Der deutsche ›Macer‹ (Vulgatfassung) – Mit einem Abdruck des lateinischen Macer Floridus ›De viribus herbarum‹ [Reprint 2013 ed.] 9783110911763, 9783484360501

The German »Macer«, translated into Thuringian dialect in the first half of the thirteenth century, is the earliest exte

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German Pages 521 [524] Year 2003

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Table of contents :
VORWORT
TEIL I: ZUR GATTUNGSGESCHICHTE DER KRÄUTERBÜCHER
1. Zur Einführung: Gegenstand und Forschungsskizze
2. Chronologisches Verzeichnis der Kräuterbücher: Von den Anfängen bis zum 15. Jahrhundert
3. Vorläufer und Vorlagen des deutschen ›Macer‹
3.1. Das 9. Jahrhundert: Walahfrid Strabo. Hrabanus Maurus
3.2. Das 11. Jahrhundert: ›Macer Floridus‹. Constantinus Africanus
3.3. Das 12. Jahrhundert: Hildegard von Bingen. ›Circa instans‹. ›Prüller Kräuterbuch‹
TEIL II: DER DEUTSCHE ›MACER‹ UND SEINE ÜBERLIEFERUNG
1. Zum Werk
1.1. Stand der Forschung
1.2. Zur Entstehungsgeschichte
1.3. Zu den Quellen
1.4. Zur Übersetzungsweise und Bearbeitungsstrategie
1.5. Zur Rezeption des ›Macer‹
2. Text- und Überlieferungsgeschichte
2.1. Vorbemerkungen
2.2. Verzeichnis der Überlieferungszeugen
2.3. Überlieferungsbefund
2.4. Mittelalterliche Verfahren zur Erschließung des Textes
2.5. Konsequenzen für die Edition
3. Beschreibung der Textzeugen
3.1. Vorbemerkung
3.2. Textzeugen des Normalcorpus
3.3. Textzeugen des Normalcorpus mit alphabetischer Anordnung
3.4. Fragmente
3.5. Kompilationen
3.6. Streuüberlieferung
4. Auswertung der Überlieferung
4.1. Autornennung und Werktitel in der Überlieferung
4.2. Zur räumlichen und zeitlichen Verbreitung
4.3. Zur Mitüberlieferung – Der ›Macer‹ im medizinischen Umfeld
4.4. Zur Benutzerschicht
TEIL III: EDITION DES DEUTSCHEN ›MACER‹
1. Überlieferungsgliederung des Normalcorpus
2. Zur Einrichtung der Ausgabe
3. Kapitelübersicht
4. Edition: Der deutsche ›Macer‹
5. Wörterbuch
ANHANG: QUELLENTEXTE
Vorbemerkung
1. Macer Floridus, ›De viribus herbarum‹
2. ›Spuria Macri‹ (Auswahl)
3. Gargilius Martialis, ›Medicinae ex oleribus et pomis‹ (Auswahl)
4. Constantinus Africanus, ›Liber de gradibus‹ (Auszug)
ABGEKÜRZT ZITIERTE LITERATUR
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
PERSONEN-, ORTS-, WERK- UND SACHREGISTER
HANDSCHRIFTENREGISTER
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Der deutsche ›Macer‹ (Vulgatfassung) – Mit einem Abdruck des lateinischen Macer Floridus ›De viribus herbarum‹ [Reprint 2013 ed.]
 9783110911763, 9783484360501

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TEXTE UND TEXTGESCHICHTE

Herausgegeben von Klaus Grubmüller, Konrad Kunze und Georg Steer

Der deutsche >Macer< Vulgatfassung Mit einem Abdruck des lateinischen Macer Floridus >De viribus herbarum
Macer< 3.1. Das 9. Jahrhundert: Walahfrid Strabo. Hrabanus Maurus . 3.2. Das 11. Jahrhundert: >Macer FloridusMacer Floridus
MACER< UND SEINE ÜBERLIEFERUNG

Zum Werk 1.1. Stand der Forschung 1.2. Zur Entstehungsgeschichte 1.3. Zu den Quellen 1.4. Zur Übersetzungsweise und Bearbeitungsstrategie

33 34

3.2.2. Constantinus Africanus 3.3. Das 12. Jahrhundert: Hildegard von Bingen. >Circa instansPrüller Kräuterbuch< 3.3.1. Hildegard von Bingen 3.3.2. Platearius: >Circa instans< 3.3.3. Das >Prüller Kräuterbuch
Macer
Macer< + >Macer FloridusWiener MacerMacer< + Constantinus Africanus, >Liber de gradibusMacer< + Hildegards von Bingen >Liber de herbisMacer Floridus< + >Circa instans< . 141 3.5.4. >Macer< + >Circa instansSerapionMacer< + lat. >Galgant-Gewürztraktat< 150 3.5.6. >Macer< + Konrad von Megenberg, >Buch der Natur< 153 3.5.6.1. >Macer< + >Buch der Natur< + >Elsässische Kräuterbuchkompilation< 155 3.5.6.2. BIO und M3 160 3.5.6.3. M13 162 3.5.6.4. M15 162 3.5.6.5. Kö2, M23 und H3 163 3.5.7. >Macer< + >Rheinische Kräuterbuchkompilation< (>RKMacer< im medizinischen Umfeld 4.3.1. Schriften zur Behandlung von Krankheiten . . .

205 205 209

4.3.1.1. 4.3.1.2. 4.3.1.3. 4.3.1.4.

Rezepte Arzneibücher, Texte zur theoretischen Medizin Chirurgie/Wundarznei Frauenheilkunde

4.3.2. Arzneimittel (Materia medica) 4.3.2.1. 4.3.2.2. 4.3.2.3. 4.3.2.4. 4.3.2.5. 4.3.2.6.

Kräuterbücher Arzneimittelherstellung »Gebrannte Wässer« Salben und Pflaster Wunderdrogentraktate Steinbücher

4.3.3. Schriften zur Diätetik 4.3.3.1. Schriften zur Pest

4.3.4. Texte zur Diagnose und Prognose 4.3.4.1. Harntraktate 4.3.4.2. Blutschau- und Aderlaßtraktate

4.3.5. Lateinische Medizinliteratur 4.3.6. Texte im Grenzgebiet der Medizinliteratur

212 216 216 216 222 226

228 228 228 229 .230 231 232

232 237

238 239 239

240 . . . 243

4.3.6.1. Medizinisch-astronomische und medizinischastrologische Texte 244 4.3.6.2. Medizinische Prognostiken 245 4.3.6.3. Medizinisch-pharmazeutische Vokabulare . . 246 4.3.6.4. Veterinärmedizin (>RoßarzneiMacer< außerhalb des medizinischen Umfeldes

247

VIII

Inhaltsverzeichnis

4.3.8. Fazit 257 4.3.9. Tabellarischer Anhang zur Mitüberlieferung . . . 258 4.4. Zur Benutzerschicht 268 TËIL III: EDITION DES DEUTSCHEN >MACER
Macer
De viribus herbarum
Spuria Macri< (Auswahl)

475

3.

Gargilius Martialis, >Medicinae ex oleribus et pomis
Liber de gradibus< (Auszug) . . . .

485

ABGEKÜRZT ZITIERTE LITERATUR

487

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

495

PERSONEN-, ORTS-, WERK- UND SACHREGISTER

497

HANDSCHRIFTENREGISTER

505

Vorwort

»Aus den Bedürfnissen des täglichen Lebens entsprungen, so wie die Rechtsbücher können sich die Arzetbücher mit diesen an weiter Verbreitung messen; an Werth für die Sprache, für die Sittengeschichte und dergleichen werden sie denselben die Wage halten. Wird erst einmal der Macer gedruckt sein, wird auch blöden Augen klar sein, dass eine Masse nicht nur unserer Hausmittel auf gelehrtem Wege unters Volk gekommen ist, sondern dass daher und aus dem Apuleius das meiste des Aberglaubens von den Pflanzen stammt, womit man in der »deutschen Mythologie< so fürchterlich Staat gemacht hat.« Mit diesem Resümee beendete 1872 JOSEF HAUPT, der Bibliothekar der damaligen kaiserlichen Bibliothek zu Wien, seinen grundlegenden Beitrag über die deutschsprachigen Arzneibücher des Mittelalters, in dem er u.a. den Grundstein für die Erforschung des deutschen >Macer< gelegt hatte. So geht auf ihn die Einteilung der Überlieferung in eine ältere und eine jüngere Fassung zurück, die er für zwei verschiedene Übersetzungen hielt. Die ältere hielt er dabei für ein Werk des 13., die jüngere dagegen für eines aus dem 14. Jahrhundert. In der späteren Forschung wurde diese Unterscheidung, die HAUPT auf der Basis der ihm bekannten Textzeugen, insgesamt freilich nur neun, vornahm, aufgegriffen, und dementsprechend wurden die beiden Versionen nach dem Vorbild anderer Texte aus dem Bereich der älteren deutschen Literatur als >Älterer deutsche Macer< bzw. als >Jüngerer deutscher Macer< bezeichnet. Die im Rahmen dieser Arbeit vorgenommene Analyse der gesamten bekannten Überlieferung erbrachte freilich, daß dieses Bild vereinfacht ist und daß sich die Überlieferungssituation vielmehr wesentlich komplexer darstellt. Was den angeblich >Älteren deutschen Macer< anbelangt, so haben wir es mit zwei selbständigen Übertragungen zu tun: mit der Vulgatfassung (bislang als >Älterer deutscher Macer< bezeichnet), die überaus breit überliefert wurde, und einer bereits aus dem 13. Jahrhundert erhaltenen eigenständigen Neuübersetzung, die jedoch nur in einem einzigen Textzeugen und überdies nur in acht Kapiteln bezeugt ist (hier >Wiener Macer< genannt). Ebenso handelt es sich beim Jüngeren deutschen Macer< nicht um eine Übersetzung, sondern um eine ganze Reihe von eigenständigen Übertragungen des 15. und 16. Jahrhunderts, von denen aber keine einzige eine nennenswerte Verbreitung erfuhr.

χ

Vorwort

Auf Grund des Überlieferungsbefundes haben wir uns entschieden, eine überlieferungskritische Ausgabe der am weitesten überlieferten Vulgatfassung zu erstellen. Diese Fassung dokumentiert den Beginn der Textentwicklung der >MacerMacerMacer< als Zeugnis für die Emanzipation der volkssprachlichen Laienkultur aus der lateinischen Schriftlichkeit zu begreifen. Aus diesem Grund wurden die lateinischen Quellen in die Untersuchung miteinbezogen, ihr Anteil bestimmt und im Anhang abgedruckt. Vor allem die kritische Edition des >Macer Floridus< bleibt jedoch ein Desideratum der mittellateinischen Philologie. Die Ausgabe von LUDWIG CHOULANT aus dem Jahr 1832, die heute überdies kaum noch in den Bibliotheken vorhanden ist, müßte dringend ersetzt werden. Trotz allen Mängeln der Ausgaben der lateinischen Quellentexte hat der Vergleich des deutschen >Macer< mit den Quellen jedoch gezeigt, daß die Vermutung von Haupt, der deutsche Text vermittle nicht volkstümliches Wissen, sondern beruhe auf gelehrtem Wissen, richtig war. Eine Einsicht, die sich, selbst heute in den rezenten »Geschichten der Medizin«, noch nicht durchgesetzt hat und in denen daher immer noch uni sono die volkssprachigen Kräuterbücher als Produkt der »Volksmedizin« eingestuft und damit abgewertet, während ihre unmittelbaren lateinischen Vorlagen gepriesen werden. Die vorliegende Arbeit wurde in den Jahren 1995-2000 neben den eigentlichen Dienstaufgaben abgefaßt. Die Vorarbeiten dazu reichen freilich weit zurück. Im Jahr 1970 konnte Gerhard Eis William Crossgrove, der zu dieser Zeit als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung in Heidelberg war, gewinnen, sich mit dem deutschen >Macer< zu beschäftigen. Mit Förderung des Deutschen Akademischen Austauschdiensts bzw. der Alexander von Humboldt-Stiftung führte Crossgrove seine Studien an dem von Gundolf Keil geleiteten Würzburger Institut für Geschichte der Medizin 1977 bzw. 1980 fort; danach konnte er erste Vorstudien zur Edition vorlegen (CROSSGROVE 1979, 1982, 1985). Bernhard Schnell beschäftigte sich erstmals mit dem deutschen >Macer< 1989 in seiner medizinischen Habilitationsschrift am Institut

Vorwort

XI

für Geschichte der Medizin in Würzburg, in der er dem deutschen >Macer< einen umfangreichen Abschnitt widmete und dabei die Leithandschrift der jetzigen Ausgabe zum ersten Mal abdruckte sowie zahlreiche neue Überlieferungszeugen anführte (SCHNELL 1989). Auf Vermittlung von Gundolf Keil begann unsere Zusammenarbeit; als nun gemeinsames Projekt wurde der >Macer< in den Sonderforschungsbereich 226 der Universitäten Würzburg und Eichstätt, »Wissenschaftsorganisierende und wissensvermittelnde Literatur im Mittelalter«, eingebracht. Von Mitte 1990 bis Ende 1994 wurde das Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit Sach- und Reisemitteln gefördert, zunächst im Rahmen des SFB und anschließend für zwei Jahre als Sachbeihilfe. In den folgenden Jahren hat die Brown-University das Projekt mit Reisemitteln gefördert. Vielen haben wir zu danken: Vor allem Gundolf Keil, der das Projekt angeregt hat und bis Ende 1994 tatkräftig förderte. Zu danken haben wir ferner allen, die uns über Neufunde von Handschriften des deutschen >Macer< informierten, allen voran Gerold Hayer, Gisela Kornrumpf, Franzjosef Pensei und Karin Schneider. Karin Schneider hat überdies dankenswerterweise die Datierung aller Überlieferungszeugen des 13. und 14. Jahrhunderts überprüft. Für die sprachlandschaftliche Einordnung der wichtigsten ostmitteldeutschen Textzeugen sind wir Thomas Klein zu Dank verpflichtet; ferner gaben hier Rudolf Bentzinger und Kurt Gärtner wichtige Hinweise. Bei der Beschreibung der Mitüberlieferung, vor allem bei der Verzahnung mit dem Neuen Verfasserlexikon, gaben Christine Löser-Stöllinger und Klaus Klein zahlreiche Hilfestellungen. Herzlichen Dank schulden wir Karl Stackmann, der uns in Fragen der Edition beraten hatte und in einigen schweren Stunden mit Rat und Tat half. Besonders wertvoll war uns der Rat von Dorothea Klein und Christoph Gerhardt, die größere Partien kritisch zu lesen die Liebenswürdigkeit hatten. Unser Dank gilt ferner den zahlreichen öffentlichen Bibliotheken, herausgehoben sei hier besonders Hermann Hauke von der Bayerischen Staatsbibliothek München, sowie den privaten Handschriftenbesitzern für ihre freundliche Unterstützung. Bei der Einrichtung des Manuskripts, insbesondere bei der Texterfassung der beiden Ausgaben und bei der technischen Einrichtung des Wörterbuchs, hat uns Ute Recker geholfen und uns dabei große Arbeit abgenommen. Horst Brunner verdanken wir, daß die EDV-Betreuung bei der Drucklegung am Würzburger Institut für Deutsche Philologie, dem Ausgangspunkt unseres Projekts, vorgenommen werden konnte. Hier haben wir Christian Naser, der den Satz erstellte, für sein Engagement besonders zu danken. Den Herausgebern, Klaus Grubmüller, Konrad Kunze und Georg Steer, danken wir für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe »Texte und Textge-

XII

Vorwort

schichte« sowie für ihre konstruktive Kritik. Wir danken ferner dem Max Niemeyer Verlag für die verlegerische Betreuung und besonders Thomas Ehlen für gründliche Durchsicht und Anregungen zur Gestaltung des Buches. Schließlich haben wir vor allem Lo und Monique zu danken, die es notgedrungen hinnahmen, daß wir beide über viele Jahre hinweg unsere freie Zeit dazu verwandten, die Edition doch noch zum Abschluß zu bringen. Göttingen und Providence, im Herbst 2002 Bernhard Schnell und William Crossgrove

Teil I: Zur Gattungsgeschichte der Kräuterbücher

1. Zur Einführung: Gegenstand und Forschungsskizze

Medikamente sind in unserem Alltag ein fester Bestandteil, ohne sie wäre unser Gesundheitswesen undenkbar. Während heute nahezu alle Medikamente in der modernen Medizin synthetisch hergestellt werden, bezog man in früheren Jahrhunderten die Arzneimittel aus der »Apotheke der Natur«; ganz so, wie dies auch heute noch in der traditionellen chinesischen Medizin geschieht.1 Wie vor zweitausend Jahren werden hier Arzneien von Hand zusammengestellt, beispielsweise aus Ginseng, Pfirsichblättern, Ingwer, Süßholz, aber auch aus zerriebenen Gallensteinen vom Rind oder zerstoßenen Zikaden. Ebenso wurden in der abendländischen Heilkunde seit ihren Anfangen Medikamente bzw. Arzneidrogen aus pflanzlichen, tierischen und mineralischen Substanzen gewonnen. Entsprechend dieser Dreiteilung der M a teria medica< entwickelten sich die Gattungen der Herbarien, Bestiarien und Lapidarien. Dabei dominierten im heilkundlichen Schrifttum die Kräuterbücher, da die Zahl der Pflanzen die der verwertbaren animalia und mineralia bei weitem übersteigt. Im gesamten medizinischen Schrifttum der Zeit begegnet die materia medica vegetabilis: Bei der Heilung wie bei der Verhütung von Krankheiten, in der Ernährungslehre - stets war man auf die Verwendung von Heilpflanzen angewiesen und hat dies auch in der Theorie entsprechend berücksichtigt. Für die medizinische Versorgung waren sie von zentraler Bedeutung und wurden sowohl von lateinisch gebildeten Medizinern als auch von Laien benutzt. Neben dem >ArzneibuchRezeptar< und den >Regimina sanitatis< gehörten die Kräuterbücher zu den Großformen der mittelalterlichen Medizinliteratur. 1

Auf dem Gebiet der chinesischen Kräutermedizin, die in jüngster Zeit im Rahmen der Rückbesinnung auf traditionelle Naturheilmethoden auch im deutschsprachigen Raum einen immer größeren Anklang findet, gibt es zahlreiche Publikationen. Nach dem Urteil von FRANZCHRISTIAN CZYGAN (Deutsche Apotheker Zeitung 133. Jg. Nr. 41, S. 60) gehört die 1989 vom österreichischen Pharmazeuten und Sinologen ERICH A. STÖGER in 1. Auflage vorgelegte und inzwischen in 2. Auflage erschienene Monographiensammlung zu den grundlegenden Werken auf diesem Gebiet, die u. a. auch eine informative Einführung in die chinesische Medizin bietet: Monographien des Arzneibuches der Volksrepublik China 1985 und 1990. Aus dem Chinesischem übersetzt, erweitert und kommentiert von ERICH A. STÖGER. Mit einer Einführung in die Chinesische Medizin von FRITZ FRIEDEL, Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 199Iff. (Loseblattausgabe; Fortsetzungswerk).

4

Gegenstand und Forschungsskizze

In seiner Grundstruktur besteht ein Kräuterbuch2 in der Aneinanderreihung einzelner Pflanzenmonographien. In jedem Kapitel wird eine Heilpflanze vorgestellt. Dabei steht ihre medizinische Verwertbarkeit, ihre Anwendung bei der Behandlung von Krankheiten, im Vordergrund. Die Pflanze als Heilmittel steht im Mittelpunkt, was die Beschränkung der Auswahl auf Heilpflanzen begründet.3 Kräuterbücher darf man daher nicht mit unseren heutigen Botanikbüchern gleichsetzen, in denen vor allem die Pflanzen selbst, Aussehen, Vorkommen, Standort und Sammelzeit beschrieben werden. Als Anordnungsprinzip kann die »Familienzugehörigkeit«, das humoralpathologische System mit den Primqualitäten »heiß« oder »kalt« bzw. »feucht« oder »trocken« oder - besonders im späteren Mittelalter - die alphabetische Anordnung4 der Pflanzennamen dienen. In der Praxis ist es aber oft zu einer Vermischung dieser drei Grundtypen gekommen. Eher die Ausnahme ist die vierte Gliederungsmöglichkeit, die Anordnung nach der Struktur eines Gartens.5 In nur wenigen Werken werden die theoretischen Grundlagen, das Auswahlprinzip und die Anordnungsstruktur in einem Prolog erklärt. Bei vielen Texten ist daher das Prinzip, nach welchem die einzelnen Arzneipflanzen aneinander gereiht bzw. ausgewählt wurden, (bislang) nicht erkennbar. Auf Grund dieser offenen Form läßt der Text daher problemlos sowohl Einschübe neuer Drogen-Kapitel wie auch Auslassungen und Umstellungen zu.

2

Vgl. den Überblick von G. KEIL/P. DILG, Kräuterbücher, in: LEXMA Bd. 5 (1991), Sp. 1476-1480. 3 Einen informativen Einblick über die mittelalterlichen Arzneimittel und über die Arzneiversorgung bietet CLEMENS STOLL, Arznei und Arzneiversorgung in frühmittelalterlichen Klöstern, in: GUNDOLF KEIL/PAUL SCHNITZER (Hg.), Das Lorscher Arzneibuch und die frühmittelalterliche Medizin, Lorsch 1991, S. 149-218 (mit umfangreichen Literaturangaben); vgl. dazu jetzt auch die Darstellung bei SCHMITZ. 4 Daß uns heute in vielen Fällen die alphabetische Anordnung nicht mehr erkennbar ist, hat mehrere Gründe: Zum einen stellen die uns erhaltenen mittelalterlichen Kräuterbücher in der Regel Übersetzungen dar, so daß es nicht selten zu einer »Kontamination« der alphabetischen Anordnung von Vorlage und Übersetzung gekommen sein dürfte. Besonders in den Fällen, in denen das Stichwort der Vorlage nicht übernommen wurde, hatte das Alphabet seinen Sinn als Ordnungsinstrument für den, der die Vorlage nicht kannte, verloren. Zum anderen wurde im Laufe des Abschreibeprozesses vielfach die ursprüngliche Anordnung verändert, sei es, daß man neue Drogen einfügte oder Drogen wegließ oder aus irgendwelchen Gründen umstellte. Vor allem im frühen Mittelalter beschränkte man sich bei der Alphabetisierung auf den ersten Buchstaben oder benutzte ein »Silbenalphabet«, welches nur die Vokale der Silben berücksichtigte, die Konsonanten dagegen überging. Zur Alphabetisierung vgl. den Beitrag von KARIN MEETHANER-VENT, Das Alphabet in der mittelalterlichen Lexikographie. Verwendungsweisen, Formen und Entwicklung des alphabetischen Anordnungsprinzips, in: C. BuRIDANT (Hg.), La lexicographie au Moyen Age, Lille 1986 (Lexique, 4), S. 83-112. 5

Siehe dazu unten die Abschnitte über Walahfrid Strabo und Heinrich von Huntingdon.

Gegenstand und Forschungsskizze

5

Für die Binnengliederung, d. h. für die Gliederung innerhalb der einzelnen Drogenkapitel, konnte man zwei verschiedenen Grundtypen folgen: der Anordnung nach der Indikation, der Heilanzeige der Pflanze, die Auskunft darüber gibt, gegen welche Krankheit diese hilft, oder der Anordnung nach der Applikation, der Zubereitung und Verabreichung der Arzneipflanze. Innerhalb der Indikation dominierte bei der Abfolge der einzelnen Rezepte das anatomische Prinzip, die Anordnung a capite ad calcem, während bei der Applikation die Gliederung nach den Teilen der Pflanze (z. B. Wurzel, Blatt, Blüte), die verwendet wurden, nach der Art der Aufbereitung (z. B. Pulverisierung, Kochen) oder nach den weiteren Zutaten erfolgen konnte. Diese Grundschemata wurden in der Praxis jedoch kaum konsequent realisiert. In den Rezepten stand mal das eine, mal das andere Prinzip im Mittelpunkt. In der Regel stellte jedoch die Applikation das übergeordnete, die Indikation das untergeordnete Prinzip dar. Dies hatte zur Folge, daß nicht selten für den medizinischen Alltag Indizes angelegt wurden, in denen die einzelnen Indikationen nach dem anatomischen Prinzip verzeichnet wurden. Nahezu allen Kräuterbüchern ist gemeinsam, daß sie zu Beginn eines jeden Kapitels Fragen der Terminologie behandeln. So werden nach Möglichkeit Synonyme und fremdsprachliche (z. B. griechische oder arabische) Äquivalente mitgeteilt. Auch finden sich bei lateinischen Werken oft volkssprachliche Benennungen wie umgekehrt bei volkssprachlichen die (mittel)lateinischen Bezeichnungen. An zweiter Stelle folgt dann eine humoralpathologische Klassifikation. Dabei wird die Pflanze nach ihrer thermischen (»warm«/»kalt«) bzw. hygrischen (»trocken«/»feucht«) Qualität bestimmt, wobei oftmals auch deren Stärke nach den Galenschen Intensitätsgraden (z. B. »im zweiten Grad«) angegeben wird. Eine modernen Ansprüchen genügende Gesamtdarstellung der Gattung der Kräuterbücher, und insbesondere der mittelalterlichen, ist seit langem ein Desiderat der Forschung.6 Noch immer ist man auf die »mittelalterliche Pflanzenkunde« von FISCHER angewiesen, die 1929 in der Reihe »Geschichte der Botanik« zum ersten Mal erschien.7 1967 wurde das Werk unverändert nachgedruckt, da es nach dem Urteil des Medizinhistorikers STEUDEL, ein »unentbehrliches Nachschlagewerk für alle geworden« war.8 FISCHERS Darstellung ersetzte vor allem die entsprechenden Teile der bis dahin grundle6

Vgl. dazu PETER DILG, Vom Ansehen der Arzneikunst. Historische Reflexionen in Kräuterbüchern des 16. Jahrhunderts, Sudhoffs Archiv 62 (1978), S. 64-79, bes. S. 64f; ferner SCHNELL, bes. S. 1 - 1 8 .

7

8

HERMANN FISCHER, Mittelalterliche Pflanzenkunde, München 1929 (Geschichte der Wissenschaften, Geschichte der Botanik 2). HERMANN FISCHER, Mittelalterliche P f l a n z e n k u n d e . M i t e i n e m Vorwort v o n JOHANNES STEU-

DEL, Hildesheim 1967 (Nachdruck der Ausgabe von München 1929), S. V.

6

Gegenstand und Forschungsskizze

genden vierbändigen Geschichte der Botanik von ERNST MEYER.9 Heute sind beide Werke freilich überholt und nur noch mit Vorsicht zu benutzen.10 Die jüngst erschienene »Geschichte der Pharmazie« von SCHMITZ, dessen erster Band die Zeit von den Anfängen bis zum Ausgang des Mittelalters erfaßt, vermag diese Lücke nur bedingt zu schließen. Obwohl dieses umfassende Handbuch vor allem grundlegendes Wissen über die mittelalterlichen Arzneimittel und Arzneiformen, die Entwicklung des Apothekenwesens sowie über den Arzneimittelhandel vermittelt, werden die Kräuterbücher in der Regel nur am Rande und zum Teil nicht immer zuverlässig behandelt." Es mag vielerlei Gründe geben, warum sich bislang niemand dieser Aufgabe unterzog und warum diese auch in naher Zukunft wohl nicht in Angriff genommen wird. Vor allem sind es vier grundsätzliche Schwierigkeiten, die hinderlich bis abschreckend wirken. Die erste besteht darin, daß der Untersuchungsgegenstand im Grenzbereich von Medizingeschichte, Botanik und Philologie angesiedelt ist und daher das Vertrautsein des Bearbeiters mit den Methoden und Erkenntnissen aller drei Wissensgebiete erfordert. Angesichts der fortschreitenden Spezialisierung in der Forschung sowie der Fülle der einschlägigen Daten, über die wir heute verfügen, kann dies nur Utopie bleiben. Hinzu kommt, daß sich die Erkenntnisse aus den drei Fachdisziplinen auf diesem Gebiet nicht einfach addieren lassen, da ihre Forschungsschwerpunkte unterschiedlich gelagert sind und sich daher Berührungspunkte nur schwer einstellen. Erschwerend kommt hinzu, daß bei der Erforschung der unmittelbaren Vorlagen sich sehr bald für einen Einzelnen nahezu unüberwindbare Sprachbarrieren auftun. Die Wurzeln der mittelalterlichen Medizin liegen bekanntlich in der Rezeption griechisch-arabischer Texte, die Ende des 11. Jahrhunderts vor allem durch die 'ERNST H. F. MEYER, Geschichte der Botanik. 4 Bde., Königsberg 1854-1857 (Nachdruck 1965). 10

Sehr hilfreich ist dagegen die Skizze von GUNDOLF KEIL, Phytotherapie aus der Sicht des Medizinhistorikers, Zs. für Phytotherapie 6 (1985), S. 172-178, die dort angeführten zahlreichen Anmerkungen, die im Beitrag nicht abgedruckt werden konnten, sind jedoch nicht, wie angekündigt, erschienen (wieder abgedruckt: Phytotherapie und Medizingeschichte, Stuttgart 1985, ohne Anmerkungen, indes mit einem Literaturverzeichnis); ferner der Artikel von KEETDILG (wie Anm. 2). Die hier abgedruckte Stammtafel der Kräuterbücher (nach A. SCHMID, Über alte Kräuterbücher, 1939), Sp. 1479, ist freilich vom Inhalt und von der Lesbarkeit her unbrauchbar. Vgl. auch die knappe, aber informative Übersicht von PETER DILG, P f l a n z e n k u n d e , in: L E X M A 6 ( 1 9 9 3 ) , S p . 2 0 3 8 - 2 0 4 6 u n d z u l e t z t v o n GUNDOLF KEIL,

Phytotherapie im Mittelalter, Scientiarum Historia 20 (1994), S. 7-38. Wenig hilfreich ist dagegen der Abriß von H.-P. MICHAEL FREYER, Europäische Heilkräuterkunde. Ein Erfahrungsschatz aus Jahrtausenden, Würzburg 1998 (Würzburger medizinhistorische Forschungen 61), bes. S. 7-20 (»Geschichte und Bedeutung der einbezogenen Kräuterliteratur«). " Vgl. dazu die Rezensionen von PETER DILG in: Sudhoffs Archiv 84 (2000), S. 2 4 4 - 2 4 6 und

BERNHARD SCHNELL in: History and Philosophy of the Life Sciences (erscheint 2003).

Gegenstand und Forschungsskizze

7

Schule von Salerno, mit Constantinus Africanus (Montecassino) an der Spitze, erfolgte. Nicht minder nachhaltig war die zweite Rezeptionsphase, die sich ein Jahrhundert später in Toledo, einem Schnittpunkt der arabischen, jüdischen und abendländischen Welt, mit Gerhard von Cremona als Leitfigur, vollzog. Daher sind in den meisten Fällen die Vorlagen unserer lateinischen Werke griechische, arabische oder aus dem Griechischen ins Arabische übersetzte Texte. Die Kräuterbücher sind gleichsam in einem unwegsamen und verlassenen Niemandsland zwischen den drei Fächern angesiedelt, das zu betreten aus keiner Richtung einladend zu sein scheint. Die zweite Schwierigkeit, die aus der ersten resultiert, lag und liegt im unbefriedigenden Forschungsstand. Bislang gibt es keine einzige Gesamtdarstellung, und es fehlt selbst eine knappe Einführung, in der wenigstens die einzelnen Werke vollständig aufgelistet würden. Die wichtigsten abendländischen Textcorpora sind zum größten Teil durch Ausgaben des 18. und 19. Jahrhunderts erschlossen. In vielen Fällen ist man jedoch auf Drucke des 15. und 16. Jahrhunderts angewiesen, ohne deren Stellenwert zu kennen. Oft wissen wir daher nicht, ob es sich bei ihnen etwa um zeitgenössische Bearbeitungen handelt oder um authentische Texte, die über die Jahrhunderte hinweg konservierend überliefert wurden. Die griechisch-arabischen Vorlagen sind jedoch, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, nahezu unerschlossen. Vor allem aber fehlt es an Publikationen, die einen intensiven Umgang mit den Texten bezeugen und die Texte erschließen helfen. Das erste Ziel müßte daher die Erstellung eines Katalogs sein, in dem die Werke aufgelistet und die Grunddaten vermittelt werden, etwa die Datierung und Lokalisierung der Texte, Angaben über den Autor, Nachweis der Ausgaben, Auflistung der heute erhaltenen Handschriften und eine grobe Auswertung der Überlieferung, so daß wenigstens der Zeitraum und das Verbreitungs- und Wirkungsgebiet des betreffenden Textes sichtbar werden. Das dritte Hindernis für die Darstellung der Gattung liegt daran, daß sich bei der oft über Jahrhunderte hinweg konstanten Überlieferung selbst die traditionelle Abgrenzung in Epochen, in Antike, Spätantike und Mittelalter, von der Sache her nicht handhaben läßt. So scheint etwa die Tradition der Abbildungen der Kräuter aus dem Umfeld des Dioskurides und des Ps.-Apuleius bis ins 16. Jahrhundert hinein sehr konstant verlaufen zu sein. Aber auch die Texte selbst wurden zum Teil über Jahrhunderte hinweg Wort für Wort getreu abgeschrieben, so daß auch hier eine Grenzziehung nicht sinnvoll ist. Die vierte Schwierigkeit liegt schließlich in der Quantität vor allem der mittelalterlichen und besonders der spätmittelalterlichen Texte. Hunderte von Abschriften liegen hier noch unerschlossen in den Bibliotheken und sind entweder überhaupt nicht in Katalogen erfaßt oder, falls ein Katalog existiert,

8

Gegenstand und Forschungsskizze

in der Regel nur als »Herbar« etikettiert. Der größte Teil ist überdies nicht durch Textausgaben erschlossen und daher kaum zu identifizieren. Wie schwierig es ist, die Fülle des Vorhandenen zu überschauen und zu differenzieren, läßt sich sehr deutlich selbst an neuesten Handschriftenkatalogen ablesen. In vielen Fällen gelang es den Bearbeitern mangels Vergleichstexten nicht, den jeweils vorliegenden Text zu identifizieren. Sie mußten sich daher mit dem nichtssagenden Hinweis »Kräuterbuch« begnügen. Die Einsicht in die Handschriften, sei es durch Mikrofilm oder im Idealfall durch Autopsie, bleibt in all diesen Fällen unabdingbar. Da im Rahmen dieser Arbeit eine Reihe von lateinischen und volkssprachlichen Kräuterbüchern, sei es als Quelle oder als unmittelbare Vorlage, genannt werden, geben wir zur ersten Orientierung eine grobe chronologisch angeordnete Übersicht über die bedeutendsten und/oder wirkungsmächtigsten Texte im Abendland bis ca. 1500, wobei freilich der Schwerpunkt auf dem deutschsprachigen Raum liegt.12 Hier ist jedoch noch allzu viel im dunkeln. Wir beschränken uns daher auf das Aufführen von Textausgaben und geben zur ersten Orientierung bibliographische Hinweise. In diese Darstellung wurden auch die Enzyklopädien, die umfangreiche Abschnitte über die Heilkräuter aufweisen, einbezogen, da die Bücher über die Kräuter im Laufe des Überlieferungsprozesses nicht selten aus dem Gesamtwerk herausgelöst und als eigenständige Werke tradiert wurden.13 Diese Angaben erheben selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. In einem zweiten Schritt versuchen wir eine Skizze der Gattung »Kräuterbuch«, mit Schwerpunkt im deutschsprachigen Raum, von ihrem Beginn im 9. Jahrhundert bis zum Zeitpunkt der Entstehung des deutschen >Macer< im 13. Jahrhundert, zu entwerfen, um damit den Stellenwert des deutschen >MacerMacer Floridus< ein. Dieser Abschnitt ist mit Abstand der umfangreichste, was sich damit erklären läßt, daß diesem Text als der unmittelbaren Vorlage des deutschen >Macer< in unserem Zusammenhang eine zentrale Rolle zukommt.

12

Eine erste, wenngleich keineswegs vollständige Übersicht der deutschsprachigen Kräuterbücher bei SCHNELL. 13 Diesen Vorgang des Herauslösens und Verselbständigen von Teilen aus einem ursprünglichem Ganzen hat jüngst HAYER eindrucksvoll am Beispiel Konrads von Megenberg >Buch der Natur< aufzeigen können.

2.

Chronologisches Verzeichnis der Kräuterbücher: Von den Anfängen bis zum 15. Jahrhundert1

1. Jahrhundert - Dioskurides, >De materia medica< (60-78 n. Chr.) Pedanios Dioskurides (lat. Dioscorides) aus Anazarbas (Kilikien, Kleinasien) war ein Zeitgenosse des älteren Plinius und wahrscheinlich Miltärarzt unter Claudius und Nero. Sein Werk, das er in griech. Sprache verfaßte, war bis zum Ende des Mittelalters das Standardwerk auf dem Gebiet der Pharmazie, der Pflanzen- und Drogenkunde und wurde sowohl im griechisch-byzantinischen als auch im arabisch-islamischen sowie im lateinisch-christlichen Kulturbereich rezipiert. Das aus fünf Büchern bestehende umfangreiche Werk beschreibt ca. 1000 Arzneimittel (813 pflanzliche, 101 tierische und 102 mineralische Drogen). Es scheint, daß er die wichtigsten griech. botanisch-pharmazeutischen Autoren wie Diokles, Apollodorus (aus Tarant) und vor allem Theophrastos gekannt hat. Allerdings vermutet man, er verdanke seine Kenntnis dieser Texte späteren Autoren, insbesondere Sextius Niger. Das nicht erhaltene Werk des Sextius Niger hieß ebenfalls >De materia medica< und gilt als wichtigste gemeinsame Quelle für Plinius und Dioskurides. Ausg.: Pedanii Dioscuridis Anazarbei. De materia medica libri quinqué. Hg. von MAX WELLMANN, Bd. Ι-ΙΠ, Berlin 1 9 0 7 - 1 9 1 4 (Neudruck Berlin 1958) [griech.

Text],

1

Zu den einzelnen Texten vgl. auch die einschlägigen Beiträge bei GUY SABBAH/PIERRE-PAUL CORSETTI/KLAUS-DIETER FISCHER (Hg.), Bibliographie des textes médicaux latins. Antiquité et haut moyen âge, Saint-Étienne 1987, Nachtrag: Bibliographie des textes médicaux latins. Antiquité et haut moyen âge. Premier supplément 1986-1999, Saint-Étienne 2000 (Mémoires du Centre Jean Palerne 19) 62 S. Eine knappe Übersicht bietet auch TBNY HUNT, Plant names of medieval England, Cambridge 1989, S. XXXVII-XLIII. Die Artikel im LEXMA sind von höchst unterschiedlichem Niveau und sind überdies vor allem in den späteren Bänden überaus knapp. Wichtige Hinweise zu Plinius, Gargilius Martialis und zur >Medicina Plinii< bietet ferner ALF ÖNNERFORS, Das medizinische Latein von Celsus bis Cassius Felix, in: WOLFGANG HAASE (Hg.), Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Geschichte und Kultur Roms im Spiegel der neueren Forschung. Teil II: Principat. Bd. 37: Philosophie, Wissenschaften, Technik. 1. Bd.: Wissenschaften (Medizin und Biologie), Berlin/New York 1993, S. 227-392.

10

Chronologisches Verzeichnis

Des Pedanios Dioskurides aus Anazarbos Arzneimittelehre in fünf Büchern. Übersetzt und mit Erklärungen versehen von J. BERENDES, Stuttgart 1902 (Nachdruck Wiesbaden 1970) [dt. Übers.]. Lit.: JOHN M. RIDDLE, Dioscorides, in: Catalogue Translationum et Commentariorum: Mediaeval and Renaissance Latin Translations and Commentaries. Vol. IV, Washington 1981, 1-143 (grundlegend); ders., Dioscorides on Pharmacy and Medicine. Austin 1985 (History of Science Series, 3); ders., Dioskurides im Mittelalter, LEXMA 3 (1986), Sp. 1095-1097; SCHMITZ, S. 179-187.

Dioskurides-Rezeption: -• 3.-5. Jh. alphabet, griech. Fassung ->· um 512/513 >Wiener Dioskurides< (Wien, ÖNB, Cod.med.gr. 1) ->• 6. Jh. lat. Übersetzung, >Dioskurides langobardus< -*• 9. Jh. zweite, griech. aiphabet. Fassung ->• 11. Jh. aiphabet, lat. Fassung ->13. Jh. Rufinus, >Liber de virtutibus herbarum< - Plinius d. Ältere, »Naturalis historia< (vor 79 n. Chr.) Plinius (23/24-79), der aus Comum in Oberitalien stammte, war langjährig als hoher Beamter und Offizier (kurz vor seinem Tode befehligte er die römische Flotte im Abschnitt Ravenna - Messina) im Dienste des römischen Reichs tätig. Er starb 79 n. Chr. beim Ausbruch des Vesuv. Seine »Naturalis historia< ist eine in 37 Bücher gegliederte Enzyklopädie, die das gesamte naturkundliche Wissen des Altertums zusammenfaßt. Die Heilpflanzen werden in den Büchern 20 bis 27 behandelt. Im Gegensatz zu Dioskurides steht bei Plinius die naturwissenschaftlichen Beobachtung der Pflanzen im Vordergrund und nicht so sehr deren medizinische Verwendung. Ausg.: KARL MAYHOFF (Hg.), C. Plinius Secundus. Naturalis historiae libri XXXVII. Bd. I-V, Leipzig 1897-1909 (Nachdruck Stuttgart 1967-1970). Pliny Natural History with an English Translation in Ten Volumes. Bd. 6 und 7. Hg. von W. H. S. JONES, London/Cambridge MA 1951 und 1966 (The Loeb Classical Library). Plinius der Ältere. Naturkunde, lateinisch-deutsch, hg. und übersetzt von RODERICH KÖNIG in Z u s a m m e n a r b e i t

mit GERHARD WINKLER, M ü n c h e n

1973ff.

(Sammlung Tüsculum). Lit.: RODERICH KÖNIG U. GERHARD WINKLER, Plinius der Ältere. L e b e n u n d Werk

eines antiken Naturforschers, München 1979; ARNO BORST, Das Buch der Naturgeschichte, Heidelberg 21995 (Abh. d. Heidelberger Akademie); G. Serbat, Pline l'Ancien. Etat présent des études sur sa vie, son l'œuvre et son influence, in: WOLFGANG HAASE (Hg.), Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Geschichte und Kultur Roms im Spiegel der neueren Forschung. Teil II: Principat. Bd. 32.4: Sprache und Literatur, Berlin/New York 1986, S. 2069-2200; SCHMITZ, S. 172-179.

Chronologisches Verzeichnis

11

->• 4. Jh. Medicina Plinii (Auszug der Heilmittel) ->• 6./7. Jh. Physica Plinii (Auszug der Heilmittel) 3. Jahrhundert - Gargilius Martialis Quintus Gargilius Martialis war ein römischer Soldat aus Nordafrika, der etwa in den Jahren 220-260 tätig war. Seine Schrift >Medicinae ex oleribus et pomis< war offenbar ein Exzerpt aus einem größeren Werk über Gärten, das nur fragmentarisch überliefert ist. Zu den späteren Autoren, die Gargilius benutzten, gehören u. a. Palladius (4. Jh.), Isidor von Sevilla (gest. um 636) und Odo de Meung, der Autor des >Macer FloridusMacer< hat am Schluß seines Werkes ganze Kapitel aus Gargilius übersetzt. Ausg.: Gargilius Martialis. Medicinae (ex oleribus et pomis). Hg. von VALENTIN ROSE, Leipzig 1875. Lit.: RUTH MELICENT TAPPER, T h e Materia M e d i c a o f Gargilius Martialis, ph. D .

Diss. University of Wisconsin-Madison 1980 (mit engl. Übers.); JOHN M. RIDDLE, Gargilius Martialis as a Medical Writer, Journal of the History of Medicine and Allied Sciences, 39 (1984), S. 408-429.

- Dioskurides, alphabet, griech. Fassung (3.-5. Jh.) Lit.: RIDDLE, Dioskurides, LEXMA 3 ( 1 9 8 6 ) , Sp. 1096.

4. Jahrhundert - Pseudo-Apuleius Ein bebildertes Herbar etwa aus dem 4. Jh. führt den Namen des Apuleius (>Herbarium ApuleiParzival< 481) und Pseudo-Apuleius, in: J. DOMES u. a. (Hg), Licht der Natur. Medizin in Fachliteratur und Dichtung. Fs. Gundolf Keil, Göppingen 1994 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 585), S. 129-148; IRMGARD MÜLLER, P s e u d o - A p u l e i u s , in: L E X M A 7 ( 1 9 9 5 ) , Sp. 3 0 6 ; GUNDOLF

KEIL, Pseudo-Apuleius, in: V L 11 (2000), Sp. 122-125 (vor allem zur dt. Rezep-

tion).

-»· 13. Jh. Wien, ÖNB, Cod. 93

- Medicina Plinii (Auszug der Heilmittel) Ausg.: ALF ÖNNERFORS (Hg.), Plinii Secundi Iunioris qui feruntur de medicina libri tres, Berlin 1964 (Corpus medicorum latinorum III). Lit.: ALF ÖNNERFORS, Die mittelalterlichen Fassungen der Medicina Plinii, in: A. Ö., Mediaevalia. Abhandlungen und Aufsätze, Frankfurt a.M./Bern/Las Vegas 1977 (Lateinische Sprache u. Literatur des Mittellaters 6), S. 9-18 u. 312-315 (Anm.).

5. Jahrhundert - >Ex herbis femininis< Ausg.: HEINRICH KÄSTNER (Hg.), Pseudo-Dioscorides >De herbis femininisSpeculum maius< de Vincent de Beauvais, in: Sm,0picae. Cahiers de l'atelier Vincent de Beauvais 1, Paris 1987, S. 91-122 (mit dem Nachweis, daß der Text auch in einer Kurzfassung vorliegt).

- Thomas von Cantimpré, >Liber de natura rerum< Dieses Werk wurde von allen hier genannten Enzyklopädien mit weitem Abstand am häufigsten in der deutschsprachigen Literatur rezipiert. Zu den verschiedenen Bearbeitungen, vor allem des Buchs über die Heilkräuter vgl. SCHNELL, S. 184-202 (>Liber de natura rerum deutschDe vegetabilibus< Ausg.: Alberti Magni [...]. De vegetabilibus libri VII, historiae naturalis pars XVIII. E d i t i o n e m c r i t i c a m a b ERNESTO MEYERO c o e p t a m a b s o l v i t CAROLUS JESSEN, B e r -

lin 1867; Albertus Magnus De vegetabilibus Buch VI, Traktat 2, lateinisch-deutsch. Übersetzung u. Kommentar von KLAUS BIEWER, Stuttgart 1992 (Quell, u. Stud. ζ. Gesch. d. Pharmazie 62). Lit.: JERRY STANNARD, Identification of the Plants Described by Albertus Magnus, >De vegetabilibusDe proprietatibus rerum< Ausg.: Bartholomaei Anglici de genuinis rerum coelestium, terrestrium et inferarum proprietatibus, libri XVIII. [...] Procurante D. Georgio Bartholdo Pontano a Brakenberg, Frankfurt: Wolfgang Richter 1601 (Nachdruck Frankfurt a. M. 1964). Lit.: HEINZ MEYER, Bartholomäus Anglicus, >De proprietatibus rerumDe proprietatibus rerumLiber de virtutibus herbarum< Rufinus benutzte eine lat. alphabetische Dioscorides-Fassung, die uns jedoch nicht überliefert ist. Ausg.: The Herbal of Rufinus, hg. von LYNN THORNDIKE unter Mithilfe von FRANCIS S. BENJAMIN, Chicago [1946] (Corpus of Mediaeval Scientific Texts 1).

- Gargilius Martialis, Wien, ÖNB, Cod. 93 Faksimile: HANS ZOTTER, Antike Medizin. Die medizinische Sammelhandschrift Cod. Vindobonensis 93 in lateinischer und deutscher Sprache, Graz 21986.

- Ps.-Serapion (4. V. 13. Jh.) Der >Liber aggregatus in medicinis simplicibusMacer< vgl. unten Kap. II.3.5.4.

14. Jahrhundert - Konrad von Megenberg, >Buch der Natur< (um 1350) Ausg.: FRANZ PFEIFFER (Hg.), Das Buch der Natur von Konrad von Megenberg. Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache. 3. Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1861, Hildesheim/Zürich/New York 1994. Lit.: HAYER (mit zahlreichen Literaturnachweisen).

16

Chronologisches Verzeichnis

Zu Kompilationen mit dem >Macer< vgl. unten Kap. II.3.5.6. - >Galgant-Gewürztraktat< Wohl im 14. Jh. entstand dieses deutschsprachige Kräuterbuch, das überwiegend Gewürze behandelt und das nach der ersten Droge, dem Galgant, benannt wird. Mit Sicherheit handelt es sich bei diesem Text um eine Übersetzung aus dem Lateinischen; von SUDHOFF wurde die Vorlage Alexander Hispanus zugeschrieben, während HAUBERG als Verfasser den 1244 verstorbenen dänischen Kanoniker Henrik Harpestraeng ansah. Ausg. der lat. Vorlage: KARL SUDHOFF, Alexander Hispanus und das Schriftwerk unter seinem Namen. Ein erstes Wort über ihn und Bekanntgabe seiner medizinis c h e n S c h r i f t e n , S u d h o f f s A r c h i v 2 9 ( 1 9 3 6 ) , S. 2 8 9 - 3 1 2 u . e b d . 3 0 ( 1 9 3 7 ) , S. 1 - 2 5

(mit Textabdruck der Madrider Hs.); PouL HAUBERG (Hg.), Henrik Harpestraeng >Liber herbarumMacer< vgl. unten Kap. II.3.5.5. 15. Jahrhundert - *>Jüngerer deutscher Macer< (1. H. 15. Jh.) - *>Petroneller Kräuterbuch< - *>Gereimter Macer< (Mitte 15. Jh.) - Johann Hartlieb, >Kräuterbuch< (Mitte 15. Jh.) Ausg.: Das Kräuterbuch des Johannes Hartlieb. Eine deutsche Bilderhandschrift aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Mit einer Einführung und Transkription von HEINRICH L . WERNCK h g . v o n FRANZ SPETA. G r a z 1 9 8 0 . K r i t i s c h e A u s g a b e f e h l t

(in Vorher, durch HAYER/SCHNELL); Lit.: GEROLD HAYER/BERNHARD SCHNELL, Z u e i n e r N e u e d i t i o n v o n

Johannes

Hartliebs >KräuterbuchKräuterbuch< (3. V. 15. Jh.) Ausg.: URSULA SCHMITZ, >Thesaurus medicaminumMacer
Hortulus< (>De cultura hortarumDe rerum naturis< des Hrabanus Maurus.2 Für mittelalterliche Verhältnisse sind wir bestens über das Leben und literarische Œuvre der beiden Autoren informiert, und auch ihre beiden Werke nehmen, was die Überlieferung anbelangt, eine Sonderstellung ein, da beide in sehr frühen Abschriften vorliegen und daher einen nahezu authentischen Text bieten. Von >De rerum naturis< ist das Widmungsexemplar, das Hrabanus an Ludwig den Deutschen schickte, erhalten, während der >Hortulus< in einer Abschrift aus dem zweiten Drittel des 9. Jahrhunderts fast noch zu Lebzeiten des Autors überliefert ist. Die beiden Autoren waren führende Intellektuelle im karolingischen Reich, und ihre Viten geben einen Einblick in die abendländische Bildung und Kultur der Zeit. Beide stiegen zu Äbten in berühmten Klöstern auf, wurden in die politischen Kämpfe der Zeit (Lothar, Ludwig der Deutsche und Karl der Kahle hatten sich gegen ihren Vater Ludwig dem Frommen erhoben und anschließend selbst bekämpft) verstrickt, strauchelten kurz und gelangten aber schließlich wieder in ihre alte Position. Hrabanus, der ältere der beiden, wurde 780 in Mainz geboren. Mit acht Jahren kam er ins Kloster Fulda, wo er seine Ausbildung erhielt. Früh erkannte man hier wohl seine Fähigkeiten und schickte ihn daher zur Vertiefung seiner Ausbildung an den Hof Karls des Großen und zu dem damals 1

Walahfrid Strabo, De cultura honorum hg. von ERNST DÜMMLER, Berlin 1884 (MGH Poetae, 2), S. 335-350; HANS-DIETER STOFFLER, Der Hortulus des Walahfrid Strabo. Aus dem Kräutergarten des Klosters Reichenau, Sigmaringen 1978 [mit Übers, und Kommentar]. Zu Leben und Werk informieren KARL LANGOSCH t/BENEDLKT KONRAD VOLLMANN, Walahfrid Strabo,

in: VL 10 (1997), Sp. 584-603 (mit zahlreichen Literaturangaben); die Darstellung bei SCHMITZ, S. 304-308, stützt sich fast ausschließlich auf STOFFLER. 2

Hrabanus Maurus, De rerum naturis libri XXII, PL 111, Sp. 9-614. Zu Leben und Werk vgl. RAYMUND KOTTJE, Hrabanus Maurus, in: VL 4 (1983), Sp. 166-196; SCHMITZ, S. 302-304, wiederholt nur Bekanntes.

18

Vorläufer und Vorlagen

wohl berühmtesten Gelehrten der Zeit, zu Alkuin nach Tours, der sich, nachdem er als Vertrauter Karls des Großen viele Jahre lang die Hofschule geleitet hatte, in den letzten Lebensjahren in die ihm übertragene Abtei St. Martin zu Tours zurückgezogen hatte. Nach seiner Rückkehr wurde Hrabanus Lehrer in Fulda und 822 zum Abt des Klosters bestimmt. Bis 842 wirkte er hier und verfaßte zahlreiche theologische Werke, die vor allem der Erklärung der biblischen Bücher dienten. Als Parteigänger Kaiser Lothars I. wurde er vermutlich nach dessen Niederlage gegen seine Brüder Karl den Kahlen und Ludwig den Deutschen (841) zur Abdankung gezwungen. Nach seiner Aussöhnung mit Ludwig dem Deutschen (843/845) wurde er 847 zum Erzbischof von Mainz ernannt. Hier starb er 856. Walahfrid, der 808/9 in Schwaben geboren wurde, trat in jungen Jahren in das Kloster Reichenau ein. Bereits mit 16 Jahren verfaßte er Gedichte und schrieb als 18-jähriger die wohl früheste Jenseitsdichtung des Mittelalters, die >Visio Wettini De herbis aromaticis sive communibus< (Kap. 8) und >De oleribus< (Kap. 9).4 Walahfrid stellt insgesamt 23 Heilpflanzen vor, die nach seiner 3

VOLLMANN ( w i e A n m . 1), Sp. 5 8 6 .

4

Hrabanus PL 111 (wie Anm. 2), Sp. 527-532.

Das 9. Jahrhundert

19

eigenen Aussage im Klostergarten auf der Reichenau angepflanzt und kultiviert wurden. Die Anordnung der einzelnen Kräuter erfolgt in Anlehnung an die Struktur eines Gartens. Nach STOFFLER weist der >Hortulus< eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Heilkräutergarten im berühmten St. Galler Klosterplan auf, der aus der Zeit um 820 stammt.5 Bei einigen Beschreibungen spürt man geradezu, daß der Autor die Pflanze aus eigener Anschauung her genau kennt und nicht nur auf literarische Quellen zurückgreifen muß.6 Anders verhält es sich dagegen bei seinen pharmakologischen Befunden. Hier zieht er sein Wissen, wie ROCCARO7 festgestellt hat, aus antiken Texten, vor allem aus Serenus Sammonicus (um 200 n. Chr., Verfasser eines Rezeptbuches), Plinius (s.o.) und Ps.-Apuleius (s.o.). Inwieweit er auch das Werk des Dioskurides, das ROCCARO nicht anführt, rezipierte, ist noch nicht eindeutig geklärt. Fast genauso viele Pflanzen bearbeitet Hrabanus, aber doch in ganz anderer Weise. Seinen Text entnahm er nahezu wörtlich aus Isidors Enzyklopädie >EtymologienEtymologien< die Artes liberales und damit die Grammatik am Anfang, so beginnt Hrabanus sein Werk mit Gott und der Kirche, um dann von Gott und seinem Heilswerk zum Menschen und seiner Welt überzugehen und die Realien in die Heilsgeschichte einzuordnen. Gemäß seines Konzepts erweitert er vor allem Isidors Text um Textzeugnisse aus der Bibel8, um damit »über die res, die sichtbaren Dinge und Tatbestände, hinaus den [...] Sinn zu durchdringen«9 und damit eine allegorische Ausle5

STOFFLER ( w i e A n m . 1), S. 1 3 - 1 8 .

6

Vgl STOFFLER ( w i e A n m . 1), S . 1.

7

C. ROCCARO, W. Strabone, Hortulus, Palermo 1979 (Athena 1), S. 53-55. Zu den Quellen siehe ELISABETH HEYSE, Hrabanus Maurus' Enzyklopädie >De rerum naturisi Untersuchungen zu den Quellen und zur Methode der Kompilation, Müchen 1969 (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung, 4), zu den Heilpflanzen bes. S. 140-142; MARIANNE REUTER, Text und Bild im Codex 132 der Bibliothek von Montecassino »Liber Rabani de originibus rerum«. Untersuchungen zur mittelalterlichen Illustrationspraxis, München 1984 (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 34). Nach REUTER, bes. S. 35, diente als Hauptquelle für die allegorische Interpretation die sog. >Clavis des Ps.-MelitoDe herbis aromaticisDe viribus herbarum< (so bei Sigebert) bezeichnet. Wie es zu dem Namen »Macer« kam, ist bislang ungeklärt und es gibt dazu nur Hypothesen. Sigebert hatte »Macer« in seinem Schriftstellerkatalog chronologisch nach Epiphanios, einem griechischen Kirchenschriftsteller des 4. Jahrhunderts (ab 367 Bischof auf Cypern), und vor Paulinus (353^31), Bischof von Nola in Frankreich, eingeordnet. Dies spricht auf jeden Fall nicht dafür, daß Sigebert den Verfasser des >MF< kannte, was man eigentlich hätte annehmen dürfen, falls die (Spät-)Datierung von STADLER und RESAK zutreffen würde, die annahmen, daß beide zur gleichen Zeit gewirkt haben. Ein »Macer« wird in den >Disticha CatonisGeorgica< für den Landbau, Lukan (Neffe Senecas) für den Krieg, Ovid für die Liebe und »Macer« für die Heilkraft der Pflanzen (herbarum vires).51 Dieser »Macer« wird in der Literatur mit Aemilius Macer, dem Freund Vergils und Ovids, identifiziert. Dieser verfaßte Lehrgedichte und starb 16 v. Chr. in Asien.52 RESAK nahm daher an, der Verfasser des >MF< habe sich den Namen »aus Wertschätzung vor dem alten Dichter, oder aus dichterischem Stolz, oder um seinem Werke größeren Wert und mehr Verbreitung zu sichern« beigelegt.53 RESAKS These ist freilich wenig überzeugend. Falls es die Absicht des Verfassers gewesen wäre, sich eines berühmten Pseudonyms zu bedienen, hätte er sich sicherlich unter diesem Namen im Werk selbst genannt. Dies trifft aber bekanntlich nicht zu. Für diese Identifizierung gibt es kein einziges mittelalterliches Zeugnis. Erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts kam diese Zuschreibung im Umkreis der Humanisten auf. Zum ersten Mal RIDDLE

50

Z u m >Cato< v g l . PETER RESTING, >CatoDe herbis< verfaßt habe. Dies hat jedoch HELLFRIED DAHLMANN in seiner Studie »Über Aemilius Macer« (Wiesbaden 1981, Abh. d. Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Geistes, und sozialwiss. Kl. Jg. 1981, Nr. 6), bes. S. 30, mit überzeugenden Gründen verneint. DAHLMANN ging in seiner Untersuchung mit keinem Wort auf den >MF< ein; wohl ein klares Zeichen, daß er keine Verbindung zwischen diesen beiden Autoren sieht. 53

RESAK, S. 6.

11. Jahrhundert

29

wurde im Basler Druck aus dem Jahr 1527 als Verfasser des >MF< Aemilius Macer angegeben.54 In der Folgezeit setzte sich diese Identifizierung durch, auch wenn man keineswegs einer Meinung darüber war zu welcher Zeit und in welchem Land er wirkte. Die Zuschreibung der Humanisten wurde von der Forschung des 19. Jahrhunderts, vor allem von ERNST MEYER in seiner berühmten Geschichte der Botanik, übernommen.55 Wenn wir auch bislang keine befriedigende Erklärung für die Zuschreibung des Werkes an einen Autor namens »Macer« in den frühen Zeugnissen haben, so hat sich doch dieser Name in der mittelalterlichen Literatur als Verfassername durchgesetzt. Der Name »Macer« wurde seit dem 12. Jahrhundert geradezu zu einem Synonym für die Gattung »Kräuterbuch«.56 Wie Dioskurides zum Ahnherren der antiken Kräuterbücher wurde, so wurde es »Macer« für die mittelalterlichen. Dies zeigt sich beispielsweise in der um 1125 verfaßten >Philosophia mundi< des Wilhelm von Conches, die bei ihrem Erscheinen unter den damals führenden Intellektuellen der Zeit eine heftige Diskussion ausgelöst hatte. In dieser im Mittelalter vielgelesenen systematischen Gesamtdarstellung des abendländischen Wissens übergeht Wilhelm unter Hinweis auf diese beiden Autoritäten die Behandlung der Kräuter: Sed quoniam Macer et Dioscorides satis de Ulis et aperte docent, de Ulis tacemus.51 Ebenso gilt »Macer« in den volkssprachlichen Texten als Inbegriff des Wissens um die Heilkraft der Kräuter. Das älteste Zeugnis im deutschsprachigen Raum ist dabei der >VerbenatraktatBartholomäus< in weit über 200 Handschriften überliefert wurde. Als alleinige Autorität wird hier der »Macer« angeführt und dies an exponierten Stellen: am Beginn und am Ende des Traktats. Der Text setzt mit den Worten ein: Ein chrout heizet verbena, daz ist für manich dinch nutze unde guot. Von dem selben chrûte saget uns Macer, der best arcet, der ie wart... und endet mit: Macer der wil daz festen in sime buoche, daz verbena als manige tugende hap.5S Auch in Ortolfs von Baierland >ArzneibuchBartholomäus< 54

Vgl. RESAK, S. 6. Auch in der Handschrift Berlin, SBB, Ms.germ.fol. 522 aus der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts wird der Text Aemilus Macer zugeschrieben (l 1 ).

55

MEYER (wie Kap. I.I., Anm. 9 ). Für diese weitverbreitete mittelalterliche Konvention, daß ein Autor für eine Gattung steht

56

v g l . KLAUS GRUBMÜLLER, Gattungskonstitution i m Mittelalter, in: NIGEL F. PALMER/HANS

JOCHEN SCHIEWER (Hg.), Mittelalterliche Literatur und Kunst im Spannungsfeld von Hof und Kloster. Ergebnisse der Berliner Tagung 9.-11. Oktober 1997, Tübingen 1999, S. 193-210, bes. S. 208f. 57 Wilhelm von Conches. Philosophia, herausgegeben, übersetzt und kommentiert von GREGOR MAURACH, Pretoria 1980, S. 94. 58 »Bartholomause hg. von PFEIFFER, S. 150f.

30

Vorläufer und Vorlagen

das bedeutendste deutschsprachige Arzneibuch des Mittelalters darstellt, wird Macer als alleinige Autorität auf dem Gebiet der Pharmakologie erwähnt: Macer sprichit daz, daz peyonyen korn den kinden an den hals gehangen groze helfe bringen.59 Macers Ruf war aber nicht nur in »Fachkreisen« weitverbreitet. In einer Predigt Bertholds von Regensburg (ca. 1210-1272) wird er in eine Reihe mit den berühmtesten Ärzten der Antike und des Mittelalters gestellt: unde lebte noch her Galienus und her Constantinus unde her Avicenna unde her Macer unde her Bartholomäus, die waren die aller hohesten meister, die von erzenie ie gelasen unde habent alle künste erfunden und erdaht, diu von erzenie ie ward erdaht.60 Daß das Lehrgedicht im Kreis der Gelehrten des 14. Jahrhunderts als ein Standardwerk galt, belegt u. a. der lateinische Kommentar zum mittelhochdeutschen Gedicht *>Granum sinapisMFMF< ist bislang nur unzureichend erforscht. Auf Grund der bisherigen bruchstückhaften Kenntnis der Textzeugen kann man jedoch davon ausgehen, daß der Text im gesamten Abendland breit tradiert war. Im Rahmen dieser Arbeit können nur erste Hinweise zur Überlieferung mitgeteilt werden, die freilich eine systematische Zusammenstellung der Textzeugen nicht zu ersetzen vermag. Neben den zwölf bei C H O U L A N T aufgeführten Handschriften gibt es weitere Angaben zur Überlieferung bei STEINMEYER/SIEVERS 6 3 , PANSIER 6 4 , M A N I T I U S , S . 546f„ T H O R N D I K E / K I B R E , 59

Zitiert nach FOLLAN, Kap. 87, S. 124. RIHA, die im Zusammenhang ihrer Quellenuntersuchung des Ortolf von Baierland diese Stelle eingehend vorgestellt hat, weist darauf hin, daß sich nicht entscheiden läßt, ob Ortolf den lateinischen Text oder die deutsche Bearbeitung benutzte.

60

Berthold von Regensburg, Deutsche Predigten, hg. von FRANZ PFEIFFER, Bd. 1, Wien 1862, S. 517. Vgl. dazu MARIA BINDSCHEDLER, Der lateinische Kommentar zum Granum Sinapis, Basel 1949 (Basler Studien z. dt. Sprache u. Literatur 9), S. 167-169; den Hinweis verdanken wir Christoph Gerhardt.

61

62

63

Vgl. KURT RUH, Meister Eckhart. Theologe, Prediger, Mystiker. 2. Überarb. Aufl., München 1989, S. 45-59, hier S. 49f. Die althochdeutschen Glossen. Gesammelt und bearbeitet von ELIAS STEINMEYER/EDUARD

11. Jahrhundert

31

Sp. 1856 (Register) und ROBBINS65. Den wohl wichtigsten Beitrag zur Überlieferung verdanken wir RIDDLE, der allein 17 Textzeugen anführt, die Marbods >De lapidibus< gemeinsam mit dem >MF< überliefern.66 Daß dies aber wohl nur die Spitze eines Eisbergs ist, zeigen zufällige Funde in der Vatikanischen Bibliothek67, in der Londoner Wellcome Library und in der Staatsbibliothek München: Zu den fünf von MANTTIUS bereits aufgeführten Handschriften Clm 614, ll r -30 v (1. H. 13. Jh.), Clm 4320 (2.D. 13. Jh.), Clm 4583, ΑΤ-ΊΤ (2. H. 12. Jh.), Clm 14597, 55-89 und Clm 19461, 19ff. kommen mindestens noch hinzu: -

Clm Clm Clm Clm Clm Clm Clm Clm

683, 1 - 1 8 (14. Jh.) 5905, l r -40 v (15. Jh.) 6017, Γ - 2 Γ (15. Jh.) 14851, 61 r -104 (13./14. Jh.) 16231, 1 - 4 4 (15. Jh.) 18757, 4 9 - 5 6 (15. Jh.) 18782, 133 r -171 v (15. Jh.) 27066, 151-184 (15. Jh.)

An weiteren Handschriften haben wir noch notiert: -

Ansbach, SB, Ms. Lat. 150, 186-244 Bamberg, SB, Cod. L III 15, 33-35 v (13. Jh., Exzerpte) Berlin, SBB-PK, Ms.lat.fol. 115, 94ff. Bern, Burgerbibl., Ms. 525, 134 r -166 v Exeter, Cath. Libr., MS 3519 (15. Jh.)68 Fulda, Hess. LB, Cod. C9, 4 r -41 v (2. V. 14. Jh.)69 Glasgow, UL, Hunterian MS 414, 195-231 (14. Jh.) Klosterneuburg, Stiftsbibl. Cod. 1060, 179 v -215 r (13. Jh., mit dt. Glossen) 70 SIEVERS, 4. Bd.: Alphabetisch geordnete Glossare, Adespota. Nachträge zu Band I—II. Handschriftenverzeichnis, Berlin 1898, S. 779 (Register). 64 P. PANSIER, Catalogue des manuscrits médicaux des bibliothèques de France. I: Manuscrits latins des bibliothèques autres qua la bibliothèque nationale de Paris, Sudhoffs Archiv 2 (1909), S. 1-46, hier S. 29f.; führt zehn Handschriften aus Arras, Lille, Montpellier, Paris und Vendôme an. 65 ROSSELL HOPE ROBBINS, Medical Manuscripts in Middle English, Speculum 45 (1970), S. 393-414, bes. S. 402f. 66

67

RIDDLE ( w i e A n m . 48), S. 131f.

Vgl. etwa die bei SCHUBA aufgeführten Handschriften, S. 555 (Register); ferner LAURENCE MOULINIER, Abbesse et agronome: Hildegarde et le savoir botanique de son temps, in: CHARLES BURNETT/PETER DRONKE (Hg.), Hildegard of Bingen. The Context of her Thought and Art, London 1998, S. 135-156, hier S. 141f. Anm. 31. 68 Vgl. 1t)NY HUNT, Popular medicine in the thirteenth-century England, Cambridge 1990, S. 105. 69 Freundlicher Hinweis von Klaus Grubmüller. 70 ANDREA RZIHACEK-BEDÖ, Medizinische Fachprosa im Stift Klosterneuburg bis 1500, Jahrb. d. Stiftes Klostemeuburg NF 14 (1991), S. 5-75, bes. S. 21f.

32

Vorläufer und Vorlagen

- London, BL, MS Harley, 2558, 197 r -223 v (14. Jh.)71 - London, Wellcome Libr., MS 49, 44 r -44 v (ca. 1420, Exzerpte) - ebd., MS 457, Γ - 5 Γ (14. Jh.) - ebd., MS 458, l r -42 r (um 1478) - ebd., MS 459, l r -43 v (v.J. 1504) - ebd., MS 460, l r -63 v (um 1550) - ebd., MS 544, 238 r -242 r (14. Jh., Exzerpte) - Oxford, Bod. Lib., MS Digby 69, 66 r -84 vb72 - Oxford, Merton College, MS 324, 192 r -220 v73 - Uppsala, UB, Cod. 28, 25 v -30 v (TABULAE), 34 r -56 r - ebd., 135 r -154 v (frgm.) - Zürich, Zentralbibl., Ms. C 58, 43 rb -44 rb (Auszüge, 4. V. 12. Jh.) - ebd., Ms. Car. C l l l , 72 r -138 v (15. Jh.) - ebd., Ms. Car. C 166, l r -18 r (13. Jh.)

Eine Reihe von Überlieferungszeugen, die in der Regel aus dem 15. Jahrhundert stammen und meist nur Auszüge bieten, wird in der Marburger Datenbank »Handschriften-Forum« (»www.manuscripta-mediaevalia.de«) angeführt. Sie können dort leicht abgerufen werden. Die Inkunabel- und Drucküberlieferung blieb bislang in der Forschung unberücksichtigt. Die Zusammenstellung von CHOULANT aus dem Jahr 1 8 2 8 ist daher immer noch maßgeblich.74 Demnach wurde der >MF< zum ersten Mal 1477 in Neapel gedruckt. In den folgenden Jahren erschienen ungefähr zehn Auflagen.75 Im 16. Jahrhundert wurde der >MF< in Italien, Frankreich, Deutschland, in der Schweiz und in Polen bis 1590 in mindestens 15 verschiedenen Auflagen bzw. Bearbeitungen herausgegeben.76 Exemplarisch für die Inkunabelüberlieferung sei der in Göttingen aufbewahrte Wiegendruck (8° Med. vet. 2 2 8 / 1 7 ; HC * 1 0 4 1 7 ) kurz vorgestellt. Von kleinen Abweichungen abgesehen, wird hier der Text, wie wir ihn von der CHOULANTschen Edition her kennen, abgedruckt: Der Text umfaßt 77 Kapitel in der Reihenfolge der Edition. Freilich zeigt sich der inzwischen fast fünf 71

Vgl. PETER MURRAY JONES, Harley MS 2558: A Fifteenth-Century Medical Commonplace Book, in: MARGARET SCHLEISSNER (Hg.), Manuscript Sources of Medieval Medicine, New York/London 1995, S. 35-54.

72

HUNT ( w i e Kap. I.2., A n m . 1), S. 3 1 2 .

73

TBNY HUNT, Anglo-Norman Medicine. Vol. II: Shorter treatises, Cambridge 1997, S. 6. LUDWIG CHOULANT, Handbuch der Bücherkunde für die Aeltere Medicin, Leipzig 1828, S. 129-134. 75 Vgl. L. HAIN, Repertorium bibliographicum, Stuttgart/Paris 1826-1869; W. A. COPINGER, Supplement to Hain's Repertorium bibliographicum. 2 Bde., London 1895-1902 (Nachdruck Mailand) und D. REICHLING, Appendices ad Hainii-Copingeri Repertorium bibliographicum. Additiones et emendationes. Fase. 1-6; Indices and Supplement, München 1905-1914 (Nachdruck München 1953) [abgekürzt: HC] 74

76

CHOULANT ( w i e A n m . 7 4 ) , S. 1 3 1 - 1 3 3 .

11. Jahrhundert

33

Jahrhunderte alte Text in einem modernen Gewand. So wird für jede Pflanze systematisch am Seitenrand ihre medizinische Heilanzeige mitgeteilt, wohl auch um dadurch die medizinische Bedeutung des Werkes hervorzuheben.77 Im Apium-Kapitel beispielsweise werden folgende Anwendungen angeführt: De tumore oculorum, De tumore mamme, De stomacho, De vrina, De morsu venenoso, Apozima id est decoctio, De tussi, De ventre et vomitu, De calore recuperando, De febre quotidiana, De ydropicis, De lentigine, De vulnere et vice. Noch wichtiger ist indes, daß im Gegensatz zur handschriftlichen Überlieferung jetzt alle Pflanzen, mit Ausnahme der Kap. 67-76, dem »Gewürzanhang«78, mit Abbildungen versehen werden. Damit wird einerseits wohl das Fehlen der Pflanzenbeschreibungen im >MF< kompensiert, anderseits aber auch dem »Trend« der Zeit Rechnung getragen. Von Anfang an zeigt sich bei den gedruckten Kräuterbüchern das Bestreben, den Text mit Abbildungen zu versehen. Neben den Text tritt fast gleichberechtigt das Bild, das jetzt eine botanische Beschreibung ersetzt und gleichzeitig Identifikationsmuster an die Hand gibt. Dieses Verfahren setzt sich dann im 16. Jahrhundert durch. Nahezu sämtliche bedeutenden Kräuterbücher erscheinen illustriert.79 3.2.1.7. Rezeption in der lateinischen Literatur Die Rezeption des >MF< in der lateinischen Literatur ist bislang ebenfalls nicht systematisch untersucht. Als ältestes Beispiel für die Übernahme des >MF< in andere Texte gilt in der Literatur das >Regimen sanitatis Salemitanum< aus der Mitte des 13. Jahrhunderts.80 MANITIUS hat ferner darauf hingewiesen, daß Vinzenz von Beauvais in seiner naturwissenschaftlichen Enzyklopädie >Speculum naturale< den >MF< nahezu komplett eingearbeitet hat.81 In jüngster Zeit hat RUPPEL nachweisen können, daß Heinrichs von Huntingdon (um 1085 - nach 1156) bislang verschollenes Gedicht >De herbis< »nahezu vollständig aus einer Kräutertraktatkompilation des Ms. Sloane 3468, fol. 31r-105v (British Library) zurückgewonnen«82 werden kann und daß dieses Lehrgedicht etwa zur Hälfte eine Bearbeitung des >MF< darstellt. Sein Autor, der seine Jugend am Hof des Bischofs von Lincoln verbrachte 77

Diese Methode findet man auch in zahlreichen Handschriften; vgl. dazu unten II.2.4. Zur Stellung des »Gewürzanhangs« siehe unten S. 60f. 79 Vgl. DILG (wie Kap. I.I., ANM. 6); vgl. auch CLAUS NISSEN, Die botanische Buchillustration. Ihre Geschichte und Bibliographie, Stuttgart 2 1966. 80 MANITIUS, S. 546, zur Datierung siehe oben. 81 Ebd., S. 546. 82 BERND RUPPEL, Ein verschollenes Gedicht des 12. Jahrhunderts: Heinrichs von Huntingdon >De herbisHistoria AnglorumMFDe herbisMF< dar, während von den restlichen 46 Kapiteln die Quelle bislang noch nicht bekannt ist. Heinrichs Text, so RUPPEL, war »ursprünglich viergeteilt, wobei jeder Teil der Seite eines rechtwinkligen Gartens entsprach und 25 Pflanzen enthielt« (S. 205). Die Anordnung des Kräuterbuchs nach dem Schema eines Gartens hat es mit Walahfrid Strabos >Hortulus< gemeinsam, der im Text auch einmal namentlich angeführt wird. 83 Als Abfassungszeitraum nimmt RUPPEL die Jahre um 1135 an.84 Nicht erfaßt und untersucht sind die Kommentare zum >MFMF< ist das einzige mittelalterliche Kräuterbuch, das nahezu in sämtliche nord- und westeuropäische Volkssprachen übertragen wurde. Unsere Auflistung der Rezeption kann beim derzeitigen Forschungsstand 85 nur erste Hinweise geben und will keineswegs Vollständigkeit anstreben. Eine Ausnahme bildet hier nur die Rezeption im deutschsprachigen Raum, die seit dem Verfasserlexikonartikel von CROSSGROVE in ihren Umrissen aufgelistet und daher am besten erforscht ist.86 Sie sei deshalb vorangestellt. 83

Ebd., S. 206. Ebd., S. 205. 85 Vgl. dazu F. DAEMS, Die mnl. Macerglossen in MS. 6838A der Nationalen Bibliothek zu Paris, Janus 53 (1966), S. 17-29. 84

11. Jahrhundert

35

Die Rezeption des >MF< im d e u t s c h e n Sprachgebiet setzte schon sehr früh ein. Bereits aus dem 12. Jahrhundert sind >MFMF< abdrucken.87 Nach der Sichtung der bislang bekannten Zeugnisse der deutschsprachigen >MFMacer< (älterer Titel: Der >Ältere deutsche MacerMFMFWiener MacerMacer< oder der >Wiener MacerMacerMacerMF< stellt eine h e b r ä i s c h e Fassung dar, deren Kenntnis wir STEINSCHNEIDER verdanken.92 Nach seinen

90

Nach dem handschriftlichen Katalog stammt der Codex aus dem 15. und 16. Jh.. Auf Grund der Beschreibung (»Nach den lateinischen Verszeilen, die von 1-16 wechseln, folgen die deutschen, so daß einer lateinischen Zeile jedesmal zwei deutsche gereimte Verszeilen entsprechen«; S. 74) handelt es sich eindeutig um einen Textzeugen des gereimten dt. >MacerAphorismus< des Hippocrates mit dem Kommentar des Galen in der Übers, des Constantinus, 13. Jh.); Incipit liber Constantini montis cassini monaci (ebd., Ms. 415, Ira Constantinus Africanus, >Viaticum peregrinantisDe stomachoNiederdeutschen Gewürztraktats< mehr oder weniger direkte Übersetzungen aus dem >Liber de gradibus< (vgl. Crossgrove, Niederdeutscher Gewürztraktat, Sp. 989).

12. Jahrhundert

3.3.

45

Das 12. Jahrhundert: Hildegard von Bingen. >Circa instansPrüller Kräuterbuch
Liber simplicis medicinae< anbelangt, so sind sie bislang keineswegs geklärt. M O U L I N I E R hat jedoch überzeugend darauf hingewiesen, daß die Vermittlung zwischen Hildegard und ihren Vorlagen in unterschiedlichen Formen erfolgen konnte: »mündlich, in Gesprächen, die für immer verloren sind; durch das unmittelbare Lesen eines Autors; durch einen Kompilator oder ein Florilegium vermittelte Kenntnisse usw.«.138 Ferner muß bei der Suche nach den unmittelbaren Vorlagen berücksichtigt werden, daß »Hildegards Quellen nur Ausgangs- und nicht Zielpunkte ihres Wissens waren«139, daß ihre Kreativität und schöpferische Phantasie einen entscheidenden Einfluß auf ihre durch Lektüre gewonnene Erfahrung ausübten und aus vielen übernommenen Mosaiksteinen ein völlig neues Werk schufen. Auf die nachfolgenden Kräuterbücher hat ihr Werk jedoch wenig Einfluß ausgeübt. Erst im 15. Jahrhundert scheint ihr heilkundliches Schrifttum wiederentdeckt und in den deutschsprachigen Werken rezipiert worden zu sein.140 3.3.2. Platearius: >Circa instans< Das >Circa instansAntidotarium NicolaiLiber isteSpeyrer Kräuterbuch< und die Texte, die MELITTA Wteiss ADAMSON (WÈISS-AMER) bekannt g e m a c h t hat; s i e h e d a z u MELITTA WEISS ADAMSON, A

141

Réévaluation of Saint Hildegard's >Physica< in Light of the Latest Manuscript Finds, in: SCHLEISSNER (wie Anm. 71), S. 5 5 - 8 0 ; dazu künftig EMBACH (wie Anm. 133). Zum Forschungsstand vgl. NIGEL PALMER, Das Petroneller Kräuterbuch, in: NIGEL F. PALMER/KLAUS SPECKENBACH, Träume und Kräuter. Studien zur Petroneller »Circa instansAntidotarium Nicolai< vgl. unten Kap. II.4.3.2.2. Vgl. dazu GUNDOLF KEIL/WILLEM FRANS DAEMS, >Liber isteCirca instans< beschäftigt.152 Trotz der großen Bedeutung, die dem >Circa instans< in der lateinischen Tradition zukommt, nimmt seine Rezeption im deutschsprachigen Raum eine eher bescheidene Stellung ein.153 Vermutlich verhinderte die Dominanz des deutschen >Macer< die Verbreitung des Textes in der Volkssprache. 3.3.3. Das >Prüller Kräuterbuch< Das erste bekannte Kräuterbuch in deutscher Sprache ist das >Prüller KräuterbuchCirca instansCirca instans deutschPriiller KräuterbuchInnsbrucker (Prüler [!]) Kräuterbuch< hatte GUNDOLF KEIL in: VL 4 (1983), Sp. 396-398 eingeführt. 157 Vgl. SCHNELL, S. 84-86.

50

Vorläufer und Vorlagen

aufbewahrt wird.158 Hinzu kommt eine Bearbeitung, die ebenfalls aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammt, in der der Text leicht erweitert wurde.159 Auf Grund der erhaltenen Textzeugen, die alle aus dem bairischösterreichischen Sprachraum kommen, dürfte das Herbar vermutlich in dieser Sprachlandschaft entstanden sein. Als Entstehungszeit wird man die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts ansetzen dürfen. Denkbar ist es freilich auch, daß das Prüller Herbar, das um 1145 geschrieben wurde, das Original darstellt. In der Mitte des 13. Jahrhunderts reißt die Überlieferung ab.160 Möglicherweise war die Ursache auch hier das Aufkommen des deutschen >MacerMacer< und seine Überlieferung

1.

Z u m Werk

1.1. Stand der Forschung Auf die deutschsprachige >MacerBreslauer Arzneibuch< bekannt gewordenen, deutschsprachigen medizinischen Sammelhandschrift der damaligen Breslauer Stadtbibliothek vorstellte und abdruckte (»X. Eine Krankheits- und Heilmittellehre aus dem XIV Jahrh.«).1 Er erkannte, daß das darin überlieferte Kräuterbuch (Bri)2 eine Bearbeitung des lateinischen >MF< darstellt. Auf Grund der Schreibsprache nahm er ferner an, daß der unbekannte Verfasser »wahrscheinlich aus einer an Norddeutschland gränzenden Gegend« stamme, da seine Sprache »etwas zum Niederdeutschen hin« neigt.3 Den Grundstein für die Erforschung der Macer-Rezeption legte 1872 JOSEF 4 HAUPT in seiner Arbeit über den >BartholomäusMF< ins Mitteldeutsche gibt, »von denen die eine noch ins XIII. Jahrhundert gehört, die andere nicht unter das XIV. herabgehen kann«.5 In der Forschung wurde diese Unterscheidung übernommen, und die beiden Bearbeitungen wurden als »Älterer« und »Jüngerer deutscher Macer« bezeichnet. HAUPT verdanken wir auch erste Hinweise auf die Überlieferung: Neben den Wiener Handschriften (W1-W4 und Cod. 2962) führte er drei Münchner Textzeugen (Ml, M5 und M12) auf, die er allerdings nur aus dem Katalog kannte. Aus FALLERSLEBENS Veröffentlichung hatte er Kenntnis von der Breslauer HandMANN VON FALLERSLEBEN

1

Fundgruben für Geschichte deutscher Sprache und Literatur. Hg. von [Α.] H. HOFFMANN [VON FALLERSLEBEN]. Teil 1.2, Breslau 1830-1837 (Iter Austriacum) [Neudr. Hildesheim 1969], S. 317-327. 2 Die Handschriftensiglen beziehen sich auf diese Ausgabe, vgl. unten Kap. II.2.2. »Verzeichnis der Überlieferungszeugen«. 3 HOFFMANN (wie Anm. 1), S. 318; dies ist eine präzise Beschreibung der Schreibsprache, zumal der Begriff »Mitteldeutsch« zu dieser Zeit noch nicht exisitierte. 4 HAUPT, bes. S. 523-542. 5 Ebd., S. 529.

54

Zum Werk

schrift und gab erste Hinweise auf eine Gießener (Gil) Handschrift, ohne sie freilich als Textzeugen identifizieren zu können. Darüber hinaus stellte er auch die häufige Überlieferungsgemeinschaft des >Macer< mit dem >Bartholomäus< fest, was ihn zu der Frage führte, ob nicht beide Texte von einem Bearbeiter ins Deutsche gebracht wurden.6 Schließlich verdanken wir HAUPT erste Textproben. 1881 veröffentlichte GUSTAV SCHMIDT HandschriftenFragmente aus Halberstadt, darunter auch ein alphabetisch angeordnetes Kräuterbuch.7 Dem Herausgeber der Zeitschrift, ZACHER, der zu SCHMIDTS Abdruck einen Kommentar verfaßte, gelang es, den Text (Hsl) als Fragment eines alphabetisch angeordneten >Macer< zu identifizieren.8 Ferner wies er auf zwei weitere Textzeugen, auf eine Handschrift in der Vatikanischen Bibliothek (Rl), die FROMMANN 1854 beschrieben hatte, und auf eine Frankfurter (F2), die DIEFENBACH für sein >Glossarium latino-germanicum< 1857 benutzt hatte, hin.9 1886 gab BARTSCH die Reimvorrede zum >Macer< heraus. Dabei benutzte er zwei Heidelberger (Hl und H2) und je eine Frankfurter (F2), Berliner (B2) und Breslauer (Br2) Handschrift.10 In Unkenntnis der Arbeiten von HAUPT und ZACHER konnte er den Text nicht identifizieren. Obwohl er nur relativ spät überlieferte Textzeugen kannte, stufte er dennoch das Werk als Dichtung des 13. Jahrhunderts ein und plädierte für einen mitteldeutschen Verfasser. Die nächsten Anstöße zur >MacerBreslauer Arzneibuch^ miteinbezogen. 1908 wurde diese Breslauer Sammelhandschrift durch das Arztehepaar KÜLZ und KÜLZ-TROSSE unter Mithilfe Joseph Klappers in Buchform abgedruckt, nachdem der erste vollständige Abdruck abschnittsweise im »Monatsblatt des Goslarer C. V. naturwissenschaftlicher und medizinischer Vereine an deutschen Hochschulen« erfolgt war.11 Dieser Handschriftenabdruck bot bislang den einzigen vollständigen Textabdruck des >MacerMacer< anbelangt, nicht fehlerfrei und weist vor allem zahlreiche kleinere Textlücken auf.12 Die KÜLZsche Ausgabe 6

Ebd., S. 541. SCHMIDT, S. 155-182. 8 ZACHER, bes. S. 156 Anm. 1. 9 J[ULIUS] ZACHER, Macer Floridus und die Entstehung der deutschen Botanik, ZfdPh. 12 (1881), S. 189-215. 10 KARL BARTSCH, Gereimte Vorrede zu einem Kräuterbuch, in: Beiträge zur Quellenkunde der altdeutschen Literatur, Straßburg 1886, S. 171-175. 11 Vgl. KÜLZ/KÜLZ-TROSSE, S. III; der Abdruck im Monatsblatt war uns nicht zugänglich. 12 Vgl. unten S. 288. 7

Stand der Forschung

55

war SUDHOFF, als er 1915 die Prosavorrede des >Macer< nach der Leipziger Handschrift 1221 (L3) abdruckte, offensichtlich noch unbekannt, da er ausschließlich HAUPT zitiert, die KüLZsche Ausgabe indes nicht erwähnt13. Die aus der Schule von Karl Sudhoff stammende Leipziger medizinische Dissertation von RES AK aus dem Jahr 1917 brachte, neben seiner Zuweisung des Odo von Meung als Autor für den >MFMacer< versuchte zum ersten Mal, die Handschriften stemmatisch einzuordnen. Aus heutiger Sicht sind seine Ergebnisse überholt: zum einen, weil BLUM nicht die damals bekannte Überlieferung heranzog, sondern sich im Grunde auf die von ihm entdeckten Berliner Handschriften (B4—B7 und B9) beschränkte und nur noch die veröffentlichten Textzeugen (Hsl, Bri und L2) und die beiden von HAUPT vorgestellten Wiener Handschriften (W1 und W3) hinzuzog; zum anderen gründet sein »Stemma« nicht auf einer Kollation, sondern ausschließliches Kriterium war, ob die von ihm ausgewählten Textzeugen das Kapitel »Gaisdo« aufwiesen oder nicht.14 Dieses Vorgehen führte dazu, daß er nur zwei Gruppen unterschied.15 Es bleibt jedoch sein Verdienst, daß er die Berliner Handschrift B9 entdeckte und ihre überragende Textqualität erkannte.16 Ferner versuchte BLUM die Quellen des >Macer< genauer zu bestimmen. Außer den Kapiteln, die auf dem >MF< beruhen, gelang es ihm von neun weiteren, von denen ZACHER noch annahm, sie seien das Werk des deutschen Bearbeiters, ebenfalls eine lateinische Quelle zu bestimmen. Es handelte sich dabei um die >Spuria MacriMacer< ins Lateinische handelt.17 Als EHRISMANN im selben Jahr im letzten Band seiner Literaturgeschichte kurz auf den >Macer< einging, rekurrierte er auf ZACHER, ohne von den me13

KARL SUDHOFF, Ein deutscher Text von Graden und Qualitäten der Naturdinge, speziell der Arzneistoffe (Aus dem »Deutschen Macer«), Sudhoffs Archiv 8 (1915), S. 223f.

14

BLUM, S. 6.

15

Z u BLUMS S t e m m a v g l . S. 7.

16

BLUM: »Von den anderen mir bekannt gewordenen Handschriften bleiben die meisten an äußerer und innerer Vollständigkeit hinter cd. ms. germ, quart. 1245 zurück, einige kommen ihm fast gleich, keine übertrifft ihn« (S. 5). 17 WILLIAM CROSSGROVE, The Alleged Source of the German Macer. A Misapplied Rule, Res Publica Litterarum 3 (1980), S. 11-16.

56

Zum Werk

dizinhistorischen Arbeiten eines halben Jahrhunderts Kenntnis zu nehmen. Freilich sind seine Hinweise heute völlig überholt.18 Nach dem 2. Weltkrieg erweiterte 1965 BÜHLER, Bibliothekar an der Pierpont Morgan Library in New York, den Bestand der bekannten Handschriften um eine aus New York (Nyl/2) und zwei aus London (Loi und Lo2), als er den Versprolog nach der New Yorker Handschrift abdruckte. Die >MacerGart der Gesundheit sich u. a. aus dem >Macer< speist, der Kräuterbuchbezogenen Pharmaziegeschichte neue Impulse gegeben und den >Macer< wieder in das Blickfeld des medizinhistorischen Interesses gestellt. Seine Anregungen griff C R O S S G R O V E unmittelbar auf: 1 9 7 9 erschien sein erster Aufsatz zum >MacerMacer< auch im mittelniederländischen Raum rezipiert wurde.21 Schließlich erschien von ihm 1985 im Verfasserlexikon der umfassendste Überblick zur >MacerMacerSpeyerer Kräuterbuch< nach der Berliner Handschrift Ms.germ.fol. 817 (B2). Diese Kräuterbuchkompilation vereint drei verschiedene Texte, das Kräuterbuch der Hildegard von Bingen, den >Macer< und das >Circa instansBartholomäusMacerMacer< von den alden wip abgrenzt, deren Arzneien den Patienten angeblich mehr schaden als helfen, wurde übergangen. Bei WARDALE stehen beide Abschnitte völlig deplaziert in der >BartholomäusLucidarius1\igendlehre< Wernhers von Elmendorf wird ein Auftraggeber nicht genannt. Mitgeteilt wird lediglich, daß eine Dame, in deren Diensten er stand, ihn gebeten habe, das Werk zu schreiben. Ob dieser Hinweis lediglich eine literarische Fiktion darstellt oder ob der Bearbeiter zum Zeitpunkt der Abfassung noch keine konkrete Auftraggeberin nennen wollte, wissen wir nicht. Weder im Prolog noch im Text findet sich so ein Hinweis auf den Zeitpunkt der Entstehung des Werkes. Die genauere Datierung des Textes mit Hilfe einer Textstelle über den Kauf eines Medikaments beim Arzt30 läßt sich nach der jüngsten Untersuchung von SCHMITZ nicht mehr aufrechterhalten, da die auf dem Konzil von Melfi um 1240 erlassene Gesetzgebung über die Trennung von Arzt und Apotheker zunächst nur im unteritalienischen Reich Kaiser Friedrichs II. gültig war.31 Erst in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts gibt es im deutschen Reich ähnliche Gesetze.32 Die spätere Überlieferung des >Macer< hat dieser veränderten rechtlichen Situation Rechnung getragen und die betreffende Stelle, das habent di ertzte veile (Kap. 3, 5), verändert: man soll das Medikament in der apteketi kaufen. Auf Grund der Sprache des Werkes wird man als Entstehungszeit daher die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts ansetzen dürfen. Diesen Befund stützt die Überlieferung, deren ältester erhaltener Textzeuge (Wl)33 aus dem vierten 30

So noch zuletzt SCHNELL, Übersetzungen, S. 203f. »Die Medizinaltitel Friedrichs II. haben entgegen zum Teil herrschender Lehrmeinung und populärwissenschaftlichen Darstellungen keinen direkten Einfluß auf die deutsche Medizinalgesetzgebung gehabt« (SCHMITZ, S. 514). 32 Die frühesten Quellen dafür stellen nach SCHMITZ, S. 516-521 die Basler und Nürnberger Apothekereide aus den Jahren 1309/21 bzw. 1338/60 dar. 33 Zur Handschrift Wl siehe unten die Handschriftenbeschreibung. 31

Zur Entstehungsgeschichte

59

Viertel des 13. Jahrhunderts stammt. Ein weiteres Indiz für die Datierung des Werkes läßt sich aus den von HAUG im Zusammenhang mit der Frage nach der Priorität der beiden >LucidariusMacerMacer< in der Zeit um 1220 am wahrscheinlichsten. Für die Ermittlung des Entstehungsortes sind wir ausschließlich auf den Überlieferungsbefund angewiesen. Dieser ist jedoch relativ eindeutig. Die älteste Handschrift wurde nach Ausweis ihrer Schreibsprache im ostmitteldeutschen Raum geschrieben. In die gleiche Sprachlandschaft weist auch die Überlieferung der aus dem 14. Jahrhundert erhaltenen Handschriften. Nach einer ersten Analyse von Thomas Klein, dem wohl besten Kenner des Ostmitteldeutschen, läßt sich der geographische Raum jedoch noch näher eingrenzen. Nach Klein weist das Ensemble der ältesten >MacerLucidariusMacerLucidarius< steht, ob es etwa eine gegenseitige Abhängigkeit gibt, ist bislang noch nicht eindeutig geklärt. Vgl. dazu CROSSGROVE, Macer, Sp. 1110 und GEORG STEER, Der A- Prolog des deutschen Lucidarius - das Auftragswerk Heinrichs des Löwen? DVjs. 64 (1990), S. 1-25, hier S. 20. Neue Gesichtspunkte zur Datierung künftig bei MARLIES HAMM, Wer war Herzog Heinrich? Der >Lucidarius< und die Entstehung des Α-Prologes (im Druck).

Thomas Klein brieflich (16.12.1995), für seine Analyse sei ihm an dieser Stelle noch einmal gedankt. 36 Vgl. dazu den folgenden Abschnitt 1.3. »Zu den Quellen«. Die Annahme von GUNDOLF KEIL (zuletzt noch: Hildegard von Bingen deutsch: Das >Speyrer KräuterbuchMacer< um 1220 an einem thüringisch-obersächsischen Hof, der literarische Interessen hatte, das Mäzenatentum pflegte und eine gewisse literarische Tradition aufwies. 1.3. Zu den Quellen Abgesehen vom letzten Kapitel (97. Cerviboletum), dessen Quelle bislang noch nicht ermittelt werden konnte, beruhen alle Kapitel des >Macer< auf lateinischen Quellen. Wenn auch die unmittelbare lateinische Vorlage, die dem deutschen Bearbeiter des >Macer< vorlag, nicht bekannt ist, so läßt sie sich doch auf der Ebene der Kapitelgliederung durch den Vergleich des deutschen Textes mit der lateinischen Folie rekonstruieren. Die Hauptquelle dürfte eine Bearbeitung des >Macer Floridus< gewesen sein. Vermutlich handelte es sich dabei um eine Abschrift der >Constantinischen ErweiterungMF< I-LXXVII), die um zwölf Kapitel (Kapitel38 62, 63, 6 5 - 7 0 , 7 5 - 7 7 und 8 9 ) erweitert wurde. Von diesen zwölf Zusatzmonographien gehen zehn ebenfalls auf den Constantinischen >Liber de gradibus< zurück (Kapitel 6 2 , 6 3 , 6 5 - 6 8 , 7 5 - 7 7 und 8 9 ) . Neun dieser Kapitel sind auch als >Spuria Macri< bekannt, die REUSS aus einer Wolfenbütteler Handschrift abgedruckt hat. Kapitel 68 geht auf den >Liber de gradibus< zurück, ohne daß eine weitere Zwischenstufe bislang identifiziert worden ist, während die beiden übrigen Kapitel 69 und 70 Gargilius Martialis zur Vorlage haben. Gegenüber den 89 Kapiteln dieses erweiterten >MF< weist der deutsche Text am Schluß acht weitere Kapitel auf (Kap. 9 0 - 9 7 ) . Es bleibt offen, ob deren Vorlage bereits in der hier postulierten >Constantinischen Erweiterung< enthalten waren, sei es als Anhang oder im Text integriert, oder ob der deutsche Bearbeiter diese Kapitel nach einer anderen Handschrift übersetzte. Von diesen acht Kapiteln stammen sieben aus dem Kräuterbuch des Gargilius Martialis (Rafanus, Beta, Intibus, Pepones, Cucumer, Ozimum, Olisatrum, Kap. 9 0 - 9 6 ) und eines (Kap. 9 7 , Cerviboletum) aus einer Quelle, die bislang noch nicht identifiziert ist.39 Dabei übersah der deutsche Bearbeiter, daß zwei die37

Vgl. dazu oben Kap. 1.3.2.1.4. Die Kapitel werden hier nach der Zählung des >Macer< angeführt. 39 Die Untersuchung, ob dieses Kapitel mit den von MOULINffiR im Zusammenhang mit der Überlieferung von Hildegards von Bingen erwähnten und bislang nicht edierten Pilzkapiteln steht, steht noch aus. Zu den Pilzkapiteln bei Hildegard siehe LAURENCE MOULINIER, Ein Präzedenzfall der Kompendien-Literatur (wie Kap. 1.3., Anm. 133), S. 441. 38

Zu den Quellen

61

ser Kapitel, Beta und Intibus (Kap. 91 und 92), schon in seiner Hauptquelle vorhanden waren (Kap. 69 und 70).40 Abweichungen im deutschen Text zeigen, daß es sich bei den zwei doppelt vorhandenen Kapiteln um leicht voneinander abweichende Fassungen der lateinischen Texte handelte. Die meisten späteren Abschreiber haben die dadurch entstandenen Dubletten nicht aufgenommen. In der Regel übernahmen sie die Erstfassungen (Kap. 69 und 70), aber in einigen Fällen behielten sie die späteren (Kap. 91 und 92) bei. Da die acht Zusatzkapitel keineswegs Gewürze beschreiben, sondern ganz gewöhnliche Pflanzen der europäischen Küche oder Hausapotheke, sprengte der deutsche Bearbeiter (oder der Bearbeiter seiner lateinischen Vorlage?) durch diese Zusatzkapitel bis zu einem gewissen Grad die Struktur des >MFMF< betont, daß er jetzt über die exotischen Gewürzpflanzen noch einige Kapitel bringen wollte, da sie in der Arznei besonders nützlich sind (die sogenannte »Gewürzvorrede«). In einigen Handschriften hat dies dazu geführt, daß die Zusatzkapitel sogar herausgenommen bzw. vor der Gewürzvorrede eingefügt wurden.41 Die folgende Kapitelübersicht soll die Quellenverhältnisse verdeutlichen. In der linken Spalte sind die Pflanzen in der Reihenfolge des >Macer< aufgeführt, denen in der rechten die entsprechenden Kapitel der Vorlagen zugeordnet sind. >MF< steht dabei für >Macer FloridusMF< >MF< >MF< >MF< >MF< >MF< >MF< >MF< >MF< >MF
Liber de plantis< vor, vgl. LAURENCE MOULINIER, Abbesse et agronome: Hildegarde et le savoir botanique de son temps, in: CHARLES BURNETT/PETER DRONKE (Hg.), Hildegard of Bingen. The Context of her Thought and Art, London 1998, S. 135-156, hier S. 139. Vgl. dazu unten 2.4.

62

Zum Werk 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54.

Nepeta Pulegium Maratrum Lactuca Rosa Lilium Viola Satureia Salvia Enula Isopus Lapathum Nigella Cicuta Mentha Sinapis Pastinaca Serpillum Cerefolium Coriandrum Papaver Iris Centaurea Gamandrea Aristolochia Marrubium Althaea Betonica Camomilla Acidula Portulaca Levisticum Struthion Nasturtium Atriplex Eruca Buglossa Origanum Vulgago Caulis Colubrina Senecio Celidonia Elleborus albus

>MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF >MF

XV XVI; XVII, 684f. XVII XX XXI XXII XL XXIII XXIV XLIV XLV LXIII LXIV LXV XLVII; XXXIII, 1092-1126 XXXV XXXVII XXXIX XXVII XXIX XXXII XLIII LIII LIX XLI XLII IX XI XIV XVIII XIX XXV XXVI XXX XXVIII XXXI XXXIV XXXVIII XLVI XXXVI LIV LI LII LVI

Zu den Quellen

55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96. 97.

Elleboras niger Maurella Caniculata Cepa Anethum Paeonia Malva Algaricia Gentiana Verbena Proserpinaca Lupinus Solis sponsa Borrago Beta Intibus Sabina Cyperus Baricum Gaisdo Pentaphyllon Saliunca Sambucus Gewürzvorrede Piper Pyrethrum Anisum Galanga Zedoaria Gariofilus Cinnama Costum Spica nardi Thus Aloe Liquiritia Raphanus Beta Intibus Pepo Cucumer Ocimum Olusatrum Cerviboletum

>MF< LVII >MF< LX >MF< LXI >MF< XXXIII >MF< X >MF< XLIX >MF< LXII Spuria II Spuria III >MF< LVIII Spuria IV Spuria VI Spuria VII Constantinus, fol. lxxviii" Gargilius X Gargilius XII >MF< XII >MF< XLVIII >MF< L >MF< LV Spuria I Spuria Vili Spuria X >MF< LXVI, 2056-60 >MF< LXVI, 2061-2085 >MF< LXVII >MF< LXIX >MF< LXX >MF< LXXI >MF< LXXII >MF< LXXIII >MF< LXXIV >MF< LXXV >MF< LXXVI >MF< LXXVII Spuria V Gargilius I Gargilius X Gargilius XII Gargilius XV Gargilius XVI Gargilius XXII Gargilius XXVI Quelle unbekannt

64

Zum Werk

Wenn sich auch (mit Ausnahme des 97. Kapitels) für alle Kapitel eine lateinische Quelle eruieren ließ, so kennen wir freilich nicht die postulierte Vorlage bzw. die postulierten Vorlagen. Wir wissen daher nicht, ob der Redaktor des >Macer< den Text seiner Vorlage vollständig übertragen hat oder ob er mit einer Auswahl aus einer umfangreicheren Kräuterbuchkompilation seine Vorlage erweiterte. Ebenso wissen wir nicht, wem die erhebliche Differenz in der Abfolge der einzelnen Kapitel zuzuschreiben ist. Das Anordnungsprinzip des deutschen Redaktors ist uns, wie das der lateinischen Vorlage, unbekannt.42 Keine Entsprechung im Lateinischen haben die beiden Prologe, der Reimund der Prosaprolog, die das Werk des deutschen Redaktors sein dürften. Nach dem Vorbild der lateinischen und deutschen Dichtung wird zum ersten Mal in der mittelalterlichen deutschen Medizinliteratur ein zweigeteilter Prolog dem Werk vorangestellt.43 Im ersten Prolog wird das Gespräch mit dem Zuhörer bzw. Leser eröffnet. Die Funktion dieses prologus praeter rem ist es, das Interesse des Publikums für das Werk zu gewinnen. Der zweite Teil, der prologus ante rem, führt in das Werk selbst ein und gibt Hinweise zu dessen Verständnis. Die Besonderheit des zweigeteilten Prologs liegt beim >Macer< darin, daß das Prooemium in Versen abgefaßt ist, während der folgende Prologus, wie das Werk selbst, in Prosa erfolgt. In dem nachfolgenden deutschen medizinischen Schrifttum wird dieses literarische Modell nicht mehr angewandt; der >Macer< bleibt daher das einzige Werk dieser Textsorte mit einem Reim- und Prosaprolog. Die Reimvorrede beginnt auch hier ganz in der Tradition mit einer Sentenz, mit einer Anspielung auf das bekannte Gleichnis von den Talenten (Mt. 25). Wie der Knecht, der aus Angst vor seinem Herrn das ihm anvertraute Geld vergraben hat, statt es gewinnbringend anzulegen, handelte der Wissende, wenn er seine Kenntnis nicht mitteilt. Wie der Knecht von seinem Herrn getadelt und verurteilt wurde, so ziehe sich der Kundige gotes vluch (R, 10) 42

Es ist durchaus denkbar, daß auch etwa nicht-medizinische Gründe für die Anordnung den Ausschlag geben konnten. Dies könnte möglicherweise bei Rosa (Kap. 21), Lilium (Kap. 22) und Viola (Kap. 23) der Fall sein, die der deutsche Bearbeiter vielleicht deswegen zusammenstellte, da sie im Bewußtsein der Zeit eine feste Gruppe bildeten. Seit dem 12. Jahrhundert erscheinen sie, wie OHLY (wie 1,3, Anm. 14), S. 668f. aufzeigte, in der theologischen lateinischen Literatur und später in den deutschsprachigen poetischen Werken des 13. Jahrhunderts als eine feste Einheit.

43

Zu den mittelalterlichen Prologen unterrichtet immer noch grundlegend HENNIG BRINKMANN: Der Prolog im Mittelalter als literarische Erscheinung, Wirkendes Wort 14 (1964), S. 1-2; Vgl. ferner CHRISTOPH GERHARDT, Willehalm von Orlens. Studien zum Eingang und zum Schluß der strophischen Bearbeitung aus dem Jahre 1522, Wirkendes Wort 35 (1985), S. 196-230; weitere Literatur bei UTE VON BLOH, Die illustrierten Historienbibeln. Text und Bild in Prolog und Schöpfungsgeschichte der deutschsprachigen Historienbibeln des Spätmittelalters, Bern u. a. 1993 (Vestigia bibliae 13/14), S. 46 Anm. 106.

Zu den Quellen

65

zu, wenn er sine kunst niemande leret (R, 13). Damit dieses Geschick ihn nicht ereilt, zeichne der Verfasser das folgende Werk auf. Aber nicht nur um seines Seelenheils willen schreibe er, sondern eine adelige Dame, der er zum Dienst bereit steht, habe ihn gebeten, dies zu tun: Ouch bat ein vrowe das durch

mich

iren willen

ich,

der ich dienstes

bin

bestünde

arbeit,

disse

das ich ir di würze swas

bereit, nente

ich der erkente

(R, 2 7 - 3 2 )

Obwohl dieser Hinweis geradezu einen Topos in der deutschsprachigen Literatur darstellt, könnte er auch einen realen Hintergrund wiedergeben. Daß man sich in höfischen Kreisen bzw. in Frauenklöstern für zuverlässige Informationen über die Heilkräfte der Kräuter interessierte, ist an sich nicht unwahrscheinlich. Daraus darf man vorsichtig schließen, daß der deutsche Bearbeiter im Auftrag eines Hofs bzw. für eine Äbtissin tätig war. Der ausdrückliche Wunsch des Bearbeiters, durch Schreiben für seine schweren Sünden zu büßen, erinnert auch an den >GregoriusMacer< entstandenen >Bartholomäus< systematisch abgehandelt. Dem Redaktor des >Macer< war diese Vorrede sicher bekannt. In der Folgezeit, so etwa auch im >Deutschen salernitanischen ArzneibuchMacerMacer< S. 269f. 47 In der Hs. Loi hat der Schreiber am Ende seiner Abschrift dieses Wissen polemisch nachgetragen, vgl. dazu unten die Beschreibung der Handschrift. 48 Dies gilt erst recht für die Texte, die KLAUS SCHÖNFELDT, Die Temperamentenlehre in deutschsprachigen Handschriften des 15. Jahrhunderts, phil. Diss. Heidelberg 1962, behandelte.

Zur Übersetzungsweise und Bearbeitungsstrategie

67

1.4. Zur Übersetzungsweise und Bearbeitungsstrategie Um die Arbeitsweise und Bearbeitungsstrategie des >MacerMFSpuria Macri< bzw. dem >Liber de gradibus< und den Kapiteln aus dem Werk des Gargilius Martialis. Dieser an sich naheliegende Schritt erweist sich jedoch beim derzeitigen desolaten Forschungsstand der lateinischen Quellentexte, stärker noch als beim Vergleich auf der Makroebene, als ein höchst unsicheres Unterfangen. Mangels kritischer Ausgaben ist man gezwungen, den >Macer< mit unzureichenden Ausgaben des 19. Jahrhunderts zu vergleichen. Wenn diese auch relativ handschriftennah sind, so ist doch der Stellenwert der den Editionen zugrundeliegenden Textzeugen innerhalb der Überlieferung nicht bekannt. Etwaige Bearbeitungen bzw. Erweiterungen der Texte sind unerforscht. Vor allem kommt aber erschwerend hinzu, daß von der von uns postulierten Vorlage, einer Erweiterung des >MF< mit Hilfe des >Liber de gradibusConstantinischen Erweiterung< liegt daher völlig im Dunkeln. Da die lateinische Tradition nur überaus lückenhaft erforscht ist, läßt sich die theoretische Möglichkeit nicht ausschließen, daß es eine lateinische Vorlage gab, die nahezu identisch mit der deutschen Übertragung ist oder nur unwesentlich von dieser abweicht. In diesem Fall hätte dann der >MacerMF< zu.51 Aber auch der Text des >Liber de gradibus< wurde, wie etwa der Vergleich zwischen dem Druck von 1515 und den Münchner Handschriften Clm 267 und Clm 19429 zeigt, über Jahrhunderte hinweg getreu tradiert. Selbst bei Kontaminationen wurden in der Regel die einzelnen Texte nur blockartig miteinander verknüpft und nicht einzelne Sätze oder Satzteile miteinander verwoben. Die kompilierten Texte lassen sich daher fast immer eindeutig abgrenzen. 49

Erste Überlegungen hatte SCHNELL 1994 auf dem Cambridger Kolloquium »Übersetzen im Mittelalter« vorgelegt; vgl. SCHNELL, Übersetzungen, S. 185-207. 50 Vgl. dazu SCHNELL, S. 38^tl (>TextkonstanzMFMacerMacerMFMFMacerMFMacer(v. 1-3, 11, 12-15, 20-29). Nicht aufgegriffen hat er gleich eingangs die etymologische Erklärung des Pflanzennamens »Artemisia»(v. 4-6): Artemis, die im Lateinischen Diana heißt, habe ihr den Namen gegeben. Verändert hat er ferner den Hinweis, daß diese Heilpflanze besonders gegen Frauenkrankheiten hilft (v. 7), die Heilanzeige von Artemisia, verbunden mit Fett und Wein, für Tumore (v. 15f.) und die Heilwirkung bei übermäßigem Genuß von Opium (v. 18f.) sowie den Schlußvers (v. 30). Dem stehen relativ umfangreiche Ergänzungen gegenüber. Als erstes wurde die deutsche Bezeichnung der Pflanze angeführt. Ebenso wird eine Übersetzung für den lateinischen Fachterminus »Menstruum« geboten. Dabei wird neben der deutschen Entsprechung vrowensuche auch die Umschreibung blume eingefügt und dieses Wort etymologisch erklärt (>Macer< 1,2). Eine Zutat

Zur Übersetzungsweise und Bearbeitungsstrategie

71

ist ebenso die Erklärung, daß es zwei verschiedene Arten von Beifuß gibt, denen auch verschiedene Wirkungen zugeschrieben werden (>Macer< 1,7-9). Aus der »Volksmedizin« dürfte die eingefügte Verwendung des Beifuß als Mittel bei einer schwierigen Geburt stammen (>Macer< 1,11). Mit diesen Erweiterungen hängt zusammen, daß die Verse 8, 9 und 10 der Vorlage nur sinngemäß übernommen werden. In diesem ersten Kapitel finden sich auch zwei Eigenheiten des deutschen Bearbeiters, die sich durch das ganze Werk ziehen. Bei der großen Anzahl an griechischen und lateinischen Fachwörtern ist es schon sehr erstaunlich, daß der Übersetzer nur ein Wort falsch übersetzte: Ictericum, die »Gelbsucht«. Auf die Richtigkeit dieser lateinischen Form hat Choulant eigens im Apparat hingewiesen. In diesem Kapitel übersetzt er ictericum mit der mit arbeiten edemt, d. h. > schwer atmetMacerMacer Floridus ^Übersetzungen des 15. und 16. Jahrhunderts53 nahe, die auf unterschiedlichen Vorlagen beruhen. Sie alle weisen weder die Zusätze auf noch kennen sie den Ersatz des Weins durch Bier und übersetzen ictericum überdies mit dem üblichen >GelbsuchtMFMacerLiber de gradibus< des Constantinus Africanus zurück. Vermutlich handelt es sich hier um einen Zusatz, der bereits in der lateinischen Vorlage der >Constantinischen Erweiterung< enthalten war. LXVII. Pyrethrum (>MFApium< spricht das der samen von eppich fast gut sy dem der nit harnen möge. ?T Item die wortzel von eppich gesotten in wyn vnd den gedruncken dribet vß dem menschen vergifft. Vnd also genutzet benympt das brechen genant vomitum vnd offenet den zurswollen magen. ?T Der meister Galienus in dem buch genant >de agricultura< spricht daz eppich samen brenge losten den mannen vnd auch den frawen, vnd der vrsachen halben ist eß verbotten zu nutzen den ammen, die kinder seygen, wan von grosser begirde, der eppich samen brengt zu vnkuscheyt, benympt er den ammen die milch, vnd fallent die kinder dar nach in groß krangheyt. $ Eppich samen genutzet machet eyn wôl richenden mundt: Darvmb, welcher mit fur sten oder mit herren redden wolt, der mag vor hyn eppich bruchen in der kost. ?T Wer von sucht syn färbe verlorn hette der esse eppich samen deglich in der koste, sie wirt ym widder komen. ff Eppich samen mit fenchel safft vnd also genutzet hilfft der geswollen milch in den brüsten, also das sye dar nach nit swerent. f)" Diß hilffet auch der siechen lebbern vnd miltz. *T Deß glichen ist eppich mit petersilge wurtzel mit wyn gesotten den wassersuchtigen gut, die von kalter materien komet. Eppich safft mit dem wyssen eins eys zuslagen vnd mit wercke also eyn plaster vff die wunden geleyt subert sye. fj" Galienus spricht: Welch frauwen kinder dragen, die sollen eppich samen myden, wan an des kindes libe werden da von vnreyn blättern. ff Auch spricht Galienus: Eppich dick mail genutzt ist die fallen sucht brengen. Vnd swanger frauwen sollen nit nutzen eppich, wan eß öffnet die fluß des vngeboren kindes, ee eß die zyt begriffet. $ Vnd frauwen, die kinder synt seygen, sullen nit nutzen eppich, vff das sie nit vnsyndig werden oder die fallende sucht nit vberkomen, want eppich ist dempf in daz heubt vber sich bewegen. ?T Item eppich vnd stabwurtzel gesotten in lauge do von gezwagen ist gut fur das hare vß fallen genant alopicia. Erst bei der Arbeit an der Edition zeigte sich, daß eine im alemannischen Raum verbreitete Kompilation ebenfalls den >Macer< rezipierte. Von diesem Kräuterbuch, das in der Literatur als »Schwarzwälder Kräuterbuch« bezeichnet wurde,69 sind bislang fünf Textzeugen bekannt:

69

Vgl. zuletzt SCHNELL, S. 227-229 (>Das Schwarzwälder KräuterbuchMacer< als auch das >Circa instans< zu den Hauptquellen gehören.71 Nach der Schreibsprache der erhaltenen Textzeugen dürfte die Kompilation im alemannischen Sprachraum entstanden sein. Die Bezeichnung »Schwarzwälder Kräuterbuch« ist deshalb nicht glücklich. Auch hier ist, wie beim >Gart der Gesundheit^ das Apium-Kapitel abgedruckt;72 zugrunde liegt die Karlsruher Handschrift. In diesem Kapitel beruhen sämtliche Segmente auf dem >MacerMacer< noch schöpften, bleibt späteren Studien vorbehalten. Eine weitere reizvolle Aufgabe für die künftige Forschung wäre ferner die Untersuchung, in welchem Umfang beispielsweise der >Macer< in den deutschsprachigen mittelalterlichen Rezeptsammlungen bzw. Arzneibüchern, in praxisnahen Texten also, rezipiert wurde. So haben etwa die beiden meistverbreiteten medizinischen Handbücher des Mittelalters, der >Bartholomäus< und Ortolfs von Baierland >ArzneibuchMacerMacer< und dem lateinischen >Macer Floridus< zu unterscheiden. Vgl. dazu etwa ORTRUN RIHA,

73

Zur Rezeption des >Macer
Macer< angeführten Verwendungen der Heilpflanzen mit denen der Arzneibücher übereinstimmen bzw. sich von diesen unterscheiden. Auf diese Weise könnte auf einem völlig anderen Weg der Praxisbezug des >Macer< erhellt werden.

Ortolf von Baieiland und seine lateinischen Quellen, Wiesbaden 1992 (Wissensliteratur im Mittelalter 10), bes. S. 209f.

2.

Text- und Überlieferungsgeschichte

2.1. Vorbemerkungen Von der methodischen Konzeption her stellt sich die Edition ganz bewußt in die Tradition der überlieferungsgeschichtlichen Editionspraxis, wie sie vor allem in den Ausgaben der von Kurt Ruh initiierten Würzburger Forschergruppe begründet wurde.1 Ziel einer überlieferungsgeschichtlichen Edition ist das Bestreben, möglichst umfassend die Veränderung des Textes im Laufe seines Überlieferungsprozesses aufzuzeigen. Das Fernziel ist die lückenlose Rekonstruktion der genealogischen Textentfaltung, um damit den Stellenwert eines jeden Textzeugen im Überlieferungsprozeß bestimmen zu können. Der »authentische« Text, ob Schöpfung eines Autors, Redaktors oder Kompilators, und die späteren Ausformungen werden grundsätzlich als gleichwertig eingestuft. Die durch die Überlieferung bedingten Textveränderungen werden nicht als sekundär bzw. als eine Verfälschung des ursprünglichen Autortextes angesehen, die man vernachlässigen kann, sondern ihre Dokumentation ist zentraler Bestandteil der Edition. Wegen der Besonderheit der Entstehungsund Überlieferungssituation mußten wir dieses methodische Konzept modifizieren. Dadurch, daß die lateinische Vorlage eruiert werden konnte und als ständiges Korrektiv der Textkonstitution herangezogen worden ist,2 weil in 1

Das Programm der Würzburger Forschergruppe wurde im Jahrbuch für Internationale Germanistik 5 (1993), S. 156-176 veröffentlicht: Spätmittelalterliche Prosaforschung. DFG-Forschergruppe-Programm am Seminar für deutsche Philologie der Universität Würzburg, ausgearbeitet v o n KLAUS GRUBMÜLLER, PETER JOHANEK, KONRAD KUNZE, KLAUS MATTEL, KURT RUH, GEORG STEER. Vgl. ferner KURT RUH, Ü b e r l i e f e r u n g s g e s c h i c h t e mittelalterlicher

Texte als methodischer Ansatz zu einer erweiterten Konzeption von Literaturgeschichte, in: K. R. (Hg.), Überlieferungsgeschichtliche Prosaforschung. Beiträge der Würzburger Forschergruppe zur Methode und Auswertung, Tübingen 1985 (TTG 19), S. 262-272, GEORG STEER, Textgeschichtliche Edition, in: ebd., S. 37-52 und 117-129, sowie KLAUS KIRCHERT, Text und Textgeschichte. Zu überlieferungsgeschichtlichen Editionen spätmittelalterlicher Gebrauchsprosa, in: Germanistik. Forschungsstand und Perspektiven. Vorträge des Deutschen Germanistentages 1984, hg. von GEORG STÖTZEL, 2. Teil: Ältere Deutsche Literatur, Neuere Deutsche Literatur, Berlin/New York 1985, S. 51-71. Zum überlieferungsgeschichtlichen Ansatz siehe künftig FREIMUT LÖSER, Überlieferungsgeschichte und New Philology. Methodische Varianten in der Altgermanistik. Habil.-Schr., Würzburg 2000 [im Druck], 2 Zu diesem Verfahren vgl. beispielsweise BERNHARD SCHNELL, Thomas Peuntner »Büchlein

90

Text- und Überlieferungsgeschichte

einem Sachtext ein eingeschränkter Wortschatz verwendet wird, weil ferner die Textkonstanz im Normalcorpus sehr groß und weil schließlich eine relativ zuverlässige Leithandschrift aus der Überlieferung gewonnen wurde, konnte als editorisches Ziel die Gewinnung eines autornahen Textes angestrebt werden. »Autornah« beschreibt in diesem Fall allerdings ein erweitertes Konzept von »Autornähe«, weil auch die verschiedenen Textstufen in ihrer Eigenwertigkeit beschrieben und nicht nur als Stufe des Verfalls hingestellt werden;3 in die Edition einbezogen konnten sie freilich nicht werden. Darüber hinaus ermöglicht dieser methodische Zugriff die Einbeziehung der unmittelbaren lateinischen Vorlagen, das Bemühen, den Text als ein Phänomen des Prozesses der »Emanzipation einer volkssprachlichen Laienkultur aus der universalen Schriftlichkeit des Lateinischen« zu verstehen.4 Dementsprechend wurden die lateinischen Quellentexte des >Macer< in die Untersuchung mit einbezogen und im Anhang abgedruckt. Aus der Kenntnis der Vorlagen konnten so nicht nur die Bearbeitungsstrategie des Redaktors dargelegt und sein Anteil am Werk aufgezeigt werden,5 sondern auch wesentliche Hinweise zur Textgenese der deutschen Bearbeitung gewonnen werden.6 2.2. Verzeichnis der Überlieferungszeugen Das folgende Verzeichnis der Handschriften basiert auf den beiden von CROSSGROVE erstellten Handschriftenlisten, in denen 6 1 Überlieferungszeugen angeführt werden.7 Ergänzt wurde es durch 32 Neufunde, die SCHNELL im Rahmen seiner Habilitationsschrift über die Überlieferung der deutschsprachigen Kräuterbücher des Mittelalters zusammentrug.8 Bei der Arbeit an der Edition wurden schließlich noch einmal 40 Handschriften entdeckt. Für Hinweise haben wir vor allem Herrn Gerold Hayer (Salzburg), Frau Gisela Kornrumpf (München), Frau Britta-Juliane Kruse (Berlin), Herrn Franzjosef Pensei (Jena) und Frau Karin Schneider (München) zu danken, die uns ihre Funde noch vor der Publikation dankenswerterweise zur Verfügung stellten. von der Liebhabung GottesMacer< überliefert sind, werden zur Unterscheidung die Blattangaben des betreffenden >MacerLegenda aureaRechtssummeVocabularius Ex quo< mindestens sechs Fassungen unterscheiden; vgl. >Vocabularius Ex quoLiber ordinis rerum< wurde in einer Lang- und Kurzfassung tradiert, vgl. >Liber ordinis reram< (Esse-Essencia-Glossar) hg. von PETER SCHMITT, Tübingen 1983 (TTG 5); und auch das Nominalglossar des Straßburger Weltgeistlichen Jakob Twinger von Königshofen liegt in drei verschiedenen Fassungen vor, vgl.: Die Vokabulare von Fritsche Closener und Jakob Twinger von Königshofen. Überlieferungsgeschichtliche Ausgabe. Hg. von KLAUS KIRCHERT zusammen mit DOROTHEA KLEIN. 3 Bde., Tübingen 1995 (TTG 40-42). 21

Von der >Rechtssumme< Bruder Bertholds kennen wir drei Fassungen, vgl. dazu die Ausgabe: Die >Rechtssumme< Bruder Bertholds. Eine deutsche abecedarische Bearbeitung der >Summa Confessorum< des Johannes von Freiburg. Synoptische Edition der Fassungen Α, Β und C, hg. v o n GEORG STEER, WOLFGANG KLIMANEK, DANIELA KUHLMANN, FREIMUT LÖSER, KARLHEINER SÜDEKUM. 4 B d e . , T ü b i n g e n 1 9 8 7 ( T T G 1 1 - 1 4 ) .

22

Eine weitere Parallele bietet beispielsweise auch die >Weltchronik< Heinrichs von München; vgl. dazu die einschlägigen Studien: Bd. 1 hg. von HORST BRUNNER, Bd. 2/1 und 2/2 von JOHANNES RETTELBACH, B d . 3/1 und 3 / 2 v o n DOROTHEA KLEIN, W i e s b a d e n 1 9 9 8 ( W i s s e n s -

23

literatur im Mittelalter 29-31). Die Fragmente B12, Lil, M20, M21 und Stl lassen sich dagegen wegen ihres geringen Umfangs nicht näher einordnen.

Überlieferungsbefund

99

das Werk vor allem in den oberdeutschen Raum (sechs bairische, acht alemannische, drei ostfränkische und eine oberdt.-omd. Abschriften). Ausläufer erstrecken sich ins Rheinfränkische (zwei Handschriften) und Niederdeutsche (zwei Textzeugen). 2.3.2. Kompilationen Unter Kompilationen verstehen wir Handschriften, in denen der >MacerMacerWiener Macer< stammen alle betreffenden Handschriften aus dem 15. Jahrhundert, wobei der überwiegende Teil aus dem letzten Drittel des Jahrhunderts kommt. Die geographische Verbreitung der Handschriften zeigt mit 17 Vertretern einen eindeutigen Überlieferungsschwerpunkt im Oberdeutschen (sieben Handschiften aus dem schwäbischen und je fünf aus dem restlichen alemannischen und dem bairischen Raum). Dagegen kommen nur sechs aus dem Westmitteldeutschen und nur vier aus dem vermutlichen Ursprungsgebiet des >MacerMacer< überliefern, sei es, daß sie nur wenige Kapitel enthalten24 oder 24

Vgl. dazu unten die Beschreibungen der Handschriften, »3.6. Streuüberlieferung«.

100

Text- und Überlieferungsgeschichte

aus den Kapiteln nur Exzerpte bzw. einzelne Segmente auswählen. Grundvoraussetzung für ihre Einordnung ist allerdings, daß sich die Textzeugen im überlieferten Textbestand eindeutig dem >Macer< als Ausgangstext zuordnen lassen. Grundsätzlich gilt: Nur der Textzeuge zählt zur Streuüberlieferung des >MacerMacer< Bearbeitungsverfahren auf, die den Gebrauch des Textes erleichtern sollten. Für den mittelalterlichen - wie auch für den modernen - Leser dürfte die unsystematische Anordnung der einzelnen Heilkräuterkapitel die Benutzung des Werkes erschwert haben. Die einzige Hilfe bei der Suche nach bestimmten Heilpflanzen waren die Überschriften im Text und die vage Zweiteilung des Werkes in Heilpflanzen und in Gewürze. Um diese Beeinträchtigung zu lindern, wurde der Text auf verschiedene Weise bearbeitet bzw. ergänzt. Die weitestreichende Bearbeitung war eine durchgehende Alphabetisierung der einzelnen Heilpflanzen. Auf diese Weise konnte man am einfachsten im Werk nachschlagen. Der Preis dafür war allerdings, daß verwandte Pflanzen, die im ursprünglichen Text zusammenstanden, wie etwa die drei ersten Pflanzen oder die Gewürze, wieder getrennt wurden. Eine Konsequenz der Alphabetisierung war ferner die Streichung der beiden Dubletten und die Auslassung der Gewürzvorrede.

Verfahren zur Erschließung

VoilîSej»

Abb. 2: Berlin, SBB PK, Ms.germ.quart. 1245, 1Γ (B9)

102

Text- und Úberlieferungsgeschichte

Eine weniger radikale Lösung war die Bearbeitung nur des »Gewürzanhangs« im Sinne einer inhaltlichen Bereinigung. In diesem zweiten Teil wurden ursprünglich zwar hauptsächlich Gewürze, aber daneben auch europäische Heilpflanzen behandelt. Einige Bearbeiter hat diese Inkonsequenz gestört. Nur die Gewürze behielten ihren Platz, alle anderen wurden aber umgestellt und zwar in der Regel vor den »Gewürzanhang«. Eine andere benutzerfreundliche Aufbereitung des Textes war es, dem Text ein Inhaltsverzeichnis voranzustellen (z. B. in B9, vgl. Abb. 2 oben S. 101). Dabei wurden in der Regel die lateinische und deutsche Pflanzenbezeichnung, in der Abfolge des Werkes, aufgelistet. Wegen der Kürze des Inhaltsverzeichnisses konnte so der Inhalt schnell überflogen werden, um dann gezieltes Nachschlagen zu ermöglichen. Eine weitere Möglichkeit war, das Werk durch ein Register zu erschließen. In einem Register werden mehr oder weniger ausführliche Inhaltsangaben zu den einzelnen Kapiteln geboten und vor allem die einzelnen Indikationen für jedes Kapitel systematisch aufgelistet. So konnte sich der Leser rasch über den Inhalt des Werkes und die wichtigsten Verwendungen der einzelnen Pflanzen informieren. Register werden in den Handschriften B5, Del, Fbl, Hl, L4, Loi, St3, Tl, Wol, Wo3 und Wül überliefert; sie waren durchwegs deutsch abgefaßt und wurden dem Werk geschlossen vorangestellt (vgl. Abb. 4 unten S. 104). In einigen Handschriften, beispielsweise in B5, wurden überdies die im Register verzeichneten Indikationen als Überschriften im Text selbst eingerückt (vgl. Abb. 3 S. 103). Eine andere Möglichkeit bestand darin, das Werk durch ein medizinisches Stichwortverzeichnis zur besseren Benutzung aufzubereiten. In einem Indikationenregister werden systematisch die einzelnen Indikationen, d. h. Anwendungsgebiete, erfaßt und die Heilmittel zu deren Behandlung aufgelistet (vgl. Abb. 6 unten S. 123). Voraussetzung für dieses Verfahren war, daß die einzelnen Segmente, die üblicherweise nur je eine Indikation behandeln, in jedem Kapitel durchgezählt wurden. Da die Kapitel mit römischen Zahlen nummeriert wurden, versah man die Segmente mit Buchstaben; dies erfolgte entweder im Text selbst (vgl. Abb. 7 unten S. 147) oder am Blattrand (vgl. Abb. 5 unten S. 123).25 Die Textzeugen Edi und W3 überliefern dazu eine ausführliche gereimte Einleitung, die paffe Witschuh von Alsfelt zugeschrieben wird.26 Durch dieses Verfahren, das vermutlich aus dem theologischen 25

26

Die Handschriften Br3, D e l , Dr2, Edi, H2, M l , M5, RL, und W3 weisen ein deutsch abgefaßtes Indikationenregister auf; in F2 ist es lateinisch. In den Textzeugen B l , B2, B6 und Mal war ein solches, wie die Markierung der einzelnen Segmente im Text nahelegt, ebenfalls vorgesehen, es kam aber nicht zur Ausführung bzw. es ist nicht überliefert. D i e A n l e i t u n g ist b e i HAUPT, S . 5 3 2 a b g e d r u c k t ; z u W i t s c h u h v g l . WILLIAM CROSSGROVE,

Witschuh von Alsfeld, in: VL 10 (1998), Sp. 1275f.

Verfahren zur Erschließung

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A i r MacerBartholomäus< (Auszüge); Ortolf von Baierland: >Arzneibuch< (Auszüge); lat. Rezeptsammlung. Teil II: u. a. >Von Art und Eigenschaft des gebrannten WeinsMacer< (245 v -248 v ); dt. Indikationenregister zu den medizinischen Texten (249 r -257 r ). Mittelalterliche Vorbesitzer sind nicht bekannt; später im Kloster Kamenz. >MacerMacer< sind vier Kapitel aus dem »Deutschen salernitanischen Arzneibuch< vorangestellt (ll v -14 v : Korn, Weizen, Brot und Gerste); der Text des >Macer< beginnt Bl. 14v. Im unmittelbaren Anschluß an das letzte Kapitel (97) folgen Rezepte (Item wer gebrochen ader wunt wert der wert gesunt von dissem

Textzeugen des Normalcorpus

115

puluer...), die mit einem Wurmsegen enden, vgl. Wel. Das Indikationenregister zum >Macer< v.J. 1586 bezeugt die Benutzung des Textes auch für das späte 16. Jahrhundert. Lit.: Beschreibung fehlt.

Del

Dessau, Stadtbibl., Hs. Georg. 278. 2°

155 Bll. (2°); dt.(-lat.) medizinische Sammelhandschrift aus zwei Teilen (I: 1-84 von einer Hand; II: 85-132 von einer Hand; 133-155 leer). Teil I: u. a. >MacerBartholomäus< (Auszüge); Ortolf von Baierland: >Arzneibuch< (Auszüge); aiphabet, medizinisches Sachglossar, lat.-dt. (Pflanzen, Tiere, Mineralien, THORNDIKE/KIBRE, 6,1); Gewichte für Apotheker; Salbeitraktat; Eichenmisteltraktat. Teil II: >Regel der Gesundheit; >Das Buch von guter SpeiseMacerGesta RomanorumMacerMacerBartholomäus< (Auszüge); Heinrich von Pfalzpaint: >WundarzneiVon gebrannten WässernMacerRoßarzneibuchMacerKalendarium sanitatisDe regimine sanitatisMacerBrief an die Frau von Plauens Teil III: Ortolf von Baierland: >Arzneibuch< (Auszüge). Teil IV: Prognostiken; Tierkreiszeichenlehre (vgl. VL 9 [1995], Sp. 927); lat.-dt. Pflanzenglossar. Mittelalterliche Vorbesitzer sind nicht bekannt. >MacerMacerMacer Floridus< (CHOULANT, V . 1 6 9 9 - 1 7 0 3 ) . Lit.: WËIMANN, S. 103-111; die Hs. wurde benutzt von LORENZ DIEFENBACH, Glossarium latino-germanicum mediae et infimae aetatis, Frankfurt a. M. 1857 (Neudruck Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1968), Quellenverzeichnis, S. XIII, Sigle 4; CROSSGROVE I, Nr. 19.

Gil

Gießen, Univ.-Bibl., Cod. 610

74 Bll. (2°); dt.-lat. medizinische Sammelhandschrift: u. a. >Bartholomäus< (Auszüge, u. a. Geiertraktat); >MacerGalgant-GewürztraktatThesaurus pauperumMacerMacer< ist der >Verbenatraktat< (aus dem >BartholomäusMacer< folgt der lat. >Galgant-GewürztraktatArzneibuch< (Auszüge); >Freiberger Arzneimittellehre< (Kap. 3-4; vgl. VL 2 [1980], Sp. 887); >Von SalbenFumus terrae< [vgl. Haupt, S. 470f.] und Verbenatraktat aus dem >BartholomäusMacerMacerBartholomäus< (Auszüge), lat. und dt.; >Regel der Gesundheitc; Briefsteller, Rezepte (für Kleidung [vgl. VL 2 (1980), Sp. 747], Wein, Drüsen und Geschwüre; Blutschaukatalog A). Mittelalterliche Vorbesitzer sind nicht bekannt. >MacerRegel der Gesundheit^ Neujahrsprognosen [vgl. VL 6 [1987], Sp. 916; >Von den gebrannten WässernMacerOffenbarung JohannisMacerArzneibuch< (Auszüge); >Galgant-GewürztraktatMacerThesaurus pauperumBuch der Arznei< [Auszüge]; Salbeitraktat; Register für die gesamte Handschrift, aus dem 16. Jh.). Mittelalterliche Vorbesitzer sind nicht bekannt. >MacerMacerArzneibuch< (Auszüge); med. Rezeptsammlung, lat. und dt.; Rezepte zur Farbherstellung, lat. und dt.; t a bula salernitana sive compendium magista Salerni< (THORNDIKE/KIBRE, 1109,1); Petrus Hispanus: >De conservanda sanitate< THORNDIKE/KIBRE 504,6); »Compendium medicine (Vetularii) magistri Albici< (THORN-

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Beschreibung der Textzeugen

DIKE/KIBRE) 1 7 0 1 , 2 ) ; Salbeitraktat; >Synonima apotecariorum< (zwei Ab-

schriften); lat.-dt. Rezepte. Mittelalterliche Vorbesitzer sind nicht bekannt. Der Text des Prager Erzbischofs Siegmund Albich wurde 1424 durch Wenczeslau Lindener ciuem in Wolkenstein geschrieben. >MacerZedoarGalgant-Gewürztraktat< ?), 3V: Kap. 97 und 96, drei Exzerpte aus lat. Pflanzendrogen, 4 r -4 v : Prosavorrede, 4V: Vokabular zum >MacerGart der GesundheitBartholomäusTraktat von Empfängnis und GeburtBartholomäusMacerMacerGart der Gesundheit zwei Kräuter aus dem >MacerMacerBartholomäus< (Auszüge); >MacerGalgant-GewürztraktatPrager SendbriefLiber aggregationisMacerDe corio serpentisRoßarzneibuchArzneibuch< (Auszüge); >Bartholomäus< (Auszüge, u. a. >MacerLiber igniumMacerBartholomäusLiber aggregationisMacerMacerAntidotarium Nicolais dt. (frgm.). Mittelalterliche Vorbesitzer sind nicht bekannt. >MacerWundarzneiBartholomäus< (Auszüge, u. a. Verbena- und Geiertraktat, mit inserierten >Ma-

Streuüberlieferung

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cerBartholomäus< (Auszüge, u. a. Verbena- und Geiertraktat); >Macer< (Ny2); Inhaltsregister für die gesamte Handschrift. Zwei ganzseitige Federzeichnungen Ars medicinalie (Dame mit Uringlas, rot koloriert, 1190, Ypocraz (junger Mann mit Doktorhut und Schnabelschuhen, rot und blau koloriert, 119"). Mittelalterliche Vorbesitzer sind nicht bekannt. >Macer