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German Pages 370 [372] Year 2000
Η. Roth (Hrsg.) DER ANFANG
DER
MUSEUMSLEHRE
IN
DEUTSCHLAND
Porträt von Samuel Quiccheberg. Hans Mielich (nach 1565) im ersten Kommentarband zu den Bußpsalmen Orlando di Lassus
DER ANFANG DER MUSEUMSLEHRE IN DEUTSCHLAND
Das Traktat Jnscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi" von Samuel Quiccheberg Lateinisch- Deutsch Herausgegeben und kommentiert von Harriet Roth
Akademie Verlag
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Roth, Harriet: Der Anfang der Museumslehre in Deutschland: das Traktat „Inscriptiones vel tituli theatri amplissimi" von Samuel Quiccheberg; lateinisch-deutsch/hrsg. und kommentiert von Harriet Roth. - Berlin: Akad. Verl., 2000 Zugl.: Berlin, Humboldt-Univ., Diss. ISBN 3-05-003490-4 Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2000 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Einbandgestaltung: Ingo Ostermaier, Berlin Satz: Werksatz Schmidt & Schulz, Gräfenhainichen Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany
FÜR CLARA
Vorwort Samuel Quicchebergs Traktat Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi von 1565 wird allgemeinhin als der Anfang der Museumslehre in Deutschland betrachtet. Dennoch gibt es bis heute weder eine Monographie, eine Einzeluntersuchung zu Quicchebergs Person, zu seinem Traktat, noch eine in sich geschlossene Ubersetzung. Zentrales Ziel dieser Arbeit war es deshalb, dieses erste museumstheoretische Konzept einem breiteren Publikum zugänglich machen zu können. Neben der Transkription des lateinischen Textes und einer kommentierten Ubersetzung, stellt eine Untersuchung der einzelnen Abschnitte des Traktates den Kern dieser Arbeit dar. Durch ein Forschungsstipendium des Getty Centers for the Arts and the Humanities in Santa Monica (USA) im Winter 1995 war es möglich, diese Arbeit mit den in Deutschland oft schwer zugänglichen Quellen zügig abzuschließen. Dem Getty Center, besonders Dr. Herbert Hymans und den Mitarbeiterinnen der Special Collections, Kirsten Hammer, Donald Anderle und Marcia Reed, sei hier gedankt. Die fachlichen Gespräche mit Prof. Paula Findlen ergaben hier neben großer Ermutigung für die Fertigstellung einige wichtige Hinweise zu Quicchebergs Umfeld, für die ich sehr verbunden bin. Dr. Paul Holdengräber danke ich für den anderen Blick auf die Sammler aus der Perspektive von Walter Benjamin. Danken möchte ich für die freundliche Unterstützung und den Zugang zu wichtigem Material der Bayerischen Staatsbibliothek München und der dortigen Handschriftenabteilung; der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek München; dem Universitätsarchiv der Ludwig-Maximilians-Universität München, besonders dem Vorstand Frau Prof. Dr. Laetitia Boehm; der Sächsischen Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek, Dresden; der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek, Stadtmuseum und Stadtarchiv der Stadt Ingolstadt; dem Stadtarchiv der Landeshauptstadt München; dem Stadtarchiv Augsburg; dem Stadtarchiv Nürnberg und dem Fürstlichen und Gräflichen Fuggerschen Familien- und Stiftungsarchiv, Dillingen. Für die fachliche Hilfe bei der Übersetzung des lateinischen Textes danke ich Karoline Harthun und bei der Ubersetzung des griechischen Textes Dimitrios Ambatielos. Aktuelle Anregungen zu dieser Arbeit ergaben sich u.a. aus dem Austausch in dem Arbeitskreis ,Bildarchiv' an der Humboldt-Universität zu Berlin unter der Leitung von Prof. Dr. Horst Bredekamp und Prof. Dr. Friedrich Kittler. Für die Hilfe bei der Fertigstellung des Manuskripts danke ich der fachlichen Unterstützung von Dr. Lorenz Seelig und der Durchsicht durch Werner Wahls und Marie-Louisa Weski. Dank gilt Prof. Dr. Horst Bredekamp besonders dafür, daß diese Arbeit mit viel Freude an ihrem Inhalt entstanden ist.
Inhaltsverzeichnis Vorwort I. Einleitung 1. Biographische Hintergründe 2. Vorbilder und Schriften bis 1565 3. Quicchebergs Museumsbegriff 4. Giulio Camillos „U Idea del Theatro" und die Bedeutung für Quicchebergs Inscriptiones II. Original und Ubersetzung des Traktates l.a. Inscriptiones 1.b. Uberschriften 2.a. Musea et Officina 2.b. Museen, Werkstätten und Archive 3.a. Admonitio et Consilium 3.b. Ermahnung und Ratschlag 4.a. Digressiones et Declarationes 4.b. Erörterungen und Erklärungen 5.a. Exempla ad Lectorem 5.b. Beispiele für den Leser
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III. Ordnung und Methode in Quicchebergs Museumstheorie. Ein Kommentar zu dem „umfangreichsten Theater" 1. Inscriptiones 2. Musea et Officina 3. Admonitio 4. Digressiones 5. Exempla 5.a. Sammlungen der weltlichen Fürsten 5.b. Sammlungen der geistlichen Fürsten 5.c. Sammlungen der Gelehrten 5.d. Wissenschaft und Sammlung am Hof Albrechts V. 5.e. Theater der Weisheit 5.f. Professoren und Gelehrte 5.g. Gedichte und Elogen
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Schlußbemerkungen
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IV. Bibliographie
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Abbildungsverzeichnis
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Register
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I. Einleitung Als Museum wird gemeinhin eine Institution bezeichnet, die Sammlungen mit naturwissenschaftlichen oder kulturhistorischen Gegenständen enthält und diese der Öffentlichkeit mit wissenschaftlicher und konservatorischer Sorgfalt präsentiert. Das Sammeln als Vorläufer und Voraussetzung der späteren Institution Museum erfährt als eines der ältesten Leidenschaften der Menschheit durch die Jahrhunderte hinweg die verschiedensten Ausprägungen und Formen. Die Zeit des 16. Jahrhunderts, in der Samuel Quicchebergs Traktat entstanden ist, kennt verschiedene Sammlungsformen. Neben den vielen kleinen privaten und fürstlichen Spezialsammlungen der Gelehrten stehen die ersten großen Sammlungen, die je nach Möglichkeit der Mittel versuchen, ein repräsentatives Bild der damals bekannten Welt zu zeigen. Der sog. Macrocosmos im Microcosmos zeigt die Welt im Kleinen, nach räumlicher Gegebenheit und finanziellen Mitteln. Eben für solche Sammlungen, die in der Mitte des 16. Jahrhunderts vielerorts ihren Ursprung finden, scheint Samuel Quicchebergs Entwurf einer Museums- oder Sammlungsordnung geschaffen worden zu sein. Jene Sammlungen suchten eine Ordnung mit schnell auffindbaren Verweisen, eine Präsentation der Objekte und eine möglichst große Vollständigkeit der Kategorien und Wissensgebiete. Samuel Quicchebergs Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi von 1565 werden aufgrund der dargestellten Klassifizierungen und Kategorien zu einer Ordnung aller Dinge der Welt in einem Museum als erste Museumstheorie betrachtet. 1 Die Inscriptiones verbinden erstmals geschlossen und als Einheit alle damals existierenden Sammlungstypen musealer oder experimenteller Natur. Dieses Universalmuseum, diese ,schaubare ... Enzyklopädie alles irdischen Seins mit einem ausgesprochenen Bildungs- und Erziehungszweck'2 ist in ihrer Bedeutung für die Geschichte der Museen und die Museumswissenschaft lange unterschätzt worden. Die möglichen Vorbilder oder Vorlagen für Quicchebergs Theatrum haben nach eingehenden Recherchen die Vermutung bestätigt, daß Quiccheberg mit dem Entwurf einer praktisch ausgerichteten Museumstheorie - u.a. durch die Nähe zur Münchner Kunstkammer-, den Anfang der Museumslehre in Deutschland darstellt. Es existiert keine Vorlage sammlungs- oder museumstheoretischer Natur, auf die sich Quiccheberg hätte stützen können 3 . Umso bedeutender erscheint, daß Quiccheberg anhand der innerhalb des Traktates erwähnten Personen eine Art Sammlerrepublik zusammengestellt hat. Sie gibt weiteren Aufschluß über das Umfeld, in dem Quicchebergs Traktat entstanden ist. Ein größer angelegtes Projekt zu den Sammlungen im süddeutschen Raum im 16. Jahrhundert 1 Siehe hierzu Falguieres, Patricia, Fondation du theatre ou methode de l'Exposition universelle. Les inscriptions de Samuel Quiccheberg (1565), in: Cahiers du Musee National d'art Moderne, 40, Ete 1992, S. 91 f. Dies ist einer der wenigen Texte, die sich ausführlich mit Quiccheberg befassen. 2 Rudolf Berliner, Zur älteren Geschichte der Museumslehre in Deutschland, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, N.F., Bd. V, 1928, S. 329. 3 Julius von Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammer der Spätrenaissance, S. 143, nennt es (Zitat): ,die erste museologische Schrift, die nördlich der Alpen erschien', in: Ein Beitrag zur Geschichte des Sammelwesens, 2. Ausg., Braunbschweig 1978.
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Einleitung
könnte hier sicherlich wichtige Aspekte und Material zu der Sammeltätigkeit um Herzog Albrecht V. zutage bringen. Quicchebergs Traktat zeigt, daß die Kunstkammer des späten 16. Jahrhunderts nicht nur eine Ansammlung von Kuriositäten und Monstrositäten war, sondern eine Welt von Gelehrten widerspiegelt, die nach einer Ordnung der Natur, der Welt und besonders nach einer Ordnung des Wissens gesucht hat, die unsere heutige Zeit mit ihrer weltweiten Kommunikation mit erstaunlicher Aktualität und Logik überrascht. Die Wissenschaftsklassifizierungen unserer Zeit kennt die Kunstkammer des 16. Jahrhunderts noch nicht. Die Verbindung der verschiedenen Gruppen von Sammlungsgegenständen schließt auch die kuriosen und bizarren Objekte ein, die mit unseren heutigen Vorstellungen von Ordnung nicht vereinbar sind. Es sei daran erinnert, daß die Kunstund Wunderkammer Fragen nach der Ordnung von Wissen stellte, nach Klassifizierungsmöglichkeiten und Kategorien suchte, die heute selbstverständlich sind. Dieses geordnete Nebeneinander von verschiedenen Bedeutungsträgern versucht Quiccheberg neu zu definieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So läßt sich das Zusammenspiel von Realem und Irrealem erklären und schwer Nachvollziehbares als durchaus plausible Ordnung darstellen. Quicchebergs Text ist nicht nur die erste Museumstheorie, der Text ist auch das erste Handbuch für Sammler, der praktische Ratschläge mit einem theoretischen Konzept verbindet. Er ist der Versuch, ein ideales Museum mit der Hilfe aller Dinge dieser Welt zu konzipieren. Die klassische Aufteilung einer Sammlung oder auch Kunst- und Wunderkammer, wie diese Sammlungen in der Zeit oft genannt wurden, erfolgte in Naturalia, Mirabilia, Artefacta, Säentifica, Antiquites und ExoticaQuicchebergs außerordentliche Leistung besteht besonders darin, erstmalig eine Verbindung zwischen sämtlichen bis heute wichtigen Elementen und Bereichen eines Museums hergestellt zu haben. Als Beispiel sei hier nur die geforderte enge Verbindung der Bibliothek mit der Kunstkammer als direkte Ergänzung und Erklärung der Objektwelt genannt. Eng verbunden ist das Traktat mit dem etwa gleichzeitig entstehenden Bau der Münchner Kunstkammer, die spätere Münze und heute das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege, nördlich des alten Hofs. Zwischen 1563 und 1567 ließ Albrecht V. durch seinen Hofbaumeister Wilhelm Egckhl neben dem Alten Hof für die Kunstkammer ein neues Gebäude errichten 5 . Der Kommentar der einzelnen Abschnitte des Traktates, die u. a. die oft kritisierte Inkonsequenz von Quicchebergs Ausführungen zu erklären sucht, stellt, neben der Ubersetzung, den zentralen Teil dieser Arbeit dar. Darüberhinaus geht sie den bis dato wenig untersuchten Hintergründen für die Entstehung des Textes nach, einerseits anhand der Biographie Quicchebergs, andererseits anhand seines persönlichen und arbeitsbedingten Umfeldes, wie der Anhang der von ihm erwähnten Sammler und Sammlungen im mitteleuropäischen Raum zeigt. Die einzelnen Kapitel des Traktates werden auf ihre inhaltliche Aussagekraft, auf inhaltliche Kohärenz und auf die Bedeutung im Hinblick auf die frühe 4 Siehe zu der Funktion der einzelnen Bereiche den Aufsatz von Mechthild Beilmann, Kunst- und Wunderkammern. Die Urzelle moderner Sammlungen und Museen, in: Kunst & Antiquitäten 3, 90, S. 24-80. 5 Siehe Julius von Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammer der Spätrenaissance. S. 143 f. und Lorenz Seelig, Die Münchner Kunstkammer, Jahrbuch der bayerischen Denkmalpflege, Bd. 40, 1986, S. 101.
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Sammlungs- und Museumsgeschichte untersucht. Die stark textorientierte Untersuchung des Traktates ist durch die umfassenden Hinweise und Informationen, die im Text enthalten sind, zu erklären. Diese werden auf ihre kunsthistorische, wissenschaftshistorische und ideengeschichtliche Bedeutung hin untersucht. Hinsichtlich der Entstehung sowie des Baus der Münchner Kunstkammer bezieht sich die Arbeit auf die ausführlichen Untersuchungen von Otto Hartig 6 und Lorenz Seelig7. Bis heute sind es insbesondere die fünf Klassen des ersten Teils des Traktates gewesen, die sog. Insaiptiones, die Überschriften oder Titel, die in der kunsthistorischen Forschung und in der zeitgenössischen Museologie als Maßstab und Anfang der Kategorisierung herangezogen wurden. Umso erstaunlicher ist es, daß sich diese Referenzen meist auf Sekundärliteratur berufen und in den wenigsten Fällen der ganze Text als Grundlage für solche Untersuchungen in Betracht gezogen wurde. Es soll daher besonders hervorgehoben werden, daß die Inscriptiones erst in Zusammenhang mit den anderen Abschnitten des Traktates, mit den Musea et Officina, den Admonitio ad Lectorem, den Digressiones et Declarationes und schließlich den Exempla ad Lectorem verständlich werden. Alle Abschnitte sind unmittelbar miteinander durch Querverweise verbunden. Dies ist bislang kaum berücksichtigt worden. So geben beispielsweise erst die Digressiones Aufschluß über Aufstellung und Präsentation der Objekte; sie erklären die inhaltlichen Überschneidungen und Doppelungen einiger Objekte innerhalb des Textes. Die erwähnten Sammlungen in den Exempla geben Auskunft über Quicchebergs praktische Erfahrungswelt, ergänzen biographische Lücken und geben Hinweise zu möglichen Vorlagen oder Anregungen für die Entstehung des Traktates.
1. Biographische Hintergründe Samuel Quiccheberg 8 wurde 1529 in Antwerpen geboren 9 und starb 1567 in München. Von Antwerpen zog er mit seiner Familie zunächst nach Gent und im Alter von zehn 6 Otto Hartig, Die Kunsttätigkeit in München unter Wilhelm IV und Albrecht V, 1520-1579, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, N.F. 1933, Bd. Χ, Η 3/4, S. 147-252. In diesem Zusammenhang ist auch der Artikel von Otto Hartig, Die Gründung der Münchner Hofbibliothek durch Albrecht V. und Johann-Jakob Fugger, in: Abh. der K. bayer. Akad. d. Wiss., phil., philolog.-hist. Kl. XXVIII 3, München 1917 von Bedeutung. 7 Seelig, Lorenz, Die Münchner Kunstkammer, S. 101-138 und ders., The Munich Kunstkammer 1565-1807, in: Impey, O./MacGregor, A. (Hrsg.), The Origins of Museums, Oxford 1985, S. 76-89. 8 Für seinen Namen finden sich verschiedene Schreibweisen, angefangen von Guicheberg (Heinrich Leporini, Die Künstlerzeichnung, Berlin 1955, S. 329), Quiccelbergius (Christian Jöcher, Gelehrten Lexicon, Anderer Theil, Leipzig, 1750-51, S. 777), Quickelberg (ebda, dritter Theil, Ausgabe Leipzig 1751, Spalte 1838 und ebda. Ergänzungsband Nr. 6, o.O. 1819, Spalte 1139f.), Quickeberg (Francis Henry Taylor, Taste of Angels, Boston 1948, S. 126), Quicheberg (Schlosser, Julius von, Kunst und Wunderkammern, S. 73 und Scherer, Kunst- und Wunderkammern, S. 10), Quickelbergs (C. Broeckx, Aenteekeningen over Samuel Quickelbergs, oudsheidskundige arts der XVI eeuw, Discours Sur l'utilite de l'histoire de la Medecine, Antwerpen 1840), Samuel ä Quicchelberg (Max Zimmermann, Die Bildenden Künste am Hof Herzog Albrecht V., in: Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 5, 1895, S. 26-71), Quicchelbergs (Biographie Nationale de Belgique, Paris 1866-1944, und Albert Hymason, Dictionary of universal Biography, London 1951) und Quiccheberg (Rudolf Berliner, Zur älteren Geschichte der Museumslehre in Deutschland, sowie Otto Hartig, Die Kunsttätigkeit in München unter
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Einleitung
Jahren nach Nürnberg10. Laut seinem Biographen, dem Theologen, Historiker und Mediziner Heinrich Pantaleon (1522-1595) 11 , ging Quiccheberg 1548, im Alter von achtzehn Jahren, nach Basel und verbrachte dort die erste Studienzeit12. Er studierte Philosophie bei M. Huldricus Coccius (1525-1585) 13 Medizin und Philologie14 bei dem Humanisten und Theologen Hieronymus Wolf (1516-1580) 15 . In Basel muß er das berühmte Amerbach-Kabinett von Basilius Amerbach (1495-1562) 16 gesehen haben. 1548 lernte er auch
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Wilhelm IV. und Albrecht V., 1520-1579, S. 220 f. und Volbehr, Das Theatrum Quicchebergicum, Ein Museumstraum der Renaissance, in: Museumskunde, Bd. V, 1909, S. 208ff.) Weitere biographische Nachweise siehe u. a. Christian Gottlieb Jöcher, Gelehrten-Lexicon, Fortsetzung und Ergänzung, Bd. 6, 1819, Aufl. Hildesheim 1961, Sp. 1139f. und ders. (Hrsg.), Allgemeines Gelehrten Lexicon, Bd. III, 1751, Aufl. Hildesheim 1961, Sp. 1838. Er selbst nennt sich Quicchelberg und Quickelberg. Das Fugger-Archiv in Dillingen führt ihn unter Samuel Quicceberg. Eine Kurzbiographie findet sich auch in dem Katalog von Katharina Urch, Das Bußpsalmenwerk für Herzog Albrecht V. In: Leuchtmann, Horst und Hartmut Schaefer: Orlando di Lasso. Prachthandschriften und Quellenüberlieferung. Tutzing 1994, S. 19-25. Eintragung in: Biographie Nationale de Belgique, Bd. 18, Bruxelles 1905, Sp. 499-501, Quicchelbergs (Samuel) ou Quickelbergs ne ä Anvers 1529, mort ä Munich en 1567. Heinrich Pantaleon, Deutscher Nation Heldenbuch, Teil III, Basel 1578, Eintrag von 1568, S. 560: Samuel ist zu Antorff vo- Jacob Quickeberger im 1529 Jar erbore-/ un- ha(e)rnadi zu Gende aufferzogen/. Das Datum des Umzugs der Familie von Gent nach Nürnberg muß etwa um 1539 liegen. Dort verbrachte er die ersten Schuljahre: da er auch die fundament der geschrifft erlernet. Wie er zehejar alt worde-/ käme er gehn Nu(e)renberg Heinrich Pantaleon (1522-1595), Theologe und Historiker, NDB 16, 128f. Siehe zu Pantaleon die vortreffliche biographische Darstellung anhand eines Briefes Pantaleons von 1576, bei Hilda Lietzmann, Zu einem unbekannten Brief Heinrich Pantaleons aus dem Jahre 1576, in: Bd. 44 der Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 1994, S. 75-79, die auch die enge Verbindung zu Quiccheberg belegt. Siehe Anm. 9 ebda.: übte sich in freyen kiinsten/. Diese biographische Notiz läßt auf den Magister Artium schließen. Er war 1548/49 an der Universität Basel immatrikuliert, Die Matrikel der Universität Basel I, 1548/49, S. 58, 37. Huldericus Coccinäus 1525-1585 war Gräzist und Theologe in Freiburg und Basel, ab 1547 Professor für Griechisch, Matrikel der Universität Basel, I, 1542/43, S. 29, 15. Siehe hierzu Broeckx, Aenteckeiningen over Samuel Quickelbergs, oudheidskundige arte der XVI eeuw, in: Discours sur l'utilite de l'histoire de la Medicine, Antwerpen 1840, S. 5-12; Biographie Nationale Belgique, Cols. 499-501; Volbehr, Theodor, Das Theatrum Quicchebergicum, S. 201 ff. und Berliner, Rudolf, Zur älteren Geschichte der allgemeinen Museumslehre, S. 327ff. Auch E. Hajos geht davon aus, daß Quiccheberg ein medizinisches Studium abschloß, siehe References to Giulio Camillo in Samuel Quicchelberg's „Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi", in: B.H.R, 25, 1953, S. 207, Anm. 1. Wolf war im gleichen Jahr wie Quiccheberg an der Universität Basel immatrikuliert, Matrikel der Universität Basel, I, 1548/49, S. 56, 7. Hier besteht eine weitere Verbindung zu den Fuggern. Hieronymous Wolf war ab 1551 in Augsburg und von 1551-1557 Bibliothekar der Fuggerschen Bibliothek. Da Wolf und Quiccheberg sich zu dieser Zeit bereits kannten, erklärt dies auch die Empfehlung von Quiccheberg durch Wolf an Johann-Jakob Fugger als neuer Bibliothekar (s.u.). Das Kabinett wurde von Johannes Amerbach (1430-1513) gegründet und von Bonifacius Amerbach (1495-1562) nach 1539 weitergeführt. Diese Sammlungen sind alle in das Historische Museum der Stadt Basel übergegangen. Siehe die Kataloge: Das Amerbach-Kabinett, 4 Bde., Historisches Museum Basel 1991, besonders Bd. 1 zu Basilius und Bonifacius Amerbach. Hans Christoph Ackermann, The Basle Cabinets of art and curiosities in the 16th and 17th Centuries, in: Impey, O./McGregor, Α., The Origins of Museums, Oxford 1986, S. 62 f. Siehe auch Hans Fischer, Conrad Gessner, Neujahrsblatt der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich zum 400. Todestag, Zürich 1966, S. 49. Auch Basilius Amerbach, der Sohn von Bonifacius Amerbach war im gleichen Jahr wie Quiccheberg an der Universität Basel immatrikuliert, Matrikel der Universität Basel, II, 1548/49, S. 61, 67.
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Theodor Zwinger (1533-1588) 17 kennen, den er später in Zusammenhang mit den metaphorischen Theatri erwähnt (s.u.). In diese Zeit fallen auch erste mineralogische Studien, denn Quiccheberg finge an die kreütter/metallen/ und andere edle gestein mite sampt iren natürlichen würckunge- zu erkundige-/darzu mancherley Historie- zu durch lesen.18 Vermutlich ist er um 155019 in Ingolstadt, denn man findet im Sommersemester 1550 der Universität Ingolstadt vom 1. Juni 1550 Quicchebergs Namen in der Matrikel 662. Er wird zusammen mit dem Kaufherrn und Bücherfreund Hans-Jakob Fugger (1516-I575) 20 in einer Matrikel genannt. Durch den Handelsherrn und Reichsgrafen Anton Fugger (1493-1560) 21 bekam Quiccheberg finanzielle Unterstützung. Samuel Quinckelbergiensis folgt Anton Fugger, dem die Summe von 48 Florin gezahlt wird: Jacobus Fuggerus generosi domini Antonii Fuggeri domini Kirchperg et Weissenborn filius impuber, 2fl 3022. Die Studienfächer werden nicht erwähnt. Quiccheberg erhielt also schon zu Studienzeiten finanzielle Unterstützung von Anton Fugger und kannte daher auch Johann-Jakob Fugger, seinen späteren Arbeitgeber und Mäzen. Dies war der Beginn einer langen und engen Beziehung zur Fugger-Familie23. Seine Studien führte Quiccheberg ab 1550 in Ingolstadt fort24. Vielleicht unterrichtete er auch, dies ist aber nicht eindeutig belegt25. Zwischenzeitlich, berichtet Pantaleon, sei Quiccheberg in Freiburg und Augsburg gewesen; in Augsburg zu Zeiten des von Kaiser Karl einberufenen Großen Reichstages von 154826. Vielleicht reiste er auch als Rechtsbeistand27. 17 Siehe Digressiones und dort der Hinweis auf das metaphorische Theater von Theodor Zwinger. Theodor Zwinger (1533-1588) war Humanist und Mediziner in Basel, siehe Matrikel der Universität Basel, siehe auch Kaltwasser, Franz G.; Die Bibliothek als Museum, S. 52 f. zu der Verordnung von Amerbach, Zwinger und Quiccheberg. I, S. 55, 2. Auch er war im gleichen Jahr wie Quiccheberg in Basel immatrikuliert. 18 Zitat: Pantaleon, Deutsche Nation Heldenbuch, Teil III, S. 560. 19 Siehe Admonitio et Consilium LT-HH/Zeile 155: quo Ingohtadii studiorum gratia versor. Bis Sommer 1549 war er in Basel immatrikuliert, s. o. 20 Zu Hans-Jakob Fugger siehe Hermann Kellenbenz, Hans-Jakob Fugger, Handelsherr, Humanist, Diplomat (1516-1575), in: Lebensbilder aus dem bayerischen Schwaben 12, hrsg. von Adolf Layer, Weißenhorn 1980, S. 48-104, NDB V, 720f. 21 Götz Freiherr von Pölnitz, Anton Fugger, Bd. 2: 1536-1543, München 1963. Pantaleon, Deutscher Nation Heldenbuch III, S. 314, NDB 714ff. 22 Georg Wolf, Teil I: Ingolstadt 1472-1600, in: Die Matrikel der Ludwig-Maximilians-Universität, Ingolstadt - Landshut - München, hrsg. Götz von Pölnitz, München 1937, S. 662, Eintrag 31. 23 Vergleiche den eindeutigen Nachweis bei Pantaleon, Deutscher Nation Heldenbuch, Teil III, Eintrag von 1568, S. 560: Zu dieser zeit habe- im die herrfiigger ir Jreigiebigkeit bewisen/ und ist er wider im 1550jar in Bayeren gezogen/in seinen studiis fiir zufaren. 24 Pantaleon, ebda., Eintrag von 1568, S. 560: und in de- 18 jar seines alter auff die hohen Schul gehn Basel: daselbe ho(e)ret er über die gemeinen Professores/ M. Huldricum Coccium un- Hieronymum Woljfium/ so im etwas in Sonderheit täglich in philosophia geoffenbaret/ Wie er zu Ingolstadt gewesen/ hat er etliche mal fiir die professores gelesen/ und ist den gelehrten darzu den fiirnembsten in Bayeren bekandt worden. 25 Sie wies darauf hin, siehe Barbara J. Balsiger, The Kunst- und Wunderkammern. A Catalogue raisonne of Collecting in Germany, France and England, 1565-1750, Pittsburg 1970, S. 518f. 26 Pantaleon, Deutscher Nation Heldenbuch, Teil III, S. 560: Auff solliches zöge er gehn Frayburg/ und bald ha(e)rnach gehn Augsburg/ da Keiser Carle im 1548jar ein grossen Reichstag gehalte-. 27 Recht und Philosophie gehörten zum Quadrivium, also der zweiten Bildungsstufe der Artes Liberales, die mit dem Magister Artium abschlossen. Vermutlich erwarb er erste juristischen Kenntnisse in Basel bei den o. g. Professoren, da er diese Studien später in Ingolstadt vertiefte, u. a. bei Martin Eisengrein (1535-1578) s.u.
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Einleitung
Von 1 5 5 0 bis 1 5 5 3 stand er in Verbindung mit Hans-Jakob Fugger 28 . Nachweislich hat er sich am 1 . 6 . 1 5 5 5 in dessen Dienst b e g e b e n 2 9 u n d betreute zunächst die S a m m l u n g u n d d a n n die Bibliothek. Vermutlich hat Quiccheberg die Stelle als Bibliothekar a n g e n o m m e n , n a c h d e m Conrad Gessner das A n g e b o t abgelehnt hatte u n d H i e r o n y m o u s Wolf ausgeschied e n war 3 0 . S o w o h l Wolf als auch Quiccheberg werden im Dienste der Fugger aufgeführt u n d in Z u s a m m e n h a n g mit der Bibliothek zweimal erwähnt: D. Fuggaro ... Laus, in amplissimis Bibliothecas extruendis; Wolfius et supra. Theatrum Vitae Humanae Vol: ?. lib. 4, pag. 109. Di Bibliotheca tarn publicis, quam pnvatis. Samuel ά Quickelberg in sui Theatn quem,plis. pag. G3.6. 3 1 . Diese B e m e r k u n g ist insofern wichtig, als die Bibliothek d e m n a c h s o w o h l öffentlichen als auch privaten Charakter hatte (s. o.). D i e s e B e z e i c h n u n g findet sich auch in Quicchebergs Traktat 32 wieder. Zwar ist es sicher, daß Quiccheberg in Augsburg mit der Ordnung von Bibliothek und Sammlung beauftragt war, Angaben über Umfang und Verantwortung seiner Tätigkeit sind zwar detailliert, aber unklar. In j e d e m Fall bot sie eine inhaltliche Grundlage für Quicchebergs spätere Aufgaben in München. Er selbst erwähnt e i n e n Aufenthalt in Landshut, der vor M ü n c h e n stattgefunden h a b e n mufs 3 3 . Dort b e k a m er vielleicht bei
28 Nachweis s.o. Möglicherweise standen die finanzielle Unterstützung und die Beaufsichtigung der Sammlung und Bibliothek miteinander in Verbindung. 29 An dieser Stelle danke ich dem Fürstlichen und Gräflichen Fuggerschen Familen- und Stiftungs-Archiv in Dillingen, Herrn F. Karg, der mir diese Information weitergab. Das Archiv verweist auf Norbert Lieb, Die Fugger und die Kunst. Im Zeitalter der Spätgotik und der Friihrenaissance, München 1952, Bd. II, S. 472, der über Quicchebergs Verschreibung zum Dienst am 1.6.1555 berichtet; die Verschreibung ist jedoch nicht erhalten. Zeitweise hatte ihn Anton Fugger als Arzt verpflichtet. Siehe dazu u. 30 Siehe hierzu Harriet Hauger, Samuel Quiccheberg: „Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi". Uber die Entstehung der Museen und das Sammeln, in: Universität und Bildung. Festschrift Laetitia Boehm zum 60. Geb., hrsg. von W. Müller, W. Smolka, H. Zedelmaier, München 1991, S. 131, vgl. Anm. 14. Ich vermute eine falsche Auslegung. Die Zusammenarbeit zwischen Wolf und Quiccheberg ist sehr wahrscheinlich, da sie sich aus Basel kannten (s.o.). Vielleicht hat Quiccheberg, da Wolf immer noch an der Universität Basel verpflichtet war, seine Arbeit in der Bibliothek in wesentlichen Teilen übernommen. 31 In der von Quiccheberg verfafiten Genealogie der Comites Kirchbergenses (UB 2° Cod.ms. 700, Fols. llv-12v) folgt Fol. 16r, das auf losem Blatt diesen Eintrag führt und weiter unten: Tuae hie infra scripta, omnia desumpta sunt ex Joannis Engerdi Epanesi familiae et Montfort et Donor(?) Fuggarorum. Autores, qui in sequenti Epanesi Ioannis Engordi citantur, de familia Fuggerana mentionem facientes: De Liberalitate D. Joannis Fuggeri erga ... Theatrum Vitae Humanae. Item Samuel Quickelberg. Wolfius in praefatione in Demosthems et Ac scrimis orationis atque Eptas. Et in prafatione in Lonaram pag. 10...
32 Quiccheberg erwähnt den Begriff „Öffentlichkeit, öffentliche Sache" (reipublicae) Admonitio DTHH/Zeile 48. Diese Begriffe sind insofern problematisch, als publicis et privatae eine Frage der Auslegung in der lateinischen Sprache zu dieser Zeit ist. reipublicae ist oft mit ,Sache des Allgemeinwesens' übersetzt, was an dieser Stelle, die sich auch auf Cicero Staatslehre De Oratore bezieht, vermutlich richtig ist. Quiccheberg kann hier tatsächlich nur ,alle' oder ,jeden' meinen, die geistigen Zugang zu dem ,Theatrum Sapientiae' haben, womit aber nur ein kleiner, gelehrter Kreis angesprochen sein kann. Siehe dazu auch III.3. S. 259. 33 Siehe Admonitio LT-HH/Zeile 140-151, Zitat: Sed haec quidem omina pro nostri ingenii studiique modulo, nec ultra: omnino vero quantum nos iuvisse potest, quod post varia musea, et bibliothecas inquisitas, inhabitatasque, post multa emporia, et comitia frequenter visitata. etiam aliquot iam
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dem Bruder Wilhelms IV., Ludwig X., Herzog von Ober- und Niederbayern ( 1 4 5 9 - 1 5 4 5 ) , erste Anregungen für seine Aufgabe in München. Ludwig X. hielt Hof in Landshut und betätigte sich auch als Mäzen 3 4 , besonders in den Künsten. Entgegen allgemeiner Vermutung, daß Albrecht V. ( 1 5 2 8 - 1 5 7 9 ) Quiccheberg u m etwa 1553 auf Empfehlung Johann-Jakob Fuggers 35 an den Münchner Hof rief, trat er erst 1 5 5 9 in den Dienst Albrechts V. 36 . In dessen Auftrag bereiste er seit 1553 verschiedene Sammlungen 3 7 ; vielleicht in der Funktion als Agent. Ab 1 5 5 9 ist er fest am Hof angestellt und begann vermutlich in dieser Zeit, neben den praktischen Aufgaben der Klassifizierung und Ordnung der Kunstkammer, mit der Niederschrift des Traktates 38 . Auch in diesem Zeitraum, der den wesentlichen Abschnitt in der Biographie ausmacht, bleibt Quicchebergs Person weitgehend im Dunkeln. Sein Aufgabenbereich ist durch eigene Beschreibungen in den Inscriptiones bekannt 3 9 . Zu Beginn befaßte er sich mit der Gemäldesammlung Albrechts V. 40 . Quiccheberg erwähnt die Gründung der Herzoglichen Bibliothek 4 1 , der heutigen Bayerischen Staatsbibliothek. Diese war durch den Ankauf mehrerer Privatbibliotheken 4 2 gewachsen, an deren Zusammenführung er in h o h e m Maße beteiligt war 43 . Aufgrund seines Medizinstudiums und durch die nicht erhalten gebliebene Schrift Tabulae Medicae von 1565, wurde vermutet, er sei der Leibarzt Albrechts V. gewesen 4 4 , es gibt dafür aber keine Nachweise 4 5 .
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anrwrum projuit consuetude & aditus ad Ulmi Principis Alberti Bavariae ducis musea, et imaginum incredibilem copiam pridem Monachii, et ante quoque Landishutae conquisitam. Vielleicht war er dort schon vor 1548, als er sein Studium in Ingolstadt begann. Siehe Otto Hartig, Die Kunsttätigkeit in München, S. 147 ff. Siehe Jöcher 6, Sp. 1139, der 1553 für München angibt. Admonitio LT-HH/Zeile 251 wie Quiccheberg selbst berichtet: ... quod cum euisdemprincipis benevolentia et consuetudine, in quam me ab hinc annis sex hospitem asciverat. Admonitio LT-HH/Zeile 143-146. Weitere Belege sind nicht vorhanden. Siehe nächste Anm. Dies zeigen die ausführlichen Beispiele in den Exempla. Siehe auch Admonitio LT-HH/Zeile 146-153: Etiam aliquot iam annorum projuit consuetudo & aditus ad Illmi Principis Alberti Bavariae ducis musea, et imaginum incredibilem copiam pridem Monacchi ... Admonitio LT-HH/Zeile 171-175: Est quidem ab hoc Ulmo principe Alberto praeter maximum theatrum his rerum classibus destinatum, recens etiam fiindata Monadiii bibliotheca, quae libraria ducalis vocatur. U. a. der Ankauf der Bibliothek von Johan-Jakob Fugger, Johann Albert Widmanstedt und Hartmann Schedel. Näheres dazu s. u. sowie ausführliche Beschreibung in dem Kapitel III.2. Musea et Officinae und Anm. 1 der Inscriptiones. Vgl. Hajos, References to Giulio Camillo, S. 207. Vgl. auch Harriet Hauger, Samuel Quiccheberg: Inscriptiones, S. 131. Auch Anton Fugger hatte ihn zeitweise als Arzt verpflichtet. Siehe Norbert Lieb, Die Fugger und die Kunst, Bd. II, S. 309. Vgl. Hartig, Otto, Der Arzt Samuel Quiccheberg, der erste Museologe Deutschlands, am Hofe Albrecht V. in München, in: Das Bayerland, 44, 1933, S. 630 (nach Kobolt BBB, 609). Siehe insbesondere S. 631. Da Hartig nur zwei Münzen als Quellen anführt, kann seine Behauptung nicht weiter überprüft werden. Hartig bestätigt aber auch, dafi keinerlei Eintragungen in den Hofzahlamtsrechnungen zu finden sind, die eine Anstellung Quiccheberg am Hofe von Albrecht V. nachweisen könnten. Hartig
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Seine Reisen führten über Frankfurt 46 , nach Bologna 47 und Padua 48 nach Rom 49 . Pantaleon berichtet von einer Reise im Jahre 1563 durch ganz Italien, damit er viel antiquiteten zu samen brechteso. Diese Reisen könnten in Zusammenhang mit den „Streif-" oder „Raubzügen" der Agenten Albrechts V., Jacopo Strada (1508-1588) und Niccolo Stoppio 51 erfolgt sein, die Quiccheberg vielleicht aus seiner frühen Zeit in München 52 kannte. Vorderstes Anliegen für Quicchebergs Italienbesuch mufi die Besichtigung verschiedener Museen und Sammlungen gewesen sein, die gerade entstanden. Der Anbrach und Aufbruch der Wissenschaften hatten zweifelsohne auch Quicchebergs Neugier geweckt, berührte sein Traktat doch unzählige Themen der verschiedensten, gerade im Entstehen begriffenen Disziplinen der Wissenschaften. Eines dieser Museen war das von Ulisse Aldrovandi (1522-1605) 5 3 in Bologna, welches Quiccheberg sehr beeindruckt hatte. Ein weiteres Museum dieser Art war das Laboratorium Francescos I. de Medici in Florenz mit einem von ihm angelegten „Raum für unterirdische Objekte sowohl, als auch solche über der Erde" 5 4 am botanischen Garten. Es war vermutlich ein Heilkräutergarten sowie eine Art Experimentierzimmer für Untersuchungen und Operationen an Tieren. Solche Laboerwähnt eine Medaille von Quiccheberg im Berliner Münzkabinett, die aber vermutlich einen später geprägten Text zeigt: SYMB. INTACTA VIRTUS/FLORVIT/INGOLSTADII. MEDICUS/BAVARIAE. DUCIS. ebda., S. 631. 46 Pantaleon, Deutscher Nation Heldenbuch, Teil III, S. 560 berichtet: wie dan- solliches erstlich zu Prag als Maximilian gekro(e)net/ und ha(e)mach im 1562 jar zu Franckfiirt beschehen/ als er Ro(e)mischer König erkoren. Wie auch das Concilium zu Triende versamlet/war Samuel zugegen/ und begeret in vieler herzen kundtschafft zu komen. Demnach war er in Frankfurt zur Königswahl von Maximilian II. 1562 mit Albrecht V. anwesend. Hartig vermutet, dafi ihm solche Gelegenheiten, ähnlich wie das Konzil von Trient die Möglichkeit boten, Material für seine genealogischen Werke zu sammeln (dazu s.u.), vgl. Hartig, Der Arzt Samuel Quiccheberg, S. 631. Hierzu auch der Hinweis von Pantaleon, Deutscher Nation Heldenbuch, Teil III, S. 560: Wie er an Herzog Albrecht hoff komen/ hatt er ihm fiirgenomen den Teutschen adel aus? zustreichen/ die alte- geschlecht zu ergründen/ und die waape- fiirzustelle-Zwelches im auch am- so viel leichter zu thun/ weil in der fiirst o f f t mit sich zu der fiirsten versamlung gefu(e)ret/ da er mo(e)en allen Sachen fleißig nachgefrag haben ... 47 Siehe Digressiones Lt-HH/Zeile 2 5 6 - 2 6 8 : Ulysis Aldorbandi Itali, cuius in his omnibus incredibili numero asseruandis, labor semper commendandus commendatmque mihi friit fere adolescenti: donec in virili aetate, ipse eum museumque suum Bononiae visitarem. 48 Um 1550 reiste er vermutlich als Begleitung der bayerischen Adligen Thomas Reichlin von Meldegg und Johann Chrisostomus von Fraunberg nach Padua, siehe Hartig, Der Arzt Samuel Quiccheberg, S. 631. Laut Kobolt B B B , 609 studierte Quiccheberg sogar in Padua. Näheres ist nicht bekannt. 49 Pantaleon, Deutscher Nation Heldenbuch, Teil III, S. 560: Auff solliches hat er im 1563 jar ein reiß gehn Rom gethon/.., 50 Pantaleon, Deutscher Nation Heldenbuch, Teil III, S. 560. 51 Beide waren erst ab 1570 fest am Hof Albrecht V. 52 Vgl. Balsiger, The Kunst- und Wunderkammern, S. 519. 53 S.o. Siehe die gute Uberblicksdarstellung, die Gessner und Aldrovandi in wichtigen Aspekten zusammenbringt bei Hans Fischer, Conrad Gessner, S. 54-59. Siehe auch das von Paula Findlen entdeckte album amicorum von Aldrovandi und hierzu, Kapitel I.2., S. 12 f. 54 Aldrovandi berichtet das, siehe Paula Findlen, Die Zeit vor dem Laboratorium: Die Museen und der Bereich der Wissenschaft 1550-1750, in: Macrocosmos in Microcosmo, Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammeins, 1450-1800, Berliner Schriften zur Museumskunde Bd. 10, Opladen 1994, S. 195. Siehe auch Horst Bredekamp, Antikensehnsucht und Maschinenglauben, in: Forschungen zur Villa Albani. Antike Kunst und die Epoche der Aufklärung, Herbert Beck und Peter C. Bol (Hrsg.), Berlin 1982, S. 523 f.
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ratorien waren bei Wissenschaftlern in dieser Zeit vielerorts zu finden55, angetrieben von einem tieferen Erkenntnisinteresse. Einige Museen hatte Quiccheberg vielleicht noch gesehen: Die anatomische Sammlung des Mediziners Gabriele Falloppia (1523-1562) in Padua56; die des Mediziners, Apothekers und leidenschaftlichen Botanikers Francesco Calzeolari (1521-1600) in Verona, der eine Sammlung der verschiedensten Heilkräuter besaß57, und Michele Mercatis (1541-1593) Metallotheca58, ein Museum von Metallen und Fossilien59 in Rom. Ferrante Imperatos (1550-1615) ,Theater der Natur' in Neapel konnte Quiccheberg noch nicht gesehen haben 60 . Ein ähnliches Theater gab es jedoch schon um 1543 in Pisa, bekannt als hortus medicus, hortus simplicum sowie theatrum anatomicum61; es wurde erst später unter Herzog Ferdinand I. de Medici (1541-1587) verzeichnet62. Von Wilhelm Schupbach stammt in Zusammenhang mit der Definition und Anführung verschiedener Museen allerdings die wichtige Bemerkung, daß der Terminus ,Museum' häufig nur ein Hinweis auf eine Bibliothek, bzw. die einem gelehrten Haushalt zugehörige Bibliothek sei63. Zitiert werden von Quiccheberg in seinen Inscriptiones ferner alii vero hoc nomine usi sunt metaphorice ut Christopherus Mylaeus, Conradus Lycosihenes, Theodorus Zuinger, Guilelmus de la Perriers et forte etiam alii64..., die hier als metaphorische Stellvertreter des Terminus' Theater angeführt werden. Theodor Zwingers (1533-1588) 6 5 Theatrum Humanae Vitae, das er mit Conrad Lycosthenes (1518-1561) 6 6 herausgegeben hatte, die Sammlung von Emblemen von Guillaume de la Perriere Le Theatre de bons engins67 und Christopherus Mylaus' (um 1548, Florenz) Buch Theatrum Univer55 Zitat nach Findlen, Die Zeit vor dem Laboratorium, S. 196, siehe auch ebda., S. 198f. 56 Von Gabriele Falloppia (1523-1562) aus Modena kam posthum eine Bäderlehre heraus Mutinensis medici ac philosophi praestantissimi de medicatis aquis et fossilibus, Venedig 1564, die Gessner später in seinem Köstlichen Arzneischatz aufgenommen hat. Siehe Hans Fischer, Conrad Gessner, S. 90. 57 Francesco Calzeolari (1521-nach 1600), siehe Hans Fischer, Conrad Gessner, S. 101. 58 Michele Mercati, Metallotheca, Venedig 1717 (posthum veröffentl.), aber schon vorher als Nachschlagewerk benutzt. 59 Vgl. A. MacGregor, Die besonderen Eigenschaften der Kunstkammer, in: Macrocosmos in Microcosmo, Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammeins, 1450-1800, Berliner Schriften zur Museumskunde Bd. 10, Opladen 1994, S. 84f. Zu der Entdeckung über die Entstehung von Fossilien siehe ebda. S. 201 und auch den Aufsatz, Findlen, P., Jokes of Nature and jokes of Knowledge: The Playfulness of Scientific Discourse in Early Modern Europe, in: Renaissance Quarterly 43, 1990, S. 292-331. 60 A. McGregor, Eigenschaften der Kunstkammer, S. 94. 61 Siehe Wilhelm Schupbach, Some cabinets of curiosities in European Academic Institutions, in: O. Impey/A. McGregor, The Origins of Museums, Oxford 1986, S. 169. 62 Ebda., S. 170. Siehe auch Kap. III.2. Musea et Officina. 63 Ebda., S. 178. 64 Zitat: Digressions LT-HH/Zeile 31-34. 65 Vgl. Digressiones LT-HH/Zeile 33. Theodor Zwinger (1533-1588) beendete o.g. Schrift und hinterließ eine unvollendete Handschrift Theatrum inscriptionum atque epitaphiorum. Zu Zwingers und Platters Theatri siehe Ackermann, The Basle Cabinets of Curiosities, S. 65 ff. 66 Digressiones LT-HH/Zeile 33: Conradus Lycosthenes, häufiger als Conrad Wolf(f)hart (1518-1561); (*1515, Pant. III, S. 406f.). Lycosthenes ist bekannter für sein Prodigiorum ac ostentorum chronicon, Basel 1557 als für das Theatrum vitae humanae, Basel 1565, welches zur Zeit seines Todes noch nicht beendet war. Erst sein Stiefsohn Guillaume de la Perriere (s. u.) beendete dieses. 67 Digressiones LT-HH/Zeile 34: Guillaume de la Perrieres Le Theatre des bons Engins ..., Paris 1539. Siehe auch (vorige Anm.) die engen persönlichen Verbindungen.
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sitatis rerum ... 6 8 seien hier nur erwähnt. Quiccheberg geht später darauf ein 69 . Zu den metaphorischen Theatri gehörte auch das Museum des paduanischen Professors Marco Mantua Benavides (1489-1582) in Bologna 70 . Dessen Schrift hat er vielleicht schon gesehen und vielleicht auch schon eine handschriftliche Version der Inscriptiones vorgestellt71. Mit der Bemerkung et forte etiam alii (s. o.) spielt Quiccheberg auf Sammlungen und Traktate an, die zu dieser Zeit entstanden oder erschienen waren 72 . Er erwähnt innerhalb des Traktates Sammlungen in ganz Deutschland und im europäischen Raum. Es handelt sich um eine einzigartige Aufstellung von Sammlungen, Privatsammlungen und Archiven der Zeit, die Quiccheberg auf den oben erwähnten Reisen besuchte. Sie dienten ihm als Vorlage und Hilfe für die Verfassung der Inscriptiones. Eine große Rolle spielte dabei allerdings auch der Sammler und Altertumsforscher Hubertus Goltzius73. Nach der Rückkehr aus Rom und mehreren Reisen verfafke er 74 verschiedene Schriften wie die Apophthegmata15, Schema catechisticum76 und die Tabulas Medicos71. Dann begann er vermutlich mit der Niederschrift der Inscriptiones. 1565 besuchte Pantaleon Quiccheberg in München. Dort wurde ihm ... in deß fiirsten neüwen Schloß seine studia und mancherley antiquitete - offenbaret78. Zu dieser Zeit war das Traktat offensichtlich beendet und Pantaleon konnte die Sammlung des Fürsten bereits besichtigen. Ob hier bereits die Sammlung nach Quicchebergs Vorstellungen zu sehen war, läfit sich nicht sagen, zumal aus diesem Jahr kein Inventar überliefert ist. Es gab einen Kern der Sammlung, der um 1567 in den neuen Bau überführt wurde, wobei sich der Bestand ständig veränderte 79 . Auch das Ficklersche Inventar von 1598 8 0 erlaubt nur vorsichtige Schlüsse auf den Bestand der Sammlung im Jahre 1565. Dies gilt 6 8 Digressiones LT-HH/Zeile 32. Christopherus Mylaus, Theatrum Universitatis rerum, Basel 1557. 6 9 Siehe u. zu der Bedeutung dieser Theater. 70 Lina Bolzoni, Das Sammeln und die ars memoriae, in: Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammeins 1 4 5 0 - 1 8 0 0 , Andreas Grote (hrsg.), Opladen 1994, S. 131 und 163. 71 Digressiones LT-HH/Zeile 6 2 0 - 6 2 4 : quod etiam ä mepetitum fiiit, superioribus annis vum in aliis tüm Venetiis ubi viri docti manu scriptum exemplar theatri nostri conspexerunt. 72 Auf diese sei hier hingewiesen, s. u. 73 Siehe die Exempla. Hubertus Goltzius d.J. (1526-1583), ADB,9, S. 362f., Leipzig 1879, belgischer Graveur und Sammler und Altertumsforscher, verfafke eine Liste mit 168 Namen von Sammlern von Antiken und bekannt für sein C. Julius Caesar sive Historiae Imperatorum Caesarumque Romanorum ex Antiquis Numismatibus Restitutae, Brügge 1563. Vgl. Barbara Gutfleisch und Joachim Menzhausen, „Gabriel Kaltemarckt's advice to Christian I. of Saxony on the formation of an art collection", 1587, in: Journal of the History of Collections, Vol. I, No. 1, 1989, S. 12. Auch hier diente Goltzius als Vorbild. 74 Nach 1563. Pantaleon, Deutscher Nation Heldenbuch 1578, Teil III, S. 560: Wie er wider heim kom-en hat er die biblischen Apophthegmata und Stratagemata beschribe-/ und zu de- druck geordnet/ darzu ein kurz Theatrum gestellet/ in welche- die ganze Philosophey begriffen. 75 Samuel Quiccheberg, Apophthegmata et responsiones alias pias, adeoque dialogos etiam eos, qui ab apophtegmatum natura non sunt alieni, Colonium 1571. 76 Samuel Quiccheberg, Schema catechisticum, I. doctrinae christianae summam, Antwerpen 1591. 77 Tabulas medicos medicis ad mediciinam veram accedentibus aliisque studiosis perutiles, Monachum 1565 und die Apophtegmata biblica, Colonium 1571, die nicht erhalten ist. 78 Pantaleon, Deutscher Nation Heldenbuch 1578, Teil III, S. 560. Das ganze Zitat lautet wie folgt: Als ich in meiner reißfart des 1565jar gehn München komen/ hatt er mir alle freündschafft erzeiget/ und in deß fiirsten neüwen Schloß seine studia und mancherley antiquiteteoffenbaret. 79 Julius von Schlosser, Kunst- und Wunderkammern, S. 143 ff. 8 0 Johann Baptist Fickler, Inventar der Münchner Kunstkammer, München 1598, Bayerische Staatsbibliothek München cgm. 2133, 2134.
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auch für die Rechnungen des Hofzahlamtes81. Diese geben u.a. darüber Auskunft, daß Quiccheberg 1567 auf Kosten Herzog Albrechts V. beerdigt wurde82, demnach selbst nicht vermögend war. Besonders gelangte er zu Ruhm durch die Erstellung eines Bildkonzepts für die Bußpsalmen Orlando di Lassos, die er ebenfalls Albrecht V. widmete.83 Dazu gehören auch der Entwurf des Bildkonzeptes für die Motetten des Cyprian de Rore, die ebenfalls von Hans Mielich ausgestaltet waren.84 Mit einiger Sicherheit war Quiccheberg bis zu seinem Tode im Jahre 1567 85 in irgendeiner Form mit der Betreuung oder Neuordnung der herzoglichen Kunstsammlungen beauftragt. Darüber hinaus fallen Gründung, Aufbau und Ordnung der Herzoglichen Bibliothek in die Jahre am Hof in München. Zugleich verfaßte er auch die anderen Schriften, die sich mit aktuellen theologischen Themen der Reformationszeit befassen86. Die museologischen Aufgaben dominierten aber vermutlich seinen Aufenthalt in München. Die Studienzeit hatte ihm ein ideales universales Wissen im Sinne des klassischen humanistischen Bildungsideals geboten. Die Informationen zu Quicchebergs Biographie sind relativ spärlich. Ohne Zweifel kann nur die Biographie Heinrich Pantaleons herangezogen werden. Zwischen ihnen bestand ein lebenslanger Kontakt und eine enge Freundschaft87. Diese Verbindung läßt sich wiederum an den Biographien einzelner Persönlichkeiten nachweisen, ζ. B. an Heinrich Pantaleons großem genealogischen Werk, Deutscher Nation Heldenbuch (Basel 1578), für welches Quiccheberg einige Beiträge verfaßte. Quicchebergs Aufgaben, seine Interessen, Studium und biographischer Hintergrund bilden dennoch bei genauer Betrachtung des Traktats ein rundes Bild. Eine ganz besondere Quelle aber bietet sein Umfeld, nämlich die Personen, die seine Interessen offenbar teilten und demzufolge widerspiegeln. Diese werden in der überaus langen und illustren Liste der Sammler und Gelehrten in den Exempla zitiert88. Auch wenn sie nach dem Vorbild von Goltzius' Liste der Sammler von Antiken89 entstanden sind, so hatte er doch mit vielen der genannten Persönlichkeiten über Jahre persönlichen Kontakt. Daraus ergibt sich ein außergewöhnliches Bild der Gelehrsamkeit und eine Art Sammlerrepublik im süddeutschen Raum in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts 90 , die ihresgleichen sucht. 81 Siehe J. Stockbauer, Die Kunstbestrebungen am bayerischen Hofe unter Herzog Albrecht V. und seinem Nachfolger Wilhelm V., Osnabrück 1874, Nachdr. 1970, S. 25. 82 Otto Hartig, Die Gründung der Münchner Hofbibliothek durch Albrecht V. und Johann-Jakob Fugger, S. 34 und ders., Münchner Künstler- und Kunstsachen, S. 344, Abs. 735. 83 Siehe auch Orlando di Lassos, De psalmis penitentialibus, München nach 1565, Kommentarband I, fol. 10 und auch Leuchtmann/Schaefer, Orlando di Lassos, S. 19-25. 84 Kaltwasser, Die Bibliothek als Museum, S. 30f. 85 Pantaleon, Deutscher Nation Heldenbuch 1578, Teil III, S. 560: Wie er dermassen fiirgefaren/ und viel sacken zu beschreiben und erstanden/ ist er 1567jar gestorben/ und ehrlich bestattet worden. 86 s.o. 87 Pantaleon, Deutscher Nation Heldenbuch 1578, Teil III, S. 560: Als ich in meiner reißfart des 1565jar gehn München komen/ halt er mir alle freiindschafft erzeiget/... 88 Siehe Anhang. 89 Exempla LT-Η H/Zeile 21 9 0 Im Einzelnen wird in den Exempla darauf eingegangen.
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Einleitung
2. Vorbilder und Schriften bis 1 5 6 5
Man kann es als Wesensmerkmal ,des' Museums bezeichnen, dafi es dem idealen Ziel der Befriedigung des aufschaubare Objekte bezogenen Bildungsbedürfnisses in seiner Universalität nachstrebt.91
Samuel Quicchebergs Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi sind von großer Bedeutung für die Museumsgeschichte, denn sie stellen in vielerlei Hinsicht den Beginn der Museumslehre in Deutschland dar. Dies ist in der einschlägigen Literatur immer wieder hervorgehoben worden 92 , konnte aber mangels umfassender Untersuchung des Traktates bis heute nicht endgültig eingeordnet werden. Um einer solchen Einordnung näher zu kommen, stellt sich die Frage nach Vorbildern und früheren Texten, die auf ähnliche Art und Weise die Ordnung und Kategorisierung von Wissen in der frühen Neuzeit untersucht haben. Da keine museumstheoretischen Schriften vor 1565 existieren, die Kategorisierung, Präsentation und sammlungsspezifische Probleme diskutiert hätten, müssen Vorläufer und mögliche Einflüsse bei Sammlern und Sammlungen aus der Zeit, aber auch in dem gelehrten Umfeld von Quiccheberg selbst gesucht werden. Es sind zudem die praktischen Vorbilder, die realen Sammlungen, die in Betracht zu ziehen sind. Wie in den Exempla zu sehen sein wird 93 , waren Quiccheberg durch seine Reisen viele Sammlungen bekannt die Liste der Sammlerrepublik ist ein imposantes Zeugnis - , die in irgendeiner Form Quiccheberg inspiriert und beeinflußt haben müssen. Die für ihn bedeutenden Sammlungen und Texte erwähnt er in dem Traktat. Mitunter sind es auch die sogenannten metaphorischen theatri, die seinen Entwurf prägen. Giulio Camillo, dessen L'Idea del Theatro weiter unten ausführlich besprochen wird 94 , war in theoretischer Hinsicht insofern von Bedeutung, als der Text wichtige Strömungen der Zeit aufwies. Das Theater hatte jedoch eine wenig praktische Ausrichtung und war nicht zur Präsentation einer Sammlung mit Objekten konzipiert worden. Ulisse Aldrovandi (1522-1605) hingegen, den Quiccheberg mit großer Achtung und Bewunderung zitiert 95 , kann aufgrund seiner groß angelegten Sammlung deshalb maßgebliche Bedeutung zugemessen werden, als auch ihn Probleme der Kategorisierung beschäftigten. Quiccheberg hatte dessen Sammlung in Bologna (um 1563) besucht, wie anhand von Aldrovandis album
91 Berliner, Zur älteren Geschichte der allgemeinen Museumslehre in Deutschland, S. 327. 92 Siehe immer noch grundlegend die Darstellung von Rudolf Berliner, Zur älteren Geschichte der allgemeinen Museumslehre in Deutschland, S. 327-352. Zu neueren Darstellungen siehe die Aufsätze des ersten Teils in: Andreas Grote (Hrsg.), Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammeins 1450-1800, Opladen 1994. Hier ist auch die ältere Literatur aufgenommen und zusammengefaßt. 93 Siehe Kap. III.5., siehe Anhang. 94 Giulio Camillo, L'Idea del Theatro, Florenz 1554. 95 Siehe Digressiones LT-HH/Zeile 256-261: Ulysis Aldorbandi Itali, cuius in his omnibus incredibili numero asseruandis, labor semper commendandus commendatusque mihifuit fere adolescenti: donec in virili aetate, ipse eum museumque suum Bononiae visitarem.
13
Einleitung amicorum96
n a c h g e w i e s e n werden konnte. Diese bis heute k a u m untersuchten
Kataloge
der S a m m l e r könnten, n e b e n der Reisetätigkeit der S a m m l e r und Gelehrten, auch Aufschlug ü b e r d e n bereits erwähnten, völlig unterschätzten Austausch97 der S a m m l e r g e b e n u n d einige w ü r d e n vermutlich nicht weiter ü b e r r a s c h e n d e Verbindungen aufdecken. A u c h A l d r o v a n d i s Musaeum
liegt e i n e p l a n e t a r i s c h e O r d n u n g z u g r u n d e ,
Metallicum98
v e r b u n d e n m i t a l c h i m i s t i s c h e n E i n f l ü s s e n . E b e n s o zitiert er B a p t i s t a v o n M a n t u a 9 9 , d e s s e n Ü b e r l e g u n g e n z u e i n e r p l a n e t a r i s c h e n O r d n u n g v e r m u t l i c h - w i e b e i Q u i c c h e b e r g - als Q u e l l e h e r a n g e z o g e n wurden100. Aldrovandis Versuch der Kategorisierung seiner naturwissenschaftlichen
Sammlung,
mufi Diskussionspunkt
die Erstellung einer
bei d e m
Besuch
„wissenschaftlichen
in B o l o g n a g e w e s e n
sein101.
Enzyklopädik" Denn auch
für
Q u i c c h e b e r g waren Probleme der Visualisierung, Kategorisierung und Präsentation einer Universalenzyklopädie102 mitunter der G r u n d für einen Austausch. D a r ü b e r hinaus findet e r in A l d r o v a n d i e i n e n F o r s c h e r u n d W i s s e n s c h a f t l e r 1 0 3 , d e r s t ä n d i g d a n a c h b e s t r e b t war, seine eigene S a m m l u n g zu erweitern und zu verbessern. H i e r liegt n e b e n d e r i n h a l t l i c h e n B e d e u t u n g a u c h d e r f ü r Q u i c c h e b e r g w i c h t i g e h a p t i sche Moment, die ständige B e w e g u n g der Objekte, der d e m Zweck der Erkenntnis dienen
96 Paula Findlen, Possessing nature: Museums, collecting, and scientific culture, S. 136-138 weist auf die Existenz dieser sog. Gästebücher hin und teilte mit, daß auch Quiccheberg darin verzeichnet sei. O r i g i n a l B U B A l d r o v a n d i m s 4 1 c . 2 r (Liber musaeo
quod
Excellentissimus
Ulyssis
in quo viri nobilitate,
Aldrovandus
Mustriss.
Senatui
honore
et virlute
Bononiensi
insignes,
dono dedit,
viso propria
omnia ad perpetuam rei memoriam scribunt). Insgesamt hatte er 1579 Besucher eingetragen. Conrad Gessner besaß ebenfalls ein liber amicorum (National Library of Medicine) mit 227 Autographen, dazu siehe Richard J. Durling, Conrad Gesner's Liber amicorum 1555-1565, in: Gesnerus 22, 1965, S. 134-157. Siehe auch Bernardus Paludanus (1550-1633) und dessen album amicorum 1575-1630, der einen guten Sammlungsüberblick vermittelte, in: Ausstellungskatalog: De wereld binnen handbereik, Nederlands kunst- en rariteitenverzamelingen 1585-1735, Amsterdan 1992, Historisch Museum, S. 29. 97 Kap. III.5. Exempla ad Lectorem, S. 290ff. 98 Ulisse Aldrovandi, Musaeum Metallicum, Bologna 1648, Fol. A2 oder S. 3 und S. 9. Eine ähnliche Untersuchung und Ordnung, hier erwähnenswert sind die Libri Tre di M- Lodovico Dolce; ne i quoll di tratta
delle diverse
sorti delle Gemme
que produce
la natura,
delle qualitä,
grandezza,
bellezza,
&
virtü loro, V e n e d i g 1 5 6 5 .
99 ebda., S. 27. Siehe Baptista von Mantua, Fastorum libri duodecim, Die Fasti des Baptista von Mantua (1516) als volkskundliche Quelle, Niewkoop 1979 = Bibliotheca Humanistica & reformatorica 26. 100 Siehe Digressiones DT-HH/Zeile 749-754. 101 Zitat: Maria Christina Tagliaferri, Stefano Tommasini, Sandra Tugnoli Pattaro, Ulisse Aldrovandi als Sammler: Das Sammeln als Gelehrsamkeit oder als Methode des Forschens?, in: Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammeins 1450-1800, Hrsg. Andreas Grote, Opladen 1995, S. 265. Ob Quiccheberg und Aldrovandi sich tatsächlich persönlich gesehen haben, ist nicht erwiesen. 102 Der Begriff der Enzyklopädie war im 15. Jahrhundert und dann zu Beginn des 16. Jahrhundert in vielen Sprachen zu finden. Er taucht mit den humanistischen Gelehrten dann häufiger in Buchtiteln auf, ,in denen die Gesamtheit der Wissenschaften nach einer bestimmten Ordnung dargestellt wird' (Zitat), siehe Ulrich Dierse, Enzyklopädie. Zur Geschichte eines philosophischen und wissenschaftstheoretischen Begriffs, in: Archiv für Begriffsgeschichte, Suppl. 2, 1977, S. 1-15, besonders S. 9 - 1 5 . 103 Siehe Maria Christina Tagliaferri, Stefano Tommasini, Sandra Tugnoli Pattaro, Ulisse Aldrovandi als Sammler, S. 265-281.
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sollte und der Erschließung neuer Welten durch die Assoziation 104 . Zudem stellt sich auch bei Aldrovandi die Frage des öffentlichen' 1 0 5 Zugangs zu seiner Sammlung. Dem Besucherbuch nach zu urteilen, muß ein ständiges Kommen und Gehen stattgefunden haben 1 0 6 . Demnach führten auch die Besucher, die sich aus Gelehrten, Fürsten und Sammlern zusammensetzten, solche Diskussionen. Es ist schwer vorstellbar, dafi Sammler aus aller Welt das Museum von Aldrovandi wortlos verlassen haben. Diese Tatsache allein läßt auf ein Kommunikationsnetz unter den Sammlern schließen, wie bereits an anderer Stelle angedeutet wurde 107 . Abgesehen von Aldrovandis Sammlung, die einem stark wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse folgte, hat Quiccheberg in Italien auch einige andere Sammlungen besucht 108 , die für den Entwurf seines Theaters sicher nicht weniger aufschlußreich und wertvoll waren. Zu erwähnen ist eine Sammlung, Idealdarstellung eines systematischen Museums, die Metallotheca Vaticana des Michele Mercati (15411593) 109 . Sie zeigt in einer Weise die Unterbringung der naturwissenschaftlichen Sammlung des Vatikans. Die Sammlung steckte damals in den Anfängen, jedoch könnte Quiccheberg davon gehört haben. Mercati war der Verwahrer der mineralogischen Sammlungen und des Skulpturengartens in Rom, hatte also Zugang zu verschiedenen Sammlungstypen und war vermutlich nicht zuletzt deshalb für Quiccheberg ein Anlaufpunkt. Quiccheberg hatte aber bereits zu einem viel früheren Zeitpunkt Anregungen und Austausch zur intensiveren Auseinandersetzung mit Themen wie der Kategorisierung und der Ordnung von Wissen gefunden. Während seiner Studienzeit in Basel 1548/49 110 und auch danach war es der Austausch mit dem Polyhistor Conrad Gessner 111 , vielleicht auch mit dem angehenden Mediziner Felix Platter 112 , sicher aber mit dem später sehr bekannten
104 Siehe in dem Aufsatz bei Paula Findlen, The museum, S. 65, die berichtet, dafi Aldrovandi jeden Tag seiner Sammlung neue Objekte hinzufügte, d. h., dafi die Sammlung sich täglich veränderte und er auch täglich jedes Objekt zum Zählen in die Hand nahm. Dadurch gelangten auch jedes Mal die Objekte in einen neuen Kontext. 105 ,Öffentlich' kann hier nur heißen, dafi die Sammlung einem gelehrten und interessierten Publikum zugänglich war. Siehe auch zu dem Problem öffentlich' bei Paula Findlen, The museum, S. 68. 106 Paula Findlen hat bei Aldrovandi zwei Typen von Besucherbüchern gefunden: eines welches für die berühmten Besucher angelegt wurde und eines für die normalen Besucher. Er führte diese zu Lebzeiten und dann bis 1644. Vier der Bücher wurden noch von Aldrovandi zu Lebzeiten publiziert. Siehe Paula Findlen, Possessing nature, S. 137. 107 Siehe I.4., Giulio Camillos L'Idea del Theatro, S. 25. Ich bin Paula Findlen für die Bestätigung dieser Vermutung sehr verbunden. Eine solche Untersuchung steht allerdings noch aus. 108 Siehe Einleitung, S. 8f. 109 Michele Mercati, Metallotheca, in: G. M. Lancini, M. Mercati Metallotheca Opus Posthumum, Rom 1717. Es ist allerdings nicht sicher, wie weit die Sammlung 1563 gediehen war. 110 Siehe Einleitung, S. 4. 111 Man denke hier z.B. an Conrad Gessner, Historia Animalium, Zürich 1551-1558, 4 Bände, oder besonderes wichtig für die Entstehung der Bibliothek, Pandectarum sive partitionum universalium libri XXI, Zürich 1548. Zu Conrad Gessner und seinem Werk siehe Hans Fischer, Conrad Gessner, S. 36-50. 112 Quiccheberg erwähnt Platter nicht in den Inscriptiones, aber es ist wahrscheinlich, dafi sie sich kannten, zumal Quiccheberg ebenfalls Arzt war. Platter war 1551/52 in Basel immatrikuliert, Quiccheberg war nicht mehr in Basel, dennoch gab es über die Familie Amerbach hier die Möglichkeit der
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Humanisten und Bibliothekar Hieronymous Wolf 113 , der Quiccheberg in vielerlei Hinsicht inspiriert und unterstützt haben dürfte. Praktische Umsetzung gab es später auch hier, wenn man beispielsweise an das erste anatomische Theater von Felix Platter oder das berühmte Kabinett der Amerbach- Familie 114 denkt. Bis auf Felix Platter, für den sich kein eindeutiger Nachweis hat finden lassen, waren die oben genannten Gelehrten seit Studienzeiten miteinander bekannt. Quiccheberg hat offensichtlich ihren Werdegang weiter verfolgt, dafür spricht eindeutig die Würdigung ihrer Werke in den Inscriptiones. Sie stellen die sog. theoretischen oder metaphorischen Vorbilder mit praktischer Intention dar. Die Arbeiten von Christopherus Mylaus 115 , Theodor Zwinger 116 , Conrad Lycosthenes 117 und Guillaume de la Perrieres 118 sind von Quiccheberg metaphorische Theatri bezeichnet worden, weil sie einer theoretischen Herangehensweise zur Ordnung der Welt und des Wissens folgen. Interessant und wichtig sind sie deshalb als mögliche Vorbilder für Quiccheberg, da auch sie bekannten Mustern folgen, die in irgendeiner Form wiederum bei Quiccheberg vorhanden sind. Christopherus Mylaus, der nicht weiter bekannt ist und auch an keiner anderen Stelle genannt wird, zeigt die außergewöhnlichste Darstellung einer Ordnung der Welt. Eine ca. 2 m lange Rolle stellt in Form eines Stammbaums, der allerdings einer in Seiten aufgeteilten Ordnung folgt, eine Universalgeschichte dar. Eine planetarische Ordnung steht den Lebensaltern des Menschen gegenüber, die wiederum sind den Temperamenten zugeordnet 119 . Dies ist eine nicht ungewöhnliche Gegenüberstellung in den Schriften Mitte des 16. Jahrhunderts, die von alchimistischem und kosmologischem Gedankengut beeinflußt waren. Darüber steht die Ordnung der Natur, die Uberschriften sind ebenfalls als Inscriptiones betitelt, die wie folgt lauten: Aquarium varietas, Populis regiones, orbis terrarum, Fossilium Diversae species, stirpium distributio, Bestiarum dissi-
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Bekanntschaft, siehe Matrikel der Universität Basel, Bd. II, S. 73, 35. Zu Platter und Zwinger (s. u.) siehe auch Hans Christoph Ackermann, The Basle Cabinets of Curiosities in the 16th and 17th Centuries, S. 65 f. Felix Platters, De corporis humani struclura et usu libri tres, wurde erst 1583 in Basel verlegt. Wolf war im gleichen Jahr wie Quiccheberg in Basel immatrikuliert. Siehe oben. Zwinger war Basilius Amerbachs Schwager und ebenfalls 1548/49 im gleichen Jahr mit Basilius Amerbach (Matrikel der Universität Basel, Bd. II, S. 61, 67) und mit Quiccheberg an der Universität Basel immatrikuliert. Matrikel der Universität Basel, Bd. II, S. 55, 2. Zu der Amerbach-Sammlung siehe die Ausstellungskataloge: Das Amerbach-Kabinett, 4 Bde., Historisches Museum Basel 1991, Bd.l: Das Amerbach Kabinett, S. 29-58, Bd. 3: Die Objekte im Historischen Museum Basel, S. 9-17. Digressiones DT-HH/Zeile 33. Christopherus Mylaus (um 1548, Florenz), Theatrum, Universitatis Rerum, Basel 1557. Digressiones DT-HH/Zeile 34. Theodor Zwinger (1533-1588), Theatrum Vitae Humanae, Basel 1565. Digressiones DT-HH/Zeile 33. Conradus Lycosthenes oder Conrad Wolf(f)hart (1518-1561), hat die Prodigiorum ac ostentorum chronicon, Basel 1557 und Theatrum Vitae humanae, Basel 1565 (zusammen mit Theodor Zwinger) verfaßt. Zu dem Umfeld siehe auch Anthony A. Shelton, Cabinets of Transgression: Renaissance Collections and the Interpretation of the New World, in: The Cultures of Collecting, ed. J. Eisner and R. Cardinal, London 1994, S. 184f. Digressiones, DT-HH/Zeile 38. Guillaume de la Perriere (Mitte 16. Jahrhundert), Le Theatre des bons Engins ..., Paris 1539. Christopherus Myläus, Theatrum Universitatis Rerum, Basel 1557, Fol. A-C.
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milis vita atque figura. Totius corporis humani fabricatio120. Dann folgt er eindeutig Piatons limaeus121 und Plinius' Historia Naturalis122, wobei sich dies vermutlich nicht nur auf die folgenden Abschnitte der Sensus quinque, Animorum & Ingenii dotes, Dissimila hominum corpora atque ingenia ... 1 2 3 bezieht. Dieser Text zieht die gleiche antike Literatur heran, er befaßt sich mit ähnlichen Ordnungsmethoden wie Quiccheberg und verwendet ebenfalls mehrere Ordnungsebenen zur gleichen Zeit. Diese theoretische oder philosophische Ordnung ist den Inscriptiones verwandt, sie zeigt möglicherweise einen der philosophischen Hintergründe für Quicchebergs Text. Dies trifft auch auf die anderen Texte, das von Theoder Zwinger und Conrad Lycosthenes gemeinsam herausgegebene Theatrum Vitae Humarme, Basel 1565, eine rein kontemplative Enzyklopädie in 29 Teilen, die keine dreidimensionale visuelle Umsetzung und Vorstellung erlaubt. Le Theatre des bons Engins ... von Guillaume de la Perriere hingegen ist ein einfaches Nachschlagewerk für Embleme 124 ·. Diese drei sehr unterschiedlichen Texte werden von Quiccheberg zitiert. Sie zeigen die ganze Bandbreite der Literatur jener Zeit. Alle haben gemeinsam, dafi sie nach einer höheren Ordnungsstruktur suchen und mit den vorhandenen Mustern in den verschiedenen Bereichen experimentieren. So können auch die theoretischen Konstrukte der o.g. Autoren für Quiccheberg Hilfestellung und Vorbild sein. Ein weiteres bedeutendes Sammlungsgenre in diesem Zusammenhang sind die sogenannten Heldengalerien 125 . Das naheliegendste und gleichzeitig bekannteste Beispiel ist auch Quicchebergs ausgesprochenes Vorbild, Hubertus Goltzius' Caesar Augustus126. Wenngleich das Leben des Imperators zum zentralen Inhalt gemacht wird, ist es auch eine Aufzählung berühmter Männer der Geschichte und der Sammler von Antiken. Dies wird von Quiccheberg durch die enge Anlehnung seines Textes an Goltzius weitergeführt 127 . Er addiert die regionalen und überregionalen Sammler und Gelehrten zu dieser von Goltzius aufgestellten Sammlergalerie und errichtet zugleich eine nach seinen Vorstellungen und Präferenzen gestaltete Galerie der viri illustris. Die Emblembücher sind ebenfalls zu dieser Sammlung oder der Heldengalerie zu zählen, wobei hier der Anspruch des moralischen Handelns im Vordergrund steht. So folgt
120 121 122 123 124 125
ebda., Fol. D-K ebda., Fol. Μ ebda., Fol. Ν ebda., Fol. L-N Siehe oben. Auch Paul Holdengräber sieht in den ,Galeries Historiques' einen Vorläufer der Museen und erwähnt als frühestes Beispiel die Porträtgalerie des italienischen Humanisten Paul Jove um 1520. Siehe Paul Holdengräber, ,Α visible History of Art': The Forms and Preoccupations of the Early Museum, in: Studies in Eighteenth-Century Culture, Vol. 17, o. J., S. 108f. Siehe näheres dazu auch bei Paula Findlen, Museums, collecting, and scientific culture in early modern Italy, S. 84 f. 126 Siehe die Kap. III.5. Exempla. Zu der Bedeutung von Hubert Goltzius, siehe Francis Haskell, Die Geschichte und ihre Bilder. Die Kunst und die Deutung der Vergangenheit, S. 27-31. 127 Goltzius diente den verschiedensten Autoren als Vorlage. So ζ. B. Viri illustris Nicolai Claudii Fabricii de Peireisc, senatoris aquisextiensis, Vita Authore Patro Gassendo, Diviensis Ecclesiae Praeposito, Hague-Comitum 1655. Hier werden die Bücher von Hubertus Goltzius, S. 11 ff. erwähnt; es folgt auf den S. 156-157, 197 auch ein Katalog der viri illustris.
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auch der Quiccheberg bekannte Ungar Johannes Sambucus 1 2 8 mit seiner Aufzählung berühmter und moralisch klug handelnder Männer einer vergleichbaren hierarchischen Ordnung. Weitere Beispiele sind die von Quiccheberg erwähnten Autoren sogenannter Emblemata wie Hadrian Junius 1 2 9 und Marcus Mantua Benavideo mit den Illustrium Iure Consultorum Imagines130, wobei letzterer in diesem Zusammenhang nach Goltzius vermutlich ein bedeutenderes Vorbild w a r 1 3 1 . Die Darstellungen aus dem Umkreis der Kunstkammer in Ambras vom dortigen K ä m m e r e r Jakob Schrenck von Notzing 132 , wenn auch später, ist ebenso zu den viri illustris zu zählen wie die mit kunstvollen Stichen versehene Ehrenpforte Albrecht Dürers 1 3 3 . Diesen Bildersammlungen ist bislang wenig Beachtung in der Literatur zuteil geworden, sie sind aber als fürstliche Porträtsammlung und als Vorlagen f ü r Maler und Bildhauer von großer Bedeutung gewesen. 1 3 4 Die Sammlungen der viri illustribus sind oft zugleich Antikensammlungen, wie es bei Goltzius der Fall ist. Auch sind es die ersten Porträtsammlungen, nämlich die bildlichen Darstellungen, die anhand antiker Münzvorlagen auf Stiche übertragen wurden. Zu der ersten Zusammenstellung numismatischer Sammlungen, die in Form von Stichen abgebildet wurden, gehört Jacopo Stradas Epitome Thesauri Antiquitatuml3S. Hier schließt sich der Kreis wieder zu Quiccheberg hin, da Strada bekanntermaßen als Agent f ü r den bayerischen Hof und später dann, in den achtziger Jahren, dortselbst tätig war 1 3 6 .
128 Emblemata cum aliquot nummis antiqui operis, Ioannis Sambuci 7imavensis Pannonii, Antwerpen 1564. Er beginnt seinen Text ebenfalls mit Kaiser Maximilian II., er erwähnt Philipp Apian, S. 23, Hieronymus Wolf, S. 26, Goltzius, S. 113, Johannes und Marcus Fugger S. 78 f., Hadrianus Iunium, S. 140f. Siehe Kap. III.5.C. Sammlungen der Gelehrten, S. 295. 129 Hadriani Junii Medici Emblemata. Euisdem aenigmatum libellus, Antwerpen 1565, der auf S. 27 wiederum ein Emblem Johannes Sambucus widmet. Siehe Exempla LT-HH/Zeile 216ff. 130 Marco Mantua Benavides, Illustrium lureconsultorum imagines quae inveniri potuerunt ad vivam effigiem expressae, Ex Musaeo Marci Mantuae Benavidii Patavini iureconsulti clarissimi, Rom 1566. Siehe Exempla LT-HH/Zeile 514. Benavideo wiederum bedenkt auf S. 23 Andreas Alciatus mit einem Emblem mit der Aufschrift Zitat: Andreas Alciatus Medioanensis, cuius recens memoria, et quo tempore maxime Floruerit omnibus est in promptu. Siehe diese Arbeit, Kap. III.5. Exempla ad Lectorem - Zusammenfassung, S. 31 ff. 131 Hierzu gehört allerdings auch der von Quiccheberg nicht erwähnte Andreas Alciatus, Emblematum Libellus, Paris 1542. 132 Jakob Schrenck von Notzing, Augustissimorum Imperatorum Serenissimorum regum, atque archiducum, illustrissimorum principum archiducum, illustrissimorum principum necnon comitum, Baronum ..., 1601. 133 Albrecht Dürer, Ehrenpforte. Are Triomphal de L'Empereur Maximilien I. Grave en bois d'apres les dessins d'Albrecht Dürer. A Vienne. Chez Τ. Mollo 1799. Erster Druck 1526 für den Sohn Ferdinand I., Erzherzog Karl. Siehe From Wunderkammer to Museum, Diana Parikian (Ed.), London 1984, S. 61. 134 Siehe hierzu den Aufsatz von E. Scheicher, Die Imagines Gentis Austriacae des Franceso Terzio, in: A. Impey/O. McGregor, The Origins of the Museum, Oxford 1985, S. 44. 135 Jacopo Stradas Epitome Thesauri Antiquitatum, Lyon 1553, Nachdr. Zürich 1557. Siehe Haskell, Die Geschichte und ihre Bilder, S. 25 f. Zu Stradas unzähligen Verbindungen nach Bayern und dem Deutschen Reich, siehe Egon Verheyen, Jacopo Strada's Mantuan Drawings of 1567-1568, in: Art Bulletin XLIX, 1967, S. 63 ff. 136 Quiccheberg erwähnt mit Strada indirekt die Notwendigkeit eines Agenten für den Sammler, Admonitio DT-HH/Zeile 95-106.
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Auch Aldrovandis Le Statue antichem bekommt in diesem Zusammenhang eine andere Bedeutung, da es sich hier ebenfalls um eine bildlich festgehaltene Antikensammlung handelt. Ahnlich verhält es sich mit den bereits erwähnten Discorsi von Enea Vico138. Beschreibungen der Antiken und Porträts aus der Vergangenheit 139 waren Mitte des 16. Jahrhunderts erhältlich und kursierten vermutlich unter den Gelehrten 140 . In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dafj bei Quiccheberg erstmals die Kupferstiche als eigene Gattung deklariert und er sich mit der Hängung und Konservierung dieser jungen Kunstund Sammlungsform auseinandersetzt. Besondere Bedeutung bekommen die Sammlungen von Antiken auch durch die frühen Reisebeschreibungen, die ebenfalls als Quellen gedient haben mögen. Diese erscheinen jetzt allerorts, wie ζ. B. Phileleutherus Timaretes, Collectio monumentorum141, Hieronymous Cock, Praecipua aliquot romanae antiquitatis142 und Andrea Palladio, L'Antichita di Roma143. Auch Zusammenstellungen der antiken Monumente wie die Libri Quattro della Citta di Roma144 sind vermutlich ein hilfreiches Nachschlagewerk für Antikensammler und Numismatiker gewesen und ersparten so manchem eine mühsame Reise. Wenn diese auch erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts Berücksichtigung fanden und zu Beginn des 17. Jahrhunderts florierten 145 , stellt sich dennoch die Frage, inwieweit diese Literatur Reisen ersetzen konnte und darüberhinaus wiederum als Quelle für Beschreibungen von Sammlungen und zur Uberlieferung wie ζ. B. von Antiken verwendet wurde 146 . Diese Literaturgattung, die in diesem Zusammenhang nicht näher erläutert werden kann, hat nicht unwesentlich zur Verbreitung der jeweiligen nationalen Kulturgüter beigetragen; sie dienten vermutlich aber vorrangig als Nachschlagewerke 147 insbesondere für die Münzprägungen des 16. Jahrhunderts.
137 Ulisse Aldrovandi, Le Statue antiche che per tutta Roma si veggono, Venedig 1562. 138 Enea Vico, Discorsi sopra le medaglie digli antichi, Venedig 1555. Siehe oben. 139 Siehe hierzu etwas später aber besonders beeindruckend Paolo Giovio, Elogia Virorum bellica virtute illustrium, Basel 1575 und dazu auch Haskeil, Die Geschichte und ihre Bilder, S. 62 f. 140 Libri Quattro dell'Antichita della citta di Roma, raccolte sotto brevita di diversi antichi et modemi Scrittori, per M. Bernardo Gamucci da San Gemigniano, Venedig 1565. 141 Phileleutherum limareten, Collectio monumentorum, rerumque maxime insignium, belgii faederati, Amsterdam 1584, Pars Prima. 142 Cock Hieronymous, Praecipua aliquot romanae antiquitatis ruinarum monimental vivis prospectibus ad veri imitationem ajfabre designata Hieronymous Cock, Antwerpen 1551. 143 Andrea Palladio, L'Antichita di Roma, Rome 1554, Fol. 9 r - 1 3 r . 144 Libri Quattro della Citta di Roma, Raccolte Sotto Brevita da Diversi Antichi et Modemi Scrittori, per M. Bernardo Gamucci da San Gemigniano, Venedig 1565. 145 Interessant ist in diesem Zusammenhang Cartari, Vicenzo, Le vere e nove immagini de gli dei de gli antichi di Vicenzo Cartari Reggiano, Padua 1615, der mehrere Ebenen miteinander verbindet, nämlich eine planetarische Bezugnahme, die Darstellung der Antike und diese dargestellt in Form von Emblemen, die wiederum eher dem Typus der viri illustribus ähneln. 146 Als ein Beispiel seien hier Quatre relations historiques par Charles Patin, medecin de Paris, Basel 1663, genannt, die unter anderem über die Stuttgarter Kunstkammer berichten, S. 90-107. 147 Man denke hier nur an den oben erwähnten Palladio, an Pierre Borel, Les antiquites de Castres avec le role des principaux cabinets et autre raretes de L'Europe, Castres 1649 (Neudr. Genf 1973) und natürlich auch Goltzius selbst.
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Denkt man an weitere reale Vorbilder, dann müssen die zu dieser Zeit enstehenden oder bereits in Form von kleinen Sammlungen existierenden Kunst- und Wunderkammern kurz erwähnt werden 148 . Die erste umfassendere Zusammenstellung und Beschreibung verschiedener Sammlungen, Kunst- und Wunderkammern nach Quiccheberg ist Stephanus Winandus Pighius' Hercules Prodicius von 1578 149 , der auch als Reisebericht von großem Wert ist. Die Kunstkammer des Kurfürsten August I. in Dresden geht auf das Jahr 1560 zurück 150 , der erste Inventar entstammt dem Jahr 1587 151 . Die Sammlung konzentrierte sich insbesondere auf wissenschaftliche Instrumente, die auch heute noch im Mathematisch· Physikalischen Salon zu sehen sind 152 . Allerdings stand eine nützliche und pragmatische Ausrichtung der Sammlung im Vordergrund153. Quiccheberg erwähnt die Dresdner Kunstkammer, wobei unsicher ist, ob er sie selbst gesehen hat 154 . Auch Ambras entstand um 1560 und beherbergte die Sammlung des Erzherzogs Ferdinand II. von Tirol 155 . Betrachtet man die rekonstruierte Aufstellung der Sammlung, so gibt es Ähnlichkeiten zu der Münchner Kunstkammer, ζ. B. in einer dominierenden materiellen Ordnung der Sammlung156, auch wenn die Sammlungsschwerpunkte anders gewichtet waren1S7. Die
148 Eine gute Einführung zu den Anfängen und der Bedeutung der Kunstkammer bietet der Artikel von Arthur MacGregor, Die besonderen Eigenschaften der „Kunstkammer", S. 6 1 - 1 0 6 . Siehe auch zu den Anfängen der europäischen Kunst- und Wunderkammern den Katalog: B. Dam-Mikkelsen, T. Lundboek (Hrsg.), Ethnografiske genstandi i Det kongelige danske Kunstkammer 1 6 5 0 - 1 8 0 0 , Nationalmuseet Kopenhagen 1980, S. VIII. Einschlägige Literatur zu den frühen Kunstkammern findet sich im Literaturverzeichnis. 149 Pighius Stephanus Winandus, Hercules Prodicius, seuprincipis iuventutis vita etperegnnatio ... Historia Principis adolescentis institurix; & antiquitatum, rerumque scitu dignarum varietate non minus utilis quam iucunda ... Antwerpen 1587. Diese Schrift ist eine Elegie auf den holländischen Prinzen Charles von Cleve verbunden mit den Reisebeschreibungen von 1548-1571 und gilt als eine der besten Beschreibungen der frühen Wunderkammern. Siehe hierzu auch From Wunderkammer to Museum, Diana Parikian (Ed.), London 1984, S. 45. Für Quiccheberg kommt diese Schrift allerdings zu spät. 150 Die erste schriftliche Verankerung der Sammlung stammt von Gabriel Kaltemarckt, Bedenken wie eine Kunst-Cammer aufzurichten seyn möchte, Dresden 1578. Siehe dazu Barbara Gutfleisch und Joachim Menzhausen, ,How a Kunstkammer should be formed'. Gabriel Kaltemarckt's advice to Christian I., S. 4. 151 Zu den Inventaren und frühen Katalogen siehe Thomas Ketelsen, Künstlerviten, Inventare, Kataloge. Drei Studien zur kunsthistorischen Praxis, Amersbek bei Hamburg 1990, S. 106. 152 Klaus Schillinger (Hrsg.), Kostbare Instrumente und Uhren aus dem Mathematisch-Physikalischen Salon, Dresden, Leipzig 1994. 153 Friedrich Klemm, Geschichte der naturwissenschaftlichen Museen, in: Deutsches Museum, Abhandlungen und Berichte 41. Jhg., 1973, Heft 2, S. 8. Uber die Aufstellung der Sammlung ist wenig bekannt. 154 Quiccheberg bezeichnet die Sammlung in Sachsen als überaus erfolgreich, Digressiones DT-HH/Zeile 2 8 9 - 2 9 6 . Er erwähnt sie nochmal in den Exempla DT-HH/Zeile 162ff. 155 Auch Ferdinand II. wird erwähnt, wobei er aber nicht eindeutig auf dessen Sammlung eingeht, sondern diese eher in dem hierarchischen Kontext in der Form des Fürstenlobs erwähnt, siehe Exempla DT-HH/Zeile 7 8 - 8 1 . 156 Elisabeth Scheicher, The Collection of Archduke Ferdinand II., S. 29 ff. Siehe dies., Zur Ikonologie von Naturalien im Zusammenhang der enzyklopädischen Kunstkammer, S. 115. 157 Siehe Elisabeth Scheicher, The Collection of Archduke Ferdinand II., S. 30, und auch den Führer Kunsthistorisches Museum Ambras, Die Kunstkammer, Innsbruck 1977.
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materielle Ordnung ist wohl auch die einzige Ähnlichkeit, die zwischen dem studiolo des Francesco de Medici in Florenz und der Ambraser Sammlung erkennbar ist, dennoch ist dieses System der Ordnung ein verbindendes Moment der Kunstkammern nördlich der Alpen 158 . Verbindungen zwischen Ambras und München sind wiederum insofern nicht verwunderlich, als Albrecht V. der Schwager des Erzherzogs Ferdinand II. von Österreich war 159 . Die Kasseler Kunstkammer hingegen war Mitte des 16. Jahrhunderts schon recht bekannt und wurde besonders für die große Anzahl der astronomischen Instrumente gerühmt 160 . Die Berliner Kunstkammer kann erste Nachweise für eine Sammlung um 1565 erbringen, ein Inventar liegt erst um 1603 vor und gewann im 17. Jahrhundert an Bedeutung 161 . Die Prager Kunstkammer Rudolfs II. entstand nach 1576 und ist für Quiccheberg also nicht relevant 162 . Die Stuttgarter Kunstkammer erwähnt Quiccheberg ohne weiteren Kommentar im Nebensatz, sie steckte noch in den Anfängen 163 . Die genannten Kunstkammern sind alle zu etwa der gleichen Zeit entstanden. Sie sind hier nur beispielhaft erwähnt, um darauf hinzuweisen, dafe zwar praktische Beispiele, aber keine theoretischen Schriften zu Aufbau und Ordnung der genannten Kunstkammern in dieser Zeit existierten. Auch wenn nicht eindeutig geklärt werden kann, ob Quicchebergs Text eine Auftragsarbeit für Albrecht V. war, die speziell als Ordnungskonzept für die vorhandene Münchner Sammlung gedacht war, so ist sie sicher in enger Verbindung mit den Gelehrten am Hof und dem Fürsten selbst entstanden. Quicchebergs Traktat hatte eine deutlich praktische Ausrichtung und war nicht ,nur' eine Theorie 164 . Davon zeugt der Versuch einer Rekonstruktion der Münchner Kunstkammer 165 , das Ficklersche Inventar von 1598 und nicht zuletzt die Architektur der Kunstkammer 166 selbst. Auffallend ist im Vergleich zu Quicchebergs Text die Tatsache, dafe in der Mitte des 16. Jahrhunderts geradezu explosionsartig Schriften publiziert worden sind, die in der
158 Scheicher, The Collection of Archduke Ferdinand IL., S. 31 und bes. S. 32. 159 Siehe Ketelsen, Künstlerviten, Inventare, Kataloge, S. 106 f. Siehe zu der Bedeutung des Inventars in Zusammenhang mit dem Testament, ebda., S. 119 ff. 160 Siehe Eva Link, Die landgräfliche Kunstkammer Kassel, S. 29f. und Klemm, Geschichte der naturwissenschaftlichen Museen, S. 15 f. sowie Franz-Adrian Dreier, Zur Geschichte der Kasseler Kunstkammer, in: Zeitschrift für hessische Geschichte und Altertumskunde 72, 1961, S. 123-142. 161 Christian Theuerkauff, Zur Geschichte der Brandenburgisch-Preußischen Kunstkammer bis 1800, in: Die Brandenburgisch-Preußische Kunstkammer: eine Auswahl aus den alten Beständen, J. Hildebrand, und C. Theuerkauff (Hrsg.), Berlin 1981, S. 13-15. 162 Siehe Eliska Fucikova, The collection of Rudolf II. at Prague: a cabinet of curiosities or scientific museum?, in: Impey/McGregor, The Origins, S. 47-53. Ein Inventar liegt hier erst um 1607 vor. Siehe Thomas Ketelsen, KünsÜerviten, Inventare, Kataloge, S. 107. 163 Siehe Beispiele DT-HH/Zeile 187. Zu der Stuttgarter Kunstkammer Werner Fleischhauer, Die Geschichte der Kunstkammer der Herzöge von Württemberg in Stuttgart, S. 2. 164 Klemm, Geschichte der naturwissenschaftlichen Museen, S. 15. Auch Seelig äußert sich nicht eindeutig, auch wenn er bei der Rekonstruktion und der Aufstellung der Kunstkammer Quicchebergs Anweisungen berücksichtigte, siehe Seelig, Die Münchner Kunstkammer, S. 101-138. 165 Der erste Versuch erfolgte durch Seelig, The Munich Kunstkammer, in: Impey/McGregor, The Origins of Museums, S. 78 ff. 166 Seelig, Die Münchner Kunstkammer, S. 101.
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einen oder anderen Form die Bezeichnung Theatrum in ihrem Titel tragen167. All diese Schriften haben recht wenig mit einem Theater im heutigen Sinne gemein. Die Titel oder die Bezeichnung Theatrum sind mithin metaphorisch zu verstehen, so wie Quiccheberg es auch beschrieben hat 168 , und mehr im Sinne des ,Zur-Schau-stellens' und des Präsentierens. Bei diesen Schriften ist, im Gegensatz zu Quiccheberg, das Theatrum nicht gleichzusetzen mit Museum, da es sich meistens nicht um die Darstellung einer Universalenzyklopädie, sondern nur um einen Typus von Sammlung handelt, zum Beispiel um Maschinen169, Sentenzen oder Anweisungen ,zum Kampf gegen den Teufel'170. Es sei an dieser Stelle daran erinnert, daß Quiccheberg einen realen Hintergrund für die Entstehung seines Textes vor Augen hatte. Es handelte sich nicht um eine Fiktion, sondern um seine eigenen Interessen, die sich auf ideale Weise mit den Anforderungen seines Mäzens Albrecht V. verbanden. Auch wenn theoretische Vorbilder für Quiccheberg von Bedeutung waren, so war die Sammlung das wichtigste und einzig reale Vorbild. Nur die Sammlung selbst konnte aufgrund der Präsentation der Objekte und mit den einhergehenden illustrativen Möglichkeiten Problemen der Aufstellung der Sammlung und der Konservierung am ehesten veranschaulichen und folglich zur Diskussion stellen. Tatsache ist, daß er unzählige Sammlungen kannte, wie die Exempla (s.u.) zeigen, und diese im Rahmen des verfügbaren Platzes beschreibt oder erwähnt171. Es lassen sich schon allein anhand der Dichte des Textes unzählige Querverbindungen theoretischer Natur finden und herstellen, doch naheliegender und aufschlußreicher ist der Blick in die Sammlungen der Exempla und die repräsentative Liste der Sammler in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Es sind, wie später gezeigt wird, Personen unterschiedlichster Herkunft mit kleinen und großen Kunst- und Wunderkammern, Gemäldesammlungen, Mineraliensammlungen und Sammlungsgattungen, die als Vorbilder oder auch nur als Anregung aufgeführt werden. Er macht keine sichtbare Trennung nach der Qualität der Sammlung oder nach hierarchischen Prinzipien. Auch die Größe der Sammlung ist kein Qualitätsmerkmal. Jeder, der Interesse hat, soll eine Sammlung anlegen, jeweils nach der räumlichen Beschaffenheit und den finanziellen Möglichkeiten. Weil in den ersten Teilen des Ratschlags vorgeschlagen wird, daß alle Abteilungen mit der ganzen Ausstattung anderer Museen zusammengestellt werden sollten und ebenso die Bibliotheken, will ich rasch gewisse Besonderheiten einschieben, welche die an derlei Themen Interessierten an andere solche Bedingungen erinnern werden. Sie werden nämlich Theater, Archive und Gemächer mit verschiedenartigen Dingen darin sammeln, ein jeder nach dem Maß seiner Möglichkeiten, wie es ihnen
167 Zu der Diskussion des Gebrauchs der Begriffe ,Theatrum' und ,Museum', siehe Paula Findlen, The Museum, S. 69 f. Siehe den Katalog der Handschriften und Drucke der Bayerischen Staatsbibliothek, München 1987, S. 502-518. Unter dem Stichwort Theatrum fanden sich dort 16 Seiten zweispaltig ausschließlich Schriften mit dem Wort Theatrum im Titel, die bei näherer Betrachtung aber den unterschiedlichsten Literaturgattungen entsprangen. Viele sind auch erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts verfaßt worden. 168 Siehe u. zu Giulio Camillos JJIdea del Theatro ...'. 169 So ζ. B. das recht bekannte Buch von Heinrich Zeising, Theatrum Machinarum, Leipzig 1607. 170 Ζ. B. Theatrum Diabolorum, Frankfurt 1569. Zur Begrifflichkeit siehe unten. 171 Die Sammler mit den jeweiligen Sammlungsschwerpunkten sind dort sehr ausführlich dargestellt, so daß auf diesen Punkt hier nur hingewiesen sei. Siehe aber auch zu der Liste der Sammlerrepublik den Anhang.
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Einleitung belieben möge. Und man wird ihnen nicht solche Einteilungen vorschlagen, daß alle alles zusammentragen miißten, sondern jeder von dem, was er will, oder von dem Wenigen, das er kann, etwas erwerbe. Jemand von mäßigem Glück wird nämlich wegen der Beschaffenheit des Ortes, an dem er sich außiält, und wegen seines geplanten Interesses am nützlichsten entweder verschiedene Sorten von Saatgut, von Metallen, kleinen Tieren oder alten Münzen oder eine Sammlung von Bildern ohne große Kosten, nur durch die Sorgfalt einer gewissenhaften Suche anhäufen.m
Es ist vielmehr das Bewufksein für die Bedeutung eines Objektes und die Auswahl hin zu der perfekten Darstellung des Macrocosmos im Microcosmos, welches Quicchebergs Auswahl und Benennung der Sammler bestimmt173. Diese sind in der Forschung bislang wenig oder gar nicht berücksichtigt worden. Es sind folglich auch jene Sammler und Sammlungen, die, im Ganzen betrachtet, das ,Museum' darstellen können und sollen. Sie sind, verbunden mit allen Gattungen und Facetten, ein zusammengefügtes Museum. Es sind die einzelnen Abteilungen des Museums, unter der Voraussetzung, daß nur die besten Objekte präsentiert werden, die sich aus ausgewählten Objekten der privaten Sammlungen gebildet haben. Erst das Verbinden der einzelnen ,Zellen' kann das Theatrum Sapientiae ergeben, und nur das Spezialwissen und die Spezialsammlungen können die Menge der Informationen miteinander verbinden. Daß eine Sammlung wie die Münchner Kunstkammer öffentlichen Charakter hatte, wird von Quiccheberg angedeutet und ist dokumentiert174. Mit dem Begriff der Öffentlichkeit - sofern dieser hier überhaupt verwendet werden kann175 - ist der Umgang allerdings schwierig und es sei zur Vorsicht geraten. Möglicherweise läßt sich durch den Tausch und anhand der Gastgeschenke, die als Eintrittsgeld fungierten, eine Art öffentlicher Beitrag' zur Vervollständigung der Sammlungen ableiten176. Betrachtet man in München nur die ethnographische Sammlung, so ist ihr Reichtum allein durch externe Geschenke beträchtlich gewachsen177, mit einer bewußt stark repräsentativen Ausrichtung. Das Traktat muß deshalb auch neben den Hinweisen und Vorschlägen für eine Ordnung der Münchner Kunstkammer, wobei die Objekte möglicherweise nur Anhaltspunkte für die verschiedenen Kategorien und Klassifizierungen darstellten, als ein frühes Handbuch für Sammler und Museen betrachtet werden178. Da das Traktat viele praktische Hinweise enthält und generell mehr pragmatischen Gesichtspunkten folgt, würde dies auch den fast vollständigen Verzicht von Beispielen einzelner Objekte erklären. Es ist eben nicht ,nur' für die Münchner Sammlung geschrieben, sondern auch für andere Sammlungen, wobei jeder nach seinem individuellen Sammlungsschwerpunkt die entsprechenden Hinweise entnehmen soll.
172 Zitat: Ermahnung und Ratschläge. DT-HH/Zeile 1-31. 173 Ebda. DT-HH/Zeile 31-50. 174 Siehe oben Quiccheberg und Seelig, Die Münchner Kunstkammer, S. 103 f., der dort die verschiedenen Quellen anführt und auch die Schließung erwähnt, die nach einer Reihe von Diebstählen folgte. 175 Nicht öffentlich im heutigen Sinne, da nur das gelehrte Publikum aufgrund seines Wissenstandes in der Lage war, die Hintergründe des Objektes zu erfassen und überhaupt in einen Kontext mit der räumlichen Umgebung zu bringen. Diese Tatsache ist allerdings bei genauerer Betrachtung heute nicht anders (siehe weiter unten). 176 Siehe hierzu Paula Findlen, The economy of Scientific Exchange in Early Modern Italy, S. 8 f. 177 Findlen, ebda, und Seelig, Die Münchner Kunstkammer, S. 111 ff. 178 Berliner, Zur älteren Geschichte der allgemeinen Museumslehre, S. 328, der es als ,Handbuch der wissenschaftlichen Sammlungen' bezeichnet.
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Alle diese Formen der Sammler und Sammlungen sind in Quicchebergs Umfeld vorhanden. Bei den Fürsten zeigt die Sammlung einerseits die Beliebigkeit der Auswahl durch ihre finanziellen Möglichkeiten und andererseits die dekorative Dominanz. Bei den Humanisten repräsentiert die Sammlung die Darstellung eines universalen Wissens, den Status quo der gelehrten Forschung und der Wissenschaften. Bei den Antiquaren zeigt sie den Handel und die finanzielle Kraft und bei den privaten Sammlern schließlich die exzentrischen Vorlieben. Hier stellt sich die Frage nach Quicchebergs Museumsbegriff.
3. Quicchebergs Museumsbegriff Quicchebergs Traktat wird in der Forschung des 20. Jahrhunderts als der Anfang der Museumslehre in Deutschland betrachtet179. Die Gründe für diese Auffassung, die mithin den Begriff,Museum' für Quicchebergs Traktat rechtfertigen, sind vielfacher Natur. Eigentümlich ist ζ. B. die Tatsache, daß erst einhundert Jahre nach Quiccheberg wieder eine museumstheoretische Schrift nachzuweisen ist. Johann Daniel Major allerdings glaubte, der erste Museumstheoretiker gewesen zu sein180. Seine Schrift befaßt sich nicht allgemein mit verschiedenen Sammlungstypen, die zu einem Universalmuseum zusammenzufassen wären, sondern speziell mit den Naturaliensammlungen und ist nicht als einschlägiger Beitrag zur Museumstheorie im Allgemeinen zu verstehen. Erst 1704 trägt Daniel Wilhelm Moller in seinem Commentatio de Technophysiotameism wesentliche Überlegungen zu der Institution Museum bei, wobei auch der neutrale Begriff Museum hier noch keinen Durchbruch erlebte. Er weist auf Quiccheberg hin, führt detailliert dessen Theatrum vor182 und lobt das Theater Albrechts V.183. Moller führt in vielerlei Hinsicht Quicchebergs Gedanken fort. So sind neben dem wissenschaftlichen Anspruch und der Vollständigkeit der Sammlung auch ihre aesthetischen Aspekte und die des Betrachters ein durchaus legitimes Kriterium der Anordnung. Besonders hervorgehoben wird, dafj das Museum nur Gegenstand des öffentlichen Besitzes sein kann 184 , um somit, im Gegensatz zur privaten Sammlung, die Existenz in der Ewigkeit zu garantieren 185 . Eine alles umfassende Ordnung zu erstellen, hält er für unmöglich, sie muß den individuellen Gegebenheiten angepaßt sein. Sieben Grundsätze sollen ein Museum attraktiv und - vor allen Dingen - dauerhaft attraktiv machen: Zitat IV § XV186: 179 ebda., S. 328 f. 180 Johann Daniel Major, Unvorgreifliches Bedenken von Kunst- und Naturalien-Kammern insgemein, Kiel 1674. Ich verweise hier auf eine kürzlich verfaßte Dissertation zu Johann Daniel Major von Christoph Becker, jetzt Staatsgalerie Stuttgart, dem ich für seine Hinweise danke. 181 Daniel Wilhelm Moller, Commentatio de Technophysiotameis, Altdorf 1704. 182 Moller, Commentatio, S. 205-219. In diesem Zusammenhang zitiert Moller auch die Kunstkammern von Ole Worm, Johann Daniel Major und Calceolari, s. o. 183 Moller, Commentatio, S. 245 f. 184 Moller, Commentatio, III § III, S. 201 zum Begriff der Öffentlichkeit. 185 Moller, Commentatio, II § VII, S. 200. Ein Punkt, den Quiccheberg nicht explizit, aber durch die Galerie der Sammler, die Sammlerrepublik konstatiert. Durch die Erwähnung der Sammler sind diese gleichsam in der Ewigkeit verankert. 186 Zitat Moller, Commentatio, S. 219. Siehe auch Berliner, Zur älteren Geschichte der allgemeinen Museumslehre, S. 334.
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Einleitung In quavis technophysiotamei ordinatione ac dispositione ad Septem potissimum momenta dum esse atumno; nempe ut eadem sit 1) possibilis, 2) rationabilis, 3) utibilis, 4) spectabilis, tabilis, 6) augmentabilis, 7) durabilis.
attenden5) delec-
Diese Vorschläge sind auch noch im heutigen Sinne vorbildhaft und im besten Falle tatsächlich umsetzbar. Moller ist richtungsweisend für die Anfänge des Museums und bringt das auf den Punkt, was Quiccheberg in dieser präzisen Form noch nicht hat formulieren können. Auch C. F Neicklius' Museographiaw - wie J. D. Majors Schrift - ist nicht die erste museumtheoretische Schrift188; sie konzentriert sich auf die Naturaliensammlungen. Quiccheberg ist Pionier in der Kategorisierung und Ordnung eines Museums. Es gab keine Vorgänger, an deren ,Programmen' er sich hätte orientieren können. Die Vielfalt der Bestände der Münchner Kunstkammer haben insofern zu der Niederschrift des Traktates beigetragen, als sie quasi das praktische Vorbild für die bereits vorhandenen theoretischen Überlegungen waren, die Quiccheberg seit den fünfziger Jahren beschäftigte189. Sein ,Museum' ist das größte ,Theater der Welt'190, ein ,Theater des Wissens'191, welches einem zeitgenössischen Bildungsideal folgte, verbunden mit dem pädagogischen Zweck, dieses Wissen zu inventarisieren und zugänglich zu machen. Quiccheberg entdeckte - wie einige seiner Zeitgenossen - , daß nicht allein die Welt der Schrift ausreichen konnte, um die Welt faßbar zu machen, sondern die Entdeckung der Welt der Bilder in der Kürze des Augenblicks unermeßbar viel mehr auslösen konnten als das geschriebene Wort192. Erstaunlich ist die mutige Kritik - oder nur lakonische Feststellung - , daß Cicero mit seinen Schriften zur Staatslehre nicht annähernd all das abdecken könne, was die Welt des Drei- und Zweidimensionalen mit einem Objekt in Sekunden auslösen könne. Der Zweifel an der Autorität der Klassiker ist insofern überraschend, als sie doch in anderer Hinsicht, wie ζ. B. die Rhetorica ad Herennium für die Mnemonik und Plinius' Historia Naturalis für die Ordnung der Naturwelt, auch maßgebliche Vorbilder für Quiccheberg waren. Die Vielfalt der Sammlungen in Form von Wunderkammern, Münzsammlungen, Antikensammlungen, Kupferstichen, Gemälden und Zeichnungen brachten Quiccheberg offensichtlich zu der Uberzeugung, daß diese Sammlungen auch in einem eigens dafür geschaffenen Gebäude gezeigt werden könnten. So würde der Betrachter eine sichtbare, erfahrbare Welt im kleineren Maßstab erleben. Dieses Museum konnte in der Form der Kunst- und Wunderkammer in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht anders verankert sein als in den Händen eines Fürsten, denn die Gesellschaftsform des 16. Jahrhun-
187 C. F. Neicklius'Museographia, Leipzig 1727. Neicklius lobt ebenfalls die Münchner Kunstkammer mit ihren außergewöhnlichen Rara, wobei sich das auf den Zeitpunkt nach 1565 beziehen muß, S. 73. 188 Siehe zu dieser Auffassung Paul Holdengräber, Λ visible History of Art', S. 109. 189 Quiccheberg sammelte selbst und trug vermutlich bei seiner Italienreise eine erste Fassung des Textes mit sich. Siehe III.3. Admonitio. 190 Siehe den ausführlichen Titel des Traktates. 191 Das Theatrum Sapientiae. 192 Siehe hierzu den Streit ,ut pictura poesis' bei Horaz, und Aleida Assman, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999, S. 178, 180, 190ff. Hier geht es besonders auch um das Phänomen der Mnemosyne, die die beiden Medien Schrift und Bild zu verbinden gedachte und dafür bestimmte schon aus der Antike und dem alten Ägypten bekannte Mechanismen verwandte. Diese lebten in der Renaissance ζ. T. wieder auf.
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dert kannte keine andere Möglichkeit. D a h e r war dieses Museum, welches noch keine Institution war, höchstens in der Form eines Gebäudes tektonisch vorhanden und war auch nur insoweit öffentlich, als der Fürst selbst Zugang zu einer gelehrten Welt besaß. Er mußte selbst an der Präsentation einer allumfassenden Enzyklopädie der Welt Interesse haben, verbunden mit einem gewissen Bildungsanspruch. In Albrecht V. hatte Quiccheberg einen interessierten u n d den Künsten zugewandten Fürsten gefunden, der Quicchebergs Gedanken unterstützte. Nicht umsonst wurde die K u n s t k a m m e r Albrechts V. über alle Maßen gelobt, da sie eben nicht m e h r nur den privaten Charakter der K u n s t k a m m e r besaß 1 9 3 . S o erklärt sich die, neben den dominierenden Begriffen der Kunst- und Wunderkammer, Museum und Theatrum Sapientiae, oft auch synonyme Verwendung der Begrifflichkeiten 1 9 4 . Dies ist in der Mitte des 16. Jahrhunderts durchaus üblich, da außer den Begriffen der Kunst- und Wunderkammer, die Q u i c c h e b e r g sogar näher einzuordnen versucht, in der die „Kunstkammer", das heißt ein Gemach mit kunstvollen Gegenständen, sondern nur „Wunderkammer", das heißt ein Archiv der wundersamen Dinge195 ist, große Ähnlichkeit unter den Begriffen herrscht. Ein umfassender Begriff für die naturalia, mirabilia und säentifica als geschlossene S a m m l u n g existiert noch nicht, diese finden sich in der Kunst- oder Wunderkammer. Der Begriff Museum ist für das Traktat insofern zutreffend, da auch hier die Theorie und Praxis a n h a n d der K u n s t k a m m e r mit der Bibliothek vereint werden. Forschung, Wissenschaft u n d Museum können nebeneinander hergehen und sich gegenseitig inspirieren. Auch die Konnotation der Muse in d e m Begriff Museum spielt eine wichtige Rolle. Es sind der haptische und ästhetische Moment, die Materialität und die Sichtbarkeit des Objektes, eben das visuelle dreidimensionale Erlebnis- und Begriffsvermögen, welches d e m M u s e u m seine unverwechselbare u n d unwiederholbare Stellung vermittelt. Dies als Erster systematisch erfaßt und begründet zu haben, ist das historische Verdienst S a m u e l Quicchebergs.
4. Giulio Camillos L'Idea del Theatro und die Bedeutung für Quicchebergs Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi Ein weiterer in der Forschung viel diskutierter Punkt ist die B e d e u t u n g von Giulio Camillos ( 1 4 8 0 - 1 5 4 4 ) L'Idea del Theatro von 1 5 5 0 im Hinblick auf die mögliche Vorlage für Quicchebergs theoretischen und praktischen Entwurf eines Theatrum Mundi oder Theatrum Sapientiae.
193 Siehe Seelig, Die Münchner Kunstkammer, S. 103, Anm. 33. 194 S.o. 195 Den ganzen Abschnitt siehe Beispiele DT-HH/Zeile 537-540.
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Das Ausmaß der Bedeutung von Camillos L'Idea del Theatro196 als Vorbild für die Entstehung der Inscriptiones ist umstritten 197 . Camillo wurde für die Entstehung von Quicchebergs Traktat deshalb so viel Bedeutung zugemessen, da sein Entwurf einer Ordnung den damals bekannten sieben Planeten folgt. Mit den Mitteln der Mnemotechnik entwickelte er ein Theatrum Sapientiae oder Theatrum Memoriae. Quicchebergs Traktat gibt Hinweise auf die Kenntnis solcher Ordnungsstrukturen, der Text und dessen Struktur folgt aber nur in Ansätzen einer solchen Richtung. Texte, die sich in irgendeiner Form der Mnemotechnik bedienten, waren in der Mitte des 16. Jahrhunderts nichts außergewöhnliches und gewissermaßen ein Bestandteil der gelehrten Diskussion. Auch Quiccheberg bediente sich dieser Kunst und wandte sie zweckmäßig an, deshalb mußte hierfür nicht Camillo als Vorbild gedient haben. Auch das nächste Umfeld am bayerischen Hof widmete sich diesen Themen. Camillos L'Idea del Theatro war bis nach seinem Tode nicht als Buch erhältlich 198 . Der Text war ein unvollendeter Entwurf und Camillos Traum der Umsetzung eines perfekten Theatrum Sapientiae erfüllte sich zu Lebzeiten nicht mehr. Es existierte ein lebensgroßes Holzmodell des Theaters. Um 1534 wurde Giulio Camillos L'Idea del Theatro am französischen Hof als Holzmodell angefertigt 1 9 9 und als solches weit über die Grenzen hinaus bekannt 2 0 0 . Es war mit der - allerdings nicht immer konsequenten - Unterstützung des französischen Königs Franz I. entstanden und wurde in gelehrten Kreisen diskutiert und gelobt 2 0 1 . Es stand aber wegen seines ungewöhnlichen und komplizierten Entwurfes auch unter dem Verdacht der Scharlatanerie 2 0 2 . In den sechziger Jahren wurde das Theatrum 196 Giulio Delmino Camillo (1480-1544), Dizionario Biografico degli Italiani, Rom 1974, S. 218-230. Hier die Fassung von FN 197. Zwei umfassende Biographien zu Camillo stammen aus dem 18. Jahrhundert, siehe F. Altani, Memorie intorno all vita ed all'opere di Giulio Camillo Delminio, in: Nouva raccolta d'opusculi scientifici e filosofici, Venice 1755,1; G. G. Liruti, Notizie delle vite ed opere scritte da Letterati del Friuli, Udine 1780, III. 197 Berliner geht beispielsweise gar nicht weiter auf diese Diskussion ein, da er die Intention von Quicchebergs Text ohnehin praktisch ausgerichtet sieht. Siehe Berliner, Zur älteren Geschichte der allgemeinen Museumslehre, S. 327-252. Siehe auch Ε. M. Hajos, References to Giulio Camillo, S. 207-211 und Klaus Minges, Die Sammlung als Medium des Weltbildes, Bemerkungen zur Rezension von Horst Bredekamps Antikensehnsucht und Maschinenglauben, S. 231 f., die mitunter ein Anlaß war, diese Diskussion an dieser Stelle noch einmal aufzugreifen. Siehe auch die inzwischen erschienene Dissertation von Klaus Minges, Das Sammlungswesen der frühen Neuzeit: Kriterien der Ordnung und Spezialisierung, Münster 1998, bes. S. 62-75. 198 Weitere Arbeiten und nähere Untersuchungen zu Camillos Theater, siehe u. a. Frances F. Yates, The Art of Memory, S. 129-159. Ebenso siehe die Publikationen von Lina Bolzoni, sowie die neueren Arbeiten von Corrado Bologna, Immagini della memoria. Variazioni intorno al,Theatro' di G. Camillo e al ,Romanzo' di C. E. Gadda, in: Strumenti Critici, Rivista quadrimestrale di cultur e critica letteraria diretta da D'Arco Silvio Avalle, Maria Corti, Dante Isella e Cesare Segre, nuova serie, Anno III, fascicolo 1, n. 56, gennaio 1988, S. 1-19, sowie ders., Esercizi di memoria. Dal,Theatro della Sapientia' di Giulio Camillo agli ,Ecercizi spirituali' di Ignazio di Loyola, in: Intersezioni, Rivista di storia delle idee, Anno XI, numero 3, dicembre 1991, S. 30-39, und ders., II Theatro segreto di Giulio Camillo: YUrtext ritrovato, in: Venezia cinquecento, Studi di storia deH'arte e della cultura, anno 1, n. 2, Estratto, Iuglio-dicembre 1991, S. 217-268. 199 Yates, The Art of Memory, S. 133 200 Der Brief von Gilbert Cousin in: G. G. Liruti, Notizie delle vite ed opere scritte da Letterati del Friuli, Udine 1780, III, S. 123. Siehe R. Bernheimer, Theatrum Mundi, in: Art Bulletin, Bd. 38, 1956, Vol. 1, S. 227. 201 Yates, The Art of Memory, S. 132 f. 202 Hierzu Lina Bolzoni, Das Sammeln und die ars memoriae, S. 129.
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bekannter, was nicht zuletzt mit der Publikation des Textes erst im Jahre 1550 zusammenhing. Der Text beinhaltete den Entwurf, den Giulio Camillo vor seinem Tod seinem Freund Girolamo Muzio in Mailand diktiert hatte 2 0 3 . Ein weitgehend unerschlossenes Netz einer Kommunkationsstruktur innerhalb der gelehrten Welt hatte längst vor der Publikation des Textes das ominöse und gleichsam faszinierende Theatermodell von Camillo zum Diskussionsthema gemacht 2 0 4 . Neben der antiken und klassischen Tradition der Ars Memoria20S, die Camillo niemals aus den Augen läfit und die in Form von Ciceros De Oratore für jeden RenaissanceHumanisten weiterhin vorbildhaft war, hat im 16. Jahrhundert die Ars Memoria in Verbindung mit der jüdischen Kabbala, Alchimie 206 und Mystik eine Renaissance und Wandlung zugleich erlebt 207 . Dies wurde ausgelöst durch die Übersetzung des Corpus Hermeticum und Aesclepius von Hermes Trismegistus 208 durch Ficino und den Autor des ,Pimander', Pico della Mirandola. Durch sie hielt die ägyptische Hermetik Einzug in die Kunst und Philosophie der Renaissance 209 .
2 0 3 Ebda., S. 136, wird dies umfassend dargestellt. Die Textausgabe, auf die sich Yates, The Art of Memory, und auch die Untersuchungen dieses Textes stützen, beziehen sich auf die Ausgabe L'Idea del Theatro dell'eccellen. M. Giulio Camillo, Florenz 1550. Zu den vorhandenen Ausgaben siehe auch Corrado Bologna, II Theatro segreto di Giulio Camillo: YUrtext ritrovato, S. 2 1 7 - 2 6 8 . 2 0 4 Siehe ζ. B. die Verbindungen zu Erasmus von Rotterdam, Frances Yates, The Art of Memory, S. 133. Es gibt soweit bekannt keine umfassende Studie über Kommunikations- und Austauschmöglichkeiten von Gelehrten in der Renaissance. In einem relativ exklusiven Kreis der Gelehrten in dem damaligen europäischen Raum standen vermutlich die meisten Gelehrten in engem Kontakt über ihre jeweiligen Arbeiten und Untersuchungen. Dieser Austausch ist nicht in allen Fällen nachweisbar. Eine vergleichbare soziologische Untersuchung zur Entstehung der großen Schulen im 12. Jahrhundert, dem Kommunikationsnetz und Wissenaustausch der Gelehrten im 12. Jahrhundert brachte überraschende Erkenntnisse zu den Methoden und Möglichkeiten des Austausch in einem Zeitalter ohne elektronische Medien. Siehe hierzu zwei Aufsätze: R. W. Southern, The Schools of Paris and Chartres, S. 1 1 3 - 1 3 7 und John W. Baldwin, Masters at Paris from 1 1 7 9 - 1 2 1 5 , S. 138-172, in: Benson, Robert L./ Constable, Giles, Renaissance and Renewal in the Twelfth Century, Cambridge/Harvard 1982. 2 0 5 Diese beruhte im wesentlichen auf die vermutlich pseudo-ciceronianische Schrift Rhetorica ad Herennium 111,6 und Cicero, De Oratore 1,5,18, Zitat: . . . quid dicam de thesauro rerum omnium memoria. Siehe auch Volkmann, L., v'\rs Memorativa', in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen in Wien, NF 3, 1929, S. 1 1 1 - 2 0 0 . Dazu auch besonders Lina Bolzoni, Das Sammeln und die ars memoriae, S. 133-137. 2 0 6 Siehe zu der Entstehung und den verschiedenen Auffassungen der Alchimie und Kabbala Gershom Scholem, Alchimie und Kabbala, Franfurt 1984, S. 7 - 6 0 , bes. S. 7 - 3 0 . 207 Monika Gomille, Gedächtnisbilder der Klugheit (Prudentia) in humanistischer Tradition, S. 2 1 9 - 2 2 6 . Siehe zu den Verbindungen zwischen Alchimie und Astrologie Joachim Teile, Astrologie und Alchimie im 16. Jahrhundert. Zu den astrologischen Lehrdichtungen von Christoph von Hirschenberg und Basilius Valentinus, in: Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung Bd. 12, Wiesbaden 1992, S. 2 3 6 und 2 4 5 - 2 4 7 . 2 0 8 Siehe zu der Funktion des Hermes Trismegistus bei Quiccheberg diese Arbeit, Kap. Il.l.a., Anm. 1. 2 0 9 Siehe besonders das Kapitel: Pico della Mirandola and cabalist magic, in: F. Yates, Giordano Bruno and the Hermetic Tradition, Chicago/London 1964, S. 8 4 - 1 1 6 . Siehe auch Yates, The Art of Memory, S. 135f. und Lina Bolzoni, Gedächtniskunst und allegorische Bilder. Theorie und Praxis der Ars memorativa in Literatur und Bildender Kunst Italiens zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert, in: A. Assmann/D. Harth (Hrsg.), Mnemosyne. Formen der kulturellen Erinnerung, Frankfurt 1991, S. 160f.
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Zu diesen schwierigen Texten gehört auch Camillo und der Entwurf eines universalen Theaters des Gedächtnisses210. Dieser Text ist ein Konglomerat verschiedenster Strömungen und Tendenzen der Zeit, eine Verbindung klassischer, mittelalterlicher, astrologischer und kabbalistischer Doktrine unter Anwendung der Ars Memoria211. Es ist nicht sicher, ob Quiccheberg das hölzerne Modell Camillos in Frankreich kannte. Eine Reise nach Frankreich ist nicht bekannt; vielleicht hatte er Skizzen oder kleinere Modelle bei Gelehrten in Italien gesehen212. Seine Unkenntnis bezüglich der architektonischen Form des Theaters weist darauf hin, daß sein Wissen nur auf - möglicherweise falschen - Augenzeugenberichten beruht. Ein Exemplar des L'Idea del Theatro ist für die Gründungszeit der Münchner Hofbibliothek nicht nachzuweisen213. Eine Verbindung zu diesem Text könnte noch der von Quiccheberg selbst erwähnten Kontakt zu dem Gelehrten und Philosophen Sebastian Reisacher (s. u.) sein, der sich mit mnemotechnischen Texten und Problemen und den - auch bei Camillo diskutierten - Einflüssen der Kabbala und Astrologie befaßte214. Die Diskussion um die Bedeutung von Camillos Theatrum Memoriae215 für Quicchebergs Text stützt sich von jeher auf drei Textstellen216. Diese Zitate zeigen Quicchebergs ambivalenten Umgang mit Camillos Werk, eine Haltung zwischen Ablehnung und Faszination. In einem Nebensatz des Abschnitts, in welchem Quiccheberg prinzipielle Überlegungen zu dem Entwurf seines Universaltheaters äußert und eine Ordnung nach der natürlichen Beschaffenheit der Objekte bevorzugt, findet sich ein Hinweis auf Vitruv und Camillo217.
210 Das architektonische Modell des Theaters zeigt hier das begrenzte Gedächtnis, vom Menschen kontrollierbar gemacht, Zitat: „Bei Giulio Camillo und Samuel Quicchelberg haben wir bereits das Bild des Theaters gefunden, in seinem etymologischen Sinne neu interpretiert; das Theater ist dasjenige, was das Schauspiel sichtbar macht, indem es dasjenige nach außen projiziert, was das Gedächtnis im Inneren des menschlichen Geistes hütet". Lina Bolzoni, Das Sammeln und die ars memoriae, S. 137. 211 Für umfassende Hinweise und Erklärungen zu Camillos Theater siehe die oben zitierten Arbeiten von Yates, Bernheimer und Hajos. In dieser Arbeit sei nur der Hintergrund, sofern für Quiccheberg relevant, näher ausgeführt. 212 Quiccheberg reiste vermutlich bereits 1550 in der Begleitung bayerischer Adliger nach Padua, siehe 0 . Hartig, Der Arzt Samuel Quiccheberg, S. 631, es wird sogar berichtet, da6 er in Padua studierte, siehe BBB, 609, wobei hier keine weiteren Nachweise existieren. Siehe Einleitung, S. 8. 213 Siehe Otto Hartig, Die Gründung der Münchner Hofbibliothek durch Albrecht V. und Johann-Jakob Fugger, erwähnt Camillo nicht in dem Index. 214 Siehe Biographie von Reisacher in Kobolt, S. 552 und bei Pantaleon die von Quiccheberg gezeichnete Biographie von Reisacher, Heinrich Pantaleon, Deutscher Nation Heldenbuch, S. 512. 215 Siehe hierzu Hajos, References to Giulio Camillo, S. 208 zu dem Begriff Theater bei Camillo. Camillo und Quiccheberg benutzen die Begriffe Theatrum Memoriae und Theatrum Sapientiae synonym, was aber durch die zu dieser Zeit übliche Anwendung der Begriffe noch nicht auf Ähnlichkeiten hindeuten muß. Siehe hierzu Paula Findlen, Die Zeit vor dem Laboratorium, S. 193 ff. Siehe auch Eva Schultz, Notes on the History of Collecting and Museums, S. 208. 216 Diese sind auch ausführlich bei Ε. Μ. Hajos, References, S. 2 0 6 - 2 1 1 , besprochen worden. 217 Digressiones LT-HH/Zeile 66-74: Nec enim iam etiam licuit sedundum VII Planetas singula distribuere, utfacere potuissent Vitruvium & Camillum imitando, cum ordo facilior secundum formas rerum debuerit exhiberi: eiusmodi autem aliquid in libro de insignibus apud colores sum prolaturus.
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Quiccheberg stellt auf der ersten Seite das Traktat unter den Schutz und die Leitung des Merkur 218 . Er rückt damit den Text zu Beginn in eine planetarische und/oder astrologische Ordnung 219 . Diese ist allerdings nicht, wie verschiedentlich angenommen wurde, das dominierende Ordnungsprinzip des Gesamttextes, sondern steht gleichermaßen neben anderen Ordnungen wie ζ. B. der hierarchischen und regionalen Ordnung, die dann sogleich in der ersten Klasse der Inscriptiones eingeführt werden. Diese Ordnung betrifft im wesentlichen die Struktur der Inscriptiones und die Digressiones, die die Inscriptiones erläutern. Die anderen Kapitel hingegen sind eher praktischen Aspekten und ordnungstechnischen Kriterien gewidmet. Die von Klaus Minges vorgeschlagene Ordnungsstruktur, die eng einer planetarischen Konzeption folgt, hat ihre Berechtigung und ist bei näherer Betrachtung verblüffend plausibel220. Er sieht, neben dem hierarchischen Prinzip der ersten Klasse, jede folgende Gruppe, also den Rest der Welt, den sieben Planeten zugeordnet, indem jede einem Ausschnitt des irdischen Wirkens der Planeten gewidmet ist221. Sol, als Patron der Herrscher, geht demnach zusammen mit der Fürstenwidmung 222 , die geographischen Karten repräsentieren die Erde 223 , Stadtansichten den Saturn 224 , Krieg und Lustspiel225 stehen für Mars und Venus, Wild und Fischfang 226 gehören zu Schütze und Widder, die Häuser zum Jagdpatron Jupiter, das Kunsthandwerk 227 gehört zum Merkur, und alle Maschinenmodelle228, die ausschließlich mit Wasser zu tun haben, sind dem Mond zuzuordnen. Dies ist deshalb hier so ausführlich dargestellt 229 , da trotz der recht sinnfälligen Auslegung keine Gültigkeit einer solchen Interpretation für den ganzen Text zu erkennen ist. Minges hält sich in seiner Untersuchung primär an die Ordnung der Inscriptiones, also an die Klassifikationsstrukturen des ersten Teils des Traktates. Wäre diese planetarische Aus-
218 Siehe Inscriptiones DT-HH/Zeile 3 5 - 4 4 und den Kommentar, Kap. III.l, S. 226ff., der auch die verschiedenen Rollen des Merkur als Wegweiser und Patron des Kunsthandwerks aufzeigt. Hierzu auch Hajos, References, S. 209, Anm. 5. 219 Siehe besonders das für die Bedeutung der Kunstkammer neue Maßstäbe setzende Buch von Horst Bredekamp, Antikensehnsucht und Maschinenglauben die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte, in: Kleine Kulturwissenschaftliche Bibliothek, Bd. 41, Berlin 1993. Siehe auch die Diskussion und Standpunkt von Klaus Minges, Die Sammlung als Medium des Weltbildes, S. 231 f. Minges hat nicht genug hervorgehoben, dafi die planetarische Ordnung nur eine neben anderen gleichermaßen wichtigen Ordnungen ist, aber nicht die dominierende. Eine ausführlichere Betrachtung von Camillos Arbeit und der planetarischen Bedeutung in Quicchebergs Arbeit wäre wünschenswert. 220 Siehe Minges, op. cit, S. 231-232. 221 Ebda., S. 231, dies sei an den Zyklen der Planetenkinderbilder leicht zu überprüfen. Siehe hierzu Wilhelm Gundel, Dekane und Dekansternbilder, S. 270-281. 222 Überschriften DT-HH/Zeile 4 9 - 8 0 . 223 Überschriften DT-HH/Zeile 8 4 - 9 1 . 224 Auch Patron der Städtegründer, Inscriptiones DT-HH/Zeile 9 4 - 1 0 1 . 225 Überschriften DT-HH/Zeile 105-124. 226 Hier ist dem Vorschlag von Minges allerdings nicht zu folgen, da es hier nicht um die Jagd geht. Der einzige Abschnitt, der die Jagd behandelt, ist Klasse IV/7. 227 Überschriften DT-HH/Zeile 141-149. Hierzu gehören auch die Klassen II/2 und II/3. 228 Überschriften DT-HH/Zeile 140-146. 229 Auf die anderen von Minges dargestellten Interpretationen soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Siehe Minges, op. cit., S. 232 f.
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richtung für Quiccheberg von großer Bedeutung gewesen, hätte er sicherlich Platz für detaillierte Erläuterungen in den Digressiones gefunden. Ergänzend und zum besseren Verständnis sei Camillos Entwurf und grobe Struktur der Schrift L'Idea del Theatro kurz zusammengefaßt 230 : Camillo dient die Zahl 7 in der Form von Säulen als Ordnungsnorm 231 . In sieben Ebenen waren die 7 Planeten als Archetypen der Schöpfung, die einfachen Elemente, die gemischten Elemente, die Schöpfung des Menschen, die Einheit von Körper und Seele, die menschlichen Aktivitäten in der Natur und schließlich die Künste dargestellt. In der Mitte stand eine Pyramide, die Gott repräsentierte. Zur Verständlichkeit für den Betrachter waren durch gemalte Bilder und Zettel (Inscriptiones)232 die einzelnen Abteilungen über den Eingangstoren in Kassetten und Schachteln erläutert. Es sind darüberhinaus die damals bekannten Planeten Saturn 233 , Jupiter 234 , Mars235, Sonne236, Venus237, Merkur 238 , Mond239 Camillos Text als Ordnung mit eindeutigem Bezug auf die Kabbala zugrunde gelegt240. Die Anspielung auf Vitruv bei Quiccheberg trägt seiner eigenen und Camillos Verbundenheit zu der klassischen Architektur Rechnung und einer Architektur, die die planetarische Ordnung berücksichtigt241. Bei Camillo wurde Vitruv aus mnemotechnischen Gründen als Vorbild zitiert, wobei dieses Vorbild sich nicht, in der architektonischen Ausrichtung seines Theaters niederschlug. Genausowenig war sein Theatrum für ein wirkliches Publikum konzipiert worden. Das Gebäude hatte nicht die Form eines antiken Amphitheaters, sondern war kreisförmig, ein sog. ,Tholos' (s.u.). Der Entwurf bei Camillo stand, wie erwähnt, auf sieben Säulen, auf den sieben Säulen von Salomos Haus der Weisheit, womit aber gleichzeitig auf die sieben Säulen der Sephiroth, die in der Kabbala die Ewigkeit und die überirdische Welt repräsentieren 242 , hingewiesen wurde. Hiermit verband Camillo mehrere Ebenen, aber auch wissenschaftliche und gelehrte Tendenzen der Zeit, die im wesentlichen auf das neoplatonische Gedankengut 243 von Pico 230 In Anlehnung an die Ausführungen von Francis Yates, The Art of Memory, S. 136f. Siehe den Versuch einer Rekonstruktion des Modells, S. 144, nächstes Blatt. Siehe aber auch den Aufsatz von Bolzoni, Gedächtniskunst und allegorische Bilder, S. 160-171. 231 Camillo, L'Idea, Fol. Br-Biiv. Siehe zu dieser Ordnung Gershom Scholem, Alchemie und Kabbala, S. 83 und auch S.28. 232 Dieses Prinzip hat Quiccheberg zweifelsohne in Klasse V/9 übernommen. 233 Camillo, L'Idea del Theatro, Fol. Biv v, Dii v, Fiii r, I r, I iv v, Liii v. Siehe auch zu der Bedeutung von Saturn, R. Klibansky; E. Panofsky, F. Saxl, Saturn und Melancholie. Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst, Frankfurt 1992, S. 214-216, 3 0 3 - 3 0 6 , 367-394. 234 Camillo, L'Idea del Theatro, Fol. Biv v, D ii r, Fii r, Hiv v, Iiv v, Liii r. 235 Camillo, L'Idea del Theatro, Fol. Biv v, Dii r, Eiv v, Hiv v, Iii v, Iiv r, Iv v, Kiii r, Liii r. 236 Camillo, L'Idea del Theatro, Fol. Biv r, D v, Eiii r, Hiv v, Iiv r, Kiii r, Lii r. 237 Camillo, L'Idea del Theatro, Fol. Biv r, D v, Eii r, Hiv r, liii v, Lii r. 238 Camillo, L'Idea del Theatro, Fol. Biv r, D ν, Ε r, Hiv r, liii r, Κ v, L r, Lii r. 239 Camillo, L'Idea del Theatro, Fol. Biv r, D r, Div r, Hiii v, Kii ν, Κ v, L r. 240 Siehe hierzu Lina Bolzoni, II Theatro della Memoria. Studi su Giulio Camillos, Padua 1984. 241 Siehe Vitruv, Zehn Bücher über Architektur, übers, und Anm. von Curt Finsterbusch, Neuntes Buch, Erstes Kapitel, Das Weltall und die Planeten, Darmstadt 19915, S. 4 1 3 - 4 3 9 . 242 Camillo, L'Idea, Fol. Biii r-Biv r. 243 Camillo, L'Idea, Fol. Bi v. Siehe auch Monika Gomille, Gedankenbilder der Klugheit (Prudentia) in humanistischer Tradition, S. 2 1 9 - 2 2 5 .
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della Mirandola und Marsilius Ficino zurückführen 244 . Quiccheberg übernimmt in dem Bereich der kabbalistischen Zahlenlehre nur einzelne Anregungen und Gedanken aus Camillos Text. Diese sind in dem Text, z.B. in dem Hinweis auf die sieben Weltwunder, versteckt, die in Verbindung mit den Planeten stehen 245 . In diesem Zusammenhang zitiert er aber die sieben Weltwunder mit eindeutigem Hinweis auf den volkskundlichen Text von Baptista von Mantua 246 , der zu den sieben Weltwundern auch den Tempel von Jerusalem und die römischen Theater zählte 247 . So spielt neben Camillo auch Baptista von Mantua dahingehend eine Rolle, als er die Verbindung zwischen Weltwunder, Planeten und Realität herstellte 248 . Die göttliche Ordnung steht für Quiccheberg hierarchisch gesehen über allen Ordnungen 249 und wird noch einmal in dem Nachspann als ein wesentliches Prinzip ausgewiesen 250 . Quiccheberg zitiert und benutzt das kompliziert erarbeitete Modell von Camillo aus astrologischen und kabbalistischen Zahlenspielen, Verweissystemen und Interferenzen also nur dort, wo es für ihn relevant erscheint. Es entsteht zudem die Vermutung, dafs er nicht zuletzt deshalb Camillo zitiert, um sich selbst und sein Theatrum in die Diskussion der Mnemotechnik einbringen zu können. Dabei ist zu erkennen, daß er dieses System als überholt und veraltet betrachtet 251 , er aber aufgrund der Vollständigkeit zitiert. Quicchebergs Vorstellungen einer planetarischen Ordnung sind nicht näher erläutert, das Traktat aber lehnt eine solch komplizierte Konstruktion per se ab 2 5 2 . Camillos theoretische Autorität für ein mnemotechnisches Gebäude finden als Vorbild in Quicchebergs Traktat eine praktische und realitätsbezogene Anwendung 253 . Quiccheberg würdigt Camillos Theorie, schlägt aber vor, eine einfachere Ordnung anzuwenden, die der Gestalt der Dinge gerecht wird (s. o.), d. h. eine sichtbare, physische und materielle Ordnung, u. a. auch nach ästhetischen Gesichtspunkten. Dies ist das wesentliche und bestimmende Ordnungskriterium für Quiccheberg.
244 Siehe hierzu F. Yates, The Art of Memory, S. 136f. Siehe auch F. Yates, Giordano Bruno and the Hermetic Tradition, S. 73 ff. 245 Siehe hierzu Erörterungen DT-HH/Zeile 9 0 3 - 9 2 6 und siehe besonders diese Arbeit Kap. III.4., S. 270. 246 Baptista von Mantua ( 1 4 4 8 - 1 5 1 8 ) , Fastorum libri duodecim, Die Fasti des Baptista von Mantua (1516) als volkskundliche Quelle, Niewkoop 1979 = Bibliotheca Humanistica & Reformatorica 26. 247 Siehe Erörterungen DT-HH/Zeile 923ff. 2 4 8 Mit anderen Worten hat auch der Text von Baptista von Mantua Quiccheberg ebenfalls beeinflußt, ihm zumindest noch eine weitere Quelle zu den Weltwundern geliefert, die nicht unbedingt auf Camillos Theorie aufbauen muß. 2 4 9 Siehe 1/1. Das Haus Salomons spielt aufgrund des Bezugs zum Alten Testament bei Camillo eine Rolle für die Kabbala, wobei hier vermutlich auch die göttliche Ordnung des Christentums eingeschlossen ist. 2 5 0 Siehe Beispiele DT-HH/Zeile 8 1 8 - 8 4 3 aus dem Buch I der Könige 5, 9 - 1 4 . Siehe den Nachspann zu den Exempla, Beispiele DT-HH/Zeile 8 1 8 - 8 9 7 . Siehe diese Arbeit den Kommentar und den Aufsatz von Eva Schultz, Notes on the History of Collecting and Museums, S. 2 0 5 - 2 1 8 , bes. 2 0 9 , die darauf näher eingeht. 2 5 1 Siehe hierzu Ε. Hajos, References, S. 2 0 9 , Anm. 9 und Rudolf Berliner, Zur älteren Museumslehre in Deutschland, S. 3 3 0 - 3 3 1 . 252 Die planetarische Ordnung findet auch in späteren Texten immer wieder ihren Niederschlag wie ζ. B. in der Beschreibung der Gemäldesammlung und der Wunderkammer des Raffaello Borghini in Florenz, Giovanni della Porta, L'Arte del Ricordare, 1566, und Borghini, Raffaelle, Le riposo di Raffaello Borghini, Florenz 1584, S. 4f. zu einer späteren Ordnung der Planeten. 253 Wie bereits Ε. M. Hajos, References to Giulio Camillo, schon erwähnte (s. o.).
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Camillos Theater 2 5 4 entsprach äußerlich einem tholos (s. o.), einem runden Kreis, der auf der Basis von vier gleichschenkeligen Dreiecken entworfen wurde 2 5 5 . Quicchebergs Ablehnung der halbrunden Form ist irreführend 2 5 6 . Grund hierfür war vermutlich die falsche Uberlieferung der Zeitgenossen 257 . Quicchebergs Kritik ist insofern wichtig, als es seine eigene Vorstellung deutlich macht. Er mußte Camillo zitieren und sich kritisch mit ihm befassen, u m der gelehrten Diskussion seiner Zeit Rechnung zu tragen. Daß er anderer Auffassung ist, steht hier im Hintergrund 2 5 8 . Er zitiert an anderer Stelle verschiedene Theatri, denen er insbesondere metaphorische Bedeutung zumißt 2 5 9 ; die Schriften von Christopherus Mylaus 2 6 0 , Theodor Zwinger 2 6 1 , Guillaume de la Perriere 2 6 2 und Conrad Lycosthenes 2 6 3 haben eine philosophische, dennoch praktisch orientierte Ausrichtung. Sie standen, räumlich gesehen, Quiccheberg näher als Camillos Text 2 6 4 , da er sie ζ. T. persönlich kannte 2 6 5 . Auch die im Bau befindlichen Gebäude der Münchner Kunstkammer weisen auf die architektonische Form hin, die für Quiccheberg relevant gewesen sein muß: ein Theater mit einem Rundgang über zwei Ebenen und nach allen Himmelsrichtungen offen 2 6 6 . Es
2 5 4 Digressiones LT-HH/Zeile 2 9 - 3 1 : Monere hic oportet Julii Camilli museum semicirculo suo recte quo que theatrum did potuisse. Die Bezeichnung Museum an dieser Stelle für Camillos Theater läßt wider Erwarten doch auf eine sichtbare, physische Dimension des Theaters schließen, die für Quiccheberg vermutlich erkennbar war. Siehe hierzu auch die B e m e r k u n g bei Lina Bolzoni, Das Sammeln und die ars memoriae, S. 131. 2 5 5 Siehe hierzu Bernheimer, Theatrum Mundi, S. 2 3 2 und die dort zitierten literarischen Vorbilder Cesariano und Barbaro. Zu dem tatsächlichen B a u des Quiccheberg'schen Theatrums siehe Lorenz Seelig, Die Münchner Kunstkammer, S. 1 0 1 - 1 0 7 und Otto Hartig, Die Kunsttätigkeit in München, S. 2 0 4 . Auch in einer Ausstellung wurde die Uberzeugung geäußert, daß es sich u m ein Theater handele, dessen Zuschauer auf der B ü h n e stehen und von dort aus aktiv an dem Geschehen des Theaters partizipieren, wobei das Ziel des Theaters nicht die Realität zu zeigen, sondern die verborgene Realität anhand einen anderen Schemas zu enthüllen. Siehe Dan Graham, The Garden as Theater as Museum, S. 88, in: Ausstellungskatalog, Theatergarden, bestiarium. T h e Garden as Theater as Museum. T h e Institute für Contemporary Art, Cambridge/Mass., L o n d o n / E n g l a n d 1990. 2 5 6 Hajos schlägt vor, daß von einem museologischen Standpunkt gesehen, die Form des Halbkreises praktische Beweggründe habe, zwecks eines besseren Überblicks und Anordnung der Objekte, in: References to Giulio Camillo, S. 2 0 8 , Anm. 3. 257 Wie bei Hajos, References to Giulio Camillo, S. 2 0 9 . 2 5 8 Quiccheberg beschäftigte sich sicherlich mit Mnemotechnik, auch wenn dies nicht überliefert ist. Seine Anwendung ist praktisch und rational. 2 5 9 Dieser Terminus war unter den zeitgenössischen Verlegern außerordentlich verbreitet, siehe hierzu die Titel unter Theatrum der Katalog der Handschriften und Drucke der Bayerischen Staatsbibliothek, München 1987. 2 6 0 Siehe S. 15. 2 6 1 Siehe S. 15. 2 6 2 Siehe S. 15. 2 6 3 Siehe S. 15. 2 6 4 Siehe hierzu oben S. 23ff. zu dem Begriff des Theaters bei Quiccheberg. 2 6 5 Siehe oben. 2 6 6 Hierzu Lorenz Seelig, T h e Munich Kunstkammer 1 5 6 5 - 1 8 0 7 , siehe den rekonstruierten Plan der Kunstkammer, S. 9 0 f.
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besteht demnach auch in der äußerlichen Form des Quicchebergschen Theaters keine Ähnlichkeit mit Camillos Amphitheater. Sebastian Reisachers (1531-1571)267 Werke sind nicht überliefert. Quiccheberg erwähnt ihn in Zusammenhang mit Camillo, wobei seine Anerkennung ausschließlich Reisacher gilt 268 . Diesen kannte er vermutlich aus der Zeit in Ingolstadt269. Es werden mit Camillo und Reisacher zwei Autoritäten genannt, die die Sammlungstheorie und -philosophic repräsentieren - sofern man hier von Theorie sprechen kann - , die den Umgang mit neuem Gedankengut und mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Forschungsrichtungen zeigen. Die Texte werden als erste Philosophie des Sammeins in den Exempla zitiert und auch der Sammlerrepublik zugeordnet (siehe Anhang). Camillo und Reisacher nicht zu erwähnen, hätte bedeuten können, daß Quiccheberg mit mnemotechnischem Gedankengut und den zeitgenössischen Texten nicht vertraut gewesen wäre. Quiccheberg erwähnt sie, da beide trotz ihrer wenig praktischen Ausrichtung genau jene Strömungen der frühen Wissenschaften beinhalten und all jenes Wissen zusammenfassen, welches nicht sichtbar in einer dreidimensionalen Welt dargestellt werden kann. Zu dieser Welt hatte er Zugang über die ars memoria. Diese war Grundlage für das Verständnis einer Ordnung der Sammlung, da sie nach Quicchebergs Auffassung ein Theatrum Sapientiae war, also ein Theater des Wissens. Dieses Theatrum Sapietitiae bedient sich der Mnemotechnik, um anhand von Assoziationen einen raschen Zugang zu dem Wissen der Welt überhaupt zu erreichen. Quicchebergs Theatrum Sapientiae und Camillos Theatrum Memoriae weisen Verbindungen und Ähnlichkeiten auf und sind dennoch sehr unterschiedlich. Dies zeigt besonders Quicchebergs deutlich ablehnende Haltung gegenüber Camillo in dem letzten Zitat. Damit ist nicht die Anwendung der ars memoria gemeint, sondern deren Umsetzung. Seine Kritik liegt vermutlich darin begründet, daß sich Quiccheberg nicht vorstellen konnte, auf dieser Grundlage ein sinnfälliges, sammlungstheoretisches Konzept mit praktischem Nutzen zu erarbeiten. Quicchebergs Interesse an Camillos Text liegt an den dort zusammenlaufenden philosophischen, kabbalistischen, symbolhaften und mystischen Strömungen der Zeit. Dies läßt sich an Quicchebergs Umfeld nachvollziehen. Quicchebergs Referenz an Camillo ist daher zeit- und kontextbedingt. Eine generelle Anlehnung an Camillo bedeutet dies allerdings nicht. Quicchebergs Intention war es, vermutlich nicht viel anders als bei Camillo, die Welt in ein geordnetes, enzyklopädisches System zu fügen. Auch Quiccheberg kann noch keine übergreifende Lösung für ein solches Ordnungssystem bieten in einer Zeit, in der die
267 Sebastian Reisacher (ca. 1531 in Öttingen-1571 in Burghausen), war in Ingolstadt ab 1548 und profilierte sich in verschiedenen Disziplinen, wurde dort Professor für Griechisch und Philosophie und übernahm 1557 den vakanten Stuhl von Vitus Amerbach. War auch Rechtsgelehrter und erhielt den Doktortitel 1562. Persönlicher Berater Albrecht V. ab 1567-1571. Siehe Heinrich Pantaleon, Teutscher Nation Heldenbuch, Basel 1578, S. 487. Sonst ist wenig über ihn bekannt. 268 Siehe Hajos, References to Giulio Camillo, S. 2lOf. 269 Siehe diese Arbeit Einleitung, S. 5.
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G r e n z e n zwischen ars memoria,
Enzyklopädie u n d Lexikon diffus sind270. Es sind die asso-
ziativen u n d visuellen B i l d e r d e r imagines S a m m l e r s , die sich in e i n e m Theatrum
agentes
der Ars Memoria
u n d d e r d e r Welt d e s
verbinden, kreuzen und beeinflussen271. Anhand
d e s Prinzips d e r M n e m o t e c h n i k , a u f die d a s i m a g i n ä r e T h e a t r u m in vielerlei H i n s i c h t a u f b a u t , ist e i n e O r d n u n g d e r O b j e k t e s c h e i n b a r m ö g l i c h u n d vor d e m i n n e r e n A u g e a u f die d r e i d i m e n s i o n a l e Welt d e r f ü r s t l i c h e n K u n s t k a m m e r n a c h d e r e i g e n e n E r f a h r u n g s w e l t in Bilder übertragbar272.
Abb. 1. Porträt von Samuel Quiccheberg. Medaille ca. 1563 mit der Inschrift SAM.QUICCHEBERGUS.BELGA.AETA.SUAE.XXXIII
270 Siehe Lina Bolzoni, Das Sammeln und die ars memoriae, S. 144 f. 271 ebda., S. 132 hat eine vergleichbare Beobachtung angeführt. Siehe auch die 75pocosmia von Alessandro Citolini (1500-1583?), wo in Zusammenhang mit der ars memoria immer das Bild des Schatzes, der Sammlung oder auch des Schreines wiederzufinden ist. 272 Eilean Hooper-Greenhill, The Art of memory and learning in the museum, in: The International Journal of Museum Management and Curatorship 7, 1988, S. 129-137.
INSCIUPTIONES VEL TiTVLI
THEATRI AMPLISSIMI,COMPLECTENTJS rerum vmuerfitatis fingulas materias ei imagines eximias. ut idem rtfte quocg did poflk; Promptuarium artifidofarum miVaculoiarumcfcrerum.acornni« ran thefauri et pretiofae fupelleftilis, ftruÄurse a rep pifturx. ^ quar hie iimul in rheatro conquiri confuluntur, ut eorutn frequenri inipeitione traftationetj^ingularisaliqu» rerum cognitio et prudentia admiranda, cito, facile ac tut