Der Raub der Proserpina / De raptu Proserpinae: Lateinisch und deutsch 9783534267903, 9783534741113, 9783534741120, 3534267907


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German Pages 155 Year 2016

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Einleitung
Überblick über den Aufbau des Epos
Claudii Claudiani de Raptu Proserpinae
Claudius Claudianus der Raub der Proserpina
Anmerkungen
Zur Textgestaltung
Bibliographie
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Der Raub der Proserpina / De raptu Proserpinae: Lateinisch und deutsch
 9783534267903, 9783534741113, 9783534741120, 3534267907

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EDITION ANTIKE Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen und Martin Hose

CLAUDIAN

DER RAUB DER PROSERPINA Lateinisch und deutsch

Eingeleitet und kommentiert von Anne Friedrich Übersetzt von Anne Friedrich und Anna Katharina Frings

Verantwortlicher Bandherausgeber: Thomas Baier Die EDITION ANTIKE wird gefördert durch den Wilhelm-Weischedel-Fonds der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Wissenschaftliche Redaktion und Schriftleitung: Federica Casolari-Sonders (Ludwig-Maximilians-Universität München)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Sonderausgabe 2016 © 2009 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: COMPUTUS Druck Satz & Verlag, 55595 Gutenberg Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-26790-3 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-74111-3 eBook (epub): 978-3-534-74112-0

Inhalt Einleitung

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Überblick über den Aufbau des Epos CLAUDII CLAUDIANI DE RAPTU PROSERPINAE

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CLAUDIUS CLAUDIANUS DER RAUB DER PROSERPINA Anmerkungen

Bibliographie

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Zur Textgestaltung

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Tigerin mit Glaskugel (Detail der sogenannten Großen Jagd)1 Villa Romana del Casale, Piazza Armerina, Sizilien Bis hierhin verharrte Ceres gespannt und fürchtete wie von Sinnen jede Einzelheit, als sei sie noch nicht geschehen. Dann riss sie ihren Blick los und stürzte mit rasendem Herzen hinauf zu den Himmelsbewohnern. So wird der steile Niphates von der hyrkanischen Tigerin erschüttert, deren Junge ein Reiter zitternd entführt hat als Belustigung für den persischen König; sie setzt ihm nach, … lässt ihren ganzen Zorn an den grünschwarzen Streifen erkennen, und schon fast im Begriff den Mann mit weit aufgerissenem Maul zu verschlingen, wird sie gehindert vom gespiegelten Abbild ihrer Gestalt im Glas. Claud.rapt.3,260–269 1 Umzeichnung von Gundula Mehnert, Halle

Einleitung Gespiegelte, abprallende Wut ist es, die Ceres auf sich selbst zurückwirft. Kindesraub. Proserpina geraubt. Starre Verzweiflung, Trauer und Tränen im Antlitz der Himmelsbewohner, die es nicht wagen dürfen, ihr den Entführer zu benennen. So lautet Jupiters Beschluss, erzwungen von Mutter Natur: Die Menschen, früher ihrer eigenen Notlage und Erfindungsgabe überlassen, sollen nun von Ceres die Gabe des Getreides und seiner Kultivierung erhalten, aus Freude über die wiedergefundene Tochter. Unendlich lang wird Ceres’ Weg bis dahin sein, ihre Suche nach Proserpina, auch eine Suche nach dem neuen Selbst. Vorerst muss sie kapitulieren vor dem Kalkül des Entführers. Ebenso die Tigerin, Detail eines Mosaiks in der Villa Romana del Casale, der besterhaltenen und opulentesten Villenanlage Siziliens nahe Piazza Armerina. In einem 13 Meter langen Wandelgang finden sich hier Szenen einer sogenannten ‚Großen Jagd‘ dargestellt, einer Jagd auf exotische Tiere, zu fangen für eine der vielen Tierhetzen und Spiele, oder auch nur zur Freizeitbelustigung wohlhabender Römer. Linker Hand von der Tigerin ist noch ein Reiter zu sehen, der ein Tigerjunges in der Hand hält und eine Schräge auf ein Schiff hinaufreitet. Ähnlich schilderte die Taktik beim Raub von Tigerjungen schon Plinius in seiner Naturkunde (8,66): Jäger versuchten, nachdem sie die Kleinen in Abwesenheit der Mutter geraubt hatten, mit Wechselpferden der schnell nachsetzenden Tigerin zu entkommen, und warfen ihr, sobald sie zu nahe kam, eines der Tiere zur Ablenkung vor, bis sie sich mit den Pferden und der Beute aufs Schiff flüchten konnten. Am Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. war man offenbar mit dem Vorwerfen einer Glaskugel zu einer neuen Taktik übergegangen, denn ebendies schildert auch Claudians Zeitgenosse Ambrosius (Hexameron 6,4,21). Die Villa del Casale wurde vermutlich Anfang des 4. Jahrhunderts erbaut und bis

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ins 5. Jahrhundert bewirtschaftet. Dass es sich um eine kaiserliche Residenz handeln könnte, wurde vermutet, wahrscheinlicher aber scheint, den Besitzer in der stadtrömischen wohlhabenden Aristokratie zu suchen, die angesichts der politischen Umbrüche des 4. Jahrhunderts ihren Wohnsitz zunehmend aufs Land, auf ihre großen Besitztümer verlagerte und diese dementsprechend repräsentativ ausstattete. Vor allem Sizilien, älteste römische Provinz und vermutlich von den Römern längst als ‚Kernland‘ betrachtet, war ein beliebtes Refugium. Die ohnehin üppige Vegetation brachte durch eine intensivierte Bewirtschaftung und archäologisch nachweisbare steigende Anzahl von Latifundien in der Spätantike eine nochmalige Blütezeit für die Insel. Sicher ist dies im Zusammenhang zu sehen mit einer Neuregulierung der Getreideversorgung Roms, denn Ägypten als vormaliger Hauptlieferant war mit dem Entstehen des neuen Machtzentrums Konstantinopel seit Beginn des 4. Jahrhunderts anderweitig gebunden. Damit wuchs erneut Siziliens Bedeutung als ‚Cerealienkammer‘, deren Reichtum im Mythos von Ceres/Demeter und Proserpina/Persephone/Kore sowie der Verehrung und Beheimatung beider auf Sizilien längst sein Sinnbild gefunden hatte.

Die Fruchtbarkeitsgöttinnen auf Sizilien Ab dem 7. Jahrhundert v. Chr. hatten griechische Kolonisten begonnen, auf Sizilien neue Städte zu gründen; religiöse Traditionen wurden dabei direkt aus den Mutterstädten übernommen. Aufgrund der von Beginn dieser Besiedlung an sehr heterogenen Bevölkerungsstruktur Siziliens, welche über die Jahrhunderte hinweg häufig Überformungen erfuhr und neben weiteren griechischen auch phönizischen, karthagischen und römischen Einflüssen ausgesetzt war, weisen die Kulte Eigenheiten auf, die sich vom griechischen Mutterland unterscheiden: Insbesondere wurde der Demeter- und Kore-Kult auf Sizilien nicht als Mysterienkult gefeiert, im Vordergrund stand die Fruchtbarkeitssymbolik. Denn diese ließ sich auf wunderbare Weise verbinden mit der natürlichen Fruchtbarkeit der Insel. Schon die frühgriechischen Chorlyriker Bakchylides und Pindar, die vom kunstinteressierten Tyrannen Hieron I. von Syrakus geför-

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dert worden waren, hatten die Insel fruchtreich und schafenährend genannt. Diodorus Siculus, ein aus Sizilien stammender Geschichtsschreiber des 1. Jahrhunderts v. Chr., verwies auf die ertragreichen Wein- und Olivenkulturen von Akragas im 5. Jahrhundert und den wild wachsenden Weizen in der Ebene von Leontinoi. Blühende Landwirtschaft, erfolgreiche Viehzucht, Bevölkerungsreichtum und Wohlstand. Solch eine Fertilität der Insel musste für Menschen archaischer Zeit gottgegeben sein. Die Logik des Mythos schuf daraus das Bild der Heimat und der daraus resultierenden Bevorzugung Siziliens durch Demeter und Kore, oder, auf noch höherer Ebene, die Deutung Siziliens als Hochzeitsgeschenk von Zeus an Persephone, wie Pindar, Diodor und Plutarch berichten. Der Chorlyriker Simonides, Onkel des oben genannten Bakchylides und ebenfalls von Hieron I. nach Syrakus eingeladen, soll einen Streit zwischen Demeter und Hephaistos um die Gegend am Aetna geschildert haben: Die Getreidegöttin und der Gott des Feuers wurden zur Metapher der fertilen Symbiose des Vulkans und seines ertragreichen Umlandes. Im Ausgangspunkt jedoch stand bei Simonides ein Konflikt: Wer kann die Fertilität als Ergebnis seines Wirkens für sich reklamieren? Wem haben die Menschen das Leben spendende Prinzip zu verdanken? In den Fruchtbarkeitsgöttinnen fand der Reichtum der Insel letztlich sein pansizilisches Symbol und verhalf dem Kult für Demeter und Persephone zu herausragender Bedeutung. Schon Münzen des 4. Jahrhunderts v. Chr. aus der Zeit Timoleons zeigen einen weiblichen Kopf, der mit Ähren bekränzt ist und die Beischrift ‚Sikelia‘ trägt beziehungsweise das Symbol einer Fackel zwischen zwei Ähren. Und selbst heute begegnet Reisenden auf Sizilien noch das Dreibein, Abbild der dreieckigen Inselform, verziert mit Ähren als Attribut der Demeter/Ceres. Doch wird für den Erfolg von Demeter und Persephone auch noch ein anderes Moment geltend gemacht: Herodot erwähnt in den Historien (7,153) ihre Verehrung im Zusammenhang mit einem Konflikt in der Bürgerschaft, bei dem das hohe Identifikationspotenzial des Fruchtbarkeitskultes, welches die Mehrheit der Bevölkerung ansprechen konnte, als politisches Instrument zur Versöhnung genutzt wurde, um so die Machtposition der Familie der Deinomeniden, die diesem Kult über ein vererbliches Priesteramt traditionell besonders verpflichtet

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war, zu stützen. Vor dem Hintergrund des einigenden religiösen Bewusstseins konnte Demeter und Kore allmählich eine beschützende Funktion, eine über die rein agrarische hinausgehende soziale Ausrichtung des Kultes, zugeschrieben werden. Insbesondere Demeter begann als Spenderin zivilisierten Lebens für das Wohl Siziliens und seiner Bewohner zu stehen.

Zur Archäologie des Demeterund Kore-Kultes auf Sizilien2 Die archäologischen Befunde weisen bereits für die archaische Zeit eine weite Verbreitung und zunehmende Beliebtheit des Demeter- und Kore-Kultes aus, die – ausgehend von den griechischen Kolonien an der Küste (Gela, Akragas, Syrakus) – als Ergebnis der Hellenisierung des Landesinneren auch Zentralsizilien, speziell die Gegend um Henna, erreichte. Üblich waren im Kult archaischer Zeit Opferungen unter freiem Himmel, ohne feste Bauten. Die Opfer, das heißt die den Göttinnen geweihten Anteile der Opfertiere (speziell Ferkel und Schweine), andere Naturalien wie Backwerk und Getreide oder auch das Opfergeschirr selbst, vollzog man direkt in die Erde hinein – Sinnbild des chthonischen Wesens von Demeter und Kore. Einfache Terrakotten, oft auch in Tiergestalt, und Opfergefäße mit Naturalien richtete man mit dem Kopf und der Mündung nach unten zur Erde hin aus; bisweilen wurde sogar in Gefäße, denen der Boden entfernt worden war, hinein geopfert, eine Alternative zu den sonst bisweilen gebauten Schachtaltären. Später wurde der unmittelbare Bezug zur Erde aufgegeben, jedoch die Rituale an sich beibehalten. Als symbolischer Ersatz für die realen Opferhandlungen kam die Weihung figürlicher, seriell hergestellter Terrakotten auf. Charakteristisch für die sizilischen Votivterrakotten und als eigenständige Erfindung anzusehen ist die Figur einer jungen Frau, welche mit beiden Händen ein Ferkel vor ihrem Bauch hält beziehungsweise es mit einer Hand haltend seitlich an ihrem Körper herabhängen 2 Die folgenden Ausführungen richten sich nach V. Hinz: Der Kult von Demeter und Kore auf Sizilien und in der Magna Graecia, Wiesbaden 1998.

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lässt. Dieser Typ ist mit gewissen Abwandlungen, so zum Beispiel einer Fackel oder einem Opferkorb als weiteren Attributen, vom 6. Jahrhundert bis ins 3. Jahrhundert, vereinzelt sogar bis ins 1. Jahrhundert v. Chr. auf Sizilien nachzuweisen. Im Gegensatz zur älteren Kultphase war man mit dem Aufblühen des Demeter- und Kore-Kultes an der Wende vom 6. zum 5. Jahrhundert, welcher im Zusammenhang mit der allgemeinen wirtschaftlichen Prosperität dieser Zeit zu sehen ist, dazu übergegangen, überirdisch zu weihen und repräsentative Heiligtümer für das Abhalten der Opfer und Aufstellen der Weihegaben zu errichten. Eine Vielzahl von Heiligtümern, häufig außerhalb der Städte in ländlichem Gebiet gelegen, ermöglichte den unmittelbaren und persönlichen Bezug der Menschen zur Gottheit. Sizilien wies im Vergleich zu allen übrigen griechischen Siedlungsgebieten eine singuläre Dichte an Demeter- und Kore-Heiligtümern auf. Die hellenistische Zeit brachte als neue Tendenzen der Kultausübung einen – zeittypischen – Rückzug in die private Sphäre, sichtbar an der Integration kleinerer Heiligtümer in die Wohnbebauung der Städte, und eine noch stärkere Betonung des gemeinsamen Opfermahles. Neue Terrakottentypen kamen auf, die kaum mehr einen inhaltlichen Bezug zu den Fruchtbarkeitsgöttinnen aufwiesen, sondern eher symposiastische Szenen, das heißt Kultteilnehmer beim Festmahl, dionysische Motive und Theatersujets darstellten. Typisch für Sizilien ist auch die Opferung von Lampen, die man in Opferschächte und Höhlen warf und sie so den chthonischen Gottheiten zukommen ließ. Überhaupt scheinen Höhlenheiligtümer, sinnbildlicher Eingang zur Unterwelt, in hellenistischer Zeit verstärkt eingerichtet worden zu sein und die Funktion der früheren Schachtaltäre übernommen zu haben. Mit dieser auf Sizilien beschränkten Kulteigenheit richtete sich das Augenmerk auf Proserpina und ihren rituellen Übergang in die neue Phase der (Unterwelts-)Ehe. Andererseits rückte mit Proserpinas Funktion als Herrscherin in der Unterwelt das Leben nach dem Tod stärker ins Blickfeld der Menschen, eine Tendenz, die sich dem hellenistisch-kaiserzeitlichen Interesse für Erlösungsreligionen parallelisieren lässt. Gegen Ende des 3. Jahrhunderts ist ein Einschnitt in der Kultpraxis zu beobachten: Nicht nur gab man die Weihung von Terrakottavotiven auf, sondern man konzentrierte die Kultausübung auf die monumen-

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talen Heiligtümer Siziliens, damit den Repräsentationscharakter der beiden Göttinnen betonend. Kleinere Kultstätten hörten auf zu existieren. Dieser Bedeutungsverfall vieler ehemaliger Kultstätten ist vor dem Hintergrund der römischen Eroberung Unteritaliens und Siziliens und der durch sie in Gang gesetzten Veränderungen zu sehen. Gewaltsame Zerstörungen lassen sich nur in Ausnahmefällen nachweisen; schriftliche, epigraphische und numismatische Zeugnisse künden von der weiteren Beliebtheit der beiden Göttinnen und der überregionalen Bedeutung mancher Heiligtümer, so dem mit zwei monumentalen Tempeln ausgestatteten Ceres- und Proserpina-Kultzentrum von Henna. Zur Zeit der Gracchen wurde, um große Gefahren abzuwenden und die uralte Ceres zu versöhnen, so der Rat der Sibyllinischen Bücher, eigens eine Priester-Gesandtschaft dorthin geschickt (Cic.Verr. II,4,108). Die Vitalität dieses Kultes dürfte für die Römer gerade auch in Hinsicht auf die Bedeutung Siziliens als Nahrungslieferant und dem damit verbundenen extensiven Ackerbau von Interesse gewesen sein. Wie tief die Beziehung von Ceres und Proserpina zu Sizilien im Bewusstsein der Menschen verankert war und wie gravierend dementsprechend ein Vergehen an ihren Heiligtümern von den Siziliern (und allen rechtschaffenen Römern) empfunden werden musste, machte Cicero in seiner berühmten Anklagerede gegen Verres mit folgenden generalisierenden Worten geltend (Verr.II,4,106): „Altehrwürdig ist die Ansicht, ihr Richter, die uns aus uraltem griechischem Schrifttum und Denkmälern bekannt ist, dass ganz Sizilien der Ceres und der Libera-Proserpina geweiht ist.“ Die schriftliche Überlieferung hebt an Ceres und Proserpina im Folgenden ihre Funktion als Schutzgottheiten Siziliens hervor; über eine kaiserzeitliche Kontinuität der Kultstätten geben die archäologischen Untersuchungen keine Auskunft mehr.

Die Lokalisierung des Proserpina-Raubes auf Sizilien Mit der Betonung des Höhlenelementes im hellenistischen CeresProserpina-Kult auf Sizilien geht einher die erst in hellenistisch-römischen literarischen Quellen fassbare und vermutlich auf alexan-

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drinische Quellen zurückgehende Lokalisierung des Raubes der Proserpina auf Sizilien. Der Mythos kennt ursprünglich andere Versionen: Im homerischen Demeter-Hymnus, ca. 600 v. Chr. entstanden, lässt Hades Persephone auf einer nicht näher lokalisierbaren Ebene von Nysa durch eine plötzlich aufklaffende Erdspalte hinabreißen. Der orphische Mythenstrang hingegen berichtet, dass Persephone am Gestade des Okeanos, des Urmeeres, geraubt worden sei. In Konkurrenz zu diesen Versionen tritt nun die sizilische, die in sich jedoch schon widersprüchlich ist: Cicero (Verr.II,4,106f.), Livius (24,39,8–9), Ovid (met.5,359–437) und Silius Italicus (14,238f.; 7,688) lokalisieren den Raub Proserpinas bei Henna; Pluto sei hier am Lago di Pergusa hervorgebrochen. Die Gegend galt als eigentlicher Wohnsitz der Ceres und ihrer Tochter. Diodor setzt verschiedene lokale Traditionen nebeneinander, indem er den Raub einmal für Henna konstatiert, ihn kurz darauf aber in Syrakus an der Cyane-Quelle geschehen lässt (5,3,1–3 und 5,4,1). Ausonius (epist. ad Theon. 4,47), Claudian (rapt.2,72ff. und 151ff.) und Hygin (fab.146) verlegen den Raub schließlich an den Aetna. Alle drei Örtlichkeiten sind insofern plausibel, als sie mit dem Quellsee der Cyane, dem Lago di Pergusa und seinen nahe gelegenen tiefen Höhlen und erst recht natürlich den Aetna-Schlünden den Zugang zur Unterwelt erleichtern und verbildlichen. Um genauer fassen zu können, warum Claudian Proserpina ausgerechnet am Aetna rauben lässt, bedarf es zunächst eines Blickes auf Claudian als Dichter, die Grundzüge seines Epos und den Zeitkontext.

Person und Zeit des Claudius Claudianus Mit Konstantins des Großen Verlegung der Reichshauptstadt in den Osten im Jahre 326 n. Chr. hatte Rom begonnen, unaufhörlich an Macht zu verlieren. Positiver Begleiteffekt jedoch war der zunehmende geistige Austausch zwischen dem griechischen Osten und dem lateinischen Westen, der gerade auch von der Bildungselite getragen und intensiviert wurde. Vor diesem Hintergrund muss die Biographie

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Claudians gesehen werden, die uns durch den Spiegel seiner Werke für einen begrenzten Abschnitt von circa zehn Jahren ersichtlich ist. Geboren wurde Claudius Claudianus im ägyptischen Alexandria, vermutlich um 370 n. Chr. Erschlossen werden kann, dass er dort auch seine Ausbildung erhielt und dass das Griechische seine Muttersprache gewesen sein dürfte. In griechischer Sprache sind uns jedoch nur kleine und bruchstückhafte Dichtungen von ihm erhalten, darunter eine knapp 80 Verse umfassende, unvollendete Gigantomachie. Mit großer Wahrscheinlichkeit umfasste seine Ausbildung in Alexandria auch die lateinischen Klassiker, Cicero sowie Vergil und die kaiserzeitlichen Epiker, denn deren Lektüre ist dort durch Papyrusfunde nachgewiesen. Derartigen ‚Studienbedingungen‘ fern vom römischen Sprachbereich verdankt sich Claudians für einen spätantiken Autor außerordentlich reiner, klassischer Gebrauch des Lateinischen, der keine Einflüsse des spätantiken gesprochenen Lateins erkennen lässt. Als sogenannter ‚Wanderpoet‘, das heißt Berufsdichter, dürfte Claudian dann einige Jahre ähnlich seinen Zunftgenossen auf der Suche nach einem Mäzen durch den Mittelmeerraum gereist sein, bis ihm Anfang des Jahres 395 n. Chr. mit seinem Festgedicht auf den Konsulatsantritt von Probinus und Olybrius in Rom der Durchbruch gelang. Schon dieses Werk zeigt Claudians Gespür für die politischen Erfordernisse: Gerühmt werden an den noch jugendlichen Konsuln vor allem die Verdienste der aristokratischen Vorfahren, der nunmehr christlichen senatorischen Familie der Anicier, beschworen wird die Größe Roms als Leitidee für die Vereinigung von Senatsaristokratie und kaiserlicher Gewalt. Der Erfolg dieses Werks beschert Claudian die Aufnahme als Dichter am Hofe des jungen weströmischen Kaisers Honorius. Es war der günstige Zeitpunkt eines Machtvakuums und der damit einhergehenden Bestrebungen der neuen Befehlshaber, ihren Machtanspruch in jeglicher, das heißt auch literarischer Form zu legitimieren. Im Januar 395 n. Chr. war Theodosius I. gestorben, der es letztmalig vermocht hatte, Ost- und Westreich unter einer Person zu vereinigen. Dies war der Ausgangspunkt eines zunehmend mehr durch Rivalität denn durch Kooperation bestimmten Verhältnisses der beiden Reichshälften. Mit seinem Tod übergab Theodosius die Macht an seine noch minderjährigen Söhne Arcadius und Honorius: Arca-

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dius, damals 18-jährig, sollte von 395 bis 408 (flankiert von Rufin und später Eutrop) die Geschicke des Ostreichs lenken, Honorius, damals 11-jährig, stand nominell noch bis 423 dem Westreich als Kaiser voran, doch anhand der nahezu ein Dutzend selbst ernannten beziehungsweise in den Provinzen zu Kaisern ausgerufenen Mitregenten lässt sich die Schwäche seiner Führungsposition abmessen. Bei Honorius’ Bestellung zum (Kind-)Kaiser des Westreichs im Jahre 395 gelang es Stilicho, einem mächtigen Heermeister vandalischer Abkunft, die Regierungsgeschäfte in seiner Hand zu konzentrieren und sich als legitimen Vormund des Honorius darzustellen. Und es gelang ihm, Claudian in seine Dienste zu nehmen. Dieser wiederum dürfte angesichts der latenten Bedrohung des Römischen Reiches durch Barbaren Stilichos militärische und politische Durchsetzungsfähigkeit als Garant der Ordnung und Sicherheit verstanden haben. In dichter Abfolge, eng gebunden an die politischen Ereignisse der Zeit, entstehen Claudians zeitgeschichtliche Epen, Panegyriken auf hochrangige Persönlichkeiten, Invektiven auf politische Gegner, und Epithalamien, Hochzeitsgedichte für die Hautevolee, auch sie nicht ohne politische Funktion. Am umfangreichsten sind seine ‚Lobpreisungen des Stilicho‘ in drei Büchern. Claudians anvisierten Adressatenkreis haben wir uns als quantitativ beschränkt, qualitativ exklusiv und recht bildungshomogen vorzustellen: Den Rezitationen seiner Werke dürften neben dem Kaiser und seinem Gönner Stilicho der engere Kreis von Hofbeamten und Teile des Senatsadels beigewohnt haben. Die senatorische Oberschicht besaß aufgrund ihrer riesigen Ländereien ökonomische Unabhängigkeit, auch wenn sie politisch lediglich bei der Besetzung von Magistratsposten und bisweilen bei der Bekleidung des Konsulats in Erscheinung trat. Für den Kaiser – und erst recht für Stilicho – bedeutete dies jedoch, dass er seine Politik in relativem Einvernehmen mit der Senatsaristokratie zu gestalten hatte. Diese Mittlerfunktion füllte Claudian aus: Als eine Art Regierungssprecher war es seine Aufgabe, die offizielle Lesart der tagespolitischen Ereignisse zu formulieren. Je mehr er dies in der Sprache der Senatsaristokratie zu tun vermochte, desto größer dürfte die Akzeptanz gewesen sein und desto sicherer sein Stand als Hofdichter. Eine genaue Scheidung zwischen historischen Fakten

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einerseits und literarischem Ornament beziehungsweise ideologischer Präsentation andererseits ist für uns kaum mehr möglich. Für seine Hörer, die politisch bestens vorinformiert waren, dürften die Dichtungen vor allem literarisch unterhaltsam gewesen sein. Innovativ ist Claudians Idee, die zu seiner Zeit übliche Prosapanegyrik mit dem Hexameter und dem Motiv-Arsenal der traditionsreichen Gattung des Epos zu überformen. Ganz der Tendenz der Spätantike zur kleineren literarischen Form entsprechend, nimmt die Länge der claudianischen Bücher ab und damit auch die Länge der Rezitationseinheiten – sie entspricht ungefähr der Hälfte eines vergilischen Buchumfangs. Über Abschriften wurden Claudians Werke danach einem größeren, jedoch der gleichen sozialen Schicht entstammenden Lesepublikum zugänglich. Die in seinen Werken allenthalben greifbare Berufung auf die große Vergangenheit Roms diente der Identitätsbildung der Leser, der Vergewisserung ihres eigenen Platzes und Anspruchs in der Geschichte – und damit der Wahrung ihrer gesellschaftlichen und ökonomischen Positionen. Diese offenbar nicht nur seinem dichterischen Auftrag, sondern auch eigener Überzeugung entsprungene Propagierung der Rom-Ideologie sicherte Claudian nicht nur den Rückhalt im Kaiserhof, sondern auch die Sympathie des alten römischen Senatsadels. Nachdem Claudian nach seinem fulminanten Debüt in Rom 395 n. Chr. die folgenden Jahre mit hoher Wahrscheinlichkeit in Mailand am Hofe des Honorius verbracht hatte, wird er erst Anfang 400 für die Rezitation seiner Preisrede anlässlich des Konsulatsantrittes von Stilicho wieder in Rom zugegen gewesen sein. Die Bedeutung dieser Feierlichkeiten darf nicht unterschätzt werden, war doch der Konsulat nach wie vor ein höchst angesehenes und wichtiges Amt, insbesondere wegen seiner Mittlerfunktion zwischen römischer Senatsaristokratie und dem Kaiserhof. In ebendiesem Zeitraum um das Jahr 400 n. Chr. wurde Claudian, veranlasst durch den Senat, auf dem Trajansforum in Rom eine Statue errichtet. Die Ehreninschrift des Sockels ist erhalten und bezeugt noch heute die überragende Anerkennung, die dem Dichter von seinen Zeitgenossen entgegengebracht wurde, sahen sie in ihm doch „den Verstand Vergils und die poetische Kraft Homers“ vereint (CIL VI, 1710; Dessau 2949).

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Nach 404 lassen sich keine Indizien für dichterisches Schaffen mehr bezeugen; wann genau Claudian jedoch gestorben ist, muss offenbleiben.

Claudians Behandlung des Ceres-Proserpina-Stoffes und die epische Tradition Claudian konnte für das Proserpina-Epos bei seinen Zeitgenossen auf einen Erfahrungshorizont bauen, der die gesamte epische Tradition umschloss: Sein (Lese-)Publikum hatte eine bestimmte Erwartungshaltung, vor deren Hintergrund strukturelle und motivische Bezugnahmen, vor allem aber Umformungen der epischen Tradition und des Mythos als die eigentlichen Aussagen des Dichters verstanden und bewertet wurden. Sie setzten somit auf einem viel höheren Verständnisniveau als wir heutigen Leser an. Eigenheiten Claudians bei der Umsetzung dieses Mythos sollen daher im Folgenden im Vergleich mit anderen Versionen, insbesondere mit den einzigen ausführlicheren lateinischen Darstellungen bei Ovid (met.5,341–571. 642–661 und fast.4,393–620), aufgezeigt werden. Die das Epos einleitende Bitte um göttliche Offenbarung entspricht alter epischer Konvention und ist gemäß der Fiktion notwendig, um die Geschehnisse dem nicht am Ereignis beteiligten Berichterstatter Claudian durchschaubar zu machen, sozusagen die Grenzen seines erzählerischen menschlichen Wissens zu markieren. Und dies umso mehr, als es sich beim Raub der Proserpina nicht nur um den üblichen sogenannten Götterapparat innerhalb eines Epos handelt, sondern einzig die Götter die Protagonisten darstellen. Auch ist die Unterwelt per se als Ort des epischen Geschehens ein dem Dichter nicht zugänglicher Bereich. Es entspricht Claudians origineller Anspielungstechnik, wenn er sich bei diesem Anruf der Unterweltsgötter an dem des Vergil im Unterweltsbuch der ‚Aeneis‘ orientiert. Die narrative Ebene des Epos setzt ein mit Plutos drohender Rede, die Elemente der Unterwelt heraufzubeschwören im Kampf gegen Jupiter, denn es sei nicht einzusehen, dass er als Einziger kinderlos bliebe. Pluto stellt sich in fast menschlicher Weise als bei der Herrschaftsverlosung betrogen dar und dürfte beim Leser mit diesem nachvollzieh-

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baren Argument – in der antiken Gesellschaft ungleich wichtiger als in unserer Moderne – Mitleid und Sympathie erregen. Die breite Schilderung seiner Motivation zur Revolte und diese selbst sind ein neuer Akzent, den Claudian setzt. Der Leser lernt den Epos-Konflikt mit den Augen Plutos zu sehen. Schon im Ansatz also bereitet Claudians poetische Konzeption eine harmonische Aussöhnung zwischen Ober- und Unterwelt vor. Doch den Beginn markiert zunächst eine angedrohte Revolte aller Unterweltsgeister gegen Jupiter, eine Heraufbeschwörung des Urchaos, der entfesselten Elemente und Titanen, das Ende der durch den mythischen Sieg der himmlischen Götter gegen die Giganten so wohlgeordneten Welt. Claudians Pluto fährt schweres Geschütz auf, wird jedoch von den Parzen sofort zu einer diplomatischen Lösung gedrängt, wobei Lachesis seine Rolle als Leben spendender Gott betont. Diese Umwichtung des Wesens von Pluto, mehr produktive als destruktive Gottheit, ist eine Neuerung Claudians. Nachdem die Parzen bereits geäußert haben, dass ihm von Jupiter sicher eine Frau gegeben werde, bleibt Jupiter, formal dem Fatum untergeordnet, die Schwierigkeit, eine Person zu benennen. Die Handlung des Epos schwenkt zu Ceres auf Sizilien und ihrer Tochter Proserpina. Damit besiegelt Jupiter deren Schicksal; es ist also der ausdrückliche Wille Jupiters, dass sein gemeinsames Kind mit Ceres, Proserpina, in die Unterwelt verheiratet wird. Zwischen den beiden Brüdern Jupiter und Pluto besteht Einvernehmen, so wie schon in den ältesten Versionen des Mythos. Ceres, eine Schwester der beiden, ist ahnungslos. Völlig hingegeben ihrer Liebe zum einzigen Kind, wird sie von Claudian – im Vergleich mit der Mythentradition verstärkt – so geschildert, als ob sie deren Heiratsfähigkeit (1,132) nicht wahrhaben wolle, denn selbst die um sie werbenden Götter Mars und Phoebus, beide eine optimale Partie, weist sie als Schwiegersöhne zurück. Plutos gerechter Anspruch auf eine Frau wird kontrastiert mit Ceres’ ungerechtfertigt langem Festhalten an ihrer Tochter, so scheint uns Claudian zu suggerieren. Oder ist Ceres aus ihrer mütterlichen Perspektive im Recht mit dem Versuch, die noch halbwüchsige, mädchenhafte Tochter vor zu frühzeitiger Heirat zu bewahren? Das Geflecht sozialer Beziehungen, in dem die Position Proserpinas neu bestimmt wird, das heißt der zwischen Vater Jupiter und Onkel Pluto

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ausgehandelte Kompromiss, ist Abbild paternaler Strukturen der antiken Gesellschaft. Versteht man Jupiter als ‚pater familias‘, so hatte er tatsächlich das alleinige Bestimmungsrecht über die Eheschließung seiner Tochter. Das weibliche Subjekt hatte sich unterzuordnen. Proserpinas Schicksal ist insofern symptomatisch für die Abhängigkeit eines römischen Mädchens, denn diese wurden meist im Alter von 13 bis 15 Jahren verheiratet; Jungen waren bei der Heirat im Durchschnitt 18 bis 25 Jahre alt, wie Grabinschriften belegen. Die Ehe war in der Antike vor allem eine Zweckgemeinschaft, geheiratet wurde, um Nachkommen zu zeugen, das heißt gewünschtermaßen männliche, um den Fortbestand der Familie des Ehemannes zu sichern. Politische Bündnisse pflegte man durch Verlobungen und Heiraten abzusichern. Ein Reflex dieser sozialen Wirklichkeit ist dem Ceres-Proserpina-Mythos in allen Versionen inhärent. Bei Claudian versteckt Ceres Proserpina nun auf Sizilien in ihrem Palast nahe dem Aetna. Der ausführliche Exkurs zur Entstehung der Insel, durch stete Bedrängnis des Meeres dem Festland geraubt, präfiguriert den Raub der Tochter und erhält damit seine Berechtigung. Die folgende detaillierte Beschreibung des Aetna, seine aus tiefstem Inneren kommende eruptive Gewalt (die Sterne, d. h. die Oberwelt herausfordernd – ein bewusst personifizierendes Sprachbild), steht für Plutos Drängen nach einer Gattin, seine angezettelte Revolte der Unterwelt gegen die Oberwelt. Als Todesstätte des gigantischen Enceladus, vom Blitz Jupiters getroffen und unter dem Aetna begraben, wird dessen Leiden und Aufbegehren zur mythischen Erklärung vulkanischer Aktivitäten. Doch in der letztlichen Betonung der Einvernehmlichkeit von Feuer und Schnee, dem stets neu sich einregulierenden Naturgleichgewicht, ist der Aetna-Exkurs vor allem ein Sinnbild der Versöhnung zwischen Pluto und Jupiter. Proserpina verkörpert das Objekt dieses Kompromisses, es ist daher nur zwangsläufig, dass sie genau an dieser Schnittstelle zwischen Ober- und Unterwelt, dem Vulkan Aetna, geraubt wird, dass sie genau hier ihre Welten (und Lebensphasen) wechselt. Die Verknüpfung dieses Vulkan- und damit auch Gigantomachie-Motivs mit dem traditionellen Proserpina-Mythos ist Claudians originelle und überzeugende Neuerung; sie zieht sich durch das gesamte Epos.

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Ceres, in Verkennung der Gefahr dieses Ortes, in Verkennung der natürlichen und sozialen Realitäten, lässt Proserpina allein hier zurück, um nach Phrygien zu den orgiastischen Feierlichkeiten ihrer Mutter Kybele zu eilen – nicht ohne beim Verlassen der Insel diese mit dem Erdsegen, dem Goldenen Zeitalter üppiger Fruchtbarkeit zu beschenken. Sie erscheint selbst in einer Tochter-Mutter-Konstellation, dies mildert ihr Alleinlassen Proserpinas trotz der gefühlten Gefahr. Jupiter ist es nun, der Venus instruiert, den Raub vorzubereiten. Geschickt suggeriert er der Liebesgöttin Eigeninteresse an der Ausweitung ihres Machtbereichs. Jeder Zeitgenosse Claudians wusste, auf welcher Folie er diesen Plot entwickelt: Die von Ovid dem Mythos in den ‚Metamorphosen‘ neu eingeschriebene Rolle der Venus greift er auf, wandelt sie um, geht zugleich aber darüber hinaus, denn in seiner Konzeption muss Jupiter oberste Entscheidungsinstanz bleiben. Die Dramatik des Epos zieht den Kreis um Proserpina enger: Von unter der Erde naht Pluto, sie zu rauben, vom Himmel herab bewegt sich Venus auf Sizilien zu, den Raub in die Wege zu leiten. Auf Willen Jupiters, so expressis verbis Claudian, wird Venus begleitet von den ihrerseits ahnungslosen jungfräulichen Göttinnen Minerva und Diana. Als Gespielinnen waren diese schon im homerischen Demeter-Hymnus beim Raub der jungfräulichen Kore zugegen. Der Mythos stellt Proserpina also für den Gang in ihre neue Lebensphase mit Diana die Göttin der Übergänge von Geburt und Erwachsenwerden und des weiblichen Todes, mit Minerva die Göttin weiblicher Handwerkskunst, der Einfügung junger Menschen in die Gesellschaft und der sozialen Rolle von Frauen zur Seite. Er wird damit eindeutig als symbolischer Vollzug eines Initiationsritus erkennbar. Die Göttinnen treffen Proserpina in ihrem Versteck im Palast an, wie sie webt, ein typisches episches Motiv, bekannt schon seit Penelopes Webarbeit bei Homer. Claudian gestaltet es zu einer der Schlüsselszenen seines Epos: Indem Proserpina die Entstehung und Einteilung der Welt webt, gemahnt sie an das Urchaos und den Sieg Jupiters über die Giganten; mit der Darstellung der heiligen Wohnstätten des Jupiter und des Pluto im kosmischen Gefüge umfasst sie unbewusst ihr eigenes Schicksal, ihre Herkunft und Zukunft. Es sind Detailschilderungen

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wie dieses faszinierend real wirkende Kunstwerk, die Claudians Ruf als Dichtergenie, als spätantiker Klassiker begründen. Durch die einsetzende Nacht wird der Wechsel vom ersten zum zweiten Buch markiert, ein traditionelles episches Gliederungselement. Früh am folgenden Morgen lockt Venus die göttlichen Schwestern Minerva, Diana und Proserpina, allesamt Töchter des Jupiter, auf die Wiesenhänge des Aetna. Mit dem Verweis, dass Proserpina weder Minerva noch Diana an Statur oder Würde nachstehe (rapt.2,37f.), in deren Waffen und Attribute gekleidet sogar als Jagd- oder Kriegsgöttin gelten könne, betont Claudian Proserpinas mögliche Statuszugehörigkeit zum Kreis der Erwachsenen. Es ist Aetna, hier apostrophiert als Mutter der Blumen, der im Verein mit dem Frühlingswind die Wiesen verführerisch erblühen lässt (2,71ff.), das heißt, die Erde selbst forciert ihrerseits den natürlichen Gang der Dinge, so wie schon im homerischen Demeter-Hymnus Gaia die Narzisse sprießen lässt. (Mit der Planung durch Jupiter hat allerdings die soziale Inszenierung des Raubes die natürliche überformt.) Proserpina und ihre Begleiterinnen sind überwältigt von der Schönheit des Ortes. Die Milde und damit Wehrlosigkeit von Minerva und Diana stehen in tragischem Kontrast zur folgenden Gewalt des Pluto und machen die Überrumpelung überhaupt erst möglich (in anderen Versionen des Mythos entfernt sich Proserpina von der Schar). Das Pflücken, das heißt die Vernichtung der Blumen steht als Symbol für den Verlust der natürlichen Unberührtheit: Proserpina wird von Pluto gepflückt werden. Ein gewaltiges Erdbeben, Vorzeichen vulkanischer Aktivitäten, kündigt Plutos Hervorbrechen unter der Erde an. Ein riesiger Spalt klafft auf – ganz so, wie der Aetna tatsächlich ausbricht, berüchtigt für die an seinen Flanken bei einem Ausbruch aufreißenden Spalten. Diese Lokalisierung am Aetna erlaubt Claudian somit, näher am Bild des homerischen Demeter-Hymnus mit der aufklaffenden Erdspalte zu bleiben und sich damit abzusetzen von Ovid und Cicero, bei denen Pluto (aus einer Höhle, so Cicero) beim Lago di Pergusa hervorbricht und sich den Weg zurück durch die Cyane-Quelle bei Syrakus bahnt. Während Claudian Plutos Aktion nahezu in eins setzt mit der Aktivität des Vulkans, ruft dessen Gefahrenherd beim Pluto der ovidischen

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‚Metamorphosen‘ Ängste hervor und lässt ihn die Gefahrenquelle am Rande seines Reichs inspizieren. Ovids Pluto wird nun erst vom Pfeil Amors getroffen, Claudians Pluto weiß von vornherein, was er will. Proserpina, bisher eins mit der mütterlichen Welt, ist dem Hervorund Hereinbrechen der männlichen Welt schutzlos ausgeliefert. Das am Beginn noch „mit Ängstlichkeit gemischte Verlangen“ (1,133) schlägt in reine Angst um. Ihre Verschleppung in die Unterwelt erlebt sie als Tod. Bevor sie sich als Frau neu findet, muss sie das Mädchen in sich verlassen. Es ist bezeichnend, auch für die Ambivalenz der Zuständigkeitsbereiche von Gottheiten, dass ihr im Augenblick der Entführung nur die ebenfalls jungfräulichen Göttinnen Minerva und Diana beispringen und sie zu beschützen suchen. Diesen Versuch, den Räuber abzuwehren, hatte erstmals Euripides in seiner Schilderung im zweiten Stasimon der Helena-Tragödie (Hel.1301ff.) dem Mythos eingefügt, er wird hier von Claudian in die sizilische Mythenversion integriert – ebenso wie das Eingreifen des Göttervaters, der seinen Blitz erglänzen lässt und damit die göttlichen Schwestern von der Verfolgung des Räubers abhält. Doch zunächst versucht Minerva, in deren Funktionsbereich auch das Anschirren der Pferde gehörte, Pluto in die Zügel zu fallen. Jupiters Blitzzeichen, wie ein Hochzeitsgesang durch die Wolken donnernd, ist das Scharnier, welches die Situation und Machtkonstellation wendet. Minerva und Diana müssen einlenken. Diana bietet nun das Pendant zu Minervas kriegerischer Äußerung gegen Pluto. Ihre empathische Rede für Proserpina spiegelt das Unausweichliche; sie beinhaltet typische Elemente einer Totenrede: Abschiednahme, Trauerbekundung, Schicksalsvorwurf, Desinteresse an früheren Freuden, die Klage der Natur – Proserpina gilt mit ihrem Übergang in die Unterwelt als lebendig begraben. In einer Klage gegen Jupiter fragt Proserpina, welche Schuld sie denn auf sich geladen hätte, zu sich selbst gewandt preist sie danach alle auf der Erde entführten Frauen, die weiterhin das Sonnenlicht genießen können, bevor sie, Hilfe suchend, ihre Mutter anklagt – auch dies ein typisches Beispiel für Claudians Vorliebe für dreigliedrige, spiegelsymmetrisch gestaltete Einheiten. Es ist die erste Rede Proserpinas im Epos, nur innerhalb der Traumerscheinung der Ceres (3,97–108)

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erhält sie nochmals Raum für eine direkte Äußerung! Ihre erregte Rede und die komplementär dazugesetzte beruhigende Trostrede des Pluto dienen Claudian zur Figurencharakterisierung und bewerkstelligen den Übergang vom Raub zur entspannten Hochzeitszeremonie im Tartarus. Pluto wendet Proserpina gegenüber keine Gewalt an. Als er mit der ersehnten Beute auf seinem Wagen in den Tartarus einfährt, ist seine Anspannung bereits gewichen, er hat sein Ziel fast erreicht. Gütig versucht er, Proserpina zu trösten, ihr die Vorteile ihrer neuen Rolle aufzuzeigen. Dafür hat er sich das Argument der Lachesis zu eigen gemacht, betont die Leben spendende Seite alles Vergehens und Werdens. Claudian gibt Pluto damit erstmals in der Tradition dieses Mythos Raum für eine Replik auf Proserpinas Hilferuf. Er geht direkt auf sie ein: Proserpina bezeichnete ihn als Räuber – er sich als würdigen Gatten; Proserpina glaubt, ihr werde der Himmel und das Licht entzogen – er verweist auf die anderen Sterne der Unterwelt; Proserpina glaubt, sie müsse als Gefangene dienen – und bekommt die Parzen als Dienerinnen; nur auf ihre Angst vor dem Verlust der Keuschheit geht Pluto nicht ein. Detailreich wird nun die Hochzeit Plutos und Proserpinas geschildert. Und wiederum fügt Claudian der – uns erhaltenen und als Beurteilungsgrundlage dienenden – Mythostradition damit eine neue Episode ein. Die Fackeln der Furien erstrahlen in einem anderen Licht: Todesfackeln werden zu Hochzeitsfackeln. Harmonisch klingt der Raub in einer besänftigten Unterwelt aus, rechtschaffene Seelen singen den förmlichen Hochzeitsgesang, verbunden mit dem Wunsch nach reicher Nachkommenschaft. Die Hochzeitsnacht kann beginnen, damit zugleich den Bucheinschnitt markierend. Majestätisch setzt das dritte und letzte uns erhaltene Buch ein mit einer Götterversammlung, auch sie ein typisches episches Element. Entgegen der epischen Tradition aber, die zumindest eine Widerrede erwarten ließe, besteht diese Versammlung lediglich aus Jupiters wohlstrukturierter Rede, die seine Überlegungen transparent macht und seine Entscheidungen – unter Strafandrohung – unangreifbar setzt. Der Raub Proserpinas ist Teil seines umfassenden Planes zur Verbesserung der Menschheit. Claudian greift mit seiner Jupiterrede direkt zurück auf Vergils Ausgangsschilderung in den ‚Georgika‘, seinem Gedicht vom

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Landbau (1,121–149): Jupiter will, dass die Menschen ihren Lebensunterhalt selbst meistern, nicht im Überfluss geschenkt bekommen. Angeregt durch die eigene Erfindungsgabe sollen sich Künste und Handwerke entwickeln, Schifffahrt, Bergbau, Astronomie, vor allem aber die Landwirtschaft. ,In allem bewährte sich siegreich mühselige Arbeit‘ – so das Sinnfindungskonzept Vergils (georg.1,145f.). Mit der Gabe des Getreides und seiner Kultivierung werden Claudians Menschen am – antizipierten – Ende des Mythos genau diesen Punkt erreichen. Unterdessen aber ängstigen Traumbilder Ceres in Phrygien bei Kybeles Feierlichkeiten. Prodigien nehmen ihren Trauerstatus vorweg. Die Vision ihrer Tochter im Schlaf und deren Klage veranlassen sie zur sofortigen Rückkehr. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass Ceres’ gegen Proserpinas Freier errichteter wehrhafter Palast Proserpina vor der Gewalt nicht zu schützen vermochte – überwunden durch die weibliche List der Venus. Öde liegt der Palast bei ihrer Rückkehr, Abbild von Ceres’ erfolglosen Bemühungen gegenüber Jupiters Willen. Ceres aber denkt zunächst an einen neuerlichen Angriff der Giganten. Die Amme Elektra, als Einzige im leeren Palast verblieben, schildert Ceres das Vorgefallene. Claudian spielt mit den Erzählsträngen: Die Abfolge der Ereignisse wird mit variierender Genauigkeit geboten, um aus der Sicht eines anderen Protagonisten konkretisiert beziehungsweise ergänzt zu werden. Claudians Sicht des auktorialen Erzählers und die subjektive Protagonistensicht zwingen den Leser zu permanenter Neuausrichtung. Elektras Bericht des Geschehens aus ihrer Sicht – angeregt vielleicht durch Persephones Bericht im homerischen Demeter-Hymnus – ist ein glücklicher Kunstgriff Claudians, Details des Raubes nachzutragen, andererseits aber auch die falsche Fährte für Ceres zu legen, indem Elektras Verdacht auf die göttlichen Schwestern und Venus fällt. Wie von Sinnen lauscht Ceres Elektra, um dann einer hyrkanischen Tigerin gleich den Olymp zu stürmen. Wütend wendet sich Ceres in ihrer langen dreiteiligen Rede zunächst an Venus, Diana und Minerva, nach guter rhetorischer Tradition die Angriffe auf die Gegner teilend, um sie ad personam einzeln bloßzustellen. Als sie die Mauer aus Schweigen und Tränen endlich wahrnimmt, verlegt sie sich auf Bitten und Überredung. Demütig erkennt sie den Raub an, will nur noch Gewissheit über die Person des Entfüh-

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rers. Doch gerade dies hatte Jupiter den Himmlischen untersagt preiszugeben: Sie weichen zurück. In völliger Isolation wird Ceres’ Rede zu einem Selbstgespräch; grimmig entschlossen will sie sich auf die Suche nach Proserpina machen, im Meer und in allen Himmelsrichtungen will sie suchen – die Unterwelt ist außerhalb ihres Suchraumes, außerhalb ihres Vorstellungsbereichs. Verhöhnt fühlt sie sich von allen Göttern, sieht sich in der Opferrolle. In dieser Stimmung gelangt sie zum Aetna, um sich Fackeln für ihre Suche zu beschaffen. Erneut fügt Claudian eine Ekphrasis ein, die Beschreibung des Jupiter heiligen Haines. Sie hat kein Vorbild im Proserpina-Mythos, ist also Zutat Claudians, um Ceres zu charakterisieren. Das Fällen von Bäumen in Göttern geweihten Hainen ist ein Tabubruch ohnegleichen, ihre Auflehnung gegen Jupiter nimmt das Thema des Gigantenkampfes, Chaos versus Ordnung, auf. Ceres handelt nicht mehr rational, einer Furie gleich stürzt sie los, die zwei Baumstämme im Aetna zu entzünden, der dabei fast auszubrechen droht. Es ist das Feuer des aufrührerischen Gigantenkampfes, das sie nun aufschöpft. Wieder naht die Nacht und das Ende der erzählerischen Einheit. Ceres’ letzter Monolog lässt erkennen, dass sie beginnt, sich dem Schmerz zu stellen und die Situation zu überdenken, zu erkennen, dass auch Götter vom Schicksal überrollt werden, sich alles dem großen kosmischen Gefüge unterzuordnen hat, ein einzelnes Schicksal wenig zählt. Sie lässt erkennen, dass sie ihren Stolz und ihr Selbstbewusstsein über die Existenz ihrer Tochter bezog, sich über diese definierte. Zwangsläufig ist Proserpinas Raub daher für Ceres mit einem Identitätsverlust verbunden, denn für sie war Proserpina Teil ihrer Welt, Teil ihres Seins. Ihre Qual besteht vor allem in ihrer Einsamkeit und Verlassenheit; kein ihr Ebenbürtiger wagt, ihr die Wahrheit zu sagen. Ihre aggressive Wut ist der Verzweiflung gewichen, eine Kapitulation des Ich vor der Macht der Umstände. Allein mit ihrem suchenden Schatten macht sie sich auf den Weg. Hier endet Claudians Schilderung. Aus anderen Versionen des Mythos wissen wir, dass Ceres, ihrer eigenen Frucht beraubt, auch die Felder ihrer Früchte berauben wird, bis sie schließlich Aufschluss über den Verbleib ihrer Tochter erhält. Da diese jedoch in der Unterwelt bereits von einem Granatapfel, Symbol der Fruchtbarkeit und damit Schwängerung, genossen hat, ist ihre Ehe

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mit Pluto vollzogen. Die Lösung, dass Proserpina einen Teil des Jahres in der Unterwelt bei ihrem Gatten, den anderen Teil des Jahres bei ihrer Mutter in der Oberwelt verbringen wird, ist für keinen der Beteiligten ganz befriedigend: Auch in diesem Kompromiss kommt die Relativität allen menschlichen wie göttlichen Seins und Tuns zum Ausdruck. Der anfängliche Schmerz des Pluto steht gegen den daraufhin erlittenen Schmerz der Ceres. Es besteht die Notwendigkeit, zwischen Männlichem und Weiblichem zu vermitteln. Mädchen werden zu für den Fortbestand der Gesellschaft unentbehrlichen Frauen. Das Wohl der Menschen liegt auch im Erhalt der gesellschaftlichen Stabilität – häufig gewährleistet durch Machtkonservierung im etablierten System. Dies hatte schon Lachesis am Beginn des Werkes ins Zentrum gestellt: Frieden und Eintracht der Welt und des Bruderbundes sind aufrechtzuerhalten. Mit dem Zorn (Plutos) nimmt Claudian ein typisch episches Motiv auf; wiederum ist eine Frau Auslöser des epischen Konflikts. Die menschliche Zeichnung der Götter durch Claudian und die damit einhergehende Betonung ihrer Verwandtschaftsbeziehungen verstärkt die Dramatik der Entführung, die Fallhöhe des von Proserpina und Ceres als solchen empfundenen Verrats durch Vater, Onkel, Schwestern. Dennoch wird Proserpinas Schicksal gedeutet als Bestandteil einer sinnhaften Weltordnung.

Zur zeitgebundenen Deutung des Proserpina-Epos Im Gegensatz zum übrigen historisch-panegyrischen Œuvre Claudians lässt sich die Abfassungszeit seines mythologischen Proserpina-Epos kaum fixieren. Verbunden damit sind die Schwierigkeiten der Deutung dieses Werks. Man muss sich bewusst halten, dass das ausgehende 4. Jahrhundert charakterisiert war durch eine heidnisch-christliche Mischkultur, die sich in einer zunehmenden Christianisierung des kaiserlichen Umfeldes und Verwaltungsapparates bemerkbar machte, andererseits aber die Verwendung heidnisch-mythologischer Stoffe in der Literaturproduktion nicht ausschloss. Dies kann als Zeichen kultureller Traditionssicherung und -anknüpfung verstanden werden, wenn man das Christentum als so etabliert ansieht, dass es von selbstbewusster

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Offenheit zeugt, pagane Elemente als dichterische Ausdrucksformen gelten zu lassen beziehungsweise sie sogar als Verständnis- und Integrationsmittel der kulturellen Oberschicht wertzuschätzen. Doch kann es auch als Anzeichen heidnischer Propaganda gewertet werden, wie früher bisweilen in Bezug auf Claudians Proserpina-Epos geschehen und in der Forschung noch nicht gänzlich verworfen. Prinzipiell ist die Ceres-Proserpina-Thematik natürlich auch bei Claudian als Symbol von Prosperität und Nahrungsreichtum zu deuten. Diese durch die gesamte Antike hin vorherrschende naturallegorische Auslegung des Mythos finden wir zum Beispiel auch bei Augustinus, Zeitgenosse Claudians. In seinem ‚Gottesstaat‘ (civ.dei 7,20) referiert er die Ansicht des Antiquars Varro, dass Proserpina die Fruchtbarkeit der Saat, das Saatkorn selbst, bezeichne: Als dieses einmal eine Zeitlang versagte, sei der Glaube entstanden, dass der Orcus Proserpina festhalte und Ceres über deren Entführung trauere, da sie sich, Sinnbild der Erde, ihrer Schöpfung(smöglichkeiten) beraubt sähe. Man sollte davon ausgehen, dass Claudian, der stets adressatengerecht zu dichten vermochte, auch bei der Wahl dieser Thematik die Rezeptionssituation bedacht hat und eine für seine Zuhörer relevante Problematik unter dem Mantel des Mythos abzuhandeln beabsichtigte. Roms Versorgungslage war in den Jahren 395–397 kritisch3. Der auf der Landbevölkerung Italiens liegende hohe Steuerdruck bewirkte deren Unzufriedenheit sowie den Unmut der senatorischen Großgrundbesitzer, die aufgrund der Landflucht vieler Kolonen Einnahmeverluste erlitten. Ein – von Stilicho initiierter, von Kaiser Honorius offiziell ergangener – Steuernachlass im März 395 und ein Gesetz zur Bekämpfung korrupter Steuereintreiber im Juni 395 brachten noch nicht die gewünschte Wirkung. Die Versorgungslage Roms begann zur Bewährungsprobe der Kooperation zwischen Senat und Kaiserhof zu werden. Bevor im September 395 Florentinus von Stilicho zum Stadtpräfekten ernannt wurde, in dessen Aufgabenbereich auch die abzusichernde Versorgung Roms fiel, waren schon zwei Amtsinhaber seit Theodosius’ Tod im Januar 395 von diesem Posten zurückgetreten. Schon im Früh3 Die Informationen zur Versorgungskrise Roms 395–397 sind entnommen: T. Janßen: Stilicho. Das weströmische Reich vom Tode des Theodosius bis zur Ermordung Stilichos (395–408), Marburg 2004, 70–76.

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jahr 395 war die kommende Misere, die Verknappung an Lebensmitteln im Herbst/Winter 395/96 abzusehen gewesen. Ursache scheint vor allem ein Transportmittelengpass gewesen zu sein, weniger die – auch vorhandenen – Differenzen zwischen Kaiserhof und dem afrikanischen Heermeister Gildo. In den afrikanischen Häfen lagerte noch genügend Getreide, doch standen nicht genügend Transportschiffe bereit. Hinzu kam, dass die Schiffseigner die Situation offenbar ausnutzten, die Preise in die Höhe trieben und die Fracht mitunter in anderen Häfen Italiens zu besseren Preisen absetzten, so dass die Situation in Rom sich verschärfte. Die stadtrömische Aristokratie konnte sich zunächst über die Zusammensetzung einer Gesandtschaft zum Kaiserhof nicht einigen und griff deshalb zu Jahresbeginn 396 zur Notlösung einer freiwilligen Geldabgabe unter den Senatoren. Doch auch zu Beginn der schiffbaren Saison 396 hatte sich die Lage noch nicht entspannt. Die nun tatsächlich zur Mailänder Residenz geschickte Gesandtschaft erreichte offenbar kaiserliche Unterstützung für die Versorgung Roms, um den Unmut der hungernden Bevölkerung zu dämpfen. Im Frühjahr 397 wurde die Versorgungslage jedoch nochmals kritisch – eventuell bedingt durch die Nutzung der Transportschiffe für Stilichos Vorbereitung zum zweiten Feldzug gegen Alarich. Florentinus jedenfalls übte sein Amt als Stadtpräfekt Roms zwei Jahre lang aus. Und zumindest die Abfassungszeit von Buch 2 des Proserpina-Epos fällt in diese Amtszeit, denn es ist höchst wahrscheinlich, dass es sich bei dem im Vorwort zum zweiten Buch angesprochenen Florentinus um ebendiesen Stadtpräfekten handelt. Schon in einer Vorrede zum ersten Buch hatte Claudian mittels des Seefahrer-Topos eine Allegorie auf seinen dichterischen Entwicklungsprozess bis hin zum krönenden Epos gegeben, wobei er den Gegensatz zwischen Naturgewalt und der Kunstfertigkeit des Menschen, diese zu bezwingen, besonders betonte. In einer ausgeklügelten Vorrede zum zweiten Buch, auch diese in Distichen geschrieben, imaginiert Claudian sich als Orpheus, als begnadeter Sänger, der die Taten des Herkules preist – und bezeichnet am Schluss dieser Vorrede (vv. 49–52) Florentinus als zweiten Herkules, der ihm mit der Befriedung seiner Heimat und Sicherung der öffentlichen Ruhe Muße und Motivation zur Fortführung des Gesangs wiedergegeben habe. Damit klingen das Gigantomachie-Motiv der Eposhandlung und Jupiters

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Sorge für den Erhalt der Ordnung und des Friedens an. Indem Claudian sich indirekt die berühmte orpheische Sangeswirkung zuschreibt, trägt er als Hofdichter seinerseits zur Zivilisierung des Chaos bei. Claudian konnte Florentinus natürlich erst panegyrisch überhöhen, als ersichtlich wurde, dass er sein Amt erfolgreich ausübt (und damit auch Lob auf den als politischen Drahtzieher dahinterstehenden Stilicho, Claudians permanente Bezugsperson, fallen konnte). Dies könnte ca. Ende des Jahres 396 abschätzbar gewesen sein. Die ebenfalls im Vorwort zum zweiten Buch angesprochene lange Pause zwischen der Abfassung des ersten und zweiten Buches zwingt dazu, Buch 1 deutlich vor Buch 2 (und 3) anzusetzen: Ein Jahr Unterbrechung sollte man als Minimum annehmen. Somit wäre immer noch denkbar, dass der Verlauf des Jahres 395 Claudian zum Aufgreifen dieser Thematik bewegt hatte. Denn die politisch angespannte Lage nach dem Tod des Theodosius und der um Vormachtstellung ringenden Prätendenten ließe sich in der – mit der Ceres-Thematik von Beginn des Epos an verknüpften – Gigantomachie-Thematik, personifiziert in Jupiter und Pluto, dem Interessenkonflikt zwischen verschiedenen Mächten und deren Neujustierung gespiegelt sehen. Claudians Pluto wäre bereit, sich der gefesselten Giganten zur Durchsetzung seiner Interessen zu bedienen. Auch die andringenden Goten Alarichs wären als Verschiebemasse auf dem politischen Schachbrett geeignet. Stilichos Intervention gegen die in Griechenland eingefallenen Goten im Jahre 397 wurde, insofern sie sich auf dem Territorium des Ostreiches abspielte, ungern gesehen. Es wäre möglich, die Auseinandersetzung zwischen Jupiter und Pluto als Anspielung auf Arcadius und Honorius zu verstehen. Vieles spricht für eine Frühdatierung des Proserpina-Epos innerhalb des uns überlieferten Œeuvre von Claudian – doch wird in der Forschung daneben auch eine Spätdatierung vertreten, nach den relativ ruhigen Reformjahren 398–401, in denen Claudian stark mit Hofpropaganda beschäftigt war. Für das Jahr 402 ist nochmals eine Gesandtschaft unter Führung des Symmachus an den Kaiser bekannt, in der es erneut um die Sicherung der stadtrömischen Versorgung ging. Zudem stützt sich diese Spätdatierung auf das apokalytische Erlebnis der Barbareninvasion 401/02: Die Goten drängten nach Italien hinein und lösten damit eine allgemeine Panik aus, denn eine Invasion von Barbaren

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ins ‚Stammland‘ hatte Italiens Bevölkerung lange nicht mehr erlebt. In dieser Situation forderte die konservative stadtrömische Aristokratie, die Sibyllinischen Bücher zu befragen, und laut Claudian ließ sich Stilicho, um den Konsens zwischen Senat und christlichem Kaiserhaus nicht zu gefährden, offenbar darauf ein. Gleichzeitig verstärkten sich in dieser Zeit die radikalen christlichen Strömungen am Kaiserhof und führten allmählich zur Verdrängung paganer Amtsinhaber aus hohen zivilen Ämtern. Im Zuge damit dürfte auch Stilichos Position geschwächt worden sein, der für militärische Unternehmungen häufig vom Hof abwesend war. Diese Verschiebungen im Rezipientenkreis könnten Claudian zum Abbruch des Epos bewogen haben.

Zur Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte Claudians Die Umstände einer eventuellen Gesamtedition des claudianischen Œeuvre nach dem Tode des Dichters lassen sich kaum mehr fassen. Die Überlieferungslage deutet jedoch auf eine in vier Bände unterteilte Ausgabe, wobei der ‚Raub der Proserpina‘ neben den Invektiven und historischen Epen, den Festgedichten sowie den Kleingedichten einen eigenen Band ausmachte. Die überragende Bedeutung Claudians, die Anerkennung als seinerseits nun zu imitierender Klassiker durch Zeitgenossen und folgende Generationen lässt auf eine weite Verbreitung seiner Werke im westlichen Mittelmeerraum im 5./6. Jahrhundert schließen. Doch erst das Interesse des 12./13. Jahrhunderts sicherte dem nur in wenigen Handschriften die Völkerwanderungszeit (und die damit einhergehenden Handschriftenverluste) überdauernden spätantiken Dichter dann mit über 60 in diesen zwei Jahrhunderten entstandenen Claudian-Handschriften eine solide Überlieferungsbasis in die Neuzeit hinein. Claudian wird Schulautor und als solcher häufig kommentiert. Petrarca selbst besaß einen fast kompletten Claudian, ein Manuskript aus dem 13. Jahrhundert, und seine handschriftlichen Anmerkungen am Rand zeigen, dass er sich am intensivsten mit dem Epos der Proserpina beschäftigt hat. Dieses behauptete im Folgenden einen der ersten Plätze in der Gunst der Leser und Claudian-Nachahmer. So ist es nicht

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verwunderlich, dass die editio princeps des Proserpina-Epos bereits 1471 erschien, die der übrigen Werke Claudians erst 1482. Ein ausführlicher Kommentar zum Proserpina-Epos wurde 1501 in Mailand von Janus Aulus Parrhasius herausgegeben und erfuhr aufgrund seiner Nachdrucke in bedeutenden Verlagsorten wie Paris (1517) und Basel (1539) eine weite Verbreitung. Ab diesem Zeitpunkt kann man von einer aufkommenden Claudian-Philologie sprechen – doch auch von einer produktiven lateinsprachigen Claudian-Rezeption innerhalb der lateinischen Renaissance-Epik im Rahmen der noch vorhandenen europäischen Latinität. Neulateinische Dichter rühmten an Claudian die Leichtigkeit seines Talents, die pointierten Sentenzen, die bündige und geschliffene Erzählweise – sie rückten ihn damit nahe heran an ihre Vorbilder und Imitationsmuster Vergil und Ovid. Ein Rezeptionsdokument ganz besonderer Art und deshalb als letztes hier zu erwähnen stellt der im Sommer 1814 veröffentlichte ClaudianCento des L. A. Decampe dar, welcher Napoleons Aufstieg zur Macht und seinen Sturz nur drei Monate zuvor in etwa 500 Hexametern erzählt: Halbverse aus den panegyrischen und historischen Werken Claudians, aber auch aus dem ‚Raub der Proserpina‘ sind so zusammengefügt, dass aus den sprachlichen Versatzstücken eine inhaltlich originelle Invektive entsteht, Spiegel des lebhaften – nunmehr hauptsächlich rezeptiven – Interesses, das man in jener Zeit der Poesie Claudians und ihrem allegorischen Potenzial entgegenbrachte.

Zur Rezeptionsgeschichte des Ceres-Proserpina-Mythos Es ist der Deutungsreichtum des Ceres-Proserpina-Mythos, welcher zu allen Zeiten seine hohe Anziehungskraft entfaltete und nicht zuletzt in der zwischen finsterer Unterweltsherrscherin und lieblichem Mädchen changierenden Gestalt Proserpinas begründet liegt. Die in lateinischen Fassungen des Mythos stärker akzentuierte Jungfräulichkeit und erotische Ausstrahlung Proserpinas und die bedeutsame Rolle von Venus überhöhen Plutos Entführung zu einem Liebesraub. Christliche moralisierende Allegorese sah in Proserpina denn auch ein negatives Sinnbild und dämonisierte den Raub als Höllenfahrt: Pluto

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wird zu Satan, der die menschliche Seele, die zu stark den irdischen Freuden und Eitelkeiten hingegeben ist, in die Hölle entführt (während Jupiters Abstieg zur Erde beim Raub der Europa als Sinnbild der Menschwerdung Christi ausgelegt wird). Vorläufer dieser Auseinandersetzung zwischen finsteren und lichten Mächten mag man schon in Claudians dem Proserpina-Mythos eingeschriebenen GigantomachieMotiv erkennen: Plutos Aufbegehren wird fast zu einer Revolte der urtümlichen, im Tartaros gefangen gehaltenen Titanen und Giganten gegen die himmlische Ordnung Jupiters – doch raubt Claudians Pluto Proserpina erst auf die Bestimmung und Einwilligung Jupiters hin. Ovids Inszenierung des Raubes hingegen, wie Pluto vom plötzlichen Anblick Proserpinas fasziniert (und von Amors Pfeil getroffen) diese spontan übermannt, fand Eingang in die im Mittelalter weit verbreitete Allegorese des ‚Wilden Mannes‘, Abbild triebhafter hemmungsloser Sinnlichkeit. Die in den antiken Quellen breit ausgeführte Metaphorik des Blumenraubs – vom flos virginitatis zur defloratio virginis – bot mittelalterlichen Moralisationen weiteren Zündstoff, hielt latent jedoch stets die erotische Komponente wach, so dass Proserpina und Pluto seit der Frührenaissance und der Loslösung aus moraltheologischer Deutung zunehmend positiv gesehen und als Urbild stärksten emotionalen und erotischen Erlebens verherrlicht werden konnten. In Weiterführung eines antiken Mythenstranges, nach dem Proserpina in der Unterwelt glücklich wurde, konnte sie zum Beispiel in Boccaccios ‚Amorosa visione‘ (1342) oder Chaucers ‚The Merchant’s Tale‘ (ca. 1387) zu einem Sinnbild für den Sieg Amors werden. Venus’ Rolle bei Ovid sowie Claudians Schilderung der glücklichen Unterweltshochzeit gingen dieser Ausdeutung voraus. Während mittelalterliche Allegoresen vor allem auf Ovids Schilderung zurückgegriffen hatten (sogenannter Ovide moralisé), setzte sich mit der oben erwähnten kommentierten Claudian-Ausgabe von Parrhasius Claudians Proserpina-Epos an der Wende zum 16. Jahrhundert endgültig als Rezeptionsvorlage neben den ‚Metamorphosen‘ durch, so zum Beispiel für G. Marinos Proserpina-Epos (1620), der für seine Schlussszene Claudians Unterweltshochzeit nachgestaltet. Einen Ansatzpunkt für zukünftige Burlesken zum Thema bot A. Hardys ‚Ravissement de Proserpine‘ (1611/26), der die beiden Hälften des

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Jahres, die Proserpina entweder bei der Mutter oder bei Pluto verbrachte, in einer ironischen Schlusswendung so gedeutet wissen wollte, dass sie tagsüber der Mutter, nachts dem Gatten gehöre. W. H. v. Hohbergs Barockepos ‚Die unvergnügte Proserpina‘ (1661) wiederum stilisiert Proserpina zu einem weiblichen Tugendideal: Gefeit vor jeder Liebesregung wird sie durch den Raub aus ihrer Einfalt gerissen und lernt, ihr Geschick zu bejahen. Verwunderlich mag uns erscheinen, dass der Mythos von Proserpina sogar noch in der alchimistischen Lehrepik des 17. Jahrhunderts wiederzufinden ist. Man versuchte, in Figuren oder Handlungsmerkmalen heidnischer Poesie Wahrheiten der Naturphilosophie zu enthüllen: So wird Proserpina zu Gold, welches im Gestein verborgen ist; die nach ihr suchenden Begleiterinnen verkörpern Metallurgen, welche in den Elementen das Gold suchen. Neben Ovid und Claudian fand im 18. Jahrhundert der homerische Demeter-Hymnus Eingang in die Gunst der Rezipienten. Insbesondere das Symbol des Granatapfel-Kernes zog in der Goethe-Zeit das Interesse auf sich: gedeutet als Frucht vom Baum der Erkenntnis, die mit dem Zugang zu verschiedenen Welten auch das Geheimnis der Eleusinischen Mysterien erschließen hilft. Damit verband sich die Frage, warum Proserpina der ungetrübten Einheit ihres göttlichen Seins verlustig ging und worin eigentlich die menschheitsgeschichtliche Bedeutung ihres Raubes liegt, das heißt die Stirb-und-werde-Thematik. Schiller verlegte mit seiner ‚Klage der Ceres‘ den Schwerpunkt von der dramatischen Beziehung zwischen Proserpina und Pluto auf die elegische Beziehung zwischen Ceres und ihrer Tochter, vertiefte somit den melancholischen Aspekt des Mythos. Die burleske Tradition setzte Heinrich Heine in dem Gedichtzyklus ‚Unterwelt‘ (1844) fort: Nachdem schon Johann Adolf Schlegel (Proserpina und Pluto, 1769) Pluto seine Proserpina aus Überdruss nach zwei Wochen an die Mutter hatte zurückgeben lassen, malt Heine nun die Qualen Plutos in der Ehe und den Ärger der gelangweilten Proserpina aus – der Stoff ist endgültig in der (klein)bürgerlichen Ebene angekommen. Es sei erlaubt, den Kreis an dieser Stelle zu schließen und auf die Spätantike zurückzuverweisen: Bereits Firmicus Maternus, gebürtiger Sizilier, hatte in seiner um 350 n. Chr. verfassten polemischen Schrift

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‚Über den Irrtum der heidnischen Lehren‘ (err.prof.7) den Ceres-Proserpina-Mythos in der sogenannten euhemeristischen Interpretationsweise dargestellt, einem antiken Allegoreseverfahren, welches Göttermythen auf die menschliche Ebene herunterbricht: Ceres ist bei ihm eine Großgrundbesitzerin, Proserpina ihre einzige Tochter, die von einem reichen Bauern entführt wird. Während Ceres die beiden verfolgt, gelangt sie nach Eleusis und schenkt den gastfreundlichen Eleusiniern den ihnen bis dahin unbekannten Weizen, woraufhin diese Ceres nach ihrem Tode vergöttlichen. Stoßrichtung des Firmicus ist, die heidnischen Götterkulte als Totenkulte – und damit kritikbedürftig – für gewöhnliche Menschen zu entlarven. (Man bemerke die lokalpatriotische Note der Vorrangstellung Siziliens vor Eleusis.) Parallel zu dichterischen Aneignungen des Ceres-Proserpina-Mythos begann man sich in der altphilologischen, sozialgeschichtlichen und religionswissenschaftlichen Forschung des 19. und 20. Jahrhunderts mit dem Gehalt des Mythos auseinanderzusetzen. Die Deutung des Mythos war in erster Linie naturallegorisch geprägt und damit der vorrangigen antiken Sichtweise verpflichtet. Daneben entstand mit Johann Jakob Bachofens Matriarchatstheorie ein Ansatz, der vor allem die soziale Struktur der Mythos-Protagonisten in den Blick nahm: In der Figur der Demeter sei noch das Matriarchat als menschheitsgeschichtliche Epoche und Vorstufe zur patriarchalischen Zeit greifbar. Demeter könne als ‚tellurische Urmutter‘ verstanden werden, die als Stifterin der Ehe zugleich Urheberin der sozialen Ordnung dieser Epoche war. Bachofens soziologischer Ansatz hinterlässt seine Spuren in den teilweise darauf fußenden feministischen Theorien, die in Ausdeutung des Geschlechterkonfliktes innerhalb des Ceres-Mythos vor allem das gewaltsame Eindringen der männlichen Götter Jupiter und Pluto in die weibliche Sphäre sehen: Ceres verliert durch die Entführung ihrer Tochter neben der Mutterrolle auch die Rolle der Muttergottheit. Ihre Gegenwehr mündet in einen Kompromiss: Positiv formuliert sichert sie sich und ihrer Tochter eine Position innerhalb der patriarchalischen Weltordnung, negativ formuliert muss sie sich in das neue patriarchalische System fügen. Fassen lässt sich der Sinn dieses Mythos auch unter dem Begriff der Initiationstheorie: Betont wird dabei, dass Proserpinas Unterweltsau-

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fenthalt mit dem Verlust ihrer Jungfräulichkeit der Separationsphase entspricht, die jedes Mädchen auf dem Lebensweg hin zur Frau durchmachen müsse, als Initiandin also einen symbolischen Tod und Wiedergeburt erfahre. Wir dürften uns mit diesen modernen Begrifflichkeiten wieder dem ursprünglichen Verständnis des Mythos in seiner sozialen Ausrichtung nähern: Ceres’ und Proserpinas rites de passage stellen eine bildlich-narrative Verarbeitung von Grunderfahrungen des Menschen dar, die kollektive Bedeutsamkeit erlangen. Sie wurden schon von antiken Kultteilnehmern beziehungsweise Rezipienten des Mythos als unbewusstes Identifikations- oder bewusstes Reflexionsangebot wahrgenommen, um das eigene Leben zu meistern.

Schlusswort Der auf Getreidekultivierung und Erntephasen abzielende zentrale Aspekt dieses Vegetationsmythos, doch auch die Rolle und Entwicklung der beiden weiblichen Protagonisten sowie die Applizierbarkeit des gesamten Mythos auf die gesellschaftliche Wirklichkeit greifen ineinander und machen die Polyvalenz des Ceres-Proserpina-Mythos aus. Alle diese Deutungsansätze lassen sich in Claudians unvollendetem Epos erkennen: 1. Eckpunkte der geläufigen agrarischen Deutung sind dem Thema immanent und im Prooemium mit der Frage, woher den Völkern die Feldfrüchte gegeben seien, als Telos der Handlungsführung markiert. Daneben klingen sie im aurea-aetas-Motiv, dem Erntesegen der Ceres für Sizilien, mehrfach an. Wie Claudian die Gabe des Getreides an die Menschheit durch Ceres und seine Verbreitung und Kultivierung konkret dargestellt hätte im unvollendeten Teil des Epos, ob er auf die am Beginn des ersten Buches erwähnte Figur des Triptolemos als Mittler zurückgegriffen hätte, bleibt offen. 2. Proserpina, bisher das liebe Kind, nun herausgerissen aus der heimischen Geborgenheit, erlebt die Isolation in völliger Verzweiflung, immer noch auf die Hilfe der Mutter (weni-

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ger des Vaters) vertrauend: Sie hat bei Abbruch des Epos noch nicht begonnen, sich auf die neue Situation einzulassen, bereit dafür ist sie, denn Claudian betont ihr heiratsfähiges Alter und ihr eigenes, mit Ängstlichkeit gemischtes Verlangen. Nicht abschätzbar bleibt, wie Claudian sie ihre weitere Rolle hätte ausfüllen lassen; die antiken Darstellungen dieses Mythos bleiben in Bezug auf Proserpina meist vage. Doch gibt es bei Vergil und Columella Anzeichen, dass Proserpina sich mit ihrer neuen Rolle als Unterweltsherrscherin zu arrangieren wusste und wenig Neigung zeigte, in die Oberwelt und zur Mutter zurückzukehren; bei Lucan empfindet sie sogar Hass gegen die Oberwelt. Claudians Ceres-Figur würde mit dem Auffinden ihrer Tochter im unvollendeten Teil des Epos natürlich eine ungeheure Last von der Seele genommen, doch insofern sie von Claudian als überbehütende Mutter charakterisiert ist, würde sie lernen müssen, ihre Funktion als Fruchtbarkeitsgöttin auch ohne ihre Tochter, über die sie ihren Selbstwert definiert, auszuüben. Beide Figuren haben symbolisch den Übergang in eine neue Lebensphase zu bewältigen. 3. Dass der Raub der Proserpina, trotz aller Dramatik und Seelenqual für Mutter und Tochter, von Claudian dennoch in ein sinnvolles Ganzes hineingedeutet wurde, verdeutlicht seine menschliche Zeichnung Plutos, dem er ein betont Leben spendendes Wesen zuschreibt und damit den ohnehin immanenten Fruchtbarkeitsgedanken verstärkt. Der Mythos zielt prinzipiell auf den Erhalt der menschlichen Art und den Wechsel natürlichen Werdens und Vergehens. Claudian geht es im Speziellen auch um den Erhalt der politischen Ordnung und Macht, dies verdeutlicht seine originelle Einbindung des Gigantomachie-Motivs in den Ceres-Proserpina-Mythos. Der abrupte Schluss reizt zu Vermutungen. Ceres naht mit ihren Fackeln gerade der Straße von Messina, sie verlässt ihre Heimat und beginnt in der Fremde nach Proserpina zu suchen. Wenn das Epos so, wie es uns vorliegt, tatsächlich das Ende des dritten Buches markiert, könnten Scylla und eine das folgende Buch eröffnende Charybdis als

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Scharnierstelle zu weiteren drei Büchern fungiert haben – durchaus plausibel angesichts des noch abzuhandelnden Stoffes. Scylla und Charybdis, personifizierter Begriff der Todesgefahr, stünden mittig, sowohl Proserpina, bereits im Hades, als auch Ceres sind am Tiefpunkt ihrer Lebensbejahung und Hoffnung angelangt. Die bald darauf folgende Freude und Erleichterung, den erfolgreichen Übergang in die neue Lebensphase bzw. agrarische Zivilisationsstufe können wir antizipieren. Doch Claudians Epos endet für uns zwischen Scylla und Charybdis.

Überblick über den Aufbau des Epos 1 praef. 1–12

Allegorie der Seefahrt Buch 1

1–31 Prooemium 1–19 Inspiration des Dichters durch Apoll und Vision der eleusinischen Gottheiten 20–31 Bitte an die Unterweltsgötter um Enthüllung der geheimen Geschehnisse (= Themensetzung des Epos): Liebe Plutos, Raub der Proserpina, Ceres’ Suche nach ihrer Tochter, Gabe der Feldfrüchte für die Völker 32–116 Zorn Plutos in der Unterweltsversammlung und seine Aufforderung zum Kampf gegen die Oberwelt 32–47 Pluto, erzürnt ob seines Ledigenstatus, plant den Aufruhr der Elemente 48–75 Besänftigung durch die Parzen (Rede der Lachesis) mit Verweis auf das Friedensbündnis der Brüder; Aufforderung, sich mit der Bitte um eine Ehefrau an Jupiter zu wenden 76–116 Merkur erscheint als Bote; Rede Plutos an Jupiter: Klage über Einsamkeit und Kinderlosigkeit; Androhung des Weltenchaos 117–121

Beschlussfassung Jupiters

122–213 Ceres und das Versteck der Proserpina auf Sizilien; Abschied der Ceres 122–142 Ceres’ Behüten ihrer einzigen Tochter, Abweisen der Freier; Wahl Siziliens als sicheren Ort

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Überblick über den Aufbau des Epos

142–178 Ekphrasis Siziliens: geographische Gestalt, Aetna und Vulkantheorie 179–213 Ceres verbirgt Proserpina nahe dem Aetna, gewährt Sizilien das Goldene Zeitalter durch Aussäen ihres Getreides als Belohnung, und eilt weiter nach Phrygien zu Kybele und ihren Kultfeierlichkeiten 214–228 Rede des Jupiter an Venus Instruktionen zur Ausführung seines Beschlusses und Aufforderung, Pluto in Liebe zu entflammen 229–275 Venus, Minerva und Diana begeben sich nach Sizilien; Webarbeit der Proserpina 229–236 Minerva und Diana schließen sich auf Befehl Jupiters der Venus an; Prodigium ihres Nahens 237–245 Beschreibung von Ceres’ Palast 246–268 Beschreibung des von Proserpina gefertigten Webbildes: Darstellung der Weltentstehung, des Kosmos, der Erdzonen und der Unterwelt (Prodigium) 269–275 Ankunft der Göttinnen bei Proserpina und ihre Reaktion 276–288

2 praef. 1–52 auf Herkules

Plutos Aufbruch nach Sizilien mit seinem Gespann

Orpheus’ Bezähmung der Natur und sein Hymnus

Buch 2 1–150 Blumenpflücken am Aetna – Verführung Proserpinas durch Venus 1–10 Aufbruch zu Siziliens Bergwiesen auf Betreiben der Venus; Prodigien

Überblick über den Aufbau des Epos

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11–70 Beschreibung der Schar: äußere Erscheinung von Venus, Minerva, Diana und Proserpina; Katalog der begleitenden Nymphen 71–118 Aufblühen des Aetna mit Hilfe des Zephyrwindes; Ortsbeschreibung mit Baumkatalog und See (Prodigium) 119–150 Ausschwärmen zum Blumenpflücken, Blumenprodigien; besonderer Eifer der Proserpina, Minerva und Diana zeigen sich weicher gestimmt 151–203 Auffahrt des Unterweltsgespanns 151–185 Darstellung der gewaltsamen, ein Erdbeben verursachenden Auffahrt des Pluto zur Oberwelt; Überwindung des Enceladus und anderer Hindernisse 186–203 Chaotische Reaktion der Sterne auf Plutos Durchbruch; Widerstand seiner Pferde gegen den lichten Erdkreis 204–246 Raub der Proserpina 204–213 Pluto rafft Proserpina in seinen Wagen, Minerva und Diana springen zu Hilfe 214–222 Rede der Minerva an Pluto: sie weist ihn in seine Schranken 223–231 Kampfbeginn, darauf das finale Friedenszeichen durch Jupiter 232–246 Rede der Diana an Proserpina: Abschied und Tröstung 247–272 Klage der Proserpina vorwurfsvolle Beschwerde an ihren Vater, Klage über ihr Schicksal, Kritik und Hilferuf an ihre Mutter 273–306 Rede Plutos an Proserpina 273–276 Reaktion Plutos auf Proserpinas Flehen, erste Anzeichen einer Liebe 277–306 Trostrede Plutos an Proserpina: Darstellung seines Machtbereichs, der Schönheit der Unterwelt und Proserpinas zukünftiger Befehlsgewalt

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Überblick über den Aufbau des Epos

306–372 Einzug von Pluto und Proserpina in den Tartarus und ihre Hochzeit 306–316 Heitere Erscheinung des Pluto und Beruhigung der Unterweltsflüsse 317–325 Elysische Mütter trösten Proserpina und bereiten sie für die Hochzeit vor 326–360 Inversion der Unterweltsphänomene: ausgelassenes Feiern der bleichen Schatten; Aussetzung der Strafen für Frevler; Trinkgelage der Eumeniden; Unterweltsflüsse strömen von Milch und Wein; Tod stellt sein Wirken ein 361–372 Andeutung der Hochzeitsnacht; Nox als Brautfrau, Epithalamium der Manen für Pluto und Proserpina

Buch 3 1–66 Götterversammlung und Rede Jupiters 1–17 Erscheinen und Platzwahl der Götter 18–66 Rede Jupiters: Abschaffung des Goldenen Saturninischen Zeitalters im Sinne der Menschen: Anstachelung des Erfindergeistes; als Reaktion auf Klagen seitens Mutter Natur nun sein Sinneswandel und der Wille, die Menschheit von primitiver Lebensart und der Ernährung durch Eicheln zu erlösen; Bestimmung der Ceres, nach ihrer Tochter herumzuirren und als Belohnung für ein Zeichen über ihren Verbleib das Getreide zu gewähren; Warnung an alle Götter, den Plan nicht zu verraten 67–145 Innere Unruhe der Ceres in Phrygien und Rückkehr nach Sizilien 67–79 Albträume der Ceres 80–108 Traumerscheinung der Proserpina selbst, Ceres’ Entsetzen über Proserpinas Erscheinungsbild, Proserpinas Vorwurf an ihre Mutter, im Stich gelassen worden zu sein, und ihre Bitte um Hilfe

Überblick über den Aufbau des Epos

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108–136 Ceres schreckt aus ihren Träumen auf; Wortwechsel mit Kybele: Zweifel an der Sicherheit des Verstecks in Sizilien, Prodigien; Kybele beruhigt mit Verweis auf die zu erwartende väterliche Hilfe für Proserpina 137–145 besorgtes Zurückeilen 146–259 Ceres und ihr vereinsamter Palast auf Sizilien; Gespräch mit der Amme Elektra 146–169 Schock der Ceres angesichts ihres verlassenen Palastes; sie mustert das an Proserpina gemahnende Gewebe und andere Dinge 170–192 Ceres findet Elektra, fragt nach dem Täter und wirft ihr mangelnde Obhut vor 193–259 Bericht der Amme: sie vermutet die drei göttlichen Schwestern als Urheberinnen des Unheils, deutet an, dass der Himmel selbst feindlich gesinnt ist, und schildert die Geschehnisse um den Raub 260–268

Innehalten der Ceres, dann Aufbruch in den Olymp

269–331 Vergeblicher Auftritt der Ceres vor den Göttern; Rückkehr nach Sizilien 269–291 wütende Angriffsrede der Ceres (insbesondere gegen Venus, Minerva und Diana) 292–294 Schweigen und Tränen der Göttinnen 295–312 bittende Rede der Ceres (insbesondere an Latona) 313–329 Ceres’ einsamer Entschluss zur Suche nach ihrer Tochter 330–331 Rückkehr zum Aetna, um Fackeln zu besorgen 332–403 Ceres am Aetna: Rüsten für die Suche nach Proserpina 332–356 Ekphrasis des Jupiter heiligen Haines am Aetna mit den Beutestücken aus der Gigantenschlacht 357–403 Ceres sucht nach geeigneten Bäumen für ihre Fackeln, fällt zwei Zypressen und entzündet sie im Feuerschlund des Aetna

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Überblick über den Aufbau des Epos

404–448 Beginn von Ceres’ Suche nach Proserpina 404–437 Rede der Ceres: Klage über diese Art von Fackeln statt Hochzeitsfackeln; Kurzverweis auf die Macht des Schicksals; Bestimmung ihres Eigenwertes über die Existenz und Pracht der Tochter, nun über deren Verlust; Kurzverweis auf den Beschluss Jupiters; Selbstzuschreibung der (Mit)schuld am Raub; gedankliches Durchspielen ihrer Suche zu Wasser und zu Lande 438–448 Beginn der Suche auf den Hängen des Aetna (am Ort des Raubes) bis hin zur Meerenge von Sizilien [Hier bricht das Epos ab.]

CLAUDII CLAUDIANI DE RAPTU PROSERPINAE

CLAUDIUS CLAUDIANUS DER RAUB DER PROSERPINA

CLAUDII CLAUDIANI DE RAPTU PROSERPINAE LIBRI PRIMI PRAEFATIO Inventa secuit primus qui nave profundum et rudibus remis sollicitavit aquas, qui dubiis ausus committere flatibus alnum quas natura negat praebuit arte vias, tranquillis primum trepidus se credidit undis litora securo tramite summa legens; mox longos temptare sinus et linquere terras et leni coepit pandere vela Noto; ast ubi paulatim praeceps audacia crevit cordaque languentem dedidicere metum, iam vagus inrumpit pelago caelumque secutus Aegaeas hiemes Ioniumque domat.

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DE RAPTU PROSERPINAE LIBER PRIMUS Inferni raptoris equos adflataque curru sidera Taenario caligantesque profundae Iunonis thalamos audaci promere cantu mens concussa iubet. gressus removete, profani. iam furor humanos nostro de pectore sensus expulit et totum spirant praecordia Phoebum; iam mihi cernuntur trepidis delubra moveri sedibus et claram dispergere limina lucem adventum testata dei; iam magnus ab imis auditur fremitus terris templumque remugit Cecropium sanctasque faces extollit Eleusis. angues Triptolemi stridunt et squamea curvis colla levant adtrita iugis lapsuque sereno erecti roseas tendunt ad carmina cristas.

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DER RAUB DER PROSERPINA VORWORT ZUM ERSTEN BUCH (1) Derjenige, der zuerst mit dem Schiff, kaum war es erfunden, die Tiefen des Meeres durchschnitt und mit noch klobigen Rudern das Wasser aufwühlte, der es wagte, das Erlenholz unberechenbaren Windstößen auszusetzen, und mit seiner Erfindungsgabe Wege erschloss, die die Natur verwehrt, (5) vertraute zunächst noch voll Angst ruhigen Wogen sich an und wählte in sicherem Kurs die Nähe der Küste. Bald aber begann er, lang gezogene Buchten zu queren, das Festland zurückzulassen und die Segel im sanften Südwind zu hissen. Als aber seine verwegene Kühnheit allmählich wuchs (10) und sein Herz die lähmende Furcht vergaß, brach er von da an bald hierhin und dorthin kreuzend in das offene Meer auf, und dem Sternenhimmel folgend bezwang er die Aegeischen Stürme und die Ionische See1.

ERSTES BUCH (1) Inspiriert drängt mein Geist mich, in kühnem Gesang zu künden von den Pferden des Entführers2 aus der Unterwelt und den Sternen, die vom Pesthauch seines Taenarischen Gespanns3 angeweht wurden, und von dem düsteren Brautbett der Königin4 der Unterwelt. Tretet zurück, ihr, die ihr nicht eingeweiht seid! (5) Schon hat göttliche Raserei alle menschlichen Empfindungen aus meiner Brust vertrieben und mein Innerstes ist beseelt von Phoebus5 in all seiner Stärke; schon sehe ich den Tempel schwankend in seinen Grundfesten erzittern und seine Schwellen ein helles Licht ausstrahlen, die Ankunft der Gottheit bezeugend6. Schon ist von tief unter der Erde ein gewaltiges Tosen zu hören, (10) der kekropische Tempel erdröhnt und Eleusis erhebt die geweihten Fackeln7. Triptolemus’8 Schlangen zischen, recken ihre schuppigen, vom gebogenen Joch abgescheuerten Hälse und wiegen, aufgerichtet in heiterem Reigen, ihre rosigen Kämme zu den Liedern.

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Liber primus

ecce procul ternis Hecate variata figuris exoritur levisque simul procedit Iacchus crinali florens hedera, quem Parthica velat tigris et auratos in nodum colligit ungues; ebria Maeonius firmat vestigia thyrsus. di, quibus innumerum vacui famulatur Averni vulgus iners, opibus quorum donatur avaris quidquid in orbe perit, quos Styx liventibus ambit interfusa vadis et quos fumantia torquens aequora gurgitibus Phlegethon perlustrat anhelis: vos mihi sacrarum penetralia pandite rerum et vestri secreta poli: qua lampade Ditem flexit Amor; quo ducta ferox Proserpina raptu possedit dotale Chaos quantasque per oras sollicito genetrix erraverit anxia cursu; unde datae populis fruges et glande relicta cesserit inventis Dodonia quercus aristis. dux Erebi quondam tumidas exarsit in iras proelia moturus superis quod solus egeret conubiis sterilesque diu consumeret annos inpatiens nescire torum nullasque mariti inlecebras nec dulce patris cognoscere nomen. iam quaecumque latent ferali monstra barathro in turmas aciemque ruunt contraque Tonantem coniurant Furiae, crinitaque sontibus hydris Tisiphone quatiens infausto lumine pinum armatos ad castra vocat pallentia Manes. paene reluctatis iterum pugnantia rebus rupissent elementa fidem penitusque revulso carcere laxatis pubes Titania vinclis vidisset caeleste iubar rursusque cruentus Aegaeon positis aucto de corpore nodis obvia centeno vexasset fulmina motu. sed Parcae vetuere minas orbique timentes ante pedes soliumque ducis fudere severam

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(15) Siehe, von weitem erscheint Hekate9 in ihrer dreifachen Gestalt und zugleich mit ihr schreitet heran der jugendliche Iacchus10, mit efeugeschmücktem Haar und gehüllt in ein parthisches Tigerfell, dessen vergoldete Klauen zu einem Knoten verknüpft sind. Seinen trunkenen Schritten gibt der Maeonische Thyrsusstab Halt. (20) Ihr Götter, denen die zahllose träge Menge des leeren Avernus11 dient, ihr, deren gierigem Machtbereich alles zufällt, was auch immer auf Erden vergeht, ihr, welche die Styx sich dahinwindend mit bleifarbenen Furten umgibt und der Phlegethon umfließt12, indem er dampfendes Wasser mit heißen Strudeln aufwirbelt: Eröffnet mir euer heiliges Innerstes und die Geheimnisse eurer Welt: mit welcher Fackel Amor den Dis13 umstimmte; wie die tapfere Proserpina geraubt wurde und das Chaos als Mitgift in Besitz nahm, und wie viele Länder ihre Mutter ängstlich in besorgtem Lauf durchirrte; (30) woher den Völkern die Feldfrüchte gegeben wurden und wie die Dodonische Eiche, weil man ihre Eicheln vernachlässigte, an Bedeutung verlor gegenüber den neu entdeckten Ähren14. Des Erebus Herrscher15 entbrannte einst in heftigem Zorn, gewillt mit den Göttern der Oberwelt Krieg anzuzetteln, weil er als einziger ehelos sei und lange schon unfruchtbare Jahre dahinbrächte. (35) Denn nicht länger wollte er es hinnehmen, kein Ehebett zu kennen, keine Verlockungen eines Gatten und nicht den süßen Ruf ‚Vater‘ zu hören. Schon formierten sich eilig alle Ungeheuer, die im Abgrund der Toten lauern, zu Truppen und Schlachtreihen. Auch die Furien verschworen sich gegen den Donnerer Jupiter16. Tisiphone17 mit Haaren aus Unheil bringenden Schlangen (40) schwang ihre Pinienfackel mit unseligem Licht und rief die Totengeister bewaffnet zum bleichen Heerlager. Beinahe hätten die Urelemente, erneut im Kampf mit der sich widersetzenden Materie, das Bündnis gebrochen und beinahe hätte die titanische Schar18, wäre der Kerker ganz aufgerissen und die Fesseln gelöst worden, (45) das Licht des Himmels gesehen. Beinahe hätte der furchtbare Aegaeon19 sich durch ein Anspannen seines Körpers der Fesseln wieder entledigt und die Blitze gegen ihn mit einer Bewegung seiner hundert Hände abgewehrt. Doch die Parzen 20 wandten sich gegen die Drohung, warfen in Furcht um die Welt ihr strenggraues Haar zu Füßen des Herrschers vor seinem Throne nieder (50) und griffen mit ihren Händen unter flehendem

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Liber primus

canitiem genibusque suas cum supplice fletu admovere manus: quarum sub iure tenentur omnia, quae seriem fatorum pollice ducunt longaque ferratis evolvunt saecula fusis. prima fero Lachesis clamabat talia regi incultas dispersa comas: ‘o maxime noctis arbiter umbrarumque potens, cui nostra laborant stamina, qui finem cunctis et semina praebes nascendique vices alterna morte rependis, qui vitam letumque regis (nam quidquid ubique gignit materies, hoc te donante creatur debeturque tibi, certisque ambagibus aevi rursus corporeos animae mittuntur in artus): ne pete firmatas pacis dissolvere leges quas dedimus nevitque colus, neu foedera fratrum civili converte tuba. cur inpia tollis signa? quid incestis aperis Titanibus auras? posce Iovem; dabitur coniunx.’ vix ille pepercit erubuitque preces animusque relanguit atrox quamvis indocilis flecti: ceu turbine rauco cum gravis armatur Boreas, glacieque nivali hispidus et Getica concretus grandine pinnas †flare cupit† pelagus silvas camposque sonoro flamine rapturus; si forte adversus aenos Aeolus obiecit postes, vanescit inanis impetus et fractae redeunt in claustra procellae. tum Maia genitum, qui fervida dicta reportet, imperat acciri. Cyllenius adstitit ales somniferam quatiens virgam tectusque galero. ipse rudi fultus solio nigraque verendus maiestate sedet: squalent inmania foedo sceptra situ; sublime caput maestissima nubes asperat et dirae riget inclementia formae; terrorem dolor augebat. tum talia celso ore tonat (tremefacta silent dicente tyranno atria; latratum triplicem conpescuit ingens ianitor et presso lacrimarum fonte resedit

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Klagen nach seinen Knien: Händen, in deren Entscheidung doch alles liegt, die mit ihren Daumen die Abfolge der Schicksale lenken und von eisenbeschlagenen Spindeln lange Jahrhunderte herabgleiten lassen. Zuerst rief Lachesis anklagend, ihr Haar ungekämmt und offen, dem grausamen König zu: (55) „Oh du größter Gebieter der Finsternis und Herr über die Schatten, für den unsere Spindeln arbeiten, der du allen das Ende setzt und den Beginn, der du im Wechsel das Entstehen jeweils mit dem Tode aufwiegst, der du über Leben und Sterben gebietest (denn was auch immer die Materie irgendwo hervorbringt, (60) dir verdankt es sein Dasein und steht in deiner Schuld, und nach bestimmten Fristen werden die Seelen erneut ins Gefüge der Körper entsandt21): Versuche nicht, die besiegelten Gesetze des Friedens aufzukündigen, die wir gaben und die der Spinnrocken spann, zerstöre auch nicht das Bündnis der Brüder22 durch das Trompetensignal zu einem Bürgerkrieg. (65) Warum erhebst du frevlerische Kriegsstandarten? Weshalb öffnest du den gottlosen Titanen den Weg zur Oberwelt? Wende dich an Jupiter; dir wird sicher eine Gattin gegeben.“ Mit Mühe nur hielt er sich zurück, errötete über die Bitten und sein zorniges Gemüt wurde milder, auch wenn es sich zu beugen nicht gewohnt war: Wie wenn mit tosendem Wirbelsturm (70) Boreas schwer sich rüstet und, ganz rau vom Wintereis, die Flügel verkrustet von getischem Hagel, losstürmen will, um das Meer, die Wälder und Felder mit brausendem Wehen aufzuwühlen – wenn dann Aeolus plötzlich die ehernen Türflügel ihm in den Weg gestellt hat, verpufft nichtig der Ansturm (75) und gebrochen kehren zurück die Stürme hinter den Riegel23. Sogleich befahl er, den Sohn der Maia herbeizuholen, damit er die hitzigen Worte überbringe. Geflügelt erschien der kyllenische Gott24, seinen Stab, der Schlaf gewährt, schwenkend und den Kopf bedeckt mit der Kappe. Dis selbst aber saß da, auf den grobschlächtigen Thron gestützt und Furcht gebietend in seiner finsteren Herrschaftlichkeit: (80) Das riesige Szepter war schmutzig von abblätterndem Rost; eine Wolke von trauriger Schwermut verdüsterte sein erhabenes Haupt und die Unbeugsamkeit seiner abweisenden Erscheinung ließ ihn starr wirken. Sein Schmerz verschlimmerte noch den schrecklichen Anblick. Dann donnerte er folgende Worte aus stolzem Munde (Erzitternd verstummten bei der Rede ihres Herrschers die Bewohner der Unterwelt. (85) Sogar der gewaltige Türhüter unterdrückte sein dreifaches Bellen und

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Cocytos tacitisque Acheron obmutuit undis et Phlegethonteae requierunt murmura ripae): ‘Atlantis Tegeaee nepos, commune profundis et superis numen, qui fas per limen utrumque solus habes geminoque facis commercia mundo, i celer et proscinde Notos et iussa superbo redde Iovi: “tantumne tibi, saevissime frater, in me iuris erit? sic nobis noxia vires cum caelo fortuna tulit? num robur et arma perdidimus, si rapta dies? an forte iacentes ignavosque putas quod non Cyclopia tela stringimus aut vanas tonitru deludimus auras? nonne satis visum grati quod luminis expers tertia supremae patior dispendia sortis informesque plagas, cum te laetissimus ornet Signifer et vario cingant splendore Triones, sed thalamis etiam prohibes? Nereia glauco Neptunum gremio conplectitur Amphitrite; te consanguineo recipit post fulmina fessum Iuno sinu. quid enim narrem Latonia furta, quid Cererem magnamque Themin? tibi tanta creandi copia; te felix natorum turba coronat. ast ego deserta maerens inglorius aula inplacidas nullo solabor pignore curas? non adeo toleranda quies. primordia testor noctis et horrendae stagna intemerata paludis: si dictis parere negas, patefacta ciebo Tartara, Saturni veteres laxabo catenas, obducam tenebris solem, conpage soluta lucidus umbroso miscebitur axis Averno.’” vix ea fatus erat, iam nuntius astra tenebat. audierat mandata Pater secumque volutat diversos ducens animos, quae tale sequatur coniugium Stygiosque velit pro sole recessus. certa requirenti tandem sententia sedit.

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Cocytus senkte ruhig sich nieder, weil seine Quelle aus Tränen versiegte, der Acheron verstummte mit still gewordenen Wogen, und auch des Phlegethon Ufer ließen ab von ihrem Getöse)25: „Tegeäischer Enkel des Atlas26, zugleich der Unter- und Oberwelt zugehörige Gottheit, (90) der du als einziger das Recht hast über jede der Schwellen zu gehen und den Verkehr zwischen beiden Welten aufrecht erhältst, eile schnell und durchschneide die Winde und überbringe mein Geheiß dem so stolzen Jupiter: ‚Hast du, grausamster Bruder, denn immer soviel Gewalt über mich? Hat mir auf diese Weise Fortuna mit dem Himmel zu Unrecht die Macht auch genommen? (95) Sicher habe ich doch meine Kraft und die Waffen nicht verloren, wenn auch geraubt ist das Tageslicht? Oder hältst du mich vielleicht für ohnmächtig und feige, weil ich keine von Kyklopen geschmiedeten Blitze schleudere oder die leeren Lüfte mit Donner verspotte? Scheint es dir nicht genug, dass fern von wohltuendem Licht (100) ich die Nachteile des dritten und letzten Loses27 erdulde und die hässlichen Gefilde, während dich der so heitere Tierkreis schmückt und die Trionen28 mit flimmerndem Glanz umgürten: Musst du mir sogar die Ehe verweigern? In meerblauem Schoß umfängt den Neptun Amphitrite, Tochter des Nereus; (105) dich drückt, wenn du erschöpft bist vom Blitze Schleudern, Juno an ihren schwesterlichen Busen. Was soll ich noch berichten vom Liebesverhältnis mit Latona, von Ceres oder der großen Themis29? Du hast so viele Gelegenheiten, Nachwuchs zu zeugen; dich umringt eine glückliche Schar von Kindern. Ich aber, im öden Palast ohne Ruhm dahintrauernd, (110) soll die drückenden Sorgen nicht durch ein Kind lindern dürfen? Diese Totenstille kann ich nicht länger ertragen! Beim Ursprung der Finsternis und den unberührten Flächen des grausigen Sumpfes schwöre ich30: Wenn du meinen Worten zu gehorchen dich weigerst, werde ich den Tartarus öffnen und anstacheln zum Kampf, ich werde die alten Fesseln des Saturn31 lösen (115) und die Sonne in Finsternis hüllen; wenn dann das Weltengefüge zerbrochen ist, wird der lichte Himmel sich mit dem schattenreichen Avernus vermischen.‘“ Kaum hatte er dies gesprochen, war sein Bote schon bei den Sternen. Der Göttervater hatte die Nachricht vernommen und erwog sie bei sich, noch unschlüssig, wer wohl in solch’ eine Ehe sich fügen (120) und die stygische Einsamkeit dem Sonnenlicht vorziehen würde. Wäh-

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Aetnaeae Cereri proles optata virebat unica nec tribuit subolem Lucina secundam fessaque post primos haeserunt viscera partus; infecunda quidem, sed cunctis altior extat matribus et numeri damnum Proserpina pensat. hanc fovet, hanc sequitur; vitulam non blandius ambit torva parens, pedibus quae nondum proterit arva nec nova lunatae curvavit germina frontis. iam vicina toro plenis adoleverat annis virginitas, tenerum iam pronuba flamma pudorem sollicitat mixtaque tremit formidine votum. personat aula procis: pariter pro virgine certant Mars clipeo melior, Phoebus praestantior arcu; Mars donat Rhodopen, Phoebus largitur Amyclas et Delon Clariosque lares; hinc aemula Iuno, hinc poscit Latona nurum. despexit utrumque flava Ceres raptusque timens (heu caeca futuri!) commendat Siculis furtim sua pignora terris [infidis Laribus natam commisit alendam aethera deseruit Siculasque relegat in oras] ingenio confisa loci. Trinacria quondam Italiae pars una fuit, sed pontus et aetas mutavere situm. rupit confinia Nereus victor et abscissos interluit aequore montes parvaque cognatas prohibent discrimina terras. nunc illam socia raptam tellure trisulcam opponit natura mari: caput inde Pachyni respuit Ionias praetentis rupibus iras; hinc latrat Gaetula Thetis Lilybaeaque pulsat bracchia consurgens; hinc indignata teneri concutit obiectum rabies Tyrrhena Pelorum. in medio scopulis se porrigit Aetna perustis,

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rend er darüber nachdachte, nahm sein Entschluss schließlich feste Gestalt an. Ceres vom Aetna32 besaß eine Tochter, lange ersehnt und nun schon in der Blüte der Jugend, ihre einzige, denn ein zweites Kind gewährte Lucina33 nicht, und erschöpft nach der ersten Geburt ermattete Ceres’ Leib. (125) Zwar war sie jetzt unfruchtbar, doch ragte sie heraus über alle Mütter und Proserpina wog die geringe Kinderzahl auf. Um diese Tochter sorgte sie sich und ihr folgte sie ständig; nicht schmeichelnder umläuft eine Mutterkuh scharf blickend ihr Kälbchen, das mit seinen Hufen die Felder noch nicht zertritt und die gerade knospenden Hörner noch nicht zum Sichelmond über der Stirn gekrümmt hat34. (130) Schon war Proserpina in der Fülle der Jahre herangereift und ihre Jungfräulichkeit dem Brautlager nahe, schon beunruhigte die Brautfackel ihre zarte Schamhaftigkeit und gemischt mit Ängstlichkeit pochte ihr Verlangen. Der Palast hallte wider von Freiern: zugleich warben um die Jungfrau Mars35 und Phoebus36, den einen empfahl sein Schild, den anderen sein Bogen; (135) Mars schenkte das Rhodope-Gebirge, Phoebus verteilte freigebig Amyklai, Delos und die Laren von Klaros; auf der einen Seite forderte Juno, ganz Rivalin, auf der anderen Latona sie als Schwiegertochter. Beide wies die blonde Ceres ab, und weil sie einen Raub nun fürchtete (wehe, wie blind für die Zukunft!), vertraute sie heimlich ihr Kind dem Sizilischen Land an, (140) [gab treulosen Laren die Tochter zur Obhut, verließ den Himmel und brachte sie zur Küste Siziliens], in vollem Vertrauen auf die natürliche Beschaffenheit des Ortes. Trinakria37 war einstmals ein Teil Italiens, doch Meer und Zeitenlauf änderten seine Lage. Nereus38 brach siegreich die Grenzlinie auf, (145) umspülte mit seinen Fluten die losgerissenen Berge, und dadurch hält ein schmaler Abstand die verwandten Landstriche voneinander getrennt. Die Natur setzt jetzt diese dem verbündeten Festland geraubte dreizackige Insel dem Meer aus: Auf der einen Seite lässt der Gipfel des Pachynus39 an seinen vorgelagerten Felsen den zornigen Ansturm des Ionischen Meeres abprallen; (150) auf der anderen heult das Gaetulische Meer40 auf und brandet, sich auftürmend, gegen die Ausläufer des Lilybaeischen Vorgebirges41; auf der dritten erschüttert das wilde Tyrrhenische Meer, erzürnt, aufgehalten zu werden, den Pelorus42, der sich ihm in den Weg stellt. In der Mitte erhebt sich der Aetna43 mit

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Aetna Giganteos numquam tacitura triumphos, Enceladi bustum, qui saucia terga revinctus spirat inexhaustum flagranti vulnere sulphur et quotiens detractat onus cervice rebelli in dextrum laevumque latus, tunc insula fundo vellitur et dubiae nutant cum moenibus urbes. Aetnaeos apices solo cognoscere visu, non aditu temptare licet. pars cetera frondet arboribus, nullo teritur cultore cacumen. nunc vomit indigenas nimbos piceaque gravatum foedat nube diem, nunc molibus astra lacessit terrificis damnisque suis incendia nutrit. sed quamvis nimio fervens exuberet aestu, scit nivibus servare fidem pariterque favillis: durescit glacies tanti secura vaporis, arcano defensa gelu, fumoque fideli lambit contiguas innoxia flamma pruinas. quae scopulos tormenta rotant? quae tanta cavernas vis glomerat? quo fonte ruit Vulcanius amnis? sive quod obicibus discurrens ventus opertis offenso rimosa furit per saxa meatu, dum scrutatur iter, libertatemque reposcens putria multivagis populatur flatibus antra; seu mare sulphurei ductum per viscera montis oppressis ignescit aquis et pondera librat. hic ubi servandum mater fidissima pignus abdidit, ad Phrygios tendit secura penates turrigeramque petit Cybelen sinuosa draconum membra regens, volucri qui pervia nubila tractu signant et placidis umectant frena venenis: frontem crista tegit; pingunt maculosa virentes terga notae; rutilum squamis intermicat aurum. nunc spiris Zephyros tranant, nunc arva volatu inferiore secant. cano rota pulvere labens

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seinen durchglühten Felsen, der Aetna, der die Triumphe über die Giganten44 niemals verschweigen wird, (155) Todesstätte des Enceladus45: Dieser lässt, am verwundeten Rücken gefesselt, aus seiner Brandwunde ununterbrochen Schwefel ausströmen, und immer wenn er die Last auf seinem rebellischen Nacken nach links oder rechts verlagert, wird die Insel von Grund auf erschüttert und schwankend wanken die Städte samt ihren Mauern. (160) Nur vom Anblick her kann man die Gipfel des Aetna erkennen, nicht aber im Aufstieg erkunden. Der untere Teil ist mit Bäumen begrünt, die Spitze jedoch ist von noch keinem Bauern betreten46. Mal speit er im Inneren entstandene Wolken hervor und entstellt das vom pechschwarzen Staub verfinsterte Tageslicht, dann wieder fordert er mit schrecklichem Steinhagel die Sterne heraus (165) und nährt den Brand durch eigene Zerstörung. Doch obwohl er in stärkster Hitze erglüht und überquillt, weiß er den Schneemassen die Treue zu halten und gleichermaßen der glimmenden Asche: Hartes Eis entsteht, ungeachtet solch heißen Dampfes, von verborgener Kälte geschützt, und mit beständigem Rauch (170) umzüngelt die Flamme ohne zu schaden den angrenzenden Schnee. Welche Geschütze schleudern denn sogar Felsen? Welche ungeheure Kraft ballt Höhlen zusammen47? Aus welcher Quelle entspringt der Vulkanische Strom48? Mag sein, dass Wind, der zwischen verschlossenen Felswänden hin- und herpfeift, in immer wieder gestopptem Lauf durch rissiges Gestein wütet (175) auf der Suche nach einem Ausweg und – seine Freiheit zurückfordernd – brüchige Höhlen verwüstet mit seinem wirbelnden Wehen; oder aber, dass Meerwasser, welches eingedrungen ist ins Spaltensystem des schwefligen Berges, durch den Druck auf das Wasser in Brand gerät und die Steinmassen hinaufschleudert49. Sobald die so fürsorgliche Mutter ihr Kind an diesem Platz versteckt hatte, um es zu schützen, (180) nahm sie beruhigt den Weg in ihre phrygische Heimat und suchte die turmgekrönte Kybele50 auf. Sie lenkte die gekrümmten Leiber der Drachen, die in geschwindem Flug ihre Spur durch die offenen Wolken zogen und das Zaumzeug mit ungefährlichem Gift benetzten: ihre Stirn bedeckte ein Kamm, grünliche Zeichen schmückten ihren gesprenkelten Rücken (185) und zwischen den Schuppen funkelte rötliches Gold. Mal durchquerten sie in Spiralen die Zephyrwinde, mal furchten sie die Felder in tieferem Flug. Das

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sulcatam fecundat humum: flavescit aristis orbita; surgentes condunt vestigia fruges; vestit iter comitata seges. iam linquitur Aetna totaque decrescit refugo Trinacria visu. heu quotiens praesaga mali violavit oborto rore genas, quotiens oculos ad tecta retorsit talia voce movens: ‘salve, gratissima tellus, quam nos praetulimus caelo: tibi gaudia nostri sanguinis et caros uteri commendo labores. praemia digna manent: nullos patiere ligones et nullo rigidi versabere vomeris ictu; sponte tuus florebit ager; cessante iuvenco ditior oblatas mirabitur incola messes.’ sic ait et fulvis tetigit serpentibus Idam. hic sedes augusta deae templique colendi religiosa silex, densis quam pinus opacat frondibus et nulla lucos agitante procella stridula coniferis modulatur carmina ramis. terribiles intus thiasi vaesanaque mixto concentu delubra gemunt; ululatibus Ide bacchatur; tumidas inclinant Gargara silvas. postquam visa Ceres, mugitum tympana frenant; conticuere chori; Corybas non impulit ensem; non buxus, non aera sonant blandasque leones summisere iubas. adytis gavisa Cybele exilit et pronas intendit ad oscula turres. viderat haec dudum summa speculatus ab arce Iuppiter ac Veneri mentis penetralia nudat: ‘curarum, Cytherea, tibi secreta fatebor. candida Tartareo nuptum Proserpina regi iam pridem decreta dari; sic Atropos urget, sic cecinit longaeva Themis. nunc matre remota rem peragi tempus. fines invade Sicanos et Cereris prolem patulis inludere campis, crastina puniceos cum lux detexerit ortus,

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in aschgrauem Staub dahingleitende Rad befruchtete den gefurchten Boden51: Gelb wurde von Ähren die Radspur. Aufstrebendes Getreide verbarg die Spuren (190) und die Saat im Gefolge verzierte den Weg. Schon wurde der Aetna zurückgelassen und ganz Sizilien verschwand aus ihrem sich entfernenden Blick. Ach, wie oft brach sie, das Unheil vorausahnend, in Tränen aus und entstellte so ihre Wangen, wie oft wandte sie ihre Augen zu dem Wohnsitz zurück und sprach dabei: „Lebe wohl, geliebteste Erde, (195) lieber mir noch als der Himmel. Dir vertraue ich die Tochter an, die Freude meines Blutes und kostbare Mühe meines Leibes. Würdige Belohnung erwartet dich: Du wirst keine Hacken erdulden und durch keinen Druck der starren Pflugschar gewendet werden. Von sich aus wird dein Acker erblühen; obwohl der Zugstier rastet, (200) wird der Bauer, nun reicher, die ohne Zutun entstandenen Ernten bewundern.“ So sprach sie und berührte mit ihren rotgelben Drachen bereits das Idagebirge. Hier war der erhabene Sitz der Kybele und der Kultstein52 ihres verehrungswürdigen Tempels, den eine Pinie mit dichtem Nadelwerk beschattete. Und obwohl kein Sturmwind den Hain bewegte, (205) brachte sie mit ihren Zapfen tragenden Zweigen schrille Lieder hervor. Wilde kultische Scharen tanzten ekstatisch darin und irre geworden dröhnte der heilige Bezirk vom vermischten Gesang. Mit Geheul feierte bacchantisch das Idagebirge; Gargara53 neigte im Takt seine aufbrausenden Wälder. Kaum war Ceres erschienen, mäßigten die Handpauken ihr Dröhnen, (210) die Chöre verstummten, der KybelePriester ließ sein Schwert ruhen; weder Buchsbaumflöten noch Bronzepauken ertönten mehr und die Löwen senkten schmeichelnd ihre Mähnen54. Erfreut sprang Kybele aus dem Tempelinneren hervor und bot ihr turmgekröntes Haupt vorgeneigt zum Kuss. Dies hatte Jupiter schon lange beobachtet, von der Spitze seiner Burg herabschauend, (215) und offenbarte nun Venus seine tiefsten Gedanken: „Meine geheimen Sorgen will ich dir, Cytherea55, bekennen. Schon längst ist beschlossen, die strahlende Proserpina dem Herrscher des Tartarus zur Frau zu geben; darauf drängt Atropos, so hat es geweissagt die langlebige Themis56. Nun ist, da die Mutter sich entfernt hat, Gelegenheit, die Sache zu vollenden. (220) Begib dich nach Sizilien und bringe das Kind der Ceres dazu, auf offenem Feld zu spielen, wenn der morgige Tag seine purpurne Dämmerung abgelegt hat,

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coge tuis armata dolis, quibus urere cuncta, me quoque saepe soles. cur ultima regna quiescunt? nulla sit immunis regio nullumque sub umbris pectus inaccensum Veneri. iam tristis Erinys sentiat ardores; Acheron Ditisque severi ferrea lascivis mollescant corda sagittis.’ adcelerat praecepta Venus iussuque parentis Pallas et inflexo quae terret Maenala cornu addunt se comites. divino semita gressu claruit, augurium qualis laturus iniquum praepes sanguineo delabitur igne cometes prodigiale rubens: non illum navita tuto, non inpune vident populi, sed crine minaci nuntiat aut ratibus ventos aut urbibus hostes. devenere locum, Cereris quo tecta nitebant Cyclopum formata manu: stant ardua ferro moenia, ferrati postes, inmensaque nectit claustra chalybs. nullum tanto sudore Pyragmon nec Steropes construxit opus; non talibus umquam spiravere Notis animae nec flumine tanto incoctum maduit lassa fornace metallum. atria cingit ebur; trabibus solidatur aenis culmen et in celsas surgunt electra columnas. ipsa domum tenero mulcens Proserpina cantu inrita texebat rediturae munera matri. hic elementorum seriem sedesque paternas insignibat acu, veterem qua lege tumultum discrevit Natura parens et semina iustis discessere locis: quidquid leve, fertur in altum; in medium graviora cadunt; incanduit aer; egit flamma polum; fluxit mare; terra pependit. nec color unus inest: stellas accendit in auro, ostro fundit aquas. attollit litora gemmis filaque mentitos iamiam caelantia fluctus arte tument. credas inlidi cautibus algam et raucum bibulis inserpere murmur harenis.

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bring sie dazu, mit deinen Listen bewaffnet, mit denen du alles zu entflammen pflegst, sogar mich schon mehrere Male. Warum bleibt der unterste Herrschaftsbereich noch verschont? (225) Keine Gegend sei unbehelligt und kein Herz unter den Schatten nicht von Venus in Liebe entflammt. Ab jetzt soll auch die grimmige Erinnye57 das Feuer der Liebe fühlen; der Acheron und das eiserne Herz des grausamen Dis sollen erweicht werden durch die lüsternen Pfeile58.“ Eilig ging Venus daran, seine Befehle auszuführen und auf Geheiß des Vaters (230) gesellten sich ihr als Gefährtinnen Pallas59 und jene hinzu, die mit gekrümmtem Bogen den Maenalus in Schrecken versetzt60. Vom Schritt der Göttinnen erstrahlte der Pfad, so wie ein Komet, ein ungünstiges Omen anzeigend, eilig mit blutrotem Streif herabgleitet, unheilvoll flammend: nicht ungefährdet sieht ihn ein Seemann, (235) nicht ungestraft sehen ihn die Völker, sondern mit drohendem Schweif verkündet er entweder Stürme den Schiffen oder Feinde den Städten. Sie erreichten den Ort, wo der Palast der Ceres erstrahlte, geschaffen von Hand der Kyklopen: Steil aufragend aus Eisen standen die Mauern, eisenbeschlagen war die Tür, und Stahl fügte zusammen das gewaltige Schloss. (240) Kein Werk hatten Pyragmon oder Steropes61 mit soviel Schweiß geschaffen; niemals hatten mit solchem Hochdruck die Blasebälge gearbeitet, noch war in so großem Schmelzfluss rohes Metall im fast überlasteten Ofen flüssig geworden. Elfenbein täfelte die Halle; mit bronzenen Balken war der Dachfirst gestützt (245) und Elektron62 erhob sich zu hoch aufragenden Säulen. Proserpina selbst erfüllte das Haus mit zartem Gesang und webte vergeblich ein Geschenk für die Rückkehr der Mutter. Darin kennzeichnete sie die Abfolge der Elemente und ihres Vaters Wohnsitz mit einer Nadel, und nach welchem Gesetz Mutter Natur das Ur-Chaos ordnete (250) und die Ursprünge der Dinge ihren je vorgesehenen Platz einnahmen63: Alles, was leicht war, wurde nach oben gehoben, das Schwerere fiel in die Mitte; der Aether erglänzte; Feuer setzte den Himmel in Bewegung; das Meer strömte; die Erde hing schwebend64. Auch gab es nicht nur einen Farbton: Sterne ließ sie in Gold aufleuchten, (255) Wasser in Purpur fließen. Küsten hob sie mit Edelsteinen hervor, und Fäden, welche gleich täuschend echte Wogen formten, schwollen durch ihre Kunstfertigkeit an. Man könnte glauben, dass Seetang an Riffe geschleudert wird und ein dumpfes Murmeln auf durstigem Sand

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addit quinque plagas: mediam subtegmine rubro obsessam fervore notat; squalebat inustus limes et adsiduo sitiebant stamina sole; vitales utrimque duas, quas mitis oberrat temperies habitanda viris; tum fine supremo torpentes traxit geminas brumaque perenni foedat et aeterno contristat frigore telas. nec non et patrui pingit sacraria Ditis fatalesque sibi Manes; nec defuit omen, praescia nam subitis maduerunt fletibus ora. coeperat et vitreis summo iam margine texti Oceanum sinuare vadis; sed cardine verso cernit adesse deas inperfectumque laborem deserit et niveos infecit purpura vultus per liquidas succensa genas castaeque pudoris inluxere faces: non sic decus ardet eburnum Lydia Sidonio quod femina tinxerit ostro. merserat unda diem; sparso nox umida somno languida caeruleis invexerat otia bigis, iamque viam Pluto superas molitur ad auras germani monitu. torvos invisa iugales Allecto temone ligat, qui pascua mandunt Cocyti pratisque Erebi nigrantibus errant stagnaque tranquillae potantes marcida Lethes aegra soporatis spumant oblivia linguis: Orphnaeus crudele micans Cthoniusque sagitta ocior et Stygii sublimis gloria Nycteus armenti Ditisque nota signatus Alastor. stabant ante fores iuncti saevumque fremebant crastina venturae spectantes gaudia praedae.

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dahinkriecht. Fünf Erdzonen fügte sie hinzu: Die mittlere, von Hitze geprägte, markierte sie mit rötlichem Einschlag; (260) krustig war der Landstrich, völlig versengt, und von steter Sonneneinstrahlung dürsteten seine Fäden. Auf beiden Seiten davon lagen die zwei Erdzonen voller Leben, wo ein angenehmes Klima, bewohnbar für Menschen, herrschte. Dann gestaltete sie an den äußersten Enden zwei starrende Erdzonen, verunstaltete das Gewebe mit andauerndem Frost (265) und stimmte es düster in ewiger Kälte. Auch die heilige Wohnstätte ihres Onkels Dis stellte sie dar und die Manen, ihr Schicksal65. Nicht fehlte es an einem Vorzeichen, denn die Zukunft vorausahnend wurde ihr Gesicht plötzlich nass von Tränen. Sie hatte sogar schon begonnen, am äußersten Rande des Stoffes (270) den Ozean mit seinen glasklaren Wellen zu krümmen – aber durch das Knarren der Tür sah sie, dass die Göttinnen eintraten, und ließ ab von dem noch unvollendeten Werk. Röte färbte das schneeweiße Gesicht, sich über ihre reinen Wangen ausbreitend, und sie leuchteten als Fackeln keuscher Scham: Nicht einmal Elfenbeinschmuck glänzt so, (275) den eine Lyderin in sidonischem Purpur66 gefärbt hat. Das Meer hatte den Tag bereits versinken lassen. Die taufeuchte Nacht hatte, Schlaf verbreitend, träge Ruhe auf ihrem blauschwarzen Wagen67 herbeigeführt, und schon machte Pluto sich auf den Weg in die Oberwelt, dem Willen des Bruders entsprechend. Die verhasste Allekto68 schirrte das grimmige Pferdegespann an die Deichsel, (280) das immer auf den Weiden des Cocytus grast und auf den schwärzlichen Wiesen des Erebus umherschweift 69. Und weil sie das brackige Wasser des trägen Lethestromes70 trinken, schäumen sie aus ihren einschläfernden Mäulern lähmendes Vergessen: Orphnaeus, grausam funkelnd, und Cthonius, schneller als ein Pfeil, (285) und der erhabene Stolz der stygischen Herde, Nycteus, und der das Zeichen des Dis trägt, Alastor71. Angeschirrt standen sie vor der Tür und wieherten wild, konnten die Freuden der kommenden Beute am folgenden Tag kaum erwarten.

DE RAPTU PROSERPINAE LIBRI SECUNDI PRAEFATIO Otia sopitis ageret cum cantibus Orpheus neclectumque diu deposuisset ebur, lugebant erepta sibi solacia Nymphae, quaerebant dulces flumina maesta modos. saeva feris natura redit metuensque leonem inplorat citharae vacca tacentis opem. illius et duri flevere silentia montes silvaque Bistoniam saepe secuta chelyn. sed postquam Inachiis Alcides missus ab Argis Thracia pacifero contigit arva pede diraque sanguinei vertit praesepia regis et Diomedeos gramine pavit equos, tum patriae festo laetatus tempore vates desuetae repetit fila canora lyrae et resides levi modulatus pectine nervos pollice festivo nobile duxit opus. vix auditus erat; venti frenantur et undae, pigrior adstrictis torpuit Hebrus aquis, porrexit Rhodope sitientes carmina rupes, excussit gelidas pronior Ossa nives; ardua nudato descendit populus Haemo et comitem quercum pinus amica trahit, Cirrhaeasque dei quamvis despexerit artes, Orpheis laurus vocibus acta venit. securum blandi leporem fovere Molossi vicinumque lupo praebuit agna latus. concordes varia ludunt cum tigride dammae, Massylam cervi non timuere iubam. ille novercales stimulos actusque canebat Herculis et forti monstra subacta manu, qui timidae matri pressos ostenderit angues intrepidusque fero riserit ore puer:

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VORWORT ZUM ZWEITEN BUCH Als Orpheus72 sich Ruhe gönnte, seine Gesänge eingeschlummert waren und er schon lange die Elfenbein-Lyra achtlos beiseitegelegt hatte, trauerten die Nymphen um den ihnen entrissenen Trost, verlangten die traurigen Flüsse nach den lieblichen Weisen. (5) Die wilde Natur erwachte wieder in den Tieren und voller Furcht vor dem Löwen erflehte die Kuh die Hilfe der schweigenden Kithara. Auch die schroffen Berge beweinten des Orpheus Schweigen, und der Wald, der oft seiner thrakischen Lyra gefolgt war. Aber nachdem der Alkide73, vom Inachischen Argos entsandt, (10) mit seinem Frieden bringenden Schritt das thrakische Land erreicht und die grausigen Futterkrippen des blutrünstigen Königs abgeschafft hatte und des Diomedes74 Pferde nun Gras fressen ließ, da griff der Sänger erneut, über das Glück seiner Heimat erfreut, nach den klingenden Saiten seiner entwöhnten Lyra. (15) Und indem er mit glattem Plektrum die lange untätigen Sehnen anschlug, ließ er mit festlichem Fingerspiel ein ruhmvolles Lied erklingen. Kaum hatte man ihn vernommen, da zügelten sich die Winde und Wellen, der Hebrus75 erstarrte, ganz träge vom gefrorenen Wasser. Das RhodopeGebirge streckte seine nach Liedern dürstenden Felsen hervor, (20) der Ossa76 schüttelte, vornüber sich neigend, den eisigen Schnee ab. Von den danach kahlen Hängen des Haemus77 stieg die hoch aufragende Pappel herab und die Kiefer, freundlich gesonnen, zog als Gefährtin mit sich die Eiche; auch der Lorbeer, obwohl er die Künste des delphischen Gottes verschmäht hatte78, kam von der Stimme des Orpheus angezogen herbei. (25) Molosserhunde79 liebkosten schmeichelnd den sorglosen Hasen und das Lamm bot dem Wolf anschmiegsam seine Seite. Einträchtig spielten Rehe mit der gestreiften Tigerin, Hirsche fürchteten sich nicht mehr vor der Mähne des afrikanischen Löwen. Orpheus besang die listenreichen Aufträge der Stiefmutter80 für Herkules und des Herkules’ Taten81, (30) die von starker Hand unterworfenen Ungeheuer; wie er seiner ängstlichen Mutter die erwürgten Schlangen vorzeigte und, noch ein Kleinkind, mit wilder Miene unerschrocken lächelte:

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Liber secundus

‘te neque Dictaeas quatiens mugitibus urbes taurus nec Stygii terruit ira canis, non leo sidereos caeli rediturus ad axes, non Erymanthei gloria montis aper. solvis Amazonios cinctus, Stymphalidas arcu adpetis, occiduo ducis ab orbe greges tergeminique ducis numerosos deicis artus et totiens uno victor ab hoste redis. non cadere Antaeo, non crescere profuit Hydrae, nec cervam volucres eripuere pedes. Caci flamma perit, rubuit Busiride Nilus, prostratis maduit nubigenis Pholoe. te Libyci stupuere sinus, te maxima Tethys horruit, inposito cum premerere polo: firmior Herculea mundus cervice pependit; lustrarunt umeros Phoebus et astra tuos.’ Thracius haec vates. sed tu Tirynthius alter, Florentine, mihi: tu mea plectra moves antraque Musarum longo torpentia somno excutis et placidos ducis in orbe choros.

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DE RAPTU PROSERPINAE LIBER SECUNDUS Inpulit Ionios praemisso lumine fluctus nondum pura dies; tremulis vibratur in undis ardor et errantes ludunt per caerula flammae. iamque audax animi fidaeque oblita parentis fraude Dionaea riguos Proserpina saltus (sic Parcae volvere) petit. ter cardine verso praesagum cecinere fores; ter conscia fati flebile terrificis gemuit mugitibus Aetna. nullis illa tamen monstris nulloque tenetur prodigio. comites gressum iunxere sorores.

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„Dich hat weder der Stier geschreckt, der die kretischen Städte mit seinem Brüllen erschütterte, noch der Zorn des Stygischen Hundes, (35) noch der Löwe, der zur Sternenachse des Himmels versetzt werden sollte, noch der Ruhm des Erymanthischen Gebirges, der Eber. Du hast den Gürtel der Amazone gelöst, die Stymphalischen Vögel mit dem Bogen gejagt, die Rinderherde vom Westen der Welt weggetrieben, hast die zahlreichen Glieder des dreileibigen Königs niedergestreckt (40) und bist als dreifacher Sieger von dem einen Feind zurückgekehrt. Weder hat es Antaeus genützt, zu Boden zu fallen, noch der Hydra, nachzuwachsen, noch verhalfen die schnellen Hufe der Hirschkuh zur Flucht. Die Flamme des Cacus erlosch und der Nil färbte rot sich vom Blut des Busiris, auch Pholoe wurde getränkt vom Blutbad der Wolkengeborenen. (45) Vor dir erstarrten die Libyschen Buchten, vor dir erschauerte das gewaltige Meer, als du von der Last des Himmelsgewölbes wurdest niedergedrückt: Sicherer ruhte die Welt auf deinem herkulischen Nacken; Phoebus und die Sterne umrundeten deine Schultern.“ So sang der thrakische Sänger. Aber du, Florentinus82, bist mir ein zweiter Herkules, (50) du bringst mein Plektrum wieder zum Spielen, du rüttelst die Grotte der Musen wach, ganz träge vom langen Schlummer, und führst ihre lieblichen Reigen im Kreise.

ZWEITES BUCH Ein noch nicht ganz aufgeklarter Tag traf die Ionischen Fluten mit den Vorboten seines Lichtes. Auf den zitternden Wellen flackerte ein Glanz und irrlichternd spielten Sonnenflecken über das Blau. Schon eilte Proserpina wagemutig, ohne an ihre fürsorgliche Mutter zu denken, (5) überlistet von Venus zu den üppigen Bergwiesen – so hatten die Parzen den Faden gesponnen. Dreimal knarrte die Tür und gab damit ein Vorzeichen; dreimal ächzte der Aetna, um das Schicksal wissend, unter schrecklichem Stöhnen klagend auf. Sie aber ließ sich von keinem Unheilszeichen und von keinem Omen zurückhalten. (10) Die Schwestern83 gesellten sich ihr als Gefährtinnen hinzu.

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prima dolo gaudens et tanto concita voto it Venus et raptus metitur corde futuros, iam durum flexura Chaos, iam Dite subacto ingenti famulos Manes ductura triumpho. illi multifidos crinis sinuatur in orbes Idalia divisus acu; sudata marito fibula purpureos gemma suspendit amictus. candida Parrhasii post hanc regina Lycaei et Pandionias quae cuspide protegit arces, utraque virgo, ruunt: haec tristibus aspera bellis, haec metuenda feris. Tritonia casside fulva caelatum Typhona gerit, qui summa peremptus ima viget, parte emoriens et parte superstes; hastaque terribili surgens per nubila ferro instar habet silvae; tantum stridentia colla Gorgonis obtentu pallae fulgentis inumbrat. at Triviae lenis species et multus in ore frater erat, Phoebique genas et lumina Phoebi esse putes, solusque dabat discrimina sexus. bracchia nuda nitent; levibus proiecerat auris indociles errare comas, arcuque remisso otia nervus agit; pendent post terga sagittae. crispatur gemino vestis Gortynia cinctu poplite fusa tenus, motoque in stamine Delos errat et aurato trahitur circumflua ponto. quas inter Cereris proles, nunc gloria matris, mox dolor, aequali tendit per gramina passu nec membris nec honore minor potuitque videri Pallas, si clipeum ferret, si spicula, Phoebe. collectae tereti nodantur iaspide vestes. pectinis ingenio numquam felicior artis contigit eventus; nulli sic consona telae fila nec in tantum veri duxere figuras. hic Hyperionio Solem de semine nasci

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Voran schritt Venus, erfreut über die List und angespornt von der Größe des Ansinnens, und erwog im Geiste bereits den zukünftigen Raub, schon im Begriff sich das hartherzige Chaos gefügig zu machen und nach des Dis Unterwerfung die Manen als ihre Sklaven in gewaltigem Triumphzug84 zu führen. (15) Ihr Haar wallte, geteilt von einer zyprischen Nadel85, in vielfachen Locken herab. Eine Brosche, voll Mühe von ihrem Gatten86 gefertigt, hielt mit ihrem Juwel das purpurne Gewand zusammen. Eilig folgten ihr nach die glänzende Herrscherin des Parrhasischen Lycaeus87 und jene, die mit ihrem Speer die Pandionische Burg beschützt88, (20) beide Jungfrauen: die eine ungestüm in grausamen Kriegen, die andere dem Wild ein Schrecken. Tritonia89 trug auf ihrem rötlichen Helm einen Typhon90 einziseliert, dessen Oberkörper schon vernichtet, während der übrige Leib noch voll Kraft war, halb sterbend, halb überlebend. Ihr Speer ragte mit schrecklichem Eisen hoch in die Wolken (25) und hatte das Maß eines Baumes; nur die zischenden Schlangenköpfe der Gorgo91 verdeckte sie, indem sie ihr glänzendes Gewand davorhielt. Trivias92 Erscheinung aber war sanft und viel lag vom Bruder im Antlitz: Man könnte glauben, es seien des Phoebus Wangen und die Augen des Phoebus, allein das Geschlecht unterschied sie. (30) Die nackten Arme glänzten; sie hatte das ungebändigte Haar gelöst und ließ es im leichten Wind flattern. Da der Bogen nicht gespannt war, fand die Sehne Erholung, die Pfeile hingen ihr auf dem Rücken. Ihr gortynisches93 Kleid fiel in Falten herab in doppelter Gürtung und reichte ihr nur bis zum Knie; auf dem sich bewegenden Stoff geriet Delos94 ins Schwanken (35) und wurde, umflossen von goldenen Fluten, hierhin und dahin gezogen. Zwischen diesen ging die Tochter der Ceres, noch Freude der Mutter, bald doch ihr Schmerz, mit gleichem Schritt durch die Wiesen, weder an Statur noch Würde geringer, und wenn sie den Schild getragen hätte, hätte als Pallas sie erscheinen können, wenn Pfeile, als Phoebe95. (40) Ihr gerafftes Gewand wurde zusammengehalten von einem rund geschliffenen Jaspis. Niemals war der Eingebung des Webkammes ein erleseneres Kunstwerk gelungen. Bei keinem Gewebe waren die Fäden so harmonierend noch brachten sie die Figuren so realitätsnah zur Geltung. Hier hatte sie Sol dargestellt, wie er entstand aus dem Geschlecht

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fecerat et pariter, forma sed dispare, Lunam, aurorae noctisque duces; cunabula Tethys praebet et infantes gremio solatur anhelos caeruleusque sinus roseis radiatur alumnis. invalidum dextro portat Titana lacerto nondum luce gravem nec pubescentibus alte cristatum radiis: primo clementior aevo fingitur et tenerum vagitu despuit ignem. laeva parte soror vitrei libamina potat uberis et parvo signatur tempora cornu. tali luxuriat cultu. comitantur euntem Naides et socia stipant utrimque caterva, quae fontes, Crinise, tuos et saxa rotantem Pantagian nomenque Gelan qui praebuit urbi concelebrant, quas pigra vado Camerina palustri, quas Arethusaei latices, quas advena nutrit Alpheus (Cyane totum supereminet agmen): qualis Amazonidum peltis exultat aduncis pulchra cohors, quotiens Arcton populata virago Hippolyte niveas ducit post proelia turmas, seu flavos stravere Getas seu forte rigentem Thermodontiaca Tanaim fregere securi; aut quales referunt Baccho sollemnia Nymphae Maeoniae, quas Hermus alit, ripasque paternas percurrunt auro madidae: laetatur in antro amnis et undantem declinat prodigus urnam. viderat herboso sacrum de vertice vulgus Aetna parens florum curvaque in valle sedentem conpellat Zephyrum: ‘pater o gratissime veris, qui mea lascivo regnas per prata meatu semper et adsiduis inroras flatibus annum, respice Nympharum coetus et celsa Tonantis germina per nostros dignantia ludere campos. nunc adsis faveasque, precor; nunc omnia fetu pubescant virgulta velis, ut fertilis Hybla invideat vincique suos non abnuat hortos.

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des Hyperion96, (45) und Luna in gleicher Art, doch anderer Form, die Anführer von Morgenröte und Nacht. Tethys97 hielt ihre Wiege bereit und tröstete die schwitzenden Kinder in ihrem Schoß; ihr bläulicher Busen schimmerte von den rosigen Zöglingen. Auf dem rechten Arm trug sie den kraftlosen Titan, (50) noch nicht bedrängend mit seinem Licht und auch noch nicht hoch bekränzt von den erstarkenden Strahlen: Recht sanft war er dargestellt im frühesten Kindesalter und versprühte beim Wimmern ein zartes Feuer. Auf der linken Seite sog seine Schwester den Trank der kristallklaren Brust in sich auf und war an ihren Schläfen mit kleinen Sichelmondhörnern gekennzeichnet. (55) In solch einer Kleidung schritt Proserpina stolz dahin. Naiaden98 begleiteten und umdrängten sie auf ihrem Weg von beiden Seiten in freundlicher Schar: jene, die deine Quellen, Krinisus99, bewohnen und den Steine wälzenden Pantagias100 und den Gelas101, der einer Stadt seinen Namen gab; jene auch, denen die träge Camerina102 mit ihrem weiten Sumpf, (60) denen die Quelle der Arethusa und der Fremdling Alpheus103 Lebensraum bietet (Cyane104 überragte die gesamte Schar): ganz wie die schöne Schwadron der Amazonen mit ihren gekrümmten Schilden frohlockt, sooft ihre Heroine Hippolyte105 nach der Verwüstung des Nordens die weißhäutigen Reiterinnentrupps von den Kämpfen zurückführt, (65) mögen sie nun blonde Geten niedergestreckt oder gerade den vereisten Tanais mit ihrem Thermodontischen Beil durchbrochen haben106. Oder wie die lydischen Nymphen, die der Hermus107 ernährt, den Bacchuskult feiern und die Ufer des Vaters durcheilen, von seinem Golde benetzt: Es freut sich der Flussgott in seiner Grotte (70) und freigebig neigt er die überquellende Schale. Aetna, Mutter der Blumen, hatte von der grasigen Höhe herab die göttliche Schar gesehen und trieb den im Talgrund sitzenden Zephyrwind108 an: „O liebster Vater des Frühlings, der du stets in ausgelassenem Flug über meine Wiesen dahinherrschst (75) und mit ununterbrochenem Wehen diese Jahreszeit benetzt; sieh dich um nach der Schar der Nymphen und der erhabenen Nachkommenschaft des Donnerers Jupiter, die geruhen auf meinen Feldern zu spielen. Ich bitte dich, komm jetzt herbei und hilf! Mach, dass alle Sträucher ausschlagen und knospen, so dass der fruchtbare Hybla109 voll Neid ist (80) und nicht mehr leugnen kann, dass seine Gärten besiegt sind. Wonach immer Panchaia110 duf-

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quidquid turiferis spirat Panchaia silvis, quidquid odoratus longe blanditur Hydaspes, quidquid ab extremis ales longaeva Sabaeis colligit optato repetens exordia busto, in venas disperge meas et flamine largo rura fove. merear divino pollice carpi et nostris cupiant ornari numina sertis.’ dixerat; ille novo madidantes nectare pinnas concutit et glaebas fecundo rore maritat, quaque volat vernus sequitur rubor; omnis in herbas turget humus medioque patent convexa sereno. sanguineo splendore rosas, vaccinia nigro imbuit et dulci violas ferrugine pingit. Parthica quae tantis variantur cingula gemmis regales vinctura sinus? quae vellera tantum ditibus Assyrii spumis fucantur aeni? non tales volucer pandit Iunonius alas, nec sic innumeros arcu mutante colores incipiens redimitur hiemps, cum tramite flexo semita discretis interviret umida nimbis. forma loci superat flores: curvata tumore parvo planities et mollibus edita clivis creverat in collem; vivo de pumice fontes roscida mobilibus lambebant gramina rivis, silvaque torrentes ramorum frigore soles temperat et medio brumam sibi vindicat aestu: apta fretis abies, bellis accommoda cornus, quercus amica Iovi, tumulos tectura cupressus, ilex plena favis, venturi praescia laurus; fluctuat hic denso crispata cacumine buxus, hic hederae serpunt, hic pampinus induit ulmos. haud procul inde lacus (Pergum dixere Sicani) panditur et nemorum frondoso margine cinctus vicinis pallescit aquis: admittit in altum cernentes oculos et late pervius humor

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tet mit ihren Weihrauch-Wäldern, zu welchen Genüssen auch immer der wohlriechende Hydaspes111 von ferne einlädt, was immer der langlebige Vogel von den weit entfernten Sabäern zusammenträgt 112, seine Wiedergeburt im erwünschten Feuertod suchend – (85) verstreue es in meinen Adern und nähre die Fluren mit freigebigem Blasen! Möge ich würdig sein, von göttlichen Händen gepflückt zu werden, und mögen die Gottheiten begehren, sich mit meinen Kränzen zu schmücken.“ So sprach Aetna. Zephyr aber schlug die von frischem Nektar durchfeuchteten Flügel zusammen, besamte die Schollen mit fruchtbarem Tau, (90) und wo immer er flog, da folgte die Röte des Frühlings. Die ganze Erde strotzte vor Pflanzen, das Himmelsgewölbe dehnte sich weit und war oben ganz heiter. Rosen erfüllte er mit blutrotem Glanz, Hyazinthen mit schwarzem, und die Veilchen färbte er in tiefem Blauton. Welche parthischen Wehrgehänge113, dazu bestimmt, eine königliche Brust zu gürten, werden durch so viele Edelsteine bunt verziert? (95) Gibt es Wolle, die im reichen Schaum des Assyrischen Kessels114 so stark gefärbt wird? Nie breitet der Vogel der Juno115 ein solches Gefieder aus, noch ist der gerade beginnende Sturm von einem Regenbogen umgeben, der in so unzähligen Farben changiert, (100) wenn sein feuchter Pfad auf gekrümmtem Kurs zwischen aufgerissenen Wolken grün schimmert. Die Schönheit des Ortes übertraf selbst die Blumen: Eine in leichtem Bogen aufwärts geschwungene und sich mit sanften Hügeln erhebende Ebene wuchs zu einer Anhöhe hinan. Aus lebendigem Lavagestein entsprungenes Quellwasser leckte mit seinen lebhaften Bächen an taufeuchten Gräsern; (105) ein Wald mäßigte mit der Kühle seiner Zweige die sengenden Sonnenstrahlen und schuf sich mitten im Sommer winterliche Kälte: Tannen, für die Seefahrt geeignet, für Kriege nützliche Kornelkirschbäume, die dem Zeus lieben Eichen, Zypressen, um Grabhügel zu bedecken, Steineichen voller Honigwaben und der um das Kommende wissende Lorbeer116. (110) Hier wogte mit dichtem gekräuselten Wipfel der Buchsbaum, da kroch der Efeu dahin und dort wand sich Reblaub um Ulmen. Nicht weit von dort erstreckte sich ein See (die Sikanier nannten ihn Pergus)117. Und weil er von dichtem Waldsaum umstanden, wirkte sein Wasser am Rande ganz fahl: Er gestattete bis auf den Grund zu blicken, (115) sein weithin durchschau-

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ducit inoffensos liquido sub flumine visus imaque perspicui prodit secreta profundi. [huc elapsa cohors gaudet per florida rura.] hortatur Cytherea legant: ‘nunc ite, sorores, dum matutinis praesudat solibus aer, dum meus umectat flaventes Lucifer agros roranti praevectus equo.’ sic fata doloris carpit signa sui. varios tum cetera saltus invasere cohors: credas examina fundi Hyblaeum raptura thymum, cum cerea reges castra movent fagique cava dimissus ab alvo mellifer electis exercitus obstrepit herbis. pratorum spoliatur honos; haec lilia fuscis intexit violis; hanc mollis amaracus ornat; haec graditur stellata rosis, haec alba ligustris. te quoque, flebilibus maerens Hyacinthe figuris, Narcissumque metunt, nunc incluta germina veris, praestantes olim pueros: tu natus Amyclis, hunc Helicon genuit; te disci perculit error, hunc fontis decepit amor; te fronte retusa Delius, hunc fracta Cephisus harundine luget. aestuat ante alias avido fervore legendi frugiferae spes una deae; nunc vimine texto ridentes calathos spoliis agrestibus inplet; nunc sociat flores seseque ignara coronat, augurium fatale tori. quin ipsa tubarum armorumque potens dextram, qua fortia turbat agmina, qua stabiles portas et moenia vellit, iam levibus laxat studiis hastamque reponit insuetisque docet galeam mitescere sertis: ferratus lascivit apex horrorque recessit Martius et cristae pacato fulgure vernant.

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bares Nass lenkte ungehindert unter klarem Wasser den Blick und verriet die entlegensten Geheimnisse der durchsichtigen Tiefe. [Hierhin strebte vergnügt die Schar durch die blühenden Wiesen.] Venus drängte sie, Blumen zu pflücken: „Geht jetzt, Schwestern, (120) solange die Luft noch dunstig ist vor dem Aufstieg der Sonne, solange mein Lucifer118 noch die gelblichen Felder benetzt, indem er mit tauigem Pferde vorausreitet.“ So sprach sie und pflückte die Zeichen ihres Schmerzes119. Da stürmte die übrige Schar auf die bunt gesprenkelten Bergwiesen: Man könnte glauben, (125) dass Bienenschwärme sich ausbreiten, um hyblaeischen Thymian zu sammeln, wenn die Könige120 ihre wächsernen Heerlager abbrechen und das Honig sammelnde Heer, aus dem hohlen Inneren einer Buche entsandt, die auserwählten Pflanzen umsummt. Geraubt wurde der Stolz der Wiesen121: Eine wand Lilien mit tiefblauen Veilchen zusammen; eine andere schmückte sich mit geschmeidigem Majoran; (130) diese wiederum schritt von Rosen wie von Sternen verziert einher, die andere war weiß vom Liguster. Auch dich, trauriger Hyacinthus mit deinen Zeichen der Klage, pflückten sie und den Narcissus, jetzt berühmte Knospen des Frühlings, einstmals herausragende Jünglinge 122. Du wurdest in Amyklai geboren, ihn aber brachte der Helikon hervor; dich schmetterte der irrende Wurf eines Diskus zu Boden, (135) ihn täuschte die Liebe zu einer Quelle; um dich trauerte Apoll mit Schlägen auf die Stirn, um ihn Kephisus mit gebrochenem Schilf. Mehr als alle anderen glühte vor begierigem Eifer Blumen zu sammeln die Tochter der Getreidegöttin, deren einzige Hoffnung. Bald füllte sie heitere Körbchen aus Weidengeflecht mit den ländlichen Trophäen, (140) bald wieder wand sie die Blumen und setzte den Kranz sich nichts ahnend auf – ein verhängnisvolles Vorzeichen der Ehe123. Ja selbst die Herrscherin über Kriegstrompeten und Waffen verschaffte mit leichter Tätigkeit ihrer Hand nun Entspannung, mit der sie sonst starke Heere vernichtet, mit der sie sichere Tore und Stadtmauern aufbricht. Sie legte ihren Speer beiseite (145) und lehrte den Helm, sich mit ungewohnten Kränzen sanfter zu zeigen: Die eisenbeschlagene Spitze frohlockte, ihre kriegerische Abschreckung wich und der Helmbusch erblühte, da sein Funkeln sich beruhigt hatte.

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nec quae Parthenium canibus scrutatur odorem aspernata choros libertatemque comarum iniecta voluit tantum frenare corona. talia virgineo passim dum more geruntur, ecce repens mugire fragor, confligere turres, pronaque vibratis radicibus oppida verti. causa latet; dubios agnovit sola tumultus diva Paphi mixtoque metu perterrita gaudet. iamque per anfractus animarum rector opacos sub terris quaerebat iter gravibusque gementem Enceladum calcabat equis: inmania findunt membra rotae pressaque Gigas cervice laborat Sicaniam cum Dite ferens temptatque moveri debilis et fessis serpentibus inpedit axem; fumida sulphureo prolabitur orbita dorso. ac velut occultus securum pergit in hostem miles et effossi subter fundamina campi transilit elusos arcano limite muros turbaque deceptas victrix erumpit in arces terrigenas imitata viros: sic tertius heres Saturni latebrosa vagis rimatur habenis devia fraternum cupiens exire sub orbem. ianua nulla patet: prohibebant undique rupes oppositae solidaque deum conpage tenebant. non tulit ille moras indignatusque trabali saxa ferit sceptro. Siculae tonuere cavernae; turbatur Lipare; stupuit fornace relicta Mulciber et trepidus deiecit fulmina Cyclops. audiit et si quem glacies Alpina coercet et qui te, Latiis nondum praecincte tropaeis Thybri, natat missamque Pado qui remigat alnum. sic, cum Thessaliam scopulis inclusa teneret Peneo stagnante palus et mersa negaret arva coli, trifida Neptunus cuspide montes

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Auch jene, die auf dem Parthenius mit ihren Hunden einer Fährte nachstellt124, verschmähte den Reigen nicht und wollte die Freiheit ihrer Haare (150) lediglich durch das Tragen eines Kranzes zähmen. Während sie sich weit und breit mit solchen Dingen nach Art junger Mädchen beschäftigten – siehe!, da dröhnte und krachte es plötzlich, Türme stürzten ein, Städte neigten sich und fielen, bis auf ihre Fundamente erschüttert, in sich zusammen. Der Grund blieb verborgen. Einzig die Göttin von Paphos125 verstand das gefährliche Dröhnen (155) und freute sich trotz ihres Schreckens, wenn auch gemischt mit Angst. Schon suchte der Herrscher der Seelen seinen Weg durch die finsteren Krümmungen unter der Erde und trat mit schweren Pferden den stöhnenden Enceladus126: Die Wagenräder schnitten in seinen riesigen Leib ein, und es litt der Gigant, weil er auf seinem belasteten Nacken (160) nun Sizilien als auch den Dis trug; geschwächt versuchte er sich zu bewegen und wickelte seine erschöpften Schlangenfüße um die Achse. Doch der Wagen rollte qualmend weiter über den schwefligen Rücken. Und so wie ein Soldat verborgen gegen den noch ahnungslosen Feind vordringt und unter den Befestigungen eines Platzes, der untertunnelt ist, (165) die von seinem Geheimpfad ausgetricksten Mauern überwindet, und wie seine Truppe dann siegreich in die überlistete Festung einfällt, indem sie die erdgeborenen Männer127 nachahmt: So durchwühlte der dritte Erbe Saturns128 mit suchenden Zügeln verwinkelte Schleichwege in dem Drang, hervorzubrechen unter den Himmel des Bruders. (170) Doch es bot sich kein Ausgang129: Überall standen entgegenragende Felsen im Wege und hemmten den Gott mit ihrem festen Gefüge. Dis duldete keine Verzögerung und unwillig schlug er auf den Fels ein mit seinem baumstarken Szepter. Die Höhlen Siziliens hallten wider. Lipare130 wurde aufgeschreckt. Mulciber131 stutzte und verließ seinen Ofen, (175) der Kyklop warf vor Angst die Blitze nieder. Sogar derjenige hörte es, den das Eis der Alpen umschloss, und der dich, den Tiber, durchschwamm, als du noch nicht umgeben warst von römischen Siegeszeichen132, und der, der den Erlenkahn ruderte mitten auf dem Po. Ebenso gab, als ein von Felsen umschlossener Sumpf aufgrund der Stauung des Peneus noch ganz Thessalien einnahm (180) und die überfluteten Fluren zu bebauen verhinderte, Neptun mit seinem Drei-

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inpulit adversos: tum forti saucius ictu dissiluit gelido vertex Ossaeus Olympo; carceribus laxantur aquae factoque meatu redduntur fluviusque mari tellusque colonis. postquam victa manu duros Trinacria nexus solvit et inmenso late discessit hiatu, apparet subitus caelo timor: astra viarum mutavere fidem; vetito se proluit Arctos aequore; praecipitat pigrum formido Booten. horruit Orion; audito palluit Atlans hinnitu; rutilos obscurat anhelitus axes discolor et longa solitos caligine pasci terruit orbis equos: pressis haesere lupatis attoniti meliore polo rursusque verendum in Chaos obliquo certant temone reverti. mox, ubi pulsato senserunt verbera tergo et solem didicere pati, torrentius amne hiberno tortaque ruunt pernicius hasta: quantum non iaculum Parthi, non impetus Austri, non leve sollicitae mentis discurrit acumen. sanguine frena calent; corrumpit spiritus auras letifer; infectae spumis vitiantur harenae. diffugiunt Nymphae; rapitur Proserpina curru inploratque deas. iam Gorgonis ora revelat Pallas et intento festinat Delia telo nec patruo cedunt: stimulat communis in arma virginitas crimenque feri raptoris acerbat. ille velut stabuli decus armentique iuvencam cum leo possedit nudataque viscera fodit unguibus et rabiem totos exegit in armos, stat crassa turpis sanie nodosque iubarum excutit et viles pastorum despicit iras.

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zack den hinderlichen Bergen einen Stoß: Da sprang verwundet von dem starken Schlag die Spitze des Ossa vom vereisten Olymp ab133. Die Wassermassen befreiten sich aus dem Gefängnis, sie brachen sich Bahn, (185) und so wurde der Fluss dem Meer und das Land den Bauern wiedergegeben. Als Trinakria, besiegt von des Dis Gewalt, seine festen Bande gelöst hatte und mit einem riesigen Spalt weit aufklaffte, wurde plötzlich der Schrecken auch dem Himmel offenbar: Sterne verließen ihre vertrauten Bahnen134, der Bär tauchte ein in das ihm verbotene Meer, (190) und Furcht versetzte den sonst so trägen Bootes in Hast. Schauer ergriff Orion. Atlas135 erbleichte beim Hören des Wieherns. Finsteres Schnauben verdunkelte den goldglänzenden Himmel und die Sonnenscheibe verschreckte die Pferde, die es gewohnt waren, in andauernder Dunkelheit zu weiden: Festgebissen ins Zaumzeug stockten sie, (195) bestürzt über die bessere Welt, und kämpften mit gewendeter Deichsel darum, wieder ins furchtbare Chaos zurückzukehren. Kaum aber hatten sie die Schläge der Peitsche auf ihrem Rücken verspürt und die Sonne zu ertragen gelernt, da stürzten sie, reißender als ein Wildbach im Winter, voran und schneller noch als ein geschleuderter Speer: (200) So schnell eilt weder ein Parther-Geschoss, noch der Ansturm des Südwinds, noch der leichtfüßige Scharfsinn eines beunruhigten Geistes dahin. Ihre Zügel waren warm von Blut, ihr todbringender Atem verdarb die Luft, und der Sand wurde mit Flecken besudelt von ihrem Geifer. Die Nymphen stoben auseinander. Proserpina wurde im Wagen davongerissen (205) und flehte die Göttinnen um Hilfe an. Sofort enthüllte Pallas das Antlitz der Gorgo136 und die Göttin von Delos eilte mit gespanntem Bogen herbei, nicht bereit ihrem Onkel zu weichen: Die Jungfräulichkeit, die sie einte, stachelte sie an zum Kampf und verschärfte das Verbrechen des grausamen Räubers. Er aber war wie ein Löwe, der, wenn er sich der Zierde des Stalles und der Herde, der Jungkuh, (210) bemächtigt, seine Krallen in ihren freigelegten Eingeweiden vergraben und seine Wut an ihrem ganzen Leib ausgelassen hat, dasteht, entstellt vom verkrusteten Blut, und die Zotteln seiner Mähne ausschüttelt, ohne der Hirten vergeblichen Zorn zu beachten.

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‘ignavi domitor vulgi, deterrime fratrum,’ Pallas ait, ‘quae te stimulis facibusque profanis Eumenides movere tuae? cur sede relicta audes Tartareis caelum incestare quadrigis? sunt tibi deformes Dirae, sunt altera Lethes numina, sunt tristes Furiae te coniuge dignae. fratris linque domos, alienam desere sortem, nocte tua contentus abi. quid viva sepultis admisces? nostrum quid proteris advena mundum?’ talia vociferans avidos transire minaci cornipedes umbone ferit clipeique retardat obice Gorgoneisque premens adsibilat hydris praetentaque operit crista; libratur in ictum fraxinus et nigros illuminat obvia currus missaque paene foret, ni Iuppiter aethere summo pacificas rubri torsisset fulminis alas confessus socerum: nimbis hymenaeus hiulcis intonat et testes firmant conubia flammae. invitae cessere deae. conpescuit arcum cum gemitu talesque dedit Latonia voces: ‘sis memor o longumque vale. reverentia patris obstitit auxilio, nec nos defendere contra possumus; imperio vinci maiore fatemur. in te coniurat genitor populoque silenti traderis, heu! cupidas non aspectura sorores aequalemque chorum. quae te fortuna supernis abstulit et tanto damnavit sidera luctu? iam neque Partheniis innectere retia lustris nec pharetras gestare libet; securus ubique spumet aper saevique fremant inpune leones. te iuga Taygeti, posito te Maenala flebunt venatu maestoque diu lugebere Cyntho. Delphica quin etiam fratris delubra tacebunt.’

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„Herrscher über ein feiges Volk, du schlimmster der Brüder,“ (215) rief Pallas ihm zu, „Welche deiner Eumeniden137 hat dich denn mit ihren Stacheln und ruchlosen Fackeln gereizt? Warum hast du deinen Wohnsitz verlassen und wagst es, mit deinem Höllengespann den Himmel zu verseuchen? Du hast ja die hässlichen Diren138, hast die anderen Gottheiten der Lethe; du hast die grimmigen Furien – gut genug für dich als Gemahl! (220) Verlasse das Haus deines Bruders, lasse ab von dem Los, das dir nicht bestimmt ist! Mit deiner Nacht sei zufrieden, kehr heim! Warum mischst du Lebendiges mit Totem? Weshalb zertrampelst du, ein Fremder, unsere Welt?“ Derart schrie sie ihn an, traf mit dem spitzen Schildbuckel die vorwärts drängenden Pferde, hielt sie auf durch das Hemmnis des Schildes, (225) bedrängte sie mit dem Zischen ihrer gorgonëischen Schlangen und überschattete sie mit dem emporragenden Helmbusch. Ihr Eschenholzspeer war schon zum Wurf erhoben, leuchtete dem schwarzen Wagen entgegen und wäre beinahe geworfen worden, wenn nicht Jupiter aus der Höhe des Himmels einen grellroten Blitz mit Frieden gebietenden Flügeln geschleudert hätte, (230) wodurch er sich als Schwiegervater zu erkennen gab139: Ein Hochzeitslied donnerte durch die geborstenen Wolken und Flammen besiegelten als Zeugen die Ehe. Widerwillig wichen die Göttinnen. Latonas Tochter140 ließ mit einem Seufzen ihren Bogen sinken und rief: „Erinnere dich an uns und lebe wohl für lange Zeit! Die Ehrfurcht vor dem Vater (235) verhinderte unsere Hilfe, wir können dich nicht gegen ihn verteidigen. Höherer Gewalt, wir gestehen es, sind wir unterlegen. Dein Vater hat sich gegen dich verschworen und du wirst dem schweigenden Volk übergeben. Wehe, du wirst deine Schwestern, die sich nach dir sehnen, nicht wieder sehen und den Reigen deiner Gefährtinnen. Welch ein Schicksal hat dich der Oberwelt entrissen (240) und die Gestirne zu solch einer Trauer verdammt? Weder mag ich jetzt noch in den Wildlagern des Parthenius Netze aufspannen noch meinen Köcher tragen. Soll doch der Eber ungestört überall wüten und sollen die wilden Löwen ungestraft brüllen. Dich werden die Pässe des Taygetus141, dich wird der Maenalus142 beweinen, da er der Jagd beraubt ist, (245) und lange wirst du vom traurigen Cynthus143 beklagt werden. Ja sogar der Tempel meines Bruders in Delphi wird schweigen144.“

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interea volucri fertur Proserpina curru caesariem diffusa Noto planctuque lacertos verberat et questus ad nubila rumpit inanes: ‘cur non torsisti manibus fabricata Cyclopum in nos tela, pater? sic me crudelibus umbris tradere, sic toto placuit depellere mundo? nullane te flectit pietas nihilumque paternae mentis inest? tantas quo crimine movimus iras? non ego, cum rapido saeviret Phlegra tumultu, signa deis adversa tuli; nec robore nostro Ossa pruinosum vexit glacialis Olympum. quod conata nefas aut cuius conscia culpae exul ad inmanes Erebi detrudor hiatus? o fortunatas alii quascumque tulere raptores! saltem communi sole fruuntur. sed mihi virginitas pariter caelumque negatur, eripitur cum luce pudor, terrisque relictis servitum Stygio ducor captiva tyranno. o male dilecti flores despectaque matris consilia! o Veneris deprensae serius artes! mater, io! seu te Phrygiis in vallibus Idae Mygdonio buxus circumsonat horrida cantu, seu tu sanguineis ululantia Dindyma Gallis incolis et strictos Curetum respicis enses, exitio succurre meo, conpesce furentem, conprime ferales torvi praedonis habenas!’ talibus ille ferox dictis fletuque decoro vincitur et primi suspiria sentit amoris. tum ferrugineo lacrimas detergit amictu et placida maestum solatur voce dolorem: ‘desine funestis animum, Proserpina, curis et vano vexare metu. maiora dabuntur sceptra nec indigni taedas patiere mariti. ille ego Saturni proles cui machina rerum servit et inmensum tendit per inane potestas. amissum ne crede diem: sunt altera nobis

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Proserpina wurde unterdessen in dem schnellen Wagen davongetragen, das Haar vom Südwind zerzaust, schlug sich in Trauer auf ihre Arme und stieß vergebliche Klagen zu den Wolken empor: (250) „Warum hast du nicht gegen mich deine von Hand der Kyklopen geschaffenen Waffen gerichtet, Vater? Gefiel es dir etwa, mich so den grausigen Schatten zu übergeben, mich so aus der ganzen Welt zu vertreiben? Empfindest du denn keine Liebe, hast du kein Vaterherz in dir? Durch welches Vergehen habe ich solchen Zorn denn erregt? (255) Nicht ich erhob, als Phlegra in wütendem Kampfe tobte, Kriegsstandarten gegen die Götter145. Nicht durch meine Kraft hat der vereiste Ossa den frostigen Olymp getragen146. Welchen Frevel habe ich denn versucht oder in welche Schuld bin ich eingeweiht, dass ich heimatlos hinabgestoßen werde in den ungeheuerlichen Schlund des Erebus147? (260) Glücklich all die, die von anderen Räubern entführt wurden! Wenigstens erfreuen sie sich an der allen gemeinsamen Sonne. Mir aber wird die Jungfräulichkeit zugleich mit dem Himmel verweigert. Entrissen wird mit dem Tageslicht meine Keuschheit. Schon habe ich die Erde verlassen, als Gefangene werde ich abgeführt, um dem stygischen Tyrann zu dienen. (265) O ihr Blumen, die zu lieben mir Unglück gebracht hat, und dass ich die Ratschläge der Mutter verschmähte! O Listen der Venus, die ich zu spät erkannt habe! Ach, Mutter! Gleich ob dich in den phrygischen Tälern des Ida die schreckliche Buchsbaumflöte mit thrakischem Lied umtönt148, oder ob du dich auf dem Dindymus aufhältst, der vom Geheul der blutüberströmten Galli erfüllt ist149, (270) und die gezückten Schwerter der Kureten150 betrachtest, hilf mir in meinem Unglück, bringe den Rasenden zur Vernunft, falle dem finsteren Räuber in die todbringenden Zügel!“ Durch diese Worte und anmutigen Klagen wurde der grimmige Dis überwältigt und fühlte die Anzeichen einer ersten Liebe. (275) Da wischte er ihr mit seinem dunklen Umhang die Tränen ab und tröstete ihre tiefe Trauer mit sanfter Stimme: „Höre auf, dein Herz mit tödlichen Sorgen und nichtiger Furcht zu quälen, Proserpina! Du wirst ein größeres Reich erhalten und die Hochzeitsfackeln keines unwürdigen Gatten erleben. (280) Ich bin jener Sohn des Saturn, dem das Getriebe der Welt untersteht und meine Gewalt erstreckt sich durch unermessliche Leere. Glaube nicht, dass dir das Tageslicht verloren

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sidera, sunt orbes alii, lumenque videbis purius Elysiumque magis mirabere solem cultoresque pios; illic pretiosior aetas, aurea progenies habitat, semperque tenemus quod superi meruere semel. nec mollia derunt prata tibi; Zephyris illic melioribus halant perpetui flores, quos nec tua protulit Aetna. est etiam lucis arbor praedives opacis fulgentes viridi ramos curvata metallo: haec tibi sacra datur fortunatumque tenebis autumnum et fulvis semper ditabere pomis. parva loquor: quidquid liquidus conplectitur aer, quidquid alit tellus, quidquid maris aequora vertunt, quod fluvii volvunt, quod nutrivere paludes, cuncta tuis pariter cedent animalia regnis lunari subiecta globo, qui septimus auras ambit et aeternis mortalia separat astris. sub tua purpurei venient vestigia reges deposito luxu turba cum paupere mixti – omnia mors aequat –; tu damnatura nocentes, tu requiem latura piis, te iudice sontes inproba cogentur vitae commissa fateri. accipe Lethaeo famulas cum gurgite Parcas; sit fatum quodcumque voles.’ haec fatus ovantes exhortatur equos et Tartara mitior intrat. conveniunt animae, quantas violentior Auster decutit arboribus frondes aut nubibus imbres colligit aut frangit fluctus aut torquet harenas, cunctaque praecipiti stipantur saecula cursu insignem visura nurum. mox ipse serenus ingreditur facili passus mollescere risu dissimilisque sui. dominis intrantibus ingens adsurgit Phlegethon: flagrantibus hispida rivis barba madet totoque fluunt incendia vultu.

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ist: Andere Sterne haben wir und andere Welten. Du wirst ein klareres Licht sehen und eher die Sonne des Elysiums151 bewundern und dessen rechtschaffene Bewohner. (285) Dort wohnt eine wertvollere Generation, das goldene Menschengeschlecht152, und wir besitzen für immer, was die Oberwelt nur einmal erhielt. Auch werden dir weiche Wiesen nicht fehlen, denn dank der besseren Zephyrwinde duften dort ununterbrochen Blumen, die nicht einmal dein Aetna hervorbrachte. (290) In einem schattigen Hain gibt es sogar einen prächtigen Baum, der sich krümmt unter der Last seiner von grünlichem Metall glänzenden Zweige153: Dieser wird dir heilig gesprochen, du wirst einen üppigen Herbst erhalten und immer reich sein an goldgelben Früchten154. Aber das ist noch das Geringste. Was auch immer die klare Luft umfasst, (295) was immer die Erde ernährt, was immer die Weite des Meeres tief unten umherwirbelt, was die Flüsse mit sich führen und was die Sümpfe haben gedeihen lassen – all diese Lebewesen werden gleichermaßen deiner Herrschaft unterstehen, denn sie sind der Sphäre des Mondes untergeordnet, der als siebenter Planet die irdische Atmosphäre umschließt und Sterbliches von den ewigen Gestirnen scheidet155. (300) Dir zu Füßen werden Purpur tragende Könige liegen, nach dem Verlust ihrer Pracht gemischt unters arme Volk – denn alles macht der Tod gleich. Du wirst die Übeltäter verurteilen, du wirst den Rechtschaffenen Ruhe schenken; vor deinem Richtstuhl werden Schuldige gezwungen werden, die schändlichen Untaten ihres Lebens zu bekennen. (305) Nimm als deine Dienerinnen die Parzen156 zusammen mit dem Lethestrom an. In Erfüllung gehe, was auch immer du willst.“ So sprach er, trieb seine triumphierenden Pferde an und fuhr, schon milder gestimmt, in den Tartarus ein. Die Seelen strömten zusammen, so viele wie ein gar heftiger Südwind Blätter von den Bäumen reißt, in Wolken Regentropfen sammelt, (310) Wogen bricht oder Sand aufwirbelt – alle, ob jung oder alt, drängten sich hastig heran, um die berühmte Braut zu sehen. Schon trat Dis selbst gelassen herbei und gestattete sich, durch ein leichtes Lächeln sanfter zu erscheinen, fast schon nicht mehr er selbst. Beim Eintritt des Herrscherpaares erhob sich der gewaltige Phlegethon: (315) Sein struppiger Bart troff vor feurigen Bächen und Brände rannen über sein ganzes Gesicht.

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occurrunt propere lecti de plebe ministri: pars altos revocant currus frenisque solutis vertunt emeritos ad pascua nota iugales; pars aulaea tenent; alii praetexere ramis limina et in thalamum cultas extollere vestes. reginam casto cinxerunt agmine matres Elysiae teneroque levant sermone timores et sparsos religant crines et vultibus addunt flammea sollicitum praevelatura pudorem. pallida laetatur regio gentesque sepultae luxuriant epulisque vacant genialibus umbrae: grata coronati peragunt convivia Manes. rumpunt insoliti tenebrosa silentia cantus; sedantur gemitus; Erebi se sponte relaxat squalor et aeternam patitur rarescere noctem. urna nec incertas versat Minoia sortes; verbera nulla sonant nulloque frementia luctu inpia dilatis respirant Tartara poenis: non rota suspensum praeceps Ixiona torquet, non aqua Tantaleis subducitur invida labris; [solvitur Ixion, invenit Tantalus undas] et Tityos tandem spatiosos erigit artus squalentisque novem detexit iugera campi (tantus erat!) laterisque piger sulcator opaci invitus trahitur lasso de pectore vultur abreptasque dolet iam non sibi crescere fibras. oblitae scelerum formidatique furoris Eumenides cratera parant et vina feroci crine bibunt flexisque minis iam lene canentes extendunt socios ad pocula plena cerastas et festas alio succendunt lumine taedas. tunc et pestiferi pacatum flumen Averni innocuae transistis, aves, flatumque repressit Amsanctus: fixo tacuit torrente vorago. tunc Acheronteos mutato gurgite fontes

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Eilfertig liefen aus der Menge ausgewählte Diener herbei: Die einen brachten den hohen Wagen zurück, nahmen das Zaumzeug ab und führten die Pferde, die ihre Pflicht erfüllt hatten, auf die ihnen vertraute Weide; (320) die anderen hielten den Baldachin, wieder andere schmückten mit Zweigen die Türen und schichteten edle Teppiche zu einem Brautbett auf. Elysiums Mütter157 umringten in ehrbarer Schar die Königin und linderten ihre Ängste mit zartfühlenden Worten. Sie frisierten ihr die verwehten Haare und legten ihr einen Brautschleier über das Antlitz, (325) der ihre aufgeregte Verlegenheit verdecken sollte. Die bleiche Welt empfand Freude, ausgelassen tanzten die Völker der Toten, die Schatten schwelgten beim Hochzeitsmahl: Bekränzt feierten die Manen das willkommene Gelage. Ungewohnte Gesänge durchbrachen das Schweigen der Finsternis; (330) das Seufzen kam zur Ruhe. Die schauerliche Erscheinung des Erebus milderte sich von selbst und ließ zu, dass die ewige Nacht sich etwas lichtete. Minos’ Urne158 teilte keine ungewissen Schicksalslose mehr zu. Keine Schläge erschollen mehr. Der Tartarus, wo die Frevler wohnen, brüllte nicht mehr vor Schmerzensschreien und atmete auf über das Aussetzen der Strafen: (335) Das Rad drehte den kopfüber aufgespannten Ixion159 nicht mehr, das tückische Wasser wurde den Lippen des Tantalus160 nicht mehr entzogen; [Ixion wurde erlöst, Tantalus erreichte das Wasser] und Tityos161 richtete endlich seinen riesigen Leib auf – neun Morgen des schauerlichen Feldes gab er frei (so groß war er!). (340) Der Geier, träger Peiniger seiner überschatteten Flanke, wurde widerwillig von seiner ermatteten Brust weggezogen und bedauerte, dass die herausgerissene Leber nun schon nicht mehr für ihn nachwachse. Ohne Gedanken an Verbrechen und ihre gefürchtete Wut stellten Eumeniden sich die Kratere162 bereit; sie tranken mit ihrem wilden Haar163 Wein, (345) streckten, schon nicht mehr drohend sondern nur sanft noch singend, ihre Tischgenossen, die Schlangen, zu den vollen Bechern vor und entzündeten ihre Fackeln zum Fest mit einem anderen Licht164. Damals überquertet ihr Vögel unbeschadet das befriedete Wasser des Verderben bringenden Avernus165 und auch der Amsanctus166 hielt seine Dämpfe zurück: (350) Als der Sturzbach stockte, verstummte der Schlund. Damals, sagt man, hätten die Quellen des Acheron ihre

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lacte novo tumuisse ferunt, hederisque virentem Cocyton dulci perhibent undasse Lyaeo. stamina nec rumpit Lachesis, nec turbida sacris obstrepitant lamenta choris. mors nulla vagatur in terris, nullique rogum planxere parentes. navita non moritur fluctu, non cuspide miles; oppida funerei pollent immunia leti, inpexamque senex velavit harundine frontem portitor et vacuos egit cum carmine remos. iam suus inferno processerat Hesperus orbi; ducitur in thalamum virgo. stat pronuba iuxta stellantes Nox picta sinus tangensque cubile omina perpetuo genialia foedere sancit; exultant cum voce pii Ditisque sub aula talia pervigili sumunt exordia plausu: ‘nostra potens Iuno tuque o germane Tonantis et gener, unanimi consortia discite somni mutuaque alternis innectite vota lacertis. iam felix oritur proles; iam laeta futuros expectat Natura deos. nova numina rebus addite et optatos Cereri proferte nepotes.’

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Fluten gewechselt und seien von neuartiger Milch angeschwollen; der vom Efeu ganz grüne Cocytus, berichtet man, habe von süßem Wein gewogt. Weder riss Lachesis Schicksalsfäden ab noch übertönte heftiges Wehklagen die heiligen Chöre. (355) Der Tod streifte nicht mehr auf Erden herum, Eltern betrauerten nicht mehr irgendjemandes Grab. Der Seemann starb nicht in den Fluten, der Soldat nicht durch den Speer; die Städte erstarkten, befreit von tödlicher Vernichtung. Der greise Fährmann bedeckte seine zerzauste Stirn mit einer Schilfkrone (360) und singend setzte er die Ruder seines leeren Kahns in Bewegung167. Schon war in der Unterwelt der dortige Abendstern aufgegangen, man führte die Jungfrau zum Brautlager. Dicht neben ihr stand als Brautfrau168 die Nacht, ihre Brust mit Sternen verziert, und indem sie das Bett berührte, besiegelte sie die Hochzeitswünsche mit ewigem Bund. Die rechtschaffenen Seelen jubelten laut und begannen im Palast des Dis unter unaufhörlichem Klatschen das folgende Hochzeitslied: „Unsere Gebieterin Juno169 und du, o Bruder des Donnerers Jupiter und sein Schwiegersohn, erfahrt die Gemeinschaft des vereinenden Schlafes und verbindet unter wechselseitigen Umarmungen euer beider Wünsche. Schon entsteht glücklicher Nachwuchs, schon erwartet die Natur voll Freude die zukünftigen Götter. Gebt der Welt neue Gottheiten und gewährt Ceres die ersehnten Enkel!“

DE RAPTU PROSERPINAE LIBER TERTIUS Iuppiter interea cinctam Thaumantida nimbis ire iubet totoque deos arcessere mundo. illa colorato Zephyris inlapsa volatu numina conclamat pelagi Nymphasque morantes increpat et fluvios umentibus evocat antris. ancipites trepidique ruunt, quae causa quietos excierit, tanto quae res agitanda tumultu. ut patuit stellata domus, considere iussi, nec confusus honos: caelestibus ordine sedes prima datur; tractum proceres tenuere secundum aequorei, placidus Nereus reverendaque Phorci canities; Glaucum series extrema biformem accipit et certo mansurum Protea vultu. nec non et senibus fluviis concessa sedendi gloria; plebeio stat cetera more iuventus, mille amnes. liquidis incumbunt patribus udae Naides et taciti mirantur sidera Fauni. tum gravis ex alto genitor sic orsus Olympo: ‘abduxere meas iterum mortalia curas iam pridem neclecta mihi, Saturnia postquam otia et ignavi senium cognovimus aevi, sopitosque diu populos torpore paterno sollicitae placuit stimulis inpellere vitae, incultis ne sponte seges grandesceret arvis, undaret neu silva favis neu vina tumerent fontibus et totae fremerent in pocula ripae. haud equidem invideo – neque enim livescere fas est vel nocuisse deos –, sed, quod dissuasor honesti luxus et humanas oblimat copia mentes, provocet ut segnes animos rerumque remotas ingeniosa vias paulatim exploret egestas

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DRITTES BUCH Jupiter befahl unterdessen der von Regenwolken umschlungenen Tochter des Thaumas170, sich auf den Weg zu machen und die Götter aus der ganzen Welt herbeizuholen. Sie nun, in buntem Flug auf Zephyrwinden dahingleitend, rief die Gottheiten des Meeres zusammen, tadelte die säumigen Nymphen (5) und lockte die Flussgötter aus ihren feuchten Grotten. Hals über Kopf stürzten sie ängstlich herbei, welcher Grund sie aus ihrer Ruhe risse und welche Sache mit so großer Aufregung zu verhandeln sei. Kaum war der Sternenpalast geöffnet, wurden sie aufgefordert, Platz zu nehmen, doch die Hierarchie wurde sehr wohl gewahrt: Den Himmlischen gab man ihrer Rangfolge nach den ersten Platz, (10) den zweiten Rang nahmen die vornehmsten Meeresgötter ein, der friedliche Nereus171 und der ehrwürdige Greis Phorcus172; in der äußersten Reihe nahmen Platz der zweigestaltige Glaucus173 und Proteus174, diesmal gewillt, in einer bestimmten Gestalt zu verharren. Doch auch den älteren Flussgöttern wurde die Ehre eines Sitzes zuteil. (15) Nur die übrige Jugend, tausend Flüsse, stand wie gemeines Volk. Tropfnasse Nymphen stützten sich auf ihre flüssigen Väter und die Faune bewunderten stumm die Sterne. Da begann majestätisch vom hohen Olymp herab der Göttervater: „Erneut hat meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen der Menschen Geschick, das schon zu lange von mir vernachlässigt ist, (20) nachdem ich Müßiggang und Verfall des bequemen Saturnischen Zeitalters erkannt hatte und beschloss, die von der anreizlosen Herrschaft meines Vaters längst wie betäubten Völker durch den Stachel eines sorgenvollen Lebens anzutreiben, damit ihr Getreide nicht von sich aus auf unbebauten Äckern heranwachse, (25) noch der Wald von Honig triefe oder der Wein aus Quellen ströme und ganze Flüsse sich brausend in Trinkpokale ergössen175. Natürlich bin ich nicht neidisch – denn es ziemt den Göttern nicht, Neid zu empfinden oder zu schaden – sondern ich fasste diesen Entschluss, weil Schlemmerei der Moral abträglich ist und Überfluss der Menschen Sinne versumpfen lässt, (30) damit erfinderische Armut die schwerfälligen Sinne anrege und allmählich die verborgenen Regeln

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utque artes pariat sollertia, nutriat usus. nunc mihi cum magnis instat Natura querellis humanum relevare genus, durumque tyrannum inmitemque vocat regnataque saecula patri commemorat parcumque Iovem se divite clamat, qui campos horrere situ dumisque repleri rura velim nullisque exornem fructibus annum; se iam, quae genetrix mortalibus ante fuisset, in dirae subito mores transisse novercae: “quid mentem traxisse polo, quid profuit altum erexisse caput, pecudum si more pererrant avia, si frangunt communia pabula glandes? haecine vita iuvat silvestribus abdita lustris, indiscreta feris?” tales cum saepe parentis pertulerim questus, tandem clementior orbi Chaonio statui gentes avertere victu; atque ideo Cererem, quae nunc ignara malorum verberat Idaeos torva cum matre leones, per mare, per terras avido discurrere luctu decretum, natae donec laetata repertae indicio tribuat fruges, currusque feratur nubibus ignotas populis sparsurus aristas et iuga caerulei subeant Actaea dracones. quod si quis Cereri raptorem prodere divum audeat, imperii molem pacemque profundam obtestor rerum, natus licet ille sororve vel coniunx fuerit natarumve agminis una, se licet illa meo conceptam vertice iactet, sentiet iratam procul aegida, sentiet ictum fulminis et genitum divina sorte pigebit optabitque mori; tum vulnere languidus ipsi tradetur genero, passurus prodita regna, et sciet an propriae conspirent Tartara causae.

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der Welt erkunde, damit schöpferischer Geist die Künste hervorbringe und ihre Anwendung sie groß werden lasse176. Nun aber bedrängt mich Natura177 mit gewichtigen Klagen, es dem Menschengeschlecht leichter zu machen, nennt mich einen hartherzigen und grausamen Tyrannen, (35) ruft die von meinem Vater regierten Zeiten in Erinnerung und schimpft Jupiter geizig trotz ihres eigenen Reichtums, da ich doch die Felder in mangelnder Pflege verwildern, das Land von lauter Gestrüpp sich überziehen ließe und das Jahr mit keinerlei Früchten segne. Sie aber, die zuvor noch Mutter den Sterblichen gewesen sei, (40) habe plötzlich die Sitten einer finsteren Stiefmutter angenommen: ‚Was nützte es, den Geist vom Himmel geholt zu haben178, was, den Kopf erhoben zu haben, wenn die Menschen gleich Tieren die Wildnis durchirren, wenn sie als gemeinsame Nahrung Eicheln verzehren? Ist dieses Leben etwa erstrebenswert, zurückgezogen in Wälder und Höhlen, ohne Unterschied zu den wilden Tieren?‘ (45) Da ich häufig solcherart Klagen von Mutter Natur ertragen musste, beschloss ich, schließlich milder geworden gegenüber dem Menschengeschlecht, die Völker von der Chaonischen Nahrung179 abzubringen; und deshalb wurde entschieden, dass Ceres, die jetzt noch ohne ihr Unheil zu ahnen mit ihrer grimmigen Mutter die Löwen am Ida antreibt, (50) über Wasser und Land in unmäßiger Trauer dahinirren soll, bis sie, erfreut über ein Zeichen zum Verbleib ihrer Tochter, das Getreide gewährt und ihr Wagen auf Wolken dahingleitet, um den Völkern die ihnen noch unbekannten Ähren zu verbreiten, und ihre dunkel schimmernden Drachen das attische Joch auf sich nehmen180. (55) Wenn aber einer der Götter Ceres den Räuber zu verraten wagt, so schwöre ich bei der Macht meiner Herrschaft und dem tiefen Frieden der Welt, sei es ein Sohn, Schwester, Gattin oder gar eine aus der Schar der Töchter, mag sie sich auch brüsten aus meinem Haupte entsprungen zu sein181, (60) so wird er von weitem den Zorn meines Schildes182 spüren, wird den Schlag meines Blitzes fühlen, und es wird ihn reuen, aus dem Geschlecht der Götter zu stammen, zu sterben wird er sich wünschen; dann wird er, geschwächt durch die Wunde, meinem Schwiegersohn183 selbst übergeben werden, um die Herrschaft zu ertragen, die er verraten hat, und er wird merken, ob der Tartarus sich in eigener Sache verbündet.

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hoc sanctum; mansura fluant hoc ordine fata.’ dixit et horrendo concussit sidera nutu. at procul armisoni Cererem sub rupibus antri securam placidamque diu iam certa peracti terrebant simulacra mali, noctesque timorem ingeminant omnique perit Proserpina somno. namque modo adversis invadi viscera telis, nunc sibi mutatas horret nigrescere vestes, nunc steriles mediis frondere penatibus ornos. stabat praeterea luco dilectior omni laurus virgineos quondam quae fronde pudica umbrabat thalamos: hanc imo stipite caesam vidit et incomptos foedari pulvere ramos, quaerentique nefas Dryades dixere gementes Tartarea Furias debellavisse bipenni. sed tunc ipsa sui iam non ambagibus ullis nuntia materno facies ingesta sopori: namque videbatur tenebroso obtecta recessu carceris et saevis Proserpina vincta catenis, non qualem Siculis olim mandaverat arvis nec qualem roseis nuper convallibus Aetnae suspexere deae: squalebat pulchrior auro caesaries et nox oculorum infecerat ignes exhaustusque gelu pallet rubor ille, superbi flammeus oris honos, et non cessura pruinis membra colorantur picei caligine regni. ergo hanc ut dubio vix tandem agnoscere visu evaluit, ‘cuius tot poenae criminis?’ inquit: ‘unde haec informis macies? cui tanta potestas in me saevitiae? rigidi cur vincula ferri vix aptanda feris molles meruere lacerti? tu mea tu proles? an vana fallimur umbra?’

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(65) Dies ist unverbrüchlich beschlossen: Mögen die Geschicke sich in dieser Folge ereignen und Bestand haben.“ So sprach er und erschütterte die Sterne mit seinem Furcht einflößenden Nicken. Aber in der Ferne versetzten Ceres, die unter den Felsen einer von Waffen dröhnenden Höhle lange Zeit sorglos und ruhig war, nun unzweifelhafte Schattenbilder des bereits begangenen Verbrechens in Schrecken; die Nächte verdoppelten ihre Furcht (70) und in jedem Traum starb Proserpina. Denn bald bebte sie vor Angst, dass ihr Innerstes von feindlichen Pfeilen durchbohrt wird, dann, dass ihre Kleidung sich färbt und schwarz wird, darauf, dass die unfruchtbaren Bergeschen in der Mitte ihres Hauses Blätter treiben184. Zudem stand da, ihr lieber als der ganze Hain, (75) ein Lorbeerbaum, der einst mit seinem keuschen Laub das Bett des Mädchens beschattete: Sie sah nun, dass dieser ganz unten am Stamm gefällt war und seine verworrenen Zweige vom Staub beschmutzt wurden. Als sie den Frevel zu ergründen suchte, antworteten ihr die Dryaden klagend, dass die Furien ihn niedergestreckt hätten mit einer Doppelaxt aus dem Tartarus 185. (80) Doch dann erschien der Mutter im Schlaf die Gestalt ihrer Tochter, es nun schon in aller Klarheit verkündend: Denn Proserpina war zu sehen, verborgen im dunklen Winkel ihres Kerkers und mit furchtbaren Ketten gefesselt186, nicht so, wie Ceres sie einst den Gefilden Siziliens anvertraut, (85) und nicht so, wie die Göttinnen sie kürzlich auf den rosigen Talhängen des Aetna voller Staunen gesehen hatten: Ihr Haar, das schöner als Gold war, starrte vor Schmutz; die Nacht hatte den Glanz ihrer Augen gelöscht, und erschöpft vor Kälte war jene Röte, flammende Zierde ihres stolzen Gesichts, nun verblasst. Ihre Glieder, die dem Weiß des Schnees nicht nachstehen würden, (90) färbten sich dunkel durch die Finsternis des pechschwarzen Reiches. Als Ceres sie nun mit Mühe und zweifelndem Blick letztlich doch zu erkennen vermochte, rief sie aus: „Für welches Vergehen so viele Strafen? Woher kommt diese abstoßende Hässlichkeit? Wer hat solche Macht, gegen mich zu wüten? Warum sollen diese zarten Arme Ketten aus starrem Eisen, (95) die man kaum wilden Tieren antun mag, verdient haben? Bist du es, bist wirklich du mein Kind? Oder täuscht mich ein nichtiger Schatten?“

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illa refert: ‘heu dura parens nataeque peremptae inmemor! heu fulvas animo transgressa leaenas! tantane te nostri tenuere oblivia? tantum unica despicior? certe Proserpina nomen dulce tibi, tali quae nunc, ut cernis, hiatu suppliciis inclusa teror; tu saeva choreis indulges Phrygiasque etiamnum interstrepis urbes! quod si non omnem pepulisti pectore matrem, si tu nostra, Ceres, et non me Caspia tigris edidit, his, oro, miseram defende cavernis inque superna refer. prohibent si fata reverti, vel tantum visura veni.’ sic fata trementes tendere conatur palmas. vis inproba ferri inpedit et motae somnum solvere catenae. obriguit visis; gaudet non vera fuisse; conplexu caruisse dolet. penetralibus amens prosilit et tali conpellat voce Cybelen: ‘iam non ulterius Phrygia tellure morabor, sancta parens; revocat tandem custodia cari pignoris et cunctis obiecti fraudibus anni. nec mihi Cyclopum quamvis extructa caminis culmina fida satis. timeo ne fama latebras prodiderit leviusque meum Trinacria celet depositum. terret nimium vulgata locorum nobilitas. aliis sedes obscurior oris exquirenda mihi. gemitu flammisque propinquis Enceladi nequeunt umbracula nostra taceri. somnia quin etiam variis infausta figuris saepe monent, nullusque dies non triste minatur augurium. quotiens flaventia serta comarum sponte cadunt! quotiens exundat ab ubere sanguis! larga vel invito prorumpunt flumina vultu iniussaeque manus mirantia pectora tundunt.

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Sie aber erwiderte: „Ach, du gefühllose Mutter, denkst nicht an deine verschleppte Tochter! Ach, du hast sogar braungelbe Löwinnen an Hartherzigkeit übertroffen! Wie konntest du mich so vergessen? So sehr werde ich, dein einziges Kind, verachtet? (100) Sicher ist dir der Name Proserpina lieb, die ich nun, wie du siehst, in solch einem Abgrund eingeschlossen von Martern zermürbt werde; du aber frönst unbarmherzig den Tänzen und kreischst selbst jetzt noch durch die phrygischen Städte! Wenn du also noch nicht all dein Muttergefühl aus dem Herzen vertrieben hast, (105) wenn du meine Mutter bist, Ceres, und mich nicht eine kaspische Tigerin187 gebar, so flehe ich, errette mich Unglückliche aus diesem Loch und bring mich wieder in die Oberwelt! Wenn das Schicksal aber die Rückkehr verwehrt, komme doch wenigstens, um mich zu sehen.“ So sprach sie und versuchte, ihr die zitternden Hände entgegenzustrecken. Doch das übermäßige Gewicht des Eisens hinderte sie (110) und das Rasseln der Ketten vertrieb den Schlaf. Ceres erschauderte vor den Traumgespinsten; sie freute sich, dass es nicht wahr gewesen sei, und bedauerte, ihre Tochter nicht umarmt zu haben. Wie von Sinnen sprang sie aus dem Tempelinnern hervor und bedrängte Kybele mit folgenden Worten: „Nicht länger werde ich mehr auf phrygischer Erde verweilen, (115) ehrwürdige Mutter; denn jetzt ruft mich die Sorge zurück um mein liebes und allen Tücken seines Alters ausgesetztes Kind. Auch scheint mir mein Haus, obwohl in der Feuerstätte der Kyklopen gefertigt, nicht sicher genug. Ich fürchte, dass ein Gerücht das Versteck preisgegeben hat und Trinakria recht nachlässig verbirgt, was ich ihm anvertraut habe. (120) Mich verunsichert nun die allzu bekannte Berühmtheit der Gegend. Einen geheimeren Platz an anderen Küsten muss ich ausfindig machen. Durch das Stöhnen und die Flammen des Enceladus188 direkt daneben kann unser Unterschlupf nicht verschwiegen gehalten werden. Ja, sogar Unheil verkündende Träume mit verschiedenen Bildern warnen mich oft, (125) und kein Tag droht nicht ein schlimmes Vorzeichen an. Wie oft fallen die korngelben Ährengirlanden189 ohne einen Grund herab! Wie oft quillt Blut aus der Brust! Reichlich brechen Tränenströme gegen den Willen aus meinen Augen hervor, und unaufgefordert hämmern die Hände gegen meine verwunderte Brust.

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si buxos inflare velim, ferale gemiscunt; tympana si quatiam, planctus mihi tympana reddunt. ah vereor ne quid portendant omina veri! ah longae nocuere morae!’ ‘procul inrita venti dicta ferant,’ subicit Cybele: ‘nec tanta Tonanti segnities ut non pro pignore fulmina mittat. i tamen et nullo turbata revertere casu.’ haec ubi, digreditur templis. sat nulla ruenti mobilitas: tardos queritur non ire iugales inmeritasque movens alterno verbere pinnas Sicaniam quaerit cum necdum absconderit Idam. cuncta pavet speratque nihil. sic aestuat ales, quae teneros humili fetus commiserit orno allatura cibos, et plurima cogitat absens: ne gracilem ventus decusserit arbore nidum, ne furtum pateant homini, ne praeda colubris. ut domus excubiis incustodita remotis et resupinati neclecto cardine postes flebilis et tacitae species apparuit aulae, non expectato respectu cladis amictus conscidit et fractas cum crine avellit aristas. haeserunt lacrimae, nec vox aut spiritus oris redditur, atque imis vibrat tremor ossa medullis. succidui titubant gressus; foribusque reclusis, dum vacuas sedes et desolata pererrat atria, semirutas confuso stamine telas atque interceptas agnoscit pectinis artes. divinus perit ille labor, spatiumque relictum audax sacrilego supplebat aranea textu. nec deflet plangitve malum; tantum oscula telae figit et abrumpit mutas in fila querellas; adtritosque manu radios proiectaque pensa

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(130) Will ich in die Buchsbaumflöte blasen, beginnt sie todklagend aufzuseufzen; wenn ich die Pauken schlage, tönen die Pauken wie trauernde Schläge zurück190. Wehe, ich fürchte, die Vorzeichen drohen mir etwas Wahres an! Wehe, mein langes Verweilen hat Schlimmes verursacht!“ „Mögen die Winde deine Worte weithin ohne Wirkung verstreuen!“, entgegnete Kybele, „Doch so gleichgültig ist der Donnerer Jupiter nicht, (135) dass er nicht für sein Kind Blitze schleuderte. Gehe dennoch und kehre zurück, von keinem Unglück beunruhigt.“ Sprach’s und Ceres verließ den Tempel. Keine Geschwindigkeit war ihr in ihrem Dahinstürzen genug: Sie beklagte sich, dass ihr langsames Gespann nicht vorankäme, und indem sie mit abwechselnden Schlägen die schuldlosen Flügel antrieb, (140) hielt sie nach Sizilien schon Ausschau, als sie noch nicht einmal den Ida aus dem Blick verloren hatte. Alles fürchtete sie, nichts hoffte sie. Genauso schwirrt in Besorgnis ein Vogel, der seine zarten Jungen einer niedrigen Bergesche anvertraut hat um Futter zu holen, und sehr viele Dinge malt er sich aus, wenn er weg ist: dass nicht ein Windstoß das filigrane Nest vom Baume herabgeweht habe, (145) dass sie nicht als Diebesgut einem Menschen ausgeliefert wären oder als Beute den Schlangen. Als ihr Haus – unbewacht, denn die Wachposten hatten sich entfernt – , die weit offen stehenden, aus den Angeln gerissenen Tore und das traurige Bild des schweigsamen Hofes ins Blickfeld gerieten, zerfetzte sie, ohne ihren Verlust genauer in Augenschein genommen zu haben, ihr Gewand (150) und riss sich zusammen mit ihrem Haar die abgebrochenen Ähren aus. Die Tränen stockten, kein Ton oder Atemgeräusch war zu hören und noch im tiefsten Inneren erschütterte ein Zittern die Knochen. Schwankend taumelte ihr Schritt. Nachdem sie die Flügeltür hinter sich geschlossen hatte, erblickte sie, während sie durch ihr leeres Haus und die verlassene Halle irrte, (155) das halbzerstörte Gewebe mit den durcheinander geratenen Fäden und die unterbrochenen Webkünste. Zugrunde ging dieses göttliche Werk und das verbleibende Stück hatte eine freche Spinne mit frevlerischem Webwerk zu ergänzen versucht191. Weder beweinte noch betrauerte sie das Unglück; nur Küsse drückte sie auf das Gewebe (160) und erstickte ihre stummen Klagen in dem Stoff; abgegriffene Weberschiffchen, die fallen

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cunctaque virgineo sparsa oblectamina ludo ceu natam pressat gremio; castumque cubile desertosque toros et sicubi sederat olim perlegit: attonitus stabulo ceu pastor inani, cui pecus aut rabies Poenorum inopina leonum aut populatrices infestavere catervae; serus at ille redit vastataque pascua lustrans non responsuros ciet inploratque iuvencos. atque ibi secreta tectorum in parte iacentem conspicit Electram, natae quae sedula nutrix Oceani priscas inter notissima Nymphas. par Cereri pietas: haec post cunabula dulci ferre sinu summoque Iovi deducere parvam sueverat et genibus ludentem aptare paternis; haec comes, haec custos, haec proxima mater haberi. tum laceras effusa comas et pulvere cano sordida sidereae raptus lugebat alumnae. hanc adgressa Ceres, postquam suspiria tandem laxavit frenosque dolor: ‘quod cernimus’ inquit ‘excidium? cui praeda feror? regnatne maritus an caelum Titanes habent? quae talia vivo ausa Tonante manus? rupitne Typhoea cervix Inarimen? fractane iugi conpage Vesevi Alcyoneus Tyrrhena pedes per stagna cucurrit? an vicina mihi quassatis faucibus Aetna protulit Enceladum? nostros an forte penates adpetiit centum Briareia turba lacertis? heu ubi nunc, ubi nata mihi? quo mille ministrae? quo Cyane? volucres quae vis Sirenas abegit? haecine vestra fides? sic fas aliena tueri pignora?’ contremuit nutrix, maerorque pudori cessit et aspectus miserae non ferre parentis emptum morte velit, longumque inmota moratur auctorem dubium certumque expromere funus. vix tamen haec: ‘acies utinam vaesana Gigantum

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gelassene Wolle und alle beim mädchenhaften Zeitvertreib verstreuten Spielzeuge drückte sie, als sei es ihre Tochter, eng an sich; das keusche Schlafzimmer, die verlassene Bettstatt und wo auch immer Proserpina früher verweilt hatte, musterte sie: (165) wie ein Hirte, bestürzt angesichts seines leeren Stalles, dem unvermutet wilde punische Löwen oder eine Diebesbande sein Vieh angegriffen haben; zu spät aber kehrte er zurück und die verwaisten Weiden musternd ruft und fleht er nach seinen Jungstieren, die nicht mehr antworten werden. (170) Doch da erblickte sie Elektra192, in einem abgelegenen Teil des Gebäudes liegend, die einst so eifrige Amme ihrer Tochter, berühmteste unter den alten Nymphen des Okeanos. An Mutterliebe kam sie der Ceres gleich: Sie war es gewöhnt, die Kleine nach dem Schlafen an ihrer lieblichen Brust zu tragen, sie zum erhabenen Jupiter zu bringen (175) und sie im Spiel auf die Knie des Vaters zu setzen; sie war ihre Begleiterin, sie ihre Beschützerin, sie wurde für ihre zweite Mutter gehalten. Nun aber betrauerte sie, die Haare gelöst und zerrauft, schmutzig vom weißgrauen Staub, den Raub ihres göttlichen Zöglings. Zu ihr trat Ceres heran, nachdem der Schmerz endlich ihre Seufzer und Beklemmungen frei gab, und sprach: (180) „Welch ein Verderben erblicke ich? Wem werde ich zur Beute? Herrscht noch mein Gatte oder haben die Titanen schon den Himmel besetzt? Welche Hand wagte dies zu Lebzeiten des Donnerers Jupiter? Hat etwa der Nacken des Typhoeus Inarime zersprengt193? Hat Alcyoneus194 etwa das Gebirgsmassiv des Vesuv zerbrochen (185) und ist zu Fuß durch das seichte Tyrrhenische Meer gelaufen? Oder hat der in meiner Nähe befindliche Aetna mit einem Ausbruch seines Schlundes den Enceladus195 zum Vorschein gebracht? Hat vielleicht das briareische Getümmel196 mit seinen hundert Armen unser Haus heimgesucht? Wehe, wo ist sie jetzt, wo ist meine Tochter? Wohin ihre tausend Dienerinnen? (190) Wohin Cyane197? Welche Gewalt vertrieb die geflügelten Sirenen198? Ist dies etwa eure Treue? Ist es so rechtens, fremde Kinder zu hüten?“ Die Amme zuckte zusammen, ihre Trauer wich einem Schamgefühl und sie wollte lieber sterben, als den Anblick der unglücklichen Mutter zu ertragen; lange zögerte sie reglos, (195) den fraglichen Täter und das sichere Unglück zu enthüllen. Mühsam brachte sie doch noch hervor: „Wenn doch das wilde Heer der Giganten uns dieses Unheil zugefügt

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hanc dederit cladem! levius communia tangunt. sed divae, multoque minus quod rere, sorores in nostras nimium coniuravere ruinas. insidias superum, cognatae vulnera cernis invidiae. Phlegra nobis infensior aether! florebat tranquilla domus; nec limina virgo linquere nec virides audebat visere saltus praeceptis obstricta tuis. telae labor illi; Sirenes requies; sermonum gratia mecum, mecum somnus erat cautique per atria ludi: cum subito (dubium quonam monstrante latebras rescierit) Cytherea venit suspectaque nobis ne foret, hinc Phoeben comites hinc Pallada iunxit. protinus effuso laetam se fingere risu nec semel amplecti nomenque iterare sororis et dura de matre queri, quae tale recessu maluerit damnare decus vetitamque dearum colloquio patriis procul amandaverit astris. nostra rudis gaudere malis et nectare largo instaurare dapes. nunc arma habitumque Dianae induitur digitisque attemptat mollibus arcum, nunc crinita iubis galeam laudante Minerva inplet et ingentem clipeum gestare laborat. prima Venus campos Aetnaeaque rura maligno ingerit adfatu. vicinos callida flores ingeminat meritumque loci velut inscia quaerit nec credit quod bruma rosas innoxia servet, quod gelidi rubeant alieno germine menses verna nec iratum timeant virgulta Booten. dum loca miratur, studio dum flagrat eundi, persuadet; teneris heu lubrica moribus aetas! quos ego nequiquam planctus, quas inrita fudi ore preces! ruit illa tamen confisa sororum praesidio; famulae longo post ordine Nymphae.

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hätte! Das Gewöhnliche trifft weniger stark. Aber Göttinnen, und was du noch viel weniger glaubst, ihre Schwestern, haben sich allzu sehr zu unserem Untergang verschworen. (200) Tücke der himmlischen Götter, Wunden, die der Neid von Verwandten schlug, siehst du. Feindseliger als Phlegra199 ist uns der Himmel! Gut ging es dem Haus in der Stille; weder wagte das junge Mädchen die Gemächer zu verlassen noch die grünen Berghänge aufzusuchen, ganz deinen Verboten verpflichtet. Der Webstuhl war ihre Beschäftigung; (205) die Sirenen sorgten für ihre Erholung; mit mir führte sie angenehme Gespräche, mit mir teilte sie ihren Schlaf und die behutsamen Spiele durch die Halle hindurch: als plötzlich (unklar, durch wessen Hinweis sie das Versteck in Erfahrung gebracht hatte) Venus eintrat, und damit sie uns nicht verdächtig erschiene, hatte sie zur einen Seite Phoebe200, zur anderen Pallas201 als Begleiterinnen mitgebracht. (210) Unentwegt gab sie sich mit offenem Lachen fröhlich, umarmte Proserpina nicht nur einmal, nannte sie mehrfach Schwester und klagte über die hartherzige Mutter, die eine solche Schönheit lieber zu Abgeschiedenheit verurteilen wollte und sie, indem sie ihr das Gespräch mit den Göttinnen verbat, weit weg von den Sternen des Vaters verbannte. (215) Unsere Proserpina, noch ganz unerfahren, freute sich über die heimtückischen Worte und richtete ein Mahl mit reichlich Nektar202. Bald zog sie Waffen und Gewand Dianas an und versuchte sich mit ihren zarten Fingern an dem Bogen; dann stülpte sie sich von Minerva umschmeichelt deren Helm auf, trug den Federbusch wie eine Haarpracht, und mühte sich, den gewaltigen Schild festzuhalten. (220) Venus führte ihr zunächst mit berechnenden Worten die Felder und Fluren des Aetna vor Augen. Schlau verwies sie wiederholt auf die Blumen in der Umgebung, erkundigte sich, als habe sie keine Ahnung, nach den Vorzügen des Ortes und mochte kaum glauben, dass der Winter, ohne ihnen zu schaden, die Rosen am Leben erhält, dass die eisigen Monate sich mit der Röte von ungewöhnlichen Knospen überziehen (225) und dass die Frühlingstriebe den grimmigen Bootes203 nicht fürchten. Indem sie die Gegend bewunderte, indem sie brennend verlangte dorthin zu gehen, überredete sie Proserpina. Ach, wie leicht zu verführen ist die Jugend mit ihren ungefestigten Sitten! Wie habe ich vergeblich geklagt, welche Bitten habe ich umsonst geäußert! Sie stürzte dennoch davon und vertraute dem Schutz ihrer Schwestern; (230)

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itur in aeterno vestitos gramine colles et prima sub luce legunt, cum rore serenus alget ager sparsosque bibunt violaria sucos. sed postquam medio sol altior institit axi, ecce polum nox foeda rapit tremefactaque nutat insula cornipedum pulsu strepituque rotarum. nosse nec aurigam licuit: seu mortifer ille seu mors ipsa fuit. livor permanat in herbas; deficiunt rivi; squalent rubigine prata et nihil adflatum vivit: pallere ligustra, expirare rosas, decrescere lilia vidi. ut rauco reduces tractu detorsit habenas, nox sua prosequitur currum, lux redditur orbi. Persephone nusquam. voto rediere peracto nec mansere deae. mediis invenimus arvis exanimem Cyanen: cervix redimita iacebat et caligantes marcebant fronte coronae. adgredimur subito, casus scitamur eriles (nam propior cladi steterat): qui vultus equorum? quis regat? illa nihil, tacito sed laesa veneno solvitur in laticem: subrepens crinibus umor liquitur in roremque pedes et bracchia manant nostraque mox lambit vestigia perspicuus fons. discedunt aliae; rapidis Acheloides alis sublatae Siculi latus obsedere Pelori accensaeque malo iam non inpune canoras in pestem vertere lyras: vox blanda carinas alligat; audito frenantur carmine remi. sola domi luctu senium tractura relinquor.’ haeret adhuc suspensa Ceres et singula demens ceu nondum transacta timet; mox lumina torquens ultro ad caelicolas furiato pectore fertur. arduus Hyrcana quatitur sic matre Niphates, cuius Achaemenio regi ludibria natos

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in langer Reihe folgten danach ihre Dienerinnen, die Nymphen. Sie gingen zu den Hügeln, die bedeckt sind von immer grünenden Wiesen, und sammelten im ersten Tageslicht Blumen, wenn die heitere Flur noch kühl ist vom Tau und Veilchen die fein versprühten Tropfen trinken. Aber als die Sonne, schon höher, in der Mitte ihrer Bahn stand, (235) siehe, da raubte uns plötzlich eine hässliche Nacht den Himmel, und erschüttert vom Stampfen der Pferde und dem Getöse der Räder schwankte die Insel. Doch man konnte den Wagenlenker nicht erkennen, ob er den Tod brachte oder der Tod selbst war. Bleierne Farbe überzog die Pflanzen, Bäche versiegten, in Fäulnis erstarrten die Wiesen, (240) und nichts, was angehaucht wurde, überlebte: Ich sah Ligustersträucher welken, Rosen verblühen, Lilien dahinsterben. Als er mit knirschendem Zug das Gespann zur Rückkehr gewendet hatte, folgte dem Wagen seine eigene Nacht, die Welt erhielt ihr Licht zurück. Persephone204 war verschwunden. Da sie ihr Ziel erreicht hatten, (245) kehrten die Göttinnen heim ohne zu zögern. Mitten auf der Wiese fanden wir Cyane205 leblos: Ihr umkränzter Nacken lag am Boden und schwärzliche Blumengebinde welkten auf ihrer Stirn. Sofort traten wir heran und fragten nach dem Schicksal unserer Herrin (denn sie hatte näher am Ort des Unglücks gestanden): Welches Aussehen hatten die Pferde? (250) Wer lenkte sie? Cyane antwortete nichts mehr, sondern durchdrungen von geheimem Gift, löste sie sich auf zu Wasser: Feuchtigkeit kroch in Rinnsalen über ihr Haar, zu Tau zerflossen Beine und Arme, und bald leckte an unseren Füßen ein klarer Quell. Die anderen liefen davon. Des Achelous Töchter206 erhoben sich auf ihren schnellen Schwingen (255) und nahmen die Flanke des sizilischen Pelorus in Besitz; empört über das Verbrechen, verwandelten sie ihre Lieder, nicht länger mehr harmlos wohltuend, zu einer Todesgefahr: Ihre schmeichelnde Stimme fesselt nun Schiffe, kaum hört man ihr Lied, werden die Ruder gehemmt. Ich blieb allein im Haus zurück, um mein Alter in Trauer dahinzubringen.“ (260) Bis hierhin verharrte Ceres gespannt und fürchtete wie von Sinnen jede Einzelheit, als sei sie noch nicht geschehen. Dann riss sie ihren Blick los und stürzte mit rasendem Herzen hinauf zu den Himmelsbewohnern. So wird der steile Niphates von der hyrkanischen Tigerin erschüttert207, deren Junge ein Reiter zitternd entführt hat als Belustigung für den persischen König; (265) sie setzt ihm nach, schneller

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avexit tremebundus eques; premit illa marito mobilior Zephyro totamque virentibus iram dispergit maculis iamiamque hausura profundo ore virum vitreae tardatur imagine formae. haud aliter toto genetrix bacchatur Olympo ‘reddite’ vociferans: ‘non me vagus edidit amnis; non Dryadum de plebe sumus; turrita Cybele me quoque Saturno genuit. quo iura deorum, quo leges cecidere poli? quid vivere recte proderit? en audet noti Cytherea pudoris ostentare suos post Lemnia vincula vultus? hos animos bonus ille sopor castumque cubile praebuit? amplexus hoc promeruere pudici? nec mirum si turpe nihil post talia ducit. quid vos expertes thalami? tantumne relictus virginitatis honos, tantum mutata voluntas? iam Veneri iunctae sociis raptoribus itis? o templis Scythiae atque hominem sitientibus aris utraque digna coli! tanti quae causa furoris? quam mea vel tenui dicto Proserpina laesit? scilicet aut caris pepulit te, Delia, silvis aut tibi commissas rapuit, Tritonia, pugnas! an gravis eloquio? vestros an forte petebat inportuna choros? atqui Trinacria longe, esset ne vobis oneri, deserta colebat. quid latuisse iuvat? rabiem livoris acerbi nulla potest placare quies.’ his increpat omnes vocibus. ast illae – prohibet sententia patris – aut reticent aut nosse negant responsaque matri dant lacrimas. quid agat? rursum se victa remittit inque humiles delapsa preces: ‘ignoscite si quid intumuit pietas, si quid flagrantius actum quam miseros decuit. supplex deiectaque vestris

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als ihr Gatte Zephyrus, lässt ihren ganzen Zorn an den grünschwarzen Streifen erkennen, und schon fast im Begriff den Mann mit weit aufgerissenem Maul zu verschlingen, wird sie gehindert vom gespiegelten Abbild ihrer Gestalt im Glas208. Nicht anders wütete Proserpinas Mutter überall über den Olymp (270) und schrie: „Gebt sie mir zurück! Mich hat nicht ein unsteter Fluss gezeugt, ich bin nicht eine aus der Masse der Dryaden; sondern die turmgekrönte Kybele gebar auch mich dem Saturn. Wohin sind die Rechte der Götter, wohin die Gesetze des Himmels entschwunden? Was wird es nützen, rechtschaffen zu leben? Seht nur, wie Venus in ihrer bekannten Schamhaftigkeit es sogar wagt, (275) noch nach der Fesselung auf Lemnos209 ihr Gesicht zu zeigen! Haben ihr etwa der gute Schlaf dort und das keusche Lager diesen Mut verliehen? Ist dies das Verdienst von ihren züchtigen Umarmungen? Kein Wunder, wenn sie danach nichts mehr für schändlich hält! Was ist mit euch, die ihr das Ehebett ablehnt210? Habt ihr die Ehre der Jungfräulichkeit so außer acht gelassen, (280) eure Gesinnung so sehr verändert? Seid ihr nun der Venus verbunden und Komplizen von Räubern? Oh, ihr seid es beide wert, in den Tempeln Skythiens verehrt zu werden und überhaupt auf Altären, die nach Menschenblut dürsten 211! Aus welchem Grund diese Wut? Wen von euch hat meine Proserpina verletzt, und sei es nur mit einem leichten Wort? (285) Vermutlich hat sie dich, die Göttin von Delos212, aus deinen geliebten Wäldern vertrieben, oder dir, Tritonia213, die Leitung der Schlachten entrissen? Oder war sie lästig mit ihren Worten? Wollte sie sich vielleicht unverschämt in eure Tänze einmischen? Dabei bewohnte sie doch, um euch nicht zur Last zu fallen, weit weg die sizilische Einöde. (290) Was nützte es ihr, sich versteckt zu haben? Keinerlei Abgeschiedenheit vermag die Wut gehässiger Eifersucht zu mildern.“ Mit diesen Worten schrie Ceres alle an. Aber jene (verbat es doch der Wille des Vaters) schwiegen entweder still oder leugneten, etwas zu wissen, und gaben der Mutter Tränen zur Antwort. Was sollte sie tun? Erneut besiegt, gab sie nach (295) und ließ sich herab zu demütigen Bitten: „Verzeiht mir, wenn meine Mutterliebe etwas zu zornig war, wenn es hier etwas heftiger zuging, als es Unglücklichen ansteht. Demütig falle ich nieder und werfe mich euch zu Füßen. Möge es mir erlaubt

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advolvor genibus. liceat cognoscere sortem, hoc tantum, liceat certos habuisse dolores. scire peto quae forma mali; quamcumque dedistis fortunam, sit nota, feram fatumque putabo, non scelus. aspectum, precor, indulgete parenti; non repetam. quaesita manu securus habeto, quisquis es; adfirmo praedam; desiste vereri. quod si nos aliquo praevenit foedere raptor, tu certe, Latona, refer; confessa Diana forte tibi. nosti quid sit Lucina, quis horror pro genitis et quantus amor, partusque tulisti tu geminos; haec una mihi. sic crine fruaris semper Apollineo, sic me felicior aevum mater agas. largis nunc imbribus ora madescunt; quid tantum dignum fleri dignumque taceri? ei mihi, discedunt omnes! quid vana moraris ulterius? non bella palam caelestia sentis? quin potius natam pelago terrisque requiris? accingar lustrare diem, per devia rerum indefessa ferar. nulla cessabitur hora, non requies, non somnus erit, dum pignus ademptum inveniam, gremio quamvis mergatur Hiberae Tethyos et rubro iaceat vallata profundo. non Rheni glacies, non me Rhipaea tenebunt frigora, non dubio Syrtis cunctabitur aestu. stat fines penetrare Noti Boreaeque nivalem vestigare domum; primo calcabitur Atlans occasu facibusque meis lucebit Hydaspes. inpius errantem videat per rura, per urbes Iuppiter; extincta satietur paelice Iuno. insultate mihi, caelo regnate superbi, ducite praeclarum Cereris de stirpe triumphum.’

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sein, das Schicksal zu erfahren, möge dies nur erlaubt sein, Gewissheit zu haben über die Schmerzen. (300) Wissen möchte ich die Art des Unheils; welches Los auch immer ihr mir gegeben habt, teilt es mir mit, ich werde es ertragen und für meine Bestimmung halten, nicht für ein Verbrechen. Gewährt mir, ihrer Mutter, ich bitte euch, Proserpinas Anblick, ich werde sie nicht zurückfordern. Sicher sollst du haben, was im Handstreich du erwarbst, wer auch immer du bist; ich bestätige den Raub; höre auf dich zu fürchten. (305) Wenn aber der Entführer mir durch irgendeine Abmachung zuvorkam, sage du, Latona214, es mir doch wenigstens; vielleicht hat Diana es dir ja bekannt. Denn du weißt, was Lucina215 bedeutet, welche Angst um die Kinder und wie große Liebe, denn du hast Zwillinge zur Welt gebracht; ich aber habe nur dieses Kind. So mögest du dich immer an Apollos Haar216 erfreuen, (310) so mögest du glücklicher als ich dein Leben als Mutter verbringen. Von reichlichen Tränen werden die Gesichter nun nass; was ist so wertvoll beweint, so wertvoll, verschwiegen zu werden? Wehe mir, alle verschwinden! Was bleibst du noch länger vergeblich? Spürst du nicht den offenkundigen Krieg der Götter? (315) Warum suchst du nicht lieber deine Tochter zu Wasser und zu Lande? Ich werde mich rüsten, den lichten Erdkreis zu durchforschen, unermüdlich will ich durch die entlegensten Gegenden der Welt eilen. Keine Stunde will ich versäumen, keine Ruhe mir gönnen, keinen Schlaf, bis ich meine geraubte Tochter finde, sei sie auch in der Tiefe der Iberischen See versunken (320) oder liege versteckt in den Abgründen des Roten Meeres. Nicht das Eis des Rheins, nicht die riphäische Kälte werden mich aufhalten, noch werde ich bei der unberechenbaren Brandung der afrikanischen Syrte zaudern 217. Ich bin entschlossen, das Gebiet des Notus zu durchdringen und das schneeweiße Haus des Boreas auszukundschaften; im äußersten Westen will ich den Atlas betreten (325) und von meinen Fackeln wird der Hydaspes hell aufleuchten218. Der gewissenlose Jupiter soll ruhig sehen, wie ich durch Felder, durch Städte irre; mag Juno doch befriedigt sein über das Verschwinden einer Rivalin. Verhöhnt mich nur, herrscht doch hochmütig im Himmel, feiert euren prächtigen Triumph über das Kind der Ceres.“

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haec fatur notaeque iugis inlabitur Aetnae noctivago taedas informatura labori. lucus erat prope flumen Acin, quod candida praefert saepe mari pulchroque secat Galatea natatu, densus et innexis Aetnaea cacumina ramis qua licet usque tegens. illic posuisse cruentam aegida captivamque pater post proelia praedam advexisse datur. Phlegraeis silva superbit exuviis totumque nemus victoria vestit. hic patuli rictus, hic prodigiosa Gigantum tergora dependent, et adhuc crudele minantur affixae truncis facies, inmaniaque ossa serpentum passim cumulis exanguibus albent, et rigidae multo suspirant fulmine pelles; nullaque non magni iactat se nominis arbor: haec centumgemini strictos Aegaeonis enses curvata vix fronde levat; liventibus illa exultat Coei spoliis; haec arma Mimantis sustinet; hos onerat ramos exutus Ophion. altior at cunctis abies umbrosaque late ipsius Enceladi fumantia gestat opima, summi terrigenum regis, caderetque gravata pondere, ni lassam fulciret proxima quercus. inde timor numenque loco, nemorisque senectae parcitur, aetheriisque nefas nocuisse tropaeis. pascere nullus oves nec robora laedere Cyclops audet et ipse fugit sacra Polyphemus ab umbra. non tamen hoc tardata Ceres. accenditur ultro religione loci vibratque infesta securim (ipsum etiam feritura Iovem); succidere pinus aut magis enodes dubitat prosternere cedros, exploratque habiles truncos rectique tenorem stipitis et certo pertemptat bracchia nisu. sic, qui vecturus longinqua per aequora merces

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(330) So sprach sie und glitt hinab auf die Hänge des vertrauten Aetna, um Fackeln zu fertigen für ihre nächtlichen Streifzüge. Ein Hain219 befand sich in der Nähe des gelb strömenden Acis220, den die milchigweiße Galatea häufig dem Meere vorzog und in anmutigen Schwimmzügen durchschnitt, ganz dicht war er und verdeckte mit seinen verschlungenen Zweigen die Höhen des Aetna soweit wie möglich. (335) Dort soll der Göttervater seine blutbefleckte Aigis221 niedergelegt und die eroberte Beute nach dem Kampfe hingeschafft haben. Mit dieser Rüstung aus Phlegra222 brüstet stolz sich der Wald und der Sieg bekleidet sämtliche Bäume. Hier hängen der Giganten223 weit aufklaffende Münder, hier ihre ungeheuerlichen Rücken, (340) und immer noch drohen grausam, an Baumstämme genagelt, ihre Gesichter. Überall bleichen die riesigen Knochen der Schlangenfüße in blutleeren Haufen, und die steif gewordenen Häute schwelen noch von den vielen Blitzen. Kein Baum, der sich nicht eines großen Namens rühmt: (345) Der eine hebt kaum mit seinem krummen Geäst die gezückten Schwerter des hundertarmigen Aegaeon224; der andere prahlt mit der bläulich schimmernden Beute von Coeus225; wieder ein anderer trägt die Waffen des Mimas226; mit abgelegter Rüstung beschwert Ophion227 weitere Zweige. Aber eine Edeltanne, höher als alle und weithin Schatten spendend, (350) trägt die noch rauchenden Feldherrnwaffen des Enceladus228 selbst, des höchsten Herrschers der Erdgeborenen, und sie wäre erdrückt von ihrer Last fast zusammengebrochen, wenn nicht die Eiche daneben sie in ihrer Schwäche abgestützt hätte. Daher kommt die Furcht vor dem Ort und seine göttliche Ausstrahlung, man achtet das Alter des Haines, und als Frevel gilt es, den Trophäen des Himmels Schaden zuzufügen. (355) Hier seine Schafe zu weiden oder die Bäume zu verletzen wagt kein Kyklop und selbst Polyphem229 flieht vor dem heiligen Schatten. Doch Ceres ließ sich nicht davon aufhalten 230: Stärker noch wurde ihre Erregung durch die Heiligkeit des Ortes und sie schwang bedrohlich ihr Beil (bereit, sogar Jupiter selbst zu treffen). Sie erwog, ob sie Pinien fällen (360) oder die noch glatteren Zedern niederstrecken solle, spähte nach geeigneten Stämmen, nach deren geradem Wuchs und prüfte mit einer genauen Probe die Äste. Ebenso misst einer, der zu Lande ein Schiff baut, weil er seine Waren weit über das Meer fahren will, und

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molitur tellure ratem vitamque procellis obiectare parat, fagos metitur et alnos et varium rudibus silvis accommodat usum: quae longa est, tumidis praebebit cornua velis; quae fortis, malo potior; quae lenta, favebit remigio; stagni patiens aptanda carinae. tollebant geminae capita inviolata cupressus caespite vicino, quales non rupibus Idae miratur Simois, quales non divite ripa lambit Apollinei nemoris nutritor Orontes. germanas adeo credas, sic frontibus aequis extant et socio despectant vertice lucum. hae placuere faces; pernix invadit utramque cincta sinus, exerta manus, armata bipenni, alternasque ferit totisque obnixa trementes viribus inpellit. pariter traxere ruinam et pariter posuere comas campoque recumbunt, Faunorum Dryadumque dolor. conplectitur ambas, sicut erant, alteque levat retroque solutis crinibus ascendit fastigia montis anheli exuperatque aestus et nulli pervia saxa atque indignantes vestigia calcat harenas: qualis pestiferas animare ad crimina taxos torva Megaera ruit, Cadmi seu moenia poscat sive Thyesteis properet saevire Mycenis: dant tenebrae Manesque locum plantisque resultant Tartara ferratis, donec Phlegethontis ad undam constitit et plenos excepit lampade fluctus. postquam perventum scopuli flagrantis in ora, protinus arsuras adversa fronte cupressus faucibus iniecit mediis lateque cavernas texit et undantem flammarum obstruxit hiatum. conpresso mons igne tonat claususque laborat Mulciber: obducti nequeunt exire vapores. coniferi micuere apices crevitque favillis Aetna novis; stridunt admisso sulphure rami.

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sich vorbereitet, sein Leben den Stürmen entgegenzuwerfen, (365) Buchen und Eschen ab und passt den rohen Stämmen die jeweilige Verwendung an: Der, der lang ist, wird den geblähten Segeln als Stange dienen, der stark ist, wird eher als Mastbaum sich eignen, der biegsam ist, als Ruder, der im Wasser besteht, wird zum Kiel genommen. (370) Zwei Zypressen231 erhoben ihre unversehrten Wipfel auf einem Rasenstück ganz in der Nähe, wie sie nicht Simois232 auf den Felshängen des Ida bewundern kann, wie sie auch nicht Orontes233, Ernährer des Apollinischen Haines, mit seinem reichen Wasser umspült. Für Schwestern hätte man sie halten können, so ragten sie mit gleich großen Kronen empor (375) und blickten von vereinter Höhe hinab auf den Hain. Diese gefielen Ceres als Fackeln. Flink trat sie zu den beiden heran, das Gewand hoch gegürtet, die Arme entblößt, bewaffnet mit einer doppelschneidigen Axt, schlug mal auf die eine, mal auf die andere ein, und indem sie all ihre Kräfte aufwand, gab sie den wankenden Bäumen noch den letzten Stoß. Gleichzeitig stürzten sie um, (380) gleichzeitig streckten sie ihr Nadelkleid nieder und sanken auf den Boden, ein Jammer für Faune und Dryaden234. Ceres ergriff beide, wie sie waren, hob sie hoch und erklomm, während ihr offenes Haar hinter ihr flatterte, den Grat des keuchenden Berges, überwand seine wallende Hitze und die keinem zugänglichen Felsen (385) und betrat den Sand, der Fußspuren übel nimmt: Wie die grimmige Megaera losstürzt, um giftige Eiben für Verbrechen zu beleben, ob sie nun Rache fordert von den Mauern des Kadmus, oder ob sie eilt, im Mykene des Thyestes zu wüten235: Die Finsternis und die Manen machen ihr Platz und der Tartarus hallt wider von ihren eisernen Fußtritten, (390) bis sie am Ufer des Phlegethon zum Stehen kommt und mit ihrer Fackel die Fülle des Glutstroms aufschöpft. Kaum war Ceres an die Öffnung des feurigen Berges gelangt, streckte sie gleich die Zypressen, die sie entzünden wollte, mit der Krone nach unten mitten hinein in die Höhlung, verdeckte den Krater in voller Breite (395) und verstopfte so den von Flammen lodernden Schlund. Der Berg donnerte von dem unterdrückten Feuer und Mulciber236 war in Not durch die Enge: Rauch entwickelte sich, doch vermochte nicht zu entweichen. Die Zapfen tragenden Wipfel flackerten auf und der Aetna wuchs, weil neue Asche hinzukam; vom beigemengten Schwe-

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tum, ne deficerent tantis erroribus ignes, semper inocciduos insopitosque manere iussit et arcano perfudit robora suco, quo Phaethon inrorat equos, quo Luna iuvencos. iamque soporiferas nocturna silentia terris explicuere vices; laniato pectore longas incohat illa vias et sic ingressa profatur: ‘non tales gestare tibi, Proserpina, taedas sperabam, sed vota mihi communia matrum, et thalami festaeque faces caeloque canendus ante oculos hymenaeus erat. sic numina fatis volvimur et nullo Lachesis discrimine saevit! quam nuper sublimis eram quantisque procorum cingebar studiis! quae non mihi pignus ob unum cedebat numerosa parens! tu prima voluptas, tu postrema mihi; per te fecunda ferebar. o decus, o requies, o grata superbia matris, qua gessi florente deam, qua sospite nusquam inferior Iunone fui; nunc squalida, vilis! hoc placitum patri. cur autem adscribimus illum his lacrimis? ego te, fateor, crudelis ademi, quae te deserui solamque instantibus ultro hostibus exposui. raucis secura fruebar nimirum thiasis et laeta sonantibus armis iungebam Phrygios cum tu raperere leones. accipe quas merui poenas. en ora fatiscunt vulneribus grandesque rubent in pectore sulci! inmemor en uterus crebro contunditur ictu! qua te parte poli, quo te sub cardine quaeram? quis monstrator erit? quae me vestigia ducent? qui currus? ferus ille quis est? terraene marisne incola? quae volucrum deprendam signa rotarum? ibo, ibo, quocumque pedes, quocumque iubebit casus. sic Venerem quaerat deserta Dione.

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fel zischten die Zweige. (400) Dann befahl sie dem Feuer, damit es bei ihrem langen Umherirren nicht ausgehe, immer unvergänglich und unauslöschlich zu bleiben, und übergoss die Stämme mit einem geheimen Saft, mit dem auch Phaethon seine Pferde befeuchtet und Luna ihre Stiere237. Schon hatte nächtliches Schweigen auf Erden die immer wiederkehrenden Zeiten des Schlafes entfaltet; (405) mit von Schlägen zerschundener Brust machte sich Ceres auf ihren langen Weg und sprach beim Aufbruch folgende Worte: „Nicht solche Fackeln, Proserpina, hoffte ich für dich zu tragen, sondern ich hatte Wünsche, die allen Müttern gemein sind: Ich sah vor meinen Augen schon das Ehebett, die festlichen Fackeln (410) und einen Hochzeitsgesang, von den Himmlischen anzustimmen. So werden also auch wir Götter vom Schicksal überrollt und Lachesis238 wütet ohne Unterschied! Wie erhaben war ich noch vor kurzem und mit welchem Eifer umringten die Freier mich! Welche vielfache Mutter räumte mir nicht den ersten Platz ein ob dieses einen Kindes? Du meine erste Freude, (415) meine letzte zugleich; deinetwegen wurde ich fruchtbar genannt. O du meine Zierde, meine Erholung, o du lieblicher Stolz deiner Mutter, als du aufblühtest, war ich wirklich eine Göttin, als du unversehrt warst, stand ich Juno in nichts nach; nun aber bin ich übel gedemütigt! Das ist deines Vaters Beschluss! Warum aber schreibe ich ihm die Schuld an diesen Tränen zu? (420) Ich habe, ich gestehe es, dich grausam vernichtet, weil ich dich verließ und zudem allein den drohenden Feinden preisgab. Sorglos genoss ich ja die schrillen Tänze und glücklich über das Dröhnen der Waffen schirrte ich, während du geraubt wurdest, phrygische Löwen an. Lasse gelten die Strafen, die ich verdient habe. Sieh, mein Gesicht reißt auf von Wunden und tiefe Furchen röten sich auf meiner Brust! Sieh, mein vergesslicher Mutterleib wird erschüttert von zahllosen Schlägen! In welcher Himmelsgegend, auf welchem Erdstrich soll ich dich suchen? Wer wird mir den Weg zeigen? Welche Spuren werden mich führen? (430) Welcher Wagen war es? Wer ist jener Räuber? Wohnt er auf Erden oder im Meer? Welche Zeichen seiner flüchtigen Räder soll ich entschlüsseln? Ich werde gehen, werde gehen, wohin auch immer meine Füße mich tragen, wohin auch immer der Zufall befiehlt. Genau so soll Dione239 verwaist nach ihrer Venus suchen. Doch wird meine Anstrengung Er-

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proficietne labor? rursum te, nata, licebit amplecti? manet ille decor, manet ille genarum fulgor? an infelix talem fortasse videbo, qualis nocte venis, qualem per somnia vidi?’ sic ait et prima gressus molitur ab Aetna exitiique reos flores ipsumque rapinae detestata locum sequitur dispersa viarum indicia et pleno rimatur lumine campos inclinatque faces. omnis madet orbita fletu; omnibus admugit, quocumque it in aequore, sulcis. innatat umbra fretis extremaque lucis imago Italiam Libyamque ferit: clarescit Etruscum litus et accenso resplendent aequore Syrtes; antra procul Scyllaea petit, canibusque reductis pars stupefacta silet, pars nondum exterrita latrat.

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folg haben? Wird es noch einmal erlaubt sein, dich, meine Tochter, zu umarmen? (435) Bleibt jene Schönheit, bleibt jener Glanz deiner Wangen erhalten? Oder werde ich Unglückliche dich vielleicht so erblicken, wie du mir nächtens erscheinst, wie ich im Traume dich sah?“ So sprach sie und begann zuerst vom Aetna herab ihre Schritte zu setzen; verwünschend die Blumen, die mitschuldig waren am Unglück, und den Ort selbst des Raubes, (440) folgte sie den verstreuten Zeichen der Spuren, durchforschte die Felder mit hellem Licht und senkte ihre Fackeln zu Boden. Jede Wagenspur wurde nass von ihren Tränen; bei jeder Furche stieß sie einen Schrei aus, auf welcher Ebene auch immer sie ging. Ihr Schatten glitt über die Meerenge und der letzte Schein ihres Lichts streifte Italien und Libyen: (445) Hell leuchtete auf die etruskische Küste und die Syrten glänzten wider in der entflammten Meeresfläche240. Zur Höhle der Scylla241 in einiger Entfernung eilte nun Ceres: Als diese ihre Hunde zurückhielt, schwiegen manche von ihnen erstaunt, andere bellten, noch nicht aus der Fassung gebracht.

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Die Seefahrt (Wagemut der Argonauten, zu neuen Gestaden aufzubrechen) steht als Metapher für Claudians dichterische Unternehmung, ein jedem antiken Leser bekanntes Motiv, das der Dichter hier zu einer Entwicklungsgeschichte seiner poetischen Fähigkeiten ausbaut: von anfänglichen Versuchen über kleinere Gelegenheitsdichtung bis zu dem Selbstvertrauen, ein opus magnum schaffen zu können. Er verzichtet auf eine thematische Hinführung zum Epos, gibt mit dem Bewusstsein über seinen ‚kühnen Gesang‘ zu Beginn des ersten Buches allerdings einen klaren Rückbezug auf die ‚verwegene Kühnheit‘ des Seefahrers und deutet damit die Allegorie indirekt. Entführer aus der Unterwelt: Im lateinischen Text setzt das Epos mit diesen Worten ein und markiert damit, epischer Tradition gemäß, das Thema: Mit der Nennung 1. des Pluto, 2. des Zieles von seinem Gespann (Oberwelt als Ort des Raubes) und 3. des Ehebettes Proserpinas in der Unterwelt werden in den ersten drei Versen bereits die handlungsbestimmenden Grundzüge skizziert. Unterweltsgespann, denn der Taenarus ist ein Vorgebirge in Lakonien mit einer Höhle, die als Eingang zur Unterwelt galt. Unterwelts-Juno, d. h. Königin der Unterwelt, ist Proserpina in Analogie zum Herrscherpaar Juno und Jupiter in der Oberwelt. Der übliche Musenanruf um schöpferischen Beistand bei der Abfassung des Werks wird hier an Phoebus Apollo, den Gott der Dichtkunst, gerichtet und zu prophetischem Trance-Zustand gesteigert. Die Forderung an Nichteingeweihte, zurückzutreten, war ursprünglich die eines Priesters beim Vollzug heiliger Riten – Claudian überhöht damit sein dichterisches Unternehmen. Claudians dichterische Ekstase mündet in Visionen: Die Fruchtbarkeitsgöttin Ceres erscheint. Wichtigste Kultstätte von Deme-

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ter/ Ceres war Eleusis in Attika: An den großen Eleusinischen Mysterien, einem neuntägigen Fest Anfang September (wenn die Vegetation nach der Sommerhitze erneut auflebte), zog eine feierliche Prozession von Athen nach Eleusis, um die Wiedervereinigung der Ceres mit ihrer Tochter Proserpina zu feiern, die man für die Zeit der Sommermonate (Vegetationspause) in der Unterwelt glaubte. Erdbeben und gleißendes Licht am Tempeleingang galten als Begleiterscheinungen der Epiphanie einer Gottheit. Kekropischer Tempel: Da das Ceres-Heiligtum sich nahe Athen befand, dessen legendärer König Kekrops war, wird der Tempel hier kekropisch genannt. Eleusis erscheint personifiziert und trägt wie die Eingeweihten der Mysterien heilige Fackeln. Im Jahre 395 n. Chr., d. h. kurz vor der vermutlichen Abfassungszeit dieses Epos, war dieses wichtige Mysterienheiligtum von den christianisierten Goten unter Alarich zerstört worden – Claudians dichterische Wirklichkeit bleibt davon unberührt, was man als Zeichen seiner paganen Identifikation werten könnte. Triptolemus (‚Dreimalpflüger‘): der erste Mensch, dem Ceres die Kunst des Ackerbaus beibrachte und den sie beauftragte, die Gabe des Getreides zusammen mit ihrem Kult über die ganze Welt zu verbreiten. Er lenkt hier Ceres’ Schlangenwagen. In der Tradition der Orphischen Dichtung war T. ein Hirte in Attika, der Pluto mit der geraubten Proserpina in die Erde einfahren sah und für die Weitergabe dieses Wissens von Ceres mit der Kunst des Ackerbaus belohnt wurde. Jupiters Rede in 3,50–54 lässt vermuten, dass Claudian im unvollendeten Teil seines Epos diese Mythenversion aufgreifen wollte. Hekate: chthonische Gottheit, als dämonische Mittlerin zwischen Oben und Unten mit Proserpina und dem Eleusinischen Kult verbunden; im homerischen Demeter-Hymnus Augenzeugin des Raubes der Proserpina; als Göttin der Wegkreuzungen wurde sie mit drei Köpfen oder gleich als drei Göttinnen dargestellt, wobei ihre spätere Identifikation mit Diana (als Göttin der Jagd, Fruchtbarkeit und Geburt auf Erden), sowie Luna (Mondgöttin im Himmel) ebenfalls auf die dreifache Gestalt in verschiedenen Sphären verweist.

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Iacchus: ursprünglich die Personifikation des ekstatischen Kultrufs der in die Eleusinischen Mysterien Eingeweihten; später wurde er mit Dionysos identifiziert, weshalb er hier auch mit Efeukranz, maeonischem = lydischem Thyrsusstab (mit Weinlaub umwunden) und Tigerfell erscheint. Avernus (siehe Anm. 165): hier poetisch für die gesamte Unterwelt, die paradoxerweise leer genannt wird, da die unzähligen Schatten immateriell sind. Der Anruf an die Unterweltsgötter – assoziativer Übergang zu Pluto und Proserpina als in Eleusis verehrten Gottheiten – erfolgt in hymnischem Stil: Umschreibung des Machtbereichs, dann erst die eigentliche Bitte um Enthüllung. Styx und Phlegethon (‚Feuerstrom‘): Flüsse in der Unterwelt. Dis (latein.: ‚reich‘): anderer Name des Pluto (griech: ‚Reichtum‘), der als Herrscher im Unterweltsreich der Toten gewöhnlich als emotional unnahbare Gottheit dargestellt wurde. Die Eleusinischen Mysterien, auf deren Gründung die Schilderung des homerischen Demeter-Hymnus gemäß seinem stärker religiös geprägten Entstehungshintergrund noch abzielte, dienen Claudian nur mehr als Eingangsszenarium, sinnstiftend ist für ihn entsprechend der folgenden Mythentradition die Gabe des Getreides und Ackerbaus. Eicheln galten als Hauptnahrungsquelle vor der Einführung des Getreideanbaus; poetisches Attribut des Eichenbaumes war der Hinweis auf Dodona (in Epirus), wo sich ein berühmtes Zeus-Heiligtum mit uralten Eichen befand. Vgl. Jupiters Legitimation der Eichel-Nahrung unter seiner Herrschaft in 3,18–54. Herrscher des Erebus (Finsternis, Unterwelt): Pluto, der bereits in dieser Ausgangssituation des Konflikts sehr menschlich gezeichnet erscheint. Claudian setzt nun mit der Erzählung des Raubes selbst ein. ‚Donnerer‘ ist übliches poetisches Beiwort der Ehrfurcht gebietenden Erscheinung des Göttervaters Jupiter, der auch die Funktion eines Wettergottes ausübte und daher als Attribute neben dem Szepter noch Donnerkeil und Blitz besaß.

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Tisiphone: neben Allekto und Megaera eine der drei Furien/ Rachegöttinnen, die Verbrechen der Menschen sühnten, indem sie sie mit Fackeln verfolgten und in den Wahnsinn trieben. Ihre Rolle als Signalgeber für Kriege entspricht epischer Tradition; neu allerdings ist die groteske Bewaffnung der substanzlosen Manen, die man sich ja als Schatten vorstellte. Titanische Schar: Uranos (Himmel) und Gaia (Erde), der ersten Göttergeneration, entstammten insgesamt sechs Töchter und sechs Söh ne, die sogenannten Titanen. Unter Führung des jüngsten Bruders Kronos stürzten sie die väterliche Herrschaft. Nachdem auch Kronos/ Saturnus durch dessen Sohn Zeus/ Jupiter gestürzt worden war, verteidigten die Titanen ihren Bruder gegen die neue Herrschaftsordnung, die sich jedoch durchzusetzen vermochte und die – unsterblichen – Titanen in der Unterwelt gefangen hielt. Die Fesseln lösen bedeutet Rückkehr des Urchaos. Claudian verwendet die Titanen hier im Epos synonym mit den – eigentlich sterblichen – Giganten, ungeschlachten Wesen, die laut dem Mythos der Gigantomachie erfolglos versuchten, Jupiter und die olympischen Götter zu entmachten. Die Gigantenschlacht wie die Titanenschlacht gelten daher als Metapher für die Durchsetzung der herrschenden Ordnung gegen chaotische Bedrohung (vgl. Ceres’ Ausrufe in 3,181 ff.). Für Claudian ist sie ein wiederholtes Motiv in seinem literarischen Schaffen, sicher vor dem Hintergrund der Goteneinfälle in das weströmische Reich zu verstehen (man vergleiche den Fries auf dem Pergamonaltar, ca. 180–160 v. Chr., wo diese größte Götterschlacht der griechisch-römischen Mythologie den Sieg der hellenistischen Staatenwelt über die sie bedrohenden gallischen Barbaren symbolisiert). Aegaeon: ein Titan mit 50 Köpfen und 100 Händen, mit denen er Jupiters Blitze abzuwehren suchte; nach seiner Niederlage wurde er in der Unterwelt gefesselt gefangengehalten. Parzen: die drei Schicksalsgöttinnen (Töchter von Jupiter und Themis) Klotho, die den Lebensfaden spinnt, Lachesis, die ihn durch alle Widrigkeiten hindurch erhält, und Atropos, die ihn als ‚Unabwendbare‘ abschneidet. Die poetische Tradition sieht sie

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gewöhnlich als hart und grausam, während Lachesis hier Pluto mit einer nach den Regeln der Rhetorik ausgeformten Anrufung (Umschreibung der Gottheit, Benennung ihres Machtbereichs in mehreren Relativsätzen mit begründender Parenthese, dann erst die eigentliche Bitte, als Aufforderung formuliert) weise zu besänftigen sucht und sich für den Erhalt des Machtbündnisses einsetzt. Die Pose ihrer – höfisch anmutenden – Selbsterniedrigung verstärkt den Ernst der Situation und steht in Kontrast zu ihrer sonst den Göttern, auch Jupiter, übergeordneten Stellung als Schicksalsmacht. Die von Platon mehrfach referierte Pythagoreische Idee der Seelenwanderung war längst poetisches Gemeingut: Claudian bezieht sich hier v. a. auf Vergils Beschreibung der Unterwelt, wo die Seelen nach ihrer Entsühnung zum Lethe-Fluss des Vergessens gelangen, um erneut in Körper entsandt zu werden. Bündnis der Brüder: Aufteilung der Macht per Losverfahren zwischen Jupiter (Oberwelt), Neptun (Gewässer/ Meer) und Pluto (Unterwelt) als Ergebnis des Sieges gegen ihren Vater Saturn und die Ablösung dieser vorherigen Göttergeneration. Der Nordwind Boreas unterliegt in diesem epischen Vergleich Aeolus, der Sage nach Beherrscher der Winde. Kyllenisch heißt Merkur (Gott der geschickten Rede und Kommunikation) nach seinem Geburtsort, dem Hochgebirge Kyllene im Nordosten Arkadiens; er ist Sohn des Jupiter und der Maia; als Götterbote übermittelt er v. a. Jupiters Beschlüsse zur Erde, als Begleiter der Seelen in die Unterwelt war ihm auch diese Sphäre zugänglich. Seine Sandalen und seine Kappe sind mit Flügeln versehen, Symbol seiner Schnelligkeit als Bote. Türhüter ist Cerberus, der Höllenhund mit drei Köpfen. Cocytus (‚Tränenstrom‘), Acheron, Phlegethon (‚Feuerstrom‘) sind mythische Flüsse der Unterwelt. Tegeäisch = arkadisch: Tegea war eine der ältesten Städte in Arkadien, Merkurs Geburtslandschaft; Enkel des Atlas ist Merkur, da seine Mutter Maia eine Tochter des Atlas (König von Mauretanien, dem Mythos nach in den Berg Atlas verwandelt) war. Siehe Anm. 22.

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Trionen: die Sterne des Großen und Kleinen Wagens. Plutos Los wirkt ungerecht, denn auch sein Bruder Neptun hat eine Frau. Jupiters Liebesaffairen, ein beliebtes Motiv im Epos, nutzt Claudian, um indirekt die folgenden Protagonisten des Werkes anzudeuten: dem Verhältnis mit Latona entstammen Apollo (Anm. 36; warb als Freier um Proserpina) und Diana (Anm. 60; will Proserpina gegen Pluto verteidigen), zentral gestellt erscheint Ceres, deren Tochter Proserpina Jupiters Schicksalsspruch treffen wird. Als letzte wird Themis genannt, Göttin des Rechts und der heiligen Satzung, Mutter der Schicksalsgöttinnen (Anm. 20), eng verbunden mit Jupiter als oberster Rechtsinstanz; ihre Setzung hier lässt vermuten, dass Claudian den Raub der Proserpina als in höherem Sinne (der Menschheit zum Vorteil gereichend) gerecht verstanden wissen wollte. Gemeint ist die Styx, ein Unterweltsstrom, von Jupiter als Belohnung für ihren Beistand im Kampf gegen die Titanen zum wichtigsten Schwurzeugen der Götter erhoben. Siehe Anm. 18. Ceres vom Aetna: als Hauptstätte des römischen Ceres-Kultes galt seit republikanischer Zeit Henna, wo auch Ovid das Geschehen ansiedelt. Claudian lässt den Raub bewusst am Aetna geschehen (mythographisch bereits vor ihm belegt), da er den Vulkan als Medium zwischen den Sphären der Oberwelt und der Unterwelt deutet (siehe Anm. 44). Lucina: Geburtsgöttin. Die epische Tradition kennt nur das Bild der fürsorglichen Kuh, die um ihr bereits verlorengegangenes Kälbchen trauert; Claudian passt das Motiv seinem Kontext an, gibt damit indirekt aber einen Vorverweis. Mars (Sohn von Jupiter und Juno): als Kriegsgott traditionell mit Schild dargestellt; die Rhodope, ein Gebirge in Thrakien, war ihm heilig aufgrund der Ungezähmtheit ihrer Natur. Claudian deutet mit Witz die Heiligtümer für die Götter zu deren Grundbesitz und damit möglicher Hochzeitsgabe um. Phoebus Apollo (Sohn von Jupiter und Latona): traditionell als Bogenschütze dargestellt; in Amyklai auf der Peloponnes befand

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sich ein berühmtes Heiligtum, auf der Insel Delos war er geboren worden und Klaros (bei Kolophon in Kleinasien) besaß ein Apollon-Orakel. Laren (eigtl. Schutzgottheiten eines Hauses): hier metonymisch für den Tempel. Die folgende Ekphrasis (Beschreibung, die den epischen Erzählgang unterbricht) umfasst einen geographischen Teil zu Sizilien (1,142–159) und einen Exkurs zum Vulkan Aetna (1,160–178). Trinakria: alter, griechischer Name Siziliens (‚drei Vorgebirge‘). Antikes Gemeingut ist die Vorstellung, dass Sizilien ursprünglich ein Teil des Festlands war; die Abtrennung Siziliens von Italien wird bei römischen Dichtern traditionell als Auswirkung des Meeres aufgefasst, nicht als Ergebnis starker Erdbeben. Trinakria wird als dem Mutterland ‚geraubt‘ bezeichnet und damit zum passenden Schauplatz des Raubes der Proserpina stilisiert. Nereus: ein Meeresgott, hier metonymisch für ‚Meer‘. Pachynus: Kap Pachynum im Südosten der Insel, in der antiken Literatur oft als Ostspitze bezeichnet, da man sich die ganze Insel um 90º verschoben dachte. Gaetulisches Meer: gemeint ist das Afrikanische Meer; die Gaetuli sind ein nordafrikanisches Volk. Kap Lilybaeum: im Westen Siziliens, in der Antike als Südwestspitze bezeichnet und damit dem Afrikanischen Meer ausgesetzt. Pelorus: im Nordosten Siziliens. Aetna: erhebt sich an der Ostküste (ca. 3345 m ü. M.); Claudians Lokalisierung ‚in der Mitte‘ ist von den vorher genannten drei Kaps aus zu verstehen und gewiss auch dichterisch der zentralen Rolle des Aetna im Epos geschuldet. Giganten: siehe Anm. 18. Ursprünglich wurde die Gigantenschlacht auf dem westlichsten Ausläufer (alter Name: Phlegra, d. h. ‚brennend‘) der Halbinsel Chalkidike im Nordosten Griechenlands lokalisiert, in hellenistischer und römischer Zeit aber bereits auf das vulkanische Phänomen Kampaniens bezogen und daher in die sogenannten Campi Phlegraei nördlich des Golfs von Neapel verlagert, also ganz in die Nähe des ‚dem Festland geraubten‘ Sizilien mit dem Aetna. Die Erwähnung des Triumphs

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ist ein Vorverweis auf die in 3,332–356 beschriebene Kriegsbeute der olympischen Götter, welche in einem Hain am Aetna aufbewahrt wird. Das vulkanische Phänomen, eine Art Ventil zum Druckausgleich, wird als Todesstätte der Giganten ausgemalt, deren früherer Kampf gegen die olympischen Götter Plutos Aufbegehren vergleichbar ist – im Gegensatz zum Gigantenkampf ist der Aufruhr Plutos jedoch von Jupiter indirekt (1,118–121) schon gebilligt und in feste Bahnen gelenkt worden. Als Nahtstelle zwischen Unter- und Oberwelt wird der Aetna zum Ort der Auffahrt von Pluto mit seinem Gespann (2,156–162). Enceladus: Anführer der Giganten im Kampf mit den Göttern; kämpfte vor allem mit Jupiter und Minerva, welche die Insel Sizilien mit dem Aetna auf ihn warfen. Enceladus’ ‚Brandstätte‘ ist somit mythische Metapher für den aktiven Vulkan, der Schwefel ausströmen lässt (die Wunde stammt vom Blitz des Jupiter), und wird ergänzt durch das Bild der Lastverlagerung/ Erdverschiebung auf seinen Schultern: die Erdbeben. Deren Intensität und Wirkung auf die Befestigungen der Insel lassen Ceres’ Versteck bereits fragil erscheinen. Mit der mythologischen Erklärung des vulkanischen Phänomens leitet Claudian über zum naturwissenschaftlichen Exkurs. Antike Beschreibungen des Aetna berichten von drei Zonen: der fruchtbaren landwirtschaftlich genutzten (Weinreben, Olivenbäume, seit römischer Zeit auch Hartweizen) und besiedelten unteren bis ca. 1000 m, darauf einer bis ca. 2000 m reichenden Waldzone, während der obere Teil kahl und meist schneebedeckt sei (Gipfelbesteigungen sind für die Antike überliefert). Claudian siedelt den Raub Proserpinas in der waldreichen Zone an (2,101– 118). Claudians verknappte Ausdrucksweise meint den Inhalt der Höhlen, durch dessen Zusammenballung die Höhlen dann erst entstehen können. Feuriger Lavastrom – Claudian spricht metonymisch vom Strom des ‚Vulcanus‘, des Gottes der Schmiedekunst, der mit dem Feuer arbeitet. Neben der Gigantengrabstätte wird damit der zwei-

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te mit dem Aetna verbundene Mythos angedeutet: die Werkstätte des Vulcanus (vgl. Anm. 131, 236). Claudians Erklärungen für den Vulkanismus (1. in den Berg eingeschlossener, komprimierter Wind/ Gase, und 2. in den Berg eingedrungenes komprimiertes Wasser) sind Kurzversionen der beiden in der römischen Lehrdichtung und Naturphilosophie (ps.-vergilisches Aetna-Gedicht; Seneca) ausführlich diskutierten Theorien. Auffällig ist die Formulierung pondera librat am Schluss der Passage: pondus = Gewicht, Masse/ aber auch: Gleichgewicht; librare = balancierend in Schwung bringen, schleudern/ aber auch: im Gleichgewicht halten, ausgleichen, nivellieren. Mit dem Ausbruch des Vulkans, einer Art Druckausgleich, stellt sich ein neues Gleichgewicht zwischen gegensätzlichen Kräften und Interessen ein; so wie der Schnee und das Feuer auf dem Vulkan sich die Treue halten, erfahren die Interessen Plutos und Jupiters mit dem Raub der Proserpina einen Ausgleich und der Friedensbund der Brüder wird gerettet. Kybele: phrygische Gottheit, die als Große Mutter oder Mutter der Götter verehrt wurde; man stellte sie sich auf den Bergeshöhen thronend vor. Als Herrin der Natur und aller Kreaturen ebenfalls eine Fruchtbarkeitsgöttin, wurde Kybele häufig mit Ceres in eins gesetzt (hier allerdings ist Ceres ihre Tochter und insofern Phrygien auch deren Heimat). Daher schreibt man auch K. die Verbreitung des Getreideanbaus zu, was zur Sesshaftigkeit der Menschen und zum Städtebau führte. Sie galt als Stadtgründerin und -schützerin, weshalb die Turmkrone ihr typisches Attribut ist. Das Frühlingsfest von Kybele und Ceres wurde im Rom der Kaiserzeit mit großem Prunk gefeiert, auch die ekstatisch-orgiastische Seite des Kybele-Kultes (Anm. 54) fand kaum mehr Beschränkungen. Gemeint ist Ceres’ von Schlangen/ Drachen gezogener Wagen. Die Schlange galt als chthonisches Tier und entsprach Ceres’ Verbindung mit der (Fruchtbarkeit der) Erde und der Unterwelt. Bereits hier klingt mit dem Befruchten der Radspur das Motiv des Goldenen Zeitalters an (Symbolik der Farbwahl: grün-gelb-

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liche Drachen/ grüne Saat und gelbes Getreide), welches kurz darauf als Belohnung der Ceres an Sizilien formuliert wird. Kultstein: wohl meteoritischen Ursprungs; man glaubte, dass er vom Himmel gefallen sei und hielt ihn, wie Livius in seiner Römischen Geschichte berichtet, für die Große Mutter. Claudian lässt mit der Erwähnung des Steines, von ihm auf dem Kybele heiligen Berg Ida lokalisiert, die Überführung des Kybele-Kultes nach Rom anklingen, denn nach der Befragung der Sibyllinischen Bücher (204 v. Chr.) wurde der Stein von Phrygien nach Rom gebracht und fand auf dem Palatin im Tempel der Magna Mater (191 v. Chr. geweiht) seinen Platz. Die Pinie galt als Kybele heilig. Gargara: Spitze des phrygischen Idagebirges. Zum Kybele-Kult gehörten Löwen und Panther. Diener feierten die Gottheit mit schriller und rauschender Musik, indem sie sich selbst Schnittwunden beibrachten (Reminiszenz an die Selbstentmannung von Kybeles untreuem und deshalb in geistige Umnachtung versetzten Geliebten Attis). Priester der Kybele waren die sogenannten Korybanten (und die mit diesen bald identifizierten Galli – siehe Anm. 149). Als musikalisches Stimulans dienten Handpauke (Tamburin, ein auf beiden Seiten mit flacher Haut überzogener Reifen aus Holz oder Metall), Buchsbaumflöte (mit langer gebohrter Röhre) und Bronzepauke (Erzbecken). Cytherea: Venus, da sie bei der Insel Cythera (vor der SO-Spitze der Peloponnes) aus dem Schaum des Meeres entstiegen sein soll. Atropos (die ‚Unabwendbare‘ der drei Schicksalsgöttinnen, siehe Anm. 20) und Themis (siehe Anm. 29): Jupiter suggeriert deren Verantwortung für das Geschehen. Erinnye: Furie. Bei Ovid (met.5,365–379) ist dies die Idee von Venus, die Amor mit der Ausführung beauftragt; d. h. Claudian nimmt Venus die Verantwortung für ihre Tat und nutzt das Motiv zur Charakterisierung von Jupiters Taktik.

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Pallas (‚Mädchen‘): Beiname der Minerva, Tochter des Jupiter und der Metis (‚Klugheit‘), jungfräuliche Göttin des Krieges, des Handwerks (z. B. der Webkunst) und der Weisheit. Maenalus: waldreiches Gebirge in Arkadien, Heimat der jungfräulichen Jagdgöttin Diana, Tochter des Jupiter und der Latona, Zwillingsschwester des Apollo. Als Göttin der Übergänge von Geburt und Erwachsenwerden eignet ihr zugleich etwas Mädchenhaftes, Verspieltes, so dass sie auch für weiblichen Tanz steht. Claudian lässt beide, Diana und Minerva, nicht eingeweiht sein in Jupiters Pläne. Pyragmon und Steropes: Kyklopen, die mit ihrer gewaltigen Kraft und großem Geschick dem Schmiedegott Vulcanus (Anm. 48, 131) dienten. Claudian transferiert auf originelle Weise das Motiv, Proserpina in einem Palast zu verstecken, aus der Orphischen Dichtung (Haus am Okeanos) nach Sizilien und zur Kyklopenwerkstatt. Elektron: ein dem Bernstein an Farbe ähnliches künstliches Metall, das aus ca. 4/ 5 Gold und 1/ 5 Silber besteht. Proserpinas Webarbeit (= Sonderform der Ekphrasis): als zeitlicher Vorausblick in die zukünftige epische Handlung genutztes Motiv, das in symbolischem Zusammenhang mit der Gesamtaussage steht. Proserpina webt und stickt dann in das Gewebe die Motive ein. Die Ordnung des ursprünglichen Chaos durch Mutter Natur gibt hier den naturwissenschaftlichen Erklärungsansatz für das sonst im Werk verwendete mythische Sinnbild des Gigantenkampfes und des Sieges der Himmelsgötter. Mit den Elementen sind die vier Urstoffe gemeint: Luft, Feuer, Wasser und Erde: die beiden leichteren, Feuer und Luft, streben nach oben, die schwereren, Wasser und Erde, ordnen sich in der Mitte an, so dass sich die Vorstellung eines Kosmos in Kugelgestalt ergibt, in dessen Zentrum sich die Erde befindet. Die Erwähnung des kosmischen Jupiter-Sitzes zu Beginn der Gewebeschilderung findet ihr Pendant in der Unterwelts-Wohnstätte des Pluto am Ende (bevölkert von den Totengeistern, den Manen), ausdrücklich mit einem bedrohlichen Omen versehen. Proserpina umfasst mit ihrem Weltbild also auch die eigene Her-

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kunft (Vater Jupiter) und Zukunft (Ehemann Pluto), ihre Biographie im kosmischen Geschehen. Mythisches und kosmisches Weltbild werden vermischt: Die himmlischen Götter erscheinen oben, der Kosmos in der Mitte, die Unterwelt darunter, und alles wird umflossen vom Ozean – so wie schon die Darstellung auf dem Schild des Achill bei Homer (Ilias 18,606 f.), dem Paradebeispiel einer Ekphrasis. Sidonischer Purpur: nach der Herkunft der Farbe aus Sidon, einer der wichtigsten Städte in Phönizien, berühmt durch Handel und Purpurfärberei (der Farbstoff wurde aus der sog. Purpurschnecke gewonnen); ebenso ist Elfenbein ein Luxusgut, häufig mit Lydien, einer Gegend in Kleinasien, assoziiert. Die Nacht erscheint personifiziert als Göttin, auf einem Gespann reitend und die Sterne in ihrem Gefolge. Allekto: eine der drei Furien (siehe Anm. 17). Cocytus: Unterweltsfluss (siehe Anm. 25); Erebus: Unterwelt (Anm. 15). Lethe: stehendes Gewässer/ Fluss in der Unterwelt, aus dem alle nach ihrem Tod dorthin gelangenden Schatten trinken, um das Vergangene zu vergessen. Epischer Katalog der Pferde der Unterwelt (stygisch: Anm. 12), hier von Claudian mit griechischer Etymologie neu gebildet: Orphnaeus – der Dunkle/ Finstere, Cthonius – der Erdverbundene, Nycteus – der der Nacht, Alastor – der Peiniger/ Rächer (eine Anspielung auf Ovid, der die Pferde des Sonnengottes alle mit Lichtmetaphern benennt, met.2,153 f., von den stygischen Pferden aber nur sagt, Pluto nenne jedes bei seinem Namen, met.5,402 f.) . Orpheus: mythischer Sänger aus Thrakien, dessen Zaubermacht des Gesangs und Lautenspiels (Kithara/ Lyra) sich neben Menschen auch auf Tiere und Pflanzen und sogar auf die unbelebte Natur übertrug und sie in einen paradiesischen Friedenszustand (eine Art Goldenes Zeitalter) führte. Claudian setzt ein mit der Umkehrung des Motivs, der Trauer des gesamten Auditoriums über den Verlust seiner Lieder. Das Erscheinen des Herkules in Thrakien, Orpheus’ Heimat, bildet die Scharnierstelle zur Ver-

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knüpfung dieser beiden Mythen. Herkules schafft Frieden in Thrakien; Orpheus’ Gesang entfaltet nun die traditionelle Wirkung – in rhetorisch durchgeformten Einheiten zu je vier Versen auf 1. die Naturphänomene, 2. Bäume, 3. Tiere. Der Inhalt seines Gesanges aber sind die Taten des Herkules. Da Orpheus Teilnehmer der sagenhaften Argonautenfahrt (als Taktschläger für die Ruderer) war, besteht ein indirekter Bezug zur praefatio des ersten Buches. Während Claudian sich dort mit den Argonauten identifiziert (Metapher für dichterische Kühnheit), vergleicht er sich und seinen Gesang hier ausdrücklich mit Orpheus, sein Adressat Florentinus figuriert als Herkules. Die Gleichsetzung mit Orpheus erfährt ihren tieferen Sinn mit dessen berühmtester Sangesleistung: dem Gang in die Unterwelt, um Pluto und Proserpina zur Herausgabe seiner Gattin Eurydike zu bewegen. Zudem liegt eine Anspielung auf Ovid (met.10,149 ff.) vor, bei dem Orpheus seinen Gesang mit einem Verweis auf die von ihm schon häufig besungenen Siege des Jupiter über die Giganten, Claudians untergründiges Epos-Thema, beginnt. Alkide vom Inachischen Argos: Herkules heißt Alkide, da er ein Enkel des Alkaios (Sohn von Perseus und Andromeda) ist. Er erhielt von Eurystheus, König in Argos (im Nordosten der Peloponnes, am Fluss Inachos gelegen) die berühmten 12 Aufträge, deren einer ihn nach Thrakien führte. Die Pferde des Diomedes, König von Thrakien, waren berüchtigt dafür, Menschen zu fressen. Hebrus: Hauptfluss in Thrakien (entspringt im Rhodope-Gebirge), in der römischen Dichtung meist als reißender Fluss geschildert. Ossa: eigentlich ein Berg in Thessalien (Anm. 133, 146), von Dichtern häufig mit Thrakien identifiziert; das Paradoxon besteht darin, dass er, der sonst immer von Schnee bedeckt ist, diesen abzuschütteln vermag. Haemus: Gebirgszug in Nordthrakien. Der Lorbeer war dem Mythos nach ursprünglich Daphne, eine Nymphe, in die sich Phoebus Apollo, der Gott der Künste und speziell des Lautenspiels, verliebt hatte. Daphne, seine Liebe

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nicht erwidernd, wurde auf der Flucht vor ihm gerettet und in einen Lorbeerbaum verwandelt. Orpheus’ musische Kunst übertrifft somit selbst die des Apollo, der als sein Lehrer galt. Molosserhunde: die Molosser waren eine Völkerschaft in der griechischen Landschaft Epirus, welche Herkules in den Stammbaum ihres Königshauses integriert hatten (= indirekte Überleitung zu Herkules); berühmt waren ihre großen Hirtenhunde, eine Art Doggen. Juno, eifersüchtig auf die Verbindung des Jupiter/ Zeus mit Alkmene (Tochter des Königs von Mykene), hatte die gerade bevorstehende Geburt des Herkules so lange hinausgezögert, bis Eurystheus (Anm. 73), Enkel des Zeus-Sohnes Perseus, als Frühgeborenes zur Welt kam und Jupiter/Zeus gezwungen war, sein Versprechen zu erfüllen, dass der an diesem Tag aus seinem Blut Geborene Herrscher über Mykene würde. So stand Herkules über viele Jahre im Dienst des Eurystheus und bekam von ihm – auf Befehl Junos – die berühmten Taten aufgetragen. Auch die dem Kleinkind Herkules gesendeten Schlangen, um ihn umzubringen, und der Wahnsinnsanfall, in dem Herkules seine Gattin Megara tötet, gehen auf Junos Betreiben zurück. Kanonisch sind 12 Taten des Herkules, doch Claudian greift hier auch auf nicht in den Kanon aufgenommene zurück; betont wird seine in der Besiegung gewaltiger Ungeheuer bzw. Menschen liegende zivilisatorische Mission. Genannt werden: 1. Tötung des kretischen Stieres; 2. Heraufholen des Höllenhundes Cerberus aus der Unterwelt ans Licht; 3. Erwürgen des Löwen von Nemea, der dann verstirnt wurde; 4. Tötung des Erymanthischen Ebers; 5. Besiegung der Amazone durch das Erbeuten ihres Gürtels; 6. Tötung der Stymphalischen Vögel; 7. Tötung des dreileibigen Riesen Geryon und Wegführen seiner Herde (dem Inhalt angepasst dreigliedrig formuliert); 8. Besiegung des Riesen Antaeus, der aus der Berührung mit der Erde seine Kraft erhielt; 9. Tötung der Schlange von Lerna mit ihren nachwachsenden Köpfen; 10. Tötung der kerynthischen Hirschkuh; 11. Tötung des Feuer speienden Cacus auf dem Aventin in Rom, da er H. Rinder aus der Herde des Geryon gestohlen hatte; 12. Tötung des ägyp-

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tischen Königs Busiris und Beendigung seiner Menschenopfer; 13. Sieg in der Schlacht bei Pholoe gegen die aus einer Wolke (siehe Anm. 159) geborenen Kentauren; 14. Übernahme des eigentlich von Atlas (Anm. 26, 135) gehaltenen Himmelsgewölbes für kurze Zeit, damit dieser die Äpfel aus dem Garten der Hesperiden holen konnte – weit ausformuliert, da v. a. hierauf der Vergleich des Herkules mit seinem Adressaten Florentinus beruht. In der kaiserzeitlichen Herrscherpanegyrik wurden Herkules’ Taten für das Wohl der Gemeinschaft zum virtus-Ideal und Leitbild für Herrscher stilisiert. Florentinus: Stadtpräfekt Roms 395–397 n. Chr.; der Atlas-Vergleich deutet an, dass F. für eine gewisse Zeit die Last des Reiches von Heermeister Stilicho übernommen habe und der Hofstaat gleich den Himmelstrabanten seine Entourage bilde. Anhand des ungewöhnlichen zweiten Vorworts teilt Claudian dem Leser mit, dass er die Arbeit an diesem Epos erst nach einer dichterischen Pause wieder aufgenommen hat. Schwestern sind Venus, Minerva und Diana für Proserpina, da sie alle von Jupiter gezeugt wurden. Triumphzug: als ob Venus den Sieg über einen feindlichen Herrscher mit einem typischen römischen Triumphzug feiern wollte, in dem der besiegte Heerführer samt den gefangengenommenen Soldaten und der Beute durch Rom geleitet und zur Schau gestellt wurde – grotesk, da es sich bei den Manen um die Schatten von Verstorbenen handelt. Die Metall- und Kupfergruben auf Zypern waren Grundlage eines hochstehenden Kunsthandwerks; auf dieser Insel befand sich auch die Hauptkultstätte der Venus/Aphrodite. Venus’ Frisur und Aufputz gleicht dem einer zeitgenössischen Hofdame. Gatte der Venus: Vulcanus (siehe Anm. 48, 131 und 236). Diana (Anm. 60): als Jagdgöttin ‚Herrscherin‘ über den parrhasischen = arkadischen Lycaeus (ein hohes Gebirge in Arkadien, Jupiter und Pan heilig). Minerva (Anm. 59) erscheint in ihrer typischen epischen Gestalt mit Speer und Helm, als Beschützerin ihrer Heimatburg/ Kultstätte Athen (Pandion war einer der mythischen Könige Athens).

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Tritonia: Beiname der Minerva nach einem See ‚Triton‘ (im heutigen Tunesien), der nach manchen ägyptisch-griechischen Mythen als Geburtsort der Minerva galt. Typhon/ Typhoeus: Teilnehmer der Gigantenschlacht; unter der Insel Inarime (Anm. 193) begraben. Gorgo: weitere Kriegsbeute der Minerva, ursprünglich eine furchtbare schlangenhaaarige Jungfrau; ihr Haupt, dessen Blick versteinern konnte, schlug Perseus mit Minervas Hilfe ab; Minerva trug dieses dann auf ihrem Brustpanzer. Trivia: ursprünglich Attribut der Göttin Hekate (Anm. 9; im homerischen Demeter-Hymnus hört sie die Hilferufe der Ceres-Tochter und steht Ceres bei), hier der Diana, die mit ihrem Zwillingsbruder Phoebus Apollo verglichen wird. Phoebus’ traditionelle Darstellung als bartloser Jüngling und das ungebändigte Wesen seiner Schwester als Jagdgöttin vereinigen sich zu einem androgynen Erscheinungsbild. Gortynisches Kleid: Die kretische Stadt Gortyn war berühmt für ihre Bogenschützen, das Attribut unterstreicht also Dianas Funktion als Jagdgöttin; die doppelte Raffung des Gewands, traditionelle Darstellung von Diana, dient dem schnellen Laufen. Insel Delos: Geburtsort von Phoebus Apollo und Diana, ursprünglich als schwankende Insel verstanden, nur für die Zeit der Geburt verankert. Phoebe: Beiname der Diana in ihrer Funktion als Mondgöttin; dies und die Erwähnung ihres Bruders Phoebus, des Sonnengottes, bereiten indirekt die Darstellungen des Sol und der Luna auf Proserpinas Gewand vor. Hyperion: Sohn des Uranos und der Gaia, einer der Titanen (siehe Anm. 18). Er zeugte mit seiner Schwester Theia Helios/Sol, Selene/Luna und Eos/Aurora. Als Nachkomme der Titanen trägt Sol auch diesen Beinamen. Beide sind an ihren Insignien, Sol an den noch kleinen Flammen, Luna an ihren Mondsichelhörnern zu erkennen. Sol assoziiert den lichten Himmelskreis, Luna die Nacht und Dunkelheit, die ineinander übergehen und einander abwechseln, ein Prodigium auf Proserpinas bevorstehenden ‚Übergang‘ in die Unterwelt und das Reich der Schatten. Außer-

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dem ist eine raffinierte Anspielung auf den homerischen Demeter-Hymnus anzunehmen, wo Helios/Sol und Hekate/Luna Ohrenzeugen des Raubes sind – als Gewandmotive erleben sie nun bei Claudian den Raub mit. Tethys: Meer(göttin), Schwester des Hyperion, mit seinem Bruder Okeanos verheiratet, galt als Amme aller Götter, insbesondere für Sonne und Mond, die aus ihr aufzugehen scheinen und zu ihrem blauen Meeresbusen zurückkehren. Naiaden: Wasser- und Flussnymphen, als deren Eltern Tethys und Okeanos galten (= gleitender Übergang vom Gewandbild zur Handlung). Claudian umreißt mit seinem Nymphenkatalog zunächst das Einzugsgebiet, nämlich ganz Sizilien, gibt dann mit der Camerina eine Andeutung zur Auslöschung von Leben und Lebensraum, und deutet schließlich mit Arethusa und Cyane, Opfer von Verfolgungen und Raub, Proserpinas Zukunft an. Krinisus: Fluss im Nordwesten Siziliens bei Segesta. Pantagias: kleiner Fluss an der Ostküste Siziliens nördlich von Syrakus. Gelas: Fluss an der Südwestküste Siziliens mit der Stadt Gela an seiner Mündung. Camerina: Sumpf und gleichnamige Stadt an der Südwestküste Siziliens; die Einwohner legten den Sumpf entgegen einem Orakelspruch trocken und zerstörten damit ihre natürliche Stadtsicherung, woraufhin die Stadt von Feinden eingenommen wurde. Arethusa und Alpheus: Arethusa ist eine Quelle auf der einen Stadtteil von Syrakus bildenden Insel Ortygia; dem Mythos nach war sie eine Nymphe, die vom Flussgott Alpheus (Hauptstrom der Peloponnes, der teilweise unterirdisch fließt und ins Ionische Meer mündet) verfolgt wurde und auf ihren Hilferuf hin von Diana in die Quelle verwandelt wurde; Alpheus aber soll ihr unter dem Meer nachgeflossen sein bis Sizilien (daher als ‚Fremdling‘ bezeichnet) und sich mit ihr schließlich vereinigt haben. Cyane: eine Quelle in Syrakus, in der Pluto und Proserpina verschwunden sein sollen; dem Mythos nach eine genuin sizilische Nymphe, Geliebte des Flussgottes Anapus, da ihr Wasser in diesen mündet; zur Metamorphose Cyanes siehe Anm. 205.

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105 Auf Proserpina als Anführerin zielender epischer Vergleich mit Hippolyte: Amazonenkönigin, Tochter des Ares/ Mars, nach einer Sagenversion von Theseus geraubt, der dann mit ihr den Hippolytos zeugte; hier von Claudian für den Raub-Kontext statt der geläufigeren Amazonenkönigin Penthesilea (ihrer Schwester) gewählt. 106 Tanais (= Don): Fluss in Skythien; Thermodon: Fluss in Kappadokien; die Gegenden um das Schwarze Meer, besonders im Norden, galten als Einzugsgebiet der Amazonen, deren kriegerische Kennzeichen Äxte und gekrümmte Schilde waren. 107 Hermus: Hauptfluss Lydiens, der Goldkörner mit sich führte; als mythischer Flussgott traditionell mit Wasser spendender Schale dargestellt; die Freude an seinen Töchtern birgt bereits ein laszives Element; zweiter epischer Vergleich, der das ausgelassene Umherschweifen und den Prunk der Schar betont und somit auch ihre Anfälligkeit als Beute. 108 Zephyr: sanfter, lauer Westwind, der den Schnee schmelzen lässt; personifiziert als Gott mit Flügeln gedacht. 109 Hybla: Berg im Südosten Siziliens, reich an Bienenkräutern. 110 Panchaia: fabelhafte Insel vor der Ostküste Arabiens, reich an Weihrauch, Myrrhe und Edelmetallen. 111 Hydaspes: Fluss im Industal, einer für ihre Gewürze und Weihrauch bekannten Gegend. 112 Gemeint ist Phoenix, ein mythischer Vogel, der sich alle 500 Jahre auf einem selbst errichteten Haufen aus Weihrauch und anderen teuren Ingredienzien mit Hilfe der Sonnenstrahlen verbrennt und aus der Asche wieder aufersteht; Sabäa: weihrauchreiche Gegend in Arabien. 113 Parthische Wehrgehänge: Der Prunk der parthischen Könige und die Wehrhaftigkeit dieser Völkerschaft waren sprichwörtlich. 114 Assyrischer Kessel: Gemeint ist die Purpurfärberei der Stadt Tyros, einer Handelsmetropole in Phönizien (die Wolle wurde mit einer rotfärbenden, an Meeresklippen wachsenden Steinflechte vorgefärbt, so dass sie beim Färben mit der Purpurfarbe einen tiefroten und dauerhaften Ton erhielt). 115 Pfau, der Juno heilig.

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116 Die Baumarten sind in ihrer Funktion extrem verknappt dargestellt und assoziativ gewählt zur Androhung des epischen Geschehens: Tannenholz fand im Schiffsbau Verwendung, mit der Seefahrt wird auf die praefatio zum ersten Buch angespielt und das Wagnis, neue Wege zu beschreiten. Aus dem Holz der Kornelkirsche fertigte man Wurfspieße und Speere, eine kriegerische Auseinandersetzung wird evoziert. Die beiden nächsten Baumarten deuten die Konfliktpartner an: die Eiche war Zeus/ Jupiter geweiht, denn bei der Eiche im Heiligtum zu Dodona gab er seine Orakel. Die Zypresse steht in Verbindung mit Trauer und Tod, wird in der Nähe von Gräbern gepflanzt und ist dem Gott der Unterwelt, Pluto, geweiht. Der Honig der Steineiche wiederum symbolisiert den Überfluss des Goldenen Zeitalters, eines Motivs, welches im Epos mehrmals erscheint und als Sinnbild vegetativen Reichtums vor allem mit Ceres zu verbinden ist. Als letzter Baum wird der Lorbeer genannt, Phoebus Apollo, dem Gott der Weissagung, geweiht, dessen Gabe hier auf den Baum übertragen wird und ein zukünftiges Geschehen annonciert: doch dahinter steckt das Aition des Lorbeerbaumes, die Angst vor einseitiger, übergriffiger Liebe (Anm. 78): Daphne erscheint als Synonym Proserpinas. Damit gibt auch dieser Hain ein unheilvolles Vorzeichen auf den Raub. Die Wuchtigkeit und Dichte des Buchsbaumes überschattet das Ereignis, Efeu wächst darüber und lässt die Spuren verschwinden (Efeu und Weinlaub waren ursprünglich zwei Jünglinge im Gefolge des Dionysos; ihre Metamorphose steht in Zusammenhang). Das Weinlaub, üblicherweise um Ulmen als Stützen gewunden, ist aufgrund dieser innigen Verbindung ein Sinnbild für die Ehe, steht also für die kommende Hochzeit Proserpinas mit Pluto. 117 Heutiger Lago di Pergusa, ca. 12 km südlich von Enna. Claudians See wirkt wie eine Linse, durch die man die Wahrheit der Dinge, die Geheimnisse der Tiefe erkennen kann: prodit secreta profundi gibt einen Rückverweis auf die Inspirationsbitte um Enthüllung der geheimen Geschehnisse der Unterwelt am Beginn des Epos (1,26 pandite … vestri secreta poli) poli) und verleiht,

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als Schlussformulierung zur Idylle des locus amoenus amoenus,, diesem eine doppeldeutige Tiefe. Lucifer: Morgenstern (Planet ‚Venus‘), die Dämmerung anzeigend; entsprechend der Götterhierarchie auf nur einem Pferd reitend. Zeichen des Schmerzes: Anemonen, entstanden aus dem Blut des Adonis, wegen seiner außerordentlichen Schönheit von Venus geliebt und auf der Jagd von einem wilden Eber zerrissen. Bienenkönige: zoologische Angaben zu Bienen sind speziell bezüglich Fortpflanzung und Geschlecht häufig inkorrekt. Bienen wurden positive menschliche Eigenschaften wie Fleiß, Reinlichkeit und Keuschheit (insofern treffend für die Mädchenschar, abgesetzt von der zuvor erwähnten Venus) zugeschrieben; in Prodigien aber galten Bienenschwärme aufgrund ihrer Wehrhaftigkeit häufiger als unglückliches Vorzeichen (so auch hier, denn Claudian betont ihr räuberisches Herfallen über die Blumen). Das Blumenpflücken, verstärkt durch die militärisch-aggressive Wortwahl dieser Passage, ist vorausweisende Metapher für das Wegraffen Proserpinas durch Pluto. Claudians Blumenkatalog changiert in weiß – blau – rot/rot – weiß – blau und nennt die gelbliche Narzisse als letzte Blume, welche im homerischen Demeter-Hymnus magische Kraft besitzt und Pluto gerade dann aus der Erde hervorbrechen lässt, um Proserpina zu rauben, als diese sie pflücken will. Die Narzisse galt daher als Blume der Unterwelt und wurde in Eleusis (Anm. 6 f.) als Kranzblume der Gottheiten verwendet. Die Bedeutung des Blumenraubes hier im Epos findet ihren Widerhall in den Klagen von Proserpina (2,265) und Ceres (3,439). Hyacinthus, ein schöner Jüngling aus Amyklai in Lakonien, wurde von Apollo (Anm. 36) geliebt und von diesem zufällig beim Spiel mit einer Diskusscheibe getötet; aus seinem Blut entstand die gleichnamige Blume, auf der Apollo laut Ovid die Buchstaben AIAI (Klageruf) eingeritzt haben soll. Kontrastiert wird Narcissus, ein Jüngling aus Thespiae (nahe dem Helikon-Gebirge) in Böotien, Sohn des Flussgottes Kephisus, der die Liebe des Gottes Eros verschmähte und deshalb der Liebe zu seinem eige-

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nen Spiegelbild verfiel. Beide spielen auf das Hinwegraffen der Jugend durch den Tod und damit auf den Proserpina-Mythos an. Schläge auf Stirn und Brust sowie Zerbrechen einer Krone oder Ausraufen von Haaren sind Zeichen von Trauer. Unter dem Brautschleier trug die Braut bei einer Hochzeit gewöhnlich einen Kranz aus selbst gepflückten Blumen. Parthenius: Berg in Arkadien; gemeint ist Diana als Jagdgöttin. Paphos: Stadt im Südwesten Zyperns mit uraltem Tempel/Kultzentrum der Venus. Enceladus: siehe Anm. 45. Erdgeborene: im Argonautenmythos die voll bewaffneten Krieger, die aus den von Jason auf die Erde gestreuten Drachenzähnen entsprangen und von ihm auf Befehl des Königs Aietes besiegt werden mussten, um das Goldene Vlies zu erlangen. Dritter Erbe Saturns: siehe Anm. 22. ianua nulla patet patet:: witzige Abwandlung von Vergils noctes atque dies patet atri ianua Ditis (Aen.6,127) – der Weg in die Unterwelt hinein ist bei Vergil Tag und Nacht geöffnet, der heraus bei Claudian nicht einmal für Pluto. Zugleich kehrt Claudian das Motiv Ovids um, bei dem Pluto sich erst den Rückweg in die Unterwelt durch die Cyane-Quelle gewaltsam öffnet, während er hier ohne irdisches Hindernis zurückkehrt. Lipare: größte der Liparischen Inseln (vulkanische Inselgruppe nördlich von Sizilien) mit gleichnamiger Stadt. Mulciber (‚der ‹Metall› Erweichende‘): Beiname des Vulcanus (Anm. 48), dem die Kyklopen als Diener beim Schmieden der Blitze für Jupiter zur Hand gingen. Als sein Hauptsitz/ Werkstätte galt eigentlich die südlichste, Sizilien nächstgelegene der Liparischen Inseln, da sie starke vulkanische Aktivitäten aufwies (‚Vulcano‘, von deren Bezeichnung später der Name für alle Vulkane abgeleitet wurde). Die scheinbar widersprüchliche Verortung des Mulciber im Aetna selbst (Anm. 48, 236) beruht darauf, dass Lipare und Aetna in der Antike als ein zusammenhängendes Naturphänomen verstanden wurden. Die Handlung des Epos in mythischer Vorzeit wird durch die drei Wirkungen dieses Widerhalls mit zentral gestellter Prophe-

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tie der – aus damaliger Perspektive – künftigen Größe Roms (höfliche Reminiszenz an Vergils Aeneis-Telos; Claudian schaut bereits herab auf diese Größe) auf einer zeitlichen Achse eingeordnet, während die räumliche Verteilung der drei Szenen mit Alpen, Tiber und Po das Gebiet Italiens umreißt. Die Öffnung des Tempe-Tales zur See hin wurde in der antiken Überlieferung mit einem Erdbeben in Verbindung gebracht, wozu die mythische Erscheinung des Neptun als ‚Erderschütterers‘ passt; damit verbunden ist die – mythische – Abtrennung des dann südlich vom Peneus gelegenen Berges Ossa vom auf der nördlichen Flussseite aufragenden vergletscherten Olymp (2920 m). Seinen vertrauten Platz verlässt der Bär/Große Wagen (eigtl. Bärin: Geliebte des Jupiter, in das Gestirn verwandelt, dem dann von Juno verboten wurde, ins Meer einzutauchen und sich reinzuwaschen), weil er sich sonst in Polnähe befindet und die Horizontlinie (des Meeres) nie erreicht; das Sternbild des Bootes (Anm. 203) ist bekannt für sein langsames Sich-Senken; Orion ist ein verstirnter riesiger Jäger, d. h. tapfer, insofern ist sein Zurückschrecken paradox. Atlas: steht im Westen der Welt und ist mythischer Träger/Stütze des Himmels (siehe Anm. 26); er fungiert hier im Bild als Übergang zwischen himmlischer und irdischer Sphäre. Gorgo: siehe Anm. 91; d. h. Minerva rüstet sich ebenso wie Diana zur Hilfe. Eumeniden: ‚Wohlwollende, Gütige‘ – euphemistische Bezeichnung der drei Furien (Anm. 17). Dirae: ‚Rachegöttinnen‘, die Pluto zur Verfügung stehenden ‚anderen Gottheiten‘ – weitere Umschreibungen der Furien, hässlich aufgrund ihrer Schlangenhaare, brennenden Fackeln und aus Schlangen gebildeten Peitschen, oft auch bluttriefend dargestellt. Jupiters Bekenntnis als Schwiegervater enthüllt sein verschwiegenes Inswerksetzen des Raubes – und verstärkt den Verrat an seiner Tochter Proserpina (vgl. Kybeles Erwartung in 3,134 f.). Latonas Tochter: Diana.

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141 Taygetus: ein Gebirge zwischen Lakonien und Messenien, traditionelle Jagdgegend der Diana. 142 Maenalus: Gebirge in Arkadien, Heimat der Diana. 143 Cynthus: Berg auf Delos, Geburtsort von Diana und Apollo. 144 Apollo-Tempel in Delphi: berühmte Orakelstätte, deren Schweigen als absolute Katastrophe zu werten ist. 145 Verweis auf die Hybris der Giganten/ Titanen, siehe Anm. 18, 44. 146 Die Giganten sollen versucht haben, die gegenüber Phlegra an Thessaliens Küste gelegenen Berge Olymp, Ossa und Pelion aufeinander zu türmen, um den Himmel zu erklimmen. 147 Erebus: Unterwelt. 148 Die Berge Ida und Dindymus in Phrygien waren Zentrum des Kybele-Kultes (Anm. 54). 149 Galli, Priester der Kybele, heulen vor Schmerz aufgrund ihrer Selbstverstümmelung im ekstatischen Kultgeschehen (seit dem Ende des 2. Jhs. v. Chr. war deren freiwillige Kastration ein Phänomen des römischen Kybele-Kultes). 150 Kureten: berühmt für ihren Waffentanz; als Ureinwohner Kretas sollen sie Jupiters Mutter Rheia geholfen haben, sein BabyGeschrei vor dem Vater Saturn, der nach ihm suchte um ihn zu töten, zu übertönen. Durch die Überlagerung der hellenischen Göttermutter Rheia mit der – ursprünglich asiatischen – Großen Muttergöttin Kybele drangen die Kureten in deren Kult mit ein. 151 Elysium: Wohnort der Seligen in der Unterwelt. Die Vorstellung eigener Gestirne in der Unterwelt entspricht epischer Tradition; Claudian orientiert sich in dieser Passage v. a. an Vergil. 152 Wertvollere Generation: Claudians Wortwahl ist subtil interpretierend (und entlarvt damit Plutos Scheinwelt): pretiosus meint v. a. ‚wertvoll‘ im materiellen Sinne (teuer, kostspielig), denn das Goldene Zeitalter wird im Epos ja gerade als überwindenswertes Zeitalter aufgefasst, da es lethargisch und dumpf ist vor lauter Luxus. ‚Die Oberwelt erhielt es nur einmal‘ ist somit euphemistische Umschreibung dafür, dass Jupiter es auf Erden zusammen mit der Herrschaft seines Vaters längst abgeschafft hat (3,19 ff.).

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153 Bei Vergil handelt es sich um einen einzelnen golden schimmernden Zweig an einem schattigen Baum (von Aeneas für seinen Eintritt in die Unterwelt zu pflücken: Aen.6,136–143), den Proserpina für sich als Gabe bestimmt hatte, der ihr also heilig war. Claudian steigert dies zur metallisch-grüngold schimmernden Pracht eines ganzen Baumes, würdiges Hochzeitsgeschenk Plutos für Proserpina (Vorbild: Ovids goldener Baum der Venus, met.10,647 ff.). 154 Die Pracht des Baumes wird kombiniert mit dem Motiv der Goldenen Äpfel der Hesperiden: diese hatte Gaia einst dem Jupiter und der Juno zur Hochzeit geschenkt; sie wurden im Garten der Götter im Westen der Welt von den Hesperiden behütet und sind ein Symbol des Reichtums und traditionelles Liebesgeschenk. 155 Geschickt weitet Pluto mit allumfassender Geste Proserpinas künftigen Herrschaftsbereich auf die Lebewesen der Oberwelt aus, insofern sie alle sterblich sind und damit letztlich dem Totenreich zugehörig. Dahinter steht ein konzentrisches kosmologisches Modell mit der Erde im Mittelpunkt, die von der Mondsphäre umschlossen wird. Diese Mondumlaufbahn markiert die Grenze zwischen korrupter, sterblicher Welt und den lichten ätherischen Himmelsregionen von ewiger Harmonie. Die Zählung der Planetensphären läuft auf die Erde zu: Saturn – Jupiter – Mars – Sonne – Venus – Merkur – und der Mond als siebenter. 156 Mit den Schicksalsgöttinnen als Dienerinnen suggeriert Pluto Proserpina am Ende seiner Rede, dass sie Macht haben wird über das Schicksal, allerdings ja nicht über ihr eigenes, womit die Trostmittel seiner Rede ihre Grenzen erreichen. 157 Römische Tradition war, dass eine ehrbare, in erster Ehe verheiratete Frau die Braut für die Hochzeitsnacht zurecht machen durfte. Das Haar wurde nach uraltem Brauch mit einer kleinen Lanze (durch die ein Feind getötet worden war, d. h. blutig – als symbolische Vorwegnahme der Defloration), in sechs Strähnen unterteilt und mit wollenen Bändern zusammengehalten. Blumenkranz und ein rötlicher Brautschleier (Sinnbild der Vitalität) schmückten die Braut.

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158 Minos’ Urne: mythischer König von Kreta, berühmt für seine gesetzgeberische Tätigkeit; daher auch als Totenrichter in der Unterwelt angesiedelt (und traditionell mit einer Los-Urne dargestellt), wo er über die im Leben begangenen Taten der Verstorbenen urteilte. Die Schicksalslose sind als Urteilssprüche/ Strafen zu verstehen. 159 Ixion: König der Lapithen, der sich Juno nähern wollte und mit einem – ihm von Jupiter geschickten – Wolkentrugbild der Götterkönigin die Kentauren zeugte; für seine Freveltat wurde er in der Unterwelt auf ein ewig sich drehendes feuriges Rad gespannt. 160 Tantalus: entwendete den Göttern Ambrosia, plauderte göttliche Geheimnisse aus und schlachtete sogar seinen Sohn Pelops, um ihn den Göttern vorzusetzen und damit ihre Allwissenheit auf die Probe zu stellen – zur Strafe musste er ewig Hunger und Durst leiden, Wasser und Früchte direkt vor sich, aber unerreichbar. 161 Tityos: ein Riese, der sich an Latona vergreifen wollte und deshalb von Apollo getötet wurde; in der Unterwelt lag er lang ausgestreckt auf dem Boden gefesselt, während ihm ein Geier die stets nachwachsende Leber zerhackte. 162 Kratere: große tiefe Gefäße, in denen der Wein mit Wasser gemischt wurde. 163 Wildes Haar der Eumeniden (Anm. 137 f.): ihre Schlangen(haare), die hier zu eigenständigen Tischgenossen werden. 164 Aus den Rachefackeln werden Hochzeitsfackeln. 165 Avernus: ein tiefer, einen vulkanischen Krater ausfüllender See bei Cumae in Kampanien, der als ein Eingang zur Unterwelt galt; nach poetischer Tradition dünstete er giftige Dämpfe aus, welche darüber fliegende Vögel töteten. 166 Amsanctus: ein durch seine schwefligen, übel riechenden Ausdünstungen berüchtigter kleiner Kratersee in Samnium, ebenfalls als Eingang zur Unterwelt verstanden. 167 Greiser Fährmann: Charon, der laut Mythos die ihm von Merkur (Anm. 24) zugeführten Toten über einen mit Schilf bestandenen See in die Unterwelt ruderte.

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Anmerkungen

168 Die Brautfrau (siehe Anm. 157) assistierte beim Ineinanderlegen der Hände des Brautpaars und dem gemeinsamen Treueschwur; Claudians nahezu höfisch ausgestaltete Hochzeitszeremonie gipfelt in der traditionellen Prozession mit Fackeln und Gesängen zum Haus des Bräutigams und dem Ehebett. 169 Proserpina, bisher als ‚Jungfrau‘ bezeichnet, ist nun die Juno der Unterwelt (siehe Anm. 4); Pluto ist nicht mehr nur Bruder, sondern auch Schwager des Jupiter. Die Bitte um Fruchtbarkeit ist Topos von Hochzeitsgesängen, die Mythentradition zu Pluto und Proserpina verzeichnet allerdings gewöhnlich keine Nachkommen. 170 Thaumas-Tochter: Iris, die geflügelte Götterbotin, wird assoziiert mit dem Regenbogen (ihre Bahn oder ihr schillerndes Gewand), der nach antikem Verständnis Sturm ankündigte. 171 Nereus: weiser und gerechter Meergott; besaß wie andere Meergötter die Gabe der Weissagung und Verwandlung (z. B. im Kampf mit Herkules). 172 Phorcus: Meergott, Bruder des Nereus. 173 Glaucus: ursprl. ein Fischer, der sich nach dem Verzehr eines Wunderkrauts in einen Meergott mit Fischschwanz verwandelte, während sein Oberkörper die Menschengestalt behielt. 174 Proteus: Meergott, der ebenfalls Prophezeiungen gab, wenn man sein stets sich wandelndes und entziehendes Wesen zu bändigen vermochte. Claudians Betonung der Meergötter hat Homers Einberufung der Götterversammlung in Ilias 20,4 –9 zum Vorbild. 175 Jupiters Legitimation seines Sturzes der väterlichen Herrschaft spielt indirekt auf den Titanenkampf an (Anm. 18). Topoi von Saturns Goldener Zeit sind: Frieden, ewiger Frühling, Nahrung im Überfluss, Honig von Eichbäumen, Flüsse von Wein und Milch. 176 Jupiters Silbernes Zeitalter konfrontiert die Menschen mit den vier Jahreszeiten, dem Zwang, Unterschlupf zu suchen und Nahrung anzubauen. Vorlage der Passage ist Vergil, georg.1,121 ff., wo Jupiter die Menschen gleichfalls durch Sorgen zur Erfindung der Künste (Landwirtschaft, Bergbau, Seefahrt, Jagd, Fischfang) bewegt. 177 Natura ist lt. 1,249 f. Schöpferin der natürlichen Ordnung der Dinge.

Anmerkungen

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178 Nach stoischer Anschauung ist der menschliche Geist feuriger Natur, Teil der göttlichen Vernunft, welche als feuriger Äther im Himmel lokalisiert wird, von dort kommt er in einen Menschen und kehrt nach seinem Tod wieder dorthin zurück. 179 Chaonische Nahrung: Eicheln, siehe Anm. 14 (chaonisch = dodonäisch). 180 Die Verbreitung des Ackerbaus ging dem Mythos nach von Attika aus (Anm. 8). 181 Minerva entsprang Jupiters Kopf in voller Rüstung; als seine ‚Kopfgeburt‘ ist sie die liebste seiner Töchter. Vorbild der Passage ist Zeus’ Mahnung an alle Götter, nicht in den griechisch-trojanischen Krieg einzugreifen, bei Homer. 182 Jupiters Aigis war ein Metall- oder Ziegenfellschild, mit dem er schwere Unwetter androhte und alle in Furcht versetzte; pikanterweise lieh er seinen Schild bisweilen an Minerva aus. 183 Mit der Bezeichnung Plutos als Schwiegersohn verrät Jupiter seine Einwilligung in die Ehe und den Verbleib Proserpinas. 184 Albträume der Ceres: 1. feindliche Pfeile durchbohren ihr Innerstes, viscera , wobei dieser vielschichtige Begriff auch ‚Mutterleib‘ und meton. ‚Kind‘ bedeuten kann, d. h. ein Angriff/ Raub ihres innig geliebten Kindes; 2. das Anlegen schwarzer Trauerkleidung; 3. sterile Bergeschen = eine Eschenart, die keine Blüten und Früchte hervorbringt; ihr Austreiben ist somit ein unnatürliches Phänomen; zudem werden Eschen in der antiken Traumdeutung (Apollodor) mit Krieg assoziiert – Ceres gerät in Konflikt zu Jupiter und Pluto. 185 Der Lorbeerbaum ist Symbol der Jungfräulichkeit, welche männlicher Nachstellung zum Opfer fällt (siehe Anm. 78, 116), mittels der Furien konkretisiert auf den Angriff (Plutos) aus der Unterwelt. Dryaden sind Baumnymphen, Naturdämonen in Menschengestalt. 186 Ketten: Symbol für die Unfreiwilligkeit ihrer gerade in deutlich helleren Farben geschilderten Unterweltshochzeit. Der Kontrast im Erscheinungsbild entspricht Ceres’ unterbewusster Perspektive auf das Ereignis. Diese Traumerscheinung hat ihr litera-

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risches Vorbild bei Vergil: Aeneas’ Vision des Hector, der ihn zum Verlassen Trojas auffordert. Kaspische Tigerin (wie die oben erwähnten Löwinnen): galt traditionell als grausam aufgrund der Übertragung ihres wilden kaukasischen Lebensumfeldes. Enceladus: siehe Anm. 45. Ährengirlanden: Kopfschmuck der Getreidegöttin. Zu Buchsbaumflöte und Pauke im Kybele-Kult siehe Anm. 54. Rückbezug auf die Webarbeit der Proserpina (Anm. 63), bereits dort als vergebliches Geschenk für die Mutter nach ihrer Rückkehr charakterisiert, da vor der Vollendung unterbrochen. Die Spinne ist eine witzige Anspielung auf die zweiteilige Webbildschilderung Ovids (met.6,1–145), in welcher Minervas göttliche Weltsicht mit Arachnes irdisch-menschlicher Weltdeutung kontrastiert wurde; Arachne unterlag in diesem Webwettkampf und verwandelte sich in eine Spinne. Claudians freche Spinne führt nun Arachnes Hybris fort und versucht (!) sich an dem komplementären Teil zu Proserpinas göttlichem Gewebe. Elektra: von Claudian dem homerischen Demeter-Hymnus entlehnt, wo sie eine der Okeaniden im Gefolge der Pros. war; ihre Funktion als Amme ist eine Neuerung Claudians. Elektras Rede mit der Widergabe der Ereignisse aus ihrer Perspektive, als Augenzeugin ohne Hintergrundwissen, ist dem sog. Botenbericht der antiken Tragödie vergleichbar. Typhoeus: Anm. 90; Inarime = Aenaria, eine vulkanische, mit warmen Quellen versehene Insel am Nordrand des Golfs von Neapel, heute Ischia. Ceres verbindet das Chaos vor ihren Augen sofort mit dem Titanenkampf, dem Sieg der olympischen Götter und der Einkerkerung der Titanen unter den Vulkanen Kampaniens und Siziliens (siehe Anm. 18, 44). Alcyoneus: einer der stärksten Giganten, der von den Göttern mit Hilfe des Herkules besiegt und unter dem Vesuv eingekerkert wurde. Enceladus: siehe Anm. 45. Briareisches Getümmel: gemeint ist Briareus mit seinen 100 Armen, laut Homer bezeichnen die Götter (deshalb hier innerhalb

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von Ceres’ Rede) so den von Menschen ‚Aegaeon‘ (Anm. 19, 224) genannten Titanen. Cyane: bedeutendste der Quellnymphen in Proserpinas Gefolge, siehe Anm. 104, 205. Sirenen: göttliche Mischwesen in Vogelgestalt mit Frauenköpfen, Gefährtinnen der Proserpina, die hier bereits geflügelt erscheinen (ihre Metamorphose zu Vögeln erfolgt sonst häufig erst als Reaktion auf den Verlust Proserpinas). Phlegra: synonym für die Gigantenschlacht, siehe Anm. 18, 44. Phoebe = Diana, siehe Anm. 60, 87. Pallas Minerva, siehe Anm. 59, 88. Nektar: von Göttern einem Gast angeboten statt des unter Menschen üblichen Weins. Bootes (‚Stiertreiber‘): ein Sternbild des Winters und beginnenden Frühjahrs. Persephone = Proserpina: Claudian setzt den griechischen Namen statt des sonst im Epos verwendeten lateinischen nur hier und verleiht der Formulierung so mehr Pathos. Cyane-Metamorphose: Claudian greift Ovids Quell-Aition auf (dort, met.5,425 ff., versucht sie vergeblich, Pluto zur Freigabe Proserpinas zu überreden, löst sich dann aus Kummer in die Quelle auf und gibt, bereits stumm, Ceres mittels des Gürtels von Proserpina ein Zeichen über die Entführung). Dem antiken Leser erschloss sich damit ihre Nähe zum Raub, allerdings zerfließt sie bei Claudian von Plutos Pesthauch vergiftet. Sirenen (Anm. 198): Töchter des Flussgottes Achelous und einer Muse; ihr bezaubernder Gesang ist sprichwörtlich. Claudian lässt sie nun aus Rache ihre durch Homers Odysseus-Abenteuer berühmte todbringende Tätigkeit auf den Klippen des Pelorus (Anm. 42) aufnehmen. Der epische Vergleich von Ceres mit einer Tigerin basiert auf der bekannten Wildheit von Tigerinnen/ Löwinnen, denen die Jungen geraubt wurden, gesteigert durch die Lokalisierung am Berg Niphates in Hyrkanien, einer Landschaft an der Südostküste des Kaspischen Meeres, dichterisch die Heimat besonder wilder Tiere. Die Schnelligkeit der Wildkatzen (wie auch der Pferde)

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verleitete zur Metapher ihrer Besamung durch den Westwind Zephyrus. Die persischen Großkönige waren berühmt für ihre luxuriösen Freizeitvergnügen; im Vergleich würde Proserpina also zur Gespielin des Pluto. Gespiegeltes Abbild im Glas: der Antike war, neben der üblichen Methode, beim Raub von Jungtieren eines zur Ablenkung der nachsetzenden Mutter zurückzulassen, auch die Taktik bekannt, dem wütenden Muttertier eine Glaskugel oder einen konvexen Spiegel zur Abschreckung vorzuhalten. Fesselung auf Lemnos: Anspielung auf den Ehebruch der Venus mit Mars, aufgedeckt von ihrem Gatten Vulcanus (als dessen ursprüngliche Heimat und Hauptkultstätte die Insel Lemnos galt). Er hatte ein unsichtbares goldenes Netz geschmiedet, in dem die beiden sich verfingen und von den Göttern verspottet wurden. Die das Ehebett ablehnen: Rückbezug (2,20) auf die jungfräulichen Göttinnen Diana und Minerva. Skythien steht poetisch synonym für barbarische Bräuche. ‚Altäre mit Menschenblut‘ verweist darauf, dass zumindest Diana (Minerva wird von Ceres im Affekt subsumiert) in ihrer Funktion als Göttin von Initiationsriten tatsächlich mit Menschenopfern in Verbindung zu bringen ist: noch Cicero, Tusc.2,34, diskutiert bezügl. des Heiligtums der Artemis Orthia bei Sparta den Brauch, einen jungen Mann so lange zu peitschen, bis er blutete bzw. starb; auch für das Heiligtum der Artemis Tauropolos in Attika sind blutige Riten bezeugt. Göttin von Delos: Jagdgöttin Diana (Anm. 60, 87, 94, 141 f.). Tritonia: Beiname der Kriegsgöttin Minerva (Anm. 59, 88 f.). Latona: Mutter der Zwillinge Apollo und Diana (vgl. Anm. 29). Lucina: Geburtsgöttin, steht metonymisch für das Gebären und Aufziehen von Kindern. Latonas Entbindung der göttlichen Zwillinge war besonders strapaziös, da Juno die Geburt hinauszögerte und Latona aus Eifersucht wegen Jupiters Untreue lange in der Welt umherirren ließ, bis ihr die schwankende Insel Delos endlich Asyl gewährte. Apollos Haar: sein langes lockiges Haar war Sinnbild der ewigen Jugend, Lebensfülle und Schönheit.

Anmerkungen

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217 Sowohl der Rhein als auch das Riphäische Gebirge in Skythien sind dichterische Topoi für den kalten Norden. Kontrastiert wird die Große und Kleine Syrte, die Sandbänke vor der Afrikanischen Küste zwischen Karthago und Kyrene. 218 Notus: Südwind; Boreas: Nordwind; Atlas: Gebirge am Westrand der Welt (Anm. 26, 135); Hydaspes: Fluss in Indien, bis zu dem Alexander der Große in seinem Eroberungsfeldzug gekommen war. 219 Ekphrasis (detaillierte Beschreibung) des Jupiter heiligen Haines am Aetna (3,332–356): auf die formelhafte epische Einleitung lucus erat … folgt eine vor allem mythologisch geprägte Beschreibung dieser Gegend, zunächst lokalisiert durch das Aition des Flusses Acis. 220 Acis: einst Geliebter der Meernymphe Galatea, wurde von dem eifersüchtigen Kyklopen Polyphem durch einen Steinwurf getötet, woraufhin er sich in einen Fluss(gott) verwandelte. 221 Die – episch formelhafte – Dichte und Schattigkeit des Haines evoziert eine unheimliche Atmosphäre und bietet den ‚Aufhänger‘ für Jupiters von der Gigantenschlacht blutbespritzten Schild (Aigis) und die weiteren, in der mythischen Schlacht der Götter mit den Giganten erbeuteten Waffen. 222 Phlegra: siehe Anm. 44. 223 Giganten: siehe Anm. 18. Sie entstanden aus den Blutstropfen, die bei der Entmannung des Uranos die Erde Gaia befruchteten; ihre Schlangenfüße versinnbildlichen den chthonischen Bezug. 224 Aegaeon: Anm. 19 (auch Briareus genannt, Anm. 196); mit ihm beginnt dieser epische Katalog der Giganten, wobei die alphabetische Reihung den Listencharakter unterstützt. 225 Coeus: ursprünglich ein Titan, Sohn von Uranos und Gaia, später auch unter die Giganten gezählt. 226 Mimas: in der Gigantenschlacht getötet, nachdem er die Insel Lemnos auf die Götter werfen wollte. 227 Ophion: von Zeus besiegter und unter einem Berg begrabener Gigant.

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Anmerkungen

228 Enceladus: siehe Anm. 45. Seine sonst selten bezeugte Rolle als Anführer der Giganten wird durch den Handlungsort Sizilien und seine Grabesstätte unter dem Aetna legitimiert. 229 Polyphem: in die Meernymphe Galatea verliebter, ungeschlachter Kyklop, auf Sizilien beheimatet, wo er vom Meeresufer aus immer wieder versucht, Galatea für sich zu gewinnen – seine direkte Erwähnung am Ende der Ekphrasis schließt den Ring zur indirekten Zitation des Liebesverhältnisses mit der Erwähnung seines Konkurrenten Acis am Beginn (Anm. 219 f.). 230 Claudian wertet Ceres’ Verhalten angesichts des heiligen Ortes subtil: im Erysichthon-Mythos warnt Ceres diesen, Hand an einen ihr heiligen Hain zu legen – seine Tat wird von der Getreidegöttin mit ewigem Heißhunger bestraft. Daneben orientiert sich Claudian bei der Beschreibung von Ceres’ Verhalten an Lukans Darstellung des Caesar angesichts der Belagerung von Massilia (3,399– 452), als dieser alle Bäume in der Umgebung, sogar einen heiligen Hain, für den Bau von Befestigungsanlagen schlagen lässt. Vergleichspunkt ist die Hybris gegenüber tradiertem Götterglauben, skurril gewendet, da Ceres ja selbst eine Gottheit ist – allerdings in Widerspruch zu den Ihrigen geraten. 231 Zypresse: siehe Anm. 116. 232 Simois: Fluss in der laut Homer waldreichen Gegend des Berges Ida in Phrygien (Anm. 52 f.), von Claudian eventuell verwechselt mit dem Ida auf Kreta, laut Vergil bekannt für seine Zypressen. 233 Orontes: Hauptfluss Syriens, der auch den Apollo geweihten Hain bei Antiochia durchfließt und gedeihen lässt. 234 Faune: Feld- und Waldgottheiten; Dryaden: Baumnymphen. 235 Megaera: eine der Furien (Anm. 17, 137 f.), die als Rachegeister Rechtsbruch ahnden, hier in den Mauern des Kadmus in Theben (Oedipus und Iokaste) und im Mykene des Thyestes (inzestuöse Verbindung zu seiner Tochter). 236 Mulciber (Anm. 48, 131): hier meton. für ‚Feuer‘. Ceres scheint den Aetna fast zum Ausbruch zu bringen; sie schöpft sein Feuer, hier im Epos Sinnbild der aufrührerischen Titanen (Anm. 44 f., 48 f.). Das Motiv führt zurück auf die Bedeutung der Fackeln im Eleusinischen Kult (Anm. 7).

Anmerkungen

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237 Saft des Phaethon und der Luna: ein geheimnisvoller Saft (vielleicht ähnlich dem körperkonservierenden Ambrosia), welcher vor zu großer Feuereinwirkung schützt, d. h. ein Paradoxon in Bezug auf eine Fackel. 238 Lachesis: eine der Schicksalsgöttinnen (Anm. 20). 239 Dione: Mutter der Venus. 240 Etruskische Küste und Syrten: nochmalige Bezeichnung des weiten Lichtscheins von Ceres’ gewaltiger Fackel, die von der Meerenge von Messina aus den Mittelmeerraum bis zur norditalischen Küste und bis zu den Libyen vorgelagerten Sandbänken (Anm. 217) umfasst. 241 Scylla: Meeresungeheuer mit dem Oberkörper einer jungen Frau und einem Unterleib, den man sich aus sechs Hunden bestehend vorstellte. Scylla wurde gegenüber dem gleich großen Übel Charybdis an der Meerenge von Messina lokalisiert, wo sie den Seefahrern auflauerten.

Zur Textgestaltung Dem lateinischen Text dieser Ausgabe liegt die Claudian-Edition von J. B. Hall (Leipzig 1985) zu Grunde, die abweichenden Stellen basieren auf dem Text von C. Gruzelier (Oxford 1993). Unterschiede in der Groß- und Kleinschreibung, Absatzgestaltung und Interpunktion bleiben unberücksichtigt. Stelle 1 praef.1 1,3 1,10 1,11 1,67 1,83 1,98 1,139–141 1,147 1,189 1,201 2,26 2,66 2,136 2,159 2,205 2,295 3,105 3,140 3,177 3,359 3,370 3,393

Hall primus secuit prodere strepitus attolit Eleusin vix illa; pepercit horrorem vacuas ... aures vv.139sq. ut spurios damnat trisulco culmi Iden Gorgonos Tanain Cephisos Gigans Gorgonos verrunt tua nata Iden canos petit ira cupressi cupressos

Gruzelier secuit primus promere fremitus extollit Eleusis vix ille pepercit terrorem vanas ... auras vv.140sq. ut spurios damnat trisulcam fruges Idam Gorgonis Tanaim Cephisus Gigas Gorgonis vertunt tu nostra Idam cano feritura cupressus cupressus

Bibliographie Textausgaben, Konkordanz, Kommentare und Übersetzungen Claudii Claudiani carmina, ed. J. B. Hall, Leipzig 1985 (= Biblioteca Teubneriana) Charlet, J.-L.: Claudien. Œuvres T. I : Le rapt de Proserpine, Paris 1991 Christiansen, P. G.: Concordantia in Claudianum, Hildesheim u. a. 1988 Gruzelier, C.: Claudian. De raptu Proserpinae, ed. with introduction, translation and commentary, Oxford 1993 Hall, J. B.: Claudian. De raptu Proserpinae, ed. with an introduction and commentary, Cambridge 1969 Paladini, V.: Claudianus Minor (Il ratto di Proserpina), testo e traduzione, Roma 1952 Potz, E.: Claudian. Kommentar zu De raptu Proserpinae Buch I, Graz 1984 Onorato, M. : De raptu Proserpinae, Napoli 2008 von Wedekind, G.: Dichtungen des Claudius Claudianus, Darmstadt 1868

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