gesamteuropäischen Integrationsordnung angegeben; Kritiker vermuten dahinter aber eine höfliche Abhaltestrategie.263 In der Tat legen Neuauflagen und Abwandlungen des Europas der konzentrischen Kreise diese Vermutung nahe. Die von Lippert vorgeschlagene „Gesamteuropäische Aufgabenföderation“, eine institutionalisierte und langfristige Zusammenarbeit zwischen der EU und ihren assoziierten post-sowjetischen Nachbarn, ist als dauerhafte Alternative zum Beitritt gedacht und gerade nicht als Stufenplan in Richtung Beitritt.264 Der damalige deutsche Außenminister Joschka Fischer ging noch weiter und schlug in der Humboldt-Rede im Jahre 2000 gar die Gründung einer Parallelorganisation mit eigenem rechtlichen und institutionellen Unterbau vor, die die bestehende EU ersetzen könnte.265 Auch Politikwissenschaftler gehen zwar von der Beibehaltung der EU als europäisches Zentrum aus, betonen aber die Bedeutung anderer europäischer Organisationen für die Stärkung der äußeren Ringe und damit für die Minderung des Gegensatzes zwischen EU-Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern.266 Diese Vorschläge stehen schon auf der Schwelle zum dritten Modell dieser Kategorie, dem Europa der variablen Geometrie. Danach arbeiten die Mitgliedstaa260 Dargestellt z. B. bei Langner, S. 28 f. und Janning, 1994, S. 527 (532 f.); Varwick, S. 69 (69, 76 f.) hält eine erhöhte Flexibilität bis hin zu einem Kerneuropa für wahrscheinlich. 261 Siehe dazu mit Nachweisen und kritischen Bemerkungen Göler / Jopp, S. 91 (103). 262 Dargestellt z. B. bei Langner, S. 28 f. und Janning, 1994, S. 527 (532 f.); Baldwin, insb. S. xix-xxiii, 206 ff. schlug im Vorfeld der Osterweiterung ein Übergangsmodell mit drei konzentrischen Kreisen für die MOEL vor; ähnlich Wijkman, S. 83 (87 ff.); ähnlich das „multilayered Europe“, dazu Kempe / van Meurs, 2003, S. 11 (74 f.); dies., 2002, S. 16 f.; Balázs, S. 67 (76 ff.) entwickelte ein dynamisches Konzept der exzentrischen Kreise. 263 Haukkala, 2003, S. 2. 264 Lippert, Assoziierung, 2006, S. 149 (149 – 156). 265 J. Fischer, 2000 zum „bewussten politischen Neugründungsakt [ . . . ] Europas“ Rn. 55; dazu z. B. Thym, S. 34, 36 f., 359. 266 Z. B. das „Cobweb-Modell“ für die „Wider Europe Matrix“ von Emerson, Matrix, 2004.
C. Zwischenergebnis
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ten der EU in unterschiedlichen Politiken unterschiedlich eng zusammen. Die Mitgliedstaaten entscheiden gemeinsam über die Nichtteilnahme einzelner Staaten und über die Anwendung von Durchgangsbestimmungen. Allerdings gehen nicht alle Mitgliedstaaten den gleichen Weg, ein gemeinsames Ziel wird nicht festgelegt.267 „Nur der bisher erreichte Kernbestand bleibt gemeinsame Grundlage.“268 Aktuelle Vorschläge beschränken sich nicht nur auf die Flexibilisierung im Innern der EU. Der damalige französische Innenminister und heutige Staatspräsident Nicolas Sarkozy schlug die sachbezogene Zusammenarbeit der dazu fähigen und willigen Staaten vor und zwar mittels verschiedener Formen der internationalen Zusammenarbeit einzelner oder aller Mitgliedstaaten innerhalb oder außerhalb der EU.269 Auf diese Weise sollen Integrationswille und -potenzial der einzelnen Staaten voll ausgeschöpft werden.270 In die gleiche Richtung zielt der Vorschlag Kirchners: Im Rahmen eines „multioptionalen“ Verfassungsvertrags sollten sich die Mitgliedstaaten auf verschiedene Integrationsoptionen einigen. Jedem Beitrittskandidaten, aber auch jedem alten Mitgliedstaat, stehe dann frei, welche dieser Optionen er ratifiziert. So könne den verschiedenen Präferenzen der Bürger besser Rechnung getragen, das Verfassungsprojekt gerettet und der aktuelle Konflikt zwischen Erweiterung und Vertiefung gelöst werden.271 Wie beim Europa à la carte wird aber die Gefahr für den Zusammenhalt der EU kritisiert. Auch führten die hyperkomplexen Entscheidungen zu Unübersichtlichkeit.272 Bisherige Erfahrungen zeigen zudem, dass sich europäische Staaten nicht zufrieden geben mit einer Position in einem äußeren Kreis; zumal wenn die Pflichten zur Übernahme von Gemeinschaftsentscheidungen größer erscheinen als die Mitentscheidungsrechte.273
C. Zwischenergebnis Der europäische Integrationsauftrag der EU ist im Primärrecht verankert und zeichnet sich durch eine doppelte Zielbindung aus. Die EU ist nicht nur zu vertiefen, sondern auch zu erweitern. Geraten die beiden Integrationsziele in Spannung zueinander, so ist darin aus juristischer Sicht ein Vertragszielkonflikt zu sehen, der sich mit den herkömmlichen Auslegungsmethoden aber nicht lösen lässt. Die EU-Praxis zeichnete sich bislang trotz der schon immer unterschiedlichen Präferenzen der Entscheidungsträger durch eine parallele Verfolgung von Erweite267 268 269 270 271 272 273
Dargestellt z. B. bei Langner, S. 26; Wasielewski, S. 37 m. w. N. Krenzler, S. 1255 (Rn. 26). Siehe dazu mit Nachweisen und kritischen Bemerkungen Göler / Jopp, S. 91 (103 f.). Dargestellt z. B. bei Wasielewski, S. 37. Kirchner, NZZ Online vom 31. März 2007, S. 4. Varwick, S. 72. Wessels / Jantz, S. 345 (362).
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1. Kap.: Rechtliche und politische Grundlagen
rung und Vertiefung aus. Seit der Osterweiterung 2004 wird aber verstärkt über ein Ende dieser Integrationslogik nachgedacht. In der Debatte um den Beitritt der Türkei werden das vierte Kopenhagener Kriterium und insb. die Identität der EU betont. Alternativen zum Beitritt, insb. eine privilegierte Partnerschaft, wurden vereinzelt vorgeschlagen. Letztlich wird aber an der Konditionalität des Beitritts als Mechanismus zur Lösung von etwaigen Erweiterungs-Vertiefungs-Konflikten festgehalten. Bezüglich der europäischen Staaten, denen noch keine Beitrittsperspektive zugesagt wurde, wird hingegen zusätzlich die Flexibilisierung der Integration ins Feld geführt. Mit der ENP sollen die Vorteile der Erweiterungspolitik erreicht werden, ohne aber die Vertiefung der EU durch neue Mitgliedstaaten mit Sitz und Stimmrecht in den EU-Organen zu gefährden. In der Politik und ihrer Wissenschaft werden zudem noch weiter gehende Modelle eines flexiblen Gesamteuropas vorgeschlagen, teilweise mit der Finalität der EU im Blick. Die bisherige Auseinandersetzung ist weit entfernt von einer kohärenten Lösung der mit dem europäischen Integrationsauftrag der EU und seiner doppelten Zielbindung verbundenen Probleme. Manche Vorschläge erscheinen aber vor gewissen integrationspolitischen Leitbildern als stimmig. Entsprechende Leitbilder und damit verbundene theoretische Überlegungen zur Erklärung der europäischen Integration und zum Umgang mit der Erweiterungs-Vertiefungs-Dynamik sind Gegenstand des folgenden Kapitels.
2. Kapitel
Sozialwissenschaftliche und völkerrechtliche Ansätze zur Erklärung und Bewertung der europäischen Integration Die Theorien und Ansätze im Zusammenhang mit der europäischen Integration unterscheiden sich in zahlreichen Kriterien und werden deshalb auch nicht einheitlich geordnet. Filterfunktion bei der Suche nach relevanten Theorien hat vor allem der Untersuchungsgegenstand. Ein zweites Unterscheidungskriterium, das auch dieser Arbeit zugrunde liegt, ist die Disziplin. Bieling und Lerch haben zur Strukturierung der Theorienlandschaft der EU ein dreistufiges System mit weiteren Unterscheidungskriterien ausgearbeitet,1 die insbesondere die Frage nach dem Ziel der Theorien beantworten. Die bloße Vielfalt an Ansätzen aber auch die Tatsache, dass viele Theorien andere Konzepte vernachlässigen, bewegte einige Forscher zur Strukturierung der Integrationsforschung anhand der Metatheorien Rationalismus und Konstruktivismus.2 Vorteilhaft sei diese Generalisierung, weil erstens die beiden Disziplinen umspannt würden, die sich am meisten mit Institutionen beschäftigen, nämlich die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, und zweitens eine Abgeschiedenheit der EU-Integrationsstudien vermieden werde durch die Anlehnung an die Analyse von Institutionen in Internationalen Beziehungen und an ein bekanntes sozialwissenschaftliche Schema generell. Drittens ließe sich der Großteil der theoretischen Literatur zur europäischen Integration gut in dieses Schema einfügen.3 Bevor das Verhältnis dieser beiden Metatheorien zueinander geklärt wird, einige Worte zu diesen Theorien selbst. Rationalistische Ansätze gehen von einer primär zweckrationalen Handlungslogik aus. Die politischen Akteure hätten klare Präferenzen4 und verfolgten diese auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Kalkulationen.5 Rationalisten6 gehen davon aus, dass bestimmte materielle und individuelle
Bieling / Lerch, S. 9 (16 ff.). Dazu z. B. Jachtenfuchs, S. 279 ff.; Pollack, S. 13 (19 ff.); zu den Vertretern der Metatheorien bzgl. der EU-Erweiterung m. w. N. Schimmelfennig / Sedelmeier, S. 3 (10 ff.); zur EU-Osterweiterung 2004 Nugent, S. 1 (3 ff.). 3 Schimmelfennig / Sedelmeier, S. 3 (9). 4 Zum Begriff der Präferenzen und zu den Möglichkeiten und Grenzen verschiedener Präferenzenthüllungsverfahren (in Bezug auf individuelle Personen) Lackner-Frey, 2004. 5 Bieling / Lerch, S. 9 (17). 1 2
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2. Kap.: Sozialwissenschaftliche und völkerrechtliche Ansätze
Interessen und Präferenzen bestimmte Folgen bedingen. Der Kontext wird als gegeben angesehen; mit den Fragen, wie Internationale Organisationen und andere Institutionen ihre Präferenzen gewinnen, woher sie ihre Interessen kennen und wie diese transformiert werden, beschäftigt sich der Rationalismus nicht. Genau dies wurde in den 1990er von den Konstruktivisten kritisiert.7 Diese verweisen auf die soziale Einbettung politischer Entscheidungen und auf die regelorientierte Handlungsweise: Diskurse und Institutionen vermittelten Leitbilder, Ideen, Normen und Identitäten; diese wiederum beeinflussten die Interessen und Handlungsweisen von Akteuren und böten folglich auch wichtige Ansatzpunkte für politische Einflussnahme.8 Präferenz und Ergebnis stünden nicht in einer einseitigen, sondern in einer wechselseitigen Beziehung zueinander.9 Konstruktivisten gehen von einem angemessenen, statt von einem konsequenten Verhalten aus, und erklären Entscheidungen mit deren Pfadabhängigkeit (z. B. aufgrund gegebener Versprechen) statt mit Nutzenmaximierung.10 Insbesondere die Osterweiterung von EU und NATO ließe sich aus konstruktivistischer Perspektive begründen.11 Die Gegenüberstellung der Metatheorien wurde bald kritisiert, scheitern doch beide Theorien für sich genommen an der Wirklichkeit und haben damit nur einen beschränkten Erklärungs- und Vorhersagewert.12 Von moderaten Vertretern der Metatheorien werden diese daher verstanden als teilweise konkurrierende und teilweise komplementäre Quellen für die Theorienbildung.13 Diese vermittelnden Ansichten stehen den Vertretern eines Theorienpluralismus nahe, die die Theorienlandschaft als „ein nie fertiges Mosaik“ betrachten, in dem keine Theorie beansprucht, „die europäische Integration und Politik insgesamt zu erfassen“, ohne 6 Ganz unterschiedliche Theorien werden als rationalistisch klassifiziert, vgl. z. B. Gehring, S. 77 (77 f.); Kaiser / Elvert, S. 1 (6); Lippert, 2004, S. 13 (16 f.); Schimmelfennig, 2005, S. 142; Schimmelfennig / Sedelmeier, S. 3 (10 ff.). 7 Bieling / Lerch, S. 9 (29); Fierke / Wiener, S. 99 (101); Kaiser / Elvert, S. 1 (6); übersichtlich zu Konstruktivismus und EU Risse, S. 171 ff. und Schwellnus, S. 321 ff. 8 Bieling / Lerch, S. 9 (17 f.). 9 Jeweils m. w. N. Fierke / Wiener, S. 99 (102 f., 114 f.); Pollack, S. 13 (22 f.); Schimmelfennig / Sedelmeier, S. 3 (10); der radikale Konstruktivismus lehnt jegliche kausale Beziehung ab, vgl. dazu z. B. Jachtenfuchs, S. 279 (281 f.). 10 M. w. N. Kaiser / Elvert, S. 1 (6); Pollack, S. 13 (20 – 23); Schimmelfennig / Sedelmeier, S. 3 (10); Sedelmeier, 2005, S. 120 ff. (insb. S. 121 f., 125). 11 Dazu Fierke / Wiener, S. 99 (100, 104 ff.); Miles, S. 253 (263); Schimmelfennig, 2005, S. 172 (173); Sedelmeier, 2003; vgl. allgemein zum werte- bzw. prinzipienbasierten Verhalten der EU in ihrer Außenpolitik die Aufsätze in Lucarelli / Manners, 2006. 12 Z. B. Kaiser / Elvert, S. 1 (7); Miles, S. 253 (253 f., 263 f.); Nugent, S. 1 (8 f.); Skålnes, S. 213; kritisiert wird auch, dass die Metatheorien nur auf Vermutungen beruhen, dazu differenziert m. w. N. Pollack, S. 13 (23 f.). 13 M. w. N. Bieling / Lerch, S. 9 (29); Jachtenfuchs, S. 279 (280 ff.); Pollack, S. 13 (24 f.); Schimmelfennig / Sedelmeier, S. 3 (10, 17); Sedelmeier, 2005, S. 120 (125 ff., 136 f.); vgl. z. B. den Vermittlungsversuch bei Schimmelfennig, 2005, S. 142 ff.: Einführung des RhetoricalAction-Ansatzes, der den Umschwung vom interessenbasierten Verhalten der EU und ihrer Mitgliedstaaten zu einem normbasierten Verhalten im Vorfeld der Osterweiterung erklärt.
A. Übertragung der traditionellen Integrationstheorien auf die EU
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dabei die Nützlichkeit theoretischer Ansätze grundsätzlich in Frage zu stellen.14 Im Sinne dieser Auffassung werden, wo dies hilfreich (insb. weil üblich) ist, die im Folgenden dargestellten Ansätze dem Rationalismus oder dem Konstruktivismus zugeordnet, ohne aber damit bereits ein Konkurrenzverhältnis zu statuieren. Wenig relevant ist der Hauptkonflikt der Integrationsforschung zwischen Intergouvernementalismus und (Neo-)Funktionalismus,15 denn er bezieht sich einseitig auf die Vertiefung der EU.16 Mehr und mehr werden die Unzulänglichkeiten dieser Ansätze herausgestellt: Die traditionellen Integrationstheorien vernachlässigen die Erweiterung der EU und damit auch die Spannungen zwischen Erweiterung und Vertiefung;17 auch die Flexibilität18 und der Mehrebenencharakter der EU19 bleiben ungeklärt. Ausgehend von dieser Kritik entwickelten daher einige Wissenschaftler die herkömmlichen Theorien weiter oder schufen neue Ansätze. Sie wollen und können die „neue“ Zurückhaltung der EU gegenüber weiteren Erweiterungsschritten erklären, sei es mit ökonomischen Kosten-Nutzen-Argumenten oder mit der tatsächlichen Unmöglichkeit von Reformen im Inneren aufgrund der Politikverflechtung in der EU. Im gleichen Atemzug werden Gründe dafür gesucht, dass es zur Osterweiterung kam, obwohl die EU bereits 2004 nicht hinreichend konsolidiert war und ihr zudem überwiegend schwache Beitrittskandidaten gegenüberstanden. Auch mit dem Stand und der Zukunft der Konstitutionalisierung der EU setzen sich einige neue Ansätze auseinander. Den völkerrechtlichen Ansätzen schließlich geht es um die Ermittlung von Rechtsbindungen bei Beitrittsentscheidungen ausgehend von der Analyse des Aufgabenkreises und der Offenheit der jeweiligen Internationalen Organisation.
A. Die Übertragung der Aussagen der traditionellen Integrationstheorien auf die Erweiterung der EU Lippert hat die Erklärung der (Ost-)Erweiterung der EU zum Ziel und greift sich aus der Integrationsforschung „drei Standardansätze heraus, den liberalen Intergouvernementalismus, den Neo-Funktionalismus und den sozialen KonstrukSo Bieling / Lerch, S. 9 (21) m. w. N. Statt vieler Genschel, 2003, S. 25 m. w. N.; zu diesem Hauptkonflikt z. B. Rittberger / Schimmelfennig, S. 19 ff.; umfassende Aufsatzsammlungen zu den Integrationstheorien liefern Bieling / Lerch, 2005; Holzinger u. a., 2005 und Wiener / Diez (Hrsg.), 2004. 16 Vgl. z. B. Genschel, 2003, S. 25 (26); Plümper, S. 9 (11, 24). 17 Z. B. Bieler, 2005, S. 75 (insb. S. 76); Gstöhl, 2001, S. 35; Faber, S. 103 (104 ff.); Lippert, 2004, S. 13 (15); Miles, S. 253 (253, 264); Schimmelfennig / Sedelmeier, S. 3 (4); allgemein zur Vernachlässigung von Externalitäten Genschel, 2003, S. 25 (25 f.); ders., 2000, S. 191 (199, 205); zum Begriff der Externalitäten Kölliker, S. 53 (59). 18 Bieler, 2005, S. 75 (insb. S. 76). 19 Scharpf, 1994, S. 40 ff.; Thalmaier, Kapitel 2, S. 385 – 390, 426. 14 15
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2. Kap.: Sozialwissenschaftliche und völkerrechtliche Ansätze
tivismus und ergänzt diese um die neorealistische Theorie der Internationalen Beziehungen“. Aus den jeweiligen Prämissen, die sich ursprünglich nur auf die Vertiefung bezogen, und der generellen Handlungslogik leitet sie Aussagen über die Erweiterungslogik ab. Die Theorien sieht sie nicht als konkurrierend an. Vielmehr beleuchteten diese „jeweils unterschiedliche Ausschnitte des komplexen Erweiterungsgeschehens und seiner integrations- und außenpolitischen Kontextuierung“.20 Dem Neo-Realismus lassen sich Aussagen zur außenpolitischen Dimension der Erweiterung entnehmen. Er erklärt das macht- und sicherheitspolitische Kalkül der EU und damit insb. ihre außenpolitische Aufgabe nach 1989. Neo-Realisten gehen von einer anarchischen Staatenwelt aus, in der Sicherheit durch Gleichgewichtssysteme hergestellt wird. Die EU wird lediglich als Instrument nationalstaatlicher Politik angesehen. Aufbauend auf diesen Prämissen erklärt sich auch die Handlungslogik der Staaten: Sie streben nach Sicherheit und Machterhaltung. Dies suchen sie zu erreichen durch Bündnisbildung und „Balancing“, also durch Stärkung des Gewichts der EU. Die „High Politics“ bewahren sich die Mitgliedstaaten als Domäne. Auch die Erweiterungspolitik ist nach dieser Ansicht nur eine der Sicherheit dienende Bündnispolitik. Aktuell galt es, mit ihrer Hilfe das Vakuum „Zwischeneuropa“ auszufüllen. Auch diente sie dem Balancing gegenüber Russland und den USA. Die Erweiterungslogik richtet sich nach der Machtverteilung unter den Mitgliedstaaten. Die Osterweiterung wurde von Deutschland und Frankreich durchgesetzt. Zentrale Akteure in der EU sind nach Ansicht der Neo-Realisten die Mitgliedstaaten und der Europäische Rat. Der Europäische Rat legt die Leitlinien fest und trifft Grundsatzentscheidungen. Die Mitgliedstaaten sind als Ratsvertreter letzte Instanz bei den Beitrittsverhandlungen. Jeder von ihnen kann mit seinem Vetorecht die Erweiterung verhindern. Kritik erfährt der Neo-Realismus, weil er EU-interne Konfliktlagen ausblendet, auch solche, die sich bei konkreten Beitrittsverhandlungen äußerten. Auch die wirtschaftlichen Aspekte der Beitrittsreife der Kandidatenländer und der Erweiterungsreife der EU werden vernachlässigt.21 Der (liberale) Intergouvernementalismus geht von folgenden Prämissen aus: Das internationale System ist durch eine komplexe Interdependenz gekennzeichnet und Regierungen formulieren nationale Interessen aufgrund dominanter intergesellschaftlicher Präferenzen. Die EU dient lediglich als Verhandlungsforum und Manager der Interdependenzen internationaler Beziehungen. Als zentrale Akteure werden die Mitgliedstaaten, der Europäische Rat und der Rat angesehen. Diese handeln rational zur Maximierung von ökonomischen Eigeninteressen. Durch „Bargaining“ werden divergierende Interessen zum Ausgleich gebracht. „High Politics“ bleiben eine Domäne der Mitgliedstaaten. Die Erweiterungslogik dient dem besseren Management neuer Interdependenzen. Erweitert wird, weil und wenn 20 21
Lippert, 2004, S. 13 (15); ähnlich Miles, S. 253 (255 – 258). Zu alldem Lippert, 2004, S. 13 (16, 18).
A. Übertragung der traditionellen Integrationstheorien auf die EU
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der Nutzen (insbesondere negative Integration, Deregulierung) die Kosten (positive Integration, z. B. Verteilungspolitik) überwiegt. Die dabei bestehenden Präferenzen der Mitgliedstaaten entsprechen den vorherrschenden, meist wirtschaftlichen Präferenzen der gesellschaftlichen Akteure. Intergouvernementalisten erklären den Verhandlungsprozess und damit auch, weshalb es oft zu Kompromissen, Übergangsregelungen und unstrategischem Vorgehen kommt.22 Kritisiert wird diese Ansicht, weil sie nicht die Zustimmung solcher Mitgliedstaaten zur Erweiterung erklären kann, die materiell kaum oder gar nicht von dieser profitieren.23 Der (Neo-)Funktionalismus sieht im Gemeinschaftsinteresse mehr als die Summe der nationalen Interessen und erklärt mit dem Spill-over-Effekt vor allem die Dynamik der europäischen Integration. Als zentrale Akteure in der EU werden die Kommission und die Eliten angesehen. Dieser Ansicht zufolge machen gemeinsame transnationale Probleme die Zusammenarbeit zwischen hochgradig verflochtenen Wohlfahrtsstaaten rational. Die Mitgliedstaaten haben ein Eigeninteresse an der gemeinsamen Problemverarbeitung und übertragen daher Loyalitäten, Handlungen und Erwartungen auf die internationale Ebene. Die EU ist dabei zugleich Akteur und Ebene gemeinsamer Problemverarbeitung. Auch die Erweiterungslogik lässt sich von diesem Standpunkt aus als Mittel der transnationalen Problemlösung verstehen, welches der Wohlstandsmaximierung und der Friedenssicherung dient. Je größer und erfolgreicher die EU ist, desto höher ist auch ihre Anziehungskraft auf Nachbarstaaten; Lippert spricht vom geographischen Spillover. Die (Neo-)Funktionalisten müssten konsequent ein Stufenmodell von der Assoziierung zur Mitgliedschaft befürworten. Sie registrieren aber auch die Verteidigung des Acquis als Verhalten der Akteure. Diese Ansicht erklärt folglich die Offenheit des Integrationsprozesses und die Erweiterung als Langzeittrend im Spannungsverhältnis zur Vertiefung. Sie ist damit maßgeblich für die herkömmliche Erweiterungspolitik, in der die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten die Regel und die Ablehnung des Beitritts die Ausnahme war.24 Der Konstruktivismus geht, wie bereits erwähnt, davon aus, dass die soziale Wirklichkeit auf Werten und Ideen konstruiert ist. Dementsprechend erscheint die EU als Repräsentant kollektiver europäischer Identität. Die Handlungslogik ist normgeleitet. Grundüberzeugungen und Argumentation bestimmen die Präferenzen der Akteure. Die Erweiterung wird als Ausdehnung der Wertegemeinschaft verstanden; maßgeblich sind demnach gemeinsame Werte, Identitäten und Normen. Die Akteure stehen unter einem Legitimationsdruck. Das kommunikative Handeln verändert gar die Strukturen für das Bargaining über materielle und verteilungspolitische Präferenzen. Auch dieser Ansatz erklärt die Dynamik des Erweiterungsprozesses und das bisher inklusive Vorgehen, auch wenn dies nicht den 22 Insbesondere die suboptimalen Ergebnisse der EU-internen Verhandlungen in Berlin und Nizza bezüglich der Agenda 2000. 23 Zu alldem Lippert, 2004, S. 13 (16, 18 f.). 24 Zu alldem Lippert, 2004, S. 13 (16, 19).
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2. Kap.: Sozialwissenschaftliche und völkerrechtliche Ansätze
materiellen Interessen einiger Beteiligter entsprach. Die Osterweiterung erscheint in diesem Lichte als „Teil einer kollektiven ,Selbstverwirklichung‘ und Selbstvergewisserung der Europäischen Union als Wertegemeinschaft“. Diesem Ansatz wird häufig entgegengehalten, dass Akteure nur rhetorisch handeln, also moralische und ideelle Argumente zur Verfolgung materieller Ziele einsetzen. Dem entgegnen die Konstruktivisten, dass wertbezogene Argumente nicht zwingend bloße Camouflage sind.25 Jedenfalls aber müssen auch Grundorientierungen mit konkreten Verhalten in Verhandlungssituationen konfrontiert werden.26
B. Die Klubtheorie – Die Bedeutung von Kosten-Nutzen-Analysen Die von Buchanan entwickelte Klubtheorie27 ist ursprünglich eine Variation der Theorie der kollektiven Güter.28 Ein Klub ist ein freiwilliger Zusammenschluss, der öffentliche Güter nur seinen Mitgliedern anbietet und dann die optimale Größe hat, wenn der Grenznutzen durch die Aufnahme eines zusätzlichen Mitglieds gerade den dadurch entstehenden Grenzkosten entspricht.29 Das Klubgut ist an die Mitgliedschaft, insbesondere an die Beitragszahlung, gekoppelt. Bezüglich des Klubgutes ist ein Ausschluss anderer von der Nutzung leicht möglich. Die Konsumrivalität zwischen den Mitgliedern ist gering bzw. neutral, beginnt aber, sobald die Anzahl der Mitglieder eine bestimmte Schwelle erreicht.30 Zentrales Problem der Klubtheorie ist folglich die Mitgliederzahl. Laut Klubtheorie müssen und können Klubs ihre Mitgliedschaft beschränken, um eine effiziente Produktion und Nutzung des Klubguts zu gewährleisten. Die Aufnahme neuer Mitglieder hängt also ab von den Kosten-Nutzen-Kalkülen der Mitglieder und Kandidaten.31 25 Dazu Schimmelfennig, 2005, S. 142 ff. („community trap“); ders., Liberal Intergovernmentalism, 2004, S. 75 (90 ff.). 26 Zu alldem Lippert, 2004, S. 13 (16, 19 f.). 27 Buchanan, S. 1 – 14; zu Vorläufern der Klubtheorie Sandler / Tschirhart, S. 1481 f. und Batina / Ihori, S. 299. 28 Schimmelfennig, 2003, S. 171; laut Sandler / Tschirhart, S. 1481 (1482) eignet sich diese Theorie für die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Wohlstandsökonomik, öffentlicher Finanzierung und Spieltheorie; zur staatstheoretischen und staatswissenschaftlichen Einordnung der Theorie öffentlicher Güter vgl. H. Becker, 2002; aktuell zur Theorie der öffentlichen Güter Batina / Ihori, 2005; nur ähnlich ist der Ansatz von Tichy, S. 11 ff., der die Integrationstheorie mit der modernen Außenhandels- und Wachstumstheorie kombiniert, um damit die EU-Osterweiterung zu analysieren. 29 Zimmermann / Schemm-Gregory, S. 3; ähnlich Große Hüttmann, S. 4; Mueller, S. 41 (42) m. w. N.; erste einheitliche Definition bei Sandler / Tschirhart, S. 1481 (1482); ausführliche Definition des Buchanan-Klubs z. B. bei Schimmelfennig, 2003, S. 171 (173 f.). 30 Definition und Abgrenzung zu anderen Gütergruppen z. B. bei Batina / Ihori, S. 299 ff.; H. Becker, S. 72 ff.; Buchanan, S. 1 (1 f.); Große Hüttmann, S. 4; Kölliker, S. 53 (55, 59 ff.); Mueller, S. 41 (42); Sell / Willmann, S. 5. 31 Buchanan, S. 1 (2); Schimmelfennig, 2003, S. 171, 173; Sell / Willmann, S. 5.
B. Klubtheorie – Bedeutung von Kosten-Nutzen-Analysen
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Der klubtheoretische Ansatz wurde weiterentwickelt und liefert heute als rationalistische Theorie der Internationalen Beziehungen Aussagen zur Rolle und insb. zur Erweiterung von Internationalen Organisationen.32 Internationale Organisationen seien freiwillige Zusammenschlüsse in dem Sinne, dass Staaten nur beitreten oder nicht austreten, wenn die sich aus der Mitgliedschaft ergebenden (Grenz-) Nutzen die (Grenz-)Kosten überwiegen. Die Internationale Organisation selbst weite nur dann ihre Institutionen aus, wenn der Nutzen für die Mitgliedstaaten und für die Beitrittskandidaten deren Kosten überwiegt.33 Berücksichtigt werden in den heute umfassenden Ansätzen nicht nur die Verdrängungskosten hinsichtlich der von der Internationalen Organisation produzierten bzw. bereitgestellten öffentlichen Güter, sondern auch Entscheidungs- und Transaktionskosten, die Kosten erhöhter Heterogenität (der Präferenzen), Autonomie- und Machtkosten, die Bereitstellung multipler, also mehrerer und unterschiedlicher Güter, Diskriminierung und strategisches Handeln sowie Formen gradueller Mitgliedschaft.34 Meist lautet das Ergebnis bei der Berücksichtigung aller Kostenfaktoren: „Small is beautiful!“, d. h. je kleiner die Mitgliederzahl, desto besser.35 Die EU erbringt in den Kernbereichen Sicherheit und Wohlfahrt sehr umfangreiche Leistungen für ihre Mitglieder. Ihrem Selbstverständnis nach beruht die EU auf dem „Prinzip selektiver Mitgliedschaft“; potentielle Erweiterungsgewinne und -verluste sind für sie tatsächlich sehr bedeutend.36 Von vielen Autoren wird die EU daher als Klub bezeichnet.37 EU-Klubgüter seien z. B. die ökonomische Sicherheit, die gemeinsame Wohlstandsmehrung, der freie Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, die Reise- und Niederlassungsfreiheit für alle EU-Bürger in allen EU-Staaten, die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten und die finanzielle Unterstützung für ökonomisch schwache Regionen.38 Die Besonderheit der EU sei, dass sie nicht nur eine Wirtschafts-, son32 Schimmelfennig / Sedelmeier, S. 3 (11, 13); umfassender (auch bezogen auf Föderationen und Konföderationen) Mueller, S. 41 ff. und Lane / Mæland, S. 121 (124). 33 Große Hüttmann, S. 4 f.; Plümper, S. 9 (16 f.); Sandler / Tschirhart, S. 1481 (1491); Schimmelfennig, 2005, S. 172 (174): „material interest hypothesis“; ders., ZSE 2004, S. 465 (467); Schimmelfennig / Sedelmeier, S. 3 (11, 13 f.). 34 Vgl. zu weiterentwickelten Klubtheorien Batina / Ihori, S. 300 ff.; Sandler / Tschirhart, S. 1481 (1487 ff.) m. w. N.; Schimmelfennig, 2003, S. 171 (174 f.); ähnlich Plümper, S. 9 (17, 19, 23 ff.); Schmidt-Trenz / Schmidtchen, S. 58 (58 f.): Weiterentwicklung der Klubtheorie zur „theory of optimal legal areas“; vgl. dazu auch Schmidtchen / Neunzig, S. 295 ff.; insb. zur Erklärung der Flexibilität auch Sell / Willmann, S. 8 Fn. 5. 35 Schimmelfennig, 2003, S. 171 (176). 36 Große Hüttmann, S. 4 ff.; Schimmelfennig, 2003, S. 171; Zimmermann / Schemm-Gregory, S. 1; klubtheoretische Untersuchung der europäischen Integration bei Schäfer, 1994. 37 Z. B. Baldwin, S. 203; Genschel, 2000, S. 191 (199, 205); Große Hüttmann, S. 4 (4, 7); Lane / Mæland, S. 121 (123 ff., 136); G. Schneider, S. 183 (190); H. Wallace, 2005, S. 287 (289). 38 Große Hüttmann, S. 4 (5); Mueller, S. 41; Sell / Willmann untersuchen, ob die europäische Währungsunion eine Ausgestaltung eines ökonomischen Klubs ist.
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2. Kap.: Sozialwissenschaftliche und völkerrechtliche Ansätze
dern auch eine Rechts- und Solidaritätsgemeinschaft sei.39 Da sie nicht nur Klubgüter anbietet, fällt auch das Urteil über ihre Mitgliederzahl differenziert aus: Die EU sei zu klein, um einige öffentliche Güter optimal zur Verfügung zu stellen, und zu groß für andere.40 Die Kopenhagener Kriterien sorgen aus klubtheoretischer Sicht (nur) dafür, „dass neue Clubmitglieder nicht ein völlig neues Spiel, mit komplett anderen Regeln und Zielen durchsetzen können.“41 Die Osterweiterung der EU führte aus klubtheoretischer Sicht zu besonders hohen Kosten angesichts der großen Zahl der Beitrittskandidaten und deren geringen Entwicklungsgrad. Daher war nur eine diskriminierende Aufnahme möglich, d. h. die neuen Mitgliedstaaten mussten für eine Übergangszeit auf Agrarsubventionen, Strukturfonds und Arbeitnehmerfreizügigkeit verzichten. Dies sei moralisch und politisch zwar zweifelhaft, aber notwendig gewesen, um die einstimmige Zustimmung für die Osterweiterung zu erreichen.42 Für die Zeit nach dem Beitritt sagen einige Klubtheoretiker gravierende Probleme voraus.43 Gefordert wird eine stärkere Flexibilisierung der europäischen Integration, die der Verschiedenartigkeit der angebotenen Güter Rechnung trägt.44 Positiv bewertet die Klubtheorie auch das im VVE ausdrücklich vorgesehene Recht auf Austritt aus der EU. Denn Sezession und Opting-Out verhinderten eine Verstärkung der ineffizienten Zentralisierung und der Umverteilungsmechanismen. Zudem könne mit ihrer Hilfe die optimale Größe der EU endogen besser bestimmt, sowie die Effizienz der EU-Institutionen erhöht werden.45 Der Vorteil der Klubtheorie zur Erklärung von Erweiterungen liegt darin, dass die Folgen für die Mitglieder und die Nicht-Mitglieder einschließlich der beidseitigen Externalitäten in einem einheitlichen theoretischen Rahmen betrachtet werden können.46 Allerdings gelten heutige Klubtheorien als zu komplex für die empirische Anwendung; Buchanans ursprünglicher Ansatz hingegen war „unvollständig und unterspezifiziert“.47 Zudem vernachlässigt die Klubtheorie trotz ihrer Komplexität noch immer für die Erweiterungsentscheidung von Internationalen Organisationen maßgebliche Aspekte (z. B. Verhandlungsmacht und formelle Entscheidungsregeln)48 und kann insbesondere nicht die EU-Osterweiterung erklären, ohne 39 Große Hüttmann, S. 4; ähnlich Kölliker, S. 53 (60 ff.): unterschiedliche Politikbereiche lassen sich unterschiedlichen Gütertypen zuordnen. 40 Mueller, S. 41 (46). 41 Große Hüttmann, S. 8. 42 Mattli / Plümper, S. 52 (54, 56); Mueller, S. 41 (47 f.); Plümper, S. 9 (19); Schimmelfennig, ZSE 2004, S. 465 (467 ff.); Schmidt-Trenz / Schmidtchen, S. 58 (66 ff.). 43 Schimmelfennig, ZSE 2004, S. 465 (467 ff.). 44 Schäfer, 1994, S. 5 ff.: „overlapping integration areas“; Bewertung der differenzierten Integration aus Sicht der Gütertheorie auch bei Kölliker, S. 53 ff. 45 Dazu m. w. N. Schäfer, 2004, S. 69 ff. 46 Plümper, S. 9 (14, 16). 47 Schimmelfennig, 2003, S. 171 (172 f., 175 f.).
C. Gemeinschaftstheorie – Bedeutung von Werten, Normen, Identität
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ad hoc konturlose politische Faktoren wie die Einigung Europas oder die historische Bedeutung einzuführen49. Nur erwähnt sei an dieser Stelle ein Konzept der Konstitutionenökonomik, das ebenfalls mit Kosten-Nutzen-Erwägungen etwaige Spannungen zwischen Erweiterung und Vertiefung lösen möchte, dabei aber stärker auf die Präferenzen der Bürger abstellt.50 Danach regelt jede Verfassung ein „Principal-Agent“-Verhältnis. Die Bürger als Geschäftsherren bzw. Principals einigten sich in der Verfassung auf Regeln über die Delegation von Entscheidungsbefugnissen und Kontrollmechanismen, die die Übereinstimmung der Entscheidungen der politischen Mandatsträger, der Agents, mit ihren Präferenzen sicherstellen. Auch die europäische Verfassung diene dazu, die Präferenzen der Bürger widerzuspiegeln. Bei der Ausgestaltung der Verfassung müssten neben den Präferenzen als Nutzen auch Präferenz- und Agenturkosten berücksichtigt werden. Präferenzkosten ergeben sich, wenn die Verfassung die Interessen der Bürger nicht widerspiegelt. Agenturkosten ergeben sich durch die Kontrolle der politischen Entscheidungsträger durch den Bürger. Da mit jeder Erweiterung die Interessenvielfalt unter den Bürgern zunimmt, sei aber auch die Kosten-Nutzen-Abwägung nicht für alle Bürger dieselbe; es gebe „kein objektives Konzept der Integrationsvorteile“. Folglich müssten in einer heterogenen EU auch verschiedene Integrationsoptionen in der („multioptionalen“) Verfassung verankert werden. Jedem Staat stehe es dann frei, entsprechend der Präferenzen seiner Bürger die gewünschte Option zu ratifizieren. Dies erleichtere nicht nur den Beitritt neuer Staaten, sondern könnte auch das derzeit unsichere Verfassungsprojekt an sich retten.
C. Die Gemeinschaftstheorie – Die Bedeutung von Werten, Normen und Identität Die Kritik an der Klubtheorie und ähnlichen an Kosten-Nutzen-Erwägungen ausgerichteten Konzepten ist der Ausgangspunkt für die Gemeinschaftstheorie, die Schimmelfennig anlässlich der EU-Osterweiterung entwickelte.51 Danach basieren Gemeinschaftsorganisationen auf einem kulturellen Fundament, dem sog. Gemeinschaftsethos. Dieser setze sich zusammen aus einer gemeinsamen Wir-Identität, Schimmelfennig / Sedelmeier, S. 3 (14); G. Schneider, S. 183 (190). Fierke / Wiener, S. 99 f.; Schimmelfennig, 2003, S. 171 (172, 177 ff., 193); Schimmelfennig / Sedelmeier, S. 3 (21 f.); Sedelmeier, 2005, S. 120 (insb. S. 130 ff.) mit Verweis auf ein Dokument der Kommission; allgemein zu rein rationalistischen Ansätzen Schimmelfennig, 2005, S. 142 ff.; relativierend Moravcsik / Vachudova, S. 198 (204 f.). 50 Kirchner, NZZ Online vom 31. März 2007, die folgende Darstellung ist stark an seine Ausführungen angelehnt. 51 Schimmelfennig, 2003, S. 171 (172); Schimmelfennig, 2005, S. 172 bezeichnet diesen Ansatz als „liberal community hypothesis“. 48 49
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2. Kap.: Sozialwissenschaftliche und völkerrechtliche Ansätze
gemeinsamen Normen und Werten. In Internationalen Organisationen sei dieser Gemeinschaftsethos institutionalisiert; erst dies sichere seinen sozialen Einfluss.52 Folglich strebten Staaten die Mitgliedschaft an, wenn sie sich mit der Organisation identifizieren. Organisationen erweitern sich nicht als Ergebnis einer nüchternen Kosten-Nutzen-Bilanz für die Produktion und Nutzung der Klubgüter, sondern richten sich bei der Aufnahme neuer Mitglieder danach, ob diese den Gemeinschaftsethos teilen. Dies gelte, selbst wenn der Beitritt Nettokosten verursacht, sei es für das Beitrittsland oder für die Altmitglieder.53 Die Gemeinschaftstheorie ist nur ansatzweise konstruktivistisch.54 Wie der konstruktivistische Institutionalismus geht sie von kulturell geprägten Gemeinschaften und kulturellen Wirkungen auf das Handeln von Staaten aus. Anders als der Konstruktivismus nimmt sie aber nicht an, dass „die Gemeinschaftskultur ihre Wirkungen über die individuelle Internalisierung der Werte und Normen und entsprechend einer Handlungslogik der Angemessenheit entfaltet“. Sie berücksichtigt vielmehr die tatsächlich divergierenden und materiell geprägten Präferenzen der Mitgliedstaaten, die lediglich durch die Gemeinschaft beeinflusst werden.55 Die Gemeinschaftstheorie fordert demnach keine Abkehr von der rationalistischen Analyse regionaler Organisationen, sondern führt diese mit der konstruktivistischen Analyse zusammen: Eine größere Verhandlungsmacht hätten diejenigen Akteure, deren Präferenzen mit dem Gemeinschaftsethos übereinstimmen. Dieser Einfluss der Gemeinschaftsumwelt ist unabhängig von einer zentralisierten Zwangsgewalt, ebenso wenig kommt es auf eine individuelle Überzeugung oder einen echten kollektiven Konsens an.56 Die EU sei wie die NATO eine „europäische, regionale Organisation der westlichen Gemeinschaft“ und zeichne sich durch eine liberale politische Kultur aus. Das Fundament dieser Kultur bildeten liberale Menschenrechte, gesellschaftlicher Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit, demokratische politische Teilhabe und Repräsentation, Privateigentum und Marktwirtschaft. Insbesondere in Art. 6 Abs. 1 EU, auf den auch Art. 49 Abs. 1 EU verweist, sei diese westliche Identität verankert.57 Bei den bisherigen Erweiterungen der EU war aus empirischer Sicht insb. die Verwirklichung der Demokratie im Kandidatenland relevant.58 Auch EU- und NATOSchimmelfennig, 2003, S. 171 (172, 183, 194). Schimmelfennig, 2005, S. 172; ders., 2003, S. 171 (183). 54 Allgemein zu den auf die EU-Erweiterung bezogenen Aussagen von Rationalismus und Konstruktivismus z. B. Schimmelfennig / Sedelmeier, S. 3 (10 ff.). 55 Schimmelfennig, 2003, S. 171 (187 f., 194). 56 Schimmelfennig, 2003, S. 172, 187 ff., 194 f.; zum strategischen Einsatz normbasierter Argumente Schimmelfennig, 2005, S. 142 (142 f., 154 ff.); Walker, 2003, S. 365 (378). 57 Schimmelfennig, 2003, S. 171 (183 ff.) m. w. N.; sehr ähnlich Schimmelfennig, 2005, S. 172 (173, 195); ohne Bezugnahme auf die Gemeinschaftstheorie betont Sedelmeier, 2005, S. 120 ff. die Bedeutung der kollektiven Identität der EU für Erweiterungsentscheidungen. 58 Schimmelfennig, 2005, S. 172 (181 ff., 195); ders., 2003, S. 171 (185 f.). 52 53
D. Mehrebenenansatz – Bedeutung von Institutionen
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Osterweiterung könnten mit der Gemeinschaftstheorie erklärt werden, insbesondere das zentrale Zusammenspiel von Kosten-Nutzen-Erwägungen und Verhandlungsmacht mit Normen und Regeln der EU.59 Selbst diese Ansicht sieht also die Bindung an Normen nur als eine Tatsache unter mehreren an. Sie beantwortet auch nicht die Frage, ob diese Bindung eine Rechtspflicht ist und welche Konsequenzen aus einer Vernachlässigung des Primärrechts folgen würden.
D. Der Mehrebenenansatz – Die Bedeutung von Institutionen Der Mehrebenenansatz steht neben der Konkurrenz zwischen Klub- und Gemeinschaftstheorie. Dass hier von einem Ansatz gesprochen wird, kann und soll nicht verbergen, dass sich dahinter eine Vielzahl von Konzepten zur Erklärung ganz verschiedener Phänomene des Mehrebenensystems EU verbirgt, die überdies noch in den Kinderschuhen stecken. Eine systematische Einordnung ist daher schwierig; meist wird der Mehrebenenansatz als eine neue Integrationstheorie verstanden.60 Als Multilevel-Governance-Ansatz beschäftigt er sich aber nicht mehr mit den Ursachen und Zielen der europäischen Integration, sondern mit deren Wirkungen. Im Mittelpunkt steht die Konzeptionalisierung der Institutionen und Verfahren des Regierens auf europäischer Ebene.61 Dabei wird das EU-Mehrebenensystem institutionell verstanden, zunehmend aber auch funktionell. Aus institutioneller Sicht handeln die EU-Mitgliedstaaten auf mehreren territorialen Ebenen, die jedenfalls durch Institutionalisierung auf Dauer gestellt und voneinander abgegrenzt sind; unterschieden werden die EU, die Nationalstaaten und ggf. die Bundesländer bzw. Regionen.62 Funktionell gesehen treten auf horizontaler Ebene voneinander unabhängige politische Akteure und Politikarenen hinzu.63 Die EU wird im Ergebnis charakterisiert „als ein hochkomplexes, integriertes Verhand59 Schimmelfennig, ZSE 2004, S. 465 (465 f.); ders., 2003, S. 171 (172, 186, 191 ff.); zum Einsatz der „rhetorical action“ im Vorfeld der Osterweiterung ders., 2005, S. 142 (154 ff.); allgemein zur idealistischen Seite der Erweiterung Dehousse, 1998, S. 143 (145); Walker, 2003, S. 365 (379). 60 M. w. N. Benz, S. 141; Grande, S. 11 (13); Miles, S. 253 (259); Platzer, S. 221; ist z. T. ein Governance-Ansatz, z. T. ein Ansatz des akteurszentrierten Institutionalismus, vgl. dazu Knodt / Große Hüttmann, S. 223 ff. und Wagner, S. 249 ff.; übersichtlich zu den verschiedenen Theorien der „Policy-Forschung“ Sturm, 2003, S. 47 (48 ff.); dem Mehrebenenansatz ähnelt die Fusionsthese von Wessels, 1992, S. 36 ff. 61 M. w. N. z. B. Gehring, S. 77 (78); Grande, S. 11 (11 f.); Holzinger, S. 81 ff.; Knodt / Große Hüttmann, S. 223 (226 ff.); Peters, S. 187; Thalmaier, S. 25, 130, 133. 62 M. w. N. z. B. Grande, S. 11 (14); Pollack, S. 13 (39 f.); Thalmaier, S. 139 f.; kritisiert von Peters, S. 190 wegen der territorialen Fixierung und Unterkomplexität. 63 M. w. N. Grande, S. 11 (14); Kleger / Karolewski / Munke, S. 209; Pollack, S. 13 (40); Varwick, S. 69 (70); Peters, S. 217 f. bevorzugt die Beschreibung als Netzwerk, um die
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2. Kap.: Sozialwissenschaftliche und völkerrechtliche Ansätze
lungssystem mit mehreren, unterschiedlich definierten und ineinander verschachtelten Politikarenen“.64 Aus diesem Charakter ergeben sich Aussagen über die Gestalt der EU, aber auch über ihre Problemlösungsfähigkeit, die Verfassungseigenschaft ihrer Rechtsgrundlagen und letztlich auch über ihre Erweiterung.
I. Aussagen über die Gestalt und die Zukunft der EU Zwar sind vor allem föderative Systeme Mehrebenensysteme; bei der Mehrebenenanalyse der EU wird aber häufig deren sui generis-Charakter betont. Die EU kombiniert föderative und konföderative, supranationale und intergouvernementale Elemente.65 Folgende Besonderheiten des europäischen Mehrebenensystems werden häufig hervorgehoben: Die Handlungs- und Entscheidungsebenen sind nicht hierarchisch angeordnet, denn die Nationalstaaten haben sich nicht der EU untergeordnet, selbst wenn sie an das Unionsrecht einschließlich der EuGH-Rechtsprechung gebunden sind. Das EU-Mehrebenensystem ist vielmehr institutionell und materiell verflochten.66 Das Verhandlungssystem ist mangels Zentralgewalt komplex; das Verhandlungsgeschick einzelner Akteure beeinflusst Ergebnisse stärker als Befehlsmacht und Mehrheitsentscheid.67 Überdies ist das europäische Mehrebenensystem dynamisch. Der Integrationsprozess ist auf vielerlei Art offen; die Konkurrenz um Zuständigkeiten, Ressourcen und Klienten folglich hoch.68 Der Mehrebenenansatz verdeutlicht aber eine wichtige Schranke für die Vertiefung. Denn charakteristisch für die EU ist gerade das Neben- und Miteinander von nationalen und Gemeinschaftsinteressen und nicht die Überwindung nationalstaatlicher Elemente bzw. der Rückzug des Nationalstaats aus Entscheidungszusammenhängen.69
Mischung funktional und territorial ausgerichteter Organisationselemente zu charakterisieren, die nicht hierarchisch angeordnet sind; vgl. dazu auch Thalmaier, S. 140 ff. 64 Zahlreiche Nachweise zu Vertretern des Mehrebenen- / Multi-Level Governance-Ansatzes bei Knodt / Große Hüttmann, S. 223 (224 f.) und Thalmaier, S. 133 ff. 65 Statt vieler Grande, S. 11 (15 f.); Holzinger, S. 81 (82 ff.); Knodt / Große Hüttmann, S. 223 (225, 229); Thalmaier, S. 25. 66 Z. B. Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 1 EU Rn. 29 ff.; ders., in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-1 VVE Rn. 21 ff.; Grande, S. 11 (16); Kleger / Karolewski / Munke, S. 209 f.; Knodt / Große Hüttmann, S. 223 (223 – 229); Pernice, 2005, S. 743 (778); Thalmaier, S. 144 f., 181 ff. m. w. N. 67 Benz, S. 141 (155); Grande, S. 11 (17); Kleger / Karolewski / Munke, S. 210; Thalmaier, S. 145, 185 ff., 386 m. w. N. 68 Grande, S. 11 (17); Kleger / Karolewski / Munke, S. 210; Knodt / Große Hüttmann, S. 223 (233); Thalmaier, S. 145. 69 So ausdrücklich betont von Sturm, 2005, S. 101 (109).
D. Mehrebenenansatz – Bedeutung von Institutionen
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II. Aussagen über die Problemlösungsfähigkeit der EU Laut einer Hypothese des Mehrebenenansatzes hat die institutionelle Struktur der EU entscheidenden Einfluss auf die Problemlösungsfähigkeit europäischer Politik. Maßgeblich ist vor allem die Politikverflechtung, also das Zustandekommen von Entscheidungen in einem komplexen Verfahren, in dem sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Gemeinschaftsorgane Kompetenzen beanspruchen. Formal gesehen sind die regierenden Akteure zwar autonom, faktisch aber voneinander abhängig.70 Die Politikverflechtung könne leicht in eine Politikverflechtungsfalle führen. Laut Scharpf begünstige die Politikverflechtung systematisch ineffiziente und problemunangemessene Ergebnisse und verhindere überdies die Veränderung der Entscheidungsstruktur. Entscheidungen auf der höheren Ebene werden durch Blockademöglichkeiten der Glieder erschwert; die Glieder selbst aber haben durch die Verflechtung Handlungsspielräume verloren. Folge sei letztlich ein unüberbrückbarer Widerspruch zwischen der Reformnotwendigkeit und der Reformpraxis.71 Welche Gefahren die Politikverflechtung in der EU birgt, wird mittlerweile differenziert beantwortet. Die Problemlösungsfähigkeit sei abhängig von der Sachmaterie bzw. von deren institutionellen Rahmen. Die anfänglich sehr negativen Prognosen haben sich nicht verwirklicht; jedenfalls seien zum Nationalstaat entwickelte Aussagen nicht generell auf die EU übertragbar.72 Typisch für Mehrebenensysteme und sichtbar auch in der EU ist aber jedenfalls das Problem der demokratischen Legitimation des Regierens.73
70 Der Begriff stammt von Scharpf, 2005; ders., 1994, S. 7, er benutzte ihn ursprünglich in der Föderalismusforschung und bei der Untersuchung innerstaatlicher Institutionengefüge; vgl. auch Benz, S. 141 (146 f.); Peters, S. 188; Sturm, 2005, S. 101 (102 f., 107 ff.); ders., 2003, S. 47 ff.; Thalmaier, S. 183 f., 386; Varwick, S. 69 (70). 71 Scharpf, 1994, S. 7 f., 44; dazu m. w. N. z. B. Grande, S. 11 (21, 23); Peters, S. 188 f.; Wagner, S. 249 (252 ff.). 72 Zu Scharpfs ursprünglich negativer Prognose Scharpf, 2000, S. 20 ff.; ders., 1994, S. 14 f., 20 ff.; Grande, S. 11 (21 f.); Thalmaier, S. 184; Kritik an Scharpfs These bei Grande, S. 11 (22); zur differenzierten Ansicht Benz, S. 141; Grande, S. 11 (23 f.); Hrbek, 1989, S. 81 (104 ff.); Peters, S. 189; Scharpf, 2003, S. 145 ff.; ders., 2000, S. 2, 11 ff.; Thalmaier, S. 184 f. 73 Grande, S. 11 (22 f.): strukturelle Kontroll- und Verantwortungslücken, lange Handlungsketten, fehlende Öffentlichkeit; Mangel an Transparenz; Peters, S. 189 m. w. N.: Einflussverlust von Parlamenten; Sturm, 2005, S. 101 (102 f.); zur Ansicht Scharpfs zur Lösung des Demokratiedefizits im europäischen Mehrebenensystem durch Formen der flexiblen Integration oder die Methode der offenen Koordination Wagner, S. 249 (267).
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2. Kap.: Sozialwissenschaftliche und völkerrechtliche Ansätze
III. Erkenntnisse für die Verfassungsdiskussion Auch Verfassungstheoretiker nehmen immer häufiger Bezug auf den Mehrebenencharakter der EU.74 Sie gehen von einem Verfassungsverbund zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten aus, um die Eigenschaften, die Funktionen und die Legitimation der europäischen Verfassung zu erklären.75 Die nationalen Verfassungen und die EU-Verfassung werden jeweils als Teilverfassungen mit komplementären Funktionen in einem einheitlichen Verfassungssystem qualifiziert. Die Verfassungsfunktionen würden nicht mehr in einer politischen Einheit gebündelt, sondern auf unterschiedliche Institutionen verteilt. Daraus wird gefolgert, dass die europäische Verfassung nicht eine bloße Kopie der nationalstaatlichen Verfassungen ist bzw. sein kann. Zudem hätte keine der einzelnen Verfassungen (mehr) Anspruch auf eine sachlich vollständige Verrechtlichung. Vielmehr komme es zu einer Verfassungsverflechtung im Sinne eines dialektischen Prozesses zwischen der Ebene der Mitgliedstaaten und der der EU.76 Legt man dieses Verständnis zugrunde, erscheinen zahlreiche Konflikte zwischen der nationalen und der supranationalen Verfassungsebene nicht als rechtlich unlösbar, sondern als Kollision rechtsdogmatisch handhabbarer Rechtsprinzipien.77 Aus der Verfassungsverflechtung folgt zudem die relativierte Wiederholungsthese: Wiederholung meint die Strukturgleichheit zwischen den Ebenen trotz der Unterschiede zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten. Dies gelte für die wichtigsten Verfassungselemente und ist in Art. 6, 7 EU und Art. 23 Abs. 1 GG ver74 Überblick bei Bieber, in: Bieber / Epiney / Haag, 2005, § 3 Rn. 2; Mayer, S. 429 (470) m. w. N. 75 Vgl. Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 1 EU Rn. 32 ff.; ders., in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-1 VVE Rn. 23 ff.; ders., Online-Beitrag, 2004, S. 23; Hatje, S. 50; Mayer, S. 429 (470); Pernice, 1999, S. 703 (707 ff.); Peters, S. 55 f., 205 ff., 765 Nr. 3 m. w. N.; Thalmaier, S. 137 f.; Wahl, 2005, S. 916 (920); der Begriff „Verfassungsverbund“ wurde geprägt von Pernice, um auszudrücken, dass auch die Mitgliedstaaten unmittelbare Adressaten der Gemeinschaftsverfassung sind; Peters, S. 205 verweist auf die Bezeichnungen durch andere Autoren: „normative Verklammerung“ (BVerfG, Badura), „verfassungsrechtliche Vernetzung“, „Verfassungsverflechtung“ (Bieber), „Verfassungsverschränkungen“ (H. P. Ipsen), „konstitutionelle Verknüpfung“ (Häberle, Gerkrath); kritisch zum Begriff Verfassungsverbund Badura, S. 423 (429, 436). 76 Z. B. Kleger / Karolewski / Munke, S. 468 ff.; Peters, S. 55, 165 f. m. w. N.; zu Einzelaspekten auch Bieber, S. 209 (209, 212 f.); Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 1 EU Rn. 37 f.; ders., in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-1 VVE Rn. 24; Thalmaier, S. 25, 138 f.; Walter, S. 1 (7 ff.). 77 Kaufmann, S. 521 (536 f., 543 ff.) sieht Konflikte zwischen der europäischen Integration und anderen Verfassungsprinzipien des deutschen Rechts als rein interne Konflikte des Grundgesetzes an, nicht als Konflikte innerhalb eines Mehrebenensystems; Peters, S. 268 ff. legt das Mehrebenenverständnis zugrunde, kommt mit ihrer pluralistischen Grundhaltung aber zum Ergebnis, dass nicht alle Rechtskonflikte (insb. Geltungskonflikte) rechtlich lösbar sind.
D. Mehrebenenansatz – Bedeutung von Institutionen
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ankert. Relativiert wird diese Wiederholungsthese durch das komplementäre Verhältnis, das keine Verdopplung, sondern eine bloße Ergänzung verlangt.78
IV. Erkenntnisse für die Erweiterung Vertreter des Mehrebenenansatzes setzen diesen nicht ausdrücklich in Verbindung mit der Erweiterungspolitik. Allerdings lassen sich Besonderheiten der EUErweiterung mit Hilfe dieses Ansatzes erklären. Die Politikverflechtung ist letztlich das entscheidende Argument für einen angesichts der Komplexität weiten Spielraum bei der Beitrittsentscheidung.79 Denn die Politikverflechtung erklärt, dass eine Erweiterung alle Politiken und Ebenen der EU betrifft, also auch die Politik einzelner Mitgliedstaaten. Zudem sind Erweiterungen geprägt durch die für Mehrebenensysteme typischen Problembearbeitungs- und Entscheidungsprozesse. Insbesondere kommt es zu Spannungen zwischen politisch-bürokratischer Routine und strategisch-innovativem Handeln.80 Nur einige konkrete Auswirkungen seien genannt: Leitliniengeber bei der Erweiterung ist gemäß Art. 4 Abs. 1 EU der Europäische Rat. Seine Zielvorgaben verliehen der EU-Erweiterung auch tatsächlich „Dynamik und Richtung“. Allerdings verkörpert der Europäische Rat unterschiedliche Interessen durch unterschiedliche Beteiligte. Zusätzlich entscheiden die einzelnen im Europäischen Rat vertretenen Personen aus einem inneren Konflikt heraus, da der Europäische Rat auch die Leitlinien für die Vertiefung vorgibt. Dieses Zusammenlaufen von Erweiterung und Vertiefung wird als größte Schwäche der Erweiterungspolitik angesehen: Die Konsensentscheidungen führten stets nur zu Stückwerksergebnissen. Überdies haben die Mitgliedstaaten neben einem Interesse an der Vertiefung bzw. an der Erweiterung immer auch verteilungspolitische Präferenzen. Unterschiedliche aktuelle und sektorale Interessen und divergierende Vorstellungen über die Zukunft der EU verhinderten bislang ein ernsthaftes Nachdenken über ein Gesamtkonzept für institutionelle und politische Reformen.81 Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich für den Rat, der die konkreten Verhandlungen mit den Bewerberländern führt und die Beitrittsentscheidungen trifft. Diese Schwierigkeiten erwachsen unter anderem aus dessen Zwitterstellung: Der Rat verhandelt für die EU, bildet aber stärker als jedes andere Organ die Präferenzen der Mitgliedstaaten ab. Ursächlich für die Verhandlungsmentalität ist weiterhin das Einstimmigkeitserfordernis. Die Vetomöglichkeit zwingt zu Kompromissen und birgt damit die Gefahr suboptimaler Ergebnisse. Dies betrifft nicht nur die Erweite78 Badura, S. 423 (435 f.); Bieber, S. 209 (209, 215 ff.); Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 20 ff.; Hobe, S. 1 (5); Schönberger, 2005 zur Unionsbürgerschaft; Wahl, 2005, S. 916 (918, 922 f., 925) zum Demokratieprinzip. 79 Ähnlich H. Wallace, 2005, S. 287 (288): die EU als „multi issue organization“ braucht „multivariate analysis“, insb. bzgl. der Erweiterung. 80 Lippert, 2004, S. 13. 81 Zu all diesen Besonderheiten des Europäischen Rates Lippert, 2004, S. 13 (23).
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2. Kap.: Sozialwissenschaftliche und völkerrechtliche Ansätze
rungsentscheidungen selbst, sondern auch Bereiche, die im Zuge der Erweiterung reformbedürftig sind (z. B. Agrarpolitik, Entscheidungsregeln, Zusammensetzung von Institutionen). Zudem ist der Rat in der Realität stark abhängig von den Vorgaben des Europäischen Rates und von der Zuarbeit und Expertise der Kommission.82
E. Das völkerrechtliche Universalitätsprinzip und die Lehre von den notwendigen Internationalen Organisationen Abgesehen von ermessenslenkenden Vertrauensschutzregeln, die unter bestimmten konkreten Voraussetzungen greifen,83 werden im Völkerrecht allgemeine Kooperationspflichten von Internationalen Organisationen mit Hilfe des sog. Universalitätsprinzips hergeleitet. Dieses wird teilweise als eigenständiges Prinzip, überwiegend aber als bloße Auslegungsregel verstanden. Ausgangspunkt waren die Globalisierung und die damit verbundenen schnell wachsenden Interdependenzen von Aufgaben in verschiedenen Bereichen. Die Staaten verloren zunehmend ihre Steuerungs- und Kontrollkompetenz und waren im Interesse der Friedenssicherung, der Wohlstandsmehrung, etc. auf eine Zusammenarbeit angewiesen. Gemäß dem Universalitätsprinzip folgt aus der Notwendigkeit universeller Problembearbeitung und -lösung das Gebot zur universellen Beteiligung aller betroffenen Staaten an allgemeinen völkerrechtlichen Verträgen.84 Ähnliche Aussagen macht das verwandte Prinzip der Gemeinschaftsgebundenheit, das sich aus dem Übergang des Völkerrechts vom Koexistenzrecht zum Kooperationsrecht entwickelte.85 Streitig ist, wie bereits angedeutet, die Rechtsnatur des Universalitätsprinzips. Anhänger der Universalitätslehre sehen darin mehr als eine bloße Ordnungsvorstellung und halten das Prinzip für rechtsverbindlich.86 Die Rechtsverbindlichkeit leiten einige aus anderen Völkerrechtsprinzipien bzw. aus konkreten Völkerrechtsnormen her. Andere ziehen zur Begründung auch die veränderten Umstände des internationalen Lebens, bloße Ziele und Interessen der gesamten internationalen Gemeinschaft und den Trend zur internationalen Gesetzgebung heran.87 Die Verwirklichung und damit die Gültigkeit des Prinzips zeige sich in der Gründung der Weltorganisation UNO.88 Konsequenz sei die Relativierung der Vertragsfreiheit: 82 83 84 85 86 87
Zu all diesen Besonderheiten des Rates statt vieler Lippert, 2004, S. 25. Dazu ausführlich und m. w. N. Zeh, 2002, S. 56 ff. Darstellend m. w. N. z. B. Czerwinski, S. 41; Zeh, 2004, S. 81 (86); dies., 2002, S. 51 f. Darstellend m. w. N. z. B. Zeh, 2004, S. 81 (86); dies., 2002, S. 52. Darstellend Zeh, 2002, S. 52. Dieser Streit ist dargestellt bei Czerwinski, S. 40, 43 ff.
E. Das völkerrechtliche Universalitätsprinzip
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die Vertragsabschlussfreiheit müsse zu einem Ausgleich mit dem Universalitätsgedanken gebracht werden. Aus dem Universalitätsprinzip i.V.m. dem völkerrechtlichen Gleichheitssatz und dem Grundsatz gleicher Souveränität aller Staaten folgten im Ergebnis Verpflichtungen zur Kooperation, soweit es um weltweite Aufgabenerledigung geht. Entsprechende Internationale Organisationen hätten eine Pflicht zur Aufnahme bestimmter Nicht-Mitglieder.89 Kritisiert wird diese Auffassung, weil sie keinen klaren Rechtsgrund zu bieten hat. Ein allgemeines Prinzip des Völkerrechts wie der Universalitätsgedanke sei zu unbestimmt, um daraus konkrete Partizipationspflichten bzw. -ansprüche herleiten zu können.90 Diese Kritik ist Ausgangspunkt der Lehre von den notwendigen Organisationen, die im Universalitätsgedanken eine bloße Auslegungsregel sieht. Maßgeblich seien die Satzungen Internationaler Organisationen, die im Lichte des Universalitätsprinzips bzw. des sog. Notwendigkeitsprinzips interpretiert werden. Auf diese Weise bleibt einerseits die Vertragsfreiheit gewahrt, andererseits wird dem zwingenden Bedürfnis nach zwischenstaatlicher Kooperation Rechnung getragen.91 Dieses Bedürfnis kann auch auf regionaler Ebene bestehen.92 Entsprechend werden die Internationalen Organisationen kategorisiert. Offene Internationale Organisationen sehen der Satzung nach grundsätzlich die Aufnahme weiterer Mitglieder vor; die Erweiterung hängt dann nur vom entsprechenden Beitrittswunsch anderer Staaten ab. Beschränkt offene Internationale Organisationen sehen auch den Beitritt neuer Mitglieder vor, grenzen aber in ihrer Satzung den Kreis der potentiellen Kandidaten durch bestimmte Aufnahmebedingungen ein. Geschlossene Organisationen sehen keine Erweiterung der Mitgliederzahl vor.93 Ähnlich ist die Unterscheidung zwischen notwendigen Internationalen Organisationen, ohne die bestimmte Aufgaben aufgrund der Globalisierung nicht bewältigt werden könnten, und beliebigen Internationale Organisationen.94 Die sich aus dem Universalitätsgedanken ergebende Auslegungsregel führt i.V.m. den Vertragszielen der jeweiligen Internationalen Organisation dazu, dass bei notwendigen Internationalen Organisationen hemmende Faktoren in den Aufnahmeregelungen möglichst Mosler, S. 275 (295 f.); darstellend Zeh, 2002, S. 52. Z. B. Mosler, S. 275 (294 f.); darstellend m. w. N. Czerwinski, S. 40, 48, 120 ff. (der Autor selbst versteht das Universalitätsprinzip als deklaratorische Bestätigung von Teilhaberechten aus allgemeinen völkerrechtlichen Normen); Zeh, 2004, S. 81 (86); dies., 2002, S. 52. 90 Czerwinski, S. 47; Zeh, 2002, S. 52 f.; ähnlich zum Grundsatz der Staatengleichheit Oppermann, 1975, S. 53 (68 Fn. 46); dies entspricht dem allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatz, wonach sich rechtliche Maßstäbe grundsätzlich nur aus den Gründungsverträgen der jeweiligen Internationalen Organisation ergeben, vgl. Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, S. 444. 91 Zeh, 2002, S. 53. 92 Czerwinski, S. 45; Zeh, 2002, S. 53. 93 Vgl. zu dieser Unterscheidung m. w. N. z. B. Bindschedler, S. 334; Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 31 Rn. 15; Lopian, S. 30 ff.; Seidl-Hohenveldern / Loibl, Rn. 0505. 94 Oppermann, 1975, S. 53 (66 ff., 140); darstellend Zeh, 2002, S. 3. 88 89
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2. Kap.: Sozialwissenschaftliche und völkerrechtliche Ansätze
eng zu verstehen sind.95 Betrifft die Vertragszielregelung universelle Aufgaben ist davon auszugehen, dass deren Verwirklichung nur unter Beteiligung aller Betroffenen möglich ist. Der Vertrag muss dann, wenn die Teilnahme weiterer Staaten notwendig ist, zur Aufnahme weiterer Mitgliedstaaten verpflichten.96 Ein einklagbares Beitrittsrecht gibt es aber in solchen Organisationen nicht, die für die Aufnahme neuer Mitglieder die Zustimmung zumindest der Mehrheit der Mitgliedstaaten vorsehen.97 Der vorliegenden Arbeit wird dieser gemäßigte Ansatz zugrunde gelegt, da die ursprüngliche Universalitätslehre für eine rechtspolitisch wünschenswerte Offenheit bestimmter Internationaler Organisationen keine tragende rechtliche Begründung liefern kann. Der IGH hat die Bedeutung des Universalitäts- bzw. Offenheitsansatzes für Beitrittsentscheidungen der UNO anerkannt. Im Rahmen von Art. 4 UNCh, der die Aufnahme neuer Mitglieder an bestimmte Voraussetzungen knüpft und den Mitgliedstaaten im Übrigen einen Spielraum bei der Beitrittsentscheidung einräumt, ergeben sich Ermessensgrenzen aus dem Grundsatz der offenen bzw. notwenigen Internationalen Organisation. Möglich sein muss die Kontrolle der Aufnahmeentscheidung im Hinblick auf den Ermessensmissbrauch durch Verfehlung der Zwecksetzung (détournement de pouvoir).98 Der IGH reagierte damit auf den Missbrauch einschränkender Beitrittsbestimmungen, die nicht in der Satzung vorgesehen sind. Solche politischen Kopplungsgeschäfte seien unzulässig.99 In seinem Sondervotum zu dieser IGH-Entscheidung ging Richter Alvarez sogar so weit, dass sich der Beurteilungsspielraum auf die Prüfung der Beitrittsvoraussetzungen beschränke. Den Mitgliedstaaten sei es verboten, eigene politische Interessen in die Entscheidung einfließen zu lassen.100 Der EuGH hat sich bezogen auf Art. 49 EU bislang noch nicht zu dieser Frage geäußert, obwohl es bei der Verhinderung der Aufnahme Großbritanniens in die EG durch Frankreich Anlass zur Überprüfung der geltend gemachten Gründe gegeben hätte.101 Daher lässt sich mit Sicherheit nur sagen, dass die EU im Sinne der Lehre von den notwendigen Internationalen Organisationen eine beschränkt offene Organisation ist, da sie in Art. 49 EU die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten unter bestimmten Mosler, S. 275 (283); Oppermann, 1975, S. 53 (71 f.). Czerwinski, S. 68; ähnlich Mosler, S. 275 (294 f.); m. w. N. dargestellt bei Zeh, 2004, S. 81 (86); dies., 2002, S. 53. 97 Seidl-Hohenveldern / Loibl, Rn. 0508. 98 IGH, Conditions of Admission of a State to Membership in the United Nations (Article 4 of the Charter), ICJ-Reports 1947 – 1948, S. 56 ff.; zustimmend Bleckmann, 1997, S. 34, 45; dargestellt bei Zeh, 2004, S. 81 (86 f.); dies., 2002, S. 54. 99 Dazu Seidl-Hohenveldern / Loibl, Rn. 0512. 100 Alvarez, Individual opinion zum IGH-Fall Conditions of Admission of a State to Membership in the United Nations (Article 4 of the Charter), ICJ-Reports 1947 – 1948, S. 67 (71); dargestellt bei Zeh, 2004, S. 81 (86 f.); dies., 2002, S. 54; Zusammenfassung aller Sondervoten zu diesem IGH-Fall bei Bleckmann, 1997, S. 43 ff. 101 Seidl-Hohenveldern / Loibl, Rn. 0512. 95 96
E. Das völkerrechtliche Universalitätsprinzip
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Voraussetzungen vorsieht.102 Laut Völkerrecht sind das Bestehen von Beitrittsvoraussetzungen und ein diesbezügliches Ermessen der Mitgliedstaaten zulässig, das an die vertraglichen Zielsetzungen gebunden ist. Je nachdem, wie weit diese Ziele reichen und wie verbindlich sie ihrerseits sind, können die durch das Universalitätsprinzip gezogenen Grenzen reichen von einer restriktiven Auslegung der Beitrittsvoraussetzungen über ein Verbot der Berücksichtigung nationaler Interessen, soweit diese in keinem Zusammenhang mit der Erfüllung der Beitrittsvoraussetzungen stehen, bis hin zu einer unmittelbaren Pflicht zur Aufnahme der Kandidaten bei Erfüllung der Beitrittsvoraussetzungen.103 Wie notwendig die EU für die von ihr selbst gesetzten Aufgaben nach ihrem Selbstverständnis ist und welchen Inhalt und welche Bedeutung ihre Ziele haben, kann letztlich nur durch Vertragsauslegung ermittelt werden. Der völkerrechtliche Universalitätsansatz bewirkt also letztlich nicht mehr als eine zugunsten der Erweiterung wohlwollende Auslegung bestehender Rechtsquellen. Nimmt man die Vertragsfreiheit der Mitgliedstaaten wie die heute überwiegend gemäßigten Vertreter des Universalitätsgedankens ernst, müssen aber auch mit dem Erweiterungsziel kollidierende Vertragsziele berücksichtigt werden. Zudem muss bedacht werden, dass die eigentlichen Ziele der Friedenssicherung, Stabilitätsförderung und Wohlstandsmehrung gegebenenfalls auch durch andere Formen der Partizipation erreicht werden können. Einer Vertragsänderung kann der Universalitätsgedanke gar nichts entgegenhalten.104 Die Qualifizierung der EU als beschränkt offene Organisation beantwortet also viele der in dieser Arbeit aufgeworfenen Rechtsfragen nicht und verweist bei den anderen Fragen auf das Primärrecht selbst. Daher besteht auch ganz unabhängig von der Frage, inwieweit ein völkerrechtlicher Ansatz auf die EU anwendbar ist, die Notwendigkeit einer differenzierten Prinzipienlehre, die sich in einem höheren Maße mit dem Primärrecht, seinem Inhalt, seiner Verbindlichkeit und seiner Auslegung beschäftigt.
102 So z. B. auch Bindschedler, S. 402 ff.; Constantinesco, S. 73 ff.; Lopian, S. 30 ff.; Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 8; Zeh, 2004, S. 81 (86); dies., 2002, S. 52. 103 Vgl. dazu Zeh, 2002, S. 55. 104 Lopian, S. 34, 38 z. B. kommt zu dem Ergebnis, dass sich aus dem völkerrechtlichen Grundsatz keine allgemeingültigen Aussagen über die Zulässigkeit von Übergangsrégimen herleiten lassen.
3. Kapitel
Eine europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz zur Begründung und Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags der EU Wie aus dem Vorangegangenen deutlich wurde, wird in der Grenzdebatte der Unterschied zwischen rechtlich zwingenden Forderungen und Folgerungen einerseits und politischem Wunschdenken andererseits allzu oft verwischt. Das Primärrecht enthält zu verschiedensten Rechtsfragen zwar Vorgaben, diese sind aber selbst in Spezialnormen wie Art. 49 EU weich formuliert oder gar „bloß“ in Präambel- und Zielbestimmungen enthalten. Dies mag ein wesentlicher Grund dafür sein, dass viele vom Primat der Politik ausgehen, wenn es um die Zukunft der europäischen Integration geht. Im Zusammenhang mit Abstufungskonzepten bemerkte Langeheine 1984, dass gerade die rechtliche Unbestimmtheit weiter Teile des Primärrechts die Integration zu einem hochgradig politischen Problem werden lässt, das sich in großzügigen Ermessensspielräumen bewegt. Das Recht hat eine bloße Grenzziehungsfunktion.1 Bei der Analyse der Anwendung des Art. 49 EU spricht Oppermann heute gar von einer „Politisierung der Beitrittspraxis“2 und vom „Voluntarismus der EU“3. Auch der ehemalige Generaldirektor für Außenbeziehungen der EU-Kommission Günter Burghardt verweist auf die „geostrategische Natur des Integrationsprozesses“, bei dem von rechtlichen und institutionellen Voraussetzungen „kaum die Rede“ ist.4 Auch die Bedeutung der erweiterten EU für die Nachbarstaaten sei letztlich geopolitischer Natur.5 Zunehmend aber wird die rechtliche Durchdringung der Integration der EU gefordert, zur Steigerung der Transparenz der Entscheidungen, unter dem Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit, aber auch, um eine Mitwirkung der Nachbarstaaten zu erreichen, die von den politischen Entscheidungen der EU betroffen sind.6 In diesem Kapitel wird eine europäische Prinzipienlehre umschrieben, die dieses Ziel zu erreichen sucht. Letztlich wird das Spannungsverhältnis bei der Verfolgung des Erweiterungs- und des VerLangeheine, S. 47 (51); sehr ähnlich Haltern, Gestalt und Finalität, 2003, S. 803. Oppermann, FS Zuleeg, 2005, S. 72 (74). 3 Oppermann, FS Zuleeg, 2005, S. 72 (75). 4 Burghardt, S. 1; Betonung sicherheitspolitischer und strategischer Gesichtspunkte z. B. bei Batt u. a., 2003 und in der Aufsatzsammlung von Dannreuther (Hrsg.), 2004. 5 Burghardt, S. 1; Hill, 2000; Zielonka, 2001, S. 507 (518). 6 In diese Richtung z. B. Langeheine, S. 47 (48) m. w. N.; Knelangen / Varwick, S. 13 (18). 1 2
A. Einbettung der Prinzipienlehre in die Verfassungsdiskussion
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tiefungsziels als Kollision von Rechtsprinzipien eingestuft, zu deren Ausgleich die Entscheidungsträger primärrechtlich verpflichtet sind. Bei dieser Abwägungspflicht handelt es sich aber nur um eine Verfahrenspflicht; die einzige objektiv richtige Entscheidung kann und soll mit Hilfe der Prinzipienlehre nicht ermittelt werden. Es verbleibt also ein politischer Ermessensspielraum.
A. Einbettung der Prinzipienlehre in die europäische Verfassungsdiskussion Zunächst einmal soll der Zusammenhang zwischen der Verfassungsdebatte und der Prinzipienlehre verdeutlicht werden. Verfassungen sind u. a. dadurch charakterisiert, dass sie alle Gewalten binden und dadurch die Politik in rechtliche Bahnen lenken. Auch für das Europarecht wird zunehmend eine Steigerung der normativen Kraft des Primärrechts im Sinne einer rechtlichen Bindung der Unionsorgane und Mitgliedstaaten gefordert. Die Rechtswissenschaft versucht diese Konstitutionalisierung über ein Neuverständnis der geltenden Verträge. Mithilfe einer Prinzipienlehre könnte dieser Weg vollendet werden. Alle drei Aspekte – die Bedeutung von Verfassungen für das Verhältnis von Recht und Politik, die Konstitutionalisierung des Europarechts und die Forderung einer europäischen Verfassungsprinzipienlehre – werden im Folgenden vertieft.
I. Das problematische Verhältnis von Recht und Politik Anders als die klassischen Auslegungsmethoden ist die Prinzipienlehre als Verfassungslehre eng verknüpft mit der Frage, worin der Unterschied zwischen Recht und Politik besteht.7 Schuppert erinnert an die in Deutschland als gegensätzlich empfundenen Eigenschaften „der Neutralität, Sachlichkeit, Vernunft, Gerechtigkeit, Verfahrensorientierung, Diskursivität und schützenden Qualität des Rechts und der Parteilichkeit, der Macht- und Willenshingabe, der Irrationalität, der strategischen Erfolgsorientierung, der Unsachlichkeit und dem Dezisionismus der Politik“.8 Haltern beschreibt das Verhältnis von Recht und Politik als Konflikt zwischen Vergangenheit und Zukunft, Tradition und Möglichkeit, Loyalität und Verantwortlichkeit.9 Recht wird dem Bereich des Normativen zugerechnet, Politik der 7 Aktuell und recht umfangreich zum Verhältnis von Recht und Politik Buckel / Christensen / Fischer-Lescano, 2006. 8 Schuppert, 2004, S. 529 (548) mit Zitat von Badura; ähnlich im Zusammenhang mit dem Unterschied zwischen Rechts- und Politikwissenschaft Haltern, Europawissenschaft, 2005, S. 37 (68 f.); zum Instrument der Macht, dessen sich die Politik bedient K. Ipsen, in: ders., Völkerrecht, § 3 Rn. 8. 9 Haltern, ELJ 2003, S. 14 (18).
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
Realität.10 Trotz dieser Unterschiede wird eine scharfe Abgrenzung zwischen Recht und Politik als jedenfalls praktisch schwierig angesehen, denn „Recht ist selbst verfestigte Politik und andererseits Grenze von Politik“.11 Gerade wegen der Grenzziehungsfunktion des Rechts ist es aber dennoch wichtig zu klären, was die Rechtsqualität von Normen ausmacht. Überdies gelten die Auslegungsregeln nur bei der Anwendung von Rechtssätzen.12 Voraussetzung für die Rechtsqualität von Normen ist deren Verbindlichkeit für den Adressaten, maßgeblich ist also die Geltung der Norm. Umstritten ist, wann eine Norm rechtsverbindlich gilt. Auf den grundlegenden Streit zwischen der Naturrechtslehre13 und dem Rechtspositivismus soll an dieser Stelle aber nicht eingegangen werden. Vielmehr geht diese Arbeit von dem heute herrschenden Verständnis aus, dem auch die Rechtspraxis entspricht. Danach unterscheiden sich Rechtssätze von ethischen und sozialen Sollenssätzen nach der hinter ihnen stehenden Autorität.14 Gestritten wird heute meist nur noch über das „angemessene Mischverhältnis“ zwischen dem faktischen (soziologischen) Geltungsbegriff, dem ethischen (wertgebundenen) Geltungsbegriff und dem rechtspositivistischen Geltungsbegriff, und damit über das Verhältnis zwischen den drei Elementen des Rechtsbegriffs: soziale Wirksamkeit, ethische Richtigkeit und ordnungsgemäße Gesetztheit.15 Als konkrete Merkmale von Rechtsnormen gelten der Anspruch und die Möglichkeit der Durchsetzung, ein gewisser Grad der Formalisierung (Bestimmtheit, symbolische Gültigkeit, Kohärenz), ein Weg der Streitschlichtung, Konsensfindung und Befriedung insbesondere durch Regelüberwachung und Schiedsgerichtsbarkeit, Mechanismen der Regelentwicklung, also eine Einbettung in Verfahrensnormen, und schließlich die Integrität der Entscheidungsfindung und -anwendung. Überwiegend wird eine übergeordnete Sanktionsinstanz nicht als notwendige Voraussetzung von Rechtsnormen angesehen; sie ist aber wichtig für die Effektivität und Problemlösungsfähigkeit des Rechts.16 Trotz dieser Aufzählung lässt sich nicht immer eindeutig ermitteln, wann eine Norm rechtlich verbindlich gilt und wann die notwendige Autorität hinter ihnen steht. Wie schwierig die Zurechnung von Normen zum Recht ist, hängt vor allem vom Rechtskreis ab. Innerstaatliches Recht erfüllt alle oben genannten Spezifika rechtlicher Normen. Allerdings wird selbst im nationalen Recht die strenge Unterscheidung zwischen Recht und Politik kritisiert, sei sie doch praktisch kaum durchK. Ipsen, in: ders., Völkerrecht, § 3 Rn. 9. Das Zitat stammt von Peters, S. 219, ähnlich auf S. 388; so auch Haltern, Dogmatik, 2005, S. 3 f.; ders., Europawissenschaft, 2005, S. 37 (76); Hector, S. 237. 12 Siehe dazu im 1. Kapitel unter A.V. 13 Zum Bereich der Naturrechtslehre zählt das grundlegende Werk von Christian Wolff, 1980 (1. Aufl.: 1754). 14 Z. B. Stein, S. 2. 15 Übersichtlich dazu Luf, S. 129 ff. (insb. S. 133); Peters, S. 256 f. 16 Zürn / Wolf, S. 113 (118 – 123, 130 ff.). 10 11
A. Einbettung der Prinzipienlehre in die Verfassungsdiskussion
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zuhalten.17 Im Völkerrecht ist die Unterscheidung zwischen rechtlicher Deduktion und politischer Wertung schon theoretisch enorm schwierig, da auch Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung ineinander übergehen.18 Es gibt weder ein zentrales Rechtsetzungsorgan, noch ein zentrales Organ für die Rechtsdurchsetzung; das Völkerrecht ist keine systematisch geschlossene Einheit.19 Häufig liegt die verbindliche Anwendung bei den betroffenen Rechtssubjekten selbst. Viel stärker als im nationalen Recht, wo die Gerichte grundsätzlich eine Entscheidungspflicht haben, kommen auf internationaler Ebene Ergebnisse im Verhandlungswege zustande, falls das Recht keine eindeutige Lösung bereithält.20 Trotz dieser Besonderheiten wird der Rechtscharakter von Völkerrecht ganz überwiegend bejaht;21 Schwierigkeiten bereitet vor allem die Zuordnung einzelner Normen insbesondere des Völkergewohnheits-„rechts“ zu diesem Recht. Auch die Rechtsqualität des Unions- und Gemeinschaftsrechts steht weitgehend außer Frage. Unklarheiten bestehen allerdings im intergouvernementalen Bereich, in Bezug auf die Präambeln und hinsichtlich der Grenzen des Ermessensspielraums22, also gerade in den Bereichen, in denen sich auch die Rechtsprobleme des europäischen Integrationsauftrags stellen. Eine Besonderheit ist zudem die Kompetenz des EuGH zur Rechtsschöpfung und Rechtsfortbildung. Die Konkretisierung des geltenden Rechts im Wege der teleologischen Auslegung hat eine weit größere Bedeutung als die Interpretation im Sinne der sorgfältigen „Ermittlung des wissenschaftlich feststellbaren Sollens“.23 Welche Bedeutung haben nun Verfassungen für das Verhältnis von Recht und Politik? Verfassungen gelten als „hybride Institution[en]“: Sie enthalten Rechtsnormen, gehören aber insoweit zur „Welt der Politik und der Macht“, als dass sie politische Macht in „rechtliche geformte Macht“ transformieren können.24 Die „besonders enge Verbindung von Politik und Recht“ in Verfassungen führt dazu, dass die Politik Ausdrücke in Verfassungsnormen als „Schleusenbegriffe“ nutzt, die „offen für eine entsprechende Unterwanderung und . . . Begriffsverschiebung“ sind. Der politische Wille wird als „labiler Faktor bei der Entwicklung und Formulierung“ Z. B. Hector, S. 237. Hector, S. 236 f. (v. a. bzgl. des Völkergewohnheitsrechts); zu den Wechselwirkungen von Politik und Völkerrecht K. Ipsen, in: ders., Völkerrecht, § 3 Rn. 2 – 13. 19 Stein, S. 90. 20 Stein, S. 90, 92 f. 21 Fastenrath, S. 32 ff. begründet ausführlich die Rechtsqualität des Völkerrechts anhand verschiedener Rechtstheorien. 22 Zu einzelnen Aspekten z. B. Bleckmann, 1986, S. 265 (268) m. w. N.; Langeheine, S. 47 (119); Stein, S. 93; Zürn / Wolf, S. 113 (113 f., 119, 123 – 130). 23 Stein, S. 86 f.; vgl. dazu auch Bleckmann, 1986, S. 65 (268) m. w. N. 24 Schuppert, 2004, S. 529 (545); ähnlich Kaufmann, S. 521 (524); Überblick über Theorien, die die „Politik des Rechts“ zum Gegenstand haben, also das Recht als „Technologie der Macht“ Buckel / Christensen / Fischer-Lescano, S. VII (XIII f.) und die Aufsätze in Kapitel B. ihres Sammelwerkes. 17 18
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
des Verfassungsrechts angesehen. Er führt „nicht selten“ zu „Formelkompromisse[n], die politische Dissense kaum übertünchen, und die deshalb als normativ schwach bezeichnet werden könnten“.25 Nichtsdestotrotz wird die Verfassung gemeinhin als Instrument zur Bändigung politischer Willkür, zur Unterwerfung des Politischen unter die Vernunft angesehen, so streitig der Begriff und die Funktionen der Verfassung auch sind.26 Verfassungen binden als höchstrangiges Recht alle Gewalten, insb. auch den Gesetzgeber. Das tradierte Verfassungsverständnis, wonach die Verfassung „bloßer Ausdruck der jeweiligen tatsächlichen politischen Machtkonstellationen“ ist und damit „Verfassungsfragen ihrem Wesen nach nicht als Rechts-, sondern stets als reine Machtfragen“ gelten, ist jedenfalls im nationalen Recht längst überwunden.27 In der EU könnten aber grundlegende Diskussionen über die Rolle der Verfassung wieder aktuell werden. Die Diskussion über eine europäische Verfassung ist sehr vielschichtig und deshalb schwer zu durchdringen. Oft geht aus den Beiträgen nicht hervor, welche Folgen aus einem bestehenden oder geforderten Verfassungscharakter des Primärrechts gezogen werden. Auch nach Abschluss der Arbeit im Konvent für eine Verfassung für Europa ist das Meinungsspektrum breit und sind Lösungen nicht in Sicht. Angesichts ihrer Komplexität und der Wandelbarkeit ihres Untersuchungsobjekts ist es nicht unbedenklich, von „der“ Verfassungsdiskussion zu sprechen, diese zu analysieren und dazu beizutragen. Konstruktiver ist es, die unterschiedlichen Stränge der Diskussion um eine europäische Verfassung zu entflechten, um dann den für die Problemlösung erforderlichen Aspekt isoliert zu betrachten. Dies soll nicht darüber hinweg täuschen, dass in jeder Verfassungsdiskussion politische und juristische Fragen verschmelzen.28 Auch Haltern, der das Verhältnis von Recht und Politik intensiv erforscht hat, erkennt im unscharfen Begriff der Verfassung methodische Vorteile für Rechtswissenschaftler: Erst die Qualifizierung der Diskussion über die Zukunft Europas als Verfassungsdiskussion ermögliche den Juristen, Anschlüsse an disziplinfremde Debatten herzustellen.29
25 Peters, S. 77 unter Bezugnahme auf das nationale Verfassungsrecht und das Gemeinschafts- und Unionsrecht; mit Zitaten und Nachweisen von Böckenförde. 26 Z. B. macht von Danwitz, S. 1125 (1126) dies als „die Konstante in der Entwicklung der modernen Verfassungsstaatlichkeit“ aus und verweist auf die Verfassungsentwicklung in Südafrika, in den Staaten Mittelosteuropas und in Spanien und in Portugal; Haltern, Europawissenschaft, 2005, S. 37 (68), Kaufmann, S. 521 (524); Schuppert, 2004, S. 529 (545); die Begrenzungsfunktion erfolgt durch eine Hierarchisierung der Normen, vgl. z. B. Walter, S. 1 (5). 27 von Danwitz, S. 1125 (1127) mit Verweis auf das tradierte Verständnis Georg Jellineks und dessen Überwindung durch die Lehre „von einer eigenständigen, das staatliche Leben ordnenden Kraft der Verfassung“ von Konrad Hesse. 28 Möllers, S. 1 (2 ff.). 29 Haltern, Dogmatik, 2005, 13 f.; ders., Europawissenschaft, 2005, S. 37 (50 f.); ders., Gestalt und Finalität, 2003, S. 803.
A. Einbettung der Prinzipienlehre in die Verfassungsdiskussion
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Das Fehlen eines einheitlichen Verfassungsbegriffs zeigt sich auch daran, dass viele „typische“ Verfassungselemente auch in völkerrechtlichen Verträgen auftauchen. Ein Beispiel ist die sog. „Einheit der Verfassung“, die als „Einheit des Vertrages“ auch als Argument für die systematische Auslegung völkerrechtlicher Verträge herangezogen wird.30 Andere „verfassungsprägende“ Elemente fehlen hingegen in zahlreichen Verfassungen, so zum Beispiel explizite Ewigkeitsklauseln.31 Daher werden im Rahmen dieser Arbeit ausgehend von der Forderung nach einer Konstitutionalisierung des Europarechts (Verfassungs-)Funktionen herausgearbeitet, die einen weiteren Schritt in Richtung Vertiefung bedeuten, während eine pauschale Qualifizierung des Primärrechts als Verfassung oder eben deren Ablehnung unterbleibt. Trotz oder gerade aufgrund des Fehlens eines einheitlichen Verfassungsbegriffs, wird im Folgenden untersucht, was mit der Konstitutionalisierung des Europarechts gemeinhin und speziell in dieser Arbeit gemeint ist.
II. Die Konstitutionalisierung des Europarechts Konstitutionalismus bezeichnet ganz allgemein eine Herrschaftsform, in der die Rechte und Pflichten der Staatsgewalt und meist auch der Bürger in einer Verfassung oder in grundlegenden Gesetzen festgelegt sind.32 Der Begriff Konstitutionalisierung ist bekannt aus dem nationalen Recht als „die Anpassung, Ausrichtung und Umbildung der einfachen Rechtsordnung an den sich nicht in strikten wie schlichten Geboten und Verboten erschöpfenden Vorgaben der Verfassung“.33 Fragen der Konstitutionalisierung werfen einfache Gesetze (erst) dann auf, wenn sie der „Beseitigung einer verfassungswidrigen Rechtslage oder der stärkeren Ausrichtung auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben“ dienen.34 Praktisch vollzogen wird die Konstitutionalisierung durch den Gesetzgeber und die Gerichte, „der unabdingbare theoretische Um- und Unterbau kann jedoch nur von Seiten der Rechtswissenschaft erfolgen.“35 Selbst im nationalen Recht, wo das Bestehen und der Inhalt der Verfassung selbst nicht angezweifelt werden, kann aber der Grad der Konstitutionalisierung nicht eindeutig bestimmt werden. Der Einfluss der Verfassung auf die gesamte Rechtsordnung ist nämlich zum Großteil abhängig vom Verfassungsverständnis der Akteure des politischen Willensbildungsprozesses. Die einen begreifen die Verfassung eher als Rahmenordnung, die anderen als Grundordnung sämtlicher Sach- und Lebensbereiche des Gemeinwesens. Letztere sehen die KonstituRichter, S. 30 – 34. Peters, S. 442 f.; vgl. aber z. B. Art. 311 Abs. 6 UNCLOS. 32 Brockhaus, Bd. 12, 1996, „Konstitutionalismus“. 33 Schuppert / Bumke, S. 57; weiter ist die Definition von Schuppert, 2004, S. 529 (542): Konstitutionalisierung als Verrechtlichung der Rechtsordnung und des politischen Prozesses. 34 Schuppert / Bumke, S. 46 f. 35 Schuppert / Bumke, S. 46 f.; ähnlich zur Autonomie der Rechtwissenschaft H.-P. Ipsen, 1983, S. 9 (10, 12). 30 31
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
tionalisierung als einen Prozess an und befürworten eine starke Einwirkung der Verfassung auf die Rechtsordnung und ganz allgemein eine Verrechtlichung politischer Entscheidungen.36 Im Europarecht ist der Begriff der Konstitutionalisierung noch unschärfer. Bezeichnet wird damit v. a. die Verfassungswerdung, also die Behandlung des europäischen Primärrechts als Verfassung der EU, statt als Verträge. Noch immer aber wird der Begriff Konstitutionalisierung uneinheitlich verwendet.37 Im Unterschied zum Begriff Verfassung handelt es sich jedenfalls um einen Prozessbegriff; auch wird der Begriff zunehmend losgelöst vom Begriff „Staat“ gebraucht.38 Einig ist man sich darin, dass Konstitutionalisierung im internationalen Recht stets einhergeht mit der Verselbstständigung des internationalen Regimes, mit der Loslösung von den Partikularinteressen und von der Herrschaft der Mitgliedstaaten. Die Regeln werden autonom gegenüber mitgliedstaatlichen Eingriffen, gewinnen vielmehr Herrschaft über ihren Erzeuger.39 Das „spezifisch juristische Anliegen“ europäischer Verfassungsgebung und -werdung ist demnach die Steigerung der normativen Kraft des Primärrechts im Sinne einer stärkeren rechtlichen Bindung der Mitgliedstaaten und der Unionsorgane.40 Erhöhte normative Kraft zeichnet sich aus durch die Verbannung von Ermessenselementen aus dem Recht durch die Einführung von mehr Stabilität, Sicherheit und Gleichförmigkeit.41 Im Unterschied zu einer „bloßen“ Verrechtlichung ist Konstitutionalisierung gekennzeichnet durch die Schaffung einer Vorrangordnung gegenüber den eigenen obersten Organen.42 Ein damit zusammen hängendes aber zugleich darüber hinaus gehendes Merkmal ist die jedenfalls faktisch erschwerte Abänderbarkeit des Primärrechts durch die Entstehung verallgemeinerbarer normativer Strukturen.43 Der Prozess der Konstitutionalisierung des Europarechts vollzieht sich auf vielfältige Weise. Kein zwingendes Argument gegen eine solche Konstitutionalisierung kann es sein, dass der Europäische Rat im Juni 2007 das „Verfassungskonzept“ ablehnte, „das darin bestand, alle bestehenden Verträge aufzuheben und Schuppert / Bumke, S. 32 ff. Vgl. m. w. N. von Bogdandy, 2005, S. 529 (530, 537 ff.); Dann, S. 37 (42 ff.); Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 632; Haltern, ELJ 2003, S. 14 (16); Hobe, S. 1 ff.; Pernice, 1999; S. 703 ff.; Wahl, 2002, S. 191 ff.; Walker, 2003, S. 365 (368 ff.); Weiler, 1999, S. 10 – 101; Wessels, 2003, S. 23 ff. 38 Z. B. Wahl, 2002, S. 191 (191 f., 198) m. w. N. 39 Peters, S. 174, 442, 447; ähnlich Caporaso, S. 29 (48 f.); Kirchhof, S. 893 (897) und Möllers, S. 1 (47 f.); dies bedeutet aber nicht eine Staatswerdung bzw. Kompetenz-Kompetenz der EU, insoweit bleiben die Mitgliedstaaten „Herren der Verträge“, vgl. z. B. von Danwitz, S. 1125 (1126). 40 von Danwitz, S. 1125 f., 1128 f.; Wahl, 2002, S. 191 (196 f., 198, 206 f.). 41 Shaw, 2000, S. 337 (344). 42 Wahl, 2002, S. 191 (196, 201, 206 f.); der Vorrang gegenüber dem einfachen Recht ist aber kein notwendiges Begriffsmerkmal von Verfassungen, vgl. dazu m. w. N. Peters, S. 351 ff. 43 Möllers, S. 1 (47); zu all diesen Charakteristika von (staatlichem und nicht-staatlichem) Verfassungsrecht auch Müller-Graff / Riedel, S. 9 (12). 36 37
A. Einbettung der Prinzipienlehre in die Verfassungsdiskussion
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durch einen einheitlichen Text mit der Bezeichnung ,Verfassung‘ zu ersetzen“, und zudem erklärte, dass die den VVE ersetzenden Reformverträge „keinen Verfassungscharakter haben“ werden.44 Dabei geht es allein um den Ausschluss des formellen Verfassungscharakters des künftigen EU-Rechts, um den Beginn eines neuen, von der Ratifizierung des VVE unabhängigen Vertragsänderungsverfahrens zu ermöglichen, nicht aber um die Ablehnung materieller Verfassungseigenschaften des Primärrechts. Es wird nicht erläutert, welche (rechtlichen, symbolischen oder sonstigen) Wirkungen mit „Verfassungscharakter“ angesprochen sind. Insbesondere möchte diese Erklärung ausdrücklich nicht die EuGH-Rechtsprechung zum Vorrang des EU-Rechts antasten.45 Im Zusammenhang mit der Konstitutionalisierung wurde stets die juristische Argumentationskultur des EuGH hervorgehoben, mit der er weit reichende Annahmen zur Rechtsnatur und Wirkung des Gemeinschaftsrechts begründete und so die Integration vorantrieb,46 sowie der primärrechtlich vorgesehene gerichtliche Schutz von Menschenrechten und das annähernd umfassende Rechtsschutzsystem.47 Aber auch die (bloße) Weiterentwicklung des Primärrechts durch Vertragsänderungen und der Erlass eines immer dichteren Netzes an Sekundärrecht treibe die Konstitutionalisierung voran. Laut Anne Peters können Verfassungsgebung, förmliche Verfassungsänderung und stiller Verfassungswandel schon im nationalen Recht kaum voneinander abgegrenzt werden; erst recht sind sie in Bezug auf die europäische Verfassung nicht voneinander zu isolieren, sondern müssen als Gesamtkomplex begriffen werden.48 Peters begreift die Konstitutionalisierung als neue Integrationstheorie mit gestaltender Bedeutung. Diese Konzeption hebt bestimmte Eigenschaften der Verträge hervor und stellt „sozusagen den alten Text in einer neuen Rolle“ dar. Traditionelle Verfassungselemente, die in der EG / EU „zum Teil nur unvollkommen vorliegen“, werden „durch die Verfassungsleseart verstärkt eingefordert“.49 Peters selbst liefert damit ein Paradebeispiel für eine Konstitutionalisierung durch rechtswissenschaftliche Dogmatik. Alles in allem ist „Gemeineuropäisches Verfassungsrecht [ . . . ] eher Ausdruck von Wachstumsprozessen als von Setzungsvorgängen, so wichtige Impulse von Positivierungen ausgehen können.“ Die dynamische Natur sei Ausdruck der „Prinzipien-Struktur des Gemeineuropäischen Verfassungsrechts“. Be44 Europäischer Rat von Brüssel, Tagung vom 21. / 22. Juni 2007, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage I, Nr. 1, 3. 45 Europäischer Rat von Brüssel, Tagung vom 21. / 22. Juni 2007, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage I, Fn. 1. 46 Haltern, Integration durch Recht, 2005, S. 399 (403); ders., ELJ 2003, S. 14 (14 f.); ähnlich Fernandez Esteban, S. 129 (130); Shaw, 2000, S. 337 (344 f.). 47 Haltern, ELJ 2003, S. 14 (15) m. w. N.; vgl. auch die Definition von Bieber, in: Bieber / Epiney / Haag, 2005, § 1 Rn. 36 f.; Caporaso, S. 29 (37) und Vilaça / Piçarra, S. 7 ff. m. w. N. 48 Peters, S. 360 f. m. w. N.; zur Verbindung der „harten“ und „weichen“ Definition der Konstitutionalisierung auch Wessels, 2003, S. 23 (25 ff.). 49 Peters, S. 32, 167 ff., 764 m. w. N.; den Unterschied zwischen Erkenntnisinteresse und integrationspolitischem Bestreben betont in diesem Zusammenhang Badura, S. 423 (428).
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
tont wird das „wirklich Grundlegende, das zugleich Offene und Flexible. Es soll und will nicht starr unitarisieren, es soll ,hinter‘ und subsidiär neben dem positiven Recht ,undogmatisch‘ greifbar werden, sei es geschrieben oder ungeschrieben“ und damit ein „Stück greifbare Integration leisten“.50 Damit sind wir beim nächsten Abschnitt, der die Forderung nach einer Konstitutionalisierung durch (Verfassungs-)Prinzipien genauer beleuchtet und einordnet.
III. Die Forderung einer Konstitutionalisierung durch (Verfassungs-)Prinzipien Um der Dynamik der EU gerecht zu werden, geben einige der Konstitutionalisierung durch Verfassungsprinzipien bewusst den Vorzug gegenüber einer Konstitutionalisierung durch einen kurzen starren Verfassungstext.51 Eine Prinzipienlehre könne zudem die Konstitutionalisierung erst vollenden. Die Europäische Prinzipienlehre wird definiert als „systematische Durchdringung der Strukturentscheidungen des europäischen Primärrechts“. Damit wird eine typische Verfassungsfunktion angestrebt, nämlich die Durchdringung aller Rechtsbeziehungen.52 Auch wenn die Forderung heute besonders laut wird, ist sie nicht neu. Heintzen stellte bereits 1994 eine „hohe Konjunktur“ von allgemeinen Rechtsgrundsätzen und Prinzipien in Deutschland und in der EU / EG fest. Deren Zweck sei es, „einen als unkalkulierbar empfundenen Entwicklungsprozeß zu stabilisieren, Entwicklungslinien zu verstetigen, Systemkonsistenz einzufordern, Sprünge und Brüche zu vermeiden, Erreichtes und nun bedroht Scheinendes zu sichern sowie bestimmte Optionen auszuschließen.“53 Derzeit fordert von Bogdandy einen konstitutionellen Weg der europäischen Integration, der die funktionale „Dominanz der Aufgaben“ ablöst.54 Die Suche nach dem „Inbegriff des Primärrechts“, also nach dessen Verfassungselementen, sei gemeinhin mit drei verschiedenen Absichten verbunden: Erstens hätten Prinzipien eine legislatorische Aufgabe bei der Neustrukturierung der Verträge und ihrer Fortentwicklung. Die Konsolidierung der Verträge zielt auf einen knappen Grundvertrag und auf die Identifizierung von verfassungsrechtlichen Bestimmungen.55 Zweitens dienten Prinzipien der Hierarchisierung innerhalb der geltenden Verträge. Dies umfasse Überlegungen zum „Wesen der Integration“ und die Identifizierung eines änderungsfesten Kerns. von Bogdandy verspricht sich aus dieser Funktion vor allem Aufschlüsse über den Umgang mit Prinzipienkollisionen.56 Drittens 50 51 52 53 54 55
Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 115 f. Vgl. nur Hertel, S. 251. von Bogdandy, 2003, S. 149 (149, 152). Heintzen, 1994, S. 35 (35 f.) m. w. N. von Bogdandy, 2003, S. 149 (155). von Bogdandy, 2003, S. 149 (150 f.).
A. Einbettung der Prinzipienlehre in die Verfassungsdiskussion
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seien Leit- und Strukturprinzipien Ausdruck eines großen Strukturplans, einer übergreifenden-sinnhaften Konzeption. Mittels Prinzipien könne man alle Rechtsbeziehungen durchdringen und Anschluss an allgemeine normative Diskurse gewinnen.57 Diese dritte Leistung einer Prinzipienlehre stellt von Bogdandy in den Mittelpunkt seiner Betrachtung. Die zweite Funktion hält er an sich für zu eng für das europäische Primärrecht, aber dennoch für hilfreich.58 Die erste Funktion von Prinzipien sei abhängig von Handlungen des Verfassungsgebers, also von einer Weiterentwicklung der Verträge, die derzeit noch nicht abzusehen ist. Die „Begründung einer wissenschaftlichen Teildisziplin“ sei damit aber nicht beabsichtigt.59 Die beiden letzten Funktionen sind hingegen (auch) durch evolutionäre Konstitutionalisierungsprozesse und damit auch durch die Rechtswissenschaft zu leisten. Mit ihnen wird sich daher auch diese Arbeit auseinandersetzen. Bereits in der Vergangenheit qualifizierten Wissenschaftler einige Grundsätze als europäische Prinzipien oder Verfassungsprinzipien, allerdings meist ohne eine Prinzipiendefinition oder eine Einbindung in eine Prinzipienlehre:60 von Bogdandy nennt als Prinzipien die in Art. 6 Abs. 1, 3 EU niedergelegten Grundsätze (Freiheit, Herrschaft des Rechts und Demokratie), das Prinzip der Solidarität gemäß Art. 1 Abs. 3 S. 2 EU und Art. 2 EG, das Prinzip der Loyalität gemäß Art. 10 EG61 und das Prinzip der Zielverwirklichung gemäß Art. 2 EU und Art. 2, 3 EG. Allerdings lehnt er ein aus der Präambelerwägung zum EG-Vertrag hergeleitetes „Rechtsprinzip von ,mehr Europa‘ als ,mehr Einheitlichkeit‘“ ab. Ebenso kritisch ist er gegenüber dem Prinzip der Supranationalität und dem Prinzip der Vielfalt bzw. der Flexibilität.62 Calliess leitet aus Art. 1 und 6 EU die „Verfassungsprinzipien“ der EU her.63 Ähnlich wurden von anderen der föderale Aufbau der EU, Demokratie,64 Gewaltentrennung, Grundrechtsschutz und Rechtsstaatlichkeit als Prinzipien der EU bezeichnet,65 ebenso die Grundfreiheiten66 und das Subsidiaritätsprinzip als von Bogdandy, 2003, S. 149 (151 f.). von Bogdandy, 2003, S. 149 (152); ähnlich zum Sekundärrecht Möllers, S. 1 (55). 58 von Bogdandy, 2003, S. 149 (151 f.). 59 von Bogdandy, 2003, S. 149 (151). 60 Vgl. neben den im Folgenden genannten Nachweisen auch Müller-Graff / Riedel, S. 9 (13 f.). 61 Dazu aktuell auch Kahl, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 10 EG Rn. 7; umfassend zur Loyalität als Rechtsprinzip in der EU Hatje, 2001. 62 von Bogdandy, 2003, S. 149 (163 ff.); anders zum Verfassungsprinzip der Supranationalität Badura, S. 423 (440); zur Rechtsnatur der Flexibilität Walker, 2000, S. 9 ff. 63 Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 1 EU Rn. 1; Wichard / Calliess, ebd., Art. 6 EU Rn. 1; zum VVE Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-2 VVE Rn. 12 f.; zu Art. 6 EU auch Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 1, 5; Wiener / Diez, 2004, S. 237 (246); zu Art. 6 Abs. 1 und der Päambel zum EU O. Koch, S. 195 f.; zu Art. I-2 VVE Rensmann, S. 49 (56 f.). 64 Auch Hilf, S. 9 (15) zählt in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH das „grundlegende demokratische Prinzip“ zu den europäischen Verfassungsprinzipien; ebenso Ruffert, EuR 2004, S. 165 (199). 56 57
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
Ausschnitt des Verhältnismäßigkeitsprinzips.67 H.-P. Ipsen identifizierte bereits 1983 recht großzügig einige Verfassungsprinzipien der EG, nämlich das Rechtsprinzip, das Supranationalitätsprinzip, das Prinzip des Entscheidungsverfahrens und das Demokratieprinzip. Die Integration hingegen sei „als absoluter Hauptzweck der Vergemeinschaftung jenes Verfassungsziel, das nicht selbst ein Verfassungsprinzip darstellt, sondern unter Einsatz von Verfassungsprinzipien als ihren Instrumenten als Endzweck zu verfolgen ist“.68 Andere sahen die wirtschaftsorientierte Einheitsintegration als allgemeingültiges Prinzip der EG an.69 Bernhardt unterschied schon 1987 zwischen allgemeinen Verfassungsprinzipien (Offenheit der Gemeinschaftsverfassung, Stabilität / Rechtssicherheit, Einheit der Gemeinschaftsverfassung, Effektivität des Gemeinschaftsrechts, Öffentlichkeit) und speziellen Verfassungsprinzipien (institutionelles Gleichgewicht, vertikale Zuständigkeitsverteilung – also Autonomie, Vorrang des Gemeinschaftsrechts, Integration, dezentrale Aufgabenerfüllung, Gemeinschaftstreue –, Grundrechtsschutz, Pluralismus).70 Häberle verweist auf den gesamteuropäischen Zusammenhang und identifiziert Rechtsstaat und Demokratie als gemeineuropäische Prinzipien.71
B. Konkretisierung der europäischen Prinzipienlehre Der folgende Abschnitt widmet sich der Konkretisierung einer europäischen Prinzipienlehre. Zu diesem Zweck wird der Prinzipienbegriff definiert und gezeigt, wie und woraus europäische Prinzipien herzuleiten sind und welche Wirkungen sie im Einzelnen entfalten. Dabei werden die Forderungen nach einer Verfassungsprinzipienlehre stets mit den herrschenden Ansichten zur Rechtsnatur des geltenden Primärrechts abgeglichen. Gleiches gilt für die hier aufgestellten Vorgaben zur Auflösung von Prinzipienkollisionen und deren Justiziabilität. Im Ergebnis wird dadurch eine Fortentwicklung des Europarechts durch eine Vereinheitlichung seiner Anwendung erreicht, weniger eine revolutionäre Neudefinition der Verträge.
Griller, S. 201 (253 ff.). Schindler, S. 164 f. m. w. N. 67 O. Koch, S. 195. 68 H.-P. Ipsen, 1983, S. 9 (12 ff.). 69 Langeheine, S. 47 (119); was er unter Prinzipien versteht, erörtert er auf S. 52; vgl. auch Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 1 EU Rn. 1, 22; ders., in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-1 VVE Rn. 8; ders., Online-Beitrag, 2004, S. 20: Integration als Verfassungsprinzip der EG. 70 Bernhardt, S. 67 f. 71 Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 391. 65 66
B. Konkretisierung der europäischen Prinzipienlehre
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I. Der Prinzipienbegriff Bedeutung, Funktionen, Vorteile und Nachteile einer Prinzipienlehre können freilich nur ermittelt werden, wenn der Prinzipienbegriff klar umrissen ist. Eben dieser wird aber nicht einheitlich verwendet, sondern ist je nach Kontext verschieden. Erschwerend kommt hinzu, dass auch aus zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten nicht eindeutig hervorgeht, ob der Begriff umgangssprachlich oder fachlich gebraucht wird. Wörtlich bedeutet der Begriff Prinzip Ursprung oder Grundlage (von lat.: principium). In der Philosophie bezeichnet ein Prinzip den Ursprung alles Existierenden. Auch bewährte Sätze von großer Allgemeinheit, die sich zum Aufbau eines Wissensgebiets eignen, werden heute als Prinzipien bezeichnet. Umgangssprachlich handelt es sich bei einem Prinzip um eine Richtschnur des Handelns.72 In der Rechtswissenschaft wird der Prinzipienbegriff meist synonym mit dem Begriff „Grundsatz“ verwendet; seine Definition ist aber alles andere als eindeutig.73 Gemeinsam ist allen „Prinzipienlehren“ die Verwendung von Prinzipien als dogmatische Bausteine, die wie Begriffsbildungen, Typologien und Lehrsätze dazu dienen, ein „dogmatische[s] Geflecht aus seiner Unordnung, Mehrdeutigkeit und Widersprüchlichkeit in ein kohärentes, einheitliches Gefüge zu übersetzen und es dadurch verstehbar, erlernbar und handhabbar zu machen“74. Am weitesten fortentwickelt ist der Prinzipienbegriff im nationalen Recht. Doch auch im Völkerrecht und im Europarecht wurden erste Definitionsversuche unternommen. 1. Der Prinzipienbegriff im deutschen Verfassungsrecht Selbst im deutschen Recht wird der Prinzipienbegriff nicht einheitlich konkretisiert. Die verschiedenen Ordnungsversuche und Prinzipienbegriffe stehen aber nicht in einem Konkurrenzverhältnis zueinander, sondern nehmen Bezug aufeinander. Sie unterscheiden sich nach dem Kriterium, anhand dessen Rechts- und Verfassungsvorgaben geordnet werden.
Brockhaus, Bd. 17, 1996, „Prinzip“. Vgl. Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 2; Kassner, S. 83 f.; zur Vielfalt der Arten von Prinzipien Alexy, 1996, S. 72 ff.; ders., 1995, S. 177 (185 f.); Ávila, S. 16, 24 ff.; Überblick über die Verfassungsprinzipiendebatten in Europa bei von Bogdandy, 2000, S. 208 (233 ff.). 74 Haltern, Europawissenschaft, 2005, S. 37 (46) ordnet Leit- und Strukturprinzipien ausdrücklich der rechtswissenschaftlichen Dogmatik zu. Die im Folgenden betrachteten Rechtswissenschaftler legen dieses Verständnis implizit ihren Arbeiten zugrunde. Meiner Arbeit liegt das deutsche Verständnis von Verfassung und Prinzipien zugrunde, da Ziel die Erarbeitung kohärenter Lösungsansätze ist; zudem geht auch von Bogdandy von diesem Verständnis aus. Die Unterschiede des deutschen Verständnisses gegenüber dem französischen (Verfassungsprinzipien als „Fundamentalnormen in historisch-genetischer Beschreibung ohne Vollständigkeitsanspruch“) und dem britischen Verständnis (Prinzip der Parlamentssouveränität) stellen z. B. Lorz, S. 99 (103 ff.) und Riedel, S. 77 (80) dar. 72 73
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
a) Leit- und Strukturprinzipien Wie bereits erwähnt, geht es von Bogdandy auf europäischer Ebene in erster Linie um die Identifizierung von Strukturprinzipien und damit um einen übergreifenden normativen Bezugsrahmen für das primärrechtliche Gefüge. Er lehnt sich dabei inhaltlich aber auch begrifflich sehr an die Umschreibung der im deutschen Verfassungsrecht bekannten sog. Leit- und Strukturprinzipien an. Diese werden definiert als die geschriebenen und ungeschriebenen Grundsätze, die den rechtsstaatlichen Rahmen des Regierens umreißen oder inhaltliche Grundentscheidungen der Verfassung enthalten.75 Sie haben zwei Funktionen: Sie ermöglichen zum einen, „die Verfassung als Einheit und den Verfassungstext als – wenn auch teilweise unzureichenden – Ausdruck eines ,großen‘ Strukturplans zu begreifen. Die einzelnen Verfassungsbestimmungen werden so zu Bestandteilen einer übergreifend-sinnhaften Konzeption.“76 Versteht man die Verfassung als Einheit, sind Abwägungen unvermeidbar, um verfassungsrechtliche Spannungen abzubauen. Dies sei „unschädlich, solange es zum einen gelingt, generalisierungsfähige Vorrangregelungen zu entwickeln, und zum anderen die Illusion vermieden wird, dass die Lösung bestehender sozialer und politischer Konflikte durch das Verfassungsrecht vorherbestimmt werde.“ Abwägungen seien vielmehr die Rechtfertigung einer Entscheidung, die auch anders hätte ausfallen können.77 Zum anderen dienen die Leit- und Strukturprinzipien der verfassungsrechtlichen Umschließung der einfachen Rechtsordnung. Für die Rechtspraxis entstehe auf diese Weise ein Orientierungsrahmen.78 Von den Leit- und Strukturprinzipien unterschieden werden rechtsgebietsübergreifende Vorgaben, Abwägungsvorgaben, gewährleistungsspezifische Vorgaben und Gesetzgebungsaufträge.79 Die Abgrenzung ist nicht haarscharf, denn diese Normkategorien sind miteinander verwandt und ergänzen sich gegenseitig. Zur Illustration sollen ihre spezifischen Charakteristika kurz genannt werden. Rechtsgebietsübergreifende Vorgaben gestalten die einfache Rechtsordnung rational und verlässlich aus; sie verhelfen dem Verfassungsrecht zur „wirkungsmächti75 Schuppert / Bumke, S. 39 m. w. N.; ähnlich Bernhardt, S. 59; anders Sommermann, S. 372 f. m. w. N., der „entgegen einem verbreiteten Sprachgebrauch“ noch einmal unterscheidet zwischen Staatszielbestimmungen (Handlungsziel) und Strukturprinzipien (Handlungsmodus). 76 Schuppert / Bumke, S. 39; vgl. die sehr ähnlichen Formulierungen bei von Bogdandy, 2003, S. 149 (152). 77 Schuppert / Bumke, S. 41 m. w. N. 78 Schuppert / Bumke, S. 40. 79 Diese Unterscheidung treffen Schuppert / Bumke, S. 40 ff.; eine leicht abgewandelte Unterscheidung trifft Sommermann, S. 362 ff. ausgehend von den Staatszielbestimmungen, als verwandte Normkategorien erachtet er Gesetzgebungsaufträge, Aufgabennormen, Kompetenzbestimmungen, institutionelle Garantien, soziale Rechte und Strukturprinzipien (dies als Beispiel für die Vielfalt der Begrifflichkeiten, die hier nicht umfassend dargestellt oder gar geklärt werden kann).
B. Konkretisierung der europäischen Prinzipienlehre
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gen Entfaltung“. Zu ihnen zählen z. B. der Verhältnismäßigkeits- und der Vertrauensschutzgrundsatz.80 Abwägungsvorgaben schränken den Spielraum des Gesetzgebers und der Gerichte bei der Abwägung kollidierender Verfassungsvorgaben ein. Zu ihnen zählt z. B. der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i. e. S., also der Gedanke des angemessenen Ausgleichs. Dieser helfe bei der Ausfüllung von Freiräumen, „weil er die Vorgehensweise vereinheitlicht und zur Rückbindung an die verfassungsrechtlichen Vorgaben zwingt, wodurch auch Wertungsmaßstäbe synchronisiert werden.“81 Gewährleistungsspezifische Vorgaben werden definiert als die einer Verfassungsbestimmung eigentümlichen Leitmaßstäbe, Wertungen und Grenzbestimmungen. Diese Vorgaben können im Rahmen von Abwägungen die Abwägungsstruktur festlegen oder feste Grenzen innerhalb des Abwägungsprozesses begründen, wie z. B. das Prinzip des Existenzminimums und die Prinzipien der Privatnützigkeit und Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Erst diese Funktion enge den politischen Gestaltungsspielraum von Parlament und Regierung ein.82 Gesetzgebungsaufträge unterscheiden sich von Strukturprinzipien dadurch, dass sie erstens nur den Gesetzgeber binden, und zweitens eine klare inhaltliche Direktive enthalten, nämlich das Gebot, ein konkretes Reformprogramm gemäß bestimmter verfassungsrechtlicher Vorgaben umzusetzen. Gesetzgebungsaufträge statuieren also eine konkrete und ausdrückliche Reformverpflichtung im Gegensatz zu dem allgemeinen und mit einem sehr weiten Gestaltungsspielraum verbundenen Verwirklichungsgebot.83 Ordnungskriterium dieser Unterscheidung ist die Art der Bindungswirkung einzelner Verfassungsvorgaben und ihre ganz spezifische Funktion in der Rechtsordnung. Der Prinzipienbegriff taucht an verschiedenen Stellen auf, wird aber selbst nicht definiert. Um die Wesensmerkmale der Prinzipien herauszuarbeiten, bedarf es einer Analyse der Struktur von Rechtsnormen. Dieser widmet sich der folgende Abschnitt.
b) Prinzipien als rechtsverbindliche Optimierungsgebote Der Begriff „Prinzip“ bezeichnet in der Rechtstheorie eine besondere Kategorie von Normen. Ausgangspunkt ist die starke Trennungsthese, wonach ein logischer, also ein struktureller und nicht bloß gradueller, Unterschied in der Normstruktur von Regeln und Prinzipien besteht, aus dem sich Unterschiede für die Rechtsanwendung ergeben.84 Die Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien wird Schuppert / Bumke, S. 40. Schuppert / Bumke, S. 41 f. 82 Schuppert / Bumke, S. 43. 83 Schuppert / Bumke, S. 43 f. m. w. N.; ebenso Sommermann, S. 362 ff. 84 Übersichtlich zur starken und schwachen Trennungsthese und zur Übereinstimmungsthese Alexy, 1996, S. 72 ff.; ders., 1995, S. 177 (184); Borowski, S. 61 und Sieckmann, S. 53; 80 81
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
von verschiedenen Autoren vertreten, wobei Terminologie und Inhalt nicht immer gleich sind.85 Nur erwähnt, aber nicht näher erläutert sei an dieser Stelle die Prinzipienlehre Dworkins, die dieser auf der Suche nach guten Gründen für richterliche Entscheidungen und anlässlich einer Auseinandersetzung mit der positivistischen Rechtstheorie H. L. A. Harts entwickelte. Dworkin betonte die Bedeutung von Prinzipien i. S. v. Entscheidungsgründen, die sich einer Einordnung als Rechtsoder Moralnormen entziehen.86 Dworkins Rechtsmodell war und ist einiger Kritik ausgesetzt. Beanstandet wurde v. a. das antipositivistische Argument, mit dem Dworkin die Trennung von Recht und Moral bestreitet.87 Alexy entwickelte die Prinzipientheorie Dworkins weiter und wendete diese auf die deutschen Grundrechte an. Alexy wollte grundrechtliche Begründungsstrukturen rational rekonstruieren, also rationale Kriterien und Begründungen vor allem des Bundesverfassungsgerichts zu einem einheitlichen System zusammenfassen.88 Obwohl Alexy keine generellen Aussagen zu Grundrechten und Verfassungsbestimmungen beabsichtigte, ist seine Prinzipienlehre auch außerhalb des deutschen Grundgesetzes aussagekräftig.89 Alexy definiert Prinzipien als Optimierungsgebote. Sie gebieten, dass etwas im Rahmen der tatsächlichen und der rechtlichen Möglichkeiten in möglichst hohem Maße erreicht werden soll. Der Bereich der rechtlichen Möglichkeiten wird bestimmt durch gegenläufige Prinzipien und Regeln. Regeln hingegen seien definitive Festsetzungen, die entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden können; ihre Anwendungsform ist die Subsumtion.90 Laut damit verwandt sind die hier nicht näher betrachteten Unterscheidungen von Konditionalund Finalprogramm (Niklas Luhmann) sowie von Verhaltens- und Aufgabennormen (Ota Weinberger), vgl. dazu m. w. N. Sommermann, S. 356 – 359; Rechtsanwendung wird hier verstanden als Bestimmung dessen, was in bestimmten Fällen rechtlich gesollt ist, vgl. Sieckmann, S. 223. 85 Übersichtlich und m. w. N. zu diesen Prinzipienlehren Alexy, 2000, S. 31 ff.; Ávila, S. 24 ff.; Borowski, S. 62 ff., H. Hofmann, S. 137 ff.; Schilcher / Koller / Funk, 2000 und Sieckmann, S. 52 ff. 86 Dazu m. w. N. Alexy, 1995, S. 177 (177 – 180); Borowski, S. 62 f. und H.-J. Koch, Prinzipienargument, 2003, S. 431; insb. Angriff Dworkins auf die vom Rechtspositivismus behauptete Trennung von Recht und Moral, vgl. dazu Sieckmann, S. 14 f. 87 Vgl. H.-J. Koch, Prinzipienargument, 2003, S. 431 (439 ff.); vgl. zu weiteren Kritikpunkten m. w. N. Alexy, 2003, S. 217 (220 f.); ders., 1995, S. 177 (188 ff.) und Borowski, S. 65 ff. 88 Z. B. Alexy, 1990, S. 49 (54); dazu m. w. N. Borowski, S. 67, 80; Rivers, S. xvii; Sommermann, S. 360 (der die Erkenntnisse für Staatszielbestimmungen fruchtbar macht); Stern, S. 501; das BVerfG behandelt in ständiger Rechtsprechung Grundrechte als Prinzipien, nimmt dabei aber keinen Bezug auf die theoretische Fundierung Alexys, vgl. H.-J. Koch, Prinzipienargument, 2003, S. 431 (433) m. w. N. 89 Rivers, S. xvii (xviii). 90 Z. B. Alexy, 2003, S. 217 (223 ff.); ders., 1996, S. 75 ff.; ders., 1990, S. 49 (54); so zur Prinzipienlehre Alexys m. w. N. Borowski, S. 67 f.; H.-J. Koch, Prinzipienargument, 2003, S. 431 (432); Schindler, S. 163 f.; Sieckmann, S. 63; Sommermann, S. 360 f.; die gleiche Unterscheidung treffen Schuppert / Bumke, S. 44 f.; nicht näher betrachtet wird in dieser Arbeit
B. Konkretisierung der europäischen Prinzipienlehre
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Alexy sind Normen nicht zwingend entweder Regeln oder Prinzipien, sie könnten auch einen Doppelcharakter haben. Der Normativgehalt deutscher Grundrechte z. B. könne nur anhand einer kombinierten Betrachtung nach dem Regel-Prinzipien-Modell beschrieben werden.91 Alexy macht zwei wesentliche (miteinander zusammenhängende) Unterschiede zwischen Regeln und Prinzipien aus: Ein struktureller Unterschied bestünde in ihrem Kollisionsverhalten.92 Zu einer Regelkollision kommt es, wenn mehrere Regeln ihren Tatbestandsmerkmalen nach anwendbar sind, aber unterschiedliche Rechtsfolgen anordnen. Gelöst wird diese Kollision durch Ausnahmeklauseln oder durch Ungültigerklärung einer der beiden Regeln. Man spricht daher auch von der Dimension der Geltung der Regeln.93 Bei einer Prinzipienkollision kommt hingegen deren Dimension des Gewichts zum Tragen. Keines der beiden Prinzipien wird für ungültig erklärt und keines von ihnen mit einer Ausnahmeklausel versehen. Vielmehr können sich Prinzipien gegenseitig ergänzen oder begrenzen. Bei einer Kollision trete eines der beiden Prinzipien im Einzelfall zurück. Gerichte müssten eine Abwägung durchführen, also eine Vorrangrelation unter Nennung der Vorrangbedingungen bilden.94 Nicht durch Abwägung gelöst werden könnten Regel-Prinzipien-Kollisionen, sind doch Regeln weder abwägungsfähig noch -bedürftig. Strikte Regeln gingen unabhängig von ihrem Gewicht den Prinzipien vor; von nicht strikten Regeln könne aufgrund eines Prinzips abgewichen werden, falls dieses Prinzip die die Regel stützenden Prinzipien überwiegt.95 Der zweite logische Unterschied zwischen Regeln und Prinzipien betreffe deren Rechtsfolge. Regeln gelten immer definitiv, wenn ihr Tatbestand erfüllt ist. Prinzipien enthalten hingegen nur prima facie-Gebote, stellen bei Erfüllung ihres Tatbestands also nur Gründe dar, die durch gegenläufige Gründe ausgeräumt werden können. Anders als Regeln verlangen Prinzipien also kein bestimmtes Ergebnis; regelmäßig gibt es mehr als eine richtige Entscheidung.96 Aus dem Prinzipiencharakter folge logisch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Geeignetheits- und Erforderlichkeitsprüfung trage der Abhängigkeit der Erfüllung von tatsächlichen Gegebenheiten Rechnung, die Prüfung der Verhältnismäßigkeit i. e. S. der Abhängigkeit von rechtdie Ergänzung des Begriffspaars „Regeln und Prinzipien“ um den Begriff der „Elemente“, dazu einige Beiträge in Schilcher / Koller / Funk, 2000. 91 Alexy, 1996, S. 117 ff.; zustimmend H.-J. Koch, Prinzipienargument, 2003, S. 431 (435); Rivers, S. xvii (xxviii) und Sommermann, S. 361 f. 92 Alexy, 2000, S. 31 (32 ff.); ders., 1996, S. 77 ff.; zustimmend z. B. Fernandez Esteban, S. 129 (131). 93 Alexy, 1996, S. 77 ff.; dazu m. w. N. z. B. Borowski, S. 68 f. und Sommermann, S. 361, 411. 94 Alexy, 1996, S. 78 f.; dazu m. w. N. z. B. Borowski, S. 69 f., H. Hofmann, S. 140 f. und Sommermann, S. 361, 411. 95 Dazu m. w. N. z. B. Borowski, S. 70 f. 96 Alexy, 2003, S. 217 (225, 233); ders., 1996, S. 87 ff.; ders., 1995, S. 177 (201 ff.); dazu und zur Relativierung dieser Aussage m. w. N. Borowski, S. 73 f. und H.-J. Koch, Prinzipienargument, 2003, S. 431 (438 f.).
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
lichen Gegebenheiten.97 Aufgrund dieser unterschiedlichen Eigenschaften dienen Regeln v. a. solchen Politiken, die auf (Rechts-)Sicherheit aus sind, Prinzipien hingegen Politiken, bei denen die Flexibilität vordergründig ist.98 Die Prinzipien selbst unterteilt Alexy in formelle und materielle Prinzipien: Formelle Prinzipien hätten selbst keinen materiellen Gehalt, sondern bestimmen, insbesondere durch Zuständigkeits- und Verfahrensvorgaben, wie ein solcher Gehalt festzulegen oder zu ermitteln ist.99 Die Abwägung zwischen formellen und materiellen Prinzipien führe zur Lösung des Problems des epistemischen (erkenntnistheoretischen) Ermessens100, wird also immer dann relevant, wenn das Wissen darüber, was erlaubt, verboten oder ins Ermessen gestellt ist, aus empirischen oder normativen Gründen unklar ist.101 Alexy grenzt Prinzipien nicht nur von Regeln ab, sondern auch von Werten.102 Prinzipien und Werte seien zwar strukturgleich, jedoch hätten Werte nur axiologischen Charakter, zeichneten also etwas als „gut“ aus; Prinzipien hingegen wären deontologisch, bestimmten also, was „gesollt“ ist. Im Ergebnis ist Alexys Prinzipientheorie „eine von unhaltbaren Annahmen gereinigte Werttheorie“.103 Zusammenfassend definiert Alexy Prinzipien als rechtsverbindliche Optimierungsgebote, die oft mit folgenden anderen Charakteristika verknüpft sind. Prinzipien sind häufig sehr unbestimmt formuliert. Sie sind oft Gründe für manchmal sehr technisch formulierte Regeln; folglich tritt ihr Wertungsgehalt meist explizit hervor. Prinzipien haben eine größere Bedeutung für die Rechtsordnung, wenn sie zugleich als wesentliche Gründe für unzählige Regeln angesehen werden. Zudem werden Prinzipien oft als „gewachsen“ beschrieben (nicht als „geschaffen“). Denn sie müssen nicht ausdrücklich festgeschrieben sein, sondern können aus einer Vielzahl spezieller Normen oder aus Gerichtsentscheidungen, die Ausdruck eines weit verbreitenden Verständnisses darüber sind, was rechtlich gelten sollte, hergeleitet werden. Diese anderen Charakteristika sind laut Alexy aber nicht wesensbestimmend.104 97 Z. B. Alexy, 2000, S. 31 (35 f.); ders., 1996, S. 100 ff.; ders., 1990, S. 49 (54 f.); dazu m. w. N. Borowski, S. 74 f.; Rivers, S. xvii (xviii, xxix); Schindler, S. 164 f. 98 Alexy, 1995, S. 177 (202 Fn. 90). 99 Alexy, 2002, S. 416 f. 100 Die andere Form des Ermessens ist das strukturelle Ermessen, das aus der normativen Struktur von Grundrechten selbst folgt, dazu Alexy, 2002, S. 413 f. 101 Alexy, 2002, S. 414 ff. (insb. Abwägung der Grundrechte mit dem Demokratieprinzip). 102 Alexy, 1996, S. 125 ff.; vgl. zur Abgrenzung zwischen Normen und Werten auch Joas / Mandry, S. 541 (546 ff.); ähnlich zur Unterscheidung zwischen Recht und Ethik Stein, S. 1 f.; zum Wertebegriff in der modernen Gesellschaft Kühnhardt, S. 189 ff. 103 Alexy, 2003, S. 217 (229 f.); ders., 1996, S. 18, 126 ff.; ders., 1990, S. 49 (55); dazu m. w. N. Borowski, S. 75; zustimmend z. B. Fernandez Esteban, S. 129 (131) m. w. N. 104 Alexy, 2002, S. 60 f.; ders., 1996, S. 92 f.; zu den verschiedenen Charakteristika m. w. N. auch Alexy, 2003, S. 217 (218).
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Alexys Prinzipientheorie ist weitgehend anerkannt, auch wenn es Kritiker gibt: Normtheoretische Kritik erfuhr der Optimierungscharakter von Prinzipien und der unterschiedliche prima facie-Charakter von Regeln und Prinzipien.105 Zudem bliebe unklar, wie im Rahmen der grundrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes Regeln und Prinzipien unterschieden werden sollen; der „Hinweis auf Abwägungserfordernisse zur Begründung des Prinzipiencharakters [komme] einer petitio principii zumindest gefährlich nahe.“106 Überdies lasse Alexys Theorie einige substantielle Fragen offen, z. B. indem sie nicht zwischen subjektiven Rechten und kollektiven Gütern trennt.107 Sieckmann trägt dieser Kritik an Alexys Prinzipienmodell durch eine vielschichtige und komplexe Theorie des Rechtssystems Rechnung. Sein Ziel ist die Klärung des Verhältnisses von Recht und Moral.108 Zwischen Regeln und Prinzipien macht Sieckmann komplexe strukturtheoretische und geltungstheoretische Unterschiede aus: „Im Ergebnis werden Prinzipien als Zielbestimmungen mit idealem Charakter definiert. Sie enthalten Geltungsgebote, d. h. Gebote der definitiven Geltung von Normen [ . . . ], und implizieren universelle Handlungsgebote, d. h. Gebote, alles zu tun, was die Realisierung des betreffenden Ziels fördert [ . . . ]. Sie unterscheiden sich von Regeln ferner in ihrer Geltungsweise. Diese ist negativ dadurch gekennzeichnet, daß Prinzipien nicht unmittelbar in Form von Geltungsaussagen ausgedrückt werden können [ . . . ], positiv dadurch, daß Prinzipien abwägungsfähig sind, d. h. Gründe für Abwägungsentscheidungen bilden [ . . . ]. Regeln sind demgegenüber Normen, die in Geltungsaussagen formuliert werden und dementsprechend nicht abwägungsfähig sind [ . . . ].“109
Sieckmann stellt einen engen Zusammenhang her zwischen der Art der Rechtsanwendung und Rechtsgeltung im Prinzipienmodell einerseits110 und dem Verhältnis zwischen Recht und Moral andererseits. Seine These lautet, „daß das Prinzipienmodell nicht nur in Abwägungsentscheidungen bei der Festsetzung von Vorrangrelationen zwischen kollidierenden Prinzipien moralische Wertungen erfordert, sondern auch der Rechtsbegriff so definiert werden sollte, daß materiell begründete, moralisch gültige Prinzipien rechtlich gelten, sofern sie nicht positivrechtlich (formell) als Rechtsprinzipien ausgeschlossen werden [ . . . ]. Allerdings ist es in entwickelten Rechts-
105 Dazu m. w. N. Alexy, 2000, S. 31 (36 ff.); Ávila, S. 18, 34 ff.; Borowski, S. 76 ff.; H. Hofmann, S. 140 f. Fn. 247; Sieckmann, S. 63 ff.; Schilcher, S. 153 (162 ff.). 106 Stern, S. 502. 107 Rivers, S. xvii (xviii). 108 Sieckmann, S. 14. 109 Sieckmann, S. 22; ähnlich auf S. 141: Prinzipien sind „Normen, die bestimmte Ideale oder Ziele soweit wie möglich zu realisieren gebieten. Diese Normen können positivrechtlich oder auch [ . . . ] moralisch begründet sein.“ Nur ähnlich (ohne geltungstheoretische Aussagen) Ávila, S. 69 ff., 129: Prinzipien hätten eine unmittelbar finalistische Funktion, zielen also auf die Erreichung eines Zwecks, Regeln hätten hingegen eine unmittelbar deskriptive Funktion, seien also Verhaltens- oder Kompetenznormen. 110 Dazu auch Neumann, S. 115 ff.
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systemen fast ausgeschlossen, dass auf rein materiell begründete Prinzipien zurückzugreifen ist.“111
Formelle Prinzipien sind also der Grund dafür, warum in Sieckmanns Prinzipienmodell nicht jedes gerechte Prinzip rechtlich gilt und auch ungerechtes Recht gültig sein kann. Mit dieser differenzierten Sichtweise versucht er einen dritten Weg zwischen der positivistischen Trennungsthese und der Naturrechtsthese.112 Kritisiert wird dieses Modell, das letztlich Alexys Prinzipienmodell näher steht als dem von Dworkin, aufgrund der Komplexität der Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien, die der Prinzipienlehre ihre „intuitive Plausibilität“ raubt, ohne dabei zu einem entscheidenden Erkenntnisgewinn zu führen.113 In dieser Arbeit wird daher Alexys Prinzipienbegriff zugrunde gelegt und nur dort auf Sieckmann zurückgegriffen, wo dies aufgrund von Lücken in Alexys Modell dienlich scheint. 2. Kein völkerrechtlicher Prinzipienbegriff Einen völkerrechtlichen Prinzipienbegriff gibt es noch nicht, vielmehr eine „Variationsbreite und Disparitäten“ bei der Behauptung völkerrechtlicher Prinzipien.114 Überwiegend werden Prinzipien gebraucht, um die Bindungswirkung von Normen in rein politischen Dokumenten zu begründen und um Rechtslücken zu schließen.115 Es bestehen aber sehr unterschiedliche Vorstellungen über die unterschiedlichen Stufen der Normativität bzw. Verbindlichkeit des Völkerrechts. Streitig sind auch die Prüfkriterien zur Zuordnung einzelner Normen zu einer Stufe, und selbst bei der Anwendung derselben Prüfkriterien kommt es zu Auseinandersetzungen über die tatsächliche Zuordnung konkreter Normen zu einer der verschiedenen Stufen.116 Nicht zu verwechseln ist der Prinzipienbegriff im Völkerrecht mit den Rechtsgrundsätzen i. S. v. Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut.117 Das Fehlen einer vertraglichen Verankerung des Prinzipienbegriffs fördert den Streit über die (Rechts-)Wirkung von Prinzipien. Für einige sind Prinzipien allgemeine Grundsätze, die Staaten zu einem bestimmten Verhalten verpflichten, die Maßstab bei der Auslegung und Anwendung bestehender völkerrechtlicher Regelungen sind und die zukünftige Entwicklung des (Umwelt-)Völkerrechts steuern. Auf diese Weise schüfen sie insgesamt ein kohärentes und konsistentes Völkerrecht.118 Auf 111 Letzteres sei als empirische Frage aber zu trennen von der Frage nach einer adäquaten Definition des Rechtsbegriffs, Sieckmann, S. 22 f. 112 Sieckmann, S. 173, 255 – 257. 113 Borowski, S. 88 f. 114 So zum Umweltvölkerrecht Beyerlin, S. 31 (42). 115 Z. B. Beyerlin, S. 31 (42); W. Lang, S. 9 (12); zum Begriff der Lücke im Völkerrecht ausführlich Fastenrath, S. 15 ff. 116 Beyerlin, S. 31 (49). 117 Fastenrath, S. 125.
B. Konkretisierung der europäischen Prinzipienlehre
117
den Grad der Allgemeinheit oder die Allgemeinverbindlichkeit käme es hingegen nicht an für die Unterscheidung zwischen Prinzipien und anderen Völkerrechtsnormen.119 Andere identifizieren bestimmte Arten von Prinzipien je nach deren spezifischen Funktion: Strukturprinzipien mit Leitlinienfunktion ähnelten verfassungsrechtlichen Prinzipien und binden als „gewisse Eckpunkte“ Staaten bei der Fortbildung des Rechts.120 Statusprinzipien, die an konkreten Gegenständen, meist Räumen, „wie ein Rechtsfolgenbündel“ hafteten, hätten die „Intention dinglicher Rechtswirkungen“ und seien grundsätzlich nie kumulativ anwendbar.121 Wiederum andere knüpfen die Wirkungen an die vertragliche Verankerung und messen nur Prinzipien im operativen Teil völkerrechtlicher Abkommen Bindungswirkung bei. Solche Prinzipien enthielten zwar rechtliche Standards; diese aber seien unbestimmter als Verpflichtungen, verlangen insb. keine konkreten Handlungen.122 Mittlerweile wird auch die strukturtheoretische Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien gemäß Dworkin und Alexy auf völkerrechtliche Verträge übertragen.123 Andere sind hingegen noch sehr zurückhaltend hinsichtlich der Wirkung völkerrechtlicher Prinzipien. Diese seien zwar hilfreich bei der Rechtsschöpfung und Rechtsdurchsetzung, gehörten aber häufig „zu jener Grauzone, die mit dem Begriff ,soft law‘ umschrieben“ wird. Diesem fehle „jener normative Impuls und jene Konkretheit“, um als vollverbindliches Recht qualifiziert zu werden. Prinzipien seien also „nicht das ,trojanische Pferd‘, mit dessen Hilfe der Weg vom Politischen [ . . . ] zum Rechtlichen [ . . . ] ohne größeres Aufsehen geschafft wird. Der Wille zur Normwerdung oder Normsetzung muß irgendwann einmal klar erkennbar sein; Quantität schlägt nicht automatisch in Qualität um.“124
3. Europäischer Prinzipienbegriff Einen einheitlichen europäischen Prinzipienbegriff gibt es bislang nicht. Der EuGH verwendet den Begriff in seiner Rechtsprechung nicht. In der Lehre wird der Prinzipienbegriff unterschiedlich gebraucht. Einige Vorschläge seien vor118 Epiney, S. 43 (47); Expertengruppen erarbeiteten bereits Mitte der 1990er Jahre völkerrechtliche Konzepte und Prinzipien, denen sie entsprechende Funktionen beimaßen, ohne allerdings deren Rechtsnatur festzulegen, dazu m. w. N. Beyerlin, S. 31 (43 f.) und W. Lang, S. 9 (13 ff.); sehr verständlich ist diesbezüglich die Darstellung von Graefrath, S. 8 f. anlässlich der Verankerung von Völkerrechtsprinzipien im heutigen Art. 2 UNCh. 119 Graefrath, S. 10 ff. 120 Hohmann, S. 23 (32, 40 f.); dargestellt bei Beyerlin, S. 31 (43 f.); allgemein zu Strukturprinzipien des Völkerrechts m. w. N. Fastenrath, S. 125 ff.; zum Vergleich von Völkerrechtsprinzipien mit innerstaatlichen Verfassungsnormen bereits Graefrath, S. 16 m. w. N. 121 Dazu m. w. N. Beyerlin, S. 31 (48 f.). 122 Dazu m. w. N. Beyerlin, S. 48. 123 Beyerlin, S. 31 (51 ff.) m. w. N. 124 W. Lang, S. 9 (20).
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
gestellt, bevor unter Vorwegnahme der Ergebnisse dieses Kapitels eine eigene Definition vorgeschlagen wird. a) Bisherige Vorschläge Laut Calliess haben europäische Prinzipien nicht mehr nur die tradierte Bedeutung als zentrale Grundsätze einer Rechtsordnung, sondern müssen in einem rechtstechnischen Sinne verstanden werden als Strukturmerkmale von Rechtsnormen, die Einfluss auf die Anforderungen an juristische Entscheidungsbegründungen haben. Prinzipien seien aber keine Argumente, mit denen subjektive Rechte ohne weiteres begründet werden können, sondern objektiv-rechtliche Normen. Als kollektive Ziele konkretisierten sie bestimmte Gemeinwohlbelange und binden, sofern sie als Normen in der europäischen Verfassung verankert sind, den Gesetzgeber, die Exekutive und die Judikative rechtlich. Diese rechtliche Bindungswirkung korrespondiere mit den Wirkungen von Prinzipien, wie sie in der Prinzipienlehre insb. von Alexy beschrieben werden.125 von Bogdandy bietet eine recht weite Definition an; Prinzipien seien „als Rechtssätze niedergelegte normative Strukturentscheidungen, die wesentliche Anliegen einer Rechtsordnung zum Ausdruck bringen.“126 Mittels Prinzipien könne man alle Rechtsbeziehungen durchdringen und Anschluss an allgemeine normative Diskurse gewinnen.127 Ähnlich verwendet Häberle den Begriff Prinzip für „wesentliche Inhalte“ des europäischen Rechts.128 Auffällig ist, dass sich diese Umschreibung nicht auf die normstrukturellen Besonderheiten von Prinzipien in Abgrenzung zu Regeln beschränkt, vielmehr der besondere Charakter von Leitund Strukturprinzipien im Sinne der deutschen Verfassungslehre angesprochen wird. Es geht um Verfassungsprinzipien im Unterschied zu bloßen Rechtsprinzipien.129 Im europäischen Schrifttum findet man diese Akzentuierung häufiger als die Bezugnahme auf Alexy. Zur Unterscheidung zwischen einfachen Prinzipien und Verfassungsprinzipien stellt die Lehre teils auf die Herleitung der Prinzipien ab, teils auf deren Funktion und Wirkung. Verfassungsprinzipien gelten als Auslegungshilfe bei der Interpretation von Primär- und Sekundärrecht130 und enthalten Kriterien zur Beurteilung der Gültigkeit neuen Gemeinschaftsrechts. Verfassungsprinzipien sind überdies „Richtschnur“ des Verfassungswandels.131 Sie selbst sind Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 28, 31 f. m. w. N. von Bogdandy, 2003, S. 149 (156). 127 von Bogdandy, 2003, S. 149 (152); ähnlich zum Sekundärrecht Möllers, S. 1 (55). 128 Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 580. 129 Vgl. dazu z. B. Beyerlin, S. 31 (59); H.-P. Ipsen, 1983, S. 9 (13); O. Koch, S. 195 m. w. N.; dies meint wohl auch Bieber, in: Bieber / Epiney / Haag, 2005, § 3 mit „Strukturprinzipien des EU-Verfassungsrechts“. 130 Bernhardt, S. 62 f. m. w. N.; Fernandez Esteban, S. 129 (137 f.). 131 R. Arnold, S. 123 (123 f.); Hilf, S. 9 (15). 125 126
B. Konkretisierung der europäischen Prinzipienlehre
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erschwert abänderbar.132 Welchen Prinzipien des Primärrechts diese Verfassungsfunktionen zukommen, wie also Verfassungsprinzipien herzuleiten sind, ist umstritten. Nach der formellen Definition sind alle in den Gründungsverträgen enthaltenen Prinzipien Verfassungsprinzipien, da das Primärrecht laut EuGH die Verfassung der EU sei.133 Nach der materiellen Definition hingegen muss durch Auslegung ermittelt werden, welchen Bestimmungen des Primärrechts Verfassungsfunktionen zukommen (sollen). Einige beschränken europäische Verfassungsprinzipien gar nur auf Prinzipien, die traditionell verfassungsrechtlichen Charakter haben; abgestellt wird also letztlich auf typische staatliche Verfassungsprinzipien.134 Zum Teil wird bei den materiell verstandenen Verfassungsprinzipien weiter unterschieden zwischen institutionellen und individualrechtlichen. Erstere legten grundlegende Standards für die institutionelle Gestaltung des Sozialverbandes EG fest; zu ihnen zählten das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip, das Prinzip der Gewaltentrennung, das Loyalitätsprinzip (Gemeinschaftstreue), das Subsidiaritätsprinzip und das Prinzip der Supranationalität, soweit man diesem einen normativen Gehalt – und zwar im Sinne eines einheitsstiftenden Föderativprinzips – zumisst. Individualrechtliche Verfassungsnormen hingegen regelten das grundlegende Verhältnis des Einzelnen, der der Hoheitsgewalt der EG unterworfen ist, zu diesem Sozialverband, und gewährleisteten über ihren objektiv-rechtlichen Regelungsgehalt hinaus dem Einzelnen subjektive Rechte verfassungsrechtlicher Natur.135 Zu letzterem passt auch die Feststellung von Bogdandys, dass der Prinzipienbegriff weiter ist als der Begriff der allgemeinen Rechtsgrundsätze. Der EuGH beschränkt sich in seiner Rechtsprechung zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Wesentlichen auf bürgerschützende Grundsätze, also v. a. auf die Beschränkung von Hoheitsgewalt, trägt aber nicht zu einer Lehre mit der Prägekraft von Strukturprinzipien bei.136
b) Stellungnahme Unter Vorwegnahme der Ergebnisse der folgenden Abschnitte erfolgt an dieser Stelle ein eigener Definitions- bzw. Umschreibungsvorschlag, der von der strukturtheoretischen Analyse Alexys ausgeht. Danach sind Prinzipien Optimierungsgebote, die rechtlich verankert und damit rechtsverbindlich sind.
O. Koch, S. 195 m. w. N. bei der Analyse des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Fernandez Esteban, S. 129 (132). 134 So Kleger / Karolewski / Munke, S. 205; Lorz, S. 99 (101); dazu Fernandez Esteban, S. 129 (132); Bsp. für materielle Definition bei Griller, S. 201 (250 f.) m. w. N. und Schuppert, 2005, S. 3 (31 f.). 135 Schütz / Bruha / König, S. 453. 136 von Bogdandy, 2003, S. 149 (151 Fn. 11). 132 133
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
Das Maß der Erfüllung von Prinzipien ist von tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten abhängig. Rechtliche Grenzen ergeben sich aus gegenläufigen Prinzipien und Regeln; Prinzipien sind folglich abwägungsfähig. Die logische Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien selbst macht zwar keine geltungstheoretischen Aussagen. Die Rechtsnatur der Prinzipien folgt aber der Rechtsnatur des Regelungswerks, aus dem sie hergeleitet werden. Ausgehend vom Verständnis des Primärrechts und der mitgliedstaatlichen Verfassungen als Mehrebenenverfassung sind alle darin verankerten und mit Hilfe der gängigen Auslegungsmethoden zu ermittelnden Normen rechtsverbindlich, unabhängig vom Grad ihrer Bestimmtheit. Die Prinzipien binden alle Unionsorgane und Mitgliedstaaten als objektivrechtliche Gebote. Die meist unbestimmten Prinzipien haben im Verhältnis zu Regeln und konkretisierten Prinzipienbestimmungen eine ergänzende Funktion als Auslegungsdirektive bzw. Ermessensvorgabe. Die Prinzipienlehre hat aber keinen Vorrang vor den klassischen Auslegungsmethoden in dem Sinne, dass mit ihrer Hilfe Handlungs- und Unterlassungspflichten begründet werden, die ausdrücklichen Vorgaben zuwiderlaufen. Auch die Unabänderlichkeit ist kein notwendiges Merkmal von Prinzipien, sondern folgt allenfalls aus einer entsprechenden ausdrücklichen Festlegung. Die weitergehende Forderung nach sog. eigenständigen und höherrangigen Verfassungsprinzipien bedarf eines über die Prinzipienlehre hinausreichenden Ansatzes, muss sich aber auch dabei stets der Tatsache bewusst sein, dass aus strukturtheoretischer Sicht Prinzipien bei einer Kollision mit Regeln stets unterliegen, es sei denn, es besteht eine entsprechende Ausnahmeregelung oder der Gesetzgeber ändert die Regel.
4. Fazit: Keine wesentliche Relevanz der Unbestimmtheit von Normen Bevor sich die Arbeit den einzelnen Elementen der europäischen Prinzipien widmet, soll als Gemeinsamkeit der Prinzipiendefinitionen betont werden, dass die Unbestimmtheit von Prinzipien von der großen Mehrzahl der Autoren weder als ihr wesentliches Charakteristikum verstanden noch als Argument gegen ihre Rechtsverbindlichkeit angeführt wird. Wesentlich für die Rechtsverbindlichkeit ist vielmehr die Rückführbarkeit auf ein Rechtsdokument, laut Sieckmann genügt u. U. gar ihr materieller Gehalt. Insbesondere aus der normstrukturellen Charakterisierung der Prinzipien als Gründe für Abwägungsentscheidungen darf nicht geschlossen werden, sie seien bloße Verallgemeinerungen von Regeln mit heuristischer Funktion.137 Zwar wurden z. B. die deutschen Verfassungsvorgaben traditionell nach dem Grad ihrer Bestimmtheit unterteilt in unmittelbar geltende Bestimmungen und bloße Programmsätze.138 Die Abhängigkeit der Verbindlichkeit selbst vom 137
Sieckmann, S. 52 Fn. 4 m. w. N.
B. Konkretisierung der europäischen Prinzipienlehre
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Bestimmtheitsgrad wurde aber schon früh kritisiert und man maß dem Bestimmtheitsgrad nur noch Bedeutung für die Art der Bindungsweise bei.139 Schon in der Weimarer Zeit wurden Grundrechtsbestimmungen wegen ihrer besonderen Art der Verbindlichkeit bzw. Wirkungsweise als „Grundsätze“ bezeichnet.140 Zunächst wurden Grundsätze als Normen angesehen, die der Ausführung bedürfen, also nicht unmittelbar anwendbar sind. Sie selbst waren also nur Programm und Direktive für den Gesetzgeber. Zu den Grundsätzen wurden Rechtsgrundsätze, Gesetzgebungsaufträge und Programmsätze gezählt. Ihr Bedeutungsinhalt blieb aber unklar.141 Später wurde die Bindung des Gesetzgebers anerkannt, ebenso die ermessenslenkende Wirkung gegenüber der Verwaltung und die Bindung des Richters.142 Seit der Geltung des Grundgesetzes diente der „Grundsatz“ letztlich „nur“ noch der Beantwortung methodischer Fragen bei der Handhabung recht unbestimmter Normen; seine Bedeutung als normtheoretische Kategorie schwand.143 Heute spricht man von unmittelbarer Bindungswirkung, wenn die Grundgesetznorm dem Gesetzgeber einen Gestaltungsauftrag gibt, niederrangiges Recht in ihrem Lichte ausgelegt wird und sie als Ermessenskriterium berücksichtigt wird. Mittelbare bzw. indirekte Bindungswirkung haben hingegen Normen, die ihre normative Kraft über eine in ihrem Lichte ausgelegte andere materielle Verfassungsnorm entfalten.144 „Sämtliche weisende Verfassungsnormen, also Programmsätze, Verfassungsdirektiven, Gesetzgebungsaufträge oder Staatszielbestimmungen sind ,hauptsächlich auf indirekte Wirkung angelegt‘, und gerade nicht auf präzise Determinierung des Gesetzgebers, der nur noch Verfassungsvollstrecker wäre. Diese Teile des Verfassungsrechts werden nicht unmittelbar und rigide angewendet, sondern sind auf eigenverantwortliche und (im vorgegebenen Rahmen) kreative Konkretisierung durch den politischen Prozeß angewiesen.“145 Selbst im deutschen Verfassungsrecht bereitet aber die Bestimmung der Reichweite der Bindungswirkung im Einzelfall Schwierigkeiten. Generalisierende Aussagen zur Verbindlichkeit des Ziels, zum Verpflichtungsinhalt und zu den Grenzen sind angesichts der unterschiedlichen Zielarten und der Kombination unterschiedlicher Normelemente unangebracht.146 Angesichts des insgesamt hohen Abstraktionsgrads der Verfas138 Dazu z. B. Schuppert / Bumke, S. 39 m. w. N.; Stern, S. 482 f.; kritisch zu dieser Unterscheidung im Verfassungsrecht angesichts „der insgesamt sehr abstrakten Struktur des Themas“ H. Hofmann, S. 140. 139 Vgl. auch die frühe Kritik an der Unzulänglichkeit der Unterscheidung zwischen völkerrechtlichen Prinzipien und anderen Völkerrechtsnormen nach dem Grad der Allgemeinheit Graefrath, S. 10 ff. 140 Stern, S. 485 ff. m. w. N. 141 Stern, S. 491 f. m. w. N. 142 Stern, S. 492 – 496 m. w. N. 143 Stern, S. 482 f., 496 ff. 144 So zum deutschen Grundgesetz Sommermann, S. 394. 145 Peters, S. 81 m. w. N. 146 So zur Bindungswirkung deutscher Staatszielbestimmungen Sommermann, S. 377 ff.
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
sungsnormen wird eine Kategorisierung der Normen nach ihrem Regelungsgehalt als wenig gewinnbringend empfunden.147 Das europäische Primärrecht enthält neben speziellen Normen auch Zielvorschriften und Aufgabennormen. Auch diese werden aber als rechtsverbindlich angesehen.148 Sie prägen den verfassungsähnlichen „Orientierungs- und Leitcharakter“.149 Das Problem ist aber wie im nationalen Recht die Reichweite ihrer Bindungswirkung. Laut Peters wird die Normativität des Primärrechts generell geschwächt durch den „außerordentlich hohe(n) Anteil programmatischer Vorschriften“, denn „Ziel- und Aufgabenbestimmungen sind von ihrer Formulierung her offen. Selbst wer hier optimistisch von ,Steuerung durch Offenheit‘ spricht, kann nicht leugnen, dass solche Normen zum einen stärker manipulierbar und in ihrer Auslegung den tatsächlichen Gegebenheiten anpaßbar sind. Zum zweiten sind sie zwangsläufig geringer justiziabel als statische, negativ begrenzende und inhaltlich entlastete Verfassungsgehalte.“150
Die geschwächte Wirkkraft sei jedoch unvermeidlich. Man sollte sich ihrer aber bewusst sein, um „überzogene Erwartungen an die Steuerungsfunktion von Verfassungsrecht“ zu vermeiden.151
II. Herleitung europäischer Prinzipien Ähnlich vage wie die Definition des europäischen Prinzipienbegriffs sind auch von Bogdandys Aussagen zur Herleitung und Wirkung der Prinzipien. Diese könne man „insbesondere anhand weiterer Grundsätze, einschlägiger Einzelbestimmungen und den bestehenden Zusammenhängen, sowie etablierten Lehren der Verfassungslehre“ ermitteln.152 Der Konkretisierung seien einige Überlegungen vorangestellt: Anders als dem angloamerikanischen Common Law-System, in dem auch eine Herleitung von Prinzipien aus schwer konkretisierbaren Rechtsquellen wie den Sitten und der Moral denkbar ist, entspricht es den kontinentaleuropäischen Rechtssystemen, Prinzipien v. a. aus der Verfassung und deren Konkretisierungen zu gewinnen.153 Europäische Verfassungsprinzipien müssen also im Wege einer M. w. N. H. Hofmann, S. 140. Z. B. Blanke, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 2 EU Rn. 3; Peters, S. 80; Ruffert, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 2 EG Rn. 5; ähnlich zu Art. I-2 VVE Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-2 VVE Rn. 37; Streinz / Ohler / Herrmann, S. 55; zu Art. I-3 VVE Ruffert, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-3 VVE Rn. 4 ff. 149 Peters, S. 80. 150 Peters, S. 80. 151 Peters, S. 81 m. w. N. 152 von Bogdandy, 2003, S. 149 (156). 153 H. Hofmann, S. 142 m. w. N.; in diese Richtung auch H.-J. Koch, Prinzipienargument, 2003, S. 431 (436 f.). 147 148
B. Konkretisierung der europäischen Prinzipienlehre
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systematischen und teleologischen Auslegung aus dem europäischen Verfassungsrecht hergeleitet werden. Da die EU entsprechend dem Mehrebenenansatz ein Verfassungsverbund ist, gehören zum europäischen Verfassungsrecht zum einen das europäische Primärrecht, insb. in seiner Auslegung durch den EuGH,154 und gemeinsame Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten. Aus dem Verbundscharakter folgt auch eine enge Verbindung zwischen dem europäischen Primärrecht und den Verfassungen der Mitgliedstaaten.155 Dies bestätigt auch Art. 6 EU und die EuGH-Rechtsprechung, in der allgemeine Rechtsgrundsätze entweder direkt aus dem Primärrecht hergeleitet werden oder im Wege einer wertenden Rechtsvergleichung der mitgliedstaatlichen Ordnungen.156 Gemäß Art. 6 Abs. 2 EU zählen zum europäischen Verfassungsrecht zudem die in der EMRK verankerten Grundrechte. Fraglich ist, ob auch nicht explizit kodifizierte Prinzipien zum geltenden Recht gezählt werden können. von Bogdandy scheint dies zu befürworten. Dies entspricht auch Alexys Prinzipienlehre. Um den rechtspositivistischen Ausgangspunkt aber nicht zu verlassen, gilt nur das als Rechtsprinzip, was im Wege der herkömmlichen Auslegungsmethoden zu ermitteln ist. Die historische (subjektivteleologische) Auslegung erlaubt beispielsweise die Orientierung an Zielsetzungen für eine ausdrücklich kodifizierte Rechtsnorm; die objektiv-teleologische Auslegung ermöglicht letztlich eine begrenzte Zweckwahl. Nicht mit Sicherheit umschrieben werden kann jedoch der Grad, zu dem ein Prinzip kodifiziert bzw. in der Rechtsordnung verankert sein muss, um als geltendes Rechtsprinzip anerkannt zu werden.157 Von Regeln unterscheiden sich Prinzipien durch den spezifischen Pflichtgehalt; der Bezeichnung im Regelungswerk kommt nur eine Vermutungswirkung zu.158
1. Herleitung aus dem Primärrecht und der Praxis der EU Bei der Herleitung von Prinzipien aus dem Primärrecht selbst ist zu unterscheiden zwischen der Herleitung von „einfachen“ Rechtsprinzipien und der Herleitung von EU-spezifischen „Verfassungsprinzipien“. Bezüglich beider Aspekte ist die wissenschaftliche Debatte noch nicht weit fortgeschritten. Zwar wurden zahlreiche 154 Zur zentralen Verantwortung des EuGH bei der Konkretisierung europäischer Prinzipien z. B. Hatje, S. 41. 155 Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 32; Hatje, S. 50; Lorz, S. 99 (100); Peters, S. 210 ff. 156 Die Herleitung aus völkerrechtlichen Normen sei hier nur erwähnt; vgl. dazu Uerpmann-Wittzack, S. 145 ff. 157 Vgl. dazu H.-J. Koch, Prinzipienargument, 2003, S. 431 (436 f., 440); vgl. zum positivrechtlichen Bezug von Verfassungsprinzipien in Abgrenzung zum Naturrecht auch Kunig, S. 60 f. 158 So auch Beyerlin, S. 31 (56).
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
Versuche unternommen, die Bedeutung und Funktionsweise von Präambel- und Zielbestimmungen zu beschreiben, eine normtheoretische Einordnung aber findet selten statt. Die Anwendung der Prinzipienlehre Alexys auf derartige Bestimmungen wird keine revolutionären Erkenntnisse ergeben. Die Rückbeziehung auf Alexy ermöglicht aber eine kohärente und theoretisch fundierte Lösung von Rechtsproblemen. Selbst die Qualifizierung einzelner Zielbestimmungen als Leitund Strukturprinzipien verträgt sich gut mit den bislang vertretenen Ansichten zur Wirkung und Bedeutung bestimmter primärrechtlicher Normen. Zunächst zu den einfachen Rechtsprinzipien. Da es bei Alexys Prinzipienlehre „nur“ um eine Normstrukturanalyse geht und alle im Primärrecht enthaltenen Normen zum kodifizierten Regelungswerk der EU zählen, steht der Qualifizierung primärrechtlicher Bestimmungen als Prinzipien nichts entgegen. Das Primärrecht selbst bezeichnet zwar keine Norm ausdrücklich als Prinzip, verwendet aber – recht uneinheitlich – verwandte Begriffe wie „Verpflichtungen“, „Aufgaben“ und „Ziele“ (vgl. Art. 10 EG). Da die Bezeichnung durch den Normgeber aber ohnehin nicht mehr als eine Vermutungswirkung hat, kann daraus auch kein entscheidendes Argument für oder gegen den Prinzipiencharakter einzelner Normen oder Normenbestandteile hergeleitet werden. Insbesondere Ziel- und Aufgabenbestimmungen lassen sich entsprechend ihrer Normstruktur und ihrem Pflichtgehalt als Prinzipien i. S. v. Optimierungsgeboten qualifizieren.159 Wie im nationalen Recht muss der Inhalt eines Prinzips nicht zwingend ausdrücklich kodifiziert sein. Bereits in der Vergangenheit leitete der EuGH Prinzipien aus der Gesamtschau des Primärrechts her.160 Als Methode der Herleitung für Prinzipien kann diese Rechtsprechung verallgemeinert werden. Bezüglich der Herleitung von sog. Verfassungsprinzipien besteht Streit darüber, ob alle in den Gründungsverträgen enthaltenen Prinzipien Verfassungsprinzipien sind, entsprechend der Bezeichnung des Primärrechts als Verfassung durch den EuGH. Der sui generis-Charakter der EU gebe jedenfalls Anlass zum Nachdenken über der EU eigene Leit- und Strukturprinzipien.161 Nach der materiellen Definition kommen aber nur einigen Bestimmungen des Primärrechts Verfassungsfunktionen zu, welche durch Auslegung zu ermitteln sind. Jedenfalls lasse das Primärrecht spätestens seit Maastricht bereits in den Präambeln alle Prinzipien anklingen, die im Hauptteil „das Netzwerk der sehr dicht gestrickten Artikelgruppen prägen“.162 In Art. 4 Abs. 3 EG ist gar von der „Einhaltung der folgenden richtungSo ausdrücklich Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 5, 24, 32. Dazu m. w. N. z. B. Mayer, S. 429 (457 ff.); zum Vorrangprinzip und dem Prinzip des institutionellen Gleichgewichts m. w. N. Fernandez Esteban, S. 129 (133 ff.); Schütz / Bruha / König, S. 215 f.; zum Loyalitätsprinzip m. w. N. Kahl, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 10 EG Rn. 7; kritisch zu abstrakten Prinzipien von Bogdandy, 2003, S. 149 (S. 191, 196 f.). 161 von Bogdandy, 2000, S. 208 (234) m. w. N. 162 So Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 281; ähnlich Hilf / Pache, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Präambel zum EU-Vertrag Rn. 2. 159 160
B. Konkretisierung der europäischen Prinzipienlehre
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weisenden Grundsätze“ die Rede. Andere beschränken europäische Verfassungsprinzipien nur auf Prinzipien, die traditionell verfassungsrechtlichen Charakter haben; abgestellt wird also auf typische staatliche Verfassungsprinzipien.163 Da es in dieser Arbeit aufgrund der Gefahr von Zirkelschlüssen abgelehnt wird, aus einer bloßen Bezeichnung des Primärrechts als Verfassung Wirkungen abzuleiten, und sich die anderen Ansichten auf die den Prinzipien jeweils zugewiesenen Wirkungen beziehen, werden Aussagen zu Verfassungsprinzipien erst im Abschnitt III. diskutiert. Bei der Herleitung von Prinzipien darf auch die Praxis der EU-Organe berücksichtigt werden. Allerdings sind im Prinzipiencharakter (Nachweis-)Schwierigkeiten angelegt bei der Ermittlung eines Prinzips alleine aus der Organpraxis, denn nur selten wird der hinter einem Verhalten stehende Grund ausdrücklich offenbart.164
2. Herleitung aus dem Recht der Mitgliedstaaten Die Debatte über die Übertragung von aus dem nationalen Verfassungsrecht bekannten Prinzipien auf das Unions- und Gemeinschaftsrecht ist bereits weit entwickelt, insb. im Hinblick auf so grundlegende Prinzipien wie das Rechtsstaatsoder Demokratieprinzip.165 Nur noch wenige verlangen, aufgrund des sui generisCharakters der EU völlig präzedenzlos zu denken. Ausdrückliche Vorgaben im EU-Recht und die EuGH-Rechtsprechung zwingen jedenfalls zur Beachtung nationaler Verfassungsprinzipien. Art. 6 Abs. 1 EU verweist auf mehrere in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bekannte und erforschte Prinzipien. Vermittelt über die allgemeinen Rechtsgrundsätze ist das Verfassungsrecht laut Art. 6 Abs. 2 EU zudem die wichtigste Erkenntnisquelle für das europäische Verfassungsrecht. Die Übertragung auf die EU erfolgt rechtsvergleichend, d. h. nicht die spezifischen Ausprägungen von Prinzipien eines oder mehrerer Mitgliedstaaten sind Teil des Prinzipienkatalogs der EU. Vielmehr sind die Gemeinsamkeiten unter den Mitgliedstaaten herauszuarbeiten und die Eigenarten der EU zu berücksichtigen.166 Gemäß dem Verständnis der nationalen Verfassungen als Teilverfassungen der EU und der damit verknüpften relativierten Wiederholungsthese, der sich die vorlieSiehe dazu bereits mit Nachweisen die Darstellung im 3. Kapitel unter B.I.3.a). So zum Völkerrecht Beyerlin, S. 31 (insb. 55 f.); im Europarecht geht so z. B. Lopian, S. 24, 39, 249 ff. vor, indem er induktiv vom Einzelfall der Beitritte auf allgemeine Prinzipien schließt (um die Anforderungen an Übergangsrégime zu ermitteln), dies sei aber kein Ausfluss einer Prinzipienlehre, vielmehr sei jeder völkerrechtliche Vertrag im Lichte seiner späteren Übung auszulegen. 165 Vgl. von Bogdandy, 2000, S. 208 (233 f.) m. w. N. und die Ausführungen in dieser Arbeit auf S. 15 f. 166 Vgl. statt vieler Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 3 ff.; Griller, S. 201 (252); Kimmel, S. 23 ff. 163 164
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
gende Arbeit anschließt, entsprechen die Prinzipien der EU nur bei hinreichender Vergleichbarkeit der Problemlage denen der Mitgliedstaaten. Etablierte staatliche Verfassungsprinzipien sind daher bloßer Ausgangspunkt und werden aufgrund der konstitutiven Vielfalt in der EU substantiell modifiziert.167 Auch Art. 10 EG fordert im Kontext der Verflechtung nationalen und europäischen Verfassungsrechts eine wechselseitige Solidarität, ein latentes Kooperationsverhältnis zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten. 168 Dazu gehört u. a. auch die Berücksichtigung nationaler Verfassungsprinzipien seitens der EG-Organe. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nationale Verfassungsprinzipien nach einer rechtsvergleichenden Anpassung von den EU-Organen beachtet werden müssen. Auf die EU übertragen werden können nationale Verfassungsprinzipien nur, soweit dies mit deren besonderer Gestalt vereinbar ist. Die meisten so gewonnen Prinzipien befassen sich mit der Einseitigkeit hoheitlicher Macht und deren Begrenzung. Bezüglich der Zukunft der Integration, insb. des Umgangs mit dem Erweiterungs-Vertiefungs-Dilemma, lassen sich auf diese Weise kaum Prinzipien gewinnen, da insoweit keine Problemidentität zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten besteht.
III. Wirkungen europäischer Prinzipien Will die europäische Prinzipienlehre Überzeugungskraft haben, muss sie die Wirkungen der Prinzipien v. a. in Abhängigkeit zu deren rechtlichen Verankerung beschreiben. Dementsprechend analysiert Alexys Prinzipienlehre die Struktur ausdrücklicher Rechtsvorgaben. Auch Ansätze, die Wirkungen aus dem Bestimmtheitsgrad einzelner Normen oder deren besonderen Inhalt herleiten, orientieren sich mehr oder weniger am geschriebenen Recht.
1. Rechtsverbindlichkeit der Prinzipien Die Verankerung im Primärrecht (auch in den Präambeln) oder in den mitgliedstaatlichen Verfassungen genügt für sich genommen, um die Rechtsverbindlichkeit von Prinzipien zu begründen. In Anlehnung an das deutsche Verfassungsrecht wirkt sich der Bestimmtheitsgrad dieser Verankerung nur auf die Art der Rechtswirkung aus: Je bestimmter und konkreter ein Prinzip formuliert ist, umso weiter reichende und konkretere Rechtsfolgen vermag es zu entfalten.169 Alexys Prinzi167 Vgl. z. B. von Bogdandy, 2003, S. 149 (158 f., 184); Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 24; Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 377 f., 385 ff.; Hobe, S. 1 (5); Peters, S. 212 ff.; Schütz / Bruha / König, S. 61 f. 168 Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 1 EU Rn. 38; ders., Online-Beitrag, 2004, S. 24; zur herausragenden Bedeutung des Loyalitätsprinzips von Bogdandy, 2003, S. 149 (200 ff.); entsprechend zum VVE Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-1 VVE Rn. 24.
B. Konkretisierung der europäischen Prinzipienlehre
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pienlehre macht selbst zwar keine Aussagen zur Rechtsverbindlichkeit, denn sie bezieht sich von vornherein nicht auf die Frage der Zugehörigkeit zur Rechtsordnung, sondern nur auf die Struktur von zur Rechtsordnung gehörenden Normen.170 Alexy hatte von vornherein nur unstreitig rechtsverbindliche Grundrechte im Blick, sein Ansatz enthält aber letztlich eine Anleitung für die juristische Handhabung von unbestimmten Rechtsnormen. Nicht überzeugend begründet werden kann die Rechtsverbindlichkeit solcher „Prinzipien“, die in Soft Law-Dokumenten enthalten sind, selbst wenn sie Aussagen zur Struktur der EU machen. Dass sie ähnlich wie einige deutsche „Strukturprinzipien“ die Auslegung des verbindlichen Rechts und dessen Weiterentwicklung beeinflussen, ist als rein rechtspolitische, nicht aber als rechtlich zwingende Funktion zu werten. Die rein politische bzw. soziale Wirkkraft beinhaltet ein „Element der Stabilität“, wenn die Zeit noch nicht reif für eine zwingende rechtliche Festlegung ist, und ein „Element des Wandels“, indem sie die unkomplizierte versuchsweise Festlegung auf neue Verhaltensweisen ermöglicht.171 Anderes gilt nur, wenn diese Prinzipien Gewohnheitsrechtscharakter haben. Der Rechtsverbindlichkeit der so verstandenen Prinzipien lässt sich auch nicht die daraus folgende „bloße“ Pflicht zur Optimierung entgegenhalten.172 Dass das Optimierungsziel in unterschiedlichem Maße und auf unterschiedlichem Wege erfüllt werden kann, beseitigt nicht den zwingenden Charakter des Optimierungsgebots.173 Adressaten der europäischen Prinzipien sind die EU-Organe und die Mitgliedstaaten der EU. Dieses Ergebnis lässt sich mit der Annahme begründen, das europäische Primärrecht und die nationalen Verfassungen seien eine Mehrebenenverfassung. Inhaltlich entspricht das Ergebnis der Ansicht, die eine Bindung der Mitgliedstaaten an das Unions- und Gemeinschaftsrecht über Art. 10 EG bzw. den Loyalitätsgrundsatz174 i. V. m. entsprechenden Spezialnormen herleitet.175 Gleiches gilt für die auch auf diesem Wege begründete umfassende Bindung der EUInstitutionen, die unabhängig davon ist, nach welchem der Verträge sie im konkreten Fall handeln.176 169 So zu den Zielbestimmungen in Art. 2 EG und Art. 2, 3 EU Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 9, 13 ff., 29, 32 m. w. N.; kritisch zur Rechtsverbindlichkeit des unbestimmten Acquis Communautaire Weatherill, S. 153 (153, 157 f., 173). 170 Alexy, 1996, S. 72, 94. 171 So allgemein zum europäischen und internationalen Soft Law Bothe, S. 761 (768 ff.). 172 Zur Optimierungspflicht bzgl. der als Rechtsprinzipien verstandenen Vertragsziele der EU Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 13, 32. 173 Alexy, 2002, S. 60; Borowski, S. 92; Sieckmann, S. 66; zum Völkerrecht Beyerlin, S. 31 (56). 174 Zur uneinheitlichen Terminologie bzgl. des in Art. 10 EG verankerten Grundsatzes vgl. Hatje, S. 15 ff.; Kahl, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 10 EG Rn. 2 ff. 175 Dazu jeweils m. w. N. z. B. von Bogdandy, 2003, S. 149 (201); Everling, 2003, S. 847 (874 f.); Schütz / Bruha / König, S. 533 f.; Thym, S. 246. 176 Dazu z. B. Peters, S. 303 f.
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
Prinzipien enthalten für sich genommen nur objektiv-rechtliche Gebote; subjektive Rechte folgen nicht unmittelbar aus dem Prinzipiencharakter.177 Im Folgenden wird zunächst untersucht, wie weit die Rechtswirkungen im Einzelnen reichen, bevor der Abwägung ein gesonderter Abschnitt gewidmet wird.
2. Änderungsfestigkeit von Prinzipien? Auch für sog. Grund- bzw. Verfassungsprinzipien wird eine Änderungsfestigkeit europäischen Primärrechts regelmäßig verneint.178 Die EuGH-Rechtsprechung enthält kaum Anhaltspunkte für die Änderungsfestigkeit eines bestimmten Kerns des Gemeinschaftsrechts.179 Außerdem gibt es keine Methode, mit der die Grenze eines änderungsfesten Kerns mit objektiven Rechtskriterien sicher festgelegt werden kann.180 Art. 48 EU erschwert die Abänderbarkeit aller primärrechtlichen Normen. Das komplizierte Verfahren soll aber wie das Einstimmigkeitserfordernis die Interessen und die Stellung der Mitgliedstaaten schützen, und nicht wie Unabänderlichkeitsklauseln die Grundlagen der jeweiligen Verfassung sichern.181 Eine Verfassungsleseart, die diese Ratio vernachlässigt, würde heute zu weit gehen. Für die Zukunft werden in der Literatur überdies nicht höhere Schranken zum Schutz einzelner Primärrechtsbestimmungen gefordert,182 sondern – im Gegenteil – vielfach ein einfacheres Änderungsverfahren für nicht-konstitutionelle Vorschriften des Primärrechts, also eine Herabstufung des „einfachen“ Primärrechts durch Zurückdrängung des schwerfälligen Vertragsänderungsverfahrens.183 Im Ergebnis ist die Unabänderlichkeit kein notwendiges, aber ein mögliches Merkmal von Prinzipien.184 Entscheidend ist einzig die entsprechende Normierung. Dieses Ergebnis wird im Folgenden näher begründet.
Alexy, 1996, S. 98 f.; Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 13, 31 f. M. w. N. Thym, S. 233; a. A. Vilaça / Piçarra, S. 46; a. A. O. Koch, S. 195 f. 179 U. Becker, 1999, S. 65: insb. das Gutachten 1 / 91, Slg. 1991, I-6079, Rn. 71 würde oft missverstanden; es beziehe sich auf den heutigen Art. 310 EG; in Verbindung mit dem Gutachten 1 / 92, Slg. 1992, I-2821, Rn. 32 würde deutlich, dass der EuGH lediglich eine förmliche Vertragsänderung fordert, sofern ein völkerrechtliches Abkommen dem geltenden Primärrecht widerspricht; ebenso z. B. Heintzen, 1994, S. 35 (37 f.); Peters, S. 443 f., 771 Nr. 10. 180 Dies gestehen auch Vilaça / Piçarra, S. 49 ein. 181 Heintzen, 1994, S. 35 (41); Kassner, S. 284 f.; Kaufmann, S. 521 (522 f.); ähnlich von Bogdandy, 2005, S. 529 (538) mit Verweis auf Art. I-1, I-11 Abs. 1, IV-443 bis 445 und 447 VVE; ders., 2003, S. 149 (162). 182 Vgl. aber Starck, S. 542 ff. 183 Vgl. dazu Peters, S. 343 ff. m. w. N.; Weatherill, S. 153 (176 ff.); der VVE enthält in Art. IV-444 eine Vorschrift zum vereinfachten Verfahren. 184 Vgl. dazu Sommermann, S. 413 f.; ähnlich Heintzen, 1994, S. 35 (40 f.). 177 178
B. Konkretisierung der europäischen Prinzipienlehre
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a) Wandelbarkeit von Prinzipien In der Vergangenheit der EU haben politische Ereignisse schon mehrfach einen grundlegenden Wandel rechtswissenschaftlicher Konzepte ausgelöst. Das methodische Korrelat zu revolutionären Ereignissen, aber auch zur Aktivität des legitimierten Gesetz- bzw. Verfassungsgebers, ist ein zurückhaltendes positivistisches Selbstverständnis der Rechtswissenschaft.185 Folglich sind selbst Grundprinzipien, die faktisch häufig ein trial- and-error-Vorgehen steuern, widerleglich und modifizierbar.186 Auch ethische Werte unterliegen dem Wandel, denn letztlich sind sie nur ein praktisches Testen von Hypothesen. Der Vorbehalt des Möglichen ergibt sich bei Prinzipien zudem daraus, dass sie anders als Werte bloße Sollenssätze sind, die auf eine bestimmte Sachlage zugeschnitten wurden und nicht einen tatsächlich besseren Zustand beschreiben. Rechtspolitisch gedacht müssen auch Rechtssysteme wie Menschen lernfähig bleiben und zu starre Anfangsvorgaben ausräumen, um gute (politische und wirtschaftliche) Leistungen zu erbringen.187 Dies gilt selbst für Verfassungen. Ihre Aufgabe, das politische System zu verstetigen, ist nur eine von mehreren Funktionen, die gut erfüllt oder verfehlt werden kann.188 Die EU ist zudem charakterisiert durch ihre Dynamik. Wirkliche Einigkeit herrscht nur über die Fernziele der Integration: die Gewährleistung von Frieden und Sicherheit in Europa und die Wettbewerbsfähigkeit und damit der Wohlstand des Kontinents. Die Zwischenziele, der Weg oder die Geschwindigkeit der Integration sind hingegen streitig.189 Besonders anfällig für den Wandel sind Prinzipien, die kollektiven Zielen dienen. Durch die Änderung der Umstände kann das Ziel verwirklicht werden oder es können Einwände gegen die zugrunde liegende politische Zielsetzung erhoben werden. Hingegen sind Prinzipien, die individuellen Zielen dienen, jedenfalls nicht dem prinzipiellen Einwand ausgesetzt, der mit ihnen verfolgte Zweck sei bereits hinreichend realisiert. Denn die Zielverwirklichung muss für jedes einzelne begünstigte Individuum geprüft werden.190
185 Vgl. dazu insb. Fierke / Wiener, S. 99 (101 ff.); Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 578; Möllers, S. 1 (56); Varwick, S. 69 (71, 74); Weidenfeld / Giering, S. 19 (85 ff.); zum Wandel subjektiver europapolitischer Grundverständnisse aufgrund von aktuellen Veränderungen siehe Jopp / Maurer / Schneider, 1998. 186 Peters, S. 175, 595 ff.; Sommermann, S. 415 m. w. N. 187 Zu diesen drei Argumenten Peters, S. 602 m. w. N.; zum letzten Argument auch Langeheine, S. 47 (119). 188 Statt vieler Peters, S. 605. 189 Vgl. nur Janning / Giering, S. 2; Knodt / Große Hüttmann, S. 223 (233). 190 Z. B. Sieckmann, S. 229.
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
b) Materielle Grenze für die Vertragsänderung Besonders stabil sind die aus den Mitgliedstaaten der EU hergeleiteten (Verfassungs-)Prinzipien, an die auch die EU gebunden ist. Aufgrund ihrer doppelten Verankerung und allseitigen Anerkennung sind sie tatsächlich resistenter gegenüber Änderungen. Überdies wird z. T. eine rechtliche Änderungsfestigkeit vertreten, die über die Sicherungsklauseln in den nationalen Verfassungen hinaus geht. Insbesondere können strukturelle Vorgaben der Verfassung eines Mitgliedstaates die Ratifikation einer Änderung des Primärrechts verhindern.191 Unionsspezifische Prinzipien, wie z. B. die Integration, sind nicht allein aufgrund ihres Prinzipiencharakters änderungsfest. Selbst bei einer konstruktiven Leseart des Primärrechts als Verfassung müssen die ausdrücklichen Vorgaben in den Vertragsnomen beachtet werden. Da auch die Annahme des Verfassungscharakters des Primärrechts die Identifizierung der „Substanz“ der EU nicht erleichtert, kann der Ansicht nicht gefolgt werden, die solche Vertragsänderungen verbieten möchte, die auf eine Vertragsdurchbrechung hinauslaufen.192 Besonders häufig oder nachdrücklich betonte Prinzipien, wie etwa die Dynamik der europäischen Integration oder die in Art. 1 EU genannten Ziele, schaffen – wie auch Grundsatzfestlegungen in rechtlich unverbindlichen Dokumenten – lediglich gewisse Verhaltenserwartungen in Richtung ihrer Beachtung und Verwirklichung auch bei Vertragsänderungen und haben damit eine gesteigerte soziale Wirkkraft. 3. Eigenständige Bedeutung der Prinzipien? Fraglich ist, ob unbestimmt formulierte Prinzipien eine gegenüber den Einzelregelungen eigenständige Wirkung haben, etwa im Sinne einer höherrangigen Strukturbildung oder einer verpflichtungsgenerierenden Funktion. von Bogdandy bezweifelt dies, da das europäische Primärrecht in Bezug auf wesentliche Fragen eine „Verfassung der Details“ sei, welche nicht durch eine „entfesselte Prinzipienlehre“ verkannt werden dürfe. Das hinter dem Detailreichtum steckende Misstrauen der Mitgliedstaaten verbiete insb. eine Verschiebung der 191 M. w. N. Heintzen, 1994, S. 35 (43 f.); Kleger / Karolewski / Munke, S. 442 f.; Vedder / Folz, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 48 EU Rn. 8. 192 So auch m. w. N. Fernandez Esteban, S. 129 (143 f.); Heintzen, 1994, S. 35 (44 f.); Herrnfeld, in: Schwarze, 2000, Art. 48 EU Rn. 8; Nicolaysen, 2001, S. 187 (188 f.); Vedder / Folz, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 48 EU Rn. 8, 15 f.; zu der erwähnten a. A. u. a. Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 1 EU Rn. 21; Zeh, 2002, S. 27; zu Art. 1 EU als prägender Verfassungsnorm Bitterlich, in: Lenz / Borchardt, 2003, Art. 1 EU Rn. 2; Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 1 EU Rn. 1 und Hilf, in: Grabitz / Hilf I alt, 1999, Art. A EUV Rn. 1; zur Integration als Verfassungsziel Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 1 EU Rn. 1, 22; zur Änderungsfestigkeit des Art. 6 Abs. 1 EU Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 14; zur Verbindlichkeit europarechtlicher Grundsätze auch bei Vertragsänderungen Hatje, S. 100 f.
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speziell geregelten Machtverhältnisse durch die Annahme übergreifender Prinzipien.193 Diese Ansicht stimmt überein mit der bislang zu den allgemeinen Zielbestimmungen vertretenen herrschenden Meinung, wonach diese keine eigenständigen Handlungspflichten begründen.194 Auch eine Prinzipienlehre bietet keine handfesten juristischen Maßstäbe, um allein aus unbestimmten Prinzipien konkrete Handlungs- und Unterlassungspflichten herzuleiten, schon gar nicht solche, die Spezialbestimmungen zuwiderlaufen. Im Gegenteil stehen aus strukturtheoretischer Sicht Prinzipien bei einer Kollision mit einer Regel stets zurück. Auch die ein Prinzip konkretisierenden Regelelemente sind nicht abwägungsfähig. Kollidieren daher sehr unbestimmte Prinzipien mit konkretisierten Prinzipien, müssen die ausdrücklich verankerten Abwägungsvorgaben definitiv beachtet werden.195 Auch eine konstitutionelle Hierarchisierung des Primärrechts vermag eine europäische (Verfassungs-)Prinzipienlehre bislang nicht zu erreichen.196 Traditionell wurde eine Abstufung innerhalb des Primärrechts verneint, wo eine solche nicht ausdrücklich festgelegt war. Verbindlich geregelt ist etwa der Vorrang der Agrarpolitik vor der Wettbewerbspolitik in Art. 36 EG. Auch die Festlegung der Rechtfertigungslast zugunsten der Grundfreiheiten bei deren Einschränkung zum Schutze nationaler Rechtsgüter in Vertrag und Rechtsprechung bewirkt eine ausdrückliche Normenhierarchie.197 Bestätigt wird die Bedeutung des Binnenmarktziels durch die herausgehobene Bedeutung der Grundfreiheiten bei den Beitrittsverhandlungen mit den MOEL.198 Bezweifelt werden muss konsequenterweise aber, dass sich ein allgemeiner Vorrang der marktintegrativen Ziele gegenüber den anderen in Art. 3 EG verankerten Zielen begründen lässt; zumal der Zielkatalog seit dem Vertrag von Maastricht erweitert wurde.199 Mithilfe einer Prinzipienlehre, die beim Fehlen konkreter Rangvorgaben von der abstrakten Gleichheit der Prinzipien einer Verfassung ausgeht, kann ein solch allgemeiner Vorrang jedenfalls nicht hergeleitet werden. Dennoch zielen neuerdings vielfältige Ansätze auf die Hierarchisierung des Primärrechts durch die Herausarbeitung des Maßstabs- und Leitliniencharakters ein193 von Bogdandy, 2003, S. 149 (157 ff.); zur zunehmenden Kritik an einem eigenständigen Rechtsprinzip „Integration“ m. w. N. von Bogdandy, 2003, S. 149 (186 ff.) und ders., 2001, S. 3 (5). 194 Vgl. z. B. Bieber, in: Bieber / Epiney / Haag, 2005, § 3 Rn. 10; von Bogdandy, 2005, S. 529 (538); ders., 2003, S. 149 (157 ff.); Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 9; Hilf / Pache, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Präambel zum EU-Vertrag Rn. 5, 7 und Art. 2 EU Rn. 2; Langeheine, 1984, S. 47 (53 f.); Müller-Graff, 1998, S. 67 (78); Sommermann, S. 293 – 295; Streinz / Ohler / Herrmann, S. 54 ff. 195 Vgl. Alexy, 1996, S. 104 ff. 196 Ausführlich dazu H. Hofmann, S. 80 ff. 197 So z. B. Müller-Graff, 1998, S. 67 (76); Ruffert, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 2 EG Rn. 10. 198 Ambrosi, S. 158 (159). 199 Immenga, S. 14 (16).
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
zelner Normen. Die auffälligste qualitative Abscheidung wird in Art. 6 Abs. 1 EU gesehen.200 Auf Art. 43 lit. b) EU, der bei der verstärkten Zusammenarbeit die Beachtung des EG-Vertrags und des einheitlichen institutionellen Rahmens der Union fordert, wird rekurriert, um die besondere Bedeutung dieser Normen zu begründen.201 Auch in der EuGH-Rechtsprechung zeichnet sich eine Normenhierarchie ab.202 Allerdings bezwecken diese Ansätze keine Höherstufung der besagten Normen de lege lata, sondern eine Aufzählung solcher „Grundsätze“, die einer etwaigen Herunterstufung „einfacher“ Primärrechtsregelungen de lege ferenda nicht unterfallen sollten. Es geht also nicht um eine materielle Änderungsfestigkeit oder höherrangige Bedeutung im Sinne einer Optimierung, sondern um die Bewahrung der erschwerten Abänderbarkeit gemäß Art. 48 EU für diese Normen.203 Da zudem die Folgerungen aus konkreten Primärrechtsvorschriften abgeleitet werden, ist die Frage nach einer allgemeinen, vom Primärrecht losgelösten Höherrangigkeit von derartigen Ansätzen gar nicht erst betroffen. Ein Sonderproblem der Hierarchisierung betrifft die Unterscheidung zwischen dem (supranationalen) EG-Recht und dem EU-Recht. Erstens wird bezüglich des externen Vorrangs teilweise behauptet, ein Kollisionsproblem stelle sich nur zwischen unmittelbar anwendbaren Normen, also jedenfalls nicht zwischen dem Unionsrecht und dem mitgliedstaatlichen Verfassungsrecht. Dem ist zu erwidern, dass selbst nicht unmittelbar anwendbare Normen den Gemeinschaftsgesetzgeber beeinflussen und jedenfalls als Auslegungshilfe fungieren. Daher sind auch Widersprüche zum nationalen Verfassungsrecht nicht ausgeschlossen, mögen sie auch weniger spürbar sein.204 Die Vorrangfrage zwischen den Teilverfassungen der EU wird über entsprechende Spezialbestimmungen beantwortet. Wo diese fehlen, geht die Prinzipienlehre von einer abstrakten Gleichrangigkeit aus. Zweitens wird bezüglich des internen Verhältnisses der Vorrang des Gemeinschafts- vor dem Unionsrecht diskutiert. Hier gilt aber nichts anderes: Eine europäische Prinzipienlehre umfasst das gesamte Primärrecht und geht von einer Gleichrangigkeit seiner Bestandteile aus, sofern nicht ausdrücklich etwas Abweichendes geregelt ist. Die Sicherungsklauseln zugunsten des Gemeinschaftsrechts (Art. 2, 5. Spstr. EU und Art. 47 EU) sollen aber lediglich vor einer Verwässerung der supranationalen Eigenschaften schützen. Die Besitzstandswahrung führt aber nicht zu einem normenhierarchischen Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem Unionsrecht.205
Peters, S. 341 f. m. w. N. Peters, S. 342; ähnlich: U. Becker, 1999, S. 78; Ruffert, EuR 2004, S. 165 (200). 202 Peters, S. 342 f. m. w. N. 203 Peters, S. 344 ff.; anders scheinbar Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 2 EU Rn. 3; vgl. dazu die Ausführungen im 3. Kapitel unter B.III.2. 204 Peters, S. 346 f. 205 Peters, S. 348. 200 201
B. Konkretisierung der europäischen Prinzipienlehre
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4. Ergänzende Bedeutung der Prinzipien im Verhältnis zu Spezialnormen Folglich haben unbestimmt formulierte Prinzipien wie auch allgemeine Rechtsgrundsätze nur eine ergänzende Bedeutung im Verhältnis zu spezialrechtlichen Normen.206 Sie legen insb. nicht den Weg und die Mittel der Zielverwirklichung also der Optimierung, fest.207 Sind die Prinzipien nur in Präambel- oder allgemeinen Zielbestimmungen festgeschrieben, also nicht konkretisiert, so begründen sie weder konkrete Handlungs- oder Unterlassungspflichten für die Unionsorgane und Mitgliedstaaten, noch Rechte für Dritte.208 Rechtsverbindlich sind sie als Auslegungsdirektive für die speziellen, auf Zielverwirklichung gerichteten Vertragsbestimmungen und Durchführungsmaßnahmen. Diese müssen im Lichte der zugrunde liegenden Prinzipien ausgelegt werden, ein etwaiger Gestaltungsspielraum ist also nicht völlig frei. Prinzipien wirken somit ggf. auch kompetenzbegrenzend.209 Ausnahmen zu Spezialbestimmungen, die unbestimmte Prinzipien konkretisieren, müssen entsprechend der Optimierungspflicht eng ausgelegt werden.210 Diese Pflicht zur teleologischen Auslegung wird ergänzt durch die Abwägungspflicht im Falle einer Prinzipienkollision.211 Auch diese richtet sich nur dann Vgl. auch von Bogdandy, 2003, S. 149 (157 f., 162, 203). Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 29 mit Verweisen auf die Rechtsprechung des BVerfG und des EuGH. 208 Z. B. EuGH, Rs. 126 / 86, Gíménez Zaera / Instituto Nacional de la Seguridad Social und Tesorería General de la Seguridad Social, Slg. 1987, S. 3697, Rn. 11; Rs. C-339 / 89, Alsthom Atlantique / Sulzer, Slg. 1991, S. I-107, Rn. 9; Blanke, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 2 EU Rn. 3; Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 13; zum VVE Ruffert, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-3 VVE Rn. 4; nur dies entspricht der Formel in verschiedenen Zielbestimmungen „nach Maßgabe dieses Vertrags“ (z. B. in Art. 2 Abs. 2 EU). 209 Vgl. zu Art. 2, 3 EG z. B. EuGH, Rs. 24 / 62, Bundesrepublik Deutschland / Kommission, Slg. 1963, S. 143, 153 f.; Rs. 1 / 69, Italien / Kommission, Slg. 1969, S. 277, Rn. 4 / 5; Rs. 6 / 72, Europemballage und Continental Can / Kommission, Slg. 1973, S. 215, Rn. 24; Verb. Rs. 6 und 7 / 73, Commercial Solvents / Kommission, Slg. 1974, S. 223, Rn. 32; R. Arnold, S. 123 (123 f.); Blanke, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 2 EU Rn. 3; Bleckmann, 1986, S. 1 (22); Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 9 ff.; Epiney, S. 43 (51); Fernandez Esteban, S. 129 (137 f.); Langeheine, 1984, S. 47 (54); Ruffert, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 2 EG Rn. 7 – 9; Streinz, in: ders., 2003, EGV Präambel Rn. 11 f.; Stumpf, in: Schwarze, 2000, Art. 2 EU Rn. 25 (erwähnt ausdrücklich auch die Bedeutung der allgemeinen Zielbestimmungen für die Prinzipienbildung); zum VVE Ruffert, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-3 VVE Rn. 7 ff. 210 EuGH, Rs. 167 / 73, Kommission / Frankreich, Slg. 1974, S. 359, Rn. 17 / 23; Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 11. 211 In diese Richtung z. B. EuGH, Rs. 6 / 72, Europemballage und Continental Can / Kommission, Slg. 1973, S. 215, Rn. 24; ausdrücklich von der Herstellung von Konkordanz bzw. praktischer Konkordanz sprechen in Anlehnung an das deutsche BVerfG GA Albert, Schlussanträge zur Rs. C-34 / 99, Primback, Slg. 2001, I-3833, Rn. 48 und noch deutlicher GA Kokott, Schlussanträge zur Rs. C-540 / 03, Parlament / Rat, Slg. 2006, I-5769, Rn. 39; Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 11. 206 207
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nach den allgemeinen, von Alexy herausgearbeiteten Grundsätzen, wenn und soweit das Primärrecht zum Umgang mit Kollisionen schweigt.212 Fehlen konkretisierende, umfassende Spezialnormen, entfalten unbestimmte Prinzipien Wirkung über Art. 10 EG und die daraus vom EuGH hergeleitete Loyalitätspflicht. Zwar lassen sich auch auf diesem Wege originäre Pflichten nur schwer herleiten; unstreitig ergeben sich aber konkrete, rechtlich verbindliche Pflichten für die Mitgliedstaaten und die Unionsorgane im Zusammenhang mit anderen Vorschriften oder deren Gesamtsystematik.213 All diese Annahmen lassen sich auch überzeugend auf solche Prinzipien anwenden, die nur in den Präambeln des EU- oder EG-Vertrags niedergelegt sind.214 Diese haben zwar bedingt durch ihre Unbestimmtheit eine geringe normative Kraft. Angesichts ihrer Verankerung im Primärrecht und der juristischen Handhabbarkeit auch solcher Bestimmungen gibt es aber keinen Grund, einer Rechtsverbindlichkeit als Auslegungshilfe zu widersprechen.215 Dem Wunsch nach einer kohärenten Durchdringung des Europarechts schadet es jedenfalls, bei Präambeln anders als bei sonstigen unbestimmten Normen von einer bloß rechtspolitischen Wirkung auszugehen.216
IV. Auflösung von Prinzipienkollisionen durch Abwägung Im Rahmen dieser Arbeit geht es vor allem um den Umgang mit der Kollision von Rechtsnormen. Dazu geben die herkömmlichen Auslegungsmethoden nur wenig Aufschluss. Weit verbreitet als Rechtsfindungsmethode bei Kollisionen ist die Abwägung. Diese wird aber unterschiedlich begründet und im Einzelnen unterschiedlich ausgestaltet. Laut Alexy ist die normstrukturelle Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien eng verknüpft mit der Theorie von der juristischen Argumentation allgemein und speziell mit dem Abwägungskonzept. Prinzipienkollisionen seien aufgrund des jeweiligen Optimierungscharakters zwingend durch Abwägung zu lösen. Aufgrund dieses logischen und normstrukturellen Ausgangspunkts ist Alexys Prinzipienlehre nicht nur zur Analyse von BVerfG-Entscheidungen geeignet, sondern bietet vielmehr eine Grundlage für eine rechtsgebietsübergreifende Abwägungslehre.217 Dazu ausführlich im folgenden Abschnitt. Z. B. EuGH, Rs. 78 / 70, Deutsche Grammophon / Metro, Slg. 1971, S. 487, Rn. 5; Rs. 2 / 73, Geddo, Slg. 1973, S. 865, Rn. 4; Zeh, 2002, S. 31; Hatje, S. 48 ff., 60 f. 214 Kritisch von Bogdandy, 2003, S. 149 (insb. 191, 196 f.), der eine Bestätigung im verfügenden Teil der Verträge verlangt. 215 Z. B. Hilf / Pache, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Präambel zum EU-Vertrag Rn. 1, 5. 216 So aber Beyerlin, S. 31 (55 Fn. 110); Lopian, S. 27 – 30; nicht ganz eindeutig ist die Ansicht von Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 281, 284 f., 638, 650; ders., ZSE 2005, S. 235 (242). 217 Alexy, 2003, S. 217 (233); Borowski, S. 96; H.-J. Koch, Abwägung, 2003, S. 235 (235 f.). 212 213
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Bevor näher dargestellt wird, in welchen Fällen eine Abwägung möglich und geboten ist und welche Anforderungen an die Begründung von Abwägungsentscheidungen zu stellen sind, zunächst einige Überlegungen zum Zusammenhang zwischen der Abwägungslehre und der Verfassungsdebatte. Bei der Abwägung geht es um die Sicht auf eine Rechtsquelle in ihrer Gesamtheit und Geschlossenheit. Die Unterscheidung zwischen Regeln i. S. v. definitiven Geboten und Prinzipien i. S. v. Optimierungsgeboten impliziert eine Betrachtung von Normen im Verhältnis zueinander.218 Insbesondere Verfassungslehren betonen im Rahmen der Forderung einer Konkretisierung von Verfassungen eine „ganzheitliche Betrachtung der Verfassung, in der gerade die materiellen Normen aus der gegenseitigen Zuordnung ihre normative Reichweite erfahren.“219 Das Konzept der „Einheit der Verfassung“220 und die Pflicht zur Herstellung „praktischer Konkordanz“221, also zur Schaffung eines schonenden Ausgleichs, bei dem alle Verfassungsprinzipien zur bestmöglichen Geltung kommen, sind eng miteinander verbunden. Die Vorstellung von der Einheit der Rechtsordnung geht zugleich von deren Lücken- und Widerspruchsfreiheit aus.222 Auch dem europäischen Primärrecht sind Verschränkungen von Normkomplexen nicht fremd: Art. 3 EU fordert ausdrücklich eine Kohärenz zwischen verschiedenen Politikbereichen. Zudem sind die Ziele der EU und EG gemäß Art. 2 Abs. 2 EU „nach Maßgabe dieses Vertrags“ zu erfüllen; das Binnenmarktziel ist „unbeschadet der sonstigen Bestimmungen dieses Vertrags“ zu verwirklichen. Auf die Querschnittsklauseln wurde in der Einführung bereits verwiesen, ebenso auf Art. 6 Abs. 2 EU. Es gibt noch weitere Beispiele. Begründet werden soll im Folgenden aber ein Konzept, das unabhängig solcher ausdrücklichen Anordnung allgemeine Maßstäbe liefert, die sich an der Struktur einzelner Normierungen als Regeln oder Prinzipien ausrichten.
1. Voraussetzungen der Abwägung Abwägung zielt auf eine konkrete Gewichtung von Normen im Einzelfall. Sie kommt folglich nur zum Zuge bei abstrakt gleichrangigen Prinzipien. Regeln sind aufgrund ihrer Normstruktur als definitive Festsetzungen nicht abwägungsfähig, weder bei einer Kollision mit anderen Regeln, noch bei einer Kollision mit Prinzipien.223 Prinzipien dürfen nicht gegeneinander abgewogen werden, wenn und soweit das Recht für bestimmte Prinzipien eine abstrakte Rangordnung anordnet, sei es durch die Zuordnung zu einem änderungsfesten Kern oder eine sonstige ausSommermann, S. 411. Mit Verweis auf Hesse Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 29. 220 Dazu m. w. N. z. B. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 259; Hatje, S. 28 ff.; Hesse, § 2 Rn. 71; Richter, S. 30 f., 35; Stein, S. 63 ff.; Thym, S. 233, 238. 221 Dazu z. B. Hesse, § 2 Rn. 72. 222 Hesse, § 2 Rn. 71; Richter, S. 30 f. 223 Siehe dazu bereits im 3. Kapitel unter B.I.1.b). 218 219
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
drückliche Normierung. Vorrangregelungen können eine Kollision vollständig lösen oder aber die Rechtfertigungslast zugunsten einer der kollidierenden Prinzipien verschieben. Soweit keine entsprechenden Gründe für eine solche Rangordnung vorliegen, ist von einem abstrakt gleichen Gewicht der Prinzipien einer Verfassung auszugehen.224 Im Europarecht ist das Bedürfnis nach einer allgemeingültigen Kollisionslösung besonders groß, denn es gibt kaum ausdrücklich normierte Lösungsmöglichkeiten für Normkonflikte; lediglich der Vorrang des Primärrechts vor dem Sekundärrecht ist unbestreitbar225. Allerdings kann es auch auf operativer Ebene zu Konflikten zwischen verschiedenen Zielen oder anderen Normen des Primärrechts kommen. Viele davon haben Prinzipiencharakter.226 Eine verfahrensmäßige Verschränkung und gegenseitige Beeinflussung der Vertragsziele und Politikbereiche ergibt sich schon daraus, dass gemäß Art. 7 Abs. 1 EG dieselben Organe zuständig sind. Wie bereits erörtert, ist eine Normenhierarchie innerhalb des Primärrechts weder ausdrücklich festgelegt, noch kann sie juristisch überzeugend hergeleitet werden, selbst wenn man das Primärrecht als Verfassung begreift.227 Konfliktpotential besteht des Weiteren zwischen europarechtlichen Prinzipien und Verfassungsprinzipien der Mitgliedstaaten. Auch diesbezüglich fehlt bis heute trotz ausgedehnter Diskussionen ein allseits akzeptiertes Vorrangkonzept.228 Die Prinzipienlehre kann auch insoweit zu einer rechtlich handhabbaren Lösung kommen.
2. Anforderungen an die Abwägung Die Prinzipienlehre Alexys ist ein „Modell einer weichen Ordnung“, also mehr als ein bloßer Topoikatalog, aber weniger als eine abstrakte Rangordnung. Sie basiert auf mehreren Elementen, insb. auf einem System von Vorrangbedingungen und einem Abwägungsgesetz.229
a) Herstellung einer bedingten Vorrangrelation Die Abwägung und ihre Strukturierung zielen auf die Herstellung einer bedingten, also fallbezogenen Vorrangrelation. Es geht nicht um die Begründung einer Normenhierarchie, sondern um die Darstellung des relativen Gewichts von Prinzi224 Vgl. dazu Alexy, 2002, S. 58 f.; Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 28 m. w. N.; Sieckmann, S. 236; Sommermann, S. 413 f. 225 Dazu insb. H. Hofmann, S. 246; Peters, S. 242 ff. 226 Vgl. z. B. Müller-Graff, 1998, S. 67 (75); zum VVE Streinz / Ohler / Herrmann, S. 56. 227 Siehe dazu bereits im 3. Kapitel unter B.III.3. 228 Vgl. dazu u. a. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 381; Kaufmann, S. 521 (536, 543 ff.); Peters, S. 242 ff. 229 Alexy, 2003, S. 217 (230 ff.); ders., 1996, S. 144 ff.
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pien in einer Rechtsordnung.230 Wiederholt sei noch einmal, dass diese Relativierung nicht die strikte Verbindlichkeit jedes Rechtsprinzips auch für die Einzelfallentscheidung betrifft, sondern lediglich die Realisierung des Geltungsanspruchs bei gegenläufigen Regeln und / oder Prinzipien.231 In Bezug auf den Einzelfall sind die Bedingungen herauszuarbeiten, unter denen ein Prinzip dem anderen vorgeht. Dabei ist das argumentative Gewicht der einzelnen Elemente zugunsten des einen oder des anderen Prinzips festzustellen und in Beziehung zu anderen Abwägungselementen zu setzen.232 Die Optimierungsgebote kommen zur Geltung, indem – ähnlich dem Konzept der praktischen Konkordanz – jedes der kollidierenden Rechtsprinzipien möglichst weitgehend verwirklicht wird. Zu diesem Zwecke werden den kollidierenden Prinzipien Grenzen gezogen.233 Die Grenzziehung darf aber nicht alleine über rechtlich nicht geschützte Güter erfolgen, da sich diese beliebig behaupten lassen.234 Ergebnis der Abwägung ist eine Kollisionsregel. Das heißt, nur – aber immerhin – im konkreten Einzelfall führt die Abwägung zu einer subsumierbaren Norm. Die Bedingungen des Präferenzsatzes lassen sich als Tatbestandsmerkmale einer Regel definieren, die besagt, dass unter eben solchen Voraussetzungen das Ergebnis des Abwägungsvorganges als Rechtsfolge angeordnet ist. Die Rechtsfolge entspricht der des vorgehenden Prinzips.235 Selten kann mit einer solchen Kollisionsregel jede künftige Entscheidung einer Kollision zwischen den betreffenden Prinzipien vorausgesagt werden.236 Dennoch bindet das System der mit der bedingten Vorrangrelationen getroffenen Gewichtungen der Prinzipien das juristische Entscheiden in dem Umfang, in dem es die juristische Argumentation bindet. Zur Begründung einer neuen Entscheidung kann etwa nur vorgetragen werden, „dass sich die Merkmalskombination des neuen Falls 230 Alexy, 2003, S. 217 (231); Peters, S. 286 f. m. w. N.; Sieckmann, S. 224; Schindler, S. 165 f. 231 Dazu Stern, S. 502. 232 Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 12, 28; H.-J. Koch, Prinzipienargument, 2003, S. 431 (438); Schindler, S. 166; so im Ergebnis auch der EuGH zur Lösung von Vertragszielkonflikten, vgl. die ständige Rechtsprechung zur Notwendigkeit eines Ausgleichs bei Widersprüchen und ggf. eines zeitweiligen Vorrangs: Rs. 5 / 73, Balkan-Import-Export / Hauptzollamt BerlinPackhof, Slg. 1973, S. 1091, Rn. 24; Rs. 29 / 77, Roquette / Frankreich, Slg. 1977, S. 1835, Rn. 29 / 31; Rs. C-44 / 94, The Queen / Fishermen’s Organisations u. a., Slg. 1995, S. I-3115, Rn. 37; zur Annahme eines entsprechend weiten Ermessens- und Gestaltungsspielraum der Organe EuGH, Rs. 139 / 79, Maizena / Rat, Slg. 1980, S. 3393, Rn. 23; ausdrücklich von der Herstellung von Konkordanz bzw. praktischer Konkordanz sprechen in Anlehnung an das deutsche BVerfG GA Albert, Schlussanträge zur Rs. C-34 / 99, Primback, Slg. 2001, I-3833, Rn. 48 und noch deutlicher GA Kokott, Schlussanträge zur Rs. C-540 / 03, Parlament / Rat, Slg. 2006, I-5769, Rn. 39. 233 Alexy, 2003, S. 217 (232); Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 28; H. Hofmann, S. 140 f.; Sieckmann, S. 224 f.; Sommermann, S. 412. 234 Hesse, § 2 Rn. 72, Fn. 31. 235 Alexy, 2000, S. 31(34); ders., 1996, S. 79 ff., 87; H.-J. Koch, Prinzipienargument, 2003, S. 431 (438 f.); Schindler, S. 167; Sieckmann, S. 224 m. w. N. 236 H.-J. Koch, Prinzipienargument, 2003, S. 431 (438 f.).
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nicht so sehr von der unterscheidet, die zu einer früheren Vorrangrelation zusammengefasst wurde, dass ein anderes Vorrangverhältnis der Prinzipien gerechtfertigt ist“, oder umgekehrt „dass sie sich so sehr unterscheidet, dass ein anderes Vorrangverhältnis gerechtfertigt werden kann.“237 Damit erfüllt die Formulierung von Vorrangbedingungen die verfassungsrechtlichen Funktionen von Rechtssicherheit und Gleichbehandlung.238
b) Strukturierung mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Eine feste Struktur erhält die jeweilige Abwägung durch die Verknüpfung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.239 Im Zusammenhang mit einer Prinzipienkollision geht es dabei nicht um die Relation zwischen einem konstanten Zweck und einem oder mehreren variablen Mitteln, vielmehr um die Relation zweier variabler Größen, die beide optimiert werden müssen.240 Durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird die Argumentation nicht nur transparenter. Die reine Abwägung reduziert sich auch auf ein Minimum durch die Vorschaltung des Geeignetheits- und Erforderlichkeitskriteriums.241 Zur Prüfung von Geeignetheit und Erforderlichkeit stehen rationale Argumentationsmöglichkeiten zur Verfügung. Die Irrationalität der Prüfung der Verhältnismäßigkeit i. e. S. verringert Alexy mithilfe eines formalen Abwägungsgesetzes: „Je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips ist, desto größer muß die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen sein.“242
Dieses Abwägungsgesetz lässt noch immer Raum für juristische Argumentation, es steuert diese aber in einem erheblichen Grade.243 Die komparative Struktur verdeutlicht zum einen, dass das Abwägungsgesetz auf zweipolige Kollisionen zugeschnitten ist, zum anderen, dass sich die damit jeweils gefundene Vorrangrelation nur Alexy, 2003, S. 217 (231). H.-J. Koch, Abwägung, 2003, S. 235 (244); Borowski, S. 97 betont die damit geschaffene Kohärenz. 239 Ávila, S. 90 ordnet den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den sog. Postulaten zu, welche die Anwendung von Normen strukturieren und seiner Ansicht nach selbst weder Prinzipien noch Regeln sind. 240 So zum deutschen Verfassungsrecht Hesse, § 2 Rn. 72; zum Europarecht Peters, S. 287. 241 Borowski, S. 96; Schindler, S. 168; Sieckmann, S. 225. 242 Alexy, 2000, S. 31 (36); ders., 2003, S. 217 (232); ders., 1996, S. 145 ff.; kritisch dazu Buchwald, S. 83 (102 ff.); jeweils m. w. N. zu den unterschiedlichen Strukturen der Abwägung, die unabhängig von der Prinzipienlehre vertreten werden z. B. O. Koch, S. 48 ff., 198 ff., 277 ff. zu den verschiedenen dogmatischen Strukturen der Verhältnismäßigkeitsprüfung in den Mitgliedstaaten der EU und in der Rechtsprechung des EuGH sowie zu den präzisierten Vorschlägen der Literatur, des Generalanwalts Lenz und der Kommission; Schwab, 2002 zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der EuGH-Rechtsprechung; Hector, S. 198 ff. zum Abwägungsprozess im Völkerrecht. 243 Dazu sogleich unter 3. 237 238
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schwer auf andere Fälle übertragen lässt.244 Wie bereits erwähnt, kann der Erfüllungsgrad politischer bzw. kollektiver Ziele im Laufe der Zeit schwanken, irgendwann sogar optimiert sein; bei Prinzipien zum Schutze subjektiver Rechte muss der Erfüllungsgrad für jedes einzelne Rechtssubjekt neu festgestellt werden.245 Sieckmann präzisierte dieses Abwägungsgesetz, insb. indem er logisch herleitete, dass die Wichtigkeit der Erfüllung eines Prinzips umso höher ist, je geringer sein Erfüllungsgrad ist. Daher führt allein der Wichtigkeitsgrad in keinem Fall zu einer bedingten Vorrangrelation: Bei abstrakt gleichem Gewicht zweier Prinzipien sind bei gleichen Beeinträchtigungsgraden zusätzliche Argumente notwendig, während bei ungleichen Beeinträchtigungsgraden das stärker beeinträchtigte Prinzip vorgeht. Hat ein Prinzip ein abstrakt höheres Gewicht, geht es bei gleichem Beeinträchtigungsgrad dem anderen vor, während bei geringerem Beeinträchtigungsgrad zusätzliche Argumente oder eine weitere Differenzierung des Begriffs des Gewichts zur Begründung eines Vorrangs erforderlich ist.246 Der Beeinträchtigungsgrad muss also in jedem Fall festgestellt werden. Dazu bedarf es zunächst einer empirischen Definition des Begriffs Beeinträchtigungsgrad, die anders als eine normative Definition unabhängig vom Begriff des Gewichts des Prinzips ist. Empirisch vergleichbar sind Beeinträchtigungen beispielsweise dann, wenn in einem Fall ein Zustand vollständig realisiert wird und in einem anderen Fall nur teilweise.247 Beim Vergleich verschiedenartiger Prinzipien ist ein direkter Vergleich der Beeinträchtigungen aber unmöglich, so dass ein Maß für den Beeinträchtigungsgrad erforderlich ist. Dieses Maß kann empirisch oder (wo dies möglich ist) über eine normative Bedürfnistheorie festgelegt werden. Je differenzierter der Maßstab ist, desto mehr Entscheidungen sind erlaubt. Aber auch ein grober Maßstab – wie die Unterteilung in schwer, mittel und gering – erlaubt Abwägungsentscheidungen und ist daher nicht wertlos.248 Um eine schwere Beeinträchtigung handelt es sich etwa, wenn der Kernbereich eines Prinzips betroffen ist.249 Selbst durch die Präzisierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung verliert die Abwägungslösung nicht ihren Zuschnitt auf Einzelfälle und ihre Abhängigkeit von der Ausgestaltung der jeweils kollidierenden Prinzipien. Die Abwägung ist daher ein flexibles und dynamisches Instrument, das die ausdrücklichen Vorgaben des Rechtsgebers respektiert und zugleich die Anpassung an die jeweilige Rechtswirklichkeit ermöglicht. Die für den Rechtsanwender aus der Struktur verbindlicher Rechtsprinzipien folgende Pflicht zur Abwägung ist eine reine Verfahrenspflicht, zugleich aber eine zwingende Rechtspflicht.
244 245 246 247 248 249
Sieckmann, S. 231; Sommermann, S. 413. Dazu mit Bezug auf Dworkin Sieckmann, S. 228 f. Sieckmann, S. 231 ff.; vgl. auch Sommermann, S. 414. Sieckmann, S. 236 f. Sieckmann, S. 237. Sommermann, S. 414.
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3. Die Pflicht zur Abwägung als reine Verfahrenspflicht Um eine reine Verfahrenspflicht handelt es sich, weil sich mit der Abwägung nicht die einzig richtige Lösung für jeden Einzelfall ermitteln lässt. Selbst die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erlaubt nur die Ausscheidung einzelner Lösungen als rechtswidrig. Bevor die Gründe für diese „Unzulänglichkeit“ der Prinzipienlehre näher erläutert werden, wird der davon unabhängig geführte Streit über die Leistungsfähigkeit rechtlicher Abwägungen250 kurz umrissen. a) Der Streit um die Leistungsfähigkeit von Abwägungen Die sog. Abwägungsoptimisten halten objektive Abwägungsentscheidungen für möglich und versuchen, „mathematische“ Abwägungsregeln zu entwickeln.251 Die gegenteilige Ansicht geht vom Versagen der Abwägung aus, könne doch kein Modell den Abwägungsvorgang empirisch erfassen. Insbesondere biete auch die mathematische Logik keinen gemeinsamen Maßstab für den Vergleich zweier Rechtsgüter. So seien schon einzelne Gesichtspunkte für sich genommen nicht quantifizierbar. Zudem existiert kein metrischer Vergleichsmaßstab, mit dessen Hilfe ein Wertvergleich nicht nur ordinal, sondern auch kardinal252 durchgeführt werden könne. Auch die Erklärungsmodelle der Wohlfahrtsökonomik, die sich mit der optimalen Verteilung knapper Güter beschäftigen, beseitigen die Unzulänglichkeiten nicht, insb. die fehlende Vergleichbarkeit von öffentlichen und privaten Interessen.253 In der EU ergeben sich überdies spezifische Probleme einer Abwägung: normative Vorgaben für den Abwägungsprozess fehlen gänzlich und meist müssen multipolare Interessen miteinander abgewogen werden. Den Nachweis für die Unmöglichkeit, mehr als zwei Interessen zu einem rational nachvollziehbaren Ausgleich zu bringen, erbrachte bereits der Spieltheoretiker Arrow.254 Den Abwägungspessimisten wird jedoch vorgeworfen, dass sie die Aufgabe der Abwägung im Entscheidungsprozess verkenne, indem sie wie die Vertreter der ersten Auffassung zu sehr auf die Suche nach einer empirisch nachprüfbaren richtigen Entscheidung fixiert ist.255 Die dritte, gemäßigte Ansicht hingegen erkennt wie die Abwägungspessimisten die Unzulänglichkeiten, ist sich aber auch des Nutzens der Abwägung bewusst. Dazu aktuell E. Hofmann, 2007. Dargestellt bei O. Koch, S. 266 ff. m. w. N. 252 Die Annahme einer ordinalen Wertestruktur lässt nur Aussagen über das Überwiegen eines Wertes im direkten Vergleich zu. In einer kardinalen Wertestruktur werden darüber hinaus die einzelnen Werte skaliert, so dass Aussagen darüber möglich sind, in welchem Ausmaß ein Wert den anderen überwiegt, vgl. u. a. O. Koch, S. 267. 253 Dargestellt bei O. Koch, S. 268 ff. m. w. N.; zu Einzelaspekten vgl. z. B. Hector, S. 176 f. und Schlink, S. 154 ff. 254 Zu diesen Besonderheiten der EU m. w. N. O. Koch, S. 271 ff. 255 O. Koch, S. 275 f. m. w. N. 250 251
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Sie sehen in der Abwägung kein Instrument der Rechtsfindung, aber eine berechtigte Methode zur Rationalisierung des Entscheidungsprozesses. Das Abwägungsergebnis sei also keineswegs ein streng logischer Schluss, sondern beruhe stets auch auf moralischen oder sonstigen subjektiven Wertungen. Dies sei aber die Folge der Prinzipienstruktur, die gerade keinen subsumtionsfähigen Obersatz lieferte. Die Abwägungskriterien seien eine Orientierungshilfe bei der Kollisionslösung; sie objektivieren die Entscheidungsfindung und verringern damit die Gefahr willkürlicher Entscheidungen.256 Allein schon die Offenlegung der Entscheidungsgründe und Abwägungskriterien trägt zum Rechtsfrieden bei und fördert das Verständnis für das Ergebnis und erfüllt damit rechtsstaatliche Funktionen.257 b) Die Abwägung als berechtigte Rationalisierung des Entscheidungsprozesses Es wurde bereits angedeutet, dass das Abwägungsgesetz im Rahmen der Prinzipienlehre nicht auf ein definitives Entscheidungsverfahren zielt, sondern eher auf eine Strukturierung der Entscheidung.258 Die Anhänger der Prinzipienlehre können daher der dritten der eben dargestellten Ansichten zugeordnet werden. Verbleibende Entscheidungsspielräume werden also anerkannt, denn sowohl die Entscheidung über den Grad der Wichtigkeit des einen Prinzips als auch das Urteil über die Erfüllung bzw. Nichterfüllung des anderen entziehen sich der Metrisierung.259 Immerhin aber sagt das Abwägungsgesetz, was erforderlich ist, um einen bedingten Präferenzsatz zu begründen, der das Ergebnis der Abwägung darstellt, nämlich Gesetze über Beeinträchtigungs- und Wichtigkeitsgrade. Diese Gesetze haben für sich genommen keinen Abwägungscharakter, sondern erlauben jedes in der juristischen Argumentation mögliche Argument.260 Letztlich spricht die Prinzipienlehre mit der Terminologie der Richter und sagt, was das Recht fordert, erlaubt und verbietet.261 Die Grenzen, die die Prinzipienlehre damit dem Rechtsanwender neben der Pflicht zur Offenlegung der Argumentation zieht, sollen im Folgenden zusammengefasst werden. Bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes besteht zum einen ein strukturelles Ermessen. Die Geeignetheitsprüfung ist bloßer Filter, um für die Opti256 Zu alldem jeweils m. w. N. O. Koch, S. 274 ff.; Sieckmann, S. 224 f., 237 und allgemein zur Abwägung staatlicher Interessen im Völkerrecht (ohne Verweis auf die Prinzipienlehre) Hector, S. 171 ff. 257 O. Koch, S. 277. 258 Alexy, 2002, S. 396 ff.; ders., 1996, S. 149 f., 152; Borowski, S. 97; O. Koch, S. 267; Rivers, S. xvii (xxxv). 259 Alexy, 2002, S. 394 f.; Hesse, § 2 Rn. 76; H.-J. Koch, Prinzipienargument, 2003, S. 431 (438 ff.); Sommermann, S. 414 f., 437. 260 Alexy, 2002, S. 150. 261 Alexy, 2002, S. 59; ähnlich Sieckmanns, S. 237.
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
mierung eines Prinzips unnütze Maßnahmen auszuschließen. Die Erforderlichkeitsprüfung als Ausdruck der Pareto-Optimierung schreibt nicht zwingend die Optimierung eines Ziels mit einer milden Maßnahme vor, sondern verbietet lediglich, dass andere Prinzipien zur Optimierung eines Prinzips sinnlos geopfert werden. Es wird also wiederum nur ein Rahmen gezogen. Selbst bei der Anwendung des Abwägungsgesetzes im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeitsprüfung i. e. S. verbleibt, wie oben ausführlich beschrieben, in den meisten Fällen ein Ermessen.262 Die Geeignetheits- und Erforderlichkeitsprüfung räumen zudem ein erkenntnistheoretisches (epistemisches) Ermessen ein, das aus den Prognoseschwierigkeiten bzgl. des Zusammenhangs zwischen Ursache und Wirkung in zahlreichen Fällen folgt.263 Die Prinzipienlehre bestimmt also das Verfahren, mit dessen Hilfe eine rechtmäßige Lösung gesucht werden muss, und gibt damit auch die Richtung der Entscheidung vor.264 4. Die Pflicht zur Abwägung als Rechtspflicht Die aus der Prinzipienlehre folgende Pflicht zur Abwägung bzw. die Pflicht zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen zwei Rechtsprinzipien teilt die rechtliche Verbindlichkeit der Prinzipien und unterscheidet sich damit von einer reinen Güterabwägung.265 Dies ist anerkannt für den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Sinne eines übergreifenden Prinzips zur Begrenzung belastender gemeinschaftsrechtlicher Maßnahmen.266 Aber auch, wenn es nicht um die Einschränkung von Freiheitsgarantien, sondern um die Nichterfüllung rechtlicher Handlungspflichten wie die Optimierung von Prinzipien geht, muss die der Struktur der Prinzipiennorm entsprechende Handhabung an deren Rechtsnatur teilhaben, ansonsten liefe die Rechtsverbindlichkeit des Prinzips faktisch leer. Aufgrund formeller Prinzipien, wie insb. des Gewaltenteilungsgrundsatzes im deutschen Verfassungsrecht bzw. des Prinzips des institutionellen Gleichgewichts im Europarecht, ergeben sich aus der Verbindlichkeit der Prinzipien und der daraus folgenden Abwägungspflicht unterschiedliche Folgerungen für einzelne Entscheidungsträger. Im deutschen Verfassungsrecht muss der Gesetzgeber Staatszielbestimmungen und andere Prinzipiennormen im Rahmen seiner Konkretisierungsbefugnis aktualisieren. Zielbereich und Mittel zur Zielverwirklichung müssen also Dazu Alexy, 2002, S. 376 f., 394 ff. Alexy, 2002, S. 399 ff. 264 Hesse, § 2 Rn. 72. 265 So zum deutschen Verfassungsrecht Hesse, § 2 Rn. 72; nicht ganz eindeutig bzgl. der Herstellung praktischer Konkordanz zur Auflösung von Zielkonflikten im europäischen Primärrecht Ruffert, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 2 EG Rn. 10 m. w. N.; ders., in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-3 VVE Rn. 11. 266 Vgl. dazu z. B. Pollak, S. 39; Schindler, S. 167 f. 262 263
B. Konkretisierung der europäischen Prinzipienlehre
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genauer gefasst und Abwägungskriterien und vollziehbare Rechtsnormen zur Lösung von Prinzipienkonflikten entwickelt werden. Gegebenenfalls ist zur Kollisionslösung die Entwicklung von Verfahren notwendig, in denen die verschiedenen Belange umfassend gegeneinander abgewogen werden können, so dass ein möglichst hohes Maß an rationaler Konfliktbewältigung möglich ist. Bei alldem ist der Gesetzgeber jedenfalls an den Kernbereich der Prinzipien gebunden, den auch jedes noch so abstrakte Prinzip aufweist; er muss diesbezüglich das Untermaßverbot beachten.267 Für die Exekutive sind sowohl die Verfassungsprinzipien als auch dessen gesetzgeberische Konkretisierungen verbindlich. Bei der eigenen weiteren Konkretisierung hat die Verwaltung einerseits einen eigenen Spielraum, muss aber andererseits die gesetzlichen Konkretisierungen in Übereinstimmung mit den Verfassungsnormen auslegen und Ermessensentscheidungen unter Berücksichtigung der Verfassungsprinzipien treffen.268 Gegen das Abwägungsgesetz darf dabei nicht verstoßen werden. Auch Gerichte müssen Verfassungsprinzipien und die daraus folgenden verfahrensrechtlichen Beschränkungen bei der Auslegung des einfachen Rechts und bei der Interpretation von Verfassungsrecht beachten. Nur so ist die ihnen obliegende effektive Kontrolle gegenüber den anderen Gewalten möglich. Würde eine unabhängige Kontrollinstanz fehlen, würden rechtliche Prinzipien jedenfalls de facto zu bloßen Programmsätzen herabsinken.269 Für die Organe der EG gilt im Rahmen der europarechtlichen Besonderheiten entsprechendes. Der verbleibende Entscheidungsspielraum bei Kollisionsentscheidungen und die organspezifischen Besonderheiten bei der Abwägungspflicht wirken sich insb. auf die Justiziabilität von Prinzipienabwägungen aus.
V. Justiziabilität von Prinzipienkollisionen Dem strukturellen und epistemischen Ermessen bei der Auflösung von Prinzipienkollisionen entspricht eine richterliche Zurückhaltung bei deren Überprüfung. Alexy selbst beschränkt die Rolle des Richters darauf zu sagen, was gefordert, verboten und erlaubt ist, statt eine ohnehin meist nicht zu ermittelnde richtige Lösung eines Konflikts als Maßstab anzusehen.270 Führt das strukturelle Ermessen im Rahmen der Angemessenheitsprüfung dazu, dass es eine Reihe erlaubter Optionen für den Ausgleich zweier Prinzipien gibt, so muss das Gericht die Wahl des Gesetzgebers bzw. der Exekutive für die eine oder andere dieser Optionen respektieren. Besteht ein epistemisches Ermessen, weil die Erfüllung einzelner Abwägungselemente empirisch nicht eindeutig festgestellt werden kann, so muss das formelle 267 Dazu m. w. N. Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 30; Rivers, S. xvii (xxxv); Sommermann, S. 384, 412, 427 ff. 268 Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 30 m. w. N.; Rivers, S. xxxv f.; Sommermann, S. 385 f. 269 Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 30 f. m. w. N.; Sommermann, S. 386, 435. 270 Alexy, 2002, S. 59; siehe dazu bereits auf den vorangehenden Seiten.
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Prinzip der Gewaltenteilung bzw. des demokratischen Gesetzgebers abgewogen werden mit den betroffenen materiellen Prinzipien. In derartigen Fällen hängt der Grad der richterlichen Zurückhaltung im Ergebnis vom Gewicht der kollidierenden Prinzipien ab.271 Der Ermessensbegriff ist auch im Europarecht geläufig. Das Ermessen, das den Mitgliedstaaten und Organen im Primärrecht eingeräumt wird, umfasst – wie auch Alexys Prinzipienlehre – jeden durch die Normen eröffneten Beurteilungs-, Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum.272 Ermessensgrenzen ergeben sich aus dem vom EuGH angenommenen lückenlosen Rechtsschutzsystem und damit letztlich aus dem formellen Rechtsstaatsprinzip. Überprüfungsfreie Spielräume bestehen, weil und wenn politische Handlungsspielräume in Normen ausdrücklich vorgesehen sind („kann“) oder bei der gerichtlichen Selbstbeschränkung aufgrund der Notwendigkeit eines institutionellen Gleichgewichts, insbesondere bei komplexen wirtschaftlichen Sachverhalten.273 Damit ist v. a. das epistemische Ermessen angesprochen. Der EuGH „kompensiert“ das bestehende Ermessen durch eine strenge Prüfung von Verfahrenspflichten, z. B. der Pflicht der Organe, sorgfältig und unparteiisch alle Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen.274 Der Begriff der Ermessensreduzierung auf Null wird nur im deutschen Recht gebraucht. Er taucht in der EuGH-Rechtsprechung nicht auf. Das dahinter stehende dogmatische Phänomen ist aber anerkannt.275 All dies ist mit der Prinzipienlehre vereinbar. Weitergehende Forderungen, etwa bezüglich der Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, bedürften lediglich einer Fortentwicklung des Selbstverständnisses des EuGH, verlangen aber keinen Bruch mit der bisherigen Rechtsprechungspraxis. In den folgenden Abschnitten werden die prozessualen Grundkonstellationen skizziert, zu denen es bei der richterlichen Überprüfung einer Prinzipienabwägung typischerweise kommen kann. Anschließend wird gezeigt, wie sich die richterliche Zurückhaltung im Einzelnen auf die Kontrolldichte auswirkt. Dabei werden die primärrechtlichen Vorgaben, die bisherige Rechtsprechung und die Forderungen der Prinzipienlehre „zusammen gelesen“, um zu einem überzeugenden Ergebnis zu gelangen. Zunächst aber einige Worte zur Justiziabilität von Vertragszielbestimmungen, in denen zahlreiche Prinzipien des Europarechts verankert sind.
Übersichtlich zu alldem Rivers, S. xvii (xxxv). Statt vieler Bleckmann, 1997, S. 7, 59 ff., 230; Streinz, Europarecht, 2005, Rn. 598; Zeh, 2002, S. 36; das aus dem deutschen Verwaltungsrecht bekannte Ermessen beschränkt sich hingegen auf die Wahlfreiheit bzgl. der Rechtsfolge bei der Erfüllung aller Tatbestandsmerkmale einer Norm. 273 Zeh, 2002, S. 37 m. w. N. 274 Zeh, 2002, S. 39 m. w. N. 275 Zeh, 2002, S. 39 f. m. w. N. 271 272
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1. Justiziabilität von Vertragszielbestimmungen Zwar sind alle in den Vertragszielbestimmungen des Primärrechts verankerten Prinzipien rechtsverbindlich, für die Justiziabilität ergeben sich aber einige Besonderheiten. Die Vertragsziele des EU-Vertrags unterliegen gemäß Art. 46 EU nicht der Kontrolle des EuGH. Justiziabel sind diese Ziele – wie alle Ziele des Primärrechts – aber in ihrer Konkretisierung durch präzise Vertragsbestimmungen.276 Zudem darf und muss der EuGH die Ziele bei der Anwendung und Auslegung sämtlicher justiziablen Bestimmungen beachten, um ihrem ergänzenden Charakter Rechnung zu tragen. Aufgrund des Kohärenzgebots in Art. 1 Abs. 3 EU, an das auch der EuGH gebunden ist, ist darüber hinaus ein harmonisierendes Verständnis mit den Zielbestimmungen des Gemeinschaftsvertrags unionsrechtlich geboten.277
2. Denkbare prozessuale Grundkonstellationen Die Funktion von Prinzipien als Maßstab und Grenze des Ermessensspielraums im Rahmen von konkreten Normen wird bei der Überprüfung von Handlungen der Gemeinschaftsorgane oder Mitgliedstaaten relevant, insb. im Rahmen der Nichtigkeitsklage gemäß Art. 230 EG.278 Die Frage ist, ob die Handlung des Gesetzgebers gegen ein Prinzip verstößt. Die eingeschränkte Kontrolldichte entspricht hier der Konkretisierungsbefugnis der Legislative. Meist findet lediglich eine Evidenzkontrolle statt. Versteht man Prinzipien als Optimierungsgebote, liegt es nahe, Verstöße im Unterlassen gegen entsprechende Handlungsgebote zu erblicken. Die Rechtswidrigkeit durch Unterlassen wird insb. im Rahmen der Untätigkeitsklage gemäß Art. 232 EG kontrolliert. Auch hier muss angesichts der Rechtsverbindlichkeit der Prinzipien jedenfalls eine Willkürkontrolle stattfinden. Problematisch ist, ob das Untermaß als geringere Schwelle der Rechtswidrigkeit vertretbar ist. Erwogen wird im Hinblick auf die Kontrolle der Staatszielbestimmungen des deutschen Verfassungsrechts auch eine Kontrolle anhand der Abwägungsmaximen des Planungsrechts.279 Da jeweils die bereits erwähnten formellen Prinzipien mit den entspre276 EuGH, Rs. 13 / 83, Parlament / Rat, Slg. 1985, S. 1513, Rn. 47 ff.; Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 13; W. Lang, S. 9 (19). 277 Müller-Graff, 1998, S. 67 (77 f.); Streinz, in: ders., 2003, EUV Präambel Rn. 12. 278 Vgl. zum Problem der Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage gegen den Beitrittsvertrag bzw. gegen vorbereitende Mitwirkungsakte der Organe Herrnfeld, in: Schwarze, 2000, Art. 49 EU Rn. 16 f.; Pechstein, in: Streinz, 2003, Art. 49 EU Rn. 15; Ruffert / Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 49 EU Rn. 13 m. w. N.; laut Nettesheim, S. 36 (62 ff.) sind Beitrittsentscheidungen nur inzident vom EuGH kontrollierbar; zum VVE Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-58 VVE Rn. 12 f. 279 Sommermann, S. 413.
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
chenden materiellen Prinzipien abgewogen werden müssen, lässt sich die Reichweite der gerichtlichen Kontrolle nicht für jeden Einzelfall voraussagen.280 Einige grundlegende Überlegungen zur Kontrolldichte lohnen sich dennoch. Denkbar, aber praktisch sicher weniger bedeutsam, sind schließlich auch die Aufsichtsklagen gemäß Art. 226 f. EG.281
3. Eingeschränkte Kontrolldichte Aufgrund der eingeschränkten Leistungsfähigkeit der Abwägung ist die Kontrolldichte bei der richterlichen Überprüfung von Abwägungsentscheidungen unabhängig von der prozessualen Konstellation eingeschränkt. Die Auflösung des Erweiterungs-Vertiefungs-Dilemmas ist ein besonders komplexes Unterfangen. Die begrenzte rationale Erfassbarkeit des Abwägungsprozesses ist der Hauptgrund dafür, dass es nur selten zu einer umfassenden richterlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung kommt.282 Die formellen Prinzipien der Gewaltenteilung, Demokratie und richterlichen Zurückhaltung gebieten zusätzlich eine eingeschränkte Kontrolldichte. Kontrollierbar sind Abwägungsentscheidungen daher immer nur im Hinblick auf Abwägungsfehler. Solche erwähnt das Primärrecht in Art. 230 Abs. 2 EG als Klagegründe für die Nichtigkeitsklage. Ein Ermessensmissbrauch („détournement de pouvoir“) liegt vor, „wenn mit dem Erlass einer Maßnahme absichtlich ein rechtswidriges Ziel verfolgt wird oder aus einem schwerwiegenden, einer Verkennung des gesetzlichen Zwecks gleichkommenden Mangel an Voraussicht oder Umsicht andere Ziele als diejenigen verfolgt werden, zu deren Erreichung die im Vertrag vorgesehenen Befugnisse verliehen sind.“283 Die Kontrolldichte ist umso größer, je konkreter das Prinzip gefasst ist, muss sich also nicht in jedem Fall auf eine Evidenzkontrolle beschränken. Der differenzierte Maßstab ermöglicht eine Einzelfallbeurteilung.284 Nur soweit der Rechtstext keine Aussagen zum Kernbereich des Prinzips oder zur Art der Prinzipienoptimierung macht, haben Gemeinschaftsorgane und Mitgliedstaaten eine Konkretisierungsbefugnis. Im Rahmen der Evidenzkontrolle Sommermann, S. 441 f. Vgl. zum Problem der Anwendbarkeit auf die Beitrittsentscheidung Ruffert / Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 49 EU Rn. 13 m. w. N. und Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-58 VVE Rn. 13. 282 So unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Alexys Abwägungsgesetz O. Koch, S. 266 ff., 274 f. m. w. N. 283 Statt vieler Streinz, Europarecht, 2005, Rn. 598; Kassner, S. 182 f.; Zeh, 2002, S. 38 m. w. N.; zum Ermessensmissbrauch im Gemeinschaftsrecht Bleckmann, 1986, S. 265 ff. 284 Sommermann, S. 386, 440; vgl. zur bloßen Evidenzkontrolle durch den EuGH bei Zielverfehlungen z. B. Ruffert, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-3 VVE Rn. 5. 280 281
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kann der EuGH dann eine Handlung für rechtswidrig bzw. nichtig erklären, wenn diese dem Prinzip offensichtlich zuwiderläuft, ohne dass entsprechende andere Prinzipien plausibel zur Rechtfertigung herangezogen wurden.285 Bei reinen Handlungsgeboten mögen die Gemeinschaftsorgane und Mitgliedstaaten zwar frei sein bzgl. des Zeitpunkts der Optimierung. Sie müssen sich aber jedenfalls mit der Frage der Zielverwirklichung befasst haben und sich bei der Feststellung von Defiziten der Zielverwirklichung im Rahmen der Abwägung mit anderen Zielen sowie den wirtschaftlichen Möglichkeiten vorläufig gegen ein Tätigwerden entschieden haben. Tragen die bisherigen Maßnahmen nicht einmal dem Kerngehalt des Prinzips Rechnung, ist die Evidenzschwelle jedenfalls überschritten.286 Diese zum Umgang mit deutschen Staatszielbestimmungen vertretene Ansicht findet sich auch ansatzweise in der EuGH-Rechtsprechung wieder. Der Gerichtshof beschränkte unter Berufung auf den Gewaltenteilungsgrundsatz die Überprüfung von Maßnahmen der europäischen Legislative und von bestimmten Maßnahmen der Mitgliedstaaten auf eine Evidenzkontrolle, d. h. nur offenkundig unangemessene Entscheidungen wurden beanstandet. Damit vermied der Gerichtshof eine Stellungnahme zu grundsätzlichen politisch-moralischen Entscheidungen, die jenseits von rein wirtschaftlichen Gründen lagen und überließ die politische Verantwortung stets der Legislative. Je höher der Rang einer Maßnahme war, desto geringer war die Bereitschaft zur Nichtigerklärung.287 Auch bei komplexen Sachverhalten beschränkte sich die gerichtliche Kontrolle stets auf die Einhaltung der Verfahrensund Begründungsvorschriften, auf die zutreffende Feststellung des Sachverhalts, auf die (nicht) offensichtlich fehlerhafte Würdigung des Sachverhalts und die Frage nach einem Ermessensmissbrauch.288 Insbesondere in den zahlreichen Urteilen zur Beihilfevergabe betonte der EuGH, dass er seine Beurteilung nicht an die Stelle derjenigen der Kommission setzen werde.289 Abschließend sei betont, dass die Einschränkung der Kontrolldichte nicht eine Beschränkung der Optimierungsgebote auf Minimalstandards bedeutet. Selbst im deutschen Verfassungsrecht reicht die Kontrollnorm regelmäßig weniger weit als die für den Gesetzgeber verbindliche Handlungsnorm.290 Dies ist erst das Ergebnis der Abwägung der materiellen Prinzipien mit formellen Prinzipien, schmälert aber nicht den Bedeutungsgehalt der materiellen Prinzipien an sich. Sommermann, S. 437 m. w. N. Sommermann, S. 439. 287 Dazu Schwab, insb. S. 310 f. 288 St. Rspr., vgl. z. B. EuGH Rs. 730 / 79, Philipp Morris, Slg. 1980, S. 2671, Rn. 24; Rs. 310 / 85, Deufil, Slg. 1987, S. 901, Rn. 18; Rs. C-169 / 95, Spanien / Kommission, Slg. 1997, I-135, Rn. 18. 289 Z. B. EuGH Rs. C-225 / 91, Matra / Kommission, Slg. 1993, I-3203, Rn. 24 f.; Rs. C-56 / 93, Belgien / Kommission, Slg. 1996, I-723, Rn. 11; dazu auch Schohe / Hoenike, S. 741 (744). 290 So Sommermann, S. 442 zu den Staatszielbestimmungen des deutschen Verfassungsrechts. 285 286
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C. Kritik an einer europäischen Prinzipienlehre Alexys Prinzipienlehre und das Abwägungskonzept generell sind bereits im deutschen Recht Kritik ausgesetzt. Für die Anwendbarkeit im Europarecht ergeben sich zusätzliche Einwände. Auf diese Kritiken soll im Folgenden eingegangen werden. Bereits gezeigt wurde, dass eine europäische Prinzipienlehre die zentralen Merkmale der europäischen (Verfassungs-)Rechtsordnung, wie sie sich aus der Rechtspraxis und dem Selbstverständnis der EU ergeben, erfassen kann, und damit in deskriptiver Sicht adäquat ist. Die wichtigsten Aspekte werden in der folgenden Erörterung noch einmal aufgegriffen. Es gibt zudem gute normative Gründe dafür, das Europarecht entsprechend der Prinzipienlehre zu begreifen,291 solange die damit einhergehenden Forderungen nicht zu weit gehen. Bedeutsam ist dabei insb. die Aussage von Bogdandys zur Leistungsfähigkeit einer europäischen Prinzipienlehre, wonach „substantielle Stabilität in einer vielfach verflochtenen und sich rasch verändernden Welt auch mit Blick auf staatliche Institutionen ein überholter Wunschtraum ist. Worauf es wirklich ankommt, auch dies sollte eine Prinzipienlehre zeigen.“292
I. Grundsätzliche Kritik an der Prinzipienlehre Maßgeblich beanstandet wird die geringe Handhabbarkeit der Prinzipienlehre. Aber auch ihre Bedeutung für das Verhältnis von Recht und Politik unterliegt einiger Kritik.
1. Kritik bezüglich der Handhabbarkeit Die Prinzipienlehre biete nur unbefriedigende Hinweise darauf, wie man in einem konkreten Rechtstext Regeln und Prinzipien voneinander unterscheiden kann. Ein Hinweis auf den Wortlaut der Norm würde zu kurz greifen, weil dadurch die anderen Auslegungsmethoden vernachlässigt würden. Die Herleitung des Prinzipiencharakters aus dem Abwägungserfordernis käme einer petitio principii zumindest gefährlich nahe. Zudem sei der Wert der Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien angesichts des Doppelcharakters einiger Normen fraglich.293 Dem ersten Einwand ist zu entgegnen, dass der Prinzipiencharakter jedenfalls von der in dieser Arbeit vertretenen Prinzipienlehre nicht einzig aus dem Wortlaut einer Norm hergeleitet werden darf, vielmehr alle Auslegungsmethoden zu berück291 Stark angelehnt an die Ausführungen von Sieckmann, S. 138, 251 zur deskriptiven und normativen Adäquatheit seiner Prinzipienlehre für die deutsche Rechtsordnung. 292 von Bogdandy, 2003, S. 149 (203). 293 Zu alldem Stern, S. 502.
C. Kritik an einer europäischen Prinzipienlehre
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sichtigen sind.294 Die Prinzipienlehre statuiert, auf welche Merkmale einer Norm geachtet werden muss. Mit Hilfe der klassischen Auslegungsmethoden gelangt man dann zu ebenso klaren oder weniger klaren Ergebnissen, wie bei der Lösung anderer Rechtsprobleme. Der zweite Einwand verkennt das Anliegen der Prinzipienlehre, dass sich nicht in der Identifizierung abwägungsfähiger Normen erschöpft. Vielmehr will sie v. a. die Strukturmerkmale solch abwägungsfähiger Rechtsnormen zusammenzufassen, um damit die Basis für eine kohärente, im Einzelnen genauer umschriebene (im Gegensatz zu einer beliebigen) Anwendung zu schaffen. Dass sich die Unterscheidung von Regeln und Prinzipien nicht deckt mit der Zusammenfassung von Normbestandteilen in einem Artikel bzw. Paragraph erschwert sicher die Handhabbarkeit, macht sie aber nicht unmöglich. 2. Kritik am Abwägungskonzept („Zuviel“ an Politik) Die schärfsten Kritiker der Abwägung sind Forsthoff und Böckenförde. Sie sehen in der Abwägung eine „Verhüllungsformel für den richterlichen bzw. interpretatorischen Dezisionismus“ und befürchten einen Verlust an Rationalität und wissenschaftlichem Niveau.295 Die Abwägung beseitigt nicht Rechtsunsicherheit, denn als Lösung wird kein starres und unbedingtes Vorrangverhältnis festgelegt, sondern lediglich eine von rechtlichen und tatsächlichen Umständen abhängige bedingte Vorrangrelation. Diese Rechtsunsicherheit ist allerdings der Prinzipienkollision inhärent und nicht Makel der Abwägung. Eine abstrakte Vorrangordnung würde die Optimierungsgebote ihres Wesens berauben und widerspräche einer rechtlich vorgesehenen Gleichwertigkeit der Prinzipien.296 Es muss bedacht werden, dass bestehende Freiräume von der Verfassung bzw. von Gesetzen selbst eingeräumt werden und die Abwägung deren Ausfüllung erleichtert und synchronisiert durch die Vereinheitlichung der Vorgehensweise und den Zwang zur Rückbindung an sämtliche verfassungsrechtliche Vorgaben.297 Eine Verleugnung der Tatsache, dass bestimmte Ergebnisse nicht eindeutig mit Hilfe einer objektiven Methode zu ermitteln sind, wäre „niemals mehr als eine Fiktion und Lebenslüge der Juristen“.298 Unzutreffend ist der Einwand, es sei letztlich dem Richter überlassen, wie er eine Wertung im Rahmen der Abwägung vornimmt. Denn sowohl die Kriterien der Geeignetheit und Erforderlichkeit als auch die im Rahmen der AngemessenDies betont auch Ávila, S. 38. Dargestellt bei Schindler, S. 165 – 167 m. w. N.; darstellend und jeweils m. w. N. Alexy, 2002, S. 388 f. (in Auseinandersetzung mit der Kritik von Habermas); ders., 1996, S. 138, 143 ff.; von Bogdandy, 2005, S. 529 (538); Borowski, S. 96; Buckel / Christensen / FischerLescano, S. VII (IX); H.-J. Koch, Abwägung, 2003, S. 235; zur Instrumentalisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch den EuGH für einen rechtspolitischen Ansatz Schwab, S. 314 ff. 296 M. w. N. Schindler, S. 166; ähnlich Borowski, S. 96. 297 Schuppert / Bumke, S. 42. 298 Hesse, § 2 Rn. 76. 294 295
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
heitsprüfung gefundenen Kollisionsregeln sichern ein relativ hohes Maß an Rationalität. Auch wenn insb. die Kriterien des Abwägungsgesetzes nicht exakt bestimmbar sind, so schließen sie doch immerhin bestimmte Argumentationen aus. Wie die Subsumtion zielt die Abwägung auf die Konstruktion eines widerspruchsfreien, vollständigen und geschlossenen Normsystems und damit auf Rechtssicherheit.299 Die Prinzipienlehre erlaubt in Verbindung mit der Theorie rationaler juristischer Argumentation eine Entscheidung normativer Probleme auf dem derzeit höchstmöglichen analytischen Niveau.300 Berechtigter ist die Kritik an der Annahme sog. Grund- bzw. Verfassungsprinzipien. Die Leit- und Grundprinzipienthese ist laut Alexy kein Beitrag zur Begründung eines Ergebnisses, sondern bloße Erlaubnis, mit einer solchen Begründung überhaupt zu beginnen.301 In der vorliegenden Arbeit werden Strukturprinzipien dementsprechend nur zurückhaltend befürwortet; ihnen wird keine eigenständige Bedeutung gegenüber bestimmt formulierten Rechtsnormen beigemessen. Nicht die Abwägung, sondern die Verwendung von Prinzipien in Rechtstexten wird kritisiert, wenn der Verlust der Normativität des Rechts insgesamt befürchtet wird. Die Vorhersehbarkeit und Verlässlichkeit von Verfassungen gehe verloren, weil die situationsbedingte Zuordnung der Verfassungsprinzipien nur beschränkt absehbar und leichter manipulierbar ist.302 Allerdings kommt keine Rechtsordnung, die anpassungsfähig an die Rechtswirklichkeit sein möchte, ohne mehr oder weniger offene Rechtsnormen aus. Insbesondere bei Verfassungen ist eine beschränkte Wirkkraft unvermeidlich.303 Die Prinzipienlehre erhöht die Vorhersehbarkeit von Entscheidungen, insb. weil sie verdeutlicht, dass durch den Optimierungscharakter nicht der Geltungsanspruch von Verfassungsnormen relativiert wird, sondern lediglich die Rechtsanwendung auf eine bestimmte Art gesteuert wird.304
3. Kritik an der Konstitutionalisierungsfunktion („Zuviel“ an Recht) Kritisiert wird zudem der Konstitutionalisierungstrend, der auch mit Hilfe der Prinzipienlehre vorangetrieben wird. Die zunehmende Verrechtlichung nehme der Politik die Luft. Dem ist zu erwidern, dass auch Verfassungen Entscheidungsspielräume belassen und somit der Politik Raum zur Entfaltung ihrer schöpferischen 299 Dazu Alexy, 1996, S. 144, 156; ders., 1990, S. 49 (58); Borowski, S. 97; Hector, S. 236, 352 f.; Hesse, § 2 Rn. 76; Schindler, S. 167 f.; Schuppert / Bumke, S. 78; Sieckmann, S. 19, 224 f., 238, 251 ff. 300 Borowski, S. 97. 301 Alexy, 1990, S. 49 (57 f.). 302 Peters, S. 80 f.; Schuppert / Bumke, S. 77. 303 Peters, S. 80 f.; ähnlich Hector, S. 189. 304 Stern, S. 504 f.
C. Kritik an einer europäischen Prinzipienlehre
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Kraft lassen. Dies gilt insbesondere, wo statt starrer Regeln Prinzipien verankert sind.305 Gerade durch die Annahme von Leit- und Strukturprinzipien besteht aber die Gefahr, die Verfassung zu überfordern und ihre Leistungsfähigkeit zu überschätzen. Diese Gefahr kann gebannt werden, wenn man nicht alle Rechtsfragen und vorausgreifenden politischen Ziele ohne weiteres als Verfassungsfragen formuliert.306 In der vorliegenden Arbeit werden Verfassungsfunktionen nicht allein aus dem Prinzipiencharakter hergeleitet, vielmehr werden die Wirkungen von Prinzipien, die über deren strukturellen Charakter als Optimierungsgebote hinausgehen, in engster Anlehnung an primärrechtliche Vorgaben hergeleitet. Dadurch sollen Zirkelschlüsse vermieden und zugleich die Sättigungspunkte im Konstitutionalisierungsprozess aufgezeigt werden.307 Die Kritik richtet sich zudem gegen die fehlende Legitimation evolutionärer Konstitutionalisierungsprozesse. Die insb. mit einer Prinzipienlehre verbundene „Verrechtlichung ohne demokratische Politik“ kann aber gerechtfertigt werden durch die sog. Legitimation durch Bewährung.308 Sie fördert die „Rationalität, Systematik und Transparenz des Rechts durch Prinzipien- und Strukturbildung sowie durch Institutionalisierung deliberativer Strukturen“.309 Die Prinzipienlehre ist keine Gegenbewegung zu demokratischen Prozessen. Im Gegenteil kann durch das Verständnis des Demokratiegrundsatzes als formelles Prinzip auch dessen Wirkung gestärkt werden.
II. Kritik an einer europäischen Prinzipienlehre Einige Einwände richten sich gerade gegen die Anwendung der Prinzipienlehre auf das Recht der EU. Die damit in Verbindung gebrachte Verfassungsleseart wird kritisiert und / oder ein ordnender Nutzen einer Verfassungslehre bezweifelt. Zudem ist die Erfassung auch der intergouvernementalen Politiken fragwürdig.
1. Kritik an der Verfassungsleseart des europäischen Primärrechts Den grundsätzlichen Zweifeln am Verfassungscharakter des Gemeinschaftsrechts mangels Staatseigenschaft und Verfassungsgeber in Gestalt eines europäischen Volkes kann mit Hilfe des postnationalen Verfassungsbegriffs begegnet werden, der in 305 Vgl. dazu m. w. N. Alexy, 2002, S. 389 ff.; von Danwitz, S. 1125 (1129 f.); Schuppert, 2004, S. 529 (546 – 548). 306 Dazu von Danwitz, S. 1125 (1127); Kirchhof, S. 893 (895); Schuppert / Bumke, S. 78. 307 Zur entsprechenden Forderung Schuppert / Bumke, S. 78. 308 Übersichtlich zu den Legitimationstheorien Peters, S. 499 ff. 309 Möllers, S. 1 (53); ähnlich von Bogdandy, 2003, S. 149 (153).
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
Verbindung mit den Konzepten des Verfassungsverbundes und der multiplen Trägerschaft der verfassungsgebenden und verfassungsentwickelnden Gewalt der Gestalt der EU gerecht wird, ohne deren Staatseigenschaft zu suggerieren.310 Gering ist auch die Gefahr einer Begriffsjurisprudenz311 bei der Bezeichnung des Primärrechts als Verfassung und der Herleitung bestimmter Wirkungen aus diesem Begriff bei der Anwendung einer Prinzipienlehre. Zwar wird eine Einheit der europäischen Rechtsordnung zum Ausgangspunkt genommen, die teilweise noch bezweifelt wird. Allerdings werden die Wirkungen der Prinzipien aus ihrer Verankerung im geschriebenen Recht und aus ihrer jeweiligen Struktur hergeleitet. Auf Verallgemeinerungen wird dabei weitestgehend verzichtet. Durch die Anwendung einer Verfassungslehre im Europarecht werden auch nicht die nationalen Identitäten der Mitgliedstaaten i. S. v. Art. 6 Abs. 3 EU negiert.312 Vielmehr setzt das Verständnis der europäischen Verfassung als Mehrebenenverfassung die nationalen Identitäten gerade voraus. Die Prinzipienlehre, die auch die Teilverfassungen der Mitgliedstaaten in den Blick nimmt, vermag diesen sogar zu einer größeren Wirkung zu verhelfen. An Verfassungskonzeptionen jeglicher Art wird zudem kritisiert, dass sie fälschlicherweise unterstellen, die Verfassung produziere allein und automatisch Integration. Dieser Einwand ist insoweit zu relativieren, dass nur von der Wirklichkeit getrennte Verfassungen überhöhte Erwartungen produzieren und zwangsläufig enttäuschen.313 Die Prinzipienlehre versteht die tatsächlichen Umstände hingegen als Bestandteil ihres Konzepts und ist damit anschlussfähig. Der mit der Prinzipienlehre zweifelsohne verknüpfte Verrechtlichungstrend hat nicht die zunehmende Integration oder gar ein bestimmtes Integrationskonzept zum Ziel, sondern die „Rule of Law“. Entscheidungen sollen auf der Basis des Rechts getroffen werden, wo dieses (wenn auch unbestimmte) Vorgaben enthält, und nicht das Ergebnis bloßer Machtspielchen sein. Gerade bei hochkomplexen Entscheidungssituationen ist die Lösungsfindungs- und Legitimationsfunktion des Rechts bedeutsam. Machtspiele widersprechen hingegen der Konzeption der EU als Friedens- und Verteilungsordnung. Der Anwendung von Alexys Prinzipienlehre im EU-Recht könnte schließlich entgegengehalten werden, dass sie nicht die Heterogenität des Begriffs der „Verfassungsprinzipien“ widerspiegelt. Allein in Deutschland, Frankreich und Großbritannien herrschen verschiedene Definitionen vor. Dies erschwert nicht nur die Herleitung europäischer Prinzipien aus den Verfassungen der Mitgliedstaaten, sondern wirft auch Zweifel in Bezug auf die erforderliche Homogenität auf. Dem ist zu 310 Dazu insb. Hobe, S. 1 (6 ff.) und Peters, S. 171 f. m. w. N.; nur ähnlich Walker, 2000, S. 9 (S. 14 ff.). 311 Vgl. dazu Peters, S. 167 ff. 312 Peters, S. 172. 313 Vgl. dazu Peters, S. 172 f.
C. Kritik an einer europäischen Prinzipienlehre
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erwidern, dass die sprachlich-begriffliche Methode des Rechtsvergleichs keineswegs zwingend ist. Ebenso zulässig ist eine funktionelle Methode, die gleiche oder ähnliche Funktionen von Rechtsnormen vergleicht.314 Alexy entwickelte seine Prinzipienlehre zwar anlässlich der Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts zu den Grundrechten. Seine Aussagen beziehen sich aber auf die Struktur von Rechtsnormen und lassen sich daher verallgemeinern.315
2. Zweifel am ordnenden Nutzen einer europäischen Prinzipienlehre Die Leistung einer dogmatischen Rechtswissenschaft besteht v. a. in der Übersetzung eines von der Praxis geschaffenen Geflechts aus Ordnungsbegriffen, Lehrsätzen, Leitgedanken u. ä. in ein kohärentes, einheitliches Gefüge. Dieses Gefüge sollte dann der Praxis beim Selbstverständnis helfen und ihr die Arbeit erleichtern.316 Nicht wenige bezweifeln die Erfüllbarkeit dieser und anderer dogmatischer Tugenden im Europarecht. Die EU-Verfassung hat einen ausgeprägten Stückwerkscharakter und wird daher häufig für ihre Unübersichtlichkeit und Widersprüchlichkeit kritisiert.317 Die Anwendung des Grundsatzes der Einheit der Verfassung – Ausgangspunkt der Prinzipienlehre und des Abwägungskonzepts – mag daher abenteuerlich wirken und wird teilweise abgelehnt.318 Der EuGH hat diesen Grundsatz aber sinngemäß anerkannt.319 Auch in der Literatur werden systematische Erwägungen einer isolierten Auslegung der Primärrechtsnormen vorgezogen. Angesichts der Besonderheiten des EU-Rechts ist aber ein genereller Verweis auf die Auslegungsmaximen des nationalen Verfassungsrechts unangebracht.320 Im Rahmen dieser Arbeit werden die Wirkungen der Prinzipienlehre daher stets an die rechtlichen Vorgaben gekoppelt, anstatt Aussagen ungeprüft zu übertragen. Fraglich ist aber der ordnende Nutzen, den eine Prinzipienlehre in einem Recht leisten kann, das bereits auf hoher Abstraktionsebene stark fragmentiert ist. Zahlreiche primärrechtliche Regelungen sind erheblich sektoralisiert, selbst die Ziele Dazu Riedel, S. 77 (83, 97). So auch Rivers, S. xvii (xviii). 316 Haltern, Europawissenschaft, 2005, S. 37 (46 f.) m. w. N. 317 Vgl. Constantinesco, S. 120 ff., 149; Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 241, 632; Hilf / Pache, in: Grabitz / Hilf I, 2006, EUV-Vorbem. Rn. 82; zu den Gründen der Unübersichtlichkeit der Verträge z. B. von Bogdandy / Ehlermann, S. 13 (14 Fn. 4); Haltern, Dogmatik, 2005, S. 5 f.; ders., Europawissenschaft, 2005, S. 37 (47 f.); Hilf / Pache, in: Grabitz / Hilf I, 2006, EUV-Vorbem. Rn. 40, 44; Kreile, S. VII (VIII). 318 Dazu Curtin, S. 17 (67); Richter, S. 31 m. w. N.; Thym, S. 237 f. 319 EuGH, Rs. 283 / 81, CILFIT, Slg. 1982, S. 3415, Rn. 20; ähnlich in Rs. 9 / 61, Niederlande / Hohe Behörde, Slg. 1962, S. 435, 477. 320 Hatje, S. 28 ff., 92; Richter, S. 34 m. w. N.; ähnlich zum Völkerrecht Beyerlin, S. 31 (58 f.). 314 315
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
und die Mittel zu ihrer Erreichung lassen sich oft nicht klar voneinander trennen.321 Somit ist auch häufig nicht erkennbar, welche vertraglichen Regelungen als „Konkretisierungsstrategie eines abstrakten Prinzips“ gedeutet werden können. Eine europäische Prinzipienlehre gerät daher leicht in Verdacht, „weniger Frucht rechtswissenschaftlicher Erkenntnis denn Instrument integrationspolitischer Strategien“ zu sein.322 Dieser Verdacht richtet sich v. a. an die sog. Verfassungs- bzw. Strukturprinzipien, deren Wirkung trotz ihrer Abstraktheit über eine rein ergänzende hinausgeht. Er ist unberechtigt, sofern derartige Prinzipien nur aus Normen hergeleitet werden, die für alle Bereiche der Union gelten, etwa aus Art. 6 EU.323 Im Übrigen spricht gerade die Unübersichtlichkeit des Primärrechts für die Notwendigkeit einer ordnenden Rechtswissenschaft.324 Vollkommen geschlossene Systeme existieren ohnehin nur in der Theorie.325 Auch das Primärrecht selbst fordert an mehreren Stellen ausdrücklich eine kohärente Anwendung (vgl. nur Art. 3 EU und das aus Art. 10 EG i. V. m. den Vertragszielen hergeleitete Kohärenzgebot).326 3. Denkbare Einwände gegen die Anwendung der Prinzipienlehre in intergouvernementalen Bereichen des EU-Rechts Gegen eine Anwendbarkeit der Prinzipienlehre im EU-Vertrag könnte nicht nur der von der EG verschiedene intergouvernementale Charakter eingewandt werden. Denkbar scheint auch, aus den vereinzelten Querschnittsklauseln im EG-Vertrag und Art. III-115 VVE, die ausdrücklich die politikübergreifende Berücksichtigung bestimmter Erfordernisse verlangen, den Umkehrschluss zu ziehen, dass die übrigen Ziele nicht zwingend im Rahmen anderer Politiken zu berücksichtigen sind. Dann wäre insbesondere die Forderung einer praktischen Konkordanz zwischen kollidierenden Prinzipien für die intergouvernementalen Bereiche des EU-Vertrags bzw. zwischen dem EG-Vertrag und dem EU-Vertrag ausgeschlossen.327 Der EuGH geht jedenfalls davon aus, dass sämtliche Zielkonflikte im Rahmen des EGVertrags durch eine wertende Gewichtung aufzulösen sind, auch wenn er nicht ausdrücklich auf die „praktische Konkordanz“ Bezug nimmt.328 Die EU ist allerdings 321 Dazu z. B. Bleckmann, 1986, S. 1 (21); Langeheine, S. 47 (55); Versuche einer Zielhierarchie bei Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 5 ff.; Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 281, 638; Müller-Graff, 1998, S. 67 (69 ff.); zum VVE von Danwitz, S. 1129 (1131). 322 von Bogdandy, 2003, S. 149 (161 f.). 323 von Bogdandy, 2003, S. 149 (162). 324 von Bogdandy, 2003, S. 149 (153); Ruffert, EuR 2004, S. 165 (201); ähnlich Buckel / Christensen / Fischer-Lescano, S. VII (XI f.); A. Smith / H. Wallace, S. 429 (430, 443). 325 Bieber, S. 209 (211 f.). 326 Hatje, S. 92; zum Kohärenzgebot u. a. Thym, S. 238 f., 246. 327 Zweifel an der Anwendbarkeit der Prinzipienlehre in intergouvernementalen Bereichen hegt Ehlermann, 1997, S. 362 (395) bei der Untersuchung des Prinzips der engeren Zusammenarbeit.
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gemäß Art. 1 Abs. 3 S. 1 EU eine Tempelkonstruktion. Wie bereits erwähnt, ist das Kohärenzgebot aber auch in allgemeinen Artikeln des EU-Vertrages verankert. Insbesondere ergibt sich aus Art. 3 EU ein konzeptioneller Zusammenhang zwischen den Zielen der EU und der EG. Überdies umspannen die Ziele in Art. 2 EU die gesamte EU und wirken somit horizontal; vertikal verpflichtet das aus Art. 10 EG hergeleitete Loyalitätsprinzip zur Zusammenarbeit im Interesse der Erreichung der Ziele.329 Auch Art. 6 Abs. 1 EU stellt Verpflichtungen auf, die die gesamte EU und ihre Mitgliedstaaten umspannen.330 Zudem wird die Drei-Säulen-Konstruktion in der Praxis überwunden und die EG und die EU als einheitlicher Integrationsverband behandelt. Dies ist aufgrund der gemeinsamen Ziele und Organe sowie der wechselseitigen Verflechtung gerechtfertigt.331
III. Fazit Alles in allem bestehen keine durchgreifenden Einwände gegen die Prinzipienlehre oder das damit verbundene Abwägungskonzept. Auch die Anwendung dieser Theorien im Europarecht ist gerechtfertigt. Denn bei der Anwendung der Prinzipienlehre auf das geltende Recht geht es nicht um die Verbannung von Regeln aus der Rechtsordnung oder um deren Bedeutungsverlust durch überlagernde Prinzipien. Vielmehr respektiert die Prinzipienlehre die Rechtsnormen so, wie sie diese auffindet, und versucht sie entsprechend ihrer jeweiligen Normstruktur möglichst kohärent anzuwenden. So verstanden spiegelt eine europäische Prinzipienlehre den Charakter des Primärrechts wider: Dieses ist „nicht starr und schematisch, sondern erlaubt auf den Einzelfall zugeschnittene Lösungen. Auf der anderen Seite ist es durchaus zur Systematik fähig“.332 Gerade den Besonderheiten der EU kann im Rahmen einer Prinzipienlehre Rechnung getragen werden, wenn bei der Herleitung und Konkretisierung der Prinzipien die „herausragende Bedeutung konsensualer und vertraglicher Elemente, von Netzwerkbeziehungen zwischen den verschiedenen Hoheitsträgern und nicht zuletzt das Gewicht der Nationalstaaten und ihrer Völker“ berücksichtigt werden.333 Es sprechen daher keine grundlegenden Argumente gegen den Versuch, das sog. Erweiterungs-Vertiefungs-Dilemma als Prinzipienkollision zu begreifen. 328 M. w. N. Ruffert, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 2 EG Rn. 10; ders., in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-3 VVE Rn. 11. 329 Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 2 EU Rn. 1 f.; Art. 3 EU Rn. 1 ff.; ders., Online-Beitrag, 2004, S. 2 f.; Hatje, S. 56 f., 63 ff. 330 In diesem Zusammenhang Hatje, S. 31, der auf den umliegenden Seiten weitere Argumente aufführt. 331 Everling, 2003, S. 847 (874 f.); vgl. zur „Verfassungsfähigkeit“ des Unionsrechts auch Peters, S. 295 ff., 346 ff. 332 Lenz, 1987, S. 11 (35). 333 von Bogdandy, 2003, S. 149 (159).
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
D. Das Spannungsverhältnis zwischen Erweiterung und Vertiefung als Prinzipienkonflikt Ließen sich die Spannungen zwischen dem Erweiterungs- und dem Vertiefungsziel als Prinzipienkollision begreifen, dann wäre die Frage nach der Erweiterung oder der Vertiefung der Union keine Frage einer Präferenz oder Alternative, sondern eine Frage nach der optimalen Zuordnung dieser Integrationsziele im Rahmen konkreter Fragestellungen. Dafür müsste es sich bei beiden Zielen um Rechtsprinzipien handeln. Dieser formelle Gehalt und die abstrakte Gleichrangigkeit von Erweiterungs- und Vertiefungsziel würden den Weg zum Abwägungsmodell eröffnen.
I. Der Rechtsprinzipiencharakter des Erweiterungsund des Vertiefungsziels Die Prinzipienlehre wurde noch nie ausdrücklich auf den Konflikt zwischen den beiden Integrationszielen angewandt, auch nicht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.334 Die allgemeinen Erwägungen zu einer europäischen Prinzipienlehre in dieser Arbeit führen jedoch zu dem klaren Ergebnis des Rechtsprinzipiencharakters sowohl des Erweiterungs- als auch des Vertiefungsziels.
1. Rechtsverbindlichkeit Sowohl das Ziel der Erweiterung als auch das Vertiefungsziel sind im Primärrecht in den Präambel- und allgemeinen Zielbestimmungen verankert und zudem in verschiedenen ausdrücklichen Regelungen konkretisiert.335 Damit sind beide Ziele rechtsverbindlich. Adressaten des Erweiterungs- und des Vertiefungsziels sind bei der Beitrittsentscheidung sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Unionsorgane. Die Bindung der Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ an die rechtlichen Grenzen des Art. 49 EU bei Abschluss des Beitrittsvertrags wird mehrheitlich bejaht, meist unter Heranziehung des Art. 10 Abs. 1 EG.336
Ansätze bei U. Becker, 1999, S. 77 f., 80 ff. und Zeh, 2002. Vgl. dazu die Ausführungen im 1. Kapitel unter A.I. 336 Richter, S. 61 f.; Sˇarcˇevic´, S. 461 (475 ff.) m. w. N.; Zeh, 2004, S. 81 (83); dies., 2002, S. 31, 48 ff. 334 335
D. Das Spannungsverhältnis zwischen Erweiterung und Vertiefung
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2. Strukturtheoretischer Prinzipiencharakter Maßgeblich für den Prinzipiencharakter von Erweiterung und Vertiefung ist nicht die Bezeichnung als solche im Primärrecht, in der Rechtsprechung o. ä., sondern alleine ihr Charakter als Optimierungsgebote. Das Maß ihrer Erfüllung muss also von den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten abhängig sein. Bereits die Definition des Integrationsziels als „immer engere [ . . . ] Union der Völker Europas“ in Art. 1 Abs. 2 EG verdeutlicht den Optimierungscharakter.337 Da sowohl das Erweiterungs- als auch das Vertiefungsziel Bestandteil dieser immer engeren Union sind, gelten beide Ziele nicht definitiv, sondern sind in Abhängigkeit voneinander zu verwirklichen. Die Erweiterung ist überdies abhängig von dem Beitrittswillen und der Beitrittsfähigkeit von Staaten, die nicht an die Unionsverfassung gebunden sind. Diese Faktoren hängen wiederum ab vom bereits erreichten Vertiefungsstand. Auch die jeweiligen Spezialnormen zur Erweiterung und Vertiefung deuten auf die Abhängigkeit der Zielverwirklichung von tatsächlichen und rechtlichen Umständen hin. Art. 14 Abs. 1 EG fordert „die erforderlichen Maßnahmen“ zur schrittweisen Verwirklichung des Binnenmarktes, „unbeschadet der sonstigen Bestimmungen dieses Vertrags“. Da selbst das Binnenmarktziel – als Teilaspekt der materiellen Vertiefung – mehrere Facetten hat (vgl. Art. 14 Abs. 2 EG), verlangt Art. 14 Abs. 3 EG die Festlegung von Leitlinien und Bedingungen, „die erforderlich sind, um in allen betroffenen Sektoren einen ausgewogenen Fortschritt zu gewährleisten“. Gemäß Art. 49 Abs. 2 EU sollen im Beitrittsvertrag neben den Aufnahmebedingungen auch „die durch die Aufnahme erforderlichen Anpassungen der Verträge, auf denen die Union beruht“, vorgenommen werden. Sowohl das Erweiterungs- als auch das Vertiefungsziel sind also Rechtsprinzipien. Dem Prinzipiencharakter schadet es nicht, dass sowohl das Erweiterungs- als auch das Vertiefungsziel in Spezialnormen konkretisiert und darin durch bestimmte Vorgaben begrenzt werden. Denn selbst durch den Verweis in Art. 49 EU auf die Einhaltung der Voraussetzungen in Art. 6 EU wird keineswegs in allen Fällen eine abwägungsfreie Entscheidung ermöglicht. Wie das Erweiterungs- und das Vertiefungsziel inhaltlich zu definieren sind, insb. wo das jeweils angestrebte Optimum liegt bzw. welche Aspekte zum Kernbereich zählen, muss mit Hilfe der klassischen Auslegungsmethoden ermittelt werden. Weder der EuGH noch andere EU-Organe haben bislang eine verbindliche Zieldefinition festgelegt. Aus dem Primärrecht ergibt sich aber in Bezug auf die Vertiefung jedenfalls, dass als Optimum eine möglichst enge institutionelle Zusammenarbeit aller Mitgliedstaaten bei Wahrung deren Souveränität und Identität angestrebt wird. Von dieser Zusammenarbeit erfasst werden sollen all jene Politiken, die nicht ausreichend auf nationaler und besser auf Unionsebene verwirklicht
337
Ähnlich Bieber, S. 209 (209, 213); Wasielewski, S. 187.
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3. Kap.: Europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz
werden können.338 Als Kernbereich der institutionellen Vertiefung können Sitz und Stimmrecht in den EU-Organen339 und die Unionsbürgerschaft für die Staatsangehörigen angesehen werden. Denn auch wenn nicht ausdrücklich definiert ist, was ein Mitglied der EU ausmacht, so sind diese Aspekte doch bislang das maßgebliche Unterscheidungsmerkmal zwischen Mitglied und bloßem Nachbar. Zum Kern der materiellen Vertiefung zählen jedenfalls die Zollunion (gemäß Art. 23 EG die „Grundlage der Gemeinschaft“) und der Binnenmarkt, wie er in Art. 14 Abs. 2 EG umschrieben ist.340 Auch die in Art. 6 Abs. 1 EU aufgezählten „Grundsätze“ gehören zum Kernbereich der Vertiefung, denn sie sind allen bisherigen Mitgliedstaaten gemeinsam und gemäß Art. 49 EU auch für den Beitritt neuer Mitgliedstaaten Voraussetzung. Das Erweiterungsprinzip zielt als Optimum auf die Mitgliedschaft aller europäischen Staaten in der EU. Was den Kern der Mitgliedschaft ausmacht, wurde im Rahmen des Vertiefungsziels beschrieben.
II. Abstrakte Gleichrangigkeit der beiden Integrationsziele Das Primärrecht bestimmt keine ausdrückliche Rangfolge zwischen dem Erweiterungs- und dem Vertiefungsprinzip.341 Der Konkretisierungsgrad ist im Hinblick auf die Vertiefung der EU zwar bereits höher als bezüglich der Erweiterungsdimension: So war z. B. in Art. 14 EG ein zeitlicher Stufenplan zur Verwirklichung des Binnenmarktes vorgesehen, gemäß der effet utile-Rechtsprechung des EuGH sind Normen des Gemeinschaftsrechts so auszulegen und anzuwenden, dass sie eine größtmögliche Wirkung entfalten und es existieren verschiedene Flexibilisierungsmöglichkeiten zur Vorantreibung der Integration. All diese Instrumente werden bezüglich der Erweiterungspolitik allenfalls vorgeschlagen. Grund für die bestehenden Unterschiede ist wohl die weitgehende Vergemeinschaftung der Vertiefungsdimension. Die Erweiterungspolitik ist intergouvernemental ausgestaltet; noch immer wird das Primat der Politik betont. Selbst die Befürworter von Ermessensgrenzen sind sich nicht einig, wo diese Grenzen zu ziehen sind. Immerhin wird zum Teil ausdrücklich auf die Verfassungskonzeption der EU bzw. auf die Geltung rechtsstaatlicher Gebote als Argument für die rechtliche Kontrollierbarkeit der primär politischen Entscheidungen rekurriert.342 Aus Sicht einer europäischen Vgl. insb. Art. 2 Abs. 2 a. E., 6 Abs. 3 EU, Art. 5 EG. Damit ist nicht ausschließlich der ständige Sitz in allen Organen gemeint, sondern ein regelmäßiges Teilnahme- und Entscheidungsrecht, das die gleichberechtigte Mitbestimmung sichert. 340 So ausdrücklich U. Becker, 1999, S. 78, 80; Thym, S. 233, 250 ff.; ähnlich Hertel, S. 68 f.; ähnlich zum VVE wohl auch Ruffert, EuR 2004, S. 165 (200) m. w. N.; engere Definitionen werden nur de lege ferenda angeboten. 341 So auch Bruha / Alsen, S. 161 (173); Krenzler, S. 1255 (Rn. 43); Zeh, 2004, S. 81 (82); dies., 2002, S. 19, 47. 342 Sˇarcˇevic´, S. 461 (474); Walker, 2003, S. 365 (377 – 379); Zeh, 2002, S. 40 f.; zur Diskussion über die Änderungsfestigkeit Peters, S. 442 f.; immerhin einen allgemeinen Zusam338 339
D. Das Spannungsverhältnis zwischen Erweiterung und Vertiefung
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Prinzipienlehre kommt es für das abstrakte Rangverhältnis auf diese Dinge aber nicht an. Die Anzahl der Normen, in denen ein Prinzip zum Ausdruck kommt, liefert keinen handhabbaren Maßstab für seine Gewichtung. Auch die Unterscheidung zwischen Supranationalität und Intergouvernementalität spielt bei dem Verständnis des EU-Rechts als Mehrebenenverfassung keine ausschlaggebende Rolle. Auch versucht die Arbeit zu vermeiden, aus der bloßen Deklarierung als Verfassungs- oder Vertragstext Folgen abzuleiten. Art. 10 EG und der Loyalitätsgrundsatz beziehen sich jedenfalls sowohl auf die Erweiterung als auch auf die Vertiefung. Art. 48 EU unterstellt beide Integrationsziele demselben Änderungsverfahren. Folglich sind das Erweiterungs- und das Vertiefungsprinzip abstrakt gleichrangig. Daher muss das Verhältnis zwischen beiden Integrationszielen im Konfliktfall durch Abwägung bestimmt werden. Im Rahmen ihrer objektiven Abwägungspflicht müssen Unionsorgane und Mitgliedstaaten bei ihren Entscheidungen also einen schonenden Ausgleich zwischen beiden Prinzipien herstellen. Diese Abwägung orientiert sich aber nicht ausschließlich am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, sondern muss die in den einschlägigen Spezialnormen niedergelegten Voraussetzungen beachten. Diese Voraussetzungen haben ihrerseits teils Regel-, teils Prinzipiencharakter.343 Die Beitrittsentscheidung wird maßgeblich gesteuert durch die Präzisierungen des Erweiterungsziels in Art. 49 EU. Diese Konkretisierungen ermöglichen auch die Justiziabilität des Erweiterungsprinzips.
menhang zwischen Grenzfrage und Verfassung sieht Streinz, Verfassungsvertrag, 2005, S. 108 (109); U. Becker, 1999, S. 64 f. lässt die Frage nach materiellen Grenzen der Änderbarkeit der Verträge ausdrücklich unbeantwortet. 343 Das 4. Kapitel geht auf die Einzelheiten ein.
4. Kapitel
Die Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags anhand von Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Erweiterungs-, Assoziierungs- und Nachbarschaftspolitik der EU Bislang trägt die Rechtswissenschaft dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Transparenz in der Grenzdebatte zunehmend Rechnung durch die Annahme von Ermessensgrenzen beim Umgang mit den europäischen Nachbarn. Unstreitig haben die EU und ihre Mitgliedstaaten zwar einen Spielraum bei der Entscheidung über den Beitritt und über die Art der Partizipation. Dies ist bedingt durch die Komplexität der Materie, wird aber zum Teil auch begründet mit der völkerrechtlichen Natur des Beitrittsvertrags. Insbesondere verändert jeder Beitritt die EU selbst und wirkt sich überdies auf die Politiken und mitunter auf die Struktur der Mitgliedstaaten aus. Zudem sind weiche Formulierungen in Verträgen und Verfassungen ein typisches Phänomen bei der Regelung von Außenbeziehungen. Denn der Abschluss und die Ausgestaltung völkerrechtlicher Verträge sind nicht nur abhängig von den an das Primärrecht gebundenen Mitgliedstaaten und EU-Organen, sondern auch von der Bereitschaft der potentiellen Vertragspartner. Jede Zielverfolgung steht daher „unter dem Vorbehalt des ,politisch Erreichbaren‘“.1 Bei der Herleitung von Ermessensgrenzen der an das Primärrecht gebundenen Staaten und Organe scheint immer wieder das Spannungsverhältnis zwischen der Erweiterung und der Vertiefung der EU durch, auch wenn diesem nur von relativ wenigen Autoren ausdrücklich rechtliches Gewicht bei der Lösung konkreter Probleme beigemessen wird. Der integrationspolitische Wunsch nach einer Parallelität von Erweiterung und Vertiefung wird aber zum Teil immerhin damit rechtlich untermauert, dass das Erweiterungs- und das Vertiefungsziel primärrechtlich verankert sind und beide Ziele gleichen Rang haben.2 Besonders weit bei der Herleitung recht1 Sommermann, S. 387; in Deutschland räumt das BVerfG Organen der auswärtigen Gewalt einen weiten Ermessensspielraum ein. 2 Dorau, S. 739 (750); Lippert / Wessels, S. 439 (449); Zacker / Wernicke, S. 24; Lippert kritisiert zwar in Assoziierung, 2006, S. 149, dass zum einen die mangelnde Absorptionskraft der EU betont, zum anderen aber auf die Offenheit der EU nach Art. 49 EU gepocht wird; allerdings erkennt sie die Notwendigkeit, Kompromisse zu finden; bei der wissenschaftlichen Konferenz „Draußen vor der Tür?“ zum Thema ENP am 1. / 2. Juni 2006 in Berlin sprach sie
4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
161
licher Grenzen gehen die Autoren, die aus dieser Parallelität eine Pflicht zur Herstellung praktischer Konkordanz bei der Beitrittsentscheidung ableiten, wobei die Beitrittsvoraussetzungen die Abwägungsmaßstäbe lieferten.3 Die rechtliche Qualität des Integrationsauftrags ist allerdings noch unklar, ebenso seine inhaltliche Reichweite. Dementsprechend problematisch ist die Festlegung genauer Grenzen und deren Justiziabilität.4 Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte fest: „Wir befinden uns im Augenblick in einer Phase, in der das Verhältnis von Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union im Grunde nicht abschließend und ausreichend geklärt ist.“5
Selbst bei dieser Aussage bleibt offen, ob das tatsächliche Verhältnis von Erweiterung und Vertiefung gemeint ist, die politische Präferenz oder die rechtliche Beziehung der Ziele zueinander. Solche Aussagen sind charakteristisch für die Erweiterungsdiskussion. Oft bleibt im Dunkeln, ob bei der Beantwortung einzelner (Rechts-)Fragen rechtlich, politisch oder moralisch argumentiert wird, insb. wenn von einer „Pflicht“ zur Integration europäischer Staaten gesprochen wird oder von einer entsprechenden „Verantwortung“. Außerdem werden die verschiedenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem europäischen Integrationsauftrag nur selten miteinander in Verbindung gebracht oder gar mit den gleichen Prämissen gelöst. Einige Standpunkte werden verständlich vor dem integrationstheoretischen Hintergrund und der damit zusammenhängenden Frage, wie die Rechtsnatur der EU heute verstanden wird und welche Finalitätserwartungen gehegt werden.6 Oft aber wird das den einzelnen Beiträgen zugrunde liegende Verständnis nicht offen gelegt.7 Der Verzicht auf eindeutige Stellungnahmen und überzeugende Begründungen sowie das Fehlen eines einheitlichen Lösungsansatzes für gleich gelagerte Konstellationen bergen die Gefahr, dass Entscheidungen als willkürlich und ungerecht wahrgenommen werden. Im Folgenden wird gezeigt, wie sich die Annahme eines europäischen Integrationsauftrags der EU und insb. die gebotene Auflösung von Spannungen zwischen sich zudem dafür aus, Art. 49 EU abzuschaffen; anscheinend erkennt sie also doch die rechtliche Bedeutung an, wenn sie meint, dass sich viele Vorschläge (insb. dauerhafte Beitrittsalternativen) nur durch eine Änderung des Primärrechts durchsetzen lassen; so auch in Assoziierung, 2006, S. 149 (156). 3 Bruha / Alsen, S. 161 (172 – 176); U. Becker, 2001, S. 8 (10 f.); zum Schutz der Einheit der Rechtsordnung und der Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten (also einseitig zu den Grenzen der Erweiterungsentscheidung) ders., 1999, insb. S. 77, 80 ff.; Zeh, 2004, S. 81 (83); dies., 2002, S. 19; in diese Richtung auch Lippert / Wessels, S. 439 (449, 455 f.). 4 U. Becker, 1999, S. 80 ff.; Sˇarcˇevic´, S. 461 (462). 5 FAZ vom 21. Dezember 2005, S. 3; sehr ähnlich Lippert, 2004, S. 13 (62 f.). 6 So zu Kritik und Akzeptanz von Heterogenität innerhalb der EU Nugent, S. 266 (268) m. w. N.; bzgl. aktueller Reformvorschläge zu Gestalt, Finalität, Legitimität Thalmaier, S. 21. 7 Allgemein zum Problem der Unübersichtlichkeit der Debatten im Europarecht von Bogdandy, 2001, S. 3 (3 – 6).
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
der Erweiterung und der Vertiefung nach den Vorgaben einer europäischen Prinzipienlehre auf die Beantwortung der aktuellen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Erweiterungs-, Assoziierungs- und Nachbarschaftspolitik der EU auswirkt. Die Prinzipienlehre liefert nicht in jedem Fall neue Antworten. Sie bezweckt vielmehr eine kohärente Lösung verschiedener miteinander in Verbindung stehender Fragen und damit letztlich auch eine größere Legitimität der Entscheidungen. Um die Anschlussfähigkeit der theoretischen Überlegungen unter Beweis zu stellen, werden die Praxis der EU und die in der Literatur vertretenen Ansichten jeweils zum Ausgangspunkt genommen. Anschließend wird bewertet, welche dieser Meinungen mit der Prinzipienlehre vereinbar sind bzw. erst vor dem Hintergrund einer prinzipienorientierten Anwendung des Primärrechts überzeugen können.
A. Die materiellen Voraussetzungen im Rahmen von Art. 49 EU Die normative Festlegung dessen, was die „Zugehörigkeit“ zu Europa bedeutet, wurde im Zusammenhang mit der Verfassungsdiskussion als „prekäres Unterfangen“ bezeichnet.8 Entzündet hat sich die Frage v. a. im Rahmen der Debatte um den Beitritt der Türkei. Um die Frage der Zugehörigkeit geht es derzeit vor allem bei der Auslegung der Beitrittsvoraussetzungen. Entsprechend streitig ist, was einen europäischen Staat ausmacht und welchen Inhalt und welche Rechtsnatur die Kopenhagener Kriterien haben. Die folgende Untersuchung beschränkt sich zunächst auf Fragen bezüglich des Tatbestands. Fragen auf Rechtsfolgenseite werden anschließend diskutiert. Die Trennung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge9 ist besonders schwer, wo es um die Einführung neuer ungeschriebener Voraussetzungen für den Beitritt geht. Solche Kriterien werden in dieser Arbeit nicht als geltende Beitrittsvoraussetzungen untersucht. Sie sind zunächst bedeutsam bei der Frage, ob sie als Konkretisierungen der Kopenhagener Kriterien verstanden werden können. Zudem muss geprüft werden, ob die EU bei der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien gegenüber einem europäischen Staat einen Spielraum auf Rechtsfolgenseite hat, der die Berücksichtigung anderer Motive erlaubt. Dürfen einzelne Kriterien nach geltendem Recht nicht berücksichtigt werden, fragt sich überdies, ob sie mittels Vertragsänderung, also ggf. auch mittels des Beitrittsvertrags selbst, als notwendige Voraussetzungen eingeführt werden dürften.
Lietzmann, S. 22. Z. T. kritisch zu dieser Unterscheidung Herrnfeld, in: Schwarze, 2000, Art. 49 EU Rn. 8; Geiger, Art. 49 EU Rn. 9; Lippert / Wessels, S. 439 (449); Meng, in: GTE, 1997 – 1999, Art. O EUV Rn. 95; Sˇarcˇevic´, S. 461 (471 f.). 8 9
A. Auslegung der materiellen Voraussetzungen von Art. 49 EU
163
I. Europäischer Staat 1. Rechtsnatur Schon die Rechtsnatur der Beitrittsvoraussetzung „europäischer Staat“ ist nicht eindeutig. Die meisten sehen darin ein materielles Beitrittskriterium. Andere qualifizieren dieses Merkmal als Zulässigkeitsvoraussetzung, da es bereits bei der Antragstellung und nicht erst beim Beitritt erfüllt sein muss.10 Einigkeit besteht darüber, dass es sich um einen Rechtsbegriff handelt, der definitionsfähig sein muss. Den Streit um die Rechtsnatur vermag auch die Prinzipienlehre nicht eindeutig zu lösen. Auch sie besagt nicht mehr, als dass sich das Erweiterungsprinzip des Primärrechts nur auf europäische Staaten bezieht.
2. Meinungsspektrum zur Auslegung der Beitrittsvoraussetzung Im Hinblick auf die Auslegung ist die Staatseigenschaft wenig problematisch. Für Diskussion sorgt aber die Frage, welche Staaten europäisch sind. Generell werden geographische Voraussetzungen in Beitrittsklauseln vielfach nicht objektiv angewandt, sondern aus ideologischen Gründen sehr weit definiert.11 Bei dem Europabegriff tritt zudem eine Besonderheit hinzu: Auch unabhängig von der Beitrittsklausel in Art. 49 EU besteht keine Einigkeit über die Reichweite des Begriffs und dessen Ausgrenzungsfunktion. Grund dafür ist das Fehlen einer natürlichen Kontinentsgrenze im Osten Europas, so dass jede Grenzziehung notwendig ein politisches oder soziales Konstrukt ist.12 Da das Primärrecht den für die EU geltenden Europabegriff nicht definiert, gibt es unterschiedliche Ansichten zur Auslegung des Art. 49 EU.13 Einige befürworten ein rein geographisches Verständnis.14 Damit können sie eindeutige Fälle lösen. Da es aber keine eindeutige geographische Ostgrenze Europas gibt, hilft diese Ansicht in streitigen Fällen nicht weiter. Daher befürworten die Vertreter einer zweiten Ansicht eine kulturelle15 Sˇarcˇevic´, S. 461 (464 f., 469 f.); Zeh, 2002, S. 14, 26. Seidl-Hohenveldern / Loibl, Rn. 0506 mit Verweis auf die Aufnahme der Türkei und Griechenlands in die NATO. 12 Amato / Batt, S. 12 ff.; Dorau, S. 736 (738 f., 750, 753); Haltern, Dogmatik, 2005, S. 28 f.; Isensee, S. 103 ff.; Joas / Mandry, S. 541 (542 ff.); Kocka, S. 275 ff.; Krenzler, S. 1255 (Rn. 56 ff.); Münkler, S. 9 ff.; ausführlich zum Fehlen eines eindeutigen geographischen Europabegriffs Rehn, 2006, S. 56 f. und Schultz, S. 39 ff. 13 Zur Ambivalenz des Europabegriffs i. R. v. Art. 49 Abs. 1 S. 1 EU z. B. EP, Task Force Erweiterung, Themenpapier Nr. 23, 19. Mai 1998, S. 5; Bruha / Vogt, S. 477 (480 – 484); Häberle, ZSE 2005, S. 235 (241); Nugent, S. 266 (271 f.); Sˇarcˇevic´, S. 461 (465 f.); Tortarolo, S. 21 ff.; Zeh, 2002, S. 15. 14 Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 5, 8. 15 Dorau, S. 736 (738 f., 750 ff.); Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 61, 659 f.; kritisch Heintzen, 1997, S. 1 (8). 10 11
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
oder politische16 Deutung des Europabegriffs. Einige kombinieren auch verschiedene Kriterien miteinander, so etwa die Kommission.17 Die dritte Ansicht geht bei der Auslegung des Europabegriffs i. S. v. Art. 49 Abs. 1 S. 1 EU systematisch vor.18 Insbesondere wird das Erweiterungsziel in den Präambel- und Zielbestimmungen herangezogen, um eine möglichst weite Auslegung zu begründen. Die Geographie gilt als Ausgangspunkt: geographisch eindeutig nicht in Europa liegende Staaten seien nicht „europäisch“ i. S. v. Art. 49 EU und würden es auch durch kulturelle oder sonstige Gemeinsamkeiten nicht. Insbesondere die (ggf. erst durch sanften Druck bewirkte) Erfüllung der Kopenhagener Kriterien begründe für sich genommen nicht die Europaeigenschaft. Liegt aber ein Staat in Europa, so dürfe er nicht aufgrund politischer oder kultureller Kriterien als nicht-europäisch ausgeschlossen werden. Politische und kulturelle Kriterien spielen also nur in Grenzfällen eine Rolle, etwa wenn nur ein Teil des Staatsgebietes in Europa liegt, sind dann aber restriktiv anzuwenden.19 Der Verweis auf Art. 6 Abs. 1 EU wäre überflüssig, wenn entsprechende Kriterien schon vom Europabegriff umfasst wären.20 Die Beitrittspraxis bestätigt bisher die dritte Ansicht: Der Beitrittsantrag Marokkos wurde 1987 wegen fehlender Europaeigenschaft abgelehnt. Der zum Teil in Europa und zum Teil in Asien liegenden Türkei wurde die Beitrittsperspektive eröffnet.21 Die Ukraine, Hauptkritiker der fehlenden Beitrittsperspektive für ENPStaaten, wird ganz herrschend als europäisch angesehen.22 Auch die EU räumt ein, europäische Staaten unter die ENP gefasst zu haben. Die fehlende Europaeigenschaft ist also nicht das Kriterium, mit dem die fehlende Beitrittsperspektive der ENP-Staaten begründet wird.
16 von Bogdandy, 1993, S. 11 (18); Hummer, S. 233 (235 f.); Pechstein, S. 163 (168); Vedder, in: Grabitz / Hilf II alt, 1999, Art. 237 EWGV, Rn. 5; kritisch zur „Politisierung“ der Beitrittspraxis Oppermann, FS Zuleeg, 2005, S. 72 (74 f.). 17 KOM(2006) 649 endg., S. 19: verwendet auch das Wort „europäische Identität“ in diesem Zusammenhang; jeweils m. w. N. Booß / Forman, S. 95 (98 Fn. 11); Maresceau, 1997, S. 3 (13); Ruffert / Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 49 EU Rn. 8. 18 Den gleichen Ansatz verfolgt auch Dorau, S. 736 (750). 19 Bruha / Vogt, S. 477 (481 f.); Pechstein, in: Streinz, 2003, Art. 49 EU Rn. 3; Sˇarcˇevic´, S. 461 (466 f.); Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 10; in diese Richtung auch Kramer, 2003, S. 19; Langenfeld, S. 73; Mosler, S. 275 (284 f.); Richter, S. 29. 20 Richter, S. 29; kritisch zur Vermengung der „Idee Europa“ mit den nicht-europaspezifischen Kopenhagener Kriterien in der Türkei-Debatte auch Jäger, S. 29 (29 f.); a. A. Große Hüttmann, S. 4 (8). 21 EP, Task Force Erweiterung, Themenpapier Nr. 23, 19. Mai 1998, S. 6; Ablehnung des Beitrittsantrags von Marokko im Beschluss des Rates vom 1. Oktober 1987, vgl. EA 1987, Z. 207; zur Türkeipolitik in diesem Zusammenhang Kramer, 2003, S. 19 f. m. w. N.; Leggewie, S. 21 und Pechstein, in: Streinz, 2003, Art. 49 EU Rn. 3. 22 Vgl. u. a. Bruha / Vogt, S. 477 (482); Dannreuther, 2004, S. 202 (217 Fn. 2); Sˇarcˇevic´, S. 461 (467 Fn. 34).
A. Auslegung der materiellen Voraussetzungen von Art. 49 EU
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3. Aussagen der Prinzipienlehre Die Prinzipienlehre deckt sich mit der bisherigen Praxis und entspricht weitgehend der dritten Ansicht in der Lehre. Das Erweiterungsprinzip erstreckt sich nach den ausdrücklichen Vorgaben des Primärrechts auf alle europäischen Staaten. Die Europaeigenschaft dient also nicht dem Ausgleich zwischen Erweiterung und Vertiefung, sondern definiert das Erweiterungsprinzip als ein gesamteuropäisches. Der rechtlich geforderten Abwägung zwischen der Vertiefung und der so verstanden Erweiterung würde es widersprechen, wenn man die Europaeigenschaft wiederum als „beliebigen Inklusions- oder Exklusionsbegriff“23 verstünde, welcher Spielball der politischen Freiheit wäre. Der genaue Inhalt der Europadefinition lässt sich aber nicht mithilfe der Prinzipienlehre gewinnen; es bedarf vielmehr der Ergänzung durch andere Auslegungsmethoden. Danach ist die Europaeigenschaft geographisch zu verstehen. Denn andere denkbare Identitätskonzepte sind nicht im Primärrecht verankert; die Vertragsstaaten haben sich bewusst für ein vieldeutiges Kriterium entschlossen, statt für politische oder kulturelle Festlegungen. Alternative Identitätskonzepte entsprechen zudem nicht der Wirklichkeit:24 So spricht das schwindende Geschichtsbewusstsein und die z. T. auch unter „eindeutig“ europäischen Staaten sehr verschiedene Vergangenheit gegen ein Verständnis von Europa als historische Erinnerungs- und Schicksalsgemeinschaft. Die rasche Entchristlichung und ein wachsender religiöser Pluralismus können als Argumente gegen eine Definition Europas als christliches Abendland eingewandt werden. Gegen ein Europa als kapitalistische Marktgemeinschaft mit sozialstaatlichen Elementen sprechen jedenfalls die Unterschiede in den derzeitigen Mitgliedstaaten sowie die neoliberale Globalisierung. Ein Europa als Hort von Demokratie und Menschenrechten schließlich hätte aufgrund der Universalität dieser Werte und Prinzipien nicht die eingrenzende Funktion, die der Wortlaut, die Systematik und die Historie der Verträge vorgeben. Der Verweis auf die geographische Lage hat folglich neben dem Verweis auf Art. 6 Abs. 1 EU eine begrenzende Funktion, darf aber selbst nicht mit dem Vertiefungsziel abgewogen werden. Folglich gibt es jedenfalls einen rechtlich gesicherten Kern des Europabegriffs: Alle ganz oder teilweise in Europa liegenden Staaten müssen die generelle Möglichkeit erhalten, Mitglied der EU zu werden. Ihnen kann nicht die fehlende Europaeigenschaft entgegengehalten werden.
II. Die Kopenhagener Kriterien Die Existenz der Kopenhagener Kriterien25 stellt klar, dass die Frage nach der Zugehörigkeit zu Europa nicht automatisch die Frage nach der Fähigkeit zum BeiSo im Zusammenhang mit der Kritik an der politischen Praxis Münkler, S. 9 (10). Zum Folgenden Leggewie, S. 11 (13 f.); zu europäischen Identitätskonzepten auch Buonanno / Deakin, S. 84 ff. 23 24
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
tritt in die EU beantwortet. Die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen, die der Europäische Rat 1993 in Kopenhagen zusammengefasst hat, prägen die Beitrittspraxis. Sie entscheiden nicht nur über die Erweiterung selbst, sondern werden teilweise auch als Voraussetzungen für die Eröffnung und Fortführung der Beitrittsverhandlungen angewandt.26 Letztlich betreffen die Kopenhagener Kriterien aber nicht die Frage der Mitgliedschaft generell, sondern nur deren Zeitpunkt.27 Inhalt und Rechtsnatur dieser Kriterien können nur bestimmt werden, wenn man zunächst klärt, weshalb es neben der Europaeigenschaft weiterer Voraussetzungen für den Beitritt bedarf. Es wurde bereits angedeutet, dass der weite Europabegriff insb. nach der Beendigung des Ost-West-Konflikts nicht die Homogenität der Mitgliedstaaten gewährleisten kann, die die Erreichung des Vertiefungsziels erfordert.28 Nach 1989 drängten Staaten in die EU, die aufgrund ihres rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Systems zur Erfüllung der Pflichten aus dem Europarecht nicht in der Lage gewesen wären. Auch die EU selbst musste sich erst auf den Beitritt zahlreicher neuer Staaten vorbereiten, um ihre Handlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten.29 Die Kopenhagener Kriterien wurden formuliert, um die gegenseitige Annäherung bereits im Vorfeld des Beitritts zu gewährleisten. Sie dienen damit dem Schutz des Vertiefungsziels bei Erweiterungen.
1. Die Rechtsnatur der Kopenhagener Kriterien Diskutiert wird nicht nur über die Rechtsverbindlichkeit der Kopenhagener Kriterien, sondern auch über den Zeitpunkt, in dem sie erfüllt sein müssen. Es fragt sich zum einen, welche Bedeutung sie für die Eröffnung und den Fortgang der Beitrittsverhandlungen haben, zum anderen, ob sie sämtlich im Zeitpunkt des Beitritts erfüllt sein müssen. Verhältnismäßig wenig Begründungsaufwand bedarf es, um die Rechtsverbindlichkeit des ersten Kopenhagener Kriteriums zu begründen, das nicht nur im 3. Erwägungsgrund der Präambel zum EU-Vertrag, sondern auch weitgehend in Art. 6 Abs. 1 EU und damit im operativen Teil des Primärrechts verankert ist.30 Die 25 Europäischer Rat von Kopenhagen vom 21. / 22. Juni 1993, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Nr. 7.A)iii), S. 13; ausführlich zu Herleitung, Inhalt, Rechtsnatur und Justiziabilität (der damals noch ungeschriebenen Voraussetzungen) z. B. Richter, S. 28 ff. 26 Vgl. dazu die Ausführungen im folgenden Abschnitt. 27 Kramer, 2003, S. 5. 28 von Bogdandy, 2003, S. 149 (189 f.) m. w. N.; Cremona, 2004, S. 2 f.; Isensee, S. 103 (122 ff.); Meier, S. 12 (20); Nettesheim, S. 36 (36, 38); Pechstein, S. 163 (174); Zeh, 2002, S. 19; kritisch zum Homogenitätserfordernis Willgerodt, S. 195 (202 ff.). 29 Z. B. Dorau, S. 736 (749 f.); Lippert / Wessels, S. 439 (442); Maresceau, 2003, S. 9 (18); Müller-Graff, 1997, S. 27 (35 – 37); Oppermann, FS Zuleeg, 2005, S. 72 (74); Pechstein, S. 163 (163, 174); K. E. Smith, S. 105 (107 – 109, 136 ff.); Weidenfeld, 1997, S. 10 f.; Zeh, 2002, S. 19 f.; Zielonka, 2001, S. 507 (511 f.).
A. Auslegung der materiellen Voraussetzungen von Art. 49 EU
167
Union „beruht“ auf den genannten Grundsätzen, d. h. jedenfalls die Gründung und das Funktionieren der EU-Rechtsordnung bauen auf deren Verwirklichung in allen Mitgliedstaaten auf.31 Art. 6 Abs. 1 EU formuliert damit ein verpflichtendes Sollensgebot für die EU selbst.32 Zudem sind diese Grundsätze „allen Mitgliedstaaten gemeinsam“. Sie müssen also von allen Mitgliedstaaten beachtet und verwirklicht sowie von beitretenden Staaten eingefordert werden.33 Durch den Verweis in Art. 49 Abs. 1 S. 1 EU wird das politische Kriterium zudem zum zwingenden Tatbestandsmerkmal eines jeden Beitritts erhoben. Da aber alle Kopenhagener Kriterien dem Schutz allgemeiner Vertragsprinzipien – insb. dem Vertiefungsziel – dienen, wurden sie bereits vor ihrer Zusammenfassung durch den Europäischen Rat und vor der Einfügung des Verweises auf Art. 6 Abs. 1 EU in Art. 49 Abs. 1 S. 1 EU überwiegend als rechtsverbindlich angesehen.34 Heute dürfe man dementsprechend die ausdrücklichen Voraussetzungen des Art. 49 Abs. 1 EU nicht als abschließend betrachten. Vielmehr verbiete eine systematische Auslegung angesichts der Einheit des Gemeinschaftsrechts den Verstoß gegen andere Vertragsregelungen durch die Zulassung oder Verweigerung eines Beitritts.35 Aufgrund der Unbestimmtheit der Vorgaben hätten die Gemeinschaftsorgane aber einen Beurteilungsspielraum bei der Anwendung der Kopenhagener Kriterien.36 Andere bezweifeln den Rechtscharakter allerdings aufgrund der Unbestimmtheit der Kriterien. Ihren Zweck, die Erweiterungsentscheidungen objektiver und vorhersehbarer zu machen, erfüllten sie jedenfalls nicht.37 Die Kopenhagener Kriterien könnten daher keine Beitrittsvoraussetzung sein, ihre Erfüllung befördere lediglich faktisch den Bei30 Betont von Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 14; entsprechend zu Art. I-2 VVE Rensmann, S. 49 (55). 31 Z. B. Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 9; Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 33; Schorkopf, Rn. 94. 32 Z. B. Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 9; Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 33; Schorkopf, Rn. 95. 33 Z. B. Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 9; ders., JZ 2004, S. 1033 (1040); Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 35; Schorkopf, Rn. 97. 34 Zu den heute in Art. 6 Abs. 1 EU verankerten Voraussetzungen Bruha / Vogt, S. 477 (486 f.); Burghardt, S. 2; Langenfeld, S. 73 (74); Lippert / Wessels, S. 439 (450); Sˇarcˇevic´, S. 461 (472 f.); zu den anderen Kopenhagener Kriterien Bruha / Vogt, S. 477 (485 ff.) m. w. N.; Heintzen, 1997, S. 1 (6 f.); Pechstein, S. 163 (168); Ruffert / Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 49 EU Rn. 10; Sˇarcˇevic´, S. 461 (467, 473); Zeh, 2002, S. 21 – 23; nur ähnlich Maresceau, 2003, S. 9 (34, 37) m. w. N.; relativierend Richter, S. 59 f.; zur Bedeutung der Kopenhagener Kriterien in der Erweiterungspraxis vor 1993 Hillion, S. 1 (3 ff.). 35 So zur Maastrichter Fassung Richter, S. 29 ff.; vgl. auch Bruha / Vogt, S. 477 (487) m. w. N.; Sˇarcˇevic´, S. 461 (468); nur auf den ersten Blick a. A. Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 16. 36 Dazu gleich unter A.II.3. 37 Zielonka, 2002, S. 1 (8 f.); ähnlich zum vierten Kopenhagener Kriterium Haukkala, 2003, S. 13; Lippert, Assoziierung, 2006, S. 149 und Nonnenmacher, FAZ vom 5. Oktober 2005, S. 1; zur Unbestimmtheit von Art. 6 Abs. 1 EU z. B. Haukkala, 2003, S. 13; Nugent, S. 266 (272); Pinelli, S. 354 (358 f.).
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
tritt.38 Zu bedenken ist auch, dass mit dem geplanten Reformvertrag ein Satz in Art. 49 EU eingefügt werden soll, wonach die „vom Europäischen Rat vereinbarten Kriterien [ . . . ] berücksichtigt“ werden.39 Berücksichtigen kann dabei bedeuten, dass diese Kriterien – anders als die Werte, die in Art. 2 verankert werden sollen – keine zwingenden Voraussetzungen für die Entscheidung über den Beitrittsantrag sind, die Entscheidung über ihre Erfüllung also rein politischen Charakter hat. Zu beachten ist aber auch, dass die erstmalige Verankerung in Art. 49 EU auch als Ausdruck einer Aufwertung dieser Kriterien verstanden werden kann. Wie bei der Europaeigenschaft ist zudem streitig, welche Bedeutung den Kopenhagener Kriterien im Vorfeld und im Laufe der Beitrittsverhandlungen zukommt. Der Wortlaut von Art. 49 Abs. 1 S. 1 EU nennt die Achtung der in Art. 6 Abs. 1 EU genannten Grundsätze in einem Atemzug mit der Europaeigenschaft. Daher könnte man darüber nachdenken, dass jedenfalls die politischen Anforderungen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Beitrittsgesuchs und nicht bloße materielle Beitrittsvoraussetzungen sind.40 In der Beitrittspraxis wird die Erfüllung des ersten Kopenhagener Kriteriums jedenfalls nicht nur für den Beitritt, sondern bereits für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen und andere Verfahrensschritte vorausgesetzt. Für den Europäischen Rat stellt die „Einhaltung der politischen Kriterien vonKopenhagen“ eine „unabdingbare Voraussetzung für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen dar“.41 Auf dieser Grundlage wurden bislang die Beitrittsanträge der Türkei (1989, 1997) und der Slowakei (1997) abgelehnt. Die Türkei sei damals noch weit davon entfernt gewesen, die politischen Standards der EU zu erreichen, das Land wies insb. erhebliche Defizite hinsichtlich Demokratie, Menschenrechtschutz und Minderheitenschutz im Verhältnis zu Zypern und Griechenland auf. Auch strukturelle wirtschaftliche Defizite der Türkei und die fehlende Integrationsfähigkeit der EU nach der Süderweiterung wurden angeführt.42 1999 wurde der Türkei zunächst der Status „Beitrittskandidat“ zuerkannt, die Beitrittsverhandlungen wurden am 3. Oktober 2005 eröffnet. Die Haltung der Türkei in der Zypernfrage führte jedoch am 9. Dezember 2006 zur teilweisen Aussetzung der Beitrittsverhandlungen.43 Der Beitrittsantrag der Slowakei wurde abgelehnt wegen 38 Richter, S. 59 f. m. w. N.; so zum vierten Kopenhagener Kriterium Nonnenmacher, FAZ vom 5. Oktober 2005, S. 1. 39 Europäischer Rat von Brüssel, Tagung vom 21. / 22. Juni 2007, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage I, Anlage 1, Nr. 9. 40 Bzgl. Art. 6 Abs. 1 EU Hillion, S. 1 (19 ff.); Pechstein, in: Streinz, 2003, Art. 49 EU Rn. 4; vgl. auch Gromadzki u. a., S. 27. 41 Europäischer Rat von Luxemburg, Tagung vom 12. / 13. Dezember 1997, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Nr. 25; Europäischer Rat von Helsinki, Tagung vom 10. / 11. Dezember 1999, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Nr. 4. 42 Zur Ablehnung der Beitrittsanträge der Türkei Lippert, Erweiterung, 2006, S. 120 (122); dies., 2005, S. 119 (121 f.) m. w. N.; Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 63 m. w. N.; Wedel, S. 77 ff. 43 Siehe dazu bereits im 1. Kapitel unter B.II.1.
A. Auslegung der materiellen Voraussetzungen von Art. 49 EU
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der Einschränkung bzw. Verletzung der Rechte des Parlaments und des Präsidenten – also Verstößen gegen die Gewaltenteilung, der Missachtung der Freiheit der Medien und des Umgang mit der ungarischen Minderheit.44 Erwähnenswert ist an dieser Stelle auch, dass die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien nicht wie vorgesehen am 17. März sondern erst am 3. Oktober 2005 eröffnet wurden, weil das Land zunächst nicht den Nachweis der uneingeschränkten Zusammenarbeit mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien erbrachte.45 Das EP forderte im Dezember 2006 eine größere Priorität der politischen Beitrittskriterien für den Beginn und den Fortgang der Beitrittsverhandlungen im Sinne einer direkten Verbindung.46 Die Kommission formulierte jüngst ganz generell, dass „in jeder Phase des Beitrittsprozesses“ das Vorankommen von der Erfüllung „strikte[r], aber faire[r] Bedingungen“ abhänge.47 Der Europäische Rat betonte indes, dass die Erfüllung des zweiten und dritten Kopenhagener Kriteriums für die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen nicht unabdingbar sei, sondern „aus einer zukunftsorientierten, dynamischen Sicht heraus beurteilt“ werden müsse.48 Ähnlich differenziert die Literatur zwischen dem ersten und den sonstigen Kopenhagener Kriterien. Denn letztlich ginge es bei der Eröffnung der Beitrittsverhandlungen nur um die Prognose, ob es einem Land gelingen werde, in absehbarer Zeit zur Beitrittsreife zu gelangen. Je größer die Defizite und damit die Abstände zu den Standards der EU sind, desto aussichtsloser erscheint ein späterer Beitritt.49 Gerade politische Unterschiede sind nur langsam und schwer zu überwinden. Bei entsprechenden Defiziten würden schon die Beitrittsverhandlungen erheblich erschwert. Zudem sollte die EU keine falschen Hoffnungen durch eine frühzeitige Eröffnung der Beitrittsverhandlungen wecken.50 Im Hinblick auf die Wirtschaftsordnung der Kandidatenländer hingegen sollten im Zeitpunkt des Beitrittsantrags keine überzogenen Anforderungen gestellt werden, denn diesbezüglich seien beträchtliche Entwicklungen im Laufe der Verhandlungen möglich. Gleiches gilt für die Fähigkeit zur Übernahme des Acquis, die Gegenstand der Beitrittsverhandlungen ist und keine Voraussetzung für deren Eröffnung.51 Teilweise wird betont, dass die Ablehnung der Eröffnung der Beitrittsverhandlungen aufgrund mangelnder Erfüllung der Kopenhagener Kriterien keine rechtlich zwingende ist, denn eine fehlende HomoLippert, Erweiterung, 2006, S. 120 (122); dies., 2005, S. 119 (121 f.) m. w. N. KOM(2005) 561 endg., S. 6, m. w. N.; Ruffert / Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 49 EU Rn. 1. 46 EP, P6_TA-PROV(2006)0568, 13. Dezember 2006, Nr. 24. 47 KOM(2006) 649 endg., S. 6. 48 Europäischer Rat von Luxemburg, Tagung vom 12. / 13. Dezember 1997, Schlussfolgerung des Vorsitzes, Nr. 25. 49 Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 13. 50 Sˇarcˇevic´, S. 461 (469 f.); Schmitz, 2001, S. 344 f.; in diese Richtung auch Herrnfeld, in: Schwarze, 2000, Art. 49 EU Rn. 6. 51 Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 16; wohl auch Ruffert / Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 49 EU Rn. 11. 44 45
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
genität würde die Vertiefung erst ab dem Zeitpunkt des Beitritts bedrohen.52 Jedenfalls dürfe eine entsprechende Ablehnung keine endgültige sein.53 Selbst die Rechtmäßigkeit von Beitritten, die als Bedrohung für die Handlungsfähigkeit angesehen wurden, wurde in der Praxis früher nie bezweifelt.54 Vielmehr wurde die EU zu nachträglichen Reformen ermahnt. Ähnlich steht es mit dem Erfüllungszeitpunkt der drei ersten Kopenhagener Kriterien. Das theoretische Ideal der Krönungsthese, wonach der Beitritt die Krönung einer abgeschlossenen Transformation darstellt, wurde praktisch nie verwirklicht.55 In früheren Erweiterungsrunden gaben vielmehr politische Motive den Ausschlag. Notwendige Anpassungen wurden mit Hilfe sog. post-accession-Strategien nachgeholt. Im Vorfeld der Osterweiterung standen der EU allerdings zehn wirtschaftlich, politisch und sozial schwache Staaten gegenüber, deren Reformpotential ungewiss war. Auch die heutigen Nachbarn sind relativ instabil. Zudem hat die EU selbst Nachholbedarf angesichts der unterlassenen Reformen bei vergangenen Erweiterungen. Daher sei eine rechtlich gesicherte pre-accession-Strategie erforderlich, die noch im Vorfeld und während der eigentlichen Beitrittsverhandlungen die Staaten an die EU heranführt,56 in der sich aber auch die EU konsolidiert.57 Letztlich scheint also nicht jede Beeinträchtigung der künftigen Vertiefung oder Verstärkung der Heterogenität einem Beitritt im Wege zu stehen, sondern erst ein gewisses Bedrohungspotential. Bei der Aufnahme schwacher Staaten gelte jedenfalls das vierte Kopenhagener Kriterium als rechtlich zwingendes, da bei beeinträchtigter Handlungsfähigkeit der Union die Verwirklichung sämtlicher Vertragsziele gefährdet wäre.58 Zum Teil wird die Aufnahme von Staaten mit Defiziten abgelehnt, wenn die EU keine Handhabe hat, die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten nach dem Beitritt zu kompensieren.59 2. Die Auslegung der Kopenhagener Kriterien Eng verbunden mit der Diskussion über die Rechtsnatur der Kopenhagener Kriterien ist der Streit über ihren Inhalt. Im Folgenden soll nicht detailliert aufgelistet 52 Lippert, 2005, S. 119 (130) m. w. N.; Nettesheim, S. 36 (38 f., 59); Sˇarcˇevic´, S. 461 (464 f.); Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 13. 53 Kramer, 2003, S. 5; unklar Zeh, 2002, S. 25 f. (Entscheidung gegen die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen sei Entscheidung gegen den Beitritt selbst). 54 So zu den Erweiterungen 1981 und 1986 Zeh, 2002, S. 30 (beachte auch Fn. 117); dazu auch Nettesheim, S. 36 (58 ff.). 55 Bruha / Vogt, S. 477 (479); Janning, 1994, S. 527 (529). 56 Maresceau, 2003, S. 9 (9 – 11); de la Serre / Lequesne, S. 349 (355) m. w. N.; H. Wallace, 1998, Rn. 31. 57 Pechstein, S. 163 (163, 174). 58 Dazu z. B. Meier, S. 12 ff.; Zeh, 2002, S. 29; zu den „qualifizierten Anforderungen“ an einen Vorwurf der Beitrittsunreife Nettesheim, S. 36 (54 f., 57 f.). 59 Schmitz, 2001, S. 344 f.
A. Auslegung der materiellen Voraussetzungen von Art. 49 EU
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werden, welche Punkte in der Praxis der EU-Organe unter die einzelnen Kriterien fallen.60 Vielmehr werden einige inhaltliche Besonderheiten dargestellt sowie die Art der Konkretisierung und die qualitativen Anforderungen untersucht. Der Reichweite des Beurteilungsspielraums der Organe bei der Anwendung der Kriterien ist ein gesonderter Abschnitt gewidmet.
a) Das erste Kopenhagener Kriterium – Politische Grundsätze des Art. 6 Abs. 1 EU Das erste Kopenhagener Kriterium wurde quasi durch die Einfügung des Verweises in Art. 49 Abs. 1 S. 1 EU auf Art. 6 Abs. 1 EU ersetzt, der die „Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit“ nennt. Da die Norm sehr unbestimmt formuliert ist, bedarf es einer Konkretisierung. Dabei spielen wiederum die Auffassungen der EU-Organe eine maßgebliche Rolle, war doch das erste Kopenhagener Kriterium Vorbild für Art. 6 Abs. 1 EU.61 Gemäß den Auslegungsregeln ist im Übrigen die gesamte EU-Rechtsordnung konkretisierend heranzuziehen, ebenso Grundsätze in den Mitgliedstaaten und internationale Rechtstexte.62 Die Konkretisierung wird dadurch erschwert, dass sich die in Art. 6 Abs. 1 EU genannten Grundsätze sowohl auf die EU als auch auf ihre Mitgliedstaaten beziehen. Insbesondere in diesem Zusammenhang wird in der Literatur auf den Charakter der EU als Staaten- bzw. Verfassungsverbund verwiesen, der besondere und insb. je nach Normadressat verschiedene Anforderungen sowohl an die Definition der Grundsätze als auch an den geforderten Verwirklichungsgrad stelle.63 So seien die mitgliedstaatlichen Verfassungstraditionen als Basis der Grundsätze anzusehen. Zugleich müsse aber ein selbstständiger Gehalt der europäischen Grundsätze bzw. Werte anerkannt werden, welcher berücksichtigt, dass die EU kein Staat ist und der insb. durch die fortwährende Integration geprägt ist. Bei alldem sei die Verzahnung zwischen mitgliedstaatlichen und europäischen Grundsätzen zu beachten.64 Letztlich dürfte es über den Inhalt des jeweiligen Bedeutungskerns der einzelnen Grundsätze wenig Streit geben; Fragen und Differenzierungen ergeben sich aber in den Randbereichen.65 60 Eine entsprechende Untersuchung stellt Kochenov, 2004 bezüglich des Rechtsstaatlichkeits- und des Demokratieerfordernisses an. 61 Z. B. Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 17; Kassner, S. 86 f.; Nettesheim, S. 36 (44 f.). 62 Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 17; Schorkopf, Rn. 104 ff. 63 Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 3; Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 15; ausführlich zur Methode der Inhaltsbestimmung der Grundsätze Schorkopf, Rn. 99 ff. 64 Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 4 ff.; Schorkopf, Rn. 100 ff.; aufgrund der fortwährenden Integration wird die Bezugnahme auf Werte durch die EU z. T. als konsumästhetische Strategie kritisiert, vgl. z. B. Haltern, Gestalt und Finalität, 2003, S. 803 (830 ff., 837 ff.).
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
Schorkopf kommt nach der historischen, systematischen und Wortlautauslegung gar zu dem Ergebnis, dass es sich bei Art. 6 Abs. 1 EU „um eine Formel handelt, die der Verdichtung zu konkreten Ausgestaltungen gegenüber resistent ist und möglicherweise sein soll.“66 Aus diesen Überlegungen wird einhellig gefolgert, dass zwar an alle beitrittswilligen Länder die gleichen Anforderungen gestellt werden müssen, es dabei aber nicht um die Verwirklichung eines bestimmten politischen Modells gehen kann. Schon aufgrund der verschiedenen Normadressaten nehme Art. 6 Abs. 1 EU von vornherein nur Bezug auf einen Kern der genannten Grundsätze, der der EU wie den einzelnen Mitgliedstaaten Freiheit bei der Wahl und Entwicklung eines konkreten Modells lässt.67 Inwieweit diese Wahlfreiheit durch das Homogenitätsgebot eingeschränkt wird, wird im Anschluss an die inhaltliche Erläuterung der einzelnen Grundsätze genauer betrachtet. Zuvor soll noch erwähnt werden, dass sich im Zusammenhang mit der Unbestimmtheit des Art. 6 Abs. 1 EU einige Autoren an Begrifflichkeiten und Aussagen der Prinzipienlehre anlehnen. So seien die Grundsätze zwar nicht lediglich politisch-programmatischer Natur.68 Sie bedürften aber der „Ausformung durch einzelne Rechtssätze, um eine subsumtionsfähige Regel einer Rechtsordnung zu werden.“69 In der Rechtsordnung übernehmen sie eine „strukturierende Funktion“.70 Inhaltlich stellt Art. 49 Abs. 1 S. 1 EU i. V. m. Art. 6 Abs. 1 EU nicht nur Anforderungen an die jeweilige innerstaatliche Ordnung, sondern insb. durch die Bezugnahme auf den Menschenrechtsschutz auch an das Verhalten der Beitrittskandidaten in der internationalen Gemeinschaft.71 Die einzelnen Grundsätze sind nicht scharf voneinander zu trennen, sondern bedingen sich historisch und systematisch gegenseitig.72 Insbesondere stellen sie alle den Menschen und die Menschenwürde in den Mittelpunkt. Die politischen Grundsätze werden als „Strukturmerkmale des freiheitlichen Verfassungsstaats westlicher Prägung“ und als materieller Verfassungskern der EU bezeichnet,73 die hinter ihnen stehenden Werte als zentraler Kern der europäischen Identität.74 Nettesheim, S. 36 (43). Schorkopf, Rn. 141 m. w. N. 67 Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 15; Schmitz, 2001, S. 324 f., 354 f.; KOM(1998) 146 endg., S. 6. 68 Nettesheim, S. 36 (43 f.). 69 Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 2; ähnlich Schorkopf, Rn. 89 ff. 70 Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 14. 71 Betont u. a. von Ruffert / Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 49 EU Rn. 8. 72 Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 8; Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 28. 73 Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 1, 8; Luchterhandt, S. 125 (127); Schorkopf, Rn. 139, 143; Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 4, 14. 74 KOM(2003) 606 endg., S. 3, 14; Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 1, 8; ders., JZ 2004, S. 1033 (1036 ff.); Nettesheim, S. 36 (46); Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, 65 66
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aa) Die einzelnen Elemente des ersten Kopenhagener Kriteriums An der Spitze der in Art. 6 Abs. 1 EU genannten Grundsätze steht die Freiheit. Ihr wird in der Literatur eine hohe Bedeutung zugemessen. Die Freiheit sei wie die Menschenwürde ein unantastbarer Wesensgehalt aller Grundrechte und stehe nicht zur Disposition der geteilten Hoheitsgewalt im Staaten- und Verfassungsverbund EU. Sie war und ist historische und politische Leitlinie für die europäische Integration und kennzeichnet sowohl die Wirtschaftsverfassung der EU, als auch deren politische Ordnung.75 Fraglich ist indes die eigenständige Bedeutung des Freiheitsgrundsatzes, weil die weiteren Elemente des Art. 6 Abs. 1 EU allesamt Ausprägungen der Freiheit sind. Bejaht wird die Eigenständigkeit jedenfalls, soweit der Einzelne zum Bezugspunkt des Freiheitsbegriffs gemacht wird.76 Dementsprechend wird der Begriff Freiheit definiert als die „Möglichkeit der individuellen Selbstbestimmung des Individuums“, also als das Recht eines jeden, tun und lassen zu können, was man will, solange man dabei nicht die Rechte Dritter schädigt.77 Im Verfassungsstaat bzw. in der EU wird diese Freiheit v. a. durch die materielle Ausformung des Rechtsstaatsprinzips, durch das Demokratieprinzip und durch die Grundrechte verwirklicht.78 Bestandteile des europäischen Freiheitsbegriffs sind die Achtung der Menschenwürde, die Selbstbestimmung des Einzelnen sowie die Abwesenheit von Fremdherrschaft, von Gewaltmonismus und jeder Form einer Suprematie einer Person oder Partei. Der Freiheitsgrundsatz reguliert auch die Art der Hoheitsgewalt, indem er Eingriffe in das (grund-)rechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht der Einzelnen nur auf Grundlage eines Parlamentsgesetzes erlaubt.79 Die Grundrechte in der Grundrechtecharta gelten als Ausprägung des europäischen Freiheitsbegriffs, aber nicht als dessen vollständige Ausfüllung.80 Die Freiheit ist neben der Gleichheit der Menschen die Grundvoraussetzung für Demokratie. In diesem Zusammenhang relevant ist die Freiheit der Entscheidungsfindung der Bürger und
Art. 49 EU Rn. 14; entsprechend zu Art. I-2 VVE und dem Bezug auf die Menschenwürde Rensmann, S. 49 (56 ff.). 75 Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 10; ähnlich von Bogdandy, 2003, S. 149 (163); Kassner, S. 92 f. und Schorkopf, Rn. 93. 76 von Bogdandy, 2003, S. 149 (163); Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 19; Schorkopf, Rn. 110. 77 Statt vieler Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 10; Schorkopf, Rn. 112 f. jeweils m. w. N.; kritisch Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 6: Freiheit meint i. R. v. Art. 6 Abs. 1 EU nicht die individuelle Freiheit, sondern eine freiheitliche Staatenordnung (Bezugnahme auf den 8. Erwägungsgrund zur Präambel des EG-Vertrages). 78 Z. B. Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 10 m. w. N. 79 Z. B. Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 11 m. w. N.; Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 20 m. w. N. 80 Z. B. Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 11; ähnlich Tretter / Grill / Röhsler, S. 39 (40 f.).
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des Entscheidungsvorgangs. Voraussetzung dafür ist wiederum die Pressefreiheit.81 Der Demokratiegrundsatz ist das zweite Element des politischen Beitrittskriteriums. Konkretisiert wird der Demokratiebegriff unter Heranziehung der Präambelerwägungen des Primärrechts, des Art. 3 ZP 1 zur EMRK, der Schlussfolgerungen des Europäischen Rats von Kopenhagen (1993) und zahlreicher Erklärungen der EU-Organe speziell zur Demokratie.82 Auch sachlich-inhaltliche Einzelbestimmungen des Primärrechts können zur Konkretisierung herangezogen werden (z. B. Art. 19, 191, 201, 214 Abs. 2, 249 ff. EG).83 Mehr als bei jedem anderen Verfassungsgrundsatz ist für den Demokratiegrundsatz weitgehend anerkannt, dass für die EU andere Anforderungen gelten müssen als für die Mitgliedstaaten. Im Sinne der relativierten Wiederholungsthese muss der Demokratiegrundsatz also für die EU funktional auf ihre Gestalt zugeschnitten werden.84 Zum Kern des Demokratiebegriffs zählen Selbstbestimmung, Minderheitenschutz, Meinungsfreiheit und freie Wahlen mit Parteimehrheit. Jenseits dieser Mindestanforderungen bestehe ein weiter Spielraum.85 Die Verfassungen der Mitgliedstaaten müssen politische Pluralität und geheime Wahlen gewährleisten; der Machtwechsel im System muss möglich sein.86 Eine theokratisch-totalitäre Diktatur könnte beispielsweise eindeutig als undemokratisch qualifiziert werden.87 Die Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten konkretisiert den Freiheitsbegriff und schlägt die Brücke zu Art. 6 Abs. 2 EU und der noch unverbindlichen Grundrechtecharta.88 Das Verhältnis zwischen Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 EU wird angesichts der doppelten Nennung der Grundrechte problematisiert. Ganz überwiegend wird Abs. 2 insoweit als spezielle Ausprägung des Abs. 1 angesehen und zu dessen Konkretisierung herangezogen.89 Insbesondere Z. B. Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 12 m. w. N.; Kassner, S. 93. Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 14; Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 22 f. m. w. N.; Kochenov, S. 2, 13 ff.; Schorkopf, Rn. 115, 117 f., 122. 83 Schorkopf, Rn. 121. 84 von Bogdandy, 2003, S. 149 (172); Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 15 m. w. N.; Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 24 ff.; Schorkopf, Rn. 119, 147; kritisch zur Neureglung im VVE Oeter, 2006, S. 69 ff. 85 Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 14 m. w. N.; Nettesheim, S. 36 (47); recht ausführlich dazu Kassner, S. 93 ff. 86 KOM(97) 2000 endg., S. 52; Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 14; Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 23 ff. m. w. N.; Nettesheim, S. 36 (47). 87 Kassner, S. 93; Nettesheim, S. 36 (43). 88 Z. B. Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 18; beachte insoweit den für den Reformvertrag vorgesehenen Art. 6 EU, der die Rechtsverbindlichkeit der Charta festlegt, dazu Europäischer Rat von Brüssel, Tagung vom 21. / 22. Juni 2007, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage I, Anlage 1, Nr. 5. 89 Z. B. Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 18; Schorkopf, Rn. 127; Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 14. 81 82
A. Auslegung der materiellen Voraussetzungen von Art. 49 EU
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die begriffliche Anlehnung an die EMRK in Abs. 1 und deren ausdrückliche Erwähnung in Abs. 2 werden als Hinweis darauf verstanden, dass sich die EMRK gut zur Begriffskonkretisierung eignet.90 Streitig ist aber, welche Anforderungen an die Gewähr für die Einhaltung der Menschenrechte zu stellen sind. Zum Teil wird der Beitritt zur EMRK verlangt; ähnlich sehen andere die Mitgliedschaft im Europarat als Beitrittsvoraussetzung der EU an.91 Andere fordern lediglich, dass zu den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten bzw. Beitrittskandidaten Grundrechte gehören, die nach Inhalt und Schutzniveau mit den Grundrechten der EMRK vergleichbar sind.92 Wiederum andere sind im Rahmen von Art. 6 Abs. 1 EU noch zurückhaltender. Ihrer Ansicht nach würde eine Aufladung dieser Norm mit dem gesamten grundrechtlichen Besitzstand der EU vernachlässigen, dass es einen „harten Kern“ der Menschenrechte und Grundfreiheiten gibt, zu dem jedenfalls nicht wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte gehören.93 Teilweise wird die Beitrittsvorbereitung der EU kritisiert aufgrund des zu hohen menschenrechtlichen Standards, der von den Beitrittsinteressenten gefordert wird und über das hinausgeht, was die EU selbst verwirklicht.94 Da diese Diskussion letztlich das gefordert Homogenitätsniveau betrifft, wird sie erst im folgenden Abschnitt genauer behandelt. Erwähnt sei noch an dieser Stelle, dass weder im Rahmen des Grundsatzes der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch bezüglich der anderen Elemente des ersten Kopenhagener Kriterium die Mitgliedschaft in der OSZE, der UNO oder der NATO als Beitrittsvoraussetzung formuliert wird.95 Neben der EMRK werden auch Dokumente der EU-Organe als Auslegungshilfe herangezogen, insb. das Dokument über die europäische Identität vom 14. / 15. Dezember 1973, die Erklärung zur Demokratie vom 7. / 8. April 1978 und die Gemeinsame Erklärung des EP, des Rates und der Kommission zur Achtung der Menschenrechte vom 5. April 1977. Aktuell sind v. a. die sich daraus ergebenden Anforderungen an den verfassungsrechtlich und gesetzlich zu gewährleistenden Minderheitenschutz.96 Beim Beitritt Bulgariens und Rumäniens wurde in der Praxis zudem auf die Grundrechtecharta abgestellt.97 Die Beitrittsreife fehlt wegen Missachtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten z. B., wenn die geltende Rechtsordnung 90 Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 18; Schorkopf, Rn. 124 ff.; Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 14. 91 Herrnfeld, in: Schwarze, 2000, Art. 49 EU Rn. 5; Jürgens, S. 359 m. w. N.; Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 15; differenziert dazu Kassner, S. 88 ff., 108 ff. 92 Heintzen, 1997, S. 1 (7); H. P. Ipsen, 1990, S. 159 (168); Nettesheim, S. 36 (46). 93 Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 31 m. w. N. 94 Kemp, S. 59 (62 f.); Tretter / Grill / Röhsler, S. 39 (46 f.); Williams, S. 601 ff. 95 Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 15; zur NATO H. P. Ipsen, 1990, S. 159 (178). 96 Dazu z. B. Kassner, S. 117 ff. und Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 14 m. w. N. 97 Ruffert / Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 49 EU Rn. 9 m. w. N.
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Bestimmungen enthält, die eine diskriminierende oder rechtsstaatswidrige Enteignung zulassen oder wenn Verursacher von Menschenrechtsverletzungen nicht effektiv verfolgt und zur Verantwortung gezogen werden.98 Auch das Verhalten in internationalen Zusammenhängen kann den Beitritt erschweren, etwa durch Menschenrechtsverletzungen beim Militäreinsatz im Ausland.99 Der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit wird im Primärrecht nicht definiert. Nur in den Art. 2, 29 EU und Art. 61 EG klingt vorsichtig an, dass das Rechtsstaatsprinzip einen Steuerungsmodus zwischen Freiheit und Sicherheit darstellen soll. Daraus wird geschlossen, dass die Verträge wie das deutsche Grundgesetz einen entwicklungsoffenen Begriff des Rechtsstaats voraussetzen.100 Diskutiert wird nur, ob der Begriff überhaupt konkretisiert werden kann. Das Bundesverfassungsgericht nimmt im Hinblick auf das Grundgesetz an, dass der Rechtsstaatsbegriff ausfüllungsbedürftig ist, aber einzelne Elemente daraus abgeleitet werden können. Wie der Großteil des Schrifttums erkennt es formelle und materielle Einzelgehalte an, die mitunter nicht ausdrücklich im Grundgesetz verankert sind.101 Zu sehr ähnlichen Ergebnissen kommen Untersuchungen der EuGH-Rechtsprechung und der Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten bezüglich des Inhalts des Rechtsstaatsbegriffs.102 Als Grund dafür werden die gemeinsamen kulturellen und rechtlichen Wurzeln der europäischen Rechtsstaatlichkeit genannt.103 Zur Konkretisierung werden wie auch bei den anderen Elementen des ersten Kopenhagener Kriteriums zudem die Dokumente der EU-Organe herangezogen, in diesem Zusammenhang insb. die Agenda 2000.104 Ratio des Rechtsstaatsgrundsatzes ist die Freiheitssicherung durch rechtliche Bindung der Hoheitsausübung.105 Dies geschieht formell v. a. durch die Gewährleistung von Gewaltenteilung, Gesetzesbindung, Normenhierarchie und geordneten Verfahren. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Materielles Element des Rechtsstaatgrundsatzes ist die Gewährleistung der Grundrechte durch Mäßigung und Bindung der Hoheitsgewalt.106 Im Vorfeld von Erweiterungen untersucht die Kommission in Berichten Nettesheim, S. 36 (47 ff.). Ruffert / Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 49 EU Rn. 8. 100 Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 19 m. w. N.; ausführlich zum Grundgesetz Kunig, S. 68 ff. m. w. N.; zur Rechtsstaatlichkeit im VVE Scheuing, S. 91 ff. 101 Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 19; Kunig, S. 117 ff.; Sobota, S. 24 ff., 471 ff.; Überblick über Einzelgehalte bei Heintschel von Heinegg, S. 107 (111 ff.). 102 von Bogdandy, 2003, S. 149 (166 ff.); Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 19 m. w. N.; R. Hofmann, 1996, S. 3 (5 ff.), 321 ff.; auf die Unterschiede zwischen Mitgliedstaaten und EU weisen z. B. Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 29 (statt Gewaltverbot institutionelles Gleichgewicht) und Luchterhandt, S. 125 (138) hin. 103 Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 19 m. w. N. 104 Kochenov, S. 2, 7. 105 Z. B. Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 21 m. w. N. 98 99
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über die politische Lage der Beitrittskandidaten unter der Überschrift „Rechtsstaatlichkeit“ z. B. die Gewaltenteilung, die Immunität der Parlamentsabgeordneten, den Rechtsschutz durch eine unabhängige Justiz und die wirksame Korruptionsbekämpfung.107
bb) Qualitative Anforderungen an die Verwirklichung Die Anforderungen an die Qualität der Verwirklichung der Grundsätze des ersten Kopenhagener Kriteriums werden v. a. unter dem Stichwort „Homogenität“ diskutiert. Art. 6 Abs. 1 EU wird herrschend als Homogenitätsgebot qualifiziert.108 Denn die Norm trifft nicht nur grundlegende Aussagen zu den Grundwerten und der Verfassungsstruktur der EU, sondern setzt diese auch in ein Verhältnis zur Verfassungsstruktur ihrer Mitgliedstaaten. Im zweiten Halbsatz der Norm wird zudem die horizontale Homogenität zwischen den Mitgliedstaaten angesprochen. Das Homogenitätsgebot gilt also sowohl im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander, als auch im Verhältnis zur EU.109 Die Verfassungshomogenität ist ursprünglich eine Grundkategorie des Bundesstaates, aber angesichts ihrer Flexibilität auf nichtstaatliche föderale oder bündische Ordnungen übertragbar.110 Sie dient dazu, die Funktionsfähigkeit eines föderalen bzw. mehrstufigen Verbands zu sichern. Durch eine gewisse Homogenität der in einem Gemeinwesen zusammengefassten Rechtsordnungen soll erstens der Konsens zwischen den Mitgliedstaaten als Voraussetzung für die Integration hergestellt werden. In der EU müssen verschiedene Interessen zum Ausgleich gebracht werden. Die Entscheidungsfähigkeit ist dabei nur bei einem gemeinsamen Wertefundament gewährleistet. Auch und gerade bei Mehrheitsentscheidungen kommt es erheblich auf die Akzeptanz der Ergebnisse an. Zweitens soll Homogenität die Legitimationsgrundlagen des Gemeinwesens, also der EU, sichern. Die Verfassungshomogenität erfüllt drittens eine Integrationsfunktion, indem sie den materiellen Gehalt für eine europäische Identitätsbildung stärkt. Letztlich soll schon der Gefahr von Streitigkeiten vorgebeugt werden, die für den Bestand des Bundes bzw. 106 Aufzählung bei Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 21 ff.; R. Hofmann, 1996, S. 3 (5 f.) und Nettesheim, S. 36 (47); zu den Elementen der Rechtsstaatlichkeit im VVE Scheuing, S. 91 (92 ff.); kritisch zur Vermischung mit dem Grundsatz der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten Schorkopf, Rn. 133. 107 Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 28 m. w. N.; Kassner, S. 104 f. 108 Z. B. Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 1; ders., JZ 2004, S. 1033 (1036); Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 6; Schorkopf, Rn. 80; Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 4; Schmitz, 2005, S. 73 (83); ausführlich zum Begriff Schorkopf, Rn. 13 ff., 80 ff., 302 ff. 109 Statt vieler Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 1; Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 6, 8; Luchterhandt, S. 125 (126); Schorkopf, Rn. 38 ff. 110 Grundlegend Schmitt, 1928 (zitiert aus der 9. Aufl. von 2003), S. 370 ff.; aktuell u. a. Schmitz, 2001, S. 302 ff.
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der EU existenzgefährdend wären.111 Homogenität dient also in der EU sowohl dem Vertiefungsziel als auch dem Ziel künftiger Erweiterung. Angesichts dieser verschiedenen Funktionen und der Tatsache, dass die Verfassungshomogenität nicht der einzige Faktor ist, der über die Stabilität eines politischen Zusammenschlusses entscheidet, nimmt man an, dass es sich bei der Homogenität um einen relativen Begriff handelt.112 Diese allgemeine Erkenntnis und die besondere Rechtsnatur der EU, die in der Entwicklung befindlich und gerade auf Wandel angelegt ist, führen dazu, dass das europäische Homogenitätsgebot des Art. 6 Abs. 1 EU weit verstanden wird.113 Einig ist man sich heute folglich darin, dass Homogenität in der EU nicht Konformität und Uniformität meint, sondern bloße Gleichartigkeit. Insbesondere die Unterscheidung zur tradierten Begrifflichkeit im deutschen Verfassungsrecht (Art. 28 GG) setzt sich zunehmend durch, v. a. indem der Minimalcharakter der Homogenitätsanforderungen an die Mitgliedstaaten betont wird.114 von Bogdandy verlangt daher, begrifflich genauer von einem „strukturellen Gleichklang“ oder einer „strukturellen Kompatibilität zu sprechen.115 Das Homogenitätsgebot selbst wird also nicht als Optimierungsgebot verstanden. Übereinstimmung ist vielmehr nur in dem Grad erforderlich, wie es zur Erfüllung ihrer Funktionen notwendig ist. Dies hängt wiederum vom Entwicklungsstand des jeweiligen Zusammenschlusses ab.116 Die Verfassungshomogenität betrifft auch nicht die politische Ausgestaltung im Detail, also nicht einzelne Rechts- und Verfassungsgrundsätze oder -institute, sondern nur die abstrakten (staats-)theoretischen Grundvorstellungen, die hinter ihnen stehen. Innerhalb der einzelnen Grundsätze des Art. 6 Abs. 1 EU sind also nationale Abweichungen möglich.117 Unterstützt wird dieses Ergebnis durch Art. 6 Abs. 3 EU, wonach die EU „die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten“ achtet.118 Dies gilt für sämtliche – also alte und neue – Mitgliedstaaten und muss sich folglich auf den Grad der beim Beitritt geforderten Homogenität auswirken. Die „nationale Identität“ wird zwar im 111 Zu den Funktionen der Homogenität Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 1; Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 7; Pleines, S. 9; Rensmann, S. 49 (65 f.); Schorkopf, Rn. 25 ff. 112 Schmitz, 2001, S. 312, 343. 113 Richter, S. 55 f. 114 Statt vieler von Bogdandy, 2003, S. 149 (189 f.); Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 1; Grawert, S. 95 ff. (zum Demokratieprinzip); Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 6 m. w. N.; H. P. Ipsen, 1990, S. 159 (160, 170 ff.); Isensee, S. 103 (122); Kassner, S. 29; Luchterhandt, S. 125 (126); Richter, S. 56; Schmitz, 2005, S. 73 (82); ders., 2001, S. 311 f.; Schorkopf, Rn. 13, 23, 75; entsprechend zu Art. I-2 VVE Rensmann, S. 49 (57). 115 von Bogdandy, 2003, S. 149 (189 f.). 116 Schmitz, 2001, S. 311 f. 117 Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 10; Schmitz, 2001, S. 354 f. 118 Art. I-5 VVE konkretisiert diese Bestimmung.
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Primärrecht nicht definiert, Art. 6 Abs. 1 EU nennt aber jedenfalls einige dazugehörige Grundsätze.119 Nach einem weiten Verständnis umfasst die nationale Identität die Staatlichkeit und Souveränität, die Verfassungsidentität und einen Mindestbestand an historischen, kulturellen, rechtlichen, sprachlichen und religiösen Werten des jeweiligen Mitgliedstaates.120 Auch und gerade „eigensinnige verfassungsrechtliche Arrangements“ gehören zur geschützten nationalen Identität.121 Dem Art. 6 Abs. 1 EU wird kein abstrakter Vorrang vor Art. 6 Abs. 3 EU beigemessen. Umgekehrt seien laut h. M. nationale Werte nicht per se vorrangig vor den europäischen Grundsätzen. Denn die EU wird in Art. 6 Abs. 3 EU lediglich dazu verpflichtet, die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten zu achten. Sie muss sie weder bewahren noch sichern. Im Ergebnis müsse sich die EU bei einer Kollision zwischen identitätsbildenden Grundsätzen der EU und nationalen Grundsätzen um einen schonenden Ausgleich bemühen.122 Folglich beeinflussen sich die Absätze 1 und 3 des Art. 6 EU gegenseitig. Dieses Ergebnis entspreche auch der systematischen Einordnung von Art. 6 Abs. 3 EU, der eine Ausprägung des Grundsatzes der wechselseitigen Gemeinschaftstreue gemäß Art. 10 EG ist.123 von Bogdandy kommt zu den gleichen Ergebnissen, lehnt es aber in diesem Zusammenhang ausdrücklich ab, Homogenität bzw. Einheit einerseits und Vielfalt andererseits als Verfassungsprinzipien der EU zu qualifizieren. Dafür seien diese Konzepte zu abstrakt.124 Auch die Beitrittspraxis stützt das weite Verständnis der europäischen Homogenität. Schon bei der Norderweiterung wurden Staaten aufgenommen, deren Verfassungsverständnis so bislang in der EU nicht praktiziert wurde. Heute herrscht eine enorme Vielfalt. Unter den Mitgliedstaaten finden sich Republiken und Monarchien, parlamentarische und semipräsidentielle Systeme, starke und schwache Parlamente, Konkurrenz- und Konkordanzdemokratien, starke und schwache Parteistrukturen, starke und schwache gesellschaftliche Institutionen, unitarische und föderale Ordnungen. Einige Mitgliedstaaten haben starke, andere schwache Verfassungsgerichte, in anderen Mitgliedstaaten fehlen sie völlig. Auch bezüglich Gehalt und Schutzniveau von Grundrechten herrschen beachtliche Divergenzen.125 Gefordert wird allerdings von den EU-Organen und der Literatur, dass die Beitrittskandidaten eine „institutionelle Stabilität“ hinsichtlich der in Art. 6 Abs. 1 EU 119 Betont von Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 80 und Kingreen / Puttler, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 45 m. w. N. 120 Kingreen / Puttler, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 44. 121 von Bogdandy, 2003, S. 149 (190). 122 Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 72, 84, 86; Kingreen / Puttler, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 49 m. w. N. 123 Dazu Hilf / Schorkopf, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 6 EU Rn. 96, 99 und Kingreen / Puttler, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 43, 50. 124 von Bogdandy, 2003, S. 149 (190, 197). 125 Stark angelehnt an die Aufzählung bei von Bogdandy, 2003, S. 149 (189); vgl. auch Rehn, 2006, S. 40 f.
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genannten Grundsätze aufweisen.126 Auch müssen die Grundsätze „verwirklicht“, also praktiziert werden, eine schriftliche Verankerung in Rechtstexten genügt für sich genommen nicht.127 Dem entspricht auch die im geplanten Reformvertrag vorgesehene Änderung des Art. 49 Abs. 1 EU dahingehend, dass der Beitrittskandidat die Werte der EU nicht nur achten, sondern sich auch für ihre Förderung einsetzen muss.128
b) Das zweite Kopenhagener Kriterium – Die Binnenmarktfähigkeit Das zweite Kopenhagener Kriterium fordert wie bereits erwähnt die Binnenmarktfähigkeit. Es zielt wie das dritte Kopenhagener Kriterium darauf ab, dass die Beitrittskandidaten ihrem Rechts- und Wirtschaftssystem nach in der Lage sind, den Acquis zu übernehmen.129 Im Primärrecht ist der Grundsatz der freien Marktwirtschaft und des freien Wettbewerbs v. a. in Art. 4 EG verankert. Wesentliche Kennzeichen des Wirtschaftssystems der EG sind der freie und einheitliche Binnenmarkt mit den Grundfreiheiten, die gemeinsame liberale Außenpolitik, ein freier Wettbewerb und das Verbot staatlicher Beihilfen sowie Anforderungen an die Steuersysteme und die wirtschaftliche und soziale Ausgeglichenheit. Als hohe Hürde für neue Mitgliedstaaten gelten insb. die Wirtschafts- und Währungsunion sowie die Umweltstandards der EU.130 Bei der Formulierung der Anforderungen an die Beitrittsinteressenten wird als maßgeblich angesehen, dass sich die neuen Mitgliedstaaten in das Wirtschaftssystem der EG einfügen müssen, soweit dieses rechtlich verankert ist.131 Zudem müssen alle Mitgliedstaaten eine ähnliche wirtschaftliche Ausrichtung haben. Verlangt wird unter Bezugnahme auf Art. 2, 1. Spstr. EU, Art. 2 EG und Vorschriften zu einzelnen Politikfeldern eine marktwirtschaftliche Ordnung. Gewisse rechtliche Grundbedingungen müssten verwirklicht sein, wie etwa die Eigentumsgarantie, die 126 Statt vieler Europäischer Rat von Kopenhagen, Tagung vom 21. / 22. Juni 1993, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Nr. 7.A)iii), S. 13; EP, P6_TA-PROV(2006)0096, 16. März 2006, Nr. 12; Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 6 EU Rn. 9; ders., JZ 2004, S. 1033 (1036); Rensmann, S. 49 (68) m. w. N. 127 Europäischer Rat von Kopenhagen, Tagung vom 21. / 22. Juni 1993, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Nr. 7.A)iii), S. 13; Isensee, S. 103 (125); Luchterhandt, S. 125 (129); Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 10; Schmitz, 2001, S. 326 m. w. N. 128 Europäischer Rat von Brüssel, Tagung vom 21. / 22. Juni 2007, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage I, Anlage 1, Nr. 9. 129 VO(EG) Nr. 622 / 98 vom 16. März 1998, Abl. Nr. L 85 / 1 über die Hilfe der beitrittswilligen Staaten im Rahmen der Heranführungsstrategie, insb. über die Gründung von Beitrittspartnerschaften; Ruffert / Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 49 EU Rn. 11; Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 11. 130 Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 16, 63. 131 Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 16; kritisch zum Begriff „Wirtschaftsverfassung“ in diesem Zusammenhang H. P. Ipsen, 1990, S. 159 (170).
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Gewerbefreiheit und ein effektiver Rechtsschutz.132 Nicht gefordert wird jedoch ein bestimmtes Wirtschaftsmodell.133 Schon die Wirtschaftsordnungen der alten Mitgliedstaaten unterscheiden sich zu einem gewissen Grade voneinander. Es geht also wie beim ersten Kopenhagener Kriterium um Homogenität, nicht um völlige Übereinstimmung.134 Nicht kompatibel mit dem EG-System wäre aber z. B. eine planwirtschaftliche Ordnung.135 Neben der marktwirtschaftlichen Ordnung wird die Wettbewerbsfähigkeit als zwingende rechtliche Beitrittsvoraussetzung angesehen. Andernfalls würde die Erweiterung die wirtschaftlichen und sozialen Gemeinschaftsziele aus Art. 2 EG und der Präambel des EG-Vertrags gefährden.136 In der Praxis werden im Vorfeld eines Beitritts dementsprechend zahlreiche Bereiche des wirtschaftlichen Sektors geprüft, z. B. der Stand der Preis-, Handelsund Währungsliberalisierung, der Stand der wirtschaftlichen Stabilisierung, der Stand des Strukturwandels des Außenhandels, des Arbeitsmarktes, der öffentlichen Finanzen, der Privatisierung und der Umstrukturierung von Unternehmen und die Lage des Finanzsektors. Zusammengenommen bilden all diese Elemente den Maßstab der wirtschaftlichen Bedingungen; ihre Erfüllung führt zu einer gewissen Homogenität der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten.137 Bezüglich des qualitativen Standards wurde das zweite Kopenhagener Kriterium insb. bei der Osterweiterung aus politischen Gründen eher flexibel gehandhabt. Übergangsregelungen ermöglichen die allmähliche Übernahme wirtschaftlicher und sozialer Verpflichtungen nach dem Beitritt.138 Dies wird damit gerechtfertigt, dass die EU bei den wirtschaftlichen Grundsätzen einen größeren Beurteilungsspielraum hat als bei der Verfassungsstaatlichkeit, weil Änderungen des Wirtschaftssystems einfacher vonstatten gehen und positive Zukunftsprognosen daher tragfähiger sind. Nur im Extremfall sei die rechtliche Grenze erreicht, nämlich wenn selbst bei Ausschöpfung aller zulässigen Übergangsregelungen und sonstiger Hilfen durch die Gemeinschaft ein Beitrittskandidat nicht binnenmarktreif werden kann.139
132 Bruha / Vogt, S. 477 (487) m. w. N.; Heintzen, 1997, S. 1 (7); Sˇarcˇevic´, S. 461 (468); Schmitz, 2001, S. 315; Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 16. 133 Statt vieler Bruha / Vogt, S. 477 (487); Sˇarcˇevic´, S. 461 (468); Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 16. 134 Zur Notwendigkeit wirtschaftlicher Homogenität in einem supranationalen Verband Schmitz, 2001, S. 314 f. 135 Schmitz, 2001, S. 315. 136 Bruha / Vogt, S. 477 (488). 137 Bruha / Vogt, S. 477 (487 f.); Sˇarcˇevic´, S. 461 (468). 138 Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 11. 139 Bruha / Vogt, S. 477 (488).
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c) Das dritte Kopenhagener Kriterium – Die Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes Bezüglich der Übernahme des Acquis Communautaire wird kritisiert, dass die Beitrittskandidaten bisher sämtliche Pflichten eines Mitgliedstaats übernehmen mussten, selbst wenn bisherigen Mitgliedstaaten Ausnahmen gewährt wurden. Da der Beitrittsbegriff nicht definiert ist, könne auch nicht eindeutig bestimmt werden, an welchen Politiken und mit welcher Intensität sich neue Staaten beteiligen müssen. Auch die Ziel- und Präambelbestimmungen zwingen nicht zur Übernahme des gesamten Besitzstandes. Das dritte Kopenhagener Kriterium wird daher als Inbegriff einer übertriebenen Konditionalität verstanden, als typisches Klubverhalten.140 Die „double standards“, die von Beitrittskandidaten mehr verlangen als von Mitgliedstaaten141, seien überdies im Hinblick auf den Gleichheitssatz zweifelhaft und behinderten die Erweiterung der EU.142 Zum Teil wird darauf hingewiesen, dass es im Rahmen des dritten Kopenhagener Kriteriums nicht darum geht, dass der Beitrittskandidat alle aus dem Acquis folgenden Verpflichtungen unbedingt erfüllt, sondern darum, dass der Mitgliedstaat bereit ist, den Gesamtbestand des geltenden Unionsrechts zu übernehmen und sich die Ziele der EU zu eigen zu machen. Damit unvereinbar wäre lediglich die Aufnahme eines Landes, dessen politische Ziele mit den europäischen Zielen „grundsätzlich unvereinbar“ sind und damit das Potential hätten, die fortschreitende Integration zu beeinträchtigen. Bei der Bewertung der Integrationsfeindlichkeit des nationalen Rechts käme es auf den Rang der entsprechenden Normen an sowie auf das Maß der Unvereinbarkeit.143
d) Das vierte Kopenhagener Kriterium – Die Integrationsfähigkeit der EU Im Zentrum der aktuellen Erweiterungsstrategie der EU steht das vierte Kopenhagener Kriterium, dessen Inhalt aber nicht unstreitig ist.144 In der Vergangenheit wurde dieses Kriterium noch nicht operativ angewandt; jedenfalls nicht ausdrücklich.145 Spätestens nach der Osterweiterung kritisierten einige die Kommis140 Pinelli, S. 354 (358) m. w. N. zur Heranführung der MOEL; Richter, S. 51 ff.; K. E. Smith, S. 105 (106 ff.); Wiener, Finality, 2003, S. 157 (163); kritiklos zum durch das dritte Kopenhagener Kriterium entstehenden Eindruck Baltas, S. 146 (155). 141 Z. B. hatten die MOEL nicht wie Großbritannien und Dänemark die Möglichkeit zur Nichtteilnahme an der Wirtschafts- und Währungsunion, vgl. Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 11. 142 Zum Problem der „double standards“ z. B. Kemp, S. 59 (62 f.); Tretter / Grill / Röhsler, S. 39 (46 f.); Williams, S. 601 ff.; de Witte, S. 209 (233 ff.); zu den unterschiedlichen Funktionen des Begriffs des Acquis Communautaire Weatherill, S. 153 (insb. S. 157, 166 f.). 143 Nettesheim, S. 36 (54 ff.). 144 Zur Definition des Europäischen Rates von Kopenhagen siehe im 1. Kapitel unter A.II.; kritisch zur Definition in der „neuen Erweiterungsstrategie auch Bruha, 2007.
A. Auslegung der materiellen Voraussetzungen von Art. 49 EU
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sion und den Ministerrat für ihre v. a. an geostrategischen Überlegungen ausgerichtete Erweiterungspolitik, die der Vergrößerung der EU scheinbar den Vorrang vor der Erhaltung ihrer Handlungsfähigkeit einräumte.146 Auf diese Kritik reagierte man mit einer besonders nachdrücklichen Betonung des vierten Kopenhagener Kriteriums gegenüber den derzeitigen Beitrittskandidaten 147 sowie mit Vorschlägen zu seiner Konkretisierung. Die Konkretisierungsversuche erhöhen teilweise die Komplexität des ohnehin schon weit formulierten Kriteriums der Integrationsfähigkeit der EU, insb. wenn sie nicht nur auf die innere Struktur der EU abstellen, sondern auch auf Eigenschaften der beitrittswilligen Staaten.148 Der umgekehrte Fall der Anknüpfung der Beitrittsfähigkeit der Kandidatenländer an die Erweiterungsfähigkeit der EU wird von einigen als unsachliche und unangemessene Kopplung zweier sachlich nicht miteinander verbundener Sachverhalte empfunden.149 Die derzeitige Betonung und Anreicherung des vierten Kopenhagener Kriteriums wird als eine Reaktion auf die „Ausdehnungsprobleme“ der EU bewertet, also auf die Gefahr des Verlustes der eigenen Identität und eines Integrationsrückschritts bei der Aufnahme von Ländern „besonderer demographischer Größenordnung, eines bestimmten Entwicklungsstandes und eines anderen Kulturkreises“.150 Im Folgenden werden zunächst einige neue Elemente vorgestellt, die in der aktuellen Debatte im Zusammenhang mit dem vierten Kopenhagener Kriterium vorgebracht werden, letztlich aber an Eigenschaften der Kandidatenstaaten anknüpfen. Anschließend werden die aktuellen Konkretisierungsvorschläge der EU-Organe erörtert.
145 Entschließung des EP, P6_TA-PROV(2006)0569, 13. Dezember 2006, Erwägungen O.3, O.17. 146 So insb. die Sozialdemokraten im EP unter Führung von Klaus Hänsch, vgl. FAZ vom 9. März 2006, S. 1; dazu auch Rehn, 2006, S. 55. 147 Siehe dazu bereits im 1. Kapitel unter B.II.1. bzgl. der aktuellen Erweiterungsstrategie; Entschließung des EP, P6_TA-PROV(2006)0096, 16. März 2006, Nr. 5; die Außenminister der EU-Mitgliedstaaten in der Salzburger Erklärung vom 11. März 2006, Nr. 2, http: //www. eu2006.at/de/News/Press_Releases/March/1103EUWesternBalkansStatement.htm (Stand: November 2006); zur Entwicklung und regelmäßigen Wiederholung des Kriteriums seit der Tagung des Europäischen Rates in Kopenhagen 1993 siehe KOM(2006) 649 endg., S. 18, 20 ff.; Angela Merkel und Jacques Chirac sind sich „völlig einig“, dass mit Blick auf künftige Erweiterungen der EU die Integrationsfähigkeit der Gemeinschaft ein entscheidendes Kriterium sein werde, FAZ vom 7. Juni 2006, S. 2; zur Türkei der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen, FAZ vom 28. September 2005, S. 2; Elmar Brok in der FAZ vom 16. März 2006, S. 2; Haukkala, 2003, S. 13; Langenfeld, S. 73 (73 f.); Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 14; kritisch angesichts der Unbestimmtheit Lippert, Assoziierung, 2006, S. 149; Nonnenmacher, FAZ vom 5. Oktober 2005, S. 1. 148 Z. B. Erweiterungskommissar Olli Rehn, FAZ vom 7. Juni 2006, S. 10; ähnlich Oppermann, FS Zuleeg, 2005, S. 72 (77). 149 Zeh, 2002, S. 29. 150 Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 14; ders., FS Zuleeg, 2005, S. 72 (77).
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
aa) Die Berücksichtigung von Eigenschaften der Kandidatenstaaten Einem Vorschlag in der Literatur zufolge umfasst die Integrationsfähigkeit erstens die Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit aller EU-Mitgliedstaaten, zweitens die Wohlstandssicherung und -mehrung in der EU mit einer zivilen Regelung der Verteilungskonflikte, drittens die glaubwürdige Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit mit der erforderlichen Legitimationskraft sowie viertens die Wahrung und Festigung des europäischen Identitätsbewusstseins und die Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls.151 Mehrere dieser Elemente werden zunehmend herangezogen, um die Aufnahme neuer Staaten aufgrund deren besonderer Identität anzuzweifeln. Eigenschaften der Beitrittskandidaten werden zunächst implizit berücksichtigt, wenn institutionelle Probleme geltend gemacht werden, die sich insb. bei der Aufnahme eines so bevölkerungsreichen Landes wie der Türkei ergeben. Angesichts der Sonderinteressen der Türkei seien Stimmrechte in den Organen der EU eine Gefahr für deren Vertiefung. Diese Befürchtungen werden aber als überzogen zurückgewiesen. Denn die im geltenden Primärrecht vorgesehenen institutionellen Regelungen machen es einem einzelnen Mitgliedstaat schon heute unmöglich, positive Dominanz auszuüben. Beobachtungen der Entscheidungsfindung bestätigen den Zwang zu Koalitionen. Ein Hemmfaktor mag allenfalls das Vetorecht bei Einstimmigkeitsentscheidungen sein. Allerdings wurde das Einstimmigkeitserfordernis zunehmend zurückgedrängt. Zudem sind auch die bisherigen Mitgliedstaaten nicht gegen die Versuchung gefeit, nationale Sonderinteressen einzubringen.152 Auch bei wirtschaftlichen Argumenten müssen zwangsläufig die Besonderheiten der Beitrittskandidaten berücksichtigt werden. Die wirtschaftliche Überforderung der EU war ein Hauptargument gegen die Aufnahme der MOEL im Jahre 2004. Würde die Türkei beitreten, wäre sie wohl der größte Nettoempfänger der EU, wobei die Höhe der zu erwartenden Transferzahlungen nicht eindeutig zu ermitteln ist. Prognoseschwierigkeiten ergeben sich insb. angesichts der Zeit, die bis zu dem wahrscheinlichen Beitritt vergeht. Zudem sind die Änderungen der Haushaltspolitik, die aufgrund der Osterweiterung notwendig sind, noch nicht absehbar.153 Vertreten wird aber, dass sich für die EU aus einem Beitritt keine relevanten Vorteile ergeben würden, die nicht auch ohne einen Beitritt der Türkei, etwa im Rahmen einer engen Assoziierung, erreichbar wären.154 Die Besonderheiten der Beitrittskandidaten würden noch größere Relevanz erlangen, wenn das vierte Kopenhagener Kriterium als Auffangtatbestandsmerkmal 151 152 153 154
Wehler, S. 57 (67). Zu alldem m. w. N. Kramer, 2003, S. 25 f. Zu alldem Kramer, 2003, S. 6, 22 f. Kramer, 2003, S. 6, 27 ff.
A. Auslegung der materiellen Voraussetzungen von Art. 49 EU
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benutzt würde, um nicht nur die Handlungsfähigkeit, sondern – entsprechend konstruktivistischer Ansätze – auch die „Identität“ der EU zu schützen. Problematisch daran ist, dass die Identität der EU ihrerseits nicht primärrechtlich definiert ist.155 Insbesondere ist die EU, dies betonte jüngst auch die Kommission,156 eine Wertegemeinschaft, die nicht auf einer Religion gegründet ist. Es gibt daher keinen schlüssigen Einwand gegen die Aufnahme eines nicht-christlichen Landes.157 Das Argument, die Türkei lasse eine kritische Selbstreflexion des Völkermords an den Armeniern vermissen und sei daher grundverschieden zu den Mitgliedstaaten der EU, wird vereinzelt als überspitzt kritisiert. Zwar setzt die Mitgliedschaft in der EU im Rahmen des dritten Kopenhagener Kriteriums ein Bekenntnis zum begangenen Völkermord voraus. Da die bisherige Haltung der Türkei aber leider kein Einzelfall in der europäischen Geschichte ist, könne sie keine von den EU-Mitgliedstaaten verschiedene Identität begründen, die einem Beitritt dauerhaft, also auch in der Zeit nach einem Bekenntnis, im Wege steht.158 Häufig geäußert wird auch die Gefahr eines Verlustes der „Wir-Identität“ der Unionsbürger. Bis heute ist aber nicht erwiesen, welche Bedeutung das Wir-Gefühl für die Stabilität einer politischen Gemeinschaft hat. Jedenfalls sind nationale und historische Identitäten nicht naturwüchsig. Auch die Identität als Unionsbürger ist manipulierbar. Die Anpassungsfähigkeit eines Landes und seiner Bürger ist zudem schwer nachweisbar. Daher sei auch dieser Aspekt kein tauglicher Einwand gegen die Erweiterung.159 Schließlich könne eine denkbare Identität der EU keinem Beitrittsland entgegen gehalten werden, solange die Identität der EU nicht feststeht und keine Identitätsmerkmale im EU-Recht verankert sind, die über die ersten drei Kopenhagener Kriterien hinaus gehen. Zudem sind die Homogenitätsanforderungen bereits über die Europaeigenschaft und die drei ersten Kopenhagener Kriterien abgedeckt. Insbesondere bei Erfüllung des ersten Kopenhagener Kriteriums hätten die Beitrittskandidaten die Zugehörigkeit zum Wertesystem der EU soweit nachgewiesen, dass zumindest eine dauerhafte Destabilisierung der EU aufgrund kultureller Differenzen nicht zu erwarten wäre.160 Dem dritten Kopenhagener Kriterium könne zudem entnommen werden, dass Beitrittskandidaten zur Übernahme des bestehenden gemeinschaftlichen Besitzstandes verpflichtet sind. Es ginge zu weit, im Rahmen des vierten Kopenhagener Kriteriums bestimmen zu wollen, inwiefern ein Land „mit einem willkürlich gesetzten Endzustand übereinstimmen wird“.161 Überdies
Z. B. von Danwitz, S. 1125 (1129) m. w. N. Kommission, Mythen und Fakten über die Erweiterung, 2006, Frage 17, http: //ec. europa.eu/enlargement/questions_and_answers/myths_de.htm. 157 Burgdorf, S. 80 (81 f.); Kramer, 2003, S. 6, 12 ff.; Kühnhardt, S. 61 f., 86; Kuschel, S. 89 ff.; Tóibín, S. 23 (23 f.). 158 Kramer, 2003, S. 15 f. 159 Kramer, 2003, S. 16 ff. 160 Kramer, 2003, S. 12. 161 Kramer, 2003, S. 14. 155 156
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
hat auch bei der Osterweiterung die Finalitätsfrage keine Rolle für die Erweiterung gespielt.162
bb) Konkretisierung durch die EU-Organe Im Rahmen der aktuellen Erweiterungsstrategie konkretisierten auch die EU-Organe das Kriterium der Integrationsfähigkeit der EU.163 Die Kommission definiert in ihrer aktuellen Erweiterungsstrategie vom 8. November 2006 das vierte Kopenhagener Kriterium in Anlehnung an den Wortlaut der Ausführungen des Europäischen Rates von Kopenhagen funktional und sehr weit. Die sog. Integrationsfähigkeit betreffe die Frage, ob die EU zu einem bestimmten Zeitpunkt neue Mitglieder aufnehmen kann, ohne an Integrationsdynamik einzubüßen. Die Integrationsfähigkeit setze sich zusammen aus der Beitrittsfähigkeit der Kandidaten und der Aufnahmefähigkeit der EU.164 Die Aufnahmefähigkeit der EU „wird durch drei Faktorenkomplexe bestimmt: Institutionen, gemeinsame Politiken und Haushalt. Die Union muss gewährleisten, dass ihre Institutionen ihre Handlungsfähigkeit bewahren, dass ihre Politiken die gesetzten Ziele erreichen und dass ihr Haushalt mit ihren Zielen und finanziellen Ressourcen im Einklang steht.“ Nur wenn die EU unter den „richtigen“ Bedingungen ausgeweitet wird, „würden einige EU-Politiken einen noch größeren Nutzen bringen“. In der Vergangenheit hätten die Erweiterungen jedenfalls stets die Politiken der EU gestärkt.165 Da aber die geltenden institutionellen Regelungen nur auf die EU-27 zugeschnitten sind, bedinge jeder weitere Beitritt zwingend Reformen.166 In dieser Argumentation der Kommission klingen viele Elemente der Klubtheorie an. Auf Werte, Identität u. ä. wird weniger Bezug genommen als noch im Vorfeld der Osterweiterung.167 Bezüglich der Voraussetzungen für künftige Erweiterungen betonte die Kommission drei „Prinzipien“: Konsolidierung, Konditionalität und Kommunikation.168 Konsolidierung meint zum einen die Erfüllung der Verpflichtungen gegenüber Ländern, mit denen Beitrittsverhandlungen bereits begonnen haben (Kroatien, Kramer, 2003, S. 6, 13 f. Dazu auch K.-O. Lang / Schwarzer, S. 117 (118 ff.). 164 KOM(2006) 649 endg., S. 15, 18. 165 KOM(2006) 649 endg., S. 23. 166 KOM(2006) 649 endg., S. 22; vgl. auch Entschließung des EP, P6_TA-PROV(2006) 0569, 13. Dezember 2006; Erwägung O.17. 167 Allerdings erwähnt die Kommission die europäische Identität im Zusammenhang mit der Auslegung von „europäisch“ i. S. v. Art. 49 EU, vgl. KOM(2006) 649 endg., S. 19. 168 KOM(2006) 649 endg., S. 6, 15 ff.; diese drei „Prinzipien“ wurden bereits im Strategiepapier 2005 zur Erweiterung herausgestellt, vgl. KOM(2005) 561 endg., S. 2 ff.; die folgende Darstellung nimmt nur auf das aktuelle Papier Bezug. 162 163
A. Auslegung der materiellen Voraussetzungen von Art. 49 EU
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Türkei) oder denen der Status eines „Kandidatenlandes“ eingeräumt worden ist (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Serbien, Kosovo). Die Aufnahmeentscheidung soll jeweils individuell erfolgen; einen Gruppenbeitritt hält die Kommission für unwahrscheinlich. Zum anderen besagt das Ziel der Konsolidierung, dass weitere neue Zusagen nur zurückhaltend ausgesprochen werden und weitere Beitritte „voraussichtlich erst mittel- bis langfristig“ erfolgen.169 Das Prinzip der Konditionalität soll strenger gehandhabt werden. Dazu gehört auch das Aufstellen präziser Maßstäbe (sog. Benchmarks) für die Eröffnung und den Abschluss, aber auch für die Aussetzung und Wiederaufnahme von Verhandlungskapiteln.170 Schwierige Themen müssen schon in einer frühen Phase des Beitrittsprozesses angesprochen werden. Zudem werden Ergebnisse des politischen und wirtschaftlichen Dialoges in den Verhandlungsprozess einfließen.171 Zieldaten für den Beitritt lehnt die Kommission ab, bis die Verhandlungen kurz vor dem Abschluss stehen.172 Mit der strengeren Handhabung der Konditionalität seien laut Olli Rehn aber keine neuen Verkomplizierungen oder zusätzlichen Anforderungen verbunden.173 Neben der Konsolidierung des laufenden Beitrittsprozesses und der Konditionalität betont die Kommission zudem die Kommunikation gegenüber den Bürgern; das „historische Projekt“ Erweiterung müsse uneingeschränkt demokratisch legitimiert werden.174 Der „Fluss objektiver, benutzerfreundlicher Informationen“ soll verbessert, Zweifel und Missverständnisse sollen ausgeräumt und „mit der Öffentlichkeit [soll] wirksamer über den Erweiterungszeitpunkt“ kommuniziert werden.175 Dies kann als Ausfluss einer Strategie der EU nach der Verfassungskrise 2005 angesehen werden, die Akzeptanz der Bürger für die europäische Integration wiederzugewinnen und zu sichern.176 Die Betonung der Kommunikation ist wahrscheinlich vor allem der Tatsache geschuldet, dass angesichts der Erweiterung nach Osten viele Bürger eine Überdehnung der EU befürchten und insb. ein Beitritt der Türkei von weiten Teilen der Öffentlichkeit unerwünscht ist. In der Literatur wird aus der Legitimationsfunktion der Homogenität gefolgert, dass Homogenitätsprobleme von Beitrittsinteressenten in der breiten Öffentlichkeit diskutiert werden müssen, denn die Aufnahme eines Mitglieds wirke sich nachhaltig auf die Lebensverhältnisse in den schon vorhandenen Mitgliedstaaten aus, bewirke KOM(2006) 649 endg., S. 3, 6, 19. KOM(2006) 649 endg., S. 24 f. 171 KOM(2006) 649 endg., S. 15. 172 KOM(2006) 649 endg., S. 25. 173 Olli Rehn, SPEECH / 06 / 797, S. 2. 174 KOM(2006) 649 endg., S. 3, 6, 9 f., 15 f., 25 ff.; KOM(2005) 561 endg., S. 2 ff.; vgl. auch den Europäischen Rat von Brüssel vom 15. / 16. Dezember 2006, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Nr. 4, 6. 175 KOM(2006) 649 endg., S. 3, 26; auf S. 10 empfiehlt die Kommission mehrere konkrete Maßnahmen. 176 Vgl. dazu insb. den „Plan D“ (D wie „Demokratie, Dialog und Diskussion“) der Kommission vom 13. Oktober 2005 KOM(2005) 494 endg. 169 170
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
also mitunter tief greifende Veränderungen.177 Die Kommission versteht die Kommunikation als Aufgabe der EU und ihrer Mitgliedstaaten, wobei sie einen Zusammenhang herstellt zwischen der öffentlichen Akzeptanz und dem Prinzip der Konditionalität. Die Unterstützung der Erweiterung durch die Öffentlichkeit hänge wesentlich mit der Strenge des Prozesses und der uneingeschränkten Konditionalität zusammen. Gleiches gelte für das „Vertrauen in die Integrationsfähigkeit der EU“.178 Die Kommission scheint also die von der Literatur betonte Notwendigkeit zu erkennen, einen überzeugenden Nachweis dafür zu erbringen, dass die Türkei ein „normales“ europäisches Land wird und dass die EU an weiteren Beitrittsrunden nicht zerbrechen wird. Dies erfordert u. a. ein intensives Monitoring und einen weit reichenden politischen Dialog der Gesellschaften.179 Klarer als die Kommission betonte das EP am 13. Dezember 2006 in einer Entschließung zur Erweiterungsstrategie, dass es sich beim vierten Kopenhagener Kriterium nur um eine Aufgabe der Union und nicht um eine Anforderung an die Beitrittskandidaten handele. Die EU-Organe müssten entsprechende institutionelle, finanzielle und politische Faktoren mutig angehen.180 Das EP ist auch der Meinung, dass es sich bei der Integrationsfähigkeit um einen objektiven Begriff handelt, der konkrete Probleme betrifft und nicht mit der öffentlichen Wahrnehmung verwechselt werden dürfe.181 Insgesamt kritisierte das Parlament die oberflächliche Konkretisierung der Integrationsfähigkeit, weil die Kommission „keine ausreichend tief greifende Analyse der Fragen vorlegt, die geklärt werden müssen, bevor die Union mit künftigen Erweiterungen fortfahren kann“. Vor allem institutionelle Aspekte müssten konkretisiert werden.182 Für das EP selbst baut die Integrationsfähigkeit der EU auf drei Säulen auf: Erstens auf den Organen der EU und deren „Legitimität und Fähigkeit, unter neuen Gegebenheiten zu handeln und demokratisch und effizient Beschlüsse zu fassen“, zweitens auf „ihren finanziellen Mitteln und deren Gesamtbeitrag zum wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt“ und drittens auf der „Fähigkeit einer erweiterten Union, ihre politischen Ziele zu verfolgen“.183 In einer gesonderten Entschließung zu den institutionellen Aspekten der Aufnahmefähigkeit der EU listet das EP verschiedene Einzelforde177 178 179 180
Schmitz, 2001, S. 344. KOM(2006) 649 endg., S. 3 f., 15 f.; ähnlich KOM(2005) 561 endg., S. 4. Kramer, Mai 2005, S. 5, 14 ff. Entschließung des EP P6_TA-PROV(2006)0568, 13. Dezember 2006, Erwägungen J.,
O.5. 181
Entschließung des EP P6_TA-PROV(2006)0568, 13. Dezember 2006, Erwägungen L.,
M. 182 Entschließung des EP P6_TA-PROV(2006)0568, 13. Dezember 2006, Erwägungen O.5, O.6, O.7 und O.13. 183 Entschließung des EP P6_TA-PROV(2006)0568, 13. Dezember 2006, Erwägung O.8; ausführlich dazu die Entschließung des EP zu den institutionellen Aspekten der Fähigkeit der EU zur Aufnahme neuer Mitgliedstaaten, P6_TA-PROV(2006)0569, 13. Dezember 2006, Erwägungen L.; O.6 ff.
A. Auslegung der materiellen Voraussetzungen von Art. 49 EU
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rungen auf, die es im Hinblick auf die Institutionen der EU und weitere wichtige Aspekte der Struktur der EU „vor jeder künftigen Erweiterung“ für „notwendig“ hält. Dazu zählen u. a. die Ausweitung von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen, die Schaffung eines Außenministerpostens, die Verankerung eines Rechts der Mitgliedstaaten auf Austritt aus der EU und die Stärkung der europäischen Nachbarschaftspolitik.184 Der VVE enthalte die notwendigen Reformen und sei ein „konkreter Ausdruck der Wechselbeziehung zwischen der Vertiefung und der Erweiterung“. Noch ungelöst sei aber das Finanzproblem.185 Etwas gegensätzlich zu dieser konkreten „Checkliste“ wirkt die Aussage des EP, die Integrationsfähigkeit sei „ein sich entwickelnder Begriff [ . . . ], der regelmäßig im Lichte neuer Umstände bewertet werden muss“.186 Angesichts des Scheitern des VVE vertritt das EP zudem die Ansicht, man müsse gegenwärtig die Funktionsfähigkeit der EU ganz unabhängig von künftigen Erweiterungen verbessern, um die im Primärrecht angelegten Ziele der materiellen Vertiefung verwirklichen zu können.187 Die Kommission macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass sich Wirtschaftswachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplatzschaffung und Wohlstandsmehrung nicht allein dadurch erreichen lassen, dass keine Erweiterungen mehr stattfinden.188
3. Entscheidungsspielraum bei der Anwendung der Kopenhagener Kriterien Wie bereits an mehreren Stellen deutlich wurde, wird den Unionsorganen und Mitgliedstaaten aufgrund der Unbestimmtheit der Kopenhagener Kriterien ein Beurteilungsspielraum zugestanden bezüglich der genauen Anforderungen an die Beitrittskandidaten und des Grades der erforderlichen Integrationsfähigkeit der Union. Dies gilt jedenfalls jenseits des eindeutig zu bestimmenden Kernbereichs der jeweiligen Kriterien. Dieser Beurteilungsspielraum sei aber nicht mit politischer Willkür gleichzusetzen. Als Rechtsgemeinschaft könne die EU nämlich nur glaubwürdig sein, wenn sie objektive Kriterien anlegt und alle Beitrittskandidaten gleich behandelt.189 Grenzen des Beurteilungsspielraums ergeben sich aus dem 184 Entschließung des EP P6_TA-PROV(2006)0569, 13. Dezember 2006, Erwägungen O.9 und O.10. 185 Entschließung des EP P6_TA-PROV(2006)0568, 13. Dezember 2006, Erwägung O.18. 186 EP, P6_TA-PROV(2006)0568, 13. Dezember 2006, Erwägung L.; so auch schon im Bericht vom 29. November 2006, A6 – 0436 / 2006, Erwägung K. 187 Entschließung des EP P6_TA-PROV(2006)0568, 13. Dezember 2006, Erwägung O.17; vgl. auch Rehn, 2006, v. a. S. 20. 188 Kommission, Mythen und Fakten über die Erweiterung, 2006, Nr. 6, 7, http: //ec. europa.eu/enlargement/questions_and_answers/myths_de.htm. 189 Nettesheim, S. 36 (36, 44 ff.); Streinz, Europarecht, 2003, Rn. 78; wohl a. A. Isensee, S. 103 (123): „Akt existentieller politischer Entscheidung“.
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
Rechtsstaatsprinzip, das auch für die EU gilt. Teilweise wird auf die „Verfassungskonzeptionen der EU und ihrer Mitgliedstaaten“ abgestellt.190 Es bestünden also rechtliche Bindungen „zugunsten eines sachlich orientierten, rechtlich gesteuerten Willensbildungsprozesses“. Die Auslegung müsse zudem rechtlich kontrollierbar sein.191 Von der Auslegung der Beitrittsvoraussetzungen zu unterscheiden ist die Feststellung, wann die Kriterien im Einzelfall erfüllt sind.192 Auch dies bereitet Schwierigkeiten.193 Bei den Kopenhagener Kriterien handelt es sich nämlich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die sich auf komplexe Sachverhalte beziehen. Das rechtliche, politische und wirtschaftliche System der Kandidatenstaaten muss beurteilt und die Handlungsfähigkeit der EU prognostiziert werden. In vergleichbaren Fällen gewährt der EuGH den Unionsorganen ein weites Ermessen.194 Einige erachten jedoch das umständliche Aufstellen von Beitrittsvoraussetzungen nur als sinnvoll, wenn auch die Entscheidung über ihre Erfüllung im Einzelfall gebunden ist.195 Entsprechende Grenzen der Beurteilung werden aus dem allgemeinen Rechtsmissbrauchs- und Willkürverbot hergeleitet, das im Völkerrecht, im Gemeinschaftsrecht und im Recht der Mitgliedstaaten gilt. Die Rechtsmissbrauchsgrenze sei überschritten bei Unsachlichkeit und Außerachtlassung oder Verkennung wesentlicher Umstände. Die EU müsse insb. Verbesserungen in den Kandidatenländern zur Kenntnis nehmen und sie bei ihrer Entscheidung berücksichtigen, soweit diese die Kopenhagener Kriterien betreffen. Überschreitet eine Beitrittsentscheidung diese Grenze, so sei sie gemeinschaftsrechtswidrig.196 4. Aussagen der Prinzipienlehre Bei der Auswertung der Literatur zu den Kopenhagener Kriterien und insb. zu Art. 6 Abs. 1 EU fällt die häufige Anlehnung an Aussagen der Prinzipienlehre auf, teilweise werden gar entsprechende Begrifflichkeiten verwendet. Den in Art. 6 Abs. 1 EU verankerten Grundsätzen wird ein hoher Stellenwert im Rahmen der 190 Nettesheim, S. 36; Zeh, 2002, S. 41 f.; ohne Bezugnahme auf Verfassungskonzeptionen Bleckmann, 1997, S. 247 (auch die Interessenabwägung müsse sich auf sachliche Motive stützen). 191 Sˇarcˇevic´, S. 461 (472 ff.) mit Verweis auf Art. 230 Abs. 2 EG; a. A. Richter, S. 59 m. w. N. 192 Allgemein zur unterschiedlichen rechtlichen Beurteilung der Auslegung der Beitrittsbedingungen und der Beurteilung der konkreten Sachverhaltsvoraussetzungen im Einzelfall bei Erweiterungen Internationaler Organisationen Mosler, S. 275 (282); anders zur EU Zeh, 2002, S. 45 f., 75. 193 Cremona, 2001, S. 193 (204 ff.); Lippert, 2005, S. 119 (123); Richter, S. 59 m. w. N. 194 Vgl. z. B. EuGH, Rs. C-150 / 94, Vereinigtes Königreich / Rat, Slg. 1998, I-7235, Rn. 49; Rs. C-91 / 01, Italien / Kommission, Entscheidung vom 29. April 2004, Rn. 40. 195 Sˇarcˇevic´, S. 461 (472 ff.); Zeh, 2002, S. 42 m. w. N. 196 Bleckmann, 1997, S. 247; Zeh, 2002, S. 45 f.
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EU-Rechtsordnung beigemessen. Im Folgenden wird allerdings gezeigt, dass es sich bei den Grundsätzen nicht um Prinzipien handelt, die um ihrer selbst willen zu optimieren sind, soweit sie wie die anderen Kopenhagener Kriterien als Beitritts- und Homogenitätsvoraussetzungen anwendbar sind. Die Kopenhagener Kriterien dienen dem Ausgleich zwischen dem Erweiterungsprinzip und Vertiefungsprinzip; dies wirkt sich auf ihre Rechtsnatur und auf ihren Inhalt aus.
a) Aussagen zur Rechtsnatur der Kopenhagener Kriterien Bezüglich der Rechtsnatur der Kopenhagener Kriterien ähneln die Aussagen der Prinzipienlehre sehr der Ansicht, die von einem rechtlich zwingenden Charakter ausgeht, der unabhängig von der ausdrücklichen Verankerung in Art. 49 EU zu bejahen ist. Die Unbestimmtheit allein kann dem Rechtscharakter nicht im Wege stehen. Im Gegenteil bietet die Prinzipienlehre gerade Vorgaben für den Umgang mit unbestimmten Normen, die den Beurteilungsspielraum begrenzen und die jedenfalls im Rahmen einer Evidenzprüfung gerichtlich überprüfbar sind. In der Terminologie der Prinzipienlehre sind die Kopenhagener Kriterien selbst das Ergebnis eines Abwägungsprozesses zwischen dem europäischen Erweiterungs- und Vertiefungsprinzip. Sie stellen daher zwingende Tatbestandsmerkmale einer Kollisionsregel dar, die besagt, dass die EU sich nicht erweitern darf, wenn die Kriterien zu einem derart hohen Grade nicht erfüllt sind, dass das Vertiefungsziel nachhaltig gefährdet wäre.197 Um dies beantworten zu können, bedarf es einer Prognoseentscheidung in jedem Einzelfall. Dem zwingenden Charakter steht auch nicht die mit dem Reformvertrag geplante Ergänzung des Art. 49 Abs. 1 EU durch den Satz entgegen, die vom Europäischen Rat aufgestellten Kriterien seien zu berücksichtigen. Aus Sicht der Prinzipienlehre besagt dieser Satz nur, dass die im Europäischen Rat aufgestellten Kriterien das Ergebnis einer Abwägung zwischen Erweiterung und Vertiefung und als solche von den anderen Organen zu beachten sind, wobei Ihnen ein Entscheidungsspielraum in Bezug auf den jeweiligen Einzelfall verbleibt, der sich aber im Rahmen dieser Kriterien halten muss. Weder wird durch die Einfügung des Satzes der Europäische Rat als höchstes politisches Gremium von der Beachtung des Erweiterungs- und des Vertiefungsziels entbunden, noch können sich die anderen Organe beliebig über die Kriterien hinwegsetzen. Eine solche Interpretation ist auch mit dem Wortlaut, der Systematik und der historischen Entwicklung vereinbar. Erfüllt sein müssen die Kopenhagener Kriterien nach der Prinzipienlehre erst im Zeitpunkt des Beitritts, da zuvor eine Gefährdung des Vertiefungsziels ausgeschlossen ist. Sie sind also materielle Beitrittsvoraussetzungen. Die Praxis, wonach ein bestimmter Grad an politischer und wirtschaftlicher Festigung und der 197 In diese Richtung v. a. U. Becker, 1999, S. 83; Bruha / Alsen, S. 161 (174); Dorau, S. 736 (749 f.); Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 3 f.; Zeh, 2004, S. 82 (83); dies., 2002, S. 19 f., 47.
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
Wille zur Erfüllung der Kopenhagener Kriterien für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen und anderen Zwischenschritten vorausgesetzt werden, ist also nicht rechtlich zwingend. Unzulässig ist diese Praxis aber auch nicht, denn soweit die Anforderungen derart grundlegend sind, wäre ohne ihre Erfüllung ein Beitritt in absehbarer Zukunft ohnehin ausgeschlossen. Allerdings darf die Nichterfüllung der Kopenhagener Kriterien nicht als prinzipieller Einwand gegen eine abstrakte Beitrittsperspektive eingewandt werden.198 Als Abwägungskriterien betreffen die Kriterien nämlich nur das relative Verhältnis zwischen Erweiterung und Vertiefung und damit den Zeitpunkt des Beitritts. b) Aussagen zum Inhalt der Kopenhagener Kriterien Bezüglich des Inhalts der Kopenhagener Kriterien muss zum einen geprüft werden, ob sich die Ausformulierung durch den Europäischen Rat von Kopenhagen im Rahmen des primärrechtlich Zulässigen und Gebotenen bewegt. Zum anderen ist zu untersuchen, ob sich die Konkretisierung dieser Kopenhagener Kriterien in der bisherigen Beitrittspraxis mit der Prinzipienlehre und dem von ihr geforderten Ausgleich zwischen dem Erweiterungs- und dem Vertiefungsziel der EU vereinbaren lässt. Dem sollen einige grundsätzliche Überlegungen vorausgeschickt werden. aa) Grundsätzliche Überlegungen Auch bei der Inhaltsbestimmung der Beitrittsvoraussetzungen geht es um ein Zusammenspiel zwischen den herkömmlichen Auslegungsmethoden und der Prinzipienlehre. Wo das Primärrecht wie in Art. 6 Abs. 1 EU Vorgaben macht, sind diese zwingend zu berücksichtigen. Auch bei der Konkretisierung der Beitrittsvoraussetzungen sind entsprechend der systematischen Auslegung andere Rechtsnormen des Primärrechts zu beachten. Im Rahmen der historischen Auslegung erlangen Dokumente der EU-Organe Bedeutung. Die Prinzipienlehre dient vor allem dazu, auf die Funktion der Beitrittsvoraussetzungen beim Ausgleich zwischen Erweiterung und Vertiefung der EU aufmerksam zu machen. Die Beitrittsvoraussetzungen sollen das Maß an Homogenität zwischen der EU und den alten Mitgliedstaaten einerseits und den neuen Mitgliedstaaten andererseits gewährleisten, das notwendig ist, um die Vertiefung auch künftig voranzutreiben, und zwar in institutioneller und in materieller Hinsicht. Als Homogenitätsvoraussetzungen haben sie also keinen zu optimierenden Selbstzweck, sondern eine dienende Funktion. Aufgrund dieser Funktion im Rahmen der Abwägung zwischen Erweiterung und Vertiefung bedarf es auch eines gewissen Bedrohungspotentials für das Vertie198
Dazu nachfolgend im 4. Kapitel unter B.I.
A. Auslegung der materiellen Voraussetzungen von Art. 49 EU
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fungsziel, damit die Nichterfüllung einer Beitrittsvoraussetzung auch tatsächlich einer Erweiterung im Wege steht. Inwieweit die Vertiefung durch eine Erweiterung bedroht wird, bedarf einer Prognose. Da dieser Prognose ein komplexer Sachverhalt zugrunde liegt, ist es auch bei Zugrundelegung der Prinzipienlehre schwierig, in jedem Fall zu eindeutigen Ergebnissen zu kommen. Nicht möglich ist insb. eine „Checkliste“, die alle zu prüfenden Kriterien und das jeweils zu fordernde qualitative Niveau an deren Erfüllung festlegt. Denn der Maßstab des europäischen Integrationsauftrags – die Optimierung des Vertiefungsziels bei gleichzeitiger Optimierung der Erweiterung der EU – verändert sich mit der fortschreitenden Integration über die Zeit. Zudem weist jeder Beitrittsinteressent Besonderheiten auf. Daher muss es sich bei den Beitrittsbedingungen um Relationsbedingungen handeln, die im Rahmen der Abwägung an das jeweilige Integrationsniveau anzupassen sind. Ein Kernbereich kann freilich formuliert werden. Auch können empirisch einleuchtende Gesetzmäßigkeiten beschrieben und dem Beitrittsprozess zugrunde gelegt werden, etwa, dass Fortschritte in der Entwicklung wirtschaftlicher Systeme schneller erreicht werden als Anpassungen des politischen Systems. Der bislang diffuse Randbereich kann aber auch mithilfe der Prinzipienlehre nicht ein für allemal vollständig geklärt, durch die entsprechende Abwägung aber immerhin transparenter umrissen werden. Die Funktion aller Beitrittsvoraussetzungen als Kriterien der Abwägung zwischen Erweiterung und Vertiefung verdeutlicht auch die möglichen Wechselbeziehungen untereinander. Maßgeblich ist, dass die Erfüllung der Beitrittsbedingungen in ihrer Gesamtheit praktische Konkordanz zwischen den beiden Integrationszielen Erweiterung und Vertiefung herstellt. Es ist also denkbar und im gegebenen Fall auch erforderlich, dass ein Weniger an Verwirklichung eines Kriteriums durch ein Mehr an Verwirklichung eines anderen Kriteriums ausgeglichen werden kann. Werden seitens der EU etwa aus politischen Gründen Zugeständnisse an Beitrittskandidaten gemacht, so können und müssen diese durch Anpassungen im Innern der EU, also im Rahmen des vierten Kopenhagener Kriteriums kompensiert werden. Dies erklärt auch, weshalb das Kriterium der Aufnahmefähigkeit seit der Osterweiterung im Zentrum der Erweiterungsstrategie der EU steht. Wie bereits angedeutet, spielt die Gestalt der EU eine erhebliche Rolle bei der Formulierung der Beitrittskriterien. Insbesondere bei der Auslegung des Art. 6 Abs. 1 EU ist mit der Mehrheit in der Literatur der Verbunds- und Mehrebenencharakter der EU zu berücksichtigen. Zusammenschlüsse von Staaten bedürfen stets eines gewissen Maßes an Homogenität, um zu funktionieren und ihre Ziele zu erreichen. Bei der EU ist das erforderliche Homogenitätsniveau derzeit geringer als bei einem Bundesstaat, aber höher als bei herkömmlichen Internationalen Organisationen. Da die nationale Identität alter und neuer Mitgliedstaaten zudem ausdrücklich gemäß Art. 6 Abs. 3 EU geschützt ist, kann schon nach den Auslegungsmethoden mit Homogenität nicht vollständige, sondern nur strukturelle Übereinstimmung gemeint sein. Zu diesem Ergebnis kommt man auch dann, wenn man die in Art. 6 Abs. 1 EU formulierten Grundsätze nicht in ihrer Eigenschaft als
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
Homogenitäts- und Beitrittsvoraussetzungen begreift, die von den Mitgliedstaaten zu erfüllen sind, sondern zugleich als Grundsätze, an die die EU selbst gebunden ist. Werden diese Grundsätze als Verfassungsprinzipien der EU o. ä. bezeichnet, geht es dabei um die Ausformulierung eines Ausschnitts des Vertiefungsziels. Bei der Optimierung des Vertiefungsziels darf man aber nicht den Bundesstaat und das entsprechende Niveau an Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechtsschutz usw. als Maßstab anlegen. Die EU ist kein Bundesstaat; in den Verträgen wird ihre Finalität ganz bewusst offen gelassen. Bei der Vertiefung und damit auch bei der erforderlichen Homogenität geht es folglich nicht um die staatliche Einheitsbildung, sondern um die Einigung von Staaten und Völkern.199 Dies muss bei der Ausformulierung und Konkretisierung der Beitrittsbedingungen neben deren notwendigen Entwicklungsoffenheit beachtet werden.
bb) Bewertung der Kopenhagener Kriterien und ihrer Konkretisierung Anstatt auf der Grundlage dieser allgemeinen Überlegungen eigene Beitrittsvoraussetzungen zu formulieren, wird im Folgenden untersucht, ob die Ausformulierung durch den Europäischen Rat von Kopenhagen, deren teilweise Verankerung in Art. 49 Abs. 1 S. 1 EU i. V. m. Art. 6 Abs. 1 EU und deren Konkretisierung durch die EU-Organe und die Literatur diesen Anforderungen genügt. Bei der Ausformulierung der Kopenhagener Kriterien hatte der Europäische Rat einen Spielraum; denn bei der Abwägung zwischen zwei so weitreichenden und komplexen Prinzipien wie dem Erweiterungs- und dem Vertiefungsprinzip, die zudem entwicklungsoffen formuliert sind und deren Verwirklichung in der Entwicklung befindlich ist, lässt sich kein eindeutiges, feststehendes Ergebnis finden. Auch andere primärrechtliche Prinzipien, die in den Kopenhagener Kriterien zum Ausdruck kommen (insb. die Demokratie, die marktwirtschaftliche Wirtschaftsverfassung und das Rechtsstaatsprinzip), sind allenfalls im Kernbereich bestimmbar.200 Die Grenzen seines Spielraums hat der Europäische Rat von Kopenhagen jedenfalls nicht offensichtlich überschritten. Die ersten drei Kopenhagener Kriterien decken alle grundlegenden Bereiche ab, in denen es einer Homogenität zwischen den Mitgliedstaaten bedarf, um die Vertiefung zu gewährleisten. Das vierte Kopenhagener Kriterium berücksichtigt die Anforderungen an die EU selbst. Die Kriterien beschränken das Erweiterungsziel nicht unverhältnismäßig. Denn ihre weiche Formulierung ist offen für ein Austarieren bei der konkreten Entscheidung, das sich wiederum am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes orientiert. Gleiches gilt für den in Art. 49 Abs. 1 S. 1 EU eingefügten Verweis auf Art. 6 Abs. 1 EU. So schon Bruha / Alsen, S. 161 (183). Vgl. dazu von Bogdandy, 2003, S. 149 (157, 189 f.); Heintzen, 1997, S. 1 (7 f.); Weatherill, S. 153 (153, 162 ff.). 199 200
A. Auslegung der materiellen Voraussetzungen von Art. 49 EU
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Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die vergangenen Entscheidungen über die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien eine rechtmäßige Konkretisierung darstellten. Insbesondere bei der Konkretisierung des ersten Kopenhagener Kriteriums, der Verfassungshomogenität, muss die Funktion der Beitrittsvoraussetzungen als Kriterien der Abwägung zwischen Erweiterung und Vertiefung beachtet werden, ebenso die besondere Gestalt der EU als Mehrebenensystem. Dies führt zu einem Ergebnis, das mit der herrschenden Ansicht zu den qualitativen Anforderungen im Rahmen von Art. 6 Abs. 1 EU und der Beitrittspraxis übereinstimmt, nämlich dazu, dass die Beitritts- und Homogenitätsvoraussetzungen der EU insb. nicht gleichgesetzt werden dürfen mit den Homogenitätsanforderungen an die deutschen Bundesländer gemäß Art. 28 GG.201 Vielmehr ist ein breiteres Spektrum verfassungsrechtlicher Vielfalt möglich und primärrechtlich erwünscht („Einheit in der Vielfalt“, vgl. Art. 6 Abs. 3 EU, 4. Erwägungsgrund der Präambel zum VVE). Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, bedarf es nicht unbedingt der Qualifizierung von Einheit, Vielfalt, Flexibilität u. ä. als eigenständige Prinzipien der EU. Vielmehr ergibt sich das erforderliche Homogenitätsniveau bereits aus einer Abwägung zwischen dem Erweiterungs- und dem Vertiefungsprinzip unter Beachtung der ausdrücklichen primärrechtlichen Vorgaben. Insbesondere wird das Vertiefungsziel nicht schon allein dadurch gefährdet, dass ein Beitrittskandidat politische Modelle aufweist, die es so bislang in der EU nicht gibt. Maßgeblich ist allein, ob diese Modelle mit der EU und den anderen Mitgliedstaaten auf eine Weise kompatibel sind, dass die Integration weiterhin vorangetrieben werden kann. Die bisherige Praxis und inzwischen weit verbreitete Meinung, dass es sich bei den politischen Anforderungen um Mindestbedingungen und nicht um eigenständige Optimierungsgebote handelt, stimmt daher mit den Aussagen der Prinzipienlehre überein. Entsprechendes gilt für das zweite Kopenhagener Kriterium. Bei diesem Kriterium ist zudem auf die Zulässigkeit der im Verhältnis zu den anderen Kriterien verhältnismäßig großzügigen Handhabung einzugehen. Da es bei der Aufnahme neuer Staaten letztlich um die Prognose geht, ob diese sich derart in die EU einfügen, dass die Stoßkraft der Integration erhalten bleibt, und wirtschaftliche Fortschritte erfahrungsgemäß unproblematischer und zügiger vorangehen als politische Umwälzungen, sind aus der Sicht eines Prinzipienausgleichs zwischen Erweiterung und Vertiefung Zugeständnisse selbst im Zeitpunkt des Beitritts zulässig und u. U. gar geboten. Es muss jedoch mit einiger Sicherheit festgestellt und gewährleistet werden können, dass die neuen Mitgliedstaaten diese Anpassungsleistungen in absehbarer Zeit erbringen werden. Denn ist der Beitritt erst einmal vollzogen, gibt es allein aufgrund wirtschaftlicher Defizite keine Ausschlussmöglichkeit.202 Umgekehrt ist angesichts des hohen Stellenwerts der Grundfreiheiten 201 Siehe dazu den Überblick über den aktuellen Stand der Diskussion im 4. Kapitel unter A.II.2.a)bb). 202 Vgl. die strengeren Voraussetzungen des Art. 7 EU.
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
im Rahmen des Vertiefungsziels zu betonen, dass es denkbar ist, einem Beitrittskandidaten allein aufgrund seiner fehlenden Binnenmarktreife den Beitritt zu versagen. Dass das dritte Kopenhagener Kriterium, also die Fähigkeit der Kandidatenländer, sich die aus einer EU-Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen und Ziele zu Eigen zu machen, praktisch mit der Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes gleichgesetzt wird, ruft aus Sicht der Prinzipienlehre berechtigte Zweifel hervor. Die klassischen Auslegungsmethoden ergeben sicher nur den Kernbereich der geschützten Vertiefung, der enger ist als der gesamte Acquis.203 Im Übrigen geht es um die Herstellung praktischer Konkordanz zwischen dem Erweiterungsund dem Vertiefungsziel, die von den komplexen Umständen im Einzelfall abhängt. Grundsätzlich mit dem Primärrecht vereinbar wäre die Nichtteilnahme neuer Mitgliedstaaten an der verstärkten Zusammenarbeit. Die übrigen Ausnahmeregelungen, etwa in Art. 63 EG, gelten nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut aber nur für ganz konkrete Mitgliedstaaten. Als Regeln können sie mit Hilfe des Erweiterungsprinzips nicht über diesen bewusst eng gefassten Wortlaut ausgedehnt werden. Ob und inwieweit primärrechtliche Änderungen durch den Beitrittsvertrag selbst möglich sind, wird später untersucht.204 Das vierte Kopenhagener Kriterium dient der Herstellung der Integrationsfähigkeit im Innern und muss daher nicht nur die Handlungsfähigkeit der EU sichern, sondern auch eine fortschreitende Dynamik des Vertiefungsprozesses trotz der Erweiterung gewährleisten. Nur dies entspricht dem Optimierungscharakter des Vertiefungsprinzips. Aussagen macht die Prinzipienlehre zunächst zum Verhältnis zwischen der Aufnahmefähigkeit der EU einerseits und der Beitrittsfähigkeit der Kandidatenländer andererseits. Unsachlich oder unangemessen gekoppelt werden diese beiden Aspekte nur, wenn die Vermischung unter der Überschrift „Integrationsfähigkeit der EU“ dazu genutzt wird, über die ersten drei Kopenhagener Kriterien hinausgehende, neue Anforderungen an die Beitrittskandidaten zu stellen, die sich nicht aus dem Primärrecht ergeben. Hingegen muss bei der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den Prinzipien Erweiterung und Vertiefung beachtet werden, dass die Beitrittsvoraussetzungen in einer gegenseitigen Abhängigkeit voneinander stehen. Dies wurde bereits erläutert, wird aber insb. im Rahmen des vierten Kopenhagener Kriteriums offenkundig: Die EU muss umso größere Anstrengungen bei der Herstellung ihrer Aufnahmefähigkeit unternehmen, je geringer der Erfüllungsgrad der ersten drei Kopenhagener Kriterien ist und je heterogener daher Beitrittsland und EU sind. Der Integrationsauftrag der EU – verstanden als die Pflicht der EU zur Vermittlung zwischen den beiden Integrationszielen Erweiterung und Vertiefung – wird sich also in der Vielzahl der künftigen Beitrittsfälle v. a. zu einer Pflicht zur Herstellung ihrer Integrations- bzw. Aufnahmefähigkeit verdichten. 203 204
Vgl. dazu im 3. Kapitel unter D.I.2. Vgl. dazu die Ausführungen im 4. Kapitel unter E.
A. Auslegung der materiellen Voraussetzungen von Art. 49 EU
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Die folgende Darstellung konzentriert sich auf den Aspekt der Aufnahmefähigkeit der EU. Dabei geht es – wie von den EU-Organen und der Literatur richtig erkannt – um die Anpassung der Institutionen und des Haushalts an eine größere Mitgliederzahl und um die Erhaltung der Fähigkeit, die primärrechtlich verankerten materiellen Ziele auch in Zukunft zu verfolgen. Dies bedeutet nicht zwingend, dass bereits im Vorfeld der Erweiterung alle notwendigen Reformen vereinbart sein müssen. Es muss lediglich die Prognose möglich sein, dass auch nach dem Beitritt ein effizientes Arbeiten auf Dauer möglich wird. Grundlegende Reformen können also durchaus an den Beitritt gekoppelt werden, insb. im Beitrittsvertrag selbst verankert werden. Nun zu den einzelnen Pfeilern der Aufnahmefähigkeit der EU: Institutionelle Probleme stellen sich v. a. bei der Aufnahme besonders bevölkerungsreicher Länder (z. B. Türkei), aber auch beim Beitritt besonders kleiner Staaten (z. B. Malta, Liechtenstein). 205 Sitz und Stimme solcher Länder in den EU-Organen bedürfen stets einer Vertragsänderung. Im Hinblick auf die Türkei und ihre „Sonderinteressen“ werden aber ganz grundsätzliche Einwände erhoben; ein Stimmrecht an sich könne die Existenz der EU gefährden. Die Prinzipienlehre fordert in derartigen Konstellationen, dass zunächst aufgrund empirischer Fakten geklärt wird, welches Risiko für die künftige Vertiefung tatsächlich entsteht. Die EU muss dann zunächst versuchen, dieses Risiko durch Anpassungen im Innern abzuschwächen. Etwaige Sonderinteressen einzelner Länder kann die EU freilich nur schwer manipulieren. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass auch alte Mitgliedstaaten Sonderinteressen haben, die mit den Zielen der EU und anderer Mitgliedstaaten nicht übereinstimmen, und dass diese Sonderinteressen dem Mehrebenensystem EU geradezu immanent sind und insb. durch Art. 6 Abs. 3 EU geschützt werden. Existenzgefährdende Sonderinteressen sind bei der Erfüllung des ersten Kopenhagener Kriteriums ohnehin kaum zu erwarten. Ihnen könnte nach dem Beitritt im Rahmen von Art. 7 EU206 begegnet werden. Auch die Haushaltspolitik muss bei jeder Erweiterung geändert werden. Eine wirtschaftliche Überforderung ist aber dann nicht zu erwarten, wenn der Beitrittskandidat das zweite Kopenhagener Kriterium erfüllt. Bei der Herstellung eines schonenden Ausgleichs zwischen Erweiterung und Vertiefung kann und darf es nicht allein darum gehen, durch Aufnahme finanzkräftiger Staaten den Nutzen der EU zu steigern. Nicht mit der Prinzipienlehre vereinbar wäre zudem, die Erweiterung um bestimmte Staaten aufs Spiel zu setzen, weil einzelne materielle Vertiefungsziele vorübergehend nicht vorangetrieben werden könnten. Bei Kosten-Nutzen-Analysen muss bedacht werden, dass das Erweiterungsziel für sich genommen ein Optimierungsgebot der EU ist, dem sie sich verpflichtet hat, und das folglich unabhängig von der damit verbundenen zusätzlichen Erreichung bestimmter Fernziele als Nutzen verbucht werden muss. 205 Zu den Problemen bei der Aufnahme von Klein- und Kleinststaaten z. B. Bruha / Alsen, S. 161 ff. 206 Siehe zu Art. 7 EU Kassner, 2003.
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
Das von der Kommission neuerdings herausgestellte Prinzip der Kommunikation der Erweiterung ist aus Sicht der Prinzipienlehre zu begrüßen, sofern damit gemeint ist, dass die EU-Organe und die Mitgliedstaaten die Erweiterung als Optimierungsgebot vermitteln und auf rationaler Basis den Nutzen einzelner Erweiterungen herausstellen müssen. Letztlich muss es darum gehen, die Abwägung zwischen den Integrationszielen transparent zu gestalten, also insb. die Abwägungskriterien streng und vorhersehbar zu handhaben. Die Prinzipienlehre fordert in ihrem Kern gerade diese Transparenz und Rationalität. Sie trägt daher dazu bei, die Bürger an den Politiken und Entscheidungen der EU teilhaben zu lassen und auf diesem Wege die Akzeptanz zu erhöhen. Nicht mit der Prinzipienlehre vereinbar wäre es hingegen, die Erweiterung zwingend von der Zustimmung der Unionsbürger abhängig zu machen. Mit der Verfassungsleseart und der Forderung von mehr Transparenz und Kohärenz unvereinbar wäre überdies eine Ausfüllung des Kriteriums der Integrationsfähigkeit mit einem theoretisch und empirisch so unfundierten Konzept wie der Identität.207 Auch muss bei der Annahme einer europäischen Identität Art. 6 Abs. 3 EU berücksichtigt werden, der die Identität der einzelnen Mitgliedstaaten schützt. Das vierte Kopenhagener Kriterium muss nach dem rationalen Verständnis der Prinzipienlehre wie die anderen Abwägungskriterien einer objektiven Definition zugänglich sein und darf gerade nicht als Auffangtatbestand für rechtsfremde Erwägungen benutzt werden. Folglich ist einzig maßgeblich, inwieweit die Identität der EU im Primärrecht verankert ist. Dabei ist zu beachten, dass die EU keine religiösen Bezüge aufweist, sondern sich als Wertegemeinschaft versteht. Die maßgeblichen Werte aber werden bereits im Rahmen von Art. 6 Abs. 1 EU berücksichtigt. Auch darf man insb. im Rahmen des vierten Kopenhagener Kriteriums nicht verkennen, dass das Primärrecht im Hinblick auf das Vertiefungsziel bewusst entwicklungsoffen formuliert ist. Vertiefung muss also als Entwicklung verstanden werden, es verbietet sich hingegen, einen beliebigen Endzustand der Vertiefung als Maßstab anzusehen. Anstatt die primärrechtlich und politisch nicht bezweckte staatliche Einheitsbildung als Vertiefungsideal anzustreben, muss man sich stets der aktuellen und rechtlich verankerten Janusköpfigkeit des Integrationsziels, mit dem eben auch eine gesamteuropäische EU angestrebt ist, bewusst sein. Folglich dürfte man beispielsweise die Vertiefung nicht allein deshalb als gefährdet erachten, weil eine mit dem Bundesstaat vergleichbare Demokratie auf EU-Ebene wegen der Aufnahme neuer Mitglieder nicht in absehbarer Zeit erreicht werden kann. Die Vertiefungsaspekte – Institutionen, Haushalt und materielle Ziele – müssen sich vielmehr an dem orientieren, was in der geltenden Schwebelage zwischen Erweiterung und Vertiefung supranational möglich ist; und das sind eben nicht bundesstaatliche Standards. 207 Auch die Kommission gesteht die fehlende Schärfe des Identitätsbegriffs ein: „Die gemeinsame Erfahrung von Ideen, Werten und historischen Wechselwirkungen lässt sich nicht zu einer einfachen, zeitlosen Formel verdichten, sondern unterliegt der Neuauslegung durch jede nachfolgende Generation.“, vgl. KOM(2006) 649 endg., S. 19.
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Mit der primärrechtlichen und im Übrigen auch politischen Offenheit der Finalität der EU einher geht auch die kritische Bewertung von „Checklisten“, wie sie insb. das EP zur Konkretisierung des Begriffs der Integrationsfähigkeit der EU aufgestellt hat.208 Nicht nur inhaltlich sind derartige Auflistungen zweifelhaft. So ist z. B. fraglich, weshalb es zum Ausgleich zwischen Erweiterung und Vertiefung der Einführung eines Austrittsrechts aus der EU bedarf. Insbesondere aber können solche Aufzählungen schon angesichts der Komplexität der Abwägung zwischen Erweiterung und Vertiefung kaum abschließend gemeint sein. Sie können jedenfalls keinen lang anhaltenden Wert haben. Denn da die Beitrittsvoraussetzungen dem Ausgleich zwischen zwei entwicklungsoffenen Prinzipien dienen, müssen sie selbst anpassungsfähig sein. Insbesondere das vierte Kopenhagener Kriterium ist als Relationsbegriff zu verstehen. Treffender ist also die auch vom EP angebotene Beschreibung der Integrationsfähigkeit als „ein sich entwickelnder Begriff [ . . . ], der regelmäßig im Lichte neuer Umstände bewertet werden muss“.209 Konkretisierungen können und dürfen sich allenfalls auf integrationspolitische Grundanliegen beschränken. Alles in allem hilft die Prinzipienlehre nicht nur bei der Bestimmung der Rechtsnatur der Kopenhagener Kriterien. Sie bietet auch zahlreiche Anhaltspunkte für den Umgang mit derart unbestimmten Abwägungskriterien, indem sie deren Konkretisierung einfordert, maßgebliche Elemente und Standards aufzeigt, aber auch die Grenzen der Konkretisierung offenbart.
B. Die Rechtsfolgen des Art. 49 EU In der Vergangenheit gab es wenig Anlass, über die Frage zu diskutieren, ob es einen politischen Spielraum bei der Beitrittsentscheidung gibt, wenn ein europäischer Staat die Kopenhagener Kriterien erfüllt und auch die EU ihre Integrationsfähigkeit nach dem Beitritt nicht einbüßen muss. Gemeinschaft und Union haben bei Erweiterungen stets „im Geiste der Präambeln des EU- und EGV gehandelt“, indem sie für neue Mitglieder offen waren, wenn diese das Ziel der Integration bejahen und fähig sind, die sich hieraus ergebenden Pflichten zu übernehmen.210 Im Zuge der Osterweiterung wurde aber nicht nur die Frage über die endgültigen Grenzen der EU diskutiert. Es wurden auch in Form neuer Beitrittsvoraussetzungen Kriterien vorgeschlagen, nach denen eine solche Grenzziehung zu erfolgen habe. Für die Aufnahme der MOEL waren beispielsweise wirtschaftliche Interessen nur nachrangig. Begründet wurde die Beitrittsentscheidung der EU in erster EP, P6_TA-PROV(2006)0569, 13. Dezember 2006, Nr. 9 und 10. EP, P6_TA-PROV(2006)0568, 13. Dezember 2006, Erwägung L.; so auch schon im Bericht vom 29. November 2006, A6 – 0436 / 2006, Erwägung K.; vgl. auch K.-O. Lang / Schwarzer, S. 117 (125). 210 Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 21. 208 209
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
Linie mit politisch-moralischen Argumenten, also mit Werten, Ideen und den Gründungsmotiven. Aber auch stabilitätspolitische Motive gewannen an Bedeutung.211 Während entsprechende Annahmen im Jahre 2004 zur größten Erweiterung in der Geschichte der EU führten, scheinen sie heute als Argumente gegen den Beitritt der Türkei eingesetzt zu werden. Aus der Sicht der EU bleibt es zwar bei den bekannten Beitrittsvoraussetzungen.212 Es wurde aber bereits erwähnt, dass die öffentliche Diskussion um den Türkeibeitritt von Fragen der Religion u. ä. dominiert wird, die sich keinem Kopenhagener Kriterium zuordnen lassen, aber mit der Identität der EU in Zusammenhang gebracht werden. Im Folgenden wird erläutert, ob über die Anwendung der bereits diskutierten Tatbestandsmerkmale hinaus ein Ermessen bei der Entscheidung über den Beitritt besteht. Die Debatte um die Rechtsfolgen bei der Erfüllung der Beitrittsvoraussetzungen wird v. a. unter dem Stichwort „Recht auf Beitritt“ geführt. Dies beinhaltet die Frage nach einem subjektiven Recht beitrittswilliger Staaten. Ein subjektives Recht setzt u. a. eine Pflicht zur Erweiterung auf Seiten der EU und ihrer Mitgliedstaaten voraus. Nicht immer werden diese beiden Aspekte klar voneinander getrennt. Es ist aber davon auszugehen, dass einerseits diejenigen, die ein Beitrittsrecht bejahen, auch eine entsprechende Pflicht voraussetzen, und dass andererseits diejenigen, die ein Beitrittsrecht ablehnen, nicht zwingend Einwände gegen eine Pflicht der EU zur Erweiterung haben.
I. Kein Recht auf Beitritt, aber eine abstrakte Beitrittsperspektive 1. Meinungsspektrum Weder in der Politik noch in der Wissenschaft wird die Herleitung eines Rechts auf Beitritt unmittelbar aus Art. 49 EU oder aus anderen Normen des Primärrechts vertreten. Recht auf Beitritt meint in diesem Zusammenhang das Recht auf Eröffnung der Beitrittsverhandlungen oder auf Erwerb der Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt. Insbesondere die Präambelerwägungen begründen trotz ihres weiten Wortlauts keinen Aufnahmeanspruch, denn sie sind im Zusammenhang mit Art. 49 EU und Art. 310 EG auszulegen,213 haben also nur ergänzenden Charakter. Zudem sind EU- und EG-Vertrag keine Verträge zugunsten Dritter. Außerdem wird einhellig bejaht, dass die Entscheidungsträger ein Ermessen bei der Beitrittsentscheidung haben.214 Dies folgt nicht nur aus dem komplexen Charakter 211 Lippert, 2004, S. 13 (21 ff.); siehe auch die Ausführungen zur Gemeinschaftstheorie im 2. Kapitel unter C. 212 So der ehemalige Ratspräsident Matti T. Vanhanen, FAZ vom 16. Dezember 2006, S. 1. 213 Nettesheim, S. 36 (59). 214 Z. B. die Task Force Erweiterung des EP, Themenpapier Nr. 23, 19. Mai 1998, S. 9, Punkt III. f.; U. Becker, 2001, S. 7 f.; Booß, in: Lenz / Borchardt, 2003, Art. 49 EU Rn. 2;
B. Rechtsfolgen des Art. 49 EU
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und der politischen Sensibilität einer solchen Entscheidung, sondern ist bereits im Vertragsabschlussverfahren angelegt, das insb. in Art. 49 Abs. 2 EU eine Ratifikation nach den verfassungsrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten vorsieht und damit auch Referenden zulässt. Als eine Art argumentum ad absurdum wird zudem eingewandt, dass der abgelehnte Beitrittskandidat dann einen „Schadensersatzanspruch“ gegen den Mitgliedstaat hätte, der durch eine Ratifikationsverweigerung den Beitrittsvertrag scheitern lässt.215 Von dem konkreten Recht auf Beitritt muss aber die abstrakte Beitrittsperspektive europäischer Staaten unterschieden werden.216 Von mehreren Autoren wird vertreten, ein endgültiges Erweiterungsstopp, also eine Grenzziehung an den Außengrenzen der EU, würde gegenwärtig gegen den aus dem Primärrecht herzuleitenden Grundsatz der Offenheit der EU verstoßen. Daraus folge ein Verbot der Versagung jeglicher Beitrittsperspektive europäischer Staaten, unzulässig wäre also ein generelles Nein auf unbestimmte Zeit.217 Alle europäischen Staaten hätten eine abstrakte Beitrittsperspektive, eine „Anwartschaft“ auf die EU-Mitgliedschaft.218 Diese Position ist zwar sehr unbestimmt, aber rechtlich gesichert. Umgekehrt dürfe die Gemeinschaft nicht im einseitigen Interesse der Erweiterung in eine bessere Freihandelszone zurück verwandelt werden.219
2. Aussagen der Prinzipienlehre Auch die Prinzipienlehre führt aufgrund der Komplexität der Auslegung und Anwendung der Beitrittsvoraussetzungen nicht zu einem definitiven Beitrittsrecht. Bruha / Vogt, S. 477 (500); Herrnfeld, in: Schwarze, 2000, Art. 49 EU Rn. 3; Nicolaysen, Europarecht I, 2002, S. 178 f.; Pechstein, in: Streinz, 2003, Art. 49 EU Rn. 2; Ruffert / Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 49 EU Rn. 4, 15; Sˇarcˇevic´, S. 461 (463); Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 8; Zeh, 2002, S. 72, 74; zum VVE Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-58 VVE Rn. 1, 5; zu Internationalen Organisationen Mosler, S. 275 (294 – 296); Zeh, 2002, S. 20, 74. 215 Hummer, S. 233 (234 f.). 216 Zur Unterscheidung zwischen abstrakter und konkreter Beitrittsperspektive Kempe / van Meurs, 2002, S. 4 f., 14 f. 217 Z. B. EP, P6_TA(2005)0009, 13. Januar 2005, Nr. 14, 16; U. Becker, 2001, S. 11 f.; Brok, 1998, S. 191 (203); Bruha / Alsen, S. 161 (174); Emerson, 2005, S. 2; ders., ENP, 2004, S. 1, 15; Fierke / Wiener, S. 99 (109 f.); Gromadzki u. a., S. 12; Kempe / van Meurs, 2003, S. 11; dies., 2002, S. 4 f., 17; Lippert, Assoziierung, 2006, S. 149 (156); Nettesheim, S. 36 (59); Nicolaysen, EuR-Beiheft 3 / 2002, S. 120 (120 f.); Piehl, in: SEF News Nr. 17, 2003, S. 7; Torreblanca, S. 58; Weidenfeld, 2001, S. 21, 58, 61; Wiener, Finality, 2003, S. 157 (174); Zeh, 2002, S. 47, 74. 218 Zu notwendigen Internationalen Organisationen allgemein z. B. Oppermann, 1975, S. 53 (71 f.); zur EU Piehl, in: SEF News Nr. 17, 2003, S. 7; den Begriff „Anwartschaft“ verwenden in diesem Zusammenhang z. B. Bruha / Vogt, S. 477 (500 f.); Forman, Diskussionsbericht von Quaderer, S. 219 und Hummer, S. 233 (234). 219 Bruha / Alsen, S. 161 (174 f.); Bruha / Vogt, S. 477 (501).
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Insbesondere macht sie keine Aussagen zu subjektiven Positionen, sondern begründet allenfalls objektive (Verfahrens-)Pflichten. Sie hält aber Argumente für das Bestehen einer abstrakten Beitrittsperspektive bereit: Das Vertiefungsprinzip selbst steht zum Erweiterungsprinzip in einem relativen Verhältnis, stellt also keinen dauerhaften und grundsätzlichen Einwand dar, sondern richtet sich nur gegen ein zu hohes Tempo der Erweiterung. Denn eine abstrakte Beitrittsperspektive allein beeinträchtigt die Erfüllung des Vertiefungsziels nicht; es besteht also schon gar keine Konfliktlage. Auch die sonstigen als neue „Beitrittsvoraussetzungen“ diskutierten Erwägungen sind nicht definitiv, sondern unterliegen dem zeitlichen Wandel und zum Großteil dem Einfluss der EU. So bieten insb. Kosten-Nutzen-Argumente keinen Einwand gegen das Ob eines Beitritts. Da sie sich im Laufe der Zeit verändern, betreffen sie wie die anderen Kopenhagener Kriterien nur den Zeitpunkt der Erweiterung.220 Auch Unzulänglichkeiten der Beitrittskandidaten wie die mangelnde kritische Selbstreflexion über einen Völkermord an den Armeniern sind durch ein Bekenntnis und entsprechende Anpassungsgesetze zu beheben, stellen also keinen grundlegenden Einwand gegen einen Beitritt dar.221 Und ohne eine primärrechtliche Entscheidung der Identitätsfrage muss auch die Grenzfrage nicht entschieden werden.222
II. Die Reichweite des Rechtsfolgenermessens Bezüglich des „konkreten Beitritts“ gehen alle Autoren von einem Ermessen der EU und ihrer Mitgliedstaaten auf Rechtsfolgenseite aus. Im Streit um die Frage, ob dieses Ermessen frei oder gebunden ist, lassen sich grob zwei Ansichten unterscheiden.
1. Freies politisches Ermessen Einer Ansicht zufolge sind die EU-Organe und Mitgliedstaaten völlig frei bei der Entscheidung über den Beginn und den Abschluss der Beitrittsverhandlungen.223 Dieses Primat der Politik wird unterschiedlich begründet. Als Argument wird die „völkerrechtliche Natur der Verhandlungen über einen völkerrechtlichen Kramer, 2003, S. 6, 22 f. Kramer, 2003, S. 15 f. 222 Kramer, 2003, S. 6, 13 f. 223 Task Force Erweiterung des EP, Themenpapier Nr. 23, 19. Mai 1998, S. 9, Punkt III. f.; Calliess, JZ 2004, S. 1033 (1036); Lippert, Erweiterung, 2006, S. 120; dies., 2005, S. 119 (120); dies., 2004, S. 13 (13, 59) m. w. N.; Lopian, S. 34; Maresceau, 2003, S. 9 (26); Meng, in: von der Groeben / Schwarze, 2003, Art. 49 EU Rn. 14; ders., in: GTE, 1997 – 1999, Art. O EUV Rn. 14; Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 6; Stratenschulte, Illusionstheater, 2004; ausdrücklich offen gelassen von Richter, S. 60. 220 221
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Vertrag im Rahmen der Regierungskonferenz“ angeführt. Diese erlaube sogar den jederzeitigen Abbruch der einmal begonnenen Beitrittsverhandlungen.224 Zudem betreffe die Erweiterung sämtliche Ebenen des EU-Systems225 und bedürfe daher der politischen Steuerung und strategischen Führung durch den Europäischen Rat als dem „konstitutionellen Architekten“.226 Die Normen des Primärrechts führten zu keiner Ermessenbeschränkung: Aussagen der Gründungsväter hätten wie die Präambelbestimmungen keine rechtliche Bedeutung. Auch Art. 49 EU enthalte nur eine politische Absichtserklärung.227 Die Norm sei nämlich im Vergleich mit den Erweiterungsvorschriften anderer Internationaler Organisationen „hypervorsichtig“ formuliert.228 Die Verfahrensregelung in Art. 49 EU messe überdies der Kommission als Vertreterin des Gemeinschaftsinteresses nur eine relativ geringe Rolle bei; die Beitrittsentscheidung wird durch politische Organe getroffen229 oder – falls nationale Referenden vorgesehen sind – gar direkt durch die Völker der Mitgliedstaaten. Zum Teil wird registriert, dass Art. I-58 VVE „proaktiver formuliert“ ist, ebenso Art. I-1 Abs. 2,230 ohne jedoch konkrete Schlüsse daraus zu ziehen. Auch die bisherige Beitrittspraxis führe nur zu einer faktischen Pfadabhängigkeit, nicht aber zu einer rechtlichen Begrenzung bestehender Spielräume und Gestaltungsmöglichkeiten.231 Die beliebige Anwendung und Ausgestaltung der Beitrittsvoraussetzungen wird auch daraus hergeleitet, dass die Mitgliedstaaten jederzeit das Primärrecht gemäß Art. 48 EU ändern könnten.232 Dementsprechend wird die bisherige Beitrittspraxis kritisiert: Die Bindung der Außenpolitik an das Erweiterungsziel sei „ein Zeichen strategischer Phantasielosigkeit“, das „als ,Teil der offenen Selbstdefinition‘ schöngeredet wird.“233 Andere sehen gerade in der bisher nur fallbezogenen Beitrittspraxis, die keine Erwei224 Lopian, S. 23, 34: nur allgemeine völkerrechtliche Schranken der Vertragsfreiheit aus dem ius cogens. 225 Zu den Folgen der Osterweiterung für verschiedene EU-Politiken, die Institutionen und die Finanzierung der EU siehe z. B. die Beiträge in Nugent; vgl. dazu auch die Ausführungen im Zusammenhang mit dem Mehrebenenansatz im 2. Kapitel unter D. 226 Lippert, 2004, S. 13 (13, 59) m. w. N.; zur Bedeutung des Europäischen Rates auch Wessels, 2003, S. 23 (37) m. w. N. 227 So ausdrücklich zu den Präambelbestimmungen und den Gründungsmotiven Lopian, S. 27 ff.; zur Beitrittsklausel Meng, in: von der Groeben / Schwarze, 2003, Art. 49 EU Rn. 14; ders., in: GTE, 1997 – 1999, Art. O EUV Rn. 14, 50. 228 Oppermann, 1975, S. 53 (70, 134) zu Art. 237 EWG-Vertrag. 229 Maresceau, 2003, S. 9 (26). 230 Lippert, 2005, S. 119 (120 Fn. 6); vgl. auch Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-1 VVE Rn. 52 f. und Cremer, ebd., Art. I-58 VVE Rn. 1. 231 Lippert, 2005, S. 119 (120 Fn. 6). 232 Meng, in: von der Groeben / Schwarze, 2003, Art. 49 EU Rn. 14; ders., in: GTE, 1997 – 1999, Art. O EUV Rn. 14. 233 Stratenschulte, Illusionstheater, 2004; ähnlich Wehler, S. 57 (58 f.).
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terungsdoktrin erkennen lasse, ein Argument für die politische Willkür bei vergangenen und auch künftigen Erweiterungen. Die politischen Entscheidungsträger entschieden allem Anschein nach frei darüber, welchen Faktoren sie welches Gewicht beimessen.234
2. Rechtlich gebundenes Ermessen Zunehmend werden aber rechtliche Bindungen bei der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten aus dem Primärrecht hergeleitet. In Übereinstimmung mit der ersten Ansicht wird zwar ein weites Ermessen bejaht; dies folge aus dem komplexen Charakter des Erweiterungsprozesses, der zudem sensible Politikbereiche betreffe. Grenzenlos sei dieses Ermessen jedoch nicht. Ermessensgrenzen würden sich nicht nur aus den Umständen des Einzelfalls ergeben (Selbstbindung, Vertrauensschutz, Gleichheitssatz), sondern auch aus der Zwecksetzung des Art. 49 EU und dem allgemeinen Rechtsmissbrauchs- bzw. Willkürverbot.235 Für die Beitrittskandidaten wird teilweise ein korrespondierendes Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung bejaht.236 Die Erweiterung sei wie die Vertiefung als verbindliches Ziel im Primärrecht niedergelegt; die Spannungen zwischen beiden Ziele müssten durch Herstellung praktischer Konkordanz gelöst werden.237 Schon die bloße Existenz einer Regelung, die die Mitgliedschaft an besondere Voraussetzungen knüpft, sei Zeichen für eine daraus folgende Rechtsbindung. Ein Antragsrecht wäre inhaltsund bedeutungslos, wenn es ohne Folgen für die Entscheidung über den Beitritt auf Seiten der Union bliebe.238 Dass das geltende Recht durch einstimmige Entscheidung der Mitgliedstaaten abgeändert werden könne, befreie die Mitgliedstaaten und Organe nicht von der gegenwärtigen Bindung.239 Aus der Ermessensbindung werden allgemein die Pflicht zur beitrittsfreundlichen Auslegung und Anwendung des Art. 49 EU240 und spezielle Pflichten herge-
Kramer, 2003, S. 6, 20, 34. U. Becker, 2001, S. 8, 10 f.; ders., 1999, S. 76 f., 82; Bruha / Alsen, S. 161 (170 f.); Bruha / Vogt, S. 477 (479, 486 – 492); Nettesheim, S. 36 (58 ff.); Vedder, in: Grabitz / Hilf II alt, 1999, Art. 237 EWGV Rn. 5; Zeh, 2002, S. 36; nicht ganz eindeutig ist die Ansicht von Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 6, 7; allgemein zu Internationalen Organisationen mit erweiterungsfreundlichen Formulierungen in den Präambeln und Vertragsbestimmungen Mosler, S. 275 (282; 289). 236 Sˇarcˇevic´, S. 461 (479); Zeh, 2002, S. 13 f., 74 (Verweis auf Art. 36 Abs. 1 WVK); a. A. Dagtoglou, S. 1 (9); Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 8; allgemein zu Internationalen Organisationen Czerwinski, S. 124. 237 Bruha / Alsen, S. 161 (172 – 176); Sˇarcˇevic´, S. 461 (473 ff.); Zeh, 2002, S. 36, 44 f., 55, 74. 238 Sˇarcˇevic´, S. 461 (474). 239 Meng, in: von der Groeben / Schwarze, 2003, Art. 48 EU Rn. 6; ders., in: GTE, 1997 – 1999, Art. N EUV Rn. 6; Zeh, S. 81 (83); dies., 2002, S. 27 f. 234 235
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leitet. Gerichtlich überprüfbar seien die Entscheidungen aber nur im Hinblick auf die Ermessensfehler i. S. v. Art. 230 Abs. 2 EG, insb. den Ermessensmissbrauch und die Verletzung von Vertragsvorschriften.241 Zunächst bestehe die Pflicht, den Beitrittsantrag nur aus wichtigen Gründen abzulehnen. Was wichtige Gründe sind, wird jedoch nicht einheitlich beantwortet. Einige leiten Ermessensgrenzen bei der Beitrittsentscheidung nur aus der offensichtlichen Gefährdung der Grundlagen der Gemeinschaft her, denn die Rechtsbindungen ergeben sich aus „Grundprinzipien, über deren Bindungswirkung im Einzelnen durchaus gestritten werden könnte.“242 Andere lassen grundsätzlich alle primärrechtlich anerkannten Gründe zu.243 Wiederum andere konzentrieren sich auf den Konflikt zwischen dem Erweiterungsund dem Vertiefungsziel. Um dessen Lösung gehe es in Art. 49 EU. Gründe, die nicht dem Integrationsschutz dienen, dürften dem Erweiterungsziel nicht entgegengehalten werden. Die materiellen Beitrittsvoraussetzungen, insb. die Kopenhagener Kriterien, fungierten als „Ausgleichsmechanismus“. Sind sie erfüllt, gebe es keinen weiteren Grund, der der Erweiterung zulässigerweise im Wege stehen könnte. Ein Rechtsfolgeermessen gebe es also bei Erfüllung der materiellen Beitrittsvoraussetzungen nicht, denn dann liege gerade kein komplexer Sachverhalt mehr vor und nur auf diese Weise käme das Erweiterungsziel vollumfänglich zum Tragen.244 Verwiesen wird auch auf die umgekehrte Argumentation, dass die Aufnahme eines nicht-beitrittsfähigen Kandidaten wegen Verletzung des Vertiefungsziels gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße.245 Würde der Umkehrschluss nicht gezogen, würde die Gleichwertigkeit der Ziele Erweiterung und Vertiefung verkannt.246 Eine unzulässige Zwecksetzung sei z. B. der Schutz des volkswirtschaftlichen Integrationsniveaus und damit das Ziel der Gewinnmaximierung, denn die Beitrittskriterien schützten zwar das Integrationsniveau, definierten die EU aber nicht als Klub der Reichen oder als Profitgemeinschaft.247 Zulässig sei hingegen die Ablehnung eines Beitritts wegen Gefährdung der Erreichung der wirtschaftlichen Ziele aus Art. 3, 4 EG.248 Ermessensmissbräuchlich wäre die Ablehnung 240 Zum Grundsatz der „broad interpretation“ bei Internationalen Organisationen z. B. Oppermann, 1975, S. 53 (72). 241 Z. B. Sˇarcˇevic´, S. 461 (474). 242 U. Becker, 1999, S. 77 ff.; in diese Richtung Nettesheim, S. 36 (59 ff.), der u. a. auf den relativ weichen Wortlaut des Art. 49 Abs. 1 EU verweist: „. . . Grundsätze achtet, . . .“. 243 Z. B. Dagtoglou, S. 1 (9); allgemein zur Ermessensbeschränkung bei der Beitrittsentscheidung Internationaler Organisationen durch die Vertragsziele Czerwinski, S. 124 ff. und Mosler, S. 275 (290, 294 f.). 244 Sˇarcˇevic´, S. 461 (475 f.); Zeh, 2004, S. 81 (84); dies., 2002, S. 45; in diese Richtung auch Burghardt, S. 2 f.; Bruha / Vogt, S. 477 (500 f.); a. A. Richter, S. 36 f., 162 f. 245 Zeh, 2002, S. 46 – 48, 74; zur umgekehrten Argumentation z. B. Meier, S. 12 (14); Nettesheim, S. 36 (58 ff.). 246 Zeh, 2002, S. 47. 247 Bruha / Alsen, S. 161 (175); Zeh, 2002, S. 45; zu den Gründermotiven Bertelsmann Forschungsgruppe Politik / CAP, 2001, S. 11 f.; zur Praxis Grabbe, 2005, S. 63 (65 ff., 74 f.).
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eines Beitrittskandidaten wegen seiner früheren Ostblockzugehörigkeit mit der Begründung, dass angesichts der drohenden Überfremdung die Sicherheit und Stabilität in der EU eine Abschottung nach Osten verlange. Zweck des Art. 49 EU und der damit konkretisierten Vertragsziele sei nämlich die Gewährleistung von Sicherheit und Stabilität in Europa gerade durch die Vereinigung und Integration der Völker Europas.249 Auch rein nationale Interessen dürfen eine Erweiterung nicht behindern.250 Mit dem Verbot des Ermessensmissbrauchs und der Missachtung von Primärrechtsregelungen korrespondiere die verfahrensrechtliche Pflicht, die Ablehnung des Beitrittsantrags zu begründen.251 Nur so könne die (gerichtliche) Kontrollierbarkeit der Beitrittsentscheidung gewährleistet werden. Die Begründungspflicht reiche umso weiter, je mehr Indizien im Vorfeld der Entscheidung darauf hindeuten, dass die Beitrittsfähigkeit vorliegt oder demnächst vorliegen wird und dem Antrag daher stattgegeben werden kann. Wird diese Begründungspflicht verletzt, sei darin nicht nur ein formeller Fehler zu sehen, sondern ein Hinweis auf einen materiellen Ermessensmissbrauch.252 Der Beitrittsantrag müsse außerdem sofort abgelehnt werden, wenn sich die Nichterfüllbarkeit der Beitrittsvoraussetzungen als endgültig herausstellt. Der beitrittswillige Staat dürfe nicht ohne realistische Chance auf Beitritt der Belastung beitrittsvorbereitender Maßnahmen ausgesetzt sein.253 Gerichtlich überprüfbar sei die Beitrittsentscheidung im Hinblick auf Ermessensfehler. Ermessensmissbräuchlich i. S. v. Art. 230 Abs. 2 EG wäre eine Missachtung des Normzwecks des Art. 49 Abs. 1 EU und der entsprechenden Präambel- und Zielbestimmungen, die die Erweiterung und die Vertiefung der EU vorsehen.254 Der zweite in Art. 230 Abs. 2 EG ausdrücklich genannte Ermessensfehler ist die Verletzung des Vertrags oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm, also der Verstoß gegen höherrangiges Recht. Dazu zählen auch die Verletzung wesentlicher Formvorschriften, der Verstoß gegen allgemeine Rechtsgrundsätze, die Verletzung völkerrechtlicher Abkommen mit Drittstaaten und Internationalen Organisationen und der Verstoß gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts.255 Diskutiert werden überdies Ermessensfehler, die nicht in Art. 230 248 Zeh, 2004, S. 81 (87); dies., 2002, S. 45; weitere Beispiele zulässiger Zwecksetzung bei Willgerodt, S. 195 (203 ff.). 249 Zeh, 2002, S. 45. 250 Bruha / Alsen, S. 161 (175) m. w. N.; Zeh, 2002, S. 75. 251 Z. B. Zeh, 2002, S. 45, 76; a. A. Lippert, 2004, S. 13 (59). 252 Zeh, 2002, S. 45, 76; allgemein zur Verknüpfung von formellen und materiellen Fehlern Bleckmann, 1997, S. 250 f. 253 Sˇarcˇevic´, S. 461 (479); Zeh, 2002, S. 75: Herleitung nicht unmittelbar aus dem Primärrecht, sondern aus Vertrauensschutzgründen. 254 Sˇarcˇevic´, S. 461 (474). 255 Statt vieler Streinz, Europarecht, 2005, Rn. 597; Zeh, 2002, S. 39.
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Abs. 2 EG aufgeführt sind: unsachliche Erwägungen, die offensichtliche Verkennung der zugrunde liegenden tatsächlichen Situation bzw. das Außerachtlassen wesentlicher Umstände sowie die Verletzung des Vertrauensschutz- und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.256 Zusammenfassend ist also festzustellen, dass Einigkeit darüber besteht, dass aufgrund der Unbestimmtheit der Erweiterungsklausel und der Komplexität des Erweiterungssachverhalts Ermessen bei der Entscheidung über die Aufnahme und den Abschluss der Beitrittsverhandlungen besteht. Besonders weit bei der Annahme rechtlicher Bindungen geht die Ansicht, welche Ermessensgrenzen aus der erforderlichen Abwägung zwischen dem Erweiterungs- und dem Vertiefungsziel herleitet. Die Pflicht zur Herstellung praktischer Konkordanz setzt aber voraus, dass erstens Erweiterung und Vertiefung Prinzipien i. S. v. Optimierungsgeboten sind, dass zweitens das Primärrecht eine Einheit ist, innerhalb derer verschiedene Optimierungsgebote bei einer Kollision gegeneinander abgewogen werden müssen, und dass drittens nur die Ziele Erweiterung und Vertiefung bei der Beitrittsentscheidung relevant sind. All diese Voraussetzungen werden weder genannt, noch begründet. Die Prinzipienlehre vermag diese Lücken zu füllen. Auf die allgemeinen Aussagen zur europäischen Prinzipienlehre im dritten Kapitel sei hier nur verwiesen. Die konkreten Ableitungen für das Rechtsfolgenermessen bei der Beitrittsentscheidung werden im Folgenden erläutert. 3. Aussagen der Prinzipienlehre Die Prinzipienlehre liefert auch diesbezüglich keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse, aber Bewertungskriterien für die vertretenen Ansichten und mehr Transparenz bei der Argumentation. Im Ergebnis steht sie der Ansicht, die Ermessensbindungen aus dem Primärrecht herleitet, sehr nahe. Zunächst geht sie – wie schon mehrfach erwähnt – von der Verbindlichkeit auch „hypervorsichtig“ formulierter Normen aus, wenn diese im Primärrecht verankert sind. Die Unterscheidung von Regeln, Prinzipien und entsprechenden Vorgaben für deren Anwendung trägt bewusst eingeräumten Spielräumen Rechnung. Unvereinbar mit der Prinzipienlehre, aber auch mit der bisherigen Beitrittspraxis und den klassischen Auslegungsmethoden, ist folglich die Deutung von Art. 49 EU als bloße Absichtserklärung. Ermessensgrenzen ergeben sich aus dem Prinzipiencharakter von Erweiterung und Vertiefung. Geraten zwei Optimierungsgebote miteinander in Konflikt, so sind die Entscheidungsträger zur Herstellung praktischer Konkordanz verpflichtet. Es besteht nicht nur ein bloßes Rechtsmissbrauchs- und Willkürverbot. Denn dass das Ergebnis der Abwägung angesichts der Komplexität der hierbei vorzunehmenden Feststellungen, Prüfungen und Bewertungen nicht de256 Zeh, 2002, S. 39 m. w. N.; auf S. 77 ff. prüft Zeh relativ ausführlich die Klagemöglichkeiten von Drittstaaten vor dem EuGH und vor dem IGH; vgl. auch Zeh, 2004, S. 82 (87 f., 92 f.).
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
terminierbar und gerichtlich nur im Rahmen einer Willkürkontrolle überprüfbar ist, beseitigt nicht schon das Bestehen der objektiven Rechtspflicht zur Abwägung.257 Fraglich ist, welche Gründe dem Erweiterungsprinzip entgegengehalten werden können, wenn alle Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 49 Abs. 1 EU einschließlich der Kopenhagener Kriterien erfüllt sind. „Wichtige Gründe“ sind in der Terminologie der Prinzipienlehre alle gegenläufigen Regeln und Prinzipien gleichen oder höheren Ranges, die in der Mehrebenenverfassung der EU rechtsverbindlich niedergelegt sind. Fraglich ist, ob dies neben dem Vertiefungsziel, das über die Kopenhagener Kriterien geschützt wird, noch andere Erwägungen sein können. Das Ziel der Gewinnmaximierung ist weder im europäischen Primärrecht noch im Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten verankert. Es darf folglich nicht dem Erweiterungsprinzip entgegengehalten werden. Vom Ziel der Gewinnmaximierung zu unterscheiden sind die wirtschaftlichen Ziele der Art. 3, 4 EG. Diese Ziele sind aber bereits im dritten und vierten Kopenhagener Kriterium enthalten und können folglich nicht als zusätzliche Erwägungen geltend gemacht werden. Im Ergebnis kommen klubtheoretische Argumente in der Erweiterungsdiskussion258 nur dann zum Tragen, soweit es bei ihnen um die effiziente Erreichung der vertraglich verankerten Ziele geht und die Erweiterung selbst als Nutzen verbucht wird. Gleiches gilt für identitätsbezogene und stabilitätspolitische Erwägungen. Abgesehen davon, dass empirisch nur äußerst schwer nachweisbar ist, inwieweit sich Erweiterungen auf die Identität und Sicherheit der EU auswirken,259 können nur solche Elemente in die Abwägung eingebracht werden, die einen Niederschlag in der Mehrebenenverfassung gefunden haben. Es sind allerdings keine Argumente erkennbar, die nicht bereits im Rahmen der Kopenhagener Kriterien und der Europaeigenschaft relevant werden. Rein nationale Interessen dürfen dem Erweiterungsziel entgegengehalten werden, soweit sie verfassungsrechtlich geschützt sind. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang insb. Art. 6 Abs. 3 EU, Art. 151 Abs. 1 und 4 EG und das Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 2 EG, Art. 2 Abs. 2 EU). Der Verfassungsverbundscharakter und Art. 10 EG bewirken die Verzahnung von nationalen und europäischen Prinzipien.260 Unzulässig wäre es z. B. gewesen, wenn Chirac im Sommer 2005 den Beginn der Beitrittsverhandlungen und den Beitritt der Türkei unter Berufung auf den Zypernkonflikt nur in Frage gestellt hätte, um seine innen- und Dazu bereits Bruha / Alsen, S. 161 (174). Zu klubtheoretischen und ähnlichen Argumenten in der aktuellen Erweiterungsdebatte siehe z. B. KOM(2006) 649 endg., S. 23; Kommission, Mythen und Fakten über die Erweiterung, 2006, http: //ec.europa.eu/enlargement/questions_and_answers/myths_de.htm, Einleitung und Frage 20; KOM, Die Erweiterung der EU – Eine historische Chance, 2003, S. 4 f.; zur ENP KOM(2006) 726 endg., S. 2, 16; Lippert, 2004, S. 13 (59); Schäfer, 1994, S. 2 ff. 259 Vgl. zur Verwendung bestimmter Argumente mal für und mal gegen den Beitritt der Türkei Kramer, 2003, insb. S. 20 ff., 28 ff. und Leggewie, S. 11 (17). 260 Dazu von Bogdandy, 2003, S. 149 (201); Calliess, Online-Beitrag, 2004, S. 25; Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 381; Peters, S. 287 ff. 257 258
B. Rechtsfolgen des Art. 49 EU
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parteipolitische Stellung als Präsident zu stärken.261 Freilich können solche Erwägungen nicht verhindert werden; sie werden auch selten öffentlich geäußert. Sie dürften aber jedenfalls nicht mit dem Beitrittsprinzip abgewogen werden. Die Supranationalität der EG wird bereits durch die Beachtung des Vertiefungsprinzips geschützt, soweit sie in den Verträgen zum Ausdruck kommt, etwa in den Kompetenz- und Organvorschriften. Es handelt sich dabei also nicht um ein zusätzlich zu berücksichtigendes Prinzip.262 Alles in allem sind sämtliche politische Interessen, die in keinem Zusammenhang zur Beitrittsfähigkeit der Kandidaten und Aufnahmefähigkeit der EU stehen, aufgrund des Kopplungsverbots unzulässig und als Ermessensmissbrauch justiziabel.263 Es sind also kaum Erwägungen denkbar, die über die Kopenhagener Kriterien hinaus gegen einen Beitritt eingewendet werden können. Da auch der Europäische Rat an die aufgezeigten Grenzen gebunden ist, ist es unwahrscheinlich, dass die „vom Europäischen Rat vereinbarten Kriterien“ im Sinne des Art. 49 Abs. 1 S. 4 EU in der Fassung des geplanten Reformvertrags über die Reichweite der bereits bestehenden Kopenhagener Kriterien hinaus gehen werden. Wichtig ist auch, dass jedes Land zwingend individuell beurteilt werden muss. Das Erweiterungs-Vertiefungs-Dilemma bezieht sich immer nur auf den Beitritt eines ganz konkreten Landes. Anders könnte eine Konfliktlage gar nicht festgestellt und zum Ausgleich gebracht werden. Gegen die Abwägungsvorgaben verstoßen würde z. B. ein „Tauschhandel“, wie ihn die britische Ratspräsidentschaft im Herbst 2005 im Sinn hatte: Sie setzte dem Widerstand Österreichs gegen den Türkeibeitritt die Drohung entgegen, dann könnten auch Gespräche mit Kroatien nicht beginnen.264 Kroatien befürchtet seither, auch künftig Opfer politisch-taktischer Erwägungen zu werden. In der aktuellen Erweiterungsstrategie wird jedoch ausdrücklich betont, dass jedes Land nach seinen eigenen Verdiensten beurteilt wird.265 Zur Frage, ob ein Beitrittsantrag sofort abgelehnt werden muss, wenn dieser endgültig hoffnungslos ist, liefert die Prinzipienlehre im Zusammenhang mit einer Kollision von Erweiterungs- und Vertiefungsprinzip keine rechtlich zwingende Antwort. Der Transparenz und der Akzeptanz der EU wäre ein solches Verhalten sicher zuträglich. Zu begrüßen sind in diesem Zusammenhang die Vorsätze der EU-Organe in der aktuellen Erweiterungsstrategie, keine frühzeitigen konkreten Dazu Kramer, September 2005, S. 4 f. Zum Prinzipiencharakter der Supranationalität z. B. von Bogdandy, 2003, S. 149 (163 ff.); Hertel, S. 68 f.; H.-P. Ipsen, 1983, S. 9 (12 ff.); Schön, S. 248 ff.; Schütz / Bruha / König, S. 453; Seidl-Hohenveldern / Loibl, Rn. 0115. 263 Sehr ähnlich die Ausführungen des IGH, vgl. dazu im 2. Kapitel unter E. 264 Dazu Bacia, FAZ vom 16. Mai 2006, S. 12. 265 Europäischer Rat von Brüssel vom 14. / 15. Dezember 2006, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Nr. 7 und auf der Tagung vom 15. / 16. Juni 2006, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Nr. 54 f.; KOM(2006) 649 endg., S. 6. 261 262
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
Versprechen zu geben und bereits zu Beginn der Verhandlungen schwierige Fragen anzusprechen.266
III. Zwischenergebnis Im Ergebnis vermag die Prinzipienlehre die bereits vertretenen Ansichten in einen kohärenten Begründungszusammenhang einzuordnen. Mit ihrer Hilfe lässt sich auch die Verwendung recht unbestimmter Begriffe vermeiden, um die eigene Position zu verdeutlichen. Der Begriff Anwartschaftsrecht267 zum Beispiel bedeutet im deutschen Zivilrecht eine rechtlich gesicherte Position, deren Erstarkung zum Vollrecht nicht mehr einseitig vom gegenwärtigen Inhaber des Vollrechts verhindert werden kann.268 Der Beitritt eines Staates hängt aber von der Annahme des Antrags seitens der EU und ihrer Mitgliedstaaten ab, es sei denn, man nimmt eine Ermessensreduzierung auf Null für den Fall an, dass ein europäischer Staat alle Kopenhagener Kriterien erfüllt. Selbst dann aber ist es an der EU, das vierte Kopenhagener Kriterium zu erfüllen. Folglich ist der Begriff des Anwartschaftsrechts nicht ganz treffend und meint wohl nur die Position, die andere mit dem Begriff „abstrakte Beitrittsperspektive“ beschreiben. Auch stellt die Anwendung der Prinzipienlehre auf die Fragen nach den Ermessensbindungen bei der Beitrittsentscheidung klar, dass es sich um eine rechtlich determinierte Diskussion handelt. Bislang wird im Zusammenhang mit der Frage nach der „Pflicht“ zur Erweiterung oder dem „Recht“ auf Beitritt leider nur selten klar, wann politisch und wann rechtlich argumentiert wird.
C. Das Stufenverhältnis der verschiedenen Integrationsinstrumente Nach dem bisher Gesagten kann und wird es immer wieder zu Situationen kommen, in denen der Vertiefung zeitweilig ein Vorrang vor der Erweiterung der EU eingeräumt wird, etwa weil die Beitrittskandidaten die Beitrittsvoraussetzungen in 266 So zu den Neuerungen der Erweiterungsstrategie der Europäische Rat von Brüssel vom 15. / 16. Dezember 2006, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Nr. 7; KOM(2006) 649 endg., S. 5; FAZ vom 16. Dezember 2006, S. 1 (2). 267 Siehe dazu die Erläuterungen im 4. Kapitel unter B.I.1. 268 Einer anderen Ansicht zufolge spricht man von einem Anwartschaftsrecht, wenn die Erstarkung zum Vollrecht nur noch vom Inhaber der rechtlich gesicherten Position abhängt. Auch diese Bedeutung entspricht aber nicht der Position, die ein Beitrittskandidat vor Abschluss des Beitrittsvertrags innehat. Überdies ist zu bedenken, dass selbst im deutschen Zivilrecht keine Klarheit besteht über Rechtsnatur und Inhalt der Anwartschaft bzw. des Anwartschaftsrechts. Vgl. zu alldem statt vieler Westermann, in: MüKo zum BGB, 2004, § 449 BGB Rn. 39 ff.
C. Stufenverhältnis der verschiedenen Integrationsinstrumente
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absehbarer Zeit nicht erfüllen werden und eine Erweiterung daher der Pflicht zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den Integrationsprinzipien zuwiderliefe. Daher werden nicht nur die rechtlichen Grenzen der Entscheidung über das Ob des Beitritts diskutiert, sondern auch die der Entscheidung über das Wie der Integration,269 bezogen auf den weit verstandenen Integrationsauftrag also sozusagen die Grenzen des Auswahlermessens. Auch diesbezüglich ist unstreitig, dass es einen Entscheidungsspielraum gibt. Denn bei Übergangsfristen, Stufensystemen u. ä. spielen zeitliche Variabeln eine Rolle, aber auch die Erfüllung materieller Kriterien durch die Nachbarstaaten. Die Beurteilung der einzelnen Faktoren ist wiederum sehr komplex, insb. Prognoseentscheidungen können häufig nur auf der Grundlage unsicherer empirischer Fakten getroffen werden.270 Allerdings enthält das Primärrecht auch Vorgaben für die Phasen im Vorfeld der Erweiterung. Der 1. Erwägungsgrund der Präambel zum EG-Vertrag und die ersten beiden Erwägungsgründe der Präambel zum EU-Vertrag statuieren kein Allesoder-Nichts, kein Schwarz-Weiß zwischen Aufnahme oder Nicht-Aufnahme, sondern enthalten einen Integrationsauftrag, dem die EU auf verschiedenen Integrationsstufen entsprechen kann.271 Die Bandbreite der Partizipationsmöglichkeiten wird oft herangezogen als Argument gegen eine reine Beitrittsfixierung und damit v. a. zum Schutze des Vertiefungsziels. Die EU würde ihre Funktion als Stabilitätsanker in Europa „mit Hilfe vielfältiger z. T. neuartiger Instrumente“ erfüllen.272 Die großzügige Zulassung von Assoziationen und Handelsverträgen im Primärrecht und in der Praxis der EG sei „eine Art Ausgleich“ für den restriktiv formulierten Beitrittsartikel.273 Erweiterungsbefürworter hingegen kritisieren „alternative“ Integrationsformen wie die ENP oft als Verbannung europäischer Nachbarstaaten in eine Grauzone.274 Mehr und mehr aber wird der Nutzen von Integrationsformen unterhalb der Schwelle des Beitritts für europäische Staaten entdeckt. Aus der primärrechtlichen Selbstverpflichtung der EU zur Förderung des gesamteuropäischen Integrationsprozesses werden Partizipationspflichten gegenüber nicht beitrittsfähigen europäischen Staaten hergeleitet.275 Relevant ist dabei der Unterschied zwischen Integration und Kooperation.276 Die Beitrittsklausel und auch der So klar bei Wiener, Finality, 2003, S. 157 (174 f.). Z. B. U. Becker, 1999, S. 81; Kramer, 2003, S. 6, 22 f. 271 Z. B. Bruha / Vogt, S. 477 (500 f.); andere definieren den Begriff Erweiterung von vornherein weiter, vgl. Schimmelfennig / Sedelmeier, S. 3 (5). 272 Bieber, in: BBPS, 2001, Rn. 1286; Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 4, 8. 273 Oppermann, 1975, S. 53 (74, 134). 274 Zur ENP z. B. W. Wallace, 2003, S. 8 ff. 275 Bruha / Alsen, S. 161 (177); Bruha / Vogt, S. 477 (500 f.); Sˇarcˇevic´, S. 461 (479 f.); Zeh, 2004, S. 81 (91 f.); dies., 2002, S. 72 f., 75; so generell zu Internationalen Organisationen Mosler, S. 275 (278). 276 Definitionen in der Einführung unter A.I.; zur Unterscheidung allgemein m. w. N. Constantinesco, S. 113 ff., 123 ff., 333 ff.; Ginther, S. 7 (20 f.); Welz / Engel, S. 129 (135 ff.); 269 270
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aus den Präambeln und Zielbestimmungen hergeleitete Grundsatz der Offenheit seien auf die Integration und nicht bloß auf die Kooperation mit europäischen Staaten gerichtet. Es bestehe also eine Pflicht zur Integration.277 Teilweise verknüpft wird diese Pflicht mit einer Pflicht zur Flexibilität. Im Innern der EU hätten solche Staaten, die Fortschritte machen können, auch die Pflicht, dies zu tun, notfalls durch flexible Formen der Zusammenarbeit. Jedenfalls wird eine rationale Entscheidung zwischen mehreren bestehenden Handlungsoptionen gefordert, die darauf gerichtet ist, ein Mehr an Integration möglichst rasch und einfach zu erreichen.278 Andere lehnen eine Pflicht zur Inanspruchnahme flexibler Integrationsformen ab. Selbst bei der Erfüllung deren Voraussetzungen könnten sich die Entscheidungsträger z. B. gegen eine verstärkte Zusammenarbeit entscheiden.279 Bei einigen Flexibilisierungsvorschlägen ist zudem zweifelhaft, ob sie nach geltendem Recht zulässig sind. Eindeutige Antworten oder gar Konzepte enthält das Primärrecht nicht, allenfalls rechtliche Grenzen (dazu unter I.).280 Auch die Frage nach dem Verhältnis der verschiedenen zulässigen Integrationsinstrumente zueinander ist umstritten (dazu unter II.).
I. Unzulässige Partizipationsinstrumente 1. Meinungsspektrum Es wird vertreten, dass jede Flexibilisierung eine Ausnahme vom bestehenden Unions- und Gemeinschaftsrecht ist, weil dessen einheitliche Geltung zu einem gewissen Umfang ausgesetzt und eine Ungleichbehandlung der Mitgliedstaaten geschaffen wird. Anhaltspunkte für den Grundsatz der einheitlichen Geltung des Unions- und Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten finden sich in zahlreichen Primärrechtsbestimmungen. Der EuGH sieht die „Einheitlichkeit und Solidarität“ als wesentliches Strukturelement der Gemeinschaft an.281 Ausnahmen von diesem Grundsatz bedürfen nach völkerrechtlichem und gemeinschaftsrechtlichem Verständnis grundsätzlich einer besonderen rechtlichen Grundlage im Primärrecht, ggf. im Beitrittsvertrag, und einer Rechtfertigung in Form eines sachlichen Grundes.282 Im Zusammenhang mit Erweiterungen der EU wurden und werden insb. Delors mahnte den Unterschied bei Gesprächen über die Zusammenarbeit mit den MOEL an, vgl. dazu Torreblanca, S. 48. 277 So schon Meier, S. 12 (16). 278 Weinstock, S. 345 (354 – 356, 364 ff.); ähnlich auch Tindemans (im Zusammenhang mit der WWU), zitiert bei Langner, S. 22. 279 Thym, Tagungsbericht von John, S. 172 (178). 280 Ausführlich zur Diskussion über die rechtliche Zulässigkeit von Ungleichzeitigkeit, insb. zum Erfordernis des einheitlichen institutionellen Rahmens Thym, S. 205 ff. 281 EuGH, Gutachten 1 / 76, Stillegungsfonds für Binnenmarktschiffahrt, Slg. 1977, S. 741, 759, Rn. 12, vgl. dazu Lopian, S. 35 f.
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Teilbeitritte zur EU und lange Übergangsfristen diskutiert. Im Primärrecht ist eine Flexibilisierung bisher v. a. im Rahmen der „Verstärkten Zusammenarbeit“ vorgesehen. Die entsprechenden Regelungen283 führen ebenso wie die Regelungen der WWU und die Sonderklauseln im Rahmen des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (vgl. Art. 69 EG) im Innern der EU zwar faktisch zu einer Art Teilmitgliedschaft und damit zu Ansätzen eines Europa à la carte bzw. eines Kerneuropas.284 Sie dürfen aber nicht zur Aufweichung des Erfordernisses der Beitrittsfähigkeit und Integrationswilligkeit herangezogen werden, denn sie sind nicht für den Fall vorgesehen, dass schon im Aufnahmezeitpunkt feststeht, dass ein Staat an gewissen Zielen der EU nie teilnehmen können wird (vgl. insb. Art. 27 a Abs. 1, 27 e EU).285 Mangels einer ausdrücklichen Ausnahmebestimmung wird die Zulässigkeit von Teilbeitritten und Übergangsfristen daher nur unter Heranziehung allgemeiner Grundsätze diskutiert. Teilbeitritte werden als vorteilhaft angesehen, weil neue Mitgliedstaaten nicht an allen Politiken teilnehmen würden. Dies würde zum einen den Beitrittskandidaten den Beitritt erleichtern, da sich der zu übernehmende Acquis verringern würde, ohne dass damit Einbußen bei der Mitentscheidung und Unionsbürgerschaft einhergingen. Die EU könnte damit Finanzierungsproblemen entgehen, insb. wenn die Agrarpolitik vom Beitritt ausgeschlossen würde.286 Nur wenige aber halten die Teilmitgliedschaft nach geltendem Recht für zulässig. Einige knüpfen die Zulässigkeit von Teilbeitritten an bestimmte Voraussetzungen. Es müsse ein „differenzierungsfester Kern“ bewahrt werden, zu dem der Binnenmarkt gehört und einige „Grundprinzipien“ (z. B. Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft, Diskriminierungsverbot, Kohärenz- und Solidaritätsprinzip).287 Die Mehrheit geht davon aus, dass Teilbeitritte nach geltendem Recht unzulässig sind. Art. 49 EU erlaube nur den Beitritt zur EU als Ganzer.288 Art. 1 Abs. 3 EU fordert einen einheitlichen institutionellen Rahmen, dessen Verwirklichung bei der Zulassung von Mitgliedstaaten nur für bestimmte Politikbereiche gesprengt würde. Auch im 2. Erwägungsgrund der Präambel zum EG-Vertrag ist ein „gemeinsames Handeln“ vorgesehen. Art. 2 EG spricht ausdrücklich von der „Errichtung eines Gemeinsamen Marktes“ und der Durchführung der „gemeinsamen Politiken“ in Art. 3 und 4 EG. Auch das Vertiefungsziel, insb. die Weiterentwicklung des Acquis U. Becker, 1999, S. 50 f., 76; Lopian, S. 35 f. Art. 43 ff. EU, Art. 11 f. EG. 284 Thym, S. 30, 32; Pechstein, S. 163 (180 ff.); Wissmann, IP 2006, S. 64 (66); ders., Thesenpapier 2006, S. 3 f.; siehe zu diesen Gesamteuropakonzepten unter im 1. Kapitel unter B.II.3.b). 285 Bruha / Alsen, S. 161 (178) m. w. N.; Bruha / Vogt, S. 477 (498). 286 Mayhew, S. 372; zu den Vorteilen einer gestuften Mitgliedschaft auch Wissmann, IP 2006, S. 64 (66 ff.); ders., Thesenpapier 2006, S. 4 ff. 287 Bieber / Kahil-Wolff / Kallmayer, S. 97 ff., 169 ff.; Gstöhl, 2005, S. 187 (209 f.). 288 Ruffert / Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 49 EU Rn. 8; zum VVE Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-58 VVE Rn. 2. 282 283
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
gemäß Art. 2, 5. Spstr. EU, wäre durch Teilmitgliedschaften gefährdet.289 Befürchtet wird v. a. die „Verewigung“ des intergouvernementalen Charakters des zweiten und dritten Pfeilers der EU.290 Auch Art. 310 EG käme schon aus diesen Gründen nicht als Rechtsgrundlage in Betracht; der EuGH erachtet nur solche Vereinbarungen mit Drittstaaten als zulässig, die die Grundlagen der Gemeinschaft nicht beeinträchtigen.291 Nach geltendem Gemeinschaftsrecht nicht akzeptabel sei laut EuGH eine Zwitterstellung mit unklaren Rechten bei Entscheidungen innerhalb der EU.292 Würde Staaten im Rahmen einer assoziierten Mitgliedschaft die Teilnahme an den EU-Institutionen erlaubt, so führte dies zu Änderungen des institutionellen Gefüges der EU, die einer Vertragsänderung bedürfen.293 Eine historische Auslegung des Art. 310 EG führt zum selben Ergebnis: Bei der Gründung der Gemeinschaft wurden Formen der internen Assoziierungen weder von den Mitgliedstaaten noch von Drittstaaten gewünscht, schon damals aus Angst vor einer Gefährdung der Funktionsfähigkeit und des Integrationsfortschritts. Anlass war die Ablehnung einer supranationalen Gemeinschaft durch Großbritannien. Konflikte aufgrund unterschiedlicher Zielvorstellungen sollten durch eine völkerrechtliche, paritätische Ausgestaltung der Außenbeziehungen vermieden werden.294 Bis heute haben die EU-Organe jede institutionelle Neuerung abgelehnt, die (wenn auch nur indirekt) auf eine Teilmitgliedschaft hinauslief.295 Gängig in der Beitrittspraxis sind im Gegensatz dazu Übergangsbestimmungen, die zu einer zeitlich befristeten Aussetzung bestimmter Regelungen führen, nicht aber zu einer dauerhaften Binnendifferenzierung. Sie dienten bisher teils den neuen, teils den alten Mitgliedstaaten.296 Mit Besorgnis sehen aber einige die aktuelle Beitrittspraxis, der gemäß die EU ausdrücklich in Betracht zieht, im Beitrittsvertrag lange Übergangszeiten, Ausnahmeregelungen oder dauerhafte Schutzklauseln festzulegen.297 Unangemessen lange, mehrfach verlängerbare oder gar unbefristete Übergangsregelungen kämen in ihrer Wirkung Teilbeitritten nahe.298 Im Primärrecht fehle bislang eine Regelung über den zulässigen Umfang und die Materien, 289 Vgl. z. B. U. Becker, 1999, S. 63 f.; Bruha / Alsen, S. 161 (177 f.); Bruha / Vogt, S. 477 (495 ff.); Janning, 1998, S. 203 (213); Janning / Giering, S. 8; Krenzler, S. 1255 (Rn. 51 f.); Langeheine, S. 47 (57 f.); Lippert, 2005, S. 119 (128); Lopian, S. 35 f.; Mayhew, S. 372; Oppermann, FS Zuleeg, 2005, S. 72 (76); Pechstein, S. 163 (171); Thym, S. 26, 28, 262. 290 Krenzler, S. 1255 (Rn. 52); Schön, S. 251 f. 291 EuGH, Gutachten 1 / 91, Slg. 1991, I-6079, Rn. 71; dazu Schön, S. 240 ff. 292 EuGH, Gutachten 1 / 91, Slg. 1991, I-6079, Rn. 70 f. und Gutachten 1 / 92, Slg. 1992, I-2821, Rn. 22 ff.; dazu Wessels / Jantz, S. 345 (362). 293 M. w. N. Schön, S. 241 ff. 294 M. w. N. Schön, S. 248 f. 295 Vgl. zur Position der Kommission und der Mitgliedstaaten bei der Osterweiterung Hänsch, S. 17 (18 f.); Torreblanca, S. 317. 296 U. Becker, 1999, S. 21 ff.; Lopian, S. 21, 249. 297 Lippert, Erweiterung, 2006, S. 120 (125). 298 Bruha / Vogt, S. 477 (496 f.); von Kyaw, S. 141 (Rn. 13); Langenfeld, S. 73 (76).
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für die Übergangsfristen vereinbart werden dürfen.299 Die Grenze der Zulässigkeit sei aber jedenfalls überschritten, wenn der erreichte Entwicklungsstand aufgegeben würde.300 Übergangsfristen dürften zudem nur bei außergewöhnlichen Entwicklungen vereinbart werden.301 Besonders problematisch seien Übergangsregelungen, die nicht mit einer Einschränkung der Mitgliedschaftsrechte einhergehen, da sie das aus Rechten und Pflichten zusammensetzende Gleichgewicht einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union gefährden.302 Die Zulässigkeit sei nicht nur aufgrund fehlender spezieller Ausnahmeregelungen im Primärrecht schwer zu beurteilen, sondern auch aufgrund der subtilen Langzeitwirkungen von Übergangsfristen in Beitrittsverträgen: diese regten die Gegenseite zur Nachahmung an, könnten den Wettbewerbs- und Anpassungsdruck reduzieren und Reformen verzögern. Die dadurch verzögerte Anwendung der Regeln des Binnenmarktes lege den „Keim für Probleme nach vollzogenem Beitritt“.303
2. Aussagen der Prinzipienlehre Was sagt nun die Prinzipienlehre zu alldem? Bevor konkrete Fragen behandelt werden, soll zunächst das Flexibilitäts-„Prinzip“ eingeordnet werden. Zunehmend wird die Flexibilität des Unions- und Gemeinschaftsrechts als zulässiges verfahrensrechtliches Instrument zur Auflösung von Zielkonflikten angesehen. Allerdings geht mit ihr das Risiko einer zunehmend diffusen Zielkoordinierung im Gesamtverbund der EU einher.304 Deshalb werden bislang zum Teil die ausdrücklichen Bestimmungen zur Differenzierung als bloße Ausnahme zum Prinzip gleicher Rechte und Pflichten qualifiziert.305 Andere gehen angesichts der vertraglichen Verankerung seit dem Vertrag von Maastricht306 und der zunehmend flexiblen Beitrittspraxis von einem eigenständigen Verfassungsprinzip der Flexibilität des Unionsrechts aus.307 Dieser Streit dreht sich v. a. um die Frage nach der Existenz von Grundprinzipien und nicht um die normtheoretische Struktur der Flexibilitätsklauseln. Im Rahmen des Erweiterungs-Vertiefungs-Konflikts ist nur bedeutsam, dass das Primärrecht verschiedene Formen der Flexibilität in abschließenden Normen Pechstein, S. 183 (186 f.). Bruha / Vogt, S. 477 (496 f.). 301 Müller-Graff, 1997, S. 27 (36, 40). 302 Pechstein, S. 183 (186 f.). 303 von Kyaw, S. 141 (Rn. 13). 304 Statt vieler Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 3 EU Rn. 18 f.; ders., Online-Beitrag, 2004, S. 12. 305 M. w. N. Wasielewski, S. 189; zu Einzelaspekten Kölliker, S. 53; Thym, S. 254 ff.; Wessels / Jantz, S. 345 (346). 306 Zur Regelung im VVE vgl. z. B. Cameron, Europe’s Future, 2005, S. 149 (154); Emmanouilidis / Giering, S. 454, 466. 307 Dazu m. w. N. Thym, S. 265; kritisch von Bogdandy, 2003, S. 149 (197 Fn. 205). 299 300
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anerkannt hat. Da es keine Anzeichen dafür gibt, dass diese Regelungen von niedrigerem Rang sind als das übrige Primärrecht, gibt es kein Prinzip, das die Anwendbarkeit dieser Normen über ihre Tatbestandsvoraussetzungen hinaus einschränkt.308 Die Flexibilität ist auch kein mit dem Integrationsprinzip konkurrierendes Prinzip, sondern ein Mittel zur Ermöglichung der Integration,309 das aber weder einseitig zugunsten der Erweiterung noch zugunsten der Vertiefung eingesetzt werden darf. Die Frage nach dem Ausnahmecharakter der Flexibilität muss im Rahmen der Prinzipienlehre so nicht zwingend gestellt werden. Maßgeblich ist, dass ausdrückliche Normierungen auch nicht mit Hilfe des Differenzierungsarguments überspielt werden dürfen. Denkbar ist allenfalls eine modifizierende Auslegung.310 Die Regelungen über die Organbesetzung haben beispielsweise Regelcharakter und sind daher nicht abwägungsfähig. Assoziierten „Teilmitgliedern“ dürfte also nach geltendem Recht kein Stimmrecht in den EU-Institutionen eingeräumt werden. Da die Flexibilisierung kein Selbstzweck ist, sondern nur dienende Funktion hat, müssen Differenzierungen zeitlich und sektorell begrenzt sein und mit etwaigen Zeitplänen zur Vertiefung bzw. Erweiterung in Verbindung stehen. Dauerhafte Konstruktionen mit einem festen Kern sind mit dem geltenden Recht unvereinbar. Alle Differenzierungsinstrumente sehen nämlich den Anschluss der Nachzügler vor.311 Gemäß Art. 2, 5. Spstr. EU darf derzeit zudem das Integrationsniveau bestimmter Mitglieder nicht verringert werden. Ein Kerneuropa o. ä. dürfte also nicht auf den Acquis der EU und der EG übergreifen. Nur wenn sowohl das Erweiterungs- als auch das Vertiefungsziel gefährdet sind, ist als ultima ratio nach anderen Lösungen zu suchen, die dann aber im Wege einer Vertragsänderung eingeführt werden müssten.312 Die dabei geltenden Grenzen werden unter E. gesondert besprochen.
II. Das Verhältnis der zulässigen Partizipationsinstrumente zueinander, insb. der Grundsatz der bestmöglichen Partizipation 1. Meinungsspektrum Die Vor- und Nachteile eines Stufenmodells im Vorfeld der Erweiterung seien anhand eines konkreten Vorschlags verdeutlicht, der der ENP in vielem ähnelt. Zur Heranführung der MOEL entwarfen Bruha und Straubhaar bereits 1998 einen „EWR II“ bzw. „EWR-Ost“, als „Kompromiß zwischen politisch Wünschbarem In diese Richtung auch Ehlermann, 1997, S. 395; Thym, S. 266. Ähnlich z. B. auch von Bogdandy, 1993, S. 97 (122 ff.); Langeheine, S. 47 (51, 54 ff.); Shaw, 2000, S. 337 (353 ff.); Wasielewski, S. 189. 310 Thym, S. 233, 237; Wasielewski, S. 190 ff. 311 Vgl. dazu Wessels / Jantz, S. 345 (352 f.). 312 Vgl. dazu Wessels / Jantz, S. 345 (357). 308 309
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und ökonomisch Machbarem“.313 Es wurden drei Stufen definiert, die EuropaAbkommen, ein Gemeinsamer Markt und die EU-Mitgliedschaft, von denen jede an strengere realwirtschaftliche, fiskalpolitische und monetäre Zielvorstellungen geknüpft war. Abgesehen vom Beitritt hat das Modell ein „automatisches Getriebe“.314 Ein stufenweises Vorgehen mit „klaren Spielregeln“ führe nicht zu den rechtlichen Problemen, die ein Teilbeitritt oder wirkungsähnliche lange Übergangsfristen und Ausnahmeregelungen hervorrufen.315 Die Vorteile einer Zwischenstufe der „Binnenmarktmitgliedschaft ohne EU-Mitgliedschaft“ seien vielfältig: sie wäre schneller realisierbar, die Integrationsschritte könnten situationsgerecht zugeschnitten werden. Deregulierung und Wachstum würden angeregt, gleichzeitig aber falsche Hoffnungen gedämpft und irreführende Versprechungen vermieden. All dies würde die politische Akzeptanz befördern.316 Allerdings sei mit Stufenmodellen stets die Gefahr der Verfestigung der verschiedenen Partizipationsstufen verbunden317 und damit die Nachteile jeder Flexibilisierung.318 Zudem sei fraglich, ob ein EWR II gegenwärtig realisierbar wäre, denn auch die damit verbundene rechtliche Homogenität verlange eine ökonomische Homogenität zwischen den Teilnehmerstaaten, die tatsächlich weder zwischen West und Ost noch unter den europäischen Nachbarn gegeben ist.319 Vor dem Hintergrund der Grenzdebatte ließe sich ein Stufenmodell nur schwer als Übergangslösung verkaufen, so dass die politische Akzeptanz zweifelhaft ist. Zudem fehlen der Zwischenstufe die Vorteile eines raschen Beitritts: nämlich Sitz und Stimme in den EU-Organen und die Unionsbürgerschaft.320 Einige betonen, dass der Stufenplan nicht zum Nachteil der Beitrittskandidaten eingesetzt werden dürfe. Vorbereitende Maßnahmen sollten insb. nicht zwingend zum Ausschluss sämtlicher Übergangsregelungen führen. Andernfalls liefe das Konzept hinaus auf eine vollständige Anpassung der Nachbarstaaten an das EG- und EU-Recht bereits vor der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen, und zwar ohne eine konkrete Aussicht auf eine institutionelle Einbeziehung und damit eine Mitentscheidungsmöglichkeit.321 Einige dieser Nach313 Bruha / Straubhaar, S. 175 (177 ff.); ähnlicher Vorschlag eines Übergangs-Modells im Vorfeld der Osterweiterung bei Baldwin, S. xix ff., 206 ff.; vgl. zur möglichen Bedeutung von EFTA / EWR für die MOEL auch Wijkman, S. 83 (86 ff.); jüngst schlug auch Wissmann, IP 2006, S. 64 (66 ff.) und Thesenpapier 2006, S. 3 ff. ein Stufenmodell vor. 314 Bruha / Straubhaar, S. 175 (186, 192, 195). 315 Bruha / Straubhaar, S. 175 (177, 186). 316 Bruha / Straubhaar, S. 175 (186, 194 f.); zu den Vorteilen eines EWR-Beitritts der MOEL gegenüber den Europa-Abkommen Peers, S. 187 ff. 317 Müller-Graff, 1997, S. 27 (36). 318 Bruha / Straubhaar, S. 175 (177). 319 Zu den MOEL Bruha / Straubhaar, S. 175 (188 f.): allenfalls EWR II; Francke, S. 199 (205 f.); zu den heutigen Nachbarn Bruha / Alsen, S. 161 (166 f.); Gstöhl, 2005, S. 187 (191). 320 Zur Akzeptanz in den MOEL Bruha / Straubhaar, S. 175 (188 f.); Hummer, S. 233 (237); Müller-Graff, 1997, S. 27 (38); zur Akzeptanz in den heutigen europäischen Nachbarländern Gstöhl, 2005, S. 187 (191, 199, 216). 321 U. Becker, 1999, S. 84.
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
teile sehen Bruha und Straubhaar selbst. Wohl nicht zuletzt deswegen fordern sie eine effektive EU-Beitrittsklausel, die weitergehende prozedurale Bestimmungen sowie inhaltliche und zeitliche Vorgaben enthält.322 Neben der Pflicht zur Höherstufung bei der Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen diskutieren einige die Pflicht der EU zur Heranführung europäischer Staaten im Vorfeld eines Beitritts, also zur Hilfe bei der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien. Die Argumente bleiben aber meist politisch.323 Auch aus der bisherigen Beitrittspraxis geht nicht eindeutig hervor, ob die EU mit der Heranführung der Beitrittskandidaten eigene Interessen verfolgt und / oder aus einer moralischen oder rechtlichen Pflicht heraus handelt. Das EP verpflichtete sich z. B. im Jahr 2005, die Ukraine bei der Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 49 EU zu unterstützen.324 Unklar bleibt, ob damit eine primärrechtliche Pflicht wiederholt oder aber eine Selbstverpflichtung erst geschaffen wird. Vereinzelt wird die rechtlich schwer fassbare „internationale Verantwortung“ der EU auch herangezogen, um zu begründen, dass eine Verweigerung der Beitrittsperspektive nicht einhergehen darf mit der Isolation der betroffenen Staaten. Die EU müsse jedenfalls speziell auf die jeweilige Situation zugeschnittene Kooperations- oder Assoziierungsabkommen vorbereiten.325 Die Gegenmeinung bejaht bei der Wahl des Partizipationsinstruments wie auch bei der Entscheidung über den Beitritt ein freies Ermessen der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Es bestehe weder eine politische, noch eine rechtliche Pflicht dazu, die Stufenleiter hochzuklettern. Die bisherige Heranführungspraxis sei lediglich ein eingespieltes Verfahren, dass jederzeit geändert werden könne.326 2. Aussagen der Prinzipienlehre Die letztgenannte Annahme eines freien politischen „Erweiterungsermessens“ ist mit dem Prinzipiencharakter von Erweiterung und Vertiefung nicht vereinbar. Dem Optimierungsgebot der Erweiterung entspricht ein Stufenverhältnis zwischen den verschiedenen zulässigen Partizipationsinstrumenten. Das Ermessen ist durch den Grundsatz der bestmöglichen Partizipation beschränkt, d. h. bei Erfüllung der Voraussetzungen der stärkeren Form der Partizipation ist die EU zur Höherstufung rechtlich verpflichtet.327 Folglich sind dauerhafte Alternativen zum Beitritt auch nur zulässig, falls die Voraussetzungen des Art. 49 EU (noch) nicht erfüllt sind.328 322 323 324 325 326 327 328
Bruha / Straubhaar, S. 175 (193). Z. B. Bertelsmann Foundation / CAP (Hrsg.), 2001, S. 29 f. Entschließung des EP, P6_TA(2005)009, 13. Januar 2005, Nr. 14, 16. Schmitz, 2001, S. 345. Z. B. Meng, in: GTE, 1997 – 1999, Art. O Rn. 14, 84, 94. So schon Bruha / Alsen, S. 161 (176 f.); Bruha / Vogt, S. 477 (500 f.). Nicolaysen, EuR-Beiheft 3 / 2002, S. 120 (120 f.).
C. Stufenverhältnis der verschiedenen Integrationsinstrumente
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Umgekehrt muss die Beteiligung auf niedrigerer Stufe gewährleistet werden, sofern die Vollmitgliedschaft nicht in Betracht kommt.329 Mangels entsprechender Rechtsgrundlage und schon aufgrund der Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Staaten ist damit aber keine Pflicht zur ausgedehnten Finanzierung der Harmonisierungsmaßnahmen in den europäischen Nachbarstaaten verbunden.330 Dem Transparenzgebot entspräche es, einen klar definierten Stufenplan offen zu legen. Die Abwägung zwischen den Prinzipien führt aber nicht zu bestimmten Zeitvorgaben für das Erklimmen der nächsten Stufe.331 Derartige Vorgaben sind auch empirisch kaum möglich, denn die Erreichung der Voraussetzungen hängt v. a. von den Nachbarstaaten ab. Es ist aber möglich, die Kriterien zu formulieren, die erfüllt sein müssen, um z. B. am Binnenmarkt teilzunehmen. Dementsprechend verzichtet die EU in ihrer aktuellen Erweiterungsstrategie auf zeitliche Festlegungen, formuliert aber verschiedene „Benchmarks“.332 Es müssen also alle zulässigen Partizipationsinstrumente, einschließlich der flexiblen, bei der Zieloptimierung berücksichtigt werden. Sowohl die Erweiterung als auch die Vertiefung der EU sind graduelle Prozesse. Differenzierungen sind stets das mildere Mittel gegenüber einem völligen Integrationsstillstand zu Lasten eines Integrationsziels. Nicht vereinbar mit dem Optimierungscharakter ist die Ansicht, die eine Flexibilisierung im Innern der EU mit einem einseitigen Verweis auf die grundsätzlich gleichen Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten und der damit verbundenen Notwendigkeit der gleichen Integrationsfähigkeit und -willigkeit ablehnt. Ebenso wenig vereinbar mit dem Optimierungscharakter von Erweiterung und Vertiefung ist das Verbot einer Flexibilisierung nach außen durch den einseitigen Verweis auf die historische Notwendigkeit der Erweiterung, die unabhängig ist von der Handlungsfähigkeit und Effizienz der EU.333 Folgelasten durch voreilige Aufnahmen und dysfunktionale Vertiefungen müssen in eine Abwägung eingestellt werden. Fraglich ist, ob die Flexibilisierung der Integration nach außen generell als milderes Mittel gegenüber einer Flexibilisierung im Innern der EU anzusehen ist. Bejaht werden muss dies in Bezug auf dauerhafte Differenzierungen im Innern. Diese sind vertraglich nicht vorgesehen (also schon unzulässig). Zudem funktionieren jedenfalls die Kernbereiche der Vertiefung, also insb. der Binnenmarkt, nur bei einem Mindestmaß an Gemeinsamkeit.334 Diskutabel ist hingegen, ob bloße Übergangsregelungen nach dem Beitritt erforderlich sind, obwohl es möglich ist, Sˇarcˇevic´, S. 461 (479 f.); Zeh, 2004, S. 81 (91 f.); dies., 2002, S. 72 f., 75. So auch Potratz, S. 86 (91). 331 Zu einem Zeitplan auch Lippert / Wessels, S. 439 (449); Potratz, S. 86 (91). 332 Vgl. dazu die Ausführungen der KOM zur Erweiterungsstrategie gegenüber der Türkei KOM(2006) 649 endg., S. 6, 15, 24 f.; KOM(2005) 561 endg., S. 3 und das EP, P6_TAPROV(2006)0568, 13. Dezember 2006, Erwägungen O2, O.19, O.24. 333 Zu dieser Ansicht Wessels / Jantz, S. 345 (352). 334 So auch U. Becker, 1999, S. 77 f., 81; Thym, S. 253 f. 329 330
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
durch vorbereitende Maßnahmen außerhalb der EU die Beitrittskandidaten dicht an das wirtschaftliche, soziale und rechtskulturelle Niveau der EU heranzuführen. Diese Frage ist aus einer vertiefungsschützenden Perspektive gestellt, würde aber zu einer sehr engen Fassung der Beitrittsvoraussetzungen führen. Ein angemessener Ausgleich könnte darin bestehen, vorläufige Differenzierungen im Innern zuzulassen, wenn damit nicht eine substantielle Gefährdung der Integrationsfähigkeit der EU einhergeht. Dann könnte der Beitrittskandidat auch ohne eine vollständige Anpassung von den Mitentscheidungsrechten profitieren.335 Letztlich kann auf so abstrakter Ebene keine eindeutige Kollisionsregel formuliert werden. Es kommt vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Zu beachten ist, dass die Pflicht zur bestmöglichen Partizipation aus dem Erweiterungsprinzip folgt, das im Primärrecht der EU verankert ist. Dieses bezieht sich auf die Integration in die EU. Ihm ist nicht gedient durch einen Verweis auf andere europäische Internationale Organisationen wie etwa den Europarat. Die ENP darf folglich für europäische Staaten nur ein Zwischenschritt sein, der eine Ausgrenzung der Nachbarn verhindert, solange diese die Kopenhagener Kriterien nicht erfüllen.336 Denn mit der ENP wird zwar eine sehr weitgehende materielle Integration einschließlich einer Binnenmarktöffnung angestrebt, es ist aber weder eine Beteiligung in den Organen der EU noch die Unionsbürgerschaft vorgesehen und damit nicht der Beitritt als Optimum des Erweiterungsprinzips. Werden mit der Erfüllung der Aktionspläne zugleich die Kopenhagener Kriterien erfüllt, kann ein Beitritt folglich nur abgelehnt werden, wenn die EU ihrerseits nicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um ihre Integrationsfähigkeit zu gewährleisten. Bisher wird der eigentliche Inhalt der Nachbarschaftsbeziehungen aber nicht detailliert genug angegeben,337 um von einer Vergleichbarkeit mit den Beitrittsvoraussetzungen sprechen zu können. Zudem wird eine unterschiedliche Terminologie verwendet. Deutlich wird aber, dass mit der Teilnahme an der ENP durch die Ausrichtung der Inhalte an den Werten der EU und die Dominanz der EU in den Verhandlungen eine enorme Heranführung an die EU geleistet wird.
D. Auslegung der Assoziierungsabkommen mit europäischen Staaten Die Prinzipienlehre wirkt sich auch auf die Auslegung von Assoziierungsabkommen zwischen der EG und Drittstaaten aus. Denn wie auch die EntscheiDazu U. Becker, 1999, S. 83 f. So bereits Bruha / Alsen, S. 161 (180). 337 Kritisch zur Ungenauigkeit das EP, P6_TA-PROV(2006)0568, 13. Dezember 2006, Erwägung O.41. 335 336
D. Auslegung der Assoziierungsabkommen mit europäischen Staaten
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dung über den Neubeitritt von Mitgliedstaaten ist der Abschluss und die Anwendung von Assoziierungsabkommen eng verknüpft mit den Zielen und damit den Prinzipien der Gemeinschaft; über Art. 10 EG können diese Prinzipien auch im Rahmen von außergemeinschaftlichen Rechtsverhältnissen gewisse Wirkungen entfalten.338 Der Integrationsauftrag der EU gegenüber europäischen Staaten und der damit verbundene Grundsatz der bestmöglichen Partizipation werden insb. im Rahmen der ENP aktuell. Ziel der ENP und Beispiel für eine recht weitgehende Form der Partizipation ist der Abschluss von Assoziierungsabkommen. Dass Assoziierungsabkommen in Reichweite und Inhalt sehr variieren, wurde bereits erwähnt.339 Als Vorteil sehr weitgehender Assoziierungen, insb. des EWR, wird die rechtliche Integration hervorgehoben: Erst die Möglichkeit, den EWR-Vertrag durchzusetzen und verbindlich zu interpretieren, schaffe die Sicherheit des Rechtsstaatsprinzips. Andere Handelsabkommen unterliegen typischerweise dem politischen Ermessen und den damit verbundenen Unsicherheiten.340 Die bisherige EuGH-Rechtsprechung zur Auslegung von Assoziierungsabkommen wird z. T. stark kritisiert. Denn der EuGH legt Regelungen in Assoziierungsabkommen oft anders aus als im Wesentlichen identische Regelungen des Gemeinschaftsrechts. Er begründet dies mit der unterschiedlichen Zielsetzung: Ziel der Assoziierungsabkommen sei der Freihandel. Die Zusammenarbeit in der EG sei hingegen geleitet von den Zielen des Binnenmarktes, der Wirtschafts- und Währungsunion und der Politischen Union.341 Dieser Rechtsprechung liegt die herkömmliche Klassifizierung von Assoziierungen als Freihandelsassoziierungen, Beitrittsassoziierungen und Entwicklungsassoziierungen zugrunde. Diese Klassifizierung trägt zwar der Tatsache Rechnung, dass Beitritts- und Entwicklungsassoziierungen nicht nur Handelszwecke verfolgen, übersieht aber, dass sich die Handelszwecke in Freihandelsabkommen nicht immer in der Errichtung einer Freihandelszone erschöpfen, sondern zum Teil auf die Errichtung binnenmarktähnlicher Verhältnisse gerichtet sind.342 Kritisiert wird außerdem die Inkohärenz der Rechtsprechung des EuGH: Zum einen nutze er die ziel- und kontextorientierte Auslegung inhaltlich übereinstimmender Regelungen, um den Grad der Liberalisierung „sehr ergebnisorientiert [zu] dosieren“. Mal richte sich die Auslegung „auf Öffnung, mal auf Abschottung des Gemeinschaftsrechts im Verhältnis zu den Vertragsparteien“. Die Argumentation wirke oft „reichlich vorgeschoben“.343 Zum an338 Ähnlich zur Bindung beim Abschluss und im Vorfeld von Beitrittsverträgen Richter, S. 61; Zeh, 2002, S. 31. 339 Vgl. dazu im 1. Kapitel unter A.III. 340 Peers, S. 187 (205). 341 Z. B. der Begriff „Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen“; vgl. EuGH, Rs. 270 / 80, Polydor, Slg. 1982, S. 329 ff.; Rs. 104 / 81, Kupferberg, Slg. 1982, S. 3641 ff.; zum hier beiden Urteile m. w. N. Bruha, 2002, S. 109 (114 f.). 342 Z. B. der EWR und bilaterale Abkommen mit der Schweiz, insb. das Luftverkehrsabkommen; Bruha, 2002, S. 109 (110, 113).
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
deren stehe die Ablehnung der binnenmarktanalogen Auslegung „in einem merkwürdigen Kontrast“ zur Anwendung des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts durch die EG auf ihre völkerrechtlichen Vertragsbeziehungen und auf Störungen des Gemeinsamen Marktes, die von Unternehmen aus Drittstaaten ausgehen. Die extraterritoriale Anwendung des Gemeinschaftsrechts, einschließlich seiner Schlüsselelemente des Gemeinsamen Marktes, ist also grundsätzlich nichts Fremdes.344 Bruha schlägt daher vor, die Zielorientierung der Auslegung ernst zu nehmen und insb. zwischen Freihandelsassoziierungen und Binnenmarktassoziierungen zu unterscheiden. Dementsprechend müssten Inhalt und Wirkung von gleichlautenden Vorschriften bei Binnenmarktassoziierungen genauso wie entsprechende gemeinschaftsrechtliche Vorschriften ausgelegt und angewandt werden; Ziel ist eine „Parallelität der Rechtsordnungen“.345 Diese umfasse auch eine „Wirkungsparallelität“ zwischen dem Recht von Binnenmarktassoziierungen und dem Gemeinschaftsrecht. Insbesondere der effet utile-Grundsatz müsse als Instrument eingesetzt werden, um die größtmögliche Wirksamkeit der Assoziierungen zu erreichen.346 Dieser Ansicht zufolge müssten auch die angestrebten Nachbarschaftsabkommen, die u. a. politische Ziele verfolgen und auch eine Binnenmarktassoziierung zum Inhalt haben können, gemeinschaftsrechtsanalog und damit dynamisch und weit ausgelegt werden. Eine solche „Parallelität der Rechtsordnungen“ könnte die Attraktivität von Übergangslösungen oder gar Daueralternativen zum Beitritt steigern.347 Sowohl beim EuGH und dessen zielorientierter Auslegung, als auch bei Bruhas Forderung einer möglichst effektiven Anwendung der Assoziierungsabkommen sind Ansätze einer prinzipienorientierten Auslegung erkennbar. Eine strenge Orientierung an den Vorgaben der Prinzipienlehre könnte die dezisionistischen Elemente in der EuGH-Rechtsprechung schmälern und umgekehrt aufzeigen, wo das Recht keine eindeutige Lösung bereithält. Im Verhältnis zu europäischen Vertragspartnern wäre insb. zwischen dem Erweiterungs- und dem Vertiefungsziel abzuwä343 Bruha, 2002, S. 109 (113 ff.) m. w. N.; ähnlich zur Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Abkommen Peers, S. 187 (206 f.) m. w. N. 344 Bruha, 2002, S. 109 (115) m. w. N. 345 Bruha, 2002, S. 109 (111 f., 117) m. w. N. auf die Urteile vom EuGH und vom EFTAGerichtshof, die dies beim EWR bereits berücksichtigen; Nicolaysen, EuR-Beiheft 3 / 2002, S. 120; zu den Europa-Abkommen Peers, S. 187 (208). 346 Bruha, 2002, S. 109 (113, 120) mit Verweis und weiteren Nachweisen auf eine „Aufsehen erregende Entscheidung“ des EFTA-Gerichtshofs (zur Übernahme der Staatshaftungsrechtsprechung des EuGH für den Fall nicht fristgemäß umgesetzter Richtlinien), Rs. E-9 / 97, Sveinbjörnsdóttir, EFTA Court Reports 1998, S. 85 ff. und deren indirekte Billigung durch den EuGH, zudem Nachweise bzgl. der Entscheidungen zu den Europa-Abkommen mit den MOEL, bei denen der EuGH subjektive Rechte von Selbstständigen auf Niederlassung anerkannte; auch Peers, S. 187 (208 ff.) fordert den Gleichlauf bei der Auslegung bestimmter Regelungen der Europa-Abkommen, insb. deren stärkere Durchsetzbarkeit. 347 Bruha, 2002, S. 109 (119 f.); Peers, S. 187 (211 ff.).
E. Änderbarkeit des europäischen Integrationsauftrags der EU
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gen. Dem Erweiterungsziel ist im Rahmen von Assoziierungen durch eine möglichst wirkungsvolle Anwendung der Assoziierungsabkommen gedient. Institutionell wird das Vertiefungsziel durch Assoziierungen nicht belastet. Materiell würde das Vertiefungsprinzip sogar durch eine optimierende, also im Ergebnis binnenmarktanaloge Auslegung entsprechender Klauseln besser verwirklicht. Denn die Binnenmarktfähigkeit der Vertragspartner müsste bereits vor dem Einfügen entsprechender Klauseln gewährleistet sein. Der EuGH müsste gegenüber europäischen Staaten also stets auf die Öffnung des Gemeinschaftsrechts hinwirken. Eine scheinbar abschottende Rechtsprechung könnte er nur mit dem Schutz anerkannter europäischer Rechtsprinzipien begründen. Freilich gelten diese Vorgaben auch für andere als Binnenmarktassoziierungen mit europäischen Nachbarstaaten. Allerdings existiert bei den Binnenmarktassoziierungen aufgrund der Rechtsprechung des EuGH im Rahmen des Gemeinschaftsrechts eine Reihe von Abwägungsregeln, die eine präzisere Kritik am Gerichtshof ermöglichen.
E. Änderbarkeit des europäischen Integrationsauftrags der EU Jeder Beitritt bietet Anlass zu Reformen und geht zudem mit einer Vertragsänderung einher. Demnach stellen sich im Zusammenhang mit Erweiterungen nicht nur Fragen nach der Zulässigkeit bestimmter Regelungen nach geltendem Recht, sondern auch Fragen nach der Rechtsgrundlage, den Voraussetzungen und Grenzen einer Vertragsänderung. Die seit dem Jahre 2000 geführte Finalitätsdebatte und die darauf folgenden Reformvorschläge betreffen nicht nur institutionelle und verfahrensmäßige Anpassungen der EU, sondern die „Veränderung ihrer Substanz“, also die Neubestimmung ihrer „Ziele, Aufgaben sowie Prinzipien“.348 Die ENP wird zum Teil als Beginn der Umsetzung einiger dieser Vorschläge angesehen. Nach dem Scheitern der Verfassungsreferenden 2005 kam die Diskussion auf, ob eine weitere Beitrittsrunde schon daran scheitert, dass sich die Mitgliedstaaten in den kommenden zehn Jahren nicht auf einen Verfassungsvertrag oder, allgemein gesprochen, auf eine erforderliche Konsolidierung der EU im Rahmen einer Vertragsänderung einigen können. Entgegnet wurde, dass eine solche Vertragsänderung ja gerade Gegenstand eines Beitrittsvertrags sein könne.349 Damit ist die allgemeine Frage nach dem Verhältnis zwischen Art. 48 EU und Art. 49 EU aufgeworfen (dazu unter I.). Im Rahmen der Abgrenzung beider Normen muss man auch diskutieren, ob ein Beitritt aufgrund einer Vertragsänderung nach Art. 48 EU zulässig ist, falls ein Beitrittskandidat die Beitrittsvoraussetzungen nicht erfüllt.350 Thalmaier, S. 20. Z. B. auf der wissenschaftlichen Konferenz zur ENP „Draußen vor der Tür?“ am 1. / 2. Juni 2006 in Berlin. 350 Zu diesem Vorschlag U. Becker, 1999, S. 165. 348 349
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
Da die Beitrittsvoraussetzungen das Vertiefungsziel schützen, käme dies einer Erweiterung zulasten der Vertiefung gleich. Einige kritisieren zudem, dass im VVE der Art. 49 EU nicht gestrichen wurde. Der Vorschlag der Streichung der Erweiterungsklausel zielt auf eine Veränderung des Verhältnisses von Erweiterung und Vertiefung zugunsten der Vertiefung und damit zu einer Aufgabe der doppelten Zielbindung des geltenden Integrationsauftrags.351 Andere gehen nicht ganz so weit, fordern aber immerhin strengere Beitrittsvoraussetzungen als die in Art. 49 EU genannten.352 Wie bereits erwähnt, werden überdies insb. von Politikwissenschaftlern flexible Partizipationskonzepte diskutiert, die nach geltendem Recht unzulässig sind. Die Streichung bislang zulässiger Partizipationsinstrumente oder deren Knüpfung an strengere Voraussetzungen sowie die Einführung bislang unzulässiger Teilnahmemöglichkeiten berühren die Frage nach den materiellen Grenzen der Vertragsänderung (dazu unter II.). Im Folgenden wird nicht nur der Stand der Diskussion bezüglich dieser beiden Fragen skizziert, sondern werden auch die Meinungen in der Literatur zu konkreten Fragen im Zusammenhang mit der Änderbarkeit des europäischen Integrationsauftrags wiedergegeben. Strittig ist, ob der geltende Stand der Vertiefung wieder reduziert werden dürfte (dazu unter III.), ob Teilbeitritte zulässig sind (dazu unter IV.) und ob die ENP eine Alternative zum Beitritt ist (dazu unter V.). Erörtert wird außerdem die Zulässigkeit eines exklusiven Kerneuropas durch völkerrechtliche Kooperation einiger Mitgliedstaaten (dazu unter VI.). Im Anschluss an die Einzeldiskussionen wird gezeigt, inwieweit die europäische Prinzipienlehre zur Lösung der Rechtsfragen beitragen kann (dazu unter VII.). Nicht ausführlich erörtert wird die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Vertragsänderung nach Art. 48 bzw. 49 EU und der Vertragsänderung nach völkerrechtlichen Regelungen. Dieser Arbeit liegt die Ansicht zugrunde, dass die gemeinschaftsrechtlichen Änderungsvorschriften Mussvorschriften sind und nicht bloße Sollenssätze. Jedenfalls aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht wäre eine Missachtung der Verfahrensund Formvorgaben der Art. 48 und 49 EU unzulässig.353 Diese Problematik wird oft in Verbindung gebracht mit der Debatte, ob die Mitgliedstaaten noch „Herren Dies forderte Lippert, Assoziierung, 2006, S. 149 (156). Zu den zunehmend politisch-moralischen, religiösen und stabilitätspolitischen Anforderungen z. B. Lippert, Erweiterung, 2006, S. 120 (127); dies., 2004, S. 13 (21 ff.). 353 Zum Streitstand z. B. Meng, in: von der Groeben / Schwarze, 2003, Art. 48 EU Rn. 24 ff.; Peters, S. 447 – 461; Ruffert / Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 48 EU Rn. 4 ff.; Vertreter der h. M. sind u. a. Herrnfeld, in: Schwarze, 2000, Art. 48 EU Rn. 16; Meng, in: von der Groeben / Schwarze, 2003, Art. 48 EU Rn. 30 ff.; Nicolaysen, Europarecht I, 2002, S. 158; Richter, S. 168 f.; zur Problematik der schleichenden informellen Vertragsentwicklung Peters, S. 461 ff.; 771 f. Nr. 12 f.; a. A., wonach Art. 48, 49 EU keine zwingenden Regelungen sind, Ruffert / Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 48 EU Rn. 5, Art. 49 EU Rn. 14; zur völkerrechtlichen Rechtmäßigkeit m. w. N. z. B. Booß, in: Lenz / Borchardt, 2003, Art. 48 EU Rn. 1; Peters, S. 451 f.; differenziert Koenig / Pechstein, S. 130 ff. 351 352
E. Änderbarkeit des europäischen Integrationsauftrags der EU
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der Verträge“ sind. Diese Debatte wird indes nicht entschieden mit der Annahme einer Bindung der Mitgliedstaaten an Regelungen, die sie sich selbst auferlegt haben.354
I. Die Abgrenzung zwischen Art. 48 und 49 EU Gemäß Art. 49 Abs. 2 EU können im Beitrittsvertrag „Aufnahmebedingungen“ und „die durch eine Aufnahme erforderlich werdenden Anpassungen der Verträge“ festgelegt werden.355 Art. 48 EU spricht von einer „Änderung der Verträge, auf denen die EU beruht“. Diskutiert wird der Anwendungsbereich der Vertragsänderung nach Art. 49 Abs. 2 EU und deren zulässige Reichweite. Mehrheitlich wird angenommen, dass Art. 49 EU bei einem Beitritt lex specialis zu Art. 48 EU ist, da jeder Beitritt eine Änderung des Primärrechts bedinge.356 Dass die Verfahrensregelung und überdies die materiellen Voraussetzungen nach Art. 49 EU durch einen auf Art. 48 EU gestützten Beitritt umgangen werden können, wurde bisher von U. Becker hervorgehoben, der diese Möglichkeit aber für praktisch nicht relevant und politisch unerwünscht hält.357 Offen ist auch die Frage, welche Norm anwendbar ist bei einer institutionellen Reform in Vorbereitung auf einen Beitritt. Auch dabei geht es letztlich nur um das anzuwendende Verfahren; Art. 48 EU setzt lediglich eine Anhörung des EP voraus, Art. 49 Abs. 1 EU verlangt dessen Zustimmung. Das EP schlägt ein kombiniertes Verfahren zur Würdigung seiner Rolle vor.358 U. Becker unterscheidet danach, ob Vertragsänderungen durch einen Beitritt notwendig werden (dann sei Art. 49 EU anwendbar) oder nur anlässlich eines Beitritts vorgenommen werden (dann sei Art. 48 EU einschlägig).359 Dies berührt auch die Frage, was „Anpassungen der Verträge“ im Vergleich zu einer Vertragsänderung nach Art. 48 EU sind. Ähnlich streitig ist, ob der Begriff „Aufnahmebedingungen“ i. S. v. Art. 49 Abs. 2 EU auch zusätzliche Beitrittsvoraussetzungen umfasst, die sich nicht schon aus dem geltenden Gemeinschaftsrecht ergeben, oder aber nur Übergangs- und Ausnahmeregelungen betrifft.360 Der EuGH ist auf diese Fragen noch nicht eingegangen.361 In der Literatur verstehen U. Becker, 2001, S. 14. In Art. I-58 VVE heißt es „Die Bedingungen und Einzelheiten der Aufnahme . . .“; dazu Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-58 VVE Rn. 7. 356 Z. B. U. Becker, 2001, S. 8 f.; Pechstein, in: Streinz, 2003, Art. 49 EU Rn. 1, 10; Ruffert / Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 49 EU Rn. 7; Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 2, 26, 40 f.; Vedder / Folz, ebd., Art. 48 EU Rn. 2; zum VVE Cremer, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-58 VVE Rn. 7. 357 U. Becker, 1999, S. 165. 358 EP, Task Force Erweiterung, Themenpapier Nr. 23, 19. Mai 1998, S. 6 f.; zur Möglichkeit einer Kombination von Art. 48 und 49 EU auch Thym, S. 264. 359 U. Becker, 2001, S. 8 f. 360 Dazu z. B. Herrnfeld, in: Schwarze, 2000, Art. 49 EU Rn. 11; Richter, S. 29 f. 354 355
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einige unter „Anpassungen“ nur technisch notwendige Regelungen, insbesondere Vertragsänderungen, die die Schwerfälligkeit der EU korrigieren und den Entscheidungsprozess erleichtern und flexibler machen.362 Bemerkenswert ist hier die Anlehnung an eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Zum Teil wird vertreten, dass in den Beitrittsverhandlungen jedenfalls nicht offen über Beitrittsalternativen, sondern nur über Beitrittsmodalitäten diskutiert werden darf.363 Andere gehen davon aus, dass mit „Anpassungen“ alle kausal durch die Erweiterung veranlassten und gerechtfertigten Änderungen gemeint sind,364 aber unabhängig von den allgemeinen materiellen Vertragsänderungsgrenzen im Rahmen von Art. 48 EU jedenfalls bei einer Erweiterung die fundamentalen Prinzipien der EU bewahrt werden müssen.365 Die jeweils berührten Rechtsgüter, zu denen auch das Erweiterungsziel selbst gezählt wird, müssten gewichtet und jeweils in Verhältnis zueinander gesetzt werden.366 Bei dem Beitritt handele es sich nämlich um eine Aufnahme neuer Mitglieder in eine bestehende Organisation und nicht um einen Zusammenschluss. Schon daraus folge „grundsätzlich das Bestreben, die Identität der aufnehmenden Einrichtung bestehen zu lassen.“367 Die bisherige Praxis der Kommission, in der nur Übergangsregelungen zugelassen wurden, bestätige, dass identitätsstiftende Prinzipien von einem Beitritt nicht berührt werden dürfen.368 Auch aus klubtheoretischer Sicht haben die Beitrittsvoraussetzungen den Zweck, die maßgeblichen Ziele und Regeln des Klubs, also der EU, zu wahren.369 Eine eher völkerrechtliche Betrachtungsweise gesteht den Mitgliedstaaten und Unionsorganen hingegen Freiheit zu hinsichtlich des Inhalts des Beitrittsvertrags. Das Vertragsänderungsverfahren nach Art. 49 EU genüge den Erfordernissen einer normalen Vertragsänderung, so dass sich der Beitrittsvertrag „über alle Vorschriften des Primärrechts hinwegsetzen könne“. Auch integrationsgefährdende Änderungen seien demnach zulässig, rechtliche Grenze sei nur der völkerrechtliche ius cogens.370 Diese Ansicht geht davon aus, dass auch bei der „normalen“ Vertragsänderung keine materiellen Grenzen existieren. Dies ist nicht unbestritten. 361
Auch nicht in der Rs. 93 / 78, Mattheus / Doego, Slg. 1978, S. 2203 ff.; vgl. Lopian,
S. 38. 362 Ehlermann, 1984, S. 113 (116) zu Art. 237 EWG; Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 13. 363 Kramer, Mai 2005, S. 19. 364 U. Becker, 2001, S. 8 f.; Herrnfeld, in: Schwarze, 2000, Art. 49 EU Rn. 12; Vedder, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 49 EU Rn. 41. 365 U. Becker, 2001, S. 8 f.; darstellend Lopian, S. 36 f.; nicht eindeutig ist die Ansicht von Peters, S. 444. 366 U. Becker, 1999, S. 77. 367 M. w. N. U. Becker, 1999, S. 69, 76 ff.; ähnlich ders., 2001, S. 8. 368 M. w. N. U. Becker, 1999, S. 21, 69 f.; Oppermann, Europarecht, 2005, § 32 Rn. 20. 369 Siehe dazu im 2. Kapitel unter B. 370 Lopian, S. 37 f.; Meng, in: von der Groeben / Schwarze, 2003, Art. 48 EU Rn. 28; Art. 49 EU Rn. 54; ders., in: GTE, 1997 – 1999, Art. O EUV Rn. 50, Art. N EUV Rn. 18 ff.
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II. Materielle Grenzen der Vertragsänderung Wie bereits erwähnt, sieht das Unionsrecht nicht wie Art. 79 Abs. 3 GG ausdrücklich die Änderungsfestigkeit bestimmter Grundsätze und Ziele vor. Rechtliche Grenzen der Änderbarkeit und damit letztlich eine Rangordnung innerhalb des Primärrechts lassen sich daher allenfalls aus allgemeinen Grundsätzen herleiten.371 Auch die EuGH-Rechtsprechung enthält kaum Anhaltspunkte für die Änderungsfestigkeit eines bestimmten Kerns des Gemeinschaftsrechts.372 Die Debatte über die inhaltliche Gestaltungsfreiheit bei Vertragsänderungen wird zum Teil im Zusammenhang mit dem Streit über ein Auflösungsrecht373 gesehen. Solange ein solches nicht existiert, dürfe auch die Vertragsänderung nicht zum Verlust der Identität der EU führen. Das Primärrecht unterscheidet zwischen der Änderung (Art. 48 EU) und der Geltung (also Beendigung) der Verträge (Art. 51 EU, Art. 312 EG). Eine Modifizierung identitätsbestimmender Strukturmerkmale sei keine Änderung mehr, sondern die Ersetzung der Rechtsordnung.374 Andere entgegnen jedoch, dass der Begriff „Änderung“ nur besagt, dass nachher etwas anderes gilt als vorher, aber keine Aussage bezüglich der Gestalt der fortbestehenden Organisation trifft.375 Die Geltung „auf unbegrenzte Zeit“ gemäß Art. 312 EG sei ebenso ohne Aussagekraft, da sie auch als bloßer Ausschluss einer Befristung angesehen werden kann.376 Zudem gibt es keine sichere Grenze zwischen Änderung und Ersetzung, weil eine Reihe kleiner Änderungen ebenso eine Identitätsänderung bewirken kann wie ein einmaliger großer Eingriff. Zudem ist die Identität kein schützenswerter Selbstzweck. Die Vertragstexte lassen überdies offen, was zur Identität gehört und es ist unklar, wer zu einer autoritativen Festlegung der identitätsbestimmenden Merkmale berufen ist.377 Verweise auf die Notwendigkeit des Gemeinschaftsrechtssystems und die Eingebundenheit der Individuen könnten die Schwierigkeiten bei der Begründung eines änderungsfesten Kerns nicht überspielen.378 371 U. Becker, 1999, S. 64 f. lässt die Rechtsfrage ausdrücklich unbeantwortet; Heintzen, 1994, S. 35 (40 f.); Meng, in: von der Groeben / Schwarze, 2003, Art. 48 EU Rn. 28 m. w. N.; Peters, S. 444 f., 771 Nr. 10 m. w. N.; Richter, S. 165 m. w. N.; Vedder / Folz, in: Grabitz / Hilf I, 2006, Art. 48 EU Rn. 15; siehe dazu bereits im 3. Kapitel unter B.III.2. 372 U. Becker, 1999, S. 65: insb. das Gutachten 1 / 91, Slg. 1991, I-6079, Rn. 71 würde oft missverstanden; es beziehe sich auf den heutigen Art. 310 EG; in Verbindung mit dem Gutachten 1 / 92, Slg. 1992, I-2821, Rn. 32 würde deutlich, dass der EuGH lediglich eine förmliche Vertragsänderung fordert, sofern ein völkerrechtliches Abkommen dem geltenden Primärrecht widerspricht; ebenso z. B. Heintzen, 1994, S. 35 (37 f.); Peters, S. 443 f., 771 Nr. 10. 373 Zur politischen Debatte über die Einführung eines Austritts- bzw. Auflösungsrechts Bruha / Nowak, S. 1 (3 ff.). 374 Nachweise bei Peters, S. 445 – 447. 375 U. Becker, 1999, S. 67. 376 U. Becker, 1999, S. 66 f. m. w. N. 377 Peters, S. 445 – 447, 771 Nr. 10 m. w. N. 378 U. Becker, 1999, S. 68 f.
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
Zu bedenken ist insbesondere, dass der EuGH gemäß Art. 220 EG i. V. m. Art. 46 EU nur für die Auslegung und Anwendung der Verträge zuständig ist, nicht aber die Rechtmäßigkeit von Primärrecht überprüfen kann. Ein etwaiger materiell hierarchischer Gehalt einiger Primärrechtsbestimmungen könnte folglich nicht vom EuGH geschützt werden, wenn die Bestimmungen gemäß Art. 48 EU geändert würden. Eine höhere, aber rein faktische Änderungsresistenz und eine Stellung über den anderen Verfassungsnormen weisen allenfalls Normen im Kern der politischen und rechtlichen Gemeinsamkeiten der europäischen Demokratien auf, welche die EU zudem als Voraussetzung für die Mitgliedschaft vorsieht. Die gemeinsame Herkunft dieser Normen und deren verfassungsrechtlicher Schutz in den einzelnen Mitgliedstaaten erschweren entsprechende Änderungen des Primärrechts.379 Welche Bedeutung die primärrechtliche Einführung eines freiwilligen Austrittsrechts hat, lässt sich bislang noch nicht absehen. Sie steht im Widerspruch zu allen bisher in der Wissenschaft vertretenen Ansätzen zur Rechtsnatur und Finalität der Gemeinschaft und insb. mit dem primärrechtlich verankerten Konzept einer immer engeren Union der europäischen Staaten und Völker. Art. I-60 VVE bzw. die mit dem Reformvertrag geplante Einführung eines entsprechenden Rechts mag daher ein Anzeichen dafür sein, dass die Verantwortlichen dieses Identitätselement nicht als unumstößlich erachten.380
III. Die Zulässigkeit der Reduzierung des Stands der Vertiefung Als materielle Grenze der Vertragsänderung wurde etwa der geltende Stand der Integration diskutiert. Art. 2, 5. Spstr. EU und Art. 3 Abs. 1 EU seien „grundlegende Normen, die mit großer Deutlichkeit die Union auf die volle Wahrung und Weiterentwicklung des Besitzstandes festlegen“;381 eine Ausnahme ist ausdrücklich nur für institutionelle Reformen vorgesehen. Ganz überwiegend wird Art. 2, 5. Spstr. EU dennoch nicht als absolute inhaltliche Änderungsschranke angesehen.382 Denn materielle Änderungsschranken sind im Völkerrecht – aber auch im nationalen Recht – generell sehr ungewöhnlich.383 Gegen eine Qualifizierung als änderungsfest wird zudem angeführt, dass bereits das hohe Erfordernis der Einstimmigkeit unangemessene Entwicklungen verhindern könne.384 Es gebe folglich keine Norm, die die Reduzierung des erreichten Integrationsstands verbietet. Eine solche Norm würde auch – wie das Verbot einer einvernehmlichen Auflösung der 379 Z. B. m. w. N. Griller, S. 201 (251); H. Hofmann, S. 89 ff.; siehe dazu bereits im 3. Kapitel unter B.III.2.b). 380 Dazu Bruha / Nowak, S. 1 (insb. S. 8 ff.). 381 Richter, S. 165 f. 382 Z. B. Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 2 EU Rn. 17 m. w. N. 383 Richter, S. 166; ähnlich Peters, S. 444. 384 Richter, S. 166.
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EU – die Grenze der „Regelungsfähigkeit des Rechts gegenüber der Politik“ überschreiten.385 Als materielle Grenze werden nichtsdestotrotz vereinzelt die Grundfreiheiten angesehen.386 Mit dem geplanten Reformvertrag wird jedenfalls ausdrücklich festgelegt, dass im Rahmen des ordentlichen Änderungsverfahrens nach Art. 48 EU (in der Fassung des gegenwärtigen Art. IV-443 VVE) Verträge auch mit dem Ziel geändert werden können, die der Union übertragenen Zuständigkeiten zu verringern.387
IV. Die Zulässigkeit der Einführung von Teilbeitritten Teilbeitritte sind im geltenden Primärrecht nicht vorgesehen. Art. 49 Abs. 1 EU sieht ausdrücklich einen Beitritt zur EU als Ganzer vor. Art. 3 EU spricht überdies von einem einheitlichen institutionellen Rahmen.388 Die Einführung von Teilbeitritten wird überwiegend als politisch unerwünscht erachtet angesichts des damit einhergehenden Ungleichgewichts zwischen Rechten und Pflichten.389 Eine entsprechende Vereinbarung in einem Beitritts- oder einem allgemeinen Änderungsvertrag sei jedoch zulässig.390 Auch in diesem Zusammenhang wird auf die geplante Einführung eines Austrittsrechts verwiesen. Mit einem Austritt oder seiner Androhung ließe sich jedenfalls durch die Hintertür eine Teilmitgliedschaft erreichen und damit „erstmals die Möglichkeit einer rückschreitenden Differenzierung“.391 Nicht alle aber halten die Gestaltungsfreiheit für grenzenlos. Zum Teil wird auf die geringere Reichweite der Änderungen nach Art. 49 EU verwiesen: Das Ausmaß der Ungleichzeitigkeit sei durch Art. 49 EU eingeschränkt. Als zwingend wird teilweise erachtet, dass ein Ausgleich zwischen Erweiterung und Vertiefung geschaffen und damit letztlich das Voranschreiten des Integrationsprozesses ermöglicht wird. Dies sei das eigentliche Ziel der EU, die Gefährdung der Kohärenz sei demgegenüber nachrangig, solange die „Basis“ nicht angetastet wird.392 Bruha / Nowak, S. 1 (20). Thym, S. 233, 250 ff.; Vilaça / Piçarra, S. 46 f.; die Autoren sind sich aber bewusst, dass sich ihre Ansicht nicht mit objektiven Rechtskriterien stützen lässt (S. 49); rein empirische Analyse zum Gemeinsamen Markt als „Kern“ bei de Búrca, S. 133 ff. 387 Europäischer Rat von Brüssel, Tagung vom 21. / 22. Juni 2007, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage I, Nr. 16. 388 Z. B. Krenzler, S. 1255 (Rn. 51). 389 Bruha / Alsen, S. 161 (178 f.); Krenzler, S. 1255 (Rn. 51). 390 Noch weitergehend, da sogar ein „Kerneuropa“ bejahend, R. Hofmann, 1999, S. 713 (732 ff.). 391 Bruha / Nowak, S. 1 (24); Calliess, in: Calliess / Ruffert, 2006, Art. I-60 VVE Rn. 19; Kühnhardt, S. 149; ähnlich Schön, S. 255 f. 392 Bruha / Alsen, S. 161 (179); ähnlich U. Becker, 1999, S. 77 ff. m. w. N.; Wasielewski, S. 189 ff. m. w. N. 385 386
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
Andere verweisen auf das Ziel von Bürgernähe und Transparenz. Wird dieses ernst genommen, seien Rechtsdifferenzierungen durch weitere Ausnahmeprotokolle unzulässig. Diese äußeren Grenzen der Flexibilisierung beließen den Unionsorganen und Mitgliedstaaten jedoch ein weites Ermessen.393 Überprüfbarkeit und Durchsetzbarkeit der Grenzen seien freilich problematisch.394 Eine Verbindung des Beitrittsvertrags mit einer Vertragsänderung nach Art. 48 EU würde überdies die materiellen Grenzen bedeutungslos machen. Denn mangels eines änderungsfesten Kerns bei Vertragsänderungen wird alles, was nach Art. 48 EU als neues Recht legitimiert wird, integraler Bestandteil der europäischen Rechtsordnung.395 Auch laut Wolfgang Schäuble könne das Integrationsdenken des „immer mehr“ geändert werden. Allerdings sei es trotz der vielen Gesamteuropakonzepte maßgebend, bis die Mitgliedstaaten einen Konsens über die Finalität der EU gefunden haben.396
V. Die ENP als Alternative zum Beitritt? Teilweise wird angenommen, dass sich ein Konsens bezüglich der Finalität der Erweiterung bereits in der Einführung der ENP und dessen ursprünglich geplanter Verankerung in Art. I-57 VVE ausdrückt. Die ENP leite das Ende des Vereinigungsprozesses ein.397 Jedenfalls wollte die EU bewusst eine Alternative zum Beitritt für europäische Staaten schaffen. Dies ergebe sich aus der Systematik des VVE: So erfasse Art. I-57 VVE sicher nicht einen Beitritt i. S. v. Art. I-58 VVE oder eine Beitritts-Assoziierung gemäß Art. III-324 VVE, wohl aber „eine assoziationsähnliche Verbindung“, die laut Hallstein reichen kann von einem Handelsabkommen plus eins bis zur Vollmitgliedschaft minus eins.398 Schon der Begriff „Nachbar“ verlange, so unbestimmt er in räumlicher, kultureller, historischer und zeitlicherer Sicht auch sein mag, nur einen „Brückenbau“ im Sinne einer grenzüberschreitenden Kooperation, nicht aber „Integration und Anschluss“.399 Die Einführung der ENP in einer Zeit der Überforderung der EU mit der Konsolidierung im Innern und dem Transformationsdruck von außen befördere den Eindruck vom Ende der bisherigen Erweiterungslogik.400 Art. I-57 VVE richtet sich zudem an Wasielewski, S. 191 f. m. w. N. U. Becker, 1999, S. 81 Fn. 343. 395 Thym, S. 233, 238, 264. 396 Wolfgang Schäuble, 129. Bergedorf Round Table (Körber-Stiftung), S. 70; gemäß Lopian, S. 36 – 38 wären integrationsgefährdende Maßnahmen gemeinschaftsrechtlich unzulässig, aber völkerrechtlich zulässig. 397 Erler, 129. Bergedorf Round Table (Körber-Stiftung), S. 74; Oppermann, FS Zuleeg, 2005, S. 72 (78); ders., Europarecht, 2005, § 32, Rn. 39; Stratenschulte, Wandel, 2004, S. 95. 398 Hummer, S. 233 (244 f.) m. w. N. 399 Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 653, 664. 400 Langenfeld, S. 73 (76); Lippert, Erweiterung, 2006, S. 120 (128); dies., 2004, S. 13 (57). 393 394
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alle Länder „in ihrer Nachbarschaft“, die Beschränkung des Adressatenkreises auf „Länder mit geringer territorialer Ausdehnung“ ist mit diesem Wortlaut nicht vereinbar.401 Gegen die Ausgestaltung der ENP als Beitrittsalternative werden meist nur politische Argumente angeführt, etwa die Nähe der ENP zur Erweiterungspolitik. In der Kommission wurde die neue Politik unter der Leitung des ehemaligen Erweiterungskommissars Günter Verheugen ausgearbeitet. Zudem seien in der Vergangenheit schon mehrere Konzepte gescheitert, die ursprünglich dazu dienten, „den Mitgliedschaftswunsch nicht anzuheizen, sondern abzukühlen“, etwa der EWR402 oder die Europa-Abkommen403. Stets entwickelten sie sich zu Beitrittsvorbereitungsinstrumenten. Auch heute sei zweifelhaft, ob es politisch möglich wäre, dass die ENP sich auf dem Niveau einer Beitrittsalternative fixieren ließe.404 Dies setze jedenfalls voraus, dass die Alternativkonzepte effektiver als bisher gehandhabt werden.405 Viele dieser Beiträge gehen implizit von der rechtlichen Zulässigkeit von (dauerhaften) Beitrittsalternativen aus. Zu beachten ist, dass im den VVE ersetzenden Reformvertrag eine ausdrückliche Erwähnung der Nachbarschaftspolitik nicht geplant ist.
VI. Die Zulässigkeit eines exklusiven Kerneuropas aufgrund völkerrechtlicher Kooperation Nach geltendem Recht ist das Kerneuropamodell nur zulässig, solange der Kern offen ist für andere teilnahmefähige und -willige Staaten. Die Vorschriften zur verstärkten Zusammenarbeit dienen nicht als Grundlage für ein exklusives Kerneuropa. Daher schlug Joschka Fischer in seiner Humboldt-Rede die Gründung einer Parallelorganisation mit eigenem rechtlichem und institutionellem Unterbau vor, also die Ersetzung der EU. Dieser Vorschlag wird aber als unvereinbar mit dem geltenden Gemeinschaftsrecht qualifiziert: Das Vertragsänderungsverfahren des Art. 48 EU würde umgangen und die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft gefähr401 Vgl. die Schlussakte zu Artikel I-57, Erklärung Nr. 11: „Die Union trägt der besonderen Lage der Länder mit geringer territorialer Ausdehnung Rechnung, die spezifische Nachbarschaftsbeziehungen zur Union unterhalten.“, abgedruckt u. a. in K. H. Fischer, Art. I-57, S. 211; weiter Gstöhl, 2005, S. 187 (195); ähnlich Emmanouilidis / Giering, S. 454 (466). 402 Z. B. Bruha, 2002, S. 109 (119); Bruha / Straubhaar, S. 175 (182); Forman, S. 52 (59); Gstöhl, 2005, S. 187; Hummer, S. 233 (237) m. w. N.; Kreis, S. 127 – 129; Krenzler, S. 1255 (Rn. 70) m. w. N.; Wichard, in: Calliess / Ruffert, 2007, Art. 310 EG Rn. 41. 403 Knappe Darstellung der Entwicklung bei Maresceau, 1997, S. 3 (9, 21); ausführlich Avery, S. 35 ff. (letztlich waren nur das Wann und Wie der Erweiterung streitig); MüllerGraff, 1997, S. 27 (31 – 39); Torreblanca, S. 47 ff., 303 ff.; sehr kritisch gegenüber dem Egoismus der EU Brunner, S. 179 (182 ff.). 404 Kreis, S. 127 – 129; Nicolaysen, EuR-Beiheft 3 / 2002, S. 120 (120 f.). 405 Bruha, 2002, S. 109 (119 f.): fordert Revision der Polydor- und Kupferberg-Rechtsprechung.
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
det. Art. 306 EG diene nicht als Rechtsgrundlage, denn diese Vorschrift basiere auf dem Subsidiaritätsprinzip, sei also entgegengesetzt zum „Aufgehen der Europäischen Union im föderalen Kerneuropa“. Allenfalls mit einer „Verfassungsneugebung“ könne das „Modell Fischer“ realisiert werden.406 Zulässig sei hingegen die Verwirklichung des „Modell Chirac“, wonach die Zusammenarbeit einer Pioniergruppe die bestehende Union völkerrechtlich ergänzt. Dadurch würde dem Acquis und der Kohärenz der EU nicht geschadet.407 In Art. 17 und 34 EU sind völkerrechtliche Kooperationen der Mitgliedstaaten ausdrücklich vorgesehen.
VII. Aussagen der Prinzipienlehre Da die primärrechtlichen Aussagen dürftig sind, gestehen auch die Gegner einer völligen Freiheit bei der Vertragsänderung ein, dass nur überpositive Grundsätze zur Einschränkung der inhaltlichen Gestaltungsfreiheit führen können.408 Deren Ermittlung sei verbunden mit einer staatstheoretischen Vertiefung und der schwierigen Bestimmung der Rechtsnatur der EU.409 Aber selbst ein Verfassungscharakter des Primärrechts hat in Abwesenheit entsprechender ausdrücklicher Grenzen für sich genommen keine rechtlichen, sondern allenfalls verfassungspolitische Einwände gegen eine Freiheit bei Vertragsänderungen zur Folge. Eine europäische Prinzipienlehre kann kaum Aussagen zum Verhältnis von Art. 48 und 49 EU machen. Wie bereits erläutert geben aber die klassischen Auslegungsmethoden Aufschluss über das Verhältnis zueinander. Ein systematischer Vergleich verdeutlicht den in Bezug auf materielle Änderungen enger gefassten Wortlaut des Art. 49 Abs. 2 EU. Auch die Auflistung von Beitrittsvoraussetzungen in Art. 49 Abs. 1 EU macht nur Sinn, wenn man „Aufnahmebedingungen“ nicht als beliebige zusätzliche materielle Kriterien versteht, sondern als den konkreten Zeitpunkt des Beitritts, Übergangs- und Ausnahmeregelungen u. ä. Die „erforderlich werdenden Anpassungen“ betreffen konsequenterweise die Vermittlung zwischen dem Erweiterungs- und dem Vertiefungsziel der EU. Gerade bei Beitritten neuer Kandidatenländer kommt es zu Spannungen bei der Verfolgung der beiden Prinzipien. Könnte man bei Erweiterungen das Vertiefungsprinzip vernachlässigen, würde das daraus folgende zwingende Optimierungsgebot seine maßgebliche Bedeutung verlieren. Folglich sind im Zuge von Beitritten alle Anpassungen der Verträge erlaubt und geboten, die einen angemessenen Ausgleich zwischen der Erweiterung und der Vertiefung herstellen. Der Kernbereich der beiden abzuwägenden Prinzipien darf dabei nicht angetastet werden, also insb. nicht die EU aufgrund der erhöhten Mitgliederzahl in eine bloße Freihandelszone verwandelt werden. Eine 406 407 408 409
Thym, S. 34, 36 f., 359 ff.; vgl. auch R. Hofmann, 1999, S. 713 (732 ff.). M. w. N. Thym, S. 34 f., 358 f., 315 ff. Peters, S. 444 f. U. Becker, 1999, S. 65.
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erhöhte Flexibilisierung im Innern ist zulässig, soweit beide Integrationsziele grundsätzlich ihre Stoßkraft behalten. Gegen eine Konsolidierung der EU im Rahmen eines Beitrittsvertrags spricht nichts, soweit diese im Ergebnis einen angemessenen Ausgleich zwischen der Erweiterung und Vertiefung darstellt. Es wäre z. B. rechtlich zulässig, den VVE im Zuge des Beitritts neuer Mitgliedstaaten zu ratifizieren. Zu bedenken ist aber, dass das aus dem Vertiefungsziel folgende Optimierungsgebot auch unabhängig von einem aktuellen Konflikt mit der Erweiterung besteht. Verzögern sich die Beitritte neuer Mitgliedstaaten noch erheblich, so muss auf Reformen zur Verdauung der Osterweiterung bereits früher hingearbeitet werden. All diese Grenzen beim Abschluss eines Beitrittsvertrages können aber ausgehebelt werden, indem der Beitrittsvertrag mit einer Vertragsänderung gemäß Art. 48 EU verbunden wird. Denn Unionsorgane und Mitgliedstaaten sind zwar auch bei der Vertragsänderung an das geltende Primärrecht und die darin enthaltenen Prinzipien gebunden. Allerdings enthält Art. 48 EU keine materiellen Schranken. Es wurde bereits erläutert, dass unionsspezifische Prinzipien nicht allein aufgrund ihres Prinzipiencharakters änderungsfest sind.410 Maßgeblich sind die Einzelregelungen. Aus Art. 2, 5. Spstr. EU ergibt sich jedenfalls nicht ausdrücklich die Änderungsfestigkeit des gemeinschaftlichen Besitzstandes. Denn auch das geltende Unionsrecht ist dynamisch, belässt also Raum zur Weiterentwicklung. Würde im Rahmen einer Vertragsänderung der Kernbestand des Acquis angetastet und die EG in eine Freihandelszone rückverwandelt, so würde die EU damit freilich ihren Charakter als glaubwürdige Rechts- bzw. Verfassungsgemeinschaft aufgeben. Die Verfassungseigenschaft des Primärrechts selbst verbietet aber derart revolutionäre Akte nicht. Ein gesteigerter Begründungsaufwand ergäbe sich allein aus der besonders hohen sozialen Wirkkraft des Prinzips der fortschreitenden Vertiefung. Gleiches gilt für die Abschaffung des Art. 49 EU oder für die ausdrückliche Verschärfung seiner Voraussetzungen. Selbst der von einigen Autoren verlangte oder behauptete Verfassungsprinzipiencharakter einiger europäischer Prinzipien bewirkt nach überwiegender Ansicht keine harte Rechtsbindung, sondern hat lediglich eine rechtspolitische Leitfunktion.411 Nur weil die Ermessensgrenzen im Rahmen von Art. 49 EU gemäß Art. 48 EU geändert werden können, sind sie – wie übrigens auch alle anderen Bestimmungen des Primärrechts – aber nicht bedeutungslos. Denn obwohl auch der Beitrittsvertrag primärrechtlichen Rang hat und sich die formellen Voraussetzungen von Art. 48 und 49 EU nicht maßgeblich voneinander unterscheiden, bewirkt doch schon der Beschluss für die Anwendung der einen oder der anderen Norm eine grundsätzliche Entscheidung für die Bedeutung des abzuschließenden völkerrechtlichen Vertrags. Auch der Transparenz und damit der Glaubwürdigkeit als Rechtsgemeinschaft ist gedient, wenn bei der Wahl der Rechtsgrundlage verdeutlicht 410 411
Vgl. dazu im 3. Kapitel unter B.III.2. Vgl. dazu im 3. Kapitel unter B.I.3.a).
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4. Kap.: Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags
wird, ob eine bloße Anpassung des Primärrechts beabsichtigt ist oder eine Änderung von gegebenenfalls konstitutioneller Bedeutung. Das Verhältnis zwischen der ENP und der Erweiterungspolitik verdient angesichts der besonderen Aktualität einige besondere Ausführungen. Nach dem Gesagten spricht nichts gegen die Einführung einer dauerhaften Beitrittsalternative durch Vertragsänderung. Da das gesamteuropäische Erweiterungsziel aber ein Rechtsprinzip ist, das seit der Gründung der Gemeinschaften im Primärrecht verankert ist, müsste jedenfalls ein Ende der Europaoffenheit als Alternativkonstruktion zum bisherigen Integrationsmodell und daher als Neukonstituierung kenntlich gemacht werden. Dieser Schritt wurde weder mit der Einführung der ENP in der aktuellen Praxis vollzogen, noch würde die (nicht mehr geplante) Ratifikation des VVE zur Modifizierung des Erweiterungsprinzips führen. Zum einen können ausdrückliche Normierungen nicht durch die bloße Organpraxis geändert werden. Vielmehr ist die Praxis am Maßstab des Primärrechts zu bewerten. Zum anderen haben die EU-Organe ihre ursprünglich ausgrenzende Terminologie schon deutlich aufgeweicht. Mittlerweile wird die künftige Entwicklung zwischen der EU und ihren europäischen Nachbarn als offen bezeichnet; die Vollmitgliedschaft sei zwar mit der ENP nicht beabsichtigt, werde durch sie aber auch nicht ausgeschlossen.412 Entsprechend wird die Nachbarschaftspolitik im VVE auch nicht anstelle der Erweiterungsklausel gesetzt, sondern neben sie. Sie bezieht sich auch nicht nur auf europäische Staaten. Für diese gilt vielmehr weiterhin auch die Offenheit der EU im Sinne einer abstrakten Beitrittsperspektive. Die ENP ist also auch künftig für beitrittswillige europäische Staaten ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Mitgliedschaft. Dieser Zwischenschritt dauert freilich solange, bis die Beitrittsfähigkeit erlangt ist. Die EU hat sich damit im Verfassungsvertrag für eine erhöhte Flexibilität nach außen entschieden. Das Ziel der ENP scheint tatsächlich „nur“ eine kohärente Gestaltung der Außenbeziehungen zu sein durch die Zusammenfassung von Staaten mit ähnlichem Entwicklungsstand unter eine Politik. Dieser Entwicklungsstand ist für die zu treffenden Maßnahmen und die Ausgestaltung der aktuellen Verträge sicher auch bedeutsamer als die Langzeitperspektive, zumal wenn die EU wie bislang auch unabhängig von der Beitrittsperspektive für eine Angleichung an ihr eigenes politisches und rechtliches System sorgt und eine Übereinstimmung mit ihren Werten als Voraussetzung für die Vertiefung der völkerrechtlichen Beziehungen ansieht. Da im Rahmen der ENP auch kein Bezug genommen wird auf die Identität der EU oder einen anstehenden Identitätswechsel und auch der VVE die Finalität offen lässt, ist die ENP wohl nicht mehr als eine konkrete Reaktion auf die aktuell drängenden Probleme an den Außengrenzen. Weiterhin scheint also der Pragmatismus einer visionären Neuordnung vorzugehen. Die Institutionalisierung und Verankerung der Politik neben den Assoziierungsabkommen erhöhen dabei die Transparenz.
412 Z. B. Entschließung des EP, P6_TA-PROV(2006)0568, 13. Dezember 2006, Erwägung O.44; KOM(2006) 726 endg., S. 16; Hübner, SPEECH / 06 / 58, S. 4 f.; Landaburu, S. 3.
Ausblick Bei der Gestaltung der Beziehungen zwischen der EU und ihren europäischen Nachbarn überwiegen noch immer die reagierenden die gestaltenden Elemente; noch immer ist der Trial and Error-Ansatz deutlich erkennbar. Auf der Grundlage der bisherigen Erfahrungen und angesichts der jeweils drängenden Probleme werden Politiken kreiert und ausgefüllt. Selbst die mittlerweile fest etablierte Europäische Nachbarschaft ist eine konkrete Reaktion auf die Osterweiterung 2004 – und jedenfalls von offizieller Seite nicht als erster Schritt in Richtung eines abstrakten Mehrebenen-Europas gedacht. Die ENP ist eine Politik einer in sich geschlossenen EU. Noch ist nicht absehbar, ob und inwiefern sich die EU in ihrer Gestalt und in ihrem Wesen durch die ENP selbst verändern wird. Jedenfalls kommt die EU mit dieser neuen Politik auch der Forderung nach einer kohärenteren Ausgestaltung ihrer Außenbeziehungen nach. Zudem scheinen Rechtsbindungen, insb. solche aus Art. 49 Abs. 1 EU in Verbindung mit den einschlägigen Präambel- und Zielbestimmungen, von den Entscheidungsträgern als solche wahrgenommen und beachtet zu werden. Dies wirkt sich nicht nur zugunsten der europäischen Nachbarn aus (etwa weil es sie vor einer endgültigen Verweigerung der EU-Mitgliedschaft bewahrt), sondern wird zum Teil auch als Bedrohung wahrgenommen, etwa von der Türkei. Denn mit der Anerkennung der primärrechtlichen Rechtsbindungen geht die strengere Handhabung und Konkretisierung der Kopenhagener Kriterien in der Praxis einher. Ein Erweiterungsstopp ohne eine Abschaffung des Art. 49 EU ist jedoch nicht denkbar; wenig wahrscheinlich ist auch eine entsprechende Vertragsänderung. Erwägt man zudem den allgemeinen Trend der Konstitutionalisierung des Europarechts, erscheint es heute nicht mehr als ungewöhnlich, auch eine Konstitutionalisierung der Beitrittsvoraussetzungen anzunehmen und damit deren Rechtsnatur sichtbar(er) zu machen und eine kohärente Anwendung einzufordern.1 Auch wenn angesichts dieser Beobachtungen die Sorgen einiger europäischer Staaten, etwa der Ukraine, als unbegründet erscheinen, so zeigen sie auch, dass eine transparentere Ausgestaltung der Erweiterungs-, Assoziierungs- und Nachbarschaftspolitik notwendig ist. Dies gilt umso mehr, seit in der Politikwissenschaft verstärkt über alternative EU-Konzepte nachgedacht wird und auch flexible Partizipationsformen als Dauerlösung in Betracht gezogen werden. Die europäische Prinzipienlehre und die entsprechende Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags der EU zeigen einen Weg auf, mit dem mehr Rechtssicherheit ohne eine Vertragsänderung erreicht werden kann, und zwar ohne 1
Vgl. auch Hillion, S. 1 (v. a. S. 13, 15).
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Ausblick
die Gestaltungsfreiheit der EU erheblich einzuengen. Die Forderung einer Abwägung zwischen dem Erweiterungs- und dem Vertiefungsziel in jedem einzelnen Konfliktfall ermöglicht eine Berücksichtigung des jeweiligen Integrationsniveaus der EU und der Besonderheiten des jeweiligen Beitrittskandidaten. So bleibt die Anwendung entwicklungsoffener und flexibler Kriterien weiterhin möglich; sie ist sogar geboten. Anders als die klassischen Auslegungsmethoden berücksichtigt die Prinzipienlehre auch, dass verschiedene Vertragsvorschriften kollidieren können, und bestimmt eine Methode, mit deren Hilfe diese Kollisionen aufzulösen sind. Zudem verschweigt die Prinzipienlehre nicht das Integrationskonzept, das ihr zugrunde liegt. Vielmehr wird durch den Umfang der berücksichtigten Prinzipien und die Funktionen, die ihnen zugeschrieben werden, deutlich, welche Rechtsnatur den Verträgen beigemessen wird. Die vorliegende Arbeit geht von einer Mehrebenenverfassung der EU aus, die aber nicht auf die Staatswerdung der EU angelegt ist. Damit gelangt man bei der Lösung konkreter Rechtsfragen, etwa im Rahmen der Erweiterungs-, Assoziierungs- und Nachbarschaftspolitik der EU, nicht zwingend zu anderen Ergebnissen als die Autoren, die sich allein auf die klassischen Auslegungsmethoden stützen. Allerdings bietet nur die Prinzipienlehre einen Weg, mit dem verschiedene, miteinander zusammenhängende (insb. durch die ihnen zugrunde liegende Prinzipien verbundene) Rechtsfragen kohärent beantwortet werden können. Mit Hilfe der Prinzipienlehre lassen sich auch potentielle künftige Probleme lösen, z. B. die Zulässigkeit des Beitritts von Kleinstaaten (z. B. Liechtenstein). An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass eine kleine Staatsgröße und geringe Einwohnerzahl nicht als per se-Ausschlusskriterium angeführt werden dürfte.2 Das geltende Primärrecht wird bei alldem streng beachtet. Die Prinzipienlehre vermag sogar, ihm zu größerer Wirksamkeit zu verhelfen. Die Prinzipienlehre bezweckt und leistet durch die Orientierung am geltenden Recht einschließlich dessen Konkretisierung durch die EU-Praxis keine Reformen oder „qualitativen Sprünge“, sondern v. a. ein Sichtbarmachen bereits bestehender Entscheidungsstrukturen und darauf aufbauend ggf. Kritik an einzelnen Integrationsschritten. Mit Hilfe der Prinzipienlehre kann die bislang eher thesenhafte Argumentationskultur überwunden werden. Durch die ausführliche Begründung der bereits früher schon vertretenen Ansicht, man müsse praktische Konkordanz zwischen dem Erweiterungs- und dem Vertiefungsziel herstellen, bietet die Prinzipienlehre Kritikern zwar eine größere Angriffsfläche, verschafft ihr zugleich aber auch eine größere Widerstandsfähigkeit. Denn anstatt über moralisch, historisch und politisch aufgeladene Fragen wie nach den Grenzen der EU und einem Recht auf Beitritt zu diskutieren, kann und muss man sich nun mit einzelnen Punkten der Argumentationskette, etwa der Leistungsfähigkeit von Prinzipien, auseinandersetzen. Zugleich belässt die Prinzipienlehre Raum für die Berücksichtigung der Erkenntnisse der Klub- und Gemeinschaftstheorie sowie der herkömmlichen Integrations2
Dazu z. B. Bruha / Alsen, S. 161 (insb. S. 181 f.).
Ausblick
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theorien. Alles in allem folgt eine Erläuterung der Erweiterungs-, Assoziierungsund Nachbarschaftspolitik aus der Warte einer europäischen Prinzipienlehre dem Trend der Konstitutionalisierung des Europarechts und der Forderung nach einer verstärkten Zusammenarbeit der Wissenschaften und damit nach der Anschlussfähigkeit des Rechts. Auch wenn die Prinzipienlehre ihre Tugenden bereits bei der Anwendung der geltenden Verträge entfalten kann, erschöpft sich ihre Funktion darin noch nicht. Die Herausarbeitung der der europäischen Integration zugrunde liegenden Prinzipien könnte vielmehr auch Ausgangspunkt sein für eine bessere und transparentere Strukturierung eines künftigen europäischen Verfassungsvertrags.3 Bedauerlich ist unter diesem Gesichtspunkt nicht nur, dass der vom Konvent beschlossene Entwurf nicht in Kraft tritt, sondern auch, dass sich der Europäische Rat bislang nicht darauf einigen konnte, die Verbindung zwischen der Erweiterung und der Vertiefung der EU ausdrücklich im Primärrecht zu erwähnen.4 Noch nicht einmal die Aufnahmefähigkeit der EU als wichtiges Abwägungskriterium konnte aufgrund des Widerstands seitens Großbritanniens und vieler neuer Mitgliedstaaten als Erweiterungsvoraussetzung festgeschrieben werden.5 Immerhin sieht der Vorschlag für den Reformvertrag in Art. 49 EU einen allgemeinen Verweis auf die vom Europäischen Rat verkündeten Kriterien vor6 und damit auch auf das vierte Kopenhagener Kriterium. Alles in allem wird eine Neuordnung weder mit dem VVE noch mit dem Reformvertrag angestrebt, lediglich eine (rudimentäre) Anpassung an die bisherige EU-Praxis. Sowohl die im VVE vorgesehene Verankerung der Nachbarschaftspolitik neben der Erweiterungspolitik, als auch der Verzicht auf eine ausdrückliche Normierung im Reformvertrag und die Erklärungen verschiedener Politiker zum Verhältnis zwischen Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik erscheinen wie das bereits bestehende Netz aus Assoziierungsabkommen als wankelmütiges Ausweichmittel. Schließlich und endlich bleibt die Einsicht, dass vorstehende Ausführungen stark vom Glauben an die heilende Kraft des Rechts für die teils willkürlich erscheinende Politik geprägt sind. Inwieweit sich die anstehenden Erweiterungsentscheidungen trotz ihrer enormen politischen Sprengkraft mit rechtsprinzipiellen Erwägungen erklären lassen, wird sich zeigen. Auch eine Bezeichnung und Bewertung der „politischen“ Kosten, die eine Anwendung der Prinzipienlehre, wie sie in der vorliegenden Arbeit gefordert wird, verursachen würde, steht noch aus.
3 Vgl. dazu insb. von Bogdandy, 2003, S. 149 (150 f.); siehe dazu bereits im 3. Kapitel unter A.III. 4 FAZ vom 16. Dezember 2006, S. 1 (2); vgl. dazu im 1. Kapitel unter A. 5 FAZ vom 16. Juni 2006, S. 2 und vom 17. Juni 2006, S. 2; dazu Durand / Missiroli, S. 2. 6 Europäischer Rat von Brüssel, Tagung vom 21. / 22. Juni 2007, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage I, Anlage 1, Nr. 9.
Zusammenfassung 1. In dieser Arbeit wird die These aufgestellt, dass die europäische Prinzipienlehre ein geeigneter und zudem zulässiger Ansatz zur Herleitung und Konkretisierung eines europäischen Integrationsauftrags der EU ist. Dieser Auftrag wird verstanden als Rechtspflicht der EU, einen immer engeren Zusammenschluss aller Staaten und Völker Europas durch Erweiterung und Vertiefung herbeizuführen. Damit verbunden ist die rechtlich verbindliche Pflicht der EU zur Abwägung zwischen dem Erweiterungs- und dem Vertiefungsziel im Fall von Spannungen. Diese Abwägungspflicht der EU ist eine Verfahrenspflicht, durch die Entscheidungsprozesse besser strukturiert sowie transparenter und kohärenter ausgestaltet werden. Mit Hilfe der Prinzipienlehre kann weder in jedem Fall die einzige objektiv richtige Entscheidung ermittelt werden, noch dient sie zur Begründung eines Rechts auf Beitritt. 2. Die Debatte über eine europäische Prinzipienlehre steht bislang relativ unverbunden neben der Diskussion über die Zukunft und die Grenzen der europäischen Integration. Die vorliegende Arbeit schafft eine enge Verbindung, indem sie das vermeintliche „Erweiterungs-Vertiefungs-Dilemma“ als Konflikt zwischen zwei Rechtsprinzipien versteht. Der formelle Prinzipiencharakter und die abstrakte Gleichrangigkeit von Erweiterungs- und Vertiefungsziel eröffnen im Konfliktfall den Weg zum Abwägungsmodell. Folglich ist die Entscheidung für die Erweiterung bzw. Vertiefung der EU keine Frage einer Alternative oder Präferenz. Sie betrifft vielmehr die optimale Zuordnung dieser Integrationsziele. Die damit verbundene Abwägung orientiert sich nicht ausschließlich am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, sondern muss die in den einschlägigen Spezialnormen niedergelegten Voraussetzungen beachten. Die Beitrittsentscheidung wird maßgeblich gesteuert durch die Präzisierungen des Erweiterungsziels in Art. 49 EU. Diese Konkretisierungen ermöglichen auch die Justiziabilität des Erweiterungsprinzips. Dieses v. a. an der Struktur der primärrechtlichen Normen orientierte Verständnis ermöglicht eine kohärente Lösung konkreter Rechtsfragen der Erweiterungs-, Assoziierungs- und Nachbarschaftspolitik der EU.
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1. Kapitel Rechtliche und politische Grundlagen des europäischen Integrationsauftrags der EU 3. In der Politik und Politikwissenschaft wird schon seit langem nicht nur die Bedeutung der europäischen Gemeinschaft für die Integration Europas, sondern auch der Konflikt zwischen der Erweiterung und der Vertiefung der EU thematisiert. Trotz der unterschiedlichen Ansichten zu den tatsächlichen Wechselwirkungen zwischen den beiden Integrationszielen und den verschiedenen Präferenzen der Entscheidungsträger zeichnete sich die EU-Praxis bis zur Osterweiterung durch eine parallele Verfolgung beider Ziele aus – auch wenn das Zusammenspiel nicht auf lange Sicht geplant, sondern eher das Ergebnis reagierender Politik war. In den aktuellen Ereignissen, die sich in der Debatte über die Grenzen der EU zuspitzen, erblicken manche den typischen Fall eines Erweiterungs-Vertiefungs-„Dilemmas“. Spätestens mit Abschluss der Osterweiterung 2004 und im Rahmen der Diskussion um den Beitritt der Türkei wurde der Ruf nach Lösungen für die Grenz- und die Identitätsfrage der EU lauter und mit ihm die Forderung nach zusätzlichen Beitrittskriterien oder einer „abgestuften Mitgliedschaft“. Lediglich den zeitlichen Abstand zwischen den Beitrittsrunden zu verlängern, genüge angesichts des Reformbedarfs im Innern und den Herausforderungen außerhalb der Grenzen nicht mehr. Als Lösung des aktuellen Erweiterungs-Vertiefungs-Konflikts wird von vielen die Europäische Nachbarschaftspolitik gehandelt. Sie bietet den Nachbarn der EU „alles außer Institutionen“. Vorteile der Erweiterung, etwa die Teilnahme am Binnenmarkt, könnten erreicht werden, ohne die Vertiefung durch neue Mitgliedstaaten mit Sitz und Stimme in den EU-Organen zu gefährden. 4. Aus rechtlicher Perspektive handelt es sich bei Spannungen zwischen der Erweiterung und der Vertiefung um einen Vertragszielkonflikt. Das Primärrecht formuliert klar den Integrationsauftrag mit seiner doppelten Zielbindung, enthält aber keine ausdrücklichen Aussagen zum Verhältnis zwischen dem Erweiterungs- und dem Vertiefungsziel, statuiert insb. kein Vorrangverhältnis. 5. Die Unbestimmtheit der Normen über die Erweiterungs-, Assoziierungs- und Nachbarschaftspolitik der EU sowie die noch immer bestehenden Unklarheiten über die Rechtsnatur der Präambeln, der vom Europäischen Rat aufgestellten Beitrittskriterien und der Grenzen des Ermessensspielraums im Rahmen intergouvernementaler Primärrechtsnormen führen zu einem breiten Meinungsspektrum bei der Lösung konkreter Rechtsfragen, etwa zur Rechtsnatur und Auslegung der Beitrittsvoraussetzungen, zur Bindung des Rechtsfolgenermessens i. R. v. Art. 49 EU, zum Verhältnis zwischen den verschiedenen Partizipationsinstrumenten, zu den Anforderungen an die Auslegung von Assoziierungsabkommen mit europäischen Nachbarstaaten sowie zu den Grenzen der Änderbarkeit des Integrationsauftrags.
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6. Die klassischen Auslegungsmethoden ermöglichen für sich genommen weder eindeutige noch kohärente Lösungen. Sie äußern sich nicht zur Grenze zwischen geltendem Recht und moralischem Wunschdenken, sondern setzen den Rechtscharakter von Normen voraus. Auch das bei der Konkretisierung von Normen maßgebliche Vorverständnis thematisieren diese Methoden nicht. Zudem liefern sie kaum Anleitung zum Umgang mit der Kollision von Rechtssätzen. Für das sich ständig fortentwickelnde und komplexe Unions- und Gemeinschaftsrecht allgemein und für eine kohärente Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags der EU mit seiner doppelten Zielbindung im Besonderen sind die klassischen Auslegungsmethoden folglich unzulänglich; sie bedürfen einer Ergänzung. 7. Die Rechtswissenschaft trägt dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Transparenz in der Grenzdebatte durch die Annahme von Ermessensgrenzen im Rahmen von Art. 49 EU zunehmend Rechnung. Unstreitig haben die EU und ihre Mitgliedstaaten zwar einen Spielraum bei der Entscheidung über den Beitritt. Eine völlige Gestaltungsfreiheit könnte aber weder durch die Komplexität der Materie noch durch die weiche Formulierung der Beitrittsklausel oder die völkerrechtliche Natur des Beitrittsvertrags gerechtfertigt werden. 8. Bei der Herleitung von Ermessensgrenzen aus dem Gemeinschaftsrecht scheint in der Literatur immer wieder das im Primärrecht angelegte latente Spannungsverhältnis zwischen dem Erweiterungs- und dem Vertiefungsziel durch, auch wenn nur wenige Autoren diesem Verhältnis ausdrücklich rechtliches Gewicht bei der Lösung konkreter Probleme beimessen. Einige Autoren gehen bei der Herleitung rechtlicher Grenzen zum Teil aber sehr weit, indem sie aus der Parallelität von Erweiterungs- und Vertiefungsziel eine Pflicht zur Herstellung praktischer Konkordanz ableiten, wobei die Beitrittsvoraussetzungen die Abwägungsmaßstäbe lieferten. Meist aber bleibt im Dunkeln, ob bei der Beantwortung einzelner (Rechts-)Fragen rechtlich, politisch oder moralisch argumentiert wird, insb. wenn von einer „Pflicht“ oder „Verantwortung“ zur Integration europäischer Staaten gesprochen wird. Außerdem werden die verschiedenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem europäischen Integrationsauftrag nur selten miteinander in Verbindung gebracht oder gar mit denselben Prämissen gelöst. Der Verzicht auf eindeutige Stellungnahmen und überzeugende Begründungen sowie das Fehlen eines einheitlichen Lösungsansatzes für gleich gelagerte Konstellationen bergen die Gefahr, dass Entscheidungen als willkürlich und ungerecht wahrgenommen werden.
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2. Kapitel Sozialwissenschaftliche und völkerrechtliche Ansätze zur Erklärung und Bewertung der europäischen Integration 9. Wissenschaftliche Ansätze zum europäischen Integrationsauftrag der EU und zu den Spannungen zwischen dem Erweiterungs- und dem Vertiefungsziel finden sich bislang in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Das Entscheidungsverhalten von EU-Organen und Mitgliedstaaten wird beobachtet und Stabilitätskriterien werden herausgefiltert. Darauf aufbauend werden Vorhersagen über die Zukunft aufgestellt. Als Stabilitätskriterien gelten insb. Präferenzen, Werte, Normen und Institutionen. Die verschiedenen Ansätze stehen nur teilweise in Konkurrenz zueinander; keiner beansprucht, die Integration umfassend zu erklären. 10. Zum Beispiel wurden die klassischen Integrationstheorien weiterentwickelt und aus den jeweiligen Prämissen, die sich ursprünglich nur auf die Vertiefung bezogen, Aussagen über die Erweiterungslogik abgeleitet. Die Klubtheorie hingegen bewertet Kosten und Nutzen der Mitgliederzahl. Diesem Ansatz zufolge müssen Klubs ihre Mitgliedschaft beschränken, um eine effiziente Produktion und Nutzung des Klubguts zu gewährleisten. Die EU wird oft als Klub bezeichnet, der sich allerdings dadurch auszeichnet, dass er nicht nur Klubgüter (z. B. gemeinsame Wohlstandsmehrung, Binnenmarkt) anbietet, sondern als Rechts- und Solidargemeinschaft auch öffentliche und sonstige Güter. Vertreter der Klubtheorie fordern folglich eine stärkere Flexibilisierung der europäischen Integration. Ausgehend von der Kritik an diesen reinen Kosten-Nutzen-Erwägungen entwickelte sich die Gemeinschaftstheorie. Sie behauptet, dass Organisationen die Entscheidung über die Aufnahme neuer Mitglieder danach treffen, ob diese den Gemeinschaftsethos teilen – und zwar selbst dann, wenn der Beitritt Nettokosten verursacht. Das kulturelle Fundament der EU sei insb. in Art. 6 Abs. 1 EU verankert, auf den – aus dieser Sicht konsequent – auch Art. 49 Abs. 1 EU verweist. Für die juristische Problemlösung sind all diese Ansätze für sich genommen unzulänglich, da sie die Bindung an Normen allenfalls als eine Tatsache unter vielen ansehen. Überdies geben sie keine Auskunft darüber, ob diese Bindung eine Rechtspflicht ist. 11. Neben der Konkurrenz zwischen Klub- und Gemeinschaftstheorie steht der Mehrebenenansatz. Ausgehend von der Beobachtung, dass die EU die Gestalt eines verflochtenen und dynamischen Mehrebenensystems hat, werden Aussagen zur Problemlösungsfähigkeit, zur europäischen Verfassung und vereinzelt auch zur Erweiterung gemacht. In der Verfassungstheorie führt der Mehrebenenansatz zur Annahme eines europäischen Verfassungsverbundes, in dem das EU-Verfassungsrecht und die nationalen Verfassungen jeweils als Teilverfassungen mit komplementären Funktionen erscheinen. Im Lichte des Mehrebenenansatzes erscheinen zahlreiche Konflikte zwischen diesen Teilverfas-
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sungen als Kollision rechtsdogmatisch handhabbarer Rechtsprinzipien. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch Besonderheiten der EU-Erweiterungen erklären, auch wenn Vertreter des Mehrebenenansatzes diesen Aspekt der Integration bislang vernachlässigen. So liefert die Politikverflechtung in der EU das entscheidende Argument für die Notwendigkeit eines weiten Entscheidungsspielraums bei Beitrittsentscheidungen, da jede Erweiterung nicht nur sämtliche materielle und institutionelle Aspekte auf EU-Ebene betrifft, sondern auch die Politiken der einzelnen Mitgliedstaaten beeinflusst. Zudem werden gerade Erweiterungsentscheidungen geprägt durch die für Mehrebenensysteme typischen Problembearbeitungs- und Entscheidungsprozesse, insb. aufgrund der Spannungen zwischen politisch-bürokratischer Routine und strategisch-innovativem Handeln, des Zusammenlaufens von Erweiterung und Vertiefung im Rahmen des Europäischen Rates und des Einstimmigkeitserfordernisses, das Stückwerksreformen und suboptimale Ergebnisse begünstigt. 12. Im Völkerrecht wurde der sog. Universalitätsgrundsatz bzw. die Lehre von den notwendigen Internationalen Organisationen herangezogen, um Rechtsbindungen bei der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten und allgemeine Kooperationspflichten Internationaler Organisationen zu begründen. Dieser Grundsatz wird meist als bloße Auslegungsregel verstanden. Der IGH hat die Bedeutung des Universalitätsgrundsatzes für Beitrittsentscheidungen der UNO anerkannt und prüft Aufnahmeentscheidungen im Hinblick auf einen Ermessensmissbrauch durch Verfehlung der Zwecksetzung der Aufnahmeklausel. Die EU wird einhellig als beschränkt offene Organisation qualifiziert. Dies allein aber beantwortet viele der in der vorliegenden Arbeit aufgeworfenen Rechtsfragen nicht. Der völkerrechtliche Universalitätsansatz bewirkt nämlich letztlich nicht mehr als eine zugunsten der Erweiterung wohlwollende Auslegung bestehender Rechtsquellen. Nimmt man die Vertragsfreiheit der Mitgliedstaaten wie die heute überwiegend gemäßigten Vertreter des Universalitätsgedankens ernst, müssen aber auch die mit dem Erweiterungsziel kollidierenden Vertragsziele berücksichtigt werden. Daher besteht auch unabhängig von der Frage, inwieweit ein völkerrechtlicher Ansatz auf die EU anwendbar ist, die Notwendigkeit einer differenzierten Prinzipienlehre, die sich in einem höheren Maße mit dem Primärrecht, seinem Inhalt, seiner Verbindlichkeit und seiner Auslegung beschäftigt.
3. Kapitel Eine europäische Prinzipienlehre als rechtlicher Lösungsansatz zur Begründung und Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags der EU 13. Die Prinzipienlehre dient der Konkretisierung von Normen und thematisiert insb. auch das Vorverständnis des Rechtsanwenders. Eine europäische Prinzi-
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pienlehre, die bislang v. a. von von Bogdandy gefordert wurde, entspricht dem Trend der Konstitutionalisierung des Europarechts und kommt insb. den Rufen nach einer systematischen Durchdringung des Primärrechts nach. Sie ermöglicht eine kohärente Lösung von Rechtsfragen bezüglich der Entstehung, der Wirkungsweise und der Auslegung von Normen. Durch ihre Anschlussfähigkeit bezüglich allgemeiner normativer Diskurse trägt sie zudem der Forderung einer interdisziplinären Europawissenschaft Rechnung und ermöglicht eine transparente Lösung komplexer Sachverhalte. 14. In dieser Arbeit werden der europäische Prinzipienbegriff konkretisiert und die Herleitung und Wirkungen von Prinzipien erläutert. Es werden zudem Vorgaben zur Auflösung von Prinzipienkollisionen aufgestellt und deren Justiziabilität geklärt. Die Forderung einer europäischen Prinzipienlehre wird dabei mit den herrschenden Ansichten zur Rechtsnatur und Anwendung der geltenden Verträge abgestimmt. Im Ergebnis wird dadurch eine Fortentwicklung des Europarechts durch eine Vereinheitlichung seiner Anwendung erreicht, weniger eine revolutionäre Neudefinition der Verträge. 15. Bislang gibt es keinen einheitlichen europäischen Prinzipienbegriff. Der EuGH verwendet den Begriff in seiner Rechtsprechung nicht. In der Lehre wird der Prinzipienbegriff unterschiedlich gebraucht, meist aber in Anlehnung an den besonderen Charakter von Leit- und Strukturprinzipien im Sinne der deutschen Verfassungslehre. Bemerkenswert ist, dass die Unbestimmtheit von Prinzipien überwiegend weder als deren wesentliches Charakteristikum verstanden, noch als Argument gegen ihre Rechtsverbindlichkeit angeführt wird. In der vorliegenden Arbeit werden Prinzipien in Anlehnung an die strukturtheoretische Prinzipienlehre Alexys definiert als Optimierungsgebote, die rechtlich verankert und damit rechtsverbindlich sind. Das Maß ihrer Erfüllung ist von tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten abhängig. Rechtliche Grenzen ergeben sich aus gegenläufigen Prinzipien und Regeln; Prinzipien sind folglich abwägungsfähig. Die logische Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien selbst macht zwar keine geltungstheoretischen Aussagen. Die Rechtsnatur der Prinzipien folgt aber der Rechtsnatur des Regelungswerks, aus dem sie hergeleitet werden. 16. Ausgehend vom Verständnis des Primärrechts und der mitgliedstaatlichen Verfassungen als Mehrebenenverfassung sind zunächst alle im Primärrecht verankerten und mit Hilfe der gängigen Auslegungsmethoden zu ermittelnden Normen rechtsverbindlich, unabhängig vom Grad ihrer Bestimmtheit. Wie im nationalen Recht muss der Inhalt eines Prinzips nicht zwingend ausdrücklich kodifiziert sein, es genügt eine Herleitung aus der Gesamtschau des Primärrechts. Hergeleitet werden können europäische Prinzipien gemäß Art. 6 EU zudem aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten sowie aus der EMRK. Auf die EU übertragen werden können nationale Verfassungsprinzipien indes nur, soweit dies mit deren besonderer Gestalt vereinbar ist. Nicht überzeugend begründet werden kann die Rechtsverbindlichkeit von
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„Prinzipien“, die nur in Soft Law-Dokumenten enthalten sind. Dass sie ähnlich wie einige deutsche „Strukturprinzipien“ die Auslegung des verbindlichen Rechts und dessen Weiterentwicklung beeinflussen, ist als rein rechtspolitische Funktion zu werten. 17. Die Prinzipien binden alle Unionsorgane und Mitgliedstaaten als objektivrechtliche Gebote. Sie haben im Verhältnis zu Regeln und konkretisierten Prinzipienbestimmungen eine ergänzende Funktion als Auslegungsdirektive bzw. Ermessensvorgabe. Die Prinzipienlehre hat aber keinen Vorrang vor den klassischen Auslegungsmethoden in dem Sinne, dass mit ihrer Hilfe Handlungs- und Unterlassungspflichten begründet werden, die ausdrücklichen Vorgaben zuwiderlaufen. Auch die Unabänderlichkeit ist kein notwendiges Merkmal von Prinzipien, sondern folgt allenfalls aus einer entsprechenden ausdrücklichen rechtlichen Festlegung. 18. Kollidieren Prinzipien miteinander, so muss die Lösung aufgrund ihres jeweiligen Optimierungscharakters durch Abwägung gefunden werden. Die Abwägung zielt auf eine Gewichtung von Normen im Einzelfall. Sie kommt folglich nur zum Zuge bei abstrakt gleichrangigen Prinzipien. Regeln sind aufgrund ihrer Normstruktur als definitive Festsetzungen nicht abwägungsfähig. Sie werden durch Subsumtion angewendet, Kollisionen werden durch Ausnahmeklauseln und Ungültigerklärung gelöst. Vorrangregelungen können eine Prinzipienkollision vollständig lösen oder aber die Rechtfertigungslast zugunsten einer der kollidierenden Prinzipien verschieben. Soweit keine entsprechenden Gründe für eine solche Rangordnung vorliegen, ist aber von einem abstrakt gleichen Gewicht der Prinzipien einer Verfassung auszugehen. Innerhalb des europäischen Primärrechts ist eine Normenhierarchie weder ausdrücklich festgelegt, noch kann sie juristisch überzeugend hergeleitet werden, selbst wenn man das Primärrecht als Verfassung begreift. Konfliktpotential besteht des Weiteren zwischen europarechtlichen Prinzipien und Verfassungsprinzipien der Mitgliedstaaten. Auch diesbezüglich fehlt bis heute ein allseits akzeptiertes Vorrangkonzept. Die Prinzipienlehre kommt auch insoweit zu einer rechtlich handhabbaren Lösung. 19. Die Abwägung zielt auf die Herstellung einer bedingten, also fallbezogenen Vorrangrelation. Es geht nicht um die Begründung einer Normenhierarchie, sondern um die Darstellung des relativen Gewichts von Prinzipien in einer Rechtsordnung. In jedem Einzelfall sind die Bedingungen herauszuarbeiten, unter denen ein Prinzip dem anderen vorgeht. Die Optimierungsgebote kommen dadurch zur Geltung, dass – ähnlich dem Konzept der praktischen Konkordanz – jedes der kollidierenden Rechtsprinzipien möglichst weitgehend verwirklicht werden soll. Zu diesem Zwecke werden den kollidierenden Prinzipien Grenzen gezogen. Die Grenzziehung darf aber nicht alleine über rechtlich nicht geschützte Güter erfolgen, da sich diese beliebig behaupten lassen. Ergebnis der Abwägung ist eine Kollisionsregel. Das heißt, nur – aber immerhin – im konkreten Einzelfall führt die Abwägung zu einer subsumierbaren Norm.
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20. Eine feste Struktur erhält die jeweilige Abwägung durch die Verknüpfung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die reine Abwägung reduziert sich auf ein Minimum durch die Vorschaltung des Geeignetheits- und Erforderlichkeitskriteriums. Die Irrationalität der Prüfung der Verhältnismäßigkeit i. e. S. kann mit dem von Alexy formulierten Abwägungsgesetz verringert werden: Je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips ist, desto größer muss die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen sein. Selbst durch diese Präzisierung verliert die Abwägungslösung nicht ihren Zuschnitt auf Einzelfälle. Die Abwägung ist daher ein flexibles und dynamisches Instrument, das die ausdrücklichen Vorgaben des Rechtsgebers respektiert und zugleich die Anpassung an die jeweilige Rechtswirklichkeit ermöglicht. 21. Die aus der Prinzipienlehre folgende Pflicht zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen zwei Rechtsprinzipien teilt die rechtliche Verbindlichkeit der Prinzipien und unterscheidet sich damit von einer reinen Güterabwägung. Um eine reine Verfahrenspflicht handelt es sich, weil sich mit der Abwägung nicht die einzig richtige Lösung für jeden Einzelfall ermitteln lässt. Selbst die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erlaubt nur das Ausscheiden einzelner Lösungen als rechtswidrig. Die Abwägungskriterien haben den Nutzen einer Orientierungshilfe bei der Kollisionslösung; sie objektivieren die Entscheidungsfindung und verringern damit die Gefahr willkürlicher Entscheidungen. Allein schon die Offenlegung der Entscheidungsgründe und Abwägungskriterien kann das Verständnis für das Abwägungsergebnis fördern und erfüllt damit rechtsstaatliche Funktionen. 22. Die Abwägungsentscheidungen der Mitgliedstaaten und der EU-Organe sind justiziabel, selbst wenn die maßgeblichen Prinzipien lediglich in den Präambel- oder Zielbestimmungen des Primärrechts verankert sind. Die Vertragsziele des EU-Vertrags unterliegen zwar gemäß Art. 46 EU nicht der Kontrolle des EuGH. Justiziabel sind diese Ziele aber in ihrer Konkretisierung durch präzise Vertragsbestimmungen. Zudem darf und muss der EuGH die Ziele bei der Anwendung und Auslegung sämtlicher justiziablen Bestimmungen beachten, um ihrem ergänzenden Charakter Rechnung zu tragen. Aufgrund des Kohärenzgebots in Art. 1 Abs. 3 EU, an das auch der EuGH gebunden ist, ist darüber hinaus ein harmonisierendes Verständnis mit den Zielbestimmungen des Gemeinschaftsvertrags unionsrechtlich geboten. 23. Die Kontrolldichte bei der richterlichen Überprüfung von Abwägungsentscheidungen ist eingeschränkt. Die begrenzte rationale Erfassbarkeit des Abwägungsprozesses ist der Hauptgrund dafür, dass es nur selten zu einer umfassenden richterlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung kommt. Die formellen Prinzipien der Gewaltenteilung, Demokratie und richterlichen Zurückhaltung liefern zusätzliche Gründe. Kontrollierbar sind Abwägungsentscheidungen daher immer nur im Hinblick auf Abwägungsfehler. Die Kontrolldichte ist jedoch umso größer, je konkreter das in Frage stehende Prinzip gefasst ist, muss sich also nicht in jedem Fall auf eine Evidenzkontrolle beschränken. Im
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Rahmen der Evidenzkontrolle kann der EuGH eine Handlung für rechtswidrig bzw. nichtig erklären, wenn diese dem Prinzip offensichtlich zuwiderläuft, ohne dass entsprechende andere Prinzipien plausibel zur Rechtfertigung herangezogen wurden. Bei reinen Handlungsgeboten müssen sich die Gemeinschaftsorgane und Mitgliedstaaten jedenfalls mit der Frage der Zielverwirklichung befasst haben und sich bei der Feststellung von Defiziten der Zielverwirklichung im Rahmen der Abwägung mit anderen Zielen vorläufig gegen ein Tätigwerden entschieden haben. Tragen die bisherigen Maßnahmen nicht einmal dem Kerngehalt des Prinzips Rechnung, ist die Evidenzschwelle jedenfalls überschritten. Die Einschränkung der Kontrolldichte ist nicht gleich zu setzen mit einer Beschränkung der Optimierungsgebote auf Minimalstandards. Selbst im deutschen Verfassungsrecht reicht die Kontrollnorm regelmäßig weniger weit als die für den Gesetzgeber verbindliche Handlungsnorm. 24. Alexys Prinzipienlehre ist wie das Abwägungskonzept bereits im deutschen Recht Kritik ausgesetzt. Für die Anwendbarkeit im Europarecht ergeben sich zusätzliche Einwände. Dieser Kritik kann aber begegnet werden. Zum einen kann eine europäische Prinzipienlehre die zentralen Merkmale der europäischen (Verfassungs-)Rechtsordnung, wie sie sich aus der Rechtspraxis und dem Selbstverständnis ergeben, erfassen, und ist damit in deskriptiver Sicht adäquat. Zum anderen sprechen normative Gründe dafür, das Europarecht entsprechend der Prinzipienlehre zu begreifen, solange die damit einhergehenden Forderungen nicht überspannt werden.
4. Kapitel Die Konkretisierung des europäischen Integrationsauftrags anhand von Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Erweiterungs-, Assoziierungs- und Nachbarschaftspolitik der EU 25. Die Prinzipienlehre bezweckt eine kohärente und dem Verfassungscharakter des Unionsrechts entsprechende Lösung miteinander in Verbindung stehender Fragen und damit letztlich auch eine größere Legitimität der Entscheidungen in der Erweiterungs-, Assoziierungs- und Nachbarschaftspolitik der EU. Um die Anschlussfähigkeit der theoretischen Überlegungen unter Beweis zu stellen, werden die Praxis der EU und die in der Literatur vertretenen Ansichten zu den einzelnen Rechtsfragen jeweils zum Ausgangspunkt genommen.
Europäischer Staat 26. Als erste Rechtsfrage wird geklärt, wie die materielle Beitrittsvoraussetzung „europäischer Staat“ ausgelegt werden muss. Umstritten ist, welche Staaten „europäisch“ sind. Das Primärrecht definiert den Europabegriff nicht; entspre-
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chend breit ist das Meinungsspektrum. Die Prinzipienlehre kommt zu folgendem Ergebnis: Das Erweiterungsprinzip erstreckt sich nach den ausdrücklichen Vorgaben des Primärrechts auf alle europäischen Staaten. Die Europaeigenschaft dient nicht dem Ausgleich zwischen der Erweiterung und der Vertiefung, sondern definiert das Erweiterungsprinzip als ein gesamteuropäisches. Da außerrechtliche „Prinzipien“ den rechtlichen nicht entgegengehalten werden dürfen, ist die Europaeigenschaft geographisch zu verstehen. Andere denkbare Identitätskonzepte sind nicht im Primärrecht verankert. Die Vertragsstaaten haben sich bewusst für ein vieldeutiges Kriterium entschlossen und liefern keine eindeutigen politischen oder kulturellen Weisungen. Der Verweis auf die geographische Lage hat neben dem Verweis auf Art. 6 Abs. 1 EU eine begrenzende Funktion, darf aber selbst nicht mit dem Vertiefungsziel abgewogen werden. Folglich gibt es jedenfalls einen rechtlich gesicherten Kern des Europabegriffs: Alle ganz oder teilweise in Europa liegenden Staaten müssen die Möglichkeit erhalten, Mitglied der EU zu werden. Ihnen kann nicht die fehlende Europaeigenschaft entgegengehalten werden. Die Kopenhagener Kriterien 27. Dem Ausgleich zwischen Erweiterung und Vertiefung dienen die Kopenhagener Kriterien. Die Prinzipienlehre hilft nicht nur bei der Bestimmung der Rechtsnatur dieser Kriterien, sie bietet auch zahlreiche Anhaltspunkte für die Auslegung derart unbestimmter Kriterien, indem sie maßgebliche Elemente aufzeigt, aber auch die Grenzen der Konkretisierung offenbart. Die Funktion aller Beitrittsvoraussetzungen als Kriterien der Abwägung zwischen Erweiterung und Vertiefung verdeutlicht auch die möglichen Wechselbeziehungen untereinander. Maßgeblich ist, dass die Beitrittsbedingungen in ihrer Gesamtheit praktische Konkordanz zwischen Erweiterung und Vertiefung herstellen. Es ist also denkbar und gegebenenfalls auch erforderlich, dass ein Weniger an Verwirklichung eines Kriteriums durch ein Mehr an Verwirklichung eines anderen Kriteriums ausgeglichen werden kann. 28. Bezüglich der Rechtsnatur der Kopenhagener Kriterien ähneln die Aussagen der Prinzipienlehre sehr der in der Literatur herrschenden Ansicht, die von einem rechtlich zwingenden Charakter ausgeht, der unabhängig von der ausdrücklichen Verankerung in Art. 49 EU zu bejahen ist. Die Unbestimmtheit allein steht dem Rechtscharakter nicht im Wege. Die Prinzipienlehre bietet Vorgaben für den Umgang gerade mit unbestimmten Normen. In der Terminologie der Prinzipienlehre sind die Kopenhagener Kriterien selbst das Ergebnis eines Abwägungsprozesses zwischen dem europäischen Erweiterungs- und dem Vertiefungsprinzip. Sie stellen daher zwingende Tatbestandsmerkmale einer Kollisionsregel dar, die besagt, dass die EU sich nicht erweitern darf, wenn die Kriterien zu einem derart hohen Grade nicht erfüllt sind, dass das Vertiefungsziel nachhaltig gefährdet würde.
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29. Erfüllt sein müssen die Kopenhagener Kriterien nach der Prinzipienlehre erst im Zeitpunkt des Beitritts, da zuvor eine Gefährdung des Vertiefungsziels ausgeschlossen ist. Sie sind also materielle Beitrittsvoraussetzungen. Die Praxis, wonach ein bestimmter Grad an politischer und wirtschaftlicher Festigung sowie der Wille zur Erfüllung der Kopenhagener Kriterien für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen und anderen Zwischenschritten vorausgesetzt werden, ist rechtlich nicht zwingend. Unzulässig ist diese Praxis aber auch nicht, denn soweit die Anforderungen derart grundlegend sind, wäre ohne ihre Erfüllung ein Beitritt in absehbarer Zukunft ohnehin ausgeschlossen. Allerdings darf die Nichterfüllung der Kopenhagener Kriterien nicht als prinzipieller Einwand gegen eine abstrakte Beitrittsperspektive eingewandt werden. Als Abwägungskriterien betreffen die Kriterien nämlich nur das relative Verhältnis zwischen Erweiterung und Vertiefung und damit nicht das „Ob“, sondern lediglich den Zeitpunkt des Beitritts. 30. Bei der Bestimmung des Inhalts der Beitrittsvoraussetzungen spielen die herkömmlichen Auslegungsmethoden und die Prinzipienlehre zusammen. Wo das Primärrecht wie in Art. 6 Abs. 1 EU Vorgaben macht, sind diese zwingend zu berücksichtigen. Im Rahmen der historischen Auslegung erlangen Dokumente der EU-Organe Bedeutung. Die Prinzipienlehre dient vor allem dazu, auf die Funktion der Beitrittsvoraussetzungen beim Ausgleich zwischen Erweiterung und Vertiefung der EU aufmerksam zu machen. Die Beitrittsvoraussetzungen sollen das Maß an Homogenität zwischen der EU und den alten Mitgliedstaaten einerseits und den neuen Mitgliedstaaten andererseits gewährleisten, das notwendig ist, um die Vertiefung auch künftig voranzutreiben. Als Homogenitätsvoraussetzungen haben die Kopenhagener Kriterien keinen zu optimierenden Selbstzweck, sondern eine dienende Funktion. Beachtet werden muss außerdem, dass bei der Optimierung des Vertiefungsziels nicht der Bundesstaat und das entsprechende Niveau an Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, usw. als Maßstab angelegt und ein entsprechend hoher Homogenitätsstandard angenommen werden darf. Die Finalität der EU wird in den Verträgen bewusst offen gelassen. Bei der Vertiefung und damit auch bei der erforderlichen Homogenität geht es folglich nicht um die staatliche Einheitsbildung, sondern um die Einigung von Staaten und Völkern. Dies muss bei der Ausformulierung und Konkretisierung der Beitrittsbedingungen neben deren Entwicklungsoffenheit beachtet werden. 31. Aufgrund dieser Funktion im Rahmen der Abwägung bedarf es auch eines gewissen Bedrohungspotentials für das Vertiefungsziel, damit die Nichterfüllung einer Beitrittsvoraussetzung auch tatsächlich einer Erweiterung im Wege steht. Inwieweit die Vertiefung durch eine Erweiterung bedroht wird, muss prognostiziert werden. Da dieser Prognose ein komplexer Sachverhalt zugrunde liegt, ist es schwierig, in jedem Fall zu eindeutigen Ergebnissen zu kommen. Nicht möglich ist insb. eine „Checkliste“, die alle zu prüfenden Kriterien und das jeweils zu fordernde qualitative Niveau an deren Erfüllung festlegt. Denn der
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Maßstab – die Optimierung des Vertiefungsziels bei gleichzeitiger Optimierung der Erweiterung der EU – verändert sich mit der fortschreitenden Integration über die Zeit. Zudem weist jeder Beitrittsinteressent Besonderheiten auf. Daher muss es sich bei den Beitrittsbedingungen um Relationsbedingungen handeln, die im Rahmen der Abwägung an das jeweilige Integrationsniveau anzupassen sind. Ein Kernbereich kann freilich bestimmt werden. Der bislang diffuse Randbereich kann aber auch mithilfe der Prinzipienlehre nicht ein für allemal vollständig geklärt, durch die entsprechende Abwägung aber immerhin transparenter umrissen werden. Im Folgenden wird unterschieden zwischen den Grenzen des Spielraums, den der Europäische Rat bei der Ausformulierung der Kopenhagener Kriterien hatte, und der Frage, ob die vergangenen Entscheidungen über die Erfüllung dieser Kriterien rechtmäßige Konkretisierungen darstellten. 32. Bei der Ausformulierung der Kopenhagener Kriterien hatte der Europäische Rat einen Spielraum. Denn bei der Abwägung zwischen zwei so weitreichenden und komplexen Prinzipien wie dem Erweiterungs- und Vertiefungsprinzip lässt sich kein eindeutiges, feststehendes Ergebnis finden. Auch andere primärrechtliche Prinzipien, die in den Kopenhagener Kriterien zum Ausdruck kommen (insb. das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip), sind allenfalls im Kernbereich bestimmbar. Die Grenzen des Spielraums wurden jedenfalls nicht überschritten. Die ersten drei Kopenhagener Kriterien decken alle grundlegenden Bereiche ab, in denen es einer Homogenität zwischen den Mitgliedstaaten bedarf, um die Vertiefung zu gewährleisten. Das vierte Kopenhagener Kriterium berücksichtigt die Anforderungen an die EU selbst. Die Kriterien beschränken das Erweiterungsziel nicht unverhältnismäßig. Denn ihre weiche Formulierung ist offen für ein Austarieren bei der konkreten Entscheidung, das sich wiederum am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes orientiert. Gleiches gilt für den in Art. 49 Abs. 1 S. 1 EU eingefügten Verweis auf Art. 6 Abs. 1 EU. 33. Insbesondere bei der Konkretisierung des ersten Kopenhagener Kriteriums, der Verfassungshomogenität, muss die besondere Gestalt der EU als Mehrebenensystem beachtet werden. In der EU ist im Vergleich zu einem Bundesstaat ein breiteres Spektrum verfassungsrechtlicher Vielfalt möglich und primärrechtlich erwünscht. Insbesondere wird das Vertiefungsziel nicht schon allein dadurch gefährdet, dass ein Beitrittskandidat politische Modelle aufweist, die es so bislang in der EU nicht gibt. Maßgeblich ist allein, ob diese Modelle mit der EU und den anderen Mitgliedstaaten in einer Art und Weise kompatibel sind, die das Vorantreiben der Integration weiterhin ermöglicht. Die weit verbreitete Meinung, dass es sich bei den politischen Anforderungen um Mindestbedingungen und nicht um eigenständige Optimierungsgebote handelt, stimmt daher mit den Aussagen der Prinzipienlehre überein. 34. Entsprechendes gilt für das zweite Kopenhagener Kriterium. Besonderheit dieses Kriteriums ist seine verhältnismäßig großzügige Handhabung in der Praxis
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der EU. Da wirtschaftliche Fortschritte erfahrungsgemäß unproblematischer und zügiger vorangehen als politische Umwälzungen, sind aus der Sicht eines Prinzipienausgleichs zwischen Erweiterung und Vertiefung Zugeständnisse selbst im Zeitpunkt des Beitritts zulässig und u. U. gar geboten. Es muss jedoch mit einiger Sicherheit festgestellt und gewährleistet werden können, dass die neuen Mitgliedstaaten Anpassungsleistungen in absehbarer Zeit erbringen werden. Denn ist der Beitritt erst einmal vollzogen, gibt es allein aufgrund wirtschaftlicher Defizite keine Ausschlussmöglichkeit. Umgekehrt ist angesichts des hohen Stellenwerts der Grundfreiheiten im Rahmen des Vertiefungsziels zu betonen, dass es denkbar ist, einem Beitrittskandidat allein aufgrund seiner fehlenden Binnenmarktreife den Beitritt zu versagen. 35. Das dritte Kopenhagener Kriterium, also die Fähigkeit der Kandidatenländer, sich die aus einer EU-Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen und Ziele zu eigen zu machen, wird meist mit der Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes gleichgesetzt. Die klassischen Auslegungsmethoden ergeben sicher aber nur den Kernbereich der geschützten Vertiefung, der enger ist als der gesamte Acquis. Im Übrigen geht es um die Herstellung praktischer Konkordanz zwischen dem Erweiterungs- und dem Vertiefungsziel unter Beachtung der primärrechtlichen Vorgaben. Grundsätzlich mit dem Primärrecht vereinbar wäre etwa die Nichtteilnahme neuer Mitgliedstaaten an der verstärkten Zusammenarbeit. Die übrigen Ausnahmeregelungen, z. B. in Art. 63 EG, gelten nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut hingegen nur für bestimmte Mitgliedstaaten. Als Regeln können sie mit Hilfe des Erweiterungsprinzips nicht über diesen bewusst eng gefassten Wortlaut ausgedehnt werden. 36. Das vierte Kopenhagener Kriterium dient der Herstellung der Integrationsfähigkeit im Innern. Aussagen macht die Prinzipienlehre zunächst zum Verhältnis zwischen der Aufnahmefähigkeit der EU einerseits und der Beitrittsfähigkeit der Kandidatenländer andererseits. Unsachlich oder unangemessen gekoppelt werden diese beiden Aspekte nur, wenn die Vermischung unter der Überschrift „Integrationsfähigkeit der EU“ dazu genutzt wird, über die ersten drei Kopenhagener Kriterien hinausgehende, neue Anforderungen an die Beitrittskandidaten zu stellen, die sich nicht aus dem Primärrecht ergeben. Hingegen muss bei der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen der Erweiterung und Vertiefung beachtet werden, dass die Beitrittsvoraussetzungen in einer gegenseitigen Abhängigkeit voneinander stehen. Dies wird besonders im Rahmen des vierten Kopenhagener Kriteriums offenkundig: Die EU muss umso größere Anstrengungen bei der Herstellung ihrer Aufnahmefähigkeit unternehmen, je geringer der Erfüllungsgrad der ersten drei Kopenhagener Kriterien ist. 37. Bei der Aufnahmefähigkeit der EU geht es im Einzelnen um die Anpassung der Institutionen und des Haushalts an eine größere Mitgliederzahl und den Erhalt der Fähigkeit, die primärrechtlich verankerten Ziele auch in Zukunft zu verfolgen. Dies bedeutet nicht zwingend, dass bereits im Vorfeld der Erweite-
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rung alle notwendigen Reformen vereinbart sein müssen. Es muss lediglich die Prognose möglich sein, dass auch nach dem Beitritt ein effizientes Arbeiten auf Dauer möglich wird. Grundlegende Reformen können also durchaus an den Beitritt gekoppelt, insb. im Beitrittsvertrag selbst verankert werden. Mit der Forderung von mehr Transparenz und Kohärenz unvereinbar wäre eine Ausfüllung des Kriteriums der Integrationsfähigkeit mit einem theoretisch und empirisch so ungesicherten Konzept wie der Identität. Das vierte Kopenhagener Kriterium muss wie die anderen Abwägungskriterien einer objektiven Definition zugänglich sein und darf gerade nicht als Auffangtatbestand für rechtsfremde Erwägungen benutzt werden. Folglich ist einzig maßgeblich, inwieweit die Identität der EU im Primärrecht verankert ist. Dabei ist zu beachten, dass die EU keine religiösen Bezüge aufweist, sondern sich als Wertegemeinschaft versteht. Die maßgeblichen Werte aber werden bereits im Rahmen von Art. 6 Abs. 1 EU berücksichtigt. Auch darf man insb. im Rahmen des vierten Kopenhagener Kriteriums nicht verkennen, dass das Primärrecht im Hinblick auf das Vertiefungsziel bewusst entwicklungsoffen formuliert ist. Es verbietet sich daher, einen beliebigen Endzustand der Vertiefung als Maßstab anzusehen. Vielmehr muss man sich stets der aktuellen und rechtlich verankerten Janusköpfigkeit des Integrationsziels, mit dem eben auch eine gesamteuropäische EU angestrebt wird, bewusst sein.
Die Rechtsfolgen des Art. 49 EU 38. Ein weiteres Rechtsproblem stellt sich bezüglich der Rechtsfolge bei der Erfüllung aller Beitrittsvoraussetzungen. Weder in der Politik noch in der Wissenschaft wird die Herleitung eines Rechts auf Beitritt unmittelbar aus Art. 49 EU oder anderen Normen des Primärrechts vertreten. Auch die Prinzipienlehre führt aufgrund der Komplexität der Anwendung der Beitrittsvoraussetzungen nicht zu einem definitiven Beitrittsrecht. Zudem macht sie keine Aussagen zu subjektiven Positionen, sondern begründet allenfalls objektive Pflichten. Sie hält aber Argumente für das Bestehen einer abstrakten Beitrittsperspektive bereit: Das Vertiefungsziel selbst steht zum Erweiterungsprinzip in einem relativen Verhältnis, stellt also keinen dauerhaften und grundsätzlichen Einwand dar, sondern richtet sich nur gegen ein zu hohes Tempo der Erweiterung. Eine abstrakte Beitrittsperspektive allein beeinträchtigt die Erfüllung des Vertiefungsziels nicht; es besteht also schon gar keine Konfliktlage. 39. Bezüglich des „konkreten Beitritts“ besteht aufgrund der Unbestimmtheit der Erweiterungsklausel und der Komplexität des Erweiterungssachverhalts Ermessen bei der Entscheidung über die Aufnahme und den Abschluss der Beitrittsverhandlungen. Die Prinzipienlehre leitet Ermessensgrenzen aus der Pflicht zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen Erweiterung und Vertiefung her, also mehr als ein bloßes Rechtsmissbrauchs- und Willkürverbot.
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40. Fraglich ist, welche Gründe dem Erweiterungsprinzip entgegengehalten werden können, wenn alle Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 49 Abs. 1 EU einschließlich der Kopenhagener Kriterien erfüllt sind. Das Ziel der Gewinnmaximierung ist in der europäischen Mehrebenenverfassung nicht verankert. Es darf dem Erweiterungsprinzip folglich nicht entgegengehalten werden. Vom Ziel der Gewinnmaximierung zu unterscheiden sind die wirtschaftlichen Ziele der Art. 3, 4 EG. Diese Ziele sind aber bereits im dritten und vierten Kopenhagener Kriterium enthalten und können folglich nicht als zusätzliche Erwägungen geltend gemacht werden. Auch identitätsbezogene und stabilitätspolitische Erwägungen spielen keine über die Auslegung der Europaeigenschaft und der Kopenhagener Kriterien hinausgehende Rolle. Rein nationale Interessen dürfen dem Erweiterungsziel entgegengehalten werden, soweit sie verfassungsrechtlich geschützt sind. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang insb. Art. 6 Abs. 3 EU, Art. 151 Abs. 1 und 4 EG und das Subsidiaritätsprinzip. Die Supranationalität der EG wird bereits durch die Beachtung des Vertiefungsprinzips geschützt, soweit sie in den Verträgen zum Ausdruck kommt, etwa in den Kompetenz- und Organvorschriften. Es handelt sich dabei nicht um ein zusätzlich zu berücksichtigendes Prinzip. Alles in allem sind sämtliche politische Interessen, die keinen Zusammenhang zur Beitrittsfähigkeit der Kandidaten und Aufnahmefähigkeit der EU aufweisen, aufgrund des Kopplungsverbots unzulässig und als Ermessensmissbrauch justiziabel. Es sind also kaum Erwägungen denkbar, die über die Kopenhagener Kriterien hinaus gegen einen Beitritt eingewendet werden können. Das Stufenverhältnis der verschiedenen Integrationsinstrumente 41. Unstreitig besteht auch ein Spielraum bei der Entscheidung über die Wahl des Partizipationsinstruments. Denn bei Übergangsfristen, Stufensystemen u. ä. spielen zeitliche Variablen eine Rolle, aber auch die Erfüllung materieller Kriterien durch die Nachbarstaaten. Das Primärrecht enthält einige Vorgaben für die Phasen im Vorfeld der Erweiterung. Der 1. Erwägungsgrund der Präambel zum EG-Vertrag und die ersten beiden Erwägungsgründe der Präambel zum EU-Vertrag statuieren kein Alles-oder-Nichts zwischen Aufnahme oder NichtAufnahme, sondern enthalten einen Integrationsauftrag, dem die EU auf verschiedenen Integrationsstufen entsprechen kann. Die Prinzipienlehre macht Aussagen zu den zulässigen Partizipationsinstrumenten und ihrem Verhältnis zueinander. 42. Bezüglich der Zulässigkeit einzelner Partizipationsinstrumente geht es aktuell v. a. um die Flexibilisierung der Integration. Mit der zunehmenden Flexibilität des Unions- und Gemeinschaftsrechts als Instrument zur Auflösung von Zielkonflikten geht allgemein das Risiko einer diffusen Zielkoordinierung im Gesamtverbund der EU einher. Im Primärrecht sind jedoch verschiedene Formen der Flexibilität in abschließenden Normen anerkannt. Da es keine Anzei-
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chen dafür gibt, dass diese Regelungen von niedrigerem Rang sind als das übrige Primärrecht, gibt es kein Prinzip, das die Anwendbarkeit dieser Normen über ihre Tatbestandsvoraussetzungen hinaus einschränkt. Die Flexibilität ist auch kein mit dem Integrationsprinzip konkurrierendes Prinzip, sondern ein Mittel zur Ermöglichung der Integration, das aber weder einseitig zugunsten der Erweiterung noch einseitig zugunsten der Vertiefung eingesetzt werden darf. Die Frage nach dem Ausnahmecharakter der Flexibilität muss im Rahmen der Prinzipienlehre so nicht zwingend gestellt werden. Maßgeblich ist, dass ausdrückliche Regelungen nicht mit Hilfe des Differenzierungsarguments überspielt werden dürfen; denkbar ist allenfalls eine modifizierende Auslegung. Die Regelungen über die Organbesetzung haben beispielsweise Regelcharakter und sind daher nicht abwägungsfähig. Assoziierten „Teilmitgliedern“ dürfte also nach geltendem Recht kein Stimmrecht in den EU-Institutionen eingeräumt werden. Da die Flexibilisierung kein Selbstzweck ist, sondern nur dienende Funktion hat, müssen Differenzierungen zeitlich und sektorell begrenzt sein und mit etwaigen Zeitplänen zur Vertiefung bzw. Erweiterung in Verbindung stehen. Dauerhafte Konstruktionen mit einem festen Kern sind mit dem geltenden Recht unvereinbar. Alle Differenzierungsinstrumente sehen nämlich den Anschluss der Nachzügler vor. Gemäß Art. 2, 5. Spstr. EU darf derzeit zudem das Integrationsniveau nicht verringert werden. Ein Kerneuropa o. ä. dürfte also nicht auf den Acquis der EU und der EG übergreifen. Nur wenn sowohl das Erweiterungs- als auch das Vertiefungsziel gefährdet ist, ist als ultima ratio nach anderen Lösungen zu suchen, die dann aber im Wege einer Vertragsänderung eingeführt werden müssten. 43. Was das Verhältnis zwischen verschiedenen Partizipationsinstrumenten angeht, so entspricht dem Optimierungsgebot der Erweiterung ein Stufenverhältnis. Das Auswahlermessen ist durch den Grundsatz der bestmöglichen Partizipation beschränkt, d. h. bei Erfüllung der Voraussetzungen der stärkeren Form der Partizipation ist die EU zur Höherstufung rechtlich verpflichtet. Folglich sind dauerhafte Alternativen zum Beitritt auch nur zulässig, falls die Voraussetzungen des Art. 49 EU (noch) nicht erfüllt sind. Umgekehrt muss die Beteiligung auf niedrigerer Stufe gewährleistet werden, sofern die Vollmitgliedschaft nicht in Betracht kommt. Mangels entsprechender Rechtsgrundlage und schon aufgrund der Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Staaten ist damit aber keine Pflicht zur ausgedehnten Finanzierung der Harmonisierungsmaßnahmen in den europäischen Nachbarstaaten verbunden. Dem Transparenzgebot entspräche es, einen klar definierten Stufenplan offen zu legen. Die Abwägung zwischen den Prinzipien führt aber nicht zu bestimmten Zeitvorgaben für das Erklimmen der nächsten Stufe. Derartige Vorgaben sind auch empirisch kaum denkbar, denn die Erreichung der Voraussetzungen hängt v. a. von den Nachbarstaaten ab. Es ist aber möglich, die Kriterien zu formulieren, die erfüllt sein müssen, um z. B. am Binnenmarkt teilzunehmen. Berücksichtigt werden müssen stets alle zulässigen Partizipationsinstrumente. Differenzierungen sind dabei das mildere Mittel gegenüber einem völligen Integrationsstill-
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stand zu Lasten eines Integrationsziels. Fraglich ist, ob die Integration nach außen generell als milderes Mittel gegenüber einer Flexibilisierung im Innern der EU anzusehen ist. Bejaht werden muss dies in Bezug auf dauerhafte Differenzierungen im Innern. Diese sind vertraglich nicht vorgesehen, also schon unzulässig. Zudem funktioniert jedenfalls der Kernbereich der Vertiefung, also insb. der Binnenmarkt, nur bei einem Mindestmaß an Gemeinsamkeit. Diskutabel ist hingegen, ob bloße Übergangsregelungen nach dem Beitritt erforderlich sind, obwohl es möglich ist, durch vorbereitende Maßnahmen außerhalb der EU die Beitrittskandidaten dicht an das Niveau der EU heranzuführen. Diese Frage ist aus einer vertiefungsschützenden Perspektive gestellt, würde aber zu einer sehr engen Fassung der Beitrittsvoraussetzungen führen. Ein angemessener Ausgleich könnte darin bestehen, vorläufige Differenzierungen im Innern zuzulassen, wenn damit nicht eine substantielle Gefährdung der Integrationsfähigkeit der EU einhergeht. Dann könnte der Beitrittskandidat auch ohne eine vollständige Anpassung von den Mitentscheidungsrechten profitieren. 44. Beachtet werden muss zudem, dass die Pflicht zur bestmöglichen Partizipation aus dem Erweiterungsprinzip folgt, das im Primärrecht der EU verankert ist. Dieses bezieht sich auf die Integration in die EU. Ihm ist nicht gedient durch einen Verweis auf andere europäische Internationale Organisationen wie etwa den Europarat. 45. Aus alldem folgt, dass die ENP für europäische Staaten nach geltendem Recht nur ein Zwischenschritt sein darf, der eine Ausgrenzung der Nachbarn verhindert, solange diese die Kopenhagener Kriterien nicht erfüllen. Denn mit der ENP wird zwar eine sehr weitgehende materielle Integration einschließlich einer Binnenmarktöffnung angestrebt, nicht aber der Beitritt als Optimum des Erweiterungsprinzips. Werden mit der Erfüllung der Aktionspläne und Nachbarschaftsabkommen zugleich die Kopenhagener Kriterien erfüllt, kann ein Beitritt folglich nur abgelehnt werden, wenn die EU ihrerseits nicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um ihre Integrationsfähigkeit zu gewährleisten. Auslegung der Assoziierungsabkommen mit europäischen Staaten 46. Die Prinzipienlehre kann sich auch auf die Auslegung von Assoziierungsabkommen zwischen der EG und Drittstaaten auswirken. Denn wie auch die Entscheidung über den Neubeitritt von Mitgliedstaaten ist der Abschluss und die Anwendung von Assoziierungsabkommen eng verknüpft mit den Zielen und damit den Prinzipien der EG. Über Art. 10 EG können diese Prinzipien auch im Rahmen von außergemeinschaftlichen Rechtsverhältnissen Wirkung entfalten. Aktuelle Bedeutung erlangen entsprechende Überlegungen insb. im Rahmen der ENP. Bereits bisher sind sowohl beim EuGH und dessen zielorientierter Auslegung als auch bei Bruhas Forderung einer möglichst effektiven
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Anwendung der (Binnenmarkt-)Assoziierungsabkommen Ansätze einer prinzipienorientierten Auslegung erkennbar. Eine strenge Orientierung an den Vorgaben der Prinzipienlehre könnte die dezisionistischen Elemente in der EuGHRechtsprechung schmälern und umgekehrt aufzeigen, wo das Recht keine eindeutige Lösung bereithält. 47. Im Verhältnis zu europäischen Vertragspartnern wäre insb. zwischen dem Erweiterungs- und dem Vertiefungsziel abzuwägen. Dem Erweiterungsziel ist im Rahmen von Assoziierungen durch eine möglichst wirkungsvolle Anwendung der Assoziierungsabkommen gedient. Institutionell wird das Vertiefungsziel durch Assoziierungen nicht belastet. Materiell würde das Vertiefungsprinzip sogar durch eine optimierende, also im Ergebnis binnenmarktanaloge Auslegung entsprechender Klauseln besser verwirklicht. Der EuGH müsste gegenüber europäischen Staaten stets auf die Öffnung des Gemeinschaftsrechts hinwirken. Eine abschottende Rechtsprechung könnte er nur mit dem Schutz europarechtlicher Prinzipien begründen.
Änderbarkeit des europäischen Integrationsauftrags der EU 48. Gerade bei Erweiterungen stellt sich die Frage nach den Voraussetzungen und Grenzen einer Vertragsänderung. Da die primärrechtlichen Aussagen dürftig sind, gestehen selbst Gegner einer völligen Freiheit bei der Vertragsänderung ein, dass nur überpositive Grundsätze zur Einschränkung der Gestaltungsfreiheit führen können. Deren Ermittlung sei verbunden mit einer staatstheoretischen Vertiefung und der Bestimmung der Rechtsnatur der EU. In dieser Arbeit wird jedoch vertreten, dass selbst die Annahme des Verfassungscharakters des Primärrechts beim Fehlen ausdrücklicher Grenzen für sich genommen keine rechtlichen, sondern allenfalls verfassungspolitische Einwände gegen eine Freiheit bei Vertragsänderungen zur Folge hat. 49. Die Prinzipienlehre macht jedenfalls kaum Aussagen zum Verhältnis von Art. 48 und 49 EU. Die „erforderlich werdenden Anpassungen“ i. S. v. Art. 49 Abs. 2 EU betreffen den Ausgleich zwischen Erweiterung und Vertiefung der EU. Könnte man bei Erweiterungen das Vertiefungsprinzip vernachlässigen, würde das daraus folgende zwingende Optimierungsgebot seine maßgebliche Bedeutung verlieren. Folglich sind im Zuge von Beitritten alle Anpassungen der Verträge erlaubt und geboten, die einen angemessenen Ausgleich zwischen der Erweiterung und der Vertiefung herstellen. Der Kernbereich der beiden abzuwägenden Prinzipien darf dabei nicht angetastet werden. Eine erhöhte Flexibilisierung im Innern ist zulässig, soweit beide Integrationsziele ihre Stoßkraft behalten. 50. Die Grenzen beim Abschluss eines Beitrittsvertrages können aber ausgehebelt werden, indem der Beitrittsvertrag mit einer Vertragsänderung gemäß Art. 48 EU verbunden wird. Denn Unionsorgane und Mitgliedstaaten sind zwar auch
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bei der Vertragsänderung an das geltende Primärrecht gebunden. Allerdings enthält Art. 48 EU keine materiellen Schranken. Unionsspezifische Prinzipien sind auch nicht allein aufgrund ihres Prinzipiencharakters änderungsfest. Würde im Rahmen einer Vertragsänderung die EG in eine Freihandelszone rückverwandelt, so würde die EU damit freilich ihren Charakter als glaubwürdige Rechtsgemeinschaft aufgeben. Die Verfassungseigenschaft des Primärrechts selbst verbietet aber derart revolutionäre Akte nicht. Ein gesteigerter Begründungsaufwand ergäbe sich allein aus der besonders hohen sozialen Wirkkraft des Prinzips der fortschreitenden Vertiefung. Gleiches gilt für die Abschaffung des Art. 49 EU oder für die ausdrückliche Verschärfung seiner Voraussetzungen. 51. Die Ermessensgrenzen im Rahmen von Art. 49 EU sind aber nicht bedeutungslos, nur weil sie im Rahmen von Art. 48 EU geändert werden können. Denn schon die Entscheidung für eine der beiden Rechtsgrundlagen beinhaltet eine grundsätzliche Entscheidung für die Bedeutung des abzuschließenden völkerrechtlichen Vertrags. Auch der Transparenz und damit der Glaubwürdigkeit als Rechtsgemeinschaft ist gedient, wenn mit der Wahl der Rechtsgrundlage verdeutlich wird, ob eine bloße Anpassung des Primärrechts beabsichtigt ist oder eine Änderung von gegebenenfalls konstitutioneller Bedeutung. 52. Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen der ENP und der Erweiterungspolitik spricht nach dem Gesagten rechtlich nichts gegen die Einführung einer dauerhaften Beitrittsalternative durch Vertragsänderung. Da das gesamteuropäische Erweiterungsziel aber ein Rechtsprinzip ist, das seit der Gründung der Gemeinschaften im Primärrecht verankert ist, müsste jedenfalls ein Ende der Europaoffenheit als Alternativkonstruktion zum bisherigen Integrationsmodell, also als Neukonstituierung, kenntlich gemacht werden. Dieser Schritt wurde weder mit der Einführung der ENP vollzogen, noch würde eine Ratifikation der im VVE vorgesehenen Nachbarschaftsklausel zur Modifizierung des Erweiterungsprinzips führen. Die ENP ist also auch künftig für beitrittswillige europäische Staaten ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Mitgliedschaft. Dieser Zwischenschritt dauert freilich solange, bis die Beitrittsfähigkeit erlangt ist.
Ausblick 53. Die Prinzipienlehre kann die aktuellen Rechtsfragen im Rahmen der Erweiterungs-, Assoziierungs- und Nachbarschaftspolitik der EU kohärent lösen. Der Zweck einer Prinzipienlehre, nämlich die Verstärkung von Rechtssicherheit auch in den Außenbeziehungen der EU, könnte freilich besser erreicht werden, wenn die bereits geltenden Prinzipien in einem Verfassungsvertrag deutlicher sichtbar gemacht und in Beziehung zueinander gesetzt würden. Die aus-
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drückliche Benennung der Parallelität von Erweiterung und Vertiefung im Primärrecht scheiterte bislang aber am politischen Widerstand einiger Mitgliedstaaten. Dies ist bedauernswert. Zugleich aber ist gerade aufgrund der Schwierigkeiten bei Vertragsänderungen eine Durchdringung des geltenden Primärrechts auf der Grundlage einer europäischen Prinzipienlehre sowie darauf aufbauend die bessere Strukturierung der einzelnen Entscheidungen besonders dringlich.
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Sachverzeichnis Abgestufte Integration 75 abstrakte Beitrittsperspektive 201 Abwägung – Abwägung und Verfassungslehre 135 – Abwägung zwischen Erweiterung und Vertiefung 21, 28, 159, 236 – Abwägungsfehler 146 – Anforderungen an die Abwägung 136 – Auflösung von Prinzipienkollisionen 134 – bedingte Vorrangrelation 136 – Justiziabilität 143 – Kontrolldichte 146 – Kritik am Abwägungskonzept 149 – Leistungsfähigkeit von Abwägungen 140 – Pflicht zur Abwägung als Rechtspflicht 21, 142 – Pflicht zur Abwägung als Verfahrenspflicht 30, 140 – Rationalisierung des Entscheidungsprozesses 141 – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 138 – Voraussetzungen der Abwägung 135 Abwägungsgesetz 138 Acquis Communautaire siehe Gemeinschaftlicher Besitzstand 182 Änderungsfestigkeit – Änderungsfestigkeit des Integrationsauftrags 26, 223, 225, 227, 229, 231, 233 – Änderungsfestigkeit europäischer Prinzipien 128 – Aussagen der Prinzipienlehre zur Änderungsfestigkeit der Verträge 232 – materielle Grenzen der Vertragsänderung 227 Assoziierungsabkommen – Arten von Assoziierungsabkommen 50 – Auslegung 220 – Regelung des Art. 310 EG 49 Aufnahmefähigkeit der EU siehe Integrationsfähigkeit der EU
Ausblick 235 – 237 Auslegungsmethoden – Ergänzung durch die Prinzipienlehre 56 – Grenzen der klassischen Auslegungsmethoden 54 Austritt aus der EU 19 Austrittsrecht 228 Begründungspflicht 206 Beitritt zur EU – Rechtsfolge des Art. 49 EU 48, 199 – Verhältnis zur ENP 67, 220, 230, 234 Beitrittsperspektive 200 Beitrittsverfahren – Regelung und Praxis 46 – Türkei 62 Beitrittsvoraussetzungen – Auslegung 162 – Europäischer Staat i. S. v. Art. 49 EU 163 – Konstitutionalisierung 235 – Kopenhagener Kriterien 165 – Krönungsthese 170 – rechtliche Vorgaben 46 – Rechtsfolgen bei Erfüllung oder Erfüllbarkeit der Beitrittsvoraussetzungen 199, 201, 204, 207, 210 bestmögliche Partizipation 216 Binnenmarktfähigkeit 180 Demokratiegrundsatz i. S. v. Art. 6 Abs. 1 EU 174 Double Standards 182 Dynamik des Integrationsprozesses 45 Einheit der Rechtsordnung 29 Einheit der Verfassung 29, 135 Ermessen – erkenntnistheoretisches Ermessen 142 – Ermessensbegriff im Europarecht 144 – Justiziabilität 143
Sachverzeichnis – Rechtsfolgenermessen bei der Beitrittsentscheidung 202 – Streitstand zu Ermessensgrenzen in der Grenzdebatte 160 – strukturelles Ermessen 141 Ermessensfehler 205, 206 Erweiterung 19 – Definition 23 – Erklärung mit dem Mehrebenenansatz 93 – Erklärung mit der Gemeinschaftstheorie 87 – Erklärung mit der Klubtheorie 85 – Erklärung mit traditionellen Integrationstheorien 81 – Erklärung mit völkerrechtlichen Ansätzen 96 – Erweiterungsstopp 20, 25 – Neue Erweiterungsstrategie 62 Erweiterungs-Vertiefungs-Dilemma 19, 22, 24, 27, 30, 39 – Gleichrangigkeit der Integrationsziele 158 – politische Präferenzen 56 – Prinzipienkonflikt 157, 159 – tatsächliche Wechselwirkungen zwischen Erweiterung und Vertiefung 59 Erweiterungsziel – Gleichrangigkeit mit dem Vertiefungsziel 158 – Prinzipiencharakter 156 – Prinzipienkonflikt mit dem Vertiefungsziel 157, 159 – rechtliche Spannung mit dem Vertiefungsziel 43 – Rechtsverbindlichkeit 157 – tatsächliche Wechselwirkung mit dem Vertiefungsziel 59 Europa à la carte 75 Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten 75 Europäisch i. S. v. Art. 49 EU 163 – beitrittsfreundliche Auslegung 28 – Beitrittspraxis 164 – Erkenntnisse der Prinzipienlehre 165 – Rechtsnatur 163 – Streitstand zur Auslegung 163 Europäische Menschenrechtskonvention 175 Europäische Nachbarschaftspolitik 20, 26
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– aktuelles Konzept 64 – Ausblick 235 – Konflikt für die Ukraine 67 – „Ring der Freunde“ 66 – Stärkung der ENP 65 – Ukraine 64 – Verhältnis zum Beitritt 67, 220, 230, 234 – Zielsetzungen 65 europäischer Integrationsauftrag siehe Integrationsauftrag der EU Flexible Integration 26 – Flexible Gesamteuropakonzepte 69 – Forderung flexibler Außengrenzen 72 Freiheitsgrundsatz i. S. v. Art. 6 Abs. 1 EUFreiheit 173 Funktionalismus 83 Funktionsfähigkeit der EU siehe Handlungsfähigkeit der EU Gemeinschaftlicher Besitzstand – das dritte Kopenhagener Kriterium 182 – Definition 44 Gemeinschaftstheorie 87 – Erklärung der EU 88 – Konzept von Schimmelfennig 87 Gesamteuropäische Aufgabenförderation 76 Gesamteuropakonzepte 25 – abgestufte Integration 75 – Europa à la carte 75 – Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten 75 – Europäische Nachbarschaftspolitik 64 – Gesamteuropäische Aufgabenföderation 27, 76 – Kerneuropa 75 – Konzept der variablen Geometrie 76 – Konzepte mit der EU als Zentrum 74 – multioptionaler Verfassungsvertrag 27, 77 – (Un-)Zulässigkeit eines Kerneuropas 231 – (Un-)Zulässigkeit von Teilbeitritten 213, 229 – Verfassung der Integrationsoptionen 27 Gesamteuropakonzept 69 Gestalt der EU 32 – Homogenität 193 – Mehrebenensystem 90
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Sachverzeichnis
– Politikverflechtung 91 – Verfassungsverbund 92 Grenzen der EU – aktuelle Debatte 21, 60 – Lösung konkreter Rechtsfragen 160 – Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Grenzdebatte 24 – Streitstand zu Ermessensgrenzen in der Grenzdebatte 160 Grundsatz der bestmöglichen Partizipation 216 Handels- und Kooperationsabkommen 51 Handlungsfähigkeit der EU 20 – Aussagen des Mehrebenenansatzes 91 – Integrationsfähigkeit 62 – Politikverflechtung 91 Hierarchisierung des Primärrechts 131 Homogenitätsgebot 177 – Art. 6 Abs. 3 EU 178 – Beitrittspraxis 179 – Funktionen 177 – Gleichartigkeit statt Uniformität 178 Identität 198 Integration 23 Integrationsauftrag der EU 21 – 23, 25, 29, 37 – Änderbarkeit 223 – Konkretisierung 160 – Politische Präferenzen 56 – Primärrechtliche Vorgaben 42 – Primat der Politik 56 – Regelungen im Reformvertrag 53 – Regelungen im Vertrag über eine Verfassung für Europa 51 Integrationsfähigkeit der EU – das vierte Kopenhagener Kriterium 182 – Erkenntnisse der Prinzipienlehre 196 – neue Erweiterungsstrategie 62, 186 Integrationsforschung – Erklärung der EU-Erweiterung mit traditionellen Integrationstheorien 81, 83 – Funktionalismus 83 – Gemeinschaftstheorie 87 – Intergouvernementalismus 82
– Klubtheorie 85 – Konstruktivistische Erklärung der Erweiterung 83 – Mehrebenenansatz 89 – neo-realistischer Ansatz 82 – traditionelle und aktuelle Ansätze im Überblick 79 – völkerrechtliche Ansätze 94 Integrationsinstrumente – Stufenverhältnisstufe 210, 216 – unzulässige Partizipationsinstrumente 212 Interdisziplinäres Vorgehen 35 Intergouvernementalismus 82 Justiziabilität – Justiziabilität von Prinzipienkollisionen 143 – Justiziabilität von Vertragszielbestimmungen 145 – Kontrolldichte 146 – prozessuale Grundkonstellationen 145 Kerneuropa – Konzept 75 – (Un-)Zulässigkeit 231 Klubtheorie 84 – Anwendung auf die EU 85 – Erklärung der Erweiterung 85 – Erklärung der EU-Osterweiterung 86 – Kritik an der Klubtheorie 86 – ursprünglicher Ansatz 84 Kollision von Prinzipien 134 Kollisionsregel 137 Kommunikation 187 Konditionalität 187 Konsolidierung 186 Konstitutionalisierung – aktuelle Konstitutionalisierungsdebatte 27 – Definition 103 – Konstitutionalisierung des Europarechts 103 – Konstitutionalisierung durch Verfassungsprinzipien 106 – Kritik 150 – Leit- und Strukturprinzipien 110 Konstitutionenökonomik 87 Konstruktive Rechtstheorien 34
Sachverzeichnis Konstruktivismus – Charakteristika konstruktivistischer Integrationsforschung 80 – Erklärung der EU-Erweiterung 83 – Gemeinschaftstheorie 88 – Verhältnis zum Rationalismus 80 Kopenhagener Kriterien 47, 165 – Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten 174 – Auslegung 170, 192 – das dritte Kopenhagener Kriterium 182, 196 – das erste Kopenhagener Kriterium 171, 195 – das vierte Kopenhagener Kriterium 182, 196 – das zweite Kopenhagener Kriterium 180, 195 – Demokratie 174 – Entscheidungsspielraum 189 – Erkenntnisse der Prinzipienlehre 191 – Freiheit 173 – Funktion 166 – Homogenitätsgebot 177 – Rechtsnatur 166, 191 – Rechtsstaatlichkeit 176 Kritik – Kritik am Abwägungskonzept 149 – Kritik an einer europäischen Prinzipienlehre 148 – Kritik an Konstitutionalisierungsfunktion 150 – Kritik an Verfassungsleseart des Primärrechts 151 – Kritik bezüglich der Handhabbarkeit der Prinzipienlehre 148 – Kritik an der Prinzipienlehre im intergouvernementalen EU-Recht 154 Krönungsthese 170 Lehre von den notwendigen Internationalen Organisationen siehe Universalitätsgrundsatz Leit- und Strukturprinzipien 110 Mehrebenenansatz 89 – Aussagen über die Problemlösungsfähigkeit der EU 91
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– Aussagen über Gestalt und Zukunft der EU 90 – Erkenntnisse für die Erweiterung 93 – Erkenntnisse für die Verfassungsdiskussion 92 – Folgen für die Herleitung von Prinzipien 123 – systematische Einordnung 89 Neo-Realismus 82 Neue Erweiterungsstrategie 62, 186 Offenheit der EU siehe Dynamik des Integrationsprozesses Optimierungsgebot – Arten von Optimierungsgeboten 30 – Grundsatz der bestmöglichen Partizipation 218 – Herstellung einer bedingten Vorrangrelation 136 – Prinzipien als Optimierungsgebote 111 Osterweiterung 19, 25, 26, 35, 60, 86 Partizipationsinstrumente siehe Integrationsinstrumente Pflicht zur Abwägung – Rechtspflicht 21, 142 – Verfahrenspflicht 30, 140 Pflicht zur beitrittsfreundlichen Auslegung 205 Pflicht zur bestmöglichen Partizipation 26 Pflicht zur Flexibilität 212 Pflicht zur Integration 212 Politikverflechtung 91 Präambelbestimmungen – Erweiterungsziel 43 – Geltendes Primärrecht 43 – Vertiefungsziel 44 Praktische Konkordanz 137, 161, 236 Primat der Politik 39, 57, 59, 61, 63, 65, 67, 69, 71, 73, 75, 98, 202 Prinzipien – Adressaten europäischer Prinzipien 127 – Änderungsfestigkeit 128 – Begriffsdefinition 109 – eigenständige Bedeutung gegenüber Spezialnormen 130
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Sachverzeichnis
– ergänzende Bedeutung gegenüber Spezialnormen 133 – europäische Prinzipien 107 – europäischer Prinzipienbegriff 117 – Funktionen nach v. Bogdandy 106 – Herleitung europäischer Prinzipien 122 – (kein) völkerrechtlicher Prinzipienbegriff 116 – Konstutionalisierung durch Prinzipien 106 – Leit- und Strukturprinzipien 110 – Prinzipien als Optimierungsgebote 111 – Prinzipienbegriff im deutschen Verfassungsrecht 109 – Prinzipiencharakter des Erweiterungs- und des Vertiefungsziels 156 – Rechtsverbindlichkeit 126 – Unbestimmtheit 120 – Wirkungen europäischer Prinzipien 126 Prinzipienlehre 20, 31, 37 – Abwägung 134 – Ansatz von Alexy 21, 22, 112 – Ansatz von Dworkin 112 – Ansatz von Sieckmann 115 – Ansatz von v. Bogdandy 22, 27, 29 – Auflösung von Prinzipienkollisionen 134 – Ausblick 237 – Aussagen über die Kopenhagener Kriterien 191 – Aussagen über „europäisch“ i. S. v. Art. 49 EU 165 – Aussagen zu den Rechtsfolgen bei Erfüllung der Beitrittsvoraussetzungen 207 – Aussagen zum Recht auf Beitritt 202 – Aussagen zur Änderbarkeit des Integrationsauftrags 232 – Aussagen zur Auslegung von Assoziierungsabkommen 222 – Aussagen zur Zulässigkeit flexibler Integrationsinstrumente 215 – Einbettung in die Verfassungsdiskussion 99 – europäische Prinzipienlehre 22, 34, 40 – europäischer Prinzipienbegriff 117 – Grundsatz der bestmöglichen Partizipation 218 – Herleitung europäischer Prinzipien 122 – Justiziabilität 143 – Konkretisierung einer europäischen Prinzipienlehre 108
– Kritik an einer europäischen Prinzipienlehre 151 – Prinzipienlehre als Verfassungslehre 99 – Prinzipienlehre im intergouvernementalen EU-Recht 154 – rationaler Entscheidungsprozess 141 – Rechtsverbindlichkeit europäischer Prinzipien 126 – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 138 – Wirkungen europäischer Prinzipien 126 Querschnittsklauseln 21 Rationalismus – Charakteristika rationalistischer Integrationsforschung 79 – Verhältnis zum Konstruktivismus 79 Recht auf Beitritt 25, 200 Rechtsfolgenermessen bei der Beitrittsentscheidung 202 Rechtsstaatlichkeitsgrundsatz 176 Rechtsverbindlichkeit europäischer Prinzipien 126 Reformvertrag 53 Stufenverhältnis der Integrationsinstrumentestufe 210 Teilbeitritt 213, 229 Türkei 20, 25, 39 – Kopenhagener Kriterien 168 – neue Erweiterungsstrategie 62 Übergangsbestimmungen 214 Ukraine 20, 26, 64, 235 Universalitätsgrundsatz – Anwendung auf die EU 96 – Bedeutung für Beitrittsentscheidungen (laut IGH) 96 – Kritik durch die Lehre von den notwendigen Internationalen Organisationen 95 – Rechtsnatur 94 – Ursprung 94 Variable Geometrie 76 Verfassungsdiskussion – europäische Verfassungsdiskussion und Prinzipienlehre 99
Sachverzeichnis – Kritik an Konstitutionalisierungsfunktion der Prinzipien 150 – Verfassungsdiskussion in der EU 21, 102 – Verfassungsverbund 92 – Verhältnis von Recht und Politik 99 Verfassungshomogenität siehe Homogenitätsgebot Verfassungsprinzipien 31 – Änderungsfestigkeit 128 – europäische Verfassungsprinzipien 107 – Herleitung 124 – Konstitutionalisierung durch Verfassungsprinzipien 106 – Kritik 150 Verfassungsverbund 92 Verfassungsvertrag siehe Vertrag über eine Verfassung für Europa Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 138 Vertiefung – Definition 23 – Reduzierung des Stands der Vertiefung 228 Vertiefungsziel – Definition und Kernbereich 157
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– Gleichrangigkeit mit dem Erweiterungsziel 158 – Prinzipiencharakter 157 – Prinzipienkonflikt mit dem Erweiterungsziel 157, 159 – rechtliche Spannung mit dem Erweiterungsziel 43 – Rechtsverbindlichkeit 156 – tatsächliche Wechselwirkungen mit dem Erweiterungsziel 59 Vertrag über eine Verfassung für Europa 51 Vertragsänderung – Abgrenzung zwischen Art. 48 und 49 EU 225 – Grenzen durch die Prinzipienlehre 232 – materielle Grenzen 130, 227 Vorrangrelation 136 Wiederholungsthese 92 Zielbestimmungen – Erweiterungsziel 43 – Geltendes Primärrecht 43 – Justiziabilität 145 – Vertiefungsziel 44