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German Pages 272 [276] Year 1929
FRANZ FERDINAND DER ERZHERZOGTHRONFOLGER EIN LEBENSBILD VON
THEODOR VON SOSNOSKy
MÜNCHEN UND BERLIN 1929 VERLAG VON R.OLDENBOURG
Alle Rechte, einschließlich des Überset rungsrechtes, vorbehalten Copyright X 9 2 8 by R. Oldenbourg, München und Berlin
Druck von R. Oldenbourg, Manchen
VORWORT. Vorworte pflegen zwar meist nur geschrieben zu werden, um ungelesen zu bleiben, und das desto mehr, je umfangreicher sie sind. Mit diesem Schicksal muß ich also rechnen. Immerhin aber glaub' ich dennoch hoffen zu dürfen, daß der eine oder andere Leser sich die kleine Mühe nehmen wird, dieses Vorwort zu beachten, das zugleich eine nicht ganz belanglose Vorgeschichte des vorhegenden Buches ist, und daß es ihn nicht reuen wird. Für die Persönlichkeit des Erzherzog-Thronfolgers Franz Ferdinand hab' ich schon, seit sie aus ihrer frühern Zurückgezogenheit in das politische Leben hinausgetreten war, lebhaftes Interesse empfunden und — ich will es, auf die Gefahr hin, für parteiisch gehalten zu werden, nicht verhehlen — auch ausgesprochene Sympathie. Sah ich in ihm doch den Mann, den einzigen Mann, der die habsburgische Monarchie aus der lähmenden, unheilschwangern Lethargie erwecken konnte, in die sie immer tiefer zu versinken drohte und durch die ihre zahlreichen innern und äußern Feinde in ihrer zerstörenden Minierarbeit noch ermuntert wurden. Für mich — und keineswegs für mich allein! — ist Franz Ferdinand nicht weniger gewesen als der verkörperte österreichische Staatsgedanke, als die Fleisch und Blut gewordene Hoffnung auf die Rettung der Monarchie vor dem drohenden Untergange. Ein Gedanke, dem ich schon zu Lebzeiten des Erzherzogs in einigen Artikeln Ausdruck gegeben und den ich nach seinem Tode — in entsprechend geändertem, retrospektivem Sinne — wiederholt variiert habe. So, immittelbar nach seinem Tode, in der „Contemporary Review"1) und nach dem Kriege in der ,,Quarterly Review", sowie zuletzt im „Deutschen Biographischen Jahrbuch", für das ich die Biographie Franz Ferdinands geschrieben habe. x
) In demselben Hefte der „Contemporary Review" (Angust 1914) bat aucb Seton-Watson einen Anisatz veröffentlicht, in dem er — schon damals! — sein Steckenpferd ritt: die Schuldlosigkeit Serbiens an der Ermordung Franz Ferdinands.
I*
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Vorwort
Es lag somit nahe, mich nach all diesen kleinern Arbeiten einmal gründlicher und ausführlicher mit der Persönlichkeit Franz Ferdinands zu befassen; um so näher, als meines Wissens bisher überhaupt nur zwei Bücher über sie veröffentlicht worden sind. Von diesen ist aber das eine, bald nach dem Umsturz anonym erschienene, ein Zwitterding: halb Roman und halb Biographie, angeblich von einem Professor verfaßt, der, wenn man ihm glauben dürfte, im Belvedere als Freund und Vertrauter des Thronfolgers einund ausgegangen wäre. Eine dreiste Mystifikation, die schon als solche und wegen ihres zwitterhaften Charakters, trotz ihrer geschickten Mache, nicht ernstgenommen werden kann. Das andere Buch stammt aus der Feder des ehemaligen Privatsekretärs des Thronfolgers, Nikitsch-Boulles, also aus dessen unmittelbarer Nähe, schaltet aber eingestandenermaßen die Politik aus und beschränkt sich auf die persönlichen Erinnerungen des Verfassers, die zwar lesenswert und für den Biographen keineswegs wertlos, doch nur als solche in Betracht kommen, nicht als historiographische Arbeit. Ich brauchte unter diesen Umständen demnach nicht zu besorgen, ein Buch zu schreiben, das man zu den „vielzuvielen" zählen und darum schon a priori nicht beachten würde. Ich sah mich vielmehr in der für einen Autor ebenso seltenen als erfreulichen Lage, für meine Arbeit ein noch freies, unbestelltes Feld vor mir zu haben. Es schien mir um so weniger überflüssig, ein Buch über Franz Ferdinand zu schreiben, als sich infolge einer ebenso gehässigen als beharrlichen Überlieferung in der breiten Öffentlichkeit mehr oder weniger falsche Ansichten über ihn eingenistet hatten, die es einer gründlichen Korrektur zu unterziehen galt, sollte der Nachwelt nicht ein unkenntliches Zerrbild seiner geistigen Persönlichkeit überliefert werden. Und noch eines Umstands möcht' ich hier gedenken, der mich in meiner Absicht, ein Buch über Franz Ferdinand zu schreiben, bestärkt hat, denn er stellt selber einen kleinen Beitrag zu dessen Charakterbild dar. Ich muß zu diesem Zweck aber etwas weiter ausholen: Im Jahre 1913, gegen dessen Ende der Thronfolger sein 50. Lebensjahr erreichen sollte, planten die Herausgeber der „österreichischen Rundschau" aus diesem Anlaß die Herstellung einer Sondernummer, die sich ausschließlich mit der Persönlichkeit Franz Ferdinands befassen und ihn in seinen verschiedenen Interessen- und Tätigkeitssphären zeigen sollte: als Soldat, als Seemann, als Kunstkenner, als Jäger usw. Jedes dieser Kapitel sollte von einem andern Autor, entsprechend dessen Spezialkenntnissen, behandelt werden. Da die
Vorwort
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Herausgeber der Festschrift es bei der Eigenart des Erzherzogs nicht wagten, sie sozusagen über seinen Kopf hinweg ins Werk zu setzen, unterbreiteten sie ihm vorher die Liste der dafür in Betracht gezogenen Autoren. Mein Name stand nicht auf dieser Liste, lag er doch ganz außerhalb der Namen, die damals in der Öffentlichkeit genannt zu werden pflegten. Es war daher nur selbstverständlich, daß niemand dabei meiner gedacht hatte. Ich selber mit inbegriffen, denn ich wußte nichts von diesem Unternehmen. Um so größer war daher meine Überraschung, als ich eines Tages einen Eilbrief von der Redaktion der „österreichischen Rundschau" erhielt, die mich zu sich bat und mir dort eröffnete, daß man diese Festschrift plane und daß der Thronfolger, als man ihm die Mitarbeiterliste vorlegte, spontan den Wunsch ausgesprochen habe, ich solle die biographische Einleitung dazu schreiben. Daß ich über diese Mitteilung nicht wenig erfreut war, versteht sich von selbst; es wäre an meiner Stelle wohl jedem so ergangen. Ich war es um so mehr, als ich mich im Punkte Anerkennung alles eher denn verwöhnt nennen durfte. So überrascht ich über diesen Wunsch des Erzherzogs aber auch war, so konnte ich mir ihn doch unschwer erklären: er hatte nicht lange vorher einen Aufsatz über ihn gelesen, den ich, einer Aufforderung des Verlags Cotta folgend, für dessen eben ins Leben gerufene Zeitschrift „Der Greif" geschrieben hatte. Dieser Aufsatz, in dem er seine An- und Absichten offenbar richtig erkannt und gedeutet gefunden hatte und der an Dinge rührte, die ich in einer österreichischen Zeitschrift kaum hätte erörtern können, hatte ihm augenscheinlich so zugesagt, daß er auch das biographische Kapitel in der Festschrift von mir geschrieben haben wollte. Auch der günstige Eindruck mochte dazu beigetragen haben, den ihm die Lektüre meines — in Österreich totgeschwiegenen — Werks „Die Politik im Habsburgerreiche" gemacht und den er mich hatte wissen lassen. Meine Freude über den Wunsch des Thronfolgers galt aber bloß der darin liegenden Anerkennung, keineswegs auch dem sich daraus ergebenden Auftrage. Die Notwendigkeit, einen Artikel für eine Festschrift zu schreiben, warf, ganz im Gegenteil, einen erkältenden Schatten in den warmen Sonnenschein meiner Freude, denn meine Feder war ganz und gar nicht auf den byzantinischen Stil eingestellt, der für derartige Jubiläumsschriften gang und gäbe war. Konnte ich die an mich gerichtete Aufforderung begreiflicherweise auch nicht ablehnen, so sah ich der Arbeit doch mit großem Unbehagen entgegen. Und, wie sich bald zeigen sollte, nicht ohne Grund. Fand ich mich
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Vorwort
doch vor die Aufgabe gestellt, ein Lebensbild des Thronfolgers zu entwerfen, ohhe an dessen politischen Standpunkt zu rühren! Ein Ansinnen, das bei der so ausgesprochenen und leidenschaftlichen Teilnahme des Erzherzogs an den politischen Ereignissen, der Zumutung, die Quadratur des Zirkels zu finden, verzweifelt ähnlich sah. Es mußte überhaupt alles, was in der Öffentlichkeit — und nicht zuletzt in Schönbrunn — Anstoß oder selbst nur Bedenken erwecken konnte, wegbleiben. Ich wußte unter solchen Umständen nicht, was ich eigentlich schreiben sollte, wenn der Aufsatz nicht eine mechanische, öde Aneinanderreihung von seelenlosen biographischen Daten werden sollte. Bei der gähnenden Leere des mir zugewiesenen Arbeitsfeldes lag natürlich die Versuchung nah, mir durch gelegentliche Überschreitung der mir gesteckten Grenzen von den Arbeitsfeldern der andern Mitarbeiter etwas Baumaterial zu holen; allein das ging nicht an. Da ich aber begreiflicherweise nicht willens war, die gute Meinung von meiner Feder, die mir der Thronfolger durch seinen Wunsch bekundet hatte, selber zu zerstören, indem ich einen ganz nichtigen Aufsatz schrieb, beschwerte ich mich über den Mangel an Stoff und bat um verwendbares Materir 1. Daraufhin stellte man mir in der Militärkanzlei des Thronfolgers eine Reihe von Folianten — buchstäblich zu nehmen! — zur Verfügung, in denen alle Notizen gesammelt und aufgeklebt waren, die seit — ich glaube — dem Jahre 1895 in der Presse aus aller Herren Ländern über den Erzherzog erschienen und erreichbar gewesen waren. Man hätte Wochen gebraucht, um diesen Wust von Zeitungsausschnitten genau durchzusehen, und es würde sich, wie ich schon nach wenigen Tagen feststellen konnte, kaum gelohnt haben. Die Ausbeute für mich war verschwindend gering. Nur eines war mir dabei von Wert: daß diese Folianten nicht nur schmeichelhafte und gleichgültige Notizen enthielten, sondern auch abfällige, sogar beschimpfende. Offenbar hatte der Erzherzog den Auftrag gegeben, auch solche Presseäußerungen zu sammeln; sonst hätte man es kaum gewagt, ihm derartige Notizen vorzulegen. Ein Thronfolger, der auch das wissen will, was man Übles über ihn schreibt: das war jedenfalls nichts Alltägliches, und es stimmte zu dem Manne, der sich die Personen, die er für eine bestimmte Aufgabe geeignet hielt, nicht von andern suggerieren ließ, sondern selber auswählte... Nach vielen Änderungen, Abschleifungen und Auslassungen und nach noch mehr Arger — wahrscheinlich nicht nur für mich, sondern auch für die dabei in Betracht kommenden Persönlichkeiten — kam endlich der Aufsatz zustande, in den es mir durch beharrliches Fest-
Vorwort
VII
halten am Wesentlichen, geschmeidiges Nachgeben im Nebensächlichen, doch gelungen war, soviel Gehalt hineinzubringen, daß ich mich der Arbeit, so dürftig sie auch war, so oberflächlich sie auch sein m u ß t e , wenigstens nicht zu schämen brauchte. Ich hatte für den überstandenen Arger und die zeitraubende Mühe der Umarbeitungen wenigstens die Genugtuung, daß der Thronfolger mit meinem Aufsatz zufrieden war. Zu dessen Schlüsse hatte er auf den Rand des Druckbogens — die Redaktion hatte ihm die „Fahnen" vorgelegt — seiner Zufriedenheit mit Worten Ausdruck gegeben, die mich, weil sie unter dem unmittelbaren Eindrucke der Lektüre geschrieben und nicht für meine Augen bestimmt waren, doppelt freuten . . , Man wird es nun vielleicht begreifen und mir zugute halten, wenn ich in jenem Wunsche des Thronfolgers eine Ermächtigung gesehen habe, auch das hier vorliegende Bild seines Lebens zu zeichnen. Daß zwischen diesem Lebensbilde und jenem Beitrage für die Festschrift ein großer Unterschied besteht, nicht nur — selbstverständlich — mit Bezug auf den Umfang, das liegt in der Natur der Sache. Auch bei ängstlichster Vermeidimg des byzantinischen Stils war es damals ausgeschlossen, am Thronfolger irgendwelche Kritik zu üben, irgendeinen Schatten in das lichte Bild zu setzen; nicht nur, weil man am künftigen Kaiser des eigenen Vaterlandes keine öffentliche Kritik üben durfte, sondern auch, weil Jubiläumsartikel überhaupt nicht für kritische Betrachtungen geeignet sind. Daß es diesem Buche, das ich jetzt in die Welt hinaussende, nicht erspart bleiben wird, seinen Weg zwischen Scylla und Charybdis hindurch zu nehmen, darüber geb' ich mich natürlich keinen Illusionen hin. Die Gegner Franz Ferdinands, die persönlichen wie die parteilichen, werden darin nur eine Apologie seiner Persönlichkeit sehen und mir Unparteilichkeit schon deshalb absprechen, weil ich aus meiner Sympathie für ihn kein Hehl gemacht habe; seine Anhänger aber, und die Monarchisten überhaupt, werden es mir wahrscheinlich sehr verübeln und meine monarchistische Überzeugung anzweifeln, weil ich in sein Lebensbild auch manchen Schatten gesetzt habe; herrscht in diesen Kreisen doch leider vielfach die ebenso kurzsichtige als verderbliche Ansicht, daß man an Mitgliedern der Dynastie keinerlei Kritik üben dürfe, und dort, wo man nicht loben könne, eben schweigen müsse . . . Im übrigen aber kann ich diesen Kritikern versichern, daß niemand lieber von den Fehlern des Thronfolgers geschwiegen hätte als ich, denn es ist bitter, dort auch Schatten zu sehen, wo man nur Licht
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Vorwort
sehen möchte; aber dann hätten diese Fehler eben nicht vorhanden sein dürfen . . . Es läge für mich nahe, zu sagen, es sei schwer, es allen recht zu machen, aber ich will das auch gar nicht. Ich will nur der bedeutenden, eigenartigen und starken Persönlichkeit gerecht werden, die ich mir hier zum Studium gewählt habe. Daß mir dies selbst im besten Falle nicht ganz geglückt sein kann, dessen bin ich mir bewußt. Der Historiograph erinnert eben in seinem Streben nach absoluter Wahrheit — um einen Vergleich aus der Mathematik zu gebrauchen — an eine Asymptote, eine Linie, die neben einer andern unendlichen Linie herläuft, sich ihr auch immer mehr nähert, sie aber nie erreicht... *
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Zum Schlüsse noch einige sachliche Bemerkungen: Ich habe Erläuterungen und Ergänzungen, die durch ihren zu großen Umfang den Fluß der Darstellung störend unterbrochen hätten, wie üblich, als Anhang nachgetragen; ich habe diese Anhänge aber nicht, wie das sonst Brauch ist, erst zum Schlüsse des Buches gebracht, sondern unmittelbar hinter die Kapitel, zu denen sie ihrem Inhalte nach gehören. Ich glaube dem Leser hiedurch die Lektüre erleichtert zu haben, denn er ist so in der Lage, diese Ergänzungen im immittelbaren Zusammenhange mit dem betreffenden Kapitel zu lesen; während er sonst die Lektüre entweder durch Nachschlagen und Nachlesen unterbrechen müßte oder aber, wenn er dies nicht tun will, erst dann zu diesen Erläuterungen gelangen würde, wenn er längst den Zusammenhang zwischen ihnen und dem Kapitel, das sie ergänzen sollen, verloren hätte. Aus demselben Grunde hab' ich auch die leider unvermeidlichen Anmerkungen als Fußnoten gebracht und nicht erst, alle zusammen, am Schlüsse des Buchs, wo sie der flüchtige Leser gar nicht mehr beachten würde, der gewissenhafte aber nur unter zahllosen lästigen Unterbrechungen der Lektüre berücksichtigen könnte. Archivalische Studien sind bei diesem Buche ausgeschlossen gewesen, denn die Akten des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs sind für Forscher leider nur bis zum Jahre 1894 zugänglich. Franz Ferdinand ist aber erst nach diesem Jahr ins politische Leben hinausgetreten. Der schriftliche Nachlaß des Thronfolgers aber, der versiegelt in diesem Archiv aufbewahrt wird, soll erst 30 Jahre (oder gar 50 ?) nach seinem Tode, das wäre somit erst im Jahre 1944 (oder 1964) der Forschung zugänglich werden. Eine erschöpfende und ganz zu-
Vorwort
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verlässige Geschichte Franz Ferdinands wird man also erst dann schreiben können. Leider konnte ich aber so lange nicht warten, und es wird mir selbst bei Zutreffen der kürzern Frist kaum mehr beschieden sein, mich davon zu überzeugen, wie weit ich in meiner Darstellung der Wahrheit nahegekommen bin. Trotz dieser Unmöglichkeit archivalischen Studiums ist mir aber doch hinlängliches und verläßliches Material zur Verfügung gestanden. Zu besonderem Danke bin ich Ihrer Kaiserlichen Hoheit, der durchlauchtigsten Frau Erzherzogin Maria Theresia, für die große Güte verpflichtet, mit der sie mir, ohne mich persönlich zu kennen, eine beträchtliche Zahl von Privatbriefen ihres verewigten Sohnes, des Thronfolgers, zur Auswahl überlassen hat. Großen Dank bin ich auch Sr. Exzellenz, dem Gesandten a. D. Dr. Friedrich R i t t e r von Wiesner, schuldig; nicht nur, weil mir seine klare, übersichtliche Darstellung des Mordkomplotts in der Zeitschrift „Die Kriegsschuldfrage" ein verläßlicher, leuchtender Ariadnefaden in dem dunkeln, verwirrenden Labyrinth dieser verbrecherischen Machenschaften gewesen, sondern auch, weil er mir überhaupt mit nie versagender Liebenswürdigkeit an die Hand gegangen ist. Ihm, der bekanntlich seinerzeit die erste Untersuchung der Mordtat in Sarajevo an Ort und Stelle geleitet hat, dank' ich auch die drei in meinem Buche veröffentlichten Protokolle, von denen, meines Wissens, bisher nur das mit Graf Harrach aufgenommene teilweise bekannt geworden ist. Auch dem Herrn Hofrat Oberstleutnant Edmund Glaise von Horstenau, General-Staatsarchivar und Direktor des Kriegsarchivs, sprech' ich hier meinen besten Dank für die mir mehrfach bewiesene wertvolle Förderung meiner Arbeit aus. Nicht unerwähnt lassen möcht' ich schließlich auch die von Heim Major A l f r e d von Wegerer ausgezeichnet geleitete, schon vorhin genannte Zeitschrift „Die Kriegsschuldfrage", deren reicher und verläßlicher Inhalt mir in allem, was das Mordkomplott betraf, von großem Werte gewesen ist. Wien, den 20. September 1928.
Der Verfasser.
Inhalts-Übersicht. Vorwort Einleitung Kindheit und Jugend
I. K a p i t e l .
Die Thronfolge-Frage. — Das Vaterhaus Franz Ferdinands. — Seine Lehrer. — Der Erzherzog — Erbe des Hauses Este. — Seine Garnisonen in Oberösterreich, Böhmen und Ungarn. — A n h a n g : Kinderbriefe Franz Ferdinands.
Weltreise und Krankheit
II. K a p i t e l
Zweck der Reise. — Jagdleidenschaft Franz Ferdinands. — Besuch des Tadsch Mahal. — Anblick des Himalaya. — Heimatliebe und österreichisches Fohlen des Erzherzogs. — Amerikanische Eindrucke. — Die Weltreise als Charakterbild des Thronfolgers. — Seine Erkrankung. — Bittere Erfahrungen. — Genesung. — A n h a n g : Briefe Franz Ferdinands aus Ägypten an seine Stiefmutter. III. K a p i t e l .
Die Heirat Franz Ferdinands Ein Heiratsprojekt ? — Der Thronfolger und Comtess« Sophie Chotek. — Sein Kampf um Weib und Krone. — Die Rolle des Weihbischofs Dr. Marschall. — Erzherzogin Maria Theresia als Friedenstifterin. — Triumph des Thronfolgers. — Änderung des habsburgischen Familienstatuts. — Der ungarische Gesetzartikel X X I V vom Jahre 1900. — Die Renuaziation. — Nadelstiche. — Entfremdung zwischen Franz Ferdinand und seinen Brfldern. — Konopischt und BlQhnbach. — Die Besuche des Thronfolgerpaars an auswärtigen Höfen. — Ehrgeizige PlAne der Herzogin von Hohenberg ? — Herzog Max von Hohenberg soll Herzog von Lothringen werden. — A n h a n g : Das habsburgische Familienstatut und die morganatische Ehe des Thronfolgers. — Die Renunziation Franz Ferdinands. — Zwei Briefe Franz Ferdinands Ober seine Ehe. — Briefwechsel zwischen Erzherzogin Maria Theresia und Kaiser Wilhelm, betreffend den Herzog von Hohenberg. IV. K a p i t e l .
Das politische Debüt des Thronfolgers Der Thronfolger als Protektor des Katholischen Schulvereins. — „Los von Rom!" = Los von Österreich! — Die freisinnigen Parteien in Österreich gegen die freie Meinungsäußerung des Thronfolgers. — Franz Ferdinand und die Deutschen. — Seine angebliche Vorliebe für die Tschechen.
Inhalts-Übersicht
XII
V. K a p i t e l .
Wto
Franz Ferdinand und Ungarn
53
Das politische Debüt des Thronfolgers in Ungarn. — Analogie mit dem in Österreich. — Historischer Rückblick auf das Verhältnis zwischen der Dynastie and Ungarn. — Los von Osterreich 1 — Der magyarische Nationalstaat. — Der politische Standpunkt des Thronfolgers den Magyaren gegenüber. — Franz Ferdinand nnd Tisza. — Der Thronfolger und die Nationalitäten in Ungarn. — Franz Ferdinand nnd die ungarische Sprache. — A n h a n g : Der Thronfolger und der Konflikt Körber-Tisza. VI. K a p i t e l . V I . Franz Ferdinand und das österreichische Problem.
. . .
66
Franz Ferdinands Reformpläne. — „Groß-österTeich". — Der Trialismus. — Das politische Testament des Thronfolgers. — A n h a n g : Das Regierangsprogramm Franz Ferdinands. VII. K a p i t e l . Der Thronfolger und die Wehrmacht
106
Nationale Infektionssymptome in der Armee. — Das militärische Ideal Franz Ferdinands. — Sein wachsender Einfluß in Armeefragen. — Sein Kampf um die Einheit der Armee. — Seine besondern Verdienste um die Armee. — Seine militärischen Fähigkeiten. — Die Militärkanzlei des Thronfolgers. — Oberstleutnant von Brosch. — Das Verdienst des Thronfolgers um die Marine. — A n h a n g : Ein Brief Broschs an den Verfasser des Buchs. VIII. Kapitel. Thronfolger und Kaiser
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Gegensätze zwischen ihnen. — Ihr Verkehr miteinander. — Der Kaiser Ober den Thronfolger. — Wachsender Einfluß Franz Ferdinands. — Der Eiertanz zwischen ,,Schönbrunn" und „Belvedere". — Die „große" und die „kleine"' Militärkanzlei. — Die „Belvedere-Partei". — Zeitungspläne. — Besserung des Verhältnisses zwischen Thronfolger und Kaiser. IX. K a p i t e l . Franz Ferdinand und Conrad Wie der Thronfolger Conrad kennenlernte. — Eine bedeutsame Spazierfahrt. — Berufung Conrads als Chef des Generalstabs. — Kampf des Thronfolgers gegen Schönaich und Ahrenthai. — Conrads Rücktritt. — Seine Wiederberufung. — Meinungsverschiedenheiten. — Der Thronfolger und die Affäre Redl. — Tersztyansky als Nachfolger Conrads ? — Konflikt bei den Manövern in Böhmen. — Rücktrittsabsichten Conrads. — Versöhnlicher Brief des Erzherzogs. — Konflikt bei der Völkerschlachtfeier in Leipzig. — Der Thronfolger und Conrad bei den Manövern in Bosnien. — Abschied für immer.
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Inhalts-Übersicht
XIII
X. K a p i t e l .
Der Thronfolger und Italien
Seite
133
Frans Ferdinand, angeblich das Haupt der „Kriegspartei". — Die Legende von der Wiederherstellung des Kirchenstaates. — Österreich-Ungarn und Italien. — Das Komplott Oberdanks gegen Kaiser Franz Josef. — Die Irredenta in Italien. — Die Irredenta in Osterreich. — Die Vogel-StraußPolitik des Grafen Ahrenthai. — Die Wiener Presse and Italien. — Verschärfung der Spannung zwischen der Monarchie and Italien. — Die Zusammenkunft des Zaren und des Königs von Italien in Racconigi ein „erfreuliches Ereignis". — Italienische Rüstungen. — Graf Ahrenthai duldet keine Gegenmaßnahmen. — Konflikt Ahrenthal-Conrad. — Der Thronfolger gegen einen Präventiv- Krieg. — Der unterbliebene Besuch Kaiser Franz Josefs in Rom. — A n h a n g : Das militärische Kräfteverhältnis Österreich-Ungarns and Italiens in ihren Grenzgebieten. XI. Kapitel.
Franz Ferdinand und der Balkan
146
Der Thronfolger gegen einen Krieg mit Serbien. — Sein Verhalten wahrend der Annexionskrise. — Das Drei-Kaiser-Bündnis sein außenpolitisches Ziel. — Der Ausbruch des Balkankriegs ein Dilemma für den Thronfolger. — Die Zusammenkunft in Springe. — Festhalten Franz Ferdinands am Frieden. — Der Thronfolger gegen den Standpunkt Conrads. XII. Kapitel.
Franz Ferdinand und das Deutsche Reich
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Der Thronfolger und Preußen-Deutsc.hland. — Bei den Manövern in Stettin, 1900. — Der Thronfolger und Kaiser Wilhelm. — Gemeinsame Charaktermerkmale. — Ihre Freundschaft. — Herr v. Tschirschky aber den Thronfolger. — Die (zweite) Zusammenkunft in Konopischt. XIII. Kapitel.
Die Großserbische Propaganda und Franz Ferdinand . . . .
167
Franz Ferdinand und die Freimaurer — „Mlada Bosna", „Narodna odbrana" und ..Ujedinjenje ili smrt". — Dimitrijevtf und Tankosi£. — Die Mordattentate in Sarajevo und Agram. — Warum Franz Ferdinand sterben mußte.
Das Mordkomplott
XIV. Kapitel.
179
Seine Entstehung. — Wann? — Wer? — „Jung-Bosnien" oder die „Schwarze Hand" ? — Die Zusammenkunft in Konopischt und die ManOver in Bosnien. — Die Reise der Verschwörer von Belgrad nach Sarajevo. — Das Mordkomplott und die serbische Regierung. XV. K a p i t e l .
Ahnungen — Warnungen — Drohungen Abneigung Franz Ferdinands gegen die Reise nach Bosnien. — Ahnung oder Wissen ? — Drohbriefe ? — Die „Warnung" der serbischen Regierung.
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XIV
Inhalts-Übersicht XVI. Kapitel.
Sdte
Die Reise in den Tod 203 Hemmungen and Vorzeichen. — Der Thronfolger and seine Gemahlin in Sarajevo. — Die Bombe des Cabrinovit. — Die Revolverschüsse Princips. — Tod Franz Ferdinands und der Herzogin von Hohenberg. — Wer trägt die Schuld ? — A n h a n g : Drei protokollarische Zeugenaussagen aber die Attentate auf den Erzherzog-Thronfolger. XVII. Kapitel. Heimkehr 222 Der Kaiser und die Todesbotschaft. — Eindruck der Todesnachricht in der Bevölkerung Österreichs. — Das Echo im Auslande. — Wutorgien der serbischen Presse. — Straßendemonstrationen in Sarajevo. — Der Trauerzug auf der Adria. — Fernbleiben der ausländischen Fürstlichkeiten vom Begräbnis. — Feindschaft Aber das Grab hinaus. — Ein Begräbnis mit Hindernissen. — Nemesis. — Verherrlichung der Mörder in Serbien und der Tschechoslowakei. XVIII. Kapitel. Die Persönlichkeit Franz Ferdinands 231 Franz Ferdinand und Kaiser Josef. — Der Thronfolger und die öffentliche Meinung. — Seine Härte und Willenskraft. — Sein Humor und seine Liebenswürdigkeit. — Seine Abgeschlossenheit und Unvolkstflmlichkeit. — Seine angebliche Unaufrichtigkeit. — Sein Mißtrauen. — Fleißig oder bequem? — Einmütiges Urteil Ober seinen Verstand. — Wäre Franz Ferdinand der Retter des Habsburgerreiches geworden?
Einleitung. Man hat Erzherzog Franz Ferdinand, den ehemaligen präsumtiven Anwärter des habsburgischen Throns, eine Sphinx genannt, weil er der Öffentlichkeit ein Rätsel aufgab, das sie reizte und an dem sie neugierig herumriet, ohne doch die richtige Lösung zu finden. Ist er aber auch wirklich die Sphinx gewesen, als die er der großen Menge erschien ? . . . Für diese wohl, denn sie wußte von seiner seelischen Persönlichkeit nur wenig, und dieses wenige war meist falsch. Für die Menschen aber, die Gelegenheit hatten, ihn aus nächster Nähe kennenzulernen, ist er dies kaum mehr gewesen; um so weniger, als er sich vor ihnen, so ablehnend er sich auch der breiten Öffentlichkeit gegenüber verhielt, in seinen Äußerungen keinen Zwang aufzuerlegen pflegte, sondern, im Gegenteil, einen Freimut bekundete, der nicht selten weiterging, als es für ihn ratsam gewesen wäre. Diese, allerdings nicht eben zahlreichen, Menschen erhielten immerhin genug Einblick in sein Inneres, um sich ein mehr oder weniger zutreffendes Urteil über ihn bilden zu können. Freilich haben sie ihn nur als Thronfolger gekannt, nicht als Herrscher, und Herrscher entsprechen bekanntlich nicht immer den Erwartungen, zu denen sie als Thronanwärter Anlaß gegeben haben. Niemand also kann mit völliger Sicherheit sagen, wie sich Franz Ferdinand gezeigt haben würde, wenn es ihm das Schicksal vergönnt hätte, den ihm bestimmt gewesenen Thron zu besteigen. Diese Frage muß für immer unbeantwortet bleiben, denn er hat dieses letzte Geheimnis seiner Persönlichkeit ins Grab mitgenommen. Insofern also hat die Sphinx keinen ödipus gefunden . . .
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Einleitung
Aber wenn sein Leben auch nur eine Ouvertüre gewesen ist, eine Ouvertüre zu einem Schauspiel, vor dem sich nie der Vorhang heben sollte, so hat diese Ouvertüre doch deutlich alle Motive erkennen lassen, die das Schauspiel, das ihr folgen sollte, bewegt haben würden. Es waren eigenartige, stolze, zuweilen hart klingende Weisen, oft zu einem stürmischen Fortissimo anschwellend und durch schrille Dissonanzen entstellt. Als Leitmotiv aber klang es immer wieder in unerfüllter, leidenschaftlicher Sehnsucht heraus: „O du mein Österreich!"
I. Kindheit und Jugend. Die Thronfolge-Frage. — Das Vaterhaus Franz Ferdinands. — Seine Lehrer. — Der Erzherzog—Erbe des Hauses Este. — Seine Garnisonen in Oberösterreich, Böhmen and Ungarn. — A n h a n g : Kinderbrieie Franz Ferdinands.
Durch das tragische Ende des Kronprinzen Rudolf erfuhr die Thronfolge im Hause Habsburg eine bedeutsame Veränderung. Da er keinen männlichen Leibeserben hinterließ und keinen Bruder hatte, ging sie gesetzmäßig auf den nächstältern Bruder Kaiser Franz Josefs, den Erzherzog Carl Ludwig, über. Zwar hätte das Alter des Kaisers — er zählte damals noch nicht 59 Jahre — , zumal bei seiner außergewöhnlichen Rüstigkeit, die Möglichkeit, noch einen Thronerben zu erzeugen, keineswegs ausgeschlossen; wohl aber das der Kaiserin, die kurz vorher ihr 51. Lebensjahr erreicht hatte; nicht zu gedenken der sonstigen Verhältnisse, die der Erfüllung einer solchen Hoffnung im Wege standen . . . Es muß bei allem Unglück noch als ein Glück für die Dynastie bezeichnet werden, daß Erzherzog Ferdinand Max nicht mehr am Leben war und auch keinen Leibeserben hinterlassen hatte, denn das hätte die Thronfolgefrage in bedenklichster Weise kompliziert. Der Erzherzog, der ja der älteste Bruder des Kaisers gewesen, hatte zwar, bevor er sich die mexikanische Dornenkrone aufs Haupt setzte, ein Dokument unterfertigt, in dem er für sich und seine allenfalls noch kommenden Leibeserben — er war kinderlos — seinem Anspruch auf den habsburgischen Thron entsagte: allein er hatte es nur unter äußerstem Widerstreben, in einer Zwangslage, getan, denn der Kaiser hatte bloß unter dieser Bedingung seine Zustimmung zur Annahme der mexikanischen Krone gegeben1). Wäre er in Queretaro nicht der Rachsucht seines Feindes Juarez und — nicht zuletzt — seinem eigenen brennenden Ehrgeize zum Opfer gefallen und zur Zeit, da Kronprinz Rudolf dem tragischen Verhängnisse seines Hauses erlag, ') E g o n C a e s a r C o n t e C o r t i : „Maximilian und Charlotte von Mexiko", Zürich-Leipzig-Wien 1924, Amalthea-Verlag, I, S. 322. S o s n o i k y , Franz Ferdinand.
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I. Kapitel
noch am Leben gewesen: so würde er sich angesichts der gegebenen Situation kaum still dem damals ausgesprochenen Verzichte gefügt, sondern wahrscheinlich sein Thronfolgerecht als ältester Bruder des Kaisers geltend gemacht und den alten Bruderzwist im Hause Habsburg wieder geweckt haben. Diese Gefahr blieb der Dynastie also erspart und das Thronfolgerecht Erzherzog Carl Ludwigs unangefochten. Nichtsdestoweniger sah man allgemein nicht in ihm den künftigen Herrscher ÖsterreichUngarns, sondern in seinem ältesten Sohne, Erzherzog Franz Ferdinand. Scheinbar ohne Berechtigimg, denn Carl Ludwig hatte keineswegs auf die Thronfolge Verzicht geleistet; aber es wiederholte sich da seltsamerweise eine Erscheinung, die sich schon mehr als ein halbes Jahrhundert früher gezeigt hatte. So wie man zur Zeit Kaiser Ferdinands, da dessen körperlicher Zustand Leibeserben ausschloß, nicht in seinem nächsten Bruder, Erzherzog Franz Carl, den Thronfolger gesehen hatte, sondern in dessen ältestem Sohne, dem Erzherzog Franz (Josef): ebenso erblickte die Öffentlichkeit jetzt den künftigen Kaiser nicht in Erzherzog Carl Ludwig, sondern in seinem Sohne Franz Ferdinand. Vor allem wohl deshalb, weil man beim Kaiser in Anbetracht seiner außerordentlichen Rüstigkeit und Frische eine lange Lebensdauer vorauszusetzen berechtigt war und annahm, daß Erzherzog Carl Ludwig, selbst wenn er ihn überleben sollte, bei seinem — des Kaisers — Tode voraussichtlich schon so bejahrt sein würde, daß er kaum mehr geneigt war, sich mit der schweren Bürde der habsburgischen Kaiserkrone zu belasten. Zudem hielt er sich sowohl der Politik wie dem Militärwesen so fern und beschränkte seine Tätigkeit so ausschließlich auf das Gebiet der Repräsentation und offiziellen Protektion, daß man sich ihn als Herrscher gar nicht vorstellen konnte. So kam es, daß sich die Blicke der Öffentlichkeit auf seinen Sohn, Erzherzog Franz Ferdinand, richteten; und zwar um so neugieriger und erwartungsvoller, als man sich bis dahin um ihn gar nicht gekümmert hatte; war die Möglichkeit, daß er dereinst Thronanwärter werden könne, doch gar nicht in Betracht gezogen worden. Scheinbar auch mit Recht, denn Kronprinz Rudolf war ein junger, lebenslustiger und, seinem Äußern nach, auch lebenskräftiger Mann, dessen Tod in weiter Ferne zu liegen schien und der noch manchen Leibeserben in die Welt setzen konnte. In Kreisen aber, die in sein Leben und Wesen mehr Einblick hatten als die große Öffentlichkeit, dürfte man kaum so zuversichtlich geurteilt haben. Der Umstand, daß aus seiner Ehe im Laufe von nahezu acht Jahren nur ein einziges
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Kindheit und Jagend
Kind hervorgegangen war, die Prinzessin Elisabeth, und daß die Entfremdung der Ehegatten immer größer wurde, hatte zu denken gegeben. Auch der zügellose Lebensgenuß, dem sich der Kronprinz überlassen, war nicht darnach angetan, die Zuversicht zu stärken, daß die direkte Thronfolge durch ihn gesichert sei. Es wäre demnach zu verwundern gewesen, wenn man in eingeweihten Kreisen, vor allem in der Familie des Erzherzogs Carl Ludwig, nicht schon die Möglichkeit erwogen hätte, die Thronfolge könnte dereinst auf Erzherzog Franz Ferdinand übergehen. Selbst der Kaiser, durch unaufhörliche Schicksalsschläge zum Pessimisten geworden, mag zuweilen von der düstern Ahnung heimgesucht worden sein, daß die direkte Thronfolge durch seinen Sohn nicht sichergestellt sei. Mochte dem aber nun sein wie immer: jedenfalls war niemand auf das so frühe und jähe Ende des Kronprinzen gefaßt gewesen, und Erzherzog Carl Ludwig und sein ältester Sohn Erzherzog Franz Ferdinand sahen sich ganz unvorbereitet vor die Thronfolge gestellt. Letzterer, am 18. Dezember 1863 in Graz geboren, entsproß der zweiten Ehe seines Vaters — die erste mit Prinzessin Margarethe von Sachsen war kinderlos geblieben — mit der Prinzessin Maria Annunziata, der Tochter König Ferdinands II. von Sizilien aus dem Hause Bourbon. Er verkörperte in seiner Person somit die Verbindung der zwei vornehmsten Dynastien Europas. Dank dieser Abstammimg vereinigte er in seinen Adern das Blut von 1 1 2 Ahnengeschlechtern, darunter 71 deutschen, 20 polnischen, 8 französischen, 7 italienischen und 6 verschiedenen andern, die in elf Generationen 2047 nachweisbare Ahnen zählten1). Die ersten drei Jahre seines Lebens verbrachte Erzherzog Franz Ferdinand — er wurde nur Franz genannt — in seiner Geburtsstadt Graz, wo sein Vater, vormals Statthalter in Tirol, als Privatmann lebte, nachdem er sich aus dem politischen Leben zurückgezogen hatte. In Graz kam auch der zweite Sohn des erzherzoglichen Paares zur Welt, 21. April 1865, der den Namen Otto (Franz Josef) erhielt. Kurz darauf übersiedelte Carl Ludwig mit seiner Familie nach Wien, wo er ein Haus in der Favoritenstraße erwarb, das, entsprechend umgestaltet, den Wienern, als das „Palais Carl Ludwig" wohlbekannt werden sollte. Hier wurde dem hohen Paar am 27. Dezember 1868 der dritte Sohn geboren, Erzherzog Ferdinand (Carl Ludwig). In diesem neuen Heim verbrachte Erzherzog Carl Ludwig mit seiner l
) Otto F o r s t : „Ahnentafel Seiner Kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Erzherzogs Franz Ferdinand von Österreich-Este", Wien 1910.
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I. Kapitel
Familie seine Tage; im Sommer weilte er auf einer seiner ländlichen Besitzungen; mit Vorliebe in dem ihm von seinem Vater zum Geschenke gemachten Schloß Artstetten, nördlich von Pöchlam in Niederösterreich. Hier war es auch, wo ihm eine Tochter geboren wurde, 13. Mai 1870, Erzherzogin Margarethe (Sophie). Sie sollte das letzte Kind bleiben, das ihm seine Gattin schenkte, denn schon ein Jahr später, 4. Mai 1871, schloß diese, kaum 28 Jahre alt, für immer die Augen. Von zarter Körperbeschaffenheit, vielleicht durch die vier Geburten zu sehr erschöpft, erlag sie der Lungentuberkulose. Durch diesen Verlust abermals seiner Lebensgefährtin beraubt, begab sich Erzherzog Carl Ludwig, der die häusliche Gemütlichkeit nicht missen wollte, zum drittenmal auf die Brautschau und führte diesmal die Prinzessin Maria Theresia von Braganza, Infantin von Portugal, Tochter des vertriebenen Königs Miguel von Portugal, als Gattin heim, 23. Juli 1873. Aus dieser Verbindung entsprossen, um es gleich hier zu sagen, zwei Töchter : die Erzherzoginnen Maria Annunziata, geboren 31. Juli 1876, und Elisabeth, geboren 7. Juli 1878, die beide im Schlosse Wartholz bei Reichenau zur Welt kamen. In diesem Schloß, am Fuße der Raxalpe, das sich Erzherzog Carl Ludwig vom Architekten Ferstel hatte erbauen lassen, verbrachte er fortan mit Vorliebe den Sommer und führte, fern der Politik, ein beschauliches Familienleben, dabei eifrig dem Waidwerke obliegend. Seiner leutseligen, zwanglosen Art wegen erfreute er sich beim Landvolke der Umgebung allgemeiner Beliebtheit, galt aber auch als streng kirchlich gesinnt, als weit strenger denn sein kaiserlicher Bruder. Das war das Milieu, in dem Erzherzog Franz Ferdinand heranwuchs und das in mancher Hinsicht für seine geistige Entwicklung bestimmend wurde. Seine Vorliebe für das Landleben, sein Sinn für die Natur, seine Leidenschaft für die Jagd und, nicht zuletzt, seine streng katholische Gesinnung wurzelten in dieser Umwelt. Die Kinderjahre Franz Ferdinands verliefen, wie eben die eines Erzherzogs zu verlaufen pflegten, so daß hierüber nicht viel Bemerkenswertes zu berichten ist. Die Oberleitung seiner Erziehung wurde dem Grafen Ferdinand Degenfeld anvertraut, dem noch Rittmeister Graf Nostitz und Leutnant Graf Wallis beigegeben wurden. Für den Unterricht in den einzelnen Fächern wurden namhafte Lehrkräfte bestellt: so der Probst und spätere Weihbischof Dr. Godfried Marschall für Religionslehre, der Historiker Dr. Onno Klopp für Geschichte, Dr. Knauer für Naturwissenschaft, Schulinspektor Dr. Knapp für Philologie; zu denen sich später noch Dr. Rittner für Staatswissenschaft und Nationalökonomie gesellte. Besonders die zuerst
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genannten beiden gewannen auf den Prinzen Einfluß. Marschall, ein nichts weniger als zelotischer, geistig hochstehender Priester, der viel in der Wiener Gesellschaft verkehrte, sich wegen seines liebenswürdigen, weltmännischen Wesens großer Beliebtheit erfreute und im Hause des Erzherzogs Carl Ludwig eine besondere Vertrauensstellung genoß; Klopp, im Gegensatze zu diesem freisinnigen Religionslehrer, ein streng klerikaler Interpret der Geschichte, dessen historische Auffassung in seinem Schüler fraglos bleibende Spuren hinterließ. Da Klopp der Ansicht war, daß keines der vorhandenen geschichtlichen Lehrbücher für einen Nachkommen Rudolfs I., Karls V. und Leopold I. geeignet sei, weil keines dem Hause Habsburg hinreichend gerecht wurde, vermittelte er dem Prinzen die Geschichte nicht durch ein Lehrbuch, sondern durch besondere Vorträge, in denen er sie von seinem eigenen Standpunkt aus darstellte. Er hatte dabei die Genugtuung, daß der junge Erzherzog seinem Vortrage mit Aufmerksamkeit und Verständnis folgte und das Gehörte auch mit eigenen Worten wiederzugeben vermochte1). Erzherzog Franz Ferdinand bekundete überhaupt, im Gegensatze zu seinem nächstalten Bruder Otto, einem sehr lebhaften, übermütigen Knaben, einen gewissen Ernst und ein mehr zurückhaltendes Wesen. Trotz dieser Verschiedenheit ihrer Art herrschte zwischen den Brüdern aber ein sehr gutes Einvernehmen. Eine besondere Anhänglichkeit zeigte Franz Ferdinand für seine Schwester Margarethe. Für seine Stiefmutter, die Erzherzogin Maria Theresia, hegte er eine so innige Liebe, als wäre sie seine wirkliche Mutter. Schon als Knabe verriet er jenen leidenschaftlichen Sammeleifer, der später zur Leidenschaft werden sollte.*) Der Tradition der habsburgischen Prinzen folgend, trat der Erzherzog schon in früher Jugend in die Armee. Noch nicht fünfzehn Jahre alt, wurde er am 23. April 1878 zum Leutnant im 32. (ungarischen) Infanterie-Regiment ernannt, das nach Wien verlegt wurde und schon jahrzehntelang den Namen „Este" als den seines Inhabers, des Herzogs von Modena, trug. Daß man für den Erzherzog gerade dieses Regiment gewählt, hatte seinen Grund darin, daß er seit dem Jahre 1875 selber den Beinamen „Este" führte. In diesem Jahre war nämlich der letzte aus seinem Lande vertriebene Herzog Franz V. von *) Aus diesen Vortragen entstand später ein historisches Werk: ,,Politische Geschichte Europas seit der Völkerwanderung", aus dem Nachlasse des Historikers, herausgegeben von Dr. Wiard von Klopp. Siehe den Artikel: „Aus den Aufzeichnungen des Hofrats Dr. Onno Klopp" im „Neuen Wiener Tagblatt" vom i. Juli 1914. *) Siehe Anhang.
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Modena aus dem Hause Österreich-Este gestorben, das damit im Mannesstamme erlosch, und das Erbe war auf Franz Ferdinand übergegangen, der daher auch den Beinamen Este annahm. Im Herbst 1883 wurde der Erzherzog von der Infanterie zur Kavallerie versetzt, und zwar zum 4. oberösterreichisch-salzburgischen Dragoner-Regiment „Erzherzog Albrecht" (später „Kaiser Ferdinand"), das in Enns und Salzburg disloziert war. Die fünf Jahre, die er als Oberleutnant und Rittmeister bei diesem Regimente verbrachte, gehörten zu seinen angenehmsten Erinnerungen, und er gedachte dieser Zeit stets sehr gern. Er war, da er im Lande viel herumkam, damals in Oberösterreich eine bekannte Erscheinung, zumal in der von seiner Garnison Enns nahen Landeshauptstadt Linz, wo man ihn namentlich im Theater oft zu sehen bekam. Mit seiner damals noch jugendlich schmächtigen, hochaufgeschossenen Gestalt, seinem hellblonden Haar, seinen wasserblauen Augen und seiner keineswegs strammen Haltung bildete er einen seltsamen Kontrast zu der militärischen Erscheinung, dem kühnen Gesichte, zigeunerhaften Teint und rabenschwarzen Barte seines ständigen Begleiters, des Kammervorstehers Grafen Leo Wurmbrand, der in seiner Husarenuniform einen charakteristischen Typus altösterreichischer Offiziere darstellte. Niemand hätte in dem weichlich und schlaff aussehenden jungen Manne mit seiner lässigen Haltung den kräftigen, schon zur Beleibtheit neigenden Mann vermutet, der er später wurde, und noch weniger die starke Persönlichkeit, den scharfen Verstand und die eiserne Willenskraft, die, damals noch in ihm schlummernd, sich allmählich offenbaren sollten. Beiläufig bemerkt, war diese schlaffe, kraftlose Haltung auch den Brüdern des Erzherzogs in ihrer Jugend eigen. Auch bei ihnen entwickelte sich ihre äußere Erscheinung erst im Laufe der Jahre zu ihrem Vorteile; besonders bei Erzherzog Otto, mit dessen männlich schöner Erscheinung kein anderer Prinz des Hauses Habsburg wetteifern konnte. Was an den Streichen, die man sich von Franz Ferdinand in seiner oberösterreichischen Zeit erzählte, wahr, was gehässige Übertreibung war, und was auf leichtfertiger Verwechslung mit seinem Bruder Otto beruhte, der selbst als reifer Mann der Fama noch Anlaß zu pikanten Histörchen gab, die dem Ansehen der Dynastie wenig förderlich waren: das bleibe dahingestellt. Sicher ist nur, daß sich Franz Ferdinand im Lande damals keiner Beliebtheit erfreute. Im Herbste des Jahres 1888 wurde der Erzherzog zum Major befördert und als solcher in das erst wenige Jahre vorher errichtete
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böhmische Infanterie-Regiment Nr. 102, „Freiherr von Catty" versetzt, das zu jener Zeit in Prag garnisonierte. Hier war es, wo er schon wenige Monate nach seiner Übersiedlung die Schreckenskunde vom tragischen Tode des Kronprinzen Rudolf erhielt, die ihn mit jähem Griff aus seiner Bahn riß und ihm gebieterisch einen neuen Weg wies, der zur höchsten irdischen Höhe führte, zum habsburgischen Kaiserthrone. Am 29. Januar noch ein Prinz wie alle andern Erzherzoge : einen Tag später Anwärter auf den ältesten Thron Europas! . . Zunächst blieb er noch bei seinem Regiment in Prag, wurde aber im folgenden Jahr, zum Oberst befördert, wieder zur Kavallerie versetzt, und zwar zum Husaren-Regiment Nr. 9 „Graf Nädasdy", das in ödenburg garnisonierte. Zweck dieser Versetzung war offenbar der, ihm Gelegenheit zu bieten, sich mit der ihm bis dahin noch fremden ungarischen Sprache zu befassen. Noch im selben Jahre zum Kommandanten dieses Regiments ernannt, blieb er zwei Jahre in dieser Stellung, fühlte sich aber, im Gegensatze zu seiner Dienstzeit bei dem deutschen Dragoner-Regiment, in dieser Umgebung keineswegs wohl und faßte hier die heftige Abneigung gegen ungarisches Wesen, die ihn seither nicht mehr verlassen sollte.
Anhang. Zu s. 5.
Kinderbriefe Franz Ferdinands. Franz Ferdinand ist als Kind ein ungemein fleißiger Briefschreiber gewesen. In einem seiner zahlreichen Briefe an seine Stiefmutter, Erzherzogin Maria Theresia, weist er mit kindlichem Stolze — er zählte damals noch nicht 15 Jahre — darauf hin, daß er schon 69 Briefe nach Meran geschrieben habe, wo sich seine Familie damals — Frühjahr 1878 — befand. Gewissenhaft teilte er ihr in diesen Briefen seine kleinen Freuden und Leiden mit: von seiner Champignon-Zucht, von seiner Fahrt in einer Esel-Equipage, von seinen Kaninchen; sowie, daß er mit Ausnahme der böhmischen Lektion gut gelernt, daß er ,,leider nicht gut geturnt" habe, aber sich künftig Mühe geben werde, es besser zu machen. Mit Genugtuung verzeichnet er, daß er eine lange Hose, mit Stolz, daß er den Orden vom Goldenen Vließ erhalten, mit noch größerer Freude, daß er zum Leutnant ernannt worden sei. Ein Schluß auf die Wesensart Franz Ferdinands, insbesondere auf die charakteristischen Eigenschaften, die er später an den Tag legte, läßt sich aus diesen Briefen noch nicht ziehen. Sie sind überhaupt kindlicher, naiver, als es Briefe von Knaben über 14 Jahre im allgemeinen wohl zu sein pflegen, zumal in der heutigen Zeit. Das zeigt sich besonders, wenn man sie mit den Aufzeichnungen vergleicht, die Kronprinz Rudolf im selben Alter gemacht hat und aus denen eine unheimliche
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Altklugheit und Unkindlichkeit spricht; befassen sie sich doch mit religiösen, sozialen und politischen Problemen.1) Einer der Kinderbriefe Franz Ferdinands sei unter genauer Beibehaltung der Schreibweise und Interpunktion hier wiedergegeben: „Wien 24. April 1878. Liebe Mama! Ich bitte um Entschuldigung, daß ich jetzt 3 Tage nicht geschrieben habe. Am Ostersonntag habe ich glaub ich Aufgaben gemacht, Ostermontag waren wir in Reichenau und gestern hatte ich Kopfweh und mußte an den Kaiser schreiben, da ich wie du es schon wissen wirst Lieutenant geworden bin. Gestern habe ich die Nachricht erhalten. Ich hätte sollen Oberst im Regt N 32 werden, aber Papa war dagegen u. so bin ich Leutnant geworden in dem Regt. Das Regiment, ein ungarisches, hat das Nro 32 himmelblaue Aufschläge und gelbe Knöpfe. Es rekrutiert sich aus Buda-Pest u. der Staab liegt in Zara. Es ist schon alles bestellt Uniform, Mantel, Csakö, Handschuh, Cravatten, Kuppel, Säbel etc. Jetzt wo ich Dir den Brief schreibe, habe ich lange Hosen an. Über die Partie nach Reichenau werde ich Dir jetzt schreiben. Wir haben um auf 7 Uhr die Messe gehört, dann fuhren wir mit dem Triester Eilzug nach Paierbach, dort kutschierte ich in die Villa 1 ) wo wir den Hrr Vetter*) fanden, dann besichtigte Papa alles in der Villa. Die Capelle ist recht verändert. Der Altar ist etwas größer und ein Tabernakel ist darin. Auch eine Kanzel ist darin und ein Beichtstuhl. In den Glashäusern blüht es schon recht hübsch u. die Kanarienvögel brüten im Glashaus, während die anderen schon im Wald sind. Unterhalb der Volier am oberen Prelatensteig ist ein ganzes Gebüsch von blühenden Rosen, auch eine ganz grüne war dabei. Der Rehbock hat ein merkwürdiges Geweih. Die eine Stange ist regelmäßig, 3 Ender aber bei der anderen hat er sich den oberen Theil abgestoßen und jetzt ist es viel kleiner. Die Hühner und Enten haben eine Menge Eier gelegt. Dann nachdem Papa vieles besichtigt hatte fuhren wir mit Hrr Vetter u. Sekretär (Geheimschreiber) auf den Thalhof. Ich kutschierte. Ein furchtbarer Guß überfiel uns aber ich blieb doch am Bocke sitzen. Im Thalhof aßen wir und dann fuhren wir zurück in die Villa. Auf dem Wege dahin besichtigten wir auch das Haus des Gf. Coreth'), an dem man schon baut. Wieder überfiel uns ein Guß mit Hagel, Blitz u. Donner aber ich blieb am Bocke. In der Villa angekommen hatte der Papa noch mehreres mit dem Sekretär zu besprechen währenddem laß ich. Dann fuhren wir, da das Gewitter sich gelegt hatte, nach Gloggnitz. Hierauf stiegen wir in den Triester Eilzug mit den beiden Herren und zwar in den Salonwagen ein, und rollten nach Wien wo wir spät Abends ankamen. Ich küße Dir die Hand und bleibe D e i n g e h o r s a m s t e r gohn Franz k. k. Lieutenant" Oskar Freiherr von Mitis: Das Leben des Kronprinzen Rudolf, Leipzig 1928, Insel-Verlag, S. 23 f. *) Villa Wartholz bei Reichenau, Besitzung und Sommeraufenthalt des Erzherzogs Carl Ludwig. ') Kaiserlicher Garteninspektor in Schönbrunn. 4 ) Erzieher des jüngsten Bruders Franz Ferdinands, des Erzherzogs Ferdinand Carl.
II. Weltreise und Krankheit. Zweck der Reise. — Jagdleidenschaft Franz Ferdinands. — Besuch des Tadsch Mahal. — Anblick des Himalaya.—Heimatliebe und österreichisches Fohlen des Erzherzogs.— Amerikanische Eindrucke. — Die Weltreise als Charakterbild des Thronfolgers. — Seine Erkrankung. — Bittere Erfahrungen. — Genesung. — A n h a n g : Briefe Franz Ferdinands aus Ägypten an seine Stiefmutter. Im Herbst 1892 wurde Franz Ferdinand zum Generalmajor ernannt. Er konnte sich aber in dieser Stellung zunächst nicht betätigen, denn schon wenige Monate später trat er eine Weltreise an. E s war s e i n Wunsch, diese Reise zu unternehmen, nicht etwa der des Kaisers, der damit zuerst um so weniger einverstanden war, als es im Hause Habsburg nicht Brauch war, daß dessen Prinzen derartige Reisen unternahmen. Allein Franz Ferdinand war — dies zeigte sich hier zum erstenmal deutlich — nicht der Mann, der von dem abließ, was er sich einmal vorgenommen hatte, und die Flinte ergebungsvoll ins Korn warf. Mit zäher Beharrlichkeit verfolgte er sein Ziel und setzte es schließlich auch wirklich durch, daß der Kaiser ihm die Erlaubnis dazu gab. Was ihn dazu bewogen hatte, darüber gibt er im Vorworte zu seinem Reisetagebuche selber Auskunft: „Nicht die Neugierde, welche den Globetrotter um den Erdball treibt; nicht lediglich die Vorliebe für die Jagd, obwohl diese allein für sich in Anspruch nehmen kann, den Reisenden unausgesetzt in unmittelbare Berührung mit ursprünglichem Naturleben zu bringen: nicht der Wunsch, jenseits des Ozeans seltsame Schaugepränge, exotischen Glanz anzustaunen, haben mich bestimmt, fast ein langes Jahr fern von der Heimat zu weilen. Was mich hiezu bewogen hat, ist das Streben gewesen: aus der persönlichen Anschauung anderer Erdteile, aus dem Einblick in fremde Staatsgebilde und Gemeinwesen, aus der Berührung mit fremden Völkern und Menschen, mit ausländischer Kultur und Sitte Belehrung zu gewinnen; aus der Besichtigung wundersamer Werke der Kunst, aus der Betrachtung fremdartiger Natur und ihrer unerschöpflichen Reize Genuß zu schöpfen." 1 ) hier
Es spielte aber noch ein Motiv dabei mit, dessen der Erzherzog nicht Erwähnung tut: seine schwankende Gesundheit, die ') Tagebuch meiner Reise um die Erde 1892—1893, Wien 1896, Hölder.
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namentlich im Hinblick auf das Leiden, dem seine Mutter in so jungen Jahren erlegen war, Besorgnisse erwecken mußte und für das man sich von einer langen Seereise eine günstige Wirkung erhoffte. Am 15. Dezember 1892 schiffte sich der Erzherzog in Triest auf dem Rammkreuzer „Kaiserin Elisabeth" ein, dessen Kommandant der k. u. k. Linienschiffskapitän Alois Ritter von Becker war. Unter den Schiffsoffizieren befand sich auch Erzherzog Leopold Ferdinand, der den Rang eines Linienschiffsleutnants bekleidete. Als Reisebegleiter nahm der Thronfolger seinen Kammervorsteher, den schon erwähnten, seither zum Generalmajor beförderten Grafen Leo Wurmbrand und die Kämmerer Heinrich Graf Clam-Martinic (spätem österreichischen Ministerpräsidenten) und Julius Pronay von T6t-Prona und Blatnicza, Oberleutnant im Husarenregiment Nr. 1 1 , mit. Die Reise ging durch den Suezkanal nach Ceylon, von hier nach Bombay und durch die namhaftesten Städte Vorderindiens in den Bereich des Himalaya — Dardschiling, Nepal —, hierauf von Calcutta wieder zu Wasser nach Singapore, durch den Sunda-Archipel nach Sidney und wieder zurück über Borneo nach Hongkong — Canton und Japan. Von da wurde die Fahrt nach längerem Aufenthalt über den Stillen Ozean nach Nord-Amerika unternommen, und, nach Landung in Vancouver, quer durch den Kontinent fortgesetzt, worauf man von New York aus die Heimreise über den Atlantischen Ozean antrat, ohne Mittel- und Süd-Amerika zu berühren. Am 18. Oktober 1893 traf der Erzherzog wieder in Wien ein. Franz Ferdinand hatte auf dieser Reise ein ausführliches Tagebuch geführt, das einige Jahre nach seiner Rückkehr als Buch erschien. Man hat es bezweifelt, daß er dieses Werk selber geschrieben hatte, und es für eine bloß in seinem Auftrag und in seinem Sinne verfaßte Arbeit angesehen, weil man ihn für nicht fähig oder zu bequem gehalten hat, dies persönlich zu tun. Man hat ihm damit jedoch unrecht getan, ein Unrecht, das er, da er es erfuhr, bitter empfunden haben soll. Als in einer größern Gesellschaft während seines Kuraufenthalts in Meran einmal die Rede auf sein Buch kam, bemerkte er: es ärgere ihn, daß man ihm nicht zutraue, das Buch selber geschrieben zu haben. „Die Leute glauben rein, daß jeder Erzherzog ein Thadädl sein muß 1 )." Ist an seinen ursprünglichen Aufzeichnungen auch manches gefeilt, manches nur Angedeutete erst ausgeführt worden, so ist das Buch doch im Wesen zweifellos sein geistiges Eigentum. Es atmet zu unver') H i e r o n y m u s G r a f O l d o f r e d i : Persönliche Erinnerungen an Erzherzog Franz Ferdinand, „Neues Wiener Journal" vom 25. März 1928.
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kennbar seinen Geist, seine Eigenart mit ihren Vorzügen und ihren Schwächen, um von einem andern verfaßt worden zu sein. Eis ist im Gegenteile für ihn so charakteristisch, daß man es als eine wichtige Quelle für die Erkenntnis und Beurteilung seiner Persönlichkeit ansehen muß, und soll darum hier besondere Beachtung finden. Wäre das Buch in weite Kreise gedrungen, wär' es in der Öffentlichkeit nicht auf Mangel an Interesse gestoßen und auf jenes ablehnende Vorurteil, dem von hohen Herren verfaßte Bücher zu begegnen pflegen: so hätte schon dieses Werk die Öffentlichkeit über die Persönlichkeit des Thronfolgers hinreichend aufklären können. Die korrekte Form, die flüssige Darstellung der Tagebuchaufzeichnungen wollen in dieser Hinsicht nicht viel bedeuten; mögen sie auch zum Teil ein Verdienst des Erzherzogs sein, rühren sie doch wohl zum größern Teile von der glättenden, feilenden Hand der Bearbeiter her, vor allem der seines Lehrers, des Freiherrn Max Wladimir von Beck, des spätem Ministerpräsidenten. Das gilt aber nicht auch für den Inhalt und die Betrachtungen, die darin angestellt werden und die fraglos die geistige Marke des Erzherzogs tragen. Schon der unverhältnismäßig große Raum, den die Jagderlebnisse darin einnehmen, verrät die Autorschaft des Erzherzogs, der auf dieser Reise seiner Jagdleidenschaft schrankenlos frönen konnte, sogar im fahrenden Eisenbahnzuge . . . So wenig diese Massentötung von Tieren besonders solche Leser anmuten kann, die selber nicht Jäger sind, so wird dieser peinliche Eindruck doch dadurch wieder wettgemacht, daß der Erzherzog erfreulicherweise darin auch die verschiedensten andern Interessen bekundete, sowohl naturwissenschaftliche als auch künstlerische, wobei er namentlich in letzterer Hinsicht einen ähnlich leidenschaftlichen Sammeleifer an den Tag legte wie bei seiner Jagdbeute und sich in der Anhäufung der Objekte nicht genugtun konnte. Daß seine Kunstliebhaberei aber keineswegs bloß quantitativer und materieller Art war, sondern auch qualitativer und ideeller, dafür zeugt die hohe Bewunderung, mit der ihn manches Kunstwerk erfüllte und der er in Worten Ausdruck gab, die sich weit über den Durchschnitt konventioneller Phrasen erhoben. Das gilt ganz besonders von dem tiefen Eindruck, den er beim Anbück des Tadsch Mahal, des berühmten Grabdenkmals in Agra, empfand: „Ein marmorner Traum, so steht das Mausoleum Schah Dschehans vor uns. Erhabene Bilder, Vorstellungen, Empfindungen ziehen durch die Seele des Beschauers, der nicht satt wird, zu sehen, daß hier Menschenhand das geschaffen, was uns die kühnste Phantasie kaum vorzuspiegeln vermag. Und
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dabei diese vornehme Ruhe, diese unübertreffliche Harmonie des Ganzen trotz aller Kühnheit der Formen, diese weiße Reinheit des Steines. Keine Statue, kein Bild, kein Altar, noch Teppich ist zu sehen nur Stein und wieder Stein — doch dieser Stein schmückt das Ganze mehr als jede andere noch so köstliche Zier. Es ist, als blühe, lebe, rede der Stein . . ." 1 )
Ehe der Erzherzog Agra verließ, zog es ihn nochmals zu diesem Wunderwerk der Baukunst, das er diesmal am Abend bei künstlicher Beleuchtung sah und das ihn so noch mehr entzückte: ,,In blendend leuchtendem Weiß lag das Juwel orientalischer Baukunst vor mir, dunkel hoben sich die Konturen der Bäume sowie des Zedemhaines ab and ringsum herrschte tiefe Stille der Nacht. Mir war's, als umfächle meine Sinne der Odem des längst versunkenen Jahrhunderts, das in seinem Meisterwerke seine Größe bezeugt. Wir traten in eine der Moscheen und ließen die bengalischen Kerzen zuerst verlöschen und dann wieder anzünden, so daß wir durch das Tor der Moschee den Tadsch wie in einem Rahmen schauten. Da erstrahlten mild wie Mondschein die bengalischen Flammen über dem stolzen Bau, der, als wäre er aus Licht gewoben, zauberhaft emporragte. Ein hinreißender Anblick. Versunken in diesen Genuß, standen wir lange, lange, bis Flamme auf Flamme verloschen und das entzückende Bild in dunkler Nacht entschwunden war . . ."*)
Ebenso empfänglich wie für die Schönheit von Kunstwerken zeigt sich der Erzherzog der der Natur gegenüber. Er fühlt sich angesichts ihrer Erhabenheit und Pracht bis in tiefster Seele ergriffen und weiß dieser Stimmung auch überzeugend Ausdruck zu geben. So z. B. beim Anblick der Himalayakette von Dardschiling aus. Wie gewöhnlich war sie, durch dichte Nebel verhüllt, unsichtbar. Aber für wenige Augenblicke sollte es ihm doch beschieden sein, sie, wenigstens ihre Gipfel, hüllenlos zu sehen: „Gegen Abend ins Hotel zurückgekehrt, stand ich eben im Speisezimmer in Unterhandlung wegen Ankaufs interessanter Gegenstände aus Inner-Tibet, als Kinsky mit der Meldung hereinstürzte, die Berge seien sichtbar. Mit einem Sprung war ich auf der Terasse und genoß nun einige Momente lang eine Aussicht, einen Blick auf das Gebirge, der sich mir für das ganze Leben tief eingeprägt hat. Als hätten die Geister jener Berge Mitleid mit dem Erdensohn empfunden, der aus weiter Ferne hiehergepilgert war, um zu den Füßen der unnahbaren Riesen die Natur in ihrer Herrlichkeit zu bewundern — teilt sich plötzlich der dichte Nebel in den Höhen, und entschleiert liegen im Glänze der sinkenden Sonne ,,die fünf weißen Brüder", der Kantschindschinga vor uns. In scheuer Ehrfurcht nur wagt das Auge sich zu dem Bilde voll Größe, voll Majestät zu erheben, trunken von Entzücken haftet es daran. Eine Wand von Nebel, wie aus den Tälern emporgewachsen, lagert bis hin zu den enthüllten Gipfeln, die auf den Wolken zu thronen scheinen. Ein erstarrtes Kapitel der Geschichte der Erde, blicken die Berge, das Bleibende im Wechsel, in olympischer Ruhe auf Tagebuch I, S. 232. ») Ebenda, S. 246 f.
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das Werden, Blühen und Verderben der Völker — dieser Eintagswesen in den Äonen des Seins — herab. Wenig war mir zu schauen gegönnt; doch das wenige in einer Pracht, daß ich die ganze Größe jenes hehren Anblickes zu ahnen vermochte, den voll zu genießen mir versagt blieb. Wie ein Gefühl der menschlichen Ohnmacht beschlich es mich angesichts der Natur in ihrer Riesengröße — auch der Nüchternste muß sich in Demut beugen und in Begeisterung erheben vor einem Anblicke, wie er mir beschieden gewesen . . . Die Geister der Berge schien es zu reuen, ein menschlich Rühren empfunden und die jungfräulichen Gebirge, auf denen nie der Tritt eines Menschen widerhallt hat, so lange dem Auge des Sterblichen preisgegeben zu haben — die Nebel steigen, werden dichter und dichter, die rosig angehauchten Gipfel verblassen, ihre Konturen verschwimmen, und endlich ist das zauberhafte Bild verschwunden."
Selbst angenommen, diese und manche andere Schilderung im Buche des Erzherzogs wäre stilistisch retuschiert, was aber keineswegs der Fall zu sein braucht: so könnte dies doch nichts an der Tatsache ändern, daß der Mann, der das, was da geschrieben steht, zumindest so empfunden hat. So empfinden kann aber nur ein Mensch, der eines tiefen Gefühls fähig, dessen Gemüt nicht kalt und hart ist, wie es der Erzherzog, wollte man ihn bloß nach seiner Jagdleidenschaft beurteilen, zu sein schien. Noch überzeugender als seine Naturbewunderung spricht dafür seine Liebe zu den Seinen, die sich immer wieder geltend macht, aber nie aufdringlich und posierend. So auch bei dem eben besprochenen Anblick des Himalaya. Er empfand es als „einen bittern Tropfen Wermut im Kelche der Freude", daß seine Lieben an dem herrlichen Anblick, dessen er sich erfreuen durfte, nicht teilhaben konnten. Diese Liebe zu den Seinen ging Hand in Hand mit der zu seiner österreichischen Heimat. Immer wieder klingt sie aus seinen Schilderungen heraus wie ein Leitmotiv. Ganz besonders sind es die österreichischen Alpen, deren Naturschönheiten er in der fernen Fremde mit Liebe und Sehnsucht gedenkt, und nicht nur ihrer stolzen Berge und grünsamtenen, blumenbestickten Matten, sondern auch der Menschen, die in ihren Tälern leben, und der Lieder, die dort gesungen werden. . . . Als er sich in Yokohama von seinem heimatlichen Schiffe, der „Elisabeth", trennen mußte, um die Reise auf einem britischen Dampfer fortzusetzen, und es galt, von der vertrauten, heimatlichen Umgebung Abschied zu nehmen, da vergoß derselbe Mann, der in seiner hemmungslosen Jagdleidenschaft Hekatomben wehrloser Tiere ») Tagebuch I, S. 198t.
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opferte, in tiefer Ergriffenheit, wie er selber gesteht, Tränen. Welch wunderlicher Gegensatz! Seine Liebe zu Österreich war aber nicht nur bloßes Heimatsgefühl, sondern von einem Stolze getragen, der diesem geliebten Lande galt und, mit Freude gepaart, ihm die Brust schwellte, wenn diesem in der Fremde Ehningen zuteil wurden. Wenn er an Bord der „Elisabeth" stehend die Salutschüsse vernahm, mit denen das schöne Schiff beim Anlaufen eines fremden Hafens begrüßt wurde und es als Repräsentant der k. u. k. Kriegsflotte mit wehenden rotweißen Wimpeln, zwischen den Fahrzeugen anderer Nationen hindurch, die aufrauschenden Wogen durchschnitt: dann fühlte er sich keineswegs bloß in seiner Person als kaiserlicher Prinz und künftiger Herrscher der Habsburgischen Monarchie geehrt, sondern mindestens ebenso als Österreicher; denn er war Österreicher nicht nur seiner Geburt und Staatsangehörigkeit nach, sondern auch nach seiner politischen Überzeugung. Er war Österreicher und war stolz es zu sein . . . In Nordamerika, das er in ziemlicher Eile durchquerte, fühlte er sich nichts weniger als wohl. Ein Anhänger der Tradition, ein Freund österreichischer Gemütlichkeit, vermochte er sich mit der voraussetzungslosen, demokratischen Lebensauffassung der Yankees, mit ihren oft ungehobelten und renommistischen Manieren nicht zu befreunden. Aus einem alten Kulturmilieu hervorgegangen, konnte er den protzen- und reklamehaften Schaustellungen einer Parvenükunst keinen Geschmack abgewinnen. Ohne die Großzügigkeit ihrer technischen und merkantilen Leistungen schmälern zu wollen, fühlte er sich in dieser seinem eigenen Wesen durchaus fernliegenden und antipathischen Umgebung angefröstelt und unbehaglich: „Ein Zug ins Großartige ist auch im Charakterbilde der Bewohner der Union nicht zu verkennen, der sich allerdings nicht selten in das Bizarre, das Groteske, ja in das Widerwärtige verzerrt. Die kühnsten Ideen werden im Lande des Felsengebirges und des Niagaras geboren und mit erstaunlichem Geschicke, mit unübertrefflicher Meisterschaft auf dem Gebiete der Technik verwirklicht, heroischer Unternehmungsgeist, freilich oft genug mit beispielloser Rücksichtslosigkeit gepaart, bricht sich immer neue Bahnen, führt zur Erwerbung kolossaler Vermögen, allerdings nicht selten über tausende ruinierter Existenzen hinweg und nicht, ohne daß die Moral trauernd zur Seite stehen mußte; neben bewundernswerten Schöpfungen philanthropischen Geistes tritt krassester Egoismus zutage, der im Nebenmenschen nur ein Objekt der Ausnützung, nicht aber ein fühlendes Wesen erblickt; gewissenhafter Bemühung machen marktschreierische Reklame und unnachahmlicher Humbug jeden Fuß breit des Erfolges streitig, hart neben redlichem Gewerbe wird ein wüster Tanz um das Goldene Kalb aufgeführt, das hier die Gestalt des Dollars angenommen hat; ernstes Streben, geordnete öffentliche Zustände zu schaffen und zu erhalten, wird nur zu oft durch eine die maßgebenden Kreise durchsetzende Korruption wett-
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gemacht, die mitunter selbst den Richterstand ergreift, so daß an Stelle gesicherter Rechtshilfe die der rohesten Form tritt." 1 ) Selbst die Natur, trotz ihrer Großartigkeit, vermochte den Erzherzog in Nordamerika nicht zu fesseln. Die Wunder des Yellowstone-Parks, die Großartigkeit der Rocky-Mountains, das gewaltige Schauspiel des Niagara-Falles fanden in ihm bei aller Bewunderung doch einen kritischen Besucher: „Was ich von der Landschaft Nordamerikas gesehen, die gewaltigen Gebirge, die schaurig eingerissenen Täler, die endlosen Ebenen, die ungeheuern Ströme und Wasserfälle, die Meeren gleich sich weithin erstreckenden Seen, die unermeßlichen Entfernungen, die in ihren letzten Atemzügen noch vernehmbaren, im Erdinnern verschlossenen Elementargewalten — dies alles trägt das unverkennbare Gepräge der Großartigkeit. Doch ist das nicht eine Großartigkeit vom Hauche der Erhabenheit und Poesie umwoben und verklärt, die der Sohn des alten Europas zu schauen gewohnt ist und durch welche die Natur die zartesten Saiten des menschlichen Herzens berührt . . ."*) Mit andern Worten: die heimatlichen Alpen und Bergseen sagten ihm mehr und griffen ihm tiefer ins Herz als die exotischen Schaustücke des Nationalparks und des Niagara. Kein Wunder, daß es ihn unter solchen Umständen sehnsüchtig heimwärts drängte, daß er sich glücklich fühlte, als er in Le Havre wieder den Boden des alten Europa betrat, und noch glücklicher, als er auf der Fahrt nach Wien seine Lieben wieder in die Arme schloß, die ihm bis St. Pölten entgegengefahren waren, und nach zehnmonatiger Abwesenheit, am 18. Oktober 1893, wieder sein geliebtes Wien begrüßen konnte. Tiefe Liebe zur Heimat, starkes österreichisches Vaterlandsgefühl, Verständnis und Liebe zur Natur, lebhaftes, fachmännisches Interesse für alles Militärische; Anhänglichkeit an die Tradition und, im Zusammenhange damit, Widerwille gegen die Demokratie; Abneigung gegen offizielles Phrasentum, höfisches Zeremoniell und jegliche Schaustellung; scharfer kritischer Verstand und sarkastisch getönter Humor: das sind die Merkmale dieses Buchs, in dem sich die geistige Persönlichkeit seines Verfassers schon mit unverkennbarer Deutlichkeit widerspiegelt. *
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So zufrieden der Erzherzog aber auch mit dem ideellen und materiellen Ergebnis seiner Reise sein konnte, so Vieles und Interessantes er dabei gesehen und gelernt hatte; so reich seine Ausbeute an ») Tagebuch II, S. 536. *) Ebenda II, S. 535.
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Sammelobjekten aller erdenklichen Art war: für seine blieb die erhoffte Wirkung aus.
Gesundheit
Zunächst allerdings trat er seinen militärischen Dienst wieder an. I m Frühjahr 1894 wurde er mit dem Kommando der 38. Infanterie-Brigade in Budweis betraut und widmete sich in dieser Stellung seinen dienstlichen Obliegenheiten mit weit mehr Pflichteifer, als es Prinzen in solchen Fällen sonst zu tun pflegen. E r sollte dieses A m t aber nicht lange bekleiden, denn schon im Herbste des folgenden Jahres sah er sich bemüßigt, es aus Gesundheitsrücksichten niederzulegen. Das von seiner Mutter ererbte Lungenleiden machte sich bei ihm in bedrohlicher Weise geltend. E s nötigte ihn, nach dem Süden zu gehen; zunächst nach Meran, dann immer tiefer südwärts, nach Lussin und Ajaccio, schließlich nach Ä g y p t e n . Dort verbrachte er den Winter 1895 auf 96 und begann sich allmählich zu erholen. Dort suchten ihn auch im Frühjahr 1896 seine Eltern auf 1 ). Bei dieser Gelegenheit sollte er seinen Vater zum letzten Male lebend sehen, denn dieser unternahm im Anschluß an die Reise nach Ä g y p t e n einen Besuch der heiligen Stätten in Palästina und holte sich dort durch den Genuß verdorbenen Trinkwassers den Todeskeim. Nach Hause zurückgekehrt, erkrankte er schwer und erlag seinen Leiden am 19. Mai 1896. Franz Ferdinand, der inzwischen ebenfalls nach Europa zurückgekehrt war, aber noch im milden Klima der französischen Schweiz weilte, wurde in Territet von der Hiobspost ereilt, die ihn ans Sterbebett seines Vaters rief, fand diesen aber trotz eiligster Heimreise, nur mehr als Leiche. Durch den Tod Erzherzog Carl Ludwigs wurde Franz Ferdinand, bisher nur präsumtiver Thronfolger, nunmehr auch offizieller. Allein sein schwankender Gesundheitszustand hatte ihn in den Augen weiter Kreise als künftigen Herrscher schon ausgeschaltet. Sie rechneten damit, daß er nie mehr den Thron besteigen werde; sei's nun, weil sie glaubten, sein Leiden werde es ihm unmöglich machen, sich den anstrengenden Regierungsgeschäften zu widmen; sei's, weil sie in ihm schon einen toten Mann sahen. So meinten diese Leute, ihn schon als abgetan betrachten zu können, und wandten sich seinem jüngern Bruder Otto zu, in dem sie schon den künftigen Herrscher sahen. Nicht wenige taten dies in takt- und rücksichtsloser Weise, ja man scheute sich nicht, es öffentlich in Zeitungsartikeln zu tun. E r selber aber dachte nicht daran, auf sein Thronrecht zu verzichten, und wurde darin durch diese vorzeitige Ausschaltung seiner x)
Siebe Anhang.
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Weltreise and Krankheit
Person nur noch bestärkt. Bis zu seiner Erkrankung gewohnt, sich von den Menschen umbuhlt und umschmeichelt, im Mittelpunkt ihres Interesses zu sehen, fühlte er sich jetzt geringschätzig beiseite geschoben und erkannte nunmehr, was er von ihrer Liebe, Ergebenheit und Anhänglichkeit zu halten hatte. Diese Erkenntnis erfüllte ihn mit grimmiger Empörung und legte den Keim zu jenem tiefen Mißtrauen, jener bittern Menschenverachtung, die zu charakteristischen Merkmalen seines Wesens werden sollten. Graf Ottokar Czernin, mit dem er befreundet war, erzählt in seinen Erinnerungen, mit welcher „maßlosen Verbitterung" er ihm gegenüber von den Menschen gesprochen habe, die sich vor ihm derartig enthüllt hatten. Namentlich von solchen, von denen er geglaubt hatte, daß sie ihm besonders ergeben seien; so z. B. vom Minister des Äußern, Grafen Goluchowsky, der versucht habe, den Kaiser zu bewegen, Erzherzog Otto schon bei seinen — Franz Ferdinands — Lebzeiten formell als Thronfolger zu erklären. Czernin berichtet auch von einer bezeichnenden Episode, die ihm von einem „authentischen Zeugen" erzählt worden sei: Als der Erzherzog während seiner Krankheit im Süden weilte, habe er eine ungarische Zeitung in die Hand bekommen, in der in gehässigem, höhnischem Tone von ihm, als von einer erledigten Person, gesprochen wurde. Er sei beim Lesen dieses Artikels „grau" geworden vor Zorn und Empörung und habe dann gerufen: „Jetzt muß ich gesund werden! Jetzt werde ich nur meiner Gesundheit leben, denn ich will gesund werden, um ihnen zu zeigen, daß ihre Freude verfrüht ist 1 )." Und er wurde gesund. Es dauerte allerdings noch eine geraume Weile, denn er mußte sich noch sehr schonen und während der rauhen Jahreszeit den Süden aufsuchen; meist Meran, wo er sich am wohlsten fühlte, weil er Tirol, dessen herrliche Berge und urwüchsige Menschen liebte: aber schließlich genas er und ließ dies alle Welt wissen, zur nicht geringen Bestürzung und Angst derer, die mit seinem Thronverzicht oder seinem Tode gerechnet hatten. Er begann jetzt aus der bis dahin gewahrten Zurückhaltung hervorzutreten und, wie es früher sein Vater getan, dem alternden Kaiser die Repräsentationspflichten abzunehmen. Schon im Jahre 1897 begab er sich als dessen offizieller Vertreter zu den Jubiläumsfeierlichkeiten nach London — 60. Regierungsjahr der Königin Viktoria. 1 ) — Ein Jahr später, 28. März l
) G r a f O t t o k a r C z e r n i n : Im Weltkriege, Berlin 1919, Ullstein, S. 47f.
*) Der Bericht, den der Erzherzog über diese Mission dem Kaiser sandte, verrät seinen scharfen Blick und enthält manche sarkastische Bemerkung Ober die Persönlich-
Sosnosky, Franz Ferdinand.
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II. Kapitel
1898, wurde er „zur Disposition des Allerhöchsten Oberbefehls" gestellt, womit seine Genesung gewissermaßen von Amts wegen bestätigt wurde.
Anhang. Zu S. 16.
Briefe Franz Ferdinands aus Aegypten an seine Stiefmutter. Im Spätherbst 1895 sah sich Franz Ferdinand bemüßigt, wegen seines bedenklich fortschreitenden Lungenleidens von Lussin nach Ägypten zu gehen. Wie unglücklich er sich dort, fern den Seinen, gefühlt hat, geht aus den Briefen an seine Stiefmutter, Erzherzogin Maria Theresia, hervor, für die er eine so innige Liebe empfand, wie mancher Sohn sie nicht für seine leibliche Mutter empfindet, und nach der er sich in seiner seelischen Einsamkeit und Krankheit schmerzlich sehnte. Es klingt wie ein Notschrei, wenn er schon in den ersten Wochen seines Aufenthalts in Ägypten, vor Antritt seiner Nil-Fahrt nach Assuan, aus Cairo (6. Dezember 1895) schreibt: „ . . .Nun komme ich mit einer großen Bitte. Du weißt, was Eltern für einen heilsamen und bändigenden Einfluß auf mich Kranken haben; man hat es ja auf der Mendel gesehen. Nun, sollte ich im Jänner schon wieder einmal recht desperat werden und mich recht nach einer Pflegerin sehnen, so bitte komme auf ein Telegramm von mir her. Laß den dummen Hofball und schicke Miana 1 ) mit einer Dame oder andern Erzherzogin tanzen. . ." Als Erzherzogin Maria Theresia zu Beginn des Jahres 1896 ihrem Sohne ihre baldige Ankunft in Ägypten anzeigt, antwortet er ganz beglückt: „Liebe Mama! Nur 2 Zeilen, da ich Dich Gott sei Dank in wenig Tagen umarmen kann! Was ich diesen ganzen Monat ganz allein in diesem Folterwerkzeug des 19. Jahrhunderts, der Dahabye*), gelitten habe, kann ich nicht beschreiben, ebenso wie meine Sehnsucht nach Dir I Habe Deinen so lieben Brief gestern erst erhalten; werde Dir Alles nach Wunsch m ü n d l i c h o f f e n mitteilen. Tausend Dank für Deine lieben Worte. Nun nur einige Direktiven für Dich, liebe Mama. Ich erwarte Dich nicht mehr in Assuan, sondern in Luxor, dann da ich nicht über Ende Febr. am Nil bleiben soll, da dann die sehr schädlichen ChamsinStürme kommen, so muß ich jetzt schon langsam hinunterfahren, da man ungf. 25—30 Tage hinab braucht. In Luxor bitte Dich mit Miana Dich auf meiner Dahabye einzuschiffen, da wir dann langsam den Nil hinabschwimmen. Für Kammerjungfer ist auch keiten, mit denen er dabei in Berührung kam. — Besonderes Interesse bekundete er bei dieser Gelegenheit für die britische Armee, über die er eine ausführliche, für ihre Einrichtungen nicht eben schmeichelhafte Denkschrift verfaßte. *) Miana ist der vertrauliche Name für die ältere seiner beiden Stiefschwestern, Erzherzogin Maria Annunziata. *) D a h a b y e oder D a h a b t j e : Nil-Schiffe mit Verdeck und Kajüte.
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Platz. Ich schicke Bronn ) und den Doktor, die jetzt im Hotel sind, per Schiff und Bahn etappenweise nach Cairo voraus, so daß mich der Doctor noch 2 mal während unserer Hinabreise sieht, was vollkommen genügt. Durch Deine liebe Anwesenheit wird mir diese tödtend langweilige Fahrt zu einer angenehmen werden. . . Und nun küsse ich Dir die Hände, freue mich rasend auf Deine Ankunft, die mich vor der T o b s u c h t rettet! bleibe Dein treuer Sohn Franzi." 22/1 (ohne Ortsangabe). ') Freiherr von Bronn, Kammervorsteher des Erzherzogs.
ID. Die Heirat Franz Ferdinands. Ein Heiratsprojekt ? — Der Thronfolger und Comtesse Sophie Chotek. — Sein Kampf um Weib und Krone. — Die Rolle des Weihbischofs Dr. Marschall. — Erzherzogin Maria Theresia als Friedenstifterin. — Triumph des Thronfolgers. — Änderung des habsburgischen Familienstatuts. — Der ungarische Gesetzartikel X X I V vom Jahre 1900. — Die Renunziation. — Nadelstiche. — Entfremdung zwischen Franz Ferdinand und seinen Brüdern. — Konopischt und BlOhnbach. — Die Besuche des Thronfolgerpaars an auswärtigen Höfen. — Ehrgeizige Pläne der Herzogin von Hohenberg ? — Herzog Max von Hohenberg soll Herzog von Lothringen werden. — A n h a n g : Das habsburgische Familienstatut und die morganatische Ehe des Thronfolgers. — Die Renunziation Franz Ferdinands. — Zwei Briefe Franz Ferdinands Ober seine Ehe. — Briefwechsel zwischen Erzherzogin Maria Theresia und Kaiser Wilhelm, betreffend den Herzog von Hohenberg.
Franz Ferdinand hatte inzwischen die Mitte der Dreißig erreicht und war noch immer unvermählt. Sein selbständiger, eigenwilliger Charakter mochte sich gegen den Gedanken einer bloßen Konvenienzheirat, wie sie in Herrscherhäusern üblich sind, besonders wenn es sich um einen Thronerben handelt, besonders heftig sträuben und ihn zögern lassen, einen Schritt in dieser Richtung zu tun. Während seiner Brigadierzeit in Budweis scheint übrigens zwischen den Höfen von Wien und London eine Verbindung zwischen ihm und einer Tochter des Prinzen von Wales, spätem Königs Eduard VII., erwogen worden zu sein. Wenigstens berichtet Margutti, damals Generalstabsoffizier bei der Brigade des Erzherzogs, er habe sich gelegentlich des Eintreffens eines Hofbriefes aus Sandringham erlaubt, Franz Ferdinand zu fragen, ob man auf diese Verbindung hoffen dürfe. Der Erzherzog habe hierauf ausweichend geantwortet: „Es wäre wirklich schon höchste Zeit, wenn auch wir wieder daran dächten, durch geeignete Heiraten das Prestige des Kaiserhauses zu heben und hiedurch der Monarchie einen Dienst zu erweisen. Aber eine solche Heirat schwebt noch — wenn sie überhaupt möglich ist, was ich nicht weiß und wissen kann — in so weiter Ferne, daß man besser tut, sich damit jetzt nicht zu befassen1)." Eine Antwort, die auch eine allge*) A l b e r t F r e i h e r r von M a r g u t t i : ,.Vom alten Kaiser", Wien 1921, Leonhardt-Verlag, S. 128 f. — Margutti nennt diese Prinzessin Mary und bezeichnet sie als die älteste Tochter des Prinzen von Wales; was aber auf einem Irrtum seinerseits beruht, denn keine der Töchter des Prinzen von Wales führt diesen Namen.
III. Kapitel: Die Heirat Franz Ferdinands
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meine Mißbilligung der von habsburgischen Prinzen geschlossenen Heiraten enthielt. Sollte ein solcher Plan wirklich bestanden haben, ist er jedenfalls wieder fallen gelassen worden. Die Erkrankung enthob den Erzherzog dann für geraume Weile der Notwendigkeit, die Wahl einer Lebensgefährtin zu treffen . . . Erst seine Genesung erinnerte ihn wieder daran. Und nicht nur ihn, sondern auch die, die sich mit der Hoffnung trugen, den künftigen Kaiser von Österreich zum Schwiegersohn zu haben. Es mögen deren manche gewesen sein, wenn der Thronfolger bei seinem zurückhaltenden Wesen ihnen auch keinen Anlaß zu solchen Hoffnungen gegeben hatte. Mochte es bei den meisten Familien, die dabei in Frage kamen, darum auch mehr Wunsch als Hoffnung sein: in e i n e m Hause glaubte man mit Sicherheit darauf rechnen zu dürfen, daß sich dieser Wunsch auch erfüllen werde. Das war das Haus des Erzherzogs Friedrich, dazumal Korpskommandanten in Preßburg. Erzherzogin Isabella, die Gemahlin des Erzherzogs, eine geborene Prinzessin von CroyDülmen, glaubte die häufigen Besuche des Thronfolgers in ihrem Hause in diesem Sinne deuten und seinem Interesse für die älteste ihrer zahlreichen Töchter, die Prinzessin Maria Christine, zuschreiben zu dürfen. Diese Hoffnung sollte sich jedoch als eine furchtbare Täuschung erweisen, denn die Erzherzogin machte eines Tages die Entdeckung, daß die Besuche des Thronfolgers nicht ihrer Tochter, sondern ihrer Hofdame, der Comtesse Sophie Chotek, galten. Aus allen Himmeln gerissen, in ihrem Ehrgeize grausam getäuscht, wies die leidenschaftliche Frau ihre Hofdame in rücksichtslosester Weise und unter großem Eklat aus ihrem Hause 1 ). In der Öffentlichkeit rief dieses Ereignis natürlich ungeheueres Aufsehen hervor, wurde von der Presse in aller Herren Ländern gierig aufgegriffen und ihren Lesern, mit romantischen oder skandalösen Zutaten versehen, aufgetischt. Für die Liebenden, die sich so plötzlich und so grausam aus dem heimlichen Dämmer ihres Geheimnisses in das grelle Licht der öffentEine ausführliche Darstellung, Wahrheit und Dichtung bunt gemischt, brachte die Pariser Zeitschrift „ L a R e v u e " v o m 5. November 1913. Eine kürzere aber verläßlichere Darstellung bringt der ehemalige Privatsekretär des Thronfolgers P a u l N i k i t s c h - B o u l l e s i n seinem B u c h e , . V o r d e m Sturm", Berlin 1925, Verlag für Kulturpolitik, S. 27ff. — Im vorliegenden Buche näher auf die Umstände dieser Affäre einzugehen, wäre überflüssig, da sie v o m historischen Standpunkt und für die Charakteristik des Thronfolgers belanglos sind.
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III. Kapitel
lichkeit gerissen und die Augen der ganzen Welt mit heißer Sensationsgier auf sich gerichtet fühlten, begann jetzt ein wahres Martyrium. Andere Prinzen hätten sich nun an Stelle Franz Ferdinands wahrscheinlich von dem geliebten Mädchen zurückgezogen und auf den Zwang der Verhältnisse ausgeredet. Nur ganz wenige würden, vor die Wahl gestellt, „Krone oder Herz ?" sich für dieses entschieden und in der Vereinigung mit dem geüebten Weibe Ersatz für den Verzicht auf den Thron gesucht haben: Franz Ferdinand aber war nicht der Mann, die Flinte ins Korn zu werfen. Er dachte weder daran, die Erwählte im Stiche zu lassen, noch war er willens, auf den Thron zu verzichten. Er wollte beides: ein glücklicher Ehemann werden und dazu Kaiser von Österreich. Das schien in diesem Falle freilich unerreichbar und nur eines von beiden möglich. Für seinen Willen gab es aber keine Unmöglichkeit. Unverzagt nahm er den Kampf auf. Es war ein schwerer Kampf, denn er hatte eine schier unübersteigbare Mauer vor sich: die Tradition; und von dieser Mauer starrte ihm eine feindliche Phalanx entgegen; an ihrer Spitze kein geringerer als der Kaiser selber. Wohl war es im Hause Habsburg nichts Neues mehr, daß sich dessen Prinzen unebenbürtige Mädchen zur Gattin erkoren. Es sei nur an Erzherzog Johann, den „Reichsverweser", an dessen Namensvetter, den spätem Johann Orth, an die Erzherzoge Heinrich und Ernst erinnert, die alle tief unter ihrem Stande geheiratet hatten. Aber keiner von ihnen hatte einen Thron zu erwarten, jeder hatte das Recht gehabt, sich als Privatmann zu fühlen. Hier war es jedoch der Thronfolger, der ein Mädchen aus unebenbürtigem Hause heiraten wollte, mochte sie auch aus dem alten Hause der Grafen Chotek von Chotkova und Wognin sein. Das aber bedeutete nichts anderes, als daß die Gemahlin des künftigen Kaisers von Österreich nicht Kaiserin werden sollte; ein Fall, der sich durch staatsrechtliche Komplikationen in Ungarn zum schwersten Konflikt auswachsen und hiedurch den Komplex innerpolitischer Schwierigkeiten, mit dem die Monarchie schon belastet war, noch in bedenklichster Weise vermehren konnte. Es war also nicht nur das hochentwickelte, überaus empfindliche dynastische Traditionsgefühl des Kaisers, das durch die Absicht des Thronfolgers aufs tiefste verletzt wurde, sondern auch sein politisches Verantwortungsgefühl, denn er sah sein Reich von Verwicklungen bedroht, die hintanzuhalten er für seine Pflicht hielt, wenn sie sich auch erst nach seinem Tode einstellen konnten. Derart in doppelter Weise zum Widerstande gespornt, setzte er dem Wunsche des Thronfolgers ein starres, unerbittlich klingendes Nein entgegen.
Herzogin Sophie v. Hohenberg
Die Heirat Franz Ferdinanda
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Die Sache des Erzherzogs schien damit hoffnungslos; aber er selbst gab sie nicht verloren und führte den ungleichen Kampf mit unerschütterlicher Energie und Beharrlichkeit fort. Seine und der Gräfin Chotek Gegner setzten Himmel und Hölle in Bewegimg, sie auseinanderzureißen, eine Kluft zwischen ihnen zu sprengen, über die es keine Brücke mehr geben sollte. Man appellierte bei ihm an sein dynastisches Pflichtgefühl, bei ihr an die Opferfähigkeit ihrer Liebe zu ihm; man schreckte, das läßt sich denken, auch vor Ohrenbläsereien nicht zurück: alles vergebens. Franz Ferdinand bestand auf seinem Willen: die geüebte Frau und die Krone!. . . Eine große Rolle in diesem heißen Kampfe spielte der Weihbischof von Wien, Dr. Godfried Marschall, von dessen Einfluß auf den Thronfolger man sich viel versprach, da er ihm, als sein früherer Lehrer, nicht nur nahe stand, sondern sich auch seiner besondern Zuneigung erfreute. Aber auch der Einfluß dieses klugen und starken Mannes zerschellte ohnmächtig an dem ehernen Willen seines einstigen Schülers. Er verwirkte damit nicht nur dessen Gunst für immer, sondern brachte sich auch, wie hier vorgreifend erwähnt sei, um die Aussicht, dereinst Fürsterzbischof von Wien zu werden; eine Stelle, für dessen sichersten Anwärter er bis dahin gegolten hatte. Als später die Stunde kam, die ihm die Erfüllung dieser Hoffnung bringen sollte, erinnerte sich die Gemahlin des Thronfolgers des Mannes, der ihrem Liebesglück und ihrem Ehrgeiz hindernd in den Weg getreten war, und wußte nun die Erfüllung seines Ehrgeizes zu vereiteln; eine Enttäuschung, die der leidenschaftliche Mann nie mehr verwinden konnte. Auch den Vertrauensmann des Thronfolgers, seinen ehemaligen Jäger und spätem Haushofmeister Franz Janaczek, suchten die Gegner der Heirat für ihre Zwecke zu gewinnen, da sie wußten, wie groß sein Einfluß auf ihn war. Aber der seinem Herrn ganz ergebene Mann hielt allen Versuchungen zum Trotze treu zu diesem1). Zu den verschwindend wenigen Menschen, die dem Thronfolger in seinem schweren Kampfe unwandelbar zur Seite standen, gehörte vor allem seine Stiefmutter, Erzherzogin Maria Theresia. Sie suchte mit weiblichem Takt und weiblicher Klugheit die Schroffheit der Gegensätze zwischen ihm und dem Kaiser, ihrem Schwager, zu mildern und zu vermitteln, und es gelang ihr, den völligen Bruch zwischen ihnen zu verhindern . . . Dank dieser Unterstützung und seiner Unerschütterlichkeit überwand Franz Ferdinand schließlich alle Hindernisse und Wider') N i k i t s c h - B o u l l e s : Vor dem Sturm, S. 27t.
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III. Kapitel
sacher; selbst das starre Nein seines mächtigsten Gegners: des Kaisers. Es mag sein, daß dieser, wäre er noch jünger gewesen, nicht nachgegeben hätte lind dies schließlich nur getan hat, weil er von all dem Leide, das er schon erlitten, und all den Konflikten, die er in seinem Hause hatte durchmachen müssen, schon zu müde geworden war, dem starren Trotze des Thronfolgers gegenüber an seinem Nein festzuhalten. Vielleicht hat auch die Erwägung mitgespielt, daß, wenn Franz Ferdinand etwa doch eher auf den Thron verzichtete als auf das geliebte Weib, an dessen Stelle dann Erzherzog Otto ihn besteigen würde, den er — bei all seiner Abneigung gegen Franz Ferdinand — doch noch für viel weniger geeignet hielt, sein Nachfolger zu werden. Auch der Wunsch, die peinliche Sensation, die diese Angelegenheit schon hervorgerufen hatte, nicht durch einen Eklat noch zu verschärfen, mag dazu beigetragen haben, daß er schließlich doch seine Einwilligung zu dieser Heirat gab. So konnte Franz Ferdinand zu guter Letzt über alle seine Gegner triumphieren. Aber so groß dieser Sieg auch war, man ist doch versucht, ihn einen Pyrrhussieg zu nennen, denn er hatte ihn mit einem schweren Opfer erkaufen müssen: mit einem feierlichen Verzicht, der seine Leibeserben von der Thronfolge ausschloß. Damit nicht genug, ließ der Kaiser das habsburgische Hausstatut durch einen Zusatz ergänzen, der es den künftigen Herrschern seines Hauses unmöglich machen sollte, eine morganatische Ehe durch einen Machtspruch zu einer standesgemäßen zu machen1). Eine überaus bedeutsame Wirkung hatte die Heirat des Thronfolgers in Ungarn. Da das ungarische Gesetz den Begriff der Unebenbürtigkeit für die Gemahlin des Königs von Ungarn nicht kannte, die Gattin Franz Ferdinands dereinst somit Königin von Ungarn geworden wäre, mußte, um den hieraus drohenden Schwierigkeiten im voraus zu begegnen, die Unebenbürtigkeit der Ehe auch dort gesetzlich festgestellt werden. Die ungarische Regierung verstand sich zu dieser Änderung aber nur unter der Bedingung, daß zugleich bestimmt wurde, daß die ungarische Pragmatische Sanktion kein mit Österreich gemeinsames Thron folger echt begründe, da sie ein ausschließlich u n g a r i s c h e s V e r f a s s u n g s g e s e t z sei (Gesetz-Artikel X X I V v. Jahre 1900). Eine Feststellung von außerordentlicher Tragweite für das Verhältnis Ungarns zur Dynastie und zu Österreich, das hiedurch eine neuerliche bedeutsame Lockerung erfuhr. Ergab *) Siehe Anhang Nr. i.
Die Heirat Franz Ferdinands
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sich hieraus für Ungarn doch die Möglichkeit einer Sekundogenitur des Hauses Habsburg, also auch eines besondern Herrschers, sowie eine schwere Erschütterung des Ausgleichsgesetzes, dessen wichtigste Grundlage eben die Pragmatische Sanktion gewesen war. Wenn diese, dem neuen Gesetze zufolge, aber bloß ein ungarisches Gesetz war, dann mußte dies logischerweise auch das Ausgleichsgesetz sein, das damit aufhörte, eine wechselseitige Vereinbarung mit Österreich zu sein und eine einseitige Lösung von seiten Ungarns ermöglichte, sobald diesem eine solche beliebte. Der feierliche Verzicht Franz Ferdinands auf die Thron-Erbfolge seiner künftigen Kinder, die „Renunziatien, fand am 28. Juni 1900 statt 1 ); durch seltsame Fügung des Zufalls sonach an demselben Tage, an dem er, vierzehn Jahre später, zusammen mit der geliebten Frau, um deretwillen er diesen Verzicht beschworen hatte, den tödlichen Kugeln seines Mörders erliegen sollte. Es war, als hätte das Schicksal hiedurch andeuten wollen, daß er damit nicht nur für seine künftigen Kinder auf den Thron verzichtet hatte, sondern auch für sich selber . . . Die Erhebung seiner Gemahlin zur Fürstin von Hohenberg war nur ein schwacher Ersatz für das Opfer dieses Verzichts. Drei Tage später, am 1. Juli 1900, fand im Schlosse von Reichstadt (im nördlichen Böhmen) die Hochzeit des nun endlich vereinigten Paars im engsten Familienkreise statt. Im Gegensatze zu so vielen Liebesheiraten, zumal bei ungleichem Stande der Gatten, erwies sich diese Ehe aber als eine sehr glückliche, sicherlich zum nicht geringen Verdrusse der zahlreichen Feinde, Neider und namentlich Neiderinnen des hohen Paares.*) Schon im folgenden Jahre, 24. Juli 1901, schenkte die Fürstin einem Mädchen das Leben, das nach ihr Sophie getauft wurde. Und abermals ein Jahr später, 29. September 1902, erfreute sie den Thronfolger mit einem Stammhalter, der den Namen Max erhielt, worauf, zwei Jahre darnach, 27. Mai 1904, wieder ein Knabe folgte, Prinz Ernst. Der Thronfolger war seinen Kindern ein ebenso zärtlicher Vater als seiner Gemahlin ein liebevoller Gatte. Es war ein musterhaftes Familienleben, das er führte; und daß es dies nicht etwa bloß nach außenhin war, dafür sprach nichts überzeugender als der Umstand, daß selbst die zahlreichen Feinde des hohen Paars diese Tatsache *) Siehe Anhang Nr. 2. *) Siehe Anhang Nr. 3.
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III. Kapitel
nicht zu bestreiten vermochten, so gern sie's fraglos getan hätten. So viel und so gehässig sich die Fama in der Folge noch mit der Persönlichkeit Franz Ferdinands und seiner Gemahlin befaßte: vor seinem Familienleben machte sie halt. Eine Trübung, und zwar sehr empfindlicher Art, erfuhr das häusliche Glück des Thronfolgerpaares nur durch die fatalen Nachwirkungen der morganatischen Ehe. Es blieb ihm nicht erspart, auch den bittern Bodensatz des Leidenskelches zu leeren, den sie gemeinsam hatten trinken müssen. Auf Schritt und Tritt wurden sie beide daran erinnert, daß sie eine sozial ungleiche Ehe geschlossen hatten. So war es der Fürstin untersagt, ihren Gemahl im Hofwagen zu begleiten oder einer Theatervorstellung in einem der beiden Hoftheater an seiner Seite in der Hofloge beizuwohnen. Ja, selbst in Privattheatern durfte er sie, wenn er diese in ihrer Gesellschaft besuchen wollte, nicht in die Hofloge mitnehmen, sondern mußte sich eine gewöhnliche Loge nehmen. Ebensowenig durfte er mit ihr bei einem Ball erscheinen, dessen Protektorat er übernommen hatte. Der Thronfolger setzte es mit der Zeit aber doch durch, daß man diese aufreizenden Einschränkungen fallen ließ. Aber es blieben trotzdem noch manche andere übrig, gegen die selbst sein starker Wille einstweilen noch nichts vermochte. So mußte die Fürstin — die Gemahlin des künftigen Herrschers! — sich bei Hoffestlichkeiten einer Rangordnung fügen, die ihr einen Platz hinter den jüngsten Erzherzoginnen anwies. Man kann sich vorstellen, wie schwer das Thronfolgerpaar unter diesen fortgesetzten Nadelstichen litt; der Erzherzog bei seinem leidenschaftlichen Temperament, die Fürstin mit ihrem brennenden Ehrgeize. Und ebenso kann man sich denken, wie gut sich beide alle Personen merkten, die dabei die Hände im Spiele hatten. Tief erbittert und nicht gewillt, sich und seine Gemahlin diesen Schikanen mehr als unerläßlich auszusetzen, zog sich der Thronfolger mit den Seinen immer mehr vom Hofe zurück, in dem er — und nicht mit Unrecht — ein feindliches Lager sah, wo man nur darauf sann, ihn zu demütigen und zu kränken. Fand er doch selbst bei seinem Bruder Otto, mit dem er bis zu seiner Heirat so gut harmoniert hatte, kein Verständnis für diese. Derselbe Mann, der mit sich selbst so überaus nachsichtig war und sich im Hinblick auf sein lockeres Privatleben des Rechts begeben hatte, in Liebesangelegenheiten über andere den Richter zu spielen, verurteilte die Heirat seines Bruders so unnachsichtig, daß es zu einer tiefen Entfremdung zwischen ihnen kam. Was die Bevorzugung Ottos, in dem die Hofwelt schon den künftigen Herrscher
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gesehen, während der Krankheit Franz Ferdinands nicht zuwege gebracht hatte — das gute Einvernehmen der beiden Brüder zu trüben — : die Heirat bewirkte es. Beiläufig sei hier gleich des psychologischen Kuriosums gedacht, daß der Thronfolger, als sein jüngster Bruder, Erzherzog Ferdinand, später ein Fräulein Czuber heiratete, die Tochter eines Universitätsprofessors, diese Heirat durchaus verurteilte und nichts zugunsten seines Bruders tat, der diesen Schritt mit dem Verluste seines Ranges als Erzherzog und völliger Ausstoßung aus dem Kaiserhause büßen mußte. Eine Härte, die in Anbetracht seiner eigenen Heirat nur dann begreiflich erschiene, wenn diese Dame tatsächlich kein makelloses Vorleben geführt haben sollte. Andernfalls gibt es für diese Haltung des Thronfolgers nur eine Erklärung: daß in seinen Augen zwischen einem Fräulein Czuber und einer Gräfin Chotek eben ein himmelweiter Unterschied bestand . . Da Franz Ferdinand nicht in der Hofburg wohnte, sondern seine Residenz im „Belvedere" genommen hatte, fiel es ihm nicht schwer, sich vom Hof abzusondern. Die Wahl gerade dieses Schlosses war, beiläufig bemerkt, gewiß keine zufällige. In erster Linie dürfte sie auf die abgeschlossene Lage des Palais und den prächtigen Überblick zurückzuführen sein, den es von seiner Höhe über die Stadt Wien gewährt. Man geht aber kaum fehl, wenn man außerdem auch noch dem historischen Moment dabei eine Rolle zuweist. In diesem Schlosse hatte nämlich einst Prinz Eugen residiert, dessen Schöpfung es auch ist. Der unvergängliche Ruhm des „Edeln Ritters" aber, den dessen Genie an die Fahnen Österreichs knüpfte, muß auf das so österreichisch fühlende Herz Franz Ferdinands einen besondern Zauber ausgeübt haben. Am liebsten aber weilte dieser, ganz fern dem Hofe, in Konopischt, einem vormals fürstlich Lobkowitz'schen Schlosse, das er während seiner Dienstzeit in Böhmen kennengelernt und in ziemlich verwahrlostem Zustande angekauft hatte. Diesen Besitz wandelte er im Laufe der Jahre unter Aufwendung sehr bedeutender Mittel zu einem prachtvollen Fürstensitz um, der in seinem Innern ein wahres Museum barg, da er darin einen Teil seiner Kunstsammlungen aufstapelte. Rings um das Schloß ließ er einen weitläufigen Park anlegen, ein Prachtstück erlesener Gartenkunst, der damit eine Sehenswürdigkeit wurde. In diesem fürstlichen Tuskulum, im Kreise der Seinen, umgeben von seinen Jagdtrophäen und Kunstschätzen, fern l)
N i k i t s c h - B o u l l e s : Vor dem Sturm, S. I5ff.
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III. Kapitel
den Neidern und Feinden des Wiener Hofes, fühlte er sich am wohlsten und weilte er am liebsten. Im Hochsommer pflegte er mit seiner Familie das Schloß Blühnbach im Salzburgischen, unweit von Werfen, aufzusuchen, einen vormals ärarischen Besitz, den er sich zu einem seinen Wünschen entsprechenden Herrensitze umbauen ließ und wo er, in völliger Abgeschlossenheit, nur seiner Familie und der Jagd lebte. Die Strenge, mit der er sich den Besuch neugieriger Touristen vom Leibe hielt, gab bald Anlaß zu Verdrießlichkeiten und trug ihm den Groll touristischer Vereine ein, wobei auch taktlose Mißgriffe untergeordneter Sicherheitsorgane mitgespielt haben dürften. Zudem übersahen die entrüsteten Kritiker dieser Absperrungsmaßnahmen, daß diese auch aus Sicherheitsgründen nicht ungerechtfertigt waren. Wie leicht konnte ein Individuum mit bösen Absichten in der Maske eines harmlosen Bergwanderers die nächste Umgebung des Schlosses ausspähen und ein Attentat vorbereiten oder, wenn sich die Gelegenheit dazu ergab, auch gleich selbst begehen! Daß eine Bewachung des Thronfolgers nichts weniger als überflüssig war, hat ja sein tragisches Ende gezeigt. . . Im Jahre 1905 verlieh der Kaiser der Fürstin Hohenberg den Titel „Durchlaucht", ohne daß dies aber an ihrem Range bei Hof etwas zu ändern vermochte. Erst die Einladung, die das Thronfolgerpaar, also auch die Fürstin, vom rumänischen Königspaar zu einem Besuch in Sinaia erhielt, legte Bresche in die starre Wand, die sich bis dahin zwischen ihr und den fremden Höfen aufgetürmt hatte. Eine Einladung, die wohl auf die Initiative der Königin Elisabeth zurückzuführen sein dürfte. Ihr romantischer Sinn nahm offenbar an dem Schicksal des Thronfolgerpaares, das seine Vereinigung mit so schweren Kämpfen hatte erringen müssen, lebhaften Anteil, und ihr Zartgefühl drängte sie, die peinliche Lage der Fürstin zu erleichtern, so weit das in ihrer Macht stand, und damit den Bann zu brechen, der diese bis dahin für die europäischen Höfe offiziell nicht hatte vorhanden sein lassen. König Carol aber, dessen kühl-nüchterner Verstand diese sentimentalen Beweggründe seiner Gemahlin kaum geteilt haben dürfte, mochte dieser Einladung dennoch zugestimmt haben, weil er im Thronfolger einen Anwalt des rumänischen Volkes gegenüber dem magyarischen Nationalismus sah und schätzte, dessen Freundschaft ihm, zumal im Hinblick auf die Zukunft, sehr wertvoll erschien. Franz Ferdinand und seine Gemahlin kamen der Einladung mit Freuden nach, und er empfand es nach so viel bittern Zurücksetzungen
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als wohltuende Genugtuung, daß die Fürstin mit solcher Liebenswürdigkeit und Auszeichnung empfangen wurde, als wäre sie seine ebenbürtige Gattin. Wenige Monate später — Oktober 1909 — und offenbar im Zusammenhange mit diesem Besuche, wurde die Fürstin von Kaiser Franz Josef zur Herzogin erhoben und erhielt das Prädikat „Hoheit"; eine Standeserhöhung, die den Thronfolger mit lebhafter Freude erfüllte 1 ). Nicht ganz so ungetrübt verlief der Besuch des Thronfolgerpaars in Berlin. Kaiser Wilhelm allerdings in seiner impulsiven Art und, wenn er wollte, bestechenden Liebenswürdigkeit, behandelte die Herzogin mit größter Auszeichnung. Die Kaiserin jedoch ließ sie den Standesunterschied immerhin fühlen. Im Jahre 1910 sollte der Thronfolger in Vertretung des Kaisers zu den Feierlichkeiten anläßlich der Krönung König Georgs nach England reisen. Er gedachte dies in Begleitung seiner Gemahlin zu tun. Graf Albert Mensdorff-Pouilly, der k. u. k. Botschafter am englischen Hofe, sollte dies vermitteln. Aber wiewohl der Graf dort auf das allerbeste akkreditiert war — er stand in verwandtschaftlichem Verhältnis zum englischen Königshause —, gelang es ihm dennoch nicht, dem Wunsche des Thronfolgers zur Verwirklichung zu verhelfen. Man bedeutete ihm mit größter Höflichkeit, es würden überhaupt nur die Monarchen und deren Vertreter zu den Festlichkeiten geladen, nicht auch deren Damen. Ob diese Maßnahme tatsächlich schon bestanden hatte oder erst getroffen wurde, um dem Refus alles Kränkende zu nehmen, sei dahingestellt*). Jedenfalls fühlte sich der Thronfolger dadurch nicht ernstlich gekränkt, wenn er das eigentliche Motiv dieser Ablehnung auch kaum verkannt hatte; denn zwei Jahre später begab er sich abermals nach England, und zwar mit seiner Gemahlin, diesmal nicht in offizieller Form, sondern inkognito, als Graf und Gräfin von Artstetten; ein Besuch, zu dem die Blumenausstellung in London einen durchaus plausibeln Vorwand gab, da der Thronfolger ein leidenschaftlicher Blumen- und Gartenfreund war. Bei dieser Gelegenheit kam es dann auch zu einer ganz privaten Begegnung mit dem englischen Königspaar und der KöniginWitwe. Damit war das Eis gebrochen, und im Spätherbst 1913 erhielten der Thronfolger und seine Gemahlin eine offizielle Einladung zu den *) N i k i t s c h - B o u l l e s : Vor dem Sturm, S. 32. ') Ebenda, S. ¡ ¡ S f .
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III. Kapitel
Jagden nach Windsor. Auch dort war es, ganz so wie früher in Berlin die Kaiserin, die Königin, die bei aller Liebenswürdigkeit des Empfanges eine gewisse Reserve beobachtete und hiedurch in die Freude und Genugtuung des Thronfolgerpaars einen Tropfen Bitterkeit träufelte. •
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Die Heirat Franz Ferdinands bedeutete für alle Welt einen wichtigen Aufschluß über seinen Charakter, über den sich die breite Öffentlichkeit bis dahin nur in vagen, gehässig gefärbten Vermutungen ergangen hatte. Sie verriet den unbeugsamen Willen und die unbeirrbare Beharrlichkeit, die in ihm lebten und zwei Haupteigenschaften seines Charakters bildeten. Die unwandelbare Treue, mit der er an der Erwählten seines Herzens festgehalten, die stolze Unerschrockenheit, mit der er einer Welt von Feinden entgegengetreten war; die mächtige Energie, mit der er um ihren Besitz gerungen: gereichten seinem Charakter zu größter Ehre und zeigten ihn als ganzen Mann. Dennoch kann man den Stimmen nicht unrecht geben, die diese Heirat tadelten und als schweren Fehler bezeichneten. Wenn der Thronfolger den Besitz der geliebten Frau höher eingeschätzt hätte als den der Kaiserkrone und auf diese verzichtet hätte, um als Privatmann nur seinem häuslichen Glücke zu leben: es hätte letzten Endes niemand das Recht gehabt, ihn deshalb zu tadeln; es wäre eben der Beweis gewesen, daß er dem Herzen den Vorrang vor dem Verstände gab, daß er vorzog, nur Mensch zu sein statt Herrscher. Und es hätte sich auch rechtfertigen lassen, wenn er das Umgekehrte getan und auf das Weib seiner Liebe zugunsten der Krone verzichtet hätte. Er würde damit nur bekundet haben, daß er seine Pflicht als künftiger Herrscher höher bewertete als seine Liebe zu einem Weibe: daß er aber weder auf dieses noch auf die Krone verzichten wollte, das war, wenn auch menschlich durchaus begreiflich, doch ein Wagnis, das, im Hinblick auf die ohnehin schon so komplizierten politischen Verhältnisse der Monarchie und ganz besonders mit Rücksicht auf die staatsrechtliche Sonderstellung Ungarns, zu gefährlichen Konflikten führen k o n n t e , wenn auch nicht mußte. Hiezu kam noch, daß alle Welt in den Ernst seines Thronverzichts für seine Kinder Zweifel setzte. Hatte er diesen Verzicht auch eidlich beschworen und erschien es auch ausgeschlossen, daß er bei seiner strengen Religiosität diesen Eid brechen werde: so hielt man es doch für wohl möglich, daß er Mittel und Wege finden würde, ihn auf legalem Wege mit Hilfe des Papstes außer Kraft zu setzen. Wenn er dies vielleicht auch nicht aus eigener Initiative tun mochte, so würde er dazu
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doch von seiner Gemahlin bewogen werden, deren Ehrgeiz nicht ruhen werde, bevor sie sich Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn nennen dürfte, zumindest aber, bis sie ihrem Sohne die Thronanwartschaft gesichert habe. Eine Ansicht, die auch der frühere Lehrer Franz Ferdinands, der Weihbischof Dr. Godfried Marschall, teilte, dessen hier schon Erwähnung getan worden ist. Dieser habe, so erzählt Margutti, ihm gegenüber seiner Überzeugung Ausdruck gegeben, daß die Herzogin von Hohenberg ihren Gemahl mit der Zeit dazu bringen werde, ihren Kindern den Weg zum Throne zu ebnen. Als Margutti seinen Zweifel geäußert habe, daß es so kommen werde, habe der Bischof ihn erregt unterbrochen: „Da irren Sie sich aber gewaltig! Die Aspirationen dieser Frau sind himmelstürmend, und ihre ungewöhnliche Intelligenz wird sie schon die Mittel finden lassen, um dieselben noch zu verwirklichen. Es ist wahrhaftig ein Glück, daß man nicht weiß, was alles in ihrem Kopfe vorgeht; wie sie aber an Hohes denkt, beweist am besten die Tatsache, daß sie fortwährend urbi et orbi behauptet, es sei ihr für die Monarchie eine der bedeutungsvollsten Missionen zugefallen. Sie sagt, gerade ihr persönlich sei eine große Sendung für das Habsburgische Reich zugedacht 1 )." So Bischof Marschall. Und wie er, haben fraglos viele gedacht. Vielleicht haben sie auch recht gehabt ? Aber wenn auch! Welche Mutter vermöchte reinen Herzens einen Stein auf eine Frau zu werfen, wenn diese alles daran setzte, ihren Sohn zum Kaiser von Österreich zu machen, sobald sie dazu irgendeine, auch nur entfernteste Möglichkeit sah ? . . . Wie immer dem auch sein mochte: das Thronfolgerpaar hat das Geheimnis dieser Frage ins Grab mitgenommen. Daß Franz Ferdinand, zunächst wenigstens, nicht daran gedacht hat, sich seines Eides zu entledigen, geht daraus hervor, daß er sich, wie erst lange nach seinem Tode bekannt wurde, mit dem Wunsche getragen, seinem ältesten Sohne Max einen, freilich nur bescheidenen, Ersatz für den Habsburgischen Thron zu bieten: nämlich den eines Herzogs von Lothringen, der zu diesem Zweck allerdings erst hätte geschaffen werden müssen; wobei er offenbar auf seine guten Beziehungen zu Kaiser Wilhelm hoffte, auf dessen Zustimmung es dabei vor allem ankam. Nach seinem Tode nahm seine Stiefmutter, Erzherzogin Maria Theresia, die ihre Liebe zu ihm auch auf seine Kinder übertragen hatte, diesen Gedanken wieder auf und trat während des Kriegs, im Jahre 1916, an Kaiser Wilhelm mit der Bitte heran, ') F r h . v. M a r g u t t i : Vom alten Kaiser, S. 140f.
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III. Kapitel
diesem Wunsch ihres verewigten Sohnes zur Erfüllung zu verhelfen. Sie erfuhr jedoch eine entschiedene Ablehnung1). *
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Franz Ferdinand war durch seine Heirat aus dem geheimnisvollen Halbdunkel getreten, in das gehüllt die Öffentlichkeit bis dahin seine Gestalt gesehen hatte; ein Halbdunkel, mit dem er sich teils durch seine zurückhaltende Art selbst umgeben hatte, teils durch sein langes Kranksein umgeben worden war. Noch war sie freilich, als diese Ehe zustande kam, weit davon entfernt, sein Wesen richtig zu erkennen; aber jedenfalls wußte sie von nun an, daß sie es in Franz Ferdinand mit einem Manne zu tun hatte, der, ganz und gar kein Durchschnittsprinz, nicht nur wußte, was er wollte, sondern auch der Mann war, seinen Willen zur Tat werden zu lassen. Daß er dies keineswegs bloß in seinen persönlichen Angelegenheiten war, sondern auch auf dem Gebiete der Politik, das sollte die Welt sehr bald und in nachdrücklichster Weise erfahren . . .
Anhang. i. Zu S. 24.
Das habsburgische Familienstatut und die morganatische Ehe des Thronfolgers. Da das kaiserlich österreichische Familienstatut aus dem Jahre 1839 im § 1 ausdrücklich festsetzte, daß das „Allerhöchste Erzhaus" nächst dem Kaiser, als dessen Oberhaupte, aus d e s s e n G e m a h l i n , den etwa noch lebenden Witwen seiner Regierungsvorfahren, den Erzherzogen und Erzherzoginnen bestehe, w ä r e d i e H e r z o g i n v o n H o h e n b e r g , sobald Franz Ferdinand den Thron bestiegen hätte, a l s „ G e m a h l i n des K a i s e r s " , t r o t z i h r e r u n e b e n b ü r t i g e n H e r k u n f t , a u t o m a t i s c h M i t g l i e d des E r z h a u s e s g e w o r d e n . Damit wäre aber eine Handhabe geboten gewesen, sie auch zur Kaiserin zu l ) Der Wortlaut dieses Briefwechsels ist am 9. August 1928 auszugsweise im „Berliner Tageblatt" veröffentlicht worden. Siehe Anhang Nr. 4. — V i c t o r Naumann hat hiervon schon froher in seinem Buche P r o f i l e , München 1925, Duncker & Humblot, S. 179 ff. Mitteilung gemacht und dabei die brüske Form bedauert, in der Kaiser Wilhelm seine Absage gefaßt habe. Die Erzherzogin habe sie ihm gezeigt; der Brief sei mit der Maschine geschrieben und „höchstens sechs Zeilen lang" gewesen. Letzteres trifft jedoch, wie aus der Veröffentlichung seines Wortlautes hervorgeht, nicht zu.
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machen, was aber dem Geiste des Familienstatuts widersprochen hätte. Um einer solchen Interpretierung vorzubeugen und diesen bedenklichen Widerspruch zwischen Sinn und Wortlaut des Paragraphs zu beseitigen, veranlaßt« Kaiser Franz Josef einen Zusatz zum Familienstatut, der vom 12. Juni, also 18 Tage vor der Eheschließung Erzherzogs Franz Ferdinands datiert, folgenden Wortlaut hatte: „Nachdem im Titel I, § 1 des Familienstatuts die Anordnung getroffen ist, daß die standesgemäße, vom jeweiligen Allerhöchsten Familienoberhaupte genehmigte Ehe eine Grund- und Vorbedingung ist, damit die aus einer solchen ehelichen Verbindung stammenden Sprossen als zu dem allerhöchsten Erzhause gehörig angesehen werden und demgemäß in den Genuß der den Mitgliedern desselben zustehenden Rechte, Vorzüge, Ehren, Titel, Wappen usw. gelangen können, so erklären Wir hiemit, daß als standesgemäße Ehen in Hinkunft diejenigen anzusehen sind, welche Mitglieder Unseres durchlauchtigsten Erzhauses 1. mit einem Mitgliede des Allerhöchsten Erzhauses eingehen, 2. mit Mitgliedern eines anderen christlichen, gegenwärtig oder vormalig souveränen Hauses oder 3. mit Mitgliedern solcher fürstlichen Häuser abschließen, denen nach Artikel X I V der deutschen Bundesakte und nach dem von weiland Seiner Majestät dem Kaiser Franz I. erlassenen Handschreiben de dato Preßburg, 17. September 1825, das Recht der Ebenbürtigkeit zusteht und welche in dem Unserer gegenwärtigen Erklärung angehefteten Verzeichnisse namentlich angeführt sind. Dabei ist vorausgesetzt, daß die Personen, mit welchen Mitglieder Unseres Hauses sich vermählen, aus Ehen stammen, welche nach den Hausgesetzen der betreffenden höchsten oder hohen Familien, oder in Ermanglung solcher Bestimmungen nach den in gegenwärtiger Erklärung des Näheren ausgeführten Grundsätzen Unseres Hausgesetzes als standesgemäß gelten. Ehen zwischen Mitgliedern Unseres Hauses und Mitgliedern eines fürstlichen Hauses, welchen nach Artikel X I V der deutschen Bundesakte und in Gemäßheit des obenerwähnten Handschreibens Unseres in Gott ruhenden Herrn Großvaters das Recht der Ebenbürtigkeit zusteht, gelten nur dann als standesgemäß, wenn entweder auch nach dem Familienstatut dieses fürstlichen Hauses die Ebenbürtigkeit eine Voraussetzung für eine standesgemäße Ehe ist, oder, wenn bei Ermanglung einer solchen statutarischen Bestimmung das Mitglied des fürstlichen Hauses, mit welchem ein Mitglied Unseres durchlauchtigsten Erzhauses sich ehelich zu verbinden die Absicht haben sollte, die Ritter-, Turnier- und Stiftsmäßigkeit des Adels seiner Geburt durch die Abstammung von acht väterlichen und ebensovielen mütterlichen Ahnen, dann von dem in den fünften Grad eingehenden Elternpaare der beiderseitigen direkten Linie zu erweisen und auf Seite der zwei männlichen Aszendenten im fünften Grade zum mindesten einen drei Jahrhunderte ununterbrochen währenden Adelsbesitzstand sowie bei den übrigen sechzehn adligen Geschlechtern das Dasein der Ritterbürtigkeit strenge nachzuweisen vermag. Alle anderen Eheschließungen können nicht als standesgemäße Ehen angesehen werden. Dieselben gelten nur als Ehen zur linken Hand oder sogenannte morganatische Ehen und kommen diesen Ehen die Wirkungen der standesgemäßen Ehen nicht zu. S o s n o s k y , Franz Ferdinand.
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Diese Bestimmungen sind auch für die von dem Oberhaupte Unseres durchlauchtigsten Erzhauses einzugehenden Ehen maßgebend." Veröffentlicht im „Neuen Wiener Journal" vom 7. Juni 1928. II. Zu S. 25.
Die Renunziation Franz Ferdinands. Am 28. Juni 1900 legte der Erzherzog-Thronfolger in der Hofburg in Gegenwart des Kaisers, sämtlicher Erzherzoge, aller Minister und der höchsten Hofund Staatswürdenträger einen feierlichen Eid ab, in dem er für seine präsumtiven Nachkommen auf das Recht der Thronfolge in Österreich-Ungarn Verzicht leistete. Diese Erklärung hatte folgenden Wortlaut: „Wir, Erzherzog Franz Ferdinand Karl Ludwig Josef Maria von österreich-Este, erklären es als unsera festen und wohlerwogenen Entschluß, uns mit der hochgebornen Gräfin Sophie Maria Josefina Albina Chotek von Chotkowa und Wognin, Dame des hochadeligen Sternkreuzordens und Tochter des verstorbenen Geheimen Rates, Kämmerers und Obers tstabelmeisters Seiner kaiserlich und königlich Apostolischen Majestät Bohuslaw Grafen Chotek von Chotkowa und Wognin und dessen gleichfalls in Gott ruhender Gemahlin Gräfin Wilhelmine, gebornen Gräfin Kinsky von Wchinitz und Tettau, Sternkreuzordens- und Palastdame, ehelich zu verbinden. Zu dieser ehelichen Verbindung haben wir in Beobachtung der seit alters her in dem durchlauchtigsten Erzhaus bestehenden Observanz und der Bestimmungen der uns bindenden Hausgesetze die Einwilligung Seiner kaiserlich und königlich Apostolischen Majestät, des glorreich regierenden Kaisers und Königs Franz Josef I., unsres erhabenen Oheims, als des durchlauchtigsten obersten Hauptes des gesamten Erzhauses, erbeten und eingeholt und haben Se. Majestät geruht, uns dieselbe als einen neuen Beweis Allerhöchstihrer gnädigen und wohlwollenden Gesinnung zu erteilen. Bevor wir aber zur Schließung des ehelichen Bundes schreiten, fühlen wir uns veranlaßt, unter Berufung auf die obenerwähnten Hausgesetze des durchlauchtigsten Erzhauses, deren Bestimmungen wir noch ganz besonders im Hinblick auf die gegenwärtige, von uns einzugehende Ehe vollinhaltlich anerkennen und als bindend erklären, festzustellen, daß unsre Ehe mit Gräfin Sophie Chotek nicht eine ebenbürtige, sondern eine morganatische Ehe ist und als solche für jetzt und alle Zeiten anzusehen ist, demzufolge weder unsrer Frau Gemahlin noch den mit Gottes Segen aus dieser Ehe zu erhoffenden Kindern und deren Nachkommen jene Rechte, Ehren, Titel, Wappen, Vorzüge usw. zustehen und von denselben beansprucht werden können und sollen, die den ebenbürtigen Gemahlinnen und den aus ebenbürtiger Ehe stammenden Nachkommen der Herren Erzherzoge zukommen. Insbesondere erkennen und erklären wir aber noch ausdrücklich, daß unsern aus oberwähnter Ehe stammenden Kindern und deren Nachkommen, nachdem dieselben nicht Mitglieder des Allerhöchsten Erzhauses sind, ein Recht auf die Thronfolge in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern und somit auch im Sinne der Gesetzartikel 1723, I und II,
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in den Ländern der ungarischen Krone nicht zusteht und selbe von der Thronfolge ausgeschlossen sind. Wir verpflichten uns mit unserm Worte, daß wir gegenwärtige Erklärung, deren Bedeutung und Tragweite wir uns wohl bewußt sind, als für alle Zeiten sowohl für uns wie für unsre Frau Gemahlin und unsre aus dieser Ehe stammenden Kinder und deren Nachkommen bindend anerkennen und daß wir niemals versuchen werden, diese unsre gegenwärtige Erklärung zu widerrufen oder etwas zu unternehmen, welches darauf hinzielen sollte, die bindende Kraft derselben zu schwächen oder aufzuheben. Zur Bestätigung gegenwärtiger, in zwei Exemplaren auszustellender Erklärung haben wir diese Urkunden eigenhändig gefertigt und mit unserm erzherzoglichen Insiegel versehen lassen. Gegeben zu Wien, am 28. Juni 1900." III. Zu S. 25.
Zwei Briefe Franz Ferdinands über seine Ehe. Die im folgenden wiedergegebenen Briefe des Thronfolgers können als klassische Dokumente für das innige Glück angesehen werden, das er in seiner Ehe mit der Herzogin von Hohenberg gefunden hat. Der erste Brief, am 9. Juli 1900, also acht Tage nach der Heirat, geschrieben, könnte freilich bloß als der überschwengliche Ausdruck der damals noch in vollster Blüte stehenden Flitterwochenstimmung angesehen werden und würde, allein, gar nichts beweisen; aber der mehr als vier Jahre später datierte Brief vom 23. September 1904 atmet dasselbe häusliche Glück und zeigt, daß das im ersten Brief ausgesprochene Vorgefühl des Thronfolgers, daß sein eheliches Glück von Dauer sein werde, vollauf berechtigt gewesen war. Aus beiden Briefen aber spricht wieder die innige Liebe zu seiner Stiefmutter, noch verstärkt durch die tiefe Dankbarkeit, die er für sie hegte; war es, letzten Endes, doch sie gewesen, die ihm zu diesem Glücke verholfen und den völligen Bruch zwischen ihm und dem Kaiser hintangehalten hatte. 1. „Liebste Mamal Endlich bißl in Ruhe gekommen nach Beantwortung zahlloser Telegramme — Briefe — nach Einrichtung unserer Wohnung und Auspackung aller Sachen von Sophie ist es mir Erstes Dir einige Zeilen zu schreiben und Dir in meinem und Sophies Namen auch noch schriftlich von ganzem Herzen zu danken für all die unbeschreibliche Güte und Liebe die Du uns in Reichsstadt bewiesen hast I Wir sind Dir bis an unser Lebens-Ende dankbar für Alles was Du für uns gethan hast für die zahllosen Beweise Deines g o l d e n e n m ü t t e r l i c h e n Herzens. Wir Beide sind unsagbar glücklich: dieses Glück verdanken wir in erster Linie Dir! Wo wären wir heute wenn Du Dich nicht so in edler rührender Weise unserer angenommen hättest! Wir sprechen auch unausgesetzt von Dir und unsere Dankbarkeit kennt keine Grenzen. 3*
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Wir können Dir nichts bieten als die Versicherung daß Du so ein gutes Werk gemacht hast und daß Du Deine 2 Kinder für ihr ganzes Leben glücklich gemacht hast. Sophie wollte Dir auch schreiben, doch fand sie es unbescheiden Dich mit einem Schreiben zu behelligen und so übernahm ich es auch Ihren gerühretsten Dank und ihren Handkuß zu vermelden. Soph liest diesen Brief nicht da sie gerade Bettelbriefe ordnet. Also kann ich Dir sagen liebste Mama unter 4 Augen daß Soph ein S c h a t z ist, daß ich unbeschreiblich glücklich bin! Sie sorgt so für mich, mir geht es famos ich bin so gesund und viel weniger nervös. Ich fühle mich wie neugeboren. Sie schwärmt von Dir und redet nur von Deiner Güte und Liebe. Ich habe vollkommen in meinem Inneren das Gefühl daß wir beide bis zu unserem Lebens Ende unbeschreiblich glücklich sein werden. Gute liebe Mama, Du hast so das Richtige getroffen, daß Du mir so geholfen hast! Der liebe Gott zu dem ich t ä g l i c h 2mal in der Capelle mit Soph bethe lohne Dir gute Mama Alles was Du für uns gethan. Ich umarme Dich und die Schwestern küsse Dir die Hände und bin ewig Dein dankbarster Dich innigst liebender Sohn 9. July 1900.
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III. Kapitel
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III. Kapitel
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IV. Zu S. 32.
Briefwechsel zwischen Erzherzogin Maria Theresia und Kaiser Wilhelm, betreffend den Herzog von Hohenberg. Am 2. Juli 1916 richtete Erzherzogin Maria. Theresia, die Stiefmutter des ermordeten Thronfolgers, Erzherzogs Franz Ferdinand, an Kaiser Wilhelm einen Brief, in dem sie ihm, von den Gerüchten über die Neuordnung in ElsaßLothringen ausgehend, die ihr zu Ohren gekommen seien, folgenden Vorschlag unterbreitete: „Eines aber weiß ich, daß nämlich der Plan, den ich Dir jetzt vortrage, nicht in meinem Sinne, sondern in dem meines verstorbenen Sohnes Franz entstand, und dies gibt mir den Mut, ihn Dir zu entwickeln. Ich spreche im Geiste des Gemordeten und als Sachwalter seiner Gedanken. Ein Erzherzog von Österreich kann mein Enkel Max nicht werden. Doch kann er einen Nebentitel des Hauses tragen. Unter ihnen ist der vornehmste der seines eigentlichen Hauses, eines Herzogs von Lothringen. Einen leeren Titel und durch ihn für meinen ältesten Enkel und seine Geschwister das Ebenbürtigkeitsrecht zu erbitten, liegt mir fern, doch sicher würdest Du als den wahrhaften Herzog von Lothringen keinen ergebeneren und dankbareren jungen Fürsten finden, als den Sohn Deines treuesten Freundes. Er und sein Haus würden sich allezeit als Dir und Deinem Hause zu ewigem Dank verpflichtet fühlen. Unter Deiner Vormundschaft in die Regierung eingeführt, würde Max stets nach Deinen Intentionen schalten und walten und sich glücklich fühlen, wenn er durch seine treue Hingebung den Dank, den er und seine Eltern, die letzteren im Grabe noch, Dir schulden, in etwas abtragen könnte. Doch auch in Frankreich dürfte man (wie bisher mit höchstem Unrecht) die lothringischen Verhältnisse dann nicht mehr tadeln. Die Adlerbrut wäre in den alten Adlerhorst zurückgekehrt. Das angestammte Haus Lothringen, das längst vor Frankreich dort regierte, wäre von neuem dort. Auch in Frankreich müßte man diese Tatsache anerkennen. Deutschland aber würde sicherlich den jungen Bundesfürsten mit Wohlwollen begrüßen und Österreich-Ungarn niemals Deine hochherzige Tat vergessen. Hierin läge die politisch bedeutsame Folge der Erfüllung des Herzenswunsches meines verstorbenen Sohnes, den ich zagend, und dennoch Deiner Güte vertrauend unternommen habe. Dir zugunsten meiner Enkelkinder auszusprechen." Die Erzherzogin schließt ihren Brief mit der Bitte, der Kaiser möge den jungen Herzog von Hohenberg zu sich ins Große Hauptquartier bescheiden.
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III. Kapitel: Die Heirat Franz Ferdinands
damit er sich mit eigenen Augen davon überzeugen könne, „wie prächtig er sich geistig und körperlich entwickelt" habe. Kaiser Wilhelm soll dieses Schreiben dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Herrn v. Jagow, zur Begutachtung übergeben haben. Dieser habe sich gegen dieses Ansinnen in überaus scharfer Weise ausgesprochen und sei auch der Absicht des Kaisers, den jungen Herzog unter die deutschen StandesherTen aufzunehmen, entgegengetreten: ,, . . . der hohe Adel, die Standesherren, ein auf völkerrechtlicher und auf bestimmter historischer und tatsächlicher Grundlage beruhend, ist seit der Bundesakte (von 1815) nur einmal im Falle Bentinck durch Bundesbeschluß unterbrochen worden. Da dem hohen Adel durch Reichs- und Landesgesetzgebung gewisse Rechte zustehen, kann der Landesherr ihn jetzt allein nicht mehr an weitere Personen verleihen. Wenn dem Herzog von Hohenberg die Ebenbürtigkeit mit deutschen Fürstenhäusern verliehen werden solle, so wäre eine übereinstimmende Beschlußfassung sämtlicher deutscher Bundesfürsten im Einklang mit den einzelnen Hausgesetzen erforderlich. Auch müßte der vorherige Erwerb der Reichsangehörigkeit durch den Fürsten gefordert werden, wobei das Einverständnis Österreichs nicht zu entbehren sei. Die Erklärung des letzteren würde hier aber höchst unerwünschterweise bedeuten, daß das österreichische Kaiserhaus einen Fürsten der Ebenbürtigkeit mit deutschen Fürstenhäusern für würdig hält, dem es sich selbst gegenüber dieses Recht versagt." Graf Eulenburg, damals Minister des Königlichen Hauses, habe dieses Gutachten Jagows noch durch das Bedenken ergänzt, bei der am österreichischen Hofe herrschenden „strengen Absonderung in bezug auf morganatische Ehen" könnte man in Wien eine Standesverleihung an den Herzog vielleicht sogar als einen unfreundlichen Akt auffassen, was mit Rücksicht auf die guten Beziehungen der beiden Höfe zu beachten sei. Auf Grund dieser ungünstigen Bescheide beantwortete Kaiser Wilhelm am 23. August 1916 — also erst mehr als 7 Wochen später! — das Schreiben der Erzherzogin in ablehnendem Sinne. Er versicherte, daß er, ebenso wie sie, den Wunsch hege, „den Kindern seines treuen und tiefbetrauerten Freundes den Lebensweg zu ebnen und zu verschönern", daß er zu seinem Bedauern aber dennoch „aus schwerwiegenden Gründen" nicht in der Lage sei, ihre Bitte zu erfüllen: , , . . . Die staatsrechtliche Gestaltung des Reichslandes Elsaß-Lothringen", fährt er dann fort, „ist nicht von mir allein, sondern von der Gesamtheit der im Deutschen Reich vereinigten Bundesstaaten abhängig. Es ist nicht einzunehmen, daß die Lostrennung eines Teiles desselben unter Begründung einer neuen Dynastie auf die Zustimmung der Bundesstaaten und des Reichstages rechnen könnte. Aber auch ohne Übertragung eines souveränen Regiments würde der Aufnahme des jungen Fürsten in die Reihe der ebenbürtigen Familien des Deutschen Reiches der Umstand entgegenstehen, daß der hohe Adel einen auf völkerrechtlicher Grundlage beruhenden Kreis von gewisse historische Voraussetzungen erfüllenden Familien umfaßt, der seit der grundlegenden Bundesakte von 1814 geschlossen ist. Ich sehe daher keine Möglichkeit, Deine mir durchaus verständlichen und persönlich sympathischen Wünsche der Erfüllung zuzuführen . . . " Nach dem Artikel „ D y n a s t i s c h e S o r g e n " im „Berliner Tageblatt", vom 9. August 1928.
I V . Das politische Debüt des Thronfolgers. Der Thronfolger als Protektor des Katholischen Schulvereins. — „Los von Rom!" = Los von Osterreich! — Die freisinnigen Parteien in Osterreich gegen die freie Meinungsäußerung des Thronfolgers. — Franz Ferdinand und die Deutschen. — Seine angebliche Vorliebe für die Tschechen.
In den ersten Jahren seiner Thronfolgerzeit hatte Franz Ferdinand keine Gelegenheit, sich mit Politik zu befassen. Der Kaiser hielt ihn ebenso davon ab, es zu tun, wie er einst den Kronprinzen Rudolf abgehalten hatte. Sein Herrscherbewußtsein wachte zu eifersüchtig über seinen politischen Befugnissen, als daß er irgendeinem Mitgliede seines Hauses, auch wenn es der Thronerbe war, ja gerade dann, gestattet hätte, an ihnen teilzunehmen. Das Interesse an Politik vermochte er Franz Ferdinand freilich ebensowenig zu verwehren, wie er es Rudolf hatte verwehren können. Und dieses Interesse war sehr stark. Durch seine bald darauf eintretende Erkrankung wurde der Erzherzog der Politik um so mehr entrückt, als sie ihn für geraume Weile nötigte, der Heimat fernzubleiben. Nach seiner Genesung aber war es der Kampf um seine Heirat, der ihn sosehr in Anspruch nahm, daß die Politik darüber notwendigerweise in den Hintergrund seines Interesses trat. Erst als er sein Ziel erreicht hatte, wandte er sich ihr wieder zu, und zwar mit der ganzen Energie und dem ganzen Temperament seines Wesens. Im Frühjahr 1901 übernahm er das Protektorat des „Katholischen Schul Vereins". Als dieser ihm durch eine Deputation seinen Dank aussprechen ließ, erwiderte er, es freue ihn, dies getan zu haben, und er werde sein Protektorat keineswegs bloß dem Namen nach ausüben, sondern den Verein in seinem Kampfe gegen die antikatholischen Elemente unterstützen, also vor allem gegen die Losvon-Rom-Bewegung, denn „Los von Rom!" heiße nichts anderes als: Los von Österreich! Er ermächtige den Verein, seine Ansicht zu veröffentlichen.
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IV. Kapitel
Diese Ansprache wirkte in der Öffentlichkeit wie eine Bombe. Der Thronfolger hatte damit in ein Wespennest gegriffen, und die erbosten Wespen fuhren mit zornigem Summen wild auf ihn los und stachen wütend zu, ohne ihm aber etwas anhaben zu können. Der Wespenschwarm, der sich so aufgeregt gebürdete und dabei so viel Gift verspritzte, bestand aus sehr verschiedenen Elementen. Mit andern Worten: es war keineswegs eine einzige politische Partei, die sich durch die Worte des Erzherzogs getroffen fühlte; es waren ganz verschiedene Fraktionen, die einander sonst erbittert zu bekämpfen pflegten, sich in diesem Falle jedoch im gemeinsamen Hasse gegen den streitbaren Katholizismus gefunden hatten. Sozialdemokraten, Liberale, Deutschnationale und Alldeutsche überboten einander in Angriffen gegen den Erzherzog und dessen „kaum glaubliche", unerhörte Parteinahme für den Katholischen Schulverein. Wenn man die Ausbrüche der Entrüstung in Presse und Parlament — dort durch die Sordine der Zensur wesentlich gedämpft, hier schon dreister — las, so mußte man sich ganz betroffen und verwirrt fragen, was der Thronfolger denn durch Wort und Tat verbrochen hatte, um einen solchen Sturm zu entfesseln; gebürdete man sich doch, als hätte er an den Grundfesten der Monarchie gerüttelt. In Wahrheit hatte er nichts anderes getan, als seiner Sympathie für den Katholizismus durch Übernahme eines Protektorats Ausdruck gegeben und mit seiner Äußerung über die Los-von-Rom-Bewegung die reine, volle Wahrheit gesagt. Wozu also dann, wird man fragen, der ganze Lärm, die ungeheuere Aufregung? Um diese Frage zu beantworten und die damalige politische Situation verständlich zu machen, muß man etwas weiter ausholen: Vor allem wird man sich vor Augen halten müssen, daß beide Teile der habsburgischen Monarchie damals im Zeichen des AntiKlerikalismus standen. Des Anti-Klerikalismus, nicht mehr des Liberalismus, wie zu Zeiten des Kronprinzen Rudolf. Eine ausgesprochene Vorherrschaft des Liberalismus bestand zu dieser Zeit — also um die Wende des neunzehnten Jahrhunderts — ja nur mehr jenseits derLeitha; diesseits war sie schon sehr im Abbröckeln begriffen. Nur in der Tagespresse bestand sie noch unbeschränkt. Nicht mehr die Liberalen waren es, die in der vordersten Reihe gegen den Klerikalismus Sturm liefen, sondern die Deutschnationalen und Alldeutschen einerseits, die Sozialdemokraten anderseits. Die einen wie die andern waren im Grunde meist nichts anderes als Dissidenten oder Deserteure der alten liberalen Partei, von deren äußerstem rechten und linken Flügel. Sie hatten die Fahne des Liberalismus verlassen, weil deren
Das politische Debüt des Thronfolgers
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Farbe ihnen zu verblaßt, zu farblos erschien, und wohl auch, weil sie merkten, daß das Schiff, auf dem diese Flagge wehte, schon zu sinken begann. Ihre Fahnen waren schwarz-rot-golden bei den Deutschnationalen und Alldeutschen, rot bei den Sozialdemokraten. Auf diesen Fahnen aber stand in weithin sichtbaren Lettern: Kampf gegen die Klerikalen! Ihr Haß gegen diese war um so stärker, als sie das sieht- und fühlbare Erstarken der christlichsozialen Partei feststellen mußten, die unter der glänzenden Führung Luegers gerade damals in der Bevölkerung immer mehr Boden gewann. Diese Partei aber hatte SchwarzGelb als Farben für ihr Banner gewählt, wobei das Schwarz allerdings stark vorherrschte. Sie hatte sich mit der Wahl dieser Farben als ausgesprochen österreichische, patriotische Partei erklärt, die zugleich für die katholische Kirche und den österreichischen Reichsgedanken kämpfte. Gerade das schwarz-gelbe Banner aber war, um in einem Paradoxon zu sprechen, das rote Tuch für die gegnerischen Parteien. Zumal für die Alldeutschen, die Österreich und das Haus Habsburg haßten und sich deren Vernichtung und Vertreibung zum Ziele gesetzt hatten. Sie bekämpften in der christlichsozialen Partei also nicht bloß die Garde des Katholizismus, sondern auch, und noch fanatischer, die Anhänger des österreichischen Reichsgedankens, der der Schaffung des von ihnen angestrebten Alldeutschland sosehr im Wege stand. In ihrem wilden Hasse gegen den Katholizismus und gegen Österreich und in ihrer Wut über die unaufhaltsamen Fortschritte der Christlichsozialen unter Lueger, stießen sie den Kampfruf „Los von Rom!" aus und forderten alle nationalgesinnten Deutschen zum Abfalle vom katholischen Glauben und zum Übertritte zum evangelischen auf. Sie rechneten dabei auf die werbende Kraft des deutschnationalen Gedankens, dessen Wogen seit den Tagen der Badeni'sehen Sprachenverordnungen sehr hoch gingen. Der Protestantismus sollte der Sturmbock sein, mit dem sie den Fels Petri zu erschüttern und Bresche in den österreichischen Patriotismus zu legen hofften. Daß sie damit einen Religionskampf und die Zeiten des Dreißigjährigen Krieges heraufzubeschwören im Begriffe waren; daß sie damit neuen und gefährlichen Zündstoff in das öffentliche Leben der Monarchie trugen, das ohnehin schon randvoll mit solchem gefüllt war, und hiedurch furchtbare Explosionen verursachen konnten: das focht sie wenig an; im Gegenteil: sie wollten ja den Untergang Österreichs. Das verriet nicht nur ihr ganzes Gebaren; das verkündeten sie auch immer wieder mit herostratischem Dünkel im Parlament.
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IV. Kapitel
Da aber jede neue Bewegung, und wäre sie noch so töricht oder verderblich, ja gerade dann, Anhänger zu finden pflegt, wenn sie nur mit großem Stimmenaufwand und wilden Gesten in Szene gesetzt wird: so fand auch die Los-von-Rom-Bewegung zuerst zahlreiche Mitläufer und Mitschreier, und die katholische Kirche verlor nicht wenige Mitglieder. Die schlimmste Erscheinung der ganzen Hetze aber war: daß der größte Teil der akademischen Jugend sich ihr anschloß — so weit sie nicht schon im alldeutschen Lager stand; daß also gerade die für die öffentliche Tätigkeit und den Staatsdienst heranwachsende Generation der Intelligenzkreise nicht nur von antiklerikalem, sondern auch von antiösterreichischem Geist erfüllt war. Man wird nach alldem begreifen, daß Franz Ferdinand dieser Entwicklung der Dinge mit wachsender Besorgnis zusah; um so mehr, da er als künftiger Herrscher ja just mit dieser Generation zusammen arbeiten sollte. Es war unter solchen Verhältnissen also nur selbstverständlich, daß er einem Vereine, der sich die Bekämpfung dieser Bewegung zum Ziele setzte, seine Sympathien zuwandte. Er hätte dies fraglos auch dann getan, wenn dieser Verein kein klerikaler, sondern bloß ein österreichisch-patriotischer gewesen wäre. Daß es ein klerikaler war, konnte ihm, der in einem streng katholischen Milieu herangewachsen war, diesen Verein nur noch sympathischer und ihn selber geneigter machen, das Protektorat über ihn zu übernehmen. Daß er mit seinem Ausspruch „Los von Rom! heißt: Los von Österreich!" ins Schwarze getroffen, bewies eben das wilde Gezeter, das er damit entfesselt hatte. Wär's ein Schlag ins Wasser gewesen, würde man sich darüber natürlich nicht so aufgeregt haben. Die Interpellationen und Anwürfe, die diese Angelegenheit im Parlament und in der Presse hervorrief, befaßten sich denn auch nicht viel mit diesem Ausspruche, dessen Wahrheit zu wuchtig war, als daß sie sie hätten bestreiten können, sondern hielten sich vor allem an die Übernahme des Protektorats, in der sie die verwundbare Stelle des Erzherzogs zu sehen glaubten. Er habe, so führten die Interpellanten aus, nicht das Recht, sich eines politischen Kampfvereins anzunehmen, dessen Tendenzen gegen die Staatsgrundgesetze verstießen, weil er die konfessionelle Schule anstrebe. Und da sie nicht in der Lage waren, den Thronfolger selbst zur Verantwortung zu ziehen, fielen sie über den Ministerpräsidenten Dr. v. Körber her, der diese Verletzung der Verfassung zugelassen habe. Und diese Interpellanten und Angreifer gehörten ausnahmslos den Parteien an, die den Freisinn auf ihr Banner gemalt hatten, wenn auch in verschiedenen Farben, und die nicht müde wurden, sich über die Knebelung der freien
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Meinungsäußerung zu entrüsten, deren sich der Klerikalismus in ihren Augen schuldig machte. Daß sie nun ihrerseits dem Thronfolger verwehren wollten, seinen politischen Standpunkt kundzugeben, und es ihm als schwere Schuld anrechneten, daß er sich dies zu tun herausgenommen hatte: darin lag eine groteske Ironie, deren sie sich in ihrem blinden Eifer gar nicht bewußt wurden. Angesichts des großen Aufwandes an Entrüstung, den diese Affäre in den Kreisen der antiklerikalen Parteien hervorgerufen und sie, die einander sonst grimmig befehdeten, zu diesem gemeinsamen Sturmlauf gegen den Thronfolger geeinigt hatte, drängt sich die Frage auf, ob sie sich auch dann entrüstet und eine Verletzung der Verfassung darin gesehen hätten, wenn der Verein, dessen P r o t e k t o r a t der Thronfolger übernommen hatte, ein freisinniger oder deutschnationaler gewesen wäre, z. B. der „Deutsche Schulverein" ? Hätten sie den Erzherzog da nicht als einen Vorkämpfer des Freisinns oder des Deutschtums gepriesen und gefeiert ? . . . Es wird wohl keinen ehrlichen Mann geben, gleichviel welcher Partei er angehöre, der diese Frage zu verneinen wagen würde. In dieser Angelegenheit war Franz Ferdinand zum erstenmal in die politische Arena getreten; es war sein politisches Debüt. Er hatte alle Welt wissen lassen, wie er dachte. Von nun an galt er nicht nur für klerikal, sondern auch für einen Feind der Deutschen. Man schloß eben aus seinem scharfen Urteil über die Los-von-Rom-Deutschen auf seine Gegnerschaft gegen die Deutschen überhaupt. Das aber war eine durchaus falsche Verallgemeinerung. Seine Abneigung — und diese war allerdings sehr tief — galt nur den Deutschen, die bei jeder Gelegenheit ihren Haß gegen Österreich und dessen Dynastie in deutlichster Weise verrieten, ja sich damit sogar brüsteten. Diese Antipathie aber war nur selbstverständlich, denn wie sollte er mit Leuten sympathisieren, die sich nicht scheuten, ihrer Sehnsucht nach dem Tage Ausdruck zu geben, an dem Österreich zerfallen1) oder ein deutsches Heer in Österreich einmarschieren und ihm ein Ende machen werde2). Wie mußte er von Leuten denken, die sich selber mit herostratischem Dünkel als Hochverräter bezeichneten8), sich des Bestehens einer „Germania Irre') Abgeordneter F r a n k o S t e i n (alldeutsch), Reichsratsitzung vom 15. Mai 1906. ') Abgeordneter G e o r g S c h ö n e r e r (alldeutsch), Reichsratsitzung vom 8. November 1898. *) Abgeordneter F r a n k o S t e i n , Reichsratsitzung vom 24. Oktober, 7. Dezember 1906 und 1. März 1902. S o s n o s k y , Franz Ferdinand.
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denta" in Österreich rühmten und jeden als Dummkopf bezeichneten, der in Österreich Patriot sei! Von Leuten, die im Parlament ein Hoch auf das Haus Hohenzollern ausbrachten und als ihr Ziel: „ein Volk, einen Glauben und einen Kaiser" bezeichneten1)! Selbst ein weniger temperamentvoller Prinz wäre an seiner Stelle über solche Äußerungen empört gewesen. Wer aber etwa entschuldigend einwenden sollte, das seien nur die unbedachten leidenschaftlichen Ausbrüche einiger nationaler Exaltados gewesen — damals auf deutscher Seite eine behebte Entschuldigung —, den konnte man durch die Wucht der Tatsachen leicht Lügen strafen. Es braucht nur an die schweren deutschnationalen Straßen- und Parlamentsexzesse zu erinnern, die sich anläßlich der Sprachenverordnungen des Grafen Badeni im Spätherbst 1897 in Wien und Graz abspielten und an denen (in Graz) sogar zahlreiche Reserveoffiziere teilnahmen; ferner an den allgemeinen Streik der deutschnationalen Hochschüler und an den Boykott der Offiziere und der Militärkapellen (in Graz), der sich daran schloß. Es sei ferner an die von deutschnationalen Studenten im Verein mit dem Straßenpöbel vollführte Demolierung der eben (November 1904) eröffneten italienischen Universitätsfakultät in Innsbruck erinnert; an die wüsten Tumulte, die sich daran schlössen und gegen die sich das verfügbare Militär ohnmächtig erwies, so daß Truppen aus Oberösterreich herangezogen werden mußten. Ganz zu geschweigen der Gewalttätigkeiten deutschnationaler Studenten gegenüber katholischen Studentenverbindungen, die in Wien und Graz zu alltäglichen Vorkommnissen geworden waren. All diese skandalösen, bedenklichen und für die Autorität des Staates tief beschämenden Erscheinungen fanden in Parlament und Presse deutscherseits nicht nur keine Verurteilung, sondern, wenn nicht Zustimmimg, so doch wenigstens Entschuldigung und Beschönigung. Auch die Bismarck-Straßen und Bismarck-Plätze zeugten nicht eben für die Loyalität der Deutschen nationaler Richtung*). ] ) Abgeordneter E i s e n k o l b (alldeutsch), Reichsratsitzung vom 23. Februar und 18. März 1902. *) Man sucht diesen Bismarck-Kult der Deutschnationalen Österreichs — bei denen des Deutschen Reichs ist es natürlich etwas ganz anderes und begreifliches damit zu rechtfertigen, daß Bismarck eben einer der größten Deutschen gewesen sei und es daher den Deutschen Österreichs nicht verwehrt werden könne, ihn auch ihrerseits zu feiern und zu ehren. Schön; aber warum gibt es in Berlin dann keinen Maria Theresien-, Kaiser Josef-Platz, keine Metternich- oder Kaunitz-Straße ? Weil man dort bei allem Respekt für die Bedeutung dieser Persönlichkeiten die Zumutung, Osterreicher derart zu verherrlichen, als ganz ungehörig zurückweisen würde, auch wenn
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All das muß man sich vor Augen halten, um zu begreifen, daß Franz Ferdinand von diesen Deutschen nichts wissen wollte und auch den nicht-alldeutschen Deutschen freisinniger Richtung das äußerste Mißtrauen entgegenbrachte; beiläufig bemerkt, einer der nicht eben zahlreichen Punkte, in denen er mit Kaiser Franz Josef durchaus übereinstimmte. Die Deutschen konservativer Richtung aber, zumal aus den Alpenvorländern, in denen er den österreichischen Gedanken am lebendigsten wußte und die er als der Dynastie ergeben kannte, waren ihm fraglos von allen Nationen der Monarchie bei weitem die liebsten. In keiner seiner Garnisonen hatte er sich darum auch so wohl gefühlt wie in Oberösterreich, bei dem aus diesem Kronlande rekrutierten 4. Dragoner-Regiment. Eine besondere Vorliebe hatte er für Wien und das Wienerische, letzteres auch in der Musik, für die er sonst nicht viel übrig hatte. Ebenso Hebte er, wenn auch aus andern—landschaftlichen und historischen Gründen — Tirol, und man sprach sogar davon, daß er das berühmte alte Schloß Amras in Tirol zu dem Zwecke restaurieren ließ, um es dereinst als Sommerresidenz zu bewohnen. Daß er an der deutschen Armeesprache festhielt und von irgendwelchen Zugeständnissen zugunsten der ungarischen oder böhmischen Sprache nichts wissen wollte, und daß, wie noch gezeigt werden wird, in seinem Regierungsplane die deutsche Sprache auch Staatssprache sein sollte: das widerlegt ebenfalls die gehässige Legende von seiner Deutschfeindlichkeit. Zu dieser Legende hat fraglos viel beigetragen, daß der Thronfolger sich in Böhmen angesiedelt, und zwar gerade in ganz tschechischen Gebieten — Konopischt und Chlumetz —, und daß er eine Dame der böhmischen Aristokratie zur Frau genommen hatte; woraus man auf besondere Vorliebe seinerseits für die Tschechen schloß und hieraus wieder einen Rückschluß auf seine Abneigung gegen die Deutschen zog. Tatsächlich hat er diese Güter nur gekauft, weil er sie während seiner Dienstzeit in Böhmen kennengelernt hatte und sie ihm taugten, nicht aber weil sie in Böhmen lagen. Hätte er während sie Deutsche waren. Noch krasser tritt der Widersinn dieses Kults zutage, wenn man den Namen Bismarck etwa durch Washington und Österreich durch England ersetzt und den Engländern zumutete, einen Washington-Square ins Leben zu rufen. Washington aber ist seiner Herkunft nach England wahrlich nicht ferner gestanden als Bismarck Osterreich I Der Widersinn des österreichischen Bismarck-Kults wird aber zum krassen Wahnwitz, wenn man erwägt, daß dieselben L e u t e , die f ü r die V e r e i n i g u n g Österreichs mit D e u t s c h l a n d s c h w ä r m t e n , just mit dem Manne Götzendienst t r i e b e n , der Osterreich aus der Deutschen G e m e i n s c h a f t verstoßen hatll 4*
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seiner Garnisonzeit in Oberösterreich dort Schlösser gefunden, die zu erwerben ihm landschaftlich und wirtschaftlich vorteilhaft erschienen wäre, so würde er sich vermutlich dort angekauft und zweifellos in diesem ihm sympathischen Kronlande lieber geweilt haben als in Böhmen. Was aber schließlich seine Heirat betrifft, so hatte er sich die Gräfin Chotek nicht deshalb zur Gattin erkoren, weil sie aus Böhmen stammte, sondern weil er sie liebte. Daß der Thronfolger sich ganz und gar nicht mit der Absicht getragen hat, einmal auf den Thron gelangt, die Tschechen auf Kosten der Deutschen zu begünstigen, wie das seine deutschen Feinde behaupteten und wie man in deutsch-freisinnigen Kreisen auch allgemein glaubte: dafür zeugt kein geringerer als der Tschechenführer Dr. Kramaf. Anläßlich des Todes Franz Ferdinands äußerte er sich in der Generalversammlung des Jungtschechischen Klubs dahin, dem tschechischen Volke wäre ein Konflikt mit dem Erzherzog nach dessen Thronbesteigung kaum erspart geblieben, denn er habe an der Notwendigkeit der deutschen Staatssprache festgehalten.
V . Franz Ferdinand und Ungarn. Das politische Debüt des Thronfolgers in Ungarn. — Analogie mit dem in Österreich. — Historischer Rückblick auf das Verhältnis zwischen der Dynastie und Ungarn. — Los von Osterreich! — Der magyarische Nationalstaat. — Der politische Standpunkt des Thronfolgers den Magyaren gegenüber. — Franz Ferdinand und Tisza. — Der Thronfolger und die Nationalitäten in Ungarn. — Franz Ferdinand und die ungarische Sprache. — A n h a n g : Der Thronfolger und der Konflikt Körber-Tisza.
Nicht lange nach der Protektoratsaffäre ereignete sich ein Vorfall, der eine merkwürdige Analogie mit ihr aufwies, diesmal aber Ungarn betraf: Im Februar 1902 sollte Franz Ferdinand in Vertretung des Kaisers einen Besuch am russischen Hofe machen. Unter den Ehrenkavalieren, die ihn bei diesem Besuche begleiten sollten, hatte er sich als Repräsentanten Ungarns den Grafen Johann Zichy ausgewählt. Als diese Wahl bekannt wurde, erhob sich in Ungarn ein gewaltiger Entrüstungssturm, ganz ähnlich dem in Österreich anläßlich der Protektoratsaffäre. Die Liberale Partei, die damals in Ungarn allmächtig war und über die tonangebende Presse verfügte, erhob Einspruch gegen die vom Thronfolger getroffene Wahl. Graf Zichy war nämlich Präsident der Katholischen Volkspartei, die der Opposition angehörte. Als solcher, so erklärte man in ungarischen Regierungskreisen, könne er unmöglich als Vertreter Ungarns mit dem Thronfolger nach Petersburg gehen. Dieser müsse einen Kavalier aus der Liberalen Partei wählen. In diesem Sinne wandte sich der ungarische Ministerpräsident, Herr v. Szell, denn auch an den Erzherzog. Als dieser aber auf seiner Wahl beharrte, begab sich Herr v. Szell zum Kaiser und stellte ihm vor, wie dringend notwendig es sei, die Absicht des Thronfolgers zu verhindern. Der Herrscher kam dem Wunsche des Ministerpräsidenten auch nach und bewog den Erzherzog, von seinem Vorhaben abzustehen. Ob er dabei den Standpunkt der ungarischen Regierung tatsächlich für berechtigt anerkannt oder ihr nur den Willen getan hat, um Ruhe zu haben und, aus — keineswegs unbegründeter — Sorge vor neuen un-
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absehbaren Konflikten, das „Gravamen" rasch aus der Welt zu schaffen, bleibe dahingestellt. Dem Machtworte des Kaisers mußte sich der Thronfolger beugen. Er beschied den Grafen Zichy zu sich und drückte ihm sein Bedauern aus, auf seine Begleitung verzichten zu müssen. Damit hatte er, ungern genug, dem Proteste der ungarischen Regierung Folge gegeben. Zu mehr aber verstand er sich nicht, und da man es ihm verwehrte, den Ungarn als Begleiter mitzunehmen, den er sich hiezu erkoren hatte, nahm er überhaupt keinen mit. Ebensowenig wie er sich bemüßigt gefühlt hatte, das Protektorat des Katholischen Schulvereins niederzulegen, ebensowenig ließ er sich einen ihm nicht zusagenden Begleiter aufnötigen. Das war das politische Debüt des Thronfolgers in Ungarn. Hatte die ungarische Regierung und mit ihr die herrschende Liberale Partei dabei formell auch gesiegt, so war es doch ein Sieg, dessen sie nicht froh werden konnte, denn sie hatte erkennen müssen, daß der Thronfolger ein Mann war, der einen sehr ausgesprochenen Willen besaß, einen Willen, der sich den magyarischen Sonderansprüchen nicht beugen würde, und sie ahnte mit Bangen, daß dieser Wille ihr noch viel zu schaffen und Anlaß zu schweren Konflikten geben werde . . . Ein tiefes Unbehagen bemächtigte sich Ungarns, soweit es magyarisch war, und mit banger Sorge sah man dort dem Tag entgegen, da Franz Ferdinand den Thron besteigen werde; ein Tag, der bei den vorgerückten Jahren des Kaisers nicht mehr sehr fern zu sein schien. In diesem Falle mögen in Ungarn auch die erbittertsten Feinde der Kaiser-Hymne in ihrer Herzen Tiefe das verhaßte „Gott erhalte!" angestimmt haben . . . Die Analogie dieser Affäre mit der Protektoratsangelegenheit in Österreich lag auf der Hand. Da wie dort hatte man versucht, der politischen Uberzeugung des Thronfolgers Gewalt anzutun, und zwar — welche Ironie! — da wie dort von seiten solcher Parteien, die sich mit ihrem Freisinn zu brüsten pflegten. Und da wie dort hatte Franz Ferdinand sich als ein Mann gezeigt, der, unbekümmert um das Gezeter seiner Gegner, unbeirrbar an seiner Überzeugung festhielt. In Österreich wie in Ungarn wußte man jetzt, wie man mit dem künftigen Herrscher daran war. Da wie dort hatte man sich im politischen Leben daran gewöhnt, durch Geschrei und Drohungen zu erzwingen oder zu vereiteln — je nachdem —, was man wollte oder nicht wollte. Franz Ferdinand gegenüber würde man, wenn er dereinst die Zügel ergriff, diese bequeme Taktik kaum fortführen können. Das hatten
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diese beiden Vorfälle gezeigt, und das gab den Vertretern dieser Taktik diesseits und jenseits der Leitha zu denken . . . Ganz so wie der Thronfolger in Österreich als ein Gegner der Deutschen galt, galt er in Ungarn als ein solcher der Magyaren. Dies allerdings mit mehr Recht. Aber auch da durfte diese Behauptung nicht so allgemein gefaßt werden. Gegen das magyarische V o l k , gegen den einzelnen Magyaren als Menschen, empfand Franz Ferdinand keine Antipathie, wohl aber, und im höchsten Grade, gegen die magyarischenPolitiker, besonders gegen jene Talmimagyaren, die ihr Judentum durch fanatischen magyarischen Chauvinismus wettzumachen trachteten und bei der Hetze gegen Österreich das große Wort führten. Diese Leute allerdings waren ihm ein Greuel. Und da Politik und Volk gerade in Ungarn sich schwer voneinander trennen lassen, lag es bei dem leidenschaftlichen und in dieser Leidenschaft nicht sorgsam abwägendem Temperament Franz Ferdinands nahe, die Abneigung gegen die magyarischen Politiker bis zu einem gewissen Grade auch auf die Magyaren im allgemeinen zu übertragen. Um das so unerfreuliche Verhältnis zu verstehen, das zwischen ihm und Ungarn bestand, muß man sich die grundverschiedenen, einander diametral entgegengesetzten Standpunkte beider Teile vergegenwärtigen. Zu diesem Zwecke bedarf es aber einer kurzen historischen Rückschau auf die Entwicklung des magyarischen Nationalismus. Im magyarischen Volke lebte — ähnlich wie im polnischen — die Erinnerung an die einstige staatliche Selbständigkeit und Unabhängigkeit Ungarns mit unauslöschbarer Beharrlichkeit fort. Weder die mehr als anderthalb Jahrhundert Jahre türkischer Tyrannei, noch die Vereinigung Ungarns mit den habsburgischen Erbländern hatten diese Erinnerung zu löschen vermocht. Und kaum sahen sich die Magyaren aus dem osmanischen Joche, dank der Hilfe Habsburgs, befreit, als sich diese Erinnerung in ihnen auch schon wieder mächtig zu regen begann und sie drängte, sich vom Hause Habsburg loszureißen, unbekümmert darum, daß sie ihm zu Dank vferpflichtet waren. Im Jahre 1707, einundzwanzig Jahre nach der Eroberung der von den Türken besetzten Hauptstadt Ofen durch Carl von Lothringen, erklärten die ungarischen Stände in Onod die Unabhängigkeit Ungarns und die Absetzung der Dynastie Habsburg. Dieser Losreißungsversuch (Kuruczenaufstand) mißlang zwar; aber die Unzufriedenheit der Magyaren hielt an und erhob immer neue Forderungen. Die Germanisierungsversuche Kaiser Josephs II. gössen noch ö l ins Feuer und
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führten zu so schweren Konflikten, daß sich der Kaiser zum Widerrufe seiner Maßnahmen genötigt sah. Sein Nachfolger und Bruder Leopold II. aber erachtete es, angesichts der drohenden Haltung der Magyaren für ratsam, ihnen ihre Sonderrechte zu bestätigen. Im Gesetzartikel X. aus den Jahren 1790 und 1791 wurde festgesetzt, daß Ungarn „ein f r e i e s , keinem andern K ö n i g r e i c h oder Gemeinwesen u n t e r w o r f e n e s K ö n i g r e i c h " sei, das „ n u r nach seinen eigenen Gebräuchen und Gesetzen, nicht aber nach A r t anderer P r o v i n z e n " regiert werden dürfe. Damit war die staatsrechtliche Sonderstellung Ungarns expressis verbis festgestellt. Allerdings unter gleichzeitigem Hinweis auf die ungarische Pragmatische Sanktion, die den habsburgischen Länderbesitz als „ u n t e i l b a r und u n t r e n n b a r " bezeichnete. Als im Frühjahr 1848 der große Freiheitssturm über Europa hinbrauste, war es bei dem leidenschaftlichen Temperament der Magyaren nur selbstverständlich, daß auch sie von ihm fortgerissen wurden und der Ruf „Los von Österreich!" lauter und leidenschaftlicher erscholl denn je. Und wieder gelang es ihnen, dem schwachsinnigen Kaiser Ferdinand — in Ungarn König Ferdinand V. — eine Reihe von Gesetzartikeln abzutrotzen, die in ihren Zugeständnissen an ihre Sonderund Selbständigkeits-Bestrebungen noch weit über den Gesetzartikel X hinausgingen und Ungarn ein eigenes Ministerium einräumten, in dem sich sogar ein Minister für auswärtige Angelegenheiten befand, was darauf deutete, daß Ungarn sich auch eine selbständige Außenpolitik vorbehielt. Nur mehr die Person des Monarchen sollte künftig Ungarn mit Österreich verbinden, sonst nichts. Als Kaiser Ferdinand Ende 1848 abdankte und den Thron seinem jugendlichen Neffen Franz Josef überließ, der nicht gewillt war, diese Gesetze anzuerkennen, artete der Konflikt zwischen Österreich und der Krone einer-, Ungarn, d. h. den Magyaren anderseits zu offenem Kampfe aus, und im Frühjahr 1849, 14. April, erklärte Kossuth auf dem Landtage von Debreczin das Haus Habsburg für abgesetzt. Es war also schon das z w e i t e m a l , daß die Magyaren dieses Urteil über die Dynastie verhängten. Mit russischer Hilfe wurde das rebellische Ungarn schließlich niedergeworfen und wie ein österreichisches Kronland behandelt. Wohl waren die Magyaren besiegt aber keineswegs gebrochen; und sehr bald bekam der Kaiser es zu fühlen, daß er, ohne mit ihnen seinen Frieden gemacht zu haben, keine ruhige Stunde haben würde. Ihrer abermals mit Gewalt Herr zu werden, war nach den schweren Niederlagen Österreichs 1859 u n d 1866 wenig aussichtsvoll, und so
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entschloß er sich nach einigen verunglückten Experimenten — Oktoberdiplom und Februarpatent — zu einem Ausgleiche mit Ungarn, dem zuliebe er die Einheit der Monarchie opferte und darein willigte, daß diese in zwei Staaten geteilt wurde: in die „im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder" und in das Königreich Ungarn; wobei er den Sonderwünschen der Magyaren in der denkbar weitesten Weise entgegenkam. Seine Hoffnung, sich damit deren Zufriedenheit und Fügsamkeit zu erkaufen, erwies sich aber als ein schwerer Irrtum, denn ihre Selbständigkeitsforderungen verstummten nicht nur nicht, sondern wurden durch den erzielten großen Erfolg nur noch begehrlicher. Hand in Hand mit diesen Bestrebungen, betrieb man jenseits der Leitha eine ebenso rücksichtslose als kurzsichtige Magyarisierungspolitik. Wiewohl in den „Ländern der ungarischen Krone" gegenüber der nicht-magyarischen Bevölkerung in der Minderzahl — 45,4%: 54,6% — und selbst im eigentlichen Ungarn bloß im Besitze einer ganz knappen Mehrheit — 51,4%: 48,6% — , waren die Magyaren dennoch mit allen Mitteln bestrebt, die Deutschen, Rumänen, Serben, Slowaken und Ruthenen Ungarns zu Magyaren zu machen, und suchten selbst den mit Sonderrechten ausgestatteten, über ein eigenes Land verfügenden Kroaten, soweit sie es vermochten (Eisenbahnbetrieb), die magyarische Sprache aufzuzwingen. Da sie die Staatsgewalt in Händen hatten und sie mit rücksichts- und skrupelloser Härte handhabten, gelang es ihnen auch, zahlreiche Proselyten zu machen, besonders unter den Deutschen, die, wie überall, so auch in Ungarn, ein schwaches nationales Rückgrat besaßen; wogegen ihre Magyarisierungsversuche bei den Rumänen trotz der härtesten Bedrückungen scheiterten. Wären die Magyaren durch ihren hypertrophischen Nationalstolz nicht so verblendet gewesen, so hätten sie sich sagen müssen, daß alle ihre Erfolge bei diesem tollen Beginnen nur ephemerer Natur sein konnten, daß ein Volk andern Völkern nicht einmal dann die eigene Nationalität auf die Dauer zu oktroyieren vermag, wenn es ihm an Zahl überlegen, geschweige denn, wenn es ihm darin nur gleich, ja sogar in der Minderheit war. Selbst das englische Volk, das über ungeheuere Machtmittel gebot und zu seinen Gunsten das gewichtige Argument seiner Weltsprache in die Wagschale werfen konnte, wäre unter den gegebenen Verhältnissen kaum imstande gewesen, ein derartiges Gigantenwerk mit Erfolg zu Ende zu führen; nun erst ein kleines Volk, dessen Sprache sich vereinsamt und fremd, wie ein erratischer Block, von den europäischen Sprachen abhob und von keinem andern Volk auch nur verstanden wurde.
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Die Magyaren hätten sich ferner sagen müssen, daß sie durch ihre Magyarisierungsversuche nur eine Irredenta züchteten, von der sie um so fanatischer gehaßt wurden, je unduldsamer sie dabei zu Werke gingen. Und da alle nicht-magyarischen Völker Ungarns jenseits der rot-weiß-grünen Grenzpfähle Konnationale in großer Zahl besaßen, so empfingen sie, so oft ihre Kräfte unter dem harten Drucke des Magyarismus auch zu versagen drohten, immer neue Lebenskraft. Jedesmal, wenn dieser der irredentistischen Hydra den Kopf abgeschlagen zu haben wähnte, wuchs ihr ein neuer nach und zischte haßerfüllt gegen ihn; er aber mußte sein vermeintliches Vernichtungswerk wieder von vorn beginnen. Es war ein grotesk-tragischer Anblick, zuzusehen, wie ein intelligentes, sympathisches Volk in unseliger nationaler Verblendung abwechselnd atemlos hinter dem unerreichbaren D&ibäb1) des Nationalstaates herjagte und im Schweiße seines Angesichts am eigenen Grabe schaufelte, wähnend, es wäre nur das der Gemeinsamkeit mit Österreich. „Los von Österreich!" und der „Magyarische Nationalstaat": das waren die beiden Pole, um die sich das ganze Sehnen und Trachten dieses heißblütigen Volkes drehte. Und zwar ohne Unterschied der Partei, denn die herrschende Liberale Partei und ihre erbitterten Gegner, die Konservativen, wie auch die Kossuth-Partei waren darin einig, so wütend sie einander auch sonst befehdeten. Nur in der Wahl der Mittel wichen sie voneinander ab. Die Liberalen und auch ihre konservativen Gegner wollten ihr Ziel mit dem Herrscher erreichen, die Kossuth-Leute g e g e n ihn. Da die einen wie die andern in der Armee das stärkste, um nicht zu sagen: das einzige Band sahen, das Ungarn noch mit Österreich verband und seine volle Selbständigkeit hinderte, richteten sie ihre Angriffe vor allem gegen sie. Die Opposition verweigerte ihr hartnäckig das Rekrutenkontingent, so daß ihr Ausbau, der im Hinblick auf die wachsende Kriegsgefahr immer dringender wurde, schwer darunter leiden mußte. Nahezu zehn Jahre lang dauerte dieser Kampf um die Armee, bis ihm Graf Stefan Tisza durch einen Gewaltstreich ein Ende machte. Was diesen Zwist so verschärfte und vergiftete, waren die unaufhörlichen Anpöbelungen der Dynastie Österreichs und der Armee von Seiten der Kossuthianer. Nicht genug daran, daß die Magyaren im Verlaufe dieses Ringens ein staatsrechtliches „Gravamen" um das andere konstruierten, reihte sich eine Fahnen- und „Gotterhalte"1 ) D41ib«ib = Mittagsgespenst, eine der Fatamorgana ähnliche Luftspiegelung, die sich zuweilen an heißen Sommertagen um die Mittagszeit in der ungarischen Tiefebene zeigt.
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Affäre an die andere, denn auf die magyarischen Ultras wirkten die herrlichen Klänge der Haydnschen Hymne wie das rote Tuch auf den Stier, und riefen, sooft sie erklangen, die wildesten Wutausbrüche hervor, wiewohl der Text nicht das geringste enthielt, was die magyarische Nation irgendwie hätte kränken können1). Dieser Geist des Hasses gegen Österreich und die Dynastie wurde schon den kleinen Kindern in der Schule eingeimpft, indem man ihnen Lesebücher gab, in denen die Feinde des Hauses Habsburg verherrlicht und dieses als das Unglück Ungarns hingestellt wurde1). *
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Das war die politische Sachlage, war die Stimmung in Ungarn, die Franz Ferdinand schon vorfand, als er Thronanwärter wurde,und die sich im Laufe der Zeit immer mehr verwirrte und verschärfte und zu einer drohenden Gefahr für den Bestand der Monarchie wurde. Selbst einen weniger temperamentvollen Prinzen, als Franz Ferdinand es war, hätten diese unablässigen Verunglimpfungen und Verhöhnungen seines Hauses, seines Stammlandes und seines Heeres empören müssen. Nur die wunderbare Selbstbeherrschung und Resignationsfähigkeit sowie das sozusagen überirdische Hoheitsgefühl Franz Josefs konnten darüber hinwegsehen. Franz Ferdinand mit seinem leidenschaftlichen Temperament, seinem empfindlichen Stolze, seinen reizbaren Nerven, war von solcher Auffassung aber unendlich weit entfernt. In seinem heißen Herzen sammelte sich ein gehäuftes Maß tiefster Erbitterung und kaum mehr zu zügelnden Grolles gegen die Magyaren an. Und er übertrug diese Erbitterung und diesen Groll von den Kossuthleuten auf die ganze Nation, weil er wußte, daß alle Magyaren von dem Gedanken „Los von Österreich" beseelt waren. In seinen Augen waren die Magyaren insgesamt Rebellen, war ganz Ungarn ein Herd der Revolution gegen die Dynastie, war jeder Magyare ein Kossuth in Duodezformat. Daß sie sich bei ihren Losreißungsversuchen stets auf Gesetze beriefen, kümmerte ihn nicht, erbitterte ihn im Gegenteil noch mehr. Als ein namhafter ungarischer Staatsmann einmal den Versuch machte, ihm an der Hand von Gesetz*) Über den siebenburgisch-sächsischen Abgeordneten Lurtz schrieb das Kossuthblatt „Független Magyarorsz&k", weil er angeblich bei einer Fahnenweihe das „Gotterhalte" hatte spielen lassen, m a n m ü s s e s o l c h e L e u t e n i e d e r s c h l a g e n wie e i n e n t o l l e n H u n d o d e r a m e r s t e n b e s t e n B a u m e a u f k n ö p f e n . Kommentar Qberfl Ossig. *) Siehe den Artikel ..Ein magyarisches Lesebuch" von A . T o v ä r o s in der ,,österreichischen Rundschau", Jahrg. 1910, Bd. 24.
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büchern die Berechtigung der magyarischen Forderungen zu beweisen, erklärte er ihm erregten Tones, er „pfeife" auf diese legislatorische Weisheit; worauf jener sich „bleich wie die Wand" davon gemacht habe 1 ). Seiner autokratischen Natur imponierten Gesetzesparagraphe nicht im geringsten. Auch von Graf Tisza wollte er nichts wissen und gewährte ihm niemals eine Audienz1). J a Tisza war ihm besonders verhaßt, weil er in ihm den gefährlichsten Gegner seiner eigenen groß-österreichischen Pläne sah. Die Kossuthistischen Schreier und Schimpfer in Budapest beunruhigten ihn nicht ernstlich, sosehr sie ihn auch erbitterten: aber Tisza fürchtete er wegen seiner großen Energie, die vor keinem Hindernis zurückschreckte, wegen seiner Beharrlichkeit, die sich durch nichts beirren ließ, kurz: just wegen derselben Eigenschaften also, die er selber besaß. „Schon jetzt" bemerkte er in Konopischt zu Kaiser Wilhelm, „zittere Wien, wenn sich Tisza auf die Reise mache, und alles liege auf dem Bauche, wenn er in Wien aussteige8)." Einmal auf dem Throne, würde er Tisza nicht 24 Stunden an der Spitze des ungarischen Ministeriums lassen, da er sonst riskiere, daß jener in 48 Stunden gegen ihn eine Revolution organisiere. Dieser Zusammenstoß zwischen diesen beiden in ihrer brüsken Energie und zähen Beharrlichkeit so ähnlichen Männern wär' auch sicherlich nicht ausgeblieben, wenn es das Schicksal Franz Ferdinand nicht verwehrt hätte, den Thron zu besteigen. Dann aber hätte es Feuer gegeben. Czernin versichert zwar, er sei überzeugt, die beiden hätten sich schließlich zum Wohle der Monarchie gefunden4). Aber diese Äußerung stimmt wenig mit dem überein, was er in seinem Buche über diese Frage schreibt5). Der deutsche Botschafter, Herr von ') O. Czernin: Im Weltkrieg, S. 50. Dieser Staatsmann scheint Alexander Weckerle gewesen zu sein, da er einer der wenigen ungarischen Minister war, die Franz Ferdinand empfangen hat. Er soll, nach Budapest zurückgekehrt, den Ausspruch getan haben: „Dieser Herr wird wohl nie König von Ungarn werden." — Siehe den Artikel ,,Der Brief des Erzherzogs Franz Ferdinand Uber den Grafen Tisza", Neues Wiener Abendblatt vom xi. November 1926. ') Siehe Anhang. 3 ) Bericht des Rates v. T r e u t i e r vom Gefolge Kaiser Wilhelms an Unterstaatssekretär Zimmermann Ober die Gespräche des Kaisers mit dem Erzherzog-Thronfolger bei der zweiten Zusammenkunft in Konopischt vom 13. Juni 1914. — Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871—1914, Berlin, Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte, Nr. 15736, X X X I X , S. 365. 4 ) „Franz Ferdinand kein Ungarnfeind." Eine Erklärung des Ministers a. D. Ottokar Czernin Ober die Körberbriefe. „Neues Wiener Journal" vom 20. November 1926. Czernin: Im Weltkrieg, S. 49.
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Tschirschky, hat das Verhältnis dieser beiden machtvollen Persönlichkeiten zweifellos viel richtiger beurteilt, als er in seinem Geheimberichte an den deutschen Staatssekretär von Jagow die Kluft zwischen ihnen als „ u n ü b e r b r ü c k b a r " bezeichnete1). Eine Ansicht, die sich mit der eines andern deutschen Diplomaten, des Grafen Fürstenberg, Generalkonsuls in Budapest, deckt, der sich in seinem Berichte vom 4. Mai 1914 ebenso ausführlich als zutreffend über den Gegensatz der beiden Männer äußert und dabei zu dem Schlüsse gelangt, daß der Thronfolger die Politik Tiszas von seinem Standpunkte als g e f ä h r l i c h in jeder Hinsicht ansehen müsse, da dieser den Schwerpunkt der Monarchie — beiläufig bemerkt: nach dem Rezepte Bismarcks — nach Ungarn verlegen wolle und damit die gesamtösterreichischen Interessen Franz Ferdinands gefährde1). Sicherlich hatte sich der Thronfolger durch seine autokratische Ignorierung der ungarischen Gesetze den Magyaren gegenüber formell ins Unrecht begeben, denn waren die meisten ihrer famosen „Gravamina" auch juridische Sophistereien, so ließen sich die fundamentalen Bestimmungen des Gesetzartikels von 1790/91 doch nicht wegdisputieren und gaben ihren Wünschen nach einer Sonderstellung durchaus recht. Ungarn als österreichische Provinz zu behandeln, wie Franz Ferdinand es gern getan hätte, ging von rechtswegen nun einmal durchaus nicht an. War diese Sonderstellung für die Einheit der Monarchie fraglos auch ein Unglück und auch der Macht der Dynastie höchst abträglich: sie war nun einmal gesetzlich gegeben und mußte respektiert werden. Tat man es nicht, so beging man eben ein Unrecht, mochte dieses Unrecht im Hinblick auf Reich und Thron auch politisch begründet sein. Wenn sich Franz Ferdinand den Losreißungsgelüsten der Magyaren entgegenstellte und gegebenenfalls bereit gewesen wäre, sie mit Gewalt zu verhindern, so war das übrigens keineswegs bloß der Ausdruck seiner autokratischen, sich über juridische Hindernisse hinwegsetzenden Selbstherrlichkeit: er vermochte sich dabei auch seinerseits auf ein Gesetz zu berufen: auf die ungarische Pragmatische Sanktion von 1723, die die „ u n t r e n n b a r e " und „ u n t e i l b a r e " Verbindung U n g a r n s mit den E r b l ä n d e r n festsetzte und auf die, wie schon erwähnt, auch der den magyarischen Sonderbestrebungen sonst so günstige Gesetzartikel X Bezug nahm. l ) Herr von T s c h i r s c h k y , deutscher Botschafter in Wien, in einem geheimen Bericht an Staatssekretär von Jagow vom 10. Mai 1914. Große P o l i t i k , X X X I X , Nr. 15752, S. 358. ») Große P o l i t i k , X X X I X , S. 360.
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Durchaus im Rechte und auf gesetzlichem Boden stand der Thronfolger den Magyaren gegenüber hinsichtlich ihrer Behandlung der Nationalitäten. Mit klarem Blick erkannte er die ungeheuern Gefahren, die sie dadurch über die Monarchie und Dynastie und damit auch über sich selber heraufbeschworen, denn sie schufen hiermit bei den nichtmagyarischen Völkern Ungarns eine vielfache Irredenta, die trotz aller drakonischen Unterdrückungen von deren Stammesgenossen jenseits der Grenzen stets mit neuer Lebens- und Widerstandskraft versorgt wurde. Angesichts dieser schweren Gefahr sah Franz Ferdinand nur eine Rettung: die nationale Befriedigimg der nicht-magyarischen Völker Ungarns, der sogenannten „Nationalitäten". Er hatte dabei nicht nur das ethische, sondern auch das legale Recht auf seiner Seite, denn der ungarische Gesetzartikel XLIV vom Jahre 1868, bei dem einer der größten Söhne Ungarns, Franz von Deäk, Pate gestanden, sicherte den Nationalitäten, wenngleich in ziemlich engen Grenzen, das Recht, nach ihrer nationalen Fasson selig zu werden, wofern sie nur dem ungarischen Staatsgedanken treu blieben und ihn respektierten. Sosehr die Magyaren aber sonst auf ihre Gesetze zu pochen pflegten, in diesem Falle hatten sie das Gesetz nicht berücksichtigt, weil es ihrem Ziele, dem magyarischen Nationalstaat, im Wege stand. Nichts kennzeichnete diese Ignorierung des Nationalitätengesetzes so drastisch wie die Zusammensetzung des ungarischen Parlaments, das immer nur eine verschwindend kleine Anzahl von Vertretern der Nationalitäten aufwies. So waren vor dem Kriege die 8 Millionen Nicht-Magyaren Ungarns (ohne Kroatien) durch 21 1 ) Abgeordnete vertreten, die 8 1 / a Millionen Magyaren dagegen durch 392! Franz Ferdinand wollte dem Nationalitätengesetze zu voller Geltung verhelfen. Da hiezu aber unter den gegebenen Verhältnissen keine Aussicht bestand, strebte er die Einführung des Allgemeinen Wahlrechts an. Ein Ausweg, der ihm im Grunde nichts weniger als sympathisch war, da eine Vermehrung der demokratischen Elemente in der Volksvertretung seinem aristokratischen Standpunkte sowie seiner Besorgnis vor dem sozialen Umstürze, ganz und gar nicht zusagte und er daher, als das Allgemeine Wahlrecht in Österreich eingeführt werden sollte, dagegen Stellung genommen hatte*). In Ungarn ') Davon 1 3 Siebenbürger Sachsen, die den Magyaren stete Gefolgschaft leisteten , so daß die Zahl der eigentlichen Nationalitätenvertreter auf 8 zusammenschro mpfte I ') Siehe sein Gespräch Ober diese Frage mit G r a f O t t o k a r C z e r n i n in dessen g e h e i m e m T a g e b u c h e , das widerrechtlich in tschechische Hände gelangte und
Franz Ferdinand nnd Ungarn
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aber lagen die Dinge anders, war eine s o z i a l e Umwälzung zunächst nicht zu befürchten und die Einführung des allgemeinen Wahlrechts die e i n z i g e Möglichkeit, die magyarische Hegemonie zu brechen und die nationalen Wünsche der Nationalitäten ohne Gewaltmittel, auf legalem Wege zu befriedigen. Und darum plante Franz Ferdinand seine Durchführung. So lange der alte Kaiser lebte, war diese wohl nicht zu erhoffen; saß aber er selber einmal auf dem Thron, dann sollte ihn nichts hindern, es durchzusetzen; wenn nicht anders, so mit Gewalt. In diesem Sinn ist auch die ihm in den Mund gelegte und vielleicht von ihm auch wirklich getane Äußerung zu verstehen, daß Ungarn ein zweites Mal erobert werden müsse. Zweifellos aber würde er vorgezogen haben, seine Ungarn betreffenden Pläne auf f r i e d l i c h e m Wege durchzusetzen. Wie recht er in dieser Frage gehabt hat, wie unrecht die Magyaren; wie sehr es sich auch von ihrem Standpunkt empfohlen hätte, die Nationalitäten zu befriedigen und dadurch der gefährlichen Irredenta vorzubeugen, die ihre kurzsichtige Magyarisierungspolitik hervorgerufen hatte; wie furchtbar sich ihre nationale Verblendung rächen sollte: das hat nach dem verlorenen Kriege der Umsturz gezeigt, der aus dem einst geographisch so natürlich begrenzten, großen, reichen und schönen Ungarlande durch furchtbare Amputationen einen armseligen Rumpf gemacht hat. . . Es war d e m n a c h k e i n e s w e g s bloß A n t i p a t h i e g e g e n die Magyaren, sondern vor allem s t a a t s m ä n n i s c h e Erk e n n t n i s der d r o h e n d e n Gefahren, die den Thronfolger bewog, soweit es seine in dieser Hinsicht noch sehr beschränkte Macht erlaubte, für die N a t i o n a l i t ä t e n gegen die Magyaren Part e i z u n e h m e n . Jene verehrten in ihm ihren Schutzpatron. So lange sie in der Monarchie noch einen solchen besaßen, waren ihren zentrifugalen Gelüsten gewisse Grenzen gesetzt; durch den Tod des Thronfolgers aber ihrer einzigen Stütze und Hoffnung beraubt, wurden sie alle eine Beute der Irredenta und machten schließlich mit den Feinden der Monarchie gemeinsame Sache . . . Von d i e s e m Standpunkt aus, also nur aus p o l i t i s c h e n Rücksichten, nicht aus persönlicher Sympathie, nahm Franz Ferdinand für die Rumänen, Slowaken, Ruthenen und Serben Ungarns Partei und zog sie den Magyaren vor. Die scheinbar besondere Vorliebe des aus dem ohne Zustimmmung des Verfassers Auszüge in der tschechischen Zeitschrift ,,NaSe Revoluce" I, i veröffentlicht worden sind.
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V. Kapitel
Erzherzogs für die Rumänen entsprang ebenfalls nicht besonderer persönlicher Sympathie — das rumänische Volk war ihm ziemlich fremd, und er kannte nur einige wenige rumänische Politiker —, sondern dem Umstände, daß sie sich den Magyarisierungsbestrebungen am nachdrücklichsten entgegenstemmten. Bei aller Erbitterung gegen die Magyaren, d. h. die magyarischen Politiker, machte der Thronfolger doch auch Ausnahmen. Außer Graf Johann Zichy, dessen schon früher gedacht worden, war es besonders der Minister a. D. Herr von Kristoffy, der sich seiner besondern Gunst erfreute und dazu bestimmt war, in Ungarn das Allgemeine Wahlrecht durchzuführen; ferner der Prälat und spätere Bischof Dr. Ldnyi, der ihm Unterricht im Ungarischen erteilt hatte1). Denn trotz seines Antagonismus gegen Ungarn gab sich der Erzherzog doch, wenngleich sicherlich ungern genug, beharrlich Mühe, die ungarische Sprache zu erlernen, was ihm bei diesem überaus schwierigen Idiom um so härter fiel, als er kein Sprachentalent besaß. In seinem Hofstaate befand sich daher immer ein Lehrer der ungarischen Sprache, der zuerst stets aus der Geistlichkeit gewählt wurde, später aus dem Offizierskorps. Auch unter seiner Dienerschaft befanden sich Ungarn.
Anhang. Der Thronfolger und der Konflikt Körber-Tisza. Zu S. 60. Den besondern Unwillen Franz Ferdinands hatte sich Graf Tisza durch sein sensationelles Rededuell mit dem österreichischen Ministerpräsidenten Dr. von Körber zugezogen. Damit hatte es folgende Bewandtnis: ') Hier will ich einer kleinen Episode Erwähnung tun, die ich der freundlichen Mitteilung Herrn Dr. F u n d e r s , des Chefredakteurs der ,,Reichspost", verdanke: Da Franz Ferdinand als Thronfolger nicht die Macht besaß, die Dienste Dr. L&nyi's und Georg Linders, eines ungarischen Vertrauensmannes, dem er sich sehr verpflichtet fühlte, mit so hohen Auszeichnungen zu bedenken, wie seine Dankbarkeit dies tun zu müssen glaubte, übergab er ihnen (oder einem von ihnen ?) ein Kästchen, das sie für den Fall, als ihm etwas Menschliches widerfahren sollte, bevor er den Thron besteigen konnte, öffnen sollten. Als dieser Fall dann wirklich eintrat, fanden sich in dem Kästchen zwei hohe Orden und ein Schreiben an Erzherzog Carl, worin ihm die Auszeichnung dieser beiden Männer empfohlen wurde. Als dieser dann den Thron bestieg, erhielten sie die ihnen bestimmten Orden. Diese Episode, die in den Details vielleicht nicht genau, in der Hauptsache aber aus der Erinnerung richtig wiedergegeben ist, kennzeichnet die Treue und Dankbarkeit Franz Ferdinands für Menschen, die sein Vertrauen besaßen; a u c h d a n n , w e n n es U n g a r n w a r e n !
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Franz Ferdinand und Ungarn
Tisza hatte als ungarischer Ministerpräsident in der Konferenz der Liberalen Partei, Ende Oktober 1903, erklärt, daß das Ausgleichsgesetz, das nur auf einer Vereinbarung zwischen dem König und dem ungarischen Reichstag beruhe, wie jedes andere ungarische Gesetz geändert werden könne, also o h n e Z u s t i m m u n g Österreichs. Als Dr. v. Körber am 17. November im österreichischen Parlament gegen diese Auffassung Verwahrung einlegte und geltend machte, daß zu einer Änderung des Ausgleichsgesetzes auch die Einwilligung Österreichs notwendig sei, erwiderte Tisza am folgenden Tag im ungarischen Parlament, die Ausführungen Herrn v. Körbers seien nur die dilettantischen Äußerungen eines „ d i s t i n g u i s h e d f o r e i g n e r " , denen keine Bedeutung beizumessen sei. Eine Bemerkung, die im Hause stürmischen Beifall hervorrief. Auf diesen Vorfall bezieht sich ein Brief, den Franz Ferdinand an Dr. von Körber richtete und in dem er sich, unter anderem, in der ihm eigenen leidenschaftlichen, mit Kraftworten nicht sparenden Ausdrucksweise über Tisza im besondern und die Magyaren im allgemeinen erging. E r bezeichnet sich in diesem aus Konopischt ohne Zeitangabe datierten Briefe als Mitglied der „gänzlich im Aussterben begriffenen Rasse der Alt-Österreicher", äußert sich in abfälligster Weise über die von ungarischer Seite vorgeschlagenen Änderungen des gemeinsamen Fahnenwappens und kommt dann auf Tisza zu sprechen: „Ganz empört bin ich über die freche, g a n z u n q u a l i f i z i e r b a r e W e i s e , in d e r d i e s e r T i s z a v o n E u e r E x z e l l e n z g e s p r o c h e n h a t . Das ist doch schon die höchste Potenz von Frechheit und Infamie. Abgesehen davon, daß sich ein Minister . . ., der erst einige Wochen Minister ist, nie unterstehen dürfte, einen Mann wie Sie, der so lange unter den schwierigsten Verhältnissen die Regierung in so vorzüglicher Weise führt, zu bekritteln, ist es ein unmöglicher Präzedenzfall, daß ein Minister eines und desselben Gesamtstaates von einem andern Minister per . A u s l ä n d e r " spricht und ihn unter dem Jubelgeheul der ihn umgebenden B beschimpft. Wahrlich, weiter kann es nicht mehr gehen, und ich kann mich und meinen gerechten, aber leider ohnmächtigen Zorn nur mit dem Sprichwort trösten: ,Der Krug geht so lang zum Wasser, bis er bricht.' Nun weiß der Himmel, was noch alles für Unglücke geschehen werden und was diese P a t e n t - H o c h v e r r ä t e r noch zum Verderben der Monarchie durchsetzen werden, bis d e r so d r i n g e n d n o t w e n d i g e K r a c h e n d l i c h e i n t r i t t ! . . ."1) Es ist zwar behauptet worden, dieser Brief sei apokryph; allein ein Beweis dafür ist nicht erbracht worden. Jedenfalls entsprechen Inhalt und Ton des Briefs durchaus dem politischen Standpunkt und dem Temperament Franz Ferdinands. ') Dieser und noch ein zweiter Brief des Thronfolgers ist im „Neuen Wiener Tage' blatt" vom 31. Oktober 1926 veröffentlicht worden.
S o s u o s k y , Franz Ferdinand.
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VI. Franz Ferdinand und das österreichische Problem. Franz Ferdinands Reformpläne. — „Groß-Österreich". — Der Trialismus. — Das politische Testament des Thronfolgers. — A n h a n g : Das Regierungsprogramm Franz Ferdinands.
Jeder Monarch hat natürlich den Wunsch, das von ihm beherrschte Reich möge mächtig und glücklich werden; bei Franz Ferdinand nahm dieser Wunsch einen geradezu leidenschaftlichen Charakter an. Seit Joseph II. hatte das Habsburgerreich keinen Herrscher besessen, der so ganz von diesem Wunsch erfüllt war wie er. Um so tiefer schmerzte und erbitterte es ihn, sehen zu müssen, daß sich die Monarchie auf einer merklich absteigenden Linie bewegte, daß ihr Gefüge immer zahlreichere und tiefere Sprünge zeigte und daß, wenn diesen Verfallserscheinungen nicht bald und gründlich abgeholfen wurde, unfehlbar, früher oder später, der Tag kommen mußte, an dem ihr alter, einst so stolz gewesener Bau zusammenbrechen und den Thron der Habsburger unter ihren Trümmern begraben würde. Der Anblick dieses Verfalls und die Erkenntnis seiner Gefahr mußten den Erzherzog um so tiefer schmerzen und erbittern, als diese Erscheinungen durchaus nicht in der Natur der Monarchie begründet erschienen, da die Lebensbedingungen des Habsburgerreichs im Gegenteil die denkbar günstigsten waren. Geographisch ausgezeichnet gelegen, zumeist mit vorzüglichen natürlichen Grenzen versehen, dank der Donau im Besitz einer großartigen Wasserstraße, mit Naturschätzen aller Art in geradezu verschwenderischer Weise bedacht, mit Landschaften ausgestattet, die zu den schönsten Europas gehörten, im Genuß einer alten Kultur, vom Nimbus einer stolzen Vergangenheit umgeben: so erschien das Habsburgerreich geradezu prädestiniert, mächtig, reich und glücklich zu werden. Dennoch war es nichts von alledem; seine Macht war brüchig, sein Reichtum lag brach, so daß es sich in beständigen Geldnöten befand, und es war eines der unglücklichsten Länder Europas. Die Ursache dieses widersinnigen Unglücks aber war nichts anderes als
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VI. Kapitel: Franz Ferdinand nnd das österreichische Problem
die Unverträglichkeit der zehn Nationen, die es bewohnten und die einander in wütenden Kämpfen zerfleischten. E s war, als ob sie alle einander darin überbieten wollten, den Wahlspruch Kaiser Franz Josefs, „Viribus unitis", lügen zu strafen. Statt mit vereinten Kräften, in klugem Wetteifer an dem Wohle des Staates zu arbeiten, der ihnen Heim, Wohnimg und Schutz gab, und damit zugleich für ihr eigenes Wohl zu sorgen: zerrten sie, von zentrifugalen Trieben gepeitscht, wie toll an den Banden, die sie zusammenhielten und an Dynastie und Reich knüpften; Banden, die ihnen ihre von nationalem Größenwahn aufgepeitschte Phantasie als unerträgliche Fesseln vorspiegelte. So befolgten sie allerdings den Wahlspruch ihres Herrschers, nur in umgekehrtem Sinne: sie arbeiteten mit vereinten Kräften am Untergange der Monarchie. Und so trieben sie es schon seit fünf Jahrzehnten, seit dem Jahre 1848, das die Drachensaat des Nationalismus ausgestreut hatte, die nun ihre giftigen Früchte trug. So weit Ungarn in Betracht kam, reichte dieser Kampf sogar noch viel weiter zurück, bis in die Zeiten Franz II. Räköczy's, also bis zum Beginne des 18. Jahrhunderts. U n d da dieses Wüten der Nationen gegeneinander und gegen den Staat mit der Zunahme des nationalen Größenwahns immer ärger wurde, so war es klar, daß das Reich früher oder später darüber zugrunde gehen würde und, wenn man nicht rechtzeitig eingriff und eine befriedigende Lösung dieses ewigen Konfliktes fand, zugrunde gehen m u ß t e . Diese Lösung zu finden, war das österreichische Problem. Skeptiker waren freilich der Ansicht, dieses Problem lasse sich ebensowenig lösen, wie etwa die Quadratur des Zirkels, und die einzig mögliche L ö s u n g sei eben die A u f l ö s u n g der Monarchie. Franz Ferdinand aber gehörte n i c h t zu diesen Skeptikern. E r glaubte an die Möglichkeit einer Lösung des Problems. E r glaubte es, weil er daran glauben wollte, ja glauben mußte, wenn er nicht an der Zukunft der Dynastie und damit an seiner eigenen verzweifeln wollte. Denn das Haus Habsburg und der österreichische Reichsgedankewaren in seinen A u g e n — und sie waren es wirklich—untrennbare, um nicht zu sagen: identische Begriffe. Habsburg war ohne Österreich nicht denkbar, und Österreich, als Gesamtreich, nicht ohne Habsburg. Was Franz Ferdinand als politisches Ideal vorschwebte, war e i n e i n h e i t l i c h e s g r o ß e s Ö s t e r r e i c h , in d e m sich alle N a t i o n e n v o r allem als Ö s t e r r e i c h e r , d a n n erst als D e u t s c h e , M a g y a r e n , T s c h e c h e n u s w . f ü h l e n s o l l t e n ; ein Ideal also, das geradezu das Gegenstück des Habsburgerreichs darstellte, wie es wirklich war. 6*
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Dieses ideale Österreich mag auch Franz Josef in seiner ersten Regierungszeit vor Augen gehabt haben; allein die traurigen Erfahrungen, die er mit seinen Völkern machte, hatten ihm den Glauben an dieses Ideal so gründlich zerstört, daß er es beiseite legte wie ein kindliches Spielzeug, für das der gereifte Mann nur mehr ein mitleidiges Lächeln hatte. Die Verwirklichung dieses Ideals zu erkämpfen, zu erzwingen, daran dachte er in seinen spätem Jahren nicht mehr. Er war keine Kampfnatur, sondern Opportunist oder vielmehr, wenn man so sagen darf: Resignist. Franz Ferdinand aber war eine Kampfnatur; Opportunismus und Resignation lagen ihm durchaus fern. Er hielt an seinem Ideal fest, glaubte an dessen Verwirklichungsmöglichkeit und wollte es erringen, wenn nötig, mit Gewalt. Auf den ersten Eindruck hin mag er darum als wirklichkeitsfremder Idealist und Träumer erscheinen; aber er war dies in Wahrheit ganz und gar nicht. Sein Wunsch und Ziel, die Völker Österreichs sollten ihre nationalen Gefühle sozusagen in die zweite Linie stellen und sich vor allem als Österreicher fühlen, war durchaus nicht so utopistisch und töricht, als es bei oberflächlicher Betrachtung erscheinen mag. Die Schweiz und besonders die Vereinigten Staaten von Nordamerika liefern den Beweis dafür, daß dies möglich gewesen wäre. In der Schweiz leben Deutsche, Franzosen, Italiener und Ladiner, sind sich ihrer besondern Nationalität auch wohl bewußt, fühlen sich aber nichtsdestoweniger vor allem als Schweizer und finden sich, so verschieden ihre nationalen Interessen auch sonst sein mögen, in diesem Bewußtsein zusammen. Während die Nationen in der Schweiz aber noch an ihrer Selbständigkeit festhalten, wirkt die nordamerikanische Union bei den zahlreichen Landesfremden, die sich in ihrem Bereiche niedergelassen haben, wie ein Schmelztiegel, aus dem sie nach Ablauf von einer oder zwei Generationen als „Amerikaner" hervorgehen, sich als solche bekennen und als solche fühlen. Diese Beispiele stets vor Augen, durfte Franz Ferdinand mit Recht an die Möglichkeit glauben, daß sich sein Ideal verwirklichen lasse. Die Frage war nur das Wie. Dieses Wie beschäftigte ihn denn auch schon in seinen ersten Thronfolgerjahren sehr lebhaft. Margutti, der, wie schon erwähnt, zur Zeit, da der Erzherzog in Budweis eine Brigade kommandierte, Generalstabsoffizier dieser Brigade war, weiß hierüber Interessantes zu berichten. Er hatte in dieser Stellung wiederholt Gelegenheit, mit dem Erzherzog über Politik zu sprechen, wenn dieser ihn bei sich zu Tische lud oder, von ihm begleitet, Spaziergänge oder Wagenfahrten unternahm.
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Franz Ferdinand sei, so berichtet er, von der Überzeugung durchdrungen gewesen, daß die Monarchie nur durch eine gründliche Änderung ihrer politischen Struktur vor dem Untergange gerettet werden könne. Zu diesem Zwecke müsse sie zu einem Föderativstaate umgewandelt werden, dessen Einzelstaaten sich einer weitgehenden nationalen Autonomie erfreuen, aber durch eine möglichst starke Zentralregierung zusammengefaßt werden sollten. Als nachahmenswertes Vorbild hätten ihm dabei die Vereinigten Staaten von Nordamerika gedient. Als Margutti dagegen einwandte, dort habe eben die angelsächsische Kultur und Sprache als Grundlage und Bindeglied gewirkt, wofür in der Monarchie kein Äquivalent vorhanden sei, habe der Erzherzog auf die Deutschen verwiesen, die diesen verbindenden und festigenden Kitt bilden sollten. Als Margutti hierauf das politische Ungeschick der Deutschen Österreichs dagegen ins Treffen führte, habe der Erzherzog, hiedurch sichtlich verstimmt, das Thema fallen lassen, es aber später wieder aufgenommen und seine Ansicht in folgender Weise begründet: „Genau so wie bei Herstellung eines verläßlich haltbaren und eigentlich unbegrenzt dauerhaften Betons die größern Steine und Kiesel zerschlagen werden, damit der die Betonmasse durchdringende Zement die aneinandergefügten Steine homogen zusammenschweißen und daraus künstlich einen unzerstörbaren Monolith bilden könne: ebenso müssen die Elemente eines Föderativstaates gleichartig und gleichwertig sein, um den Bestand des Ganzen durch festen, keine Antagonismen aufkommen lassenden Zusammenhalt zu gewährleisten. Daher möchte ich das gegenwärtige Ungarn in vier oder fünf solcher Staatselemente, das heutige Böhmen in zwei, das jetzige Galizien ebenfalls in zwei zergliedern; dann könnte das deutsche Volk sich in Ungarn und Böhmen ebenso entwickeln wie in seinen eigentlichen österreichischen Stammländern. Auf diese Art würde man mit der Zeit die anfänglich durch Regierungsmaßnahmen aus Zweckmäßigkeitsmotiven einheitlich für das ganze Reich aufgedrungene deutsche Sprache als etwas ganz Natürliches und aus sich selbst logischerweise Ergebendes ansehen oder begreifen lernen. Ich bin vollkommen überzeugt, daß die übermäßige Entwicklung eines Einzelteiles innerhalb eines zusammengesetzten Staatsgebildes, wie es die Monarchie in ihrer gegenwärtigen Gestalt ist, nur auf Kosten der andern Teile platzgreifen kann, und genau dasselbe ist, wie ein pathologischer Zustand im menschlichen Körper. Wird er nicht rechtzeitig durch energische medizinische Mittel bekämpft, gegebenenfalls durch operative Eingriffe behoben, so führt er unfehlbar zum Siechtume und dann zum
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Tode. Ebenso geht ein Staatswesen vom Gefüge der Habsburgischen Monarchie unaufhaltsam zugrunde, in dem ein Element stetig hypertrophisch anschwellt, wie etwa bei uns Ungarn. Daran ist absolut nicht zu zweifeln."1) Das Haupthindernis für die von ihm ersehnte und gewollte föderalistische Umgestaltung der Monarchie sah Franz Ferdinand eben in ihrer dualistischen Verfassung und der mit ihr verknüpften Sonderund Machtstellung Ungarns. Während die „Länder der imgarischen Krone" ein festgefügtes und stramm, ja tyrannisch organisiertes Königreich Ungarn bildeten, bestand der zisleithanische Teil der Monarchie nur aus einem losen Konglomerat von Kronländern, das bezeichnenderweise nicht einmal einen einheitlichen Namen hatte, sondern offiziell und legal nur die weitläufige Bezeichnung „Die im Reichsrate vertretenen Länder" führte und nur noch aus Gründen der Gewohnheit und Bequemlichkeit „Österreich" genannt wurde, ohne mehr einen rechtmäßigen Anspruch auf diesen Titel zu haben. Schlimmer noch als dies war der klaffende Widersinn, in dem die dualistische Trennung der beiden Reichshälften *) zu ihren ethnographischen Verhältnissen stand. Es verhielt sich wirklich so, wie Springer schrieb: „Die Leitha als Grenze i s t . . . unsinnig, sie macht erst recht sichtbar, daß drüben genau dasselbe Völkerkonglomerat lebt und also ethnisch nichts gewonnen ist. Dabei zerschneidet diese Grenze nacheinander die Rumänen, die Deutschen, die Südslawen. Wir haben nicht e i n e , sondern viele Sprachen gemeinsam. Die Deutschen haben drüben zwei, die Tschechoslawen zwei Millionen, die Ruthenen eine Drittelmillion Sprachgenossen, umgekehrt die Rumänen, die Kroaten, die Serben herüben Hunderttausende. Also sind, die Leitha als Grenze genommen, außer dem Magyarischen und Polnischen, alle Idiome gemeinsam und endlich haben alle Nichtdeutschen ausnahmslos das Deutsche als gemeinsame Vermittlungssprache, die sie weder entbehren noch durch eine andere ersetzen können."') J
) Frh. v. Margu tti: Vom alten Kaiser, S. 131 f. Wiewohl der Verfasser versichert, daB er diese Äußerungen des Thronfolgers am folgenden Tag in einem Brief an seinen Vater zu Papier gebracht habe, dürfte deren Wortlaut doch etwas anders gewesen sein, da der Thronfolger gewiB nicht in dem umständlichen „papierenen" Stile gesprochen hat, der Margu tti eigen ist. Trotzdem habe ich vorgezogen, diese Äußerungen so wiederzugeben, wie sie der Autor bringt, weil sie in der Form der indirekten Rede beim Lesen ermQdend wirken könnten. *) Das Wort „ R e i c h s h ä l f t e " war nach magyarischen Begriffen ungesetzlich, also ein „Gravamen", denn es gab nach magyarischer Auffassung kein „Reich", sondern bloß eine aus zwei S t a a t e n bestehende Monarchie. *) Rudolf Springer (Dr. Karl Renner): Die Krise des Dualismus, Wien 1904, Deuticke, S. 13.
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Ob der Thronfolger das Buch gekannt hat, in dem diese Worte stehen, muß dahingestellt bleiben. Es ist aber sehr möglich, ja wahrscheinlich. Jedenfalls aber hat er sich die darin entwickelten Lösungsversuche des österreichischen Problems (nationale Matrikelführung ohne territoriale Abgrenzung der Nationen) nicht zu eigen gemacht, wozu auch die sozialdemokratische Parteizugehörigkeit des Verfassers beitragen mochte. Noch viel weniger hätte er sich mit dem Lösungsversuch des liberalen Publizisten Charmatz befreunden können, der das Band Österreichs mit Ungarn noch mehr lockern wollte, als es schon der Fall war, indem er ihm die so heiß ersehnte Personal-Union zugebilligt wissen wollte; wogegen Österreich in autonome nationale Sondergruppen zerlegt werden sollte; der also ein autonomistisches Österreich und ein magyarisches Ungarn propagierte, sonach eine Verbindung von Feuer und Wasser!1) Der Gedanke an einen Umbau der Monarchie nach dem Prinzipe der nationalen Autonomie lag, wie diese Lösungsvorschläge zeigen, damals in der Luft. Daß dieses Prinzip Franz Ferdinand von Anbeginn sympathisch gewesen, muß bei seinem autokratischen, jeglichem Nationalismus abholden Standpunkte bezweifelt werden. Er hat darin zuerst wohl nur eine fatale ultima ratio gesehen, die er nur faute de mieux angewendet sehen wollte. Da trat ein Mann in seinen Gesichtskreis, der mit apodiktischer Selbstsicherheit verkündete, für die Monarchie gebe es nur mehr einen Weg zur Rettung vom Zerfalle: ihre Umwandlung auf nationaler Grundlage zu den „ V e r e i n i g t e n S t a a t e n von Großösterreich". Dieser Mann war der ungarländische Rumäne Aurel C. Popovici, der seinen Vorschlag in einem umfangreichen Buche bis ins Detail mit außerordentlicher Klarheit, gründlichster Sachkenntnis und erstaunlicher Belesenheit begründete, wobei er alle möglichen Einwände dagegen mit gewandtester Dialektik im voraus widerlegte und ad absurdum führte. Dieses Buch mußte auf einen Mann wie Franz Ferdinand gleich einer Offenbarung wirken: Das war der Weg, der zur Gesundung und Einigung seines künftigen Reichs führte! Das war der Mann, der ihn diesen Weg führen sollte! „Groß-Österreich!" Das war das richtige Wort, der prägnante Begriff, dessen sein eigenes, politisches Ideal bedurfte! Und „Groß-Österreich" wurde zu einem Schlagworte, das die Politik des Thronfolgers kennzeichnete und das in allen Kreisen, Richard Charmatz: Deutsch-österreichische Politik 1907, Leipzig, Duncker & Humblot.
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in denen man noch österreichisch dachte und fühlte, begeisterte Zustimmung fand. Und das war sehr begreiflich, denn den Ausführungen Popovici's wohnte eine bestechende Dialektik inne: „Wenn mehrere Familien gezwungen wären, in einer und derselben, sonst genügend großen Wohnung in demselben Zimmer gemeinschaftlich zu wohnen, an einem und demselben Waschtische sich zu waschen, an einem und demselben Herde ihre Speisen zu kochen, in denselben Schränken ihre Kleider aufzubewahren, so wäre nach aller menschlichen Voraussicht der Streit, und zwar ein furchtbarer Streit, ganz unvermeidlich. Geradeso verhält es sich mit uns. Unsere Monarchie ist wie ein großes, hoch und massiv gebautes Haus aus der Feudalzeit. Aber in diesem Hause sind keine modern eingeteilten Familienwohnungen, sondern nur mehrere für eine Familie viel zu große Säle. In diesen ganz unzweckmäßigen Sälen nun sind unsere Familien genötigt, zu zweien, zu dreien, zu mehreren gemeinschaftlich zu leben. Natürlich streiten sie täglich, liegen sich täglich in den Haaren. Man hat wohl in den Sälen verschiedene Verhaltungsverordnungen affichiert, aber die werden verschiedenartig ausgelegt und dienen bloß zur Verschärfung der Zwietracht. Dabei klagen alle Familien über die Einbußen an ihrem Familienbesitzstand. Die größte Wut richtet sich natürlich gegen diejenigen Familien, denen man die Schlüssel der .historischen Säle" anvertraut hat und die somit ein Mittel haben, die andern zu maßregeln. Und doch könnten sie alle ganz gut in dem Gebäude weiterleben, nur müßte es neu adaptiert werden. Man müßte eben aus den vielen riesigen gemeinschaftlichen Sälen und Gängen durch zweckmäßig aufzuführende Scheidewände eine den Familien entsprechende Anzahl abgeteilter Wohnungen machen." 1 ) Kein vernünftiger Mensch wird die Logik dieser Beweisführung bestreiten können. Diese Logik bildete aber die Grundlage für den Neubau des Habsburgerreichs, den der geniale rumänische Baumeister errichten wollte. Nach seinem Plane sollten auf dieser Grundlage 1 5 nationale „ S t a a t e n " gebildet werden: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.
Deutsch-Österreich (deutsche Alpenländer), Deutsch-Böhmen, Deutsch-Mähren, Ungarn (magyarisches Gebiet), Siebenbürgen (ausgenommen das magyarische Szeklerland, mit dem von Rumänen bewohnten Gebieten Ostungarns), Szeklerland, Trento (Wälsch-Tirol), Triest, Böhmen (tschechische Gebiete Böhmens und Mährens), Westgalizien (polnisches Gebiet), Ostgalizien (ruthenisches Gebiet), Slowakenland,
') Aurel C. Popovici: Die Vereinigten Staaten von Groß-Österreich, Leipzig 1906, Elischer, S. 289.
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13. Kroatien (mit Dalmatien und Bosnien-Herzegowina), 14. Krain (slowenische Alpenländer), 15. Wojwodina (serbisches Gebiet Ungarns). Das waren die verkleinerten Stücke, aus denen der Thronfolger den „Beton" des großen österreichischen Hauses zusammensetzen wollte, von dem er Margutti gegenüber gesprochen hatte. Und auch der Kitt war da, der diese Masse zusammenhalten sollte: die deutsche Sprache. Popovici, obwohl kein Deutscher, sondern überzeugter Rumäne, aber weit entfernt vom nationalen Kirchturm-Standpunkt der nichtdeutschen Völker der Monarchie, die von der deutschen Sprache nichts wissen wollten, trug nicht das geringste Bedenken, als Vermittlungssprache für dieses internationale Staatengebilde die d e u t s c h e Sprache zu wählen, und zwar deshalb, weil die deutsche Sprache allein unter den neun Idiomen, die in der Monarchie gesprochen wurden, eine W e l t s p r a c h e und allen nicht-deutschen Nationen, wenigstens deren gebildeten Kreisen, mehr oder weniger geläufig, zumindest verständlich war. Die innere Amtssprache aber sollte in jedem der 1 5 „Staaten" die ihrer Bevölkerung eigene sein. Der aus diesen nationalen Staatsgebilden bestehende Bundesstaat sollte für alle gemeinsamen Angelegenheiten, wie: Äußeres, Inneres, Wehrmacht, Finanz- und Justizwesen, eine gemeinsame Regierung mit dem Kaiser an der Spitze haben. Im übrigen aber sollte jede Nation nach ihrer nationalen Fasson selig werden. Man sieht: Popovici's „Vereinigte Staaten von Groß-Österreich" stellten eine überaus glückliche Verschmelzung des alten zentralistischen Einheitsstaates mit der modernen Idee der nationalen Autonomie dar. Jeder dieser Bundesstaaten sollte eine seiner Bewohnerzahl entsprechende Anzahl von Abgeordneten in das Zentralparlament entsenden, zusammen aber bloß 42, wovon 10 aus den deutschen, 8 aus den magyarischen, 18 aus den verschiedenen slawischen Gebieten, 4 aus den rumänischen und 2 aus den italienischen. Man sollte meinen, eine vernünftigere und gerechtere Lösung des nationalen Problems, also des österreichischen überhaupt, ließe sich kaum denken, und es ist begreiflich, daß Franz Ferdinand in diesem Programm fast die — zunächst bloß theoretische — Verwirklichung seines politischen Ideals sah. Fast! Dennseinemscharfenundnüchternen Blicke konnte es nicht entgehen, daß dieses Programm eine verwundbare Stelle hatte, und das war dessen allzugroßer Radikalismus. Popovici hatte die historischen Kronlandgrenzen aus der Karte der Monarchie einfach weggelöscht und dadurch mit verwegener und harter
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Hand an jahrhundertalte Tradition gerührt. Diese Grenzen hatte aber die Geschichte gezogen, und ein so warmer, ja leidenschaftlicher Anhänger der historischen Tradition wie der Thronfolger mußte diese souveräne Behandlung derselben als Respektlosigkeit empfinden, mit der er sich unmöglich befreunden konnte, so überaus sympathisch ihm auch Popovicis Plan im ganzen war. Daß er sich jemals zu diesem Eingriffe hätte entschließen können, ist kaum anzunehmen. Und nicht nur mit Rücksicht auf sein persönliches Empfinden, sondern auch auf die Bevölkerung der österreichischen Kronländer, die die Aufhebung der altgewohnten Kronlandgrenzen als Verletzung ihres Kronlandpatriotismus empfunden und sich heftig dagegen zur Wehr gesetzt hätten. Diese Erwägungen warfen ihre Schatten auf die Freude des Thronfolgers, nun endlich den Weg gefunden zu haben, der aus dem Wirrsal der in der Monarchie bestehenden trostlosen Verhältnisse herausführen sollte. Und diese Schatten wurden um so dunkler, als die Aufnahme, die das Projekt Popovici's in den politischen Kreisen fand, sehr ungünstig ausfiel. Daß es in Ungarn die schärfste Ablehnung fand, war bei der Empfindlichkeit des magyarischen Nationalstolzes und der rein juridischen und historischen Auffassung, die dort bestand und die den tatsächlichen ethnographischen Verhältnissen durchaus nicht Rechnung zu tragen gewillt war, nicht anders zu erwarten. Ebensowenig durfte man von den Tschechen und Polen erhoffen, daß sie in eine nationale Zweiteilung der Sudetenländer einerseits, Galiziens anderseits willigen würden: aber auch in den Kreisen der deutschen Politiker fand die großösterreichische Idee keineswegs allgemeine Zustimmung, sondern stieß auf eine Reihe staatsrechtlicher und verwaltungstechnischer Bedenken. Eine vom Herausgeber der „Armeezeitung", C. M. Danzer, veranstaltete Rundfrage bei namhaften Politikern der Kronländer Österreichs führte zu einem vorwiegend negativen Ergebnisse1). Die dagegen ins Treffen geführten Einwände verrieten die ganze Kurzsichtigkeit, Kleinlichkeit und juridische Verbohrtheit der zünftigen Politiker Österreichs. Volle Zustimmung konnte ,,Groß-österreich" nur bei den „Nationalitäten" in Ungarn und den Kroaten finden, für die es eine Befreiung von dem ihnen verhaßten magyarischen Joche gewesen wäre; ferner bei den Ruthenen, die dadurch der drückenden polnischen Vormundschaft losgeworden wären, und bei einem großen Teil der Christlichsozialen, damals den Hauptvertretern des österreichischen Reichsgedankens. 1
) C. M. Danzer: Das neue Österreich, Wien 1908, Konegen.
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Wie „Groß-Österreich" auf die breite Öffentlichkeit gewirkt hätte, läßt sich nicht sagen, denn diese Idee blieb ihr im großen ganzen unbekannt. In Ungarn hatte man das Projekt natürlich in Acht und Bann getan und trug dafür Sorge, daß es möglichst unbekannt bleibe; in Österreich aber wurde es von der tonangebenden Presse, die sich mit dem „liberalen" Ungarn stets solidarisch fühlte, totgeschwiegen. Jedenfalls mußte Franz Ferdinand bald erkennen, auf welch außerordentliche Schwierigkeiten die Realisierung des Popovicischen Projekts stoßen würde. Doch war er nicht der Mann, sich von einer Idee, die er sich einmal zu eigen gemacht hatte, durch den Widerstand, den sie fand, abschrecken zu lassen. Übrigens war er einstweilen auch noch gar nicht in der Lage, die Verwirklichung dieser Idee durchzuführen. Zudem war ein neues Projekt aufgetaucht: die Umwandlung der Monarchie auf t r i a l i s t i s c h e r Grundlage an Stelle ihrer dualistischen Verfassimg. Aus den von den Südslawen, Kroaten, Slowenen und Serben bewohnten Gebieten der Monarchie sollte ein dritter Staat neben Österreich und Ungarn ins Leben gerufen und damit der magyarischen Präponderanz ein wirksames Gegengewicht geschaffen werden. Ein Ziel, das dem Thronfolger diese Idee sympathisch machte. Außer bei den Magyaren wäre dieser Plan auch fraglos auf weniger Gegner gestoßen als „Groß-Österreich"; allein seinem scharfen Blicke konnte es nicht entgehen, daß auch in diesem scheinbar so plausiblen Projekt ein gefährlicher Haken verborgen war: die Möglichkeit nämlich, daß dieser Dritte im Bunde sich mit den Magyaren gegen Österreich verbinde und hiedurch den Zweck seiner Errichtung, ein Gegengewicht gegen Ungarn zu schaffen, illusorisch mache. Eine Möglichkeit, für die die serbisch-magyarische Verbrüderung im Jahre 1906 und die sogenannte „Fiumaner Resolution" ein gegen Österreich gerichtetes Bündnis zwischen Kroaten und Serben einer-, Magyaren anderseits, als warnender Präzedenzfall dienen konnte . . . Ganz von der Hand zu weisen war der trialistische Gedanke darum aber doch nicht; nur mußte man ihn, wenn man ihn verwirklichen wollte, mit äußerster Vorsicht anfassen. Wenn der Thronfolger mit dem Trialismus aber auch bis zu einem gewissen Grade sympathisierte, so war es doch nicht viel mehr als eine Liebelei, ein Flirt: seine alte, unausrottbare Liebe blieb doch „Großösterreich". Es mußte ja nicht genau nach dem radikalen Rezepte Popovici's ins Werk gesetzt werden . . . Vorerst freilich gedachte er, einmal auf den Thron gelangt, mit radikalen Maßnahmen zurückzuhalten und den Versuch zu machen, die
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von ihm angestrebte politische Sanierung der Monarchie auf Grund der bestehenden Verhältnisse in Angriff zu nehmen, um zunächst, nach und nach, die Umwandlung mit ihr vorzunehmen, die er als Ziel im Auge hatte. Erst wenn sich dieser friedliche Weg als ungangbar erweisen und zu Hindernissen führen sollte, die sich mit gewöhnlichen Mitteln nicht beseitigen lassen sollten: erst dann wollte er zu schärfern Maßnahmen greifen und im äußersten Falle Gewalt anwenden. In diesem Sinn ist denn auch sein Regierungsprogramm gehalten, das, aus den Jahren 1910/11 stammend, erst mehr als neun Jahre nach seinem Tode bekannt wurde1) und durch seine maßvollen Bestimmungen, besonders durch seine Respektierung der dualistischen Konstruktion der Monarchie, wohl allgemein überrascht haben dürfte. War es doch gerade der Dualismus, in dem Franz Ferdinand die Wurzel alles Übels der Monarchie gesehen und dessen Beseitigung er für deren Gesundung als unerläßlich erachtet hatte. Sollte er seine Ansicht so gründlich geändert und diese Änderung so vollständig verheimlicht haben ? . . . Nein, das ist ganz gewiß nicht der Fall gewesen; aber er wollte die Monarchie nicht gleich bei seinem Regierungsantritte den schweren Erschütterungen aussetzen, die sich bei einem sofortigen Umsturz ihrer Grundlagen nicht hätten vermeiden lassen. Daß er trotzdem dabei sein Ziel nicht aus dem Auge verloren hat, läßt sich aus den Bestimmungen dieses Dokuments unschwer erkennen. Der Entwurf dieses Regierungsprogramms rührte aus der Feder des damaligen Vorstands der Militärkanzlei des Erzherzogs, seines Flügeladjutanten, des damaligen Oberstleutnants Alexander von Brosch her, der dabei staatsrechtliche Kapazitäten wie die Professoren v. Lammasch und Turba zugezogen hatte. An dieser Stelle auf die Einzelheiten dieses umfangreichen Dokuments einzugehen, ist ausgeschlossen. Es wird an geeigneterem Ort im vollen Wortlaute wiedergegeben werden2). Nur so viel sei hier dazu bemerkt, daß den Angelpunkt des Dokuments die Reform der ungarischen Verfassung bildet. Ungarn sollte nicht mehr, wie bisher, eine ausschließliche Domäne der Magyaren sein, sondern ein von allen Völkern, die es bewohnten, gemeinsam regiertes und verwaltetes Land. Da dies aber nur durch die Einführung des Allgemeinen Wahlrechts zu erzielen war, so mußte vor allem dieses durchgesetzt werden. Und zwar mußte dies geschehen, bevor Franz Ferdinand sich zum König von Ungarn krönen ließ, *) Veröffentlicht im „Neuen Wiener Journal" vom 30. und 31. Dezember 1923. *) Siehe Anhang.
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denn der Krönungseid war auf die b e s t e h e n d e Verfassung abzulegen. Wenn er sich hätte krönen lassen, bevor die Reform der Verfassung in Ungarn Tatsache geworden wäre, so wär' er durch seinen Eid gebunden gewesen und hätte ihn, wenn er sein Ziel erreichen wollte, brechen müssen. Um dies zu vermeiden, mußte der Zeitpunkt der Krönimg demnach so weit hinausgeschoben werden, bis das Allgemeine Wahlrecht durchgeführt und auf Grund dessen die Alleinherrschaft der Magyaren über Ungarn gebrochen war. Dann erst konnte er den Krönungseid mit gutem Gewissen leisten. Allerdings sollte die Krönung dem Gesetze zufolge schon sechs Monate nach der Thronbesteigung erfolgen, also nach einer Frist, die für die Durchführung der geplanten Verfassungsreformen keinesfalls genügt haben würde. Es mußte somit zunächst eine Verlängerung dieser Frist auf unbestimmte Zeit gesetzlich festgestellt werden. Dann erst konnten Allgemeines Wahlrecht, Verfassungsreform und Krönung durchgeführt werden, ohne gegen das Gesetz zu verstoßen. Man kann hieraus ersehen, wie umsichtig Franz Ferdinand, zur Herrschaft gelangt, vorzugehen beabsichtigte und wie sehr er bestrebt war, sein Ziel auf friedlichem Wege zu erreichen. Ob ihm das geglückt wäre, ist allerdings sehr fraglich, denn die Magyaren würden, in der klaren Erkenntnis, daß ihre Vorherrschaft auf dem Spiele stand, zweifellos Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt haben, die Verwirklichung seiner Absichten zu vereiteln. Doch war diese Möglichkeit im Regierungsprogramm vorgesehen und für diesen Fall die Durchführung des Allgemeinen Wahlrechts durch einen Oktroi geplant. Freilich würde voraussichtlich auch dieser bei den Magyaren auf großen Widerstand gestoßen sein und bei ihrem leidenschaftlichen Temperament möglicherweise zur Revolution geführt haben, womit alle Vorsicht der geplanten Maßnahmen zunichte gemacht worden wäre. Nächst diesem, bei weitem wichtigsten Punkte, des Regierungsprogramms des Thronfolgers sei hier nur noch auf folgende bedeutsame Bestimmungen kurz hingewiesen: Auf die Erhebung Bosniens und der Herzegowina zum Königreiche unter vorläufiger Belassung dieser Gebiete in ihrer Sonderstellung zwischen Österreich und Ungarn; auf die Einführung der deutschen Sprache als Staatssprache und auf die Festsetzung des Titels der Herzogin von Hohenberg als „Kaisers- und Königs-Gemahlin" und ihrer Ernennung zur ersten Dame des Hofs. Ob Franz Ferdinand nach seiner Thronbesteigung an diesem Regierungsprogramm auch festgehalten, ob er es nicht in diesem oder
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VI. Kapitel
jenem Punkte geändert oder vielleicht sogar umgestoßen hätte, wenn die Zeitverhältnisse es ihm ratsam erschienen ließen, muß eine offene Frage bleiben, so lange seine Unterlassenen Papiere nicht zugänglich sind. Erst sie werden hierüber Aufschluß geben 1 ).
Anhang. Zu S. 76.
Das Regierungsprogramm Franz Ferdinands. Programm für den Thronwechsel, a) A l l g e m e i n e
Gesichtspunkte.
Der Thronwechsel muß sich vollkommen glatt vollziehen. Nun gibt es viele Stimmen im In- und Auslande, welche meinen, die Monarchie sei bloß ein Staatswesen auf Kündigung und gehe beim Ableben des alten Kaisers aus allen Fugen. Revolution in Ungarn, Krieg mit Italien, eventuell Serbien und Montenegro werden als bestimmt erwartet. Das Bestreben der ersten Regierungshandlungen muß daher sein : 1. Das Ausland darüber zu beruhigen, daß die Friedenspolitik unter Aufrechthaltung der bewährten Bündnisse, speziell jenes mit Deutschland, fortgesetzt werde. 2. Wenigstens in der ersten Zeit mit Ungarn zu versuchen, sich friedlich zu verständigen, damit die Monarchie ihre Stellung als konsolidierte Großmacht dem Ausland vis-à-vis nicht verliert und allenthalben die Meinung befestigt wird, daß auch im Innern der Monarchie keine Umwälzungen und Komplikationen eintreten. 3. Im In- und Ausland muß schon vom ersten Tag an die Überzeugung durchdringen, daß mit fester Hand, Ruhe und Entschiedenheit planmäßig vorgegangen wird. Auf diesen ersten Eindruck, auf die ersten Enunziationen des Kaisers kommt alles an. Farblose Manifeste und zögernde Versuche in neue Bahnen einzulenken, würden die Bevölkerung nur enttäuschen. Fester Wille und gerade Direktion müssen daher gleich anfangs zum Ausdruck kommen und jedenfalls der Eindruck des ,,Fortwursteins" von Haus aus vermieden werden. 4. Die Direktion wäre aber nur in großen Leitlinien zu geben; es muß unbedingt vermieden werden, daß ein Regierungsprogramm publiziert wird, das nach kurzer Zeit einer Revision unter zogen werden müßte. *) In der „Reichspost" vom 28. März 1926 hat der österreichische Gesandte und bevollmächtigte Minister a. D. Johann A n d r e a s F r e i h e r r v. E i c h h o f f ein Regierungsprogramm Franz Ferdinands veröffentlicht, das, ohne auch nur entfernt so präzis und detailliert zu sein wie das von Brosch ausgearbeitete, in seinen Umrissen doch erkennen läßt, daß darin der großösterreichische Standpunkt nachdrücklich zur Geltung kommt. Dieses Programm, das offenbar vom Verfasser dieser Veröffentlichung im Einvernehmen mit dem Thronfolger entworfen worden ist, scheint aus dessen letzten Lebensjahren herzurühren. Eine präzise Zeitangabe fehlt leider.
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5. Zu folgenden Fragen müßte sofort Stellung genommen werden: a) Äußere Politik — Friedensgarantie, b) Wahlrecht in Ungarn, c) Sprachenstreit in Böhmen und Österreich, d) Gleichberechtigung aller Nationen in Ungarn, e) Gleichberechtigung aller Religionsbekenntnisse, f) gleiche Liebe der Krone für alle Stände, ob vornehm, ob gering, ob arm, ob reich, g) Aufrechthaltung der Reichseinheit, h) Aufrechthaltung der Einheit der Armee, i) Aufrechthaltung der 67er Basis, }) Verfassungsmäßige Regierung, k) Regelung der Stellung Bosniens zur Monarchie, 1) Revision einzelner Ausgleichsbestimmungen, soweit sie in Österreich und Ungarn nicht übereinstimmen, m) Zusicherung der Ablegung des eidlichen Gelöbnisses in Österreich bzw. des Krönungseides in Ungarn, wenn Verfassungsrevision vollzogen ist. b) M a n i f e s t . 6. Diese Fragen werden zum Teil im Manifest anzudeuten, zum Teil den beiden Regierungen bekanntzugeben sein; das Manifest wird eine Art Thronrede sein müssen, nur viel kürzer, dafür inhaltsschwerer. Wenn möglich, wäre nur ein Manifest zu erlassen, das in allen Landessprachen erscheinen soll. (1848 sind zwei getrennte Manifeste erschienen, was jedoch durch die Verhältnisse — Aufstand in Ungarn — motiviert ist.) Jedenfalls wird der Versuch gemacht werden müssen, den ungarischen Ministerpräsidenten zur Annahme des einheitlichen Manifestes zu bewegen. Nachdem das Manifest einer Gegenzeichnung bedarf, so muß der ungarische Ministerpräsident mit dem Text auch einverstanden sein. Würde ein einheitliches Manifest wegen des Widerstandes Ungarns nicht zustande kommen, so erübrigt wohl nichts als drei möglichst kongruente Manifeste für Österreich, ,, Ungarn und ,, Bosnien-Herzegowina zu erlassen. Damit käme schließlich gleich vom Anbeginn zum Ausdruck, daß Bosnien ebenso ein Reichsteil ist wie Ungarn. Eine Idee wäre noch, das einheitliche Manifest, das der ungarische Ministerpräsident zu kontrasignieren sich weigern würde, durch den Minister des k. u. k. Hauses und des Äußern gegenzeichnen zu lassen. Daß dies in Ungarn einen Sturm hervorrufen würde, ist naheliegend; aber verfassungsrechtlich wäre über die Sache doch hinwegzukommen. Denn im Manifest werden die Beziehungen des Kaisers zu seinen Völkern und nicht nur innere politische Fragen der Reichsteile besprochen. Diese persönlichen Beziehungen, welche mit der staatsrechtlichen Struktur der Monarchie nichts zu tun haben, könnten also vom Minister des kaiserlichen Hauses gegengezeichnet werden, ohne daß der ominöse § 27 des GA. X I I , 1867, welcher den gemeinsamen Ministern untersagt, die Geschäfte in einem der Reichsteile zu führen oder auf dieselben Einfluß zu üben, Anwendung finden könnte.
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VI. Kapitel c) R e i c h s k a n z l e r .
Hiedurch wird gleichzeitig die Stellung des Ministers des kaiserlichen Hauses als quasi „Reichskanzler" präzisiert, ohne daß gleich mit seiner Ernennung dazu in Ungarn Opposition hervorgerufen wird. Die von verschiedenen Seiten vorgeschlagene Ernennung eines Reichskanzlers hat nur dann einen Sinn, wenn dieser Titular auch verfassungsmäßig das Recht hat, sich um die gemeinsamen u n d inneren Angelegenheiten, soweit sie die gemeinsamen Angelegenheiten berühren oder auf dieselben Einfluß nehmen, zu bekümmern. Es wird Aufgabe der mit Ungarn einzuleitenden Verhandlungen sein, den § GA. X I I ex 67 dementsprechend zu ändern. Sonst bleibt auch der Titel Reichskanzler ohne jedweden Inhalt und würde nur aufreizend wirken. d) S t e l l u n g I h r e r H o h e i t d e r F r a u H e r z o g i n v o n H o h e n b e r g . Die Stellung Ihrer Hoheit am Allerhöchsten Hofe als erste D a m e d e s s e l b e n muß a m e r s t e n T a g e g e r e g e l t w e r d e n 1 ) . 1 . um von Haus aus einer schiefen Situation vorzubeugen (fremde Fürstlichkeiten bei der Trauerfeier); 2. weil die Überraschung das beste Mittel ist, inkompetente Einflüsse von Haus aus auszuschalten. In der ersten Aufregung über den Thronwechsel wird man eine bezügliche Enunziation viel eher kritiklos hinnehmen wie später; 3. um die magyarischen Anbiederungen, die mit der Erhebung Ihrer Hoheit zur ungarischen Königin ein politisches Geschäft machen möchten, unmöglich zu machen. Durch ein Allerhöchstes Handschreiben an Ihre Hoheit, an den Minister des kaiserlichen Hauses und des Äußern und an den ersten Obersthofmeister wird Ihrer Hoheit Titel und Würde der Kaisers- und Königs-Gemahlin mit allen aus dieser Stellung hervorgehenden Vorrechten als erste Dame am Allerhöchsten Hofe zu verleihen sein. T i t e l und W ü r d e einer Herzogin mit dem P r ä d i k a t e H o h e i t h ä t t e n u n v e r ä n d e r t zu b l e i b e n . Vom Inhalt dieses Handschreibens hätte der Minister des kaiserlichen Hauses und des Äußern sowohl den beiden Ministerpräsidenten als auch den Österreich-ungarischen Vertretungen im Auslande Kenntnis zu geben. Eine Kontrasignatur der Handschreiben ist nicht nötig. e) S t e l l u n g des E r z h e r z o g s K a r l F r a n z J o s e f a l s T h r o n f o l g e r . Nach den Bestimmungen der Pragmatischen Sanktion und der Erklärung des Erzherzogs Franz Ferdinand bei der Eheschließung ist E r z h e r z o g K a r l F r a n z J o s e f i n s o l a n g e d e r T h r o n e r b e , als n i c h t e t w a n o c h s p ä t e r aus einer ebenbürtigen zweiten E h e s u k z e s s i o n s f ä h i g e K i n d e r zur W e l t k o m m e n . Trotzdem diese Rechtslage vollkommen klar ist, wird die Thronfolgefrage im In- und Auslande, speziell aber in Ungarn immer wieder aufs Tapet gebracht. Um diesen Erörterungen, die nach der Ernennung Ihrer Hoheit zur Kaiser- und Königs-Gemahlin noch schärfer in den Vordergrund treten würden, von Haus aus die Spitze abzubrechen, wird durch Allerhöchstes *) Im Verlaufe dieser Wiedergabe des Regierungsprogramms sind — unabhängig von der Veröffentlichung im „Neuen Wiener Journal" — nur die bedeutsamsten Punkte durch Sperrdruck hervorgehoben worden.
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Handschreiben Erzherzog Karl Franz Josef „im Sinne und unter Aufrechthaltung der Bestimmungen der Pragmatischen Sanktion" zum Erzherzog-Thronfolger ernannt. Hiedurch wird ohne Änderung der Situation und ohne daß hiedurch der rechtlich-möglichen sukzessionsfähigen Nachkommenschaft des Kaisers ihre Thronrechte genommen würden, der tatsächlich bestehende Zustand nur besser präzisiert und dem Thronfolger hiedurch eine ähnliche Stellung wie dem Kronprinzen gegeben. f) V e r f a s s u n g s m ä ß i g e s Gelöbnis und K r ö n u n g s e i d . Das Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 über die Ausübung der Regierungs- und Vollzugsgewalt bestimmt mit Artikel 8: Der Kaiser leistet beim Antritte der Regierung in Gegenwart beider Häuser des Reichsrates das eidliche Gelöbnis: „Die Grundgesetze der im Reichsrate vertretenen Königreiche und I.änder unverbrüchlich zu halten und in Übereinstimmung mit denselben und den allgemeinen Gesetzen zu regieren." Der Zeitpunkt, wann dieses eidliche Gelöbnis in Österreich zu leisten ist, ist nicht genauer präzisiert. Beim „Antritt" der Regierung würde freilich heißen: sofort. In Ungarn bestimmt der GA. III v. J . 1791, daß die Krönung und im Zusammenhang damit die Ausstellung des Inauguraldiploms sowie die Ableistung des Krönungseides innerhalb von sechs Monaten nach der Thronbesteigung zu erfolgen haben. Es ist klar, daß nach Ablegung des eidlichen Gelöbnisses in Osterreich und des Krönungseides in Ungarn der Monarch nur mehr v e r f a s s u n g s m ä ß i g regieren kann, weil er dann die Staatsgrundgesetze beschworen hat. Was also nicht vor Ablegung dieser Eide geordnet wird, kommt möglicherweise nie mehr in Ordnung; denn über einzelne Bestimmungen der Verfassung wird man, ohne Anwendung des O k t r o i s , kaum hinwegkommen. Aber auch vorausgesetzt, daß bezügliche Verhandlungen mit Ungarn wider Erwarten günstig verlaufen und der Oktroi nicht zur Anwendung kommen braucht, ist die Position der Krone viel günstiger, wenn sie das Machtmittel des O k t r o i s — wenigstens als Drohung, um die Leute gefügiger zu machen — noch in der Hand hat. Kaiser Franz Josef hat auf die österreichische Verfassung, die er selbst seinen Völkern geschenkt hat, keinen Eid leisten brauchen; diese von ihm gegebene Verfassung wurde daher auch mehrmals geändert und sistiert, ohne daß sich der Monarch darüber Skrupeln gemacht hätte. Anders in Ungarn; nach der Ableistung des Krönungseides im Jahre 1867 hat Se. Majestät die ungarische Verfassung mehr respektiert als die Magyaren selbst, und die Entlassung des Kabinetts Fej6rv4ry-Kristoffy ist im Grunde nur darauf zurückzuführen gewesen, daß man dem Monarchen immer wieder vorhielt, er breche seinen Eid, wenn dieses Kabinett, das nicht verfassungsmäßig sei und mit nicht verfassungsmäßigen Mitteln den „nationalen Widerstand" der Komitate zu brechen versuche, länger im Amt bleibe. So wurde, knapp vor dem gänzlichen Niederringen der faktiösen Opposition der Gentry, von der Krone der Rückzug angetreten. Solche Dinge müssen sich in Ungarn wiederholen, wenn nicht vor der Krönung gründlich Ordnung gemacht wird. Als wichtigster Grundsatz muß daher aufgestellt werden: S o s n o s k y , Franz Ferdinand.
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Zuerst Ordnung der ungarischen Verhältnisse, dann Krönung; die Vereinigung der verschiedenen Fragen soll womöglich auf konstitutionellem Wege geschehen. Wenn dies unmöglich wird, muß der Oktroi eintreten. Daß ein Oktroi nach der Ablegung des Krönungseides unmöglich oder doch nur unter Gewissensqualen durchführbar wäre, wurde schon gesagt. g) V e r l ä n g e r u n g der F r i s t f ü r die K r ö n u n g in Ungarn. Um über die Frist von sechs Monaten hinwegzukommen, wäre durch ein im Reichstag einzubringendes Gesetz eine Verlängerung der Krönungsfrist auf unbestimmte Zeit zu erreichen. Denn daß innerhalb der sechs Monate alles bereinigt wird, ist ganz ausgeschlossen; im letzten Moment aber zu erklären, die Krönung verschieben zu müssen, wäre taktisch verfehlt. h) U n g a r n und das a l l g e m e i n e W a h l r e c h t . Die Krone hat nur ein Machtmittel gegen die widerspenstigen Magyaren in der Hand: Das allgemeine Wahlrecht. Die Bedeutung der Einführung desselben für die ungarische Politik und seine eventuell notwendige Oktroyierung sollen im nachstehenden beleuchtet werden, weil sie für die ganze Taktik Ungarn vis-à-vis maßgebend und für den Zeitpunkt der Krönung entscheidend ist. Die Wahlform muß vor der Krönung gemacht werden; wenn möglich auf verfassungsmäßigem Wege, wenn dies unmöglich im Oktroiwege, denn: 1. Das allgemeine Wahlrecht besteht schon in allen Staaten und wird sich daher auch in Ungarn nicht aufhalten lassen. Es ist nun besser, die Krone beglückt die bisher entrechteten Volksklassen mit dem Wahlrecht, als sie läßt sich dasselbe erpressen. 2. Die Behauptung, Freimaurer, Sozialisten, Anarchisten und Juden, radikale Slawen und irredentistische Rumänen und Serben würden hiedurch Regierungspartei werden und den Staat in noch größere Verlegenheiten bringen, wie jetzt die Gentry durch ihren steten Widerstand gegen die Krone, ist unmotiviert. Ungarn ist noch immer vorwiegend Agrarland; Sozialisten gibt es in 3—4 Städten, Anarchisten weniger als anderswo. Der Jude hält immer mit der stärkeren Partei, ist, wenn es, um ein Geschäft zu machen, sein muß, sogar Antisemit und also nicht zu fürchten. Der ungarische Bauer ist immer loyal gewesen, radikale Slawen und irredentische Rumänen gibt es derzeit noch nicht. Liefert man aber noch länger die Nationalitäten dem Terrorismus der Magyaren aus, dann kann man freilich auch mit dieser Zukunft rechnen. So hat man ja auch die Kroaten, indem man sie den Magyaren ohne Erbarmen auslieferte, glücklich bis zur Fiumaner Resolution gebracht. Eine künftige Regierung in Ungarn wird es aber nach Einführung des allgemeinen Wahlrechtes gax nicht nötig haben, sich auf Sozialisten und Juden und Freimaurer zu stützen. Bei 19 Millionen Einwohnern Ungarns zählte man nach den offiziellen Daten, die gewiß nicht zuungunsten der magyarischen Rasse gefärbt sind, 1910 rund: 8,7 Millionen Magyaren (darunter 1 Million unverläßliche Juden), 2,8 Millionen Rumänen, Slovaken, 2,1 10,3 2,2 Deutsche, Serben, 1,1 Ruthenen, 0.4 Kroaten. 1.7
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Das sind also gegen 8,7 Millionen Magyaren 10,3 Millionen Nationalitäten. Bei 453 Mandaten des Abgeordnetenhauses sollen daher nach dem allgemeinen Wahlrecht theoretisch 206 magyarische = 247 Nationalitätenmandate gegenüberstehen, während nach dem bisherigen Wahlrecht zu den 40 Kroaten 10 bis 20 Vertreter der Nationalitäten dazukommen, welchen zirka 400 Magyaren-Abgeordnete gegenüber sind. Wenn nun auch noch so zugunsten der Magyaren Wahlgeometrie getrieben wird, so muß doch wenigstens die Zahl von 200 Mandaten auf die Nationalitäten entfallen. Letztere sind aber noch immer ganz kaisertreu, wollen weder von der Trennung von Österreich, noch vom ungarischen Staatsrecht, noch von Militärkonzessionen zugunsten der Magyaren etwas wissen. Ihnen ist der Einheitsstaat das Ideal, weil sie in ihm die größte Garantie dafür erblicken, daß ihnen ihre Nationalität nicht geraubt wird. Nun versuche es bei der neuen Gruppierung im Parlament eine magyarische Opposition (denn ein Teil der Magyaren, speziell die Bauernvertreter werden nicht mittun) von der Krone neue Zugeständnisse zu erpressen I Da ist es also gewiß aus mit der chauvinistischen Politik und es wird ein großes Wettkriechen seitens der Magyaren um die Gunst der Krone eintreten, weil letztere das Zünglein an der Wage sehr zuungunsten der Magyaren beeinflussen könnte. Das Äußerste, was passieren könnte, ist, daß das Parlament wegen des steten Haders der verschiedenen Nationalitäten arbeitsunfähig wird, ebenso wie nun schon seit Jahren in Österreich. Das hätte aber schon den Vorteil, daß keine ungarische Regierung sich — so wie bisher immer — auf den Willen der „Nation" berufen könnte, wenn sie einen Raubzug gegen eine der wenigen noch gemeinsamen Institutionen in Wien unternehmen wollte. Durch die Arbeitsunfähigkeit des Parlaments kann übrigens das Ansehen der Krone in Ungarn nur gewinnen, weil sie dann zu einem entscheidenden Machtfaktor wird. Hat in Österreich je ein Streit um Kronrechte usw. stattgefunden, seitdem das Parlament so schwach ist ? Vom Standpunkt der Krone ist also ein schwaches oder arbeitsunfähiges ungarisches Parlament nur wünschenswert und keineswegs als Schreckgespenst zu fürchten. Die Einführung des allgemeinen Wahlrechts in Ungarn verändert also die politische Situation gänzlich. In Erkenntnis dieses Umstandes wehren sich die Tiszas, Andrdssys und Apponyis, obwohl den verschiedensten Lagern angehörend, gemeinsam gegen diese Reform. Sie werden auch nach dem Thronwechsel alles mögliche gegen die Wahlreform tun oder sie wenigstens möglichst verfälschen wollen. Vorläufig haben die Magyaren die Majorität im Parlament und sie wären einfältig, eine Wahlreform freiwillig zu beschließen, die ihnen die Macht entzieht. Die v e r f a s s u n g s m ä ß i g e Durchführung derselben wird also den größten Schwierigkeiten begegnen und nur mit der Waffe der Drohung des „ O k t r o i s " in der Hand wird die Krone v i e l l e i c h t die parlamentarische Erledigung erzwingen. Sollte dies unmöglich sein, so kommt eben die ultima ratio des Oktrois an die Reihe. Wird aber der Eid vor Durchführung der Wahlreform geleistet, dann ist der Krone die Möglichkeit des Oktrois genommen und keine Drohung wird ernst genug sein, um die Wünsche der Krone in bezug auf die Wahlreform zur Geltung zu bringen. Die Wahlreform ist also die Grundbedingung für die Sanierung der Verhältnisse in Ungarn und in der Monarchie, muß daher unbedingt vor der Krönung durchgeführt werden, weil auch nur das auf Grund des allgemeinen Wahlrechts zusammengesetzte Parlament den wünschenswerten Abänderungen der Staatsgrundgesetze die Zustimmung geben wird. 6»
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Die Revisionsklansel Im Krönungseid. Um die Schwierigkeiten der sechsmonatigen Krönungsfrist und der möglichen Ablehnung eines Gesetzentwurfes zu ihrer Verlängerung seitens des ungarischen Parlaments zu umgehen und die Möglichkeit zu haben, auch nach abgelegtem Krönungseid unter Wahrung der verfassungsmäßigen Form das ungarische Ausgleichsgesetz und andere Gesetze zu revidieren, schlägt Professor Turba vor, den Krönungseid auf seine ursprüngliche Fassung mit der sogenannten ,,Revisionsklausel" zurückzuführen, wodurch dem König auch in der Zukunft volle Gewissensfreiheit gewahrt werden würde. Die Revisionsklausel lautet vor 1867: „Heilig und streng werden wir befolgen und kraft unserer königlichen Gewalt auch befolgen lassen: Ungarns und seiner Nebenländer gesetzlich bestehende Freiheiten, Privilegien und gesetzmäßige Gewohnheitsrechte und die bisher reichtstäglich geschaffenen und von Unsern glorreichen Vorgängern, den gekrönten Königen Ungarns, sanktionierten Gesetze, sowie die in der Folge reichtstäglich zu schaffenden und von Uns, als gekröntem ungarischem König, zu sanktionierenden Gesetze in allen ihren Punkten, Artikeln und Klauseln, wie deren Auslegung und Anwendung mit Zustimmung des Königs und des Reichstages vereinbart werden wird." Im Jahre 1867 wurde der Schlußpassus wie folgt geändert: „wie deren Sinn und Übung durch gemeinsames Einverständnis des Königs und des Reichstages festgestellt werden wird." Die Revisionsklausel ist nun sehr gut und es wird jedenfalls anzustreben sein, sie wieder in den Eid hineinzubringen; ob es gelingen wird und ob ein bezüglicher Kampf dafür steht, da ja die Magyaren die Absicht sofort merken werden, ist noch die Frage. Auf keinen Fall aber dürfte man sich auf die Revisionsklausel allein verlassen und den Eid schwören, bevor die verschiedenen Änderungen in Ungarn definitiv geregelt sind. Die Revisionsklausel muß eine Hintertür für später sein; da wird sie vielleicht noch gute Dienste leisten. Die Regierung aber damit zu b e g i n n e n , der ungarischen Verfassung durch eine Hintertür an den Leib zu kommen, scheint nicht sonderlich empfehlenswert und würde Zweifel in die Aufrichtigkeit des Trägers der Krone zeitigen. i) Z e i t p u n k t f ü r die A b l e g u n g d e s K r ö n u n g s e i d e s u n d des e i d l i c h e n Gelöbnisses. Wie aus Vorstehendem ersichtlich, werden langwierige Verhandlungen vorangehen, bevor die Krönung in Ungarn möglich ist. Vor Ablauf des Trauerjahres wird sie gewiß nicht stattfinden, wahrscheinlich sogar viel später. Die Hinausschiebung der Krönung in Ungarn, der Parität halber aber auch des eidlichen Gelöbnisses in Österreich, wäre damit zu motivieren, daß die Verfassungsgesetze in Österreich und Ungarn nicht völlig übereinstimmen, der Kaiser-König aber nicht einen Eid in Österreich und einen Eid in Ungarn auf die Verfassung leisten könne, welche Verfassungen sich gegenseitig widersprechen. Bevor die Ausgleichsgesetze nicht ganz kongruent sind, wozu Verhandlungen einzuleiten und in welche zweckmäßigerweise auch die Regelung der staatsrechtlichen Stellung von Bosnien-Herzegowina einzubeziehen wären,
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vermag der Kaiser-König schon aus Gewissensbedenken, Achtung vor der Heiligkeit des Eides und Respektierung der Gesetze den Eid nicht zu leisten. Diese Entschließung wäre den beiden Ministerpräsidenten von Sr. Majestät in den ersten Wochen nach der Thronbesteigung bekanntzugeben mit der Weisung, hievon die Öffentlichkeit in der Weise durch ein Communiqué oder durch eine Regierungserklärung im Parlament zu unterrichten, daß es Se. Majestät nur für natürlich und selbstverständlich ansieht, sich möglichst bald krönen zu lassen, bzw. das eidliche Gelöbnis in Osterreich zu leisten, aus Gewissensbedenken jedoch früher gewisse Unstimmigkeiten in den beiderseitigen Gesetzen bereinigt sehen möchte.
Verhandlungen. Hiemit ist die Einleitung zu Verhandlungen bereits gemacht. Das ganze Verhandlungsprogramm bereits vor Beginn der Verhandlungen zu publizieren oder auch nur den beiden Ministerpräsidenten, welche die Verhandlungen miteinander unter Zuziehung weiterer Regierungsvertreter zu führen haben werden, bekanntzugeben, dürfte sich kaum empfehlen. Es wird viel eher zweckmäßig sein, jene Fragen, welche nicht schon von selbst auftauchen, erst im Laufe der Verhandlungen zur Diskussion zu stellen. Se. Majestät muß natürlich von Haus ein Programm dafür haben, was Gegenstand der Verhandlungen zu bilden hat. Dieses Programm gliedert sich in a) gemeinsam zwischen Österreich und Ungarn zu regelnde Fragen, b) einseitig zwischen der Krone und Österreich zu regelnde Fragen, c) einseitig zwischen der Krone und Ungarn zu regelnde Fragen.
Verhandlungsleiter. Als Leiter der unter a) und c) genannten Verhandlungen einen gemeinsamen Minister zu bestimmen, empfiehlt sich nicht, nachdem die Ungarn auf Grund des §27 des GA. XII, 1867, welcher bestimmt, daß die gemeinsamen Minister die Regierungsgeschäfte in den Reichsteilen nicht nur nicht führen, sondern nicht einmal auf dieselben Einfluß üben dürfen, diesen Minister einfach ablehnen könnten. Einem solchen Mißerfolg darf sich aber die Krone, schon gar im Anfang, nicht aussetzen. Die beiden Ministerpräsidenten hätten daher, falls nicht Seine Majestät den Vorsitz Allerhöchst selbst führt, miteinander, ohne Vorsitzenden, zu verhandeln. Fallweise werden die gemeinsamen Minister an den Sitzungen teilnehmen. Die Wünsche, Entscheidungen usw. des Kaisers werden den Ministerpräsidenten entweder direkt oder durch den Kabinettsdirektor, der über das Programm des Kaisers natürlich vollkommen orientiert sein muß und die Seele der Verhandlungen bildet, übermittelt. Die unter b) und c) notwendigen Verhandlungen finden zwischen dem Kaiser-König und dem betreffenden Ministerpräsidenten oder zwischen dem letzteren und dem Kabinettsdirektor Seiner Majestät statt. Eine Angli«derung Bosniens und der Herzegowina an Österreich würde Ungarn niemals zugeben, sie würde übrigens die slawische Majorität in Österreich verstärken, was gewiß nicht von Vorteil wäre. Aber auch die Zuteilung der Annexionsländer an Ungarn erscheint mit Rücksicht auf den Widerstand, den eine solche Idee nicht nur in Österreich,
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sondern auch in Bosnien auslösen würde, nicht möglich. Ungarn kann die Geldund Blutopfer, die Österreich f ü r die Okkupation und die Verwaltung dieser Länder gebracht, nicht ersetzen; anderseits werden sich die Bosnier mit Händen und Füßen dagegen wehren, ungarische Staatsbürger und damit ebenso wie die anderen nichtmagyarischen Nationalitäten politisch entrechtet zu werden und die Segnungen der ungarischen Verwaltung zu genießen. Durch die Angliederung der Annexionsländer an Ungarn würde überdies dessen wirtschaftlicher und politischer Einfluß in der Monarchie noch mehr steigen, Österreich aber vom Balkan, wo die Monarchie doch ihre Zukunft sucht, abgeschnitten werden. Schon jetzt kann Österreich keinen direkten Eisenbahnanschluß an Bosnien-Herzegowina erreichen; wie wäre es erst nachher? Dalmatien würde überdies sein kaum gewonnenes Hinterland verlieren und würde schließlich zu Ungarn gravitieren, das nach dem Titel des Königs ohnehin theoretisch Anspruch auf dieses Gebiet erhebt. Österreich würde schließlich noch die dalmatinische Küste verlieren. Unsere Z u k u n f t liegt aber — wenigstens teilweise — auf dem Wasser. Eine Teilung der Annexionsländer zwischen den beiden Reichshälften wäre eher diskutabel, doch würden sich die Bosnier dagegen wehren und Österreich würde jedenfalls das schlechtere Geschäft machen, d a ihm naturgemäß das Karstgebiet der Herzegowina zufiele, während Ungarn die fruchtbare Posavina und das wald- und erzreiche Bosnien erhielte. Am meisten Anhänger—freilich nicht in Ungarn — findet der T r i a l i s m u s . E r wird auch als Arkanum d a f ü r angesehen, Ungarn niederzuringen. Meiner Meinung nach ist er aber nur ein ganz gutes Schreckmittel gegen die ungarischen Chauvinisten, ohne aber wirkliche Vorteile für die Dynastie oder für Österreich zu bringen. Zuerst m u ß vorausgeschickt werden, daß die Südslawen alle mehr oder weniger unverläßliche Politiker sind. Man kann das in Kroatien, neuester Zeit auch in Bosnien beobachten. Wer garantiert nun dafür, daß das aus Kroatien, Bosnien und der Herzegowina, Dalmatien und dem Küstenlande gebildete dritte Staatsgebiet der Monarchie, zu dem auch Krain und vielleicht noch ein Stück Steiermark zugeschlagen werden müßte, immer zu Österreich halten werde ? Haben doch auch die wegen ihrer Verläßüchkeit und schwarzgelben Gesinnung vielgerühmten Kroaten F r o n t gegen Österreich und die Dynastie und gemeinsame Sache mit Kossuth und Apponyi gemacht, indem sie der Fiumaner Resolution beitraten I Es ist also gar nicht ausgeschlossen, daß die bisher einfachen Schwierigkeiten sich verdoppeln würden, wenn drei Ministerien, drei Parlamente, drei Delegationen miteinander zu arbeiten hatten und daß sich der slawische Staatsteil o f t auf der Seite Ungarns befinden wird, wo gewiß nie die Interessen der Krone zu suchen sein werden. Den Trialismus aber nur deshalb zu fördern, weil er in Ungarn anscheinend gefürchtet wird, h ä t t e um so weniger Motivierung, als Österreich damit von der Küste gänzlich abgeschlossen und ein Binnenland wird, was die größten wirtschaftlichen Nachteile f ü r die Erblande im Gefolge hätte. Wie soll übrigens eine solche staatsrechtliche Umgruppierung der Monarchie durchgeführt werden ? I m Verhandlungswege ist sie gewiß nicht zu erreichen; wird aber ein Staatsstreich riskiert, d a n n s c h n e i d e m a n l i e b e r gleich k r ä f t i g zu u n d g e s t a l t e die M o n a r c h i e in ein „ G r o ß ö s t e r r e i c h " n a c h P o p o v i c i s c h e m R e z e p t (Zentralregierung und Zentralparlament, weitgehende Länderautonomie, Abtrennung Kroatiens, Siebenbürgens und der Slo-
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wakei von Ungarn) um. Der einzige Vorteil der Trias ist in dem Ansatz zu suchen, der für eine spätere Angliederung Serbiens und Montenegros an die Monarchie gegeben ist. Wegen dieses wohl noch sehr in der Ferne liegenden Ideals die Interessen der Monarchie aufs Spiel zu setzen, wäre nun doch etwas zu riskiert. Es erübrigt daher nur, Bosnien Herzegowina als Reichsland weiter zu belassen. Hiedurch wird jeder Streit vermieden, eine neue gemeinsame Angelegenheit zwischen den beiden Reichshälften geschaffen, was ja nur erwünscht sein kann, anderseits aber der Vorwand zur gründlichen Reformierung der Delegationen gefunden, in welchen die Abgeordneten Bosniens und der Herzegowina eine perzentuelle Vertretung erhalten müssen. Denn der gegenwärtige Zustand, wonach in allen gemeinsamen Angelegenheiten der Monarchie, aber auch in vielen Materien, welche in die Kompetenz des Reichsrates (Reichstages) fallen, die bosnische Bevölkerung überhaupt keine parlamentarische Vertretung hat, ist auf die Dauer doch nicht aufrechtzuerhalten, weil er ungerecht und unbillig ist und die Bosnier zu Staatsbürgern zweiter Kategorie deklassiert. a) G e g e n s t a n d der B e r a t u n g e n zwischen den b e i d e n M i n i s t e r p r ä s i d e n t e n (gemeinsame A n g e l e g e n h e i t e n ) . 1. Volle Herstellung der Übereinstimmung zwischen den beiden Texten der 67iger Ausgleichsgesetze. 2. Eliminierung der vom Ministerium Dr. Beck zugestandenen Terminologie „die beiden Staaten der Monarchie", W i e d e r h e r s t e l l u n g des R e i c h s b e g r i f f e s im T i t e l der M o n a r c h i e als Ö s t e r r e i c h - U n g a r n : R e i c h . 3. Abschaffung der Unterzeichnung der Handelsverträge durch Vertreter beider Reichsteile, da das Ministerium des Äußern nach dem Ausgleichsgesetz von 1867 allein dazu berufen ist und jeder andere Modus dem Gesetze direkt widerspricht (Art. I I I des Gesetzes vom 24. Dezember 1867). 4. Wiederherstellung des Zoll- und Handelsbündnisses statt des von Dr. Beck zugestandenen „Handelsvertrages". 5. Pragmatisierung der Zollunion bei gleichzeitigem Abschluß eines langfristigen wirtschaftlichen Ausgleiches, womöglich Auscheidung .aller Differenzpunkte, so daß der Ausgleich in Hinkunft automatisch sich verlängert. Der unter der Wekerle-Regierung gemachte Vorschlag, Zwischenzölle für einzelne Gegenstände zwischen Österreich und Ungarn einzuführen, dafür aber die Pragmatisierung der Zollunion zu fordern, ist kaum realisierbar und würde die erhofften Vorteile schwerlich bringen. Für welche Artikel sollen die Zwischenzölle fixiert werden ? Schon darüber würde ein großer Streit entbrennen. Auch kommen die großen Kosten der Zwischenzollinie und die damit im Zusammenhang stehende Vermehrung der Finanzwache sehr in Betracht. Die Trennung der beiden Reichshälften würde noch augenscheinlicher wie bei den Eisenbahnen zum Ausdruck kommen, was gewiß nicht erwünscht ist und es ist nur zu befürchten, daß die Zwischenzollinie nur eine Etappe für die gänzliche Zolltrennung wird. Übrigens ist es sehr fraglich, ob Österreich auf die Zwischenzollinie eingeht und nicht die gänzliche Zolltrennung vorzieht. Überdies widerspricht die Einführung der Zollinie dem wirtschaftlichen Prinzip der Gegenwart nach Bildung großer Wirtschaftsgebiete, das überall zur Geltung kommt, gänzlich, ist also kaum lebensfähig. 6. Pragmatische Regelung der Frage der gemeinsamen Bank.
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Eine weitere Utraquisierung der Österreich-ungarischen Bank erscheint, von wirtschaftlichen Rücksichten ganz abgesehen, schon mit Rücksicht darauf, daß der Goldbestand der Bank den Kriegsschatz der Monarchie bildet, unmöglich. Darauf kann man es nicht ankommen lassen, daß im Kriegsfalle eine Neuauflage von 1848 in Ungarn eintritt und von der ungarischen Bankhälfte das Geld für die Mobilisierung verweigert und so die Monarchie gezwungen wird, den Kriegsbeginn mit dem Staatsbankerott einzuleiten. Aus dem gleichen Grunde ist eine Verlegung der Bank nach Budapest, der Österreich übrigens nie zustimmen würde, als Gegenkonzession an Ungarn undiskutabel. 7. Feststellung eines unabänderlichen Quotenschlüssels; wenn möglich gänzliche Eliminierung der Quote durch Schaffung neuer gemeinsamer Einnahmsquellen (wie das Zollgefälle), z. B. Salz, Tabak, Branntwein, Zündhölzchen, wodurch vermieden wird, daß von den Delegationen bewilligte Auslagen nochmals vor die Parlamente kommen und ein dreifacher Ex lex-Zustand eintreten kann. Eine Herabsetzung der Quote könnte Ungarn als Gegenkonzession für die anderen Zugeständnisse zugebilligt werden. (Von 36,4% auf 35 oder 34%.) Die Erhöhung der Quote unter dem Regime Beck wurde als großer Erfolg dieser Regierung ausposaunt. Tatsächlich spielen die zwei bis drei Millionen, die Österreich durch den neuen Quotenschlüssel erspart, bei einem Milliardenbudget gar keine Rolle, während die Konzessionen, welche in staatsrechtlicher Beziehung dafür gemacht werden mußten, sehr schwer ins Gewicht fallen. 8. R e g e l u n g der s t a a t s r e c h t l i c h e n S t e l l u n g Bosniens. 9. Ausgestaltung der Delegationen: a) durch Einberufung von Delegierten aus Bosnien-Herzegowina, b) durch Zuweisung eines Gesetzgebungs-Wirkungskreises für alle gemeinsamen oder nach gleichen Grundsätzen zu behandelnden Angelegenheiten, als da sind: A. Das Kriegswesen einschließlich aller Wehrangelegenheiten wie Wehrgesetz, Rekrutenbewilligung, Militärstrafgesetz, Einquartierung, Dislozierung und Verpflegung. Bezüglich der Rekrutenbewilligung wäre anzustreben, daß dieselbe überhaupt nicht jährlich, sondern auf längere Zeit (etwa fünf Jahre) erfolgt, falls es nicht gelingen sollte, wie in Deutschland, das Rekrutenbewilligungsrecht dadurch zu ersetzen, daß sich die Kriegsverwaltung für eine Reihe von Jahren (in Deutschland fünf) den Friedenspräsenzstand, der nicht überschritten werden darf, fixieren läßt. Damit würde jedwede Rekrutenverweigerung unmöglich werden, denn der Reichskriegsminister hätte dann während der fünf Jahre — ohne weiter zu fragen — das Recht, so viele Rekruten auszuheben, als die Aufrechthaltung des bewilligten Präsenzstandes nötig macht. B. Alle Auswärtigen Angelegenheiten. Debatten in den Teilparlamenten über Auswärtige Angelegenheiten sollen überhaupt nicht zugelassen werden; dafür sollen die Delegationen für das ganze Jahr und nicht nur für einige Wochen beisammen sein. C. Alle Handelsverträge mit dem Auslande; die Zollgesetzgebung; das Münzwesen; das Eisenbahnwesen; die Handelsmarine. D. Alle Angelegenheiten des Reichslandes Bosnien-Herzegowina, soweit sie nicht im Sarajevoer Landtag erledigt werden.
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E. Gemeinsame Verhandlungen beider Delegationen (Ministerreden z. B. werden nur einmal vorgetragen): Verhinderung dessen, daß z. B. die ungarische Delegation eine gemeinsame Abstimmung vereitelt. F. Abstellung des Usus, daß die Minister der Reichsteile in den Delegationen erscheinen (was zuerst nur in Ungarn sich einbürgerte), wodurch letzteren der Stempel eines Ausschusses des Parlaments statt der eines selbständigen gesetzgebenden Körpers aufgedrückt wird. Daß den Delegationen ehedem ein weiterer gesetzlicher Wirkungskreis zugedacht war, geht schon aus der Fassung des § 1 1 des österreichischen Gesetzes vom 21. Dezember 1867 hervor, der bestimmt, daß der Wirkungskreis des Reichsrates alle Angelegenheiten umfaßt, welche . . . insoferne dieselben nicht infolge Vereinbarung mit den Ländern der ungarischen Krone und den übrigen Ländern der Monarchie gemeinsam zu behandeln sein werden. Auch § 6 und § 13 des österreichischen Ausgleichsgesetzes sprechen von dem den Delegationen zustehenden Gesetzgebungsrecht. Im § 13 wird ganz ausdrücklich gesagt: Der Wirkungskreis der Delegationen umfaßt alle Gegenstände, welche die gemeinsamen Angelegenheiten betreffen. Das österreichische Gesetz gibt daher die Handhabe, die vorerwähnten Forderungen österreichischerseits aufzustellen. Über die Notwendigkeit einer obersten Organisation, welche die Einheitlichkeit der Monarchie und die Reichsidee repräsentiert, noch Worte zu verlieren, ist wohl überflüssig. 10. Kreiierung eines Reichskanzlers, der das gemeinsame Reichsinteresse zu wahren hat und welchem das Recht zusteht, auch auf die inneren Angelegenheiten der beiden Reichshälften Einfluß zu üben, da die Übereinstimmung zwischen innerer und äußerer Politik ein Gebot der Notwendigkeit ist. Es wird von der Personalfrage abhängen, ob der Reichskanzler gleichzeitig Minister des Äußern oder nur noch Minister des Kaiserlichen Hauses ist. Jedenfalls wird er den Vorsitz im gemeinsamen Ministerräte zu führen haben. 1 1 . R e g e l u n g der W a p p e n - und F a h n e n f r a g e . Fixierung der schwarzgelben Fahne und des Reichsadlers, der noch durch das bosnische Wappenschild zu ergänzen ist, für die Gesamtmonarchie. Der bisherige Zustand befriedigt weder in Ungarn noch in Österreich. Bei feierlichen Anlässen hißt z. B. das Ministerium des Äußern in Wien die rot-weißgrüne Flagge paritätisch neben der schwarz-gelben; die Botschafter als Vertreter des Souveräns führen zur schwarz-gelben und rot-weiß-grünen Fahne noch die kaiserliche Standarte (den schwarz-gelben Adler im gelben Feld) also drei Fahnen; die übrigen Vertretungen der Monarchie im Auslande führen aber nur die schwarz-gelbe und die rot-weiß-grüne Flagge paritätisch, während die Konsulate die Handelsflagge (rot-weiß-rot, rot-weiß-grün mit den beiden Staatswappen) hissen. Analog wird in Bosnien bei feierlichen Anlässen die Landesfahne zwischen der schwarz-gelben und rot-weiß-grünen Fahne gehißt (Gendarmeriekaserne, Landesregierung, Kreis- und Bezirksvorsteher). Daß es nicht zur Erhöhung des Ansehens der Monarchie gehört, wenn dieselbe nicht einmal ein einheitliches Wappen und eine einheitliche Fahne besitzt, liegt auf der Hand und die Aufklärungen, welche magyarisch-chauvinistische Emissäre im Ausland durch Vorträge über die unabhängige staatsrechtliche Stellung Ungarns geben, sind nur im Einklang mit der ungelösten Fahnen- und Wappenfrage. Es darf auch gar nicht wundernehmen, wenn die Angehörigen der beiden Reichsteile der Monarchie, die im Auslande leben, gar kein Zusammengehörig-
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keitsgefühl haben; sehen sie doch, daß der Staats selbst alles tut, um die Trennung zwischen Österreich und Ungarn auch im Auslande durch Fahnen und Embleme zu markieren. Diesem unhaltbaren Zustande muß ein Ende gemacht werden; eine verfassungsrechtliche Norm darüber, wer zur Feststellung oder Verordnung der Embleme kompetent sei, ob Gesetz oder Verordnung, fehlt. Der Kaiser kann daher auch ohne Befragung der Regierungen und der Parlamente die Embleme festsetzen, sowie auch der Titel S. Majestät, der Titel der Monarchie, das ,,k. u. k.", der Titel des Ministers des kaiserlichen „und königlichen" Hauses nur mit kaiserlichen Handschreiben festgesetzt wurden, daher logischerweise jederzeit durch kaiserliche Handschreiben (mit Gegenzeichnung durch den Minister des k. u. k. Hauses und des Äußern) wieder abgeändert werden können. Unbedingt nötig ist also die Regelung der Emblemenfrage im Verhandlungswege zwischen Österreich und Ungarn nicht. Die Festsetzung der österreichischen Fahne und des österreichischen Wappens wird Sache der Verhandlungen zwischen der Krone und Österreich sein (wird später besprochen). 12. F e s t l e g u n g d e r d e u t s c h e n S t a a t s s p r a c h e f ü r a l l e g e m e i n samen Institutionen. b) E i n s e i t i g e V e r h a n d l u n g e n z w i s c h e n d e r K r o n e u n d Ö s t e r r e i c h . 1. Wegen Aufschiebung des eidlichen Gelöbnisses, bis die Verhandlungen über die Revision des Ausgleiches abgeschlossen sind; hiefür ist ein Gesetz im Parlament einzubringen. 2. R e g e l u n g d e r S p r a c h e n f r a g e i n Ö s t e r r e i c h . Alle bisherigen Versuche, einen Ausgleich zwischen Deutschen und Tschechen, Polen und Ruthenen, Slowenen und Italienern usw. in der Verständigung von Volk zu Volk zu finden und parlamentarisch diese Frage zu erledigen, scheiterten und lassen auch für die Zukunft kaum ein günstiges Resultat erwarten. Diese Frage wird also voraussichtlich nur durch ein Oktroi zu lösen sein, das naturgemäß auch vor Ablegung des eidlichen Gelöbnisses erfolgen müßte. Zunächst wird freilich der Verhandlungsweg zu betreten sein. Dabei wird einerseits der Gesichtspunkt festzuhalten sein, daß jedermann in seiner Sprache Recht finden kann, anderseits aber die deutsche Staatssprache für Österreich kodifiziert wird, was bisher nicht der Fall ist. 3. R e g e l u n g d e r E m b l e m e n f r a g e f ü r Ö s t e r r e i c h . Die Embleme des ehemaligen einheitlichen Gesamtstaates Österreich, nämlich der Doppeladler und die Farben Schwarz-Gelb, sind nur gewohnheitsmäßig für die Länder diesseits der Leitha üblich geworden. Gesetzlich sind sie nirgend festgestellt. Will man also die vorerwähnten Embleme, so wie es logisch ist, wieder für den Gesamtstaat (Armee, gemeinsame Ämter, ausländische Vertretungen) in Gebrauch setzen, so müßten für Österreich neue Embleme festgesetzt werden, die zweckmäßigerweise in einer rot-weiß-roten Flagge und in dem zu schaffenden österreichischen Wappen (unter Hinweglassung des ungarischen Schildes) zu bestehen hätten. Die Kriegsmarine müßte dann freilich die rot-weiß-rote Flagge mit der schwarz-gelben vertauschen. Es ist aber immerhin besser, die Fahnen des Heeres und der Marine sind gleich und tragen die alten Farben der Dynastie und der vielhundertjährigen Armee, als man opfert die schwarz-gelbe Fahne und den Adler nur deshalb, um der Marine, welche
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doch nur einen Bruchteil der Wehnnacht bildet, ihre wenn auch in Ehren getragene, immerhin aber verhältnismäßig neue Flagge zu erhalten. Wenn die schwarz-gelbe Fahne und der Adler als Reichsembleme erklärt und von den Ländern diesseits der Leitha nicht mehr geführt werden, so wird auch der Widerstand Ungarns gegen diese gemeinsamen Embleme auihören; wenigstens ist dann kein Grund mehr gegeben, gegen diese Embleme, welche bisher immer als das Zeichen für das österreichische Joch angesehen werden, zu agitieren. Es ist ja sehr bedauerlich, daß dadurch der Adler auf allen österreichischen Ämtern verschwindet. Immerhin ist es besser so, als daß die Armee und die gemeinsamen Ämter irgendein neues monströses, zweigeteiltes Wappen erhalten, welches schon von Haus aus aller Welt im In- und Ausland dokumentiert, daß Österreich-Ungarn kein Einheitsstaat ist, sondern aus zwei selbständigen Staatsgebieten besteht. Auch hier gilt das Sprichwort: ,,Qui trop embrasse, mal dtreint." Es wird noch zu entscheiden sein, ob — ebenso wie die Reichsembleme — die Embleme für die Länder diesseits der Leitha mittels Allerhöchsten Handschreibens oder auf parlamentarischem Wege bei Einleitung von Verhandlungen festzusetzen sind. Die so sehnlich gewünschte Verleihung von Fahnen an die österreichische Landwehr würde dann endlich möglich werden. Die ungarischen Landwehrregimenter haben bereits die ungarische Fahne. Die bosnisch-herzegowinischen Regimenter würden die schwarz-gelbe Fahne des Heeres (beiderseits der schwarze Adler im gelben Grunde) erhalten. 4. Z u w e i s u n g des R e k r u t e n b e w i l l i g u n g s r e c h t e s an die D e l e gationen. c) E i n s e i t i g e V e r h a n d l u n g e n der K r o n e mit U n g a r n . 1. B e t r e f f e n d V e r l ä n g e r u n g der F r i s t f ü r die K r ö n u n g ; h i e f ü r wäre ein G e s e t z im u n g a r i s c h e n P a r l a m e n t e i n z u b r i n g e n . 2. Fixierung des Textes für den Krönungseid. Als wichtigste wünschenswerte Änderungen gegen den Text des Jahres 1867 seien hervorgehoben: a) die W i e d e r h e r s t e l l u n g der R e v i s i o n s k l a u s e l , welche verhindert, daß die Gesetze nach dem Gutdünken des Reichstages ausgelegt werden; b) die W e g l a s s u n g der R e i n k o r p o r i e r u n g s k l a u s e l ; weil sich der König durch sie verpflichten würde, Bosnien an Ungarn anzugliedern, was wieder dem Gesetz von 1880, der Österreich legislative Mitwirkung statuiert, widerspricht. 3. D u r c h f ü h r u n g des a l l g e m e i n e n , g l e i c h e n , g e h e i m e n und gem e i n d e w e i s e a u s z u ü b e n d e n W a h l r e c h t e s , e v e n t u e l l im O k t r o i w e g e . Begründung bereits gegeben. 4. A u f h e b u n g der V e r f a s s u n g s g a r a n t i e n , die den „nationalen Widerstand" unterstützen. Dieselben wurden vom Grafen Andrässy Sr. Majestät in leidendem Zustand erpreßt und wurden vom Thronfolger niemals als rechtsgültig und für ihn verbindlich angesehen. Eine im Haus-, Hof- und Staatsarchiv hinterlegte bezügliche Deklaration des Thronfolgers kann erforderlichenfalls zur Publikation gelangen. 5. Abschaffung der Wahl der Beamten der Munizipien (Restaurationen) und Verstaatlichung der Verwaltung.
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Eine verläßliche Verwaltung ist durch die „Restaurationen" niemals zu erhalten; selbst die kräftigste und verläßlichste Regierung bleibt, so lange dieser Modus besteht, den Komitaten gegenüber machtlos (Verweigerung der Steuern, der Mitwirkung bei Rekrutenaushebung, Verhinderung der Installierung des Obergespans). Es ist sehr wünschenswert, diese Reform noch vor der Krönung durchzuführen, weil stets das auf Grund des allgemeinen Wahlrechtes gewählte Parlament in dieser Frage versagen könnte. Durch die Abschaffung der „Restaurationen" werden überdies die meisten Bestimmungen der Verfassungsgarantien Andrässys wirkungslos, so daß man eher auf die Aufhebung der Verfassungsgarantien wie auf die Verstaatlichung der Verwaltung verzichten sollte. 6. S t r e n g e D u r c h f ü h r u n g des N a t i o n a l i t ä t e n g e s e t z e s und S c h a f f u n g von G a r a n t i e n f ü r seine E i n h a l t u n g in der Z u k u n f t . Die Nationalitäten Ungarns sind derzeit rechtlos; sie sind aber die natürlichen Verbündeten der Krone gegen Übergriffe der Magyaren. Nur darf man die Nationalitäten nicht noch länger dem ungarischen Joch ausliefern, sollen sie nicht entweder Irredentisten werden oder schließlich mit den Magyaren einen Ausgleich (wie die Fiumaner Resolution) schließen, bei dem dann die Krone das Nachsehen hätte. Die Nationalitäten Ungarns erwarten vom Thronfolger ihre Befreiung; würden ihre bescheidenen Wünsche — Durchführung des ohnehin bestehenden Nationalitätengesetzes — nicht gleich bei seinem Regierungsantritte Erfüllung finden, so hat die Krone in Ungarn die Partie verloren. Denn wenn die Nationalitäten Ungarns zum Irredentismus (Rumänien) oder zur Verständigung mit den Magyaren in ihrer Verzweiflung und Enttäuschung getrieben werden (Serben, Kroaten, Slowaken), dann hilft auch nicht mehr das allgemeine Wahlrecht. 7. Abänderung des § 27 des Gesetzartikels X I I ex 1867, betreffend die Nichteinmischung der gemeinsamen Minister in die innern Angelegenheiten eines Reichsteils (wurde schon besprochen, bezweckt die Wiederherstellung der Reichskanzlerwürde). 8. Interpretation des § 1 1 und § 12 des GA. X I I ex 1867 betreffend die Begriffe: a) der H o h e i t s r e c h t e : Eine Abänderung der Fassung des Passus über die Hoheitsrechte ist vielleicht gar nicht nötig, weil die Krone bisher mit ihrer Interpretation alle Stürme gegen die Hoheitsrechte abweisen konnte. Eine genauere Präzisierung bietet nur den Nachteil gegen die allgemeine Fassung, daß die Krone selbst beengt wird, wenn sie einmal zu ihren Gunsten das Gesetz auslegen wollte. b) des „ u n g a r i s c h e n H e e r e s " (ungarischen Kriegsheeres) als eines ergänzenden Teiles der Gesamtarmee, Feststellung, daß es ein ungarisches Heer überhaupt nicht gibt, sondern, daß nur Truppen bestehen, die sich in Ungarn ergänzen. c) Wegnahme des R e c h t e s der R e k r u t e n b e w i l l i g u n g und Überweisung an die D e l e g a t i o n e n ; d) Feststellung, daß „Bedingungen" für die Rekrutenbewilligung vom Reichstag oder von den Delegationen nicht gestellt werden können, daß dies niemals so gemeint war, als könnte sie zum Anlaß von Erpressung von Konzessionen genommen werden. Das Wort „Bedingungen" bezieht sich eben nur auf die Modalitäten der Rekrutenstellung (Zeitpunkt, Mitwirkung der Behörden usw.);
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e) auch bezüglich Verpflegung und Dislozierung der Armee wäre der § 12 dahin zu interpretieren, daß Unterkünfte und Verpflegung seitens des Landes auf Grund des Einquartierungsgesetzes beizustellen sind (Kasernenbauten, vorübergehende Einquartierung, Durchzugskost), eine Ingerenz auf die Art der Dislokation und Verpflegung des Heeres, deren Festsetzung allein der Kriegsverwaltung zusteht, dem Reichstag keineswegs zukommt.
Änderungen, welche im Verordnungswege durchzuführen wären. 1. T i t e l des K a i s e r s u n d K ö n i g s . Der Titel der Monarchie wurde bisher stets durch Allerhöchste Patente festgesetzt. An diesem Modus muß festgehalten werden; es könnten eventuell auch wieder Titeländerungen, die zu Lebzeiten des gegenwärtigen Monarchen geschaffen wurden, zurückgenommen werden. So ist die Bezeichnung „Kaiser von Österreich, König von Böhmen usw. und Apostolischer König von Ungarn", ,,Se. Majestät der Kaiser und König", ,,Se. k. u. k. Apostolische Majestät" durch kein Gesetz, sondern nur durch Allerhöchstes Handschreiben vom 14. November 1868 fixiert. Eine Änderung dieser Titulaturen, welche dem Ausgleichgesetze 1867 entspricht, empfiehlt sich aber nicht, solange die Krone auf 67er Basis verbleiben will. Dagegen sind im Titel zu ändern: a) Nachdem der Besitz Bosnien-Herzegowinas durch den Königstitel von Rama nicht genügend zum Ausdruck kommt, durch eine Einschaltung: K ö n i g (oder Großfürst, Großwoiwode) v o n B o s n i e n und d e r H e r z e g o w i n a . b) Auf die Titel „König von Serbien und Bulgarien" könnte verzichtet werden, weil Serbien und Bulgarien eine völkerrechtlich anerkannte Souveränität besitzen. c) Als Erbe des estensischen Besitzes hat die künftige Majestät die Pflicht, sich Erzherzog von Österreich-Este zu nennen. 2. T i t e l d e r M o n a r c h i e . Auch der Titel der Monarchie ist nicht gesetzlich, sondern bloß durch Allerhöchstes Handschreiben vom 14. November 1868, welches weder der parlamentarischen Behandlung unterzogen, noch im Reichsgesetzblatt publiziert wurde, wie folgt festgesetzt: , .österreichisch-ungarische Monarchie'',, .österreichisch-ungarisches Reich''. Im Titel des österreichischen Ausgleichsgesetzes vom 21. Dezember 1867 heißt es noch: „Gesetz . . . betreffend die allen Ländern der österreichischen Monarchie gemeinsamen Angelegenheiten und die Art ihrer Behandlung." Hier ist also Ungarn noch als Teil der österreichischen Monarchie bezeichnet. Die Wiederherstellung der letztern Bezeichnung sowie jener eines „Kaisertums Österreichs", wie sie durch das Patent Kaiser Franz' vom 11. August 1804 eigentlich fixiert ist, und das übrigens auch in Ungarn damals vom Reichstag anerkannt wurde, wird mit Rücksicht auf die notwendige Festhaltung am 67er Ausgleich nicht durchführbar sein. D a g e g e n w ä r e n die B e z e i c h n u n g e n „ ö s t e r r e i c h i s c h - u n g a r i s c h e M o n a r c h i e " und „ ö s t e r r e i c h i s c h - u n g a r i s c h e s R e i c h " , welche in der letzten Zeit in den Handelsverträgen, Wehrgesetzentwürfen usw. durch die
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Bezeichnungen „Österreich-Ungarn" und die unter dem „Zepter Sr. Majestät stehenden Länder" ersetzt wurden, w i e d e r e i n z u f ü h r e n . Hiezu ist es bloß notwendig, das Allerhöchste Handschreiben vom Jahre 1868 zur strikten Darnachachtung zu republizieren. 3. T i t e l der g e m e i n s a m e n Minister. In Ubereinstimmung mit dem Titel der Monarchie hätten die gemeinsamen Minister den Titel „ R e i c h s " - M i n i s t e r zu führen. Uber die Schaffung eines Reichskanzlers wurde schon gesprochen; seine Ernennung könnte erst nach Abänderung des Gesetzartikels 27 vom Jahre 1867 in Ungarn erfolgen. Wenn der Minister des Äußern nicht gleichzeitig Reichskanzler ist, so hätte sein Titel „Reichsminister des k. u. k. Hauses und des Äußern" zu lauten; der Titel „Reichskriegsminister" hätte auch in Ungarn statt „gemeinsamer Kriegsminister" Geltung zu erhalten; endlich hätte der gemeinsame Finanzminister den Titel „Reichsfinanzminister" zu erhalten. Die bezüglichen Festsetzungen bedürfen keiner parlamentarischen Verhandlung; es genügt, wenn der Kaiser diese Minister gelegentlich ihrer Ernennung oder Bestätigung mit dem bezüglichen Allerhöchsten Handschreiben zu „Reichs"-Ministern ernennt, wie dies seit jeher beim Reichskriegsminister der Fall war. Es ist natürlich damit zu rechnen, daß in Ungarn diese Festsetzung als gravaminös bezeichnet werden wird; doch kann von einer Verletzung des ungarischen Gesetzes absolut nicht gesprochen werden. Uber das Geschrei in Ungarn wird man sich eben hinwegsetzen müssen. Bei der Ernennung des RKM. kann sich überdies auf die zuliegende Erklärung berufen werden. 4. Ä n d e r u n g e n , die A r m e e b e t r e f f e n d . Nachdem die einheitliche Führung, Befehligung und innere Organisation der gesamten Armee ausschließlich der Verfügung Seiner Majestät zusteht, so ist es außer Zweifel, daß die Zugeständnisse, welche bisher den Magyaren in bezug auf die Magyarisierung der Armee gemacht wurden, beim Thronwechsel den Thronfolger nicht verpflichten. Es sind daher a) die Z u s i c h e r u n g der T r a n s f e r i e r u n g u n g a r i s c h e r O f f i z i e r e zu ungarischen Regimentern, b) die M a g y a r i s i e r u n g der u n g a r l ä n d i s c h e n Schulen des H e e r e s , c) die A b m a c h u n g e n über H e e r e s l i e f e r u n g e n , d) die E i n f ü h r u n g der K o r r e s p o n d e n z in u n g a r i s c h e r S p r a c h e und d o p p e l s p r a c h i g e r D r u c k s o r t e n , e) die zugunsten der m a g y a r i s c h e n S p r a c h e geschehene F e s t setzung der R e g i m e n t s s p r a c h e n , endlich f) die Z u l a s s u n g von D e l e g i e r t e n des H o n v e d m i n i s t e r s zur B e u r t e i l u n g der S p r a c h k e n n t n i s in den M i l i t ä r s c h u l e n und die bis nun versprochene, aber noch nicht zum Gesetz gewordene g) Einführung der ungarischen Sprache im Militärstrafprozeß G n a d e n g e s c h e n k e des g e g e n w ä r t i g e n Monarchen an die U n g a r n , welche von seinem N a c h f o l g e r ohne w e i t e r s zurückgenommen werden können, da die gesetzliche B a s i s f e h l t .
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Es wird sich nun nicht empfehlen, gleich mit der allgemeinen Verlautbarung, daß Se. Majestät alle diese teils erpreßten, teils abgeschmeichelten Konzessionen unter Berufung auf die Hoheitsrechte zurücknimmt, vorzugehen; vielmehr wird das Kriegsministerium, ohne großes Aufheben zu machen, via facti diese Konzessionen rückgängig zu machen haben.
Vorgang beim Thronwechsel. Die Verfügungen, welche nach dem Thronwechsel zu treffen sind, teilen sich i . in solche, die sofort zu erlassen sind, 2. in solche, die einige Wochen Zeit haben, endlich 3. in solche, welche längeren Aufschub vertragen, jedoch vor der Krönung, welche den Abschluß der ganzen Aktion zu bilden haben wird, in K r a f t treten müssen. L Sofortige Verfügungen: a) A l l g e m e i n s t a a t l i c h e r N a t u r . 1. Notifizierung der Thronbesteigung an die auswärtigen Regierungen (durch den Minister des Äußern zu veranlassen). 2. Festsetzung der Hof- und Landestrauer (durch den ersten Obersthofmeister). 3. E r l a s s u n g d e r H a n d s c h r e i b e n w e g e n d e r S t e l l u n g d e r G e m a h l i n d e s K a i s e r s u n d d e s E r z h e r z o g - T h r o n f o l g e r s (wären durch den Minister des kaiserlichen Hauses und des Äußern außer den beiden Ministerpräsidenten auch den fremden Regierungen zu notifizieren). 4. Betrauung der Minister und des Kabinettsdirektors, welche am ersten T a g ihre Demission geben, mit der Fortführung der Geschäfte (durch Allerhöchstes Handschreiben). 5. Festsetzung des Titels und Wappens des Monarchen (durch kaiserliches Patent oder Allerhöchstes Handschreiben an Minister des Äußern. 6. E r h e b u n g B o s n i e n s u n d d e r H e r z e g o w i n a z u m K ö n i g r e i c h . b) H ö f i s c h e r N a t u r . 1. Betrauung der obersten Hofchargen und Hofdienste mit der Fortführung der Geschäfte durch Allerhöchstes Handschreiben. 2. Aufstellung eines Hofstaates für die Gemahlin des Kaisers. 3. Anordnungen für das Leichenbegängnis. 4. Beeidigung der Hofbeamten. 5. Verfügung über jene Hofstellen, welche nach dem Leichenbegängnis ihre Funktion beenden und Verleihung von Allerhöchsten Auszeichnungen an dieselben (General- und Flügeladjutanten, Leibarzt, Leibkammerdiener usw.). c) M i l i t ä r i s c h e r N a t u r . 1. Erlassung eines Armeebefehles, Übernahme des Allerhöchsten Oberbefehles. 2. Bestimmungen über die Eidesleistung. 3. Verfügung über die Inhaberschaft der freigewordenen Regimenter. 4. Verfügungen über den Allerhöchsten Namenszug auf Csako und Kappenrosen, Portepees, Leibriemenverschließer der Offiziere usw. 5. Festsetzung, daß das „Signum laudis" nunmehr mit dem Bilde des neuen obersten Kriegsherrn verliehen wird.
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V I . Kapitel
6. A u s d e h n u n g d e r B e s t i m m u n g d e r L e i s t u n g d e r E h r e n b e z e i gung durch F r o n t m a c h e n für die G e m a h l i n des Kaisers. 7. Festsetzung der Trauerzeit. Die bezüglichen Weisungen ad 1 bis 7 hätte das Reichskriegsministerium durch Allerhöchstes Handschreiben zu erhalten. 8. Verfügungen wegen Aufstellung der Militärkanzlei des Kaisers und Auflassung jener des Thronfolgers. 9. Einteilung der bisherigen General- und Flügeladjutanten. 10. Bestimmung der neuen General- und Flügeladjutanten. d) Z i v i l e r N a t u r . 1. Erlassung des Manifestes an die Völker (Handschreiben an Minister des kaiserlichen Hauses oder an die beiden Ministerpräsidenten) zur Veranlassung der Publizierung. 2. Eidesleistung der gemeinsamen, österreichischen und ungarischen Staatsbeamten (Allerhöchstes Handschreiben an den Minister des Äußern und an die beiden Ministerpräsidenten). 3. Aktivierung des permanenten Telegraphendienstes für Haupttelegraphenämter in den Reichshauptstädten und in den Landeshauptstädten, dann in den Standorten der Korpskommanden und Distriktskommanden in Ungarn. n . Verfügungen und Verhandlungen in den niehiten Wochen. Hier dürfen die Dinge nicht überstürzt werden; es wird abzuwarten sein, wie das Manifest, speziell in Ungarn, aufgenommen wurde, bevor weitere Schritte unternommen werden. Unter Berufung auf die Ausführungen der Einleitung sei nur wiederholt, daß zunächst eine Verlängerung der Frist für die Krönung in Ungarn, bzw. für die Ablegung des eidlichen Gelöbnisses in Österreich erreicht werden muß. Sollten Budget und Rekruten für das kommende Jahr noch nicht votiert sein, so wären sie in den ersten Wochen und noch vor der Einbringung des Gesetzentwurfes betreffend den Aufschub der Krönung in beiden Parlamenten zu verhandeln, um nicht gleich im Anfang in einen ex lex-Zustand zu kommen; ist das Mißtrauen, welches durch den Aufschub der Krönung in Ungarn zweifellos erweckt wird, einmal wachgerufen, dann dürfte es eben viel schwerer sein, Budget und Rekruten zu erhalten. Bis dahin dürfte also die große Öffentlichkeit vom Aufschub der Krönung nicht orientiert werden. Die beiden Ministerpräsidenten wären jedoch von den Intentionen der Krone hinsichtlich der Revision des Ausgleichs und der Staatsgrundgesetze im allgemeinen zu informieren und sie zu befragen, ob sie diese Reform durchzuführen vermögen. Können oder wollen sie dies nicht garantieren, so wären sie nach Bewilligung der Staatsnotwendigkeiten durch andere Männer zu ersetzen. Speziell der ungarische Ministerpräsident muß das volle Vertrauen der Krone genießen und ein frischer, durchaus entschlossener, entschiedener und energischer Staatsmann sein, der auch vor anfänglichen Schwierigkeiten nicht zurückschreckt. Mit Rücksicht auf die kurze Frist, in welcher die Krönung in Ungarn erfolgen soll, muß in dieser Hinsicht schon in den ersten Wochen volle Klarheit geschaffen werden. In Österreich dürften sich kaum größere Schwierigkeiten ergeben; dagegen werden in Ungarn voraussichtlich bedeutende Widerstände zu überwinden sein, solange ein Parlament auf Grund der gegenwärtigen Wahlordnung besteht. Im
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folgenden soll daher vorwiegend die Politik der Krone Ungarn vis-A-vis besprochen werden. Der ungarische Ministerpräsident müßte sich in Konsequenz des Vorstehenden noch verpflichten, nachdem das Gesetz über die Verlängerung der Frist für die Krönung angenommen wurde, sofort das Gesetz über die Wahlreform zu machen. Mit der Annahme des Gesetzes über die Hinausschiebung der Krönung (als Zeitpunkt wäre kein Datum, sondern nur der Termin zu fixieren, zu welchem die Verhandlungen zwischen Österreich und Ungarn betreffend die Verfassungsrevision abgeschlossen sind) hat die Krone freie Hand genommen, und es folgt nun die dritte Periode, jene der Verhandlungen über die Revision der Ausgleichgesetze. m . Verbindungen vor der Krönung. Gleichzeitig wäre in Ungarn die Wahlreform zu beraten, damit bei Abschluß der Verhandlungen der beiderseitigen Regierungen bereits ein auf Grund des allgemeinen Wahlrechtes gewähltes Abgeordnetenhaus die bezüglichen Modifikationen der Verfassung als Gesetz beschließen kann. Es drängen sich nun die Fragen auf, was zu unternehmen ist, wenn in Ungarn a) schon Budget und Rekruten verweigert werden, b) das Gesetz über die Verlängerung des Termins für die Krönung abgelehnt wird, oder c) die Wahlreform nicht gemacht wird, oder endlich d) das Übereinkommen der beiden Regierungen über die Revision des Ausgleiches in Ungarn oder in Österreich abgelehnt wird. ad a) Im Falle der Ablehnung des normalen Budgets und des normalen Rekrutenkontingents oder einer Obstruierung dieser Vorlagen bleibt nichts übrig, als sofort mit der Auflösung des ungarischen Abgeordnetenhauses vorzugehen und Neuwahlen noch auf Grund des alten Wahlrechtes auszuschreiben. Es wird von der Person des ungarischen Ministerpräsidenten abhängen, ob nicht gleichzeitig auch ein Wechsel des Ministeriums eintreten soll, zu dem, solange sich die Verhältnisse unmittelbar nach dem Thronwechsel normal entwickelten, kein Anlaß gegeben ist. Denn die Neuwahlen müssen mit aller Energie von Regierungs wegen gemacht und auch finanziell entsprechend unterstützt werden. Was dem Grafen Khuen 1910 gelungen, ohne irgendeine Partei des aufgelösten Abgeordnetenhauses hinter sich zu haben, eine große Majorität aus den Wahlen zu erzielen, so ist dies eben ein Beweis, daß die Regierung in Ungarn noch immer den entscheidenden Einfluß auf das Wahlrecht ausüben kann. Hievon muß aber auch skrupelloser Gebrauch gemacht werden. Speziell wären Instruktionen in bezug auf die Verwendung der Militärassistenzen bei den Wahlen, die bisher stets zur Unterdrückung der Nationalitäten mißbraucht wurden, an die Korpskommandanten von Seite der Militärkanzlei Sr. Majestät zu erlassen. Als Wahlprogramm für die Regierung hätte zu gelten: 1. E i n f ü h r u n g des a l l g e m e i n e n W a h l r e c h t e s . 2. N i e d e r r i n g u n g d e r P a r t e i e n , w e l c h e die H a r m o n i e z w i s c h e n K r o n e und N a t i o n g e f l i s s e n t l i c h s t ö r e n . Sosn01ky, Franz Ferdinand. 7
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3. H e r s t e l l u n g d a u e r n d e r und a u f r i c h t i g e r B e z i e h u n g e n zur ö s t e r r e i c h i s c h e n R e i c h s h ä l f t e , wobei die wirtschaftlichen Interessen Ungarns in den Vordergrund zu stellen wären. Nachdem die Auflösung des Abgeordnetenhauses auf vollkommen gesetzlicher Basis erfolgt, so können Rekriminationen gegen dieselbe nicht erhoben werden. Das Wahlresultat aber kann kaum zweifelhaft sein: eine erdrückende Mehrheit für die Regierung. Über Klagen der Opposition wegen Wahlbeeinflussung seitens der Regierung wird man sich hinwegsetzen müssen; übrigens hat man nach den Khuenschen Wahlen auch nicht viel über Wahlmißbräuche geklagt. Das neue Parlament hätte nun sofort die Staatsnotwendigkeiten, Budget und Rekruten zu bewilligen, v o r h e r j e d o c h eine G e s c h ä f t s o r d n u n g s r e v i s i o n v o r z u n e h m e n , damit die Opposition, trotz ihrer voraussichtlich geringen Stärke, nicht durch Obstruktion die gesetzgebende Tätigkeit des Hauses lahmlegen könnte. Dann wäre das Gesetz über die Verlängerung der Krönungsfrist, endlich das Gesetz über die Wahlreform in Beratung zu ziehen. Würde das Abgeordnetenhaus jedoch wider Erwarten Budget und Rekrutenaushebung nicht bewilligen, so wäre es neuerlich aufzulösen; freilich müßten mittlerweile die Rekruten, da die Frist für die Stellung — längstens 1. August — abgelaufen sein dürfte, ohne Zustimmung des Parlaments ausgehoben werden und damit ist der erste nicht verfassungsmäßige Schritt getan. Nur aus verfassungsmäßigen Bedenken aber der Armee in einem Zeitpunkte die Ergänzung zu entziehen, zu welchem die Krone sie vielleicht gerade sehr schlagfertig braucht — falls nämlich der Widerstand des Parlaments auf die Komitate übergreift und es zu einer revolutionären Bewegung kommen sollte —, wäre verfehlt. Da der Monarch die Verfassung noch nicht beschworen hat, fällt dieser Schritt ohnehin nicht so sehr ins Gewicht. Vor einer revolutionären Bewegung in Ungarn braucht man übrigens nicht zu viel zu bangen; der Hinweis auf das Jahr 48 ist nicht zutreffend, denn die freiheitliche Bewegung dieses Jahres, welche alle Völker Europas ergriffen hatte, und welche in Ungarn durch sehr geschickte Volksverführer in das nationalchauvinistische Bett geleitet wurde, konnte Bürger und Bauern, die nach Gleichberechtigung mit den übrigen Ständen lechzten, zum bewaffneten Widerstand hinreißen. Heutzutage, wo die bürgerlichen Freiheiten voll gewährleistet sind und es keine Leibeigenschaft mehr gibt, wird sich eine Revolution nicht so leicht arrangieren lassen, um so weniger, wenn die Krone diejenige ist, welche den bisher von der magyarischen Gentry geknechteten Nationalitäten und nicht wahlberechtigten Bauern und Arbeitern das allgemeine Wahlrecht verheißt. Überhaupt sind Volkserhebungen im X X . Jahrhundert nur aus wirtschaftlichen Gründen, nicht aber auf politischer Basis zu denken. Weder der jüdische Kaufmann, noch der Bauer in der ungarischen Tiefebene, noch endlich der Arbeiter in den Industriezentren wird sich für die Durchsetzung der Militärkonzessionen Andrässys oder Apponyis soweit begeistern lassen, daß er seine Haut zu Markte tragen wird. In unserm realistischen Zeitalter geht alles zunächst nach Brot; für nationale Fahnen und Embleme und ungarisches Kommando in der Armee fehlt in den breiten Massen das Verständnis. Natürlich dürfte man nicht ruhig zusehen, wenn das Volk durch gewissenlose Aufwiegler
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aufgehetzt wird, sondern die Tätigkeit der letzteren müßte von Anbeginn unmöglich gemacht werden. ad b) Wird vom Parlament das Gesetz über die Verlängerung des Krönungstermins verweigert und ist mittlerweile die sechsmonatige Frist verstrichen, so ist zweifellos ein verfassungswidriger Zustand eingetreten. Durch wiederholte Parlamentsauflösung und Neuwahlen, die freilich noch nach der alten Wahlordnung erfolgen, wird man versuchen müssen, diesen Aufschub später zu erzielen. S o l l t e dieses M i t t e l j e d o c h auch v e r s a g e n , dann e r ü b r i g t n i c h t s a n d e r e s , als auf dem b e r e i t s b e t r e t e n e n n i c h t v e r f a s s u n g s mäßigen Wege noch einen S c h r i t t weiterzugehen und die W a h l reform zu o k t r o y i e r e n . ad c) Diese radikale Maßnahme wird auch dann eintreten müssen, wenn (selbst nach Annahme der Verlängerung der Krönungsfrist) das Parlament sich weigern sollte, eine den Interessen der Krone entsprechende gerechte Wahlreform zu beschließen. Voraussichtlich gelingt es, das allgemeine Wahlrecht auf friedlichem Wege durchzusetzen, wo doch sämtliche Parteien in Ungarn die Einführung desselben schon jetzt auf ihre Fahnen geschrieben haben. Dabei ist aber nicht zu übersehen, daß allen Parteien die Aufrechthaltung oder Verstärkung der magyarischen Hegemonie vorschwebt. Doch sei hier gleich davor gewarnt, den Magyaren in bezug auf die Wahlreform Konzessionen zuungunsten der Nationalitäten zu machen. Und wenn die Magyaren alles versprechen und auch alle Staatsnotwendigkeiten, alle Armeeforderungen glatt bewilligen und gleichzeitig beschwören, nie mehr Militärkonzessionen zu verlangen, sich sogar mit der Wiederherstellung des Einheitsstaates zum Scheine abfinden sollten, so geschähe dies nur, um die Ablegung des Krönungseides vor Durchführung der Wahlreform zu erreichen oder die Wahlreform zu verfälschen. Kein Gesetz, kein Vertrag hat aber die Magyaren, wie die Geschichte von Jahrhunderten lehrt, je daran gehindert, später doch wieder mit ihren Forderungen zu kommen. Schon eine Neuwahl fegt möglicherweise nach kurzer Frist die Partei, welche die Abmachungen mit der Krone geschlossen hat, weg und setzt die ärgsten Chauvinisten an ihre Stelle, die selbstverständlich die Zusicherungen der ehemaligen Majorität für sich nicht bindend erachten und mit ihrer Gravaminalpolitik von vorne beginnen. Die Krone aber ist — nach Ausstellung des Inauguraldiploms oder nach Genehmigung einer Wahlreform, welche die Präponderanz der Magyaren für alle Zukunft sichert, wie schon in der Einleitung ausgeführt wurde, wehrlos. Gegen den Oktroi des allgemeinen Wahlrechtes würde übrigens ein großer Widerstand kaum möglich sein. Nur die Gentry wird sich auflehnen; die Nationalitäten, die Arbeiter, aber auch die magyarische Landbevölkerung werden zur Krone halten, und sorgt die Regierung für eine entsprechende Besetzung der Verwaltungsstellen in den Komitaten, so muß der Widerstand der Gentry binnen kurzem in nichts zusammenbrechen. Die Gentry allein kann keine Revolution machen. ad d) Finden die Verhandlungen, welche zwischen den beiden Regierungen über die neue Konstruktion der Monarchie abzuschließen sind, nicht die Genehmigung des ungarischen Parlaments, so u n t e r b l e i b t eben die K r ö n u n g ; dieses Pressionsmittel sowie die Möglichkeit wiederholter Neuwahlen gibt der Krone genügend Machtmittel in die Hand, um schließlich die Annahme der neuen Gesetze zu erzwingen. 7*
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Schließlich könnten wirtschaftliche Zugeständnisse (Herabminderung der ungarischen Quote, Aufnahme der Barzahlungen durch die Bank, Zulassung ungarischer Staatstitres für pupillarsichere Anlagen in Osterreich, Freigebung des Anschlusses der Kaschau-Oderberger Bahn bei Annaberg an Deutschland) die Annahme des ganzen Ausgleichskomplexes erleichtern. Eine Hauptbedingung bleibt jedoch stets, daß die österreichische Reichshälfte die Krone in ihren Bestrebungen nach Wiederherstellung des Einheitsstaates nach Kräften unterstützt; ohne diesen Rückhalt wäre es ein aussichtsloses Unternehmen, Ungarn seine in einem halben Jahrhundert ertrotzte Selbständigkeit auch nur einigermaßen zu beschneiden. Wenn sich in letzter Zeit nun auch eine Reaktion fühlbar macht, so ist man in deutschen liberalen Kreisen doch noch weit davon entfernt, gegen die ungarische Selbständigkeit Stellung zu nehmen, während die Tschechen aus derselben für sich Kapital schlagen möchten, um dem Königreich Böhmen eine analoge Position wie Ungarn zu erkämpfen. Nach wie vor wird bei den Deutschen der Grundsatz vertreten, daß der Dualismus die beste Staatsform für sie sei, weil hiedurch die Hegemonie der Deutschen in Österreich und der Magyaren in Ungarn garantiert werde; die Deutschen hätten also gar keine Veranlassung, eine Änderung des gegenwärtigen Zustandes zu wünschen, sondern seien vielmehr auf die Unterstützung der Magyaren, die daher bei guter Laune erhalten werden müssen, angewiesen. Dieser falschen Auffassung müßte nun in der Presse entgegengetreten werden, wozu freilich auch liberale Organe beitragen müßten. Die Schaffung einer anständigen Presse, die weder christlichsozial noch klerikal ist, die religiöse Fragen ausschaltet und den Einfluß der Judenblätter wie „Neue Freie Presse", „Neues Wiener Tagblatt" und „Zeit", bricht, ist eine Grundbedingung für den Erfolg. Ohne Führung der öffentlichen Meinung wird es schon deshalb nicht gehen, weil die Krone es vermeiden muß, sich zu sehr zu exponieren und als Vorkämpfer für die Revision des Ausgleichs besser die österreichische Regierung, welche von Parlament und öffentlicher Meinung hiezu quasi gezwungen wird, an die Bresche stellt. Die Änderung in der Politik Ungarns vis-à-vis ist zwar nur eine Machtfrage ; hat die Krone Kraft genug, so braucht sie sich um Interpretationen von Gesetzen nicht kümmern; immerhin wird es ihre Position im In- und Auslande wesentlich stärken, wenn ihr Standpunkt den magyarischen Übergriffen vis-àvis als der bei richtiger Auslegung der Gesetze berechtigte und einzig zulässige hingestellt wird. Für diese Orientierung der öffentlichen Meinung hätte ein Stab von Rechtsgelehrten, Historikern und Beamten, welche der Krone zur Seite stehen müßten und durch den Kabinettsdirektor zu leiten wären, zu sorgen.
Die Krönung. Als Abschluß der Revision der Verfassung ist die Krönung gedacht. Um die Bedeutung der ungarischen Krönung herabzudrücken, wird es sich empfehlen, die schon im Patent des Kaisers Franz vom n . August 1804, Punkt 4, in Aussicht gestellte ö s t e r r e i c h i s c h e K a i s e r k r ö nung zur T a t w e r d e n zu l a s s e n ; diese Krönung, welche mit der Ablegung des eidlichen Gelöbnisses vor der Volksvertretung zu verbinden sein wird, wäre mit allem Pomp auszustatten und zu derselben die Vertreter aller auswärtigen Staaten usw. nach Wien einzuladen. Die österreichische Kaiserkrönung unabhängig von den schwebenden Verhandlungen mit Ungarn — etwa nach Ablauf des Trauerjahres — anordnen zu
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wollen, wäre nur in dem Falle anzuraten, als es sich bis dahin schon herausgestellt haben sollte, daß die Revision des Ausgleiches in Ungarn auf verfassungsmäßigem Wege nicht möglich ist. Denn es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß die Verhandlungen seitens Ungarns sofort abgebrochen werden würden, wenn die österreichische Kaiserkrönung allein in Szene gesetzt werden würde. Aus dem gleichen Grunde wird es sich auch nicht empfehlen, vor der Annahme der neuen Ausgleichsgesetze im ungarischen Parlament von der Absicht, die österreichische Krönung vor der ungarischen zu arrangieren, etwas verlauten zu lassen. Unmittelbar n a c h d e r ö s t e r r e i c h i s c h e n K r ö n u n g w ä r e d i e u n g a r i s c h e K r ö n u n g in Budapest mit dem üblichen Zeremoniell z u v e r a n s t a l t e n , zu derselben wären jedoch keine auswärtigen Vertreter einzuladen; dem ganzen Staatsakt wäre hiedurch der Charakter einer internen ungarischen Angelegenheit aufzudrücken. Trotz der unleugbaren Unterstützung der staatsrechtlichen separatistischen Bestrebungen der Tschechen, welche durch eine Krönung des Herrschers mit der Wenzelskrone in Prag eintritt, könnte, gleichfalls um die ungarische Königskrönung ihrer bisherigen Bedeutung zu entkleiden, d i e K r ö n u n g i n P r a g ins Auge gefaßt werden; diese Krönung hätte jener in Budapest zu folgen. Die Absicht des Monarchen, sich in Prag krönen zu lassen, wird, um Empfindlichkeiten zu schonen, zweckmäßigerweise erst n a c h d e r i n B u d a p e s t v o l l z o g e n e n K r ö n u n g zu verlautbaren sein; es wird überdies noch von der Lage der politischen Verhältnisse in Böhmen abhängen, ob die Krönung in Prag überhaupt ernstlich in Betracht gezogen werden kann. Der gewaltsame Weg. Ich bin vollkommen überzeugt, daß es entweder auf dem Verhandlungswege oder doch wenigstens durch die Oktroyierung der Wahlreform gelingen wird, die eine Lebensbedingung für den Bestand der Monarchie bildende Reichseinheit wiederherzustellen, so daß Anwendung von Gewalt überhaupt unterbleiben wird. Nichtsdestoweniger muß auch mit diesem äußersten Mittel gerechnet werden ; denn der Thronwechsel, der die einzige nur nach Jahrzehnten wiederkehrende Gelegenheit gibt, ohne daß der Monarch eidbrüchig wird, die Verfassung einer Revision zu unterziehen, darf nicht vorübergehen gelassen werden, um Ordnung zu machen. Auf die Details jetzt schon näher einzugehen, wäre müßig; es soll nur festgestellt werden: 1. D a ß m a n u n b e d i n g t m i t d e n e i g e n e n K r ä f t e n a u s k o m m e n m u ß u n d n i c h t w i e 1848 w i e d e r d a s A u s l a n d ( a u c h n i c h t D e u t s c h l a n d ) u m H i l f e b i t t e n d a r f , weil hiedurch ein drückendes Abhängigkeitsverhältnis eintreten würde; 2. d a ß d i e G e w a l t a n o r d n u n g n i c h t g l e i c h n a c h d e m T h r o n w e c h s e l sondern erst zu einem Zeitpunkt e r f o l g t , zu welchem das Ausland bereits die Überzeugung gewonnen hat, daß sich die inneren Verhältnisse der Monarchie nicht verschlimmert haben; 3. d a ß n i c h t e i n a u s w ä r t i g e r K r i e g m i t e i n e r G r o ß m a c h t b e v o r steht; 4. d a ß d e r K r ö n u n g s e i d in U n g a r n n o c h n i c h t a b g e l e g t i s t . Hat man sich aber zur Gewaltanwendung entschlossen, dann mache man nicht mehr vor dem 67 er-Ausgleich halt, sondern greife bei der Umgestaltung der Monarchie gleich radikal ein. Nach der Unterdrückung der revolutionären
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Bewegung hätte die Krone zu erklären, daß das Volk infolge Aufruhres die Verfassung verletzt und daher verwirkt habe und in Konsequenz dessen alle Vorrechte Ungarns, als da sind: selbständiges Staatsgebiet, eigenes Ministerium, Reichstag, eigene ungarische Landwehr usw. usw. abgeschafft werden. Ungarn wird dann zu einem Land wie Kroatien oder Böhmen degradiert, welches in bezug auf Administration und Schulwesen gewisse selbständige Kompetenzen besitzt, sonst aber wie jedes andere Land in das Reichsparlament Vertreter entsendet. Selbstverständlich hätte der Name der Monarchie dementsprechend K a i s e r t u m ö s t e r r e i c h zu lauten; eine Krönung in Ofen käme unter diesen Umständen auch nicht weiter in Betracht. Der Kaiser hätte für das wiederhergestellte Reich eine Verfassung zu oktroyieren, welche ähnlich dem Oktoberdiplom vom Jahre 1860 zu halten wäre. Dieses Oktroi hätte nicht nur für Ungarn, sondern auch für die im Reichstage vertretenen Königreiche und Länder Anwendung zu finden; Schwierigkeiten diesseits der Leitha sind wohl nicht zu befürchten. Es würde zu weit führen, diesen Gedanken weiter auszuspinnen; jedem wahrhaft patriotisch denkenden Österreicher wäre aber diese radikale Lösung, welche der Monarchie ihre Einheit, ihr altes Ansehen im Staatenkonzert und die Machtmittel für ihre äußere und innere Entwicklung, die wegen des steten Streites zwischen den beiden Reichshälften lahmgelegt ist, wiedergeben würde, die sympathischere, und beinahe muß man es herbeisehnen, daß die Krone durch die Umstände gezwungen, den gewaltsamen Weg einschlagen möge. Dem Monarchen aber, der diese große, immerhin nicht ungefährliche Tat vollbringen würde, müßten die Völker der Monarchie ewig dankbar sein; unter Habsburgs Herrschern aber würde ihm in aller Zukunft mit Rudolf von Habsburg und Maria Theresia in der Geschichte ein allererster Platz gehören.
Manifest. An unsere Völker!
Wir Franz II., von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich, Apostolischer König von Ungarn, König von Böhmen, Dalmatien, Kroatien, Slawonien, Galizien, Lodomerien, Rama, Bosnien und der Herzegowina, Kumanien, König von Illyrien, Jerusalem usw., Erzherzog von Österreich-Este, Großherzog von Toskana und Krakau, Herzog von Lothringen, Salzburg, Steiermark, Kärnten und Bukowina, Großfürst von Siebenbürgen, Markgraf von Mähren, Herzog von Ober- und Nieder Schlesien, Modena, Parma, Piacenza, Quastalla, Auschwitz, Zator, Tetschen, Friaul, Ragusa, Zara usw., Graf von Habsburg, Tirol, Kyburg, Görz und Gradiska, Fürst von Trient und Brixen, Markgraf der Ober- und Nieder-Lausitz und von Istrien, Graf von Hohenembs, Feldkirch, Bregenz, Samenberg usw., Herr von Triest, Cattaro und auf der Windischen Mark usw. Dem Allmächtigen hat es gefallen, meinen erhabenen Oheim Seine Majestät Kaiser und König Franz Josef I. nach einer mehr als sechs Dezennien währenden segensreichen Regierung aus diesem Leben abzuberufen. Kraft der Pragmatischen Sanktion berufen, die Kronen Unseres Reiches auf Unser Haupt zu setzen, verkünden Wir hiemit feierlich allen Völkern der Monarchie Unsere Thronbesteigung.
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Vom tiefsten Schmerze zerrissen stehen die Völker der Monarchie an der Bahre des verewigten Kaisers und Königs dankbarsten Herzens, seiner väterlichen Liebe, seines hohen Sinnes, seiner Pflichttreue, seiner Güte und Milde gedenkend. Es soll Unsere Lebensaufgabe sein, seinen Bahnen zu folgen und Uns ausschließlich dem Glück und der Wohlfahrt Unserer Völker zu widmen. Mit gleicher Liebe wollen Wir allen Völkern der Monarchie, allen Ständen und allen gesetzlich anerkannten Religionsbekenntnissen entgegenkommen. Ob hoch, ob nieder, ob arm, ob reich, alle sollen vor Unserem Throne gleich gehalten werden. Die alten Gesetze, wie sie aus der historischen Entwicklung der Monarchie sich ergeben haben, und die bewährten konstitutionellen Einrichtungen wollen Wir achten und mit kraftvoller Hand schützen und als Unterpfand hiefür die Verfassungsgesetze in Osterreich und in Ungarn beschwören, sowie die volle Übereinstimmung zwischen denselben hergestellt sein wird. Den durch die Pragmatische Sanktion garantierten und unteilbaren und unzertrennlichen Besitz, der unter Unserem Zepter stehenden Länder sowie die Einheit des Reiches, auf welcher die Großmachtstellung der Monarchie aufgebaut ist, werden Wir mit Festigkeit wahren. Wir werden auch unbeugsam dafür sorgen, daß das feste Gefüge Unserer Armee, welche der sicherste Hort für die auch von Uns aufrichtig gewünschte Fortsetzung der Friedenspolitik Unseres erhabenen nun in Gott ruhenden Oheims und für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung im Innern ist, von einseitigen politischen Bestrebungen unberührt bleibt. An den bewährten Bündnissen wollen Wir festhalten, mit allen auswärtigen Staaten im guten Einvernehmen bleiben, und, soweit nicht Ehre und Existenz der Monarchie in Frage stehen, nach Kräften bemüht sein, für die Friedensidee zu wirken, damit sich die Völker der Monarchie ungestört den kulturellen und wirtschaftlichen Aufgaben, die in Uns stets ihren wärmsten Förderer finden werden, widmen können. Unseren Grundsätzen über die Gleichberechtigung aller Völker und Stände entspricht es, daß Wir uns darum bemühen werden, jedem Volksstamme der Monarchie seine nationale Entwicklung, so lange sie im Rahmen der Monarchie angestrebt wird, zu garantieren, allen Ständen und Berufsklassen aber, soweit dies nicht schon durchgeführt ist, die Mitwirkung an der gesetzgebenden Tätigkeit durch Erlassung eines gerechten Wahlgesetzes zu ermöglichen. Wir wollen weiter Unsere ganze Kraft für die endliche Beseitigung des Sprachenstreites in der Monarchie einsetzen, welcher seit Jahrzehnten die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung hemmt; in brüderlicher Liebe sollen die Völker der Donaumonarchie, die historisch wie geographisch zusammengehören, nur mehr um die Palme des wirtschaftlichen und kulturellen Fortschrittes wetteifern. Wahres Glück kann nur aufgebaut sein auf frommem Sinn; diesen bei Unseren Völkern zu wahren und zu mehren, soll Uns Gewissenssache sein. Und so flehen Wir in Demut um Gottes Hilfe, damit Wir durch den Allmächtigen erleuchtet. Unsere Völker zu Wohlfahrt, Glück und Frieden führen mögen. Das walte Gott. Gegeben in Unserer Haupt- und Residenzstadt Wien, den . . . im Jahre des Heils . . . Franz
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Armeebefehl. Soldaten! Dem Ratschlüsse des Allmächtigen hat es gefallen, Seine Majestät den Kaiser und König Franz I. zu seinen Vätern zu versammeln. Tieferschüttert steht die Armee und Kriegsmarine, deren leuchtendes Vorbild an soldatischen Tugenden und Pflichttreue der Verewigte durch mehr als sechs Dezennien war, an der Bahre und gedenkt schmerzbewegt, dabei dankerfülltesten Herzens der nimmermüden Fürsorge, welche der Allerhöchste Kriegsherr während seiner langen glorreichen Regierungszeit ihr zugewendet hatte. Unvergeßlich wird es jedem braven Kriegsmarine bleiben, daß der Verewigte sich zeitlebens am wohlsten inmitten seiner braven Truppen gefühlt hat und für die Gesamtheit sowohl, wie auch für den einzelnen in unerschöpflicher Liebe stets väterlich gesorgt hat. Indem Ich den Oberbefehl über die gesamte Wehrmacht der Monarchie hiemit übernehme, kann ich derselben kein besseres Unterpfand für meine Wohlgeneigtheit geben, als indem Ich gelobe, meinem erhabenen, nun in Gott ruhenden Oheim nach Kräften nachzutun. Soldaten 1 Seit Jahrhunderten ist die glorreiche alte Armee im Glück und im Unglück, im Krieg wie im Frieden die erste und verläßlichste Stütze des Thrones, der vornehmste Bürge der Großmachtstellung der Monarchie gewesen. Dynastie und Armee verkörpern am eindringlichsten die Einheit des Reiches, welche trotz aller Stürme und einseitigen Bestrebungen bisher glücklich aufrechterhalten wurde. Einheitlich soll aber auch in aller Zukunft nicht nur das Reich, sondern auch das Heer, dieser wichtigste Teil der Wehrmacht, bleiben. Von den Hoheitsrechten, welche mir durch das Gesetz in bezug auf die Wehrmacht der Monarchie verbürgt sind, will ich nun zum Wohle meiner Völker und meiner Armee nichts preisgeben lassen und das bewährte Gefüge der Land- und Seestreitkräfte, so wie ich diese kostbare Erbschaft meines seligen Vorgängers übernommen, unversehrt dereinst auch meinem Nachfolger weitervererben. Unter den alten ehrwürdigen Fahnen und Abzeichen, die durch Jahrhunderte geheiligt wurden, soll Heer und Kriegsmarine, wenn es Gott gefällt, für Kaiser und Vaterland streiten und — von jeder nationalen und sozialen Strömung unberührt — unter einheitlichem Kommando, unter einheitlicher Leitung und einheitlicher Führung stehen, nur Werkzeug seines obersten Kriegsherrn sein zum Heile unseres schönen Vaterlandes. Eingedenk der ruhmreichen Traditionen der Armee und der Kriegsmarine werden meine braven Kriegsleute — davon bin ich überzeugt — auch dem neuen Herrscher auf Habsburgs Throne die angestammte Treue halten und mit Hingebung, Opferwilligkeit und Pflichtbewußtsein im Frieden wie im Kriege, so wie dies die österreichisch-ungarischen Soldaten stets ausgezeichnet hat, ihre Pflicht bis zum Äußersten tun. Meiner besonderen Fürsorge kann die Wehrmacht, der ich seit meiner Kindheit mit Begeisterung angehöre und für die zu wirken und einzutreten mir auch schon vor diesem Augenblick vergönnt war, sicher sein.
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Und so will ich denn, Soldaten, nicht nur euer Kaiser und König, sondern als oberster Kriegsherr mit besonderem Stolz auch der erste Soldat meiner ruhmreichen Armee sein und bleiben. Das walte Gott! Franz II. Handschreiben an Eh. Karl Franz Josef, i. Minister des kais. Hauses und des Äußern. 2. Erster Obersthofmeister. 3. Euer Liebden I
1.
Unter Hinweis auf die Bestimmungen der Pragmatischen Sanktion und in Übereinstimmung mit Meiner feierlichen Erklärung de dato Wien, 28. Juni 1900 finde Ich Mich in Gnaden bewogen. Euer Liebden als derzeit nächsten Thronanwärter den Titel ,,Erzherzog-Thronfolger'' zu verleihen. Franz. 2., 3Ich habe Mich in Gnaden bewogen gefunden, Meinen Neffen Erzherzog Karl Franz Josef als derzeit nächsten Thronanwärter unter Hinweis auf die Bestimmungen der Pragmatischen Sanktion sowie in Ubereinstimmung mit Meiner feierlichen Erklärung de dato Wien, 28. Juni 1900 den Titel „Erzherzog-Thronfolger" zu verleihen. Indem Ich Sie hievon in Kenntnis setze, beauftrage Ich Sie
2.
3füge Ich bei, daß der Minister Meines Hauses und des Äußern beauftragt ist 2., 3die beiden Ministerpräsidenten behufs Publizierung dieser Meiner Entschließung im Amtsblatt sowie die Vertretungen der Monarchie im Auslande von diesem Staatsakte zu verständigen.
VII. Der Thronfolger und die Wehrmacht. Nationale Infektionssymptome in der Armee. — Das militärische Ideal Franz Ferdinands. — Sein wachsender Einfluß in Armeefragen. — Sein Kampf um die Einheit der Armee. — Seine besondern Verdienste um die Armee. — Seine militärischen Fähigkeiten. — Die Militärkanzlei des Thronfolgers. — Oberstleutnant von Brosch. — Das Verdienst des Thronfolgers um die Marine. — A n h a n g : Ein Brief Broschs an den Verfasser des Buchs.
Franz Ferdinand sah in der Armee nicht nur das wirksamste Instrument gegen äußere Feinde, sondern auch, und sogar in erster Linie, gegen innere; zumal, da ihm ein auswärtiger Krieg weniger wahrscheinlich erschien als eine Revolution. Diese Gefahr stets vor Augen, war er scharf darauf bedacht, daß die Armee für ihre Aufgaben auch tauglich bleibe; dies um so mehr, als er an ihr Erscheinungen wahrnahm, die ihn mit wachsender Besorgnis erfüllten. Der nationale Zersetzungsprozeß, der in der Monarchie immer weiter um sich griff, war auch an ihr nicht spurlos vorübergegangen. Er hatte Gelegenheit gehabt, sich persönlich davon zu überzeugen, sowohl in Böhmen, da er bei einem fast rein tschechischen Infanterieregimente diente, als besonders in Ungarn, wo er ein vorwiegend magyarisches Husarenregiment befehligte. Dort wie da hatte er die Erfahrung gemacht, daß sich der Nationalismus in einer Weise bemerkbar machte, die dem einheitlichen, übernationalen Charakter, den die Armee haben sollte und früher auch wirklich gehabt hatte, bedenklich Abbruch tat. Namentlich beim Husarenregimente, das er kommandierte, hatte er die Wahrnehmung machen können, daß das Offizierskorps fast ausschließlich aus Magyaren bestand, sich nicht nur im privaten, sondern auch im dienstlichen Verkehr der ungarischen Sprache bediente und überhaupt den Eindruck machte, als gehörte es nicht dem k. u. k. Heere, sondern einer nationalen Armee an1). Als er dagegen Maßnahmen ergriff, wurden diese zwar durchgeführt, stießen aber auf eine ') Franz Ferdinand ging in dieser Frage so weit, daB er sogar im a u ß e r d i e n s t l i c h e n Verkehr der Offiziere untereinander n u r d i e d e u t s c h e S p r a c h e gelten lassen wollte!
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passive hartnäckige Opposition, die ihm sein Amt a b Regimentskommandant ganz verleideten. Es kam in Ungarn sogar nicht selten vor, daß Offiziere durch ihren Verkehr mit dem Zivil mit kossuthistischen Elementen in Berührung kamen und von ihnen derart infiziert wurden, daß sie in Gast- und Kaffeehäusern antidynastische Spottlieder anhörten, ja wohl gar mitsangen wie das zivile Publikum. Bei der Mannschaft wieder war es die sozialdemokratische Gefahr, die sie bedrohte, namentlich in den Industriebezirken Böhmens und in den großen Städten. Diese bedenklichen Anzeichen verrieten dem Thronfolger, wie sehr das k. u. k. Heer im Vergleiche zu der alten k. k. Armee an innerer Einheitlichkeit eingebüßt hatte, wie weit es von dem militärischen Ideal entfernt war, das er in Kopf und Herzen trug. Dieses Ideal war die Armee Radetzkys, in deren Lager, nach Grillparzer, Österreich war: ,,Die Gott als Slaven und Magyaren schuf, Sie streiten um Worte nicht hämisch. Sie folgen, ob deutsch auch der Feldherrnruf, Denn: .VorwärtsI' ist ungrisch und böhmisch." So sollte es sein! Der Soldat, besonders aber der Offizier, sollte nicht Deutscher, nicht Magyare, nicht Slawe sein, sondern ausschließlich Österreicher. Ein kaiserlicher, schwarzgelber Offizier sollte sich nur der Sprache des Kaisers bedienen, und das war die deutsche. So sollte, so mußte das Heer beschaffen sein, das dem völkerreichen Habsburgerstaate nottat. Denn nur ein derartig homogenes, anationales Heer vermochte eine Stütze des Throns zu sein, auf die sich die Dynastie unbedingt, jederzeit und überall verlassen konnte. Kurz: Franz Ferdinand sah in seiner autokratischen Denk- und Gefühlsweise die Armee als eine kaiserliche Garde an, die, losgelöst von ihren nationalen Wurzeln, einen Körper für sich bilden sollte. Das war sein Armeeideal, ein Ideal, dem der Stempel aller Ideale sehr deutlich aufgeprägt war: die Unerreichbarkeit. So, wenn auch nicht ganz so, war die Armee einmal gewesen; aber sie war es nicht mehr und konnte es infolge der geänderten Zeitverhältnisse voraussichtlich auch nie wieder werden, zumindest nicht in solch schwarz-gelber Reinkultur. Aber das wollte der Thronfolger nicht wahrhaben. So nüchtern und sachlich er sonst zu denken pflegte, sobald sein österreichisches Gefühl ins Spiel kam, wurde er, von dem verklärenden Glänze des „Es war einmal" verführt, zum Romantiker. In kühlen Stunden der Einkehr mochte er dies mit seinem
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scharfen Verstaxide vielleicht selber einsehen und sich sagen, daß er da einer schönen Fatamorgana nachstrebte, die er nie erreichen würde. Immerhin aber konnte er trachten, diesem Ideal so nahezukommen, als es die ungünstigen Umstände eben erlauben würden. Was ihm dabei vor allem im Wege war, das war das Territorialsystem. In ihm sah er das Hauptübel. Und nicht mit Unrecht, denn dieses System brachte es mit sich, daß die zumeist in ihren Heimatsbezirken dislozierten Truppen, die Jahre lang, manches Regiment sogar Jahrzehnte, in derselben Garnison blieben, zu der Zivilbevölkerung in ein so enges Verhältnis traten, daß sie gegen deren nationale Leidenschaften nicht unempfänglich bleiben konnten, ebensowenig gegen das Gift der sozialen Umsturzpropaganda, so daß sie allmählich selbst national oder sozialistisch werden mußten. Daß ein solches Heer aber nicht mehr die sichere Gewähr bot, es mit Erfolg gegen einen Aufruhr, mochte er nun nationale oder soziale Ursachen haben, verwenden zu können, lag auf der Hand. Der Erzherzog war deshalb dafür, die Truppen außerhalb ihrer Ergänzungsbezirke zu dislozieren, wie das zum Teil früher der Fall gewesen war. Er übersah dabei keineswegs, daß dies im Kriegsfalle die Mobilisierung erschweren würde; aber trotzdem erschien ihm die nationale Immunisierung der Armee und ihre völlige Verläßlichkeit wichtiger als ihre rasche Schlagfertigkeit, denn er hielt, wie schon erwähnt, den Ausbruch einer Revolution für eher möglich als den eines Kriegs. Er stieß mit seinen Plänen aber auf den Widerstand der hohen Militärs und des Kaisers, so daß er die Ausführung dieser Absicht auf die Zeit verschieben mußte, da er ans Ruder gelangen würde. Einstweilen ließ er die Pläne dazu ausarbeiten; die Durchführung dieser Deterritorialisierung, wenn man so sagen darf, wäre jedenfalls eine seiner ersten Regierungsmaßnahmen gewesen. Wie in diesem Falle, so hatte der Erzherzog überhaupt in militärischen Dingen zuerst nur einen sehr bescheidenen Wirkungskreis, und da seine Ansichten auch auf diesem Gebiete mit denen des Kaisers selten harmonierten, so pflegte er mit seinen Absichten meist auf unüberwindbaren Widerstand zu stoßen. Seine Stellung „zur Disposition des Allerhöchsten Oberbefehls" war eine rein nominelle. Weder in Personalfragen noch in organisatorischen wurde seine Meinung eingeholt und sosehr über seinen Kopf hinweg disponiert, daß er die anbefohlenen Veränderungen zuweilen erst aus dem Verordnungsblatte erfuhr. Obwohl er dem Namen nach für den Kriegsfall zum Armee-Oberkommandanten bestimmt war, hielt man es für unnötig, ihn über die getroffenen oder zu treffenden Kriegsvorbereitungen
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im laufenden zu erhalten. Man hörte auch nicht auf ihn, als er seine Stimme warnend gegen die militärischen Zugeständnisse an Ungarn erhob; kurz: er sah sich ganz ausgeschaltet und zur wenig schmeichelhaften Rolle eines militärischen Statisten verurteilt, der nur einen klingenden Titel führte. Als den Hauptträger dieses Systems betrachtete er den allmächtigen Generalstabschef der Armee, den Feldzeugmeister Freiherrn (später Grafen) von Beck, der das Ohr des Kaisers besaß und bei diesem in einer Gunst stand, wie kein anderer hoher Funktionär in der Monarchie sich ihrer rühmen konnte. Dennoch gelang es Franz Ferdinand, diesen nach dem Kaiser vielleicht mächtigsten Mann des Reichs zu stürzen. Den Anlaß dazu boten die kombinierten Landungs- und Seemanöver, die unter der Leitung Becks in Dalmatien im Jahre 1906 stattfanden und mit einem bösen Fiasco endeten. Für den Thronfolger Grund genug, beim Kaiser die Entfernung Becks von seinem verantwortlichen Posten zu verlangen, da weder seine körperlichen noch seine geistigen Kräfte hiezu mehr ausreichten. Und was niemand für möglich gehalten hätte, ihm gelang es: Beck mußte gehen. Ebenso der Kriegsminister Freiherr v. Pittreich, der den Magyaren, um ihre Zustimmung für das Militärbudget zu erlangen, allzu weitgehende Zugeständnisse gemacht und sich hiedurch seine Ungnade zugezogen hatte. Für beide erledigte Posten wußte er Männer seiner Wahl durchzusetzen: Chef des Generalstabs wurde Feldmarschalleutnant Franz Conrad von Hötzendorf, Kriegsminister: Feldzeugmeister Freiherr von Schönaich. Es war, als wäre mit der Entfernung Becks das Eis gebrochen, das den Thronfolger an jeder selbständigen Bewegung gehindert hatte. Von jetzt an wußte er sich neben dem Kaiser immer mehr Geltung zu verschaffen, und auf militärischem Gebiete geschah nichts mehr ohne Einholung seiner Ansicht und Zustimmung. Sein Hauptaugenmerk hatte er auf die Einheit der Armee gerichtet, die er durch die magyarischen Sonderbestrebungen immer schwerer gefährdet sah und an die er nicht rühren ließ; um so weniger, als sie im Laufe der letzten Jahrzehnte schon bedenklich erschüttert worden war. Das scheinbar ganz geringfügige Zugeständnis, das im Jahre 1888 aus dem k. k. Heere ein k. und k. Heer gemacht hatte, war ein bedeutsames Symptom dieser Lockerung ihres Gefüges. Das unscheinbare B i n d e w o r t wurde zu einem vielsagenden Trennungsworte . . . Als er erkannte, daß auch Schönaich als Kriegsminister sich die Zustimmung der Ungarn zum Heeresbudget durch nationale Zugeständnisse zu erkaufen suchte, bestand er auf dessen Entfernung, unbekümmert darum, daß er selber ihm zu diesem Posten verholfen hatte.
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An seine Stelle kam abermals ein Mann seiner Wahl: General d. Inf. von Auffenberg. Diesen Kampf um die — relative — Einheit der Armee führte er mit der ganzen Energie und Zähigkeit seines Wesens unverzagt fort. Und es war ein heißes, schweres Ringen, denn er hatte dabei nicht nur gegen die ungarische Regierung, das ungarische Parlament, die ungarische Presse zu kämpfen, sondern auch gegen Schönbrunn, wo man, um Ruhe zu haben, immer wieder zu Zugeständnissen bereit war. In seiner Besorgnis, der Kaiser könnte in seiner Nachgiebigkeit gegen die imgarischen Forderungen noch weiter gehen, als es schon der Fall war, und das schon bedenklich abgescheuerte und dünn gewordene Band, das die Armee zwischen Österreich und Ungarn noch bildete, könnte dann zerreißen: drohte er, seine militärischen Würden niederzulegen, wenn man auf diesem Wege noch fortschreite. Gestaltete sich die Tätigkeit Franz Ferdinands auf militärischem Gebiete in der Hauptsache dcmnach auch vorwiegend defensiv, also negativ, so vermochte er daneben doch auch manches Positive durchzusetzen, insbesondere die Einführung technischer Neuerungen, wie Telephon, Automobilwesen, Flugwesen, Maschinengewehre; Neuerungen, zu denen der alte Herr in Schönbrunn mit seiner Antipathie gegen alle modernen Einrichtungen sonst kaum so bald seine Zustimmung gegeben haben dürfte. Sosehr auch der Thronfolger in vielem am Althergebrachten hing und die Tradition hochhielt, dachte er anderseits doch zu nüchtern und sachlich, um sich der Erkenntnis des praktischen Wertes solcher Einrichtungen zu verschließen, und wurde ihr eifriger Förderer. Auch die Neubewaffnung der Artillerie und die Reorganisation der technischen Truppen, in erster Linie zwar das Verdienst Conrads, waren insofern auch das seine, als dieser es nur seinem Einflüsse zu danken hatte, daß er es erreichte. Sein reges, unermüdliches Interesse für die Armee war mit einem scharfen militärischen Blick gepaart. Ganz im Gegensatze zum Kaiser, der sich vornehmlich für militärische Details äußerlicher Art interessierte, kümmerte er sich um solche nur wenig und hatte hauptsächlich die allgemeinen großen Fragen im Auge. Wenn er sich doch einmal mit einem Deteil befaßte, so war es entweder sein starkes Traditionsgefühl, das ihn dazu bewog — so trug er sich z. B. mit dem Gedanken, die traditionellen weißen Waffenröcke als Paradeuniform wieder einzuführen —, oder aber es wirkten persönliche Momente mit, die bei ihm überhaupt eine große Rolle spielten. Wiewohl zu vielseitig und zu wenig gewohnt, Selbststudium zu betreiben, um über tieferes Generalstabswissen zu verfügen, vermochte er sich dank seiner unge-
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wohnlich raschen Fassungskraft im Manöverterrain sehr schnell und leicht zu orientieren. In seiner großen Vorliebe für das Militär trug sich der Thronfolger auch mit dem Gedanken, auch solche Posten, die bis dahin nur mit Zivilbeamten besetzt gewesen waren, zum Teil Offizieren anzuvertrauen, namentlich in der Diplomatie. Er ging dabei von der Ansicht aus, daß Offiziere vermöge ihrer national und politisch neutralen Stellung und Gesinnung ihr Amt verläßlicher und unparteiischer versehen würden als die dem nationalen und politischen Leben meist weit näher stehenden Zivilbeamten. Ein an sich richtiger Gedanke, dessen Ausführung aber die daran geknüpften Erwartungen kaum ganz befriedigt haben würde, da die meist einseitig militärische Erziehung und Bildung der Offiziere ihre sonstige gute Eignung vielfach paralysiert hätte. In seiner Militärkanzlei besaß der Erzherzog übrigens ein Instrument, das diesem Gedanken insofern entsprach, als es, zwar von Offizieren geleitet und dem Namen nach nur für militärische Zwecke bestimmt, allmählich auch andere Angelegenheiten in ihren Wirkungskreis zog. Ursprünglich eine gewöhnliche Dienststelle militärischen Charakters ohne besondere Bedeutimg, wurde sie bald zu einer Zentralstelle ersten Ranges, deren Einfluß sich bei allen wichtigen Entscheidungen militärischer und bald auch politischer Art nachdrücklich geltend machte. Und es ist gewiß kein bloß zufälliges zeitliches Zusammentreffen, daß dies erst der Fall war, seit der — damalige — Major Alexander Brosch von Aarenau ihre Leitung übernommen hatte. Gescheit und gebildet, gewandt und ehrgeizig, dabei von sympathischem Äußern und Wesen, hatte er sich die Gunst des Erzherzogs und mit ihr einen so großen Einfluß auf ihn zu erringen verstanden, daß kein zweiter militärischer oder politischer Funktionär sie in solchem Grade besaß, ja kaum die persönlichen aristokratischen Freunde des Erzherzogs. Zu stolz und zu klug, sich diese Gunst zu erschmeicheln und zu erdienern, hatte Brosch sie einer sehr glücklichen Mischung von Klugheit und Geschmeidigkeit mit festem Willen und aufrechter Art zu danken. Weit entfernt, alles, was sein Herr wollte und tat, nach Höflingsart als weise und zweckmäßig zu preisen, erlaubte er sich sogar zu widersprechen und dabei zu beharren, was viel besagen wollte, da der Erzherzog Widerspruch gewöhnlich nicht vertrug. Was aber einem andern an Brosch' Stelle übel bekommen wäre, ihm schadete es nichts; im Gegenteil: dem Erzherzog, dem alle Liebedienerei verhaßt war, imponierte dieses mutige Festhalten an der eigenen Meinung, und er ließ sie gelten. So groß war der Einfluß
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Brosch's, daß alte Generale und andere hochgestellte Funktionäre um die Gunst und Fürsprache dieses für seinen Rang noch jungen Offiziers buhlten, wohl wissend, welche Geltung sein Wort beim Thronfolger hatte; und daß andere Generäle, z . B . der Kriegsminister Schönaich, zu Falle kamen, wenn er es für angezeigt hielt. Nach ungefähr sechsjähriger Tätigkeit an der Seite des Thronfolgers verließ Brosch seinen Posten, um das Kommando des 2. Kaiserjäger-Regiments in Bozen zu übernehmen. Obschon die Zeit, die ein Offizier als Flügeladjutant bei einem hohen Herrn Dienst tat, an bestimmte Grenzen gebunden war, würde sich der Thronfolger doch kaum daran gekehrt und Brosch, auf den er so viel hielt, bei Ablauf dieses Termins nicht von seiner Seite gelassen haben, wenn der Kaiser dieses Opfer — denn das war es — nicht von ihm gefordert hätte, als Kompensation für den von Brosch betriebenen Sturz Schönaichs. Der Erzherzog bewahrte Brosch auch nach der Trennung seine Zuneigung in reichem Maße, suchte ihn in Bozen auf, berief ihn als Schiedsrichter zu den großen Manövern und übertrug ihm heikle Missionen. Der Nachfolger Brosch's als Flügeladjutant und Vorstand der Militärkanzlei, Oberst Dr. Bardolff, der sich später im Weltkriege durch ausgezeichnete militärische Leistungen das Maria Theresienkreuz erwerben sollte, vermochte trotz seiner Fähigkeiten Brosch beim Erzherzog nicht zu ersetzen und genoß dessen Gunst und Vertrauen nicht in solchem Maße. Es war, als hätte der Thronfolger instinktiv geahnt, daß Bardolff im Grunde seines Herzens ein Deutschnationaler war, als der er sich nach dem Umsturz auch offen bekannte . . . Daß ein so einflußreicher Mann wie Brosch seine Neider und Hasser hatte, und daß sich die Feindseligkeit und Antipathie, die man in Hofkreisen gegen den Thronfolger hegte, sich auf ihn übertrugen, versteht sich von selbst. Von brennendem Ehrgeiz und heißem Tatendrang erfüllt, durch seinen großen Erfolg zu hohen Hoffnungen berechtigt, würde Brosch, wenn Franz Ferdinand auf den Thron gekommen wäre, zweifellos zu höchsten Ehren gelangt sein und eine bedeutsame Rolle im militärischen und politischen Leben der Monarchie gespielt haben. Ein grausames Geschick hat es anders bestimmt. Durch den tragischen Tod seines Gönners aus allen Hoffnungshimmeln gestürzt, wurde er selber seelisch zu Tode getroffen. Durch das jähe Versinken der Sonne seines Lebens plötzlich von tiefem Dunkel umstarrt, im Ohr das schadenfrohe Hohnlachen seiner triumphierenden Neider und Hasser, von düstern Ahnungen hinsichtlich des Kriegsausganges bedrückt:
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sah Brosch bloß mehr eines vor sich: die Erfüllung seiner Soldatenpflicht. Nach einer glänzenden Waffentat — Gefangennahme eines russischen Divisionsstabes — von feindlicher Übermacht umzingelt, fand er inmitten seines tapfern Regiments, heldenmütig kämpfend, in einem Nachtgefechte bei Huicze den Tod, 7./8. September 1914. Man möchte fast glauben, er habe ihn gesucht1). *
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• Ein ganz spezielles Verdienst des Erzherzogs war die Renaissance der Marine. Dieser Teil der Wehrmacht war seit Tegetthoffs Tode, also seit Jahrzehnten, ganz vernachlässigt worden. Der Kaiser hatte weder Interesse noch Verständnis für sie, und so war sie zum Stiefkinde des Kriegsministeriums geworden. Neben den Flotten der andern Großmächte zählte die k. u. k. Marine mit ihren veralteten, kleinen, langsamen und an Zahl lächerlich wenigen Kriegsschiffen kaum ernstlich mit. Da griff Franz Ferdinand mit starker Hand ein und setzte nach langem, hartem Kampfe die Ausgestaltung und Modernisierung der Kriegsflotte durch. Was ihn dazu noch besonders anspornte, war das tiefe und auch tiefbegründete Mißtrauen, das er gegen den „Bundesgenossen" jenseits der Alpen und jenseits der Adria hegte; bekundete Italien doch eine Liebe für dieses Meer, das es als „mare nostro" reklamierte, sowie nach der „altera sponda", der „andern Küste", d. h. Dalmatien, die sich mit der offiziellen Bundesfreundschaft wenig vertrug. Von diesem Hauptgrunde abgesehen, betrieb der Thronfolger die Förderung der Marine auch, von der Überzeugung geleitet, daß der Seegeltung in der Zukunft eine große Bedeutung zukomme. Seine eigene Weltreise, seine Vorliebe für die Adria, an deren Ufer es ihn immer hinzog, und wohl auch die starken Eindrücke, die er bei den großen Übungen der deutschen Flotte empfangen hatte, sowie nicht zuletzt das Beispiel Kaiser Wilhelms, hatten dazu beigetragen, sein Interesse für die Marine immer stärker werden zu lassen. Obwohl er sich erst in reifern Jahren mit ihr zu befassen begann, fand er sich mit seiner außerordentlich raschen Auffassimg und seinem eifrigen Interesse auch in dieses schwierige Gebiet so bald hinein, daß er sich persönlich zur See betätigen konnte. Es muß ein glücklicher Tag für ihn gewesen sein, der ihn mit stolzer Genugtuung erfüllen konnte, als er am 28. März 1911 an der Spitze eines Geschwaders von 47 Fahrzeugen in See stach, um Kaiser Wilhelm, der sich nach Korfu begab, auf hoher See in feierlicher Weise zu begrüßen . . . *) Siehe Anhang. Soiooiky, Franz Ferdinand.
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Vermochte die k. u. k. Kriegsmarine, den ungeheuern Abstand, der sie von den Flotten der andern Mächte trennte, binnen so kurzer Zeit natürlich auch nicht einzuholen, so gelang es seinen unermüdlichen Bemühungen doch, sie wenigstens qualitativ zu einem Machtfaktor zu machen, der durch gutes Material und eine atisgezeichnete Bemannimg seine quantitative Rückständigkeit tunlichst ausglich. Und es war, beiläufig bemerkt, keineswegs bloß die K r i e g s flotte, deren Entfaltung ihm am Herzen lag; er wollte dasselbe auch für die Handelsflotte, die infolge des völligen Mangels an maritimem Verständnis und Interesse von Seiten der österreichischen Völker gleichfalls einen sehr bescheidenen Rang unter den Seemächten einnahm. Das vielkommentierte Wort Kaiser Wilhelms „Die Zukunft Deutschlands Hegt auf dem Wasser" hatte ihm offenbar tiefen Eindruck gemacht, klang ihm dauernd in der Seele nach und spornte ihn an, es, auf die Monarchie umgestellt, sich zur Richtschnur zu nehmen. Die „Adria-Ausstellung", die im Sommer 1 9 1 3 in Wien stattfand und deren Protektor er war, durfte letzten Endes fraglos als sein Werk angesehen werden. Er wollte damit das fehlende Interesse der Österreicher für das Meer und für maritime Fragen wecken.
Anhang. Zu S. 1 1 3 .
Ein Brief des vormaligen Flügeladjutanten und Vorstands der Militärkanzlei des Thronfolgers, Oberst Alexander Brosch von Aarenau an den Verfasser des vorliegenden Buchs. Nach dem Tode des Erzherzogs hatte ich an Oberst v. Brosch, damals Kommandanten des 2. Tiroler Kaiserjäger-Regiments in Bozen, ein Schreiben gerichtet, in dem ich ihm mein Beileid aussprach und zugleich der Besorgnis Ausdruck gab, daß nun alles zu Ende sein werde, was der Thronfolger angestrebt habe, und seine Feinde triumphieren würden. E s sei daher dringend notwendig, daß seine Anhänger sich miteinander berieten, was zu tun sei. — Auf diesen Brief erhielt ich folgende Antwort, die sich durch die unheimliche Vorahnung des über die Monarchie hereinbrechenden Unheils über das Niveau eines Privatbriefs erhebt und die darum hier wiedergegeben sei: „Lieber Herr von Sosnoskyl Ich bin, wenigstens geistig, ein ebenso toter Mann wie mein früherer Chef, dessen Ableben mich auf das tiefste erschüttert hat. Halb irrsinnig, bin ich nicht imstande, einen vernünftigen Gedanken zu fassen, geschweige denn jemand zu sehen und zu sprechen.
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Verzeihen Sie daher, wenn ich ablehnen maß, über irgendwelche Dinge zu verhandeln, die mir bei meinem Gemütszustande ohne Verständnis blieben. Von diesem Umstände aber abgesehen, bin ich nun lediglich Automat, der vielleicht noch dazu gut ist, sein Regiment vor den Feind zu führen, aber weder Herz noch Verstand genug aufbringt, um über größere Zukunftspläne zu beraten. Ich bin ein armer flügellahmer Mensch, dem alle Zukunftshoffnungen vernichtet sind; am liebsten verkröche ich mich wie ein zu Tode getroffenes Tier in einen stillen finstern Winkel. Wenn ich vielleicht noch die physische K r a f t aufbringe, zum Leichenbegängnis nach Wien zu kommen, so habe ich — wenigstens derzeit — nicht die Laune, über den Zukunftsstaat nachzudenken, was übrigens bei mir ohne Konsequenz ist, da ich weder jetzt noch in der Zukunft jemals dazu berufen bin. . . . ich beneide Sie um ihren Elan und hoffe nur, daß Sie zum Wohle des Reiches genug gleichgesinnte Mitarbeiter finden. Für mich ist es das Ende; u n s e r S c h i c k s a l v o l l z i e h t s i c h m i t b r u t a l e r U n a b w e n d b a r keit. Die R i e s e n w a l z e , die bei uns alles v e r n i c h t e t , s c h i e b t sich i m m e r näher h e r a n und ü b e r m e n s c h l i c h e K r ä f t e würden nicht a u s r e i c h e n , sie aufzuhalten1). Indem ich Ihnen noch für Ihre Wertschätzung, die Sie mir durch Ihren Brief bekunden, wärmstens danke, bin ich mit den besten Empfehlungen Ihr sehr ergebener Bozen, i . Juli 1914.
Brosch, Oberst."
Im Original sind diese Worte nicht unterstrichen, da der Verfasser des Briefs in seinem tiefen Schmerze keine Ahnung davon hatte, daß er damit eine Prophezeiung aussprach, die sich in naher Zeit mit furchtbarer Wahrheit erfüllen sollte.
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VIII. Thronfolger und Kaiser. Gegensätze zwischen ihnen. — Ihr Verkehr miteinander. — Der Kaiser über den Thronfolger. — Wachsender Einfluß Franz Ferdinands. — Der Eiertanz zwischen ,,Schönbrunn" und „Belvedere". — Die „große" und die „kleine" Militärkanzlei. — Die ., Belvedere-Partei". — Zeitungspläne. — Besserung des Verhältnisses zwischen Thronfolger und Kaiser.
Das Verhältnis zwischen dem Thronfolger und dem Kaiser war die ganze Zeit hindurch, die sie nebeneinander hinlebten, der eine herrschend, der andere darauf harrend, ein nichts weniger als gutes. Daran wäre an sich freilich nichts Besonderes, denn es liegt nun einmal in der Natur der Sache, daß zwischen Herrschern und ihren Thronfolgern gewisse, zuweilen sehr starke, Gegensätze bestehen; Gegensätze, die durch die Verschiedenheit der politischen Anschauungen bedingt werden, wie sie zwischen zwei zeitlich weit auseinanderliegenden Generationen vorhanden zu sein pflegen. Schon im Alltagsleben vermag dieser Gegensatz das Verhältnis zwischen Vätern und Söhnen zu trüben und zu Erkaltung und Entfremdung zu führen; um wie viel mehr erst, wenn Thron und Krone dabei im Spiele sind und der die Macht besitzende Teil den andern diese Macht fühlen läßt und ihn zur Ohnmacht verdammt. Kommt dann noch dazu, daß eine besonders lange Lebensdauer des Vaters den Sohn zu jahrzehntelangem Warten verurteilt und er nicht nur seine Jugendzeit, sondern selbst seine Mannesjahre hinschwinden sehen muß, ohne sich entsprechend betätigen zu dürfen: so wird sich beim Thronfolger notwendigerweise eine gewisse Verbitterung und Ungeduld einstellen, die den Gegensatz zwischen ihm und dem Kronenträger zur Kluft vertiefen kann. All das war auch in den Beziehungen zwischen Kaiser Franz Josef und Erzherzog Franz Ferdinand der Fall, und zwar sehr reichlich. Hiezu kam noch, daß das Gegengewicht fehlte, das solche Differenzen sonst auszugleichen oder doch zu mildern vermag: daß sie nicht Vater und Sohn, sondern nur Onkel und Neffe waren, und daß der Kaiser durch Franz Ferdinand immer an den tragischen Tod seines Sohnes erinnert worden sein dürfte.
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Alle diese Gegensätze hätten freilich gemildert werden können, wenn der Neffe dem Onkel sympathisch gewesen wäre; das aber war offenbar durchaus nicht der Fall; auch umgekehrt nicht. Doch selbst wenn sich der Thronfolger der Gunst des Kaisers erfreut hätte, er würde sie sich durch seine Heirat verscherzt haben. Diese hat ihm der Kaiser zweifellos nie verziehen und es bei seinen strengen dynastischen Grundsätzen auch nicht gut können. Daran noch nicht genug, ärgerte und reizte ihn der Thronfolger immer von neuem. Er trieb eine Politik, besonders im Innern des Reichs, die der seinen durchaus entgegengesetzt war. Er gefährdete das Verhältnis mit Ungarn, das ihm ohnehin so viele Sorgen bereitete, und bedrohte den durch weitgehende, schwerwiegende Zugeständnisse so teuer erkauften Frieden mit diesem Lande. Er suchte Männer zu stürzen, an die er — der Kaiser — sich gewöhnt hatte und auf die er nicht verzichten wollte, stürzte sie auch tatsächlich und besetzte ihre Posten mit Männern, die ihm nicht zu Gesichte standen, wie z. B. Conrad und Auffenberg. Er führte ferner allerlei Neuerungen in die Armee ein, die er für überflüssig hielt und die ihm diese entfremdeten, und er inszenierte gegen seine — des Kaisers — Vertrauensmänner einen leidenschaftlichen Pressekrieg—Ährenthal, Schönaich, Tisza—; kurz: er trat ihm überall in den Weg, stiftete Unfrieden und störte sein zunehmendes Ruhebedürfnis. So dachte und empfand der Kaiser dem Thronfolger gegenüber. Und was diese Abneigung noch verschärfen mußte, war : daß er sich infolge seines Alters außerstande fühlte, ihm so zu begegnen, wie er gewollt hätte, und sich um seiner Ruhe willen sogar genötigt sah, ihm Zugeständnisse zu machen und besonders in Armeefragen immer mehr Rechte einzuräumen. Diese Abneigung fand beim Thronfolger volle Erwiderung. Nicht genug daran, daß er die Jahre hinschwinden und das Alter schon unheimlich näherrücken sah, ohne sich so betätigen zu können, wie er gewollt hätte: mußte er, zur Ohnmacht verdammt, mitansehen, wie das Ruhebedürfnis, die dilatorische Politik des Kaisers, die vor jeder Entscheidung zurückschreckte und ein gefährliches Laissez aller Platz greifen ließ, die Zustände im Innern der Monarchie immer verworrener machte; wie die Irredenta immer dreister und vielköpfiger wurde; wie der nationale Zersetzungsprozeß immer rascher um sich griff, die Gefahr des Zerfalls immer näherrückte. Selbst ein weniger leidenschaftlicher Mann würde angesichts solcher Zustände und solcher Gefahren seine Geduld und Ruhe kaum zu bewahren imstande gewesen sein, geschweige denn ein so stürmisch fühlender wie Franz Ferdinand.
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Man kann seine maßlose Erbitterung, seine wilden Zornausbrüche sehr wohl begreifen, ja man könnte verstehen, wenn ihn angesichts dieser Situation Verzweiflung erfaßt hätte; sollte er dereinst doch die bittern Früchte ernten, die aus dieser bösen Saat erwachsen würden, und die Herrschaft über ein bis in seine Tiefen zerrüttetes Reich antreten, dessen Völker alle haßerfüllt auseinanderstrebten. Man geht kaum fehl, wenn man die zunehmende Reizbarkeit und Nervosität Franz Ferdinands zum großen Teil diesem Umstände zuschreibt, seiner kaum mehr zu zügelnden Ungeduld, seinem nur mühsam verhaltenen Grolle. Bei diesem tiefgehenden Antagonismus zwischen Kaiser und Thronfolger war es sehr begreiflich, daß sie einander mieden und daß sie, wenn sie, notgedrungen, doch zusammen kamen, scharf aneinander gerieten. Franz Ferdinand war der einzige Mann in der Monarchie, der es, bei allem äußern Respekte, wagte, dem Kaiser direkt Opposition zu machen. Und umgekehrt war der Kaiser der einzige Mann, dem sich der Thronfolger, bis zu einem gewissen Grade wenigstens, unterordnete. So kam es, daß einer den andern fürchtete und jeder einer Unterredung unter vier Augen mit Bangen entgegensah. Wenn der Thronfolger zum Kaiser beschieden wurde, bemächtigte sich seiner immer eine große Nervosität. „ E r machte in solchen Augenblicken ganz den Eindruck eines Kandidaten, der sich auf das Examen nicht genügend vorbereitet hat und den die Angst erst beim Betreten des Prüflingssaales verläßt." 1 ) Solche Aussprachen pflegten stundenlang zu dauern, wirkten aber meist beruhigend auf beide Teile; wenigstens sei der Thronfolger bei der Heimkehr meist „in rosigster Laune" gewesen8). Letzteres aber wohl erst in den letzten Jahren, als die Widerstandskraft des Kaisers schon sehr im Schwinden begriffen war, denn es war schon so weit gekommen, daß sie dem persönlichen Verkehr ganz aus dem Wege gingen3). Sehr bezeichnend dafür ist ein Gespräch zwischen dem Kaiser und General Conrad, als dieser vorschlug, den Thronfolger nach Rom zu senden, um hiedurch eine Besserung der Beziehungen zwischen der Monarchie und Italien anzubahnen: K a i s e r : „ E r wird nicht gehen." Conrad: „ J a Eure Majestät brauchen doch nur zu befehlen." *) N i k i t s c h - B o u l l e s : Vor dem Sturm, S. 49. *) Ebenda. *) Aus dem geheimen Tagebuche des Grafen Ottokar Czernin, S. 52.
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K a i s e r : J a , Sie kennen ihn doch, wie er merkwürdig und unberechenbar ist. Niemand weiß es besser als Sie." Conrad: „ J a , Eure Majestät, ich habe es am eigenen Leibe erfahren." K a i s e r : „Ich werde es versuchen. I c h g l a u b e a b e r , daß er nicht gehen wird." 1 ) Aus diesen Worten des Kaisers klingt eine müde Resignation, die verrät, daß er es damals schon aufgegeben hatte, dem Thronfolger gegenüber seinen Willen durchzusetzen. Es lag in der Natur der Sache, daß der Einfluß des Thronfolgers mit dem zunehmenden Alter des Kaisers wuchs und namentlich auf militärischem Gebiete allmählich der entscheidende wurde. Die ihm vom Kaiser verliehene ganz neu geschaffene Stelle eines „Generalinspektors der gesamten bewaffneten Macht" kam ihm dabei sehr zustatten. Aber auch in politischen Fragen wurde in den letzten Jahren vor dem Kriege keine Entscheidung mehr getroffen, ohne daß ihm die betreffende Angelegenheit vorher unterbreitet wurde. Nicht nur die Generale, auch die leitenden Staatsmänner der Monarchie mußten sich, ob es ihnen nun behagte oder nicht, an ihn wenden, ehe sie eine Entscheidung trafen. Für die einen wie für die andern ergab sich hieraus eine überaus heikle Lage, zumal da Kaiser und Thronfolger sooft verschiedener Meinung waren. Sie mußten zwischen Schönbrunn und Belvedere einen wahren Eiertanz aufführen, wobei stets die große Gefahr bestand, daß ein Ei zerbrach und sie darüber zu Falle kamen. Hielten sie zum Kaiser, so setzten sie sich der Gefahr aus, sich's mit dem Thronfolger zu verderben und, sobald dieser ans Ruder kam, was bei dem hohen Alter des Kaisers jeden Tag der Fall sein konnte, ohne viel Federlesens an die Luft gesetzt zu werden. Wandten sie sich aber dem Thronfolger, als der aufgehenden Sonne, zu, so zogen sie sich die Ungnade des alten Kaisers zu, der noch immer der mächtigste Mann im Reiche war und dessen Gunst sie sich nicht verscherzen durften. Besonders scharf kam dieser Gegensatz zwischen den beiden ersten Männern der Monarchie in ihren beiden Militärkanzleien zur Geltung, der sogenannten „großen" und „kleinen" Militärkanzlei, wobei die „kleine" unter Brosch's ebenso kluger als unternehmender Leitung l ) Feldmarschall (Franz Graf) Conrad (von Hötzendorf): Aua meiner Dienstzeit, Wien, Rikola-Verlag, III, S. 503.
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den alten, in der Konvention erstarrten Herren der „großen" Kanzlei manchen dort bitter empfundenen Streich spielte1). Nicht mit Unrecht sprach man daher von einer Nebenregierung des Thronfolgers, die man, da er im Belvedere residierte, die „Belvederepartei" zu nennen pflegte. Man verstand darunter, außer dem Erzherzog selbst, vor allem seine so einflußreiche Militärkanzlei und die von ihm zu führenden Stellungen erwählten Generäle und Staatsmänner; nicht zuletzt auch einige ihm ergebene und in seinem Sinne tätige Publizisten und Journalisten, wie Baron Chlumecky junior, Herausgeber der „österreichischen Rundschau", C. M. Danzer, Herausgeber von „Danzers Armeezeitung" und Dr. Funder, Chefredakteur der „Reichspost", von denen namentlich Danzer die Ansichten und Wünsche des Belvederes in überaus schneidiger und gewandter Weise vertrat. Sein Blatt war nachgerade das Sprachrohr der Militärkanzlei des Thronfolgers. So eifrig und mutig diese Publizisten aber auch für ihn eintraten und Stimmung machten, die Blätter die sie leiteten, vermochten sich in dem lauten Chorus der gegnerischen Pressestimmen nicht entsprechend zur Geltung zu bringen; die „österreichische Rundschau" und die „Armeezeitung" schon deshalb nicht, weil sie als Halbmonats- und Wochenschrift nur über einen mäßig großen Leserkreis verfügten; die „Reichspost", weil sie, wiewohl Tageszeitung, durch ihre ausgesprochen katholische Tendenz auf ein ganz bestimmtes, nicht sonderlich zahlreiches Publikum angewiesen war. In ihrem Schwarz-Gelb war überdies zu viel Schwarz, und diese Farbe erfreute sich in den Intelligenzkreisen Österreichs just keiner großen Beliebtheit. Der Thronfolger war sich dieser Unzulänglichkeit der ihm zur Verfügung stehenden Presse auch wohl bewußt und stand, hierauf aufmerksam gemacht, dem Vorschlage, eine große österreichische, aber nicht klerikale Tageszeitung ins Leben zu rufen, mit Sympathie und Interesse gegenüber. Daß er trotz seiner persönlich so ausgesprochen klerikalen Gesinnung mit einer Zeitung einverstanden war, die nicht klerikal sein sollte, spricht besonders eindringlich für seine klare Einsicht und sein nüchternes Urteil. Das Projekt scheiterte jedoch an der Schwierigkeit, die dafür notwendigen, sehr bedeutenden Geldmittel aufzubringen, und wurde einstweilen zurückgestellt. Der Tod Franz Ferdinands hat dann »auch dieser Idee den Todesstoß versetzt. J
) General d. Inf. Freiherr v. B o l f r a s , der Chei der Militärkanzlei des Kaisers, richtete einmal an Conrad die vorwurfsvolle Frage: „Wie habt Ihr die Militärkanzlei des Erzherzogs Franz Ferdinand schaffen können I ? " Worauf Conrad, der Wahrheit gemäß, erwiderte: „ W i r haben Sie nicht geschaffen." C o n r a d , Dienstzeit I I I , S. 503.
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Als sich der Thronfolger mit schwerer Mühe, wenigstens teilweise, die Position erkämpft hatte, die er beanspruchte, wurde auch sein Verhältnis zum Kaiser besser oder war doch nicht mehr so gespannt wie früher; ein Wandel, den die leitenden Staatsmänner als Erleichterung empfanden. Mit Genugtuung stellte darum Graf Berchtold im Herbst 1912 fest, daß die Spannung zwischen Schönbrunn und Belvedere nachgelassen habe1). Bericht des deutschen Botschafters v. T s c h i r s c h k y , nach Berlin vom 13. November 1912, Große Politik, X X X I I I ; Nr. 12369, S. 373.
IX. Franz Ferdinand und Conrad. Wie der Thronfolger Conrad kennenlernte. — Eine bedeutsame Spazierfahrt. — Berufung Conrads als Chef des Generalstabs. — Kampf des Thronfolgers gegen Schönaich und Ährenthal. — Conrads Rücktritt. — Seine Wiederberufung. — Meinungsverschiedenheiten. — Der Thronfolger und die Affäre Redl. — Tersztyansky als Nachfolger Conrads? — Konflikt bei den Manövern in Böhmen. — Rücktrittsabsichten Conrads. — Versöhnlicher Brief des Erzherzogs. — Konflikt bei der Völkerschlachtfeier in Leipzig. — Der Thronfolger und Conrad bei den Manövern in Bosnien. — Abschied für immer. Einen tiefen und interessanten Einblick in das Wesen des Thronfolgers gewährt sein Verhältnis zu General Conrad. Aus den Mitteilungen allein, die dieser in seinen Denkwürdigkeiten, den Erzherzog betreffend, macht, kann man sich schon ein sehrzutreffendes, wenn auch nicht ganz vollständiges Bild von dessen geistiger Persönlichkeit mit all ihren Vorzügen und Fehlern machen. Schon ihr erstes Zusammentreffen ist für die Art Franz Ferdinands charakteristisch: Franz Conrad von Hötzendorf war damals, 1899, Oberst und K o m mandant des Infanterieregiments Nr. 1 in Troppau. Eines Abends traf der Thronfolger dort ein, u m das Regiment zu inspizieren. N a c h der Meldung auf dem Bahnhof ordnete er an, daß man sich bis acht Uhr abends — es war ungefähr sechs Uhr — um ihn nicht zu kümmern habe; dann wolle er mit einigen Herren des Regiments im Hotel soupieren. Für die Ü b u n g am nächsten T a g e habe alles so zu bleiben, wie es das Regimentskommando (also Conrad) angeordnet hatte. Damit entließ der Erzherzog die zum E m p f a n g erschienenen Herren. Als sich Conrad mit einigen Offizieren um acht Uhr im Hotel einfand, begrüßte ihn der Erzherzog mit höchst anerkennenden Worten über die günstigen Eindrücke, die er von seinem (Conrads) Regiment empfangen habe. E r hatte sich nämlich vor dem Souper in die Kaserne begeben und dort gründlich umgesehen. In seiner guten Laune beim Souper spiegelte sich diese Zufriedenheit deutlich wider. Die Ü b u n g a m folgenden Tage fiel ebenfalls zu seiner vollen Zufriedenheit aus.
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Das zweite Mal hatte Conrad zwei Jahre später, 1901, als Brigadier, im Küstenlande Gelegenheit, sich bei einem Manöver vor dem Thronfolger auszuzeichnen. Noch im selben Jahr, bei den Kaisermanövern in Südwestungarn, wurde er vom Erzherzog in ganz ungewöhnlicher Weise gewürdigt. Conrad hatte sich damals in einem kleinen ungarischen Dorfe befunden und war, von den Übungen in sein primitives Quartier zurückgekehrt, eben dabei, sich umzukleiden, als der Erzherzog bei ihm erschien. Dieser forderte ihn auf, sich durch seine Anwesenheit nicht stören zu lassen, und nahm ihn, als er seine Toilette beendet hatte, zu einer Spazierfahrt in seinem Wagen mit. Bei dieser Gelegenheit richtete er zahlreiche Fragen an ihn, die sich nicht nur auf das militärische, sondern auch auf das politische Gebiet erstreckten, besonders auf die Südslawische Frage, die er in einem den Kroaten günstigen Sinne gelöst wissen wollte. In den militärischen Fragen stimmte Conrad nicht immer mit ihm überein und machte daraus auch kein Hehl. Nach zweistündiger Fahrt setzte der Erzherzog ihn wieder bei seinem Quartier ab. Es war, darüber konnte sich Conrad keiner Täuschung hingeben, eine Erkundungsfahrt gewesen; nur hatte es sich dabei nicht um die Orientierung des Erzherzogs im Terrain gehandelt, sondern um die in seinem — Conrads— Innern. Erst drei Jahre später, 1904, traf dieser, als Kommandant der 8. (Tiroler) Division bei den Herbstmanövern des XIV. Korps in Oberösterreich wieder mit dem Thronfolger zusammen, ohne daß es diesmal aber zu einer besondern Annäherung zwischen ihnen kam. Im folgenden Jahre, 1905, bei den Kaisermanövern im Nonstal (Südtirol) zog Conrad durch seine Truppenführung abermals die Aufmerksamkeit des Thronfolgers auf sich, und ein Jahr darauf erhielt er, damals noch Divisionär in Tirol, plötzlich den Befehl, sich beim Erzherzog in Wien zu melden. Hier eröffnete ihm dieser, daß er ihn für die durch den Rücktritt Becks freigewordene Stelle des Generalstabschefs der Armee ausersehen habe. Conrad, durch diese Mitteilung überrascht, und zwar, wie er versichert, keineswegs angenehm, bat den Erzherzog, von dieser Wahl abzusehen, da er durch seinen langjährigen Truppendienst dem Generalstabe zu sehr entfremdet sei und sich auf seinem Posten in Tirol sehr wohl fühle. Der Erzherzog gab sich Mühe, ihn umzustimmen; als ihm dies aber nicht gelang, entließ er Conrad mit den Worten: „Also im ersten Anlauf habe ich die Festung nicht genommen!" Aber er war nicht der Mann, eine einmal gefaßte Absicht so leicht wieder aufzugeben. Durch den Besuch in Troppau auf Conrad auf-
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merksam geworden, hatte er ihn seither nicht mehr aus den Augen gelassen, ihn bei jener Wagenfahrt gründlich sondiert und nach den Manövern in Nonstal, bei denen Conrads glänzende Führung allgemeine Aufmerksamkeit erregt hatte, den Entschluß gefaßt, ihn zum Generalstabschef an die Stelle des von ihm gestürzten Feldzeugmeisters Freiherrn von Beck zu setzen. Von diesem Entschlüsse ließ er sich durch Conrads Weigerung keineswegs abbringen, und schon wenige Wochen später erhielt dieser abermals den Befehl, sich im Belvedere einzufinden; außerdem einen Brief vom Flügeladjutanten des Thronfolgers, Major v. Brosch, worin ihm dieser dringend nahelegte, die Berufung auf den Posten des Generalstabschefs nicht abermals abzulehnen, da sie schon durch den Kaiser genehmigt sei; ein Refus würde den Thronfolger, der sich mit allem Nachdrucke für ihn eingesetzt habe, in peinlichster Weise desavouieren. Auch Erzherzog Eugen, der Kommandierende in Tirol, habe sich sehr warm für ihn verwendet. Unter solchen Umständen blieb Conrad nichts anderes übrig, als den ihm in so schmeichelhafter Form angebotenen Posten anzunehmen. Er wurde Chef des Generalstabs und galt von nun an, wie kein zweiter Mann in der Monarchie, als erklärter Günstling des Thronfolgers, in dem er tatsächlich in allen seinen Aufgaben einen warmen, verständnisvollen und kräftigen Förderer fand. Erst das bewegte Annexionsjahr 1908 führte zu einigen Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden. Der Erzherzog sollte und wollte im Falle des Kriegs mit Serbien, der infolge der Annexionskrise im Frühjahr 1909 in drohende Nähe gerückt war, das Oberkommando übernehmen, wofür auch Conrad eintrat. Der Kaiser wollte dies aber nicht, und da es auch andere Schwierigkeiten gab, geriet der Thronfolger in eine sehr gereizte Stimmung. In dieser kehrte sich sein tief wurzelndes Mißtrauen auch gegen Conrad. Er argwöhnte, dieser treffe hinter seinem Rücken Verfügungen. Diese Mißstimmung machte sich Conrad gegenüber in einer jener Eruptionen Luft, die bei ihm in solcher Stimmung nicht selten waren: „Wenn ich Armee-Oberkommandant werde, dann mache ich, was ich will. Wehe, wenn jemand etwas anderes tut! Die lasse ich alle füsilieren." Das war natürlich nur im Zorn gesprochen und einer jener Ausbrüche, von denen Czernin in seinem geheimen Tagebuche sagt, es scheine sich dann „ein ganzer Krater neronischer Leidenschaften" in ihm zu öffnen und loszubrechen. Er richtete bei dieser Unterredung an Conrad eine ganze Reihe von Fragen und, als dieser sie beantwortet hatte, bemerkte er: „Ich wollte nur sehen, ob Sie mir alles sagen"; worauf Conrad entgegnete,
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er sage ihm alles, was er ihm sagen dürfe. Conrad lernte seinen Gönner bei diesem Anlaß von einer Seite kennen, von der er ihn, persönlich, noch nicht gekannt hatte. Das Mißtrauen des Erzherzogs zeigte sich auch darin, daß er für den Kriegsfall General Szaszkiewicz, der als Lehrer der Strategie an der Kriegsschule tätig war, als Generaladjutanten bestimmte; eine Maßnahme, in der Conrad nichts anderes als eine Kontrolle seiner eigenen strategischen Anordnungen im Kriegsfalle sah. Durch das Mißtrauen des Erzherzogs verletzt, gab er diesem zu verstehen, daß er keineswegs an seinem Amte klebe. Es verdroß ihn auch, daß der Erzherzog, den er schon ganz für das Losschlagen gegen Serbien gewonnen zu haben glaubte, sich in zwölfter Stunde eines andern besann; eine Wandlung, die Conrad dem Einflüsse seiner Gemahlin zuschrieb, die ihn den Gefahren eines Kriegs nicht ausgesetzt wissen wollte. Das Mißtrauen des Thronfolgers gegen Conrad schwand jedoch bald wieder, und vielleicht in dem Bestreben, seinen Irrtum wettzumachen und ihm einen besondern Vertrauensbeweis zu geben, lud er ihn zu einer gemeinsamen Autofahrt ein, deren Ziel das militärisch wichtige Plateau von Lavarone an der italienischen Grenze sein sollte. Den Gesprächsstoff bei dieser Fahrt bildete vor allem natürlich das gespannte Verhältnis der Monarchie zu Italien, über das sie beide einer Meinung waren. Hauptsächlich handelte sich's um die Befestigungen auf dem Plateau und an der italienischen Grenze Tirols überhaupt; ein Thema, über das ihm Conrad bei dieser Gelegenheit einen Vortrag hielt, der den Erzherzog von der Notwendigkeit der Befestigungen in diesem Gebiete sosehr überzeugte, daß er ihm auf der Rückfahrt versicherte, er habe ihn aus einem Saulus zu einem Paulus gemacht. Aber auch andere als militärische und damit zusammenhängende Themas wurden während dieser langen Fahrt berührt. So äußerte sich der Erzherzog abfällig über einen Korpskommandanten, der, um eine geschiedene Frau katholischer Konfession heiraten zu können, Protestant geworden war. Conrad nahm den Getadelten in Schutz: er habe nur männlich gehandelt, wenn er sich durch nichts habe abhalten lassen, die von ihm erwählte Frau zu seiner Gattin zu machen. Da bemerkte der Erzherzog lächelnd: „Ja — eigentlich habe ich ja das auch gemacht." Worauf Conrad erwiderte, er, der Thronfolger, habe darum auch alle vorurteilsfreien Menschen auf seiner Seite. Franz Ferdinand gab sich bei dieser Zusammenkunft von seiner angenehmsten Seite, war in bester Laune und zeigte Conrad auf der gemeinsamen Rückfahrt in seinem Salonwagen die Bilder seiner Frau
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und seiner Kinder, mit denen dieser ausgestattet war. Conrad konnte daraus sehen, ein wie glückliches Familienleben er führte. Das Verhältnis zwischen Thronfolger und Generalstabschef blieb in der Folge ungetrübt, ja es war nie besser als zu dieser Zeit, denn der Erzherzog stand in dem harten Kampfe, den Conrad gegen Ährenthal und Schönaich zu führen hatte mit voller Überzeugung und seinem ganzen, damals schon sehr bedeutenden, Einfluß hinter ihm. Mit welcher Erbitterung den Thronfolger das Verhalten Ährenthals und Schönaichs erfüllte und zugleich, wie herzlich sein Verhältnis zu Conrad war, dafür geben folgende Fragmente eines Briefes Zeugnis, den er am 9. Juli 1 9 1 1 von Blankenberghe an Conrad schrieb und in dem es unter anderem hieß: „ . . . Aber was nützt alles Bitten, Jammern, Schreiben, bevor . . . Schönaich . . . nicht endlich gegangen wird, so lange gibt es keine Heilung und Ihre und meine Wünsche werden grundsätzlich konterkariert. Ferner kommandiert ja jetzt ein gewisser Ährenthal die Armee und bestimmt, was zu geschehen hat und so lange solche Geister . . . an der Spitze des Unternehmens stehen, sind wir, lieber Conrad, ausgeschaltet. So lange solche Leute trotz Thronfolger und Chef des Generalstabes das gewichtigste Wort zu reden haben, so lange ist unsere wohlgemeinte patriotische und schwarzgelbe Arbeit ganz problematisch . . . Sehr neugierig bin ich, was der Herbst bringen wird; hoffentlich sehen wir bald einen neuen Kriegsminister, obgleich der noch jetzt leider existierende in seiner ritterlichen Art bereits eine kapitale Hetze gegen meinen Kandidaten losläßt; . . . was natürlich an Allerhöchster Stelle entsprechend fruktifiziert wird. Auffenberg . . . ist jetzt der einzig mögliche Kandidat.. . Auffenberg ist mir und Ihnen ergeben und wird ein famoses Gegengewicht bilden gegen diese ganze Clique, die uns aus dem Sattel heben will. Hoffentlich geht es Ihnen gut und können Sie sich jetzt einen ordentlichen Urlaub gönnen. Machen Sie mir im jugendlichen Übermut keine zu waghalsigen Sachen und erhalten Sie sich frisch, fröhlich und gesund für jetzt und die Zukunft. Mit herzlichsten Grüßen, lieber Conrad, bin ich Ihr stets aufrichtiger Erzherzog Franz G. d. K.*' 1 ) In einem Gespräche, das Conrad während der Landungsmanöver in Dalmatien, einige Wochen später, mit dem Thronfolger hatte, kam dieser wieder auf den Konflikt mit Ährenthal und Schönaich zu sprechen und äußerte sich in schärfster Weise über den „Skandal", daß der Kriegsminister ganz offen gegen ihn, den Thronfolger, Oppo') Conrad: Dienstzeit, II, S. 146f. An Stelle der diskreten Gedankenpunkte hat man sich meist entsprechende Kraftausdrflcke zu denken, wie sie der Thronfolger liebte. Mit den ,,waghalsigen Sachen" spielte dieser auf die Vorliebe Conrads für Gebirgstonren an.
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sition mache. Er habe derartiges in einem monarchischen Staate für \mmöglich gehalten. Nicht nur Schönaich müsse gehen, auch dessen Anhang müsse gesprengt werden. Ebenso habe er die Politik Ährenthals „mit seinen ewigen Nachgiebigkeiten und Blamagen" sowie seinen Einmischungen in militärische Angelegenheiten satt bekommen und wolle dem ein Ende machen. Zugleich verbot er Conrad, dieses Konflikts wegen seine Demission zu nehmen; das würde nur einen Triumph der „Clique Schönaich-Ährenthal" bedeuten und ihn — den Erzherzog — bloßstellen, denn da sie ihn nicht direkt treffen könne, so wolle sie ihn indirekt in ihm — Conrad — treffen. Zudem besitze er sein volles Vertrauen. Zwar gelang es dem Einflüsse des Thronfolgers, den Kriegsminister Schönaich zu stürzen, aber er vermochte es nicht zu verhindern, daß auch Conrad gehen mußte, da der Kaiser auf dieser Kompensation bestand. Conrad erhielt dafür die Stelle eines Armeeinspektors. Der Thronfolger, besorgt, er könnte sie ablehnen, beschwor ihn, dies ja nicht zu tun, nicht die Flinte ins Korn zu werfen. Hatte er auch zur Zeit der höheren Macht des Kaisers weichen müssen, so dachte er darum doch nicht entfernt daran, Conrad nun auch seinerseits fallen zu lassen, und hielt sich ihn sozusagen in der Reserve. Es dauerte auch nicht lange, bis er ihn aus dieser wieder hervorholte. Die sich immer bedenklicher zuspitzenden Verhältnisse auf dem Balkan, wo im Herbst 1912 der Krieg der Balkanstaaten gegen die Türkei ausgebrochen war, gaben ihm hiezu die erwünschte Gelegenheit. Zunächst betraute er Conrad mit einer Mission nach Bukarest, der kurz darauf die Wiederernennung zum Generalstabschef folgte. Von der Überzeugung durchdrungen, daß die Monarchie im Hinblick auf die ihr wahrscheinlich bevorstehenden schweren Zeiten keinen Mann besaß, der hiefür besser taugte als Conrad, hatte er beim Kaiser dessen Wiederernennung durchzusetzen gewußt. Es war nicht nur eine Genugtuung für Conrad, sondern auch für ihn selber. Damit stand wieder sein Mann an der Spitze der Armee. Es war der Höhepunkt in den Beziehungen zwischen beiden Männern. Aber bald sollten sich Meinungsverschiedenheiten einstellen, die ihr Einvernehmen zu trüben begannen. Conrad war für rasches und energisches Eingreifen der Monarchie in den Kampf auf dem Balkan. Franz Ferdinand aber wollte von einem Kriege durchaus nichts wissen und hielt zu Conrads tiefstem Verdruß an diesem Standpunkte hartnäckig fest. Er ließ ihn auch wissen, daß er den Minister des Äußern, Grafen Berchtold — Ährenthal war inzwischen gestorben — nicht in kriegerischem Sinne beeinflussen solle. Auch die Forderung
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des Thronfolgers, die Truppen in den an Serbien und Montenegro grenzenden Gebieten sofort abzurüsten und die Reservisten zu entlassen, damit unter ihnen und in der Bevölkerung deshalb keine Mißstimmung entstehe, stieß bei Conrad auf Widerstand. Zu einem schweren Konflikt aber zwischen dem Thronfolger und Conrad führte die Verrataffäre des Generalstabsobersts Redl. Der Erzherzog war darüber wütend und ließ dies Conrad mit der ihm in solcher Stimmung eigenen Rücksichtslosigkeit fühlen, indem er ihn, als Chef des Generalstabs, für dieses skandalöse Vorkommnis verantwortlich machte. Er tat Conrad damit unrecht, denn wie sollte dieser wissen oder auch nur entfernt vermuten, daß der, zudem fern von ihm in Prag garnisonierende Oberst, der anstandslos zu seiner relativ hohen Stellung — er war Generalstabschef des VIII. Korps und bei seinem Korpskommandanten vorzüglich akkreditiert gewesen — ein Verräter war! ? Berechtigter war der Zorn des Erzherzogs darüber, daß man Redl Gelegenheit gegeben hatte, sich zu töten. Schon bei dieser peinlichen Unterredung mit dem Thronfolger, 4. Juni 1913, bot Conrad seinen Rücktritt an und wiederholte dieses Angebot dann schriftlich. Der Erzherzog ging zwar nicht darauf ein, aber das gute Einvernehmen hatte einen bösen Riß bekommen, wie sich bald zeigen sollte. Sosehr war das Vertrauen des Thronfolgers in Conrad durch diesen Vorfall erschüttert, daß er schon daran dachte, ihn durch einen andern General ersetzen zu lassen. Als solchen faßte er den General d. Kav. von Tersztyansky, Korpskommandanten in Budapest, ins Auge, einen sehr schneidigen Offizier, der für die außerordentlichen geistigen Anforderungen, die das Amt eines Generalstabschefs der Armee an seinen Träger stellte, freilich noch keinerlei Befähigungsnachweis erbracht hatte. Die großen Manöver in Südböhmen im September 1913 sollten dem Erzherzog die erwünschte Gelegenheit bieten, Conrad seine Ungnade fühlen zu lassen. Bald nach seinem Eintreffen im Hauptquartier der Manöverleitung beschied er ihn zu sich und fragte ihn in erregtem, barschen Tone, warum er nicht die Kirche besucht habe (es war ein Sonntag). Conrad erwiderte, er sei dienstlich verhindert gewesen; sollte der Kirchenbesuch aber befohlen worden sein, so hätte man es ihn wissen lassen sollen. Brüsk erwiderte der Erzherzog: „Ihre religiösen Anschauungen kenne ich ja, aber wenn ich in die Kirche gehe, haben Sie auch zu gehen." Conrad konnte sich diese plötzliche Ungnade nicht erklären und schrieb sie, wenigstens teilweise, einem physischen Unwohlsein des Erzherzogs zu, worauf dessen übles Aussehen ihm zu deuten schien.
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Am folgenden Tage kam es abermals zu einem Zusammenstoße. Der Thronfolger befand sich in gereizter Stimmung und ärgerte sich über die Auffahrt und Aufstellung der zahlreichen Automobile, die sich um seinen Standort versammelten. (Es handelte sich um die Aktion einer Kavallerie-Division, zu der sich zahlreiche Zuschauer, auch vom Zivil, einfanden.) Der Erzherzog gab Conrad die Schuld an der entstandenen Verwirrung, und zwar wieder in schroffer Form. Dieser brachte den Vorfall mit einer Äußerung in Zusammenhang, die der Erzherzog ihm gegenüber kurz vorher gelegentlich einer Autofahrt getan. Er hatte von Konopischt gesprochen, das einst im Besitze Wallensteins gewesen war, und dazu bemerkt: „Es ist doch ganz unbegreiflich, daß ein so gescheiter Mann auf solche Abwege geraten kann." Eine Äußerung, die Conrad auf sich bezogen hatte, obwohl er sich in keiner Weise bewußt war, die Rolle eines zweiten Wallenstein spielen zu wollen. Damit nicht genug, ließ der Erzherzog die Manöver plötzlich abbrechen, ohne Conrad vorher verständigt zu haben, und traf auch andere Anordnungen über dessen Kopf hinweg. Conrad sah darin den letzten Tropfen im vollen Glas und schrieb, nach Wien zurückgekehrt, ohne Verzug sein Demissionsgesuch. Da er von der Absicht des Erzherzogs, Tersztyansky zu seinem Nachfolger zu ernennen, erfuhr, glaubte er die Angelegenheit in seinem Sinne erledigt. Er war daher nicht wenig überrascht, als er hierauf ein eigenhändiges Schreiben des Erzherzogs erhielt, in dem dieser ihn in dringlichstem Tone „inständigst" bat, von seinem Vorhaben einstweilen Abstand zu nehmen und wenigstens den Winter über bis zum Frühjahr in seinem „dornenvollen" Amte auszuhalten: ,, . . . Die Gründe, die mich dazu bewegen, dieses Opfer von Ihnen, lieber Baron Conrad, zu erbitten, sind erstens, daß es einen merkwürdigen Eindruck machen würde, wenn Sie jetzt so bald wieder Ihren Posten an meiner Seite verlassen würden, wo die ganze Welt weiß, mit welcher Schwierigkeit ich Sie das zweite Mal angesichts der Kriegsgefahr bei Seiner Majestät erbeten habe. Man würde daran viele Kommentare knüpfen, die weder in Ihrem, noch in meinem Interesse liegen. Zweitens wurden Sie jetzt von Kaiser Wilhelm eingeladen und so geehrt, daß jetzt ein Verlassen Ihrer Stellung auch nicht möglich ist . . ."
Der Erzherzog erging sich dann noch in heftigen Ausfällen gegen die freisinnige Presse, die „infame" Artikel über diesen Konflikt gebracht habe. Man dürfe den „schlechtgesinnten Leuten" nicht das Gaudium bieten, sich über ihren — des Thronfolgers und Conrads — Zwist ins Fäustchen lachen zu können. Er äußerte dann den Wunsch, mit ihm alles Notwendige in Ruhe und Vertrauen zu besprechen, und S o s n o s k y , Franz Ferdinand.
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schloß den Brief mit Worten, die ganz im herzlichen Tone früherer Zeit gehalten waren: „Indem ich Ihnen bei dieser Gelegenheit meinen innigsten und wärmsten Dank für die mir bisher geleisteten Dienste und Opfer ausspreche, bitte ich Sie nochmals, in gewohnter Selbstverläugnung mir auch noch dieses Opfer za bringen und in Ihrer Stellung zu verharren und bleibe mit den herzlichsten Grüßen in steter Gewogenheit lieber Baron Conrad, Ihr aufrichtiger Erzherzog Franz, General der Kavallerie" 1 ).
Der ganze Inhalt und Ton des Briefs erweckte den Eindruck, der Thronfolger bereue seine Übereilung und sein barsches Vorgehen gegen Conrad, suche dies gutzumachen und sei voll Sorge, dieser könnte wirklich gehen. Natürlich sah sich Conrad auf diesen Brief hin bemüßigt zu bleiben. Und er tat es zweifellos, in der Hoffnung, daß die Atmosphäre nach diesem jähen Gewitter sich nun wieder klären werde. Um so peinlicher sah er sich überrascht, als es schon einige Wochen später abermals zu einem Zusammenstoße mit dem Erzherzog kam, und zwar unter noch peinlichem Verhältnissen: Es war bei Gelegenheit der Einweihung des Völkerschlachtdenkmals in Leipzig. Der Thronfolger hatte sich persönlich zu dieser Feier begeben und hiezu einige hohe Offiziere mitgenommen, darunter auch Conrad. Nach dem großen Diner, mit dem die Feierlichkeiten am 18. Oktober ihren Abschluß fanden und an dem alle Fürstlichkeiten, die zu den Festlichkeiten erschienen waren, teilgenommen hatten, beschied Kaiser Wilhelm Conrad zu sich, besprach mit ihm die politische Lage und forderte ihn dann auf, ihm einige Herren der österreichisch-ungarischen Deputation vorzustellen. Conrad war im Begriffe, diesem Wunsche des Deutschen Kaisers nachzukommen, als folgendes geschah: „Plötzlich trat, raschen Schrittes und aufs höchste erregt, Erzherzog Franz Ferdinand an mich heran und fragte barsch: ,Was geschieht da?' Ich erwiderte: ,Der Deutsche Kaiser hat mir befohlen, ich solle ihm unsere Oberste bringen.' Darauf herrschte mich der Thronfolger im heftigsten Tone an: ,Das ist meine Sache. Sind Sie der Armeekommandant? Das werde ich mir ausbitten.' Ich antwortete: ,Ich bitte Eure kaiserliche Hoheit zu entschuldigen, aber der >) Conrad: Dienstzeit, III, S. 440!.
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Deutsche Kaiser hat mich beauftragt.' Hierauf der Erzherzog: ,Das hätten Sie mir melden sollen!' 1 )" Man glaubt es Conrad aufs Wort, wenn er in seinen Denkwürdigkeiten versichert, diese Szene sei das Peinlichste gewesen, was er je erlebt habe, zumal da sie sich in Gegenwart fremder Generäle und Offiziere abspielte. Conrad fand jedoch, wie er schreibt, bald seine Ruhe wieder und suchte sich den Zornausbruch des Erzherzogs, so wie den bei den Manövern in Böhmen, mit einer physischen Indisposition zu erklären, wozu noch der verhaltene Groll über gewisse Eindrücke kam, die die Festlichkeiten in ihm zurückgelassen hatten. Von offizieller deutscher Seite war nämlich der Mitwirkung Österreichs an der Befreiung Deutschlands vom Joche Napoleons mit jener Geringschätzimg gedacht worden, die Österreich und dessen Leistungen, besonders auf militärischem Gebiete, sich von reichsdeutscher Seite so oft bieten lassen müssen. Kein Wunder daher, daß der Thronfolger, der gerade in diesem Punkt überaus empfindlich war, dadurch auf das tiefste verstimmt wurde. Unrecht und unbegreiflich war es aber, daß er dies Conrad entgelten ließ. So tief sich dieser durch diese neuerliche, so schroff geäußerte Ungnade des Thronfolgers auch verletzt fühlte, so durfte er mit Rücksicht auf die ganz ungeklärte politische und militärische Lage aber doch nicht daran denken, jetzt zu gehen. Wie nach dem Konflikt bei den Manövern, so sollte ihm auch diesmal die Genugtuung werden, daß der Erzherzog sein Vorgehen bereute und ihm durch seinen Flügeladjutanten Oberst Dr. Bardolff sein Bedauern ausdrücken ließ. Als Conrad sich tagsdarauf beim Thronfolger einfand, um ihm ein Referat zu erstatten, empfing ihn dieser mit „prononcierter Freundlichkeit". Conrad fand auch in der folgenden Zeit keinerlei Anlaß, seine Rücktrittsabsichten zu verwirklichen . . . Bei den Manövern in Bosnien im Juni 1914 sollte er wieder einmal Gelegenheit haben, den Thronfolger ganz so herzlich zu finden, wie er es ihm gegenüber früher immer gewesen war: Als der Erzherzog nach dem Manöver mit ihm und den andern Offizieren seines Gefolges mit der Bahn nach Ilidze zurückkehrte, wo er während seines Besuchs in Bosnien Quartier genommen hatte, wurde im Salonwagen ein kurzer Lunch verabreicht. Nur für den Erzherzog wurde ein warmes Gericht serviert; die andern Herren bekamen J
) C o n r a d : Dienstzeit, III, S. 469t. 9*
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bloß einen kalten Imbiß. Da lud der Thronfolger Conrad ein, mit ihm zu essen: „Kommen Sie, Conrad! Die jungen Herren haben ihren kalten Aufschnitt, aber wir zwei werden etwas Warmes essen." Worauf er mit Conrad an einem Tischchen Platz nahm und aus derselben Kasserole aß. „Der Erzherzog war wieder ganz von jener gewinnenden Liebenswürdigkeit, die er — wenn er wollte — wie kaum jemand anderer zu entfalten wußte." A m 27. Juni abends meldete sich Conrad in Ilidze beim Thronfolger ab, wobei ihn dieser mit den in herzlichem Tone gesprochenen Worten entließ: „Also auf Wiedersehen bei den Manövern!" Es sollten die letzten Worte sein, die Conrad aus seinem Munde vernommen hatte . . . „ E s wäre mir eine bittere Erinnerung gewesen," sagt Conrad in seinen Denkwürdigkeiten, „wenn ich von ihm für immer in Disharmonie geschieden wäre. So ist mein Andenken an ihn ein ungetrübtes geblieben." Und rückschauend fügt er, frei von Bitterkeit ob des vielfach erlittenen Unrechts, folgende Charakteristik seines so tragisch hingegangenen Gönners hinzu: „Ich war nie blind gegen all das, was man dem Thronfolger als Fehler vorwarf ; wer wäre frei von solchen ? Aber Erzherzog Franz Ferdinand war ein Fürst von hohen Geistesgaben, rascher Auffassung, scharfem Urteil, großer Menschenkenntnis, strenger Einschätzung seiner zukünftigen Regentenpflichten, für die er sich eine weitgehende Orientierung geschaffen und eine klare, feste, den eigenartigen Verhältnissen Österreich-Ungarns angepaßte Richtung vorgezeichnet hatte. Nationale Freiheit, so weit es die Interessen der Gesamtheit zuließen, aber Zusammenfassen des Ganzen unter einer festen Zentralgewalt in Absicht des Gesamtwohls, gleiches Recht für alle, keine bevorzugten Staatsgebilde innerhalb der Monarchie, schien mir des Thronfolgers Richtlinie gewesen zu sein. Seine Liebe zur Natur, sein künstlerischer Sinn und sein tadelloses Familienleben, an der Seite einer Frau, die er, über alles Herkommen hinweg, nach dem Zuge seines Herzens gewählt hatte, dürfen nicht vergessen werden, wenn es sich darum handelt, ein auch nur flüchtiges Bild von ihm zu geben. Auch wird man den Weitblick nicht übersehen dürfen, mit dem der Erzherzog die anwachsende Macht des internationalen Judentums und dessen tiefgreifende Einflußnahme auf die soziale und politische Entwicklung Europas erkannt hatte. V i e l l e i c h t hätte unter Erzherzog Franz Ferdinand das alte Reich in neuer Form erblühen können. Die Österreich-Ungarn treugesinnten h o f f t e n es; Österreich-Ungarns Feinde f ü r c h t e t e n es!" . . .*) Ein Nachruf, der dem Manne, der ihn gehalten, ebenso Ehre macht wie dem, dem er gegolten hat. ') Conrad: Dienstzeit, IV, S. 15f.
X. Der Thronfolger und Italien. Franz Ferdinand, angeblich das Haopt der „Kriegspartei". — Die Legende von der Wiederherstellung des Kirchenstaates. — Österreich-Ungarn und Italien. — Das Komplott Oberdanks gegen Kaiser Franz Josef. — Die Irredenta in Italien. — Die Irredenta in Österreich. — Die Vogel-Strauß-Politik des Grafen Ährenthal. — Die Wiener Presse und Italien. — Verschärfung der Spannung zwischen der Monarchie und Italien. — Die Zusammenkunft des Zaren und des Königs von Italien in Racconigi ein „erfreuliches Ereignis". — Italienische Rüstungen. — Graf Ahrenthai duldet keine Gegenmaßnahmen. — Konflikt Ährenthal-Conrad. — Der Thronfolger gegen einen Präventiv-Krieg.— Der unterbliebene Besuch Kaiser Franz Josefs in Rom. — A n h a n g : Das militärische Kräfteverhältnis Österreich-Ungarns und Italiens in ihren Grenzgebieten.
Franz Ferdinand galt in weiten Kreisen, besonders in den ihm übelgesinnten, als das Haupt einer „Kriegspartei", die, von Ehrgeiz gestachelt, nach blutigen Lorbeeren lüstern, die Monarchie in den Krieg stürzen wollte. Und zwar war es vor allem ein Krieg gegen Italien, den er angeblich betrieb. Er wollte, so behauptete man, das italienische Königreich vernichten, nicht nur, um Venetien und die Lombardei wiederzugewinnen, sondern auch, und hauptsächlich, um auf dessen Trümmern die Weltherrschaft des Papstes wiederherzustellen. Man mutete ihm also die Rolle eines klerikalen Don Quichote zu, der mit österreichischem Blut und österreichischem Gelde für den Papst die Kastanien aus dem Feuer holen sollte! Wie wenig kannten ihn die Leute, die ihm solche abenteuerliche Pläne imputierten! Er, der so scharf und nüchtern dachte, sollte Österreich zum Werkzeuge angeblicher klerikaler Gelüste herabwürdigen! Die besser informierten unter seinen Feinden mochten selber nicht dran glauben, hielten aber nichtsdestoweniger an dieser Legende fest, weil sie ihn haßten und fürchteten und darum in der öffentlichen Meinung herabsetzen und verdächtigen wollten. In Wahrheit verhielt es sich mit seiner Stellung Italien gegenüber folgendermaßen: Er sah in Italien den Erb- und Erzfeind Österreichs und in dem Bündnisse mit ihm eine zwecklose Farce, bei der die Monarchie zu einer ihrer unwürdigen Rolle verurteilt war. Er empfand das Bündnis
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daher als eine Last und Fessel, die er, je früher um so lieber, abgeschüttelt hätte und deren er sich, zur Herrschaft gelangt, auch sicherlich baldigst entledigt haben würde, um an Stelle Italiens Rußland als Dritten im Bunde zu gewinnen. Seine tiefe Abneigung gegen Italien entsprang mannigfachen und durchaus triftigen Gründen: Schon seine Abstammung war nicht darnach angetan, ihn zu einem Freunde des Hauses Savoyen und des liberalen Italien zu machen, denn er stammte mütterlicherseits aus dem königlichen Hause der Bourbonen, das unter Franz II., seinem leiblichen Onkel, durch Viktor Emanuel seines Throns beraubt worden war. Zu diesem Gefühlsmoment kam noch ein zweites, stärkeres: die historische Vergangenheit, die Italien stets als Feind Österreichs gezeigt und diese Feindschaft traditionell gemacht hatte. Außer diesen Gefühlsmomenten spielte aber noch ein realer Grund mit, der weit stärker ins Gewicht fiel: Franz Ferdinand wußte, daß man in Italien die Monarchie trotz des Bündnisses haßte, Böses gegen sie im Schilde führte und stets bereit war, über sie herzufallen, wenn sich eine günstige Gelegenheit dazu finden sollte. Er wußte, daß die Bundesfreundschaft nur eine Maske \var, die es sich vorgebunden hatte, um den Haß zu verbergen, der aus seinem Antlitz flammte. Das Bündnis zwischen der Monarchie und Italien war in der Tat wohl das wunderlichste, das die Welt je gesehen hatte. Nicht Sympathie und Bedürfnis waren bei dessen Abschluß Pate gestanden, sondern Widerwille und Zwang. Bloß weil Bismarck Italien zu verstehen gegeben hatte, daß der Weg zu ihm nur über Wien führe, hatte man sich in Rom, „der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe", dazu entschlossen, auch Österreich-Ungarn die Hand zum Bunde zu reichen. Man hatte damals eben Deutschlands mächtigen Schutz benötigt, da die „lateinische Schwesternation" Frankreich in Nordafrika auf diese angeblich so nahe Verwandtschaft ganz und gar keine Rücksicht genommen hatte. So hatte man sich denn, um der wertvollen Freundschaft Deutschlands willen, mit sauersüßer Miene und heimlich geballter Faust zu der Allianz mit dem nach wie vor gehaßten Österreich verstanden. Und auch in der Monarchie, in der damals Graf Kälnoky die äußere Politik leitete, war man von dieser Verbindung nicht erbaut und war sie nur eingegangen, weil Bismarck darauf bestanden hatte, der sich auf diese Weise doppelt sichern wollte: gegen Frankreich und gegen — Österreich-Ungarn. Es war ein geradezu widernatürliches Bündnis, das da unter der drückenden Patronanz des deutschen Reichskanzlers entstanden war.
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Der Thronfolger und Italien
Widernatürlich nicht nur i m Hinblick auf die blutige Vergangenheit, sondern auch auf die Z u k u n f t , denn Italien nahm sich nicht die Mühe, seine Gelüste auf Südtirol u n d das österreichische Küstenland zu verbergen.
Nichts kennzeichnete und brandmarkte die Unnatur dieses
Bündnisses
offensichtlicher als
das
irredentistische
Mordkomplott
des Triestiners W i l h e l m Oberdank, der im September 1882, wenige Monate nach dem Abschlüsse des Bündnisses, 20. Mai, Kaiser F r a n z Josef ermorden wollte, da dieser zur Feier der 600 jährigen Zugehörigkeit Triests z u m Habsburgerreiche in diese S t a d t zu kommen gedachte. Oberdank
wurde
festgenommen
und
hingerichtet,
sein
Komplize,
der A p o t h e k e r R a g o s a , e n t k a m jedoch nach Italien, wurde dort zwar gefangen und vor Gericht gestellt, v o n den Geschwornen aber b e zeichnenderweise f r e i g e s p r o c h e n . Dieser Freispruch, weit mehr aber noch die Verherrlichung Oberdanks, d e m z u E h r e n m a n i n I t a l i e n S t r a ß e n b e n a n n t e , S t a n d bilder errichtete u n d eine H y m n e d i c h t e t e und k o m p o n i e r t e , l i e ß die wahren Gefühle erkennen, die man jenseits der A l p e n für oder vielmehr gegen Österreich hegte. Der Mordbube Oberdank wurde gleichsam zum Patron des Bündnisses zwischen der Monarchie u n d Italien, und seine B o m b e dessen Wahrzeichen. In diesem bedeutsamen Zeichen stand denn auch fortan das Verhältnis der beiden „Bundesgenossen".
So lange K ö n i g Humbert, der
es m i t seinen Bundespflichten ehrlich meinte, auf dem Throne saß, hielt sich die italienische Irredenta allerdings noch zurück; aber unter seinem Nachfolger V i k t o r Emanuel I I I . t a t sie sich keinen Z w a n g mehr an und trat immer dreister und herausfordernder auf.
Demonstra-
tionen aller A r t gegen Österreich waren in Italien an der Tagesordnung, wobei
man
selbst
vor
Verhöhnungen und Verunglimpfungen
des
greisen Kaisers F r a n z Josef nicht zurückschreckte. V o n welchem Hasse gegen Österreich man dort erfüllt war, mit welchem F a n a t i s m u s man z u m Kriege gegen dieses hetzte, das verriet die italienische Presse; g a b es doch eine ganze Reihe v o n Blättern, die darin ihre H a u p t a u f g a b e sahen. Grande Italia", „ L a „ I I Carroccio".
So „ I t a l i a all' Estero",
Giovane Italia", „ L a N a v e " ,
E i g e n s z u m Zwecke der Kriegsvorbereitung
die Monarchie war die „Preparazione" D ' A n n u n z i o s Sensationsdrama la
guerra"
„La
„Mare nostro", gegen
ins Leben gerufen worden.
„ L a N a v e " , Pellegrinis B u c h „Verso
und ähnliche literarische Veröffentlichungen
ergänzten
diesen Chor des Hasses in vielsagender Weise. Selbst auf österreichischem Boden k a m es wiederholt zu irredentistischen Demonstrationen.
Man rief „ E v i v a I t a l i a ! " und „ A basso
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X. Kapitel
1'Austria!", sang die Oberdank- oder die nicht minder gehässige Mameli- Hymne und ließ die italienische Tricolore flattern. Bis zu welchem Grade von Dreistigkeit sich die Demonstrationen dank der Schwäche der österreichischen Behörden zuweilen verstiegen, bewies die Hissung der italienischen Flagge auf dem Rathause von Triest; ein irredentistisches Bravourstück, das bezeichnenderweise von einem Angestellten des Triester Magistrats ausgeführt wurde, und zwar am hellichten Tage! Gefährlicher noch als derartige Kundgebungen war die systematische Entösterreicherung und Verwelschung des gesamten öffentlichen Lebens in Südtirol und den italienisch sprechenden Gebieten des Küstenlandes, die die Irredenta mit unermüdlicher Beharrlichkeit und raffinierter List betrieb. Die ,,Lega Nazionale" sowie die Vereine „Trento e Trieste" (schon dieser Name kennzeichnet die Tendenz) und „Dante Alighieri", dieses mächtige irredentistische Trio, rief in den Gebieten der „Terra irredenta", der „unerlösten" Länder, eine Unzahl von Vereinen und Klubs ins Leben, deren jeder unter dem Vorwande sportlicher, kultureller oder künstlerischer Zwecke eine Filiale der Irredenta wurde. Ganz Südtirol und der westliche Teil des Küstenlandes wurden derart mit einem dichten und weitreichenden Netze von Vereinen und Gesellschaften übersponnen, in dessen Hintergrunde, wohlgeborgen, die Irredenta als unersättliche Spinne lauerte, unermüdlich Masche um Masche wob und dabei sichtlich gedieh. Und es fand sich keine Hand, die mit starkem Griff in dieses gefährliche Spinnennetz fuhr und es unerschrocken und gründlich zerriß!. . . Ihre wirksamsten und verderblichsten Werkzeuge besaß die Irredenta in der Schule und in der Presse. Schon in den Kindergärten fing man an, irredentistischen Seelenfang zu treiben, indem man den Kleinen Spielzeug und Bilderbücher gab, die eigens zu diesem Zwecke in Farben und Symbolen die Zugehörigkeit der „unerlösten" Gebiete zu Italien bekundeten. Man errichtete Erziehungsanstalten, verschrieb sich die Lehrer aus Italien, steckte die Zöglinge in Uniformen nach italienischem Schnitt, ließ sie nach dem italienischen Reglement exerzieren und bedachte sie mit Fahnen, die mehr oder weniger deutliche irredentistische Embleme zeigten. Die Presse aber begnügte sich nicht bloß damit, alles Italienische zu lobpreisen, alles Österreichische herabzusetzen und zu verhöhnen; sie verstand es, so zu schreiben, als ob Triest und Trient schon in Italien lägen, also nicht mehr zu Österreich gehörten. Sie schrieb von „unserm" Herrscher, „unserm" Heere, „unserer" Regierung, wenn es Italien betraf, während sie vom österreichischen Herrscher und Heere und der österreichischen Re-
Der Thronfolger und Italien
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gierung schrieb, als ob es sich um ausländische Angelegenheiten handelte; ein raffinierter Trick, gegen den die Behörden ohnmächtig waren. Hand in Hand mit der Presse gingen die städtischen Gemeindeverwaltungen. Man benannte Straßen und Plätze nach namhaften Reichsitalienern, auch, ja gerade dann, wenn sie als Feinde Österreichs bekannt waren; ja man errichtete ihnen Standbilder. Man gab ferner den städtischen Angestellten Uniformen mit ganz italienischem Schnitt. So war z. B. die städtische Musikkapelle in Trient ganz ä la Bersaglieri uniformiert und bot, wenn sie ihre Umzüge hielt, immer zu demonstrativen Beifallskundgebungen Anlaß. Man besetzte schließlich sogar städtische Ämter mit Italienern aus dem „Regno". Dank diesem bis ins kleinste durchgeführten System — selbst auf Zündholzschachteln brachte man irredentistische Embleme an! — mußte der Fremde, der nach Triest oder Trient kam, glauben, er befände sich auf italienischem Boden: so durchaus und ostentativ italienisch war alles, was ihn umgab. All dies war den maßgebenden Stellen Wiens selbstverständlich nicht unbekannt; aber man fand es dennoch ratsam, so zu tun, als sähe und hörte man nichts von all dem, und hielt diese gekünstelte Blind- und Taubheit für sehr diplomatisch. Und man begnügte sich nicht damit, alle diese fatalen Vorkommnisse und Zustände totzuschweigen, sondern wurde nicht müde, der Welt weis zu machen, daß das Einvernehmen zwischen der Monarchie und Italien das denkbar beste und „herzlichste" sei; ein Wort das, beiläufig bemerkt, in den offiziellen Communiqués und Artikeln mit Vorliebe gebraucht wurde 1 ). Ein Hauptanwalt dieser Vogelstrauß-Politik war der k. u. k. Minister des Äußern, Graf Ährenthal. Er fand dafür bei der tonangebenden liberalen Presse Wiens die weitestgehende Unterstützung. In Italien war man antiklerikal, war der Liberalismus obenauf, stand J ) Ein wahres Musterbeispiel dieser Vertuschungs- und Schönfärbepolitik bietet das offiziöse Communiqué, das nach der Feier des 50. Todestages Radetzkys in der „Politischen Korrespondenz" erschien und gegen den Bürgermeister von Wien, Dr. Lueger, gerichtet war, weil er sich anläßlich dieser Feier erlaubt hatte, auf das Treiben der italienischen Irredenta zu verweisen. In diesem Communiqué hieß es unter anderem: „Die Auffassung, daß dem Irredentismus in Italien die Bedeutung einer Gefahr für unsere Monarchie zukomme, wird gewiß kein Kenner des wirklichen Standes der Dinge im verbündeten Königreiche beipflichten können. Alle Beobachter des politischen Lebens in Italien müssen wahrgenommen haben, daß die irredentistischen Bestrebungen und Kundgebungen bloß bei einem sehr kleinen Bruchteile der Bevölkerung Anklang finden." (I) Mit Recht erwiderte Dr. Lueger auf diesen Verweis des Grafen Ahrenthai, es sei weit gekommen in Osterreich:, ,Man darf nicht mehr patriotisch gesinnt sein, man darf nicht mehr den Finger auf eine offene Wunde legen, von der man weiß, daß sie besteht."
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die Freimaurerei in Blüte: genug für die liberale Wiener Presse, sich für Italien zu begeistern und in allen Tonarten ein hohes Lied zu dessen Preise anzustimmen, alles totzuschweigen, was damit nicht im Einklänge stand und alle gegenteiligen Äußerungen als gehässige Verleumdungen klerikaler und militärischer Herkunft hinzustellen, wobei sie — in aller Vorsicht natürlich — auf die „Belvedere-Partei" anzuspielen pflegte. Allerdings trafen von Zeit zu Zeit, und immer öfter, Nachrichten ein, die sich, beim besten Willen dazu, nicht ganz unterdrücken ließen, weil sie allzu laut vom Treiben der Irredenta Kunde gaben; aber dann waren es eben harmlose, ungefährliche Demonstrationen jugendlicher Exaltados, die man nicht ernst nehmen durfte und die das „herzliche" Verhältnis der beiden Verbündeten nicht zu trüben vermochten. Unter den Wiener Tagesblättern gab es ein einziges, das wahrheitsgetreu über das Treiben der Irredenta berichtete, die „Reichspost" ; aber sie vermochte sich gegenüber dem stimmgewaltigen Chorus der liberalen Presse keine Geltung zu verschaffen. Ebensowenig die „österreichische Rundschau" Baron Chlumeckys und die „Armeezeitung" C. M. Danzers, die über einen zu engen Leserkreis verfügten. So kam es, daß die breite Öffentlichkeit in Österreich von den Hetzorgien der italienischen Irredenta keine Ahnung hatte und das Verhältnis zwischen der Monarchie und Italien wirklich in bester Ordnung wähnte. Tatsächlich wurde es aber von Jahr zu Jahr gespannter und gefährlicher. Die Annexion Bosniens und der Herzegowina durch die Monarchie goß Öl ins Feuer der Irredenta und rief die wildesten Explosionen der Wut und des Hasses hervor. Selbst beim offiziellen Italien verschob sich die bundesfreundliche Maske in bedenklicher Weise und ließ Züge sehen, die alles eher denn freundschaftliche Gefühle verrieten. Zwar sagte sich Italien bei diesem Anlaß offiziell von der Monarchie noch nicht los, aber es verriet mit einer Deutlichkeit, die kaum noch etwas zu wünschen übrigließ, daß es mit seinen Sympathien durchaus im Lager ihrer Gegner stand und es nur noch nicht an der Zeit hielt, den Übertritt in dieses auch offiziell vorzunehmen. Wer daran noch zweifeln konnte, dem mußten die Dinge, die sich in der Folge zutrugen, auch die letzten Zweifel nehmen: Wenige Monate nach der Beilegung der Annexionskrise, im Spätherbst 1909, fand in Racconigi eine Zusammenkunft zwischen dem Zaren Nikolaus und König Viktor Emanuel statt. Auf der Reise dahin machte der Zar einen weiten Umweg, um nur ja nicht österreichisches Gebiet zu betreten. Bald darauf hielt General Asinari bei der Stan-
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dartenweihe eines der neu aufgestellten italienischen Kavallerieregimenter in Brescia eine Ansprache, in der er seiner Hoffnung Ausdruck gab, seine Soldaten dereinst gegen Österreich zu führen. In der italienischen Kammer aber sprach deren Präsident Marcora von „unserem" Triest und „unserem" Trient. Das waren Winke mit dem Zaunpfahl oder vielmehr mit dem Kriegsbeil, an die Adresse Österreichs gerichtet. Auf dem Wiener Ballplatz aber nahm man sie stillschweigend zur Kenntnis, ja man brachte es zuwege, die Entrevue in Racconigi mit Dank zu quittieren. Ein großes Wiener Blatt liberaler Richtung hatte sogar die Stirn, aus diesem Anlasse zu schreiben: „Die Haltung Italiens während der letzten Verwicklungen1) hat ÖsterreichUngarn mit großer Befriedigung erfüllt (I) . . . Tatsächlich ist das Verhältnis zwischen Österreich-Ungarn und Italien das freundschaftlichste, und es l i e g t k e i n wie i m m e r g e a r t e t e r Grund für i r g e n d e i n e n o c h so g e r i n g e B e s o r g n i s vor, d a ß die B e g e g n u n g v o n R a c c o n i g i e i n e n A n l a ß für e i n e n W a n d e l b i e t e n k ö n n t e . . . . Der Dreibund hat es immer als e r f r e u l i c h e E r s c h e i n u n g betrachtet, wenn seine einzelnen Partner mit Mächten, die andern Gruppierungen angehören, in freundschaftliche Beziehungen traten . . ( I )
Mochte die Presse des Grafen Ährenthal die Zusammenkunft von Racconigi auch zu einem „erfreulichen Ereignis" zurechtdrapieren; mochte sie die rednerischen Entgleisungen Asinaris und Marcoras sowie sonstige italienische Invektiven gegen die Monarchie auch totschweigen oder, wenn das nicht anging, doch unerwidert lassen: so gab es doch noch andere Beweise für die feindliche Gesinnung Italiens gegen Österreich; Beweise, deren wuchtige Tatsachen auch von den skrupellosesten journalistischen Jongleuren nicht beseitigt und optimistisch zurechtgemacht werden konnten. Das waren die gewaltigen Rüstungen Italiens zu Lande und zu Wasser, für deren Durchführung die italienische Kammer die dazu erforderlichen sehr bedeutenden Geldmittel mit einem Opfermute bewilligte, der in den patriotischen Kreisen Österreich-Ungarns tiefe Beschämung, Bitterkeit und Neid erwecken mußte. Diese Rüstungen aber bekundeten eine Richtung, die jeden Zweifel ausschloß, daß sie der Monarchie galten. Man garnierte die venetianischen Grenzen gegen Tirol und die Tagliamento - Linie mit Festungswerken; man formierte an der österreichischen Grenze neue Kavallerie- und Alpiniregimenter, errichtete einen Kriegshafen in Tarent und baute das Eisenbahnnetz in Venetien aus. Da man diese *) Gemeint ist die Annexionskrise, bei der Italien sogar schon die Mobilisierung gegen Österreich-Ungarn vorbereitet hatte I
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gegen einen verbündeten Staat gerichteten Rüstungen aber doch rechtfertigen mußte, drehte man den Spieß einfach um — im Lande Macchiavells war man um Auskunftsmittel ja nicht verlegen — und beschuldigte die Monarchie, sie häufe an der italienischen Grenze Truppen in bedrohlicher Weise an. Allerdings hatte man sich seit dem Jahre 1904, angesichts der feindseügen Haltung Italiens, in Wien schließlich bemüßigt gesehen, die Garnisonen im südwestlichen Grenzgebiete zu verstärken, aber nur, weil sie bis dahin lächerlich gering gewesen waren1). Und auch nach der Vermehrung betrugen die k. u. k. Truppen in diesen Gebieten an Infanterie ungefähr gleichviel, an Feldartillerie aber nur den v i e r t e n T e i l , an Kavallerie sogar noch viel weniger als die jenseits der Grenze stehenden italienischen Truppen1). Noch viel ungünstiger war das Kräfteverhältnis zur See. Es war bei der unverkennbar gegen die Monarchie gerichteten Tendenz der italienischen Rüstungen nur selbstverständlich, daß General Conrad, als Chef des k. u. k. Generalstabs, darauf bedacht war, diesen gefährlichen Rüstungen des „Bundesgenossen" entsprechend zu begegnen und insbesondere den ganz unzulänglichen Grenzschutz Tirols durch Umbau der vorhandenen veralteten Befestigungen und Errichtung neuer Festungswerke auszugestalten. Er stieß dabei aber auf den hartnäckigen Widerstand des Grafen Ährenthal, der in den militärischen Vorkehrungen Italiens keine agressive Absicht sehen wollte, in den eigenen Abwehrmaßnahmen aber eine Herausforderung Italiens erblickte und eine Gefährdung des Bündnisses sah; dieses Bündnisses, das er durch seine Presse der Welt in Brillantbeleuchtung zu zeigen liebte, hoffend, sie werde im Vereine mit dem dick aufgetragenen rosenfarbenen Anstrich darüber hinwegtäuschen, daß sich hinter dieser Fassade ä la Potemkim eine nur mühsam aufrechterhaltene Ruine verbarg. Sah er doch schon darin eine Provozierung Italiens, daß in Wien ein Diorama gezeigt wurde, das die Schlacht von Lissa zum Gegenstande hatte, und beeilte sich, einem Proteste des italienischen Botschafters gegen diese Vorführung gleich Folge zu geben und zu veranlassen, daß das Wort „Lissa" dabei gelöscht und nur eine namenlose „Seeschlacht" gezeigt werde! In Österreich durfte man demnach nicht einmal in so diskreter Weise der eigenen Ruhmestaten eingedenk sein, um den „Bundes') Triest z. B. hatte bis dahin bloß eine Garnison von 4 Bataillonen Infanterie, etwa 1500 Mann! *) Siehe Anhang.
Der Thronfolger und Italien
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genossen" nicht zu provozieren; ja in Trient durften die Militärkapellen aus demselben Grunde nicht mehr den Radetzkymarsch spielen! In Italien aber konnte man hemmungslos in Wort und Schrift den Krieg gegen Österreich predigen, Demonstration auf Demonstration gegen dieses inszenieren, den Mordgesellen Oberdank verherrlichen und mit dem Bilde des alten Kaisers seinen Spott treiben. All das, ohne daß Graf Ährenthal darin eine Herausforderung Österreichs gesehen und einen Schritt getan hätte, der Monarchie für diese Fülle von Angriffen und Schmähungen Genugtuung zu schaffen . . . Von all diesen Vorfällen und Verhältnissen war Franz Ferdinand unterrichtet. Man kann sich vorstellen, wie sie auf ihn wirken mußten; gerade auf ihn, mit seinem hochentwickelten, österreichischen Bewußtsein und seinem Temperament! Auch wenn er nicht schon vermöge seiner Abstammung und seines historischen Empfindens gegen Italien eingenommen gewesen wäre: angesichts dieser ungeheuerlichen Zustände hätte er auch vorhandene Sympathien gründlichst einbüßen müssen. Es war daher nur selbstverständlich, daß ihn diese Dinge empörten und daß er gegen Italien tiefen Groll empfand. Grimmige Erbitterung aber erfüllte ihn gegen Ährenthal, der die Würde und die Rechte der Monarchie Italien gegenüber so wenig zu wahren verstand und hartnäckig seine Potemkim-Politik betrieb. Seine ursprünglich gute Meinung von ihm, den er ja selber gefördert hatte, verwandelte sich in erbitterte Feindschaft, und in dem schweren Konflikte, der Italiens wegen zwischen Ährenthal und Conrad ausbrach, unterstützte er diesen nach Kräften, wenn auch ohne Erfolg, da Ährenthal einen noch mächtigern Mann hinter sich hatte: den Kaiser. Aber so stark die Abneigung Franz Ferdinands gegen Italien auch war und sosehr er Conrad auch recht geben mußte, der immer darauf hinwies, daß die Monarchie mit diesem heimlichen und gefährlichen Feind abrechnen solle, bevor es zu spät und die feindliche Koalition und Phalanx gegen sie geschlossen sei: er widerstand der Lockung. Und nicht nur, weil er dem Rate Conrads nicht folgen k o n n t e , da der Kaiser von einem Kriege gegen Italien nichts wissen wollte, sondern auch, weil er es nicht wollte. Denn vor einem Präventivkriege, wie Conrad ihn vorschlug, schreckte er zurück. Er war nur dann gewillt, diesen Krieg zu führen, wenn er unvermeidlich werden sollte. Dann, und nur dann, wollte er diesen Krieg führen; nicht aber, um dem Papste wieder zu seiner verlorenen weltlichen Herrschaft zu verhelfen, wie die Legende seiner Feinde dies glauben machen wollte. Eine solche Don-Quichoterie lag seinem nüchternen, aller Phantasterei
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abholden Wesen und nicht minder seinem österreichischen Empfinden vollkommen fern. Viele Tausende von Menschenleben zu opfern und Milliarden an Geld aufs Spiel zu setzen, um einer abenteuerlichen Idee willen: das konnten ihm nur Leute zutrauen, denen sein wahres Wesen durchaus fremd war. Auch wenn es sich dabei um das Ansehen und die Macht des Papstes und der katholischen Kirche gehandelt hätte, wäre er für ein solches Abenteuer nicht zu haben gewesen. Damit soll aber keineswegs behauptet werden, daß der Thronfolger, wenn es einmal — aus andern Gründen — zum Kriege mit Italien gekommen und dieses, wie anzunehmen, niedergezwungen worden wäre, nicht versucht haben würde, den Kirchenstaat wieder herzustellen; aber dann keineswegs bloß dem Papste zuliebe, sondern, um die Wiedererstarkung Italiens zu verhindern. Er würde sich darum auch wahrscheinlich keineswegs mit dieser einen politischen Rekonstruktion begnügt, sondern ebenso die Wiederherstellung des „Königreichs beider Sizilien" betrieben haben, des Reichs seiner nächsten Ahnen mütterlicherseits. Und vermutlich würde er dann die Lombardei und Venetien wieder für Österreich zurückgefordert haben. Daß er daran dachte, geht aus einer Bemerkung Conrad gegenüber hervor1). Ob er im gegebenen Fall auf dieser Annexion auch bestanden hätte, ist aber nicht gewiß, denn mit seinem scharfen Verstände würde er wohl erkannt haben, daß die Erwerbung dieser Gebiete, so ertragreich und steuerkräftig sie auch gewesen wären, für die Monarchie doch eine überaus schwere militärische und finanzielle Belastung bedeutet hätte, denn die 8 Millionen Italiener, die der Monarchie damit einverleibt worden wären, würden sicher alles eher denn loyale zuverlässige Staatsbürger geworden sein, und sie im Zaume zu halten, hätte für das Habsburgerreich eine Aufgabe bedeutet, der es im Hinblick auf die zahlreichen andern zentrifugal gesinnten Untertanen kaum gewachsen gewesen wäre. Die Annexion dieser Länder würde für diese daher vermutlich eher eine Gefahr als einen Gewinn bedeutet haben. Ob Franz Ferdinand freilich so viel Entsagungskraft besessen hätte, auf diese Erwerbungen zu verzichten, wie es ihm seine Einsicht wahrscheinlich geraten haben würde; ob er in diesem Falle nicht doch seinen Gefühlen mehr gehorcht hätte als seinem Verstände, muß dahingestellt werden. Auf der Annexion Venetiens wenigstens würde er vermutlich bestanden haben, schon aus strategischen Gründen; hatte sie doch auch Conrad in seiner Denkschrift vom 15. November 1 9 1 1 aus diesen Gründen als wünschenswert bezeichnet, zumindest bis zur Tagliamento-Linie. *) Conrad: Dienstzeit, III, S. 156.
Der Thronfolger und Italien
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Das bescheidene Körnchen Wahrheit, das der Legende von den Kriegsabsichten des Thronfolgers zugrunde lag, war demnach dies: daß er den Krieg mit Italien als unvermeidlich ansah und damit rechnete. *
*
*
In der großen Öffentlichkeit Österreichs hatte man, dank dem Potemkim-System, das man auf dem Ballplatze für diplomatische Weisheit hielt, von dem tatsächlichen Verhältnis zwischen der Monarchie und Italien und seinen Gefahren keine Ahnung. In besser unterrichteten Kreisen aber erkannte man diese Gefahren und suchte sie zu bannen. Man glaubte auch das Mittel dazu gefunden zu haben. Man führte die Abneigung Italiens gegen Österreich nämlich hauptsächlich darauf zurück, daß Kaiser Franz Josef den Besuch, den ihm König Humbert im Jahre 1881 in Wien abgestattet, unerwidert gelassen hatte; eine Unterlassung, die bloß aus Rücksicht auf den Papst erfolgt war, der nach der Annexion des Kirchenstaates feierlich erklärt hatte, daß er keinen katholischen Herrscher empfangen könne, der den König von Italien in R o m besuche; eine Erklärung, die auch für seine Nachfolger auf dem Stuhle Petri Geltung hatte. Unter solchen Umständen war es für Kaiser Franz Josef bei seiner Stellung zur katholischen Kirche unmöglich geworden, den Besuch König Humberts zu erwidern. Um dieser Unterlassung aber ihren verletzenden Schein zu nehmen und seinen guten Willen zu beweisen, hatte er sich erboten, den Besuch in jeder andern Stadt Italiens zu erwidern, die dem König hiezu genehm sei, nur nicht in Rom. Da Humbert es jedoch unterließ, ihm einen derartigen Vorschlag zu machen, blieb dessen Besuch unerwidert. Der Kaiser ließ den König durch den k. u. k. Botschafter aber wissen, er könne den Standpunkt des Königs, der Besuch solle in Rom stattfinden, zwar verstehen, bitte ihn jedoch zu bedenken, daß er, der Kaiser von Österreich, sich nicht dem Affront aussetzen dürfe, vom Papste nicht empfangen zu werden. Er sei indes bereit, einer Einladung zu den Manövern zu folgen und bei dieser Gelegenheit mit dem König zusammenzutreffen, und daran könnten sich regelmäßige gegenseitige Besuche, abwechselnd in Italien und Österreich knüpfen. Die italienische Regierung ging auf diesen Vorschlag jedoch nicht ein, und so blieb der Besuch des Königs in Wien dauernd unerwidert. Ein Versuch, den — angeblich — ein österreichisch-ungarischer Bevollmächtigter gelegentlich einer Audienz beim Kaiser unternommen hatte, diesen zu einem Besuch in Rom zu bewegen, weil dies für die
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Besserung des Verhältnisses zwischen der Monarchie und Italien von großer Bedeutung wäre, war mißlungen; was bei der Wesensart des Kaisers übrigens vorauszusehen gewesen wäre 1 ). Wenn sich der Kaiser — so hatte man in gewissen Kreisen Österreichs gemeint — dazu entschließen könnte, sich über diese hemmende Rücksicht auf den Papst hinwegzusetzen und den Besuch in Rom doch zu machen, so würde dies die Spannung zwischen beiden Staaten beseitigen und eine ehrliche, wirkliche Bundesfreundschaft zwischen ihnen ermöglichen. Damit war es nun freilich vorbei, denn es bestand keine Aussicht, daß der Kaiser, nachdem er Jahrzehnte hindurch auf seinem Standpunkte beharrt hatte, sich nun plötzlich zu diesem Besuch entschließen werde. Überdies war er inzwischen auch schon zu alt geworden, als daß man ihm einen solchen Schritt und die damit verbundenen Strapazen hätte zumuten können. Aber die Anhänger dieses Versöhnungsplans gaben ihre Hoffnung darum noch nicht auf. Ihre Augen richteten sich nunmehr auf den Thronfolger. Merkwürdigerweise auch die General Conrads, der sonst Italien gegenüber doch so skeptisch war. Es mochte ihm wohl mehr darum zu tun sein, daß die Monarchie Italien dadurch ihren guten Willen zeigen sollte, mit diesem zu einem ehrlichen bundesfreundlichen Einvernehmen zu gelangen, als daß er sich von diesem Besuch eine tatsächliche und bleibende Wirkung versprach. Immerhin nahm er die Sache ernst und brachte sie in einer Audienz beim alten Kaiser zur Sprache. Dieser fragte ihn, ob nicht er — Conrad — diese Mission übernehmen wolle. Er entgegnete jedoch, daß dies noch schlimmer wäre, als wenn man gar nichts dergleichen täte, denn die Italiener würden, wenn man ihnen statt des Thronfolgers bloß einen General sendete, darin einen unzulänglichen Versuch einer Genugtuung sehen und dies übelnehmen. Der Kaiser erklärte sich daraufhin zwar bereit, den Erzherzog zu diesem Besuche zu bewegen, meinte aber, daß es vergeblich sein werde*). Ob der Kaiser dann diese Absicht verwirklicht hat, erfährt man aus den Denkwürdigkeiten Conrads nicht. Doch hat man versucht, den Thronfolger durch Dr. Funder, den bei ihm wohl akkreditierten Herausgeber der „Reichspost", zu der Reise nach Rom zu bewegen. Allein vergeblich. Er lehnte das Ansinnen entschieden ab3). Und ') H e i n r i c h F r i e d j u n g : Das Zeitalter des Imperialismus 1884—1914, Berlin 1919, Neufeld & Hennius, I. S. 369 ff. *) C o n r a d : Dienstzeit, III, S. 503. Siehe auch Kap. VIII, S. 11g. *) Siehe den Artikel Dr. F u n d e r s in der ,,Reichspost" vom 28. Juni 1924.
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Der Thronfolger and Italien
das war bei seiner strengkirchlichen Gesinnung und seiner Abneigung gegen Italien vorauszusehen gewesen. Er sollte einen Schritt unternehmen, der den Papst verletzen würde, und dies um des freimaurerischen Italiens willen! Eine Zumutung, die ihm zu machen, auch nur bei einiger Kenntnis seiner Sinnesart, kaum zu begreifen war. Er fühlte sich um so weniger veranlaßt, diesen Schritt zu unternehmen, als er von dessen Zwecklosigkeit offenbar überzeugt war; und das mit Recht: wie sollte ein bloßer Akt der Courtoisie eine fast ein Jahrhundert alte Tradition des Hasses entkräften? Wie konnte er sich in seiner Wirkung mit der tausendfachen Minierarbeit der Irredenta messen! Bestenfalls hätte dieser Besuch vorübergehend die Eitelkeit der Italiener befriedigt und eine zeitweilige Scheinbesserung der Beziehungen zwischen beiden Staaten bewirkt; eine tiefer gehende, bleibende Wirkung hätte er nicht erzielt, nicht erzielen können, und nur kurzsichtiger Optimismus konnte dies erwarten.
Anhang. Zu S. 140.
Das militärische Kräfteverhältnis Österreich-Ungarns und Italiens in ihren Grenzgebieten1). I m J a h r e 1900. Österreich-Ungarn Italien Unterschied Bataillone 36 (mit Landwehr 53) 71 + 35 ( + 18) Schwadronen 6 ( ,, ,, 8) 48 + 42 ( + 40) Reitende u. Feldbatterien . . . 12 4 8 + 3 6 Gebirgsbatterien 3 3 Festungsartillerie-Kompagnien. 12 11 — 1 I m J a h r e 1910. Bataillone 57 (mit Landwehr 75) Schwadronen 9 ( ,, ,, 12) Reitende u. Feldbatterien . . . 12 Gebirgsbatterien 15 Festungsartillerie-Kompagnien. 27
73 + 16 (—2) 55 -+- 46 ( + 43) 4 8 + 3 6 12 — 3 15 —12
>) Bei dieser Zusammenstellung ist auf Seiten Italiens die Mobilmiliz, die der k. k. Landwehr entsprechen und darum eigentlich mit eingerechnet werden sollte, n i c h t in Betracht gezogen worden, da sie der österreichischen Landwehr infolge ihrer damals noch ungenügenden Ausbildung nicht gleichartig war. Siehe T h e o d o r v o n S o s n o s k y : Die Politik im Habsburgerreiche, Berlin 1912, Allgem. Verein für deutsche Literatur, I, S. 108 f. Sosnoaky, Franz Ferdinand. 10
XI. Franz Ferdinand und der Balkan. Der Thronfolger gegen einen Krieg mit Serbien. — Sein Verhalten während der Annexionskrise. — Das Drei-Kaiser-Bfindnis sein außenpolitisches Ziel. — Der Ausbruch de« Balkankriegs ein Dilemma für den Thronfolger. — Die Zusammenkunft in Springe. — Festhalten Franz Ferdinands am Frieden. — Der Thronfolger gegen den Standpunkt Conrads.
Noch weniger kriegslustig als gegenüber Italien zeigte sich Franz Ferdinand hinsichtlich Serbiens. Ein Krieg mit Italien hätte immerhin eine Mehrung der Monarchie um reiche, steuerkräftige, schöne Länder, wie Venetien und die Lombardei, in lockende Aussicht gestellt: von einem Kriege gegen Serbien aber versprach er sich keinerlei Vorteil für sie. Weder nach dem Lande, noch nach dem Volke trug er auch nur das geringste Verlangen. Bei einem Diner, das er während des Balkankriegs zu Anfang des Jahres 1913 gab und dem unter andern Gästen auch sein Schwager, der Herzog Albrecht von Württemberg1), und Erzherzog Eugen teilnahmen, gab er seiner Ansicht über diese Frage in ebenso freimütiger wie bezeichnender Weise Ausdruck. Als Erzherzog Eugen die Bemerkung machte, man solle sich in den Hader der Balkanstaaten untereinander nicht einmischen, sondern sie einander sich gegenseitig prügeln lassen, stimmte er ihm lebhaft zu: „Egi, du triffst den Nagel auf den Kopf! Das ist ganz meine Ansicht. Nehmen wir sogar den Fall, daß kein anderer uns stört, wir in aller Ruhe mit Serbien abrechnen : was hätten wir davon ? Nur einen Haufen Diebe und Mörder und Halunken mehr und ein paar Zwetschgenbäume. Also noch mehr Gesindel, den Verlust von so und so viel Soldaten und einige Milliar*) Herzog A l b r e c h t von Württemberg war der Gatte der Schwester Franz Ferdinands, der frOhern Erzherzogin Margarethe, gewesen, die 1902 in jungen Jahren gestorben war. Die beiden Schwäger verband innige Freundschaft. Nach Czerain seien der Herzog und Forst Carl Schwarzenberg dem Thronfolger, von seiner Gemahlin. 6einen Kindern und seiner Stiefmutter abgesehen, die liebsten Menschen gewesen.
X I . Kapitel: Franz Ferdinand und der Balkan
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den Kosten. Der günstige Fall aber, daß niemand uns hindern würde, ist mehr als unwahrscheinlich"1). Tags darauf kam er bei einem Dejeuner, an dem auch der Herzog von Württemberg wieder teilnahm, abermals auf die Balkanpolitik zu sprechen. Anknüpfend an eine Äußerung des Grafen Heinrich Hoyos, Flügeladjutanten Kaiser Franz Josefs, der einem kriegerischen Eingreifen der Monarchie auf dem Balkan das Wort redete, verbreitete er sich ausführlich über dieses Thema. Er habe wochenlang darüber nachgedacht und sei zu dem Resultate gekommen, daß es für Österreich-Ungarn die einzig richtige Politik sei, die Balkanstaaten ihren Zwist allein austragen zu lassen. Serbien erobern zu wollen, sei Unsinn. Wenn man ihn fragte, welchen Grund die Monarchie zu einem kriegerischen Vorgehen gegen Serbien habe, müßte er antworten, er wisse keinen einzigen1). So dachte Franz Ferdinand über die Balkanpolitik ÖsterreichUngarns. Daraus darf aber nicht etwa der Schluß gezogen werden, er habe überhaupt einer passiven Politik der Monarchie auf dem Balkan das Wort geredet. Das lag ihm durchaus fern; im Gegenteil: er trat, wie sich das bei seinem spezifisch österreichischen, stets auf das Ansehen der Monarchie bedachten Standpunkt ja von selbst verstand, für die nachdrücklichste Wahrung ihrer Interessen ein. Er war darum auch entschieden für die Annexion, als die jungtürkische Revolution, zusammen mit der Wühlarbeit der großserbischen Propaganda, die endgültige Regelung des Verhältnisses der Monarchie zu den okkupierten Gebieten, Bosnien und die Herzegowina, ratsam erscheinen ließen. Aber er wollte, daß sich dieser Wandel friedlich vollziehe, und gab seiner Freude über die Unterstützung, die die Monarchie in dieser Krise bei Deutschland fand, Kaiser Wilhelm gegenüber „fast enthusiastisch" Ausdruck'). Insbesondere war es der Krieg mit Rußland, den er durchaus vermeiden wollte; war doch die Wiedererstehung des Dreikaiserbündnisses das Ziel, das er für die äußere Politik der Monarchie anstrebte. Er gab sich zuerst auch der Hoffnung hin, Rußland werde ihr in der serbischen Frage keinerlei Schwierigkeiten machen. Er berief sich dabei, Kaiser Wilhelm gegenüber, auf eine geheime Botschaft, durch ') Herzog A l b r e c h t v o n W ü r t t e m b e r g an den Fürsten M. E. zu F ü r s t e n b e r g , Privatbrief vom 2. Febr. 1913, vom Fürsten Fürstenberg Herrn von J a g o w durch Abschrift mitgeteilt. — Große Politik, X X X I V , Nr. 12788, S. 309 ff. ') Telegramm K a i s e r W i l h e l m s an F ü r s t B ü l o w vom 5. November 1908 aus Eckartsau. — Große Politik, X X V I , Nr. 9086, S. 239 f. 10*
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die ihn der Zar habe wissen lassen, daß Rußland mit der Monarchie immer gute Freundschaft halten wolle und daß es keinen Mann gegen sie aufstellen werde1). Diese Hoffnung sollte sich aber als ein großer Irrtum erweisen, denn der Zar ließ den k. u. k. Botschafter vier Wochen warten, bis er ihm Gelegenheit gab, ihm das für ihn bestimmte Handschreiben Kaiser Franz Josefs zu überreichen, und berührte dann in der endlich gewährten Audienz die Politik mit keinem Worte, sondern sprach vom Wetter und andern gleichgültigen Dingen; ein Verhalten, das den Thronfolger sehr verstimmte und das er Kaiser Wilhelm gegenüber als „höchst ungehörig" bezeichnete. Seine Friedensliebe wurde durch die Annexionskrise überhaupt auf eine harte Probe gestellt, denn so abhold er einem Kriege mit Serbien auch war, so mußten die fortwährenden und maßlosen Invektiven dieses Landes gegen die Monarchie für einen Mann vom Temperamente des Thronfolgers auf die Dauer doch aufreizend wirken; um so mehr, als das Maß dieser Beleidigungen sich mit der Würde einer Großmacht kaum mehr vereinbaren ließ. Es war daher sehr begreiflich, daß er sich im Verlaufe der Annexionskrise immer mehr mit dem Gedanken befreundete, mit Serbien doch endlich Abrechnung zu halten. Diese Stimmimg spiegelte sich auch in den Äußerungen wider, die er gelegentlich eines intimen Diners beim Grafen SylvaTaroucca dem Grafen Brockdorff-Rantzau, erstem Sekretär der deutschen Botschaft in Wien, gegenüber tat, und in denen er sich ausführlich über den ganzen Komplex der Annexionsfrage erging: Er gab dabei vor allem seiner großen Genugtuung Ausdruck, daß dank dem tatkräftigen Eintreten Deutschlands für die Monarchie die Gegner beider Mächte sich in ihren Hoffnungen auf eine Uneinigkeit zwischen ihnen getäuscht sähen und sich nun hüteten, sie anzugreifen. Er hoffe daher, daß der Friede auch weiterhin erhalten bleiben werde, denn man tue ihm mit der Behauptung, er dränge zum Kriege, durchaus unrecht. Er wünsche aufrichtig, es möge nicht dazu kommen. Auf die Dauer freilich könne sich die Monarchie die fortgesetzten Provokationen von serbischer Seite nicht gefallen lassen. . . Sehr abfällig äußerte er sich über Iswolsky, der seinen kaiserlichen Herrn betrüge: „Wir haben seine Zustimmung zur Annexion schwarz auf weiß; er hat jetzt sogar Berlin durch den Grafen Osten-Sacken bitten lassen, daß wir veranlaßt werden, von der Veröffentlichung der Schriftstücke Abstand zu nehmen" . . . Dann kam der Thronfolger auf die Anregung Große Politik, X X V I , Nr. 9086, S. 239f.
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zu sprechen, die Annexionsangelegenheit vor das Forum einer europäischen Konferenz zu bringen, und erklärte, die Monarchie könne an einer solchen Konferenz nur dann teilnehmen, wenn vorher über sämtliche Punkte, die dabei zur Sprache kommen sollten, ein Einvernehmen erzielt werde. Wenn nicht, so ziehe er den Krieg vor, der, wie er hoffe, lokalisiert bleiben werde. Die Monarchie müsse endlich Klarheit haben und von Rußland die Garantie dafür verlangen, daß Serbien künftig Ruhe halte. Wenn der Kampf unvermeidlich sei, dann sei es besser, ihn jetzt aufzunehmen als später, denn jetzt sei die internationale politische Lage für die Monarchie noch günstig; nach einigen Jahren könne sie sich leicht zu deren Nachteil verändert haben. Österreich-Ungarn sei zurzeit auch besser gerüstet denn j e . . .*) Durch die fortgesetzten Provokationen Serbiens und das gehässige Verhalten der Ententemächte gegen die Monarchie gereizt und ungeduldig gemacht, befaßte sich der Thronfolger immer mehr mit der Möglichkeit des Kriegs und erwog mit Conrad zusammen schon alle für diesen Fall zu treffenden Maßnahmen. Schließlich aber gewann, zum nicht geringen Verdrusse Conrads, doch seine Abneigung gegen den Krieg die Oberhand, wobei der Einfluß seiner Gemahlin mitgewirkt zu haben scheint1). Im Spätherbst 1912, nach Ausbruch des ersten Balkankriegs, wurde die Friedensliebe Franz Ferdinands abermals auf die Probe gestellt. Der Zusammenbruch der Türkei unter den Schlägen der vereinten Balkanstaaten drohte die Stellung der Monarchie auf dem Balkan ernstlich zu erschüttern. Ließ sie den Dingen dort ihren Lauf, so war vorauszusehen, daß Serbien aus diesem Kriege sowohl in seiner tatsächlichen Kraft als in seinem an sich schon hypertrophischen Selbstbewußtsein derart gestärkt hervorgehen werde, daß seine Nachbarschaft für den Bestand der Monarchie zu einer schweren Gefahr werden mußte. Von welchen Gefühlen es für sie erfüllt war, hatte die Annexionskrise zur Genüge gezeigt, und die Tonart der serbischen Presse gegenüber Österreich-Ungarn ließ seit Jahr und Tag nicht den geringsten Zweifel daran übrig. Daß es alles tat und nichts unterließ, diesen Haß auch in die Tat umzusetzen, das bewies nicht bloß die Wühlarbeit seiner geheimen Propaganda, sondern auch das Bekanntwerden des Balkanbundes, der letzten Endes gegen die Monarchie gerichtet war. J ) Vertraulicher Bericht des Grafen B r o c k d o r f f - R a n t z a u nach Berlin vom 17. März 1909. — Große Politik, X X V I , Nr. 9453, S. 686. *) Conrad: Dienstzeit, I, S. 153.
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Angesichts dieser sehr gefährlichen Situation drängte sich die Frage auf, ob diese dem Erstarken ihres Todfeindes auch weiterhin mit verschränkten Armen ruhig zusehen, oder ob sie dem siegreichen Serbien rechtzeitig in den Arm fallen sollte? Selbstverständlich konnte sie letzteres aber nicht tun, bevor sie sich mit Deutschland ins Einvernehmen gesetzt hatte, denn sie durfte nicht leichtsinnig in das gefährliche Wespennest auf dem Balkan greifen, wenn sie der Unterstützung Deutschlands nicht unbedingt sicher war. Allerdings war' es auch in dessen Interesse gewesen, den völligen Zusammenbruch der Türkei und die hiedurch bedingte Ausbreitung und Erstarkung der Balkanstaaten zu verhindern, denn diese stellten doch nur Filialen Rußlands dar, das dann den Balkan völlig und ungehemmt beherrschen würde. Und auch eine moralische Nötigung lag für Deutschland vor, den so hart bedrängten Türken zu Hilfe zu kommen, besonders für Kaiser Wilhelm; hatte er sich doch immer als ihr Beschützer, als der christliche Schirmherr des Islams überhaupt gebärdet. Im krassen Gegensatze zu diesen feierlichen Versicherungen — es sei nur an seine pompöse Rede in Damaskus (1898) erinnert — hatte er die Türkei, als sie ohne jeden zureichenden Grund von Italien angegriffen wurde, im Stiche gelassen. Immerhin hatte er damals für diesen klaffenden Gegensatz zwischen seinen Worten und seinen Taten die plausible Entschuldigung gehabt, daß ihr Angreifer sein Verbündeter war, mit dem er sich ihretwegen nicht entzweien konnte und durfte. Diesmal jedoch stand ihm eine solche Ausrede nicht zur Verfügung ; ganz im Gegenteil: jetzt hätte es — von der Türkei ganz abgesehen — das Interesse Deutschlands geheischt, daß sein Bundesgenosse durch den Sieg der Balkanstaaten nicht in seinem Bestände bedroht werde. Wenn die politische Situation demnach aber auch die Unterstützung der Monarchie durch Deutschland wahrscheinlich zu machen schien, mußte sich Franz Ferdinand hierüber doch Gewißheit verschaffen. Die Jagden in Springe, 22. und 23. November 1912, zu denen ihn der Deutsche Kaiser eingeladen hatte, boten hiezu gute Gelegenheit. Über die Aussprache der beiden hohen Herren bei diesen Jagden liegt weder von österreichischer noch von deutscher Seite eine authentische Mitteilung vor 1 ). Doch dürfte die Darstellung, die der *) Die alldeutsche ,,Rheinisch-westphälische Zeitung" wollte wissen, Kaiser Wilhelm habe zu Franz Ferdinand bemerkt: „Ich finde, Du rasselst zu stark mit — m e i n e m Säbel"; eine Äußerung, die zu sehr den Stempel redaktioneller „Aufmachung" trägt, um als authentisch genommen zu werden.
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belgische Gesandte in Berlin, Baron Beyen, seiner Regierung gab, der Wahrheit sehr nahekommen. Er schreibt : „L'Archiduce a dit à Berlin que la Monarchie Autrichienne-Hongroise était arrivée à la limite des concessions qu'elle pouvait faire à sa voisine. L'Empereur et ses conseillers ne lui en ont pas moins prodigué des conseils de modération que Guillaume II., en reconduisant son hôte à la gare, a résumé la familiarité de langage dont il est coutumier par ses mots expressifs: .Surtout pas de bêtises 1' Je puis, sur la foi d'Ambassadeurs qui me l'ont répété, vous garantir l'authenticité de ce conseil qui a échappé aux indiscrétions des journaux." 1 )
Jedenfalls lautete die Antwort Kaiser Wilhelms negativ, und wenn das offiziöse Wiener Communiqué über das Ergebnis der Besprechungen in Springe auch, wie üblich, die völlige Übereinstimmung der beiden hohen Herren zu berichten wußte, so traf das nur insofern zu, als Franz Ferdinand sich eben wohl oder übel diesem Standpunkte seines Verbündeten fügen mußte, wenn er die Monarchie nicht Gefahren aussetzen wollte, die fraglos noch größer waren als das schweigende Zusehen bei den Vorgängen auf dem Balkan. Franz Ferdinand empfand die Ablehnung Kaiser Wilhelms, die Monarchie auf dem Balkan zu unterstützen, gewiß peinlich, konnte sich aber den Argumenten, die jener ihm gegenüber fraglos zur Begründung seines Standpunktes angeführt hatte, nicht verschließen und wurde dadurch in seiner Abneigung gegen ein kriegerisches Vorgehen der Monarchie noch bestärkt. Wäre er kriegslustig gewesen, wie man es ihm stets nachsagte, so würde er bei seinem Stolz und seiner so ausgesprochen österreichischen Gesinnung die Ablehnung des Deutschen Kaisers zweifellos sehr übel aufgenommen und dies in seinem spätem Verhalten ihm gegenüber auch sehr deutlich gezeigt haben; was aber ganz und gar nicht der Fall gewesen ist. Ob er von der Richtigkeit der Argumente des Deutsçhen Kaisers in seinem Innersten auch wirklich überzeugt gewesen ist ; ob er nicht immer wieder der Warnungen Conrads gedenken mußte, daß die militärische Lage der Monarchie sich um so mehr verschlechtere, je mehr Serbien erstarke und je mehr man dessen Beschützern Zeit lasse, sich zu dem bevorstehenden Entscheidungskampfe zu rüsten: das muß dahingestellt bleiben. Jedenfalls aber entschied er sich, wenn auch gewiß nicht leichten Herzens, in diesem schweren Dilemma für den Standpunkt Kaiser Wilhelms und machte sich ihn ganz zu eigen. Hatte er bisher noch zuweilen mit dem Gedanken an den Krieg geliebäugelt, so beharrte er fortan während der ganzen Balkankrise, ohne zu schwanken, auf seinem ablehnenden Standpunkte gegenüber jeder kriegeri») Große PoUtik, XXXIII, S. 374, Fußnote.
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sehen Aktion der Monarchie. Man wird auch kaum fehlgehen, wenn man in den Worten mit denen er seine Ablehnung des Krieges gegenüber dem Herzog Albrecht von Württemberg begründete, den Niederschlag seiner in Springe gemachten Erfahrung sieht. Was Franz Ferdinand vor allem bewogen haben dürfte, diesen Standpunkt einzunehmen und darauf zu beharren, war wohl die Sorge vor einem Kriege mit Rußla id. Ein solcher Krieg war in seinen Augen ein „Unding", von dem er iiichts hören wollte. Um so mehr erbitterte es ihn, daß man ihn in Petersburg für das Haupt einer Kriegspartei hielt. Der Zar habe, so erzählte er dem deutschen Militärattache Major Grafen Kageneck, den Prinzen Hohenlohe, k. u. k. Militärattache am Zarenhofe, gefragt, ob es denn wahr sei, daß er— der Thronfolger— seinen Traum verwirklichen wolle, an der Spitze eines österreichischungarischen Heeres in Moskau einzuziehen. Er habe sich telegraphisch gegen diese törichte Insinuation verwahrt1). Sein Ziel blieb eben doch nach wie vor die Erneuerung des Dreikaiserbündnisses, womöglich mit Anschluß Englands2). Die Ereignisse auf dem Balkan und die Haltung der Ententemächte machten es dem Thronfolger wahrlich nicht leicht, an seinem friedliebenden Standpunkt festzuhalten, zumal da Conrad ihm stets im Ohre lag, nicht auch die letzte Gelegenheit zu einer Austragung des großen Kampfes um Sein oder Nichtsein zu versäumen, der der Monarchie offensichtlich nicht mehr erspart bleiben sollte und dessen Chancen für sie von Tag zu Tag schlechter würden. Aber auch von anderer Seite scheint man ihn zum Kriege gedrängt zu haben, denn bei jenem schon wiederholt erwähnten Dejeuner versicherte er seinem Schwager, dem Herzog von Württemberg: „Du weißt gar nicht, mit wie vielen und was für Menschen ich deswegen zu kämpfen habe." Und er setzte dazu: „Nur Berchtold allein versteht mich; er ist ganz meiner Ansicht, und das ist ein Glück."8) Im Einklänge hiermit steht die Äußerung des Grafen Berchtold zu Herrn v. Tschirschky: „Wenn sie wüßten, wie friedlich der Thronfolger gesinnt sei, würden die Diplomaten staunen."4) Im selben Bericht des Grafen K a g e n e c k vom 26. Februar 1913. Große Politik, X X X I V , Nr. 12905, S. 426. *) Bericht Herrn v. T s c h i r s c h k y s an Staatssekretär von J a g o w vom 23. Februar 1913. Große Politik, X X X I V , Nr. 12892. S. 416. *) Brief des Herzogs Albrecht von W ü r t t e m b e r g an den Fürsten von F ü r stenberg vom 2. Februar 1913. Große Politik, X X X I V , Nr. 12788, S. 309«. *) Bericht Herrn v. T s c h i r s c h k y s an B e t h m a n n - H o l l w e g vom 5. Februar 1913. Große Politik, X X X I V , Nr. 12797 (vertraulich), S. 323.
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Sinne äußerte sich Berchtold Conrad gegenüber; sogar der alte Kaiser wäre eher für ein Einschreiten gegen Serbien zu haben als der Thronfolger1). Als sich im Februar 1913 der Gegensatz zwischen der Monarchie und Rußland wegen Serbien immer bedenklicher zuspitzte, erschien der Chef der Militärkanzlei des Thronfolgers, Oberst Dr. Bardolff, bei Conrad und ließ ihn wissen: „Der Thronfolger hat auf der ganzen Linie abgeblasen. E r will unter gar keinen Umständen den K r i e g gegen Rußland. Er wird ihn nicht zugeben. Er will von Serbien nicht einen Zwetschgenbaum, nicht ein Schaf; es fällt ihm nicht ein." 2 ) Einige Tage später, 26. Februar, erörterte der Thronfolger die politische Lage persönlich mit Conrad, gab seiner Abneigung gegen eine kriegerische Aktion der Monarchie neuerdings sehr entschieden Ausdruck und trat, unbeirrt durch die feindselige Haltung Rußlands, nach wie vor, für ein Zusammengehen mit diesem ein: „In aller Hinkunft werden wir mit Rußland gehen, am besten wär es, wenn Deutschland mit dieser Idee einverstanden wäre. Dann werden wir unsere Ziele auf Italien und Serbien richten, um sie seinerzeit zu schlagen, zu züchtigen, aber keinen Fußbreit L a n d von Serben zu nehmen." Als Conrad ihn hierauf an das Prestige der Monarchie in Albanien, an deren Interessen auf dem Balkan und an die Südslawische Frage erinnerte, erwiderte er: „Tut nichts; ich weiß, daß Sie mit dem nicht übereinstimmen. Seien Sie versichert, später, wenn unsere innerpolitischen Verhältnisse besser sein werden als jetzt — dann ja." Am folgenden Tage, 27. Februar, hatte Conrad abermals eine Audienz bei Franz Ferdinand. Dieser las ihm dabei aus einem Briefe Kaiser Wilhelms vor, in dem dieser sich entschieden gegen einen Krieg aussprach, und betonte, daß er schon vor Empfang dieses Schreibens denselben Standpunkt vertreten habe. Der Leitstern für die Politik der Monarchie müsse das Zusammengehen der drei Kaisermächte sein, schon aus monarchischen Gründen. Sollte es doch noch zu einer Aktion gegen Serbien kommen, so werde man es bloß züchtigen, aber unter keiner Bedingung auch nur einen Quadratmeter serbischen Bodens annektieren; man würde im Falle einer Annexion doch nur viel Geld in dieses Land hineinstecken müssen, ohne davon Nutzen zu haben. *) Conrad: Dienstzeit, III, S. 129 und 160. ») Ebenda, III, S. 127.
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Der Krieg mit Rußland müsse schon deshalb vermieden werden, weil er von Frankreich geschürt werde, d. h. von den französischen Freimaurern und Antimonarchisten, die einen Umsturz herbeiführen und die Monarchen von ihren Thronen stürzen wollten 1 ). Von der Sorge gedrängt, Conrad könnte trotzdem den Grafen Berchtold im Sinne eines kriegerischen Vorgehens gegen Serbien beeinflussen, sandte Franz Ferdinand Oberst Bardolff bald darauf, 15. März, abermals zu Conrad und ließ ihm sagen, er möge Berchtold nicht zu einer Aktion drängen1). Etwa drei Wochen später, 4. April, als sich die Situation durch die Weigerung Montenegros, von der Belagerung Skutaris abzulassen, abermals scharf zuspitzte, richtete Oberst Bardolff von Miramar, wo sich der Thronfolger damals eben befand, in dessen Auftrag ein Schreiben an Conrad, worin er ihn neuerdings wissen ließ, daß die Monarchie zunächst durchaus nicht in der Lage sei, auf dem Balkan einseitig vorzugehen*). Auch als sich im Herbst darauf die politische Sachlage durch die Widerspenstigkeit Serbiens, das die von ihm widerrechtlich besetzten Gebiete Albaniens nicht räumen wollte, abermals verschärfte, ließ sich der Thronfolger durch diese neuerliche Herausforderung nicht von seinem Standpunkt abbringen, und Österreich-Ungarn begnügte sich mit der Absendung einer befristeten Note nach Belgrad, die denn — einstweilen — auch ihre Wirkung tat . . . Angesichts all dieser gewichtigen und unbestreitbaren Belege für die Friedensliebe Franz Ferdinands kann man sehen, wie schwer ihm die öffentliche Meinung mit der Behauptung unrecht getan hat, er sei das Haupt der „Kriegspartei"; einer „Partei", die, beiläufig bemerkt, im Grunde bloß aus einem einzigen Menschen bestand, und der war General Conrad. *) Conrad: Dienstzeit, III, S. 156t. *) Ebenda, III, S. 169. ») Ebenda, III, S. 236.
XII. Franz Ferdinand und das Deutsche Reich. Der Thronfolger und Preußen-Deutschland. — Bei den Manövern in Stettin, 1900. — Der Thronfolger und Kaiser Wilhelm. — Gemeinsame Charaktermerkmale. — Ihre Freundschaft. — Herr v. Tschirschky Ober den Thronfolger. — Die (zweite) Zusammenkunft in Konopischt.
Zu den wenigen Punkten, in denen Thronfolger und Kaiser im Wesentlichen übereinstimmten, gehörte das Verhältnis beider zu Deutschland. Wiewohl Franz Ferdinand zur Zeit der Katastrophe von 1866 noch ein kleines Kind gewesen und wiewohl das Bündnis zwischen der Monarchie und Deutschland schon abgeschlossen war, als er in das Jünglingsalter trat: waren seine Gedanken und Gefühle, Deutschland betreffend, doch kaum andere als die des alten Kaisers, sah auch er in jenem doch nur das auf Kosten Österreichs zu Macht und Ansehen gelangte Preußen, den alten Feind seines Vaterlandes, der dies in seinem Herzen auch als Verbündeter geblieben war. Er war zwar durchaus kein Gegner dieses Bündnisses, ebensowenig wie Kaiser Franz Josef; er dachte im Gegenteil daran, es durch Einbeziehung Rußlands und Ausscheidung Italiens noch enger zu gestalten: aber es war immer nur der kühle Verstand, nie das warme Herz, das ihn an diesem Bunde festhalten ließ. Und man wird nicht fehlgehen, wenn man annimmt, was er für Deutschland — soweit es Preußen hieß — empfunden habe, sei das wunLerliche Gemisch aus Anerkennung und Abneigung, aus Respekt und Bitterkeit gewesen, das den Alt Österreichern, und wohl auch den Süddeutschen, nun einmal im Blute liegt und sich, ihnen selber zuweilen kaum bewußt, bei Gelegenheit sehr nachdrücklich geltend zu machen pflegt. Sein ausgesprochenes und sehr empfindliches österreichisches Fühlen und Denken mußte die ihm natürlich wohlbekannte überlegengeringschätzende Art, mit der man in Preußen über Österreich und die Österreicher zu urteilen pflegt und die durch ein gewisses nachsichtiges Wohlwollen noch aufreizender wirkt, doppelt bitter empfinden. Bekam er diese Art natürlich auch nicht persönlich zu fühlen, so kannte er sie doch aus der reichsdeutschen Presse, aus Büchern und vom Hören-
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sagen zur Genüge. Zusammen mit den historischen Erinnerungen an den mehr als hundertjährigen Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland, den Österreich und Preußen gegeneinander geführt hatten, war diese Eigenheit preußischer Art nicht darnach angetan, die tiefwurzelnde Antipathie Franz Ferdinands gegen Preußen abzuschwächen. Weit schwerer aber als diese fiel bei ihm die Rolle ins Gewicht, die Deutschland der Monarchie in diesem Bündnisse zugewiesen hatte. Es war eine Rolle durchaus zweiten Ranges. Deutschland hatte unbestritten die Führung inne, und Österreich-Ungarn war im Grunde nur dessen fügsamer Vasall, der bloß zum Scheine die Rolle eines ebenbürtigen Freundes spielte. Diese bescheidene Stellung der Monarchie Deutschland gegenüber war bis zu einem gewissen Grade freilich durch die gegebenen politischen Verhältnisse bedingt: das Deutsche Reich hatte sich durch die glänzenden Siege von 1866 und 1870 den ersten Rang unter den Mächten des europäischen Festlands erobert: Österreich aber war durch die schweren Niederlagen von 1859 und 1866 gedemütigt und in seinem Ansehen geschädigt worden. Deutschland war — wenigstens nach außen hin — geeinigt und hiedurch stark; die Monarchie durch den Dualismus ihrer staatlichen Einheit beraubt und geschwächt. An der Spitze Deutschlands stand eine Persönlichkeit von den gewaltigen Dimensionen eines Bismarck, neben der sich die führenden Staatsmänner der Monarchie, Andrässy und Kälnoky kleiner und unbedeutender ausnahmen, als sie es tatsächlich waren. Hatte Bismarck im Laufe des Jahres das deutsche Staatsruder auch andern Händen überlassen müssen, Männern, die durchaus nicht sein überlebensgroßes Format besaßen; so lag doch noch immer sein riesiger Schatten verdunkelnd auf dem Habsburgerreiche. Dieses war für alle Welt der gute, blasse Mond, der all sein Licht von der stolzen, strahlenden Sonne Deutschland empfing und als stiller Trabant, fügsam und ohne Eigenwillen, ihren mächtigen Spuren folgte . . . Diese bescheidene Rolle der Monarchie mußte das österreichische Selbstgefühl Franz Ferdinands verletzen und erbittern. So verstand er das Bündnis mit Deutschland nicht; war dieses auch viel mächtiger als die Monarchie, so durfte es diese seine Überlegenheit doch nicht derart fühlen lassen. Gewiß, er war für dieses Bündnis und dachte nicht daran, es zu lösen; aber die beiden Bundesgenossen mußten als gleichstehend miteinander verkehren; die Monarchie durfte nicht länger mehr der Vasall und Trabant Deutschlands sein. Zu dieser, den Thronfolger verletzenden Abhängigkeit der Monarchie von Deutschland kam noch ein Moment, das sein stets reges Miß-
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trauen arg beunruhigte: gewisse Gerüchte, die, aus den Losreißungsbestrebungen Ungarns entstanden, davon wissen wollten, daß für den Fall, als es Ungarn gelänge, die Bande zu zerreißen, die es an Österreich knüpften, und ein selbständiger Staat zu werden, Prinz Eitel Fritz, der zweite Sohn des Deutschen Kaisers, dazu ersehen sei, König von Ungarn zu werden1); Gerüchte, die nicht ganz aus der Luft gegriffen schienen und jedenfalls nicht geeignet waren, im Thronfolger Sympathien für Deutschland-Preußen zu wecken. Charakteristisch für das hier gekennzeichnete Empfinden des Thronfolgers Deutschland gegenüber ist, was General Graf Stürgkh aus der Zeit erzählt, zu der er als Militärattache der k. u. k. Botschaft in Berün zugeteilt war: Im Jahre 1900 nahm Franz Ferdinand an den deutschen Manövern bei Stettin teil. Er befand sich während dieser Zeit in ausgezeichneter Laune und gab sich seiner Umgebung gegenüber „mit einer geradezu bezaubernden Liebenswürdigkeit". Die glänzenden militärischen Bilder, die sich ihm im Verlaufe der Manöver boten, erregten sein Interesse und Wohlgefallen in hohem Grade, und eine großartige Kavallerieattacke, wie sie Kaiser Wilhelm zu inszenieren liebte, erfüllte ihn nachgerade mit Entzücken. Bei aller Anerkennung, ja Bewunderung, entgingen seinen scharfen Augen aber auch Verstöße nicht, und als am letzten Manövertage das preußische Gardekorps „infolge schlecht aufgefaßter und schlecht ausgeführter Befehle in eine heillose Unordnung geriet", bemerkte der Erzherzog nachher zu Stürgkh: „Heute hat aber mein österreichisches Herz ordentlich gelacht. Drei Tage manövrieren die Kerls auf demselben Platz und verlaufen sich heute erst noch. So was könnte bei uns doch nicht vorkommen."2) Sein „österreichisches Herz" mußte es eben mit Genugtuung empfinden, daß auch das immer so hochgepriesene, der k. u. k. Armee als leuchtendes Ideal vor Augen gehaltene deutsche Heer nicht unfehlbar war . . . Auch der Mann, der an der Spitze des Deutschen Reichs stand, war nicht angetan, seine Sympathie für dieses zu erhöhen. Die ganze Persönlichkeit Kaiser Wilhelms war seiner eigenen Art so fremd und fern, l
) Siehe die Flugschrift: Die ungarische Krise und die Hohenzollern von Prof. J u l i u s A. v o n Z e y s i g , Berlin 1905, Wertheim, und den Auszug aus dem geheimen Tagebuch des Grafen O t t o k a r C z e r n i n in der tschechischen Zeitschrift ,,NaSe Revoluce", S. 53. *) G r a f J o s e f S t Q r g k h , General der Infanterie: Politische und militärische Erinnerungen, Leipzig 1922, List, S. 297f.
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daß sie ihm keine Sympathien einflößen konnte; ja das überlaute, redselige und pompöse Gebaren des Deutschen Kaisers war eher geeignet, seinen Sarkasmus zu wecken. Kaiser Wilhelm wußte dies und erwähnte es auch dem k. u. k. Botschafter Herrn von Szögyinyi gegenüber1). Sei's nun aber, daß es ihn reizte, den Erzherzog für sich zu gewinnen, sei's, daß ihm daran lag, mit dem künftigen Beherrscher der verbündeten Monarchie ein gutes Einvernehmen zu erzielen: genug, er gab sich alle Mühe, die Abneigung Franz Ferdinands gegen ihn zu überwinden, was bei dessen zurückhaltender Art nicht leicht war. Aber siehe da! Es gelang, wenn auch keineswegs im ersten Anlauf. Der Erzherzog versuchte zwar, ihm auszuweichen, aber es glückte ihm nicht. Und Kaiser Wilhelm packte die Sache geschickt an. Er wußte ihn an der Stelle zu treffen, an der er am empfindlichsten war: er nahm in der Heiratsangelegenheit seine Partei, befliß sich, als die Heirat mit der Gräfin Chotek endlich zustande kam, dieser gegenüber der liebenswürdigsten Ritterlichkeit und als sie — allerdings erst sehr viel später — mit ihrem Gemahl nach Berlin kam, 1909, erwies er ihr alle ihrem Rang als Gemahlin des künftigen Kaisers zukommenden Ehren. Durch dieses ebenso kluge als liebenswürdige Entgegenkommen brachte Kaiser Wilhelm das Eis, das ihm bis dahin den Weg zum Herzen des Thronfolgers versperrt hatte, bald zum Schmelzen, und es kam zwischen ihnen zu einem Einvernehmen, das alle äußern Zeichen einer intimen Freundschaft trug und von vielen auch dafür gehalten wurde. Beide waren impulsive, eigenwillige Naturen; beide waren autokratisch veranlagt und geneigt, sich leicht über konstitutionelle Schranken hinwegzusetzen; beide bevorzugten Adel und Militär als die verläßlichsten Stützen des Thrones; beide waren religiös; beide besaßen einen weiten Gesichtskreis und hatten mannigfache Interessen ; und — last but not least — beide hatten eine leidenschaftliche Vorliebe für das Reisen und hielten sich selten längere Zeit an einem und demselben Ort auf. Aber trotz dieser zahlreichen gemeinsamen Eigenschaften waren sie im Grunde doch so verschiedene Naturen, daß eine wirkliche Intimität zwischen ihnen kaum denkbar war. Man wird darum dem Grafen Stürgkh beipflichten, der sich in seinen Erinnerungen hierüber folgendermaßen äußert: „Die Freundschaft, welche beide hohe Herren verband, war eine unleugbare Tatsache. Aber meiner Überzeugung nach war nicht G r a f S t ü r g k h : Erinnerungen, S. 195.
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gegenseitige persönliche Sympathie ihr Beweggrund. Erzherzog Franz Ferdinand war viel zusehr Österreicher dem Wesen und der Erziehung nach, viel zusehr in den Traditionen seines Hauses aufgewachsen, um einem Sprossen des Hauses Hohenzollern rückhaltlos die Gefühle seines Herzens entgegenzubringen. Was dieses Haus den HabsburgLothringern gegenüber seit 160 Jahren auf dem Kerbholz hatte, das konnte er wohl nicht vergessen. Die Freundschaft gründete sich — damit wird man wohl nicht fehlgehen — beiderseits auf der Überlegung: Wir brauchen einander dringend, folglich müssen wir Freunde sein. Ich glaube auch sicher, daß, wenn Franz Ferdinand den Thron bestiegen und die Überzeugung gewonnen hätte, ein anderes Bündnis sei für das Reich vorteilhafter, es ihm durchaus keinen seelischen Kampf gekostet hätte, Deutschland und seinen Kaiser fahren zu lassen." 1 ) Trotzdem aber bestand zwischen Franz Ferdinand und Wilhelm ein reger Verkehr; namentlich letzterer suchte den Erzherzog häufig auf und verbrachte manchen Tag als sein Gast bei ihm, so in Eckartsau, Konopischt und Miramar. Der Briefwechsel zwischen ihnen trug einen sehr herzlichen Charakter, wobei der merkwürdig ergebene, verehrungsvolle Ton auffällt, den Franz Ferdinand Wilhelm gegenüber anschlägt, als stünde dieser im Range hoch über ihm; ein Ton, der sich bei seinem sonstigen Stolze, gerade einem Hohenzollern gegenüber, schwer begreifen läßt. Zwei Bruchstücke aus dem Briefwechsel der beiden hohen Herren soll dies erläutern. Im Herbst 1913 schrieb der Thronfolger an Wilhelm einen Brief, in dem er ihm seine Freude über seinen — des Kaisers — bevorstehenden Besuch in Konopischt ausdrückt. Er setzt dann fort: ,, . . . Hoffentlich findest Du einen Ersatz für diese Entsagung in dem Erfolge Deiner Politik, die ich wieder wie immer mit größter Bewunderung verfolgt habe und mit der ich mich, wenn ich es in aller Bescheidenheit und tiefster Ergebenheit sagen darf, vollkommen identifiziere. Gestatten Majestät, daß ich Dir sage, wie sehr ich mich sehne, die jüngsten politischen Ereignisse mit Dir besprechen zu dürfen, wozu wohl in Leipzig, wo ich die Ehre haben werde, Dich wiederzusehen, oder in Konopischt Gelegenheit sein dürfte. Ich könnte Dir manches nach meiner bescheidenen Ansicht Interessantes mitteilen."*)
Die Antwort Kaiser Wilhelms auf diesen Brief lautete:
,,Ich bin Dir von ganzem Herzen dankbar für Deine freundschaftlichen und so liebenswürdigen Zeilen. Du weißt, wie unendlich gern ich zu Euch komme und wie ich mich auf ein Zusammensein mit Dir in Deinem von Dir geschaffenen *) Graf Stürgkh: Erinnerungen, S. 30if. ') Brief des Erzherzog-Thronfolgers, auszugsweise zitiert in einem Berichte des Rates im kaiserlichen Gefolge v. Treutier an das Auswärtige Amt, vom 7. September 1913 aus Bad Salzbrunn. Große Politik, X X X I X , Nr. 15709, S. 3 2 5 1
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schönen Heim freue! Hoffentlich paßt es Dir, wenn ich gleich nach dem Geburtsfeste meiner Frau bei Dir eintreffe, was auch wohl wegen Wetter und Klima günstig scheint. . . Auch ich sehe der frohen Gelegenheit, mit Dir über so manches zu sprechen, mit größtem Interesse und Genugtuung entgegen und bin glücklich über das freundlich Zustimmende, das mir Dein lieber Brief zum Ausdrucke bringt. . . " 1 )
Im Einklänge mit dem seltsam ergebenen, um nicht zu sagen: untertänigen Tone des Briefs Franz Ferdinands steht auch eine Äußerung, die er dem ersten Sekretär der deutschen Botschaft, Grafen Brockdorff-Rantzau gegenüber gelegentlich jenes Diners beim Grafen Sylva-Taroucca machte, dessen hier schon einmal Erwähnung getan worden ist. Anknüpfend an den Beistand, den Deutschland der Monarchie in der Annexionskrise leistete, bemerkte er: „Ich kann Ihnen wirklich nicht in Worten ausdrücken, wie unendlich dankbar ich S. M. dem Kaiser Wilhelm für die Beweise unvergleichlicher Treue bin, die er uns jetzt in dieser schweren Zeit täglich gibt. Was Ihr allergnädigster Herr für uns getan hat, werde ich nie vergessen. Sie wissen, wie nahe ich ihm stehe und daß ich ihn von ganzem Herzen verehre; ich bin stolz darauf, in einem regelmäßigen persönlichen Gedankenaustausch mit ihm stehen zu dürfen, und es ist mir eine ebenso wertvolle Genugtuung wie Beruhigung, daß er mich noch unlängst wissen ließ, er billige unsere Haltung . . . " * ) Nach dem ergebenen, ja devoten Tone, der aus diesen Worten und, noch mehr, aus jenem Briefe spricht, sollte man glauben, Franz Ferdinand habe wirklich bewundernd zu Kaiser Wilhelm emporgesehen und sich seiner höhern Einsicht untergeordnet. Tatsächlich ist das aber nicht der Fall gewesen, wofür die Veröffentlichungen des deutschen Reichsarchivs ein verläßliches Zeugnis ablegen. Sie bekunden, daß der Erzherzog in wichtigen Punkten der Politik mit Kaiser Wilhelm durchaus nicht einer Meinung gewesen ist und sich durch dessen Ausführungen auch keineswegs hat überzeugen lassen. Das gilt vor allem hinsichtlich Ungarns. Kaiser Wilhelm hatte im Frühjahr 1914 auf der Durchreise nach Korfu ein längeres Gespräch mit Graf Tisza, mit dem er die politischen Verhältnisse der Monarchie erörterte, und in dem er als erstrebenswertes Ziel für diese ein „germanisches" Österreich und ein „ungarisches" (sollte heißen: magyarisches) Ungarn empfahl. Beiläufig be1
) Telegrammkonzept des Schreibens Kaiser Wilhelms vom 8. September 1913 aus Bad Salzbrunn an Erzherzog Franz Ferdinand in Blahnbach. Große Politik, X X X I X , Nr. 15710, S. 326. *) Vertraulicher Bericht des Grafen B r o c k d o r f f - R a n t z a u an das Auswärtige Amt, aus Wien vom 17. März 1909. Große Politik, X X V I , Nr. 9453, S. 686.
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merkt: ein krasser Beweis, wie wenig der Kaiser über die tatsächlichen ethnographischen Verhältnisse der Monarchie unterrichtet war, denn wie sollte Österreich mit (rund) 36% Deutschen und 64% Slawen und Romanen germanisch, wie Ungarn mit 45% Magyaren und 55% Slawen, Romanen und Deutschen magyarisch werden ?! . . . Tiszas bedeutende Persönlichkeit machte bei dieser Unterredung auf Kaiser Wilhelm einen starken Eindruck, und noch unter dessen Nachwirkimg stimmte er in seiner impulsiven Art auch Franz Ferdinand gegenüber, mit dem er wenige Tage später in Miramar zusammenkam, ein hohes Lied auf Tisza als den Staatsmann an, dessen die Monarchie bedürfe, und empfahl auch ihm sein naives Germanisierungsrezept. Es läßt sich denken, wie das eine und das andere den Erzherzog bei seinen diametral entgegengesetzten Ansichten berühren mußte. Er widersprach jedoch nicht, sondern erwiderte, Tisza betreffend, mit diplomatischer Höflichkeit, er wolle sich's überlegen; mit Bezug auf die anempfohlene Germanisierung stimmte er sogar zu, wobei er natürlich nicht entfernt an eine wirkliche Germanisierung dachte, die ja ganz unmöglich war, sondern an die von ihm geplante Festsetzung der deutschen Staatssprache. Immerhin dämpfte er seine Zustimmung durch die Bemerkung, die deutschen Politiker in Österreich seien sehr unsympathische Leute, man dürfe nicht ihnen zuliebe handeln, sondern nach höhern Gesichtspunkten1). Wenn sich Kaiser Wilhelm, wie man annehmen darf, nachher in der Hoffnung gewiegt haben sollte, den Erzherzog eines Bessern überzeugt zu haben, so sollte er sich darin gründlich irren. Das zeigt der Bericht, den Herr v. Tschirschky einige Wochen später aus Wien an Herrn v. Jagow nach Berlin sandte und in dem er, an die Begegnung Wilhelms mit Franz Ferdinand anknüpfend, schrieb: „Der Thronfolger hat S. M., wie es seine Art ist, seiner innersten Meinung über Graf Tisza keinen Ausdruck gegeben, sondern nur erwidert, er werde sich die Sache überlegen. Was ich nach meiner Kenntnis des Erzherzogs leider voraussah, ist nun tatsächlich eingetreten. Die Worte des Kaisers haben auf den Thronfolger einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, aber n i c h t in der von S. M. gewünschten Richtung. Wie mir von zwei verschiedenen, absolut zuverlässigen Seiten mitgeteilt wird, hat sich der Erzherzog dem Chef seiner Kanzlei') gegenüber dahin ausgesprochen, daß ihm die Worte S. M. leider gezeigt hätten, daß man in Berlin nicht das richtige Verständnis habe für die Richtung, *) Gesandter v. T r e u t l e r vom Gefolge Kaiser Wilhelms an das Auswärtige Amt, an Bord S. M. Yacht ..Hohenzollern" vom 27. Marz 1914. Große Politik, X X X I X , Nr. 15720, S. 342. ') Gemeint ist offenbar Oberst Dr. Bardolff, Chef der Militärkanzlei des Thronfolgers. S o s n o s k y , Franz Ferdinand.
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in der die notwendige Revision und Konsolidierung der zurzeit völlig verfahrenen innern Verhältnisse der Monarchie vorgenommen werden müsse. Der Erzherzog hat dabei der Besorgnis Ausdruck gegeben, daß man ihm vielleicht von Berlin aus in den Arm fallen werde, wenn er, zur Regierung berufen, das schwere Werk der Sanierung der innern Verhältnisse der Monarchie werde in die Hand nehmen müssen . . . Daß an eine Aussöhnung des Thronfolgers mit dem Grafen Tisza nicht zu denken ist, erhellt aus einer weiteren Äußerung des ersteren, daß er den Grafen Tisza nicht 24 Stunden an der Spitze des Ministeriums lassen würde, weil er riskiere, daß dieser sonst in 48 Stunden eine Revolution gegen ihn organisieren würde. D i e K l u f t z w i s c h e n d i e s e n b e i d e n M ä n n e r n i s t u n ü b e r b r ü c k b a r . Es wäre nun das Natürlichste, daß der Erzherzog S. M. gegenüber seiner Meinung über den Grafen Tisza offen Ausdruck verleihen und dem Kaiser seine politischen Pläne für die Zukunft und deren Begründung auseinandergesetzt hätte. Dazu wird sich der Erzherzog aber im mündlichen Gespräche, wie auch sein Kanzleichef äußert, kaum entschließen. Er ist dem K a i s e r gegenüber befangen durch dessen überragende P e r s ö n l i c h k e i t . Da die mündliche Aussprache zwischen den beiden hohen Herren ausgeschlossen erscheint, es andererseits im Interesse der Aufrechterhaltung eines offenen Freundschaftsverhältnisses zwischen ihnen geboten ist, daß sich der Erzherzog unserem allergnädigsten Herrn gegenüber Luft macht, so habe ich durch meine Vertrauensperson dem Kanzleichef den Gedanken suggerieren lassen, der Erzherzog möge ein Promemoria aufsetzen lassen über seine politischen Pläne und dieses höchstpersönlich S. M. einschicken. Ob dieser Gedanke zur Ausführung kommt, ist jetzt noch nicht zu übersehen. Sollte dies der Fall sein und S. M. dann mit Eurer Exzellenz darüber sowie über die hierauf zu erteilende Antwort sprechen, so würde ich unmaßgeblich anheimstellen, die Ausführungen mit Dank für das gezeigte Vertrauen zur Kenntnis zu nehmen, vor allem dem Erzherzog zu versichern, daß S. M. jederzeit mit Interesse und gleichem Vertrauen die zum Heile Österreichs gewiß notwendigen Maßnahmen des Erzherzogs verfolgen werde. Es kommt zunächst vor allem darauf an, daß das Mißtrauen des Erzherzogs, als beabsichtigte unser allerhöchster Herr ihm die Tiszasche Politik aufzuoktroyieren, beseitigt wird. In der Sache selbst ist es ja gewiß nicht sicher, ob die vom Erzherzog beabsichtigten Maßnahmen das alte Gebäude des habsburgischen Staates wirklich wieder befestigen werden. Sicher ist jedoch, daß es bei der jetzigen mehr und mehr in rascherem Tempo verfällt. S i c h e r i s t f e r n e r , d a ß der E r z h e r z o g s e i n e P l ä n e j e d e n falls ausführen wird, mit oder ohne e t w a i g e B e d e n k e n unserseits. Es wäre sehr nützlich, wenn S. M. vorher (vor Konopischt) gebeten werden könnte, den Erzherzog nicht wieder von Tisza zu sprechen, ihm im Gegenteil zu versichern, daß es ihm jederzeit fern hege, Einfluß auf seine innere Politik zu nehmen . . ." 1 )
Aus diesem ebenso diplomatisch klugen wie historisch wertvollen Berichte Herrn v. Tschirschkys geht mancherlei hervor: Vor allem: daß er den Erzherzog-Thronfolger weit besser kannte als sein kaiserlicher Herr, trotz dessen scheinbar so intimer Freundschaft mit ihm; ferner: daß Franz Ferdinand, ungeachtet seiner be*) Herr v. Tschirschky an Staatssekretär des Auswärtigen v. Jagow, Wien, 10. M a i l a r . Große Politik, XXXIX, Nr. 15732, S. 358if.
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scheidenen und ergebenen Haltung gegenüber Kaiser Wilhelm, doch sehr weit davon entfernt war, sich durch ihn in seinen Ansichten beeinflussen zu lassen. So treffend aber alles ist, was Herr v. Tschirschky in seinem Berichte vorbringt, in e i n e m Punkte irrt er sich doch: darin nämlich, daß die „überragende Persönlichkeit" Kaiser Wilhelms den Erzherzog befangen gemacht habe. Hätte dieser im Deutschen Kaiser wirklich einen überlegenen Geist gesehen, so würde er sich wohl zu dessen Ansichten haben bekehren lassen, und dessen Ratschläge befolgt haben. Er hat das aber n i c h t getan, sich vielmehr — und mit Recht — über die völlige Verkennung der politischen Verhältnisse in der Monarchie durch Kaiser Wilhelm beklagt. Wenn es aber nicht das Gefühl geistiger Unterlegenheit war, das ihn zu solcher Zurückhaltung, ja scheinbarer Zustimmung, bewogen hatte, was war es dann ? . . . Die Gegner Franz Ferdinands würden um die Antwort auf diese Frage kaum verlegen sein und ihn der Falschheit und Heuchelei zeihen. Damit täten sie ihm aber entschieden unrecht. Wär' es Falschheit gewesen, die ihn zu diesem Verhalten bewogen hatte, so würde er wohl auch in seinem sonstigen Gebaren Proben davon gegeben haben; das war aber durchaus n i c h t der Fall; ganz im Gegenteil: er pflegte sich dort, wo er sich verstanden glaubte, oder wo sein Unwille geweckt worden, mit einer Offenherzigkeit und Rücksichtslosigkeit zu äußern, die in diesen Kreisen nicht leicht ihresgleichen fand, und in der Wahl seiner Ausdrücke alles eher denn diplomatisch zu sein. Was ihn zu dieser Zurückhaltung und scheinbaren Zustimmung bewogen hatte, war offenbar wirklich eine gewisse Befangenheit, die aber nicht, wie Tschirschky meinte, auf die „überragende Persönlichkeit" Kaiser Wilhelms zurückzuführen war, sondern vielmehr auf das Bestreben, im Zusammensein mit seinem hohen Gaste keinen Mißton aufkommen zu lassen und hiedurch etwa das gute Einvernehmen zu trüben, an dem ihm zweifellos viel gelegen war. Es war eben jene Höflichkeit, die wohlerzogene Menschen abzuhalten pflegt, andern Leuten, mit denen sie sich verschiedener Ansicht wissen und die sie respektieren müssen, zu widersprechen; zumal dann, wenn diese, wie im vorliegenden Falle, bei ihnen zu Gaste sind. Bei Franz Ferdinand mag auch die Besorgnis mitgewirkt haben, sein Temperament könnte bei der Diskussion dieser ihn leidenschaftlich bewegenden Fragen mit ihm durchgehen und dadurch zu einer Differenz mit seinem kaiserlichen Gaste führen, was er durchaus vermeiden wollte. Eine Besorgnis, die auch Tschirschky gehegt zu haben scheint, wie sein Rat, der Kaiser solle 11»
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dem Erzherzog nicht wieder mit dem Anpreisen Tiszas kommen, erkennen läßt. Jedenfalls hatte der Thronfolger damit gezeigt, daß sein Verhältnis zu Kaiser Wilhelm nicht so intim war, wie man geglaubt hat; sonst würden ihn solche Bedenken und Rücksichten nicht abgehalten haben, ihm reinen Wein einzuschenken . . . In ähnlicher Weise wie von Tisza suchte Kaiser Wilhelm dem Thronfolger auch vom König Viktor Emanuel von Italien eine bessere Meinung beizubringen und versprach sich dies von einer persönlichen Begegnimg beider, die er bei den deutschen Herbstmanövern des Jahres 1914 arrangieren wollte. Auch in diesem Fall erhob Herr v. Tschirschky seine warnende Stimme und riet ab, die beiden hohen Herren zusammenzubringen, da dies nur schädlich wirken könne; ein wirkliches Einvernehmen zwischen Österreich-Ungarn und Italien sei ausgeschlossen. Jedenfalls sei es ratsam, bei Franz Ferdinand vorerst anzufragen, ob ihm eine Begegnung mit König Viktor Emanuel genehm sei1). Kaiser Wilhelm befolgte dann auch diesen klugen Rat und sondierte Franz Ferdinand bei der Zusammenkunft mit ihm in Miramar, ob er mit dieser Begegnung einverstanden sei. Franz Ferdinand erwiderte auch da wieder zustimmend, er sei „sehr erfreut", obwohl er sicherlich nicht das geringste Verlangen hatte, mit dem italienischen König zusammenzutreffen. Sein „sehr erfreut" ist nicht anders zu bewerten als die Worte eines höflichen Mannes, der, in seiner häuslichen Ruhe von einem lästigen Besucher aufgestört, diesem verbindlich versichert, es sei ihm ein Vergnügen . . . *) Bei dem Besuche, den Kaiser Wilhelm dann gegen Mitte Juni 1914 in Konopischt machte — es war der zweite im Zeitraum eines Jahrs — scheint Franz Ferdinand, durch das längere Zusammensein angeregt, mehr aus sich herausgegangen zu sein, als es sonst seine Art war. Das Hauptthema der intimen Unterhaltung zwischen ihm und seinem kaiserlichen Gaste bildeten die Fragen, die dem Thronfolger die schwerste Sorge bereiteten: Ungarn, Tisza und dessen Poütik den Rumänen gegenüber. Diesmal machte er aus seiner tiefen Erbitterung über Ungarn kein Hehl. Es sei ganz gleichgültig, wer dort gerade am Ruder sei: jeder Magyare sei gegen das Gesamtreich. Schon jetzt zittere Wien, wenn Tisza sich auf die Reise mache, und alles liege auf dem Bauche, wenn er in Wien aussteige. (Eine Äußerung, *) Herr v. T s c h i r s c h k y an den Staatssekretär v. J a g o w , Wien, 18. Februar 1914. Große Politik, X X X I X , Nr. 1 5 7 1 3 , S. 328f. ') Rat v. T r e u t i e r an das Auswärtige Amt, an Bord S. M. Yacht ,,Hohenlollern" vom 27. März 1914. Große Politik, X X X I X , Nr. 15720, S. 342
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die gegen die Schwäche Kaiser Franz Josefs und seiner Ratgeber gegenüber Ungarn zielte.) Die Ordnung in der Monarchie werde sich nur auf dem Wege eines Oktrois herstellen lassen (womit der Erzherzog offenbar die Einführung des Allgemeinen Wahlrechts auch für Ungarn im Sinne hatte). Hinsichtlich Tiszas äußerte sich der Thronfolger dahin : er wisse wohl, daß Kaiser Wilhelm von ihm — Tisza — einen günstigen Eindruck empfangen habe, aber nichtsdestoweniger sei es gerade Tisza, der durch seine Rumänenpolitik die Interessen des Dreibunds gefährde. Er, der Kaiser, müsse ihn nicht nach seinen Worten, sondern nach seinen Werken beurteilen. Tisza habe ihm, dem Kaiser, bei ihrer Rücksprache in Schönbrunn, 23. März 1914, versprochen, die nationalen Wünsche der Rumänen Ungarns zu berücksichtigen. Er tue jedoch das Gegenteil und treibe Rumänien hiedurch in das gegnerische Lager. Es wäre darum sehr angezeigt, wenn der Kaiser Tschirschky anwiese, er möge Tisza, sooft er mit ihm zusammentreffe, auf die Notwendigkeit aufmerksam machen, die Wünsche der ungarländischen Rumänen zu befriedigen. Der Kaiser sagte das auch mit den Worten zu, er werde Tschirschky auftragen, Tisza jedesmal zuzurufen: „Herr, gedenke der Rumänen!" Auch über Italien, dessen Vertreter in Albanien, Baron Aliotti, gegen die Monarchie intrigiere, äußerte sich der Erzherzog abfällig. Kaiser Wilhelm nahm Viktor Emanuel in Schutz und suchte ihn gegen diesen freundlicher zu stimmen; auch er habe sich erst an ihn gewöhnen müssen. Franz Ferdinand kam auch bei dieser Gelegenheit wieder auf sein außenpolitisches Ziel zu sprechen: das Dreikaiserbündnis. Betreffs Rußlands zeigte er sich aber mangelhaft unterrichtet, denn er meinte, es sei zurzeit infolge seiner innern Schwierigkeiten nicht zu fürchten.. J ) In den vorliegenden authentischen Mitteilungen über die Gespräche, die in Konopischt geführt wurden, wird Serbiens gar nicht gedacht, doch ist es selbstverständlich, daß auch über diese schon damals brennende Frage gesprochen worden ist. Das geht auch aus einer Stelle in Conrads Denkwürdigkeiten hervor: In der Audienz, die dieser nach der Ermordung des Thronfolgers am 5. Juli 1914 bei Kaiser Franz Josef hatte und bei der es sich um die Maßnahmen handelte, die im Hinblick auf die durch den Mord geschaffene kritische Situation Serbien gegenüber zu treffen seien, fragte der Kaiser Conrad, ob er denn der Unterstützung der MonarRat v. T r e u t i e r an Unterstaatssekretär Zimmermann vom 15. Juni 1914. Große Politik, Nr. 15736, S. 365.
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chie durch Deutschland sicher sei. Er — der Kaiser — habe dem Thronfolger aufgetragen, in Konopischt vom Deutschen Kaiser eine bündige Zusage zu verlangen, ob Österreich-Ungarn in Hinkunft mit Sicherheit auf Deutschland zählen könne. Kaiser Wilhelm sei dieser Frage aber ausgewichen1). Im vollen Widerspruche damit behauptete Oberst Metzger, der Chef des Operationsbureaus, die rechte Hand Conrads, diesem gegenüber, der Thronfolger habe ihm am Abend vor seiner Ermordung, in Ilidze mitgeteilt, Kaiser Wilhelm hätte in Konopischt gesagt: wenn die Monarchie nicht losschlüge, würde sich die Lage für sie verschlechtern2). Da jedoch nicht anzunehmen ist, daß der Thronfolger dem Oberst das gerade Gegenteil von dem gesagt habe, was er dem Kaiser mitgeteilt hatte, so dürfte ein Mißverständnis vorliegen und der Oberst den Thronfolger entweder falsch verstanden oder dieser sich mißverständlich ausgedrückt haben. Jedenfalls spricht die psychologische Wahrscheinlichkeit für die dem Kaiser gemachte Mitteilung des Erzherzogs, derzufolge der Deutsche Kaiser in Konopischt ebenso abgewinkt habe wie seinerzeit in Springe. Mochte dem nun sein wie immer: keinesfalls ist in Konopischt ein Überfall auf Serbien vereinbart worden, wie man dies in Serbien behauptet und auch geglaubt hat; eine Legende, die, teils verleumderische Erfindung, teils fanatischer Wahn, den Mördern des Erzherzogs und den Mordurhebern als plausibler Vorwand für ihr Verbrechen dienen sollte, das aber eine schon lange vorher beschlossene Sache war. Conrad: Dienstzeit, IV, S. 36. ») Ebenda, S. 39.
XIII. DieGrofsserbische Propaganda und Franz Ferdinand. Franz Ferdinand und die Freimaurer. — „Mlada Bosna", ,,Narodna odbrana" und „Ujedinjenje ili smrt". — Dimitrijevié und Tankosié. — Die Mordattentate in Sarajevo und Agram. — Warum Franz Ferdinand sterben mußte.
Zur Zeit, da Franz Ferdinand die verhängnisvolle Reise nach Sarajevo antrat, war sein Todesurteil schon längst gefällt. Wenn man der Aussage des Attentäters Nedeljko Cabrinovié im Prozesse gegen ihn und seine Mitverschwörer Glauben schenken darf, so hätte ihm Milan Ciganovié, ein ehemaliger serbischer Bandenführer und einer der Hauptanstifter des Mordes, gesagt, Franz Ferdinand sei von den F r e i m a u r e r n schon vor einem J a h r e , also schon 1 9 1 3 , zum Tode v e r u r t e i l t worden 1 ). Nach einem andern Gewährsmanne habe ein unter dem Pseudonym Esma verborgener Autor, angeblich ein prominenter französischer Katholik, schon im Jahre 1912 in der „Revue Internationale des Sociétés secrètes" mitgeteilt, daß ein „hoher Freimaurer der Schweiz" sich über den Thronfolger geäußert habe: ,,Er ist ungewöhnlich h e r v o r r a g e n d ; schade, daß er v e r u r t e i l t ist. E r wird auf dem Wege zum Throne sterben."*) Ganz im selben Sinne habe „der Direktor eines der größten und einflußreichsten freimaurerischen Blätter Europas" in einem privaten Gespräche die Bemerkung gemacht, F r a n z F e r d i n a n d werde nie den Thron besteigen*). Auch die bekannte Pariser Wahrsagerin „Madame de Thèbes" soll schon im Dezember 1912 den Tod des Thronfolgers vorausgesagt haben, zuerst für das Jahr 1913, dann für 1914, und zwar sogar für den 28. Juni (?)*). Leider lassen sich diese Mitteilungen, da ihre Gewährsmänner solche zweiter und dritter Hand und überdies in geheimnisvolles Dunkel gehüllt, also nicht faßbar sind, nicht auf ihre objektive Richtigkeit *) Professor P h a r o s : Der Prozeß gegen die Attentäter in Sarajevo, mit Einleitung von Prof. Dr. Josef Koehler, Berlin 1918, R. v. Deckers Verlag, S. 14. *) K a r l H e i s e : Die Entente-Freimaurerei und der Weltkrieg, 3. Auflage, Basel 1920, Finckh, S. 76. ') Ebenda, S. 79.
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hin nachprüfen, daher auch nicht als historische Bausteine verwenden, höchstens als Mörtel. Immerhin aber darf man aus diesen Andeutungen doch den Schluß ziehen, daß die Beseitigung Franz Ferdinands schon geraume Weile vor dem Attentate, in Kreisen, in deren Interesse sie lag, Gegenstand von geheimen Besprechungen gewesen ist. Ob die Freimaurer tatsächlich die Ermordung Franz Ferdinands geplant haben, mag hier dahingestellt bleiben. Wie immer, wenn es sich um positive Feststellung freimaurerischer Einflüsse handelt, stößt man auf undurchdringliches Dunkel; ein Dunkel, das dadurch, daß es sich in solchen Fällen immer einzustellen pflegt, Verdacht erwecken muß. Daß die Freimaurer nicht nur humanitäre Zwecke verfolgen, wie sie glauben machen wollen, sondern auch politische, steht außer Frage. Daß sie kein Bedenken tragen, sogar solche Ziele anzustreben, die ihrem offiziellen Aushängeschilde direkt zuwiderlaufen, hat der Weltkrieg gezeigt, ganz besonders das Eingreifen Italiens, wofür ja Beweise vorliegen, die um so schwerer ins Gewicht fallen, als sie von freimaurerischer Seite erbracht worden sind1). Auch das Eingreifen Wilsons und insbesondere seine durch die Tatsachen keineswegs begründete Wühlarbeit gegen die deutschen Fürstenhäuser lassen sich auf diesen Einfluß zurückführen. Es ist also nicht ganz unmöglich, daß die Freimaurer, um ein Hindernis aus dem Wege zu räumen und ihr Ziel zu erreichen, auch vor einem Morde nicht zurückschrecken. Und daß sie in Franz Ferdinand mit seinem strengen Katholizismus und seiner Tatkraft ein solches Hindernis gesehen haben, darf als sicher angenommen werden. Ganz frei von diesem Verdachte werden sie sich um so weniger waschen können, als sowohl Major Tankosiö als Ciganoviö, beide Hauptakteure in der Mordtragödie in Sarajevo, Freimaurer gewesen sind, vielleicht auch CabrinoviWegd.Attentäter: Von Belgrad bis Sabac auf Flußdampfer; von Sabac bis Loznica mit Freikarte auf Eisenbahn; von Loznica bis Tuzla zu FuB und m.Wagen, u. zw.: Princip und Grabei über LieSnica u. Priboj, Cabrinovid Aber Zvarnik; von Tuzla bis Sarajevo mit Eisenbahn die drei Verschwörer gemeinsam.
— — > Reiseroute d. öst.ung.Thronfolg. Erzh. Franz Ferdinand 1 ):
Von Triest bis Metkovii mit Kriegsschiff; von Metkovil bis Jlidie u. Sarajevo mit Eisenbahn; für die Rückreise war die gleiche Route vorgesehen.
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ihm nach einer dreitägigen Bedenkzeit zur Antwort gegeben: ,,Nur vorwärts ! Wenn man euch überfällt, werdet ihr nicht allein stehen." 2 ) Das Wann und Wo stand für die Verschwörer nunmehr fest. Es handelte sich nur noch um das Wie. Und das war allerdings nicht so 1 ) Mit gütiger Erlaubnis Herrn A l f r e d v o n W e g e r e r s , des Herausgebers der „Kriegsschuldfrage", aus dem Artikel „Der Reiseweg des Erzherzogs Franz Ferdinand nach Bosnien und die Wege der Attentäter von Belgrad nach Sarajevo". „Kriegsschuldfrage", März 1927. *) V i k t o r S e r g e : L a Vérité sur l'Attentat de Sarajevo — L a complicité de l'Etat-Major Russe, in der Zeitschrift Clarté (Mai 1925), nach Angaben des serbischen Obersts Borin Simié, eines Freundes Dimitrijeviés. Zitiert von A l f r e d v o n W e g e r e r , „Kriegsschuldfrage", Juni 1925, S. 389.
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einfach. Schon das unbemerkte Passieren der Grenze barg ernste Gefahren, denn diese war beiderseits scharf bewacht. Aber Oberst Dimitrijevic wußte diese Gefahr wesentlich zu verringern. Von den serbischen Grenzbehörden sollten die Verschwörer nichts zu fürchten haben; dafür wollte er schon Sorge tragen. Nur von den österreichischungarischen drohte Gefahr. Gegen Ende Mai 1 9 1 4 — also mehr als vierzehn Tage v o r der Zusammenkunft in Konopischt! — war man in Belgrad zum Attentate gerüstet. Die mit dessen Ausführung betrauten jungen Leute — Cabrinovic, Princip und Grabez — waren im Parke von Topäider, von Ciganovic, der sich als früherer Bandenführer sehr gut darauf verstand, im Gebrauche der Waffen unterrichtet worden, mit denen sie ausgerüstet werden sollten. A m 28. Mai traten sie, mit genauen Instruktionen versehen, die Reise nach Bosnien an. Sie führten 6 Bomben und 4 Brownings mit sich, die ihnen Ciganovid im Auftrage Dimitrijevi6's ausgefolgt hatte. Erstere stammten aus dem staatlichen Waffendepot, letztere waren zu diesem Zwecke von Dimitrijeviö gekauft worden. Auch hatte sie Ciganovic fürsorglich mit Cyankali versehen, damit sie sich, wenn sie nach dem Attentate nicht zu entkommen vermochten, töten konnten. Sie begaben sich zunächst von Belgrad zu Schiff nach Sabac. Hier meldeten sie sich beim Grenzhauptmann Rade Popovic und übergaben ihm eine ihnen von Ciganovic mitgegebene Visitkarte, auf der nur zwei Buchstaben standen. Die genügten aber vollkommen. Der Major gab ihnen nun seinerseits einen Geleitbrief für den Grenzoffizier in Loznica, Prvanovic, mit, wohin sie sich am folgenden Morgen — die Nacht verbrachten sie in Sabac — mit der Eisenbahn begaben. Prvanovic versprach ihnen, sie unter sicherem Geleite über die Grenze zu schaffen, und bestellte sie für den nächsten Morgen wieder zu sich. A n diesem, dem 30. Mai, teilten sie ihm mit, sie hätten beschlossen, ihren Marsch auf getrennten Wegen fortzusetzen, da sie fürchteten, auf bosnischem Boden Verdacht zu erregen, wenn sie zu dritt blieben. Cabrinovi6 sollte südwärts gehen und die Drina erst bei Mali Zwornik überschreiten, Princip und Grabez aber eine nördliche Richtung einschlagen, um bei Ljesnica ans bosnische Ufer zu gelangen. Prvanovic war damit einverstanden und gab Cabrinovic einen Brief für den Finanzinspektor Sunic mit, damit er ihnen über die Grenze helfe. Umsichtigerweise nannte er ihm, für den Fall, daß er
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Sunic etwa nicht antreffen sollte, den Namen eines andern Vertrauensmannes, des Lehrers Milan Jakovljevic. Diese Vorsicht erwies sich auch als begründet, denn Cabrinovic traf Sunic tatsächlich nicht an und suchte daher Jakovljevic auf, der ein Mitglied der „Narodna odbrana" war. Dieser brachte ihn über die Drina zum Gemeindenotar von Bosnisch-Zwornik, Gjorgje Dakic, der gleichfalls der „Narodna odbrana" angehörte. Von hier begab er sich zuerst zu Fuß, dann mit der Post nach Tuzla, wo er am 31. Mai 1914 eintraf. Etwas umständlicher gestaltete sich die Reise der beiden andern Verschwörer, Princip's und Grabez'. Hauptmann Prvanovic sandte sie mit einem Finanzwachmann namens Grbic nach Ljesnica, wo sie im Wachthause des Finanzwachmannes übernachteten. Da der Führer, der sie nach Bosnien bringen sollte, aber noch nicht zur Stelle war, mußten sie noch ein zweites Mal am Ufer der Drina übernachten, bevor sie ihren Weg fortsetzen konnten. Als der Führer, der Bauer Jakov Milovid, endlich erschien, brachen sie auf. Ihr Begleiter, der Finanzwächter Grbiö, empfahl ihm das Geheimnis dieses Transports gut zu wahren, da es ihn sonst seinen Kopf kosten könne. Er wußte also, was sie vorhatten, zumindest, daß sie etwas Verbrecherisches im Schilde führten; hatten sie doch weder vor ihm noch vor einem zweiten Grenzwächter aus ihrem Waffenbesitz ein Hehl gemacht und während ihres unfreiwilligen Aufenthalts am Drinaufer sogar Schießübungen vorgenommen. Der Bauer Milovic führte sie nun durch einen dichten Sumpfwald, durch den die Landesgrenze üef, zu seinem Hause, wo sie kurze Rast hielten, um dann den Marsch fortzusetzen. Wiewohl es Nacht war und der Weg jetzt durch einen Bergwald führte, fand sich ihr Führer doch mit größter Sicherheit zurecht. Bei einem verlassenen Schuppen machten sie halt und verbrachten darin den Rest der kurzen Sommernacht, um die Wanderung am Morgen des 2. Juni wieder aufzunehmen. In Trnova Gorja kehrten sie bei dem Bauer Obren Milosevic ein. Hier legten sie ihre Waffen ab, die sie bisher um den Leib geschnallt getragen hatten, und borgten sich zwei Packtaschen aus, in die sie ihre Bomben und Brownings vor den Augen der beiden Bauern taten, die dabei ruhig zusahen. Diese brachten hierauf die Verschwörer auf deren Wunsch nach Priboj, wo sie im dortigen Lehrer Velkjo Cubrilovid einen Vertrauensmann hatten. Princip und Grabez wagten aber nicht, sich in den Ort zu ihm zu begeben, sondern sandten die beiden Bauern zu ihm und verbargen sich indessen hinter einer Hecke. Cubrilovic ließ nicht lange auf sich warten, erschien zu Pferde und übernahm, nachdem sie sich ihm anvertraut hatten, ihre Weiterbeförderung nach Tuzla. Er führte sie zunächst zu seinem Paten, dem
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Bauer Nedjo Kerovic. Dieser und ein anderer Bauer namens Cvijan Stepanovic brachten die beiden Verschwörer nächtlicherweile zu Wagen nach Tuzla. Da ihr Weg sie an einer k. u. k. Gendarmeriekaserne vorbeiführte, gebrauchten Princip und Grabez die Vorsicht, dieses gefährliche Objekt zu umgehen. Am Morgen des 3. Juni trafen die vier in Tuzla ein, Stepanovic brachte die Waffen zu einem gewissen Misko Jovanovic, dem er ein Empfehlungsschreiben des Lehrers Cubrilovic übergab, worauf Jovanovic mit Princip und Grabez im Leseverein zusammentraf. Später gesellte sich der dritte Verschwörer Cubrinovid zu ihnen, worauf sie am Abend zu dritt die Reise nach Sarajevo fortsetzten; ihre Waffen behielt einstweilen Jovanovic in Verwahrung. Erst am 14. Juni holte sie Danilo Ili6 aus Tuzla ab, nachdem er sich Jovanovid gegenüber durch Vorweisimg einer Schachtel „Stefanie-Zigaretten" — das geheime Erkennungszeichen — hiezu legitimiert hatte. Jovanovid brachte sie dann nach Doboj, von wo Iii6 sie allein nach Sarajevo beförderte. So waren die Verschwörer und ihre Mordwerkzeuge ohne Unfall und, ohne Verdacht erregt zu haben, an den Ort ihrer Bestimmung gelangt. Sie hatten dies einzig und allein dem vorzüglichen „Kanal"System zu danken, das „Narodna odbrana" und „Schwarze Hand" ins Werk gesetzt hatten und das tadellos funktionierte. Auf serbischem Boden waren es durchwegs Organe der Regierung gewesen, die den Relais-Dienst handhabten: in Sabad Major Popovi6, in Loznica Hauptmann Prvanovic und Finanzwachmann Grbic sowie noch ein Kamerad desselben, dessen Name in dem vorliegenden Bericht nicht genannt wird. Auf bosnischem Grunde besorgten dies die Bauern Milovid, Milosevic, Kerovic, Vater und Sohn, und Stepanovic. Es waren Schmuggler und „Sokoln"; Cubrilovid aber und Jovanovid geheime Kommissäre der „Narodna odbrana". Das Gelingen des ganzen Unternehmens war demnach ein Werk dieser Organisation und der „Schwarzen Hand". Ungemein charakteristisch ist an dem ganzen Komplott die fast naiv zu nennende Selbstverständlichkeit, mit der da Stabsoffiziere, Grenzwächter, Studenten, Lehrer und Bauern sich über die Ermordung eines Menschen einigten, als handelte sich's um die Vertilgung eines schädlichen Wildes; eine Selbstverständlichkeit, die ganz eigenartige Moralbegriffe voraussetzt und es nahelegt, an eine endemische „Moral Insanity" zu denken, die einen großen Teil der serbischen Nation befallen habe. Die Anerkennung und Verherrlichung, die sowohl Professor Stanojevic — man denke nur an sein glanzvolles Charakterbild Dimitrijevic's! — als Jevtic den Mördern zuteil werden
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lassen, kann die Annahme einer solchen Perversion der Moral nur bestärken1). So umsichtig und großzügig — wenn man bei einem Mordplane so sagen darf — das Komplott gegen Franz Ferdinand auch angelegt und durchgeführt wurde, es wäre doch nicht geglückt, wenn es die serbische Regierung nicht geduldet, ja gefördert hätte. Oder sollte sie von alldem richts gewußt haben ? Ist es denkbar, daß sie so blind und taub gewesen ist? Gerade sie, der man diesen Vorwurf sonst doch wahrlich nicht machen konnte! Die Antwort auf diese Fragen kann nur, und zwar mit aller Bestimmtheit, lauten: sie hat es gewußt und hat es geschehen lassen. Daß sie davon wissen, ja zumindest Wind bekommen haben mußte, versteht sich eigentlich von selbst. Allerdings war das Verhältnis zwischen Dimitrijevic und seinen Anhängern im serbischen Offizierskorps einerseits, und der Regierung, also vor allem Pasic, und dem Thronfolger Alexander anderseits im Sommer 1914 ein überaus gespanntes, weil diese in ihm — Dimitrijevic — das Haupt einer rebellischen Militärpartei sahen, die auf den Umsturz der Regierung hinarbeitete. Ist deshalb auch nicht anzunehmen, daß Dimitrijevic die Regierung von seinem Attentatsplane verständigt habe, so ist es, wie Boghißevic ausführt, doch höchst unwahrscheinlich, daß er auch seinen Vorgesetzten, den Chef des Generalstabs, den Wojwoden Putnik, darüber in Unkenntnis gelassen hatte, und zwar gerade dann, wenn er tatsächlich an den Überfall Österreich-Ungarns anläßlich der Manöver geglaubt haben sollte. Aber auch wenn er nicht an ihn glaubte, was ja viel wahrscheinlicher ist, durfte er, gerade von seinem patriotischen Standpunkt aus, seinem Chef sein Vorhaben nicht verschweigen, denn er mußte sich sagen, daß er durch das Attentat, wie immer es auch ausfallen mochte, den Krieg mit Österreich-Ungarn heraufbeschwören konnte; eine Möglichkeit, die dem Chef des serbischen Generalstabs zu verheimlichen, ein Verbrechen gegen das Vaterland gewesen wäre. Wenn aber dieser von dem Attentatsplane wußte, dann war es höchst wahrscheinlich, daß er auch Pasic und den König Peter davon unterrichtete. Doch selbst wenn Putnik es, wider alle Wahrl ) Nach dem Statistischen Jahrbuche Serbiens für das Jahr 1908 sind im Laufe der Jahre 1897—1906 bei einer Bevölkerung von nur 2700000 Köpfen durchschnittlich im Jahre nicht weniger als 610 Morde aller Art und Mordversuche vorgekommen! Ein Mordrekord, den wohl kein zweiter europäischer Staat aufweisen kann. — L e o pold M a n d l : Österreich-Ungarn und Serbien nach dem Balkankriege, Wien 1912, Perles, S. 29.
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scheinlichkeit, unterlassen hätte, würde es die Regierung doch sicherlich von anderer Seite erfahren haben, nämlich von Ciganovic, der ihr Konfident bei der „Schwarzen Hand" war und der keinerlei Ursache hatte, ihr diese für sie so überaus wichtige Mitteilung vorzuenthalten. So bedeutsam diese Indizien für die Mitwissenschaft der serbischen Regierung am Attentat auf Franz Ferdinand aber auch sind: die gewichtigsten hat diese selber geliefert: Als Österreich-Ungarn von ihr die Verhaftung und Auslieferung des Ciganovic verlangte, der als Bosnier Angehöriger der Monarchie war, erklärte sie, daß dieser allerdings in untergeordneter Stellung in ihrem Eisenbahndienst angestellt gewesen, am 15. Juni jedoch entlassen worden und zurzeit nicht aufzufinden sei. In einem Interview hatte der Polizeipräfekt von Belgrad sogar die Stirn, zu behaupten, daß ihm ein Mann dieses Namens ganz unbekannt sei! In Wahrheit hatte derselbe Polizeichef nach dem Attentat dafür Sorge getragen, daß Ciganovic aus Belgrad verschwinde und im Innern des Landes einen sichern Versteck finde. Zu diesem Zwecke verlieh ihm die Regierung den Namen Danilovic, unter dem er fortan in ihren Diensten tätig war und auch im Prozesse von Saloniki gegen Oberst Dimitrijevii als Hauptzeuge auftrat. Daß die serbische Regierung von dem gewußt hat, was sich in Belgrad gegen Franz Ferdinand vorbereitete, hat übrigens Pasi6 selber verraten, denn in einem Interview, 7. Juli 1914, behauptete er, er habe in Wien rechtzeitig vor dem Besuche des Thronfolgers in Sarajevo gewarnt. Er konnte aber — in Wahrheit hat er es nicht getan — logischerweise nur gewarnt haben, wenn er von den Absichten der Verschwörer Kenntnis hatte. Nicht unerwähnt soll im Zusammenhange mit dieser Frage auch die auffallende Tatsache bleiben, daß König Peter von Serbien vier Tage vor dem Attentate, 24. Juni 1914, zugunsten seines Sohnes Alexander auf die Ausübung der Herrscherrechte verzichtet hatte; was ja natürlich ein bloß zufälliges zeitliches Zusammentreffen sein, aber auch weniger harmlos gedeutet werden könnte . . . Schlössen schon diese gewichtigen Indizien einen Zweifel an der Mitwissenschaft der serbischen Regierung am Komplotte nahezu aus, so sollte sie einige Jahre nach dem Kriege in einer Weise enthüllt werden, deren überzeugende Wucht sie aller Welt offenbarte. Ljuba Jovanovic, zur Zeit des Kriegsausbruchs Unterrichtsminister im Kabinett Pasic, veröffentlichte nämlich im Jahre 1924 in der Gedenkschrift „Blut des Slawentums" einen Artikel, „Nach dem Veitstage des Jahres 1914", in dem er behauptete, daß das KomS o s n o s k y , Franz Ferdinand.
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XIV. Kapitel
p l o t t g e g e n F r a n z F e r d i n a n d dem g e s a m t e n K a b i n e t t P a s i c s c h o n g e r a u m e W e i l e v o s . dem M o r d e b e k a n n t g e w e s e n sei und daß dieses auch die Anhaltung der nach Bosnien reisenden Attentäter angeordnet, aber sie nicht mehr habe verhindern können. Diese Veröffentlichung schlug in der serbischen Öffentlichkeit wie eine Bombe ein und entfesselte einen Sturm der Entrüstung gegen ihren Autor, ohne daß dieser Sturm aber imstande gewesen wäre, die Tatsächlichkeit seiner Behauptimg zu zerstören. Erbittert durch das gegen ihn gerichtete Kesseltreiben, äußerte sich Jovanovic einem Mitarbeiter des Blattes „Politika" gegenüber: „Ich habe gar keine Enthüllungen gemacht. . . Ich habe nur das geschrieben, was im wesentlichen schon 1914 einem jeden bekannt war... Wer das heute alles widerrufen und ableugnen wollte und behauptet, die serbische Regierung habe nichts von dem Plane derer gehört, die dem Erzherzog Franz Ferdinand ans Leben trachteten, der würde sich einer ebenso mühseligen wie überflüssigen und schädlichen Aufgabe unterziehen." Gegen den Vorwurf, er habe ein großes serbisches Staatsgeheimnis enthüllt, wendet sich Jovanovid in diesem Interview mit folgenden Worten: „Diese Herren stellen einigermaßen ihre politische Moral bloß, wenn sie meinen, Politik, insbesondere internationale Politik, ließe sich einfach mit Lügen betreiben, und wenn sie gern haben möchten, daß ich und alle meinesgleichen in der Politik diesen Weg gehen. Ich hingegen habe immer dafür gehalten, daß im öffentlichen Leben, im innerpolitischen, wie im internationalen, die Wahrheit der beste Freund ist und der nicht fehlgeht, der sich auf sie stützt. Ganz besonders zeugt es von mangelndem Ernst, zu glauben, daß ein Verhüllen der Wahrheit bei Ereignissen, die heute die ganze Welt interessieren und mit deren Erforschung sich daher die ganze Welt befaßt, von Erfolg sein könnte. Vernünftigerweise ist nicht anzunehmen, daß solchem Forschungsdrang gegenüber ein noch so geschicktes Verdecken unserseits, die Wahrheit zu verheimlichen vermöchte" 1 ). Daß die Behauptung Jovanovid's keineswegs eine Erfindung oder auch nur eine Entstellung der Wahrheit ist, dafür hat eine Szene den Beweis erbracht, die sich im Hauptausschusse der Radikalen Partei am 25. und 26. April 1926 zutrug und bei der es zu einem Zusammenstoße zwischen Pasic und Jovanovic kam. Dieser erbot sich nämlich, als Pasi£ ihn der Unwahrheit zieh, Dokumente vorzulegen, die seine Behauptung erklären würden; doch verlange er, daß dafür der Ministerpräsident und der Minister des Äußern die Verantwortung übernähmen. D a r a u f h i n e r h o b e n diese b e i d e n , U z u n o v i c u n d *) „Die Kriegsschuldfrage", Februar 1925.
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Das Mordkomplott
N i n ö i i , gegen die M i t t e i l u n g dieser D o k u m e n t e P r o t e s t und ersuchten J o v a n o v i c d a v o n abzustehenl 1 ) Hätten sie die Worte Jovanovid's für eine leere, prahlerische Drohung und seine Dokumente für nicht überzeugend oder gefälscht gehalten, so würden sie gegen deren Veröffentlichung natürlich nicht protestiert, sondern sie im Gegenteil sogar gewünscht haben, um sie widerlegen und Jovanovii Lügen strafen zu können. Damit aber, daß sie gegen die Veröffentlichung Einspruch erhoben und ihn beschworen, von ihr abzustehen, haben sie, sehr gegen ihre Absicht, den unwiderlegbaren Beweis erbracht, daß seine Dokumente die Wahrheit enthielten, den B e w e i s f ü r die M i t w i s s e r s c h a f t der serbischen Regierung am K o m p l o t t e gegen F r a n z F e r d i n a n d , also auch f ü r die Mitschuld an seiner E r m o r d u n g . Und d a m i t auch den Beweis f ü r die H a u p t s c h u l d S e r b i e n s am Weltkriege. v. Wiesner: ,,Kriegsschuldfrage", April 1928, S. 370.
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X V . Ahnungen — Warnungen — Drohungen. Abneigung Franz Ferdinands gegen die Reise nach Bosnien. — Ahnung oder Wissen ? — Drohbriefe ? — Die „Warnung" der serbischen Regierung.
Das tückische Fangnetz für das edle Wild, auf das man es abgesehen hatte, war bereit, die tödlichen Fallen waren gestellt. Nun galt es bloß, daß es sich auch einfinde . . . Und es fand sich ein. Franz Ferdinand ist nicht gern nach Sarajevo gegangen. Aber es war sein eigener Wunsch es zu tun. Schon im September 1913, bei den Manövern in Böhmen, hatte er Conrad gegenüber diese Absicht geäußert1). Er gedachte es in seiner Eigenschaft als Thronfolger und künftiger Herrscher zu tun, und zwar in Begleitung seiner Gemahlin. Als die Zeit der Manöver heranrückte, empfand er aber kein Verlangen mehr nach dieser Reise und erwog sogar, ob er sie nicht unterlassen sollte. Er brachte diese Frage auch beim Kaiser vor, wobei er die voraussichtlich herrschende große Hitze geltend machte, die er nicht gut vertrage. Der Kaiser stellte ihm anheim, die Entscheidung nach seinem Belieben zu treffen2). Daraufhin entschloß er sich, die Reise doch zu machen, offenbar, um nicht durch eine plötzliche Absage Anlaß zu Kommentaren zu geben, die er vermeiden wollte. Aber der Entschluß fiel ihm nicht leicht. Sicherlich war es nicht die zu gewärtigende Hitze, die ihm die Reise verleidete, zumindest nicht sie allein und nicht als Hauptursache. Er hatte sie offenbar nur in den Vordergrund gestellt, weil es ihm widerstrebte, die wahre Ursache zu nennen, er sie vielleicht auch gar nicht nennen konnte. Was aber ist diese Ursache gewesen ? Der Kaiser warf bei einer Audienz, die Conrad bald nach dem Tode des Erzherzogs hatte, die Frage auf, ob dieser etwa böse Ahnungen gehabt habe8). ») C o n r a d : Dienstzeit, III, S. 485. ') Ebenda, III, S. 700 und IV, S. 37. ') Ebenda, IV, S. 37.
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Hat er sie gehabt ? Es liegt nahe, diese Frage zu bejahen. Das Unbehagen, das ihm diese Reise bereitete, konnte durch jenes seltsame hellseherische Vorgefühl verursacht sein, das sich, zumal bei nervösen Menschen, nicht selten einzustellen pflegt, wenn ihnen ein Unheil droht. Dieses Widerstreben gegen die Reise könnte aber auch mehr gewesen sein als bloß eine böse Ahnung, könnte auch dem klaren Bewußtsein der Gefahr entsprungen sein, in die er sich zu begeben im Begriffe war. Daß er sich im allgemeinen dieser Gefahr bewußt war, kann nicht bezweifelt werden. Schon ein Jahr vor dieser Reise erwähnte er dem Grafen Ottokar Czernin gegenüber, daß ihn die Freimaurer zum Tode verurteilt hätten. Er nannte ihm sogar die Stadt, in der dieser Beschluß gefaßt worden sei — Czernin behauptet, sich ihres Namens nicht mehr erinnern zu können (?) —, und bezeichnete mehrere österreichische und ungarische Politiker, die darum wissen mußten1). Ein anderes Mal zeigte er Czernin — es war in St. Moriz, offenbar während der Annexionskrise — ein Telegramm, in dem er vor zwei türkischen Anarchisten gewarnt wurde, die in der Schweiz eingetroffen seien, um ihn zu ermorden, deren man aber nicht habhaft werden könne. Der Thronfolger hatte dazu lächelnd bemerkt, angekündigte Attentate pflegten nicht verwirklicht zu werden. Es ist femer anzunehmen, daß ihm das furchtbare anarchistische Attentat, dessen Zeuge er bei der Hochzeit des Königs Alfons von Spanien im Mai 1906 gewesen war, eine bleibende Erinnerung zurückgelassen hatte. Auch der Umstand, daß sich, wenn er unterwegs war, stets ein Detektiv in seiner Nähe hielt, der für seine Sicherheit zu sorgen hatte, mußte ihn immer wieder an die Gefahren mahnen, von denen er umlauert war. Er empfand übrigens, beiläufig bemerkt, diese Maßnahme als sehr peinlich und duldete sie nur aus Rücksicht auf seine Gemahlin, der sie eine Beruhigung bedeutete. Er besorgte nur, die Öffentlichkeit könnte davon erfahren und sie als Ängstlichkeit seinerseits deuten; eine Mißdeutung, die er nicht nur scheute, sondern durch die man ihm auch unrecht getan hätte, denn Furchtsamkeit gehörte nicht zu seinen Schwächen2). ') C z e r n i n : Im Weltkrieg, S. 58. *) Der frflhere österreichische Minister J o h a n n A n d r e a s F r e i h e r r v. E i c h h o f f liefert in der ,,Reichspost" vom 28. März 1926 einen bemerkenswerten Beitrag iOr die Furchtlosigkeit Franz Ferdinands. Ungefähr zwei Monate vor dessen Ermordung habe dieser eines Tages ihm gegenüber die Absicht ausgesprochen, am folgenden Morgen von Miramar — wo dieses Gespräch stattfand — mit ihm mittels Automobil Ober Cividale, also Ober italienisches Gebiet, nach Görz zu fahren. Als er das Er-
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X V . Kapitel
Im a l l g e m e i n e n also hat sich Franz Ferdinand betreffs seiner persönlichen Sicherheit gewiß keinen Illusionen hingegeben; ob er dies aber auch im besondern hinsichtlich der Reise nach Bosnien nicht getan, ist eine Frage, die auch nur mit einiger Sicherheit zu beantworten derzeit nicht möglich ist. Man hat gleich nach der Ermordimg des Erzherzogs davon gesprochen, daß er vor dieser Reise gewarnt worden sei, und dieser Glaube hat sich teilweise bis heute erhalten. Merkwürdigerweise aber fehlt es für diese Gerüchte an jeder Unterlage. In der Umgebung des Erzherzogs erklärte man — und gewiß nicht bloß zum Scheine —, von Warnungen nichts zu wissen, und auch sein Privatsekretär spricht, wiewohl er sich ausführlich mit der Abneigung des Erzherzogs gegen die Reise sowie den verschiedenen Hindernissen befaßt, die sich ihr entgegenstellten, mit keinem Worte von einer dem Erzherzog zugekommenen Warnung oder Drohung, was er sonst doch sicherlich ausführlich getan hätte. Ebensowenig findet man in der dafür in Betracht kommenden Literatur irgendwelche Anhaltspunkte für diese Annahme, nicht einmal entfernte Andeutungen. Weder bei Conrad, noch bei Auffenberg oder Czernin. Man wäre daher versucht, die angeblichen Warnungen einfach in das Gebiet der Fabeln zu verweisen, wie sie ja gerade derartige Ereignisse in Fülle hervorzubringen pflegen, wenn nicht nachträglich doch ein Autor aufgetaucht wäre, dessen Stimme vermöge seiner hohen amtlichen Stellung nicht überhört werden darf: der frühere gemeinsame Finanzminister Leo von Bilinski. Er erwähnt nämlich in seinen Erinnerungen, daß im Laufe des Frühjahrs 1914 zahlreiche anonyme Drohbriefe eingelaufen seien, die dem Thronfolger den Tod in Aussicht stellten; und nicht nur ihm, sondern auch dem Minister des Äußern, Grafen Berchtold, den beiden Ministerpräsidenten, den Grafen Stürgkh und Tisza, sowie ihm, als gemeinsamem Finanzminister. Diese Drohungen seien dem Hofe, den Regierungen und der Armeeleitung bekannt gewesen. Man — auch er selber — habe ihnen aber keine Bedeutung beigelegt!1) staunen bemerkte, das Eichhoff Aber diese Eröffnung zeigte, meinte er: ,,Aber selbstverständlich und ganz gewiß fahren wir nach Cividale I Vorbereitungen ? Vorsichtsmaßnahmen ? Verfügungen des Triester Polizeidirektors ? . . . Auf all das pfeif ich. Man ist überall in Gottes Hand. Schauen Sie, aus diesem Gestrüpp rechts von uns könnte sich irgendein Gauner auf mich stürzen.. . Besorgnisse und Vorsichten lähmen das Leben. Das Fürchten ist immer ein gefährliches Geschäft." — Am nächsten Morgen trat er die geplante Fahrt an. *) B i l i n s k i u n d d i e E r m o r d u n g F r a n z F e r d i n a n d s , „Neues Wiener Journal" vom 25. Februar 1925.
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Ist dem so — und man hat nicht das Recht, einen Mann seiner Stellung und seines Alters der Lüge zu verdächtigen oder auch nur leichtfertiger Wiedergabe leerer Gerüchte — , dann steht man vor einem Rätsel, sogar einem mehrfachen Rätsel. Denn wie kommt es, daß man in der Umgebung des Thronfolgers nichts davon gewußt hat oder doch zu haben scheint ? Wie kommt es, daß Conrad, der sich in seinen Erinnerungen doch so ausführlich über den Thronfolger äußert, dieser Warnungen mit keiner Silbe gedenkt, wiewohl er als Generalstabschef der k. u. k. Armee doch zu der Armeeleitung gehörte, die nach Bilinski von diesen Drohungen gewußt haben soll ? Warum hat man dann den Thronfolger nach Bosnien fahren lassen ? Warum hat man, wenn man dies schon geschehen ließ, nicht ganz besondere Sicherheitsmaßnahmen getroffen ? Vergeblich sucht man auf diese sich drängenden Fragen nach einer Antwort. Zwischen der Behauptung Bilinskis und all dem, was sonst über diese Angelegenheit bekannt ist, gähnt eine anscheinend derzeit unüberbrückbare Kluft. Vielleicht wird die Zukunft das Material herbeischaffen, aus dem man eine Brücke bauen kann ? . . . Immerhin ließe sich, wenn es sich so verhalten hat, wie Bilinski sagt, die Abneigung des Thronfolgers gegen die Fahrt nach Sarajevo auch ohne besondere Ahnungen erklären . . . Mit dem Namen und der Person Bilinskis ist noch eine andere ähnliche, ebenfalls in mysteriöses Dunkel gehüllte Angelegenheit verbunden, die einer ausführlichen Erörterung bedarf: die angebliche Warnung der serbischen Regierung vor der Reise des Thronfolgers nach Bosnien. Es ist schon erwähnt worden, daß Pasic bald nach dem Morde, 7. Juli, in einem Interview behauptet hat, sein Kabinett habe in Wien wissen lassen, daß sich der Thronfolger durch die Reise nach Bosnien ernsten Gefahren aussetze. Sei es nun, daß ihn diese Äußerung nachträglich reute, weil er damit ja eingestand, daß er von den mörderischen Absichten der Verschwörer gewußt hatte; sei es, daß er sich nicht mehr erinnerte, sie getan zu haben; genug: kaum vierzehn Tage später, 20. Juli, versicherte er in einem andern Interview einem Vertreter des „New York Herald" gegenüber: wäre ihm die Verschwörung gegen Franz Ferdinand bekannt gewesen, so würde er nicht unterlassen haben, in Wien zu warnen. Er sagte somit das krasse Gegenteil von dem, was er am 7. Juli gesagt hatte. Eine Aufklärung dieses seltsamen Widerspruchs gab Pasic weder im serbischen Blaubuche noch einer direkten Interpellation seines einstigen Ministerkollegen Ljuba Jovanovic gegenüber. Professor Denis, ein gallisierter Tscheche
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und eifriger Anwalt Serbiens, behauptete dann in seinem Buche „La Grande Serbie", ganz im Sinne des ersten Interview Pasic's, dieser hätte das k. u. k. Ministerium des Äußern verständigt, daß die serbische Regierung Grund habe zu glauben, daß in Bosnien ein Komplott gegen den Thronfolger bestehe. Der „Kanzler", d. h. der Minister des Äußern, also Graf Berchtold, habe dieser Warnung aber keine Bedeutung beigelegt. Obwohl Professor Denis seine Behauptung durch ein bestimmtes Datum — 21. Juni — präzisierte, erwies sie sich als gänzlich aus der Luft gegriffen. Nicht nur im Archiv des Ministeriums des Äußern befindet sich kein diese angebliche Warnung betreffendes Schriftstück, sondern auch der serbische Gesandte in Wien Joca Jovanovic bestritt, von seiner Regierung einen derartigen Auftrag erhalten zu haben. Nichtsdestoweniger wiederholte Professor Stanoje Stanojevid in seiner, hier schon des öftern erwähnten Schrift die Behauptung Denis' und berief sich, als dies von österreichischer Seite bestritten wurde, auf Joca Jovanovic, der ihm erzählt habe, er selber habe den Grafen Berchtold gewarnt. Hierüber finde sich im Archiv des Ministeriums des Äußern eine „Erwähnung" unter „Reg. B. 28. VI. 1914. Serbische Mitteilung über Attentatsmöglichkeit gegen Thronfolger." Nun befindet sich aber nicht nur kein solches Dokument im Staatsarchiv, wofür sich dessen Vorstand, Professor Bittner, persönlich verbürgte, sondern man hat im ehemaligen Ministerium des Äußern eine derartige Aktenbezeichnung überhaupt nicht gekannt! Aber selbst wenn es sie gegeben hätte, so wäre eine Warnung, die am 28. VI. 1914 in Wien übermittelt wurde, ganz wertlos gewesen, da der Erzherzog ja schon gegen Mittag dieses Tags dem Attentate erlegen war 1 ). Daraufhin meldete sich ein ungenannter Beamter der damaligen serbischen Gesandtschaft in Wien zu Worte und erzählte in der „Wiener Sonn- und Montagszeitung" vom 23. Juni 1924, sein Chef, Joca Jovanovic, habe am 18. Juni 1914 eine Chiffredepesche Pasic's erhalten, in der ihm aufgetragen wurde, dem Erzherzog von der Reise nach Sarajevo abzuraten, ihn zumindest von den ihm drohenden Gefahren zu warnen. Jovanovic habe sich dieses Auftrags am 21. Juni (das von Denis angegebene Datum) entledigt, aber nicht dem Grafen Berchtold, sondern dem gemeinsamen Finanzminister von Bilinski gegenüber. Jetzt erst fühlte sich Joca Jovanovic, der sich bisher nur auf die Verneinung beschränkt hatte, bemüßigt, Stellung zu dieser Frage zu F. v. W i e s n e r : „Kriegsschuldfrage", April 1928, S. 355Ü- Auch in dieser Frage folgen wir den lichtvollen Darlegungen dieses ausgezeichneten Kenners der serbischen Machinationen.
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nehmen, und gab im „Neuen Wiener Tagblatt" vom 28. Juni 1924 an, er habe keinerlei A u f t r a g solcherart aus B e l g r a d erh a l t e n , sondern ganz aus eigenem A n t r i e b e Herrn v. B i linski g e g e n ü b e r seiner B e s o r g n i s A u s d r u c k gegeben, das serbische V o l k könnte die Manöver an der serbischen Grenze, zumal um die Z e i t des „ V i d o v d a n " , als H e r a u s f o r d e r u n g e m p f i n d e n ; es könnte zu feindseligen K u n d gebungen kommen, j a sogar ein Schuß gegen den E r z herzog abgegeben werden. Selbstverständlich würde eine so bedeutsame Warnung, auch wenn sie nur inoffiziell, gesprächsweise, erfolgt wäre, Herrn von Bilinski bemüßigt haben, den Thronfolger von dieser ihm drohenden schweren Gefahr zu verständigen, zumindest dessen Umgebung und vor allem die Sicherheitsbehörden. Er hätte dies um so mehr tun müssen, als mit seinem Ressort als gemeinsamem Finanzminister auch das für Bosnien und die Herzegovina verbunden war, er somit die höchste Verwaltungsinstanz für dieses Land vorstellte und letzten Endes auch die Verantwortung für das zu tragen hatte, was dort geschah. Er hätte demnach die begründetste Ursache gehabt, einer so deutlichen Warnung volle Beachtung zu schenken und entweder Sorge zu tragen, daß die Reise des Thronfolgers nach Bosnien überhaupt nicht stattfinde oder aber nur unter den allerstrengsten Vorkehrungen. Er hat aber weder den Erzherzog selber gewarnt, noch dessen Umgebung, noch die Behörden. Und auch in seinen nach seinem Tode veröffentlichten Erinnerungen findet sich nicht einmal eine Andeutung in diesem Sinne. Dennoch sind die Angaben Joca Jovanovid's offenbar nicht ganz apokryph, denn der frühere Pressechef Bilinskis, Paul Flandrak, erzählte im „Neuen Wiener Journal" vom 26. April 1925, Bilinski habe ihm einmal, im Mai 1914, gesprächsweise mitgeteilt, daß die Reise des Thronfolgers das schon bestehende unerfreuliche Verhältnis zwischen der Monarchie und Serbien noch verschlechtern werde, da sie Anlaß zu Kundgebungen der Loyalität geben und hiedurch herausfordernd wirken könnte. Bilinski hat den Äußerungen Jovanovid's offenbar keinerlei Bedeutung beigelegt. Auf Grund solcher Einwendungen hätte er den Thronfolger auch sicherlich nicht von der Reise nach Bosnien abhalten können, sondern ihn im Gegenteil nur darin bestärkt, denn „wer die Einstellung des serbischen Elements in Bosnien zu jener Zeit kannte, der hätte ein Zurückweichen vor solchen Argumenten nur als politische Kapitulation vor dem radikalen Serben tum gewertet, das bei jedem Anlaß sofort mit dem Worte zur Hand war, die „trula
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Austrija" (das verfaulte Österreich) wage es aus Angst vor serbischen Demonstrationen nicht, den Thronfolger nach Bosnien gehen zu lassen" 1 ). Und gerade der Thronfolger war der letzte, der die Hand zu einer solchen Rückzugstaktik geboten hätte. Zieht man aus all diesen Mitteilungen über die angebliche „Warnung" von serbischer Seite das Fazit, so kommt man zu dem Schlüsse, daß eine w i r k l i c h e , ernst zu nehmende Warnung von serbischer Seite n i c h t erfolgt ist, daß der serbische Gesandte aber Bedenken gegen die Reise des Thronfolgers vorgebracht hat, die jedoch so geheilten waren, daß eine Warnung — falls eine solche überhaupt bezweckt gewesen sein sollte — daraus nicht zu erkennen war. Offenbar wollte die serbische Regierung, gegebenen Falles, sich doch darauf berufen können, daß sie in Wien gewarnt habe, dabei aber offiziell von einer Warnung nichts wissen, weil sie — angeblich ja vom Komplotte nichts gewußt hatte und an dieser im Hinblick auf die Entente wichtigen Fiktion festhalten wollte. So hat sie dann diesen „diplomatischen" — euphemistisch gesagt — Ausweg gewählt. Wie man aus alldem ersehen kann, sind die Dinge, die der Reise des Thronfolgers vorausgingen, in ein merkwürdiges Dämmerlicht gehüllt, in dem man sich nur schwer zurechtzufinden vermag. *) v. W i e s n e r , ,.Kriegsschuldfrage", April 1928, S. 361.
XVI. Die Reise in den Tod. Hemmungen und Vorzeichen. — Der Thronfolger und seine Gemahlin in Sarajevo. — Die Bombe des Cabrinovió. — Die Revolverschüsse Princips. — Tod Franz Ferdinands und der Herzogin von Hohenberg. — Wer trägt die Schuld ? — A n h a n g : Drei protokollarische Zeugenaussagen Ober die Attentate auf den Erzherzog-Thronfolger.
Am 23. Juni fuhr der Erzherzog-Thronfolger von seiner Besitzung Chlumetz (bei Wittingau in Südost-Böhmen), wo er seine Kinder untergebracht hatte, mit seiner Gemahlin nach Wien. Nach seiner Rückkehr aus Bosnien gedachte er jene dort abzuholen und sich mit seiner ganzen Familie nach Blühnbach zu begeben. Schon auf dem Bahnhof in Chlumetz widerfuhr ihm ein Mißgeschick, das, an sich zwar unbedeutend, gleich zu Beginn der Reise, doch nur dazu beitragen konnte, seine Unlust zu dieser Fahrt zu bestärken. Sein Salonwagen, der eigens für ihn angefertigt worden und den er gewohnt war, hatte sich nämlich heißgelaufen, wiewohl er erst wenige Kilometer vor Chlumetz in den Schnellzug nach Wien eingeschoben worden war. Es mußte daher für das hohe Paar rasch ein Coupé erster Klasse bereitgestellt werden. Der Erzherzog bemerkte zu diesem Zwischenfall mit einem gewissen Galgenhumor: „Na die Reise fängt ja recht vielversprechend an." In Wien abends angelangt, begleitete er seine Gemahlin ins Belvedere und begab sich nach kurzem Aufenthalte nach dem Südbahnhofe, um nach Triest zu fahren und von dort, dem aufgestellten Programme gemäß, auf dem Seeweg über Pola—Metkovié—Mostar nach Sarajevo, während die Herzogin sich tags darauf direkt dahin begeben sollte. Hier, auf dem Südbahnhofe, erwartete ihn ein neues Mißgeschick: in dem für ihn bereitgestellten Salonwagen war ein Gebrechen in der elektrischen Leitung entstanden, das, zu spät bemerkt, sich nicht mehr rechtzeitig hatte beheben lassen, so daß die Beleuchtung durch Kerzen besorgt werden mußte. „Wieder ein Vorzeichen !" meinte der Thronfolger lächelnd zu seiner Umgebung. Der Privatsekretär des Erzherzogs versichert, es sei ein unheimlicher Anblick gewesen, den Erzherzog so von brennenden Kerzen umgeben
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zu sehen. „Was sagen Sie zu der Beleuchtung!" habe dieser zu ihm bemerkt, „wie in einem Grab, nicht?" . . .*) Nach diesen beiden Zwischenfällen, die — besonders hinterdrein — abergläubischen Seelen als üble Vorzeichen erscheinen mußten, konnte der Erzherzog seine Fahrt ohne weitern Unfall fortsetzen. Am 25. Juni nachmittags traf er in Bad Ilidie bei Sarajevo ein, wo ihn seine schon wenige Stunden früher über Budapest angekommene Gemahlin begrüßte. Am folgenden Nachmittage, nach der Rückkehr vom Manöverfelde, fuhr er mit ihr nach Sarajevo, um dort verschiedene Einkäufe zu machen. Das Volk drängte sich dabei so dicht an ihn heran, daß sein Gefolge sich nur mit Mühe den Weg von einem Laden in den andern zu bahnen vermochte2). Unter der Menge befand sich auch Princip, der sein Opfer ins Auge faßte, aber es noch nicht zu töten wagte, weil er — so erzählte er wenigstens dann am Abend im Kreise seiner Genossen — einen Polizeibeamten hinter sich zu bemerken glaubte; vielleicht auch, weil es ihm in diesem Augenblick an Mut gebrach, zumal da bei den menschenüberfüllten Straßen ein Entkommen ausgeschlossen gewesen wäre . . , s ) Die üble Stimmung, in der der Thronfolger die Reise angetreten hatte, verflüchtigte sich während seines Aufenthaltes in Bosnien. Der festliche Empfang, der glatte Verlauf der Manöver4), der Anblick der vielen Truppen, der interessante halborientalische Charakter des Milieus, die eigenartige Landschaft und, wohl nicht am wenigsten, die Genugtuung, seiner Gemahlin die Ehren erwiesen zu sehen, die der Gattin des künftigen Herrschers gebührten: all dies zusammen hatte seine Stimmung günstig beeinflußt, so daß er in diesen letzten Tagen seines Lebens guter Laune war. Am 27. Juni abends fand beim Erzherzog in Ilidie ein Diner statt, zu dem die offizielle Welt Sarajevos geladen war. Am folgenden Tage wollte der Erzherzog noch das Rathaus, das neue Landesmuseum und militärische Anlagen besichtigen und am Nachmittage die Rückreise antreten. Viele von den auswärtigen Persönlichkeiten, die von Amts wegen nach Sarajevo gekommen waren, reisten schon nach dem erwähnten Diner, am Abend des 27. Juni, ab, darunter auch General Conrad. J
) N i k i t s c h - B o u l l e s : Vor dem Sturm, S. 2ioff. *) Ebenda, S. 213. ') W e i t e r e A u s s c h n i t t e zum A t t e n t a t von S a r a j e v o , „Kriegsschuldfrage", Oktober 1925, S. 684. *) L u d w i g S c h n a g l : ,,Die Manöver in Bosnien im Jahre 1 9 1 4 " , ,,Kriegsschuldfrage," September 1928.
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Als der Erzherzog nach diesem Diner zu seiner Umgebung die Bemerkimg machte, nun sei die bosnische Reise, Gott sei Dank, auch erledigt, regte jemand an 1 ), auch der Erzherzog solle noch an diesem Abend die Heimreise antreten; ein Vorschlag, der unter dem Gefolge Franz Ferdinands lebhafte Zustimmung fand und auch bei ihm selber nicht auf Widerstand stieß. Da jedoch einige anwesende Offiziere Bedenken dagegen erhoben und darauf hinwiesen, daß ein derartiger vorzeitiger Abbruch des festgesetzten Programms den Landeschef (Potiorek) kränken würde, entschloß sich der Thronfolger zu bleiben und besiegelte damit seinen Tod, denn die vorzeitige und darum für die Verschwörer unerwartete Abreise hätte ihm und seiner Gemahlin sicherlich das Leben gerettet. Der folgende Tag, der 28. Juni, war der Tag des heiligen Vitus, der als „Vidovdan", als Gedenktag an die Schlacht auf dem Amselfelde (1389), bei den Serben als hoher Feiertag gilt. Am Morgen dieses Tags richtete der Thronfolger an seine Kinder in Chlumetz ein Telegramm, in dem er ihnen mitteilte, daß es ihm und ihrer Mutter gut gehe und sie sich beide schon freuten, sie am 30. Juni wiederzusehen. Es sind die letzten Worte gewesen, die Franz Ferdinand geschrieben hat2). Bald darauf trat er mit seiner Gemahlin und seinem Gefolge von Iii die die Fahrt nach Sarajevo an. Es war ein strahlender Sommertag, an dem das Thronfolgerpaar mit seinem Gefolge unter den Salutschüssen der Festungswerke die programmäßige Fahrt durch die festlich geschmückte Stadt begann. Es waren im ganzen fünf Automobile, denen ein sechstes als Reservewagen folgte8). Im ersten Wagen, gleichsam als Wegmacher, fuhr der Bürgermeister von Sarajevo, im zweiten der Erzherzog mit seiner Gemahlin und Feldzeugmeister Potiorek. Neben dem Chauffeur saß der Besitzer des Wagens, Graf Harrach. Die Fahrt ging zunächst zum Rathause. Der Weg dahin führte über den Appelkai, entlang der Miljaöka. Als die Wagen an der Cumurjabrücke vorbeikamen, erfolgte ein lauter Knall, und auf das umgeschlagene Wagendach des Automobils, in dem der Erzherzog *) N i k i t s c h - B o u l l e s : Vor dem Sturm, S. 214. Der Verfasser erinnert sich nicht mehr, von wem dieser Vorschlag gemacht worden ist, glaubt aber, es sei der Obersthofmeister des Erzherzogs, Baron Rummerskirch, gewesen. ') Ebenda, S. 215. ') Nach den Angaben des interessanten Aufsatzes „Der Schreckenstag von Sarajevo" von A n d r e a s F r e i h e r r n v. M o r s e y , früherem Dienstkämmerer des Erzherzog-Thronfolgers. ,,Reichspost" vom 28. Juni 1924.
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saß, fiel gleichzeitig eine Bombe, kollerte aber auf die Straße hinab und explodierte mit kanonenschußartiger Detonation beim Vorbeifahren des folgenden Wagens. Zwei von dessen Insassen, der Flügeladjutant Potioreks, Oberstleutnant von Merizzi, und Graf BoosWaldeck, der Besitzer des Wagens, wurden verwundet, letzterer nur ganz leicht. Der Wagen wurde dabei stark beschädigt. Auch das vierte Automobil wies Spuren der Explosion auf, ohne daß dessen Insassen aber Schaden genommen L hatten. Als der Thronfolger bemerkte, daß das dritte Automobil ihm nicht mehr folgte, ließ er das seine halten und sandte den Grafen Harrach zurück, sich zu erkundigen, was geschehen sei. Nachdem ihm kurz über das Vorgefallene berichtet worden war, setzte er die Fahrt zum Rathause fort, wobei das bis dahin an zweiter Stelle hinter dem Thronfolgerpaare fahrende Automobil diesem nunmehr unmittelbar folgte, da das von der Explosion getroffene ausschied. Inzwischen führte man den verwundeten Offizier, der stark blutete, in die nahegelegene Wohnung eines Arztes, wo man ihn verband, um ihn von da ins Garnisonsspital zu bringen. Zu gleicher Zeit spielte sich am Ufer der MiljaCka eine wildbewegte Szene ab. Der Bombenschleuderer — es war Cabrinovid — flüchtete sich vor seinen Verfolgern in den Fluß, wurde aber am andern Ufer dennoch festgenommen. Im Rathause angelangt und vom Bürgermeister Curiic und den Gemeinderäten feierlich empfangen, fiel der Thronfolger, der bleich und sichtlich erregt, aber gefaßt war, dem Bürgermeister in scharfem Ton ins Wort: „Das ist ja recht hübsch! Da kommt man zum Besuch in diese Stadt und wird mit Bomben empfangen! . . . So, jetzt fahren Sie fort!" Worauf der Bürgermeister seine Ansprache fortsetzte, deren loyale Phrasen sich nach diesem Vorfalle wie bitterster Hohn ausnahmen. Im Rathause stellte sich heraus, daß die Gemahlin des Thronfolgers ebenfalls eine, wenn auch nur ganz leichte Verletzung erlitten hatte, und zwar durch die Kapsel der Bombe, die vor der Explosion in die Luft geflogen war — von ihr rührte die erste, nur schwach tönende Detonation1) — und die Herzogin leicht am Halse geritzt hatte. Diese kleine Wunde hielt sie jedoch nicht davon ab, dem Programme gemäß, die türkischen Frauen Sarajevos zu empfangen. Nach dem schon erwähnten Artikel Baron Morseys hatte diese Verletzung n i c h t von der Kapsel der Bombe des Cabrinovi^ hergerührt, sondern von einem Revolverschusse des ganz nahe von Cabrinovié postierten Verschwörers Ilié.
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Inzwischen sprach der Thronfolger mit seiner Umgebung über das Attentat und erkundigte sich, ob man den Bombenwerfer schon festgenommen habe. Als man dies bejahte, bemerkte er in seiner sarkastischen Weise: „Passen Sie nur auf! Der Kerl wird, statt daß man ihn unschädlich macht, nach echt österreichischer Art noch mit einem Verdienstkreuz dekoriert."1) Als er dann im selben Tone die Frage stellte, ob das mit den Bomben so fortgehen werde, erwiderte FZM. Potiorek, er hoffe, daß dies nicht der Fall sein werde, daß man solche Anschläge aber trotz aller Sicherheitsvorkehrungen nicht immer verhindern könne (?!). Es wäre jedenfalls ratsam, entweder in schnellstem Tempo über den Appelkai nach Ilid2e zurückzufahren oder in den Konak und von dort nach dem Bahnhofe. Der Erzherzog sprach hierauf den Wunsch aus, zunächst noch den verwundeten Oberstleutnant v. Merizzi zu besuchen. Major Höger von der Militärkanzlei des Erzherzogs schlug vor, mit dem Antritt der Fahrt so lange zu warten, bis alle Straßen und Plätze, die man dabei passieren müsse, durch Militär gesäubert und besetzt seien; ein sehr kluger Rat, ja der einzige, der eine sichere Fahrt verbürgt hätte, aber verhängnisvollerweise nicht befolgt wurde2). Auf die Frage des Obersthofmeisters des Thronfolgers, des Barons Rummerskirch, ob man nach dem Spital fahren könne, ohne die Stadt zu berühren, bejahte dies Potiorek, und nach Zustimmung des Erzherzogs wurde angeordnet, daß die Fahrt unter Vermeidung der innern Stadt längs des Appelkais zu erfolgen habe. Die Herzogin von Hohenberg, die, dem Programme zufolge, sich vom Rathause direkt in den Konak hätte begeben sollen, äußerte nun den Wunsch, die Fahrt mit ihrem Gemahle zu machen, womit dieser einverstanden war. Er schien übrigens keineswegs N i k i t s c h - B o u l l e s : Vor dem Sturm, S. 215. ') Ebenda, S. 216. Nach diesem Gewährsmanne soll FZM. Potiorek diesen Rat mit der Begründung abgelehnt haben, die Truppen trügen noch die ManöverAdjustierung und seien daher für die Spalierbildung ungeeignet. Eine Version, die, was das Motiv der Ablehnung betrifft, an sich schon unerhört wäre, aber auch nicht wahrscheinlich ist. Potiorek dürfte den Vorschlag deshalb abgelehnt haben, weil die Spalierbildung durch Militär im Augenblick nicht möglich war, da sich die Garnison von Sarajevo zu dieser Stunde noch auf dem Manöverfelde befand und die Stadt von Truppen ganz entblößt war. Man (wer ?) hatte nämlich, wie Ludwig Schnergl in seinem Aufsatz „Die Manöver in Bosnien im Jahre 1914" („Kriegsschuldfrage", September 1928) erwähnt, die sonderbare Verfügung getroffen, daB während der Anwesenheit des Thronfolgerpaares in Sarajevo die Stadt von den Truppen nicht betreten werden durfte. Aber trotzdem hätte man durch umgehende Konsignierung der Truppen mittels Automobilen in kurzer Zeit so viel Militär herbeischaffen können, als zu diesem Zwecke notwendig gewesen wäre. Einstweilen hätte der Thronfolger im Rathause eben warten müssen.
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davon überzeugt, daß sie einen glatten Verlauf nehmen werde, denn er bemerkte, bevor er sie antrat: ,,Mir scheint, wir werden heute noch einige Kugerln bekommen."x) Als man die Fahrt antrat, stellte sich Graf Harrach auf das linke Trittbrett des Automobils, in dem das Thronfolgerpaar saß, um dieses mit seinem Leibe zu decken. So fuhr man, der Wagen mit dem Bürgermeister an der Spitze, den Appelkai entlang. Bei der Lateinerbrücke bog dieses Automobil, der g e t r o f f e n e n Vereinbarung entgegen, in die Lateinerstraße ein, und das zweite Automobil, mit dem erzherzoglichen Paar und FZM. Potiorek, folgte ihm. Als dieser es bemerkte, rief er dem Chauffeur erregt zu, wohin er denn fahre; er habe doch den Appelkai entlang zu fahren. Daraufhin bremste der Chauffeur, um den Wagen zu wenden. In diesem Augenblick krachten zwei Schüsse. Sie kamen von der rechten Seite, auf der die Insassen des Wagens nicht durch Graf Harrach gedeckt waren. FZM. Potiorek glaubte den Erzherzog und dessen Gemahlin unverletzt, denn sie saßen beide aufrecht im Wagen. Aber schon im nächsten Augenblick sank die Herzogin vom Sitze herab in die Knie und über den Schoß des Erzherzogs hin, als wollte sie ihn schützen oder bei ihm Schutz suchen2). Der Thronfolger beugte sich zu ihr und sprach einige Worte, die Potiorek nicht verstand, Graf Harrach aber zu vernehmen glaubte. Der Erzherzog habe gesagt: „Soferl, Soferl! Stirb nicht! Bleib' am Leben für unsere Kinder!" 3 ) Graf Harrach fragte daraufhin den Thronfolger, ob ihm etwas wehtue, worauf dieser mit schwacher Stimme erwiderte: ,,Es ist nichts" und diese Worte noch einige Male vor sich hinflüsterte. Dann verlor auch er das Bewußtsein, während Blut aus seinem Munde drang. Auf die Schüsse hin waren der Flügeladjutant des Erzherzogs, Oberst Dr. Bardolff, und der zweite Offizier seiner Militärkanzlei, Major Höger, aus ihrem Wagen gesprungen und schwangen sich mit gezückten Säbeln auf den des erzherzoglichen Paares, um es vor Angriffen zu schützen. Indessen eilte Major Hüttenbrenner, ebenfalls zur Militärkanzlei des Thronfolgers gehörend, um einen Arzt, und der Dienstkämmerer Baron Morsey beteiligte sich an der Festnahme des ') P a u l H ö g e r , k.u.k. Oberst: „Erinnerungen an die Todesfahrt", „österr. Wehrzeitung" vom 27. Juni und 4. Juli 1924. — Der Verfasser dieser Schilderung, damals, wie schon erwähnt. Major in der Militärkanzlei des Thronfolgers, befand sich in dessen Gefolge und war somit Augenzeuge der Ereignisse. *) Ebenda. ') Siehe Anhang.
Protokollarische Aussage des Grafen Harrach.
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Attentäters — Princips —, der auf der Stelle von Polizisten und Zuschauern ergriffen worden war. Der Wagen mit dem erzherzoglichen Paar und dessen Beschützern fuhr nach dem kurzen Aufenthalte, den das Attentat verursacht hatte, über die Lateinerbrücke nach dem Konak. Der Erzherzog saß dabei aufgerichtet da, die Augen wie in unendliche Fernen gerichtet1). Am Ziele angelangt, trug man die beiden Opfer des Attentats in den Konak, die Herzogin schon als Leiche. Der Thronfolger lebte zwar noch, aber der kaum mehr fühlbare Puls, das nur mehr schwach klopfende Herz und seine tiefe Bewußtlosigkeit verrieten, daß auch sein Leben unaufhaltsam im Schwinden begriffen war. Wiewohl mehrere Ärzte rasch zur Stelle waren und sich alle Mühe gaben, es aufzuhalten, gelang es nicht mehr. Die Kugel des Mörders hatte die Halsschlagader zerrissen und vielleicht auch die Wirbelsäule verletzt; sie wurde nicht gefunden. Wohl aber das Geschoß, das die Herzogin im Unterleibe getroffen und eine innere Blutung verursacht hatte, die fast unmittelbar ihren Tod nach sich zog. Kurz nach der Ankunft im Konak stand auch das Herz Franz Ferdinands still, und er folgte der geliebten Gattin in das große Dunkel, in das sie ihm vorausgegangen war, als hätte er ohne sie nicht auf Erden zurückbleiben wollen . . . Ob der Thronfolger dem auf ihn lauernden Verderben entgangen wäre, wenn ihn die Kugel Princips nicht getroffen und er die Fahrt in der beabsichtigten Richtung hätte fortsetzen können, ist ganz ungewiß. Da er dabei die vier Standplätze der Verschwörer, Popoviö, Iliß, Cubriloviö und Mehmedbasid, die alle längs des Appelkais postiert waren, hätte passieren müssen, so hätte er, wenn jeder dieser vier seine Bombe warf oder seinen Revolver abschoß, wie es geplant war, von außerordentlichem Glücke begünstigt sein müssen, um mit seiner Gemahlin unverletzt aus dieser Falle zu entkommen. Anderseits ist es aber keineswegs sicher, daß die Verschwörer noch auf ihren Plätzen gewesen wären, denn sie konnten ja nicht wissen, daß der Erzherzog abermals an ihnen vorüberkommen werde; aber selbst wenn sie auf ihren Posten geblieben wären, ist es noch keineswegs ausgemacht, daß sie etwas gegen den Thronfolger unternommen hätten; hatten sie ihn doch passieren lassen, als er ins Rathaus fuhr, ohne von ihren Waffen Gebrauch zu machen, sei's, weil sie im entscheidenden Augenl
) Mündliche Mitteilung des Obersts H ö g e r dem Verfasser gegenüber. — Siehe auch die protokollarische Aussage des FZM. Potiorek bei P h a r o s : „Der Prozeß in Sarajevo", S. 1 5 5 f f . ; ferner den Bericht Oberst Dr. B a r d o l f f s an General C o n r a d in dessen Denkwürdigkeiten, Bd. I V , S. 19. Sosnosky, Franz Ferdinand 14
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blick den Mut verloren oder weil sie sich auf Cabrinovic verlassen hatten, der ganz nahe von ihnen postiert war. Grabez, der näher dem Rathause stand, hatte den Thronfolger sogar schon zweimal vorüberfahren lassen, zum und vom Rathause, ohne ein Attentat zu begehen. Es wäre demnach ganz gut möglich gewesen, daß der Thronfolger den Verschwörern unverletzt entgangen wäre, zumal bei rascher Fahrt, wenn ihn nicht schon die Kugel Princips getötet hätte 1 ). Situationsplan der Fahrten des Erzherzog-Thronfolgers und der Standorte der Verschwörer*).
Standp/atz
Kathedrale
des
Mehmedbasic 5 • Princiß zuerst 2m Vaso Cubritovic 6• Grabez 7® Princip zweiterPtatz 3® Cabrinovic f» Popone 8 • Jiic
Kaiser Moschee
KonaA \
3 + Bombenattentaf um 10" m. b + Revofverattenfat um ca tO*M m.
tatsächliche Fahrt v> vor \ dem ersten Attentat • •> nach ' beabsichtigte Route
Dieser hatte gut gezielt: er hatte nicht nur den Erzherzog getroffen, den er töten wollte, sondern Österreich selbst, das in diesem Manne verkörpert gewesen war. *
*
*
Hat es so kommen, hat Franz Ferdinand so enden müssen ? Ist alles geschehen, was hätte geschehen sollen ? . . . Mag es auch zwecklos erscheinen, diese Fragen zu stellen und sie zu erörtern, weil sie an ') Siehe die Situationsskizze. *) Mit gütiger Erlaubnis Herrn A l f r e d v o n W e g e r e r s , des Herausgebers der „Kriegsschuldfrage'* aus dem Artikel „Der Reiseweg des Erzherzogs Franz Ferdinand nach Bosnien und die Wege der Attentäter von Belgrad nach Sarajevo". „Kriegsschuldfrage", März 1927.
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dem, was geschehen ist, ja nichts mehr ändern können, so drängen sie sich doch so unabweisbar auf, daß man sich mit ihnen befassen muß; um so mehr, als die Ermordung Franz Ferdinands, an sich schon tragisch genug, durch die Ungeheuerlichkeit ihrer Auswirkungen zu einem der bedeutsamsten Ereignisse der Weltgeschichte geworden ist, einem Ereignisse, das die genaueste Erörterung beanspruchen darf. Die Antwort auf jene Fragen kann nur ein dreifaches Nein sein. Nein, es hat nicht so kommen, Franz Ferdinand hat nicht so enden müssen, und es ist nicht alles geschehen, was hätte geschehen sollen; ganz im Gegenteil. Die Motive, die für seine Reise nach Bosnien angeführt worden sind: die Notwendigkeit, hiedurch die Zugehörigkeit der annektierten Gebiete zur Monarchie zu betonen; sein Wunsch, sich von den Leistungen der Truppen in Bosnien mit eigenen Augen zu überzeugen, und bei dieser Gelegenheit, seiner Gemahlin Ehren erwiesen zu sehen, wie sie einer ebenbürtigen Gattin zugekommen wären: all diese Gründe für die Fahrt nach Bosnien wogen, so berechtigt und begreiflich sie an sich auch sein mochten, nur leicht im Verhältnis zu dem einzigen aber schwerwiegenden Gegengrunde: daß sein Leben bei dieser Reise auf dem Spiele stand. Das mußte allen dabei in Frage kommenden, mehr oder weniger verantwortlichen Funktionären bekannt sein, und dieser Umstand allein hätte vollauf genügen sollen, ihnen die Pflicht aufzuerlegen, den Erzherzog zum Aufgeben seiner Reise zu bewegen. Da er selber sich der Gefahr, in die er sich begeben wollte, wohl bewußt war, so wäre man bei ihm kaum auf besondern Widerstand gestoßen; wenn aber doch, wenn die Besorgnis, für furchtsam gehalten zu werden, ihn dennoch bewogen hätte, auf seinem Vorhaben zu bestehen, so wär' es eben die Pflicht der höchsten Funktionäre gewesen, die dabei in Frage kamen, die Sache beim Kaiser vorzubringen und ihn zu einem Machtworte zu bewegen, das dem Thronfolger diese Reise verbot. Diesem Verbote hätte er sich gewiß gern gefügt. Diese Funktionäre aber wären vor allem der Landeschef von Bosnien, FZM. Potiorek, und der Minister von Bosnien, Herr v. Bilinski, gewesen. Potiorek hat die Zustände in seinem Verwaltungsbereiche zur Genüge gekannt; das geht aus den Berichten hervor, die er nach dem Morde nach Wien erstattete. Er mußte daher auch die Gefahr erkennen, die ein Besuch des Thronfolgers auf dem von der großserbischen Propaganda unterwühlten Boden Bosniens in sich barg. Er hätte demnach die Pflicht gehabt, den Thronfolger vor dem geplanten Besuche dringend zu warnen. Er hat es n i c h t getan; sei's, 14»
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weil er die Wirksamkeit der von ihm beabsichtigten Maßnahmen überschätzte ; sei's, weil er vor jenem mit seinen militärischen Leistungen Staat machen wollte. Gleichviel 1 Es fällt ein dunkler Schatten auf ihn, den zu verscheuchen er — bisher wenigstens — unterlassen hat. Noch tiefer ist der Schatten, der auf Bilinski fällt. Allerdings kann man ihm nicht wie Potiorek vorwerfen, daß er die Zustände in seinem Verwaltungsbereiche gut gekannt habe, denn er hat sie offenbar sehr schlecht gekannt. Baron Carl Collas, zur Zeit des Kriegsausbruches Präsidialchef der Landesregierung von Bosnien und der Herzegovina, kennzeichnet das Regime Bilinskis mit folgenden Worten: „Verhindert und unmöglich gemacht hat diese Sicherheitsmaßregel die politische Jongleurkunst Bilinskis und seines unheilvollen Mitarbeiters Baron Kuh, indem das bosnische Ministerium über die Zustände des Landes einen derartigen milden Schleier gebreitet hatte, daß man in Budapest und Wien tatsächlich sich dem Wahne hingeben konnte, dort unten wäre alles in bester Ordnung. Bilinski war der Gefangene seiner Schönfärberei. Er hätte das Ministerportefeuille niederlegen müssen, wenn er mit der Wahrheit der Zustände, die, wie ich zugeben will, auch auf die vollkommene Unfähigkeit und Ignoranz seiner unmittelbaren Umgebung zurückzuführen waren, herausgerückt wäre. Sein einziger B e r a t e r , der die serbische S p r a c h e b e h e r r s c h t e und Bosnien und die Herzegowina w i r k l i c h k a n n t e , stand schon damals, weit über seinen A u f t r a g h i n a u s , mit serbischen H o c h v e r r ä t e r n in B e ziehungen. War es doch dieser Berater, Hofrat Cerovic, der am Tage des Zusammenbruches der Monarchie, mit dem Besitzergreifungsmandat der serbischen Regierung in der Hand, die ungarischen und österreichischen Beamten des bosnischen Ministeriums an die Luft setzte und die G e h e i m a r c h i v e , aus denen die K r i e g s u r h e b e r s c h a f t B e l g r a d s h e r v o r g e h t , in B e s c h l a g nahm und nach B e l g r a d s c h a f f t e . " 1 ) Mag diese Kennzeichnung des Regimes Bilinski auch übertrieben sein — die Darstellung dieses Gewährsmannes ruft manchen Widerspruch hervor —, so ist sie doch sicherlich nicht aus der Luft gegriffen. Ist es bei Potiorek seine K e n n t n i s der Zustände in Bosnien, die ihn belastet, so bedeutet für Bilinski seine Unkenntnis dieser Verhältnisse eine noch schwerere Belastung2). 1
) B a r o n Carl Collas: Auf den bosnischen Wegspuren der Kriegsschuldigen, „Kriegsschuldfrage", Januar 1927, S. 20. *) Die Memoiren Bilinskis sind mir leider nicht durch persönliche Lektüre bekannt, da sie nur in polnischer Sprache erschienen sind, deren ich nicht mächtig
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Bilinski hat in seinen Memoiren den Versuch gemacht, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu entkräften. Es ist ihm aber allem Anscheine nach n i c h t geglückt. Er glaubt sich damit rein zu waschen, daß er jede Verantwortung für die in Bosnien getroffenen Sicherheitsvorkehrungen ablehnt. Er sei von der Reise des Thronfolgers offiziell nicht verständigt worden. Der Thronfolger, der ihm nicht gnädig gesinnt gewesen sei, habe ausdrücklich angeordnet, daß er — Bilinski — mit der Angelegenheit seines Besuchs in Bosnien nichts zu tun haben dürfe, daß dieser einen ,,rein militärischen Charakter" haben solle und somit Sache des militärischen Landeschefs von Bosnien — also Potioreks — sein solle. Man sollte zwar meinen, daß Bilinski auch dann, wenn ihn der Thronfolger bei der Reise ganz ausgeschaltet haben wollte, doch der Minister für Bosnien blieb und als solcher für das, was auf bosnischem Boden geschah, m i t verantwortlich war. Ob er nun offiziell von der Reise Kenntnis erhalten hatte oder nicht: jedenfalls w u ß t e er von ihr und hatte daher Sorge dafür zu tragen, daß das Leben des Thronfolgers gegen Anschläge gesichert werde. Aber selbst wenn man diesen lendenlahmen Entlastungsversuch gelten lassen wollte, bliebe noch immer reichlich genug Schuld auf ihm lasten, d e n n e r i s t v o r d e n G e f a h r e n , die dem T h r o n f o l g e r auf d i e s e r R e i s e d r o h t e n , g e w a r n t worden. Schon sein Verhalten den Andeutungen des serbischen Gesandten gegenüber bedeutet eine Schuld. Mag man sie auch nicht als wirkliche „Warnung" ansehen, so hätten sie ihm, sollte man meinen, doch zu denken geben müssen, und es wäre unbedingt seine Pflicht gewesen, sie den dafür in Betracht kommenden Stellen — Kaiser, Thronfolger, Ministerien, Polizeipräsidium — mitzuteilen, gleichviel, ob er sie nun ernst nahm oder nicht. Und er wäre hiezu um so mehr bemüßigt gewesen, als er ja, wie er in seinen Memoiren ganz naiv gesteht, davon wußte, daß anonyme Warnungen und Drohungen, den Thronfolger betreffend, „in großer Zahl" eingetroffen seien. Daß sie, wie er bemerkt, auch dem Hofe, den beiden Ministerpräsidenten und der Armeeleitung bekannt gewesen seien, kann zwar diese Ämter mit belasten, aber ihn deshalb noch nicht entlasten; ganz abgesehen davon, daß er sich darin geirrt haben könnte, denn es ist nicht gerade wahrscheinlich, daß a l l e diese Behörden, wenn sie tatsächlich gewarnt worden wären, diesen Zuschriften keinerlei Bedeutung beigemessen haben sollten, weil ja „angekündigte Revolubin. Ich war somit ganz auf die darüber veröffentlichten Artikel angewiesen und die darin gebrachten AuszQge und Zitate. Ich konnte meine Folgerungen daher n u r aus diesen ziehen, wobei ich voraussetzte, daß sie sinngetreu wiedergegeben sind.
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tionen niemals gefährlich seien"! Von geradezu grotesker Naivität aber zeigt es, daß er sich gegen die Behauptung, er habe den Kaiser vor der Reise des Thronfolgers gewarnt, förmlich v e r t e i d i g t : „Das Gerücht, als hätte ich den Kaiser vor dieser Reise gewarnt, entspricht n i c h t der Wahrheit. Ich hatte keine Veranlassung, mich in eine rein militärische Angelegenheit einzumengen.. ," 1 ) Wenn die eigentüche Schuld daran, daß es zu diesem Verbrechen kam, auch die trugen, die es nicht verhindert hatten, daß sich der Thronfolger in die bosnische Mördergrube begab: so trifft doch auch die keine geringe Schuld, die an Ort und Stelle für die Sicherheit des Thronfolgers zu sorgen gehabt hätten. Die von ihnen getroffenen Sicherheitsvorkehrungen aber erwiesen sich als durchaus unzulänglich. Man hat als Milderungsgrund für sie zwar geltend gemacht, daß Kaiser Franz Josef bei seinem Besuch in Bosnien, vier Jahre vorher, die damals getroffenen Schutzmaßnahmen, als zu weit gehend, übel vermerkt habe 1 ); das hätte aber für die Behörden des Jahres 1914 keinen Freibrief bedeuten dürfen, sie diesmal zu lässig zu handhaben. Von derselben Seite ist auch dem Thronfolger selber ein gewisses Maß von Schuld beigemessen worden, weil er, entgegen dem Vorschlage, den Einzug in einem la Daumont" bespannten, von Reitern der Leibgarde eskortierten Wagen zu halten, zurückgewiesen und dafür ein Automobil angeordnet habe. Hat es sich wirklich so verhalten, so wär' es eben Sache der verantwortlichen Funktionäre — also vor allem Potioreks — gewesen, ihm diese Absicht auszureden, so schwierig dies bei seiner Eigenwilligkeit auch vielleicht gewesen wäre. Diese schweren und unbegreiflichen Unterlassungssünden brachten es mit sich, daß allerlei dunkle und böse Gerüchte auftauchten, die von a b s i c h t l i c h e n Unterlassungen wissen wollten, wobei man teils auf die Wiener Hofkreise, teils auf den Grafen Tisza hinzielte, wie in der Broschüre 2ibertss), einem konfusen, ganz unkritischen Gerede, das aber das Faksimile eines von Haß und Gemeinheit strotzenden Schmähbriefs, das Thronfolgerpaar betreffend, enthält, der immerhin zu denken gibt. . . B i l i n s k i und die E r m o r d u n g F r a n z F e r d i n a n d s . „Neues Wiener Journal" vom 25. Februar 1925. — Siehe auch: Bilinskis Eingreifen in die auswärtige Politik von P a u l F l a n d r a k , „Neues Wiener Journal" vom 26. April 1925. *) Baron C o l l a s : „Kriegsschuldfrage", Januar 1927, S. 22. ') Dr. I. A. ¿ i b e r t : Der Mord von Sarajevo und Tiszas Schuld an dem Weltkriege. Die serbischen Warnungen und eine schwierige gerichtliche Untersuchung. (Die Wiener Schmähbriefe im Jahre 1914), Laibach 1919, Selbstverlag des Verfassers.
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Anhang Zu S. 208.
Drei protokollarische Zeugenaussagen über die Attentate auf den Erzherzog-Thronfolger. Aus der sehr großen Anzahl der Zeugenaussagen über die Attentate vom 28. Juni 1914 sind die folgenden drei ausgewählt worden, weil sie die Vorgänge besonders wirksam illustrieren. Die erste Aussage, die eines Zuschauers, des Bezirksarztes Dr. B e r n s t e i n , ist die ausführlichste und genaueste, die über das erste Attentat gemacht worden ist. Die zweite, die des Freiherrn A n d r e a s v o n M o r s e y , Dienstkämmerers des Erzherzog Thronfolgers, ist deshalb wichtig, weil aus ihr hervorgeht, daß sich unter den Zuschauern Leute befunden haben, die gegen die Ergreifung des Mörders Princip Stellung nahmen. Die dritte Aussage endlich, die des G r a f e n F r a n z H a r r a c h , verdient darum besondere Würdigung, weil in ihr die Tragik des Geschehenen am stärksten zur Geltung kommt, denn der Zeuge ist der einzige, der die letzten Worte des sterbenden Erzherzogs vernommen hat. Alle drei Aussagen sind hier unter genauer Berücksichtigung der Fassung und des Wortlauts der Protokolle wiedergegeben. B e z i r k s g e r i c h t in R o g a t i c a
I.
Z a h l 269a am 5. Juli 1914 Beginn n l / i Uhr n. m.
Anwesend: Der Richter: Gerichtsadjunkt Stern, Schriftführer: Jemakoviö. Gegenstand: Zeugenverhör. Der Zeuge wurde aufmerksam gemacht, daß er verpflichtet ist, nach seinem besten Wissen und Gewissen auf alle gestellten Fragen die reine Wahrheit zu sagen, daß er nichts verschweigen darf und daß er seine Aussage so zu machen hat, daß er dieselbe nötigenfalls durch Eid bekräftigen könne. Sodann antwortet er: I. A u f a l l g e m e i n e F r a g e n : 1. Max Bernstein, 2. 44 Jahre alt, 3. Geboren in Tarnow in Galizien, 4. Wohnhaft in Rogatica, 5. mosaischer Religion, 6. verheiratet, 7. Bezirksarzt, 8. unbescholten.
216 II. Auf b e s o n d e r e
XVI. Kapitel Fragen:
Sonntag, den 28. Juni 1914, wartete ich mit meiner 9 Jahre alten Tochter Irene und mit meinem 7 Jahre alten Sohne Otto auf die Ankunft Seiner k. u. k. Hoheit des Erzherzogs Franz Ferdinand und Seiner Gattin, der Herzogin v. Hohenberg. In meiner Begleitung war auch die 12 jährige Tochter des Gerichtssekretärs Lieblein des Kreisgerichts in Sarajevo namens Zilli. Da auf dem Appelkai nur auf einer Seite Schatten war, stellte ich mich, wie fast das ganze übrige Publikum, auf jener Seite des Kais auf, wo sich die Häuser befinden. Der Schatten reichte nur einen Schritt über das Trottoir, die Straße und das gegenüberliegende Trottoir waren in der Sonne. Dies war wahrscheinlich auch der Grund, warum sich am Appelkai nur wenig Menschen befanden. Ich stellte mich in der Nähe der Cumurja-Brücke zwischen der Werkstätte des Miotti und jener Trafik auf, welche sich an der Ecke jener Gasse, die zum Hotel Zentral führt, befindet. Ich stand also zwischen dieser Trafik und der Werkstätte des Miotti, unmittelbar beim Haus Nr. 24, und zwar unter dem dritten oder vierten Baume, von der Trafik gegen Miotti zählend. Ich stand mit den obgenannten Kindern in der ersten Reihe, vor uns war niemand. Von Bekannten war in meiner Nähe der pensionierte Polizeioffizial und gewesene Polizeikommissär in Banjaluka, Reich, der jetzt stabil in Sarajevo wohnt, und der pensionierte Medizinalrat Pordes aus Sarajevo. Anwesend war anfangs auch Lieblein, Gerichtssekretär des Kreisgerichtes, welcher sich jedoch vor Ankunft Seiner Hoheit entfernt hatte. Er war, wenn nicht früher, gegen zehn Uhr nach Hause gegangen, jedenfalls aber, bevor die Salutschüsse die Ankunft Seiner Hoheit avisierten. Es blieben demnach beim Empfang: der Offizial Reich, neben diesem der Medizinalrat Pordes, neben ihm ich, rechts von mir mein Sohn Otto, rechts von diesem meine Tochter Irene und rechts von ihr meine Schwägerin Zilli Lieblein. Wir alle standen in einer Reihe, und zwar, wie ich es soeben aufgezählt habe. Andere Bekannte habe ich nicht bemerkt, nur knapp vor der Ankunft Seiner k. u. k. Hoheit ging am Trottoir längs des Ufers der Regierungsvizesekretär Deutsch vorüber. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß auch noch andere Bekannte von mir in meiner Nähe waren, denn es waren eine Menge Menschen anwesend. Ich habe nicht viel herumgeschaut und kann nicht bestimmt sagen, ob noch andere Bekannte anwesend waren oder nicht. Ich stellte mich mit meiner Gesellschaft zwischen 9V4 und 9V» Uhr auf, wir rührten uns nicht vom Flecke und verblieben bis zur Vorbeifahrt Seiner k. u. k. Hoheit auf dem Platze. Wie ich schon gesagt habe, gingen auf dem Trottoir längs des Ufers nur wenig Leute vorüber; circa 5 Minuten, bevor die Automobile mit Seiner k. u. k. Hoheit bei uns vorbei ahren, kam in der Richtung von der Cumurja-Brücke ein magerer Jüngling, angefähr 19—22 Jahre alt, dessen Gesicht ich mir nicht genau gemerkt habe. Ich glaube jedoch, wenn ich mit ihm konfrontiert werden würde, könnte ich ihn unter der Voraussetzung, daß er genau so gekleidet wäre, eventuell erkennen. So weit ich wahrnehmen konnte, war dieser Jüngling allein und ohne Begleitung. Mir war es auffällig, und deshalb ist mir das Erscheinen dieses Jünglings so genau erinnerlich, da er sich fast vis-à-vis von mir und nur einen halben Schritt entfernt von der Cumurja-Brücke auf der Sonnenseite und so der Hitze ausgesetzt aufgestellt hatte und daß er etwas sonderbar gekleidet war.
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Er trug einen schwarzen Rock, ähnlich wie ein Smoking oder Sacco, taubengraue Hose, aus was für einem Stoff, konnte ich nicht entnehmen. Der Rock war zugeknöpft und hielt dieser Jüngling, als er stehen blieb und das Gesicht mir zuwendete, seine rechte Hand an der Brust, als wenn er in der linken oberen Innentasche seines Rockes etwas halten würde. Damit will ich nur die Stellung, die er angenommen hatte, skizzieren, da ich die Haltung seiner Hand deutlich sehen konnte. Mir war es besonders aufgefallen, daß dieser Jüngling allein stand, und ich wendete mich zu Offizial Reich nnd Dr. Pordes mit der Frage in deutscher Sprache: „Was steht dieser Jüngling dort ?" Nach meiner Berechnung — auf die Uhr habe ich nicht gesehen — sind die Automobile gegen 10V1 Uhr zu unserem Standplatz gekommen. Im ersten Automobile saßen zwei Polizeibeamte, circa 30 Meter nach dem ersten Automobil folgte das zweite mit dem Stadtvorsteher Curéié und dem Regierungskommissär. Kaum war das Automobil vorüber, als ich bemerkte, daß der erwähnte Jüngling einen Gegenstand, der mir wie eine kurze englische Pfeife vorkam, aus der Tasche zog. E r machte eine halbe Wendung gegen die Mauer und zwar so, daß sein Gesicht nach der Richtung, von welcher Seine k. u. k. Hoheit zu kommen hatte, gewendet blieb. Es fiel mir auf, daß der Jüngling mit diesem Gegenstand auf die Mauer klopfte, und weil es auf mich den Eindruck machte, als ob er seine Pfeife ausleeren wollte, so wendete ich mich wieder zu Dr. Pordes und Reich und sagte in deutscher Sprache: ,,Wird er dann die Pfeife anzünden, wenn der Thronfolger vorbeifahren wird ?" In diesem Moment rief Offizial Reich meinen Kindern zu: ,, Seht ! Dort kommt er jetzt. Ruft laut dreimal Hoch !" Ich wendete auch sofort den Kopf gegen das sich nähernde Automobil und machte meinen Sohn noch aufmerksam, als schon das Automobil so schnell wie ein Wagen im Galopp dahergefahren kam. Als das Automobil zwischen mir und dem vis-à-vis stehenden Jüngling war, bemerkte ich plötzlich, daß dieser seine rechte Hand erhoben hatte und in derselben einen Gegenstand, ähnlich einer großen Birne, hielt. Er hielt diesen Gegenstand so, wie man einen Revolver hält. Die nächste Bewegung war so, als ob er schießen wollte. In demselben Moment aber warf dieser Jüngling den ganzen Gegenstand in das Automobil, in welchem rechts Ihre Hoheit, die Herzogin von Hohenberg, links Seine k. u. k. Hoheit, der Thronfolger, und ihnen vis-à-vis der Landesbefehlshaber Potiorek saßen. Ich habe genau gesehen, daß Ihre Hoheit, die Herzogin von Hohenberg, sich erhoben und ganz vorgeneigt hat, während Seine k. u. k. Hoheit, der Thronfolger, sich nur wenig erhob und anscheinend unwillkürlich eine Handbewegung machte, als wollte er einen Gegenstand von sich wegstoßen. Ich sah, daß dieser Gegenstand in das Automobil, und zwar in der Mitte zwischen Ihre Hoheit, die Herzogin, und Seiner Hoheit, den Thronfolger, auf die Lehne, beziehungsweise auf das zurückgeschlagene Dach oberhalb der Sitze, und zwar auf den weichen Teil des Daches hinter Seine Hoheit gefallen war. Mit der von mir beschriebenen Bewegung Seiner Hoheit dürfte dieser Gegenstand aus dem Automobil so hinausgeworfen worden sein, daß er hinter dem Wagen auf die Straße fiel. In der Eile habe ich jedoch nicht gesehen, ob dieser Gegenstand Seine Hoheit getroffen oder berührt hat. Ich habe genau bemerkt, daß dieser geworfene Gegenstand, also die Bombe, suerst in das zurückgeschlagene Dach des Automobils fiel und demnach dürfte die Handbewegung Seiner Hoheit die Bombe zurückgestoßen haben, wodurch
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sie auf die Straße fiel. Wenn Seine Hoheit diese Bewegung nicht gemacht hätte, so wäre die Bombe nach meiner Ansicht in das Innere des Automobils hineingerollt. Als die Bombe zur Erde gefallen war, kam auch das vierte, unmittelbar dem Thronfolger folgende Automobil. Jetzt hörte man eine heftige Detonation und es entwickelte sich ein Rauch, wie wenn ein Geschütz Salutschüsse abfeuert. Feuer habe ich keines bemerkt, aber sofort gesehen, daß das Automobil, in welchem Oberstleutnant Merizzi saß, beschädigt wurde. Nun entstand ein Lärm und ein Drängen, das Volk floh, die Kinder vor sich schiebend. Ich packte auch meine Kinder und zog mich eilig in die zum Hotel Zentral führende Gasse und zwar in eine Trafik zurück. So viel ich bemerken konnte, hatte die geworfene Bombe die Form einer Birne und war so groß wie die Faust eines kleinen Kindes, die Farbe war dunkelgrau. Ich habe auch gesehen, daß der Jüngling, von dem ich gesprochen und welcher die Bombe geworfen hat, zuerst so machte, als wenn er zur CumurjaBrücke gehen wollte. Nach 2, 3 Schritten kehrte er einen Schritt zurück, sprang auf einmal auf die Ufermauer und stürzte sich in die Miljaöka. Ich habe ferner gesehen, daß ihn sofort ein Zivilist mit weichem, weißem Filzhut, dann noch ein Zivilist und jemand in Uniform, ich glaube, von der Sarajevoer Polizei, in die Miljaöka nachgesprungen sind. Aus jener Trafik ging ich in das Café Central, wo nach einer Viertelstunde die Nachricht eintraf, daß Ihre Hoheiten dem zweiten Attentat erlegen sind. II. Wahrheitserinnerung Dr. A n d r e a s F r e i h e r r von Morsey
28. VI. 1914
26 Jahre, Hohenbrugg in Steyermark, Konopischt, Rom. katholisch. Ledig, Leutnant in der R., Konzeptspraktikant. Ich bin im vierten oder fünften Auto zusammen mit dem Regierungssekretär Starch und Hauptmann Pilz gefahren. Auf der Hinreise ins Rathaus hörte ich eine schußähnliche Detonation und sah gleichzeitig, wie ein Mann über die Barrière ins Weisser sprang. Ich sprang mit gezogenem Säbel aus dem Auto und hörte bald darauf eine starke Detonation. In dem Moment habe ich gesehen unter dem zweiten d. i. dem den Hoheiten nachfolgenden Auto eine Explosion. Nachdem ich mich rasch überzeugt habe, daß niemand verletzt ist, sah ich den Attentäter im Wasser liegen und rief einem Manne zu: „Stralay njemu na glavu." Es hat nämlich auf mich den Eindruck gemacht, als ob der Mann sich noch mit einem Revolver zur Wehr setzen wollte. Unterdessen haben die Polizisten den Mann schon auf das jenseitige Ufer gebracht. Das war bei einer hölzernen Brücke, angeblich beim Korpskommando. Ich habe dann noch bis zur nächsten Brücke die Strecke zu Fuß zurückgelegt in unmittelbarster Begleitung des Attentäters. Bei der Rückreise vom Rathause war ich in einem andern Auto, weil eines von diesen bei dem ersten Attentate unbrauchbar gemacht wurde. Ich glaube im vierten Auto gesessen zu haben. Wie ich den ersten Schuß vernahm, bin ich aus dem fahrenden Auto herausgesprungen
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und bin in der Richtung gelaufen, von welcher der Schuß kam. Ich mochte 30, 40 x zurückgelegt haben, da kam ich auf einen Mann, der einen Revolver in der Hand hielt und von den Passanten schon umringt war. Er war bereits ergriffen, aber da er sich heftig wehrte, versetzte ich ihm zwei starke Hiebe Aber den Kopf. Nach dem ersten Schuß hörte ich rasch hintereinander zwei bis drei auffallend schwache Schüsse. Wie ich dem Attentäter die zwei Hiebe versetzte, standen rechts und links neben mir zwei Zivilisten, von denen einer mir zurief, und zwar in der deutschen Sprache: „Rühren Sie ihn nicht an!" Dann hat er noch etwas serbisch gesprochen, was ich jedoch nicht verstand, da ich der Sprache nicht mächtig bin. Ich habe mit meinem Säbel einige kräftige Hiebe um mich herum geführt und rief: „Wer mich anrührt, stirbt!" Man hat nämlich auch auf meinen Helm geschlagen und ist derselbe von mehreren kräftigen Hieben verbogen. Ich habe einen in der Nähe stehenden, den ich für einen Polizeioberleutnant hielt, zugerufen: „Verhaften Sie ihn!" und zeigte auf ihn mit dem Säbel. Ich glaube auch, daß ich diesen Mann verletzt habe mit dem Säbel, was ich jedoch nicht sicher weiß. Der mir zugerufen hatte: „Rühr' ihn nicht an!" glaube ich, ist auch verhaftet worden. Es war ein jugendlicher Mann von 18—20 Jahren, ziemlich hoch, in wie fern ich mich erinnere, mit weichem schwarzen Hut und magern Gesichts. Der zweite Zivilist war auch ein jugendlicher Mann. Sein Gesicht habe ich mir aber nicht gemerkt. Auch habe ich darauf mehrere Rufe aus der Menge gehört: „Schauen Sie, daß Sie weiter kommen 1" und zwar in der deutschen Sprache. Hierauf habe ich mich ins Auto gesetzt und bin in den Konak gefahren, wo der Tod der Hoheiten konstatiert wurde1). III. Wahrheitserinnerung 28. VI. 1914 E x z e l l e n z F r a n z Graf H a r r a c h 44 Jahre, Traunkirchen a. Traunsee, Ob.-Österreich, Wien, kath. k. u. k. Kämmerer. Wir fuhren über den Appelkai gegen das Rathaus. In dem Auto, welches Ihre Hoheiten benützten, saß ich vorne neben dem Chauffeur, als plötzlich eine Detonation ertönte, worauf ein Projektil an meinem rechten Ohre schräg zwischen meinem und dem Nacken Sr. Exzellenz Potiorek durchsauste. Ich merkte deutlich den Luftdruck. Als ich mich umsah, sah ich einen büchsenartigen Gegenstand vom zurückgeschlagenen Dache des Autos hinter dem Kopfe der Herzogin herabfallen. Kurz nach dem Schuß ließ mein Chauffeur rasch vorschießen. In diesem Augenblicke ertönte eine kanonenschußartige Detonation, welche die ganze Luft mit Pulverdampf erfüllte. Bald darnach ließ Seine Kaiserliche Hoheit halten, da er merkte, daß die andern Autos nicht mehr folgen. Er bat mich nachzusehen, ob in den andern Autos Tote oder Verletzte sich befinden. Ich eilte zurück und konnte Seiner Kaiserlichen Hoheit melden, daß Oberstleutnant Merizzi ziemlich bedeutend, Graf Alexan') Der Verfasser dieser Aussage hat am zehnten Gedenktage des Mordes, 28. Juni 1924, in der ,,Reichspost" eine ausführliche, zusammenhängende Darstellung seiner Eindrücke gegeben, die sehr anschaulich und lesenswert ist.
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der Boos-Waldeck leichter verletzt sei. Das Auto war durch die Explosion dienstuntauglich geworden. Die beiden Verletzten saßen in dem zweiten Auto. Nach einer kleinen Pause fuhren wir zum Rathaus fort. Die erste Detonation machte auf mich den Eindruck, als ob ein Defekt in der Pneumatik entstanden wäre, deshalb habe ich dem Chauffeur zugerufen: „Bravo! Jetzt können wir stehen bleiben." Der Chauffeur ist aber, wissend, daß dies nicht der Fall ist, mit Vollgas weitergefahren und infolge dessen ist die Explosion weit hinter dem Auto erfolgt. Die Bombe ist nach meinem ganz bestimmten Wissen und Sehen auf dem Dache des Autos 2—3 Sekunden gelegen und dann in einer schwachen Ellipse zurückgeschleudert worden. Einen zweiten Bombenwurf habe ich nicht bemerkt, wohl aber einen Schuß. Die Attentäter selbst habe ich nicht bemerkt und habe nur in die Miljatka nachspringende Männer gesehen, welche dem Täter nacheilten. Der Empfang im Rathaus verlief programmäßig. Die Hoheiten zeigten die größte Kaltblütigkeit, nur äußerte sich Seine Kaiserliche Hoheit mir gegenüber: „Heute werden wir noch ein paar Kugerln kriegen." Es soll auch über eventuelle Abänderungen des Programms gesprochen worden sein, doch war ich nicht dabei. Zum Schluß entschied sich Seine Kaiserliche Hoheit, den verletzten Oberst Merizzi im Garnisonspital zu besuchen. Ich trat heraus, öffnete den Wagenschlag des Autos und half der Herzogin in den Wagen. Nachdem sämtliche Insassen eingestiegen waren, kehrten wir um. Da ich von einem neuerlichen Attentat überzeugt war, verließ ich den Sitz neben dem Chauffeur und stellte mich auf das Trittbrett des Autos neben Seine Kaiserliche Hoheit, zwar so, daß sein ganzer Körper von links durch meinen Körper gedeckt war. Wir fuhren bis zur Lateiner-Brücke und wendeten gegen die Franz-Josefsgasse ein und in dem Momente hat Seine Exzellenz der Landeschef Potiorek wahrscheinlich nach vorheriger Besprechung mit Seiner Kaiserlichen Hoheit dem Chauffeur den Auftrag erteilt, zu reversieren, um den Weg längs des Appelkais zurückzumachen. Naturgemäß blieb das Auto während der Prozedur des Umschaltens circa 2, 3 Sekunden stehen, da ertönte von rechts aus dem Menschenspalier ein Schuß und einen Augenblick ein zweiter aus der unmittelbarsten Nähe. Während das Auto rasch reversierte, spritzte ein dünner Blutstrahl aus dem Munde Seiner Kaiserlichen Hoheit auf meine rechte Backe. Während ich mit einer Hand mein Taschentuch zog, um das Blut vom Munde des Erzherzogs abzuwischen, rief Ihre Hoheit: „Um Gotteswillen I Was ist Dir geschehen ?" Worauf sie vom Sitze hinabsank, mit dem Gesichte zwischen den Knien des Erzherzogs. Ich ahnte gar nicht, daß sie getroffen wäre, und dachte, sie sei aus Schreck ohnmächtig geworden. Auf das sagte Seine Kaiserliche Hoheit: „Sopherl, Sopherl! Stirb mir nicht! Bleibe für meine Kinder!" Auf das ergriff ich den Erzherzog beim Rockkragen, um das Vorsinken des Kopfes zu verhindern, und frug ihn: „Leiden Eure Kaiserliche Hoheit sehr?" Worauf er deutlich antwortete: ,,Es ist nichts." Nun verzog er etwas sein Angesicht und wiederholte sechs, siebenmal, immer mehr das Bewußtsein verlierend und immer in leiserem Ton: „ E s ist nichts." Dann trat eine sehr kurze Pause ein, worauf ein heftiges Röcheln infolge des Verblutens eintrat, welches bei der Ankunft im Konak aufhörte. Die beiden bewußtlosen Körper wurden im Konak untergebracht und bald darauf der Tod konstatiert. Ich kann mich ganz bestimmt erinnern, daß beim zweiten Attentat nur zwei Schüsse abgefeuert wurden. Den Attentäter sah ich erst, als er von der Menge gelyncht wurde, wobei er den Revolver mit beiden Händen krampf-
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h a f t zwischen den Knieen hielt, dessen Lauf ich genau sah. Hierauf sah ich erst, daß drei Splitter der Bombe den Rückteil meines Autos getroffen hatten. Einer war am Benzin-Reservoir abgeplattet, der zweite stak ungefähr in der Mitte der Rückwand und der dritte links unter dem zurückgeschlagenen Dache. D a entdeckte ich zu meinem größten Erstaunen, daß der tödliche Schuß auf Ihre Hoheit das Auto durchbohrt hatte. Das Projektil drang links von der rechten T ü r durch den Aluminium-Belag, durch das Holz der Karosserie, durch das Roßhaar der Polsterung und t r a t beim Leder hinaus, um von d a als eine Art Dum-Dum-Geschoß in den Unterleib Ihrer Hoheit zu dringen.
XVII. Heimkehr. Der Kaiser und die Todesbotschaft. — Eindruck der Todesnachricht in der Bevölkerung Österreichs. — Das Echo im Auslande. — Wutorgien der serbischen Presse. — Straßendemonstrationen in Sarajevo. — Der Trauerzug auf der Adria. — Fernbleiben der ausländischen Fürstlichkeiten vom Begräbnis. — Feindschaft Aber das Grab hinaus. — Ein Begräbnis mit Hindernissen. — Nemesis. — Verherrlichung der Mörder in Serbien und der Tschechoslowakei.
So nahe es liegen mag, die Todesbotschaft aus Sarajevo als einen Blitz aus heiterem Himmel zu bezeichnen, so wäre dieser Vergleich im vorliegenden Falle doch ganz und gar nicht angebracht, denn der politische Himmel Europas war damals nichts weniger als heiter; ganz im Gegenteil zeigte sich sein südöstlicher und südlicher Horizont schon bedenklich verdüstert. Zu der drohenden dunkeln Wetterwand, die schon seit geraumer Weile über der untern Save und der Drina stand, hatte sich tiefer im Süden noch eine zweite Wolke bemerkbar gemacht, die immer höher hinaufrückte und in der es ebenfalls unablässig wetterleuchtete: das war die albanische Frage, die sich zu dem alten Gegensatze zwischen Österreich-Ungam und Italien gesellt hatte. Diese drohenden Wetterwolken hatten in der politischen Atmosphäre Europas eine schwüle, drückende und gespannte Stimmung erzeugt. Und nirgends spürte man diese mehr als in den Staatskanzleien der Großmächte und der Balkanstaaten. Die todbringenden Schüsse aus dem Revolver Princips waren der erste schmetternde und zündende Blitzstrahl, in dem sich die elektrische, unheilschwangere Spannung, die über Europa lag, zu entladen begann. Sein Echo rollte mit furchtbarer, sich steigernder Gewalt um die ganze Welt, und sein greller Flammenschein leuchtete in gähnende Abgründe hinein . . . Als der Generaladjutant Graf Paar, sicherlich bebenden Herzens, Kaiser Franz Josef die Schreckenskunde überbrachte, schien dieser zuerst durch ihre Wucht und Jähe wie erstarrt zu sein; er schloß die Augen und blieb stumm. Dann rang es sich mühsam von seinen
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Lippen: „Entsetzlich! Der Allmächtige läßt sich nicht herausfordern.. Eine höhere Gewalt hat wieder jene Ordnung hergestellt, die ich leider nicht zu erhalten vermochte." So wenigstens erzählt es Margutti in seinen Erinnerungen, und versichert, genau so hätten die Worte des alten Kaisers gelautet1). Ist dem so, dann hat der Kaiser offenbar damit sagen wollen, daß der Thronfolger seine durch seine Heirat begangene Versündigung gegen die Tradition der Dynastie und seine Unbotmäßigkeit ihm gegenüber habe büßen müssen . . . Gleichviel! Jedenfalls bedeutete der Tod Franz Ferdinands für den Kaiser eine große Erleichterung und Befreiung, denn der Ermordete war der einzige Mensch gewesen, der es gewagt hatte, ihm offen Opposition zu machen und vor dem er — der Kaiser — sich bis zu einem gewissen Grade gefürchtet hatte. Kein Wunder daher, daß er trotz des Entsetzens und Abscheus, mit der ihn dieser Mord zweifellos erfüllt hatte, doch keinerlei Trauer empfand und sich auch nicht die Mühe nahm, eine solche zu zeigen. Ein ähnliches Gefühl der Erleichterung war es auch, das man am Hof und in den offiziellen hohen Kreisen nach dem Tode des Erzherzogs empfand. In diesen hatte man ihn geradezu gefürchtet und vor dem Tage gezittert, an dem er dereinst das Zepter ergreifen würde; wußte man doch, daß ihm auch der längste Zopf und die dichteste Perücke nicht imponierten . . . Ebensowenig wurde sein Tod in den verschiedenen politischen Parteilagem beklagt, in manchen sogar mit großer Genugtuung aufgenommen, um nicht zu sagen: bejubelt, denn man hatte ihn gehaßt und gefürchtet. So bei den Alldeutschen und Sozialdemokraten und in Ungarn. Nur bei den Christlichsozialen, im Klerus und im Offizierskorps rief sein Tod Bestürzung und Trauer hervor. In der breiten Öffentlichkeit schließlich mochte man sich zwar über das Verbrecherische der Tat entsetzen und von der außergewöhnlichen Tragik dieses Doppeltodes ergriffen sein; aber man bedauerte die Herzogin und die so jäh und grausam verwaisten Kinder sicherlich mehr als den Thronfolger. Er war der Menge zu fern und zu fremd, als daß sie ihm mehr als ein allgemein menschliches Mitleid zollen konnte. Die einen wußten zu wenig von ihm, die andern kannten nur die abfälligen und gehässigen Gerüchte, die über ihn im Umlaufe ') F r h . v. M a r g u t t i : Vom alten Kaiser, S. 148. Obwohl Margutti als dem Grafen Paar zugeteilter General es tatsächlich wissen könnte, entspricht der von ihm zitierte Wortlaut nicht der Redeweise des Kaisers, der sich sonst ganz und gar nicht emphatisch und phrasenhaft auszudrücken pflegte.
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waren. Daß der Tod dieses Mannes für die Monarchie ein schweres Unglück bedeuten könne, dachten und fühlten wohl nur sehr wenige. Nicht mehr Teilnahme fand der Tod des Erzherzogs natürlich im Auslande, wo man noch weniger von ihm wußte, oder ihn gleichfalls mit scheelen Augen angesehen hatte, als einen Mann, bei dem man nicht recht im klaren war, wie man mit ihm daran sei, dem man daher mißtraut und den man gefürchtet hatte1). Letzteres besonders in Italien, wo man wohl wußte, daß der Thronfolger, dereinst zur Herrschaft gelangt, die dort gegen Österreich getriebene Irredentapolitik nicht so langmütig und nachsichtig werde hinnehmen wie der alte Kaiser. Aber wenn man in Italien auch, wie von einem Alp befreit, aufatmete, verbarg man es doch und fand sich bemüßigt, den Mord mit Entrüstung zu verurteilen2). Nicht so in Serbien, wo man sich dazu nicht die Mühe nahm und wo man sich nicht scheute, seiner Genugtuung und Freude über das gelungene Attentat Ausdruck zu geben, und dies stellenweise in so brutaler Form tat, daß ein Konsulatsbericht diese Kundgebungen als geradezu „unmenschlich" bezeichnete3). Die serbische Presse aber erging sich in Schmähungen Österreichs und des Thronfolgers und pries die Attentäter als serbische Märtyrer. In ihrem blindwütigen Hasse verstieg sie sich sogar zu der ungeheuerlichen Behauptung, der Urheber des Attentats sei niemand anderer gewesen, als — der Thronfolger selber! Er habe es ins Werk gesetzt, um einen Vorwand zu haben, Serbien zu überfallen4). Er sei aber in die eigene Falle geraten. Kaum weniger unsinnig und ebenso verleumderisch war die serbische Version, die Anstifter des Mordes säßen in — Wien! Der Erzherzog sei einem Komplotte des österreichischen Hofes zum Opfer gefallen, der ihn habe beseitigen wollen8). l
) Siehe die interessanten Berichte der k. u. k. Militär-Attaches aber den Eindruck der Nachricht vom Tode Franz Ferdinands, C o n r a d : Dienstzeit, IV, S. 23ff. *) Ein Jahr später freilich, 10. Juli 1915, jauchzte M u s s o l i n i , derselbe Mussolini, der sich heute als römischer Diktator gebärdet, im ,, Popolo d'Italia": . . H e i l d e m R e v o l v e r d e s P r i n c i p u n d der B o m b e d e s C a b r i n o v i ö l " — H e i n r i c h F r i e d j u n g : Das Zeitalter des Imperalismus, I, S. 383. *) Generalkonsul J e h l i t s c h k a aus Üskfib vom 1. Juli 1914: Osterreichisch-Ung. Rotbuch, Volksausgabe, Wien 1915, Manz S. 9. ') Dieses tolle Hirngespinst wird später aber auch in einem so angesehenen Organ wie der „Mercure de France" (vom 1. August 1916) von einem Herrn J u l e s Chopin ausgesponnen. — M a t h i a s M o r h a r d t : „Die wahren Schuldigen" (deutsche Übersetzung von ,,Les Preuves", Leipzig 1925, Quelle & Meyer, S. 82. *) Im Jahre 1926 tischte der Mailänder ,,Secolo" seinen Lesern eine ganz ähnliche Mär auf, in der Graf Tisza als Urheber des Mordes angeprangert wird. Es ist eben nichts dumm oder schlecht genug, um nicht geglaubt und als aus „sicherster Quelle" geschöpfte Sensationsnachricht in die Welt posaunt zu werden.
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Bis zu welchem Wahnwitz die Kolportage-Romanphantasie der serbischen Journalistik ausartete, zeigte die Behauptung eines Blattes, Princip sei ein (offenbar unehelicher) Sohn der Fürstin Lonyay, der vormaligen Kronprinzessin Stephanie, und habe den Tod ihres ersten Gatten, des Kronprinzen Rudolf, rächen wollen, der auf Anstiften Franz Ferdinands ermordet worden sei! Wer diese ungeheuerlichen Beschimpfungen und Wutausbrüche der serbischen Presse las, hätte, ohne den wahren Zusammenhang der Dinge zu kennen, glauben müssen, S e r b i e n wäre in diesem Konflikt der beleidigte und herausgeforderte Teil, nicht das Habsburgerreich. Einen willkommenen Vorwand zu diesen Ausfällen gegen die Monarchie boten die Demonstrationen der kroatischen und mohammedanischen Einwohner Sarajevos, gegen die Serben; Demonstrationen, die, aus ehrlicher Empörung über das Verbrechen hervorgegangen, bald die nationalen Leidenschaften aufpeitschten und, von den Behörden zu lässig behandelt, in wüste Exzesse ausarteten. Diese Exzesse, die schon in der Nacht nach dem Attentate begannen, waren die ersten Sturmstöße des heraufziehenden Gewitters. Doch brach dieses noch lange nicht los, sondern es trat zunächst eine unheimliche, beklemmende Stille ein. Die Leichen des ermordeten Thronfolgers und seiner Gemahlin wurden von Sarajevo auf demselben Wege nach Wien gebracht, auf dem er wenige Tage zuvor die Reise in den Tod gemacht hatte. In Metkovic (Dalmatien) wurden sie von einer Eskader der k. u. k. Kriegsflotte abgeholt und auf dem Dreadnought „Viribus unitis" nach Triest geführt. Es lag eine tragische Pietät darin, daß es die Flotte war, die, solange vernachlässigt und vom'Thronfolger dann so eifrig gefördert, ihrem toten Schutzherrn nun das letzte Geleit gab und ihn auf den blauen Wogen der von ihm so sehr geliebten Adria heimwärts trug . . . Selbstverständlich hätte jeder europäische Hof zu den Begräbnisfeierlichkeiten irgendeinen Prinzen nach Wien gesandt. Kaiser Wilhelm und das rumänische Kronprinzenpaar hatten sogar persönlich kommen wollen; allein man fühlte sich am Wiener Hofe bemüßigt, dies zu verhindern, indem man die Höfe ersuchte, von der Entsendung von Sondervertretern abzusehen. Als Grund gab man das hohe Alter des Kaisers an, das größter Schonung bedürfe. So plausibel dieser Grund aber auch war, er war sicher nicht der einzige, vielleicht nicht einmal der entscheidende. Es spielte dabei auch fraglos die außerordentliche Nervosität mit, die sich der Behörden in der Monarchie seit dem Attentate bemächtigt hatte und die in der Versammlung so vieler Fürstlichkeiten eine Herausforderung mörderischer Anschläge Sosnosky, Franz Ferdinand.
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sah. Auch diplomatische Bedenken sollen dabei bestimmend gewesen sein: man habe verhindern wollen, daß König Peter von Serbien sich zum Begräbnis einfinde1). Ein Bedenken, das aber kaum begründet war, denn der Serbenkönig hatte sicherlich nicht das geringste Bedürfnis, sich nach dem, was in Sarajevo geschehen war, in Wien zu zeigen. Derselbe Gewährsmann führt noch einen andern diplomatischen Grund für diese Ablehnung der Trauergäste an: „Die beiden Ministerpräsidenten und auch Graf Berchtold hätten es nicht gerne gesehen, wenn zu den Leichen-Feierlichkeiten fremde Souveräne oder deren Abgesandte — namentlich seitens Rußlands, Englands und Italiens — erschienen wären, weil dann naturgemäß auch Besprechungen über das Verhalten gegenüber Serbien Platz gegriffen hätten. Solche Erörterungen wollte man jedoch unbedingt vermeiden, insolange man sich in Wien nicht selbst darüber vollkommen klar war, wie man sich gegen die Belgrader Regierung stellen würde."8) Dieser diplomatische Trick fand aber in diplomatischen Kreisen keineswegs ungeteilten Beifall: ein hervorragender Diplomat bezeichnet ihn vielmehr als ungeheuern Fehler, weil gerade eine persönliche Aussprache der ausländischen Fürstlichkeiten mit den höchsten Funktionären der Monarchie möglicherweise eine Entspannung zur Folge gehabt haben würde8). Ob dabei auch die Absicht des Obersthofmeisteramtes mitgewirkt hat, durch das Fernhalten der fremden Fürstlichkeiten die Leichenfeier ihres Pompes zu berauben, wie behauptet worden ist4), bleibe dahingestellt. Immerhin liegt dieser Verdacht nahe, wenn man die, gelinde gesprochen, seltsamen Maßnahmen in Betracht zieht, die der Obersthofmeister, Fürst Montenuovo, zu treffen für gut befunden hatte. In diesen Anordnungen war von Pietät den Toten gegenüber nicht viel zu bemerken und gerade dort nicht, wo man sie hätte voraussetzen sollen, bei Hofe; im Gegenteil: die Abneigung, die dort dem lebenden Thronfolger gegenüber geherrscht, aber sich damals nicht recht hervorgewagt hatte, machte sich jetzt dem Toten gegenüber hemmungslos Luft. Das Begräbnis gab dazu Anlaß, das Hofzeremoniell die erwünschte Handhabe. Fürst Montenuovo, der Obersthofmeister des Kaisers, wollte zuerst nicht zulassen, daß die Leiche der Herzogin von Hohenberg neben der ihres Gemahls in der Hofburg') F r h . v. M a r g u t t i : Vom alten Kaiser, S. 1 5 1 .
') Ebenda.
') A u f f e n b e r g - K o m a r o w : Aus Österreichs Höhe und Niedergang, München 1921, Drei Masken-Verlag, S. 255 f. 4 ) N i k i t s c h B o u l l e s : Vor dem Sturm, S. 221.
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kirche aufgebahrt werde, und es bedurfte einer Intervention des neuen Thronfolgers, Erzherzogs Karl Franz Josef, beim Kaiser, um dies durchzusetzen. Ebenso verstand sich Montenuovo erst nach langen Verhandlungen dazu, die Leiche der Herzogin gleichzeitig mit der des Erzherzogs vom Südbahnhof abholen zu lassen. Entgegen dem Brauche, dem Publikum ein, zwei Tage lang den Zutritt zu den aufgebahrten Leichen zu ermöglichen, blieben sie nur wenige Stunden ausgestellt, um dann abermals zur Bahn geschafft zu werden. Franz Ferdinand hatte nämlich die Bestimmung getroffen, daß er nicht gleich seinen Ahnen in der Kapuzinergruft beigesetzt werde, sondern an der Seite seiner geliebten Gattin in der Gruft von Artstetten. So wurden denn die beiden Leichen nach dem Westbahnhofe geschafft, und zwar ohne militärischen Kondukt. Es geschah das Unglaubliche, daß dem Thronfolger und „Generalinspektor der gesamten bewaffneten Macht" die militärischen Ehren versagt blieben, die jedem gestorbenen Unteroffizier zuteil geworden wären. Fürst Montenuovo wollte es auch nicht zulassen, daß die Geheimen Räte und Kämmerer dem toten Thronfolgerpaar das Geleite gaben, aber sie ließen es sich nicht verbieten und taten es gegen seinen Willen.1) Für die Beförderung der Leichen von Wien nach Artstetten zu sorgen, hatte das Obersthofmeisteramt abgelehnt, und man mußte die Beistellung des ganzen Trauerapparates der Gemeinde Wien überlassen. Die Fahrt nach Artstetten gestaltete sich überaus beschwerlich, sogar gefährlich, denn es stellten sich der Überführung der Leichen unvorhergesehene Schwierigkeiten in den Weg, die die peinlichsten Störungen verursachten und die die Feierlichkeit des Unternehmens empfindlich schädigten. Als hätten sich auch die Elemente gegen das unglückliche Thronfolgerpaar verschworen, ging zur Stunde, da der Eisenbahnzug mit den Leichen auf der Station Pöchlarn eintraf — es war um 2 Uhr nachts — unter Blitz- und Donnerschlägen ein furchtbarer Wolkenbruch nieder, so daß die Auswaggonierung und Einsegnung der Särge zunächst durch die herabstürzenden Wassermassen unmöglich gemacht wurden. Es war geplant gewesen, die Einsegnung >) Die Anordnungen des Obersthofmeisters erfuhren in der Öffentlichkeit, ganz besonders aber im Kreise seiner Standesgenossen, eine sehr abfällige Kritik, da man darin den Ausdruck einer posthumen Feindseligkeit gegen den toten Thronfolger und dessen Gemahlin sah. Er erhielt jedoch fOr diese Angriffe eine reiche äußere Genugtuung, denn wenige Tage später wurde ein kaiserliches Handschreiben an ihn veröffentlicht, in dem ihm der Kaiser mit geflissentlichem Nachdruck seinen,,wärmsten Dank" für seine „aufopfernde Hingebung" an seine Person aussprach! . . .
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auf dem freien Platze außerhalb des Bahnhofs vorzunehmen, wo sich die zur Trauerfeier ausgerückten Vereine und Korporationen trotz der nächtlichen Stunde in Erwartung des Zuges schon im Karree aufgestellt hatten. Die Ausführung dieser Absicht wurde durch das Unwetter jedoch vereitelt, und die versammelten Leute suchten unter dem Dache des Stationsgebäudes Schutz vor den niederprasselnden Fluten. Da das Ende des Gewitters, das unvermindert forttobte, nicht abzusehen war, blieb nichts anderes übrig, als die Särge nun doch aus dem Wagen zu schaffen und in der Vorhalle aufzustellen, die zu diesem Zwecke in aller Hast, so gut es ging, hergerichtet wurde. Hier fand dann die Einsegnung statt, der wegen des beschränkten Raums nur das Trauergefolge beiwohnen konnte. Die Leute aber, deren viele weither gekommen waren, drängten sich indessen in der Restauration um das Büfett, um sich, müde, durchnäßt und durchkältet, hungerig und durstig, wie sie waren, da zu stärken und zu erwärmen. Das war begreiflich, aber es tat der Würde der Stunde doch schwer Abbruch. Im Morgengrauen wurden die beiden Särge nun auf die bereitstehenden zwei Leichenwagen gebracht, deren jeder mit acht Pferden bespannt war. Diese, durch das Warten im strömenden Regen und bei Donner und Blitz schon nervös gemacht, gebärdeten sich sehr unruhig und scheuten bei den grellen Blitzen und krachenden Donnerschlägen. So bewegte sich der Trauerzug im trüben Zwielicht des dämmernden Morgens durch den mit schwarzen Fahnen drapierten Markt Pöchlarn zwischen den Spalieren der Einwohner, die sich trotz der frühen Stunde schon eingefunden hatten, zur Donau hinaus. Und nun kam das Schlimmste: es galt die beiden Wagen mit den aufgeregten sechzehn Pferden auf die Fähre zu schaffen, die den Trauerzug über den Strom bringen sollte. Es gelang nur mit Müh' und Not. Endlich konnte sich das Fahrzeug in Bewegung setzen; da, halbwegs, mitten auf dem Strome, spielte sich eine Szene ab, die den Anwesenden den Atem stocken ließ: die Stangenpferde des einen Wagens drängten, von einem heftigen Donnerschlag erschreckt, den Wagen zurück, und schon schwebte das eine Rad in der Luft. Im nächsten Augenblick konnte Furchtbares geschehen. Doch gelang es im letzten Moment noch, das drohende Unheil zu verhüten. Ans andere Ufer gelangt, konnte der Trauerzug seinen Weg nach Artstetten bei sich besserndem Wetter ohne neue Störung oder Gefährdung fortsetzen1). An derselben Stätte, an der er einst als frohes Kind sich des Lebens gefreut hatte, wurde Franz Ferdinand jetzt, inmitten seiner ') N i k i t s c h - B o u l l e s :
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nächsten Angehörigen, seines Gefolges und des hiezu versammelten Hochadels, sowie zahlreicher anderer Trauergäste zu Grabe getragen, um, fern der Gruft seiner Ahnen, an der Seite der geliebten Frau den ewigen Schlaf zu schlafen. *
Wer geneigt ist, die Ereignisse des Lebens symbolisch zu deuten, der wird in den unheimlichen Begleiterscheinungen dieses Begräbnisses, im Toben der Elemente, die unheilkündenden Vorzeichen des ungeheuern Wettersturms sehen, der bald darnach über die Welt dahintobte, sie in ein Meer von Flammen und Blut verwandelte und als ein leichenbesätes, blutgetränktes Trümmerfeld zurückließ. Und wer an eine strafende und rächende Gerechtigkeit schon auf Erden glaubt, der wird im Falle Franz Ferdinands ihr Walten deutlich und mit Genugtuung erkennen: Die Verschwörer Ilic, Cubrilovic und Jovanovic endeten am Galgen. Cabrinovid und Princip, die bei Verübung des Mordes noch nicht 20 Jahre alt gewesen und daher nach dem Gesetze nicht mit dem Tode bestraft werden konnten, sondern nur mit 20 Jahren Kerker, starben schon vor Ende des Krieges eines elenden Todes in der Strafanstalt von Theresienstadt; ebenso Grabez. Auch die Urheber des Mordes, Dimitrijevid und Tankosid, sollten sich ihrer Mordtat nicht lange freuen. Tankosii fiel im Herbst 1915 auf dem Rückzüge des serbischen Heeres, Dimitrijevic aber wurde im Jahre 1917 von der serbischen Regierung der Prozeß gemacht und als eines Mordkomplotts gegen den serbischen Kronprinzen Alexander schuldig, wurde er am 26. Juni 1917, also fast am Todestage seines Opfers Franz Ferdinand, kriegsgerichtlich erschossen. So waren alle Hauptschuldigen an dem Mord in Sarajevo in rascher Folge vom rächenden Arme der Nemesis erreicht worden. Nur Ciganovi6 starb im Jahre 1927 eines natürlichen Todes und außerhalb von Kerkermauern. • In den Augen des serbischen Volkes freilich war es durchaus nicht eine gerechte Vergeltung, die diese Mordgesellen ihre Bluttat büßen ließ, denn für sie waren es nicht Verbrecher sondern nationale Helden und Märtyrer, würdig der Verherrlichung und Verewigung. Unter feierlichen Ehrenbezeigungen wurden die Gebeine Princips und Cabrinovi6's in Theresienstadt exhumiert und nach Belgrad gebracht, um dort im Beisein der militärischen und zivilen Behörden und unter massenhafter Beteiligung des Volkes mit all dem feierlichen Pompe,
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X V I I . Kapitel: Heimkehr
mit dem man bedeutende, verdienstvolle Männer zu bestatten pflegt, zu Grabe getragen! Seither wird am „Vidovdan" (28. Juni) nicht mehr bloß das Andenken von MiloS Obelic, der im Jahre 1389 den Sultan Murad auf dem Amselfelde meuchlings ermordet hatte, in feierlicher Weise gedacht, sondern auch der andern Meuchelmörder: Princips und seiner Mitverbrecher . . . Ja, es ist sogar davon die Rede gewesen, diesem ein Denkmal zur immerwährenden Erinnerung an den Mord zu errichten!. . . Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, daß es der serbische Geist gewesen ist, der die Ermordung Franz Ferdinands ersonnen und vollbracht hat, und daß Princip und seine Genossen nur Werkzeuge in seiner blutigen Hand gewesen sind, dann hat ihn diese o f f i z i e l l e und allgemeine Verherrlichung der Mörder durch das serbische Volk erbracht. Vernichtender konnte die Behauptung, das offizielle Serbien habe mit dem Morde nichts zu schaffen gehabt, nicht mehr Lügen gestraft werden. Und noch einen zweiten, gleichfalls nicht mehr notwendigen Beweis hat diese Selbstidentifizierung eines ganzen Volkes mit einer Bande von Meuchelmördern geliefert: daß man es da mit einer ebenso unheimlichen als psychologisch interessanten nationalen Massenpsychose zu tun hat, einer Perversion der rechtlichen und ethischen Begriffe, in der man nur eine epidemische oder vielmehr endemische Form der „Moral Insanity" sehen kann. Immerhin mag man diese für europäische Moral- und Kulturbegriffe unbegreifliche Erscheinung mit dem Worte „Balkan-Moral" erklären und kennzeichnen. Was aber soll man dazu sagen, daß sich an der feierlichen Exhumierung der Gebeine Princips und Cabrinoviös a u c h das t s c h e c h i s c h e V o l k und, was noch mehr besagen will, t s c h e c h i s c h e B e h ö r d e n beteiligt haben! 1 ) Vertreter also eines Volkes, das sich auf seine Kultur nicht wenig zugute tut und das es mit Entrüstung zurückweisen würde, wenn man ihm europäische Kultur absprechen wollte; eines Volkes ferner, an dessen Spitze ein Mann steht, der als eine Leuchte der Wissenschaft und Kultur gilt. Hier darf man freilich nicht von Balkan-Moral sprechen. Aber vielleicht von Freimaurer-Moral? . . . ') In einer der Reden, die bei diesem Anlasse gehalten wurden, ist versichert worden: der Geist der Princip und Cabrinovii werde unter den Tschechen fortleben und ihre Gebeine würden bis zu deren Überfahrung nach Serbien sorgfältiger bewacht werden als Gold! . . .
XVIII. Die Persönlichkeit Franz Ferdinands. Franz Ferdinand und-Kaiser Josef. — Der Thronfolger und die öffentliche Meinung. — Seine Härte und Willenskraft. — Sein Humor und seine Liebenswürdigkeit. — Seine Abgeschlossenheit und UnvolkstQmlichkeit. — Seine angebliche Unaufrichtigkeit. — Sein Mißtrauen. — Fleißig oder bequem ? — Einmütiges Urteil über seinen Verstand. — Ware Franz Ferdinand der Retter des Habsburgerreiches geworden ?
Es ist schon gesagt worden: wer Franz Ferdinand in dessen Jugendzeit gesehen hat, der hätte in diesem schmächtigen jungen Offizier mit der lässigen, fast schlaffen Haltung, den weichen Gesichtszügen und den verträumten, ja schläfrigen wasserblauen Augen sicherlich nicht den eisernen Willen und den scharfen Verstand vermutet, die, wenn damals auch noch latent, so doch schon in ihm vorhanden waren. Aber selbst als reifer Mann, dem die knappe Uniform prall auf dem schon etwas zu stark gewordenen Leibe saß, hätte er in seinem Äußern diese Eigenschaften nicht vermuten lassen. Das volle Gesicht war eher das eines Genießers, wenn auch nicht das eines jovialen, lebensfrohen Mannes, und die großen, lichten Augen blickten noch immer wie traumverloren in die Welt. Daß hinter dieser behäbigen Außenseite ein stürmisches Temperament, ein leidenschaftlicher Ehrgeiz und ein unbeugsamer Wille hausten, und daß diese träumerischen Augen die Welt und die Menschen mit kühler nüchterner Schärfe sahen; daß man da eine starke, bedeutende Persönlichkeit vor sich hatte, die stärkste und bedeutendste des Hauses Habsburg, nicht nur in der Gegenwart sondern bis weit zurück, bis zu Kaiser Joseph dem Zweiten: das hätte dem Thronfolger kaum jemand angesehen, wenn er es nicht schon wußte. Es mag klügere und gelehrtere, liebenswürdigere und gütigere unter den Mitgliedern dieses Herrschergeschlechts gegeben haben: eine stärkere, schärfer ausgeprägte Persönlichkeit nicht. Es ist kein bloßer Zufall, daß hier Franz Ferdinand und Josef in einem Atem genannt worden sind; sie haben nicht nur dieses Eine gemeinsam, daß sie die stärkste Individualität unter allen Habsburgern der letzten 150 Jahre besessen haben; sie weisen auch sonst manche
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XVIII. Kapitel
Ähnlichkeit miteinander auf. Das klingt bei der krassen Gegensätzlichkeit ihrer Weltanschauung, zumal ihres religiösen Standpunktes, sicher widersinnig, namentlich für die, die in Kaiser Josef nur den gütigen, milden Volksbeglücker sehen, wie ihn die Legende überliefert hat und als der er in den alten österreichischen Volksstücken und Volksromanen aufzutreten pflegt: dennoch ist es so. Mit diesem Kaiser Josef hat Franz Ferdinand freilich nichts gemeinsam gehabt; wohl aber sehr viel mit dem kühl und nüchtern denkenden, doch heiß und leidenschaftlich fühlenden, vom brennenden Ehrgeize, Großes zu schaffen, beseelten, eigenwilligen Autokraten, der Josef in Wahrheit gewesen ist. Und auch in der bis zum Fanatismus gehenden Leidenschaftlichkeit, mit der sie beide ihre Weltanschauung betätigten und die gegnerische verfolgten, waren sie einander ganz ähnlich. Kaiser Josef war ein ebenso erbitterter und unduldsamer Gegner der Geistlichkeit wie Franz Ferdinand der Freisinnigen und der Freigeister. Beide hatten einen eisernen Kopf; beide eine ungeduldige, rasch zugreifende und harte Hand; beide waren leidenschaftliche Patrioten; beide politische Idealisten, und beide sahen in Ungarn das gefährlichste Hindernis für die Verwirklichung ihrer Ideale. Auch in ihrem Schicksal zeigen sie eine gewisse Ähnlichkeit; keinem ist es vergönnt gewesen, seine Pläne verwirklicht zu sehen: Kaiser Josef hat sich mit dem schmerzlichen Bewußtsein zum Sterben niedergelegt, seine, wie er glaubte, besten Absichten von denselben Völkern verkannt zu sehen, die er damit hatte beglücken wollen. Schon dem Tode nahe, hat er den bittern Kelch, den ihm seine Gegner kredenzten, bis zur Neige leeren und nicht nur erkennen müssen, daß seine aufreibende Lebensarbeit zum größten Teil vergeblich gewesen war, sondern sich sogar gezwungen gesehen, vieles was er verfügt, ausdrücklich zu widerrufen. Franz Ferdinand aber, von ungestilltem Tatendrange verzehrt, hat ohnmächtig, die geballte Faust im Sacke, zusehen müssen, wie das Reich, das er dereinst beherrschen sollte, unter dem Greisenzepter Franz Josefs allmählich erstarrte, wie sein Blut zu stocken, seine Adem brüchig zu werden und zu bersten, seine Glieder brandig zu werden und abzusterben begannen. Und als nach menschlichem Ermessen der Tag nicht mehr fern sein konnte, an dem er die schleifenden Zügel ergreifen und zur Tat machen wollte, was er in schweren Stunden brennender Ungeduld ersonnen und erfahren hatte, da traf ihn die tödliche Kugel eines Meuchelmörders. Ein Schicksal, ebenso tragisch, wenn gleich in anderer Art, wie das Kaiser Josefs.
Die Persönlichkeit Franz Ferdinands
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Alles in allem, darf man Franz Ferdinand einen zweiten Kaiser Josef, nur mit umgekehrtem Vorzeichen, nennen. In einem Punkte waren sie freilich grundverschieden: in ihrem Verhalten dem Volke gegenüber. Josef war darauf bedacht, sich dessen Gunst zu erwerben, und hatte sie auch erworben; allerdings ausschließlich in den deutschen Erblanden; Franz Ferdinand dagegen hatte sich nie um Volkstümlichkeit bemüht, weil er ein Verächter der Menschen war, kein Schätzer, wie Kaiser Josef es gewesen, oder es doch zu sein vorgegeben hatte. Und so war auch das Urteil ihrer Zeitgenossen über beide ein ganz verschiedenes und in seiner Einseitigkeit falsches: Josef galt in den Augen seiner Untertanen, und vielleicht mehr noch in denen der Nachwelt, als Volkskaiser, als Freund der Armen und Bedrückten, als Wohltäter der Menschheit, und die populäre Legende schmückte sein Bild mit Vorzügen aus, die er, zumindest in solcher Fülle, gar nicht besessen hatte. Von Franz Ferdinand aber kam nur die verzerrte schwarze Silhouette auf die Nachwelt, die Haß und Verleumdung zu seinen Lebzeiten ausgeschnitten hatten. Dieses lichtlose Schattenbild aber ist ebenso unwahr, ja noch unwahrer als das traditionelle schattenlose Lichtbild Kaiser Josefs. Das Bild, das man sich in der breiten Öffentlichkeit vom Wesen Franz Ferdinands machte, war das eines harten, finstern Tyrannen, etwa in der Art Philipps II. von Spanien, eines Fürsten, der, auf den Thron gelangt, über die Monarchie eine mittelalterliche „Pfaffenherrschaft" verhängen und sie durch seinen nach kriegerischen Lorbeeren lüsternen Ehrgeiz in blutige Kriege verwickeln würde. Noch dunkler wurde dieses unsympathische Bild durch den Vorwurf des Geizes und der Massenschlächterei bei den Jagden. Was zunächst die „Pfaffenherrschaft" betrifft, die man von seiner Regierung erwartete und fürchtete, so gab man sich damit sehr übertriebenen Besorgnissen hin. Daß Franz Ferdinand bei seiner strengen Religiosität für die Geistlichkeit, allerdings bloß für die katholische, Sympathien gehegt hat, ist nur selbstverständlich und kann weder geleugnet, noch soll es bestritten werden. Man muß auch zugeben, daß sein Katholizismus, wie das seinem Wesen entsprach, unduldsam gewesen ist; hat er doch verdiente Offiziere, die ihm für wichtige Posten vorgeschlagen worden, lediglich deshalb abgelehnt, weil sie Protestanten waren1). Dennoch wär's ein arger Irrtum, daraus folgern zu wollen, er würde als Herr>) Conrad: Dienstzeit, I, S. 388.
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scher ein Werkzeug des katholischen Klerus geworden sein, und wenn man sich in den Kreisen der höhern Geistlichkeit solchen ehrgeizigen Hoffnungen hingegeben haben sollte, was ja in der Natur der Sache lag und darum sehr wahrscheinlich ist: so hätten diese Kreise sicherlich eine peinliche Enttäuschung erlebt. Franz Ferdinand war nicht der Mann, sich beherrschen zu lassen, wer immer dies auch anstreben mochte: er wollte selber herrschen. Daß er sich auch dem Klerus gegenüber kein Blatt vor den Mund nahm, wenn es ihm angemessen schien, das beweist der Brief, den er an den päpstlichen Nuntius schrieb, als die römische Kurie bei der Besetzung eines Bischofsstuhls in Ungarn, seiner Absicht entgegen, den Kandidaten der ungarischen Regierung begünstigte. Er schrieb da unter anderem: „Ich bin gewiß ein guter Sohn der römischen Kirche, aber wo es sich darum handelt, die elementaren Rechte der Völker zu gewährleisten, deren Geschicke ich einmal, so Gott es will, zu lenken berufen sein könnte, kenne ich keine Rücksichten und scheue mich durchaus nicht, auch mit dem Heiligen Vater meine Beziehungen zu lösen, wenn er seine Machtbefugnisse in einer Richtung betätigt, die meinen, nur dem Wohle meiner zukünftigen Landeskinder gemachten Intentionen diametral entgegenläuft" 1 ).
Mit dem Vorwurfe der „Pfaffenherrschaft" hängt auch die Legende von den Absichten des Thronfolgers zusammen, er wolle die Weltherrschaft des Papstes wiederherstellen; eine Legende, die an anderer Stelle schon hinreichend gekennzeichnet worden ist und darum hier nicht mehr besprochen zu werden braucht. Dasselbe gilt auch von seiner angeblichen Kriegslust, über die hier nur nochmals bemerkt sei, daß just das Gegenteil der Fall gewesen ist: daß seine Abneigung, Krieg zu führen, allen Versuchungen hiezu standgehalten und er sich selbst dann nicht zum Kriege hat entschließen können, als die Chancen dazu für die Monarchie günstig waren, wie in der Annexionskrise 1909, bei der die Erhaltung des Friedens letzten Endes ihm zu danken gewesen ist (wofern man da von Dank sprechen darf). Man sieht, wie haltlos, widersinnig und ungerecht die beiden Haupt vorwürfe sind, die die öffentliche Meinung gegen den Thronfolger erhoben hat. Nicht dasselbe kann man dagegen von den beiden andern Vorwürfen sagen, die ihm von ihr gemacht worden sind: daß er geizig und auf der Jagd ein Massenschlächter gewesen sei. Zwar sind diese Vorwürfe von viel geringerer Bedeutung, denn sie treffen nicht sosehr den künftigen Herrscher als vielmehr den Menschen. Nichtsl
) F r h . v. M a r g u t t i : Vom alten Kaiser, S. 13Ó.
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destoweniger dürften gerade diese Schwächen dem Thronfolger in der Meinung der großen Menge mehr geschadet haben, da sie deren Denken und Fühlen näher lagen, ihr sozusagen greifbarer waren. Dies gilt ganz besonders von der Kleinlichkeit und Härte, die der Erzherzog in pekuniären Angelegenheiten an den Tag legte. Das Volk erwartete von einem Manne seines Ranges, vom künftigen Herrscher eine offene Hand, eine fürstliche Freigebigkeit, wie sie sie vom alten Kaiser her gewohnt war, der, ohne auch nur im Geringsten zur Verschwendung zu neigen, doch auch in diesem Punkte durchaus Grandseigneur gewesen war. Daß Franz Ferdinand, wenn er sich benachteiligt glaubte, selbst in Bagatellsachen das Gericht in Anspruch nahm und mit aller Strenge dagegen einschritt, wenn sich irgendein armes Weib herausnahm, in seinen Wäldern Klaubholz zu sammeln, wurde ihm von der öffentlichen Meinung sehr verübelt. Gerade in Österreich und Ungarn, wo dem Volke die Leichtlebigkeit und der Leichtsinn in wirtschaftlichen Dingen angeboren ist, mußten solche Mißgriffe böses Blut machen. Wenngleich Franz Ferdinand vermutlich schon die Anlage zu übertriebener Sparsamkeit besaß und darin von seiner Gemahlin noch bestärkt worden sein soll, so trug hiezu doch fraglos auch das tiefe Mißtrauen bei, das ihn gegen alle Welt erfüllte und glauben ließ, er werde von seinen Untergebenen übervorteilt und ausgebeutet. Schlimme Erfahrungen in dieser Hinsicht, wie sie gerade in der Wirtschaftsgebarung an Fürstenhöfen vorzukommen pflegen, konnten dieses Mißtrauen nur fördern1). Man sollte freilich meinen, der Thronfolger hätte bei seinem scharfen Verstände einsehen müssen, wie übel ihm seine allzu festhaltende Hand und sein Mangel an Nachsicht gegenüber wirtschaftlichen Sünden seiner Untergebenen von Seiten der Bevölkerung genommen wurde, wie erwünscht solche Vorkommnisse seinen zahlreichen Feinden waren und welche bequeme Handhabe sie diesen für ihre Minierarbeit gegen ihn boten; aber selbst wenn er dies bedacht haben sollte, so hat er auf Volkstümlichkeit viel zu wenig Wert gelegt, um sich durch Rücksicht auf sie in seinem Tun behindern zu lassen. Immerhin hat die Fama auf diesem Gebiete fraglos gehässig übertrieben, und man kann zu seiner Entschuldigung anführen, daß er eben nicht gewillt gewesen ist, sich, wie so viele andere hohe und reiche Herren, von seinen Untergebenen hintergehen und ausbeuten zu lassen; ein Bestreben, das, an sich gewiß berechtigt, durch seine *) Näheres hierüber in N i k i t s c h - B o u l l e s : „Vor dem Sturm". S. 49ff.
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leidenschaftliche Art und sein Unvermögen, Maß zu halten, in so entstellender und für ihn schädlicher Weise ausgeartet war. Noch dunkler ist der Schatten, den seine Jagdleidenschaft auf sein Bild wirft; es ist wohl der dunkelste, der es trifft, wenn auch belanglos für das Urteil über seine Persönlichkeit als künftiger Herrscher. Was an dieser Leidenschaft Anstoß erregte, war: daß ihn nicht das Abenteuerliche, Romantische der Jagd so gefangen nahm, sondern nur der brennende Drang, eine möglichst große, von keinem andern Jäger zu überbietende Zahl von Wild zur Strecke zu bringen; ein Drang, der notwendigerweise zur Massenschlächterei des Wildes führen mußte; hatte er doch, wie schon erwähnt, auf seiner Weltreise sogar auf Bahnfahrten aus dem Coupi-Fenster das seiner Büchse erreichbare Wild niedergeknallt. Angesichts dieser maßlosen Leidenschaft, die ihm auch in weidmännischen Kreisen manchen Gegner schuf, fühlt man sich versucht, sie für eine pathologische Erscheinung zu halten; was freilich nicht jedermann als Milderungsgrund gelten lassen wird. Die unersättliche Schießlust Franz Ferdinands war, beiläufig bemerkt, auf denselben unstillbaren Sammeleifer zurückzuführen, den er als Kunstfreund an den Tag legte, als der er sich ebenfalls nicht genugtun konnte und in seinen Schlössern Massen von Kunstwerken aufstapelte, wobei nach dem Urteile von Sachverständigen die Quantität nicht selten stärker ins Gewicht fiel als die Qualität1). Zu diesen allgemeinen Vorwürfen, die die öffentliche Meinung gegen den Thronfolger erhob, kamen noch die besondern Parteianschuldigungen: den Deutschen galt er als Deutschenfeind, den Magyaren als Magyarenfeind, den Freisinnigen und Sozialisten als Paladin der Reaktion. In Italien fürchtete man ihn wegen seiner angeblichen Eroberungsabsichten; in Serbien haßte man ihn als vermeintlichen Feind der Serben; und in Deutschland hielt man ihn für einen Protektor der Slawen und Anwalt Roms, der dem protestantischen Deutschland kein verläßlicher Bundesgenosse sein konnte. Kurz: überall, inner- und außerhalb der Monarchie, betrachtete man ihn mit mehr oder weniger mißtrauischen und feindseligen Blicken, wofern man ihn nicht geradezu haßte und fürchtete. Unter solchen Umständen ist es nicht zu verwundern, daß sein Bild, auf das so tiefe Schatten fielen, ganz dunkel wurde und keine ') Siehe den Artikel „Die Schätze von Konopischt" von Professor Dr. H a n s T i e t z e , im „Neuen Wiener Journal" vom 8. April 1928.
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lichte Stelle mehr aufwies. Daß man dieses Bild, das zur schwarzen unheimlichen Silhouette geworden war, auch für wohlgetroffen halte, das ließen sich seine Feinde sehr angelegen sein. Und es waren einflußreiche Feinde, die dies besorgten. Parteigruppen, die einander sonst grundsätzlich auf das grimmigste befehdeten, machten ihm gegenüber gemeinsame Sache. Nationalisten der verschiedensten Couleur — Alldeutsche, Ultramagyaren, Panslawisten, italienische Irredentisten — bildeten zusammen mit Freisinnigen und Sozialisten eine feindliche Phalanx gegen ihn, und hinter ihnen stand, schürend und fördernd, die geheimnisvolle Macht der Freimaurer, auf deren Proskriptionsliste sein Name, anscheinend als einer der ersten, eingetragen war. Diese Koalition verfügte aber über die tonangebende Presse Europas. Zwar stand der Thronfolger dieser Phalanx nicht allein gegenüber; er hatte die katholische Presse für sich; aber in jeder Hinsicht unzulänglich, vermochte sie den übermächtigen, ihr auch taktisch überlegenen Blättern freisinniger, sozialistischer und nationalistischer Richtung nicht mit Erfolg zu begegnen. So kam es, daß die Öffentlichkeit fast nur die dunkle Silhouette Franz Ferdinands zu sehen bekam, ein freundliches Bild von ihm aber meist nur in unansehnlichem Format und klerikaler Umrahmung, was sie in ihrer vorgefaßten Meinung nur bestärken konnte. Gewiß, auch das Bild Franz Ferdinands, das hier gezeigt werden soll und bei dem nicht Haß und Unkenntnis den Pinsel geführt haben, wird manchen Schatten aufweisen, denn ohne diese wär'es nicht lebenswahr; aber so dunkel gewisse Partien des Bildes auch ausfallen, so viele ihrer auch vorhanden sein mögen: das Licht, das von den andern Stellen ausstrahlt, wiegt dieses Dunkel mehr als auf und läßt die starke und bedeutende Persönlichkeit erkennen, die dieses Bild darstellt; eine Persönlichkeit, wie es deren in Österreich an führender Stelle von jeher nur verschwindend wenige gegeben hat, wie sie dieses Reich aber gerade in einer Zeit bedurft hätte, deren rebellischer Geist in seinen zwei gefährlichsten Gestalten, als Nationalismus und Sozialismus, mit fanatischem Eifer am Werke war, seine Mauern zu unterwühlen, um es zu vernichten. Franz Ferdinand war — das springt an seiner Persönlichkeit vor allem in die Augen — eine ausgesprochene Herrennatur, und zwar im schärfern Sinne des Wortes: er war der geborene Autokrat, und wenn er im Altertum gelebt hätte, wär' er wahrscheinlich ein Despot geworden. Er machte auch kein Hehl daraus, daß er bedauerte, dereinst
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nicht mehr als absoluter Herrscher regieren zu können1), und er erkannte als über ihm stehend nur den lieben Herrgott und den Kaiser an2). Er ließ sich von seinem überaus reizbaren und leidenschaftlichen Temperament auch nicht selten zu Äußerungen hinreißen, die sehr despotisch klangen, wie z. B. „Füsilierenlassen" u. dgl. Äußerungen, wie sie freilich mehr oder weniger j e d e r erregbare Mensch im Affekt zu tun pflegt, ohne auch nur entfernt an ihre Verwirklichimg zu denken, und die auch von ihm nicht ernst gemeint waren, im Hinblick auf die heutige Zeit es auch gar nicht sein konnten, sondern eben nur Affektentladungen waren; Äußerungen, die aber, aus dem Zusammenhange gerissen und aus dem engen Kreise, in dem sie zu fallen pflegten, in die Öffentlichkeit hinausgetragen, seinen Feinden willkommenes Wasser auf ihre Mühlen bedeutete. Daß eine so autokratische Natur, wie die seine, keinen Widerstand, keine Opposition vertrug, versteht sich von selbst. Nichts konnte ihn so in Harnisch bringen, als wenn jemand es wagte, seinen Willen zu durchkreuzen. Wehe dem, der es tat! Er mußte es büßen. Handelte sich's dabei nicht bloß um eine einzelne Person, die sich in seinem Machtbereiche befand, sondern um eine politische Parteigruppe, die seiner Machtsphäre entrückt war, die er seine schwere Hand also nicht fühlen zu lassen vermochte, so kannte seine Erbitterung keine Grenzen. Daher denn auch sein tiefer Groll gegen die immer opponierenden Magyaren. So wenig er aber Widerstand vertrug, Widerspruch, wenn er sich nicht direkt äußerte, in entsprechende Form gekleidet und sachlich begründet war, pflegte er, falls die Persönlichkeit von der er kam, ihm sympathisch war und er sie als ihm ergeben kannte, nicht übelzunehmen, sondern vielmehr als Ausdruck und Kennzeichen ehrlichen Freimuts anzuerkennen und zu schätzen; freilich oft erst hinterher, wenn sein Unwille über den Widerspruch verraucht war und eine ruhige Überlegung ihn die Richtigkeit der andern Meinung hatte erkennen lassen. Seinen unmittelbaren Untergebenen war der Thronfolger kein bequemer Herr. Er stellte an ihre Arbeitskraft hohe Anforderungen, nahm sie ganz für sich in Anspruch und ließ ihnen für ihr persönliches Leben nicht viel Zeit übrig. Im Verkehr mit ihnen — wenigstens mit den Herren seiner engern Umgebung — bediente er sich jedoch stets eines freundlichen, ja liebenswürdigen Tons, der nur dann in das ') In einem Brief an Graf O t t o k a r Czernin. Siebe dessen geheimes Tagebuch, S. 66. ') Ebenda, S. 50.
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Gegenteil umschlug, wenn einer von ihnen seinen Unwillen erregt hatte, was sehr leicht geschehen war. Und das gilt nicht nur mit Bezug auf die Herren seines Hofstaates; auch Ministern und Generälen gegenüber pflegte er seine Worte nicht auf die Waagschale zu legen, wenn er mit ihnen aus irgendeinem Grunde nicht zufrieden war. Ja, es wehte ein scharfer, kühler Luftzug aus dem Belvedere, der Morgenwind einer neuen Herrscherzeit. Er fuhr ungestüm in die überheizte, stickige Aktenstaubatmosphäre der verschiedenen Staatsämter und zauste den Hofräten und Exzellenzen, die, mit ihren Amtsfauteuils verwachsen, dort in beschaulicher Ruhe als Bureauolympier walteten, höchst respektlos die würdevollen Perücken. Kein Wunder daher, daß sie vor dem Tage zitterten, da Franz Ferdinand den Thron besteigen werde; sie wußten ja genau, daß dann unabwendbar ihr Stündlein schlug . . . So hart der Thronfolger aber auch Zugriff und so unverdient er manchem wehtat: so vollbrachte er doch auch ungewöhnliche Leistungen und schuf manches Gute. Eine solche Leistung war seine Heirat. Wie immer man auch über sie denken mag: fraglos war es eine gewaltige Kraftprobe, daß er den Kampf um das geliebte Weib mit einer Welt von Gegnern, darunter dem mächtigsten Manne des Reichs, aufgenommen, daß er diesen aussichtslos erscheinenden Kampf mit Erfolg durchgeführt hatte und aus ihm nicht nur als Sieger hervorgegangen war, sondern auch ohne von seiner hohen Stellung auch nur ein Titelchen dabei eingebüßt zu haben, wie andere Erzherzoge, wenn sie gewagt hatten, sich gegen die Tradition des kaiserlichen Hauses zu versündigen. Beides, den Besitz der geliebten Frau und die Unversehrtheit seiner Stellung als Thronfolger, hatte er vor allem seinem unbeugsamen, von zähester Beharrlichkeit gestählten Willen zu danken. Diesem harten Willen dankte es auch die Armee, daß sie ihre Einheit zu bewahren vermochte und daß sie nicht „verdorrte"1), dankte es die Marine, daß sie nicht versumpfte. Mochten diese Leistungen des Thronfolgers auf militärischem Gebiete, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, der öffentlichen Meinung auch unbedeutend erscheinen, weil sie ihr nicht so in die Augen sprangen, so waren sie doch schwer und mühsam errungen, denn er hatte dabei nicht nur gegen die Wucht des Trägheitsgesetzes, sondern auch gegen die beiden Parlamente, gegen die Macht der führenden Presse und — das i) Eine zum geflügelten Worte gewordene Äußerung, die der Kriegs minister, General Freiherr v. S c h ö n a i c h , vor den Delegationen bei der Erörterung des HeeresBudgets getan hatte.
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Schwerste — gegen den Kaiser selber zu kämpfen gehabt. Wenn sein Wille nicht mehr erreicht hatte, so war es gewiß nicht seine Schuld, sondern die seiner verhältnismäßig beschränkten Machtbefugnis, denn ihm stand der zwar schwächere, aber durch Gesetz, Alter und Tradition gestützte Wille des Kaisers gegenüber. Jedenfalls aber hat Franz Ferdinand durch seine Leistungen auf diesem Gebiete vollauf den Beweis erbracht, daß sein Wille, wenn diese Hemmungen einmal fortfielen, auch befähigt gewesen wäre, Größeres und ganz Großes zu leisten; daß er aus dem harten Holze geschnitzt war, aus dem das Schicksal große Männer zu formen pflegt... Dieser harte Mann besaß in seinem gepanzerten Herzen aber manche weiche Stelle: dort, wo er seine Lieben eingeschlossen hatte, vor allem seine engere Familie; sowie, in gehörigem Abstände, einige nahe Verwandte und Freunde, deren Zahl allerdings nichts weniger als groß war. Für diese Menschen war er liebevoll, gütig und dankbar. Und noch eine besondere Stelle gab es in seinem Herzen, die zart und weich war: seine Liebe zu Österreich, sein starkes Heimatsgefühl, das bei diesem nüchtern und scharf denkenden Manne sozusagen die Poesie ersetzte, für deren literarische Ausdrucksformen er nicht viel übrighatte. Daß er aber selbst Menschen gegenüber, denen er schwer grollte, kein so hartes Herz besaß, als man es ihm zuschrieb, zeigt eine kleine Episode, die Czernin in seinen Memoiren erzählt. Es war nach dem Tode Ährenthals, den er, ursprünglich sein Gönner, später wegen dessen ihn erbitternder Politik gegenüber Italien mit grimmigem Hasse verfolgt hatte und über den er sich noch in abfälligster Weise geäußert haben soll, als er schon dem Tode nahe war: „Er (Franz Ferdinand) wohnte als Vertreter des Kaisers der Einsegnung der Leiche bei, und nach derselben empfing er mich im Belvedere. Wir standen im Hofe, als der Zug mit dem Leichenwagen zum Bahnhof vorüberfuhr; der Erzherzog ging raschen Schrittes in eines der kleinen Nebenhäuser, welches seine Fenster auf die Straße hat, und hier versteckt, hinter dem Vorhang des Fensters, ließ er den Zug an sich vorbeipassieren. Er sprach kein Wort, aber dicke Tränen standen in seinen Augen. Als er wahrnahm, daß ich seine Erregung bemerkte, wandte er sich rasch und unwillig ab, geärgert über den erbrachten Beweis seiner Schwäche. Das war ganz er. Lieber wollte er für hart und herzlos gehalten werden, als für weich und schwach, und nichts war ihm unsympathischer als der Gedanke, er könne den Verdacht erwecken, eine Rührszene aufführen zu wollen"1). *) Czernin: „Im Weltkriege", S. $2i.
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Für ihn, bemerkt Czernin hiezu, bestehe kein Zweifel, daß der Erzherzog dabei unter heftigen Selbstvorwürfen gelitten habe, vielleicht mehr als ein anderer, ,,der nicht, wie er, verschlossen bis zum äußersten, seinen Gefühlen einen sichtbaren freien Lauf gelassen hätte." Auch das ist auf dieses Konto zu buchen, daß der Thronfolger zum nicht geringen Verdrusse Conrads während des Balkankrieges nachdrücklich auf der Entlassung der schon lange bei ihren Truppenkörpern weilenden Reservisten bestanden hatte und daß er die Soldaten bei den Manövern mehr geschont haben wollte, die allgemein menschlichen Interessen demnach höher einschätzte als die militärischen. Mochte dabei die kluge Rücksichtnahme auf die Stimmung der Bevölkerung vielleicht auch mehr mitsprechen als das Herz: an der Tatsache vermag das nichts zu ändern. Der Härtegrad des Herzens Franz Ferdinands war also, wie man sieht, sehr wandelbar . . . Hartherzige Menschen pflegen auch selten Humor zu haben. Franz Ferdinand aber hatte ihn, wenn dieser bei ihm auch nicht selten eine sarkastische Schärfe annahm. Er entsprach in seinem Gebaren überhaupt ganz und gar nicht dem von seinen Feinden angefertigten Bilde eines finstern Tyrannen im Stile Philipps II. von Spanien. Im Gegenteil: er lachte gern, liebte heitere Gesellschaft, heitere Musik, besonders wienerische Weisen, besaß die angenehmsten Umgangsformen und konnte von bestrickender Liebenswürdigkeit sein, was selbst von solchen Gewährsmännern betont wird, die ihn auch von seiner unangenehmsten Seite kennenzulernen Gelegenheit hatten, wie z. B. Conrad. Dabei pflegte er sich so einfach, natürlich und herzlich zu geben, besonders Menschen gegenüber, die seine Gäste waren, daß sie sich in seiner Gesellschaft wohler und unbefangener fühlten als in der anderer hoher Herren. Ganz im Gegensatze zu den Empfängen und Diners bei Hofe, die im lähmenden Banne des strengen spanischen Hofzeremoniells standen und eine drückende Langeweile ausatmeten, herrschte bei den von ihm gegebenen Gesellschaften ein unbefangener, heiterer Ton und anregende Konversation. Er selber wußte gewandte und lebhafte Konversation zu machen, was Franz Josef bekanntlich durchaus nicht gegeben war. Im Gegensatze zu diesem verstand er es auch, mit Leuten aus dem Volke zu sprechen, und es machte ihm Spaß, wenn sie sich urwüchsig ausdrückten. In seiner Art lag — so schildert ihn General Graf Stürgkh in seinen Erinnerungen — „bei aller Vornehmheit, die eine ausgeprägt österSoinosky, Franz Ferdlauu).
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reichische Lokalfarbe hatte, eine ungemeine Einfachheit und Natürlichkeit. Pose, Effekthascherei kannte er nicht. . . Den Eindruck, daß man es mit einer den Durchschnitt weit überragenden fürstlichen Persönlichkeit, mit einem Manne ausgeprägter Individualität zu tun habe, konnte man sich im Verkehr mit ihm nicht entziehen. Er wirkte ganz anders als der Kaiser, aber nicht weniger stark. Stellte jener in seiner unnachahmlichen Vornehmheit der Erscheinung und abgemessenen Reserviertheit die verkörperte Majestät dar, vor der man sich in Ehrfurcht beugte, so trat einem Erzherzog Franz Ferdinand durch sein lebhafteres offenes Wesen, die schlichte, einfache Art sich zu geben, menschlich viel näher. Er ging viel mehr aus sich heraus, war sehr redegewandt, und man konnte daher mit ihm ein Gespräch führen, während Audienzen beim Kaiser doch im allgemeinen sehr den Charakter des militärischen Rapports trugen." 1 ) Franz Ferdinand hätte somit auch die wertvolle Eignung besessen, ein volkstümlicher Herrscher zu werden, jedenfalls unvergleichlich mehr als Kaiser Franz Josef. Daß dieser es trotzdem bis zu einer gewissen Popularität gebracht hatte, er aber nicht, lag vor allem daran, daß man in der Öffentlichkeit von ihm zu wenig wußte, daß es viel zu wenig Leute gab, die ihn persönlich kannten. Daran aber trug er selber schuld, weil er so zurückgezogen lebte und, außer auf Reisen, wo er es liebte, unter die Leute zu gehen, mit der Öffentlichkeit nur wenig Kontakt hatte, sie vielmehr mied und persönlich nur mit Menschen in Berührung kam, die entweder zu seiner Umgebung gehörten oder zu dem ziemlich engen aristokratischen Kreise, in dem er verkehrte; oder aber mit Leuten, mit denen er dienstlich zu tun hatte. Diese ihm zusagende zurückgezogene Lebensweise aufzugeben, um volkstümlich zu werden, dazu legte er auf Volksgunst viel zu wenig Gewicht. Seine Menschenverachtung, an sich gerade in seiner hohen Stellung gewiß nicht unberechtigt, stand ihm da zu seinem Schaden im Wege. Ein Feind leerer Förmlichkeiten und langweiligen Zeremoniells, verstand er sich auch nicht dazu, allgemeine Audienzen zu erteilen, wie der Kaiser es tat. Er pflegte den Verkehr mit den Leuten, die etwas von ihm wollten oder ihm etwas zu sagen hatten, dem Chef seiner Militärkanzlei zu überlassen, der hiedurch eine außerordentliche Machtbefugnis erlangte. Es hing infolgedessen ganz von dessen Belieben ab, ob er bei seinem Herrn eine Persönlichkeit oder eine Sache befürworten wollte oder nicht; eine gefährliche Machtbefugnis, die Graf S t ü r g k h : Erinnerungen, S. 299f.
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jedoch von den zwei Männern, die diese wichtige Stelle nacheinander innehatten — Oberstleutnant von Brosch und Oberst Dr. Bardolff — nicht mißbraucht worden ist. Wurde aber jemand doch zur Audienz gelassen, so pflegte sich der Thronfolger sehr freundlich und wohlwollend zu zeigen, so daß der Audienznehmer meist ganz beglückt von seiner Liebenswürdigkeit den Audienzsaal verließ und die von ihm erbetene oder vertretene Angelegenheit schon im günstigen Sinne erledigt glaubte. Eine Hoffnung, die sich jedoch nicht selten als Täuschung erwies, was dem Erzherzog von Seiten des Enttäuschten den Vorwurf der Unaufrichtigkeit zuzog. Tatsächlich traf dieser Vorwurf aber nicht zu. Eine absichtliche Irreführung des Bittstellers lag dem Erzherzog ganz fern. Er pflegte bei diesen Audienzen überhaupt keine Entscheidung zu treffen, sondern die Angelegenheit, um die es sich handelte, noch zu überlegen, sich wohl auch darüber noch näher zu informieren, bevor er einen Entschluß faßte. Aber die freundliche Art, mit der er die Leute empfing und ihren Ausführungen folgte, wurde von manchem für Zustimmung gehalten und weckte Hoffnungen, die sich dann oft nicht erfüllten. Was als Unaufrichtigkeit erschien, entsprang offenbar andern Beweggründen: dem Bestreben, den von ihm empfangenen Leuten nichts Unangenehmes zu sagen, und dem Wunsche, sich mit ihnen, wenn er anderer Ansicht war, nicht in Diskussionen einzulassen, die er mit Rücksicht auf seine hohe Stellung vermeiden wollte. Diese Motive waren es auch, die ihn im Verkehr mit Menschen, deren Gesinnung er nicht genug kannte, zu einer höflichen Reserve bestimmten, in der er zuweilen sogar bis zu verbindlich oberflächlicher Zustimmung ging und auf die auch sein, bereits an anderem Orte gekennzeichnetes, Verhalten Kaiser Wilhelm gegenüber zurückzuführen ist. Diese ihm eigene Reservatio mentalis war es wohl auch in erster Linie, die Czernin im Sinne hatte, als er in seinem geheimen Tagebuch in gehässigem Tone von der ,,das europäische Durchschnittsmaß hoch überragenden Unaufrichtigkeit" des Thronfolgers sprach1). Was Czernin außerdem noch zu diesem harten Urteile veranlaßt haben mochte, war wohl der häufige Stimmungswechsel, dem der Thronfolger unterworfen war und der manchmal einen jähen Wandel seiner Ansichten und Entschlüsse zur Folge hatte und ihn anders handeln ließ, als er es zugesagt hatte. Im allgemeinen jedoch war Franz Ferdinand, wie das schon sein impulsives, ja explosives Temperament mit sich brachte, alles eher *) Czernin: Geheimes Tagebuch, S. 50. 16*
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denn falsch, pflegte sich vielmehr, besonders wenn er sich in Erregung befand oder von einer Sache ganz erfüllt war — mündlich und schriftlich — mit einem Freimut und einer Unbedenklichkeit auszudrücken, die nicht selten zu weit gingen und, bekanntgeworden und entsprechend kommentiert, ihm von Seiten der also gekennzeichneten Persönlichkeiten bitterste Feindschaft eintrugen. Jedenfalls pflegen falsche Menschen nicht so zu handeln. Gerade Czernin, den der Thronfolger für seinen ergebenen Freund hielt — wie das geheime Tagebuch zeigt, nicht eben mit Recht — hätte den Vorwurf der Unaufrichtigkeit gegen ihn nicht erheben dürfen, denn in eben diesem Tagebuche verzeichnet er die rückhaltlosen Äußerungen über Menschen und Dinge, die jener ihm gegenüber getan hat; erwähnt er doch, daß ihm der Erzherzog sogar die Abschriften der von ihm — dem Thronfolger — an den Kaiser gerichteten Briefe übersandt und daß er sich in seinen Briefen an ihn — Czernin — über den Kaiser in der rückhaltlosesten Weise geäußert habe. Wie reimt sich aber diese Offenheit auf so heiklem Gebiete mit der von Czernin so nachdrücklich unterstrichenen „Unaufrichtigkeit" des Erzherzogs? . . . War diese angebliche Unaufrichtigkeit Franz Ferdinands die eine der beiden Eigenschaften, die Czernin in seinem geheimen Tagebuch als dessen schlimmste zwei Fehler bezeichnet, so war dessen Mißtrauen die andere. Und dieser Vorwurf war besser begründet. Dieses tiefwurzelnde, fast grenzenlose Mißtrauen war eine mindestens ebenso charakteristische Eigenschaft Franz Ferdinands wie seine autokratische Härte. Man pflegt sie auf die schlimmen Erfahrungen zurückzuführen, die er während seiner Krankheit gemacht und die in ihm eine maßlose Verbitterung und Menschenverachtung zurückgelassen hätten. Ohne Zweifel haben diese Erfahrungen auch viel dazu beigetragen; aber als ebenso sicher darf man annehmen, daß dieses Mißtrauen tief in der Natur des Thronfolgers begründet und durch jene verbitternden Eindrücke bloß geweckt, nicht erzeugt worden ist. Ihm diese Eigenschaft kurzerhand als Fehler vorzuwerfen, wäre ungerecht, denn gerade für Menschen in seiner hohen Stellung ist eine tüchtige Dosis Mißtrauen als Vorzug, nicht als Fehler zu buchen. Meist von Schmeichlern umbuhlt, pflegen hohe Herren nur selten die ungeschminkte Wahrheit zu hören. Gewöhnt, Menschen und Dinge in dem rosenfarbenen und himmelblauen Lichte zu sehen, in dem man sie ihnen durch die dafür bestimmten Brillengläser zu zeigen pflegt, wollen sie sie meist auch gar nicht anders sehen und leben daher oft in einem Kreise von Vorstellungen, die den tatsächlichen Verhältnissen ganz und gar nicht entsprechen. Wenn nun ein Herrscher oder zum
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Herrschen bestimmter Fürst nicht willens ist, sich in seinem Urteil über Welt und Menschen derart täuschen zu lassen, so kann man dies an sich nur gutheißen. Franz Ferdinand hat demnach nur wohl daran getan, Welt und Menschen nicht durch solche byzantinische Farbgläser zu betrachten, sondern durch die scharfen Brillen, die ihm seine Skepsis vorhielt. Dieser Vorzug aber wurde dadurch zum Fehler, daß er dabei übersah, daß solche Gläser, wenn man sie immer trägt, das Auge verderben und es nur für das Böse und Häßliche scharfsichtig machen, für das Gute und Schöne (im moralischen Sinne) aber kurzsichtig. Franz Ferdinand hielt, wie er Conrad gegenüber einmal gestand, jeden Menschen, den er noch nicht näher kennengelernt hatte, für einen „gemeinen Kerl", bevor er sich von der Unrichtigkeit dieser Ansicht überzeugt hatte 1 ). Das war, in so drastischer Form, sicherlich eine Übertreibung, aber in gedämpfterer zweifellos wirklich der Standpunkt, von dem aus er die Menschen beurteilte. Und noch eine zweite Maxime gab es, nach der er dabei handelte: sich, wie es ihn sein Vater, Erzherzog Carl Ludwig, gelehrt hatte, niemals auf einen einzigen Menschen zu verlassen. Diesen Rat befolgte er nur allzu gründlich. Das wäre weiter kein Unglück gewesen, im Gegenteil; wenn er nicht bloß das hören wollte, was ihm seine offiziellen Ratgeber mitteilten, die ja auch bei redlichster Gesinnung irren oder befangen sein konnten, sondern auch das, was andere Menschen ihm zu sagen hatten, die außerhalb dieses abgesteckten Bereiches lebten: so war das nur klug gehandelt. Er hatte ja an seinem Onkel, dem Kaiser, ein nichts weniger als ermunterndes Beispiel, wohin es führte, wenn ein Herrscher ausschließlich die sozusagen amtlich geeichten Meinungen der offiziellen Ratgeber anhörte, und auch die nur in Fragen, die in ihr Ressort fielen, über dessen genau festgesetzte Grenzen hinaus sie keinen Schritt tun durften. Das hatte natürlich zur Folge, daß der Kaiser über alles, was geschah, nur ganz einseitig unterrichtet wurde und so gut wie niemals einen aus unbegrenzter Welt- und Menschenkenntnis geschöpften Rat zu hören bekam. Eben um solchen Rat aber war es Franz Ferdinand zu tun. In diesem an sich gewiß nur berechtigten und lobenswerten Bestreben verstand er aber, wie in so vielem, nicht Maß zu halten und lieh sein Ohr auch solchen Ratgebern, die auch im weitesten Sinne des Wortes hiezu nicht berufen waren. Selbst ein ihm so überaus wohlgesinnter und unkritischer Gewährsmann wie Nikitsch-Boulles kann nicht umhin, ') Conrad: Dienstzeit, I, S. 338.
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dies bedauernd festzustellen, und General Auffenberg bezeichnet es in seinen Erinnerungen geradezu als die dunkelste Schattenseite des Thronfolgers, daß er Zuträgereien fragwürdiger Leute so leicht zugänglich gewesen sei; was, beiläufig bemerkt, in einem seltsamen Widerspruche zu seiner sonstigen Zurückgezogenheit und Unzugänglichkeit stand. Sein weitgehendes Mißtrauen war es auch, das ihn veranlaßte, zu seinem persönlichen Dienste nur solche Offiziere und Beamte auszuwählen, die sich in auskömmlichen pekuniären Verhältnissen befanden und bei denen er darum sicher zu sein glaubte, daß sie ihm nicht um wirtschaftlicher Vorteile willen dienten und sich dabei nicht bereichern wollten, sondern diesen Dienst als Ehrensache betrachteten. Hatte jemand aber sein Vertrauen gewonnen, so pflegte er ihm gegenüber mit Anerkennung und Auszeichnungen nicht zu kargen, ja, er konnte darin sogar überschwenglich sein1). So schwer sein Vertrauen zu erringen war, so leicht war's, es zu verlieren. Ministerpräsident Freiherr v. Beck 2 ), Dompropst Marschall und Graf Ährenthal sind drastische Beispiele dafür. Alle drei hatten sich in hohem Grade und lange seiner Gunst erfreut, um sie dann desto gründlicher einzubüßen, denn jeder von ihnen hatte seinem Willen entgegengehandelt: Beck durch Nachgiebigkeit den ungarischen Forderungen gegenüber, Marschall durch seinen hartnäckigen Widerstand gegen seine Heirat, und Ährenthal durch seine liebedienerische Politik gegenüber Italien. Und selbst Conrad, der, wie kaum ein Zweiter, sein Vertrauen besessen hatte, selbst er hatte zuletzt viel von seiner Gunst eingebüßt. Es war eben noch schwerer, seine Gunst zu e r h a l t e n , als sie zu erwerben. Und nur sehr Wenige durften sich dieses Glücks rühmen. Solchen erprobten Menschen aber bewahrte er auch die wärmste und treueste Zuneigung und Dankbarkeit. Kamen sie politisch oder militärisch in Betracht, so durften sie sicher sein, daß er ihrer, wenn er zur Herrschaft gelangte, nicht vergessen würde. So mancher von ihnen war zu großen Dingen ausersehen; nicht zuletzt sein ehemaliger Flügeladjutant und Vorstand seiner Militärkanzlei, Oberst v. Brosch3), ') A u f f e n b e r g - K o m a r o w : Aus Österreichs Höhe . . . , S. 227. *) Nicht zu verwechseln mit dem General desselben Namens, dem langjährigen Generalstabschef der lc. u. k. Armee, der, obgleich persona gratissima bei Kaiser Franz Josef, wie schon erwähnt, ebenfalls durch den Thronfolger gestürzt wurde, aber nie zu seinen Erwählten gehört hatte. *) Es wird dem Leser vielleicht auffallen, daß Brosch bald als Major, bald als Oberstleutnant und Oberst bezeichnet wird. Dieser Wechsel seines militärischen Hanges hängt eben von dem Zeitpunkt ab, der dabei in Betracht kommt.
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vielleicht das markanteste Beispiel für die Zuneigung und Treue, die der Erzherzog solchen Menschen bewahrte, von deren Ergebenheit er durchdrungen war. Nicht leicht ist es, zu einem klaren Urteil über die Arbeitskraft Franz Ferdinands zu gelangen. Zwei Gewährsmänner, die gewiß beide über ihn gut Bescheid wissen, stehen einander in ihrem Urteile diametral gegenüber. Nach Czernins wiederholt erwähntem geheimen Tagebuche wäre Franz Ferdinand „ungeheuer faul" gewesen, hätte sich nie dazu bequemt, sein Regierungsprogramm im Detail auszuarbeiten und sich gründlich auf seinen Herrscherberuf vorzubereiten. Der Privatsekretär des Thronfolgers, Nikitsch-Boulles, dagegen erzählt von der „ungeheuern Arbeit" die der Thronfolger zu erledigen hatte. Die Wahrheit wird wohl auch in diesem Fall in der Mitte liegen. Czernin mag dabei auch die Gewohnheit Franz Ferdinands im Sinne gehabt haben, Entscheidungen, wenn er sie nicht etwa im Affekte traf, oder es sich um Fragen handelte, die er schon reiflich erwogen hatte, aus dem Wege zu gehen und sie hinauszuschieben; eine Gewohnheit, die er mit dem alten Kaiser gemein hatte und die in einem seltsamen Gegensatze zu seinem stürmischen Temperament und oft vorschnellen Urteile stand. Ein solches Ausweichen vor Entschlüssen braucht aber keineswegs Bequemlichkeit und Arbeitsscheu als Ursache zu haben; das hat niemand überzeugender bewiesen als Kaiser Franz Josef, den auch sein schlimmster Feind gerade dieser Fehler nicht zu zeihen vermag. Es kann, ganz so wie bei ihm, auch bei Franz Ferdinand eine gewisse Entschlußschwäche und Verantwortungsscheu die Triebfeder gewesen sein . . . Gleichviel! Sicher war dem Thronfolger ein so außerordentliches Pflichtgefühl und ein so rastloser Arbeitseifer, wie sie dem alten Kaiser eigen gewesen, nicht gegeben. Dem standen schon sein weites Interessengebiet, seine Nervosität und Ungeduld und, nicht zuletzt, auch sein häufiger Aufenthaltswechsel im Wege; Momente, die ein ruhiges Sichvertiefen in eine Arbeit ausschlössen. Auch hatte er, wie die meisten Prinzen, in seiner Jugend nicht gelernt, selbständig zu studieren. Mochten seine Kenntnisse in den verschiedenen Wissenskreisen aber auch keine gründlichen sein und merkbare Lücken aufweisen, so verfügte er doch über ein, zumal bei Prinzen, nicht alltägliches Maß allgemeiner Bildung, besonders auf zoologischem, botanischem und kunsthistorischem Gebiete. Mochte er ferner, im Gegensatze zum alten Kaiser, auch zur Bequemlichkeit neigen und behaglichen Lebensgenuß im Kreise seiner von ihm sosehr geliebten Familie, in
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seinem prächtigen Heim, unter seinen Kunstschätzen, Jagdtrophäen und Gartenwundern intensiver Arbeit vorziehen: keinesfalls verlor er darüber seine Herrscheraufgabe aus den Augen; das beweist das leidenschaftliche Interesse, mit dem er die Zeitereignisse, vor allem die politischen Vorgänge in der Monarchie, verfolgte, Zeitungen sowie historische und politische Werke las, besonders solche über Österreich. Daß er über alles, was ihn interessierte, nicht nur im laufenden erhalten, sondern gründlich unterrichtet sein wollte, das wußte niemand besser als sein Beamtenpersonal, das alle Hände voll zu tun hatte, seine dahingehenden Wünsche, also Befehle, zu erfüllen. ,,Es gehörte durchaus nicht zu den Seltenheiten," bemerkt Nikitsch-Boulles hiezu, „daß Franz Ferdinand, wenn in irgendeiner Angelegenheit von einem Ministerium Aufklärungen nötig und der Befehl dazu um acht Uhr morgens ergangen war, bereits um 10 Uhr vormittags die Antwort urgierte. Seine nächste Umgebung mußte stets auf dergleichen Überraschungen gefaßt sein . . ." 1 ) Und dieser Gewährsmann mußte es, als der Privatsekretär des Erzherzogs, wohl wissen. E i n e s Sinnes sind alle, die Franz Ferdinand näher kannten, über seinen scharfen Verstand und besonders über seine äußerst rasche, „stupende" Auffassung. Nur Czernin will ihm in seinem geheimen Tagebuche nicht mehr zubilligen, als daß er „nicht dumm", bloß „schlau" gewesen sei; aber auch er gesteht, daß er von seiner raschen Auffassung immer wieder „frappiert" worden sei. General Auffenberg hingegen, der zur Zeit, da er seine Erinnerungen niederschrieb, infolge bitterer persönlicher Erfahrungen, gewiß nicht mehr zu den unbedingten Anhängern des Hauses Habsburg gehörte und der auch Franz Ferdinand gegenüber mit kritischen Bemerkungen keineswegs zurückhält, stellt fest, daß jeder, der, gleich ihm, Gelegenheit hatte, den Erzherzog näher kennenzulernen, zugeben müsse, „daß er eine hochbedeutende Persönlichkeit war, die sich von jeglicher Umgebung m ä c h t i g abgehoben h ä t t e , auch wenn man in ihm nicht den z u k ü n f t i g e n A n w ä r t e r der K r o n e e r b l i c k t hätte. Des Thronfolgers Verstand und Wille waren weit über das Mittelmaß entwickelt. In dieser Hinsicht reichte kein Mitglied der Dynastie auch nur annähernd an ihn heran."*) Auffenberg faßt sein Urteil über Franz Ferdinand dann mit den Worten zusammen, er sei eine der bedeutendsten Erscheinungen gewesen, die er auf seinem langen Lebenswege kennengelernt habe, und meint, daß er aller Vor>) N i k i t s c h - B o u l l e s : Vor dem Sturm, S. 63. •) A u f f e n b e r g - K o m a r o w : Aus Österreichs Höhe . . , S. 226.
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aussieht nach auch ein großer Herrscher geworden wäre. Habe er auch mancherlei unangenehme Eigenschaften gehabt, so seien das im Vergleiche mit seinen großen Vorzügen „eigentlich nur Kleinigkeiten" gewesen, Schattenseiten, wie man sie gerade bei großen Männern gewöhnlich anzutreffen pflege. Ob Franz Ferdinand, wenn ihn die mörderische Kugel Princips nicht getroffen hätte, wirklich der große Mann geworden wäre, der zu werden er berufen schien, muß eine offene Frage bleiben. So viel aber darf man getrost behaupten: W e n n sich das Habsburgerreich noch aus der lähmenden Erstarrung erwecken ließ, in die es unter dem greisen Regiment Franz Josefs allmählich versunken war; wenn der nationale Zersetzungsprozeß, der es befallen hatte und in unheimlicher Weise um sich griff, noch aufzuhalten und zu heilen war; wenn seine Mauern und Balken noch fest und tragfähig genug waren — und sie waren viel weniger brüchig und morsch, als man die Welt glauben machen wollte — : dann wäre Franz Ferdinand der Mann gewesen, dieses große Rettungs- und Verjüngungswerk durchzuführen und der habsburgischen Monarchie wieder zu dem Rang und der Bedeutung zu verhelfen, die ihr gebührten. Manche glauben, viele bezweifeln es. Ein grausames Schicksal hat es ihm verwehrt, den Beweis dafür zu erbringen, ob jene oder diese recht hatten, ob er wirklich der Retter und Erneuerer Österreichs geworden wäre, der zu werden er sich zum Ziele seines Lebens gesetzt hatte. Eines Lebens, das — es ist schon gesagt worden — nur eine Ouvertüre gewesen ist; eine Ouvertüre, die, ihrem Schlüsse schon nahe, kurz bevor der Vorhang sich heben sollte, mit einer dröhnenden Dissonanz jählings abbrach, um für immer zu verstummen . . .
Personen-Verzeichnis. 1 ) A. A h r e n t h a i , Alois Freiherr von (später Graf), k. u. k. Minister d. Äußern 117, 126, 127, 137, 139, 140, 240, 246. A l e x a n d e r (Karadj ordj evi6), Kronprinz (später König) v. Serbien 192, 193. A l e x a n d e r (Obrenovi6), König v. Serbien 171, 173. A l f o n s XIII., König v. Spanien 197. A l i o t t i , Baron, diplomatischer Agent Italiens in Albanien 165. A n d r ä s s y , Julius Graf (Vater), k. u. k. Minister d. Äußern 156. — — — (Sohn), ungar. Staatsmann 83, 91, 98. A p p o n y i , Albert Graf, ungar. Staatsmann 83, 86, 98. A r t a m a n o w , Oberst, russischer Militärattache in Belgrad 188. A s i n a r i de Bernezzo, italienischer Generalleutnant 138, 139. A u f f e n b e r g Moritz, Ritter (später Freiherr v.), k. u. k. General d. I. (später Kriegsminister) 126. B. B a d e n i , Kasimir Graf, österr. Ministerpräsident 50. B a r d o l f f Karl, Dr. (später Freiherr v.), k. u. k. Oberst (später Feldmarschalleutnant), Flügeladjutant und Vorstand der Militärkanzlei des EH. Franz Ferdinand 112, 131, 153, 154, 208, 243.
B e c k Friedrich, Freiherr v. (später Graf), k. u. k. Feldzeugmeister u. Chef des Generalstabs 123, 246. B e c k Max Wladimir, Freiherr v., österr. Ministerpräsident 11, 346. B e c k e r , Alois Ritter v., k. u. k. Linienschiffskapitän, Kommandant des Rammkreuzers „Elisabeth", mit dem EH. Franz Ferdinand die Weltreise gemacht hat 10. B e r c h t o l d , Leopold Graf, k. u. k. Minister d. Äußern 121, 154, 198, 200, 226. B e r n s t e i n , Max Dr., Bezirksarzt 215. B e y e n , Baron, Belgischer Gesandter in Berlin 151. B i l i n s k i , Leo Ritter v., k. u. k. Finanzminister 198—201, 211, 212, 213. B i s m a r c k , Otto Fürst, Deutscher Reichskanzler 50, 51, 134, 156. B i t t n e r Ludwig, Dr., Professor, Direktor des Haus-, Hof- u. Staats-Archivs in Wien 200. B o l f r a s v. Ahnenburg, Arthur Freiherr v., General d. Inf., Generaladjutant u. Vorstand der Militär kanzlei Kaiser Franz Josefs 120. B o o s - W a l d e c k , Graf, Mitglied des freiwilligen Automobilkorps 206, 220. B r o c k d o r f f - R a n t z a u Ulrich, Graf, Erster Sekretär der deutschen Botschaft in Wien (später Deutscher Gesandter in Moskau) 148, 160.
l ) Die Autoren der in diesem Buche zitierten Quellenwerke sind in diesem Verzeichnis nicht genannt, ausgenommen solche, die an den dargestellten Vorgängen persönlich beteiligt gewesen sind, wie z. B. Conrad, Czernin, Popovici.
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Personen -Verzeichnis B r o n n , Freiherr v. (später Fürst Weikersheim), Kammervorsteher EH. Franz Ferdinands 19. B r o s c h v. Aarenau, Alexander v., k. o. k. Major (später Oberst), Flageladjutant und Vorstand der Militärkanzlei EH. Franz Ferdinands 76, m — 1 1 5 , 119, 124, 243, 246. C.
C a b r i n o v i 6 Nedjelko, Schriftsetzer, Verschwörer 167, 168, 177, 180, 183, 184, 189, 190, 191, 193, 206, 210, 229, 230. Carl Franz Josef, Erzherzog (später Kaiser Karl) 8o, 81, 105, 227. Carl L u d w i g , Erzherzog, Vater EH, Franz Ferdinands 1, 2, 3, 4, 5, 8, 16. »45Carol, König v. Rumänien 28. C e r o v i i , Hofrat in Bosnien 212. C h l u m e c k y , Leopold Freiherr v., Herausgeber der „Osterr. Rundschau" 120, 138. Chotek v. Chotkowa und Wognin, Bohuslaw Graf, Geh. Rat, Oberststabelmeister S. M. 34. , Gräfin Wilhelmine, geb. Gräfin Kinsky v. Wchinitz u. Tettau, Sternkreuzordens- u. Palastdame 34. C i g a n o v i ö Milan, Serb. Bandenführer, Verschwörer 168, 183, 185, 189, 193, 229. C l a m - M a r t i n i c , Heinrich Graf, österr. Politiker (später Ministerpräsident) 10. Conrad v. Hötzendorf, Franz Freiherr v. (später Graf), k. u. k. General d. Inf. (später Feldmarschall), Chef des Generalstabs 109, no, 118, 119, 120, 122—132, 140, 141, 142, 147, 149, 153. z 54> i 6 5 . 99. 204, 241, 246. Coreth, Carl Graf, Erzieher des EH. Ferdinand Carl (später k. u. k. Generalmajor) 8. Cubrilovi6 Vaso, Lehrer u. Verschwörer 184, 190, 191, 209, 224, 229. Curci6 Fehrin, Bürgermeister von Sarajevo 206. C u v a j S l a v k o v., Banus v. Kroatien '74. 175-
Czernin, Ottokar Graf, Osterr. Staatsmann (später k. u. k. Minister des AuBern) 197, 240, 241. Czuber Bertha, Tochter des Professors Czuber von der Technischen Hochschule, Gemahlin des EH. Ferdinand Carl (später Ferd. Burg) 27. D.
Da£i6, Zivojin, Leiter der serb. Staatsdruckerei 171. Dakid Gjorgje, Gemeindenotar in Zwornik 190. D'Annunzio Gabriele, italienischer Dichter und Agitator 135. Danzer C. M., Herausgeber der „Armeezeitung" 74, 120, 138. D a v i d o v i 6 Ljuba, serb. Minister 171. D e i k , Franz v., ungar. Staatsmann 62. Degenfeld, Ferdinand Graf, k. u. k. Oberst (später Feldmarschalleutnant), Erzieher des EH. Franz Ferdinand 4. D i m i t r i j e v i ö Dragutin, genannt Apis, Oberst im serb. Generalstab, Verschwörer 172, 173, 175, 180—187, 189, 192, 193. 229. Dj uki6 Lazar, Verschwörer 184. D o j i i 6 Stefan, Verschwörer 175. Draga, Königin v. Serbien 171. B. E d u a r d (VII.), Prinz v. Wales (später König v. England) 20. E i c h h o f f S. A., Freiherr v., österr. Minister 197, 198. E i s e n k o l b , österr. Abgeordneter (alldeutsch) 50. E i t e l F r i t z , Prinz, Sohn Kaiser Wilhelms II. 137. E l i s a b e t h , Kaiserin v. Österreich, Königin v. Ungarn 1, 4. —, Erzherzogin, Tochter des Kronprinzen Rudolf 3. —, Erzherzogin, Stiefschwester des EH. Franz Ferdinand 4. E l i s a b e t h , Königin v. Rumänien 28. E r n s t , Erzherzog 22. Eugen, Prinz v. Savoyen, kaiserlicher Feldherr 27.
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Personen -Verzeichnis
Engen, Erzherzog 124, 146. E u l e n b u r g , Graf, preuß. Minister des Königl. Hauses 44. F. F e j i r v a r y v. Komlos-Keresztis G4za, Freiherr v., k. u. k. Feldzeugmeister, ung. H o n v l d m i n i s t e r u. Ministerpräsident 81. F e r d i n a n d , Kaiser v. Österreich 2, 56. — II., König beider Sizilien 3. —, Zar von Bulgarien 181. — Carl, Erzherzog, Bruder des E H . F r a n z Ferdinand 3, 27. — Max, Kaiser v. Mexiko 1. F r a n z I., Kaiser v. Österreich 33, 93, 100. — II., König beider Sizilien 134. F r a n z V., Herzog v. Modena 5. F r a n z C a r l , Erzherzog, Vater Kaiser F r a n z Josefs 2. F r a n z J o s e f , Kaiser v. Österreich, König v. Ungarn 1, 2, 3, 8, 9, 22, 23, 24, 28, 29, 33, 34. 44, 51, 53, 54, 56, 59, 63, 67, 68, 91, 102, 103, 104, 108, 109, 110, i n , 1 1 2 , 1 1 3 , 116, 117, 118, 119, 121, 127, 141, 143, 144, 147, 148, 135, 165, 166, 180, 213, 214, 222, 223, 224, 225, 226, 227, 232, 235, 240, 246, 247, 249. F r i e d r i c h , Erzherzog 21. F u n d e r Friedrich, Dr., Chefredakteur der „Reichspost" 64, 120, 144. F ü r s t e n b e r g , M. E. F ü r s t zu 147. 0. G a £ i n o v i 6 Milan, Leiter der „Mlada Bosna", Verschwörer 170, 184. G o l u c h o w s k i , Agenor Graf, k. u. k. Minister d. Äußern 17. G r a b e z Trifko, S t u d e n t u. Verschwörer 178, 180, 184, 189, 190, 191, 210, 229. G r b i d , s^rb. F i n a n z w a c h m a n n 190, 191. G r i l l p a r z e r Franz, Dichter 107. H. H a r r a c h , F r a n z Graf 205, 208. H e i n r i c h , Erzherzog 22. H e r v o j i f c v., kroatischer B a n a t r a t 175.
H ö g e r Paul, k. u. k. Major (später Oberst) in der Militärkanzlei des E H . F r a n z F e r d i n a n d 207, 208. H o h e n b e r g E r n s t , P r i n z v., jüngerer Sohn des E H . F r a n z F e r d i n a n d 25, 39. — Max, H e r z o g v., älterer Sohn des E H . F r a n z F e r d i n a n d 25, 31, 39, 43, 44. — Sophie, Herzogin v., geborene G r ä f i n Chotek, Gemahlin des E H . F r a n z Ferd i n a n d 21, 23, 25—29, 31, 32, 34, 35, 36, 38. 40, 41, 43, 52, 77, 80, 95. 96, 158, 196, 197, 203, 204, 206, 207, 208, 209, 216, 217, 219, 220, 221, 226, 227. — Sophie, Prinzessin v., Tochter des E H . F r a n z F e r d i n a n d 25. H o h e n l o h e F r a n z , Prinz zu, k. u. k. H a u p t m a n n , M i l i t ä r a t t a c h e in Petersb u r g 152. H o y o s , Heinrich, Graf, F l o g e l a d j u t a n t Kaiser F r a n z Josefs 147. H u m b e r t , K ö n i g v. Italien 135, 143. H ü t t e n b r e n n e r , k. u. k. Major in der Militärkanzlei des E H . F r a n z Ferdin a n d 208. I. I I i 6 Danilo, Lehrer u. Verschwörer 184, 191, 209, 229. I s a b e l l a , Erzherzogin, geborne Prinzessin von Croy-Dülmen, Gemahlin des E H . Friedrich 21. I s w o l s k i P. A., russischer Minister des Ä u ß e r n 148.
i. J a g o w G o t t l i e b v., S t a a t s s e k r e t ä r des deutschen Auswärtigen A m t s 44, 161. J a k o v l e v i 6 Milan, Lehrer u. Verschwör e r 190. J a n a c z e k Franz, Haushofmeister EH. F r a n z F e r d i n a n d s 23. J a n k o v i 6 Boza, serb. General 1 7 1 . J e m a k o v i 6 , S c h r i f t f ü h r e r beim Bezirksgericht in R o g a t i c a 2 1 5 . J o h a n n , Erzherzog, Reichsverweser 22. — , Erzherzog (später J o h a n n Orth) 22. J o s e f II., Deutscher Kaiser 35, 55, 60, 231, 232, 233. J o v a n o v i ö J o k a , serb. Gesandter in Wien 200, 201.
Personen - Verzeichnis J o v a n o v i f c Ljnba, serb. Minister 170, »93. 194. »95. «99-
— Misko, Vorstand d. serb. Gemeinde in Tugle n. Verschwörer 191, 229. — Ziva (genannt Lala), Verschwörer 180. J u a r e z Benito, Präsident der mexik. Republik 1. JukiöLuka, Student u. Verschwörer 174. K. K a g e n e c k , Graf, Major, deutscher Militärattache in Wien 152. K ä l n o k y Gustav, Graf, k. u. k. Minister d. Äußern 134, 156. K a r l Franz Josef, Erzherzog, siehe Carl. K e r o v i 6 Mitar, Verschwörer 191. •— Nedjo, Verschwörer 191. K h u e n - H 6 d e r v ä r y Karl, Graf, ung. Ministerpräsident 97. K l o p p Onno, Historiker, Lehrer des EH. Franz Ferdinands 4, 5. K n a p p , Dr., Philologe, Lehrer des EH. Franz Ferdinand, später Schulinspektor 4. K n a u e r , Dr., Zoologe, Lehrer des EH. Franz Ferdinand 4. K o e r b e r Ernst v., Dr., österr. Ministerpräsident 56, 64, 65. K o s s u t h , Ludwig v., ungar. Revolutionär 56, 86. K r i m a r { Karl, Dr., tschech. Staatsmann 52. K r i s z t o f f y v., Dr., ung. Minister 64, 81. K u h , Baron, Adlatus des k. u. Finanzministers v. Bilinski 212. L. L a m m a s c h v. Waffenstein, Dr., Univ.Professor, später österr. Minister 76. L l n y i , Dr., Lehrer des EH. Franz Ferdinand (später Bischof) 64. Leopold II., Deutscher Kaiser 56. Leopold F e r d i n a n d , Erzherzog 10. Linder Georg, ungar. Vertrauensmann des EH. Franz Ferdinand 64. L o n y a y Stephanie, Fürstin, früher Gemahlin des Kronprinzen Rudolf 225. L o t h r i n g e n Carl, Herzog v., kaiserl. Feldherr 55.
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Lueger Carl, Dr., Bürgermeister von Wien, Führer der Christlichsozialen in Osterreich 47, 137. L u r t z , Dr., ung. Abgeordneter 59. IL Malobabi6 Rado, serbischer Agent in Österreich-Ungarn 185. Marcora, Präsident der ital. Kammer 139-
Margarethe, Erzherzogin, Schwester des EH. Franz Ferdinand 4, 5, 43. — Prinzession v. Sachsen, erste Gemahlin des EH. Carl Ludwig 3. Margutti Albert, Freiherr v., k. u. k. Feldmarschalleutnant in der Generaladjutantur Kaiser Franz Josefs 20. 68. 69, 73. Maria Annunziata, Erzherzogin, Tochter König Ferdinands II. beider Sizilien, Mutter des EH. Franz Ferdinand 3-
—, Erzherzogin, Stiefschwester des EH. Franz Ferdinand 4, 18. Maria Christine, Erzherzogin, Tochter des EH. Friedrich 21. Maria Theresia, Erzherzogin, Gemahlin des EH. Carl Ludwig u. Stiefmutter des EH. Franz Ferdinand 4, 5, 7. »8, 23. 3i, 35. 43. 44-
Marschall G o d f r i e d , Dr., Propstvikar, Lehrer des EH. Franz Ferdinand (später Weihbischof) 4, 5, 23, 31, 246. Mehmedbasi6 Mohamed, Verschwörer 184, 209. M e n s d o r f f - P o u i l l y Albert, Graf, k. u. k. Botschafter in London 29. Merizzi v., k. u. k. Oberstleutnant, Flügeladjutant FZM. Potioreks 206, 207, 218, 219, 220. Metzger Josef, k. u. k. Oberst, Chef der Operationskanzlei im Generalstab 166. Miguel, Dom, Exkönig v. Portugal 4. Mi lose vi 6 Obren, Bauer u. Verschwörer 190, 191. M i l o v a n o v i i Milan, serb. Minister 174. Milovi6 Jakov, Bauer u. Verschwörer 190, 19t.
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Personen -Verzeichnis
M o n t e n u o v o Alfred, Fürst v., Obersthofmeister Kaiser Franz Josefs 226, 227. M o r s e y Andreas, Freiherr v., Dr., Dienstkämmerer bei EH. Franz Ferdinand 215, 218. H. N i k o l a u s II., Zar v. Rußland 138, 140, 152. N i n c i ö , serb. Abgeordneter 195. N o s t i t z - R i e n e c k Johann, Graf, k. u. k. Rittmeister, Erzieher des E H . Franz Ferdinand (später Feldmarschalleutnant) 4.
0.
O b e l ¡ 6 MiloS, Mörder des Sultans Murad und serb. Nationalheld 230. O b e r d a n k Wilhelm, irredentistischer Verschwörer 135. O r l i ö Ivo, Dr., großserbischer Agitator u. Verschwörer 179, 183. O s t e n - S a c k e n , Graf, russischer Geschäftsträger in Berlin 148. O t t o , Erzherzog, Bruder des E H . Franz Ferdinand 3, 5, 6, 16, 17, 24, 26. P. P a a r Eduard, Graf, Generaladjutant Kaiser Franz Josefs 222. P a s i 6 Nikola, serb. Ministerpräsident 192. 193. 194. 199P e l l e g r i n i Battista, ital. Publizist 135. P e t e r , König v. Serbien 192, 193, 226. P i t r e i c h Heinrich, Freiherr v., k. u. k. Feldzeugmeister, Kriegsminister 109. P o p o v i 6 Cedomir, serb. Major (später Oberst), Gendarmeriekommandant in Belgrad 180. •— Cvjetko, Verschwörer 184, 209. — Rade, Major, serb. Grenzhauptmann 189, 191. P o p o v i c i Aurel C., polit. Schriftsteller 71—75. 77P o t i o r e k Oskar, k.u.k. Feldzeugmeister, kommandierender General in Sarajevo 184, 205, 206, 207, 208, 212, 213, 217, 218, 219, 220. P r i n c i p Gavrilo, serb. Verschwörer 177, 180, 183, 184, 189, 190, 191, 207, 210, 2 1 1 , 212, 213, 219, 229, 230, 249.
P r o n a y v. Tòt-Prona u. Blatnicza J . , k. u. k. Oberleutnant, Reisebegleiter des EH. Franz Ferdinand 10. P r v a n o v i é , serb. Grenzhauptmann 189, 190. P u t n i k , Chef, des serb. Generalstabs 192. R. R a d i v o j e v i ó Ilja, serb. Major, Präsisident der „Schwarzen Hand" 172. R a g o s a , Apotheker, irredentistischer Verschwörer 135. R ä k ö c z y Franz II., ungarischer Forst und Rebellenfahrer 67. R e d l Alfred, k. u. k. Oberst, Generalstabschef des V I I I . Armeekorps 128. R i t t n e r , Dr., Professor, Lehrer des EH. Franz Ferdinand 4. R u d o l f , Erzherzog, Kronprinz v. Osterreich u Ungarn 1, 2, 3, 7, 8, 45, 46, 225. R n m m e r s k i r c h , Freiherr v., Obersthofmeister des EH. Franz Ferdinand 207. S. S c h ö n a i c h Franz, Freihen- v., General d. Inf., österr. Landesverteidigungsminister, später k. u. k. Kriegsminister 109, 1 1 2 , 1 1 7 , 126, 239. S c h ö n e r e r Georg, Ritter v., österr. Abgeordneter, Führer der Alldeutschen 49S c h w a r z e n b e r g Carl, Fürst, Freund des EH. Franz Ferdinand 146. § e f e r Jakov, Student u. Verschwörer 175. S k e r l e c z , Baron, Banus v. Kroatien 175. S t e i n Franko, österr. Abgeordneter (Alldeutscher) 49. S t e r n , Gerichtsadjunkt beim Bezirksgericht in Rogatica 215. S t j e p a n o v i é Cvijan, Bauer u. Verschwörer 191. S t ü r g k h Josef, Graf, k. u. k. Militärbevollmächtigter in Berlin (später General d. Inf.) 157. — Karl, Graf, österr. Ministerpräsident 198. S u n i 6 , serb. Finanzinspektor 189. S y l v a - T a r o u c c a , Graf, österr. Politiker 148, 160.
Personen-Verzeichnis Szaskiewicz, k. u. k. Generalmajor 215. Széll Koloman v., ungar. Ministerpräsident 52. SzOgyény-Marich v. (später Graf), k. u. k. Botschafter in Berlin 158. T. Tankosiò Voja, serb. Major u. Bandenführer, Verschwörer 168, 171, 17a, 173. »75. l 8 ° . 183, 184, 185, 229. T a r t a g l i a Oskar, Dr., großserb. Agitator 175. T e r s z t y à n s z k y v. N ä d a s Karl, k. n. k. General d. Kav., kommandierender General d. IV. Armeekorps 128, 129. Thèbes, Madame de, Wahrsagerin 167. Tisza Stefan, Graf, ung. Ministerpräsident 58, 60, 61, 64, 65, 83, 117, 160, 161, 162, 164, 198, 214. T s c h i r s c h k y u. B ö g e n d o r f f , Heinrich v., deutscher Botschafter in Wien 61, 152, 161, 162, 163, 164, 165. T u r b a , Dr., Professor, Staatsrechtslehrer 76. ü. Uzunoviò, serb. Abgeordneter 195. V. V a r e i a n i n v . VareS Marian, k. u. k. Feldzeugmeister u. kommandierender General in Sarajevo 174.
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Vasifc Milan, serb. Major, Sekretär der ..Narodna odbrana" 172. V e t t e r , kaiserl. Garteninspektor in Schönbrunn 8. V i k t o r E m a n u e l II., König v. Italien 134III., König v. Italien 135, 138, 164, 165. V i k t o r i a , Königin v. England 17. W. Wallis Georg, Graf, k. n. k. Leutnant, Erzieher des EH. Franz Ferdinand 4. Weckerle Alexander, Dr., ungar. Minister 60. Wilhelm II., Deutscher Kaiser 29, 31, 32, 43, 113, » 4 . «3o. 131. 133. «47. 150, 152, 153, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 181, 185, 225. W u r m b r a n d Leo, Graf, k. u. k. Major (später General), Kammervorsteher des EH. Franz Ferdinand 6, 10. Z. Z e r a j i i Bogdan, Student, Verschwörer 174Z i c h y Johann, Graf, ungar. Politiker. Führer der kathol. Volkspartei 53, 64.
J t t a r f a 3 ^ t r t f f a , tyt Xtben unb fljr« K t g U r u n g 2 Binde. 802 Seiten. Gr.-8°. 1917. Brosch. M. 9.50; in Leinen geb. M. 11.50. D e u t s c h e L i t e r a t u r z e i t u n g : Welchem Freunde österreichischer Geschichte hätte sich nicht schon oft der Wunsch aufgedrängt nach einen Seitenstfick zu Kosen monumentalem „Friedrich der Große", nach einer Biographie der großen Gegnerin des großen Königs, geschrieben auf gleich tiefgreifender Forschung, mit gleich feiner Charakteristik, gleichem Geschmack der Darstellung ? . . . . Guglias „Maria Theresia" ist ein in jeder Hinsicht wertvolles Werk, ein Denkmal der großen Herrscherin, dessen wir uns freuen können, es fibertrifft wohl in manchen Teilen das unerreichte Vorbild Kosers sogar durch die edel klingende Sprache; seinen besonderen Reis aber wird man darin erblicken dürfen, daß der Verfasser es vermocht hat, das unvergänglich Frauenhafte an Maria Theresia uns Nachlebenden wieder ganz nahezubringen.
©raf Kelberg.
9 f a r jkayttrl 311 f t i n t r traft £ ( U m { 4 ) * O c f t y t y e Von Dr. F r i e d r i c h E n g e l - J i n o s i 160 Seiten, 1 Tafel. 8*. 1927. Broschiert M. 7.—. I n h a l t : 1. Der Aufstieg. 2. Das Ende der Österreichischen Vormacht in Italien. 3. Der Polenaufstand 1863. 4. Der Ausgang. Graf Rechberg war einer von den Staatsmännern, denen die schwierige und dabei undankbare Aufgabe zufiel, Österreich, das durch die Wirren des 19. Jahrhunderts geschwächt worden war und viel an Ansehen eingebüßt hatte, wieder zur alten Macht, zur außenpolitischen Geltnng als führende Großmacht zurückzuführen. In der Losung dieser Aufgabe erwarb sich Rechberg, ein Schaler und Verehrer Metternichs, große Verdienste, doch blieb ihm der entscheidende Erfolg versagt; ein Grund dafür, daß der Staatsmann trotz der von Friedjung („Der Kampf um die Vorherrschaft") und Bismarck („Gedanken und Erinnerungen") versuchten Rechtfertigung in der öffentlichen Meinung keine günstige Beurteilung fand. Der Verfasser konnte zahlreiche, erst neuerdings zugfinglich gewordene Quellen aus öffentlichen und privaten Archiven ffir seine Darstellung fruchtbar verwerten. F o r s c h u n g e n zur B r a n d e n b u r g i s c h e n u n d P r e u ß i s c h e n G e s c h i c h t e : . . . feine Einfühlung in Rechbergs Gedankenwelt und Gefühlsleben. . . . Einfloß der Metternichschen und Schwarzenbergischen Ideen auf Rechberg vortrefflich gekennzeichnet. . . . Dem Verfasser ist seine Absicht, das ehrliche Streben eines charakterfesten, mutigen Mannes . . . im Dienste Österreichs in richtige Beleuchtung zu setzen, vollauf gelungen.
©fe &u£brrftung öe» ©eutftyunw inSü&tt'rol