Der Apostel Paulus: Ein Lebensbild 9783111572345, 9783111200491


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Table of contents :
Vorwort
Einleitung
I. Sein Werden
II. Sein Wirken
III. Sein Ausgang
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Der Apostel Paulus: Ein Lebensbild
 9783111572345, 9783111200491

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Der Apostel Paulus.

Der

Apostel Paulus. Ein Lebensbild von

Matthey Wolff, Pfarrer.

Hieße«

I. Ricker'sche Verlagsbuchhandlung 1897.

Alle Rechte Vorbehalten.

H. Münchow'fche Hof- »I UntverfitätUruSerei, Gießen.

Es ist nicht meine Meinung, in den kurzen Ausführungen dieses Büchleins bisher Ungesagtes

gesagt oder etwa die theo­

logische Wissenschaft gefördert zu haben,

noch weniger der Be­

deutung des Apostels ganz gerecht geworden zu sein.

Von ver­

schiedenem Standpunkt kann man sein wunderbar reiches Leben

betrachten, ohne daß der eine den andern auszuschließen brauchte. Wenn

Vieles

auf

menschlich geredet

den

nachfolgenden

erscheint,

Blättern

so hoffe ich doch,

Blick werde genug Spuren davon finden,

„höhere", würde.

„christlichere"

Aber wie nun,

Manchem

zu

ein unbefangener

daß mir auch eine

Betrachtungsweise

nicht

ferne

liegen

wenn eine andere Weise unserer Zeit

dienlicher wäre? — Gerne sähe ich — das sei in aller Bescheiden­

heit gesagt — meine Ausführungen in den Händen der Vielen,

denen erst

an dem Verständnis christlicher Persönlichkeiten die

Erkenntnis wieder aufgehen muß, dgß es sich in unserm Christen­ glauben um mehr handelt, als um den eitlen, erdichteten Trost

naiver Gemüter, die mit kindlich

dumpfen

Sinnen in welt­

ferner Stille dahinleben, — auch in den Händen der Jugend, denen das Ganze des überlieferten Glaubens erst im Anschauen

christlicher Persönlichkeiten lebendig und anziehend wird.

Ist es

dem Büchlein beschieden, da und dort in diesem Sinne zu wirken,

dann wäre sein Zweck erreicht.

Selten einmal einem

Genius

in der Geschichte

beschieden,

der Menschheit

eigentümlichsten

die

ist es

Kräfte

seiner

Persönlichkeit weit über seine Zeit hinaus noch an späten Ge­ schlechtern wirksam werden zu lassen.

Dieser höchste Triumph

menschlichen Geistes bleibt den Wenigen Vorbehalten, die aus der Reihe der Großen der Menschheit emporragen,

wie aus

dem gleichmäßigen Zuge der Alpcnkette die Gipfel der einsamen

Bcrgriesen, grüßt.

welche

Helden des Geistes,

sind es gewesen,

ihrer Gedanken

Zeitgenossen,

zuerst

der Sonne

der Strahl

öfter noch

Helden

die so ganze Generationen zogen

vor

und, vielleicht

des

Glaubens

in den Bannkreis

unverstanden von

unsern staunenden Blicken

geistigen Führer der Menschheit.

zuletzt

und

dastehen

ihren

als die

— Wenn irgend einen, dann

zählen wir, wir Evangelischen wenigstens, den Mann zu ihnen,

dem die nachfolgenden Blätter gewidmet sind, den Apostel Paulus. Wo in der Geschichte

der Kirche aus Irrtümern und Ver­

kehrungen

Christentum,

das

reine

das

wahre Religion sich wieder emporrang,

Christentum

als

da war es immer sein

Geist, der aufs Neue lebendig zu werden schien und die rechten

Wege wies; und stets wird seine Persönlichkeit in ihrer erhabenen Größe mit ihrem Ringen und Kämpfen,

mit ihren Erfolgen

und ihrem tragischen Ende, mit ihrem ernsten Sinn und ihrem

weichen Herzen, mit ihrem Glaubensmnt und ihrer Siegesfreudigkcit jedes Herz ergreifen,

dem

noch Ideale geblieben sind, und

das noch von Dingen weiß, die über das Irdische hinausgehen. Diesen Mann uns näher zu rücken,

sein Werden und Wirken

zu schildern, vielleicht verständlich zu machen, ist unsere Aufgabe.

2

Der Apostel Paulus.

I. Sein Werden. Seine Herkunft. „Die Jugend zeigt den Mann, gleichwie der Morgen den

Tag verkündet".

So

wird jeder gewissenhafte Biograph mit

besonderer Teilnahme zu erforschen suchen, wie die Persönlichkeit geworden ist, die er zu schildern gedenkt, welche Einflüsse der

Erziehung, wie weit auf sie allein schon Herkunft und Umgebung bildend oder verbildend, hemmend oder fördernd gewirkt haben. Das

wird uns versagt sein. — Erst als junger Mann in nicht unbedentender Stellung tritt Paulus in das klare Licht der Ge­

schichte (Apg. 7. 57).

Was vor seiner Teilnahme an der ersten

blutigen Verfolgung der christlichen Gemeinde liegt, ist uns nur

in wenigen kurzen Notizen angedeutet. es wird uns davor bewahren,

neuerdings

öfters

gemacht

So schmerzlich das ist,

hier den Versuch zu machen, der die Eigentümlichkeit großer

wird,

Männer aus der Umgebung zu erklären, in der sie aufwuchsen, aus -den Bildungselementen, die ihre Zeit erfüllten, geistigen Strömungen, die ihre Zeitgenossen bewegten.

aus den Das heißt

doch, die Eigenart eines großen Mannes verständlich machen aus

dem Allgemeinen, das viele mit ihm besaßen, das Außergewöhn­

liche aus dem Gewöhnlichen, das er mit Vielen gemein hat. — Von Paulus wissen wir nicht genug, um das auch nur zu ver­ suchen.

Nehmen wir es als ein Zeichen dafür, daß weder seine

Herkunft, noch seine Erziehung ihn zu dem gemacht haben, was

wir mit detn Namen Paulus untrennbar zusaminen zu denken

pflegen.

Wir werden später sehen,

Bewußtsein die starken Wurzeln

daß auch für sein eigenes

seiner Kraft in dem Ereignis

gelegen haben, wo ein höherer Faktor in sein Leben eingriff.

Suchen wir die versprengten Notizen über seine Jugendzeit zu verwerten, so gut es geht! — Das Neue Testament zeugt an

verschiedenen Stellen davon, daß Paulus, mit seinem jüdischen Namen Saulus,

in Tarsus,

der Hauptstadt Ciliciens,

ge-

3

Der Apostel Paulus. boten sei,

also der Landschaft an der Südküste von Kleinasien,

am Busen von Iskenderun.

Aus einem jüdischen Hause stammt

er, „einer aus dem Volke von Israel, des Geschlechtes Benjamin,

ein Hebräer aus den Hebräern", wie er selbst sagt (Phil. 3. 5.). Auch nach der lebhaften Handelsstadt wird sich ja, wie nach allen

wichtigen Punkten des damaligen römischen Reiches, die jüdische

Diaspora ausgedehnt haben. eilte

nicht

Sein Vater hat,

Stellung

unbedeutende

wie es

eingenommen;

scheint,

wenigstens

widerfuhr ihm die Ehre, daß er das römische Bürgerrecht erhielt,

für den Sohn ein Erbe, erweisen sollte.

das sich ihm

später als nicht wertlos

In seiner Vaterstadt wird Paulus auch schon

in dem Handwerk unterrichtet worden sein,

aus dem er später

mitten in seiner Missionsthätigkeit gar ost seinen Lebensunter­

halt gewonnen hat.

Apg. 18. 3. nennt ihn einen Teppichmacher,

und Tarsus war der Hauptsitz der Cilieiumweberei,

welche die

Haare der zahlreichen an den Abhängen des Taurus weidenden Ziegen zu Decken, namentlich Zeltdecken verarbeitete.

Wie lange Paulus in Tarsus geblieben ist,

wie weit bei

seinem Weggang von dort seine Bildung schon vollendet war,

wissen wir nicht. verlebt hat,

Doch ist die Zeit, die er in seiner Vaterstadt

bedeutsam genug für ihn gewesen.

nämlich, wie schon gesagt,

So wenig wir

seine Eigenart aus der Umgebung

erklären wollen, in der er seine Kindheit und erste Jugend ver­ bracht hat, so berechtigt und interessant wird es sein, dem Vor­

sehungsvollen

nachzudenken, das

auch

in

der Herkunft dieses

„auserwählten Rüstzeuges" liegt,

wiefern er dadurch vorbereitet

war für seinen späteren Beruf.

Dürfen wir doch annehmen,

daß sich auch bei ihm, wie bei allen großen Männern der Kirche, eine natürliche,

angeborene und durch die erste Erziehung und

nächste Umgebung gebildete Anlage in bett Dienst des Christen­ tums gestellt

Volkes, Stadt,

hat. — Er wächst heran,

nicht inmitten seines

sondern in einer überwiegend heidnischen Stadt,

von der wir wissen, daß in

seine Kraft über die Gemüter bewies.

einer

ihr der Götterglaube noch

Ein reicher Kultus mit

all seinen Auswüchsen, griechische Genußfreudigkeit zu orientalischer 1*

Drr Apostel Paulus.

4

Unfittlichkeit steigernd,

stand hier gerade

in hoher Blüte.

So

lernte der junge Israelit früh und aus eigenster Anschauung kennen, was er später bekämpfen und überwinden sollte. damals mußte es ihm klar werden, einen Kampf

Glauben nur

galt,

Schon

daß es gegenüber diesem und

je offener die

tiefen

Schattenseiten der heidnischen Religion ihm hier vor Augen lagen, um so fester mußte ihm die Überzeugung werde», daß es

aus einer Religion, konnte,

die Derartiges duldete oder gar erzeugen

kaum mehr eine Brücke zu einem reinen Gottesglauben

gab. — Schon

in seinem Geburtsort ist ihm auch das Griechen­

tum nahe getreten,

dem später die Arbeit seines Lebens galt.

Nur so können wir uns

seine Virtuosität in der Handhabung

der griechischen Sprache erklären, wie sie in seinen Schriften zu

Hier hat er griechisches Leben kennen gelernt,

und

das gab seiner Sprache die lebhafte Farbe, das ließ ihm,

rein

Tage tritt.

äußerlich angesehen, die Fähigkeit erwachsen, unbefangen in seinen Reden und seinen Briefen

die Sitten und Gewohnheiten der

Hellenen zur Veranschaulichung heranzuziehen, die Athleten, die Wettläufer, die Triumphzüge, und dadurch gerade den Griechen verständlich zu werden. Und mehr noch! Nur weil er von Kind­ heit an einen Einblick gewinnen Leben der Hellenen,

in

konnte auch

in das geistige

ihre Weise zu denken und zu fühlen,

vermochte er das zu leisten,

was er als Pflicht seines Apostel­

den Griechen

ein Grieche zu werden. — Er ist

amtes ansah,

darum doch ein Glied seines Volkes geblieben.

nicht meinen,

Wir dürfen

er habe sich von griechischem Geist in irgendwie

nennenswerter Weise beeinflussen lassen, dürfen nicht einmal seine

Kenntnis der Werke griechischer Litteratur besonders hoch an­ schlagen.

So sehr sie ihm eine Anknüpfung an die Vorstellungen

des Volkes erleichtert hätte,

so nahe ihm nach unserm Gefühl

ein Citat oder eine Reminiszenz manchmal liegen mußte,

im

bestem Falle sind eS drei Stellen, die bei ihm ein Bekanntschaft

mit griechischem Schrifttum verraten, sich mehr um

und auch da handelt eS

sprichwörtliche Wendungen,

die

ihm

nicht

das

Studium, sondern schon der VolkSmund überliefert haben kann.

5

Der Apostel Paulus.

— Aber wenn er auch ein Jude geblieben ist, er war ein Jude -au§ der Diaspora, d. h.

aus dem Teil seines Volkes, der die

engen Grenzen der Heimat verlassen hatte und mitten im be­ wegten Leben der Welt stand, auch schon mancherlei weiterbildende, über das eigentliche Judentuin hinausführcnde Einflüsse an sich hatte

wirken lassen.

Diese Israeliten, die gewissermaßen eine Mittel­

stellung zwischen dem Heidentum und dem Juden-, bezw. Christen­

tum einnahnien, und diejenigen,

die sich aus den Heiden schon

an sie angcschloflen hatten, die Proselyten, kannte Paulus nach ihren Stimmungen und Bedürfnissen von Jugend

auf.

Das

hat ihn späterhin vor allen andern Aposteln befähigt, unter ihnen zu wirken.

Und wiederum, was ihn auch unterscheidet von den

ersten Aposteln,

der Zug ins Große,

den seine Arbeit an

sich

trägt, — auch das wird nicht zum Geringsten in seiner Herkunft

Nicht

der

begründet

liege».

Galiläas,

nicht in dem engumschränkten

in

Abgeschiedenheit

weltfernen

Kreise

eines

kleinen

jüdischen Hauses war seine Heimat; geboren in der großen Welt,

in einer lebhaften Stadt, wo Handel und Wandel blühte, Völker sich

berührten

und Nationen ihre Errungenschaften tauschten,

hatte ihm schon das Leben im Vaterhause den Blick geöffnet in die

Weite der Welt und ihn so, wenn auch in einer mehr äußer­ lichen Beziehung vorbereitet zu dem, was er später geworden ist, zum Apostel der Heiden.

So dürfen wir auch in manchen schein­

bar geringfügigen Umständen seines Lebens das Walten der Vor­ sehung erblicken, das ihn befähigt zu einem hohen Beruf.

2. Paulus als Pharisäer. Wir brauchten uns nicht zu wundern,

dieser Umgebung,

wenn Paulus in

wo er seine erste Jugend verlebt, wenigstens

das Schroffste und Engste seiner Religion darangegeben hätte, wie das viele seiner Glaubensgenossen in der Diaspora gethan haben.

Seine weitere Erziehung hat ihn davor bewahrt.

Wir

wissen nicht bestimmt, welche Gründe ihn aus der Heimat in verhältnismäßig früher Jugend nach Jerusalem geführt haben.

Der Apostel PanluS.

6

Der Glaube seines Volkes muß ihm persönlich doch schon früh

so wert geworden sein,

daß er das Bedürfnis hatte, tiefer in

ihn einzudringen, sein Wesen auch verstandesmäßig zu erfassen, die damalige Schristgelehrsamkeit kennen zu lernen. Über den

Gang

wir nichts.

seines Unterrichts wissen

GamalielS hat er gesessen,

Zu den Füßen

eines der Gelehrtesten

Gelehrten des Volkes (Apg. 22. 3).

unter den

Aber er ist nicht sein

Schüler gewesen in dem Sinne, daß er seine Eigenart wesentlich

von seinem Lehrer hätte bestimmen lassen.

Naturen der Beiden zu sehr verschieden,

Mann,

der auch der neuen Christuslehre

waren die

Dazu

Gamaliel ein milder

gegenüber die Rolle

eines ruhig zuwartenden Zuschauers spielen konnte, während des Schülers glühende Seele,

wie später,

so anch damals

nur un­

bedingte Entscheidung, nur ein Entweder — Oder zulassen mochte.

So wurde er in Jerusalem denn auch ein eifriger Anhänger der strengsten Richtung innerhalb des Judentums.

Diese repräsentierte den eigentlichen glaubcnstreuen Stamm

inmitten der bunten Menge von Bildungen und Richtungen, die im Judentum entstanden waren, seit cs auS der Enge nationaler

Beschränkung hinausgetreten Welt draußen gekommen war.

und

in

vielfache Beziehung zur

WaS draußen in der Diaspora,

wo die wenigen Juden einer an Zahl und Bildung überlegenen

heidnischen Gesellschaft gegcnüberstanden, vielfach umbildend und zersetzend

gewirkt hatte,

der verführerische Zauber einer freieren

Lebenshaltung und die reiche Fülle griechischer Weisheit,

das

hatte im Lande selbst, wie früher schon mehrfach, bei dem größten

Teil des Volkes nur den schärfsten Gegensatz geweckt.

Aus seinem

Mutterboden war daS Judentum noch stark genug,

seine Ur­

sprünglichkeit zu behaupten, und die Abneigung gegen den Götzen­

dienst der verachteten Heiden, gestärkt durch den nationalen Haß gegenüber dem politischen Druck der Fremdherrschaft festigte die

Treue gegen den Glauben der Väter. Die Führer dieser Opposition oder besser ihre entschiedensten und einflußreichsten Vertreter waren die Pharisäer, die „Abgesonderten". — Wir sind gewohnt, mit

diesem Namen üble Vorstellungen von Selbstgerechtigkeit unt>

Der Apostel PauluS.

Heuchelei zu verbinden, und nicht ohne Grund.

Aber der Kern

der Bewegung war ein guter, die Treue gegen den überkommenen

Glauben; sie hat eine reinere Gottesanschauung lange vor Ver­ kehrung geschützt. Je eifriger aber die Pharisäer das erstrebten,

je konservativer sie waren, um so mehr traten die Mängel und Einseitigkeiten ihrer Religion heraus. Sie hatten das Wesen

ihres Glaubens in der Form des Gesetzes, das mit göttlicher Autorität umkleidet war, und darin hatten sie eine sichere sitt­ liche Norm, die allen tastenden Versuchen der heidnischen Reli­ gionen selbst bei ihren besten Vertretern unendlich überlegen war. Aber es war ihnen äußeres Gesetz, und in dem gewissenhaften Eifer, das Alte zu wahren, verlernten sie, zwischen Kleinem und Großem zu scheiden. Ja, sic fügten neue Forderungen hinzu, Forderungen, welche die ganze Lebensführung bis in die gewöhn­

lichsten täglichen Verrichtungen hinein aufs Peinlichste regelten, — und gerade diese wurden ihnen wichtiger als die großen Gebote,

in denen das Wesen wahrer Sittlichkeit sich ausprägte (Mt.23.23.) Allein die pünktliche Befolgung aller,' auch der kleinsten Einzel­

gebote konnte

nach ihrer Ansicht die Gerechtigkeit

vor Gott

bringen, gab dem Israeliten das Recht eines Vollbürgers der Theokratie und damit Anteil an ihren Gütern und Gaben- Es war dann aber auch der verdiente Anteil.

Weil sie sein Gesetz

hielten als der wahre „Same Abrahams" (Luc. 3. 8.), darum schuldete Gott ihnen den gebührenden Lohn, schuldete ihnen die Erfüllung der herrlichen

Weissagungen,

welche

die alten

Schriften kündeten, schuldete ihnen das endliche Kommen des messianischen Heils, an dem sie als die besten Glieder des auS-

erwählten Volkes selbstverständlich vollen Anteil haben würden. So kam es dahin, daß das Bild des Pharisäers, wie es Jesus

Luc. 18 zeichnet, in der That keine Karikatur war. Sic waren selbstzufrieden und selbstgewiß geworden und über dem Eifer, Gott zu dienen in der treuen Befolgung seiner Gebote, geschah

ihnen,

was das Ende jeder gesetzlichen Frömmigkeit ist:

Wesentliche jeder echten Religiosität ging ihnen

das

verloren, die bescheidene Erkenntnis eigener Unzulänglichkeit und die demütige

8

Der Apostel Paulus.

Bereitwilligkeit, sich begnadigen zu kaffen.

So standen sie da

als die eigentlichen Vertreter der Gesetzesreligion und,

Mängel wir von einem Hähern Standpunkt an

mögen,

im Grunde dürfen wir uns

nicht

wieviel sehen

ihnen

wundern,

daß ihre

Anschauungen, die gewissermaßen jeder suchenden Seele die Ge­ rechtigkeit vor Gott und also die volle Gemeinschaft mit ihm in

der klaren Anordnung von Leistung und Lohn verbürgten, alle

diejenigen

einen

auf

gewaltigen Eindruck machten, denen die

Religion nicht ein Spiel, sondern die ernste Angelegenheit ihres

Lebens war. Auch Paulus hat das an sich erfahren, und, wie alles, so

ergreift er auch dies mit ganzer Seele.

„Ich nahin zu im Juden­

tum über viele meines Gleichen in meinem Geschlecht und eiferte über die Maßen um das väterliche Gesetz", so erzählte er später

(Gal. 1. 14), und noch im späteren Leben durfte er sagen, daß

er redlich seine Pflicht gethan habe, nach der Gerechtigkeit im Gesetz gewesen sei unsträflich (Phil. 3. 6).

die

Befriedigung,

die

ein

Er suchte mehr dabei als

tugendhafter Wandel in sich trägt.

Sein Eifern um das Gesetz war ein Eifern um Gott; er wollte gerecht sein,

um so Gott haben, seiner sich getrosten und darin

selig sein zu können.

Nichts weist darauf hin, daß er so nicht

seine Befriedigung gesunden, daß er damals schon etwas Besseres, etwas Neues gesucht habe. Er war Pharisäer aus Überzeugung.

Das kann uns verwunderlich erscheinen, und doch sehen wir auch

darin, in dieser vollen Entscheidung für die jüdische Religion ein Element, das ihn zu seinem späteren Leben befähigt und vorbe­

reitet hat.

Nur wer, wie er, das Judentum in seinen schärfsten

Consequenzen mit all seinen guten und schlechten Seiten durch­ gelebt hatte,

war imstande und berufen, diese Religion als

Bote einer neuen, höheren Offenbarung zu überwinden,

wie er

es thun sollte.

Die Zeit war nicht fern, in der das die höchste Ausgabe seines Lebens wurde.

Eine wunderbare Bewegung

machte sich

schon seit einigen Jahren innerhalb des Judentums bemerkbar

und gewann immer weitere Kreise, die Jünger des Jesus von

Der Apostel Paulus.

g

der hauptsächlich auf Betreiben der Pharisäer

Nazareth,

Tod des Staatsverbrechers gestorben war.

sie sich

den

Eine Zeit lang hatte

einiger Duldung erfreut und war unter der Gunst der

Verhältnisse in überraschender Weise gewachsen, über Jerusalem und Palästina hinaus in die jüdische Diaspora.

Zeit kann

Erst um diese

Paulus nach Jerusalem gekommen sein.

Wenigstens

dürfen wir nach manchen Stellen seiner Briefe, vor allem auch,

weil er auffallend selten auf Ereignisse anS dem Erdenleben des

Herrn Rücksicht nimmt, sicher sein,

daß er erst nach dem Tode

Jesu nach Jerusalem übersiedelte. Sobald er aber erst dort war,

mußte

er auf die neue Sekte

aufmerksam werden.

Was er

mit ihrem seltsamen Glauben noch

erhoffte,

die Offenbarung

Gottes in dem verheißenen Messias, das glaubten diese Männer schon geschaut zu haben, davon redeten sie mit deni ganzen Eifer und der vollen Freudigkeit, die nur innerste persönliche Über­ zeugung verleihen kann.

An und für sich bot

scheinung ja nichts Auffälliges.

Nicht zum

die neue Er­

ersten Male war

eine messianische Bewegung in Israel entstanden.

Aber bisher

waren das nationale Erhebungen gewesen, von den „Obersten des

Volkes" vielleicht, von den Pharisäern sicher nicht angefeindet,

sondern im Geheimen unterstützt.

Die neue Richtung, anknüpfend

an einen gerichteten Mann, trat anders auf, nicht mit politischen Wünschen und weltlichen Hoffnungen, sondern mit der frohen Botschaft von einem Reiche Gottes, in das jeder, auch der Ärmste

und

Verlorenste berufen sei,

mit der

ernsten Mahnung,

sich

darauf vorzubereiten, hinweisend auf den Messias, der schon ge­ kommen sei, und der doch ganz anders war, als die patriotischen

Hoffnungen deS Volkes ihn sich ausmalten, auf einen Messias, der — in den Augen jedes Juden ein Ärgernis, eine Ungeheuer­

lichkeit — den schimpflichen Tod am Kreuz gestorben war. Welcher

Pharisäer hätte sich hier gewinnen lassen? Nicht genug damit ! Die neue Sekte trat noch in einen weiteren Gegensatz zum Väter­

glauben. sein,

Immer deutlicher kam ihren Anhängern zum Bewußt­

was einer ihrer Führer einmal gesagt: Es ist in keinem

andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben,

10

Der Apostel Paulus.

darinnen sie sollen selig werden, denn der Name ihres Meisters. Gegenüber dem, was sie in ihrem Herrn hatten, wurde ihnen —

und das konnte nicht anders sein — alles Andere, was die Religion des Alten Testamentes ihnen bot, gleichgiltig, auch das

Gesetz; und je eifriger der Wert des Gesetzes auf Seiten der Juden betont wurde, um so mehr lernten die Christen darauf dringen, daß eS im letzten Grund für das Heil der Seele wert­ los sei. Diese dem Judentum direkt entgegen gesetzte Richtung der

Christengemeinde

knüpst sich

in

der Geschichte

an

den

Namen des Stephanus. Er fiel denn auch dem nun aus­ lodernden Haß der Juden zum Opfer. Eine Zeit lang hatte man vielleicht die Anhänger des Jesus von Nazareth aus Gleich­

giltigkeit dulden können; als sie das Palladium des Gesetzes antasteten, war das für einen Pharisäer wenigstens nicht mehr möglich. Einer der eifrigsten Verfolger war der junge Paulus,

er griff selbst bei der tumultuarischen Hinrichtung des ordnungs­ widrig verurteilten Stephanus ein, und er vor allem gab

sich nicht damit zufrieden: Nicht nur der Wortführer, die ganze verderbliche Sekte mußte ausgcrottet werden. Als das in Jerusalem erreicht zu sein schien, die Gemeinde zerstört oder doch gänzlich eingeschüchtcrt ist, ihre Führer geflohen sind, da schaut der junge Eiferer weiter und ist darauf bedacht, auch die jüdischen Brüder in der Diaspora vor der verderblichen Lehre zu schützen,

diejenigen aber, die sich schon hatten verführen lassen, zurück zu gewinnen, selbst mit Gewalt. Der Hohepriester, das Synedrion, die eine Art geistlicher Gerichtsbarkeit auch über die Gemeinden draußen in der Heidenwelt hatten, müssen ihm ihre Hand leihen.

Ausgerüstet mit weitgehenden Vollmachten, bricht er auf nach Damaskus, der Hauptstadt Syriens, wo eine zahlreiche Juden­

schaft war und das Christentum schon Eingang gesunden hatte (Apg. 9. 1 ff.). Er gedachte einen Hauptschlag gegen die ver­ haßten Feinde seines Glaubens zu führen.

Aber aus diesem

Wege sollte er die große Wendung seines Lebens erfahren, das

wunderbare Ereignis, worden ist.

das ihn zu

dem machte, was er ge­

Ter Apostel Paulus.

11

5. Seine Bekehrung. Die Berichte darüber, die und erhalten sind, teils von ihm selbst herrührend,

teils in sekundären Quellen, sind nur kurz.

Sie lasten uns gerade in dem Punkte im Stich, worin wir am

liebsten möglichst klar sehen möchten: wir hören nichts von den die ihn bewegten,

Stimmungen,

als er sich aufmachte, um die

Verfolgung auch in die Diaspora hineinzutragcn. Eins ist sicher:

Paulus selbst hat in seiner späteren Er­

innerung sein Erlebnis als einen totalen Umschwung empfunden.

Unter dem gewaltigen Eindruck, den die neu gewonnene christ­ liche Überzeugung auf ihn machte, hat er, wie es scheint, nie daran gedacht,

daß sie sich allmählich

vorbereitet habe.

Und

gewiß dürfen wir nicht versuchen, seine Bekehrung so darzustcllen,

als wenn

er allmählich sich zurecht gesunden hätte, als wenn

aus dem Haß gegen das Christentum

durch den Eindruck der

Predigt und des Lebens seiner Bekenner zunächst eine Hinneigung

zu der verhaßten Sekte in ihm entstanden sei

und dann ein

Schwanken zwischen dem Glauben der Väter und dem Glauben

an Christus,

bis er endlich einen neuen Standpunkt eben aus

der Reise nach Damaskus gewonnen habe.

In dem Falle ließe

sich sein Verfolgungseifer nur dadurch erklären,

daß

er seine

innere Unruhe durch verdoppelten Eifer um das Gesetz und ge­

steigerten Haß gegen die Christen habe bekämpfen wollen, während ihm doch schon die Ahnung kam, er sei im Unrecht und jene im Recht.

Welches Bild würde uns das von dem Charakter dieses

Mannes geben? Wenn es richtig wäre, — wir fänden bei der

Offenheit,

mit der der Apostel späterhin seine früheren Fehler­

bespricht, sicher ein Wort, das darauf hindeutete, er habe wider besseres Wissen gehandelt und dadurch seine Sünde nur noch

schlimmer gemacht.

Er war ein Verfolger geworden, nicht weil

ihm sein Glaube zweifelhaft, und er selbst unsicher geworden war, sondern weil er mit voller Überzeugung in seinem Glaubeil stand. —

Und doch muß seine ganze Stimmung besonders geartet gewesen

fein.

Mochte er eifern um das Gesetz,

mochte er meinen,

es

Der Apostel Paulus.

12

könne gar keinen andern Weg zu Gott geben als diesen schweren unter dem Joch harter Forderungen, mochte er noch so sehr danach

trachten, unsträflich im Gesetz erfunden zu werden, seine ganze Art, wie wir sie aus seinen eigenen Zeugnissen kennen lernen,

machte cs

ihm unmöglich,

in eine satte, selbstgenügsame Zu­

friedenheit hinein zu geraten, wie sie uns bei manchen seiner Ge­

sinnungsgenossen so abstoßend entgegentritt.

Schwerlich hat er

schon so klar, wie später als Christ (Röm. 7.) erkannt, daß es auf diesem Wege unniöglich sei, gerecht zu werden und die Ge­ wißheit seines Heils zu finden.

besiern Weg gesncht.

Schwerlich hat er schon einen

Aber je ernster er es auch als Pharisäer

meinte, um so weniger konnte cs ihm genügen,

äußerlich nach

dem Gesetz zu leben, um so weiter war er entfernt von einem

unwahren und selbstgewissen Wesen, wie cs eine gesetzliche Frömmig­ keit so leicht mit sich bringt.

Er war doch noch

eine suchende

Seele und darum empfänglich für Besseres und Höheres.

So etwa mag seine Stimmung gewesen sein, als er nun mit wenigen Begleitern die Straße nach Damaskus dahinzog. Knrz vor der Stadt ereilte ihn eines Höher« Hand.

Der einzige

Zeuge, der uns von seinem Erlebnis berichten konnte, ist er selbst, gewiß auch der zuverlässigste.

Dreimal hat er selbst davon be­

richtet: Gal. 1. 13 ff., Phil. 3.6 ff., 1. Cor. 15, 8.,

immer

nur das Wichtigste am Hergang betonend: das Plötzliche des

Umschwungs, seine eigene Unwürdigkeit, greifen Gottes.

Was die Einzelheiteil

das unmittelbare Ein­ des Vorganges angeht,

so wird die Apostelgeschichte mit ihren dreifachen Berichten (9. 1 ff.

22. 6 ff. 26. 10 ff.), wie sie in den wesentlichen Punkten übcr-

einstiinmen,

auch in den wesentlichen Punkten der Erinnerung

entsprechen, die Paulus von seinem Erlebnis hatte.

Er hat den

Herrn gesehen, den Auferstandenen; er muß eine Stimme ver­ nommen haben, welche die Überzeugung in ihm weckte, daß es eben der gekreuzigte, nun zum Himmel erhöhte Christus sei, der ihm erscheine, daß der,

den er als schlimmsten Verbrecher auch

über den Tod hinaus mit bitterm Haß verfolgte,

dennoch im

Rechte, dennoch der Gottgcsandte und von Gott Geliebte sei, und

Der Apostel Paulus.

13

daß er ihn, seinen Berfolger, zu seinem Jünger berufe.

Wie

er den Herrn gesehen hat, vermögen wir nickt zu sagen.

Wir

betreten hier ein Gebiet,

das menschlicher Erfahrung durchweg

unzugänglich ist.

Und gerade hier hat die kritische Bestreitung dieses Ereig­ nisses eingesetzt bis hinein in die zum Mindesten geschmacklose

Behauptung, der Apostel habe ein Gebilde der eigenen überreizten Sinne gesehen. Dem gegenüber hat jeder besonnene Denker sich die

Thatsache klar zu

halten,

daß

auch

ein Prosanhistorikcr bei

nüchternster Erwägung dieses Vorganges auf einen Punkt stößt,

wo die logische Zergliederung aushört, wo zur Erklärung des ge­

waltigen Umschwunges im Leben des Apostels nur noch das Uner­ klärliche, nicht Nachzudenkende auszurcichcn scheint. Was kann uns

danach hindern, die einzige Erklärung in einem Vorgang zu finden, de» wir so nicht nacherleben können, in einem besonderen Ein­ greifen Gottes,

eigentümlicher noch als sein Eingreifen bei der

Bekehrung eines jeden Menschen, in einer besonderen GottcSthat,

die sich auch vor unserm christlichen Denken rechtfertigt durch den besonderen Zweck,

einen Zeugen des Evangeliums

zu ge­

winnen, wie es der Verfolger dann wurde? Anders zieht Paulus in Damaskus ein, als er ausgezogen

ist, gleichsam ein gebrochener Mann. Sein ganzes Wesen ist bis in

seine innersten Tiefen erschüttert.

furchtbaren Tagen

Seine Stimmungen in diesen

können wir uns nicht leicht zu finster und

dunkel vorstelleu. Dieses eine Erlebnis hatte ihm alles zerbrochen,

was ihm bisher hoch und heilig und verehrungswürdig gewesen war.

Alle Autoritäten, denen er bisher vertrant, die sein Leben

und Wirken bestimmt hatten, waren mit diesem einen Male für ihn dahin! Ja, was ihm bis jetzt heiligste Pflicht und mehr als das, höchstes Verdienst gewesen, nicht nur vor Menschen, sondern

auch vor seinem Gott, — das fanatische Eintreten für den Väter­

glauben und der Verfolgungseifer gegen die Anhänger Jesu, das erkannte er nun als schlimmste Sünde, gegen Gott und seinen Gesalbten.

als direkte Feindschaft

Wir brauchen uns nicht zu

wundern, daß seine zarte, sensible Natur, vielleicht besonders nach

14

Der Apostel Paulus.

dieser Richtung

(Gal. 4. 15.), auch

empfänglich

Folgen der gewaltigen seelischen

physisch die

Erschütterung empfand:

drei

Tage lang hält ihn Blindheit gefangen. Die Erinnerung an diese furchtbaren Stunden hat ihn nie ganz verlassen; immer wieder,

auch in seinem spätern Leben,

drängt sich ihm dos schmerzliche

Bekenntnis seiner schweren Verfehlung auf, das Staunen darüber, Als solche hat er sein Er­

dennoch Gnade gefunden zu haben.

lebnis stets aufgefaßt, und diese Gewißheit im Verein mit dem

brüderlichen Zuspruch,

den

er in Damaskus bei denen fand,

welche er hatte verfolgen wollen, half dazu,

ihn wieder aufzu­

richten. Es war die große Wendung seines Lebens: in der That war er, wie er es später selber bezeichnet hat, „eine neue Krea­

tur"

geworden (2.

Cor. 5. 16).

So gewaltig war der Um-

schwung, daß er, der, wie kaum ein Anderer, in der alttestament-

lichen Religion gelebt hatte,

auch den Juden wieder ein Jude

werden mußte, wie den Heiden ein Heide. — Aber nicht nur seine Bekehrung war damit gegeben.

Was er erlebt hatte, sollte

die ganze Eigenart seiner Verkündigung, seiner Auffassung vom

Heil in Christo ausnehmend bestimmen. Nicht durch eignes Nachdenken

über

das, was

Christo wußte, war er zum Glauben gekommen,

er von

sondern durch

die erlebte Thatsache, daß Gott sich ihm, dem Verfolger gnädig erwies.

Das hatte er nicht verdient, eher das gerade Gegenteil.

Wenn in der That sich das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen nach Leistung und Lohn,

nach

rechtlichen

Gesichts­

punkten regelte, wie er mit den Pharisäern gemeint hatte, dann hätte sich ihm Gott ganz anders zeigen müssen.

Nun erfährt er

aber in der Erscheinung Christi die Liebe und Freundlichkeit Gottes! Damit war alles gegeben.

Ist das Thatsache, so kann

nicht das sittliche Verhalten des Menschen ihm die rechte Stellung zu Gott geben, vielmehr ist Gottes Wohlgefallen ein freies Ge­ schenk.

Dann kann aber anch das so hoch verehrte Gesetz, das

eben die Leistung des Menschen nach göttlichem Willen regeln

soll, nicht die Bedeutung haben, die er ihm bisher beigelegt hatte —

Der Apostel Paulus.

15

ihn wenigstens hat seine peinliche Beobachtung nur zum Feinde Gottes gemacht. — Und wenn das nicht der Fall, dann sinkt

ja auch die Schranke,

die bis dahin das auserwählte Volk von

den andern zu scheiden schien, dann ist eben dies Heil für alle Menschen in gleicher Weise da. Dies Heil aber, welches das Gesetz

nicht bringen konnte, knüpft sich — wie er wiederum selbst erfahren Jesiis von

hatte — an Christus, den gekreuzigten Messias.

Nazareth ist wirklich der Ersehnte und Verheißene. tod schließt das nicht aus,

Sein Kreuzes­

nein, er muß in Gottes Willen ge­

legen haben, da der Gekreuzigte ja von Gott erhöht ist. So bietet er kein Ärgernis mehr, vielmehr ist er das Wichtigste in

dem Werke des Herrn,

auswirkt.

das,

worin seine ganze Bedeutung sich

In ihm muß das Heil für die Welt liegen, in ihm

die Gnade Gottes wirklich und wirksam werden.

Christus, der

Gekreuzigte und Erhöhte, — das ist der Kern der christlichen Verkündigung. Das müssen die Gedanken gewesen sein,

die durch sein

Erlebnis in ihm angeregt worden sind, wenigstens,

das aus seiner spätern Predigt schließen können.

soweit wir

Daß er ernst­

haft über den wunderbaren Vorgang nachgedacht hat, ist so selbst­

verständlich, daß wir es auch trotz des Fehlens einer ausdrück­ lichen Nachricht

annehmen dürfen.

Gewiß drängte ihn seine

energische Natur zur Mitteilung: er konnte nicht Christ sein, ohne Apostel zu werden.

samkeit beginnen.

Aber er konnte auch nicht gleich seine Wirk­

Eine Zeit der Sammlung, in der er das

Erlebte verarbeitete, mußte ihm Bedürfnis sein.

Dazu war die

Stadt mit ihrem vielbewcgten Leben nicht angethan; zum Mindesten hätte gerade er doch die Aufmerksamkeit der Christengemeinde,

die er hatte verfolgen wollen, auf sich gezogen. die Stille,

wie er selbst berichtet,

So geht er in

nach Arabien (Gal.

1. 17.),

worunter jedenfalls die Umgebung der für ihn so wichtig ge­ wordenen syrischen Hauptstadt zu verstehen ist.

Eine für seine

innere Entwicklung bedeutsame Zeit mag er da durchlebt haben.

Nicht als wenn sein Evangelium, ein Erzeugnis

eigenen

wie er es später verkündigte,

Nachdenkens

in diesen

Tagen gewesen

Ter Apostel Paulus.



wäre, als wenn er seine Lehre erdacht hätte, — worüber er

nachsann, das war ihm durch die Offenbarung gegeben. Nicht als wenn er noch unklar gewesen wäre, noch in Zweifel gelebt hätte, — die Grundzüge seines neuen Glaubens standen ihm fest. Nicht als wenn er in jenen Wochen oder Monaten ein System

seiner Lehre sich aufgebaut hätte — seine Verkündigung wird

sich in ihren Einzelheiten und ihrer besondern Ausprägung erst entwickelt haben an den Fragen, die sein späteres Leben ihm so reichlich bot. Wir können nur sagen: der Aufenthalt in Arabien

war für ihn eine Zeit des Sich Sammelns, Vertiefens und Rüstens, mit einem Wort, der Vorbereitung für das Werk seines Lebens.

II. Sein Wirken. Die Anfänge.

a. Damaskus und Jerusalem. Stille.

Lange duldete es diesen feurigen Geist nicht in seiner Er kehrte nach Damaskus zurück, um die Arbeit seines

Lebens zu beginnen, eine Arbeit, die erst der Tod enden sollte. Sein Auftreten weckte das höchste Staunen, vor allem bei der Christengemeinde, und es war sicherlich nicht ohne Erfolg. Allein die Thatsache, daß aus dem Verfolger ein

Verkündiger der Bot­

schaft von Christus geworden sei, war ja das gewaltigste Zeug­ nis für die Kraft und Wahrheit des Evangeliums. Kein Wunder, daß die Judenschaft seinen Abfall mit verdoppeltem Haß vergalt. Sie scheint einflußreich genug gewesen zu sein, die Obrigkeit ihren

besonderen Zwecken dienstbar zu machen.

Der Statthalter des

Nabbathäerkönigs Aretas, des Beherrschers der Stadt, — seit dem Jahre 34 — läßt auf ihn fahnden (2 Cor. 11. 32). Die

Thore sind scharf bewacht; man muß ihn nachts in einem Korbe durch ein Fenster in der Mauer niederlassen, um ihm zur Flucht

zu verhelfen. Was nun? Drei Jahre waren seit seiner Bekehrung ver­ floßen (Gal. 1.18.), und noch hatte er Jerusalem, von wo er aus-

Der Apostel Paulus.

17

gegangen war, nicht gesehen. Manches mochte ihn jetzt dahin ziehen.

Bor allem die eigentümlichen Schwierigkeiten seiner Stellung, die wir nicht unterschätzen dürfen. Die persönliche Berufung durch den

Herrn gab ihm Recht und Pflicht, sich nicht unter, sondern neben die 12 Urapostel zu stellen, und er selbst hatte das Bewußsein, das zu dürfen. Würde er als gleichberechtigter Genoste von ihnen an­

erkannt werden? Würden sie nur das allzu berechtigte Mißtrauen

gegen ihn fahren lassen? Würde die Freude über seine Bekehrung stark genug sein, die Erinnerung an die erlittene Unbill zu über­

winden?

Entscheidend konnten diese Fragen nur in Jerusalem

ausgetragcn werden. Auch wenn er sich seiner selbständigen Stellung bewußt war und gewillt, sie zu behaupten, mußte es ihm ein

Bedürfnis sein, mit der Urgemcinde, wenigstens in ihren Haupt­

vertretern, in Beziehung Zli treten.

So können wir uns nicht

wundern, wenn er gerade diese Zeit nach der Flucht aus Damas­ kus, nachdem seine Wirksamkeit aus dem einen Felde unterbrochen

war, und ein neues sich ihm noch nicht austhun wollte, zu einem Besuch in Jerusalem benutzte. Er hat später mit aller Beflissen­ heit betont, es sei nur ein Besuch gewesen (vgl. Gal. 1,18. die

Kürze der Zeit). Es kam ihm eben darauf an, seine Selbständigkeit

zu wahren, ohne doch auf die Gemeinschaft mit den ältern Aposteln zu verzichten.

Die meisten von ihnen hat er garnicht gesehen, bloß

Jakobus, den Bruder des Herrn flüchtig kennen gelernt. Näher getreten ist er nur dem Petrus.

Bon ihm

(Gal. 1. 19. 20.).

mag er Mitteilungen über das Erdenleben

Jesu

erbeten und

bekommen, namentlich auch manches der „Herrenworte" erfahren

haben,

die er später bei mannigfachen Fragen als unverbrüch­

liche Borschristcu und entscheidende Instanzen verwertet.

zehn Tage ist

Jerusalem gewesen, eine Zeit,

Fünf­

dieses Mal in

er nach seinem eigenen Bericht

lang genug um vo» Petrus die

gewünschte Nachricht zu enipfangen, aber zu kurz,

um von ihm

abhängig zu werden, oder gar als sein Schüler zu gelten.

Er hatte

ja auch nach seinen Erlebnissen inhaltlich nichts von Petrus zu

lernen, damals so wenig, wie später.

(Gal. 2, G.).

notwendige Fühlung mit diesem Führer

der

Als er die

ersten Gemeinde 2

Der Apostel Paulus.

gefunden hatte, hielt ihn nichts mehr in Jenisalem. Gemeinde selbst war er gar nicht zusammen.

Mit der

(®oL 1. 22.).

Es

wäre unweise gewesen, gerade in jener Stadt, unter den Augen seiner ehemaligen Gönner, allzu sehr in die Öffentlichkeit zu

Hier war für seine Mistionsthätigkeit kein Raum; schon

treten.

aber hatte sich ein anderes Gebiet seiner Wirksamkeit ausgethan,

b. Dir vierzehn Jahre in LUicirn und Syrien. Über der eigenen Erfahrung der Gnade Gottes war ihm

die Erkenntnis aufgegangen, daß das Heil in Christo nicht nur für Israel, sondern für die ganze Welt bestimmt sei.

So zieht es

ihn aus den engen Grenzen Palästinas hinaus ins Weite, in die

Diaspora, in die Heidenwelt.

Was lag näher, als zunächst seinen

Wohnsitz in seinem Geburtsorte Tarsus aufzuschlagen und dort,

wo er alle Verhältnisie kannte,

seine Wirksamkeit zu beginnen?

Er selbst berichtet uns nur kurz, aber deutlich über die nächsten Jahre seines Lebens. (Gal. 1, 21; 2, 1.). In Syrien und Cilicien hielt er sich auf, und zwar wahrscheinlich vierzehn Jahre lang.

Die Hauptorte seiner Thätigkeit waren demnach wohl Tarsus und

Antiochien, wie das auch die Apostelgeschichte andeutet (11, 25 ff.).

Namentlich die letztere Stadt scheint für die Christenheit und ihre Ausbreitung eine immer wachsende Bedeutung gewonnen zu haben.

Die Gemeinde dort war ein lebendiges Zeugnis da­

für, daß selbst die blutige Verfolgung der Kirche nur dazu dient,

das Christentum weiter zu tragen.

Die schweren Anfeindungen,

die über die Gemeinden in Palästina dahinbrausten, hatten viele Christen hinausgetrieben, und diese hatten das Evangelium nach Antiochien getragen.

Juden,

Die ersten Flüchtlinge, selbst ehemalige

wie denn die Gemeinde in Jerusalem nur aus Juden­

christen bestanden zu haben scheint, wandten sich zunächst an die

Synagoge und suchten dort Einfluß zu gewinnen.

Aber damit

hätte man sich auf einen zu kleinen Kreis beschränkt.

Juden

aus der Diaspora, aus Cyrene und Cypern, schon vermöge ihrer Herkunst und ihres Lebens draußen in der großen Welt mit einem weiteren Blick begabt, predigten das Evangelium auch den

Der Apostel Paulus.

19

Heiden, mit großem Erfolg, vielleicht zu noch größerem Staunen

ihrer ängstlicheren Brüder.

Ein

Mann

wird

als besonders

erfolgreicher

Arbeiter

genannt: Barnabas aus Cypern, der in Jerusalem auch in Beziehung zu den Uraposteln getreten war. Er ward aufmerksam auf den eben bekehrten Paulns und holte ihn wahrscheinlich nach Antiochien, oder Panlus schloß sich ihm aus freien Stücken an. nicht.

Genaueres über ihreThätigkeitberichtetPauluS uns wenigstens Wir erfahren aus dem Galaterbrief — und das ist die

einzige Quelle, die wir hierfür von seiner Hand haben — nur, daß sie sich eines großen Erfolges freuen durften. Das Fehlende mag uns die Apostelgeschichte berichten.

Was wir dort im 13.

und 14. Kap. über die sogenannte „erste Missionsreise" des Apostels lesen, das muß in diese 14 Jahre fallen.

Wir haben

keinen Grund an der Nichtigkeit dieser Erzählungen zu zweifeln.

Paulus bestätigt sie nicht ausdrücklich, aber wir finden bei ihm

auch nichts, was ihnen zuwiderliefe; vielmehr macht alles, was wir von ihm hören, es wahrscheinlich, daß ähnliche Vorgänge gerade in diese Zeit fallen, daß die Mission schon damals sich, wie die Apg. erzählt, nach Cypern und den südlichen Teilen

Kleinasiens ausgedehnt hat. Paulus arbeitete mit Barnabas zusammen; und wie es ihn nach seiner Bekehrung in seine Vaterstadt gezogen hatte, um

dort das Evangelium zu predigen, so hat sicherlich Barnabas sein Augenmerk von Antiochien aus bald auf die nahe Insel

Cypern gerichtet, die seine Heimat war. Die Beiden reisen ab, geleitet von den Wünschen und Gebeten ihrer antiochenischen Freunde, und durchziehen die ganze Insel bis zur Stadt PaphoS. DaS Nächstliegende war, sich überall zuerst an die Juden zu wenden. Die allgemeine Sitte, durchreisende Lehrer zur Predigt in der Synagoge zuzulassen, gab einen bequemen Zugang, und

Paulus war weise genug, ihn zu benutzen. Von Anfang an werden die Sendlinge gemerkt haben, daß ihre Botschaft vor allem bei denen Eingang sand, die ihr Meister vorzüglich zu sich ge­ rufen hatte, bei den Armen und Elenden, den Mühseligen und 2*

20

Der Apostel Paulus.

Beladenen.

Aber auch unter den Gebildeten der damaligen Zeit

regte sich hier und da die Sehnsucht nach etwas Besserem, als Arbeit oder Genuß, als selbst der überkommene Götterglaube oder

alte und neue Weltweisheit zu bieten vermochten. Ein unklares Tasten und'Suchen nach einer neuen Religion, nach neuer Offen­

barung ging durch die alternde griechisch-römische Welt, hier aus­ artend in eine Sucht des Zweifelns und Verzweifelns, wie sie unS die oft citierte Pilatussrage schildert, da zum Schweigen

gebracht durch ein üppiges Genußleben, das von der Hauptstadt aus immer weitere Kreise zieht, dort wieder begierig greifend nach dem wunderlichen, ost wüsten und dem gricchisch-römischeir

Wesen eigentlich so fremden Aberglaube»,

wie ihn die orienta­

lischen Religionen in ihren Mysterien und Zauberkünsten boteu — immer aber in mancher Beziehung eine Vorbereitung für die Aufnahme des Christentnms. Wie die Apg. berichtet, treffen nun

die beiden Apostel in Cypern, wo sich naturgemäß Griechentum

und Orient nahe berührten, einen Mann, den wir wohl zu der dritten Art rechnen dürfen, den Proprätor der Insel, Sergius Paulus, der bei einem „Zauberer und falschen Propheten, einem Juden" neue, sichere Wahrheit suchte.

Sie finden Eingang bei

ihm mit ihrer „verwunderlichen Lehre".

Es ist der einzige Erfolg,

der uns ausdrücklich berichtet wird. Ob sie sonst noch Glauben gefunden haben, lesen wir nicht. Sicher war die Arbeit erst be­

gonnen, wie uns die wiederholte Thätigkeit des Barnabas auf der Insel zeigt. (Apg. 15, 39.). Fürs Erste begnügte man sich damit, den Same» desWortes in der Hoffnung auf die Zukunft ausgestreut zu haben,

und reiste weiter, nach dem Festland hinüber, beschränkte aber

die Mission auf die südlichen Gebiete Kleinasiens : Pamphylien,

Pisidien und Lycaonien.

Die Methode der Arbeit war

nach hier durch die Verhültuisse gegeben: wo es angängig war, Anknüpfung bei den eigenen Volksgenoffen, wenn auch gleich mit dem Blick aus eine Wirksamkeit unter den Heiden; damit ergab sich ein Einfluß auf die au Zahl sicher nicht geringen Proselyten,

die

„Judengenossen" aus beit Heiden, und von da stand dann

21

Dcr Apostel Paulus.

der Weg unter die Heiden selbst offen.

So sehr Paulus von

Anfang an in besondern» Sinne Heidenapostel war, — er wird selbst gewußt haben,

daß der reine Gottesglaube Israels eine

Vorstufe zum Christentum war, die benutzt werden mußte, und er hatte seine Stammesgenossei» viel zu lieb (Röm. 9, 3. 10, 1.),

als daß er nicht immer wieder versucht hätte, sie an den Seg­

nungen des Evangeliums teilnehmen zu lassen.

Apg. 13. 13. ff. will ein Bild von der damaligen Missions­

thätigkeit geben. in der

Die Rede, die Paulus nach diesem Bericht

Synagoge des pisidischen

schaulichen,

Antiochien hält,

soll veran­

wie wir uns etwa die Art und Weise der christ­

lichen Predigt unter den Juden zu denken haben; Zeugnis von

Jesu, dem Gestorbenen und Auferstandenen als dem verheißenen

und ersehnten Messias (Christus),

wie er sich erweise aus den

Weissagnngeii der heiligen Schriften und nun allen Gläubigen Vergebung der Sünde

bringe,

alles Gedanken,

Predigt an Juden wenigstens fehlen durften.

die in keiner

Zugleich lesen wir

aber auch von dem geringen Erfolg der beiden Sendboten.

Be­

sonders erregt sich die Judenschast, als sie hören muß, daß auch

den Heiden dieselbe Botschaft verkündigt wird, und sie den gleichen der Herrlichkeit des messianischen Reiches bekommen

Anteil an

Es war bald zu erkennen, daß Aussicht auf einen großen

sollen.

Erfolg nur die Arbeit unter der Heidenwelt biete.

Ihr ist denn

auch damals schon, selbst nach dem Berichte der Apostelgeschichte,

das Hauptinteresse zugewendet. Und nicht vergeblich! Gerade in jenen Gegenden des mitt­

südlichen Kleinasiens ist das Evangelium von der

leren und

heidnischen Bevölkerung mit worden.

besonderem Beifall ausgenommen

Eine gewisse religiöse Erregung und Empfänglichkeit

scheint dort heimisch gewesen zu sein. Das Land war von Alters

her der Sitz schwärmerischer Kulte und auch in christlicher Zeit hat die Frömmigkeit dort leicht noch enthusiastische Formen an­ genommen.

Gegenden,

Das war eine Gefahr: hier in diesen entlegenen fern von allen Bildungscentren,

in denen heidnische

Ansklürung längst zersetzend gewirkt, lebte noch ein naiver Götter-

Der Apostel Paulus,

22

glaube, der in kindlicher Weise die freudig ergriffene neue Bot­

schaft wunderlich mit alten Vorstellungen mischte; man lese nur die Szene in Apg. 14. 11—13.

auch zu einem raschen Erfolg.

Aber diese Stimmung verhalf

So hatte die Erinnerung an jene

Zeit für Paulus noch späterhin etwas Erhebendes und Herz­

bewegendes.

(Gal. 4. 13—15.).

Nach längerer Thätigkeit tritt er mit seinem Geführten die Rückreise nach Antiochien an.

Der erste Versuch, das Evan­

gelium weiter hinauszutragen, war im Wesentlichen als gelungen zu betrachten.

Gewiß lasten sich diese ersten Erfolge nicht ent­

fernt mit den spätern vergleichen.

Die Thätigkeit in diesen

14 Jahren, wie wir sie nach Gal. br. und Apg. zu schildern ver­ suchten, weist noch keineswegs den großartigen Zug auf, deu die

sogenannte große Mission deS Apostels trägt.

Und dennoch war

jetzt schon etwas außerordentlich Großes erreicht.

Paulus hatte

eS fertig gebracht, die Bekehrten aus den Juden und Heiden zn

einer festen und geschloffenen Gemeinschaft zu einigen, in der alle Schranken überkommener Vorurteile gefallen waren.

deutung dieser Thatsache kann

man nur würdigen,

Die Be­ wenn man

bedenkt, daß das Christentum in seinen Anfängen sich als eine Bewegung innerhalb des jüdischen Nolkcs darstellte, daß seine

ersten Bekenner festhielten an der nationalen und knltischen Sitte,,

daß sie auch als Christen die schärfste Absonderung von den Un­ beschnittenen aufrecht erhielten.

Für einen großen und einfluß­

reichen Teil der ersten Gemeinde wenigstens war eS selbstver­

ständlich,

daß eilt Heide,

der Christ werden wollte,

erst Jude

werden, sich beschneiden lassen und damit das ganze mosaische Gesetz als bindend für sich anerkennen mußte.

PauluS hinaus, er vor Allen.

Darüber war

nicht er allein, vielleicht auch nicht zuerst, aber Ihm war das gerühmte „Gesetz",

als jüdisches

wenigstens, gleichgiltig geworden, ja seine unbedingte Heilighaltung,, wenn sie als zum Heil erforderlich angesehen wurde, als verderblich ansehen.

mußte er

So waren ihm thatsächlich die Schranken

zwischen Juden und Heiden gefallen, und er machte in seinen

Gemeinden vollen Ernst damit, wie allein die Thatsache beweist,.

Der Apostel Paulus.

23

daß Titus, einer seiner treuesten Freunde und Mitarbeiter bei seinem Übertritt nicht beschnitten wurde. — Trotz dieser Freiheit

von allen jüdischen Vorurteilen, die für ihn wesentlich mit seinem

Christenglauben zusammenhing, unterschätzte er die Bedeutung der Christen aus den Juden für die junge Gemeinde nicht, man

vergleiche nur die oben geschilderte Art seiner Mission. Er war weise genug, die Anknüpfung bei den Juden — wie wir heute

sagen würden — als eine geschichtliche Notwendigkeit anzusehen. Was wäre wohl aus einer Gemeinde geworden, die aus lauter ehemaligen Heiden bestand, mitten unter dem mächtigen Einfluß

des Polytheismus? Sie hätte ihren Grund nur in seiner Person,

in seiner Autorität gehabt.

Paulus fühlte, welch einen Halt es

der jungen Gemeinde gewährte, wenn sie sich sammelte um einen festen Kern von bekehrten Juden, die, ausgewachsen in einer

reinen Religion, frei waren von den religiösen Ungeheuerlichkeiten

der Vielgötterei und den laren sittlichen Anschauungen, die sie wenigstens für die große Maste des Volkes mit sich brachte, — aus Juden, die überdies in ihren heiligen Schriften eine sichere

Kunde göttlicher Offenbarung in Wort und Geschichte besaßen. So gelang es seiner Weisheit und Einsicht einen Kreis von Ge­

meinden zu schaffen, die in der Eigenart ihrer Zusammensetzung und ihres Glaubens eine sichere Gewähr für ihre Lebenskraft und

ihre Fähigkeit, Träger der Ausbreitung werden, auswiesen.

des Christentums zu

Gerade die Richtung, die sich in ihnen dar­

stellte — wir mögen sie wohl entsprechend der Bedeutung unseres Apostels, ohne andern zu nahe zu treten, „paulinisches Christen­ tum" nennen — war bestimmt und, wie sich aus innern Gründen

und dem thatsächlichen Verlauf der Geschichte crgiebt, auch allein Oder

fähig, die weite Welt für den neuen Glauben zu erobern.

sollte sich jemals die Heidenwelt in ihrer Masse den Engherzig­ keiten jüdischer Gesetzlichkeit auf die Dauer gefügt haben? Noch einmal! Was bis jetzt in Syrien, Cypern und Kleinasien aus erreicht war, war des Paulus Werk, ausgerichtet

und vollendet auch ohne die Mithilfe der Urgemeinde oder Ur­ apostel. In jenen ganzen vierzehn Jahren ist der Zusammen-

24

Der Apostel Paulus.

Hang zwischen Antiochien und Jerusalem ein äußerst loser gewesen. Paulus versichert ausdrücklich, daß er in jener ganzen Zeit keinen

Verkehr mit den Aposteln, mit Judäa gehabt habe; (Gal. 1. 22.)

die Gemeinden dort hören nur von ihm. Es mag ihnen erstaunlich gewesen sein, wenn sie vernahmen, daß er,

ein Jude, ohne allen

Anstoß mit den Heiden verkehre und sie in aller Freiheit in der christlichen Gemeinschaft leben ließ.

Aber das führte nicht gleich

Viel­

zu einem Konflikt, zum Glück für die ruhige Entwicklung.

leicht hat man

Thatsache,

den Anstoß vergefsen über der wunderbareren

daß der ehemalige Verfolger Apostel geworden war:

sie priesen Gott über mir, sagt der Apostel Gal. 1. 24. — r. Das Apostelconril und der Streit in Antiochien.

Aber mit diesem ruhigen Nebeneinanderleben war die Frage, die durch die thatsächliche Existenz der paulinischcn Gemeinden

geschaffen war, nur aufgeschobcn, nicht gelöst.

Es kam die Zeit,

wo es sich in allem Ernste um die Berechtigung und Zulässigkeit

des Heidenchristeiitums handelte, wie Paulus es vertrat.

Damit

gelangen wir zu den Vorgängen in Jcrnsalcm, die man gewöhnlich

unter dem Namen des „Apostclconcils" zusammenfaßt.

Bedeutung derselben kann man kaum überschätzen;

Die

kurz gesagt,

handelt es sich damals um die Frage, ob das Christentum eine Weltreligion sein wolle oder könne.

Zwei

Quellen stehen uns

für diese Ereigniffe zur Ver­

fügung, der Bericht der Apg. (c. 15) und die Mitteilungen des Paulus (Gal. 2.).

In den Hauptsachen stimmen sie so weit über­

ein, daß sie uns ein klares Bild bieten.

Die Abweichungen in

die niemand leugnet,

die aber auch die Ge­

den Einzelheiten,

schichtlichkeit der Vorgänge in keiner Weise erschüttern,

erklären

sich aus dem verschiedenen Standpunkt und Interesse der Schreiber. Paulus ist in einer polemischen Auseinandersetzung begriffen;

der Verfasser der Apg. arbeitet als Historiker, der die Entwick­ lung im Großen, im Überblick darstellt. Für Paulus handelte es sich nm eine Einigung mit der

Urgemeinde.

Er sagt selbst Gal. 2, 1, was ihn zu dieser Vcr-

Der Apostel Paulus.

25

Handlung bestimmt hat, der Wunsch, „nicht vergeblich gearbeitet zu haben".

So selbständig er war, er konnte sich nicht verhehlen,

daß die sogenannten „Zwölse" in allerhöchstem Ansehen standen. Mochte er die feste Gewißheit haben,

auch unmittelbar vom

Herrn berufen worden zu sein, mochten die ersten Apostel darum in seinen Augen keine Autorität sein, die Christen im Allgemeinen

vergaßen nicht, was jene „weiland gewesen waren" (Gal. 2, 6),

daß

sie

in langer

persönlicher Gemeinschaft mit dem

während seines Erdenlebens gestanden hatten.

Herrn

Sie schienen be­

rufen zu sein, in letzter Instanz zu entscheiden, was christlich sei und was nicht.

Falls Paulus ihre Zustimmung

zu

seinem

Werke nicht fand, mochte er wohl glauben, „vergeblich gearbeitet

zu haben".

Und wie er aus tieferen Gründen die Mission unter

den Juden über der crfvlgreicheil Arbeit an den Heiden nicht vergeffen hatte, so war cs ihm ein Bedürfnis, seinen Gemeinden einen festeren Rückhalt durch die Einigung mit den ersten Christen

zu geben.

Warum er gerade jetzt, am Ende der vierzehn Jahre diese

Einigung sucht,

ist nicht ganz zweifellos.

Man könnte sagen:

er war in Cilicien und Syrien zu einem gewisien Abschluß ge­ kommen und wollte nach jeder Seite gesichert fein,

größere Arbeit begann.

ehe er seine

Immerhin mnß die Frage, um die es

sich handelte, doch gerade jetzt akut geworden sein,

ein direkter

Anlaß zu der Reise nach Jerusalem sich geboten haben.

Die

Apg. wird Recht haben, wenn sie uns berichtet (c. 15, 1 ff ),

daß Etliche

von den

Gemeinden aus Judäa nach Antiochien

kamen und predigten: nur der sei ein rechter Christ und könne

selig werden, der sich beschneiden lasse und

also das jüdische

Gesetz als bindend anerkenne.

Die Zeit war vorüber,

wo man sich in Judäa über die

Erfolge des Paulus ohne Widerspruch freute.

und es

(15.

war

ein Streit,

2) — war da.

auch nach

Der Streit —

der Erzählung der Apg.

In Antiochien war er entstanden,

Jerusalem mußte er entschieden werden.

in

Die Gemeinde hatte

selbst ein Interesse daran und wünschte es dringend.

Wie außer-

Der Apostel Paulus.

26

ordentlich ernst auch Paulus die Sache nahm, zeigt uns seine

Versicherung, er sei aus eine Offenbarung Gottes hin hinaufge­ zogen.

(Gal. 2, 2). Barnabas und Titus begleiten ihn.

nimmt er gerade diese Beiden mit.

Nicht ohne Grund

Barnabas, aus der jerusa-

lemischen Gemeinde selbst hervorgegangen, eignete sich, wie kein

Anderer zur Vermittlung, die auch Paulus mit Ernst suchte. Titus war selbst ein Heidenchrist und nicht beschnitten; so wurde durch

seine Anwesenheit die Frage gleich praktisch.

Die Gemeinde in

Jerusalem mußte sich entscheiden, ob sie unbedingte Gemeinschaft mit ihn«, und also auch mit den andern Heidenchristen halten wolle oder nicht.

Was nach den Vorgängen in Antiochien zu erwarten war, trat ein: man verlangte von Titus, daß er sich beschneiden laffe. (Gal.

2, 3.).

Nach

Pauli

scharfem

Ausdruck sind

„etliche

falsche Brüder, die mit eingedrungen waren", die Wortführer ge­

wesen, wahrscheinlich

in

einer Gemeindeversammlung, wie sie

Apg. 15 zu schildern sucht.

Wir dürfen, ja müssen nach den

die wir über die Anfänge der jerusalemischen Ge­

Nachrichten,

meinde haben, annehmen, daß sie die Vertreter einer neuen, ein­ seitigeren Richtung waren, die so keiner der „Zwölfe" vertreten hat, und die Paulus wenigstens nicht als christliche anerkennen mag.

Wie sie entstanden ist, und wer sie führte,

nicht.

Sie scheinen sich, sei e8 mit Recht, sei es, wie Gal. 2, 9.

wissen wir

zeigt, doch wohl mit Unrecht, auf JakobuS, den Bruder Jesu, berufen zu haben.

Jedenfalls haben sie aber die eigentlich maß­

gebenden Persönlichkeiten der Urgemcinde nicht ganz auf ihrer Seite gehabt, daS zeigte der Mißerfolg ihrer Forderung betreffs des Titus.

Das Ansinnen, das sie ihm stellten, war kein kleines.

Paulus fühlte, daß es sich bei diesem Einzelsalle um das Schick­ sal seines ganzen Werkes handelte, und er trat ihnen, unterstützt

von Barnabas, mit der ganzen Wucht seiner Persönlichkeit ent­ gegen.

„Wir wichen denselben keine Stunde", erzählt er später

(Gal. 2, 5),

und man merkt, wie in seinen Worten noch die

Erregung des Kampfes nachzittert, den er damals bestanden hat.

Der Apostel Paulus.

27

Er behielt den Sieg, und damit war viel gewonnen, Andere ergab sich von selbst.

das

Sein Apostolat und seine Arbeit

wurde in einer Besprechung mit den Aposteln, namentlich „mit

den Säulen"

oder „denen,

die dafür gehalten wurden", aner­

auch Apg. 15. 7—21).

kannt (vgl.

Er konnte die Macht der

Thatsachen für sich anführen, Hinweisen auf die blühenden Ge­

meinden, die das Werk jener 14 Jahre waren, und die „Zwölfe" mußten in diesem Erfolge die Macht und Kraft des Gottes und

Herrn sehen, den sie selbst predigten. mit Paulus,

Daß sie im letzten Grunde

dem ihnen ebenbürtigen neuen Zeugen sich einig

fühlten und das selbst bekannten, versichert Paulus uns mit den Worten: „Sie haben mich nichts Anderes gelehrt" (Gal. 2. 6.).

Sein Evangelium war das rechte, auch ihm war Gnade gegeben (Gal. 2, 9.).

Daraufhin reichten die Führer in Jerusalem dem

Paulus imb Barnabas die Bruderhand.

Apg. 15. 23 ff. bringt als Ergebnis der Verhandlungen das sogenannte

„Aposteldekret",

mit einer Klausel, welche die

Forderungen der Urapostel, namentlich des Jakobus zusammen­ Sie enthält nichts, was Paulus hätte neu oder wichtig sein

faßte.

können.

Er mag allerdings Ausführungen darüber haben geben

müssen, wie weit sich denn doch seine Heidenchristen auch äußer­ lich von den Heiden unterscheiden sollten.

Grenzlinien gezogen haben, nahme an

Er mag ausdrücklich

namentlich in Bezug aus die Teil­

den cultischen Handlungen der Heiden und auf die

geschlechtlichen Verhältnisse.

Das war für Paulus nichts Neues,

lmd vor allem nicht etwas, das aus dem „Gesetz" abzuleiten war.

Ihm ergab sich das als selbstverständlich aus dem Wesen des christlichen Glaubens und der damit gebotenen Vorsicht im Wandel.

Nur so hat er später diese Forderungen begründet, wenn er sie einmal erwähnt. —

Jedenfalls war eine Trennung glücklich vermieden. Resultat des „Concils"

war

Einigung der paulinischen

und

wenigstens

eine

Das

prinzipielle

der jerusalemischen Gemeinde.

Das äußere Zeichen der Gemeinschaft sollte die Collecte für die Armen in Jerusaleni sein,

die Paulus warni zu befürworten

"28

Der Apostel Paulus.

versprach. (Gal. 2, 10.) Mit dieser Einigung war ein großer Erfolg erreicht, und er war nicht am wenigsten dem hochher­

Wir dem Paulus, der fest bleiben mußte,

zigen Verhalten der jerusalemischen Führer zu verdanke».

können

ihren Entschluß,

nachzugeben und ihn anzuerkennen, nicht hoch genug werten; es war eine That des Glaubens.

So sehr sie an Altem hingen mit

der vollen Pietät, die sie gerade ihrem Väterglauben gegenüber haben konnten, weil sie aus ihm den Weg zu Christus leicht

gefunden hatten, während Panlus ihn vor allem als hemmend und irreführend erfahren, — man merkt aus ihrem Verhalten, daß ihnen ihr Christenglaube doch unendlich viel wichtiger und wertvoller war, als die Heiligtümer ihres Volkes.

Und je weniger

sie thatsächlich begeisterte Anhänger des Paulus wurden, je weniger fte ihre Eigenart aufgaben, um so selbstloser erscheint uns ihr

Entschluß, nm so mehr erkennen wir, wie ernst es ihnen um die große Sache war, die auch sic vertraten. — Allerdings — eine volle Einmütigkeit war nicht erreicht: zu gemeinsamer Arbeit konnte man sich nicht verstehen. Eine

Grenzregulierung — modern zu reden — wurde vorgenommen: „die Zwölse arbeiten unter den Juden, Paulus und Barnabas unter den Heiden" (Gal. 2, 9.). Auch das war im Grunde ein weiser Entschluß: Der Übergang sollte sich allmählich vollziehen.

Paulus war mit diesem Erfolg zufrieden.

Die endgiltige Eini­ Auch das

gung oder Auseinandersetzung mußte die Zeit bringen.

vollzog sich trotz beS redlichen Willens der Führer beider Richtungen

nicht ohne Schwierigkeiten.

Wir werden sehen,

welch schwere

Kämpfe unser Apostel später noch auszufechtcn hat,

als

die

„falschen Brüder" in sein Missionsgebiet eindrangen. Gewissermaßen ein Vorspiel dazu war die Episode, die sich kurz nach dem Apostelconcil in Antiochien zutrug. (vgl. Gal.

2. 10 ff.). — Paulus und Barnabas waren, zufrieden mit dem

errungenen Erfolg, dorthin zurückgekehrt. Petrus folgte ihnen bald darauf, wohl um die Gemeinden dort selbst kennen zu lernen, nachdem man sie anerkannt hatte.

Kühn und rasch, wie immer,

schließt er mit den Heidenchrisren unbekümmert um die gesetzlichen

Der Apostel Paulus.

Vorschriften

ZA

und entsprechend dem Brauch,

der dort herrschte,

volle Gemeinschaft und ißt zum Zeichen dessen mit ihnen, was

einem Juden sonst strenge untersagt war.

Da kommen Leute

„von Jakobus her" aus Jerusalem, sicherlich nicht mit günstigen vielleicht auch geleitet von Mißtrauen gegen Petrus.

Absichten,

Jakobus scheint strenger, als dieser daran fest gehalten zu haben,

daß wenigstens die ehemaligen Juden dem Gesetze treu blieben, schon aus nationalen Gründen.

Petrus kennt ihre Stellung und,

wie sie kommen, weicht er zurück und hebt die Tischgeineinschaft mit den Heidenchristen auf; jene Leute sollten von seinem Ver­

halten nichts wissen.

Aus Menschenfurcht heuchelt er, wie Paulus

es scharf ausdrückt. —

solchem Ansehen war

Das Beispiel eines Mannes von

überaus gefährlich.

Die antiochenischen Judenchristen folgen ihm;

selbst Barnabas läßt sich zu einer Absonderung von den Heiden

verleiten.

Die streitige Frage war nun

Die Krisis war schwer.

in das Missionsgebict des Paulus hineingetragen,

doch längst praktisch gelöst hatte; sie drohte

wo man sie

die so glücklich er­

reichte Einigkeit in seinen Gemeinden zu zerstören und damit

den Bestand seines Werkes selbst in Frage zu stellen. auch

zögert denn

Persönlichkeit in die Wagschale zu werfen.

und ohne Scheu vor dem Ansehen,

Paulus

das ganze Gewicht seiner

keinen Augenblick,

In aller Offenheit

das Petrus genoß,

tritt er

ihm in der Gemeindeversammlung mit ernster Rede entgegen,

zumal die Gefahr nahe lag,

daß Petrus durch sein Verhalten

null auch die Heidenchristcn nötigte, 2, 14.)

(Gal.

Denn letztere mußten bei seinem Rückzug zu der Ansicht

kommen, Petrus einen

„jüdisch zu leben".

rechten

wenigstens halte im Grunde

Christen und

darum

würdig

nur

der

den

für

brüderlichen

Gemeinschaft, der sich dem jüdischen Gesetz unterwerfe, das dem­

nach also auch für den Christen zur Erlangung des Heils not­ wendig sei.

Diese Auffassung von der

Gesetzes mußte abgelehnt werden,

Heilsnotwendigkeit des

wenn sie nicht das

Christen­

tum iil seinem tiefsten Wesen schädigen sollte. — Das ist der Zweck dcr Rede des Paulus an Petrus, wie

Ter Apostel Paulus.

30

er sie uns in Gal. 2, 14—21 berichtet.

Paulus durfte an die

Erfahrung appellieren, die Petrus ebenso, wie er gemacht hatte, und die von Anfang an die Grundlage ihrer Gemeinschaft ge­

wesen war.

Sie waren beide Juden von Haus aus und stolz

auf ihre Zugehörigkeit zum Volke Gottes,

auf den Besitz der

Verheißungen, auf den Vorzug vor den Heiden, die „von Natur

Sünder" sind.

Aber sie hatten eben als Juden, auch unter dem

Gesetz, nicht ihr Genüge gehabt, keinen vollen Frieden für ihre Seele.

Durch das Gesetz,

das ihnen nicht genug war, sind sie

dem Gesetz abgestorben; warum wären sie denn sonst Jünger Christi geworden, die allein in ihrem Meister die Seligkeit suchen, die ihnen sonst keiner geben kann? Dann ist aber doch auch das

Gesetz nicht nötig zum Seelenheil, dann darf man es auch den

Heidenchristen nicht auferlegen.

Ja, Paulus geht noch weiter!

Dann ist das Gesetz auch für die Judenchristen nicht mehr nötig, und, wenn man darauf dringt,

daß sie es doch halten,

ist es

gerade, als wollte man wieder aufbauen, was man selbst zuvor

zerbrochen hat.

Paulus und Petrus haben erfahren, daß durch

des Gesetzes Werke kein Fleisch vor Gott gerecht wird. man aber, wie jeder Christ weiß, selig wird

Wenn

nicht durch des

Gesetzes Werke, sondern durch den Glauben an Christus,

dann

ist die Freiheit vom Gesetz nicht nur ein Recht der Heiden-, sondern auch der Judenchristen.

Was man,

wie in Jerusalem

selbst zugestanden worden war, von den Heidenchristen nicht fordern

darf, das darf man, wie Paulus hier in Antiochien nun folge­ richtig vertritt, auch von den Judenchristen nicht verlangen.

Das

Evangelium von Christo, wenn es richtig aufgefaßt wurde, recht­ fertigte das, was Paulus in seinem eigenen Leben vertrat, und

wozu er auch die Judenchristen in seinen Gemeinden erfolgreich hingeführt hatte: auch die Juden sind nach ihrem Übertritt zum

Christentum nicht verpflichtet,

sich dem Gesetz zn unter­

werfen. In Jerusalem,

wo es sich nur um die Anerkennung der

Heidenchristen gehandelt hatte, war diese Seite der Frage gar­

nicht berührt worden.

So hatten denn

auch Petrus und seine

Der Avostel Paulus.

31

Genossen den dort gefaßten Beschlüssen gar nicht entgegengehandelt. Aber der Vorfall in Antiochien hatte gezeigt, daß diese Beschlüsse

für die Gemeinden, in denen Heiden- und Judenchristen zusammen­

nicht genügten;

lebten,

da war die Auffassung des Paulus die

einzig brauchbare. — Wir hören nichts davon, daß es ihm gelungen wäre, den

Petrus davon zu überzeugen.

Er erzählt in seiner Hochherzigkeit

nicht, was sein Gegner auf seine Vorhaltungen geantwortet habe,

Mögen die beiden

weil es sich ihm nur um die Sache handelt.

führenden Geister sich geeinigt haben oder nicht, — der Kampf

war damit nicht zu Ende, immer wieder flammte er auf.

Ja,

cs scheint, als ob Paulus die enge persönliche Fühlung mit den

Uraposteln nicht wiedergewonnen habe.

Bei aller Versöhnlichkeit,

bei aller gegenseitigen Hochachtung blieb doch die Verschiedenheit in einzelnen Anschauungen zu groß.

Als einen Verlust hat Paulus wenigstens das

pfunden,

vielmehr wird er gefühlt haben,

daß

nicht em­

die bisherigen

Auseinandersetzungen von großen! Werte für ihn gewesen.

Er

war nur seiner Sache noch gewiffer geworden, und in dem vollen Bewußtsein, mit seiner Art, das Evangelinm zu verkündigen,

aus dem rechten Wege zu sein, geht er nun in die Arbeit seines Lebens,

die es mit ihren erstaunlichen Erfolgen erweisen sollte,

daß er in der That „ein auserwähltes Rüstzeug Gottes" war, in die „große Mission".

2. Die große Mission. Der Vertrag von Jerusalem hatte dem Apostel den wei­

teren Weg vorgezeichnet: die große Heidenwelt war das ihm zu­

gestandene Gebiet. Der Konflikt in Antiochien hatte ihm gezeigt, daß es bei dieser Teilung der Arbeit vorläufig bleiben mußte,

namentlich, wenn die neuere Richtung innerhalb der Urgemeinde,

die judaistische, die in ihm nur einen Gegner sah, einen schlim­ mern vielleicht

als zu der Zeit, da er die Christen verfolgte,

größeren Einfluß gewann.

Beides wies ihn in die Ferne, in

32

Der Apostcl Paulus.

die es ihn längst hinansgezogen hatte, weil er sich als ein Schuldner fühlte den

Griechen und den Barbaren, den Weisen und den

Unweisen (Röm. 1, 14.). Es mag im Jahre 52 gewesen sein, als er so äußerlich und

innerlich frei geworden war für seine große Aufgabe. 35 etwa war er bekehrt worden.

Im Jahre

17 bedeutungsvolle Jahre waren

seitdem verfloffen, nicht ohne viel Mühe und nicht ohne Erfolg.

Zehn Jahre der Arbeit höchstens sind ihm von da an noch beIn dieser kurzen Spanne Zeit hat er das

schieden gewesen.

große Werk seines Lebens ausgerichtet.

und Erfolge, die

es

Die Fülle der Ereignisse

umfaßt, will sich kaum in diese wenigen

Jahre hineinfügcn, nicht einmal, soweit wir sie aus dem Neuen

Testament kennen.

In der That:

haft überwältigendes

Bild

auf,

„Hier thut sich uns ein wahr­ rastlose

Arbeit,

wunderbare

Schicksale, ersta.unliche Erfolge".

Man bedauert, dem Apostel nicht Schritt für Schritt auf seinen Wegen folgen zu können, nicht alles irgendwie Bedeutsame in denen der wunderbare Mann

aus diesen Jahren zu wissen, auf seiner Höhe stand.

Die Quellen über diesen Abschnitt seines

Lebens fließen nicht so reichlich,

wie wir es wünschen möchten.

Der Bericht der Apg. von c. 16. an, der ein zusammenhängendes Bild,

stellenweise mit genaueren Daten giebt, reicht schon aus

dem Grunde nicht aus, weil er nicht erschöpfend sein will,

wie

das die kurzen Zusammenfassungen hin und her zeigen. Besonders

wertvoll wird er uns da sein, wo augenscheinlich ein Augenzeuge

erzählt, vgl. das „Wir" in 16, 10—17; 20, 5—16; 21, 1—18; 27, 1—28, 10.

Reicher ist das Material, das die Briefe des

Apostels selbst uns bieten.

Wenn uns auch nicht alle Briefe

erhalten sind, die er an seine Gemeinden geschrieben hat, wenn in der That nicht alle,

Namen tragen,

und

die im Neuen Testament seinen

von seiner Hand herrührten, — was ihm all­

gemein zugestanden wird,

ist reichhaltig genug, uns einen Ein­

blick in sein mühevolles, reich gesegnetes Leben, in seine Wirk­ samkeit und seine Erfolge,

in die Zustände seiner Gemeinden

und die Ausgaben, die sie stellten, in seine Wünsche und Hoffnungen

Der Apostel Paulus.

33

und mehr, als daS, in das innerste Leben seines Herzens zu ver­ statten. So find sie vor allem — ganz abgesehen von ihrer unvergänglichen Bedeutung für die Kirche, wie für jeden Einzelnen, für Glauben und Leben — auch rein als geschichtliche Urkunden

betrachtet von ganz hervorragendem,

durch keine andere Quelle

auch nur annähernd erreichtem Wert. Dennoch reicht das, was uns so im Neuen Testament be­

richtet wird, nicht dazu aus, einen chronologisch genauen Bericht über die Mission des Apostels zu geben. So verzichten wir denn auch darauf, die einzelnen sogenannten „Missionsreisen" zu erzählen, und versuchen dafür lieber, die große Mission nach den Gebieten zu schildern, auf denen der Apostel gewirkt hat. Das

wird uns davor bewahren, Ereignisse, die unmittelbar zusammen gehören, zu trennen, und uns ermöglichen, anschauliche und ab­

geschlossene Bilder zu zeichnen. Damit ergeben sich uns für die weitere Darstellung folgende Abschnitte: Galatien, Macedonien, Achaja, Asien. Diese bloße Aufzählung zeigt schon, wie groß das Gebiet ist, auf dem Paulus in dieser Zeit gearbeitet hat. Möglich

war das nur, weil er nun eine neue Methode für seine Arbeit wählte. Er hat keine feste Heimat mehr, von wo er gleichmäßig alle Gebiete erreicht.

Er ist recht eigentlich in steter Bewegung,

auf Reisen zu Wasser und zu Land. Manchmal verweilt er nur kurze Zeit, gerade so lange, bis eine Gemeinde gegründet ist.

Dann wieder nimmt er längeren Aufenthalt in einem wichtigeren Ort, der durch seine Lage geeignet war, Mittelpunkt für die

Missionierung einer ganzen Provinz zu werden, wie Philippi, Corinth und Ephesus.

Neue Aufgaben waren ihm damit gestellt, und sie brachten neue Schwierigkeiten. Bisher hatte der Apostel in Gegenden und Völkerschaften gearbeitet, unter denen er sich nach Herkunft,

Erziehung und Denkungsart immerhin heimisch fühlen konnte.

Nun zieht er in das weite Weltreich hinaus, und da handelte

es sich nicht nur um die immer brennender werdende Frage, wie sich die neue Religion in die festgefügte Staatsordnung des 3

34

Der Apostel Paulus,

römischen Reiches einführen werde, mehr als das — jetzt trat er der gewaltigsten geistigen Macht der damaligen Zeit unmittel­

bar gegenüber,

dem Griechentum mit seiner hohen Kultur, seiner

Bildung und Weisheit, einer Macht, die bisher stark genug ge­

wesen war, alle andern neu austauchenden geistigen Strömungen zu beeinflussen, wenn nicht zu wandeln.

für den Apostel wird sich,

wenn möglich,

Unsere Bewunderung noch steigern, wenn

wir sehen dürfen, daß sein unerschütterlicher Glaube und die kraftvolle Zuversicht,

als Bote Gottes das Höchste und Beste

bringen zu können, ihn befähigten, nicht nur seine Botschaft

rein zu erhalten von den verderblichen Einflüssen des Griechen­

sondern auch durch sie selbst in

tums,

diesem

Geister zu seffeln und dauernd zu gewinnen. nicht seine einzige Ausgabe!

Gebiete

Und

die

das war

Daneben durfte er keinen Augen­

blick die Arbeit an der anderen vergeffen, den Christenglauben mehr und mehr vom Judentum loszulösen, indem er es bewahrte

vor der judaistischen Verkehrung, mit der er soeben den ersten Kampf ausgefochten hatte, und der er gleich auf dem ersten seiner Miflionsgebiete wieder begegnete, in Galatien. —

— Galatien. — Die Gemeinden, die Paulus unter dem Namen der gala­ tischen zusammenfaßt (Gal. 1, 2.), haben wir in den mittleren

Landschaften Kleinasiens zu

suchen.

Nicht zum ersten

Male

kam er dorthin, als er nun von Antiochien aufbrach, wenn an­ ders wir die blühenden

Gemeinden LycaonienS mit zu denen

rechnen dürfen, an die der Galaterbrief gerichtet ist — und das

scheinen manche Gründe zu rechtfertigen.

Schon auf der soge­

nannten 1. Missionsreise hatte der Apostel dort mit Erfolg ge­

arbeitet.

Jetzt, als er von Neuem auszieht mit weiteren Plänen,

führt ihn sein Weg wieder in jene Gegenden; ging doch dorther

die Straße von Syrien und Cilicien hinein in die hellenische Welt. ES war ihm vergönnt,

gleich

mutigende Erfahrung zu machen, Arbeit zu

ernten.

hier zum

Anfang eine er­

eine köstliche Frucht früherer

Damals knüpfte sich die Freundschaft mit

Der Apostel Paulus.

35

Timotheus aus Lystra und bot ihm einen Ersatz für das, was

er an Barnabas gehabt, mit dem er sich kurz vorher, wie es scheint, endgültig entzweit hatte. (Apg.15, 37. ff.). Er gewinnt

an ihm seinen treusten Schüler, einen steten Begleiter, einen zu­ verlässigen Vertreter auch in schwierigen Aufgaben.

Mit ihm

und Silas oder Shlvanus zieht er weiter. Je energischer er seine Aufgaben ansaßte, und je mehr er

sich als Schuldner der Griechen und Barbaren fühlte, um so näher mußte es ihm liegen, nun die benachbarte römische Provinz Asien auszusuchen, die Küstenlandschaften der Halbinsel mit ihren zahlreichen Städten, in denen seit Alters Hellenen ansässig waren,

und die ein so

reiches und wichtiges Arbeitsfeld boten.

Aber

er fühlt sich innerlich daran gehindert, (Apg. 16, 6) und dehnt seine Thätigkeit zunächst nur auf Phrygien und das eigentliche

Galatische Land, nördlich von Lycaonien aus, längs der leb­ haften Verkehrsstraße, die durch dieses Gebiet über Anchra nach Norden zum Hellespont führte. Ansässig waren hier drei keltische Völkerschaften, hervor­

gegangen aus den Söldnerscharen, die ein bithynischer König nach

geleistetem Kriegsdienst dort angesiedelt hatte.

Nur drei wich­

tigere Städte zählte das Land, Ancyra, Pessinus und Tavium,

und gerade in ihnen zeigte es sich, daß die Eigenart des Stam­ mes sich gegen den übermächtigen Einfluß der Nachbarn nicht hatte behaupten können. In ihnen war, wie wir bestimmt missen,

das Griechische Umgangssprache geworden, nicht ohne auch die Bewohner der Umgegend zu beeinfluffen, und das erleichterte dem Apostel seine Wirksamkeit ganz bedeutend.

In verhältnismäßig

kurzer Zeit muß es ihm gelungen sein, hier eine Mehrzahl von

kleinen Gemeinden zu gründen, sonst ließe sich der summarische Bericht der Apg. (16, 6.) nicht begreifen. Auch hier mag ihm, ähnlich, wie im südlichen Lycaonien, die Eigenart dieser keltischen Stämme, ihre Beweglichkeit und Empfänglichkeit, raschen Erfolg

ermöglicht haben, über den Inhalt seiner ersten Predigt wird uns ausdrück­

lich nirgendwo etwas mitgeteilt, wir können nur mittelbar aus 3*

Der Apostel Paulus.

36

Die eigentümliche

seinem spätern Brief etwas davon erfahren.

Schwierigkeit lag für den Apostel hier, wie anderwärts, wie z. B.

bei

auch

redete,

der

Miffion darin,

heutigen

allgemeinsten

denen auch die

Himmel

des

Gottesvorstellungen

schen, nichtigen .Göttern gegenüber den einigen,

der

Heiden

So mußte er zunächst ihren fal­

Christentums fremd waren.

predigen,

zu

er

daß

und

Erde geschaffen.

wahren Gott Das

war der

Gott, der seinen Sohn in die Welt gesandt, um die Menschen Reiches zu

machen

So wurde seine Predigt in der That,

wie er

Kindern und

zu seinen

(Gal. 4, 6).

seines

Gliedern

das immer wieder betont, Predigt von Christo.

Er hat ihn

den Galatern vor die Augen gemalt als den Gekreuzigten (3, 1), als

den,

der

dahin

sich selbst

gegeben

um

unserer

Sünde

willen (1, 4); war doch gerade der Kreuzestod Christi ihm aus einem Stein des Anstoßes zum festen Grund seines und der Welt

Heils geworden.

Er hat von dem

Auferstandenen und

seinen Erscheinungen, auch von dem wichtigsten Ereignis seines eigenen Lebens geredet: der lebendige Herr, der auch ihn zu

Gnaden angenommen habe,

werde

auch sie

der

erlösen von

Macht der Sünde und ihnen den Geist geben, als die Bürg­

schaft für ihre Kindesstellung zu ihrem Gott und Bater. Wenn

sie das Evangelium von ihm int Glauben annehmen und sich auf ihn taufen lassen, sind ihnen diese Segnungen sicher. (3, 2, 5.).

Den Erfolg seiner Predigt bezeugt er selbst: sie haben im Glauben

den

Geist

empfangen

seiner Wundermacht (3, 5),

und

seine Kraft

sowohl

in

als in seinen heiligenden und er­

neuernden Wirkungen erfahren, wenn auch nur in den Anfängen.

Das ganze

Evangelium

brauchten sie nichts.

war

ihnen

gepredigt,

und

weiter

Ihnen blieb nur als Aufgabe der volle

Wandel im Geist, — sich zu hüten, daß sie nicht ihre Freiheit zur Freiheit in den Lüsten des Fleisches mißbrauchten,

unb

das

in der

rechte

Frucht zu

bringen

erwerben.

Von der Stellung zum Gesetz hat er augenscheinlich

nicht geredet: es

ewige Leben

That zu

lag kein Anlaß vor, die jungen Gemeinden

vorzeitig in diese Fragen und Verwicklungen hinein zu führen.

37

Der Apostel Paulus.

durste warten, bis sie ihm aufgedrängt wurden,

Paulus

und das dauerte

nicht allzulange.

von Jerusalem aus.

Die

Störung ging wieder

Allerdings nicht von den Aposteln.

Wir

müssen hier entsprechend den geschichtlichen Thatsachen betonen,

daß Paulus mit seinen älteren Arbeitsgenossen, den Uraposteln, wie mit Jakobus, auch trotz des Streites in Antiochien niemals in Feindschaft geraten ist.

Wenn sie auch nicht mit ihm ge­

ihrem Glauben waren

meinsam arbeiteten, in

ste soweit mit

ihm eins, daß sie seiner Arbeit niemals etwas in den Weg legten.



Um so

streng

rühriger war die

ihm schon in Antiochien

judaistische

Partei,

seine Arbeit gestört hatte.

weggründe, von, denen ihre Vertreter sich leiten ließen,

durchaus nicht etwa unedler Natur. setz nicht daran geben,

die

Die Be­ waren

Sie wollten mir das Ge­

das ihnen solange die Wege zu ihrem

Gott gewiesen hatte, an dem alle die Verheißungen hingen, die ihres Volkes Trost gewesen waren.

Sie vermochten

nicht den

Gedanken zu fassen, daß man ein Glied des Gottesvolkes sein könne, ohne alle die heiligen Forderungen ihres Gottes zu er­

füllen.

Sie wollten nicht Christum beiseite schieben,

er war

ihnen der Messias, an besten Person die endgültige Erfüllung

des GotteSreicheS geknüpft war.

Aber der Messias konnte er nur

für die sein, die zunächst durch Annahme und Halten des Gesetzes

in den Kreis des Gottesvolkes eintraten.

Eben das forderten sie

auch von den Heiden, und sie trugen diese Botschaft nun auch hinaus in die jungen paulinischen Gemeinden, von Syrien aus

durch Cilicien und Lycaonien bis nach Galatien.

Darin lag ihr

Unrecht — sie verletzten den Vertrag von Jerusalem, in dem die Heidenwelt dem Panlus als Arbeitsgebiet zugewiesen war; und schlimmer noch:

sie scheuten sich,

wie wir sehen werden, nicht,

zur Erreichung ihrer Zwecke auch unredliche Mittel anzuwenden.

Der Erfolg in

Galatien war überraschend.

Gemeinden ließen sich schnell gewinnen,

boten mit einem neuen, dem

Die jungen

als ihnen nun Send­

„eigentlich wahren" Evangelium

entgegentraten, mit der Botschaft, daß sie sich auch der Beschnei­

dung unterziehen, auch das Gesetz halten, also auch erst in das

Der Apostel Paulus.

wahre Gottesvolk eintreten müßten, wenn ste der Verheißungen

teilhastig werden wollten, von denen ihnen gesagt war.

lei scheint diesen raschen Erfolg bewirk zu haben. von ziemlicher Bedeutung leitete die Agitation

Mancher­

Ein Mann

(Gal. 5, 10.).

Paulus nennt ihn zwar nicht, kennt ihn aber doch als einen Mann von besonderem Ansehen.

Auch haben die Sendlinge

sich — ob mit Recht oder Unrecht, vermochten die Galater

ja nicht zu unterscheiden —

deren Ansehen infolge ihrer

auf die zwölf Apostel berufen,

langen persönlichen Gemeinschaft

mit dem Herrn auch den Heidenchristen feststand.

Ferner konnten

ste Hinweisen auf die Worte der heiligen Schriften, mit denen sie ja Paulus als mit dem ewig giltigen Gottesworte selbst be­ kannt gemacht hatte.

Ihre klaren Forderungen auch in sittlicher

Beziehung schienen sicherer den Weg für den neuen Lebenswandel zu weisen, als die Botschaft des Apostels von der christlichen

Freiheit.

Schließlich wurde in der neuen Predigt ein Kultus

geboten mit heiligen Tagen nnd Festen (4, 10), der den ehe­ maligen Heiden einen Ersatz zu geben schien für die Äußer­ lichkeiten ihrer früheren Religion, einen Ersatz, in dem der alte

So haben sie sich bald

Sinn bequem wieder anfleben konnte.

abwenden kaffen.

(1, 6).

Paulus muß, nachdem er von erhalten hatte,

diesen

Vorgängen Kunde

vor Abfassung seines Briefes noch einmal in

Galatien gewesen sein, (vgl. Apg. 18, 23), wenigstens kann er in seinem Schreiben auf das zurückgreifen, was er schon einmal gegen die Irrlehre der Judaisten gesagt hatte.

(1, 9; 5, 3.).

Schon da­

mals ist er sehr energisch aufgetreten. Er durfte nach allem bisher Erlebten die Überzeugung hegen, auf dem richtigen, gottgewiesenen Wege zu sein, und mußte darum in den Anschauungen der Gegner eine große Gefahr erblicken.

Dadurch, daß sie neben

dem Glauben an Christus das jüdische Gesetz als notwendig sür die

rechte Stellung zu Gott festhielten, nahmen sie Christus die aus­

schließliche Heilsbedeutung, die Paulus ihm nach seiner eigenen

Erfahrung znschreiben mußte. Ihre Botschaft war kein Evangelium, kein Christentum, sondern ein verbessertes Judentum.

So konnte

39

Der Apostel Paulus.

Paulus ihnen denn schon damals das Wort entgegenschleudern: „Wer ein anderes Evangelium predigt, als ich gepredigt habe, und sei es ein Engel vom Himmel, der sei verflucht!" (1, 8.).

Sein

bestimmtes, ja schonungsloses Auftreten, die Macht seiner Per­ sönlichkeit verfehlten ihre Wirkung nicht. Der Einfluß der Stören­

friede schien gebrochen.

„Ihr liefet schön", kann ihnen der Apostel

bezeugen, doch hatte er auch die deutliche Empfindung, daß für den Glaubenseifer uud die Glaubenstreue seiner Gemeinde noch

unendlich viel an seiner Person hing (4, 18).

So beginnt denn auch, als er Galatien wieder verlaffen hatte, die Bewegung gleich aufs Neue, und nun scheint ein neues Moment hinzugetreten zu sein.

Die Judaisten mochten einsehen,

daß sie keine Aussicht auf dauernden Erfolg hatten, wenn es nicht gelang, das Band des Vertrauens, das die jungen Christen mit dem Apostel verknüpfte, zu zerreißen. So wird der Kampf

— und das mag uns auch ein Zeichen für die Bedeutung dieses Mannes sein — persönlich. Paulus wird, wie uns sein Brief

immer wieder zeigt, in seiner Eigenschaft als Apostel, wie in seinem Charakter aufs Schmählichste "angegriffen.

Sehr geschickt

knüpften die Agitatoren an die den Galatern bekannte und von Paulus nie bestrittene Thatsache an, daß er später, als die „Zwölfe" Apostel geworden sei: So ist er denn also — hieß es wohl — gar nicht vom Herrn berufen, er ist durch Menschen zum Apostel

gemacht.

Was er weiß, hat er nur von den Uraposteln, und

bei denen hat er sich auch seine Vorschriften und Weisungen für

seine Arbeit unter den Heiden holen müssen. Wenn er sie ein­ mal überschritten hat, dann ist man ihm entgegen getreten. So

muß seine Predigt auch beurteilt werden nach der Lehre der zwölf Apostel, die das „Ansehen haben", „Säulen der Gemeinde" sind,

„weiland mit dem Herrn gelebt haben"

besten wissen können, was Christus gelehrt hat.

und darum am

Wenn Paulus

mit ihnen zusammen ist, dann ist er nachgiebig und hält auch

das Gesetz; aber wenn er zu Heiden spricht, dann redet er das Gegenteil, sagt nicht die volle Wahrheit, verschweigt die strengen Gebote Gottes, um es ihnen möglichst leicht zu machen.

Er ist

40

Drr Apostel Paulus.

eben ein durchaus unzuverlässiger Charakter, der allen nach dem

Munde redet und den Menschen gefällig sein will. (1, 10.). — Die schlimme Saat ging auf, und als es erst gelungen war, des

Paulus Autorität zu erschüttern, wurde es leicht, Anhänger zu

gewinnen, zumal die Agitatoren sich wohl hüteten, dm ehemaligen Heiden das Joch des Gesetzes allzu schwer zu machen, sodaß es

ihnen gar nicht klar wurde, wie sie doch im Falle der Beschnei­

dung folgerichtiger Weise verpflichtet waren, das ganze Gesetz zu

befolgen.

(5, 3.).

Zwar war das Schlimmste — völliger Abfall — noch nicht eingetreten, aber das Äußerste stand bevor. Schon hält man

Tage,

Monate,

Feste und Jahreszeiten.

(4. 10. vgl. auch 4,

2,1; 5, 2; 6,12.). Paulus war verhindert, persönlich zu erscheinen und den Kampf zu führen; so greift er zur Feder.

Seine Ant­

wort ist unser Galaterbrief, wahrscheinlich etwa im Jahre 58 oder 59 von EphesuS aus geschrieben. Wer wollte sich wundern, daß man jedem Worte dieses

Büchleins die tiefe Erregung anmerkt, die den Apostel erfüllte? Für ihn stand der ganze Erfolg seiner Predigt auf dem Spiel.

«Ich fürchte, daß ich nicht vielleicht umsonst an euch gearbeitet habe (4, 12)."

Noch merkt

man ihm den Schrecken an,

der

ihn bei den betrübenden Nachrichten aus den geliebten Gemeinden überkam:

„Mich wundert, daß ihr euch sobald abwenden lasset.

(1, 7). — O,

ihr unverständigen Galater, wer hat euch denn

bezaubert? (3. 1.).

Wollt ihr im Fleische vollenden? Habt ihr

so viel umsonst erlitten? (3, 3.)."

Angst und Sorge erfüllen sein

Herz, und wir könnten es verstehen, wenn ihn auch ein ehrlicher Zorn überkäme darüber, daß seine Gemeinden ohne Widerspruch seine Person

antasten ließen.

Und doch bricht überall wieder

seine innige Liebe und sein festes Vertrauen zu ihnen durch: „Ich wollte aber, daß ich jetzt bei euch wäre und meine Stimme

wandeln könnte, denn ich bin irre an euch" (4, 20) und: „Meine

lieben Kindlein, welche ich jetzt abermals mit Schmerzen gebäre, bis daß Christus in euch Gestalt gewinne" — dann wieder: „Ich versehe mich zu euch in dem Herrn, ihr werdet nicht anders gc-

Der Apostel Paulus. sinnt sein"

41

(5, 10) — bis zu den erschütternden Worten der

Schlußverse, die er mit eigener Hand anfügte. — Aber so besorgt er um seine Gemeinden ist, so lieb er sie hat,

der Ernst der

Sache läßt ihn doch klar und entschieden, ja strenge und schroff Zeugnis ablegen und treibt ihn über die Verteidigung hinaus zum wahlberechtigten Angriff.

Und so selten er sonst von seiner

Person redet, hier war er gezwungen dazu, weil an seinem An­

sehen diesmal die Sache des wahren Christentums hing. So hebt er denn gleich im Eingang des Brieses, schon in

der Adreffe den göttlichen Ursprung seines Apostelamtes hervor (1.1—5), der ihm die Gewißheit giebt, daß er das wahre Evan­ gelium vertritt, während jede andere Lehre ein Abfall davon ist.

Er redet in Gottes Auftrag und in Christi Dienst,

(1. 5—11).

unabhängig

von allen Menschen.

Das beweist die

Geschichte

seiner Bekehrung, wie Gott ihn aus Gnaden berufen hat, und

seine Miffionsarbeit, in der er gleich von Anfang an selbständig

gewesen ist (1.11—24.).

Das zeigt die Verhandlung in Jerusalem

beim Apostelconcil, wo er nicht lernend und empfangend, sondern

als gleichberechtigter Zeuge des rechten Evangeliums neben den

Urapostcln gestanden hat.

(2. 1—10.).

der Vorfall in Antiochien,

wo er

Tas zeigt vor allem

sich nicht scheute, auch der

Autorität eines Petrus gegenüber zu treten.

(2. 11—21.).

Da­

mals handelte es sich um dieselben Fragen, die man jetzt in die

galatischen Gemeinden getragen hat.

Und hente, wie damals, will

er ihnen das Recht seines Evangeliums erweisen.

Erlebnisse legen dafür Zeugnis ab,

Ihre eigenen

denn ohne das Gesetz haben

sie ja doch den Geist empfangen und seine Kraft an sich erfahren. (3. 1—5.).

Die heiligen Schriften, welche die Judaisten gegen

ihn benutzt haben, sind vielmehr für ihn.

sich

mit Vorliebe berufen,

sondern durch

den Glauben

Abraham, auf den sie

ist nicht durch seine Gesetzeswerke, vor Gott gerecht geworden.

Das

Gesetz aber kann dem, der sich darauf verläßt, nur Fluch bringen,

weil es niemand ganz zu halten vermag. gestorben,

erlösen.

Christus selbst ist

um uns von diesem Fluch und damit vom Gesetz zu Nur, wer das bekennt, versteht seine Bedeutung recht.

Der Apostel Paulus.

42

(3. 6—14.).

Auch die Verheißungen, von denen jene Verführer

reden, hängen nicht an der Erfüllung des Gesetzes, sondern am Glauben an die Gnade Gottes. DaS Gesetz hat nur vorbe­ reitenden Wert: eS soll in die Übertretung führen, unter die

Sünde verschließen, damit der Mensch seine Schwachheit erkenne und

nun im Glauben die Gnade Gottes in Christo

suche.

(3. 14—22.). So ist es nur einem Erzieher, nur einem Vor­ mund zu vergleichen, unter dem die Unmündigen stehen bis zu

der Zeit, die nun ersüllet ist, da Gott seinen Sohn sandte, um uns den Geist der Kindschaft zu geben. (3. 22—4. 7.). Darum ist es ein Rückfall in eine Zeit, die sie überwunden haben sollten, wenn sie zu schwachen und dürftigen Satzungen zurückkehren und,

wie in ihrer heidnischen Zeit, Tage, Monate, Feste und Jahres­ zeiten halten. (4. 8—11.). Haben sie denn so ganz ihre erste

Liebe zu ihm, ihre Treue zum Evangelium vergessen? Fühlen

sie nicht, wie er um ihr Heil eifert, während es jenen Verführern nur darun! zu thun ist, sie von ihm abzuwenden und für sich zu gewinnen? (4.11—20.).

Sie wollen unter dem Gesetz stehen.

Legt denn das Gesetz nicht Zeugnis ab für die Wahrheit seines Evangeliums? Der Sohn der Verheißung war Isaak, nicht nach dem Fleisch geboren, ein Sohn der Freien.

So kann es also

nicht auf fleischliche Abstammung, nicht auf äußerliche Zugehörig­ keit zum Gottesvolk

ankommen.

Sie find Kinder durch die

gläubig angenommene Verheißung und damit der wahre Same Abrahams. (4. 20—31.). So brauchen sie nicht mehr, als er ihnen verkündigt hat.

Und wenn sie mehr nehmen, wenn sie sich,

wie gefordert wird, unter das Gesetz stellen, dann haben sie nicht

Gewinn, sondern unberechenbaren Schaden. Sie verlieren Christum,

weil sie sich dann ja auf ihre Werke »erfassen und damit auf

Gnade verzichten. Im Glauben, der durch die Liebe thätig ist, dürfen sie sich dagegen in freudiger Hoffnung des Heiles getrosten. Wie mögen sie sich da von dieser Wahrheit abwendig

machen

fassen? (5. 1—12.). Denen, die sie verwirren, kann et um des Heiles seiner Gemeinden willen nur wünschen, daß sie von Gott

ausgerottet werden.

Sie bringen ihnen wahrlich nichts Besseres,

43

Der Apostel Paulus. als er.

In Christo haben sie ja doch auch alles,

rechten Führung des sittlichen Lebens bedürfen.

haben sie,

was sie zur

Seinen Geist

so brauchen sie nur im Geiste zu wandeln.

schließt den Mißbrauch der

Das

von Gott geschenkten Freiheit aus,

das tötet in ihnen die Werke des Fleisches und schafft die rechten Früchte.

(5. 13—24.).

Das wird ihnen auch helfen, die Ver­

suchung zur Lieblosigkeit, zu Ehrgeiz und Selbstruhm, wie sie gerade

jetzt die Verhältniffe der tief erregten Gemeinden brachten, zu überwinden und dafür Gutes zu thun an Jedermann. 6. 10.).

(5. 26 bis

Eigenhändig fügt er dann noch den zusammenfaffenden

Schluß hinzu.

Mit kurzen, gewaltigen Sätzen schildert er die

verwerfliche Art seiner Gegner. nach dem Fleisch.

Sie wissen,

Sie wollen sich angenehm machen daß die scharfe Scheidung vom

Judentuni, wie der Apostel sie will, den Christen nur Schmach

und Verfolgung bringt;

darum halten sie fest am Gesetz.

Und

doch halten sie es nicht: sie wollen sich nur damit brüsten, seine

Gemeinden von ihm abgezogen zu haben.

gelingen.

Es wird ihnen nicht

Er verkündigt des Herrn Evangelium, das siegen wird

und muß.

So tritt er seinen Gegnern scharf entgegen; er konnte nicht anders. Seine Gemeinden aber hat et in der rechten Weise an­ gefaßt, „weniger von der Seite verständiger Überlegung, als in

ihrem Gemüte,

dessen leidenschaftliche Erregbarkeit er kannte."

„Nicht einen Lehrbau führt er auf: er läßt Thatsachen und Ge­

schichten spreche», faßt sie bei ihren Hoffnungen, ihrer Furcht,

ihrer Liebe zu ihm, sucht ihren Eifer um fleischliche Frömmig­

keit durch seinen Eifer um Christus zu überwinden". Seine Siegeszuversicht hat ihn denn auch nicht getäuscht. So wenig wir über den weiteren Verlauf der galatischen Wirren

wissen, er hat seine Autorität behauptet und sein Werk gerettet. Das beweist der Erfolg,

den die von ihm veranstaltete Collecte

hier hatte. Das beweist die Thatsache, daß Vertreter dieser Provinz

ihn auch auf der letzten Reise nach Jerusalem begleiteten.

Der

Sieg der Wahrheit aber hat auch hier an seiner Person gehangen.

Der Apostel Paulus

44



Mscrdonirn.



Längst, ehe dem Apostel auf seinem Galatischen Arbeits­ gebiet Schwierigkeiten erwachsen waren, hatte er sein Evangelium

weiter getragen.

Gleich nach Beendigung der ersten MisfionS-

thätigkeit dort war er nordwestwärts gezogen, bis nach Troas, der Küstenlandschast am HelleSpont. Dort stand er vor der Frage: Wohin? ÜberS Meer hinüber nach Europa, in Gebiete,

die ihm, dem Orientalen, immer unhcimischer erscheinen mußten, je weiter er kam? Wir fühlen ihm die Wichtigkeit dieser Ent­ scheidung nach, die auch er tief empfunden hat.

Aber,

wie er

sich in allen entscheidenden Lagen seines Lebens unmittelbar von

Gott leiten ließ, so thut er es der Nacht weist ihm den Weg.

seinen Begleitern mit,

auch hier.

Ein Gesicht

(Apg. 16. 8 f.).

bei

Er teilt es

zu denen hier LucaS hinzuirat, und sie

entschließen sich nach Europa überzusetzen.

Es war der Wende­

punkt in den Geschicken unseres Erdteils.

Im Jahre 53, ein Jahr nach dem Apostelconcil, mag es gewesen sein, als sie von Troas zu Schiff nach Samothrake, tags

darauf nach Neapolis in Thracien, von da nach Philippi in

Macedonien fuhren. Hier in der römischen Colonic mit größerer einheimischer Bevölkerung und einer an Zahl geringeren Juden­ schaft finden sie das, was ihnen die Landschaften

im Innern

Kleinasiens nicht geboten hatten, einen festen Mittelpunkt für ihre

Thätigkeit.

Anschaulich schildert der Bericht der Apg. c. 16.,

wie die Sendboten Anknüpfung suchten und fanden. Draußen vor der Stadt am Flusse lag das Bethaus, wo sich die Juden und die Proselyten, die sie aus den Heiden ge­

wonnen hatten, versammelten. Die Letzteren sind vor allen Frauen

gewesen, wie man denn in diesen Zeiten gerade unter den heid­ nischen Frauen am meisten Sehnsucht nach einem befferen Glauben

und

darum die zahlreichsten

Anhänger all der

vielen neuen

Religionen findet, die in der sinkenden römisch-griechischen Welt

austauchen. Erfolg hat,

Frauen sind es auch, bei denen Paulus zunächst an

denen er

die treuesten

Glieder

der

jungen

45

Der Apostel Paulus.

Gemeinde findet, ja, die auch für die Folgezeit von ziemlicher

Bedeutung bleiben (Phil. 4, 2). Hier am Anfang seiner Thätigkeit

nennt uns die Apg. den Namen der Frau, die Paulus zuerst gewonnen hat.

Lydia ist es, eine Purpurhändlerin aus Thhatira

in Kleinasien.

Sie läßt sich mit den Ihrigen taufen und nimmt

den Apostel selbst gastlich in ihr HauS auf.

Frei von äußeren

Sorgen konnte er nun um so eifriger arbeiten, und bald durfte

er sehen, wie ihm aus den Neubekehrten treue Mitarbeiter er­

wuchsen ;

EpaphrodituS,

ein

Gehülfe

sein

und

Mitarbeiter,

(Phil. 2. 25), ein Shnzygos, der seinen Namen „treuer Geselle"

mit Recht trug.

(4.

3),

ein

Clemens und viele andere haben

„mit ihm gekämpft über dem Evangelium".

Es gehört mit zu der

besonderen Begabung des Apostels, daß er es überall verstand,

sich eine Schar treuer Mitarbeiter und Freunde heran zu ziehen, denen er die Fürsorge für die neugegründeten Gemeinden über­

lassen konnte, wenn er weiter zog, und die imstande waren, sein Werk fort zusetzen,

wenn seine Kraft einmal zu Ende ging.

Darin liegt nicht zum wenigsten der große und dauernde Erfolg begründet, den er in so kurzer Zeit errungen hat.

Zugleich mag

es uns ein Beweis davon sein, wie freudig die Botschaft, die er brachte, auch von bedeutenden Männern ergriffen wurde, wie

nachhaltig sie alle Kräfte wirksam in ihren Dienst stellte.

So ist

es nicht wunderbar,

daß auch hier in Philippi

bald eine blühende Gemeinde entstand.

Sie ist in gewissem Sinne

dem Apostel immer der Liebling unter seinen Gemeinden geblieben.

Keinen Augenblick, bis an sein Lebensende, ist fein Verhältnis zu ihr getrübt worden.

Der Brief au sie, den er zehn Jahre nachher

geschrieben hat, ist mit seinem warmen HerzenSton, seiner dankbaren

und freudigen Stimmung ein Zeugnis dafür. geliebten und gewünschten Brüder,

„Ihr seid meine

heißt es da, meine Freude

und meine Krone". (Phil. 4, 1.). „Sie sind ihm allezeit gehorsam

gewesen und haben Gemeinschaft gehalten am Evangelium vom

ersten Tage an bisher, und er ist in guter Zuversicht, daß, der in ihnen das gute Werk begonnen, (c. 1.).

es auch vollenden werde",

„Hier ist sein Ansehen, die Achtung vor ihm, die Dank-

Der Apostel Paulus.

46

barfeit für das, was er gebracht, die Liebe zu ihm keinen Augen­

blick bedroht gewesen“; die Agitation der Judaisten hat hier keinen Boden gefunden.

Dieser ungetrübten Gemeinschaft entsprach eS,

wenn Paulus dieser Gemeinde ein Recht zugestand, das er keiner

andern gewährte.

Während er sonst peinlich darauf hielt,

selbst des Lebens Notdurft zu erarbeiten

Apostel anzunehmen,

durften

sich

und keinen Lohn als

ihm die Philipper mehrfach eine

materielle Unterstützung zukommen kaffen, weil der Apostel fest überzeugt war, daß sein Verhalten hier keiner Mißdeutung be­

gegnete. Gewiß bildeten auch die philippischen Christen keine Ideal­

gemeinde.

Es wäre ein großer Irrtum, wenn man das von

irgend einer der paulinischen Gründungen annehmen wollte. Auch hier hat der Apostel, selbst noch nach Jahren, oft genug zu Demut,

brüderlicher Liebe, zum rechten Ernst, züm Eifer um das eigene Seelenheil, zu lauterem Wandel mahnen müssen.

So wenig er

mit sich selbst und seinem Christenstand zufrieden gewesen ist,

(Phil 3.12 f.), so wenig durste er das der Gemeinde gegenüber

sein, mochte sie ihm noch so viel Ursache zu Freude und Dank bieten. Aber darin sah der Apostel keine besonderen Schwierigkeiten. Solche kamen ihm in Philippi wenigstens nicht aus der innern

Lage der Gemeinde, wohl aber aus ihrer äußeren Situation.

Noch im Briefe muß er schreiben (1. 29):

„Euch ist gegeben,

um Christi willen zu thun, daß ihr nicht allein an ihn glaubet, sondern auch um seinetwillen leidet": sie haben „denselben Kampf,

den sie an ihm gesehen“. Die Ereignisse bei der Gründung der Gemeinde, die des

Apostels Arbeit vorzeitig unterbrachen, waren davon gleichsam nur

die Vorboten gewesen.

Paulus selbst spricht nur kurz davon, wenn

er die Thessalonicher daran erinnert, daß er zu Philippi gelitten

habe und geschmäht gewesen sei (1. Thess. 2. 2.).

Der Bericht

der Apostelgeschichte (16. 16 ff.) ist ausführlicher: ein scheinbar geringfügiger Vorgang giebt

den Anlaß zu einer Verfolgung.

Eine Sklavin mit einem Wahrsagergeist, die durch ihre Kunst

Der Apostel Paulus.

47

ihren Herrn viel Gewinn brachte,

war mehrfach dem Apostel nachgegangen und hatte das Volk auf ihn und seine Begleiter

aufmerksam gemacht.

Paulus durste das nicht dulden, wenn er

fein Evangelium auch in den Augen der Heiden und seiner jungen Christen fteihalten wollte von dem abergläubischen Treiben der Vielgötterei;

sein Wort treibt

den Geist

aus.

Damit

aber hat er das Geschäftsinteresse der Herren dieser Sklavin ver­ letzt, und diese führen ihn und Silas vor den römischen Prätor. Die Anklage, die sie erheben, ist recht bezeichnend. Man wirst ihnen vor, daß sie eine

„unerlaubte Religion" predigen, die

durch das römische Recht nicht anerkannt sei. Das Volk erregt einen Tumult, und ohne gerichtliches Verfahren läßt der Prätor die Beiden züchtigen und einkerkern.

Aber das sollte nur zur

Verherrlichung des Paulus dienen.

Apg. 16, 25 ff. erzählt, wie

Gott sein auserwähltes Rüstzeug

schützt und die Macht des

Evangeliums sich auch zwischen Kerkermauern bewährt. Am andern Morgen sollen sie freigelassen werden. Da weist Paulus

auf sein römisches Bürgerrecht hin, das ihn vor aller Züchtigung

und rechtloser Willkür schützte, und verlangt öffentliche Wiederher­ stellung seiner Ehre durch die Behörden; um seiner Gemeinde willen, auf deren Stellung das einen günstigen Einfluß ausüben mußte, — um seiner selbst willen, weil er nicht als zu Recht

bestrafter Verbrecher weiterziehen wollte. Die Behörden müssen ihm willfahren, weisen ihn aber aus. Noch hat er Zeit, die Brüder zu stärken, dann nimmt er Abschied.

Die äußern Schwierigkeiten dauerten fort.

Hin und wieder

hat der Apostel die Seinen noch einmal persönlich stärken können, aber noch von Rom aus muß er sie erinnern: Ihr lebt unter einem unschlachtigen und verkehrten Geschlecht; an euch ist es, unsträflich zu wandeln,

um keinen Anlaß zu berechtigter Ver­

folgung zu geben. — Die schweren Erlebnisie hatten ihn nicht eingeschüchtert. Aus Philippi vertrieben, zieht er doch nur in die Hauptstadt

derselben Provinz, die ihm einen schlimmen Empfang gleich am Anfang seines Weges bereitet hatte, — nach Thessalonich.

48

Der Apostel Paulus.

Hier in der lebhaften Handelsstadt mit ausgedehntem Land-

und Seeverkehr sucht er auf andere Weise Eingang. Apg. c. 17. berichtet uns, wie er an drei Sabbattagen hintereinander in der Synagoge gepredigt habe, und zwar von dem Messias, der habe

leiden müssen; zugleich aber auch, daß dies Borgehen keinen Er­

folg gehabt habe. Den erringt er auf anderm Wege, nicht durch Predigt vor einer großen Menge, wo die Begeisterung des Redners

viele mit fortreißt, sondern durch eine Arbeit im Stillen voll

von Entbehrungen und Schwierigkeiten. Hier hat Paulus mit Strenge darauf gehalten, keine Unterstützung von irgend Jemanden anzunehmen, nicht einmal die Gastfreundschaft eines Hauses, wie

in Philippi, sicherlich, um sich nicht dem Verdacht auszusetzen,

als predige er um eigenen Borteils willen.

Arbeit und Mühe

hat er gehabt, Tag und Nacht geschafft, um Niemandem beschwer­ lich zu fallen. (1 Thess. 2. 9.). Er hat also hier den früher erlernten Bemf eines Zeltdeckenmachers auSgeübt, um sich seinen

Unterhalt zu erwerben. Das mag ihn dann hier und dort mit Leuten zusammengeführt haben, zu denen er von dem reden

konnte, was sein Herz vor allem bewegte. Und gerade die Schlicht­ heit seines äußern Auftretens, die Anspruchslosigkeit, mit der er seine Botschaft brachte, ließ den gewaltigen Inhalt seines Evan­

geliums nur um so nachhaltiger wirken. „Sie nahmen daS Wort auf nicht als Menschenwort, sondern als Gotteswort". (1. Thess. 2, 13).

Nur einzelne hat er zunächst gewonnen und

an ihnen mit sorglicher Treue gearbeitet; „als ein Vater seine Kinder hat er jeglichen unter ihnen ermahnt und getröstet".

(1. Thess. 2. 11.). Gewiß war diese Arbeit im Kleinen nicht leicht für den

feurigen Geist des Apostels.

Es gehörte ein großer Sinn und

wiederum eine Treue bis ins Kleinste dazu, so geduldig zu warten und zu arbeiten. Aber so wenig er etwas abließ von den ernsten

Forderungen des Evangeliums, die gerade den Heiden unerträg­ lich schwer erscheinen mochten, — weil er und seine Geführten

das Wort, das sie predigten, nun auch in allen Beziehungen des täglichen Thun und Treibens vorlebten, war es möglich, auf

Der Apostel Paulus.

49

diese schlichte Art, ohne Schwärmerei und ohne Menschengefälligkeit (I. 2, 4. u. 5.), die Thessalonicher „von den Abgöttern zu

Gott zu bekehren", vor dem sie würdiglich wandeln sollten. Auch

hier sammelt sich zunächst eine HauSgemeinde, im Hause de» Jason (Apg. 17, 5 ), und als die Gemeinde sich weiter ausdehnt, sind es doch im Wesentlichen Heiden oder Proselyten, die sich

gewinnen lasten. Neben Jason werden uns später als hervor­ ragende Männer und treue Freunde Aristarchus und Secundus genannt.

(Apg. 20, 4.).

Doch auch hier bleiben äußere Schwierigkeiten nicht fern.

Eine Verfolgung seitens der Heiden (1. Thess. 2. 14.) bricht aus, die der jungen Gemeinde schwere Zeiten bringt. Angefacht wird sie, wie Apg. berichtet und auch der Bries nahe legt,

von

den Inden, die „nicht wollen, daß die Heiden selig werden". Mit

verschlagener List suchen sie die Christen politisch zu verdächtigen, als wollten sie Christus zum Herrn und König gegen des Kaisers

Ordnung machen. Es war dasselbe Spiel, mit dem man in Jerusalem selbst einst Christum zu Falle zu bringen gedachte. Die angesehensten Glieder der Gemeinde wurden auch gefänglich eingczogen und nur gegen Caution wieder auf freien Fuß gestellt.

Die Verfolgung war damit nicht zu Ende (vgl. 1 Thess. 3. 1 ff.)

Jedenfalls war die Situation so schwierig geworden,

daß Paulus vorziehen mußte, die Stadt zu verkästen.

Die Tren­

nung von der Gemeinde, die seiner Arbeit und Führung eigent­ lich noch sehr bedurfte, wurde ihm schwer. Zweimal gedachte er kurz danach noch, zurück zu kehren (I. 2,18), aber es wollte nicht

gelingen.

Da sandte er von Athen aus, wohin er inzwischen ge­

gangenwar, (1.3,1) den Timotheus, „sie zu stärken und zu ermahnen int Glauben, damit die heftige Verfolgung nicht jemanden weich

mache."

Sein Vertreter kehrte mit günstigen Nachrichten zurück,

sodaß Paulus

nun von Corinth aus in zuversichtlicher und

freudiger Stimmung zweimal nach einander an seine Gemeinde schreiben konnte. Die jungen Christen hatten sich wacker gehalten auch in der

Verfolgung, die er ihnen vorhergesagt hatte (I. 3. 4.), und auf 4

Der Apostel Paulus.

50

diese Weise weithin die Ausbreitung des Evangeliums gefördert. (I. 1, 8 ff.). Auch ihnen durste er dasselbe ehrende Zeugnis geben,

das er den Philippen: später schrieb:

«Wer ist unsere Hoffnung

oder Freude oder Krone des Ruhms? Seid nicht ihr eS?

seid ja unsere Ehre und Freude".

Ihr

Aber er

(I. 2, 19. 20.).

hatte doch auch mit scharfem Blick erkannt, wo die Aufgaben dieser

In allen

Gemeinde lagen, wozu er sie besonders ermahnen mußte.

Gemeinden, auch in Theffalonich, handelte es sich für die Neu­ bekehrten darum,

ihr Christenleben nun auch in einem reinen

Wandel, besonders nach der speziell sittlichen Seite hin zu bewähren.

Hier mahnte der Apostel noch vor allem zum Fleiß und zur Redlichkeit im täglichen Beruf.

Spannung der äußern Lage,

Nicht ohne Grund!

Unter der

unter dem Druck der Verfolgung,

unter der lebhaften Hoffnung auf die nahe Vollendung niochte

die religiöse Stimmung so hoch gesteigert sein,

daß die jungen

Christen darüber die gottgewiesenen, irdischen Ausgaben vernach­

Dem trat der Apostel mit nüchternem

lässigten und vergaßen. Sinn entgegen.

Schlichteste Pflichterfüllung ist ihm auch ein

Gottesdienst, daß „jeder das Seine schaffe mit eigenen Händen". (I. 4, 10.).

So allein konnten die Christen sich die Achtung

der Heiden und Ruhe vor den Verfolgungen schaffen.

Darin

durste sie auch die Hoffnung auf die nahe, herrliche Zukunft nicht

irre machen, vielmehr sollten sie daran die rechte Nüchternheit und Wachsamkeit lernen.

Gerade diese Nüchternheit war nötig

wenn das Christentum nicht in ein schwärmerisches, unordentliches Wesen hineingeraten sollte, und Paulus war verständig genug,

nicht zu unterschätzen,

wie wichtig für das Gedeihen und die

stetige Entwicklung seiner Gemeinden auch

äußere Ruhe war,

die sie doch nur dann genießen konnten, wenn sie sich selbst in die berechtigten und

gottgewollten irdischen Ordnungen hinein­

fügten.

Seine Worte sind

nicht ohne Frucht gewesen.

Philippi

und Theffalonich blieben ihm teuer, und mit Freuden durfte er sehen, wie in der ganzen Provinz Macedonien blühende Gemein­

den entstanden.

Hier hat seine Predigt kräftig gewirkt.

Hier

Der Apostel Paulus.

51

gerade war sein persönliches Gebiet, wo seine Art, das Evangelium

zu verkündigen, die schönste Frucht gezeitigt hatte.

Von diesen

Gemeinden durfte er wahrlich immer mit besonderer Freude reden. —

Nchaja.



Die erste Verfolgung hatte den Apostel auS Thessalonich vertrieben.

Sein Weg führte ihn weiter südwärts über Beröa,

wo er nur kurz verweilte, nach Athen (Apg. 17, 10 ff).

Es wäre verlockend, sich auszumalen, mit welchen Gedanken er diese einst so berühmte und noch immer bedeutende Stadt betreten hat.

Ob er etwas davon fühlte,

daß er hier in eine

Hochburg des Götterglaubens, den zu vernichten, er ausgezogen,

eingetreten war?

Ob er sich sagte, daß hier vor allem heidnischer

Glaube seine Kraft hatte?

Ob er überhaupt an alles das ge­

dacht hat, was für uns mit dem knüpft ist?

Wir wiffen es nicht.

Namen Athen unlöslich ver­

Uns liegt es nahe, zu



meinen, daß der Aufenthalt des Apostels in Athen einen ganz besonders wichtigen Abschnitt in seinem Lebenswerk bezeichnet haben müsse. Er selbst aber hat davon augenscheinlich nichts empfunden;

für ihn ist die Zeit, die er in jener Stadt verlebt hat, höchstens eine

Episode gewesen.

Nur flüchtig erwähnt er die Thatsache,

er überhaupt dort geweilt hat.

(1. Thess. 3. 1.).

daß

Jedenfalls hat

er dann aber — darin hat die Apg. Recht — nicht Unterlasten,

Mission zu treiben.

Oder können wir uns vorstellcn,

daß der

Apostel, wie wir ihn bisher kennen gelernt haben, auch nur einen Tag vorüber gehen ließ,

ohne ihn im Sinne seiner Lebensauf­

gabe auszunützen?

Er ist allein in der großen Stadt, seine Begleiter sind nach Macedonien zurückgegangen (1. Thess. 3, 1. ff.), und er will

ihre Rückkehr abwarten.

wie er in

Da mögen wir ihn uns wohl vorstellen,

den ersten Tagen nach

seiner Ankunft die Stadt

durchwandert, durch das Gewirre des Marktes, vorüber an den Tempeln, wo die Menge sich drängte,

Weltweisen lehrten,

an den Hallen, wo die

an den Ringschulen,

wo die Jugend sich

tummelte, hinauf zur Akropolis mit ihren schimmernden Pracht-

4*

Der Apostel Paulus

52

bauten und hinaus zum Piräus, ,»o der Kaufmann und der Seefahrer die Erzeugnisse der Ostens und Westens tauschten. —

Er hat sich die Augen nicht blenden lassen von all der

Pracht.

Hinter dem Glanz, der ihn auf Schritt und Tritt be­

gleitete, sah er die tiefe Unsittlichkeit, die sein Herz erschreckte, und

mitten aus dem eifrigen Treiben des Götterdienstes mit all seinem

Prunk vernahm er die Stimme einer unbefriedigten Sehnsucht, die Besseres verlangte.

Später redet er davon, wie er einen

Altar gesehen habe, geweiht „dem unbekannten Gott"; ihm war es ein Zeichen, daß der überkommene Götterglanbe seinen An­

hängern doch nicht genug that. So hat er denn auch hier sein Evangelium erschallen lassen, wie sich gerade die Gelegenheit bot, in der Synagoge, vor den Proselyten, hin und wieder auf dem Markt, wo immer einer zuhören mochte. Auch an die größere Öffentlichkeit wird er ge­

zogen; vor einem weiteren Kreise soll er Auskunst geben über die Lehre, die er zu bringen hat.

Rede.

Apg. 17. schildert uns seine

Wir hören, wie er anknüpft bei ihrem innersten eigenen

Bedürfnis, wie er verheißt gerade das zu bringen, was sie im Grunde ersehnen und an ihrem Glauben vermissen, wie er redet

von dem einen Gott, den auch ihre Weisen und Dichter geahnt, und von den Thaten seiner Güte und Gnade. Aber hier war kein Boden für seine Botschaft. Über das, was ihm das Wich­ tigste war, gingen seine Hörer mit Spott hinweg; zu einer Ge­ meindegründung kam es nicht, nur wenige Namen von einzelneil

Bekehrten werden uns genannt. für Paulus eigentlich mit

Die Arbeit in Athen schließt

einem Mißerfolg.

Warum? ver­

mögen wir im Einzelnen nicht zu sagen. denken können, daß die

Nach diesem Erlebnis hätte er

großen Weltstädte mit ihrem glänzenden Leben

und

Treiben

nicht der geeignete Boden für die Mission seien, daß die Zeit

noch nicht gekommen sei, alle Kraft

daran zu setzen,

auch in

Städten, wie Athen und das vor ihm liegende, reiche Corinth „für seinen Herrn etliche zu gewinnen".

Dieser Gedanke aber, so

naheliegend er war, scheint ihm nicht einmal gekommen zu sein,

Der Apostel Paulus.

53

ein Zeichen davon, mit welcher Zuversicht der Apostel selbst an der Wahrheit und Siegeskraft seines Evangeliums festhielt, über­

zeugt davon, daß sein Glaube doch schließlich alle Hinderniffe überwinden muffe. So verläßt er Athen nur, um von da nach Corinth zu gehen, einer Stadt, die damals vielleicht in noch größerer Blüte stand, als die Hauptstadt Attikas, deren Größe

mehr in der Vergangenheit lag. Corinth hatte unter der Römerherrschaft einen neuen Aufschwllng genommen. Außerordentlich günstig gelegen, der Durchgangspnnkt für den Verkehr zwischen Italien nnd dem Orient, war sie zu früher nie gesehenem Glanze emporgeblüht. Hier zeigte die antike Kultur ihre volle Kraft, aber zugleich auch ihre

Ohnmacht und ihre Fehler. Selbst heidnischen Zeitgenossen er­ schien die Verderbtheit dieser Stadt als einzigartig, und ihre Laster wurden zum Sprichwort.

In der That ein schwieriger Boden!

Paulus mit seinem klaren Blick verhehlte sich das durch­ aus nicht. So siegesgewiß er in der festen Zuversicht auf den Gott war, von dem er sich geleitet wußte, auch er hatte Zeiten

und Stunden, in denen die schweren Aufgaben seines Berufes ihm drückend aufs Herz fielen.

Jetzt gerade, nach dem geringen

Erfolg seiner Predigt in Athen, mochten ihn sorgenvolle Gedanken erfüllen. Er hat es lange nicht vergessen, in welch gedrückter Stimmung er damals in Corinth eingezogen ist. „Ich war bei euch mit Schwachheit und mit Furcht und mit Zittern", schreibt

er 1. Cor. 2, 3.

Nicht als ob er erneute Verfolgungen gefürchtet

hätte, nachdem er schon so vieles Schweres erduldet hatte. Auch leibliche Schwachheit war cs nicht, vielmehr, wie seine weitere Worte a. a. O. zeigen, der Gedanke daran, daß er nicht „mit

hohen Worten und hoher Weisheit" komme,

nicht als Meister

griechischer Redekunst und Weltweisheit. Vielleicht hatte ihm gerade der Aufenthalt in Athen gezeigt, daß es hier auf dem eigentlich griechischen Boden,

wo naturgemäß das,

was wir

hellenische Kultur zu nennen pflegen, am höchsten ausgebildet war, noch andere Schwierigkeiten gab, als diejenigen, die er bisher siegreich überwunden hatte. Nicht nur die Vielgötterei, nicht nur

Der Apostel Paulus.

54

niedriger Sinn und Unfittlichkeit waren hier zu bekämpfen; hier schien es nötig zu fein, sich auch der griechischen Gewohnheit anzu-

pafsen, fast mehr Wert auf die schöne Form, als auf den Inhalt der Rede zu legen.

Und dieser Forderung gegenüber fühlte Paulus

sich — uns scheint, in zu großer Bescheidenheit — ungenügend

ausgerüstet. Schwer war es ihm ums Herz, wenn er daran dachte, daß sein Werk vielleicht an diesen Äußerlichkeiten scheitern sollte, wo er doch kein höheres Ziel kannte, als möglichst Vielen die

beseligende Botschaft des Evangeliums ins Herz hinein zu predigen. Seine trübe Stimmung mag noch gesteigert worden sein, als er nun auch hier die Erfahrung machen mußte,

daß die

Judenschaft, die in Corinth natürlich zahlreich war, sich, abgesehen

von Einzelnen, durchaus ablehnend verhielt.

(Apg. 18. 5. ff.).

In diesen schweren Tagen wird er ganz besonders innig im un­

von dem er sich allent­

mittelbaren Verkehr mit seinem Gott,

halben geleitet wußte, Trost und Kraft gesucht haben. Apg. 18. 9 ff. deutet uns an,

wie er durch eine innere Erfahrung getröstet

daß auch hier unter allen

worden ist und dcffen gewiß wurde,

Schwierigkeiten dennoch seines Herrn Sache zum Siege gelangen müsse.

Um dieselbe Zeit kehrten zudem seine Begleiter aus Mace-

donicn mit beruhigenden Nachrichten zurück, sodaß ihm auch die

Sorge um die dortigen Gemeinden, schwer drückte, abgenommen

war.

die ihn sicher manchmal

So ging er denn doch mit

dem altgewohnten Eifer ans Werk. Auch hier machte er es, wie in Thessalonich.

Die Arbeit

in dem Handwerk, das er erlernt hatte, mußte ihm den Lebens­

unterhalt verschaffen.

Er trat nicht als Apostel auf, als Lehrer

einer neuen Religion, mit dem Anspruch, von seinen Zuhörern

oder Anhängern gebührenden Lohn zu empfangen; er sah es viel­ mehr als heilige Pflicht an, unter keinen Umständen der Sache,

der er diente, dadurch Hindernisse zu bereiten, daß er sich allerlei

Mißdeutungen

arbeitete.

aussetzte,

als wenn er in eigennütziger Absicht

Vor Mangel war er zudem geschützt btirdj die treue

Teilnahme der philippischen 2. Cor. 11. 7-9.).

Gemeinde.

(1. Cor. 9.

6—27.

Der Apostel Paulus.

55

Sein Handwerk führt ihn zusammen mit einem jüdischen

Ehepaar, das ans Rom nach Corinth gekommen war, mit Aquila und Priscilla oder Prisca, die seine treuesten Freunde werden. Als so erst eine Anknüpfung gefunden war, ging die Arbeit still,

aber rasch voran.

Einzelne werden zunächst gewonnen und kleine

Hansgemeindcn gesammelt.

AuS den Briefen, wie aus der Apg.

erfahren wir einige Namen:

Stephanas und sein Haus, die

Erstlinge in Achaja und tüchtige Mitarbeiter (1.1, 16; 16, 15), Crispus, der Apg. 18. 8 als Oberster der Schule, als Synagogen­ vorsteher erscheint, Gajus, Sosthencs, Titius Justus (Apg. 18. 7),

das Haus der Chloe (I. 1. 11.).

Auch über die Grenzen der

Stadt hinaus ging seine Arbeit; es bildeten sich Gemeinden in der ganzen Provinz Achaja, so in der Hafenstadt Kenchreä, aus

der uns eine augenscheinlich vornehmere Frau, Phöbe, genannt

wird, die eine einflußreichere Stellung in der Gemeinde einnahm.

Wie schon oft, so durste der Apostel auch hier die erhebende Erfahrung machen, daß auS den jungen Christen ihm bald Mit­

arbeiter wurden.

Brauchte er selbst

doch nur die allerersten

seiner Anhänger zu taufen (T. 1. 14—16), und durfte er doch

von einigen geradezu rühmen, wie eifrig und erfolgreich sie ge­ holfen hatten. Im Wesentlichen bestand die Gemeinde aus ehemaligen

Heiden.

Gewiß sind auch Judeuchristen darunter gewesen, aber

aufs Ganze gesehen, konnte Paulus doch später schreiben: „Ihr

wißet, daß ihr Heiden seid gewesen und hingegangen zu den stummen Götzen, wie ihr geführt wurdet".

Je mehr die alt-

testamentlichc Religion auch für einen ernsten, sittlichen Sinn noch an Anziehendem bieten konnte, um so weniger waren die Juden geneigt, eine neue Lehre, die ihnen so viel Ärgerliches zu

enthalten schien, anzunehmen. Die Heiden dagegen — das er­ Siegesgang des Evangeliunis — hatten

möglichte gerade den

vielfach selbst eine tiefe Empfindung davon, daß ihr Glaube ihnen nichts mehr bieten konnte, und waren gerade darum empfänglich für

die christliche Predigt.

Immerhin waren es auch hier die ärmeren

und ungebildeten Kreise,

in

denen Paulus die meisten und

Der Apostel Paulus.

56

eifrigsten Anhänger fand.

Mögen auch einzelne aus den be­

vorzugten Ständen gläubig geworden feitt, die Leute von Bildung

und Besitz waren entweder versunken in einen Sinn, der in den Gütern und Genüssen materieller Art seine Befriedigung findet, oder glaubten, mit der damaligen Weltweisheit die höheren Be­

dürfnisse der Seele stillen zu können.

„Nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle waren berufen, sondern was thöricht war vor der Welt und schwach und unedel und verachtet" (1. Eor. 1. 26 ff.).

Aber in diesen kleinen Gemeinden, die so bedeutungslos schienen und vielleicht verachtet wurden, war ein Keim beschlossen, der sich gewaltig und sieghaft entwickeln sollte.

Auch in Corinth,

auf einem Boden, der so viel Schwierigkeiten bot, war ein Er­ folg errungen, und cs war eine glückliche Fügung, daß der be­

scheidene Anfang sich ohne Störung von Außen entwickeln durste. Der jungen Gemeinde blieben Verfolgungen und Bedrückungen erspart.

Wohl versuchte die Judenschaft hier, wie sonst hindernd

einzugreifen.

stand

oder

Aber ihre Umtriebe scheiterten an dem Wider­ Gleichgiltigkeit der römischen Staatsgewalt.

der

(Apg. 18. 12-18.).

So hat Paulus ungestört auf diesem wichtigen Arbeitsfeld lange Zeit wirken dürfen, nach Apg. 18.11 mindestens l’/2 Jahr;

und er selbst hat uns über diese erste Zeit seiner Thätigkeit soweit unterrichtet, daß wir uns ein Bild davon machen können,

wie er gepredigt, und wodurch er solche Erfolge errungen hat. — Wir erinnern uns, in welcher Stimmung der Apostel in Corinth eingezogen war, und welchen Schwierigkeiten er entgegen sah. Er hat gar nicht den Versuch gemacht, der hellenischen Vorliebe für

rhetorische Künste nachzugeben: „nicht mit klugen und hohen Worten, nicht mit Überredungskünsten menschlicher Weisheit ist er ge­ kommen", er wollte auch hier nur die Sache, die er vertrat, nur den Inhalt seiner Predigt wirken lassen. Uns scheint es nun am natürlichsten, er habe in Corinth ähnlich so, wie in Athen (Apg. 17) geredet, gepredigt vor allem von dem einen wahren Gott gegen­ über den „stummen Götzen, die doch nichts sind".

Gewiß wird

Der Apostel Paulus.

57

er diese Fragen berührt haben, aber sie

waren ihm doch nur

nebensächlich. Zuvörderst hat er ihnen Anderes gesagt, daß „Christus gestorben sei für unsre Sünden nach der Schrift und begraben und

auferstanden am dritten Tage nach der Schrift,"

(1.15, 3) —

und noch deutlicher: „Ich hielt mich nicht dafür, daß ich etwas unter euch wüßte ohne allein Jesum Christum den Gekreuzigten." (I. 2, 1).

Es niag uns das wunderbar erscheinen, und doch ist

es wiederum verständlich, daß der Apostel in jenen ersten, trüben

Tagen seine Stärke in dem gesucht hat, was zwar der Welt, in der er nun arbeitete, am allerfremdesten, ihm aber am allertröstlichsten, weil der

eigentliche Kern seines

Evangeliums,

war:

Christus

gekreuzigt und auferstanden für unsere Sünde nach der Schrift! Mochte er „den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Thor­

heit" sein, — die Botschaft von ihm konnte allein sich als Geist, Leben und Kraft erweisen unter diesem Volk. Denn gegenüber dieser Predigt kam es nicht auf verstandesmäßige Überlegungen,

nicht auf ästhetische Urteile an; sic wandte sich an das sittliche Gefühl, das selbst unter dem Schutt, den eine verkominene Re­

ligion darauf gehäuft hatte, nicht ganz erstorben war: sie weckte

das Schuldgefühl, forderte und rechtfertigte die strengste Selbst­ beurteilung und bot eben in der Person des Christus den sichern Weg zu einem neuen Leben der Gottesgemeinschaft und des reinen Wandels.

Und diese Botschaft erwies sich nun in der That als eine erneuernde und heiligende Gotteskrast.

diesem Grunde gebaut.

Die Gemeinde wird auf

Den Apostel selbst kann diese Erfahrung

nur in seiner persönlichen Glaubensstellung bestärkt haben.

Was

ihm das Wichtigste war: die lebendige Verkündigung, daß unser

zeitliches und ewiges Heil in dem durch Leiden und Sterben erhöhten Christus beruht, das hatte hier auch seine Siegerkraft

bewährt an den Menschenherzen, auf einem Boden, wo es der

Anknüpfungen dafür gar wenige, der Schwierigkeiten nur um so mehr gab. Mit den schlichtesten Mitteln hatte er Großes erreicht.

ist

Es

sicher nicht übertrieben, wenn er I. 1, 6. den Corinthern

Der Apostel Paulus.

58 das Zeugnis

geben kann: die Predigt von Christo ist kräftig

unter euch geworden.

Viele Mängel weist die Gemeinde auf, —

wir werden hören, wie viel dem Apostel noch zu thun blieb — aber wie hoch war doch auch

entwickelt!

das religiöse und sittliche Leben

Hier war in der That „eine Gemeinschaft geschaffen,

in der ein neuer Geist lebte und sich

wirksam erwies in einem

Sinn, der nach dem Höchsten trachtete". —

Jedenfalls war so viel erreicht, daß Paulus weiter ziehen konnte in der Zllversicht, das Wesentliche und Notwendigste geleistet

zu haben. So überläßt er die Gemeinde denn sich selbst, allerdings, ohne sie, was wir etwa für notwendig halten würden, zu organi­

sieren. Amt und Würden im eigentlichen Sinne gab es nicht.

Hier

galten nur, wenn man so sagen soll, die natürlichen Autoritäten, das Ansehen deren, die am ersten zum Glauben gekommen waren

und sich die größten Verdienste um die Entwicklung und den Bestand

der Gemeinde erworben hatten. Die entscheidende Instanz bildete im letzten Grunde die Versammlung der ganzen Gemeinde, und mit dieser hat Paulus auch in der Folgezeit immer zu

ver­

handeln. Gelegenheit dazu gab es oft genug!

Je rascher die Ge­

meinde ohne Störung von außen erblüht war,

um so größer

wurden die Schwierigkeiten, als es sich nun um die weitere Ent­

wicklung, um ihren Ausbau, um die Vertiefung ihres Glaubens

und ihrer Erkenntnis, um die Heiligung des Lebens handelte. Sie zeigten sich schon bald nach dem Weggang des Apostels, und sie werden uns Gelegenheit bieten, die gewaltige Persönlichkeit

deS Paulus von einer neuen Seite kennen zu knien.

Ihm

ging es nicht, wie so manchen großen Männern, die es verstehen, einen kräftigen Anstoß, wirksame Anregungen zu geben,

etwas

Neues zu schaffen, die aber der Weisheit und Stetigkeit ermangeln,

ihre Gründung nun auch zu erhalten.

Ihm war es gegeben,

nicht nur den Grund zu legen, sondern auch sein Werk auszu­

bauen, das Errungene zu wahren und zn festigen.

Zunächst schien ihm diese Arbeit abgenommen zu werden;

die Gemeinde blieb nicht verwaist, als er nach Ephesus überge-

Der Apostel Paulus. siedelt war.

Eine bedeutende Persönlichkeit trat an seine Stelle,

Apollos, eilt Judenchrist aus Alexandria, nach Apg. 18, 25.

auf eigentümliche Weise bekehrt, ein gelehrter und beredter Mann. Obschon kein Schüler und unmittelbarer Anhänger des Apostels, waren beide doch innerlich soweit eins, daß Paulus selbst des

Apollos Arbeit gewistermaßen als die Fortsetzung seiner eigenen

ansehen konnte, (I. 3, 10.), daß er

sich mit ihm zusammen­

fassen durfte (I. 4, 6. u. 9.) und sich bei persönlicher Berührung auch thatsächlich mit ihm zusammenfand. Immerhin hatte jeder der beiden seine Eigenart.

Was Paulus gerade am Anfang

seiner Arbeit ausdrücklich abgelehnt hatte, nach Art griechischer

Weisheit zu reden,

das hat Apollos nicht gescheut.

Er sah die

hohe Bildung, die er sicherlich bereits aus seinem Geburtsort mit­ gebracht hatte, wo auch die Juden schon lange unter dem Ein­

fluß griechischer Kultur standen, nicht als Hindernis für seine

apostolische Thätigkeit an;

er stellte sie vielmehr in den Dienst

So hat er namentlich wohl die Kunst

seines neuen Berufes.

der Schristauslegung geübt, und, wie cs scheint, auch nicht unter­ lassen,

dem griechischen Geist auf

dem Wege der Spekulation

die ganze Tiefe des Evangeliums zu erschließen.

Damit mochte

er vor allem auf die gebildeteren Glieder der Gemeinde nicht geringen Einfluß üben,

während cs zweifelhaft ist, ob es ihm

gelang, auch ihren Kreis zu erweiteren.

Paulus hat sicherlich

bald von dieser Thätigkeit gehört, aber er war groß genug, sich in die Eigenart eines Andern hineinzufinden, hier desto leichter,

je eher er überzeugt sein durfte, in allen Grundfragen mit dem

neuen Genossen übereinzustimmen.

Zudem ist Apollos nicht lange

in Corinth gewesen, vielmehr bald ebenfalls nach Ephesus gegangen, sodaß seine Wirksamkeit in Corinth Umsomehr war wicklung

der

es Paulus,

eine kurze Episode blieb.

der auch weiterhin die Ent­

Gemeinde zu beeinfluffen

und zu

leiten

hatte.

Natürlich konnte das auch hier nur auf brieflichem Wege geschehen, und gerade mit Corinth scheint er ganz besonders lebhaft auf

diese Weise verkehrt zu haben. Schon vor unserm ersten Corintherbrief hat

er,

wie wir

wissen

(I.

5,

9.),

seiner Gemeinde

Der Apostel PauluS.

ein Schreiben zukommen lassen, und es ist charakteristisch, was er darin zu behandeln hatte. Mit scharfem Blick hatte er erkannt, welche Gefahren der Gemeinde am meisten drohten: nicht der Haß und die Berfolgungswut, sondern die Laster ihrer Umgebung

waren ihre schlimmsten Feinde.

Heidnische Unsittlichkeit drang

auch in den Kreis der Christen immer wieder ein, und Paulus,

der die furchtbare Gefahr erkannte, mahnte mit allem Ernst zur energischen Abwehr. Er führte die Anfänge einer Kirchen- und Gemeindezucht ein, die, wenn irgend wann, damals unbedingt

nötig war. Aber auch darin stand er so hoch über seiner Um­ gebung, daß er kaum verstanden wurde; seine eigene Gemeinde schien noch nicht zu der Erkenntnis durchgedrungcn zu sein, daß sie einen festgeschlossenen und darum auch scharf abgegrenzten Kreis innerhalb der heidnischen Umgebung zu bilden hätte (I. 5, 9. ff.),

ein Zeichen dafür, wie groß die Arbeit war, die er auch weiterhiu noch an seinen Gemeinden zu thun hatte. Noch konnte er diese Aufgaben ungehindert erfüllen, die (I. 11, 2.).

ganze Gemeinde kam ihm mit Vertrauen entgegen.

Alle Fragen wichtigerer Art, die das Gemeindeleben bot, wurden ihm zur Entscheidung vorgetragcn. Im 1. Briefe merken wir, daß er einen großen Teil seines Schreibens darauf verwendet, eine Reihe von Anfragen zu beantworten, welche die Gemeinde brieflich an ihn gerichtet hatte (1. 7, 1.). Da handelte es sich

um die Gestaltung deS ehelichen Lebens, das ja doch auch aus vielfacher Verderbnis herauszuheben war; schon regte sich unter den jungen Christen eine Stimmung, die als zur Vollkommenheit nötig auch Ehelosigkeit forderte. Fleisch essen dürfe,

Da war die Frage, ob ein Christ

das von einem Götzenopfer komme; manche

waren sehr peinlich darin, andere wieder glaubten, ihre christliche „Freiheit" erlaube ihnen, sogar an heidnischen Opfermahlzeitcn teilzunehmen. Dann boten die Zusammenkünfte der Gemeinde mancherlei Fragen des Anstandes und der Sitte. Weitere

Schwierigkeiten ergab die eigentümliche Art, in der sich das religiöse Leben der ersten Gemeinden äußerte.

Man pflegt die

Erscheinuugen, die hierher gehören, unter dem Namen „Geistes-

Der Apostel Paulus.

61

gaben" zusammen zu fassen. Wirkungen deS Geistes Christi waren es nach der allgemeinen Überzeugung, was da die Gemeinden

zeigten in ihren Aposteln, ihren Propheten, ihren Lehrern, ihren Wunderthätern, ihren Diakonen,

ihren Vorstehern.

Eine dieser

Gaben genoß nun in Corinth die höchste Achtung, die des „Zungen­ redens", die auch Paulus selbst besaß.

Es war das, so weit wir

sehen können, ein ekstatisches Reden mit Gott, ein begeistertes,

verzücktes Beten in Worten,

die für die Hörer unverständlich

waren, wenn sie nicht von einem besonders dazu Begabten aus­

gelegt wurden.

Sie schien in ihrer Eigenart, ihrer Unerklürlich-

keit die wichtigste Geistesgabe zu sein,

Schwärmerei,

zu

aber sie konnte auch zur

unklarer und unreiner Begeisterung führen.

Daher die Frage: Wie waren diese Geistesgaben alle zu beur­ teilen ?

Wir sehen:

lauter Fragen,

wie sie sich ergeben mußten,

wo eine neue Erscheinung religiöser Art sich aus Verkehrtheiten

und durch unvermeidliche Verkehrungen hindurch zur Klarheit und Selbständigkeit durchzuringen hatte.

Das entscheidende Wort

in allen diesen Dingen mußte der Schöpfer der Gemeinde sprechen. Gewiß gab cs in Corinth tüchtige Leute, die des Apostels volles

Vertrauen besaßen, aber sie standen selbst mitten in der Be­

wegung, und jeder hatte die Empfindung,

er überrage sie alle

soweit an Geist und Bedeutung, daß er allein alle diese Fragen endgiltig beantworten könne.

Es läßt uns das einen Blick thun

in die ungeheure Arbeitslast, die aus den Schultern dieses einen Mannes lag, der jetzt gerade — er war inzwischen nach Ephesus

gegangen — mitten in einer neuen schweren Thätigkeit stand,

und den eigentlich doch keine einzige seiner bisher gegründeten Gemeinden ganz entbehren konnte. Es war sicherlich keine Über­ treibung, wenn er späterhin einmal schrieb (2. Cor. 11. 28): „Ohne was sich sonst zuträgt, nämlich daß ich täglich werde an­ gelaufen und trage Sorge für alle Gemeinden".

wir es nicht:

zu Gebote,

Und vergeffen

dem Apostel stand keine äußerliche Autorität

auf die er zur Entscheidung hätte Hinweisen können.

Vielmehr: hier hing alles an der Sache, die er vertrat, und die

Der Apostel PauluS.

62

ihre Überzeugungskraft in sich selbst tragen mußte, nicht weniger aber an dem überwältigenden Eindruck seiner Persönlichkeit.

So lange seine Gemeinde durch persönliches Vertrauen an

ihn gefeffelt war, konnte er sich darauf hin wohl zutrauen, durch alle Schwierigkeiten hindurch der Gemeinde zu einer ruhigen Entwicklung zu verhelfen.

Jetzt gerade,

so schwierig die auf­

geworfenen Probleme in mancher Beziehung auch für ihn sein mußten, durfte es ihn beruhigen, daß sich die Gemeinde doch als Ganzes mit vollem Vertrauen an ihn wandte und seinen Rat erbat.

Die Zeit sollte kommen, wo auch dieses Band zu zerreißen drohte. Noch hatte Paulus den Brief der Gemeinde nicht beantwortet,

da empfing er neue Kunde aus Corinth, durch Glieder der Ge­

meinde, die nach Ephesus kamen, die Leute der Chloe, Stephanas, FortunatuS und Achaicus. Unerfreulich klang ihre Botschaft. So manches Gute sie sicherlich berichten konnten, die tiefen Schatten fehlten nicht. Ein Fall schlimmer Unsittlichkeit, auch für Heiden

schimpflich, war in der Gemeinde vorgekommen, und sie hatten

sich noch nicht aufgerafft, einzuschreiten.

Auch bei der Beteiligung

der Frauen am Gottesdienst hatten sich manche freie und damals

bedenkliche Sitten heraus gebildet.

Mangel an brüderlicher Ein­

tracht und streitsüchtiger Sinn trieb die Christen dazu, gegen­ einander vor den heidnischen Gerichten Recht zu suchen. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten, den sogenannten „Agapen*, und in­ folgedessen auch beim Abendmahl waren sehr schlimme Mißstände

eingerisien.

Das Band der Gemeinschaft wurde hier nicht mehr

Jeder verzehrte, was er mitbrachte:

gefestigt, sondern gelockert.

die Reichen schwelgten,

während

neben

darbten; Trunkenheit war nichts Seltenes.

ihnen

arme Brüder

Die neue Erkenntnis,

die der Apostel gebracht, war freudig ausgenommen worden, aber es dauerte noch lange, ehe sie das Wollen und Thun entscheidend

bestimmte.

Heidnisches Wesen wurde hier und da wieder mächtig.

Daneben regte sich die griechische Zweifelsucht.

Der Verstand

erhob allerlei Bedenken gegen die neue Lehre, namentlich gegen die Auferstehung, die schon den Athenern anstößig gewesen war.

Schwierigkeiten in Menge!

Der Apostel Paulus.

63

Paulus wird sich kaum darüber gewundert haben.

Er war

nüchtern genug, einzusehen, daß die Kraft des Evangeliums nicht urplötzlich

durchaus umgestaltend und erneuernd wirken konnte,

die bisherigen Erfahrungen hatten ihm schon gezeigt, daß es hier

eine geduldige und lange Arbeit galt.

Ernstlich beunruhigen konnte

es ihn aber, als er nun von den Leuten der Chloe hören mußte,

daß seine Autorität in der Gemeinde anfing wankend zu werden. Die Gemeinde zerfiel in einzelne Parteien, viele wendeten sich von ihm ab.

(1.1, 11 ff ).

Noch immer hatte er eine Schar von

treuen Anhängern, die mit Stolz sagten:

Ich bin Paulisch.

Nicht

gering aber war die Zahl derer, die den Apollos über ihn stellten. Wir haben oben zu verstehen gesucht, weshalb dieser geistvolle Mann gerade in Corinth Anhänger gewinnen konnte.

Er selbst

hatte es jedenfalls nicht in dem Sinne gewollt, in dem das nun eingetreten war.

Aber wie das häufig der Fall ist, so gingen

auch hier die Schüler über den Meister hinaus. Eifer um allerlei Spekulationen,

fassung des Evangeliums griff um sich, glaubte man wohl,

wahrhaft

Ein ungesunder

um die verstandesmäßige Er­

und in diesen Kreisen

als besonders geförderte Christen, als die

„Geistlichen"

auf die andern herabsehen zu können.

Das waren die Leute, die sich rühmten: Ich bin Apollisch! Aber neben dieser Richtung, die dem griechischen Geist ihre Entstehung verdankt, treten andere auf,

die auf diesem Boden

eigentlich nur als Fremdlinge erscheinen konnten.

von einer Partei des Kephas, also des Petrus.

Wir hören

Es ist daraus

nicht zu schließen, daß Petrus selbst in Corinth gewesen sei; das

wäre ein Eingriff in paulinisches Arbeitsgebiet gewesen, der ihm durchaus fern lag.

Vielmehr werden eS Anhänger des Apostels

gewesen sein, die seine Anschauungen in der Gemeinde zu ver­

breiten suchten.

Wenn wir sie mit der Lehre des Paulus ver­

gleichen, können wir diese Richtung wohl als eine judenchristliche gemäßigter Art bezeichnen,

vielleicht nur unter den ehemaligen

Juden in Corinth verbreitet, jedenfalls ohne die übertriebenen Ansprüche, die Paulus jetzt eben zum ersten Male an den gala­

tischen Judaisten zu bekämpfen gehabt hatte.

64

Der Apostel Paukn».

Auch letztere, extreme Richtung hatte jedoch in der Gemeinde schon ihre Vertreter. Eingehende Erwägung führt darauf, daß

die vierte Partei, die „Christuspartei", judaistische Tendenzen ver­ trat. Anfang» noch mit Vorsicht, — wie denn gerade die beiden

letzten Parteien zu der Zeit, als Paulus davon hörte, noch keine besondere Bedeutung gehabt zu haben scheinen — später traten

sie schärfer auf, und wir werden ihnen dann noch begegnen. Diesem ganzen Parteiwesen mußte Paulus zunächst ent­

gegentreten, um seinen zerrüttenden Einfluß auf die Gemeinde Sicher kam es ihm nicht darauf an, die Gemeinde

zu hemmen.

an seine Person zu fesseln, höchstens insofern, als die Zuwendung zu andern die reine und klare Auffaffung des Evangeliums beeinträchtigte, und er, wie die Sachen nun einmal lagen, schließ­

lich der einzige war, der sich einen entscheidenden, für den Erfolg

deS Evangeliums notwendigen Einfluß zutrauen durfte. Sicher war er zu großfinnig, um in eigennütziger Absicht zu arbeiten; hat er doch auch seinen speciellen Anhängern zugerufen: Wer ist Paulus? Ist denn Paulus für euch gekreuzigt? Oder seid ihr in Paulus Namen getauft? Aber die Parteiung selbst war

eine Gefahr! Auf die Dauer konnte sie nur das Band der Gemein­ schaft, das die Gemeinde zusammen hielt, zerreißen. Sie mußte einen Personenkultus herbeiführen, der dem Paulus mit Recht als eine Verkehrung des Christentums zuwider war. Und das Schlimmste! Der Wettstreit der Parteien mußte eine Meister­ losigkeit, eine Zweifel- und Kritisiersucht, einen streitsertigen und friedelosen Sinn erzeugen, der in

der jungen Gemeinde viel

schädlicher wirkte, als der Druck äußerer Verfolgung. Am liebsten wäre Paulus sicher gleich selbst nach Corinth hinüber gereist; aber die Arbeit in Ephesus ließ ihn nicht los.

Er droht auch in seinem Briefe mit seinem Kommen, „vielleicht daß er mit der Rute erscheinen müsse." (I. 4, 18. ff.). Vor­ läufig konnte er aber nur den Timotheus schicken (I. 4, 17.), schon mit der Sorge im Herzen, ob sie ihn wohl ausnehmen würden.

Timotheus reist ab, wahrscheinlich auf dem Landweg über Troas, Macedonien und Attika.

Noch konnte er nicht in Corinth sein.

Der Apostel Paulus.

da läßt es dem Paulus keine Ruhe.

Wenn er nicht persönlich

erscheinen konnte, dann wollte er wenigstens brieflich auf die Gemeinde einzuwirken suchen. Das Schreiben, das er, wir wissen

durch wen, von Ephesus aus sandte,

nicht,

Corintherbrief,

ist unser erster

ein umfassender Versuch,

die notwendige

Klärung der Lage herbeizuführen, geschrieben vor Ostern (I. 5, 8.)

des Jahres 58. Eine zwiespältige Stimmung redet aus diesem Büchlein:

Freude über den guten Stand der Gemeinde, über ihr reges Interesse, aber auch eine tiefe Empfindung von dem Ernst der Lage und ein fester Entschluß, allen Auswüchsen im Gemeinde­ leben entgegenzutreten,

wenn nötig,

mit ganzer Strenge.

Ver­

gegenwärtigen wir uns in großen Zügen seinen Gedankengang! Nach dem Gruß (1.1—3) und dem Dank für den Reichtum der

Gemeinde an Weisheit und Erkenntnis (1. 3—10) wendet

er

sich zu der wichtigsten Frage, zu den Parteiungen (1, 10—4, 21.).

Namentlich den Anhängern des Apollos gilt da seine Beweis­

führung.

Gegenüber dem Evangelium, dessen Mittelpunkt allein

der gekreuzigte Christus ist, gilt keine menschliche Weisheit mehr.

Wohl kann auch diese göttliche Weisheit in Form menschlicher Weisheit verkündigt werden, und Paulus selbst übt das. Aber

das hat er nicht gewollt und nicht gedurft, als er zum ersten Male zu ihnen kam, weil sie damals noch nicht reif waren. Auch jetzt sind es sie im Grunde noch nicht, so hoch sie von sich

halten, beweisen.

wie ja ihre

Parteiungen,

ihr Neid,

ihre Zwietracht

Damit müssen sie als Christen ein Ende machen. Sie

müssen erkennen lernen, welche Bedeutung ihre Lehrer

haben,

daß sie doch nur Diener Christi und Gottes sind, nur Wegweiser zu ihrem Herrn, der auch allein über ihre Wirksamkeit zu urteilen

vermag.

Das wird ihnen zur rechten Schätzung ihrer Lehrer

verhelfen und ihnen ihre Ueberhebung, die wahrlich kein Zeichen

eines vollkommenen Christen ist, verleiden. — Wichtigere Auf­ gaben hat die Gemeinde; sie soll sich rein halten von heidnischer

Unsittlichkeit, Zucht üben gegen jeden, der die Gebote Gottes

gröblich verletzt.

Daneben auch sich hüten, mit Streitigkeiten, 5

Der Apostel Paulus.

66

wie sie Christen nicht ziemen,

vor den heidnischen Richter zu

treten (c. 5. u. 6 ). Dann beantwortet der Apostel die Fragen,

die die Gemeinde brieflich an ihn gerichtet hatte, über die Ehe

(c. 7 ), über daS Esten des Opferfleisches (c. 8—10.). Eingehend handelt er über die gottesdienstlichen Ordnungen, die Teilnahme der Frauen an den Versammlungen, die würdige Feier des Abendmahles,

die rechte Stellung zu den Geistesgaben. Diese

sollen der Förderung und dem Aufbau der Gemeinde dienen; danach sind zu beurteilen.

Die beste Gabe ist also die Liebe,

nach der jeder streben, die jeder haben kann und soll, die allein ewigen Wert hat, und allein all unser Thun und Können zu heiligen und zu adeln vermag (c. 11—14 ). c. 15 bringt dann

eine genaue Besprechung der Frage nach der Auferstehung, aus­ klingend in einen gewaltigen Lobgesang. Den Schluß des Briefes macht c. 16 mit einer Besprechung nebensächlicher Dinge, doch auch seiner Reisepläne.

Das Ganze ist ein Meisterwerk, aus dem

Herzen heraus

geschrieben, aus der tiefsten Bewegung des Gemütes.

Wir sehen

hier ab von der unvergänglichen Bedeutung des Briefes für die christliche Erkenntnis

und das christliche Leben aller Zeiten, —

wie saßt Paulus doch seine Gemeinde an! Jeden Ton weiß er anzu­ schlagen: gewaltigen Ernst gegenüber einem Verhalten, das den

strengen Forderungen des Christentums in sittlicher Beziehung ausweicht, und dem Dünkel weltlicher Weisheit, und dann wieder

liebevolle Ermahnung,

die nicht durch Drohung und Strafe zu

wirken sucht, sondern nur immer wieder das hohe Ziel vorhält, dem Christen zuzustreben haben!

Entscheidungen!

Wie tief greift er bei allen seinen

Alle die Fragen des Gemeindelebens, die uns-

manchmal klein und rein äußerlich erscheinen, beantwortet

er von

den höchsten Gedanken des Glaubens aus, in denen er sich mit den Seinen eins wußte!

Wie nüchtern wiederum spricht er von

den wunderbaren Gaben, an denen die Gemeinde sich freute! Immer wieder weist er auf das Wohl des Ganzen hin,

das

höchstes Gesetz bleibe, und zu dem, jeder durch rechte Liebe beitragen könne! Mit welcher Glut der Überzeugung, mit welch eindringender

67

Der Apostel Paulus.

Schärfe weiß er zu reden, wo er das wichtige Lehrstück von der Auferstehung gegen Mißverständnisse und Zweifel zu schützen hat.

In der That: gerade dieser Brief, der uns tief hineinschauen läßt in die Schwierigkeiten, die das Leben der jungen Gemeinde bot, ist ein Zeichen der seelsorgerlichen Weisheit des Apostels,

ein Ausfluß seines liebevollen, festen Herzens und seiner hohen Einsicht. Die gailze kraftvolle Persönlichkeit des Apostels mußte beim Hören

dieses Brieses vor den Augen der Gemeinde wieder

lebendig werden!

Nur die ganz besonderen Schwierigkeiten, welche die damalige Lage der corinthischen Gemeinde bot, lassen es verständlich er­ scheinen, daß er mit seinem Schreiben keine durchschlagende Wirkung

erzielte.

Hier galt es nicht nur zu erhalten, nicht nur fremde

Einflüsse abzuwehren; hier war der alte Sinn, heidnischer Geist, noch lebendig und drohte, das reine Evangelium umzubilden und zu verkehren.

Alles das wurde nicht mit einem Schlage über­

wunden. So kam denn auch Timotheus, bevor Paulus noch die am

Schlüsse

des Briefes mitgeteilten

Reisepläne hatte

können, mit üblen Nachrichten zurück.

ausführen

Er hatte trotz der Em­

pfehlung des Apostels, trotz der Hilfe, die Paulus ihm mit seinem Schreiben zu leisten gedachte, nichts ausrichten können.

Lage wurde nur noch verwickelter.

Ja, die

Zwar schienen die andern

Parteien zurückzutreten, dafür war aber die erst unbedeutende Christuspartei, die Paulus bislang nur nebenher bekämpft hatte, um so mehr erstarkt.

Sie war gefährlicher, als alle die andern,

weil sie sein Evangelium selbst angriff. Es ist nicht ganz leicht,

sich

ein klares Bild von dem

weiteren Verlauf der Entwicklung in Corinth, sowie der Thätigkeit

des Apostels zu machen.

Was wir darüber wissen, ist nur aus

den oft kurzen Andeutungen zu entnehmen, die uns der zweite Corintherbrief giebt.

Die folgende Darstellung ist ein Versuch,

dieselben nach Möglichkeit zu verwerten, und will nicht mehr beanspruchen,

als

Verlaufs zu sein.

eine

Schilderung des

wahrscheinlichen

Der Apostel PaiiluL.

68

Wie soeben schon gesagt, scheint in der Zeit nach dem ersten Briese diejenige Richtung besondern Einfluß gewonnen zu haben,

mit der Paulus auch in Galatien zur selben Zeit zu kämpfen hatte, die säst auf allen seinen Gebieten unternommen hat, ihn

zu

verdrängen

und die Heidenchristen für sich zu gewinnen.

Wenigstens berechtigt uns alles, was wir von diesen ,7ChristusItuten" wissen,

anzunehmen,

daß

sie die judaistische Richtung

Sie sind in Corinth von Anfang an nicht so offen

vertraten.

aufgetreten,

wie in Galatien.

Namentlich hielten sie mit ihrer

eigentlichen Lehre sehr zurück, vgl. II. 4, 2.

Nur einige Punkte

müssen sie schon damals, gleich zu Anfang, der Lehre des Paulus gegenüber gestellt haben. Sie haben einen „andern Jesus" ver­ kündet, von einem „andern Geiste" geredet (II. 11,4); sie haben

den Dienst des Gesetzes als besonders herrlich und wichtig ge­

priesen (3, 6 ff.); sie haben sich darauf berufen, den Herrn selbst in seinem Erdenleben, den „Christus nach dem Fleisch" gekannt zu

haben, von dem doch Paulus nichts wisse.

(5, 16.).

So erhoben

sie den Anspruch, in besonderm Sinne Christi Jünger (10, 7),

Christi Apostel (11, 13) zu sein, sich nach ihm nennen zu dürfen, während Paulus doch nicht diesen Christus, sondern sich selbst predige.

(4, 5.).e Mit Stolz

wiesen sie darauf

hin,

daß sie

Glieder des auserwählten Volkes seien (11, 21 ff.), und zwar treue Glieder,

die „rechten Diener der Gerechtigkeit"

während Paulus seine Herkunft vergesse.

(11, 15),

Eingang haben sie sich

verschafft durch Empfehlungsschreiben, die sie mitbrachten (II. 3,1), jedenfalls von Jerusalem her, und zwar von Leuten, deren Namen einen gewichtigen Klang in der Christenheit hatten. — Aber

selbst diese Empfehlungen hätten ihnen schwerlich einen großen Einfluß gegeben, wenn es ihnen nicht gelang, die Autorität deS Apostels zu zerstören und das Vertrauen der Corinther zu ihm

wankend zu machen.

sönlicher

So wird der Streit auch

hier

ein per­

Zunächst kam cs darauf an, seine Berechtigung zum

Apostel zweifelhaft erscheinen zu lassen. „Wer war denn Paulus? Ein unbekannter Mann (6, 9), der sich auf niemanden berufen

konnte, der sich nur selbst zu empfehlen vermochte (3, 1; 5, 12.),

Der Apostel Paulus.

69

ein Narr, der mit eigenen Spekulationen den Vertretern des

wahren

und

echten

11, 1; 11, 16.).

Christentums

gegenübertrat.

Konnte er denn auf Zeichen,

(5,

13 f.

Wunder und

Krastthaten Hinweisen, tote sie einen Apostel legitimierten? Westen vermochte er sich denn zu rühmen? Er wagte ja nicht einmal

seinen Lebensunterhalt von der Gemeinde anzunehmen, und das hätte er doch sicherlich gethan, wenn er selbst ein gutes Gewiffen

hätte, wenn er innerlich davon überzeugt wäre, als Apostel aus­ treten zu dürfen.

(11, 7 ff; 12, 13 ff ).

Oder — er liebt die

Corinther weniger, als seine andern Gemeinden, die macedonischen z. B., von denen er ja Unterstützung annimmt.

(11, 11.).

Ihm

ist nicht zu trauen, er „trügt" (6, 8), geht nur darauf aus, Menschen zu gewinnen, ist schlau und fängt sie mit List, (11, 16),

ein unehrlicher Charakter, bei dem ein Ja! Ja! auch ein Nein!

Nein! ist.

(1, 18).

Vom Gesetz mit seinen strengen Forderungen

mag er nichts wissen, er will eben „nach dem Fleisch wandeln".

(10, 3.)". — So wurde mit Verdächtigungen und Verdrehungen an der ganzen Thätigkeit und Persönlichkeit des Apostels eine

gehässige und hämische Kritik geübt! Und nicht ohne Erfolg!

Apostel

ändert

zerrissen,

sich gewaltig.

Die Stimmung gegenüber dem Das Band des Vertrauens ist

die Lage war schlimmer als zuvor, da er den ersten

Brief schrieb, um Frieden und Ruhe

wieder herzustellen.

Auf

welchem Wege dem Apostel nach Ephesus, wo er noch immer weilte, weitere Nachrichten darüber zugekommen sind, wissen wir nicht.

Jedenfalls waren sie so bedenklich, daß sie ihn zu einem

zweiten Besuch

in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten

Corintherbrief nötigten — vgl. das „zum dritten Mal" 12,14;

13, 2, sowie 2,

1.

Die Schwierigkeiten waren so gewachsen,

daß er nur dann auf einen Sieg rechnen

konnte,

wenn er in

persönlicher Anwesenheit seine ganze Autorität einsetzte. So reist er von Ephesus, wahrscheinlich auf dem Seewege,

nach Corinth, das in 4 Tagen etwa zu erreichen war.

In großer

Betrübnis ist er dort gewesen, (2,1.), und wir können es ihm wohl nachsühlen, mit welch tiefem Schmerz er die Verwirrung und den

Der Apostel Paulus.

70

Undank in der Gemeinde sah, der er seine ganze Kraft so lange

gewidmet und seine Liebe so ganz geschenkt hatte.

(2, 4.).

Und

nun mußte er die erschütternde Erfahrung machen, daß er selbst sogar die Bewegung nicht mehr zu zwingen vermochte. Gemeinde war schon so verwirrt,

sein Ansehen so

Die

erschüttert,

daß ein einflußreiches Gemeindeglied eS wagen konnte, ihm eine

schwere Beleidigung — vielleicht sogar in öffentlicher Gemeinde­ (2, 5. ff., namentlich

versammlung — ins Gesicht zu schleudern.

V. 10.). WaS sie enthalten hat, wiffen wir nicht, jedenfalls war sie so schwerer Natur, daß Paulus von der Gemeinde die Be­

strafung deS Beleidigers verlangte.

weit es in Corinth gekommen war.

Jetzt erst merkte er,

wie

Die Gemeinde stellte sich

nicht auf seine Seite, gab ihm keine Genugthuung. — Seines Bleibens war nicht länger, er kehrt nach Ephesus zurück.

Es

wäre vergebens gewesen, in dieser bewegten Zeit eine unmittelbare Wendung zu erhoffen; die erregten Gemüter mußten erst zur Dieser feurige Mann verstand auch die schwere

Ruhe kommen.

Kunst geduldigen Wartens, wenn seclsorgerliche Weisheit es er­ forderte.

Aber er konnte doch nur warten,

meinde ganz aufgeben.

Er

nimmermehr seine Ge­ Versuch zur

mußte einen neuen

Klärung der Lage machen, und er that das wiederum durch einen Brief.

Es ist das der sogenannte „Zwischenbrief", der uns nicht

erhalten ist, auf den II. 2, 4 aber klar hinweist, wo unniöglich

der erste Corintherbrief gemeint sein kann, — geschrieben in der Zeit zwischen jenem und unserm zweiten Brief.

ernste Dinge.

Es handelte sich um

Paulus mußte darauf bestehen, daß die Gemeinde

gegen den Beleidiger vorging und ihn bestrafte,

ehe er wieder

selbst die Gemeinde besuchte, — und mit allem Ernst, mit dem

vollen Bewußtsein, handele,

hat er

daß eS sich hier um ein Entweder — Oder

geschrieben, in

Trübsal und Angst (II. 2. 4).

tiefster Erregung,

des Herzens und

„in großer

mit vielen Thränen."

Es war „ein starker und schwerer Brief", und dem

Apostel wurde es sicher nicht leicht, so zu reden.

Titus scheint

ihn nach Corinth gebracht zu haben: dieser Freund des Apostels

71

Der Apostel Paulus. sollte jedenfalls auch die Gemeinde zu beeinflussen suchen.

DaS

Schreiben konnte ihm als Legitimation dienen, und die Person

des Gesandten war vielleicht gerade darum geeignet, die Gemüter

zu beschwichtigen, weil er der Gemeinde fremd und also noch nicht in alle die persönlichen Reibereien und Streitigkeiten hin­

eingezogen war.

Mit schwerer Sorge im Herzen wird Paulus

ihn haben ziehen lassen.

Rührend ist es zu lesen, wie er an

seiner Gemeinde doch noch nicht verzweifelte, wie er sie vor Titus gerühmt hatte, in der Gewißheit,

es werde sich noch alles zum

Guten wenden (II. 7, 13—15). In dieser trüben Zeit erwies er den Seinen die Liebe, die er so herrlich geschildert hatte (1. Cor. 13),

die da alles verträgt, alles glaubt,

alles hofft und alles duldet.

Sobald Titus konnte, sollte er über Makedonien zurückkehren.

Schwere Tage sind es für den Apostel gewesen.

Jetzt gerade

wurde er von Ephesus durch eine Verfolgung vertrieben, bei der

er kaum dem Tode entrann.

Er reist nach Troas, um da den

Titus zu erwarten, und hat auch dort Gelegenheit, das Evangelium zu verkündigen, aber es läßt ihm keine Ruhe.

Wie sollte er die

Freudigkeit haben, ein Neues zu gründen, wenn das wankte, woran

er mit so

viel Mühe

und Liebe gearbeitet hatte?

Er begiebt

sich nach Makedonien, um den Abgesandten desto früher zu treffen.

Ta kommt Titus zurück mit günstigen Nachrichten. Der Gemeinde war zum Bewußtsein gekommen, wie tief

sie ihren Apostel gekränkt hatten.

Der Brief hatte doch einen

gewaltigen Eindruck gemacht. Titus konnte „von ihrem Verlangen,

ihrem Weinen, ihrem Eifer" um den Apostel berichten, „von ihrem Zorn, ihrer Furcht, ihrer Rache." (7. 7 und 11). Die Mehrzahl der Christen

hatte sich für den Apostel erklärt und seinen Be­

leidiger ausgestoßen (2. 6).

soweit gehoben,

Ja, die Schwierigkeiten waren bereits

daß Titus mit der Einsammlung der Collecte

für die jerusalcmische Gemeinde, die Paulus schon früher empfohlen,

hatte beginnen können. (8. 6). Paulus durfte wagen, nach Corinth zn reisen, ohne trübe Erfahrungen befürchten zu müssen. Mancherlei war wohl noch zu ordnen und zu überwinden.

weilten die judaistischen

Sendlinge

Noch

immer

in der Gemeinde, und sie

Der Apostel Paulus.

72

hatten eß sogar fertig gebracht, auß der Thatsache, daß Pauluß bei persönlicher Anwesenheit so wenig hatte außrichten können und nun ein so

energischeß

Schreiben gesandt hatte,

einen neuen

Borwurf zurecht zu machen: .Die Briefe, sagten sie, sind schwer

und stark,

aber die Gegenwärtigkeit deß Leibes ist schwach und

die Rede verächtlich'.

(10,10).

So thut Paulus daß Letzte: noch einmal schickt er den Titus und zwei Brüder mit ihm und sendet durch ihre Hand ein neues

Schreiben, unsern zweiten Corintherbrief, ein Meisterwerk nach jeder Sette hin, von Kapitel zu Kapitel die abschließende

und großartigste Selbstverteidigung des Apostels. Er sollte endgiltig alle Schwierigkeiten bei Seite räumen, dem Apostel aufs Neue

Eingang in die Gemeinde verschaffen, damit er nicht abermals in Betrübnis zu ihnen komme (2.1).

Aus der tiefsten Herzens­

bewegung heraus schreibt er: der ernstesten Todesgefahr in Ephesus

entronnen, will er nun von Macedonien aus nach Corinth kommen, in der Hoffnung, daß alles beigelegt ist. Dem, der ihn beleidigt

hat, verzeiht er aus vollem Herzen, nachdem ihn die Gemeinde bestraft hat.

Jetzt darf er hoffen, daß sie auch wieder ein unbe­

fangnes Urteil gewinnt für das,

was er geboten hatte.

Die

Angriffe der Judaisten bieten ihm Gelegenheit, noch einmal die Herrlichkeit seines Apostelamts, des neuen Bundes zu preisen.

Gegenüber jenen Verehrern des Gesetzes, die im Dienst des Buch­

stabens arbeiten, steht er da als Verkündiger des Gesetzes des

Geistes, der Leben schafft,

als Verkündiger des Evangeliums,

das rettet, nicht des Gesetzes, daß verdammt.

So ist sein Amt

höher und herrlicher als das des Moses, von dem jene rühmend

reden.

Es ist das Amt, das die von Gott geschaffte Versöhnung

predigt, und zwar von Gott dazu eingesetzt.

Als Christi Diener,

von seiner'Liebe ergriffen, darf er es verwalten, allerdings unter vielen und schweren Leiden, aber stets mit der Aussicht auf end­

liche Verherrlichung, in aller Lauterkeit und Offenheit, mit dem ernstesten Streben nach der Heiligkeit des Wandels, die Paulus

von jedem Christen fordert, sich brüsten,

eben so gut, wie seine Gegner,

die

mit ihrer Gesetzespredigt strenger und heiliger zu

Der Apostel Paulus.

sein,

als der Apostel.

73

Daß die Gemeinde dies anerkennt, hat

ihm die Botschaft des Titus zur freudigen Gewißheit gemacht. So darf er ihnen denn auch zuversichtlich das Werk empfehlen, das ihm nun am Herzen liegt, die Collecte für die jerusalemifche Gemeinde.

Es mochte den Corinthern zugleich ein Zeichen sein,

wie wenig die Christuspartei Recht hatte, wenn sie von einer

tiefen Kluft zwischen ihm und den Uraposteln sprach. —

Mit diesen seinen Verleumdern,

den Störern seiner Arbeit,

die immer wieder in seine Gemeinden einbrachen und noch immer nicht aus Corinth weichen wollen, hält er nun in den gewaltigen Kapiteln 10—13

maßung,

ein Gericht!

Er stellt sie dar in ihrer An­

wie sie sich über „sein schwächliches Wesen" erheben,

während sie sich doch nur in sein Arbeitsfeld eingedrängt haben

und ihren Ruhm auf einem Gebiet holen, wo sie nichts gethan. Sie treten auf als die „hohen Apostel" (11. 5) und gehen doch

nur

darauf aus, die Gemeinden „zu knechten, zu schinden, zu

Übervorteilen,

(11, 20)

trotzig zu behandeln, ins Angesicht zu streichen".

Dazu ist er „allerdings zu schwach".

Solche Leute sind

„salsche Apostel", „trügliche Arbeiter", „Satansdiener". (11, 13). Worauf sie trotzen, dessen kann auch er sich rühmen, wenn er thöricht genug wäre, sich rühmen zu wollen.

Er hat mehr gearbeitet, mehr

Leiden durchgemacht im Dienste des Herrn als irgend ein Anderer.

(11. 21—32.). Auch ihm hat der Herr in seligen Stunden der Verzückung hohe Offenbarungen gegeben.

Aber er läßt sich von

seinem Gott daran mahnen, daß er sich dessen nicht rühmen darf. Und

wenn jene auf seine Gebrechlichkeit Hinweisen, — er ist

dessen gewiß geworden,

daß Gott in seiner Gnade nur um so

mehr durch ihn auSrichten will.

Hat die Gemeinde das nicht

sehen dürfen an seinen Zeichen und Wundern und Thaten, an der Liebe,

mit der er sie trägt?

(12, 1—18.).

Es ist endlich

Zeit, daß sie sich ganz besinnt und auf den rechten Weg zurück­

kehrt.

Wenn er nun zum dritten Male kommt und immer noch

denselben Streit, dasselbe sündige Wesen findet,

dann darf er

keine Schonung mehr kennen, dann muß er um der Wahrheit willen Schärfe gebrauchen (12. 19—13. 13.).

Der Apostel Paulus.

74

Der Brief mußte einen gewaltigen Eindruck machen.

Die

Gemeinde mußte fühlen, welch ein Manu hier zu ihr redete in

Freude-und Dank, in berechtigtem Selbstbewußtsein und auf­ richtigster Demuth, in Entrüstung, Trauer und Empörung, und

vor allem in der Liebe, die sie nicht preisgeben wollte.

Sie

mußte merken, was sie an diesem ihrem Apostel verlieren würde,

wenn er ihnen die Herrlichkeit seines Amtes und das Bild seiner Leiden, Beschwerden, Mühen und Arbeiten vor Augen stellte.

Sie mußte ihm Recht geben,

Und mehr als das!

Recht, wenn

er sie mit ernsten Worten strafte über ihren Wankelmut, und vollends Recht auch da, wo er mit unnachsichtlicher Schärfe seine

Gegner bekämpfte, die auch die unredlichsten Mittel eigensüchtiger Seelenfängerei nicht gescheut und den Apostel selbst in der per­ fidesten und heimtückischsten Weise angegriffen hatten.

Sie mußte

erkennen, daß Paulus auch mit diesem allerpersönlichsten Schreiben,

in dem er scheinbar nur für sich spricht, doch nur der Sache

dienen wollte, der sein Leben geweiht war, daß er nicht nur als Mensch, sondern als Diener des Evangeliums litt und stritt. —

Nach allem, was wir missen,

dürfen wir denn auch an­

nehmen, daß Paulus seine Gemeinde wieder gewonnen hat.

Die

Eindringlinge scheinen gemerkt zu haben, daß ihr Spiel in Corinth zu Ende sei, vielleicht haben sie schon vor des Apostels Ankunft

die Stadt verlaffen.

Jedenfalls waren die Irrungen so weit

gehoben, daß Paulus bei seinem nunmehrigen dritten Aufenthalt

Muße fand, neue Arbeitspläne zu fassen, die ihn über Rom bis nach Spanien führen sollten, daß er in dieser Zeit den Römer­

brief schreiben konnte, um die Gemeinde dort auf sein Kommen

vorzubereiten. Die corinthische Gemeinde hat sein Andenken treu

dankbar bewahrt. gerettet,

und

als

„Der Sieg war gewonnen, die unvergängliche

und

Gemeinde

Frucht seines Duldens

und

Kämpfens blieben der Kirche die beiden Briefe, die ihr für immer

bezeugen, was ein rechter Gemeinde ist".

Hirte und Leiter

einer christlichen

75

Ter Apostel PauluS.

— Asten. — Alle die Kämpfe innerhalb seiner Gemeinden, von denen

wir bisher gehört haben,

in Galatien sowohl,

hat der Apostel von Ephesus aus

wie in Corinth,

durchführen müssen.

Nach

seinem ersten Weggang von Corinth, also auf seiner sogenannten

»dritten Missionsreise", war diese Stadt an der Westküste Klein­ asiens für ihn der Mittelpunkt eines neuen Arbeitsfeldes geworden.

Die römische Provinz Asien, bestehend aus den Küstcnlandschaften Mysien, Lydien und Carien, die er bis dahin nicht berührt hatte, sollte daS letzte der Länder des östlichen Mittelmeeres sein, in

des Herrn Botschaft hineintrug.

das er

einige Jahre seinen

ständigen

So

hat er denn für

Wohnsitz in Ephesus, das als

weit berühmte Handelsstadt mit lebhaftem Verkehr dazu eben so

geeignet war für seine Arbeit in Asien, wie Corinth für die Missionie­ rung Achajas.

Schon die Länge der Zeit, die Paulus hier zubrachte, — die Apg. berichtet von mindestens 21/4 Jahren — zeigt uns, daß

einem überaus bedeutsamen Abschnitt seines Wirkens

wir vor

stehen.

Leider lassen uns die Quellen dafür noch vollständiger

im Stich, als irgendwie sonst im Leben des Apostels. Der Bericht der Apostelgeschichte in c. 19. macht zwar auf den ersten Blick den Eindruck großer Genauigkeit, will aber hier so wenig, wie

anders wo alle Ereignisse aus dem Leben des Apostels berichten;

hier

giebt

sie

uns

ganz

augenscheinlich

z.

B.

gar keinen

Ausschluß über mehrere wichtige Vorkommnisse, die wir aus den Briefen nach Corinth nnd Rom kennen lernen.

Brief

an

die Epheser,

an

den

Der sogenannte

man sich unwillkürlich zuerst

wendet, entbehrt so sehr jedes persönlichen Momentes, teilt uns so gar nichts über Entstehung und Zustand der Gemeinde, an die er gerichtet sein soll, mit, nicht

in Betracht

kommt.

daß er für unsere Aufgabe

So

ist die

hier gar­

folgende Darstellung

wiederum nur ein Versuch, den wahrscheinlichen Verlauf darzu­ stellen, annähernd sicher nur in den großen Zügen der Entwick­ lung der Mission.

Der Apostel Paulus.

76

Wie immer, so berichtet auch hier die Apostelgeschichte, — nach einer kurzen Mitteilung von einem Zusammentreffen deS von denen wir weiter nichts

Apostels mit Johannisjüngern,

wiffen, — daß Paulus seine Wirksamkeit in der Synagoge be­ gonnen habe.

(19, 8).

Wie immer, so kann sie aber auch hier

nur berichten, daß er gar keinen Erfolg gehabt.

Wenn wir

später lesen (21, 27), daß bei der Berfolgnng in Jerusalem, die zu seiner Gefangennahme führte,

Juden aus

Asien besonders

fanatisch auftraten, dann dürfen wir wohl annehmen, daß er bei seinen Stammesgenossen hier nicht nur keinen Glauben, sondern vielmehr geradezu Haß geerntet habe.

Unter dem Zwang der Verhältniffe sondert Paulus sich mit den Seinen ab und wendet sich nur an die Heiden, unter

denen er gleich im Anfang wohl am meisten Eingang gefunden Wenigstens ist der „Erstling Asiens", nach seinem Namen

hatte.

Epänetus zu urteilen,

ein Heide gewesen (Röm. 16, 5.).

Apostel stand bei seiner Arbeit nicht allein.

Der

Hier, wie in Corinth,

ist es das Ehepaar Aquila und Priscilla, die ihm treue Dienste leisten. (1. Cor. 16, 19.)- Aber hier wirkte er doch anders:

nicht in der Stille, wie einige Jahre zuvor in Thessalonich und Corinth. Vielmehr scheint er gleich zu Anfang mehr in die Öffentlichkeit getreten zu sein. „Er redete täglich in der Schule Eines, der hieß Thrannus".

wir

(Apg. 19, 9.).

Darunter können

nur einen Saal für öffentliche Vorträge verstehen,

Schule, pflegten.

machen, boten.

wie sie auch

eine

die heidnischen Philosophen zu eröffnen

Paulus verstand es,

sich die Gelegenheit zu Nutze zu

welche die Gepflogenheiten des öffentlichen Lebens

ihm

Da mag er denn Tag nm Tag der frei ein- und auS-

strömenden Menge die wundersame, neue Lehre verkündet haben, die so ganz anders klang als das, was Priester und Philosophen zu bieten hatten.

Es war keine leichte Arbeit. Auch in Ephesus

konnte eS einem Apostel Christi wohl ergehen,

wie srüher

in

Athen, daß „sein Geist ergrimmte in ihm, da er sahe die Stadt

so gar abgöttisch". der

Hier blühte, wie kaum irgendwo, der Kultus

Artemis-Diana oder vielmehr der asiatischen Naturgottheit

Der Apostel Paulus.

Anaitis.

77

Ihr uraltes Bild bewahrte der weltberühmte, prächtige

Tempel, den man als eins der sieben Wunderwerke der damaligen Und das Heidentum verschmähte hier den Kampf

Welt anstaunte.

gegen den immer kühner austretenden Apostel nicht.

Je öffentlicher sein Wirken war, um so gefährlicher war seine Lage.

Schon bald nach dem Beginn seiner Thätigkeit brach

der Conflict aus

und hier hat, wie wir sehen werden, auch die

Obrigkeit sich dem Paulus feindlich gegenüber gestellt.

Apg. be­

richtet davon nichts; wir wissen es nur von unserm Apostel selbst. Kurz und doch inhaltsvoll schreibt er (1. Cor. 15, 32): Habe ich

menschlicher Meinung zu Ephesus mit den wilden Tieren gefochten,

was Hilsts mir, so die Toten nicht auferstehn? eine

furchtbare Todesgefahr,

einen Kampf

Das deutet auf

mit Tieren

in der

Arena, in die er nach Lage der Sache nur durch Eingreifen der

Obrigkeit gebracht werden konnte.

Großes muß vorhergegangen

sein: ein ungescheuter, furchtloser Kampf gegen den heidnischen Glauben, eine gewaltige Erregung der Öffentlichkeit, daß man den', Apostel so mit der schwersten Strafe für Religionsverbrecher,

wie sie die Christen später oft traf, belegen konnte. Schlimmsten ist er bewahrt geblieben.

Vielleicht haben die Tiere,

wurde er gerettet.

Dor dem

Auf wunderbare Weise wie sonst auch

wohl, versagt, vielleicht hat ihn sein fester Glanbensmut im letzten

Augenblick bewahrt.

Man entließ ihn ungekränkt.

Weit entfernt, sich einschüchtern zu lassen oder gar die Arbeit in Ephesus daran zu geben, hält er ans.

Jetzt gerade mag anch

Apollos von Corinth znrückgekehrt sein (1. Cor. 16, 12.), um

seine reiche Begabung als treuer Freund und Mitarbeiter in den Dienst der

ephesinischen Mission zu stellen.

Die Verfolgung

hatte ihr Werk nicht unmöglich gemacht, im Gegenteil,

mochten

anch noch viele Widersacher da sein, „ene große Thür war auf­ gethan, die viele

Frucht wirkte"

(1. Cor. 16. 9 ).

Ja,

das

Evangelium ward über das Weichbild der Stadt hinausgetragen; schon im ersten Corintherbrief konnte er Grüße ausrichten von

den Gemeinden in Asien! Vielleicht hat gerade die wunderbare Errettung des

Apostels

aus

Todesgefahr gewaltigen Eindru

78

Der Apostel Paulus.

gemacht und ihm den Weg bereitet.

Daß seine Persönlichkeit

vor allem hier in den Vordergrund getreten ist, seltsamen Erzählungen in Apg. 19.10 ff.

zeigen uns die

Allerlei abergläubisches

Wesen macht sich in der Stadt unter denen breit, die sich dem Einfluß des Apostels nicht schieden

viele

mit

(19. 17. ff.). hand",

allem

und seine

entziehen können

ganz

Zeichen und Wunder anstaunen.

Doch lesen wir auch, wie ent­

heidnischen

Wesen

gebrochen haben

„Das Wort des Herrn wuchs und nahm über­

sodaß Paulus

schon

ein neues

daran denken konnte,

Arbeitsgebiet aufzusuchen. — Doch war der Kampf noch nicht zu Ende, das Heidenthum

hatte die Waffen noch nicht gestreckt; seine Anhänger wollten ihren

nicht ohne Weiteres preisgeben.

Glauben

Persönlicher

Eigennutz und Lokalpatriotismus führten im Verein damit zu

dem sogenannten Demetriusausstand, (19, 23—40.).

der aber

erfolglos verlief

Jedenfalls vermochte er Paulus nicht aus der

Stadt zu treiben.

Dazu war mehr nötig, als dieser Tumult,

der sich nicht einmal gegen

seine Person richtete.

Schließlich

zu weichen,

eine Ver­

folgung schwerster Natur, der er kaum entronnen ist.

Ain An­

zwang ihn aber eine neue Verfolgung,

sang des zweiten Corintherbrieses erzählt er, welch eine Trübsal

ihm in Asien widerfahren ist, da er „über die Maßen beschweret war und über Macht, also daß er auch am Leben verzagte und

bei sich beschloffen hatte, er müsse sterben" (1. 8 ff.). In dieser Zeit

mag er besonders den Beistand seiner beiden Getreuen,

Aquila und Priscilla, erfahren haben, von denen er Röm. 16. 3 rühmt: „Sie haben für mein Leben ihre Hälse dargegeben".

So ist er der Gefahr entgangen. Zu bleiben war aussichtslos.

seine Wirksamkeit unterbrochen, und er hat sie nicht wieder ausgenommen. Über Troas und Macedonien reist er nach

Jäh wird

Corinth, und als er dort, wie wir sahen, die Verhältnisse geordnet hat darf er nicht wieder nach Ephesus gehen, sondern kann nur Ver­ treter der Gemeinde in Milet begrüßen. (Apg. 20.17 ff.). Schwere Sorge erfüllte sein Herz; er sah seinem Werke, an das er zwei

Mal sein Leben gesetzt, große Gefahren erwachsen (Apg. 20, 29. 30.)

Der Apostel Paulus, und daß er sich nicht getäuscht hat, zeigt uns 2. Tim 1,15, wo es

heißt, daß alle in Asien sich von ihm abgewendet haben. Wohl war seine Arbeit nicht vergebens gewesen; Gemeinden wie die in Laodicea und Colossä in der Nähe von Ephesus, die

wenigstens mittelbar auf ihn zurück gehen, legen dafür Zeugnis ab.

Aber eine wirklich bedeutende Stellung haben die Christen­

gemeinden in Asien erst gewonnen, als ein neuer Anfang dort

gemacht war.

Diese neue Epoche, die gewaltig in der ersten

Christenheit noch

gewirkt hat,

Apostels Johannes,

sie liegt

knüpft sich an den Namen des außerhalb des Bereiches unserer

Darstellung. —

III. Sein Ausgang. \. Letzte Reise nach Jerusalem und Gefangennahme. Wir stehen am Ende der großen Mission des Apostels.

Gewaltiges war erreicht in einem Zeitraum von nicht einmal

zehn Jahren.

Bis nach den Westgrenzen Griechenlands war das

Evangelium getragen.

Es sollte der Abschluß seines Wirkens sein.

Zwar: des Apostels Kraft war noch nicht erschöpft. die

Alle

bisher getragenen Mühsale hatten nicht vermocht, ihn zu

brechen; auch der letzte Mißerfolg in Ephesus hatte ihn nicht ent­ mutigt.

zu Ende.

Er wenigstens hatte nicht das Gefühl, seine Arbeit sei

Neue Pläne erfüllten ihn.

Schon mitten in der

ephesinischen Mission hatte er sein Augenmerk auf Rom gerichtet

(Apg. 19, 21), und als er kurze Zeit darauf von Corinth aus an die dort schon bestehende Gemeinde schrieb, gingen seine Ab­ sichten bereits weiter:

er wollte Rom nur flüchtig berühren —

auf der Durchreise nach Spanien.

(Röm. 1, 10—15; 15, 23.).

So schien er seine Thätigkeit in den östlichen Ländern des Mittel­ meeres abbrechen zu wollen. Es mag uns das verwunderlich erscheinen, da es dort doch noch gar viel zu thun gab.

Warum ging er z. B. nicht nach

Alexandria, das doch, wie kaum eine andere Stadt, einen Mittel-

Der Apostel Paulus.

80

punkt für die Mission bot? eS wissen,

War dort vielleicht, ohne daß wir

die Arbeit schon begonnen worden oder hielten ihn

andere Gründe fein? Wie

äußersten Westen

kam er

der damals

daraus, gleich

nach dem

bekannten Welt übersiedeln

zu

wollen? Lauter Fragen, die wir nicht beantworten können. Jeden­

falls hat er geglaubt, seine Thätigkeit im Orient abbrechen zu

dürfen, und daS hing mit der Auffassung zusammen, die er von

seiner speziellen Aufgabe hatte.

Er wollte nur daS Reich gleichsam

mit einem Netz von Missionsstationen Überspannen, hier und da

in einer sestgegründeten Gemeinde ein Centrum der Evangelisation für die nähere und weitere Umgebung schaffen.

DaS war er­

reicht, und so tonnte er in der That mit gutem Gewissen ein neues Arbeitsgebiet aussuchen.

Bevor er seine weite Reise antritt,

mußte er aber noch

einmal nach Jerusalem, wenn auch nur, um endgültig Abschied

Den äußeren Anlaß dazu bot die Collecte, die für

zu nehmen.

die

jerusalemische

worden war.

Gemeinde in seinen Gemeinden abgehalten

Er hatte das Versprechen, das er bei der letzten

Zusammenkunft in Jerusalem gegeben hatte, treulich gehalten, immer wieder, oft unter Schwierigkeiten die Opferwilligkeit der Seinen

angerusen. daß

Der Ertrag war denn auch schließlich so groß geworden,

Paulus entgegen seiner früheren Absicht selbst die Gabe

überbringen

wollte.

Begleitet wurde

seines ganzen Missionsgebietes.

er dabei von Vertretern

(Apg. 20, 4.).

Von Corinth aus, wohin er nach der Flucht von Ephesus, wie wir gesehen haben, zur endgiltigen Ordnung der Gemeinde­ verhältnisse gekommen war, reiste er denn im Jahre 59 zurück,

über Macedonien und Milet, wo er noch einmal die Vertreter der ephesinischen Gemeinde ermahnte.

Nach einer längern Seereise

landete er in Tyrus.

Kein geringer Entschluß war es von Seiten des Apostels, selbst nach Jerusalem zu gehen.

Es gehörte wahrlich Selbstverleugnung

dazu, die Gemeinde aufzusuchen, aus der alle die Feinde hervorge­

gangen waren, die ihm in den letzten Jahren mit ihrer kleinlichen und gehässigen Art, mit ihren Anfechtungen das Leben verbittert

Der Apokel Paulus.

gl

hatten, gegen die er immer wieder das mühsame Werk seines Lebens hatte verteidigen müssen. Nur der ernstliche Wille, seinerseits das Band der Gemeinschaft nicht zu zerreißen, konnte ihn bewegen, die Reise zu machen. Sie mochte ihm trotz seiner nahen Verbindung mit dem Führer der Gemeinde, mit Jakobus, mehr als Unannehm­ lichkeiten, mehr als erneuten Zwist, vielleicht die ernsteste Gefahr bringen. Und er fühlte das selbst. Schon in Corinth erfüllten schwere Gedanken sein Herz. Mit tiefster Bewegung des Gemütes erbittet er sich in seinem dort an die Gemeinde zu Rom geschriebenen Briefe (15, 30 f.) im Namen Jesu und bei der Liebe des Geistes die Fürbitte der Christen; weiß er doch nicht einmal, ob in Jerusalem seine Gabe willkommen sein wird, ob er den« Haß der Juden dort entgehen kann. In Milet redet er zu den ephesinischen Ältesten von

seinen bevorstehenden Schicksalen: Ich fahre hin gen Jerusalem und weiß nicht, was mir daselbst begegnen wird, ohne daß der heilige Geist in allen Städten bezeugt und spricht: Bande und Trübsale warten meiner daselbst (Apg. 20,22 f.). Warnende Stimmen suchen ihn zurückzuhalten, je näher er seinem Ziele kommt, in TyruS, in Cäsarea; seine Begleiter flehen ihn an, sich nicht in Gefahr zu be­ geben. Er antwortet nur: Was macht ihr, daß ihr weinet und brechet mir mein Herz? Denn ich bin bereit, nicht allein mich binden zu lassen, sondern auch zu sterben zu Jerusalem um des Namens willen des Herrn Jesu. (Apg. 21, 13.). Er fühlte sich gebunden im Geist (20, 22), und keinen Augenblick verließ ihn die mutige Ergebung in das, was sein Gott über ihn verhängen würde. Sein Geschick sollte sich vollenden. Geleitet von den Christen aus Cäsarea, kam er mit seinen Freunden in Jerusalem an (21, 17), kurz vor dem Pfingstfeste (20, 16 ). Bon Jakobus und den Ältesten der Gemeinde — die Apostel scheinen alle fern gewesen zu sein — wird er freundlich empfangen. Aber sie konnten seine trüben Erwartungen nur bestätigen. Die Mehrzahl der Gemeinde — Judenchristen — waren Eiferer über dem Gesetz (21, 20.) und, was sie über deS Paulus Thätigkeit und seine Stellung zu den Satzungen der 6

82

Der Apostel Paulus.

Väter gehört hatten, das muß sie mit Befremden nicht nur, sondern auch mit Groll und Mißmut erfüllt haben.

Es wird

uns berichtet, er habe sich auf Veranlaffung des Jakobus in

einem Falle, der für uns nicht ganz klar liegt, den Borschriften des Gesetzes gefügt: daß dies Verhalten irgendwelchen Erfolg gehabt, lesen wir nicht.

Auffällig ist, daß wir gar nichts davon

hören, ob die Gemeinde im Ganzen bei dem schweren Geschick, das ihn nun betraf, ihm brüderliche Teilnahme gezeigt hat.

Nur wenige Tage weilt Paulus in

der Stadt, da bricht

die Katastrophe herein, die er lange geahnt, auf die er sich inner­ lich gerüstet hatte. Juden aus Asien, die ihn als den Apostel

Christi kannten, machen im Tempel auf ihn als einen Feind des Volkes aufmerksam. In echt orientalischer Weise erregen sich die Leidenschaften der Menge, ein Tumult bricht aus, in dem Paulus

gleich manchem Propheten vor ihm der Wut des Volkes zum Opfer gefallen wäre, wenn nicht der römische Befehlshaber von der Burg Antonia her mit militärischer Macht eingegriffen und ihn

das

durch seine Soldaten vor dem Schicksal bewahrt hätte, er einst dem Stephanus bereitet hatte. Paulus macht

noch einen Versuch, die Leidenschaften zu beschwichtigen,

aber

kaum hat er gesprochen, als der Tumult aufs Neue losbricht. Er wurde ins römische Lager abgeführt, wahrscheinlich als des Aufruhrs verdächtig.

Sein

römisches Bürgerrecht schützte ihn

auch diesmal vor Schlimmerem, zu retten vermochte es ihn nicht. Nun beginnt das Jntriguenspiel, in dem jüdischer Haß sich den Arm der römischen Gewalt dienstbar zu machen sucht.

das Synedrion vergebens dem Gefangenen eine

Als Schuld nach­

zuweisen trachtet, denken die Entschiedensten an Meuchelmord. Der römische Befehlshaber thut das, was in diesem Fall für ihn das Bequemste und Beste war: er schafft den Mann, der Anlaß zum Aufruhr gab, aus der Stadt. Unter starker Bedeckung geht Paulus nach Cäsarea, an den Sitz des Proprätors. Frei wurde

er nicht,

trotzdem jedes neue Verhör seine

Unschuld

erweist.

Endlos ziehen sich die Verhandlungen hin; immer von Neuem suchen die Juden ihn zu verderben. Die römischen Behörden

tzg

Der Apostel Paulus.

aber wollen eine Art Mittelstellung behaupten. Die Juden dursten sie gerade jetzt nicht reizen,

weil des Volkes sich in dieser Zeit

vor der letzten großen Empörung doch schon eine gewaltige Er­ regung bemächtigte; so denken sie ihnen durch Gefangenhaltung des verhaßten Mannes den Anlaß zum Aufruhr zu entziehen,

um einerseits durch eine gewisie Nachgiebigkeit die Leidenschaften

zu beschwichtigen,

andererseits auch das Ansehen der römischen

Gewalt zu behaupten.

Der Apostel verlor auch in diesen schweren Zeiten nicht seinen festen Mut.

Man lese nur in der anschaulichen und aus­

führlichen Darstellung der Apostelgeschichte (C. 24—26),

wie er

sich weder durch die Anklagen der Juden, noch durch den Statt­

halter einschüchtern läßt, wie auch die vornehmen Männer, ein Felix und ein Festus, wie auch ein König Agrippa sich der Macht seiner Persönlichkeit nicht entziehen können, wie er turm­ hoch

seine ganze Umgebung überragt, in der

die kalte Gleich­

giltigkeit oder der hinterlistige Haß der Einen der feilen Ver­ ächtlichkeit der Andern nichts nachgiebt. auch erst eine gewisse Entscheidung.

Er selbst brachte denn

In der klaren Erkenntnis,

daß seine Haft bei der Nachgiebigkeit der Behörden gegenüber den Juden noch endlos dauern könne, macht er noch einmal von seinem römischen Bürgerrecht Gebrauch; er beruft sich auf die Entscheidung des Kaisers.

So müssen ihn die römischen Beamten

in die Hauptstadt senden.

2. Reise nach Hont. In der langen Haft, die Paulus nun schon hinter sich hatte,

hatte er den Trost der brüderlichen Gemeinschaft nicht zu entbehren brauchen.

Wir dürfen das schon aus der Thatsache entnehmen,

daß es zweien seiner Freunde gestattet wurde, ihn nun auf der Fahrt nach Rom zu begleiten, dem Aristarchus von Thessalonich

und dem ungenannten Manne, dem wir die Kunde von den nun folgenden Ereignissen verdanken.

Es ist das der Bericht des

Augenzeugen in c. 27 und 28 der Apg.,

unschätzbar in seiner

6*

84

Der Apostel Paulus.

das Bild der Persönlichkeit

lebendigm Anschaulichkeit,

unser»

Apostels, dar wir bisher gewonnen haben, nach manchen Seiten hin ergänzend. ES wird gegen den Herbst des Jahres 61 gewesen sein,

als man von Täsarea aufbrach.

Paulus ging mit einem größern

Gefangenentransport unter Bedeckung einer Abteilung der augustinischen Cohorte, die in Cäsarea garnisonierte.

diese von einem Centurio Julius,

Befehligt wurde

einem humanen Mann, der

Da der Transport keine

sich zu dem Apostel freundlich stellte.

Eile hatte, benutzte man zunächst ein Schiff, das nach Adramhttium in Kleinasien zurücksegelte, in der Hoffnung, in irgend

einem Hafen ein Fahrzeug zu finden, das nach Italien bestimmt

war.

So ging es denn vorüber an der syrischen Küste, an der

Insel Cypern,

an Eilicien und Pamphylien, vorüber an den

Stätten, die seine erste Thätigkeit gesehen hatten.

Im Hafen von Myra

an der lyrischen Küste finden sie

Gelegenheit weiter zu kommen, ein Weizenschiff, das aus Alexan­

dria Getreide

nach Rom

brachte.

Schon

war

die Zeit

der

welche die Seeleute bei

den geringen

Mitteln der damaligen Schiffahrt gerne vermieden.

Unter vielen

Herbststürme gekommen,

Schwierigkeiten

kam

man

nach Kreta,

und

man

sollte noch

Schlimmeres erleben! Es scheint an einer klaren und entschloffenen Leitung in dem Schiffe gefehlt zu haben. der den Dingen dieser Erde fremd

stand.

Gewiß lag seine

Der einzige, der immer

Er war nicht ein Mann,

guten Rat wußte, ist unser Apostel.

und unbeholfen

gegenüber­

Begabung und seine Aufgabe

auf

einem andern Gebiet, aber hier lernen wir ihn auch kennen als einen Mann, den keinen Augenblick Ruhe und Selbstbeherrschung verläßt,

der selbst in Banden sich mit seiner reichen Erfahrung

und seiner

angeborenen Einsicht bei

seiner

Umgebung höchste

Achtung, ja sogar eine führende Stellung erwirbt.

Er gab denn auch den Rat, Gefahr zu bringen drohte,

in dem

weil die Weiterfahrt ernste kretischen Hafen, den man

erreicht hatte, zu überwintern, trotzdem dieser seinen Namen „Gut­

furt" oder „schöne Häsen" nicht ganz mit Recht getragen zu haben

Der Apostel Paulus.

scheint.

85

Der Schiffsführer aber bestand darauf, einen günstigeren

Hafen, Phönix, auch auf Kreta, anzusegeln.

Das Unternehmen

ließ sich auch gut an: ein leichter Südwind trieb sie nahe ander Küste der Insel vorbei. Bald darauf brach aber ein gewaltiger Nordoststurm los, der das Schiff aufs Meer und zwar an die

berüchtigte afrikanische Küste, in die Shrte zu verschlagen drohte. Kaum vermochte man das Rettungsboot zu sichern. Die Segel mußten geborgen, ja das Schiff mittels durchgeholter Taue vor dem Zerscheitern durch den Wogenprall geschützt, alles Ent­ behrliche über Bord geworfen werden. Mehrere Tage trieb das Schiff weiter, ohne daß man wußte, wohin, da weder Sonne noch Sterne sichtbar wurden. Der Sturm tobte, die Seeleute waren ratlos, alle Hoffnung des' Lebens schwand.

Da trat Paulus unter sie.

Als rechter Prophet konnte er

den gesunkenen Mut seiner Gefährten aufrichten: im Gesicht war ihm die Gewißheit geworden, daß sie alle mit dem Leben davon kommen würden.

Er durfte auf seinen früher gegebenen Rat

Hinweisen und drang auch jetzt darauf, an eine Insel anzufahren. Vierzehn Tage trieben sie schon in der Adria, im jonischen Meer, da vermuteten die Schiffsleute Nähe von Land und fanden das

auch durch Lotungen bestätigt.

Unbekümmert um das Schicksal

ihrer Passagiere wollten sie sich nun im Boote retten. Aber Paulus durchschaute ihren Plan, teilte ihn dem Centurio mit, und dieser zwang die Mannschaft, auözuharren.

Zum zweiten

Male mußte Paulus die Verzweifelten durch seinen Zuspruch aufrichten.

Der anbrechende Tag zeigte in der Ferne Land, und

das Schiff hielt darauf zu, lief aber an einer Landzunge auf

einen Felsen und zerbrach. Schon wollten die Soldaten die Gefangenen töten, um sie nicht entkommen zu laffen, aber der Befehlshaber verhinderte es. Die Einen retteten sich durch Schwimmen, die Andern auf Planken und Schiffstrümmern glücklich ans Land. Es war die Insel Malta.

Gutmütig nahmen die Bewohner

die Schiffbrüchigen auf und pflegten sie. Auch hier erregte Paulus durch die Kaltblütigkeit, mit der er eine Schlange abschüttelte, ohne

Der Apostel PauluS.

86

Schaden zu nehmen, großes Aufsehen, mehr noch, als er kurze

Zeit darauf einen begüterten Mann auf der Insel von schwerer Krankheit wunderbar heilte und dann auch einige Andere durch

Es wird uns hier durch den unbe­

sein Gebet gesund machte.

fangenen Bericht

eines

Augenzeugen

die

Thatsächlichkeit

der

Krankenheilungen bestätigt, von denen wir auch sonst in der ersten

Christenheit hören,

die sicherlich auch das Ihre zu der Aus­

breitung des Evangeliums beigetragen haben.

Erst nach drei Monaten konnte man, wiederum mit einem

alexandrinischen Weizenschiff,

das in Malta überwintert hatte

und nach Italien bestimmt war, weiter reisen.

italischem Boden landete man.

In Puteoli auf

Nach kurzem Aufenthalt dort,

wo Paulus schon christliche Btüder traf, ging der Marsch auf der Via Appia nach Rom.

Der Apostel wurde bereits in Appii

Forum und Tres Tabernae von Abgesandten der dortigen Ge­ meinde empfangen.

In Rom angekommcn, wurde er dem Be­

fehlshaber übergeben, aber nur in mildester Hast gehalten:

er

durste bleiben, wo er wollte, allerdings stets von einem Soldaten bewacht.

5. Die letzten Jahre. So war er denn in Rom, wie er es gewünscht, aber anders, als er gedacht, nicht als freier Mann auf dem Wege nach Westen,

sondern in Fesieln gehalten durch den Haß der Juden und den Argwohn der Römer. Aber er war wenigstens unter christlichen Brüdern:

die Gemeinde in Rom vergaß den großen Apostel

nicht, wenn sie allerdings auch nicht in so nahem Verhältnis zu

ihm stand,

wie die Gemeinden,

die er selbst gegründet hatte.

Wie eS zur Bildung einer Christengemeinde in der Welt­

hauptstadt gekommen war, wiffen wir nicht bestimmt.

Um so

geschäftiger waren natürlich Sage und Legende, die Ursprünge dieser wichtigen Gemeinde aufzuhellen.

Wenn sie den Petrus

zum Stifter und ersten Bischof der Gemeinde gemacht haben, so

widerspricht dem unser Brief durch seine bloße Existenz mit vollster Klarheit.

Auch alle Namen, die sonst genannt wurden,

87

Der Apostel Paulus.

beruhen auf haltlosen Vermutungen.

aus der Arbeit eines Urapostels,

Die Gemeinde ist weder noch eines Paulusschülers

hervorgegangen: ihre Entstehung braucht gar nicht mit einem der hervorragenden Männer der ersten Christenheit verbunden zu sein. Das Evangelium wurde von Anfang an auf mannig­ fache Weise weitergetragen, manchmal auf seltsamen Wegen.

Handel und Verkehr mußten der Mission dienen, und es wäre wahrlich ein Wunder gewesen, wenn nicht gar bald auch in der Hauptstadt des Reiches, wohin aus allen Gegenden Leute zu­ sammenströmten, hier und da Bekenner des neuen Glaubens gewesen wären, die für seine weitere Verbreitung sorgten. Auch hier wird die Judenschaft, die in Rom natürlich zahlreich war, die erste Anknüpfung geboten haben;

vielleicht

waren es nur Judenchristen, die zunächst das Evangeliuni ver­ kündigten. Diese naheliegende Vermutung wird fast zur Gewiß­ heit durch ein Zeugnis des römischen Geschichtsschreibers Sueton. Er schreibt in seiner Biographie des Kaisers Claudius: er ließ die Juden aus Rom vertreiben, weil sie aus Antrieb des Chrestos

immerfort Aufruhr erregten. So wunderlich diese Notiz klingt, — wenn wir sie auf die zu Grunde liegende Thatsache zurücksühren,

kann sie nur besagen, was der heidnische Schriftsteller allerdings nicht verstand: daß die Predigt von Christo einen heftigen, lange dauernden Streit unter der Judenschaft bewirkte.

Diese war es

also auch wohl, an die das Evangelium zuerst kam. Aber die Mission beschränkte sich nicht darauf.

Auch hier

wird sie sich an die Proselyten aus den Heiden, bald an letztere selbst gewandt haben.

Das kann selbst dann keiner Frage unter­

liegen, wenn Judenchristen ausschließlich ihre Träger gewesen sind. Denn wir dürfen nicht meinen, daß die nationale Engherzigkeit der

Judenchristen überall entweder die Heidenmission ganz verworfen oder alle Heiden erst zu Juden gemacht habe, wie eö die radi­

kalen Judaisten wollten.

Hatte es doch schon vor Paulus Heiden­

mission gegeben, sogar aus der jerusalemischen Gemeinde heraus,

und namentlich Judenchristen aus der Diaspora, die in den Fragen ihres Volkstums, auch des Gesetzes eine größere Weit-

Der Apostel Paulus

88

Herzigkeit besaßen, mochten den Bekehrten aus den Heiden viel­

leicht sogar eine gewisse Freiheit vom Gesetz, besonders nach seiner

ceremonialen Seite gestatten. Alles, was wir nun aus dem Römerbriefe entnehmen können, führt uns darauf, daß diese Stimmungen sich auch in Rom geltend gemacht haben, in solchem Maße, daß die Gemeinde

schließlich überwiegend aus bekehrten Heiden bestand, wie sich aus Röm. 1, 5 u. 13 — 15; 11, 13 —32 ergießt. Es handelte sich in ihr um eine Art milden Judenchristentums, wie etwa das der antiochenischen Gemeinde vor Eingreifen des Paulus gewesen sein wird. Diese Richtung erkannte das Recht der Heidenchristen voll und ganz an, aber sie ließ doch die Meinung von den»

Vorzug Israels auch in der Christenheit und der Pflicht festerer

Bindung an das Gesetz bestehen.

Das that sie und konnte sie

thun, ohne darum dem paulinischen Evangelium feindselig gegen­

überzustehen. In der That hat Paulus in seinem Briefe auch keinen der Angriffe zurück zu weisen, wie sie etwa in Corinth und Galatien

gegen ihn gerichtet wurden. Sein apostolisches Recht stand ganz außer Frage, auch waren durchaus keine Forderungen abzulehnen,

wie sie

sonst wohl Judenchristen an die bekehrten Heiden ju

richten pflegten, betreffend Beschneidung oder Gesetz.

So war denn

für den Apostel eine Verständigung mit dieser Gemeinde, die unter dem geistigen Einfluß einer milderen Richtung des Juden­

christentums stand, durchaus möglich.

Sie war auch notwendig,

wenigstens nach seiner Ansicht und für seine Pläne. Gerade die römische Gemeinde war von einer überaus hohen

Bedeutung für die weitere Ausbreitung des Evangeliums.

Sie

war der natürliche Ausgangspunkt für alle Missionsarbeit im Westen des Reiches. Wenn die Absichten des Apostels dahin

gingen, dann mußte er hier einen festen Standpunkt haben, dann mußte hier sein Evangelium durchaus anerkannt sein.

So hatten

ihn denn die Pläne, die er in Ephesus und Corinth für die Reise nach Spanien gefaßt hatte, gewiffermaßen genötigt, eine

Verständigung zu suchen. — Auch andere, tiefere Gründe sprachen

Der Apostel Paulus.

§9

dafür: Je weiter die christliche Mission nach dem Westen drang,

um so mehr mußte sie ausschließlich Heidenmisfion werden.

Schon

die römische Gemeinde bestand ganz überwiegend, wie wir gesehen haben, aus Heidenchristen. gabe beruhte darin,

Ihre Zukunft und ihre höchste Auf­

die umgebende Heidenwelt

zu

gewinnen.

Einen vollen Erfolg konnte sie nach dieser Seite hin — das war

des Apostels auf lange Erfahrung gegründete Meinirng — nur dann gewinnen,

wenn sie das Heidenevangelium

annahm, wie

war die geistliche Gabe,

Das

er es verkündigte.

die

er zu

bringen hatte (Röm 1, 11); dahin mußte er die Gemeinde führen. Und das mußte erreicht sein, ehe er persönlich kam.

Da durste

es keine Mißverständnisse, keine Mißdeutungen mehr geben,

da

mußten alle die falschen Folgerungen, alle die falschen Anklagen, denen seine Predigt ausgesetzt gewesen war, zum Voraus abgewiesen sein.

Um das zu erreichen, geboten,

hatte sich ihm kein besseres Mittel

als eine ausführliche und zusammenfassende Darlegung

seiner Anschauungen

nach

ihrem

eigentlichen Kern:

Die Ge­

rechtigkeit aus Gnaden durch den Glauben an den gekreuzigten und auserstandenen Messias im Gegensatz zu der vermeintlichen

Gerechtigkeit aus den Werken

des

Gesetzes.

Aber nicht eine

polemische Auseinandersetzung durfte das werden, zumal dazu kein Anlaß gegeben war.

Ein Kampfesbrief, wie der an die Galater

oder der Schluß des II. Cor. hätte hier mehr geschadet als ge­ nützt, mehr Verbitterung verursacht, als Frieden gestiftet.

Milde

und versöhnlich mußte der Apostel reden, freundliches Entgegen­ kommen beweisen, allerdings ohne in einem wesentlichen Punkte

sein Evangelium zu verkürzen, So ist denn der Bries an die Römer,

geschrieben im

Jahre 59 von Corinth aus, um sich Eingang in die Gemeinde

der Hauptstadt zu schaffen,

in ihm erkennen:

das geworden, was wir bewundernd

„die reifste Frucht paulinischen Geistes", für

die Christenheit, wie Luther sagt: daS rechte Hauptstück des Neuen Testamentes und allerlauterste Evangelium. würde das Beste fehlen,

falls

bei ihm verweilen wollten. —

Unserer Darstellung

wir nicht, wenn auch nur kurz,

90

Der Apostel Paulus.

Nach einigen kurzen einleitenden Worten, in denen Paulus sein Recht, an die römische Gemeinde zu schreiben und sein reger

Interesse an

fest stellt, formuliert er gleich den Inhalt

ihr

seiner Predigt: Das Evangelium

von Christo, dessen Kern die

Gerechtigkeit ist, die vor Gott gilt, und die allein aus dem Glauben kommt, ist die Kraft, die Juden und Heiden selig macht.

Ein anderes gilt nicht (C. 1—8).

Die Sünde der Heiden, wie

der Inden beweist es, daß keiner aus eigener Kraft, keiner durch

Werke

deS

gerecht werden könne: sie sind allzumal

Gesetzes

Sünder

und mangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben

sollten.

(1, 18—3, 20).

Aber Gott hat einen anderen Heils­

weg eröffnet in dem Tode Jesu, den wir uns im Glauben an­

zueignen haben, Juden, wie Heiden, in gleicher Weise, wie auch

das alttestamentliche schon andeutet.

Schriftwort in der Geschichte Abrahams

Indem wir so die Gerechtigkeit vor Gott als

unverdientes Geschenk seiner Gnade empfangen, haben wir wahr­

haft Frieden

mit ihm, in der Gewißheit, von seinem Zorn er­

rettet zu sein und

zu erhalten.

die Gabe des ewigen Lebens

So werden wir selig allein durch den einen Jesus Christus. (3, 20—5, 21).

Leichtsinn.

durch die

Das

aber ist

kein

Taufe,

bricht

für

sündigen

Christo,

besiegelt

Freibrief

Die Glaubensgemeinschaft mit

vielmehr die Macht der Sünde im

Christen, und zwar eben weil er nicht mehr unter dem Gesetz,

sondern unter der Gnade steht. Solange der Mensch unter dem Gesetz steht, steht er auch unter der Sünde, weil seine fleischliche

Natur noch nicht gebrochen ist. Erst wenn er in Christo Gottes Gnade an

sich

erfährt

und so Gottes Geist ihm zuteil wird,

wird er frei von der Herrschaft der Sünde und des Todes, also

von der Verdammnis.

Christi

Geist macht uns

gewiß, daß

wir Kinder Gottes sind, die keiner mehr verdammen kann, denen die

ewige Herrlichkeit sicher

ist,

die keine Macht der

Welt

von der Liebe des Vaters zu scheiden vermag, (c. 6—8). Aber: wenn das der Heilsweg ist, werden damit nicht die Israel ge­

gebenen Verheißungen hinfällig? Darauf antwortet der Apostel, indem er in C. 9—11 Recht, Grund und Ziel der Verwerfung

Der Apostel Paulus. Israels

darlegt.



91

Gott strht auch dem Volke Israel frei

gegenüber, er hat cs aus freien Stücken erwählt, kann sich nicht

nur darüber erbarmen, sondern es auch verstocken. hat ihm Israel Grund gegeben.

Und dazu

Sein Unglaube ist es, der

eigene Gerechtigkeit sucht und die dargebotene Gnade zurückweist, immer wieder nahe gebracht wird.

Das Ziel

der Verwerfung ist aber nicht endgiltige Verstockung.

Zunächst

trotzdem sie ihm

hat sie nur den Heiden den Zugang zum Evangelium geöffnet,

und es wird die Zeit kommen, wo auch Israel nicht mehr da­

hinten bleiben mag, sondern seinen Gott aufs neue sucht.

So

sind auch die Wege, auf denen dies Volk geführt wird, scheinbar

zwar dunkel, und doch waltet in ihnen die erhabene Weisheit

Gottes. — Und nun zeigt der Apostel der Gemeinde, daß sein

Evangelium auch ohne das Gesetz ein rechter Wegweiser für den christlichen

Wandel

herzigkeit Gottes

ist.

Gerade

die

Erfahrung

der Barm­

muß dazu führen, das ganze Leben in seinen

Dienst zu stellen. (C. 12—15). Da thun sich denn dem Christen

mannigfache Aufgaben auf:

eifrige Arbeit an der Gemeinde in

rechter Treue, das rechte, brüderliche Verhalten zu den Mitchristen (C. 12), die rechte Stellung zur weltlichen Obrigkeit, ein Wandel in der Liebe unter steter Erneuerung (C. 13).

Dieser liebevolle

Sinn soll sie auch in den Fragen des Gemeindelebens leiten. Der Starke möge den Schwachen tragen, jeder nach seinerÜberzcugung handeln, ohne den andern zu richten. Alle Glieder der

Gemeinde sollen

eins sein

welche der Glaube verleiht.

in

dem Frieden und der Freude,

(14, 1—15, 13). — 15, 23—33

rechtfertigen dann noch einmal sein Schreiben, teilen seine Reiscpläne mit und halben seinen Besuch an, C. 16 enthält eine Reihe

von Grüßen.

Diese kurze Inhaltsangabe vermag natürlich nicht ntsernt den ganzen Reichtum dieses köstlichen Schreibens zu erschließen. Wir haben nicht einmal andeuten können, mit welch erschüttern­

den Worten der Apostel die Verderbnis der Heidenwelt malt, wie gewaltig

er den Juden ins Gewissen greift,

Elaubensfrcudigkeit er die Gnade Gottes Preist,

mit welcher

wie ergreifend

Der Apostel Paulus.

92

er die Nöte einer Seele zu schildern weiß, die vergebens aus sich

gerecht zu werden sucht, mit welch sieghafter Zuversicht er sich in der Gewißheit,

Gottes

Kind zu sein,

erhebt über die

eigene

Schuld und der Welt Trübsal und Leid, wie immer wieder die

natürliche Zuneigung zu seinem Bolle hervorbricht,

wieder,

und dann

mit welcher Klarheit und unerbittlichen Schärfe er alle

Gründe der Gegner erschöpfend widerlegt und seine Predigt als

die reinste Darstellung des Evangeliums erweist. Ein solcher Dries kann seinen Zweck nicht verfehlt haben, und er hatte denn auch in der That gewirkt.

Wir haben schon

oben gehört, daß die Gemeinde den Apostel freundlich empfangen Es hat das seinen Mut gewaltig gestärkt.

hatte.

er in persönlicher Gemeinschaft

begonnen hatte,

wirken.

Nun durste

das fortsetzcn, was er brieflich

unter der Gemeinde für sein Evangelium zu

Allerdings befand er sich in Haft und konnte darum

schwerlich an den regelmäßigen

leilnehmen.

Versammlungen der Gemeinde

Aber die Haft war so milde, daß sie doch einen

regen Verkehr gestattete.

Da mag denn gar ost einer zu ihm

gekommen sein, sich Lehre und Trost zu erbitten.

wird man ihm zugeführt haben,

Gar Manchen

der ein Jnteresie für die neue

Lehre gewonnen hatte und nun unter dem Worte des Apostels

gläubig wurde.

Auch seine Umgebung,

die Insassen der Prä­

torianerkaserne, d. h. die Soldaten der kaiserlichen Leibgarde ver­

gaß er

nicht.

Darf er doch den Philippern schreiben (1, 13),

daß seine Banden offenbar geworden sind in Christo in dem ganzen Nichthause,

daß alle wissen,

warum er in Hast ist —

und gewiß hat er jede Gelegenheit benutzt, von diesem Christus,

uni des willen er gefangen sei, Zeugnis abzulegen.

Sogar Leute

vom kaiserlichen Hof lernte er kennen und konnte er gewinnen. Mit stolzer Genugthuung durfte er sehen, daß daö Evangelium

auch dahin seinen Weg fand, und er verfehlt nicht, den Brüdern in der Ferne von

diesem Siege des Glaubens,

ahnen ließ, Kunde zu geben.

der Größeres

(Phil. 4, 22 ).

So war seine Thätigkeit doch nicht ganz lahmgelegt,

und

wenn er seine treuen Gefährten sah, durste ihn die Zuversicht

Der Apostel Paulus.

93

erfüllen, daß ihm tüchtige Nachfolger, seinem Werke treue Hüter

nicht fehlen würden, wenn er einmal die Augen schließen sollte. Am treuesten hielt Timotheus bei ihm aus; der langjährige Freund und Mitarbeiter hatte ihn in Rom aufgesucht und stand ihm besonders treu in der Sorge um die alten Gemeinden zur Seite. Auch andere Namen werden uns genannt, Lucas,

der Arzt, der

ost sein Gefährte gewesen war, Aristarchus, MarcuS, Jesus JustuS

Demas und Epaphras.

(Col.

4, 11 ff.).

Natürlich vergaßen

auch seine alten Gemeinden ihren Apostel nicht.

Da kam Epa-

Phroditus von Philippi und brachte einen Beweis der dankbaren Liebe und des treuen Gedenkens dieser Gemeinde, eine Gabe,

die ihn von äußeren Sorgen befreien sollte, wie früher schon oft; da kam Tychicus aus Asien mit Berichten über die dortigen

Gemeinden, da kam EpaPhraS von Coloffä. Sie alle mußten ihm dazu helfen, in Verbindung zu bleiben.

mit seinen Gemeinden

Er konnte das ja nur auf brieflichem

Wege, und daß seine Correspondenz nicht klein war, unS die sogenannten Gefangenschaftsbriefe, Zeit erhalten sind,

die Philipper,

sammen faßt.

die uns

beweisen

aus dieser

worunter man den an die Epheser,

an

an die Colosser und an Philemon zu­

Sie zeigen uns, welch ein Ansehen Paulus noch

immer genoß, auch bei den Gemeinden,

die er nicht selbst ge­

gründet hatte. — Daß er seine Getreuen in Philippi nicht vergaß,

ist selbstverständlich; wir haben schon stüher von dem

herrlichen Briese gehört, mit dem er sie

erfreute.

die Gemeinden in Asien erbaten seinen Rat.

Neue Schwierigkeiten

erhoben sich dort,

Aber auch

allerlei Irrlehren, die das Evangelium zu

verkehren drohten, und die ihm nur ein Anlaß wurden, mit alter Frische und vollster Klarheit von dem Grunde seines Glaubens

aus die Gemeinden immer tiefer in die christliche Erkenntnis hineinzusühren. — Auch kleinere persönliche Anliegen, hatte er zu ordnen.

Da war ein Sklave aus Coloffä, Onefimus, feinem

Herrn Philemon entlaufen.

In Rom bekehrt, sandte

ihn

Paulus zurück mit einem kleinen Schreiben, in dem er mit feinem Humor und großem Sinn Herr und Diener wieder zu versöhnen

Der Apostel Paulus.

Mes in allem eine noch immer reich gesegnete Thätigkeit,

sucht.

und der Apostel mag gar ost seinem Gott für die gnädige Fügung gedankt haben, daß es ihm noch möglich war, seine Kraft zu ge­ brauchen.

Gewiß überkamen ihn auch manchmal trübe Stimmungen. Gerade die letzten Jahre seines Lebens entbehren, auch abgesehen

von seinem schweren Schicksal, nicht eines tragischen Momentes. Auch er mußte lernen, was keinem großen Manne ganz erspart

bleibt, und was auch ihm bei seiner ganzen Eigenart sicher nicht

leicht geworden ist, — daß sein Werk ohne ihn weiter ging, und man ihn das absichtlich oder unabsichtlich ihm

merken ließ.

harrten schließlich bei ihm ans.

wenige Gefährten

Nur

Man merkt

die schmerzliche Entsagung an, mit der er Phil. 2, 20. 21

schreibt, daß außer Timotheus alle das Ihre suchen und nicht, das Christi Jesu ist.

Auch

in der römischen Gemeinde stand

nicht alles so, wie er es wünschen mochte. großer Eifer,

aber seine Person trat zurück oder wurde beiseite

Er mußte sehen, wie manche Christum predigten um

geschoben.

weil sie meinten,

und Haders willen,

Hasses

Trübsal

Wohl herrschte ein

zuwenden

sein großer Sinn,

seinen

Banden

(Phil.

1,

sie wollten eine 15

s.).

Nur

die Liebe zu seinem Herrn, die der Inhalt

seines Lebens gewesen war, hob ihn auch darüber hinaus: Was liegt daran?

Daß nur Christus verkündigt werde auf allerlei

Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit. (Phil. 1, 18.). Sein eigenes Schicksal lag noch lange im Dunkeln: bald die Hoffnung, ja die feste Zuversicht, noch einmal loszukommcn

(Phil. 1, 25), dann die klare Erkenntnis, daß sein Ende nahe; das

Gefühl,

1, 24),

aber in

manchmal (Phil.

daß

er

noch

nicht zu entbehren sei

allem doch die volle Bereitschaft, abzu­

scheiden, in der seligen Gewißheit, dann zu seinem Herrn einzu­

gehen, eine Gewißheit,

scheinen ließ. tapferer Mut,

die ihm auch den Tod als Gewinn er­

(Phil. 1, 21—23.).

Wunderbar ist es, wie sein

sein gottergebener Sinn, sein kindlicher Glaube

ihn über alles Schwere hinwegheben und die ruhige Heiterkeit seines Gemütes nicht verlieren lassen.

Aus der dunklen Zeit

95

Der Apostel PaulnS.

seiner Gefangenschaft heraus, vielleicht kurz vor seinem Tode, schreibt er den Brief an die Philipper, in dem immer wieder der sieghafte Ruf erklingt, zu dem nur sein christlicher Glaube ihm Recht und Mut geben konnte:

Freuet Euch in dem Herrn

allewege!

Er ist nicht wieder frei geworden.

Die Annahme, daß

er entlassen worden sei und erst nach einer zweiten Gefangenschaft geendet habe,

endete

beruht auf haltlosen Vermutungen.

Seine Haft

mit dem Märtyrertode, in den er sicher ohne Zagen

Die Berufung auf den Kaiser war fruchtlos, er

gegangen ist.

wurde verurteilt, im Jahre 63 oder 64.

über den näheren Hergang. neronischen

Verfolgung

zeitliches Leben enden.

Wir misten nichts

Die Sage läßt den Apostel in der

unter dem Schwerte des Henkers sein Die einzig sichere Nachricht, die uns er­

halten ist, in dem sogenannten 1. Clemensbrief, meldet nur die

Thatsache

seines

Märtyrertodes.

Die Worte mögen in ihrer

Einfachheit und schlichten Kürze selber uns den Ausgang dieses

wunderbaren Mannes berichten:

„Auch Paulus, heißt es dort

C. 5, hat den Siegespreis des Duldens empfangen.

hat er Fesseln getragen; verbannt, gesteinigt, im Morgenland

und im Abendland hat er den

seines Glaubens empfangen.

Siebenmal

Herold geworden

edlen Ruhm

Nachdem er die ganze Welt Ge­

rechtigkeit gelehrt, ist er am Ziel des Abendlandes angelangt

und hat vor den Herrschern sein Zeugnis abgelegt: so ward er aus der Welt genommen und ist dahin gegangen an den heiligen

Ort als das höchste Vorbild des Duldens."

In

der

Geschichte eines Mannes zeichnet sich das Bild

seines Charakters.

So lassen auch wir noch einmal sein Leben

vor unserm Auge vorüberziehcn.

Wir sehen ihn vor uns mit

seiner reichen natürlichen Begabung, seinem feurigen Eifer, seinem weiten Blick,

seiner

Thatkraft,

seiner

Entschlossenheit,

seinem

raschen und durchgreifenden Handeln in jeder Lage, seiner Strenge,

96

Der Apostel Paulus.

seinem emsten Sinn, der sich nicht auf halbem Wesen begnügen mag. Aber wir erinnern uns auch, wie sich alle Kräfte dieser wunderbar reichen und vielseitig begabten Natur erst in ihrer köstlichen Fülle entfalten, als die Hand seines Gottes ihn in neue Bahnen hineinwirst. In der steten Gemeinschaft mit seinem Herrn findet er von da an die starken Wurzeln seiner Kraft. Aus ihr erwächst ihm die wunderbare Macht seines Geistes, der von keiner scheinbar noch so weit greifenden Folgerung seines Glaubens zu­ rückschreckt und dann wieder scharf und klar das Erreichbare sieht und will, — aus ihr der bezaubernde Reichtum eines tiefen Gemütes, das um die Seinen zittert und zagt, mit ihnen weinen, innig beten, fteudig danken, aber auch den Gegnern so gewaltig und heilig zürnen kann, — aus ihr der feste Mut, der um das höchste Ziel wirbt, in keiner Not verzagt und fteudig auch das Leiden zu überwinden weiß, — aus ihr das männliche Selbst­ bewußtsein, das spricht: Ich habe mehr gearbeitet, denn sie alle, — aus ihr die bescheidene Demut, die alle Gaben und Erfolge als unverdientes Gottesgeschenk erfaßt, — aus ihr nicht zum letzten die unerschütterliche Gewißheit, Recht zu haben, wo alle andere ihn des Unrechtes zeihen. Schlicht und einfach weiß er am rechten Ort das Geringste und Nächstliegende zu thun. Mit kühler, verstandesklarer Erwägung überschlägt er seine Kräfte und Aufgaben und versucht nur, was zu gelingen scheint. Wahrlich kein Mann, der ftemd in der Welt geworden wäre, weil er den Himmel suchte! — Alle die köstlichen Kräfte seiner Seele aber stehen ihm im Dienste der einen, großen, gottgegebenen Aufgabe, die ihm nicht gestattete, eigene Pfade zu wählen, sondern ihn nur gottgewiesene Wege gehen läßt. Dieser gewaltige Mann läßt sich unbedingt von seinem Herrn leiten, und in Stunden wunder­ barer Verzückung, zü heilig, als daß er davon reden möchte, wird ihm an den entscheidenden Punkten seines Lebens, wie in den eigenen inneren Nöten Weisung und Trost. Dieser Mann will seine Erfolge nicht eigener Kraft verdanken, er weiß sich in kindlicher Demut als Werkzeug Gottes, der Gnade Gottes. Für sich sucht er nichts, keinen Beifall, keinen Ruhm, keine Aner-

Der Apostel Paulus.

kennung.

97

Er will nicht mehr sein als die Stimme eines Predigers

in der weiten Wüste einer gottentfremdeten, in Sünde und Fried­ losigkeit versunkenen Welt, eine Stimme, die nicht müde wird,

auf Gott und den Vater seines Herrn Jesu Christi als auf den

einigen Trost hinzuweisen.

Was er für sich will, ist nur das

Eine: in Verzicht und Entsagung, in unerbittlicher Strenge und

ernster Selbstzucht sich tüchtig zu machen zu dem Dienste dieses Herrn, und, wenn es denn sein muß,

sich in dieser Arbeit,

Eifer um den Herrn selbst zu verzehren. was er gewesen ist:

im

So ist er geworden,

„der größte Sendbote des Evangeliums!"

Und niehr noch! Hervorgegangen aus dein Judentum ist es die

Arbeit seines Lebens gewesen, das Christentum in seiner Reinheit loszulösen von allem Unvollkommenen, was die alttestamentliche Religion ihm vererben wollte.

daran gesetzt,

Nicht geringere Kraft aber hat er

das Evangelium hineinzuführen in die heidnische

Welt, ohne es verderben zu lassen durch ihre Weisheit, ihre reli­

giösen Verkehrtheiten, ihre laxen sittlichen Anschauungen. er beides erreicht, stellt

sich uns

in seiner Predigt,

Indem

auf das

Wesentliche gesehen, die reinste Erfasiung desien dar, was Gott

uns in Christo geschenkt, freien Stücken

daß er in väterlicher Liebe sich aus

den verlorenen

Menschen in Christo zugeneigt

habe, um sie durch die gläubige Gemeinschaft mit seinem Sohn zu seinen Kindern zu machen.

Dieser Mann war größer als seine Zeit, zu gewaltig das

Erbe, das er hinterließ.

Die nach ihm kamen, schienen zu klein,

als daß sie es in seiner ganzen Fülle sich hätten aneignen können.

Wohl hatte er auch für seine Zeit nicht vergebens gelebt.

Ihm

zumeist ist es zu danken, daß die Christenheit nie wieder das Bewußtsein verlor,

das Beste und Höchste habe sie in dem zu

suchen, nach dessen Namen sie sich nannte. wurden

nur

in

Aber seine Gedanken

ihrer äußersten Verdünnung bewahrt.

Den

spätern christlichen Generationen war das Christentum eine neue,

sittlich ernste Religion, welche ihren Gläubigen die ewigen Güter sichern konnte,

die andere Religionen vergebens suchten,

eine

Religion, die alle nationalen Fesseln zersprengte und sich Juden, 7

98

Der Apostel Paulus.

wie Heiden eröffnete zu Leben und Seligkeit.

Das war gewiß

nichts Geringes, aber es war die Form, in der sich der Gehalt der paulinischen Predigt äußerlich dargestellt hatte, über dem

Bewahren dieser Form ging nun aber der Inhalt verloren.

Die

Predigt von der Gerechtigkeit vor Gott aus Gnaden allein durch den Glauben verklingt.

Die kirchliche Entwicklung steuerte mit

Macht der Richtung zu, die Paulus Zeit seines Lebens bekämpft hatte, einer gesetzlichen, werkhciligen Frömmigkeit. Die Christenheit

hatte den Mantel des Propheten geerbt, nicht seinen Geist. Aber darum war dieser Geist nicht tot; er ließ sich auch nicht

töten,

so viel Schutt und Trümmer auch Jahrhunderte

darauf häufen mochten.

Er lebte weiter als »das Gewiffen der

Und in aller Verkehrung, die das Christentum hat durch­

Kirche".

machen muffen, wo man Gesetzeswerke als das Mittel, zum Heil zu konlmen pries, wo nian fromm zu sein glaubte, wenn man den

Satzungen der Kirche folgte, wo man die Botschaft von Christo ihres Gnadentrostes entleerte, da erhob dieses Gewissen lant und

lauter seine Stinime, von den ersten Zeiten der Christenheit an durch alle Jahrhunderte hindurch.

Manchmal dringt sie in der

Geschichte der Kirche nur in halb verwebten Klängen an unser Ohr, manchmal ward sie falsch, öfter noch nur halb verstanden,

bis sich die ganze Fülle dieses reichen Geistes noch einmal in ihrer unermeßlich segensreichen Wirkung austhun durste, segens­

reich für ganze Völker, für Tausende und Abertausende bekümmerter und friedloser Herzen — in Luther und der Reformation.

So

gewiß auch wir schließlich in ihm nur den Wegweiser zu den»

sehen,

deffen Diener er sein wollte, wir Evangelische vor Allen»

mögen

über dem Dank gegen Gott, der uns seine Segnungen

genießen läßt, über all den» Hohen und Herrlichen, erneuerte paulinische Evangelium

uns

was das

und unserm Volke ge­

bracht hat, niemals den vergessen, den Gott zum Träger dieses Evangeliums erwählt hatte, — Paulus, den größten unter den

Aposteln.