Der erste Petrusbrief 9783666516184, 3525516185, 9783525516188


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Der erste Petrusbrief
 9783666516184, 3525516185, 9783525516188

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LEONHARD GOPPELT Der Erste Petrusbrief

KRITISCH-EXEGETISCHER KOMMENTAR ÜBER DAS N E U E T E S T A M E N T B E G R Ü N D E T V O N H.A.W. M E Y E R H E R A U S G E G E B E N VON F E R D I N A N D H A H N BAND X I I / 1 — 8.Auflage

Der Erste Petrusbrief Übersetzt und erklärt von

Leonhard Goppelt

Herausgegeben von Ferdinand Hahn 1. Auflage dieser Neubearbeitung

V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N

Früher erschienene Auflagen dieses Buches (Die 1.-7. Auflage enthielten „Die Briefe Petri und Judae") Bearbeitung von 1. Auflage 2. Auflage 3. Auflage 4. Auflage

J. E. Huther 1852 1859 1867 1877

Bearbeitung yon Ernst Kühl 5. Auflage 1887 6. Auflage 1897 Bearbeitung von Rudolf Knopf 7. Auflage 1912

CIP-Kur^titelaufnabme der deutseben Bibliothek Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament j begr. von H.A.W. Meyer. Hrsg. von Ferdinand Hahn. - Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht. NE: Meyer, Heinrich August Wilhelm [Begr.]; Hahn, Ferdinand [Hrsg.] Bd. 12/1. - Goppelt, Leonhard: Der Erste Petrusbrief Goppelt, Leonhard Der Erste Petrusbrief / hrsg. von Ferdinand Hahn. - 8. Aufl., I. Aufl. dieser Neuauslegung. - Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1978. (Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament; Bd. 12/1) ISBN 3-525-51618-5

© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1978. — Printed in Germany. — Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. — Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Leonhard Goppelt hat sich in seinen letzten Lebensjahren mit zwei großen wissenschaftlichen Werken befaßt: einer „Theologie des Neuen Testaments" und dem jetzt vorliegenden Kommentar zum Ersten Petrusbrief. In beiden Fällen war es ihm nicht mehr möglich, die Arbeit zum Abschluß zu bringen und die Buchmanuskripte selbst druckfertig zu machen. Seine „Theologie des Neuen Testaments" wurde inzwischen von Jürgen Roloff aus dem Nachlaß herausgegeben, den Kommentar zum Ersten Petrusbrief habe ich als Herausgeber des „Kritisch-exegetischen Kommentars" und als Nachfolger auf seinem Münchner Lehrstuhl für die Drucklegung fertiggestellt. Der Verstorbene hatte mir etwa ein Jahr vor seinem Tod ein fast vollständiges Manuskript seines Kommentars zugeschickt und um Stellungnahme gebeten. Infolge seiner Arbeit an der Neutestamentlichen Theologie und meiner eigenen starken Beanspruchung ist es in der Zeit bis zum unerwarteten Tode Goppelts am 21. 12. 1973 leider nicht mehr zu einem ausführlichen Gedankenaustausch gekommen. So stand ich vor der Aufgabe, das Manuskript im Sinne des Verfassers für die Drucklegung fertigzustellen. Ich war darauf bedacht, inhaltlich keinerlei Änderungen vorzunehmen. Wohl aber mußten früher und später entstandene Teile aufeinander abgestimmt, gelegentliche Wiederholungen getilgt und einzelne durch den Vortragsstil bedingte stilistische Besonderheiten verändert werden. Denn die meisten Teile waren aus der Lehrtätigkeit Goppelts erwachsen und in eine erste Fassung für den Kommentar gebracht worden; eine abschließende Überarbeitung hatte sich der Verfasser vorbehalten. Der Text der Auslegung war vollständig. In der zuletzt entstandenen Einleitung fehlten nur die beiden Paragraphen über Kanons- und Textgeschichte des Ersten Petrusbriefes. Sehr viel schwieriger war die Fertigstellung der Anmerkungen. Hier mußte das Material weitgehend noch einmal überprüft werden; vor allem aber waren sehr viele Ergänzungen notwendig, da an zahlreichen Stellen die Anmerkungen nicht vollständig ausgeführt waren. Dabei wurde auch wichtige Literatur bis 1976 nachgetragen. Im übrigen mußte das ganze Manuskript den formalen Erfordernissen der Kommentarreihe angepaßt werden. Bei der Bearbeitung der Druckvorlage hatte ich große Hilfe, ohne die eine Fertigstellung gar nicht möglich gewesen wäre. An erster Stelle danke ich Frau D O R A GOPPELT, Tutzing, für ihren Rat und die Bereitschaft, das ganze Manuskript nach meiner Überarbeitung sorgfältig durchzusehen. Bei einer großen Anzahl von Stellen konnte sie mir die Intention ihres

6

Vorwort

Mannes verdeutlichen, was für die endgültige Formulierung eines Satzes oft von wesentlicher Bedeutung war. Herrn Kollegen JÜRGEN ROLOFF, Erlangen, einem persönlichen Schüler Goppelts, danke ich fur die Abfassung der beiden fehlenden Paragraphen der Einleitung sowie für die Hilfe bei der Zusammenstellung der Literatur zum Ersten Petrusbrief. Besonderen Dank schulde ich sodann den drei Assistenten des Instituts für Neutestamentliche Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Herrn Dr. HANS BALD, Herrn KURT ESCHERT und Herrn GÜNTER UNGER, die mit mir den gesamten Text durchgingen, die recht mühsame Arbeit der Ergänzung der Anmerkungen auf sich nahmen, sich um Literatur- und Abkürzungsverzeichnis kümmerten und sich beim Korrekturlesen beteiligten. Bei technischen Arbeiten haben schließlich auch mehrere wissenschaftliche Hilfskräfte und die Sekretärinnen unseres Instituts mitgeholfen; ihnen allen sei hier herzlich gedankt. Möge das Buch als Vermächtnis des leider zu früh verstorbenen Verfassers die ihm gebührende Beachtung finden. Das hier programmatisch behandelte Thema des Verhaltens der Christen in den Institutionen der Gesellschaft war ein Grundanliegen innerhalb des Lebenswerkes von Leonhard Goppelt. In der Klärung der sozialethischen Auffassung des Urchristentums sah er einen entscheidenden Beitrag der Exegese zur theologischen Problematik der Gegenwart. München, 1. Juni 1977

Ferdinand Hahn

Inhaltsverzeichnis Vorwort Literatur- und Abkürzungsverzeichnis

5 11

Einleitung § 1. Die Angaben des Briefes über Empfänger und Verfasser . . . .

27

1. Die Empfänger (der geographische Raum) — 2. Der Verfasser § 2. Inhaltliche und literarische Struktur des Briefes 1. Die Diskussion — 2. Die Thematik des Briefes — 3. Der Aufbau — 4. Die Kontinuität der Gedankenführung — 5. Die briefliche Form — 6. Der Stil § 3. Literarische und traditionsgeschichtliche Zusammenhänge....

37

' 47

1. Zur Methodik (Verlauf der Forschung) — 2. Das Verhältnis zum Corpus Paulinum — 3. Die übrige frühchristliche Briefliteratur — 4. Die Evangelienüberlieferung — 5. Der Hintergrund: Die Schrift und die religiöse Umwelt § 4. Die Situation der Gemeinde

56

1. Die kerygmatische Perspektive — 2. Die Gestalt der Bedrängnis — 3. Die Motive der Aggression — 4. Geschichtliche Einordnung der Konfliktsituation § 5. Die Herkunft des Briefes

64

1. Die Entstehungszeit — 2. Der Entstehungsort — 3. Die Verfasserfrage § 6. Die Kanonisierung (J. Roloff)

70

§ 7. Die Überlieferung des Textes (J. Roloff)

72

8

Inhaltsverzeichnis

Auslegung 1,1 f.: Das Präskript. An die erwählten Fremden in der Diaspora

75

1,3-2,10: E r s t e r H a u p t t e i l . Basis u n d W e s e n c h r i s t l i c h e r E x i s t e n z in der G e s e l l s c h a f t 1) 1,3-12: Wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung . . . . 2) 1,13-2,10: Das der Wiedergeburt entsprechende Grundverhalten a) 1,13-21: Uneingeschränktes Hoffen b) 1,22-2,3: Bruderliebe c) 2,4—10: Leben in der eschatologischen Gemeinde

110 114 127 138

2.11-4,11: Z w e i t e r H a u p t t e i l . V e r w i r k l i c h u n g des C h r i s t seins in den S t r u k t u r e n der G e s e l l s c h a f t

155

89 89

A) 2,11-3,12: Verantwortliche Beteiligung an den Institutionen der Gesellschaft 1) 2,11 f.: Engagement für die Welt bei innerer Freiheit von der Welt als Grundsatz christlichen Handelns 2) 2,13-3,7: Das Verhalten in den Institutionen der Gesellschaft a) 2,13-17: Die staatlichen Ordnungen b) 2,18-20: Die Stellung der Sklaven c) 2,21-25: Christologische Begründung d) 3,1-6: Aufgabe und Verantwortung der Ehefrauen e) 3,7: Aufgabe und Verantwortung der Ehemänner 3) 3,8-12: Übergreifendes soziales Verhalten aller

156 163 179 189 198 212 220 223

B) 3,13-4,11: Bereitschaft zum Leiden in der Gesellschaft um des Guten willen 1) 3,13-17: Leidensbereitschaft für soziales Rechtverhalten . . . . 2) 3,18-22: Christi Heilsweg 3) 4,1-6: Frucht der Leidensnachfolge für die Glaubenden 4) 4,7-11: Das innere Leben der eschatologischen Gemeinde . . .

231 232 239 264 278

4.12-5,11: D r i t t e r H a u p t t e i l . B e w ä h r u n g der C h r i s t e n in G e s e l l s c h a f t u n d G e m e i n d e ( S c h l u ß p a r ä n e s e ) 1) 4,12-19: Leiden der Glaubenden als Gnade und Gericht 2) 5,1-5: Die Gemeindeleitung 3) 5,6-11: Annehmen und Bestehen der Bedrängnis

293 293 318 335

5,12-14: Der Briefschluß

345

Register

356

156

Inhaltsverzeichnis

9

Exkurse und exkursartige Ausführungen Die Erwählten als die Fremden

81

Die Herkunft des Redens von der Wiedergeburt in 1 Petr 1,3.23

92

Das Bild von der Muttermilch

134

Die christologische Deutung des Steinmotivs

142

Charakter und Herkunft des Bildes vom „geistlichen Haus"

145

Exkurs: Die Ständetafeltradition

163

1. Ständetafeln in der frühchristlichen Paränese — 2. Das „Haustafel"Schema — 3. Die Herkunft der Ständetafeln — 4. Die Verpflichtung zur Unterordnung — 5. Das „Rechtverhalten" in den Ständen

Die Aussage über die Freiheit in 2,16 f.

187

Gnade im 1. Petrusbrief

197

Struktur und Herkunft des Christusliedes in 2,22-25

204

Exkurs: Die Hadespredigt Christi im religionsgeschichtlichen Zusammenhang

250

Freude über das Leiden um Christi willen — Herkunft der] Vorstellung

299

Herkunft der Auffassung vom Verfolgungsleiden der Christen als Gericht

312

Das Bild vom Weiden der Herde

325

Babylon als Symbolname

351

Literatur- und Abkürzungsverzeichnis 1. Kommentare Alte Kirche: Adumbrationes in epistolas canonicas I. In epistola Petri prima, in: GCS 3, S. 203-206

CLEMENS ALEXANDRINUS,

AMMONIUS ALEXANDRINUS,

Fragmentum in Primam S. Petri Epistolam, in: MPG 85,

Sp. 1607-1610 HESYCHIUS,

Fragmentum in epistolam I. S. Petri, in: MPG 93, Sp. 1389-1390

PS.-EUTHALIUS,

Elenchus capitum Septem Epistolarum Catholicarum, in:

M P G 85,

Sp. 679-682 DIDYMUS ALEXANDRINUS,

Enarratio in epistolas catholicas, in:

JOHANNES CHRYSOSTOMUS,Fragmenta EUSEBIUS HIERONYMUS,

Divina Bibliotheca, in:

CYRILLUS ALEXANDRINUS,

M P G 39,

Sp.

1755-1772

in epistolas catholicas, in: MPG 64, Sp. 1053-1058 M P L 29,

Sp.

877-882

Fragmenta in epistolas catholicas, in: M P G

74,

Sp.

1011-1016

Complexiones in epistulis apostolorum, M P L 7 0 , Sp. 1361-1368 PATERIUS, Liber de expositione Veteris ac Novi Testamenti, M P L 7 9 , Sp. 1 0 9 7 - 1 1 0 0

MAGNUS AURELIUS CASSIODORUS,

LUCULENTIUS,

In aliquot Novi Testamenti partes commentarii, M P L

PS.-OECUMENIUS,

Commentarii in epistolas catholicas,

M P G 119,

72,

Sp.

Sp.

857-860

509-578

Mittelalter: PS.-HILARIUS ARELATENSIS,

Exposito in epistolas catholicas,

MPL

Suppl. I I I , Sp.

83-

106 BEDA VENERABILIS,

Super epistolas catholicas expositio, MPL 93, Sp. 41-68

The Commentaries of Isho'dad of Merv (ed. and translated by Μ. D. Gibson) Vol. IV: Acts of the Apostles and three Catholic Episdes in Syriac and English (Horae Semiticae 10), Cambridge 1913, S. 38f. und 51-53

ISHO'DAD VON M E R V ,

WALAFRIDUS STRABO, PS.-THEOPHYLACT, ALULFUS,

Glossa Ordinaria, MPL 114, Sp. 679-688

Expositio in Epistolam Primam S. Petri, MPG

De expositione Novi Testamenti,

M P L 79,

Sp.

125,

Sp.

1189-1252

1385-1388

Commentarius in XIV Epistolas S. Pauli et VII Catholicas (hg. v. Ν. Kalogeras) Bd. Π, Athen 1887, S. 519-566

EUTHYMIUS ZIGABENUS,

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DIONYSIUS BAR SALIBI,

12

Literatur- und Abkürzungsverzeichnis

MARTINUS LEGIONENSIS, Sp. 217-252

Expositio in epistolam

I B.

Petti apostoli, in: MPL

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In Septem epistolas canonicas, Paris 1 8 7 3 - 1 8 8 2 , Bd. X X X I , S . 3 6 8 - 3 9 8 (Nach P. J. Perrier stammt der Kommentar von Nicolas de Gorran; vgl. C. Spicq, Esquisse d'une histoire de l'ex£g£se latine au moyen age, Paris 1944, S. 299 Anm. 6)

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3. Abkürzungsverzeichnis Analecta Biblica Anglican Theological Review Acta Seminarii Neotestamentici Uppsaliensis Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments Australian Biblical Review Bonner Biblische Beiträge Beiträge zur Förderung chrisdicher Theologie Biblisch-historisches Handwörterbuch Beiträge zur historischen Theologie Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium Biblica Bibel und Leben (H. L. Strack-) P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch I-IV, München 1922-1928 BK Biblischer Kommentar BWANT Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament BZ (NF) Biblische Zeitschrift (Neue Folge) BZNW Beihefte zur Zeitschrift für die Neutestamendiche Wissenschaft CBQ Catholic Biblical Quarterly CorpGlossLat Corpus Glossariorum Latinorum Diet de la Bible Suppl Dictionnaire de la Bible Suppldment EKK Evängelisch-Katholischer Kommentar EvTh Evangelische Theologie Exp The Expositor ExpT The Expository Times FRLANT (NF) Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments (Neue Folge) FrThSt Freiburger Theologische Studien HarvThRev Harvard Theological Review HNT Handbuch zum Neuen Testament HThK Herders Theologischer Kommentar Interpr Interpretation JAC Jahrbuch für Antike und Christentum JBL Journal of Biblical Literature JThSt (NS) Journal of Theological Studies (New Series) KEK Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament KNT Kommentar zum Neuen Testament (hg. v. Th. Zahn) KuD Kerygma und Dogma LThK Lexikon für Theologie und Kirche

AnalBibl AnglThR ASNU AThANT AustrBiblRev BBB BFchrTh BHH BHTh BiblEphTheolLov Bibl BiLe Billerbeck

26 MbThSt MGWJ MPG MPL MüThSt NovTest NRTh NTA NTD NTS PW RAC RevBibl RE 3 RGG 3 RHPhR RW SBS SNTS Mon. Ser. StANT StBiblTh StTh StUNT SvExA ThB TheolViat ThLZ ThQ ThR (NF) ThSt ThWNT ThZ TrThZ TU TyndBull

Literatur- und Abkürzungsverzeichnis Marburger Theologische Studien Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums Migne, Patrologia, Series Graeca Migne, Patrologia, Series Latina Münchner Theologische Studien Novum Testamentum Nouvelle Revue Thiologique Neutestamendiche Abhandlungen Das Neue Testament Deutsch New Testament Studies Pauly-Wissowa, Real-Encyklopädie der klassischen Altertumswissenschaft Reallexikon für Antike und Christentum Revue Biblique Realencyklopädie für Protestantische Theologie und Kirche, 3. Auflage Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Auflage Revue d'Histoire et de Philosophie Religieuse Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten Stuttgarter Bibelstudien Studiorum Novi Testament! Societas Monograph Series Studien zum Alten und Neuen Testament Studies in Biblical Theology Studia Theologica Studien zur Umwelt des Neuen Testaments Svensk Exegetisk Arsbok Theologische Bücherei Theologia Viatorum Theologische Literaturzeitung Theologische Quartalschrift Theologische Rundschau (Neue Folge) Theologische Studien Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament Theologische Zeitschrift Trierer Theologische Zeitschrift Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altkirchlichen Literatur Tyndale Bulletin

UNT

Untersuchungen zum Neuen Testament

VD vs

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WdF WMANT

Wege der Forschung Wissenschafdiche Monographien zum Alten und Neuen Testament Wissenschafdiche Untersuchungen zum Neuen Testament

WUNT ZKG ZNW ZsystTh ZThK

Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift für die Neutestamendiche Wissenschaft und die Kunde der Älteren Kirche Zeitschrift für systematische Theologie Zeitschrift für Theologie und Kirche

Einleitung § 1. Die Angaben des Briefes über Empfanger und Verfasser Der 1 Petr gibt so genau wie kein anderer der „Katholischen Briefe", unter denen er im NT überliefert wird, über seine Herkunft und seine Adresse Auskunft; er gleicht nach Eingang (1,1 f.) und Schluß (5,12-14) mehr den Paulinen. Wie die Exegese dieser Angaben ergibt, will er im Auftrag des Apostels Petrus von Silvanus aus Rom an die Christen in ganz Kleinasien geschrieben sein. Um diese Angaben zu verdeutlichen und zu überprüfen, beziehen wir sie zunächst auf den durch sonstige Überlieferungen gegebenen geographischen und historischen Rahmen; danach muß mit diesen konfrontiert werden, was dem Inhalt des Briefes durch Rückschlüsse über seine Herkunft zu entnehmen ist. 1. Die Empfänger (der geographische Raum)

a) Der Brief ist gerichtet „an die erwählten Fremden in der Diaspora von Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien", d. h. an die Christen, die gleich der jüdischen Diaspora als weit verstreute Minderheit in diesen Gebieten leben1. Die Namen Πόντος, Γαλατία, Καππαδοκία, 'Ασία und Βιθυνία bezeichnen von Hause aus Landschaften Kleinasiens, hier aber römische Provinzen 2 . Es wird nämlich kein Name genannt, 1 Die Uberlieferung über die Landschafts- und Provinzeinteilung Kleinasiens ist grundlegend zusammengestellt bei J. W E I S S , Art. Kleinasien, RE 3 10 (1901) S. 535-563; V. S C H U L T Z E , Altchristliche Städte und Landschaften II/1.2, Gütersloh 1922/26; D. 2 M A G I E , Roman Rule in Asia Minor I/II, Princeton 1966; A. G O E T Z E , Kleinasien, 2 München 1957; vgl. auch P A U L Y - W I S S O W A , W . B A U E R und RAC unter den entsprechenden Stichworten. 2 So die meisten neueren Kommentare: R . K N O P F , Die Briefe Petri und Judä (KEK XII), Göttingen 71912, S. 1; H. W I N D I S C H , Die katholischen Briefe (HNT 15), Tübingen 21931 (mit Anhang von H. P R E I S K E R 81951), S. 51; E. G. SELWYN, The First Epistle of St. Peter, London 21947 (repr. 1974) S. 51 f.; F. W . B E A R E , The First Epistle of St. Peter, Oxford 31970, S. 38-43; Κ. H. S C H E L K L E , Die Petrusbriefe/Der Judasbrief (HThK XIII/2), Freiburg i. B. 21964, S. If.; C. S P I C Q , Les fipitres de Saint Pierre (Sources Bibliques), Paris 1966, S. 12; J. N. D. K E L L Y , A Commentary on the Epistles of Peter and of Jude (Black's New Testament Commentaries), London 1969, S. 3f. Dagegen treten für die Landschaften ein: die bei S C H E L K L E S. 2 Anm. 1 genannten älteren Ausleger; A. W I K E N H A U S E R , Einleitung in das Neue Testament, Freiburg i. B. 6 1963, S. 358, mit der Begründung, daß es „keine Provinz Bithynien, sondern nur eine provincia Bithynia-Pontus gegeben" habe. Dagegen urteilt J. S C H M I D in der Neubearbeitung dieser Einleitung, Freiburg i. B. 61973, S. 593: „Es scheint, daß eine Unterscheidung zwischen Landschaften und Provinzen nicht durchführbar ist."

28

Einleitung

der nicht zugleich eine Provinz bezeichnete. Dieses Verständnis lag überdies bei einem Schreiben aus der fernen Hauptstadt des Römischen Reiches nahe. Nur so verstanden umschreiben die Namen ein zusammenhängendes Gebiet, während sonst die Landschaften Phrygien, Pisidien und Lykaonien mit den Städten Antiochien, Ikonium und Lystra, in denen es seit der ersten „Missionsreise" Gemeinden gab (Act 13,14; 14,1.6), willkürlich ausgespart wären 8 . Das bezeichnete Gebiet umfaßt dann ganz Kleinasien. Die Provinz Cilicien jenseits des Hohen Taurus bildete eine Lebenseinheit mit Syrien. Die kleine Doppelprovinz LycienPamphylien wurde endgültig erst unter Vespasian errichtet und bestand nur aus einem schmalen Landstreifen an der Südküste 4 . Schwer zu erklären ist die Reihenfolge der Namen. Pontus und Bithynien, die am Anfang und am Ende genannt werden, bilden eine Doppelprovinz, allerdings mit je einem eigenen Landtag®. Gelegentlich wurde vermutet, die Reihenfolge entspreche der Reiseroute des Überbringers·: Das östliche Kleinasien war von Rom aus am schnellsten auf dem Seeweg über Pontus zu erreichen. Der Überbringer hätte dann von Rom kommend Kleinasien in Sinope oder wahrscheinlicher in Amisus betreten und wäre auf der bekannten Nord-Süd-Straße nach Ankyra in Galatien und der Handelsstraße nach Südosten folgend nach Caesarea in Kappadozien gereist. Die südliche Ost-West-Straße brachte ihn über Ikonium und Antiochien nach Ephesus in der Asia, die Küstenstraße über Smyrna nordwärts nach Nikomedien in Bithynien 7 . Nun war das Überbringen dieses Rundbriefes im ganzen wohl nicht als Botendienst, sondern entsprechend der Anweisung in Kol 4,16 als Weitergeben von Gemeinde zu Gemeinde gedacht. Der Verlauf dieses Weitergebens und daher die Reihenfolge der zu erreichenden Gebiete könnte aber vom Verlauf der großen Handelsstraßen her gedacht sein. Nicht undenkbar ist es auch, daß in der als Anfang und Ende genannten Doppelprovinz die angesprochenen Fragen besonders dringlich waren 8 . Sie war auch das Gebiet Kleinasien S . 5 5 8 - 5 6 0 . ebd. S. 560-562.

8

J . WEISS,

4

J.

5

J . WEISS, e b d .

WEISS,

S. 5 5 3 .

119 unter Berufung auf F. J. A. H O R T , The First Epistle of St. Peter 1,1-2,17, London 1898, Note III; ebenso H. E W A L D , Sieben Sendschreiben des neuen Bundes übersetzt und erklärt, Göttingen 1870, S. 2f. 7 Dagegen widerspricht die Erklärung, die B E N G E L , Gnomon zu 1,1, gibt, der geographischen Situation: „quinque provincias nominat eo ordine, quo occurebant scribenti ex Oriente, c. 5,13"; dem von Babylon nach Norden Blickenden bot sich diese Route gerade nicht an. Ähnlich auch schon WETTSTEIN, Novum Testamentum II, S. 698. 8 BEARE S. 19 ff. findet hier einen Ansatz fur seine Hypothese über die Entstehung des Briefes (vgl. S. 9 ff.), Pontus und Bithynien seien hervorgehoben, weil in diesen Provinzen aufgrund ständiger sozialer und politischer Spannungen jede Gruppenbildung als politischer Unruheherd angesehen und daher auch die Gruppe der Christen von der römischen Verwaltung möglichst unterdrückt wurde. Dies sei vor allem nach dem Brief• SELWYN S .

§ 1. Angaben über Empfänger und Verfasser

29

in Kleinasien, das von der Mission zuletzt erreicht wurde, so daß die Empfänger hier, wie es im Brief geschieht, noch unmittelbar auf den Übergang vom Heidentum zum Christentum angesprochen werden konnten. b) Der Brief setzt jedenfalls voraus, daß sich das Christentum über ganz Kleinasien ausgebreitet hat. Wann war dieses Stadium der Ausbreitung frühestens erreicht? Noch vor 50 war das Christentum vor allem durch Paulus in das geographische Zentrum Kleinasiens, das Hochland der ausgedehnten Provinz Galatien, getragen worden. In den 50er Jahren wurde Ephesus, wieder durch Paulus, der Mittelpunkt missionarischer Ausbreitung und theologischer Richtungweisung in der Asia. Hat sich das Christentum von Galatien entlang der Handelsstraßen ebenso intensiv ausgebreitet wie von Ephesus aus ζ. B. ins Lykostal (Kol 4,12-16), dann können schon in den 60er Jahren Gemeinden in Bithynien, Pontus und Kappadozien entstanden sein. Die erste direkte Nachricht über Christen in Bithynien und Pontus ist der Brief, den der jüngere Plinius, der 111/113 Statthalter der Doppelprovinz war, an Kaiser Trajan richtete. Zu seiner Zeit hat sich „dieser Aberglaube" schon auf dem flachen Land ausgebreitet, so daß der Besuch der Tempel merklich nachließ. Bereits 20 Jahre früher aber war es vorgekommen, daß Christen, wohl bei behördlichem Zugriff, ihren Glauben aufgaben®. So kann man wohl um 90 schon in den meisten größeren Orten der Doppelprovinz Gemeinden voraussetzen, wie dies für die Asia durch die Sendschreiben der Offenbarung und durch die Ignatiusbriefe unmittelbar bezeugt wird. Nach all dem ist eine nennenswerte Ausbreitung des Christentums in den über Galatien und die Asia hinaus genannten nördlichen und östlichen Provinzen seit der Mitte der 60 er Jahre denkbar, um 80 aber sicher10. Die rasche Ausbreitung erklärt sich nicht nur durch den vor allem von Paulus vermittelten kräftigen Ansatz, sondern auch durch die allgemeinen Bedingungen, die in keinem anderen Gebiet des Römischen Reiches so günstig waren wie hier. In Kleinasien hatten sich zahlreiche Völkerschaften und Kulturen gegenseitig assimiliert, so daß dieses Gebiet das klassische Land des Hellenismus wurde, das für die überregionalen Strömungen der Zeit offen w a r u . Seit dem 2. Jh. v. Chr. war hier eine verhältnismäßig starke jüdische Diaspora entstanden, die religiös weit in ihre Wechsel des Plinius geschehen. Weil hier, ausgelöst durch Plinius, die Verfolgungswelle fur ganz Kleinasien einsetzte, sei der Brief geschrieben und unter den Empfängern betont diese Doppelprovinz genannt worden (S. 22f.). Zur Kritik vgl. S. 61 ff. » Plinius, Ep. X 96,6. 10 Vgl. A. v. HARNACK, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten II, Leipzig 4 1924, S. 732-738. 1 1 SELWYN S . 47-52; GOETZE, Kleinasien S . 210f.

30

Einleitung

Umwelt hineinwirkte 12 und nun in vielerlei Hinsicht Wegbereiter des Christentums wurde. Daher ist Kleinasien im 2. Jh. neben dem nördlichen Ägypten und Rom Schwerpunkt der Christianisierung im Römischen Reich gewesen. Die rasche und intensive Ausbreitung bedingte, daß es schon früh zu Konflikten mit der Umwelt kam (vgl. Act 19,23-40), zumal sich die Juden hier weithin nach kurzen Auseinandersetzungen betont von den Christen distanzierten und ihnen damit die staatliche Privilegierung und Duldung der jüdischen Religion entzogen 13 . Diese Voraussetzungen bewirkten zugleich, daß sich in den christlichen Gemeinden von Anfang an Juden- und Heidenchristen verbanden und daß letztere bald zahlenmäßig weit überwogen. Unser Brief setzt eindeutig eine überwiegend heidenchristliche Leserschaft voraus 14 . Probleme zwischen Juden- und Heidenchristen werden in ihm nirgends berührt; sie sind in diesem Gebiet seit dem Ausgang der paulinischen Zeit nicht mehr aktuell16. Die Christenheit in diesem Bereich wird nach Angaben des Briefes nun aus Rom von Petrus durch Vermittlung des Silvanus angesprochen. 2. Der Verfasser

Aus dem Präskript des Briefes ergibt sich die Frage: Wie kam Petrus dazu, die Christenheit Kleinasiens in dieser Weise anzureden? Die Frage betrifft zunächst seine Stellung und Geltung in der frühen Kirche. a) Der Brief setzt voraus, daß Petrus bevollmächtigt ist, die Christen Kleinasiens mahnend und bezeugend (5,12) anzusprechen, obgleich er allen Anzeichen nach keine persönlichen Beziehungen zu ihnen hatte. Diese Ermächtigung, die Paulus im Römerbrief gegenüber der ihm fremden Gemeinde besonders begründet (l,5f.8-10; 15,14-24), wird anscheinend hier für Petrus als selbstverständlich angenommen. Galt dies bereits zu seinen Lebzeiten oder beruht dies auf einer späteren gesamtkirchlichen Ausweitung seines Apostolats ? Was läßt sich im Blick auf diese Frage über seinen Weg und seine Stellung in der Urkirche ermitteln1®? 12

Vgl. die Angaben bei Philo, Leg.Gaj. 245 und 281. Vgl. dazu H. G R A E T Z , Die Stellung der kleinasiatischen Juden unter der Römerherrschaft, MGWJ 35 (1886) S. 329-346; W. M. RAMSAY, The Jews in Graeco-Asiatic Cities, Exp 5 (1902) S. 1933; G. KITTEL, Das kleinasiatische Judentum in der hellenistisch-römischen Zeit, ThLZ 69 (1944) Sp. 9-20. 13 L. GOPPELT, Christentum und Judentum im ersten und zweiten Jahrhundert, Gütersloh 1954, S. 246-248; vgl. Act 13,50; 20,19; 21,27f.; Apk2,9; 3,9; MartPoL 12,2. 14 So die neueren Kommentare: SELWYN S. 42-47; SCHELKLE S. 2; SPICQ S. 12f.; KELLY S. 4; ältere Diskussion bei K N O P F S. 2f.; s. zu 1,1; 1,14; 2,10 und 4,3. 15 GOPPELT, Christentum und Judentum S. 95-98. 248F.; vgl. Anm. 20. 16 An neuerer Literatur vgl. E . FASCHER, Petrus, in: D E R S . , Sokrates und Christus (Ges. Aufs.), Leipzig 1 9 5 9 , S. 1 7 5 - 2 4 4 ; O . CULLMANN, Petrus. Jünger — Apostel —

§ 1. Angaben über Empfänger und Verfasser

31

Nach einer Uberlieferung, die sich vom ältesten Kerygma (1 Kor 15,3) bis in die lukanischen Schriften (Lk 24,34; Act 10,41) durchhält und allen Anzeichen nach historisch ist, war Petrus die erste Ostererscheinung widerfahren. Mit aus diesem Grunde wurde er als Sprecher des Zwölferkreises Leiter der Urgemeinde von Jerusalem (Gal 1,18; Act 1,15-5,42), später eine ihrer „drei Säulen" (Gal 2,9), bis er um 42 Jerusalem verließ und der Herrenbruder Jakobus deren Leitung übernahm (Act 12.17; Gal 2,12). Über seinen vorösterlichen Weg wird zuverlässig überliefert, daß er von Hause aus Symeon (Act 15,14; vgl. 2 Petr 1,1) oder griech. Simon (Lk 5,3) hieß und dem engsten Jüngerkreis Jesu angehörte (Mk 5,37; 9.2; 14,33 par). Von Jesus wurde ihm, woran trotz neuerer Bedenken kaum zu zweifeln ist, der aramäische, in griechischer Transkription festgehaltene Beiname Κηφα(ς), „Fels", verliehen; aus der griechischen Übersetzung dieses Beinamens (Joh 1,42) ergab sich der Name Πέτρος, lat. Petrus 17 . Schon der Beiname zeigt an, daß er von Jesus aus dem Kreis seiner Vertrauten besonders herausgehoben wurde, ein Zug, den die Überlieferung verstärkt, aber nicht erfunden hat ( M k l , 3 6 ; 9,5; 16,7; Mt 14,28). Seinerseits tritt er immer wieder als Sprecher des Jüngerkreises hervor und hat so nach einer im Verständnis wie in der Historizität umstrittenen Überlieferung als erster Jesus als den „Messias", den endzeitlichen Heilsmittler, erkannt, die Art seiner Messianität jedoch sehr mißverstanden (Mk 8,29.32 f. par) 18 . Bei der Passion verleugnete er Jesus (Mk 14,66-72 par) und empfing die erste Ostererscheinung als erneute vergebende Annahme. Dieser Mensch, der eine so persönliche Geschichte mit Jesus hatte wie kein anderer, war vor seiner Berufung Fischer am See von Galiläa Märtyrer, Zürich (1952) 2 1960; DERS., Art. Πέτρος, ThWNTVI (1959) S. 9 9 - 1 1 2 ; E. DINKLER, Die Petrus-Rom-Frage I, ThR NF 25 (1959) S. 189-230; A. VÖGTLE, Art. Petrus, LThK 2 V I I I (1963) Sp. 334-340; W. C. VAN UNNIK, Art. Petrus, BHH I I I (1966) Sp. 1430f.; W. TRILLING, Zum Petrusamt im Neuen Testament, ThQ 151 (1971) S. 110-133; WIKENHAUSER-SCHMID, Einleitung S. 585-589; R. E. BROWNIC. P . D O N F R I E D - J . REUMANN (Hg.), Peter in the New Testament, Minneapolis 1973 (deutsch: Der Petrus der Bibel. Eine ökumenische Untersuchung, Stuttgart 1976). 17 Der Vorgang der Verleihung des Beinamens wird in Mt 16,17-19, in Mk 3,16 und im johanneischen Schema der Jüngerberufung J o h l , 4 2 überliefert. Mt 16,17-19 ist in der vorliegenden Gestalt eine Aussage der palästinischen Urkirche; der Beiname ist jedoch nicht erst in der nachösterlichen Gemeinde entstanden (mit CULLMANN, Petrus S. 18-23.63, gegen DINKLER, ThR NF 25, 1959, S. 196f.). Vgl. F. HAHN, Die Petrusverheißung M t l 6 , 1 8 f . Eine exegetische Skizze (1970), in: K . KERTELGE (Hg.), Das kirchliche Amt im Neuen Testament (WdF 439), Darmstadt 1977, S. 543—561 (dort weitere Literatur). 18 Vgl. O. CULLMANN, Die Christologie des Neuen Testaments, Tübingen 1957, S. 122ff.; F. HAHN, Christologische Hoheitstitel. Ihre Geschichte im frühen Christentum (FRLANT 83), Göttingen (1963) 4 1974, S. 226ff.; E. DINKLER, Petrusbekenntnis und Satanswort — Das Problem der Messianität Jesu (1964), in: DERS., Signum Crucis (Ges. Aufs.), Tübingen 1967, S. 283-312.

32

Einleitung

(Mk 1,16 par Mt; Lk 5,2; Joh 21,3), auch sprachlich Galiläer (Mk 14,70 par; Act 2,7), und wohnte mit seiner Frau in einem Haus in Kapernaum (Mk 1,21.29 par). Sie begleitete ihn, als er nach seinem Weggang aus Jerusalem als Missionar außerhalb Palästinas unterwegs war (1 Kor 9,5) 1β . Sein Aposteldienst war die Begründung der Kirche unter Israel und damit ihre Grundlegung überhaupt; als sie vollzogen war, verschwindet er aus der Darstellung der Apostelgeschichte, die am Werden der Kirche, nicht an der Biographie einzelner orientiert ist 20 . Paulus setzt in seinen Briefen voraus, daß Petrus auch in seinen Gemeinden als maßgeblicher Apostel gilt, und als solcher auch immer wieder von Gegnern gegen seinen Apostolat ausgespielt wird (1 Kor 1,12; 9,5; Gal l,18f.; 2,8f.ll). Um 80 stellt Mt das Petruswort der palästinischen Urgemeinde, Mt 16,18f., in seiner Gültigkeit für die ganze Kirche heraus, und Lk läßt die entscheidende Grundlinie im Werden der Kirche von der durch Petrus vertretenen Urgemeinde in Jerusalem ausgehen und über Paulus nach Rom führen. Um 90 wird Petrus in Joh 21,15-24 dem „Lieblingsjünger", dem Zeugen des 4. Evangeliums, gegenübergestellt, wahrscheinlich, weil er als Repräsentant der bisherigen Jesusüberlieferung gilt; Papias kennt ihn als Gewährsmann für das Markusevangelium 21 . Um 100 nennen der 1 Clem im Westen und Ignatius im Osten Petrus und Paulus als die maßgeblichen Apostel 22 . Demnach hatte Petrus in der ältesten Kirche im Grunde schon sehr früh die Geltung, die der Brief für ihn beansprucht. Steht Petrus in persona hinter dem Brief, dann bleibt es trotzdem auffällig, daß er dieses 18

Daß er mit Paulus die Gemeinde von Korinth wie die von Rom begründet habe (Dionysios von Korinth um 170 nach Euseb, Hist.Eccl. II 25,8) und in den 1 Petr 1,1 genannten Provinzen Kleinasiens die Diasporajuden missioniert habe (Euseb III 1,2, vielleicht nach Origenes), ist aus 1 Korl,12ff. und 1 Petr 1,1; 5,13 erschlossen (vgl. CULLMANN, Petrus S . 60-62). 20 Die grundsätzliche Feststellung beim Apostelkonzil, daß ihm „das Apostolat für die Beschneidung" zukomme (Gal 2,8; in 2,9 auf die übrigen Jerusalemer ausgedehnt), will schwerlich den späteren Bereich seines Wirkens umschreiben, so daß man ihn als „Leiter der Jerusalemer Mission" bezeichnen könnte (gegen CULLMANN, Petrus S. 120 u. ö.). Im Raum der hellenistischen Kirche zwischen Antiochien und Rom verwischte sich bereits in den 50 er Jahren der Unterschied zwischen Heidenchristen und Judenchristen, und nirgends entstanden hier neben den Gemeinden aus Juden und Heiden auch spezielle judenchristliche Gemeinden (Act 21,21; 1 Kor 8-10; Rom 14,115,13); L. GOPPELT, Die apostolische und nachapostolische Zeit (Die Kirche in ihrer Geschichte Bd. 1A), Göttingen 2 1966, § 11,Iff.; 16,2. 21 Vgl. Euseb, Hist. Eccl. ΠΙ 39,15. 22 Im 2. Jh. wird Petrus in der judenchristlichen Literatur Palästinas Paulus, dem Vertreter des Heidenchristentums, als der wahre Tradent gegenübergestellt. Die pseudopetrinische Literatur und die römische Bischofsliste nehmen ihn je in verschiedener Weise als Garanten von Tradition in Anspruch. Quellen und Überlieferung gesammelt bei E . H E N N E C K E - W . SCHNEEMELCHER, Neutestamentliche Apokryphen I, Tübingen »1959, S. 118ff.; Bd. II, Tübingen »1964, S. 15ff.58ff.63ff.l77ff.468ff.

§ 1. Angaben über Empfänger und Verfasser

33

Wort an eine ihm fremde Gemeinde nicht persönlich motiviert, abgesehen von der knappen Bemerkung in 5,1. b) Läßt sich darüber hinaus die spezielle, personale Situation, von der der Brief ausgeht, nämlich ein Aufenthalt des Petrus in Rom, verifizieren 23 ? Im NT wird ein Aufenthalt des Petrus in Rom allein in unserem Brief, nämlich in 5,13, erwähnt. Die Grußlisten der paulinischen Briefe nach und aus Rom schweigen darüber. Wenn ihn der bei der dortigen Gemeinde Anknüpfung suchende Römerbrief nicht erwähnt, so hatte Petrus sehr wahrscheinlich bis dahin, d. h. bis ca. 55/56, keinen persönlichen Kontakt mit der römischen Gemeinde; dies gilt unabhängig von der Frage, ob das Grußkapitel, Rom 16, nach Rom gerichtet ist oder nicht. Auch die Gefangenschaftsbriefe, für die, gleich ob sie direkt oder vermittelt von Paulus stammen, Rom als Entstehungsort immer noch sehr wahrscheinlich ist 24 , nennen ihn nie (Phil, Phlm, Kol, Eph, 2 Tim). So kann Petrus schwerlich vor dem Ende der zweijährigen Gefangenschaft des Paulus in Rom, d. h. vor dem Jahre 60/62, dorthin gekommen sein. Über seinen Ausgang findet sich im NT ein einziger Hinweis: In Joh21,18f.22 wird, jedoch ohne Ortsangabe, angekündigt, daß er seinem Herrn zum Märtyrertod nachfolgen werde 26 . Als „Testament" des Petrus angesichts seines bald bevorstehenden Todes ist der allerdings erst sehr spät entstandene 2 Petr abgefaßt 26 . In den Schriften der Apostolischen Väter erwähnen nur zwei Stellen den Ausgang des Petrus: Der einen, 1 Clem 5, ist sein Märtyrertod, aber nur indirekt dessen Lokalisierung in Rom zu entnehmen; von der anderen, IgnRöm 4,3, gilt das Umgekehrte. 23 Literatur: H. LIETZMANN, Petrus und Paulus in Rom, Berlin (1915) 2 1927; K. HEUSSI, Die römische Petrustradition in kritischer Sicht, Tübingen 1955; K.ALAND, Der Tod des Petrus in Rom, in: DERS., Kirchengeschichtliche Entwürfe, Gütersloh

1 9 6 0 , S. 3 5 - 1 0 4 ; CULLMANN, P e t r u s S. 7 8 f f . ; E . KIRSCHBAUM, D i e G r ä b e r d e r A p o s t e l -

fürsten, Luzern 1959; E. DINKLER, Die Petrus-Rom-Frage II-IV, ThR N F 25 (1959) S. 2 8 9 - 3 3 5 ; 2 7 ( 1 9 6 1 ) S. 3 3 - 6 4 ; 31 ( 1 9 6 5 / 6 6 ) S. 2 3 2 - 2 5 3 ; M . GUARDUCCI, D i e

Aus-

grabungen unter St. Peter, in: R. KLEIN (Hg.), Das frühe Christentum im römischen Staat (WdF 267), Darmstadt 1971, S. 364-414. 24 GOPPELT, Apostolische Zeit S. 70 f. 26 Die späte Stelle 2 Petr 1,14, die den 2 Petr als Testament des Apostels vor dem ihm von Jesus angekündigten Martyrium kennzeichnet, nimmt vielleicht die Tradition von Joh 21,18.19a. 22 auf. Die beiden Zeugen in Apk 11,3, die der Weltmacht erliegen, stellen das Zeugentum der Kirche, nicht Petrus und Paulus dar. Letzteres liegt m. E. nicht einmal, wie CULLMANN, Petrus S. 99-101 vermutet, als Möglichkeit in der Stelle. In 1 Petr 5,1 („Zeuge der Leiden Christi") wird ein Martyrium nicht ausgesagt, höchstens impliziert. 2β Vgl. dazu O. KNOCH, Die „Testamente" des Petrus und Paulus (SBS 62), Stuttgart 1973, S. 65ff.; W.G.KÜMMEL, Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg »1976, S. 378ff.

34

Einleitung

In dem um 96 in Rom verfaßten 1 Clem heißt es: „Wegen Eifersucht und Neid wurden die größten und gerechtesten Säulen verfolgt und kämpften bis zum Tode. Fassen wir die trefflichen Apostel in den Blick! Petrus, der wegen ungerechtem Eifer nicht ein oder zwei, sondern mehr Mühsale ertrug und so, nachdem er Zeugnis abgelegt hatte, zu dem ihm gebührenden Ort der Herrlichkeit ging" (5,2-4). Anschließend werden nach einem ausführlichen Hinweis auf Paulus die Opfer der neronischen Verfolgung genannt: „Diesen Männern wurde eine große Menge von Erwählten, die einen heiligen Wandel geführt hatten, zugesellt, die wegen Eifersucht vielfach Schmach und Qual erduldeten und so zu den schönsten Vorbildern unter uns wurden" (6,1). Die Aussage über Petrus ist, bedingt durch den Stil und die Situation des 1 Clem, noch mehr verschlüsselt als die über Paulus und die Opfer der neronischen Verfolgung; sie meint jedoch zweifellos sein Martyrium 27 . Daß dieses gleich den in 6,1 erwähnten Ereignissen „unter uns" (έν ήμΐν), d.h. in Rom stattfand, ist aus dem „zugesellen" (συναθροίζει) in 6,1 wie aus dem Gefalle dieser in Rom geschriebenen Aufzählung zu folgern 28 . Noch verhüllter spricht Ignatius aus, was er über das Geschick des Apostels weiß, wenn er die Gemeinde von Rom beschwört, seine dort zu erwartende Hinrichtung nicht zu verhindern: „Nicht wie Petrus und Paulus befehle ich euch. Jene sind Apostel, ich bin ein Verurteilter. Jene sind frei, ich aber bin bis jetzt Sklave. Aber wenn ich gelitten habe, werde ich ein Freigelassener Jesu Christi werden und in ihm als Freier auferstehen" (IgnRöm4,3). Hier ist weder von einem Martyrium der Apostel noch von Rom ausdrücklich die Rede. Aber der Hinweis ist nur dann sinnvoll, wenn Ignatius sein Geschick in Rom in Parallelität zu dem der beiden Apostel sieht, wie er ja im Schlußsatz die Freiheit jener mit seinem Freiwerden durch das Martyrium vergleicht. Über diese beiden Stellen aus den Apostolischen Vätern hinaus finden sich bis zum Ende des 2. Jh. nur noch zwei Hinweise: In der Ascjes 4,2-4 wird in apokalyptischer Bildersprache geweissagt, daß einer von den Zwölfen an Nero (zur Hinrichtung) ausgeliefert wird: „Dann wird Beüar . . . in Menschengestalt herabsteigen, König der Schlechtigkeit, Mörder seiner Mutter, der selbst König dieser Welt ist; er wird die 27 Die Stichworte μαρτυρεϊν und δόξα sind Termini der Leidens- und Märtyrertheologie (s. zu 1 Petr 5,1). 28 So auch die ausführliche Exegese bei CULLMANN, Petrus S. 101-123. Seine Hypothese, daß „Eifersucht und Neid", die das Martyrium veranlaßten, nicht die Mißgunst der Umwelt — so R . K N O P F , Die Lehre der zwölf Apostel/Die zwei Clemensbriefe (HNT Erg. Bd. I), Tübingen 1920, S. 50fF. —, sondern Anfeindungen des Petrus von selten extremer Judenchristen waren, ist sehr unwahrscheinlich.

§ 1. Angaben über Empfänger und Verfasser

35

Pflanzung verfolgen, die die zwölf Apostel des Geliebten gepflanzt haben werden; von den Zwölfen wird einer in seine Hände ausgeliefert werden" 29 . Weiterhin zitiert Euseb aus Papias, die Presbyter der Asia hätten überliefert, daß Markus Petrus als Hermeneut gedient habe und nach dessen Ende seinen Bericht über Jesus im Markusevangelium niedergelegt habe: „Markus hat die Worte und Taten des Herrn, an die er sich als Dolmetscher des Petrus erinnerte, genau, allerdings nicht der Reihe nach, aufgeschrieben. Denn er hatte den Herrn nicht gehört und begleitet; wohl aber folgte er später, wie gesagt, dem Petrus, welcher seine Lehrvorträge nach den Bedürfnissen einrichtete, nicht aber so, daß er eine zusammenhängende Darstellung der Reden des Herrn gegeben hätte. Es ist daher keineswegs ein Fehler des Markus, wenn er einiges so aufzeichnete, wie es ihm das Gedächtnis eingab. Denn für eines trug er Sorge: nichts von dem, was er gehört hatte, auszulassen oder sich im Bericht keiner Lüge schuldig zu machen" (Hist. Eccl. III 39,15). Diese Nachricht bringt Euseb an anderer Stelle in einer legendären Ausschmückung, lokalisiert sie in Rom, beruft sich hierfür auf Clemens Alexandrinus und Papias und nennt 1 Petr5,13 als Beleg: „So sehr erleuchtete das Licht der Frömmigkeit die Herzen der Zuhörer des Petrus, daß sie sich nicht damit begnügen wollten, ihn ein einziges Mal nur gehört zu haben, sie wollten von der Lehre seiner göttlichen Predigt auch Aufzeichnungen besitzen. Daher wandten sie sich inständig mit verschiedenen Bitten an Markus, den Verfasser des Evangeliums, den Begleiter des Petrus, er möchte ihnen schriftliche Erinnerungen an die mündlich vorgetragene Lehre hinterlassen. Und sie standen nicht eher von den Bitten ab, als bis sie den Mann gewonnen hatten. So wurden sie die Veranlassung zum sogenannten Markusevangelium. Nachdem Petrus durch eine Offenbarung des Geistes von dem Vorfall Kenntnis erhalten hatte, soll er sich über den Eifer der Leute gefreut und die Schrift für die Lesung in den Kirchen bestätigt haben. Clemens hat diese Tatsache im sechsten Buch seiner Hypotyposen berichtet, und mit ihm stimmt Bischof Papias von Hierapolis überein. Petrus gedenkt des Markus in seinem ersten Brief, den er in Rom selbst verfaßt haben soll, was er andeutet, indem er diese Stadt bildlich Babylon nennt" (Hist. Eccl. II 15,1 f.). Hierbei ist natürlich unsicher, wieweit diese Lokalisierung auf Papias zurückgeht und wieweit dieser schon 1 Petr5,13 nicht nur als Beleg, sondern auch als Quelle herangezogen hat. In der zweiten Hälfte des 2. Jh. wird dann, ohne daß spezielle Überlieferungen genannt werden, aufgrund allgemeiner Kunde der apostolische Ursprung der römischen Gemeinde damit begründet, daß Petrus und Paulus dort gewirkt und das Martyrium erlitten hätten. Euseb zitiert hierfür aus dem Brief, den Dionysios um 170 von Korinth an die Gemeinde von Rom richtete: „Auch ihr habt durch den großen Zuspruch die von Petrus und Paulus in Rom und Korinth angelegte Pflanzung miteinander verbunden; denn beide 29

V g l . HENNECKE-SCHNBEMELCHER I I S . 4 5 4 — 4 6 8 .

36

Einleitung

haben in unserer Stadt Korinth gepflanzt und uns in gleicher Weise gelehrt; in gleicher Weise haben sie auch in Italien zugleich gelehrt und zur selben Zeit das Martyrium erlitten" (1125,8). Entsprechend erklärt Tertullian: „Wie glücklich ist doch diese Kirche (Rom), in welcher die Apostel die Fülle der Lehre mit ihrem Blut überströmen ließen, wo Petrus in der Weise des Leidens dem Herrn gleichgemacht (also ebenfalls gekreuzigt), wo Paulus mit der Todesart des Johannes (d .T.) gekrönt wurde . . . " (Praescr. 36) Die let2te Aussage wendet Porphyrius, der immerhin als kritischer Gegner schreibt, sachlich ins Gegenteil: Petrus sei „gekreuzigt worden, nachdem er nur wenige Monate die Schafe geweidet", also nichts Wesentliches erreicht habe 31 . Als Belege nennt Euseb zusätzlich die Coemeterien und zitiert dafür eine Schrift des römischen Presbyters Gaius aus dem Anfang des 3. Jh.: „Ich kann die Siegeszeichen der Apostel zeigen. Du magst auf den Vatikan gehen oder auf die Straße nach Ostia, du findest die Siegeszeichen derer, die diese Kirche gegründet haben" (II 25,7). Die „Siegeszeichen" (τρόπαια) können entweder die Grabstätten oder die Plätze der Hinrichtung sein 82 ; Euseb denkt an ersteres. Man hat also um 200 in Rom die Grabstätten oder die Hinrichtungsstätten der beiden Apostel gezeigt. Archäologische Untersuchungen, vor allem die Ausgrabungen unter der Peterskirche im letzten Jahrzehnt, ergaben jedoch keine eindeutigen Anhaltspunkte für eine Verifizierung der Überlieferungen 33 . So steht seit der 2. Hälfte des 2. Jh. in der kirchlichen Überlieferung fest, daß Petrus in der Neronischen Verfolgung in Rom das Martyrium erlitten hat. Vorher aber lassen sich nur sehr verschlüsselte Nachrichten über das Ende des Apostels finden. Es ist daher verständlich, daß in der historischen Forschung gelegentlich ein Aufenthalt des Petrus in Rom überhaupt bestritten wurde. Die Argumentation des letzten Vertreters dieser These, Karl Heussi, nicht zuletzt seine völlig unzureichende Behandlung von 1 Petr 5,13, verweist jedoch auf das Gegenteil 34 . Den spärlichen frühen Überlieferungen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu entnehmen, daß Petrus Märtyrer der Neronischen Verfolgung wurde. Aus dem Schweigen der Paulusbriefe ist zu schließen, daß Petrus erst zu deren Entstehungszeit oder sogar noch später nach Rom gekommen war. 30 Vgl. die Besprechung dieser Aussage bei CULLMANN, Petrus S. 131 f. Ähnlich Tert, Scorp 15; adv. Marc. 4,5; Irenaus, Haer. III 1-3. 81 Bei Makarius Magnes I I I , 2 2 ; vgl. dazu VON H A R N A C K , Mission S . 6 9 Anm. 2 . M Zur Bedeutung des Wortes τρόπαια vgl. D I N K L E R , ThR NF 25 (1959) S. 220ff. 38 Vgl. CULLMANN, Petrus S. 132-178, ferner die Literatur in Anm. 23. 34 K. HEUSSI, War Petrus in Rom?, Gotha 1936, vgl. dort S. 36-39 zu 1 Petr 5,13. Forschungsbericht bei CULLMANN, Petrus S . 8 0 - 8 7 .

§ 2. Inhaltliche und literarische Struktur

37

Aus diesen Ermittlungen folgt für die Abfassung unseres Briefes: Ist der Brief, wie er angibt, von Petrus durch Vermittlung des Silvanus in Rom geschrieben worden, dann müßte er kurz vor der Neronischen Verfolgung im Jahre 64 entstanden sein. c) Die sehr formelhafte Benennung des Petrus als Verfasser wird im Briefschluß nicht nur in lokaler, sondern auch in personeller Hinsicht näher bestimmt. Hinter den Brief treten auch Markus und die Gemeinde von Rom als Mitgrüßende: Ersterer als Mann der Urkirche und Mitarbeiter der Apostel, der, wie wir gesehen haben, bald als Traditionsmittler des Petrus und Verfasser des zweiten Evangeliums gilt, letztere als die besonders hervorgehobene und bedrohte Gemeinde der Hauptstadt, die allen unter der Gesellschaft Leidenden als die erste Märtyrergemeinde der Kirche vor Augen steht. Vor allem aber will der Brief „durch Silvanus geschrieben", d. h. im Auftrag des Petrus von ihm konzipiert sein35. Durch diese Angabe tritt zwischen Petrus und die Christen Kleinasiens ein ihnen aus den Anfängen persönlich bekannter Mann, der wie Petrus von der palästinischen Urkirche ausging, aber dann am Aufbau der von Paulus geprägten hellenistischen Kirche beteiligt war, so daß deren Tradition zu der urkirchlichen hinzukam, zumal er selbst aus dem hellenistischen Judentum stammte36. Markus wie Silvanus können nach allem, was über sie bekannt ist, in der fraglichen Zeit in Rom gewesen sein. So ergeben die Selbstaussagen des Briefes über seine Entstehung ein abgerundetes Bild. Nun ist zu prüfen, wieweit sie mit dem übereinkommen, was dem Inhalt über seine Herkunft und die angesprochene Situation zu entnehmen ist. Erklärt sich beides gegenseitig oder schließt es sich aus? Wir setzen mit der Frage nach der inhaltlichen und literarischen Struktur des Briefes ein. § 2. Inhaltliche und literarische Struktur des Briefes 1. Die Diskussion a) Als man aus dem Inhalt des Briefes auf seine Herkunft schließen wollte, ergab sich weithin die Verlegenheit, die ADOLF JÜLICHER in seiner Einleitung in das Neue Testament so zur Sprache brachte: Eine vom Verfasser „vorher beschlossene Disposition kann nicht gefunden werden, weil sie nie existiert hat" 37. Es läßt sich anscheinend kein Gedankenaufbau Siehe zu 1 Petr5,12. Vgl. Konkordanz s. ν . Σίλας, Σιλουανός. Ferner die Arbeit von W.-H. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter (WMANT 50), Neukirchen 1977, passim, bes. Abschnitt 2.2. 87 A. JÜLICHER, Einleitung in das Neue Testament, Tübingen 6 · 6 1906, S. 176; ebenso in A. JÜLICHER-E. FASCHER, Einleitung in das Neue Testament, Tübingen 7 1931, S. 190. 86

86

Einleitung

38

des Schreibens ermitteln, in dem eine einheitliche Thematik entfaltet würde. b) Dieser Eindruck führte zusammen mit anderen Beobachtungen zu der literarkritischen Hypothese, die 1911 von RICHARD PERDELWITZ entworfen wurde 38 : Zu dem „Brief" wurden nachträglich durch einen Abschreiber zwei verschiedene Bestandteile zusammengefügt, die allerdings von demselben Verfasser stammen: Das in 5,12 genannte „kurze" „Trostwort" umfaßte nur 1 , 1 f. und 4 , 1 2 - 5 , 1 4 . Es war ein knappes Mahn- und Trostschreiben, das auf eine akute Verfolgung der Gemeinde und Mißhelligkeiten mit ihren Presbytern einging. Der übrige Teil des Briefes, 1 , 3 - 4 , 1 1 , gibt eine „bei Gelegenheit einer Tauffeier gehaltene Ansprache an die Täuflinge" wieder (S. 19). Die beiden Teile müssen nacheinander entstanden sein; denn ihre Aussagen über die Verfolgung setzen „zwei völlig verschiedene Situationen" voraus (S. 14): Nach 4,12ff., wo der Text mit neuer Anrede einsetzt, ist die Verfolgung voll im Gang, während sie nach den vorhergehenden Ausführungen möglicherweise zu erwarten ist ( 1 , 6 ; 3 , 1 3 f. 17). In 1 , 3 - 4 , 1 1 werden immer wieder der Bruch mit der Vergangenheit und die Bedeutung des „Jetzt" betont ( 1 , 3 . 6 . 8 . 1 2 ; 2 , 2 . 1 0 . 2 5 ; 3 , 2 1 ) . Diese Paränese ist „auf den Grundton der Freude gestimmt"; sie schärft „den Täuflingen die Pflichten" ein, „die ihrer in ihrem neuen Beruf als Christen warten" (S. 26). Dagegen wiederholt 4,12 f. zusammengefaßt schon vorher gegebene Erklärungen zum Leiden (S. 1 2 - 1 6 ) . Diese literarkritische Erklärung der Entstehung des „Briefes" erschien als so einleuchtend, daß sie mit kleinen Abwandlungen in den bemerkenswerten Kommentaren von HANS WINDISCH (1930) 3 9 und 41 FRANCIS WRIGHT BEARE (1947, 3 1 9 7 0 ) 4 0 übernommen wurde . c) Gemäß der allgemeinen Entwicklung der Forschung wurde diese literarkritische Hypothese zu einer formgeschichtlichen weitergebildet: 38 R. PERDELWITZ, Die Mysterienreligion und das Problem des I. Petrusbriefes (Religionsgesch. Versuche und Vorarbeiten XI/3), Gießen 1911. 39 40

WINDISCH S. 7 6 f. 82. BEARE S. 6 - 9 b z w . S. 2 5 - 2 8 .

41 Außerdem von Β. H. STREETER, The Primitive Church, New York 1929, S. 129 ff. und F. HAUCK, Die Briefe des Jakobus, Petrus, Judas und Johannes (NTD 10), Göttingen 51949, S. 35. — Anscheinend ohne die Untersuchung von Perdelwitz zu kennen, entwickelte W. BORNEMANN, Der erste Petrusbrief — Eine Taufrede des Silvanus, ZNW 19 (1919/20) S. 143-165, die These, „daß 1 Petr 1,3-5,11 ursprünglich eine Taufrede war, und zwar im Anschluß an Ps 34 um das Jahr 90 von Silvanus in einer Stadt Kleinasiens gehalten" (S. 146). Erst gegen Mitte des 2. Jh. sei der briefliche Rahmen

(1,1 f.; 5,12-14) hinzugefügt worden (S. 163-165), den schon A. v. HARNACK, Die

Chronologie der altchristlichen Litteratur bis Eusebius I, Leipzig 1897, S. 451-465, für sekundär erklärt hatte. Gegen diese Annahme hatte sich bereits W. WREDE, Bemerkungen zu Harnacks Hypothese über die Adresse des I. Petrusbriefes, ZNW 1 (1900) S. 75-85, gewandt.

39

§ 2. Inhaltliche und literarische Struktur

Als H E R B E R T P R E I S KER den Kommentar von Hans Windisch 1951 ergänzte 42 , wandte er gegen die einseitig literarkritische Erklärung ein, sie berücksichtige nicht, „daß das Schreiben aus einzelnen, in sich abgeschlossenen besonderen Stücken, ohne Übergang aneinandergereiht, mit jeweils besonderen stilistischen Eigentümlichkeiten besteht" (S. 157). Diese Beobachtung erkläre sich, wenn hier „der Gottesdienst einer Taufgemeinde (1,3-4,11) seine schriftliche Fixierung gefunden (habe), der mit dem Schlußgottesdienst der Gesamtgemeinde (4,12-5,11) endet" (S. 157). Der Gottesdienst begann mit einem Gebetspsalm (1,3-12), auf den eine belehrende Rede (1,13-21) und zwischen 1,21 und 22 der Taufakt, der aus Gründen der Arkandisziplin nicht erwähnt wird, folgten. 1,22-25 fährt mit einem kurzen Taufvotum und 2,1-10 mit einem dreistufigen Festlied fort. Die Paränese (2,11-3,12) und eine Offenbarungsrede (3,13-4,7 a) mit eingefügten Christusliedern (2,21-24; 3,18 f. 22) sowie der briefgemäße Ersatz für das Schlußgebet (4,7b-llc) und die Schlußdoxologie (4,11) schließen den Taufgottesdienst ab. Der nun beginnende Schlußgottesdienst der Gesamtgemeinde umfaßt eine eschatologische Offenbarungsrede (4,12-19), eine Mahnrede an die Presbyter (5,1-9), Segensspruch (5,10) und die Schlußdoxologie (5,11). Diese Aufzeichnung wurde dann mit Eingangs- und Schlußgruß (1,1 f.; 5,1214) umrahmt und an die Gemeinden Kleinasiens versandt (S. 157-160). Diese phantasievolle Hypothese war neben dem kurz vorher erschienenen Kommentar Selwyns, der Preisker nicht zugänglich war, der erste Versuch, die formgeschichtliche Betrachtungsweise auf unseren Brief, der sie geradezu herausfordert, anzuwenden. Die Hypothese wurde von F. L. CROSS aufgenommen, abgewandelt und mit der Vorstellung verbunden, daß eine Passa-Tauf-Eucharistie im Blick stehe 43 . Im einzelnen nimmt er an, der Text des 1 Petr, der abgesehen von 1,1 f. und 5,12-14 keinen brieflichen Charakter habe, biete nicht die gesamte Liturgie, sondern nur die sorgfältig ausgearbeiteten Stücke, die der Celebrant zu einem Ostergottesdienst beizutragen habe (S. 38). Daß dieses Formular speziell für einen Ostergottesdienst bestimmt war, werde durch folgende Anzeichen nahegelegt: Πάσχα, „Passa", wird in der Passahomilie bei Melito wie bei Hippolyt von πάσχω, „leiden", abgeleitet, und eben dieses Verb stellt der 1 Petr wie keine andere Schrift des NT als Leitwort heraus. Zugleich sei der Brief inhaltlich erfüllt von der Osterzuversicht (1,3-5) und nehme insbesondere die Exodustypologie (1,13; 2,9.11) und die Passatypologie (1,18 f.) auf. Auch andere Stellen enthielten Hinweise auf den Passagottesdienst, wie dieser der Kirchenordnung Hippolyts zu entnehmen sei44. 42 43

44

WINDISCH-PREISKER S. 1 5 6 - 1 6 2 . F . L. CROSS, I Peter. A Paschal L i t u r g y , L o n d o n (1954)

2

1957.

Der Hinweis auf Ostern (1,3) und auf den Exodus (1,13) gehen jedoch nicht über das hinaus, was sich vielfach in nt. Briefen findet. Die Rückschlüsse aus dem Verb wie

40

Einleitung

Während Μ. Ε. B O I S M A R D 4 8 die These von F. L. Cross mit Zurückhaltung aufnimmt, versucht A. R . C. LEANEY4® ihren Inhalt, die Beziehung des 1 Petr zur Passafeier, aus der Passa-Haggada zu unterbauen: Vergleiche man diese, so berührten sich etliche von Cross genannte Stellen wie 1,18f.; 2,9f. 11 noch näher mit der Passaliturgie (S. 246-248). — An der „Schlüsselstelle" (the clue), nämlich in 1,19, aber wird m. E. das Lamm selbst dann kein Passalamm, wenn die PassaHaggada an den Kontext in 1,18 b erinnern sollte. Überdies ist die Berührung zwischen 1,18b: „Ihr wurdet von eurem eitlen, von den Vätern überkommenen Wandel erlöst" und jener Haggada zu Josua 24,2-4: „Anfangs dienten eure Väter fremden Göttern; aber jetzt hat der Allgegenwärtige uns zu seinen Dienern gemacht, wie gesagt ist: . . ." so gering, daß sie weder als Traditionszusammenhang im Hintergrund steht noch dem Verf. oder den Lesern gegenwärtig war. Eine Prüfung der Diskussion ergibt, daß diese formgeschichtlichen Hypothesen, die in dem Brief eine Aufreihung liturgischer Elemente finden, ebensowenig überzeugen wie die literarkritischen, nach denen der Brief aus einer Taufansprache und einem Trostschreiben zusammengewachsen ist 47 . Beide gehen von der Voraussetzung aus, daß eine sinnvolle Gedankenführung in dem Brief nicht zu finden sei. Gelingt es, diese Voraussetzung zu widerlegen, dann sind diese Hypothesen nicht mehr nötig, um den Aufbau zu erklären; sie werden zu Vorarbeiten für eine sachgemäße formgeschichtliche und traditionsgeschichtliche Analyse des Briefes. 2. Die Thematik des Briefes

Das Thema des Briefes wird meist als Ermahnung der Gemeinden angesichts „beginnender und künftig noch wachsender Bedrängnis" bestimmt 48 . Nun zieht sich zwar das Problem des Christenleidens wie ein Ariadnefaden durch den Brief, aber er geht doch erst von 3,13 ab intensiver auf dieses Thema ein; vorher finden sich diesbezüglich nur vereinzelte Hinweise (l,6f.; 2,19-21 bzw. 2,25). Das Thema des Leidens aus 1,18 f. aber werden durch den Text nicht gedeckt. Daher wurden diese und andere Argumente fur eine Beziehung des 1 Petr auf das christliche Passafest zu Recht in folgenden Untersuchungen abgelehnt: C. F. D. MOULE, The Nature and Purpose of I Peter, NTS 3 (1956/57) S. 1-11; T. C. G. THORNTON, I Peter, a Paschal Liturgy? JThSt 12 (1961) S. 14-26; W. HUBER, Passa und Ostern, 1969, S. 109 Anm. 10. 45 Μ. E. BOISMARD, Une liturgie baptismale dans la Prima Petri, RB 63 (1956), S. 182-208; ebd. 64 (1957), S. 161-183. Vgl. u. S. 121 ff. " A . R . C. LEANEY, I P e t e r a n d t h e P a s s o v e r : A n I n t e r p r e t a t i o n , N T S 10 ( 1 9 6 3 / 6 4 ) , S. 2 3 8 - 2 5 1 . 47 Gegen sie wenden sich mit Recht auch SELWYN S. 17-24; KELLY S. 15-20; KÜMMEL, Einleitung S. 370f. Nochmals anders, aber nicht überzeugend: N. HILLYER, First Peter and the Feast of Tabernacles, Tyndale Bulletin 21 (1970) S. 39-70. 48

Z . B . SCHELKLE S. 3.

§ 2. Inhaltliche und literarische Struktur

41

scheint fast unmotiviert aus einer allgemeinen Paränese herauszuwachsen. Sieht man genauer zu, so ist es die polare Entsprechung zu dem Thema der die ersten Abschnitte füllenden Paränese. Dieses ist der Anrede an die Leser zu entnehmen: sie werden nicht als Verfolgte angesprochen, sondern sowohl in der Zuschrift (1,1) wie zu Beginn des zweiten Teils (2,11) als „Fremde". Ihre Situation in der Gesellschaft gleicht der Israels in Ägypten. Die Paränese weist die Leser zunächst in diese Existenz der Fremdlingschaft ein 49 und führt dadurch hin zu den Fragen um das Leiden unter der Gesellschaft. Das Leiden ist der Kontrapunkt der Existenz in der Gesellschaft. Der Brief entwickelt demnach eine einheitliche Thematik: Die Existenz der Christen in der nichtchristlichen Gesellschaft und ihre Bewältigung durch die Bereitschaft, Repression zu ertragen, zu „leiden". Diese Thematik, die Frage nach den Lebensbedingungen in der Gesellschaft — das Grundproblem jeder Sozialethik —, war für die Jünger Jesu von Anfang an akut. Bereits der irdische Jesus hatte diese Frage durch den Ruf in die Nachfolge, der aus Beruf und Familie löste, aufbrechen lassen und in den Logien zum Besitz, zur Ehe und zur Kaisersteuer richtungweisend angesprochen 50 . Sie begegnete dann der ersten Gemeinde innerhalb des Volkes Israel in anderer Gestalt als den Christen in der hellenistischen Welt. Sie spitzte sich in spezieller Weise zu, als der eschatologische Charakter christlicher Existenz dort als pneumatische Entweltlichung mißverstanden wurde; denn dabei bildete sich die Meinung, Ehefrauen oder Sklaven, die Glieder der Gemeinde würden, seien nicht mehr an ihre nichtchristlichen Partner gebunden. Dem entgegnete Paulus mit dem wichtigen Grundsatz urchristlicher Sozialethik: „Jeder bleibe in (dem Stande) der Berufung, in dem er berufen wurde" (1 Kor 7,20. ebenso V. 17.24)51. Die Christen sollen nicht wie die Essener aus der Gesellschaft emigrieren, sondern sich ihren Institutionen verantwortlich einfügen. Diesen Grundsatz wenden die sozialethischen Weisungen in Rom 13,1-7 wie in den „Haustafeln" (Kol 3,18-4,1; Eph 5,22-6,9) an 82 . Der 1 Petr nimmt dieses Grundproblem: eschatologische Existenz der Fremdlingschaft und Verpflichtungen in den Institutionen der Gesellschaft, angesichts der sich allgemein daraus ergebenden Konfliktsituation als einzige nt. Schrift thematisch auf und führt es weiter, indem er über Paulus hinaus den Konflikt einbezieht: In den Institutionen der Gesellschaft begegnet nicht nur der Wille des Herrn der Ge48

Vgl. den Exkurs S. 81 ff. und die Auslegung von 2,11. Dazu vgl. L. GOPPELT, Theologie des Neuen Testaments I, Göttingen 1975, S. 161 ff. 51 Vgl. neuerdings die Diskussion dieser Stelle bei P. STÜHLMACHER, Der Brief an Philemon (EKK), Zürich-Neukirchen 1975, S. 43ff. 62 Vgl. L . GOPPELT, Theologie des Neuen Testaments II, Göttingen 1976, S. 496ff., und den Exkurs u. S. 163ff. 50

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Einleitung

schichte (vgl. Rom 13,1 f.), sondern auch Willkür und Unrecht der Menschen (vgl. l P e t r 2 , 1 8 ) . Daher entspricht es dem Skopus seiner Thematik, wenn der Brief in 2,13 f. zur Unterordnung unter den Kaiser verpflichtet und zugleich Rom in 5,13 als „Babylon" kennzeichnet. Für die sich auf diese Weise entwickelnde Thematik des 1 Petr hatte die Forschung lange kein Auge, weil sie sich unter traditionellen abendländischen Denkvoraussetzungen Verfolgungsleiden von Christen immer nur als Folge einer staatlichen Polizeiaktion vorstellen konnte und nicht sah, daß die Existenz in den Institutionen der Gesellschaft als solche für Christen problematisch ist und die Diskriminierung durch die Gesellschaft als solche „Leiden" bedeutet. Sobald diese Thematik sichtbar wird, erschließt sich der gedankliche Aufbau des Briefes. 3. Der Auflau Ein erster Hauptteil, 1,(1 f.) 3-2,10, begründet die soziale Situation der Christen in der Gesellschaft, nämlich ihr Fremdsein, aus dem Wesen christlicher Existenz: Die Getauften sind „durch die Auferstehung Jesu Christi" (1,3) in ein neues Sein berufen, das sich in Hoffnung, Glaube und Bruderliebe bekundet (l,13.21.22f.), in die Zugehörigkeit zu dem eschatologischen Gottesvolk (2,9f.). Ein zweiter Teil, der Mitte und Skopus des Briefes bildet, 2,11-4,11, entwickelt aus dem ersten die paradox erscheinende Folgerung: Dieses Fremdsein gegenüber der Gesellschaft ist gerade auch durch verantwortliches Sich-Einfügen in die Institutionen der Gesellschaft zu bewähren, das zu einem Zeugnis des Glaubens wird (2,11-13). Diese Bewährung erfordert Bereitschaft zum „Leiden um der Gerechtigkeit willen" (3,14). Diese grundsätzlichen Ausführungen werden in einem Schlußteil, 4,12-5,11(12-14) konkret zugespitzt: Pressionen durch die Gesellschaft sind, wie die weltweite Erfahrung der Christen lehrt (5,9), unvermeidlich; sie sind der keineswegs überraschende Ausdruck des Teilhabens an den „Leiden Christi" (2,13; 5,1). So folgen die Ausführungen des Briefes zwei polar aufeinander bezogenen Leitgedanken: dem Verhältnis der Christen zur Gesellschaft und der Leidensnachfolge. Dabei setzt das erste Thema breit ein und tritt im Verlauf der Ausführungen immer mehr zurück, während das zweite umgekehrt immer mehr hervortritt. Es stellt sich jedoch die Frage: Ist diese Entfaltung kontinuierlich, liegen nicht die Brüche vor, die zu den Teilungshypothesen geführt haben? 4. Die Kontinuität der Gedankenführung Der Schlußteil, 4,12-5,11(12-14), unterscheidet sich nicht nur, wie vielfach beobachtet wurde, in den Aussagen zum Christenleiden von den

§ 2. Inhaltliche und literarische Struktur

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vorhergehenden Ausführungen, sondern noch in zwei weiteren Themen. Wir haben zu prüfen, ob die Unterschiede eine andere Entstehungssituation voraussetzen oder als Weiterführung des Vorangehenden zu verstehen sind. a) Würde der Schlußteil, wie vielfach angenommen wurde 83 , eingetretene Verfolgungsleiden ansprechen, während vorher nur möglicherweise bevorstehende erwähnt werden, so müßten beide unterschiedlichen Situationen entstammen. Genauer besehen aber fordert der Schlußteil Beugung unter das gegenwärtige Leiden, das unvermeidlich ist, die vorhergehenden Teile aber Bereitschaft zum Leiden, das jederzeit möglich ist. Nun wird freilich auch die Art des Leidens verschieden umschrieben: Nach 4,15 f. kann man allein um des Namens „Christ" willen vor Gericht zum Tod verurteilt werden; vorher war nur von Diskriminierung durch „Verleumdungen" die Rede (3,16; 4,4). Es wäre jedoch geradezu naiv, diese unterschiedlichen Pressionen auf zwei einander zeitlich folgende Situationen verteilen zu wollen; denn die Vorführung vor die Behörden nach dem Schlußteil ergibt sich je und dann aus den vorher angesprochenen „Verleumdungen". Der Schlußteil setzt also nicht eine andere Situation voraus, wohl aber bringt er eine Steigerung in ihrer Darstellung, die der Entwicklung dieser Frage von der paulinischen zur nachpaulinischen Zeit entspricht 64 . Diese vielfach übliche Steigerung einer Darstellung auf den Schluß hin zeichnet sich in diesem Brief schon früher ab: der zweite Teil verweist bereits dringlicher auf das Leiden als der erste, der sich mit der Zwischenbemerkung in 1,6 f. begnügt. Freilich ist die Stufe zum Schlußteil erheblich größer. Der Sinn dieser Anlage des Briefes wird an dem zweiten Unterschied deutlich. b) In l P e t r 2 , 1 3 - 1 7 wird wie in Rom 13,1-7 zur Unterordnung gegenüber dem Kaiser und seinen Beamten aufgefordert, in 1 Petr 5,13 hingegen wird Rom als „Babylon", als die Gott und seinem Volk feindliche Weithauptstadt, gekennzeichnet. Dieser Unterschied entspricht nicht zwei einander ablösenden Situationen; seit der Polizeiaktion Neros gegen die Christen in Rom galt vielmehr in der Kirche des 1. Jh. beides nebeneinander, auch wenn es sonst nie in derselben Schrift ausgesprochen wird (vgl. Apk 13; 17 und 1 Tim 2,1£; 1 Clem 60,4-61,2). Für unseren Brief aber ist es kennzeichnend, daß er zunächst die tradtitionelle Paränese im Sinne von Rom 13 aufnimmt und erst am Ende von „Babylon" redet. Er will sichtlich die neue Situation gegenüber der Gesellschaft in die bisherige Paränese stufenweise einfügen. Dies geschieht auch in den Worten zum Leiden, und diese Sicht wird durch einen dritten Unterschied bestätigt. 53 54

Siehe u. S. 293 ff. Vgl. GOPPELT, Theologie II S. 483 ff.

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Einleitung

c) Die Worte zur inneren Situation der Gemeinde entsprechen in ihrer Abfolge ebenfalls dem Schritt von der paulinischen zur nachpaulinischen Zeit: In 1 Petr 4,10.IIa werden im Sinne der paulinischen Charismenverfassung alle zur „Haushalterschaft" aufgrund ihrer Gnadengaben gerufen, in 5,5 wird die Unterordnung unter die Presbyter gefordert. Zur Zeit des Briefes überlagerte in den Gemeinden Kleinasiens die Presbyter-Verfassung bereits das charismatische Dienen aller; beides schließt einander in der Gestalt, in der es der 1 Petr voraussetzt, jedoch nicht aus65. So ist es für unseren Brief kennzeichnend, daß unterschiedliche Traditionen durch eine fortschreitende Gedankenführung in der Weise verbunden werden, wie sich dies in den angesprochenen Gemeinden in nachpaulinischer Zeit ergeben hatte. Man würde diese Eigenart des Briefes und seiner Gemeindesituation zerstören, würde man diese inhaltlichen Spannungen theoretisierend durch literarkritische Aufteilung lösen. Die Spannungen legen vielmehr nahe, den Brief aufgrund seiner Form und Tradition genau zu analysieren. 5. Die briefliche Form

a) Der 1 Petr ist von Hause aus als Brief verfaßt; denn inhaltlich gehölt die Anrede der Leser als „erwählte Fremde in der Zerstreuung" im Eingang (1,1 f.) und der Gruß aus „Babylon" im brieflichen Schluß (5,12-14) der Intention des gesamten Schreibens zu. Der Briefeingang ist als ganzer so angelegt, daß er auf den spezifischen Inhalt des Briefes hinführt, und der Schluß rundet die Ausführungen dem Inhalt und der Situation entsprechend ab. Um so mehr fällt es auf, daß in den thematischen Ausführungen briefliche Züge, wie sie für die paulinischen Gemeindebriefe charakteristisch sind, fehlen: Die Person des Verf. tritt abgesehen von der formellen Erwähnung im Eingang (1,1) und der individuellen im Schluß (5,12) nur in einem einzigen Satz, nämlich in 5,1, mit einem „ich" in Erscheinung. Nur im ersten Satz der den Brief eröffnenden Danksagung findet sich noch ein „wir" (1,3-5). Sonst ist der Brief bis zum Ende gleichförmig von dem die Empfänger ansprechenden „ihr" geprägt. Nirgends gehen die Ausführungen auf persönliche Kontakte oder auch nur auf spezielle Situationen oder Anfragen der Gemeinden ein. Dieser unpersönliche Charakter ist zum Teil durch die Form des Rundbriefs bedingt, obgleich die Sendschreiben der Offenbarung z.B. sehr unmittelbar auf die Situation eingehen —, vor allem aber durch den Stil der Darstellung: Der Brief formuliert nicht für die Stunde, er verarbeitet kirchliche Tradition, um sie generalisierend als grundsätzliche Stellung66

Siehe u. S. 319ff.

§ 2. Inhaltliche und literarische Struktur

45

nähme zu der Gesamtsituation auszuformen, nicht, wie etwa Paulus in 1 Kor 15, um sie aktuell auf eine Situation anzuwenden. b) Die literarische Form des Rundbriefes, die hier verwendet wird, war allgemein und vielleicht sogar speziell vorgezeichnet. Die Form wird im frühen Christentum auch vom Aposteldekret (Act 15,23-29) und von der Apk (1,4.11) angewendet, während der aktuell veranlaßte Brief, der auch weitergereicht werden soll (1 Thess 5,27; Kol 4,16; vgl. 1 Kor 1,2), einem anderen Typ zugehört 5 ·. Die Form des Rundbriefs war der antiken Umwelt 57 und speziell der alttestamentlich-jüdischen Literatur geläufig: In 2 M a k k l , l - 9 und 1,10-2,18 finden wir Schreiben der „Juden zu Jerusalem" an „die Juden in Ägypten", die zum Mitfeiern des Tempelweihfestes auffordern. Nach Situation und Inhalt kommen unserem Brief nahe die beiden Schreiben an die Exilierten in Babylon in Jer 29,4-23 und syrBar 78,1-86,2. Das erste fordert die Exilierten auf, sich im fremden Land einzurichten; das letzte verweist gleich unserem Brief auf die „Zerstreuung" (78,7) wie auf die Solidarität aller Israeliten unter dem Leiden (78,4) und berührt sich in der Leidensdeutung mit ihm so eng wie mit keiner anderen jüdischen Schrift 58 . Vielleicht knüpft unser Verf., wenn auch nur unbewußt, an diese Tradition der Briefe an die Zerstreuten in Babylon an. Auf alle Fälle war ihm die Form des Rundbriefes vorgegeben. In ihr entwickelt er ein einheitlich und originell stilisiertes Schreiben. 6. Der Stil Der Brief ist, obgleich er fortlaufend sehr unterschiedliche Traditionen aufnimmt, überraschend einheitlich und prägnant stilisiert69. Zunächst fällt sein gutes Griechisch auf. Er bringt weniger Semitismen als Paulus 60 . Anders als viele nt. Schriften folgt er mehr der Literatur66 Zur Frage des urchristlichen Briefformulars vgl. KÜMMEL, Einleitung S . 2 1 2 - 2 1 4 . 562 (Lit.); s. auch zu 1,1. 57 Beispiele bei M. Th. L E N G E R , Corpus des Ordonnances des Ptoldmies, Bruxelles 1964, Nr. 47; P. COLOMB, La lettre ä plusieurs destinataires, in: Atti del Congresso internazionale de papirologia, Milano 1936, S. 202. 58 Vgl. syrBar 78,3.5 f. und 1 Petr2,19; 4,12ff.l6. Diese Strukturähnlichkeit betont auch SPICQ S . 13f. 59 Lit.: P. W E N D L A N D , Die urchristlichen Literaturformen (HNT1/3), Tübingen a 3 - 1912, S. 367f.; E. JACQUIER, Histoire des Livres du Nouveau Testament I I I , Paris 1908, S. 272-276; L. RADERMACHER, Der erste Petrusbrief und Silvanus, ZNW 25 (1926) S. 287-292; A. SCHLATTER, Petrus und Paulus nach dem ersten Petrusbrief, Stuttgart 1937, S. 175f.; SELWYN S. 25-27.467-488; SPICQ S. 21; ferner A. W I F S T R A N D , Stilistic Problems in the Epistles of James and Peter, StTh 1 (1948) S. 170-182. Er verwendet zwar häufig das Imperativische Partizip, das aus dem Hebräisch der Rabbinen und der Qumrantexte bekannt ist; er hat es jedoch nicht gebildet, sondern übernimmt es als tradierte Stilform christlicher Paränese (vgl. dazu D. D A U B E bei SELWYN S. 467-488). Das gleiche gilt von dem kausalen έν (1,2.5.6; 2,2; 4,16) und

46

Einleitung

als der Umgangssprache. Gelegentlich kommt, er bei der Verwendung von einzelnen Wörtern 61 oder von Verbalformen wie dem kaum mehr üblichen Optativ 62 dem klassischen Griechisch nahe. Er verfügt auf alle Fälle über einen erheblichen Wortschatz, so daß er Formulierungen variieren und ausgestalten kann. Wenn er die Sätze reiht und nicht schachtelt, so ist dies literarisch nicht als „primitiv" 63 zu werten, sondern dient dem leichteren Aufnehmen seiner Ausführungen, die anfänglich ja durch Vorlesen weitergegeben wurden. Die Beherrschung der Sprache ermöglicht es dem Autor, rhetorische Kunstmittel anzuwenden und eine gehobene einprägsame Sprachform zu entwickeln. Er nimmt den Leser durch Ketten von Synonymen64 oder ähnlich klingenden Wörtern 65 mit und prägt ihm seine Gedanken durch Metaphern und Bilder 66 ein, die ein häufig wiederkehrendes ώς einleitet. Oft formuliert er dieselbe Sache in antithetischen Parallelen negativer und positiver Wendungen aus 67 . Immer wieder gehen rhetorische Formulierungen in eine poetischrhythmische Stilisierung der ganzen Aussage über. Wie in den übrigen frühchristlichen Schriften werden dabei nicht die Kunstmittel der abendländischen Poesie, Versmaß und Reim verwendet, sondern die der semitischen, Rhythmus und Parallelismus68. So findet sich der antithetische Parallelismus in 2,14; 3,18; 4,6 und der synthetische in 2,22f.; 4,11; 5,2 f. Da die gehobene Formulierung sonst nur durch den Rhythmus von Hebung und Senkung erzeugt wird, ist nicht eindeutig zu ermitteln, wie weit einzelne in Stichen zu lesende Teile vorliegen. Es ist m. E. nicht ausreichend begründet, wenn H. W I N D I S C H fast durchweg Stichen lesen will69. Selbst bei den sog. Christusliedern ist, abgesehen von einzelnen Sätzen, eine Aufteilung in rhythmisch gegliederte Stichen nicht eindeutig möglich 70 . Wir bringen daher die Übersetzung in Sinnzeilen, die sich meist durch die für den Verf. charakteristische Reihung der Sätze anbieten, jedoch keine regulären Stichen darstellen. ähnlichen Eigentümlichkeiten des frühchristlichen Griechisch, auf die SCHLATTER S. 176 verweist. 61 Dies belegt SELWYN durch eine im Index S . 499-501 ausgewiesene Reihe von Parallelen aus der klassischen und der hellenistischen Literatur. «2 1 Petr 3,14.17. 63

64

RADERMACHER, Z N W 2 5 ( 1 9 2 6 )

S. 288.

Z.B. 1 Petr 1,10: έξεζήτησαν καΐ έξηρεύνησαν, oder 2,9. 65 Ζ. Β. 1 Petr 1,4.19: άμώμου και άσπιλου. «" Z . B . 1 Petr 2,2.25; 5,8. " Z.B. 1 Petr l,14f.l8f.23; 2,16; 5,2f.: μή άναγκαστώς άλλά έκουσίως. 68 Vgl. dazu Ο. EISSFELDT, Einleitung in das Alte Testament, Tübingen 3 1964, S. 75 ff. 8 « W I N D I S C H S. 5 2 zu 1 Petr 1 , 3 : „Fast im ganzen Brief läßt sich eine Gliederung in Strophen und in abgemessene Zeilen erkennen." 70 Vgl. den Exkurs u. S. 204ff.

§ 3. Literarische und traditionsgeschichtliche Zusammenhänge

47

Unter der eigenständig ausgeprägten Stilisierung werden nun aber so intensiv wie bei kaum einem anderen frühchristlichen Brief verarbeitete Traditionen sichtbar.

§ 3. Literarische und traditionsgeschichtliche Zusammenhänge 1. Zur Methodik (Verlauf der Forschung)

Fragt man nach Berührungen des 1 Petr mit der übrigen frühchristlichen Literatur, dann kann für literarkritische Betrachtungsweise jener Eindruck entstehen, der HEINRICH JULIUS HOLTZMANN 1 8 8 5 zu der These veranlaßte, der Verf. müsse nahezu das ganze NT gekannt haben71. Diese Erklärung der Beobachtungen änderte sich durch die form- und traditionsgeschichtliche Perspektive. Sie wurde auf unseren Brief grundlegend 1 9 4 6 von EDWARD GORDON SELWYN angewendet, dessen Kommentar bis heute das Standardwerk der Auslegungsliteratur zum 1 Petr ist. Selwyn gibt in der Einleitung eine Übersicht über seine Konzeption und führt sie in dem eine eigene Untersuchung darstellenden Essay II aus72. Im Sinne einer formgeschichtlichen Betrachtungsweise seien im Brief vier Typen von Traditionsstoff zu unterscheiden: 1. Liturgische Traditionen, 2. eine „Verfolgungs-Tora", 3. mehrere Gruppen katechetischer Tradition und 4. Worte Christi. Neben diesen Traditionen würden zahlreiche Stellen aus dem AT direkt und indirekt aufgenommen. Methodisch sieht Selwyn einen Traditionszusammenhang mit anderen Stellen frühchristlicher Literatur dann als gegeben an, wenn verwandte Vorstellungen vorliegen, die mit Hilfe gleicher oder ähnlicher Stichwortverbindungen ausgesagt werden. Darin folgt Selwyn weithin der Untersuchung von PHILIPP CARRINGTON über den ältesten christlichen Katechismus73. Als Ziel steht SELWYN die Rekonstruktion eines vorausgesetzten frühchristlichen Katechismus vor Augen, und speziell der Nachweis einer Verbindung des 1 Petr mit Silvanus und durch diesen mit Petrus 74 . Diese Zielvorstellungen wie die angewandte Methodik machen diesen ersten Versuch, Traditionen zu bestimmen, die im 1 Petr aufgenommen worden sind, im einzelnen sehr unzureichend. Inzwischen hat sich der methodische Grundsatz durchgesetzt, daß von einem Traditionszusammenhang erst dann die Rede sein kann, wenn nicht nur Verbindungen durch Begriffe und Vorstellungen vorhanden 71 H. J. H O L T Z M A N N , Einleitung in das Neue Testament, Freiburg i. B. (1885) 31892, S. 313-315. 72 SELWYN S . 17-24.365^66. 73 P H . CARRINGTON, The Primitive Christian Catechism, Cambridge 1940. 74 SELWYN S . 368. 374f. 383. 389 u. ö.

Einleitung

48

sind, sondern auch der Aufbau der Aussagen analog ist. Mit Hilfe dieser präziseren Kriterien und einer exakteren Analyse wurde inzwischen die traditionsgeschichtliche Untersuchung des 1 Petr durch eine Reihe von Aufsätzen aber noch nicht durch eine Gesamtdarstellung weitergeführt. Für die liturgischen Traditionen brachte der Aufsatz von RUDOLF BULTMANN über die Liedfragmente einen für die weitere Diskussion grundlegenden Beitrag75. Entsprechendes leisteten für die Leidensdeutung der Aufsatz von WOLFGANG NAUCK, „Freude im Leiden"76, und für die Paränese der von EDUARD LOHSE, „Kerygma und Paränese"77. Den vorchristlichen Ansätzen dieser Traditionen ging dabei nur Nauck programmatisch nach. Auch das Verhältnis des 1 Petr zur synoptischen Überlieferung, dessen Untersuchung von deren interner Problematik belastet ist, war nach ERNEST BEST, „I Peter and the Gospel Tradition", durch mündliche Tradition für den katechetischen Gebrauch, nicht durch Kenntnis eines unserer Evangelien vermittelt78. Die bisherigen Untersuchungen haben jedenfalls ergeben, daß unser Brief, wie CESLAS SPICQ formuliert als „fipitre de la Tradition"79 zu kennzeichnen ist, weswegen die Eigenart seiner Aussagen erst sichtbar wird, wenn die hinter ihnen stehenden Traditionen geklärt werden. Deshalb verbinden wir die Exegese der einzelnen Abschnitte stets mit einer form- und traditionsgeschichtlichen Analyse. Ausgangspunkt dieser Analyse bleiben die auffallenden Berührungen des 1 Petr mit sonstiger frühchristlicher Literatur, die vielfach zur traditionsgeschichtlichen Betrachtungsweise drängten. Bis heute ist allerdings die Frage nach literarischer Bekanntschaft nicht aus der Diskussion verschwunden; wir wollen uns daher, ehe wir bei der Exegese genauer auf sie eingehen, einen Überblick über die wichtigsten Berührungen verschaffen und dabei bereits überholte methodische Ansätze aufarbeiten.

2. Das Verhältnis %um Corpus Paulinum a) In der literarkritischen Phase wurde immer wieder angenommen, daß der 1 Petr den Rom und den Eph gekannt haben müsse80, weil sie sich wie folgt berühren: 7 5 R . BULTMANN, Bekenntnis- und Liedfragmente im 1 . Petrusbrief (1947), in: D E R S . , Exegetica, Tübingen 1967, S. 285-297. 7 6 W. N A U C K , Freude im Leiden. Zum Problem einer urchristlichen Verfolgungstradition, ZNW 46 (1955) S. 68-80. 7 7 E. LOHSE, Paränese und Kerygma im 1. Petrusbrief (1954), in: D E R S . , Die Einheit des Neuen Testaments (Ges. Aufs.), Göttingen 1973, S. 307-328. 7 8 E. BEST, I Peter and the Gospel Tradition, NTS 16 (1969/70) S. 95-113, bes. S. 113. 78

SPICQ S . 1 5 .

So K N O P F S. 8 und noch zuversichtlicher T H . Z A H N , Einleitung in das Neue Testament I I , Leipzig 3 1907, S . 36f. Anm. 4 ; zuletzt BEARE S . 219f. — Nach SELWYN S. 19 könnte der 1 Petr den Rom und den Eph und umgekehrt der Jak den 1 Petr gekannt 80

§ 3. Literarische und traditionsgeschichtliche Zusammenhänge

1 Petr

Rom

1 Petr

Eph

1,14 1,22 2, (2.) 5 2,4-10 2,13-17 3,9 4,1 4,10f. 4,13; 5,1

12,2 12,9 12,1 9,25.32f. 13,1.3f.7 12,17 6,7 12,6 8,17

l,3f. l,14—18;4,2f.

1,3.14 4,17f.; 5,8 4,25.31 2,20-22 5,22 l,20f. 6,11-13

2,1

2,4-6 3,1 3,22 5,8 f.

49

Achtet man auf die Art der Berührungen, insbesondere auf die Gattung der genannten Stellen, so zeigt sich: keine der Berührungen ist, abgesehen von at. Zitaten, im ganzen wörtlich, so daß man an literarische Zitierung denken müßte. Von den ca. 9 Berührungen mit Rom finden sich sechs, darunter die besonders auffallenden in 1 Petr 2,13-17 und 3,9, in dem paränetischen Teil Rom 12 f. Einmal, in 1 Petr 2,4-10 und Rom 9,25.32 f., werden at. Zitate in derselben Zusammenstellung verwendet. Beides, Paränese und at. Testimonien, liefen aber als mündliche Tradition in den frühchristlichen Gemeinden um 81 . So legt die Art der Übereinstimmung wie die sonstige Verwendung dieses Materials im frühen Christentum nahe, daß die Berührungen auf gemeinsamer mündlicher Uberlieferung beruhen. An den verbleibenden zwei Stellen (1 Petr 4,1 und 4,13; 5,1) kommen die Briefe einander nur in einzelnen Begriffen bzw. in der Gesamtvorstellung nahe. Von den sieben Entsprechungen, die für eine literarische Bekanntschaft mit Eph genannt werden, handelt es sich an vier Stellen um stehende paränetische Wendungen (1 Petr 1,14-18; 4,2 f.; 2,1; 3,1; 5,8 f.); von den drei übrigen ist die eine ein geläufiges ekklesiologisches Bild (2,4-6), die andere eine christologische Formel (3,22) und die letzte eine BriefEingangs-Formel (l,3f.). So kann hier von einer literarischen Abhängigkeit keine Rede sein82. haben. Im übrigen versucht er unmittelbare Berührungen mit 1/2 Thess zu erweisen (S. 369-384), um deren Bearbeitung durch Silvanus wahrscheinlich zu machen (S. 383f.). Die Entsprechungen gehen hier jedoch über einige verwandte Vorstellungen und Stichworte nicht hinaus (so auch KELLY S. 12; SCHELKLE S. 6 und KNOPF S. 9). 81

Siehe zu 1 Petr 2,6 f.

82

S o KELLY S. 1 1 ; SELWYN S. 4 6 2 ; E.PERCY, D i e P r o b l e m e der K o l o s s e r - u n d

Epheserbriefe, Lund 1946, S. 433-440; im Grunde früher schon J. M. USTERI, Wissenschaftlicher und praktischer Commentar über den ersten Petrusbrief, Zürich 1887, S. 283-290. Anders KNOPF S. 7f.; C. L. MITTON, The Relationship between I Peter and Ephesians, J T h S t 1 ( 1 9 5 0 ) S. 6 7 - 7 3 ; BEARE S . 2 1 9 F .

50

Einleitung

Dasselbe gilt erst recht angesichts der erheblich geringeren Zahl von Berührungen mit den Past: 1 Petr

Tit

1,3-5 2,1 2,9 3,1-6

3,4-7 3,3 2,14

1 Tim

2,9-11

Insgesamt sind demnach in diesem Bereich die Berührungen mit Rom bei weitem am dichtesten, aber weder zu ihm noch zu einer anderen paulinischen oder deuteropaulinischen Schrift ist eine literarische Beziehung wahrscheinlich. Um so wichtiger ist für das Verständnis unseres Briefes sein Verhältnis zur paulinischen Tradition im ganzen. b) Der 1 Petr wurde aufgrund seiner Terminologie und seiner Theologie vielfach als eine „Abart des Paulinismus" gekennzeichnet 88 . Dies legt sich zunächst durch die Beobachtung nahe, daß der 1 Petr eine Reihe von typisch paulinischen Begriffen verwendet: Nur bei ihm findet sich im NT außerhalb des Corpus Paulinum die wohl von Paulus eingeführte Wendung έν Χριστώ (3,16; 5,10.14). Ebenso werden die Begriffe άποκάλυψις (1,7.13; 4,13)i καλεΐν (1,15; 2,9.21; 3,9; 5,10), συνείδησις (2,19) und διακονεΐν (1,12; 4,10) in Verbindung mit den χαρίσματα (4,10) in der von Paulus entwickelten Weise gebraucht. Weiter erinnern an Paulus folgende Vorstellungen: Absterben gegenüber den Sünden, um der Gerechtigkeit zu leben (2,24), das Teilhaben an den Leiden Christi, dem das an seiner Herrlichkeit folgt (4,13; 5,1). Der Brief entstammt demnach zweifellos einer kirchlichen Tradition, die von der Begriffssprache und von Vorstellungen des Paulus beeinflußt ist. Zugleich muß aber gesagt werden: Diese Tradition ist von Paulus zwar beeinflußt, aber nicht geprägt. Sie enthält paulinische Bestandteile, aber sie kommt nicht von ihm her. Selbst die von ihm stammenden Begriffe und Vorstellungen werden meist in einem mehr oder minder stark von ihm abweichenden Sinn gebraucht und die das Kerygma des Briefes tragenden Vorstellungen sind meist in einer ihm fremden Begriffssprache formuliert: So wird von der Passion Christi wie der Christen nicht mit den dem Apostel Paulus eigentümlichen Begriffen σταυρός und σταυροϋν gesprochen, sondern mit dem ihm fremden πάσχω, und von der Gemeinde nie mit έκκλησία, sondern mit bildlichen Umschreibungen at. Ursprungs. 83 So KNOPF S. 8; ähnlich auch R. BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen E1968, § 56,1. Nach E. LOHSE, Die Entstehving des Neuen Testaments (Theol. Wiss. 4), Stuttgart 1972, S. 133, gehört der 1 Petr in den Bereich der „paulinischen Schultradition". Vgl. auch Η. M. SCHENKE, Das Weiterwirken des Paulus und die Pflege seines Erbes durch die Paulus-Schule, NTS 21 (1974/75) S. 505-518.

§ 3. Literarische und traditionsgeschichtliche Zusammenhänge

51

Läßt sich die Herkunft der für unseren Brief typischen Begriffssprache ermitteln? Zunächst scheint es typisch zu sein, daß er zuweilen dieselbe Aussage nebeneinander „paulinisch" und „synoptisch" formuliert (2,24f.; 4,13f.). Er hat jedoch keineswegs wie später ζ. B. Polykarp in seinem Philipperbrief paulinische und synoptische Formulierungen addiert. Er spricht aufs Ganze gesehen die Sprache einer kirchlichen Tradition, die mit der synoptischen von Palästina ausgegangen ist und sich in ihrer vorliegenden Ausformung oft mit der des Lukas und der des 1 Clem berührt. Im übrigen ist die Sprache von den jeweils aufgenommenen Traditionen gefärbt. Diese These findet eine vorläufige Bestätigung, wenn wir den Berührungen mit den übrigen frühchristlichen Schriften nachgehen.

3. Die übrige frühchristliche Briefliteratur

Vergleicht man den 1 Petr mit den sonstigen frühchristlichen Briefen, dann fehlt einerseits jede Berührung mit den johanneischen Briefen, andererseits liegt eine ausdrückliche Erwähnung im 2 Petr vor. Im übrigen zeigen sich Entsprechungen im Jak, im Hebr und im 1 Clem. a) Der Jakobusbrief kommt streckenweise im Wortlaut wie in der Anlage mit dem 1 Petr überein:

1 Petr

Jak

1,1 l,6f. 1,23-2,2 1,24 2,1 4,8 5,5 f. 5,9

1,1 l,2f. 1,18-22 l,10f. 1,21 5,20 4,6.10 4,7

Die Struktur dieser Berührungen kann erst im Rahmen der Exegese aufgewiesen werden84; sie erklärt sich aus gemeinsamer paränetischer Tradition, die weithin palästinischen Ursprungs ist, nicht dagegen durch literarische Bekanntschaft85. 84

Siehe vor allem u. S. 335 ff. Es ist mit SELWYN S . 462f. und KELLY S . 11 f. gegen Z A H N , Einleitung I , S . 96f., und A. M E Y E R , Das Rätsel des Jacobusbriefes (BZNW10), Gießen 1930, S. 72-82, keine literarische Benützung des Jak durch den 1 Petr anzunehmen, noch weniger eine umgekehrte Verwendung. ,5

52

Einleitung

b) Anders als im Jakobusbrief sind im Hebräerbrief nicht vollständige, mit unserem Brief gleichlautende Satzteile, wohl aber gemeinsame charakteristische Wendungen zu finden: Die Fremdlingschaft der Glaubenden ( l P e t r l , l ; 2,11 - Hebr 11,13), das Blut der Besprengung (1,2-12,24), das lebendige Wort (1,23-4,12), das Hinauftragen der Sünden (2,24-10,10), Jesus der Hirte (2,25; 5,4-13,20), das Todesleiden Christi έφ' άπαξ (3,18-9,28), Christus als Vorbild (3,22-12,17), den Segen erben (3,9-12,17), die Schmach Christi tragen (4,14-13,13 vgl. 11,26), allgemein Christus als Vorbild. Es handelt sich vor allem um eine verwandte „geistliche Atmosphäre" 88 . Man kann vorläufig sagen: Die beiden Verf. gehen eine verwandte Situation mit ähnlichen Mitteln an 87 . c) Wieder anderer Art ist die Berührung mit dem Ersten Clemensbrief, in dem um 96 erstmals das römische Gemeindechristentum zur Sprache kommt. Sie besteht in erster Linie in einer beachtlichen Zahl von Wörtern, die für beide charakteristisch sind und sich in der frühchristlichen Literatur nur oder fast nur bei ihnen finden: άγα&οποιεϊν, άγαθ-οποιΐα, άδελφότης, άμωμος, άσπιλος, άπροσωπολήμπτως, αρκετός, παθήματα (Χρίστου), παροικία, τίμιος (vom Blut Christi), ύπογραμμός. Wie ist diese Verwandtschaft zu erklären? Anzeichen, daß der 1 Clem den 1 Petr ebenso wie den 1 Kor gekannt hätte, lassen sich nicht ermitteln. Ähnliche oder gleichlautende Aussagen sind spärlich: Von ihnen sind 1 Petr 2,9-1 Clem 59,2: „Berufen von der Finsternis zum Licht" ein Stück der Gemeindeliturgie und 1 Petr 4,8-1 Clem 49,5: „Liebe deckt der Sünden Menge" ebenso wie das Reden von den Patriarchen als den „Vätern" (1 Petr 3,6-1 Clem 4,8) geläufige Formeln. Der Hinweis auf die παροικία in der Zuschrift des 1 Clem reicht ebensowenig aus, um an ein Aufnehmen von 1 Petr 1,1 zu denken, wie die Aufforderung, sich den Presbytern unterzuordnen, in 57,1 an die von 1 Petr 5,5. Die Darstellung Christi nach Jes 53 in 1 Clem 16,3-14 läßt keine direkte Berührung mit der in 1 Petr 2,22 ff. erkennen. So ist eine literarische Bekanntschaft nicht erweisbar88. Die beachtliche Berührung in der Begriffssprache wie in zahlreichen Vorstellungen jedoch beruht nicht wie ζ. B. gegenüber dem Jak auf gemeinsamer Formeltradition, sondern auf derselben vielleicht lokal bedingten Sprach- und Vorstellungstradition 89 . 88 88

87 S o SELWYN S. 4 6 4 . W e i t e r e s s. u. S. 81 f . S o USTERI S. 3 2 0 - 3 2 4 ; O . KNOCH, E i g e n a r t u n d B e d e u t u n g der E s c h a t o l o g i e i m

theologischen Aufriß des ersten Clemensbriefes (Theophaneia 17), Bonn 1964, S. 95 f., und E. MASSAUX, Influence de l'fivangile de S. Matthieu sur la litterature chritienne avant S. Ir6n6e (Univ. Cath. Lovaniensis, Diss. II/42), Paris 1950, S. 42-44.64. Gegen KNOPF, Clemensbriefe S. 43 u. ö. 88 Dieser Traditionszusammenhang ist natürlich nur eine Linie in der komplexen Vorgeschichte des 1 Clem, der K. BEYSCHLAG, Clemens Romanus und der Frühkatholizismus. Untersuchungen zu I Clemens 1-7 (BHTh 35), Tübingen 1966, nachgeht (vgl. S. 201.347).

§ 3. Literarische und traditionsgeschichtliche Zusammenhänge

53

Während sich so der Sprach- und Vorstellungshintergrund, in dessen Bereich der Brief entstanden sein dürfte, in der westlichen Kirche, speziell in Rom, abzeichnet, findet sich die erste eindeutige Verwendung im Osten. d) Der Brief, den Polykarp von Smyrna um 112 an die Gemeinde von Philippi schrieb, lehnt sich, wie schon Euseb feststellt, eindeutig an den 1 Petr an, ohne ausdrücklich zu zitieren90. In 8 , l f werden längere Wendungen aus 1 Petr 2,24.22(3,14); 4,16(2,21) aufgenommen, ebenso in 10,2 (lat) aus 1 Petr 2,12. Polyk 1,3 lehnt sich an 1 Petr 1,8 an, 2,1 an 1 Petr 1,13. 21 und 2,2 an 1 Petr 3,9. Hinter 5,3 wird 1 Petr 5,5; 2,11 und durch 7,2 wird 1 Petr 4,7 vernehmbar. Wohl um 120 beruft sich ein anderer Vertreter der Kirche in der Asia, Papias von Hierapolis, wie Euseb ohne Zitate berichtet, auf „Zeugnisse . . . aus dem ersten Petrusbrief"91. Nicht viel später verweist der Zweite Petrusbrief, der ebenfalls im Osten entstanden sein dürfte, auf ihn zurück, indem er ausdrücklich als „der zweite Brief" des Petrus bezeichnet wird (3, l) 92 . All diese unterschiedlichen Beziehungen zur frühchristlichen Briefliteratur, die hier noch nicht strukturell erfaßt werden können, bestätigen, daß der 1 Petr auf keinen Fall der auslaufenden pauünischen Tradition entstammt, sondern eine eigenständige Tradition ausarbeitet, die im Jak beinahe genauso viele Entsprechungen hat wie bei Paulus. Ihre eigene Wurzel wird sichtbar, wenn wir sie mit der Evangelienüberlieferung vergleichen.

4. Die Evangelienüberlieferung Die Berührungen des 1 Petr mit der Evangelienüberlieferung umfassen synoptische Jesuslogien, darüber hinaus aber auch synoptische Begriffssprache und Vorstellungen. Das JohEv wird nirgends wahrnehmbar93. 90 Vgl. P. N. HARRISON, Polycarp's Two Epistles to the Philippians, Cambridge 1936, S. 296ff., und W. BAUER, Die Briefe des Ignatius von Antiochien und der Polykarpbrief (HNT Erg. Bd. II), Tübingen 1920, S. 284f.; M A S S A U X , Influence S. 183-187. 91 Vgl. R . H E A R D , Papias' Quotations from the New Testament, NTS 1 ( 1 9 5 4 / 5 5 ) 5. 130-134. 92 Die weitere Verwendung des Briefes in Schriften des 2. Jh. vor Irenaus erörtert M A S S A U X , Influence S. 642f. (Did), S. 131f. (Ign), S. 161f. (2 Clem), S. 245f. (OrSib), S. 321-323 (Herrn), S. 565-568 (Justin), S. 588.590 (Athenagoras) und S. 602 (Theophilus von Antiochien). Bemerkenswert ist, daß Ignatius bei seiner Durchreise durch die Asia anscheinend nicht auf Spuren des IPetr stieß. 93 Nach R. G U N D R Y , .Verba Christi' in I Peter: Their implications concerning the Authorship of I Peter and the Authenticity of the Gospel Tradition, NTS 13 (1966/67) S. 336-350, soll der 1 Petr zahlreiche Entsprechungen zu johanneischen Jesusworten enthalten, die persönlich durch Petrus vermittelt seien (ähnlich schon USTERI S. 305). An den genannten Stellen finden sich jedoch nur ähnliche Gedanken oder Einzelwörter: IPetr 1,3.23; 2 , 2 - J o h 3,3.7: Wiedergeburt; 1 , 2 1 - J o h 14,1: πιστεύειν mit εις; 1,22

54

Einleitung

Die synoptischen Logien werden in der Gestalt wiedergegeben, wie sie in der Paränese, nicht unmittelbar in der synoptischen Überlieferung leben94. So steht die Wiedergabe des Logions von der Feindesliebe den entsprechenden Stellen bei Paulus näher als denen der Evangelien; die Seligpreisung der Verfolgten und der Ruf zum Tatzeugnis berühren sich eng mit der paränetischen Ausformung in der Mt-Redaktion96. Weit öfter werden Vorstellungen und Stichworte aufgenommen, die von Jesus her kirchliche Uberlieferung wurden: Das Bild des Hirten (2,25; 5,2.4), die Anrufung Gottes als Vater (1,17), die Deutung des Sterbens Jesu als Lösegeld (1,18 f.), die Bezeichnung des Todesleidens Jesu und der Seinen als πάσχειν (2,19 f. 21.23) und die Darstellung seines Leidens nach Jes 53 (2,22). Entsprechendes gilt von den Aufrufen, nüchtern und wachsam zu sein (5,8), nicht zu sorgen (5,7), gute Haushalter zu sein (4,10 f.), und anderen. Die genannten Beispiele genügen, um die Annahme nahezulegen: Die kirchliche Tradition, die den Brief als ganzen trägt, ist auf demselben Weg gewachsen wie die synoptische Jesusüberlieferung. Sie ist gleich ihr von der palästinischen Kirche ausgegangen und in der hellenistischen Kirche angereichert worden. Zu dieser kirchlichen Uberlieferung gehört auch eine intensive Verwendung des AT wie die Färbung durch verschiedene religionsgeschichtliche Einflüsse der Umwelt. (4,8)-Joh 13,34; 15,12: die gegenseitige Liebe; 2,25; 5,4-Joh 10,11.14 und 1 Petr 5,2Joh 21,15-17: Jesus der Hirte und sein Auftrag zu weiden. Mit Recht wendet sich E. BEST, I Peter and the Gospel Tradition, NTS 16 (1969/70) S. 95-113, gegen die Analyse Gundrys, die bei den Synoptikern ebenso unzureichend ist. Gundrys Folgerung, der 1 Petr knüpfte in großer Breite an Jesuslogien in ihrer ursprünglichen Gestalt an, die in besonderer Beziehung zur Person des Petrus stünden, ist völlig unbegründet. 94 Nach BEST, a. a. O. S. 105f., verwendet der 1 Petr vor allem zwei Blöcke mündlicher Jesusüberlieferung, die den Aufzeichnungen in Lk 6,22-33 (vgl. 1 Petr2,19f.; 3,9.16; 4,14) und 12,32-45 (vgl. 1 Petr 1,4.13; 4,10f.; 5,2-4) nahekommen. Die Berührung mit Matthäus beschränke sich auf zwei Einzellogien: Mt 5,10 (1 Petr 3,14) und 5,16 (1 Petr 2,12), vielleicht noch Mk 10,45 par Mt (1 Petr l,18f.); eine Nähe zu Markus sei nicht zu ermitteln (S. lllf.). Diese Analyse ist nicht haltbar; denn sie unterscheidet nicht die Arten der Berührung, z.B. Formel oder nur Stichwort, und berücksichtigt die indirekte Vermittlung von Jesusüberlieferung durch paränetische und andere kirchliche Traditionen nur zu 1 Petr 3,9 (S. 105). Will man die Beziehung des 1 Petr zur synoptischen Tradition klären, so muß das Nebeneinander wie die Wechselwirkung zwischen Jesusüberlieferung in der Evangelientradition und in den christologischen, paränetischen und anderen kirchlichen Lehrtraditionen bedacht werden; darauf gehen die Untersuchungen von D . L. D U N G A N , The Sayings of Jesus in the Churches of Paul. The Use of the Synoptic Tradition in the Regulation of Early Church Life, Oxford 1971; J. B R O W N , Synoptic Parallels in the Epistles and Form-History, NTS 10 (1963/64) S. 27-48, ein. Vgl. u. zu 1 Petr 3,8-12. 95 Vgl. L . G O P P E L T , Typos. Die typologische Deutung des Alten Testaments im Neuen, Gütersloh 1939 (Nachdruck Darmstadt 1966), S . 183-190; SELWYN S . 24f.

§ 3. Literarische und traditionsgeschichtliche Zusammenhänge

55

5. Der Hintergrund: Die Schrift und die religiöse Umwelt a) Wenn der 1 Petr das Alte Testament laufend, sei es als Sprachmittel, sei es als Beleg, meist ohne ausdrücklich zu zitieren, aufnimmt, dann war dies in seinen Traditionen bereits vorgezeichnet und durch Testimonien vorbereitet 98 . Mit Hilfe des AT versteht er die christliche Botschaft und die Veränderung der menschlichen Situation durch sie als eschatologisches Erfüllungsgeschehen (1,10f.). In typologischen Verweisen wird die Gemeinde als das neue heilige, priesterliche Gottesvolk gekennzeichnet (2,9f.), an die Fremdlingschaft und den Exodus erinnert (1,13; 2,11), die Taufe als Gegenbild der Rettung Noahs gedeutet (3,20 f.) und Christen zur Haltung der Väter Israels verpflichtet (3,5f.). Als Homilie über Ps 34, den er oft anführt, ist der Brief allerdings nicht entstanden 97 . Der Verf. des 1 Petr ist jedenfalls seinem Selbstverständnis nach zuerst Schrifttheologe. Der 1 Petr verwendet das AT ebenso intensiv wie die beiden ihm in der Sprechweise verwandten Schriften, der Hebr und der 1 Clem, aber formal und inhaltlich in anderer Weise. Jene führen es exegetisch argumentierend, der 1 Petr homiletisch an. Inhaltlich bietet das AT dem Hebr heilsgeschichtlich-typologische Entsprechungen, dem 1 Clem autoritative sittliche Analogien, dem 1 Petr aber weissagende Worte und Bilder. Seine Hermeneutik stellt den 1 Petr gleich dem Hebr in die Mitte des „apostolischen" Zeugnisses; denn er bekundet damit, daß das Eschaton in der Dialektik des Schon und Noch-Nicht gegenwärtig ist. Das kann für den 1 Clem wie für die übrigen Schriften der Apostolischen Väter nicht mehr gesagt werden. b) Der religionsgeschichtliche Hintergrund wird im 1 Petr nicht direkt, sondern durch Vermittlung christlicher Traditionen wirksam. Die so vermittelten religionsgeschichtlichen Bezüge im 1 Petr bestätigen, was bereits traditionsgeschichtlich über seine Herkunft ermittelt wurde. Hinter dem ersten Teil, in dem er seine Auffassung vom Wesen des Christseins ausspricht, steht ein Überlieferungskomplex, der vom Selbstverständnis der Qumran-Gemeinde ausgeht: Die Gemeinde ist das heilige, priesterliche Volk der Endzeit, das vorerst in der Fremde lebt. Der zweite Teil verbindet mit dieser aus Palästina herkommenden Umschreibung des Christseins die Haustafeltradition, die sich mit der Stoa berührt. In der Leidensdeutung, die von 3,13 an mehrere Abschnitte füllt, verschlingen sich religionsgeschichtlich gesehen Gesichtspunkte der jüdischen Weisheit und Apokalyptik vielleicht mit Mysterienelementen. Diese Gesichtspunkte sind hier allerdings noch stärker als in den beiden e

« Siehe zu 1 Petr2,22 und zu 2,6f.; 4,8; 5,5. " Gegen BORNEMANN, Der erste Petrusbrief S . 1 4 6 f f . (vgl. Anm. and Purpose S. 1 ff.

4 1 ) ; MOULE,

Nature

56

Einleitung

vorher genannten Teilen von Jesusüberlieferung und von Schrifttheologie überlagert. Nach allem ist der 1 Petr ähnlich vielseitig auf frühchristliche Strömungen und die von ihnen vermittelten religionsgeschichtlichen Hintergründe bezogen wie der Brief des Polykarp an die Philipper. Aber in grundlegendem Unterschied zu ihm geht er von einer unmittelbar zu den palästinischen Ursprüngen zurückführenden Tradition aus, die sich für das von Paulus vertretene hellenistische Christentum geöffnet hat, und prägt sie eigenständig zu einem grundsätzlichen, gesamtkirchlichen Wort aus, das doch eine bestimmte geschichtliche Situation anspricht. § 4. Die Situation der Gemeinde Die geschichtliche Situation der Gemeinden, die der Brief anspricht, ist entscheidend durch ihren Konflikt mit der Gesellschaft gekennzeichnet98. Wieweit läßt sich dieser Konflikt und damit die Entstehung des Briefes historisch bestimmen? An die historische Situation kommen wir nur heran, wenn wir die kerygmatische Perspektive berücksichtigen, in der sie im Brief dargestellt wird. /. Die kerygmatische Perspektive Die drei Teile des Briefes sprechen den Konflikt, wie deutlich wurde, schrittweise an. Der erste erwähnt ihn nur in Parenthese: Die Angeredeten stehen im eschatologischen Heil trotz der sie gegebenenfalls durch Pression der Gesellschaft treffenden Prüfungsleiden. Im zweiten Teil wird der Konflikt zur Kehrseite des christlichen Verhaltens in den Institutionen: Rechtverhalten auch unter Leiden! Erst im Schlußteil wird der Konflikt zum Thema: Leiden unter den Pressionen der Gesellschaft gehört zum Wesen christlicher Existenz. Das ermutigende und ermahnende Wort des Verf. zur Konfliktsituation wird demnach stetig fortschreitend entwickelt, die Terminologie bleibt dabei aber gleich. Sie zeigt die Einheitlichkeit der Ausführungen wie ihre 98 Lit.: Μ. DIBELIUS, Rom und die Christen im ersten Jahrhundert, in: DERS., Botschaft und Geschichte II, Tübingen 1956, S. 177-228; E. A. JUDGE, The Social Pattern of Christian Groups in the First Century, London 1960, vor allem S. 62-71 (deutsch: Christliche Gruppen in nichtchristlicher Gesellschaft, Wuppertal 1964, S. 60-70); E. G. SELWYN, The Persecutions in I Peter, Studiorum Novi Testamenti Societas Bulletin I

( 1 9 5 0 , repr. 1 9 6 3 ) , S. 3 9 - 5 0 ; L.W.BARNARD, Clement o f R o m e and the Persecution o f Domitian, N T S 1 0 (1963/64) S. 2 5 1 - 2 6 0 ; A . N . SHERWIN-WHITE, R o m a n Society

and Roman Laws in the New Testament, Oxford 1963; GOPPELT, Apostolische Zeit, § 14 und 15; Ν. MCCAUGHEY, Three .Persecution Documents' of the New Testament, AustBiblRev 17 (1969) S. 27-40; S. SANDMEL, The First Christian Century in Judaism and Christianity, Oxford/New York 1969; J. MOLTHAGEN, Der römische Staat und die Christen im 2. u. 3. Jahrhundert (Hypomnemata 28), Göttingen 1970.

§ 4. Die Situation der Gemeinde

57

Perspektive an: Der Brief spricht stereotyp „Leiden" an (2,19£; 3,14.17; 4,1.15.19; 5,10; ferner 4,13; 5,9), was Schädigungen mancherlei Art meint, die durch die Aggressionen der Gesellschaft entstehen. Diese Bedrängnis wird nicht mit dem Terminus der LXX als διωγμός, „Verfolgung", bzw. διώκειν, „verfolgen", gekennzeichnet, der auch im NT mehrfach gebraucht wird; dies geschieht nicht einmal, wenn in 3,14 die Seligpreisung der „Verfolgten" aufgenommen wird". Ebensowenig wird der apokalyptische Begriff für die endzeitliche Bedrängnis der Gottesgemeinde, θλΐψις, „Trübsal", aufgenommen100. Auch der Schlußteil des Briefes, der unmittelbar auf gegenwärtige Schwierigkeiten eingeht, verweist nur auf παθήματα, „Leiden" (4,13; 5,9), und auf πάσχειν, „leiden" (4,15.19; 5,10), und nennt als Äußerungen der Gegner weiterhin lediglich das όνειδίζειν, „schmähen" (4,13). Dabei klingt das Reden des Schlußteils vom „Leiden" mit dem Hinweis auf die άγαθοποιΐα, das „Rechtverhalten" (4,19), aus, welches das Leitwort des zweiten Teils ist, während dieser umgekehrt vom „Rechtverhalten" her die Notwendigkeit des „Leidens" aufzeigt. Im Schlußsatz 5,10 wird das Leiden wie im Eingang (1,6 f.) nur in Parenthese erwähnt. Die terminologische Struktur ist demnach im ganzen Brief gleichartig. Was ist dieser einheitlich angewendeten Terminologie über die kerygmatische Perspektive zu entnehmen? Der Brief sieht die Situation der Christen nicht von ihrer Umwelt her als „Verfolgung", sondern von Christus her als „Nachfolge". In 2,21-23 schildert er Jesu Weg mit denselben Begriffen: „Auch Christus hat gelitten. . ., der nicht wieder schmähte, als er geschmäht wurde, der nicht drohte, als er litt". Weil die geschichtliche Situation schon terminologisch in diese christologische Perspektive einbezogen ist, werden die konkreten Vorgänge nur im Zusammenhang dieser Deutung wahrnehmbar. Sie ebnet die historischen Einzelheiten ein und läßt die Grundzüge der Nachfolgesituation hervortreten. Eben dadurch aber wird dann auch der eigentliche Charakter der Pressionen und ihre Motivierung deutlicher sichtbar als durch ein chronistisches Berichten. 2. Die Gestalt der Bedrängnis Der Terminus πάσχειν, „leiden", bezeichnet, da er im Blick auf Jesu Weg gewählt ist, Schädigungen seitens der Gesellschaft und ihrer Vertreter bis hin zur Tötung101. Über die Gestalt, in der den Christen eine Einengung der Lebensmöglichkeit, die bis zu ihrer Auslöschung führen kann, widerfährt, wird im wesentlichen zweierlei gesagt: 99 100

101

A. OEPKE, Art. διώκω, ThWNT II, S. 232f. H. SCHLIER, Art. θλίβω, θλϊψις, ThWNT III, Siehe u. S. 317f.

S.

141-148.

58

Einleitung

a) Die Christen werden durch verleumderische Anschuldigungen gesellschaftlich diskriminiert. 2,12: „Wenn sie euch als Übeltäter verleumden . . 3,16: „ . . . damit, worin ihr verleumdet werdet, die beschämt werden, die euren guten Wandel in Christus schmähen"; 4,4: „Sie sind b e f r e m d e t . . . und lästern"; 4,14: „Wenn ihr im Namen Christi geschmäht werdet...". Diese verbale Aggression gegen die Christen geht von ihren Mitbürgern, auch und gerade von Verwandten, Kollegen und Bekannten aus. Sie bedeutet mehr als persönliche Beleidigung: Durch sie wird den Christen die bürgerliche Ehre, von der die Existenzmöglichkeit in der Gesellschaft noch mehr abhing als heute, genommen und den Behörden ein Einschreiten gegen sie nahegelegt. b) Aus der Verdächtigung der Christen als „Übeltäter" folgt die Anklage vor Gericht, was einer zugespitzten Mahnung im Schlußteil zu entnehmen ist: „Keiner von euch leide als Mörder oder Dieb oder als Übeltäter oder als einer, der sich in fremde Angelegenheiten einmischt; wenn er aber als Christ (ώς Χριστιανός) leidet, . . ." (4,15 f.). „Mörder oder Diebe" „leiden", weil sie von der Polizei den Gerichten ausgeliefert und dort verurteilt werden, gewöhnlich zum Tode. Die Mahnung setzt also voraus, daß Christen wegen verleumderischer Anschuldigungen unter Umständen vor Gericht gebracht und dort, auch wenn sich die Anschuldigungen als haltlos erweisen, allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur christlichen Religion verurteilt werden können. Nach dem gesamten Kontext werden diese Vorführungen vor Gericht nicht durch eine von den Behörden ausgehende Polizeiaktion veranlaßt, sondern durch die verbale Aggression der Bevölkerung, die im Schlußteil des Briefes (4,14) ebenso wie vorher (2,12; 3,16; 4,4) als Bedrängnis erwähnt wird. Werden die Christen als „Übeltäter" „verleumdet", dann müssen sich, wenn diese Anschuldigungen vor die Behörden gebracht werden, die Gerichte mit ihnen befassen. Wo immer die Behörden und die Gerichte bereitwillig auf diese Anschuldigungen eingehen, werden sich die Anzeigen mehren und wird sich die Situation verschärfen. Das Geschick der Christen hängt jedoch offensichtlich nicht mehr allein von solchen personell und örtlich bedingten aktuellen Vorgängen ab; bei den Behörden gilt das Christentum als solches bereits als kriminell, aber es wird von ihnen noch nicht planmäßig verfolgt. Was veranlaßte diese generelle gesellschaftliche und behördliche Diffamierung der Christen? Was besagten die Anschuldigungen? 3. Die Motive der Aggression

Für die aggressive Haltung der Umwelt nennt der Brief selbst ein Motiv, wenn er den Lesern erklärt: „Es ist genug, daß ihr in der vergangenen Zeit den Willen der Heiden ausgeführt h a b t , . . . darüber sind sie befremdet, daß

§ 4. Die Situation der Gemeinde

59

ihr nicht mehr in dieselbe Flut der Heillosigkeit mitlauft, und lästern" (4,3f.). Dieses Motiv ist nicht untergeschoben, es entspricht den Aussagen hellenistischer Kritiker, ja es ist der entscheidende Grund des Konflikts. Denn ein wesentliches Lebensprinzip der hellenistischen Gesellschaft war die konformistische Toleranz, das gegenseitige Sichannehmen auch und gerade auf religiös-sittlichem Gebiet. Das Judentum hatte sich in der Makkabäerzeit in bitteren Auseinandersetzungen mit hellenistischen Herrschern gegen dieses Prinzip für die Absolutheit seiner Religion entschieden. Daher urteilt der hellenistische Mensch über die Juden, wie Philostratus treffend formuliert: „ . . . die unser Leben nicht teilen und mit anderen Menschen keine Gemeinschaft des Tisches, der Trankopfer, Gebete und Rauchopfer pflegen, sind uns ferner als Susa und Baktra und die noch ferneren Inder" 102 . Dieser Nonkonformismus wurde den Juden als völkische, von den Vätern überkommene Eigenart gemeinhin, wenn auch mit Widerwillen, zugestanden. Er mußte jedoch, wenn man ihm nun bei den eigenen Mitbürgern, Bekannten und Verwandten begegnete, Empörung hervorrufen, die sich in gehässigem Mißverstehen und Mißdeuten christlicher Aussagen und Lebensweise äußerte 103 . Die einem hellenistischen Menschen völlig unverständliche christliche Enderwartung, die der nichtchristlichen „Welt" Untergang und Gericht ankündigte, mußte zusammen mit dem kritischen Sichabsondern von den üblichen Lebensformen den Eindruck hervorrufen, den die römischen Historiker als das zuverlässige Ergebnis der Verhöre durch die Behörden wiedergeben: Den Christen könnten zwar nicht die kriminellen Vergehen, deren sie vom Volk und unter Ausnützung dieser Volksmeinung von Nero verdächtigt wurden, nachgewiesen werden, wohl aber „Haß gegen das Menschengeschlecht" 104 ; das Christentum sei „ein neuer und böser Aberglaube" 105 . Der Statthalter Plinius faßt das Ergebnis seiner eigenen Ermittlungen in dem Urteil zusammen: „ein maßlos verkehrter Aberglaube" und ein „hartnäckiges" Festhalten an ihm, das schon als solches strafwürdig sei106. 102

Vita Apollonii V 33. Typisch ist die Polemik, die der Philosoph Celsus um 160 gegen das Christentum richtet: Wie das Judentum aus einer Empörung minderwertiger Menschen gegen das Gemeinwesen in Ägypten entstanden sei, so das Christentum aus einem Aufruhr gegen das jüdische (Orig, Cels. 3,5 ff.). Die Gesetze und Sitten der Juden seien bei aller Absonderlichkeit immer noch die überkommenen Bräuche dieses Volkes und als solche zu achten (5,25.34); verwerflich sei nur der absurde Absolutheitsanspruch (5,41). Das Christentum aber lehre Abfall von aller überkommenen Religion; es sei Empörung gegen die Weltordnung (5,33ff.41; 8,14). 104 Vgl. Anm. 112. 106 Sueton, Nero 16. 106 Plinius, Ep. X 96,3 wirft ihnen „pertinaciam certe et inflexibilem obstinationem" und „superstitionem pravam, immodicam" vor. Nach J. KNOX, Pliny and I Peter, JBL 72 (1953) S. 187-189, will 1 Petr3,15 solche Vorwürfe verhindern; das ist nicht anzunehmen. 103

60

Einleitung

Diese Berichte setzen voraus, daß das Volk die Christen tatsächlich krimineller Vergehen verdächtigte. Anlaß dazu bot die Absonderung von den üblichen Formen der Geselligkeit und das häufige Zusammenkommen zu geschlossenen Versammlungen, insbesondere die sakralen Mahlfeiern, bei denen man sich mit dem „Kuß der Liebe" grüßte (1 Petr 5,14) und „Leib und Blut" empfing (1 Kor 10,16). Zudem mag es in der christlichen Bewegung selbst aus mancherlei Motiven zu Grenzüberschreitungen gekommen sein: Der 1 Petr meint wohl nicht nur sublime Verfehlungen, wenn er mahnt, daß man „die Freiheit", die das Evangelium bringt, nicht als „Deckmantel der Schlechtigkeit" mißbrauchen solle (2,16) und daß keiner als „Übeltäter oder als einer, der sich in fremde Angelegenheiten mischt", vor Gericht kommen dürfe (4, 15) oder daß die kirchlichen Ämter nicht zu mißbrauchen seien, um andere auszunützen (5,2£). Die Abneigung und die Verdächtigungen wurden zusätzlich motiviert und artikuliert durch alles, was bereits an Ressentiments gegen die nach Westen vordringenden vorderorientalischen Privatreligionen vorhanden war, sowie durch kommerzielle Schädigungen, die durch die Ablehnung von Kultus und Magie eintraten (Act 16,19-23; 19,23-40); schließlich auch durch die Polemik des Judentums, das sich aus inneren und äußeren Gründen gegen dieses unechte Kind wehrte107. All diese Motive sind jedoch gegenüber dem im 1 Petr genannten sekundär; der entscheidende Anstoß ist das grundsätzliche Anderssein der Christen! 4. Geschichtliche Einordnung der Konfliktsituation Wo hat die Situation, die der 1 Petr voraussetzt, ihren Platz in der Entwicklung des Konflikts zwischen dem Christentum und der hellenistischrömischen Welt? a) Die Situation ist nach dem 1 Petr grundlegend anders als zur Zeit des Paulus, vor allem der Zeit seiner „Missionsreisen" und der damit verbundenen Briefe. Bereits zu jener Zeit widerfuhren zwar nicht nur den Missionaren, sondern auch den Gemeinden (1 Thess 2,14) Anfeindungen durch die Umwelt, die von Verleumdungen ausgingen und zum Eingreifen der Behörden führten (Act 13,50; 14,19; 16,19f.; 17,5-9.13; 18,12f.; 19,23 f.). Aber die Lage unterschied sich durch zweierlei entscheidend von der im 1 Petr vorausgesetzten: Einmal waren in der paulinischen Zeit die Angriffe aktuelle lokale Vorgänge, so daß ζ. B. in den eingehenden Aussagen der beiden Korintherbriefe aus der Stadt Korinth keine solchen Schwierigkeiten erwähnt werden. Nach dem 1 Petr aber ist die Anfeindung für die Christen im ganzen Imperium zu einem Dauerzustand ge107 2 Kor 11,24f.; 1 Thess 2,14ff.; Act passim; A p k 2 , 9 ; 3,9; MartPoll2,2; 1 3 , 1 ; 17,2; Justin, Dial. 131,2.

§ 4. Die Situation der Gemeinde

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worden (5,9). Dem entspricht der andere Unterschied: Damals verfuhren die Behörden aufgrund konkreter Vorfälle und Anklagen, jetzt sind die Christen für sie auch unabhängig von besonderen Anschuldigungen allein schon aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dieser Religion strafwürdig (4,16). b) Wann hat sich die Lage in dieser Weise gegenüber der pauünischen Zeit verändert? M. a. W.: Seit wann sind die Christen im ganzen Imperium gesellschaftlich diskriminiert und für die Behörden schon als solche strafwürdig? Im Jahre 112/113 fragte Plinius d. J. als Statthalter der in der Zuschrift unseres Briefes genannten Provinz (Pontus-)Bithynien bei Trajan an, ob die Zugehörigkeit zum Christentum als solche oder erst damit verbundene Vergehen strafbar seien108. Trajan entschied für ersteres, fügte jedoch hinzu, daß die Christen nicht aufzuspüren, sondern nur bei Anzeige zu belangen seien und bei Widerruf frei ausgehen sollten. Als Plinius den Briefwechsel veröffentlichte, wurde dieses Reskript Trajans allgemein bekannt und bis auf Decius 249/250 Rechtsnorm109. Setzt 1 Petr 4,15f. das Reskript Trajans voraus? Dies nimmt beispielsweise B E A R E an und verbindet damit die Hypothese, das harte Durchgreifen des Plinius habe die Situation ausgelöst, die der Trostbrief (nicht die „Taufansprache" in 1,3-4,11) anspreche. Deshalb beginne und schließe die Zuschrift mit der Doppelprovinz Pontus-Bithynien110. Der Brief setzt jedoch sichtlich nicht das Kriterium für das Verfahren voraus, das Plinius anwendet, nämlich das Opfer für den Kaiser. Daher wird diese Hypothese meist abgelehnt111. Die Gefahr, daß bereits das nomen ipsum Anlaß zu einer Verurteilung sein konnte, bestand nicht erst nach der Entscheidung Trajans. Die Anfrage des Plinius selbst setzt voraus, daß gegen die Christen vielfach Anschuldigungen erhoben wurden und daß die Behörden bereits die Zugehörigkeit allein als strafwürdig ansehen konnten. Seit wann bestand diese Möglichkeit? Die Polizeiaktion Neros gegen die Christen in Rom war das erste uns bekannte staatliche Vorgehen, das sich gegen die Christen als Christen richtete. Sie ging zugleich davon aus, daß die Christen beim Volk in üblem Ruf standen112. Diese „Verfolgung" war zwar zunächst noch ein Plinius, Ερ. X 96,2. GOPPELT, Apostolische Zeit § 15,1 c. Vgl. A. WLOSOK, Die Rechtsgrundlagen der Christenverfolgungen der ersten zwei Jahrhunderte, in: R . K L E I N (Hrsg.), Das frühe Christentum im römischen Staat ( W d F 2 6 7 ) , Darmstadt 1971, S. 275-301; J . M O R E A U , Die Christenverfolgungen im römischen Reich, Berlin 8 1971, S. 61 ff. 108

109

110

BEARE S . 3 2 - 3 5 .

So mit weiteren Gegenargumenten auch S E L W Y N S . 4 6 ; SPICQ S . 19f.; K E L L Y 28 f. 1 1 2 Wie Tacitus, Ann. 15,44,2.4 u m 116/117 rückblickend wohl im ganzen zuverlässig berichtet, bezichtigte Nero nach dem Brand R o m s im Jahre 64, u m den Verdacht des Volkes von sich abzulenken, „die durch ihre Verbrechen berüchtigten Menschen, die das Volk Christen nennt" (s. ζ. 1 Petr 4,16), der Brandstiftung und ließ sie in einer 111

S.

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Einleitung

zeitlich-örtlich begrenzter und persönlich bedingter Vorgang. Er dokumentiert jedoch, daß das Christentum sich jetzt in den Augen der Öffentlichkeit als selbständige Religion vom Judentum abhob. Die Anhänger wurden jetzt „Christen" genannt, und ihr Ruf war beim Volk so ungünstig, daß die Behörden gegen sie aufgrund der bloßen Zugehörigkeit vorgehen konnten. Hatte eine kaiserliche Maßnahme in der Hauptstadt die Christen als Christen in dieser Weise betroffen, dann war der Name für alle Behörden des Imperiums entsprechend gekennzeichnet. Demnach war die Situation, die der 1 Petr voraussetzt, seit der Aktion Neros grundsätzlich im ganzen Imperium möglich, schwerlich aber vorher 113 . Haben wir Anzeichen, wann sie akut wurde? Wir müssen uns zunächst von der sich im 2. Jh. entwickelnden Geschichtsbetrachtung freimachen, nach der auf eine erste Verfolgung unter Nero eine zweite unter Domitian folgte 114 . Diese Theorie, die sich aus der Sicht späterer Verfolgungen verfestigte, verkennt die Situation. Domitian hat ebensowenig wie Nero die christliche Religion als solche planmäßig unterdrückt. Beide treffen die Christen vielmehr durch persönlich bedingte, sehr unterschiedliche Einzelmaßnahmen. Unter Domitian wurden die Christen von Entscheidungen mitbetroffen, die er vor allem in den letzten Jahren seiner Regierung gegen alle richtete, die seinen sich immer mehr steigernden Anspruch auf göttliche Würde nicht ernst nahmen. Nach den spärlichen Nachrichten ergaben sich vor allem in zwei Gebieten Schwierigkeiten für die Christen. Es waren dies Teile des Römischen Reiches, in denen einerseits der Anspruch des Kaisers besonders nachdrücklich geltend gemacht wurde, andererseits aber auch das Christentum sich besonders intensiv ausgebreitet hatte, nämlich Rom und das westliche Kleinasien. Nach Dio Cassius ließ der Kaiser in Rom seinen Vetter, den Konsul Flavius Clemens, „wegen Atheismus" hinrichten, dessen Gattin Flavia Domitilla verbannen und viele andere zum Tod oder zur Konfiszierung der Güter verurteilen, weil sie sich „zu jüdischen Bräuchen verirrt" hatten115. Die Betroffenen waren, wie bereits Euseb annimmt116, in Wirklichkeit Christen. Polizeiaktion aufgreifen, verhören und in öffentlichen Spielen zu Tode quälen. Bei diesen Verhören konnten den Christen zwar weder Brandstiftung noch die ihnen sonst angelasteten „Schandtaten" (flagitia), wohl aber „Haß gegen das Menschengeschlecht" (odium generis humani) nachgewiesen werden. 118 Letzteres muß gegen die Annahme gesagt werden, die Situation und damit die Entstehung des Briefes sei auch bereits dicht vor der Neronischen „Verfolgung" denk-

bar, die Selwyn, Persecution S. 48, Spicq S. 19 und Schelkle S. 10 vertreten. Für diese Datierung kann nicht geltend gemacht werden, daß die positive Stellung zum Staat in 1 Petr2,14ff. nach der Erfahrung mit Nero nicht mehr zu erwarten sei; denn diese wird auch im 1 Clem (60,4-61,2) und weiterhin durchgehalten (S. 43). 111 Diese Theorie entwickelte Melito aus der apologetischen These, daß nur schlechte Kaiser das Christentum verfolgten: „Allein von allen Kaisern haben Nero und Domitian, durch schlechte Personen schlecht informiert, unseren Glauben auszurotten versucht" (Euseb, Hist. Eccl. IV 26,9). Vgl. Anm. 120. 118 Dio Cassius 67,14,1 f. 116 Euseb, Hist. Eccl. III 17-20.

§ 4. Die Situation der Gemeinde

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Eine Verschärfung der Situation im westlichen Kleinasien ist aus folgenden Anzeichen zu erschließen: Plinius weiß von Christen, die „vor 20 Jahren", also in den Tagen Domitians, wohl unter behördlichem Druck, ihren Glauben aufgegeben hatten117. In Ephesus wurde ein Domitian-Tempel mit einer Kolossalstatue des Kaisers, die nach seinem Tod beseitigt worden war, vor einigen Jahrzehnten wieder freigelegt118. Wahrscheinlich gab diese Situation des Herrscherkultes, wie mah schon in der alten Kirche annahm119, Anlaß zur Abfassung der Offenbarung, deren Skopus es ist, vor der Anbetung des endzeitlichen Weltherrschers zu warnen (Apk 13). So waren die Vorgänge unter Domitian eine besondere Verschärfung der Gefährdung, in der die Christen seit Ausgang der paulinischen Zeit ständig lebten 120 . Allerdings fehlt jeder Hinweis auf das Kriterium, an dem sich nun das Christsein für die Johannesoffenbarung wie für die Behörden entschied, nämlich die Stellung zum Kaiserkult. Gehört der 1 Petr in die Zeit Domitians ? Das wird vielfach angenommen 121 . Gewiß ist Rom für den 1 Petr auch schon „Babylon" (5,13), aber dies war es nach Apk 17, 5f. durch die neronische Verfolgung geworden! Die besondere Zuspitzung der Situation durch die göttliche Verehrung des Kaisers aber, die unter Domitian vor allem in Kleinasien eintrat, liegt eindeutig noch außerhalb des Gesichtskreises des 1 Petr. Der Brief setzt demnach eine Situation voraus, wie sie grundsätzlich zwischen 65 und 90 ständig gegeben war. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß er eher der ersten als der zweiten Hälfte dieses Zeitabschnitts zugehört. Für seine Leser ist die mit der Neronischen Verfolgung einsetzende Situation noch befremdlich und wohl auch unerwartet (4,12), während sie für die Empfänger des Hebr schon geläufig ist (Hebr 10,32-39; 12,4). Die Begründung der Bedrängnis durch die Zugehörigkeit zu dem „Namen" ist terminologisch in den Verfolgungslogien bei Lukas im Grunde schon weiter entwickelt als im 1 Petr 122 . Daher ist die Ent117

Plinius, Ερ. X 96,6. Vgl. B. REICKE, Neutestamentliche Zeitgeschichte, Berlin 1965, S. 208f. 118 Euseb, Hist.Eccl. III 20,9. 120 GOPPELT, Apostolische Zeit § 15,1; im gleichen Sinn stellt L. W. BARNARD, NTS 10 (1963/64) S. 251 ff., das Bild einer „Verfolgung" durch Domitian richtig, das vor allem durch Eusebs Theorie (Hist.Eccl. III 17f.; vgl. III 20) gefestigt worden ist: „er war der zweite, der eine Verfolgung gegen uns erhob, obwohl sein Vater Vespasian nichts Feindliches gegen uns ersonnen hatte". Sonstige Überlieferungen bei J. Β. LIGHTFOOT, The Apostolic Fathers 1/1: S. Clement of Rome, London 3 1890 (Nachdruck Hildesheim/New York 1973), S. 104-115. 121 JÜLICHER-FASCHER, Einleitung S. 196f.; KÜMMEL, Einleitung S. 374F.; s. auch Anm. 123. 122 Vgl. 1 Petr 5,13: όνειδίζεσ&ε έν όνόματι Χρίστου, 5,16: . . . ώς Χριστιανός und Lk 21,12: „Sie werden euch verfolgen, euch an die Synagogen und an die Gefängnisse ausliefern, vor Könige und Statthalter führen ένεκεν τοϋ όνόματός μου" (in Mk 13,9 fehlt „verfolgen" und die Motivierung ist nur sachlich: ένεκεν έμοϋ, in 13,13 par jedoch: μισούμενοι . . . δια τί> βνομά μου); vgl. auch Act 5,41: weil sie gewürdigt worden waren, υπέρ τοϋ όνόματος άτιμασθηναι". 118

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Einleitung

stehung des 1 Petr, datiert man von der in ihm thematisierten Auseinandersetzung zwischen Kirche und Gesellschaft aus, zwischen 65 und 80 anzusetzen 123 . Für diese Zeit sprechen auch die sonstigen Hinweise. § 5. Die Herkunft des Briefes Die bisherigen Ermittlungen über die Situation, die der Brief anspricht, wie über die Traditionszusammenhänge, in denen er steht, erlauben Rückschlüsse auf seinen Platz in der Frühgeschichte der Kirche. Diese Rückschlüsse sollen nun abgerundet und mit den eingangs besprochenen eigenen Angaben des Briefes über seine Herkunft konfrontiert werden, so daß sich ein Bild der Entstehung dieses Schreibens ergibt, das von Hause aus als ganzes, und zwar als Brief konzipiert wurde. 1. Die Entstebungs^eit a) Auf die Diskussion über die Entstehungszeit des Briefes stießen wir vor allem bei der Untersuchung der Konfliktsituation, deren Bewältigung seine unmittelbare Absicht ist. Diese Situation war, wie sich zeigte, für die Christen in Kleinasien wie in Rom zwischen 65 und 80 mehr oder minder intensiv immer gegeben. b) Die Ausbreitung des Christentums über ganz Kleinasien, die in der Zuschrift angenommen wird, ist, wie sich zeigte, frühestens um 65 denkbar; sie war um 80 sicher erreicht. Über diese Zeit der grundlegenden Mission führt der Brief nicht hinaus; nirgends treten in ihm die Probleme der zweiten Generation oder auch nur, wie im Hebr, die Fragen nach der Bewährung auf Dauer hervor. c) Weiter sind den beiden die Ämter der Gemeinde betreffenden Paränesen in 1 Petr 4,10 f. und 5,1-5 zuverlässige Hinweise auf die Entstehungszeit zu entnehmen; denn für den fraglichen Bereich liegen verhältnismäßig dicht aufeinanderfolgende präzise Nachrichten über die Entwicklung der Gemeindeverfassung vor. In den Gemeinden unseres Briefes werden charismatische Dienste, die er als einzige nachpauüsche Schrift noch kennt (4,10f.), von einer Frühform der Presbyterialverfassung (5,1-5) überlagert. Diese Gestaltung der Ämter liegt vor dem Stadium, das in diesen Kirchengebieten in den Tagen Domitians (81-96) erreicht 123 Ebenso W I K E N H A U S E R - S C H M I D , Einleitung S . 602, K E L L Y S . 28-30 und SPICQ S. 18-21, der den Brief jedoch aus anderen Gründen „in der Zeit Neros gegen Ende des Lebens des Apostels, vielleicht im Jahr seines Martyriums" entstanden sein läßt (S. 26). Mit ähnlichen Erwägungen über die Verfolgungssituation plädiert K N O P F S. 23 wegen der weiten Verbreitung des Christentums, die hier vorausgesetzt wird, für 81-90 und W I N D I S C H S . 81 allgemein für die Zeit der Flavier. M. D I B E L I U S , Rom und die Christen S. 189-192, nimmt an, der Brief sei in den 90er Jahren in Erwartung der Verfolgung durch Domitian geschrieben, diese sei jedoch noch nicht ausgebrochen.

§ 5. Die Herkunft des Briefes

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wurde. Bereits um 110 findet Ignatius im westlichen Kleinasien den monarchischen Episkopat vor. Die Pastoralbriefe, die denselben Bereich im Auge haben, kennzeichnen die aktiven Presbyter als Episkopen, so daß diese aus dem Presbyterium hervortreten (1 Tim 3,1; 5,17; Tit 1,5-9). Diese Vorstufe des monarchischen Episkopats war in Kleinasien wahrscheinlich schon zwischen 80 und 90 erreicht. In Rom, wo sich die Entwicklung langsamer vollzog, setzt der 1 Clem um 96 ähnliche Verhältnisse voraus, wie sie den Past zu entnehmen sind (1 Clem 54,2; 57,1). Demgegenüber kommt der 1 Petr der in der Apostelgeschichte vertretenen Amterstruktur nahe, die zwar nicht der dort geschilderten Zeit entspricht, aber zeitlich vor den Verhältnissen liegt, von denen die Past und der 1 Clem ausgehen; so hat 1 Petr 4,10f. seine nächste Entsprechung in Act 6,2-4 und 1 Petr 5,2 a in Act 20,28. Da die Auffassung unseres Briefes gegenüber Act eher früher als später ist, ergibt sich als obere Grenze 80/85 und als untere der Ausgang der paulinischen Zeit. Demnach legen drei Kriterien unabhängig voneinander eine Entstehung des Briefes zwischen 65 und 80 nahe. Diese zeitliche Einordnung hilft, die Fragen nach Entstehungsort und Verfasser zu klären, und wird ihrerseits durch diese weiteren Erwägungen bestätigt.

2. Der Entstehungsort Versuche, den Entstehungsort des Briefes durch Rückschlüsse zu ermitteln, führten verschiedentlich zu der Vermutung, er sei im Osten entstanden. Denn dort werde er am frühesten erwähnt, nämlich von Papias und Polykarp 124 . Dort sei auch der Name „Christen", der nach 1 Petr 4,12 Grund zu gerichtlichen Verurteilungen geworden war, zuerst verwendet worden, um die Anhänger Jesu zu kennzeichnen (Act 11,26). So könne der Brief im syrischen Antiochien 126 oder in Kleinasien, wo man die angesprochenen Verhältnisse am besten kannte 126 , niedergeschrieben worden sein. Gegen diese Vermutungen spricht entscheidend, daß die Probleme, mit denen sich so ziemlich alle frühchristlichen Schriften aus dem kleinasiatisch-syrischen Raum befassen, die Pastoralbriefe ebenso wie die Sendschreiben der Johannesoffenbarung und die Briefe des Ignatius, nämlich die Auseinandersetzung mit den Juden und mit der Gnosis, in unserem Brief keine Rolle spielen. Er entspricht schon darin den Dokumenten jener Zeit aus der westlichen Kirche 127 . Die frühe Bezeugung des 124

PolPhil 1,3; 8,1; 10,2; Papias bei Euseb, Hist. Eccl. ΠΙ 39,17. Μ. E. BOISMARD, Art. Pierre (Premiire dpitre de), Dictionnaire de la Bible, Suppl. VH, Paris 1966, Sp. 1415-1455, dort bes. Sp. 1448-1453. 126

12

« BEARE S. 5 0 . GOPPELT, Christentum

127

und Judentum S. 224f.;

DERS.,

Apostolische Zeit § 17.

66

Einleitung

Briefes in Kleinasien bestätigt nur seine Adresse, deren historische Relevanz ohnehin niemand bestreitet. Auf seinen Entstehungsort aber weist die Beobachtung, daß seine Sprechweise drei frühchristlichen Schriften sehr nahesteht, die für die westliche Kirche typisch sind, nämlich dem Ersten Clemensbrief, der die römische Gemeindetradition repräsentiert, dem Hebräerbrief, der jedenfalls in Italien geschrieben wurde (Hebr 13,24), und den lukanischen Schriften, die sehr wahrscheinlich von dem Kirchengebiet ausgingen, in das die sie durchziehende Grundlinie führt. So legen die indirekten Schlüsse den Entstehungsort nahe, den der Brief selbst nach 5,13 beansprucht: „Babylon", d. h. Rom. Der Name „Babylon" soll jedenfalls im Briefschluß nicht lediglich den Verfassernamen unterstreichen, weil man einen Aufenthalt des Petrus in Rom kannte, sondern den Skopus des Briefes, die Situation der Christen in der Gesellschaft, beleuchten und wohl auch den Hintergrund, von dem er herkommt, andeuten 128 . Hinter dem Brief steht die Gemeinde der Welthauptstadt, die für die ganze Kirche durch das Vorgehen Neros die erste Märtyrergemeinde und durch das Martyrium der beiden wichtigsten Apostel Vertreterin ihres Vermächtnisses geworden war. Der Brief eröffnet allen Anzeichen nach die Reihe der von der römischen Gemeinde ausgehenden ökumenischen Schreiben nach dem Osten 129 . 3. Die Verfasserfrage Kann der Brief, wie er beansprucht (1,1; 5,12), speziell von Petrus durch Vermittlung des Silvanus verfaßt sein? a) Gegen eine direkte Herkunft von Petrus wurde schon seit längerem eine Reihe von Bedenken vorgebracht. Sie beruhen zum Teil auf unzutreffenden Erwartungen, die man mit diesem Namen verband, im ganzen aber sind sie überzeugend. (1) Nicht wenige meinten, von einem persönlichen Jünger Jesu wie Petrus müsse man erwarten, daß er das Bild seines Meisters wie dessen Worte aufgrund persönlicher Erinnerung zur Geltung bringe 180 , — der Brief aber beschreibt die Passion Jesu in der Sprache der Weissagung (2,22 f.) und nimmt seine Worte aus der kirchlichen Tradition auf. — Diese Erwartung wird bezeichnenderweise von dem zweifellos Pseudonymen 2 Petr erfüllt: Er verweist in 1,16-18 betont auf ein persönliches 128

Siehe zu 1 Petr 5,13. Die römische Herkunft vertreten nach vielen anderen zuletzt KÜMMEL, Einleitung S. 374f. (als Möglichkeit) und KELLY S. 33. 130 JÜLICHER-FASCHER, Einleitung S. 1 9 6 : Nur der könne den Brief Petrus zuschreiben, „der in Jesus nicht die gewaltige Persönlichkeit sieht, die lebenslänglich beherrschte, wen sie einmal in ihren Bann gezogen" hat (ebenso JÜLICHER, Einleitung, 5 · · 1 9 0 6 , S. 1 8 1 ) ; diesen Satz machte sich K N O P F S. 1 6 zu eigen. 129

§ 5. Die Herkunft des Briefes

67

Erlebnis mit Jesus und gedenkt in 3,15, wie man außerdem von Petrus erwartet, ausdrücklich auch des „lieben Bruders Paulus". Die wirklichen Zeugen aber traten von Anfang an persönlich hinter der sich aus ihren Berichten ergebenden Jesusüberlieferung zurück, und diese stellte Jesu Weg nicht „erlebnisecht", sondern verstehend im Lichte der Schrift dar. Demgemäß läßt auch Lukas Petrus in der Apostelgeschichte nicht auf seine Jesuserinnerung zurückgreifen, und der Erste Johannesbrief beruft sich nicht auf den Jesus des 4. Evangeliums. Demnach würde der Umgang mit der Jesusüberlieferung eher für als gegen Petrus als Verf. sprechen. Auffallend aber bleibt, daß der Verf. seine Funktion als Apostel gegenüber den Gemeinden weit weniger als Paulus zur Geltung bringt. Dies erklärt sich, wie deutlich wurde, aus dem Charakter des Briefes: Er will generalisierend Tradition anwenden — er ist anscheinend nicht unmittelbar Wort eines Apostels. (2) Weiterhin wurde vielfach gegen die Herkunft des Briefes von Petrus eingewendet, er verrate „durchweg eine starke Anlehnung an Paulus", Benützung seiner Briefe und „Abhängigkeit von pauünischer Theologie" 131. Die traditionsgeschichtliche Analyse hat jedoch ergeben, daß der Brief aus einer eigenständigen Tradition palästinischen Ursprungs stammt, die von Paulus zwar beeinflußt, aber nicht bestimmt ist. Der Ursprung dieser Tradition könnte für Petrus als Urheber sprechen; kaum denkbar aber ist es, daß Petrus die Weiterbildung dieser Tradition bis zum vorliegenden Stadium vollzogen hat, da sie weitgehend von der Denkweise der hellenistischen Kirche geprägt ist. (3) Dies gilt vor allem, wenn man auf die vorliegende sprachliche Ausformung achtet. Es ist undenkbar, daß Petrus als Fischer aus Galiläa die griechische Sprache in dem Maß beherrschte, wie dies nach der vorangegangenen stilistischen Analyse beim Verf. des Briefes der Fall war. Ebensowenig wäre von ihm zu erwarten, daß die zahlreichen Anlehnungen an das AT gleichsam von selbst der LXX folgen. (4) Schließlich paßt die Person des Petrus nicht in die angesprochene Situation der Gemeinden. Es ist bereits schwer vorstellbar, daß Petrus in der Missionssituation an Gemeinden schreibt, deren Entstehung nicht von ihm, sondern entscheidend von Paulus ausging, und dabei überdies dieser Initiative nicht gedenkt. Vollends aber weisen die Ausbreitung, die Verfassung und die Bedrängnis der Gemeinden in eine Zeit, die nach der Neronischen Verfolgung liegt, in der Petrus aller Wahrscheinlichkeit nach den Tod erlitten hat. So kann der Brief allen Anzeichen nach nicht direkt von Petrus stammen. b) Der Brief will ja auch selbst von Silvanus, allerdings im Auftrag des Petrus, geschrieben sein (5,12). Auf Silvanus trifft keines der gegen Petrus 131

KNOPF S. 1 7 ; e b e n s o BEARE S. 4 4 F . ; KÜMMEL, E i n l e i t u n g S. 3 7 3 .

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Einleitung

genannten Bedenken zu. Er würde im Gegenteil allem, was dem Brief über den Verf. zu entnehmen ist, optimal entsprechen 132 . Er ist den Weg gegangen, den die hinter dem Brief stehende Tradition durchlaufen hat: Er war von der Kirche des Petrus in Palästina ausgegangen, vorübergehend Mitarbeiter des Paulus und so ein Lehrer der hellenistischen Kirche geworden. Von Hause aus war er Diasporajude, so daß die sprachlichen Voraussetzungen bei ihm gegeben waren. Als Mitarbeiter des Paulus bei der Mission in Kleinasien hatte er auch den persönlichen Kontakt mit dem Kern der im Brief angesprochenen Gemeinden. Daher wird vielfach mit gutem Recht angenommen, daß er den Brief tatsächlich konzipiert habe13S. Diese Schlußfolgerung ist nicht eine „Sekretärshypothese", die von fehlgehender Apologetik erdacht wurde; sie wird vielmehr durch die Einzelangaben wie die inhaltliche Prägung des Briefes an die Hand gegeben 184 . c) Und doch ergeben sich auch gegen eine Konzeption des Briefes durch Silvanus Bedenken, die es nahelegen, noch eine andere Möglichkeit zu erwägen und die Entscheidung offen zu halten. (1) Die Bedenken sind zunächst personaler Art. Der Brief ist sehr wahrscheinlich erst nach dem Tod des Petrus, möglicherweise erst 10-15 Jahre später niedergeschrieben. So müßte man annehmen, Silvanus habe einen Auftrag des Petrus erst nach dessen Ende wahrgenommen 186 oder er habe die Autorität des ihm vertrauten Apostels für ein Schreiben, das die von Petrus geprägte Tradition aufnimmt, geliehen186. Aber hätte er nicht in eigener Verantwortung schreiben können? Konnte „der, wie ich denke, zuverlässige Bruder" (5,12) sich nicht selbst empfehlen? Ist es denkbar, daß er als Mitarbeiter des Paulus in einem Brief nach Kleinasien ausschließlich Petrus herausstellte und, anders als es seit dem 1 Clem durchweg üblich war 137 , Paulus ganz überging? 182

Siehe zu 1 Pete 5,12. Hieronymus erklärte, ohne Silvanus zu erwähnen, die Verschiedenheit der beiden Petrusbriefe dadurch, daß sich Petrus verschiedener interpretes bediente (Epist. 120,11); in der Neuzeit Z A H N , Einleitung I I , S. lOf. (vgl. die dort S. 17 und unten in Anm. 136 genannten Exegeten); RADERMACHER, ZNW25 (1926) S. 293; zuletzt: SELWTN S. 9-17. 27-32; W. C . VAN U N N I K , The Teaching of Good Works in I Peter, NTS 1 (1954) S. 92ff.; SPICQ S. 25 (dort weitere Vertreter); KELLY S . 32 nimmt die Hypothese mit ähnlicher Einschränkung auf wie wir. Der Versuch von SELWYN, die Hand des Silvanus sowohl im 1 Petr wie im 1 Thess aufzuweisen (vgl. Anm. 80), geht fehl; denn der 1 Thess ist genuin paulinisch stilisiert. Das weist B. RIGAUX, Saint Paul: Les fipitres auxThessaloniciens, Paris 1956, S. 105-111, auf. 184 Dies wie der philologische Sinn der Aussage in 1 Petr 5,12 wird von der Polemik verkannt, die B E A R E S. 4 7 f . 4 1 2 - 4 1 6 und KÜMMEL, Einleitung S. 373f., gegen diese Möglichkeit richten. 185 Er würde dann eine ähnliche Stellung einnehmen wie Markus bei der Abfassung seines Evangeliums nach dem legendarischen Bericht des Papias. 186 Z . B . USTERI S. 345-347: Bald nach dem Tod des Petrus; BORNEMANN, ZNW 19 (1919/20) S. 160: Ansprache des Silvanus bei einer Tauffeier zwischen 80 und 90. 187 1 Clem 47,Iff.; IgnEphl2,2; IgnRöm4,3; PolPhil3,2; 9,1; 2 Petr 3,15. 133

§ 5. Die Herkunft des Briefes

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(2) Mit diesen personalen Bedenken verbinden sich traditionsgeschichtliche: Die Synthese von Traditionen, die im Brief vorliegt, ist nicht individuell durch einen Theologen vollzogen worden, sondern durch die kirchliche Entwicklung. Dies schließt allerdings nicht aus, daß sie durch Lehrer wie Silvanus vertreten wurde. d) Diese Erwägungen führen zu folgenden Schlüssen: Die Namen Petrus und Silvanus sind, mißt man sie an der traditionsgeschichtlichen Struktur des Briefes, aller Wahrscheinlichkeit nach kein Postulat pseudonymer Schriftstellerei, das lediglich eine formale Autorität vorweisen wollte 138 . Der Brief wendet auf alle Fälle Tradition an, für die diese beiden Namen als Sigel stehen können. Möglicherweise hat man in Rom gewußt, daß diese Tradition maßgeblich durch diese beiden Lehrer geprägt war, und sie deshalb unter ihrem Namen weitergegeben. Ihre Nennung könnte ähnlichen Charakter haben wie die Schlußbemerkung in Joh 21,24. Der Brief verdankt sich jedenfalls der charakterisierten Tradition und nicht den Einfallen eines Unbekannten der zweiten Generation, selbst wenn er von einem solchen niedergeschrieben sein sollte139. Die sachliche Relevanz einer frühchristlichen Schrift, d. h. ihr „apostolischer" oder „kanonischer" Charakter, hängt nicht an der Person des Verf., sondern daran, ob unmittelbares und echtes Christuszeugnis seiner Intention gemäß verarbeitet wurde 140 . Dieses Kriterium trifft für unseren Brief zu: Sein Zeugnis ist nach den aus der Jesusüberlieferung wie aus dem paulinischen Christuszeugnis zu gewinnenden Kriterien sachlich „echt". Er vertritt die ausschließliche Gegenwart des eschatologischen Heils in Christus141. Dieses Heil ist für ihn so gegenwärtig, daß er das Schon und Noch-Nicht in der Dialektik von Glauben und Schauen umschreibt und es durch Anrede in Indikativ und Imperativ vermittelt 142 . Die Botschaft des Briefes ist angewandtes Evangelium, das als heilsvermittelnder Zuspruch und 138 Zum Problem der Pseudepigraphie sei verwiesen auf: W. SPEYER, Die literarische Fälschung im heidnischen und christlichen Altertum (Handb. d. Altertumswiss. 1/2), München 1971; M. HENGEL, Anonymität, Pseudepigraphie und „Literarische Fälschung" in der jüdisch-hellenistischen Literatur, in: Entretiens sur l'antiquitd classique XVIII (Genf 1972) S. 231-329; N. BROX, Falsche Verfasserangaben. Zur Erklärung der frühchristlichen Pseudepigraphie (SBS 79), Stuttgart 1975, und DERS., Zur pseudepigraphischen Rahmung des ersten Petrusbriefes, BZ NF 19 (1975) S. 78-96; ferner N. BROX (Hrsg.), Pseudepigraphie in der heidnischen und jüdisch-christlichen Antike (WdF 484), Darmstadt 1977. 139 Dies ist auf alle Fälle einschränkend zu der These zu sagen, es sei vielleicht ein „römischer Christ" gegen 100 (JÜLICHER-FASCHER, Einleitung S. 196f. 199f.) oder „ein unbekannter Mann der zweiten oder dritten Generation gewesen, der in schwerer Zeit im Namen des Petrus diese Epistel zusammenstellte" (WINDISCH S. 81; ähnlich KÜMMEL, Einleitung S. 374f.) 140 GOPPELT, Apostolische Zeit § 19,5 und § 20,1 f.; DERS., Die Pluralität der Theologien im Neuen Testament und die Einheit des Evangeliums als ökumenisches Problem, in: Evangelium und Einheit (hg. v. V. Vajta), Göttingen 1971, S. 103-125. 141 Siehe zu 1 Petr 1,10-12. 142 Siehe zu 1 Petri,8.13.

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Einleitung

Aufruf Bruderliebe in der Gemeinde und positives Verhalten in der Gesellschaft wirkt; dadurch führt es in die Bedrängnis durch die Vertreter des Bisherigen hinein und läßt diese Bedrängnis durch die Freude über das dennoch anbrechende Heil überwinden143. Die demnach als echt zu kennzeichnende Christusverkündigung des Briefes ist aber nicht aus anderen uns zugänglichen frühchristlichen Dokumenten übernommen, sondern unmittelbar aus der Überlieferung gestaltet, die von den ersten Zeugen ausging. Die beiden Kriterien, nach denen wir den Brief als „kanonisch" bzw. „apostolisch" kennzeichnen können, waren allerdings bei seiner historischen Kanonisierung nur sehr abgewandelt wirksam.

§ 6. Die Kanonisierung 144 Der 1 Petr setzte sich erstaunlich früh als kanonisch durch. Seine kirchliche Geltung war, nach allem, was sich erkennen läßt, bereits im 2. Jh. unbestritten. Darin stellt er innerhalb der katholischen Briefe eine Ausnahme dar — allenfalls vergleichbar mit dem 1 Joh. Das älteste Zeugnis, das diese frühe Wertschätzung des Briefes attestiert und zugleich ihren Grund erkennen läßt, ist der um 110 entstandene 2 Petr. Dieser pseudepigraphische Brief bezeugt nicht nur die Verbreitung des 1 Petr, sondern macht sich dessen Autorität zunutze (3,1) 14B . Und zwar scheint er ihn hinsichtlich seiner Geltung ausdrücklich mit den Paulusbriefen gleichzustellen, die er ebenfalls als allgemein verbreitet voraussetzt (3,15). Dies ist um so bedeutsamer, als der 2 Petr das älteste christliche Dokument ist, das die Paulusbriefe mit dem Terminus γραφαί, „Schriften", belegt (3,16) und ihnen so gleichen Rang mit den Schriften des AT einräumt. Nach 2 Petr 3,1 f. besteht die Funktion der Briefe der Apostel, d. h. der Briefe des Petrus und Paulus, darin, „die von den heiligen Propheten vorher geredeten Worte und das von euren Aposteln (bezeugte) Gebot des Herrn" zu vergegenwärtigen. Ihre Autorität beruht freilich nicht auf inhaltlichen Kriterien, sondern darauf, daß sie eben Briefe von Aposteln sind, und das heißt im Sinne des 2 Petr: daß sie von Augenzeugen der großen Ereignisse der ersten Generation stammen (1,16). Irenäus hält den 1 Petr ebenfalls für eine vom Apostel Petrus verfaßte Schrift und zitiert ihn mehrfach. Allerdings steht er bei ihm deutlich im Siehe zu 1 Petr4,12f. Literatur: TH. ZAHN, Geschichte des Neutestamentlichen Kanons II, Erlangen/ Leipzig 1892; A. HARNACK, Das Neue Testament um das Jahr 200, Freiburg i. B. 1893; E. MASSAUX, Influence de l'fivangile de saint Matthieu sur la littirature chr6tienne avant saint Irdnde (Universitas Catholica Lovaniensis, Dissertationes 11,42), 1950; KÜMMEL, Einleitung S. 420-451; K.-H. OHLIG, Die theologische Begründung des neutestamentlichen Kanons in der alten Kirche, Düsseldorf 1972. 145 BROX, Falsche Verfasserangaben S. 18f. 143 114

§ 6. Die Kanonisierung

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Schatten des Corpus Paulinum und hat im Rahmen des Schriftbeweises gegen die Häretiker kaum Bedeutung 146 . Clemens von Alexandrien legt den Brief im Rahmen seiner Hypotyposen aus147. Tertullian rechnet ihn in seiner Bibel zusammen mit 13 Paulusbriefen, Act, Apk, 1 Joh und Jud zu den apostolicae litterae148. Origenes führt den Brief in seinem Kanon unter den Homologumena auf und ordnet ihn unmittelbar nach den Paulusbriefen und vor dem 1 Joh ein, während er die apostolische Herkunft des 2 Petr in Zweifel zieht149. Zugleich erscheint er bei ihm erstmals unter der Oberbezeichnung „katholische Briefe" 160 . Euseb von Caesarea verfährt ähnlich; nur lautet bei ihm die Reihenfolge: 1 Joh, 1 Petr und „wenn man will" Apk 151 . Zugleich hebt er mit Entschiedenheit den 1 Petr als echt, allgemein anerkannt und unwidersprochen von den übrigen dem Apostel Petrus zugeschriebenen Schriften ab: Petrusakten, Petrusevangelium, Petrus-Kerygma und Petrusapokalypse verwirft er völlig; dem 2 Petr gesteht er zu, daß er vielen als „lehrreich" erscheint, um ihn aber selbst als unecht zu verwerfen. So ist von allen angeblich petrinischen Schriften „nur ein einziger Brief echt und von den alten Kirchenlehrern allgemein anerkannt" 152 . Angesichts solch allgemeiner Anerkennung der apostolischen Verfasserschaft des 1 Petr ist seine Nichterwähnung im Kanon Muratori einigermaßen rätselhaft. Denn dieses Verzeichnis der gegen Ende des 2. Jh.s in Rom anerkannten Schriften macht die Apostolizität zu einem entscheidenden Kriterium 153 . Will man nicht mit dem fragmentarischen Charakter des Kanon Muratori bzw. mit der Möglichkeit einer Textverderbnis argumentieren, so bliebe nur die Annahme, daß zu seiner Entstehungszeit der 1 Petr in Rom noch nicht bekannt gewesen ist und daß er sich dort erst im Laufe des 3. Jh.s vom Osten her durchgesetzt hat. Völlig ausgeschlossen ist das nicht; denn die Schwerpunkte seiner Bezeugung liegen durchweg im Osten bzw. bei den griechischen Vätern. In der syrischen Kirche allerdings fanden die katholischen Briefe erst spät Einue H. v. CAMPENHAUSEN, Die Entstehung der christlichen Bibel (BHTh 3 9 ) , Tübingen 1968, S. 227. 147 Euseb, Hist.Eccl. VI 14; Fragmente in lateinischer Übersetzung in GCS 3, 203-206. 148 H . RÖNSCH, Das Neue Testament Tertullians, Leipzig 1871, S. 572; v. CAMPENHAUSEN, Entstehung S. 319. Zitate: Scorp. 12 (1 Petr2,20f.; 4,12ff.); Orat. 15 (1 Petr 3,3). ' 1 4 8 Euseb, Hist.Eccl. VI 25,7-10. 150 Vgl. Euseb, Hist.Eccl. VI 25,5. Der Ausdruck als solcher ist älter. Er scheint zunächst dem 1 Joh beigelegt worden zu sein; vgl. Euseb, Hist.Eccl. VII 25,7 über Dionysius von Alexandrien. 151 Hist.Eccl. III 25,2. 162 Hist.Eccl. III 3,4; vgl. 3,2. 153 KÜMMEL, Einleitung S . 4 3 6 (Anm. 7 3 ) ; anders v. CAMPENHAUSEN, Entstehung

S. 294F.

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Einleitung

gang. Ihr Kanon war bis ins 4. Jh. auf die Evangelien, die Apostelgeschichte und die Paulusbriefe begrenzt. Erst in der zu Beginn des 5. Jh. geschaffenen Peschitta ist der 1 Petr zusammen mit Jak und 1 Joh enthalten. Der Osterfestbrief des Athanasius von 367, der den Kanon der griechischen Kirche endgültig festsetzte, nennt den 1 Petr innerhalb der Gruppe von nunmehr sieben allgemein anerkannten katholischen Briefen und bestimmt auch die von den meisten alten Handschriften befolgte Reihenfolge: Evangelien, Apostelgeschichte und katholische Briefe (Jak, 1/2 Petr, 1-3 Joh, Jud). Hinter dieser Anordnung stand wohl die Absicht, der Geschichte der Urgemeinde unmittelbar die Briefe der Urapostel folgen zu lassen. Im Kanon der lateinischen Kirche wurde das Corpus Paulinum den katholischen Briefen vorangestellt, deren Reihenfolge untereinander blieb jedoch unverändert. In sie griff später Luther ein, der in seiner Bibelübersetzung Hebr, Jak und Jud zusammen mit Apk an das Ende stellte und 1 Petr unmittelbar auf die Paulusbriefe folgen ließ. (J. Roloff)

§ 7. Die Überlieferung des Textes 154 Die Schriftengruppe „Apostelgeschichte und katholische Briefe", zu der der 1 Petr gehört, ist in der ältesten Handschriftenüberlieferung aus naheliegenden Gründen weniger breit bezeugt als die Evangelien und das Corpus Paulinum. Immerhin ist der vollständige Text des Briefes in neun Majuskelhandschriften enthalten; dazu kommen etwa 500 Minuskeln. Der ägyptische Texttypus wird repräsentiert durch die Majuskeln 8 B A C P T sowie von den Minuskeln 33 (9. Jh.), 81 (11. Jh.), 326 (12. Jh.), 1175 (10. Jh.) und 1739 (10. Jh.; Nachfahre einer Handschrift des 4. Jh.s). Zeugen des antiochenischen Textes sind die Majuskeln Κ L S sowie die Mehrzahl der Minuskeln. Zeugen des westlichen Textes fehlen fast ganz, da in Kodex D (Bezae) die katholischen Briefe, mit Ausnahme eines Fragments von 3 Joh, nicht erhalten sind und die altlateinische Überlieferung155 sich auf Bruchstücke beschränkt. Westliche Einflüsse weist möglicherweise der Text der Minuskel 383 (13. Jh.) auf. Literatur: M. J. LAGRANGE, Critique Textuelle II: La Critique Rationelle, Paris der neutestamentlichen Textkritik, Münster textuelle du Nouveau Testament?, Paris 1 9 5 9 ; Β. M. METZGER, Der Text des Neuen Testaments, Stuttgart 1966; K.ALAND, Studien zur Uberlieferung des Neuen Testaments und seines Textes, Berlin 1 9 6 7 ; KÜMMEL, Einleitung S. 4 5 2 - 4 7 5 ; WIKENHAUSER-SCHMID, Einleitung S . 5 9 2 f . 165 Textausgabe: Vetus Latina, hrsg. v. der Erzabtei Beuron, Bd. 26/1, 2. Lfg.: Epistulal Petri, Freiburgi.Β. 1958. — W.THIELE, Die lateinischen Texte des 1. Petrusbriefes (Aus der Geschichte der lateinischen Bibel 5), Freiburg i. B. 1965. 154

1 9 3 5 , 5 2 9 - 5 7 8 ; H . V O G E L S , Handbuch 2 1 9 5 5 ; J . DUPLACY, O Ü en est la critique

§ 7. Die Überlieferung des Textes

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Besonderes Interesse zog der 1959 von M. Testuz edierte Papyruskodex der Bibliotheca Bodmeriana in Genf (Bodmer Papyri VII und VIII) auf sich, der als p 72 bezeichnet wird 188 . Es handelt sich dabei um einen aus mindestens 90 Blättern bestehenden kleinformatigen (15,5 χ 14,2 cm) Kodex, der vermutlich durch nachträgliches Zusammenbinden unterschiedlicher Schriften entstanden ist. Er enthält neben 1/2 Petr und Jud u. a. den apokryphen Briefwechsel des Paulus mit den Korinthern, die 11. Ode Salomos, die Passahomiüe Melitos von Sardes, eine Apologie des ägyptischen Märtyrerbischofs Phileas (gest. 307), das Protevangelium Jacobi sowie die Psalmen 33 und 34 im LXX-Text. Entstanden ist der Kodex vermutlich im 3. oder frühen 4. Jh. in Ägypten 167 . Seine Bedeutung liegt darin, daß er den einzigen über Fragmente hinausgehenden Papyrustext von katholischen Briefen bietet, abgesehen von p 74 ( = Papyrus Bodmer XVII), der wegen seiner späten Entstehung (7. Jh.) hier außer Betracht bleiben kann. Der von ihm gebotene Text des 1 Petr gehört dem ägyptischen Typus an und geht oft mit Β Α Ρ 1739 zusammen. Im übrigen sollte man ihn hinsichtlich seiner Zuverlässigkeit nicht überbewerten. Wir beschränken uns im folgenden darauf, einige der interessantesten Varianten des p 72 aufzuführen 158 . S i n g u l ä r e L e s a r t e n : 1 Petr 1,12 εύαγγελισαμένων ύμΐν statt εύαγγελισαμένων ύμας (vermutlich Angleichung an das unmittelbar vorhergehende ύμΐν!). — 1 Petr 1,17 καλείτε statt έπικαλεΐσ&ε (diese Lesart scheint durch altlateinische Zeugnisse, die hier „vocatis" lesen, unterstützt zu werden). — 1 Petr 2,3 εί έγεύσασθε έπιστεύσατε 6τι χς ( = χριστός) κύριος statt εί έγεύσασθ-ε δτι χρηστός ό κύριος (das Zitat aus Ps 34,9 wurde vom Abschreiber nicht erkannt und darum als christologische Formel interpretiert, was zugleich eine glossenartige Deutung von έγεύσασθ-ε durch das hinzugefügte έπιστεύσατε notwendig machte). — 1 Petr 4,16 fehlt ώς vor Χριστιανός, wodurch der Rückbezug von Χριστιανός auf πασχέτω (4,15) aufgelöst und der Sinn verändert wird (Abschreibfehler?). — 1 Petr 5,14 fehlt der abschließende Friedenswunsch. L e s a r t e n im A n s c h l u ß an s c h o n b e k a n n t e V a r i a n t e n : 1 Petr 1,22 (mit Κ C T it) έκ κα&αρας καρδίας statt έκ καρδίας ( B A v g ) (Angleichung an 1 Tim 1,5?). — 1 Petr 2,20 (mit K° Ρ Ψ 1793) κολαζόμενοι statt κολαφιζόμενοι (8 Β A C) (Erleichterung?). — 1 Petr 3,18 (mit A u. a.) περί άμαρτιών υπέρ υμών άπέθ-ανεν statt περί άματριών επαθ-εν (mit Β und den meisten Minuskeln; man beachte jedoch auch die zahlreichen 1M

Papyrus Bodmer VII-IX. Pubiii par Μ. Testuz, Genf 1959. F. W. Beare, The Text of I Peter in Papyrus 72, JBL 80 (1961) 253-260; Ders., Some Remarks on the Text of I Peter in the Bodmer Papyrus (p72), in: Studia Evangelica ΙΠ/2 (1964) S. 263-265; J. D. Quinn, Notes on the Text of the P72, CBQ 27 (1965) S. 241-249; Aland, Studien S. 134. 168 Ausführliche Diskussion bei Beare, J B L 8 0 ( 1 9 6 1 ) S. 254FF. 157

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Einleitung

weiteren Varianten dieser Stelle169! — Vermutlich Angleichung an geläufige christologische Formeln). — 1 Petr 4,8 (mit Κ Β L Ρ 1739) καλύψει statt καλύπτει (Β Α Ψ Κ). — 1 Petr 4,14 (mit Α Ψ) έπαναπαύεται statt άναπαύεται (Χ Β). — 1 Petr 5,10 (mit altlateinischen, sahidischen und bohairischen Zeugen) στηρίξει θεμελιώσει statt στηρίξαι σθ-ενώσει θεμελιώσει (einfacher Auslassungsfehler?). (J. Roloff) 159

Vgl. u. S. 242 Anm. 11.

l , l f . : Das Präskript An die erwählten Fremden in der Diaspora 1 Petrus, Apostel Jesu Christi, an die erwählten Fremden in der Diaspora von Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien, 2 (die erwählt sind) gemäß dem Vorherersehen Gottes des Vaters, durch die Heiligung des Geistes, zum Gehorsam und zur Besprengung mit dem Blute Christi: Gnade und Friede werde euch reichlich zuteil! 1

Zu Form und Stil2: 1) Das Präskript verwendet die zweigliedrige orientalische Form des antiken Briefeingangs, der auch die Pauliiien, 2 Petr, 2 Joh, Jud, Apk (1,4), 1 Clem, PolPhil, MartPol folgen. Nur die Briefe in Act 15,23 (Aposteldekret); 23,26 (Brief eines römischen Offiziers); Jak 1,1 und die Ignatianen nehmen den griech. Briefeingang auf. Ein Beispiel für die übliche Form des orientalischen Präskripts ist Dan 4,1 Θ ( = 3,31 aram.): Ναβουχοδονόσορ ό βασιλεύς πασι τοις λαοϊς, φυλαΐς καΐ γλώσσαις τοις οίκοϋσιν έν πάση τη γη· ειρήνη ύμΐν πληθυνθείη. Der Gruß wird öfter erweitert, z.B. syrBar 78,2: „So sagt Baruch, der Sohn Nerjas, zu den Brüdern, die gefangen weggeführt worden sind: Erbarmen und Friede sei mit euch!" 2) Paulus gestaltete das orientalische Formular eigenständig aus. Von dieser Ausgestaltung ist jedoch im 1 Petr nur zu finden, was für den frühchristlichen Gemeindebrief generell typisch wurde, nichts für Paulus Spezifisches3: a) άπόZum Druck in Sinnzeilen vgl. Einleitung S. 46. Lit.: P. WENDLAND, Die urchristlichen Literaturformen (HNT I, 3), Tübingen 2 - s 1912, S. 411-417; H. LIETZMANN, An die Römer (HNT 8), Tübingen 4 1933 ( = 5 1971), S. 22; O . R O L L E R , Das Formular der paulinischen Briefe (BWANTIV, 6), Stuttgart 1933, S. 55ff.; E. LOHMEYER, Probleme paulinischer Theologie I: Briefliche Grußüberschriften (1927), in: DERS., Probleme paulinischer Theologie, Darmstadt 1954, S. 7-29; diesen berichtigend: G. FRIEDRICH, Lohmeyers These über das paulinische Briefpräskript kritisch beleuchtet, ThLZ 81 (1956) Sp. 343-346; J . S C H N E I D E R , Art. Brief, RACII, 1957, Sp. 564—576; E. PETERSON, Das Praescriptum des 1. ClemensBriefes, in: DERS., Frühkirche, Judentum und Gnosis, Freiburg 1959, S. 129-136; C. ANDRESEN, Zum Formular frühchristlicher Gemeindebriefe, ZNW 56 (1965) S. 233259; K. BERGER, Apostelbrief und apostolische Rede. Zum Formular frühchristlicher Briefe, ZNW 65 (1974) S. 190-231. 3 Κ. H. SCHELKLE, Die Petrusbriefe. Der Judasbrief (HThK XIII/2), Freiburg 2 1964, S. 18: „ . . daß auch hier die von Paulus geschaffene Form (mittelbar?) auf 1 Petr einwirkt"; F. W . BEARE, The First Episde of Peter, Oxford 2 1958, S . 47: '"Grace and peace from God the Father' is almost the hallmark of the Pauline correspondence". 1 2

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1 Petr 1,1

στολος Ίησοϋ Χρίστου ist nicht wie bei Paulus (auch Past) näher bestimmt, b) Die Empfänger werden mit keiner der typisch pauünischen Wendungen (άγαπητός, κλητός, άγιος, πιστός, εκκλησία) gekennzeichnet. Es werden im Vergleich mit Paulus fremde Bezeichnungen verwendet4, die in das Thema des Briefes einführen, die jedoch auch sonst, nämlich im Jak und bei den Apost. Vätern in der Zuschrift auftreten und sich so einer nichtpaulinischen Tradition zugehörig erweisen: Jak 1,1 έν τη διασπορά, 1 Clem, PolPhil, MartPol inscr. τη εκκλησία; τη παροικούση. c) Die Grußformel des 1 Petr folgt nicht der, abgesehen von 1 Thess und Past, gleichbleibenden pauünischen. Sie berührt sich in dem auffallenden πληθυνθείη, das bereits Dan 4,1 (s. o.). 34 steht, wieder mit 1 Clem, PolPhil, MartPol, weiterhin mit 2 Petr und Jud. χάρις statt des häufigen Ιλεος hat wohl Paulus in den Gruß eingeführt; es findet sich jedoch auch in frühchristlichen Schriften, die von Paulus nicht beeinflußt sind, z.B. in Apk 1,4. Es darf in nachpaulinischer Zeit als gemeinchristlich gelten. 3) Bereits der Briefeingang des 1 Petr ist in gehobener Sprache stilisiert. Man kann, wie die Ubersetzung andeutet, nach Stilisierung und Inhalt sieben Zeilen absetzen. Ob eine poetische Form beabsichtigt ist 6 , mag dahinstehen. Um des gehobenen Stils willen werden keine Artikel gesetzt®. V . l : Die Zuschrift nennt als Verfasser „Petrus, Apostel Jesu Christi". Πέτρος, Übersetzung des aram. kefa 7 , ursprünglich Ehrenname 8 , dann Cognomen, wird in der hellenistischen Kirche der allein gebrauchte Name 9 . Der Name soll dem Brief - unabhängig davon, wieweit der Apostel an seiner Abfassung beteiligt war - bei den Christen in Kleinasien Gehör verschaffen. Schon die Paulusbriefe lassen das Ansehen spüren, das Petrus auch in ihrem Bereich hatte (Gal 1,18; 2,9. 11. 14; IKor 1,12; 9,5). Er war durch das Osterkerygma (1 Kor 15,5), durch die Evangelienüberlieferung und durch den regen Austausch mit der palästinischen Kirche als der erste Zeuge Jesu (Mk 3,16 par) und als Repräsentant der Urkirche (Gal 1,18; 2,9) bekannt, auch wenn er selbst wohl nie in Klein4 Bei Paulus fehlt παρεπίδημος, πάροικος steht nur Eph2,19 (nicht von Christen); έκλεκτός ist sehr selten. 5 So z.B. H. WINDISCH, Die Katholischen Briefe (HNT 15), Tübingen 2 1930 ( = 31951

mit Anhang v . H. PREISKER), S. 50.

Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen "1976, § 261 Anm. 6. 7 Paulus verwendet die griech. Transkription Κηφας des aram. ΚΒ'Ώ, „Fels", „Stein", — nur im Beschluß des Apostelkonzils Gal 2,7 f. die griech. Übersetzung Πέτρος. Vgl. dazu O. CULLMANN, Art. Πέτρος, Κηφας, ThWNTVI, S. 99 f. 8 Vgl. M k 3 , 1 6 ; Mt 16,17ff.; J o h l , 4 2 . • Als Beiname zu dem ursprünglichen Eigennamen Σίμων Mk 1,16 erscheint Πέτρος im NT nur in der Evangelienüberlieferung: Σίμων ό λεγόμενος Πέτρος Mt 4,18; 10,2 und Σίμων Πέτρος Mt 16,16; Lk 5,8; Joh 6,8.68; 13,6.9 u.ö. Weiterhin heißt es in den Weisungen an Kornelius Act 10,5.18.32; 11,13: Σίμων δς έπικαλεΐται Πέτρος bzw. Σίμων δ έπικαλούμενος Πέτρος und archaisierend in 2 Petr 1,1 Συμεών Πέτρος. Der Verf. der Apostelgeschichte selber aber gebraucht nur Πέτρος, ebenso die Apost. Väter: 1 Clem 5,4; 2 Clem 5,3; IgnRöm4,3 (Petrus und Paulus); IgnSmyrn3,2; lediglich 1 Clem 47,3 hat Κηφας als Zitat aus 1 Kor. 6

F . B L A S S - A . DEBRUNNER-F. REHKOPF,

1 Petr 1,1

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asien gewirkt hat. Mt 16,17ff. bekundet, wie man ihn um 80 in Syrien, 1 Clem 5 f. und IgnRöm 4,3, wie man ihn um 100 in Rom und Kleinasien achtete10. Anders als der 2 Petr macht unser Brief von sich aus jedoch nie die formale Autorität des Verf. geltend (vgl. 1,8; 5,1); er argumentiert allein von der Sache her 11 . Die Bezeichnung απόστολος 'Ιησού Χρίστου wird fast formelhaft und nur hier in der Zuschrift gebraucht. Nirgends wird wie bei Paulus der Auftrag des Amtes und seine Legitimation erwogen 12 . Nur einmal spricht der Verf. sein Amt an (5,1); er stellt sich unter die Presbyter der Gemeinde, während Paulus sich in ihre Charismen einreihte (IKor 12,28), an die hier nur noch kurz erinnert wird (1 Petr 4,10f.). Wenn sich der Brief im Namen des Petrus von Rom aus an die Christenheit in Kleinasien wendet13, dann ist er das erste Dokument, das die Verbindung zwischen diesen beiden Kirchengebieten herstellt und bekundet. Die Verbindung war durch die paulinischen Gefangenschaftsbriefe14, auch schön durch den Rom (15,19-24), vorbereitet. Aus ihr sollte im 2. Jh. die frühkatholische Kirche erwachsen. Das ist der ökumenische Horizont, der diesen Brief auszeichnet (vgl. 5,9). Die Christen in Kleinasien werden als έκλεκτοί παρεπίδημοι διασπορας, „erwählte Fremde, die als Diaspora 16 (leben)", angeredet. Die Anrede unterscheidet sich grundlegend von der paulinischen. Paulus charakterisiert die Angeredeten vertikal als die von Gott „berufenen Heiligen", die ihrerseits „den Namen des Herrn anrufen" (z.B. 1 Kor 1,2). Der 1 Petr kennzeichnet sie in der Horizontalen im Blick auf das Verhältnis zu ihrer Umwelt: Sie sind aus der Völkerwelt durch die Erwählung ausgesondert und leben unter ihr zerstreut als Fremde, die hier keine Heimat haben. Schon die Anrede visiert das Thema des Briefes, die Christen in der Gesellschaft, an. Sie hat nicht bestimmte Einzelgemeinden im Auge, die sich versammeln, sondern die Christen im Alltag unter ihren MitL0· H. STRATHMANN, Die Stellung des Petrus in der Urkirche, ZsystTh 20 (1943) S. 223-282; O. CULLMANN, Petrus. Jünger — Apostel — Märtyrer, Zürich 2 1960; D. GEWALT, Petrus, Diss. Heidelberg 1966 (masch., vgl. ThLZ 94, 1969, Sp. 628f.). 1 1 Zum Problem der Pseudonymität vgl. o. S. 66 ff. 69. 12 Daß Petrus „Apostel" ist, steht für das ganze NT fest; in welchem Sinn er es ist, wird in unserem Brief nicht gesagt. Es ist hier wohl der Apostelbegriff der ausgehenden apostolischen Zeit vorauszusetzen, der aus der Evangelienüberlieferung spricht: Apostel sind die Zwölf (Mt 10,2; Mk 6,30; vgl. Eph 2,20; Jud 17), ohne daß Paulus, wie in der Schematisierung des Lukas, ausgeschlossen wird. Der den 1 Petr aufnehmende 2 Petr schließt ihn ausdrücklich ein: 2 Petr 3,15. Zu άπόστολος sei lediglich verwiesen auf J. ROLOFF, Apostolat — Verkündigung — Kirche, Gütersloh 1965; F. HAHN, Der Apostolat im Urchristentum, KuD 20 (1974) S. 54-77. 13 Zu den geographischen Angaben s. o. S. 27 ff. 14 Dazu vgl. L. GOPPELT, Die apostolische und nachapostolische Zeit (Die Kirche in ihrer Geschichte IA), Göttingen 2 1966, S. 70f.; DERS., Theologie des Neuen Testaments II, Göttingen 1976, S. 363. 16 διασπορας ist Gen. qualitatis oder epexegeticus, nicht partitivus.

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1 Petr 1,1

menschen. Diese Situation wird durch das anschauliche Modell ins Licht gerückt, daß sie in der Gesellschaft als „Diaspora" leben. Das im außerbiblischen Griechisch nur einmal belegte Wort ή διασπορά, die „Zerstreuung" und die „Zerstreuten", war im hell. Judentum Terminus für den Teil des jüdischen Volkes geworden, der außerhalb des Mutterlandes Palästina zerstreut unter den Völkern zwischen Persien und Spanien lebte 16 . Als solcher wird er hier gleich den in 2,9 aufgereihten Selbstbezeichnungen Israels, ohne daß Polemik sichtbar wird, auf die Kirche übertragen. Wieweit wird dabei sein soziologischer und theologischer Gehalt übernommen? Die jüdische Diaspora17 war durch Deportation und durch freiwillige Auswanderung entstanden und inzwischen durch manche Privilegien begünstigt. Anders als die Mysterienvereine der orientalischen Kulte diente sie nicht auf synkretistischer Basis lediglich dem religiösen Bedürfnis einzelner; sie sammelte ihre Angehörigen vielmehr in religiös exklusiven Lebensgemeinschaften, den Synagogengemeinden. Diese wußten sich nicht nur als Glieder eines Volkes, sondern waren auch organisatorisch mit ihrem Zentrum, dem Tempel in Jerusalem, verbunden. Gleichzeitig aber beteiligten sich die Diasporajuden nach dem Bild der Daniellegenden an Handel und Wandel ihrer Umgebung und übten eine starke religiöse Ausstrahlungskraft aus. — Dieser Situation entspricht, was der Terminus διασπορά als Selbstverständnis aussagt. Er ersetzt im hell. Judentum das Reden des hebr. AT von Deportation, Exil und Gefangenschaft. Allerdings versteht die LXX, wo sie den Terminus aufnimmt, „die Zerstreuung" gleich dem hebr. AT als Gericht, das durch die Sammlung in der Heilszeit behoben werden soll18. Was die Diasporasituation an Positivem mit sich bringt, verbindet die LXX nicht mit dem Begriff; es tritt Jer 29, bei Dtjes und in den Daniel-Erzählungen hervor: das Leben in einer weltanschaulich anders orientierten Gesellschaft veranlaßt die Juden zu einer Apologetik, die " Vgl. K . L . SCHMIDT, Art. διασπορά, ThWNT I I , S . 98f. 17 Sib 3,271; Jos, Ant. 14,115, aus Strabo: Die Juden „sind schon in jeder Stadt verbreitet und es ist kaum ein Ort in der Ökumene zu finden, der dieses Volk nicht beherbergt". Lit.: Ε . SCHÜRER, Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi III, Leipzig 4 1909, S. 1-188; J. JUSTER, Les Juifs dans l'empire romain I/II, Paris 1914 (Neudruck New York o. J.); A. STOIBER, Art. Diaspora, RACIII, Sp. 971981; H . H E G E R M A N N , Das hellenistische Judentum, in: Umwelt des Urchristentums (hg. J. Leipoldt-W. Grundmann) I, Berlin 2 1967, S. 292-345 (Lit.!). 18 In der LXX ist διασπορά an allen 12 Stellen als terminus technicus durch Veränderung oder Ergänzung des hebr. Textes ohne hebr. Äquivalent eingefügt, um die Zerstreuung unter die Völker als Gericht anzukündigen bzw. anzudrohen (Dt 28,25; 30,4; Jer 13,14; 15,7; 34,17 = Jer41,17 LXX; N e h l , 9 ; übertragen Dan 12,7; vgl. PsSal 9,2; 17,18) oder um die Sammlung zu verheißen (Jes 49,6; Ψ 146,2 = Ps 147,2), speziell für den Fall der Umkehr (Dt 30,1-5; zitiert in Neh 1,8f.; Jdt 5,19) bzw. um sie zu erbitten (2Makkl,27; vgl. PsSal8,28). Noch häufiger wird die Situation mit dem Verb διασπείρω angesprochen. Philo und Josephus gebrauchen den Terminus διασπορά nicht. Als die Diaspora durch die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 heimatlos geworden war, wurde ΠΗΪ, das im AT Exil und Exulanten bedeutet, hebr. Terminus für Diaspora; vgl. Tübingen 1 9 3 0 ( =

BILLERBECK I I , 2

1 9 4 8 ) , S. 1 9 8

f.

S. 4 9 0 ; A.SCHLATTER,

Der Evangelist Johannes,

1 Petr 1,1

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überlegen den universalen Anspruch „des Herrn" auf die Völkerwelt vertritt und in der Zeit des bell. Synkretismus zu einer wirksamen Werbung wird. Aus diesem Vorstellungskomplex übernehmen der 1 Petr und das weitere frühchristliche Reden von Diaspora19 im wesentlichen nur die soziologische Komponente: Die Christen sind Diaspora als ein Volk, das in kleinen Lebensgemeinschaften zerstreut unter den Völkern lebt und auf seine Sammlung in der Endzeit wartet. Aber die Zerstreuung ist hier nicht durch Gericht entstanden, sondern durch eine sie aus der Völkerwelt aussondernde und entfremdende Erwählung. Und die Sammlung ist nicht die Wiedervereinigung um Jerusalem, sie wird auch nicht als Heimholung in das himmlische Gemeinwesen (Phil 3,20) beschrieben, sondern als zukünftige Versammlung um den Herrn, wenn das Glauben zum Schauen wird (IPetr 1,8). Die Diasporasituation ist Ausdruck des eschatologischen Schon und Noch-nicht, Ausdruck der Erwählung und des Fremdseins. Die Charakterisierung des Christseins in der Anrede knüpft traditionsgeschichtlich nur schmal an die at.-jüd. Vorstellungen über die Diaspora an, ungleich stärker an solche über die Entfremdung durch Erwählung. Die Kennzeichnung der Leser als παρεπίδημοι leitet hier den ersten Teil programmatisch ein (1,3-2,10) und dann in 2,11, ergänzt durch πάροικοι, den zweiten (2,11-4,11). παρεπίδημος ist der „Fremde" ( = ξένος), der sich ohne Bürgerrecht, aber auch ohne Gastrecht vorübergehend unter einem anderen Volk aufhält 20 ; πάροικος ist der Fremde, der minder19 Nach Jak 1,1: „An die zwölf Stämme in der Diaspora" meint der Terminus tatsächlich ein Volk in der Zerstreuung. Nach dem Agapengebet Did 9,4: „Wie dieses Brot zerstreut war und gesammelt eins wurde, so werde deine Kirche gesammelt . . . " ist die christliche Diaspora aus dem Samen des Wortes entstanden und wartet auf eine zukünftige eschatologische Sammlung. Das Selbstverständnis als Diaspora ist hier liturgische Tradition geworden. Es bleibt in der Christenheit bis ins 4. Jh. lebendig. Dann verschwindet das Selbstverständnis wie der Terminus. Er tritt erst im 19. Jh. wieder auf, zunächst für konfessionelle Minderheiten, in der neuen Weltsituation nach dem 2. Weltkrieg aber, um die Situation der Christenheit in der Weltgesellschaft zu kennzeichnen, noch mehr um auszusagen, daß die Christenheit immer Diaspora bleibt, auch im christlichen Abendland, weil sie es ihrem Wesen nach ist. H. J. SCHOEPS, Barocke Juden, Christen, Judenchristen, Bern/München 1965, S. 117: Die Christen erfahren heute, was für die Juden durch die Jahrhunderte die galut bedeutete, „ . . . die Bitternis des ,nur' Gastsasseseins im ganzen Erdenrund". Vgl. G. NIEMEIER, Diaspora als Gestalt kirchlichen Seins, EvTh 7 (1947/48) S. 226-233; H. KRUSKA, Zum neuen Verständnis der Diaspora, TheolViat 5 (1953/54) S. 299-321; K. RAHNER, Theologische Deutung der Position des Christen in der modernen Welt, in: Sendung und Gnade, Innsbruck 1959, S. 13-47; R. SCHNACKENBURG, Gottes Volk in der Zerstreuung. Diaspora im Zeugnis der Bibel, in: DERS., Schriften zum NT, München 1971, S. 321-337. 20 So schon im außerbiblischen Griech.; vgl. W. GRUNDMANN, Art. παρεπίδημος, ThWNTII, S. 63f. Im 1 Petr noch einmal 2,11 neben πάροικος. In dieser Verbindung auch an den beiden LXX-Stellen: Gen 23,4 (Abraham als πάροικος καΐ παρεπίδημος im verheißenen Land); Ψ38(39), 13 (die Israeliten in ihrem Land, weil dieses dem Herrn gehört: Lev 25,23; Ps 119,19; lChr29,15). Im NT sonst nur Hebr 11,13 von den Vätern ξένοι και παρεπίδημοι. Das im Griech. häufige Verb fehlt in der LXX wie im NT.

80

1 Pett 1,1

berechtigt auf Dauer neben den Bürgern des Landes lebt, der sogenannte „Beisasse"21. Beide Begriffe werden hier durch den Hinweis auf das Modell der Diaspora 22 und später durch die Anspielung auf die Situation Israels in Ägypten 23 veranschaulicht. Sie sind den Lesern wahrscheinlich schon aus christlicher Tradition als Kennzeichnung ihrer Situation geläufig24. Die Vorstellung, daß das Leben in der Geschichte für die Christen „Zeit ihrer παροικία" (1,17) sei, zieht sich als eine Grundlinie durch den 1 Petr, vor allem durch seinen ersten Teil. Diese Kennzeichnung ist weniger durch die Konfliktsituation, durch das „Befremden" (ξενίζειν) der Umwelt über die Christen (1 Petr 4,4), veranlaßt. Sie wird vielmehr sachlich aus dem Wesen des Christseins entwickelt, allerdings im Blick auf das Leben in der Gesellschaft. Die Christen sind unter ihren Mitmenschen, auch unter Verwandten und Bekannten, deshalb Fremde, weil ihre Existenz auf eine total neue Basis gestellt wurde. Sie sind „erwählt" oder, wie anschließend in 1,3 gesagt wird, „wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferweckung Jesu Christi von den Toten". Auch weiterhin tritt die Vorstellung in einem entsprechenden Kontext auf: Sie wurden „losgekauft von dem eitlen von den Vätern als verpflichtende Tradition überkommenen Wandel" (1,18) und zur Gemeinschaft mit dem Heiligen berufen (1,15f.); deshalb sind sie eben nach 1,17 in der παροικία. Sie sind das „erwählte, heilige Volk", das Gott zugehört (2,9f.). In der Gesellschaft von der Auferstehung Jesu her leben, bedeutet eschatologische Existenz in der Geschichte. Dies will das von at.-jüd. Überlieferung angebotene Bild von den Christen als den „Fremden" hier aussagen. Auf eine Heimat wird nicht ausdrücklich reflektiert (Phil 3,20), vielmehr ist nach 1,4 an das zukünftige „Erbe" zu denken, das allerdings schon jetzt „im Himmel verwahrt", nämlich von Gott verbürgt ist (vgl. Hebr 11). Dagegen steht die soziologische Auswirkung des Fremdseins im Blick: Die Christen distanzieren sich als Nonkonformisten von überkommenen Lebensformen (1,17f.); deshalb ist ihre Umwelt über sie „befremdet" (4,3 f.). In beidem kann bzw. soll sich das Fremdsein auswirken — der Brief redet davon in der Paränese —, 21 Vgl. dazu G. S T Ä H L I N , Art. ξένος, ThWNTV, S . 30f.; K. L. u. Μ. A. S C H M I D T , Art. πάροικος, ThWNTV, S. 840ff. 22 G. S T Ä H L I N , ThWNTV, S. 31,2ff. vermutet, ohne Belege zu nennen, daß beide Begriffe auch Termini der jüdischen Diaspora seien. Dafür könnten Stellen wie SirProl 34 sprechen, wo παροικία nahezu mit διασπορά gleichgesetzt wird (vgl. ThWNTV, S. 841,13ff.). Philo bezieht die παροικία jedoch ausschließlich dualistisch auf die obere Welt (ThWNTV, S. 847f.). 23 Siehe zu 1 Petr 2,11. 21 In den Zuschriften des 1 Clem, PolPhil, Μ artPol ist παροικούσα bereits zur nahezu stehenden Bezeichnung geworden; vgl. ferner Dionysios von Korinth an die Gemeinde von Gortyna (nach Euseb, Hist.Eccl. IV 23,5); MartLugd (nach Euseb, ebd. V l , 3 ) ; Herrn s i m l . l ; Orig, Cels. III 29f.; Diogn5,5; 6,8. Seit dem 2. Jh. wird παροικία, „Parochie", Bezeichnung für die Ortsgemeinde (vgl. ThWNTV, S. 851, 23ff.65).

IPetr 1 , 1

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aber konstituiert wird es durch die Erwählung. Gottes erwählendes Handeln ist im 1 Petr, speziell in seinem ersten Teil, Leitvorstellung wie sonst nirgends im NT26. Sie wird in 1,2 und 2,4-10 entfaltet und am Ende in 5,13 noch einmal aufgenommen. Sie knüpft in 2,4—10 zentral an die Berufung Israels in Gottes Bund an, die im AT, vor allem zwischen dem Dt und Dtjes, durch den Begriff „erwählen" als Willensakt Gottes verständlich gemacht wurde 2e . Daß die in diesem Sinn „Erwählten" in der Gesellschaft „Fremde" werden, ist in einer besonderen Ausprägung im Zusammenhang mit der at.-jüd. Erwählungstradition vorgezeichnet27. Die Erwählten als die Fremden 1) Die Vorstellung, daß die Erwählten Fremde werden, begegnet im NT nur in 1 Petr, Act (7; 13,17) und Hebr(ll). Ausschließlich hier finden sich auch die Begriffe des 1 Petr für das Fremdsein der Christen sonst im NT. Sie kennzeichnen hier ihre at. Vorläufer: παρεπίδημος steht neben ξένος in Hebr 11,13 von den Erzvätern im verheißenen Land, πάροικος in Act 7,6 von Israel in Ägypten und 7,29 von Moses in Midian, παροικεϊν in Hebr 11,9 von den Patriarchen, παροικία in Act 13,17 von der Zeit in Ägypten. An diesen Stellen wird das Fremdsein zwar ausdrücklich nur in Act 13,17 mit der Erwählung verbunden, immer aber ist es wie 1 Petr 1,4 durch die Zusage des zukünftigen Erbes bedingt und diese Zusage ist Ausdruck der Erwählung. Eben diese Zusage führt, wie Act 7 umfassend ausführt, Abraham (7,5) wie Israel (7,6 f.) und auch Moses (7,29) in die παροικία. Auch nach Hebr 11,8-10. 13-16 werden die Erzväter Fremde, weil sie den Weg des Glaubens gehen, d. h. der nicht konstatierbaren Verheißung des Erbes folgen. — In diese eschatologische Orientierung der Erwählung und des Fremdseins flicht der Hebr zwei hellenistische Aspekte ein, die der 1 Petr nicht kennt: In Hebr 11,10.16 wird das verheißene Erbe als die zukünftige Stadt ausgemalt, die nach Hebr 12,22 (vgl. 13,14) zugleich die bereits vorhandene himmlische ist. Hier verbindet sich mit der at.apokalyptischen Erwartung des Erbes und der Gottesstadt die Vorstellung von Heimat und Bürgerrecht in der πόλις28. Dieser Zug fehlt im 1 Petr. Ebenso fehlt jede Berührung mit der Vorstellung des antik-hellenistischen Dualismus, daß die Seele in der himmlischen Welt beheimatet und deshalb in der materiellen Erdenwelt fremd sei29, während der Hebr auch davon einige Züge übernommen hat30. — Während Act und Hebr das Bild des Fremdseins in seinem 25 Paulus verwendet den Begriff sehr selten, vielleicht, weil er im Judentum hochgespielt und sein ursprünglicher Sinn entstellt wurde. Vgl. G. SCHRENK, Art. έκλέγομαι, έκλεκτός, ThWNT IV, S. 186ff. 2" Dt 7 , 6 - 8 ; 14,1 f.; Jes 43,10; vgl. G.QUELL, Art. έκλέγομαι (AT), ThWNT IV, S. 149 ff. « V g l . G. SCHRENK, ThWNT IV, S. 190f.; K. L. u. Μ. A. SCHMIDT, ThWNT V, S. 847 f. (Philo). 28 Ebenso Eph 2 , 1 2 . 1 9 ; Phil3,20; D i o g n 5 , 9 ; Herrn sim 1 , 1 ; vgl. G. STÄHLIN, ThWNT V, S. 29,Iff. 2» G. STÄHLIN, ThWNT V, S. 25 f. 32-35; Philo, Cher. 120f., deutet Lev 25,23, die gewichtigste at. Stelle über die παροικία, auf die Ferne von der himmlischen Heimat. 30 Etwas anders wird Hebr beurteilt von K . L. u. Μ. A. SCHMIDT, ThWNT V,

S. 850, ANM. 64.

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1 Petr 1,1

at. Kontext belassen und nur indirekt auf die Christen beziehen, überträgt 1 Petr auch dieses Kennzeichen des erwählten Volkes direkt auf sie81. Er bereitet auf diese Weise vor, daß das griech. Wort πάροικος in der Kirche des 2. Jh.s geläufige Selbstkennzeichnung wird 32 . 2) Fragt man nach der Herkunft dieser frühchristlichen Tradition, so findet man sie speziell in der Gestalt, wie sie im 1 Petr begegnet, im Selbstverständnis der essenischen Sondergemeinde präformiert. Eine Aussage über ihre Entstehung in CD 3,21—4,6 verbindet nicht nur Erwählung (1 Petr 1,1; 2,9) und Aufenthalt in der Fremde (1 Petr 1,1. 17; 2,11), sondern fügt auch weitere den ersten Hauptteil des 1 Petr konstituierende Elemente ein: den Exodus (1 Petr 1,13), das Exil (dafür in 1,1 Diaspora), die Drangsal (1,6), das wahre Israel (vgl. l,9f.), die totale Umkehr (dafür in 1,3. 23 die Wiedergeburt). Der Text lautet: „Wie Gott es für sie durch den Propheten Ezechiel bestimmt hat (Ez44,15): ,die Priester und die Leviten und die Söhne Zadoks, die mein Heiligtum wahrten, als die Söhne Israels von mir abirrten, sie sollen mir Fett und Blut opfern'. ,Die Priester' sind die Umkehrenden Israels, die aus dem Lande Juda ausgezogen sind (d. h. die Sektenleute, die den Exodus nach Qumran vollzogen haben). [,Die Leviten' sind die,] die sich ihnen angeschlossen haben. ,Die Söhne Zadoks' sind die Auserwählten Israels, die mit Namen Gerufenen, die am Ende der Tage auftreten werden. Siehe, das genaue Verzeichnis ihrer Namen nach ihren Geschlechtern, die Zeit ihres Auftretens, die Zahl ihrer Drangsale, die Jahre ihres Exils und die Aufzählung ihrer Werke . . .". Dieselben Motive kehren in CD 6,4f. wieder: „Der Brunnen ist das Gesetz, und die ihn gegraben haben, sind die aus Israel, die umgekehrt sind, die ausgezogen sind aus dem Lande Juda und im Lande von Damaskus in der Fremde weilten (IIW)". „Damaskus" ist nicht geographische Bezeichnung, sondern symbolischer Deckname für den Aufenthalt im Exil ss . Die Gemeinde von Qumran versteht sich demnach als das heilige Volk Gottes, das im Exil, in der Fremde und in der Wüste weilt und sich auf die nahe endzeitliche Heimführung rüstet: „Wenn die Exilierten der Söhne des Lichtes aus der Wüste der Völker zurückkehren . . . " (1QM 1,3; vgl. 1,2). 3) Das skizzierte Selbstverständnis der essenischen Sondergemeinde erweist sich hier und weiterhin als ein Modell, das fast alle Motive enthält, mit denen im ersten Hauptteil des 1 Petr die Struktur christlicher Existenz umschrieben wird. Schon an den eben ermittelten Berührungen fällt jedoch auf, daß der Brief die Vorstellungen nicht nach der hebr. Terminologie umschreibt, sondern sie in der Begriffssprache der LXX, des hellenistischen Judentums, letztlich in der des hellenistischen Christentums aussagt: Er kennzeichnet das Leben in der Fremde als διασπορά und nicht als Exil (ilViJ) oder als Aufenthalt in der Wüste. Er redet auch nicht von Umkehr, sondern von Wiedergeburt. Schon 3 1 Vgl. Μ. H. BOLKESTEIN, De Kerk in haar vremdelingschap volgens de eerste brief van Petrus, New Theol. Studies 25 (1942) S. 181-194. 82 Vom 2. Jh. an bekennen sich christliche Gnostiker (G. STÄHLIN, ThWNTV, S. 32-35, verweist vor allem auf ActThom und die Mandäer) und in anderem Sinn katholische Christen als Fremde in der Welt. 33 A. S. VAN DER WOUDE, Die messianischen Vorstellungen der Gemeinde von Qumran (Studia Semitica Neerlandica 3), Assen/Neukirchen 1957, S. 48-53.

IPetr 1,2a

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dadurch wird der Inhalt der Vorstellungen, wie sich zeigen wird, grundlegend verändert. Traditionsgeschichtlich aber wird sichtbar, daß der Vorstellungskomplex nicht direkt aus essenischer Tradition übernommen, sondern durch christliche vermittelt ist. V.2a: Mit drei präpositionalen Wendungen wird erklärt, wie sich die Erwählung vollzog, wie Menschen unter ihren Mitmenschen zu Fremden wurden; die Aussagen sind von έκλεκτοΐς abhängig34. Demnach ist die Erwählung begründet im Ratschluß Gottes des Vaters, vermittelt durch den Geist und existent als Gehorsam und als Zugehörigkeit zu Christus. Der Sinn dieses Satzes wird durch eine formgescbicbtliche Analyse deutlicher : 1) Nach seiner Gliederung gehört der Satz in die urchristliche Tradition triadischer Formeln86. Er berührt sich nicht mit den typisch paulinischen Formeln 1 Kor 12,4-6; 2 Kor 13,13; Eph 4,4-6, auch nicht mit Jud20f., eher schon mit Mt 28,19, am meisten mit 2Thess 2,13 f.: είλατο ύμας ό θεός . . . έν άγιασμω πνεύματος . . . εις περιποίησιν δόξης . . . Ίησοϋ Χρίστου. Liegt hier dasselbe Formelschema zugrunde wie in 1 Petr 1,2, dann ist es stärker aufgefüllt. Vor allem ist hier das überraschende 3. Glied von 1 Petr 1,2 gemeinchristlichen Vorstellungen über das Ziel der Erwählung angepaßt. 2) Fragt man, wie der eigenartige inhaltliche Aufbau der triadischen Formel, vor allem das 3. Glied „zum Gehorsam und zur Besprengung mit dem Blute Christi", zustande kam, so bietet die essenische Tradition, die auch im Kontext wirksam ist, ein auffallend ähnlich aufgebautes soteriologisches Schema, das dort ohne weiteres verständlich ist, als mögliche Vorlage an. In 1 QS 3,6-8 wird im Rahmen der Bestimmungen für das Bundeserneuerungsfest (1 QS 1,16-3,12) folgende Ordnung entwickelt, nach der Heil zu erlangen ist und nach der daher immer wieder die Aufnahme in die Gemeinde vollzogen wird: „Durch den Geist des wahrhaftigen Ratschlusses Gottes werden die Wege eines Mannes entsühnt. . . Und durch den Geist, (der) der Gemeinschaft seiner Wahrheit (gegeben ist), wird er gereinigt von allen seinen Sünden... Und wenn er seine Seele beugt unter alle Gebote Gottes, wird sein Fleisch gereinigt werden zum Besprengen mit Reinigungswasser und zum SichHeiligen durch Wasser der Reinheit". Dieses auch sonst zu belegende soteriologische Schema kommt dem inhaltlichen Aufbau von 1 Petr 1,2 noch näher, wenn man berücksichtigt, daß dem „Ratschluß (ΠΧ57) Gottes" nach 1 QS 3,15 sein „Wissen" (ΓΙ5Π) entspricht36 und das für Besprengen stehende Wort ΠΪ3 34 E. G. SELWYN, The First Epistle of St. Peter, London 2 1 9 4 7 , S. 1 1 9 , will es auch auf άπόστολος, BEARE S. 4 9 f . zusätzlich auf den Friedenswunsch beziehen; dies ist jedoch grammatikalisch nicht gerechtfertigt. A6 H. W I N D I S C H , Der zweite Korintherbrief (KEK VI), Göttingen 1924 (Neudruck 1970), S. 429ff.; M. DIBELIUS, An die Kolosser, Epheser, an Philemon (HNT 12), 3. Aufl. bearb. von H . Greeven, Tübingen 1953, S. 14f.; E. LOHMETER, Das Evangelium des Matthäus (KEK Sonderband), Göttingen 41967, S. 413f.; O. CULLMANN, Die ersten christlichen Glaubensbekenntnisse (ThSt 15), Zürich 21949, S. 30ff.; E. STAUFFER, Die Theologie des Neuen Testaments, Stuttgart 81947, S. 229ff. (Die Anfänge des trinitarischen Bekenntnisses); SELWYN S. 247-250; W . N A U C K , Die Tradition und der

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lPetr 1,2a

in der LXX vor allem durch ραντίζω wiedergegeben wird 37 . Die Berührung ist demnach so auffallend, daß sie kaum zufällig sein kann. 3) Die Berührung läßt an einen bestimmten „Sitz im Leben" denken und erklärt sich vielleicht aus ihm. In Qumran war dieses soteriologische Schema nicht nur Heilslehre, es wurde vielmehr als Aufnahmeritual praktiziert. Daher ist nach der Beziehung der Formel in 1 Petr 1,2 zur Taufe zu fragen. Die Formel erinnert durch ihre Terminologie eindeutig an die urchristliche Tauftradition: Die Heiligung durch den Geist setzt nach gemeinurchristlicher Vorstellung mit der Taufe ein. Das Zielwort der Formel, „Besprengung", meint in Hebr 10,22 unmittelbar die innere Seite des Taufaktes 38 ; der 1 Petr, der sich vielfach mit dem Hebr berührt, redet in 3,21 in derselben Weise ausdrücklich von der Taufe. So verweist 1 Petr 1,2 zweifellos auf die Taufe, aber in welchem Sinn? Gibt der Satz ein christliches Taufritual wieder, das möglicherweise durch essenische Tradition angeregt wurde 39 ? Ein ähnliches Ritual läßt sich liturgiegeschichtlich später im altsyrischen Taufritus aufweisen. In ihm gingen die Geistverleihung und eine Verpflichtung zum Gehorsam dem Wasserbad, der Besprengung, voran (vgl. Did 7,1) 40 . 4) 1 Petr 1,2 beschreibt jedoch nicht die einzelnen Akte eines Taufritus. Das erste Glied, das gegenüber dem essenischen Schema verselbständigt ist, kann nicht den ersten Akt eines Ritus meinen. Es bezeugt vielmehr gleich der ganzen Formel kerygmatisch das Heilswiderfahrnis, das grundlegend im Taufakt begegnet, aber über ihn hinaus das ganze weitere Leben umfaßt. Dies ergibt nun auch die Exegese der einzelnen Wendungen. 1 Petr 1,2 entstammt somit traditionsgeschichtlich vielleicht einer durch essenische Vorlagen angeregten palästinisch-syrischen Taufkatechese, die im Umkreis der römischen Gemeinde (vgl. Hebr 13,24) weiterwirkte; der Satz deutet die Taufe kerygmatisch als Berufung in den Heilsstand. Die Umsetzung dieser Tradition in den altsyrischen Taufritus ist eine sekundäre Verengung. Die drei Glieder der Formel sind demnach nicht durch die Einheit eines Ritus, sondern durch die Einheit des Wirkens Gottes und seines Ziels zusammengehalten: Die Erwählung, die der Welt entfremdet und in die noch als Diaspora lebende Heilsgemeinde stellt, widerfährt als das Handeln Gottes des Vaters, des Geistes und Jesu Christi, und ist doch der Gnadenerweis des einen Gottes, ή εις ύμας χάρις (1,10). Gott ist für unseren Brief wie für das ganze Urchristentum der Eine, „von dem alles Charakter des ersten Johannesbriefes (WUNT3), Tübingen 1957, S. 56-59; G. KRETSCHMAR, Studien zur frühchristlichen Trinitätslehre (BHTh 21), Tübingen 1956, S. 218 Anm. 1. 39 „Vom Gott der Erkenntnis (ΠΐϊΠΐΙ *7Χ0) kommt alles Sein und Geschehen. Ehe sie waren, hat er ihren ganzen Plan festgesetzt. Und wenn sie zu ihren Bestimmungen da sind, erfüllen sie nach seinem herrlichen Plan ihr Werk und keine Änderung gibt es" (1 QS 3,15). 37 Lev 6,20; 4 Reg 9,33; Ψ 50,9; vgl. C.HUNZINGER, Art. £αντίζω, ThWNTVI, S. 977,12ff. 38 O. MICHEL, Der Brief an die Hebräer ( K E K X I I I ) , Göttingen 1 3 1 9 7 5 , S . 3 4 6 f . ; HUNZINGER, ThWNTVI S . 9 8 3 ; NAUCK, a.a.O. S . 5 9 . 39 Das vermuten N A U C K , a.a.O. S . 5 9 , und HUNZINGER, ThWNTVI, S . 9 8 3 . 40 NAUCK, a.a.O. S. 155-159; Act 10,44-48 ist allerdings kein Taufritual, sondern eine einmalige Ausnahme.

IPetr 1,2a

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ist und wir auf ihn hin", wie die Bekenntnisformel 1 Kor 8,6 in Anlehnung an die hellenistische All-Vater-Formel und an das at.-jüd. Bekenntnis zu der Einzigkeit Gottes erklärt 41 . Aber die Erwählung geht in dreifacher Gestalt von ihm aus. Gott begegnet als Geschehen, allerdings als worthaftes Geschehen, welches der Ausdruck eines personhaften Gegenübers ist. Ob auch der Geist hier, weil er zwischen Gott und Christus genannt wird, gleich ihnen bereits als Person gedacht ist, muß offen bleiben42. θεός πατήρ ist eine Wendung gehobener liturgischer Sprache, die im NT sparsam, vor allem in den Grußformeln der Briefe gebraucht wird 4 3 . Sie kennzeichnet Gott als den Schöpfer, der jetzt durch den Erweis seiner Gnade die neue Existenz schafft (1,3) 4 4 und deshalb im Namen Jesu als Vater angerufen wird (1,17). Gottes πρόγνωσις, sein „Vorhererkennen", ist schon nach dem A T nicht Vorauswissen 45 , sondern Vorherbestimmen, das als erwählendes Handeln wirksam wird 4 6 . Es tritt nach IPetr 1 , 1 5 ; 5 , 1 0 wie nach Rom 8,29 f. in der Geschichte als Berufen in Erscheinung. Weil die Berufung, die Überführung zum Glauben, ausschließlich als G . SCHRENK, Art. πατήρ, ThWNT V , S . 1 0 1 3 , 1 5 F F . Man kann jedenfalls nicht wie SELWYN S . 249 sagen, die Stelle setze die Lehre von den „three persons of the Holy Trinity" voraus. 48 Erstmals wohl im Gnadenwunsch der meisten paulinischen Briefe: „Gnade und Friede von Gott, dem Vater", weiterhin in 2 Joh 3; Jud 1; vgl. SCHRENK, ThWNT V, S. 1008, lOff. u. Anm. 368. 44 Vgl. SCHRENK, ThWNT V, S . 1011 f. 45 So im Griechischen. Vgl. R . BULTMANN, Art. προγινώσκω, πρόγνωσις, ThWNT I, S. 716. 48 Das Subst. πρόγνωσις in der LXX nur Jdt 9,6: Gottes vorherbestimmendes Wissen, sonst das Verb γιγνώσκειν, „erkennen", als Gottes erwählendes Vorherbestimmen: Arnos 3,2 πλην ύμας ϊγνων έκ πασών φυλών. Vgl. Hos 5,3; Num 16,5; Jer 1,5: „Ehe ich dich im Mutterleib bildete, erkannte (= erwählte) ich dich (LXX έπίσταμαι); ehe du aus dem Schöße hervorgingst, habe ich dich geheiligt (ήγίακα): zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt". — Im nachkanonischen Judentum wird das erwählende Erkennen Gottes vor allem in den essenischen Texten betont: Der Schöpfer ist niSJTn , „Gott des Wissens", und als solcher hat er unabänderlich eines jeden Menschen Weg bestimmt: lQS3,15f. (s.o. Anm. 36); 1 QH 1,26-29; 12,10-12; vgl. 1 QH 1,19-21: „und in der Weisheit deiner Erkenntnis hast du ihre Bestimmung festgesetzt, bevor sie entstanden. Dieses erkannte ich aufgrund deiner Einsicht; denn du hast mein Ohr aufgetan für wunderbare Geheimnisse"; CD 2,7: „Gott hat sie nicht erwählt von uralter Zeit an; und bevor sie geschaffen wurden, kannte er ihre Werke". F. NÖTSCHER, Schicksalsglaube in Qumran und Umwelt, BZ NF 3 (1959) S. 231 f.; DERS., Zur theologischen Terminologie der Qumrantexte (BBB 10), Bonn 1956, S. 175f., rückt Vorherwissen und Vorherbestimmung (πρόθεσις, προορίζειν) zu weit auseinander; beides kann nicht scharf getrennt werden. In 1 QH 9,26-36 werden in der Gebetssprache Gottes (Vorher-)Erkennen und seine bestimmende Fürsorge als Vater eindrucksvoll miteinander verbunden: „Von meinem Vater her hast du mich erkannt und vom Mutterschoß her (mich geheiligt [Jer 1,4]) . . . Und von der Mutterbrust an ist dein Erbarmen bei mir gewesen . . . und durch deinen heiligen Geist hast du mich erfreut.. . und bis ins Alter hinein wirst du mich umsorgen. Denn mein Vater kennt mich nicht, und meine Mutter hat mich dir überlassen. Du bist ja ein Vater für alle Söhne deiner Wahrheit und freust dich über sie wie eine Mutter über ihre Kinder." 41

42

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1 Petr 1,2a

schöpferische Gnade aus dem Gegenüber widerfährt (vgl. Rom 9,11 f. 16), nicht eigener Subjektivität entspringt, sieht der Glaube hinter seiner anscheinend so zufälligen Entstehung gemäß der ihn begründenden Zusage die ewige Vorherbestimmung des Vaters, die ihn trägt und ans Ziel bringt (vgl. Rom 8,29f.; 11,2. 28f.). Die Mitte der Berufung ist der άγιασμός πνεύματος, „die Heiligung, die der Geist wirkt" 47 . Der Geist ist überweltliche Kraft; durch ihn ergreifen Gott bzw. der erhöhte Christus den Menschen von innen, indem sie ihn überführend anreden48. Der vom Geist Erfaßte wird auf diese Weise dem Profanen entnommen und in die Sphäre des Heiligen, nämlich Gottes, hineingenommen49: er wird „geheiligt" (2,5. 9; 3,5). Die „Heiligung" entspricht inhaltlich der Selbstoffenbarung Gottes. Sie äußert sich deshalb in einem entsprechenden menschlichen Verhalten, das von Hoffen, Glauben und Lieben bestimmt ist (1,15.22). Dieser Zugriff des Geistes vollzieht sich schon durch das missionarische Wort (1,12), vor allem aber grundlegend im Taufakt 80 und weiterhin in der Verkündigung, die von der Taufe ausgeht, wie sie der Brief selbst entwickelt (s. zu 1,13). Die zentrale Auswirkung der sich in dieser Weise vollziehenden Erwählung kennzeichnet das dritte Glied mit zwei Wendungen: Die Erwählung führt einerseits in den „Gehorsam" schlechthin61. Die υπακοή ist, wie 1,22 erklärt, das Anerkennen der Wahrheit, also der Glaube, der ein der Wirklichkeit entsprechendes Verhalten gestaltet. Die Erwählung vollzieht sich demnach als Berufung zum Glauben als Gehorsam. Diese Berufung widerfährt grundlegend durch die Taufe. Wenn der Gehorsam in diesem Sinn von der Taufe herkommt, wird seine Verbindung mit der „Besprengung" verständlich, die zunächst so überraschend ist. Sie ist nicht nur durch die traditionsgeschichtliche Herkunft der Formel und deren at. Hintergrund, den Bundesschluß, 47 πνεύματος ist gleich den beiden parallelen Genitiven Gen. subjectivus bzw. auctoris; die Wendung auch 2 Thess 2,13. άγιασμός, nomen actionis, ist ohne bestimmtes Äquivalent in der L X X , vgl. O. PROCKSCH, Art. άγιασμός, ThWNT I, S. 114f. 48 Zu πνεϋμα im 1 Petr vgl. E. SCHWEIZER, Art. πνεϋμα, ThWNT VI, S. 445f. " In dieser Weise erläutert der Brief in 1,15 f. selbst diesen für ihn zentralen Begriff, δγιος findet sich in l , 1 2 . 1 5 f . ; 2,9; 3,5; άγνίζειν in 1,22. 60 Auch in 1 Kor 1,30 meint αγιασμός die Taufe; vgl. 6,11. 6 1 WINDISCH S. 52 ergänzt aus dem Folgenden gemäß 2 Kor 10,5 Ίησοϋ Χρίστου. Dies ist nicht möglich, weil dies ein Gen. subjectivus ist. ύπακοή steht hier wie 1 , 1 4 absolut (vgl. 3,20). Das Wort ist im außerbiblischen Griechisch vorchristlich nicht nachzuweisen, in der L X X nur 2 Sam 22,36 (ohne hebr. Entsprechung), im NT zwölfmal als zentraler theologischer Begriff; davon bei Paulus absolut gebraucht: Rom 6,16; 15,18; 16,19; 2 Kor 7,15; 10,6; Phlm21; dem entspricht die sonstige Verwendung im NT, nämlich in 1 Petr 1,2.14.22 und Hebr 5,8. Der 1 Petr gibt mit Hilfe dieses im hellenistischen Christentum ausgeprägten Begriffs der ihm durch die Formeltradition vorgegebenen Vorstellung, daß die Erwählung sich in Gehorsam äußert (s. o. S. 82 f.), neuen Sinn.

1 Petr 1,2a

87

sondern durch den Inhalt des Taufgeschehens gegeben. Die Wendung ραντισμος αίματος Ίησοϋ Χρίστου, „Besprengung mit dem Blute Jesu Christi", erinnert den urchristlichen Leser an den Bundesschluß am Sinai, der auch am Ende des ersten Teils in 2,9 in den Blick tritt: Nach E x 24,7 f. gelobt das Volk Gehorsam und wird dann mit dem „Blut des Bundes" besprengt und in den Bund aufgenommen. Dieser at. Vorgang steht hier jedoch nicht mehr unmittelbar im Blick. Der 1 Petr entwickelt die Aussage über die Blutbesprengung nicht wie Hebr 9,18-21 typologisch vom AT her 62 . E r nimmt vielmehr eine christliche Wendung auf 63 , die seinen Lesern als Bild geläufig ist. „Mit Christi Blut besprengen" besagt, einen Menschen in den Wirkungsbereich seines Sterbens einbeziehen, ihn dem Gestorbenen zueignen 64 . Diese Zueignung bewirkt, wie das Bild anschaulich zur Sprache bringt, Reinigung und damit Aufnahme in eine neue Beziehung zu Gott. Das Bild zeigt zugleich an, daß diese Zueignung grundlegend in der Taufe vollzogen wurde 66 . Die sachliche Bedeutung von Jesu Sterben wird 1 Petr 1,18-20 weiter ausgeführt. Durch diese Erklärung wird der Skopus unserer Stelle einsichtig, warum nämlich die Erwählung der Welt entfremdet. Nach 1 Petr 1,18 kauft Jesu Sterben los aus dem „von den Vätern überkommenen Verhalten". Zugleich ist „der Gehorsam", in den die Erwählung führt, nach dem weiteren Brief (vgl. 1,22; 2,21 ff.; 3,14) auch Gehorsam im Sinne der „Bergpredigt"; wer diesen Weg einschlägt, wird gleich Jesus selbst (Mt 8,20; Mk 3,33 ff.) den „natürlichen" Menschen fremd. Dieses Anderssein bedeutet auch Konflikt mit der Gesellschaft, aber es beruht nicht auf Überheblichkeit und Eigenwillen, sondern auf der Erwählung: Gott hat nach den von ihm Erwählten gegriffen, und sie können ihm dafür nur danken (1,3-12). 52

G e g e n SELWYN S . 1 2 0 ; B E A R E S . 5 1 ; S C H E L K L E S . 2 2 f .

Eine solche liegt den Ausführungen des Hebr zugrunde — er bezieht sie auf verschiedene at. Stellen (vgl. Anm. 55) —· und begegnet wieder in Barn 5,1: έν τω £αντ[σματι αύτοϋ τοϋ αίματος. 54 αίμα Χρίστου ist gemein urchristliches Bild für das Sterben Jesu in seiner Heilsbedeutung: Hebr 9,16 setzt θάνατος für 9,18 αίμα, ebenso Rom 5,9 f. 55 Von einer Besprengung mit dem Blut Christi redet im N T außer dem 1 Petr nur der Hebr. Unserer Stelle kommt Hebr 12,24 am nächsten: Wer sich der Gemeinde anschließt, tritt hinzu „zu Jesus, dem Mittler des neuen Bundes, und zu dem Blut der Besprengung (αϊματι ραντισμοϋ), das kräftiger redet als das Abels". Diese Besprengung erfolgt nach Hebr 10,22 zugleich mit einer Waschung des Leibes, d. h. in der Taufe: „Durch Besprengung (mit Blut) an den Herzen gereinigt vom bösen Gewissen und den Leib gewaschen mit reinem Wasser." Was diese Besprengung vermittelt, erschließt ihr typologischer Hintergrund, nämlich die Blutbesprengung am großen Versöhnungstag Lev 16 -4- auch das Entsündigungswasser Num 19 •—• und der Bundesschluß am Sinai E x 24,3-8 (Hebr 9,13.18-21). Demnach besagt dieses typologische Bild: Die Zueignung des Sterbens Jesu reinigt von den Sünden und versetzt in ein Bundesverhältnis zu Gott. Dadurch überholt sie weit jene gnädigen, aber unzureichenden Stiftungen Gottes, die das AT bezeugt. Durch sie wird nichts Geringeres als der verheißene neue Bund hergestellt, das eschatologische Gottesverhältnis, das wirklich Vergebung, Gemeinschaft, bedeutet. 63

88

IPetr 1,2b

V. 2b: Der das Präskript abschließende Gruß χάρις ύμΐν καΐ ειρήνη πληθ-υνθείη wirkt nach der gefüllten Zuschrift sehr knapp. Der Gruß wünscht den Angeredeten den „Gnadenerweis" und das „Heilsein"6β, deren Inhalt die triadische Formel im einzelnen bereits näher umschrieben hat. Der Wunsch ist Fürbitte, mehr noch: wirksamer Zuspruch, Segen. 5β

STER,

ειρήνη hat im Gruß den umfassenden Sinn des at. DlVttf; vgl. G. v. R A D - W . Art. ειρήνη, ThWNT II, S. 401-405. 411 f. S. u. zu l P e t r 3 , l l und 5,14.

FOER-

1,3-2,10: Erster Hauptteil Basis und Wesen christlicher Existenz in der Gesellschaft 1) 1,3-12: Wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung 3 Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, 4 zu einem unvergänglichen, unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das im Himmel für euch verwahrt ist, 5 die ihr durch die Kraft Gottes bewahrt werdet durch den Glauben für das Heil, das bereit ist, zur letzten Zeit geoffenbart zu werden. 6 Dann werdet ihr jubeln, die ihr jetzt, wenn es sein muß, durch mancherlei Prüfungen Schmerzliches erfahrt, 7 damit die Echtheit eures Glaubens, die kostbarer ist als vergängliches Gold, das (doch) durch Feuer geläutert wird, erfunden werde zu Lob, Herrlichkeit und Ehre bei der Offenbarung Jesu Christi. 8 Ihn liebt ihr, ohne ihn gesehen zu haben, an ihn, ohne ihn jetzt zu sehen, glaubend werdet ihr in unaussprechlicher und verklärter Freude jubeln, 9 wenn ihr das Ziel eures Glaubens, die Rettung der Seelen, empfangt. 10 Nach diesem Heil suchten und forschten (die) Propheten, die über die für euch (bestimmte) Gnade weissagten, 11 indem sie forschten, auf welche oder was für eine Zeit der in ihnen (wirkende) Geist Christi hinweise, der die Christus treffenden Leiden und die darauf folgende Herrlichkeit vorherbezeugte. 12 Ihnen wurde geoffenbart, daß sie nicht sich selber, sondern euch mit dem dienten, was euch jetzt durch die verkündigt wurde, die euch in (der Kraft) des vom Himmel gesandten heiligen Geistes das Evangelium brachten, — worein Einblick zu haben (selbst die) Engel begehren.

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IPetr 1,3-2,10

Zu Form und Aufbau: 1) Der Dank und die Fürbitte, die im antiken Brief gewöhnlich auf Zuschrift und Gruß folgen 1 , sind hier als Lobpreis Gottes, als Eulogie, formuliert 2 . Die Eulogie ist at.-jüd. Gebetsstil 3 . Der 1 Petr nimmt auch diese Vorlage hier durch das Medium christlicher Tradition auf. Die einleitende Benediktionsformel V . 3 a (εύλογητός bis Ίησοΰ Χρίστου) findet sich wörtlich bereits in 2 Kor 1,3 und Eph 1,3. Sie ist, gleich ob Paulus sie gebildet hat, christliches Formelgut. Die Begründung der Eulogie V.3b(-5) nennt bekennend das Heilswiderfahrnis: „der uns . . . wiedergeboren hat". Schon V. 4 geht aus dem Wir-Stil des Bekenntnisses in die 2. Person der kerygmatischen indikativischen Anrede über, die bis zum Ende des Abschnitts beibehalten wird. Dieselben Stilformen finden sich in Eph 1 , 3 - 1 4 : Nach der wörtlich übereinstimmenden Benediktionsformel folgt, ebenfalls mit einem Partizip 4 anschließend, ein begründendes Bekenntnis des Heilswiderfahrnisses im Wir-Stil, das — allerdings erst in l , 1 3 f . — in eine kerygmatische Anrede übergeht, wobei die gehobene Sprache zurücktritt 5 . Während beide Abschnitte das Heilswiderfahrnis im Wir-Stil bekennen®, schildern vergleichbare Stücke in den Hodajot 1 Vgl. A. DEISSMANN, Licht vom Osten, Tübingen 4 1923, S. 145-163. 2 Die Gestaltung von Dank und Fürbitte im Briefeingang als Eulogie findet sich im NT in 2 Kor 1,3-11; Eph l,3-12(13f.) und 1 Petr 1,3-5. Sie scheint spezifisch urchristlich zu sein; denn sie ist vorchristlich nur in einem angeblichen Brief des Suron (Hiram) an Salomo, der um 150 v.Chr. zitiert wird, zu finden: Σούρων Σολομώνι βασιλεϊ . . . χαίρειν. Εύλογητός δ θεός, δς τόν ουρανών καΐ τήν γην femσεν (bei Euseb, Praep. evang. IX, 34). Vgl. R. DEICHGRÄBER, Gotteshymnus und Christushymnus in der frühen Christenheit (StUNT 6), Göttingen 1967, S. 64. 8 Die at. Eulogien setzen vielfach ein: εύλογητός (LXX für *p*13) κύριος ό θεός Ισραήλ und nennen in einem anschließenden Partizip-, Relativ- oder Kausalsatz als Grund eine Heilstat Gottes: 3 Reg 1,48; 8,15; aufgenommen im Benediktus Lk 1,68; abgewandelt Gen 14,20; Τ 65 (66), 20; Dan 3,28; 2 M a k k l 5 , 3 4 ; in Gen 9,26 leitet die Formel Fluch und Segen ein (vgl. 1 QM 13,2.2). An einige Psalmen ist sie als Schlußeulogie angefügt: Ψ 40,13 ( = 41,14); 71 (72),18; 88(89),53; 105(106),48. Während die Eulogie im AT meist in der 3. Person steht, tritt im Judentum die 2. Person in den Vordergrund. In dieser Gestalt schließt jede Bitte des 18-Bitten-Gebets mit einer Eulogie, die Gott als den bekennt, der sie erfüllt (P. BILLERBECK IV, S. 211-214). Ähnliche Form haben zum Teil die Benediktionen, die das Schema liturgisch umrahmen (BILLERBECK IV, S. 192-195). Bei Tisch werden Speise und Trank gesegnet, indem man mit einer Benediktion Gott als den Geber bekennt: „Gepriesen seist du, Jahwe, unser Gott, König der Welt, der du . . . " (H. W. BEYER, Art. εύλογέω, ThWNT II, S. 758). Essenische Gebete danken in derselben Weise für die Erlösung: 1 QM 14,8: „Gepriesen sei dein Name . . ."; 1 QH 5,20; 10,14; 11,27; vereinzelt auch in 3. Person: 1 QM 14,4: „Gepriesen sei der Gott Israels, der Gnade gewährte seinem Bund und Bezeugung der Hilfe dem Volk seiner Erlösung." Vgl. DEICHGRÄBER, Gotteshymnus S. 40-43. 1 Begründung der Benediktion im Part, auch in 2 Kor 1,4; in LXX verhältnismäßig selten: Ψ 71,18; 134,21; 143,1; im nachat. Judentum häufiger: 1 Makk4,30; 2 Makk 15,34; PsSal 6,6; 1 QS 11,15; 1 QM 14,4.8; auch in den meisten Benediktionen des 18-Bitten-Gebets. 6 Zu Eph 1 vgl. G. SCHILLE, Frühchristliche Hymnen, Berlin 1 9 6 5 , S . 7 3 - 8 1 ; D E I C H GRÄBER, Gotteshymnus S . 6 4 - 7 6 : deutliche, jedoch nicht ausschließliche Beziehung auf die Taufe. " Terminologische Berührungen zwischen Eph 1,3-14 und 1 Petr 1,3-5 dürften aus der Behandlung desselben Stoffes in traditionellen Wendungen zu erklären sein; so

1 Petr 1,3

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von Qumran (z.B. 1QH 2,20-30; 3,19-36; 11,2-8) und in den Oden Salomos (11; 15; 28f.) das Erlösungserlebnis individuell im Ich-Stil. Der IPetr beschreibt, wie sich zeigen wird, nicht ein Erlebnis, sondern verkündigt, was allen durch die Taufe Berufenen widerfahren ist. 2) Der ganze Abschnitt 1,3-12 bildet grammatikalisch eine einzige Satzperiode, die stilistisch bescheiden durch eine Aufreihung von Relativsätzen gebildet wird. Er redet in gehobener Sprache7. Nach W I N D I S C H handelt es sich um einen Hymnus, der rhythmisch in 5 Strophen mit je 7 oder 5 Zeilen gegliedert ist 8 . Beides ist bei genauerer Bestimmung der Stilformen nicht mehr vertretbar. Ein dem Rhythmus der Sprache und dem Sinn entsprechendes Absetzen von Zeilen (s. die Übersetzung) läßt jedoch die durchsichtige Gliederung unmittelbar in Erscheinung treten®. 3) Versucht man inhaltlich zu gliedern, so heben sich deutlich vier Aussagegruppen ab. V.3-5: das lobende Bekenntnis, daß er uns wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung. Es folgen zwei gleichgebaute Sätze, jeweils mit άγαλλιασθε als Hauptverbum, die je eine Einschränkung enthalten; V.6f.: Hoffnung, obgleich gegenwärtig durch Leiden angefochten (άρτι el δέον λυπηθ-έντες), und V.8f.: Hoffnung, obgleich das Heil gegenwärtig noch nicht zu sehen ist (άρτι μή όρώντες). Trotzdem gilt, was V. 10-12 abschließend gesagt wird: die der Gemeinde bereits zuteil gewordene Gnade ist schon das geweissagte endzeitliche Heil.

V. 3-5: Wiedergeburt aufgrund des Erbarmens Gottes V . 3 : Mit dem im außerbiblischen Griech. unbekannten Verbaladjektiv ευλογητός gibt die L X X das hebr. Part. pass. "qna „gesegnet, gepriesen (sei)" wieder. In diesem Sinn nimmt es das NT auf und wendet es ausschließlich doxologisch auf Gott an 10 . Wer die Eulogie ausspricht, auch DEICHGRÄBER, Gotteshymnus S. 78. Vgl. noch C. L. MITTON, The Relationship between I Peter and Ephesians, JThSt NS 1 (1950) S. 67-73; J. COUTTS, Ephesians 1 . 3 - 1 4 and I Peter 1.3-12, NTS 3 (1956/57) S. 115-127. 7 Zum griech. Stil des 1 Petr vgl. L. RADERMACHER, Der 1. Petrusbrief und Silvanus, ZNW 25 (1926) S. 287-295, vor allem S. 288. 8 WINDISCH S . 52. Ihm folgt J. SCHNEIDER, Die Kirchenbriefe (NTD 10), Göttingen 2 1967, S . 4 4 . Nach PREISKER (in: WINDISCH-PREISKER S . 157) ist es ein Gebetspsalm. Dagegen mit Recht DEICHGRÄBER, Gotteshymnus S . 77 Anm. 1. M.-E. BOISMARD, Quatre Hymnes Baptismales dans la Premiire fipitre de Pierre, Paris 1961, S. 24ff., findet hier wie in 2,22-25; 3,18-22 und 5,5-9 Taufhymnen, • Um den Nachweis einer über 1 , 3 - 1 2 hinausgreifenden kunstvollen literarischen Gestaltung bemüht sich M . - A . CHEVALLIER, I Pierre 1/1 Ä 2 , 1 0 . Structure litt6raire et consdquences ex6gitiques, RHPhR 5 1 ( 1 9 7 1 ) S. 1 2 9 - 1 4 2 . 10 εύλογητός findet sich im NT in Lk 1,68; Rom 1,25; 9,5; 2 Kor 1,3; 1 1 , 3 1 ; Eph 1,3; 1 Petr 1,3. Es ist als Wunsch gemeint; ein zu ergänzendes είη oder έστίν wird hier noch weniger erwartet als bei anderen Wunschformeln (BL.-DEBR.-REHK. § 128,5). Es kann im frühchristlichen Schrifttum durch folgende Verben ersetzt werden: εΰχαριστεΐν, αίνεϊν, δοξάζειν, όμολογεΐν, έξομολογεΐσθαι. Vgl. Η. SCHLIER, Der Brief an die Epheser, Düsseldorf 1957, 7 1971, S. 42f.; H.W.BEYER, Art. εύλογέω, ThWNT II, S. 751,31ff.; 756,3ff.; 761,39ff.

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1 Petr 1,3

aktualisiert den Kern seines Glaubens; er bekennt anbetend und lobpreisend Gott als Gott, nämlich als den, dem er sich verdankt. Die nt. Eulogie kennzeichnet Gott nicht mehr, wie noch das Benediktus Lk 1,68 als „den Gott Israels", sondern als „den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus" (2 Kor 1,3; E p h l , 3 ) n . Diese liturgischer Gebetssprache entstammende Gottesprädikation ό θ-εός και πατήρ του κυρίου ήμών Ίησοϋ Χρίστου will sagen: Jetzt hat sich Gott nicht mehr nur durch die Erwählung Israels 12 , sondern endgültig durch die Sendung seines Sohnes als Gott erschlossen. „Durch ihn", nämlich durch Jesus Christus, sind wir nach 1 Petr 1,21 „zum Glauben an Gott gekommen". Es ist also nicht in der Weise der Leben-Jesu-Theologie an das Reden des irdischen Jesus von Gott dem Vater, sondern an den Erhöhten als κύριος der Gemeinde gedacht, in dem der ganze Christusweg, auch der Irdische und sein Wort, gegenwärtig ist. Nicht wer Information über Gott empfangen hat, sondern wer durch den Sohn mit ihm verbunden wurde, kann an ihn glauben und ihn „als Vater anrufen" (IPetr 1,17). Demgemäß wird hier das die Eulogie begründende Heilswiderfahrnis in anthropologischer Zuspitzung bezeugt: ό κατά τό πολύ αύτοϋ έλεος άναγεννήσας ή μας εις ελπίδα ζώσαν δι' αναστάσεως Ίησοϋ Χρίστου έκ νεκρών. Dieser Satz bezeugt das grundlegende Woher des Christseins. Es ist sachgemäß, daß er die Wurzel christlicher Existenz im Stil des doxologischen Bekenntnisses aufdeckt. Denn die Basis des Christseins ist auch anthropologisch gesehen nicht eine Entscheidung oder das Annehmen eines Angebots, sondern eine in Gottes Erbarmen begründete zweite Geburt, die Erschließung eines neuen Daseins. Wie diese zweite Geburt geschieht, erklärt zunächst eine Analyse des Begriffs αναγεννάω. Die Herkunft des Redens von der Wiedergeburt in 1 Petr 1,3.23 1) Das Verbum άναγεννάω, „wiedererzeugen", „wiedergeboren werden lassen", findet sich im NT zwar nur im 1 Petr (1,3. 23), aber die Vorstellung der Wiedergeburt war dem hell. Christentum der nachpauünischen Zeit in seiner ganzen Breite geläufig. Sie wird sonst mit παλιγγενεσία (Tit 3,5), άποκυέω (Jak 1,18) und άνωθεν γεννασθ-αι (Joh 3.5.7) bzw. έκ θεοϋ γεννασθαι (Joh 1,13; 1 Joh 2,29 u. ö. im 1 Joh) umschrieben. — Das Verbum άναγεννάω fehlt zwar im klass. Griech., wie in der L X X und bei Philo, war jedoch der hell. Umwelt 1 1 Das Gen.-Attribut bezieht sich auf θεός. Dies wird durch den einen Artikel vor θεός καΐ πατήρ nahegelegt, wenn auch nicht erwiesen. Es wird zudem für die Formel in Rom 15,6 und 2 Kor 11,31 durch den Kontext gefordert. Eph 1,17 redet ausdrücklich von dem „Gott unseres Herrn Jesu Christi"; mit SCHLIER, Epheser S. 43 Anm. 2; anders WINDISCH, 2 Kor S. 36 ff. Daß Gott sich in Jesu Kommen und in dem Herrsein des Erhöhten eschatologisch den Menschen zuwendet, schließt nicht aus, sondern ein, daß er Jesus gegenüber Gott bleibt. 12 Das Gen.-Attribut Israel nennt im AT den Erwählten, der Jahwe als seinen Gott bekennt und zu dem er sich bekennt, z.B. die drei Männer im Feuerofen Dan 3,28.

1 Petr 1,3

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in alltäglichem wie in religiös-technischem Sinn bekannt 13 . Wahrscheinlich wurde von den Mysterienreligionen ein άναγεννασθαι in Aussicht gestellt14. 2) Nicht 2ufällig fehlt die Vorstellung in den älteren Schichten des nt. Schrifttums wie im palästinischen Judentum 16 . Sie entspringt dem der at. Tradition fremden zyklischen Denken, nach dem auch menschliches Dasein im Kreislauf des Stirb-und-Werde aufgeht 16 . Weil menschliches Dasein sich nach dem AT dem Schaffen Gottes verdankt und teleologisch-geschichtüch ausgerichtet ist, wird ein wesentlicher Neuanfang als neue Schöpfung erwartet. Im rabb. Judentum Palästinas wird im Anschluß an das AT eine „Neuschöpfung" in der Endzeit angekündigt 17 ; einschneidende Veränderungen der Lebenssituation vor Gott, z.B. durch den Übertritt zum Judentum, werden schon gegenwärtig bildlich als solche bezeichnet18. Darüber hinaus denken die 13 Philo bezeichnet Aet. Mundi 8 mit dem Subst. άναγένεσις die Welterneuerung nach der Stoa, für die er Aet. Mundi 9 und sonst das ihm geläufige παλιγγενεσία verwendet. — Josephus gebraucht άναγεννάω in der Bedeutung „neu entstehen" für Alltägliches. 14 Lit.: F. BÜCHSEL, Art, γεννάω, ThWNTI, S. 671 f.; W I N D I S C H S. 59; J. D E Y , ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ. Ein Beitrag zur Klärung der religionsgeschichtlichen Bedeutung von Tit 3,5 (NTA 17,5), Münster 1937; M. DIBELIUS, Die Isisweihe bei Apuleius, in: D E R S . , Botschaft und Geschichte (Ges. Aufs.) II, Tübingen 1956, S . 30-79; R . SCHNAKKENBURG, Die Johannesbriefe (HThKXII,3), Freiburg 41970, S . 178-182; SCHELKLE S . 27 ff. 1 5 E. SJÖBERG, Wiedergeburt und Neuschöpfung im palästinischen Judentum, StudTheol 4 (1951/52) S. 44-85; D E R S . , Neuschöpfung in den Toten-Meer-Rollen, ebd. 9 (1956) S. 131-136; O . M I C H E L - O . BETZ, Von Gott gezeugt, in: Judentum, Urchristentum, Kirche (Festschrift J. Jeremias, BZNW26), Berlin 1960, S. 3-23; L. GOPPELT, Art. Wiedergeburt II, RGG 3 , Sp. 1967-1969; vgl. noch G. SCHNEIDER, Neuschöpfung oder Wiederkehr?, Düsseldorf 1961. l e Die Aussagen über eine Wiedergeburt in den Mysterien sind sämtlich erheblich später als das NT, dürften jedoch bereits für die nt. Zeit gelten. Nach Apuleius, Metam. 11,21, geschieht die Isisweihe „ad instar voluntariae mortis et precariae salutis (als Abbildung eines freiwilligen Todes und eines erbetenen Heils)". Von der Göttin wird erwartet, daß sie „sua Providentia quodam modo renatos reponere rursus salutis curricula (die durch ihre Fürsorge gleichsam Wiedergeborenen auf Laufbahnen des Heils versetzt)". Nach der „Mithrasliturgie" (vgl. A. DIETERICH, Eine Mithrasliturgie, Leipzig 1903, S. 14, 31) soll der Myste sprechen: κύριε, πάλιν γενόμενος άπογίγνομαι αύξόμενος καΐ αυξηθείς τελευτώ, (άπό γενέσεως ζωογόνου γενόμενος . . .). Nach einer Inschrift (ca. 376 n. Chr.) wurde ein Myste der Kybele „taurobolio cribolioque in aeternum renatus". Das Verb άναγεννάω begegnet in den nichtchristlichen Quellen nur bei Sallust, De Deis 4 (4. Jh. n. Chr.): Bei einer Weihehandlung wird den Mysten nach dem Fasten als Neugeborenen (άναγεννώμενοι) Milch gegeben. So ist es nicht eine Rückprojektion christlicher Vorstellungen, wenn die Kirchenväter des öfteren erwähnen, daß in den Mysterienweihen Wiedergeburt geschehe: Tert, Bapt. 5,1 (in regenerationem); Hipp, Ref. 5,8,10 u. 23 (άνεγεννασδαι). Das Gespräch über die παλιγγενεσία CorpHerm 13 (vielleicht 3. Jh.) redet von einem γεννασ&αι oder einer γένεσις aus Gott (13,1.3.7); vgl. R . REITZENSTEIN, Die hellenistischen Mysterienreligionen, Leipzig/Berlin 31927 (Neudruck 1956), S. 4752; A. D. N O C K , Corpus Hermeticum II, Paris 1945, z. St. 17 Jes 51,6; 65,17; 66,22; vgl. syrBar32,6; 44,12. — Ein hebr.-aram. Wort für Wiedergeburt fehlt; vgl. G. D A L M A N , Die Worte Jesul, Leipzig 21930, S. 145. 18 CantR 1 zu 1,3: Abraham „brachte einen Menschen unter die Fittiche der Schechina, was (von Gott) so angerechnet wird, als hätte er ihn geschaffen, geformt und gebildet";

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1 Petr 1,3

Essener19 an eine Umwandlung des Personlebens mit eschatologischer Relevan2, wenn sie den Eintritt in ihre Gemeinschaft nicht nur als Vollzug der Umkehr und Aufnahme in den neuen Bund, sondern auch als Auferstehung und Neuschöpfung bezeichnen. Diese Vorstellung erscheint 1 QH 3,19-23 in einem Motivzusammenhang, der unmittelbar an 1 Petr 1,3-5 erinnert: „Ich preise dich, Herr; denn du hast meine Seele aus der Grube erlöst und mich aus dem Totenreich des Untergangs heraufgeführt zu ewiger Höhe. Und ich wandle auf einer unerforschlichen Höhe. Und ich weiß, daß es eine Hoffnung gibt für den, den du geschaffen hast aus dem Staub heraus zu ewiger Gemeinschaft. Und den verkehrten Geist hast du gereinigt von großer Verschuldung, daß er sich stelle an den Standort mit dem Heer der Heiligen.. daß er deinen Namen lobe in gemeinsamem Jubel und deine Wunder erzähle vor all deinen Werken." Diese Stelle kennzeichnet ebenfalls in Gestalt einer Eulogie die totale Umkehr, den Eintritt in die Sekte, als Auferweckung und als neue Schöpfung zur Hoffnung, aber nicht als Wiedergeburt. 3) Das Reden von einer Wiedergeburt in 1 Petr 1,3 geht demnach auf einen Motivzusammenhang aus dem Selbstverständnis der Qumrangemeinde zurück. Er wurde wohl schon in einer dem Brief vorhergehenden christlichen Tradition in die Sprache des hellenistischen Christentums übertragen. Der den hellenistischen Menschen fremde Terminus „Neuschöpfung" wurde durch den allgemein verständlichen Begriff „Wiedergeburt" ersetzt. Diese Anpassung wurde durch die innerchristliche Tradition vom Sohnesverhältnis der Getauften zu Gott dem Vater gefördert (vgl. Gal 4,6 f. 28 f.), obgleich beide Vorstellungen von Hause aus voneinander unabhängig sind. Schon dieser sprach- und traditionsgeschichtliche Hintergrund legt nahe, daß die Wiedergeburt hier nicht als vorfindücher Vorgang, als Eingebung einer pneumatischen Übernatur oder als Bekehrungserlebnis, gedacht ist. Dies wird durch den Kontext bestätigt. Die Wiedergeburt geschieht, wie zunächst in V. 3 b ausgeführt wird, als Versetzung in eine neue Lebenssituation, nämlich als Eröffnung einer έλπίς ζώσα, einer nicht trügenden, gültigen 2 0 , „lebendigen Hoffnung", έλπίς ist hier nicht das Hoffen, sondern das Erhoffte, die verbürgte, heile: Zukunft. Denn in V . 4 f . stehen parallel κληρονομιά, „Erbe", und σωτηρία, „Heil". Wiedergeboren sind alle, denen Hoffnung, nämlich das Erbe, das Heil, die verbürgte, heile Zukunft, gegeben ist. Nur solche Erwartung verdient den Namen Hoffnung; ohne Christus lebt der Mensch nach urchristlicher Auffassving „ohne Hoffnung und ohne Gott in der Welt" (Eph 2,12; vgl. IThess 4,13) 2 1 . J e b 2 2 b : „Ein (eben) übergetretener Proselyt gleicht einem Kind, das gerade geboren ist"; vgl. BILLERBECK I I , S . 423; I I I , S . 763; SJÖBERG, StudTheol4 (1951/52) S . 44ff. — Die Vorstellung einer Zeugung durch Gott begegnet im at.-jüd. Raum nur als Bild: Nach, Spr 8,25 ist die Weisheit von Gott gezeugt, d. h. nach Sir 24,8(10) von ihm geschaffen.. Der König ist nach Ψ 2 , 7 ; 109,3 von ihm gezeugt, d.h. adoptiert. » SJÖBERG, StudTheol 9 (1956) S. 131-136. 80 ζώσα im Sinne von Rom 5,5, nicht wie Herrn vis 3,12 „bleibend". ä l Vgl. R. B U L T M A N N - Κ . H. RENGSTORF, Art. έλπίς, ThWNTII, S. 515-531.

1 Pete 1,3

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Wiedergeburt wie Hoffnung ist begründet und bewirkt „durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten". Nicht die mirakelhafte Wiederbelebung eineä Menschen, sondern die den Christusweg integrierende Auferstehung Jesu (1 Petr 3,18-22) begründet die christliche Existenz. Denn durch sie wird die Gefangenschaft der Menschen und der menschlichen Gesellschaft in der sarkischen, zum Tode führenden Existenz (1,24), in Verblendung und Begehren (1,15) und damit in der Sinnlosigkeit (1,18) aufgebrochen und Zukunft, nämlich „die bei der Offenbarung Jesu Christi entgegenkommende Gnade" (1,13), erschlossen. Die Auferstehung Jesu aber wirkt Wiedergeburt nur in Verbindung mit den beiden Faktoren, die an anderen Stellen als Ursachen genannt werden. Menschen werden nach 1 Petr 1,23 und Jak 1,18 wiedergeboren durch das Wort Gottes, die Botschaft von Jesus Christus, insbesondere von seiner Auferstehung, und nach Tit 3,5 und J oh 3,5 durch die Taufe, die dem Auferstandenen zueignet. Wenn 1 Petr 1,3 generell bekennt: „Er hat uns wiedergeboren", dann ist nicht an die Bekehrung, sondern an die Taufe gedacht; es sind alle Getauften einbezogen22, was jedoch nur als Bekenntnis ausgesagt werden kann. Das Bekenntnis wird durch den in 1,13 folgenden Imperativ als ein kerygmatischer Indikativ gekennzeichnet, der nicht auf innerweltlich Vorfindüches, sondern wie Rom 6,310 auf von Gott Gesetztes verweist, von dessen Anerkennung der Mensch lebt (l,13ff. 22ff.). Der Sinn dieses den Brief einleitenden Bekenntnisses wird weiter durch die ihn schließende Zusage erläutert; denn beide entsprechen einander sachlich. In 1 Petr 5,10 setzt die abschließende Fürbitte ein: „Der Gott aller Gnade, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit, . . .". Der Mensch wird wiedergeboren, wenn Gott ihn beruft. Beides geschieht grundlegend in der Taufe. Die Wiedergeburt ist das Widerfahrnis der überführenden Zusage Gottes. Demgemäß tritt Wiedergeburt in Erscheinung als das neue Ich, das dieses Widerfahrnis anerkennt und dieser Berufung folgt, das hofft, glaubt und liebt (1,13. 21. 22f.). Nach allem ist die neue Existenz des Menschen, die allein Zukunft hat, nicht von ihm selbst zu verwirklichen. Sie ist vielmehr „der großen Barmherzigkeit Gottes" oder, wie 5,10 sagt, seiner „Gnade" zu danken 23 . Nicht zufällig beginnt daher 1,3 b mit der Wendung ό κατά το πολύ αύτοϋ έλεος κτλ. Der IPetr orientiert demnach die christliche Existenz primär an der Hoffnung, nicht wie Paulus am Glauben. Paulus stellt den Glauben heraus, weil dieser das Christsein vom Bisherigen freimacht. Der 1 Petr betont gleich anderen Schriften der nachpauünischen Zeit, vor allem 22 Die ή μας sind alle Getauften. Nicht zufällig sind auch die übrigen drei Stellen, an denen sich der Verf. mit den Lesern zu einem „wir" zusammenschließt (2,24; 3,18; 4,17; vgl. S E L W Y N S . 28) kerygmatische Bekenntnisse. 23 Die Wendung entspricht dem at. 10Π~2Ί, L X X πολυέλεος Ex 34,6; Num 14,18;

Ψ 85(86),5.15. έλεος steht im 1 Petr nur hier; sonst wird das nt. χάρις gebraucht.

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1 Petr 1,4

gleich dem Hebr, die Hoffnung; denn die Hoffnung trägt durch die Geschichte, die aufgrund der verziehenden Parusie nun bedrängend vor der Gemeinde steht. So lebt die christliche Gemeinde ähnlich der at.-jüd. Exodusgemeinde in der Hoffnung. In Hebr 11 wird ausdrücklich auf die Väter verwiesen, im Eingang des 1 Petr aber werden aus dem gleichen Grund sachbedingt essenische Traditionen aufgenommen. Freilich ist die Existenz auf Hoffnung hier ganz anders gegründet als in der at.-jüd. Gemeinde. Das zeigt die Umschreibung ihres Ansatzes als Wiedergeburt durch die Auferstehung Jesu Christi an, die der at.-jüd. Gemeinde sprachlich und sachlich fremd ist. Und doch bleibt es eine Existenz auf Hoffnung. Daher wird nun in V.4f. die Zuverlässigkeit der Hoffnung plerophorisch umschrieben. V.4: Das Erhoffte wird ebenso wie in Hebr ll,9ff. nach at.-jüdischer und urchristlicher Tradition als κληρονομιά gekennzeichnet24. Das „Erbe" ist durch eine rechtsverbindliche Zusage, die dem Vater-Sohn-Verhältnis entspricht, verbürgt (1,10-12.17). Dieses Erbe ist, anders als alles, was sich der Mensch selbst beschafft, άμίαντος, „nicht von Unrecht befleckt", αμάραντος, „unverwelklich", und vor allem άφθαρτος, „unverderblich", hier wohl „unvergänglich", d.h. nicht dem Vergehen verfallen (vgl. Mt 6,19f.) 25 . Was das Eschaton bringt, kann vom Innerweltlichen her immer nur via negationis bestimmt werden. Das Erbe ist nach 1 Petr 3,7 „die Gnade des Lebens", nach 3,9 „der Segen", die gnädige Zuwendung Gottes, die Leben bedeutet, nach dem parallelen Kontext V. 5 die σωτηρία, das „Heil". Dieses leuchtende, überweltliche Ziel ist nicht eine ferne Utopie; es ist vielmehr schon jetzt „im Himmel verwahrt". In der Wendung τετηρημένη έν ούρανοϊς wird die apokalyptische Vorstellung, daß die Güter 24 κληρονομιά, „Erbe", ist in det L X X das den Vätern verheißene Land Dt 12,9; 15,4; 19,10; vgl. Dt. 5,9f.; Jos 11,23 u.ö., weiterhin das eschatologische Heil, das ewige Leben Dan 12,13 Theod.; PsSal 14,10; 15,15; 1 QS 11,7. Entsprechend kennzeichnet das NT als Erbe bzw. als zu erben die Erde Mt 5,5; die himmlische Stadt Apk 2 1 , 2 - 7 ; das Reich Gottes Mt 25,34; 1 Kor 6,9 f.; 15,50 u . ö . ; die Herrschaft Christi Eph 5,5; die Verherrlichung mit Christus Rom 8,17; das ewige Leben Mk 10,17 par Lk; Lk 10,25; Mt 19,29; Tit 3,7; die Unsterblichkeit 1 Kor 15,50; das Heil Hebr 1,14 u.a.; vgl. 1 Petr 3,7 „Miterben der Gnade des Lebens" und 3,9 „den Segen erben". Demnach ist „Erbe" durchweg terminus technicus für das eschatologische Heil, das Gottes Treue verbürgt. Die Vorstellung, daß die Söhne „erben", die traditionelle Kennzeichnung der Hoffnung als Erbe, ist an unserer Stelle nicht erst, wie B E A R E S. 56 f. und S C H E L K L E S. 31 f. annehmen, durch das άναγεννδσθαι veranlaßt worden, sondern es wird durch das Vater-Sohn-Verhältnis unterbaut (1 Petr 1,17; vgl. Rom 8,17; Gal4,7). 25 Die drei Adj. werden auch in der Sapientia Salomonis verwendet, um Gottes Geben von Diesseitigem abzuheben: άμίαντος, im NT nur hier, in Sap 4,2 vom Lohn der Tugend; άμάραντος in Sap 6,12 von der Weisheit; άφθαρτος, im 1 Petr auch 1,23 und 3,4, in Sap 12,1 vom Heiligen Geist, 18,4 vom Gesetz. Eine Aufreihung von Adj. mit α-privativum ist gehobener griech. Stil; z.B. Soph, Antig. 1071: άμοιρον, άκτέριστον, άνόσιον νέκυν.

IPetr 1,5

97

der Heilszeit im Himmel verwahrt sind26, als Bild aufgenommen. Das zukünftige Heil ist schon jetzt „für euch" (είς ύμας) verborgen bei Gott; es wird durch den erhöhten Christus repräsentiert. Mit seiner „Offenbarung" wird es hervortreten (1,7; vgl. V.5). V.5: Wie Gottes Treue das Heil „verwahrt", so „bewahrt" seine Kraft nach V.5a zugleich diejenigen, die es empfangen sollen, davor, es zu verfehlen. Gottes Bewahren umschließt, wie das Wortspiel τετηρημένη — φρουρούμενοι einprägt, sowohl das Heil wie seine Empfänger. Daß die Berufenen bewahrt werden, wird vor Beginn aller Paränese im Indikativ versichert. Gottes Kraft hält sie gleichsam in Schutzhaft: οί έν δυνάμει θεοϋ φρουρούμενοι. Gottes Kraft tritt hervor als sein Geschichte gestaltendes Wirken, letztlich aber in der Auferweckung Jesu und in dem durch das Evangelium nach den Menschen greifenden Geist. Sie führt die Berufenen nicht deterministisch als Schicksalsmacht. Sie werden vielmehr als Person beteiligt. Darum werden sie δια πίστεως bewahrt, indem ihr Glaube erhalten wird. Diese indikativische Zusage wird am Ende des Briefes in 5,10 zur Fürbitte: „Der Gott aller Gnade . . . möge euch stärken, kräftigen, gründen". Zwischen dem indikativischen Eingang und der Fürbitte am Schluß leiht der Brief diesem Bewahren Gottes paränetisch das Wort, weil Gott das Du des Glaubens will, das „für das Heil bewahrt wird". Die dritte Wendung mit είς in V.5b (nach V.3b. 4a) kennzeichnet die offene Zukunft als σωτηρία27, als das Heilwerden, das die at. wie die christlichen Verheißungen unter diesem Terminus ankündigen und die hellenistische Welt ersehnt. Die σωτηρία ist die Rettung aus aller Bedrängnis (1,9) und das Teilhaben an der verheißenen Herrlichkeit (1,10; 2,2). Dabei ist hier wie auch weiterhin in 1,9; 2,2 nicht an die bereits gegenwärtige Rettung, vor allem durch die Taufe (3,21), gedacht. Vielmehr 24 Nach der jüdischen Apokalyptik ist der Menschensohn, der „das Los der Gerechten bewahrt" (äthHen 48,7), „verborgen" und „aufbewahrt" im Himmel (äthHen48,6; 62,7); ebenso das obere Jerusalem bzw. das Paradies (syrBar 4,2-6), um am Ende hervorzutreten (vgl. 4 E s r 7 , 2 6 ; 10,27ff.). Aus dieser Vorstellung entwickelt sich die urchristliche Tradition, nach der die „Heilsgüter" im Himmel verborgen und verwahrt sind, so insbesondere die Hoffnung Kol 1,5, das Leben Kol 3,3; vgl. H. TRAUB, Art. ούρανός, ThWNT V, S. 532f. Dabei tritt die apokalyptische Himmelsgeographie so stark zurück, daß „im Himmel" im Grunde nur besagt „bei Gott". In 2 Kor 5,1 entspricht έκ θεοϋ dem έν τοις ούρανοϊς. 27 Das Heil mit Begriffen vom Stamme σώζειν zu benennen, war der hell. Kirche geläufig. Diese Terminologie wurzelt in at. - jüd. Tradition und wurde durch ihre Verwendung in der hell. Umwelt weiter angeregt. Durch letzteres bedingt treten in der hell. Kirche die Subst. σωτηρία und σωτήρ hervor, während die palästinische Tradition im wesentlichen das Verb benützt. Für den 1 Petr ist das Heil, die Rettung, inhaltlich genauso vielseitig bestimmt wie sonst: 1,5-9 ist es vor allem die Rettung aus der Bedrängnis, 1,10 die Verwirklichung der at. Weissagung, 2,2 die Vollendung. Das Verb meint 3,21 die Rettung aus der sarkischen Verfallenheit durch die Taufe und 4,18 die Rettung vor der Verurteilung im Endgericht. Vgl. W. FOERSTER, Art. σφζω, ThWNT VII, S. 996,5 ff.

98

IPetr 1,6

will εις σωτηρίαν έτοίμην28 άποκαλυφθήναι έν καιρώ έσχάτω wohl im Sinne der Naherwartung sagen: sie steht nahe bevor (4,7). Sie wird „geoffenbart werden", indem sie mit Christus (1,7) aus der Verborgenheit hervortreten wird und dann schaubar, leibhaft Gestalt annehmen wird, und zwar „zur letzten Zeit", zu dem Zeitpunkt des Endes, den Gott bestimmt 29 . In V. 3-5 wird also umschrieben, was das Christsein begründet: Christen sind alle, die aus dem der Nichtigkeit verfallenen Strom der Menschheit erwählt sind, deshalb in der Gesellschaft zu Fremden wurden, weil sie durch die Auferstehung Jesu wiedergeboren worden sind zu einer lebendigen Hoffnung. Ihnen ist das neue Leben eröffnet, von dem at.jüdische und hellenistische Menschen in vielfältiger Weise reden. Dieser neue Anfang ist jedoch nicht aufweisbar; er ist immer nur als Berufung zu einer ebenso lichten wie gewissen Zukunft gegeben. Deshalb ist die neue Existenz, wie die beiden folgenden Versgruppen ausführen, ständig in Frage gestellt. Die nächsten beiden Abschnitte nennen die entscheidenden Anfechtungen jedoch so, daß sie durch den Zuspruch überdeckt werden. In beiden dominiert als Hauptverbum άγαλλιασθε „ihr werdet jubeln". Das Bedrängende aber nennen zwei untergeordnete Partizipien: V. 6 άρτι. . . λυπη&έντες und V. 8 άρτι μή όρώντες. Der Brief ist geschrieben, um die Berufung durch das Wort zum Ziel zu bringen, durch das sie nach 1 Petr 1,23 ff. gewirkt wurde. V. 6f.: Durch Bedrängnis %um Lobpreis der Vollendeten

V. 6: άγαλλιασ&ε will hier und in V. 8 nicht, wie das Präsens nahelegt und oft angenommen wird, zusprechend 30 oder Imperativisch aufrufend 31 28 έτοιμος, „bereit", hier: „das im Begriff steht, offenbar zu werden" (W. BAUER, Wörterbuch s.v.). 29 Die LXX übersetzt den „Tag" oder die „Stunde" des Gerichts bzw. des Endes mehrfach mit καιρός. Thr 1,21: έκάλεσας καιρόν (für: „du hast den Tag herbeigeführt"); Ez 22,3: „Wehe der Stadt, die Blut vergossen in ihrer Mitte, damit ihre Stunde (καιρόν αύτη ς) komme"; vgl. Gen 6,13; Ez7,12. Das Urchristentum nimmt diesen Sprachgebrauch auf und bezeichnet mit καιρός mehrfach den Zeitpunkt des Endes: 1 Kor 4,5 (vgl. Gal6,9): „richtet nicht vor der Zeit", dem Zeitpunkt des Gerichts. A p k l , 3 (11,18); 22,10; Lk21,8: „die Zeit", d.h. das Ende bzw. das Endgericht, „ist nahe". Im 1 Petr liegt dieser Wortgebrauch in 5,6 vor: „Damit er euch zu seiner Zeit erhöhe", d. h. zu dem von ihm bestimmten Zeitpunkt des Endgerichts; auch 4,17: „Es ist der Zeitpunkt gekommen, daß das Gericht anfange". Auch der έσχατος καιρός 1,5 ist nicht wie im 2 T i m 3 , l ; Did 16,2 (vgl. ferner 1 Joh2,18) die Endzeit im Sinne der schon gegenwärtigen Zeit bis zur Parusie, sondern der Zeitpunkt des Endes. Dagegen ist nach 1,20 Christus erschienen έπ' έσχάτου των χρόνων (vgl. zu 1,1 Off); das Ende ist insofern auch schon gegenwärtig. Vgl. G. D E L L I N G , Art. καιρός, ThWNT III, S. 460. 462f. 30 So SCHELKLE S . 34 Anm. 3 und 4; SCHNEIDER S . 45; SELWYN S . 126f.; R. K N O P F , Die Briefe Petri und Judä (KEK XII), Göttingen Ί912, S. 47f.; G. W O H L E N B E R G , Der erste und zweite Petrusbrief und der Judasbrief (KNT XV), Leipzig »1923, S. 13 f.; W. N A U C K , Freude im Leiden. Zum Problem einer urchristlichen Verfolgungstradition, Z N W 4 6 (1955) S. 68-80, dort S. 71 f. 31 So unter Hinweis auf 1 Petr 4,13; Jak 1,2 gelegentlich seit Augustin.

1 Petr 1,6

99

auf paradoxe gegenwärtige Freude hinweisen: „ihr jubelt" oder „jubelt!". Es verheißt vielmehr als futurisches Präsens 32 zukünftigen Jubel bei der Vollendung. Das wird 1) durch den Anschluß an das Vorhergehende nahegelegt; denn das den Satz einleitende έν φ ist wohl als Maskulinum auf έν καιρώ έσχάτω zu beziehen, nicht als Neutrum auf den Gesamtinhalt von V . 3 - 5 33. Diese Erklärung wird 2) inhaltlich durch die Parallelaussage in 1,8 und entscheidend durch 4,13 gefordert. Das Jubeln „mit unaussprechlicher und verherrlichter Freude" V. 8 gehört zur Vollendung, nicht zur Gegenwart. Demgemäß unterscheidet 4,13 ausdrücklich zwischen gegenwärtiger Freude trotz des Leidens, ja über das Leiden, und dem Jubel bei der Offenbarung seiner Herrlichkeit. άγαλλιασθαι bzw. άγαλλίααις wurde schon in der LXX Terminus für den endzeitlichen Jubel der Erlösten, der sich als lobpreisende Anbetung äußert34. Nach dem NT kann dieser Jubel schon gegenwärtig als Wirkung des Geistes auftreten: Act 2,46; 16,34; vgl. Lk 10,21; er wird jedoch vor allem von der Vollendung erwartet: Jud 24; Apk 19,7 und durchweg im 1 Petr (1,6. 8; 4,13). Die bevorstehende eschatologische Freude wird betont angekündigt, um den Stellenwert der gegenwärtigen Bedrängnis bewußt zu machen: Sie ist ολίγον, „gering", weil sie gemessen an der ewigen Herrlichkeit nur kurze Zeit währt 35 . Sie steht ferner unter dem ει δέον, „wenn es sein muß"; das will nach 1 Petr 3,17 sagen: „wenn es Gottes Wille ist". Dieses „muß" meint in der urchristlichen Tradition Gottes Heilsratschluß für die Endzeit, nicht wie in der jüdischen Apokalyptik seinen festgelegten Geschichtsplan oder wie in der hellenistischen Umwelt das Schicksal 36 . 32 So A. SCHLATTER, Petrus und Paulus nach dem ersten Petrusbrief, Stuttgart 1937, S. 57; WINDISCH S. 53; J. MOFFATT, The General Epistles (The Moffatt New Testament Commentary), London 7 1953, S. 96. Schon Orig, GCS 1,36, und zahlreiche Vg-Handschriften geben die Stelle als Futur (exultabitis) wieder. — In V. 8 wird das Futur wohl schon von PolPhil 1, sicher von Iren, Adv. Haer. IV 9,2; V 7,2 vorausgesetzt. Es ist jedoch auch hier nicht ursprüngliche Lesart, wie SELWYN S. 259, will. Vgl. Exkurs bei

SELWYN S . 2 5 8 F . ; BL.-DEBR.-REHK. § 3 2 3 . 33 Letzteres nehmen die in Anm. 30 genannten Exegeten an, die άγαλλιδσθε als Präsens erklären: „darüber freut ihr euch, während ihr . . .". Vgl. auch E. BEST, I Peter (New Century Bible), London 1971, S. 77. 34 In der Liturgie der Thronbesteigungspsalmen wird mit der kultisch-eschatologischen Proklamation der Königsherrschaft Gottes das άγαλλιασθαι der Gemeinde wie aller Kreatur laut: Ψ 95(96), 12; Ψ 96(97), 1: ό κύριος έβασίλευσεν, άγαλλιάσ&ω ή γη (vgl. V. 8); Ψ 125 (126), 2.5 f. und Jes 12,6 kündigen den eschatologischen Jubel über die Erlösung an, ähnlich Jes 25,9, und weiterhin TestLev 18,14; TestJud 25,5; TestBenj 10,6. Vgl. R. BULTMANN, Art. άγαλλιάομαι, ThWNTI, S. 19. 35 όλίγον hat hier neben dem temporalen Adverb άρτι wie in Prov 24,33 zeitlichen Sinn. In anderer Weise wird Rom 8,18 generell von „den Leiden dieser Zeit" gesagt, daß sie „die Herrlichkeit, die über uns geoffenbart werden soll, nicht aufwiegen"; vgl. 2 Kor 4,17; Hebr 12,10. 3" δει, δέον kann im außerbiblischen Griech. von Hdt, Hist. VHI, 53 bis CorpHerm 11, 6 a, die Fügung des Schicksals bezeichnen. Bei der Übertragung ins Griech. nahm die jüdische Apokalyptik diese Terminologie ohne hebr. Äquivalent auf, um auszusagen,

100

IPetr 1,7

Steht dieses „muß" über aller zu erwartenden Bedrängnis, dann sind die Berufenen nicht mehr der Willkür des Schicksals oder der Menschen ausgeliefert, dann haben sie auch selbst nicht das Martyrium, sondern nur den Weg des Gehorsams zu suchen, und können die Bedrängnis als Ausdruck von Gottes Heilsratschluß hinnehmen (2,20; 5,6). Den Christen widerfährt, wie zunächst sehr allgemein gesagt wird, das λυπη&ήναι, sie „werden betrübt", sie erleiden Schmerzliches, vor allem gesellschaftliche Anfeindungen37. Ihrem Sinn nach sind diese schmerzlichen Erfahrungen ποικίλοι πειρασμοί, „mancherlei Prüfungen" 88 . Ein πειρασμός bzw. ein πειρασ&ηναι wird im NT immer nur von Menschen ausgesagt, die schon in die Gemeinschaft mit Gott berufen sind89. Der πειρασμός stellt das Verhältnis zu Gott in Frage, er ist „Anfechtung". Als solche kann πειρασμός einerseits Versuchung sein, die zu Fall bringen kann, und andererseits Prüfung, die Bewährung will. Die Bedrängnis enthält beide Möglichkeiten, in 1 Petr 5,8 wird auf erstere, hier auf letztere verwiesen. V.7: Die Bedrängnis im Sinne einer Prüfung soll τό δοκίμιον της πίστεως, „die Echtheit des Glaubens", hervortreten lassen40, ίνα . . . ευρεθώ: Sie soll wie das Feuer, in dem das Edelmetall geläutert wird, ausscheiden, was unechtes Machwerk ist, und zur Bewährung bringen, was echt ist. Das Bild illustriert nicht nur den Zweck der Prüfung, sondern zugleich ihre Notwendigkeit: Die Echtheit des Glaubens41 bzw. der Glaube42 ist was der geoffenbarte Geschichtsplan Gottes bestimmt (Dan 2,28 f. 45). Das Urchristentum übernahm diese Terminologie, um den eschatologischen Heilsratschluß Gottes auszusagen: Mk 8,31 par; 13,10; 1 Kor 15,25; Apk 1,1 u. a. Lukas wendet das δει auch auf den Alltag der Christen an, der im Rahmen dieses endzeitlichen Heilsratschlusses steht; so Act 9,16: „ . . . , was er um meines Namens willen leiden muß"; 14,22: „ . . daß wir durch viel Trübsal in das Reich Gottes eingehen müssen." Dieser Anwendung steht unsere Stelle nahe. Lit.: W. GRUNDMANN, Art. δει, ThWNT II, S. 21-25; E. F A SCHER, Theologische Beobachtungen zu δει, in: Neutestamentliche Studien fur R. Bultmann (BZNW 21), 1954, S. 228-254; Η. E. T Ö D T , Der Menschensohn in der synoptischen Überlieferung, Gütersloh 1959, S. 150ff. 174ff.; F . H A H N , Christologische Hoheitstitel (FRLANT 83), Göttingen 41974, S. 50ff. 216f. 87 Das Verb λυπεΐσθαι steht im 1 Petr nur hier; es wird weithin durch πάσχειν, „leiden", ersetzt. Es meint hier wie λύπη in 2,19 das Leiden unter sozialem Druck, nicht, wie sonst überwiegend im NT, den seelischen Schmerz (Rom 9,2; 2 Kor 2,1-5; 7,8-11; Joh 16,20ff.). Die beiden Wörter, die im NT selten, nur im 2 Kor gehäuft begegnen, sind anders als das im 1 Petr fehlende θλΐψις nicht termini technici. Das Wort kann hier nur daran erinnern, daß die Bedrängnis der Christen zu den „Leiden dieser Weltzeit" (Rom 8,18) gehört. 38 πειρασμός im 1 Petr nochmals in 4,12; πειράζω fehlt. Der Plural findet sich im NT hier und an der verwandten Stelle Jak 1,2 sowie in Lk 22,28; Act 20,19; 2 Petr 2,9 v. 1. 88 Vgl. Η. SEESEMANN, Art. πείρα, ThWNT VI, S . 28-37. 10 τό δοκίμιον hier substantiviertes Neutrum des Adjektivs δοκίμιος: das „Echte", die „Echtheit" = τό γνήσιον 2 Kor 8 , 8 ; vgl. W. GRUNDMANN, Art. δόκιμος, ThWNT I I , S. 2 6 2 , I f f . 41

KNOPF S.

49f.;

GRUNDMANN,

ThWNT

I I S. 262.

42

Vgl. dazu

SCHELKLE S .

35f.

IPetr 1,7

101

„viel kostbarer (πολυτιμότερον) als vergängliches Gold" 43 und bedarf daher noch mehr der Läuterung. Durch das Feuer der Bedrängnis müssen aus dem Glauben alle sekundären Motive ausgeschieden werden, damit naives Glauben zu geklärtem und festem Glauben werden kann (s. z. 4,1 f.). Schon diese erste Sinndeutung der Bedrängnis läßt sie als Ausdruck eines richtenden und vor allem begnadenden Willens erkennen. Diese Leidensdeutung nimmt eine vor allem aus der Weisheit stammende at.-jüdische und urchristliche Tradition auf, die bereits in denselben Begriffsverbindungen ausgeformt war. Jak l,2f. berührt sich — anders als die sachlich entsprechende Aussage Rom 5,2-4 — so nahe mit 1 Petr 1,6 f., daß an eine gemeinsame urchristliche Tradition zu denken ist: πασαν χαράν ήγήσασθε . . . , δταν πειρασμοΐς περιπέσητε ποικίλοις, γινώσκοντες βτι τέ> δοκίμιον υμών της πίστεως . . . Unmittelbare Vorstufe dieser urchristlichen Tradition aber ist Sap 3,5f., nur daß die Vorstellung der Erziehung, die in der Leidensdeutung der Weisheit herrscht, nicht aufgenommen wird. Hier wird von den Gerechten, die ihre Hoffnung auf Gott setzen, gesagt: καΐ όλίγα παιδευθέντες μεγάλα εύεργετηθήσονται, βτι ό θε&ς έπείρασεν αύτούς καΐ εδρεν αύτούς άξιους έαυτοϋ· ώς χρυσύν έν χωνευτηρίω έδοκίμασεν αύτούς . . Ein ferner Hintergrund dieser Deutung ist es, wenn nach ψ 65 (66), 10 das Volk Gottes geprüft wird wie das Silber: βτι έδοκίμασας ήμας, ό θεός, έπύρωσας ήμας, ώς πυροϋται τδ άργύριον. Die Prüfung durch Bedrängnis zielt auf eschatologische Beurteilung ab 4S : ΐνα . . . εύρεθη είς έπαινον και δόξαν και τιμήν έν άποκαλύψει Ίησοϋ Χρίστου. Die durch die Leidensprüfung hervortretende Echtheit des Glaubens wird bei der „Offenbarung Jesu Christi"4®, wenn Gott ihn aus der Verborgenheit hervortreten läßt und dann auch „das Verborgene der Menschen" offenbar wird, „erfunden zu Lob, Herrlichkeit und Ehre", εύρίσκειν bringt hier wie oft das Ergebnis einer Prüfung zur Sprache47, jedoch nicht wie in Sap 3,5 f. unmittelbar der Prüfung durch Leiden, sondern der Untersuchung ihres Ergebnisses im Endgericht. Das Ergebnis wird an seiner Folge sichtbar: Die Echtheit des Glaubens wird erfunden zu „Lob, Herrlichkeit und Ehre". Die nächste Entsprechving zu dieser eigentümlichen Wendung ist die Zurechnung des Glaubens zur Gerechtig43 Dieser Schluß a minori ad maius auch bei Plato, Resp. I, 336 Ε: δικαιοσύνην . . . πράγμα πολλών χρυσίων τιμιώτερον. 44 Dieser sprichwörtliche Vergleich auch Provl7,3; 27,21; Sir 2,5; Apk3,18 wie bei Plato, Resp. 413 D/E, 503 A u. ö. 15 In den Psalmen wird Prüfung durch Gott auch erbeten, um als „unschuldig" freigesprochen zu werden: Ps 11,5; 17,3; 26,2; 139,23. " Die in 1,13 wiederkehrende Wendung ist als Gen.obj. gedacht; vgl. 4,13; 1,5; 5,1. 47 Apk2,2: „Du hast die geprüft, die sich Apostel nennen, es aber nicht sind, und hast sie als Lügner erfunden (εΰρες αύτούς ψευδείς)"; 2 Petr 3,14: „Deshalb seid eifrig darauf bedacht, . . . untadelig erfunden zu werden" (im Endgericht); vgl. H. Preisker, Art. ευρίσκω, ThWNT Π, S. 768, 6ff.

102

1 Petr 1,8

keit 48 , so daß wohl gemeint ist: dem bewährten Glauben wird von Gott bzw. Christus „Lob, Herrlichkeit und Ehre" 49 zuerkannt. Den im Glauben bewährten Menschen wird von Gott zugeeignet, was ihm selbst gehört: „Lob" als Anerkennung ihrer Zugehörigkeit zu Gott50, „Herrlichkeit" als Anteil an seiner Wesenheit61, „Ehre" als Annahme durch ihn®2, so daß sie „nicht zuschanden werden" (2,6). Wenn die Prüfung durch die Bedrängnis in dieses Zuerkennen ausmündet, wird das άγαλλιασ&αι, der Lobpreis, die schmerzlichen Erfahrungen der Gegenwart weit hinter sich lassen. In der Gegenwart aber sind Leiden und Anfechtung die Kehrseite dessen, daß das Heil erst verborgen gegenwärtig ist. V. 8 f . : Durch Glauben %um Schauen V.8: Die Gemeinde lebt nicht von Jesu Lehre, sondern von der Gemeinschaft mit seiner Person. Daher ist es der Kern ihrer Bedrängnis, daß sie ihn „nicht gesehen hat" und „jetzt nicht sieht"63. Vielleicht denkt das Präteritum δν ούκ ϊδόντες auch an den Unterschied zu den Zeugen (1 Petr 5,1), die ihn in den Erdentagen und an Ostern gesehen haben64. Daß die Gemeinde an diesem Sehen nicht teilhatte, wird im NT jedoch nur in Joh 20,29 als Problem angesprochen. Entscheidend ist an unserer Stelle, daß Christus und damit das Heil (vgl. V. 5 und 7) für die Glaubenden weder unmittelbar schaubar waren noch sind. Diese Schwierigkeit wird quer durch das NT angesprochen; denn dieses Nicht-Sehen bedeutet, daß das Neuwerden des einzelnen (2 Kor 4,18; 5,7) 66 wie der Schöpfung (Röm8,24f.; H e b r l l , 3 . 27) noch nicht leibhaft Gestalt angenommen hat. Nach 1 Joh 3,2 wird das eigene Heil zugleich mit Christus schaubar. Auch diese Schwierigkeit wird so angesprochen, daß sie durch den indikativischen Zuspruch überstrahlt wird. „Ihn liebt ihr, ohne ihn 48 Rom 4,9: έλογίσθη . . . ή πίστις είς δικαιοσύνην; vgl. 4,3.5.22; Gal 3,6. Diese aus Gen 15,6 übernommene pln. Wendung ist nach Jak 2,23 in nachpln. Zeit weithin als Formel bekannt. Dagegen bietet Rom 7,10 keine sprachliche Analogie zu unserer Stelle; denn είς gehört hier zu έντολή, nicht zu ευρέθη. 49 Als Ergebnis des Endgerichts wird Rom 2,7(10) die Trias „Herrlichkeit, Ehre und Unvergänglichkeit (Friede)" genannt, Phil 1,11 „Herrlichkeit und Lob", Rom 2,29 und 1 Kor 4,5 „Lob" von Gott. 50 H. PREISKER, Art. έπαινος, ThWNT II, S. 584, Iff. 5 1 1 Petr 5,4.10; vgl. G.KITTEL, Art. δόξα, ThWNT II, S . 2 5 0 f . 2 5 3 f . 52 Nach 1 Petr 2,7 ergibt sich die „Ehre" für die Glaubenden durch ihre Zugehörigkeit zu dem „geehrten" Eckstein Christus (s. S. 149). 53 Iren, Adv. Haer. V 7,2, einige Vg-Handschriften und die Minuskel 441 schieben πιστεύετε hinter όρώντες ein. Diese Lesart wird durch die Parallelität dieses Satzes mit dem vorhergehenden nahegelegt. Sie ist eine sinngemäße stilistische Glättung. Vgl. A.' v. HARNACK, Beiträge zur Einleitung in das Neue Testament VII (Zur Revision der Prinzipien der neutestamentlichen Textkritik: Die Bedeutung der Vulgata für den Text der katholischen Briefe), Leipzig 1916, S. 87f. 84 1 Kor 9 , 1 ; 15,5; Lk 1,2; Act l , 2 1 f . 55 Vgl. G. KITTEL, Art. είδος, ThWNT II, S. 372.

1 Petr 1,8

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gesehen zu haben", άγαπαν ist hier — auch wenn an das Sehen in den Erdentagen oder an Ostern gedacht ist—nicht das Gefühl der Verbundenheit, das durch persönliche Bekanntschaft ausgelöst wird. Sie ist vielmehr die Hingabe, die Gott dem abgewinnt, dem er sich zuwendet; denn „lieben" steht hier parallel zu „glauben" im nächsten Satz. Von der Tradition dieser Aussage als ganzer her gesehen nimmt die Liebe zu Jesus Christus den Platz ein, an dem bisher die Liebe zu Gott stand 86 . Der Brief nimmt auch hier eine Aussagetradition auf; denn an den nächsten nt. Entsprechungen wird wie hier vorher das Bestehen der Anfechtung erwähnt. Jak 1,12: „Selig der Mann, der Anfechtung (πειρασμός) erträgt; denn wenn er sich bewährt hat (δόκιμος), wird er den Kranz des Lebens empfangen, den er denen verheißen hat, die ihn lieben." In 2 Kor 4,17f. wird derselbe Aussagezusammenhang auf die bezogen, die „nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare sehen". Der umfassende at.-jüdische und urchristliche Hintergrund dieser Verheißung wird sichtbar, wenn 1 Kor 2,9 in Anlehnung an Jes 64,3 sagt: „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat. . ., das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben" (vgl. Rom 8,28)57. Daß man auf Christus die Liebe, die ganze Hingabe, richtete, die nach dem Mk 12,30 par zitierten at. Grundgebot Dt 6,4 f. Gott zukommt, ergab sich nicht aus christologischer Reflexion, sondern im Vollzug des Gottesdienstes. Die älteste der spärlichen Stellen, die abgesehen von den joh. Schriften im NT von einer Liebe zu Christus reden, nämlich 1 Kor 16,22, ist ein Stück der Liturgie des Herrenmahls, das mit der gebetsartigen Anrufung μαραναθ-ά zusammensteht. Dagegen kam es zu einem „Glauben an ihn", nämlich an Jesus Christus, weil seine Person, durch ihn selbst veranlaßt, in den Glauben an Gott einbezogen und dies — vielleicht zunächst in der Missionstheologie — durch diese Formel abgekürzt ausgesagt wurde. Die Formel meint, was 1 Petr 2,21 ausspricht: „durch ihn an Gott glauben" (s. z. St.). Glaube ist das rückhaltlose Zutrauen, das Gott durch seine Zusage abgewinnt, wie die Liebe die ganze Hingabe ist, die er durch seinen Liebeserweis hervorruft. Der Glaube qualifiziert seinerseits das Nicht-Sehen: είς δν άρτι μή όρώντες πιστεύοντες δε κτλ. Gemeint ist nicht eine Unsichtbarkeit, die u. U. durch mystische oder visionäre Erlebnisse durchbrochen werden könnte. Nicht-Sehen bedeutet vielmehr erkennen, daß alle christliche Erfahrung zweideutig und das Heil nicht vorfindlich ist. Christus und mit ihm das Heil sind in dem von Luther geprägten Sinn des Wortes absconditus. Daher meint auch das vorhergehende Präteritum ουκ ίδόντες, „ohne gesehen zu haben", nicht lediglich die fehlende historische Wahrnehmung. Wer sich glaubend zu dem Verborgenen hält, weil er von ihm ergriffen 5,1 Sonst eindeutig nur noch in der Segensformel Eph 6,24 (vgl. SCHLIER, Epheser S. 174ff.); Phlm 5 ist die Beziehung unsicher; Eph 3,19 ist wohl Gen. subj.; 2 Tim 4,8: „die seine Erscheinung heb haben". 57 PolPhil 1,3 lehnt sich an 1 Petr 1,8 an, ist also kein weiterer Beleg fur diese Aussagetradition.

104

IPett 1,9

ist (vgl. IKor 8,3), wird teilhaben an dem eschatologischen Lobpreisen in „unaussprechlicher"68 und „verklärter"69 Freude (άγαλλιασθε χαρα άνεκλαλήτφ και δεδοξασμένη). Daß die Vollendung unermeßliche Freude bringt, ist at.-jüd. Erwartung, die von Jesu Erscheinung her neu aufgenommen wurdeeo. V. 9: Die Menschen werden zur Freude des Lobpreisens geführt, weil sie „das Ziel61 des Glaubens, die Rettung der Seelen", erreichen: κομιζόμενοι τδ τέλος της πίστεως, σωτηρίαν ψυχών. Daß Glaube auf Rettung abzielt, wurde grundlegend dadurch eröffnet, daß Jesus, wie die Heilungserzählungen berichten, glaubenden Menschen Rettung zusprach ®2. Nun soll die Rettung der ψυχή, dem „Selbst" des Menschen, seiner „Person", widerfahren63. So ist Glaube für den IPetr ähnlich wie für Hebr 11 ein Verhalten, das dem „Ziel", der Vollendung, entgegenführt und deshalb unter Anfechtungen durchgehalten werden will. Paulus hatte die πίστις als das entscheidend Neue herausgestellt, die das Bisherige aufhebt. Der 1 Petr redet für die Situation der beginnenden zweiten Generation. Sein Reden vom Glauben wirft die Frage auf: Ist das Heil für die Christen im Grunde doch genauso zukünftig, genauso nur als Verheißung gegeben wie für Israel? Auf diese Frage antwortet der Schlußabschnitt der Eulogie, der das Stichwort σωτηρία, „Heil", erneut aufnimmt. V. 10-12: Gegenwart des Heils als Erfüllung Zu Stil und Struktur: 1) Der gehobene Stil geht in einen mehr lehrhaften über. In ungemein gefüllten Sätzen wird das Verhältnis der Erscheinung Jesu, die der Gemeinde 58 άνεκλάλητος, „nicht aussprechbar", jenseits von Worten; ähnlich Rom 8,26 άλάλητος. Vgl. auch 1 Kor 2,9. 6 ί δεδοξασμένη, dazu G. KITTEL, Art. δοξάζω, ThWNT II, S. 256f. Die verklärte Freude entspricht dem Teilhaben an der Herrlichkeit in der Vollendung (4,13; 5,4.10), obgleich nach 4,14 schon jetzt „der Geist der Herrlichkeit" gerade die um Christi willen Leidenden ergriffen hat. 10 Jes 9,3; 61,3.7; 4 Esr 7,98f.; äthHen 51,5; 104,4; Rom 14,17 u. a.; vgl. R. BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen Ί 9 6 8 , §38,4. M τέλος hier nicht wie meist im NT „Ende", sondern wie 1 Tim 1,5 entsprechend seiner griech. Grundbedeutung die Vollendung eines Geschehens, das „Ziel"; dazu vgl. G.DELLING, Art. τέλος, ThWNT VIII, S. 55. Rom 6,21 f. steht τέλος parallel zu καρπός, „Frucht", d. h. Lohn. •2 Mk 5,34; 10,52; Lk 17,19: „Dein Glaube hat dich gerettet". Aus diesem Zuspruch

w i r d die Missionsformel A c t 1 6 , 3 1 ; R o m 1 0 , 9 ; v g l . A c t 1 5 , 1 1 ; E p h 2 , 8 ; 2 T i m 3 , 1 5 . V g l . G . FOHRER, A r t . σ φ ζ ω , T h W N T V I I , S. 9 7 7 , u n d L . GOPPELT, B e g r ü n d u n g des

Glaubens durch Jesus, in DERS., Christologie und Ethik (Ges. Aufs.), Göttingen 1968, S. 4 4 - 6 5 , bes. S. 50FF. 63 Der im 1 Petr relativ häufig, nämlich 6mal, begegnende Begriff ψυχή meint das Selbst des Menschen, bald mehr ihn selbst als Person (1,9; 3,20; 4,19), bald mehr die ihn steuernde Mitte seines Verhaltens (1,22; 2,11.25). Der Brief verwendet diesen anthropologischen Terminus demnach grundlegend anders als Paulus. Vgl. hierzu G. DAUTZENBERG, Σωτηρία ψυχών (1 Petr 1,9), BZ NF 8 (1964) S. 262-276.

IPetr 1,10

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verkündigt wurde, zur at. Prophetie herausgestellt·4 und so die Situation der Gemeinde als „Erfüllung", d. h. als eschatologisch qualifiziert, gekennzeichnet. 2) Die Struktur der komplexen Aussage wird durchsichtig, wenn man auf die Verben achtet: Sie stellt dem Weissagen der Propheten (προφητεύσαντες)45 V. 10 f. das Verkündigen des Evangeliums, der Botschaft von der Erfüllung der Weissagung in der Gemeinde (εύαγγελισαμένων)66 V. 12 gegenüber. Beides ist geistgewirkte Predigt (V. 11. 12); nur auf diese Weise begegnet vorerst Gottes Heil, dort als Weissagung, hier als Evangelium. Die ihnen gegebene Weissagung veranlaßte die Propheten nach der Zeit der Erfüllung zu „suchen" und zu „forschen" V. 10f., aber dies sollte nicht ihnen, sondern der Gemeinde „dienen" V. 12. Der Abschnitt V. 10-12 bringt in den Kontext die Frage ein, in welchem Sinn das Heil, das bisher in V. 5. 7. 9 als zukünftig angekündigt wurde, schon als Erfüllung gegenwärtig ist. V.10 gibt eine spannungsreiche Antwort: περί ής σωτηρίας έξεζήτησαν καΐ έξηρεύνησαν προφηται. Nach dem Heil, das nach dem vorhergehenden V. 9 wie nach V. 5 auch für die Gemeinde noch zukünftig ist, forschten also bereits die Propheten 67 , nämlich, wie V . l l a erklärt, nach der Zeit seines Erscheinens. Und zwar weissagten sie περί της είς ύμας χάριτος, „über die für euch (bestimmte) Gnade". Diese Gnade, dieser Liebeserweis Gottes aber ist der Gemeinde bereits grundlegend zuteil geworden*8, auch wenn sie nach 1,13 noch „auf die ihr bei der Offenbarung Jesu Christi entgegenkommende Gnade" hofft. Die Gnade besteht ja in dem zentralen Inhalt der prophetischen Weissagung, nämlich nach V . l l b in „den Christus (treffenden) Leiden und den darauf folgenden Herrlichkeiten", d.h., unbeschadet des überraschenden Plurals, in dem Todesleiden und der Verherrlichung des Verheißenen ββ . M Die folgenden Aussagen über die Propheten lassen sich nicht an den at. Schriftpropheten aufweisen. Es ist jedoch nicht, wie SELWYN S . 134 annimmt, an christliche Propheten gedacht; dagegen mit Recht J . N . D. KELLY, A Commentary on the First Epistle of Peter (Black's New Testament Commentaries), London 1969, S . 58f.; BEST S . 83f. Zum „heilsgeschichtlichen" Aspekt der Aussage vgl. C. SPICQ, Les fipitres de Saint Pierre (Sources Bibliques), Paris 1966, S. 53ff. 65 προφητεύειν hat hier wie in Mk7,6par; 11,13; Jud 14 die spezielle Bedeutung „weissagen"; vgl. G . F R I E D R I C H , Art. προφήτης, ThWNTVI, S. 829f. βί εύαγγελίζεσθαι kommt im 1 Petr nur hier vor (εύαγγέλιον nur in 4,17). Nach Paulus handelt es sich um das Jes 52,7 ( = Rom 10,15) verheißene Verkündigen der Botschaft vom Anbrach der Königsherrschaft Gottes, durch das sie kommt; es ist nun die Botschaft von Jesu Erscheinung als der Erfüllung (Rom l,2ff.l6f.; 1 Kor 15,1-5). 47 Der Artikel fehlt nicht nur vor προφήται, sondern ebenso in V. 12 vor άγγελοι. 88 Nächste Entsprechung 1 Kor 15,10: ή χάρις αύτοϋ ή εις έμέ, „die Gnade, die mir zuteil wurde"; s. zu 1,2 S. 88. 69 τά ε Ες Χριστύν παθήματα ist eine Abwandlung der Formel τά τοϋ Χρίστου παθήματα 4,13; 5,1, die sich im NT sonst nur bei Paulus findet; 2 Kor 1,5; Phil 3,10. Es sind bei Paulus die Leiden, die die Christen mit ihrem Herrn teilen; 1 Petr 5,1 sind es die Christus selbst treffenden Leiden, an denen nach 4,13 die Seinen teilhaben. Der Plural

106

1 Petri, 10

Diese Aussage nimmt eine von Jesus herkommende Grundlinie des NT auf. Er kennzeichnete sein Wirken, insbesondere seinen Ausgang, verhüllt als Erfüllung der Hinweise der Schrift auf die Heilszeit70. Nach dem von Paulus vertretenen Osterkerygma 1 Kor 15,3-5, das sehr wahrscheinlich auf die palästinische Urkirche zurückgeht 71 , geschah Jesu Sterben und Auferstehen κατά τάς γραφάς, „gemäß der Schrift". Daraus ergab sich die Vorstellung, daß die Weissagungen der Propheten zentral auf Jesu Sterben und Auferstehen zielten 72 . Sachlich entscheidend ist, daß der 1 Petr das eschatologische Heil nicht nach dem Denkschema der jüdischen Apokalyptik als das Ende der Geschichte definiert (4 Esr 7,30 f.), sondern „heilsgeschichtlich" als die Erfüllung der Weissagung. Das eschatologische Heil ist dort, w o „die Gnade", der Liebeserweis Gottes, einem Menschen widerfährt und das Verhältnis zu Gott im Sinne der Weissagung heil macht. D a n n aber ist nach dem hier genannten Inhalt der Weissagung das eschatologische Heil mit Christus schon gegenwärtig. Aber es ist noch verborgen „im H i m m e l " (V.4), „jetzt noch nicht zu sehen" (V.8). Es wird erst mit Christus leibhaft schaubar; das zukünftige Heil V.5. 9 entspricht der Offenbarung Jesu Christi V.7. 13, der Parusie. Mit dieser Auffassung steht der 1 Petr in der entscheidenden soteriologischen Grundlinie des N T , die von Jesus über Paulus bis zu Johannes vertreten wird 7 3 . Nach ihr ist das eschatologische Heil mit Christus schon gegenwärtig für den Glauben und steht mit Christus noch aus für das Schauen. Es ist verborgen in der Geschichte gegenwärtig und ruft daher soziologisch in die eschatologische Existenz der Beisassen im Sinne v o n 1 Petr 2,11 f. 74 . meint daher das Todesleiden Jesu einschließlich der mancherlei ihm vorhergehenden Leiden (2,23; s. u. zu πάσχω), wohl kaum auch die folgenden Leiden der Christen. Aus diesem Plural ergab sich entsprechend der im NT singulare Plural δόξας, der sich auch in derLXX findet (Ex 33,5 στολάς των δόξων, 15,11 θαυμαστός έν δόξαις); er denkt nicht an verschiedene Offenbarungen der Herrlichkeit Christi (1 Petr 3,22; so SELWYN S . 137) oder an Akte seiner Verherrlichung ( K N O P F S . 56f.), aber auch kaum gleichzeitig an die Mitverherrlichung der Vielen. Daß dem Leiden die Verherrlichung folgt, ist auch Paulus (Rom 8,18), dem Hebr(2,9) und Lukas (24,25f.) geläufig; vgl. 1 Petr 4,13. 70 Mt 11,4-6 par deutet Jesus sein Wirken als verborgene Realisierung von Weissagungen wie Jes 35,5 f.; 61,1. Im Kelchwort Mk 14,24 par Mt sieht er seinen Ausgang im Lichte von Jes 53; denn hinter υπέρ πολλών steht Jes 53,12. Vgl. H . PATSCH, Abendmahl und historischer Jesus (CTM A l ) , Stuttgart 1972, S. 191; L. GOPPELT, Art. τύπος, ThWNT VIII, S. 256. 71 Vgl. L. GOPPELT, Das Osterkerygma heute, in: D E R S . , Christologie und Ethik, Göttingen 1968, S. 86ff.; H A H N , Hoheitstitel S. 197ff. 72 Besonders ausgeprägt bei Lukas; vgl. Lk24,25: „ . . . allem, was die Propheten gesagt haben: mußte nicht der Christus dieses leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen?"; ähnlich Act 3,18. Vgl. G . F R I E D R I C H , Art. προφήτης, ThWNT VI, S . 834f.; L. GOPPELT, Typos, Gütersloh 1939 (Neudruck Darmstadt 1969), S . 90f. 120-127; ebd. S. 258-263 zur historischen Verifizierbarkeit dieser nt. Betrachtungsweise. 73 In diesem Sinne beurteilt ihn auch BÜLTMANN, Theologie S. 5 0 5 . 5 2 3 ff., obgleich er das Eschaton von der Apokalyptik her definiert. Zur Diskussion vgl. L . GOPPELT, Apokalyptik und Typologie bei Paulus, in: DERS.: Christologie und Ethik, Göttingen 74 1968, S. 264ff. S. zu 2 , l l f . l 3 f f .

1 Petr l , l l f .

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V . l l f . : Der für das ganze NT grundlegende Erfüllungscharakter der christlichen Existenz wird im einzelnen durch singuläre Aussagen über die Prophetie umschrieben: έρευνώντες εις τίνα ή ποίον καιρόν έδήλου το έν αύτοΐς πνεύμα Χρίστου. Die Weissagung wurde den Propheten also von dem „Geist Christi" eingegeben. Sie veranlaßte sie daher ihrerseits „nachdrücklich zu suchen und (exegetisch) zu forschen" (έκζητεΐν, έξερευναν V. 10 a) 7δ , vor allem „wann und unter welchen Umständen" die ihnen gegebene Weissagung eintreffen werde (V. IIa). Daß die Prophetie ebenso wie die Verkündigung des Evangeliums (V. 12 a) aus dem heiligen Geist kommt, ist geläufige Vorstellung 76 ; aber daß aus den Propheten „der Geist Christi" rede, wird im NT nur hier gesagt. Ebenso wird im NT des öfteren bemerkt, daß die Propheten das von ihnen geweissagte Heil zu schauen begehrten 77 , nicht aber, daß sie nach der Zeit der Erfüllung forschten. Es wurde ihnen zugleich kundgemacht, daß sie mit ihrer Weissagung nicht sich selbst, sondern der Heilsgemeinde dienen sollten: οΐς άπεκαλύφθ-η οτι ούχ έαυτοΐς ύμΐν δέ διηκόνουν αύτά. Daß die Prophetie für die Heilsgemeinde bestimmt ist, ist gemein urchristlich 78 , nicht aber, daß ihnen dies auch geoffenbart wurde. Woher stammen diese besonderen Vorstellungen? Die Vorstellungen von V. 11f . finden sich ein Stück weit bei Daniel und der ihm folgenden A p o k a l y p t i k : Der Verfasser des Danielbuches forscht gleich der späteren A p o k a l y p t i k 7 9 in dem bedrängten Gottesvolk nach dem Ende der Drangsal und dem Eintreffen des geweissagten Heils. Er versucht hierzu z.B. die Weissagung v o n der 70jährigen Dauer des Exils in J e r 2 5 , 1 1 ; 2 9 , 1 0 angesichts der Verzögerung zu deuten (Dan 9 , 2 . 2 2 - 2 7 ; vgl. 1 2 , 6 - 1 3 ) . Er geht damit gleich der ihm folgenden Apokalyptik v o n der Vorstellung aus, daß die Prophetie f ü r die Gemeinde der Endzeit auszuwerten sei 80 . Beides aber be75 έρευνάω 1,11 und έξερευνάω 1,10 bezeichnet schon im klass. Griech. das wissenschaftliche Forschen, in der L X X (Ψ 118, 2.69) und bei Philo (Det. Pot. Ins. 13) wie in J o h 7 , 5 2 das Erforschen der Offenbarung aus der Schrift; vgl. G.DELLING, Art. ερευνάω, ThWNT II, S. 653 f. 76 Wieder besonders ausgeprägt bei Lukas: der „vom Himmel gesandte Geist" (so hier V. 12) wirkt nach Act 2,4 die Verkündigung des Evangeliums (vgl. Act 1,8; 4,8; 6,10; 13,4.9; auch Eph 3,5f.). Dieser Geist aber hat durch die Propheten „vorhergesagt" (Act 1,16; 28,25; vgl. 7,51). Daß die Propheten vom Geist inspiriert wurden, ist gemeinjüdische Vorstellung (Sir 48,12f.24; äthHen91,l; 4 E s r 14,39ff.; TestLev 2,3; BILLERBECK II, S. 129; vgl. F. BAUMGÄRTEL, Art. ττνεϋμα, ThWNT VI, S. 380ff.). Es wird schon im AT, allerdings kaum bei den Schriftpropheten, gesagt (ThWNT VI, S. 360, 31ff.) und im Urchristentum übernommen: Hebr3,7; 9,8; 10,15; 2 Petr 1,21 u. ö. 77 Mt 13,16 f. par Lk: viele Propheten . . . begehrten zu sehen, was ihr seht, und sahen es nicht"; vgl. Joh 8,56. 78 Z.B. Rom 4,23 f.; 1 Kor 1 0 , 1 1 ; Act 3,24; 13,26: „uns ist das Wort dieses Heils geschickt". 79 4 Esr 4,33-36: „Wie lange noch?"; 4,51; in 13,13-24 die Frage des Sehers, ob er jene Tage erleben werde. 80 ÄthHen 1,2: „Nicht für das gegenwärtige Geschlecht dachte ich nach, sondern für das künftige."

108

IPetr 1,1 If.

gegnet noch ungleich betonter in dem Selbstverständnis der Qumrangemeinde: Dort sind die Wendungen, nach dem Schriftsinn „suchen" und „forschen", formelhaft81. Dort forscht man, wie 1Q pHab 7,1-8 programmatisch sagt, nach „der Vollendung der Zeit", nämlich der Zeit des eschatologischen Umbruchs, die Gott dem Propheten „nicht kundgetan hat". Sie und damit der eigentliche Sinn der Prophetie wird erst durch den Lehrer der Gerechtigkeit erschlossen, „den Gott (in die Mitte der Gemeinde) gegeben hat, um alle Worte seiner Knechte, der Propheten, zu deuten, (durch) die Gott alles verkündigt hat, was über sein Volk . . . kommen wird" (ebd. 2,6-10) 82 . Hier blickt man nicht wie im Rabbinismus zu dem „Geist der Prophetie" auf, sondern vertritt eine die Prophetie vollendende Offenbarung83. Von dieser Sicht aus konnte im Urchristentum das Geisteswirken in der Prophetie als vorläufige Äußerung des selbst erfahrenen Geisteswirkens erscheinen, d.h. des Geistes Christi84, und zwar von dem Augenblick an, als die Präexistenzchristologie alles auf die Weltvollendung hinführende Handeln Gottes durch den Sohn vermittelt sah85. Auch nach diesen Erwägungen über die Herkunft der Vorstellungen bleibt in V. 12 die Frage offen, wie die Offenbarung, die den Propheten ihre Bestimmung kundgibt, zu denken ist 89 . Hier wird ebenso wie bei der Umschreibung des Inhalts der Prophetie in V. IIb den Propheten zugeschrieben, was erst von der Erfüllung her sichtbar wurde. Die im NT singulären Aussagen über die Propheten wollen vielleicht ein entsprechendes apokalyptisches Forschen nach dem Ende in der Gemeinde 87 abwehren, vor allem aber das Schon der Heilsgegenwart, der Erfüllung, einprägsam illustrieren, damit die Gemeinde auch unter 81 1 QS 5,11: „forschen" (ttfp3) und „suchen" in der Tora. — In ganz anderem Sinne stehen die beiden Verben in 1 Makk 9,26 nebeneinander: καΐ έξεζήτουν καΐ ήρεύνων. 82 Die Berührung dieser Aussage mit 1 Petr 1, LOFF. beobachtete auch G . JEREMIAS, Der Lehrer der Gerechtigkeit (StUNT 2), Göttingen 1963, S. 142; vgl. zum ganzen O. BETZ, Offenbarung und Schriftforschung in der Qumransekte (WIJNT 6), Tübingen 1960, S. 75-82. 83 Die Schriftpropheten empfangen Gottes Offenbarung „durch seinen heiligen Geist" (1 QS8,16); der sie deutende Lehrer der Gerechtigkeit hat seine Erkenntnis von Gott selbst empfangen (1 QpHab 2,2f.; 7,4f.). — Philo redet vom Geist der Propheten (πνεϋμα προφητικών) und sieht sich bei seiner Exegese von demselben Geist erfaßt wie Mose (Somn. II, 252; vgl. W. BIEDER, Art. πνεϋμα, ThWNT VI, S. 372). 84 „Geist Christi", sonst im NT nur Rom 8,9 für den Geist, in dem der erhöhte Christus und durch ihn Gott gegenwärtig in einem Menschen wirksam werden (vgl. Rom 8,10; 2 Kor 3,17). Hier ist an ein entsprechendes Wirken des Präexistenten gedacht. Eine Geistchristologie ist damit nicht vorausgesetzt; gegen KELLY S. 60. 86 So kann Paulus 1 Kor 10,4 den „geistlichen Felsen" als den präexistenten Christus deuten. Im 2. Jh. wird die Vorstellung, daß der Präexistente in den Propheten gewirkt habe, Gemeingut der Kirchenväter: Die Propheten sind nach Barn 5,6; IgnMagn9,2 von „seiner Gnade".erfüllt; nach Justin redet aus ihnen der Logos (Apol. 133,6; 36,1; ebenso Iren, Adv.Haer. IV 20,4), aus dem Dornbusch „unser Christus" (Apol. I 62,3 f., vgl. Dial. 61 f.), aber nirgends wie hier der „Geist Christi". M Die sehr Unterschiedliches aussagenden at. Stellen Gen 49,10; Num24,17; Dt 18,15; Hab 2,1-3, die SCHELKLE S. 42 anführt, decken die Vorstellung nicht. 87 Vgl. Act 1,6; Apk 6,9-11.

1 P e t t i , 11 f.

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der verziehenden Parusie die Spannung zwischen diesem Schon und ihrer welthaften Existenz durchhält; denn diese Spannung zu bewältigen, ist das entscheidende Problem christlicher Existenz in der Geschichte, das in der ausgehenden apostolischen Zeit akut wird. Die eigentliche Bestimmung der Propheten war es, der Gemeinde zu „dienen", der heute die Erfüllung ihrer Weissagung durch die Apostel verkündigt wird. Der ihnen gegebene „Geist Christi" hat im voraus Leiden und Verherrlichung Christi angekündigt: προμαρτυρόμενον τά εις Χριστόν παθήματα καΐ τά μετά ταϋτα δόξας. Dabei war ihnen offenbart worden, daß sie nicht sich selber, sondern „euch" zu dienen haben, διακονεΐν wird wie in 1 Petr 4,10 als ekklesiologischer Terminus gebraucht und besagt: helfen zu glauben88. Die Weissagung hilft der Gemeinde, das ihr verkündigte Christusgeschehen als Erfüllung, als das eschatologische Heil, zu verstehen und daher die Verkündigung als Evangelium aufzunehmen89. Entscheidend ist aber die Verkündigung des Evangeliums selbst: ά νυν άπηγγέλη ύμϊν δια των εύαγγελισαμένων ΰμας έν πνεύματι άγίίι> άποσταλέντι άπ' ούρανοϋ. Diese Verkündigung erfolgt „jetzt", und dieses νϋν ist um der Heilsbotschaft willen eschatologisch qualifiziert. Es sind die in Jes 52,7; Nah 2,1 verheißenen Freudenboten, die diese Botschaft ausbreiten (Rom 10,15). Sie tun es, weil der Heilige Geist dazu „vom Himmel gesandt" ist und ihnen Kraft und Vollmacht gibt. Die letzte Wendung in V. 12 fügt noch hinzu: Nicht nur die Propheten, sondern selbst „die Engel begehren, sich gleichsam nach vorne überneigend, Einblick"90 in das, was der Gemeinde zuteil wurde (εις ά έπιθυμοϋσιν άγγελοι παρακϋψαι91). Die Engel, die Vertreter der Gott bereits ehrenden himmlischen Welt (Hebr 12,22; Apk4), warten auf die Erlösung der ganzen Schöpfung (Rom 8,19), freuen sich daher über die 88 Mk 10,44f.; 1 Kor 12,4-6; vgl. E. SCHWEIZER, Gemeinde und Gemeindeordnung im NT (AThANT 35), Zürich 2 1962, S. 157-154; GOPPELT, Apostolische und nachapostolische Zeit S. 121 f. 89 προμαρτύρεσθαι ist Hapaxlegomenon im NT; es fehlt im klass. Griech. und in L X X . 90 Die Formulierung ähnlich wie grHen 9,1 (Sync): vier Erzengel παρέκυψαν έπΐ τήν γην έκ των άγίων τοϋ ούρανοϋ. Jedoch ist 1 Petr 1,12 nicht an neugieriges Spähen, sondern an das Sehnen nach der Heilsoffenbarung gedacht. Vielleicht überträgt der Satz, zu dem nähere sachliche Parallelen fehlen, auf die Engel, was das schon hinter 1,10 stehende Logion M t l 3 , 1 6 f . par Lk von den Propheten sagt: „Sie begehrten (έπεθύμησαν) zu sehen, was ihr seht." Daß die Übertragung durch eine philologische Verwechslung, O O K V S = άγγελοι für Ö'DVQ = βασιλείς, zustande kam, wie T. W . MANSON, Review of Ε. G. Selwyn, The First Epistle of St. Peter, JThSt 47 (1946) S. 220, vermutet, ist nicht anzunehmen. Der Apokalyptik geläufig ist die andere Vorstellung, daß den Engelmächten versagt ist, die Heilsgeschichte zu kennen (äthHenl6,3; slavHen24,3; Mk 13,32; 1 Kor 2,6; IgnEph 19), so daß ihnen nach Eph3,10 durch die Gemeinde die Weisheit Gottes kundwird. Und doch tritt zugleich der angelus interpres in den apokalyptischen Visionen als Deuter auf! 91 είς & = & νϋν άνηγγέλη = der Inhalt der Weissagung, das verheißene Heil.

IPetr 1,13-2,10

110

Umkehr des Sünders (Lk 15,10) und stimmen in den Lobgesang über die Vollendung der Erlösung ein (Apk 5,11-14; 19, Iff.). So ist für die Christen, die vielfältig bedrängt als Beisassen in der Gesellschaft leben, Wirklichkeit geworden, was die Propheten, ohne die Erfüllung ertasten zu können, weissagten, und was die Engel ersehnen, nämlich das Heilwerden von Gott her. Sie sind von neuem geboren, zunächst jedoch zu einer gültigen Hoffnung. Alles, was von V. 3-12 von den Christen ausgesagt wird, ist nicht eine Beschreibung von etwas Aufweisbarem, es sind vielmehr verkündigende Zusagen, kerygmatische Indikative, die im folgenden Imperativisch weitergeführt werden. 2) 1,13-2,10: Das der Wiedergeburt entsprechende Grundverhalten Zu Aufbau, Form und Bedeutung der Imperative: 1) Bisher wurde in 1,3-12 das Wesen christlicher Existenz im Stil des Bekenntnisses und des Zuspruches indikativisch umschrieben. Von 1,13 an stehen — abgesehen von den Schriftzitaten und den sie anwendenden Zwischenbemerkungen (1,25 b; 2,7 a. 8 b) — alle Hauptverben im Imperativ, bis in 2,9 f. ein indikativischer Zuspruch diese Reihe abschließt (1,13 ελπίσατε, 1,15 άγιοι . . . γενήθ-ητε, 1,17 έν φόβω . . . άναστράφητε, 1,22 άλήλλους αγαπήσατε, 2,2 έπιποθήσατε, 2,5 οίκοδομεΐσθε). Die Imperative sind bis auf den letzten durchweg Aoriste. Das besagt: sie rufen nicht in einen Zustand, sondern zu jeweils aktuellem Einsatz1. „Hoffet" 1,13 will nicht sagen: Habt Hoffnung, sondern: Erweiset, daß euch Hoffnung gegeben ist. „Liebet einander" 1,22 besagt nicht: Hegt Liebe als Gesinnung, sondern: Erweist einander je aktuell Bruderliebe! Diese beiden Imperative 1,13.22 thematisieren zusammen mit dem präsentischen in 2,5, der zur bleibenden Eingliederung in die Gemeinde ruft, die drei Unterteile dieses Abschnittes. 2) Der formgeschichtliche wie der theologische Charakter der Imperative folgt aus ihrer Verbindung mit den vorhergehenden Indikativen, wie das einleitende διό, „deshalb", 1,13 anzeigt. Die den neuen Abschnitt einleitende und bis 1,21 thematisierende Weisung „Hoffet völlig" 1,13 nimmt als Imperativ auf, was der Leitsatz des Vorhergehenden, 1,3, im Indikativ als Widerfahrnis bekannt hat: „Er hat uns wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung" (διό folgert also aus dem ganzen vorhergehenden Abschnitt). Der Imperativ ruft auf, genau das zu realisieren, was nach dem Indikativ bereits gegeben ist. In diesem Sinn einander korrespondierend umschreiben der indikativische Abschnitt 1,3-12 und der Imperativische 1,13-21 gleichsam von zwei Seiten her das Wesen christlicher Existenz. Wieweit auch die übrigen Imperative 1,222,10 in diesen Zusammenhang gehören, wird sich ergeben, wenn der Charakter dieser Aussageweise genauer in den Blick tritt. 3) Diese Weise, christliche Existenz in der Dialektik von Indikativ und Imperativ2 als Zuspruch und Aufruf zugleich auszusagen, begegnet im NT sonst 1

BL.-DEBR.-REHK. § 3 3 7 .

Lit.: Ο. MERK, Handeln aus Glauben. Die Motivierungen der paulinischen Ethik (MbThSt 5), Marburg 1968, S. 34-41; K. KERTELGE, „Rechtfertigung" bei Paulus (NTA 2

IPetr 1,13-2,10

111

nur bei Paulus; die gemeinte Sache ist ein Wesenszug der gesamten nt. Verkündigung 3 . Die Aussageweise wird bei Paulus vielfach in der Taufparänese verwendet, d. h. in dem Wort, das die Getauften auf ihre Taufe hin anredet. So wird Rom 6,3-5 (10) wie in 1 Petr 1 , 3 - 5 in der ersten Person des Indikativs bekannt, was in der Taufe widerfahren ist, und Rom 6 , 1 1 - 1 4 wie 1 Petr 1 , 1 3 - 2 1 folgernd in der zweiten Person des Imperativs aufgerufen, sich diesem Widerfahrnis gemäß anzusehen und zu verhalten. Eine entsprechende Taufparänese findet sich weiter in Rom 6,17f. 19b; 8,9f. 12f.; Gal 5,25a.b; Kol 3,3. 5. Die Aussageweise ist jedoch nicht auf die Taufparänese beschränkt. Nach 2 K o r 5, 18f. 20 hat Gott zugleich mit der Dahingabe seines Sohnes den Auftrag gegeben, zu bezeugen, daß er durch das Kreuz die Menschheit mit sich versöhnt hat, und daher alle aufzufordern, sich mit ihm versöhnen zu lassen. Daß die Aussageweise so über die Taufe hinaus auch auf das Kreuz, und zwar immer auf das hier widerfahrende Handeln Gottes, angewendet wird, ist für ihre Sinndeutung besonders wichtig. Was der Indikativ in 2 Kor 5 inhaltlich aussagt, ist empirisch nicht aufweisbar, weder in kosmologischer noch in anthropologischer Hinsicht. Es ist vielmehr ein neues Verhältnis Gottes zur Menschheit, das er gestiftet hat. Der Imperativ ruft auf, diese Gegebenheit anzuerkennen — nicht nur, ein Angebot anzunehmen 4 . 4) Entsprechendes gilt für 1 Petr 1 : Die Wiedergeburt zur Hoffnung ist gegeben als die Berufung zur Herrlichkeit, die empirisch lediglich durch das Menschenwort der Predigt und durch die Symbolhandlung der Taufe widerfuhr. Der Imperativ verpflichtet, diese Berufung immer aufs neue durch ein Verhalten aus Hoffnung aufzunehmen. Diese Aussageweise ergibt sich, weil die 3), Münster 1967, S. 251-263; F . NEUGEBAUER, In Christus, Göttingen 1961, S. 53ff. 61; Η. M. SCHENKE, Das Verhältnis von Indikativ und Imperativ bei Paulus, Diss. Humboldt-Univ. Berlin 1956 (masch.), S. 8-40 (Literaturübersicht); W. G. KÜMMEL, Römer 7 und die Bekehrung des Paulus, 1929, S. 98ff.; Neudruck in: D E R S . , Römer 7 und das Bild des Menschen im Neuen Testament (ThB 53), München 1974; R. BULTMANN, Das Problem der Ethik bei Paulus (1924), in: D E R S . , Exegetica, Tübingen 1967, S. 36-54; D E R S . , Theologie § 38,1; H. W I N D I S C H , Das Problem des paulinischen Imperativs, ZNW 23 (1924) S. 265-281; DERS., Taufe und Sünde im ältesten Christentum bis auf Origines, Tübingen 1908; P. W E R N L E , Der Christ und die Sünde bei Paulus, Freiburg/Leipzig 1897. 3 Schon Jesu Ruf in die Nachfolge ist immer zuerst Indikativ, Angebot der Gemeinschaft; aber die Gemeinschaft ist nur soweit virulent, als sie, veranlaßt durch den Imperativ, ergriffen wird. ' 1 Die „rein historische" Exegese versuchte, den Indikativ als Beschreibung eines Zustandes und den Imperativ als sittlichen Appell zu erklären. Der Indikativ spreche die dem Apostel Paulus durch das Bekehrungserlebnis vermittelte Idealvorstellung aus, daß der Getaufte psychisch oder naturhaft in einen Zustand versetzt sei, für den das Sündigen eigentlich unmöglich sein sollte. Zu dem Imperativ aber werde Paulus durch die „rauhe Wirklichkeit", daß die Getauften gleichwohl weiter sündigten, veranlaßt; er sei daher nochmalige Missionsparänese. Diese Erklärung, die Inhalt und Charakter der Aussagen verkennt, ist in zahlreichen Abwandlungen in der von F. C H R . B A U R zur Religionsgeschichtlichen Schule führenden Forschungsrichtung vertreten worden, insbesondere von P. W E R N L E und H. W I N D I S C H . Gegen sie wendet sich in eingehender Auseinandersetzung der grundlegende Aufsatz von R. BULTMANN (S. die in Anm. 2 genannte Literatur). Zur Bezeichnung „rein historische Exegese" vgl. GOPPELT, Theologie I S. 25. NF

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1 Petr 1,13-2,10

eschatologische Zuwendung Gottes 2u den Menschen nicht als ein die Verhältnisse mit Gewalt veränderndes Hervortreten, sondern innerhalb der Geschichte durch die „Torheit und Schwachheit" der Erscheinung Jesu und ihrer Verkündigung erfolgte 6 . Der Indikativ be2eugt das verborgene eschatologische Heilshandeln Gottes durch das Kreuz bzw. durch die Taufe, der Imperativ ruft auf, es durch Glauben® aufzunehmen und wirksam werden zu lassen. 1 Petr 1 kennzeichnet den Inhalt des Indikativs ausdrücklich als das, was man „nicht sieht" (1,8) und den Imperativ als Ruf zum Glauben (1,21). Christliche Existenz in der Aufeinanderbezogenheit von Indikativ und Imperativ zu kennzeichnen, ist unmittelbarster Ausdruck der theologia crucis. 5) Warum ist als Ruf zum Glauben über den indikativischen Zuspruch hinaus der Imperativische Aufruf wichtig? Der Imperativ läßt zweierlei hervortreten: Gott will nicht nur, wie der Indikativ bezeugt, für den Menschen und an ihm handeln, sondern mit ihm. Der Mensch soll gerade nicht, wie er ist, eine neue Situation anerkennen; er soll vielmehr Bundespartner und dadurch ein neues Ich werden, das sich für seinen Schöpfer in Dienst nehmen läßt. Zugleich soll durch den Imperativ die vom Indikativ bezeugte verborgene eschatologische Setzung, ohne ihre Nichtaufweisbarkeit zu verlieren, geschichtlich wirksam werden, um den alten Menschen und die Lebensweise dieses Äons zu überwinden. Beide sind für den Getauften nicht vergangen; er ist von ihnen immer nur soweit frei, als er das Kerygma an, sich wirksam werden läßt 7 . Durch diesen Inhalt wird der Charakter der Aussageweise deutlich: Der Indikativ ist nicht nur ein Bescheidsagen und der Imperativ nicht lediglich Appell an den Willen des Menschen, beide sind vielmehr Anrede von Gott her. Sie sind „in, mit und unter" dem Menschenwort, wie 1 Petr 1,23 ff. ausführt, wirkendes Wort Gottes. Der Indikativ ist gültiger Zuspruch und der Imperativ wirkende Einladung Gottes 8 . 6) Mit dem theologischen Sinn der Imperative in 1 Petr 1,13-21 wird auch ihr formgeschichtlicher Charakter deutlich. Der Abschnitt wird durch sie seiner Form nach nicht ethische Paränese wie Rom 12f., d. h. eine gerahmte Aufreihung traditioneller ethischer Weisungen. Er ist vielmehr wie Rom 6,11-14 6 1 Kor 1,21-25; man sollte dieses Hervortreten nicht als das Kommen des neuen Äons bezeichnen; denn der neue Äon ist eine empirische neue Welt. Deshalb nimmt Paulus diesen Begriff nicht auf. β Der exemplarische Imperativ Rom 6,11: „Erachtet euch" meint den Glauben. Dazu vgl. L. GOPPELT, Theologie des Neuen Testaments II, 1976, S. 430f. 7 Das σώμα της αμαρτίας Rom 6,12 wird durch die Taufe nicht, wie es bei M E R K , Handeln S. 36f., scheint, vorfindlich zu einem lediglich versuchlichen σώμα τοϋ θανάτου im alten Äon. 8 Da die Gerechtigkeit, die Wiedergeburt, der Geist immer nur als personhafte Zuwendung Gottes (so auch M E R K , Handeln S. 39 f.) in Gestalt des wirkenden Zuspruches begegnen, nicht als eingegebene Potenzen, sollte man nicht wie Merk, Kategorien Käsemanns aufnehmend, das im Indikativ Ausgesagte dinglich als Gabe bezeichnen, die sich als Macht erweist und einem Herrschaftswechsel entspricht, in den der Imperativ ruft (S. 38). Sicher ist der Imperativ andererseits auch nicht nur Entscheidungsruf, der verpflichtet, die im Indikativ ausgesagte Paradoxie, daß Gottes Wort in Menschenwort begegnet, anzuerkennen.

IPetr 1 , 1 3 - 2 , 1 0

113

Taufparänese; in ihm wird der Ansatz christlicher Existenz paränetisch unischrieben. 7) Hängen auch die in 1,22-2,10 folgenden Imperative mit diesem Formschema der Taufparänese zusammen? Sie erwachsen nach Form und Inhalt aus der Berufung zum Hoffen in 1,13-21, sobald, wie im 1 Petr, die soziale Dimension christlicher Existenz zum Thema wird. Dann muß in sie die Einweisung in die entscheidende soziale Bindung, die Gliedschaft in der Gemeinde, einbezogen werden. In entsprechender Weise wird der Imperativ Rom 6,11 in 6,12-14 entfaltet und vor allem in Kol 2,20-3,17 der Imperativ breit ausgeführt». 8) Bei der Entfaltung der Taufparänese in 1 Petr 1 f. waren inhaltlich paränetische Traditionen wirksam. Nur wenig trug die traditionelle Trias „Glaube, Hoffnung, Liebe" bei, deren Stichworte in 1,13. 21. 22 auftreten10. 9) Der wichtigste traditionsgeschichtliche Faktor wird durch ein Motiv angezeigt, das den ganzen Abschnitt durchzieht und prägt, nämlich das Motiv des Exodus: Die Erwählten brechen aus der Welt auf, ihrer Bestimmung entgegen. Der Einsatz: „Daher gürtet die Lenden eures Sinnes" (1,13) nimmt das Motiv von Ex 12,11 auf: Israel ißt das Passa, „die Lenden gegürtet". Die Abkehr vom weltförmigen Leben erinnert inhaltlich an Ex 16,3, die Erlösung aus der Knechtschaft (1,18) an Ex 13,3, das Blut des Lammes (1,19) an das Passa Ex 12,5. Das Schriftzitat 1,24f. stammt aus Jes 40, dem Kapitel vom zweiten Auszug, dem die Essener den Schriftbeleg für ihren Auszug entnahmen11. Die den dritten Unterteil tragende abschließende Proklamation 2,9: „Ihr seid das erwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft..." überträgt die Bundeszusage Ex 19,5f., die Israel am Sinai gegeben wurde, auf die Christen. Diese Berührungen mit der Situation des Exodus ergeben sich nicht aus einer bewußten typologischen Auswertung der at. Aussagen12. Sie erwachsen auch nicht lediglich, wie 1 Kor 5,7 f., aus einer Tradition christlicher Passahomilie, in der die Exodus Vorstellung lebendig war 13 . Die Hinweise ergeben sich ungewollt aus dem Sachzusammenhang, der sich immer wieder als traditionsgeschichtlicher Hintergrund des ganzen ersten Hauptteils erweist, nämlich dem Selbstverständnis der Exodusgemeinde in Qumran. Der Charakter der Imperative aber zeigt an, daß 1 Petr 1,13 ff. nicht eine einmalige historische Emigration, sondern den immer aufs neue nachzuvollziehenden eschatologischen Exodus meint. Er wird grundlegend vollzogen durch das „völlige Hoffen". 9 Vielleicht ist es nicht zufällig, sondern durch urchristliche paränetische Tradition bedingt, daß in 1 Petr 2,11 ff. wie in Kol 3 im nächsten Hauptteil eine Haustafelparänese anschließt. 10 Die Trias: Glaube, Hoffnung, Liebe findet sich l T h e s s l , 3 ; 5,8; 1 Kor 13,13; Kol l , 4 f . ; E p h l , 1 5 - 1 8 ; l T i m 6 , l l ; 2 T i m 3 , 1 0 ; Hebr 10,22-24; Barn 1,6; vgl. H. CONZELMANN, Der erste Brief an die Korinther (KEK V), Göttingen 1969, S. 270ff. 1 1 1 QS 8,13f.; 9,19. 12 Gegen J . DANIELOU, Sacramentum futuri. fitudes sur les origines de la typologie biblique, Paris 1950, S. 140f. 1 3 W. HUBER, Passa und Ostern (BZNW 35), Berlin 1969, S. 31 ff.

114

1 P e t r i , 13-21

a) 1,13-21: Uneingeschränktes Hoffen 13 Deshalb gürtet die Lenden eures Sinns, seid nüchtern, hoffet völlig auf14 die Gnade, die euch im Offenbarwerden Jesu Christi entgegengebracht wird18. 14 Als Kinder des Gehorsams gestaltet euch16 (nämlich euer Verhalten) nicht gemäß den Begierden, die euch früher in der (Zeit der) Unwissenheit (beherrschten), 15 sondern wie der heilig ist, der euch berufen hat, so werdet auch ihr heilig in eurem ganzen Verhalten! 16 Denn es steht geschrieben: „Ihr sollt heilig sein; denn ich bin heilig." 17 Und wenn ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person nach eines jeden Werk richtet, so wandelt in Furcht während der Zeit eurer Fremdlingschaft. 18 Ihr wißt ja, daß ihr nicht mit Vergänglichem, mit Silber oder Gold, losgekauft wurdet aus eurem eitlen, von den Vätern überkommenen Wandel, 19 sondern durch das kostbare Blut Christi als eines fehllosen und unbefleckten Lammes, 20 der vorherersehen wurde vor Grundlegung der Welt, am Ende der Zeiten aber um euretwillen erschienen ist, 21 die ihr durch ihn zum Glauben an Gott gekommen seid, der ihn von den Toten auferweckt und ihm Herrlichkeit gegeben hat, so daß sich euer Glaube und eure Hoffnung auf Gott richten. Thema und Aufbau des Abschnittes sind durchsichtig. Er setzt 1,13 mit dem Ruf zum Hoffen ein und schließt 1,21 mit ihm. Dieser Aufruf wird zuerst in V. 13-17 vom Ziel christlicher Existenz her motiviert und dann in V. 18-21 von ihrem Ursprung her. Hoffen gilt hier als das christliche Grundverhalten. Als Ziel wird in V. 13 die bei der Parusie begegnende Gnade und in V. 17 ergänzend das gleichzeitig zu erwartende Gericht nach den Werken genannt. Der ersten Erwartung entspricht als Imperativ: „Hoffet völlig!", der zweiten: „Wandelt in Furcht!". Zwischen beiden ist als Ergänzung die Verpflichtung zur Heiligung V. 14-16 eingefügt. Darauf folgt dann in V. 17-21 die christologische Begründung. έπί mit Akk. bei έλπίζω vom Ziel, nicht nur vom Grund; z.B. Barn 6,9. φερομένην kaum wie BAUER, Wörterbuch s . v . φέρω 4AΒ: „Die Gnade bei der Offenbarung Jesu Christi, die euch verkündigt wird". l e Vielleicht steht dieses Partizip — und entsprechend auch schon άναζωσάμενοι und νήφοντες in V. 13 — für den Imperativ. Vgl. dazu D. DAUBE, Participle and Imperative in I Peter, Appended Note, bei SELWYN S. 467-488. 14

15

IPetr 1,13

115

V. 13: Hoffen auf Gnade V. 13: Entscheidend ist die Aussage in V. 13 b: τελείως ελπίσατε κτλ. Nach griech. Denken gehört es zum Menschen, έλπίδες, gute und ungute Zukunftserwartungen zu haben 17 . Hier aber ist der Imperativ έλπίσατε, „hoffet", nicht an Utopien orientiert, die um des Menschen willen postuliert werden, sondern nach at.-jüd. und urchristl. Tradition 18 an einer als Anrede begegnenden Heilsverheißung Gottes. Dieses Inhalt und Struktur des Höffens prägende Ziel ist hier „die Gnade, die im Offenbarwerden Jesu Christi entgegengebracht wird". Die άποκάλυψις Ίησοϋ Χρίστου, sein „Offenbarwerden", ist wie in 1,7 und 4,13 sein Hervortreten bei der Parusie. Dieses Hervortreten ist im Grunde selbst „die Gnade", der Liebeserweis Gottes, der den Berufenen „entgegenkommt" (ή φερομένη ύμΐν χάρις). „Die Gnade" bringt nach 1,10 die σωτηρία, das universale Heilwerden, mit sich, die leibhafte neue Schöpfung (1,5. 9), das durch die Auferstehung Jesu den Berufenen zugesagte „Erbe" (1,3 f.). Auch der IPetr meint mit diesen „dinglich" klingenden at. Begriffen letztlich die Liebe Gottes, die die Berufenen endgültig annimmt (1,21), bzw. das „Sein beim Herrn" ( l T h e s s l , 8 ; vgl. IPetr 1,8). Dieses das Hoffen bestimmende Ziel ist im Sinne der universalen Eschatologie, nach 4,7 auch der Naherwartung, gedacht, aber sein personal und soteriologisch geprägter Inhalt macht es von zeitlich-räumlichen Vorstellungen unabhängig, ohne es zu spiritualisieren; denn Gott erweist sich eben als Gott, wenn er „die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ins Dasein ruft" (Rom 4,17). Inhalt und Gewißheit dieses Hoffens ist durch den sie begründenden Indikativ gegeben, durch die Wiedergeburt wirkende Zusage, die durch die Auferstehung Jesu ergangen ist 19 . Dieser Inhalt prägt die Struktur des Höffens, das nur τελείως20, „ganz", „ungeteilt", geschehen kann — wie die Ausrichtung auf die kommende Gottesherrschaft, die Jesus forderte. Hoffen ist hier nicht das Flüchten zu einer als Reserve bleibenden jenseitigen Lebenserfüllung, sondern gerade das Verzichten auf jede Reserve; denn das Ziel ist nicht ein jenseitiges Glück, sondern die Heimkehr des Geschöpfes zu seinem Schöpfer. So wird Hoffen für den IPetr wie vielfach in nachpaulinischer Zeit 21 geradezu anstelle von Glauben 22 Ausdruck des Christseins (3,15). Es wird seiner Struktur nach ähnlich wie das Hoffen im AT ein vertrauendes ThWNT II, S. 515ff. ebd. S. 518-527. Zur Sache vgl. J. MOLTMANN, Theologie der Hoffnung, München 1965, S. 184f. 20 τελείως, „ganz, ungeteilt, völlig, ohne Reserve" (G. DELLING, Art. τέλος, ThWNT V I I I , S . 7 5 F . ) gehört zu έλπίσατε (KELLY S. 6 6 , SCHELKLE S. 4 4 F . , SELWYN S. 1 4 0 u.a.), nicht zu νήφοντες (WINDISCH S . 5 5 , BEARE S. 7 0 ) . 21 BULTMANN, ThWNT II, S. 5 2 9 F . ; H . CONZELMANN, Art. Hoffnung II: Im NT, RGG 3 III, Sp. 417 f. 22 S. zu 1 Petr 1,21. 17

18 19

BULTMANN,

116

1 Petri, 14-16

Zugehen auf die von Gott verheißene Zukunft, ein Durchhalten der Berufung ihr entgegen. Es bestimmt das ganze Verhalten und äußert sich im einzelnen, wie es Hebr 11 an at. Beispielen illustriert: Es wagt den Exodus in die Fremdlingschaft und hält sich, ohne die Mächtigen zu fürchten, zu dem bedrängten Gottesvolk, auch wenn dies die Position in der Gesellschaft kostet (Hebr 11,8 ff. 23-26). Für den IPetr aber ist es überdies wichtig, daß diese rückhaltlose Hinwendung zu Gottes Zukunft keinesfalls schwärmerisch die Anforderungen des geschichtlichen Lebens aus dem Auge verliert, sondern sich ihnen, wie 2,11-3,7 ausführt, stellt — allerdings als einem „Vorletzten" (Bonhoeffer), dem sich der Christ nicht konformistisch anpassen darf. Solches Hoffen überfliegt nicht die Angst vor den Mächten und das Unrecht, es überwindet sie, ohne dabei allerdings eine Veränderung der Strukturen auf Gottes Zukunft hin zu erwägen. In dieser Weise zu hoffen bedingt die Einstellung, die in den beiden voranstehenden Partizipien in V. 13a genannt wird: διο άναζωσάμενοι τάς όσφύας της διανοίας υμών, νήφοντες. Es sind zwei der urchristlichen Paränese geläufige Bilder. „Die Lenden gürtet" 23 , wer das den Schritt hemmende lange Gewand kürzt; so soll die διάνοια, das Denken und Wollen, „geschürzt", auf Aufbruch eingestellt werden. Und während sich der Trunkene an seine erträumte Welt verliert, sieht der Nüchterne 24 die wirkliche Situation und stellt sich auf die verbürgte Zukunft ein — er hofft. Dem Hoffen entspricht als unmittelbare Folge, wie des öfteren in der Paränese gesagt wird, die Heiligung, worauf V. 14-16 eingeht. V. 14-16:

Heiligung des Alltags statt Konformismus

Das antithetische Sat^paar V. 14f. ruft auf zu der „totales Hoffen" praktizierenden Grundentscheidung: Im alltäglichen Verhalten gilt es, nicht „profan", sondern „heilig" zu leben! — Die Antithese ist durch paränetische Tradition vorgegeben. Die nächste urchristliche Entsprechung ist das ethische Materialprinzip Rom 12,2: Kein Konformismus mit der Lebensform dieses Äons, sondern aus Glauben denkend jeweils prüfen, was Gott will! Da μή συσχηματίζεσθ-ε im NT nur an diesen beiden Stellen auftritt, liegt vielleicht eine paränetische Tradition zugrunde, die hier und dort eigenständig ausgebildet wurde25. 23

άναζώννυμι in der frühchristlichen Literatur nur hier und in der Zitierung der Stelle in PolPhil 2,1; in der L X X Prov 31,17: άναζωσαμένη . . . τήν όσφύν, eigentlich: „hinaufgürten, aufschürzen", inhaltlich weithin gleichbedeutend mit ζώννυμι Joh 21,18; Act 12,8 und περιζώννυμι Lk 12,35; 17,8; Eph 6,13; vgl. schon Ex 12,11; Jer 1,17 (LXX). Die nächste sachliche Entsprechung zu 1 Petr 1,13 ist Lk 12,35: „Steht, eure Lenden gegürtet und die Lampen brennend" (in Erwartung des Herrn)! Ebenso Eph 6,14, jedoch ohne direkte eschatologische Ausrichtung. 24 νήφω, „nüchtern sein", im Gegensatz zur Trunkenheit, sonst 1 Petr 4,7; 5,8 und im übrigen N T (1 Thess 5,6.8; 2 Tim 4,5), durchweg übertragen; O. BAUERNFEIND, Art. νήφω, ThWNT IV, S. 938. 25 In 1 Clem 29,1-30,1 wird der Ruf, sich im Gegensatz zu den Weltvölkern zu heiligen, nicht als Grundentscheidung, sondern als Einzelparänese entwickelt.

1 Petr 1,14

117

— Die vorliegende Gestalt der Antithese erinnert zentral an das Selbstverständnis der Qumrangemeinde: Sie konstituiert sich durch die Grundentscheidung für totale Heiligkeit. Die „Männer der vollkommenen Heiligkeit" (1QS 8,20 f.; CD 20,2. 7) sondern sich von dem Bereich des Frevels und der Verblendung ab (1QS 3,9-11). Das in V. 16 hinzugefügte Schriftzitat, Lev 19,2, verweist auf den at. Hintergrund: Dieser Weisung des Heiligkeitsgesetzes geht nämlich das Verbot voran, den Lebensformen der Völker zu folgen, unter denen Israel lebt (Lev 18,1-5. 30). V.14 verwehrt das συσχηματίζεσ&αι, das „Sich-Gleichgestalten", nicht wie Rom 12,2 allgemein gegenüber den Lebensformen „dieses Äons", sondern gegenüber denen des eigenen alten Menschen: μή συσχηματιζόμενοι ταϊς πρότερον έν τϊ) άγνοια ύμών έπι&υμίαις. Diese Zuspitzung ist für den IPetr charakteristisch (vgl. 2,11; 4,2f.). Er will ja nicht die Formen des geschichtlichen Lebens als solche ablehnen, sondern nur ihre Prägung durch άγνοια, „Unwissenheit" 28 , und έπι&υμία, „Begehren". Beides ist nach at.-jüdisch-urchristlicher Tradition Kennzeichen des Heidentums27. Die Heiden verfallen dem „Begehren", weil sie Gott nicht kennen. Gott wird nur erkannt, soweit er als der Schöpfer, der das Leben gibt, anerkannt wird (Rom 1,21; 1 Kor 8,3), nicht wenn, wie vielfach in der hellenistischen Welt, ein göttlicher Weltgrund angenommen wird. Für den 1 Petr sind die έπιθυμίαι nicht lediglich die in 4,3 aufgezählten Laster, sondern nach 4,2 das vielfältige Streben des Menschen, sich das Leben selbst zu beschaffen. Das Verhalten nach den Begierden war das „frühere" (πρότερον) Leben, nämlich vor der Taufe. Wozu dann dieser partizipiale Imperativ? Dieses Gott verleugnende Streben liegt für die Getauften nicht einfach zeitlich hinter ihnen. Es begegnet ihnen auch nicht lediglich als Versuchung von selten ihrer Umgebung 28 ; denn erst das Sterben löst sie von der sarkischen Existenz, d. h. von dem durch das Sein zum Tode und damit durch selbstmächtiges Streben gekennzeichneten Menschsein (IPetr 4,1. 6). Daher will dieser Aufruf zum Nonkonformismus nicht eine eben vollzogene Bekehrung bestärken 29 ; er will vielmehr fortgesetzte Bewährung der geschehenen Taufe veranlassen. Der Aufruf appelliert mit seiner Einleitung an die Taufe: ώς τέκνα υπακοής, „als Kinder des Gehorsams . . ." 30 . Die Taufe weist nach 1,2 in 28 άγνοια im NT sonst Act 3,17; 17,30; Eph4,18, immer von dem Nichtkennen Gottes. 27 Jer 10,25; Ps79,6; Sap 14,22; Act 17,30; E p h 4 , 1 8 ; l T h e s s 4 , 5 : „Nicht in Leidenschaften der Begierden wie auch die Heiden, die Gott nicht kennen". Die Juden rühmen sich der Kenntnis Gottes und seines Gesetzes (Rom 2,17-20) — und kennen ihn doch nicht (Rom 10,3). 28

So

SCHELKLE S . 4 5 .

Gegen W I N D I S C H S. 56: „Die Leser sind offenbar als eben bekehrte Heiden angeredet." 30 Die Wendung ist wohl der hebr. Verwendung von „Kind" bzw. „Sohn" nachgebildet, so daß der Gen. die wurzelhafte Zugehörigkeit nennt, die bestimmende Wir29

118

1 P e t r i , 15 ff.

„den Gehorsam", in das Leben aus Glauben, ein; denn durch sie erfolgt, wie die entsprechende begründende Einleitung von V. 15 sagt, die Berufung. V.15: Die Berufung bindet an den Berufenden; deshalb sollen die Berufenen in ihrem „ganzen Wandel", dem gesamten Verhalten81, heilig werden, wie er heilig ist 32 : κατά τον καλέσαντα ύμας άγιον καΐ αυτοί άγιοι έν πάση άναστροφη γενή&ητε. Sie wurden ja nach 1,2 durch seinen heiligenden Geist erfaßt. άγιος wird, wer Gott zugehört (2,9); nur er ist von sich aus heilig. Heiligkeit ist nicht eine „Eigenschaft" Gottes, sondern Ausdruck seines Wesens: Er ist unantastbar rein und treu und verwirft—dies steht im Kontext im Blick—die ihn verleugnende Unreinheit. Wie geheiligtes Verhalten aussieht, illustriert 1 Petr 3,5 an den „heiligen" Frauen der Erzväter: Diese lebten „weltlich" als Ehefrauen, aber ihre Lebensform bis hin zu Kleidung und Schmuck war dadurch geprägt, daß sie rückhaltlos „auf Gott hofften" und allein ihn, nicht Menschen fürchteten. Die Heiligkeit manifestiert sich also nicht in einem aus der Welt ausgegrenzten Bezirk des Religiösen, sondern im Alltag. Sie bekundet sich auch nicht wie in Qumran als Leben einer ausgesonderten Gemeinde, sondern darin, daß geschichtliches Leben auf seinen Schöpfer als den Erlöser hin gelebt wird. V.16: In diesem Sinn ist der at. Grundsatz Lev 19,2, mit dem hier die Paränese unterstrichen wird, verstanden und damit nt. uminterpretiert: άγιοι Ισεσθε, δτι εγώ άγιος. Der Ruf zur Heiligung des Alltags steht in diesem Abschnitt sinngemäß zwischen dem zum Hoffen auf die Gnade V.13 und dem zur Furcht vor dem Richter V.17; denn die Heiligkeit umfaßt beides. V. 17: Furcht vor dem Richter V.17: Mit dem Hoffen auf die Gnade V. 13 als Leitmotiv des Verhaltens wird nun die Furcht im Blick auf das Gericht nach den Werken verbunden. Auch Paulus und das übrige Neue Testament verweisen auf das kung hat: Hos 10,9 έπΐ τά τέκνα αδικίας, äthHen91,3 „Kinder der Gerechtigkeit", Eph 2,2 έν τοις υίοϊς της απείθειας. — ώς ist wie 1 Petr 1 , 1 9 ; 2,2.11 f. 13f. 16; 3,7; 4,10f. 16 kausal. 3 1 άναστροφή — 6mal in 1 Petr, 2mal in 2 Petr, im ganzen übrigen NT nur 5mal — hat gleich dem Verbum άναστρέφειν (1 Petr 1 , 1 7 ; sonst ca. 7mal im NT) schon im klass. Griech. die übertragene Bedeutung: das „Verhalten", das „Benehmen" (s. BAUER, Wörterbuch s. v.). Dafür im NT häufiger περιπατεΐν (ca. 48mal; in dieser Bedeutung nicht in 1 Petr). Beides entspricht dem hebr. i p n . Lit.: W. BRANDT, Wandel als Zeugnis nach dem 1. Petrusbrief, in: Verbum Dei manet in aeternum (Festschrift O. Schmitz), Witten 1953, S. 10-15. 32 Der formale Vergleich zwischen dem Heiligen und den Heiligen V. 15.16. meint demnach nicht die Imitation der Gottheit, wie sie z.B. Plato lehrt (vgl. SELWTN S. 141 f.), sondern das Aufnehmen der widerfahrenden Heiligung.

1 Petr 1,17

119

Endgericht im Rahmen der Paränese33. So werden anscheinend sachlich einander widerstreitende Vorstellungen, nämlich totales Hoffen auf die Gnade und Furcht vor dem Gericht nach den Werken, um der ethischen Zielsetzung willen miteinander verbunden 34 . Es muß geprüft werden, wie und warum beides zusammengefügt wurde. Nach der rabbinischen Enderwartung soll sich der Beschnittene bemühen, im Endgericht aufgrund der Gesetzeserfüllung und der seine Übertretungen tilgenden Buße zu bestehen, letztlich aber auf die Gnade hoffen, die ihn um der Erwählung und um der Väter willen retten wird 88 . Der IPetr fordert in 1,13 dazu auf, „völlig", und d.h. „allein" auf die Gnade zu hoffen. Aber die Gnade kann immer nur durch das Gericht nach den Werken hindurch, nicht an ihm vorbei ergriffen werden. Das deutet der 1 Petr durch seine Leidenstheologie an; nach ihr müssen auch die Glaubenden durch das Gericht der Verfolgungsleiden hindurchgehen (4,6. 17-19). Nach Paulus aber verhalten sich Gericht nach den Werken und Rettung durch die Gnade zueinander wie das Gesetz und Christus: Das Gesetz wird durch Christus immer nur eschatologisch für den aufgehoben, der aus Glauben lebt (Rom 10,4). Es wird im Endgericht abschließend geltend gemacht (Rom 2,5-11). Die durch Christus Gerechtfertigten aber hoffen, daß sie durch ihn, und zwar ihn allein, endgültig „aus dem Zorn" des Endgerichts nach den Werken gerettet werden (Rom 5,9 f.). Entsprechend sagt das visionäre Bild Apk 20,12-15: Alle werden nach den Büchern der Werke gerichtet; gerettet werden nur die, die im Buch des Lebens, dem Buch des „geschlachteten Lammes" (Apk 13,8), stehen. So verbindet V. 17 in der Tat Zusammengehörendes, wenn er betont: Zu dem Hoffen auf die Gnade (V. 13) gehört auch die Furcht (έν φόβω ... άναστράφητε). Denn der, den die Berufenen als Vater anrufen, ist auch der Richter: zi πατέρα έπικαλεΐσθε τον άπροσωπολήμπτως κρίνοντα κατά τδ έκάστου έργον . . ., „wenn (gemeint ist: „da") ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person nach eines jeden Werk richtet. . .". Diese Wendung erinnert an die geläufige Formel „den Namen des Herrn an2 Kor 5,10f.; vgl. Röml4,10f.; 1 Kor 3,12-15; 4,4. So im Sinne der liberalen Theologie A. Ritschis ζ. Β. H. J. HOLTZMANN, Lehrbuch der Neutestamentlichen Theologie II, Tübingen 2 1911, S. 222FF.: „Ein nach dem Maßstab der aufweisbaren Werke erfolgendes Gericht ist unabweisliches Postulat der Gesetzesreligion und gehört jedenfalls schon der vorchristlichen Schicht der Gedankenbildung des Apostels (Paulus) an, während die Rechtfertigung aus Glauben sich erst von der christlichen Erfahrung aus versteht." Lit.: Η. LIETZMANN-W. G. KÜMMEL, An die Korinther I/II (HNT 9), Tübingen 6 1969, zu 2 Kor 5,10; H. BRAUN, Gerichtsgedanke und Rechtfertigungslehre bei Paulus (UNT 19), Leipzig 1930. 35 PsSal 9,5f.: „Wer recht handelt, erwirbt sich beim Herrn Leben, und wer Unrecht tut, verwirkt selbst sein Leben ins Verderben. . . . Wem willst du gnädig sein, Gott, wenn nicht denen, die den Herrn anrufen?" MidrHL zu 1,5 (87b): „Die Gemeinde Israel spricht: Schwarz bin ich durch meine Werke, aber anmutig durch das Werk meiner Väter" (zit. bei BILLERBECK I, S. 118). Vgl. E. SJÖBERG, Gott und die Sünder im palästinischen Judentum, Stuttgart 1939. 33 34

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1 Petr 1,17

rufen", die früh zur Selbstbezeichnung der Christen wurde (1 Kor 1,2 u. ö.). Die ursprünglich auf Gott bezogene Aussage (vgl. Joel 3,5) ist dabei auf Jesus Christus als κύριος angewandt worden. Die parallele Wortverbindung πατέρα έπικαλεΐσ&αι findet sich in der frühchristlichen Literatur nur hier3®, war also keine stehende Formel. Wohl aber ist die Verwendung der Gebetsanrede „Vater" unmittelbarster Ausdruck der Gottesgewißheit, die den Jüngern nach der Evangelienüberlieferung, insbesondere nach Matthäus, durch Jesus vermittelt wurde 37 . Nach Paulus (Rom 8,15; Gal 4,6) wurde sie in der hellenistischen Kirche als das gewichtigste Zeugnis des Geistes für die Verbundenheit mit Gott verstanden, das zur Freiheit von der Furcht beruft (vgl. 1 Joh 4,17 c. 18). Und doch „kennt" Paulus zugleich „die Furcht des Herrn" (2 Kor 5,11), eben weil er auch für die Christen das Gericht nach den Werken erwartet (2 Kor 5,10). Das Gericht Gottes fragt „ohne Ansehen der Person" (άπροσωπολήμπτως) 38, auch ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit zur Gemeinde, ausschließlich nach dem Verhalten: έργον, „Werk", steht hier singularisch für das Gesamtverhalten, den Wandel39. An diese Frage kann auch, wer aus Glauben zu leben versucht, nur mit Erschrecken denken. Dieses Erschrecken im Blick auf die Rechenschaft vor Gott ist die Furcht 40 , die nach dieser Paränese zum christlichen Wirküchkeitsbewußtsein gehört, φόβος meint nun aber nicht die resignierende Angst, in die der Verf. des 4 Esra verfällt, weil ihm das Urteil nach den Werken als das letzte erscheint (7,69). Diese Furcht ist auch nicht Ausdruck einer nachapostolischen „Vulgärfrömmigkeit" 41 , sondern die notwendige dialektische Antithese zu christlichem Hoffen; ohne sie wird aus der certitudo wirklichkeitsfremde securitas. Die Furcht entspricht dem Leben in der „Zeit der Fremdlingschaft" (ό της παροικίας υμών χρόνος)42; denn es ist die Zeit der Anfechtung und der Bewährung. 3 8 In der L X X nur Τ 88,27: έπικαλέσεταί με Πατήρ μου εΖ σύ, θεός μου. J e r 3 , 1 9 (Gott zu Israel): „ U n d ich meinte, du würdest mich Vater nennen." 37 J . JEREMIAS, Neutestamentliche Theologie I, Gütersloh 1971, S. 67-73. 3 8 άπροσωπολήμπτως nur hier in der Bibel, weiterhin ebenfalls von Gottes Gericht Barn 4,12 (anders 1 Clem 1,3); sonst wird dasselbe mit Hilfe der Subst. προσωπολημψία (Rom 2,11; vgl. E p h 6 , 9 ; K o l 3,25) und προσωπολήμπτης (Act 10,34; vgl. schon Dt 10,17) zum Ausdruck gebracht. 3 8 Statt des üblichen κατά τά Ιργα nach Ψ 61 (62), 13 in R o m 2 , 6 ; Apk 20, 12f. findet sich der Sing, auch in 1 K o r 3,13 ff.; Gal 6 , 4 ; Apk 22,12: άποδοΰναι εκάστη ώς τό έργον έστίν αΰτοϋ. Ebenso schon J e s 4 0 , 1 0 ; 62,11; vgl. Mt 16,27: άποδώσει έκάστω κατά τήν πραξιν αύτοϋ. 1 Petr 2,12 steht der Plural: έκ καλών έργων. 4 0 Von einem Verhalten „in Furcht" (sc. vor Gott) zu reden, ist im N T dem 1 Petr eigen: 1,17; 2,18; 3,2.16; nächste Entsprechungen: Act 9,31 πορευομένη τω φόβω τοϋ κυρίου. Vgl. 2 K o r 7 , 1 ; E p h 5,21. Diese Redeweise ist ebenso wie die paulinische Wendung „in Furcht und Zittern" (Phil 2,12 u. ö.) at.: Ψ 2,11 (δουλεύσατε τω κυρίω έν φόβω). φόβος κυρίου ist vor allem in der Weisheit Leitmotiv: Ψ 110 (111),10; Prov. 1,7; 9,10; Sir l , l l f . l 8 u. ö. Vgl. H . B A L Z - G . W A N K E , Art. φοβέω, T h W N T I X , S. 186-216. 4 1 So K N O P F S. 68f., ähnlich W I N D I S C H S. 56f. 4 2 Vgl. S. 80.

IPetr 1,18—21

121

V. 18-21: Christi Erlösungstat als Ursprung der Hoffnung43 Zu Gedankenfübrung und Form: 1) Der Abschnitt V. 18-21 enthält grammatikalisch eine Reihe von Nebensätzen, die durch das Part, είδότες an V. 17 angeschlossen sind. Ihr Inhalt, die Erlösung durch Christus, begründet jedoch nicht die Aufforderang zum Wandel in Furcht (V. 17)44; aus ihm wird vielmehr in V. 21 Glauben und Hoffen abgeleitet. Demnach wird in V. 18-21 das Grundverhalten, das in V. 13-17 aus dem Ziel christlicher Existenz entwickelt wurde, ergänzend aus ihrem Ursprung abgeleitet: Gott hat durch Christus von dem bisherigen Menschsein erlöst und dadurch Glauben und Hoffen, das sich auf ihn richtet, ermöglicht45. 2) Noch zweimal, nämlich in 2,21-25 und 3,18-22, motiviert der 1 Petr seine Paränese mit entsprechenden formelhaften christologischen Aussagen. Vielfach wird angenommen, er habe in diesen drei Abschnitten nicht nur christologische Formeltradition, sondern „Christuslieder" verarbeitet46. Für diese Hypothese werden vor allem zwei Gründe angeführt: a) Die Abschnitte sind in gehobener, „poetischer" Sprache formuliert. Dies gilt jedoch auch für andere Teile des 1 Petr. Entscheidend ist daher b) der Eindruck, daß diese christologischen Ausführungen weit mehr sagen, als zur Begründung der Paränese notwendig ist. Dieser Eindruck muß exegetisch geprüft werden. Erst dann ist eine form- und traditionsgeschichtliche Beurteilung möglich. V.18f.: είδότες, „ihr wißt ja", erinnert in den paulinischen Briefen als stehende Wendung die Gemeinde an eine ihr geläufige Glaubenserkenntnis, führt jedoch dort an keiner Stelle Formeln ein 47 . Auch die vorliegende Stelle verweist auf das der Gemeinde schon aus der Evangelienüberlieferung vertraute Urwiderfahrnis, die Erlösung durch das Sterben Jesu: έλυτρώ&ητε, „ihr wurdet (sc. von Gott 48 ) losgekauft" bzw. „erlöst". Der Sinn des Verbums oszilliert an unserer Stelle zwischen diesen beiden Bedeutungen. V. 18 nennt einen Kaufpreis und legt dadurch 43 Vgl. W. C. VAN UNNIK, De verlossing 1 Petrus 1:18-19 en het probleem van den eersten Petrusbrief (Mededeelingen der Nederlandsche Akademie van Wetenschappen, Afdeeling Letterkunde NR 5,1), Amsterdam 1942; DERS., The Critique of Paganism in 1 Peter 1:18, in: Neotestamentica et Semitica (Studies in Honour of M.Black), Edinburgh 1969, S. 129-142; D.G.MILLER, Deliverance and Destiny. Salvation in First Peter, Interpr 9 (1955) S. 413-425; P. E. DAVIES, Primitive Christology in I Peter, in: Festschrift to honor F. W. Gingrich, Leiden 1972, S. 115-122. Vgl. auch noch L. ANDRIANOPOLI, II mistero di Gesü nelle Lettere di San Pietro, Turin 1935. 44 So SCHELKLE S. 47: Die Mahnung (zu kindlicher Furcht V. 17) „wird verstärkt durch den hinzutretenden Gedanken an die Erlösung durch Christus (1,18-21)". 45 Vgl. G. DELLING, Der Bezug der christlichen Existenz auf das Heilshandeln Gottes nach dem ersten Petrusbrief, in: Neues Testament und christliche Existenz (Festschrift H. Braun), Tübingen 1973, S. 95-113; ferner E. KRAFFT, Christologie und Anthropologie im 1. Petrusbrief, EvTh 10 (1950/51) S. 120-126. 46 Siehe u. S. 204f. " Rom 5,3; 6,9; 1 Kor 15,58; 2 K o r 4 , 1 4 ; 5,6; Eph 6,8.9. 48 Es ist „Gott" als Subjekt zu ergänzen; denn die bei der Formulierung von V. 18 verwendete Stelle Jes 52,3 redet von Gottes Erlösen. Er ist auch Subjekt des anschließenden προεγνωσμένου in V. 20.

122

IPetr l , 1 8 f .

die griech. Grundbedeutung „loskaufen" nahe. Jedoch paßt zu dem at. Hintergrund der Stelle, Jes 52,3, und vor allem zu der Vorstellung vom sühnenden Opfer in V.19 besser die religiöse Bedeutung „erlösen", die sich in der LXX und im Urchristentum mit dem Wort verbunden hat 49 . Gleichwohl bleibt der Begriff in seiner Bedeutung ambivalent. Dies ist durch die Aussage über Jesu Sterben in der urchristlichen Tradition vorgezeichnet. Das Logion vom Lösegeld (λύτρον) Mk 10,45 par Mt will Jesu Sterben als stellvertretende Sühne deuten: Der Menschensohn gibt sein Leben als Sühne für die Völkerwelt. Diese Deutung nimmt die im AT singuläre Aussage Jes 53,10-12 über das universal sühnende Todesleiden des Gottesknechtes ihrem Sachgehalt nach in freier meditativer Anlehnung an den hebr. Text, nicht als Zitat, auf 60 . In dieser Weise wird Jes 53 im NT sonst nur im Kelchwort Mk 14,24 par Mt verwendet. Diese Art der Auswertung ist nicht aus der frühchristlichen Schriftauslegung ableitbar; sie dürfte auf Jesus selbst zurückgehen 61 . In lTim 2,6 ist das Logion in hellenistischer Form in eine Bekenntnisformel eingefügt. An unserer Stelle ist eine von dem Logion herkommende Tradition ausgearbeitet. Es wurden gleichsam beide Seiten der Aussage ausgebaut. Einerseits wird unterstrichen, daß eine rechtliche Befreiung durch Loskauf, jedoch „nicht mit vergänglichen Mitteln, Silber oder Gold", erfolgte (ού φ&αρτοϊς, άργυρίω ή χρυσίω)S2. Der Loskauf ist vielmehr, wie auf der anderen Seite durch Vergleich mit einem Opferlamm betont wird, Erlösung durch Jesu Sterben als Sühne (άλλα τιμίω αίματι ώς άμνοϋ άμώμου καΐ ασπίλου Χρίστου)83. Der Vergleich mit dem Lamm 49 Dem hell. Menschen ist λυτροϋσθαι in der Bedeutung „(einen Sklaven oder Kriegsgefangenen) gegen Lösegeld freikaufen" (Medium) oder „losgekauft werden" (Passiv) geläufig (F. BÜCHSEL, Art. λύω, ThWNT IV, S. 341. 352). In der L X X steht es vor allem bei DtJes, z.B. an der hier aufgenommenen Stelle Jes 52,3 für *?tU von der Befreiung Israels aus dem babylonischen Exil; im Dt (7,8u.ö.) für ΓΠ8 von der Befreiung aus Ägypten (vgl. Ex 6,6; 15,13; dazu O. PROCKSCH, Art. λύω, ThWNT IV, S. 333-336) und nimmt dadurch über „loskaufen" hinaus die sakrale Bedeutung „erlösen" an, wobei oft nicht mehr auf ein Lösegeld reflektiert wird. 50 J.JEREMIAS, Das Lösegeld für viele (Mk 10,45), in: DERS., Abba (Ges.Aufs.), Göttingen 1966, S. 216-229; E. LOHSE, Märtyrer und Gottesknecht (FRLANT NF 46), Göttingen 2 1963, S. 117ff. 5 1 Einzelnachweis bei PATSCH, Abendmahl und historischer Jesus S. 175-180. 62 Diese Aussage ist wohl in Anlehnung an Jes 52,3 entwickelt. Daher steht wie in der L X X für den Preis der Dat., nicht wie Tit 2,14 und sonst der Gen. 63 Diese Wetterführung des λύτρον-Wortes, Mk 10,45, hat keine Entsprechung in den pln. Stellen, die das Bild von der Ubereignung durch Loskauf entwickeln: 1 Kor 6,20 (ήγοράσθητε τιμής); 7,23. Dagegen berührt sie sich auch nach dem Kontext in manchem mit Tit 2,14, der einzigen Stelle, an der das Wort sonst im NT Jesu Sterben deutet (hier das Verbum λυτροϋσθαι) und inhaltlich mit Apk 5,9, wo ebenfalls die Bilder vom Loskauf und vom „geschlachteten Lamm" miteinander verbunden sind: έσφάγης καΐ ήγόρασας. Vgl. Hebr 9,1-2: durch Opfersühne hat er αίωνίαν λύτρωσιν, „eine ewige Erlösung", gewonnen. Das häufig begegnende άπολύτρωσις, „Erlösung", bringt nicht den Sinn von Jesu Sterben zur Sprache, sondern seine gegenwärtige und zukünftige

IPetr l , 1 8 f .

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knüpft hier jedoch nicht an Jes 53,7 an, obgleich dieser Text im nächsten christologischen Abschnitt aufgenommen wird (1 Petr 2,22 f.), sondern verwertet die Tradition, die Jesus als das Passalamm kennzeichnet54. Der Tod der Passalämmer galt dem Rabbinismus als Opfersühne, die die Erlösung aus Ägypten ermöglichteBB. Im Kontext unserer Stelle steht die Befreiung aus Gefangenschaft, nicht wie in Jes 53 aus Sündenschuld, im Blick. Jesu Sterben, „das Blut Christi"6®, war τίμιος, „kostbar", „von hohem Wert" 67 , weil er, wie es das AT vom Opfer fordert, άμωμος, „fehllos"58, und άσπιλος, „ohne Flecken"59, nämlich ohne Sünde und heilig war60. Zum sachlichen Verstehen des Sterbens Jesu trägt der Vergleich mit dem Passalamm nur bei, daß Gott selbst durch Jesu Sterben entsprechend seiner gnädigen Stiftung im alten Bund sühnend und insofern rechtmäßig den befreienden Exodus ermöglicht hat. Der tiefere Sinn dieser Sühne wird erst von der Weissagung Jes 53 her deutlich, die hinter dem Ursprung dieser gesamten Tradition, nämlich Mk 10,45, steht: Der Sühnetod des Gottesknechts ist nicht wie das Todesleiden der Märtyrer nach 4Makk6,28f.; 17,20ff. Ersatzleistung für den Leistung gegen Leistung verrechnenden Gott, auch nicht wie die at. Opfer ein dinglicher Ritus, der nach Gottes gnädiger Stiftung den Schuldzusammenhang sprengt, sondern Erweisung der Treue Gottes, die die erste Zusage in einer zweiten aufheben und zum Ziel führen will, ohne die erste zu annullieren. Jesus bringt „dienend" Vergebung und Heil als durch seine Person vermittelte Gemeinschaft mit Gott; was er bringt, kann daher nach seinem Ausgang nur durch ihn als den Auferstandenen weitervermittelt werden61. Gott hat durch Jesu Sterben den Exodus aus der Verfallenheit „an den eitlen, von den Vätern überkommenen Wandel" (V. 18b) ermöglicht: έλυτρώθ-ητε έκ της ματαίας υμών άναστροφής πατροπαραδότου. DieseWendung ergänzt das in V. 14 entworfene Bild der vorchristlichen Situation: μάταιος, „nichtig", vervollständigt die Kennzeichnung durch άγνοια, soteriologische Wirkung; es steht in 1 Kor 1,30 neben Heiligung und in E p h l , 7 ; Hebr 9,15 neben Vergebung. M 1 Kor 5,7; vgl. Joh 19,36 = Ex 12,46. 6 5 BILLERBECK I V , S . 4 0 ; vgl. J. JEREMIAS, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 1 1967, S. 216 f. *· Siehe zu 1,2. 57 Ebenso 1 Clem7,4: τίμιον τω πατρί. 88 Nach Lev 22,17-25 müssen Opfergaben άμωμος, „fehllos", sein; ebenso Ex 29,1; Ez 43,22f. So vom Selbstopfer Christi auch Hebr 9,14. 59 άσπιλος, „unbefleckt", fehlt in der L X X ; Jak 1,27 übertragen von den Christen: „sich von der Welt unbefleckt erhalten"; vgl. 1 Tim 6,14; 2Clem8,6. 60 1 Petr 2,22: „der keine Sünde tat . . . " ; eine gemeinurchristliche Vorstellung: 2 Kor 5,21; Hebr4,15; 7,26; 1 J o h 3 , 5 . e l L. GOPPELT, Geschichtlich wirksames Sterben, in: Leben angesichts des Todes (Festschrift H. Thielicke), Tübingen 1968, S. 61-68; PATSCH, Abendmahl und historischer Jesus S. 183 ff.

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1 Petr 1,20

„Unkenntnis" (Gottes), und επιθυμία, „Begehren": „Nichtig" ist schon im klassischen Griechisch, was eine Welt des Scheins gegen die Wirklichkeit aufbaut, was daher trügerisch, zwecklos und sinnlos ist. Von einem menschlichen Verhalten, das sinnlos ins Leere geht, redet die griech. Tragödie ebenso wie die LXX und das NT, nur die Maßstäbe sind verschieden. Nach der LXX ist alles nichtig, womit der Mensch seine Geschöpflichkeit verleugnet, z.B. die Götzen, die sich der Mensch macht 82 . Nach dem NT werden alle nichtig, die Gott aktuell verleugnen, auch die Christen (1 Kor 15,17; Tit 3,9; Jak 1,26). Wer nicht von Gott her lebt, verliert sich und seine Welt an die Beziehungslosigkeit; denn er begreift weder sich noch die ihm begegnenden Menschen in ihrem Woher und Wohin. Er kompensiert den von der Wirklichkeit an ihn gerichteten Anspruch durch die επιθυμία, wodurch er sich selbst eine Welt aufbauen will. Aus diesem durch die drei Stichworte gekennzeichneten Verhalten kann sich der Mensch nicht selbst freimachen; es ist „von den Vätern überliefert" (πατροπαράδοτος), eine ihn bindende Tradition 63 . Der Begriff umschreibt „soziologisch", was die Adam-Christus-Typologie Rom 5, 12-21 theologisch sagt. Der Ausdruck hat Heidenchristen im Blick, reflektiert aber nicht speziell auf das Heidentum, sondern auf das Menschsein als solches. Weil die Menschen in dieser Weise gebunden sind, werden im 1 Petr nicht moralische oder religiöse Appelle an sie gerichtet; es wird ihnen vielmehr die Erlösung durch Jesu Sterben verkündigt. V. 20: Jesu Sterben ist nur deshalb die universale Erlösung, weil es aus Gottes Weltplan hervorging: προεγνωσμένου μέν προ καταβολής κόσμου, φανερωθέντος δέ έπ' εσχάτου των χρόνων δι' ΰμας. Die im antithetischen Parallelismus formulierte bekenntnisartige Aussage stellt hier Jesu Auftreten, apokalyptische Schemata aufnehmend, in Gottes Weltplan: Er wurde „zuvor erkannt", nämlich nach 1,2 vorherbestimmt (zum Heilsmittler) ®4, „vor Grundlegung der Welt", vor ihrer Schöpfung oder ihrem Anfang 65 ; er ist „erschienen", in der Geschichte wirksam geworden, am 62 Lev 17,7; Jer 8,19; 10,15; vgl. Eph 4,17 (O. BAUERNFEIND, Art. μάταιος, ThWNT IV, S. 525-528). An die Stichworte unserer Stelle erinnert unmittelbar Sap 13,1: „Alle Menschen sind von Natur aus eitel (μάταιοι), weil sie Gott nicht kennen (οίς παρήν θεοϋ άγνωσία)." 83 So muß πατροπαράδοτος, „vom Vater vererbt", „überkommen" (im NT nur hier, LXX), aufgrund des Kontextes mit „loskaufen" negativ verstanden werden. Es meint hier nicht nur wie bei DiodSic 4,8,5 eine verpflichtende Tradition, die man jedoch auch preisgeben kann: μηδέ την πατροπαράδοτον εύσέβειαν διαφυλάττειν. — In 2Tim 1,5; 3,15 wird nicht einfach das Gegenteil dessen beschrieben, was unsere Stelle meint. 64 προγιγνώσκειν (s. zu 1,2), „vorherwissen", „vorhererkennen". Gottes Vorhererkennen ist immer auch ein Vorherbestimmen bzw. Erwählen; denn es richtet sich nicht auf das, was andere tun, sondern was durch ihn geschieht; so Rom 8,29; 11,2 von den Christen (Eph 1,4 dafür έξελέξατο), und nur hier von Christus (vgl. R. BULTMANN, Art. γιγνώσκω, ThWNT I, S. 716). ®5 καταβολή begegnet im NT, und zwar erst in nachpln. Schriften, abgesehen von Hebr 11,11, nur in der Wendung από bzw. πρδ καταβολής κόσμου. Die Wendung lehnt sich

IPetr 1,20

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„Ende der Zeiten"ββ, gemeint: zu Beginn der Endzeit67. Diese Antithese redet nicht von Präexistenz und Menschwerdung, sondern von „vorherbestimmen" und „erscheinen". Die beiden Verben korrespondieren einander nicht genau. Nach 1 Petr 1,2 wird bei den Christen das ewige Vorherbestimmen Gottes durch die geschichtliche Berufung realisiert. Hier aber wird im Blick auf Christus dem Vorherbestimmen das φανεροϋσθαι, „erscheinen", gegenübergestellt. Was besagt dies im vorliegenden Zusammenhang? In einer bei den Apost. Vätern mehrfach auftretenden christologischen Formel bezeichnet es das Hervortreten des Präexistenten, „der vor aller Zeit beim Vater war und am Ende der Zeit erschienen ist" ®8. Diese Formel ist im Sinne der Präexistenzchristologie gestaltet und nimmt zugleich die Vorstellung der jüdischen Apokalyptik auf, daß der Menschensohn wie andere Heilsgüter, die seit Urbeginn im Himmel verborgen sind, am Ende hervortreten69. Anders als diese Vergegenständlichung redet unsere Formel theozentrisch von Gottes Vorherbestimmen. Sie deckt sich jedoch auch nicht mit einer zweiten Ausformung, die im unechten Schluß des Römerbriefes (16,25f.) begegnet: Das Geheimnis des Heils, „das ewigen Zeiten verschwiegen war, jetzt aber enthüllt wurde" (φανερωθ-έντος)70. Nach dem Kontext meint das griech. Wort an unserer Stelle nicht nur, daß Vorhandenes enthüllt wird oder in Erscheinung tritt, aber auch nicht, daß eine Zusage erfüllt wird, sondern daß Vorherbestimmtes geschichtlich manifest und dadurch realisiert wird. Die am nächsten entsprechende Stelle Hebr 9,26: νυνί δέ άπαξ έπί συντελεία των αιώνων . . . eng an das außerbiblische Griech. an: καταβολή, das „Niederlegen", z.B. das Legen der Fundamente für ein Gebäude (F. HAUCK, Art. καταβολή, ThWNTIII, S . 623); άπό καταβολής kann heißen: „von Anfang an" (H. SASSE, Art. κοσμέω, ThWNT III, S. 884 Anm. 62); so DiodSic 12,32.2. Das hell. Judentum, das den Begriff κόσμος aufnimmt, redet vom Weltanfang in anderen Wendungen (H. SASSE, ThWNTIII, S. 877, 39ff.; 880,29ff.). Dagegen entspricht AssMos 1,11-14 auch nach dem Kontext unserer Stelle: „Er hat zwar die Welt um seines Gesetzes willen geschaffen, aber dieses, den Erstling der Schöpfung, nicht auch von Anfang der Welt an (πρδ καταβολής κόσμου) geoffenbart . . . Deshalb ausersah und fand er mich (Moses), der von Anfang der Welt (griech. ebenso) an dazu vorbereitet war, der Mittler jenes Bundes zu werden." Übersetzung nach C. Clemen, in: KAUTZSCH, Apokryphen und Pseudepigraphen II, S. 319. " έπ' έσχάτου (ohne Art. vom Neutr. έσχατον) των χρόνων, „am Ende der Zeiten", im NT nur hier; gleichsinnig Hebr 9,26: έπισυντέλεια των αιώνων, sonst oft die LXXWendung έπ' έσχάτου των ήμερων (Hebr 1,2 u. ö.; vgl. G. KITTEL, Art. έσχατος, ThWNT II, S. 695); weiter Jud 18: έπ' έσχάτου τοϋ χρόνου. 1 Petr 1,5: έν καιρώ έσχάτω. 67 Mit Jesu Sterben und Auferstehen setzt das Endgeschehen ein (s. zu 1,10-12). Der 1 Petr sieht deutlich die zeitliche Spanne zwischen dem erfolgten (1,20) und dem zukünftigen (5,4; vgl. 1,5.7) φανεροϋσθαι in der Endzeit, bezieht sich also auf eine zeitliche Erstreckung der Endzeit, rechnet jedoch nicht mit Fristen. e 8 IgnMagn6,l (allerdings: έφάνη); aber Herrn sim9,12,2f. (φανερός έγένετο); 2 Clem 14,2 (έφανερώθη); vgl. OdSal4,14. 69 ÄthHen 62,7. 70 Diese Vorstellung erwächst aus der Geschichtheologie at.-jüd. Apokalyptik, die in der Theologie des Dtjes (45,21; 46,8-13 u.ö.) vorbereitet ist: Jes 37,26; äthHen 48,6;

126

1 Petr 1,21

πεφανέρωται, reflektiert nicht unmittelbar auf die Menschwerdung des Präexistenten, sie meint aber doch ebenso wie 1 Tim 3,16 ein geschichtliches Wirksamwerden des Präexistenten (Hebr 1,2). Unsere Stelle will noch weniger ein Hervortreten von schon Vorhandenem aussagen. Sie will vielmehr betonen: In Jesu Wirken, voran in seinem Todesleiden, wurde der ewige Heilsplan Gottes vollstreckt71, weil Christus als der hierzu Vorherbestimmte geschichtlich wirksam wurde. Deshalb ist Jesu mehr als unscheinbares Wirken und Leiden in der Geschichte die endzeitliche Erlösung, und so wird durch ihn die Welt nicht nur nachträglich wiederhergestellt, sondern an das ihr von Ewigkeit her bestimmte Ziel gebracht. Diese soteriologische Intention der Aussage wird in dem V. 20 abschließenden δι' ύμας, „um euretwillen", unmittelbar ausgesprochen. Auch nach apokalyptischer und essenischer Tradition' 2 geschieht die Erlösung um der Erwählten willen. Dieses exklusive Erwählungsbewüßtsein wird in 1 Petr 2,9 f. noch betonter als hier auf die Gemeinde bezogen. Es handelt sich jedoch nicht um eine prädestinatianische Theorie, die der Selbstbestätigung dient. Es ist vielmehr Zuspruch der endgültigen Heilsoffenbarung, der zur universalen Mission verpflichtet, weil Jesu Sendung, wie in dialektischer Spannung festgehalten wird, allen gilt78. V. 21: Das die ganze Schöpfung umspannende eschatologische Heilswirken Christi gilt allen, die durch ihn Glaubende werden: τούς δι' αύτοΰ πιστούς74 είς θεό ν. Das Glauben wird „durch ihn" 76 , durch sein Heilswirken, begründet, weil es den Zugang zu Gott erschließt: „Er ist gestorben . . . um uns Gott zuzuführen" (3,18). Jesu Sterben hat diese Bedeutung, weil es Sterben auf die Auferstehung hin war; durch sie wurde nach 1,3 die Wiedergeburt zur Hoffnung und damit auch das Glauben bewirkt. Daher wird das, was den Glauben begründet, hier zugleich als sein Inhalt genannt: είς θεον τον έγείραντα αύτόν έκ νεκρών. Schon nach der Formel71

Diese Vorstellung erwächst aus der Geschichtstheologie der at.-jüd. Apokalyptik, die in der Theologie des DtJes (45,21; 46, 8 ff. u. ö.) vorbereitet ist: Jes 37,26; äthHen 48,6; 4 Esr 6,1-6: „Ehe des Himmels Pforten standen . . ., habe ich dies alles vorbedacht, und durch mich und niemand sonst wurde es geschaffen; so auch das Ende durch mich und niemand sonst." 72 ÄthHen 62,8; 45,3f.; CD 4,3f.; vgl. G. Schrenk, Art. λέγω, ThWNT IV, S. 175f. 73 Siehe zu 2 , 1 2 und 3 , 1 . 1 9 . Vgl. hierzu auch T h . Spörri, Der Gemeindegedanke im ersten Petrusbrief (Neutest. Forsch. II/2), Gütersloh 1925. 71 πιστός, hier nicht passiv „glaubwürdig", sondern, wie schon im klass. Griech.. und oft im NT, aktiv „glaubend". Die gleichwertig bezeugte Lesart πιστεύοντας und erst recht die spärlich vertretene πιστεύσαντας sind sinngemäße Erleichterungen. Nach Selwyn S. 146f. ist die Wendung hier wie des öfteren im NT stehende Bezeichnung:, „die Gläubigen"; gegen diese Annahme sprechen jedoch die Näherbestimmungen. 75 Glaube „durch Christus" sonst Act 3,16; Joh 1,7.

IPetr 1,22-2,3

127

tradition 74 in Rom 4,24 heißt „glauben", sich an den halten, der Jesus von den Toten auferweckt und sich dadurch endgültig als Gott erwiesen hat, nämlich als der Schöpfer, „der das Nichtseiende ins Dasein ruft und die Toten lebendig macht" (Rom 4,17), und so seiner heilerschließenden Zusage gewiß werden (Rom 4,18-21). Jesu Auferweckung war ja, wie das hier hin2ugefügte και δόξαν αύτω δόντα" anzeigt, nicht eine Wiederbelebung, sondern ein eschatologisches Neuwerden und damit zugleich Aufnahme in die „Herrlichkeit": Jesus wurde — in einzigartiger Weise — in Gottes Wesenheit hineingenommen, er wurde „zur Rechten Gottes erhöht"' 8 . Die abschließende Aussage V. 21 b lenkt zum Anfang des Abschnitts zurück: ώστε την πίστιν υμών και ελπίδα είναι, εις θεόν. Wie das Glauben, so richtet sich auch das Hoffen79 nicht auf eine bessere Welt, sondern auf Gott, der die Christus Zugehörenden zugleich mit ihm verherrlichen wird (4,13). Blickt man auf die christologische Begründung von Glauben und Hoffen in V. 18-21 zurück, so hat man den Eindruck: Alles, was gesagt wurde, war nötig, um vom Ursprung der christlichen Existenz, von Jesu Sterben und Auferstehen her, Glauben und Hoffen zu begründen 80 . Gleichzeitig dient es dazu, die Imperative von V. 13. 14-16 wie den Hinweis auf die Gottesfurcht V. 17 zu untermauern und zu intensivieren.

b) 1,22-2,3: Bruderliebe 1,22 Die ihr eure Seelen durch den Gehorsam gegen die Wahrheit gereinigt habt zu ungeheuchelter Bruderliebe, liebet einander von Herzen mit ganzer Hingabe, 23 da ihr ja wiedergeboren seid — nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, (nämlich) durch das lebendige und bleibende W o r t Gottes; '· Rom 8 , 1 1 : „Der, der Jesus von den Toten auferweckt hat"; 2 Kor 4,14; Gal 1 , 1 ; Eph 1,20; Kol 2,12; l T h e s s l , 1 0 ; vgl. Rom 10,9. " Auferwecken und verherrlichen werden auch Act 3,13.15 nebeneinander genannt. 78 Siehe zu 3,21 f. 7 9 R . BULTMANN, Art. πιστεύω, ThWNTVI, S. 2 0 8 . 2 1 1 ; K N O P F S. 7 8 f. und manche früheren Exegeten wollen έλπίδα prädikativ fassen: „so daß euer Glaube zugleich eine Hoffnung auf Gott ist". Sicher sind für den 1 Petr Glauben und Hoffen zwei Seiten desselben Verhaltens (vgl. 3,5); hier aber geht der Gedankenschritt von dem Glauben an den Gott, der Jesus verherrlicht hat, zu dem Gott, der die Seinen mit ihm verherrlichen wird. Weitere Gegenargumente bei K E L L Y S. 7 7 f. 80 Dagegen SCHELKLE S. 51: „Der Zusammenhang des Abschnitts 1,17-21 würde lediglich eine Aussage über den Heilstod fordern, wofür 1,19 genügen würde." — Aber dann wäre gerade nicht erklärt, warum Jesu Sterben Glauben begründen kann.

128

IPetr 1,22-2,3

24 denn „alles Fleisch ist wie Gras und all seine Herrlichkeit wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt und die Blume ist abgefallen, 25 das Wort des Herrn aber bleibt in Ewigkeit". Dies aber ist das Wort, das euch als frohe Botschaft verkündigt wurde. 2,1

2 3

So leget nun ab alle Bosheit und alle Hinterlist, Heuchelei und Mißgunst und alle üblen Nachreden! Als eben geborene Kinder verlangt nach der geistlichen, unverfälschten Milch, damit ihr durch sie wachst zum Heil, da ihr ja gekostet habt, wie gütig der Herr ist.

Zu Thema, Aufbau und Tradition : 1) Mit der Zuwendung zu Gott in Hoffen und Glauben als Exodus aus weltförmigem Leben (1,13-21) gehört der gegenseitige Liebeserweis unter den Gliedern der Exodusgemeinde unabdingbar zusammen. Diesen Zug fügt der den Abschnitt 1,22-2,3 thematisierende Imperativ „liebet einander" (1,22) dem bisherigen Bild des christlichen Grundverhaltens ein. Auch er ist bereits für das Selbstverständnis der Exodusgemeinde von Qumran konstitutiv. In 1QS 1,9-11 wird als Regel für die Gemeinde proklamiert: „alle Söhne des Lichtes lieben, jeden nach seinem Los in der Rats Versammlung Gottes, aber alle Söhne der Finsternis hassen, jeden nach seiner Verschuldung in Gottes Rache". Die Aufnahme in die Gemeinde wird in 1QS 3,4-9; 4,20 f. dann mit Wendungen umschrieben, wie sie hier in 1,22 a die Bruderliebe begründen (s. z. St.). Sachlich aber hat dieser Zusammenschluß der Gemeinde nach innen hier anderen Charakter als dort. Das wird an den gegensätzlichen Folgerungen für das Verhalten gegenüber den Außenstehenden sichtbar1. Anscheinend wurde auch hier ein Aussageschema essenischer Tradition aufgrund christlicher Überlieferungen aufgenommen und mit neuem Inhalt gefüllt. Schon Jesus selbst hatte ja in das durch ihn vermittelte Verhältnis zu Gott den Mitmenschen nachdrücklich einbezogen, weil Gott selbst ohne Einschränkung Liebe erweisend Menschen in seine Gemeinschaft zieht2. Dieses Prinzip wandten die Glieder der frühchristlichen Gemeinden von Anfang an auch auf ihr Verhältnis zueinander an und wußten sich zum gegenseitigen Liebeserweis verpflichtet3. Die Realisierung dieser Verpflichtung war jedoch nie selbstverSiehe Anm. 12 und zu 1 P e t r 2 , l l . Mt 6,12 par Lk; M k l l , 2 5 f . ; M t 6 , 1 4 f . u. ö.; speziell Mkl0,43ff. 3 Vgl. Act 4,32-5,11 oder Joh 13,35: „Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr einander Liebe erweist", und die scharfen Warnungen des 1 Joh vor dem Versagen der Bruderliebe. Dieser Zwiespalt wird auch dadurch nicht verdeckt, daß die Liebesgemeinschaft der Christen weithin selbst Außenstehenden auffiel — und von ihnen verdächtigt wurde. Tert, Apol. 39: Selbst weil sie bedrängte Glaubensgenossen bereitwillig unterstützen, gelten die Christen ihrer Umwelt als verdächtig: „,Siehe', sagen sie, ,wie sie sich untereinander Liebe erweisen' — sie selber nämlich 1

2

IPetr 1,22

129

ständlich. Daher wird der thematische Imperativ „liebet einander" 1,22b überraschend eingehend begründet. 2) Aus dieser Begründung ergibt sich der Aufbau des kurzen Abschnittes: Der Imperativ άγαπήσατε in V. 22 b wird durch einen vorhergehenden und einen folgenden Partizipialsatz motiviert: V. 22a ήγνικότες — V. 23 άναγεγεννημένοι. Das zweite Partizip wird in V. 24f. durch ein at. Zitat unterbaut. Anschließend wird in 2,1-3 aufgefordert, sich vom Bisherigen, dem Versagen der Mitmenschlichkeit, abzukehren und sich dem das Neue hervortreibenden Wort zuzuwenden4. 3) Die Stichworte dieser Paränese: „reinigen", „Bruderliebe", „einander lieben", „wiedergeboren durch das Wort", „ablegen", „wachsen", sind durchweg Elemente christlicher paränetischer Tradition; ein unmittelbares Aufnehmen von vorgegebenen Formeln ist jedoch nicht zu beobachten. — In Wortschatz und Stil folgt der Abschnitt aufs engste den in 1,1 einsetzenden Ausführungen. Das den Eindruck eines mehr lehrhaften Stils bestärkende Schriftzitat bringt seinerseits wieder gehobene Sprache ein5.

V. 22-25: Gegenseitige Liebe als Zeichen der Wiedergeburt V. 22: Das άλλήλους άγαπαν, „sich gegenseitig Liebe erweisen", ist Kennzeichen der φιλαδελφία, der „Bruderliebe". Beide Wendungen stehen hier wie sonst® sich erläuternd nebeneinander. Die Gegenseitigkeit unterscheidet die Bruderliebe von der Nächstenliebe. Zur gegenseitigen Liebe können nur die gerufen werden, die die Anrede des Briefes erreicht, die Glieder der Gemeinde. Sie sind untereinander Brüder. Wie Israel nach at.-jüd. Vorstellungen 7 , so verstand sich die Gemeinde der Jünger Jesu als Familie 8 . Daher bezeichneten sich ihre Glieder untereinander als Brüder und redeten sich als Brüder an 9 . Denn sie sehen sich deshalb hassen sich untereinander; ,wie einer für den anderen zu sterben bereit ist' — sie selber nämlich wären eher bereit, sich gegenseitig umzubringen." Auch bei Minucius Felix, Octavius 9,2, als Vorwurf Außenstehender: „Sie erkennen sich an geheimen Merkmalen und Zeichen und lieben sich gegenseitig fast schon, bevor sie sich kennengelernt haben . . . Unterschiedslos nennen sie sich Brüder und Schwestern." Vgl. Anm. 13. 4 SPICQ S . 59. 77 gliedert den ersten Hauptteil 1,13-2,10 in die Abschnitte 1,13-25 und

2,1-10.

5 Problematisch die Abgrenzung und die These von F. W. DANKER, I Peter 1,24-2,17 — A Consolatory Pericope, ZNW 58 (1967) S. 93-102. β 1 Joh 3,11 „einander lieben" — 3,14 „die Brüder lieben"; ebenso 4,11 f.20f.; vgl. Rom 12,10: τη φιλαδελφία είς άλλήλους φιλόστοργοι. 7 „Bruder" als feststehende Bezeichnung: Lev 19,17; Dt 18,15 ( = Act 3,22; 7,37); Ps 22,23 ( = Hebr 2,12; vgl. 7,5); Sach7,9f.; Jer 31,34; als Anrede: Jer 22,18 u. ö.; ebenso im Rabbinismus nach BILLERBECK II, S. 766, und in Qumran: 1 Q S 6 , 2 2 ; 1 QM 1 3 , 1 ; 15,4.7; CD 6,20; 7,1 f. 8 Wahrscheinlich übertrug bereits Jesus das Bild der familia Dei, das sich im A T für Israel ergeben hatte (Hos 2 , 1 - 3 . 4 - 6 ; vgl. BILLERBECK III, S. 682), auf seine Jünger: Mk 3,31-35 par; vgl. Mt 23,8; Lk 22,32. 9 Als Bezeichnung: 1 Petr5,12; Rom 8,29; 14,10.13.15.21 u. ö.; als Anrede: Rom 1 , 1 3 ; 7,1.4; 8,12; 10,1 u. ö. quer durch alle nt. Gemeindeschriften.

130

lPetr 1,22

gegenüber ihren Brüdern am unmittelbarsten zu dem ihnen gegenüber jedem Nächsten aufgetragenen Erweis der Liebe aufgerufen 10 . So wird φιλαδελφία, das außerchristlich nie übertragen gebraucht wird 11 , betont verwendet und auf die geistliche Bruderschaft bezogen 12 . Im 1 Petr tritt diese Terminologie — auch wenn das Thema nicht so betont ist wie im 1 Joh — noch mehr hervor als im übrigen NT: Nur er bezeichnet die Gemeinde als αδελφότης, „Bruderschaft" (2,17; 5,9), und nur er mahnt sie, das Adj. verwendend, φιλάδελφος, „brüderlich", zu sein (3,8). Diese Betonung der Bruderschaft ergab sich aus der sein Reden von Gemeinde prägenden jüd.-urchristl. Tradition wie aus der auf inneren Zusammenschluß drängenden Situation der Gemeinde gegenüber ihrer Umwelt. Mit der Betonung der Bruderliebe will der 1 Petr jedoch keineswegs wie die Essener den über den eigenen Kreis hinausgehenden Erweis der Liebe gegenüber dem jeweiligen Nächsten verdrängen. Er verbindet damit vielmehr in 3,8 f. die Nächstenliebe in der Gestalt, die ihr Jesus nach der Bergpredigt gab (Mt 5,44 par Lk), wonach selbst dem Verfolger Böses mit Gutem vergolten werden soll 13 . Weil in der Gemeinde Liebe ohne Grenzen als Regel gilt, ist mit ihr die aller Regelung folgende Heuchelei ständig als Möglichkeit gegeben 14 ; nicht zufällig wird daher die Bruderliebe hier durch das Prädikat ανυπόκριτος, „ungeheuchelt", qualifiziert, das auch sonst im NT überwiegend mit der Liebe in der Gemeinde verbunden wird 15 . Der Liebeserweis ist „ungeheuchelt", nicht bloß Wohltätigkeit ohne personhafte Zuwendung zum anderen, wenn er έκ καρδίας, „aus dem Herzen" 1β , aus der Wurzel des Denkens und Wollens, kommt und εκτενώς, „angespannt", d. h. hier nicht so sehr „beharrlich" als „ungeteilt", „mit ganzer Hingabe", geschieht17. Ein Liebeserweis in diesem Sinn ist unter den Gliedern der Gemeinde durchaus nicht selbstverständlich. Gerade der Mensch, der durch das Vgl. Gal 6,10. H. v. SODEN, Art. άδελφός, ThWNT I, S. 146, 20f. 12 l T h e s s 4 , 9 ; Rom 12,10; H e b r l 3 , l ; 2 Petr 1,7. Lit.: K.-H. SCHELKLE, Art. „Bruder", RAC 2,1954, Sp. 631-640; C. SPICQ, Agapfe II, Paris 1966, S. 312-324; H. KosMALA, Hebräer—Essener—Christen, Leiden 1959, S. 44-50; C. BRADY, Brotherly Love. A Study of the Word φιλαδελφία and its Contribution to the Biblical Theology of Brotherly Love, Diss. Fribourg 1961 (masch.). 1 3 Ebenso Rom 12,10.14.17-21. Diese Weisung erinnert an das ähnlich lautende, aber im Ansatz anders gemeinte Bekenntnis 1 QS 10,17-21: „Nicht will ich jemandem seine böse Tat vergelten, mit Gutem will ich jeden verfolgen; denn bei Gott ist das Gericht über alles Lebendige und er vergilt dem Mann seine Tat . . ." 14 Das Grundmodell des unter dem Druck der Regel geheuchelten Liebeserweises ist das Verhalten des Ananias nach Act 5,1-6 (vgl. Anm. 3). 16 Rom 12,9; 2 Kor 6,6; sonst 1 Tim 1,5 und 2 Tim 1,5 vom Glauben und Jak 3,17 von der Weisheit. 16 J. BEHM, Art. καρδία, ThWNT III, S. 614f. 17 Die einen übersetzen hier: „beharrlich", so z.B. BAUER, Wörterbuch s . v . ; E. SCHWEIZER, Der erste Petrusbrief (Zürcher Bibelkommentare), Zürich 3 1972, S. 42; die anderen: „innig", so ζ. B. SCHELKLE S . 52. 10 11

1 Petr 1,22

131

Evangelium gerufen ist, sich in letzter Einsamkeit, nämlich durch Glauben, Gott zuzuwenden, steht, wie schon die heftigen Auseinandersetzungen in den paulinischen Gemeinden zeigen, ständig in Gefahr, sein „fleischliches" Denken, das egozentrische Geltungsbedürfnis, religiös zu verbrämen 18 . Deshalb wird der Imperativ, einander Liebe zu erweisen, in zwei Partizipien so eingehend durch den Indikativ des Heilswiderfahrnisses motiviert. In dem ersten Partizip V. 22 a wird den Hörern gesagt, daß ihre ψυχαί, die Mitte ihres Personlebens 19 , auf Dauer — es steht das Perfekt — „gereinigt" sei 20 : τάς ψυχάς υμών ήγνικότες. Es ist gereinigt έν τη υπακοή της άλη&είας, „durch den Gehorsam gegen die Wahrheit", d.h., wie Act 15,9 erklärt, durch den Glauben. Denn „die Wahrheit", der man gehorcht, ist nicht, griechisch gedacht, der konstatierbare Sachverhalt, sondern at.-jüdisch die zuverlässige und verpflichtende Wirklichkeit 21 , nämlich Gottes Selbstbekundung, die abschließend durch Jesu Sterben und Auferstehen geschehen ist und vom Evangelium vergegenwärtigt wird. „Der Wahrheit gehorchen" ist daher sachlich dasselbe wie dem Evangelium gehorchen 22 , d.h. sich durch Glauben Gott zuwenden (1,21). Diese Zuwendung reinigt von der Tendenz, sich selbst durchsetzen zu wollen und zu müssen, und führt deshalb zu „ungeheuchelter Bruderliebe"; denn mit ihr gibt sich der Mensch dem Herrn alles Geschehens hin, der nun in einer Liebe ohne Vorbedingungen und Grenzen die Menschen sucht. Seit wann und wie ist dieses „gereinigt durch den Gehorsam gegen die Wahrheit" gegeben? Das Perf. des Partizips weist auf einen Vorgang, der weiterhin gilt. Schon bei Paulus begegnen formelhafte Hinweise auf vollzogene Reinigung, die an die Taufe erinnern 23 . Die Taufe wird jedoch 18

1 Kor 1,11 f.; 11,18-21. Als Objekt des άγνίζειν werden hier die ψυχαί, die „Seelen", genannt, Jak 4,8 die καρδίαι, die „Herzen", und 1 Joh 3,3 έαυτός, „er selbst"; in der Sache ist stets dasselbe gemeint. 20 άγνίζειν ist in der L X X terminus technicus für die rituelle Reinigung, die kultfähig 19

macht (Ex 19,10; Jos 3 , 5 ; aufgenommen in Joh 11,55; Act 21,24.26; 24,18), i m

NT

gemäß der grundlegenden Weisung Jesu Mk7,15 für die geistliche Reinigung des Personlebens von allem Gottwidrigen: Jak 4,8; 1 Joh 3,3 (vgl. F. HAUCK, Art. αγνός, ThWNT I, S. 123f.). Es entspricht im Kontext weithin dem „heiligen" in 1 Petr 1,14FF. Eine nahe, vielleicht auf Traditionszusammenhang weisende Entsprechung zu unserer Wendung ist 1 Q S 3 , 4 - 9 : „ . . . durch den heiligen Geist der Gemeinschaft in seiner Wahrheit wird er g e r e i n i g t . . . und, wenn er seine Seele beugt unter alle Gebote Gottes, wird sein Heisch gereinigt werden, daß man ihn mit Reinigungswasser besprenge"; ähnlich 4,20 f. 81 G. QUELL-R. BULTMANN, Art. αλήθεια, ThWNT I, S. 233f. 239f. 22 Bei Paulus stehen gleiche Aussagen nebeneinander: Gal5,7 der Wahrheit, Rom 10,16; 2Thess 1,8 dem Evangelium nicht gehorchen, d.h. nicht glauben. S. zu 1,2.14. 23 1 Kor 6,11; vgl. weiter Eph5,26; Tit 3,3-7; Hebr 10,22.

132

1 Petri,23 ff.

hier wie dort nicht ausdrücklich erwähnt. Durch den impliziten Verweis auf das Taufgeschehen wird nicht eine vorfindüche Veränderung konstatiert. Es wird vielmehr neu zugesagt, was durch die Taufe von Gott her bereits gegeben ist, nämlich die von den bisherigen Bindungen befreiende Bindung an Gottes Lieben durch die Berufung zum Glauben. V. 23: Im gleichen Sinn ist das zweite perfektische Partizip gemeint: Der Reinigung durch den Gehorsam gegen die Wahrheit entspricht die Wiedergeburt durch das Wort 24 : άναγεγεννημένοι... δια λόγου ζώντος θεοϋ και μένοντος. Das sind zwei Seiten desselben Vorgangs. Als Reinigung macht er vom Bisherigen frei, als Wiedergeburt eröffnet er das Neue. Das Stichwort „durch Gehorsam" kennzeichnet ihn als menschliches Verhalten, das Stichwort „Wiedergeburt" als Geschenk des Schöpfers. Auch die Wiedergeburt wird nicht einfach auf die Taufe als Ritus, sondern auf das durch sie begegnende Wirken Gottes zurückgeführt, in 1,3 auf die Auferstehung Jesu, hier auf das „Wort Gottes"26, womit nach 1,25 dem allgemein urchristlichen Sprachgebrauch entsprechend das Evangelium gemeint ist, das die Auferstehung Jesu verkündigt. Der Taufakt ist, wie zu 1,3 deutlich wurde, Berufung, Auslieferung an das wirkende Wort. Das Wort Gottes wirkt vergleichsweise wie der natürliche Same, der aber gleich der Geburt, die er hervorbringt, zum Vergänglichen gehört; daher wird gesagt: ούκ έκ σποράς φθαρτής, άλλα άφθ-άρτου. Das Wort ist „unvergänglicher Same" 26 ; denn es ist „lebendig" (ζών)27, d.h. schöpferisch wirksam28, und „bleibend" (μένων)29. Weil das Wort bleibt, hat auch das Ich, das von ihm lebt, Bestand. Dieses neue Ich ist fähig, Liebe zu erweisen; denn es lebt nicht mehr sich, sondern dem, der es hervorgerufen hat. V. 24f.: Dieses Phänomen, ein das geschichtliche Dasein gestaltendes Reden Gottes durch Menschen, war in der alten Welt allein der biblischen Gottesvorstellung eigen, für sie aber grundlegend. So wird diese Aussage 21 Ebenso Jak 1,18: άπεκύησεν ή μας λόγω άληθείας. Vgl. 1 Joh 3,9: πας ό γεγεννημένος έκ τοϋ θεοϋ άμαρτίαν ού ποιεί, δτι σπέρμα αύτοϋ έν αύτω μένει. Vgl. auch Joh l,12f. 25 ό λόγος τοϋ θεοϋ im 1 Petr nur hier, dafür in 2,8; 3,1 wie auch sonst im Urchristentum das absolute δ λόγος. 2· Das Bild von „Samen" und „Wiedergeburt" (vgl. 1 Joh 3,9), das hier im Sinne at. Denkens auf das schaffende Wort gedeutet wird, hat seine Analogien in der hellenistischen Welt; CorpHerm 13,1: άγνοω, ώ Τρισμέγιστε, έξ οϊας μήτρας άναγεννήθης, σποράς δέ ποίας. Ebd. 13,2 ή σπορά τί> άληθινδν άγαθόν. 27 Mit den Adjektiven „lebendig und bleibend" wird in Dan 6,20 Gott selbst gekennzeichnet. Hier aber gehören sie gemäß V. 25 zu λόγος, nicht zu dem merkwürdig in die Wendung eingeschobenen θεοϋ. Vgl. neuerdings E. A. l a Verdi£re, A Grammatical Ambiguity in 1 Pet 1 : 23, CBQ 36 (1974) S. 89-94. 28 Vgl. Ps 33,9; Jes55,10f.; Hebr4,12. 29 Vgl. Mt 24,35: „Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen."

1 Petr 2,1

133

über „das Wort Gottes", das durch Menschen ergeht, jedoch im Unterschied zu allem Menschenwort die Immanenz transzendiert, das „unvergänglich" ist und „bleibt", durch ein Schriftzitat, Jes 40,6-8, erklärt und unterbaut 30 . Das „Wort des Herrn" (ρήμα κυρίου V. 25a) wird als das „Bleibende" der Geschichte als dem Vergänglichen gegenübergestellt. „Alles Fleisch" (πασα σάρξ), die Menschen in ihrer Gesamtheit 31 , treten als aktive und passive Gestalter der Geschichte in Erscheinung. Die Geschichte, die in der Situation von Jes 40 das Volk Israel, jetzt für den 1 Petr die Gemeinde zu erdrücken droht, gleicht dem Gras und all ihr Glanz der Blume des Grases: sie verfällt dem Vergehen. Allein „das Wort des Herrn", das in der Geschichte ergeht, „bleibt", nicht als eine über der Geschichte schwebende allgemeine Wahrheit, sondern als die Zusage, die eingelöst wird und für die bedrängte Gemeinde wie damals für Israel im Exil geschichtsmächtig den Exodus in eine neue Existenz bewirkt. Wort in diesem Sinn ist, wie V. 25 b erklärt, was der Gemeinde als Evangelium verkündigt wurde und wird: τοϋτο δέ έστιν τό ρήμα τό εύαγγελισθ-έν εις ύμας (vgl. 1,12). Es sagt eine neue Existenz zu, enthebt dem Zwang, sich selbst das Leben zu beschaffen, und macht dadurch frei, sich für die Brüder einzusetzen. Die hieran anschließenden Verse 2,1-3 ziehen aus dieser Bedeutung des Wortes die Folgerung und leiten zum nächsten Abschnitt 2,4-10 über. 2,1-3: Ablegen aller Bosheit und Verlangen nach unverfälschter Nahrung 2,1: Nun kann mit einer stehenden Formel urchristlicher Paränese nicht gesetzlich, sondern sachgegeben gefolgert werden: „Leget ab" 3 2 (wie ein altes Kleid) alles, was das mitmenschliche Verhältnis zerstört: άποθέμενοι οδν κτλ. Die Aufzählung im folgenden Lasterkatalog 33 ist 80

Jes 40,6-8 wird mit unbedeutenden Abweichungen nach der LXX zitiert. Zweimal weicht das Zitat vom hebr. Text wie von der LXX ab: In der 1. Zeile ist ώς eingefügt, in der lernen Zeile steht, vielleicht um die Anwendung zu erleichtern, κυρίου statt τοϋ θεοϋ ήμών (LXX). In der 2. Zeile entspricht αύτης mehr dem hebr. Text als dem άνθρωπου der LXX. 31 πασα σάρξ, hebr. „alles Fleisch" sind im AT alle Menschen, die MenschTΤ Τ heit (vgl. FR. BAUMGÄRTEL, Art. σάρξ, ThWNT VII, S. 106, I E ) ; σάρξ ist der Mensch als Geschöpf Gottes, das dem Sterben ausgeliefert ist (E. SCHWEIZER, Art. σάρξ, ThWNT VII, S. 123,Iff.). Über die weitere Verwendung des Begriffs im 1 Petr s. zu 3,18.21; 4,1 f. 6. 82 'Das Partizip ist als Imperativ zu übersetzen (vgl. S. 114 Anm. 16). Die Wendung geht von dem Vergleich mit dem Ablegen alter Kleider aus (Rom 13,12; Kol 3,8 f.; Eph 4, 22 f.), wird jedoch hier wie Jak 1,21 vgl. Eph 4,25 zu einer von dem Bild gelösten stehenden Formel; vgl. SELWYN S. 19.98f. 393-400. 83 Die Stichwörter finden sich abgesehen von φθόνος mit hebr. Äquivalenten schon in dem Lastefkatalog 1 QS 10,21-23 oder mit Ausnahme von ύπόκρισις in Rom 1,29-31 und z.T. in anderen nt. Katalogen; in Barn 20,1 steht neben anderen ύπόκρισις, δόλος und κακ(α. Vgl. S. WIBBING, Die Tugend- und Lasterkataloge im Neuen Testament (BZNW25), Berlin 1959, S. 87f.93f.

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lPetr2,2

ebenso traditionell wie das dreimal vorangestellte „alle" 34 . Der Katalog verweist auf κακία, die „Schlechtigkeit", die den andern Schädigendes ersinnt 36 , und δόλος, die „Hinterlist", die alle Mittel der Täuschung verwendet, um sich durchzusetzen. Aus beiden folgt das im Plur. genannte Verhalten: Äußerungen der „Heuchelei", des „Neides" und der „Verleumdung". All dies ist in der Gemeinde nicht nach soziologischer Statistik, wohl aber potentiell gegeben. V. 2 setzt dem nicht einen Tugendkatalog entgegen, sondern den Hinweis auf das Wort, das schenkt, was der menschliche Wille vergeblich zu erzwingen sucht, nämlich das Leben. Auf das verkündigte Wort zielt das Bild von dem fortgesetzten heftigen Verlangen des neugeborenen Kindes nach der Muttermilch: ώς άρτιγέννητα βρέφη τί> λογικόν άδολον γάλα έπιποθήσατε. Das Bild ist nicht als Vergleich, Gleichnis oder Allegorie frei entworfen, sondern ebenso wie die weiterführenden Bilder vom „Wachsen" (V. 2 b) und vom „Kosten" (V. 3) traditionelle Metapher. Das Bild von der Muttermilch Die „Muttermilch" ist im Urchristentum wie in seiner Umwelt geläufiges Bild für eine Leben vermittelnde geistliche „ N a h r u n g " : 1) I m Urchristentum symbolisiert sie in 1 Kor 3,1 f. und Hebr 5,13 die Anfangsunterweisung im Unterschied zu der festen Speise für Mündige, an unserer Stelle aber die Heilsbotschaft und ihren Inhalt als solchen 36 . Zu dieser Ausprägung des Bildes finden sich die nächsten Entsprechungen einerseits in den OdSal und andererseits in essenischen Texten. 2) In den OdSal erinnern vor allem zwei Texte gelegentlich bis in den Wortlaut hinein an unsere Stelle. OdSal 8,15-18: „ E h e sie geworden sind, habe ich sie erwählt und ihr Antlitz versiegelt. Ich habe ihnen Glieder gebildet und ihnen die eigenen Brüste bereitet, meine heilige Milch zu trinken und davon zu leben . . . denn meine Schöpfung sind sie und das Wunderwerk meiner Gedanken." 19,1-5: „ E i n Becher Milch wurde mir gereicht und ich trank ihn mit der milden Süße des Herrn. Der Becher ist der Sohn, der gemolken wurde, der Vater und der, der ihn molk, der Heilige Geist" 3 7 . Hier ist das symbolische Trinken von Milch, durch das in den Mysterien und im Zauber Anteil am Göttlichen dargestellt oder vermittelt wird, Bild für die eigentliche Nahrung geworden, die in dualistischer Antithese zur uneigentlichen irdischen steht. An unserer Stelle fehlt dieser dualistische Aspekt wie auch der mystische Unterton. Darin gleicht sie den essenischen Texten. 34

Vgl. A. VÖGTLE, Die Tugend- und Lasterkataloge im Neuen Testament (ΝΤΑ XVI, 4/5), Münster 1936, S. 45.218 ff. 35 Ebenso 1 Petr2,16; vgl. W. G R U N D M A N N , Art. κακός, ThWNTIII, S. 484f. 36 Ihre Vermittlung stellt 1 Thess 2,7 durch Vergleich mit einer Amme dar. 37 Übersetzung nach Greßmann bei E. HENNECKE, Neutestamentliche Apokryphen, Tübingen 21924, S. 437 ff. Die Berührungen mit 1 Petr 2,3: δτι χρηστές 6 κύριος beruhen wohl nicht auf direkter Einwirkung des 1 Petr (SCHELKLE S. 56 Anm. 2), sondern auf gemeinsamer Tradition.

1 Petr 2,2

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3) Auch in den essenischen Texten bildet die Versorgung des Säuglings nicht nur geistliche Nahrung, sondern eine neue Existenz ab. 1 QH 9,35f.: „Mein Vater kennt mich nicht und meine Mutter hat mich dir überlassen. Ja, du bist ein Vater für alle (Söhne) deiner Wahrheit und freust dich über sie wie eine Mutter über ihre Kinder, und wie ein Pfleger versorgst du am Busen alle deine Geschöpfe." 1 QH 7,20-22: „Du setzest mich zum Vater für die Söhne der Gnade und als Pfleger für die Männer des Zeichens. Sie öffnen den Mund wie ein Säugling und wie ein Kind sich ergötzt am Busen seiner Pfleger" 88 . 4) In 1 Petr 2,2 rückt das Bild noch näher an die dargestellte Existenz der Glaubenden heran, nicht nur durch den Stil der Metapher, sondern auch durch die Prädikation der Milch als „geistlich" und „unverfälscht". Dadurch wird, gewollt oder ungewollt, ein Bezug zu dem Reden der hellenistischen Umwelt hergestellt, aber keineswegs die Terminologie der Gnosis oder der Mysterien aufgenommen 39 . Auch die Ergänzung des Bildes durch das Wachsen und das Kosten paßt mehr zu einer Weiterbildung dieser essenischen Tradition 40 als zu einer Rückbildung von Mysteriensprache 41 . Schon diese Struktur des Bildes legt es nicht nahe, die einleitende Wendung „wie eben geborene K i n d e r " als Hinweis auf eine unmittelbar zuvor im Taufakt geschehene Wiedergeburt zu verstehen 4 2 , so daß der Text eine Taufansprache wiedergeben w ü r d e 4 3 . Das άρτιγέννητος, „eben geboren" 4 4 , unterstreicht zunächst das Bild: Die βρέφη sind „Säuglinge" 4 6 , die heftig nach der Muttermilch „verlangen" 4 6 . V o r allem aber macht es Ebenso OdSal35,5, anders 4,10: „Quellen, die von Milch und Honig fließen." Im Mythus wird der ägyptische Gott-König durch die Milch der Isis zur Unsterblichkeit genährt (vgl. H. SCHLIER, Art. γάλα, ThWNTI, S. 645,12ff.). Die Mysten der Kybele erklären: Dann „enthalten wir uns des Brotes und der festen befleckten Nahrung . . . , dann ist die Nahrung Milch, da wir ja neu geboren sind" (Sallust, De Deis IV). Und in einem Zauberpapyrus heißt es: „Und nimm Milch zusammen mit Honig und trinke sie vor Sonnenaufgang und es wird etwas Göttliches in deinem Herzen sein" (Papyri Graecae Magicae, hg. u. übers, v. K. PREISENDANZ, I 2 1973, S. 5 = Pap I, 20; weiteres bei SCHLIER, ThWNT I, S. 645). 4 0 O . M I C H E L - O . BETZ, Von Gott gezeugt, in: Judentum, Urchristentum, Kirche (Festschrift J. Jeremias), Berlin 1960, S. 14, vermuten, daß die Sekte dieses Bild aus Num 11,12 entwickelte. 41 Mit K E L L Y S . 85f. gegen SCHLIER, ThWNTI, S . 645, 46ff. 42 Daß unsere Stelle den gegen Ende des 2. Jh. aufkommenden Brauch, den Neugetauften in der Taufeucharistie Milch und Honig zu reichen, voraussetze, ist nicht anzunehmen. Nach Hipp, Trad, apost. 23,2 geschieht dies, um sie an ihre neue Geburt und an die ewige Zukunft zu erinnern; vgl. Tert, Adv. Marc. 1,14; Cor. 3,3. 43 Mit SELWYN S. 41 und KELLY S. 87 gegen die Vertreter der liturgischen Interpretation (S. 39f). Ganz verfehlt ist es, wenn W I N D I S C H S. 58 hier eine Wiederherstellung der Unschuld der Kinder findet und damit seine Sündlosigkeitstheorie einträgt. 44 άρτιγέννητος, eine der vielen Komposita mit άρτι im nachklassischen Griech., „jüngst, eben, neu geboren". 45 τό βρέφος ist das Kind, solange es an der Mutterbrust ist. Die Verbindung βρέφος άρτιγέννητον Lucian, Dial, marit. 12,1. 48 Zu έπιποθεϊν vgl. Τ 41,2; 118,174. 38

39

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IPetr 2,2

im Blick auf die Sache deutlich, daß dieses Verlangen nach Lebensspeise v o n einer neuen Geburt ( 1 , 3 . 2 3 ) herkommt und nun unerläßüch ist, um weiter leben zu können. Weil die Wiedergeburt nicht neue Natur ist, muß zu ihr nicht nur der Imperativ treten, ihr entsprechend zu leben (1,13. 22f.), sondern ebenso auch die Aufforderung, das Wiedergeburt wirkende W o r t weiter zu hören und so zu einem Wachsen zu kommen. „Die geistliche unverfälschte Milch" ist nach dem vorhergehenden K o n text 1 , 2 5 „das Wort", das in der Gemeinde verkündigt wird, und nach 2 , 3 a sein Inhalt, „der Herr". Diese Leben vermittelnde Speise ist λογικός, v o n der A r t des Wortes und Geistes Gottes 4 7 , und daher im Unterschied zu allem, was v o n Menschen ausgeht, άδολος, „ohne Trug", zuverlässig und wahr 4 8 . Durch dieses fortgesetzte Aufnehmen des Wortes soll ein „Wachsen" eintreten: ίνα έν αύτω αύξηθήτε εις σωτηρίαν. Ließ das bisherige Reden in Indikativ und Imperativ christliche Existenz als immer neue Entscheidung erscheinen, so wird sie durch dieses Bild als Prozeß gekennzeichnet. Das Evangelium läßt als geistliche Nahrung das neue Ich, das sich durch Hoffen, Glauben und Lieben äußert, dem Ziel der σωτηρία, dem zukünftigen Heil (1,5. 7. 9), entgegen-„wachsen", d.h. fortbestehen und reifen (vgl. 1 P e t r 5 , 1 0 ) 4 9 . Daß die aus dem W o r t Geborenen weiterhin das 47 λογικός im NT nur hier und Rom 12,1, in der stoischen Philosophie „dem Logos, der Vernunft, zugehörig", „geistig", „vernünftig" (G. KITTEL, Art. λέγω, λογικός, ThWNT IV, S. 145, 29ff.) und in den Mysterien wie in der Gnosis das Geistlich-Innerliche, das der mystischen Art der Religion entspricht. Ζ. B. sagt der Gnostiker in Corp Herrn 13,18: δ σός Λόγος δι' έμοϋ ύμνεϊ σέ. δι' έμοϋ δέξαι τό παν λόγω, λογικήν θυσίαν (vgl. ThWNT IV, S. 146,14ff.). Demgemäß zeigt λογικός auch an unserer Stelle nicht nur formal an, daß „Milch" hier „geistig" als Metapher gemeint ist (so bei Epiktet, Diss. 116,20; III 1,26; Philo, Migr. Abr. 185), sondern daß eine dem Logos der Christen, d. h. dem Evangelium (1,25), entsprechende geistliche Nahrung angeboten wird, die genau die anspruchsvolle Art hat, die die Zeit in der Philosophie oder in der Mystik zu finden erwartet. Das Wort hat sachlich dieselbe Bedeutung wie πνευματικός in 2,5; es ist hier gewählt, weil der Trank das Wort ist (vgl. G. KITTEL, ThWNT IV, S. 145 f.). 48 άδολος im NT nur hier; im Griech. „ohne Falsch", „ohne Hinterlist", z.B. von den Worten Eurip, Suppl. 1029; pass, „unverfälscht", in späteren Inschriften von Nahrungsmitteln (DITTENBERGER, Sylloge Inscriptionum Graecarum 736,101; POxy 729,19). Es kennzeichnet die Verkündigung als „untrüglich", auch als „unverfälscht", im Gegensatz zu dem Trug, der die Sphäre des Menschen durchwaltet (2,1.22; vgl. Eph 4,14), nicht, wie άληθινός in Joh 6,32, als echt in dualistischer Antithese zu der uneigentlichen irdischen Nahrung. Vgl. BAUER, Wörterbuch s. v.; F. J. DÖLGER, Antike und Christentum I, Münster 1929, S. 170 Anm. 39. 49 αύξάνομαι vom Wachsen eines Kindes bereits als stehende Wendung in der LXX (Gen21,8.20 u. ö.; Lkl,80). Vom Werden, d.h. von Entstehung und Fortgang christlicher Existenz aus dem Wort zuerst im Gleichnis vom Sämann (Mk 4,8; vgl. 4,20). Von dem „Wachsen" Getaufter „im Glauben" 2 Kor 10,15 (2Thessl,3), „in jedem guten Werk" Kol 1,10, „in jeder Hinsicht auf ihn hin" Eph 4,15, insgesamt „durch die Gnade und Erkenntnis des Herrn" 2 Petr3,17f. An unserer Stelle ist das Wachsen auf die Zeit der Anfechtung bis zur Vollendung bezogen; daher besteht es vor allem in dem „Stärken, Kräftigen, Gründen" (5,10), in der Bewährung und nicht

1 Petr 2,3

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W o r t suchen wie das Kind die Muttermilch, ist nicht nur lebensnotwendige Verpflichtving. Es entspricht ihrem eigenen Bedürfnis. V . 3 : Sie haben ja 8 0 gekostet, daß der Herr, der in diesem W o r t begegnet, gütig ist: εί έγεύσασθε δτι χρηστός ό κύριος. Die Wendung lehnt sich an Ψ 3 3 , 9 (γεύσασθ-ε καΐ ίδετε δτι χρηστός ό κύριος) an. In ihr wird nicht ein einzelnes biblisches W o r t aufgegriffen, vielmehr kommt ein Psalm zur Sprache, der dem Verf. als ganzer gegenwärtig ist und deshalb auch sonst in dem Brief anklingt 81 . Er findet in diesem at. Danklied ein Stück weit die Zuversicht vorgezeichnet, die er vermitteln will: Gott rettet den, der bei ihm ausharrt, aus der Bedrängnis. Vielleicht wurde die Anregung, die Gemeindesituation v o n diesem Psalm her zu deuten, durch essenische Tradition vermittelt 5 2 . Möglicherweise haben die Essener selbst von einem Kosten der Gnade Gottes geredet 83 und dies dem Psalm entnommen, der allein im A T dieses Bild entwirft. Für den 1 Petr ist dieses Bild bereits christliche Tradition 64 . Daß es auch in den Mysterien eine Rolle spielt 86 , bildet wiederum nur den fernen Hintergrund. Es will hier sagen: Sie haben „gekostet", d.h. durch Erfahrung erkannt 86 , daß der κύριος — das ist nicht mehr wie in Ψ 33 Gott, sondern der erhöhte Christus — „gütig" ist 8 7 . Sie haben es erfahren, als ihnen durch das W o r t eine neue im Zunehmen. Unsere Stelle berührt sich in der Motivverbindung, ohne daß ein Traditionszusammenhang zu beobachten ist, vor allem mit Eph4,ll-16. 60 εί ist nicht konditional, sondern kausal: „da ja", wie 1,17; Mt 6,30; Rom 6,8 u. ö. 61 Die hier in 2,4 anschließende Wendung πρός δν (sc. τδν κύριον) προσερχόμενοι findet sich ähnlich auch in Ψ 33,6: προσέλθατε πρός αύτόν. In 1 Petr 3,10-12 wird Τ 33,13-17 zitiert (ebenso 1 Clem 22,1-8 = Τ 33,12-18 + Ψ 31,10; Did 4,9 spielt auf Ψ 33,12 an); vgl. u. S. 143 Anm. 22. 62 Anscheinend hat der Psalm, ohne direkt zitiert zu werden, dem Selbstverständnis der essenischen Gemeinde wesentliche Stichworte und Vorstellungen an die Hand gegeben. Sie werden von KOSMALA, Hebräer—Essener—Christen S. 128f., genannt. Von ihnen sind folgende auch fur den 1 Petr kennzeichnend: Die Armen und Demütigen Ps 34,3.7, die Gottesfürchtigen 34,8.10.12, die Heiligen 34,10, die Gott Vertrauenden bzw. die auf ihn Hoffenden 34,9.23, die Freude in ihm 34,3, die Leiden der Gerechten 34,20; ferner viele Aussagen fur Rettung und Erlösung. 55 Jos, Bell. Jud. 2 , 8 , 1 1 ( § 1 5 8 ) berichtet von ihnen: Sie hielten mit ihrer Lehre die auf Dauer in Bann, die einmal ihre Weisheit gekostet haben (τοις άπαξ γευσαμένοις της σοφίας αύτών). Die Wendung ist allerdings bei den Essenern direkt nicht nachzuweisen ( v g l . KOSMALA, a . a . O . S . 1 1 8 ) .

64 Es findet sich sonst im NT in Hebr6,5: καλόν γευσαμένους θεοϋ ρήμα, vgl. 6,4: γευσαμένους τε της δωρεάς της έπουρανίου, hier vor allem in Anlehnung an das rabbinische Reden vom „Vorschmack der zukünftigen Welt" (BILLERBECK III, S. 690). 55 R. PERDELWITZ, Die Mysterienreligion und das Problem des I . Petrusbriefes (Religionsgesch. Vers. u. Vorarb. XI, 3), Gießen 1 9 1 1 , S . 65FF.; J . B E H M , Art. γεύομαι, ThWNTI, S. 675 Anm. 9. 66 γεύομαι, „kosten", „schmecken", schon im klass. Griech. auch übertragen ( B A U E R , Wörterbuch s.v.; B E H M , ThWNTI S. 674f.). 67 χρηστός, „brauchbar", „gut", von Gott auch außerbiblisch ( H d t 8 , l l l ) „gütig"; im NT sonst nur Lk 6,35 und Rom 2,4 (als Subst.) von der Güte des Schöpfers, durch die die Kreatur unverdient erhalten wird; von Jesus Mt 11,30 bildlich: „Mein Joch ist

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IPetr 2,4-10

Existenz aus der Gnade und auf die Gnade hin gegeben wurde (1,3. 13. 18f.; 2,23ff.). Diese Erfahrung wird der nt; Gemeinde immer wieder durch Taufe und Eucharistie vermittelt. Das bildliche Reden vom „Kosten" und das anschließende kultische Bild vom „Herzutreten" (V. 4) könnten an die Eucharistie erinnern; jedoch ist dies kaum beabsichtigt58. Sachlich vollzieht sich das regelmäßige Aufnehmen des Wortes, zu dem dieser Satz verpflichtet, wie das Sich-Eingliedern in die Gemeinde, zu dem der folgende Abschnitt hinführt, primär, wenn auch nicht ausschließlich, im eucharistischen Gottesdienst, der in Hausgemeinden begangen wird. Wurde bisher deutlich, daß Christsein in der einsamen Engführung aus dem nicht vertretbaren Glauben entsteht, so wird im folgenden eingeprägt, daß es nur in der Gemeinde gelebt werden kann. Es wird daher dazu aufgerufen, sich der christlichen Gemeinschaft einzugliedern. c) 2,4-10: Leben in der eschatologischen Gemeinde 1 4 Zu ihm tretet herzu, dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen, vor Gott aber erwählt und angesehen ist, 5 und laßt euch als lebendige Steine erbauen zu einem geistlichen Haus, zu einer heiligen Priesterschaft, um geisdiche Opfer darzubringen, die Gott durch Jesus Christus wohlgefällig sind. 6 Denn in der Schrift steht: „Siehe, ich lege in Zion einen erwählten Stein, einen kostbaren Eckstein, und wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden" (Jes 28,16). 7 Euch nun, die ihr glaubt, wird die Ehre zuteil. Für die Nichtglaubenden aber ist „der Stein, den die Bauleute verworfen haben, zum Eckstein geworden" (Ps 118,22) 8 und „ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses" (Jes 8,14f.). Sie stoßen sich an ihm, weil sie dem Wort nicht gehorchen, wozu sie auch bestimmt sind. sanft." Hier im Bild mit „wohlschmeckend" zu übersetzen, wird schon durch den Zitatcharakter der Stelle ausgeschlossen (gegen KELLY S. 86). Vgl. χρηστότης Rom 11,22; 2 Kor 6,6; Eph2,7; Tit 3,4 von Gott dem Erlöser. 58 Ps 34 wurde später während der Kommunion gesungen (Const. Apost. 8,13.16; Cyrill v. Jer., Catechesis Mystagogica 5,20; Hier, Epist. 71,6). KELLY S. 87 möchte aus dem Kontext unserer Stelle folgern, daß sie bereits eine eucharistische Deutung des Psalms voraussetzt. 1 Eine eingehende Analyse von 1 Petr 2,4-10 gibt J. H. ELLIOTT, The Elect and the Holy. An Exegetical Examination of I Peter 2: 4-10 and the Phrase βασίλειον ίεράτευμα (NovTest Suppl 12), Leiden 1966; vgl. außerdem J. COPPENS, Le sacerdoce royal des fidfeles: un commentaire de I Petri II, 4-10, in: Au service de la parole de Dieu (Mdlanges offerts h Mgr. Α. M. Charue), Gembloux 1969, S. 61-75; E. BEST, I Peter II 4-10. A R e c o n s i d e r a t i o n , N o v T e s t 11 ( 1 9 6 9 ) S. 2 7 0 - 2 9 3 .

IPetr 2,4-10

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9 Ihr seid (das) erwählte Geschlecht, (die) königliche Priesterschaft, (das) heilige Volk, (das Gott) eigene Volk, damit ihr die großen Taten dessen verkündigt, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat, 10 die ihr einst Nicht-Volk wart, jetzt aber Volk Gottes seid, die ihr einst kein Erbarmen, jetzt aber Erbarmen erfahren habt.

Zu Form und Tradition : 1) Der Abschnitt gliedert sich in drei Teile: In V. 4 f. werden die einzelnen, die zu Christus gerufen sind, aufgefordert, sich auch auf ihn als den Grundstein zu einem geistlichen Tempel erbauen zu lassen und Gott als priesterliche Gemeinschaft zu dienen. V. 6-8 begründet diese Aufforderung durch eine kommentierte Zitierung von drei at. Stellen von Christus, dem Stein: Er ist für alle als Grund des Heils oder des Falls gesetzt. In V. 9 f. werden die zum Glauben Berufenen plerophorisch als das erwählte Volk Gottes, das sein Zeuge sein soll, gekennzeichnet. 2) Wie ist die Zuordnung dieser drei Teile zu verstehen? Der Inhalt legt nahe, daß der Imperativische erste Teil durch die indikativischen Aussagen des zweiten und dritten, insbesondere durch die direkten Hinweise auf die Schrift im zweiten, unterbaut werden soll. Jedoch sind der zweite und dritte Teil nicht gleichartig: Der zweite verweist direkt auf die Schrift, der dritte ähnlich dem ersten nur indirekt. Der dritte ist gleich dem ersten in gehobener Sprache stilisiert, der zweite setzt lehrhaft mit einem Hinweis auf die Schrift ein. So könnte der Eindruck entstehen, den PREISKER zur Hypothese entwickelte: V. 4 f. und 9 f. seien zwei Strophen eines Hymnus aus dem Taufgottesdienst, V. 6—8 ein späterer Einschub, vielleicht aus einer Testimoniensammlung mit erklärenden Glossen2. Genauer gesehen ist jedoch, wie SELWYN hervorhebt, auch V. 6ff. in gehobener Sprache stilisiert3. Die Hypothese wird vollends durch folgende Beobachtung widerlegt: In V. 4f. klingen die beiden folgenden Teile vorweg in ihren Stichworten an, so V. 6 ff. in λίθον, άποδεδοκιμασμένον, έκλεκτόν, εντιμον und V. 9f. in έκλεκτόν, ίεράτευμα, άγων. Aus dieser Beobachtung folgert ELLIOTT mit Recht: Der Verf. hat die Zitatenkomplexe um den erwählten Stein V. 6 ff. und um das erwählte Volk V. 9 f. nicht als nachträglichen „Schriftbeweis" angefügt; er hat sie vielmehr aus jüdisch-christlicher Tradition übernommen und sie durch die thematischen Sätze V. 4 f. wie durch die midraschartigen Anmerkungen in V. 6-10 auf die Briefsituation angewendet4. Auf diese Weise unterbauen sie zugleich inhaltlich den Imperativ in V. 4 f. 3) Traditionsgeschichtlich gesehen hat jedoch der Verf. nicht, wie es nach dem bisherigen erscheint, lediglich zwei Zitatenkomplexe aufgegriffen. Sie wurden ihm mit der hier entwickelten Thematik in dem Traditionsstrom angeboten, der immer wieder hinter dem ersten Hauptteil sichtbar wird. Auch 2 Anhang zum ersten Petrusbrief, in: H. WINDISCH, Die Katholischen Briefe (HNT 15), Tübingen »1951, S. 158. 3

SELWYN S. 2 7 7 . 2 8 1 .

4

ELLIOTT, The Elect S. 16-49.

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1 Petr 2,4-10

die Motive von V. 4-10 finden sich nämlich so dicht und ausschließlich im Selbstverständnis der Qumrangemeinde, daß ein, allerdings christlich bereits weitergebildeter Traditionszusammenhang zu vermuten ist. Die Qumrangemeinde bezeichnet sich ebenfalls als das wahre Heiligtum und spielt dabei auf Jes 28,16 an. Zugleich wird das Verhalten der Gemeinde als priesterlicher Dienst gekennzeichnet, durch den die wahren Opfer dargebracht werden 6 . Beide Aussagen sind nicht zufällig aufgegriffene Bilder. Sie sind für die essenische Bewegung konstitutiv; denn diese entstand aus der Verwerfung des Tempels (vgl. CD 3,19-4,4). Dasselbe gilt von Motiven in V. 9f.: Die Sekte versteht sich als das wahre Israel, als „die Erleuchteten", die sich zu dem von Israel „verworfenen" Lehrer stellen und die Gottes „große", „wunderbare" Taten bezeugen®. Anders als V. 9 übertragen sie jedoch die Bezeichnung „Volk Gottes" erst in der Situation des bevorstehenden eschatologischen Kampfes auf sich7. Demgemäß spielt in Qumran die für V. 9 grundlegende Stelle Ex 19 ebensowenig eine Rolle wie die für V. 4.7 wichtige Aussage Ps 118,228. Schon daran wird deutlich, daß unser Abschnitt nicht direkt an essenische Traditionen oder gar Textvorlagen anknüpft®. Er setzt nicht nur manche dort fehlenden Elemente voraus, sondern eine neue Deutung dieser Vorstellungen. Beides ist zweifellos christlichen Ursprungs. Die innere Geschlossenheit des ganzen Vorstellungskomplexes schon in den essenischen Aussagen legt jedoch nahe, daß der Verf. nicht nur einzelne traditionelle christliche Vorstellungen verband, sondern einen jüdisch-christlichen Traditionskomplex aufnahm. 4) Über den Weg dieses Traditionsstroms im frühen Christentum läßt sich feststellen, daß einzelne Traditionen unseres Abschnittes auch bei Paulus sichtbar werden: In Rom 9,32f. sind (wie hier in V. 6.8) Jes 8,14 und 28,16 verbunden, und in Rom 9,25f. wird (wie hier in V. 10) Hos lf. aufgenommen; unser Abschnitt knüpft jedoch nicht an die Ausformung dieser Stellen bei Paulus an. Überdies enthält die Tradition, von der er ausgeht, auch einige dem Apostel Paulus fremde Motive, die der Uberlieferung der palästinischen Kirche zugehören: Ex 19,6 (hier in V. 5. 9) fehlt wohl nicht zufällig bei Paulus; es stammt immerhin aus dem Sinaibund (Gal4,24f.; vgl. Hebr 12,18-24). Es wird, voran mit der zentralen Wendung βασίλειον ίεράτευμα, sonst im NT nur in Apk 1,6; 5,10 aufgenommen. Auch Ps 118,22 f. (hier in V. 4. 7) ist eine bei Paulus nicht verwertete palästinische Uberlieferung10. So ist in unserem Abschnitt insgesamt ein Traditionskomplex der hellenistischen Kirche verwertet, der aus Palästina herkommt und bei Paulus nur in Ausschnitten auftritt. Der 1 Petr wendet den Traditionskomplex in einer anderen frühchristlichen Auswertungen gegenüber eigenständigen Weise auf seine Situation an. B Vor allem 1 QS 8,4-11 und 9,3-6 (die wahren Opfer und der wahre Tempel); vgl. Anm. 30 und 45. « Vgl. S. 82. 7 1 QM3.13; 10,9f.; 13,7; vgl. S. 151 und Anm. 61. 8 ELLIOTT, The Elect S. 210, und Anm. 14. • Darin hat ELLIOTT, a.a.O. S . 210f., recht gegen D. FLUSSER, The Dead Sea Sect and Pre-Pauline Christianity, Scripta Hierosolymitana 3 (1958) S. 215-266, dort S. 235. 10 Vgl. Anm. 45.

1 Petr 2,4

141

V. 4f.: Eingliederung in den geistlichen Tempel Und wahre Priesterschaft Christus, von dem der Glaubende nach dem eben in V. 2 f. Gesagten lebt wie das Kind von der Milch, ist zugleich λί&ος, „Stein"; gemeint ist der Grundstein eines Baus u . Daher kann man mit ihm nur so Verbindung haben, daß man sich zugleich in den auf ihn gegründeten Bau, die Gemeinde, einfügen läßt. Diesen Wesenszug christlicher Existenz will V. 4 f. mit Hilfe der traditionellen Vorstellungen von Christus als dem Stein und der Gemeinde als dem Bau dem bisher entwickelten Bild des Christseins einfügen. V. 4: Das neue Thema wird mit dem als Imperativ gemeinten Partizip12 eingeführt: προς δν προσερχόμενοι, λίθον ζώντα. Das Attribut „lebendig", das Gegenteil des natürlichen Steins, zeigt an, daß „Stein" hier Metapher ist, und erklärt, zugleich ganz eigentlich gemeint, den Inhalt: Er ist der Auferstandene, der lebt, um Leben zu vermitteln13. Dies ist freilich historisch nicht wahrnehmbar. Von ihm wird hier gesagt: ύπ£> άν&ρώπων μέν άποδεδοκιμασμένον παρά δέ θεω εκλεκτών έντιμον. Für die Öffentlichkeit ist er und bleibt er — άποδεδοκιμασμένος ist Part. Perf. — der von den Menschen, nicht nur speziell von Israel verworfene Stein. Er wurde aufgrund ihres prüfenden Urteilens als für den Zukunftsbau der Menschheit ungeeignet befunden14. „Bei Gott aber", und d.h. nicht nur vor ihm, sondern durch ihn, ist er, bildlich geredet, „erlesen und kostbar": Gott hat ihn erwählt und in die „Ehre" eingesetzt — έντιμος hängt mit τιμή zusammen —, Grundstein des Baus einer neuen Menschheit zu sein. So versteht der urchristliche Leser diese Antithese; denn ihre erste Hälfte erinnert ihn an Ps 118,22, die zweite an Jes 28,16 — auch wenn die Stellen nicht anschließend in V. 6 f. zitiert wären. Ps 118,22 war als Logion Jesu über seine Verwerfung geläufig, und die christologische Deutung von Jes 28,16 war schon Paulus als Tradition bekannt15. Beide Worte bekunden, daß Jesus nach Gottes Heilsplan zum „Eckstein", nämlich — so auf alle Fälle in unserem Kontext — zum Grundstein16 eines Baus bestimmt wurde. 1 1 BEARE S. 95 nennt eine Analogie für die Verbindung der beiden Bilder von der Ernährung mit Milch und vom tragenden Stein: Die Artemis von Ephesus wurde als Muttergöttin dargestellt und zugleich durch einen Meteorstein repräsentiert. Aber Beare selbst lehnt eine Beziehung ab. Dasselbe gilt noch mehr von den Analogien, die PERDELWITZ, Mysterienreligion S. 69 f., anführt. 12 Siehe ANM. 28. 13 ζών hat in Verbindung mit λίθος V. 4 f. dieselbe Doppelbedeutung wie πνευματικός bei οίκος und θυσία V. 5. Paulus redet entsprechend von θυσία ζώσα Rom 12,1 und πνευματική πέτρα 1 Kor 10,4. Der „dualistische" Hintergrund des joh. ζών in Joh 4,10f.; 6,51; 7 , 3 8 fehlt hier. Zur Diskussion ELLIOTT, The Elect S . 34. 14 So άποδοκιμάζειν nach W. GRUNDMANN, Art. δόκιμος, ThWNT II, S. 259. 263 f. 16 Siehe Anm. 45. 16 Nach V. 5 sollen sich die Getauften auf ihn „erbauen lassen" zu einem Haus. Nach der LXX meint aber Jes 28,16 eindeutig keinen Grundstein: έμβαλώ εις τά θεμέλια

142

1 Petr 2,4

Die christologische Deutung des Steinmotivs17 1) Ps 118,22 wurde bereits in der aramäisch sprechenden Gemeinde auf Jesu Verwerfung bezogen; denn das Stichwort „verwerfen" wird in dem Jesus-Logion Mk 12,10 par nach der LXX mit άποδοκιμάζειν, in dem Kerygma Act 4,11 mit έξουθενεΐν wiedergegeben, also aufgrund freier Übersetzung. Ob der Hinweis auf die Schriftstelle über die aramäische Gemeinde hinaus auf Jesus selbst zurückgeht, ist fraglich. Mk 12,10 stammt in der vorliegenden Gestalt schwerlich von ihm; denn es ist formales Zitat, nicht eine der mündlichen Rede entsprechende freie Anspielung. Das Logion wurde wohl formuliert, als Jesus „Eckstein" der neuen Gemeinde geworden war. Da Jesus jedoch seinen Weg in den Psalmen von der Erniedrigung und Erhöhung des Gerechten vorgezeichnet fand, muß offen bleiben, ob das Stichwort „verwerfen" in den Leidensankündigungen (Mk8,31 αποδοκιμάζει und Mk9,12 έξουθενεΐν) aus einem Hinweis auf Ps 118,22 gefolgert wurde oder ihm als Ansatz vorherging. 2) In Lk 20,17f., der Parallele zu Mk 12,10, zieht der Hinweis auf Ps 118,22 weitere Stein-Worte an sich, nämlich Jes 8,14, der „Stein des Anstoßes", und Dan 2,44f., der „Stein des Gerichts". Vielleicht hat die sehr frühe christliche Deutung des „Steins" in Ps 118 auch die von Jes 8,14 und ebenso die von Jes 28,16 veranlaßt. 3) Diese Deutung der Schriftworte vom „Stein" war im Judentum vorbereitet: a) Unter Anspielung auf Jes 28,16 bezeichnete sich die QumranGemeinde als „den kostbaren Eckstein" 1 QS 8,7; weniger deutlich 1 QS 5,5; 4 Qpjes d 1; 1 QH 6,26; 7,8 f. Das Bild wird hier wie in Eph2,20 mit dem Bild von der Gemeinde als Bau verbunden18. Eine Anspielung auf Ps 118,22 liegt vielleicht in 2 Q 23,6 vor 19 . — b) Im rabbinischen Judentum werden die Stellen selten angeführt. In Ps 118,22 und Jes 28,16 wird im Targum der Eckstein als „ein König" wiedergegeben und damit auf David oder den Messias bezogen20. Jes 8,16 wird in einer rabbinischen Diskussion um 200 Σιών λίθον. In unserem Kontext kann auch Ps 118,22 nur auf einen Grundstein bezogen sein. Dies gesteht auch J . JEREMIAS ZU, der sonst den Eckstein als „Schlußstein" versteht (Art. λίθος, ThWNT IV, S. 278ff.). Gegen ihn macht R. J. MCKELVEY, Christ the Cornerstone, NTS 8 (1961/62) S. 352-359, wahrscheinlich, daß auch in E p h 2 , 2 0 der Grundstein gemeint ist. Vgl. zuletzt H. MERKLEIN, Das kirchliche Amt nach dem Epheserbrief (StANT 33), München 1973, S. 144-152. 17 Lit.: J.JEREMIAS, Art. λίθος, ThWNT IV, S. 274-283; C. F. D. MOULE, Some Reflections on the 'Stone' Testimonia in Relation to the Name Peter, NTS 2 (1955/56) S. 56-59; O. BETZ, Felsenmann und Felsengemeinde (Parallelen zu Mt 1 6 , 1 7 - 1 9 in den Qumranpsalmen), Z N W 4 8 (1957) S. 49-77; J. MAIER, Die Texte vom Toten Meer II, Basel 1960, S. 93f.; R. J. MCKELVEY, a.a.O.; H. BRAUN, Qumran und das Neue Testament I , Tübingen 1966, S. 190. 283ff.; ELLIOTT, The Elect S. 23-33; N. HILLYER, „Rock Stone" Imagery in I Peter, TyndBull22 (1971) S. 58-81. 18

Vgl. J. MAIER, Texte I S. 1 8 9 ; II S. 9 3 f .

Vgl. M. BAILLET, Les 'Petit Grottes' de Qumrän (Discoveries in the Judaean Desert III), Oxford 1962, S. 83. 20 Vgl. BILLERBECK I S . 8 7 6 ; I I I S . 2 7 6 ; ELLIOTT, The Elect S . 2 7 . 19

1 Petr 2,5

143

η. Chr. auf den „Sohn Davids", den Messias, gedeutet21. Eine messianische Interpretation im Judentum des 2. Jh. setzt auch Justin, Dial. 34 und 36, voraus. 4) Zweifellos kommen so die Aussagen der Qumrantexte, die den Stein von Jes 28,16 mit dem Bild des Baues verbinden und beides auf die eschatologische Gemeinde beziehen, der Stelle 1 Petr 2,4f. am nächsten. Die einzige nt. Stelle, an der sonst der „Eckstein" Jes 28,16 mit dem Bau der Gemeinde verbunden wird, ist Eph2,20. Ist Christus der Grundstein eines Baus, dann kann man nur in der Weise zu ihm „herzutreten", daß man sich zugleich in den auf ihn errichteten Bau einfügt. Aus dem „Herzutreten" folgt notwendig: „Laßt euch erbauen"! (V. 5). Die Wendung πρός δν προσερχόμενοι ist vielleicht dem vorher in V. 3 zitierten Τ 33 entnommen (V. 6: προσέλθατε προς αύτόν)22. Sie meint dort das Erleuchtung und Rettung vermittelnde Herzutreten zu Gott. Nach dem Hebr geschieht dieses Herzutreten jetzt durch Jesus; in den Synoptikern, vor allem bei Mt, ist Herzutreten der Anschluß an Jesus 23 . „Herzutreten" meint demnach die Zuwendung des ganzen Menschen zu Christus, nicht nur eine sittlich-religiöse Einstellung; es ist für den Getauften das ständige Nachvollziehen der Taufe durch Hoffen und Glauben bzw. durch Nachfolge (1,13. 21; 2,21). V. 5: Das Herzutreten vermittelt Anteil an Christus: Durch den „lebendigen Stein" werden sie „lebendige Steine" 24 : και αύτοί ώς λίθοι ζώντες οικοδομείστε. Sie sind „lebendig", wie er lebendig ist, aber sie sind es nicht von sich aus, sondern immer in „übertragener" Weise. Das deutet auch das nur hier, nicht bei Christus voranstehende ώς, „wie", an 25 .

21

V g l . BILLERBECK I I S . 1 3 9 f .

Vgl. S. 137 Anm. 51. Ψ 33,6 lautet abweichend vom MT: προσέλθατε πρδς αύτόν καΐ φωτίσθητε. Das letzte Wort erinnert an 2,9 b (s. z. St.). 23 προσέρχομαι (vgl. J. SCHNEIDER, Art. έρχομαι, ThWNTII, S. 680ff.) steht im NT sonst nie mit πρν κύριον (2,13) die ausschlaggebende Motivierung deutlich gemacht ist. Diese Kriterien werden beim Vollzug der Einordnung durch die συνείδησις θεοϋ (2,19), das auf Gott gerichtete Gewissen, angewendet und so ein kritisch-verantwortliches Verhalten in den Ständen ermöglicht. 2 a) 2,13-17: Die staatlichen Ordnungen 1 13 Ordnet euch jedem menschlichen Geschöpf unter um des Herrn willen, 14 sei es dem Kaiser als dem Oberherrn, sei es den Statthaltern als denen, die durch ihn gesandt sind, um die Übeltäter zu bestrafen, die aber, die sich recht verhalten, zu belobigen; 59 Dieselben Unterschiede sieht VAN UNNIK, Teaching of Good Works, NTS 1 (1954/55) S. 108f.: „Die guten Werke" sind im 1 Petr nicht wie im Judentum spezielle Werke gegenüber Armen, Toten usw., sie gelten vielmehr allen. Sie sind auch nicht, wie bei den Kirchenvätern, spezifisch christlich, sondern säkular. Sie entsprechen dem griech. Verständnis des sozial Guten, nicht dem altorientalischen. Sie sind gerade nicht, wie manchmal gesagt wurde, Zeichen einer Enteschatologisierung. Sie sind jedoch — das muß gegen van Unniks weitere Ausführungen eingewandt werden —• nicht so generell gemeint wie Phil 4,8, sondern auf die Stände bezogen. Auch steht άγαθοποιεϊν nicht einfach als griech. Wort für die at. „Nächstenliebe", auch wenn Lk 6,33.35 es nahe damit zusammenbringt. Gegen D. GEORGI, Predigt über 1 Petr 3,18f. 22, EvTh 31 (1971) S. 187-192, dort S. 188: „Wir möchten uns für die Agressivität der Christussausagen des urchristlichen Christusliedes und gegen die kleingläubige Ethik des 1. Petrusbriefes entscheiden." 1 Lit.: Μ. DIBELIUS, Rom und die Christen im ersten Jahrhundert, in: D E R S . , Botschaft und Geschichte (Ges. Aufs.) II, Tübingen 1956, S . 177-228; A. STROBEL, Zum Verständnis von Rm 13, ZNW47 (1956) S. 67-93; E. KÄSEMANN, Rom 13,1-7 in unserer Generation, ZThK 56 (1959) S. 316-376; O. CULLMANN, Der Staat im Neuen Testament, Tübingen 2 1961; G . D E L L I N G , Römer 13,1-7 innerhalb der Briefe des Neuen Testaments, Berlin 1962; L. GOPPELT, Die Herrschaft Christi und die Welt, in: DERS., Christologie und Ethik (Ges.Aufs.), Göttingen 1968, S. 102-136; DERS., Der Staat in der Sicht des Neuen Testaments, ebd. S. 190-207; DERS., Die Freiheit zur Kaisersteuer. Zu Mk 12,17 und Rom 13,1-7, ebd. S . 208-219; J. B. SOUCEK, Das Gegenüber von Gemeinde und Welt nach dem Ersten Petrusbrief, in: Stimmen aus der Kirche der CSSR 1968, S . 56-69; F. H. SLEEPER, Political Responsibility according to I Peter, NovTest 10 (1968) S. 270-286; W. SCHRÄGE, Die Christen und der Staat nach dem Neuen Testament, Gütersloh 1971; H. GOLDSTEIN, Die politischen Paränesen in 1 Petr 2 und Rom 13, BiLe 14 (1973) S. 88-104.

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lPetr 2,13-17

15 denn so ist es der Wille Gottes, daß ihr durch Rechtverhalten die Torheit der unverständigen Menschen zum Verstummen bringt. 16 (Tut dies) als die Freien, und nicht als solche, die die Freiheit als Deckmantel der Bosheit verwenden, vielmehr als Gottes Knechte. 17 Ehret alle, liebet die Bruderschaft, „fürchtet Gott, ehret den Kaiser"!

Zu Tradition und Form: Die Paränese in 1 Petr2,13-17 berührt sich im NT mehrfach mit Rom 13,1-7; 1 Tim 2,1-3 und Tit 3,1-3; diesen Stellen Hegt anscheinend eine gemeinsame Tradition zugrunde, die ihren Ansatz in Jesu Wort zur Kaisersteuer, Mk 12,14-17 parr, hat und sich in 1 Clem 61 wie bei den Kirchenvätern fortsetzt2. 1) Die genannten nt. Stellen verpflichten die Christen nicht nur sachlich übereinstimmend zur Anerkennung des Staates; sie formulieren diese Weisung auch weithin in gleichlautenden Wendungen3. Gefordert wird stets das ύποτάσσεσθ-οα (lPetr 2,13; Rom 13,1.5; Tit 3,1). Die Regierenden werden jeweils als „herausragend, übergeordnet" gekennzeichnet (1 Petr2,13 υπερέχων; Rom 13,1 ύπερέχουσαι; 1 Tim 2,2 έν υπέροχη) und teils mit ihrem Titel (2,13 βασιλεύς; 1 Tim 2,2 βασιλείς), teils mit ihrer Stellung (Rom 13,1 έξουσίαι; Tit 3,1 άρχαΐ έξουσίαι) bezeichnet4. Als ihre Aufgabe wird ferner regelmäßig die Wahrnehmung des Rechts hervorgehoben: 1 Petr2,14 εις έκδίκησιν κακοποιών, έπαινον δέ άγαθ-οποιών; Röml3,3f.: τδ άγαθδν ποίει . . . επαινον . . ., Ικδικος . . . τω τδ κακδν πράσσοντι; vgl. 1 Tim 2,2: ίνα ήρεμον καΐ ήσύχιον βίον διάγωμεν. Sicher sind diese übereinstimmenden Wendungen großenteils herkömmliche hellenistische Terminologie5. Dennoch ist diese dichte Berührung innerhalb der frühchristlichen Äußerungen zu diesem Bereich nicht lediglich durch die herkömmliche Redeweise, sondern durch gemeinsame kirchliche Tradition bedingt. Schon nach Inhalt und Formulierung berührt sich 1 Petr 2 erheblich enger mit Rom 13 als mit den beiden Stellen der Past. 2) Auch in der Stilform kommen die beiden Stellen einander besonders nahe. 1 Petr 2 folgt der Form der Ständetafeln, Rom 13 bildet sie strukturell vor. Die Stellen in den Past dagegen sind pastorale Anweisungen zur Paränese (Tit 3,1-8) bzw. zur Fürbitte (1 Tim 2,1-3). 2 R. KNOPF, Die Lehre der zwölf Apostel. Die zwei Clemensbriefe (HNT, Erg.-Bd.I), Tübingen 1920, S. 146f. (Exkurs zu 1 Clem 61,1). 3

V g l . die synoptischen T a f e l n bei SELWYN S. 4 2 3 - 4 3 3 .

In Lk 12,11 wird τάς άρχάς καΐ εξουσίας für Mk 13,9 par Mt έπΐ ήγεμόνων καΐ βασιλέων gesetzt; in Lk 21,12 wird die Mk-Wendung beibehalten. Lk 20,20 ist beides verbunden: παραδοΰναι αύτδν τη άρχη καΐ τη εξουσία τοϋ ήγεμόνος. 5 Siehe S. 186 Anm. 41 und S. 181 Anm. 9-11. 4

IPetr 2,13-17

181

3) Um so bemerkenswerter ist es, daß sich der 1 Petr und Rom 13 in der theologisch-kerygmatischen Akzentsetzung erheblich unterscheiden. Im 1 Petr fehlt der betonte Hinweis auf die Einsetzung und Beauftragung der Machthaber durch Gott (so Rom 13,1 f. 4). Paulus stellt vermutlich im Blick auf nachwirkende jüdische Bedenken gegenüber der Steuerpflicht und einen die Staatlichkeit vergleichgültigenden christlichen Enthusiasmus® heraus, daß die Christen den staatlichen Organen als Beauftragten Gottes „um des Gewissens willen" (Rom 13,5) verpflichtet seien. Der 1 Petr kennzeichnet den Kaiser und seine Beamten im Blick auf die Konfliktsituation als „Geschöpfe" (2,13), denen Ehre zukommt wie allen Menschen (2,17), und versteht die dennoch gebotene Unterordnung als Erweis der christlichen Freiheit, was auch Verdächtigungen widerlegen soll (2,15 f.). Nicht zufällig tritt daneben in 1 Petr 5,13 mit dem Stichwort „Babylon" eine ganz andere auf den politischen Bereich bezogene paränetische Tradition auf. In 1 Petr 2 und Rom 13 aber ist dieselbe frühchristliche Tradition im Blick auf unterschiedliche Verkündigungssituationen ausgestaltet. 4) Für die Herkunft dieser paränetischen Tradition lassen sich zwei Quellen nennen, (a) Diese Weise der Stellungnahme zum Staat wurde den Christen durch Jesu Wort zur Kaisersteuer, Mk 12,13-17, gewiesen — gegen nomistische Bedenken wie gegen eine Staatseuphorie, die bis in die hell.-jüd. Literatur hineinreicht. Nicht zufällig klingt dies in Rom 13,7 nach 7 , (b) Unter diesem Aspekt wurde die hellenistische, insbesondere die hellenistisch-jüdische Tradition politischer Ethik ausgewählt und übernommen, mit deren Hilfe diese frühchristlichen paränetischen Traditionen inhaltlich gestaltet wurden. Im politischen Ethos der hellenistischen Welt redete man von den ύποτασσόμενοι, den subjecti 8 , gegenüber den υπερέχοντες, den Regierenden 9 , wie auch von dem έπαινος, dem „Lob" für die guten Bürger 10 . Daß die Übung des Rechts, die Bestrafung der Übeltäter und die Anerkennung der Guten zentrale Aufgabe der Herrscher sei, wird in dem ausführlichen Herrscherspiegel des aus dem hellenistischen Judentum stammenden Aristeasbriefes § 187-300 betont 11 . β

Der scilitanische Märtyrer erklärt: ego imperium huius seculi non cognosco, in:

R. KNOPF-G. KRÜGER (Hg.), Ausgewählte Märtyrerakten, Tübingen 3 1 9 2 9 , S. 29. 7 DELLING, T H W N T V I I I , S. 4 5 , 6 f . : „ R M 1 3 erscheint geradezu als Interpretation

der Antwort Jesu auf die Frage nach seiner Stellung zur röm. Herrschaft Mk 12,17 par." 8 Siehe Anm. 17. 9 Vgl. BAUER, Wörterbuch s. v.; ζ. Β. DiogLaert VI, 78. 10 Antoninus Pius in einem Brief: έτι καΐ διά τοϋτο προθυμοτέρους ήγεΐσθε τούς πολείτας υμών ϊσεσθαι των καλών τοϋ έπαίνου χάριν. In: L. LAFOSCADE, De epistulis (aliisque titulis) imperatorum magistratuumque Romanorum, Insulis 1902, Nr. 38, S. 19; weiteres bei STROBEL, ZNW 47 (1956) S. 84f. Philo verbindet anscheinend diesen Gesichtspunkt mit dem nächsten, wenn er Leg.Gaj. 7 bemerkt: Das Gesetz erfüllt seine Aufgabe in „der Ehrung der Guten und der Bestrafung der Bösen". 11 EpArist §291 f.: „Was ist das Wichtigste an der Regierung? Und er antwortete: Daß die Untertanen in beständigem Frieden leben und schnelle Rechtsentscheide erlangen. Das aber wirkt der Herrscher, wenn er das Böse haßt, das Gute liebt und es als etwas Großes ansieht, ein Menschenleben zu retten. So hältst ja auch du Unrecht für das Schlimmste . . . " § 280: Zu Statthaltern soll man einsetzen, „die das Böse hassen und . . . gerecht handeln . . .". 12 EpArist § 240: „Wenn du bedenkst, daß Gott den Gesetzgebern die Gedanken gegeben hat zur Erhaltung des menschlichen Lebens, wirst du ihnen folgen." §279:

182

1 Petr 2,13

Diese Entsprechungen decken die nt. Aussagen auch dem Umfang nach im wesentlichen ab; gemessen am hellenistischen Staatsethos aber stellen sie nur eine karge Auswahl dar. Selbst Aristeas sagt mehr, z.B. daß die Regierenden das Leben der Menschen zu erhalten und zu fördern hätten12. Die nt. Tradition nennt zur Begründung der Unterordnung nur das Elementarste an Staatlichkeit. 5) Neben der aus diesen Quellen gespeisten nt. Tradition, die in 1 Petr 2,13-17 ausgewertet ist, tritt in 1 Petr 5,13 eine Tradition hervor, die von -der at.-jüdischen Apokalyptik her in einer frühchristlichen Apokalyptik entwickelt wurde und im NT vor allem in Apk 13 und 17 zu Wort kommt13. Der 1 Petr zeigt an, daß sich beide Traditionen sachlich nicht ausschließen, — wenn man ihn selbst als Einheit verstehen kann14. V. 13-15: Unterordnung um des Herrn willen V. 13: Der Imperativ ύποτάγητε, „ordnet euch unter", der die folgende Paränese als Leitweisung durchzieht (2,18; 3,1), seine Motivierung, die weiterhin vorausgesetzt wird, und das sehr allgemeine Objekt, das erst im Nachsatz präzisiert wird, lassen den Satz als programmatische Einleitung der ganzen Ständetafel erscheinen, obgleich er direkt nur den ersten Abschnitt, die Weisung für das Verhalten gegenüber den Vertretern des Staates, einleitet. Die Unterordnung, zu der im Sinne der Ständetafeltradition verpflichtet wird, gilt πάση άν&ρωπίνη κτίσει, „jedem menschlichen Geschöpf", κτίσις ist für hellenistische Menschen vor allem die „Gründung", ζ. B. die einer Stadt, in der die bauliche, wirtschaftliche und soziale Intention ihres Gründers Gestalt annimmt15. Im biblischen Griechisch ist es stets von Gott her gesehen die „Schöpfung" oder das „Geschöpf"16. Diese Bedeutung scheint an unserer Stelle keinen Sinn zu geben 17 ; sie wird jedoch sogleich verständlich, wenn man sieht, daß sie ebenso wie „Gründung" nicht nur eine genetische Gegebenheit, sondern primär eine Intention aussagt. „Wem müssen die Könige folgen?... Den Gesetzen, damit sie durch gerechte Handlungen das menschliche Leben fördern." 1 3 Siehe zu 1 Petr 5,13. 14 Dazu s.o. S. 41 f. 15 W. FOERSTER, Art. κτίζω, ThWNT III, S. 1024.1026. " Ebd. S. 1026. 17 Deshalb wurden für unsere Stelle aus dem griech. Wortsinn folgende Bedeutungen abgeleitet: „jede menschliche Ordnung" ( W I N D I S C H S. 63), „jede menschliche Behörde" ( B A U E R , Wörterbuch s. ν. κτίσις 2), „every fundamental social institution" ( S E L W Y N S. 172). Diese sonst nicht belegten Ubersetzungen widerstreiten jedoch dem Kontext, der von einer Unterordnung gegenüber Personen, nicht gegenüber Institutionen spricht. Schon die syrische und z.T. die lateinische Ubersetzung folgte dem biblischen Wortgebrauch und übersetzte „jedes menschliche Geschöpf" (Vg: subiecti igitur estote omni humanae creaturae). Diese Übersetzung wird mit Nachdruck vertreten von SCHLATTER, Erläuterungen zum Neuen Testament III, Stuttgart 1928, S. 37; J . J E R E M I A S , Art. άν&ρωπος, ThWNT I, S. 367; FOERSTER, ThWNT III S. 1034, und K E L L Y S. 108 („human creature").

1 Petr 2,13

183

„Geschöpf" besagt nicht nur, daß der Mensch sich Gott und nicht sich selbst verdankt, sondern auch, daß er für einen geschichtlichen Weg bestimmt ist. Deshalb gilt die Unterordnung „jedem menschlichen Geschöpf", d. h. jedem Menschen in der Bestimmung, die ihm der Schöpfer als Herr der Geschichte gegeben hat. So gilt sie zuerst „dem Kaiser als dem Oberherrn". Die Unterordnung ist geboten δια τον κύριον, „um des Herrn willen". Diese von Anbeginn mit der Ständetafeltradition verbundene Motivierung klingt hier nach den bisherigen Ausführungen des Briefes und bezogen auf den Kaiser, der ja auch κύριος genannt worden ist 18 , besonders paradox. Hat nicht der erhöhte Christus — er, nicht Gott ist hier mit ό κύριος gemeint19 — die Seinen von der Bindung an „die von den Vätern überkommenen Verhaltensweisen", die das Sosein der Geschöpfe in ihrer geschichtlichen Bestimmung gestalten, freigemacht (1,18; vgl. 4,3 f.) und sie in die eschatologische Existenz „der Fremden" (2,11) versetzt? Eben deshalb sollen sich die Christen ja auch nicht dem Menschen in seinem Sosein, sondern dem Menschen in seiner ihm als Geschöpf gegebenen Bestimmung unterordnen. Dies aber ist, wie vor allem in der Auseinandersetzung um die sog. „christokratische" Konzeption deutlich wurde 20 , wirklich um des erhöhten Erlösers willen geboten. Denn er ist mit dem Schöpfer eins; durch ihn ist, wie die frühe hellenistische Kirche bekennt21, alles geschaffen. Daher sind die Seinen auch dem Willen des Schöpfers DEISSMANN, Licht vom Osten S. 299-304; vgl. Act 25,26. So auch SCHLATTER, Erläuterungen S. 37f.; PREISKER, HNT 15 S. 154. Die Gegenargumente, daß 2,15 a auf „Gottes Willen" hinweise (SCHELKLE S . 73 mit Anm. 2) und die Unterordnung unter das Geschöpf durch den Schöpfer begründet sei (KELLY 18

18

S. 109) überzeugen nicht; denn der Wille des Schöpfers wird jetzt um des erhöhten Herrn willen getan. Die stehende Motivierung der Haustafeltradition, die hier aufgenommen wird, nennt daher den „Kyrios": Kol 3,20.22.23.24; 4,1; Eph 6,7.8.9; dafür hat Eph 5,25.29.32; 6,5 „Christus". Dieser Traditionszusammenhang verweist auf eine entsprechende Bedeutung in 1 Petr 2,13, auch wenn das absolute ό κύριος für den erhöhten Christus im 1 Petr sonst nicht begegnet. 20 Diese wurde in der nt. Forschung vor allem vertreten von O. CULLMANN, Königsherrschaft Christi und Kirche im Neuen Testament (ThSt 10), Zürich 2 1946; D E R S . , Christus und die Zeit, Zürich 3 1962, S. 169-172; in der Systematik zuletzt von E. W O L F , Was heißt .Königsherrschaft Christi' heute? in: Unter der Herrschaft Christi (hg. v. E.Wolf, BEvTh 32), München 1961, S. 67-91. Gegen sie wendet sich die KerygmaTheologie: G. BORNKAMM, Christus und die Welt in der urchristlichen Botschaft, in: D E R S . , Das Ende des Gesetzes, München 5 1966, S. 157-172, und abgewandelt E. KÄSEMANN, Zum Thema der urchristlichen Apokalyptik, in: DERS., Exegetische Versuche und Besinnungen II, Göttingen s 1968, S. 105-131, dort 127-131. Eine dritte Auffassung vertritt L. GOPPELT, Die Herrschaft Christi und die Welt, in: D E R S . , Christologie und Ethik S. 102-136, vor allem S. 124-128. Forschungsberichte: W. SCHRÄGE, Die konkreten Einzelgebote in der paulinischen Paränese, Gütersloh 1961, S. 13-48; H. J. GABATHULER, Jesus Christus, Haupt der Kirche —· Haupt der Welt. Der Christushymnus Colosser 1,15-20 in der theologischen Forschung der letzten 130 Jahre (AThANT 45), Zürich/Stuttgart 1965. » 1 Kor 8,6; Kol 1,16.

184

lPetr 2,13

verpflichtet, der das geschichtliche Leben in Geduld auf den Vollzug der vor Gott bereits vollbrachten Erlösung hin erhält. Diesen Willen Gottes kennt der biblische Mensch aus Gen 9. Die im 1 Petr und dem sonstigen NT unausgesprochene Vorstellung, daß das geschichtliche Leben durch das Handeln in den Ständen erhalten wird, ist dem Judentum geläufig 22 . Der 1 Petr entwickelt sogleich eine soteriologische Begründung, die diese Vorstellung indirekt einschließt: Die Christen sollen durch ein Rechtverhalten in den Strukturen der Gesellschaft „der Heimsuchung" aller den Weg bereiten (2,12. 15f.) 23 . Sie dienen auch durch Gehorsam gegen den Willen des Schöpfers dem Werk der Erlösung 24 — „um des Herrn willen". So verweist diese zunächst formelhaft übernommene Motivierung auf einen umfassenden Sachzusammenhang. Sichtlich impliziert diese Motivierung entscheidende Kriterien für die Art der Unterordnung. Demgemäß wird weiterhin bereits im Blick auf die hier zunächst genannten „menschlichen Geschöpfe", den Kaiser und seine Beamten26, die Verpflichtung ebenso deutlich betont wie die kritische Distanz. Die Motivierung entkleidet den βασιλεύς, den „König", des sakralen und ideologischen Glanzes, mit dem ihn das Weiterwirken des altorientalischen Herrscherkultes bzw. die politische Philosophie und Dichtung umgeben hatten26, βασιλεύς ist hier 27 , wie einst im orientalischen Sprachgebrauch28, der „Großkönig", der römische „Kaiser", der in Mk 12,14. 16 par und sonst im NT Καίσαρ genannt wird; die Bezeichnung βασιλεύς hat hier anderen Klang als in der Anwendung auf lokale Kleinfürsten 29 . Der 1 Petr gebraucht sie wie die entsprechende Tradition in 1 Tim 2,2 und 1 Clem 37,3 lediglich als staatsrechtlichen Begriff, gerade weil er, wie die folgende indirekte Abwehr zeigt, um seinen sakralen und ideologischen Sinn weiß. Der Kaiser ist der υπερέχων, das ist als geläufiger staatsrechtlicher Terminus der „Übergeordnete", der „Oberherr" 30 . Zur jüdischen Überlieferung vgl. S. 166f. Im übrigen NT redet Rom 3,26 von der Zeit „der Geduld Gottes" (vgl. 2,4), Act 14,15-17 und 17,24-28 von seiner erhaltenden Vorsehung und 1 Tim 2 , 1 - 5 von der Bewahrung des Lebens der Christen auf die Rettung aller hin. 21 Ein soteriologischer Aspekt des christlichen Verhaltens gegenüber der Obrigkeit begegnet auch 1 Tim 2,3. 25 1 Tim 2,1 f. geht ebenfalls von der Verpflichtung für „alle" Menschen zu der für die „Könige" über. 2* „Der urgriechische Glaube an die Göttlichkeit der politischen schöpferischen Persönlichkeit verband sich im Hellenismus mit den verschiedenen orientalischen Kulturvölkern eigenen Gottkönigvorstellungen." So H. KLEINKNECHT, Art. βασιλεύς, ThWNT I, S. 563. 27 Ebenso wie in 2,17; 1 Tim 2,2; A p k l 7 , 9 f f . ; 1 Clem 37,3. 28 DEISSMANN, Licht vom Osten S. 310f.; vgl. Apk 17,9f. 29 So ζ. B. Mt 2,1.3; 14,9 u. ö. Vgl. dazu K. L. SCHMIDT, Art. βασιλεύς, ThWNT I, S . 576. 30 Siehe Anm. 4. 22

23

1 Petr 2,14 f.

185

V. 14: Die ηγεμόνες, die „Statthalter" in den Provinzen31, sind von ihm „gesandt", beauftragt: δι' αύτοϋ πεμπόμενοι. Ihr Auftrag wird hier wie die Stellung des Kaisers nur staatsrechtlich beschrieben, nicht wie in Rom 13, l f . 4f. unmittelbar auf Gott zurückgeführt. Der Auftrag, „die Übeltäter zu bestrafen, die, die sich recht verhalten, zu belobigen" (είς έκδίκησιν κακοποιών, εποανον δέ άγα&οποιών), entspricht hellenistischem, insbesondere hellenistisch-jüdischem Staatsethos32 ebenso wie die diesem sich anschließende frühchristliche Tradition in Rom 13,3 f. Auch der 1 Petr nennt den Auftrag des Kaisers nicht, um empirische Sachverhalte zu analysieren, sondern um die geschichtliche Bestimmung der staatlichen Exekutive nach Gottes Willen zu umschreiben. „Das Belobigen der Rechtschaffenen" meint eigentlich die freigiebig erteilten Belobigungen 33 , die verdienten Bürgern in öffentlichen Schreiben und Inschriften erteilt wurden und politisches Ansehen vermittelten, ist hier aber formelhaft gebraucht, bezeichnet daher lediglich die bürgerliche Anerkennung und damit den Rechtsschutz, den alle erwarten können, die sich recht verhalten34. Die Hinweise auf diesen Auftrag wie auf die Stellung des Kaisers in der Geschichte begründen, wie das doppelte ώς in V. 13 und 14 andeutet, die Unterordnung „um des Herrn willen" zusätzlich36. V. 15 fügt mit einem kausalen δτι eine weitere Motivierung hinzu. Sie wendet den Grundsatz von 2,12 auf die politische Situation an und kennzeichnet ihn nachträglich als θέλημα τοϋ θεού. Es ist wie in 4,2 der „Wille Gottes", der die Christen für das Gute, das für alle Heil bringt, in Anspruch nimmt 36 , wie er ihnen nach 3,17 und 4,19 auch Leiden widerfahren 3 1 Sie können je nach ihrer Stellung als „Prokonsul", Gouverneur der Zivilverwaltung senatorischer ^Provinzen, bezeichnet werden oder als „Legatus", Militärbefehlshaber in kaiserlichen Provinzen, oder als „Prokurator", Verwalter, der das Steuerwesen überwacht und in wichtigen Fällen als Richter tätig wird. Vgl. BAUER, Wörterbuch, s. v.; G. WESENBERG, Art. pro consule, Pauly-Wiss. X X I I I / 1 , Sp. 1 2 3 2 - 3 4 ; H.-G. PFLAUM, Art. procurator, ebd. Sp. 1 2 4 0 - 1 2 7 9 ; Bo REICKE, Art. Statthalter, B H H I I I , Sp. 1 8 5 7 f. 32 Siehe Anm. 10. 33 Weil nur der Anerkannte in der politischen Gemeinschaft Bedeutung hatte, war έπαινος, „Lob", „Anerkennung", ein Lebensziel der Poliskultur, wie ζ. B. „Gerechtigkeit" der höchste Lebenswert der at. Gemeinde war; in Sir 39,10; 44,8.15 steht für Gerechtigkeit „Lob". Vgl. H. PREISKER, Art. έπαινος, ThWNT II, S. 583. 3 1 STROBEL, ZNW 1956, S. 80-83 (vgl. Anm. 1) lehnt für Rom 13,3 die Erklärung „Anerkennung" ( K Ü H L ; K . BARTH; ALTHAUS Z. St.) ab und sieht hier lediglich einen Hinweis auf die Belobigungen, für die er zahlreiche Belege bringt. Für eine Paränese an Christen ist die Aussage jedoch nur in der oben entwickelten weiteren Bedeutung sinnvoll. 35 Zum Gebrauch von ώς vgl. Anm. 46. 36 Gottes Willen zu tun und von ihm die Widerfahrnisse entgegenzunehmen, ist nach dem ganzen NT Bestimmung des Christseins. Dazu G. SCHRENK, Art. θέλω, θέλημα, ThWNT III, S. 58ff.

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IPetr 2,16

läßt. Sie sollen37 durch άγαθοποιεΐν die bereits in 2,12 erwähnte Diskriminierung „zum Schweigen bringen" (φιμοϋν). Diese entstammt „der Unwissenheit unverständiger Menschen", άφρων, „unverständig", ist nach einer für die jüdische Weisheit typischen Aussage38, wer Gott und daher Wahrheit und Recht nicht sieht. Er befindet sich in άγνωσία, „Unwissenheit" 39 ; er weiß nicht, was er tut. Sein Vorgehen wird dadurch nicht schuldlos, wohl aber vor Gott und den Menschen vergebbar40. Die Christen haben schon deshalb keinen Anlaß, der Gesellschaft gegenüber „Böses mit Bösem zu vergelten"; sie sollen das Böse vielmehr „mit Gutem überwinden" (3,9; vgl. Rom 12,21). Dies bedeutet hier zunächst, die Verdächtigungen durch Rechtverhalten widerlegen, άγαθοποιεΐν ist wie im vorhergehenden Vers nicht der das Recht überholende Erweis der Feindesliebe, ζ. B. „das Segnen" (3,9), sondern das Rechtverhalten, nach dem die staatlichen Behörden die Bürger beurteilen, wenn sie ihrem Auftrag gerecht werden. Zu diesem Rechtverhalten gehört die Beachtung der staatlichen Gesetze, an die V. 14 und 4,15 vor allem denken, in erster Linie aber das „Sich-Unterordnen", die Loyalität als solche. Werden die Verdächtigungen dadurch zum „Verstummen" kommen? Die Apologetik der vorkonstantinischen Kirche lehrt das Gegenteil. Die Verdächtigungen werden nicht schon dadurch beseitigt, daß den Christen vor Gericht nichts Rechtswidriges nachgewiesen werden kann (4,15); denn ihr Gesamtverhalten bleibt für Außenstehende vieldeutig. Die „Unverständigen" werden erst dann wirklich schweigen, wenn sie verständig werden — „am Tag der Heimsuchung" (2,12). Wenn die Erwartung eines Erfolges 41 diese Tiefenschicht erreicht, ist auch das „Rechtverhalten" wirklich begründet, nämlich im Sinne von 2,12. V. 16f.: Die Freiheit der Christen als Grund ihres sozialpolitischen Verhaltens V. 16: Das Rechtverhalten ist nicht nur im Ziel der christlichen Existenz, sondern auch in ihrer Wurzel begründet: Die Christen sind έλεύ&εροι, „Freie", aber sie sind es nur als δοϋλοι θεοϋ, „Knechte Gottes". Nicht zufällig spricht der Brief am Anfang seines Wortes zu den Institutionen der Das οΰτως weist nicht auf das Vorhergehende zurück (gegen SELWYN S . 173 und S. 110/, sondern fuhrt wie das τοϋτο in 1 Thess 4 , 3 ; Joh 6,40 und die ähnliche Wendung in Mt 18,14 das Folgende ein. 38 άφρων begegnet ca. 75mal in Prov, das sind mehr als die Hälfte aller LXX-Stellen; im NT sonst in vergleichbarer Bedeutung in Lk 11,40; 12,20; Rom 2,20. Vgl. G. BERTRAM, Art. φρήν, ThWNTIX, S.221. 39 άγνωσία, im NT sonst nur 1 Kor 15,34; gleichsinnig άγνοια 1 Petr 1,14; Act 3,17; 17.30; Eph4,18 und das Verb άγνοεΐν Act 13,27; 17,23; (Rom 10,3;) 1 Tim 1,13; Hebr 5,2; 2 Petr 2,12. 40 Vgl. Lk 23,34 v . l . ; Act 3,17; 17,30; 1 Tim 1 , 1 3 ; Hebr 5,2; 10,26. 4 1 Und zwar über EpArist § 257: „Das menschliche Geschlecht pflegt denen, die sich unterordnen, hold zu sein", hinaus. 37

KELLY

1 Petr 2,16

187

Gesellschaft und insbesondere im Blick auf die gespannte politische Situation das Problem der Freiheit an, das er sonst nicht erwähnt. Die Aussage über die Freiheit hat einen umfassenden Hintergrund42: 1) Daß nur der δοϋλος Gottes ein ελεύθερος ist und daß daher die Freiheit nicht ein Vorwand sein kann, um sich auszuleben, erinnert terminologisch und sachlich an Paulus: „Befreit von der Sünde wurdet ihr zu Knechten Gottes gemacht" (Rom 6,22). „Zur Freiheit wurdet ihr berufen, Brüder, nicht zur Freiheit als Vorwand für das Fleisch, sondern durch die Liebe dienet (δουλεύετε) einander" (Gal5,13; ebenso 1 Kor 9,19; vgl. 2 Petr 2,18f.). Jedoch knüpft der 1 Petr auch mit dieser Aussage weder terminologisch noch in der Ausrichtung unmittelbar an Paulus an. 2) Die Freiheit wie hier auf den politischen Bereich zu beziehen, war im palästinischen Judentum Skopus der Diskussion. Nach dem apologetischen Bericht des Josephus hingen die Zeloten „mit großer Zähigkeit" an der Freiheit und wollten „Gott allein als ihren Herrn und König anerkennen"43. Der Pharisäismus praktizierte Freiheit gegenüber den römischen Machthabern in quietistischer Weise, weil er der Regel folgte: „Du hast keinen (wahrhaft) Freien außer dem, der sich mit der Tora beschäftigt"44. Der dem AT fremde Begriff „Freiheit" war von der griechischen Welt her auch im palästinischen Judentum aufgenommen worden. 3) Diesen Zusammenhang zwischen Freiheit und Bindung an das Gesetz variiert Philo in der unserem Brief zeitgenössischen Schrift „Quod omnis probus liber sit" im Sinne der stoischen Philosophie: Wie die nicht unter Tyrannis, sondern nach dem Gesetz lebenden Staaten frei sind, so sind die Menschen, die nach dem Gesetz leben, frei, im Unterschied zu denen, über die Zorn, Begierde herrschen (ebd. 45). Nach der Stoa wird der Weise innerlich frei, wenn er sich dem Gesetz der Weltvernunft einfügt45. Die Freiheit, die der 1 Petr als Grund und Weise der „Unterordnung" 48 nennt, ist nicht durch freiwillige Unterwerfung unter ein Gesetz, sondern nach der in at.-jüd. Terminologie redenden Erklärung 1,18 durch die „Erlösung" gegeben: Die Glaubenden sind von überkommenen Verhaltensweisen frei, weil sie von Gott zum Eigentum erkauft, d.h. seine Knechte wurden 47 . Deshalb sind sie auch im politischen Bereich nicht » Lit.: M. DIBELIUS, Der Brief des Jakobus (KEK XV), Göttingen 1 1 1964, S. 148ff. (Exk. zu Jak 1,25); H . S C H L I E R , Art. έλεύ&ερος, ThWNT II, S. 484-500; K . NIEDERWIMMER, Der Begriff der Freiheit im Neuen Testament, Berlin 1966; D. NESTLE, El'eutheria I, Tübingen 1967; E. KÄSEMANN, Der Ruf der Freiheit, Tübingen 6 1972. 43 Jos, Ant. 18,23; vgl. Bell. Jud. 2,118. 44

A b o t h 6 , 2 (BILLERBECK II, S. 522).

Seneca, De vita beata 15,7: deo parere libertas est; Epiktet, Diss. IV 1,158 von Diogenes: . . . δτι ούδενός δέομαι, δτι ό νόμος μοι πάντα έστί καΐ άλλο ούδέν. ταϋτα ήν τά έλεύθερον έκεϊνον έάσαντα. " Das dreimalige ώς in V. 16 hat ebenso wie das zweimalige ώς in V. 14 kausalen Sinn; Subjekt und Prädikat ist ύποτάγητε in V. 13. 47 θεοϋ δοϋλοι ist eine at. Wendung fur die, die Gott in Dienst nimmt und dadurch begnadet. Sie findet sich im NT nicht bei Paulus, wohl aber in Lk 2,29; Act 16,17; Tit 1,1 und Apk 1,1. Zum Inhalt der Aussage vgl. 1 Kor 7,22f.: „Der als Freier Berufene 45

188

IPetf 2,17

mehr darauf angewiesen, ihre Existenz durch Mitläufertum zu sichern; aber durch ihre Bindung an Gott, den Schöpfer und Erlöser, sind sie dennoch den staatlichen Einrichtungen wie dem Recht verpflichtet. Die Freiheit wäre έπικάλυμμα της κακίας, „Deckmantel der Schlechtigkeit"48, würde sie libertinistisch oder asketisch als Dispens von dieser Verpflichtung verstanden werden. Dieses Mißverständnis christlicher Freiheit wurde von gnostischen Strömungen in die Gemeinden hineingetragen49. Es ergab sich aber, und daran mag nach 4,15 hier vor allem gedacht sein, auch ohne Theorie aus menschlichem Versagen. V. 17: Die sozialpolitische Verpflichtung wird in einer viergliedrigen Sentenz, die ihre Spitze im letzten Glied hat, abschließend zusammengefaßt50. Die Aussagen gehören paarweise zusammen. Die erste Doppelzeile ist ähnlich wie V. 13a bewußt allgemein gehalten: πάντας τιμήσατε, τήν άδελφότητα άγαπατε. Die Christen erweisen allen Menschen Ehre 51 , nicht nur den Mächtigen und Reichen, sondern auch den ehr- und rechtlosen Sklaven; alle werden als Geschöpfe Gottes ernst genommen und so als Menschen anerkannt62. Die Liebe aber, ein gegenseitiges williges Beistehen, verbindet durch die „Bruderschaft" (αδελφότης)83 die Glieder der Gemeinde untereinander. Diese Unterscheidung: Alle ehren, die Brüder lieben, ist keine Absage an die Nächstenliebe54. Die Differenzierung wurde durch den Liebesbegriff nötig; denn άγαπαν bedeutet „Liebe erweisen", nicht lediglich wie die Philanthropie der Stoa eine Einstellung55. Der ist Sklave Christi . . . Ihr seid teuer erkauft, werdet nicht Sklaven der Menschen!" Nach Rom 6,18 ist das Reden vom „Knechtsein" als Umschreibung der Freiheit eigentlich unangemessen; das gilt vor allem, wenn sie griechisch verstanden wird: „Wie könnte der glücklich sein, der irgend jemandem dient?" (Plato, Gorgias 491 E). Vgl. Mt 17,26: „Die Söhne sind frei", ähnlich Joh8,36. 18 έπικάλυμμα, im NT nur hier (ferner 4mal κάλυμμα in 2 Kor 3,13-16), sonst eine geläufige Wendung: Menander, Fragm. 84(90): πλούτος δέ πολλών έπικάλυμμ' έστί κακών (Menandri quae supersunt II, ed. A. Koerte, Leipzig 1953, S. 41); Philo, Decal. 172: τύ μή ποιεϊσθαι προκάλυμμα πίστιν άπιστίας. " 1 Kor 7,17-24; 1 Tim 4,1-5: „Sie hindern, zu heiraten . . . " ; aber „jede Schöpfung Gottes ist gut . . . " ; 2 Petr2,18f. 50 Vgl. hierzu E. BAMMEL, The Commands in I Peter ii. 17, NTS 11 (1964/65) S. 279281.

51 Diese im NT sonst nicht erwähnten generellen Ehren stehen Aussagen der Weisheit über die Ehre nahe; vgl. G. v. RAD, Weisheit in Israel, Neukirchen 1970, S. 112ff. 62 Siehe zu 2,7; 3,7. 53 άδελφότης, im NT nur hier und in 1 Petr 5,9, weiterhin in 1 Clem 2,4, bereits in der LXX eigentlich (4 Makk 9,23; 10,3.15 u. a.) wie übertragen (1 Makk 12,10.17 von einer durch Bündnis gestifteten Bruderschaft). Wie sich schon die Glieder der at.-jüd. Gemeinde als άδελφοί bezeichneten, so nach dem NT durchweg die der christlichen; s. zu 1,22; 3,8; 4,8. Vgl. H. v. SODEN, Art. άδελφός, ThWNTI, S . 145 f. 54 Siehe zu 1,22 und 3,9. 5 5 M. POHLENZ, Die Stoal, Göttingen 4 1970, S. 316: Für Seneca ist die humanitas „die Philanthropie, die Gesinnung, die durch alles, was den anderen Menschen angeht, im Innersten berührt wird".

1 Petr 2,18-20

189

Liebeserweis ist notwendig beschränkt auf die unmittelbare ständige Lebensgemeinschaft und auf die aktuelle Begegnung mit dem Nächsten. Die zweite Doppelzeile τον θ-εάν φοβεΐσ&ε, τον βασιλέα τιμάτε zielt, vielleicht in Anlehnung an Prov 24,21 se , auf die das Ganze abschließende Wendung: „Ehret den Kaiser"! Dies war nach hellenistischem Ethos angemessen 67 . Die Verpflichtung wird jetzt aber in die richtige Relation gestellt: Dem Kaiser gebührt „Ehre" wie grundsätzlich allen Menschen, „Furcht" kommt jedoch nur Gott zu. Denn Gott allein entscheidet über Sein und Nichtsein. Die Furcht vor Gott tritt auch sonst im 1 Petr so betont wie in keiner anderen nt. Schrift als Motivierung der Paränese, vor 'allem der Sozialethik, hervor, was gleich anschließend in V. 18 erneut sichtbar wird. Entsprechend schweigt der Brief von einer Furcht, die nach hellenistischer Tradition menschlichen Autoritäten gebührt 68 . Er hebt sich darin deutlich von vorhergehenden und erst recht von folgenden frühchristlichen Aussagen, insbesondere von Rom 13, (3 f.) 7, ab, die dieses hellenistische Ethos aufnehmen und dadurch unterbauen, daß sie die irdischen Herren als Vertreter des himmlischen kennzeichnen69. 2b) 2,18-20: Die Stellung der Sklaven 1 1 8 Ihr Sklaven, ordnet euch in aller Furcht (euren) Herren unter, nicht allein den guten und freundlichen, sondern auch den unangenehmen. 1 9 Denn dies ist Gnade, wenn einer wegen seines an Gott (gebundenen) Gewissens Leiden erträgt, indem er ungerecht leidet. 2 0 Denn was ist das f ü r ein Ruhm, wenn ihr euch verfehlt und (dafür) gezüchtigt ausharrt? Aber wenn ihr euch recht verhaltet und (dafür) leidend ausharrt, das ist Gnade bei Gott. 56 Diese Stelle lautet: φοβοϋ TÖV θεόν, υίέ, καΐ βασιλέα. War dies die Vorlage, dann ist es um so bedeutsamer, wie der 1 Petr Gott und den Kaiser unterscheidet. 57

STROBEL, Z N W

1 9 5 6 S. 8 3 f.

BALZ, Art. φοβέω, T h W N T I X , S. 190,5ff. 88 Eph 5,33: Die Ehefrau soE den Mann fürchten; V. 21 f.: sie soll sich ihm „in der Furcht Christi" „wie dem Herrn" unterordnen. Noch stärker Did 4 , 1 1 (vgl. Barn 19,7): „Ihr Sklaven, ordnet euch in Furcht und Scheu euren Herren unter als dem Abbild Gottes." 1 Lit.: Η . G Ü L Z O W , Christentum und Sklaverei in den ersten drei Jahrhunderten, Bonn 1969 (weitere Lit.); BILLERBECK IV, S. 698-744 (Exk. Das altjüdische Sklavenwesen) ; H. GREEVEN, Das Hauptproblem der Sozialethik in der neueren Stoa und im Urchristentum, Gütersloh 1935, S. 2 8 - 4 1 ; W. L. WESTERMANN, Art. Sklaverei, P W Suppl. 6, S. 894—1068; DERS., The Slave Systems of Greek and Roman Antiquity, Philadelphia 1955; J . V O G T , Sklaverei und Humanität im klassischen Griechentum {Akad. d. Wiss. u. Lit. Mainz, geistes- und sozialwiss. Klasse), Wiesbaden 1953; E. HÄUSLER, Sklaven und Personen minderen Rechts im Alten Testament, Diss.phil. 58

190 Zu Tradition und socialer

IPetr 2,18-20

Situation:

1) Die Weisung für die Sklaven wird im 1 Petr Schwerpunkt der Ständetafel. Die Konfliktsituation der Christen in der Gesellschaft, die der Brief anspricht, spitzt sich ja bei den Sklaven besonders zu. Die eingehende Weisung an sie hat daher für alle Christen in weltlichen Ständen exemplarische Bedeutung. 1 Petr 2,18 folgt der Ständetafeltradition für die Sklaven, wie sie in 1 Kor 7,21 sachlich begründet wurde, in Kol 3,22 und Eph6,5 gestaltet hervortritt und in Did 4,11 und Barn 19,7 wiederholt wird. An allen diesen Stellen ist die Paränese als Anrede mit folgendem Imperativ und anschließender Motivierung stilisiert. In der Motivierung wird durchweg auf die Furcht (vor Gott) bzw. auf den himmlischen Herrn verwiesen: Nach dem Kol und Eph sollen sich die Sklaven den irdischen Herren gegenüber verhalten ώς τω κυρίω bzw. Χριστώ, nach Did und Barn ώς τύπω (Abbild) θεοϋ, nach 1 Petr 2,19 aber in der Bereitschaft, δια συνείδησιν θεοϋ Unrecht zu leiden2. In 1 Tim 6,1, Tit 2,9 f. und IgnPol4,3 ist die Tradition erheblich abgewandelt. 2) Die gemeinsame Tradition wird nun in Kol 3,23-25 und Eph 6,6-8 in anderer Richtung kerygmatisch entfaltet als in 1 Petr 2,19-21. Dort wird die Augendienerei verwehrt, hier wird Mut zum Nonkonformismus auch gegenüber schwierigen Herren gemacht. Dort wird aller Gehorsam im jeweiligen Stande auf den erhöhten Herrn bezogen, um ein williges und redliches Verhalten gegenüber dem irdischen Herrn zu begründen; hier wird auf die „Gewissensbindung an Gott" verwiesen, um selbst in einer Unrechtssituation zum „Rechtverhalten" zu verpflichten, auch wenn dies „Leiden" mit sich bringt. Die unterschiedliche Ausrichtung bedingt im einzelnen andere Formulierungen, ζ. B. dort: „gehorchet", hier distanzierter: „ordnet euch unter". — Die unterschiedliche Ausformung der Tradition entspricht einer veränderten sozialen Situation. In den paulinischen Briefen wird die Situation gegenüber einem nichtchristlichen Herrn — anders als die gegenüber einem nichtchristlichen Ehepartner (1 Kor 7,13-16) — nie als Problem angesprochen. Von 1 Petr 2 an wird die Situation gegenüber christlichen und nichtchristlichen Herren immer wieder je für sich erwogen3. Die spezielle Gestaltung der Weisung im 1 Petr ist nicht durch die besondere Zusammensetzung der angereKöln 1956; G. KEHNSCHERPER, Die Stellung der Bibel und der alten christlichen Kirche zur Sklaverei, Halle 1957; CHR. HAUFE, Die antike Beurteilung der Sklaven, Wiss. Zeitschr. d. Karl-Marx-Univ. 9 (1959/60) S. 603-616; F. BÖMER, Untersuchungen über die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom (Akad. d. Wiss. u. Lit. Mainz, geistes- und sozialwiss. Kl.) I-IV, Wiesbaden 1957/60/61/63; Μ. I. FINLEY, Slavery in Classical Antiquity, Cambridge 1960 (Textbuch); D. B. DAVIS, The Problem of Slavery in Western Culture, Ithaca, Ν. Υ. 1966; R. Η. BARROW, Slavery in the Roman Empire, New York 1968. Verwiesen sei auch noch auf S. SCHULZ, Gott ist kein Sklavenhalter* Zürich/Hamburg 1972, dazu vgl. E. SCHWEIZER, Zum Sklavenproblem im NeuenTestament, EvTh 32 (1972) S. 502-506. 2 Den Einzelvergleich ermöglicht die Synopse bei SELWYN S. 430. 3 1 Tim 6,1 f.; IgnPol4,3. Nach CanHipp 4,46f. soll der wegen seines Glaubens, von seinem Herrn gezüchtigte Sklave als Confessor anerkannt werden. 4 Gegen SELWYN S . 431.

1 Petr 2,18-20

191

deten Gemeinden4, sondern durch die generelle soziale Situation der christlichen Sklaven bedingt. Wahrscheinlich gehörten den Gemeinden in der Frühzeit überwiegend solche Sklaven an, die zusammen mit dem „ganzen Hause" getauft worden waren6. Einzelne christliche Sklaven in nichtchristlicher Umgebung (z.B. Act 16,16ff.) wurden wohl als Angehörige einer Religion, die man für eine jüdische Sekte hielt, toleriert, selbst wenn sie sich wie jüdische Sklaven nicht in allem der Sitte einfügten6. Gehörten sie größeren Sklavengruppen an, z.B. denen des Kaisers (Phil 4,22), so war ohnehin ein individueller Spielraum gegeben. Nun aber in der zweiten Generation verbindet sich vor allem in Kleinasien und Rom mit einer intensiveren Ausbreitung die Diskriminierung der christlichen Religion. Auf diese neue Situation wendet der 1 Petr die frühchristliche Sklavenparänese an und vertieft sie zu einer auch für das NT einzigartigen Weisung, die in der jüdischen wie in der hellenistischen Umwelt keine Entsprechung hat. 3) Das AT und der Rabbinismus umschreiben die Stellung des Sklaven ebenso wie das hellenistisch-römische Recht in Gesetzen. Der Sklavenstand ist nicht lediglich eine berufliche oder wirtschaftliche Einrichtung; er ist durch Staatsgesetz festgelegtes Recht, das Menschen aufgrund von unfreier Geburt, Geschick oder Selbstverkauf zu einer, allerdings auch gesetzlich besonders geschützten, Handelsware macht. Aufs Ganze gesehen finden wir weder in den Regeln der jüdischen oder der hellenistischen Weisheit noch in den stoischen Pflichtentafeln Sätze, die Sklaven direkt ansprechen7. Dies hat verschiedene Gründe. Auch in der Weisheit gelten die Sklaven anscheinend nicht als verantwortliche Personen; selbst Ps-Phokylides bringt nur Verhaltensregeln für die Herren (§ 224ff.). In der Stoa aber wird der Sklavenstand durch die Theorie überspielt, daß nach der Natur kein Mensch Sklave sei, daß vielmehr alle gleich seien8. Wirklicher Sklave sei nur, wer sich selbst der Freiheit begibt, d.h. wer nicht als Weiser lebt: „Der eine ist ein Sklave der Wollust, der andere der Habsucht, der dritte des Ehrgeizes, alle der Hoffnung, alle der Furcht" (Seneca, Epist. 47,17). Philo übernimmt den stoischen Grundsatz, daß von Natur keiner Sklave sei (Spec. Leg. II, 69), billigt jedoch zugleich, daß man nach dem mosaischen Gesetz Fremde als Sklaven halte (Spec. Leg. II, 123), und empfiehlt eine humane Behandlung (Spec. Leg. III, 137-140). Bezeichnenderweise lehnt im Judentum nur die Mönchsgemeinde von Qumran die Sklaverei grundsätzlich ab 9 . 4) Das christliche Wort von der Freiheit auch des Sklaven (1 Kor 7,22 f.) versucht nicht, die geschichtliche Situation zu überspielen; es zielt ebensowenig 6 Act 11,14; 16,Ί5.16.31.32AF.; 18,8; J o h 4 , 5 3 ; vgl. P. WEIGANDT, Zur sogenannten „Oikosformel", NovTest 6 (1963) S. 49-74. Die Vorstellung, das Christentum sei am Anfang vor allem durch Unfreie verbreitet worden, ist eine unhistorische Konstruktion; gegen K. KAUTSKY, Der Ursprung des Christentums, Stuttgart 1908, u.a. (vgl. dazu

GÜLZOW, a . A . O . S . 2 6 A n m . 3).

• Philo, Leg. ad Gajum 155; vgl. BÖMER, Untersuchungen IV, S. 918 Anm. 1. 7 SCHROEDER, Haustafeln I, S. 50-53.72f. 8 Seneca, Ben. 3,28,1-4; Epiktet, Diss. I 13,4. 9 Jos, Ant. 18,1,5: „Sie heiraten ebensowenig als sie Sklaven halten, da sie letzteres für unrecht, ersteres aber als die Quelle alles Streites ansehen."

192

1 Petr 2,18

auf asketische Emigration aus ihr. Die Ständetafelparänese wendet es so an, daß sie die Sklaven verpflichtet, der geschichtlichen Situation im Blick auf den eschatologischen Herrn der Geschichte gerecht zu werden. Eben durch diese Anrede aber macht sie den Sklaven zu einem Menschen, der genauso verantwortlich wie der rechtlich Freie in der Gesellschaft steht. Diese in der hellenistischen wie in der jüdischen Umwelt einzigartige Stellungnahme wendet den Grundsatz, daß für den Glauben in der Gemeinde der Unterschied zwischen Freien und Sklaven ebenso aufgehoben sei wie der zwischen Mann und Frau (Gal3,28; Kol 3,11), im Bereich der Sozialethik sinngemäß an. Sie gleicht die Struktur der Gesellschaft nicht der Lebensform der Gemeinde an, aber sie achtet den Sklaven als Menschen, d.h. als vor Gott verantwortliches Geschöpf (2,13), das zur ewigen Gemeinschaft mit ihm bestimmt ist (3,7). 5) Aus der Weisung der nt. Ständetafeln an die Sklaven wäre — nur scheinbar entgegen ihrem Wortlaut — zu folgern gewesen, daß sich Christen überall dort, wo sie Einfluß auf die Strukturen der Gesellschaft gewannen, für die Abschaffung der Sklaverei hätten einsetzen müssen. Schon bei den Apost. Vätern wird jedoch auch die Sklavenfrage aus dem Bereich der sozialethischen Verantwortung in den der „Liebeswerke" verschoben und so die nt. Linie nicht weitergeführt10. Im Einflußbereich der Kirche wurde, vor allem durch das Mönchtum, die Sklaverei (nicht die Leibeigenschaft) erst im 12. und 13. Jh. im nordwestlichen Europa abgeschafft. Für die Verhältnisse in Übersee setzte sich dies im wesentlichen erst um die Wende zum 19. Jh. durch. Dabei verbanden sich die christlichen Initiativen, die vor allem von Quäkern und Puritanern in England und Nordamerika ausgingen, mit der Menschenrechtstheorie der Aufklärung11. V. 18: Dienst in der Furcht des Herrn V. 18: Sklaven und Herren werden nicht wie gewöhnlich als δούλοι und κύριοι, sondern als οίκέται und δεσπόται bezeichnet, wahrscheinlich um den Anklang an das religiös gebrauchte δοΰλος (2,16) und κύριος (2,13) zu vermeiden12. Vielleicht soll dadurch zugleich die Situation in der Haus10 In Did 4,11 und Barn 19,7 werden die nt. Weisungen ohne kerygmatische Entfaltung lediglich wiederholt und so akzentuiert, daß sie Unterwürfigkeit bestärken. Im übrigen wird in 1 Clem 55,2 wahrscheinlich Selbstverkauf in die Sklaverei als Liebeswerk genannt: „Viele begaben sich in die Sklaverei, nahmen ihren Kaufpreis und unterhielten andere". Hermas, der sich in vis 1,1,1 selbst als ehemaligen Sklaven bezeichnet, rät siml,8: „Anstelle von Äckern kauft euch bedrängte Seelen", und mand 8,10: „Die Knechte Gottes aus Nöten befreien." In den ConstApost4,9,2 (= Didasc 18) wird der Freikauf christlicher Gefangener und Sklaven, wenn er möglich und nötig ist, zur Pflicht gemacht, zugleich aber in 2,57,62 Christen der Kauf von Sklaven ausdrücklich erlaubt. Nach ConstApost 4,12 soll ein Sklave aus einem nichtchristlichen Haus nur getauft werden, wenn dieses ihm ein gebührendes Benehmen bescheinigt. 11

E. v. DOBSCHÜTZ, Art. Sklaverei und Christentum, RE 3 18, S. 431 ff.; R. BUDDEN-

SIEG, A r t . W i l b e r f o r c e ,

RE3 21,

S. 2 7 5 - 2 8 3 ; H. D . WENDLAND, A r t . Sklaverei u n d

Christentum, RGG 3 VI, Sp. 101-104 (Lit.!). 12 Um dieser Unterscheidung willen werden die Herren schon Kol 3,22 wie Eph 6,5 οί κατά σάρκα κύριοι und 1 Tim 6,1 wie Tit 2,9 ίδιοι δεσπόται genannt.

1 Petr 2,18

193

gemeinschaft vergegenwärtigt werden, deren Enge bei Konflikten besonders schwierig war 13 . Schon der traditionelle Imperativ der Ständetafelüberlieferung 14 wird durch die am Ende des Satzes angefügten Attribute auf den Konflikt zugespitzt: ύποτασσόμενοι έν παντί φόβω τοις δεσπόταις, ού μόνον τοις άγαθοϊς και έπιεικέσιν άλλά καί τοις σκολιοΐς. Der Sklave soll sich also nicht nur einem „guten" (άγαδ-ός) und „freundlichen" (επιεικής) Herrn unterordnen, sondern auch einem „verdrehten", „verkehrten", d.h. „unangenehmen" (σκολιός), der nicht nur launisch, sondern auch ungerecht ist (vgl. V. 19: αδίκως)16. Im Blick auf solche Herrengewinnt die Qualifizierung der Unterordnung durch die Furcht (έν παντί φόβω) einen besonderen Akzent: Hier gilt es, in jeder Hinsicht 16 Gott 17 und nicht die Menschen zu fürchten, gerade darum aber den menschlichen Herren zu gehorchen. Diese charakteristische Argumentation wurde bereits in 2,17 sichtbar; sie wird erneut in 3,5f. 14f. aufgenommen. Sie veranlaßte den 1 Petr, die Unterordnung, über Kol 3,22 und Eph5,21 hinausgehend, in den verschiedenen Beziehungen der Ständetafel (2,17.18; 3,2) und in 3,16 auch die generelle Verantwortung der Christen gegenüber Gegnern mit der Furcht vor Gott zu begründen, die er in 1,17 als ein Grundmotiv christlichen Verhaltens eingeführt hat. Dieser gehäufte und betonte Hinweis auf die Furcht vor Gott fällt besonders auf, weil er sich bei Paulus an keiner unmittelbar von ihm stammenden Stelle als Motivierung der Paränese findet18, während er bei den Apost. Vätern gehäuft hervortritt 19 . Gegenüber letzteren will der Hinweis im 1 Petr das sozialethische Verhalten weniger begründen, als es in seiner Art näher bestim13

δ ο ικέτης eigentlich der „Hausgenosse", bereits griech. auch der „Haussklave"; als Gegenüber erscheint auch im Griech. und bei Philo der δεσπότης, der „Herr", der „Besitzer". Vgl. BAUER,Wörterbuch s. v.; F. GSCHNITZER, Studien zur griechischen Terminologie der Sklaverei (Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz), Wiesbaden 1964, S. 17. M ol οίκέται ist Anrede; der Vokativ steht hier wie oft im NT mit Art. (MOULTON, Grammar I, S. 70). Das Partizip ύποτασσόμενοι ist semitisierende Umschreibung des I m p e r a t i v s (s. z u 2 , 1 2 ) . V g l . D . DAUBE b e i SELWYN S. 4 6 7 - 4 8 8 ; E . LOHSE, Paränese u n d

Kerygma im 1. Petrusbrief (1954), in: DERS., Die Einheit des Neuen Testaments (Ges. Aufs.), Göttingen 1973, S. 314FF. 15 Eigentlich „krumm" (Lk3,5), übertragen: „verdreht", „verkehrt", „falsch". Bei DioChrys 58 (or. 75),1 neben πονηρός; Phil 2,15 (vgl. Act 2,40 nach Dt 32,5) γενεά σκολιά.καΐ διεστραμμένη. w So wohl έν παντί zu verstehen, entsprechend dem κατά πάντα in Kol 3,22. 17 Objekt der Furcht sind nicht, wie SCHLATTER S. 115 und SELWYN S. 175 annehmen, die irdischen Herren. 18 Ausnahmen sind die nicht direkt von ihm stammende Stelle 2 Kor 7,1 (vgl. BALZ, ThWNTIX, S. 213 Anm. 149) und die Ständetafeltradition in Kol 3,22; Eph 5,21. Dabei gehört für Paulus die Furcht vor dem Richten Gottes, das sich vorweg im geschichtlichen Widerfahrnis auswirkt, — nicht die Angst (Rom 8,15; vgl. 1 Joh 4,18) — zum Glauben (Rom 3,20; 11,20; 2 K o r 5 , 1 0 f . ; 7,11). Daher ist sein eigenes geschichtliches Handeln als Wagnis immer wieder von „Furcht und Zittern" begleitet (1 Kor 2,3; anders Eph 6,5). W BALZ, ThWNT IX, S. 213 Anm. 149.

194

1 Petr 2,19

men. Er hat somit seinen besonderen Platz in der Sozialethik; denn diese vollzieht sich im Bereich des Geschichtswaltens des Schöpfers, dessen τέλος das Gericht ist (4,17 f.), das sich vorweg in leidvollen Widerfahrnissen ankündigt (4,17-19; vgl. Rom 13,4; Lk 13,1-5). V. 19f.: Begründung und Entfaltung der Aufforderung V. 19: Bei einem „verdrehten" Herrn wird der christliche Sklave „ungerecht" (άδίκως)20 leiden müssen: Er wird zu Unrecht beschimpft, gezüchtigt, schikaniert und sonst gequält (vgl. V. 23). Daß er unter seinem Geschick als solchem leidet, weil er zu Freiheit und Gerechtigkeit berufen ist, steht hier nicht im Blick 21 . Solche Schmerzen, λύπαι, zu ertragen, ist χάρις, Gnade, Liebeserweis Gottes, nicht weil er dieses als Leistung lohnt, sondern weil es Ausdruck der Berufung zum Heil ist; dies wird in V. 20b ausgeführt und in V. 21-25 begründet 22 . Das Ertragen von Leiden geschieht δια συνείδησιν23 θεοϋ. Diese im N T wie in seiner Umwelt singuläre Wendung 2 4 wird in der Exegese sehr 20 άδίκως, „ungerechterweise", im Griech. geläufig, im N T nur hier (vgl. B A U E R , Wörterbuch s. v.). Zur Sache ist zu bemerken, daß es noch nach Aristoteles einem Sklaven gegenüber kein Unrecht gibt, weil er Eigentum ist (Eth. Nicom. 5,10,8, p. 1134b, 8ff.). Diese Einstellung hatte sich in nt. Zeit vor allem durch die Stoa weithin geändert. 21 I g n P o l 4 , 3 : „Die Sklaven sollen nicht groß tun", — indem sie der Gemeinde ihr hartes Geschick vorhalten, für das sie als Christen zu gut sind. 22 Nach dieser Fortsetzung kann χάρις nicht wie K E L L Y S . 116, SELWYN S . 176 folgend, annimmt, hier, anders als bei Paulus, wie in Lk 6,32 ff. als Anerkennung definiert werden (s. ζ. V. 20b). 23 Lit.: C H R . M A U R E R , Art. σύνοιδα, T h W N T V I I , S. 897—918; C.A. P I E R C E , Conscience in the New Testament (Studies in Biblical Theology 15), London 1958; B U L T MANN, Theologie S. 217-221; O. Kuss, Der Römerbrief, 1. Lieferung, Regensburg 1957, S. 76-82; J. S T E L Z E N B E R G E R , Syneidesis im Neuen Testament (Abhandlungen zur Moraltheologie 1), Paderborn 1961 (vgl. bes. den Forschungsbericht S. 11-27). 21 σύνοιδα und συνείδησις bedeuten im Griech. das „Mitwissen um etwas", „Bewußtsein" und weiterhin „Mitwissen um sich selber", d. h. Selbstbewußtsein im geistigen und dann auch im moralischen Sinn. Wenn das Wort das sittlich urteilende Wissen des Menschen um sein eigenes Verhalten meint, übersetzen wir mit „Gewissen", ohne es deshalb mit den Vorstellungen der abendländischen Philosophie über das Gewissen gleichsetzen zu wollen. Dabei wird das Substantiv συνείδησις in der hellenistischen Umwelt des N T nur mit negativen Urteilen verbunden („schlechtes Gewissen"), das Vb. σύνοιδα auch mit positiven ( M A U R E R , T h W N T V I I , S. 897-906; S T E L Z E N B E R G E R , a.a.O. S. 27-36). Im N T steht σύνοιδα nur 2mal: Act 5,2 als Vb. „mitwissen u m " ; 1 Kor 4,4 „sich (keines sittlich negativen Verhaltens) bewußt sein", συνείδησις dagegen kommt 30mal vor ( J o h 8 , 9 ist sekundär): Bei Paulus ist es einerseits wie im hell. Judentum die Instanz, die bei Christen und Nichtchristen über bisheriges Verhalten urteilt (Rom 2,15; 9,1; 2 Kor 1,12; 4,2; 5,11). Darüber hinaus ist es andererseits das religiös-sittliche Urteilen des Christen über das, was zu tun ist (so 8mal in 1 Kor 8,7-13; 10,25-30 und einmal in Rom 13,5). An den 16 Stellen in nachpaulinischen Schriften ist συνείδησις, abgesehen von 1 Petr 2,19, durchweg eine Instanz, die über das gesamte Verhältnis des Christen zu Gott und seinen Mitmenschen urteilt. Die Aussagen zielen durchweg darauf, daß der Christ durch die Gnade im Glauben ein „gutes" (Act 23,1; 1 Tim

1 Petr 2,19

195

unterschiedlich erklärt 25 und auf den Kontext bezogen. Die Diskussion wird durch die Übersetzung noch verwirrender: Die einen übersetzen „Bewußtsein von Gott" oder „Gottesbewußtsein" und meinen ein aus der Bindung an Gott sittlich urteilendes Bewußtsein, also das „Gewissen"2®; dagegen übersetzen andere zwar mit „Gewissen", meinen damit aber lediglich das Wissen um Gott 27 . Sehen wir von den nur sprachlichen Differenzen ab und fragen nach der gemeinten Sache, so finden wir in den meisten Kommentaren die Auslegung, die K E L L Y besonders konsequent vertreten hat: θεοϋ kann nur Gen.ob), sein; daher muß συνείδησις hier seine griechische Grundbedeutung „Mitwissen" haben; das Wissen um Gott, um seine Beziehung zu den Seinen und sein Ziel mit ihnen, soll es den Sklaven ermöglichen, die leidvolle Behandlung auf sich zu nehmen28. Aber nun ist συνείδησις sonst an allen nt. Stellen das urteilende Bewußtsein, d.h. das „Gewissen", und das kausale διά legt nahe, die Wendung hier im Sinn der Ursache, nicht nur der Ermöglichung auf den Kontext zu beziehen. Diese philologischen Voraussetzungen können aufgenommen werden, wenn συνείδησης hier die Bedeutung hat, die Paulus nach bescheidenen Ansätzen im hellenistischen Judentum29 neu entwickelte: Das Gewissen beurteilt nicht nur (wie schon im hellenistischen Judentum) als ελεγχος das bisherige Verhalten, sondern entscheidet, ob ein Christ 1,5.19; Hebt 13,18; 1 Petr 3,16.21) bzw. „reines Gewissen" (1 Tim 3,9; 2 Tim 1,3; vgl. Hebr9,14) haben kann und soll. „Was im Griechentum der Umwelt überhaupt nicht und im hellenistischen Judentum nur als Ausnahme und Grenzfall erscheint, wird hier zum Normalfall des Lebens proklamiert: Das gute und reine Gewissen als Heilung des in sich zerspaltenen Menschen" (MAURER, ThWNT VII, S. 918,16ff.). In diesen Wortgebrauch der nachpaulinischen nt. Schriften fügen sich zwei der drei Stellen im IPetr ein; sie erwarten von den Christen ein „gutes Gewissen" (3,16.21). 1 Petr 2,19 aber hebt sich als einzige Stelle in dieser Schriftengruppe von diesem Wortgebrauch ab. Daher versuchten schon einige Handschriften anzugleichen, indem sie άγαθήν teils für θεοϋ setzten (C 614 al sy), teils hinter θεοϋ (Α* Ψ 33) einfügten. Da das Wort an allen anderen nt. Stellen, also im gesamten uns zugänglichen frühchristlichen Sprachgebrauch, das religiös-sittliche Urteilen des Menschen über sein Verhalten meint, somit den technischen Sinn „Gewissen" hat, liegt es nahe, diesen auch hier anzunehmen. Aber läßt sich dann die singulare Verbindung mit dem Gen. θεοϋ wie der Bezug auf den Kontext verstehen? Kann das Wort hier, wo es sich vom nachpaulinischen Gebrauch abhebt, eine der beiden bei Paulus auftretenden Bedeutungen haben oder muß man doch auf den allgemeinen griech. Sprachgebrauch zurückgreifen? 25 Ubersicht über die Diskussion bei STELZENBERGER, a.a.O. S . 45f. 2e

27

S o WOHLENBERG S . 7 4 f . , u n d W I N D I S C H S . 6 4 . So SELWYN S. 176fF. und SCHELKLE S. 79ff. K E L L T S. 1 1 7 : „'because of the knowledge of God'

28 . . . in the strength of which the Christian slave cheerfully bears affliction." In diesem Sinn verstehen die Wendung auch Ε. SCHWEIZER S . 62; SELWYN S. 176ff. und SCHELKLE S. 80, obgleich sie die — dann unverständliche — Übersetzung „Gewissen" verwenden. Ersterer: „Ob es gegenüber Gott geschieht oder nicht, das macht dasselbe Tun oder Erleben zur Gnade oder zur . . . Eigenwerkerei", letzterer: „Der christliche Sklave besteht, was ihm auferlegt ist, . . . im Gewissen . . . und darum in Geduld." 2 9 M A U R E R , ThWNT VII, S. 911,15ff.

196

IPetr 2,20

Götzenopferfleisch essen darf (1 Kor 8,10 u.ö.) oder ob er sich den staatlichen Machthabern unterordnen soll (Rom 13,5). Eine Parallelaussage zu 1 Kor 8,10, nämlich Rom 14,1, schreibt dasselbe Urteilsvermögen dem Glauben zu. Wie 1 Kor 8,12 von dem „schwachen Gewissen" redet, so Rom 14,1 von dem, „der hinsichtlich des Glaubens schwach ist". Gewissen in diesem Sinn ist demnach das denkend urteilende Ich des Glaubens, das prüft u n d entscheidet, was in der jeweiligen Situation für den Glaubenden Gottes Wille ist (vgl. Rom 12, lf.) 3 0 . Dieses Gewissen ist ebenso wie der Glaube auf Gott gerichtet; es ist, wie der zuerst so rätselvolle Gen. sagt, συνείδησις θεου31, ein auf Gott gerichtetes oder an ihn gebundenes Gewissen32. Wegen dieses auf Gott gerichteten Gewissens werden Leiden „ertragen" (ύποφέρειν) 83. Es verpflichtet zur Unterordnung (vgl. Rom 13,5), aber zu einer Unterordnung, die um des einen Herrn willen geschieht und in dem irdischen Herrn immer nur Gottes „Geschöpf" sieht (2,13), die daher in ihrer Einstellung und nicht selten auch in ihrem Vollzug anders ist, als es der irdische Herr erwartet. Weil der christliche Sklave als Freier seinem Gewissen folgt und sich so „recht verhält", ergibt sich eine Konfliktsituation. Die Verpflichtung zur Unterordnung und zu dem übergeordneten Gehorsam gegenüber Gott kann nur durchgehalten werden durch die Bereitschaft, nach Gottes Willen „ungerecht zu leiden" (πάσχων άδίκως)34. Auch hierzu verpflichtet das auf Gott gerichtete Gewissen. Diese Auslegung wird durch V. 20 bestätigt: Aus dem an Gott gebundenen Gewissen ergibt sich primär „Rechtverhalten" und dann auch „Leiden" in den Ständen. Das Leiden geht nicht nur von den Launen und der Bosheit der Herren aus. V. 20: Die sozialethische Paränese erreicht hier für die Sklaven und mit ihnen exemplarisch für alle ihre Spitze. Die Hörer werden nun im Stil der Diatribe direkt angeredet. Es ist kein Grund, groß zu tun und Ruhm zu erwarten 35 , wenn man Schläge36, die durch Verfehlungen veranlaßt sind, mit Trotz oder mit einer Art stoischer Überlegenheit hinnehmen kann: 80

Vgl. auch ThWNTVII, S. 912-915. Es ist ein Gen. obj.; entsprechend kann auch πίστις in Rom 3,22 mit Gen. und in Act 20,21 mit είς stehen. 82 Ähnlich W I N D I S C H S. 64: „die innere Gebundenheit an Gott, die Gehorsam zu Bösem zu weigern, aber Unrecht zu dulden gebietet". M A U R E R , ThWNTVII, S. 915, 5ff.: „der erste Kommentar" zu Rom 13,5. 88 ύποφέρω, eigentlich „wegschaffen", „tragen"; übertragen: „ertragen", hat dann mehr den Sinn „auf sich nehmen". 84 Das biblische Beispiel für diese Situation ist Josephs Verhalten gegenüber der Frau seines Herrn (Gen 39,7-20). 35 τό κλέος, der „Ruhm", im N T nur hier. 8β κολαφίζω, „mit der Faust schlagen", „ohrfeigen", „mißhandeln"; die Verwendung des Wortes in der Passionsgeschichte (Mk 14,65 par) steht hier nicht im Blick (gegen 31

SELWYN S . 1 7 8 ) .

197

1 Petr 2,20

ποίον γάρ κλέος εί άμαρτάνοντες και κολαφιζόμενοι ύπομενεΐτε; Diese in eine rhetorische Frage gekleidete Feststellung dient nur als antithetische Folie für den sozialethischen Leitsatz, auf den sich die ganze Paränese nun zuspitzt: άλλ' εί άγα&οποιοϋντες και πάσχοντες ύπομενεϊτε, τοΰτο χάρις παρά θεω 37 . Zu einem Leiden unter ihren Herren darf es bei christlichen Sklaven nur trotz, ja wegen ihres rechten Verhaltens kommen. V. 20 b ist Parallelaussage zu V. 20 a; wie dort Verfehlung und Züchtigung nicht bloß koordiniert, sondern aufeinander bezogen sind, so sind hier Rechtverhalten und Leiden nicht nur konzessiv, sondern auch kausal miteinander verbunden. Solches Leiden standhaft zu ertragen, ist χάρις παρά θεω, „Gnade vor Gott" 38 . Warum ? Nach den einen 3e , weil es durch Gnadenkraft ermöglicht und bewirkt wird, nach anderen40, weil es Gottes Anerkennung gewinnt. Für letzteres könnte sprechen, daß „Gnade vor Gott" am Ende des Verses ein Stück weit Antithese zu „Ruhm", Prestige unter den Mitmenschen ist. Die sonstige ebenso prägnante wie intensive Verwendung des Begriffs im 1 Petr wie die sachliche Deutung des Christenleidens legt jedoch einen anderen umfassenderen Sinn nahe 41 . Wer nämlich Unrechte Bedrängnis durch die Menschen in der Weise trägt wie nach den folgenden Versen Christus, hat Teil an seinem Weg (4,13), am Weg des Heils (3,17-22), d. h. er ist umschlossen und getragen von der „Gnade", der ihn in Liebe annehmenden Zuwendung Gottes (5,12). Sie hat ihn zu solchem Verhalten berufen (V. 21; vgl. Phil 1,7. 29), und sie bringt ihn ans Ziel (5,10); auch in der Bedrängnis durch die Mitmenschen ist Gott nicht gegen ihn, sondern für ihn (3,14; vgl. Rom 8,37-39). Der Hinweis auf die Gnade in V. 19 f. führt somit hin zu den sonstigen zentralen Aussagen des Briefes über χάρις und wird von dorther ebenso erläutert wie vom Kontext. Gnade im 1. Petrusbrief42 1) Das griechische Wort χάρις bezeichnet von Haus aus das Erfreuende, z.B. die „Anmut" oder die „Gunst"; im Hellenismus wird es vor allem stehender Ausdruck für die „Gunsterweisung" des Herrschers43. Dieses Wort 37 Vgl. W . C. VAN UNNIK, A 1 9 5 6 ) S. 1 9 8 - 2 2 2 .

Classical Parallel to

I

Peter ii.

14

and

20, N T S 2 (1955/

38 παρά θεω, wörtlich „bei Gott", hier wie in 2,4 und Rom 2,13 „vor Gott", d. h. im Blick auf die Beziehung zu ihm oder von ihm her gesehen. 38

Z . B . SCHELKLE S . 8 0 . 121; KELLY S .

116 z. 2,19: „'this is a grace', i. e. an act which is intrinsically attractive and thus wins God's a p p r o v a l . . . For this sense of 'grace' . . .cf. Lk. vi. 32-34." 4 1 Ähnlich WINDISCH S. 64: Unschuldiges Leiden bezeugt die Gnade, die über dem Gerechten waltet Hebr 12,6". 42 Lit.: Η. CONZELMANN-W. ZIMMERLI, Art. χάρις, ThWNTIX, S. 363-397 (Lit.l); G. STÄHLIN, Art. Gnade, R G G 3 II, Sp. 1634ff.; K. RAHNER, Art. Gnade, LThKIV 2 , 977ff.; BULTMANN, Theologie S. 281-305. 43 CONZELMANN, ThWNT IX, S. 363-366. 40 Z . B . BEARE S .

198

1 Petr 2,21-25

ist bei Paulus theologischer Terminus für die Zuwendung Gottes durch Jesu Erlösungswerk (Rom 3,24), die den Menschen, der sich ihr hingibt, d. h. glaubt, trägt und bestimmt (Rom 6,14), — wie die Gerechtigkeit Gottes (Rom 6,18f.) oder sein Geist (2 Kor 13,13). Deshalb nennt Paulus die Fähigkeiten, die der Geist vermittelt, indem er die natürlichen Gaben des Menschen für Gottes Heilswerk in Dienst nimmt, χαρίσματα, „Gnadengaben", die von der einen Gnade ausgehen (Rom 12,6; 1 Kor 12,4-6). In den urchristlichen Begriff χάρις ist Wesentliches vom Inhalt des alttestamentlichen "ΤΟΠ eingegangen; denn auch "ΤΟΠ ist nicht eine Gesinnung, sondern ein Geschehen, die Hinkehrung einer Person zu einer anderen, um dieser gemäß einer vorgegebenen Beziehung aus freier Güte zu helfen 44 . "ΤΟΠ wird allerdings in der LXX mit έλεος wiedergegeben 46 , so daß der paulinische Begriff χάρις sprachlich und sehr erheblich auch inhaltlich eine Neubildung ist. 2) Es gibt keine zweite nt. Schrift, die diesen Terminus so dicht und in ähnlich breiter Fächerung der Anwendung aufnimmt wie der 1 Petr. Nur er redet im NT außerhalb des Corpus Paulinum von χαρίσματα, die aus der χάρις erwachsen (4,10). Im übrigen ist χάρις bei ihm formelhafter Inbegriff der heilvollen eschatologischen Zuwendung Gottes zum Menschen, die Leben vermittelt (3,7). Diese Zuwendung ist durch Christi Todesleiden geschehen, wird jetzt im Evangelium verkündigt (1,10) und wird uns bei seiner Parusie endgültig widerfahren (1,13). In 5,12 wird der Sinn des ganzen Briefes mit dem Begriff χάρις zusammengefaßt: der Verf. will den Lesern versichern, daß die Existenz, in die sie durch Christus versetzt sind, wirklich die Gnade ist. Auch das Rechtverhalten im weltlichen Stand und insbesondere das damit verbundene Leiden ist ja Gnade (2,19f.). „Der Gott aller Gnade", der sie berufen hat, wird sie durch alles zum Ziel bringen (5,10). Er gibt, wie im Rückgriff auf das AT gesagt wird, den „Demütigen Gnade" (5,5). So ist der einleitende Gnadenwunsch nicht nur Formel (1,2); der Gnadenwunsch am Ende aber ist durch 5,10 vorweggenommen, so daß in 5,14 nur ein knapper Friedenswunsch bleibt. Wie durch diese Vorstellung des Briefes v o n Gnade auch die paränetischen Hinweise auf sie in 2,19 f. erklärt werden, so nun vollends durch die im Kontext folgende christologische Begründung.

2 c) 2,21-25: Christologische Begründung 21 Denn dazu seid ihr berufen; auch Christus hat ja für euch gelitten und euch (damit) ein Leitbild hinterlassen, daß ihr seinen Fußspuren nachfolgt: ZIMMERLI, T h W N T IX, S. 366-377, vor allem S. 377. χάρις steht in L X X gelegentlich für |Π, es wird nicht theologischer Begriff (ThWNT IX, S. 379). «

45

1 Petr 2,21

199

22 „Er hat keine Sünde getan, und in seinem Mund wurde kein Trug gefunden" (Jes 53,9); 23 Als er geschmäht wurde, schmähte er nicht wieder, als er litt, drohte er nicht; er übergab es vielmehr dem, der gerecht richtet. 24 Er hat „unsere Sünden selber" an seinem Leib auf das Holz „hinaufgetragen" (Jes 53,4), damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben. „Durch seine Wunden seid ihr geheilt worden" (Jes 53,5). 25 Denn ihr wart „wie umherirrende Schafe" (Jes 53,6), aber ihr wurdet jetzt hingewendet zu dem Hirten und Hüter (Episkopus) eurer Seelen.

V. 21: Christus als Leitbild. V. 21: εις τοϋτο γαρ έκλήθητε verbindet die vorhergehende Paränese mit der folgenden christologischen Begründung: „Denn dazu", nämlich Rechtverhalten unter Leiden durchzuhalten1, „seid ihr berufen", καλεϊν, eigentlich „rufen", meint hier wie in 2,9; 3,9 und 5,10 als urchristlicher terminus technicus2 den erwählenden und bestimmenden Ruf Gottes (1,15) zum eschatologischen Heil, d.h. die Berufung zum Glauben an Christus (1,5. 8; vgl. 1 Kor 7,20) und zur Hoffnung auf ihn (1,13). Diese Bindung an Christus (vgl. 2,4), die in der Taufe begründet wurde — daher der Aorist έκλή&ητε —, führt auch in den Institutionen der Gesellschaft auf seinen Weg, nämlich in das Erleiden von Unrecht (vgl. 4,13). „Denn auch Christus hat für euch gelitten und euch ein Leitbild hinterlassen . . . " Dieser kausale δτι-Satz stellt eine doppelte Verbindung zwischen dem Leiden Christi und dem der Glaubenden her. Die eine Beziehung ist durch das ύπέρ υμών gegeben, die andere durch die Vorstellungen des „Vorbildes" und des „Nachfolgens". Wie verhalten sich beide Verbindungen sachlich zueinander? Der erste Satz, Χριστός έ'πα&εν ύπέρ υμών, entspricht der geläufigen Bekenntnisformel: „Christus ist für uns gestorben", die Jesu Sterben als stellvertretende Sühne deutet3. Daher lesen selbst gute Handschriften hier άπέθ-ανεν4, ursprünglich ist jedoch zweifellos έπαθεν. Dieses Verb war im Urchristentum schon in pauünischer Zeit ein Terminus geworden, mit 1 είς τοϋτο nimmt τοϋτο in V. 20 b auf, das den vorhergehenden Konditionalsatz meint. 2 Dieser nt. Wortgebrauch bahnt sich an LXX-Stellen wie Jes 41,9 an: έκάλεσά σε καΐ είπά σοι Παις μου εΐ, έξελεξάμην σε; vgl. 42,6; 43,1; 46,11; 50,2; 51,2. Dazu vgl. Κ. L. SCHMIDT, Art. καλέω, ThWNT III, S. 489-492. 3 1 Kor 15,3; Rom 5,6; 8,34; 14,9.15; 1 Petr 3,18; vgl. W. KRAMER, Christos, Kyrios, Gottessohn (AThANT 44), Zürich 1963, S. 22ff. 4 Ν al syP Ambr, dagegen für den Text ρ 72 Β - X* hat mit anderen auch in 3,18 und 4,1 άποθανεΐν für παθεΐν gesetzt (s. z. St.). Aus demselben Grund wurde in verschiedenen Handschriften für ύμών und ΰμΐν die 1. Pers. gesetzt.

200

IPetf 2,21

dem man Jesu Leiden, vor allem sein Todesleiden5, bezeichnete, ebenso aber auch die den Christen um ihres Christseins willen widerfahrenden Bedrängnisse®. Im 1 Petr tritt πάσχω — die Thematik des Briefes anzeigend — so dicht wie in keiner anderen Schrift des NT auf; es begegnet 12mal, während es im ganzen übrigen NT 30mal steht, und zwar stets in spezifisch christlicher Verwendung 7 . Im gleichen Sinn wird das ebenfalls bereits terminologisch geläufige Substantiv τά παθήματα von den Todesleiden Christi (1,11; 5,1) wie von den Leiden der Christen (5,9) als Teilhaben an seinem Leiden (4,13) gebraucht 8 . Die martyrologische Verwendung des Subst. wie des Verbs erinnert mehrfach an Paulus (s. z. 4,13). Die christologische Anwendung des Verbs aber ist Paulus fremd; er redet nie von einem πάσχειν Christi, wohl aber von seinen παθήματα. Die Anwendung des Verbs auf Christus tritt in den synoptischen Leidensankündigungen, bei Lukas und im Hebräerbrief hervor. Sie und damit diese ganze terminologische Tradition geht sehr wahrscheinlich auf die palästinische Kirche, möglicherweise auf Jesus selbst zurück 9 . Diese profilierte Verwendung des Begriffs πάσχειν legt nahe, daß in demselben Traditionsstrom die christologischen Formeln gewachsen sind, mit deren Hilfe unser Brief V. 21-25 formuliert. Der ihm von der Tradition vorgegebene Begriff aber ist zugleich sein eigener. Schon deshalb ist die ύπέρ-Wendung nicht lediglich als eine automatisch übernommene Formel anzusehen, sondern es ist zu fragen, ob diese Aussage über die Zuwendung Christi zu den Seinen für den paränetischen Zusammenhang sachliche Bedeutung hat. Auf diesen Zusammenhang zielen sichtlich die beiden Bilder in V. 21 b, die umgekehrt die Verbindungslinie von den Christen zu Christus ziehen: 5 Es steht für das Todesleiden Jesu bei Lukas (Lk22,15; 24,26.46; Act 1,3; 3,18; 17,3) und im Hebräetbrief (9,26; 13,12), fur sein dem Sterben vorhergehendes Leiden in Hebr 2,18 (Versuchung) und 5,8 (Gethsemane). In den synoptischen Leidensankündigungen meint die Formel πολλά παθεϊν (Mk 8,31 par; 9,12; Luk 17,25) jetzt das dem Sterben vorhergehende Leiden, ursprünglich aber das ganze Todesleiden, so daß die Wendung älter als Markus ist; sie findet sich vorher in der auf ein semitisches Original zurückgehenden AssMos (3,11; vgl. Ψ 33,20; Jos, Ant. 13,268). Vgl. W.MICHAELIS, Art. πάσχω, ThWNT V, S. 912ff.; PATSCH, Abendmahl und historischer Jesus § 46 (vor allem Anm. 296-299). Das absolute πάσχειν ist hellenistisch; vgl. ThWNT V, S. 906;

JEREMIAS, A b e n d m a h l s w o r t e S. 1 5 6 .

* Diese Bedeutung hat das Verb, vielleicht abgesehen von 1 Kor 12,26, durchweg bei Paulus: 2 Kor 1,6; Gal3,4; Phil 1,29; lThess2,14; 2 T h e s s l , 5 wie weiterhin in Act 9,16 (vgl. 2 Tim 1,12) und Apk 2,10. Nur an einigen wenigen nt. Stellen meint es alltägliches Leiden: Mt27,19 (17,15 v.l.); Mk5,26; L k l 3 , 2 ; Act28,5. Vgl. MICHAELIS, T h W N T V , S. 9 1 8 - 9 2 3 . 7 Vom „Verfolgungsleiden" der Christen: 1 Petr2,19; 3,14.17; 4,1.15.19; 5,10; dabei ist zumindest in 4,1.15.19 die Möglichkeit eines Todesleidens eingeschlossen (ThWNT V, S. 920ff.). Diese Stellen sind auf anschließende Aussagen über das Todesleiden Jesu (2,21; 3,18; 4,1) bzw. über die ihm vorhergehenden Mißhandlungen (2,23) bezogen (ThWNT V, S. 917f.). 8

MICHAELIS, T h W N T V , S. 9 3 4 ; s. zu 4 , 1 3 .

9

Siehe Anm. 5.

1 Petr 2,21

201

ύμΐν ύπολιμπάνων ύπογραμμόν, ίνα έπακολουθήσητε τοις ΐχνεσιν αύτοϋ. Die Aussagen wurden oft als Aufforderung zu einer „Nachahmung" des Leidens Christi verstanden 10 , so daß hier die Ethik der imitatio Jesu einsetzen würde, die in der Kirchengeschichte so viele beachtliche Vertreter gefunden hat. Die hellenistische Umwelt war erfüllt von dem sittlichreligiösen Prinzip der Nachahmung der Gottheit. Die imitatio bzw. μίμησις war durch mythisch-kosmologische Aufeinanderbezogenheit zwischen dem Mikrokosmos des Menschen und dem Makrokosmos, aber auch durch die Paideia, die Notwendigkeit der Bildung, motiviert 11 . Bei Philo wird die Gottebenbildlichkeit des Menschen, wie er sie versteht, Grund dieser Verpflichtung 12 . Im N T werden „Vorbild" (meist τύπος) und „Nachahmen" (μιμεΐσθαι) bei Paulus Ausdruck für eine Gleichgestaltung des Lebens, die durch das prägende Wort Gottes und durch Glaubensgehorsam vermittelt ist 13 . Auch an unserer Stelle wird die griechische Mimesisvorstellung höchstens formal aufgenommen 14 ; das folgt bereits aus dem Sinn der beiden Bilder. Jesu Leiden ist ein ύπογραμμός, das er den Seinen „hinterlassen" hat 16 , ύπογραμμός ist eigentlich die Vorzeichnung von Buchstaben, die der Schüler nachzieht oder kopiert, übertragen das „Musterbeispiel", das „Leitbild", das verpflichtend vorgegeben ist, nicht das „Beispiel" oder „Vorbild", dem man aus freier Wahl nacheifert 16 ; die Verpflichtung ist hier durch die Berufung gegeben. — Ent1 0 W I N D I S C H S. 6 5 : „die Sklaven (sind) die geborenen imitatores Christi"; A. S C H U L Z , Nachfolgen und Nachahmen. Studien über das Verhältnis der neutestamentlichen Jüngerschaft zur urchristlichen Vorbildethik (StANT 6 ) , München 1 9 6 2 , S. 1 7 6 - 1 7 9 ; H. D. BETZ, Nachfolge und Nachahmung Jesu Christi im Neuen Testament (BHTh 37), Tübingen 1967, S. 181 f. 11 Der entsprechende stoische Grundsatz ζ. B. lautet: άκολουθεΐν φύσει bzw. θεω (Epiktet, Diss. I 30,4; μιμεΐσθαι verwendet Epictet nur in vorphilosophischem Sinn: „imitieren") oder έπεσθαι θεοΐς (Epiktet, Diss. 112,5.8; 20,15). Er wird so entfaltet: Ipsa . . . cogitatio de vi et natura deorum Studium incendit illius aeternitatem imitandi (Cicero, Tusc. V, 70). Daher gilt nach Seneca, Epist. 95, 50: Vis deos propitiare? Bonus esto. Satis illos coluit, quisquis imitatus est. Vgl. S C H U L Z , Nachfolgen S . 178f. 206-213; B E T Z , Nachfolge S. 107-136; M I C H A E L I S , ThWNTIV, S. 663-666. 12 Zu Philo vgl. M I C H A E L I S , ThWNTIV, S . 666-668; S C H U L Z , Nachahmen S . 215ff. 18 Vgl. 1 Thess 1,6; 1 K o r 4 , 1 6 ; 11,1. Dazu M I C H A E L I S , ThWNTIV, S . 668-676; L . G O P P E L T , Art. τύπος, ThWNTVIII, S. 249 f. Das Vorbild ist wirksam, soweit aus ihm das Wort spricht, wodurch es geprägt wurde. 14 Den Stamm μιμεΐσθαι verwendet der 1 Petr nicht; in 1 Petr 3,13 v. 1. ist er sekundär. 15 ύπολιμπάνω nur hier im NT, ist Nebenform zu ύπολείπω, „hinterlassen", „zurücklassen" (vgl. B A U E R , Wörterbuch s. v.). 16 Das Subst. ύπογραμμός erstmals 2 Makk 2,28, das Verb ύπογράφειν seit Plato, Prot. 326 D, für das Vorzeichnen von Buchstaben, die der Schüler nachzieht oder kopiert (Clem Alex, Strom V [Kap 8] 49,1: ύπογραμμός παιδικός), übertr. N o m 4 p 711 Β : πάντα υπογράφοντα τω πράττειν. Im N T nur 1 Petr 2,21. Weiterhin: 1 Clem 16,17; 33,8 und Pol 8,2 von Christus; 1 Clem 5,7 von Paulus. Vgl. G. S C H R E N K , Art. ύπογραμμός, ThWNT I, S. 772f. Später stellen es die Kirchenväter mit Recht nahezu synonym neben τύπος (ThWNT I, S. 773), das Paulus in Verbindung mit dem Stamm μιμεΐσθαι in der Bedeu-

202

1 Pett 2,21

sprechendes sagt das zweite Bild: Wer der „Fußspur" (τά ΐχνη) eines anderen folgt 17 , ahmt nicht einen Partner nach, sondern schlägt die von ihm vorgezeichnete, ja gebahnte Richtung ein18. Das Bild stammt gleich dem vorhergehenden aus dem hellenistischen Bereich: Die sittlichreligiöse Richtung, die man einschlägt, mit einem Weg zu vergleichen, war allgemein verbreitet. Der spezielle Vergleich mit dem Verfolgen einer Spur ist im griech.-hell. Raum weit häufiger als im at.-jüd Bereich19; wörtlich findet sich die Wendung nur bei Philo20. Durch die Beziehung auf Jesus verbindet sich dieses hellenistische Bild für frühchristliches Denken mit der Nachfolgevorstellung, so daß „folgen" (έπακολουθεΐν) sich hier der technischen Bedeutung „nachfolgen" nähert, d.h. hinter jemand hergehen, sein Schüler werden und dadurch sein Geschick teilen. Diese Bedeutung hatte das Wort aus seiner at.-jüd. Vorgeschichte heraus bereits in der Jesusüberlieferung angenommen21. Dann ist unser Satz neben Apk 14,4 die einzige Stelle im NT wie bei den Apost. Vätern, an der (έπ-) άκολουθ-εϊν, das in den Synoptikern und bei Johannes terminus technicus für die Nachfolge in Jesu Erdentagen ist, direkt der nachösterlichen Gemeinde aufgetragen wird22; in den Evangelien geschieht dies nur verschlüsselt durch die Redaktion. Nach Ostern ist dieses „Hinterhergehen" ja nur noch im übertragenen Sinn möglich. Deshalb umschreibt Paulus, was „Nachfolge" nun bedeutet, mit anderen Begriffen23. Der 1 Petr aber tung „prägendes Vorbild" verwendet (Phil 3,17; 1 Thess l , 6 f . ; 2Thess 3,9; vgl. 1 Tim 4,12; Tit 2,7; ebenso 1 Petr 5,3, s. z. St.). 17 τί> ΐχνος der „Abdruck (des Fußes)", Plur. die „Fußspur"; häufig von der Fußspur, in der man geht. Vgl. A. S T U M P F F , Art. ίχνος, T h W N T III, S. 405 f. 18 Vgl. auch E. S C H W E I Z E R , Erniedrigung und Erhöhung bei Jesus und seinen Nachfolgern (AThANT 28), Zürich 2 1962, S. 7. 19 In der L X X wird ΐχνος übertragen nur selten verwendet, z.B. Sir 50,29: έάν γαρ αυτά ποιήση, πρός πάντα ισχύσει, δτι φως κυρίου τί> ϊχνος αύτοΰ. Vgl. Sir 14,22: έξελθε όπίσω (hinter der Weisheit) ώς ίχνευτής, und 51,15. Dagegen wird im Griech. seit Plato das Verfolgen einer geistigen oder sittlichen Richtung oft als das Aufnehmen einer Spur umschrieben: Polit. 553Α vom Sohn: ζηλοΐ τε τ&ν πατέρα καΐ τά έκείνου ίχνη διώκη (vgl. auch Theaet. 187 Ε). Philo, Virtut. 64 (p. 385) formuliert: επακολούθησα!, τοις ϊχνεσιν (vgl. Fug. 130). Im AT wird dieses Verb nur in Jes 55,3 mit dem Wegebild verbunden: καΐ έπακολουθήσατε ταΐς δδοϊς μου. Im N T wird das Bild von der Spur sonst in Rom 4,12 und 2 Kor 12,18 aufgenommen. Bei den Apost. Vätern in I g n E p h l 2 , 2 : Ignatius will (als Märtyrer) auf den Spuren des Paulus gefunden werden; hier dient aber das Bild wie vielfach schon in der griech.-hell. Welt der Mimesis-Vorstellung, z.B. AelArist 46,160 (II p. 214 Dindorf): „Er ahmte seinen Vater nach und hielt sich an seine Werke wie an Fußspuren." Vgl. S T U M P F F , T h W N T III, S. 405-408. 20 Vgl. Philo, Virt. 64. 21 G . K I T T E L , Art. άκολουθέω, T h W N T I , S. 213f.; M. H E N G E L , Nachfolge und Charisma (BZNW 34), Berlin 1968; S C H W E I Z E R , Erniedrigung und Erhöhung; F. J. H E L F M E Y E R , Die Nachfolge Gottes im Alten Testament (BBB 29), Bonn 1968; H . K O S MAL A, Nachfolge und Nachahmung Gottes II: im jüdischen Denken, Annual of the Swedish Theological Institute in Jerusalem 3 (Leiden 1964) S. 65-110. 22 T h W N T I, S. 214f. und Clavis Patrum Apostolicorum s. v. 23 Siehe A N M . 1 3 und S C H W E I Z E R , Erniedrigung S . 1 4 0 - 1 4 3 ; Ε . L A R S S O N , Christus

lPetr 2,21

203

nimmt auch hier in hellenisierter Form gleich der Johannesoffenbarung (14,4) palästinische Tradition auf, nachdem schon die Redaktion der Evangelienüberlieferung dazu angeleitet hatte, speziell die Bedrängnis der Christen durch die Gesellschaft von den Nachfolgelogien her zu sehen24. Dem Kontext unserer Stelle ist zu entnehmen, wie das Nachfolgen in der angesprochenen Situation aussehen soll und vor allem wie es motiviert ist. Das konkrete Wie wird in V. 22 f. gemäß der vorher in V. 19 f. paränetisch angesprochenen Situation ausgeführt. Die Motivierung aber wird einerseits in Entsprechung zu dem „für euch" (V. 24), andererseits in Entsprechung zu dem „ihr wurdet berufen" in V. 21 a (vgl. V. 25) entwickelt. Schon nach der Jesus-Überlieferung wird das Nachfolgen stets durch die Zuwendung Jesu, nicht durch das Wählen der ihm Begegnenden begründet 26 ; wie für Paulus das σύν (Χριστώ) aus dem υπέρ folgt 26 , so führt Christus hier nach V. 24f. durch sein Todesleiden „für uns" in das Rechtverhalten und damit in das Leiden hinein. Denen aber, die er auf diese Weise mit sich verbunden hat, zeigt er durch die Art seines Leidens (V. 22 f.), daß sie und wie sie die ihnen widerfahrende Bedrängnis auf sich nehmen sollen. In diesem Sinn ist er für sie „Leitbild", und in diesem Sinn sollen sie „seinen Fußspuren nachfolgen". Ähnlich wurde die Bedrängnis der Jünger Jesu durch die Gesellschaft auch schon in der synoptischen Überlieferung und bei Paulus von Jesu Todesleiden her als Widerfahrnis und als Verpflichtung verstanden 27 . Erst im nachneutestamentlichen Christentum wird άκολουθεΐν mit μιμεΐσθαι gleichgesetzt und beides nicht selten im Sinne einer imitatio verstanden 28. als Vorbild (ASNU 23), Uppsala 1962; Α. SCHULZ, Leidenstheologie und Vorbildethik in den paulinischen Hauptbriefen, in: Neutestamentliche Aufsätze (Festschrift J. SCHMID), Regensburg 1963, S. 265-269. 21 Das Wort vom Kreuztragen wird in Mk 8,34 par Mt 16,24 (anders Lk 9,23) durch die Verbindung mit der Leidensankündigung (Mk8,31ff.) eine Aufforderung zur Kreuzesnachfolge; in Mt 10,37 (anders Lk 14,26) wird es in die Verfolgungssituation der Jünger gestellt. Dieselbe Verbindung findet sich unabhängig von der synoptischen Tradition in Joh 12,24-26; vgl. SCHWEIZER, Erniedrigung S. 126-144. 25 Der Rabbinenschüler sucht seinen Lehrer; Jüngerschaft gegenüber Jesus aber wird durch das einzigartige Befehlswort: „Folge mir nach" begründet (HENGEL, Nachfolge S. 55-82); vgl. Joh 15,16. 2« 2 Kor 5,14f.; Röm5,6ff.; 6,3f. 27 Mk8,34fF. (s. Anm. 24); Mk 10,45 par. Paulus deutet seine Bedrängnisse (z.B. 2 Kor 1 , 5 - 7 ; 4,10; Phil 3,10; Kol 1,24) wie die der Gemeinden (2 Kor 1 , 5 - 7 ; 1 Thess 1,6 u.a.) als Teilhaben an dem Geschick Jesu. Näher kommt dem 1 Petr jedoch die aus vergleichbarer Situation in der Gesellschaft stammende Paränese in H e b r l 2 , 2 ; 13,13. Bei den Apost. Vätern nähert sich diese Paränese in IgnEphlO,3; PolPhil8,lf. u.a. der Mimesis-Vorstellung (s. Anm. 11) und in 1 Clem 16,17 der Vorbildethik. In PolPhil 8,1 f. wird 1 Petr 2,24.22 wörtlich zitiert und aufgefordert: „So wollen wir nun Nachahmer seiner Geduld werden." Weiteres s. zu 1 Petr 4,13. 28 Augustin, De sancta virginitate 2 7 (MPL 4 0 , 4 1 1 ) : Quid est enim sequi nisi imitari? Weiteres KITTEL, ThWNTI, S. 214 Anm. 29, und STUMPFF, ThWNTIII, S. 408.

204

1 Petr 2,22-25

Die Exegese vonV. 21 ergibt demnach bereits weitgehende Aufschlüsse über die Struktur des nun folgenden christologischen Abschnittes 2,22-25. Struktur und Herkunft des Christusliedes in 2,22—252* 1 Petr 2,22-25 ist neben 1,18-21 und 3,18-22 der zweite christologische Abschnitt unseres Briefes. Er gibt gleich den beiden anderen Anlaß 2u Erwägungen über seine Struktur und seine traditionsgeschichtliche Herkunft. 1. D i e S t r u k t u r : Schon H. WENDISCH30 hatte V. 21-25 als „Christuslied" gekennzeichnet. R . B U L T M A N N 31 entwickelte dann die inzwischen weithin rezipierte Hypothese, daß hier ein „Lied" der Gemeinde verarbeitet sei. Er begründete dies u. a. damit, daß der Inhalt dieser Verse zu einem erheblichen Teil nicht auf den paränetischen Kontext bezogen sei: das „für euch" V. 21a und der Hinweis auf die Sühnebedeutung des Sterbens Jesu V. 24f. hätten „für den Zusammenhang" keine Bedeutung32. Unsere Exegese hat das Gegenteil ergeben. Unbeschadet dessen legen folgende Beobachtungen nahe, daß hier Tradition verarbeitet wurde 33 : 1) V. 24 geht vom paränetischen Kontext abweichend aus der 2. in die 1. Pers. Plur. über. V. 24c. 25 reden, obgleich sie in die 2. Pers. Plur. zurückkehren, nicht nur die in V. 21 angesprochenen Sklaven an, sondern beziehen Die Imitatio-Vorstellung tritt wohl erstmals deutlich hervor, wenn im MartPol das Ende Polykarps in unmittelbarer Entsprechung zur Passion Jesu geschildert wird: „Beinahe alles, was vorherging, geschah, damit uns der Herr noch einmal das Schauspiel des Martyriums, wie es im Evangelium erzählt ist, vor Augen führte" (MartPol 1). Deshalb wird nachher ausdrücklich versichert, daß man Christus allein anbete, weil er für alle gelitten habe, die Märtyrer aber als seine μαθηταΐ καΐ μιμηταί ehre. Vgl. Η. D. BETZ, Nachfolge S. 181 f.; H. v. CAMPENHAUSEN, Die Idee des Martyriums in der alten Kirche, Göttingen 21964, S. 87. 28 Lit.: R. BULTMANN, Bekenntnis- und Liedfragmente im 1. Petrusbrief (1947), in: D E R S . , Exegetica, Tübingen 1967, S. 285-297; R. DEICHGRÄBER, Gotteshymnus und Christushymnus in der frühen Christenheit (StUNT 5), Göttingen 1967, S. 140-143; E. FASCHER, Jesaja 53 in christlicher und jüdischer Sicht (Aufsätze und Vorträge zur Theologie und Religionswissenschaft 4), Berlin 1958; F. H A H N , Christologische Hoheitstitel (FRLANT 83), Göttingen 41974, S. 54-66; J . JEREMIAS, Art. παις θεοϋ, ThWNT V, S. 676-713; E. LOHSE, Märtyrer und Gottesknecht (FRLANT NF 46), Göttingen 21963; D E R S . , Paränese und Kerygma im 1. Petrusbrief (1954), in: D E R S . , Die Einheit des Neuen Testaments, Göttingen 1973, S. 307-328; H. PATSCH, Abendmahl und historischer Jesus (CTM A l ) , Stuttgart 1972; D E R S . , Zum alttestamentlichen Hintergrund von Rom 4,25 und 1 Petr 2,24, ZNW60 (1969), S.278f.; Κ. H. SCHELKLE, Die Passion Jesu in der Verkündigung des Neuen Testaments, Heidelberg 1949, S. 81-104; G. SCHILLE, Frühchristliche Hymnen, Berlin 1965, S. 45f.; K. SHIMADA, The Formulary Material in First Peter, Diss. Union Theological Seminary, New York 1966 (masch.); K. WENGST, Christologische Formeln und Lieder des Urchristentums (StNT 7), Gütersloh 1972; H. W . W O L F F , Jes 53 im Urchristentum, Berlin 21950. WINDISCH S . 6 5 . BULTMANN, Exegetica S . 82 Ebd. S . 295.

30

31

33

Vgl. dazu auch

WENGST,

294f. Formeln und Lieder S. 83 ff.

1 Petr 2,22-25

205

die ganze Gemeinde ein. Dies entspricht zwar dem implizit exemplarischen Charakter dieser Paränese, aber nicht ihren expliziten Ausführungen. Wahrscheinlich waren daher auch V. 21 a und V. 24c (25) ursprünglich Selbstaussagen der Gemeinde in der 1. Pers. Plur. 2) Von diesen Selbstaussagen der Gemeinde heben sich dann die von Hause aus paränetische Anrede in V. 21 b (ύμΐν ύπολιμπάνων κτλ.) und natürlich die Überleitung εις τοϋτο γάρ έκλήθητε in V. 21a (vgl. 3,18) ab. Dagegen dürfte V. 23 nicht um der Paränese willen eingefügt sein34, sondern umgekehrt Anlaß gegeben haben, dieses Traditionsstück hier aufzunehmen35. Der ίναSatz in V. 24 b hat zwar eindeutig eine generell paränetische Spitze, aber er ist schwerlich nachträglich eingefügt 36 . Eher kann der inhaltlich gleichlautende V. 25 eine nachträgliche Erläuterung sein37, so daß das Lied mit V.24c Schloß. Im ganzen ist es jedoch nicht möglich, eine Vorlage eindeutig auszugrenzen; denn der Rhythmus ist nicht präzis und stilkritische Unterschiede sind nicht zu beobachten. Der Verf. hat eine ihm bereits eigene Tradition in den Zusammenhang eingearbeitet. 3) Der Form nach kennzeichnet BTJLTMAJTN die Vorlage „zufolge der schildernden Beschreibung" als „ein Lied, nicht als ein Bekenntnis" 38 . Für die gleiche Bestimmung als „Christushymnus" oder „Christuslied" setzt sich D E I C H G B Ä B E K ein, weil hier christologische Aussagen in gehobener Formulierung und Stilform gemacht werden39. Die Sätze sind in der Tat in gehobener Sprache rhythmisch formuliert. Die vier Teile — von Strophen kann man wohl nicht sprechen — setzen relativisch, dreimal mit 6ς und einmal mit οδ, ein. Deutlich zeichnet sich eine Zeileneinteilung ab40. Sie wird in V. 22 und V. 23a durch einen Parallelismus membrorum unterstrichen. In V. 23 a tritt außerdem eine rhetorische Antithetik hervor. 4) Abschließend kann man die formale und zugleich die inhaltliche Struktur der Vorlage so kennzeichnen: In ihr wurde die Bekenntnisaussage V. 21a, die alte ύπέρ-Formel, mit Hilfe von Jes 53 LXX lehrhaft in einem Lied entfaltet: „Christus hat gelitten" ( = V. 22f.) — „für uns" ( = V. 24). 2. Die H e r k u n f t : 1) Die eben genannte inhaltliche Struktur erklärt, warum sich dieser Hinweis auf die Passion in der Formulierung nirgends mit den Leidensankündigungen, den Passionssummarien oder der Passionsgeschichte der Evangelien berührt: Er will nicht wie jene das Passionsgeschehen berichten, sondern das 34 Dies wird von BULTMANN, Exegetica S . 2 9 5 , als möglich erwogen und von SCHILLE, Hymnen S. 46, angenommen. 85 So L O H S E , Einheit S. 3 2 7 Anm. 1 0 8 , und DEICHGRÄBER, Gotteshymnus S. 1 4 1 . *· Mit BULTMANN, a.a.O. S . 296f., und SCHILLE, a.a.O. S . 46; gegen DEICHGRÄBER, a.a.O. S. 141. 37 So BULTMANN, a . a . O . S. 296f.; DEICHGRÄBER, a . a . O . S . 142; KELLY S. 125, für V. 25 b. 38

BULTMANN, a . a . O .

39

DEICHGRÄBER, a . a . O .

40

S. 2 9 7 . S . 140FF., v g l . S . 1 0 6 .

Wir geben sie in der Ubersetzung in Übereinstimmung mit und DEICHGRÄBER wieder.

BULTMANN, SCHILLE

206

1 Petr 2,21-25

Kerygma von der Bedeutung dieses Geschehens entfalten; selbst in V. 23 ist wahrscheinlich nicht an einzelne Vorgänge der Passionsgeschichte, sondern nur an deren Tenor gedacht. 2) Während in den Evangelien die Passion vor allem in Anlehnung an die Psalmen (22; 69 u.a.) als der Weg des leidenden Gerechten dargestellt ist 41 , wird hier so ausschließlich und intensiv wie nirgends sonst im NT die ύπέρFormel mit Wendungen aus dem Lied vom leidenden Gottesknecht expliziert. Diesem at. Text wird zweierlei entnommen: (a) Jesu Todesleiden entsprach in seiner Art dem des Gottesknechtes: V. 22 nimmt wörtlich Jes 53,9 LXX auf; V. 23 ist inhaltlich vielleicht durch Jes 53,7: „Er tat seinen Mund nicht auf" und das Stichwort παρεδόθη in Jes 53,12 LXX angeregt, (b) Weil er sich unschuldig leidend Gott hingab, war sein Todesleiden stellvertretende Sühne: V. 24a.b geht von Zitaten aus Jes 53,4 bzw. 53,12 LXX aus; V. 24c.25 von Jes 53,5 f. LXX. — Die Aussage entspricht sachlich genau der des ersten Christusliedes in unserem Brief: Nach 1,19 war Jesu Todesleiden „untadelige und unbefleckte" Hingabe an Gott (vgl. V. 22f.) und deshalb nach 1,18 das Sühnopfer, das von der Schuld- und Dienstverpflichtung gegenüber der Sünde „löst" (vgl. 2,21a.24f.). Auch im dritten christologischen Abschnitt ist die stellvertretende Sühne der Ausgangspunkt (3,18). 3) Woher stammt die für unsere Stelle charakteristische Interpretation der ύπέρ-Formel mit Hilfe von Jes 53? Die älteste christologische Formeltradition über die Sühnebedeutung des Todes Jesu, z.B. 1 Kor 15,3 und Rom4,25, griff überraschenderweise nicht auf Jes 53 zurück42. Da diese Tradition nach vielen Anzeichen schon aus der palästinischen Kirche stammt43, wurde ihre Entstehung vielfach so erklärt: Im palästinischen Judentum sei die Vorstellung von einer Sühnebedeutung des Martyriums verbreitet gewesen44 und von der Kirche auf Jesus übertragen worden46. Nun zeigt es sich jedoch, daß die Vorstellung, der Märtyrertod habe Sühnewirkung für andere, in nt. Zeit nur im hellenistischen Judentum auftritt; aus dieser Beobachtung wurde gefolgert, die ύπέρ-Formel sei erst in der hellenistischen Kirche entstanden46. Diese Folgerung widerstreitet jedoch den auf Palästina zurückweisenden traditionsgeschichtlichen Kriterien. Die Schwierigkeit löst sich durch die Einsicht, daßJesus selbst in einer der späteren Reflexion fremden Unmittelbarkeit seine bevorstehende Passion im Kelchwort Mk 14,24 parr und wohl auch im Lösegeldwort Mk 10,45 par in intuitiver Anlehnung an Jes 53 deutete. Aus dieser Deutung, die durch die Abendmahlstradition weitergegeben wurde, erwuchsdie frühchristliche ύπέρ-Formel47. 41

GOPPELT, T y p o s S. 1 2 0 - 1 2 5 ; SCHELKLE, P a s s i o n J e s u S . 8 1 - 1 0 4 .

42

So mit Recht HAHN, Hoheitstitel S. 55 f.

43

HAHN, a . a . O . S. 5 5 f .

44 LOHSE, Märtyrer und Gottesknecht S. 64-104; er versucht, das Fehlen von direkten jüdischen Belegen aus der Zeit Jesu durch Rückschlüsse zu überbrücken (S. 76f.). Die Sühnedeutung des Kreuzes in der palästinischen Kirche läßt er aus Jes 53 entstehen (S. 1 4 5 ) . 45 Vgl. HAHN, Hoheitsütel S. 55 f. 46 WENGST, Formeln und Lieder S. 56 f. 47 So aufgrund eingehender religionsgeschichtlicher und traditionsgeschichtlicher Analysen PATSCH, Abendmahl und historischer Jesus, §§41 und 42; zur älteren Dis-

k u s s i o n v g l . SCHELKLE S. 8 4 A n m . 1 .

1 Petr 2,22 f.

207

4) Erst in einem späteren Stadium wurde diese Formel mit Hilfe at. Aussagen theologisch entfaltet. Dies geschah nach dem NT in je verschiedener Weise vor allem bei Paulus, im Hebräerbrief und im 1. Petrusbrief. Nur an unserer Stelle wird hierzu Jes 53 eingehend verwendet. Eine entsprechende, freilich inhaltlich ganz andere Auswertung von Jes 53 findet sich sonst im NT nur bei Matthäus (8,17) und bei Lukas (Lk 22,37; Act 8,32f.)48. Unser Lied dürfte somit in einem Traditionsstrom entstanden sein, in dem die synoptische Uberlieferung ausgedeutet wurde. Es stammt seiner sprachlichen Formulierung nach auf alle Fälle aus der hellenistischen Kirche: Dorthin weist das Zitieren nach der LXX, das absolute πάσχειν49 in V. 21a. 23 und der Nachklang paulinischer Theologie in V. 24. V. 22-24b: Christi unschuldiges Leiden %ur Sühne unserer Sünden V. 22: Der Satz nimmt, abgesehen von den beiden ersten Wörtern, Jes 53,9 LXX auf. Am Anfang steht dort δτι άνομίαν, hier δς άμαρτίαν. Diese Formulierung folgt wahrscheinlich nicht bloß einer Textvariante 50 . Es wurde vielmehr das schwer verständliche άνομία nach frühchristlichem Sprachgebrauch 61 durch das für die christologische Aussage viel besser passende αμαρτία ersetzt, so daß V. 24 hieran unmittelbar anschließt: Nicht seine, sondern unsere Sünden trug er. Das at. Wort wird auf Christus angewendet, um darauf hinzuweisen, daß er in seinem ganzen Verhalten, insbesondere in seinem Reden, dem Willen Gottes folgte 62 . Dies wird innerhalb der christologischen Aussage gesagt, um die Wirkung seines Sterbens zu erklären (1,18f.; 2,24), im Kontext der Sklavenparänese jedoch, um zu einem entsprechenden „Rechtverhalten" in „Gewissensbindung an Gott" aufzufordern (V. 19 f.). αμαρτία, hier erstmals im Brief, ist für den 1 Petr die Verfehlung gegen Gott 6 3 ; δόλος ist die den anderen täuschende Rede 64 , die Gemeinschaft mit den Menschen und daher mit Gott zerstört. V. 23: Christus litt nach V. 22 unschuldig, und zwar ohne sich im Sinne von Mt 5,39 „dem Bösen zu widersetzen". Er vergalt Böses nicht mit Bösem; er praktizierte selbst, was in 3,9 seinem Gebot der Feindes48 Weiterhin: 1 Clem 16,3-14 für Christus als Vorbild der Demütigen (16,1 f. 17); Barn 5,2 für den Sühnetod; oft bei Justin (Apol. I, 50,2-11; 51,1-5 u. ö.) und bei Melito. 49 Vgl. Anm. 5. 50 Die Variante soll nach SCHELKLE S . 84 Anm. 2 unter dem Einfluß von Zeph 3,13 LXX: καΐ ού ποιήσουσιν άδικίαν entstanden sein. Das ist wenig wahrscheinlich. 51 Auch Hebr 10,17 erläutert das at. άνομία (Hebr 8,12) durch άμαρτία. Vgl. 1 Joh 3,4. 62 Weil die nt. Zeugen dieses Einsseins gewiß sind, nicht aufgrund empirischer Analyse, bekennen sie die „Sündlosigkeit" Jesu (2 Kor 5,21; Hebr, 7,26; Joh 8,46; 1 Joh 3,5); dies ist für sie nicht ein Dogma über Jesu Wesen, sondern eine soteriologische Aussage. 53 Siehe zu 4,1. 54 Der „Betrug", die „List", ebenso 1 Petr 2,1 (s. z. St.); 3,10; es ist das Gegenteil der Wahrhaftigkeit, nicht „Irrtumslosigkeit".

208

1 Petr 2, 23

liebe gemäß (Lk 6,27 f.) den Christen nahegelegt wird. Diese paränetische Tradition hat, vielleicht zusammen mit Jes 53,7 L X X : διά τό κεκακώσθ-αι ούκ άνοίγει τδ στόμα, die Formulierung dieser Aussage angeregt 88 . In ihr spiegeln sich Grundzüge der Passionsgeschichte, ohne daß an Einzelberichte gedacht ist. Das „Schmähen" (δς λοιδορούμ,ενος ούκ άντελοιδόρει)68 faßt den Eindruck , zusammen, den Berichte wie die Beschimpfung nach der Verurteilung im Synedrium (Mk 14,65 parr), die Verspottung durch die Wächter (Mk 1 5 , 1 7 - 2 0 a parr) und die Verhöhnung des Gekreuzigten (Mk 15,29-32 parr) ergeben. Das schweigende Hinnehmen alles Unrechts 87 fiel auch Außenstehenden wie Celsus 88 an der Passionsgeschichte auf. Wenn Jesus „nicht drohte, als er litt" (πάσχων ούκ ήπείλει), verhielt er sich umgekehrt als die jüdischen Märtyrer 89 , die sich auf das ius talionis, das auch in der griechischen Welt galt 60 , berufen. Er schweigt aber nicht „wie ein unbeweglich feststehender Fels" 81 im Sinne hellenistischer Ataraxie; er schweigt, weil er seine Feinde nicht anklagen, sondern ihnen Liebe erweisen will. „Er überließ" das Gericht 62 „dem, der gerecht richtet" (παρεδίδου δέ τω κρίνοντι δικαίως) 6S . Er überläßt Gott das Gericht 55 Sie geben auf keinen Fall, wie SELWYN S. 95, annimmt, unmittelbar den Eindruck eines Augenzeugen wieder. Selbst wenn der Verf. in historischem Sinn „Zeuge der Leiden Christi" (s. zu 5,1) wäre, würde er als Glied der Kirche seinen Eindruck nur durch das Medium der Tradition wiedergeben. 68 λοιδορέω steht hier wie im Griech. für „schelten", „schmähen", auch „lästern", nicht wie in der LXX. Beispiele: Act 23,3f.; Joh 9,28; Jos, Bell. Jud. 6,307: (von einem Unheilspropheten) „er fluchte keinem, der ihn schlug". Vgl. H . HANSE, Art. λοιδορέω, ThWNT IV, S. 295 ff. 57 Jesus schweigt auf die Anklagen: Mk 14,61 par; 15,5 par; Lk23,9; anders Joh 18,19-22; Entsprechendes berichtet Jos, Ant. 2,5,1 (§ 60) von Joseph: „Er trug schweigend seine Ketten und vertraute Gott." 88 Orig, Cels. 2,33: Wäre Jesus göttlich gewesen, so hätte er seine Peiniger zumindest mit einem Blick strafen müssen. 59 Die makkabäischen Jünglinge sterben mit der Ankündigung oder Bitte, daß Gott ihre Peiniger strafen werde: 2 Makk 7,17.19.31.35ff.; 4MakklO,ll; vgl. jedoch TestBenj 5,4: „Wenn jemand einen frommen Mann verhöhnt, so tut er Buße; denn der Fromme erbarmt sich des Lästerers und schweigt; TestGad 6,7: „Wenn er aber . . . bei der Schlechtigkeit verharrt, so vergib ihm auch so von Herzen und übergib Gott die Vergeltung" (Interpolation?). Aesch, Choeph. 301 (Scholion): „Dies gebietet das Recht: Für die Schmähung Schmähung, für den Schlag Schlag"; vgl. M. Aurel VI, 30. 61 OdSal 31,10f.: „Ich aber duldete schweigend und war stille, als ob mich von ihrer Seite nichts berührt hätte. Ich stand unbeweglich wie ein feststehender Fels, der von den Wellen gepeitscht wird und standhält." •2 Nicht wie KELLY S. 1 2 1 und SELWYN S . 1 7 9 : „sich selbst" oder „seine Sache". 63 Die v. 1. τω κρίνοντι άδίκως in 6 l e o t dürfte schon früh durch versehentliche Angleichung an das Ende von V. 19 entstanden sein. Sie wurde von Cyprian, Test. 3,39 und De bono Pat. 9, und ClemAlex, Aduml?r., aufgegriffen und von der Vg übernommen: tradebat autem iudicanti se iniuste. Sie würde eine Unterwürfigkeit Jesu gegenüber der Autorität des Pilatus aussagen, die der 1 Petr (s. zu 2,17) gerade nicht will. Sie ist jedenfalls nicht, wie H A R N A C K , Beiträge zur Einleitung VII, S. 89 f., annahm, ursprünglich.

IPetr 2,24a. b

209

in einem anderen Sinn als die jüdischen Märtyrer: Jene erwarten die kompensierende Vergeltung für das ihnen Widerfahrene, Jesus setzt dem Bösen nicht die Vergeltung, sondern uneingeschränkte Vergebung entgegen 64 ; er kann dies, weil er das Wahren des Rechts Gott überläßt. Ziel seines eigenen Verhaltens ist es, das Böse durch Gutes zu überwinden und die Widersacher dadurch dem Gericht zu entnehmen (vgl. 2,12). Auch diese Aussage ist wohl durch die hinter 3,9 stehende paränetische Tradition vorgegeben 66 , die in Rom 12,19 eine sachlich entsprechende Weisung entwickelt: „Rächet euch selbst nicht,. . . sondern gebt Raum dem Zorn"! Dieser Satz ist gleich dem unseren nicht von dem dort deutlich anklingenden at.-jüd. Hintergrund, sondern von dem paränetischen Kontext aus in dem entwickelten Sinn zu verstehen (vgl. Rom 12,14. 21 bzw. 1 Petr 3,9). V. 24a.b: Jesus hat nach V. 22 f. gleich dem Gottesknecht unschuldig als der Gerechte gelitten. Daher war sein Todesleiden wie bei jenem stellvertretende Sühne. Dies wird nun in V. 24 f. in zwei sachlich parallellaufenden Aussagen ausgeführt, die jeweils mit einer relativischen Kennzeichnung Jesu beginnen: V. 24a δς τάς αμαρτίας ήμών ούτος άνήνεγκεν κτλ. — V. 24 c οδ τω μώλωπι ίάθητε. Die erste von ihnen erinnert mehr an paulinische, die zweite mehr an synoptische Terminologie. Beide setzen mit einem Zitat aus Jes 53 LXX ein, und nach beiden löst die Sühne nicht lediglich von Sündenschuld, sondern von der Bindung an das Sündigen. Die Sätze sind also von Hause aus paränetisch ausgerichtet. Die Aussage V. 24 a erklärt in wörtlicher Anlehnung an Jes 53,4 (12) LXX 6 6 : „Er trug", wie der Gottesknecht, nicht seine, sondern „unsere Sünden". Er trug sie, wie dem at. Zitat erklärend angefügt wird, „an seinem Leib auf das Holz hinauf" (έν τω σώματι αύτοϋ έπι τό ξύλον)67. άναφέρειν, das in Jes 53,12 LXX nur „tragen" heißt, wird als „hinauftragen" gedeutet. Das ξύλον, das schon im Griechischen das Strafwerkzeug bezeichnen kann 68 , meint hier wie sonst im Urchristentum technisch das Kreuz 69 . Die Aussage über das „Hinauftragen" umschreibt also das Todesleiden Jesu. Die Anlehnung an Jes 53 LXX deckt seinen Sinn auf 64 Anders PolPhil 2,1: „Dessen Blut Gott von denen fordern wird, die ihm ungehorsam sind." Vgl. Anm. 59. 45 Sollte sie durch Jes 53,8 f. LXX angeregt sein wie V. 23 durch Jes 53,7? Eine Anregung durch παραδιδόναι in Jes 53,6.12 ist sehr unwahrscheinlich. ββ Die Formulierung verbindet Jes 53,4 L X X : ούτος τάς αμαρτίας ήμών φέρει . . . mit Jes 53,12 LXX: . . . αυτός αμαρτίας πολλών άνήνεγκεν . . . " Der 1 Petr denkt an die ganze Passion, nicht wie Paulus nur an das Sterben; daher besteht kein Anlaß, έπί c. Acc., was im hell. Griech. möglich ist, wie έπί c. Gen. zu verstehen und zu übersetzen: „Er trug unsre Sünden . . . am Holz." So B E A R E

S. 1 2 3 u n d KELLY S. 1 2 2 f . 68

J. S C H N E I D E R , Art. ξύλον, ThWNT V, S . 36, 30ff. • 9 So aufgrund einer Umdeutung von Dt21,22 in Gal3,13; Act 5,30 und 10,39 (κρεμάσαντες έπί ξύλον); vgl. auch 13,29; dazu ThWNT V, S. 38f.

210

1 Petr 2,24a. b

und expliziert so, was die Formel £πα&εν ύπέρ υμών in V. 21a besagt: Jesus trug unsere Sünden, indem er das Gericht über sie durchlitt; er nahm es έν τω σώματι70, d.h. in seiner leibhaften menschlichen Existenz, auf sich. Die Aussage erinnert durch ihre Formulierung über Jes 53 L X X hinaus an weitere at. Opfer- bzw. Sühnevorstellungen, aber diese stehen hier nicht mit im Blick 71 . Die Wirkung dieses stellvertretenden sühnenden Todesleidens ist nach V. 24b für die Getauften ein Absterben gegenüber dem Sündigen zu einem Leben für die Gerechtigkeit: ίνα ταΐς άμαρτίαις άπογενόμενοι τη δικαιοσύνη ζήσωμεν. Die paränetische Folgerung erinnert an Rom 6 und entsprechende paulinische Aussagen 72 . Nach Rom 6 sind die Getauften durch die Taufe mit Christus der Herrschaft der Sünde abgestorben (6,2. 11), um unter der Gerechtigkeit zu leben (6,18). Die ähnlich lautenden Wendungen werden an unserer Stelle jedoch durchweg anders und in anderem Sinne gebraucht als dort: „Sünde" und „Gerechtigkeit" sind hier nicht Mächte, sondern verfehltes73 bzw. rechtes74 Verhalten, an das man gebunden ist bzw. dem man sich hingibt, άπογενόμενοι bedeutet als Gegenstück zu ζήσωμεν zwar „abgestorben"; dieses Absterben geschah jedoch nicht durch ein Mit-Gekreuzigt-Werden (Rom 6,6), sondern, wie dieses Wort besagt 75 , durch eine Lösung aus dem Bereich des Sündigens. Es geschah nicht durch ein punktuelles Gerichtsurteil Gottes, das durch Glauben aufgenommen wird (Rom 6,11), sondern durch die Trennung vom Sündigen, deren Vollzug in 1 Petr 4,1 f. erklärt wird 76 , nämlich durch die Berufung in die Nachfolge bis ins Todesleiden (V. 21), die bejaht und vollzogen wird. Derselbe Vorgang wird in der folgenden Parallelaussage mit έπεστράφητε umschrieben. Ebenso Kol 1,22; Rom 6,12; vgl. Num 14,33. Zwei Beziehungen werden erwogen: 1) In 1 Petr 2,5 verwendet der Verf. selbst die LXX-Formel άναφέρειν θυσίας έπΐ τί> θυσιαστήριοι (Gen 8,20; Lev3,5ff., 11,16; 14,20 u. ö.), die im N T in Hebr9,28 in Verbindung mit Jes 53,12 gebraucht wird: άπαξ προσενεχθείς εις τδ πολλών άνενεγκεΐν αμαρτίας. Aber unserVers denkt nicht wie der Hebr an ein hohepriesterliches Selbstopfer. Er sieht das Kreuz auch nicht als Altar, auf dem Jesus sich selbst als Opfer darbringt; das Objekt des άναφέρειν sind die Sünden, nicht der Leib (mit SELWYN S. 180 und KELLY, S. 122, gegen WOHLENBERG S. 81 ff. und SCHELKLE S. 85). — 2) Ebensowenig denkt der Verf. an den Sündenbock, dem nach Lev 16,21 von Aaron die Sündenschuld des Volkes aufgelegt wird (mit KELLY S. 122f und BEARE S. 123f., gegen WINDISCH S. 65f.). 72 Rom 7,4; 2 K o r 5 , 1 4 f . ; Gal2,19; Kol 2,20; 3,3.5. 73 In 1 Petr 2,22.24a.b; 3,18; 4,1 (s. z. St.); 4,8. 74 Sonst im 1 Petr in 3,14; daneben in gleichem Sinn δίκαιος 3,12 ( = Ps 34,16); 3,18; 4,18. 75 άπογίνομαι, in L X X und N T nur hier, „fern, abwesend sein" (Thuk 1,39; των άμαρτημάτων άπογενόμενοι, „unbeteiligt an . . .") oder „sich entfernen", „sterben" (Thuk 2,98; Hdt 2,136; 5,4; Mithras-Lit. 14,31: πάλιν γενόμενος άπογίνομαι). Vgl. BAUER, Wörterbuch s. v., und ThWNT I, S. 685. " Vgl. die Auslegung der Stelle. 70

71

1 Petr 24c. 25

V. 24 c. 25: Hinwendung

211

Hirten und Hüter unserer Seelen

V. 24 c : Die zweite Aussage setzt wieder mit einem Zitat aus Jes 53 L X X ein: „Durch seine Strieme wurdet ihr geheilt"". „Die Strieme" (μώλωψ) 78 ist in Entsprechung zu dem „Hinauftragen" Symbol für sein Todesleiden 79 . Ob sie im Kontext, wie oft angenommen wird 8 0 , auf Striemen der Sklaven anspielen soll, ist sehr fraglich. Daß seine Strieme Heilung wirkte (ίάθητε), ist unanschauliches Bild für das Heilwerden von der Krankheit des Sündigens durch sein stellvertretendes sühnendes Leiden 81 . V. 25: Die Heilung vom Sündigen wird gedeutet als ein έπιστραφηναι, ein „Umkehren" von Menschen, die gleich Schafen umherirren, zu dem Hirten Christus. Die durch Jes 53,5 f. vorgegebene Verbindung der beiden Bilder wird mit Hilfe urchristlicher Traditionen ausgestaltet: έπεστράφητε νϋν έπί τον ποιμένα και έπίσκοπον των ψυχών υμών. Schon die Verbindung der beiden Verben von V. 24 c und V. 25 entspricht einer geläufigen urchristlichen Tradition 82 . Das Bild von der Herde und vom Hirten hat einen breiten at. Hintergrund 83 ; unser Brief knüpft jedoch nicht an diesen, sondern an die von ihm ausgehende frühchristliche Tradition an: Jesus selbst hatte sein Heilswirken durch das Gleichnis vom Finden des verirrten Schafes erklärt 84 . Sein Wirken wird schon früh indirekt mit dem eines Hirten (ποιμήν) verglichen 85 , er wird jedoch erst in einer verhältnismäßig späten Schicht des NT ausdrücklich als Hirte bezeichnet8®. Wie sehr diese Bildtradition im 1 Petr geläufig war, zeigt ihre Anwendung auf die Gemeindeleitung in 5,2. 4: ποιμάνατε τό έν ύμΐν ποίμνιον τοϋ θ·εοϋ (έπισκοποϋντες) . . . και φανερωθ-έντος τοϋ άρχιποίμενος . . . Hieraus wie aus der entsprechenden frühchristlichen Tradition in Act 20,28 und ihrem at. Hintergrund 87 folgt, daß an unserer Stelle επίσκοπος das Bild des Hirten interpretieren soll. Das Wort bezeichnet im Griechischen den Aufseher, oft den göttlichen Schirmherrn, der gnädig und fürsorgend auf die Seinen sieht 88 ; solche Schirmherrschaft erwartete man insbeson77 78 79 80

Jes 53,5f. LXX: τω μώλωπι αύτοϋ ήμεϊς Ιά&ημεν πάντες ώς πρόβατα έπλανήθημεν. μώλωψ, im NT nur hier, die „Strieme" von Schlägen; vgl. BAUER, Wörterbuch. Barn 7,2: ϊπαθεν, ίνα ή πληγή αύτοϋ ζωοποιήση ή μας. SELWYN S. 1 8 1 ; BEARE S. 123F.; KELLY S. 1 2 2 .

Daß Christus hier in Verlängerung von Mk 2,16 f. par als Arzt gedacht sei, tragen die Kirchenväter ein; ζ. B. Theodoret: δ ιατρός έδέξατο τήν τιμήν καΐ 6 άρρωστος έτυχε 81

της ίάσεως (vgl. WINDISCH S. 66). 82 Jes 6,10 LXX, das in Mk 4,12; Mt 13,15; Joh 12,40; Act 28,27 aufgenommen wird: μήποτε . . . έπιστρέψωσιν, και ίάσομαι . . . 88 J. JEREMIAS, Art. ποιμήν, ThWNT VI, S. 486. 499. 84 Lk 15,2.3-7 (par Mt 18,12-14); vgl. Mt 10,6; 15,24; Lk 19,10; vgl. Ps 119,176. 85 Mk 6,34 par; weitere Stellen s. ThWNT VI, S. 493. 88 Hebr 13,20; Apk7,17; JohlO.llf. (vgl. 21,15-17). 87 Ez 34,11 von Gott: έκζητήσω τά πρόβατά μου καΐ έπισκέψομαι αύτά. 88 Η. W. BEYER, Art. έπίσκοπος, ThWNT II, S. 604-610. Demgemäß wird schon in der LXX (Hiob 20,29; Sap 1,6) wie auch bei Philo (Mut. Nom. 39.216; Somn. 1,91)

212

1 Petr 3,1-6

dere von den als κύριοι angerufenen Heilandsgottheiten (vgl. 1 Kor 8,5f.). ψυχή steht hier wie in 1 Petr 1,9 für die Person. So umschließt jetzt die das Böse abwehrende, fürsorgende Schirmherrschaft des erhöhten Christus Menschen, die einst in die Irre gingen wie Schafe: ήτε γαρ ώς πρόβατα πλανώμενοι. In die Irre Gehende waren die Angeredeten, als sie dem „eigenen Wandel" verfallen waren (vgl. 1,12). Jetzt aber ist ihr Weg auf die eine Mitte hin ausgerichtet. Der passive Aorist έπεστράφητε entspricht den Wendungen, mit denen der Brief sonst den Übergang in das heilvolle vüv (1,12; 2,10; 3,21) kennzeichnet: „Ihr wurdet losgekauft" (1,18), „wiedergeboren" (1,23.3), „berufen" (2,9; 5,10); daher ist es wohl passivisch, nicht medial gemeint 89 : Sie wurden, nämlich von Gott, zu Christus hingeführt, um ihm als dem Hirten und Schirmherrn nachzufolgen (V. 21), so daß ihr Leben jetzt diese von ihm bestimmte Richtung hat.

2d) 3,1-6: Aufgabe und Verantwortung der Ehefrauen 1 1 Ebenso, ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter, damit auch die, die dem Wort nicht gehorchen, durch den Wandel der Frauen ohne ein Wort gewonnen werden, 2 wenn sie euren in Furcht (vor Gott geführten) heiligen Wandel sehen. 3 Euer Schmuck sei nicht der äußere, durch Flechten der Haare, Umhängen von Gold(schmuck) und Anziehen von Gewändern, 4 sondern der verborgene Mensch des Herzens in dem unvergänglichen (Wesen) eines sanften und stillen Geistes! Dies ist vor Gott kostbar. Gott als έπίσκοπος gekennzeichnet. Daneben erscheint er hier auch im hell. Bereich als Hirte (Philo, Agric. 50-52). 89 έπιστρέφω gibt in der L X X meist wieder und wird so terminus technicus für „umkehren", „sich bekehren"; vgl. G. B E R T R A M , Art. έταστρέφω, ThWNT VII, S. 723725. In diesem Sinn wird es im Urchristentum in das Formular der Heidenmission, 1 Thess 1,9, aufgenommen und oft in Act gebraucht (3,19; 14,15; 15,19; 26,18 u. a.), während sonst dafür meist μετανοέω steht. Als Antithese zum Umherirren erscheint es in Jak 5,20: έκ πλάνης. Das Passiv des Aorist kann medial „sich bekehren" (so für unsere Stelle W . B A U E R , Wörterbuch s.v., unter Hinweis auf Epiktet, Diss. II 2,22) oder passivisch „hingewendet, hingeführt werden" (so B E R T R A M , ThWNT VII, S. 728, 23 ff.) gemeint sein. Für letzteres spricht auch das unmittelbar vorhergehende Ιάθητε. Η. B A L T E N S W E I L E R , Die Ehe im Neuen Testament (AThANT 5 2 ) , Zürich 1 9 6 7 ; Ehe nach dem Neuen Testament, NTS 1 5 ( 1 9 6 9 ) S. 3 6 5 - 3 8 8 ; E. K A H L E R , Die Frau in den paulinischen Briefen, Zürich 1 9 6 0 ; Κ . H . R E N G S T O R F , Die neutestamentliche Mahnung an die Frau, sich dem Mann unterzuordnen, in: Verbum Dei manet in aeternum (Festschrift O . S C H M I T Z ) , Witten 1 9 5 3 , S. 1 3 1 - 1 4 5 ; D E R S . , Mann und Frau im Urchristentum, Köln 1 9 5 4 . J . L E I P O L D T , Die Frau in der antiken Welt und im 1

Lit.:

1)

H . GREEVEN,

1 Petr 3,1-6

213

5 Denn so schmückten sich einst auch die heiligen Frauen, die aui Gott hofften, und ordneten sich ihren Männern unter, 6 wie Sara Abraham gehorchte, indem sie ihn „Herr" nannte; ihre Kinder seid ihr geworden, wenn ihr euch recht verhaltet und keine Einschüchterung fürchtet. Zu Tradition und Struktur: Die prosaisch stilisierte ausführliche Paränese an die Ehefrauen nimmt weithin Überlieferungselemente auf, die auch in den Ständetafeln Kol 3,18; Eph 5,22f. und in den Gemeinderegeln in 1 Tim2,9-15; Tit2,4f.; 1 Clem 1,3; 21,7; PolPhil4,2 zutage treten. Der ihr eigene missionarische Aspekt, V. Ib.2, ist zugleich der Skopus. Im einzelnen zeichnen sich folgende Strukturelemente ab: 1) Die Weisung V. l a folgt in der Struktur der Ständetafeltradition; sie entspricht weithin wörtlich Kol 3,18 und Eph 5, (21.) 22. Die in V. 5 wiederholte Wendung ύποτασσόμεναι τοις ιδίοις άνδράσιν findet sich auch in der anders strukturierten Gemeinderegel Tit 2,4f., ihr Nachklang in dem Stichwort υποταγή in 1 Tim 2,11 und 1 Clem 1,3. 2) Der Imperativ wird nicht, wie es im Ständetafelschema üblich ist, kausal, sondern wie in 3,7 final begründet, damit aber zugleich auf die Konfliktsituation, die religiöse Mischehe, zugespitzt. In dieser Situation soll das ehegerechte Verhalten der Frau missionarisches Tatzeugnis werden. Diese Weisung hat in 1 Kor 7,16 eine sachliche Entsprechung, aber sie berührt sich nicht mit ihr. Wie „Rechtverhalten" — dieses Leitwort der Ständetafel unseres Briefes faßt in V. 6 b das vorher Gesagte zusammen — der christlichen Frau in der Ehe aussehen soll, wird in V.3-6a mit Hilfe paränetischer Tradition entfaltet. 3) Die Ausführungen über das Verhalten der Frau, insbesondere über ihren Schmuck in V. 3f., verwenden bis in den Wortlaut hinein dieselbe Tradition wie die Gemeinderegel in 1 Tim 2.9-15 2 . Diese Gemeindetradition greift ihrerChristentum, Leipzig 1955. — 2) Zu 3, l b . 2: R. A L L E N , The Spontaneous Expansion of the Church and the Causes which hinder it, London 3 1956; W. B I E D E R , Grund und Kraft der Mission nach dem 1. Petrusbrief (ThSt29), Zürich 1950; J. B L A U W , Gottes Werk in dieser Welt (Grundzüge einer biblischen Theologie der Mission), München 1961; W. B R A N D T , Wandel als Zeugnis nach dem 1. Petrusbrief, in: Verbum Dei manet in aeternum (Festschrift O . SCHMITZ), Witten 1953, S . 10-25; E. G Ü T T G E MANNS, Der leidende Apostel und sein Herr (FRLANT 90), Göttingen 1966; F. H A H N , Das Verständnis der Mission im Neuen Testament (WMANT 13), Neukirchen 2 1965; J . J E R E M I A S , Die missionarische Aufgabe in der Mischehe (1 Cor. 7,16) (1954), in: DERS., Abba. Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, Göttingen 1966, S. 292-298; P. LIPPERT, Leben als Zeugnis. Ein Beitrag des ersten Petrusbriefes zur pastoraltheologischen Problematik der Gegenwart, in: Studia Moralia III (Academia Alfonsiana) Rom 1965, S. 226-268; W. C. VAN U N N I K , Die Rücksicht auf die Reaktion der Nicht-Christen als Motiv in der altchristlichen Paränese, in: Judentum— Urchristentum—Kirche (Festschrift J. Jeremias, BZNW 26), Berlin 1960, S. 221-234; E. PETERSON, Theologie des Kleides, in: Marginalien zur Theologie, München 1956, S. 41-56; K. NIEDERWIMMER, Askese und Mysterium (FRLANT 113), Göttingen 1975. 2 Vgl. 1 Petr 3,3 f. und 1 Tim 2,9-15: Ιμπλοκή τριχών (3) — έν πλέγμασιν (9); χρυσίων (3) •— χρυσίω (9); ιματίων κόσμος (3) — ίματισμφ (9); ήσυχίω (4) — ήσυχία (11. 12); έκόσμουν (5) — κύσμω κοσμεϊν (9).

214

1 Petr 3,1

seits einen Topos weisheitlicher Ethik auf, der vor allem der hellenistischen Welt geläufig war 3 . Auch der Hinweis auf at. Vorbilder in V. 5.6a, der die Ausführungen über das Verhalten illustriert und unterstreicht, ist traditionell; er begegnet in ähnlichem Zusammenhang in 1 Tim 2,13 f. V. 1f.: Einordnung der Frau als Zeugnis V. 1: ομοίως, „ebenso", wie die vorher in 2,13. 18 und nachher in V. 7 (dort nochmals ομοίως) angesprochenen Sozialpartner, nicht speziell wie die unmittelbar vorher genannten Sklaven, sollen sich auch die Ehefrauen 4 ihrem Stand einordnen. Das Imperativische Partizip® ΰποτασσόμεναι. (τοις ιδίοις άνδράσιν) meint auch hier ein „Sich-Einordiien", das in einem „Sich-Unterordnen" besteht. Diese Unterordnung ist nach der Ständetafeltradition weder durch das Wesen der Ehe® noch durch das der Frau 7 , wie sie von Gottes schaffendem Setzen herkommen, gegeben, sondern lediglich durch die Sitte 8 . Sie entspricht der damaligen Struktur der Gesellschaft; die Christen sollen sich auch in dieser Hinsicht zunächst in die geschichtliche Situation hineinstellen. Die Weisung steht damit in Spannung zu den Worten Jesu, die nach der ursprünglichen Bestimmung der Schöpfung (Mt 19,4-6parMk)wie nachdem eschatologischen Ziel (Mk 12,24 f. par) Mann und Frau einander grundsätzlich gleichstellen; diese Gleichstellung wurde in der nachösterlichen Verkündigung für die Gliedschaft in der Gemeinde aufgenommen (Gal 3,28f.; 1 Kor 12,13; Kol 3,11), aber zugleich der Sitte gemäß abgewandelt (1 Kor 11,2-16). Der 1 Petr hält die grundsätzliche Gleichstellung der Frau mehr als die übrige paränetische Tradition fest; denn hier werden die Frauen nicht nur selbstverantwortlich in gleicher Weise wie die Männer angeredet, sondern in der Konfliktsituation exemplarisch zu dem allen aufgetragenen Tatzeugnis gerufen. An ihnen wird die in 2,12 generell ausgesprochene Grundintention der Ständetafelparänese für die Konfliktsituation beispielhaft dargestellt: Christliches Zeugnis durch Präsenz in der Gesellschaft! Viele® christliche Frauen leben in der Ehe mit Ehemännern zu8 Plut, Mor. 141 e; Epiktet, Enchir. 40; Seneca, Ben. 7,9; (Ausonius, Sept. Sapient. Sent. 1,4); Quint, Instit. VIII, prooem. 20, und Diodor 12,21; Ps-Lukian, Amores 40ff. (vgl. EpArist 229f.); Philo, Virt. 39f.; Migr.Abr. 97; Vita Mos. 2,243. 1 Es ist hier wie 2,18 und 3,7 wohl der Artikel zu lesen: αί γυναίκες (als Anrede). — Ιδίοις 3,1.5 steht für das Personalpronomen, um zu unterstreichen, daß es um die 5 Siehe dazu S. 172. Situation der Ehe geht. β Sie ist nicht „Schöpfungsordnung" (gegen SCHELKLE S. 88; KELLY S. 127); die Evangelienüberlieferung nennt die unauflösliche Einehe Stiftung des Schöpfers (Mt 19,4-6 par), aber nicht die Unterordnung. 7 Die gezielte Argumentation in 1 Kor 11,3 darf nicht für die Ständetafeltradition generalisiert werden; der „Schriftbeweis" in 1 Tim 2,13-15 ist ein Abgleiten in antihäretische Polemik. 8 Kol 3,18: ώς άνηκεν, „wie es sich geziemt". • et τίνες hat hier denselben Sinn wie in Phil 4,8, wo es mit δσα wechselt.

1 Petr 3,2

215

sammen, die „dem Wort ungehorsam sind" (εΐ τίνες άπει&οϋσιν τώ λόγω)10, d.h. sich dem Evangelium versagen. Diese Situation, die bereits in 1 Kor 7,12-16 erwogen wird, bringt erhebliche Schwierigkeiten mit sich. Während die Ehefrau nach der Meinung antiker Ethiker der Religion ihres Mannes folgen soll11, sondern sich diese christlichen Frauen exklusiv von dessen Religion und der ihr entsprechenden Sitte ab und stellen sich zugleich in die enge Lebensgemeinschaft der Gemeinde. Tertulüan, Ad uxorem 2,4f., schildert den permanenten Konflikt mit der späteren kirchlichen Sitte, der sich hieraus ergibt 12 . Unser Brief sieht den Konflikt nach allem Bisherigen tiefer (vgl. 2,19). Er stellt an dieser Konfliktsituation, abgesehen von dem Hinweis auf Einschüchterung in 3,6b, nicht wie bei den Sklaven die negative, sondern die positive Möglichkeit dar: Der sich dem Wort versagende Mann soll „ohne ein Wort 13 durch den Wandel der Frau gewonnen werden", nämlich für den Glauben: ίνα . . . δια της των γυναικών άναστροφης άνευ λόγου κερδηθ-ήσ ονται14. Der Mann kennt den Inhalt des Evangeliums, soweit man ihn von außen erkennen kann. Er hat ihn vielleicht zusammen mit seiner Frau, durch seine Frau und von anderen Christen gehört (vgl. 3,15), aber er lehnt ihn ab. Nun soll ihm die Wirklichkeit dieses Inhalts als gelebtes Wort begegnen und ihn gewinnen, nicht für eine empirisch begründete Einsicht, sondern für den Glauben. V. 2: Sie werden für den Glauben gewonnen, weil sie ständig ein Verhalten vor Augen haben 16 , das vom „Wort" geprägt ist, aus dem daher das „Wort" spricht. Das Gewonnenwerden beruht daher nicht auf ihrer sittlichen Urteilsfähigkeit18, sondern auf der überführenden Kraft des Evangeliums 17 : έποπτεύσαντες τήν έν φόβω άγνήν άναστροφήν ύμών, „wenn sie euren reinen, in Furcht (vor Gott geführten) 18 Wandel sehen". „Rein" 19 ist das Verhalten, weil es von der Furcht Gottes, die das Böse, aber nicht den Menschen scheut (3,6), vor allem aber von der Gnade (l,17f.) getragen wird. Dieses Tatzeugnis ist inhaltlich keineswegs das eschato10

άπαθεΐν wie in 2,8 (s: dort); 3,20; 4,17. Plut, Praec.Conj. 19. 12 Tert, Ad uxorem 2,4f.; vgl. Justin, Apol. II 2. 13 Natürlich nicht „ohne das Wort" (gegen K N O P F S . 1 2 2 ) . 14 κερδαίνω wurde „Terminus der Missionssprache" (H. S C H L I E R , Art. κέρδος, κερδαΐνω, ThWNT III, S. 671f.): 1 Kor 9,19ff.22; vgl. Mt 18,15. D . D A U B E , κερδαίνω as a missionary term, HarvThRev 40 (1947) S. 109-120. — Zu ίνα mit Futur wie Dan 3,10.11; 6,6 LXX vgl. B L . - D E B R . - R E H K . §369. 15 έποπτεύω wie 2,12. 18 Gegen W I N D I S C H S. 66 f., SELWYN S. 183. 17 Weiterhin: IgnEph 10,1: „Gewährt ihnen, von euch zur Jüngerschaft unterwiesen zu werden, und sei es auch nur durch die Werke"; vgl. Trail 3,2. Das eindrucksvollste Beispiel ist die Bekehrung von Augustins Vater durch das Verhalten seiner Mutter: Aug, Conf. I 11,17. Vgl. Philo, Jos. 86 (II, 54). 18 Siehe zu 1 Petr 2,18. " Vgl. hierzu F. H A U C K , Art. άγνόε, ThWNT I, S. 123 f. 11

216

lPetr 3,3f.

logische Ethos der Bergpredigt, sondern ein ehegerechtes Verhalten. Es ist, wie im folgenden erklärt wird, zunächst nach V. 3f. die Art, in der die Frau natürliche Partnerschaft zu gewinnen und dem anderen liebenswert zu erscheinen sucht, allgemein nach V. 5 f. das Sich-Ein- bzw. Unterordnen in der Ehe, das „Rechtverhalten" in diesem Stande. Daher erklären die beiden nächsten Verse zunächst, wie sich die christliche Frau schmückt, um ihren Mann für sich wie für das Evangelium zu gewinnen. V. 3f.: Der gewinnende Schmuck V. 3: Kirchenväter zitieren V. 3 als Verbot fraulichen Schmuckes 20 ; von neueren Exegeten wird er als Ausdruck „puritanischer" Gesinnung erklärt 21 . Der Satz entwickelt jedoch lediglich ein anschauliches Kontrastbild, das die christliche Paränese aus hellenistischer Ethik übernommen hat 22 , um die positive Aussage, hier V. 4, einzuprägen: ών έστω ούχ ό έξω&εν . . . κόσμος. Dem Satz ist daher nicht zu entnehmen, daß den Gemeinden des 1 Petr viele wohlhabende Frauen angehörten, die sich aufwendige Frisuren, Goldschmuck und hervorstechende Gewänder leisten konnten 2S . Die Tätigkeiten umschreibenden Genitive 24 malen den Aufwand an Arbeit und Zeit aus, den diese Art, sich anziehend zu machen, erfordert: εμπλοκής τριχών καί περιθέσεως χρυσίων ή ενδύσεως ιματίων. V. 4: Die positive Antithese will nicht einschärfen, daß geistige Innerlichkeit wertvoller sei als die leibliche Erscheinung 25 . Sie stellt vielmehr dem, was der Mensch aus sich macht, entgegen, was er durch Christus wird: ό κρυπτός της καρδίας άνθρωπος κτλ. „Der verborgene Mensch des Herzens" ist der vom Glauben bestimmte Mensch. Die Stichworte dieser singulären Wendung begegnen im übrigen NT nur in Rom 2,29 und bei Matthäus. Dort wird dem, was der Mensch seiner Umwelt vormacht, das „Verborgene" entgegengestellt (Mt 6,3 f.), das „aus dem Herzen" kommt (Mt 6,21; 15,8. 18f.) und vor Gott allein gilt (Mt 6,4. 6. 18). So erklärt der Genitiv καρδίας das Adjektiv κρυπτός und umgekehrt: „Der verborgene Mensch" ist nicht die innere Seite des Menschen 26 , sondern der ganze Mensch, sofern er von innen, „vom Herzen", d. h. vom 20

ClemAlex, Paed. III 66,3 (11127,2: 1 Tim 2,9 als 1 Petr zitiert); Tert, De orat. 20; De cultu fem. 1,6; 2,2.7-13; Cypr, De habitu virg. 8. 21 KNOPF S. 123 zitiert H. GUNKEL, Der erste Brief des Petrus, in: Die Schriften des Neuen Testaments (hg. v. J. Weiß) II, Göttingen 2 1908, S. 555: „Die urchristliche Gemeinde ist nicht anders wie das fromme Judentum jener Zeit puritanisch gesinnt." 22 Siehe Anm. 2 und 3. 23

24

G e g e n BEARE S. 1 2 9 f. u n d KELLY S. 1 2 9 f.

Die Konstruktion: ών (sc. ό κόσμος) έστω ούχ ό έξωθεν έμπλοκής κτλ. — τό χρυσίον, das „Gold", hier der „Goldschmuck"; ebenso 1 Tim 2,9; A p k l 7 , 4 ; 18,16. 25 Gegen WINDISCH S. 67: „ein Versuch, das geistige Wesen des Menschen von seiner äußeren Erscheinung abzulösen". 28 Gegen KNOPF S. 124 (Gen. poss.), und SELWYN S. 184 („genitive of definition").

1 Petr 3,4

217

glaubenden Denken und Wollen, bestimmt ist87. Er ist „verborgen", weil sein Wesen nicht konstatierbar ist; es ist nicht empirisch aufweisbar, weil es aus dem Glauben bzw. aus dem Geist kommt28. Dieser Mensch begegnet nämlich έν τω άφθάρτω του πραέος και ήσυχίου πνεύματος, „in der unvergänglichen Art 2 9 des sanften und stillen Geistes". Die Äußerungen des „verborgenen Menschen" entstammen dem Geist; das ist nicht das Innere des Menschen als solches, seine Gesinnung30, aber auch nicht der Geist Gottes als solcher31, sondern der von Gottes Geist geprägte Geist des Menschen32. Dieser Geist ist „sanftmütig und still", πραυς ist für at. Denken der Demütige, der sich nicht selbst durchsetzt, sondern das Ergebnis seines Verhaltens von Gott erwartet33, für griech.-hell. Denken die sanftmütige Freundlichkeit, die als soziale Tugend, vor allem der Frau, gilt 34 . Unser Brief denkt hier wie in 3,16 (μετά πραυτητος) an letzteres, an das freundliche Verhalten gegenüber dem Nächsten. Er versteht es jedoch, wie die Anwendung dieser Grundsätze auf alle Christen in 3,14-16 zeigt, aus christlichen Voraussetzungen: Die „sanfte Freundlichkeit" ist nun Ausdruck der Liebe auch gegenüber dem Gegner (vgl. 1 Kor 13,4-7), nicht weiche Nachgiebigkeit35. Mit der Freundlichkeit dieser Art gegenüber Verfehlungen und Aggression38 verbindet die frühchristliche Paränese hier und öfter das „Ruhig-undStille-Sein"37, das sich nicht erregt und nicht „Scheltwort mit Scheltwort" So KELLY S. 129 und KNOPF S. 124, als zweite Möglichkeit: Gen. app. Die sich noch am meisten mit der Terminologie des matthäischen Sonderguts berührende Wendung hat eine gewisse Entsprechung in der paulinischen Unterscheidung zwischen „äußerem" und „innerem Menschen" (2 Kor 4,16; vgl. Rom 7,20-22). 29 έν τω άφθάρτω ist substantiviertes Neutrum: das „Unvergängliche", die „unvergängliche Art" (vgl. BAUER, Wörterbuch). 3 0 BAUER, Wörterbuch, s.v.: „Gesinnung"; vgl. PsSall2,5 ψυχή ήσυχίας. KELLY S. 130: „Sinnesart" (frame of mind), wie wahrscheinlich auch in 1 Kor 4,21 und Gal 6,1. 8 1 KNOPF S . 125: In l,2.11f.; 3,18; 4,6.14 „ist es der heilige Gottes- oder Christusgeist". In 3,19 liegt jedoch auf alle Fälle eine andere Bedeutung von πνεϋμα vor (s. z. St.). 32 Die nächste Entsprechung ist die paulinische Wendung πνεύμα πραβτητος in 1 Kor 4,21. Gal 6,1: „Wenn ein Mensch bei einem Fehltritt erfaßt wird, so bringt ihr als die Geistlichen ihn durch den Geist der Sanftmut zurecht." Diese Wendung wie die an unserer Stelle ist nach der at.-jüd. Tradition zu verstehen, nach welcher der menschliche Geist durch Wirkung von außen, letztlich durch Gottes Geist, eine bestimmte Prägung empfängt. Vgl. E. S J Ö B E R G - E . SCHWEIZER, Art. πνεϋμα, ThWNT VI, S. 379. 446. 38 Diese Tradition wird aufgenommen im Sondergut des Mt: 11,29; 21,5 für Jesus und in 5,5 für die selig zu Preisenden; vgl. ThWNT VI, S. 6. 8 4 F . H A U C K - S . SCHULZ, Art. πραός, πραΰτης, ThWNT VI, S . 646; vgl. Plut, Praec. Conj. 45 (II, 144e); Consol. ad uxorem2 (II, 608d). 35 Für die Demut vor Gott steht in 5,5 f. ταπεινός. . 33 1 Kor 4,21; 2 Kor 10,1; Gal 6,1. 37 ήσύχιος, „ruhig", im NT nur noch in 1 Tim 2,2. Es steht wie hier neben πραός in 1 Cleml3,4 und Barn 19,4 (par Did 3,7.8): Beidemal in Aufnahme von Jes66,2 27

28

218

1 Petr 3,5 f.

beantwortet (vgl. 2,22f.;3,9). Es ist Ausdruck des „Nicht-Widerstehens", das Böses mit Gutem überwindet (Mt 5,39). Äußerungen eines „sanften und stillen Geistes" haben vor Gott und den Menschen Bestand, sie sind „unvergänglich" (άφθαρτος), —wie „der Schatz im Himmel" (Mt 6,19 f.). Sie 88 sind ein Schmuck, der „vor Gott kostbar" ist: δ έστιν ενώπιον τοϋ •9-εοϋ πολυτελές. Denn er „sieht auf das Verborgene" (Mt 6,4. 6. 18; vgl. 1 Sam 16,7), auf das Echte, womit sich der Mensch als sein Geschöpf erweist, das „auf ihn hofft" (V. 5). V. 5 f . : Alttestamentliche Beispiele V. 5: ο ύ τ ω ς γάρ π ο τ ε κ α ΐ cd ά γ ι α ι γ υ ν α ί κ ε ς . . . έκόσμουν έαυτάς, „denn SO schmückten sich einst auch die heiligen Frauen". „Heilig" sind die Frauen gleich dem „heiligen Volk" (2,9) 39 „einstmals", in der Vorzeit40, wie jetzt, weil sie erwählt sind und dadurch dem Heiligen zugehören (1,15f.; 2,9). Diese Zugehörigkeit bekundet sich in ihrem „Hoffen auf Gott": α ί έ λ π ί ζ ο υ σ α ι εις θ-εόν. Sie erwarten ihre weitere Existenz von Gottes Zusage (1,3. 13; 3,15; vgl. Hebr 11,13). Dieser Einstellung, d.h. dem Hoffen bzw. Glauben (1,21), entspricht die Art, wie sie sich schmücken und sich insgesamt in der Ehe verhalten. Hier wird die Motivierung dieses Hinweises auf at. Leitbilder sichtbar: Das Verhalten der „heiligen Frauen" des AT wird nicht als Vorbild genannt, das aus allgemein menschlichen Gründen nachahmenswert ist 41 . In diesem Sinn führt der 1 Clem Beispielreihen aus dem AT zusammen mit solchen aus der Profangeschichte an (vgl. 1 Clem 55,1). Der 1 Petr aber will wie Hebr 11 auf eine „Wolke von Zeugen" verweisen, die denselben Weg hoffenden Glaubens gegangen sind (Hebr 12,1). V. 6: Er verbindet die christlichen Frauen darüber hinaus mit einer Einzelgestalt, die ausdrücklich genannt wird, nämlich mit der Frau Abrahams, und versteht jene als deren Nachfahren (ής έγενήθητε τέκνα). L X X : „Wen werde ich ansehen, wenn nicht den Sanften und Stillen und den, der mein Wort fürchtet"; Herrn mand 5,2,3; 6,2,3; 11,8; vgl. 5,2,6 (ήσυχία und πραΰτης). 38 8 kann inhaltlich nur auf den ganzen vorhergehenden Satz bezogen werden (mit BEARE S. 129f.), nicht allein auf έν τω άφθάρτω (BENGEL, Gnomon z. St. und K N O P F S. 125) oder πνεύματος ( K E L L Y S. 129 f.). 8 t άγιοι ist geläufige Kennzeichnung der Christen; als Attribut einzelner Gruppen oder Individuen erscheint es selten, wie hier von alttestamentlichen nur in 2 Petr 3,2 (IgnPhilad 9,2): die heiligen Propheten, und M t 2 7 , 5 2 : viele Heilige; von neutestamentlichen Personen Act 4,27.30: deinen heiligen Knecht Jesus; Eph 3,5: die heiligen Apostel und Propheten; (IgnMagn3,l: die heiligen Presbyter). 40 ποτέ ebenso in 3,20; in 2,10 von der vorchristlichen Zeit, so oft bei Paulus: Gal 1,13.23; 2,6; Kol 1 , 2 1 ; 3,7 u. ö. 4 1 Gegen K N O P F S. 126: „Es war auch einer von den großen Vorzügen des AT., daß es der jungen Gemeinde das große ethische Musterbuch abgab."

1 Petr 3,6

219

Sie sind „Kinder" Saras, nicht erst, wenn sie ihr im Verhalten gleichen42, sondern schon, weil sie Erben derselben Verheißung sind (1,10-12). Der Zusammenhang wird jedoch nicht wie bei Paulus (Rom 4; Gal 3) kritisch reflektiert, sondern aufgrund christlicher Tradition wie in 2,9 als gegeben angewendet. Die at. Gestalten sind nicht als Typen gedacht 43 , die auf die Erfüllung hinweisen (1 Kor 10,11), sondern als die geistlichen Vorfahren. Ausschlaggebend ist an dieser Stelle: Die Frauen des erwählten Volkes haben sich in die ehelichen Bindungen eingefügt (ύποτασσόμεναι τοις ιδίοις άνδράσιν), gerade auch die Frau dessen, mit dem Erwählung und Verheißung einsetzten. Bei Sara erwies sich die Unterordnung durch ihren Gehorsam 44 : ώς Σάρρα ύπήκουσεν τω 'Αβραάμ. Dies wird durch eine nicht gerade treffende Stelle aufgewiesen, die jedoch auch von den Rabbinen in diesem Sinne ausgewertet wurde: Sie nannte Abraham nach Gen 18,12 ihren „Herrn" 4 6 (κύριον αυτόν καλούσα); land diese Bezeichnung bzw. Anrede war im alten Orient gegenüber dem Mann üblich 46 . „Ihre Kinder wurdet ihr, wenn ihr euch recht verhaltet und keine Einschüchterung fürchtet". Die Partizipien άγαθοποιοϋσαι και μή φοβούμεναι nennen nicht den Grund 47 , sondern einen Erweis der Zugehörigkeit zu Sara: „Ihre Kinder" 48 wurden sie durch die Taufe — gleich ob sie Heiden oder Juden waren, darüber reflektiert unser Brief nicht — und damit durch die Berufung zum Hoffen; der Aorist έγενήΟητε weist deutlich auf einen einmaligen Akt zurück. Die auf diese Weise gewonnene Kindschaft erweist sich, wie das hart anschließende präsentische Partizip άγαθοποιοϋσαι49 sagt, im „Rechtverhalten", άγαθοποιοϋν steht hier für 42

Philo, Vitt. 195: „Die Verwandtschaft wird nicht allein am Blut gemessen, . . . sondern an der Tugend." 48 Sara wird nicht, wie KELLY S. 1 3 0 ff. erklärt, „typologisch" gesehen. 44 In der Ständetafeltradition steht ύπακούειν für ύποτάσσεσθαι. Sonst bei Kindern (Kol 3,20; Eph 6,1) und Sklaven (Kol 3,22; Eph6,5) s. S. 174f. 45 Gen 18,12 L X X : 6 δέ κύριός μου πρεσβύτερος. Dazu Tanch M ® "Π 29 a: „Den Abraham ehrte sein Weib und nannte ihn ,Herr', wie es heißt Gen 18,12: . . . " (BILLERBECK I I I , 7 6 4 ) . 4

« V g l . HAHN, Hoheitstitel S. 81 f.

47

Gegen W I N D I S C H S. 67: „Der Gedanke ist unpaulinisch geformt, da nicht der Glaube, sondern gute Werke und Unerschrockenheit (Prov3,25) als Bedingung genannt sind . . . " Auch μή erweist nicht einen konditionalen Sinn, da es in der Koine meist beim Partizip verwendet wird. 48 Die singulare Formulierung ist der Wendung „Kinder Abrahams" nachgebildet, die im N T vor allem in der Evangelienüberlieferung begegnet (Mt 3,9 par Lk; Joh 8,39 vgl. Gal 3,7 υιοί); ungleich geläufiger ist die entsprechende Bezeichnung Abrahams als Vater: R ö m 4 , l l f . ; Jak2,21; M t 3 , 9 par; Joh 8,39.53; l C l e m 3 1 , 2 ; Barn 13,7. Der entsprechende Hinweis auf Sara findet sich daneben schon in Jes 51,2: „Schaut auf Abraham euren Vater und auf Sara, die euch geboren hat." Im N T wird sie sonst nur in R o m 4 , 1 9 ; 9,9 und Hebr 11,11 erwähnt. 4 » Dieser harte Anschluß ist jedoch kein Grund, den Aorist, was sprachlich möglich

220

1 Petr 3,7

ύποτάσσεσθαι in V. 5; Rechtverhalten bedeutet — und damit bestätigt sich, was für die sonstige Verwendung des Verbs in unserem Brief ermittelt wurde —, den Anforderungen der Institutionen in der Gesellschaft nach christlichem Gewissen gerecht werden. Dieses Rechtverhalten, hier eine dem Gewissen entsprechende Unterordnung, ist nur möglich, wenn die Menschenfurcht überwunden wird. Eine christliche Frau ist in der Ehe mit einem Nichtchristen stark der Gefahr ausgesetzt, wegen offener oder versteckter Drohungen den Wünschen des Mannes gefügig sein zu müssen, die ihrem Glauben widerstreiten. Daher wird ihr, wie nach einer Grundlinie unseres Briefes allen Christen, nahegelegt, in der Furcht vor Gott (3,2) „keine Einschüchterung"80 von selten eines Menschen zu fürchten 81 : μή φοβούμενα!, μηδεμίαν πτόησιν.

2e) 3,7: Aufgabe und Verantwortung der Ehemänner1 7 Ebenso, ihr Männer, lebt in Einsicht zusammen mit dem weiblichen Geschlecht als dem schwächeren, erweist (euren Frauen) Ehre als Miterben der Gnade(ngabe) des Lebens, damit euren (gemeinsamen) Gebeten nichts im Wege steht.

Zu Form und Tradition : 1) Das kurze Wort an die Ehemänner folgt in der Form dem Schema der Ständetafel, wie es in 3,1 f. gestaltet ist: Anrede, Imperativ, Finalsatz als Begründung. 2) In der inhaltlichen Formulierung ist die Weisung anscheinend, wie schon 3,3 f., durch eine weisheitliche Tradition aufgefüllt, die auch hinter 1 Thess 4,4f. steht: „Es wisse aber ein jeder mit seinem Gefäß in Heiligung und Ehre zusammenzuleben, nicht in leidenschaftlicher Begierde wie die Heiden, die Gott nicht kennen." Hier wie dort wird an Einsicht appelliert (κατά γνώσιν, εΐδέναι, μή είδότα τον θεόν), die Frau als σκεϋος bezeichnet und τιμή für sie gefordert. Die Berührung erklärt sich aus der Verwendung verwandter paränetischer Gemeindetradition, schwerlich, wie S E L W Y N Z. St. annimmt, aus der wäre, präsentisch zu fassen (so BEARE S. 130) oder ώς Σάρρα bis τέκνα als Parenthese zu lesen (BENGEL, Gnomon ζ. St.; BEARE S. 130f. und KNOPF S. 129f.). 60 ή πτόησις, im NT nur hier, entweder aktiv das „Erschrecken", die „Einschüchterung", oder passiv die „Furcht", der „Schrecken"; an unserer Stelle sind beide Bedeutungen möglich. Bei der zweiten wäre πτόησιν Akk. des inneren Objekts; wahrscheinlicher ist die erstere. Beispiele für Einschüchterung: Tert, Uxor. 2,5: Ein nichtchristlicher Gatte droht seiner Frau mit Anzeige; Justin, ΑροΙΙΙ,Ι. 51 Diese zweite Wendung wird nicht durch die Sara-Erzählung illustriert; sie lehnt sich an Prov 3,25 LXX an: και ού φοβηθ-ήση πτόησιν έπελθοϋσαν. Dieses Kapitel wurde im Urchristentum mehrfach paränetisch verwendet (vgl. SELWYN S . 408ff.). In 1 Petr 5,5 wird Prov 3,34 zitiert. 1 B. REICKE, Die Gnosis der Männer nach 1 Petr 3,7, in: Neutestamentliche Studien für R. Bultmann (BZNW 21), Berlin 1954, S. 296-304.

1 Petr 3,7

221

Beteiligung von Silvanus an beiden Briefen. Als weisheitlicher Hintergrund ist u.a. EpArist § 250f. zu vergleichen: „Wenn du bedenkst, daß das weibliche Geschlecht . . . schwach ist. Man muß aber vernünftig (mit ihm) umgehen." 3) Der erste Imperativ des komplizierten Satzes 3,7 wird von dem Appell an die Einsicht in den natürlich-geschichtlichen Unterschied zwischen Mann und Frau getragen, der zweite von dem Wissen um die soteriologisch-eschatologische Gleichstellung 2 ; und beide münden in dem begründenden Finalsatz: „damit euren (gemeinsamen) Gebeten nichts im Wege steht". V. 7: Gleich jedem Christen im weltlichen Stand (ομοίως) werden die Ehemänner in V. 7 a in die sich aus ihrem Stand ergebenden Verpflichtungen eingewiesen, auch wenn sie als die einzigen in dieser Ständetafel nicht den ύποτασσόμενοι, der untergeordneten Seite, zugehören. Ihr eheliches Zusammenleben mit der F r a u 3 soll sich „der Einsicht gemäß" vollziehen: συνοικοϋντες κατά γνώσιν. Das Wort γνώσις bezeichnet hier nicht griechisch das Konstatieren eines Sachverhalts, die empirische Analyse 4 , auch nicht im gnostischen Sinne die überlegene Wirklichkeitsschau (1 K o r 8,1). E s ist vielmehr die verstehende Einsicht, die aus der Liebe zu Gott und den Menschen erwächst, wenn sich einer von Gott geliebt weiß Sie bekundet sich daher besonders in der Rücksichtnahme. Die Frau ist, wie mit überkommenen Formeln jener paternalen Gesellschaft gesagt wird, „das schwächere G e f ä ß " : ώς άσθενεστέρω σκεύει τω γυναικείω β . συνοικοϋντες und απονέμοντες sind partizipiale Imperative. συνοικέω, „zusammenwohnen", von der ehelichen Gemeinschaft. Schon bei Hdt 1,93; IV, 168 und Sir 25,8 umschreibt συνοικέω den gemeinsamen ehelichen Lebensvollzug einschließlich des geschlechtlichen. Act 10,27 ersetzt es durch συνομιλοϋντες, •das eine rein geistige Gemeinschaft bezeichnet. Dieselbe asketische Tendenz äußert sich auch in anderen nt. Textveränderungen; so L k 2 , 3 6 : sieben Tage, statt Jahre; 1 Kor 7,3: τήν όφειλομένην εΰνοιαν statt την οφειλήν; 1 Kor 9,5: „eine Frau als Schwester" statt „eine Schwester als Frau". 1 R. B U L T M A N N , Art. γινώσκω, ThWNT I, S. 690f. 5 So wird die Art der christlichen γνώσις, die das Verhalten bestimmt, in 1 Kor 8,1-13 prägnant umschrieben. Unsere Stelle, die einzige, an der dieser Wortstamm im Brief begegnet, setzt solche Reflexion nicht voraus — R E I C K E bezieht sich zu unmittelbar auf 1 Kor 8 —, aber sie impliziert ihre Grundlage als christliche Tradition. Die aus Glaube und Liebe hervorgehende Erkenntnis, die das Verhalten lenkt, gehört in der Paränese zur Struktur christlicher Existenz; vgl. Phil 1,9: „ . . . daß eure Liebe . . . reich werde in Erkenntnis . . . , daß ihr prüft, worauf es ankommt"; Phlm 6: „ . . . damit die Gemeinschaft mit deinem Glauben wirksam werde in der Erkenntnis alles Guten"; Kol 1,9 f.; 3,10: „Ziehet an den neuen Menschen, der erneuert ist zur Erkenntnis"; 2 Petr l , 3 . 5 f . ; 3,18; Barn 2,3; 21,5 (s. B U L T M A N N , ThWNT I, S. 707f.). β τό σκεϋος, das „Gerät", das „Gefäß", übertragen: 1) ein Mensch als Werkzeug (Act 9,15), 2) der Leib als Gefäß des Geistes (Herrn mand 5,1; Barn 7,3), 3) im A T und im Judentum seit dem Töpfergleichnis Jer 18,1-11 oft für den Mensch als Geschöpf, 4) im rabb. „Gefäß", für die Frau ( B I L L E R B E C K III, 632f.; ThWNT VII, S. 361 f.). 3

s

In 1 Thess4,4 liegt die 4. Bedeutung vor; unsere Stelle steht zwischen dieser und der dritten. Daher übersetzt man am besten „Gefäß" (so auch C H R . M A U R E R , Art. σκεϋος, ThWNT VII, S. 368, und B A U E R , Wörterbuch s. v.).

222

1 Petr 3,7

Der Verf. will mit diesen Formeln nicht all das vergegenwärtigen, was griechische und jüdische Autoren über die Schwachheit der Frau in physischer 7 wie in psychischer8 Hinsicht gesagt haben; er will vielmehr einprägen, daß die Ehefrau zu denen gehört, denen schon nach der Jesusüberlieferung 9 die besondere Rücksicht und Fürsorge der Agape zukommt. Und dies gilt auf alle Fälle im Blick auf ihre gesellschaftliche und rechtliche Stellung in der antiken Ehe wie in einer auf körperliche Arbeit angewiesenen Wirtschaft. Was er nach 3,1 f. sittlich-religiös von ihr erwartet, ist kaum zu überbieten. Demgemäß stellt V. 7 b neben die Gestaltung des ehelichen Zusammenlebens durch christliche Einsicht in die natürlich-geschichtlichen Gegebenheiten diejenige durch den eschatologischen Aspekt: Der. Ehefrau soll „Ehre" als im Menschsein Gleichgestellter erwiesen werden 10 (vgl. 2,17); denn sie ist „Miterbin 11 der Gnadengabe des Lebens": άπονέμοντες τιμήν ώς και. συγκληρονόμος χάριτος ζωής. Sie empfängt gleich dem Mann, mit dem sie im Glauben verbunden ist, in der neuen Welt die „Gnadengabe", nämlich das „Leben" 12 , als ein bereits jetzt zugeschriebenes Erbe (1,4£). Dieser neue Aspekt gilt nicht nur in der Ehe, sondern in allen weltlichen Ständen. In jedem muß der Partner letztlich als der Mensch anerkannt werden, der zum „Miterben der Gnade des Lebens" bestimmt ist. Dies ist das letzte Kriterium christlicher Sozialethik. Es hebt in der Ehe wie sonst die geschichtlichen Lebensformen nicht auf, aber setzt ihnen Grenze und Ziel. Die beiden Imperative wollen beachtet sein, vor allem auch der Finalsatz in V. 7c: εις τό μή έγκόπτεσ·9·αι τάς προσευχάς υμών, „damit euren Gebeten nichts im Wege steht". „Eure Gebete" sind wohl nicht die der Männer, sondern die gemeinsamen Gebete beider Gatten. Schon nach Jesu Wort wird das Gebet gelähmt, wenn das Verhältnis zum Mitmenschen gestört ist 13 . Wird das engste mitmenschliche Verhältnis, die Ehe, nicht 7 Plato, Resp. V, 455 D. E.; 457 A; Leg. 781 Α : τό θήλυ διά τό ασθενές; Philo, Ebr. 55; PapOxy 261,11-13. 8 Plato, Leg. VI, 781 Β: Die weibliche Natur ist hinsichtlich der Tugend der männlichen unterlegen; EpArist § 250f. 8 Mt 11,28; 18,10; auch in 1 Kor 8,9; Rom 14,1.13.20; 15,1 wird zur Rücksicht auf die Schwachen aufgerufen, aber es sind anders als hier geistlich Schwache gemeint. 10 άπονέμειν τιμήν, „Ehre zuteil werden lassen", häufig im klass. Griech.; frühchristlich sonst 1 Clem 1,3; MartPol 10,2. 11 Eine Reihe von Handschriften liest statt des Dat. den Nom., weil das Dat.-Objekt in V. 7a im Singular steht; der Nom., der die Aussage auf den Mann bezieht, würde ihren Sinn entstellen. 12 χάριτος ist Gen. obj., ζωής Gen.epexeg. 18 Mt5,23; 6,12.14f.; vgl. l K o r l l , 3 3 f . ; Jak4,3. Die Weisung hat also einen anderen Sinn als die Regelung in 1 Kor 7,5; diese ist kein „Kommentar" zu unserer Stelle (gegen K e l l y S. 134), sondern entspricht der Regel TestNaph 8,8: „Es gibt eine Zeit für das Zusammensein mit seiner Frau und eine Zeit des sich Enthaltens für das Gebet."

lPetr 3,8-12

223

recht voÜ2ogen, dann werden die Gebete der Beteiligten „gehindert": sie gewinnen nicht die richtige Gestalt und erreichen nicht die Einigung mit Gottes Willen und Geben 14 . So entwickeln die Weisungen des 1 Petr zum Vollzug der Ehe unter dem Aspekt des Konflikts wie der neuen Existenz Prinzipien nt. Sozialethik, die bis heute richtungweisend sind. Sie haben noch mehr als die vorhergehenden Paränesen beispielhafte Bedeutung für andere Stände.

3) 3,8-12: Übergreifendes soziales Verhalten aller1 8 Schließlich aber seid alle (untereinander) gleichgesinnt, mitfühlend, brüderlich, barmherzig und zuvorkommend. 9 Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, im Gegenteil segnet, weil ihr dazu berufen seid, daß ihr Segen erbt. 10 Denn „wer das Leben liebhaben und gute Tage sehen will, der hüte fortan seine Zunge vor dem Bösen und seine Lippen, daß sie nicht Trug reden, 11 er lasse aber ab vom Bösen und tue Gutes, er suche Frieden und jage ihm nach!" (Ps 34,13-15) 12 Denn „die Augen des Herrn (achten) auf die Gerechten und seine Ohren auf ihr Gebet, das Angesicht des Herrn aber (richtet sich) gegen die, die Böses tun" (Ps 34,16f.).

Zu Auflau und Tradition: 1) Durch das einleitende adverbiale το δέ τέλος, „schließlich", „endlich", zeigt der Verf. an, daß er die paränetische Reihe abschließen will, mit πάντες, „alle", daß er nun die Gemeindeglieder insgesamt anredet. Er verweist auf die für jeden stets geltende soziale Grundeinstellung: Gegenüber den Brüdern V. 8 wie gegenüber den Gegnern V. 9 gilt es, durch Erweise der Liebe alles Trennende zu überwinden und Gemeinschaft zu suchen. Vielleicht entspricht es einem paränetischen Schema, wenn die Ständetafel mit diesem Hinweis abgeschlossen wird; auch in Rom 13 wird nach der Einweisung in den Stand (13,1-7) generell zu der Liebe verpflichtet, die das Bisherige überhöht (13, 8-10). 14 έγκόπτω, „hemmen", „hindern"; der Sinn wird einseitig verengt, wenn BAUER, Wörterbuch s. v., übersetzt: „damit nicht eure Gebete des Erfolgs beraubt werden", oder G. STÄHLIN, Art. έγκοπή, ThWNTIII, S. 855, 26 erklärt: das Aufsteigen der Gebete zu Gott wird gehindert (vgl. ebd. S. 856, 39FF.). — Zur Stelle vgl. noch A. FRIDRICH-

SEN, I Peter 3 , 7 , S v E x A 1 2 (1947) S. 1 4 3 - 1 4 7 . 1

Lit.: Ε. BEST, I Peter and the Gospel Tradition, N T S 1 6 (1969/70) S. 9 5 - 1 1 3 ;

D. L. DUNGAN, The Sayings of Jesus in the Churches of Paul. The Use of the Synoptic Tradition in the Regulation of Early Church Life, Oxford 1971; C. H. TALBERT, T r a d i t i o n a n d R e d a c t i o n i n R o m a n s X I I . 9 - 2 1 , N T S 1 6 ( 1 9 6 9 / 7 0 ) S. 8 3 - 9 4 ; J . BROWN,

Synoptic Parallels in the Epistles and Form-History, NTS 10 (1963/64) S. 27-48.

224

IPetr 3,8-12

2) Der Aufbau unseres Abschnitts gleicht formal weithin dem der bisherigen Paränesen: Der Anrede πάντες folgt eine Reihe imperativischer Adjektive bzw. Partizipien, die in V. 9 b mit einer Einzelbegründung schließt. Ihr wird in V. 10-12 als generelle Begründung ein Schriftzitat, Ps 34,13-17a, angefügt. 3) Sichtlich nimmt der Abschnitt eine paränetische Tradition auf, die uns auch in 1 Thess 5,13b-15 und vor allem in Rom 12,10.14.16 f. begegnet (in Kol 3,12-15 und Eph 4,1-3.31 f. finden sich inhaltliche Entsprechungen, die jedoch nicht auf eine gemeinsame Tradition weisen): a) Im Aufbau folgt hier wie in Rom 12 auf die Liebe zu den Brüdern die zu den Feinden. In beiden Fällen wird die Paränese redaktionell durch at. Weisungen ergänzt; diese werden dort eingeschoben, hier angefügt. b) In der Einzelparänese werden in erheblichem Umfang dieselben Stichworte verwendet, wenn auch in unterschiedlicher Reihenfolge: 1 Petr 3 V. 8 όμόφρονες συμπαθείς (εδσπλαγχνοι) φιλάδελφοι ταπεινόφρονες V. 9 μή αποδίδοντες κακδν άντί κακοϋ τουναντίον . . . εύλογοϋντες

Rom 12 V. 16 τδ αύτδ . . . φρονοΰντες V. 15 χαίρειν μετά χαιρόντων κλαίεtv μετά κλαιόντων V. 10 τγ) φιλαδελφία . . . φιλόστοργοι V. 16 μή τά ύψηλά φρονοϋντες, άλλά τοις ταπεινοϊς . . . V. 17 a μηδενΐ κακδν άντί κακοϋ άποδιδόντες (abgewandelt in 1 Thess 5,15) V. 14 ευλογείτε τούς διώκοντας (vgl. 1 Kor 4,12)

c) Vergleicht man die unterschiedliche Formulierung, so zeigt sich: Die fünf Adjektive in V. 8 geben durchweg in hellenistischer Formulierung wieder, was in Rom 12 mehr at.-jüdisch ausgesagt wird. Die beiden ersten Adjektive finden sich in der LXX, im NT und bei den Apost. Vätern nur hier; sie entstammen der späteren griechischen Ethik, aber sie geben inhaltlich jüdisch-christliche Wendungen wieder 2 . Auch die übrigen drei Adjektive sind Wörter der hellenistischen Umgangssprache; sie werden hier jedoch inhaltlich in einem Sinn gebraucht, den sie bzw. ihre Stämme schon vorher in der jüdischen bzw. christlichen Paränese angenommen haben. Wörtlich begegnet auch von ihnen im NT nur das zweite einmal im Epheserbrief; bei den Apost. 2 όμόφρων, „gleichgesinnt", „einträchtig" (seit Homer; Plut, Mor. 432c; Strabo, Geogr. 6,3,3: όμόφρονας ώς äv άλλήλων άδελφούς; W. DITTENBERGER, Orientis Graeci Inscriptiones Selectae 515,5) steht für τό αύτό φρονοϋντες (Rom 12,16; 15,5,5; Phil 2,2; vgl. 1 Kor 1,10). — συμπαθής, „Mitgefühl zeigend" (seit Aristoteles; Plut, Mor. 536a; DITTENBERGER, a.a. O. 456, 66; in der L X X textlich unsicher) gibt wieder, was in Rom 12,15 die Wendung: „sich freuen mit den sich Freuenden, weinen mit den Weinenden" besagt, die jüdischer Tradition entstammt (Sir 7,34; Derech Erez bei BILLERBECK I I I , S. 298; Testiss 7); ähnlich lautende hellenistische Wendungen meinen eine Höflichkeitsregel: συγχαίρω σοι ( = gratulor tibi) in CorpGlossLat I I I , 227, 23; dazu MICHEL, Römer S. 306 Anm. 2.

I P e t t 3,8-12

225

Vätern werden das zweite und dritte des öfteren in der Paränese gebraucht3. Der sprachgeschichtliche Prozeß läßt erkennen, daß diese Paränese inhaltlich an Vorstellungen über die mitmenschliche Gemeinschaft anknüpft, die von der at. Gottesoffenbarung her entwickelt wurde; sie bietet die auf dieser Basis entwickelte frühchristliche Tradition jedoch im Vergleich mit Paulus in einer stärker hellenisierten Sprachform dar. d) Der entscheidende Ansatz dieser paränetischen Tradition wird in V. 9 sichtbar: Diese Weisung entspricht inhaltlich dem Bergpredigtlogion Jesu von der Feindesliebe. Es ist jedoch zu beobachten, daß sie sich im Wortlaut mit der Überlieferung dieses Logions in den Evangelien weit weniger berührt als mit der in der Paränese Rom 12: V. 9a entspricht (s. o.) fast wörtlich Rom 12, 17a und weitgehend 1 Thess 5,15a; V. 9b gleicht 1 Kor 4,12, vor allem aber Rom 12,14. Dagegen berührt sich V. 9 a mit Jesu Gebot der Feindesliebe in der Evangelientradition im Grund in keinem Wort: Lk 6,27a par Mt 5,44: άγαπατε τούς εχθρούς υμών, 6,27 b: καλώς ποιείτε τοις μισοϋσιν ύμας, Mt 5,39: μή άντιστηναι τω πονηρω. Für V. 9b ergibt sich wenigstens eine Berührung in einigen Stichworten: Lk 6,28a: εύλογεΐτε τούς καταρωμένους ύμας, 6,28b (par Mt 5,44b): προσεύχεστε περί τών έπηρεαζόντων (so 1 Petr3,16) ύμας (Mt. . . ύπέρ τών διωκόντων). Der Vergleich zeigt, daß sich von diesem Jesuslogion aus zwei Uberlieferungen entwickelten, die Evangelienüberlieferung und die Gemeindeparänese4. Die uns vorliegende Gestalt der Gemeindeparänese geht wahrscheinlich von einem Logion aus, dem Lk 6,27 f. näher steht als Mt.— Welche Faktoren bei der Umgestaltung des Jesusworts zur Gemeindeparänese wirksam waren, kann hier nur angedeutet werden: Die totale Umkehrforderung Jesu Lk 6,27: „Erweist euren Feinden Liebe, tut denen Gutes, die euch hassen", wurde für die Paränese mit dem anschließenden Beispiel Lk 6,28 verschmolzen sowie mit Hilfe geläufiger Wendungen der Weisheit6 für den alltäglichen Umgang mit Gegnern des Glaubens einprägsam formuliert. Dabei wurde das 3 φιλάδελφος, „bruder-" bzw. „schwesterliebend", im Griech. so gut wie ausschließlich nur eigentlich von Geschwisterliebe gebraucht; übertragen Ps-Sokrates, Epist. 28,12: „menschenfreundlich"; 2 M a k k l 5 , 1 9 : die Angehörigen des Gottesvolkes liebend

(BAUER, Wörterbuch s . v . ; H.V.SODEN, Art. άδελφός, T h W N T I , S. 144-146; s. zu

1,22). — εΰσπλαγχνος hat im Griech. nur medizinische Bedeutung, hier: „barmherzig", „mildtätig", so auch Eph 4,32 (vgl. Kol 3,12 σπλάγχνα οίκτιρμοϋ) und weiterhin 1 Clem 54,1 (von Gott); PolPhil5,2; 6,1; ebenso schon TestSeb9,7; TestSim4,4. Die hier hervortretende Verwendung des Stammes σπλάγχνα für den hebräischen Stamm Q ' S m liegt dem nt. Sprachgebrauch zugrunde; vgl. H. KOESTER, Art. σπλάγχνον, ThWNT VII, S. 551 f. —ταπεινόφρων im Griech. „kleinmütig"; hier „demütig" wie schon Prov 29,23, weiterhin Barn 19,3; Herrn mand 11,8; IgnEphlO,2; im N T sonst nur das Subst. ταπεινοφροσύνη Kol3,12; E p h 4 , 2 ; ebenso 1 Clem 19,1; 38,2. Das griech. Wort gibt das at. 1357 wieder. In 1QS 4,3 steht dieses mit der vorhergehenden Wendung zusammen: T-I

„Einen Geist der Demut (Π1157 ΓΠΤΙ) und Langmut und reiches Erbarmen (Β , 0Π1 3111) TT"! | · -ϊ Ϊ und ewige Güte" (vgl. WIBBING, Tugend- und Lasterkataloge S. 104f.). 4 Did 1,3 versucht erstere weiterzuführen, PolPhil2,2 letztere. 5 Prov 17,13: „Wer Gutes mit Bösem vergilt . . . " ; 24,29: „Sage nicht: Wie er mir getan, so will ich ihm tun, will dem Mann vergelten nach seinen Taten"; vgl. 20,22; slavHen50,4. Dagegen wirkt Lev 19,18, das sachlich nahesteht, in der Formulierung nicht nach.

226

1 Petr 3,8

im Beispiel ursprünglich genannte „verfluchen" (καταρασθ-αι), das im jüdischen Bereich akut war, in Rom 12,14 noch am Ende aufgenommen, in 1 Petr 3,9 dagegen ausschließlich durch „Scheltrede" (λοιδορία) ersetzt. So war die Spruchweisheit, die Paulus in Rom 12,16 f. 19 f. redaktionell zur Ausgestaltung der Gemeindeparänese heranzieht, bereits wirksam, als diese aus Jesu Logion heraus Gestalt annahm. Das in dieser Weise aufgenommene zentrale Jesuslogion war das richtungweisende Kriterium, unter dem diese paränetische Tradition weitgehend aus at.-jüdischen Uberlieferungen gestaltet wurde; das gilt jedenfalls von ihrer Ausprägung bei Paulus und im 1 Petr. 4) Es lag in der Linie dieses Entstehungsprozesses, wenn die in V. 8 f. aufgenommene Paränese anschließend in V. 10-12 durch Zitierung einer weisheitlichen Psalmstelle noch weiter redaktionell entfaltet und unterbaut wurde. Keinesfalls ist die Paränese umgekehrt durch diesen Psalm angeregt®. Die at. Wendungen werden von der vorherstehenden christlichen Paränese aus verstanden. Es liegt jedoch nicht in der nt. Perspektive, diese Paränese als Auslegung von Ps 34,13-17 zu bezeichnen7; der Blick des Verf. geht grundsätzlich nicht vom at. Text, sondern von der christlichen Tradition aus und sucht, wie der kausale Anschluß mit γάρ in V. 10 anzeigt, in der Schrift dafür eine Begründung. Der Sinn dieser at. Begründung ergibt sich nun nicht mehr aus der weisheitlichen Lebenserfahrung, sondern aus der Christuserfahrung, die aus den christologischen Begründungen in 2,21-25 spricht. 5) So läßt die traditionsgeschichtliche Analyse Grund und Ziel des ganzen Abschnitts erkennen. Beide werden grundlegend mißverstanden, wenn man ihn als Tugendlehre versteht, bei der Ideale der autonomen Persönlichkeit kirchenpolitischer Klugheit geopfert werden: „Die Führer dieser Gemeinde bemühen sich, ja keinen haßerfüllten Sektengeist aufkommen zu lassen . . . In solcher Lage gilt Sanftmut und Bescheidenheit mehr als kühne Wahrhaftigkeit und edler Stolz."8 Diese Erklärung verkennt, daß diese Paränese in der durch Jesus ergangenen Gottesoffenbarung wurzelt und in ihr die Sinnmitte hat. Von ihr her sind, wie auch an den begriffsgeschichtlichen Zusammenhängen deutlich wurde, die hellenistischen wie die at.-jüd. Wendungen verstanden, aus denen diese abschließende Einweisung in ein soziales Verhalten formuliert ist. V. 8 f . : Weisung im Sinne der Bergpredigt Jesu V. 8: Bei dieser Reihe von fünf Imperativischen Adjektiven ist, wie das in der Mitte stehende φιλάδελφος, „bruderliebend", anzeigt, zunächst an das Verhältnis der Gemeindeglieder untereinander gedacht; denn die Bruderliebe ist nach einheitlichem nt. Wortgebrauch der gegenseitige Liebeserweis unter den Gliedern der Gemeinde, nicht eine auf alle Men• Gegen SELWYN S. 413 f. (s. zu 2,3). Nach W. BORNEMANN, Der erste Petrusbrief — eine Taufrede des Silvanus?, ZNW 19 (1920) S. 143-165, war Ps 34 der Text der Taufrede (vgl. S. 146ff.). 7 Gegen SCHWEIZER S . 72. 8 K N O P F S. 133f., im Rückgriff auf G U N K E L , SNT 2 II S. 557.

1 Petr 3,8

227

sehen gerichtete und daher abstrakte brüderliche Gesinnung 9 . So umschreiben die fünf Adjektive die Praktizierung der κοινωνία, die für die Gemeinde wesentlich ist (Act 2,42; Gal2,9; 1 Joh 1,3a. 7). Ihr entspricht es, daß alle όμόφρονες, „gleichgesinnt", sind. Ihr Denken und Trachten soll, wie das in Rom 12,15 und sonst dafür stehende τό αύτό φρονοϋντες besagt, denselben Inhalt haben bzw. auf dasselbe Ziel ausgerichtet sein10 — nicht durch Gleichschaltung nach demselben Programm, sondern durch die dialogische Orientierung an dem Auftrag desselben Herrn. Durch diese Orientierung wird das φρονεΐν, das Denken und Trachten, nach Phil 2,2-6 nicht auf Selbstverwirklichung (Rom 12,16), sondern auf das Dienen mit den unterschiedlichen Gaben gewiesen und dadurch nicht uniform, wohl aber einträchtig. So sind die in der Philosophie wie in der jüdischen Religiosität üblichen Schulbildungen, die σχίσματα und αιρέσεις, in der Gemeinde verwerflich (1 Kor 1,10), weil sie der Individualität und nicht dem Herrn dienen. Das dialogische Eingehen auf den Bruder, ohne das ein Ziel nicht gemeinsam gesehen werden kann, wird auch in den weiteren Wendungen hervorgehoben. συμπαθής, „mitfühlend", bezieht sich auf das, was den anderen bedrängt oder freut; er „freut sich mit den sich Freuenden und weint mit den Weinenden", wie die entsprechende at.-jüdische Wendung in Rom 12,15 sagt11. In der brüderlichen Gemeinschaft ist nicht nur beteiligtes Eingehen auf den anderen, sondern immer wieder auch die sein Versagen wie seinen Mangel deckende barmherzige Hinwendung zu ihm nötig; deshalb sollen alle Glieder der Gemeinde ευσπλαγχνοι, „barmherzig", sein. Der Begriff τά σπλάγχνα, ursprünglich die inneren Organe, wird im N T wie schon in den Testamenten der ΧΠ Patriarchen Bild für die innere Zuwendung zum Nächsten, in der man nicht nur etwas, sondern sich selber gibt 12 . Solche Zuwendung ist nur möglich in der Haltung des ταπεινόφρων, des „Demütigen", d.h. des Anaw 13 , der den anderen wichtiger nimmt als sich 9

Siehe zu 1,22. Siehe Anm. 2; vgl. Phil 4,2: „Euodias und Syntyche ermahne ich, im Herrn auf dasselbe bedacht zu sein" (τό αυτό φρονεΐν έν κυρίω); vgl. Rom 15,5; 2 Kor 13,11; Gal 5,10. 11 Nach der schwierigeren Seite hin wird dieses Verhalten in Hebr4,15 explizit christologisch motiviert: „Wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht mit unserer Schwachheit mitfühlen könnte (συμπα&ησαι), sondern einen, der in jeder Hinsicht versucht wurde . . . " ; demgemäß Hebr 10,34: „Ihr habt am Geschick der Gefangenen teilgenommen" (συνεπα·9ήσατε). Vgl. W . MICHAELIS, Art. πάσχω, ThWNT V, S. 935, und hier S. 224 Anm. 2. 12 So 2 Kor 7,15; Phil 1,8; 2,1; Kol 3,12; Phlm 12 (vgl. KOESTER, ThWNT VII, S. 555 f.). In gleicher Bedeutung steht σπλαγχνίζεσδ-αι in der Mitte der syn. Gleichnisse vom Schalksknecht (Mt 18,27), vom verlorenen Sohn (Lk 15,20) und vom barmherzigen Samariter (Lk 10,33), so daß wieder die christologische Begründung und Prägung der gemeinten Verhaltensweise sichtbar wird. 13 Siehe Anm. 3 a. E.. 10

228

lPetr3,9

selbst, der nicht auf das Seine, sondern auf das des anderen sieht (Phil 2,3), weil er aus der Liebe Gottes lebt. In dieser Einstellung ruft Jesus als der Anaw die Belasteten zu sich (Mt 11,29)M. V. 9: Die Liebe, die, sich in dieser Weise konkretisierend, das Verhältnis der Gemeindeglieder untereinander positiv gestaltet, überwindet zugleich das Böse, das von außen auf sie zukommt: μή αποδίδοντες κακόν άντί κακοϋ. Die Aufforderung, den Schmähungen mit Segnen zu begegnen, schließt sich unmittelbar an: ή λοιδορίαν άντί λοιδορίας, τουναντίον δέ εύλογοϋντες. Sie hat, wie an dem Vorbild Jesu in dieser Situation (2,23) und den weiteren Ausführungen in 3,13-17 deutlich wird, Gegner im Auge, die die Christen um ihres christlichen Verhaltens willen angreifen. Auf religiöse Widersacher war bereits das Jesuslogion zugespitzt, von dem diese paränetische Tradition ausging. Der 1 Petr wendet sie unmittelbar auf die Situation seiner Gemeinde an, nämlich auf die Anfeindungen, die ihr von selten der Gesellschaft widerfahren. Die Christen sollen ihnen, wie in der Einleitung der Paränese 2,11 f. gesagt wurde, nicht resigniert und verbittert ausweichen, sondern sie durch „Rechtverhalten" in den Ständen überwinden. Dieses Verhalten ist eine Anwendung des die ganze Breite der Beziehungen zum Mitmenschen umschließenden Grundgebots: Das Böse, insbesondere die Beschimpfungen und Anschuldigungen, sollen nicht mit Gleichem erwidert werden, auch nicht in Einstellung und Haltung, sondern mit Segnen. Der im 1 Petr nur hier begegnende Begriff Segen bzw. Segnen wird durch die anschließende Begründung definiert: δτι εις τοΰτο έκλήθητε ίνα εύλογίαν κληρονομήσατε, „denn ihr seid dazu16 berufen, daß ihr Segen erbt"1®. Worin der Segen besteht, folgt aus dem Reden unseres Briefes vom „Erben". Das Erbe ist nach 1,4 die durch die Auferweckung Jesu erschlossene Hoffnung, das Heilswiderfahrnis, die endgültige Zuwendung Gottes (1,5. 13); diese Zuwendung ist schon nach at. Vorstellung der eigentliche Inhalt des Segens. Das eschatologische Heil widerfährt als Segen, weil es durch den wirksamen Zuspruch Gottes vermittelt wird (vgl. Mt 25, 34; 1 Clem 35,3). Weil sie berufen sind17, den Zuspruch des 14 Dieser Sachzusammenhang wird verkannt, wenn viele Handschriften (P ffi al) ταπεινόφρων durch φιλόφρων, „liebreich", „freundlich", ersetzen, weil es anscheinend nur in das Verhältnis zu Gott, nicht in diese Reihe über das Verhältnis zum Bruder paßt. 15 τοΰτο bezieht sich wohl nicht, wie in 2,21, auf das Vorhergehende, so daß zu übersetzen wäre: „Denn dazu (nämlich um zu segnen) seid ihr berufen, damit auch ihr Segen empfangt" (so KNOPF S. 134). Es meint vielmehr wie in 4 , 6 das folgende: Ihr sollt segnen, weil ihr dazu berufen seid, Segen zu erben (so K E L L Y S. 137). w „Segen erben" auch Hebr 12,17, dort im Blick auf die Vätergeschichte (Gen 27,30-40; vgl. 48,15; 49,25f.; Sir3,9). 17 Siehe zu 2,9.

1 Petr 3,10-12

229

Heils zu empfangen, deshalb können auch sie ihren Gegnern nur mit Segnen antworten, d.h. mit dem wirksamen Zusprechen des Heils, das auf Heil wünschender Fürbitte beruht 18 . Dieses Zusprechen geschieht durch Reden wie durch Handeln, das jedem das auch ihm geltende Heil bezeugt (1 Petr 3,15; vgl. Act 7,56. 60; 26,29; IgnEph 10,2f.). Wer auch dem Gegner begegnet als einem, der zum „Miterben der Gnade des Lebens" bestimmt ist (3,7), handelt als Segnender. Das anschließende Schriftzitat unterstreicht diese Weisung von V. 8 f., die für das Gesamtverhalten der Christen in einer sie diskriminierenden Gesellschaft schlechterdings entscheidend ist. V. 10-12: Weiterführung durch Schrift^itat Durch die Zitierung von Ps 34,13-17 a wird zunächst die Antithese in 3,9 bekräftigt: Wer das Leben (V. 10a) bzw. die Zuwendung Gottes (V. 12) erlangen will ( = V. 9c), der unterläßt das Wort (V. 10b), allgemein jedes Verhalten (V. IIa), das andere schädigt ( = V. 9a); er erweist ihnen vielmehr Gutes (V. IIa) und sucht Frieden (V. I I b = V . 9b). Mit dieser Weisung aber wird zugleich die Grundlinie der ganzen vorhergehenden Paränese unterstrichen, nämlich die Antithese von κακοποιεΐν (2,16; 3,9) und άγαθοποιεΐν (2,14f. 20; 3,6; vgl. V. I I a : ποιησάτω άγαθόν). Auf diese Weise bereitet das Zitat zugleich den nächsten Abschnitt vor, der mit der Anwendung dieser Antithese auf die Pression durch die Welt einsetzt (3,13). So ist das Zitat treffend für diesen Kontext gewählt. Das Zitat wurde dem Verf. wahrscheinlich bereits durch paränetische Tradition angeboten19. Der at. Text wird nach der LXX (Ψ 33) wiedergegeben, jedoch dem paränetischen Kontext angepaßt. Er wird ja nicht ausdrücklich zitiert, sondern wie in. 1,24 in die Paränese eingeflochten; es wird vorausgesetzt, daß die Hörer die Worte dennoch als Schriftzitat erkennen. So wird in An18 εύλογεΐν im Griech. „Gutes reden, loben", wird im NT nur in der LXX-Bedeutung „segnen" gebraucht, die dem Griech. auch in der Sache fremd ist. Vgl. H . W. BEYER, Art. εύλογέω, ThWNT II, S. 752. Es knüpft auch in der Sache an das A T an. Dieses hatte aus der Vorstellung des alten Orients vom selbstmächtigen Wirkwort eine eigene Konzeption von Segnen entwickelt: Träger und Spender allen Segens wird Jahwe (Gen49,25). Gesegnet ist der, „mit dem" der Herr ist. So z.B. Gen 17,7f.; 26,3: „Ich will mit dir sein." Dieses vollmächtige und wirksame Zusprechen bedeutet „segnen". Im NT verweist der Hebr unmittelbar auf das at. Segnen von Menschen durch Menschen (Hebr7,6f.; 11,20f.). Jesus selbst verpflichtete seine Jünger, anders als im AT, nur zu segnen, nicht zu fluchen. Diese Weisung (Lk 6,28 par) geht in die Paränese ein (Rom 12,14; 1 Kor 4,12; 1 Petr 3,9). Ebenso ist das Segnen nun nicht mehr wie in den späteren Schichten des A T und im Judentum Vorrecht der Priester (Sir 50,22; vor allem aufgrund von Num 6,22-26), sondern allen aufgetragen (vgl. 1 Petr 2,5). Lit.: BEYER, ThWNT II, S. 752-761; L. BRUN, Segen und Fluch im Urchristentum, Oslo 1932; F. HORST, Art. Segen und Fluch im AT, RGG 3 V, Sp. 1 6 4 9 f t ; W. SCHENK, Der Segen im Neuen Testament (ThArb 25), Berlin 1967; C. WESTERMANN, Der Segen in der Bibel und im Handeln der Kirche, München 1968. 19

Vgl.

SELWYN S . 4 1 3 f .

230

1 Petr 3,10f.

gleichung an die Paränese in V. 10a die Frageform von Ψ 33,13 in ein konditionales Partizip verwandelt und in V. 10b. 11 die der Frage entsprechende Imperativische Anrede in den Imperativ der 3. Person20. V. 12 dagegen entspricht genau der LXX. Schon aus dieser Einflechtung des at. Textes in die christliche Paränese folgt, daß die Wendungen des Zitats nach dem Sprachgebrauch des christlichen, nicht des at. Kontextes verstanden werden wollen21. V. 10 a: Der Psalmist spricht in Ps 34,13 im Stil der Weisheit das dem Menschen tief eingepflanzte und allgemein bejahte Verlangen nach einem geborgenen, angenehmen Dasein an 22 . Für den christlichen Leser ist ζωή, „Leben", die bleibende, heile Existenz des Geschöpfes bei seinem Schöpfer, die ihm, wie eben in 3,7 gesagt wurde 23 , vermacht ist. Für die Christen sind nur die Tage „gut", die „Segen", Zuwendung Gottes, bedeuten. Gerade in den nächsten Versen wird „gut" wiederholt für das gebraucht, was aus der Gemeinschaft mit Gott erwächst (3,13. 16.21). Christlich verstanden sind „Leben" und „gute Tage" jedoch nicht einfach „überirdisch" und „zukünftig", während der Psalmist bloß an „Irdisches" und „Gegenwärtiges" dachte. Sie sind vielmehr in demselben Sinn schon gegenwärtig wie das Ergebnis der Wiedergeburt (1,3ff. 22ff.), d.h. als verborgene Gemeinschaft mit Christus (1,8f.; 4,13), auf deren Offenbarwerden der 1 Petr allerdings betonter wartet als Paulus (vgl. Kol 3,3f.). V. 10b: Wer dieses Leben sucht24, der hüte seine Zunge und seine Lippen, Böses und Trügerisches zu reden. Diese Warnung aus Ps 34,14 wird in Jak 1,26; 3,1-12 so ausgeführt, wie sie im Psalm gemeint ist; hier versteht sie der Leser als generalisierende Bestätigung der Weisung in V. 9, der diskriminierenden Aggression nicht in gleicher Weise zu antworten. V. 11: In gleichem Sinn wird in V. I I a der Tenor der vorhergehenden Paränese bekräftigt: Nicht κακοποιεΐν, sondern άγα&οποιεΐν, in den verschiedenen Situationen! In V. I I b sieht der Verf. den Kern seiner Paränese angesprochen: ζητησάτω εϊρήνην καΐ διωξάτω αύτήν. Inmitten der vielfältigen Konflikte gilt es, Frieden zu suchen! Es geht um ein Stück zentraler urchristlicher Weisung: „Wenn es möglich ist, soweit an euch liegt, habt mit allen Menschen Frieden" (Rom 12,18), die in Jesu Verkündigung verankert ist (Mt 5,9). 2 0 SELWYN S . 1 9 0 vermutet, daß auch diese Angleichung schon in der christlichen paränetischen Tradition vorgegeben war. 21 Weil sich Ψ 33,17b: „Ihr Gedächtnis im Lande zu tilgen", dem nicht einfügen ließ, schließt das Zitat mit V. 17a. 22 H. J. KRAUS, Psalmen I (BK XV/1), Neukirchen 3 1966, S.270; v. RAD, Weisheit in Israel S. 111. 23 Nur an diesen beiden Stellen begegnet der Begriff im 1 Petr. 2 1 άγαπαν in V. 10a: „liebhaben", „erwünschen", wie Sir 4,12; Apk 1 2 , 1 1 ; BENGEL, Gnomon z. St., zitiert die gegenteilige Äußerung frustrierten Weltüberdrusses aus Qoh 2,17: „da ward mir das Leben verhaßt; denn übel erschien mir alles, was unter der Sonne geschah. Alles ist ja nichtig und ein Haschen nach Wind."

lPetr 3,12.3,13-4,11

231

V. 12: Ist alles, was vorher in V. 10b. 11 über „Böses" bzw. „Gutes tun" gesagt wurde, in dieser Weise aus dem Kontext christlicher Paränese zu verstehen, dann sind die „Gerechten" (δίκαιοι) hier die, die sich aus der Wiedergeburt heraus „recht verhalten" und letztlich nach dem Gebot der Feindesliebe V. 9 handeln, die nach 2,24 „der Gerechtigkeit leben" und nach 3,14 „um der Gerechtigkeit willen leiden". „Böses tun" dagegen die, die sich trotz der Erlösung gegenteilig verhalten. Wenn den Gerechten die Zuwendung Gottes und damit das Leben zuteil wird (V. 10 a), dann entspricht dies nicht einer primitiven Vergeltungstheorie 28 ; denn es ist die Antwort der Gnade, durch die sie zuvor gesucht und zum άγα&οποιεϊν befähigt wurden. Entsprechend ist Gottes Widerstehen Gericht über die, die die Gnade durch ihr Verhalten verwerfen. Der Gott der Bibel überläßt den Menschen nicht sich selber in seiner Autonomie, sondern begegnet ihm personhaft: „Auge", „Ohr", „Angesicht" umschreiben bildlich sein personhaftes Wirksamwerden. Der Lohn der Gerechtigkeit ist das Bleiben in der Zuwendung Gottes, das Gericht über das Böse ist das Entziehen der Gnade, so daß er nicht mehr „für uns", sondern gegen uns ist (5,5; vgl. Rom5,10; 8,31) 2e .

II. B) 3,13-4,11: Bereitschaft zum Leiden in der Gesellschaft um des Guten willen Zu Thema und Aufbau: 1) Im Zuge der in 3,8 einsetzenden Generalisierung der Paränese über das Verhalten in der Gesellschaft wird nun, was in 2 , 1 8 - 2 5 den christlichen Sklaven für die Konfliktsituation gesagt wurde, für alle Gemeindeglieder ausgeführt. Durch die einleitende Frage: „Und wer wird euch Böses tun?" wird das neue Thema, Leiden infolge gesellschaftlicher Diskriminierung, eingeführt. Es stand bisher immer schon im Hintergrund, wurde aber nur punktuell angesprochen ( l , 6 f . ; 2 , 1 2 . 1 5 . 1 9 f f . ; 3,9). Jetzt tritt es als Leitthema hervor, wird jedoch weiterhin polar auf das bisherige Leitthema, das soziale Rechtverhalten, bezogen, Angesichts dieser Polarität sollte man die folgenden Ausführungen allerdings nicht als den „Hauptteil" des Briefes bezeichnen 1 . 25 So ζ. B. Tob 4,6 f.: „Wenn du die Wahrheit tust, wirst du glücklich sein in deinen Werken . . . " „Wende dein Angesicht nicht von einem Armen ab, so wird sich auch das Angesicht Gottes nicht von dir kehren." Der Verf. des 34. Psalms wollte mit diesen Aussagen seine Heilserfahrung bekunden. 26 KNOPF S. 136 mißversteht diese von Jesu Worten über den Lohn ausgehende Vorstellung des NT, wenn er erklärt: „Gott sieht also alle, Gute und Böse, und gibt einem jeden nach Verdienst." Vgl. G. BORNKAMM, Der Lohngedanke im Neuen Testament, in: DERS., Studien zu Antike und Urchristentum (Ges. Aufs. II), München 3 1970, S. 69-92; W. PESCH, Der Lohngedanke in der Lehre Jesu (MüThSt 1/7), München 1955. 1

G e g e n KELLY S. 1 3 9 .

232

IPetr 3,13-17

2) Die neue Thematik wird zunächst in drei Abschnitten entfaltet: In 3,13-17 wird die Losung ausgegeben: Bereit sein, für soziales Rechtverhalten auch zu leiden! Diese Losung wird in 3,18-22 christologisch und in 4,1-6 soteriologisch begründet. Die Ausführungen werden in 4,7-11 vorerst mit dem Aufruf abgeschlossen, die Existenz als Gemeinde bis zum nahen Ende durchzuhalten. Nach diesem Abschluß setzt der Brief in 4,12 wie vorher in 2,11 mit einer neuen Anrede ein und greift in 4,12-19 das Thema des Leidens noch einmal, jedoch in anderer Blickrichtung auf. Daher ist es dem Aufbau des Briefes nicht konform, den Abschnitt 4,12-17 noch in unseren Teil mit einzubeziehen, wie SELWYN, SPICQ und BEST vorschlagen2.

1) 3,13-17: Leidensbereitschaft für soziales Rechtverhalten 13 Und wer wird euch dann Böses antun, wenn ihr Eiferer für das Gute seid? 14 Aber wenn ihr um der Gerechtigkeit willen leiden müßtet — selig seid ihr! „Fürchtet euch nicht Vor ihnen und laßt euch nicht verwirren," 15 „heiligt" vielmehr „den Herrn", Christus, in euren Herzen (Jes 8,12f.)! (Seid) jederzeit bereit zur Verantwortung gegenüber jedem, der wegen der Hoffnung, die in euch ist, Rechenschaft fordert! 16 (Tut dies) jedoch mit Sanftmut und Furcht, als Solche, die ein gutes Gewissen haben, damit, worin ihr verleumdet werdet, die beschämt werden, die euren guten Wandel in Christus schmähen. 17 Denn es ist besser, daß ihr, wenn es Gott so will, als solche leidet, die sich recht verhalten, und nicht als solche, die Böses tun. Zu Auflau

und Tradition:

1) Der Abschnitt ist schlüssig aufgebaut: In V. 13.14a wird die Losung thematisch vorangestellt und in V. 17 abschließend unterstrichen. In V. 14b-16 werden aus ihr die Folgerungen für ein wirklich „apologetisches" Verhalten gezogen. 2) Diese Gedankenführung wird in einer paränetischen Prosa entwickelt. Auf diese Weise bringt der Verf. Inhalte zur Sprache, die für ihn spezifisch sind. Er formuliert sie jedoch, indem er laufend Überlieferungselemente verarbeitet: In V. 13 und 17 verwendet er Sentenzen weisheitlicher Art. InV. 14a knüpft er an eine von Jesus überlieferte Seligpreisung an, und in V. 14b. 15a bezieht er ein at. Wort, das wahrscheinlich in der christlichen Paränese schon heimisch war, auf die vorliegende Situation. In V. 15 b. 16 wird die These, 2

SELWYN S . 1 9 1 , SPICQ S. 1 2 9 , BEST S. 1 3 1 . F ü r KELLY S. 1 3 9 g e h ö r t s o g a r 3 , 1 3 - 5 , 1 1

zusammen.

1 Petr 3,13

233

die in 2,12 programmatisch aus einem Jesuslogion abgeleitet worden war3, in abgewandelter Gestalt wieder aufgegriffen. V. 13. 14a: Eifern für das Gute V. 13 führt, mit einem folgernden και 4 an das Vorhergehende anschließend, das neue Thema ein: „Und wer wird euch dann (unter den genannten Voraussetzungen) schädigen?" (καί τις ό κακώσων ύμας). Die Voraussetzung, die eben durch ein at. Zitat unterstrichen worden war, wird sogleich noch einmal in dem Konditionalsatz zusammengefaßt: „wenn ihr Eiferer für das Gute seid" (έάν τοΰ άγαθ-οϋ ζηλωταΐ γένησθε). Die im hellenistischen wie im jüdischen und im christlichen Sprachgebrauch geläufige Wendung „Eiferer für das Gute" 6 umschreibt das beharrliche und ganze, geradezu leidenschaftliche Sich-Einsetzen für das Gute, wie es der Brief im vorhergehenden Teil thematisch gefordert hatte. Die Forderung läuft durch unseren Abschnitt mehrfach abgewandelt weiter: V. 14 fordert „Gerechtigkeit", V. 16 „guten Wandel in Christus" und V. 17 „Rechtverhalten". Die letzte Wendung, das bekannte Leitwort des vorhergehenden Abschnitts (2,12), läßt erkennen, daß immer wieder das rechte soziale Verhalten gemeint ist, dessen Wesen am christlichen Sklaven und an der christlichen Ehefrau besonders deutlich wurde. Es ist ein Verhalten, daß den Spielregeln der Institutionen und allgemein der iustitia civilis gerecht wird (vgl. 4,15) und doch nicht der üblichen bürgerlichen Moral konform ist, sondern nach V. 16 mit „gutem Gewissen" vor Gott bzw. „in Christus", d.h. in der Gemeinschaft mit ihm, vollzogen wird. Werden die Christen im Blick auf solches Verhalten gefragt: „Und wer wird euch dann schädigen?", so klingt dies nach den Erfahrungen der Gemeinde, die der Brief ständig voraussetzt, naiv, — wenn es, wie die Form nahelegt, als weisheitliche Aussage, d. h. als Ausdruck von Lebenserfahrung, verstanden wird. Daher nehmen viele Exegeten® an, κακόω, „schädigen", könne hier nicht dasselbe meinen wie πάσχω, „leiden", in V. 14. 17; es müsse vielmehr die innere Schädigung im Auge haben, der die Glaubenden als innerlich Freie entnommen seien (Ps41,4; 118,6; Mt 10,28; Rom 8,28. 31). Diese Erklärung wird jedoch weder dem Wortgebrauch noch dem Kontext gerecht: κακόω führt hier das Reden von denen, die κακά, „Böses", tun, (V. 9 und 12) weiter und wird in Act 7 Siehe o. S. 162f. * Wie Mk 10,26; Joh5,36; vgl. B L . - D E B R . - R E H K . §448,2. 5 Epiktet, Diss. II 12,25; Philo, Virt. 175 u. ö.: ζηλωτής της άρετης. Tit 2,14: ζηλωτής καλών έργων. Β KELLY S . 139f., SCHELKLE S . 100, BEARE S . 136, KNOPF S . 136f.; weitere s. KNOPF a.a. O. 7 Act 7,6.19; 12,1; 14,2; 18,10; bei den Apost.Vätern nur 1 Clem 16,7 (= Jes 53,7): διά τ£> κεκακύσθαι ούκ άνοίγει τό στόμα. 8

IPetr 3,14a

234

durchweg für „verfolgen", also in Entsprechung zu πάσχε iv gebraucht. Nach dem vorhergehenden Kontext (V. 12) folgt sub specie Dei dem Guten tatsächlich Gutes, dem Bösen Böses. Darüber hinaus äußert der Verf. von der Jesusüberlieferung Mt 5,16 her in 2,12 und 3,1 f. die Gewißheit, daß es auch unter Menschen möglich sei, Böses durch Gutes zu überwinden. Daher kann er hier, obgleich er Leiden um der Gerechtigkeit willen sehr gut kennt (2,19 f.), den Lesern Mut machen, der schützenden und überwindenden Macht des Guten zu trauen, — weil in ihr das Evangelium wirksam wird (3,9) 8 . Seine Formulierung erinnert an Jes 50,9 LXX: τίς κακώσει με, wo allerdings anders als hier weiterhin wie in Lk 12,7; 21,18 an den äußeren Beistand Gottes gedacht ist. V. 14a: Kommt es trotzdem zu einem „Leiden um der Gerechtigkeit willen", so gilt, was die in Mt 5,10 von Jesus überlieferte Seligpreisung sagt 9 : Der Leidende ist selig zu preisen! Daher fährt der Verf. fort: άλλ' εί καί πάσχοιτε δια δικαιοσύνην, μακάριοι. An den christlichen Sklaven wurde bereits beispielhaft deutlich, wie es nicht nur trotz, sondern „wegen der Gerechtigkeit", des Rechtverhaltens 10 , zum sozialen Konflikt mit all seinen Folgen kommen k a n n u . Der Verf. sieht eine entsprechende Konfliktsituation und ihre mannigfachen Auswirkungen — Diskriminierung, gesellschaftliche Ächtung, berufliche Benachteiligung, Anschuldigungen und Verfahren vor den Behörden, nicht etwa eine staatliche Verfolgung 12 — jederzeit für alle Gemeindeglieder als möglich an. Aber er läßt die Möglichkeit, daß solches „Leiden" eintritt, hier wie in V. 17 offen, indem er in dem seltenen und daher besonders auffallenden Optativ 13 formuliert: εί καί πάσχοιτε. Er betont die Offenheit der Situation, um die Gemeinde vor fatalistischer Resignation zu bewahren und ihr im Sinne des in 2,12 vorangestellten Grundsatzes Mut zu einem positiven Verhalten zu machen. Sieht man dieses kerygmatische Ziel, so wird man aus diesem Optativ nicht eine andere Situation rekonstruieren als aus dem „muß" in 1,6 (vgl. 2,21; 4,12)". Wer um des Rechtverhaltens willen von seiner gesellschaftlichen Umwelt bedrängt und geschädigt wird, ist selig zu preisen: μακάριος, „glück8

So

SCHLATTER

S. 132f.; philologisch ebenso, aber im weisheitlichen Sinn,

WIN-

DISCH S . 6 9 . 9

Mt 5,10: μακάριοι οί δεδιωγμένοι ένεκεν δικαιοσύνης. — 1 Petf 3,14: εί καί πάσχοιτε διά δικαιοσύνην, μακάριοι. Dies ist neben 2,12 die einzige Stelle in 1 Petr, an der eine deutliche Berührung mit Mt vorliegt (s. B E S T S. 111; vgl. S. 223 Anm. 1), Mt 5,10 wird weiterhin in ähnlichem Kontext wie in 1 Petr 3,14 wörtlich zitiert in PolPhil 2,3. 10 δικαιοσύνη wie in 2,24 „Rechtverhalten". 11 Siehe zu 2,19 f. 12

G e g e n KNOPF S. 1 3 7 f .

13

BL. -DEBR.-REHK. §385. 14 Mit K E L L Y S . 140f. und S. 162 Genannten.

SELWYN S ,

191 gegen

BEARE S .

136 und die bei ihm

IPetr 3,14b. 15a

235

lieh", „selig"15, ist hier wie nach 4,14 und den übrigen nt. Seligpreisungen gemäß der durch das Evangelium vermittelten Vorstellung von Glück derjenige, der an Gottes Heil teilhat, der in seinem Segen geborgen ist (4,14; vgl. 3,9)1β. Warum dies von solchem Leiden gilt, wird anschließend in 3,18^,6 begründet. Hier aber wird aus dieser den Konflikt überaus positiv angehenden Losung: Leidensbereit in der Gesellschaft Gutes wirken! die Folgerung für die Auseinandersetzung gezogen. V. 14b-17:

Positive „Apologetik·." statt Menschenfurcht

V. 14b. 15a: Im Blick auf die Konfrontation wird zuerst der Grundsatz: Nicht Menschen, nur Gott bzw. Christus fürchten!, der schon wiederholt anklang17, mit Hilfe von Jes 8,12 f. formuliert und durch das Schriftzitat nicht nur formal unterstrichen, sondern inhaltlich in den großen Rahmen des Verhaltens der „Gottesfürchtigen" gegenüber den Mächten der Weltgesellschaft gestellt. Die Stelle, deren Kontext dem Verf. geläufig ist, wird nach der LXX wiedergegeben18 und durch geringe Textveränderungen auf die Situation angewendet: τον δε φόβον αυτών μή φοβηθητε μηδέ ταραχθήτε. Sie wird in V. 14 b mit αύτών, „vor ihnen" (statt αύτοϋ), auf die Widersacher der Christen bezogen19. In V. 15 a wird hinter κύριον noch τον Χριστόν eingeschoben und so „Herr", das in der LXX für den Gottesnamen Jahwe steht, auf den erhöhten Christus gedeutet20, in dem Gott als der eschatologische Herrscher für die Gemeinde manifest ist. Die beiden Seiten der Weisung, die dem Verf. durch eine lange at.-jüdischchristliche Tradition vermittelt ist21, bedingen einander: Die sich emo15

Der 1 Petr stellt hier wie in 4,14 μακάριος nicht wie fast durchweg das übrige N T prädikativ voran, sondern bringt es als Nachsatz eines Bedingungssatzes, wie oft ohne Copula (BL.-DEBR.-REHK. § 127,4); ebenso Herrn mand 8,9 (vgl. BAUER, Wörterbuch s.v.). 18 Aus der Literatur zu μακάριος seien hier lediglich erwähnt: E. LIPINSKI, Macarismes et psaumes de congratulation, RB 75 (1968) S. 321-367; J. DUPONT, Les Βέβΐίακίεβ 2 (fitudes Bibliques) I, Paris 1969; II, Paris 1969; III, Paris 1973. 17 1 Petr 1,17; 2,17; 3,2. 18 Der Brief lehnt sich bereits in 2,7 f. ebenso wie Rom 9,33 an Jes 8,14 an. So sind ihm die unmittelbar vorher in Jes 8,12f. stehenden Worte wohl nicht nur punktuell geläufig. Die Stelle lautet nach der LXX (die Änderungen des 1 Petr am Zitat sind in Klammern angegeben): τόν δέ φόβον αύτοϋ (αύτών) ού (—) μή φοβη&ητε ούδέ μή (μηδέ) ταραχ&ήτε, κύριον αύτόν (δέ τ&ν Χριστόν) άγιάσατε [καΐ αυτός 2σται σου φόβος]. 19 αύτών ist Gen.obj., nicht, wie philologisch möglich ist (s. BAUER, Wörterbuch s. ν. αύτός 3b) und wie SCHELKLE S. 100 Anm. 1 annimmt, Gen.subj.: „Ihren Schrecken fürchtet nicht!" Schon die LXX hatte die ursprüngliche Warnung, die Furcht der Bevölkerung zu teilen, in eine Mahnung an diese verändert, sie solle sich nicht vor dem Assyrer fürchten. 20 τον Χριστόν ist Apposition, die die Bezeichnung „Herr" erklärt, nicht, was die Wortfolge nahelegen könnte, Prädikat: „Heiligt Christus als Herrn!" 21 4 Makk 13,14f.: „Wir wollen uns vor dem nicht fürchten, der da meint, er könne töten; denn schwer ist für die Seele der Kampf und die Gefahr, die in der ewigen Qual besteht . . . " ; vgl. Sap 16,13-15; Lk 12,4f. par Mt. SELWYN S. 193 verweist zu V. 15a

236

IPetr 3,15b

tional einstellende Furcht vor dem Konformitätsdruck der Gesellschaft wird überwunden, wenn der wahre und endgültige Herr der Geschichte, der erhöhte Christus, „geheiligt" wird: κύριον δε τόν Χριστδν άγιάσατε. Er wird, wie nach der ersten Bitte des Vaterunsers Gott (Mt 6,9), „geheiligt", wenn er als „der Herr" anerkannt wird, d.h. als der, in dem Gottes Gottheit in Gestalt seiner endzeitlichen universalen Heilsbotschaft, die allem Bösen ein Ende macht, hervortritt; denn Heiligkeit ist die Wesenheit Gottes22. Dieses Anerkennen vollzieht sich, wie dem at. Zitat hinzugefügt wird, έν ταΐς καρδίαις υμών, „in euren Herzen", weil es durch ein Verhalten aus Glauben geschieht. Der Glaube läßt die Menschenfurcht aus dem „Herzen"23, aus der Mitte des Personlebens, schwinden. Er verschließt sich gegenüber den Menschen weder in Angst noch in Haß, er ist ihnen gleich seinem Gott zugewandt. Aus dem eben entwickelten Grundsatz folgt nach V. 15 b. 16 das Bereitsein zu apologetisch-missionarischer Verantwortung. V. 15 b: Unsere Stelle erinnert an die Verfolgungslogien in Lk 12,2-12 (par Mt), in denen neben der Aufforderung, nicht Menschen, sondern Gott zu fürchten (12,4f.), die Verheißung steht, daß der Geist bei der Vernehmung durch die Behörden das rechte Wort geben werde (12,11 f.). Und doch spricht sie in einer anderen Sprache eine andere Situation an. Sie redet in hellenistischer Terminologie von vorwiegend privaten Auseinandersetzungen, nicht lediglich von der Vernehmung durch Behörden: Die Wendung αίτεΐν τινα λόγον περί τίνος, „von jemand Rechenschaft über etwas fordern", ist Plato ebenso geläufig24 wie das Wort άπολογία, „Verteidigung", „Rechtfertigung". Dieses Sprachgewand zeigt eine Offenheit für die hellenistische Welt, auch wenn Piatos Apologie erst im 2. Jh. in den Gesichtskreis christlicher Apologeten tritt28. Beide Ausdrücke können juridischen Sinn haben26, aber die nähere Umschreibung der Situation weist hier auf die laufenden Auseinandersetzungen mit Andersdenkenden im Alltag. Solche Auseinandersetzungen können zu Vernehmungen durch die Behörden führen, wie dies in Act schon aus ältester Zeit berichtet und in den Verfolgungslogien wie auch in 1 Petr4,15 auf die ganz ähnlich lautende Stelle Seneca, Fragm. 123, in Lact, Div. Inst. 6,25: „ . . . er (Gott) muß geheiligt werden im Herzen von jedermann." 22 Siehe zu 1,16. 23 Siehe zu 1,22. 2 1 Pkto, Polit. 285 E. 86 Vgl. A. HARNACK, Sokrates und die alte Kirche, in: DERS., Reden und Aufsätze I, Gießen 1904, S. 27-48. 26 Dem im NT nur hier gebrauchten αίτεΐν τινα λόγον entspricht λόγον δούναι „Rechenschaft geben", das in 1 Petr 4,5 wie Rom 14,12 u. ö. juridisch gebraucht wird; es steht bei Plato, Polit. 285 E, jedoch von privater Verteidigung. Ebenso benennt άπολογία, „Verteidigung", „Rechtfertigung", Act 25,16; 26,2; 2 Tim 4,16 die Verteidigung vor Gericht, daneben jedoch in 1 Kor 9,3; 2 Kor 7,11 u.a. von sonstigen Auseinandersetzungen.

1 Petr 3,16

237

vorausgesetzt wird 27 ; aber dies ist nicht die Situation, die hier primär im Blick steht. Hier wird dazu aufgerufen, daß jeder Christ stets gegenüber jedermann bereit sei, Rede und Antwort über den Sinn seines Christseins zu stehen28: έτοιμοι άεί πράς άπολογίαν παντί τω αίτοϋντι ύμας λόγον. Dieses „stets" der Bereitschaft „gegenüber jedermann, der Rechenschaft fordert", führt aus der Enge der Verfolgungslogien heraus in die Weite einer universalistischen missionarischen Apologetik. Alle, die über Sinn und Wesen des Christseins Auskunft verlangen, fragen, von den Christen her gesehen, nach der „Hoffnung", die „in ihnen", d. h. unter ihnen als Gemeinde oder wahrscheinlicher im einzelnen Christen lebt: περί της έν ύμϊν ελπίδος. Die Hoffnung, nicht der Glaube, ist für den 1 Petr, wie schon an 1,3 und 1,21 sichtbar geworden ist, das Kennzeichen des Christseins29. Daß die Christen an einer Zukunftserwartung orientiert sind, war auch Außenstehenden geläufig, aber darauf reflektiert der Verf. wohl nicht. V. 16: Jedem, der aggressiv, neugierig oder interessiert nach dem Inhalt des Christseins fragt, soll in einer Haltung Auskunft gegeben werden, die in dreifacher Hinsicht umschrieben wird. Zunächst heißt es: μετά πραότητος καΐ φόβου. Die Christen sollen gegenüber dem anderen „sanftmütig" sein30, d. h., was dieser unzureichenden deutschen Wiedergabe nicht zu entnehmen ist, den anderen nicht verurteilen, sondern ihn für die ihnen selbst zuteil gewordene Gnade gewinnen wollen. Sie begegnen dem anderen in dieser Weise, weil sie in der „Furcht" 31 vor Gott, nämlich in der Verantwortung vor ihm und im Blick auf sein Urteil, handeln. Dabei muß, und das ist das Zweite, ihr eigenes Verhalten ihre Apologetik decken; sie müssen sich selbst gegenüber ein „gutes Gewissen"32 haben: συνείδησιν έχοντες άγαθήν. Sie können das, wenn sie wie Paulus in 1 Kor 4,1-4 die Gewißheit haben, aus dem Glauben zu leben, ohne dabei vollkommen zu sein (Phil 3,12-16; Rom 12,3). In unserem Zusammenhang soll das „gute Gewissen" vor allem die iustitia civilis einschließen und daher die Verdächtigungen ausschließen. Dem guten Gewissen entspricht schließlich ein „guter Wandel", der die Verleumdungen in dem zu 2,12 erwogenen Sinn widerlegt83. Gut ist ein " Act 16,19-40; 17,6-10; 19,24-40; L k l 2 , l l f . par Mt 10,19. Vgl. dazu A b o t h 2 , 1 4 : „R.Eleasar (ca. 90) sagte: ,Sei eifrig darauf bedacht, die Tora zu lehren, und wisse, was du den Freidenkern antworten magst'" (BILLERBECK III, 765). 29 Siehe zu 1,3.21; vgl. l T h e s s 4 , 1 3 ; Eph2,13; l K o r l 5 , 1 6 f . ; A c t 2 3 , 6 ; 26,6. 80 Siehe zu 3,4. 8 1 Wie 1 Petr 1,17; 2,18; 3,2. 38 συνείδησις hat hier wie in 3,21 anders als in 2,19 (s. z. St.) die auch griech. und jüd. Menschen geläufige Bedeutung „Gewissen". Die Wendung „gutes Gewissen" sonst auch Rom 2,15; 9 , 1 ; 2 Kor 1 , 1 2 ; 5 , 1 1 ; Act 23,1; (vgl. 24,16); 1 Tim 1,5.19; 3,9; 2Tim 1,3; Hebrl3,18. 33 έν φ (hier wie in 2,12) καταλαλεΐσδβ gab zu Textveränderungen Anlaß, weil das Verb sonst gewöhnlich mit einem Gen.-Objekt verbunden wird und weder im NT noch 28

238

1 Petr 3,17

Wandel, ein Verhalten, das έν Χριστώ, „in Christus", geschieht; daher wird gesprochen von der άγαθή έν Χριστώ άναστροφή. Der 1 Petr nimmt als einzige nt. Schrift die allen Anzeichen nach von Paulus geprägte Formel έν Χριστώ auf, die sich ca. 164mal in dessen Briefen findet34, obgleich er, wie immer wieder deutlich wurde, nicht der pauünischen Tradition zugehört. Die Formel hat bei Paulus eine erhebliche Variationsbreite von Bedeutungen; das έν kann instrumentalen und modalen Sinn haben, aber es ist nie lokal-mystisch gemeint. Im Ansatz bezeichnet die Formel bei Paulus instrumental das Bestimmtsein von Christi Sterben und Auferstehen her 35 . Im 1 Petr umschreibt sie an allen drei Stellen modal die prägende Gemeinschaft mit Christus, die für den Brief ein zentrales Theologumenon ist 36 . Die Verbundenheit mit ihm kennzeichnet jetzt „den Wandel in Christus" (3,16) wie dereinst „die Herrlichkeit in Christus" (5,10); „die in Christus" (5,14) sind die mit ihm Verbundenen, seine Gemeinde. Die Wendung steht, wie vor allem an der futurischen Aussage in 5,10 deutlich wird, an keiner der drei Stellen abgeblaßt formelhaft für „christlich" 37 , sondern durchweg prägnant für die allem Leben aus Glauben immer vorausgehende Verbundenheit mit Christus. Durch ein von der Gemeinschaft mit Christus geprägtes Verhalten sollen die Verleumdungen widerlegt und die Gegner „beschämt" werden 38 : 'ίνα έν ω καταλαλεϊσ&ε καταισχυνθ-ώσιν οί έπηρεάζοντες υμών την . . . άναστροφήν. Daß sie dadurch auch bekehrt werden können, wird darüber hinaus in 2,12 erwartet. V. 17: Die Aufforderung, der Diskriminierung mit positiver Apologetik zu begegnen, wird, wie das γάρ anzeigt, begründet, indem die eingangs in V. 13. 14a entwickelte Losung abgewandelt wiederholt wird. Der Satz ist eine im Stil der Weisheit redende Sentenz, die in ähnlicher Form bereits von Sokrates überliefert wird 39 : κρεΐττον γάρ άγαθοποιοΰντας . . . πάσχειν ή κακοποιοϋντας. Sie verallgemeinert, was in 2,20 den Sklaven gesagt wurde: Wenn es über dem eben nochmals betonten sozialen Rechtverhalten, dem άγα&οποιεΐν (2,15), doch zu „Leiden" (3,14) kommt, dann ist dies immer noch „besser", als wenn Leiden als berechtigte Strafe für in der L X X — im sonstigen Griechisch nur vereinzelt (Polybius 27,12,2) — im Passiv gebraucht wird. Daher lesen G ffi pm καταλαλώσιν (-οϋσιν) ύμών ώς κακοποιών. Dies ist eine sekundäre Angleichung an 2,12. SELWYN S. 194 vermutet, daß die ursprüngliche Lesart wie in Vg. lautete: έν φ καταλαλοϋσιν ύμών; dies ist nicht wahrscheinlich. 34 Sie findet sich vor Paulus nie I Lit.: A. DEISSMANN, Die neutestamentliche Formel in Christo Jesu, Marburg 1892; F. NEUGEBAUER, In Christus, 1961; A. OEPKE, Art. έν, ThWNTII, S. 537f. 35 Dieser Ansatz dürfte in 1 Kor 15,22 besonders deutlich vorliegen: „Wie in Adam, alle sterben, so werden auch in Christus alle lebendig gemacht werden." 34 Siehe zu 4,1.13. 37 So dann im 1 Clem: 1,2; 21,8; 38,1; 46,6; 48,4; 49,1. 38 καταισχύνειν, Pass, „beschämt werden", ebenso Lk 13,17; 2 Kor 7,14; 9,4. 39 Plato, Gorg. 508 C: τί> άδικεΐν τοϋ άδικεϊσθαι . . . κάκιον.

1 Petr 3,18-22

239

verfehltes Verhalten (2,12) widerfährt 40 . Dies ist „besser", d.h. nützlicher, günstiger für sie, nicht etwa sittlich höher zu bewerten41; denn bei solchem Leiden dürfen sie, wie 2,20 ausführte, gewiß sein, daß Gott für sie ist, daß ihnen das μακάριοι V. 14 gilt. Sie sind nämlich, wie der nächste Abschnitt ausführt, auf dem von Christus erschlossenen Weg des Segens. Überdies widerfährt ihnen solches Leiden nur, wenn es Gott, der Herr der Geschichte, will 42 : εί θέλοι το θέλημα του θεοΰ. Der Optativ läßt hier wie in V. 14 die Möglichkeit, daß es zum Leiden kommt, wieder bewußt offen. 2) 3,18-22: Christi Heilsweg1 18 Denn auch Christus hat einmalig für die Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, um euch zu Gott hinzuführen, als einer, der getötet wurde dem Fleische nach, der aber lebendig gemacht wurde dem Geiste nach. 19 So ging er auch hin und verkündigte den Geistern im Gefängnis, 20 die einstmals ungehorsam gewesen waren, als Gottes Langmut in den Tagen Noahs zuwartete, als die Arche gebaut wurde, in welche wenige, nämlich acht Seelen, durch Wasser hindurch gerettet wurden; 21 als Gegenbild dazu rettet auch euch jetzt die Taufe — die nicht ein Ablegen von Schmutz am Fleisch ist, sondern die Bitte zu Gott um ein gutes Gewissen — durch die Auferstehung Jesu Christi, 22 der zur Rechten Gottes ist, nachdem er in den Himmel gegangen ist, wobei ihm die Engel, Mächte und Kräfte unterworfen worden sind. Zu Struktur und Tradition:

1) 3,18-22 ist der dritte christologische Abschnitt unseres Briefes nach 1,18-21 und 2,22-25. Gleich den beiden anderen geht er von dem sühnenden Todesleiden Christi aus, im Unterschied zu ihnen entfaltet er jedoch nicht die Art dieses Leidens und der Erlösung2, sondern die Reichweite seiner Heilswirkung. Nicht zufällig werden hier so viele Elemente des Christusweges an40 Siehe zu 2,12; 2,15; 3,14. Eine andere Deutung der Stelle bei J . R . M I C H A E L S , Eschatology in I Peter III. 17, NTS 13 (1966/67) S. 394-401. 41 κρεϊττον hier wie 1 Kor 7,9.38; 2 Petr 2,21; vgl. Phil 1,23. 42 εί θέλοι τό θέλημα τοϋ θεοϋ entspricht dem εί δέον in 1,6. „Wenn Gott will", ist eine stehende griechische Formel, die hier ebenso wie das δει von dem Vater Jesu her verstanden wird: Lk 12,6f. par M t ; vgl. Plato, Alcib. 135 D u. ö.: έάν θεός έθέλη, so daß Minucius Felix, Octavius 18,11, die Wendung „si deus dederit" als „vulgi naturalis sermo" bezeichnen kann. Vgl. WINDISCH-PREISKER S . 29 (zu Jak 4 , 1 5 ) . 1 Lit.: Vgl. S. 204, Anm. 29; fernerM.E.BOISMARD, Quatre hymnes baptismales dans la premifere dpitre de Pierre, Paris 1961, S. 60-67; J. T. SANDERS, The New Testament Christological Hymns (SNTS Mon.Ser. 15), London 1971, S . 9 5 f . 2 Siehe zu 1,18 u. 2,21.

240

IPetr 3,18-22

gesprochen wie in keinem anderen christologischen Abschnitt des NT. Nirgends sind so viele Stücke des 2. Artikels des Apostolikums präformiert. In V. 18 klingt an „gelitten", in V. 19 „niedergefahren in die Unterwelt", in V. 21 f. „auferstanden", „aufgefahren zum Himmel, sitzend zur Rechten Gottes". Unser Abschnitt will jedoch nicht einen Erlöserweg darstellen, dessen einzelne Schritte als solche die kosmische Situation verändern, sondern die universale Heilswirkung, die von dem Todesleiden „des Gerechten für die Ungerechten" ausgeht und in Christus als dem „Getöteten und Lebendiggemachten" präsent ist (V. 18). 2) Die Hinweise auf die Ausstrahlungen seines Todesleidens werden dreimal hintereinander durch ein καί, „auch", eingeführt. V. 18: „denn auch Christus", V. 19: „so ging er auch", V. 21: „auch . . . die Taufe". Demgemäß ergeben sich für den Abschnitt über die Heilswirkung des Todesleidens des Gerechten folgende Aspekte: V. 18 sein ständiges Hinführen zu Gott; V. 19.20a seine Heilsverkündigung an „die Geister im Gefängnis"; V. 20b.21 die durch ihn bewirkte Rettung aus dem anhebenden Gericht durch die Taufe; ferner V. 22 seine Heilsherrschaft auch gegenüber den Mächten. Dies ist gewiß kein systematischer Aufriß. Es ist eher eine durch Assoziationen entstandene Aufreihung von überkommenen Vorstellungen und Formeln, die die universale Heilswirkung vor Augen stellen will, die von dem Todesleiden des Gerechten ausging. So will der Abschnitt im paränetischen Kontext noch weniger als die beiden anderen ein nachzuahmendes Vorbild entwerfen; das Leiden des Gerechten wird ausdrücklich als einmalig gekennzeichnet (V. 18). Um so mehr wollen diese Ausführungen für das κοινωνεϊν (4,13), das Teilhaben und Teilnehmen an diesem Segensweg werben und so die Seligpreisung der um der Gerechtigkeit willen Bedrängten (3,13-17) unterbauen. 3) Diese Einsicht in die Struktur des Abschnitts legt nahe, was die Exegese bestätigen wird, daß er als ganzer in paränetischer Intention gestaltet und deshalb hier eingefügt ist. Allerdings führen der schwierige gedankliche Aufbau wie die Stilisierung und die Formelhaftigkeit der Aussagen zu der Annahme, daß hier Vorlagen verarbeitet wurden. a) BTJLTMANN, der erstmals eine eingehende Analyse durchführte3, kam zu dem Ergebnis, daß ein aus V. 18 (ohne δίκαιος ύπέρ άδικων), V. 19 und 22 bestehendes zusammenhängendes Traditionsstück verarbeitet worden sei, das seiner Gattung nach wahrscheinlich als Credo, nicht wie 2,22-25 als Lied zu kennzeichnen wäre. Der Text, der am Anfang vielleicht durch 1,20 zu ergänzen sei, habe vermutlich gelautet: δς £παθεν άπαξ περί άμαρτιών, ίνα ήμας προσαγάγη τω θεω, θανατωθείς μέν σαρκί, ζωοποιηθείς δέ πνεύματι, έν φ καί τοις έν φυλακή πνεύμασιν έκήρυξεν, πορευθείς (δέ) εις ουρανών έκάθισεν έν δεξιοί θεοϋ, ύποταγέντων αύτω άγγέλων καί έξουσιων καί δυνάμεων. 8

BULTMANN,

Exegetica

S. 2 8 5

ff.

IPetr 3,18-22

241

Diese Rekonstruktion ist mit erheblichen Konjekturen erkauft und gleichwohl stilistisch nicht einheitlich4. SCHELLE Schloß sich weithin Bultmann an, schied jedoch glättend V . 19 aus 6 . BOISMABD fü'gte für V . 19 — rein hypothetisch — 4,6 ein®. b) WENGST geht von der Analyse Bultmanns aus, hält die Vorlage allerdings für stärker glossiert': Die Sterbensformel V. 18 und der folgende Ϊνα-Satz gehören nicht zur geprägten Uberlieferung, dagegen macht der Parallelismus θανατωθείς μέν σαρκί, ζωοποιηθείς δέ πνεύματι unmittelbar formelhaften Eindruck; V. 19 und V. 20 sind Glossen des Verf., und die Erwähnung der Sintflut führt ihn in V. 21 zu einer Tauftypologie. Während Bultmann den ganzen V. 22 zur Vorlage zählt, rechnet Wengst nur V. 22a.c hinzu. Den Anfang der Überlieferung findet Wengst mit Bultmann in 1 Petr 1,20 (ohne δι' ύμας). So lautet der vorgegebene Text: ό προεγνωσμένος μέν προ καταβολής κόσμου, φανερωθείς δέ έπ' εσχάτου των χρόνων, θανατωθείς μέν σαρκί, ζωοποιηθείς δέ πνεύματι, πορευθείς εις ούρανόν, ύποταγέντων αύτω άγγέλων καί εξουσιών και δυνάμεων. Dieses Lied besteht nur aus Partizipialprädikationen, denen ein 6 vorangestellt werden muß. Das ergibt eine Vorlage, die formal mit 1 Tim 3,16 vergleichbar ist, inhaltlich wird ein Weg in seinen einzelnen Stationen beschrieben („Weglied"). c) Die unbefriedigenden Rekonstruktionsversuche8 veranlaßten DEICHGKÄBEE zu der Folgerung, der Verf. habe keine zusammenhängende Vorlage, sondern nur einzelne hymnische, bekenntnisartige und katechetische Stücke verarbeitet; als Bestandteile eines Christushymnus ließen sich nur V. 18b und vielleicht Teile von V. 22 identifizieren9. 4) Die Annahme, daß es sich um Einzelelemente handelt, dürfte dem traditionsgeschichtlichen Sachverhalt am nächsten kommen. Bei der Exegese wird sich immer wieder zeigen, daß der Verf. an verschiedene Traditionen angeknüpft und diese im Kontext seiner Paränese zu einer sinnvollen Gesamtaussage verklammert hat: V. 18a nimmt wie 2,21 das Urkerygma auf. Die ihm gleichlaufende Umschreibung in V. 18b: „Der Gerechte für die Ungerechten", erscheint wie eine Anpassung an den paränetischen Kontext und klingt doch wie 4

Dies machte bereits J . JEREMIAS, Zwischen Karfreitag und Ostern (1949), in: DERS., Abba S. 323-331, dort S. 323f., dagegen geltend. 5 SCHILLE, Hymnen S . 38f. ® BOISMARD, Quatre Hymnes S. 57ff., bes. S. 66. 7 W E N G S T , Formeln und Lieder S. 161 ff. 8 Vgl. auch noch C.-H. HUNZINGER, Zur Struktur der Christus-Hymnen in Phil 2 und 1. Petr 3, in: Der Ruf Jesu und die Antwort der Gemeinde (Festschrift J. Jeremias), Göttingen 1970, S. 142-156, dort S. 142-145, der Bultmanns Rekonstruktion akzeptiert, zusätzlich aus V. 18 aber noch δίκαιος ύπέρ άδικων zur Vorlage rechnet, um einen dreistrophigen Hymnus mit je 3 Zeilen zu gewinnen (I: V. 18a.b.c; II: V. 1 8 d . l 9 ; III: V. 22b.a.c). 9 DEICHGRÄBER, Gotteshymnus S. 1 7 3 .

242

1 Petr 3,18a

eine Formel. Desgleichen gehört der Finalsatz in V. 18 c in die Nachfolgeparänese des Briefes, könnte jedoch schon vorher das Ziel von V. 18a angegeben haben. V. 18 d ist; in manchem an 1,20 erinnernd, eine Formel in antithetischem Parallelismus membrorum, die an die christologische Formeltradition Rom l,3f.; 1 Tim 3,16 anknüpft. Die in Prosa übergehenden Aussagen in V. 19.20 a und in 20 b. 21 nehmen wohl katechetische Tradition auf; sie verarbeiten einen um die Sintfluttypologie (Luk 17,26ff.par) gruppierten Uberlieferungsstoff, der in der Apokalyptik des äthHenoch Vorlagen hat und auch in Hebr 11,5-7 und 2 Petr2,4f. verwertet wird10. Die drei Wendungen in V. 22 werden durch den formelhaften Stil, die relativische bzw. partizipiale Formulierung, als geprägte Aussagen erwiesen, deren erste in Rom 8,34 eine wörtliche Parallele hat. Das πορευθείς in V. 22 b entspricht demselben Partizip in V. 19 und zeigt ebenso wie das schon erwähnte και am Anfang von V. 18.19 und 21 an, wie der Verf. die verarbeiteten Traditionen redigierend verklammert hat. V. 18: Der Tod des Gerechten als Eröffnung des Weges ^u Gott V. 18a: Die christologische Begründung der vorhergehenden Paränese wird wie in 2,21 mit der Wendung δτι και Χριστός . . . έπαθ-εν, „denn auch Christus hat . . . gelitten", eingeführt. Sicher ist wie dort έπα&εν, „er hat gelitten", nicht άπέθανεν, „er ist gestorben", zu lesen11, wobei πάσχειν auch hier das Erleiden des Todes einschließt. Dieses Todesleiden ist άπαξ, „ein für allemal", geschehen, άπαξ will hier wie in Rom 6,10 einprägen, daß die von Gott trennenden Sünden endgültig überwunden und der Weg zu Gott, auf dem Christus uns mitnimmt (V. 18 c), endgültig eröffnet ist12. Dieses Freiwerden von den Sünden wurde durch Christi Sterben περί αμαρτιών ermöglicht. Diese aus dem Urkerygma 1 Kor 15,3 stammende Wendung findet sich im NT sonst nur in Gal 1,4 (wie hier mit περί) land in Hebr 10,12 (wie in 1 Kor 15 mit υπέρ). Die beiden Präpositionen περί und ύπέρ wechselten bereits in der LXX bei der Bezeichnung des Sündopfers ohne Bedeutungsunterschied13. Der 1 Petr nimmt hier zwar nicht diese at. Wendung vom Opfer περί bzw. ύπέρ άμαρτίας auf, sondern Siehe Anm. 41,42 und 68. Mit SELWYN S . 196, BEARE S . 141, SCHELKLE S . 102f. gegen WINDISCH S . 70, K E L L Y S. 147 f. Die handschriftliche Bezeugung ist für beide Lesarten gut und beide können als Angleichung erklärt werden: έπαθεν (Β ffi al) könnte Anpassung an den Kontext in 3,17 und 4,1 sein, άπέθανεν (ρ72 Κ A al vg) an die traditionelle Formel (Rom 6,10). Aller Wahrscheinlichkeit nach ist letzteres jedoch durch den späteren Sprachgebrauch entstanden, der έπαθεν nicht mehr als Todesleiden verstand. 12 άπαξ will hier nicht wie in Hebr 9,26-28; 10,10 (έφάπαξ) gegen andere, sich wiederholende Sühneakte abgrenzen. 13 Es sei besonders verwiesen auf Hes43,21 (LXX): περί άμαρτίας, und 43,22.25: ύπέρ άμαρτίας. Vgl. auch Lev 5,7; 6,23; Ps39,7 u. ö. Wahrscheinlich will der 1 Petr zwischen diesem περί vor άμαρτιων und dem anschließenden ύπέρ vor άδΙκων (wie in 2,21 vor ύμών) variieren. 10

11

1 Petr 3,18 b

243

die nt. „Sterbe-Formel". Aber das „für" will wie dort sagen: Die Sünden14 wurden durch sein Sterben als stellvertretende Sühne getilgt15, so daß sie nicht mehr von Gott trennen, also der Zugang zu ihm frei ist. Wie hier die „religiöse" Folge der Sühne hervorgekehrt wird, so wurde in 2,24 die ethische und ekklesiologische betont. Nach beiden Aussagen aber wird nicht nur die Schuld getilgt, sondern das Fehlverhalten beseitigt. V. 18 b: δίκαιος υπέρ άδικων stellt als Parallelaussage über das Todesleiden Christi eine noch nähere Verbindung mit dem vorhergehenden Aufruf zum Leiden „um der Gerechtigkeit willen" her (V. 14, vgl. δικαίους V. 12). Jesus litt als „der Gerechte für die Ungerechten". Mit dieser Formulierung folgt unser Brief wieder griechischem Sprachempfinden1·. Er versteht die im Griechischen geläufige Unterscheidung zwischen Gerechten und Ungerechten jedoch im Sinne der at. zwischen „Gerechten" und „Sündern" bzw. „Gottlosen", die er, Prov 11,31 zitierend, in 4,18 aufnimmt, und radikalisiert sie von Christus her. Für griechischhellenistisches Denken ist άδικος, wer Recht und Sitte verletzt, für at. dagegen, wer aus dem Bereich des Gottesrechts ausbricht und dadurch mit Gott bricht17. Nun ist Christus „der Gerechte", und alle anderen sind „die Ungerechten"; es ist hier wie bei dem Vorhergehenden der bestimmte Artikel zu ergänzen. Jesus litt einer frühchristlichen Tradition gemäß18 wie der Gottesknecht nach Jes 53,11 als der Gerechte. Er war, wie 1 Petr 2,22 ausführte, seinem Verhältnis zu Gott und den Menschen uneingeschränkt gerecht geworden und beiden nichts schuldig geblieben19. Sagt das „für" in 3,18a im Blick auf die Sünden primär die Sühne aus, so hier wie in 2,21 die Stellvertretung im Sinne der dem Verf. geläufigen Weissagung Jes 53,4 f. 11, die zu Gunsten der Ungerechten geschah und in Sühne bestand. 14

Bei αμαρτιών steht wie nachher bei δίκαιος und άδικων kein Artikel, aber die Wendungen sind zweifellos total gemeint. Einige Handschriften ergänzen sichtlich sekundär ήμών oder ύπέρ ήμών. 16 Jes 53,5 LXX sagt sachlich entsprechend: διά τάς αμαρτίας ήμών, daher 53,10 περί άμαρτίας (als Schuldopfer „für die Sünde"). w Die syn. Tradition unterscheidet nach palästinischem Sprachgebrauch zwischen Gerechten und Sündern; von „Gerechten und Ungerechten" reden nur die späteren Formulierungen Mt 5,45 und Act 24,15. Diese Unterscheidung ist den Griechen seit je geläufig, z.B. Xenoph, Mem. IV4,13: δ μέν άρα νόμιμος δίκαιός έστιν, 6 δέ άνομος άδικος. " G. SCHRENK, Art. άδικος, ThWNTI, S . 150 f. 18 Sonst im NT nur Act 3,14; 7,52; 22,14; vgl. 2,23 und anders in Mt 27,19 (24 v. 1.) und in 1 Joh 2,1.29; 3,7. Vielleicht wurde die Formulierung in 1 Petr 3,18 durch Jes 53,11 f. angeregt, eine Stelle, die auch 1 Petr 2,24 mitgestaltet hat; dort vertritt der δίκαιος die άνομοι. In 4,18 verwendet der 1 Petr dieselben beiden Bezeichnungen; δίκαιος steht dort und 3,12 für die Christen; άδικος begegnet nicht mehr. 19 Daß Jesu Sterben „Sündern" galt, wird im N T sonst vor allem in Rom 5,6-8 betont; jedoch liegt der Akzent dort auf dem Erweis der Liebe Gottes, hier auf dem Leiden des Gerechten.

244

1 Petr 3,18c.d

V. 18c: Die Wirkung der stellvertretenden Sühne sagt hier wie in 2,24 und 4,6 ein Finalsatz aus: Ενα ύμας προσαγάγη τω θεω. In ihm nimmt unser Brief das frühchristliche Bild von der Eröffnung des Zugangs zu Gott durch Christus auf und gewinnt ihm eine neue Seite ab. Nach Paulus wurde durch die Sühne die προσαγωγή, der „Zugang" (nicht die „Zuführung"), erschlossen, weil Friede hergestellt wurde (Rom 5,1; vgl. Eph 2,18; 3,12). Und nach Hebr 10,19-22 wird der Weg ins Allerheiligste zu Gott eröffnet, so daß wir hinzutreten können (προσερχώμεθ-α 10,22; vgl. 4,16; 10,25; 12,22). Nach dem 1 Petr aber ist es Christus, der die Erlösten zu Gott führt. Er ist nicht wie im Hebr Vorläufer und Wegbereiter20, sondern der Hinführende. Diese Ausformung des Bildes entspricht der für den 1 Petr charakteristischen Vorstellung der Nachfolge (2,21) und des Teilhabens an Christi Weg (4,13)21. Das Hinführen widerfährt dem, der in die Gemeinde berufen wird (2,9), die Gott als Vater anruft (1,17), insbesondere dem, der durch Leiden um der Gerechtigkeit willen mit Christus verbunden wird (4,13) und dies als Ausdruck seiner Berufung versteht (2,21)22 V. 18d: Die das Heil erschließende Gemeinschaft mit dem „Gerechten", der „für die Ungerechten" gelitten hat, ist möglich, weil er als der begegnet, der „dem Fleisch nach getötet, dem Geist nach aber lebendig gemacht wurde": θανατωθείς μέν σαρκί, ζωοποιη&είς δέ πνεύματι. Mit Hilfe der Antithese Fleisch und Geist wird Jesu Sterben und Auferstehen bereits in der palästinischen Formel Rom l,3f., die in 1 Tim 3,16 hellenistisch weitergebildet ist, anthropologisch erklärt23. Die Begriffe „Fleisch" und „Geist" 20 Am nächsten kommt dem 1 Petr die Stelle Hebr 2,10: „Deshalb geziemte es dem, um dessentwillen alles ist und durch den alles ist, da er viele Söhne zur Herrlichkeit führte (άγαγόντα), den Anführer ihres Heils (άρχηγόν) durch Leiden ans Ziel zu bringen"; vgl. 5,7-10; 12,Iff. 21 Gelegentlich wird vermutet, daß die Vorstellung des Hinführens von den technischen Verwendungen dieses Verbums her angereichert sei: Als προσάγειν wird in der LXX das kultische Hinführen von Tieren zum Opfer (Ex 29,10; Lev 1,2 u. ö.; 1 Clem 31,3) und von Menschen zur Weihe (Ex 29,4; Lev 8,14; Num8,9) bezeichnet, sonst auch das Vorführen vor Gericht (Ex21,6; Num25,6; Act 16,20) oder zur Audienz beim König (Xenoph, Cyrop. 1,3,8). All diese Vorstellungen liegen jedoch an unserer Stelle fern (mit SELWYN S. 196, K E L L Y S. 149 gegen K. L. S C H M I D T , Art. άγωγή etc., ThWNTI, S. 131-133; S C H E L K L E S. 103). προσάγειν, das im NT sonst nur bei Lk begegnet (Lk 9,41; Act 16,20; 27,27) hat hier wie dort den alltäglichen Sinn „hinzuführen" (bzw. intr. „hinzugehen"). 22 Die vorderorientalische Vorstellung von der Erlösergottheit, die den Erlösten den Weg durch die Weltsphären in die Welt des Lichtes ermöglicht ( P E R D E L W I T Z , Mysterienreligion S. 86; H. GRESSMANN, Altorientalische Bilder zum Alten Testament, Berlin/Leipzig 2 1927, Abb. 92.95) ist nur der ferne Hintergrund des nt. Bildes vom Zugang zu Gott; der 1 Petr nimmt es jedenfalls bereits als christliche Tradition auf (gegen P E R D E L W I T Z S. 86). 23 Weiterhin hellenisiert in IgnEph 7 , 2 ; 2 Clem 9 , 5 ; Herrn sim V 6 , 5 - 7 ; vgl. S C H W E I ZER, Erniedrigung und Erhöhung S . 9 1 - 9 3 ; K R A M E R , Christus, Kyrios, Gottessohn

S. 1 0 5 - 1 0 8 .

1 Petr 3 , l 8 d

245

sind hier im Sinne frühchristlicher Anthropologie gebraucht 24 ; sie bezeichnen nicht wie für die griechische Tradition Bestandteile des Menschen26, auch nicht Existenzbereiche, sondern primär Existenzweisen26: Jesus wurde getötet, sofern er „dem Fleisch", dem sterblichen Menschsein, zugehörte 27 ; er wurde „lebendig gemacht", auferweckt, sofern er dem Geist, d.h. wie in Rom 1,3f. dem Geist Gottes, zugehörte; nach 1,11 hat sein Geist ja bereits durch die Propheten geredet. Der Geist war nicht etwa eine unsterbliche Seele in ihm, sondern seine Verbundenheit mit Gott: Er wurde auferweckt, sofern, noch mehr: weil er Geist war 28 . Genau in diesem Sinn wird in der anthropologischen These 4,6 Fleisch und Geist von Christus her angewendet, um den Weg der Menschen durch Sterben und Auferstehen zu klären 29 . An unserer Stelle entsteht mit Hilfe dieser Anthropologie ein Bild Christi, das seine Hinrichtung und seine Auferweckung als selbständige Akte zeigt und sie doch in die Einheit und Kontinuität des Personseins integriert. Das Evangelium ruft ja nicht zur Anerkennung von einzelnen Heilstatsachen auf, sondern zum Anschluß an die Person Jesu, in der das Heilsgeschehen wirksam präsent ist. Als solcher führt er Menschen, die in seine Gemeinschaft berufen und in ihr durch Leiden um der Gerechtigkeit willen weiter mit ihm verbunden werden, in die Gemeinschaft mit Gott, θανατωθείς und ζωοποιηθείς, Verben, die sonst im NT wie bei den Apost. Vätern so gut wie nie auf Christus, sondern immer auf die Glaubenden, speziell auf die „Verfolgten" angewendet werden 30 , geben der Aussage eine Gestalt, die die GemeinsamSiehe zu 1 , 2 4 . Diese unterscheidet meist σώμα und ψυχή, kann statt dessen aber auch σάρξ und πνεϋμα sagen, so Eur, Fragm. 971 ( T G F 674): „Strotzend an Fleisch (σάρξ) erlosch er, den Geist (πνεϋμα) zum Ä t h e r entlassend" (vgl. E. SCHWEIZER, A r t . σάρξ, T h W N T VII, S. 102f.). Im Sinne dieser Anthropologie legen die Kirchenväter unsere Stelle aus: Das „Fleisch" ist der Leib Christi, der stirbt; der „Geist" ist seine Seele (Orig, Cels. 2 , 4 3 = M P G 1 1 , 8 6 4 f . ; Cyrill v . Alex., Fragm. in 1 Petr = M P G 74, 1012ff.) oder seine Göttlichkeit in Verbindung mit seiner Menschenseele (Epiph, Haer. 6 9 , 5 2 = M P G 42, 281 f . ; A u g , Epist. 1 6 4 , 1 7 - 2 1 = Μ PL 33, 716ff.), die unsterblich ist und daher überlebt bzw. wiederbelebt wird. Dieser Erklärung kommt SCHELKLE S. 103 f. nahe. 24

25

2e

M i t KELLY S . 1 5 0 f . g e g e n BEARE S . 1 4 3 ( „ S p h ä r e d e r E x i s t e n z " ) u n d SCHWEIZER,

T h W N T V I , S. 4 1 4 , 34ff. („In der sarkischen, in der pneumatischen Sphäre"). 27 σαρκί ist Dat. der Beziehung; er sagt dasselbe aus wie in R o m 1 , 3 f . das κατά beim Subst. und in 1 Tim 3 , 1 6 das έν, nämlich die Zugehörigkeit zu der jeweiligen Existenzweise. 28 D e r Dat. πνεύματι nimmt über den modalen Sinn hinaus instrumentalen an; denn es ist nahezu eine stehende Wendung, daß das πνεύμα das ζωοποιεϊν bewirke (Rom 8 , 1 1 ; 1 Kor 15,45; 2 Kor 3,6; Joh6,63). 2 8 Siehe z. 1 Petr 4 , 6 . 3 0 ζωοποιεϊν ist hier wie durchweg im N T (Rom 4 , 1 7 ; 8 , 1 1 ; 1 K o r 1 5 , 2 2 . 3 6 ; J o h 5 , 2 1 ) synonym mit έγείρειν, wird jedoch nur hier auf Jesus angewendet. Es steht als Antithese zu θανατοϋν, töten, das in der Passionsgeschichte als Absicht seiner Gegner v o n Jesus (Mk 1 4 , 5 5 par M t ; M t 2 7 , 1 ) und in den Verfolgungslogien v o n seinen Jüngern (Mk 1 3 , 1 2 par) gebraucht w i r d ; bei Paulus steht es in Aussagen über das leibliche (Rom

246

IPetr 3,19

keit zwischen dem zu Gott Führenden und den Nachfolgenden unterstreicht. Dieses von Jesu Todesleiden ausgehende Heilswirken des Auferweckten gilt nun aber nicht nur den Menschen, die seitdem zu Lebzeiten von der Verkündigung des Evangeliums erreicht werden, sondern, wie das Kerygma von Anfang an sagte, allen. Daher wurde, wie 1 Petr 4,6 erklärt, „auch den Toten das Evangelium verkündigt". Diese universale Reichweite der Heilswirkung von Jesu Todesleiden wird nun an einem extremen Beispiel bewußt gemacht. V. 19. 20 a: Die Verkündigung an die „Geister im Gefängnis "31

Die Aussage von V. 19. 20 a wird auch in der gegenwärtigen Diskussion noch sehr unterschiedlich gedeutet, so daß man an Luthers Bemerkung38 denkt: „Das ist ein wunderlicher Text und finstrer Spruch, als nur einer im neuen Testament ist, daß ich nicht gewiß weiß, was S. Peter meinet". Das Verständnis der Stelle hängt vor allem von der Klärung zweier exegetischer Fragen ab: Woran knüpft V. 19 mit έν, φ an? Und: Wer sind die πνεύματα έν φυλακή? V. 19:έν φ wird, was philologisch durchaus naheliegt, von einer Reihe von Exegeten auf das vorhergehende πνεύμα bezogen. Sie übersetzen dann: „in welchem" bzw. „als welches". D.h. Jesus ging als leibloser Geist vor der leiblichen Auferstehung zu den ebenfalls leiblosen Geistern33. Aber „Geist" ist in V. 18 ja nicht ein für sich existierender Teil der Person, sondern ihre Existenzweise, nämlich ihre Verbundenheit mit Gott. Daher 8,36; 2 Kor 6,9) und geistliche (Rom 7,4; 8,13) Teilhaben am Kreuz. — Nach WIND I S C H S. 71 ist hier der ursprüngliche Sinn von ζωοποιεΐν abgewandelt: „Indem der Vf. aber die Todesfahrt einschiebt und die Auferstehung erst V. 22 ausdrücklich nennt, unterscheidet er offenbar die Lebendigmachung im Geist von der Auferstehung: als wieder lebendig gewordener Geist ist Christus zu gleichfalls leiblosen Geistern in die Unterwelt gegangen; darnach ist er auferstanden, d. h. mit seinem Leibe." Diese Erklärung verkennt die Struktur unseres Abschnittes, insbesondere das έν φ V. 19. 81 Lit.: Κ. G S C H W I N D , Die Niederfahrt Christi in die Unterwelt (NTA 2/3-5), Münster 1911; S E L W Y N S. 314-362; Bo R E I C K E , The Disobedient Spirits and Christian Baptism (ASNU 13), Kopenhagen 1946; W. B I E D E R , Die Vorstellung von der Höllenfahrt Jesu Christi (AThANT 19), Zürich 1949; J. J E R E M I A S , Zwischen Karfreitag und Ostern (1949), in: D E R S . , Abba S. 323-331; S. E. J O H N S O N , The Preaching to the Dead (1 Pet 3,18-22), JBL79 (1960) S. 48-51; W. J. D A L T O N , Christ's Proclamation to the Spirits (AnalBibl 23), Rom 1965; J. J. STRYNKOWSKI, The Descent of Christ among the Dead (Exc. ex Diss. Pont. Univ. Gregorianae), Rom 1972; A. G R I L L M E I E R , Der Gottessohn im Totenreich. Soteriologische und christologische Motivierung der Descensuslehre in der älteren christlichen Uberlieferung, in: D E R S . , Mit ihm und in ihm (Christologische Forschungen und Perspektiven), Freiburg i. B. 1975, S. 76-174; H.-J. V O G E L S , Christi Abstieg ins Totenreich und das Läuterungsgericht an den Toten (Freib. Theol. Stud. 102), Freiburg i. B . 1976. Vgl. auch B A U E R , Wörterbuch s. ν. πνεϋμα 2. 82 ErLAusg. 51, 460 = WA 12, 367. 88 So z . B . K N O P F S. 147f.; W I N D I S C H S. 7 0 ; B E A R E S. 144; S C H E L K L E S. 104; KELLY S. 152.

l P e t t 3,19

247

müßte έν ώ, wenn es auf πνεϋμα bezogen wird, mit SCHLATTER instrumental verstanden werden: „kraft des Geistes" ging er hin. Dann aber müßte auch der Dativ πνεύματι in V. 18d primär instrumentalen Sinn haben; das wird durch das parallele σαρκί ausgeschlossen34. Mit einer Reihe anderer Exegeten wird man deshalb έν φ besser wie in 1,6 und 4,4 als Konjunktion verstehen38 und mit „wobei" oder „dabei" bzw. „so" übersetzen36. Diese Wendung nimmt dann das Vorhergesagte als Ganzes auf und erklärt: „Dabei", nämlich als einer, der gestorben und auferstanden war, ging er auch zu den Geistern im Gefängnis. Dieses Hingehen ist gleich dem „Hinführen" der „Ungerechten" zu Gott (V. 18c) „auch" eine Wirkung seines Todesleidens. Nur dies wollen die an das Vorhergehende anknüpfenden Wörter έν φ καί sagen; Zeit und Art des Hingehens bleiben offen. Zum Verständnis der Bezeichnung τά έν φυλακή πνεύματα wurde in der westlichen Kirche bis zu Beginn unseres Jahrhunderts vielfach die Deutung aufgenommen, die Augustin aus dogmatischer Opposition gegen die ältere Auslegung entworfen hatte 37 : Die Geister im Gefängnis sind die ungläubigen Zeitgenossen Noahs. Sie waren im Kerker der Sünde und der Unwissenheit gefangen. Ihnen predigte der Geist des präexistenten Christus (1,11) durch Noah. Diese Allegorese widerstreitet jedoch dem Skopus des Kontexts; dieser will nicht wie 1,11 auf Prophetie, sondern auf die Heilswirkung des Todesleidens hinweisen. So stehen gegenwärtig zwei Auslegungen ernsthaft zur Diskussion: 1) Philologisch und religionsgeschichtlich spricht vieles für die Erklärung, die 1890 von FRIEDRICH SPITTA 38 angeregt und seitdem von vielen aufgenommen wurde 39 : Die πνεύματα sind, da ihnen gepredigt wird, als personhafte Wesen zu denken. So gebraucht bezeichnet das Wort im NT aber meist übermenschliche Geistwesen, Engel oder Dämonen40. Nimmt man diese philologisch naheliegende Wortbedeutung an, dann 84

SCHLATTER S . 1 3 7 f .

In Verbindung mit einer Präposition nimmt das Relativpronomen im Griech. öfter den Sinn einer Konjunktion an (BAUER, Wörterbuch s. ν. έν IV, 6); auch in 3,21, vor dem nächsten καί = „auch" wird das Relativpronomen in dieser Weise gebraucht (s. Anm. 78). 86 So BIEDER, Höllenfahrt S. 106; SCHWEIZER, ThWNT VI, S. 446; ähnlich SELWYN S . 197. 87 Aug, Epist. 1 6 4 , 1 4 - 1 7 (PL 33, 715f.); zuletzt vertreten von WOHLENBERG S . 1 1 3 (vgl. den Forschungsbericht bei REICKE, Disobedient Spirits S. 37-42). 38 F. SPITTA, Die Predigt an die Geister (1 Petr 3,19 ff.), Göttingen 1890; H. GUNKEL, Zum religionsgeschichtlichen Verständnis des Neuen Testaments (FRLANT 1), Göttingen 1910, S. 72 f. 8 » KNOPF S . 149FF.; WINDISCH S . 7 1 ; JEREMIAS, Abba S . 3 2 5 f.; REICKE, a. a. O . S . 9 0 f.; SELWYN S . 3 2 6 (mit Einschränkungen); KELLY S . 1 5 3 f . 4 0 So von guten oder nicht ausdrücklich als böse bezeichneten Geistwesen: Act 23,8f.; Hebr 1 , 1 4 ; 12,9; vgl. Apk 1 , 4 ; 3,1 u. ö., von bösen Geistwesen: Mk 1,23. 26; 3,30; A c t l 9 , 1 5 f . ; 16,16 u. ö. (s. BAUER, Wörterbuch s . v . πνεϋμα 4b.c.). 35

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1 Petr 3,19

erklären sich die Aussagen aus einem Mythos der jüdischen Apokalyptik 41 , der im Urchristentum bekannt war 42 . Die knappen Andeutungen über den Engelfall in Gen 6,1-4 wurden dort zu einem kosmischen Mythos weiterentwickelt: Engel hatten „das Gebot des Herrn übertreten", waren also, wie es an unserer Stelle heißt, „ungehorsam gewesen" (äthHen 21,6; vgl. 106,13f.); sie hatten die Menschen zu so großer Bosheit verführt, daß Gott die erste Menschheit in der Flut austilgen mußte. Deshalb wurden sie gefesselt und in der Unterwelt 43 „in einem Gefängnis" (äthHen 18,14; 21,10) bis zum Gerichtstag verwahrt. Henoch wird von Gott zu ihnen gesandt, um ihnen zu eröffnen, daß sie keine Barmherzigkeit zu erwarten haben, daß sie vielmehr auf ewig verdammt sind: „Ihr werdet keinen Frieden haben" (äthHen 16,4). Was jene Apokalyptiker von Henoch, ihrem Offenbarungsmittler, erzählten, sei von den Christen auf Christus übertragen worden, und die auf diese Weise sich ergebende Vorstellung müsse im frühen Christentum so verbreitet gewesen sein, daß der 1 Petr in formelhafter Kürze auf sie verweisen kann: „Er verkündigte den Geistern im Gefängnis". Was „verkündigte" er ihnen? Die meisten Vertreter dieser Erklärung nehmen an 44 : Er gab ihnen ähnlich wie Henoch ihre Verwerfung und Entmächtigung durch seine Verherrlichung kund. An diesen Vorgang erinnere der 1 Petr die bedrängte Gemeinde, weil ihre Widersacher nur die Rebellion jener nachvollziehen. Nun ist aber κηρύσσειν, „verkündigen", von Christus und der christlichen Botschaft gebraucht, im NT durchweg Heilspredigt 45 . Daher entnehmen manche Vertreter der angelologischen Deutung der Stelle, daß dort, wo Henoch nur Gericht predigen konnte, Christus Heil verkündigt habe. Im NT wird jedoch nirgends angedeutet, daß Christus gefallene Engel erlöste. Ja, Hebr 2,16 bemerkt ausdrücklich: „Er nimmt sich schließlich nicht der Engel an, sondern des Abrahamsamens nimmt er sich an" 46 . Die angelologische Deutung der πνεύματα gerät somit in Schwierigkeiten; sie steht in Widerstreit zu dem, was diesen πνεύματα widerfahren sein soll, nämlich die Heilsverkündigung Christi47, darüber hinaus aber auch zu der Aussage über ihren Ungehorsam in V. 20 a. Denn die Engel von Gen 6,1-4 waren nun einmal nicht „in den Tagen 41

äthHen (6;) 10-16; 21; syrBar 56,12f.; Jub5,6; 6 QD 2,18-21; 1 Q GenApoc 2,1.16. 42 In Jud 6 und 2 Petr 2,4 wird ausdrücklich auf ihn verwiesen. 43 So Jub 5,6; andere lokalisieren den Strafort am Ende des Himmels (äthHen 18,12-14) oder im 2. der 7 Himmel (slavHen 7,1-3; vgl. TestLev3,2). 44 So REICKE, a.a.O. S. 90f.; SELWYN S. 326; KELLY S. 156f. 45 So auch G.FRIEDRICH, Art. κηρύσσω, ThWNT III, S. 706,45ff.; daß das Wort an einigen Stellen mit anderem Subjekt auch neutralen Sinn haben kann ( L k l 2 , 3 ; Rom 2,21; Apk5,2), beweist nichts Gegenteiliges (gegen KELLY S. 156). 46 Auch Kol 1,20 (Rom 8,21) denkt zumindest nicht an eine Versöhnung durch Heilspredigt. 47

Vgl. JEREMIAS, Abba S. 326.

1 Petr 3,19

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Noahs", sondern lange vorher „ungehorsam"48! Die Deutung deckt also keine der beiden Aussagen über „die Geister im Gefängnis". Überdies ist nicht zu erwarten, daß unser Abschnitt, der mit dem Bekenntnis über die richtende Unterwerfung der Engel schließt, schon vorher eine entsprechende Aussage bringt49. 2) Diese und andere exegetische Schwierigkeiten lösen sich, wenn die bereits von den Exegeten der ersten Jahrhunderte entwickelte Deutung philologisch und religionsgeschichtlich vertretbar ist: Die Geister im Gefängnis sind die Seelen der unbußfertigen Zeitgenossen Noahs 60. Kann πνεύματα diese Bedeutung haben? Die Seelen der Abgeschiedenen werden im NT zweifellos meist als ψυχαί bezeichnet. Aber nun bemüht sich der 1 Petr ähnlich wie der Hebr und Lk immer wieder, biblische Vorstellung in griechisches Sprachgewand zu kleiden, πνεύμα aber ist altgriechischer Wechselbegriff für ψυχή61. So ist es nicht zufällig, daß sich dieser Wortgebrauch im NT vielleicht bei Lk (24,37. 39), sicher im Hebr52 und sehr wahrscheinlich an unserer Stelle findet. Daß der 1 Petr mit den πνεύματα die Seelen Verstorbener, modern ausgedrückt, ihr weiter existierendes Selbstsein meint, legt er auch durch 4,6 nahe; denn diese Stelle sagt ausdrücklich, daß „den Toten", d. h. den Verstorbenen, das Evangelium verkündigt wurde 53 . Läßt sich dann die Vorstellung belegen, daß die Seelen des Sintflutgeschlechts in der Totenwelt in einem Gefängnis verwahrt werden? Auf diese Vorstellung fuhren mehrere bisher nicht beachtete Stellen der römi48 Daß diese zeitliche Abfolge für die unkritische Betrachtung der Apokalyptiker verfließe (KELLY S. 154f.), ist aus äthHen 106,13-18 nicht zu schließen, da 106,17 wohl Glosse ist; TestNaph 3,5 stellt ebenso wie Jub 5,1-6 lediglich den Zusammenhang zwischen dem Engelfall und der Verderbnis des Sintflutgeschlechts fest. 49 Dies wird auch nicht dadurch nahegelegt, daß in dem verwandten Bekenntnis 1 Tim 3,16 auf έδικαιώθη έν πνεύματι die Aussage ώφθη άγγέλοις folgt (gegen REICKE, a.a.O. S. 234f.). 60 Clem Alex, Strom 6,6.44-46 (=MPG 9,268A) verweist auf unsere Stelle (45,4) ,um zu belegen, daß Christus allen, auch den Heiden, das Heil anbietet (46,3); vgl. Adumbr. (MPG 9,731 B). Das sind die ältesten ausdrücklichen Hinweise auf unsere Stelle. Nach Hippolyt predigte Christus den Gerechten im Hades, auch denen, „die einst ungehorsam waren", aber sich anscheinend schon vor seinem Kommen bekehrt hatten (Fragment einer Osterpredigt, bei REICKE, a.a.O. S. 23-27). Demgegenüber verweist Origenes wiederholt in demselben universalen Sinn wie Clemens auf die Stelle: Princip. 2,5,3 (MPG 11, 206 C); Cels. 2,43 (MPG 11,864f.); Comm. in Matth. 132. Gegen diese vor allem in der Ostkirche weiterwirkende Deutung, die den Ernst der Entscheidung in der Zeit zu beeinträchtigen scheint, entwickelte Augustin seine allegorische Deutung. 51 άνω Tb πνεϋμα διαμενεϊ κατ' ούρανόν (Epicharm, Fragm. 22 bei Diels 1, 14 1969, 202,5); vgl. H. KLEINKNECHT, Art. πνεϋμα, ThWNT VI, S. 334. 52 Hebr 12,23: πνεύματα δικαίων τετελειωμένων, „Geister der vollendeten Gerechten" (im Himmel), wie Dan 3,86 a LXX: εύλογεΐτε, πνεύματα καΐ ψυχαί δικαίων, τ'ύν κύριον. Vgl. auch äthHen 22,3-13; 22,3: πνεύματα των ψυχών των νεκρών (s. BAUER, Wörterbuch s. ν. πνεϋμα 2). 53 So auch FRIEDRICH, ThWNT III, S. 706,12ff.

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lPetr 3,19

sehen Gemeindetradition, der unser Brief ja nahesteht. 2 Clem 6,8 erklärt: Wenn wir den Geboten Christi ungehorsam sind, wird uns nichts vor der ewigen Strafe retten; „es sagt auch die Schrift bei Ezechiel: ,Wenn auferstünden Noah, Hiob und Daniel, würden sie ihre Kinder nicht retten', die in der Gefangenschaft (έν τη αιχμαλωσία) sind", αιχμαλωσία ist eigentlich die Kriegsgefangenschaft, hier aber als jenseitiger Strafort gedacht. Herrn vis 1,1,8 wird gedroht: „Die aber, die in ihrem Herzen Böses sinnen, ziehen sich Tod und Gefängnis (αίχμαλωτισμός) zu." Hier muß ebenso wie in sim 9,28,7 („. . . damit ihr nicht als Verleugner in das Gefängnis, δεσμωτήριον, kommt") ein jenseitiger Strafort gemeint sein. „Die Geister im Gefängnis" sind demnach die Seelen des Sintflutgeschlechts, die an einem jenseitigen Strafort verwahrt sind. Dann enthält unsere Stelle eine wichtige kerygmatische Aussage: Das Sintflutgeschlecht gilt in der rabbinischen Tradition als restlos und endgültig verloren: „Das Sintflutgeschlecht hat keinen Anteil an der Auferstehung" (Sanh 10,3a). Unsere Stelle aber erklärt: Christus hat als der Gestorbene und Auferstandene auch diesem verlorensten Teil der Menschheit das Heil angeboten®4. Dann wäre gesagt: Die Heilswirkung seines Todesleidens reicht auch hin zu den Menschen, die in diesem Leben nicht zu einer bewußten Begegnung mit Christus kommen, selbst zu den verlorensten unter ihnen. 1 Petr 4,6 spricht dies unmittelbar aus: „Es wurde auch den Toten das Evangelium verkündigt." Diese kerygmatische Aussage liegt in der Grundlinie unseres Briefes: Er setzt der Ächtung der Christen durch die Gesellschaft das missionarische Zeugnis entgegen, das auch ihr ganzes Verhalten in der Gesellschaft bestimmt, und nimmt damit das Wort auf: „Ihr seid das Licht der Welt" (vgl. 2,12) — inmitten eines „ungehorsamen" Geschlechts, dem dennoch Gottes Heil gilt! Offensichtlich soll dem Bild der Sintflutgeneration in V. 20 a gerade auch dieses Dennoch entnommen werden, so gewiß es vor allem den anschließenden typologischen Aufruf zum Exodus in die „Arche" begründen soll. Hat die Aussage demnach einen eindrucksvollen kerygmatischen Sinn, so mutet die Vorstellung, daß Christus Verstorbenen verkündigt habe, als solche doch sehr zeitgebunden und mythisch an. Ihr Charakter wird deutlicher, wenn wir sie in den Zusammenhang ihrer Vor- und Nachgeschichte stellen. Exkurs: Die Hadespredigt Christi im religionsgeschichtlichen Zusammenhang W I L H E L M BOUSSET fügte die Hadespredigt Christi in seine religionsgeschichtliche Rekonstruktion der nt. Christologie mit folgender Hypothese ein: „Mit der Annahme des dreitägigen Zwischenraums zwischen Tod und Auferstehung" entstand auch „die Phantasie von dem Hinabstieg Jesu zum 51 Bei der Gestaltung dieser Aussage mag auch jener Henoch-Mythos als antithetisches Vorstellungsmodell sekundär eingewirkt haben.

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IPetf 3,19

Hades". Sie tritt einerseits in der populären Vorstellung von einem „Kampf des Lebensfürsten mit dem Fürsten (und den Mächten) der Unterwelt und des Todes" hervor, die sich literarisch erstmals in OdSal 42 findet. Andererseits begegnet sie in dem diese Mythologie zurückdrängenden, „von des Gedankens Blässe angekränkelten Theologumenon" über eine Predigt Jesu im Hades, die ihren Ausgangspunkt vor allem in einem angeblichen at. Wort hat, das von Justin (Dial. 72) und nicht weniger als sechsmal von Irenäus (Adv. Haer. III 20,4 u. ö.) zitiert und im PetrEv 41 vorausgesetzt wird 66 . Diese hypothetische Konstruktion reißt den Horizont auf, in dem 1 Petr 3,19 und 4,6 stehen, wie man ihn von den Denkvoraussetzungen und dem Informationsstand der „Religionsgeschichtlichen Schule" aus sehen konnte. Was läßt sich darüber heute sagen? 1) Der ganzen alten Welt ist die Vorstellung geläufig, daß die Toten in bestimmten Räumen des Kosmos, vor allem in einer Unterwelt, weiterexistieren. Nach at.-jüd. Tradition 66 nimmt die ViKtf, der άδης, ein unterirdisches Totenreich, die Toten ohne Unterschied auf. Sie bleiben dort als wesenlose Schatten, bis sie, wie seit der Apokalyptik erwartet wird, zu einem neuen Leben auferweckt werden67. In späteren Schichten der Tradition vollzog man aufgrund des Vergeltungsschemas bereits in der Scheol eine vorläufige Trennung zwischen Gerechten und Sündern (z.B. äthHen 22; Lk 16,24ff.). Als Strafort wird die Scheol der endgültige Platz der Verurteilten (syrBar 36,10f.). — Die vom hellenistischen Judentum her vordringende Lehre von der Unsterblichkeit der Seele veranlaßte die Vorstellung, daß die Seelen der Gerechten bereits in der Sterbestunde in eine himmlische Seligkeit, die gelegentlich mit „Paradies" als dem Namen des Ortes der endgültigen Seligkeit bezeichnet wird (Lk 23,43), die der Gottlosen aber in den Hades als Strafort eingehen68. Während bei den Rabbinen die Scheol-Vorstellung durch den Gehinnom als zwischenzeitlichen und endzeitlichen Strafort verdrängt wird 59 , ist im 4 Esr und im syr Bar wie im NT der Hades gemeinhin die Stätte des Zwischenzustandes, der Gehinnom dagegen, wie schon äthHen 90,26 f., die der endgültigen Verdammnis. Über die Lage des Gehinnom im Kosmos gehen die Traditionen auseinander: Nach grBar4 und slavHenlO,l liegt er im 3. Himmel; zugleich aber wird er in slavHen 40,12 der Unterwelt zugewiesen, wie das in der Regel auch sonst geschieht60. — Die Aussagen des 1 Petr über die Verkündigung an die Verstorbenen gehen nicht auf diese schillernde Geographie des Jenseits ein. Sie nenen nur Personen, mit denen sich Christus befaßt, keine kosmischen Situationen. Der Verf. beschreibt nicht seine Vorstellungen, sondern bezeugt, was aus dem Kerygma für die verstorbenen Generationen folgt66 W . BOUSSET, Kyrios Christos (FRLANT 21), Göttingen »1921 (Neudruck 1965), S. 26-33; zur damaligen Diskussionslage vgl. ebd. S. 26 Anm. 3. Die Zitate S. 26 und 28.

"

V g l . BILLERBECK I V , · S . 1 0 1 6 - 1 1 6 5 .

«

Z . B . äthHen51,1 f.; s. BILLERBECK IV, S. 1016f. Sap 1,1.3.5; 4,7; 4Makk5,37; 9,8; ebenso Philo, passim, sowie Teile des äth und slavHen (s. BILLERBECK IV, 1020f.). 68

68

BILLERBECK I V ,

60

BILLERBECK

S. 1 0 2 2 .

IV, S. 1085ff.; G.

FRIEDRICH,

ThWNT III, S. 706, 30ff.

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1 Petr 3,19

2) Den Vorstellungen über die Aufenthaltsorte der Toten im Kosmos, die in der Umwelt ähnlich sind wie im Judentum, entsprechen Mythen von Gottheiten oder Heroen, die in die Welt der Toten eindringen, um sie zu befreien. Solche Mythen finden sich nahezu in allen Religionen der Umwelt des frühen Christentums61. Die Sendung Henochs zu den Engelwesen im unterirdischen Strafort ist nur ein Beispiel aus diesem Kreis. 3) Im Christentum tritt uns ein Wirken Jesu in der Totenwelt in nachneutestamentlichen Dokumenten in zweierlei Gestalt entgegen. a) Seit Beginn des 2. Jh. weiß man in der ganzen Kirche von einer Hadespredigt Christi. „Hast du den Entschlafenen gepredigt?", wird im PetrEv 41 f. bei der Auferstehung gefragt. Nach östlicher wie nach westlicher Überlieferung war Aufgabe der Predigt, daß Christus den Gerechten des alten Bundes, die auf ihn gewartet hatten, das Heil verkündigte. Das setzt IgnMagn 9,2 voraus: „Deshalb kam er, auf den sie in Gerechtigkeit warteten, und hat sie von den Toten erweckt" (vgl. Phld 9,1). Entsprechend läßt Herrn sim 9,16,5 durch die Apostel eben diesen Gerechten predigen und sie taufen. Schon in der ersten Hälfte des 2. Jh. lief ein apokryphes Jeremia-Wort christlichen Ursprungs um, das Justin (Dial. 72) zitiert: „Es gedachte der Herr, der heilige Gott Israels, seiner Toten, die im Erdenstaub schlafen, und stieg zu ihnen herab, um ihnen sein Heil zu verkündigen" 62 . Daher konnte Marcion diese kirchliche Tradition ironisch ins Gegenteil verkehren und lehren: Christus habe alle Sünder, von denen das AT berichtet, Kain ebenso wie die Leute von Sodom und Ägypten gerettet, aber nicht die Gerechten des Alten Bundes63. b) Während sich in der theologischen Reflexion überwiegend die Hadespredigt Christi findet, begegnet in der Homilie und im Hymnus der Hadeskampf. Auf die älteste eindeutige Aussage darüber stoßen wir in den gnostischen Oden Salomos, wo es in Od 42 heißt: „Die Hölle sah mich und ward schwach, der Tod spie mich aus und viele mit mir. Galle und Gift ward ich ihm. Ich stieg hinab mit ihm, so tief die Hölle war. Füße und Haupt wurden ihm schlaff, denn er konnte mein Antlitz nicht ertragen. Ich schuf die Gemeinde der Lebendigen unter den Toten . . . 61 Vgl. J. KROLL, Gott und Hölle. Der Mythus vom Descensuskampfe (Studien der Bibliothek Warburg 20), Leipzig/Berlin 1932 (Neudruck Darmstadt 1963), eine umfassende, leider zu wenig differenzierende Materialsammlung; weitere Literatur bei REICKE, Disobedient Spirits S. 231 f. — Ein neubabylonischer Text, der sich ein wenig mit unserer Stelle berührt, sagt ζ. B. von einer Gottheit, vielleicht von Marduk: „Er steigt hernieder in das Gefängnis, / er erhebt sich (?) und erreicht das Gefängnis, / er öffnet die Tore des Gefängnisses, er tröstet sie / da blickte er hin auf sie, sie alle; er freut sich. / Da schauten die gefangenen Götter auf ihn, / freundlich sie alle — betrachteten sie ihn"; nach W. BOUSSET, Zur Hadesfahrt Christi, ZNW 19 (1919/20) S. 57f. 62 Vgl. GRILLMEIER, Gottessohn im Totenreich S. 77 f. 63 Iren, Haer. 1 2 7 , 3 ; Epiph, Haer. I 3,42.4. Vgl. A. v. HARNACK, Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott, Leipzig 2 1924 (Neudruck Darmstadt 1960), S. 128 ff.

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Es eilten die Verstorbenen zu mir, riefen und sprachen: Erbarme dich unser, Sohn Gottes! Führe uns aus der Finsternis Banden, öffne das Tor, durch das wir mit dir hinausgehen Ich aber hörte auf ihre Stimme und versiegelte ihr Haupt mit meinem Namen; denn freie Männer sind sie, und mir gehören sie an" 64 . Neben einer derartigen hymnischen Aussage (vgl. noch Od 17,8ff.; 22; 29,4), in der der gnostische Erlösermythos Gestalt annimmt, steht die homiletische Ausmalung des Ostergeschehens in der Passa-Homilie des Melito von Sardes: „Ich habe den Tod aufgelöst . . . und die Totenwelt niedergetreten, und den Starken gebunden und den Menschen in die Höhe geführt"