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German Pages 184 [188] Year 1910
Historische Bibliothek Herausgegeben von der
Redaktion der Historischen Zeitschrift
21. Band:
Der Bericht des Herzogs Ernst II. von Koburg über den Frankfurter Füi-stentag 1863 Von
Kurt Dorien
Mfinchen und Berlin Druck und Verlag von R. Oldenbourg 1910
Der Bericht des Herzogs Ernst IL von Koburg über den Frankfurter Fürstentag 1863 Ein Beitrag zur Kritik seiner Memoiren
Von
Dr. Kurt Dorieii
München und Berlin Druck und Verlag von R. Oldenbourg 1910
Meinen Eltern in Dankbarkeit
Vorbemerkungen. Die Anregung zu der vorliegenden Arbeit, die zur Erlangung der Doktorwürde der philosophischen Fakultät zu Greifswald vorgelegen hat, entstammt der Güte des Herrn Geheimrats Professor Dr. Ulmann, der auch ihren Fortgang mit fachkundigem Rate und regem Interesse begleitete, wofür ihm ehrerbietiger Dank ausgesprochen sei. Der erste Teil, S. 1—62, erschien als »Greifswalder Dissertation«. Besonders kam es der Sicherheit der Beweise, mit der zum Teil die gewonnenen Resultate gestützt werden konnten, zu statten, daß das Herzoglich Sächsische Hausund Staatsarchiv zu Koburg die große Freundlichkeit besaß, einige von den Schätzen seines Besitzes der wissenschaftlichen Benutzung freizugeben. Aus dem Herzoglichen Hausarchiv wurden mit ministerieller Genehmigung überwiesen: 1. das Tagebuch des Herzogs Ernst II. über die Zeit des Fürstentages, 2. der Bericht Franckes aus Wien vom 13. und 17. Juni 1863 ; 3. das Konzept des Briefes an König Leopold von Belgien vom 29. Juni 1863 und 4. das Amendement des Herzogs von SachsenKoburg und Gotha zu Art. 16 der Reformakte. Der Liebenswürdigkeit des Herrn Professors Hermann Oncken (Heidelberg) verdanke ich die Einsicht in den ersten Abzug des Briefes von Tempeltey an Ben-
vm
Vorbemerkungen.
mgsen vom 24. Juni 1863, den Herr Professor Oncken nunmehr in einem Werke über Bennigsen der Öffentlichkeit übergeben hat. Herr Kaufmann Duckwitz in Bremen unterzog sich der großen Mühe, den umfangreichen Nachlaß seines Vaters auf Tagebücher über die Ereignisse in Frankfurt 1863 zu durchsuchen, was leider ohne Erfolg blieb. Für alle diese Bemühungen zur Förderung des vor liegenden Schriftchens sagt herzlichen Dank der Verfasser.
Inhaltsverzeichnis. Seite
Vorbemerkungen Literaturverzeichnis Einleitung
VII XI XV
Kritische Würdigung der benutzten Hauptquellen im allgemeinen 1—10 Die Entstehung des Herzoglichen Memoirenwerkes . . . 11 Die Quellen des Berichtes über den Fürstentag . . . . 16 Das Tagebuch des Herzogs 17 Das offizielle Protokoll 20 Kritische Elnzeluntersuchungen äl-62 Der Bericht des Herzogs von Koburg über seine Reiso nach Wien 24 Die Einladung des Königs Wilhelm durch Kaiser Franz Joseph 35 Die Mission Sachsens 38 Die 1. Sitzung im Protokoll und bei Duckwitz . . 38 Die Beratung über die Einladung des Königs in der Darstellung des Herzogs von Koburg . . . . 41 Vertrauliche Beratungen 46 Die Berichterstattung 53 Unrichtigkeiten im Bericht über die offiziellen Beratungen 55 Tngenauigkeiten in den Zahlenangaben 60 Die Urteile des Herzogs Uber die Hauptfragen . . . . 63—164 Kaiser und Kabinett nach «lern Berichte des Herzogs 63 Der Kaiser 63 Das Kabinett 69 Kaiser und Kabinett 72 Charakterisierung des Kaisers 74
X
Inhaltsverzeichnis.
Seit« Die Entstehung des Fürstentages 80 Rechberg und der Fflretentag 87 91 Der Kaiser und Rechberg auf dem Fttrstontage . . . . Der Kaiser und die preußischen Forderungen 94 Resultat 101 Erklärungsgrttnde für die Unrichtigkeiten im Urteil des Herzogs 103 Die politische Haltung des Herzogs von Koburg bezüglich der Bundesreform 111 Das Verhältnis des Herzogs zn Bismarck 116 Die politische Haltung des Herzogs im Jahre 1863 . . . 118 Naehtrlge zn den kritischen Elnzelnntersnchungen . . . . 132 Der Bericht an den Kronprinzen vom 3. September . . 132 Die Stellung der Fürsten 133 Charakterbild des Herzogs Ton Koburg 137 Charakterisierung des Werkes 152 Der Stil des Herzogs 152 Beiträge zur Kritik des Abdruckes der Urkunden . . . 165 Gesichtspunkte für die Benutzung des Werkes . . . . 161 Anhang 167
Literaturverzeichnis. Zum Verständnis der zum Teil abgekürzten Quellenverweise folgende Erläuterungen: Die mehrfach zitierte Literatur ist, der übrigen vorangestellt, nach den gesperrten Stichworten alphabetisch geordnet. Wo nur Seitenzahlen ohno Hinweis auf den Titel angemorkt sind, beziehen sie sich auf den III. Band des Herzoglichen Memoirenwerkes. Die beiden ersten Bände sind außerdem durch I. und II. gekennzeichnet. Eine römische Ziffer oben rechts an der Seitenzahl bezeichnet den betreffenden Absatz der Seite, wobei Absatzenden von der vorigen Seite und Absätze von weniger als zwei Zeilen nicht mitgezählt werden. Ein >o< und >u< an den Seiten- und Absatzzahlen bedeutet »oben« und >unten«.
Verzeichnis der mehrmals zitierten Quellen. Aus dem lieben Th. v. B e r n h a r d i s . Friedr. Ferd. Graf v. R e u s t , Aus drei Vierteljahrhunderten. StuMg. 1887. (T. Freytag und Herzog Ernst von Koburg im B r i e f w e c h s e l 1863 bis 1893. Herausg. von E. Tempeltey, Leipzig 1904. Tagebuchblätter von Moritz B u s c h . A. D u c k w i t z , Denkwürdigkeiten aus meinem öffentlichen Leben von 1841—1866. Brem. 1877. Kr. W. E b e l i n g , Graf v. Beust. 1871. J. F r ö b e l , Ein Lebenslauf. Stuttg. 1890/1. Zeiten und Menschen. Erlebnisse und Meinungen von Rud. G e n é e . Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Denkwürdigkeiten Stuttg. 1907.
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Litoratnrverzeichnis.
Karl J a n Ben, Schleswig-Holsteins Befreiung, ed. K. Samwer. Wiesbd. 1897. Ottokar L o r e n z , S t a a t s m ä n n e r und Geschichtschreiber den 19. Jahrhunderts. 1896. Ottokar L o r e n z , K a i s e r W i l h e l m und die Begründung des Reichs 1866—1871. O. M e d i n g , Memoiren zur Zeitgeschichte. Leipz. 1881—1884. Aus dem Tagebuche des Freiherrn v. Poche. (1862—1864). österr. Rundschau VII. Das Staatsarchiv. Herausg. von Aegidi und Klauhold, Band H. (Protokoll). K. S c h l e i d e n , Schleswig-HolsteinH erste Erhebung. Wiesbd. 1891. S t o s c h , Denkwürdigkeiten.
Literatur zur Geschichte des FUrstentages. Hr. F r i e d j u n g , Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859—1866. Stuttg. 1898. v. Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. H. v. Z w i e d i n e k - S ü d e n h o r s t , Deutsche Geschichte von der Auflösung des alten bis zur Errichtung des neuen Kaiserreichs (1806—1871). Bd. III. Stuttg., Berl. 1905. Otto N i r r n h e i m , Das erste Jahr des Ministeriums Bismarck und die öffentliche Meinung. Heidelberger Abhandlungen, 20. Heft. 1908. (In diesem Werke findet sich die Literatur der öffentlichen Meinung zur Zeit des Fürstentages mit möglichster Vollständigkeit zusammengestellt.) II. H i r s c h b o r g , Der Frankfurter Fürstentag. Berner Diss. 1906/7. Straßbg. 1907. B i o g r a p h i s c h e s J a h r b u c h und deutscher Nekrolog. Herausg. von A. Bettelheim. Bd. 4. 1900. S. 283: Rechberg. Die österreichische Handelspolitik im 19. Jahrhundert von Ad. Beer. Wien 1891. A. v. R u v i l l e , Bismarck und der großdeutsche Gedanke. In den Forschungen zur brandb.-preuß. Gcschichte 16. Paul H a s s e l , König Albert von Sachsen als Kronprinz. Bd. 2. Berl, Leipz. 1900. Ottokar L o r e n z , Großherzog Friedrich von Buden. Berl. 1902. Anhang I zu den Gedanken und Erinnerungen des Fürsten Bismarck. Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Kriegsministers Grafen Roon. 1897. Herrn. O n c k e n , Rud. v. Bennigsen. I. 1910.
Literaturverzeichnis.
XIII
Aas den Briefen Rad. v. Bennigsens. Mitget. von Herrn. O n c k e n . Dt. Rev. 31,. Zwei Briefe v. S e e b a c h s aus der Zeit des Fflrstentages an seine Tochter. Dt. Rev. 21,. Enthüllungen an das deutsche Volk über das Fürstenparlaraent. Brüssel 1863. (Es ist nicht ausgeschlossen, daß diese Flugschrift vom Herzog von Koburg inspiriert wurde.)
Zar Charakteristik des Herzogs ron Koburg. C. B e y e r , Der Vorkämpfer deutscher Größe, Herzog Ernst II. Berl. 1894. T e m p e l t e y , Herzog Ernst und das J a h r 1866. Staatsminister J o l l y , Ein Lebensbild von Baumgarten und Jolly. G. F r e y t a g , Erinnerungen aus meinem Leben. Ges. Werke 1.
Zur Kritik der Memoiren. Hr. v. T r e i t s c h k e , Histor. und polit. Aufsätze IV. Grenzboten 1888,, 1889„ 1890,. Fr. W e i d n e r , Gotha in der Bewegung von 1848. Gotha 1908. Anmerkungen S. 120, 135, 179, 181. K. J a n s e n , Die Erinnerungen des Herzogs Ernst II. von KoburgGotha aus Schleswig-Holstein 1848—1861. Kiel 1888.
Einleitung. In der Memoirenliteratur des 19. Jahrhunderts nimmt das Memoirenwerk Emsts II., »Aus meinem Leben und aus meiner Zeit«, eine hervorragende Stellung ein, weil es an Umfang und an Fülle des verarbeiteten Materials die meisten anderen hinter sich läßt, besonders aber, weil der Herzog von Koburg, der Verfasser der Memoiren, vermöge seiner politischen Stellung und seiner persönlichen Betätigung in der Lage war, an einer großen Reihe bedeutsamer Ereignisse mitzuwirken und sie so aus eigenster Anschauung zu erzählen. Darum wird ein Historiker bei der Darstellung jener Partien aus der Geschichte des verflossenen Jahrhunderts an dem Herzoglichen Memoirenwerke nicht leicht vorübergehen können. Um so bedeutsamer ist daher' hier die Frage, die sich bei der Verwertung jeder Geschichtsquelle erheben muß, die Frage nach ihrer Zuverlässigkeit. Zwar finden sich gelegentlich verstreute kritische Bemerkungen darüber in der historischen Litex*atur, und Jansen hat auch in einem Schriftchen1) besonders den Bericht des Herzogs über das Gefecht bei Eckernförde einer zusammenhängenden Untersuchung unterzogen. Diese hat aber mehr das Bestreben, die Erzählung des Herzogs ') »Die Erinnerungen des Herzogs Ernst II. von Koburg-Gotha aus Schleswig-Holstein 1848—51.«
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Einleitung.
zu korrigieren und seine militärisch-politische Wirksamkeit zu kritisieren, als den quellenkritischen Standpunkt durchzuführen. Da ein Versuch noch nicht gemacht wurde, in wissenschaftlicher Weise ein abschließendes Urteil über das ganze Werk zu gewinnen und zu begründen, so scheint der vorliegende einem Bedürfnisse zu entsprechen. An sich gibt es verschiedene Möglichkeiten, zu allgemeineren Gesichtspunkten für die Beurteilung des Memoirenwerkes zu gelangen. Den meisten Erfolg versprach der Versuch, die Ergebnisse der genauen kritischen Untersuchung eines geeigneten Abschnittes dem Charakterbilde des Herzogs gegenüberzustellen, wie es Beurteiler nach ihren gelegentlichen Beobachtungen und Angaben zu zeichnen verstatten, um daraus zu erkennen, welche der nachgewiesenen Fehler mehr zufälliger Natur auf die bearbeitete Partie beschränkt bleiben mußten, und welche auf Notwendigkeit in der persönlichen Anlage des Herzogs beruhten und daher gegebenenfalls auch im Gesamtwerk vorauszusetzen sind. Um die vom Herzog von Koburg gefällten Urteile nachzuprüfen, wobei naturgemäß die kritische Einzelbehandlung versagen mußte, die im ersten Teile der Untersuchung mit Erfolg angewandt werden konnte, war es nötig, Abschnitte aus der Geschichte des Frankfurter Fürstentages im Zusammenhange zu behandeln. Auch zu seinen Geschichtsquellen mußte eine gesicherte Stellung eingenommen werden. Da der Fürstentag in der Geschichtschreibung merkwürdig vernachlässigt worden ist, und auch über die Persönlichkeit des Herzogs von Koburg keine unbefangene, zusammenhängende Darstellung existiert, so dürfte auch die Lösung der Vorfragen an sich einiges historisches Interesse beanspruchen.
Kritische Würdigung der benutzten Hauptquellen im allgemeinen. Der Quellenwert des offiziellen Protokolls über die Verhandlungen des Fürstentages. Für die Kritik der einzelnen Tatsachen, wie sie im Berichte des Herzogs von Koburg über den österreichischen Bundesreformversuch mitgeteilt werden, kommt in erster Linie als Überbleibsel aus den Verhandlungen das offizielle Protokoll in Betracht, das der Kabinettsrat v. Biegeleben nach eigenen, während der Sitzungen gemachten Niederschriften ausarbeitete. Die fertiggestellten Sitzungsprotokolle gelangten in bestimmten Zeitabschnitten bei den Verhandlungen zur Verlesung und wurden von den Teilnehmern beglaubigt. Als am 1. September der Kongreß geschlossen wurde, wollten die Monarchen ihre Abreise nicht verzögern, um noch auf die Fertigstellung des Protokolls der letzten Sitzungen zu warten. Sie übertrugen die Beglaubigung den Bürgermeistern der freien Städte, die mit der Feststellung des Textes noch einige Tage beschäftigt waren.1) ») D u c k w i t e 167 «•
E r n s t II., m , 341UI-
Historische Bibliothek. XXI.
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2
Kritische Würdigung der benatzten Hauptqaellen etc.
Eine Äußerung des Protokolls selbst beweist, daß die Versammlung den protokollarischen Aufzeichnungen über den Gang der Verhandlungen keineswegs gleichgültig gegenüberstand. Die Großherzoge von Mecklenburg-Schwerin und Oldenburg drückten in der vierten Sitzung den Wunsch aus, daß den Teilnehmern am Kongresse die Gelegenheit gegeben werden sollte, ihre in das Protokoll aufzunehmenden Äußerungen festzustellen. Der Kaiser verfügte, daß diesem Wunsche entsprochen werde.1) Die Möglichkeit, das Richtige aufzunehmen und wiederzugeben, war dem Protokollführer in reichstem Maße geboten. Wenn nur nicht in ihm selbst schon der Keim zu Entstellungen gelegen hätte! Biegeleben gehörte zu der Gruppe jener Ultramontanen, die den hauptsächlichsten Anstoß zum Fürstentage gegeben hatten. Sein politischer Standpunkt war es, der sich bei der Abfassung des Protokolls in störender Weise bemerkbar machte. Schon nach den ersten Verlesungen fiel es dem Großherzog von Baden auf, daß seine von den offiziellen Bestrebungen stark abweichende Wirksamkeit bei den schriftlichen Fixierungen nicht in der von ihm gewünschten Weise zum Ausdruck kam. Er verbat sich daher die Wiedergabe seiner Worte durch den Protokollführer, wenn er es nicht ausdrücklich wünschte, und beobachtete, um die starke Abschwächung seiner Reden unmöglich zu machen, das Verfahren, seine Anträge und Motivierungen schriftlich zu übergeben und als Anlagen beifügen zu lassen.2) Duckwitz machte nachträglich in seinen iDenkwürdigkeiten« darauf aufmerksam, daß die Protokolle von Biegeleben »im österreichischen Sinne geführt wurden, und daß daraus tunlichst weggelassen ist, was diesem Sinne nicht entsprach oder, nach seinem Dafürhalten, überflüssig zu sein schien«.*) ») Prot. 90U-
») Prot. 95.
») Duckw. 1671-
Der Quellenwert des offiziellen Protokolls etc.
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Aus diesem Grunde betrachtete Duckwitz seinen Bericht als eine Ergänzung zum Protokoll. Ähnliche kritische Bedenken streut der Herzog von Koburg gelegentlich seiner Darstellung ein. Das Protokoll hätte seine ernsten Einwände gegen den sächsischen Antrag in der ersten Sitzung verschwiegen und die des Großherzogs von Baden nur in sehr abgeschwächter Form mitgeteilt1) Bei der Beschlußfassung über die Präsidialfrage in der letzten Sitzung wären wiederum die gesamten Erörterungen des Herzogs von Koburg, »wie alle übrigen Äußerungen, die in einem der offiziellen Auffassung wenig genehmen Sinne gemacht wurden«, vom Protokoll nicht mitgeteilt worden.2) Diese kritischen Bedenken hindern aber den Herzog von Coburg nicht, das Protokoll wie eine völlig einwandfreie Quelle zu benutzen. Er hat es nach seiner eigenen Angabe dazu verwendet, um »in Berlin wenigstens einigermaßen den üblen Eindruck zu verwischen, den Gerüchte und Mitteilungen über die letzte Sitzung nur zu rasch hervorzubringen geeignet waren«.3) Außerdem hat der Herzog das Protokoll seinem Berichte über den Gang der Verhandlungen zugrunde gelegt und es nicht selten sogar ausgeschrieben. Man darf also in der Kritik des Protokolls nicht zu weit gehen und muß sich immer vergegenwärtigen, daß es einige Tage nach den einzelnen Verhandlungen verlesen werden mußte. Mit tendenziösen Auslassungen und Abschwächungen wird man rechnen müssen; was aber von dem Gang der Verhandlungen aufgenommen ist, wird der Zuverlässigkeit nicht entbehren. Man kann beobachten, daß bei derartigen Verhandlungen die einzelnen Redner ihre Worte und den dadurch vertretenen Standpunkt recht genau im Gedächtnisse zu behalten pflegen; keiner der versammelten ») 3121-
») 337 m.
>) 314 m. 1*
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Kritische Würdigung der benatzten Hauptqnellen etc.
Fürsten hatte es sich daher gefallen lassen, seine Worte in falschem Zusammenhange and einer seinem Standpunkte widersprechenden Weise aufgenommen zn sehen. So grobe, offenkundige Entstellungen hätte der Protokollführer auch gar nicht wagen dürfen. Solche werden dem Protokoll von den beiden anderen Berichten auch nicht zur Last gelegt. Außerdem lagen für den Protokollführer die besten Bedingungen vor, die Wahrheit zu erfahren und, abgesehen von der Tendenz, auch wiederzugeben. Er allein in der Versammlung hatte keine andere Tätigkeit, als zu hören und sich Notizen zu machen. Es war daher auch nicht möglich, in den offiziellen Berichten über die Verhandlungen Widersprüche oder Fehler zu entdecken. .Wo also eine tendenziöse Absicht nicht vorauszusetzen ist, Äußerungen zu verschleiern, die dem österreichischen Standpunkte zuwiderliefen, kann man das Protokoll als eine einwandfreie Quelle gelten lassen.
Kritische Würdigung des Berichtes in den „Denkwürdigkeiten" von Duckwitz. Der einzige Teilnehmer an dem Fürstenkongresse, der einen Bericht auf Qrund ausführlicher Tagebucheintragungen gegeben hat, ist Arnold Duckwitz, damals Bürgermeister von Bremen. Aus diesem Grunde sind seine »Denkwürdigkeiten so überaus wertvoll für die Geschichte des Frankfurter Fürstentages and von der größten Wichtigkeit für die Kritik der Darstellung in den Memoiren des Herzogs von Koburg. Duckwitz, der als Vertreter seiner Stadt den Beratungen in Frankfurt beiwohnte, verfaßte seinen Bericht in den ersten Monaten des Jahres 1870 auszugsweise aus dem Tagebuche, das er täglich abends während des Fürstenkongresses geführt
Kritische Würdigung des Berichtes bei Duckwitz.
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hatte.1) Sehr wünschenswert wäre es gewesen, dies noch ausführlichere Tagebach heranziehen zu können. Leider erhielt ich auf meine Anfrage bei dem Sohne des Dahingegangenen die Nachricht, daß das Tagebuch unter dem schriftlichen Nachlaß des Vaters nicht zu finden sei und man annehmen müsse, er habe es vor seinem Tode vernichtet Da der Inhalt des ganzen Buches ursprünglich nur zur Erinnerung für den Verfasser und seine Angehörigen dienen sollte2), so ist die Möglichkeit für einen trübenden Einfluß der Tendenz recht gering anzusetzen. Einen so unanfechtbaren und soliden Eindruck der Bericht auch macht, so ist er doch nicht ganz frei von gelegentlichen Versehen. Zwar erledigt sich der Einwand, den Hirschberg in seiner Dissertation über den Fürstentag auf S. 28 gegen die Angabe erhoben hat, daß der Kaiser am 15. August auf einer einfachen Equipage unbemerkt durch die Straße gefahren sei, durch Hinzuziehung der »Denkwürdigkeiten« von Hohenlohe-Schillingsfürst3); dagegen sind einzelne Unrichtigkeiten tatsächlich nachzuweisen. In der ersten Sitzung sollte der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin den Antrag gestellt haben, an den König von Preußen, »welcher sich in Baden-Baden aufhielte eine Deputation zu senden. Am 17. August befand sich König Wilhelm dort noch nicht, sondern traf erst am Abend des 19. August iji Baden-Baden ein. Dies Versehen ist wohl erst später, bei der zusammenfassenden Darstellung des Berichtes, hineingekommen. In den Verhandlungen kann von BadenBaden nichts vorgekommen sein; denn König Johann wollte sogar ursprünglich in München mit dem König von Preußen zusammentreffen. — Bei den vertraulichen Beratungen am 18. August werden von Duckwitz die Teilnehmer namentlich angeführt. Die Fürsten wären ') Duckw. 162, 149/50.
») Duckw. V.
») I, 128.
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Kritische Würdigung der benutzten Hauptquellen etc.
»mit ihren Ministem für auswärtige Angelegenheiten c erschienen.1) Von den anwesenden Ministern hatte jedoch keiner ausgesprochenermaßen das Amt eines Ministers des Auswärtigen, vielmehr waren die meisten Staatsminister.2) Altenburg und Waldeck sowie auch die übrigen dabei vertretenen Staaten werden wohl überhaupt keine besonderen Minister für auswärtige Angelegenheiten gehabt haben. Außerdem hieß der Minister von Waldeck nicht v. Holzhausen sondern v. Stockhausen, eine Verwechslung, die durch die Ähnlichkeit der ersten Namenshälften leicht erklärlich ist. — Bei der dritten Sitzung wird erwähnt, daß die Versammlung nach dem Berichte des Königs von Sachsen über seine vergebliche Mission an den König von Preußen »ohne weiteres zur Beratung der einzelnen Paragraphen der österreichischen Vorlage« übergegangen wäre.8) »Ohne weiteres« ist zuviel gesagt; denn an den Bericht des Königs von Sachsen knüpfte sich noch eine umfangreiche Debatte über die Bedeutung der Einzelabstimmungen. — Gegen Ende der Beratungen fand eine Kommissionssitzung im Bundespalais statt. Duckwitz selbst war nicht zugegen, sondern wurde durch Haller darüber unterrichtet. Er verlegt sie auf Sonntag, den 30. August, während sie das Tagebuch des Herzogs schon am Tage vorher verzeichnet. Am Sonntag und Montag Abend werden vom Herzog von Koburg Konferenzen beim König von Sachsen angegeben. Ernst II. hat an allen diesen Sitzungen teilgenommen. Außerdem ist dem Tagebuch des Herzogs unbedingte Glaubwürdigkeit zuzumessen, und auch in diesem Falle sind seine Angaben glaublicher. Die Zuverlässigkeit des Berichtes von Duckwitz ist also mit kleinen Einschränkungen zu verstehen. Alle Schilderungen und Angaben, die so ins Einzelne gehen, ') Duckw. 156 m. ') Vgl. das vorzüglich gearbeitete Register zu dem Herzoglichen Memoirenwerk. *) 1591-
Kritische Würdigung des Berichtes bei Döckritz.
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daß sie für die Wiedergabe ein sehr starkes Gedächtnis voraussetzen, werden mit einiger Vorsicht aufzunehmen sein. Dagegen sind allgemeine Urteile, überhaupt alles, was die Aufmerksamkeit in hohem Grade erregen mußte, wie das Verhalten des Kaisers zu Preußens Forderungen, in hohem Maße glaublich, weil eine entstellende Tendenz nicht vorauszusetzen ist. Übrigens hat Herzog Ernst die »Denkwürdigkeiten« von Duckwitz gekannt1), sie für seinen Bericht über den Frankfurter Fürstentag aber nicht herangezogen. Eine recht eigenartige und in manchen Partien, besonders in der Schilderung der großdeutschen Parteibewegung, sehr wertvolle Quelle besitzen wir in J. Fröbei, »Ein L e b e n s l a u f « . Bald nach seiner Rückkehr aus Amerika trat Fröbel in ein unbestimmtes, aber doch recht wirkungsvolles Verhältnis zur österreichischen Regierung, und als Vertrauter Schmerlings konnte er manchen tiefen Blick in das innere, intrigenreiche Getriebe der österreichischen Regierungsmaschine tun. Fröbels Gedanken waren es, die im Munde der ultramontanen Ratgeber des Kaisers diesen zu dem Frankfurter Unternehmen bestimmten. Er war leidenschaftlich an dessen Ausführung interessiert und setzte seine ganze Energie dafür ein. Über diese seine Tätigkeit für die österreichische Regierung und die Erfahrungen und Eindrücke, die er dabei sammelte, hat er gleichzeitig ausführliche Aufzeichnungen gemacht, was aus der Menge von genauen Zeitangaben und besonders aus folgender Stelle des-Werkes deutlich hervorgeht: »Und daß die Unterredungen, welche ich während der noch übrigen Dauer meines Verhältnisses zur Regierung überhaupt mit dem Grafen (Rechberg) gehabt, ganz bedeutungslos gewesen sein müssen, darf ich nachträglich aus dem Umstände schließen, daß meine Aufzeichnungen darüber nichts enthalten«.2) l
) I, 476, 560.
») II, 339.
g
Kritische Würdigung der benatzten Haaptqaellen etc.
Im sp&teren Alter bat Fröbel auf Grund derartiger Tagebücher, die ihm für einige Partien zur Verfügung standen, und nach dem Gedächtnis seine Memoiren geschrieben, die den Eindruck großer Glaubwürdigkeit und Solidität erwecken. Wenn er in dem für uns in Frage kommenden Berichte über die Entstehungsgeschichte des Fürstentages auch oft nur Bruchstücke der Ereignisse überliefert, so hat man dafür doch nie den Eindruck, daß er mehr gesagt hätte, als er wissen konnte. Dennoch nahm die Kritik das Werk nicht mit uneingeschränkter Anerkennung auf. Th. Tupetz, der es in der Historischen Zeitschrift rezensierte1), gelangte sogar aus Gründen, die vornehmlich der inneren Kritik entstammten, zu dem Ergebnis, daß man es nur mit Vorsicht benutzen dürfe. Demgegenüber wird die Zuverlässigkeit des Werkes durch Friedr. Uhl in der »Neuen Freien Presse« bestätigt. Dieser hatte damals eine leitende Stellung am »Botschafter« inne, zu dessen Mitarbeitern auch Fröbel zählte. Aus Uhls Aufsatz »Schmerling und die Seinen« mögen wegen der Schwierigkeit, ihn einzusehen, folgende Abschnitte hier Aufnahme finden: »Fröbel erhielt die Information von dem Minister des Auswärtigen Grafen Rechberg und dem Staatsminister Ritter v. Schmerling, mit welch letzterem er auch über die Aktion in Frankfurt ausführliche Beratungen gepflogen hatte.« — »Ich habe Fröbels Memoiren alle Anerkennung zuteil werden lassen. Im großen und ganzen mag er wohl selbst die verwickeltsten Intrigen durchschaut und dem Leser zum Verständnis gebracht haben; in Kleinigkeiten aber hat ihn sein Gedächtnis doch hier und da verlassen.« Uhl korrigiert in unwesentlichen Punkten die Aufzeichnungen Fröbels über das Eingehen des »Botschafters«, also eine Partie im »Lebenslauf«, für welche Fröbel offenbar keine Aufzeichnungen vorgelegen hatten, weil sie ') I, 68, 122; II, 72, 122.
Fröbel, Ebeling, R. Gen6e, Th. v. Bernhardi.
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mehr geschäftlichen als politischen Inhalts ist. Anders steht es aber mit Fröbels großdeutschen Bestrebungen, und es besteht kein Grund, die Zuverlässigkeit der Mitteilungen Fröbels hierüber anzuzweifeln. Ein weniger bekanntes Buch ist die B i o g r a p h i e B e u s t s von Ebeling, die einen gewissen Quellenwert besitzt und daher einige Beachtung verdient. Ebeling war ein sächsischer Archivar und konnte auch für sein Werk mannigfache Auskünfte politisch beteiligter Personen benutzen. Über den Fürstentag ist ihm, wie er angibt, von vier verschiedenen Seiten Material zugeflossen, die alle auf Zuverlässigkeit Anspruch machten.1) Beust selbst äußert sich über seine Biographie folgendermaßen.*) »Diese zwei Bände umfassende Biographie, in welcher viel schätzbares historisches Material zu finden ist, ging weder aus meiner persönlichen Inpiration noch aus meiner persönlichen Information hervor; vielmehr war beides das Werk befreundeter Personen in Sachsen.« Daneben bezieht das Buch hauptsächlich sein Material aus Zeitungen und Flugschriften und ist somit auch mit den Mängeln behaftet, die eine Benutzung derartiger Mittel in sich trägt. Da außerdem die persönlichen Informationen sich teilweise widersprochen haben, so ist es gar nicht verwunderlich, daß sich viele Irrtümer und Ungenauigkeiten in dem Werke finden. Daher ist das Buch nur mit großer Vorsicht, zur Anregung für neue Fragestellungen und mehr als Bestätigung für Angaben anderer Quellen zu benutzen. Reichliches Material zur Charakteristik des Herzogs von Koburg liefert R. Gen^e. Er war einige Jahre Redakteur des Herzogs an der offiziösen »Koburger Zeitung« und war kurz vor Beginn des Frankfurter Fürstentages in das Amt getreten. Da er in dem kleinen Städtchen Koburg vielfach mit Personen aus der Umgebung ') II, 55.
») Beust I, 836, Anm.
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Kritiache Würdigung der benatzten Hauptqnellen etc.
des Herzogs in Berührung kam und auch gelegentlich mit diesem selbst, so konnte er gut unterrichtet sein. Und in der Tat findet fast jede seiner Behauptungen auch von anderer Seite Bestätigung, sonst würde man vielleicht vermuten können, daß er unter dem Einflüsse des Stadtklatsches und wegen seiner persönlichen Erfahrungen als Beamter des Herzogs sieb parteiisch gegen ihn geäußert hätte. Auf Grund dessen, was er von dem Charakter des Herzogs wußte, ließ er sich jedoch bei dem Urteil über dessen Verhalten im Jahre 1866 Preußen gegenüber zu falschen Schlüssen verleiten, wogegen sich dann hauptsächlich die kleine Schrift Tempelteys richtete.1) Den ungünstigen Aussagen Genies würde man nicht allzuviel Vertrauen schenken können, wenn sie nicht durch die M e m o i r e n Th. v. B e r n h a r d i s bestätigt würden. Die Vorzüge dieses Werkes sind in dem Artikel Bernhardis in der Allgemeinen Deutschen Biographie2) gebührend gewürdigt worden. Indessen könnte man geneigt sein, zu glauben, daß sein Urteil über den Herzog von Koburg von einer gewissen Parteilichkeit nicht frei sei. Man muß dabei berücksichtigen, daß seine Aufzeichnungen unmittelbar nach den Ereignissen gemacht wurden; und da er im Verlaufe seines Verhältnisses zum Herzog recht schlechte Erfahrungen machte, so muß man ihm zugute halten, wenn seine Ausdrücke in der ersten Erregung zuweilen den sonst so ruhigen und objektiven Ton seiner Tagebücher vermissen lassen. Seine häufigen Ansätze zu einer Charakteristik des Herzogs sind deshalb höchst glaublich, weil die über den Raum von mehreren Jahren verstreuten Notizen ein einheitliches Charakterbild ergeben. ') Herzog Ernst und das Jahr 1866. •) Bd. 46, S. 430.
Die Entstehung des herzoglichen Momoirenwerkes.
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Die Entstehung des Herzoglichen Memoirenwerkes. Die erste Anregung zur Abfassung und Veröffentlichung von Memoiren erhielt der Herzog von Koburg zu Anfang der fünfziger Jahre durch den General v. Radowitz.1) Seit dieser Zeit trug sich Herzog Ernst mit dem Ge> danken und sammelte zu diesem Zwecke Briefe und Aktenstücke. Auch führte er vom Jahre 1856 an bis zu seinem Tode regelmäßig Tagebücher. Wie lebendig die Idee eines späteren Memoirenwerkes in ihm war, beweist eine Äußerung zu Th. v. Bernhardi. Der Herzog hatte ihm etwas über das Verhalten des Königs Friedrich Wilhelm IV. im Jahre 1854 erzählt und bei diesem Gespräche im August 1858 zu verstehen gegeben, »daß die Welt alle diese Dinge dereinst sehr genau erfahren werdet.2) Die sogenannten Tagebücher des Herzogs verdienen im Grunde wenig ihre anspruchsvolle Benennung. Sie sind lediglich Notizkalender mit Zeitangaben und Stichworten über das erledigte Tagesprogramm, ohne irgendwelche Details. Die Eintragungen besorgte der Herzog bis zum Jahre 1862 selbst, später mittels der Feder von Mitgliedern seiner Umgebung.3) Etwas ausführlicher scheinen in der Reihe der Tagebücher die Aufzeichnungen des Herzogs über den Fürstentag von Baden-Baden gewesen zu sein. Th. v. Bernhardi, der kurze Zeit nach dem Ereignisse den Herzog besuchte, wurde von diesem genau über die Vorgänge, die sich dort abgespielt hatten, unter») Ernst. H., Bd. II, 8. 63, 64, Anm. >) Th. v. Bernhardi m , 61. •) Vorstehende Mitteilungen verdanke ich der Gate des Herrn Archivars Dr. Krieg in Koburg.
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Die Entstehung des Herzoglichen Memoirenwerke«.
richtet. Am nächsten Tage schickte ihm Herzog Ernst seinen Privatsekret&r Bollmann, der ihm Aktenstücke und das Tagebuch zur Einsichtnahme überließ. Das Tagebuch gab die Erzählungen des Herzogs wieder.Derartige ausführlichere Auslassungen in den Tagebüchern stehen jedoch vereinzelt da, so daß für die weitaus meisten Partien des Werkes außer den gesammelten Aktenstücken nur jene mageren Notizen dürftige Anhaltspunkte für das Gedächtnis gewährten. Es ist bekannt, daß Professor Ottokar Lorenz bei der Abfassung des Werkes mitgewirkt hat. Die Tätigkeit dieses Gelehrten für die Memoiren des Herzogs läßt sich bis in das Jahr 1881 zurück verfolgen. Aus einer Anmerkung in dem Buche von Karl Jansen 2 ) geht hervor, daß Lorenz sich im Interesse des herzoglichen Memoirenwerkes an Samwer mit der Bitte um Material gewandt hat. Auf den Empfang von Aktenstücken bezieht sich sein Empfangsbekenntnis vom 15. August 1881, das Karl Samwer, dem Herausgeber und Bearbeiter des Jansenschen Werkes, bei der Durchsicht der Papiere seines Vaters in die Hände gefallen ist. Im Jahre 1882 ist das Werk bereits so weit gediehen, daß der Herzog einige Kapitel an Gustav Freytag zur Beurteilung übersenden kann, wenn die Arbeit auch noch nach keiner Richtung hin durchgesehen und vollständig ist3). Zu dieser Zeit hatte Lorenz noch nicht sein Verhältnis zu der Universität Wien gelöst, und so wandert die Arbeit von Koburg nach der Donaustadt und zurück. Bemerkenswert ist ferner, was über das Verhältnis zwischen dem Herzog und dem Gelehrten aus dem Briefe Ernsts II. vom 25. Juni 1882 hervorgeht. Es fällt nicht schwer, herauszulesen, daß Lorenz an der Gestaltung des Werkes tätigen Anteil nehmen durfte und seine Mit') Bernhardi II, 28. *) Schleswig-Holsteina Bofroiung, ed. Karl Samwer, S. 132. ») Briefwechsel, ed. Tempoltey, S. 292, d. 26. Juni.
Die Entstehung des Herzoglichen Memoiren Werkes.
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arbeit damals wenigstens noch nicht unbedeutend gewesen sein muß. Eine mündliche Besprechung mit Freytag über die Arbeit an den Memoiren fand im September des Jahres 1883 in Siebleben statt. Ais dann 1887 der erste und 1888 der zweite Band erscheint1), läßt Freytag durch den Herzog an Lorenz seinen Dank übermitteln. »Haben Hoheit die Gnade, auch Lorenz zu sagen,« schreibt er am 17. Dezember 1888, »daß er bei mir viel Ruhm und Dank erworben hat; er hat sich als ein treuer und guter Heller bewährte Freytag mußte also wohl von einem starken Einfluß Lorenzens auf die vorliegenden Bände des Werkes überzeugt gewesen sein. Anders freilich wird das Verhältnis durch Lorenz selbst und den Herzog dargestellt. Eine in mehrfacher Hinsicht interessante Notiz findet sich darüber bei C. Beyer2). Dieser hat ein längeres Gespräch des Herzogs unmittelbar darauf seinem Tagebuche anvertraut und es auch in seine Biographie aufgenommen. Laut Tagebucheintragung vom 13. April 1886 hat sich Herzog Ernst zu seinem Biographen folgendermaßen geäußert: »Hier in Nizza habe ich endlich Zeit gefunden, meine Memoiren zu vollenden. Ich habe in'der Regel von neun bis zwei Uhr gearbeitet. Ich habe mich selbstredend mit Zuhilfenahme meiner Tagebücher erst gründlich vorbereitet und dann alles dem Professor Lorenz, einem der tüchtigsten Historiker der Gegenwart, in die Feder diktiert, den ich mir zu diesem Behufe kommen ließ. Das nach meinem Diktat von ihm Niedergeschriebene habe ich des folgenden Tages wieder gelesen; dann trat es mir wie ein Fremdes entgegen. Ich habe sodann meine Verbesserungen und Ergänzungen angebracht, und nun erst wurde das Ganze ') Der dritte Band erschien 1889. Bald darauf wurde eine Bearbeitung des ganzen Werkes in einem Bande anter Weglassung der Urkunden, also eine sog. Textausgabe, veröffentlicht. *) Der Vorkämpfer deutscher Größe, Herzog Ernst II., S.97.
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Die Entstehung des Herzogliehen Memoiren Werkes.
fertig geschrieben. In meinen Memoiren habe ich überall die Quellen angegeben, wodurch sie Beweiskraft erhalten. Meine Memoiren werden eine neue diplomatische Geschichte ergeben. Gewisse Historiker machen Romangeschichte; sie legen sich alles so zurecht, wie sie es brauchen, und fragen nicht immer darnach, ob auch alles mit den Aktenstücken stimmt. Meine Aufzeichnungen dagegen sind streng auf Quellenarbeiten basiert, auf Tatsachen, deren Fäden meistenteils in meiner Hand ruhten. Ich habe aus Rücksicht auf Kaiser Wilhelm I. mit der Publikation bis nach seinem Tode gewartet; denn ich mußte eine große Anzahl von Briefen veröffentlichen, welche vom Kaiser an mich gerichtet sind. Ich habe mit dem Kaiser darüber gesprochen. Ich ging schwer an eine Publikation, weil ich fürchten mußte, es könnte einen Zusammenstoß geben; und das wollte ich vermeiden. Freilich habe ich mehr zum Ruhm des Kaisers gesagt als alle Historiker zusammengenommen; aber es kommen eben doch auch Sachen vor, deren Veröffentlichung dem Kaiser nicht gerade erwünscht sein dürfte, c Zuerst fällt auf, daß die Datierung dieser Tagebuchnotiz nicht richtig sein kann. Die Jahreszahl ist wohl durch einen Druckfehler entstellt. Es £ann nur 1889 gemeint sein; denn Herzog Ernst II. reiste in diesem Jahre am 12. März nach Nizza. 1888 kommt nicht in Betracht, da der Herzog um diese Zeit tief erschüttert von dem Tode des Kaisers in der Heimat weilte. In diesen Worten des Herzogs stellt sich sein Verhältnis zu Lorenz ganz anders dar als in den Briefen Gustav Freytags. Lorenz erscheint nach diesen mündlichen Äußerungen mehr als Sekretär, höchstens als Redaktor, nicht aber als persönlich an der Abfassung mitbeteiligt.1) i) Beachtenswert erscheint ferner an den Worten des Herzogs seine etwas bramarbasierende Art zu reden, seine Eitelkeit und Selbstüberhebung, die dabei zum Ausdruck kommt.
Die Entstehung des Herzoglichen Memoiren Werkes.
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Diese Auffassung findet ihre Bestätigung durch zwei Äußerungen von Lorenz selbst. Bei einer gelegentlichen Erwähnung des herzoglichen Memoirenwerkes merkt er an: >Ich nehme davon Gelegenheit, meine gänzliche Abweichung von den Ansichten und Urteilen dieses Werkes ausdrücklich hervorzuheben«.1) Und auch einem Satze im Nekrolog für den Herzog merkt man an, daß er in derselben Absicht geschrieben wurde, über sein Verhältnis zu dem Memoirenwerke aufklärend zu wirken.2) Leider schweigt die Stelle, die am besten imstande wäre, eine ausführliche und zutreffende Auskunft zu erteilen. Das Archiv in Koburg besitzt die Lorenzsche Korrespondenz, sieht sich aber genötigt, wegen »des sehr heiklen Charakters der Sache« jegliche Auskunft darüber und erst recht jegliche Einsichtnahme zu verweigern. Nach den zugänglichen Quellen zu urteilen, scheint Lorenz also beim Beginn der gemeinsamen Arbeit zu Anfang der achtziger Jahre stärker bei der Abfassung beteiligt gewesen zu sein. Später, als sich der Herzog mehr in die Handhabung der historischen Methode eingearbeitet hatte und größere Selbständigkeit entfalten konnte, ist jener immer mehr zurückgetreten, vielleicht auch, weil er vieles an dem Werke selbst nicht billigen konnte. So hat sich denn wohl im Laufe der Zeit eine Verschiebung des ursprünglichen Verhältnisses vollzogen. Und als gar nach dem Erscheinen des Werkes sich auch Angriffe gegen Lorenz als Mitbeteiligten richteten, hatte er nicht so ganz unrecht, alle und jede Beteiligung an den Memoiren abzuleugnen. Man kann sich also völlig dem Urteile Lorenzens im Nekrologe anschließen, um •) «Staatsmänner«, S. 142. *) »Er hat auch in seinen durchaus von ihm ausgearbeiteten, seiner eigensten und intensivsten Tätigkeit entsprossenen Denkwürdigkeiten darauf gehalten, < »Staatsmänner«, S. 308.
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Die Quollen des Berichtes Aber den Fflrstentag.
so mebr, als sich zeigen wird, wie tatsächlich die besonderen Eigentümlichkeiten der herzoglichen Denkwürdigkeiten in innigster Beziehung zu dem Charakter Emsts II. stehen, wie er von Zeitgenossen geschildert wird.
Die Quellen des Berichtes über den Fflrstentag. Sind die Nachrichten über die Entstehung des Werkes im allgemeinen dürftig, so gelingt es für den zugrunde gelegten Bericht über den Fürstentag, etwas genauer in die Werkstätte des herzoglichen Verfassers hineinzublicken. Wie der Herzog im Gespräche mit Beyer erwähnte, daß er überall seine Quellen zur Verstärkung der Glaubwürdigkeit und Beweiskraft angegeben habe, so ist er auch, diesem Prinzip getreu, hier bestrebt, in einem kurzen Absätze noch besonders auf das benutzte Material hinzuweisen. Der Herzog hätte sich gleich damals entschlossen, »durch sorgfältige Aufzeichnung aller Einzelheiten für die objektive Kenntnis der Nachwelt zu sorgen«.1) Dieser Satz würde an sich mehr auf die Zukunft und das vorliegende Memoirenwerk hindeuten. Da sich aber im darauffolgenden Satze das Demonstrativpronomen vor »Materialien« auf »sorgfältige Aufzeichnung« bezieht und diese Materialien in Verbindung mit den Erinnerungen des Herzogs zu dem Berichte erst verarbeitet werden sollen, so will der Abschnitt besagen, der Herzog hätte zu Beginn des Fürstentages den Entschluß gefaßt, in einem sorgfältig geführten Tagebuch das Ereignis in seinem ganzen Umfange festzuhalten und der Vergessenheit zu entreißen. Dies Vorhaben sei auch zur Ausführung gelangt und bilde mit seinen Erinnerungen die Quelle für die Darstellung in den Memoiren. Wenn man auch über die Dunkelheit und Zweideutigkeit der Ausdrucksweise hinwegsieht, so wird doch niemand vermuten, daß mit der »sorgfältigen Aufzeich') 307 ©.
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Die Quellen dee Berichtes über den Fflrstentag.
niing aller Einzelheiten* nichts weiter gemeint ist als das dürftige Tagebuch, welches im Anhange1) wiedergegeben ist. An anderer Stelle erscheint wiederum ein Ausdruck, der geeignet sein kann bezüglich des benutzten Materials irrezuführen. Es werden »aktenmäßige Beleget erwähnt, durch welche die Erinnerung des Herzogs unterstützt würde.2) Diese Ausdrücke sind in ihrer Unbestimmtheit darauf berechnet, beim Leser die Vorstellung zu erwecken, daß dem Herzog noch sehr umfangreiches Material außer den besonders angeführten Briefen und Berichten vorgelegen habe. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Der Herzog von Koburg hat sich bestrebt, alles Material von irgendwelcher Bedeutung für die Darstellung zu verwerten, und macht von seinem Prinzip des Zitierens ausgiebigsten Gebrauch. Im vorliegenden Falle auf S. 349V ist leicht zu ersehen, daß nur der kurze Brief der Königin von England der Gegenstand dieses vielversprechenden Ausdruckes ist; und dieser Brief gelangt auch auf der nächsten Seite zum Abdruck.
Das Tagebuch des Herzogs. Von persönlichen, für die Unterstützung der Erinnerung bestimmten Aufzeichnungen lag dem Herzog lediglich das Tagebuch vor. Diese kurzen Notizen über die Zeit des Fürstentages besitzen nur den Umfang von 18 kleinen Oktavseiten. Sie sind nach dem Diktat des Herzogs von Schreiberhand geschrieben und enthalten ausschließlich Angaben, die den Herzog selbst betreffen. Ereignisse, die er nicht miterleben, sondern nur hätte erfahren können, werden nicht verzeichnet. Die Eintragungen beziehen sich auch nicht auf politische Aktionen, sondern schildern die Ereignisse von einer rein persönlichen Seite. ') 8. 167 ff. ») 349 V. Historische Bibliothek. XXI.
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Die Quellen des Berichtes über den Fttrstentag.
Man könnte noch im Zweifel sein, ob das Tagebuch regelmäßig abends die Ereignisse des Tages verzeichnete oder gelegentlich geführt wurde und dann . den Inhalt einer Reihe von Tagen aufnahm. Letztere Annahme würde natürlich die Zuverlässigkeit erheblich vermindern. Man hat es hier mit einem täglich geführten Tagebuche zu tun, und zwar aus folgenden Gründen. Die Notizen sind in der Präsensform abgefaßt, einmal findet sich die Zeitangabe »heute«. Da diese Aufzeichnungen rein privater Natur waren, so lag für den Herzog kein Grund vor, sich und den Schreiber zu belügen, wenn Ereignisse früherer Tage wirklich sollten nachgeholt worden sein. Nach mehreren Tagen hätte der Herzog ferner nicht mehr eine solche Fülle von Besuchen, Namen und Zeitangaben aus dem Gedächtnisse diktieren können, ohne der Genauigkeit Eintrag zu tun. Und was hätte denn dieser Notizkalender überhaupt für einen Wert für den Herzog gehabt, wozu die Mühe, solche Eintragungen zu machen, wenn nicht die größte Genauigkeit Bedingung gewesen wäre? Es war also für den Herzog das natürlichste und bequemste, an jedem Abend dem bereitstehenden Sekretär einige Schlagworte in die Feder zu diktieren; denn es finden sich für jeden Tag Eintragungen von derselben Hand. Außerdem führte Herzog Ernst ja schon seit einer Reihe von Jahren ähnliche Tagebücher, mußte sich daher bereits eine gewisse Übung darin angeeignet haben und zu der Einsicht gelangt sein, daß er bei täglichen Diktaten am bequemsten und sichersten fahre. Der Herzog selbst muß das Tagebuch für sehr zuverlässig gehalten haben; denn er weicht nie, wenn er etwas daraus übernimmt, davon ab. Es besteht die Möglichkeit, die Aufzeichnungen des Herzogs an dem Protokoll und an den Niederschriften Chlodwig Hohenlohes zu kontrollieren, und es läßt sich> soweit ein Parallelismus besteht, kein Fehler im Tage-
Das »Tagebuch« des Herzoge.
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buch entdecken. Bei einem Vergleiche mit den »Denkwürdigkeiten« von Duckwitz läßt sich eine Differenz in zwei Punkten aufzeigen: das Lokal für die vertraulichen Beratungen vom 18. August und die Datierung der letzten Komiteesitzung im Bundespalais stimmen nicht überein. Da aber Duckwitz bei derartigen Einzelheiten nicht immer genau ist, so ist diese Abweichung kein Beweis gegen die Glaubwürdigkeit des Tagebuchs, für das also die vollste Zuverlässigkeit in Anspruch genommen werden muß. Von den Aktenstücken haben dem Herzog von Koburg die Berichte Franckes vom 13. und 17. Juni 1863 vorgelegen, die dank der Zugänglichkeit des Koburger Archivs mit den betreffenden Partien im herzoglichen Memoirenwerk verglichen werden konnten. 1 ) Ende Juni schrieb Herzog Ernst einen Brief an den Kronprinzen, dessen Konzept er jedoch für seine Darstellung nicht heranziehen konnte. 2 ) Augenscheinlich war es verloren gegangen. Dieser Schluß wird durch die Unmöglichkeit nahegelegt, die dem Herzog nicht gestattete, Genaueres darüber in seinem Werke mitzuteilen. Außerdem ist das Konzept dieses Briefes im Archiv nicht aufzufinden, während der Entwurf zum gleichzeitigen Briefe an König Leopold vom 29. Juni erhalten ist. Es wäre nun nicht völlig ausgeschlossen, daß Herzog Ernst, der auf dem Fürstentage von Geschäften überhäuft nicht zu ausführlichen Niederschriften die Zeit gefunden hatte, unmittelbar darauf zu Hause seine Erlebnisse und Eindrücke genauer schriftlich fixiert hätte; denn es fällt zuerst nicht ganz leicht zu glauben, daß er seine ausführlichen Gespräche mit dem Kaiser von Österreich und mit Rechberg nur aus der Erinnerung berichtet habe. Gegen diese Annahme sprechen aber zu gewichtige Gründe, um sie auch nur als möglich erscheinen zu lassen. ') 294.
») 2951
2S:
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Die Qaellen des Berichtes aber den Fürstentag.
Der Herzog war ein Mann der Gegenwart, der zu Ich kenne,« sagte Schmerling, >die preußischen Verhältnisse nicht gut genug, um darüber zu sprechen, Osterreich aber wären allgemeine Wahlen nicht förderlich.« HlstorlsAie Bibliothek. XXI.
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Kritische Einzeluntersuchungen.
noch nicht weit genug gediehen sei, um genauere Auskünfte geben zu können, daß ihm über das Wenige, was er erfahren hatte, wiederum nur Andeutungen gemacht worden seien1). Teils täuschte sich der Herzog über die Bedeutung dessen, was er zu wissen glaubte, teils suchte er die Empfänger seiner Briefe, um sie zu beeinflussen, in eine falsche Sicherheit zu wiegen. Dieser unkritische Zug seinen eigenen Wahrnehmungen gegenüber und dies souveräne Schalten mit den tatsächlichen Begebenheiten, um erstrebte Ziele zu erreichen, wird noch später begegnen. Es hat sich ergeben, daß die Darstellung der Reise nach Wien und ihres politischen Ertrages, fußend auf den Beobachtungen des Herzogs und den Niederschriften Franckes s ), in wesentlichen Zügen im Widerspruch steht mit den Briefen, die am Schluße die Schilderung zusammenfassen und ergänzen sollen. Die Gesamtdarstellung im Memoirenwerke von der Reise nach Wien ist also schlecht durchdacht und leidet in hohem Grade an dem Mangel einheitlicher Verarbeitung und Gestaltung. Die beiden Briefe sind als historisches Material wenigstens für die deutsche Frage wertlos. Diese Tatsache stimmt auch skeptisch ähnlichen Urkunden gegenüber, die so massenhaft in die Darstellungen eingeflochten sind. Noch eine Mitteilung" des Herzogs über seine persönlichen Erfahrungen auf der Reise nach Wien gibt zu Ausstellungen Anlaß. Wenn er berichtet, Schmerling wäre bei einem späteren Besuch bereits mit Vorahnungen erfüllt gewesen, »daß es ihm schwerlich gegönnt sein werde, einen unmittelbaren Anteil an der weiteren Entwicklung der Dinge in Deutschland zu nehmen«8), so ') Fröbel II, 251. »Der Herzog Ernst hatte Wien nach kurzem Aufenthalte wieder verlassen, ohne übrigens Genaueres erfahren zu haben. Die Kölner Zeitung berichtete: der Herzog sei in Wien za spät gekommen und habe die Kaiaerstadt unbefriedigt verlassen.« >) 290 - 2 9 4 . •) 293 V.
Die Einladung des Königs Wilhelm durch Kaiser Franz Joseph. 3 5
spielt ihm hierbei seine Phantasie einen Streich. Aus Fröbels Niederschriften wissen wir genau, daß Schmerling bis zum letzten Augenblick der Meinung war, er werde den Kaiser nach Frankfurt begleiten.1) Dem Herzog haben sich also hier die Ereignisse im Gedächtnisse verschoben. Was er aus einem spateren Stadium der Entwicklung wußte, übertrug er irrtümlicherweise auf ein früheres.
Die Einladung des Königs Wilhelm durch Kaiser Franz Joseph. Andere psychologische Motive mögen den Herzog von Koburg zu folgenden Angaben über den Besuch des Königs Wilhelm durch den Kaiser von Osterreich haben gelangen lassen, wenn er nicht durch seinen Gewährsmann getäuscht wurde. Wollte man den Angaben des Herzogs glauben, so wäre der Hergang folgender gewesen: Der Kaiser hätte den dringendsten Wunsch gehabt, sich mit König Wilhelm über die wichtigsten Fragen der Reform vor dem Zusammentritt der Fürsten zu verständigen. In Karlsbad war jedoch König Wilhelm nicht in der Lage, den Kaiser zu empfangen, und so wurde dieser durch irgendwelche unbekannten Umstände verhindert, den König früher als am 2. August in Gastein aufzusuchen. Bismarck dagegen (das erkennt der Herzog in schöner Unparteilichkeit an), der ja nichts von den *) Fröbel II, 261. »Schmerling, der mir das alles mitteilte (Ergebnisse der letzten entscheidenden Beratung vom 9. Juli aber die Einladungen com Fürstentag), war vergnügt und zufrieden, gegen mich in besonderem Grade freundschaftlich.« n , 258, d. 81. Juli. »Als ich von Wien abreiste, hatte Schmerling nicht gewünscht, daß ich den Grafen Rechberg davon unterrichtete. Der Staatsminister hatte geglaubt, daß er den Kaiser werde zu begleiten haben. Er erzAhlte mir später, daß er noch im letzten Augenblicke diesen deshalb befragt habe.< 3*
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Kritische Einzeluntersuchungen.
vergeblichen Bemühungen des Kaisers wissen konnte, hatte auch wieder subjektiv Recht, wenn er später den Vorwurf erhob, »Österreich habe keinerlei ernsten Versuch gemacht, sich mit Preußen über die Reformfrage vorher zu verständigen.«') Ganz anders freilich stellt sich die Sache in Wirklichkeit dar. Von preußischer Seite werden wir darüber informiert durch einen Brief Bismarcks an Roon vom 6. Juli 1863 aus Karlsbad, der beweist, daß von Seiten des Königs Wilhelm einer Zusammenkunft der Monarchen keine Hindernisse in den Weg gelegt wurden.8) Bismarck erklärt sich, falls er es ernst meint, das Ausbleiben des Kaisers falsch. Der eigentliche Grund war, daß der Beginn des Fürstenkongresses, der ursprünglich für Anfang Juli angesetzt war, von der österreichischen Regierung aus bisher noch unaufgeklärten Gründen um anderthalb Monate hinausgerückt wurde, und sich daher die Einladung König Wilhelms um über einen Monat verzögerte. Aus Fröbels Aufzeichnungen aber geht hervor, daß dem österreichischen Kabinett eine Verständigung mit Preußen nicht als Ziel vorschwebte.8) ') 296 iv., 2971') Bism. Jb. i n , S. 258. >Er (der König) wüncht, daß ich bei dem von Tag zu Tage erwarteten Besuch des Kaisers von öster» reich hier sei, und der fOrchtet durch Berührung mit mir seine eigenen Liberalen zu verletzen. Er hat sich vor 10 Tagen angemeldet, der König antwortete, daß ihm jeder Tag recht sei, und dabei ist es geblieben.« ') Fröbel II, 250. »In dem erwähnten Kabinettsrat (vom 9. Juli) wurde übrigens auch beschlossen, daß der Kaiser den König nicht in Karlsbad, sondern in Gastein besuchen und daß der Besuch nur ungefähr zehn Tage vor der Fürsten Versammlung stattfinden sollte.« Unmittelbar nach der Zusammenkauft der Monarchen in Gastein erhält Fröbel eine chiffrierte Depesche von der Wiener Regierung des Inhalts: >Die Reise Sr. Majestät nach Gastein hatte den Zweck, dem König Wilhelm die betreffende Einladung persönlich zu aberbringen.« S. 256.
Die Einladung des Königs Wilhelm dnrch Kaiser Franz Joseph. 37
Da die Schritte des Kaisers von Österreich, wie sie tatsächlich getan wurden, sich genau in der Richtung der Beschlüsse seines Kabinetts bewegen und daher notwendigerweise den Kaiser in Übereinstimmung mit seinen Bäten erscheinen lassen, so wäre nichts verkehrter, als Kaiser und Kabinett in dieser Frage zu trennen und zu glauben, Franz Joseph hätte persönlich Schritte unternommen oder unternehmen wollen, die eine Verständigung herbeizuführen geeignet gewesen wären. Eine andere Frage ist es, wie Herzog Ernst II. zu seiner als irrig nachgewiesenen Meinung gekommen ist, ob er durch den Brief Gagerns vom 7. Juli getäuscht oder durch die allgemeine Tendenz des Berichtes verleitet wurde, den Tatsachen, die er nicht besser wußte, eine solche Wendung zu geben. Für die Entscheidung kommt in Betracht, ob der Satz, der in die unzweifelhaften Äußerungen des Briefes eingefügt ist1), aus diesem entnommen ist oder nicht. Nach dem Zusammenhange im Texte zu urteilen, scheint es der Fall zu sein. Aber auch das Gegenteil läßt sich nicht ganz von der Hand weisen. In diesem letzteren Falle würde den Herzog der Vorwurf treffen, durch eine derartige Zwischenschachtelung den Anschein größerer Glaubwürdigkeit erweckt und im Interesse seiner Tendenz, welche die Vorstellung von der rücksichtsvollen Haltung des Kaisers Preußen gegenüber erwecken soll, den Tatsachen Gewalt angetan zu haben. Wenn aber Gagern diesen Brief so geschrieben hat, wie sein Inhalt in den Memoiren des Herzogs auf den ersten Blick entgegentritt, so war Gagern Entweder schlecht unterrichtet oder hatte irgendwelches Interesse daran, die Tatsachen zu entstellen; denn er berichtet zweifellos Falsches. Der Kaiser hatte sich elf Tage vor Gagerns Antwort für Karlsbad angemeldet und war, ohne einen Grund anzugeben, nicht erschienen. *) »Der König von Preußen« — — — bis >verständigt haben würde. < 296IV.
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Die Mission Sachsens.
Für die Gewinnung eines sicheren Urteils fällt hinderlich ins Gewicht, daß ursprünglich, wie aus verschiedenen Andeutungen hervorgeht, für die Benachrichtigung des Königs Wilhelm ein anderer Modus vorgesehen war, als er später vom Kaiser zur Ausführung gebracht wurde. So aber, wie er nach Gagerns angeblichen Mitteilungen geplant gewesen sein soll, kann er nie beabsichtigt gewesen sein. Ein so weites Entgegenkommen für den preußischen Standpunkt hatte nicht einmal Rechberg in seinen Gesprächen mit Francke in Aussicht genommen. Leider ist auch die letzte Möglichkeit verschlossen, ein sicheres Urteil über die Angelegenheit zu fällen und zu entscheiden, ob der fragliche, nicht wörtlich zitierte Zwischensatz dem Briefe Gagerns entnommen ist oder nioht. Dieser Brief Gagerns ist im Archiv zu Koburg nicht aufzufinden. Ist er für das Memoirenwerk benutzt worden, so wurde er nicht wieder dem Archive zurückgegeben und vernichtet. Im günstigsten Falle Hegt eine falsche Information des Herzogs durch Gagerns Brief vor, und es wäre für den Herzog ein leichtes gewesen, seine Kenntnis der Tatsachen an der Hand der Ereignisse, wie sie sich später tatsächlich gestalteten, zu korrigieren. Jedenfalls ist die Einführung eines so unzuverlässigen Briefes und das daran anknüpfende irrige Urteil des Herzogs nur geeignet, die Skepsis dem Werke gegenüber zu verstärken.
Die Mission Sachsens. Die 1. Sitzung im Protokoll und bei Dnckwitz. Drei Berichte erzählen über den Verlauf der ersten Sitzung, nämlich außer den Herzoglichen Memoiren die »Denkwürdigkeiten« von Duckwitz und das Protokoll. Diese weichen alle in den wesentlichsten Punkten von-
Die 1. Sitzung im Protokoll und bei Dackwitz.
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einander ab. Um daher einen sicheren Standpunkt dem Memoirenwerk Emsts II. gegenüber zu gewinnen, wird es vorerst nötig sein, sich mit den beiden letzteren Quellen auseinanderzusetzen. Gleich in den ersten Worten nach' den Beden des Kaisers und des Königs von Bayern zeigen sich gewichtige Unterschiede. Nach einigen Bemerkungen des Königs von Sachsen über die Beformakte stellt nach dem Bericht von Duckwitz1) der Kaiser den ersten Antrag, »daß die hohen Herren sich erklären wollten, ob sie die Vorschläge als Basis für eine nähere Beratung anzunehmen geneigt seien.« Davon erwähnt das Protokoll nichts. Im Gegenteil, es läßt diesen Punkt bei der Wiedergabe der Worte des Kaisers als vom König von Sachsen »bevorwortetc erscheinen.*) Ist es nun wahrscheinlich, daß der Protokollführer bei einem so wichtigen Antrag, der in den Verhandlungen einen ebenso breiten Baum einnimmt als der Antrag des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin, den Kaiser in dieser Weise ignorieren und ihn aus Gründen der Tendenz dem König von Sachsen in die Schuhe schieben konnte? Überhaupt muß die Möglichkeit derartiger starker Veränderungen im Protokoll, die aus tendenziösen Bücksichten hätten gemacht werden können, geleugnet werden, denn es wurde den Fürsten in der Sitzung vom 22. August vorgelesen und von ihnen beglaubigt. So ist der Spielraum für tendenziöse Veränderungen doch recht gering, und der Protokollführer wird um so eher der Wahrheit die Ehre gegeben haben, als er befürchten mußte, beim Verlesen durch Einwendungen der Fürsten sich Unannehmlichkeiten zu bereiten. Wohl zu verstehen ist es dagegen, wenn der Einwand des Großherzogs von Baden8) nicht ins Protokoll aufgenommen wurde, weil die geäußerten Bedenken nicht im Einklang mit der offiziellen Auf') Duckw. 163.
«) Prot. 801-
*) Duckw. 153, Z. 11.
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Die Mission Sachsens.
fassung standen, welche die Ansicht vertrat, daß die Fürsten ohne Hinzuziehung ihrer Minister über das Reformwerk beraten sollten. Über die Anträge des Königs Johann von Sachsen gehen die beiden Quellen wiederum stark auseinander. Nach Duckwitz macht dieser den Vorschlag, man solle in das Einladungsschreiben an König Wilhelm die Erklärung aufnehmen, daß man die vorgelegte Reformakte bereits als Grundlage für die Detailberatungen angenommen habe, und der Kaiser fügt dann hinzu, daß man sich entschließen solle, auch im Falle einer Ablehnung Preußens die Beratungen fortzusetzen. Dagegen läßt das Protokoll diesen Antrag des Kaisers gleichfalls vöm König von Sachsen ausgehen, erwähnt aber nichts von einem Wunsche König Johanns, die beiden von ihm gemachten Vorschläge in das Einladungsschreiben an König Wilhelm aufgenommen zu sehen, so daß diese nur die Bedeutung von prinzipiellen Vorfragen für die Beratungen erhalten.1) Als solche erscheinen sie denn auch wieder, als der Kaiser die Bereitwilligkeit der Versammlung konstatiert, einen gemeinsamen Schritt beim König von Preußen zu unternehmen und sich auch die Vorschläge des Königs von Sachsen anzueignen.2) Von der Verhandlung über diese Formfragen, die im Protokoll einen breiten Raum einnimmt, und an deren positive Erledigung das Promemoria vom 21. August anknüpft, erfahren wir durch Duckwitz fast gar nichts. Hier dreht sich die ganze Verhandlung nur um die Einladung des Königs Wilhelm. Der Unterschied zwischen beiden Berichten stellt sich als so erheblich dar, daß eine Kombination unmöglich ist. Hätte Duckwitz die Vorgänge getreu überliefert und hätte er Recht mit seinem Bericht von der ersten Sitzung, so wäre das Protokoll so fehlerhaft, daß es von ') Prot. 791
») Prot 801-
Die Beratung über die Einladung des Königs etc.
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den Fürsten sicherlich nicht hätte beglaubigt werden können. Es ist also auch hier kein Grund vorhanden, von den eingangs aufgestellten methodischen Grundsätzen für die Benutzung dieser beiden Quellen abzuweichen.
Die Beratung über die Einladung des Königs in der Darstellung des Herzogs von Koburg. Die Aufnahme des Satzes von der angenommenen Grundlage in das Einladungsschreiben war der unverkennbare Ausdruck dafür, daß die große Mehrheit der Fürsten Preußen nicht auf alle Fälle und um jeden Preis zu den Verhandlungen hinzuziehen wollte. Denn indem man zu verstehen gab, Preußen werde den Fortgang der Beratungen durch sein Ausbleiben tatsächlich nicht hindern können, war damit die mögliche Annahme ausgeschlossen, daß man gesonnen gewesen wäre, Preußen einen derartigen, seiner Macht entsprechenden Einfluß einzuräumen. Es war damit ausgesprochen, Preußen sei kein so bestimmender Faktor im Bunde, um durch das Versagen seiner Teilnahme reformatorische Unternehmungen der übrigen Fürsten unmöglich zu machen. Wäre also Preußen auf diese Einladung hin erschienen, so hätte es dadurch dieser Auffassung beigepflichtet. Dies empfindet auch der Herzog von Koburg, und so ist die Absicht seiner Ausführungen, zu erklären, wie es zu der Erwähnung der bereits angenommenen Basis in dem Einladungsschreiben gekommen ist, einer diplomatischen Ungeschicklichkeit, die er scharf tadelt; und zugleich will er die Fürsten und mit ihnen sich selbst dafür entschuldigen. Er kann dies nicht besser, als diesen mehr durch ein Versehen entstandenen Mißgriff, — wie er es betrachten möchte — zum Teil dem Protokollführer zur Last zu legen, zum Teil auf ein Mißverständnis der Fürsten zurückzuführen.
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Die Mission Sachsens.
Die Motivierung durch ein mißverständliches Versehen bei den Fürsten besitzt so wenig Glaubwürdigkeit, daß sie sehr bald stutzig werden läßt. Man fragt sich vergebens, warum der Herzog, der allein Klarsehende, in der ersten Versammlung nichts dazu beigetragen hat, um diesen verhängnisvollen Irrtum aufzuklären, denn er entschuldigt sich ja, es in der Nachmittagssitzung nicht getan und eine Veränderung des Schreibens dadurch nicht herbeigeführt zu haben. Auch hätten die Fürsten noch am Nachmittage, als der Entwurf des Schreibens verlesen wurde, reichliche Gelegenheit gehabt, ein solches Versehen zu bemerken und zu korrigieren, und wirklich wurde noch in einem unbedeutenden Punkte eine Änderung eingeführt.1) Des anderen greift der Herzog die Zuverlässigkeit des Protokolls an und schreibt ihm zu, unrichtigerweise die Zustimmung der Fürsten zu den Worten des Kaisers auch auf die Äußerungen Sachsens und Bayerns bezogen zu haben2), von denen er berichtet, daß sie diese Worte auch dem König Wilhelm mitgeteilt wissen wollten. Wenn dies auch der Fall gewesen wäre, was hätte es weiter zu bedeuten gehabt? Der Protokollführer saß in den Verhandlungen nur als stumme Figur da und machte sich Notizen. Von dieser Seite also konnte die Aktion in keiner Weise beeinflußt werden. Und doch kann seine Einführung in die Schilderung nur so gedeutet werden, daß es zum Teil seine Schuld gewesen sei, wenn das Einladungsschreiben an König Wilhelm in dem gerügten Sinne abgefaßt wurde. Wie wenig muß also der Herzog diesen Bericht durchdacht haben, und wenn ihm das Haltlose dieser Behauptungen selbst zum Bewußtsein gekommen ist, wie viel muß er da der Gutgläubigkeit des Lesers zugemutet haben I Das Merkwürdigste an dieser Einführung des Protokollführers aber ist die Tatsache, ') Duckw. 155 u-
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daß die Angabe von der willkürlichen Beziehung im Protokoll völlig aus der Luft gegriffen ist. Die im herzoglichen Memoirenwerk angeführten Worte des Kaisers erscheinen im Sitzungsberichte ohne jeden inneren Zusammenhang mit der Einladung des Königs von Preußen: Die Versammlung hat sowohl dem Vorschlage zugestimmt, »einen gemeinsamen Schritt beim König von Preußen zu tun«, sowie sie sich auch den Formfragen gegenüber zustimmend verhalten hatte, daß sie den ihr vorgelegten Entwurf einer Reformakte als Grundlage angenommen und beschlossen habe, auch im Falle der Nichtbeteiligung des Königs von Preußen diese Beratungen fortzusetzen«.1) Die wahrscheinlichste Erklärung für den Irrtum des Herzogs ist die, daß er sich nachträglich im Protokoll verlesen hat. Erst auf die ausdrückliche Frage des Großherzogs von Baden wurde durch eine erneute Abstimmung der Versammlung die vom Herzog gerügte Verbindung geschaffen. Diese Tatsache wiederum bestätigt, was bereits über das irrtümlicherweise behauptete Versehen der Fürsten gesagt worden ist. Was den strittigen Antrag des Königs von Sachsen anbetrifft, so nimmt darin das Werk des Herzogs eine Zwischenstellung ein, die manches Wahrscheinliche für sich hat. Nach den Angaben des Herzogs von Koburg erwähnt König Johann, die angenommene Basis müsse dem König Wilhelm zugleich (mündlich) mitgeteilt werden. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der König von Sachsen diese Bemerkung seinem Hauptantrag, wie er sich im Protokoll darstellt, hinzugefügt hat. Und in einer kurzen Besprechung im Anschluß an diese Bemerkung hätte vielleicht die Meinungsverschiedenheit hervorgetreten sein können, von der Herzog Ernst spricht.2) Zwar kommt eine solche im Protokoll und auch in der ') Prot. 801
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Darstellung bei Duckwitz nicht irgendwie zum Ausdruck, und wenn sie ernstlicher gewesen wäre, so hätte wohl energischer Widerspruch von irgendeiner Seite die Auslassung des umstrittenen Passus durchgesetzt. Auch an die Möglichkeit, die Unterschrift zu verweigern, muß gedacht werden, wenn sie der Herzog auch nicht recht gelten lassen will. Jedenfalls ist man, ob nun abweichende Meinungen zu Worte kamen oder nicht, bald zur Behandlung der Formfragen übergegangen, und zum Schluß erst fand die Beratung über die Ausführung des Schrittes beim König von Preußen statt. Hatten jedoch die preußenfreundlichen Fürsten ihrer abweichenden Meinung über die Erwähnung der Basis bei der Einladung stärkeren Ausdruck verliehen, so war die allgemeine Aufmerksamkeit erst recht auf die Bedeutung dieses Antrages gelenkt worden, und dann mußte es jeder, besonders die Gruppe der Minorität, merken, daß mit der Aufnahme der »als Kautelen bezeichneten Sätze in das Einladungsschreiben« die Ausführung noch verschärft wurde und die Adresse einen noch weniger einladenden Charakter erhielt. Will man eine ausgesprochene Meinungsverschiedenheit der Fürsten gelten lassen, die eine Bemerkung des Königs Johann im Anschluß an seinen Antrag zur Voraussetzung hätte, so wird sich der Einspruch der preußenfreundlichen Fürsten wegen der Erfolglosigkeit ihrer Bestrebungen recht schüchtern geregt haben. Im Innern der Versammlung war sie allerdings schon in ihrer ganzen Schärfe vorhanden; das zeigt die Inkongruenz der von einigen Fürsten geplanten und von der Gesamtheit zur Ausführung gebrachten Schritte beim König von Preußen. Insofern hat also der Herzog recht. Übrigens muß gesagt werden, daß er die Bedeutung des Satzes, der im Einladungsschreiben auf die angenommene Grundlage hinweist, stark überschätzt. Von weit größerem Einfluß auf die Wirksamkeit der Aktion war die Frage, ob eine Deputation dem König von Preußen die Ein-
Die Beratung über die Einladung des Königs etc.
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ladung der Fürsten überbringen sollte oder ob ein Fürst allein von der Versammlung damit betraut wurde. Es bestand unter den Fürsten, welche auf dem Fürstenkongresse für die preußische Sache zu wirken sich bemühten, die Absicht, die Form der Deputation zu wählen1,) und man hatte verabredet, diesen für das Gelingen günstigeren Weg einzuschlagen. Als Haupt dieser Deputation hätte zwar der Großherzog von Baden, wenn man aber einen König damit betrauen wollte, schon aus rein persönlichen Rücksichten nur der König von Sachsen in Betracht kommen können. Letztere Möglichkeit wurde auch erwogen, und zwar höchst wahrscheinlich ebenfalls von der Gruppe, die Preußens Anschauungen näher stand; denn Chlodwig Hohenlohe, der dies berichtet, stand gerade mit diesen Fürsten in näherer Berührung.8) Daß unter den Fürsten, die sich mehr an Osterreich anschlössen, eine regelrechte Gegen Verabredung bestanden hätte, nur den König Johann allein zum König Wilhelm zu senden, ist nicht recht glaublich.3) Diese Fürsten werden sich vorher überhaupt weniger um die Frage gekümmert haben. So erscheint die Beauftragung des Königs von Sachsen ohne eine Deputation mehr als ein Resultat der Verhandlung. Der Kaiser Franz Joseph machte den Vorschlag4), und da diesem sicherlich so') 3031", 311V, Duckw. 1521 *) Hohenl. I, 129. »Man spricht davon, eine Fürstendeputation mit dem König von Sachsen an der Spitze nach Baden zu dem König von Preußen zu schicken.« *) 312 m *) Prot 80 Die Angabe von Duckwitz, daß der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin diese Anregung gegeben habe (163° ), ist unglaubwürdig. Dieser Fürst, der überhaupt mehr der kleineren preußenfreundlichen Gruppe angehörte, hatte zuerst eine Deputation beantragt. Ist es nun wahrscheinlich, daß der Großherzog dem König von Sachsen, der sich (nach Duckw.) soeben so ungünstig geäußert hatte und sogar noch selbst den Gedanken der Deputation beibehielt, die Übergabe des Einladungsschreibens ohne eine Deputation von der Versammlung übertragen wissen wollte?
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Die Mission Sachsens.
gleich eine Menge Fürsten zustimmten, wird die schwache Stimme der um Baden gruppierten Fürsten wiederum nicht recht zu Worte gekommen sein. Außerdem pflegt sich wohl überhaupt in ersten Sitzungen Widerspruch aus Höflichkeit oder Befangenheit nicht allzu stark zu äußern, besonders einem Kaiser gegenüber. Zweifellos irrig ist aber die Angabe des Herzogs, König Wilhelm hätte sich zur Zeit der Eröffnung des Kongresses in Baden-Baden aufgehalten1), ein Irrtum, in den auch Duckwitz verfällt. Wie durch mehrfache Zeitungsnotizen und durch P. Hassel2) völlig außer Frage gestellt wird, traf König Wilhelm erst am Abend des 19. August in Baden-Baden ein. Yertr&uliche Beratungen. Beim Berichte über die Konferenzen, die während der Abwesenheit des Königs von Sachsen gruppenweise von den Fürsten abgehalten wurden, begleitet den Bericht des Herzogs nur die Erzählung von Duckwitz. Und da diese in Einzelheiten auch nicht immer genau ist, entsteht die größte Schwierigkeit, die Angaben des herzoglichen Memoirenwerkes zu kontrollieren. Die Partie darin über die vertraulichen Beratungen am 18. August erweckt mehr als andere den Eindruck, als hätte der Herzog außer den bereits festgestellten noch eine andere Quelle dafür benutzen können. Man entschließt schwer sich anzunehmen, daß er die Menge Namen, i) 81Siv. ') »König Albert als Kronprinz« 8.187. »König Jobann hatte bereits die Vorbereitung zu einer Beise Ober Stattgart nach Manches getroffen (wo sich König Wilhelm bei Königin Marie befand), als er ein in sehr verbindlichen Worten abgefaßtes Handschreiben der Königin Augusta erhielt, die ihn nach Baden-Baden einlud. Am Nachmittag des 19. Aagnst traf der König dort ein, während die Ankunft Wilhelms I. durch einen Besuch bei der KöniginWitwe Elisabeth in Wildbad sich bis zum Abend verzögerte.«
Vertrauliche Beratungen.
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die er angibt, besonders aber die Notiz von dem Hinzutritt des Ministers Keyser von Sondershausen1) zur Ministerberatong lediglich aus dem Gedächtnis geschöpft habe. Schwer in Einklang mit obiger Annahme läßt sich dagegen die übergroße Dürftigkeit dessen bringen, was der Herzog aus der ersten Beratung selbst mitteilt, wenn er in seinem Berichte über die Ministerkonferenz auch scheinbar ausführlicher wird. Fühlte man sich dennoch gedrungen, eine neue Quelle anzunehmen, so wäre zuerst an das Protokoll zu denken, das der Minister von Seebach geführt haben soll. Aber dies befindet sich in keinem der herzoglichen Archive, und da nicht anzunehmen ist, daß es nach der Benutzung für die Memoiren vernichtet wurde, hat es sich auch schwerlich jemals dort befunden. Diese Möglichkeit kann also wohl als erledigt gelten, um so mehr, als mehrere der angeführten Namen falsch geschrieben sind. Es muß heißen: v. Rötfing, Duckwitz (ohne Adelsprädikat) und Keyser.2) Wie der Herzog diese drei Namen angibt, kann er sie nicht im Protokoll gefunden haben, denn es ist für einen Protokollführer, besonders im Verkehr mit Fürstlichkeiten, unbedingte Anstandspflicht, die Namen richtig wiederzugeben. Die Kenntnis der Namen verdankt der Herzog einer offiziellen Aufzählung aller in Frankfurt erschienenen Fürstlichkeiten und Minister, die damals an die Teilnehmer verteilt worden war und sich noch jetzt im Archiv befindet. Diese wird er wohl bei seiner allgemeinen Vorbereitung für das Diktat des Berichtes durchgesehen und dann die Namen aus dem Gedächtnis diktiert haben. ') 315 ii*) Dies gebt aus dem Register hervor, das von Ottok. Lorenz oder einem seiner Schaler, jedenfalls nicht vom Herzog Ernst selbst hergestellt ist; denn es gibt auf Grund anderweitiger Quellen, soweit es möglich ist, viel genauere Angaben Ober die Namen, Berufe und Titel, als es im Text geschieht, und verbessert auch gelegentliche Fehler, wie im vorliegenden Falle.
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Kritische Einzeluntersachungen.
Bei der Aufzählung der Namen findet sich im Vergleich zu der bei Duckwitz eine Abweichung. Der Herzog von Koburg führt als Begleiter des Fürsten zu Waldeck den Vizepräsidenten Winterberg an, während Duckwitz in derselben Eigenschaft Herrn y. Holzhausen nennt. Ganz recht hat schon aus äußeren Gründen keiner von beiden; denn der offizielle Bericht verzeichnet als Begleiter des Fürsten zu Waldeck nach Frankfurt den Herrn v. Stockhausen und den Regierungspräsidenten Winterberg. Eine starke Abweichung zeigen beide Quellen, Duckwitz und Herzog Ernst, in der Lokalisierung der ersten Beratung. Der Herzog behauptet übereinstimmend mit seiner Tagebucheintragung, daß diese Beratung der Fürsten und Minister in seiner Wohnung stattgefunden habe, während Duckwitz sie in die Wohnung des Großherzogs von Baden verlegt. Größere Glaubwürdigkeit ist hier der Angabe des Herzogs beizumessen, wenn auch eingestanden werden muß, daß eine sichere Entscheidung darüber nicht möglich ist. Für den Herzog spricht, daß es schwer einzusehen ist, wie sich jemand geirrt haben könnte, der am Abend nach dem Ereignisse diktiert: »Fürsten- und Ministerkonferenz fand heute bei mir zu Hause statt«.1) Auch der Versuch, diesen Tag nach den Angaben des Tagebuchs chronologisch aufzuteilen, spricht eher für die Angabe des Herzogs: Früh von 8—9 Uhr Frühstück zu Hause. Um 12 Uhr die fragliche Konferenz, darauf die Audienz für den Grafen Rechberg und dann ein gemeinschaftliches Diner mit dem Großherzog von Baden wiederum in der Wohnung des Herzogs. Dagegen ließe sich einwenden, daß die Anregung und wohl auch die Einladung zu dieser Beratung vom Großherzog von Baden ausging. Duckwitz berichtet über ein ') Notizbuch, s. im Anhang.
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Vertrauliche Beratungen.
darauf bezügliches Gespräch mit dem Großherzog vom 17. August.1) Außerdem leitete dieser die Verhandlung und stellte die Anträge.2) Auch tagte am Abend die Ministerkonferenz beim badischen Minister v. Roggenbach, und so ist es auch sehr wahrscheinlich, daß dieser schon in der Mittagskonferenz das Protokoll geführt hat und nicht v. Seebach.3) So charakterisiert sich also das ganze Unternehmen als ein badisches. Die einzige Annahme, zu der man sich gedrängt sieht, wenn man dennoch das Lokal beim Herzog von Koburg beibehalten will, ist die Möglichkeit, daß der Großherzog von Baden aus irgendeinem Grunde den konferierenden Fürsten und Ministern seine Wohnung nicht hat zur Verfügung stellen können und daher S. M. der König von Hannover . . . erinnerten daran, daß ein allgemeiner Vorbehalt, demnächst in
Unrichtigkeiten im Bericht Ober die offiziellen Beratungen. 57
Im Berichte über die vierte Sitzung fällt sogleich die unrichtige Angabe über die Zahl der Stimmen im Direktorium auf, mit denen es nach den zur Beratung stehenden Anträgen ausgestattet werden sollte. In dieser Sitzung handelte es sich nur um fünf oder sechs Stimmen. Erst am 29. August in der neunten Sitzung wurche ein Antrag auf Hinzufügung einer siebenten Stimme eingebracht. Die Eventualität von neun Stimmen kam jedoch nie in Frage. Dagegen wurde die Idee eines dreiteiligen Direktoriums erwogen, wovon der Herzog nichts erwähnt. Ebenso unrichtig ist, daß der König von Hannover ein so feines System von Wahlmodalitäten ausgesonnen hatte, sondern er empfahl in seinem Antrage die Annahme der Fassung im österreichischen Entwürfe, nachdem der Kaiser dem betreffenden Paragraphen der Reformvorlage noch einige erläuternde Erklärungen hinzugefügt hatte. Vom König von Hannover selbst rührt nur die Modiiikation her, die sich auf das Stimmrecht der Fürsten der Reservedivision bezieht.2) Auch sollte dieses Wahlsystem nicht den fünften oder siebenten, sondern den vierten und fünften Bundesdirektor einführen. Eine kleine Ungenauigkeit ist im Bericht über die Beratungen für die Rolle der Standesherren zu korrigieren.8) Der heftige Widerstand gegen den darauf bezüglichen Artikel der Reformakte war in der sechsten, nicht in der siebenten Sitzung hervorgetreten.1) In der siebenten, wurde die Frage vertagt und in der achten Sitzung in negativem Sinne erledigt.5) Bedenklicher erscheint eine Verwechslung, die dem Herzog von Koburg bei der Inhaltsangabe des östereiner schließlichen Gesamtabstimmung die letzten Erklärungen abzugeben, von der Konferenz zugelassen worden sei.« •) 323 i n o. » Prot. 137 HI,
») Prot 9 1 Hl. 143"-
») 329 ni.
«) p r o t 123.
Kritische Einzeluntersuchungen.
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reichischen Promemorias vom 28. August untergelaufen ist, wenn man sie überhaupt als eine solche nehmen kann. 1 ) Die Überschrift des Promemorias »Über die Bedeutung der Schlußabstimmung« wird richtig wiedergegeben, nur fallt schon bei bloßer Lektüre dessen, was den Inhalt dieses Aktenstückes bilden soll, auf, daß dieser Inhalt gar nichts mit der Überschrift zu tun hat. Und in der Tat wird auch nicht der Gedankengang des Promemorias vom 28. August, sondern des vom 31. August über den »sofortigen Zusammentritt von Ministerialkonferenzen« wiedergegeben.2) Die wörtlichen Entlehnungen sind so stark, daß fast jeder Ausdruck in dem Prom. vom 31. wiederzufinden ist. Ein Zweifel an der Tatsache dieser Verwechslung ist also nicht möglich. Ebensowenig aber auch eine Erklärung dafür, besonders, weil die Überschrift dem richtigen Aktenstück angehört und beide Promemorias sich an ganz verschiedenen Stellen des Protokolls befinden. Als Folgeerscheinung dieser Verwechslung wird nun auch der folgende Absatz ganz schief. Die Reden der Teilnehmer sind richtig aus dem Protokoll wiedergegeben, aber der Satz aus dem Promemoria ruht natürlich auf den falschen Voraussetzungen. In der Schilderung der Ereignisse am 31. August fehlt nun die Erwähnung eines österreichischen Promemorias, und da an diesem Tage tatsächlich eine sehr kritische Stimmung unter den Fürsten herrschte, und zwar wegen des österreichischen Antrages über den sofortigen Zusammentritt von Ministerkonferenzen 3 ), so muß zur Motivierung dieser Erregung die offizielle Zusammenstellung im Berichte des Herzogs herhalten. 4 ) Es ist möglich, daß der plumpe diplomatische Kniff Rechbergs, wenn er überhaupt so aufzufassen ist, wie dies der Herzog tut, die Erbitterung, die über das österl
) 330 n. ») Prot. 167. ') Duckw. 165i) 334Ii- vollst, abgedr. bei Schultheiß, Europ. Geschichtskalender. 4
Unrichtigkeiten im Bericht über die offiziellen Beratungen. 5 9
reichische Promemoria vom 31. herrschte, noch gesteigert hat. Doch der österreichische Versuch, vor einer Aussprache mit Preußen die Reformakte durch Ministerkonferenzen völlig fertigzustellen, muß als der bestimmende Zug dieses Tages angesehen werden. Es ist sogar möglich, daß der Nachtrag zu der offiziellen Zusammenstellung dennoch seine Richtigkeit hat und dieser nicht erst durch die Reklamation des Herrn v. Seebach mit falschem Datum herausgegeben wurde. Am Sonntag den 30. August mußte das österreichische Kabinett noch glauben, daß die nächste Kongreßsitzung am Montag dem 31. stattfinden würde, denn sie war ursprünglich auf diesen Tag anberaumt worden. Infolge der Aufregung über das Promemoria vom 31. wurde sie aber auf den Dienstag verschoben. 1 ) Daß eine solche Verlegung wirklich stattgefunden hat, ist schon deswegen sehr wahrscheinlich, weil sonst ein sitzungsfreier Werktag wie der 30. außergewöhnlich und wegen des allgemeinen Verlangens nach Beendigung der Beratungen unerklärlich wäre. Es ist also nicht richtig, wenn der Herzog meint, die Sitzung, von welcher die Note spricht, sollte ursprünglich erst am 1. September stattfinden.2) Wenn die Note wirklich auf die Reklamation des Ministers v. Seebach sollte geschrieben worden sein, so hatte sich das österreichische Kabinett doch besser der wirklichen Lage anzupassen verstanden, als der Herzog nachträglich behauptet, weil ihm in einem Punkte die Erinnerung versagt. Sicherer auf ihre Gründe lassen sich die Verschiebungen zurückführen, die in der letzten Sitzung beim Bericht über die Direktorial frage auftreten. Dem Herzog ist es hier nämlich darum zu tun, seine wahre Stellung ') Duckw. 1651. u. Es ist nicht ganz sicher, ob das Promem. am 31., nach der Ansetzung des Datums im Staatsarchiv (167), oder am 30. verteilt wurde, wie es aus Duckw. hervorgeht. •) 3351. o.
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Kritiache Einzel Untersuchungen.
zu verschleiern. Als nach dem Antrage des Großherzogs von Baden, die Bestimmung über das Präsidium aus dem Entwürfe wegzulassen, Odenburg, Weimar und Waldeck sich dahin erklärten, daß man auch jetzt noch die Diskussion über diese Bestimmung ausgesetzt sein lasse, ergriff der Herzog von Koburg das Wort, um auseinandersetzen, daß jetzt »notwendig in irgendeiner redaktionellen Form die Art, wie der Vorschlag des Entwurfes von der Konferenz behandelt worden sei, erkennbar gemacht werden müsse«.1) Er steht also hier nicht auf seiten der badischen Partei, sondern nähert sich eher, wie auch aus seiner Abstimmung hervorgeht, der Stellung der Mittelstaaten. Dies darf natürlich in der Darstellung nicht hervortreten, weil er immer bestrebt ist, sich als Verfechter des preußischen Standpunktes hinzustellen, und so verschweigt er seine Rede vor der des Königs von Sachsen ganz und stellt es sohin, als ob König Johann gleich den Großherzogen opponiert habe. So ist es auch wenig glaublich, daß von seiten des Herzogs Äußerungen gefallen sind, die der offiziellen Anffassung wenig entsprachen und die das Protokoll verschwiegen haben sollte. Schon deshalb ist dies nicht anzunehmen, weil sein Antrag, wenn er überhaupt so aufgefaßt werden sollte, wie es der Herzog im Gegensatz zum Protokoll behauptet, eine Verständigung herbeiführen wollte, und man sich zu diesem Zwecke gewöhnlich nicht noch durch polemische Worte den Weg dazu erschwert.
Ungenauigkeiten in den Zahlenangaben. Nach der Art, wie der Herzog von Koburg das Protokoll benutzt, ist es nicht zu erwarten, daß er Kleinigkeiten und nebensächliche Zahlenangaben mit großer Genauigkeit behandelt. Der Irrtum in der Datierung ») Prot. 159 o.
Ungenauigkeiten in den Zahlenangaben.
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der ersten vertraulichen Beratung wurde schon erwähnt. Dann trägt in seinem Berichte 1 ) das erste österreichische Promemoiria ein falsches Datum.2) Es wurde schon am 21. August den Mitgliedern des Fürstentages überreicht, kann also nicht vom 22. datiert gewesen sein. Es ist dies das Aktenstück, dessen eigentümliche Ablieferung am späten Abend die Fürsten in Verwunderung versetzte.8) Bereits am Vormittage des 22. um 9 Uhr wurde in einer vertraulichen Fürstenkonferenz darüber debattiert. Noch eine an sich unbedeutende, aber dennoch für die Arbeitsweise des Herzogs charakteristische Ungenauigkeit wäre anzumerken. Im Memoirenwerk findet sich die Angabe, daß im ganzen vierundzwanzig fürstliche Personen und vier Bürgermeister den Kongreß gebildet hätten.4) Die Angabe ist durch Nachzählen der am Anfange des Protokolls namentlich angeführten Teilnehmer gewonnen. Der Kaiser steht dort als erster ein wenig abseits, und so hat der Herzog ihn mitzuzählen vergessen; denn im ganzen waren 25 fürstliche Personen versammelt. Diese falsche Zahl wird nun beibehalten. Bei der Schlußabstimmung trifft die Angabe des Herzogs zu, denn man zählte tatsächlich 24 zustimmende Regierungen. 6 ) Diese Zahl fand der Herzog aber schon im Protokoll vor, so daß er nicht noch einmal nachzuzählen brauchte. Der Fehler tritt wieder ein, als die Zahl der Regierungen angegeben wird, die das Kollektivschreiben an den König von Preußen unterzeichnet hatten. Hier finden sich nur 22 Unterschriften, und der Herzog hätte nur wieder nachzählen brauchen, um die Unrichtigkeit seiner Zahl 24 zu bemerken.8) Es hat sich ergeben, daß Herzog Ernst die einfache Aufgabe, aus einem vorliegenden Schriftstück die wesent») 3161») Prot. 195. ») Duckw. 158"*) 3061) 338II. vgl. Prot. 163HI•) 339 V, vgl. Prot. 178.
s
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Kritische Einzeluntereuchungen.
liehen Züge von Verhandlungen, an denen er sich selbst beteiligt hatte, zu entnehmen, mit wenig Geschick und Genauigkeit gelöst hat. Daß dabei ein Berufshistoriker wie Ottokar Lorenz, der auch kein tendenziöses Interesse daran gehabt hätte, die Hand im Spiele gehabt haben könnte, scheint ausgeschlossen. Ohne, gestützt auf eigene Erinnerungen, über das vorliegende Original irgendwie in bemerkenswerter Weise hinauszugehen, verschlechtert es der Herzog durch Hineintragung von Irrtümern und Entstellungen. Bisher, bei der kritischen Würdigung der berichteten Tatsachen, ging es an, den Zusammenhang in den Memoiren aufzulösen und die einzelnen Abschnitte im Verlaufe der Begebenheiten getrennt zu behandeln. Auch ließen sich dabei die Resultate auf rein quellenkritischem Wege finden. Jetzt, wo es sich um die Stellungnahme zu dem Urteil des Herzogs über die leitenden Persönlichkeiten handelt, ist die Einzelbehandlung wegen des ständigen Ineinandergreifens der persönlichen Strebungen nicht mehr möglich, und es wird auch als Beweismittel der historische Zusammenhang in umfangreicherem Maße herangezogen werden müssen. Dieser aber muß erst geschaffen werden, da die bisherigen Versuche es an Ausführlichkeit und Detaillierung, die meisten zudem noch an der Übereinstimmung mit den Quellen mangeln lassen.
Die Urteile des Herzogs über die Hauptfragen. Kaiser und Kabinett nach dem Berichte des Herzogs von Kobnrg. Der Kaiser. Das österreichische Staatsoberhaupt findet im herzoglichen Memoirenwerk eine der Wichtigkeit seiner Stellung und seines Wirkens entsprechende Berücksichtigung. Der bleibende Eindruck, den der Herzog von seinem Aufenthalt in Wien als Resultat seines persönlichen Verkehrs mit dem Kaiser nach Hause mitnahm, ist von ihm selbst schriftlich fixiert worden: »Von allen Staatsmännern, welche sich in Osterreich mit den deutschen Fragen beschäftigten, finde ich den Kaiser ganz persönlich als den bei weitem bestunterrichteten, unbefangensten und klar sehendsten.c1) In der Unterhaltung mit dem Herzog äußerte sich der Kaiser sachlich und völlig vorurteilsfrei über die Bundesreform und verriet ein großes Interesse für die deutsche Frage. 2 ) Mit besonderer Ausführlichkeit wendet sich der Herzog der Frage zu, welche Stellung der Kaiser Preußen gegenüber eingenommen habe, ob er einer Verständigung mit der norddeutschen Großmacht die Wege ebnen und nötigenfalls auch die erforderlichen Zugeständnisse machen wollte. •) 291 in- •) 292n, 293n.
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Die Urteile des Herzogs Ober die Hauptfragen.
In Wien, als der Herzog am 11. Juni beim Kaiser zum Diner eingeladen war, soll dieser die Ansicht geäußert haben, »daß man ohne Preußens Mitwirkung nicht leicht etwas tun und noch weniger etwas erreichen könne«.1) Nach einigen Tagen versicherte der Kaiser den Herzog, »daß er persönlich alles anwenden wolle, um mit dem König von Preußen gemeinschaftlich vorgehen zu können.'-) Dementsprechend glaubte der Herzog im Briefe an den Kronprinzen berichten zu können, daß der Kaiser und die Regierung die Bundesreorganisation mittels Verständigung mit Preußen auszuführen wünschten.3) So war der Herzog auch überzeugt, der Kaiser hätte vor dem Zusammentritt der Fürsten eine persönliche Verständigung mit König Wilhelm suchen wollen.4) Als Gesamtresultat dieses und dann auch jener Erfahrungen, die der Herzog noch später während der Verhandlungen des Fürstenkongresses machte, kann das Urteil über die Stellung des Kaisers zu Preußen gelten, das in einer dem Berichte vorauseilenden Gesamtbetraclitung aufgestellt wird. »Eine offene Frage der Geschichte wird es immer bleiben, ob bei dem damaligen persönlich guten Willen des Kaisers von Osterreich nicht die vereinigten Forderungen Preußens und seiner Anhänger vollen Eingang gefunden haben würden.«5) Hier geht Ernst II. noch einen Schritt weiter. Aus den Zusicherungen des Kaisers, eine Verständigung mit Preußen anstreben zu wollen, zieht er den Schluß, daß Franz Joseph auch die Zugeständnisse hätte machen wollen, die von preußischer Seite gefordert wurden. Diese Folgerung ist jedoch keineswegs notwendig. Anderseits nimmt der Herzog von Koburg die Person des Kaisers gegen Angriffe der Berliner Blätter in Schutz. Man vertrat dort die Ansicht, »daß es sich bei dem Fürstentage lediglich um das Zustandekommen eines ') 293"-
•) -293iv.
s) 295"i
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) 2961V.
») -29711
Kaiser und Kabinett nach dem Berichte de« Herzogs etc.
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österreichischen Separatbündnisses handle, wobei Preußen ausgeschlossen worden wäre.1) Diese Behauptung entbehrte oach der Meinung der Memoiren jeglicher realen Grundlage, wenigstens was die Pereon des Kaisers anbetraf. Als kontrastierender Hintergrund für die »versöhnliche Auffassung des Kaisers« in der preußischen Angelegenheit werden einerseits die Mittelstaaten wegen ihrer abweichenden Stimmung eingeführt2), anderseits muß das eigene Kabinett des Kaisers dafür herhalten. »Mir machte es den Eindruck,« urteilt der Herzog, »daß, was Österreich betraf, die persönliche Meinung des Kaisers einer Verständigung mit Preußen bei weitem günstiger war, als die seiner Räte.«s) Zu dieser Überzeugung gelangte der Herzog von Koburg bei einer Audienz, die ihm der Kaiser zu einer Besprechung über zwei Anträge bewilligt hatte, und er »bemerkte auch bei dieser Gelegenheit dessen aufrichtige Gesinnung, sich mit Preußen um jeden Preis auseinanderzusetzen und selbst Opfer zu bringen«. Dem österreichischen Kabinett fehlte es aber für diese »wohlmeinende Stimmung des höchsten Herme an Verständnis. — Es ist hier auf das schärfste betont, daß der Kaiser nicht nur den Wunsch und die Bereitwilligkeit für eine Verständigung geäußert habe, sondern diese auch durch Zugeständnisse und persönliches Entgegenkommen habe erkaufen wollen. Um sich gegen jegliches Mißverständnis zu sichern, fügt der Herzog noch ausdrücklich die Worte hinzu: »Was ich behaupten darf, ist dies, daß in der persönlichen Stimmung des Kaisers von Österreich kein Hindernis zu liegen schien, die Stellung Preußens im neuen Bunde in durchaus entsprechender Weise zu erörtern. *4) Eine ähnliche Besprechung hatte der Herzog, so berichtet er, nach einer Komiteesitzung in den letzten Tagen des Kongresses mit dem Kaiser. Er machte den österreichischen Monarchen •) 306ni.
•) 31411.
Historische Bibliothek. XXI.
s) 318m.
ganz gemeiner Intriguen, in denen der Kaiser weit davon entfernt war, die Initiative zu haben«, sondern sie waren ihm durch seine jesuitischen Ratgeber eingegeben worden.1) Als Resultate der vorangegangenen Untersuchungen lassen sich folgende drei S&tze aufstellen: 1. Die Entschlußkraft des Kaisers läßt siqh nur nach der Richtung hin beeinflussen, wo auch seine persönlichen Meinungen und Neigungen liegen. 2. Ist sein Wille unter selbständiger Annahme der ihm nahegelegten Pläne in eine bestimmte Bahn geleitet, so schreitot er selbständig und kräftig unter Betätigung seiner natürlichen Einsicht darauf weiter. 3. Das entscheidende Wort beim Kaiser sprechen nicht die Minister, sondern inoffizielle Persönlichkeiten. Die Minister dagegen sind mehr die ausführenden Organe der ihm von anderer Seite nahegelegten Pläne.
Die Entstehung des FUrstentages. Bis ins einzelne läßt sich dies Verhältnis des Kaisers zu Ministern und Ratgebern beim Fürstentage und seiner Entstehungsgeschichte verfolgen. Im Juni 1861 entwarf Julius Fröbel, der ohne einen bestimmten Beamtenposten zu bekleiden, für die öster») Fröb. II, 333.
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Die Entstehong des Füretentages.
reichische Regierung wirkte, in Kissingen eine Denkschrift, die auf Umwegen auch in die Hände des Kaisers gelangte. Sie bezweckte die Wiederherstellung des Deutschen Reiches unter Übertragung der obersten Reichsgewalt an das österreichische Kaiserhaus. Dieses Ziel müsse unverrückt im Auge behalten und gegen die preußischen Ansprüche durchgeführt werden. Fröbel hoffte überhaupt für den Erfolg der österreichischen Fortschrittsbestrebungen auf den schlechten Gang der Dinge in Preußen. — Da es jedoch dem Verfasser dieses kühnen Programms versagt blieb, den Nutzen seiner Durchführung persönlich beim Kaiser zu vertreten, so fehlte der erste Anstoß, und die Sache blieb in ihrem Hauptpunkte unerledigt. Von einer anderen Seite kam Fröbel unerwartete Hilfe. Dem Freiherrn v. Dörnberg war seine Arbeit über die Bundesreform zu Gesichte gekommen, und dieser hatte in seiner Eigenschaft als eine Art Minister des Äußeren beim Fürsten von Thum und Taxis, welcher der Schwager Franz Josephs war, Zutritt beim Kaiser. Die erste Audienz fand am 2. März 1863 statt und hatte den Erfolg, daß der Kaiser lebhaft die ihm zugedachte Rolle als Heros der öffentlichen Meinung und Erneuerer des habsburgischen Einflusses auf ganz Deutschland ergriff. Inzwischen war durch die Regensburger auf Grund von Fröbels Kissinger Denkschrift eine ausführliche Akte zur Reformierung des Bundes ausgearbeitet wor.den, die nach einigen Veränderungen, welche der Einfluß Biegelebens durchgesetzt hatte, am 26. März dem Kaiser überreicht wurde. Nach etwa einen} Monat, am 30. April, hatte Dörnberg abermals eine Besprechung mit dem Kaiser, welcher mit aller Entschiedenheit die Bundesreform nach der ihm vorgelegten Arbeit wünschte und sich ebenso bestimmt für den Fürstentag und die ihm auf diesem zufallende persönliche Wirksamkeit aussprach-1) Mit Berücksichti') Fröb. H, 246. Historische Bibliothek. XXI.
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Die Urteile des Herzogs aber die Hauptfragen.
gong der Haltung, die der Kaiser auch noch später beobachtete, lassen sich die Motive, die ihn zur Annahme des von Dörnberg befürworteten Projektes bestimmten, ohne Schwierigkeit erschließen. Die Fröbelsche Denkschrift hatte damals liegen bleiben müssen, weil keiner der beiden Minister Interesse genug daran gehabt hatte, sie zu Unterstützen. Durch das Eintreten der Regensburger Einflüsse aber kam das persönliche Element hinzu, gestützt auf verwandtschaftliche Gefühle des Kaisers zu seinem Schwager. Außerdem mußten dem Kaiser die Einflüsse von ultramontaner Seite, wo man sich der großdeutschen Ideen bemächtigt hatte, sehr sympathisch sein. Dies alles aber hätte nichts gefruchtet und nimmermehr die starke, ganz persönliche Verwendung Franz Josephs für die ihm nahegelegten Ideen herbeiführen können, wenn die Regensburger Ratgeber in Verbindung mit den ultramontanen Hofräten dabei nicht starke eigene Triebkräfte des Kaisers ausgelöst hätten. Es war ja von jeher Sache der Jesuiten gewesen, die Schwächen der gekrönten Häupter für ihre Zwecke auszunutzen. So hatte man auch sicherlich gewußt, daß der junge Monarch ehrgeizigen Empfindungen nicht verschlossen war, und dies war wohl auch der Punkt, wo die Bemühungen Dörnbergs einsetzten und schnell zum Siege führten. Die fein beobachtenden Jesuiten hatten sich die allgemeine Erfahrung zunutze gemacht: Keiner verwendet sich mit aller Kraft für fremde Interessen, wenn er nicht irgendwie seinen eigenen Vorteil dabei zu erstreben glauben kann. So war der Kaiser auf die Pläne der Bundesreform nur deshalb so lebhaft eingegangen, weil die Ratgeber den Ehrgeiz des Herrschers zu entflammen gewußt hatten. Was hätte dem Kaiser auch von dieser Seite nahegelegt werden können? Etwa der selbstlose Wunsch, eine Bundesreform selbst unter eigenen Opfern herbeizuführen, wobei Preußen die ihm gebührende Stellung
Die Entstehung des FOratentafM.
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hätte eingeräumt werden müssen, wie es der Herzog von Koburg glauben machen will? Oder wollte Franz Joseph nur seinem Schwager und den Jesuiten einen Gefallen tun und war so schwach, sich Pläne aufreden zu lassen, denen er sonst gleichgültig gegenüberstand? Man weiß, daß dies ganz unmöglich war. Was den Kaiser und die süddeutschen Ultramontanen in dieser Angelegenheit zusammenführte, lag in derselben Richtung, unterschied sich jedoch im Ziele. Der Kaiser wußte, daß Österreich einen großen Teil seines alten Einflusses in Deutschland verloren hatte. Schon lange arbeitete er daran, ihn wiederzugewinnen; er hatte das Orges gegenüber ausdrücklich betont. Darum erwärmte er sich so rasch für die Erringung der Vormachtstellung in Deutschland, die ihm die Regensburger Ratgeber und seine eigenen Hofräte vorspiegelten. Nicht daß er dem Hohenzollernhause feindlich gesinnt gewesen wäre. Im Gegenteil. Aber er hatte für die jüngste Entfaltung der preußischen Macht und für ihre neuerwachten Ansprüche so wenig Verständnis, daß er mit vielen anderen deutschen Männern damals wegen des inneren Konfliktes vielmehr an ihren Niedergang glaubte. Und so ist es um so leichter zu verstehen, daß er nicht gewillt war, zugunsten Preußens auf die Befriedigung seines persönlichen Ehrgeizes zu verzichten. Es war sein ernstlicher Wunsch, getreu den altehrwürdigen Traditionen seines Hauses wieder die erste Rolle anter den deutschon Fürsten zu spielen. Darum nannte auch Biegeleben in der Kabinettssitzung am 30. März die Bundesreform »eine die Existenz oder wenigstens die höchsten Interessen des kaiserlichen Hauses berührende Angelegenheit«. *) Die Ziele der ultramontanen Ratgeber dagegen waren in erster Linie gegen Preußen gerichtet. Der Fürst >) Fröb. n , 243. 6*
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Die Urteile des Henogs Ober die Hauptfragen.
von Taxis wollte, wenn Fröbel in diesem Punkte recht gesehen hat, die protestantische norddeutsche Großmacht um die katholischen Rheinlande erleichtern, um sie mit Teilen Belgiens und Westfalens unter seinem ebenso milden wie rechtgläubigen Zepter zu vereinigen. Die Verstärkung der Machtsph&re Österreichs war für sie das Mittel, diesen Zweck zu erreichen, und mit Hilfe dieser Aussicht wurde dem kaiserlichen Schwager die Sache mundgerecht gemacht. Bezeichnend für die Gesinnung des Kaisers ist es, daß in den deutschen Angelegenheiten Hofrat Biegeleben und nicht Rechberg sein Ohr besaß. Biegeleben arbeitete mit Bewußtsein auf den Krieg mit Preußen hin, den er für unabweisbar hielt.x) Daher sah er in der Bundesreform auch nicht den Versuch, die gegenwärtigen Verhältnisse in Deutschland dauernd zu bessern, sondern sie und der Fürsten tag galt ihm als ein großer und auffallender Schritt, als eine »Demonstration, durch welche Osterreich sich in Deutschland ,ein Relief geben* Sollte«.2) Darin berührte er sich mit seinem Kollegen Gagern. Diesem war die Unternehmung ein starkes Mittel, »Preußen in Deutschland ein wenig den Rang abzulaufen und bei einer endlichen Verständigung mit ihm günstigere Bedingungen zu erhalten«.s) Biegeleben verband außerdem noch starke; persönliche Absichten damit. Da Rechberg dem Willen des Kaisers widerstrebte, versuchte er bei jeder Gelegenheit seine Geneigtheit darzutun, seinen Vorgesetzten anzugreifen und ihn so aus der Gunst des Kaisers zu verdrängen. Ihm war, die Bundesreform zugleich ein Mittel, Minister zu werden. Wie sehr hatte doch der Kaiser diesem Strebertum gegenüber die schwachen Versuche Rechbergs, seiner Überzeugung treu zu bleiben, verkannt, wenn er von ') Friedjung, Der Kampf um die Vorherrschaft II, B2&, »Graf Rechberg Aber sein amtliches Wirken«. ») Fröb. II, 241. ») Fröb. n , 269.
Die Entstehung des Fflrstentages.
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Biegeleben behauptete, dies wäre der einzige Mensch im auswärtigen Ministerium, mit dem sich etwas anfangen ließe. Als Biegeleben dies erfuhr, war auch der letzte Rest von Gesinnungstüchtigkeit in ihm geschwunden. Von nun an wäre er für das Projekt durchs Feuer gegangen.1) Sicherlich dächte er an diese Zeit zurück, ala er kurz nach seiner Pensionierung, die im April 1871 erfolgte, an einen seiner treuesten Freunde schrieb: »Wahr ist und auch Ihnen darf ich es gestehen, daß es einzelne Momente gegeben hat — obwohl ich son«t stets darauf bedacht war, ehrgeizige Regungen zu zügeln, — in welchen ich gewünscht hätte, an erster Stelle wirken zu können — Sie wissen schon, an welche Momente ich denke«.2) . Erst als der Kaiser die Ausführung des Projektes bereits beschlossen hatte, wurden die Minister eingeweiht. Schmerling stimmte zu, weil die Bundesform seinen Plänen nicht hinderlich war. Rechberg dagegen leistete hartnäckigen Widerstand, weil ein solches Vorgehen in Deutschland mit seinem politischen Programm unvereinbar war. Rechberg war bezüglich der äußeren Politik ein Fortsetzer Metternichs. Nach seiner Ansicht hatte Osterreich das Bündnis mit Preußen und Rußland zu pflegen. Er war daher einem kühnen Ausgreifen Österreichs in Deutschland entschieden abgeneigt in der Besorgnis, mit Preußen zusammenzustoßen. Bismark, dem gegenüber er aus diesen Anschauungen kein Hehl machte, wußte seine Bestrebungen zu würdigen und berichtete am 5. Märt 1855 über seine Erfahrungen am Bundestage an Manteuffel: > Wenn er aufrichtig gegen mich gewesen ist, und ich habe bisher keinen Grund, daran zu zweifeln, so kann ich ihn, nach seiner Auffassung der Beziehungen zu Preußen, kaum der gegenwärtig in ') Fröb. 246 o.
*) Allgem. Dt. Biographie.
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Die Urteile des Heraogs Ober die Hauptfragen.
Wien herrschenden Richtung zuzählen. Seiner Meinung naeh hat Österreich gegenwärtig die Aufgabe, sich mit Preußen au verständigen, und auf diese Weise für beide eine gesicherte Stellung zwischen den Westmächten zu gewinnen.«1) 1867 hatte Rechberg von Wien aus die Weisung erhalten, engere Beziehungen mit den Mittelstaaten herbeizuführen. Diesem Befehle mußte er seine Überzeugung zum Opfer bringen und Preußen in seinem Vertreter Bismarck bekämpfen.1) Leider fehlte es Rechberg an politischem Charakter und seiner Politik an Beständigkeit. Selten ging er gerade Wege zur Erreichung seiner Ziele, und seine Kraft, sie zu erringen, wurde häufig durch eine unheilvolle Spaltung seines eigenen Wesens gelähmt, weil er sich nicht entschließen konnte, mit Konsequenz eine bestimmte Richtung zu l
) Abgedr. bei Poschinger, »Preußen im Bandestag 1851 bis 1869.« Bd. II, 8. 185, vgl. 8. 199 n. 211/212. ') Vorstehende Ausführungen über Rechberg im engen Anschloß an den Aufsatz von Friedjung im Biograph. Jb. Bd. IV. Friedjung hatte mit Rechberg persönlich mehrere Gespräche, in denen der ehemalige Minister des Äußeren den verdienten Historiker Ober seine politische Tätigkeit informierte. Eine Wiedergabe findet sich in Friedjungs Werk: »Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland«, Bd. II, 8. 529. (Nach der Edition dieses Werkes richtete Rechberg an Friedjung mehrere Briefe, in denen er sich für die g«naue Wiedergabe der gesprächaweisen Äußerungen bedankte.) Daraus Reehberg über seine Stellung zu Preußen: »Mein Ziel war iqi allgemeinen, das freundschaftliche Verhältnis zu Preußen zu erhalten, weil ich Österreich politisch und militärisch nicht für stark genug hielt, einen Krieg zu führen. In diesem 8inne verhandelte ich auch mit König Wilhelm und Bismarck, als diese im August 1864 nach Wien kamen. Eines Abends saß ich mit Bismarck zusammen und sagte ihm, Preußen und Österreich müßten zusammenhalten, dann könne ohne ihre Erlaubnis kein Schuß in Europa abgefeuert werden.« Bestätigt wird diese Angabe durch einen Brief Rechbergs an Bismarck vom 17. November 1864. »Sie wissen, daß ich mich der Aufgabe, die wiedergewonnene Einigkeit Österreichs und Preußens auch für die Zukunft festzuhalten, mit ganzer Seele widme.«
Rechberg and der Fflrotentag.
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verfolgen. Unter diesen Umständen kann man nicht erwarten, daß er seine persönlichen Anschauungen mit Energie und eigenen Opfern zu vertreten fähig war. Im Grunde war er jeder Politik, die in kräftigem Vorgehen, die Veränderung der bestehenden Zustände erstrebte, schon deswegen abgeneigt, weil er von der Aussichtslosigkeit aller derartigen Versuche überzeugt war und lieber warten wollte, bis die unhaltbaren Zustände in Deutschland sich in eine allgemeine Verwirrung auflösen würden, wobei dann für Osterreich die Zeit gekommen wäre, Ordnung zu schaffen und dabei von selbst an die Spitze zu kommen».1)
Rechberg and der Fürstentag. Als daher das Projekt des Fürstentages dem Minister des Äußeren zur Begutachtung vorgelegt wurde, versagte er seine Teilnahme. Er trat dabei »in schroffen Widerspruch mit den Absichten des Kaisers.«2) Fröbel wie der Herzog von Koburg, letzterer allerdings nur vertraulich im Gespräche mit Tempeltey, bezeugen diese Tatsache auf das bestimmteste.8) Bei den Verhandlungen im auswärtigen Ministerium am 30. März wie in einer Unterredung mit Dörnberg am 2. Juni erklärte er gerade heraus, daß aus der Bundesreform nichts werden dürfe.4) Ihm erschien das ganze Unternehmen >) Fröb. II, 123. ») Fröb. II, 848. ') Tempeltey an Bennigsen. »Rechberg endlich denkt nur an Deutachland, soweit der Gegensatz Österreichs und Preußens dabei in Frage kommt; natOrlich gefällt ihm der jetzige Zustand vortrefflich, und er betont eifrig, daß man doch nichts ohne Preußen tun dürfe. Zu bemerken ist noch, daß Rechberg Scheu trägt, ohne Preußen vorzugehen. —. Bei Rechberg Achselzucken, Betonung des legalen Bodens, des deutschen Gouvernements, des leidigen Friedens mit Berlin und der Gefährlichkeit der Demokratie.« Vgl. oben S. 27 ff. *) Fröb. II, 242, 247.
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Die Urteile des Herzogs über die Hauptfragen.
im Widerstreit mit den politischen Verhältnissen. Er konnte sich nicht verhehlen, daß es nur darauf' hinaus; laufen würde, den preußischen Einfluß in Deutschland zu brechen, das Gleichgewicht zwischen den beiden Großstaaten empfindlich zu stören oder gar einen Bruch herbeizuführen. Da es unter diesen Umständen fraglich war, ob Rechberg seinen Ministerposten würde behaupten können, da anderseits der Kaiser fest entschlossen war, das Reformwerk zu unternehmen, und Biegeleben mit allen Mitteln gegen seinen Vorgesetzten intrigierte, so hielt es Rechberg, da er den Boden unter seinen Füßen wanken fühlte, für das beste, sich mit Ehren aus der Affaire zu ziehen und seinen Abschied zu erbitten. Der Kaiser, der im ganzen immer recht gut mit seinem auswärtigen Minister harmonisiert hatte (wenn in diesem Falle auch ernstliche Differenzen bestanden), und ihn auch als Werkzeug für die Ausführung seiner Pläne weder missen noch ersetzen konnte, verweigerte in unwilligem Tone die Demission und kommandierte Rechberg auf Unterstützung seiner Reformabsichten.1) Rechberg besaß Haltlosigkeit genug, unter diesen Bedingungen zu bleiben. Er scheint aus dem entschiedenen Willen seines Herrn einen Entschuldigungsgrund und die moralische Berechtigung hergeleitet zu haben, seine bisherige Haltung zum Reformprojekt von Grund aus zu ändern. Auch ist ihm damals augenscheinlich die Hoffnung wiedergekehrt, sich wieder auf die Dauer halten zu können, denn seit der Zeit bewegen sich seine Schritte äußerlich in einer Linie, als hätte er nie zu den Gegnern der Reform gehört. Man möchte fast vermuten, als wäre es sein Bestreben gewesen, Biegeleben beim Kaiser noch zu überbieten. ') Diese Szeno zwischen Kaiser und Minister matt Bich in der Zeit vom 2. bis 5. Juni 1863 abgespielt haben.
Rechberg and der Fflrstentag.
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In der entscheidenden Unterredung, der die völlige Umbiegung seiner Politik gefolgt war, hatte Rechberg erklärt, daß es mit seiner Würde als Minister des Äußeren unvereinbar sei, Osterreich beim Fürstentage in Frankfurt nicht zu vertreten. Dem Kaisef kam dieser Wunsch sehr gelegen. Er wußte, daß Rechberg sich keiner populären Sympathien erfreute und er in . dieser Hinsicht nicht zu befürchten habe. Als dann der Kaiser die Bitte Schmerlings abschlägig beschied, ließ er deutlich durchmerken, daß er fürchtete, von Beinem liberalen Minister in den Schatten gestellt zu werden. (Vgl. S.78o.) Im Ministerrate am 5. Juni ging der Dörnbergsche Plan unter Rechbergs Zustimmung durch, seine innere Überzeugung aber brach sich noch einmal in einem Gespräche Bahn, das Fröbel nach vier Tagen mit ihm hatte. Der Minister sprach eine volle Stunde lang f^st unausgesetzt, um Fröbel zu überzeugen, »daß die politische Lage das Aufgeben der Bundesreform erfordere«.1) Am 9. Juli aber durfte er davon in der entscheidenden Kabinettssitzung nichts merken lassen. Er bekannte sich dort als einen enthusiastischen Freund der Bundesreform und stellte dem Kaiser das Erscheinen aller Fürsten in Aussicht. »Sollte wider Erwarten der König von Preussen seine Teilnahme verweigern, so müsse), hat er mit Entschiedenheit erklärt, auch ohne Preußen vorgegangen werden.2) Infolge seiner Erfahrungen mit Rechberg urteilt Fröbel, daß er »bis zum letzten Tage ein Hindernis der Sache gewesen« wäre.8) Hiermit erledigt sich die von Ottokar Lorenz vertretene Auffassung, der zufolge Rechberg ein Freund der Bundesreform gewesen wäre, um die »verdammten Preußen« etwas zu ärgern, von selbst.4) >) Fröb. II, 249. ») Fröb. II, 250. *) Fröb. II, 268. Über Rechbergs Verhältnis zum Fürstentage vgl. Friedj. II, 527/8. 4 ) Lorenz, Staatsmänner, 254, 249.
Die Urteile des Hersogs Ober die Hauptfragen.
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Wie aber verhält es sieb mit der Behauptung Ebelings, Rechberg hatte eine vorübergehende Verbindung mit den Mittel-Staaten angestrebt, um durch den Druck dieser Verbindung den Eintritt in den Zollverein zu erzwingen? 1 ) Als die Vorbereitungen für den Fürstentag getroffen wurden, waren drei Fragen der europäischen Politik akut In der schleswig-holsteinischen und polnischen Saehe war der Graf entschlossen, eine Verständigung mit Preußen anzustreben und seine Behandlung dieser Fragen durchaus danach einzurichten.3) Bei der Zollfrage indessen wäre es möglich gewesen, daß Rechberg einmal auf den ihm widerstrebenden Standpunkt gezwungen, dadurch alle Vorteile für die Ziele geltend gemacht hätte, die er sonst erstrebte. Tatsächlich war es sein ernstliches Bemühen, einen Zollvertrag mit Preußen zustande zu bringen. Er gab in dieser Angelegenheit in einer Note an Plener vom 5. August 1863 die leitenden Gesichtspunkte zu erkennen, nach denen verfahren werden müßte. Er wünscht von Seiten des Finanzministeriums »ein wehlberechnetes Anerbieten zeitgemäßer Tarifermäßigungen«, um auf diese Weise durch den Druck der Öffentlichen Meinung Preußen zur Nachgiebigkeit zu zwingen. Osterreich habe bisher durch Geltendmachung politischer Motive seine handelspolitischen Interessen zu wahren gesucht, allein diese Motive würden gegen die vielfachen mächtigen Tatsachen, welche die Stellung Preußens begünstigten, zuletzt nicht durchdringen, wenn die Kaiserliche Regierung nicht rechtzeitig auf handelspolitischem Felde den klaren und bestimmten Beweis herstelle, daß ein deutsch-österreichischer Zollbund auch mit dem Zweeke ») Ebeling, »Beust« n , 99 H) Fröb. II, 219. Bevertera, Rechberg and Bismarck 1863—1864, Dt Hey. 28«, 6. Ernst II, III, 294 n u. a
Der Kaiser and Kecbberg aaf dem FOrstentage.
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wesentlicher Erleichterungen des Verkehrs mit dem europäischen Westen vollkommen vereinbar sei.1) Diese Worte Rechbergs, kurz nach der Einladung zum Fürstentage an die eigene Regierung gerichtet, beweisen unwiderleglich, daß wenigstens er nicht gewillt war, die eventuellen politischen Ergebnisse des Fürstentages für die Erzwingung des Eintrittes in den Zollverein zu benutzen, sondern daß er die handelspolitische Frage auf ihrem eigenen Gebiete einer Lösung entgegenführen wollte.
Der Kaiser and Rechberg auf dem Fürstentage. Bezeichnend für die Absichten der österreichischen Regierung war die Art, wie der Kaiser auf seinem Wege •ach Frankfurt empfangen werden sollte. Gruben hatte die Vorbereitungen so genau ausgeklügelt, daß sich dies Stückchen Weltgeschichte ganz nach seinen Ideen abrollen sollte. Fröbel erhielt bei der Verteilung der Rollen durch Schmerling den Auftrag, die Orte, die der Kaiser passieren sollte, auf die Ankunft des Monarehen vorzubereiten, damit er durch eine begeisterte Aufnahme in die wünschenswerte Stimmung versetzt würde und so durch sein schwungvolles Auftreten die Fürsten in Frankfurt mit sich fortreißen könnte. Bei den Beratungen in der alten Kaiserstadt war es das Ziel des Kaisers, die versammelten gekrönten Häupter möglichst rasch zur Annahme der Reformakte zu bewegen. »Nicht in der Eröffnung weitaussehender Beratungen, sondern in einem raschen und einmütigen Entschlüsse der deutschen Fürsten« vermag der Kaiser das Heil für die Zukunft Deutschlands zu erblicken. Er ') Beer, Die österreichische Handelspolitik im 19. Jahrhundert (Mit Benutzung der Archive.) Wien 1891, 8. 254/5.
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Die Urteile des Herzogs Aber die Hauptfragen.
wünschte um -des unberechenbar wichtigen Ganzen willen eine rasche und leichte Einigung über das einzelne.1) Zu Duckwitz und den übrigen Hanseaten äußert» der Kaiser bei der Empfangsviaite >Behr bestimmte: . »Es müsse die Sache durchgeführt werden, wenn nicht eine Auflösung alles Bestehenden eintreten solle.« Er wolle gern Modifikationen gestatten, »nur müsse in der Haupt' sache festgehalten werden«.2) Entscheidend für die Beurteilung des Kaisers ist die Frage, welche Beziehung er zu den offiziellen Aktenstücken hatte, die seinem Kabinett entstammten. Als Verfasser kommt vor allem Rechberg in Betracht. Die Promemorias setzen nun aber eine genaue Kenntnis der Verhandlungen voraus, deren Gang sie beeinflussen sollten. Rechberg konnte davon nur durch den Kaiser oder durch Biegeleben erfahren. Unwahrscheinlich ist, daß Biegeleben, der Rivale Rechbergs, diesem aus freien Stücken Gelegenheit geboten hat, in den Verlauf der Verhandlungen einzugreifen und so durch Betonung des österreichischen Standpunktes Terrain beim Kaiser zurückzuerobern. Das Natürlichste und Wahrscheinlichste ist: Der Kaiser hat seinem Minister, den er ja nur als ausführendes Werkzeug betrachten konnte, von den Verhandlungen und seinen Absichten Mitteilung gemäoht und Anregung zu der Abfassung der Schriftstücke gegeben, und Rechberg hat sie nach den Intentionen des Kaisers geschrieben. Diese Auffassung läßt sich auch noch durch einige Tatsachen stützen. Als in der zweiten Sitzung das Schreiben verlesen wurde, das den König Wilhelm zum Kongreß einladen sollte, knüpfte der Kaiser an die Stelle, »worin erwähnt wird, daß die Fürstenkonferenz die Vorschläge deö Kaisers von Osterreich als eine geeignete Grundlage für ihre Beratungen angezogen habe«, den Ausdruck des •) 3091. 310 o.
») Dackw. 151 o.
Der Kaiser and Rechberg auf dem Fürstenlage.
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Wunsches und der Hoffnung, daß die Mitglieder der Versammlung nur möglichst genau formulierte Änderungsvorschläge vorlegen wollten, welche auf die Wahrscheinlichkeit allseitiger Annahme berechnet wären. Auch sollte über minder wichtige Punkte hinweggegangen werden, damit ein baldiger Abschluß nicht zu sehr erschwert würde.1) Und gerade dies war der Grundgedanke des ersten Proinemorias, das somit direkt auf die Worte des Kaisers zurückgeführt ist. Duckwitz hatte im Gegensatz zum Herzog von Koburg den Eindruck, daß der Kaiser das agens bei den Denkschriften sei. Er teilt mit, daß der Kaiser befohlen habe, dies Promemoria mitten in der Nacht zur Verteilung zu bringen. Die Teilnehmer an der Konferenz mußten zum Teil aus dem Schlafe geweckt werden und sich erheben, um über den Empfang zu quittieren.2) Rechberg allein hätte nicht wagen können, eine derartige Inkommodierung der Fürsten zu verantworten. — Bei der Erwähnung des letzten Promemorias spricht es Duckwitz geradezu aus, daß dies auf Veranlassung des Kaisers abgefaßt worden war. Der Kaiser hätte in der Kommissionssitzung im Bundespalais »wieder eine andere Form für den Vollzug der Reformakte gewünscht und eine Denkschrift darüber ausarbeiten lassen.«s) So wäre die Aufregung der Fürsten und die damit verbundene Verschiebung der letzten Sitzung auf eine Aktion des Kaisers zurückzuführen. Überhaupt läßt sich aus der Haltung und den Gedanken des Kaisers, wie sie in den Denkschriften entgegentreten, in keinem Zuge ein Gegensatz zwischen dem Bilde feststellen, wie es von ihm bei Duckwitz und im Protokoll erscheint. Der Kaiser vertritt in den Verhandlungen dieselben Ansichten, die auch in den Promemorias ausgesprochen werden. Außerdem wird der Kaiser als sfehr geschäftskundig gerühmt, und es ist auch aus diesem •) Prot Sirv.
>) Dnckw. 158 n.
») Dnokw. 1661-
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Die Urteile des Herzogs Aber die Hauptfragen.
Grande nicht einzusehen, warum er hier, wo er ganz persönlich an dem Reformprojekt interessiert war, seiner Eigenschaft als arbeitssamer Regent untreu geworden und die Beeinflussung der Fürsten durch offizielle Aktenstücke, die sehr wichtige Vorschläge enthielten, lediglich seinem Kabinett überlassen haben sollte, dem er nicht einmal viel Vertrauen entgegenbringen konnte. Eb darf als sicher gelten, daß der Kaiser den entscheidendsten Anteil an der Herausgabe der offiziellen Aktenstücke genommen h a t Niemand wird nun leugnen können, daß besonders das letzte Promemoria den Dingen eine für Preußen noch ungünstigere Wendung geben wollte; und da es der Kaiser veranlaßt und ohne Zweifel die Grundgedanken dafür angegeben hat, so kann es für die Beurteilung über das Verhalten des Kaisers zu den Ansprüchen Preußens mit herangezogen werden.
Der Kaiser and die preußischen Forderangen. Der Herzog von Koburg behauptet, an der Persönlichkeit des Kaisers hätte es nicht gelegen, wenn Preußen in der Bundesreform nicht die Stellung zugewiesen erhielt, die ihm gebührte. Dagegen spricht jedoch alles, was über die Haltung des Kaisers während des Fürstentages in Frankfurt zu erfahren ist. In Betracht kommen fast ausschließlich die Partie in den »Denkwürdigkeiten c von Duckwitz und das offizielle Protokoll. Beide Quellen, so verschieden die Standpunkte der Verfasser auch waren, stimmen hierin miteinander überein. Im stärksten Gegensätze zu jener von Ernst II. berichteten Äußerung des Kaisers, er persönlich hätte gegen eine Befriedigung der preußischen Ansprüche nichts einzuwenden, könne aber mit solchen Anträgen nicht hervortreten, weil die Fürsten, die er nach Frank-
Der Kaiser and dio preußischen Forderungen.
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furt eingeladen, damit nicht einverstanden wären1), steht die Schilderung, die Duckwitz von der Behandlung der Präsidialfrage in der vierten Sitzung entwirft.2) Dieser kurze Bericht, dessen Fehlen im Protokoll man aus naheliegenden Gründen verstehen wird, verdient um so größere Glaubwürdigkeit, als der Vorgang die ganze Aufmerksamkeit des Bremer Bürgermeisters-ebenso stark erregen wie sich auch wegen seiner Einfachheit leicht dem Gedächtnis einprägen mußte. Die Mehrzahl der Fürsten, so erzählt Duckwitz, sprach sieh für den Antrag des Großherzogs von Baden aus, der die Präsidialfrage im Sinne der preußischen Forderungen durch ein Alternat lösen wollte. Man appellierte »an die großherzige und patriotische Gesinnung des Kaisers und hielt dafür, daß man eine Verständigung sehr erschweren werde, wenn man nicht von vorneherein Preußen mit einem solchen Vorschlage entgegenkommet. Da aber der Kaiser Ausflüchte machte und die Könige diese Bestimmung der persönlichen Verständigung der Monarchen vorbehalten wollten, so wurde sie vorläufig offen gelassen. Hier wäre für den Kaiser die beste Gelegenheit gewesen, seine preußenfreundlichen Gesinnungen, wie sie der Herzog von Koburg bemerkt haben will, zu betätigen. Aber er will auf das Präsidium nicht verzichten, weil ihm dadurch die ganze Bundesreform erst schmackhaft geworden ist, und so finden auch die Könige mit ihrer schwachen Opposition erst Anlehnung an seiner Haltung. Diese Behandlung der Präsidialfrage findet eine ganz entsprechende und übereinstimmende Fortsetzung in den beiden letzten Sitzungen, wie sie sich im Protokoll darstellen. Das Geringste, was der Kaiser der anderen Großmacht hätte zugestehen müssen, wäre die einmal beschlossene Offenhaltung der Bestimmung über den Vorsitz gewesen, um der freien Vereinbarung beider ') 328IV-
>) Duckw. 1621.
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Die Urteile des Herzogs fiber die Hauptfragen.
Staaten nicht vorzugreifen. Franz Joseph treibt jedoeh die Frage mit Energie einer Erledigung in seinem Sinne entgegen, und in der neunten Sitzung kündigt er an, daß sie demnächst »einem Abschluß entgegenzuführen Wäre«.1) Bevor dann der Kaiser in der Schlußsitzung den Saal verließ, um die Versammlung darüber einen Beschluß fassen zu lassen, richtete er noch einige Worte an die Fürsten, die schon allein ausreichten, alle Illusionen über seine Nachgiebigkeit Preußen gegenüber zu zerstören. »Ehe Sie sich jedoch entfernten,* (äußerten S. M.), »dürften Sie nicht unterlassen, das Recht Österreichs auf das Präsidium im Bunde auch für die Zukunft auf das allerbestimm teste zu wahren, und den angelegentlichsten Wunsch auszusprechen, daß die Bestimmung des Entwurfs, so wie sie liege, unverändert möge angenommen werden.t 2 ) Nicht weniger exklusiv wahrte der Kaiser seinen österreichischen Standpunkt in dieser Angelegenheit, als über Punkt 3 des Komiteeberichtes abgestimmt wurde. Dabei bemerkten S. M. der Kaiser, »daß Sie durch Ihre Einwilligung in diesen Vorschlag, eventuell gemeinsam mit Preußen die« Einladung zu einer neuen Konferenz zu erlassen, dem Präsidialrechte Österreichs nicht vergeben haben wollene.8) Noch mancherlei Züge aus den Verhandlungen lassen sich anführen zum Beweise, daß der Kaiser in keinem Punkte gewillt war, seine Ansprüche denen Preußens zu opfern, obwohl er wissen mußte, daß nur dadurch eine wirkliche Verständigung herbeigeführt werden könne. In der ersten Sitzung schloß er sich sogleich dem Antrage Sachsens an, man müsse auch im Falle einer. Ablehnung König Wilhelms die Beratungen fortsetzen.4) Eine Äußerung des Protokolls könnte dieser Auffassung widersprechen. Um seinen Antrag auf Ein') Prot 150 V.
*) Prot 168 n.
L«) Prot. 164 u.
') Prot 79 n.
Der Kaiser und die preußischen Forderungen.
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ladung des Königs von Preußens zu stützen, erwähnt der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin in der ersten Sitzung, das auch S. M. der Kaiser von Osterreich bereits »persönlich in entschiedener Weise den Wunsch an den Tag gelegt hätten, S. M. den König von Preußen zur Beteiligung an den Beratungen der Fürstenversammlung zu bestimmen«.1) Diese Behauptung bezieht sich aber auf die unmittelbar vorher verlesene Rede des Kaisers, in welcher die bedauernden Ausdrücke über das Fernbleiben des Königs nur konventioneller Natur waren; denn Franz Joseph hat sich mit der Absage Wilhelms völlig abgefunden und würde seinerseits keinen Schritt mehr unternommen haben, ihn nochmals zum Erscheinen zu bewegen. Einzelne Wendungen derselben Rede, die an die Ausführungen über das Fernbleiben Preußens anknüpfen, lassen darüber keinen Zweifel.2) Nicht günstiger ist die Stellung des Kaisers, als der wichtige Paragraph über Krieg und Frieden zur Verhandlung gelangt. Der Herzog von Koburg selbst hatte in der fünften Sitzung den Vorschlag gemacht, »die Feststellung der Bestimmungen über Krieg und Frieden zunächst einer Verständigung zwischen Österreich und Preußen anheimzustellen«.8) Der Kaiser von Osterreich und dann auch Sachsen und Hannover hatten aber kurz und bündig gleich darauf den Koburgischen Antrag abgelehnt. Um so merkwürdiger das Urteil des Herzogs von Koburg über das Verhalten des Kaisers zu den preußischen Forderungen! ') Prot. 78 u. *) »Aber von uns, die wir erschienen sind, hängt es nunmehr ab, durch die Tat zu beweisen, daß für uns die Frage der Erneuerung des Bundes reif ist. — — — Einigen wir uns um des unberechenbar wichtigen Ganzen willen leicht und rasch Uber das einzelne I Wahren wir bundestreu in allem den Platz, der dem mächtigen Preußen gebührt.« s ) Prot. 106IV. Historische Bibliothek. XXI.
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Die Urteile des Herzogs fiber die Hauptfragen.
Auf eine Fassung des Kriegsartikels unter Berücksichtigung der Ansprüche Preußens bezieht sich auch ein Gespräch, das Duckwitz am 18. August mit dem Kaiser hatte. 1 ) Duckwitz hatte schon damals richtig erkannt, daß die Bestimmung in der österreichischen Vorlage die preußische Macht gegebenenfalls den österreichischen außerdeutschen Interessen dienstbar machen könnte. Es war also für die preußische Sache von höchster Wichtigkeit, sich hier die freie Entscheidung durch ein Veto gegen Majoritätsbeschlüsse vorzubehalten. Zur Bewilligung dieses Vetorechtes und anderer Zugeständnisse, welche die Gleichstellung Preußens am Bunde herbeizuführen geeignet waren, suchte Duckwitz den Kaiser in dieser Unterredung zu bewegen. Der Kaiser aber antwortete mit Ausflüchten2), durch die er seine entschiedene Abneigung, sich auf derartige Zugeständnisse einzulassen, nur notdürftig verhüllen konnte. Dementsprechend ergab sich für Duckwitz als Gesamtresultat, das er durch die Ereignisse auf dem Fürstentage empfing, die Meinung, daß der Kaiser von Österreich nicht geneigt schien, »sich auf ein Alternat mit Preußen und auf ein Veto für beide Großmächte einzulassen, wenigstens zurzeit nicht.« 8 ) Man würde auch vergeblich in der Entstehungsgeschichte des Reformwerkes wie bei den leitenden Persönlichkeiten Momente und Züge suchen, welche auf die Absicht hindeuten könnten, irgendeine Gefügigkeit im Interesse Preußens zu betätigen. Die Keimzelle des ganzen Unternehmens, der Grundgedanke Fröbels in ') Duckw. 154 n. ') »daß er nicht glaube, daß Preußen auf ein Veto Wert lege, 'zumal es auch keinen Ansprach darauf mache, die Sache werde dadurch zu sehr abgeschwächt werden. Was die Gleichstellung betreffe, so habe ein Alternat im Vorsitz doch seine Schwierigkeiten«. *) Duckw. 167IV.
Der Kaiser und die preußischen Forderungen.
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der Kissinger Denkschrift 1861 war antipreußisch.1) Als dann der Plan durch das Eintreten der Regensburger Ultramontanen begann, Gestalt anzunehmen, hatte Max Gagern dem Herzog von Koburg darüber berichtet, das Minimum, welches das Reformprojekt für die Wünsche der deutschen Nationalen bringe, »müsse der Natur der Dinge nach gegen Preußen gerichtet sein2)«, und Rechberg hatte nach seiner Umschwenkung noch gegen Fröbel den Gedanken geäußert, daß man »zunächst eine vorläufige Neutralität im Anschlüsse an Preußen erstreben und also aus Rücksicht auf dieses den Reformplan aufgeben müsse.«s) Wie sollte also der Kaiser, der durch Intriguen der ultramontanen Kriegspartei für die Unternehmung entflammt worden war, allein die Absicht gehabt haben, den Wünschen Preußens entgegenzukommen? Die Regensburger Ratgeber weilten auch während des Kongresses in Frankfurt, und auch dort wird die Verbindung zwischen ihnen und dem Kaiser nicht völlig unterbrochen worden sein. Und wenn der Kaiser auch von Natur durchaus nicht preußenfeindlich gesinnt war und einer Verständigung auf Grund der von ihm gestellten Bedingungen eher geneigt war, als daß er ihr hätte entgegenwirken mögen, so war diese Grundstimmung doch durch die ehrgeizigen Pläne, die ihm nahegelegt worden waren, auf dem Fürstentage mehr in den Hintergrund gedrängt worden. Darum nimmt es gar nicht wunder, daß gerade die Erringung der Präsidialwürde mit so zähem Eifer verfolgt und Konzessionen in dieser Beziehung grundsätzlich abgelehnt wurden. Rechberg, der durch die Rivalität Biegelebens mit einem sonst unverständlichen Eifer für eine Sache zu ') »Ich ging von dem Gedanken aus, daß von seiten Österreichs ohne Zeitverlast nach einem großen Plane gehandelt werden müsse, wenn man verhindern wolle, daß Preußen in Deutschland seine Absichten erreiche.« Fröb. II, 102. ') 289D. s) Fröb. 249.
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Die Urteile des Herzog* aber die Hauptfragen.
wirken sich genötigt fand, die seiner politischen Überzeugung widersprach, erklärte dem sächsischen Minister Beust, daß er in bezug auf das österreichische Präsidialrecht Preußen gegenüber keine Nachgiebigkeit zeigen werde.1) Ähnlich muß er sich auch zu einem Korrespondenten während der ersten Sitzungen geäußert haben; denn dieser teilt mit, Rechberg habe versichert, er werde sich weder auf Parität mit Preußen noch auf Volkswahlen einlassen. Es lag eben für Rechberg nicht fern, nachdem er einmal seiner Überzeugung untreu geworden war, bald die äußerste Konsequenz zu ziehen und sich auf die extremste Seite des neugewonnenen Standpunktes zu stellen, nur um seinen Rivalen noch beim Kaiser zu überbieten. Er ging in der Betonung der österreichischen Ansprüche so weit, daß manche, wie Ebeling und Ottokar Lorenz, den Eindruck ge wannen, er hätte durch diese zuweilen ungeschickte Überspannung das Reformprojekt absichtlich zum Scheitern bringen wollen. Hätte dies in seiner Absicht gelegen, so wäre nicht zu verstehen, warum er, als der Kaiser selbst nicht mehr an die Durchführbarkeit der Reform glaubte, die Nürnberger Konferenzen einberief und mit großem Eifer für die Wiederbelebung des Werkes und scharfe Opposition gegen Preußen wirkte. Unmittelbar nach der Beendigung der Beratungen sprach sich der Kaiser zum Großherzog Friedrich von Baden ganz deutlich darüber aus, daß er selbst an die Durchführbarkeit der Reform nicht mehr glaube. Er sehe die Sache aber nicht so schwer an, weil er überzeugt sei, daß bei ausbrechenden revolutionären Bewegungen in Deutschland die Fürsten doch immer ihren Rückhalt an Osterreich würden suchen müssen, wie immer auch die Bundesverhältnisse beschaffen wären.'-) ') Beust, Aus drei Viertel-Jahrhunderten, Bd. I, 328. >Beust« H, 96/97. ') Ottokar Lorenz, Großherzog Friedrich von Baden.
Ebeling,
Resultat.
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Diese hoffnungslose Stimmung ist beim Kaiser vor der Abstimmung über die Präsidialfrage in der letzten Sitzung nicht vorauszusetzen. Sonst hätte er dafür nicht noch einmal seine ganze Persönlichkeit eingesetzt. Die Schlußrede, die er vor der letzten Sitzung und dem ungünstigen Resultat der Abstimmungen ausgearbeitet hatte, steht mit den Bemerkungen an den Großherzog von Baden in auffallendem Widerspruch. Der Kaiser scheint somit bis zum letzten Augenblick auf einen günstigen Verlauf der Beratungen gehofft zu haben. — Am 18. September hatte Poche eine Audienz beim Kaiser. Er fand ihn ernst und nicht frei von Voreingenommenheit. Poche muß dabei auch an die Unfruchtbarkeit der Anstrengungen in Frankfurt denken. 1 )
Resultat. Das Urteil, das der Herzog von Koburg über den Kaiser, seinen Minister Rechberg und das Verhältnis beider zueinander fällt, stimmt also nicht überein mit den Tatsachen, wie sie der historischen Betrachtung entgegentreten. Es ist nicht einmal in sich einheitlich und ohne Widersprüche. Der Kaiser wird der bestunterrichtete österreichische Staatsmann in bezug auf die deutsche Frage genannt, und doch soll er von bedeutsamen Schritten seines eigenen Kabinetts keine Ahnung gehabt haben. Seine preußenfreundliche Gesinnung wird immerfort uneingeschränkt hervorgehoben, und doch sieht sich der Herzog gezwungen, selbst einmal ein Fragezeichen zu seinen eigenen Angaben in dieser Richtung zu machen. Nach der Darstellung des Herzogs muß mit Notwendigkeit angenommen werden, daß die Aktionen und die Entscheidung auf dem Fürstentage vom Kabinett herstammten, während in Wahrheit das Kabinett seine ') österr. Rs. VII, S. 4S4.
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Die Urteile des Herzogs aber die Hauptfragen.
Haltung nur nach der des Kaisers einrichtete, und somit bei diesem die Leitung der Politik zu suchen ist. Ebensowenig ist das Urteil über die Spaltung zwischen Kabinett und Monarch aufrecht zu erhalten. Diese Voraussetzungen waren nötig, wenn der Herzog seinem Urteile über die günstige Haltung des Kaisers zu den preußischen Ansprüchen Glaubwürdigkeit und Konsequenz verleihen wollte. Doch auch dies Urteil steht im stärksten Widerspruch mit dem ganzen Zusammenhang der Begebenheiten. Im vollen Umfange entspricht dagegen das Bild, das der Herzog von Schmerling gezeichnet hat, der Wirklichkeit. Doch dieser hat wenigstens mit dem Unternehmen in Frankfurt wenig zu tun gehabt. Natürlich finden sich auch vom Kaiser und besonders von Rechberg in der Koburgischen Darstellung Züge, die ihrer wahren Gesinnung und Betätigung entsprechen; aber die Grundzüge sind so wenig richtig getroffen, daß das ganze Bild an Entstellung leidet und äußerst geringe historische Verwendbarkeit besitzt. Zu einer Milderung dieses Urteils können auch die Ausführungen von Ottokar Lorenz nicht veranlassen. Dieser hat sich bei allem, was er im Anschluß an die Mitteilungen des Herzogs von Koburg über den Fürstentag geschrieben hat, so merkwürdig vergriffen und hat die Fehler, die im Werke des Herzogs Ernst noch einigermaßen erträglich sind, durch Weiterbildung so stark vergröbert, daß dadurch am deutlichsten die Gefahren sichtbar werden, denen der Historiker bei kritikloser Benutzung der im Herzoglichen Memoirenwerke mitgeteilten Tatsachen und Urteile erliegen kann. Besonders störend und irreführend ist bei Lorenz die axiomatische Behauptung von der unversöhnlichen Gegnerschaft Rechbergs Preußen gegenüber. Nicht weniger seine Anschauung von Kaiser Franz Joseph als einer schwachen, über die deutschen Verhältnisse völlig unaufgeklärten Persönlichkeit. Über Rechberg ist bisher
Erkl&rungegründe für die Unrichtigkeiten im Urteil.
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eigentlich nur Fried jung richtig informiert gewesen, dessen kurze Ausführungen über den Fürstentag zu dem Besten gehören, was darüber geschrieben worden ist. Im deutschen Nekrolog hat Friedjung zuerst Rechbergs wahres Verhältnis zu Preußen ausführlich klargelegt und begründet. Aber dort kommen wieder die Schwächen seines Charakters, sein merkwürdiges Schwanken, nicht recht zum Ausdruck, und gerade diese Schwächen hatten bisher völlig das Urteil über Rechberg beherrscht. Gelegentlich deutet der Herzog von Koburg an, daß er die dunkle Vermutung nicht habe unterdrücken können, als wäre »die Aufstellung der Bundesreform mehr ein Schachzug in der allgemeinen europäischen Entwicklung gewesen.«1) Er glaubt in dieser Hinsicht einen Zusammenhang mit der polnischen Frage ahnen zu können.2) Möglich, daß derartige Erwägungen bei den Räten im auswärtigen Ministerium hineingespielt haben. Bei den Ministern und dem Kaiser scheinen sie jedoch nicht vorauszusetzen zu sein. Sicherheit läßt sich jedoch wegen der Unzulänglichkeit der veröffentlichten Quellen darüber nicht erlangen.
Erklärungsgriinde ftir die Unrichtigkeiten im Urteil des Herzogs. Für die Wiedergabe der Urteile, die sich der Herzog von Koburg über die bestimmenden Faktoren und die leitenden Persönlichkeiten bilden konnte, waren die Bedingungen besonders ungünstig. Aufzeichnungen lagen ihm nur für die Zeit vor Beginn des Fürstentages vor, nämlich die Berichte von Gagern und Francke. Für die Verhandlungen, Audienzen und Besprechungen war er abgesehen vom Protokoll lediglich auf das Gedächtnis angewiesen, denn aus dem Tagebuche war inhaltlich l
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Die Urteile des Herzogs über die Hauptfragen.
darüber nichts zu ersehen. Wenn auch bestimmende Eindrücke über Persönlichkeiten und ihre Anschauungen und Bestrebungen lange Zeit in der Erinnerung verbleiben, so ist es an sich schon höchst unwahrscheinlich, daß es dem Herzog gelungen sein mag, den Inhalt der einzelnen Unterredungen nach 20 Jahren so genau aus dem Gedächtnisse wiederzugeben, wie sie sich im Berichte darstellen. Weitere Fehlerquellen haben sich dadurch ergeben, daß Ernst II. die komplizierten Vorgänge hinter der Bühne der sichtbaren Begebenheiten nicht kannte und daher vielfach falsch kombinierte. Es ist ein ungemein starker Trieb im Menschen, sich für einzelne an sich zusammenhanglose Tatsachen eine Verbindung zu bilden und nach den Gründen zu suchen. Man könnte ihn geradezu den kausalen Trieb nennen. Eine nüchterne, verstandesklare Natur weiß dem Streben nach kausaler Einordnung der Ereignisse dort Halt zu bieten, wo die für sie erkennbare Wirklichkeit aufhört. Dem mit einer starken Phantasie begabten Menschen aber verschwimmen leicht die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit. Besonders eine Natur wie der Herzog konnte die Entsagung nicht üben, wie Fröbel nur das sicher Erschaute und Gewußte zu berichten. Weil der Herzog in seiner historischen Darstellung auf den Grund der Begebenheiten zu gehen versuchte und die ihm teilweise" unbekannten Kräfte, die im Verborgenen gestaltend wirkten, aufgefunden zu haben glaubte, so verschoben sich im Laufe der Zeit auch seine einzelnen Beobachtungen nach der Richtung seiner Ideen. Er wollte ein historisches Gemälde des gesamten Bundesreformversuches zeichnen, und dazu fehlten ihm die Voraussetzungen. Es drängte ihn viel zu sehr zur Überwindung der Klüfte, von denen seine Erkenntnis notwendig durchzogen sein mußte, als daß er sich mit einer Aneinanderreihung dessen hätte begnügen können, was er
Erklärungegr&nde für die Unrichtigkeiten im Urteil.
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selbst gesehen und gehört hatte und noch sicher zu wissen glaubte. Die Hauptrolle unter den Gründen aber, warum der Herzog an bestimmten Punkten die Begebenheiten und Personen nicht so darstellt und beurteilt, wie sie eigentlich gewesen, spielt die Tendenz. 1866 hatte die preußische Sache gesiegt, und der Herzog hatte sich noch rechtzeitig auf diese Partei gestellt und blieb ihr fortan bis zu seinem Tode treu. Doch nicht immer war er ein Parteigänger Preußens gewesen. Besonders während des Fürstentages tendierten seine Neigungen, wie noch zu zeigen sein wird, stark nach Österreich. Nun war eine stark ausgeprägte Eitelkeit ein Grundzug seines Wesens, und er hätte um keinen Preis zugegeben, daß er in dieser ganzen Zeit der Hinneigung zu Österreich auf Irrwegen gewandelt sei; denn der Erfolg hatte der Sache Österreichs Unrecht gegeben. Von preußischem Standpunkte aus konnte ihm seine damalige zweifelhafte Haltung außerdem vorgeworfen werden und war ihm auch vorgeworfen worden. Es lag also in seinem Interesse, zu zeigen, daß auch dieser österreichische Versuch einer Bundesreform die für ihn glaubhafte Möglichkeit in sich geborgen habe, den Ansprüchen Preußens gerecht zu werden, oder wenigstens, daß er dank der Gesinnung, die er beim Kaiser vorgefunden hatte, berechtigt sein konnte, dies zu glauben. Man wußte preußischerseits, daß Herzog Ernst sich für die Bundesreform nach Kräften bemüht hatte, und wenn es offenbar wurde, daß diese nur dazu hatte dienen sollen, den österreichischen Standpunkt auf Kosten Preußens durchzuführen, so war das Aufgeben der Vertretung preußischer Interessen durch den Herzog offenbar. Alle diejenigen, die ihm ein Verlassen des preußischen Standpunktes und ein Hinüberschwenken in das österreichische Lager vorgeworfen hatten, wären im Rechte geblieben. Daher bemühte sich der Herzog, sein
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Die Urteile des Herzogs aber die Hauptfragen.
Wirken für die Sache Preußens möglichst stark zu betonen und wenigstens die Person des Kaisers so darzustellen, daß von dieser Seite Hoffnung auf Berücksichtigung seiner Bemühungen gewinkt hätte. Die Mittel, die der Herzog von Koburg anwendet, um in seiner Darstellung eine Gesinnung des Kaisers zu erzielen, wie er sie für seine Tendenz braucht, sind an sich schon nicht sehr vertrauenerweckend. Da er keinen einzigen Schritt des Kaisers anführen kann, den dieser in der Reformangelegenheit zugunsten Preußens getan hätte, so muß er sich darauf beschränken, persönliche Versicherungen des Kaisers wiederzugeben. Bezeichnenderweise vermag er für die beiden längeren Unterredungen mit dem Kaiser während des Fürstenkongresses kein genaueres Datum anzugeben.1) Die Audienz »in einem späteren Stadium der Verhandlungen! hatte für den Herzog den Zweck, dem Kaiser zwei Anträge vorzuschlagen, die er in der Versammlung einbringen wollte. »Sie hatten beide in verschiedener Form die Absicht, eine Verständigung über die Frage des Bundespräsidiums den besonderen Unterhandlungen der beiden Großmächte vorzubehalten«.2) Dagegen wäre schon mancherlei einzuwenden. Es existierte nur eine Möglichkeit, das Ziel der angeblichen beiden Anträge in verschiedener Form zu erreichen, nämlich vorläufige Offenhaltung des Alineas über das Präsidium. Über die Verhandlungen der beiden Großmächte ließ sich nichts vorschlagen. Der Herzog konnte also nur einen Antrag für das angegebene Ziel aufstellen. Hat er sich aber nachträglich im Inhalte dieser beiden Anträge geirrt3), was nicht ausgeschlossen ist, so konnte der andere Antrag nur darin bestehen, daß von der Versammlung bereits ein Alternat beschlossen werden sollte, um Preußen den Anschluß zu erleichtern. Beide ') 318, 3281", IV. 9
») 318 m, iv.
) »eine Verständigung . . . v o r z u b e h a l t e n « .
Erklärungsgrande für die Unrichtigkeiten im Urteil.
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Möglichkeiten waren jedoch schon in der vierten Sitzung vorgeschlagen und vom Kaiser nicht genehmigt worden.1) Sagt doch der Herzog selbst, alle Welt hätte geglaubt, die Aussetzung des Alineas über das Präsidium wäre deshalb erfolgt, um die Gelegenheit für die Anbahnung einer Verständigung mit Preußen über das ganze Reformwerk zu geben.2) Ein nochmaliger Vorschlag des Herzogs in einem späteren Stadium der Verhandlungen ist daher ausgeschlossen. Die Sache schien ja bereits im Sinne dieser angeblichen Anträge erledigt zu sein, und diese wären überflüssig gewesen, weil sie bereits Dagewesenes nur wiederholt hätten. Außerdem ist nicht recht einzusehen, warum der Herzog für diese Anträge vorher die Genehmigung des Kaisers eingeholt haben sollte. Er hat dies bei dem Vorschlage über den Kriegsartikel, der Ähnliches bezweckte, und bei dem Amendement über die Zulassung von freien Wahlen nicht getan, da beide vom Kaiser in den Verhandlungen abgelehnt wurden. Eine weitere Schwierigkeit besteht in der chronologischen Einordnung. Das Tagebuch des Herzogs, das sogar am 19. August einen vergeblichen Besuch beim Kaiser notiert, verzeichnet keine Audienz. Nur einmal, am 26. August, der event. dafür in Betracht kommen könnte, ist verzeichnet: »Abends 7 Uhr Konferenz bei S. M. Kaiser von Österreich.« Doch diese Notiz gilt einer Komiteesitzung. Da aber jeder Besuch und jede Konferenz genau übereinstimmend mit den übrigen Nachrichten verzeichnet wird, so ist nicht einzusehen, warum eine so wichtige Audienz beim Kaiser nicht in das Tagebuch aufgenommen sein sollte. Der Herzog, der ihm sonst alle Daten entnimmt, kann daher für diese Audienz keine genaue Zeitbestimmung angeben. — Weiter berichtet er, daß er den Kaiser sehr bereit fand, »die ') Duckw. 1621-
') 3251-
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Die Urteile des Herzogs über die Hauptfragen.
Zweckmäßigkeit eines Antrages dieser Art, in welcher Form auch immer, anzuerkennen«, aber es hätte sich »von anderen Seiten« entschiedener Widerspruch dagegen erhoben, so daß er davon »absehen mußte, dieselben in die Konferenz zu bringen.« Man sollte meinen, daß mit dem allgemeinen Ausdruck »von anderen Seiten« die Räte des Kaisers gemeint wären, weil ja die Erzählung dieser Audienz gleichzeitig beweisen soll, »daß, was Osterreich betraf, die persönliche Meinung des Kaisers einer Verständigung mit Preußen bei weitem günstiger war als die seiner Räte.« Den »vollgültigen Beweis« aber für die antipreußische Gesinnung der Kaiserlichen Räte, den der Herzog verspricht, bleibt er schuldig. Er muß schließlich gestehen, daß es ihm an Anhaltspunkten gefehlt habe, zu beurteilen, wie das Ministerium dieser für Preußen günstigen Stimmung des Kaisers gegenübergestanden habe. Oder soll man hier zwischen den Kaiserlichen Räten und dem Ministerium unterscheiden, so daß etwa die Hofräte dem Herzog Opposition gemacht hätten? Darauf ließe sich ebensowenig eine befriedigende Antwort finden wie auf die Frage, warum denn der Herzog nicht dennoch seine Anträge eingebracht hätte, da er den Kaiser und, wie er wissen mußte, auch die Mehrzahl der Fürsten hinter sich gehabt hätte, wo doch in der Versammlung wenigstens die bösen Räte des Kaisers nichts zu sagen hatten. Welchen realen Kern diese Audienz gehabt haben mag, läßt sich nicht feststellen. So wie sie berichtet wird, erscheint sie als Phantasieprodukt. Sie paßt ja auch zu gut in die Tendenz des Berichtes: Kaiser und Kabinett sind gespalten, der Kaiser ist einer Verständigung mit Preußen geneigt, während seine Räte die guten Absichten zu vereiteln wissen. Außerdem wird dadurch die Besorgnis und das Wirken des Herzogs für Preußen gebührend hervorgehoben. So ist diese vom Herzog
Erklärungsgründe für die Unrichtigkeiten im Urteil.
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von Koburg mitgeteilte Besprechung für das Urteil über den Kaiser sehr gering zu bewerten. Damit soll jedoch nicht bestritten werden, daß der Kaiser tatsächlich gelegentliche Äußerungen über seine Bereitwilligkeit, sich mit Preußen zu verständigen, getan haben mag. Diese müssen aber viel zurückhaltender gewesen sein und besagten gar nichts, da sie mit seiner Haltung bei den Verhandlungen nicht im Einklang standen. Diese möglicherweise gefallenen Äußerungen des Kaisers, der dann eine preußische Parteigftngerschaft des Herzogs vorausgesetzt hätte und diesen damit gewinnen wollte, sind vielleicht die bescheidenen Keime gewesen, die sich unter dem Einfluß der Tendenz und unrichtiger Kombinationen zu jenen vom Herzog berichteten entschieden preußenfreundlichen Zusicherungen ausgewachsen haben. Ein anderes Mittel, die Person des Kaisers der Tendenz entsprechend erscheinen zu lassen, ist die Unterdrückung seiner Stellungnahme gegen gewisse Anträge, deren Mitteilung ihu in einem anderen Lichte würde erscheinen lassen. Sowie der Kaiser zu den Hauptopponenten gegen die Vorschläge gehört, die der Herzog im Interesse der populären Gewalten am Bunde befürwortet, übergeht der Herzog diese Tatsache mit Stillschweigen und nennt nur die Mittelstaaten, die im Protokoll erst an zweiter Stelle, nach dem Kaiser, genannt werden. 1 ) Ganz besonders scharf tritt dies hervor, als der Kaiser sich in erster Linie gegen eine häufigere Einberufung der Delegiertenversammlung aussprach. Dies erwähnt der Herzog mit keiner Silbe. Ebenso läßt er die Versuche, die Rechte der Volksvertretung zu erweitern, nur an dem Widerstande der Mittelstaaten scheitern. Überhaupt läßt der Herzog über die Anteilnahme des Kaisers an den Verhandlungen wohlweislich ') Prot. 108i. 111 v.
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Die Urteile des Herzogs fiber die Hauptfragen.
nichts anderes verlauten, als was mit seiner Eigenschaft als Präsident und formaler Leiter der Verhandlungen unmittelbar zusammenhing, so daß man über die Wirksamkeit, die der Kaiser tatsächlich auf den Gang der Verhandlungen ausgeübt hat, völlig unzutreffend unterrichtet wird. Hier tritt bei der schon bewiesenen starken Ausnutzung des Protokolls eine ganz bewußte Tendenz offen hervor. Der Herzog hatte seine Gründe, die Opposition des Kaisers zu verschweigen, und die Auswahl dessen, was ihm von den Mitteilungen des Protokolls für seinen Bericht genehm war, hat nach ganz bestimmten Rücksichten stattgefunden. Einigermaßen günstiger scheint es mit der Wiedergabe der Gespräche zu stehen, die der Herzog mit Rechberg gehabt hat. Das erste hat am 18. August laut Tagebucheintragung stattgefunden. Daß sich Rechberg über die Konzessionen an Preußen in so zurückhaltender Weise ausgesprochen hat, ist wahrscheinlich, denn es entsprach der Haltung, die er in Frankfurt einnahm. Ob aber der Herzog tatsächlich seinen ganzen Einfluß bei dem Minister auf diese Frage konzentriert hat und ob sich dementsprechend die Unterredung um diesen Punkt gedreht hat, läßt sich annähernd sicher nur aus einer Untersuchung über die politische Haltung ermitteln, die der Herzog in jener Zeit eingenommen hat. Gegen die Möglichkeit der zweiten Audienz Rechbergs beim Herzog läßt sich nichts einwenden. Die angegebene Zeit stimmt mit der Tagebuchnotiz überein, und auch die gewechselten Worte können so gefallen sein. Nur ist gegen die getreue Wiedergabe dieser Gespräche dasselbe prinzipiell einzuwenden wie bei denen mit dem Kaiser: sie können nach zwanzigjähriger Zwischenzeit nicht genau berichtet sein, da Gespräche sich recht schlecht im Gedächtnisse erhalten, viel schlechter als Ereignisse. Sie werden im wesentlichen aus der Situa-
Die politische Haltung des Herzogs von Koburg.
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tion geschöpft und so reproduziert worden sein, so daß sie etwa den Wert der Reden bei den antiken Historikern besitzen mögen. Da die politische Stellungnahme Rechbergs auf dem Fürstentage vom Herzog von Koburg richtig getroffen wurde — nicht sein Verhältnis zum Kaiser und den Regierungshandlungen —, so ist auch gegen die Möglichkeit der gesprächsweise geäußerten politischen Anschauungen Rechbergs nichts einzuwenden.
Die politische Haltung des Herzogs von Koburg bezüglich der Bundesreform. Alle Schritte, die der Herzog nach seinem Berichte im Privatverkehr bei den Leitern der österreichischen Politik tat, galten der preußischen oder der schleswigholsteinischen Frage. Sein Hauptinteresse, so könnte und soll man wohl auch glauben, hat auf dem Fürstentage die Befriedigung der preußischen Ansprüche gebildet. Sie hätte das Hauptthema der Gespräche mit dem Kaiser und Rechberg abgegeben. Da sich diese Unterredungen durch Verfolgung des historischen Zusammenhanges von der österreichischen Seite her zum Teil als unzutreffend erwiesen haben, so wäre es der Untersuchung wert, auch gestützt auf die Voraussetzungen der anderen Partei, also statt wie bisher der österreichischen Regierung, nun des Herzogs von Koburg und seiner politischen Stellung, seinen Angaben im Memoirenwerke noch weiter nachzugehen. Vor 1866 war Herzog Ernst II. nie ganz preußischer noch österreichischer Parteigänger gewesen. Er hatte zwischen beiden Großstaaten laviert, je nachdem sie ihm Aussicht boten, sein immerdar gleichgerichtetes Streben nach einem geeinigten Deutschland unter Berücksichtigung der Wünsche des Volkes zu verwirklichen. Ihn drückte auch die Wehrlosigkeit Deutschlands, die eine
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Die politische Haltung des Herzogs von Koborg etc.
Abstellung heischte gegenüber der unberechenbaren Politik Napoleons III. Diesem zentralen Interesse nach Einigung der zersplitterten deutschen Kräfte, ordnete der Herzog von Koburg seine jeweilige politische Stellungnahme unter. Es war dies auch der fundamentale Unterschied von seinem Freunde Gustav Freytag, der dieser Idealpolitik abgeneigt in guten und bösen Tagen unerschütterlich an Preußen festgehalten hat. Kamen gelegentlich kleine Trübungen in diesem für beide Teile ehrenvollen Freundschaftsbunde vor, so bewegten sich die Differenzen um diese Verschiedenheiten in der Denkweise. Nachdem 1849 der König von Preußen die deutsche Kaiserkrone abgelehnt und damit die Wünsche der deutschen Patrioten und Idealisten zu nichte gemacht hatte, suchte Herzog Ernst es in Wien durch Anknüpfung eines regen Verkehrs und durch entschiedene Bemühungen dahinzubringen, daß Österreich sich an die Spitze Deutschlands stellte und darauf lossteuerte, Deutschland unter dem kaiserlichen Zepter zu vereinigen. Er fand damit jedoch durchaus keinen Anklang.1) Gustav Freytag brachte solchen Abirrungen in das andere Lager sehr wenig Sympathie entgegen und versuchte gelegentlich, den Herzog ganz für seinen preußischen Standpunkt zu bekehren. Der Herzog aber war von seinen Grundsätzen nicht so leicht abzubringen. Ein im Juni 1856 von Frey tag unternommener Versuch, ihn ganz zu sich herüberzuziehen, ergab eine reinliche, scharfe Gegenüberstellung der beiden Standpunkte. Frey tag stellte drei verschiedene Möglichkeiten auf, unter denen der Herzog sein Lebensziel wählen könne. Das dritte dieser Ziele, das Freytag für das erstrebenswerteste hält, schildert er mit folgenden Worten: »Oder endlich kann ') Eigene Worte des Herzogs im Augast 1858 zu Th. v. Bernh a r d i , >Aus dem Leben . . .< III, 55.
Die politische Haitang des Herzogs von Kobarg etc.
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Ew. Hoheit zur Politik Ihres eigenen Lebens machen : der Feldherr des protestantischen Deutschlands, d. h. P r e u ß e n s zu werden, der Vertraute und intime Helfer des künftigen Monarchen von Preußen, welcher die große politische Idee, für die Ew. Hoheit jahrelang gekämpft und verhandelt: Deutschland ein Bundesstaat, Preußen sein Führer, den deutschen Fürsten gegenüber vertritt. Diese Stellung ist es, welche ich für Sie ersehne: Ratgeber und General der g u t e n preußischen Sache.« Die Antwort, die der Herzog darauf erteilte, hätte in der ganzen Zeit bis 1866 unter ähnlichen Umständen ähn lieh gelautet. »Ich bin ganz Ihrer Ansicht, daß, wenn wir keine gewaltsame Umwälzung bekommen, an die ich vorerst nicht glauben will, es am besten ist, Preußen zur Hauptmacht zu erheben und es den deutschen Namen verherrlichen und deutsche Ehre repräsentieren zu lassen. Aber sollen wir in Geduld und Ruhe warten?? Das wäre zu viel verlangt, und Europa wartet nicht, und wir dürften wie die Juden stets auf unseren Messias harren. In einer j e d e n Konstellation, jeder großen, will ich sagen, liegt etwas Gutes für uns, und wir dürfen uns nicht auf einen bestimmten ausgearbeiteten Plan endoktrinieren und die Hände ruhen lassen, bis die Konstellation [für ihn günstig wird.«1) Freytag ist preußisch patriotisch, der Herzog deutsch national gesinnt, und ihre Anschauungen verhalten sich wie der Sinn der Sprichwörter: ubi patria, ibi bene und ubi bene, ibi patria. Welcher der beiden deutschen Mächte den Wünschen des Herzogs Genüge zu leisten vermag, die hat ihn für sich. »Ihm ist vor allem an der Einheit Deutschlands gelegen; geht es damit auf die eine Weise nicht, so soll es eben auf eine andere gehen.«.2) Da er aber bei den Regierungen so wenig Entgegenkommen für die nationale Sache findet, und diese nicht ') Tempoltey, Briefwechsel, 59, 64. >) Bernhardi, HI, 65. Historische Bibliothek. XXI.
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gewillt sind, Schritte zur Gewinnung der deutschen Einheit zu tun, so wendet er sich unmittelbar an die populären Gewalten, um die deutsche Frage von unten her zu lösen. Am 18. August 1859, als der Herzog von Koburg sich wegen des Zurückhaltens der preußischen Regierung im italienischen Kriege verstimmt zurückgezogen hatte1), sprach er für die für Mitte September nach Frankfurt berufene Versammlung der deutschen Nationalen seine Anschauungen in einer Denkschrift aus. »Keine Gothaer und Demokraten mehr! . . . Ist nur einmal Deutschland geistig einig, so wird der unendliche Druck, der durch die Konzentration des Volkswillens auf sämtliche Gouvernements ausgeübt wird, Wunder tun, und es wird nicht mehr davon die Rede sein, ob dieser oder jener große oder kleine Staat partikulär dynastisch denkt oder nicht. Die Fürsten werden mit dem Volke gehen müssen.«2) Um seinen liberalen Anschauungen auch durch die Tat zum Siege zu verhelfen, hatte Herzog Ernst von Koburg dem Nationalverein in seinem Lande eine Stätte gewährt und wirkte eifrig für seine Ideen. Wie wenig damals bei dem Herzog das Interesse des preußischen Staates im Mittelpunkte seiner Bestrebungen gestanden hat, kann man aus einem Gespräche mit Bernhardi am 2. September 1860 ersehen. Der Nationalverein sollte demnächst in Koburg sein eigenes Programm feststellen. Unter mehreren Möglichkeiten, sagte der Herzog, wäre die dritte, daß »er die Hegemonie Preußens proklamiert und verlangt, daß diesem Staat die Vertretung des ') Th. v. Bernhardi, III, 211/2. »Der Herzog ist sehr ärgerlich darüber, daß man in Berlin jetzt nicht losschlagen will; das ist nach seiner Meinung der einzige Weg, der zu Preußens Größe führt.« »Der Herzog ist übel zu sprechen auf das Treiben hier in Berlin. Die Leute seien zu nichts zu bringen, hier, wo man so gern die Großmacht spielt und doch nicht wirklich groß sein will. «
>) H, 532 ni, iv.
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Bundes nach außen und die Militärmacht in ganz Deutschland überlassen werde.«1) Sollte dies beschlossen werden, so müßte auch der Herzog dem National verein seinen Schutz entziehen. Offenbar fürchtete er, daß er dann mit einer weiteren Protektion des Nationalvereins sein Ideal einer festen deutschen Einheit verletzen würde; denn so sehr der Herzog auch innerlich wünschte, daß die deutsche Einigung von Preußen ausgehen möchte, so schienen ihm doch zu dieser Zeit dort die Zustände derart zu sein, daß das nationale Streben von dieser Seite nichts weniger als eine Förderung zu erwarten hätte. Dadurch, daß er die Möglichkeit einer Proklamierung der preußischen Hegemonie durch den Nationalverein von sich abwies, wollte er verhindern, daß dieser zu einem Organ spezifisch preußischer Interessen wurde, was, wie jetzt die Dinge lagen, dem Streben nach nationaler Einigung nur gefährlich werden konnte. Im Jahre 1861 charakterisiert seine Denkschrift an Gagern vom 25. Januar, mit der er wieder bei Österreich anklopft, seine politische Gesinnung. »Preußen muß so mit Deutschland verschmolzen werden, < heißt es da, »daß preußische Interessen sich nicht mehr von deutschen scheiden lassen« (133 n ). Das bedeutet: Preußen muß in Deutschland aufgehen. Man sieht, dem Herzog fehlt vorläufig völlig ein Verständnis für den preußischen Staatsgedanken, wie er durch Bismarck zum Siege geführt wurde. Nicht Preußen durfte in Deutschland aufgehen, sondern Deutschland mußte sich an Preußen anlehnen. So stand bei Ernst II. immer das nationale, nicht das preußische Interesse im Vordergrund seines Strebens. Im Falle des Konfliktes gab er unbedenklich dem nationalen den Vorrang. Dies kommt in seinem Memoirenwerke nicht klar genug zum Ausdruck, weil er ein Interesse daran hatte, den wahren Sachverhalt zu verschleiern. ') Th. v. Bernhardi IV, 18.
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Das Verhältnis des Herzogs zu Bismarck. Ebenso ist der Herzog bemüht, den tiefen Zwiespalt, der ihn bis 1866 von Bismarck trennte, geflissentlich zu verbergen und aus der Geschichte auszulöschen. Gleich von Anfang an will er gegen ihn günstig gesinnt gewesen sein. Als er darauf zu sprechen kommen muß, wie er persönlich der Berufung des neuen Ministers 1862 gegenübergestanden habe, geht er einer Erörterung vorsichtig aus dem Wege. Es ließe sich nicht mit wenigen Worten sagen, was er selbst über den epochemachenden Wechsel im preußischen Ministerium gedacht habe.1) Als dann Bismarck mit unbeugsamer Kraft seinen dynastischen Standpunkt durchführte, will dem Herzog Ernst zwar die Methode, mit der »der gewaltige Staatsmann in Berlin über die öffentliche Meinung hinwegschritt, damals noch nicht notwendig gebotene erschienen sein, aber er hätte nicht die Energie verkannt, »welche endlich in der neuen und ungewohnten Sprache preußischer Erklärungen über die Bundesreform jetzt zutage gekommen war».2) Eine andere Sprache redet die Denkschrift, die der Herzog in den ersten Tagen des April 1863 an den Kronprinzen sandte und die bezweckte, im Gegensatze zu dem kalten Lossteuern des Ministeriums auf eine kriegerische Lösung der Verwicklungen in Deutschland, die Mißverständnisse in Berlin zu bannen und durch eine direkt« Aussprache der deutschen Fürsten diese furchtbare Eventualität zu vermeiden.s) In dieser Denkschrift spielt eine versteckte Polemik gegen Bismarck. Der König hätte sich genötigt gefunden, »Männer zu berufen, zu denen das Land unmöglich unbedingtes Vertrauen haben konnte«. Auch wären »diese Männer« (eine Umschreibung für Bismarck) nicht imstande gewesen, in den Ver') 244 I-
•) 2781-
») 2781".
Das Verhältnis des Herzogs zu Bismarck.
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Wicklungen mit den Kammern und auch in der deutschen Sache die richtigen Wege zu finden.1) Den ersten politischen Akt des Ministeriums, die Konvention mit Rußland im Polenaufstande, nennt er ebenso unglücklich wie überflüssig.2) Dieser Denkschrift als Überbleibsel aus den Ereignissen gebührt mehr Glaubwürdigkeit als jenen tendenziös zurückhaltenden Äußerungen nach so vielen Jahren bei völlig veränderter Situation. Nachdem Bismarck das deutsche Einigungswerk vollbracht hatte, freilich in ganz anderer Weise, als Herzog Ernst geahnt und erBtrebt hatte, als dieser nun nach den Schwankungen vor 1866 die preußische Sache dauernd zu der seinigen gemacht und ein gutes Verhältnis zu dem vorher von ihm bekämpften Staatsmanne gesucht und gefunden hatte, mußte es seiner von Grund aus eitlen Natur unerträglich erscheinen, andere Wege verfolgt zu haben als die, welche zum Ziele geführt hatten, und einzugestehen, daß er sich geirrt hatte. Auch mag er wohl früheren Haß und gewesenen Streit völlig haben vergraben wollen. Jedenfalls ist das Bestreben deutlich zu erkennen, alle Abirrungen von dem Standpunkte, den er später einnahm, nach Möglichkeit zu verdecken und auch seine scharfe Stellungnahme gegen Bismarck zu verhüllen. Und doch mußte er aus der Notwendigkeit seines allerdings bei allen politischen Wandlungen unerschütterlich festgehaltenen Standpunktes in der deutsch - nationalen Frage ein erbitterter Gegner Bismarcks sein. Ihr fundamentaler Wesensunterschied war, daß der Herzog einer Idee, Bismarck in erster Linie einem Staate diente. Wenn er die Lösung der deutschen Frage in Angriff nahm, so wollte Bismarck sie durch eine starke Monarchie und in steter Rücksicht auf ein mächtiges Preußen durchführen; der Herzog dagegen wollte durch eine ') 280 m.
») 2811-
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Stärkung der populären Gewalten, durch einen starken Druck von unten seine nationalen Ideen einer Lösung entgegenführten. Darum seine Förderung aller liberalen Bestrebungen, die Bismarck wiederum bekämpfen mußte. »Bismarck mußte in diesem ganzen demokratisch-liberalen Treiben einen Angriff nicht bloß auf den Monarchismus sehen, sondern auf den Bestand des preußischen Staates, c Genöe, damals Redakteur des Herzogs, weiß aus persönlicher Erfahrung, daß Ernst II. über die Ernennung Bismarcks aufs äußerste bestürzt, beunruhigt, ja sogar erbittert war; er meinte, »daß diese Wendung überaus gefahrvoll sei, für Preußen und für Deutschland«.2) In seinem eignen Blatte bekämpfte Herzog Ernst die Politik Bismarcks mit Mitteln, die zum Teil «benso naiv wie recht bedenklicher Natur sein konnten.3) Dieses ihm in jeder Beziehung widerstrebende Ministerium war der tiefere Grund für die energische Abkehr von Preußen im Jahre 1863.
Die politische Haltung des Herzogs im Jahre 1863. Die unmittelbare Veranlassung zu einer neuen starken Anknüpfimg des Herzogs von Koburg an Österreich waren eigenhändige Bemerkungen des Königs Wilhelm zu einer Denkschrift des Herzogs, die dieser im Frühjahr 1863 in die Hände des Kronprinzen hatte gelangen lassen. Aus einer dieser Randglossen Wilhelms gewann Ernst II. ') A. v. Ruville, »Bism. u. d. großdeutsche Gedanke.« Forschungen zur brandenbg.-preuß. Gesch. 16, S. 408. Wenn dem angefahrten Satze auch zugestimmt werden kann, so enthält der Aufsatz besonders in seinen Partien Ober den Fürstentag so grolle Mißgriffe und Irrtümer, daß daraus für dessen Geschichte kaum etwas zu holen sein dürfte. ') Genöe 192. •) Genie (203) gibt ein Beispiel dafür.
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die Sicherheit, daß Preußen die von Bernsdorff formulierten Absichten auf eine deutsche Bundesreform definitiv vertagt habe, und sogleich stand sein Entschluß fest, es wieder einmal mit Österreich zu versuchen. Schon im Antwortschreiben an den Kronprinzen kommt dies zum Ausdruck. Wenn Preußen das augenblicklich und unbedingt Notwendige auf unbestimmte Zeit »ajournieren« will, warum sollte es unmöglich sein, daß Österreich endlich einmal die Wünsche des deutschen Volkes verstände und sie mit seinen eigenen vereinigte?1) Unmittelbar nachdem der Herzog über die ablehnende Haltung, die Preußen in der Bundesreformangelegenheit einzunehmen gesonnen war, Gewißheit erhalten hatte, richtete er einen Brief an Schmerling, in dem er zu «iner großen und nationalen Tat zur Förderung des deutschen Einigungswerkes aufforderte.2) Die Zeitumstände schienen ein Hervortreten Österreichs zu begünstigen. Preußen war innerlich zerrissen und in Deutschland im höchsten Grade unpopulär geworden. Darum wandte sich die nationale Strömung von dem isolierten Preußen ab »und kehrte sich in immer weiteren Regionen dem alten Kaiserstaate an der Donau zu«, wo man auf eine Veränderung der Lage durch das Hervortreten neuer Pläne hoffte.3) Der Herzog selbst rechnete stark damit. In dem Briefe an König Leopold vom 29. Juni spricht er sich unumwunden darüber aus: »Der Augenblick ist für diesen Plan der günstigste; Preußen in Verlegenheit und diskreditiert bei den Bevölkerungen . . .c Österreich müßte in der kürzesten Frist hervortreten, sonst würde sich die Situation ungünstig verändern. Die reaktionären Beschlüsse vom Berliner Hof würden Zeit haben, an den Höfen der Mittel- und Kleinstaaten Terrain zu gewinnen.4) Daß, ') 283iv. •) 2851») 245. *) S. die Vorbemerkungen. Diese Sätze sind in dem Abdruck des Briefes S. 296 aus guten Gründen unterdrückt worden (vgl. u. 8.168).
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wer so kalkulierte, kein unbedingter Anhänger Preußens war, ist selbstverständlich. Diesmal hatte der Herzog mehr als je alle Hoffnung auf den Staat verloren, von dem er in seinem innersten Empfinden am liebsten die Erfüllung seiner deutschen Träume gesehen hätte. Um so leidenschaftlicher warf er sich nun der österreichischen Partei in die Arme, entschlossen, durch sie alles zu gewinnen oder alles zu verlieren. Wenn Preußen nicht selbständig den Weg der Reformen beschreiten wollte, so sollte der Rivale an der Donau die deutschen Fürsten durch ein starkes, zielbewußtes Hervortreten mit sich reißen. Und wie hätte dann Preußen wagen sollen, allein in der Isolierung zu verharren? Es liegt etwas Tragisches in diesem verzweifelten Ringen, zu sehen, wie der Herzog trotz der trostlosen Aussichten in Wien für die Wünsche der deutschen Patrioten dennoch nicht den Mut sinken läßt und daheim durch mündliche und schriftliche Überredung für den Plan zu wirken fortfährt, damit nur überhaupt etwas geschehe und selbst kümmerliche Ansätze sich durch die Gewalt der öffentlichen Meinimg zu freieren und stärkeren Institutionen fortentwickeln könnten, damit das deutsche Vaterland den Eroberungsgelüsten Frankreichs machtvoll geeint gegenübertreten könnte. Denn, daß "ihm für eine entsprechende Berücksichtigung des Volkswillens bei der Einrichtung des neuen Bundes bei seinem Besuche in Wien auch nur einigermaßen befriedigende Zusicherungen gemacht worden sind, ist völlig ausgeschlossen. Der österreichische Staatsmann sollte noch aufgezeigt werden, der dergleichen hätte tun können. Wer aus der Umgebung des Herzogs nicht gerade so österreichisch gesinnt war wie Meyern, versprach sich nichts von dem Projekt. Gustav Freytag zog sich verstimmt und auf die Kunde von der Betätigung des Herzogs in Frankfurt sogar grollend zurück. Er hatte bei seinem letzten Zusammensein mit dem Herzog bald
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nach dessen Reise nach Wien den Eindruck gewonnen, daß sein herzoglicher Freund stark im österreichischen Fahrwasser schwimme und daher von ihm ein Anschluß an den eventuellen Vorgang Badens und eine Ablehnung des österreichischen Delegiertenprojektes kaum erwartet werden könne.1) Auch Tempeltey erwartete wenig oder nichts. »Aber der Herzog ist voll Hoffnung«, kann er Bennigsen melden. Und doch wußte Herzog Ernst, daß sich Osterreich durch eine Ablehnung Preußens nicht würde aufhalten lassen. Rechberg hatte dies in dem letzten Gespräche dem koburgischen Kabinettsrat Francke mitgeteilt, und dieser hatte es in seinem Berichte nach Hause gemeldet. So rechnete der Herzog und seine Umgebung mit dieser Eventualität, wovon der Brief Tempelteys an Bennigsen zeugt.2) Dessenungeachtet verwendete sich Ernst II. nach Kräften für das österreichische Projekt und war sogar bereit, viele seiner Forderungen fallen zu lassen, wenn nur etwas zustande gebracht würde. Dem Urteile Th. v. Bernhardis zufolge wäre der Herzog auf die österreichischen Pläne so viel als irgend möglich einlenkend sogar inkonsequent geworden. Diese Meinung, die sich auf G. Freytag und Usedom stützt, ist mehr als ein Gesamtresultat über die Haltung des Herzogs auf dem Fürstentage zu betrachten. Beide Gewährsleute Bernhardis versichern übereinstimmend, daß auch persönliche Motive wie Eitelkeit und Ehrgeiz sehr stark an seinem Hinüberschwenken auf die österreichische Seite beteiligt gewesen seien.3) Tempeltey dagegen hat den Eindruck empfangen, daß der Herzog bei seinem Aufenthalte in Wien seinen Standpunkt vollkommen gewahrt und vorsichtig inne') Dt. Rev. 31„ 316. *) »Ein Reformprojekt wird ausgearbeitet werden, und wenn Preußens Zustimmung nicht zu erlangen ist, den Gouvernements, vielleicht mit einer Ansprache des Kaisers, zugestellt werden.« •) Bernhardi, Eintragung vom 16. Nov. 1863, Bd. IV, S. 157.
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gehalten, auch seine freiere Auffassung nirgends verleugnet habe. Dieser Widerspruch ist bei dem unruhigen, zu Veränderungen stets geneigten Wesen des Herzogs nicht auffallend. Auch konnten sich Tempelteys Ansichten nur auf Mitteilungen des Herzogs gründen, der 6in Verlassen seines Standpunktes sicherlich nicht eingestanden haben würde, während dem Urteil Bernhardis ein breites Tatsachenmaterial zugrunde liegt. So war denn auch die öffentliche Meinung und die seiner preußisch gesinnten Beamten oder Bekannten in Übereinstimmung mit dem Urteil Genies, der Herzog hätte sich auf dem Frankfurter Fürstentage »bereits zu einer antipreußischen Haltung im Sinne Österreichs verleiten lassen« und hätte dort insofern eine bedenkliche Rolle gespielt.1) Am 15. August traf der Herzog in Frankfurt ein, »glücklich darüber, daß der Gedanke, welchen der Kaiser eingegeben habe, ausgeführt worden sei«. Dem Fürsten v. Hohenlohe-Schillingsfürst, der ihn sogleich besuchte, sagte er ganz offen, daß der Kaiser den deutschen Fürsten ohne Verzögerung eine neue Bundesverfassung vorschlagen, »gewißermaßen oktroyieren« sollte. »Preußen werde dann auf vierzehn Tage aus dem Bunde austreten, dann aber sehr glücklich sein, wenn man es wieder aufnehmen wollte.«2) Ohne Preußen dünkt natürlich dem Herzog eine Reform des Bandes unmöglich. Die 16 Millionen Preußen lassen sich für das geeinigte Deutschland nicht entbehren. Aber er scheint hier weit davon entfernt, auf dem Wege gütlichen Übereinkommens die andere, reindeutsche Großmacht gewinnen zu wollen. Da sie bisher nicht gutwillig wollte, so sollen sich die anderen deutschen Fürsten unter Österreichs Führung zusammenschließen, so daß Preußen isoliert dasteht und nicht anders kann, als sich dem vereinigten ') Genee, 184.
s
) Hohenl. I, 127.
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Willen seiner Bundesgenossen zu fügen. Zu diesem Zwecke erschien dem Herzog, wie ja auch dem Kaiser von Österreich, eine möglichste Beschleunigung des Geschäftsganges das Wünschenswerteste. Wäre alles glatt gegangen und Aussicht auf eine allgemeine Annahme durch die Fürsten gewesen, so hätte Ernst II. schwerlich sich selbst an der Amendierung des Entwurfes beteiligt.1) Als er diesen am 17. August erhielt, sprach er seine größte Befriedigung damit aus und verwendete den größten Teil des Nachmittages dazu, um bei anderen Bundesfürsten das Gewicht seiner gewonnenen Überzeugung im Sinne des Entwurfs geltend zu machen.2) Nach einigen Tagen, besonders aber durch die vertraulichen Beratungen zwischen der zweiten und dritten Sitzung, mußte auch der Herzog zu der Überzeugung kommen, daß bei den vorhandenen Gegensätzen eine so geschlossene Einmütigkeit für den Entwurf unter den Fürsten nicht werde erzielt werden können, wie er anfangs gehofft hatte. Und wie es bei Affektmenschen häufig der Fall ist, gab es nach der Zerstörung seiner frohen Aussichten Stunden der äußersten Hoffnungslosigkeit. Ein so kritischer Tag muß der 20. August gewesen sein. Am Vormittage hatte er wegen der trüben Lage eine Fürsten- und Ministerkonferenz einberufen, in der seine pessimistische Auffassung unverhohlen zutage trat.3) Und am Abend besuchte ihn Hohenlohe, der an seiner Stimmung sogleich bemerkte, »daß die Lage sich vollkommen geändert hatte«. Der Herzog erging sich in unmutigen Klagen über die Aussichtslosigkeit der Verhandlungen, weil Baden und die Gothasche Partei die Sache zum Scheitern bringen wollten.4) Daraus geht hervor, wie sehr der Herzog die Annahme des Entwurfes wünschte und wie wenig er, wenigstens ') 325IV.
*) Augsburger Allgemeine Zeitung 1963, S. 3829. ') Duckw. 158 o. «) Chlodw. Hohenl. I, 130.
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zu Anfang der Verhandlungen, auf Seiten der preußenfreundlichen Partei stand, die den Reformentwurf scheitern lassen wollte, weil die Akte den Ansprüchen Preußens zu wenig Rechnung trug. Daher hat der Herzog auch in den Sitzungen immer Partei gegen den Großherzog von Baden ergriffen, angeblich nur »wegen des Anschneidens formeller Vorfragen«, und hat die Geschäftsführung des Kaisers von Osterreich unterstützt.1) Nach der Sitzung am 24. August, als über das Direktorium abgestimmt worden war, belebte sich wieder die Hoffnung des Herzogs, und er äußerte sich zu Hohenlohe sehr befriedigt über das Resultat dieser Sitzung.2) Trotz alledem mußte sich aber Herzog Ernst sagen, daß nach den gemachten Erfahrungen der Druck nicht allzugroß sein würde, den die durch die Modifikationen und Vorbehalte aller Art geschwächte Reformakte, wenn sie überhaupt allseitig angenommen wurde, auf Preußen ausüben würde. Es mußte ihm also daran gelegen sein, jetzt den anderen Weg zu gehen und die notwendigsten Zugeständnisse durchzusetzen, die es gutwillig zum Anschlüsse bestimmen könnten. Denn davon war er jederzeit überzeugt, daß »ohne Preußens Teilnahme doch nichts zustande kommen könne«.s) Soweit dies aus den dürftigen Nachrichten zu erkennen ist, tritt nun bei ihm das Bestreben hervor, den Ansprüchen Preußens in gewissem Sinne Eingang zu verschaffen. In der fünften Sitzung stellte er den Antrag, die Beratung über die Bestimmungen über Krieg und Frieden vorläufig auszusetzen und diese einer Verständigung zwischen Osterreich und Preußen anheimzustellen.4) In der sechsten Sitzung verließ er seinen ursprünglichen Standpunkt einer möglichsten Beschleunigung des Geschäftsganges und brachte ein umfängliches Amendement über die Zulassung von Volkswahlen ein, welches völlig scheiterte. ') 321 iv. ») Hohen], I, 133. *) Prot. 106 iv.
») Duckw. 1521
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Da sich um diesen Punkt die grundlegenden Gegensätze der österreichischen und herzoglichen Auffassung bewegten, so ist auch aus dem Protokoll zu erkennen, daß der Herzog von Koburg keineswegs völlig im österreichischen Schlepptau gezogen wurde. Der Standpunkt, den Herzog Ernst in den letzten Sitzungen einnahm, wird recht anschaulich durch sein kleines Amendement dargestellt, das er für die Erledigung der Direktorialfrage in der Schlußsitzung am 2. September einbrachte, um zwischen den Gegensätzen zu vermitteln. Er stimmte für die Zuwendung des Vorsitzes an Österreich, unter der Voraussetzung, daß künftigen Verhandlungen in keiner Weise vorgegriffen werde.1) Damit schied er sich scharf von der Gruppe um Baden und Weimar, die sich für ein Alternat oder vorläufige Streichung der Bestimmung aussprachen, weil bei diesen Fürsten das Interesse für Preußen das bestimmende war. Für den Herzog von Koburg aber lag trotz der Mißerfolge, die zum Teil seine Absichten vereitelt hatten, noch immer die Annahme des Entwurfes so sehr im Mittelpunkte seiner Bestrebungen, daß Preußens Wünsche erst in zweiter Linie und nicht gerade sehr energisch berücksichtigt werden konnten. Sein Antrag will beides erreichen: vor allem die einmütige Annahme des Entwurfes, obgleich darin die Stellung Preußens so wenig berücksichtigt worden war, dies jedoch, ohne schon in der Fassung der Reformakte eine Verständigung mit Preußen von vornherein unmöglich zu machen. Wenn daher überhaupt eine zustimmende Majorität für die Reformakte erreicht wurde, so schrieb man dies vor allem den unausgesetzten Bemühungen des Königs von Sachsen und des Herzogs von Koburg zu.2) Es ist daher nicht eben sehr wahrscheinlich, daß das Verhalten des Herzogs von Koburg den preußischen ') Prot. 153, 159/60.
«) Ebeling II, 95.
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Ansprüchen gegenüber wirklich so gewesen ist, wie er es in seinem Berichte vom Fürstentage darzustellen sich bemüht. Dürfte man seiner Schilderung glauben, so hätte er von Anfang an nur bei der gänzlichen Befriedigung der Ansprüche Preußens an einen Erfolg dea Projektes geglaubt und daher alles getan, derartige Zugeständnisse zu erlangen. Auch sind diese tendenziösen Angaben nicht ganz frei von Widerspruch. Der Herzog behauptet, er habe auch nach dem Fürstentage noch daran geglaubt, eine neue Stellung Preußens im Bunde herbeiführen zu können, während er an anderer Stelle gesteht, er hätte sich in einem Irrtum über da» befunden, was Preußen wollte.1) Bei der mangelhaften Überlieferung ist es jedoch schwer möglich, die Angaben des Herzogs hierüber im einzelnen kritisch zu beleuchten. Manches mag an sich mit der Wahrheit übereinstimmen, und doch haben sich die Hauptakzente aus Gründen der Tendenz verschoben. Diese ruhten bei den Bestrebungen des Herzogs in Frankfurt tatsächlich auf der Durchführung einer Reform überhaupt und auf der Durchsetzung freier Wahlen für die Volksvertretung. Auch spielte die schleswigholsteinsche Frage eine nicht unerhebliche Rolle in dem Kreise seiner Interessen. Dagegen traten seine Bemühungen für die preußische Sache einigermaßen zurückv die der Herzog in seinem Berichte nachträglich so gern zu seinem Hauptinteresse aufbauschen möchte. In einem Falle gestatten die Quellen mit Sicherheit zu zeigen, wie die berichteten Vorgänge von den wirklichen Geschehnissen abweichen. Der Großherzog von Baden war bestrebt, die Haupttätigkeit bei den Beratungen durch eine Ministerkonferenz erledigen zu lassen und sich so der Auffassung Preußens möglichst zu nähern. 2 ) Die Mittelstaaten hätten dies zu vereiteln >) 352 iv vgl. 348IV.
«) 315 iv.
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gestrebt. Da der Herzog aber auf diese sehr schlecht zu sprechen ist, so scheint nach seinen Worten an dieser Stelle hier ein Zusammengehen mit ihnen für ihn ausgeschlossen. Jedenfalls müßte jeder unbefangene Leser vermuten, daß der Herzog von Koburg sich auch in dieser Frage der preußenfreundlichen Gruppe angeschlossen habe, jmit der er doch sonst immer im Gegensatze zu den Mittelstaaten gegangen sein will. Dies war hier jedoch nicht der Fall. Er war vielmehr entrüstet über das Vorgehen Badens und strebte mit allen Mitteln nach einem günstigen Ergebnis der Fürstenberatungen. Es werden daher für die objektive Geschichtschreibung die Äußerungen des Herzogs in den Gesprächen mit dem Kaiser und mit Rechberg da stark zu reduzieren sein, wo er mit Entschiedenheit und Eifer den preußischen Standpunkt als sein vornehmlichstes Interesse verficht, ohne daß damit geleugnet werden soll, daß tatsächlich Bemühungen in diesem Sinne von seiner Seite stattgefunden haben können. Das eigentümliche Verhalten des Herzogs nach dem Fürstentage ist nur dazu angetan, dies Urteil zu bestätigen. Seiner Anregung entstammte — wie er angibt — das Schlußschreiben an König Wilhelm, in dem die Fürsten Preußen zum Anschluß an die beschlossene Reformakte auffordern.1) Merkwürdigerweise verweigerte Herzog Ernst in der Schlußsitzung seine Unterschrift für diese Adresse, weil er bei der Ablehnung von fünf Staaten auch nicht mehr der Hoffnung hätte Ausdruck geben können, daß durch einen solchen Akt die Bundesreform noch gerettet werden könne.2) Diese Haltung ist nur zu verstehen, wenn man eine plötzliche, vorübergehende Mutlosigkeit annehmen will, in die der Herzog durch die Ablehnung des Entwurfes von der Minorität der Versammlung versetzt worden war. Denn noch ah ») 338 v -
') 339 V.
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dem Abend desselben Tages verfaßte der Herzog von Koburg ein Schreiben an den Kaiser von Österreich, in dem von einer solchen Hoffnungslosigkeit nichts zu merken ist. Es wird da ruhig und sachlich erörtert, welche Aussichten der Reformversuch habe, die große Schwierigkeit von Preußens Beitritt erwähnt, aber dennoch durch das Einlenken Preußens ein befriedigendes Resultat erwartet. Und am folgenden Tage schrieb der Herzog einen Bericht an den Kronprinzen, mit dem ausgesprochenen Zwecke, den König zur Annahme zu bewegen. Auf diesem Umwege soll König Wilhelm gewonnen werden, weil Herzog Ernst es nicht wagte, ihm persönlich zu schreiben. Wäre ihm in Wahrheit an der Zufriedenstellung Preußens gelegen gewesen, BO hätte er im Briefe an den Kaiser der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß bei den möglicherweise später stattfindenden Verhandlungen der Machtstellung Preußens entsprechende Zugeständnisse gemacht würden, größere, als sie in der zustande gekommenen Reformakte bewilligt worden wären. Statt dessen glaubt er an ein Nachgeben Preußens aus patriotischen Erwägungen für das deutsche Vaterland und veranlaßt durch die allgemeine Neigung, Preußens Beitritt ermöglicht zu sehen. 1 ) In seinem Berichte an den Kronprinzen wendet er alle Überredungskünste auf, den König von Preußen zum Beitritt zu bewegen, hütet sich daher vorsichtig, auf die Ansprüche Preußens und ihre völlige Ignorierung in der Reformakte einzugehen. Im Grunde wünschte er doch nur wieder »eine Einigung auf der von uns angenommenen Basisc, die noch dazu der vom Könige selbst geteilten Ansicht entsprechen sollte.2) Darüber kann nichts täuschen, wenn er den König auch durch die Möglichkeit von Änderungen am Entwürfe zu ködern sucht. Was hätte nicht alles verbessert werden müssen, um Preußen die Stel-
') 343 o.
*) 353 U./354 o.
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lung zu schaffen, die es wünschte! Das hatten die Fürsten, die wahrhaft Preußens Interesse vertraten, längst vorhergewußt und darum ihren Anschluß an das österreichische Werk abgelehnt. Schon König Wilhelm hatte unmittelbar nach Empfang der eigentlich für ihn bestimmten Einlage im Briefe an den Kronprinzen Bismarck gegenüber seine Verwunderung ausgedrückt, daß der Herzog darin mit keinem Worte der Stellung Preußens erwähnt hätte, die dem Staate in dem auch von ihm angenommenen Reformwerke angewiesen war. Den Punkt also, der die Unannehmbarkeit desselben für Preußen nach sich ziehen mußte, überging der Herzog mit Stillschweigen, weil es ihm weniger auf die gebührende Stellung Preußens als auf ein Fortschreiten auf dem begonnenen Wege der Reform ankam. 1 ) Der Herzog von Koburg empfand denn auch bald, daß er sich bei seiner österreichischen Heeresfolge in Frankfurt bedenklich vergriffen hatte. Er suchte daher Milderungsgründe und Entschuldigungen. Im Dezember desselben Jahres hatte er mit Th. v. Bernhardi ein Gespräch, wo er »sein eigenes Treiben« auf dem Frankfurter Fürstentage ganz eigentümlicherweise mit der schleswig-holsteinschen Frage in Verbindung brachte. Er hätte die österreichischen Reformpläne der Elbherzogtümer wegen begünstigt, »damit ein deutsches Parlament vorhanden sei, vor das die schleswig-holsteinische Frage gebracht werden könne«. 2 ) Dergleichen Versuche, seine Haltung zu rechtfertigen, werden wenig Glauben finden können und sind ebenso zu betrachten, wie die Versuche einiger Wiener Politiker, nachdem das Unternehmen gescheitert war, diesem nachträglich einen anderen Anstrich zu geben. 3 ) In seinem Memoiren werke versucht l ) AnhangI zu den »Gedanken u. Erinnerungen«, S. 75, Nr. 75. ») Fröb. II, 269. ») Bernhardi V, 221.
Historische Bibliothek. XXI.
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der Herzog einen Teil der Schuld auf Stockmar abzuwälzen : Dieser hätte ihn in seiner Haltung bei der österreichischen Reformangelegenheit wesentlich bestärkt. Auch damit kann der Herzog wenig Glauben finden. Stockmar lebte seit seiner Rückkehr aus England in völliger Zurückgezogenheit seinen philosophischen und religiösen Ideen und hielt sich fern vom politischen Treiben. Außerdem war er schon damals, als der Herzog bei Osterreich anklopfte, seinem Ende nahe und starb am 9. Juli 1863. Am preußischen Hofe erregte der Herzog infolge dieser und ähnlicher Unternehmungen, die wenig im Sinne der dortigen Regierung und auch des Königs waren, Verstimmung. Seit dem Frankfurter Schützenfest 1862 wurde er in den Kreisen der Bismarck und Roon spöttischerweise der »Schützen-Ernste genannt; und mit Äußerungen lauten tjnwillens wurde nicht zurückgehalten. Als Ernst II., von Natur aus gewaltsamen Entscheidungen abgeneigt, im Jahre 1866 seiner Gewohnheit entsprechend einen verspäteten Vermittlungsversuch unternahm, um dadurch den Krieg zu verhüten, der bereits unvermeidlich" schien, und Briefe an den König richtete, um den Einfluß Bismarcks zu brechen r brachte dieser nach erregten Auseinandersetzungen mit König Wilhelm und Roon zwei Artikel in die »Neue Preußische Kreuzzeitung«, die diesen Vermittlungsversuch scharf zurükweiesen. Er warf ihm darin mit recht respektwidrigen Worten seine bisherige Stellung zu Preußen vor: »Unsererseits wenigstens entsinnen wir uns kaum, den »fürstlichen Vermittler« jemals anderswo als auf selten der Gegner Preußens gefunden zu haben — sei es, daß er als Schützenkönig und National-VereinsHerzog Deutsche Kaiser-Generalprobe abgehalten, sei es, daß er als einfacher deutscher Patriot der preußischen ') 348V.
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Fortschrittspartei die Wege geebnet hat.«1) In demselben Sinne äußerte sich Bismarck noch im Oktober 1870 zu Moritz Busch. Im Kriege 1866 hätte der Herzog von Koburg Preußen gute Dienste geleistet. Vorher wäre er aber zuweilen so schlimm gewesen, daß Bismarck allen Ernstes die Absicht gehabt hätte, ihn durch ein Husarenregiment aufheben und nach Magdeburg bringen zu lassen; er hätte auch dem Könige diesen Vorschlag gemacht.2) Von diesen Abirrungen der sechziger Jahre vor dem großen Kriege ist im Memoirenwerke des Herzogs nur gelegentlich dann etwas zu merken, wenn er aus Versehen gegen sein Prinzip in den abgedruckten Urkunden Stellen stehen gelassen hat, die seine wahre Haltung verraten können, wenn sich der Leser nicht durch den Text täuschen läßt. Und wie sollte er auf dem Frankfurter Fürstentage, wo Osterreich seine Hoffnungen einer Erfüllung entgegenzubringen schien, ein preußischer Parteigänger gewesen sein, wie er in den Memoiren zu zeigen sich bemüht? ') Kreuzzeitung 1866, Nr. 78, 79.
>) Tischgespräche I, 306.
9*
Nachträge zu den kritischen Einzeluntersuchungen. Der Bericht an den Kronprinzen vom 3. September. Das Schreiben an den Kronprinzen vom 3. September ist wegen seiner tendenziösen Haltung als Quelle für andere Fragen als die des Verhältnisses des Herzogs zum Kronprinzen so gut wie unbrauchbar. Den Tatsachen sowohl wie dem besseren Wissen des Herzogs widerspricht darin der Satz: »Wir hoffen alle, und vor allem der Kaiser von Österreich, daß Preußen die starke und freie Stellung einnehmen werde, die durch Lage der Verhandlungen sich für dasselbe geboten hat. 1 ) Diese Stellung war durch den Gang der Verhandlungen eben nicht erreicht, wie der Herzog im Berichte über den Fürstentag selbst mehrere Male unzweideutig zum Ausdruck gebracht hat. Er sagte z. B. zum Grafen Rechberg am Sonntag den 30. August: »Davon aber — — könne keine Rede sein, daß man bei den weiteren Schritten der Bundesreform Preußen in der bisherigen Weise ignorierte. 42) Auch die Worte, daß die jetzt von den Fürsten angenommene Basis der früher vom Könige >) 353 iv.
») 332 "I
Die 8tellung der Fürsten.
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selbst geteilten Ansicht entsprechen soll, sind nicht einmal eine subjektive Wahrheit. Da der Herzog die Erklärung der Majorität des Fürstentages nicht unterschrieben hatte, so konnte er auch nicht sagen: » W i r , die wir beigetreten, sind an dasselbe so lange gebunden, bis Preußen sich ausgesprochen. 2 ) Hier liegt es dem Herzog plötzlich daran, sich mit der Majorität zu identifizieren, obwohl er nicht unterzeichnet hatte, und so wird es um so unverständlicher, warum er am Tage vorher seine Unterschrift verweigert hatte. Im ganzen ist dieser Bericht an den Kronprinzen ebenso zu bewerten wie der Bericht über seine Reise nach Wien an den preußischen Thronfolger. Er ist einer ausgesprochenen Tendenz entsprungen und verdient daher in den davon betroffenen Partien keine Glaubwürdigkeit. Überhaupt war der Herzog nicht der Mann, aus reinem Interesse an dem wahren Verlauf der Dinge diese ebenso zu referieren. Er war vielmehr ein Mann des praktischen Lebens, der den lebendigsten Wirkungsdrang verspürte. Und so wollte er auch mit seinen schriftlichen Äußerungen immer zugleich etwas erreichen, und scheute sich dann nicht, die Tatsachen dementsprechend umzuformen. Daher tragen fast alle derartigen Schriftstücke schon von vornherein den Stempel der Tendenz.
Die Stellung der Fürsten. Gegen die verstreuten Auslassungen im Werke des Herzogs über die Stellung der Fürsten zum österreichischen Projekt und ihre Parteibildungen läßt sich nicht viel einwenden. Doch schmelzen seine mannigfachen Bemerkungen darüber bei einer Zusammenstellung auf einen kleinen Raum zusammen, und man sieht gerade hier, daß seine Erinnerungen in der Zwischenzeit von ') 353 iv.
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Nachtrage zu den kritischen Einzeluntersuchungen.
über 20 Jahren last alle charakteristischen Einzelzüge eingebüßt haben. Es gab nach dem Berichte eine Partei der österreichisch gesinnten Mittelstaaten unter der Führung des Königs von Sachsen und eine Partei der Preußenfreunde, deren Haupt der Großherzog von Baden war. Die Partei der Könige erklärte sich in wichtigen Punkten solidarisch für die Sache Österreichs, offenbar infolge von Verabredungen, während Baden und Weimar entschlossen waren, im Laufe der Verhandlungen die österreichische Vorlage zu Falle zu bringen. Wie sich die Mittelstaaten mit den Ansprüchen Preußens abfanden, geht aus einigen nicht sofort verständlichen Bemerkungen hervor. In dieser Beziehung hätten Sachsen und Bayern überhaupt eine Erörterung abgelehnt und sich mit Hannover und Württemberg eng an das österreichische Kabinett angeschlossen, das nicht im mindesten gewillt war, der anderen Großmacht am Bunde den gebührenden Platz einzuräumen.1) Manches läßt sich auch noch im einzelnen nachprüfen. Eine Bestätigung für die Angabe, daß der König von Hannover »sein Erscheinen als eine einfache Sache der Courtoisie« erklärt habe2), findet sich bei Meding8), der eine Vertrauensstellung beim Könige von Hannover einnahm. Trotzdem hatten alle Fürsten den guten Willen, etwas Gedeihliches für die Entwicklung des Bundes zu leisten. Duckwitz hatte denselben Eindruck und sprach ihn den Teilnehmern des Abgeordnetentages gegenüber aus.4) ') Vgl. 314Ii, 317iv, 318n, 320™, 327ni, 328™, 330in, 3371-
») 305 IVO. ') Memoiren zur Zeitgeschichte, I, 297. »So erforderte es für die deutschen Fürsten, welche nicht, wie Preußen, zugleich eine europäische Stellung einnahmen, sowohl aus Bundespflicht als aus Höflichkeit, dieser Einladung Folge zu leisten.« ') 307 i vgl. Duckw. 157 u., 161
Die Stellung der Fürsten.
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Dagegen hat der Herzog, als er die Stellung des Königs Johann von Sachsen charakterisierte, die Linie überschritten, die diesen bei aller Anhänglichkeit an die österreichische Sache hinderte, sie völlig und in allen Punkten zu der seinigen zu machen.1) Diese Grenze seines Anschlusses wurde durch seine große Loyalität gezogen, mit der er die alten Rechte seiner fürstlichen Kollegen am Bunde respektierte, während ersieh sträubte, neue Gewalten anzuerkennen. Und schon einmal bei der Frage der Majoritätsabstimmungen hat es sich gezeigt, daß der Herzog von Koburg diese Seite seines Wesens nicht gebührend berücksichtigt hatte. So ist auch die Situation recht unglaubwürdig, in welcher der König von Sachsen am Sonnabend den 29. August in •der Komiteesitzung gegen einige Fürsten der anderen Partei den Grundsatz aufgestellt hätte, »die Fürsten, welche sich nicht dem Reformwerk anschlössen, müßten «ben austreten«.2) Zunächst stammt dies Prinzip aus einer Rede des Kaisers am Vormittag desselben Tagess), und nicht nur die Begründung, wie sie ihm der Herzog ja auch zuschreibt. Daraus ist gleich zu ersehen, daß Kaiser Franz Joseph nicht unter allen Umständen der Idee eines Sonderbundes feindlich gegenüberstand; denn was sollte mit den Staaten geschehen, die sich weigerten, den Entwurf für sich anzunehmen? Da der alte Bund nur durch Einstimmigkeit aller Mitglieder reformiert werden durfte, so konnte er nicht aufgehoben werden, wenn einige Fürsten sich von der Reformakte ausschlössen. Also blieb dann nur noch der Bund im Bunde übrig. Diese Konsequenz aber wollte König Johann durchaus vermeiden, und auch hierin trennte er sich von dem öster') P. Hassel, König Albert als Kronprinz, n , 141: > König Johann war keineswegs mit allen Teilen der österreichischen Reformakte einverstanden, am wenigsten mit dem Verhältnis der Stimmen 3 im Direktorium.« «) 331" ) Prot. 1531
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Nachträge zu den kritischen Einzeluntersnchungen.
reichischen Standpunkte. Es geht dies aus einer persönlichen Äußerung des Königs von Sachsen in der Weisung an Beust vom 15. September 1863 hervor. Hier sagt der König ausdrücklich: »Ich setze voraus, daß jede Sonderbundsidee, gegen die ich mich in Frankfurt so oft verwahrt habe, ausgeschlossen bleiben muß.«1) Sollten also die heftigen Äußerungen des Königs von Sachsen wirklich gefallen sein, woran zu zweifeln ist, so konnte das nur in der Erregung der Debatte geschehen sein und bezeichnete jedenfalls nicht die grundsätzliche Haltung des Königs, die auf die freie Zustimmung aller abzielte.2) Ob überhaupt eine Animosität der Mittelstaaten gegen Preußen in der Weise bestanden hat, wie der Herzog es erscheinen läßt, ist doch zweifelhaft. Es wird gesagt, daß »die in den Mittelstaaten während der letzten Wochen zutage getretene Stimmung (gegen Preußen) nicht milder geworden war«.3) Erstens konnte nicht von einigen Wochen, sondern nur von sechs Tagen geredet werden, denn der Herzog will diesen Eindruck am 22. August gehabt haben. Zweitens aber läßt sich auch gegen den Inhalt der Behauptung manches einwenden. Sie knüpft an die Mission des Königs von Sachsen an, und das ganze Urteil darüber will besagen, der König Johann hätte sich zwar seiner Aufgabe formal ausgezeichnet erledigt, konnte aber wegen seiner und der übrigen Könige Stimmung gegen Preußen nicht zur vollen Wirkung gelangen, weil seinem Tun die rechte Dringlichkeit der Überzeugung gefehlt hätte. Wer nun weiß, welche fast verzweifelten Anstrengungen König Johann und sein Minister Beust gemacht haben, den König Wilhelm zum Kommen zu bewegen, wird sich diesem Urteil, das allerdings sehr versteckt ausgesprochen wird, nicht ausschließen. Über die Stellung der Mittelstaaten hatte Duckwitz eine andere Meinung, die mehr ') P. Hassel, II, 143 Antn.
») Prot. 84 Vo.
») 314 II.
Charakterbild des Herzogs von Koburg.
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Glaubwürdigkeit verdient. Denn es ist die ausgesprochene Absicht des Herzogs, die Mittelstaaten und das österreichische Kabinett für das Scheitern der Reform verantwortlich zu machen und ihre Bestrebungen in den schärfsten Kontrast zu denen des Kaisers zu stellen. Duckwitz urteilt: »Man nahm dabei (bei den Verhandlungen) stets an, daß eine Verständigung mit Preußen eintreten werde«1), womit noch nicht gesagt sein soll, daß auch die Mittelstaaten gewillt waren, die Ansprüche Preußens zu befriedigen. Man war sich unter den Fürsten wohl überhaupt nicht ganz klar weder über die Forderungen Preußens noch über deren Berechtigung, denn der Wandel im preußischen Staate hatte sich bisher noch zu wenig fühlbar gemacht. Man glaubte nicht recht daran und nahm eben an, daß Preußen sich fügen würde, wie es sich schon öfters gefügt hatte. So scheinen sich im Gedächtnisse des Herzogs die Gegensätze, die unter den Fürsten tatsächlich bestanden, verschärft zu haben. Duckwitz, dem die Spaltung nicht sehr aufgefallen zu sein scheint, erwähnt davon nichts. Soviel jedenfalls ist sicher, daß Sachsens der österreichischen Sache ergebene Haltung in Einzelheiten unrichtig verallgemeinert und dem österreichischen Standpunkt zu stark angenähert wird.
Charakterbild des Herzogs von Koburg. Es hat sich herausgestellt, daß der Bericht des Herzogs in sehr vieler Beziehung Anlaß zu Bemängelungen geboten hat. Es konnten Fehler nachgewiesen werden, die ein wenig getreues Gedächtnis, Tendenz, ja ein leichtes Umspringen mit der Wahrheit zur Voraus') Duckw. 161 u.
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Charakterbild des Herzogs von Koburg.
setzung hatten. So entsteht die Frage, ob die Persönlichkeit des Herzoglichen Verfassers diese Annahmen rechtfertigt. Zugleich aber soll die Charakteristik des Herzogs eine Handhabe bieten für die Beurteilung der Zuverlässigkeit, die dem ganzen Werke zuzumessen ist, sie soll ermöglichen, das auf Grund kritischer Bearbeitung eines Abschnittes gewonnene Urteil mit der dabei gebotenen Beschränkung weiter auszudehnen. Bei der so vielseitigen, in ihrer Weise eigenartigen und unberechenbaren Persönlichkeit des Herzogs wird es nicht angehen, seinen Charakter allzu einseitig unter Vernachlässigung der nicht unmittelbar in Betracht kommenden Züge nur auf das Maß von Zuverlässigkeit zu untersuchen, das seinen Äußerungen in Wort und Schrift zuzumessen ist, sondern es ist ein Gesamtbild mit allen wesentlichen Eigenschaften erforderlich, um die in Frage kommenden in der richtigen Weise, d. h. in ihrem Verhältnisse zueinander, zu der geschilderten Persönlichkeit und ihren Handlungen zu verstehen. Weil die Erschließung solcher Zusammenhänge von den Personen, die mit ihm in persönliche Berührung kamen, selten versucht wurde, so hat man ihn zum Gegenstande einseitiger Bewunderung, noch öfter aber einseitiger Kritik gemacht. Man tadelte besonders das Unruhige, Unbeständige seines Wesens, die Unfähigkeit, politische von persönlichen Interessen zu trennen, ohne dabei zu bedenken, daß diese Eigenschaften sich mit Notwendigkeit aus der Gesamtorganisation seines Wesens ergeben mußten. Die allermeisten Menschen, die ihm nahe traten und seine Persönlichkeit einer Kritik unterzogen, bildeten sich ihr Urteil nach ihrem eigenen parteipolitischem Maßstabe, und es gab wenige, die bei seinem beständigen Schwanken zwischen den beiden deutschen Großmächten immer getreu bei ihm ausharrten. Der Herzog war nichts weniger als ein Verstandesmensch im Sinne derer, die mit bewußter Absicht dar-
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nach streben, nach Möglichkeit die Einwirkung des Temperamentes und der Gefühle niederzuhalten und ihnen bei Betätigungen nie einen dirigierenden, sondern höchstens einen dynamischen Einfluß zu verstatten. Im Wesen des Herzogs war die persönlichste Seite unserer Natur, die schwer analysierbare Sphäre des Fühlens und Wollens, stärker entwickelt als bei den Männern seiner Umgebung. Er hatte Temperament und Neigungen eines Künstlers, liebte es, Opern und Kantaten zu komponieren und beschäftigte sich viel mit Theater und Musik. Sicherlich hätte er sich in Künstlerkreisen wohler gefühlt als im Verkehr mit Hofleuten und Politikern, und um verwandte Naturen auch in seiner nächsten Umgebung zu haben, hatte er einige seiner Kabinettsräte, z. B. Meyern und Tempeltey, aus den Reihen der Dichter erwählt. Das merkwürdigste und bei Männern von politischen Bestrebungen außergewöhnliche war, daß er dem veränderlichen Spiele seines sanguinischen Temperaments den stärksten Einfluß auf sein Tun vergönnte. Gerade hierin unterschied er sich von König Wilhelm. Die Natur des Preußenkönigs war auch nach der Seite des Gemütes reich ausgestattet, aber er wachte mit ausdauernder Disziplinierung seines Charakters darüber, daß seine Handlungen durch jene unkontrollierbaren Einflüsse nicht getrübt wurden. Man versteht es aber auch, wenn König Wilhelm trotz aller Zwischenfälle, die von seiten des Herzogs das Verhältnis zwischen beiden zu trüben geeignet waren, diesem dennoch eine dauernde Sympathie bewahrte und den Bestrebungen Bismarcks gegenüber, der gelegentlich zu energischen Maßregeln antrieb, in feiner Weise zurückhielt. Bismarck hingegen, der in vieler Hinsicht das äußerste Extrem zu der Persönlichkeit Emsts II. genannt werden kann, konnte vermöge seiner grundverschiedenen Anlage nie zu einem eigentlichen Verständnisse, d. h. zu einem auf Sympathie gegründetenVerhältnisse zum Herzoge gelangen.
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Charakterbild des Herzogs von Koburg.
Gustav Freytag dagegen, der politisierende Dichter, war Zeit seines Lebens mit ihm durch eine vertraute Freundschaft verbunden, der allerdings auch gelegentliche Trübungen nicht erspart blieben. Und zwar war ea immer der Dichter, der sich infolge von abweichenden politischen Anschauungen und Betätigungen des Fürsten zurückzog. Im Geburtstagsbriefe 1856 sprach sich Frey tag nach seiner Art offen darüber aus, was der Herzog nach seiner Ansicht zu meiden habe und welche Wege er gehen solle. Er hätte gern seinen fürstlichen Freund vor Zersplitterung geschützt, und besonders dessen Bestrebungen für die Künste und das Theater galten ihm als überflüssige Liebhabereien, die den Herzog nur seinem wahren Ziele entfremden könnten. Ernst II. verteidigt sich damit, daß ihm die Kunst ein Bedürfnis des Herzens sei, und er sie deshalb nicht entbehren könne. Dabei gibt er ein Urteil über sich selbst ab, das für die Kenntnis seines Wesens von äußerster Wichtigkeit ist: >Ich bin von Natur ein ernster Mensch, mit Kraft und Entschlossenheit ausgerüstet; die Seite des Gemüts überragt aber die des Verstandes.«1) Von diesem Punkte aus werden alle Eigentümlichkeiten seine» Wesens verständlich, die in manchen Zügen, z. B. in seiner stark ausgeprägten Eitelkeit und Subjektivität, an das Weibliche erinnern. Wer mit dem Herzog persönlich zusammenkam und von ihm in ein Gespräch hineingezogen wurde, war bezaubert von der Liebenswürdigkeit seines Wesens, bewunderte das geniale Funkeln seines Gedankenspiels und die Vielseitigkeit seiner Interessen. Diese Liebenswürdigkeit konnte er aber gelegentlich im Verkehr mit Untergebenen, die auf ihn angewiesen waren, vermissen lassen, und gar bald bemerkte der aufmerksame Be') Tempeltey, Briefwechsel, S. 61, d. 28. Juni 1856.
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obachter, daß zwar in allem, was er sagte, sehr viel Geist war, und er auch auf allen Gebieten, wie Politik, Literatur, Musik, ein kompetenter Beurteiler sein wollte, daß aber diesen weitverzweigten Interessen nicht seine Kenntnisse entsprechen. Bei näherem Eingehen auf einzelne Fragen offenbarten sich bald Mängel fürstlicher Bildung und eine gewisse dilettantische Oberflächlichkeit. Es rührte das von seiner Neigung her, zu vielerlei nebeneinander zu treiben, ohne sich jedoch dabei tiefer in bestimmte Gegenstände hineinzuarbeiten. So offenbarte seine glitzernde, sprunghafte Unterhaltung, die sich nie gerne konzentrierte, eine Unbeständigkeit seines ganzen Wesens, und man hatteden Eindruck, daß er mit seinen Worten mehr die Absicht hatte, sich selbst zu erleben und Eindruck zu machen, als in ruhiger, sachlicher Weise zu belehren. Es hing dies alles damit zusammen, daß er nicht gesonnen war, seiner kraftstrotzenden, lebenswarmen Natur Schranken zu setzen oder setzen zu lassen. Er tat und unterließ, was ihm beliebte und wofür er sich gerade erwärmte, und die Frage nach dem Urteile anderer lag ihm nur dann nahe, wenn er diese für seine Ziele brauchte. Als alles in Deutschland einer finsteren Reaktion zustrebte, hat er allein den liberalen Ideen Schutz gewährt und sich durch Angriffe seiner fürstlichen Kollegen nicht beirren lassen. So sehr ging er dabei seine eigenen Wege, daß es zu Zeiten unter den Fürsten für kompromittierend galt, mit ihm in Berührung zu treten. Tüchtige Männer, die wegen ihrer freieren politischen Gesinnung in anderen Staaten keinen Raum fanden, anstießen und ausgewiesen wurden, fanden Unterkommen und Anstellung in seinem Herzogtume. Die Eigenart seines Wesens bestand mehr in der furchtlosen, um seine fürstliche Stellung unbekümmerten Betätigung und Unterstützung der damals weit verbreiteten nationalen und liberalen Ideen, als in dem
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Auffinden von Wegen, die diese ihrer Erfüllung hätten näherbringen können. Der Herzog hatte sich als einer der aufgeklärtesten deutschen Fürsten erwiesen, aber er war durchaus kein schöpferischer Politiker, dessen eigene Gedanken bahnbrechend hätten wirken können, sondern er war ein für die nationale Idee begeisterter Schwärmer auf dem Fürstenthrone. Und gerade darin bestand das Eigentümliche und zugleich so Wirkungsvolle seiner Stellung: Während die übrigen Fürsten aus dynastischen Interessen und politischen Erwägungen sich scharf ablehnend gegen den deutschen Liberalismus verhielten, und infolgedessen zum Teil ihre Kraft im Kampfe dagegen absorbierten, konnte sich der Herzog auf die Scharen seiner Anhänger stützen. Nicht durch das Epochemachende neuer, seinem eigenen Hirne entsprossener Gedanken konnte der Herzog von Koburg sich eine solche Stellung gründen und eine so gewichtige Rolle spielen, sondern durch die Macht der von ihm geförderten öffentlichen Meinung und durch starken politischen Einfluß, unterstützt durch europäische Verbindungen und Verwandtschaften. Die starke persönliche Überzeugung von der Berechtigung seines Auftretens, von der Bedeutung seiner Mission, verliehen seinem Wesen jenen idealen Schwung, der ihn bei den Volksmassen so außerordentlich beliebt machte. Doch einem Blicke hinter die Kulissen entrollte sich ein ander Bild. Ein großer Teil seiner Untertanen in den übersehbaren Grenzen seines Landes, und besonders Politiker mit scharfem Blick und ruhiger Beobachtungsgabe, die den berühmten Mann zu sehen bekamen, wußten bald, daß hinter diesen ideellen Bestrebungen für die deutsche Einheit starke persönliche Interessen ver. borgen waren. Darum genoß »der .liberale' Herzog in seinem eigenen Lande keineswegs die Beliebtheit, um die er nach außen hin so eifrig und zum Teil mit Erfolg sich mühte«. Man hatte dort Charaktereigenschaften
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an ihm kennen gelernt, die mit seiner zur Schau getragenen Freisinnigkeit zu sehr im Widerspruche standen.1) Dieser Liberalismus, der ursprünglich zweifellos einer echten Uberzeugung entsprungen war, hatte sich im Laufe der Zeit mehr zu einem Kampfmittel herausgebildet, nachdem er ihm eine Fülle populärer Ovationen eingetragen hatte. Diese hatten seiner starken Eitelkeit und Ruhmsucht geschmeichelt, und so wollte sie der Herzog nun nicht mehr entbehren. Die Stellung, die er sich einmal errungen hatte, konnte er nun um keinen Preis mehr aufgeben. Es schmeichelte ihn, der Auserwählte der Volksgunst genannt zu werden, und er wollte darin keinen Rivalen dulden. 2 ) Ja, kompetente Beurteiler behaupten übereinstimmend, daß nicht selten bei ihm die persönlichen Interessen die wirklich nationalen überwogen hätten. 3 ) Besonders wird dies Urteil auf Grund seines Verhaltens in der schleswig-holsteinischen Angelegenheit gefällt, und selbst der Herzog von Augustenburg versicherte später vom Herzog von Koburg, »es sei einer von den Leuten, die immer eine Rolle spielen wollten und es nicht abwarten könnten, bis wieder das Rad herumgegangen sei, wo sie an ihrer Stelle wieder eingreifen könnten.«4) Th. v. Bernhardi war vom Herzog Ernst zu einer Mission nach England in der Sache der Herzogtümer erkoren worden und hatte sich über die eigentümlich verschrobene Art, wie der Herzog diese ganze Aktion einleitete und betrieb, weidlich geärgert. Sein Urteil über die fortwährende Vermengung der persönlichen mit den politischen Interessen faßt er in treffender Weise übereinstimmend mit den übrigen Urteilen zusammen: »In dem allen liegt ein Haschen nach glänzenden Theatercoups, wie es in die >) Gené 170. ») Genée 192, Bernhardi V, 156/7. s ) Genée 196, Bernhardi 157. 4 ) Hohenl. Schillings/. I, 163, d. 26. Juni 1866
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Charakterbild des Herzogs von Koburg.
ernste Wirklichkeit gar nicht gehört; ein wunderliches Behagen an dem Abenteuerlichen und eine Überschätzung seiner selbst.«1) »Dem Herzog Ernst ist weder das Schicksal der Herzogtümer noch das Recht Deutschlands an sich die Hauptsache —: ihm kommt es vor allen Dingen darauf an, daß er eine glänzende Rolle dabei spielt.«2) Ehrgeiz wird man als Motiv für ein solches .Verhalten schwerlich anführen können, denn dazu fehlte das wahrhaft Großzügige im Wesen und Streben des Herzogs. Im besten Falle war es Ruhmsucht; man könnte sogar sagen: Eitelkeit; denn Züge einer fast ans Lächerliche streifenden Eitelkeit lagen dem Herzog durchaus nicht fern. Wieviel ist nicht über das Bild von Eckernförde gespottet worden, wieviel über sein Bemühen, sich durch allerlei kleinliche Künste auch kriegerische Lorbeeren zuzuschreiben, obwohl strategische Eigenschaften und Entschlossenheit ganz außerhalb des Bereiches seiner Eigenschaften lagen.8) Bismarck sagt einmal unumwunden zu Busch, der Herzog wäre eitel4), und während des Feldzuges nach Frankreich boten sich für den Herzog Gelegenheiten in Menge, dieser Eigenschaft nachzugeben. Da der persönliche Ehrgeiz imstande sein konnte, gelegentlich seine Klugheit zu überwinden6), so ist es nicht zu verwundern, daß der Herzog sich auch niedriger Mittel bedienen konnte, wenn es galt, seinem Triebe zur Eitelkeit zu frönen. Er scheute nicht, sich Aben') Wie diese eitle Selbstüberschätzung des Herzogs bei der Abfassung seiner Memoiren ungünstig auf die richtige Wiedergabe der Ereignisse gewirkt hat, läßt sich in einem Falle aus Fr. Weidner, Gotha in der Bewegung von 1818, S. 135, Anm. ersehen. *) Bernhardi V, 221, »Vor allem aber war Herzog Ernst, der sich zum Protektor des rechtmäßigen Prätendenten aufgeworfen hatte, von dem Gefahle beseelt, wieder einmal eine Rolle spielen zu können.« 4 ) Busch I, 306. Genöe 190. ») Stosch, 51, Busch I, 395. ») Gen6e 184.
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teurer niedrigster Sorte zu bedienen, »wenn er sie zu irgendwelchen Zwecken benutzen konnte, c Als Gegenpol seiner freisinnigen Aufnahme politischer Flüchtlinge mit edlen Gesinnungen wird die Unterstützung eines niedrigen Günstlingswesens an seinem Hofe getadelt, das durch die persönlichen Neigungen des Herzogs Nahrung erhielt.1) Zur Zeit des Jahres 1861 muß es mit dem Herzog in dieser Hinsicht besonders schlecht bestellt gewesen sein, denn seine wohlgesinnten Freunde und Anhänger beklagen sich bitter darüber. Damals war ein Mensch von sehr zweifelhaftem Charakter sein Privatsekretär, der noch »andere Glücksritter seines Gelichters nach Koburg gezogen« hatte, die bei der Redaktion der dortigen Zeitung verwendet wurden.2) Dadurch war der Herzog in eine recht schlechte Umgebung geraten. Sein zu abenteuerlichen Unternehmungen stets aufgelegtes Temperament mag ihn auch auf solche Leute angewiesen haben, um sie da zu gebrauchen, wo seine von ehrlichen Gesinnungen erfüllten Diener und Beamten seinen phantastischen Plänen nicht mehr folgen wollten. Dies starke Temperament, das im Mittelpunkte seines Wesens stand, hielt ihn in beständiger Erregung und Tätigkeit, ohne daß seinen Bemühungen eigentlich ein rechter Erfolg beschieden war, weil es seinen Ansichten, Plänen und Zielen an Stetigkeit fehlte.8) Königin Viktoria ließ in der Unterredung mit Bernhardi durchblicken, daß sie den Herzog gering achte, und machte sich mit weiblichem Witz und weiblicher Schärfe über das unstäte, abenteuerlich-genialische Wesen des Herzogs lustig.4) Bernhardi urteilt, dem Herzog wäre, so liebenswürdig er auch sei, doch weder ein eminenter Geist noch eine ungewöhnliche Spannkraft des Charakters zuzusprechen, und bemängelt an ihm das Fehlen von Stetigkeit, seine »fürstliche Zappelhaftigkeitf.6) ') Gen Gotha 1848.» S. 181 Anm.
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seinem Erkennen Schranken gezogen waren. Sie verwischte diese und ließ auch bald Dinge als wahr erscheinen , die nur Gegenstand seines Interesses oder seiner Wünsche gewesen waren. Eine feine Beobachtungsgabe im einzelnen ist ihm zuzuschreiben. Handelt es sich aber um eine Verknüpfung von Begebenheiten, wo einzelne Glieder fehlen und der Phantasie Spielraum zur Betätigung gewähren, so kann diese bei Ernst II. leicht von solchen Lücken aus die ganze Reihe der Ereignisse mit ihren Spinngeweben überziehen. Sehr lehrreich dafür ist der Bericht des Herzogs von seiner Anteilnahme am Gefecht von Eckernförde. Dieser hat wegen seiner auffallenden Entstellung der Tatsachen lebhafte Erörterungen hervorgerufen, unter denen das quellenkritische Schriftchen von Jansen1) einen bedeutenden Platz einnimmt. Kennt man das Wesen des Herzogs, so versteht man, wie an den Fehlern, die in dem Berichte von Jansen nachgewiesen werden, seine Eigenschaften in hervorragendem Maße beteiligt waren: Einen Tag nach dem Gefechte sandte der Herzog einen Brief an den Prinzen Albert, in dem Jansen mehrere Unrichtigkeiten aufdeckt, die zum Teil den Charakter absichtlicher Übertreibungen haben, um die bestandene Gefahr recht groß und den eignen Anteil möglichst bedeutend erscheinen zu lassen. Die Fehler werden hier also nicht erst durch Trübung des Gedächtnisses, sondern gleich durch eine wenig scharfe Auffassungsgabe für eine Verknüpfung von Ereignissen, besonders aber durch das Walten der Phantasie und des Temperamentes erzeugt, was bewirkt, daß Übertreibungen und Unrichtigkeiten im eigenen Interesse vorkommen.2) In seinem Memoirenwerke I, 391 ff. schreibt ') Die Erinnerungen des Herzogs Ernst H. . . . aus SchleswigHolstein 1848—1851. *) Jansen 16, 17". 25. Ähnlich Weidner, Gotha in der Bewegung von 1848, S. 179 Anm. 10*
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sich der Herzog den Erfolg des Tages zu, während er diesen in einem Brigadebefehl unmittelbar nach den Ereignissen dem Hauptmann Jungmann selbst zuerteilt hat. Er war infolge des Ereignisses als der Höchstkommandierende von der öffentlichen Meinung als Sieger gefeiert worden, und diesen Einflüssen gegenüber wie der Einwirkung seiner Eitelkeit hatte der richtige Eindruck nicht standhalten können. Im Laufe der Zeit war in seinen Anschauungen eine Wandlung eingetreten, und die Ereignisse hatten sich so verschoben wie er sie wünschte. Noch ein Beispiel für die Trübung der Reproduktion durch das Hineinspielen der Phantasie ließe sich anführen. Beim Berichte über die Kapitulation von Sedan teilt der Herzog mit, daß König Wilhelm die Antwort an Kaiser Napoleon auf einer Pflugschar sitzend auf dem Rücken eines Adjutanten geschrieben habe.2) Moritz Busch weiß es besser. Diese romantische Szenerie ist ein Phantasieprodukt des Herzogs. Der König saß auf einem Stuhle und schrieb auf einem zweiten, den ein Offizier so lange in der erforderlichen Lage halten mußte.3) Ob man unter diesen Umständen von einem guten Gedächtnisse des Herzogs reden kann, erscheint fraglich. Mag es umfangreich und auch dauernd gewesen sein, jedenfalls war es in keiner Weise getreu. Seiner ganzen Organisation nach hafteten die Erinnerungen bei ihm nicht logisch verknüpft und geordnet, sondern mehr als anschauliche Gebilde nebeneinander, und es fehlte die systematische Einordnung und Verarbeitung, diese wichtige Stütze für das Gedächtnis. Bernhardi vermißte an ihm die eigentliche, folgerichtige Arbeit des Geistes4), die aus der an sich richtigen Folge von Einzelbeobachtungen ein getreues Erinnerungsbild hätte schaffen können. ') Jansen 30. ») 657 vi. 4 ») M. Busch in, 378. ) Bernhardi i n , 54.
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Wiewohl nicht gesagt werden kann, daß sein Verstand nicht recht entwickelt gewesen wäre, so wurde er doch zu oft von Gemüt und Temperament überflügelt. Die Fülle von Geist, die er in der Unterhaltung entwickelte, beruhte mehr auf einem Spiele anschaulicher Phantasie. Es fehlte ihm ganz jene ruhige, nüchterne Vernünftigkeit, die seinem Wesen wirkliche Größe verliehen hätte. Seine höchst unsystematische Natur war dem Logischen abgeneigt, und so ist es natürlich, daß auch die Dinge mehr auf seine Sinne und Anschauung als auf seinen Verstand wirkten. Der badische Minister Jolly nennt ihn in einem Briefe aus Frankfurt zur Zeit des Fürstentages geradezu »vollkommen verworren«. Der nüchtern blickende Verstand tritt den Dingen unbefangen gegenüber. Sie wirken auf den Beobachter fast alle in der gleichen Weise, und vermöge irgendwelcher logischer Beziehungen kann auch das Kleinste an Bedeutung gewinnen. Eine stark subjektive Natur wie die des Herzogs kann sich zu so ruhiger Beobachtung nie aufschwingen, sich selbst in dieser Weise nie ausschalten. Das Beobachtungsmaterial wird gleich nach persönlichen Interessen gewertet und meist nur das beachtet, was mit diesen in unmittelbarer Beziehung steht. Ferner liegende Kleinigkeiten übersieht der subjektive Mensch zumeist, weil sie ihm nichts wert sind. Auch beim Herzog von Koburg tritt eine ausgeprägte Gleichgültigkeit gegen Genauigkeit in der Wiedergabe nebensächlich erscheinender Einzelheiten hervor. Zahlen, zum Teil auch Namen, spielen bei ihm keine große Rolle und werden oft nicht recht beachtet.1) Er bevorzugt die Behandlung in großen Zügen. So war auch sein Urteil. Er gelangte dazu nicht durch vorsichtiges Abwägen der Einzelheiten, der Eigenschaften, Worte und Handlungen der Personen, sondern ») Jansen 11/12.
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durch den Eindruck, den etwas in seiner Gesamtheit auf ihn machte, durch Sympathie und Antipathie. Es konnte •daher schnell und treffend sein, aber nur so weit Intuition reichte. Bei komplizierten Verhältnissen und verwickelten Naturen, wo man nur durch langsame Arbeit -des Verstandes ins Innere dringen kann, mußte sein Urteil versagen. Daß ihm daher mannigfach schwere Irrtümer in der Bewertung und Beurteilung von Personen vorgekommen sind, ist nicht verwunderlich. Unter anderem empfahl er dem Kronprinzen einen Menschen, den Bismarck als Spion und Schwindler mußte ausweisen lassen. 2 ) Von Natur wenig mutig und beherzt, besaß der Herzog nicht die Energie der Konsequenz und schreckte Tor dem Beschreiten eines radikalen Weges zurück. Er konnte schwer den unabänderlichen Zwang begreifen, der in der notwendigen Entwicklung der gegebenen Verhältnisse lag, sondern liebte es, noch in letzter Stunde zwischen den Parteien zu vermitteln, wohl auch, um der ihm unangenehmen Entscheidung für eine Partei aus dem Wege zu gehen. Für die Bewertung seines Memoirenwerkes von wesentlichster Bedeutung ist die Frage, ob man dem Herzog wenigstens subjektive Glaubwürdigkeit zubilligen kann, ob er selbst glaubte, was er schrieb. Aber auch da bestehen nur zu begründete Bedenken. Rud. Genée bemerkte mit großer Verwunderung, daß der Herzog beim Gespräche um eine von ihm geäußerte Meinung zu stützen, auch Behauptungen aufstellte, die der Wahrheit «ntschieden zuwider waren.") Auch in der Verbreitung von Nachrichten in seiner Zeitung hätte er es mit der Wahrheit wenig genau genommen, wenn es galt, politische Ziele damit zu erreichen. 4 ) Diese Art des Her') Bernhardi i n , 54. ') Genée 171.
») M. Busch I, 387.
*) Genée 203.
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zogs, mit den Tatsachen umzuspringen, war nicht unbekannt. Sidney Whitman hatte im Oktober 1891 in Varzin mit Bismarck und anderen ein Gespräch, in dem auch auf die 1886 in Zürich erschienene anonyme Flugschrift »Mitregenten und fremde Hände in Deutschland« Bezug genommen wurde. Bismarck kannte die Flugschrift und meinte auch, der Herzog von Koburg sei der Verfasser; aber ob er es nun sei oder nicht, jedenfalls wären die darin enthaltenen Tatsachen nicht das, was er gewöhnlich »Koburger Tatsachen« (d. h. gewundene Sophistereien) nannte, sondern es sei eine in gutem Glauben unternommene Feststellung eines in Deutschland vorhandenen Zustandes.1) Wenn Bismarck für die Schwäche des Herzogs, Tatsachen in Umlauf zu bringen, die er nicht einmal bona fide für richtig hielt, ein stereotypes Wort des Spottes geprägt hatte und ganz unverhüllt darüber zu seinen Gästen sprach, so wird die Behauptung wohl nicht aus der Luft gegriffen sein. In wie souveräner Weise der Herzog mit der historischen Wahrheit in seinem Werke schaltete, wird sich noch ergeben, wenn der Abdruck der Urkunden einer Kritik unterzogen wird. ') Sidney Whitman, Fürst v. Bismarck, »Persönliche Erinnerungen an ihn aus seinen letzten Lebensjahren.« 8. 82.
Charakterisierung des Werkes. Bisher waltete immer das Bestreben vor, nicht nur die Fehler im Berichte über den Frankfurter Fürstentag aufzudecken und nachzuweisen, sondern bis auf die Fehlerquellen zurückzugehen, die größtenteils aus der Eigenart der politischen Situation in Wechselwirkung mit dem Charakter des Herzogs verständlich wurden. Dadurch wird es möglich, aus dem Urteile über die Zuverlässigkeit des Berichtes zugleich Richtlinien für die Beurteilung des ganzen Werkes und für seine Benutzung durch die Geschichtschreibung zu gewinnen. Bevor ein zusammenfassendes Endresultat gezogen werden kann, sind noch die Ergebnisse von Untersuchungen dafür nutzbar zu machen, die ihres allgemeineren, zum Teil über die kritisch bearbeitete Partie des Werkes hinausgreifenden Charakters zu einem Schlußergebnis überleiten.
Der Stil des Herzogs. Ein Mangel an Klarheit, Durchsichtigkeit und Eindeutigkeit tritt auch bei der Betrachtung der Ausdrucksformen in dem Memoirenwerke hervor. Und da diese in innigster Beziehung zum Menschen stehen, so läßt sich auch hier das Charakteristische seines Wesens wiederfinden. Wer würde mit Leichtigkeit entnehmen,
Der Stil des Herzogs.
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daß Herzog Ernst seine Unterschrift für das Schlußschreiben an den König von Preußen zurückgehalten hat, wenn er diese nicht in der Namensliste im Protokoll vermißt und nur die Worte der Memoiren vor sich hätte: »Da Baden, Weimar durch die Ablehnung der Hauptfrage auch nicht in der Lage waren, zu unterzeichnen, so konnte ich der Hoffnung, daß durch eine persönliche Negoziation die Bundesreform noch gerettet werden könnte, auch nicht Ausdruck geben« ? Man könnte fast versucht sein, hinter diesem unverständlich verschnörkelten Ausdrucke die Absicht zu vermuten, sein rätselhaftes, widerspruchsvolles Verfahren bei seiner Einwirkung auf Preußen zu verschleiern, wenn ihm überhaupt noch nachträglich dieser Widerspruch aufgefallen ist. Mehrfach finden sich Wendungen, die zwar den Sinn erraten lassen, diesen aber in unkorrekter Weise zum Ausdruck bringen. Es wird mitgeteilt, die Presse hätte aus den Vorgängen in Frankfurt allerlei Kapital gegen Preußen zu schlagen versucht.1) Man weiß, der Herzog will damit sagen, die Presse hätte versucht, diese Vorgänge in einem Preußen feindlichen Sinne zu deuten, sie so auszulegen, als wären sie gegen Preußen gerichtet gewesen. Herzog Ernst bevorzugt aber den sprichwörtlich-sinnlichen Ausdruck, dessen Sinn, wörtlich gedeutet, ergeben würde: man hätte gesucht, aus den Vorgängen Handhaben zu gewinnen, um gegen Preußen vorgehen zu können, die Vorgänge zur Unterstützung von Angriffen gegen Preußen zu benutzen, was der Herzog natürlich nicht meinte. In ähnlicher Weise mißglückt ist eine Wendung, die eigentlich besagen will, der Kaiser hätte nicht wagen können, mit Anträgen für eine erneute Befestigung der alten Freundschaft mit dem Hohenzollerschen Hause hervorzutreten, weil die Gesinnung der Fürsten dem entgegen sei und er Rück') 306IV.
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sieht darauf nehmen müsse.1) Wie es im Werke zum Ausdruck kommt, könnte es nur zu leicht den Anschein erwecken, als ob die Fürsten über die wahren Gesinnungen des Kaisers im unklaren wären, als ob sie glaubten, er wäre dem preußischen Königshause feindlich gesinnt. — Wie unglücklich auf das persönliche Empfinden übertragen wird die Bereitwilligkeit des Kaisers ausgedrückt, den preußischen Forderungen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen im Gegensatze zu den Bestrebungen der Mittelstaaten, eine Annäherung durch ein Eingehen auf die Wünsche Preußens zu vereiteln! 2 ) Eine Probe für das schillernde Zerfließen der vieldeutigen Ausdrucksweise gibt die Schilderung der Stimmungen, mit denen die Fürsten dem Reformprojekt gegenübertraten. Die Möglichkeit, die deutsche Frage auf friedlichem Wege zu lösen, »war jedem Teilnehmer des Fürstenkongresses zum Bewußtsein gekommen.«8) Unbestimmt bleibt, ob dies heißen soll, jeder glaubte an die Möglichkeit, oder nur, jeder erwog sie. Mit Rücksicht auf das Folgende könnte wohl nur damit gemeint sein, wenn man von dem Sinne dieser Aussage überhaupt noch etwas retten will, jeder Teilnehmer glaubte daran; denn für ein bloßes Vorstellen, ein Denken an die Möglichkeit der friedlichen Lösung, ohne daran zu glauben, käme der Vorwurf überhaupt gar nicht in Betracht, von dem unmittelbar darauf gesprochen wird. Im daran anknüpfenden Satze wird aber das Prädikat des ersten mit dem identisch sein sollenden Ausdrucke »dies Bestreben« wieder aufgenommen. In Wirklichkeit soll es also heißen, jeder strebte darnach; und da beide Redewendungen, die in so nahe Beziehung zueinander •) 328 iv. ') 314Ii >so mußte man doch zugestehen, daß die in den Mittelstaaten während der letzten Wochen zutage getretene Stimmung trotz der versöhnlichen Auffassung des Kaisers nicht s ) 307 Imilder geworden war.«
Beiträge zur Kritik des Abdruckes der Urkunden.
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gebracht werden, nicht dasselbe bedeuten können, so muß das erste Prädikat aufgegeben werden. Bestehen bleibt also nur die Behauptung: alle Fürsten strebten nach einer friedlichen Lösung der deutschen Frage, womit sich auch die vorhergegangene Einschränkung verträgt: aber einige glaubten von vornherein nicht ernstlich daran.1) So finden sich gelegentlich Ausdrücke, die so verschwommen sind, daß man sie nach verschiedenen Richtungen ausdeuten kann. Wenn daher ähnliche Widersprüche im Sinn oder Ausdruck weniger greifbar zutage treten, so liegt das daran, daß sie unter der Hülle solcher Unklarheiten verborgen bleiben. Wenn der Sinn bestimmter fixiert wäre, würde derartiges leichter zu bemerken sein. So aber schillert alles, wie auch die ganze Politik des Herzogs in den Jahren vor 1866, in allen Farben, und es ist schwer, Stellen zu finden, welche die Hauptpunkte so kurz, klar und eindeutig zum Ausdruck brächten, wie man sie etwa für ein Zitat gebrauchen könnte. Will man daher die Stellung des Herzogs zu einer Angelegenheit oder Person und seine Urteile darüber ausfindig machen, so muß man sie aus der allgemeinen Haltung des Berichtes herausschälen.
Beiträge zur Kritik des Abdruckes der Urkunden. Die wörtliche Wiedergabe des massenhaften Aktenund Urkundenmaterials, das der Herzog von Koburg seinem ausgesprochenen Prinzipe getreu zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit wörtlich zitiert, ist schon von Rud. Schleiden2) und Karl Samwer, dem Herausgeber des Jansenschen Werkes3), stark angezweifelt worden. Schlei') 306n—IV. ») »Schleswig-Holsteins erste Erhebung.« ) »Schleswig-Holsteins Befreiung.«
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den bemerkte im ersten Bande des Herzoglichen Memoirenwerkes1) Auszüge von zweien seiner Briefe, welche er an Dr. K. Samwer, damals Vertreter der Herzogtümer in London, gerichtet hatte. Er war erstaunt darüber, daß er sich so über die persönliche Tapferkeit des Herzogs ausgesprochen haben könnte. Er erbat deshalb von der Familie seines inzwischen verstorbenen Freundes die noch vorhandenen Originale, die ihm den Beweis lieferten, daß seine Erinnerung ihn nicht getäuscht hatte. In seinem Briefe vom 5. April hatte er geschrieben: »Der Herzog hat, wie er uns erzählte, vier Stunden im Kugelregen gehalten und ist ihm ein Pferd totgeschossen«.2) Dies war im Sinne jener vom Herzog beliebten Aufschneidereien gemeint und bedurfte für Samwer nicht erst des Kommentars. Als Herzog Ernst II. im Jahre 1881 an die Abfassung seiner Memoiren schritt, mußte Ottokar Lorenz für ihn das Material sammeln, das sich in verschiedenen Händen verstreut fand.3) Er klopfte dabei auch bei Samwer an und wird zweifelsohne von diesem die Briefe Schleidens vom 5., 6. und 7. April 1849 erhalten haben. Im Besitze dieses Materials hat die Eitelkeit den Herzog von Koburg zu folgender > Umformung« des einen Schleidenschen Briefes verleitet. In dem von ihm veröffentlichten, als wörtlich zitierten Auszuge hat er die Worte: »wie er uns erzählte«, ausgelassen und die »4« in eine »2c umgewandelt, weil ihm diese Übertreibung doch zu wenig glaublich erschien. Schleiden legt denn auch gegen dieses Verfahren mit seinen Briefen Verwahrung ein und protestiert dagegen, daß Auszüge daraus, derartig zurechtgemacht, zur Betätigung des Herzoglichen Berichtes vom 6. April an den Prinzen Albert dienen sollen. Schleiden deutet damit an, daß er den Brief des Herzogs an den Prinzen ') S. 400. ») Schleiden, 48/49. ') Das Folgende läßt sich aus den spärlichen Notizen bei Jansen, »Schleswig-Holsteins Befreiung«, erschließen.
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unmittelbar nach dem Ereignis für unzuverlässig hält, was auch schon Jansen nachgewiesen hatte. 1 ) Es ergibt sich daraus, daß leider auch Ottokar Lorenz um die Entstellung historischer Dokumente gewußt hat, die bei der Abfassung der Memoiren geübt wurde. Man versteht nun auch, warum dieser sonst so verdienstvolle Historiker nach dem Erscheinen des Werkes sich so gesträubt hat, auch nur im Zusammenhang damit genannt zu werden. Eine ähnliche Entstellung läßt sich der Herzog mit einem Briefe Tempelteys an Samwer vom 28. März 1866 zu Schulden kommen. 2 ) Es heißt nicht »völlig mit Bismarck einverstandene, wie dort zu lesen ist, sondern »völlig im Banne Bismarcks«. 8 ) Samwer junior hat die Briefe, die sich im Nachlasse seines Vaters befanden, mit den Auszügen verglichen, die in den Memoiren zitiert werden, und so auch diese höchst charakteristische Abweichung vom Original entdeckt. Sie zeigt 1. die Skrupellosigkeit, mit der Herzog Ernst die historische Wahrheit und selbst Briefe von anderer Hand für seine Tendenz entstellte und so den Sinn verstümmelte; 2. daß bis zum definitiven Anschluß des Herzogs an Preußen ein tiefer Zwiespalt zwischen ihm und Bismarck bestand und 3. daß der Herzog diesen durch die Darstellung in seinem Werke geflissentlich aus der Weltgeschichte ausmerzen wollte. Außerdem liefert diese vom Herzog inspirierte Briefstelle eine wertvolle Bestätigung für die Annahme von Bismarck und Roon, daß der letzte Vermittlungsversuch des Herzogs über den Kopf des Ministers unmittelbar zwischen dem Könige und Mendorf! die Absicht gehabt habe, zugleich den Krieg zu vermeiden und den verhaßten Bismarck zu stürzen. 4 ) ') 358/59, ') *)
Jansen, Schlesw.-Holst. Befreiung, 132 Anm. Schleiden, Bd. I. ») 611 iv. Jansen, Schleswig-Holsteins Befreiung, 600, Anm. 2. Roon, Denkwürdigkeiten, 4. Aufl., II, 403/4.
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Durch einen Zufall von wahrhaft tragischer Ironie war es möglich, noch weitere, höchst charakteristische Auslassungen aus wörtlich abgedruckten Briefen aufzuzeigen. Der Herzog von Koburg hatte Th. v. Bernhardi erzählt, wie es auf dem Fürsten tage zu Baden-Baden zugegangen war. Zur besseren Information seines Gastes hatte Ernst II. seinem Privatsekretär Bollmann den Auftrag gegeben, das darauf bezügliche Tagebuch und Briefmaterial diesem zur persönlichen Einsichtnahme vorzulegen. Bernhardi behielt dies einige Zeit bei sich und schrieb davon für sein Tagebuch ab, was ihm wichtig zu sein schien, darunter den Brief von König Leopold vom 25. August 1860 und das Antwortschreiben einer im Herzoglichen Memoirenwerke ungenannten Vertrauensperson (Max Duncker) des Fürsten von Hohenzollern. Der Brief des Königs Leopold ist sonst ganz korrekt abgedruckt, nur fehlt hinter »verfolgen werde«1) ein Ausfall auf Bismarck: * Leider könnte ich Deutsche zitieren, die dergleichen vorgeschlagen haben, unter anderen Herrn v. BismarckSchönhausen.« (Bismarck und die anderen sollten Abreißungen vom Vaterlande vorgeschlagen haben.) Ebenso ist in dem Briefe Max Dunckers bei der Beurteilung des Kaisers von Österreich hinter »kalt« ausgelassen: »und der Fürst vermutet, daß der Absolutismus der Herrschernatur kaum gleiche Wurzeln in einem anderen Herzen geschlagen haben möchte!«2) Dies Verfahren beweist auch wieder, daß der Herzog mit Bewußtsein in der Darstellung seinen Tendenzen Rechnung trug und nach Möglichkeit nichts in seinem Werke duldete, was diese hätte durchbrechen können. Wie er nachträglich alles wegzuretuschieren sucht, was auf Bismarck und sein Verhältnis zu ihm einen Schatten hätte werfen können, so will er den Kaiser von Osterreich in das günstigste Licht stellen, weil es ja bekannt war, daß der Herzog zuweilen österreichische Interessen stark gefördert hatte. ') 701-
*) 68".
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Besonders aber konnte er > Absolutismus der Herrschergewaltc im Bilde des Kaisers nicht brauchen, da er ja nachher alles aufbietet, ihn beim Berichte über den Fürstentag nachgiebig in Hoheitsrechten erscheinen zu lassen. Auf Grund einer Vergleichung mit dem Originalkonzept, dessen genaue Abschrift mir durch gütige Übermittlung des Koburger Archivs vorlag, konnten auch in dem Briefe an König Leopold vom 29. Juni 1863 der Tendenz des ganzen Berichtes entsprechende Auslassungen konstatiert werden. Da dieser Brief an einen unparteiischen außerdeutschen Beobachter gerichtet ist, ist kein Grund vorhanden, zu bezweifeln, daß er die wahre Gesinnung des Herzogs enthalte. In diesem Briefe fehlt, wie er auf S. 296 zum Abdruck gelangt, zwischen dem zweiten und dritten Absätze folgender Abschnitt: »Der Augenblick ist für diesen Plan der günstigste: Preußen in Verlegenheit und diskreditiert bei den Bevölkerungen; von außen drohende Gefahren und nach innen die sichere Voraussicht, daß, wenn von seiten Österreichs und der Regierungen jetzt wieder nichts geschieht, wir mit vollen Segeln der Republik entgegentreiben, zu einer Allianz mit dem französischen Revolutionskomitee, zu polnischen Zuständen, zu namenloser Verwirrung und Blutvergießen.« Im nächsten Absatz fehlt hinter »präjudizierliche Beschlüsse gefaßt haben« der Ausfall auf Preußen: »die reaktionären (Beschlüsse) vom Berliner Hof haben Zeit, an den Höfen der Mittel- und Kleinstaaten Terrain zu gewinnen; mit einem Wort: die Situation verrückt sich.« Endlich läßt sich noch in dem Memorandum an den Kronprinzen vom 2. September 1863 mittels der im Anschlüsse daran abgedruckten Anmerkungen König Wilhelms eine Auslassung konstatieren, die allerdings nicht so streng zu beurteilen i s t . D e r Kronprinz schrieb die Randglossen ') 353, 356.
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seines Vaters mit den dazu gehörigen Stichworten aus dem Berichte des Herzogs ab. Diese Abschrift des Kronprinzen hat der Herzog unverändert abgedruckt, offenbar ohne zu bemerken, daß einem Stichworte: »die Intrigue zu nennen« ein Passus in dem Schreiben des Herzogs nicht entsprach. Dafür finden sich dort im fünften Absätze einige Punkte, die auf eine Auslassung hindeuten. Die Auslassung scheint einen Angriff auf die preußische Presse enthalten zu haben, vielleicht auch auf die Umgebung des Königs. Etwas anderes anzunehmen ist kaum möglich. Dieser Gedanke paßt aber wieder nicht in den Absatz, in dem eine Auslassung angedeutet ist. Jedenfalls erweckt auch der Abdruck dieses Briefes Mißtrauen. In dem Briefwechsel mit G. Freytag, der mit der von Tempeltey herausgegebenen Sammlung verglichen werden kann, sind für den Abdruck Streichungen vorgenommen worden, die durchaus nicht immer nur Unwesentliches ausmerzen. Es wird so manches gestrichen, was den Abstand des Herzogs von den Anschauungen der preußischen Regierung, besonders bezüglich des italienischen Krieges, hätte enthüllen können.1) Es haben sich bei der geringen Möglichkeit einer Kontrolle in den abgedruckten Urkunden eine Reihe von Auslassungen, selbst Veränderungen aufzeigen lassen. Diese geschahen meistenteils aus tendenziöser Absicht, auch Eitelkeit war einmal dabei im Spiele. Der Erfolg war, daß dadurch der Sinn stark verändert wurde oder daß wertvolle Bestandteile und zum Teil unentbehrliche Ergänzungen der Mitteilungen unterdrückt wurden. Die einzige Möglichkeit, derartige Veränderungen vor dem Richterstuhle der objektiven Geschichtswissenschaft zu entschuldigen und die Glaubwürdigkeit der abgedruckten Urkunden und Briefe ungeschmälert zu erhalten, wäre ») 73—77.
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Gesichtspunkte für die Benatzung des Werkes.
durch das Bestreben gegeben, in unwesentlichen Punkten zu kürzen. Im vorliegenden Falle sind die Veränderungen und Streichungen zumeist nicht der Art, und so sind die Aktenstücke dadurch ihres Charakters als unverfälschter Überreste beraubt. Durch diese Entdeckungen, welche die eigentümliche Art des Herzogs, mit der historischen Wahrheit umzuspringen, genugsam vor Augen führen, fällt ein eigentümliches Licht auf die Kaschierung des Briefwechsels zwischen dem Herzog von Koburg und Ottokar Lorenz. Wenn die heikle Natur dieser Korrespondenz nur nicht darin besteht, daß durch den Blick in die Werkstätte dieser Memoiren die unzweideutigsten Beweise für die bewußte Retuschierungsarbeit an der Geschichte und ihren Urkunden geliefert werden!
Gesichtspunkte für die Benutzung des Werkes. Für die Benutzung des Aktenmaterials muß daher folgender Grundsatz beobachtet werden: Wo der entstellende Einfluß von Tendenz oder Eitelkeit nicht ausgeschlossen ist, muß mit Auslassungen gerechnet werden, die den Schwerpunkt der Ereignisse verschieben oder notwendige Züge verschwinden lassen können, die zum richtigen Verständnis und zur objektiven Beurteilung erforderlich sind. Wenn die abgedruckten Urkunden schon dadurch viel von ihrem Werte einbüßen, so wird dieser bei nicht wenigen, besonders bei den Briefen des Herzogs, noch mehr geschmälert, weil sie öfters infolge ihrer Entstehungsweise nicht rein referierender Natur waren, sondern der Absicht zu wirken entsprungen. Bei der Bewertung eines solchen Schriftstücks muß man sich also auch die Frage vorlegen: Wurde, als es entstand, damit ein bestimmter Zweck verfolgt und welcher? Trifft diese Möglichkeit zu, so muß mit Entstellungen des Sachverhaltes gerechnet werden, die natürlich im Historfache Bibliothek. XXI.
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Charakterisierung des Werkes.
Verhältnis zu der Situation und der Persönlichkeit des Briefschreibers stehen, wie er bezüglich seiner Zuverlässigkeit auch sonst bekannt ist. Leider waren die massenhaften Materialien, die dem Herzog bei der Abfassung seines Werkes vorlagen, von sehr verschiedenartigem, nicht wenige darunter von recht zweifelhaftem Werte, und die Auswahl zur Benutzung und zum Abdruck ist wenig glücklich getroffen. Anstatt daß vom Herzog Kritik geübt wurde, um der Wahrheit näher zu kommen, wurden die Belege dazu angeführt, um für die von ihm aufgestellten Behauptungen zu sprechen. Wo aber nur auf urkundliches Material verwiesen wird, das nur auszugsweise dem Sinne nach, nicht wörtlich wiedergegeben wird, ist zu erwägen, ob nicht Mitteilungen auf das Konto dieser Aktenstücke gesetzt werden, die dort gar nicht enthalten waren. Es kann dadurch eine falsche Glaubwürdigkeit erweckt werden. Wurden die Angaben aus einem vorliegenden Schriftstück gezogen, so darf man nicht auf reinliche und gewissenhafte Arbeit bei der Herübernahme rechnen. Außer diesen unmittelbaren Zeugnissen der Begebenheiten lagen statt ausführlicher Tagebücher nur dürftige Notizkalender vor, die durch die Angabe der Chronologie und der Namen der mit dem Herzog unmittelbar in Berührung getretenen Persönlichkeiten dem Gedächtnis nur die allernotwendigste Stütze gewähren konnten; und da der Herzog das Prinzip verfolgt, die benutzte Quelle entweder zu zitieren oder darauf hinzuweisen, so haben ihm, wenn dies nicht geschieht, nur diese sog. Tagebücher notdürftige Fingerzeige geben können. Eine Folgeerscheinung der Kritiklosigkeit des Herzogs ist der Mangel, der sich in der ungenügenden Verarbeitung des Materials stark fühlbar macht. Auch seine Arbeitsweise scheint manches zu diesen Ungleichheiten beigetragen zu haben. Da das Werk partienweise, ähnlich wie die Memoiren Boyens, niedergeschrieben wurde,
Gesichtspunkte für die Benutzung des Werkes.
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so konnte sich durch das Hinzukommen neuen Materials und neuer Gesichtspunkte eine Abweichung von den Wegen ergeben, die in den früheren Diktaten eingeschlagen worden waren. Eine gewisse Gleichgültigkeit gegen Präzision ist in den Memoiren überall vorauszusetzen. Einmal geht die Nachlässigkeit in der Darstellung so weit, daß der Herzog einen seiner Vorschläge bei einer Sitzung auf der nächsten Seite mit derselben Wendung fast wörtlich wiederholt. Man vermißt an dem Werke die solide Tätigkeit eines disziplinierten Geistes, und so fehlt auch durchaus die Unterscheidung von Haupt- und Nebensachen, und das Wesentliche wird zuweilen durch die Masse der Einzelheiten erstickt und nicht genügend hervorgehoben, so daß man darüber im unklaren bleibt. Die Erinnerung ist vielfach getrübt. Mit chronologischen Verschiebungen, Aufbauschung unwichtiger Dinge und Unrichtigkeiten im einzelnen wird man rechnen müssen. Man wird also nur da dem Bericht, wenn er nicht auf einwandfreie Quellen zurückgeht, Glaubwürdigkeit zumessen können, wo die Ereignisse sich mühelos dem Gedächtnisse einprägen konnten, vorausgesetzt, daß Entstellungen durch Motive politischer und persönlicher Natur ausgeschlossen sind. Derartige Motive haben stark auf die Gestaltung der Darstellung eingewirkt, und wo sie vorauszusetzen sind, besitzt der Bericht sehr wenig Zuverlässigkeit; denn dem Herzog galt historische Objektivität wenig, Beeinflussung der Leser in seinem Sinne alles. Ist ja doch das ganze Werk aus persönlichen Beweggründen hervorgegangen, wie das Vorwort deutlich zu erkennen gibt. Hat man Gründe, die bei einer Partie ') 3211- »Würde sich hierbei ein Einverständnis nicht herausstellen, so wäre noch immer Zeit, die Formen des weiteren Verfahrens zu erwägen.« 3221- »Stellte sich ein Einverständnis nicht heraus, so würde es noch immer Zeit sein, die Formen des weiteren Verfahrens zu erwägen.« 11*
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auf Tendenz schließen lassen, so wird die Frage aufzuwerfen sein, ob nicht wichtige Dinge verschwiegen, die Ereignisse umgeformt und die Persönlichkeiten parteiisch und mit Voreingenommenheit beurteilt und geschildert werden. Unter Anwendung dieser Gesichtspunkte wäre etwa der Bericht über die Militärkonvention mit Preußen für recht zuverlässig zu erklären; denn die ganze Haltung dieses Abschnittes erlaubt nicht, auf eine Tendenz zu schließen, und das Gedächtnis des Herzogs wurde durch gute Materialien gestützt. Anders steht es mit der Darstellung der Vorgänge in Nikolsburg. Hierfür konnte dem Herzog nur sehr geringes Material vorgelegen haben, und seine Eitelkeit, eine so bedeutende Rolle zu spielen, hat zweifelsohne vieles anders erscheinen lassen, als es wirklich war. Darauf hat schon M. Lenz aufmerksam gemacht1), der in dem Herzoglichen Memoirenwerk auch sonst »schwere Irrtümer« entdeckt hat. Auch noch andere Forscher haben dieselben Erfahrungen damit gemacht. 2) So besitzt es weder, wie etwa das Werk von Julius Fröbel, den Vorzug der getreuen Wiedergabe selbst erlebter Einzelheiten noch die Übersichtlichkeit einer historischen Darstellung, welche die Dinge in ihren Zusammenhängen betrachtet. Trotz alledem und trotz aller nachgewiesenen und auch für andere Partien des Werkes vorauszusetzenden Mängel wird es doch für die Geschichte deB 19. Jahrhunderts eine unentbehrliche Quelle bleiben. Wenn auch so leicht nichts wird geglaubt werden können, was nicht auch irgendwie von anderer Seite gestützt werden kann, oder die günstigsten Bedingungen für die Wiedergabe voraussetzen läßt, so wird es doch mit ') Dt. Rs. Bd. 100, S. 136. ') Hr. y. Treitschke, ffistor. und polit. Aufs. IV, S. 486 o., R. Schleiden, 359 n.
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Nutzen zur Bestätigung von anderen Berichten und selbst zur Erweiterung anderer Mitteilungen verwendet werden können. Leicht zwar ist die Benutzung nicht. Die Wahrheit wird dem Memoirenwerke durch Handhabung der historischen Methode abgerungen werden müssen; doch kann wiederum gesagt werden, daß bei den meisten Angaben, so entstellend auch die Tendenz zuweilen eingewirkt haben mag, ein Körnchen Wahrheit zu finden sein wird. Dieses gilt es herauszuschälen. Immer wird auch zu erwägen sein, daß das Werk dem Streben des Herzogs, Ruhm zu ernten und sich zu rechtfertigen, seine Entstehung verdankt. Der Wunsch, objektiv die Wahrheit zu berichten, hätte es bei dem Wesen des Herzogs nie in die Welt setzen können. Er hat es also für sein persönliches Interesse verfaßt, und dies berührte sich vielfach nicht mit dem der Geschichtswissenschaft. Dennoch fällt auch für diese so viel dabei ab, daß sie dem Herzog von Koburg für die vieljährige Arbeit, die er auf die Herstellung seiner Memoiren verwandte, dankbar sein kann.
Anhang. Notizen des Herzogs von Kolmrii über den FUrHtentag.
Freitag, 14. August. Fahre 8 % Uhr auf den Bahnhof, von da mit Extrazug nach Lichtenfels und von dort mit gewöhnlichem Zug nach Frankfurt a. M. zum Fürstenkongreß. Sonnabend, 15. August. Treffe früh 8 Uhr in Frankfurt ein und werde dort von den Frankfurter Senatoren empfangen. Nehme Quartier beim Kaufmann George Senfferheld. Empfange Besuch vom G r o ß h e r z o g v. B a d e n und mache den Gegenbesuch. Zum Besuch vorgefahren Erzherzog Wilhelm v. Österreich, Herzog v. Augustenburg, Fürst Hermann H o h e n l o h e . Diner zu Hause. Sonntag, 16. August. Frühstück 8 Uhr. Besuche mit Fürst Hohenlohe den Zoologischen Garten. Fahre zur Audienz bei Sr. Maj. d. Kaiser v. Österreich. Daselbst 4 Uhr großes Galadiner. Empfange Besuch von der Prinzessin Alice und Prinzen Ludwig v. HessenDarmstadt. Fahre abends 8V2 Uhr zum G r o ß h e r z o g von W e i m a r . Ankunft und Besuch der G r a f e n E r b a c h E r b a c h . Empfange Besuch vom Englischen Gesandten, welcher auf Durchreise nach Rosenau begriffen war.
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Anhang.
Montag, 17. August. 8V2 Uhr Frühstück (Graf Erbach und Sohn). Empfange Besuch von H. v. B e n n i g s e n , Mr. L. Oliphant, Prinzessin Alice, Prinzessinnen v. Augustenburg, Großherzog v. B a d e n , Prinz Karl v. Baden. 10 l l 2 Uhr früh: Erste große FüretenKonferenz, welche bis 4V2 Uhr nachmittags dauerte. 6 Uhr Galadiner auf dem Römer, gegeben von der Stadt Frankfurt. Abends großes Feuerwerk. Dienstag, 18. August. Geburtstag Sr. M. des Kaisers v. Österreich. Frühstück und Diner zu Hause, zum Diner G r o ß h e r z o g v. B a d e n . Abschiedsbesuch des Prinzen Karl v. Baden. F ü r s t e n - und M i n i s t e r k o n f e r e n z f a n d h e u t e b e i m i r zu H a u s e s t a t t . Audienz erteilt dem G r a f e n R e c h berg. Besuch im Zoologischen Garten. Mittwoch, 19. August. Frühstück und Diner zu Hause (Fürst Hohenlohe). Vorgefahren zum Besuch Sr. M. des Kaisers v. Österreich, war nicht zu Hause. Besuche den G r o ß h e r z o g v . B a d e n und G r o ß h e r z o g v. W e i m a r . Abends Festvorstellung im Theater, »Barbier von Sevilla«. Donnerstag, 20. August. Frühstück und Diner zu Hause (Fürst Hohenlohe). Besuche den G r o ß h e r z o g v. B a d e n und v . W e i m a r . Empfange Besuche von Hofmaler Frisch von Darmstadt, Herzog v. Braunschweig, Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst. F ü r s t e n und M i n i s t e r k o n f e r e n z . Empfange Abschiedsbesuch des Fürsten H. H o h e n l o h e . Freitag, 21. August. Frühstück zu Hause. Empfange Besuche von Herzog v. Schleswig, v. Cambridge, v. Mesringen, Erbprinzen von Meiningen. Fahre nach Darmstadt, nach Jagdschloß Krannichstein zum Besuch bei der Prinzessin Alice und diniere daselbst. Hatte das Unglück beim Vorführen eines Pferdes der Prinzessin Alice von dem Pferde beim Ausschlagen ins
Notizen des Herzogs von Koborg über den Fürstentag.
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Gesicht getroffen zu werden, jedoch ging der Unfall noch glücklich vorüber. F u h r abends 7 Uhr nach F r a n k f u r t zurück. Sonnabend, 22. August. Frühstück und Diner zu Hause. Empfange Besuche von den Erzherzogen E t i e n n e und J o s e p h v o n Ö s t e r r e i c h und erwidere dieselben. Bei Durchreise des Königs Ferdinand von Portugal empfange Besuch von demselben. Reise abends 0 Uhr 20 Min. von F r a n k f u r t a. M. ab nach Koburg, in Begleitung des Erzherzogs Joseph von Österreich. Sonntag, 23. August. Früh 772 Uhr traf ich von F r a n k f u r t auf Callenberg ein. . . . 9 Uhr ab; reiste ich mit Extrazug nach Bamberg und von da nach F r a n k f u r t wieder ab. Montag, 24. August. Ankunft in F r a n k f u r t früh 7Va Uhr. Kaiserl.-Konferenz. Abreise des P r i n z e n H o h e n l o h e - S c h i l l i n g s f ü r s t . Empfange Besuch von den Augustenburgischen Herrschaften und dem Erbprinzen von Meiningen. Erteile H. v. Bennigsen Audienz. Frühstück und Diner zu Hause. Dienstag, 25. August. Frühstück zu Hause (Graf Bendheim). Empfange Besuche vom Prinzen Karl von Baden, Grafen B e u s t . Vorm. 11 Uhr Fürstenkonferenz beim Kaiser. Diner zu Hause. Mittwoch, 26. August. Frühstück zu Hause mit den Herrschaften von Augustenburg. Mr. Oliphant. Vorm. 11 Uhr Fürstenkonferenz. 4 Uhr Diner bei Sr. M. dem K ö n i g v. S a c h s e n . Abends 7 U h r K o n f e r e n z b e i Sr. M. K a i s e r v. Ö s t e r r e i c h . Spaziergang gemacht. Donnerstag, 27. August. Frühstück und Diner zu Hause. 8 Uhr f r ü h Konferenz beim Großherzog von Mecklenburg. 11 Uhr Fürstenkonferenz. Audienz für Dr. Gnaita. Mache mit Senfferheld Stadtbesuch.
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Anbang.
Freitag, 28. August. Frühstück zu Hause. Empfange Besuch von den Augustenburgischen Herrschaften. 11 Uhr Fürstenkonferenz. Bis zum Diner bei Dr. Gnaita. Abends Konferenz beim König von Hannover. Sonnabend, 29> August. Frühstück und Diner zu Hause. Besichtige die Senfferheldsche Schneidefabrik. Empfange Besuch vom K ö n i g v o n S a c h s e n . 11 Uhr Fürstenkonferenz. Abends 7 Uhr Fürstenkonferenz im Bundespalais. Sonntag, 30. August. Frühstück zu Hause. G r a f R e c h b e r g und Gesandter v. Fritsch. Diner zu Hause. Abends 7 Uhr Konferenz beim König v. Sachsen. Herzog v. Augusten bürg. Montag, 31. August. Frühstück zu Hause. 9 Uhr vormittags Konferenz beim K ö n i g v. S a c h s e n . Fahre aus, um verschiedene Abschiedsbesuche zu machen. Diner 4 Uhr bei Sr. M. dem Kaiser von Österreich. Von 6 bis 8 Uhr fahre ich nach Homburg. Abends Konferenz beim König v. Sachsen. Dienstag, 1. September. Frühstück und Mittagessen zu Hause. 10 Uhr letzte Fürstenkonferenz. Reise abends 6 Uhr 10 Min. von Frankfurt ab nach Koburg.