Der Begriff „Fête du village“ und seine Bezeichnungen im Galloromanischen [Reprint 2021 ed.] 9783112579480, 9783112579473


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German Pages 114 [120] Year 1962

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Der Begriff „Fête du village“ und seine Bezeichnungen im Galloromanischen [Reprint 2021 ed.]
 9783112579480, 9783112579473

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D E U T S C H E A K A D E M I E DER W I S S E N S C H A F T E N ZU B E R L I N V e r ö f f e n t l i c h u n g e n des I n s t i t u t s f ü r R o m a n i s c h e

Sprachwissenschaft

Nr. 16

HANNELORE

BEEKMANN

DER B E G R I F F „ F E T E DU VILLAGE" UND S E I N E B E Z E I C H N U N G E N IM GALLOROMANISCHEN Mit einer Sprachkarte

AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1961

Diese Veröffentlichung wurde der Philosophischen Fakultät der Universität München als Inauguraldissertation vorgelegt Referent: Prof. Dr. H. Rheinfelder Korreferent: Prof. Dr. W. Wissmann Tag der mündlichen Prüfung: 25. Februar 1960

Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 8, Leipziger Straße 3-4 Copyright 1961 by Akademie-Verlag, Berlin Lizenznummer: 202 • 100/232/61 Kartengenehmigung: MDI der DDK Nr. 6123 Gesamtberstellung: IV/2/14 • VEB Werkdruck Gräfenhainchen • 1551 Bestellnummer: 2033/16 . ES 7 H • Preis: DU 14,50 Printed in Germany

INHALTSVERZEICHNIS

Vorbemerkungen

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I . Kulturhistorischer Teil

7

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Le culte liturgique Le culte populaire L'élément municipal L'élément économique L'élément esthétique L'élément familial

I I . Sprachwissenschaftlicher Teil 1. Le culte liturgique et populaire assemblée bénichon chaté dédicace fête kermesse majo mi-août od pardon patron préveil tourner âge, roumavage saint + Name eines Heiligen saintourage station vogue voto way

9 13 17 20 25 28 31 34 34 38 41 42 45 50 51 52 52 53 56 56 59 61 62 63 63 68 71

2. L'élément municipal abbaye badocha frairie reinage

73 73 75 78 79

3. L'élément économique apport, rapport foire

83 83 85

4. L'élément esthétique et familial ballade, ballocho cabane divertissance

88 88 90 91

4

Inhaltsverzeichnis ébat farandole flans meriennée réjouissance riote train Schlußbemerkungen

92 92 93 94 95 96 97 99

Bibliographie zum kulturhistorischen Teil

101

Bibliographie zum sprachwissenschaftlichen Teil

103

VORBEMERKUNGEN

Es ist mir ein Anliegen, all denen meinen Dank auszusprechen, die mich bei der Abfassung meiner Arbeit unterstützten. Mein verehrter Lehrer, Herr Professor Rheinfelder, sei an erster Stelle genannt. Ihm gebührt mein besonderer Dank für die stete Hilfsbereitschaft und die zahlreichen Anregungen, die er meiner Arbeit zukommen ließ. Herr Professor Wissmann erwies mir durch eine Reihe nützlicher Hinweise große Dienste. Herr Professor v. Wartburg stellte mir in uneigennütziger Weise seine noch unveröffentlichten Materialien zum F E W zur Verfügung. Herr Dr. Keller brachte meiner Untersuchung großes Interesse entgegen. Ihm verdanke ich es, wenn ich auf manche ungeklärten philologischen Probleme, wie z. B. vogue oder chaté, ausführlicher eingehen konnte. Herr Dr. Thierbach übermittelte mir eine Anzahl von Belegstellen aus den Cout Belg und Cout Gén.1 Außerdem überließ er mir seine Materialsammlung, durch die ich meine eigenen Materialien in einigen Punkten ergänzen konnte. Den Herren Professoren Nauton, Renson, Hallig und Camproux sei dafür gedankt, daß sie mir reichhaltige Unterlagen für noch nicht erschienene Sprachkarten exzerpierten und zur Veröffentlichung freigaben. Herr Professor Gsell untersuchte die lautlichen Gegebenheiten für od in den Vogesen und erleichterte mir dadurch die etymologische Darstellung des Wortes. M. Tuaillon gab mir wertvolle Hinweise für die Vitalität des Wortes vogue im Frankoprovenzalischen. Im Auftrag von M. Desponds machte mir M. Burger Angaben über die Verbreitung der im Gl 2 noch nicht veröffentlichten Termini vogue, patron etc. Herr Professor Fischer vom Liturgischen Institut in Trier vermittelte mir die Adresse des Liturgikers P. Pierre-Marie Gy, OP, Institut Supérieur de Liturgie in L e Saulchoir-Etiolles, der mir die gegenwärtige Praxis in der Abhaltung der Kirchweihe und des Patronatsfestes mitteilte. Ich möchte den Herren auf diesem Wege von ganzem Herzen danken. Bei der Abfassung der vorliegenden Arbeit verzichtete ich bewußt auf die Darstellung zweier mit dem Patronatsfest verwandter Wortkomplexe, für die ich zusätzlich Material gesammelt habe: "retour de la f ê t e " und "Jahrmarkt". Die Untersuchung dieser Termini wird so umfangreich, daß sie eine gesonderte Bearbeitung notwendig macht. 1

2

Recueil des anciennes coutumes de la Belgique, p. p. ordre du roi; ca. 60 Bde. ; Bruxelles 1873—1911. Nouveau Coutumier Général ou Corps des Coutumes générales et particulières de France, et des provinces; exactement vérifiées sur les Originaux conservez au Greffe du Parlement de Paris et des autres Cours du Royaume, p. p. A. Bourdot de Richebourg; 4 vol.; Paris 1724. Glossaire des patois de la Suisse Romande élaboré avec le concours de nombreux auxüiaires et rédigé par L . Gauchat, J. Jeanjaquet, E. Tappolet, avec la collaboration de E. Muret; Neuchâtel-Paris 1924fi.

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Vorbemerkungen

Bei den Abkürzungen richte ich mich vorwiegend nach dem Französischen Etymologischen Wörterbuch (FEW) aus. Im zweiten, sprachhistorischen Teil verwende ich von Anfang an die Abkürzungen. Durch das F E W sind sie in der romanischen Sprachwissenschaft so geläufig geworden, daß sich ein Aufführen des vollen Titels bei seinem ersten Erscheinen erübrigt. Die Abkürzungen werden jeweils in der Bibliographie aufgelöst. Wenn die Glossare nicht durch eine Seitenangabe näher bestimmt werden, ist der Beleg unter dem besprochenen Wort (s. v.) aufzufinden. Abkürzungen wie f., fem., m., masc., sg., pl. etc. werden nicht gesondert erläutert, da sie in philologischen Arbeiten allgemein gebräuchlich sind. Für die Abkürzungen der verschiedenen Dialekt- und Sprachgruppen verweise ich auf das Beiheft zum F E W , 2. Aufl., Tübingen 1950 und das Supplement dazu, Basel 1957. Zum besseren Verständnis der Formen und ihrer Lokalisierung sei erwähnt, daß die Belegstelle jeweils ohne Komma auf den Ort folgt. Beispiel: od L a Baroche Horning Gloss, d. h. Form Ort Belegstelle. Die phonetische Umschrift ist dem F E W entnommen. Auf der Karte im Anhang sind der besseren Übersicht wegen nur die wesentlichsten Wörter der Sprachatlanten A L F , ALG, ALMC, ALLy, ALW verzeichnet. Zur Ergänzung wurde auch das Wörterbuch von Zeliqzon herbeigezogen. Die Gestaltung der Karte besorgte mein Mann.

Bevor im onomasiologischen Teil dieser Arbeit gezeigt wird, welche Bezeichnungen sich auf galloromanischem Boden für "fête du village", also "Kirchweih", entwickelt haben, erscheint es angebracht, den kulturhistorischen Hintergrund, der für die Bildung der patois-Ausdrücke maßgebend war, zu erhellen. Dabei ist es nicht das Bestreben, ein lückenloses Bild all der Faktoren, die zum Begriff "Kirchweih" beitragen, zu geben. Dies geschieht viel besser in den Werken, die in der Bibliographie zu diesem Teil aufgeführt werden. Ziel ist es vielmehr, der Schuchardtschen Forderung nachzukommen und mit Wortkenntnis auch Sachkenntnis zu verbinden, soweit die letztere für das bessere Verständnis der sprachlichen Vorgänge nötig ist. Wie berechtigt dieses Postulat Schuchardts ist, erweist sich wieder an diesem Thema. Denn die Elemente, die das Wesen der Kirchweih ausmachen, sind gleicherweise für die Wortbildung maßgebend gewesen. Sie wurden so überzeugend von van Gennep Auv S. 178 zusammengestellt, daß er für die Gliederung des ersten, kulturhistorischen Teiles wie des zweiten, onomasiologischen Hauptteiles maßgebend wurde. Sechs Elemente, die des treffenden Ausdrucks wegen in der Originalsprache zitiert werden, sind typisch für das Kirchweihfest: 1. le culte liturgique 2. le culte populaire 3. l'élément municipal

4. l'élément économique 5. l'élément esthétique 6. l'élément familial.

Die Wertigkeit dieser Faktoren war in Raum und Zeit verschieden. Daraus erklärt es sich, daß es in den einzelnen Gegenden Frankreichs, wie in den einzelnen Epochen, je nach Bedeutung eines besonderen Aspektes zu einer differenzierten Wortbildung kam. Bei der Analyse des organisch gewachsenen Begriffes "Kirchweih" ist es nicht immer leicht, die zu untersuchenden Faktoren klar einzuordnen, so daß sich im ersten wie auch im zweiten Teil gleitende Übergänge und Querverbindungen finden.

1. Le culte liturgique Zunächst bedarf die Frage der Klärung, was sich hinter dem Begriff "fête du village", "fête locale", "fête patronale", "fête votive" etc., der dem deutschen "Kirchweih" entspricht, verbirgt. Kirchlich gesehen ist es a) das Kirchweihfest b) das Patronatsfest.

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I. Kulturhistorischer Teil

a) Das Kirchweihfest Man versteht darunter das Fest der Einweihung einer Kirche, die feierliche liturgische Handlung, durch die ein neuerbautes oder seiner Bestimmung eine Zeitlang entzogenes Kultusgebäude gewöhnlich durch den Bischof zum gottesdienstlichen Gebrauch geweiht wird.1 Durch das kanonische Recht ist für die Einweihung der Kirche die Konsekration durch den Bischof vorgeschrieben (can. 1147 § 1), doch hat es sich allmählich ergeben, daß selbst in den größeren Kirchen manchmal nicht mehr die Konsekration, sondern nur die Benediktion vorgenommen wird, d. h. die durch einen vom Bischof bestimmten Priester vollzogene Weihe, durch die die Kirche erst für den Gottesdienst geeignet wird (can. 1165 § 1).2 Diese Handlung heißt bei den Kirchenschriftstellern im allgemeinen dedicatio? Desgleichen verwenden sie die Bezeichnung consecratio. So erwähnt Paulinus von Nola (f 431) eine basilicae consecratio. Daß beide Ausdrücke synonym verwendet werden können, zeigt die Uberschrift De ecclesiae dedicatione seu consecratione.4 Statt consecrare findet auch das Simplex sacrare Verwendung; so in dem Brief des Papstes Gelasius I. an die Bischöfe von Bruttien, Lukanien und Sizilien. Hie und da trifft man für dedicare sanctificare. Der Evangelist Johannes gebraucht zur Bezeichnung der alljährlichen Tempeleinweihung das Wort encaenia (Joh. 10, 22), griechisch syxaivia. In der im 6. Jahrhundert entstandenen Peregrinatio Aetheriae findet sich die Form encaeniae (dies encaeniarum), aber auch encaenia (wie griech. n. pl.); so cap. 48: «harum ergo ecclesiarum encaenia cum summo honore celebrantur . . . » Bei DC III, 263 b ist auch der Sg. encaenium belegt. Als der Sakramentsbegriff noch nicht genau festgelegt war und sacramenta neben den eigentlichen Sakramenten noch viele andere rituelle Handlungen bezeichnete, nannte man die Kirchweih häufig sacramentum. Im Griechischen verwendet man außer syxaivia noch die Bezeichnung äipisgcoaig, dazu das Verb xa&iegovv, selten äipisgovv. Von dem Akt der Kircheneinweihung zu unterscheiden ist der jährliche Erinnerungsoder Gedächtnistag derselben. Die Kirchenschriftsteller nennen ihn dies anniversarius dedicationis, auch kurz anniversarium oder sogar dedicatio. Im Volksmund trägt er den Namen der Erstfeier-Kirchweih. Beide Feste, die Einweihung der Kirche und deren Gedächtnisfeier, haben heute den Charakter eines festum duplex primae classis.5 1 2 3

4

6

Der große Brockhaus, 15. Auflage, Band 10; Leipzig 1931, S. 176bf. Lex. f. Theol. u. Kirche, 2. neubearb. Aufl. des kirchl. Handlex., Herder & Co.; Freiburg i. Br„ Band 5, 1933, s. v. Kirchweihe, S. 1053f. Für diese und die folgenden Ausführungen vgl. Stiefenhofer, Die Geschichte der Kirchweihe vom 1.—7. Jahrhundert; München 1909, bes. § 4, S. 18ff.; vgl. auch ThesLL V, 256 f. Pont. Rom. ed. typ. P. II, Ratisbonae 1888, p. 15, B. Gründl, Die Kirchweihe deutsch u. lat. nach dem röm. Pontifikale; Augsburg 1903; nach Stiefenhofer a. a. O. S. 18, Anm. 3. Die neuen Rubriken des Missale Romanum, dargestellt und erläutert von Dr. theol. Wilhelm Lurz, Stadtpfarrer und Erzb. Geistl. R a t ; München 1955, S. 48.

1. Le culte liturgique

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Die Herkunft der Kirchweih läßt sich bis ins Heidentum zurück verfolgen. Schon in der Antike war es Sitte, Gebäude, die einem kultischen Zweck dienen sollten, zu weihen. Aus dem G r i e c h e n t u m ist abgesehen von wenigen Dedikationsinschriften keine literarische Uberlieferung erhalten. Doch dürfen wir schließen, daß das griechische Zeremoniell den Römern Muster und Vorbild war. Uber die Tempelweihe der R ö m e r hingegen besitzen wir zahlreiche Belege. Die Auswahl und Vorweihe (effatio) des Ortes, an dem der römische Tempel entstehen sollte, erfolgte durch die Auguren. 1 Nach der Fertigstellung des Tempels wurde seine Einweihung durch die Pontifices vorgenommen. Dazu schmückte man den Tempelbereich festlich mit Kränzen und brachte Opfer dar. Im Konsekrationsgebet wurde die Stätte den Schutzgöttern zum Eigentum vermacht. Den Tag der Einweihung feierte das Volk mit. Der Senat bewilligte ihm eine eigene Summe für Spiele (ludi dedicatorii) 2 . Im Jahre 191 v. Chr. wurden bei der Einweihung des Tempels der Göttin Idaea erstmalig in Rom Theaterspiele aufgeführt. Alljährlich beging man den Einweihungstag als natalis templi durch ein Opfer. Die Tempelweihe und ihre Gedächtnisfeier finden sich auch bei den J u d e n . Die Einweihung des Salomonischen Tempels (ca. 1025 v. Chr.) dauerte sieben Tage (3 Kön. 8, 65) und nach dem 2. Makkabäerbuch (2, 12) sogar acht Tage. Man beging auch das Gedächtnisfest der Tempelweihe, die Judas Makkabäus im Jahre 165 v. Chr. vornahm, als der Tempel durch Antiochus Epiphanes entweiht worden war (1 Makk. 4, 59). So war also das Vorbild der Kirchweihe und sogar der Oktav schon im Alten Testament gegeben. Viele jüdische Zeremonien kehren im christlichen Ritual, besonders in dem des Mittelalters, wieder. Heute noch feiern die Juden am 25. des Monats Kislew die Chanukkah, d. h. den Tag der Weihe. Die ersten Belege für die Einweihung c h r i s t l i c h e r Kirchen treten nicht vor dem 4. Jahrhundert auf. Ob die christlichen Kultstätten in den ersten drei J a h r hunderten bereits eine Weihe empfingen, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, denn alle Dokumente, die über diese Periode Auskunft geben, haben nach den Ergebnissen der neuen Forschung an Gültigkeit verloren, wie z. B. das Dekret des Papstes Evarist 3 , dem manche die Einsetzung der Kirchweih zuschrieben. Man kann nur vermuten, daß auch die ersten Christen ihre Gebetsstätten schon von Anfang an zumindest durch einen Gottesdienst einweihten, wenn diese Weihe der Verfolgung wegen auch nicht öffentlich vor sich gegangen sein konnte. Die erste öffentliche Dedikation, die sich mit Sicherheit nachweisen läßt, fand 314 in der von Bischof Pauünus errichteten Kathedrale von Tyrus statt. Zeugnis davon gibt die Oratio Panegyrica de Aedificatione Ecclesiarum des Eusebius. 4 Von einer Wiederholung dieser Feier sagt Eusebius noch nichts. Erstes Beispiel dafür ist das

1 2 3 4

Bötticher, Die Tektonik der Hellenen; Berlin 1862, 2. Band, 4. Buch, S. lOlfi. Liv. XL 52, 1—3. XLII, 10, 5; nach Paulys Realencyclopädie der classisch. Altertumswissenschaften; Stuttgart 1901, Bd. 4, 2; 8. Halbbd., S. 2359. C. 3, Dist. I, De Consecr. ; nach Wetzer und Weltes Kirchenlex. o. Enc. der kath. Theol. u. ihrer Hilfswiss. ; Freiburg i. Br. 1891, Bd. 7, S. 726. Hist. Eccl. 10, 3 f.: J. P. Migne, Patrologia Graeca 20, 845; nach Lex. f. Theol. u. Kirche, a. a. O. Band V, s. v. Kirchweihe II, S. 1054.

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I. Kulturhistorischer Teil

jährliche Gedächtnisfest der am 14. September 335, d. h. am Jahrestag der Kreuzauffindung durch Helena, vorgenommenen Einweihung der Grabeskirche in Jerusalem. 1 Dem Zeugnis der Schriftsteller schließt sich das der Monumente an. In seinem Vorwort zum 'Leben der Päpste' von Anastasius 2 führt Blanchini u. a. eine Inschrift an, die die Weihe einer Kirche in Rom durch den Papst Damasus (366—384) für das 4. Jahrhundert bestätigt: «T. I. X. EGO DAMASI VS. VRB. ROME E P S AN C DOMU COSECRAVI . . . N. R. Q. S. PA. S. PE.» Also: «Titulus in Christi nomine. Ego Damasus (Sic) urbis Romae episcopus hanc domum consecravi . . . etc.»3 Dieser Text liefert den Beweis, daß im 4. Jahrhundert in Rom eine Kirche geweiht worden war. Um die weitere Entwicklung des Kirchweihfestes darzulegen, ist es nötig, auf die Patronatsfeste hinzuweisen, da sie im 4. Jahrhundert einen wesentlichen Einfluß auf die Dedikationen auszuüben begannen. b) Das Patronatsfest oder Patrozinium In der kirchlichen Terminologie versteht man unter Patron einen Heiligen, der auf Grund des Glaubenssatzes von der Gemeinschaft der Heiligen als Schützer einzelner Kirchen, Personen, Stände etc. angerufen und verehrt wird. 4 Diese Heiligen können Personen aus dem Alten Testament, Apostel, Märtyrer, Bekenner, Jungfrauen, Engel oder die Mutter Gottes sein.5 Das Patrozinium einer Kirche ist heute als Fest I. Kl. zu begehen. 6 Die Sitte, die Heiligen — und in der Verfolgungszeit der Christen besonders die Märtyrer — zu ehren, reicht bis in das 2. Jahrhundert zurück. Ursprünglich versammelte man sich alljährlich am Todestag eines Märtyrers an seinem Grab, um dort einen Gottesdienst abzuhalten. Bisweilen gab man nach römischem Vorbild an diesem Tag auch Gastmähler. 7 Doch feierte man bis in die ersten Jahrzehnte 1

2 3 4 6 6 7

Sozomenus, Hist. Eccl. lib. 2, cap. 26 und Nicephorus Hist. Eccl. lib. 8, cap. 50; nach Nickel, Die heiligen Zeiten und Feste nach ihrer Geschichte und Feier in der kath. Kirche; Mainz 1838, 6. Teil, 2. Hälfte, S. 423. M. L'Abbö Martigny, Dict. des antiqu. ehr6t.; Paris 1865, S. 227; er macht keine näheren Angaben über das zitierte Werk. Id. ib. Lex. f. Theol. u. Kirche a. a. O. Bd. VIII, s. v. Patron, S. 1. Kellner, Heortologie; Freiburg i. Br. 1906, S. 9. Lurz a. a. O. S. 46. Die Römer pflegten an ihren Geburtstagen Gastmähler abzuhalten. Sie ordneten oft testamentarisch an, daß dieser Brauch am Jahrestag ihres Todes weitergeführt werden sollte (nach Nickel a. a. O. S. 10).

2. Le culte populaire

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des 4. Jahrhunderts hinauf nur die Märtyrer, die der eigenen Gemeinde angehört oder in ihr den Tod gefunden hatten. So waren die Märtyrerfeste anfangs noch reine Gemeindefeste. Wer an der Gedächtnisfeier eines bestimmten Märtyrers teilnehmen wollte, konnte das nur an Ort und Stelle tun. Der Zustrom der Gläubigen war deshalb beträchtlich. Nach der Verfolgung der Christen begann man über den Gräbern Basiliken zu errichten, sog. Martyria oder Zömeterialkirchen. 1 Allmählich war die Verehrung eines Märtyrers nicht mehr an das Grab und somit an den Besitz des gesamten Leichnams gebunden. Die geringste Reliquie gab Anlaß, dem Märtyrer eine Kirche zu bauen und sie nach dem Heiligen zu nennen. In der Frühzeit des Christentums richtete sich die Namengebung der Kirche nach dem Stifter. Im Alten Testament kannte man die Mosaische Stiftshütte, den Salomonischen, den Zorobabelischen Tempel. Eine durchgreifende Änderung in der Benennung begann mit dem Märtyrerkult. Ausgangspunkt dafür, daß man den Märtyrern Kirchen widmete, waren die Grabeskirchen. Später genügten geringfügige Reliquien, um die Kirche nach einem Blutzeugen zu benennen. Da man von vielen Heiligen kaum das Jahr, noch viel weniger den Tag ihres Todes wußte, feierte man ihren Gedächtnistag oft am Einweihungstag der ihm dedizierten Kirche. Durch diesen zeitlichen Zusammenfall des Kirchweih- und Patronatsfestes erklärt sich die Erscheinung, daß die Termini Kirchweih im Deutschen und fête du village oder fête locale etc. im Französischen nicht nur den Weihetag der Kirche, sondern auch das Patronatsfest bedeuten können, wie sich umgekehrt fête patronale auch auf die Kirchweih beziehen kann.

2. Le culte populaire Die Weiterentwicklung von Kirchweih- und Patronatsfest, die der Kürze halber vielfach nur mehr "Kirchweih" genannt werden sollen, erfolgt unter Punkt 2. Denn nur durch die Einbeziehung des folkloristischen Momentes ist es zu verstehen, daß diese Feste in ihrer kirchlichen Bedeutung heute weitgehend entwertet sind. Schuld an dieser Verfremdung hat neben den Auswüchsen, die aus der Übertreibung und Entartung des christlichen Kultes durch die Gläubigen entstanden sind, auch das heidnische Brauchtum, das sich an diese Feste angesetzt hat. Daß der volkstümlichen Kirchweihfeier heidnische Momente innewohnen, geht aus dem Akkomodationsprinzip der Kirche hervor. Was man darunter versteht, erklärt sich am besten durch die Worte des Papstes Gregor des Großen selbst, die er gegen 600 an den Bischof Augustinus richtete 2 : «. . . fana idolorum destrui in eadem gente (sei. Anglorum) minime debeant; sed ipsa quae in eis sunt idola destruantur; aqua benedicta fiat, in eisdem fanis aspergatur, altaria construantur, reliquiae ponantur: quia si fana eadem bene constructa sunt, necesse est ut a cultu 1 2

Ein berühmtes Beispiel in Frankreich ist die Basilika des hl. Martin von Tours. Beda Yen. lib. I, cap. 30 bei Migne J. P., Patrologia Latina, Bd. 95, S. 7 0 C - 7 1 B .

2. Le culte populaire

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des 4. Jahrhunderts hinauf nur die Märtyrer, die der eigenen Gemeinde angehört oder in ihr den Tod gefunden hatten. So waren die Märtyrerfeste anfangs noch reine Gemeindefeste. Wer an der Gedächtnisfeier eines bestimmten Märtyrers teilnehmen wollte, konnte das nur an Ort und Stelle tun. Der Zustrom der Gläubigen war deshalb beträchtlich. Nach der Verfolgung der Christen begann man über den Gräbern Basiliken zu errichten, sog. Martyria oder Zömeterialkirchen. 1 Allmählich war die Verehrung eines Märtyrers nicht mehr an das Grab und somit an den Besitz des gesamten Leichnams gebunden. Die geringste Reliquie gab Anlaß, dem Märtyrer eine Kirche zu bauen und sie nach dem Heiligen zu nennen. In der Frühzeit des Christentums richtete sich die Namengebung der Kirche nach dem Stifter. Im Alten Testament kannte man die Mosaische Stiftshütte, den Salomonischen, den Zorobabelischen Tempel. Eine durchgreifende Änderung in der Benennung begann mit dem Märtyrerkult. Ausgangspunkt dafür, daß man den Märtyrern Kirchen widmete, waren die Grabeskirchen. Später genügten geringfügige Reliquien, um die Kirche nach einem Blutzeugen zu benennen. Da man von vielen Heiligen kaum das Jahr, noch viel weniger den Tag ihres Todes wußte, feierte man ihren Gedächtnistag oft am Einweihungstag der ihm dedizierten Kirche. Durch diesen zeitlichen Zusammenfall des Kirchweih- und Patronatsfestes erklärt sich die Erscheinung, daß die Termini Kirchweih im Deutschen und fête du village oder fête locale etc. im Französischen nicht nur den Weihetag der Kirche, sondern auch das Patronatsfest bedeuten können, wie sich umgekehrt fête patronale auch auf die Kirchweih beziehen kann.

2. Le culte populaire Die Weiterentwicklung von Kirchweih- und Patronatsfest, die der Kürze halber vielfach nur mehr "Kirchweih" genannt werden sollen, erfolgt unter Punkt 2. Denn nur durch die Einbeziehung des folkloristischen Momentes ist es zu verstehen, daß diese Feste in ihrer kirchlichen Bedeutung heute weitgehend entwertet sind. Schuld an dieser Verfremdung hat neben den Auswüchsen, die aus der Übertreibung und Entartung des christlichen Kultes durch die Gläubigen entstanden sind, auch das heidnische Brauchtum, das sich an diese Feste angesetzt hat. Daß der volkstümlichen Kirchweihfeier heidnische Momente innewohnen, geht aus dem Akkomodationsprinzip der Kirche hervor. Was man darunter versteht, erklärt sich am besten durch die Worte des Papstes Gregor des Großen selbst, die er gegen 600 an den Bischof Augustinus richtete 2 : «. . . fana idolorum destrui in eadem gente (sei. Anglorum) minime debeant; sed ipsa quae in eis sunt idola destruantur; aqua benedicta fiat, in eisdem fanis aspergatur, altaria construantur, reliquiae ponantur: quia si fana eadem bene constructa sunt, necesse est ut a cultu 1 2

Ein berühmtes Beispiel in Frankreich ist die Basilika des hl. Martin von Tours. Beda Yen. lib. I, cap. 30 bei Migne J. P., Patrologia Latina, Bd. 95, S. 7 0 C - 7 1 B .

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I. Kulturhistorischer Teil

daemonum in obsequio veri Dei debeant commutari; ut dum gens ipsa eadem fana sua non videt destrui, de corde errorem deponat, et Deum verum cognoscens ac adorans, ad loca quae consuevit, familiarius concurrat. E t quia boves solent in sacrificio daemonum multos occidere, debet eis etiam hac de re aliqua sollemnitas immutari: ut die dedicationis, vel natalitii sanctorum martyrum quorum illic reliquiae ponuntur, tabernacula sibi circa easdem ecclesias quae ex fanis commutatae sunt, de ramis arborum faciant, et religiosis conviviis sollemnitatem celebrent; nec diabolo jam animalia immolent, et ad laudem Dei in esu suo animalia occidant, et donatori omnium de satietate sua gratias referant: ut dum eis aliqua exterius gaudia reservantur, ad interiora gaudia consentire facilius valeant. Nam duris mentibus simul omnia abscidere impossibile esse non dubium est, quia et is qui summum locum ascendere nititur, gradibus vel passibus non autem saltibus elevatum» Die Umdeutung der heidnischen Feste, also die Veränderung des Sinngehaltes unter Beibehaltung des volkstümlichen Kultes, erklärt es, daß in den christlichen Festen, besonders im Kirchweih- und Patronatsfest, wie es aus Gregors Brief hervorgeht, heidnisches Brauchtum weiterlebt. Die allmähliche Profanierung der Heiligenfeste und Kirchweihen ist aber nicht nur auf das Überwuchern der heidnischen Relikte zurückzuführen. Auch der einstmals sinnvolle christliche Kult entartete. Das gemeinschaftliche Liebesmahl, das ursprünglich hauptsächlich der Erquickung der Armen durch die Reichen dienen sollte, entwickelte sich zu unmäßigem Gelage. 1 Ein ähnlicher Vorgang findet sich bei den Slawen. Die Totenagapen, die auf den Gräbern der Verstorbenen und desgleichen an den Heiligenfesten bei der eucharistischen Feier gehalten wurden, nahmen allmählich den Charakter wüster Orgien an. Diese Erscheinung hat die Sprache festgehalten, indem der weißrussische Name des Allerseelenfestes (chautury, auch hautury) synonym für "Fresserei" verwendet wird. 2 E s war Usus gewesen, den Weiheritus durch Vigilien einzuleiten. Daraus erklärt sich der englische Name Wake oder Wake-Day für die Dorfkirchweih. 3 Diese Vigilien erhielten sich im allgemeinen bis zum 15. Jahrhundert. Jedoch hat man sie schon in früher Zeit wegen der Mißbräuche, die sich dabei eingeschlichen haben, teils eingeschränkt, teils ganz aufgehoben. Ein anschauliches Bild davon, wie sehr die Vigilien im 16. Jahrhundert profaniert worden waren, gibt uns Jakob Wimpheling (f 1528) 4 : «. . . in annua summi templi dedicatione, ex tota ferme diocoesi, in sacram et summam aedem tanquam in diversorium convenerat utriusque sexus tarn ingens caterva, ut templum tota nocte populo scateret: et quamvis huiuscemodi conventus a primaevo Ecclesiae ritu, quo vigilabant, et dormientes excitabantur, ortus sit; tarnen haec Argentinensis congregatio potius orgia Bacchi, Vene1 2 3 4

Vgl. schon Paulus 1. Kor. 11, 20-22. Murko, Das Grab als Tisch. Wörter und Sachen, Kulturhist. Zeitschr. f. Sprachund Sachforschg., Bd. II; Heidelberg 1910, S. 96. Pfannenschmid a. a. O. S. 532f., Anm. 10. Jacobi Wimphelingi Catalogus Episcoporum Argentinensium ad sesquiseculum desideratus. Restituit Joh. Michael Moscherosch; Argent. 1651, 4°, S. 117.

2. Le culte populaire

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risque sacra, aut thartareas Plutonis faces, -quam Christi ceremonias, aut pias christianorum vigilias prae se ferre videbatur. Vas etenim in divae Catharinae sacello reponi solebat, unde vinum advenis depromebatur et si quisquam dormire coeperat, a proximo quovis acicula, vel alio acutiore ferro pungebatur ut expergisceretur. Mos ille divina gratia, Joanne Keisersbergio reclamante, et Petro Schotto Reipublicae primario Rectore cooperante, e medio foeliciter est sublatus.» Die Kirchweihen gehörten zu den sog. Antlaßtagen. An diesen Festen wurden regelmäßig Ablässe bis zu 40 Tagen gewährt. Dadurch wurde die Teilnahme des Volkes noch gesteigert. Manchen Gemeinden genügte nicht mehr eine Kirchweih pro J a h r ; sie erhöhten die Zahl auf vier, j a selbst auf neun. 1 Der rege Zustrom des Volkes zog Händler, Gaukler, Tänzerinnen herbei, und so nahmen die Feste immer mehr den Charakter öffentlicher Jahrmärkte an. Aufschlußreich für die Unmoral, die sich in diese Feierlichkeiten einschlich, ist die Bemerkung Theodorets über den syrischen Asketen Maris 2 : «ärpdoQov avxqj öiafielvai ro aä>[ia . . . xai ravra noXXäs [iev fiaQTvqcov navrjyvQeig emrsksaag, rjvixa veog ervyxavev.» Sowohl von kirchlicher wie von staatlicher Seite wurde gegen die Kirch weih Einspruch erhoben. Die Conclusio V der Lollarden besagt: «quod benedictiones super lapides Altaris et ecclesiae muros sunt vera practica necromantiae potius quam sacrae theologiae.» 3 Der wuchtigste Angriff kam von der Reformation. In dem Brief an den christlichen Adel (1520) sagt Luther, man solle «die kirchweye gantz außtilgen, seyntemal sie nit anders sein, dan rechte tabernn, Jarmarckt und spiel hoffe . . ,».4 In den protestantischen Kantonen der Schweiz gelang es der Reformation, die Kirchweihen als «papistische Zeremonien» abzuschaffen.® Doch auch von staatlicher Seite suchte man die Mißbräuche zu bekämpfen. 6 Johann I. erließ für das Herzogtum Berg im Jahre 1525 ein Polizeigesetz, nach dem jede Gemeinde sich mit einer einzigen Kirmes von zweitägiger Dauer begnügen müsse. 1554 erneuerte Herzog Wilhelm IV. diese Verordnung und beschränkte die Feier auf die einzelne Gemeinde, so daß kein Fremder, er sei denn Blutsverwandter, an diesem Fest teilnehmen durfte. Eine sächsische Polizeiordnung aus jener Zeit befahl, daß alle Kirchweihen zwischen Martini und Nicolai (11. November—6. Dezember) zu halten seien und keine dürfe länger als zwei Tage dauern. Kein Dienstbote solle mehr als eine Kirchweih im Jahre außerhalb seiner Gemeinde besuchen, kein Hausvater mehr als acht Gäste bewirten und nicht mehr als vier Gerichte pro Tag zu Tisch bringen. Am 1. Mai 1761 erließ der Kurfürst Karl Theodor von Bayern die Verfügung, daß alle Kirchweihen des Landes am 1 2 3

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Montanus, Die deutschen Volksfeste, Jahres- und Familienfeste. Ein Beitrag zur vaterländ. Sittengeschichte; Iserlohn und Elberfeld 1854, S. 58. Migne, Patres Graeci, Bd. 82, 1429 B. Gieseler, Kirchengesch. II, 3, Anm. S. 307; nach Hauck, Realenc. f. prot. Theol. u. Kirche; Leipzig 1901, Bd. 10, s. v. Kirchweih, S. 500. Neudrucke deutscher Litteraturwerke des 16. und 17. Jahrhunderts; Halle 1897; Bd. IV, S. 53. Gl II, 328f. Für diese und die folg. Ausführungen vgl. Montanus a. a. O. S. 58 ff.

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I. Kulturhistorischer Teil

selben Tag zu begehen seien. Am 24. August 1764 verbot er Festzüge und dramatische Spiele während der Kirmeszeit. Daß diese Erlasse wenig beachtet wurden, geht aus der Tatsache hervor, daß er sie am 30. August 1793 erneuerte und durch Strafandrohung verschärfte. Wenig fruchtete auch die Anordnung, daß der Hausherr, wenn er «nicht adlig, Doktor oder sonst ein angesehener Mann»1 sei, nicht mehr als zwei Tische jeden mit zwölf Personen bewirten dürfe. Am 1. Juli 1800 bestätigte der Kurfürst Max Joseph alle jene Verbote. Für Zuwiderhandelnde legte er eine Geldbuße von 28 Reichstalern fest. Die Entartung der profanen Gebräuche bei der Kirchweih blieb nicht ohne Einfluß auf die Praxis der katholischen Kirche. Das Anniversarium dedicationis, das die Synode von Mainz im Jahre 813 als gebotenen Feiertag vorschrieb, wurde zwar bis zur Neuzeit am tatsächlichen Konsekrationstag der Kirche gehalten. Durch die Häufung der Kirchweihen und durch die damit verbundenen Mißbräuche jedoch verlegten schon einzelne Provinzialsynoden des 16. Jahrhunderts alle Kirchweihtage einer Provinz auf einen einzigen Tag, in Bayern auf den dritten Sonntag im Oktober. An diesem Tag wird auch das Jahresfest der Kathedrale begangen. Die weltliche Kirmes schließt sich der kirchlichen Feier meist unmittelbar an. Durch die Trennung von Kirche und Staat in der Zeit der französischen Revolution wurden die lokalen Kirchweihen in Frankreich zunächst abgeschafft. In einer Übereinkunft vom 15. Juli 1801 (26 Messidor IX) zwischen dem Papst und der Republik Frankreich wurde für den christlichen Kultus die Bestimmung (Tit. III, Nr. 41) getroffen, daß ohne Genehmigung der Staatsgewalt außer dem Sonntag von der Kirche kein Fest vorgeschrieben werden dürfe.2 Am 9. April 1802 wurde dieser Titel durch ein päpstliches Indultum pro reductione näher erläutert. Es wurde am 19. April 1802 als 'Arrêté qui ordonne la publication d'un induite concernant les jours de Fêtes' staatlich sanktioniert. Das Indult, das durch Kardinal-Botschafter Caprara veröffentlicht wurde, sagt über das allgemeine Kirchweihfest: «Eadem pariter Sanctitas sua mandat, ut Anniversarium Dedicationis templorum quae in eiusdem Gallicanae reipublicae territorio erecta sunt, in dominica, quae octavam festivitatis Omnium Sanctorum proxime sequitur, in cunctis Gallicanis ecclesiis celebretur.» Dem Dekret zufolge wurde die Kirchweihe am Sonntag nach der Oktav von Allerheiligen gefeiert. Seit der liturgischen Reform Pius' X. hat die kirchliche Praxis eine Änderung erfahren. Die Dedicatio der Kathedralkirchen wird am Kalendertag begangen; die äußeren Feierlichkeiten jedoch werden auf den folgenden Sonntag verschoben. Die Dedicatio der einfachen Kirchen wird überall in Frankreich am 6. November gefeiert; die äußere Feier kann am darauffolgenden Sonntag nachgeholt werden. Auch zu den örtlichen Patronatsfesten nimmt das Indult Stellung: «Eam tarnen legem adjectam esse voluit (Papa), ut in festis diebus vigiliisque eos praecedentibus, quae supressae decernuntur, in omnibus ecclesiis nihil de consueto divinorum officiorum sacrarumque caerimoniarum ordine ac ritu innovetur, sed omnia eâ prorsus ratione peragantur, quâ hactenus consueverant, exceptis tarnen festis Epiphaniae Domini, 1 2

Montanus a. a. O. S. 59. Für diese und die weiteren Ausführungen vgl. Pfannenschmid a. a. O. S. 537.

3. L'élément municipal

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sanctissimi corporis Christi, SS. Apostulorum Pétri et Pauli, et sanctorum patronorum cujuslibet dioecesis et paroeciae, quae in dominicâ proxime occurrente in omnibus ecclesiis celebrantur.» Für die Lokalpatrozinien blieb das Dekret bis heute wirksam. Die äußeren Feiern des Patronatsfestes finden am Sonntag nach dem Kalendertag statt. 1

3. L'élément municipal Unter diesem Terminus versteht van Gennep 2 die Erwählung besonderer Funktionäre anläßlich der Kirchweih. Wenn man alle Beispiele, die sich in diesen Abschnitt einreihen lassen, nach ihrer Gemeinsamkeit untersucht, so ergibt sich als Aufgabe dieser Funktionäre a) die Organisation b) die Repräsentation. a) Die Organisation Im Elsaß pflegte der Bürgermeister vor Beginn des Festes das Kirchweihrecht zu versteigern. Der Erlös kam dem Gemeindesäckel zugute. Die Kilbe wurde durch Unternehmer und Wirte, meist aber durch Kilbeknaben eingesteigert, die man mit der Leitung des Festes betraut hatte. So erwarb man sich also von der lokalen Behörde das Recht, die Kilbe zu halten und ernannte dann Festordner, denen neben der Organisation des Festes auch noch die Pflicht zufiel, die entstehenden Kosten zu tragen. 3 InAltenmuhr, in Mittelfranken, wählten die jungen Burschen am Samstag vor der Kirchweih zwei Blotzknechte (Platzknechte) durch das Los. Ihre Aufgabe war es, das Fest zu leiten und die Aufsicht über Tanz und Musik zu führen. Zu ihrer Hilfe stellte man zwei Blotzjungfem oder Blotzmenscher auf. 4 In Thüringen ernannten die jungen Leute des Dorfes aus ihrer Mitte einen Platzmeister. Zum Zeichen seiner Würde trug er eine Peitsche. 5 Für die Dörfer Eschirolles und Fontaine im Département Isère in Frankreich bestätigt Pilot de Thörey 6 anläßlich des Patronatsfestes die Wahl eines Präsidenten, der für Ruhe und Ordnung zu sorgen hatte, die Musikanten einberufen und dem Tanzboden Tänzerinnen zuführen sollte. Zu diesem Zweck ging der Präsident, den man abbé de la jeunesse oder abbé de liesse nannte, von Haus zu Haus, um die jungen Mädchen einzuladen. Dabei mußte er ihren Eltern versprechen, daß er sie nicht aus den Augen verlieren und beschützen würde. 1 2 3 4 5 6

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Nach Mitteilung von P. Pierre-Marie Gy, OP, Institut Supérieur de Liturgie, Le Saulchoir-Etiolles (S. O.). Gennep Auv S. 178. Pfannenschmid a. a. O. S. S47f. Ib. S. 267f. Ib. S. 268. Pilot de Thörey (J. — J. A.), Usages, fêtes et coutumes existant ou ayant existé en Dauphiné (Biblioth. hist. du Dauph.) Grenoble 1882, S. 6 9 - 7 1 , 9 2 - 9 3 ; nach Gennep Dauph S. 67 f. Beekmann, Fête du village

3. L'élément municipal

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sanctissimi corporis Christi, SS. Apostulorum Pétri et Pauli, et sanctorum patronorum cujuslibet dioecesis et paroeciae, quae in dominicâ proxime occurrente in omnibus ecclesiis celebrantur.» Für die Lokalpatrozinien blieb das Dekret bis heute wirksam. Die äußeren Feiern des Patronatsfestes finden am Sonntag nach dem Kalendertag statt. 1

3. L'élément municipal Unter diesem Terminus versteht van Gennep 2 die Erwählung besonderer Funktionäre anläßlich der Kirchweih. Wenn man alle Beispiele, die sich in diesen Abschnitt einreihen lassen, nach ihrer Gemeinsamkeit untersucht, so ergibt sich als Aufgabe dieser Funktionäre a) die Organisation b) die Repräsentation. a) Die Organisation Im Elsaß pflegte der Bürgermeister vor Beginn des Festes das Kirchweihrecht zu versteigern. Der Erlös kam dem Gemeindesäckel zugute. Die Kilbe wurde durch Unternehmer und Wirte, meist aber durch Kilbeknaben eingesteigert, die man mit der Leitung des Festes betraut hatte. So erwarb man sich also von der lokalen Behörde das Recht, die Kilbe zu halten und ernannte dann Festordner, denen neben der Organisation des Festes auch noch die Pflicht zufiel, die entstehenden Kosten zu tragen. 3 InAltenmuhr, in Mittelfranken, wählten die jungen Burschen am Samstag vor der Kirchweih zwei Blotzknechte (Platzknechte) durch das Los. Ihre Aufgabe war es, das Fest zu leiten und die Aufsicht über Tanz und Musik zu führen. Zu ihrer Hilfe stellte man zwei Blotzjungfem oder Blotzmenscher auf. 4 In Thüringen ernannten die jungen Leute des Dorfes aus ihrer Mitte einen Platzmeister. Zum Zeichen seiner Würde trug er eine Peitsche. 5 Für die Dörfer Eschirolles und Fontaine im Département Isère in Frankreich bestätigt Pilot de Thörey 6 anläßlich des Patronatsfestes die Wahl eines Präsidenten, der für Ruhe und Ordnung zu sorgen hatte, die Musikanten einberufen und dem Tanzboden Tänzerinnen zuführen sollte. Zu diesem Zweck ging der Präsident, den man abbé de la jeunesse oder abbé de liesse nannte, von Haus zu Haus, um die jungen Mädchen einzuladen. Dabei mußte er ihren Eltern versprechen, daß er sie nicht aus den Augen verlieren und beschützen würde. 1 2 3 4 5 6

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Nach Mitteilung von P. Pierre-Marie Gy, OP, Institut Supérieur de Liturgie, Le Saulchoir-Etiolles (S. O.). Gennep Auv S. 178. Pfannenschmid a. a. O. S. S47f. Ib. S. 267f. Ib. S. 268. Pilot de Thörey (J. — J. A.), Usages, fêtes et coutumes existant ou ayant existé en Dauphiné (Biblioth. hist. du Dauph.) Grenoble 1882, S. 6 9 - 7 1 , 9 2 - 9 3 ; nach Gennep Dauph S. 67 f. Beekmann, Fête du village

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I. Kulturhistorischer Teil

b) Die Repräsentation In Eupen und Umgebung, in der Eifel, wählten die jungen Burschen beim Kirchweihfest einen der ihren zum König. Das Mädchen, mit dem er zuerst tanzte, wurde zur Königin ernannt. 1 Diesem spärlichen Beleg für Deutschland stehen für Frankreich, besonders für das Gebiet der Auvergne und des Velay, zahlreiche Beispiele gegenüber.2 Die Würde reinage, die dort vergeben wird, ist so typisch für die Patronatsfeste, daß sie in jenen Gegenden zur Bezeichnung des Festes selbst wurde. Man erwählte roi, reine und erweiterte den Kreis der Würdenträger nach Vorbild des Hofstaates auf contre-roi, contre-reine, dauphin, dauphine, mignon, mignonne, favori, favorite etc. Für das Gebiet der Auvergne ist es charakteristisch, daß die Wahl durch Versteigerung in der Kirche geschah. Der Erlös floß meist in Form von Wachs der Kirche zu. Eines der frühesten Beispiele stammt aus dem 16. Jahrhundert. Die Mitglieder der Confrérie Saint-Jacques aus dem Dorf Vals-près-le-Puy (Haute-Loire) versammelten sich am 25. Juli 1506 in der Nähe des Klosters der Augustinerinnen und veräußerten dort die Würden des kommenden reinage. Ulysse Rouchon 3 , der dieses Beispiel überliefert, nimmt an, daß dieser Brauch schon viel früher zur Gewohnheit geworden war und regelmäßig ausgeübt wurde. Für die Zeit von 1875-1885 bestätigt Dergny 4 , daß in den Ortschaften Espalem, Lorlanges und in anderen Gemeinden des Kantons Blesle (Haute-Loire) der Pfarrer an den Sonntagen, die den Festen der Mutter Gottes, Christi Himmelfahrt und dem Patronatsfest vorausgehen, von der Kanzel herab den reinage versteigerte. Er umfaßte roi, reine, favori und favorite. In Prondines, Tortebesse, Reume-1'Eglise, Lastic, Gelles etc. (Puy-de-Dôme) bestieg der Pfarrer am Patronatstag vor dem Magnificat die Kanzel und rief die reinages und contre-reinages für das kommende Jahr aus. Der Preis für die verschiedenen Chargen war oft beträchtlich ; die des Königs belief sich in den Jahren 1875-1885 bis auf 50 frs.5 Dergny fügt hinzu, daß dieser Brauch auch im Corrèze existiere und zwar in Saint-Bonnet-Port-Dieu und Thalamy im Kanton Bord, wie in Saint-Exupéry im Kanton Ussel. Auch in Saint-Setiers im Kanton Sornac versteigerte man am Patronatstag die Chargen roi, reine, dauphin, dauphine, contre-dauphin, contredauphine, mignon, mignonne, contremignon, contre-mignonne. Nach Pommerol 6 war es auch in der Limagne allgemein Usus, den reinage zu vergeben. Nach 1885 jedoch begann der Brauch unterzugehen. 1 2 3

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Pfannenschmid a. a. O. S. 269. Alle Beispiele außer S. 18 Anm. 3, S. 19 Anm. 4 nach Gennep Auv S. 1 8 0 - 1 9 1 . Ulysse Rouchon, L a vie paysanne dans la Haute-Loire, 2. Teil, Fase. 2, S. 194—199; nach Pierre Nauton, Autor des ALMC, in briefl. Mitteilung. Dergny, Usages, coutumes et croyances, ou Livre des choses curieuses; costumes locaux de F r a n c e ; Abbeville, Bd. II, S. 82—84. Dergny a. a. O. S. 8 5 - 8 7 . Pommerol, Pèlerinage d'Orcival, Revue d'Auvergne, S. 254.

3. L'élément municipal

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In Massiac (Cantal) wählte man vor dem Fest zwei Könige, zwei Königinnen, einen Hofnarren und einen Schatzkanzler. Am Vorabend des Festes holte der Narr die Könige und Königinnen ab und geleitete sie zu der Kapelle des heiligen J o hannes und anschließend zum Rummelplatz. Am Dienstag nach dem Fest gegen drei Uhr fand die Neuwahl der Funktionäre für das folgende Jahr statt. Nach beendeter Wahl wurden Könige und Königinnen feierlich gekrönt, während die Umstehenden das Magnificat sangen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Kapelle zerstört und das Fest unterdrückt. 1 In Allanche (Cantal) wurden dem König zwei Kämmerlinge zugewiesen, der Schwertträger und der Fahnenträger. In der Nacht zum 24. Juni, dem Patronatsfest, errichtete die Jugend des Ortes jeweils vor der Tür des Königs eine Laubhütte. Aus dieser holte man ihn am folgenden Morgen ab und führte ihn in die Kirche. 2 Für das Limousin bestätigt Louis de Nussac 3 im Jahre 1898, daß die Ehrenplätze bei den kirchlichen Zeremonien denjenigen zufielen, die sich die Würde des reinage ersteigerten. Für die Ortschaft Saugues (Haute-Loire) teilt mir P. Nauton mit, daß noch gegen 1925 an gewissen Festen 4 Könige und Königinnen erwählt wurden. Der Pfarrer las von der Kanzel herab eine Liste der in Frage kommenden jungen Mädchen und Männer vor. Als Gegenleistung stifteten die Eltern eine Summe Geldes in Form von Wachs. 1936 erwähnt Abbé Lespinasse 5 , daß im Brivadois der Brauch des reinage beim Patronatsfest in vielen Kirchen und Kapellen noch fortbestehe. Fragt man sich nach der Herkunft der Gepflogenheit, anläßlich eines Festes Funktionäre zu erwählen, so gibt es zwei Möglichkeiten. Pfannenschmid 6 sieht darin heidnisch-kultische Relikte. Er nimmt an, daß die Festordner den Gehilfen der Priester und der weltlichen Obrigkeit entsprechen, deren Aufgabe es war, beim heidnischen Kirchweihfest für das Wohl der Pilger und Wallfahrer zu sorgen. Größere Wahrscheinlichkeit hat die Annahme van Genneps 7 , daß die Wahl besonderer Vertreter mit der im Mittelalter üblichen Formation der Jugend in Zusammenhang stehe. Daraus würde sich auch die Tatsache erklären, daß für den reinage meist nur Jugendliche in Frage kamen. Schon im römischen Reich gab es organisierte Jugendgruppen, an deren Spitze der Princeps Juventutis stand. Ob sich diese Gruppenbildung auf Gallien übertrug oder ob sich hier unabhängig davon die gleiche Erscheinung entwickelte, ist nicht erwiesen. Van Gennep widerspricht sich hier selbst, indem er es einmal für wahr-

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Du Roure de Paulin, L a fête de la St-Jean à Massiac (Cantal). R. T. P., Bd. X X I I I , 1908, S. 238/239. Boudon-Lashermes, Vigueries, S. 172. Louis de Nussac, Les Fontaines en Limousin; culte, pratiques, légendes, Bull, arch. Comité Trav. hist. sei., 1897, 2e livraison 1898, S. 159. Ob auch am Patronatsfest, entzieht sich seiner Erinnerung. Lespinasse, Quelques us et coutumes d'Auvergne; Almanach populaire; 1936, S. öl—52 (publié Paris, 38, rue Gay-Lussac.) Pfannenschmid a. a. O. S. 271. Gennep Auv S. 179.

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scheinlich hält 1 , ein andermal es aber bezweifelt. 2 Jedenfalls ist es bis zum 17. Jahrhundert in Frankreich wie auch in germanischen Ländern 3 und später noch in Norditalien üblich, die Jugend in Gruppen zusammenzufassen. Als eine Art Polizeitruppe dienten sie der Verteidigung der Stadt und lieferten dem Feudalherren aus ihren Reihen Bewaffnete. Vorbild waren die kirchliche Hierarchie und das staatliche Gefüge. So entstanden einerseits nach dem Muster der Abteien sog. abbayes oder auch bazoches in der Gliederung abbé und moines. Andererseits ahmte man den Hof nach und stellte an die Spitze der confréries roi, reine und weitere Würdenträger. Van Gennep 4 versteht diese Chargen in der ursprünglichen Bedeutung "Chef", "Chefin". Er lehnt es ab, darin das Bestreben zu sehen, es dem Hof gleichzutun. Da man aber in den Dokumenten seit dem 15. Jahrhundert mehr und mehr Würden nach Art des Hofstaates erwähnt findet, wird man nicht umhin können, diese Tendenz wenigstens für später anzusetzen. Mit dem Untergang der Jugendformationen seit dem 17. Jahrhundert nahm auch das Brauchtum des reinage ab, so daß dieses Wort in seiner Bedeutung als "Kirchweih" seines semantischen Gehaltes weitgehend beraubt ist.

4. L'élément économique Von früh auf waren mit den religiösen Festen, und unter diesen besonders mit dem Kirchweih- und Patronatsfest, Jahrmärkte verknüpft. Darauf weisen im Deutschen wie im Französischen die Bezeichnungen hin, die sich für den Jahrmarkt eingebürgert haben. Das Wort Kirmes bezeichnet ursprünglich das Hauptstück des kirchlichen Festes, die heilige Messe, dann das Fest selbst und schließlich den damit verbundenen Markt. Auch Kirchtag, Kirchweih und Kilbe werden in dieser Bedeutung verwendet. Im bairischen Raum findet sich der Ausdruck Dult, dessen Ursprung ebenfalls im kultischen Bereich zu suchen ist; got. dulßs, ahd. tuld, mhd. dult heißt "Fest". 5 Nach freundlicher Mitteilung von W. Wissmann ergibt sich aus den Materialien des Bair. Wbs., daß Dult nur in den größeren Städten für " J a h r m a r k t " üblich ist. Der Terminus Messe bedeutet im Latein des Mittelalters nicht nur die eucharistische Abendmahlsfeier, sondern auch das Fest selbst, an dem der Gottesdienst gehalten wurde. So konnte er synonym mit festum, dies festus, solemnitas verwendet werden. Aus dieser Bedeutung erklärt sich der Übergang zu Jahrmarkt. 6 Das fr. foire leitet sich aus lt. FERIA her. Dies bezeichnete schon im Altertum den "Feiertag mit Arbeitsruhe". In dieser Bedeutung übernahm es die Kirche. Wie das religiöse Fest selbst, so machte auch sein Name die Entartung mit und spezialisierte sich auf eine profane Folgeerscheinung dieser 1

Gennep Dauph, Bd. I, Kap. III, S. 65; nach Pilot de Thörey. Gennep Auv S. 179, Anm. 1. 3 Ib. S. 190. 4 Ib. S. 179. 5 Kluge G S. 151. « Rheinf S. 253. 2

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I. Kulturhistorischer Teil

scheinlich hält 1 , ein andermal es aber bezweifelt. 2 Jedenfalls ist es bis zum 17. Jahrhundert in Frankreich wie auch in germanischen Ländern 3 und später noch in Norditalien üblich, die Jugend in Gruppen zusammenzufassen. Als eine Art Polizeitruppe dienten sie der Verteidigung der Stadt und lieferten dem Feudalherren aus ihren Reihen Bewaffnete. Vorbild waren die kirchliche Hierarchie und das staatliche Gefüge. So entstanden einerseits nach dem Muster der Abteien sog. abbayes oder auch bazoches in der Gliederung abbé und moines. Andererseits ahmte man den Hof nach und stellte an die Spitze der confréries roi, reine und weitere Würdenträger. Van Gennep 4 versteht diese Chargen in der ursprünglichen Bedeutung "Chef", "Chefin". Er lehnt es ab, darin das Bestreben zu sehen, es dem Hof gleichzutun. Da man aber in den Dokumenten seit dem 15. Jahrhundert mehr und mehr Würden nach Art des Hofstaates erwähnt findet, wird man nicht umhin können, diese Tendenz wenigstens für später anzusetzen. Mit dem Untergang der Jugendformationen seit dem 17. Jahrhundert nahm auch das Brauchtum des reinage ab, so daß dieses Wort in seiner Bedeutung als "Kirchweih" seines semantischen Gehaltes weitgehend beraubt ist.

4. L'élément économique Von früh auf waren mit den religiösen Festen, und unter diesen besonders mit dem Kirchweih- und Patronatsfest, Jahrmärkte verknüpft. Darauf weisen im Deutschen wie im Französischen die Bezeichnungen hin, die sich für den Jahrmarkt eingebürgert haben. Das Wort Kirmes bezeichnet ursprünglich das Hauptstück des kirchlichen Festes, die heilige Messe, dann das Fest selbst und schließlich den damit verbundenen Markt. Auch Kirchtag, Kirchweih und Kilbe werden in dieser Bedeutung verwendet. Im bairischen Raum findet sich der Ausdruck Dult, dessen Ursprung ebenfalls im kultischen Bereich zu suchen ist; got. dulßs, ahd. tuld, mhd. dult heißt "Fest". 5 Nach freundlicher Mitteilung von W. Wissmann ergibt sich aus den Materialien des Bair. Wbs., daß Dult nur in den größeren Städten für " J a h r m a r k t " üblich ist. Der Terminus Messe bedeutet im Latein des Mittelalters nicht nur die eucharistische Abendmahlsfeier, sondern auch das Fest selbst, an dem der Gottesdienst gehalten wurde. So konnte er synonym mit festum, dies festus, solemnitas verwendet werden. Aus dieser Bedeutung erklärt sich der Übergang zu Jahrmarkt. 6 Das fr. foire leitet sich aus lt. FERIA her. Dies bezeichnete schon im Altertum den "Feiertag mit Arbeitsruhe". In dieser Bedeutung übernahm es die Kirche. Wie das religiöse Fest selbst, so machte auch sein Name die Entartung mit und spezialisierte sich auf eine profane Folgeerscheinung dieser 1

Gennep Dauph, Bd. I, Kap. III, S. 65; nach Pilot de Thörey. Gennep Auv S. 179, Anm. 1. 3 Ib. S. 190. 4 Ib. S. 179. 5 Kluge G S. 151. « Rheinf S. 253. 2

4. L'élément économique

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Feier, den Jahrmarkt. 1 Desgleichen geschah es mit FESTUM, das im französischen Flandern als fieste den Jahrmarkt bezeichnet. 2 Der enge Zusammenhang der Märkte mit den Patronatsfesten zeigt sich dadurch, daß sie oft mit Heiligennamen verbunden werden. So gibt es in München die Jakobidult, in Freising die Veitsdult, in Pfaffenhofen die Johannidult, in Frankfurt am Main die Bartholomäimesse und in Naumburg die Peter und PauliMesse.3 Um einen großen Umsatz zu erzielen, versuchte man von jeher, Jahrmärkte bei den Gelegenheiten abzuhalten, die eine Menge Menschen anziehen. Anlaß dazu boten in heidnischer Zeit die Versammlungen, bei denen gemeinsame Angelegenheiten beraten oder gemeinsame Feste gefeiert wurden. Im griechischen und römischen Altertum finden sich Jahrmärkte bei religiösen Festen und nationalen Spielen. Während der einfache römische Markt als mercatus bezeichnet wurde, nannte man bedeutendere Jahrmärkte nundinae.i Im Intervall von neun Tagen (daher das Wort) brachten die Landleute ihre Waren in die Stadt und boten sie dort feil. Hatte sich aber ein Markt in Rom auf ein besonderes Produkt spezialisiert, so nannte man ihn auch forum. So gab es fora boaria, suaria, piscatoria, vinaria, olitoria etc. 5 Eigentlich versteht man unter fora kleine Städte oder große Marktflecken, in denen man Märkte und Gerichtsversammlungen abzuhalten pflegte. Wie uns aus einer Inschrift überliefert ist, war es schon damals Brauch, den Markt unter ein Patronat zu stellen. Man rief den Gott Merkur zum Schutzherren an: Mercurio Nundinatori. 6 In Gallien finden die ältesten Märkte bei den Zusammenkünften der Druiden, oft in der Nähe heiliger Quellen, statt. Der griechische Geograph Strabo (ca. 63 v. Chr.—20 n. Chr.) nennt den gallischen Markt efinÖQiov.1 Als das Christentum bei Romanen und Germanen Eingang fand, entstanden wiederum dort Jahrmärkte, wo sich zu bestimmten Zeiten viel Volk zu versammeln pflegte, also bei Abteien, Klöstern, Hauptkirchen, bekannten Wallfahrtsorten. Die ältesten Märkte fanden sich in christlicher Zeit bei den alten Domkirchen. Man beschränkte die Handelsgeschäfte nicht nur auf die nähere Umgebung der Gebetsstätten, sondern drang sogar in das Innere der Kirchen und Friedhöfe ein, wie z. B . in Frankfurt am Main in den Friedhof und in die Vorhalle der Bartholomäuskirche, das sog. Pfarr Eisen 8 , oder wie in Ypern, beim Jahrmarkt 1 2 3 4

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Rheinf S. 436; vgl. auch Teil II der Arbeit. Vgl. Teil II der Arbeit s. v. fête. Maurer, Geschichte der Städteverfassung in Deutschland; 1. Band, Erlangen 1869, § 74. Félix Bourquelot, Études sur les foires de Champagne, sur la nat., l'étendue et les règles du comm. qui s'y faisait au XII e , X I I I e et XIV e siècles; Mémoires prés, par divers savants à l'Acad. des Inscr. et Belles-L., 2e série, Tome V; Paris 1865, S. 7, Anm. 12: «Capuam, nundinas rusticorum, horreum Campani agri esse voluerunt». Cicero, De lege agr. 33. «Commerciis Carras oppidum aperuere, quod est illis nundinium». Plinius, Hist. nat. 1, XII, c. X L . Bourquelot a. a. O. S. 9. Ib. S. 8. 8 Maurer a. a. O. § 74. Ib. S. 9, Anm. 2. Geogr. IV 181, 190.

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I. Kulturhistorischer Teil

von 1127, wo sich mehrere Händler in der Kirche Saint-Pierre niedergelassen hatten. 1 Zahlreiche Urkunden geben uns Zeugnis von den engen Bindungen zwischen religiösen Festen und Jahrmärkten. Der Frankenkönig Dagobert I. gründete im Jahre 629 den Jahrmarkt von Saint-Denis bei Paris. Er sollte am siebten der Iden des Oktobers abgehalten werden, also am 9. Oktober, dem Gedächtnistag des heiligen Dionysius. Die Charta hat den Wortlaut: «Cognoscat sollicitudo et prudentia vestra, qualiter volumus et constituimus in honore Domini et gloriosi patroni Dionysii mercatum constituendo ad Missas ipsa quae evenit septimo Idus Octobris semel in anno» etc. 2 Dieser Erlaß Dagoberts wurde von vielen seiner Nachfolger bestätigt, von Childebert III. 3 , Pipin dem Kleinen 4 , seinem Sohn Karlmann 5 und von Ludwig dem Frommen. 6 Ludwig der Dicke verfügte im Jahre 1124 zugunsten der Abtei Saint-Denis: «Attendu que l'indict (Le Lendit) susmentionné a été institué par honneur et révérence pour les saintes reliques du clou et de la couronne du Sauveur.» 7 Ludwig das Kind schenkte 1141 der Kirche Notre-Dame von Melun vier Freimärkte, die an den vier Festen der Jungfrau Maria gehalten werden sollten. Zwei Jahrhunderte später jedoch übertrug das Kapitel von Notre-Dame diese Märkte für eine Rente von 12 Pfund auf Philipp von Valois.8 Die Erzbischöfe von Köln berechtigten im Jahre 1167 das Sankt Cassiusstift in Bonn dazu, am Gedächtnistag seines Patrons einen Jahrmarkt einzurichten. 9 1265 stifteten Marguerite und Gui einen Jahrmarkt zu Douai, den man franche feste annueil nannte. Er dauerte vom Sonntag vor Christi Himmelfahrt bis zum Vorabend von Pfingsten. 10 Im Kreuzgang des Klosters von Neufmoustier in Huy beging man alljährlich am Tag des heiligen Matthias la Franche-Fête. Um die Skandale zu vermeiden, die dieser Jahrmarkt mit sich gebracht hatte, trennte man ihn seit 1273 vom Heiligenfest und verlegte ihn in den Oktober. 11 Durch einen Erlaß des Grafen Gui wurde 1295 der Jahrmarkt von Mernes im Kanton Bailleul in Flandern, der am 10. August, dem Fest des heiligen Laurentius stattfand, nach Bailleul verlegt. 12 Unter den Verordnungen der Könige von Frank1

Gaillard, Études sur le comm. de la Flandre au Moyen-Age (1). Les Foires. Messager des Sciences hist., des Arts et de la Bibliogr. deBelgique, Année 1851, Gand, S. 194. 2 Charta Dagoberti Régis Francorum apud Doubletum lib. 3, cap. 3; nach DC Bd. V, S. 413c. * Bourquelot a. a. O. S. 12, Anm. 1: 710, Diplomata, Chartae, Bd. II, S. 285. 4 Id. ib. 753. Recueil des Historiens de France, Bd. V, S. 699. 6 Id. ib. 759, ib. S. 713. 6 Id. ib. 814, Doublet, Hist. de St-Denis, S. 732. 7 Id. S. 14, id. ib. S. 853 et Ordon. des rois de France, Bd. VI, S. 146. 8 Bourquelot a. a. O. S. 20. 9 Maurer a. a. O. § 74. 10 Poignant a. a. O. S. 55. 11 Dantinne, Les anciennes fêtes de Huy. Bibliothèque d'études régionales; Bruxelles 1938, S. 34. 12 Carlier, Origine des foires et des marchés publics en Flandre ; Annales du Comité Flamand de France, Tome VI, 1861-1862, S. 130.

4. L'élément économique

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reich findet sich ein Brief Karls VIII. vom September 1484, in dem der König zum Fest des heiligen Remigius der Stadt Dünkirchen einen Jahrmarkt gewährt: «Nous, Charles, par la grâce de Dieu . . . nous trouvons chose convenable, utile et profitable à tous et à la chose publique, en icelle ville de Dunquerque y eût établi, par chacun an, une foire, générale et franche, icelle pour être tenue pendant quinze jours entiers . . . à commencer au jour de la fête de Monsieur Saint-Remy (1er octobre) compris quinze jours avant le commencement, et quinze jours après la fin d'icelle foire, en tant que touche la venue et retour des marchands, leurs denrées, bagues et marchandises, en la ville de Dunquerque . . . >>x Im Grundbuch der Stadt Bourbourg ist für das Jahr 1528 folgende Eintragung erwähnt : «Le corps de la ville de Bourbourg doict à mon dict seigneur le chastelain et vicomte heritable, à cause de leur 'franque feste, que l'on tient en septembre, durant trois jours', par la dicte ville rachetée, durant icelle en paiant chascun an, la somme de VIII livres. »2 Es ist anzunehmen, daß dieses Fest mit dem dreitägigen Jahrmarkt von Bourbourg zusammenhängt, der alljährlich um den 3. Sonntag im September, den Kirchweihsonntag, stattfindet. Durch die Autorisation der Jahrmärkte von Seiten der Feudalherren und Könige, so vermutet Carlier 3 , wurde nur ein schon lange bestehender Zustand bestätigt. Denn der Ursprung ist seiner Ansicht nach viel früher anzusetzen, in der Zeit, da von den Christen die ersten Kirchen geschaffen worden waren. Beweis dafür, daß die Jahrmärkte in Flandern ursprünglich mit den religiösen Festen zusammenhingen, ist der Umstand, daß in den flämischen Jahreskalendern die meisten Märkte zu Festzeiten verzeichnet sind. In Bergues finden sich Jahrmärkte an den Montagen nach dem Palmsonntag, nach Quasimodo, dem Dreifaltigkeitsfest, dem Fest des heiligen Lukas, nach Allerheiligen ; in Honschoote am Freitag nach Pfingsten; in Wormhout an den Mittwochen vor Pfingsten und nach dem Fest des heiligen Johannes des Täufers. Die Entwicklung der industriellen Leistungskraft machte das Eingreifen der Herrscher nötig, die durch Privilegien den Märkten zu großem Aufschwung verhalfen. Um den freien Marktverkehr zu sichern, bedurfte es des Schutzes der öffentlichen Gewalt, des Königsfriedens. Die Erteilung des sicheren Geleits und des Marktfriedens gebührte allein dem König. Sinnbild dafür war die Übersendung des königlichen Handschuhs. Gegen eine Geleitgebühr händigte man den Reisenden Schutzbriefe als eine Art Paß aus und gab ihnen zu ihrer Sicherheit bewaffnete Geleitmänner mit. Hatte man das Geleitgeld entrichtet, so war der Geleitherr für jeden Schaden, der dem Reisenden entstand, verantwortlich und ersatzpflichtig. Mit dem Königsschutz kamen die Fremden unter die unmittelbare Gerichtsbarkeit des Königs. Neben dem Königsfrieden hatte sich auch noch ein Gottesfrieden gebildet, der vom Papst gewährt wurde. So standen die Städte und Märkte oft unter dem doppelten Schutz der staatlichen und kirchlichen Obrigkeit. 4 1 2 3 4

Carlier a. a. O. S. 131. Id. ib. S. 132f. Id. ib. S. 133fl. Maurer a. a. O. § 84, § 85.

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I. Kulturhistorischer Teil

Die Haltung der Geistlichkeit den Märkten gegenüber war teils ablehnend, da durch die Handelsgeschäfte die Heiligenfeste profaniert zu werden drohten, teils zustimmend, denn die Steuereinkünfte wurden häufig den Klöstern zugeführt. So gehörten die J a h r m ä r k t e von Saint-Denis dem Abt dieses Klosters, die von Lagny dem Abt von Saint-Pierre, die von Abbeville dem Pfarrer von Notre-Damedu-Châtel. 1291 verkaufte letzterer den Markt an den Bürgermeister und die Schöffen der Stadt. In seiner Kirche fanden nämlich bei den Jahrmärkten Farcen statt und dem Pfarrer wurde dabei der Titel roi des ribauds zugedacht. Dieses Amt war unvereinbar mit seiner geistlichen Würde. 1 Um die weltlichen Lustbarkeiten bei den Kirchenfesten einzudämmen, wurde von früh an gegen die Abhaltung der Märkte an Sonn- und Feiertagen Einspruch erhoben. Artikel 18 des Kapitulars Karls des Großen vom Jahre 809 gebietet: «De mercatis ut in die dominico non agantur.» 2 Und Artikel 7 eines Kapitulars Ludwigs des Frommen von 822 enthält das Verbot : «Mercati et placita a comitibus, sicut saepe admonitum fuit, illo die (dominico) prohibeantur.» 3 Weitere Verbote werden in den Konzilien und Synoden von 1423, 1426 und 1439 ausgesprochen. Nach dem Konzil von Trient erließen die Bischöfe Verordnungen, die die Heiligung des Sonntags geboten und den Beginn der Märkte auf den folgenden Montag verschoben. Abbé Carnel überliefert eine Synode des Bischofs von Ypres 4 vom 25. März 1599, deren Artikel IV jeglichen Marktverkehr an Sonn- und Feiertagen untersagte. Artikel V I I gestattete jedoch, daß am Kirchweihfest nach altem Brauch Buden mit Spielzeug und Erfrischungen aufgestellt würden unter der Bedingung, daß dies außerhalb der Friedhöfe geschehe und der Verkauf nicht in die Zeit des Gottesdienstes, der Predigt und Vesper falle. Ihre größte Blütezeit hatten die Jahrmärkte in Frankreich zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert. Durch die Kreuzzüge erhielten sie entscheidende Impulse. Italienische Kaufleute kamen durch die Täler von Rhône, Saône, Seine, Marne, Oise, Somme und Escaut. Besondere Bedeutung erlangten durch günstige geographische Bedingungen und großzügige Privilegien der Landesherren die J a h r m ä r k t e Flanderns und der Champagne. Im 15. Jahrhundert aber erlagen die J a h r m ä r k t e immer mehr den Verwüstungen des Hundertjährigen Krieges und der Pest. Trotz zahlreicher Steuererleichterungen h a t t e die Renaissance sie nicht wieder zum Blühen gebracht. Durch das Entstehen besserer Verkehrswege und günstiger Transportmittel erübrigte sich allmählich die Notwendigkeit, J a h r m ä r k t e abzuhalten. Die Märkte, die in Frankreich weiterhin existierten, verdankten dies meist ihrer Spezialisierung. Es waren u. a. die Märkte von Bordeaux und Beaucaire für die Industrie des Südens, von Caen für Tuche und Droschkenpferde, von Alençon für Reitpferde, von Martère in der Bretagne für bretonische Pferde, wie die Märkte der Provinzen Normandie, Bretagne, Berry, Bourgogne, Franche-Comté für die Verdingung von Dienstboten.® Obwohl den Jahrmärkten, außer in Lyon und Paris, nur lokaler Wert und keine internationale Bedeutung mehr zukommt, ist ihre Zahl im 19. Jahrhundert immer 1 2 3

Bourquelot a. a. O. S. 23. Bourquelot a. a. O. S. 25. Bourquelot a. a. O. S. 25f.

4 5

Carlier a. a. O. S. 138f. Bourquelot a. a. O. S. 34.

5. L'élément esthétique

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noch beträchtlich. Dies zeigt eine Aufstellung aus dem J a h r 1844 1 , nach der in den Départements Frankreichs jährlich insgesamt noch 25956 Jahrmärkte abgehalten wurden.

5. L'élément esthétique Ein weiteres wesentliches Element der Kirchweih ist die volkstümliche Belustigung, wie sie sich in Festzügen, Tänzen und Spielen und als Besonderheit der Kirchweih im Hammel- und Hahnentanz, Hahnschlag und Kirchweihvergraben äußert. 2 Häufig wurde die Kirchweih mit einer feierlichen Prozession, die nicht immer kirchlichen Charakter haben mußte, begangen. In Antwerpen genoß der Ommegang bei der Kirmes am Sonntag nach Mariae Himmelfahrt große Beliebtheit. 3 Aus dem Hurepoix (Département Seine, Seine-et-Oise, Seine-et-Marne) wird überliefert 4 , daß man am Tag nach dem Fest des Schutzheiligen von Saint-Cyrsous-Dourdan aus eine Prozession nach Val-Saint-Germain zu machen pflegte, dort eine Messe hörte und zur Vergebung der Sünden vom Wasser der heiligen Juliane trank. Die Reihenjünglinge des mittelrheinischen Gebietes zogen am Kirchweihmontag und -dienstag mit klingendem Spiel in die Kirche. In einigen Orten bestand der Brauch, daß sie dazu vom Pastor abgeholt wurden. Nach der Messe ging der Zug weiter zum Tanzboden, nicht aber, bevor man die Dörfer des Umkreises besucht hatte, in denen dieGelagsjungen mit Festbroten, den sog. Plätzen, beschenkt wurden. 5 Auch in Massiac (Cantal) machte man am Abend des Festes eine Prozession durch die Stadt. Den Zug führte eine Musikkapelle an ; hinter ihr folgte der Narr mit Standarten und Bannern, auf denen das Leben des Schutzheiligen dargestellt war. Dann kamen Männer, die Kopf und Gliedmaßen einer zerbrochenen Statue des heiligen Johannes trugen. Auf einer Bahre unter einem Baldachin lag eine weitere unzerbrochene Statue des Heiligen. Die Könige und Königinnen, der Chor und die Honoratioren der Stadt beschlossen den Zug. 6 Typisch für das Gebiet der Limagne war es, daß die jungen Leute am Sonntag früh von Haus zu Haus gingen, ein Ständchen darbrachten, Spenden erhielten und als Gegengabe geweihtes Brot verteilten, dessen Größe sich je nach dem Umfang der Spende richtete. Von da ging es weiter in die Kirche. 7 1 2 3 4

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Bottin, Tableau statistique de toutes les foires de la France; Paris 1844. Vgl. auch Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens IV, 1422 f. Pfannenschmid a. a. O. S. 278f. Jean Piltant, Notes sur St-Cyr-sous-Dourdan, S. 31—32; nach Claude et Jacques Seignolle, Le folklore du Hurepoix (Seine, Seine-et-Oise, Seine-et-Marne) ; Paris 1937. Contributions au folklore des provinces de France, Tome IV, S. 112. Pfannenschmid a. a. O. S. 281. Du Roure de Paulin, La fête de la St-Jean à Massiac (Cantal). R. T. P., Bd. X X I I I , 1908, S. 238-239; nach Gennep Auv S. 188. Pommerol, Le folklore de l'Auvergne, R. T. P., Bd. XII, 1897, S. 415-418; nach Gennep Auv S. 186.

5. L'élément esthétique

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noch beträchtlich. Dies zeigt eine Aufstellung aus dem J a h r 1844 1 , nach der in den Départements Frankreichs jährlich insgesamt noch 25956 Jahrmärkte abgehalten wurden.

5. L'élément esthétique Ein weiteres wesentliches Element der Kirchweih ist die volkstümliche Belustigung, wie sie sich in Festzügen, Tänzen und Spielen und als Besonderheit der Kirchweih im Hammel- und Hahnentanz, Hahnschlag und Kirchweihvergraben äußert. 2 Häufig wurde die Kirchweih mit einer feierlichen Prozession, die nicht immer kirchlichen Charakter haben mußte, begangen. In Antwerpen genoß der Ommegang bei der Kirmes am Sonntag nach Mariae Himmelfahrt große Beliebtheit. 3 Aus dem Hurepoix (Département Seine, Seine-et-Oise, Seine-et-Marne) wird überliefert 4 , daß man am Tag nach dem Fest des Schutzheiligen von Saint-Cyrsous-Dourdan aus eine Prozession nach Val-Saint-Germain zu machen pflegte, dort eine Messe hörte und zur Vergebung der Sünden vom Wasser der heiligen Juliane trank. Die Reihenjünglinge des mittelrheinischen Gebietes zogen am Kirchweihmontag und -dienstag mit klingendem Spiel in die Kirche. In einigen Orten bestand der Brauch, daß sie dazu vom Pastor abgeholt wurden. Nach der Messe ging der Zug weiter zum Tanzboden, nicht aber, bevor man die Dörfer des Umkreises besucht hatte, in denen dieGelagsjungen mit Festbroten, den sog. Plätzen, beschenkt wurden. 5 Auch in Massiac (Cantal) machte man am Abend des Festes eine Prozession durch die Stadt. Den Zug führte eine Musikkapelle an ; hinter ihr folgte der Narr mit Standarten und Bannern, auf denen das Leben des Schutzheiligen dargestellt war. Dann kamen Männer, die Kopf und Gliedmaßen einer zerbrochenen Statue des heiligen Johannes trugen. Auf einer Bahre unter einem Baldachin lag eine weitere unzerbrochene Statue des Heiligen. Die Könige und Königinnen, der Chor und die Honoratioren der Stadt beschlossen den Zug. 6 Typisch für das Gebiet der Limagne war es, daß die jungen Leute am Sonntag früh von Haus zu Haus gingen, ein Ständchen darbrachten, Spenden erhielten und als Gegengabe geweihtes Brot verteilten, dessen Größe sich je nach dem Umfang der Spende richtete. Von da ging es weiter in die Kirche. 7 1 2 3 4

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Bottin, Tableau statistique de toutes les foires de la France; Paris 1844. Vgl. auch Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens IV, 1422 f. Pfannenschmid a. a. O. S. 278f. Jean Piltant, Notes sur St-Cyr-sous-Dourdan, S. 31—32; nach Claude et Jacques Seignolle, Le folklore du Hurepoix (Seine, Seine-et-Oise, Seine-et-Marne) ; Paris 1937. Contributions au folklore des provinces de France, Tome IV, S. 112. Pfannenschmid a. a. O. S. 281. Du Roure de Paulin, La fête de la St-Jean à Massiac (Cantal). R. T. P., Bd. X X I I I , 1908, S. 238-239; nach Gennep Auv S. 188. Pommerol, Le folklore de l'Auvergne, R. T. P., Bd. XII, 1897, S. 415-418; nach Gennep Auv S. 186.

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I. Kulturhistorischer Teil

In Kaltenhausen, im Elsaß, waren die Mestigbursehen1 und die Nachklasse2 die Hauptträger der Umzüge. Sie trugen an einer roten Schnur eine Flasche Wein bei sich. Vor dem Haus der Tänzerin angekommen, ging der betreffende Bursch hinein, trank mit der Familie den mitgebrachten Wein, erhielt als Gegengeschenk eine mit roten Bändern geschmückte Schürze und führte die Tänzerin dem Zuge zu. War man auf dem Tanzboden angekommen, so wurden die ersten drei Tänze von den Mestigbur sehen, die folgenden drei von der Nachklasse getanzt. 3 Der Tanz zählte bei der Jugend des Dorfes zu den schönsten Vergnügungen, die das Fest bot. Im Zusammenhang mit ihm hatte sich in der Eifel der Brauch entwickelt, daß man vor der Kirchweih die Mädchen des Dorfes an den Meistbietenden versteigerte. Je größer Tugend und Schönheit waren, desto höher der Preis. Von dem Erlös bestritt man eine gemeinsame Zeche. Zwei junge Männer hatten darüber zu wachen, daß bis zum Ende des Festes kein anderer als der Ansteigerer zu dem Mädchen ging und mit ihm tanzte. 4 In Nalbach, im Kreis Sarrelouis, gab es eine ältere Form des Versteigerns, den Mädchenraub. Am Nachmittag nach der Vesper raubte der Bauernbursch dasjenige Mädchen, das er am Abend und das ganze Jahr über zum Tanze führen wollte. 5 Pfannenschmid bringt die Sitte der Mädchenversteigerung und des Mädchenraubes in Beziehung zu dem heidnischen Brauch des Mailehens, der sich in ganz Mitteleuropa verbreitet findet.6 Unter den Tänzen spielten früher Hammel- und Hahnentanz eine besondere Rolle. Im Elsaß wurde der Kilbehammel festlich geschmückt, dem Festzug vorangeführt und dann ausgetanzt oder ausgespielt. Der Gewinner hatte die Verpflichtung, die anderen Bewerber mit Wein und dem Braten des Hammels zu bewirten. 7 Um den Hammel auszutanzen, stellte man im Tanzsaal eine brennende Kerze auf, befestigte um deren Mitte einen Faden, an dem ein mit Wasser gefülltes Glas hing. Das erste Tanzpaar erhielt einen Blumenstrauß und reichte ihn, wenn es müde war, dem nächsten weiter. Diejenigen bekamen den Hammel oder Hahn zugesprochen, die in dem Augenblick tanzten, da die Flamme den Faden erreichte und das Glas zu Boden fiel.8 Pfannenschmid 9 vermutet im Hammeltanz Relikte aus heidnischer Zeit. Der Hammel oder besser der Widder war Sinnbild für den Korndämon oder Vegetationsgeist, dem zu Ehren man das Tier opferte und verzehrte. Kultische Bedeutung hatte auch der Hahn. In Baldenheim im Unterelsaß wurde 1 2 3

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Diejenigen, die sich im gleichen Jahr stellen mußten. Diejenigen, die erst im nächsten Jahr zum Militär mußten. Jahrbuch f. Gesch., Sprache und Lit. Elsaß-Lothr. hgg. v. dem Hist.-Lit. Zweigverein des Vogesen-Klubs, VI. Jahrg.; Straßburg 1890, XVI. Volkstüml. Feste, Sitten und Gebräuche im Elsaß; 1890, mitgeteilt v. Bruno Stehle, S. 173. Pfannenschmid a. a. O. S. 264f. Id. S. 265. Id. ib. Id. S. 290 f. Laugel, Trachten und Sitten im Elsaß; Straßburg 1902, S. 158ff. Pfannenschmid a. a. O. S. 292 f.

5. L'élément esthétique

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er am Kilbemontag ausgetanzt und am gleichen Tag noch von den Kilbejungfern und Kilbeknaben gegessen.1 Zu den Spielen, die dem Kirchweihfest besonderes Gepräge gaben, gehörte auch der Hahnenschlag, der sicher auf das Töten der Opfertiere in heidnischer Zeit zurückzuführen ist. In Gerzat (Limagne) versammelte sich die männliche Jugend am Nachmittag des Patronatsfestes auf dem Platz der Luminerie. Man hatte dort an einem Seil eine Gans aufgehängt, gelegentlich auch eine Ente oder ein Kaninchen, deren Hals getroffen werden sollte. Dem Sieger brachte man ein Ständchen dar. Er stieg vom Pferd und tanzte mit einem der jungen Mädchen, dessen Respekt um so größer war, je mehr der Anzug des Burschen mit Blut befleckt war.2 Im Hurepoix veranstaltete man zum Abschluß des Festes von Echarcon ein Ganstöten (tir ä l'oie). Der Kopf einer lebenden Gans wurde durch den Boden eines Korbes gezogen. Nun vergnügte sich die Jugend des Dorfes damit, ihr mit einem Säbelhieb den Hals abzuschlagen.3 In Königinhof in Böhmen wurde alle fünf Jahre der Hahnschlag vollzogen. Am Marktplatz befestigte ein als Mohr Vermummter den Hahn an einem Pflock. Mit verbundenen Augen sollte das zur Hahnbraut erwählte Mädchen dem Hahn mit einem Dreschflegel den Kopf abhauen. Gelang dies auf den ersten Hieb, so war seine Tugend erwiesen. Ihm gebührten dann das erste Stück des gebratenen Hahnes und der Ehrentanz am Abend.4 Neben dem Vogelschießen gab es noch eine Reihe anderer Vergnügungen: Karussellfahren, Sacklaufen, Wettrennen, Fahnenreiten, Ringkämpfe und Freudenfeuer. Auch der Erntemai fand sich in vielen Dörfern. Er wurde umtanzt und diente den kletterlustigen Burschen als Geschicklichkeitsprobe. An seiner Spitze waren alle möglichen Gewinne aufgehängt, die dem zufielen, der die Krone erreichte. Ein weiterer alter Brauch, der heidnische Ursprünge vermuten läßt, wurde am ersten und letzten Tag der Kirchweih vollzogen — das Aus- und Eingraben der Kirchweih. Sie wurde entweder anthropomorphisch durch einen Burschen, oder aber durch einen Roßschädel, einen Strohmann, eine Puppe, das geschnitzte Bild des Zachäus und einen Schinken versinnbildlicht. Am Vorabend des Festes zog man zum Begräbnisort und grub dort solange, bis man das Symbol gefunden hatte. Man befestigte es an einer Stange und trug es mit Bändern geschmückt zum Tanzplatz des Dorfes. War die Kirchweih beendet, so zog man wiederum zum Begräbnisort und verscharrte sie mit allen Zeichen der Trauer. Dieses Verhalten legt die Vermutung nahe, daß es sich einst um ein echtes Begräbnis gehandelt haben muß. Da diese Feste meist in den Herbst fielen, in die Zeit, da die Vegetation abstirbt, bildete man diesen Naturvorgang nach und begrub das Wesen, das man sich in der Zeit des Wachstums als besonders wirksam vorstellte, den Vegetationsgeist.5 1 2 3 4 5

Pfannenschmid a. a. O. S. 293. Pommerol, Le folklore de l'Auvergne; R. T. P., Bd. XII, 1897, S. 415-418. Seignolle a. a. O. S. 111. Pfannenschmid a. a. O. S. 297 ff. Pfannenschmid a. a. O. S. 307 ff.

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I. Kulturhistorischer Teil

6. L'élément familial Als eines der bedeutendsten Feste im Leben der Dorfbewohner bot die Kirchweih Gelegenheit zur Vereinigung der Familie.1 Selbst entfernt wohnende Familienmitglieder waren an diesem Tag bemüht, nach Hause zurückzukehren. An Freunde und Bekannte aus der Umgebung, auch an benachbarte Behörden, ergingen Einladungen, die nicht selten mit Geschenken, meist in Form von Kuchen, verbunden waren. Schon Tage vorher begann man mit den Vorbereitungen für das Fest. In jeder Haushaltung wurde gewaschen und gescheuert und häufig wurden die Häuser mit frischem Putz versehen. Kinder und Dienstboten wurden neu eingekleidet. Auch der Bettler und Armen gedachte man an diesem Tag durch besonders reiche Almosen. Hatten sich die Gäste versammelt, so wurden sie im Überfluß bewirtet. Keller und Küche lieferten das Beste an Getränken und Speisen : Wein, besonders stark gebrautes Bier, das sog. Kirmesbier, Braten und Würste, den Kirchweihbock, Kirmesgänse, Kirmesbrei, Kirchweih- oder Kirchtagnudeln, Kirmesbrot, Plätzen, Flöck'n, Fladen, Michel oder Mutschellen, Waien und Kücheln. Die französische Schweiz kannte als besonderes Kirchweihgericht pape à la faya, eine Art Hammelragout mit Weinbeeren.2 Daß die Festmähler bisweilen in Orgien ausarteten, bestätigt die schon oben erwähnte Verfügung, nach der kein Hausvater mehr als acht Gäste bewirten und nicht mehr als vier Gerichte pro Tag zu Tisch bringen dürfe. Pastor Gerber überliefert uns in seiner 'Historie der Kirchen-Ceremonien in Sachsen'3 eine Schilderung der übersteigerten Tafelgenüsse, wie sie im 4. Dezennium des 18. Jahrhunderts üblich waren: «Es wird nemlich des Montags frühe eine Predigt gehalten, über das auf solchen Tag . . . verordnete Evangelium aus Lukas 19 von Zacheo . . . Wie nun vermutlich Zacheus ein Mahl zugerichtet, und dem Herrn Jesum zu Gast geladen, . . . also pflegen die Leute bey denen Kirchmessen auch ihre Anverwandten und Freunde auf einen oder zween Tage einzuladen und zu gastiren. Dies alles kann nun ohne Sünde geschehen und ist an sich selbst keineswegs zu tadeln . . . Es ist aber auch bekannt, wie der größte Hauffe bey solchen Kirchmessen, oder Kirchweih nicht christlich, sondern schändlich, ärgerlich, ja heidnisch sich bezeiget . . . Die jährlichen Kirchweihen sind eine sehr alte Ceremonie, dabey aber heut zu Tage viel Mißbrauch und ärgerliches Wesen gefunden wird . . . Nichts desto weniger hält das Landvolk sehr steif und fest über diesen Fress- und Sauf-Fest, und dürfte eher das Weihnachts- oder Oster-Fest fahren lassen, als dieses . . . In dem kleinen . . . Ländlein Altenburg . . . hatte ein jeglich Dorf oder Kirchspiel sein eigen Kirch-Weih-Fest also, daß mancher Bauer drei, 1 2 3

Vgl. für die folgenden Ausführungen Pfannenschmid a. a. O. bes. S. 276 ff. Gl II, 328 ff. Dresden und Leipzig 1732, S. 101 ff. bei Daniel, Cod. lit. ecc. luth. 47 ff. ; nach Pfannenschmid a. a. O. S. 254f.

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I. Kulturhistorischer Teil

6. L'élément familial Als eines der bedeutendsten Feste im Leben der Dorfbewohner bot die Kirchweih Gelegenheit zur Vereinigung der Familie.1 Selbst entfernt wohnende Familienmitglieder waren an diesem Tag bemüht, nach Hause zurückzukehren. An Freunde und Bekannte aus der Umgebung, auch an benachbarte Behörden, ergingen Einladungen, die nicht selten mit Geschenken, meist in Form von Kuchen, verbunden waren. Schon Tage vorher begann man mit den Vorbereitungen für das Fest. In jeder Haushaltung wurde gewaschen und gescheuert und häufig wurden die Häuser mit frischem Putz versehen. Kinder und Dienstboten wurden neu eingekleidet. Auch der Bettler und Armen gedachte man an diesem Tag durch besonders reiche Almosen. Hatten sich die Gäste versammelt, so wurden sie im Überfluß bewirtet. Keller und Küche lieferten das Beste an Getränken und Speisen : Wein, besonders stark gebrautes Bier, das sog. Kirmesbier, Braten und Würste, den Kirchweihbock, Kirmesgänse, Kirmesbrei, Kirchweih- oder Kirchtagnudeln, Kirmesbrot, Plätzen, Flöck'n, Fladen, Michel oder Mutschellen, Waien und Kücheln. Die französische Schweiz kannte als besonderes Kirchweihgericht pape à la faya, eine Art Hammelragout mit Weinbeeren.2 Daß die Festmähler bisweilen in Orgien ausarteten, bestätigt die schon oben erwähnte Verfügung, nach der kein Hausvater mehr als acht Gäste bewirten und nicht mehr als vier Gerichte pro Tag zu Tisch bringen dürfe. Pastor Gerber überliefert uns in seiner 'Historie der Kirchen-Ceremonien in Sachsen'3 eine Schilderung der übersteigerten Tafelgenüsse, wie sie im 4. Dezennium des 18. Jahrhunderts üblich waren: «Es wird nemlich des Montags frühe eine Predigt gehalten, über das auf solchen Tag . . . verordnete Evangelium aus Lukas 19 von Zacheo . . . Wie nun vermutlich Zacheus ein Mahl zugerichtet, und dem Herrn Jesum zu Gast geladen, . . . also pflegen die Leute bey denen Kirchmessen auch ihre Anverwandten und Freunde auf einen oder zween Tage einzuladen und zu gastiren. Dies alles kann nun ohne Sünde geschehen und ist an sich selbst keineswegs zu tadeln . . . Es ist aber auch bekannt, wie der größte Hauffe bey solchen Kirchmessen, oder Kirchweih nicht christlich, sondern schändlich, ärgerlich, ja heidnisch sich bezeiget . . . Die jährlichen Kirchweihen sind eine sehr alte Ceremonie, dabey aber heut zu Tage viel Mißbrauch und ärgerliches Wesen gefunden wird . . . Nichts desto weniger hält das Landvolk sehr steif und fest über diesen Fress- und Sauf-Fest, und dürfte eher das Weihnachts- oder Oster-Fest fahren lassen, als dieses . . . In dem kleinen . . . Ländlein Altenburg . . . hatte ein jeglich Dorf oder Kirchspiel sein eigen Kirch-Weih-Fest also, daß mancher Bauer drei, 1 2 3

Vgl. für die folgenden Ausführungen Pfannenschmid a. a. O. bes. S. 276 ff. Gl II, 328 ff. Dresden und Leipzig 1732, S. 101 ff. bei Daniel, Cod. lit. ecc. luth. 47 ff. ; nach Pfannenschmid a. a. O. S. 254f.

6. L'élément familial

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vier, fünf Wochenlang von seinen Geschwistern und Anverwandten bald da, bald dorthin zur Kirmess geladen wurde, und also seine Haushaltung negligirte und versäumete.» Wie bedeutsam das familiäre Moment bei der Kirchweihfeier von jeher war, läßt sich daran ermessen, daß es auch heute noch unvermindert fortlebt, während andere Elemente starke Änderungen erlitten, wenn sie nicht ganz wegfielen. Der Hauptkirchweih, die man auch die Große Kirchweih nennt, geht zuweilen eine Vorfeier voraus. Der kirchlichen Feier der Oktav entsprechend begeht man gewöhnlich eine Woche nach dem Hauptfest die Nachkirchweih, die sog. Kleine Kirmes} 1

Pfannenschmid a. a. O. S. 261 f.

II. Sprachwissenschaftlicher Teil

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Luçon konstant erhalten. Reinage scheint auf die Diözesen Mende und Le Puy hinzuweisen, von wo es auf die Nachbardiözesen ausstrahlte. Festin hält sich in den Grenzen des Bistums Nice. Roumeirage ist in der Diözese Fréjus heimisch, greift aber auf die benachbarten Erzbistümer Aix und Marseille über. Für vogue und voto ist ihrer starken Ausbreitung wegen eine Zugehörigkeit sehr schwer festzustellen. Vogue scheint als it. Lehnwort zunächst im Erzbistum Chambéry und im Süden des Erzbistums Lyon heimisch gewesen zu sein (der Erstbeleg von 1523 stammt aus dem Bischofssitz Grenoble). Für voto ist wohl die Kirchenprovinz Albi Ausgangspunkt. Bei den meisten dieser Wörter handelt es sich um Ausdrücke, die aus dem kirchlichen Sektor kommen oder doch im Laufe der Zeit kirchlichen Charakter angenommen haben. Wörter, die auf die volkstümliche Ausgestaltung der Feste hinweisen, wie z. B. réjouissance, ébat, farandole etc., sind nicht mit kirchengeographischen Grenzen in Verbindung zu bringen, denn sie betonen die Profanierung des Festes und wurden kirchlicherseits sicher nicht gebilligt. Die Kreise, aus denen die Termini stammen, ergeben sich aus der komplexen Natur des Festes selbst. Wie eingangs erwähnt wurde, hat Gennep Auv S. 178 sechs Charakteristika des Patronatsfestes hervorgehoben : 1. Le culte liturgique 2. Le culte populaire 3. L'élément municipal

4. L'élément économique 5. L'élément esthétique 6. L'élément familial.

Da sich zwischen den Punkten 1 und 2, 5 und 6 zu viele Querverbindungen ergeben hätten, wurde die Einteilung für den sprachhistorischen Abschnitt auf vier Gruppen reduziert: 1. Le culte liturgique et populaire 2. L'élément municipal

3. L'élément économique 4. L'élément esthétique et familial.

Auf das Schema 1. lateinische Tradition, 2. galloromanische Wortschöpfung, das vielen onomasiologischen Arbeiten zugrunde liegt, wurde aus sachlichen Gründen verzichtet. Bei den Benennungen des Dorffestes ist die lateinische Tradition außer bei dedicatio, benedictio und dem neutralen festum unerheblich. Bei den genannten Wörtern wird sie jeweils bei der Besprechung der Etymologie erwähnt. Die im Gr. und Lt. vorhandenen Ausdrücke für die Kirchweihe sind in Teil I, S. 10 dieser Arbeit aufgeführt.

1. Le culte liturgique et populaire assemblée Formen Dép. S e i n e - I n f . : asâblçy St-Vaast-Dieppedalle ALF 370, La Frenaye ALF 361, Le Havre F E W 1, 160, asâblay Yport ALF 371; E u r e : asâble Barc A L F 330,

1. Le culte liturgique et populaire

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Breux ALF 321, St-Christophe-sur-Condé ALF 351 1 ; C a l v a d o s : asâble La-Chapelle-Yvon ALF 343, Jort ALF 345, Beuvron-en-Auge ALF 354 \ Feuguerollessur-Orne ALF 355 1 , asâbley, asâbyey La Ferrière-Harang A L F 367; Orne: asâble Ste- Gauburge-sur-Rille ALF 334, Réveillon ALF 325, asâbye Avoines A L F 336, Heloup ALF 327, Alençon F E W 1, 160, asâbyey Dompierre ALF 347; M a n c h e : asâbye Pont-Hébert ALF 377 \ Quetteville ALF 378, St-Clément ALF 358, asâble Ponts ALF 368, asâblœ Auderville ALF 394, asâbya Fresville ALF 386, asâble Les Moitiers-d'Allonne ALF 395, Créances ALF 387 1 ; I l l e - e t - V i l a i n e : asâble Vieuxviel ALF 460 1 , Montreuil-sur-Ille ALF 461 1 , L'Hermitage A L F 462 1 , Comblessac ALF 463 1 , Rennes F E W 1,160, Dol ib., asâbye Mellé ALF 359, St-Marc-sur-Couesnon ALF 450, Pléchâtel Dottin-Langouët 2 , asâblçe St-Melaine-sur-Vilaine A L F 451, asâbyçy Messac ALF 453; C ô t e s - d u - N o r d : asâble Plévenon ALF 481 1 , Uzel ALF 494, Le Loscouët ALF 483, asâbley Trévron A L F 471; M o r b i h a n : asâble St-Jean-la-Poterie ALF 465 \ Noyal-Muzillac ALF 475 asëbye Plumelec ALF 486 1 ; L o i r e I n f . : asâbye Issé ALF 445, Besné ALF 466, Gorges ALF 447, asâble Guérande ALF 476 1 , asâbyey Sucé ALF 446; M a y e n n e : asâbye Javron ALF 338, Neau ALF 339, Châtillon-sur-Colmont ALF 349, La Genest ALF 440, Congrier ALF 443, Gennes ALF 421; S a r t h e : asâble Villaines-sous-Malicorne ALF 411, Boëssé-le-Sec ALF 315, St-Pierre-du-Lorouër A L F 318, asâbye Domfront-en-Champagne ALF 328; M a i n e - e t - L o i r e : asâbye Bocé ALF 412, Soulanger ALF 415, Chazé-sur-Argos ALF 433, Bouzillé A L F 435, asâble Avrillé ALF 423, Chemillé ALF 425 3 ; Vendée: asëble La Garnache ALF 458, asâble Givrand ALF 459 4 , asâbye L'Ile-d'Yeu ALF 479, asâbledgairi Talmont ALF 540 4 ' 5 , D e u x - S è v r e s : asâbye Voultegon ALF 414, Oroux ALF 418 6 , asâbli Le BreuilBernard ALF 419; V i e n n e : asâble Guesnes ALF 416, Dissay ALF 409, asâbye Sillards ALF 507, asâbyad Millac ALF 509; C h a r e n t e - I n f . : asâbye Clavette ALF 523, Cabariot ALF 525 7 , Chermignac ALF 527 3 , Guitinière A L F 5 2 8 3 ; I n d r e - e t - L o i r e : asâble St-Antoine-du-Rocher A L F 4 0 8 8 , La Croix-de-Bléré ALF 406 8 , St-Benoît ALF 414 8 , Marcé-sur-Esves A L F 4 0 7 ; L o i r - e t - C h e r : asâble St-Ouen ALF 316, SuèvresALF 306®, Nouan-le-Fuzelier ALF204; L o i r e t : asâble St-Ay ALF 307 8 ; E u r e - e t - L o i r : asàè/eVaupillon ALF 313, St-Christophe ALF 311 8 ; I n d r e : asâble LaVernelle ALF 303 8 , St-Genou ALF404, Neuvy-Pailloux ALF 401, Pouligny-St-Pierre ALF 405, asâbye Argenton ALF 503; Cher: asâble Bué ALF 103 8 , Berry-Bouy ALF 202, FlavignyALFIOl 8 , Bruère A L F 4 0 0 , Culan ALF 600; N i è v r e : asâble Parigny-les-Vaux ALF 102, Marcigny ALF l 9 , Chitry-les-Mines ALF 105, L o t : çsëmbladç Figeac ALF 713; Creuse: asâbyad

1 2 3 4 5 6 7 8 9

3*

Daneben fête. Veraltet. Daneben frairie. Daneben préveil. Anm. des Verfassers: sorte de foire aux domestiques. Daneben ballade und meriennée. Daneben frairie, ballade. Daneben der T y p fête. Daneben apport.

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II. Sprachwissenschaftlicher Teil

Dun-le-Palleteau ALF 504; L a n d e s : asœmbladd Sabres AL G 674 (asämblada ALF 674), Moustey ALG 674N 1 ' 3 , Lue ALG 674 O 1 , Mézos A L F 1 ALG 3 680, Parentis ALG 672 (asämblad9 ALF 672), Luxey ALG 664 2 , Ygos ALG N1, asdmbladd Castets ALG 680 1 ' 3 , Vielle-St-Girons ALG 681 N 1 , asemblada Labrit ALG 664 S 1 , 3 ; G i r o n d e : asœmbladd St-André-de-Cubzac ALG 630 S, Targon ALG 643 2 , Grézillac ALG 643 NE, Beychac ALG 643 NO, asembladd Lacanau ALF 650 5 , Pessac ALF ALG 641 \ St-Jean-d'Yllac ALG 641 0 \ Hostens ALF 653 5 , St-Yzans ALG 549 N, asëmbladu St-Vivien ALF 548 4 , asämblads La Testede-Buch ALF 662 6 , asSmblads Blasimon ALG 643 E 7 , asäble St-Savin ALG 630 (asäbye ALF 630). Phonetisch interessant ist die deglutinierte Form säbye bei Dottin. Etymologie Zu lt. SIMUL wurde vit. *ADSIMULARE gebildet, das im 11. Jahrhundert in den Reichenauer Glossen (219) als adsimulavit belegt ist (Garn S. 53). Postverbal dazu trat im 12. Jahrhundert (nach Dauzat, BlochW) assemblée auf. Es bedeutete im Afr. "action de réunir plusieurs personnes dans un même lieu; les personnes réunies; rencontre d'une armée; cohabitation" (FEW 1,159f.). Im 16. und 17. Jahrhundert bezeichnete assemblée auch die " J a g d " ; vgl. Hu: "mot à la mode dans le sens de chasse" und Cotgr 1611: " . . . a hunting, or a troupe of hunters". Im westfr. Sprachbereich spezialisierte sich der Terminus auf die Kirchweih und auf den mit der Kirchweih verbundenen Jahrmarkt. Der psychologische Urgrund, aus dem diese Namengebung resultiert, dürfte darin zu suchen sein, daß in unbelebteren Gegenden das Zusammensein mit der Umwelt wesentliches Element des Festes ist. Dieses Zusammentreffen ergab sich früher vorwiegend beim Patronatsfest ; vgl. Beaucoudrey (s. v. assemblée) : «L'attrait des assemblées qui comportent l'idée de fête, de réjouissance par le seul fait d'être réunis, tend à disparaître depuis qu'on se rend plus aisément à la bourgade voisine; mais il s'expliquait par le genre de vie très isolé . . . » Gerade in abgelegenen Landstrichen ist es auch verständlich, daß man am Tag des Festes den Markt abhält. So ist der Ausdruck früh kommerzialisiert worden. Darauf deutet der Beleg aus den Coutumes von Berry «Le Seigneur prend pareils droicts aux Assemblées qui se font ez Paroisses estans au dedans des . . . Seigneuries, qu'ès . . . Foires et Marchés . . . » (La Thaumassière, Cout. de Berry, p. 164, bei Lac II, 244) und der Passus bei DC IV, 681 : «Mercatum . . . in idiotismo Assemblées . . . » Die Kommentare der Lexikographen betonen meist den wirtschaftlichen Charakter des Wortes, so Lar 1932, Littré 1863, Ac 1932, Jaubert, Jônain, Dottin-Langouët, Musset. Auf das kultische Moment weist nur die Erläuterung von Jaubert hin: "réunion près de l'église, d'une chapelle ou d'un lieu à Daneben der Typ fête. A L F hçste. 3 Veraltet. 4 A L G hçsta. 5 Daneben hçstu, A L G 548 nur hçstu. 6 Daneben hçstg, A L G 662 nur hçstg. ' Daneben botœ. 1

2

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dévotion, à propos de la fête d'un s a i n t . . ." Da bei der weltlichen Feier der Patronatsfeste die J a h r m ä r k t e immer noch eine große Rolle spielen, ist assemblée trotz der abnehmenden Bedeutung der Patronatsfeste in seinem Bestand ziemlich gesichert. Verstärkt wird die Vitalität des Wortes dadurch, daß es nicht nur dem Patois, sondern auch dem Regionalfranzösischen und der Schriftsprache angehört. Historisches Im 15. Jahrhundert erscheint das Wort bei François Villon : «Suivez assemblées et festes En la fin jà mieulx n'en vauldrez» (Le Testament 626, bei Burger S. 35). Am 15. 5. 1554 verzeichnete der Sieur de Gouberville in seinem Tagebuch : «à la Boussaye voyer l'assemblée» (Goub S. 265). 1573 wurde in Châteauneuf (Cher) eine Urkunde ausgestellt, in der sich das schon oben angeführte Zitat aus den Coutumes des Berry findet: «Le Seigneur prend pareils droicts aux Assemblées qui se font ez Parroisses estans au dedans des . . . Seigneuries, qu'ès . . . Foires et Marchés dudict Chasteau-neuf, sur les non-Bourgeois d'icelui Chasteau-neuf, vendans esdites Assemblées, pains blancs, gasteaux . . . et autres menues denrées» (Lac II, 244). Belege für das 17. und 18. Jahrhundert konnten in den der Arbeit zugrunde liegenden Werken nicht gefunden werden. Da assemblée im 19. Jahrhundert in der gleichen Bedeutung wie im 15. und 16. Jahrhundert bezeugt ist, darf man annehmen, daß die Kontinuität während des 17. und 18. Jahrhunderts nicht unterbrochen wurde : «Les filles n'étaient pas chères à l'assemblée de Veretz, les garçons hors de prix» (P. L. Courrier II, 278, éd. 1826, bei Thibault). «Une chapelle existe encore, autour de laquelle il se tenait autrefois une assemblée, la plus fréquentée des environs de Cherbourg. L'assemblée a été transportée depuis sur un autre point du littoral» (J. Fleury, Litt, orale de la B.-Normandie, p. 42, bei Moisy). Chateaubriand gibt in dem 1811/12 niedergeschriebenen 1. Buch der 'Mémoires d'outretombe' (Bd. I) ein buntes Bild von dem Kirchweihfest in Saint-Malo: «Certains jours de l'année, les habitants de la ville et de la campagne se rencontraient à des foires appelées assemblées . . . La multitude de matelots et de paysans; les charrettes entoilées; les caravanes de chevaux, d'ânes et de mulets; le concours des marchands; les tentes plantées sur le rivage; les processions de moines et de confréries qui serpentaient avec leurs bannières et leurs croix au milieu de la foule; les chaloupes allant et venant à la rame ou à la voile; les vaisseaux entrant au port, ou mouillant en rade ; les salves d'artillerie, le branle des cloches, tout contribuait à répandre dans ces réunions le bruit, le mouvement et la variété.» 1 Der Terminus assemblée ist auf den Westen der Galloromania beschränkt. E r findet sich von der Normandie über die Provinzen Bretagne, Maine, Orléanais, Nivernais, Berry, Touraine, Anjou, Poitou, Marche, Angoumois, Aunis, Saintonge, Guyenne bis zur Gascogne. Den nördlichsten P u n k t erreicht assemblée in St-VaastDieppedalle A L F 370 im Dép. Seine-Inf. Von dort verläuft die Grenze südöstlich bis zum Dép. Nièvre, wo sie in Chitry-les-Mines A L F 105 ihren östlichsten P u n k t findet. In südwestlicher Richtung erstreckt sich die Grenzzone bis zur Mündung 1

Chateaubriand, Mém. d'Outre-Tombe; Nouv. éd. par E. Biré; Paris; Bd. I, Buch I, S. 49.

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der Garonne. Seine südlichste Ausdehnung erfährt assemblée im Osten der Dép. Gironde und Landes. Der südlichste Ort, in dem der Terminus belegt ist, ist Castets ALG 680 S. Das Verbreitungsgebiet von assemblée ist stark durch andere Typen aufgelockert : durch fête in allen Teilen, durch pardon in der Bretagne, durch fr éveil in der Vendée, durch mérìennée im Poitou, durch frairie und bailade im Saintonge, Aunis und Angoumois. Am dichtesten ist das Vorkommen in der Normandie, im Osten der Bretagne, im Maine, Anjou, in der Touraine und im Berry. Diese Teile können als das Kerngebiet von assemblée betrachtet werden. Von hier aus scheint das Wort einerseits entlang der Loire nach Osten, andererseits entlang der Küste nach Süden gewandert zu sein. Wie aus dem ALF hervorgeht, ist assemblée trotz dem Schwund der Patois noch sehr lebenskräftig, wenngleich es in seiner Existenz durch das nivellierende fête von Paris und der Gascogne her stark bedroht wird, vgl. den Zusatz 'veraltet' in den Punkten ALG 674 N, 680, 680 S und 664 S. bénichon Formen Nach Angaben des ALF und Gl II, 328 erscheint der Typ im T e r r i t o i r e de B e i f o r t : bçyçso Joncherey ALF 76 und in den S c h w e i z e r K a n t o n e n B e r n bçndsô (Hauptform), daneben byçsô Cœuve ALF 74 (bniçsô Gl), bnlsö St-Braix ALF 72, Péry Gl B 23, Vermes Gl B 40, Séprais Gl B 45, Mettemberg Gl B 48, Les Bois ALF 64, bmitsö Malleray Gl B 32, bmidsö Develier GIB 42, Pleigne Gl B 47, Boncourt G1B64; F r i b o u r g : benisö (Hauptform), daneben bnssö Sugiez Gl F 63 bçnisyô (be-) Châtel-St-Denis Gl F 21 ; V a u d : bçnvsô (be-) Roch Gl Vd 12, Savigny Gl Vd 35, Montherond Gl Vd 36, Sassel Gl Vd 90, bençsô Vaugondry Gl Vd 82, bçnisyô (be-) Rossinière Gl Vd 21, L'Etivaz Gl Vd 24. Ableitungen bmidsna s. m. pl. (Dim.) "maigre fête de village" (Bern); benisuna (Fribourg), b(d)nidsnç (Bern) v. intr. "prendre part à la b., festoyer"; bmssunare (Fribourg), b(9)ni9snçr (Bern) "participant à la b., personne qui y vient du dehors" (Gl II, 328 und 330). Etymologie Aus lt. BËNËDICTXÔNEM zu BENEDICERE. Bei afr. benëiçon, afrb. benission, mfr. benisson (Cotgr 1611, Voult 1613) handelt es sich um ein Lehnwort, das, wie der Schwund des intervokalischen -d- beweist, vor dem 11. Jahrhundert aufgenommen worden sein muß, jedoch wegen der Erhaltung des vortonigen e erst nach der Wirkung des Gesetzes für Vorton vokale im Wortinnern. Benëiçon ist eine halbgelehrte Form, deren volkstümliche Entwicklung durch kirchlichen Einfluß retardiert worden ist. Daneben gibt es die rein gelehrte Form bénédiction, die Littré für das 16. Jahrhundert belegt. 1 Im Kit. hat bene dicere die Bedeutung "gut . . . reden" (bene dicere, quod est scienter et perite et ornate dicere; Cic.), "Gutes von j. reden" (cui bene dixit um1

Vgl. für diese Ausführungen F E W 1, 324 und Berger S. 66.

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quam bono? bene clixit? . . ., Cic.). Durch den christlichen Kult nimmt es die Bedeutung "loben, lobpreisen", dann "segnen, benedeien" an (Georges I, 758). In der Vetus Latina und in der Vulgata wird mit benedicere gr. evXoyelv übersetzt. Das Christentum prägt auch das Substantiv benedictio "Segnung, Weihe", das als Lehnwort ins Fr. übernommen wird. Im Afr. findet benëiçon neben der kirchlichen auch noch profane Verwendung. Es heißt "Segen" im Gegensatz zu "Fluch" ; vgl. Estoire de la Guerre Sainte 5331 f. : . . . il ot plus malaicons al partir que beneicons (Rheinf S. 377). Durch die zahlreichen Benediktionen im Mittelalter (vgl. DC I, 625 ff.) war das Wort aber in seiner kirchlichen Bedeutung bekannter. Bedeutungsverengend führte es zur Bezeichnung einiger Einsegnungsfeste (FEW 1, 324): schweizfr. les bénissons "fête patronale" seit dem 15. Jahrhundert; tour, benisson 'épousailles" Mén 1694; Vosges benisson "bénédiction que l'on donne aux enfants nés d'une fête de Pâques à celle de l'année suivante" (Mém. de la Soc. des Antiquaires de France, 6,119). Obwohl in der kirchlichen Terminologie benedictio die durch einen Priester vorgenommene Weihe bedeutete, während die vom Bischof vollzogene Weihe meist mit dedicatio bezeichnet wurde, unterschied das Volk zwischen diesen Vorgängen nicht genau und gebrauchte benedictio zur Bezeichnung der Kirchweihe. Daß sich das Wort vollständig von seiner ursprünglichen Bedeutung entfernte, zeigen die Redensarten: ferd bénichon "faire bombance, festoyer" (Fribourg), le bnissö de fowdr dzä "les bénichons des pauvres gens, le coït" (Fribourg) und ly e ma bénichon "j'ai mes menstrues" (Fribourg). Außerdem hat sich sekundär aus "Kirchweih" die Bedeutung "pain ou gâteau de fête qu'on fait à la bénichon" (Fribourg, Bern) entwickelt (Gl II, 328) ; vgl. dazu F E W 1, 324: beneissouns f. pl. "petit repas à la suite d'un marché conclu" (Queyr.) und Arnaud-et-Morin : benissouns s. m. "petit repas comprenant des bignétas (beignets) pour conclure une affaire ou préluder à un mariage". Historisches Die frühesten Belege von Pierrehumbert II, 49 und dem Gl II, 328 stammen aus dem 15. Jahrhundert. «Trois festes, c'est à savoir le jor dou patron, le jor de la benission et lo jor de l'Assumption» (Fribourg 1414, Jeanjaquet Doc. Frib. 280). «Quel qui soit qui vendrait eis bénissions ou eis noces . . . en armes, . . . que l'on les prenye et deteny (incarcère).» (Fribourg 1443, Recueil diplomatique de Fribourg VIII, 242.) «Deux sexterets de vin que l'on a schenqués eis compaignions tant de Cressié que de la Noveville eis benession» (Neuchâtel 1447, Comptes Landeron). «A Girard Rondé que fut avecque le compaignon es benysson à Nuchastel, tant pour lui comment pour le taborin» (ib. 1489 ib.). Ebenso zahlreich sind die Zitate der genannten Werke aus dem 16. Jahrhundert. : «Délivré le jour des bénissions pour les petits arbalestriers pour trois fleurs» (Neuchâtel 1503, Comptes Neuchâtelois, Musée Neuchâtelois 1906, 89). «Délivré aux petits auffans de l'arbeleste sept groz pour une fleur (prix) le jour des bénissions» (Neuchâtel 1524, Comptes 23 v° Ac.). «Le quint jour du mois de juin 1531, qu'estoit

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le dimanche des bénissions de Valiangin» (Neuchâtel, Besancenet, ds Ruchat, I I I , 543). «Que toutes les bénissons, vogues, soyent ostéez et anullies» (1554, de Pierrefleur 315). Daneben gibt es aus dem 15. und 16. Jahrhundert Belege der gelehrten Form bénédiction, die zu dieser Zeit in den Kantonen Fribourg und Neuchâtel neben dem volkstümlichen benisson etc. sporadisch verwendet wurde (Gl II, 326) : «Es compaignons qui furent es benediccions du Landeron . . . pour ung sextier de vin» (Neuchâtel 1463-1464, Comptes 27 Ac.). «Ayant esté . . . a la bénédiction de Worb» (Fribourg 1582, Livre noir, VII 77. Ac.). Weitere Zitate aus den folgenden Jahrhunderten konzentrieren sich auf die Kantone Fribourg und Bern : «Le jour des bénissons de Bassecour on joua le Samson, tragédie, sur le marché» (Bern 1601, Journ. Cuenin). «Des idolâtries et ceremonies papistiques . . . notemment la messe, les bénissons» (Bern 1640, Loix consist. 51). «Les danseurs du Geyssale qui estoient à la benission ou assemblée accoustumée sur cette montagnie» (Fribourg 1646, Arch. h. Fb. I, 500). «Le mouton et les emines de beure que le fermier . . . doit pour la benission» (Fribourg 1722, Reg. not. 2826, 544. AC). «On a célébré dans les églises, comme à table, la dédicace de St-Martin, vulgairement dite les bénissons, dans les villages» (Bern 1796, Guélat I, 420). Auch in der Journalistensprache des ausgehenden 19. und 20. Jahrhunderts ist bénichon auf Fribourg und den Jura bernois beschränkt. In der Freiburger Zeitung 'La Revue du Dimanche' (Nr. 35 vom 29. 8. 1897) führt ein mit 'La Bénichon' betitelter Artikel den Refrain eines alten Liedes an : "Dansons, rions, chantons, Voici la Bénichon (vgl. die Variante bei Herzog Texte S. 93: Buvons, rions, chantons, voici la bénichon). Auch die Ausgabe derselben Zeitung vom 1. 9. 1901 (S. 275) enthält einen Artikel mit dem Titel 'Les Bénichons Fribourgeoises'. Das Bgl veröffentlichte 1903 einen 'Dialogue de deux Commères en patois de la Veveyse (Fribourg)' mit der Überschrift 'Lou fachon dè la bénichon' (S. 59). Die Zeitung 'Le Jura' vermerkt am 5. 10. 1920 : «Dimanche prochain ce sera les beniessons des Bois» (nach Pierrehumbert S. 49). Nach Ausweis des Gl war der Typ bénichon im 15. und 16. Jahrhundert in den Kantonen Fribourg, Bern, Vaud und Neuchâtel verbreitet. Durch die Reformation wurde aber die Kirchweih in den protestantischen Gebieten als eine der «papistischen Zeremonien» abgeschafft, so daß sie heute nur mehr im Kanton Fribourg und im katholischen Teil des Berner Jura lebendig ist. Gewisse Dörfer des Kantons Vaud, die an Fribourg angrenzen, hielten noch eine Zeitlang an den profanen Feierlichkeiten fest, doch wurden diese durch die Geistlichkeit bald unterdrückt. Heute versteht man unter bénichon das katholische Kirchweihfest im Kanton Fribourg. Während früher jede Pfarrei das Weihefest ihrer Kirche feierte, beschränkte man die Anzahl der Feste gegen Mitte des 18. Jahrhunderts auf ein einziges, das nach der Ernte am 2. Sonntag im September und in Gebirgsgegenden am 2. Sonntag im Oktober abgehalten werden sollte. Ähnlich verlief die Entwicklung der beniessons, benieçons, bniçons im Berner Jura, genauer im Eisgau (Ajoie). Hier wurde die Kirchweih vom ursprünglichen Kalendertag zuerst auf den darauf-

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folgenden Sonntag, dann wie in Frankreich auf den Sonntag nach der Oktav von Allerheiligen verlegt. Da in diese Zeit auch der Martinstag fällt, haben sich beide Feste vermischt (Gl II, 328ff.). Ein Vergleich mit dem ALF bestätigt für den Berner Jura die Formen des Gl. Im Kanton Fribourg weichen die sujets des öfteren auf die neutrale Form fête aus, die (nach persönlicher Mitteilung der Redaktion des Gl) in der romanischen Schweiz keine Sonderbedeutung hat. Dies erklärt sich wohl aus der suggestiven Fragestellung Edmonts, dessen Frage «Comment appelez-vous la fête patronale?» gelautet haben mag. So verzeichnen ALF 60 (Billens) und 70 (Gruyères) fi$a vor benisö (bzw. bçniso) ; ALF 61 (Estavayer) kennt nur fita, obwohl hier nach dem Gl und der Freiburger Zeitung 'La Revue du Dimanche' bénichon vermerkt sein müßte; vgl. Gl II, 329: «C'est dans les villages et les petites villes agricoles, comme Estavayer, que les anciennes traditions ont le mieux survécu» und 'La Revue du Dimanche' No 35,29 août 1897, Ende des Artikels 'La Bénichon' : «. . . Cette courte description de la bénichon d'Estavayer peut s'appliquer aussi exactement aux bénichons de tous les grands villages du canton de Fribourg.» Außerdem belegt der ALF bénichon für Joncherey im Territorium Beifort (P. 75), das sich geographisch an den Eisgau anschließt. chaté Formen Das Wort ist als säte, tsjite für Grand'Combe (Doubs) bezeugt. Boillot glossiert es als "fête du village" und "fête de la Nativité". Weitere Belege liefert Hans-Erich Keller 1 : lç tsaté f. "fête de la Nativité de la Vierge, 8 septembre" für CerneuxPéquignot (Gl Punkt N 30) ; ot lot tsètiau " à la Nativité de la Vierge" für Les Fourgs (bei Tissot, J . , Le patois des Fourgs; Paris-Besançon 1865; s. v. château) ; tsêtytf f. "fête de la Nativité de Notre Dame, le 8 septembre" für Nozeroy (bei Kjellén, O., Le patois de la région de Nozeroy; Göteborg-Paris 1945, S. 222). Für Montbéliard erläutert Contejean (Glossaire du patois de M.; M. 1876) tchaîtai als ". . . jour du jeûne observé au mois de septembre, dans les églises protestantes du pays de Montbéliard. Ce jeûne avait été institué, dans les siècles derniers, à la suite d'événements funestes". Etymologie Nach Kellers2 Ansicht läßt sich der Terminus nach phonetischen und semantischen Gesichtspunkten einwandfrei auf lt. CASTITÄTE (ZU afr. chastée, cf. F E W 2, 478b) zurückführen. CAST- zu tsçt- wie CASTARE zu tsçtra, vgl. F E W 2, 474 b (Grand'Combe ist noch nicht frpr., sondern fr.), -TÄTE zu -te. Der semantische Übergang erklärt sich dadurch, daß das Patronatsfest am Tag von Mariens Geburt gefeiert wird, cf. Boillot S. 3 : "la fête du village se célèbre en septembre à la nativité de la Vierge, parce que ce jour est l'anniversaire de la consécration de l'église". 1 2

In brieflicher Mitteilung. RLiR 23, S. 292 f.

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dédicace Formen Quelle, wenn nicht anders angegeben, ALW 816 nach persönlicher brieflicher Mitteilung von Jean Renson. Das übliche Formenschema wurde hier verlassen, da sich deutlich fünf Typen ergeben : dükas, dükos, dikos, dikas, dikes. dükas in der P r o v i n z H a i n a u t : A r r . T o u r n a i (synonym mit fçt in RongyP. 94, Escanaffles P. 13, mit fet in Rumes P. 73), A r r . A t h , A r r . M ö n s (synonym mit fyçt in Baudour P. 20, Wasmes P. 41, Pâturages P. 42), A r r . S o i g n i e s (synonym mit fyçt in Soignies P. 1, Houdeng-Goegnies P. 36), A r r . T h u i n , A r r . C h a r l e r o i (synonym mit fyçt in J u m e t P. 43), außer Fleurus P. 33 (hier dükos), Farciennes P. 54, Châtelet P. 61, Gerpinnes P. 72 (hier dikçs); im Westen der P r o v i n z B r a b a n t (rom. Teil), vgl. auch f ü r Waterloo, Genappe, Sart-Dame-Avelines, Nivelles, Clabecq BTDial II, 274; im D é p . N o r d vgl. ALF (synonym mit fyçt in BruilleSt-Amand A L F 281, Lieu-St-Amand A L F 272, Maurois A L F 271), außer in Templeuve-en-Pélève A L F 282, Braille-St-Amand A L F 281, La Longueville A L F 280, Maurois A L F 271 (hier dükas) ; vgl. auch für Gondecourt Cochet S. 141 ; im D é p . P a s - d e - C a l a i s vgl. ALF, außer Bois-Jean A L F 289 (hier dükas), vgl. auch für St-Pol R P G R V, 40 und f ü r Ecurie Gennep Artois Bd I, Nr. 2, S. 65. dükos in der P r o v i n z H a i n a u t : A r r . C h a r l e r o i i n F l e u r u s P . 33; i n d e r P r o v i n z N a m u r : A r r . N a m u r in Fosse-la-Ville P. 109, A r r . P h i l i p p e v i l l e in Brûly-de-Pesche P. 86; im D é p . A r d e n n e s vgl. A L F P. 188. dikos in der P r o v i n z H a i n a u t : A r r . C h a r l e r o i in Farciennes P. 54, Châtelet P. 61, Gerpiennes P. 72; in der P r o v i n z N a m u r : A r r . N a m u r (synonym mit fyçs in Mazy P. 44, Andenne P. 84, Vedrin P. 59), außer in Fosse-le-Ville P. 109 (hier dükos), Vedrin P. 59 (hier dekçs), A r r . P h i l i p p e v i l l e (synonym mit fyçs in Morialmé P. 15), außer in Brûly-de-Pesche P. 86 (hier dükos), A r r . D i n a n t ; vgl. auch A L F 195 Anseremme, A L F 187 Gedinne; vgl. für Namur H a u s t ; Grandgagnage; Z 2 4 , 296; in der P r o v i n z L u x e m b o u r g : A r r . M a r c h e - e n - F a m e n n e (synonym mit fyçs in Grüne P. 43), außer in Halleux P. 40, Dochamps P. 29 (hier dikas), A r r . N e u f c h â t e a u , außer in Witry P. 50 (hier dikas) ; vgl. auch A L F 183 St-Pierre, A L F 186 Grupont und Brun Bd. I, S. 387, außer Hargnies (hier dikûs, Laforêt-sur-Semoy, Dohan, Herbeumont (hier dikoz); für St-Hubert vgl. R P H 4; für Givet vgl. BTDial II, 274; im D é p . A r d e n n e s Chooz P. 1, Hargnies P. 2. dikas in der P r o v i n z L u x e m b o u r g : A r r . M a r c h e - e n - F a m e n n e in Halleux P. 40, Dochamps P. 29; A r r . B a s t o g n e (synonym mit fyçs in Wibrin P. 13, Nadrin P, 12, Tillet P. 24); vgl. auch A L F 184 Bastogne; A r r . N e u f c h â t e a u in Witry P. 50; vgl. auch BTDial II, 274; A r r . V i r t o n in Rossignol P. 13, Ste-Mariesur-Semois P. 22, Habay-la-Vieille P. 16, Meix-devant-Virton P. 27. dikes in der P r o v i n z L u x e m b o u r g : A r r . V i r t o n in Lacuisine P. 7, Chiny P. 8, Floren ville P. 6; vgl. auch Brun I, 387; BTDial II, 274; dagegen A L F 176 Chiny dihes.

1. Le culte liturgique et populaire

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Sekundäre Bedeutungen dükas "sorte de danse ancienne" Cogles, Annales de Bretagne 18, 461 nach F E W 3, 27; dikas "festin, régal" Robertville, BWall 3, 23 nach F E W 3, 27. Ableitungen dükasye, -çr "celui, celle qui fréquente les d. Se dit aussi des personnes que l'on invite à dîner pendant ces jours de fête . . . " R P G R V, 40; dükasqew id. (weniger gebräuchlich) ib.; dükasce "un invité à la ducasse" Cochet; ducasseux "celui qui aime les ducasses" Lille nach F E W 3, 27; id. "celui qui fréquente les ducasses" Vermesse; ducassier "qui va à la d." Boulogne, seit Lar 1877 auch im Nfr., nach F E W 3, 27; ducasser "s'amuser aux divertissements de la ducasse" Boulogne nach F E W 3, 27 und Vermesse. Redensarten fe l dikos "fêter la d." Cerfontaine, Glossaire inédit d'A. Balle, nach persönlicher Mitteilung von Renson; yçsse al dikos "avoir le cœur en fête" ib.; faire la ducace "se réjouir" DC III, 34; faire ducasse "faire bombance" Hécart ; çt al dükas "s'amuser beaucoup" R P G R V, 40; set çen dükas "se dit d'un grand nombre de personnes à table, et spéc. d'une famille nombreuse" ib. ; d'I'ouvrache d'ducasse "de l'ouvrage peu solide" Hécart; quand on va al ducasse, on -perd s'plache "quand on quitte sa place, un autre la prend" Hécart. Etymologie DËDÏCÂTÎO, - ö N i s hatte schon im Kit. die sakrale Bedeutung "Weihe, Einweihung"; vgl. ThesLL V, 256: cuius tem-pli -em . . . differre . . . erimus ergo ibi -is die (Plin. epist. 4, 1, 5). Im gleichen Sinne wurde das Wort im Kirchenlatein verwendet; vgl. ThesLL V, 526: i. q. actus dedicandi, apud posteriores etiam consecratio et apud Eccl. plerumque i. q. celebratio natalium ecclesiarum. Ps. Hil. dedic. eccl. p. 879 d : solemnia -is ecclesiae celebramus. Nach Gdf II, 709, T L II, 1912 und den in dieser Arbeit s. v. dédicace, Historisches, gelieferten Zitaten leben die volkstümlich entwickelten Formen dicace, dicaze, ducasse, ducase, ducause im Afr. des Mittelalters in Dialekttexten des Nordostens. Die Formen erscheinen in der Bedeutung "Einweihung einer Kirche" (vgl. T L I I , 1912: . . . fut envïeie . . . a la dicaze de l'oratoire, Dial. Greg. 42, 1), vorwiegend aber bereits als "Kirchweih". Daneben finden sich im Afr. die gelehrten Varianten dédicace (1350 nach BlochW), dédication, dedikassion (Lac V, 13) und die halbgelehrte Form ducation (DC III, 34). Das Mfr. kennt auch ducaserie (Gdf II, 779a; F E W 3, 27).

Wie bei bénichon wurde die Bezeichnung des Festes zusammen mit der Feier selbst profaniert, so daß das Wort heute in seiner volkstümlichen Entwicklung im Pik., Flandr. und Walion. nur mehr wenig von seiner religiösen Herkunft verrät; vgl. die Redensarten faire la ducace "se réjouir" und d'I'ouvrache d'ducasse "de l'ouvrage peu solide". Historisches Vom 13. Jh. an ist dedicatio vorwiegend im pik.-flandr.-wallon. Sprachgebiet in reicher Überlieferung erhalten. Der früheste mir zugängliche Beleg datiert vom

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II. Sprachwissenschaftlicher Teil

Jahre 1280: "le jour de le dedicasse Nostre Dame" (Benary, W., Zwei afr. Friedensregister der Stadt Tournai, R F X X V , Erlangen 1908, S. 530). 1 Das 14. Jahrhundert liefert weitere Zeugnisse : «L'an de grâce mil trois cent et eine le jeudi apres le Ducation S. Denis» (Charta ann. 1305, ex Reg. 13. ch. 41, DC I I I , 34). «Le jour de la Dédication saint Denys . . .» (Lit. remiss. ann. 1361, in Reg. 84. Chartoph. reg. ch. 153, DC III, 34). «L'exposant qui demouroit lors en la ville de Valenciennes, aloit esbatre ou moustier où estoit la ducasse ou feste, appell e Saint Vast.» (1396 Arch. J J . 150, pièce 282, Gdf II, 709a; auch DC III, 34). «Comme le jour de la feste Nostre Dame m y aoust, l'exposant feust alez esbatre en la ville d'Enquery a une feste que l'en appelle au pays (Boullennois) ququermesse ou dedicasse» (1397 Arch. J J . 153, pièce 114, Gdf II, 709a, auch DC I I I , 34). Der Hofchronist Georges Chastellain von Ostflandern (1404-1475) belegt für "Kirchweih" die Typen ducasse und ducasene. «Or estoit-il de coustume qu'en ce village, là où se porte cestui corps saint, il y ait comme ducasse» (Chastell S. 180). «. . . avoient fait faire et getter en mole une multitude d'auberjons de plong de ducasserie» (ib.). Im gleichen Jahrhundert ist auch die halbgelehrte Form deducasse belegt. «Item, que aucuns ne fâchent assamblées en déducasses» (Hainaut 1432, Devillers, Léopold, Coll. de Chroniques Belg, inédites, t. V, Cartulaires des Comtes de Hainaut de l'avènement de Guillaume I I à la mort de Jacqueline de Bavière, Bruxelles 1892, p. 138 ^ «. . . fust alé a la deducasse de Hem.» (Bruxelles 1439, Ch. PetitDutaillis, Doc. nouv. sur les mœurs pop. et le droit de vengeance dans les Pays-Bas au 15e s. = Bibl. du 15e s., t. 9 p. 146, Paris 1908 i). Undatiert ist die Übersetzung einer lt. Urkunde von Lille aus dem Jahre 1066: «a le deducasse de ledite église» (Thomas, P., Textes historiques sur Lille et le Nord de la France, t. 2, 1936. Bibl. Soc. Hist. Droit Pays Flamands, 5, 10, p. 444). 1 In Goub finden sich die einzigen norm. Belege. F ü r den 12. 7. 1549, den 12. 7. 1552 und den 12. 7. 1558 ist der Eintrag vermerkt: «ce jour estoyt la feste de la Dédicacé de Constances.» Am 12. 7. 1554 ist zu lesen: «il estoyt la dedicasse de Gouberville.» (S. 265). Auch der Cout Gén belegt dédicace für das 16. Jahrhundert. : «jour de la fête du patron ou de la dédicace de l'Eglise» (Amiens 1507, Cout Gén 1,135a). 1 «. . . et dans les Festes de Villages, dites Dédicaces» (Ypres 1532, Cout Gén 1, 835b). 1 . «. . . de faire maintenir la dedicasse d'icelle Eglise» (Lille 1565/67, Cout Gén 2, 894a). 1 «. . . danser le jour de la feste du patron ou dédicacé de l'Eglise» (Amiens 1567, Cout Gén 1, 189).1 Von Philippe de Marnix (de Ste-Aldegonde, Différences de la Religion II, 1, 21) stammt der Passus : «Quelques uns luy tiennent le contrequarre à force quarillons et trinqueballemens de cloches et drogues, comme si c'estoit un toxin d'Espagne ou dédicacé de village» (Hu II, 738f.). Urkunden des 17. Jahrhunderts belegen wiederum das gelehrte dédicacé'. «quinze jours devant la dédicacé de l'église solemnisée au lieu» (Membre 1612, Cout Belg 1, suppl. 2, p. 168)^ «En feste de dedicasse» (Bergh S. Winox 1617, Cout 1

Nach Mitteilung von A. Thierbach.

1. Le culte liturgique et populaire

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Gén 1, 507 b). 1 Undatiert ist das Zitat aus Douai und Orchies: «faire maintenir la dédicacé d'icelle Eglise et paroisse» (Cout Gén 2, 972a). 1 Herzog Texte S. 77 führt ein pik. Lied aus St-Pol, Faubourgs, auf. Vers 110f. lautet: fçr däse a se maryaze pi kçr a se dükas. Aus der Region Roubaix (Dép. Nord) stammt das Lied: Mes aventures de l'ducasse du Vert-Pré (ib. S. 81). Der T y p dédicace lebt im äußersten Norden Frankreichs (Dép. Pas-de-Calais und Nord), sowie in der Wallonie, dem rom. Teil Belgiens. Aus dem klt. DEDICATIO haben sich die volkstümlichen Lautvârianten dükas, dükos, dikas und dikes entwickelt. Dükas findet sich auf fr. Boden in den Dép. Pas-de-Calais und Nord, auf wallon. Gebiet in der Provinz Hainaut und im westlichen rom. Teil von Brabant (im Osten dominiert fyçs). Dükos tritt nur vereinzelt an je einem P u n k t der Arr. Charleroi, Namur, Philippe ville, wie im Norden des Dép. Ardenne, also im Grenzbereich von dükas und dikos, auf. östlich an die dükas-Zone grenzt das Verbreitungsgebiet von dikos. Es umfaßt die Provinz Namur und greift auf den Westen der Provinz Luxembourg über. Im Osten dieser Provinz herrscht dikas vor. An drei Punkten, die im Südwesten der Provinz Luxembourg liegen, wurde dikes erhoben. Der Nordosten der Wallonie (die Provinz Liège, der Norden der Provinz Luxembourg und der Osten des rom. Brabant) ist fyçs vorbehalten. Der Typ fête findet sich auch in verschiedenen Lautvarianten {fyçs, fyçt, fçt, fet, fit) in das dédicace-Gebiet eingestreut. Während fyçs im Inneren der Wallonie lebt, treten die Formen, die das t erhalten haben, in den peripheren Grenzorten nach Frankreich hin auf. Wie ein Vergleich mit den oben aufgeführten Zitaten zeigt, hat sich der Typ dédicace vom Mittelalter an konstant im Norden des gallorom. Sprachraums erhalten. Die Zitate aus Amiens und der Normandie deuten darauf hin, daß sich das Verbreitungsgebiet von dédicace im 16. Jahrhundert weiter südlich als heute erstreckte und es durch das vordringende fête aber nach Norden verlagert wurde. Die gelehrte Form dédicace wird nach dem Gl II, 328 für "Kirchweih" in Le Landeron und Cressier in der Westschweiz verwendet. Da sich die beiden Orte in der Nähe der Sprachgrenze befinden, nimmt Hans-Erich Keller an (in brieflicher Mitteilung), daß es sich hier um ein Ubersetzungslehnwort aus schweizd. Kilbi "Kirchweih" handelt. fête Formen Die große Verbreitung des /ete-Typus in der Galloromania macht es unmöglich, jede auftretende Form genau zu lokalisieren. E s werden nur die Haupttypen der einzelnen Départements aufgeführt. Wenn nicht anders vermerkt, liegt als Quelle der A L F zugrunde. Die Formen der Wallonie und des Hainaut basieren auf ALW, Karte 816. D é p . S e i n e : fçt) S e i n e - e t - O i s e : fçt, fet; S e i n e - e t - M a r n e : fçt, fet; P r o v i n c e d e L i è g e : fyçs; P r o v i n c e d e B r a b a n t , A r r . d e N i v e l l e s , östliche 1

Nach Mitteilung von A. Thierbach.

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II. Sprachwissenschaftlicher Teil

Hälfte: fyçs (westliche Hälfte dükas); P r o v i n c e d e N a m u r , A r r . d e N a m u r : fyçs (daneben dikos), A r r . d e D i n a n t : fyçs (besonders im Nordosten, in den übrigen Teilen dikos), A r r . d e P h i l i p p e v i l l e : fyçs nur in Morialmé ALW 15 (neben dikos)] P r o v i n c e d e L u x e m b o u r g , A r r . d e M a r c h e - e n - F a m e n n e : fyçs (im Norden dikos, im Süden dikas), A r r . d e B a s t o g n e : fyçs (im Norden, im Süden dikas), A r r . d e V i r t o n : fyçt, fçt, fet, fit (neben dikas, dikes); P r o v i n c e d e H a i n a u t , A r r . d e C h a r l e r o i : fyçs nur in J u m e t ALW 43 (neben dükas), A r r . d e T h u i n : fyçt nur in Grand-Reng ALW 25, A r r . d e S o i g n i e s vereinzelt fyçt (hauptsächlich dükas), A r r . d e M ö n s : fyçt (neben dükas), A r r . d e T o u r n a i : fyçt, im Süden fçt, feût (neben dükas) ; D é p . N o r d : vereinzelt fyçt, fçt (neben dükas, kermesse) ; S o m m e : fçt, fwçt, fet; O i s e : fet, fçt; S e i n e - I n f . : fet, fçt, fei (im Westen assemblée); E u r e : fet (im Südwesten assemblée)', C a l v a d o s : fet, feyt (neben assemblée) ; M a n c h e : vereinzelt fçt, fçyt (neben assemblée)-, N o r m a n n i s c h e I n s e l n : fet, fçyt; I l l e - e t - V i l a i n e : vereinzelt fet (neben assemblée); C ô t e s - d u N o r d : fet (neben assemblée und pardon); M o r b i h a n : fet (neben assemblée); L o i r e - I n f . : vereinzelt fet (neben assemblée); I n d r e - e t - L o i r e : fet (neben assemblée) ; L o i r - e t - C h e r : fet (neben assemblée) ; L o i r e t : fet, fçt] E u r e - e t - L o i r e : fet (neben assemblée); I n d r e : vereinzelt fet (neben assemblée); C h e r : fet (neben assemblée); A l l i e r : fet (neben apport, riote); N i è v r e : fet (neben apport und assemblée); S a ô n e - e t - L o i r e : fet (neben apport), im Süden fçt ALLy; C ô t e - d ' O r : fet, feyt; Y o n n e : fet, fçt; A u b e : fet, fçt; H a u t e - M a r n e : fet; M a r n e : fet, fçt; A i s n e : fçt, fet; A r d e n n e s : fçt, fet (nach Brun fet überall im Zentrum der Ardennen); M e u s e : fet, fit; M e u r t h e - e t - M o s e l l e : fet, fçt (neben rapport); A l s a c e : fet nur in La Broque A L F 88, fçyt nur in La Poutroie 85; V o s g e s : fet (neben way, od, rapport, St-Barthélemy etc.); H a u t e - S a ô n e : fçt;Territoire-de-Belfort: fet (neben bénichon); D o u b s : fçt, fet, feta; J u r a : feta, feto, fet, fçt; C a n t o n d e B e r n e : fçt (neben bénichon); C a n t o n d e N e u c h â t e l : fit, fçta; C a n t o n d e F r i b o u r g : fita, fisa (neben bénichon) ; C a n t o n d e V a u d : fet, fçta, fita, fi&a; C a n t o n d e V a l a i s : fe%a, feiïa, fi&a, fita, feta (neben patron)', P r o v i n z V a l l e d i A o s t a : fea, feta (neben badocha u n d patron)', R h ô n e : feta, fet, fçt (neben vogue) A L L y ;

L o i r e : feta, fetâ, feto, fçt, fçt (neben vogue) ALLy; P r o v i n c e d e T u r i n , A r r . d e P i g n e r o l : fçsta, feto (neben vogue); A r r . d e S u z e : feta; A l p e s - M a r i t i m e s : fçsta n u r in F o n t a n A L F 990 (neben festin u n d roumeirage);

V a r : fçsto n u r in

St-Tropez A L F 895 (neben roumeirage); B o u c h e s - d u - R h ô n e : festo nur in Martigues A L F 872 (sonst voto u n d roumavage); H é r a u l t : fçsta, fçsto, fyçydo; A u d e : fçsto, fçsto; P y r é n é e s - O r i e n t a l e s : fçsta, fçsta; A r i è g e : festo, fçstu; H a u t e G a r o n n e : hçsto (neben balocho, fête locale, station); A v e y r o n : fçsto (daneben boto, fête du pays u n d majo-festo) ALMC; H a u t e - L o i r e : vereinzelt fçsta, meist

mit dem Namen des Ortes oder des Patrons verbunden (daneben reinage, voto, vogue) ALMC; C a n t a l : fçsto, fçstâ, fçsta, fçyta, fçyto (daneben reinage u n d boto) ALMC; P u y - d e - D ô m e : fçstç, fetç, fita (neben apport u n d voto) ; C r e u s e : fyçtçr feta; G e r s : hçsto, hçsta (daneben balocho) A L G ; H a u t e s - P y r é n é e s : hçsto, hçsta, hçsto (daneben patron, balocho u n d fête de l'année) A L G ; B a s s e s - P y r é n é e s : hçsto, hçstâ, hçsta, hçsta A L G ; L a n d e s : hçsta (neben assemblée, boto u n d senturatje) A L G ; G i r o n d e : hçsta, hçstu, fçsta (neben assemblée u n d boto) A L G .

1. Le culte liturgique et populaire

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fête mit erläuterndem Beiwort: a) H a u t e - G a r o n n e : hçsto lukalo St-Gaudens ALF 780; A v e y r o n : fçsto del pçis Espalion ALMC 46 (daneben majo-festo) und St-Symphorien-de-Thénières ALMC 45; L o t - e t - G a r o n n e : fçsto do viladze Seyches A L F 636; L o z è r e : fçsto del bilatse Massegros, St-Germain-de-Calberte (neben voto), fçsto del -pçis Meyrueis ALL; A r d è c h e : fçsto di viladze Vallon, Joyeuse (neben voto), fçsto del viladze Vans (neben voto) ALL; G a r d : fçsto dau viladze Génolhac ALL. b) N i è v r e : fet äne Parigny-les-Vaux ALF 102; H a u t e s - P y r é n é e s : hçsto näu Lourdes ALG 696, Séméac ALG 687 S, Bordes ALG 689 NO, hçstonâu Aureilhan ALG 687, Marseillan ALG 687 E, Rabastens-de-Bigorre ALG 687 N, Uzer ALG 696 E, hçstqe näwqe Gerde ALG 696 SE. c) T a r n : fçsto butibo Brousse ALF 753; G a r d : fçsto butivo St-Jean-du-Gard (neben voto) ALL ; cf. voto. d) A v e y r o n : mazo fçsto Espalion ALMC 46; V a l d ' A r a n : çsta mazü Casau ALG 699 S E ; cf. majo. e) Gard : fçsto de sen sâkramen Trêves ALL. Ableitungen festin "fête patronale". A l p e s - M a r i t i m e s : fçstl St-Sauveur ALF 991, PujetThéniers ALF 888, Plan-du-Var ALF 898 ; fçstç Menton A L F 899 ; vgl. auch Pietraporzio fçstiy AIS 170 (Bd. IV, Karte 784 Legende); fêteux "celui qui va à la fête d'un village" Delboulle; fêtiers "gens invités à la fête du village" Doubs, F E W 3, 482; fêteilleux "invité qui vient à la fête patronale" Gaye, Marne F E W 3, 482; fita "fêter" R L R 56, 370f. ; fetçyï "être en relations très intimes avec q. et s'inviter réciproquement à la fête patronale étant dans les villages différents" Roussey. Zusammensetzungen l'fièsse aux ognons "foire qui a lieu à Givet, le 11 novembre" Waslet; franchefête "foire, où les marchandises sont affranchies de tous les droits" (1424—Ende des 18. Jahrhunderts nach F E W 3, 759). Redewendungen se dmë nu fwçt, grçs bçt; tiro däse, gru bqede "c'est demain notre fête, grosse bête; tu iras danser, gros baudet" Flutre. M'an fach fèsto "l'on m'a bien accueilli, l'on m'a régalé" Achard. Passat la fçsto, lou fouel rçsto "la fête passée, adieu le saint" ib. Dji m'va so l'fièsse "je vais où sont les baraques, les jeux etc. de la f. paroissiale" Haust. Fau pas faire la fèsto avans lou sant. Lei Mount Joio. Etymologie Im Kit. bezeichnen DIES FESTUS und FESTIVITAS den Feiertag. 1 Während FESTIVITATE als fr. festivité (gelehrt) die Bedeutung "prunkhafte Festlichkeit" annimmt, lebt das im Rom. substantivierte Adjektiv FESTA (Kollektivplural von FESTUM) in seiner ursprünglichen allgemeinen Bedeutung fort. Das Neutrum FESTUM wurde schon von Ovid substantivisch zur Bezeichnung mehrerer Festtage verwendet. Daneben gebrauchte man im Lt. aber auch den Plural FESTA in bezug auf einen 1

Vgl. für diese Ausführungen FEW 3, 482 und Hauprich S. 74 f.

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einzigen Feiertag. Dieser Kollektivplural liegt dem fr. fête zugrunde. E r ist als f. sg. in allen rom. Sprachen (außer im Rum.) erhalten. Die Kirchensprache h a t sich des Wortes bemächtigt, um damit den christlichen Feiertag zu bezeichnen. So bedeutete feste im Afr. und Mfr. "solennité religieuse, célébrée à certains jours de l'année, jour de cette solennité" (FEW 3, 482a). Von der christlichen Bedeutung aus hat sich die allgemeine profane entwickelt "réjouissance publique en l'honneur de quelque événement" ib. Im Nfr. lebt fête in diesen Bedeutungen weiter. In weiten Gebieten der Galloromania und in Norditalien (cf. AIS IV, Karte 784 Legende) hat fête eine Einengung erfahren. Das Wort bezeichnet prägnant die Kirchweihe, bzw. das Dorffest. Diese Entwicklung konnte nur möglich sein, wenn diesem Fest vor allen anderen die größte Bedeutung im Kirchenjahr zukam. Daß dies im Mittelalter der Fall war, geht aus dem 1. Teil dieser Arbeit hervor. Da die berühmten Jahrmärkte der Champagne und Flanderns mit den Patronatsfesten in unmittelbarem Zusammenhang standen, erhielt fête im Osten und Norden der Galloromania kommerziellen Einschlag, vgl. fwèz "foire, marché" (Aube, R P H 24/25) ; fèt "foire" (RPGR 5, 106) ; fièsse "foire" Waslet; vgl. auch A L F Karte 587 Hainaut: fet P. 294; Nord: fyçt P. 280, P. 281, fçt P. 272; Pas-de-Calais: fçt "foire". Durch die brauchtümliche Ausgestaltung der Feste ergab sich sekundär die Bedeutung "régal" (Achard), "repas magnifique" (Mén 1694), die auch schon im Afr. und Mfr. vorhanden war, cf. F E W 3, 482a "gala, festin". Vereinzelt wird fête zur Bezeichnung des Patronatsfestes näher bestimmt. Das Beiwort gibt an, a) d a ß es das Gemeindefest ist {fête locale, du pays, du village) ;

b) daß es einmal jährlich stattfindet (hçsto näu < *FESTA ANNALE) ; c) daß es ein Votivfest ist (cf. voto) ; d) daß es das größte Fest der Gemeinde ist (cf. majo) ; e) daß es einem bestimmten Mysterium geweiht ist. Das it. festino mit Diminutivsuffix wanderte im 16. Jahrhundert (Dauzat S. 321) nach Frankreich und spezialisierte sich in dem Italien am nächsten gelegenen Gebiet (Alpes-Maritimes) auf das Patronatsfest. Historisches Der früheste afr. Beleg für feste stammt aus dem 11. Jahrhundert. Das Alexiuslied enthält den Vers (52b) : Cascune feste se fait acomunier (Gdf I X , 613). Weitere Zeugnisse aus der afr. Literatur zeigen feste a) in profaner Bedeutung, b) in kirchlicher Bedeutung. Zu a) : «Le jor, que Phelippes fu nez, F u Ii barnages assamblez, Li Amiraus sa cort tenoit, E t une grande Feste fesoit» (Roman de Florimont, composé l'an 1188 par Haimes, ou Haimon MS, DC I I I , 462). «Eneas fist une grand feste E t geus a la tombe son pere» (Eneas 2158, Gdf I X , 613). «A grand honur, od bel servise, En fu la feste demenee Le jur qu'il l'aveit espusee» (Marie, Lais, Eliduc, 1146, ib.). Zu b) : «la feste fu celebree, Que conceue e engendree Fu ma dame sainte Marie» (Wace S. 186 b).

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In dieser Zeit wird feste noch nicht prägnant für das Patronatsfest gebraucht. Der Heilige, dessen Fest man begeht, wird zusätzlich genannt: «Vus le sivrez a feste saint Michieh (Ch. Roland 37, T L 3, 1770). «La noit de feste Saint Briçon» (Wace S. 186b). Die Spezialisierung von fête auf die Kirchweihe, bzw. das Patronatsfest, ist erst im 16. Jahrhundert belegt: «faire le cry le jour de la Fête dudit lieu» (Gerberoy 1507, Cout Gén 1, 226 a). 1 «Jour de la fête du patron ou de la dédicace de l'Eglise» (Amiens 1507, Cout Gén 1, 135a). 1 «Et dans les Festes de Villages dites Dédicasses» (Ypres 1532, Cout Gén 1, 835b). 1 «Danser le jour de la feste du patron ou dédicacé de l'Eglise» (Amiens 1567, Cout Gén 1,189). 1 «L'auctorité de crier les festes parochiales, permettre les danses et les jeux ès jours d'icelles . . .» (Lorraine 1594, Cout Gén 2, 1105a). 1 «Faire crier la feste du village» (Saint Mihiel 1598, Cout Gén 2, 1050a). 1 Schon im 12. Jahrhundert ist feste in der Bedeutung "foire" bekannt: «Si cercha foires (Var. cerque festes) et marchiez» (Chrétien de Troyes, Guillaume d'Angleterre 2014, T L III, 1773). Auskunft über die Verteilung der J a h r m ä r k t e in Frankreich geben die Verse des Garin : «Dix festes fist en France le pais, Une de Bar, deux en mist à Provins, L'autre de Troies, le quarte de Laigny, E t trois en Flandres, la novisme au Landis E t la disisme li renommez Lignis» (DC III, 463 a). Möglicherweise ist fête in seiner Bedeutung " J a h r m a r k t " der Ausgangspunkt dafür, daß das Patronatsfest heute in vielen Teilen der Galloromania prägnant fête genannt wird. Denn die Jahrmärkte waren es hauptsächlich, die diesen Festen zu dem Ansehen verhalfen, das sie früher genossen. So hätte fête in der komplexen Bedeutung "Patronatsfest und J a h r m a r k t " von den Orten, in denen die großen Märkte abgehalten wurden, seinen Weg nach Paris gebahnt und von da aus seinen Zug durch Frankreich angetreten, wobei mit dem Absinken der Jahrmärkte der kommerzielle Einschlag verlorenging. Die Verbreitung von fête in der Provinz wurde durch den Nachahmungstrieb der größeren Städte Frankreichs, die es der Hauptstadt gleich zu tun suchten, erleichtert; vgl. die Stelle, an der Gardette 2 von der «conquête de la France par Paris, grâce à la complicité des villes» spricht. Am einheitlichsten ist das fête-Gebiet in der Ile-de-France, der Picardie, der Champagne, der Lorraine (außer den Vogesen), der Franche-Comté und dem Orléanais. Dem Einfluß des schriftfranzösischen Terminus entzogen sich hauptsächlich die peripheren Landstriche der Galloromania: die Vogesen im Osten, Flandern, der Hainaut und der Südwesten der Wallonie im Norden der Galloromania, die westlichen Provinzen Frankreichs und das Occitanische. Hier herrscht eine Vielfalt von Patois-Ausdrücken vor, wie sie dem Nordfranzösischen durch das nivellierende fête verlorenging. Doch auch das Occit. ist dem vordringenden fête ausgesetzt, am stärksten in den an das Nordfranzösische angrenzenden Départements Creuse, Puy-de-Dôme und Cantal. Auch die Küstenzonen des Atlantiks und des Mittelmeeres, die durch Handel und Verkehr der Schriftsprache stark ausgesetzt sind, erlagen dem Terminus. Von hier aus scheint fête landeinwärts in den occit. Sprachbereich vorgedrungen zu sein. 1 2

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Die Belege wurden von A. Thierbach exzerpiert. Deux itinéraires des invasions linguistiques dans le domaine provençal; RLiR X I X , S. 196. Beekmann, Fête du village

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Der Terminus hçstonau und seine phonetischen Varianten ist nur dem Süden der Gascogne, dem Bigorre und dem angrenzenden Béarn eigen (cf. Palay Table S. 36 und 43). Desgleichen erscheint diese Prägung im Dép. Nièvre ALF 102. Doch wäre es abwegig, hier einen geographischen Zusammenhang zu vermuten, da diese Wortschöpfung ja naheliegend ist. Unter den fête-Widersachern sind die vitalsten vogue im Südosten, dükas etc. im Norden, assemblée im Westen und voto im Süden. Die größte Vitalität unter allen Ausdrücken, die das Dorffest bezeichnen, hat jedoch fête, da es von Paris akzeptiert und in die Schriftsprache aufgenommen worden ist. Im Hinblick auf den Schwund des Patois hat fête die größte Aussicht, zur Bezeichnung der Kirchweih, bzw. des Patronatsfestes, im Wortschatz der Galloromania lebendig zu bleiben. kermesse

Formen Der Terminus ist zur Bezeichnung des heimischen Patronatsfestes in der Galloromania nur in zwei Punkten erhalten. Dép. N o r d : kçrmçs Fort-Mardyck ALF 297; A r d e n n e : kçrmçs Muno Brun I, 387. Etymologie und Historisches Kermesse ist dem Mndl. entlehnt und bezeichnete ursprünglich die wichtigste Handlung des christlichen Feiertagskultes, die heilige Messe. Wie das Simplex, so erweiterte auch das Kompositum seine Bedeutung und übertrug sich pars pro toto auf den Feiertag selbst. Während missa im Mittelalter gleichbedeutend mit festum, dies festus, solemnitas war (Rheinf S. 253), spezialisierte sich kermesse auf den

größten Feiertag des Jahres, die Kirchweihe. Eine ähnliche Entwicklung nahmen die deutschen Ausdrücke Kirmes und Kirta. Wie das Simplex Messe im Deutschen, so übertrug sich auch fläm. kermisse auf den Jahrmarkt, der zusammen mit der Kirchweihe abgehalten wurde, cf. DC IV, 488 c: Kermisse, Nundinae . . . quo nomine appellari nundinas, quod in festis principalibus indici et celebrari soleant, observatur in Missa 4. Bulla Honor. PPIII. ann. 1219. in Suppl. ad Miraeum pag. 82, 1: Redditus nundinarum atque alios, qui Kermisse vocantur, . . . Daneben behielt das Wort aber seinen christlichen Charakter bei und wanderte als "fête patronale" in die nordfr. Mundarten. Hier lebte es in den phonetischen Varianten carmesse, kermesse, kirimusse ( F E W 16, 314).

Ein pik. Beleg aus dem 14. Jahrhundert zeigt den Terminus als Synonym von dédicace : «. . . une feste que l'en appelle au pays (Boullennois) ququermesse ou Dedicasse» (Litt, remiss. ann. 1397 ex Reg. 153 ch. 114, DC III, 34a). In der gleichen Verwendung erscheint er im 16. Jahrhundert in Flandern : «Consequemment pour remede aux desordonnees beuveries et yvrogneries qui se font en noz pais de pardeça en divers cabarets, tavernes et logis . . . et en aultres lieux et dedicasses, festes et kerremesses . . . nous avons statué et ordonné . . . que toutes les festes, kerremesses et dedicasses en chacun de nos dictz pays se tiendront sur ung mesme jour . . . (1531, Edit. de Cha. Quint, ap. Dinaux, Habitudes conv. et bachiques de la Flandre, Arch. du nord de la Fr., nouv. sér. II, 515, Gdf X, 57 b).

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1792 ist kermesse in der Bedeutung "fête du village" für den Duché de Bouillon bezeugt, cf. RLR 13/14 (1878). Im Rouchi ist das Wort während des 19. Jahrhunderts zur Bezeichnung des Patronatsfestes üblich, cf. Hécart. Außer im Patois lebt kermesse auch in der fr. Schriftsprache. W. v. Wartburg (FEW 16, 314) nimmt an, daß der schriftsprachliche Ausdruck unter Umgehung der flandrischen Mundarten direkt von der flämischen Malschule bezogen ist, die mit Vorliebe dieses Thema darstellte. Seit 1798 ist das Wort in das Dictionnaire de l'Académie aufgenommen (DG II, 1365a), gebräuchlich wurde es aber erst gegen 1832 (BlochW). In der fr. Schriftsprache bezeichnet kermesse die ndl. Kirchweihen, die mit Prozessionen, Maskeraden, Jahrmärkten verbunden sind (so Littré 1863; DG II, 1365 a; Lar 1931); es heißt aber auch ganz allgemein "grande fête publique" (Lar 1931). In den ostfr. Mundarten haben sich kermesse, kermeusse und das Diminutiv kermonotte sekundär zu "Wohltätigkeitsfest", "Gastmahl", "Gesellschaftsmahl" entwickelt (cf. Graf und Eisern). Verbreitung Aus den Belegen wird ersichtlich, daß kermesse im mfr. und frühen nfr. Patois Nordfrankreichs zur Bezeichnung der Kirchweihe sehr gebräuchlich war. Trotz seines Vorkommens in der fr. Schriftsprache hat der lehn wörtliche Patois-Ausdruck im Kampfe mit seinen Rivalen ducasse und fête an Vitalität verloren und findet sich heute nur mehr an der Küste Flanderns, d. h. in Fort-Mardyck, dem Westen der Hafenstadt Dünkirchen und in Muno, einem Dorf in den Ardennen, in dem Bruneau Erhebungen gemacht hat. majo

Formen Dép. G a r d : maz festo La-Salle-St-Pierre RLR 26, 55; Dép. P y r é n é e s O r i e n t a l e s : fçsta mazu Arles-sur-Tech ALF 796; Dép. A v e y r o n : mazo Espalion ALF 727, P r o v i n c e de L é r i d a , E s p a g n e : çsta mazu Casau ALG 699 SE. Etymologie und Historisches Lt. MAJOR entwickelte sich im Occit. als Acc. zu major (1285), majour (1397), mejour (1472), machor (1391); dazu gehört das Femininum Nom. mage, z. B. la mage part (1404, Pans) ; vgl. auch die Formen des FEW 6, 55b. Durch Ellipse aus lo festo majo entstand lo majo mit Substantivierung des Adjektivs (vgl. die Entwicklung von voto). Den semantischen Ubergang von der ursprünglichen Bedeutung zu "fête patronale" gibt Vayssier an: lo mage festo "la plus grande fête". Wie schon aus der prägnanten Verwendung von fête hervorgeht, muß das Patronatsfest das beliebteste Fest der Dorfgemeinde gewesen sein, hinter dem die anderen Feierlichkeiten des Jahres weit zurückstanden. Verbreitung Außer im ALF und ALG ist mage festo bei D'Hombres, Piat, Mistral II, 251c, RLR 26, 55 und FEW 6, 55b als "fête patronale" glossiert. Die Wortfügung ist 4*

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also im occit. Sprachbereich allgemein bekannt. Aktiv erhalten hat sie sich nur im Languedoc, Roussillon, Rouergue und im Val d'Aran, einem gaskognischen Sprachgebiet, das politisch zu Spanien gehört. mi-août Formen D é p . H a u t e - S a ô n e : myœ Château-Lambert P. 23 Bloch Atl S. 2, Servance P. 25 ib.; S a v o i e : miyu Lanslebourg 1 (nach brieflicher Mitteilung von Gaston Tuaillon (cf. vogue). Etymologie La mi-août aus lt. MEDIUM und AUGUSTUM bezeichnet den 15. August und das Fest Mariae Himmelfahrt, das an diesem Tag begangen wird. Historisches Die Pfarrkirche der angegebenen Gemeinden muß dem Mysterium der Himmelfahrt Mariae geweiht sein, so daß das Patronatsfest gleichzeitig das Fest der Assomption ist. Der Ausdruck findet sich in dem Reliktgebiet der Vogesen, das für das Patronatsfest eine Vielfalt eigenständiger Benennungen hervorbrachte (vgl. od, way, rapport, St-Barthélémy), und in einem Hochtal Savoyens, in Lanslebourg, in dem der ALF jedoch vogue erhob. od f. pl. Formen Das Wort lebt in den Dép. V o s g e s als qd Fraize ALF 78; s. auch Mathis; Gerbépal Horning, ud Ste-Marguerite ALF 86 und H a u t - R h i n als od La Baroche Horning Gloss, qt La Poutroie Horning, ud Orbey, Rumbach ib. Redensarten Les od sont grandes "die Kirchweih dauert lange" Horning Gloss, faire les od "Kirchweih feiern" ib. (vgl. den Kommentar von Horning: on danse, on vend de la faïence, pas de carrousel ni de balançoires.), heuchi is odes "inviter à la fête" Mathis, ce n'a mi tojo lis odes "ce n'est pas toujours fête" ib. Etymologie und Historisches Dem Terminus liegt lt. ÖRDO, ÖRDINEM zugrunde. Nach Untersuchungen von René Gsell (in brieflicher Mitteilung) ist dieses vom F E W 7,406ff. angenommene Etymon phonetisch einwandfrei mit den heutigen Formen in Verbindung zu bringen : 1. Der Wechsel von o und u kann in den von Horning aufgeführten Dialekten d und e nur auf ein lt. 5 in geschlossener Silbe zurückgehen; çd und çt können auf eine nachträgliche Öffnung des o zurückzuführen sein. 2. Die Erhaltung des -d oder -t ist in diesen Gebieten nur möglich, wenn dem lt. auslautenden -d oder -t ein Konsonant vorausging; vgl. DUBITO ZU dçt, RUPTA ZU 1

ALF 973 jedoch vogâ.

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rçt, dagegen c r u d a zu crue. Die Form odde (Simon) mit geminiertem d aus o r d ( e ) nem hat den auslautenden Stützvokal erhalten. Der Schwund des -r- scheint im Nordosten Frankreichs keine Seltenheit zu sein, vgl. oûche zu orge, oudon zu berr. ordon, ourdon (Labourasse). Eine Rückführung auf vötum, bzw. vötivum ist ausgeschlossen, weil im Dialekt der Vogesen anlautendes v- auch vor o nicht schwindet. Das klt. ordo, ordinis "Reihe, Ordnung" nimmt im Afr. auch die christliche Bedeutung "Priesterweihe" an. Den ältesten Beleg dafür liefert das Rolandslied, V. 3639 : Ordres nen unt (les prêtres de Mahum) ne en lur chiefs corunes (Gdf V, 624 a). Ordo ist in seiner Bedeutung durch das erst von ihm abgeleitete ordinäre beeinflußt worden. E s ist also, um den Terminus von W. Wissmann 1 zu gebrauchen, ein "Bedeutungspostverbale". Nach Gdf V, 624a bezeichnete ordre im Afr. auch das Sakrament ganz allgemein, vor allem die Ehe, vgl. Rutebuef 'De la vie dou monde' I, 243 : «Sor totes autres ordres doit on mult honorer L'ordre de mariage . . .» (Gdf. V, 624a). Von der erweiterten Bedeutung " S a k r a m e n t " aus ist der Übergang zu "Weihe", "Kirchweihe" zu verstehen. Da das afr. ordene auch im Sinne von "Orden", "religiöse Brüderschaft" verwendet wird (FEW 7, 406ff.), könnte man folgern, daß sich die Festbezeichnung über die Stufen "Orden unter dem Patronat eines Heiligen", "Fest dieses Ordens", "Patronatsfest" ergeben hätte. Keine dieser Übergangsbedeutungen ist aber belegt und so ist die oben genannte semantische Entwicklung wahrscheinlicher. Im Afr. war ordre doppelgeschlechtig. Den Grund für das fem. Genus sieht Hauprich einerseits in dem auslautenden -e, andererseits in dem Gleichklang des masc. und fem. unbestimmten Artikels vor Wörtern, die mit Vokal anlauten. Erst im 17. Jahrhundert erhielt ordre sein ursprüngliches masc. Genus zurück. Heute erinnern an den einstigen fem. Gebrauch noch die Wendung les saintes ordres und das dialektale les odes "Kirchweih". Der Plural des letztgenannten Terminus rührt m. E. von der Vielzahl der rituellen Handlungen her, die für die Einweihung einer Kirche erforderlich sind. Verbreitung In der literarischen Überlieferung ist od nicht belegt. Das deutet darauf hin, daß es sich um ein sehr seltenes Wort auf kleinem Raum handelt. Es ist ein antiquierter Terminus, der, wie ein Blick auf den A L F zeigt, dem vordringenden fête nur geringen Widerstand leistet. Der Ausdruck tritt in dem Reliktgebiet der Vogesen auf, in dem sich auch andere alte Bezeichnungen für die Kirchweih erhielten, z. B. vay, voy, woy A L F 77, 59, 67 ; rapqr A L F 140,150; saint mtremé A L F 76. pardon Formen Der A L F belegt das Wort nur einmal für das D é p . C ô t e s - d u - N o r d : pardô Plouvara P. 493. 1

Die ältesten Postverbalia des Germanischen. Göttingen 1938.

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Etymologie und Historisches pardon (seit ca. 1135) aus PERDONUM, das Verbalsubst. von DÖNARE ist. 1 Es ist umstritten, ob das Verb ein vit. PERDÖNARE fortsetzt oder ob es im Mittelalter als Intensivum zu DÖNARE gebildet wurde. Im Lt. ist es nur einmal belegt im Sinne von "durch Gunst verschenken" : vita utrique a populo incolomitate perdonantur ... (Äsop des Romulus, Ed. Thiele S. 157). In der gleichen Konstruktion vitam alicui perdönare (im Gegensatz zu aliquem incolumitate donare) tritt perdoner im Afr. auf : vida perdonent al ladrun (Passion 223). Allmählich entwickelte das Verb im Afr. und Mfr. die Bedeutung "erlassen". So übersetzte man bis zum 16. Jahrhundert mit pardonner vorzugsweise ein lt. remitiere. Gestützt wird diese Bedeutung durch lt. donare im Sinne von debitum donare (so in Itala, Matth. 18, 32 und Vulgata, Lukas 7, 42). Im späten Mittelalter beschränkte sich pardonner auf die Bedeutung "verzeihen", "die Sündenstrafen erlassen". Postverbal bildete man im Mittelalter die Ableitungen PERDONUM und PERDONANTIA, bzw. PARDONANTIA. Daraus entstanden afr. per-, pardon, pardun und pardonances. Mit diesen Termini wurden im Afr. und Mfr. eine Anzahl meist kirchlicher Begriffe bezeichnet. Die Bedeutung "Verzeihung" erschien bereits im 12. Jahrhundert, vgl. Eneas 9968: «mesfait l'en ai, pardon l'en pri» (DG II, 1675b). Neben dem kirchlichen terminus technicus indulgence bezeichnet pardon meist im Plural volkstümlich das "Nachlassen der Kirchenstrafen", den "Ablaß" ; daher die Ausdrücke un grand pardon "ein Ablaßjahr", croire gagner les pardons "alle Ablässe zu gewinnen meinen", il perdono d'Assisi "der Portiuncula-Ablaß" (Rheinf S. 137ff.). Im 14. Jahrhundert nannte man questeur oder porteur de pardons denjenigen, der die Ablässe erteilte, vgl. «Comme il feust venu en la ville de Necie près Faloise un questeur ou porteur de Pardons . . . » (Litt, remiss. ann. 1389 in Reg. 135 chap. 210, DC VI, 169c). Im It. bezeichnet perdonanza den Ort, an dem der Ablaß gewährt wird, vgl. Leggenda e vita della B. Caterina da Siena, scritta latinamente da Tommaso da Cafferino e volgarizzata da Stefano Maconi, Firenze 1477, II, 8 : «Acciochè ciascuna delle sue compagne potessono aver tempo di attendere alle sue orazioni e visitazioni di quelle sante perdonanze delle chiese di Roma» (Rheinf S. 137ff.). Für den Westen Frankreichs, besonders für das Anjou, verzeichnet Jaubert pardon im Sinne von "jour où l'on gagne des pardons". Der Terminus übertrug sich totum pro parte auf das Almosen, das man am Tag des Ablasses gibt. Diese Verwendung ist (heute allerdings nur noch sporadisch) im It. bekannt (Rheinf S. 137ff.). Außerdem gebraucht man pardon zur Benennung einer Reihe religiöser Übungen, die ursprünglich wohl mit der Erlangung eines Ablasses verbunden waren. So bedeutete pardon den Kreuzzug, das Angelus-Gebet und -Läuten, den Büß- und Bettag der Israeliten (nach FEW8, 230 a seit 1721 bei Trévoux) und sogar das Turnier. Auch die Reliquien, durch deren Verehrung man zu einem Ablaß kommt, heißen noch im 16. Jahrhundert pardons (Rheinf S. 137ff.). 1

Für diese Ausführungen vgl. F E W 230a; Rheinf S. 137ff.; Z 58, 480ff.

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Schon seit dem 13. Jahrhundert verwendete man -pardon synonym mit pèlerinage. Dies bezeugt ein Gedicht, dessen Entstehung Auguste Longnon ( R 30, 198) zwischen 1240 und 1248 ansetzt: «De la procession Au bon abbé Poinçon Me convient de chanter: Hons de religion N e fist mais tel pardon Par son pais aler.» I m 14. Jahrhundert ist pardon in diesem Sinne für Rouen belegt : «Le dymenche devant le pardon de Romain de Rouen» (Lit. remiss. ann. 1391 in Reg. 142, DC V I , 169c). Der ursprünglichen Bedeutung des Wortes entsprechend mußte man mit pardon anfänglich die Wallfahrt bezeichnet haben, durch deren Teilnahme ein Ablaß gewonnen werden konnte. Als die Wertschätzung der Ablässe im ausgehenden Mittelalter nachließ, verallgemeinerte man pardon auf die Wallfahrt schlechthin. Das Wort erfuhr im Laufe der Zeit eine regionale Beschränkung auf den Westen der Galloromania. Heute trifft man es in der Bedeutung "Wallfahrt" nur noch in der Bretagne, die man auch " L a Terre des pardons" nennt (Lar 1932). Da man früher an den Kirchweihen häufig besondere Ablässe erteilte, übertrug sich pardon auch auf das Fest selbst. Das F E W 8, 230 a weist diese Bedeutung für die Bretagne seit 1868 nach. Doch lassen die folgenden Zitate auf einen früheren Gebrauch schließen, wenngleich die Bedeutungen "pèlerinage" und " f ê t e du village" ineinander übergehen. «Jusques a ce qu'on eust peu prendre certains autres coquins qui estoient de leur bande et ligue, qui hantoient les pardons en plusieurs et divers lieux de ce royaume, comme a la dedicasse de sainct Denys, a la sainct Mor, a la sainct Fiacre, a la sainct Mathurin, et ailleurs» (J. Chartier, Chron. de Charles V I I , c. C L X I X , Bibl. elz., Gdf V, 754c). «Elle eut fait cent voyages, A u x festins, aux pardons, d'un et d'autre costé Et chacun de ses pas au cœur m'eust enfanté Mille jalouses rages» (Desportes S. 280, Lac V I I I , 185b). Eine ähnliche Wortbildung entstand im Bündnerromanischen und Norditalienischen, wo man die Kirchweih pardunonza (Jud Kirche S. 2 und S. 45) und pardanonza, bzw. perdon und il di dal perdon ( A I S I V , Karte 784 Legende) nennt. Auch das Geschenk, das man von der Kirchweih oder der Pilgerfahrt mitbringt, sowie das Geschenk überhaupt, heißt pardon. (Ein analoger Vorgang vollzieht sich bei foire.) Verbreitung Heute lebt pardon nur mehr in dem Reliktgebiet der armorikanischen Halbinsel. Nach Angaben von Lar ist der Terminus dort sehr volkstümlich und wird besonders im Zusammenhang mit den Festen von Ste-Anne-d'Auray, L e Folgoët, Ploërmel, Ste-Anne-de-la-Palud, Notre-Dame-de-Bon-Secours, Guingamp und St-Mathurin-à-Quistinig gebraucht. Wie schon Jud Kirche S. 45 anführt, besteht zwischen dem bretonischen pardon und dem rätischen pardunonza der Diözese Chur keine geographische Verbindung. Ebenso unabhängig dürften die norditalienischen Formen entstanden sein. Die Wortschöpfung lag für das Mittelalter nahe, da die Kirchweihen großzügig mit Ablässen versehen wurden und der Ablaßgewinnung große Bedeutung beigemessen wurde.

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patron Formen Der Ausdruck lebt in peripheren Gebieten der Galloromania, im Dép. HautesPyrénées: patru Gavarnie ALF ALG 697, Barèges ALG 697 NE, patrü Arrens ALG 695 0 ; in der Provinz Valle di Aosta: patrfy Champorcher ALF 985, patriff) in der Basse Vallée, dem unteren Aostatal 1 ; im K a n t o n V a l a i s : patrö Bourg- St-Pierre ALF 976. Auch unveröffentlichte Materialien des Gl 2 bestätigen den Terminus für das Valais, sowie sporadisch für Fribourg und den Norden des Kantons Bern. Zusammensetzung Ardenne: pâtrçnaz "fête patronale" Renwez Brun I, 387 (daneben sagt man dükoz). Etymologie und Historisches patron aus lt. PATRÖNUM "Schutzherr, Verteidiger" (Georges II, 1346) erscheint auch in afr. Texten des 12. Jahrhunderts im Sinne von "Schutzherr, Gewährsmann", vgl. Li cumpoz Philipe de Thaün Z. 151 f. (hg. v. Mall; Straßburg 1873): Que aprof le patrun Recoillet sun sermun (Berger). Die Kirche übernahm den Ausdruck zur Bezeichnung des Heiligen, unter dessen Schutz eine Kirche oder ein Land gestellt wird, daher die nfr. Bedeutung " s a i n t . . . à qui une église est dédiée, ou qui protège une ville, une communauté . . . " (Lar 1949). Im Frpr. und Occit. verwendet man patron auch für das Fest, das man zu Ehren eines Heiligen begeht. Die semantische Entwicklung erklärt sich aus doppeldeutigen Wendungen wie «on célèbre le patron» u. ä. Das Adjektiv patronal, -e aus lt. PATRÖNÄLIS bezeichnet als "fête patronale" schriftsprachlich das Patronatsfest ; vgl. auch den gelehrten Terminus Patrocinium. Verbreitung Der Typ patron, patronag&ìébt in vier geographisch getrennten Zentren, in den Pyrenäen, den Ardennen, in der Schweiz (Valais, Fribourg, Bern) und im Aostatal. Es ist nicht anzunehmen, daß einst ein geographischer Zusammenhang zwischen den einzelnen patron-Gébieten herrschte, abgesehen von der Schweiz und dem Aostatal. Die Wortbildung ist durch die Beachtung, die man dem Patron einer Gemeinde zollte, durchaus naheliegend. Das sporadische Vorkommen von patron im Wallis und dem Aostatal deutet nach Ansicht von Hans-Erich Keller (briefliche Auskunft) darauf hin, daß patron einer älteren Schicht angehört, die durch neuere Wörter (bes. fäa), von Aosta ausgehend, in die konservativen Gegenden verdrängt wurde. pr éveil Formen préveil lebt einheitlich in den Dép. Vendée: praval Triaize ALF 531, St-Germain-le-Prinçay ALF 429, preval Charzais ALF 521, Ile-d'Elle RPh 3, 94ff., prœvâl 1 1

Nach Auskunft von Hans-Erich Keller. Briefliche Mitteilung von M. Burger im Auftrag von M. Desponds.

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Givrand A L F 459 (auch assemblée), prœvay La Venie A L F 427, frevel Talmont ALF 540 (daneben assemblée de gagerie), psrvçl Saligny A L F 448 (daneben im provinzialfr. prçvel), prévoit Beauvoir-sur-Mer F E W unv. (daneben auch provoil), Montaigu ib., prevay Fontenay Favre (daneben prevoy); und M a i n e - e t - L o i r e : parvay Cholet Verrier-Onillon (daneben auch prevey), Beaupréau F E W unv., pervay St-Paul-du-Bois Verrier-Onillon. Ableitung prevalyu "individu qui assiste à un prévail" R P h 3, 94 ff. Etymologie PERVIGÏLÏUM zu PERVIGILÄRE (seit Plautus) und PERviGiL (seit Ovid und Plinius) bezeichnete im Kit. das "Durchwachen der N a c h t " (vgl. pervigilio fatigatus, Justin; inter quotidiana pervigilia fessus, Sen.), wie die "religiöse Nachtfeier" (vgl. pervigilium incedere, agere, Livius; und das lt. Gedicht Pervigilium Veneris eines unbekannten Verfassers aus dem Jahre 150 n. Chr.). Daneben gab es noch die Feminina PERVÏGÏLÏA u n d PERVÏGÏLÂTÏO (Georges II, 1479). In der Romania lebt das Wort weiter als sp. pervigilio "vela, vigilia" (Corominas IV, 689), pg. pervigilia "grande vigilia" (Càndido de Figueiredo II, 610) und als poit. préveil " f ê t e patronale". Im Gallorom. findet sich sonst nur das Simplex veille aus lt. VIGILIA, das zunächst das "Wachen" bezeichnete, dann die "Nachtwache" und schon bei Plautus die "nächtliche religiöse Feier" (Cereris vigiliae). Diese Bedeutung hielt das Kirchenlatein fest, wo vigilia "nächtliche Versammlung mit Gebeten" (bei Tertullian, Augustin, Gregor v. Tours) und seit dem 5. Jahrhundert den "nächtlichen Gottesdienst vor einem großen F e s t " und schließlich den "Vorabend", bzw. den "Tag vor einem Fest selbst" bezeichnete. Erst im 16. Jahrhundert nahm das fr. veille seine heutige erweiterte Bedeutung an (FEW unv.). Auf dem Simplex VIGILIA beruht das bask. beila, das aus der Bedeutung "veille" ein "pèlerinage" entwickelte (vgl. Azkue I, 144). Im Mfr. scheint das Kompositum synonym mit dem Simplex verwendet worden zu sein. Darauf weisen folgende Zitate hin: «la preveille de Noel» (Ostende 1449, Cout. Belg. II, 2, 5, 4, p. 65 (29)), «chascun an, le jour de la preveille Saint Jehan Baptiste, . . . » (Malines 1530, Lettres de Charles-Quint, betr. Hesdin, arr. de St-Pol; Georges Espinas, Ree. de doc. rei. à l'Hist. du droit munie, en Fr. des origines à la Révolution. Artois, t. II, p. 636, Paris 1938).1 Der Bedeutungsübergang von PERVIGILIUM "religiöse Nachtfeier" zu préveil "Kirchweih" ist leicht zu verstehen, wenn man bedenkt, welche entscheidende Rolle die Vigilien bei der religiösen Feier des Kirchweihfestes spielten (s. Teil I der Arbeit). Wie im pik.-flandr.-wallon. Sprachgebiet und in der Westschweiz der Akt der Weihe (dedicatio, benedictio) zur Namensbildung führte, so war es im südwestfr. R a u m ein anderer Teil der Liturgie, der nächtliche Gottesdienst vor dem Fest, aus dem sich pars pro toto die Bezeichnung für Kirchweih herleitet.

1

Beide Zitate wurden von A. Thierbach übermittelt.

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II. Sprachwissenschaftlicher Teil

Auf die kultische Herkunft des Wortes weisen die Belege hin: prevail, prevoil s. m. "assemblée religieuse occasionnée par des voyages à quelque relique ou à quelque saint, et accompagnée d'une foire" (Laianne) und preval s. m. "assemblée primitivement religieuse, aujourd'hui profane" (RPh 3, 94ff.). Meist ist der religiöse Gehalt aber verlorengegangen und nur mehr die profane Bedeutung erhalten; vgl. mfr. perveil m. "assemblées villageoises, ou fêtes de nuit, consacrées au chant et à la danse" (D'Aubigné S. 381), prevail "an ordinarie meeting of Spinsters, and Youngsters, at a certaine place, where they worke, and make merrie, together" (Cotgr 1611), préveil "certaines assemblées . . . où ils (les villageois) dansent et chantent toute la nuit (Mén 1694), parveil "assemblée champêtre" (Trente Noëls, nach FEW unv.), préveil s. m. "nom, dans la Loire-Inf., des assemblées" (Littré 1869), id. "dans la Loire-Inf., assemblée publique" (Lar 1932), prévail, pervail "fête patronale, assemblée, kermesse, synonyme de frairies" (Verrier-Onillon), prevail, prevoil s. m. "assemblée champêtre, foire de gagerie" (Favre). Sekundär entwickelte sich aus dem Begriff "Kirchweih" totum pro parte die Bedeutung von préveil "danse de Poitou" (Lac VIII, 438) und "fromage qu'on fait dans cette assemblée" (Mén 1650 nach FEW unv.). Historisches Als Synonym von veille ist das Femininum preveitte aus dem 15. und 16. Jahrhundert überliefert: dpreveille de Noël» (s. oben) und «Chacun an, le jour de la preveitte saint Jehan-Baptiste» (s. oben). D'Aubigné, der 1552 auf dem Schlosse St-Maury in der Saintonge geboren wurde, bezeugt das Wort vorwiegend für Beaucaire : «les Perveils autresfois appeliez Pervigilia se font encores partout, particulièrement à Beaucaire, le jour de la Magdelaine . . . » (D'Aubigné II, 322). Mén 1694 führt zwei Gedichte an, in denen préveil auftritt: «Il y a une Chanson Poitevine qui commance ainsi, In jour, estant en in préveil. Jaques du Fouilloux, de Gastines en Poitou, a fait mention de ce mot dans son adolescence, en ces vers : Je fus ainsi quelque espace de temps, Avec Bergers me donnant du bon temps; Qui sont joyeux et n'ont autre sommeil, Quand le bruit court, que trouver le Préveil . . . » (vgl. für dieses Gedicht auch Gdf VI, 402). In einer poit. Verordnung aus dem 18. Jahrhundert ist zu lesen: «Launay (paroisse de Ste-Cécile, en Bas-Poitou) où se tient, le jour de la feste, une prevaille ou foire» (An. 1750, Ms. du Poitou, Laianne; vgl. auch Gdf VI, 402). Im ALF beschränkt sich préveil streng auf die Vendée, das westliche Poitou. Im nördlichsten Punkt des Dép. (La Garnache ALF 458) und in zwei in der Nähe der Westküste gelegenen Orten (Givrand ALF 459 und Talmont ALF 540) weist der ALF assemblée auf (in Talmont wird es neben préveil gebraucht). Die Dialektarbeiten und Wörterbücher vermerken préveil aber auch für die angrenzenden Gebiete: Lar 1932, Littré 1869, Gdf VI, 402 für Loire-Inf. und Verrier-Onillon für das südliche Anjou. Ein Bück auf den ALF zeigt, daß hier jedoch assemblée (neben je einmal frairie und fête) auftritt, das vom Norden her entlang der Küste auch auf die Vendée übergreift und préveil durch den Einfluß des Verkehrs davon abdrängt.

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Da die phonetischen Varianten von firéveil nichts mehr von der ursprünglichen kultischen Bedeutung verraten und der Terminus seines semantischen Gehaltes beraubt ist, geht hier der gleiche Prozeß vor sich wie bei reinage, das dem regionalfr. vogue weicht: préveil wird durch das umgangssprachliche vitale assemblée nicht nur vom Norden, sondern selbst von der Küste her bedrängt und in seiner Verbreitung immer mehr eingeengt. Wie oben erwähnt wurde, lebt PERVIGILIUM außer in West-Poitou auch im Sp. und Pg. (im Kat. als Femininum) weiter. Dies führt Hans-Erich Keller (nach brieflicher Mitteilung) zu der Ansicht, daß das Wort wohl ursprünglich auf einheitlichem Gebiet im Latein der Atlantikküste auftrat. Heute ist PERVIGILIUM im Gallorom. auf ein Reliktgebiet beschränkt, eingeengt zwischen assemblée im Norden und bailade, bzw. frairie im Süden. roumerage,

roumavage

Formen Nach Ausweis des ALF und provenzalischer Lexikographen leben die Termini in den Dép. B a s s e s - A l p e s : rumeradzyi La Javie P. 878, Mezel P. 876, Castellane P. 887, Gréoux P. 885, Basse-Ubaye Arnaud-Morin, rumiadzi Barcelonette ib., A l p e s - M a r i t i m e s : rumeradzye Le Cannet P. 897, romeraz Nice Pellegrini, rumeiradzi Entraunes Blinkenberg; V a r : rumeradzye Hyères P. 893, St-Maximin P. 884, rumeradyi Le Luc P. 894, Aups P. 886, rumeraye Seillans P. 896; B o u c h e s - d u - R h ô n e : rumeradzye La Ciotat P. 882, roumovadzyi Gardanne P. 883; V a u c l u s e : roumovadzyi Villelaure P. 874 (weitere Formen siehe unter Etymologie). Etymologie Den Typen roumerage, roumavage Hegt der Stamm ROMA zugrunde. Davon abgeleitet ist vit. * ROMAEUS zu afr. romieu, apr. romieu und afr. romier (aus ROMA -f- -ARIU). Die Entstehung von afr. romieu "Pilger" ist umstritten. Spitzer (Z 56, 645) leitet das Wort von gr. ' Poifialoç "Römer" zu "Pilger aus Rom (im weitesten Sinne)" zu "Pilger" ab. Er stützt sich dabei auf die Vermutung Rajnas (Giorn. stor. della lett. ital. 6, 159f.), daß die von Italien, Gallien, Hispanien ins Heilige Land ziehenden Pilger im Gr. Palästinas 'Pm/uaïoç genannt worden seien. Dieser Ausdruck sei dann von den des Gr. unkundigen Pilgern zur Bezeichnung ihrer selbst übernommen worden. Dieser Theorie entgegen stellt Brüch (Z 58, 343ff.) wortgeographische Überlegungen. «Da die große Masse Palästinas . . . nicht das Gr., sondern eine semitische Sprache redet, ist es auffällig, daß das gr. Wort gerade in Palästina für den aus Italien kommenden Pilger im weitesten Umfang gebraucht worden sein soll.» Außerdem macht Brüch den Einwand, daß in der reichen Uberlieferung des Agr. und Mgr. 'Pœ/xaïoç in der Bedeutung "Pilger" nicht erwähnt sei. Dagegen schlägt er vit. * ROMEUS durch Haplologie aus * RÖMIMEUS vor, das sich von RÖMA und MEARE ableitet und im 'latin ecclésiastique du haut moyen âge' Südfrankreichs und Nordwestitaliens gebildet worden sein soll. Durch Suffixtausch mit -ARIU, vit. -ERIU ergab sich afr. romier (ait. romiero, sp. romero, pg. romeiro REW 7368). Romieu, romier bezeichneten ursprünglich den

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II. Sprachwissenschaftlicher Teil

Rompilger, dann, als der Bezug auf Rom nicht mehr klar erkannt wurde, den Pilger schlechthin. Es muß sich um sehr frühe und häufig gebrauchte Termini handeln, da sie zur Bildung von Eigennamen verwendet wurden (vgl. Mistral II, 811). Sie leben noch in neuer Zeit im Occit. als roumîou "un pèlerin qui va à Rome" (Sauvage), roumieu "pèlerin, visiteur des saints apôtres à Rome, coureur des fêtes patronales" (Moutier, F E W unv.), romeyro "faiseur de pèlerinages, coureur de fêtes patronales" (ib.), roumiou "pèlerin" (Avril); roumiéu etc. "pèlerin qui va à Rome ou qui en revient" (Mistral II, 811). Neben dem Agens gab es im Romanischen noch zahlreiche Ableitungen, die ursprünglich die Pilgerfahrt nach Rom bezeichneten (im Roussillon gab es während des Mittelalters die via romerenca, die Straße, auf der die Pilger und Handelsleute nach Rom zogen, vgl. Mistral II, 811). Die beiden Haupttypen, die wegen ihres semantischen Wandels für diese Arbeit interessant sind, sind roumerage und roumavage. Roumerage entstand aus boma -f- -ARIU (vit. -eriu) - | — a t i c u . Für roumavage gibt es nach Ansicht von HansErich Keller (in brieflicher Mitteilung) zwei Deutungen : 1. eoma -j- - a t i c u (vgl. afr. romeage) hiatustilgendes v. 2. boma + via + - a t i c u (vgl. romavia "Pilgerfahrt" bei Guiraut de Calanso, R F 44, 304; costa romiva (= romavia) "chemin des pèlerins" Doc Millan S. 414, a. 1475). Keller hält die zweite Lösung für glaubhafter, da sie das v belegt. Der Bedeutungsübergang zu "fête patronale" ging in vier Stufen vor sich: 1. "Pilgerfahrt nach Rom" 2. (erweiternd) "Pilgerfahrt" 3. "Patronatsfest, das mit einer Wallfahrt verbunden ist" 4. "Patronatsfest überhaupt" (vgl. hierzu die Definition von Moutier zum Verb mdauph. rumeyä v. n. : "aller en pèlerinage à Rome au tombeau des Apôtres; aller à tout autre pèlerinage; courir les fêtes votives; fréquenter les fêtes patronales"). Die einzelnen Bedeutungsnuancen sind bei den occit. Lexikographen und Schriftstellern belegt. Zwischen den Stufen 2 und 3 wird allerdings nicht differenziert. Vgl. zu 1. roumovâjhë "pèlerinage à Rome" (Sauvage) ; rommeage id. (Guillaume Alexis, Oeuvres poétiques I, 78, vers 54, p. p. A. Piaget et E. Picot; 3 vol.; Paris 1896-1908, nach F E W unv.). Vgl. zu 2. romavatge (agask.) "pèlerinage" 14. Jahrhundert (R25, 474); romavage (1386), romiage (1486) id. (Pans); remiageou id. Gras; remèuvage "pèlerinage vers un lieu de sainteté" (Michalias) ; remyadz "pèlerinage" (Descroix) ; roumavage, roumavàgi (mars.), roumevage, roumeiage (dauph.), roumeirage (Variation), roumaviage, roumiéuage, roumiéutage, roumanage (lim.), roumibatge (rouerg.), roumioge (viv.), remiajo (for.) id. (Mistral II, 809f.); romavia, romavatge, romavage, romeatge id. (Raynouard V, 108) ; romaria, romeria, romavatge, romairatge "Wallfahrt" (Lv Bd. 7, S. 373ff.); vgl. auch ALLy III, Karte 994 "en pèlerinage", Loire, Rhône: remeyadze, remeyazo etc. (daneben pèlerinage). Vgl. zu 4. romeyajo, roumavagi "fête patronale" (Moutier); roumavagi id. (Avril); romairage "fête champêtre" (Pellegrini nach F E W unv.); roumavage etc.

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"fête patronale" (Mistral I I , 809f.); roumiagi id. (Arnaud et Morin); rumeiradgi id. (Blinkenberg). Wie aus der Datierung der Belege ersichtlich wird, überlappen sich die verschiedenen Bedeutungen in chronologischer Hinsicht. Während die spezielle Bedeutung "Pilgerfahrt nach Rom" für das Languedoc noch im 18. Jahrhundert bezeugt ist, erscheint romavatge im weiteren Sinne "Pilgerfahrt" bereits im 14. Jahrhundert in der Gascogne. Die Bedeutung "Patronatsfest" ist frühestens im 19. Jahrhundert belegt. Der Übergang zur letzten Stufe erklärt sich aus der Beliebtheit der Wallfahrten am Patronatstag, an dem den Pilgern oft besondere Ablässe gewährt wurden (vgl. die ähnliche Entwicklung von pardon). Der gleiche semantische Schritt ging auch in Nordspanien vor sich, wo die Feste der Dörfer romeria genannt werden (cf. Dauzat Albert, Le village et le paysan de France; Paris 1941; S. 153, Karte). Daß das Wort in der Provence besonders heimisch ist, erklärt sich aus der Tatsache, daß in der Provence die Straße lag, auf der die Pilger aus der ganzen südlichen Galloromania nach Rom zogen. Da die Provenzalen ihren Festen einen besonders prunkvollen Rahmen zu geben wissen (vgl. die Ferrade in Arles, die nur hier zu einem Fest geworden ist, F E W 3, 473 b), läßt sich der Bedeutungswandel gerade in diesem Gebiet leicht verstehen. Historisches In der Literatur sind roumavage und seine Varianten nur in der Bedeutung "Pilgerfahrt" überliefert. Wie Sainéan Rab II, 119 ohne weitere Textangabe aufführt, wird romivage bereits bei Rabelais als Archaismus verwendet. Als Synonym von pèlerinage treten die Termini in folgenden Belegen auf: «En roumavage à Coumpoustello» (Mirèio X, 334). «Es mai vengu lou tèms dei roumavàgi De sant Brancai vo bèn de sant Aloi» (F. Vidal bei Mistral II, 810). «Fort diz que a gran cor de far lo romayraje» (S. Hon. C, 6 bei Lv Bd. 7, S. 373). «Faire romaria Per ma mort guérir» (Mahn Ged. 284 bei Lv Bd. 7, S. 374). «Las quals ordenansas . . . confermaran los que en la dicha cofrayria d'ayssi enan intraran e seran statz en peregrinatge e romaviatge del dich. moss. Sant Jacme . . . » (Hist. Cordes S. 598, ib.). Der Grenzbedeutung "fête patronale" nähert sich roumavage als Synonym von vot in Mirèio I, 329: «N'en dèves vèire, dins ti viage, De castelas, de lio sôuvage, D'endré, de vot, de roumavagel ...» Daß die Termini in den angegebenen Belegen nirgends eindeutig im Sinne von "Patronatsfest" auftreten, weist darauf hin, daß es sich um einen späten Bedeutungsübergang handelt. Während roumavage etc. als "Wallfahrt" überall und seit frühester Zeit im Occit. lebt, hat sich die Bedeutung „Patronatsfest" erst spät auf kleinem Raum entwickelt, im äußersten Südosten Frankreichs, der Provence. Hier dominieren roumavage und seine Varianten in völlig zusammenhängendem Bereich. Daß sich in St-Tropez (ALF 895) fête breit gemacht hat, zeugt von dem schriftsprachlichen Einfluß, dem dieser Badeort ausgesetzt ist. Saint

Name eines Heiligen

In manchen Orten bezeichnet man das Patronatsfest nicht mit dem Gattungsbegriff, sondern mit dem Namen des Heiligen, den man durch das Fest ehrt ; vgl.

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Jaubert s. v. saint : «par une sorte de canonisation rustique, on a désigné certaines fêtes de village par le nom, décoré du titre de saint, de celui qui a le plus ou le premier contribué à les établir. » Als Beispiele mögen dienen : Vosges : sç mtrœme Gérardmer ALF 76, das Gilliéron als "la saint Barthélémy, date de la fête de Gérardmer" erläutert; Haute-Saône: se mçtsi (St-Mathieu) Brotte-lez-Luxeuil bei Humbert Brotte. saintourage Formen Nach Ausweis des ALG lebt der Terminus im Dép. L a n d e s : sentürätze St-Justin P. 665 SE (daneben hçstz). Einen Beleg für das Dép. Gers liefert CénacMoncaut 1 : saintouratge s. m. "foire où se louent les domestiques". Etymologie und Historisches Dem gask. saintourage ist m. E. *SANCTORU-(- -ATICU zugrunde zu legen, also eine Ableitung von lt. SANCTUS "heilig". Es bezeichnete zunächst den "Weg zu einem Heiligtum", die "Pilgerfahrt". Palay II, 515 vermerkt die Bedeutungsnuancen des Wortes in der chronologischen Reihenfolge ihrer Entstehung: "pèlerinage; lieu de pèlerinage; la journée de pèlerinage; en certains lieux aussi journée et lieu où l'on célèbre la fête d'un saint ; se dit, en Gascogne, parfois, de la tenue d'un marché, d'une foire où se fait la louée des domestiques". Analog roumavage und pardon nahm das Wort von der Pilgerfahrt, einem Hauptmerkmal des Patronatsfestes, seinen Ausgang und übertrug sich dann pars pro toto auf das gesamte Fest. Außerdem spiegelt der Terminus die Profanierung des Festes wider, das durch geschäftliches Treiben viel von seinem kirchlichen Charakter eingebüßt hat. Im kommerziellen Bereich hat sich dann wieder eine Spezialisierung ergeben ; saintourage wird heute hauptsächlich zur Bezeichnung des Dienstbotenmarktes (in der Galloromania sonst "assemblée de gagerie" oder "loue, louée" genannt) verwendet. Die zu saintourage gehörigen Termini sind vorwiegend in der kirchlichen Sphäre geblieben ; vgl. Mistral II, 879: sentourè, -èro, -eto "pèlerin, -ine, en Gase, et Béarn" und Palay II, 516: sentourâu "qui est d'un jour de saint, d'un pèlerinage"; sentourè, -re "pèlerin, -ine" etc. Verbreitung saintourage scheint als "fête du village" im Untergehen begriffen. Séguy (ALG 665 SE) vermerkt es bereits als archaische Form. Die konkurrierende Form fête am gleichen Ort beweist die abnehmende Vitalität des Wortes, das durch seine starke Profanierung des semantischen Gehaltes weitgehend beraubt ist und als "Dienstbotenmarkt" durch das ursprüngliche saint nicht mehr gestützt wird. 1

Das Beiheft zum F E W S. 25 a lokalisiert genauer: «Cenac-Moncaut stammte aus Mirande; sein Buch spiegelt bes. die Mda. des Astarac wider; diese Landschaft umfaßt den Osten des Arr. Mirande und die Südwestspitze des Arr. Lombez.»

1. L e c u l t e liturgique e t p o p u l a i r e

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Noch gebraucht man den Terminus im Osten des Dép. Landes, sowie mit kommerziellem Einschlag im Südosten des Dép. Gers, also im gask. Sprachgebiet. station

Formen Der Typus erscheint in den Dép. A r i è g e : stäsyü Castillon-en-Couserans ALF 790 (ALG dagegen hçsto), festasyü Auzat ALG 791 (ALF dagegen fçstu), Le Port ALG 791 N, hestasyü Couflens ALG 790 SE; H a u t e - G a r o n n e : stasyüy Bagnères-de-Luchon ALF ALG 6991, Bourg-d'Oueil ALG 699 NO, Arguenos ALG 780 S, St-Gaudens ALG 780 (ALF dagegen hçsto lukalo), estasyün Melles ALG 699 NE, hçstasyûn St-Plancard ALG 780 NO, H a u t e s - P y r é n é e s : stasyün Ourde ALG 689 SE. Etymologie und Historisches Das occit. estacioun entspricht dem nfr. station, dem klt. STATIÖNEM zugrunde liegt. Im Kit. bedeutet statio u. a. das "Stillstehen", den "Aufenthalt" (Georges II, 2501 f.). Schon im Afr. des 13. Jahrhunderts hat das Wort religiösen Charakter, vgl. Mir agn: estaciun "station; office d'une solennité particulière célébré pendant les grandes fêtes religieuses" (um 1240, FEW unv.). Aus der Bedeutung statio "Stationsgottesdienst" 2 kann sich die verallgemeinernde Bedeutung "Gottesdienst" entwickelt haben. Analog dem d. Messe wurde das Wort dann zur Bezeichnung des Festes selbst verwendet, da dessen Hauptstück ja ursprünglich der Gottesdienst war. Der Typus hestacioun, festaciou beruht wohl auf einer Kontamination von estaciou mit gask. hesto, bzw. lang, festo. Begünstigt wurde die lautliche Attraktion durch die synonyme Verwendung beider Ausdrücke. Verbreitung Der Typ estacioun und seine phonetischen Varianten erscheint in der Bedeutung "fête patronale" im südfr. Grenzgebiet der Pyrenäen. Die östliche und westliche Abgrenzung bilden etwa die Flüsse Ariège und Adour (Oberlauf). Südlich reicht das estacioun-Gebiet bis zur spanischen Grenze. Der nördlichste Punkt liegt bei ALG 780 NO. Der Typus lebt sowohl im gask. wie im lang. Dialekt zur Bezeichnung des Patronatsfestes. vogue

Formen C a n t o n de F r i b o u r g : vuga Chatel-St-Denis Gl 3 ; C a n t o n de V a u d : vuga Le Sentier Gl3, Pailly Gl 3 , Oron Gl3, voga Gingin ALF 937, Vevey ALF 959 4 ; C a n t o n de V a l a i s : voga Leytron Gl 3 ; H a u t e - S a v o i e : vuga Le Biot ALF 957, 1

2 3 4

Sarrieu h e g t Zweifel a n der A u t h e n t i z i t ä t v o n E d m o n t s S u j e t (vgl. F E W B e i h e f t S. 7 f . ) . N e u e E r h e b u n g e n d e s A L G b e s t ä t i g e n aber d i e F o r m . V g l . R h e i n f S. 154 ff. G l - F o r m e n n a c h brieflicher M i t t e i l u n g der R e d a k t i o n . D a n e b e n der T y p fête.

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Bons ALF 947, La Chapelle-d'Abondance Bollon, Sixt ALF 956, voga St-Pierre-deRumilly ALF 946, Thônes ALF 944, Pringy ALF 945, vçga Chamonix ALF 967; C a n t o n de G e n è v e : vuga Hermanee Gl1, Juvigny Constantin-Désormaux, vçga Bernex ALF 936, vçg Genève Humbert 1852; S a v o i e : voga Albertville Brächet F., Séez ALF 965, La Biolle ALF 933, Chignin ALF 943, Epierre ALF 953, Bozel ALF 964, St-Martin-de-la-Porte ALF 963 (dagegen vogç bei Ratel S. 106), vçga Verrens-Arvey ALF 954, vwâga Hauteluce ALF 955; Ain: voga Villars-en-Dombes ALF 913, Torcieu ALF 924, Brion ALF 926, Surjoux ALF 935, Ruffieu-en-Valromey Ahlborn, Versailleux Eglofï, vuga Replonges ALLy 8 2 (dagegen vogç ALF 917), Ste-Euphémie ALLy 28, vçga Grièges ALLy 9, Mogneneins ALLy 18, Lent ALF 915, vâga Vaux Duraffour: R h ô n e : vçga St-Jean-de-Touslas ALLy53, Larajasse ALLy 49, Soucieu ALLy 50, Haute-Rivoire ALLy 43, St-Symphorien-surCoise ALF 818, Courzieu ALLy 42, Bully ALF 911, Affoux ALLy 38, St-Clémentsous-Valsonne ALLy 31, Ste-Paule ALLy 30, Pommiers ALLy 29, Huissel-StClaude ALLy 26, St-Lager ALF 914, vçg Lyon Puitspelu, Chambost-Allières ALLy 27, Cours ALF 908, Chênelette ALLy 17, voga Poleymieux ALLy 40, vwog Marchampt ALLy 19, vog Chénas ALLy 103, vœg Lantignié-en-Beaujoláis Descroix4, Villié-Morgon Villié; L o i r e : vçga St-Jodard ALLy 33, Néronde ALF 819, Sailsous-Couzan ALF 808, Sury ALLy 55, St-Bonnet-les-Oules ALLy 54, St-Bonnetle-Château ALF 816, La Valla ALLy 61, Ste-Croix ALLy 62, Roizey ALLy 66, vogâ Apinac Gardette 5 ' 8 , St-Sauveur-en-Rue ALLy 69, vçgo St-Romain-les-Atheux ALLy 67, St-Maurice-en-Gourgois ALLy 60 6 j vçg Sail-les-Bains ALLy 12; I s è r e : voge Sassenage ALF 940, St-Priest ALF 912, voga Charavines ALF 931, Morestel ALF 922, Feyzin ALLy 51, Marennes ALLy 52, Pommier ALLy 64, Crémieu Devaux, vçga St-Jean-de-Bournay ALF 921, Jardin ALLy 63, vuçga St-Mauricede-l'Exil Rivière, vœga Clonas ALF 829; ALLy 65; D r ô m e : vçgo Marsanne ALF 836, Luc-en-Diois ALF 857, vœga Le Grand-Serre ALF 920, vogo Chabeuil ALF 837; H a u t e s - A l p e s : vçga Orpierre ALF 866, Chorges ALF 879, St-Firmin ALF 869, vçgo Veynes ALF 868, Guillestre ALF 980, Aiguille ALF 981, voga Monêtierles-Bains ALF 971 ; B a s s e s - A l p e s : vçgaBarcelonette ALF 889,vçgaChâteaufort ALF 877; P r o v i n c e de T u r i n : vogo Maïsette ALF 982'; A r d è c h e : vçgo Boulieu ALLy 70, Ardoix ALLy 73, Vion ALLy 75; ALF 827, St-Martin-de-Valamas ALMC7 8 , Les Ollières ALF 826, Alissas ALMC 8, vogo Rochepaule ALMC 5, St-Romain-de-Lerps ALMC 6, vçgâ Vanóse ALLy 71, La Louvesc ALLy 74, vçga St-Agrève ALF 825; H a u t e - L o i r e : vçga Craponne ALMC 108, Yssingeaux 1 2 3 4 6 6 7 8

Gl-Formen nach brieflicher Mitteilung der Redaktion. Anmerkung des Verfassers: «vuga est un mot récent; le vrai mot est medler/a» (d. h. das Fest der hl. Magdalena). Daneben fçt dû paye. Das Fest wird seit 1914 nicht mehr gefeiert. Lous Poèmes daoü Païsan; Mâcon 1938. Daneben der Typ fête. Anmerkung des Verfassers: "fête organisée par une réunion plus ou moins grande de personnes", daneben der Typ fête. Daneben reinage.

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ALMC 3 S 1 , Paulhaguet ALF 812, Solignac-sur-Loire ALF 8142, voga Bas-enBasset ALMC 2 3 , Beauzac ALMC 2 S, Araules ALMC 4 N 1 , St-Jeures ALMC 4 N 1 , Retournac ALMC 9 N, vçgo Les Vastres ALMC bei 4 S ; Puy-de-Dôme: vogo Ambert Michalias.4 Fraglich ist die Zugehörigkeit dreier Formen, die vermutlich zu voto gehören (cf. dort): Drôme: vwç Die ALF 847, vou Nyons ALF 855; Basses-Alpes: VQ St-Etienne-les-Orgues ALF 875. Ableitungen vogero s. m. "garçon de vogue, qui organise la (vogue) fête" Crémieu Devaux; Guichard; vogqer id. Lyon Puitspelu und Roanne Prajoux; vogçye v. intr. "faire la vogue" Crémieu Devaux; Guichard. Etymologie It. VQga s. f. wurde postverbal zu it. vogare (pr. vogar) gebildet. Der Ursprung ist unbekannt. BlochW vermutet germanische Herkunft aus der Famiüe W O G E N . Auch Gam bringt vogue mit it. vogare, pr. vogar in Verbindung, lehnt aber deren Verwandtschaft mit germ. W O G E N aus chronologischen Gründen ab. Onofrio S. 447 wirft vogue mit voto zusammen. Er wird aber bereits von Puitspelu S. 431 und Stipp S. 81 widerlegt.5 Uberzeugend ist m. E. die Deutung Hans-Erich Kellers, der mit Prati it. vogare "remare" (seit Francesco da Barberino, 1264—1348, belegt; von Prati als "d'uso comune, non marinaio" spezifiziert) auf lt. VOCARE "rufen" zurückführt.6 Nach Kellers Ansicht handelt es sich bei vogare um ein Wort genuesischer Herkunft, wie es das Substantiv voga beweist, das bereits 1267 in einem lt. Dokument aus Genua belegt ist. Daß das intervokalische -c- im Genuesischen zu -g- geworden ist, ist allgemeiner oberitalienischer Usus (vgl. sagra). Die Spezialbedeutung "rudern" erklärt Prati damit, daß das Wort von der Galeerenmannschaft oder deren Kommandanten gebraucht wurde, um den einheitlichen Rhythmus zu befehlen. Prati verweist auf die Parallelentwicklung des Wortes dur ma "Galeerenmannschaft" aus lt. celeusma "Gesang der Ruderer", das aus gr. keleusma "Schrei, Schlagrhythmus des keleuste (Steuermann) für die Ruderer" stammt. So ist nach Keller voguer, das im Fr. erstmals 1337 auftaucht (BlochW), eine Entlehnung aus der genuesischen Marinesprache. Das frpr., pr. voga leitet Keller nicht vom fr. Verbalsubstantiv vogue her, sondern von piem. vöga (Zalli 1830), daneben vôga (Gavuzzi), das die Verbalableitung zu 1 2 3

4 6 6

5

Früher reinage. Daneben reinage. Daneben vota ; Anmerkung des Verfassers : «mais on dit aussi, et de plus en plus, la voga. Pourtant les vieillards ajoutent: la voga, c'est plutôt du Français (régional).» Erläuterung des Verfassers: "fête locale annuelle"; daneben voto. Vëy nimmt postverbale Bildung aus * VOGARE für V A C A R E an; danach wäre vogue eine Doublette von vacances. Nach brieflicher Mitteilung; vgl. auch Battisti-Alessio V, 4079b; Corominas I, 479a verweist auf die Redensarten it. vogare il remo, fr. voguer les rames, la galère etc. Beekmann, Fête du village

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II. Sprachwissenschaftlicher Teil

einem untergegangenen Verb * voghè "rufen" aus lt. VOCARE darstellt. Piem. vöga, vôga hat seine ursprüngliche Bedeutung bewahrt und heißt "stima, fama, riputazione in cui viene una persona od una cosa" (Zalli 1830). Es muß schon sehr früh ins Frpr. gedrungen sein, denn sonst könnte nicht bereits 1523 in Grenoble die Spezialbedeutung "Kirchweih" belegt sein. Das Substantiv vogue in der heutigen Bedeutung "crédit, faveur publique" (Lar) hat das Fr. dem Schriftitalienischen entlehnt, das (wiederum nach Keller) diese Bedeutung aus dem ins Schriftitalienische gedrungenen genuesischen Verb entwickelt hat. So ergibt sich zusammenfassend folgendes Schema: schriftit. vogare genues. vogar zu lt.

VOCARE

zu

fr. voguer (1337 BlochW) piem. *voghè

Ableitungen a) von schriftit. vogare schriftit. in voga "im Schwange" zu fr. vogue "crédit, faveur publique" (1466 BlochW) ; b) von fr. voguer fr. vogue "das Rudern" (16. Jahrhundert bei Amyot nach BlochW), heute veraltet; c) von piem. *voghè piem. vöga, vôga "stima, fama" etc. zu frpr. voga "Kirchweih" (1523 Grenoble). Der Bedeutungsübergang von "stima, fama, riputazione in cui viene . . . una cosa" (Zalli 1830) zu "fête patronale" im Frpr. erklärt sich aus dem großen Ansehen und der Beliebtheit, die das Patronatsfest beim Volk genossen ; vgl. Dauzats Deutung: «Vogue . . ., mot italien, évoque le succès de la fête comme son ardeur et son entrain (sens du mot italien).» 1 In enger Sinnesverwandtschaft dazu steht die Vermutung Puitspelus S. 431, daß sich vogue über die Bedeutung "l'affluence, la réunion, la foule" zu "fête patronale" entwickelt habe, denn je beliebter ein Fest ist, desto besuchter ist es. Möglich wäre allerdings, daß sich die Bedeutung "multitude, affluence de gens" (Bridel-Favrat) erst sekundär aus "fête patronale" ergeben hat. Historisches In der Bedeutung "fête du village" wird vogue zum erstenmal 1523 erwähnt: «Ne quis vadat ad aliquas indulgentias nec voguas» (Arch. de Grenoble; registre des conclusions de l'hôtel de ville, f° 31 r°; bei Devaux; die Archivstelle wurde von Jules Ronjat gefunden, der sie dem posthumen Werk von Devaux beigefügt hat). Hans-Erich Keller lieferte ein Zitat aus Basel von 1555: «si fist (sc. Jehu) crier les vogues de Baal» (Sébastien Castellion, de St-Martin-duFresne en Bugey (Ain), Bible nouvellement translatée, Bâle 1555, 4. Rois 10 B) und einen weiteren Beleg, in dem vogue in der allgemeineren Bedeutung "assemblée, réunion" auftritt: «Jez vey soz lez, su lo Encombroz, Dey cuerde, melon, et cocombroz; Jez vey soz lez una gran vogua De celloz de la sinagogua.» (Paul 1

Le village et le paysan de France; Paris 1941; S. 153.

1. Le culte liturgique et populaire

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Aebischer, Chrestomathie franco-provençale. Recueil de textes franco-provençaux antérieurs à 1630. Bibliotheca romanica, sériés altera: Scripta romanica selecta, I I (Bern 1950), S. 79, vv. 5 5 - 5 8 ) . Der Beleg stammt aus St-Jean-de-Maurienne (Savoie) aus dem Jahre 1565. Pans bezeugt den Ausdruck für das J a h r 1584. Außerdem findet er sich im 16. Jahrhundert in der 'Chronique de Savoye' von Paradin (Constantin-Désormaux). Vom Juli 1733 wird folgendes Zitat überliefert: «On fut contreint de dresser des feuillées par les rues, comme on fait aux vogues de villages» (Rubis, Histoire de Lyon, cité dans le Journal de Trévoux, . . . S. 1197 ; bei Littré). Dauzat führt einen Beleg aus dem J a h r 1779 von Saussure an. 1902 schreibt Philippe Monnier in den 'Causeries genevoises' (Genève, S. 97) : «Il est commensal de tous les dictacts, frühstück, vogues, vogoz, vermouth d'amitié. » Auch bei Gardette 1 wird vogue zitiert: per le vçga u le das. In Villié-Morgon (Rhône) singen die jungen Leute gegen Ende des Festes um Mitternacht: «Adieu don la veugue (bis) Lou garçon n'ont pieu de lior Les filles pieu de solor Adieu don la veugue» (bis). "Adieu donc la vogue, les garçons n'ont plus d'argent, les filles plus de souliers. Adieu donc la vogue" (Villié). Ahnlich ist das Abschiedslied von Ruffieu-en-Valromey (Ain) : ad je don la voga, no revêydrë lä ke vêy, no farè l mem trè, adje dö la voga. "Adieu donc la vogue, nous reviendrons l'année prochaine, nous ferons le même train, adieu donc la vogue" (Ahlborn). Der Typus vogue kommt hauptsächlich auf frpr. Boden vor. E r erstreckt sich vom Nordufer des Genfer Sees bis zum Nordteil des Dép. Basses-Alpes, zieht sich gegen Nordwesten hin durch Drôme, Ardèche und Haute-Loire und findet seine nördliche Begrenzung in den Dép. Loire, Rhône und Ain. Im Norden des frpr. Gebietes ist vorwiegend der Typ fête belegt. In den Grenzzonen, z. B . in den Dörfern des Forez, wird vogue synonym mit fête gebraucht (Gardette a. a. O. S. 125). Wie Paul Fortier Beaulieu 2 feststellt, ist vogue gegenüber fête im Ausbreiten begriffen. «Das blasse allgemeine fête macht offensichtlich einem gehaltsstärkeren Terminus Platz. Es wiederholt sich also in diesem Einzelfall der Prozeß, der, wie schon Dauzat 3 bemerkte, zu dem Aufkommen so vieler Sonderbezeichnungen für "fête du village" im heutigen Frankreich geführt hat.» 4 Nach den Erhebungen des ALF, ALLy und ALMC tritt vogue zur Bezeichnung des Patronatsfestes ausschließlich in den Dép. Ain, Haute-Savoie, Savoie und Hautes-Alpes auf, desgleichen im Kanton Genève. Vorwiegend wird es verwendet in den Dép. Rhône, Loire (neben fête) und Isère, Drôme (neben voto). Vereinzelte Formen erscheinen in Haute-Loire, im Nordteil von Ardèche und Basses-Alpes und in den Schweizer Kantonen Fribourg, Vaud und Valais. Von Italien kommend hat sich der Terminus in den Provinzen Savoyen und Dauphiné festgesetzt und ist, begünstigt durch die Flußtäler von Rhône, Isère 1 2

3 4



Lou Poèmes daoü Païsan; Mâcon 1938; VIII, Vers 25. Mariages et noces campagnardes dans les pays ayant formé le Dép. de la Loire: Roannais, Forez, partie du Beaujolais, Jarez; Paris 1937; Les Litt. Populaires de toutes les Nations; Nouvelle Série, Tome V; S. 53. Les patois; S. 100. Fritz Krüger, Volkst. X I I . Jahrgang, 4. Heft, 1939, S. 405.

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I I . Sprachwissenschaftlicher Teil

und Durance, nach Westen vorgedrungen. Unbekannt ist er noch in einigen Hochtälern Savoyens. In Ste-Foy-Tarentaise (bei A L F 965) heißt das Patronatsfest la sëta barba (la Ste-Barbe), in Lanslebourg (ALF 973) la miyu (la mi-août). 1 Der A L F verzeichnet für Lanslebourg zwar la vogâ. Doch war der Befragte ein Notar in den Vierzigern, der statt des Patois-Ausdruckes möglicherweise einen umgangssprachlichen Terminus verwendete. Die starke Vitalität des Wortes vogue in einer Phase, da das Patois im Schwinden begriffen ist, erklärt sich daraus, daß es in die Umgangssprache aufgenommen wurde und heutzutage nicht mehr allein das Patronatsfest, sondern den Jahrmarkt schlechthin bezeichnet. So sagt man in Lyon: «Maintenant la vogue est à la Croix-Rousse, sur les quais, à Perrache.» 1 In dieser Bedeutung wird vogue den Untergang des Patois überleben und sich weiter ausbreiten können. voto Formen Dép. L o i r e : vota Usson-en-Forez ALLy 58; H a u t e s - A l p e s : vwat Champsaur F E W unv. ; I s è r e : vwçdu Gresse nach F E W unv. Aufnahme durch Mitglieder des Rom. Seminars Leipzig 1930, Chichilianne id., voâdu Cordéac id., vwadu Le Monastier-de-Clermont A L F 849, vodu Le Bourg-d'Oisans A L F 950, vodo Theys A L F 942; D r ô m e : vodz St-Nazaire-en-Royans A L F 838, vçt Pierrelatte A L F 844, vodi Charpey Bull Drôme nach F E W unv.; V a u c l u s e : vçto Courthezon A L F 853, Vaucluse A L F 864, votä Sault A L F 856; B o u c h e s - d u - R h ô n e : vçto Eyguières A L F 873, Les Stes-Maries A L F 871 ; G a r d : vqto Fourques A L F 862, Aramon A L F 863, Uzès A L F 852, Barjac A L F 842, Alais A L F 841 ; D'Hombres, St-André-deValborgne ALL, bçto Sumène A L F 840, Lasalle ALL, Valleraugue ALL, St-Jeandu-Gard 2 ALL, vçta Caveirac A L F 851; H é r a u l t : bçta Les Matelies A L F 759; T a r n : bçto Aussillon A L F 764, Vabre A L F 755, Valderiès A L F 744, Gaillac A L F 743; T a r n - e t - G a r o n n e : bçto Laguépie A L F 733, Montpezat A L F 731, Vaissac A L F 741, Moissac A L F ALG 649, St-Nicolas-de-la-Grave ALG 649 SO, St-Jeandu-Bouzet ALG 659 NO; L o t : bqto Cahors A L F 720, Promilhanes A L F 722, Figeac 3 A L F 713, Gourdon A L F 619, Gramat A L F 712, Souillac A L F 618; A v e y r o n : bwçto Rignac ALMC 48, Salles-Courbatières ALMC 47, Conques A L F 716, Laguiole A L F 718, Le Monastère ALMC 49, Calmont A L F 735, L a Besse ALMC 53, bçto Le Salvetat ALMC 54, Rieupeyroux A L F 724, Lédergues ALMC 55, Belmont A L F 746; L o z è r e : bçto Marvéjols 4 A L F 729, St-Germain-du-Teil ALMC 38, Meyrneis ALMC 39, Florac A L F 830, Le Bleymard Camproux; ALL 4 , Ste-Enimie Camproux; ALL, Pont-de-Montvert Camproux; ALL, Barres-desCévennes Camproux; ALL, St-Germain-de-Calberte Camproux (ALL dagegen vçto), Villefort A L F 822 (Camproux dagegen voto5), Fraissinet-de-Lozère ALMC 37, 1 2 3 4 5

Nach brieflicher Mitteilung von Gaston Tuaillon. Fçsto butivo. Daneben assemblée. Daneben reinage. Bemerkung v. Camproux: lu rinatse est aussi connu.

1. L e culte liturgique et populaire

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Prévenchères ALMC 34, Prades ALL, La Parade ALL, bwçto St-Chely-d'Apcher A L F 810 (Camproux dagegen reinagé), voto Vialas Camproux; A L L ; Ardèche: vçto Laurac ALMC 35, Bourg-St-Andéol ALMC 36, Vogûé A L F 833, Chirols ALMC 31, Burzet ALF 8241, St-Laurent-les-Bains ALL, Valgorge A L L , Joyeuse ALL 1 , Largentière ALL, vwçto St-Cirgues-en-Montagne ALMC 27, Les Vans A L L 2 ; Haute-Loire: vçtç Riotord A L F 817, Monistrol-sur-Loire ALMC 2E, vçtâ SteSigolène A L L y 68, St-Julien-Molhesabate A L L y 72, Lapte ALMC 3 E, vota Basen-Basset ALMC 23, Valprivas ALMC 2 W, Aurec ALMC 1 NW, voto St-Didier-enVelay ALMC 1, Grazac ALMC 3; Cantal: bçtç St-Mamet A L F 715, bwçto Maurs ALMC 44, bwoto Ytrac L'Hermet S. 894; P u y - d e - D ô m e : votç Ambert ALF 809; Michalias5, vota Eglisolles Chataing; Corrèze: voto Merlines A L F 706, Seilhac A L F 609® vçhtâ Chapelle-aux-Saints Keller, H.-E., Lexique du patois de la Ch.aux-S.7, vçtç Lärche A L F 617, vçts La Roche-Canillac A L F 710, bçtç Beaulieu A L F 711; Dordogne: votç Excideuil A L F 6146, St-Pierre-de-Chignac A L F 615, Bourgnac ALF 624, bçto Le Bugue ALF 616, Villefranche-de-Belvès ALF 628, Issigeac A L F 626, b%tç Vélines ALF 634; L o t - e t - G a r o n n e : bçto Layrac A L F ALG 648, Puymirol ALG 648 NE, Ste-Livrade A L F 637, Tournon-d'Agenais A L F 638, Aiguillon A L F ALG 647, Lafitte-sur-Lot ALG 647 NE, Mézin A L F ALG 657, Espiens ALG 657 NE, bots Houeillès ALF ALG 656, Labastide-Castel-Amouroux ALG 647 NO; Gers: bçto Lectoure A L F ALG 658, La Romieu ALG 658 NO 8 ; Landes: bots Lubbon A L G 656 SO 9 ; Gironde: bots Andraut A L F ALG 635, Blaignac ALG 645 NE 4 , bçts St-Côme ALF ALG 645, botœ Blasimon ALG 643 E 10 , bçt Pujois ALG 645 NO. Fraglich, doch wahrscheinlich ist die Zugehörigkeit der drei Formen11 : Drôme : lu vwç Die ALF 847, lu vou Nyons A L F 855; Basses-Alpes: lu vç St-Etienneles-Orgues ALF 875. •m-

Adjektivisch mit erläuterndem fçsto erscheint das Wort in Brousse ALF 753, D é p . T a r n : la fçstç butibo und in St-Jean-du-Gard A L L , D é p . G a r d : fçsto butivo.

Etymologie Lt. VÖTUM "Gelübde" ist Part. Perf. von VOVÊRE, das zunächst "versprechen durch ein Gelübde", dann "heiligen, weihen", schließlich im übertragenen Sinne "widmen" bedeutet (Hauprich S. 56). 1 2 3

4 6 6 7 8 9 10 11

Daneben reinage. Daneben fçsto del viladze. Anmerkung von Nauton : «mais on dit aussi, et de plus en plus, la voga. Pourtant les vieillards ajoutent: la voga, c'est plutôt du Français (régional).» Daneben der T y p fête. Erläuterung des Verfassers: "fête patronale"; vogo "fête locale annuelle". Daneben ballade. Mitteilung durch Verfasser. Daneben ballocho und fête. Veraltet, daneben der T y p fête. Daneben assemblée. Wird auch bei vogue aufgeführt.

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II. Sprachwissenschaftlicher Teil

Die weibliche Form voto erklärt sich m. E. aus dem Part. Perf., das ursprünglich in attributiver Stellung (* FESTAM VOTAM) verwendet wurde und dann durch Ellipse substantiviert wurde. Für den Bedeutungsübergang von "Gelübde" zu "Kirchweih" gibt es drei Möglichkeiten : a) Man besucht das Fest infolge eines Gelübdes; vgl. Sauvage: «. . . on va souvent à ces Fêtes en conséquences d'un vœu, de là le mot.» b) Man macht infolge eines Gelübdes eine Wallfahrt. In dieser Bedeutung ist voto bei Mistral II, 1137 bezeugt: «vot, bot .. . "pèlerinage" . . . Lou vot de la vilo, "le Vœu de la Ville, procession annuelle qui se fait à Béziers, le dimanche de Passion, depuis plus de deux cent ans, en souvenir d'une calamité publique".» Da die Wallfahrt im allgemeinen zur Kirchweih gehörte, führte sie pars pro toto zur Bezeichnung des Festes (cf. die Entwicklung von roumavage und pardon). c) Man weiht, widmet die Kirche einem bestimmten Heiligen und benennt das Fest, das ihm zu Ehren gefeiert wird, nach dem ursprünglichen Akt der Weihe. Vgl. als Parallelerscheinung dédicace, bénichon, it. sagra. Die Bedeutung "Wallfahrt" wäre dann sekundär aus "Kirchweih" entstanden. Untersucht man diese Theorien nach ihrer Wahrscheinlichkeit, so ergibt sich, daß die erste am wenigsten stichhaltig ist. Wie schon im kulturhistorischen Teil dieser Arbeit aufgeführt wurde, sind die Patronatsfeste schon früh weitgehend profaniert worden, so daß der Anlaß, aus dem man diese Feste besucht, eher weltlich als kirchlich motiviert ist. Die Fülle der Vergnügungen, die das Fest mit sich brachte, ließ nur wenig Raum, um das Gelübde entsprechend einzulösen. Sinnvoll wäre dagegen, daß man infolge eines Gelübdes eine Wallfahrt machte. Aus dieser Bedeutung entwickelte sich, wie bei pardon und roumavage, der Begriff "Patronatsfest". Zu beweisen wäre dieser semantische Doppelschritt nur dadurch, daß man voto in der Bedeutung "Wallfahrt" eher belegt fände als in der Bedeutung "Patronalfest" — ein Beweis, der auf Grund der mir zur Verfügung stehenden Quellen in dieser Arbeit nicht geliefert werden kann. Die geradlinigste Erklärung für den Bedeutungsübergang gibt die dritte Theorie. Durch die Bedeutung VOVËRE "heiligen, weihen, widmen" läßt sich die Entwicklung von VÖTUM "Gelübde" zu voto "Fest, an dem etwas geheiligt, geweiht, gewidmet wird", also "Kirchweih", bzw. "Patronatsfest" überzeugend erklären. Gestützt wird diese Annahme durch den schriftsprachlichen Terminus fête votive und die Patois-Form fçsto butivo etc., also "Fest, an dem etwas geweiht wird"; vgl. Vayssier: «boto s. f. "fête votive" . . . (du lat. votum, vœu, votivus,

"consacré").»

Aus voto "Kirchweih" entstand sekundär die Bedeutung "Festmahl"; vgl. Mén 1694: «la bote del vilatge "festin".»

Historisches Die frühesten Belege liefert Leip. Er fand den Ausdruck la bote del vilatge bei Mén 1694. Auf die gleiche Graphie bote traf Leip bei Schmidl 1771. 1778 wird der Terminus für das Gebiet Sauveterre bestätigt : «Ils appellent ici une botte les fêtes où les paysans se rassemblent.» Anmerkung: «L'orthographe exacte est bote, représentant le mot latin votum ; et ce terme, au sens propre, désigne la fête votive ou

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patronale de la paroisse» (Latapie 1778 betr. Sauveterre, Archives Historiques du Dép. de la Gironde, Paris-Bordeaux 1903) .x In einem dazugehörigen Glossar wird botte als "nom donné aux fêtes locales dans le pays de Sauveterre" definiert (ib. Glossar).1 In Mirèio von Mistral tritt voto dreimal auf: «N'en dèves vèire, dins ti viage, De castelas, de liö souvage, D'endré, de vot, de roumavage! . . .» (I, 327ff.). «Mai sias jamai estado i S a n t o ? . . . Es aqui, pauro ! que se canto, Aqui que de pertout s'adus Ii malandrous! Ié passerian qu'èro la voto . . . » (I, 352 ff.). «Mai quand venié lou tèms di voto, adiéu l'enchaple! I grand riboto Sonto l'autin o dins Ii crotö, . . .» (IX, 256ff.). Nach Ausweis von Dialektarbeiten und Sprachatlanten (ALF, ALG, ALMC, ALLy und ALL) lebt der Terminus voto im occit. Sprachraum in den Gebieten Dauphiné (Moutier; Champollion-Figeac ; Drevet), Provence und Comté-Venaissin (Achard), Cévennes (Sauvage; D'Hombres), Quercy (Leseale), Rouergue (Vayssier, Affre), Auvergne (L'Hermet, Mistral), Limousin (Laborde), Périgord und Sarladais (Colas; Daniel), Agenais (Pozzi), Gascogne (Deffontaines; Palay). Die äußerste östliche Grenzzone zieht sich in nordsüdlicher Richtung durch die Dép. Isère, Hautes-Alpes, Basses-Alpes. Das äußerste westliche Grenzgebiet liegt am linken Ufer der mittleren Garonne, also in den Dép. Tarn-et-Garonne, Lot-etGaronne und Gironde. Nach Süden hin erreicht voto bei Les Saintes-Maries (ALF 871) im Dép. Bouches-du-Rhône das Mittelmeer. Die nördlichen Grenzzonen gehen durch den Nordteil der Dép. Dordogne, Corrèze, durch das südliche Puy-de-Dôme und den Norden der Dép. Haute-Loire und Drôme. Der Sprachbereich, in dem voto vorkommt, ist stark durch andere Typen aufgelockert ; durch vogue, das vom Osten hereindrängt (cf. Bas-en-Basset ALMC 2, Bemerkung des Autors: mais on dit aussi, et de plus en plus la voga. Pourtant les vieillards ajoutent: la voga, c'est plutôt du Français (régional)) ; durch fête, das vom Norden hier in das Occit. einbricht, und durch reinage, das im Massif Central lebt. Vom Westen her greifen assemblée und bailade, bzw. ballocho über. In den peripheren Grenzorten wird voto vielfach synonym mit diesen Typen verwendet. Im Grenzbereich von vogue und voto erscheinen die Formen lu VWQ, lu vou, lu vç (ALF 847, 855, 875). Schon der Artikel weist auf die Zugehörigkeit von voto hin, das sowohl masc. wie fem. sein kann, während vogue durchwegs feminin ist. -t ist verstummt, vgl. die benachbarten erweichten Formen lu vodg (ALF 838) und lu vwadu (ALF 849). way

Formen Das Wort kommt nur im Dép. Vosges vor: way St-Amé, Vagney Bloch Lex, vay Champ-le-Duc ALF 77, wçy Le Val-d'Ajol Bloch Lex, woy Arches ALF 67 (neben fête), Remiremont, St-Nabord, St-Etienne, Bellefontaine Bloch Lex, Uriménil Haillant, voy Racécourt ALF 59 (neben fête), Le Tholy Adam. 1

Nach Mitteilung von A. Thierbach.

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I I . Sprachwissenschaftlicher Teil

Etymologie und Historisches Die Herkunft von way und seinen phonetischen Varianten ist ungeklärt. Möglich sind drei Etymologien, way gehört zu 1. nfr. veille aus lt. VIGILIA 2. d. Weihe 3. alem. Waie analog flans aus Fladen. Zu 1. Nach ALF Karte 1355 "veiller" lauten die entsprechenden Verbalformen für P. 59 wçyi, P. 67 wäye, P. 77 väi; vgl. das evtl. dazugehörige Subst. ALF Karte 556 "fête du village" P. 59 voy, P. 67 woy, P. 77 vay. Obwohl sich die Vokale von Verbum und Subst. bei Punkt 59 und 67 nicht decken, ist eine Zugehörigkeit nicht ausgeschlossen, da sich endungs- und stammbetonte Formen verschieden entwickelt haben können. Heute sind allerdings die Verben von P. 67 und 77 stammbetont, doch kann der Akzentumsprung nach der Vokalentwicklung vor sich gegangen sein. Vom semantischen Gesichtspunkt wäre die Entwicklung von vigilia "das Wachen", "die Nachtwache", "die nächtliche religiöse Feier" zu veille "Kirchweihe" auf Grund der großen Bedeutung der Vigilien bei dem liturgischen Akt der Kirchweihfeier einleuchtend (vgl. das unter -préveil Gesagte). Zu 2. Eine Entlehnung von d. Weihe, wie sie Adam vorschlägt, ist deshalb abzulehnen, weil das an das Lothringische anschließende alemannische Sprachgebiet die Kirchweihe einheitlich mit Kilbi oder Messti bezeichnet. Die Entlehnung müßte also aus dem Schrift deutschen kommen und dies ist m. E. für ein Reliktgebiet, wie es die Vogesen sind, unwahrscheinlich. Außerdem tritt Weihe zur Bezeichnung der Kirchweihe im Deutschen nie prägnant ohne die Komponente Kirchauf, ist also für eine Entlehnung ungeeignet. Zu 3. Im Bray, einer Landschaft des Dép. Seine-Inf., bezeichnet man das Patronatsfest mit dem Terminus les flans wegen der Fladen, die man an diesem Tag ißt (Decorde S. 33f.). Die Bedeutung der bayerischen Kücheln haben im Alem. die Waien, aus Mehl, Milch, Butter, Zwiebeln, Obst, Äpfeln oder Zwetschgen zubereitete Kuchen. Das Gebäck bildet im Sundgau (Oberelsaß) den wesentlichen Bestandteil des Mittagsmahles am Kilbesonntag (Pfannenschmid a. a. O. S. 554f.). Wie nun der Fladen pars pro toto zur Bezeichnung des Kirchweihfestes wurde, könnte auch die Waie diesen Bedeutungswandel mitgemacht haben und im Südosten des Dép. Vosges, dem unmittelbar an den Sundgau anschließenden Gebiet, zur Festbezeichnung geworden sein. Der Vorgang hätte sich in zwei Phasen entwickelt : a) folkloristische Entlehnung (die Waie wird als Gebäck aus dem Elsaß übernommen) b) semantische Umformung (das Gebäck bezeichnet pars pro toto das Fest, dessen Kennzeichen es ist). Man könnte allerdings erwarten, daß sich dieser semantische Wandel zu allererst in dem Bereich vollzieht, in dem die Waie als Kirchweihgebäck ursprünglich heimisch ist, also im Elsaß. Bei Martin-Lienhart S. 806 läßt sich dieser Übergang nicht finden, so daß die Theorie einer Herleitung aus lt. VIGILIA und Erhaltung des Wortes in dem Reliktgebiet der Vogesen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist.

2. L'élément municipal

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Verbreitung Gleich od tritt way mit seinen Lautvarianten auf begrenztem Raum auf. Es lebt in den Kantonen Dompaire, Epinal, Bruyères, Remiremont, Plombières, Saulxures im Südosten des Dép. Vosges. Die Orte, in denen der Terminus vorkommt, sind gleichermaßen archaische Sprachinseln, die dem eindringenden fête bisher Widerstand boten. In Arches und Racécourt wurden die Typen wgy, voy bereits sekundär nach fête erhoben.

2. L'élément municipal abbaye

Formen Nach Ausweis des GII, 36ff. finden sich abayi, abai im Kanton Vaud. Abweichende Formen leben in folgenden Ortschaften: abçyi, abçi Rossinière Vd21, bayi, bai Leyssin Vd 14, Gryon Vd 17, Château-d'Oex Vd 22, Montherond Vd 36, Vaugondry Vd 82 ; mit Akzentwechsel dbäye Pailly Vd 64.1 Etymologie Aus kirchenlt.

ABBATIA

(7. Jahrhundert) "Abtei" (REW 9).

Historisches Nach Angabe des Gl I, 36 ff. lebt der Terminus in der Schweiz in folgenden Bedeutungen : 1. "Kloster, an dessen Spitze ein Abt oder eine Äbtissin steht." 2. "Korporation oder Brüderschaft." a) "Zunft", so in den Kantonen Vaud, Fribourg und Bern ab 1418; b) "Zusammenschluß der Bürger nach Stadtvierteln"; in Genf im 16. Jahrhundert ; c) "Schützengesellschaft"; vom Kanton Vaud aus ist der Terminus auf die angrenzenden Kantone Fribourg und Neuchâtel übergegangen; d) "Verein mit dem gemeinsamen Ziel des Vergnügens"; die ersten Spuren finden sich 1451 in Neuchâtel; e) "Jugendverband", so in den Kantonen Vaud, Genève, Neuchâtel. Der älteste Verband dieses Namens ist der von St-Pierre in Genf, dessen Anfänge im 13. Jahrhundert liegen. Er nahm bald militärischen Charakter an und wurde 1955 aufgelöst; f) "Zusammenschluß eines Vereins mit anschließendem Fest", so im Kanton Vaud. 3. "Stammlokal eines Vereins", so in den Kantonen Genève, Fribourg, Bern ab 1423. 1

Erwähnt werden nur die phonetischen Varianten des Kantons Vaud, da nur hier abbaye in der Sonderbedeutung „Kirchweih" vorkommt.

2. L'élément municipal

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Verbreitung Gleich od tritt way mit seinen Lautvarianten auf begrenztem Raum auf. Es lebt in den Kantonen Dompaire, Epinal, Bruyères, Remiremont, Plombières, Saulxures im Südosten des Dép. Vosges. Die Orte, in denen der Terminus vorkommt, sind gleichermaßen archaische Sprachinseln, die dem eindringenden fête bisher Widerstand boten. In Arches und Racécourt wurden die Typen wgy, voy bereits sekundär nach fête erhoben.

2. L'élément municipal abbaye

Formen Nach Ausweis des GII, 36ff. finden sich abayi, abai im Kanton Vaud. Abweichende Formen leben in folgenden Ortschaften: abçyi, abçi Rossinière Vd21, bayi, bai Leyssin Vd 14, Gryon Vd 17, Château-d'Oex Vd 22, Montherond Vd 36, Vaugondry Vd 82 ; mit Akzentwechsel dbäye Pailly Vd 64.1 Etymologie Aus kirchenlt.

ABBATIA

(7. Jahrhundert) "Abtei" (REW 9).

Historisches Nach Angabe des Gl I, 36 ff. lebt der Terminus in der Schweiz in folgenden Bedeutungen : 1. "Kloster, an dessen Spitze ein Abt oder eine Äbtissin steht." 2. "Korporation oder Brüderschaft." a) "Zunft", so in den Kantonen Vaud, Fribourg und Bern ab 1418; b) "Zusammenschluß der Bürger nach Stadtvierteln"; in Genf im 16. Jahrhundert ; c) "Schützengesellschaft"; vom Kanton Vaud aus ist der Terminus auf die angrenzenden Kantone Fribourg und Neuchâtel übergegangen; d) "Verein mit dem gemeinsamen Ziel des Vergnügens"; die ersten Spuren finden sich 1451 in Neuchâtel; e) "Jugendverband", so in den Kantonen Vaud, Genève, Neuchâtel. Der älteste Verband dieses Namens ist der von St-Pierre in Genf, dessen Anfänge im 13. Jahrhundert liegen. Er nahm bald militärischen Charakter an und wurde 1955 aufgelöst; f) "Zusammenschluß eines Vereins mit anschließendem Fest", so im Kanton Vaud. 3. "Stammlokal eines Vereins", so in den Kantonen Genève, Fribourg, Bern ab 1423. 1

Erwähnt werden nur die phonetischen Varianten des Kantons Vaud, da nur hier abbaye in der Sonderbedeutung „Kirchweih" vorkommt.

II. Sprachwissenschaftlicher Teil

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4. "Fest einer ' A b b a y e ' " a) "Winzerfest" in Vevey b) "Schützenfest" im Vaud, Valais, in Fribourg, Neuchâtel. c) "Patronatsfest" im Kanton Vaud. Bis zur Reformation hieß dieses Fest bénichon. Dann wurde es mit dem Schützenfest zusammengelegt und auch nach ihm benannt. d) andere Feste. 5. Ortsnamen. Die semantische Entwicklung von abbatta "Abtei" zu abbaye "Patronatsfest" ist über die Stufen "Brüderschaft in der hierarchischen Ordnung einer Abtei", "Schützenverein", "Schützenfest" zu verstehen. Für die Bezeichnung eines weltüchen Verbandes als abbaye gibt es verschiedene Ursprünge. 1 Einerseits waren diese Gesellschaften groteske Nachbildungen der Mönchsorden, z. B. l'abbaye des fous, des mal-couverts, l'abbaye de la jeunesse (vgl. den Terminus bazoche). In dieser Bedeutung hat der Ausdruck im Süden und Osten Frankreichs und im Piémont weite Verbreitung. Andererseits gab es die Laienbrüderschaft, die sich nach dem Vorbild der älteren religiösen Brüderschaft organisierte. An der Spitze stand der abbé, recteur oder prieur-, die untergeordneten Mitglieder hießen moines oder (con) freres. Die Zünfte, die sog. corporations de métiers, waren den Laienbrüderschaften ähnlich. Sie standen unter dem Patronat eines Heiligen, hatten eigene Altäre und Kapellen, nahmen an den religiösen Zeremonien aktiv teil und erlegten ihren Mitgliedern Werke der Barmherzigkeit auf. Während der Terminus abbaye in der Bedeutung " Z u n f t " in Paris nicht bekannt ist, existiert er in diesem Sinne bereits seit dem Mittelalter in Mailand (badia, dazu abbates oder auch consules) und wird heute noch im lombardischen Dialekt gebraucht. So könnte dieser Begriff von Italien her eingewandert sein, wo sich die Gemeinde und das Gewerbe früher entwickelt hatten. Daß sich der Name der Zunft auf den Schützenverein übertragen hat, ergibt sich aus der ähnlichen Organisation beider Gesellschaften. In letzterer Bedeutung kommt abbaye zum erstenmal 1605 in den Manuaux von Lutry vor (Amiguet, Abbayes vaudoises 141, nach Gl I, 38). Von der Schützengesellschaft ging der Ausdruck auf das Schützenfest und weiterhin auf das Patronatsfest über, als durch die Reformation die Kirchweih abgeschafft wurde und mit dem Schützenfest zusammenfiel. Der Terminus a quo für abbaye in der Bedeutung "Kirchweih" ist also durch die Reformation gegeben. Die von Pierrehumbert und dem Gl überlieferten Zitate stammen allerdings aus viel späterer Zeit. Aus ihnen geht nicht immer eindeutig hervor, ob es sich spezifisch um das Kirchweihfest oder das Schützenfest handelt. Der Ausdruck tari l'abayi "tirer l'abbaye" in der Bedeutung "célébrer cette fête" (Vd Blonay) neben fere l'abayi (Vd Montherond) weist hingegen klar auf das Schützenfest hin. (GII, 36ff.). Den frühesten Beleg liefert Pierrehumbert mit einer Notiz vom J a h r e 1697: «Messieurs les fils de Messieurs les Banderets ancien et nouveau porteront le dra1

Für diese und die folgenden Ausführungen über die semantische Entwicklung vgl. Gl I, 38.

2. L'élément municipal

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peau à l'Abbaye qui se va faire (à Yverdon).» (Revue historique vaudoise 1907, 162.) Vom Juni 1824 stammt der Passus: «C'est samedi prochain qu'est votre Abbaye; j'aimerais beaucoup avoir ma part des bruyans plaisirs qu'offre la seule fête que nous ayons dans notre village» (Ch. Bovet de Fleurier, Voy. Chine, nach Pierrehumbert S. 5). 1839 schreibt P.-A. Piaget (Notes sur quelques Abbayes du Canton de Neuchâtel et notemment sur celle des Bayards, S. 39) : «Nos fêtes d'Abbaye ne revêtent plus ce caractère familial, cette animation et cette gaîté de bon aloi d'autrefois.» (Pierrehumbert S. 5.) Das Gl I, 37 zitiert den Vers: «A 1 'abbat, cllia poura drôla Se tegnâi prau dèvai lo non, Mâ le fut tot le dzo sein chaula, Que veindâi tot pliein dè chetsons», d. h. "à la fête du village, cette pauvre fille se tenait bien près du rond de danse, mais elle fut tout le jour sans chaise et vendait 'tout plein de quartiers de pommes séchés' (ne trouva pas de danseur)" (Favrat, Mél. 179). In den 'Scènes vaudoises' von Alfred Cérésole (Lausanne 1892, S. 67) findet sich der Satz: «. . . je l'avais vu assez souvent auparavant, ce beau drapeau, dans nos fêtes et dans nos abbayes. » Während abbaye "Schützenfest" in den Kantonen Vaud, Valais, Fribourg, Neuchâtel lebt, kommt die Bedeutung "Kirchweih" nur in Vaud und einem Teil von Neuchâtel vor (nach Ausweis des Gl I, 40), im Val-de-Travers und in der Béroche, dem Westen des Distrikts Boudry (nach Pierrehumbert). D a sich jedoch davon kein Niederschlag im A L F findet, läßt sich vermuten, daß bei dem Terminus abbaye der Begriff "Winzerfest" stärker als "Kirchweih" ist, so daß die Sujets auf das neutrale fête auswichen. Nach Angabe des Gl 1,37 fand sich im heutigen abbayeGebiet vor der Reformation der Typ bénichon, der jetzt auf den Kanton Fribourg und den Berner J u r a beschränkt ist. Typisch für die Vitalität des Wortes vogue im Regionalfranzösischen ist es, daß es in Vevey (ALF 959), wo der Terminus abbaye dem berühmten Winzerfest (abbayi dai vmolä, nach Gl I, 37) vorbehalten ist, zur Bezeichnung der Kirchweih führte. badocha Formen Nach Ausweis des A L F tritt badotsa in Aosta P. 975, P r o v i n z V a l l e d i A o s t a , Italien, auf. Der Form folgt ein Fragezeichen, das Gilliéron so erklärt : «Lorsque le point d'interrogation suit une forme, il exprime nos doutes sur sa réalité, doute provenant soit de l'hésitation du sujet, soit de notre appréciation de la forme.» (Notice servant à l'intelligence des cartes, Paris 1902, S. 18). Wie Hans-Erich Keller in brieflicher Mitteilung bestätigt, sind die Zweifel berechtigt, denn das Wort wird nicht in Aosta selbst verwendet, sondern in der Vaudagne, der HauteVallée d'Aoste, zwischen Courmayeur (ALF 966) und Aosta (ALF 975), besonders in La Salle. Das deutet darauf hin, daß der Gewährsmann, ein siebzigjähriger Lehrer, Edmonts Frage nicht zu beantworten wußte und den Namen des Festes nannte, das auch den Leuten von Aosta bekannt ist, da es im ganzen Tale hochberühmt ist und eine Menge Schaulustiger anzieht. In Aosta selbst sagt man fêta (du sçy), d. h. fête du saint, wobei du saint meist überflüssig ist (nach brieflicher Mitteilung von Hans-Erich Keller).

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II. Sprachwissenschaftlicher Teil

Ableitung badoché "celui qui dirige la badoche" Cerlogne; id. Brocherei S. 241 ff. Redensart fére la badoche "faire des offrandes à l'église le jour de la fête patronale" Cerlogne Etymologie und Historisches Die Herkunft von badocha ist nicht erwiesen. Das FEW 1, 270 f. legt als Etymon lt. BASILICA zugrunde. Vom semantischen Gesichtspunkt her ist diese Deutung durchaus einleuchtend. An die Basilica Constantini, die Gedächtniskirche in Jerusalem, anknüpfend, bezeichnete man ab der Mitte des 4. Jahrhunderts n. Chr. die Grabeskirchen der Märtyrer als basilicae. So wurde bis weit ins Mittelalter hinein die berühmteste Grabeskirche Frankreichs, die des heiligen Martin in Tours, la basoche genannt (vgl. Jud Kirche S. 10). Unklar ist die Bedeutungsverschiebung seit dem 15. Jahrhundert zu "Gerichtshof". Hauprich sieht dafür drei Möglichkeiten: «1. Man knüpft daran an, daß in Rom die basilicae genannten Wandelhallen zu Gerichtssitzungen benutzt wurden. 2. basoche hat die Gesamtheit der Geistlichen bezeichnet, die zu einer sog. basoche gehörten, und ist von da aus auf die Vereinigung der Gerichtsschreiber übertragen worden; diese waren ja auch Geistliche.1 3. Man hat die Kirchenbezeichnung als identisch empfunden mit basilica .. . und ihr auch dessen heidnische Bedeutung gegeben. Von Wartburg meint, diese Übertragung sei vielleicht auf Grund eines Witzes vor sich gegangen.» Zu basoche wurde im 16. Jahrhundert ein basochien gebildet, das den Teilnehmer an dieser Einrichtung bezeichnet (Gam S. 85f.). Die basoche war nach dem Vorbild des Hofstaates in König, Würdenträger und Hof hierarchisch gegliedert. Die Festp dieser Vereinigung waren durch ihre Ausgelassenheit berühmt, arteten aber allmählich so aus, daß Henri III Einhalt gebot und die Würde des Königs abschaffte. In der Revolution wurde die basoche endgültig aufgelöst (vgl. Lar 1928). Nach Gennep Flandre Bd. I, S. 284 führten aber auch religiöse Brüderschaften die Bezeichnung bazoche: «La jeunesse du faubourg Mâché, à Chambéry, était organisée en Bazoche sous le titre d'Abbaye de St-Valentin. Le jour de la fête du saint patron (14 février), elle se rendit avec son Abbé à cheval en tête et les Moines à pied jusqu'à Bissy où se trouvait une chapelle consacrée au saint . . . » Dieser Kommentar erhellt, wie leicht basoche in seiner Bedeutung "religiöse Brüderschaft unter dem Patronat eines Heiligen" zur Bezeichnung des Patronatsfestes selbst werden konnte. Gestützt mochte das Wort durch baroche werden, einer Kontamination von BASILICA und PAROCHIA, das im Afr. und Mfr. des Ostens die "Kirchengemeinde" bezeichnet (vgl. Gl II, 259b) ; daher die Redensart de toutes les baroches "allerart" (Hauprich). 1

Vgl. Rheinf S. 418, der folgende Bedeutungsentwicklung annimmt: basilica zu basoche „Kirche"; dazu basochien "clericus" in der Bedeutung 1. "Geistlicher", 2. "Gelehrter", 3. "Schreiber"; daraus basoche "Schreiberzunft".

2. L'élément municipal

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Ist die semantische Entwicklung von badocha aus dem Etymon BASILICA nun durchaus einleuchtend, so ist doch der Wechsel von s zu d problematisch. Zu einer Erklärung gibt es die Möglichkeit 1. einer phonetischen Entwicklung 2. einer Kontamination. Nach persönlicher Mitteilung von Hans-Erich Keller, der die Valdostaner Mundarten erforscht, ist im Aostatal eine phonetische Entwicklung von s zu d ohne Parallele und abzulehnen. Somit scheint auf basoche eine formale Attraktion eingewirkt zu haben. In Frage kommt a) vit. *BATARE

b) piem. abadia. Zu a) vit. *BATARE "offen stehen" lebt u. a. weiter in aost. abada "à l'abandon" (FEW 1,283 b) ; dazu gehört die Ableitung frpr. abadouche, das in Savoyen den Abschied vom Junggesellentum bezeichnet, den der Bräutigam kurz vor der Hochzeit durch einen Umtrunk mit seinen Freunden feiert (Brocherei S. 241—244). Dieses Wort könnte von Savoyen über den Kleinen Sankt-Bernhard in das benachbarte Aostatal gedrungen sein und sich hier mit basoche zu badoche vermischt haben. Der semantische Anknüpfungspunkt wäre das Gelage der Dorfjugend, das auch bei der Kirchweih ausschlaggebend ist. Brocherei nimmt sogar an, daß badocha ganz auf frpr. abadouche zurückgeht. Zu b) Mehr Wahrscheinlichkeit als die Einwirkung von *BATARE hat m. E. die Theorie, daß sich basoche mit piem. abadia kreuzte; vgl. Gavuzzi: abadia "abbadia, abbazia". Der semantische Anschluß ist durch piem. ab à gegeben, vgl. Zalli 1830: abà "colui che è capo, regolatore specialmente del ballo, abao, ovvero Abbate, chorearum vel festi moderator, praeses, Abbas, denominazione derivata da quelle giocolarissime feste, dette stultorum, cornardorum, fatuorum, asinorum, hypodiaconorum, e simili volgarissime ne' tempi di mezzo, il cui regolatore chiamavasi Episcopus, o Abbas, come ne imitava gli abiti, e le funzioni". Der abà hat nach dieser Glossierung genau die Funktion, die dem König der basoche, wie dem Festordner der Kirchweih zufällt. Die Einwirkung einer piem. Form ist im Aostatal, das zusammen mit Piémont einst zum Staate Savoyen gehörte, wohl denkbar. Nach Ansicht von Hans-Erich Keller (in brieflicher Darlegung) müßte diese piem. Erscheinung zuerst in die valdostanische Hauptstadt Aosta gebracht worden sein und sich hier mit basoche gekreuzt haben (wo sie heute allerdings durch fête verdrängt ist) und von dort aus in die Vaudagne ausgestrahlt haben. Die Tatsache, daß die über den Kleinen Sankt-Bernhard nach Savoyen gelangte Form badoche nur mehr in der sekundären Bedeutung "charivari" (Constantin-Désormaux) anzutreffen ist, bestätigt nach Meinung von Keller eine Ausstrahlung von Aosta aus unter Uberspringung des unteren Teiles des Tales.1 1

Aus welcher Quelle stammt wohl der Beleg von Battisti: badosce "danza valdostana simile al trescone"?

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II. Sprachwissenschaftlicher Teil

fratrie Formen Das Wort lebt im Westen der Galloromania in den D é p . M a i n e - e t - L o i r e : frerie Chemillé ALF 425 (daneben assemblée), frçri Cholet Verrier-Onillon; V i e n n e : freri Liguge ALF 508 (daneben ballade), Cabariot ALF 525 (daneben assemblée und ballade), Guitinière ALF 528 (auch afreri pl.), freri La Cotinière ALF 535, La Tremblade ALF 536, Chermignac ALF 527 (daneben assemblée); C h a r e n t e : freri St-Groux ALF 517, Angeduc ALF 529, freri Yviers ALF 621, Chassors ALF 518, friri Chazelles ALF 610, St-Claud ALF 519; D o r d o g n e : freri La Tour-Blanche ALF 611; G i r o n d e : freri Abzac ALF 632 {frçri ALG 632), frçyrid Puynormand ALG 634 NO, Beychac 643 NO. les afrairies (Guitinière ALF 528) ist als agglutinierte Form aus dem Singular zu verstehen : la frairie zu H'afrairie, davon les afrairies. Etymologie Nfr. frairie aus mfr. afr. frerie, frarie (13.—16. Jahrhundert), apr. frairio, freyrio aus vit. FRATRIA (seit dem 9. Jahrhundert). Die Erhaltung des vortonigen a im afr. und mfr. deutet darauf hin, daß es sich um eine sehr alte Ableitung handeln muß. Dies führt v. Wartburg 1 zu dem Schluß, daß dem vit. FRATRIA das gr.