Den Verlauf kontrollieren: Eine Ethnographie der waterscape von Gilgit, Pakistan. Ressourcen - Gemeinschaften - Überwachung 9783839442357

Ethnography of an urban waterscape in the desert in the highlands of Pakistan: While local players try to influence the

161 26 15MB

German Pages 460 [458] Year 2018

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Table of contents :
INHALT
Danksagung
Hinweise zu Transkription und Personen im Text
Einleitung
Feld, Akteure und Methoden
Gilgits fragmentierte Wasserversorgungen
Die Verhandlung „traditioneller“ Wasserrechte
„Verfügbar durch Selbsthilfe“ – Wasserorganisierung in den neuen Siedlungen
Gräben in Gilgits land- und waterscape
Zusammenfassung: Gilgits waterscape, Mobilisierung von Gemeinschaften, Umgang mit Unsicherheiten
Anhang
Quellenverzeichnis
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Den Verlauf kontrollieren: Eine Ethnographie der waterscape von Gilgit, Pakistan. Ressourcen - Gemeinschaften - Überwachung
 9783839442357

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Anna Grieser Den Verlauf kontrollieren

Kultur und soziale Praxis

Anna Grieser (Dr. phil.), geb. 1982, lebt in Islamabad, Pakistan. Ihr Interesse gilt Forschungsmethoden, autoethnographischen und postmodernen Ansätzen der Ethnologie, Management natürlicher Ressourcen, sozialer Mobilität, Fragen nach Teilhabemöglichkeiten an »Entwicklung« sowie dem Umgang mit dem Altern.

Anna Grieser

Den Verlauf kontrollieren Eine Ethnographie der waterscape von Gilgit, Pakistan. Ressourcen – Gemeinschaften – Überwachung

Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Dissertation wurde im Rahmen des Verbundes »CrossroadsAsia« (Förderkennzeichen: 01UC1103D, LMU München) mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: © Anna Grieser, Gilgit, 2012 Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4235-3 PDF-ISBN 978-3-8394-4235-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

INHALT Danksagung | 9 Hinweise zu Transkription und Personen im Text | 11 Einleitung | 13

Umstrittene Ethnographie der waterscape Gilgits | 15 Unsicherheit und Ungewissheit als konzeptioneller Rahmen | 22 Forschungsrahmen | 28 Theoretischer Rahmen | 32 Das Konzept der waterscape | 32 Eliasʼ Figurationen-Konzept | 37 Anwendung der Konzepte: Figurationen in der waterscape Gilgits | 43 Aufbau des Buchs | 46 Feld, Akteure und Methoden | 49

Forschungslokalität Gilgit | 50 Bewässerungssysteme in Gilgit-Baltistan | 53 Gilgit als regionaler Schnittpunkt | 57 Zusammenleben in Gilgit | 61 Stadtteile | 64 Exkurs: Neuere und neueste Geschichte der Region | 66 Forschung unter Verdacht und Überwachung | 69 Ins Feld | 72 Exkurs: Agencies in Pakistan und Gilgit-Baltistan | 76 Verdacht und Überwachung in der Forschung | 78 Exkurs: Gewalttätige Konflikte im Feld | 83 Forschung unter (Selbst-)Überwachung | 92 Analyse zur Forschung unter Verdacht und Überwachung | 96 Ethnographische Datenerhebung/-produktion und ethnographische Beziehungen | 102 Akteure, Akteurinnen und ethnographische Beziehungen | 106 Datenerhebung und Interviews | 109 Limitationen | 112 Repräsentation | 118 Fazit | 121 Gilgits fragmentierte Wasserversorgungen | 123 Hydraulische Einheiten Gilgits | 127 Historischer Hintergrund der hydraulischen Einheiten Gilgits | 129

Effekte von Gewohnheitsrechten auf die waterscape Gilgits | 133 Öffentliche Wasserversorgungen zwischen Vernetzungsversuchen und allseitigen Enttäuschungen | 135 Öffentliche Wasserversorgung und Vernetzungsversuche | 136 Enttäuschende Angebote, enttäuschte Anbieter und das Problem des (un-)verantwortlichen Handelns | 144 Wer hat ein Recht auf die Stadt oder Abgeordnete und Lücken in der politischen Repräsentation | 163 Wasserquantität und „artisanale“ Ansätze zur Wasserorganisierung | 169 Wasserqualität und der Verlust (alter) Gewissheiten | 179 Fazit | 196 Die Verhandlung „traditioneller“ Wasserrechte | 199

Theoretische Überlegungen zur Bewirtschaftung von Allmenden durch „lokale Gemeinschaften“ | 204 Management von Wasser als öffentliche natürliche Ressource | 205 Das Konzept der Gemeinschaft im Management natürlicher Ressourcen | 208 Jutial – Besiedelung, Rechte auf natürliche Ressourcen und Landkonflikte | 211 Institutionalisierung der Kategorie der pushtūne bāshinde in Jutial | 213 Landkonflikt revisited | 218 Grundlagen der Wasserrechte | 229 Gewohnheitsrechte und ihre (eingeschränkte) Autorität | 229 Wasserrechte und „traditionelle“ Wasserverteilung in Jutial | 232 Herausforderung der Wasserrechte | 240 Wasserrechte – weder abänderbar noch abschaffbar | 242 Abschaffungsdiskurse | 245 Menschenliebe und Großzügigkeit oder entpolitisierter Humanitarismus | 251 Der Fall des Kargah-Jutial-Kanals oder Sectarianization vor Wohlfahrt | 255 Fazit | 262 „Verfügbar durch Selbsthilfe“ – Wasserorganisierung in den neuen Siedlungen | 265

Self-help kontextualisiert | 267 Self-help im Forschungskontext | 272 Institutionenbildung und Teilhabe: AKRSP und WASEP | 275 Kritiken zu Entwicklungssektor und „participation“ | 279 Self-help-Wasserversorgung in den neuen Siedlungen | 282 Benazir Colony – Mühen für das Lebenselixier Wasser | 285 Sultanabad und Sultan Colony – Autorität(en) und Grenzziehungen | 293 Lalik Jan Colony – Die Bedeutung von „smart leaders“ und Engagement | 321

Yasin Colony – Die Notwendigkeit von Energie und Überzeugungskraft | 355 Fazit | 362 Gräben in Gilgits land- und waterscape | 367 Kategorienwechsel und Kategorienüberschneidungen | 368 Konfessionslandschaften | 371 Unsicherheit und Rückzugsort | 373 Räumliche Ausdifferenzierung | 375 Misstrauen gegenüber AKDN-Organisationen | 383 Wissensgräben | 392 Lernen am Vorbild | 393 Fazit | 394 Zusammenfassung: Gilgits waterscape, Mobilisierung von Gemeinschaften, Umgang mit Unsicherheiten | 397

Zusammenhänge zwischen Feld, Akteuren und Methoden | 399 Der präsente aber (ver-)fehlende Staat | 403 Veränderungen in der Urbanisierung | 405 Gemeinschaften und Grenzen | 406 „Moralische“ Gemeinschaften? | 407 Selbsthilfe, organisationales Wissen und Beziehungen | 410 Nebeneinander und Wechsel von Figurationen | 412 Figurationen, Ungewissheit und Unsicherheit – ein Ausblick | 414 Anhang | 417 Glossar lokaler Begriffe | 417 Abkürzungsverzeichnis | 419 Quellenverzeichnis | 421 Zeitungsartikel | 421 Online-Zeitungsartikel | 421 Onlinequellen | 422 Unveröffentlichte Berichte | 423 Literaturverzeichnis | 423

Danksagung

Die Forschung zur vorliegenden Dissertation wurde von Prof. Dr. Martin Sökefeld initiiert und ermöglicht; ihm möchte ich sehr herzlich danken, mir die Möglichkeit zu diesem Unterfangen gegeben zu haben sowie jederzeit und für alle erdenklichen und undenklichen Schwierigkeiten mit Rat und Bescheinigungen zu Hilfe gestanden zu sein. Am Institut für Ethnologie der LMU München danke ich Prof. Dr. Frank Heidemann und Prof. Dr. Eveline Dürr. Ihr danke ich besonders für ihre Anregungen, die Unterstützung bezüglich des Abschlussstipendiums sowie die Zweitbegutachtung der Arbeit. Frau Platting danke ich für ihre große Hilfsbereitschaft. Ganz herzlich möchte ich mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen am Institut bedanken, darunter besonders Dr. Martin Saxer, Pascale Schild, Stefan Urban, Deniz Cosan Eke, Diana Sherzada, Dr. Jens Zickgraf und Dr. Philipp Zehmisch. Anna-Maria Walter, Saskia Walther und Maria Beimborn danke ich von ganzem Herzen für ihre Freundschaft, für Anregungen und Korrekturlesen sowie für schöne Stunden am Institut und darüber hinaus. Die Forschung für die vorliegende Arbeit wurde durch die großzügige Förderung im Rahmen des Kompetenznetzwerks Crossroads Asia des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ermöglicht; das Kompetenznetzwerk bot darüber hinaus Unterstützung durch die Kolleginnen und Kollegen, von denen ich vor allem Prof. Dr. Hermann Kreutzmann, Prof. Dr. Anna Hornidge und Prof. Dr. Conrad Schetter, Dr. Antía Bouzas, Dr. Joe Hill, Dr. Andreas Benz, Dr. Shahnaz Najmabadi und Petra Tiller für ihre Anregungen danke. Die Fertigstellung der Dissertation wurde durch die großzügige Förderung im Rahmen eines Abschlussstipendiums des Graduate Center der LMU München unterstützt. Die Veröffentlichung beim Transcript-Verlag wurde durch den Preis der Fakultät für Kulturwissenschaften der LMU München ermöglicht. An den Universitäten in Pakistan gilt mein besonderer Dank Prof. Dr. Azam Chaudhary, aber auch Prof. Dr. Sohail Imam, Prof. Dr. Khalil Ahmad und Zubair

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Ahmad, wie auch Prof. Dr. Najma Najam. Ohne sie wäre eine Durchführung der Forschung ggf. nicht möglich gewesen und vermutlich sehr anders verlaufen. Vielen Dank an Prof.em. Dr. Pnina Werbner für den Hinweis, dass auch hinter irrational erscheinenden Handlungen meist eine eigene Rationalität steckt, die es zunächst gilt vorauszusetzen und schließlich nachzuvollziehen. Dr. Emma Varley und ihrem Mann Wadood bin ich überaus dankbar für die Hilfestellungen, Diskussionen und ihre Offenherzigkeit während und nach der Forschung, die mir geholfen haben, vieles zu verstehen und zu navigieren. Mein herzlicher Dank gilt Dr. Ursula Grammel für ihren Zuspruch beim Schreiben. Ganz herzlich möchte ich mich bei Shaheen und Aliraza für ihre Freundschaft und Hilfe bei der Forschung sowie Geduld und Einfühlungsvermögen bedanken. Mein besonderer Dank gilt auch Noreen und Mehter Jan und ihrer Familie, Yaqoob Mamu und Buluqi, Ehsan Ullah und seiner Familie sowie der Familie Lal Hussains für die Großzügigkeit und Offenherzigkeit, mit der sie mich in ihren Familien empfangen haben. Ich danke auch Sherbaz Barcha, Habeeb Urrahman und Jannat Hoor und ihrer Familie. Außerdem danke ich ganz herzlich meinen Gesprächspartnerinnen und -partnern sowie den vielen Familien, die mich in Gilgit, Hunza, Yasin und Diamer herzlich empfangen und bewirtet haben, die ich hier zu meinem großen Bedauern nicht alle nennen kann. Mahi, Rukayya, Shehla, Arfa, Attia, Sheri und Benazir, Shari und Maha, Kamil, Zohaib, Sabahat, Sadaqat, Irfan und Habeeb bin ich sehr dankbar für die Unterstützung und Freundschaften. Die Begegnungen mit Sultan, Liaqat, Raheem, Zaheer, Shokoor und Yaqoob haben mich viel gelehrt. Ich danke auch Zaiba und Asif, sowie Dadi, Ghazala, Mehwish und Amir, Faiza und Saqib, Samina und Kamran, Lubna und Abdullah für ihre Bemühungen, Geduld und die Offenherzigkeit, mit der sie mich in ihre Familie aufgenommen haben. Für ihre Unterstützung und Freundschaft und den Mut den sie mir immer wieder gemacht haben danke ich Nina Geist, Jacqueline Wilk, Clarissa Leopold, Anna Vahl und Dr. Beate Reinhold. Unterwegs habe ich leider nicht nur Freundschaften gewonnen, sondern auch verloren; mein Dank gilt Robert sowie Clarissa und Andreas Scheu für ihre Geduld und Unterstützung zu Beginn meiner Forschung. Von ganzem Herzen danke ich meinen Eltern Edda und Carl sowie meiner Schwester Theresa mit Klaus und Vincent. Sie haben mich vielen Befürchtungen entgegen ziehen lassen und schließlich mir und Yasir ein Zuhause geboten. Von ganzem Herzen danke ich außerdem meinem Mann Yasir Hussain, der mir mit Offenheit, Vertrauen und Wertschätzung begegnet ist und der mit seiner Zuversicht maßgeblich dazu beigetragen hat, dass ich diese Dissertation erfolgreich verwirklichen und fertigstellen konnte. Islamabad, Oktober 2017

Anna Grieser

Hinweise zu Transkription und Personen im Text

In dem vorliegenden Buch werden lokale Begriffe bzw. Konzepte von besonderem Interesse (aus dem Urdu sowie der lokalen Sprache Shina) über eine einfache phonemische Transkription mit diakritischen Zeichen hervorgehoben. Die Transkription orientiert sich dabei an der Schreibweise des Urdu sowie an der Aussprache in Gilgit. Der stimmhafte Rachenreibelaut ‫( ع‬ᶜain) z.B. wird im gesprochenen Urdu Gilgits nicht berücksichtigt und entsprechend hier ausgelassen; ich unterscheide außerdem nicht zwischen den unterschiedlichen s-Lauten. Retroflexe Buchstaben sind über einen Punkt markiert (ṭ, ḍ, ṛ). Der Buchstabe ğ steht für den stimmhaften Gaumenreibelaut, ḵh steht für den stimmlosen Gaumenreibelaut. Lange Vokale tragen einen Längungsbalken (ā, ī, ū sowie ē und ō). Das ‫( ں‬nūn-e ğunna), welches lange Vokale nasaliert, zeige ich über eine Tilde an (ñ). Der Buchstabe j gleicht dem Laut des deutschen „dsch“ und die Buchstaben c dem Laut des deutschen „tsch“. Der Buchstabe z steht für einen stimmhaftes s. Da die lokalen Sprachen der Region nicht alphabetisiert sind, folge ich für Begriffe aus dem Shina den Empfehlungen zur Verschriftlichung, welche mir mein Mann Yasir vorschlug. Die Schreibweise von Namen und Ortsnamen folgt der vor Ort üblichen Schreibweise entsprechend dem englischen Alphabet. Die meisten Interviews wurden auf Urdu geführt und anschließend ins Englische übersetzt. Um die auf Urdu geführten Aussagen von denen zu unterscheiden, die auf Englisch gemacht wurden, sind diese kursiv gesetzt – wobei in den Zitaten mancher Gesprächspartner_innen deutlich wird, wie oft diese zwischen Englisch und Urdu hin und her wechselten. Englische Begriffe innerhalb des Urdu sind über einfache Anführungszeichen als solche gekennzeichnet und z.B. „Kōi bhī sistem nahīñ hay“ als „There is no ‚system‘ at all“ festgehalten. Um Anonymität zu gewährleisten wurden die Namen aller sowie die Identität mancher Gesprächs- und Interaktionspartner_innen geändert. Auch manche Nachbar-

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schaften habe ich mit anderen Namen versehen, um die Anonymität ihrer Bewohner_innen sicherzustellen. Da die Ethnographie auch auf autoethnographischem Material beruht, war es nötig, nicht nur meine Interaktions- und Gesprächspartner_innen zu schützen, sondern auch mich selbst. Daher verbleibt die Darstellung mancher Zusammenhänge und Ereignisse fragmentarisch.

Einleitung

Das Buch Den Verlauf kontrollieren ist eine Ethnographie zur waterscape oder hydrosozialen Landschaft Gilgits. Gilgit ist die Hauptstadt Gilgit-Baltistans, einer von Pakistan verwalteten Hochgebirgsregion im Norden Pakistans. Die Region zeichnet sich durch vergleichsweise geringe Niederschläge in den bewohnbaren Zonen aus. Als Lebensgrundlage dient das in Bächen und Flüssen vorhandene Schmelzwasser aus Schneefeldern und Gletschern. Um es nutzen zu können, sind Wasserinfrastrukturen notwendig, die zumeist in kollaborativer Arbeit errichtet, instand gehalten und betrieben werden. So entstehen „hydraulische Einheiten“, die Wasserinfrastrukturen und Wassernutzungsgemeinschaften umfassen und die die Landschaft, aber auch das Leben und Zusammenleben vor Ort prägen. Dazu gehört auch, dass Wasserinfrastrukturen, wie auch die Nutzungsgemeinschaften, es möglich oder unmöglich machen können, sich niederzulassen und einen Ort zu bewohnen. Während die meisten hydraulischen Einheiten im Hinblick auf das Betreiben von Landwirtschaft bzw. Subsistenzwirtschaft errichtet wurden, gerät in Gilgit dieser Aspekt zunehmend in den Hintergrund. Seit etwa den 1930er Jahren verändern v.a. Urbanisierungsprozesse auffällig die städtische Landschaft, verschieben Grundlagen für Lebensunterhalt und Status, stellen neue Beziehungen her und verändern alte. Vor diesem Hintergrund geht das vorliegende Buch der Frage nach, über welche Prinzipien die hydraulische sowie die soziale Landschaft Gilgits geprägt wird. Um dies zu beantworten, greife ich auf das Konzept der „Figurationen“ von Norbert Elias zurück (Elias 2001, 2004; Elias/Scotson 1994). Das Konzept richtet den Blick auf Beziehungen zwischen Individuen und Gruppen und zielt darauf ab, Muster aufzudecken, welche Beziehungen und dadurch Gesellschaft prägen. Interdependente Beziehungen, so Elias, sind Grundlage jeder Gesellschaft und sind über sich ständig wechselfähige Machtdifferenziale geprägt. Mit dem Begriff Figurationen bezeichnet Elias Einheiten von Individuen in interdependenten Beziehungen. Mit Figurationen korrelieren bestimmte „Habitus“: eine Art „zweite Natur“, die Handlungsoptionen, Denkmuster, Wahrnehmungen, Hoffnungen, Ziele und Möglichkei-

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ten von Individuen strukturieren. Über die Anwendung des Figurations-Konzepts soll hier nachvollzogen werden, wie das Leben in Gilgit figuriert wird, welche Prinzipien, Kategorien und Denkweisen maßgeblich Handlungen und Beziehungen prägen und wie dies die Gestaltung der hydraulischen Landschaft prägt. Skizziert man die hydraulische Landschaft Gilgits anhand der diversen staatlichen bzw. öffentlichen und privaten bzw. gemeinschaftlichen Anstrengungen zur Wasserversorgung wird deutlich, dass die Wasserlandschaft über eine Vielzahl an Infrastrukturen, Rechtssystemen, Anbietern, Institutionen, Gruppen von Rechtehaltern, Nutzergruppen sowie unterschiedlichen Wasserquellen multipel fragmentiert ist. Um die diversen Fragmentierungen und Verquickungen zu verdeutlichen, stelle ich beispielhaft eine hydraulische Einheit vor. Deren Mitglieder definieren sich als „alte Siedler“ und beanspruchen bestimmte Praktiken und Wassermengen eines Gebirgsbachs als „traditionell“. Hierüber leiten sie „traditionelle Wasserrechte“ ab, die auch das Recht zur Exklusion anderer von der Wasserversorgung beinhalten. Diese und parallele Vorgehensweisen auch in anderen hydraulischen Einheiten der Stadt haben zur Folge, dass die städtische Bevölkerung ungleich mit Wasser versorgt wird: Bachwasser geht vorrangig an die sogenannten „alten“ Familien, die über Vererbung einen Anspruch auf „traditionelle“ Regeln und Rechte geltend machen können. Neue Siedlungen und Neuzugezogene ohne Wasserrechte bleiben anfangs sowie periodisch auf dem Trockenen sitzen. Auch öffentliche Leistungen berücksichtigen großenteils die traditionellen Wasserrechte. Daher wird in vielen neuen Siedlungen versucht, über „self-help-Projekte“ zusätzlich Flusswasser bzw. Uferfiltrat zu organisieren. In beiden Fällen, d.h. sowohl unter den „alten“ als auch unter den neuen Bewohnern und Bewohnerinnen Gilgits, wird deutlich, wie zentral Prozesse zur Mobilisierung sind, wobei es immer zugleich um die Mobilisierung von Ressourcen als auch von bestimmten Repräsentationen und Identitäten geht. In der Analyse wurden zwei Figurationen deutlich, welche die soziale und damit auch die hydro-soziale Landschaft in Gilgit maßgeblich prägen. Zum einen eine „Etablierten-Außenseiter-Figuration“, in der sich die Bewohner_innen1, wie schon angeführt, als „alte“ und neue Siedler_innen gegenüberstellen. Zum anderen sectarianism, im Rahmen dessen sich Bewohner_innen als Angehörige verschiedener islamischen Konfessionen identifizieren und gegenüberstellen. Grundlage für die Ethnographie ist Material, das für eine Promotion im Fach Ethnologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in ca. 15 Monaten ethnographi-

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Bei Personengruppen verwende ich, wenn die Gruppen sowohl Männer als auch Frauen umfassen, wo möglich, einen Binnen-Unterstrich. Im Fall der „alten“ Siedler dagegen verwende ich das generische Maskulinum, da hier die Agierenden zumeist Männer sind; „alte“ Siedlerinnen nahmen – zumindest mir gegenüber – auf diesen Status nie Bezug.

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scher Feldforschung in den Jahren 2011 bis 2014 erhoben wurde. Die Überzeugung, dass eine reflexive Vorgehensweise wesentlich für das ethnographische Vorgehen ist, prägt auch den Aufbau des vorliegenden Buchs. Das bedeutet, dass Feldforschungsumstände und Feldforschungserfahrungen, die maßgeblich das Verständnis für das Forschungsfeld und damit die Datenerhebung bzw. Datenproduktion bestimmen, auch in die Analyse und Repräsentation einbezogen und reflektiert werden. So wurde in der Forschung zum vorliegenden Buch eine dritte, übergeordnete Figuration von Bedeutung, die sich weniger in den Daten zur waterscape als in der Feldforschung selbst zeigte. Gegenstand und Angelpunkt dieser Figuration ist die Beziehung zu und Loyalität gegenüber Pakistan. Sie prägt Beziehungen zwischen Pakistanerinnen und Pakistanern mit Ausländerinnen und Ausländern ebenso wie sie das Verhältnis der Region Gilgit-Baltistan und deren Bewohnerinnen und Bewohnern zu Pakistan und vice versa bestimmt. Als Resultat reflektiere ich über Unsicherheit und Ungewissheit, die hier weniger durch die natürliche als die soziale Umwelt entstehen.

UMSTRITTENE ETHNOGRAPHIE DER WATERSCAPE GILGITS Der Titel des Buchs, Den Verlauf kontrollieren, bezieht sich auf zwei Bedeutungsebenen. Die eine betrifft Versuche lokaler Akteure und Akteurinnen, Kontrolle über den Verlauf von Wasserressourcen zu erlangen oder zu behalten und die waterscape2 Gilgits zu ihren Gunsten zu nutzen und zu verändern. Wasser ist nicht nur als Alltagsgegenstand bedeutsam, sondern auch als symbolische Ressource. (Sauberes) Wasser ist eine Basis für Gesundheit und Hygiene, aber auch für ein gutes Leben. Wasser ist nötig, um Gärten erblühen zu lassen und Gemüse zu züchten. Im Haushalt ermöglicht es, Geschirr und Wäsche hinter den eigenen vier Wänden zu waschen, anstatt sich hierfür am Fluss zusätzlichen Mühen und Blößen aussetzen zu müssen. Wie Mosse (2005b) argumentiert, ist Wasser aber auch ein Medium, über das soziale Beziehungen ausgedrückt und Lokalitäten und Gemeinschaften gebildet und abgebildet werden. Entsprechend erlaubt Kontrolle über Wasserressourcen und -infrastrukturen auch, beeinflussen zu können, wer in eine Nachbarschaft ziehen bzw. hineinwachsen darf und wer nicht. Wasser symbolisiert damit auch das „Recht auf die Stadt“ bzw. wer die Stadt gestalten und aus ihren Ressourcen Nutzen ziehen

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Das Konzept der waterscape richtet den analytischen Fokus auf hydraulische bzw. hydro-soziale Landschaften und Systeme. Ausführlicher im Unterkap. „Theoretischer Rahmen“.

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darf (vgl. Harvey 2003, 2008; Kofman/Lebas 2000). Hierfür muss der Verlauf von Ereignissen, müssen Konkurrenzen und Beziehungen kontrolliert werden. Auf einer zweiten Ebene bezieht sich der Titel auf Versuche von lokalen Akteuren ebenso wie der Feldforscherin, Kontrolle über den Verlauf der Forschung zu erlangen. Wie ich über die Feldforschungserfahrungen argumentieren möchte, sind in beiden Ebenen Unsicherheit und Ungewissheit zentral – sowohl bezüglich der Wasserressourcen als auch bezüglich individueller aber auch staatlicher Sicherheit. Erstaunlich scheint hierbei, dass sich Gefühle von Unsicherheit und Ungewissheit v.a. auf die soziale und nur nachgeordnet auf die natürliche Umwelt beziehen. Zwar sind die besiedelten Gebiete der Hochgebirgsregion fortwährend von Erdbeben, Erdrutschen, Flut- und Schlammwellen sowie im Winter durch Trockenzeiten bedroht (vgl. Dani 1991; Shroder 1989; für Hunza siehe Kreutzmann 1994). Dennoch scheint die Fragilität der Natur im Alltag in Gilgit eher im Hintergrund zu stehen oder sogar ihren Schrecken verloren zu haben. Die soziale Umwelt dagegen ruft fundamentale Unsicherheiten und Misstrauen hervor, welche sich weniger leicht abschütteln lassen und welche zentrale und alltägliche Entscheidungen weitaus stärker prägen als die Möglichkeit einer Bedrohung durch die Natur. Einer Familie z.B., die ich in Sakarkui besuchte, einem kleinen Stadtteil Gilgits auf einer Niederterasse, und deren Häuser – aus meiner Sicht – gefährlich nah am Fluss gebaut waren, erschien die Möglichkeit einer Flut weitaus weniger beunruhigend als die Tatsache, dass die Bewohner_innen auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses einer anderen Konfession angehörten. Wie sie erklärten, waren sie bei der Flut im vorigen Jahr zehn Minuten vorher gewarnt worden und auf die höher gelegene Straße ausgewichen. Ihre Häuser seien nur kurzfristig unter Wasser gesetzt worden, erklärten sie, und am nächsten Tag hätten sie zurückkehren und die Schäden beheben können. Die Möglichkeit aber, von der gegenüberliegenden Flussseite aus jederzeit beschossen werden zu können, wie während der gewalttätigen Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten im letzten Jahr, schien ihnen weit bedrohlicher zu sein. Entsprechend richten sich Anstrengungen, Ängste und Aufmerksamkeit im Hinblick auf Wasserressourcen-Unsicherheit in Gilgit weniger auf die Kontrolle oder Zähmung der Natur als auf Möglichkeiten, mit sozialen Unsicherheiten umzugehen. Wasserunsicherheit, d.h. dass kein oder nur ein eingeschränkter Zugang zu ausreichendem und sicheren Wasser besteht, um ein gesundes und produktives Leben zu führen (siehe Webb/Iskandarani 1998: 4; ausführlicher im Unterkap. „Theoretischer Rahmen“), wurde von vielen Gesprächspartnern und Gesprächspartnerinnen sogar als ein eher beiläufiges Problem dargestellt. Wie ich annehme, blieb das Empfinden von Wasserunsicherheit oft hinter dem Empfinden von Unsicherheit und Ungewissheit in anderen Bereichen zurück: hinter der Ungewissheit und bedrohten Sicherheit bezüglich erneuter sectarian tensions, hinter der Ungewissheit bezüglich dem politischen Status der Region sowie hinter der Wahrnehmung von diversen Di-

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lemmata des alltäglichen Lebens. In den Begriffen Bourdieus ging es zumeist weniger um die „grande misère“, den Kampf ums Überleben und das absolute Leiden, als um die „petite misère“, das Leiden des Alltags (vgl. Bourdieu et al. 2000; Parkhurst Ferguson 2000), d.h. um die sozialen und strukturellen Umstände von Wasserverteilung über die städtische Landschaft hinweg. Zentral wird entsprechend die Frage nach der Fähigkeit, handeln zu können, z.B. bezüglich der Möglichkeit, sich eigene separate Wasserquellen erschließen oder eigene hydraulische Einheiten schaffen zu können. D.h. um Wassersicherheit zu erreichen, ist es v.a. notwendig, Allianzen zu mobilisieren oder herzustellen, finanzielle, technische oder institutionelle Ressourcen zu mobilisieren oder sich einer moralischen Position im Diskurs zu versichern. Entsprechend eines Fokus auf das Gewöhnliche beschreibe ich zunächst die hydraulische Landschaft Gilgits, die bezüglich der Wasserquellen, Infrastrukturen sowie Stadtteile und sozialen Gruppen fragmentiert ist. Diese Fragmentierung verstärkt sich außerdem durch Zuzug und Verstädterung, mit denen eine Ausdifferenzierung von Wasserinfrastrukturen, Wasserinstitutionen und Vermarktungsangeboten einhergeht. Hiermit ist außerdem eine Ausdifferenzierung von Wasserkategorisierungen in Bewässerungswasser, Haushaltswasser und Trinkwasser verbunden, auch wenn dies keinesfalls mit einer zunehmenden Gewissheit bezüglich der Zuverlässigkeit der Angebote einhergeht. So fehlt z.B. auch bei dem Versuch, nicht nur Wasser, sondern „sauberes Trinkwasser“ zu Verfügung zu stellen, letztlich immer Gewissheit über die Erfüllung dieses Versprechens. Dies trifft nicht nur auf das öffentliche Leitungsnetz zu, sondern ebenfalls auf das zunehmend in Flaschen angebotene „Mineralwasser“, wie auf die von der Regierung aufgestellten Filtrationsanlagen. Auch sie werden nur von wenigen Familien genutzt, oder nicht mit dem ursprünglichen Zweck der Bereitstellung von Trinkwasser, sondern zum Waschen von Kleidung oder Geschirr. Neben vereinzelten und „artisanalen“3 Anstrengungen, wie der Installation von Filtern, Grundwasserpumpen oder dem unprofessionellen und unzulässigen Anschließen privater Leitungen an öffentliche Rohre, bietet sich v.a. das Kollektiv an, Wasserressourcen effektiv zu mobilisieren um Wassersicherheit zu erhöhen und dadurch „das Leiden des Alltags“ zu verringern. Demgemäß rücken hier verschiedene „moral communities“ (vgl. Li 1996) in den Fokus, die dies ermöglichen sollen. Entsprechend Lis Analyse, folge ich auch für Gilgit der Annahme, dass die Vision von Gemeinschaft ein Vokabular zur Verfügung stellt, über das Bedürfnisse

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In Ermangelung eines adäquaten deutschen Begriffs eigne ich hier den englischen Begriff artisanal an. Im weitesten Sinn steht artisanal für handwerkliche, individuelle, nicht-standardisierte oder nicht-offizielle Anstrengungen.

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gerechtfertigt oder Druck ausgeübt werden kann, um natürliche, finanzielle, materielle, soziale oder symbolische Ressourcen zu mobilisieren (ebd.: 508). Dabei wird deutlich, dass solche Gemeinschaften bei Weitem weniger Solidaritäts- als Zweckgemeinschaften sind. Die zentrale Frage ist dabei dennoch, wer Mitglied werden darf und über welche Kriterien dies entschieden wird. Vordergründig werden auch in Gilgit dieselben Kriterien betont, die Agrawal und Gibson (1999) als zentrale Definitionskriterien für Gemeinschaften im Management natürlicher Ressourcen herausstellen, darunter v.a. ein klar abgesteckter Raum, sowie die Inszenierung von Homogenität und Kohärenz der Mitglieder bezüglich Normen, Werten und Zielen – auch wenn Vorstellungen, Erwartungen und Ziele innerhalb solcher Gemeinschaften durchaus nicht immer kohärent sind (vgl. ebd.: 637-8; Hill 2014: 4).4 In der Analyse der Gemeinschaftsprozesse wird aber deutlich, dass diese Kriterien in Gilgit von den zwei zuvor genannten Figurationen – der „Etablierten-AußenseiterFiguration“ und sectarianism – überlagert werden. So etablieren sich bestimmte Bewohner der „alten“ Dörfer als pushtūne bāshinde, d.h. als „alte“ Siedler, deren Vorfahren sich an einer hydraulischen Einheit5 niedergelassen und diese gleichzeitig als solche geschaffen haben. Wasserquelle dieser Einheiten ist das Wasser von nālas, also wasserführenden Seitentälern bzw. Gebirgsbächen. Die sich als pushtūne bāshinde definieren, erheben Gewohnheitsrechte auf das nāla und dessen Ressourcen (Wasser, Land, Wild) sowie auf angrenzendes Land. Hierbei berufen sie sich auf „traditionelle“ Praktiken und Regeln – auch wenn es sich genaugenommen um eine veränderte, moderne Version von Tradition handelt (vgl. Trawick 2001: 364; Hobsbawm 2000: 2-4). Eine imaginäre Niederlassungsperiode wird zur Basis für den Anspruch auf die Ressourcen der nālas. Mit einem regionalen Staat, der diese Inszenierung nicht herausfordert, werden diese „traditionellen“ Praktiken in de facto Gewohnheits- bzw. Besitzrecht gewandelt. Nur ein Teil der Stadtbewohner_innen verfügt so über solche „Gewohnheitsrechte“, woraus eine ungleiche

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Agrawal und Gibson (1999) kritisieren entsprechende Vorstellungen von „communities“ auch als mythisch, da Gemeinschaften v.a. über positive Eigenschaften als kleine, integrierte Gruppen imaginiert werden, die lokale Normen nutzen würden, um natürliche Ressourcen nachhaltig und „gerecht“ zu verwalten (ebd.: 640). So definierte Konzepte von Gemeinschaft sind auch im internationalen Diskurs um das Management und die Konservierung natürlicher Ressourcen zentral und werden so lokal und global avanciert, wie Agrawal und Gibson ausführen.

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Mit dem Begriff „hydraulische Einheiten“ bezeichne ich sowohl Wasserressourcen als auch die kulturell und historisch geschaffenen Infrastrukturen, Management-Institutionen, Rechte und Regeln sowie Nutzergruppen (vgl. Mosse 2005b; Unterkap. „Theoretischer Rahmen“).

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Verteilung der natürlichen und öffentlichen Ressourcen resultiert. In den neuen Siedlungen inszenieren dagegen aktive und kreative Individuen, die ich mit Tsing (2005: 165) als „smart leaders“ bezeichne, Nachbarschaften als distinkte Gemeinschaften. Während die „smart leaders“ der pushtūne bāshinde es schaffen, sich die nālas sowie öffentliche Ressourcen anzueignen, zielen die Anstrengungen der „smart leaders“ der neuen Siedlungen v.a. darauf ab, sich bzw. ihren Nachbarschaften Ressourcen aus internationalen Entwicklungsorganisationen zu sichern, z.B. um Pump-, Leitungs- und Filtrationssysteme für Flusswasser einzurichten. Die Mobilisierung von Gemeinschaften in den neuen Siedlungen zur Anlage von Wasserinfrastrukturen wird zumeist unter der Idee der „Selbsthilfe“ bzw. self-help unternommen. Gemeinschaften entstehen als eine Art „invention of tradition“ (vgl. Hobsbawm 2000), einer Neuerfindung unter dem Motto der village organisation. Hier wird das Konzept einer einheitlichen Dorfgemeinschaft mit kohärenten Zielen und uniformen Mitgliedern auf die neuen Siedlungen in der Stadt übertragen. Obwohl aber in der self-help bzw. „Selbsthilfe“ über das Präfix „selbst“ die Betonung auf dem internen beruht, sind zumindest in Gilgit viele solcher Gemeinschaften faktisch extern und zumeist durch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) stimuliert und organisiert.6 Am wichtigsten in Gilgit sind offiziell nichtkonfessionsgebundene Nichtregierungsorganisationen des Aga Khan Development Network (AKDN). Diese sind unter der Schirmherrschaft von Karim Aga Khan IV.7 aus der ismailitischen Gemeinde heraus entstanden und sind gleichzeitig transnationale und lokale Nichtregierungsorganisation. Ihre Mitarbeiter werden großenteils aus der ismailitischen Bevölkerung rekrutiert und arbeiten großenteils für die ismailitische Gemeinde bzw. Gemeinschaften. Entsprechend ist in diesen Gemeinschaftsbildungsprozessen unter den Außenseitern bzw. Neuzugezogenen die Zugehörigkeit zu den islamischen Konfessionen maßgeblicher Faktor. Im Sinne der (Neu-)Erfindung von Traditionen werden in den neuen Siedlungen und hier v.a. in ismailitischen Nachbar-

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Wie im Unterkap. „Self-help-Wasserversorgung…“ ausgeführt wird, umfasst der Begriff der „smart leaders“ sowohl aktive Bewohner_innen der Siedlungen als auch gewitzte und fleißige Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen. Im Fall Gilgits überlappen diese Positionen außerdem teilweise: Bewohner_innen der Siedlungen arbeiten als Angestellte der NGOs und aktive Siedlungsbewohner_innen hoffen darauf, sich über ihr Engagement eine Anstellung in den NGOs erarbeiten zu können. In beiden Fällen stellt sich die Aufgabe, die Gemeinschaft mit bestimmten Eigenschaften auszustatten oder zu repräsentieren, sodass die Kriterien (internationaler) Geldgeberorganisationen erfüllt werden und deren Engagement ermöglicht wird.

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Prinz Shah Karim Al Hussaini, der 49. imām der Nizari Ismailitinnen und Ismailiten und IV. Aga Khan.

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schaften Gilgits village organisations (VOs) bzw. local support organisations (LSOs) gebildet. Deren Institutionalisierung war zwar zunächst über staatliche Maßnahmen initiiert worden, gewann aber maßgeblich über die Organisationen des AKDN an Boden. Pendant zu den begrenzten Gemeinschaften und den begrenzten hydraulischen Einheiten ist das government bzw. der regionale Staat.8 Dessen öffentliche und kommunale Institutionen versuchen immer wieder (eher weniger erfolgreich), die fragmentierte städtische Wasserinfrastruktur in einem Netzwerk zu verbinden und so eine gleichmäßige Verteilung von Wasserressourcen zu ermöglichen. Wie aber z.B. Mitchell (1991) anführt, ist der Staat keine Einheit und hat keine einheitliche Intention. Staatliche Vertreter – line men (Monteure), Ingenieure, Bürokraten, wie Politiker – sind letztlich ebenfalls Teil derselben Gesellschaft und sind – über die Angehörigkeit zum Staat hinaus – Mitglieder lokaler Gemeinschaften und in lokale Figurationen eingebunden, ein Zustand, den Gupta (1995) als „blurring of boundaries“ bezeichnet. Dies wird u.a. dafür verantwortlich gemacht, dass auch die öffentliche Infrastrukturen Wasser nur ungleich über die städtische Landschaft hinweg verteilen und nur unzureichend zur Herstellung von Wassersicherheit beitragen. Es bedeutet außerdem, dass auch bezüglich der Qualität der angebotenen oder zertifizierten Produkte (Leitungswasser, „sauberes Trinkwasser“, „Mineralwasser“) keine Gewissheit besteht. Darüber hinaus scheinen die Nutzer mit ihren Praktiken das System zu unterwandern. Der Staat ist somit ein präsenter aber verfehlender Staat;9 Bürger_innen wie auch Vertreter öffentlicher Einrichtungen schreiben sich gegenseitig die Attribute Nachlässigkeit und mangelnde Verantwortungsübernahme zu. So geht das Buch Prozessen nach, wie sich die soziale und räumliche Gestaltung Gilgits im Zuge des „Nicht-Engagements“ bzw. des nur teilweisen Engagements öffentlicher Institutionen verändert und ausdifferenziert. Hierbei denke ich nicht nur an die Schaffung diverser Infrastrukturprojekte durch sogenannte Selbst-

8

Der aus dem Englischen übernommene Begriff government wird, ähnlich dem deutschen Begriff Regierung, in Gilgit, wie auch in ganz Pakistan, für diverse, teils überlappende politische und administrative Organisationen und Positionen verwendet. Er kann sowohl für den Verwaltungsapparat als auch für politische Repräsentanten oder die Landesregierung verwendet werden. Dies gilt sowohl für das government GilgitBaltistans als auch für das auf Bundesebene. Nur wenige Sprecher verweisen in ihren Aussagen gezielt darauf, welche Ebene und welche Organisation im gegebenen Fall gemeint ist.

9

Vgl. ausführlicher im Unterkap. „Unsicherheit und Ungewissheit…“, in dem das von Goldstein (2012) ausgeführte Konzept der „absent presence of the state“ (ebd.: 32) vorgestellt wird.

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hilfeprojekte, die meist Mithilfe von Nichtregierungsorganisationen geschaffen werden, sondern auch an die zunehmende Ausdifferenzierung und Segmentierung von Stadtteilen nach Konfessionsgemeinschaften, die gerade im Hinblick auf gewalttätige Konflikte Absicherung gegenüber Unsicherheiten und Bedrohungen schaffen soll. Selbsthilfeprojekte bzw. Versuche, Dinge selbst in die Hand zu nehmen, sind dabei ein ambivalentes Projekt. Einerseits befähigt es Nachbarschaften dazu, sich ihr „Recht auf die Stadt“ zu sichern, d.h. ihre Umgebung zu organisieren, zu bewirtschaften, Ordnung zu schaffen. Gleichzeitig trägt die Notwendigkeit, Projekte „handhabbar“ zu machen, d.h. sie in der Reichweite zu beschränken, zu einer weiteren Fragmentierung von Infrastrukturversorgung und den Bewohnern und Bewohnerinnen entsprechend ihrer Konfessionen bei. Potenziell verschärfen diese Prozesse so die ungleichmäßige Verteilung und ungleichen Zugriffsmöglichkeiten auf Ressourcen des täglichen Bedarfs wie Wasser oder Strom, anstatt sie zu verringern. Über die ethnographische Methode folgt das Buch maßgeblich der Perspektive, oder besser: den Perspektiven der Bewohner_innen Gilgits, während Perspektiven von Vertretern staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen nur angerissen werden. Dies ist jedoch nicht der Überzeugung geschuldet, dass das die einzige legitime ethnographische Perspektive sei oder dass hier der typische Fokus von Ethnographien liegen müsse, sondern der Einmischung eines militärischen Geheimdiensts bzw. dessen Mitarbeitern in die Forschung. Diese untersagten mir z.B. Kontakt zu Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen und stimmten – wenn auch unter Vorbehalten – allein Kontakt zu „normalen“ Bewohnern und Bewohnerinnen zu. Die Feldforschungsaufenthalte (ca. 15 Monate in den Jahren 2011 bis 2014) fanden so unter dem Druck umfassender staatlich-institutioneller Kontrolle statt. Feldforschung, Analyse und Struktur der Arbeit wurden zeitlich, methodisch und inhaltlich maßgeblich durch die Vorbehalte von Geheimdienstmitarbeitern und die durch ihre Einmischung hervorgerufenen Beschränkungen beeinflusst. Mit Marcus (2009a) fasse ich diese Beeinträchtigungen als Bestandteil der lokalen Konfiguration und als Grundlage für den spezifischen Erkenntnisprozess auf und stelle diese Aspekte als Bedingungen des Forschungsverlaufs und der Datenerhebung dar und analysiere sie. Damit trägt das Buch zu dem bislang vernachlässigten Forschungsfeld des Forschens unter geheimdienstlicher Überwachung bei. Zwar ist die Anpassung von Forschungsmethoden, Forschungsfragen und wissenschaftlichem Ergebnis an die soziokulturellen Umstände im Feld in der Ethnologie als Erkenntnispraxis anerkannt. Dennoch werden Umstände und Prozesse von Beeinflussungen von Feldforschungen in den resultierenden Ethnographien, insbesondere wenn es sich hierbei um die Einmischung von staatlichen und Sicherheitsinstitutionen handelt, nur vereinzelt oder am Rande offengelegt. Dagegen möchte ich die Daten, auf denen das vorliegende Buch beruht, über die Umstände der Entstehung kontextualisieren. Das

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bedeutet, die umfassenden sozialen und politischen Macht- und Misstrauenspraktiken von Staat und Bevölkerung, die eine „culture of suspicion“ (vgl. Subramaniam 1999) bedingen bzw. einen Habitus, der von Verdacht und Misstrauen geprägt ist, in die vorliegende Arbeit mit einzubeziehen.

UNSICHERHEIT UND UNGEWISSHEIT ALS KONZEPTIONELLER RAHMEN Im Licht der Feldforschungserfahrungen fasse ich Unsicherheit und Ungewissheit als treibende Kräfte auf, die sich als „Antriebsstrukturen“ durch alle Figurationen ziehen und so einen gemeinsamen Nenner der Forschung bilden. Unsicherheit verstehe ich als das Gefühl der Bedrohung des Lebens, in Erweiterung aber auch des guten Lebens; Ungewissheit als das Gefühl, dass Sicherheit bedroht oder nicht gewährleistet ist, dass Wahrnehmungen täuschen und Gegenwart wie Zukunft v.a. als unwägbar und unbestimmbar wahrgenommen werden. Vergleichbare Ergebnisse zu sozialer Polarisierung, Unsicherheit und Angst finden sich v.a. in Untersuchungen zu alltäglicher Gewalt in großen Städten, wie in Arbeiten zu Lateinamerika von Caldeira (2000), Koonings und Kruijt (2007) oder Penglase (2014). Beiträge zu Südasien, deren Ergebnisse Unsicherheit und Angst analysieren sind z.B. die Untersuchungen zu Karachi (Gayer 2014, Kaker 2013, Kirmani 2015a, 2015b) oder Delhi (Kirmani 2008). Aufgrund diverser Parallelen erscheint insbesondere Goldsteins Konzept von Unsicherheit und Ungewissheit, wie in der Monographie Outlawed (2012) angerissen, für das vorliegende Buch wertvoll. In dieser und in weiteren Arbeiten (z.B. 2003, 2004, 2005) beschreibt Goldstein das von Unsicherheiten und Ungewissheiten geprägte Leben von Bewohnern und Bewohnerinnen eines marginalen Stadtteils (spanisch: barrio) von Cochabamba, Bolivien, sowie deren Versuche, vor dem Hintergrund einer „absent presence of the state“ selbst Sicherheiten zu schaffen.10 Zentral ist dabei das ambivalente Verhältnis, das die barrioBewohner_innen gegenüber dem (ver-)fehlenden Staat haben: sie fühlen sich von staatlichen Regelungen eingekeilt und von staatlichen Institutionen missachtet, hegen aber zugleich den Wunsch nach Sicherheit, Stabilität und einem Staat, in dem sie repräsentiert sind und der ihren Interessen dient (ebd.: 83-4). In einem Rahmen von Unsicherheit und Ungewissheit, so Goldstein, zielen Handlungen darauf ab, über Solidaritätsgemeinschaften Rückzugsorte und so sicheres Terrain und eine Grundlage für einen sicheren Alltag und Lebensunterhalt zu

10

Das Konzept der „absent presence“ des Staats wird auch für andere Orte analysiert, z.B. in Mortensen (2010) für ein barrio von Lima, Peru.

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schaffen. Obwohl aus dem Kontext Boliviens entliehen und mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Variablen, weisen Abläufe sowie Handlungsmuster von Akteuren und Akteurinnen diverse Parallelen auf. Dazu zähle ich den Fokus der Bewohner_innen auf Bedrohungen durch die soziale Umwelt, der (ver-)fehlende Staat inklusive des wiederholten Rückbezugs auf den Staat, das Ringen um Ordnung sowie die Herausbildung von „Selbsthilfe-Gemeinschaften“ und Gemeinschaftsaufgaben dort, wo der Staat seine Aufgaben nicht erfüllt.11 Darüber hinaus prägen in beiden Fällen Unsicherheit und Ungewissheit das Leben umfassend, bestimmen das Navigieren von physischen und sozialen Räumen und sozialen Beziehungen. Darüber hinaus betrachte ich über die Linse der Wasserunsicherheit Praktiken von Bewohnerinnen und Bewohnern unterschiedlicher Stadtteile Gilgits, sowie Muster, die diese bestimmen. Hierin wird deutlich, wie sehr Wasserunsicherheit, ebenso wie übergreifende Empfindungen von Unsicherheit und Ungewissheit, v.a. über ihre soziale Komponente aufgefasst werden. Auch wenn in Gilgit Siedlungen und Wasserinfrastrukturen permanent durch Erdbeben, Erdrutsche, Fluten und Schlammfluten bedroht sind, wird im Hinblick auf Wasserunsicherheit kaum auf die Bergregion als fragile Umwelt verwiesen, durch welche die Produktivität von Ressourcensystemen beeinträchtigt werden (vgl. McKean 1996: 12). Risiken im Hinblick auf die fragile Umwelt nahmen in den Aussagen und Kalkulationen der Bewohner_innen Gilgits bzw. meiner Gesprächspartner_innen eine nur nachrangige Bedeutung ein. Insofern bleiben auch Fragen nach Vulnerabilität und Resilienz im Zusammenhang mit wasserbezogenen Risiken außen vor.12

11

Während das Engagement in „self-help-Gemeinschaften“ wesenhaft „traditionellen“ oder „vorstaatlichen“ Praktiken gleicht, wird mit dem Konzept – meist implizit, manchmal auch explizit – auf die Abwesenheit oder den Mangel staatlichen Engagements verwiesen: self-help muss dort geleistet werden, wo der Staat nicht (ausreichend) handelt.

12

Für Diskussionen von Vulnerabilität und Resilienz siehe z.B. Bharwani et al. (2007), Downing et al. (2005), Sakdapolrak (2006), Srinivasan et al. (2013), van Voorst (2014, 2016), Wisner et al. (2004), Wutich (2006b) oder die Sonderausgaben von Habitat International (Baud/Pfeffer/Scott 2016) und Disaster Prevention and Management (van Voorst et al. 2015). Für diverse Regionen Pakistans wird dies z.B. von Ahmad, Kazmi und Pervez (2011), Deen (2015), Mustafa (2002a, 2002c), Mustafa und Wescoat (1997) und Mustafa und Wrathall (2010) diskutiert. Faruqui (2004), Hamid et al. (2011), Malik (2011), Mustafa (2001, 2002b, 2007), Mustafa und Wescoat (1997), Mustafa, Akhter und Nasrallah (2013), Wescoat (1991), Wescoat, Halvorson und Mustafa (2000) und Wirsing (2007) diskutieren darüber hinaus Wassersicherheit Pakistans im internationalen Kontext.

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Sehr viel konkreter und bedeutsamer für die Lebenswirklichkeit in Gilgit sind dagegen soziale und politische Unsicherheiten und Ungewissheiten. Gilgit-Baltistan und v.a. Gilgit als Zentrum und damit Schnitt- und Sammelpunkt der Region, ist von sozialen Konflikten um natürliche, um soziale und finanzielle Ressourcen, Einfluss und Arbeitsplätze geprägt, welche über die Zugehörigkeit zu politischen Parteien, Verwandtschafts- und Quasiverwandtschaftsgruppen, Konfessionsgruppen sowie das Konzept der „alten“ Siedler gedacht und ausgetragen werden. So wird z.B. permanent das Recht auf die Stadt, d.h. auf Teilhabe an den Ressourcen und Möglichkeiten der Stadt herausgefordert und verhandelt.13 Wie in Bolivien, ist auch hier der Staat kein Garant von Sicherheit oder grundlegenden Sicherheiten. Im Rahmen eines modernen Staatsverständnisses besteht zwar der Anspruch, dass der Staat zumindest eine grundlegende Versorgung mit Infrastrukturen bieten würde. Staatliche Institutionen, so die Auffassung, verfügen über ein Gewaltmonopol und haften dadurch für Sicherheiten, oder sollten sie zumindest wiederherstellen können. Auch in Gilgit sind Staat bzw. Regionalregierung zentrale Referenzpunkte bezüglich der Frage, wer für die Herstellung von Sicherheit und Gewissheit zuständig ist. Der Staat wird als die Autorität diskutiert, die für die Herstellung von Sicherheit und Gewissheit zuständig und für deren Abwesenheit verantwortlich ist (siehe auch Grieser/Sökefeld 2015). Dies wird aber großenteils nicht erfüllt. Der Staat ist zwar präsent, aber (ver-)fehlt bezüglich der Verantwortungen. Dennoch gibt der Staat, wie auch Goldstein argumentiert, Regeln vor, mischt sich ein, droht mit Sanktionen, stellt aber auch immer wieder Sicherheiten in Aussicht, sofern man die Regeln kennt, Beziehungen mobilisieren und sich darüber die staatlichen Angebote zunutze machen kann. Sowohl pakistanischer Staat als auch Regionalregierung werden daher als ambivalent aufgefasst: als verantwortlich aber unzuverlässig, beeinflussbar aber unberechenbar.14

13

Solche Konflikte verstehe ich als Teil des täglichen Lebens (siehe auch Crossroads Asia Working Group Conflict 2012/2014: 2-4). Gleichzeitig ist es wichtig, Konflikte nicht zu simplifizieren, wie Sökefeld (2015b) betont. Oft ist es unmöglich, Ursachen, Konsequenzen oder Kategorien zu bestimmen, da Konflikte oft auf miteinander verwobenen Antagonismen beruhen. Eine prozessuale Perspektive, die auch auf die kommunikative Ebene in Konflikten achtet, bietet hierfür gegebenenfalls ein besseres Verständnis als z.B. eine Makroperspektive (ebd.: 10-1).

14

Darüber hinaus werden der Staat oder manche staatliche Institutionen in Gilgit sogar oft als Ursache bzw. Auslöser für Unsicherheit diskutiert – z.B. durch die verbreitete Annahme, dass Pakistan versuche, über eine Politik des „divide and rule“ in GilgitBaltistan Uneinigkeit zwischen diversen Bewohnergruppen zu schaffen und gewaltsame

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Darüber hinaus wird sowohl in den Aussagen von Gesprächspartnerinnen und -partnern zur vorliegenden Arbeit als auch bei Goldstein das Begriffspaar (bzw. entsprechend der Eliasʼschen Auffassung die „Bewegung“ und „Gegenbewegung“) von Ordnung und Unordnung betont. Obwohl Goldstein zumeist den Begriff Unordnung („disorder“) verwendet, verstehe ich Goldsteins Beiträge (z.B. 2003, 2004, 2005, 2012) als Versuche, soziale Ordnungen aufzudecken, wo zunächst die Abwesenheit von Ordnung offensichtlich erscheint.15 In Unsicherheitsregimes, wie Goldstein (2012) sie charakterisiert, geht es um die Abwesenheit von Ordnung sowie Möglichkeiten, diese herzustellen: „Insecurity is fundamentally about disorder: It is a sense that the world is unpredictable, out of control, and inherently dangerous, and that within this chaos the individual must struggle desperately just to survive. […] The insecure place is highly unstable, characterized more by fragmentation and unpredictability than by order and routine.“ (Ebd.: 5)

In Gilgit kommt die Idee zur Abwesenheit von Sicherheit oft in der Aussage zum Ausdruck es gebe kein „System“ („sistem nahīñ hay“). Die Idee eines Systems repräsentiert Visionen von Ordnung und Zuverlässigkeit idealtypischen Lösungen, umfassenden Infrastrukturen, umfassenden Serviceleistungen, Regeln die für alle gelten, und gleiche Möglichkeiten für alle bieten.16 Hieraus erklärt sich z.B. auch die zunächst verblüffend positive Hervorhebung vieler Gesprächspartner_innen von General Pervez Musharraf, der 1999 nach einem Militärputsch die Regierung Pakistans übernommen hatte: Dieser habe für Ordnung gesorgt und sich, wie diverse Gesprächspartner_innen erklärten, persönlich für die Umsetzung zahlreicher Infrastrukturprojekte in Gilgit eingesetzt. Unter Musharraf seien in Gilgit und GilgitBaltistan Straßen und öffentliche Wasserfiltrationsanlagen gebaut worden und es habe rund um die Uhr Wasser und Strom gegeben. In Kashrot z.B. berichtete eine Familie, dass es in dieser „Zeit der Ordnung“ so viel Wasser gegeben hätte, dass sie ihren privaten Brunnen nicht mehr benutzen mussten und diesen stattdessen in eine Sickergrube für ein neu angebautes Haus umwandelten. Fünf Minuten nachdem

Konflikte auszulösen, um die politische Stärke der Region zu mindern (siehe auch Ali 2009, 2013; Sökefeld 1997a, 2015b; Grieser/Sökefeld 2015). 15

In einer verwandten Problemstellung verwendet Gayer (2014) für die pakistanische Megastadt Karachi den Begriff „ordered disorder“. Mielke, Schetter und Wilde (2011) bieten diesbezüglich einen Entwurf von „social order“ als analytischen Rahmen an.

16

Dementgegen steht die wahrgenommene Korruption, bei der sich diejenigen bereichern, die Eingang (in Institutionen, in den Staat) gefunden haben; zentral sind hier klientelistische Beziehungen.

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Musharraf 2008 aber zum Rücktritt genötigt worden war, sei jedoch der Strom ausgegangen. Auch das Wasser sei von da an nur noch eine halbe Stunde morgens und eine halbe Stunde abends geflossen und die Umwandlung des Brunnens in eine Sickergrube habe sich als komplette Fehlentscheidung herausgestellt. Die Versorgung mit Wasser, wie auch mit Strom und anderen öffentlichen Dienstleistungen, scheitert dieser Sichtweise entsprechend nicht daran, dass es einen Mangel an Wasser (zur direkten Bereitstellung sowie für Stromproduktion in Wasserkraftwerken) gebe. Stattdessen mangelt es an Amtsträgern, die verantwortlich für die gesamte Bevölkerung handeln bzw. an Organisation und Autorität, verantwortliches Handeln zu erwirken. In der „absent presence of the state“, der Abwesenheit staatlicher Unterstützung und einem Zustand, in dem der Staat reguliert aber nicht beschützt (ebd.: 32), müssen Bürger_innen zunehmend flexibel darin werden, den Alltag selbst zu organisieren und zu regulieren. Sie entwickeln Strategien und Handlungen, für die auch Goldstein auf die Bezeichnung „self-help“, zurückgreift. Z.B. gibt es zunehmend informelle Beschäftigungen, die Goldstein als „‚self-help‘ economic activities“ (ders. 2005: 389) bezeichnet. Mit der nachlassenden Erbringung von Sicherheit durch den bolivianischen Staat werden Bürger_innen auch zunehmend flexibel darin, sich selbst zu Sicherheit und Gerechtigkeit zu verhelfen und schaffen Justizmechanismen auf der Basis von Selbsthilfe („‚self-help‘ justice“), welche in Cochabamba u.a. Nachbarschaftspatrouillen und Lynchen umfassen (ders. 2004, 2005, 2012).17 In einem Rahmen von Unsicherheit und Ungewissheit, so Goldstein weiter, zielen Handlungen darauf ab, ökonomische Sicherheit, Solidaritätsgemeinschaften, sicheres Terrain und Rückzugsorte zu schaffen. Unsicherheit, so Goldstein, prägt damit das ganze Leben, von der Einstellung gegenüber und der Bewegung im physischen und sozialen Raum, die Gestaltung von Leben und Umwelt: „Insecurity physically shapes your home; it structures your movements through space and conditions your relationship to personal property“ (ebd.: 5). Vergleichbar prägt Unsicherheit auch in Gilgit Beziehungen und die Gestaltung von Eigentum und lenkt Bewegungen im Raum.18 Angst vor dem Eindringen von Fremden schlägt sich in

17

Während allerdings Goldstein (2012) self-help-Strategien als „neoliberale“ Modelle (ebd.: 84) bezeichnet und nicht darauf eingeht, inwiefern es Parallelen zu früheren Organisationen und Institutionen gibt, wird das namensgleiche Konzept der self-help in Gilgit-Baltistan dagegen eindeutig mit Handlungsweisen verbunden, die es auch in der Vergangenheit gegeben habe, auch wenn darüber hinaus regelmäßig darauf verwiesen wird, dass self-help dort geleistet werden muss, wo staatliche Hilfe fehlt.

18

Siehe auch Grieser und Sökefeld (2015).

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immer höheren Mauern nieder, die um Grundstücke und Nachbarschaften gezogen werden, genauso wie in Misstrauen gegenüber Unbekannten, die potenziell unvorhersehbar ins eigene Leben eingreifen können. In vielen Nachbarschaften Gilgits, aber auch in Ortschaften in den umliegenden Tälern patrouillieren Gruppen junger Männer die Straßen und stoppen nachts Unbekannte für Befragungen oder Bestrafungen; die Bewohner_innen des Stadtteils Jutials sagten aus, dass sie nach Jutial gezogen seien, weil dieser Stadtteil als sicher gelten könne – zumindest als sicherer als die alten Stadtteile im Zentrum der Stadt, in denen wiederholt gewaltsame Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten ausgetragen werden. Unsicherheit und Ungewissheit prägen auch die waterscape Gilgits. Soziale Beziehungen sind sowohl Grundlage dafür, Sicherheiten herzustellen, als auch Grundlage für Unsicherheit und Ungewissheit. So äußert z.B. Dadi Yurmas im sunnitischen Stadtteil Kashrot die Angst, Schiiten aus dem vorgelagerten Barmas könnten ihre Wasserleitung vergiften. Kommt es zum Streit mit einem Nachbarn, so besteht die Möglichkeit, dass dieser seine Sickergrube an den Rand des Grundstücks verlegt, von wo aus das Latrinenwasser in den Brunnen sickern und das Wasser ungenießbar machen kann. Wasser(un)sicherheit ist aufs engste mit sozialen Beziehungen verbunden. Wie schon erkennbar wurde, ziehen sich Gefühle der Unsicherheit und Ungewissheit natürlich über die Beziehung zum Staat hinaus durch den Alltag und bestimmen soziale Begegnungen und Beziehungen, rufen Misstrauen gegenüber anderen und Wachsamkeit für eine sorgfältige Selbstpräsentation und Selbstkontrolle hervor. Darüber hinaus gilt die Erfahrung von Unsicherheit und Ungewissheit offenbar sowohl für Bewohner_innen als auch – wie u.a. in meinen eigenen Erfahrungen gespiegelt – ebenso für den pakistanischen Staat und seine Verwaltungs- und Sicherheitsmitarbeiter. Dieser Zustand von Ungewissheit und Unsicherheit in der Grenzregion und gegenüber der Grenzregion deckt sich u.a. mit dem politisch ungeklärten Status, der für Gilgit-Baltistan aus der Verwicklung in den Konflikt um das ehemalige Fürstentum Jammu und Kashmir entstanden ist. Zwar wird die Region von Pakistan verwaltet, eine offizielle politische Lösung steht allerdings noch aus. Diesen Zustand diskutieren z.B. Ali unter dem Aspekt States of Struggle (2009) und Sökefeld unter der Idee eines Postcolonial Colonialism (2005); beide verweisen darauf, wie den Bürgern Gilgit-Baltistans Grundrechte und Sicherheiten durch repressive Praktiken genommen werden. Die Bewohner_innen von Gilgit (-Baltistan) werden so zu zweifach suspekten Bürgern und Bürgerinnen. Sie stehen unter Verdacht, stellen aber auch einander und Fremde unter Verdacht. Als Grundlage für diese Situation wird zumeist die Lage als Grenzregion insbesondere zu China, die historische und rechtlich ungeklärte Situation sowie die Konstruktion von religiösen und sozialen Unterschieden zwischen der Bevölkerung der Region und der Pakistans genannt (siehe Kap. „Feld, Akteure und Methoden“). Für meine Feldforschung bedeutete dies z.B. Vorsicht meiner Gesprächspartner_innen gegen-

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über der Darstellung anderer Konfessionsgruppen sowie des gemeinsamen Zusammenlebens, insbesondere im Hinblick auf gewalttätige Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten 2012. Darauf, dass sich Unsicherheit und Ungewissheit in Gilgit in vorsichtigen und sorgfältig durchdachten Handlungen, Repräsentationen und Selbstrepräsentationen niederschlagen und die Interpretation der Handlungen anderer bestimmen, nimmt z.B. auch die Ethnologin Emma Varley (2008b) in ihrem Beitrag zu ihrer Feldforschungszeit in Gilgit in den 2000er Jahren Bezug. Sie schreibt hierzu: „As it was for most of my participants, everyday sociality was overweighted with uncertainty, watchfulness, and diagnosing intent behind every action“ (ebd.: 143). Gleichzeitig argumentiert aber auch Varley, dass extreme Feldforschungserfahrungen auch die Möglichkeit bergen, das ethnographische Verständnis zu erweitern und zu einer produktiveren Analyse zu gelangen; ihre wie meine persönlichen Feldforschungserfahrungen veranlassen uns z.B., „grand narratives“ (vgl. Nencel 2005: 354) z.B. zu sectarian harmony und die oft unrealistisch positiven Darstellungen von Gesprächspartnern und -partnerinnen zu hinterfragen und zu ergänzen (vgl. Varley 2008b: 146).

FORSCHUNGSRAHMEN Die Forschung für die vorliegenede Arbeit fand im Rahmen des interdisziplinären Kompetenznetzwerk Crossroads Asia statt.19 Ziel des Kompetenznetzwerks war, das konventionelle Denken in festen territorialen „Containern“ wie Staaten oder kulturhistorisch, politisch oder sozial definierten globalen Regionen herauszufordern.20 Aus einem ursprünglichen Interesse an der Bedeutung von natürlichen Ressourcen für Staaten und zwischenstaatliche Beziehungen war der Schwerpunkt für die Forschung auf Wasser gelegt worden; das Forschungsinteresse des Betreuers, Martin Sökefeld, zu Pakistan und hier insbesondere zu den Bergregionen war Grundlage für die regionale Verortung. Zwei Multifunktionsstaudämme, welche auf den Grenzlinien Pakistans zu Azad Kashmir bzw. Gilgit-Baltistan angelegt sind,21 erschienen als geeignete Ausgangspunkte. Die Forschung sollte lokale, regionale und transregionale interdependente Beziehungen ausloten und Bedeutungszuschreibun-

19

Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung für zunächst vier

20

Siehe http://crossroads-asia.de/forschung/ziel-des-netzwerks.html (zuletzt abgerufen am

Jahre von 2011 bis 2014. 17.02.2017). 21

Mangla Damm, fertiggestellt 1967, und Diamer-Bhasha Damm, in Vorbereitung.

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gen, Veränderungen und Auswirkungen analysieren, die die Staudämme nach sich ziehen. Thematisch wurde das Forschungsprojekt in die Kompetenznetzwerkgruppe „Konflikt“ einbezogen.22 Deren Ansatz orientierte sich an einem breiten Verständnis von Konflikt als alltäglicher Teil intersubjektiver Beziehungen. Die Analyse zielte dabei auf Konflikt-Prozesse in Netzwerken oder „Figurationen“ ab, die über tatsächliche Interaktionen (nicht über räumliche oder staatliche Grenzen) bestimmt sind (Crossroads Asia Working Group Conflict 2012/2014: 2-3). Grundlage des Kompetenznetzwerks bildete das von Elias (1997a, 1997b, 2004, 2001) zwischen den 1930er und 1980er Jahren entwickelte Konzept der Figurationen. Elias versucht damit, die konzeptuelle Trennung zwischen Individuum und sozialem System aufzuheben und die flexiblen Verbindungen und Machtbeziehungen zwischen Menschen zu fassen. Menschen sind automatisch in interdependete Beziehungen eingebunden und entsprechend sind auch Forschende diesbezüglich keine Ausnahme. Auch sie sind oder werden Teil von Figurationen und deren Mustern – auch wenn Forschende für Elias weniger Akteure/Akteurinnen als Rezipienten/ Rezipientinnen sind, wie Treibel (2008: 41-2) bemerkt. Forschende bewegen sich zwischen Engagement und (Pseudo-)Distanzierung und können so ggf. auch in politische Auseinandersetzungen verstrickt werden (ebd.). Entsprechend ist die vorliegende Arbeit über die Einbeziehung der Forschenden in bestehende Figurationen gleichzeitig Zeugnis der Verbindungen, Machtbeziehungen und Auswirkungen, die Figurationen ausmachen. Statt nur einen Konflikt nachzuvollziehen – wie z.B. von Marcus (2009b) mit dem Ansatz „follow the conflict“ vorgeschlagen – wirkten sich lokale Konflikte auch auf die Forschung selbst aus.23 Um eine möglichst offene Herangehensweise an das Thema zu ermöglichen wurde das Thema zunächst sehr breit auf Wassermanagement in den Hochgebirgsregionen Pakistans angelegt und versucht den Eindruck zu vermeiden, dass mit dem Forschungsinteresse eine kritische Haltung gegenüber dem pakistanischen Staat oder den Handlungen an den Grenzen verbunden sei. Ein erster explorativer Aufenthalt fand von Oktober 2011 bis Januar 2012 statt, in dem ich verschiedene Orte in Gilgit-Baltistan besuchte. Das Vorhaben, die Multifunktionsdämme ins Zentrum der Forschung zu stellen, wurde jedoch vonseiten eines militärischen Geheimdienstes und eines Verwaltungsbeamten in Gilgit unterbunden. Bei einem Besuch in der Nähe des geplanten Staudamms befürworteten dort ansässige Gesprächspartner zwar eine Forschung zum Damm bzw. legten sie mir sogar nahe. Dieser geographische und thematische Schwerpunkt widerstrebte aber dem Beamten in der Verwal-

22

Jedes Projekt des Kompetenznetzwerks wurde einem der drei Themen Konflikt, Migration, Entwicklung zugeordnet.

23

Siehe auch Crossroads Asia Working Group Conflict (2012/2014: 19).

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tung Gilgits und er engagierte sich dahingehend, mich durch Polizei und Geheimdienste (in Pakistan als die agencies bezeichnet) von einer Forschung in und zu Diamer abzubringen.24 Er nötigte mich dazu, ein „No Objection Certificate“ (NOC) zu beantragen, das als Forschungsgenehmigung dienen sollte. Seine eigene Befugnis (aus-)nutzend verweigerte er es mir nachfolgend. Wiederholt streute er bösartige Gerüchte über mich und schaltete die agencies ein (siehe auch das Unterkap. „Forschung unter Verdacht...“; Grieser 2014, 2016). Ein zweiter Aufenthalt folgte von März bis September 2012, nachdem mir das pakistanische Ministry of Interior (MoI) im Anschluss ein NOC ausgestellt hatte. Während dieses Aufenthalts verlagerte ich meinen Forschungsschwerpunkt auf Gilgit und auf das Wassermanagement in der Stadt – einem Thema, das gegenüber den Mitarbeitern staatlicher Institutionen inklusive der agency-Mitarbeiter eher unpolitisch und damit akzeptabel erschien. Ein dritter und vierter Forschungsaufenthalt war von April bis Juni 2013 und Januar bis April 2014 möglich. Während aller Aufenthalte bestimmten die Mitarbeiter der agencies die Datenerhebung bzw. Datenproduktion jedoch maßgeblich – ein Umstand den ich explizit als Teil der Ethnographie verstehe, und den ich daher im folgenden Kapitel ausführlich darstelle und diskutiere.25 Einbettung der Arbeit in bisherige Forschungen zu Gilgit und Gilgit-Baltistan Mit dem Blick auf die Beziehungen und Interdependenzen in der waterscape Gilgits leistet die vorliegende Arbeit einen Beitrag in zwei Bereichen: zum einen rich-

24

Diamer ist ein Distrikt im Süden Gilgit-Baltistans. Die Bevölkerung Diamers wird, u.a. aufgrund strikter Geschlechtertrennung und strikten Auslegungen des sunnitischen Islams sowie der Praktizierung von Blutrache, als sehr konservativ angesehen. Auch das Verhältnis der Bevölkerung Diamers gegenüber staatlichen Institutionen ist ambivalent und schwankt zwischen dem Gefühl von Vernachlässigung einerseits und Ablehnung von staatlichen Eingriffen, Regeln und Regulierungen andererseits. Darüber hinaus ist die Planung des Dammbaus von diversen Spannungen bezüglich Ertragsverteilung, Kompensationen, Umsiedelungen etc. geprägt. Die Einmischungen des Bürokraten hatten m.E. nach zum Ziel gehabt, mich von Forschung in bzw. zu Diamer abzubringen sowie mein (Forschungs-)Interesse auf seine Heimat Hunza zu lenken und mich in seiner Nachbarschaft in Gilgit einzumieten (siehe auch Grieser 2014, 2016).

25

Insgesamt verbrachte ich in den Jahren 2011 und 2014 ca. 15 Monate in Pakistan und hiervon ca. 12 Monate in Gilgit und Umgebung. Alle Feldforschungsaufenthalte fanden aufgrund der unterschiedlichen Einmischungen der agencies, der langen Wartezeiten auf Forschungsgenehmigungen, aber auch Ausgangssperren, die zeitweise über Gilgit verhängt wurden, unter sehr unterschiedlichen Vorzeichen statt.

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tet sie den Blick auf das Gewöhnliche, zum anderen richtet sie den Blick auf die Praktiken und Entwicklungen im zunehmend urbanen Gilgit. Damit wird der Blick sozialwissenschaftlicher Arbeiten ergänzt, der vornehmlich auf ländliche Gebiete Pakistans und Gilgit-Baltistans gerichtet ist.26 Der vorliegende Beitrag geht auch Prozessen von Verstädterung nach, sowie den Fragen, wie Bewohner_innen diese erleben und welche Strategien sie entwickeln, mit den Veränderungen umzugehen – ein Komplex, der gerade für Pakistan noch immer wenig beachtet ist (Gratz 2006: 57).27 Wie Sökefeld (1997a) anmerkt, wurde auch Gilgit bislang nur wenig ethnologisches Interesse geschenkt (ebd.: 10). Erst neuere Veröffentlichungen widmen sich diesem „blinden Fleck“.28 Dabei sind diese Veröffentlichungen großenteils – wie ich in Anlehnung an Geertz (1973: 22) meine – weniger Ethnographien der Stadt, sondern in der Stadt entstandene Ethnographien. Gleichzeitig ist es, wie auch Sökefeld (1997a: 12) argumentiert, nicht möglich oder sinnvoll, Gilgit als eine isolierte Einheit zu sehen; die Stadt muss immer auch als Teil ihrer Umgebung, eingebunden in geographische, politische, wirtschaftliche und geschichtliche Zusammenhänge und Verbindungen verstanden werden. In erster Linie sind dies die große Diversität an sowie Rivalität zwischen den Konfessionsgemeinschaften, Quasiverwandtschaftsgruppen sowie zwischen den Angehörigen der verschiedenen Täler und Sprachen. Darüber hinaus ist der politische Status Gilgit-Baltistans als disputed territory im Rahmen der Kashmir-Frage von großer Bedeutung, über den die Region einen marginalen Status in Bezug zum pakistanischen Staat erhält.29 Hierüber entsteht, wie Nosheen Ali argumentiert, politischer Argwohn von Beamten und Sicherheitskräften gegenüber der Bevölkerung sowie Argwohn der Bewohner gegen-

26

Siehe auch Donnan und Selier (1997: 4), Gratz (2006: 57), Mustafa und Sawas (2013).

27

Einige Publikationen der letzten Jahre aus unterschiedlichen Disziplinen befassen sich mit Leben in und Logiken von pakistanischen Städten, wie z.B. Gayer (2014) oder Kirmani (2015a, 2015b) für Karachi. Ein Sammelband von Bajwa und Khan (2013) bietet verschiedene Momentaufnahmen zu pakistanischen Städten und deren Bewohnern. Ein Arbeitsbereich fokussiert gezielt auf Prozesse bezüglich informeller Siedlungen, darunter z.B. Gazdar und Mallah (2011), Hasan (2002), Hasan und Raza (2011). In einer Studie zu einem informellen Stadtteil Faisalabads und der dort entstandenen NGO Anjuman Samaji Behbood richtet Hasan, gemeinsam mit zwei weiteren Autoren, den Blick v.a. auf die lokal organisierte Einrichtung von Wasser- und Abwasserinfrastrukturen (Alimuddin/Hasan/Sadiq 1999).

28

Z.B. Ali (2009, 2010a, 2010b, 2012, 2013), Gratz (2006), Grieser und Sökefeld (2015),

29

Siehe z.B. Ali (2009), Bouzas (2012), Kreutzmann (2008, 2010, 2012a), Sökefeld

Sökefeld (1994, 1997a, 1997c, 1998), Varley (2008a, 2010, 2014). (2005).

32 | Den Verlauf kontrollieren

über Sicherheitskräften, gegenüber Fremden und gegen einander (vgl. Ali 2009, 2013).

THEORETISCHER RAHMEN Den theoretischen Rahmen der vorliegenden Arbeit bilden das Konzept der waterscape und Eliasʼ Figurationen-Konzept. Die Arbeit über das Konzept der waterscape zu fassen bedeutet einerseits, historischen, politischen und sozialen Ursachen von ungleicher Wasserverteilung in Gilgit nachzugehen und andererseits zu überprüfen, welche sozialen Prozesse durch (ungleiche) Wasserverteilung beeinflusst oder gar eingeleitet werden. Die ungleiche Wasserverteilung in Gilgit ist nicht allein über unterschiedliche Wasserquellen und natürliche Schwankungen in den Wassermengen erwachsen, sondern ebenso aus traditionellen Wasserrechten, institutionellem und politischem (Miss-)Management, technischen Mängeln und Mangel an technischem Wissen, wie aus der Verdinglichung figurationaler Gruppen in der städtischen Landschaft. Hierüber geht die vorliegende Arbeit kultur- bzw. lokalspezifischem Erleben von Wasserunsicherheit nach und betrachtet die Wasserunsicherheit in der waterscape Gilgits. Darüber hinaus wird die Abwesenheit von grundlegenden Sicherheiten im Alltag in Gilgit diskutiert. Entsprechend stellt sich für Gilgit die Frage, wie sich Möglichkeiten auf Wasserressourcen zugreifen zu können, Entwicklung und Wachstum der Stadt sowie soziale Prozesse gegenseitig beeinflussen. Gerade im Hinblick auf den starken Zuzug aus umliegenden Tälern, aber auch auf strukturelle gesellschaftliche Veränderungen stellt sich die Frage, wer ein Recht auf die Stadt hat: das Recht, die Stadt gestalten zu können und aus ihren Ressourcen Nutzen ziehen zu können. Dementsprechend bietet sich die Betrachtung historisch gewachsener und neuerer Institutionen zur Verwaltung von Wasserressourcen und wie diese Institutionen zur Wassersicherheit oder -unsicherheit beitragen an. Eliasʼ Figurationen-Konzept als „heuristisches Werkzeug“ (Dépelteau/Landini 2014a: 3) soll in der vorliegenden Arbeit dazu dienen, den Mustern und Interdependenzen in der waterscape Gilgits nachzugehen. Das Konzept der waterscape Ein Schwerpunkt des vorliegenden Buchs liegt auf einer Analyse der waterscape Gilgits. Aus dem Kontext der politischen Ökologie entlehnt, richtet das Konzept der waterscape den analytischen Fokus auf hydraulische bzw. hydro-soziale Landschaften und Systeme. Grundlegende Annahme ist, dass hydraulische Systeme nicht allein aus Materie bestehen, sondern ebenso soziale und historische Aspekte umfassen, dass sie Objekt und Subjekt von Politik und Biopolitik sind. Waterscapes ent-

Einleitung | 33

stehen in komplexen Interaktionen; Macht und Wasser figurieren einander, wodurch eine sich ständig in Veränderung befindliche „socio-nature“ entsteht.30 Forschungen zu waterscapes erörtern u.a. wie Zugang zu Wasser geschaffen oder verweigert wird, wie Wasser reguliert, kommodifiziert und zum Ursprung, aber auch zum Mittel von Konflikt oder Kooperation werden kann. Gängiger Untersuchungsfokus sind urbane oder auch staatliche Kontexte.31 Den Zusammenhang zwischen Wasser und Macht zu analysieren soll es erlauben, Phänomene wie z.B. Wasserknappheit, die oft der Ebene der Natur oder Umwelt zugeschrieben werden, als sozial produziert zu verstehen.32 So wird insbesondere im Rahmen der politischen Ökologie untersucht, wie die Ressourcenverteilung in Großstädten funktioniert, welche Bevölkerungsteile z.B. von Wasserverteilungssystemen profitieren und welche ausgeschlossen sind und wie alternative Versorgungssysteme entwickelt werden. Wasser wird hier als zentrales Element und als Gegenstand von sozialen Konflikten verstanden.33 Wegweisend sind Erik Swyngedouws Analysen, in denen er die herausragende Bedeutung betont, die Wasserressourcen für das Zusammenleben gerade auch in der Stadt zukommt: Städte zeichnen sich aus über und sind bedingt durch den Prozess von Beschaffung, Zirkulation und Wegschaffen von Wasser (Heynen/Kaika/Swyngedouw 2006; Swyngedouw 2004: 1) – was nicht nur für urbane Räume zutrifft, hier aber ggf. besonders deutlich in Erscheinung tritt. Dem nachzugehen bedeutet, parallel sowohl Geschichten über die Struktur der Stadt und ihre Entwicklung als auch Beziehungen und Interdependenzen zwischen ihren Bewohnerinnen und Bewohnern nachzugehen. Betrachtet man städtische Wasserzirkulation, wird deutlich, dass das Ziel urbaner Nachhaltigkeit nicht allein auf das Herstellen vernünftiger ökologischer Bedingungen abzielen sollte, sondern ebenso soziale Konflikte bezüglich Zugang und Kontrolle angehen muss. Solche sozialen Konflikte beziehen sich nicht allein auf das Recht auf Wasser, sondern auf das Recht auf die Stadt an sich. Diese sozialen Konflikte zu verstehen, birgt somit auch das Potenzial, die Grundlage für ein verbessertes, gerechteres und gleichmäßigeres Recht auf die Stadt und städtisches Wasser zu etablieren (ebd.: 1-4). An anderer Stelle argumentiert Swyngedouw desweiteren, dass alle Wasserzyklen und -systeme

30

Siehe z.B. Acharya (2015), Bakker (1999, 2003b), Baviskar (2007), Heynen (2006),

31

Siehe z.B. Baviskar (2007), Cook und Swyngedouw (2012), Heynen (2006), Swynge-

32

Siehe z.B. Bakker (1999, 2003b, 2010), Boelens (2014), Cook und Swyngedouw

33

Z.B. Gandy (2004, 2011), Heynen, Kaika und Swyngedouw (2006), Swyngedouw

Swyngedouw (1999, 2004), Zimmer (2011). douw (2004, 2006) oder Zimmer (2011), (2012), Mehta (2006, 2007, 2011) oder Swyngedouw (2004, 2006). (2004, 2006, 2009).

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von menschlicher Einmischung oder Nutzung betroffen sind; eine Analyse der Transformationen hydrologischer Prozesse kann so im Umkehrschluss erlauben, sozialen Wandel zu verstehen (ders. 1999: 444). Swyngedouw nutzt in zahlreichen Beiträgen das Konzept der waterscape, um ungleicher Wasserverteilung nachzugehen. Indem er politische, ökonomische, soziale und ökologische Prozesse beleuchtet, zeigt er z.B. vernachlässigte Zusammenhänge zwischen Macht, Geld und Wasserverteilung auf.34 Wie er bemerkt, sind waterscapes nicht nur physische und materielle Landschaften, sondern symbolische und kulturelle Macht-Landschaften (ders. 2004: 29). Wasser kann, wie auch in der vorliegenden Arbeit deutlich wird, ebenso Endabsicht wie Instrument in Machtbeziehungen sein und trägt somit Konfliktpotenzial in sich. Entsprechend versucht Swyngedouw die politischen, sozialen und ökonomischen Bahnen auszumachen, die den Fluss von Wasser bestimmen, um zu verstehen, wie Machtbeziehungen den Verlauf von Wasser im urbanen Raum sowie städtisches Wachstum und Entwicklung beeinflussen. Z.B. können wirtschaftliche Möglichkeiten von Bewohnerinnen und Bewohnern von großer Bedeutung sein; es ist nicht selten, dass arme Stadt- oder Bevölkerungsteile von der Wasserversorgung ignoriert oder ausgeschlossen werden (ders. 2004). Allerdings reicht, wie Swyngedouw (2006) feststellt, ein Fokus auf „die Armen“ bzw. eine Unterscheidung von arm und reich oft nicht aus, um Prozesse der Exklusion von Wasser und sanitären Infrastrukturen zu erklären. Diese können ebenso kulturelle oder soziale Ursachen haben, die über ökonomische Möglichkeiten hinausgehen (ebd.: 56). Wasser(un)sicherheit Während sich Wasserknappheit strikter auf die Abwesenheit von Wasserressourcen bezieht, ist Wasserunsicherheit ein breiteres Konzept mit mehreren Facetten (Wutich/Brewis 2014: 444-5).35 Wassersicherheit wird meist als Zugang zu ausreichen-

34

Z.B. Swyngedouw (1999, 2004, 2005a, 2006, 2009).

35

Webb und Iskandarani (1998) z.B. definieren Wassersicherheit über die drei Dimensionen Verfügbarkeit, Zugang und Nutzung. Wasserverfügbarkeit bezieht sich auf Angebot und Verteilung, d.h. auf Wassermengen, deren (geographische) Angemessenheit und (temporäre) Verlässlichkeit. Zugang bezieht sich auf Wasser als Gebrauchs- und Handelsgut, d.h. auf Verteilung und Bedarf, sowie auf die Möglichkeiten, Kosten und den Aufwand die mit der Beschaffung von Wasser verbunden sind – eine Dimension, die sich u.a. auch auf Distanz zu Wasserquellen, unterschiedliche Anbieter, ökonomische Möglichkeiten, aber auch sozialen Status beziehen kann. Unter der Dimension Nutzung werden individuelle Ansprüche sowie Rechtsformen vereint, darunter die Unterscheidung von Wasser als öffentliches und privates Gut; Nutzung ist auch abhängig von

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dem und sauberen Wasser für ein gesundes und produktives Leben verstanden (Webb/Iskandarani 1998: 4) und viele Untersuchungen sind der Bereitstellung oder Beschaffung von (sauberem) Trinkwasser gewidment. In diversen Publikationen wird Wasserunsicherheit als Variable verstanden und ihre Auswirkung auf diverse Aspekte und Ebenen untersucht. Untersuchungsebenen können u.a. Individuum, Haushalt, Nachbarschaft, Stadt, Nation oder auch eine internationale Perspektive sein. Unterschiedliche Aspekte sind z.B. nationale, internationale oder individuelle Nahrungssicherheit,36 Gesundheitsrisiken oder negative psychologische Affekte.37 Für Gilgit-Baltistan geht z.B. Halvorson (2002, 2003) sozio-kulturellen Praktiken von Wassernutzung und Gesundheitsrisiken bezüglich Diarrhöe und Dysenterie bei Kindern nach, Spies (2016) untersucht Adaptionsstrategien bezüglich der Verschiebung von Wasserquellen durch Gletscherrückzug. Die meisten Publikationen stellen wie Swyngedouw (2006) fest, dass schlechte Wasserversorgung oft keine Frage von Abwesenheit oder Mangel an (sauberen) Wasser ist, sondern von Zugang und gerechter Verteilung der vorhandenen Ressourcen. Die grundlegenden Technologien und Prinzipien, biochemischen und physischen Prozesse sowie die individuellen und sozio-ökonomischen Kosten von schlechter Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung seien bekannt; Managementsysteme könnten gemeistert werden. Dennoch bleiben große Bevölkerungsteile weltweit unterversorgt (ebd.: 4). Diverse Autoren (z.B. Anand 2007; Bakker 2010: 201-10) übernehmen entsprechend die Frage nach Verteilung der „entitlement theory“ Sens (1981), mit der Sen bei der Betrachtung von Hunger und Hungersnot den analytischen Fokus weg von Dürren und Bevölkerungszunahme hin zu institutionellen Arrangements verschiebt. Ursache für Mangel ist, so Sen, nicht ein absoluter Mangel an Ressourcen, sondern ein Mangel an Verwirklichungschancen. Über eine solche Perspektive kann auch Wasserknappheit oder Wasserunsicherheit als Problem nicht von Verfügbarkeit, sondern von Verteilung verstanden werden. Desweiteren gehen insbesondere seit Wittfogels (1957) Oriental Despotism zu sogenannten „hydraulischen Gesellschaften“ diverse Studien dem Zusammenhang von Kontrolle über Wasser einerseits mit der Zentralisierung und Verstaatlichung

Konsum-Bedürfnissen und -Möglichkeiten, Wasserqualität, persönlichem Status, Kosten sowie Wissensstand z.B. in Bezug auf Hygiene, sanitäre Einrichtungen, Wasserkonsum und Krankheitsbekämpfung (ebd.: 5). 36

Z.B. Allouche (2011), Bakker (2012), Banskota, Chalise und Sadeque (2000), Hadley und Wutich (2009), Mollinga (2000), Rosegrant und Meinzen-Dick (1996) oder Sultana (2013).

37

Z.B. Ennis-McMillan (2001), Stevenson et al. (2012), Sultana (2011), Workman (2013), Wutich (2009a) oder Wutich und Ragsdale (2008: 4-5).

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von politischer Macht andererseits nach.38 Hieran schließen sich neuerdings Arbeiten an, die der Bedeutung von großangelegten Wasserinfrastrukturen wie Dämmen und Kanalsystemen in der Herausbildung junger Nationen nachgehen.39 Bezüglich moderner Staaten stehen oft Zusammenhänge von Kontrolle über Wasserressourcen, Nationenbildung, Staatsbürgerschaft und Daseinsvorsorgepflicht im Zentrum der Aufmerksamkeit und ein großer Teil der Literatur fokussiert auf Wasserversorgung in Großstädten. Dienstleistungen wie Wassermanagementsysteme werden in modernen Staaten als Symbole für soziokulturelle Berechtigungen und somit als materielle Embleme von Staatsbürgerschaft gesehen.40 Während die meisten modernen Staaten formell ein Recht auf eine Grundversorgung mit essentiellen Leistungen wie der Versorgung mit sauberem Wasser und Abwasserentsorgung einräumen, wird dieser Anspruch oft nicht erfüllt. Ursachen hierfür sind mannigfaltig. Molle, Mollinga und Wester (2009) kritisieren z.B., dass Wasserinfrastrukturentwicklung in „hydrocracies“ – „hydraulischen Bürokratien“ – oft zum Selbstzweck wird; das eigentliche Ziel, d.h. die Bereitstellung von Wasser, kann durchaus in den Hintergrund geraten. Thompson et al. (2001) sowie White, Bradley und White (1972) argumentieren bezüglich ihrer Forschungen in Kenia, Tansania und Uganda, dass Institutionen und Infrastrukturen, die ursprünglich für eine gleichmäßige Wasserverteilung entworfen worden waren, aufgrund von schlechter Planung, Unterfinanzierung, Korruption etc. zu Ursachen für Wasserunsicherheit werden. Jensen (2013) und Riddell (2013) verweisen auf Lücken zwischen Theorie und Praxis bzw. Planung und Implementierung. Boelens (1998) verweist auf schlecht geplante Projekte, die eine ungleiche und ungerechte Verteilung im Hinblick auf Bewohner_innen am Anfang bzw. am Ende der Infrastruktur herstellen können. Gandy

38

Wittfogel (1957) konstatiert einen Zusammenhang zwischen Investitionen in Wasserinfrastrukturen in trockenen Umwelten und der Entwicklung von zentralisierter Herrschaft. Für Adaptionen siehe z.B. Bichsel (2016) sowie die Sonderausgaben von Water Alternatives: Themed Section: Hydraulic Bureaucracies: Flows of Water, Flows of Power (Molle/Mollinga/Wester 2009) und Special Issue: Water, infrastructure and political rule (Bichsel et al. 2016). Für Hunza siehe die Arbeiten von Sidky (1993a, 1993b, 1996, 1997).

39

Z.B. Abbink (2012), Aditjondro (1998), Ahlers et al. (2014), Baghel und Nüsser (2010), Iyer (2013), Scudder (1973). Für Pakistan siehe z.B. Bengali (2003), Malik (2011), Molle, Mollinga und Wester (2009), Mustafa (2002b, 2007), Mustafa und Wrathall (2010) oder Siddiqui (2009, 2010). Akhter (2015) argumentiert, dass in Pakistan der Versuch, dem Nationenbildungsprozess über den Bau großer Wasserkontrollinfrastrukturen nachzuhelfen, gescheitert sei und stattdessen Regionalismus gestärkt habe.

40

Z.B. Bakker (2003a: 40), Castro (2006).

Einleitung | 37

(2008) zeigt, wie Wasserinfrastrukturen in Mumbai zwar nach modernen Modellen geplant wurden, wie aber hoher Konkurrenzdruck und ungleiche ökonomische Ressourcen und Möglichkeiten dazu führen, dass die städtische Wasserversorgung unzureichend und ungleichmäßig wird. Wie Gandy schreibt, ist es in Mumbai die tonangebende Mittelklasse, die kein Interesse daran hat, dass die Wasserversorgung auch die ärmeren Bevölkerungsteile bedient. Auch das Scheitern von politischen Strategien und der Rückzug des Staats kann Wasserunsicherheit hervorrufen, wie gerade im Hinblick auf Privatisierungsversuche diskutiert wird (z.B. Bakker 2003a, 2003b, 2008, 2010 oder Swyngedouw 2005a).41 Wie Bakker (2010) argumentiert, ist das Scheitern von öffentlicher Wasserversorgung meist ein komplexes Phänomen, das sowohl in Fehlern in Regierungsstrukturen als auch in privaten Interessen zu suchen ist. Dennoch schließt sie mit der These, dass öffentliche Wasserversorgung zumeist die beste Art ist, um den unterschiedlichen Interessen unterschiedlicher Nutzer gerecht werden zu können (ebd.: 179). Eliasʼ Figurationen-Konzept Über das Konzept der Figurationen versucht Norbert Elias, Gesellschaft über die relationalen Beziehungen zwischen Individuen zu fassen. Elias stellt hiermit ein Modell auf, das flexibel anwendbar ist, das Soziale zu verstehen. Mit seinem Abstraktionsgrad geht das Figurationen-Konzept weit über Eliasʼ bekannteres Werk Über den Prozess der Zivilisation (1997a, b) hinaus.42 Eliasʼ bedeutender Beitrag ist es,

41

Aufbauend auf Eliasʼ „Triade der Grundkontrollen“ als Ausgangspunkt für eine Analyse betrachtet Castro (2013) kapitalistische Kommodifizierungsansätze von Wasserressourcen. Wie er argumentiert, wird in kapitalistischen Kommodifizierungsprozessen darauf gedrängt, Wasser auf einen Status als Rohmaterial, Produktionsfaktor oder vermarktbares ökonomisches Gut zu reduzieren. Belege für die Kommodifizierung von Wasser sind, so Castro, aus den letzten 2000 Jahren vorhanden; z.B. habe schon der griechische Mathematiker Heron von Alexandria (ca. 70-10 v.Chr.) einen münzbetriebenen Wasserspender für die Ausgabe von heiligem Wasser in Tempeln erfunden. Mittlerweile gibt es weltweit Wassermärkte. Dennoch, so Castro, wirken alternative Rationalitäten solchen Prozessen weiterhin entgegen. So sei global vergleichsweise nur wenig Wasser kommodifiziert worden. Darüber hinaus glichen Transaktionen oft eher diplomatischen Verhandlungen denn einfachen Tauschakten (ebd.; siehe auch Kaiser/Phillips 1998: 429-30).

42

Die Zivilisationstheorie wurde u.a. durch den Ethnologen Hans Peter Duerr (1998, 1990, 1993, 1997, 2002) als Mythos, als mögliche Basis für Kolonialismus und als eu-

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„nicht nur eine Theorie über soziale Prozesse, sondern gleichzeitig auch eine prozessual angelegte Theorie“ vorgelegt zu haben (Hinz 2002: 29, Herv.i.O.); wie Hinz festhält, unterzog auch Elias selbst sein Werk Zeit seines Lebens ständigen Revisionen (ebd.: 28). Zentral in Eliasʼ Theorie sind die drei Elemente Figuration, Habitus und fluktuierende Machtbalancen – grundlegende Konzepte, die sich später, wie Paulle, van Heerikhuizen und Emirbayer (2012) hinweisen, auch als Feld, Habitus und Kapitalien in Bourdieus Ansatz wiederfinden lassen (vgl. Bourdieu/Wacquant 1992: 97). Für Elias sind Gesellschaften zusammengesetzte Pluralitäten, in denen Individuen die einzelnen Teile ausmachen. Um Gesellschaft zu analysieren rückt er allerdings nicht das Individuum ins Zentrum, sondern die Verbindungen und Interdependenzen, die zwischen Individuen bestehen und die soziale Netzwerke bzw. Figurationen ausmachen (Elias 1997a: 70-3, 2004: 9-14, 139-45; Elias/Scotson 1994; Hinz 2002: 29-30; Landini 2013: 21-2). Bildhaft können Figurationen als „Figuren, die bei der Begegnung von Menschen entstehen“ bezeichnet werden (Bartels 1995: 26). In diesen Beziehungen nehmen Individuen dynamische Positionen ein, bilden Gruppen und gehen Allianzen ein. In Figurationen entstehen bestimmte „Habitus“ bzw. Systeme verinnerlichter Muster, die Gewohnheiten im Denken, Fühlen und Handeln strukturieren und den Mitgliedern einer Gruppe oder Figuration gemeinsam sind (vgl. van Krieken 2005: 5-6). Damit versucht Elias zu fassen, wie sich spezifisches, als selbstverständlich verstandenes Denken und Fühlen gesellschaftlich entwickelt hat und gesellschaftlichen Wandlungen unterzogen ist (Hinz 2002: 35). Verhaltensstandards von Gruppen sind aber immer auch als Machtquelle zu sehen, über die sie sich von anderen Gruppen unterscheiden und abgrenzen (ebd.: 33). Soziale Figurationen sind für Elias entsprechend immer auch Figurationen von Macht. In den Beziehungen bestehen immer „fluktuierende Machtbalancen“ oder Machtdifferenziale, die durch den Habitus bestimmt und aufgrund gegenseitiger Abhängigkeiten immer relational sind. Diese Machtdifferenziale sind bei Elias aber zunächst weniger über die spezifischen Leistungen von Individuen bestimmt als über ihre Position in Figurationen, damit verbundenen Habitus, Statusunterschiede und Handlungsmöglichkeiten (siehe z.B. Elias 2004: 76-7, 192-3; Paulle/van Heerikhuizen/Emirbayer 2012: 80). Figurationen sind dabei sowohl die tatsächlichen Beziehungen zwischen Individuen und Gruppen als auch universelle, abstrakte Prinzipien, die diese Beziehungen bestimmen. An verschiedenen Stellen illustriert Elias diese über das Spiel (ders. 2004: 139-45) oder den Tanz (ders. 1997a: 70-3). Spiel und Tanz selbst sind nicht

rozentrisch stark kritisiert – eine Kritik, die aber als unzulänglich, weil thematisch beschränkt und methodisch unsauber, abgelehnt werden kann (vgl. z.B. Hinz 2002).

Einleitung | 39

auf spezifische Individuen angewiesen aber auch nicht ohne Teilnehmende denkbar. Spieler bzw. Tänzer sind miteinander verbunden; sie agieren entsprechend eigenem Willen, sind aber dennoch den Regeln unterworfen, welche sie als Habitus oder „zweite Natur“ verinnerlicht haben. Wie die Regeln von Tanz oder Spiel sind die sozialen Regeln schon vorhanden. Sie sind feststehend, können aber auch verändert werden; dennoch können Individuen Prozesse und Verläufe nicht uneingeschränkt forcieren. Darüber hinaus sind Beziehungen, Handlungen und Ereignisse diversen Einflüssen ausgesetzt, die nicht alle kontrollierbar sind. Auch unter strukturell ähnlichen Umständen können so unterschiedliche Ansätze und Strategien entstehen.43 Grundlegend geht Elias davon aus, dass sich Mikro und Makro entsprechen und dass nichts in einem soziologischen Vakuum stattfinde (Elias 1994: xii).44 So schlägt Elias (1997a) das Konzept der Figurationen für Gruppen unterschiedlicher Größe und unterschiedlicher Interdependenzen vor; Staaten, Städte, Familien, aber auch Systeme wie Kapitalismus oder Feudalismus können als Analyseeinheit dienen (ebd.: 71). Nachdruck legt er dabei auf Prozesse, Bewegungen und Veränderungen in den Figurationen, welche über die Zwänge des gegenseitigen Verbundenseins gestaltet werden (vgl. ebd., 1997b: 49). Denn soziale Strukturen sind für Elias zwar alles durchdringend, damit aber keinesfalls statisch, sondern fluide, offen und ständig im Wandel.45 Basis für Dynamiken in Figurationen sind u.a. Einflüsse „von außen“, wiedie Einbindung in oder Überlappung mit weiteren Figurationen, ebenso aber auch Ideen, Argument und Logiken, Emotionen oder Ängste (Paulle/van Heerikhuizen/Emirbayer 2012: 79), womit Eliasʼ Ansatz der Herangehensweise Foucaults ähnelt (Smith/Elias/Foucault 1999: 86-7). Dabei gehören Bewegungen und Gegenbewegungen für Elias immer zusammen, wie z.B. zunehmende Differenzierung und wachsende Integration. Dies ist für ihn nicht widersprüchlich, sondern immer zusammengehörend (siehe auch Treibel 2008: 23-4). Mit seiner großen Offenheit und Flexibiliät bietet das Figurationen-Konzept die Möglichkeit, soziale Beziehungen über andere als die in den Kultur- und Sozialwissenschaften gängigen Kriterien wie ökonomischer Status, Klasse, „Ethnie“ oder Ge-

43

Akteure verfolgen außerdem oft fragmentierte Strategien, ändern Strategien, Ziele oder

44

Diese Entsprechung rechtfertigt für Elias (1994) auch z.B. die „mikroskopische“ Analy-

45

Autoren wie Albrow (2005) oder Hüttermann (2013) kritisieren dagegen, Elias habe in

auch Koalitionen (vgl. z.B. Hill 2014: 4-5; Nuijten 2003: 11; Sökefeld 1998: 121-2). se einer Nachbarschaft (ebd.: xvii). seinem Beispiel der „Etablierten-Außenseiter-Figuration“ – beinahe konträr zu Eliasʼ ursprünglichem Schwerpunkt auf Veränderung – v.a. die Stabilisierung hierarchischer Figurationen zwischen Gruppen festgehalten (ebd.: 8).

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schlecht zu fassen.46 Dies bedeutet nicht, dass diese Kriterien unwichtig oder nicht valide sind, sondern dass sie im gegebenen Fall gewisse Phänomene und Prozesse nur unzureichend erklären – wie im Beispiel der Stadt „Winston Parva“ aus Elias und Scotsons The Established and the Outsiders (1994). In dieser Analyse unterscheiden sich die Bewohner_innen unterschiedlicher Stadtteile weniger hinsichtlich ökonomischer Situation oder Klasse; stattdessen erfolgt die soziale Differenzierung in erster Linie über die zeitliche Dimension des Zuzugs. Aufgrund der Parallelen zu den Analyseergebnissen zu Gilgit ist der folgende Abschnitt im Besonderen der „Etablierten-Außenseiter-Figuration“ aus The Established and the Outsiders gewidmet. In dem für das vorliegende Buch interessanten Band fokussieren Elias und Scotson auf die Geschichte und Interdependenzen in „Winston Parva“, einer im 20. Jahrhundert gewachsenen Kleinstadt in England.47 Zwar liegt Eliasʼ Schwerpunkt sonst vorwiegend auf nationalen Räumen und historisch langen Zeiträumen,48 in der Anwendung auf Scotsons Forschung zu „Winston Parva“ demonstriert Elias aber die Flexibilität seines Konzepts. Wie Elias und Scotson schreiben, sind Beziehungen in Winston Parva – entgegen ihren anfänglichen Annahmen – nicht von den gängigen Hierarchien, wie z.B. Berufsgruppen, ökonomische Verhältnisse, Religion oder Herkunft, geprägt. Zwar unterschieden sich die Bewohner_innen zeitweilig

46

An anderer Stelle bezeichnet Elias z.B. auch die Figuration von Frauen und Männern als eine Form der „Etablierten-Außenseiter-Figuration“ und stellt sie als einen „langhingezogenen Machtkampf zwischen zwei Gesellschaftsgruppen“ dar (ders. 1987, zit.n. Treibel 2008: 77-8).

47

Dabei ist die „Etablierten-Außenseiter-Figuration“, die Elias anhand von Scotsons Forschung in Winston Parva formuliert hat, eine Figuration, die durchaus einer „universellen“ Ordnung entspreche (Elias/Scotson 1994: 156-7). Die „Etablierten-AußenseiterFiguration“ sei, so Elias und Scotson (1994), eine weltweit auftauchende Konfiguration sozialer Mobilität, in der Gruppen von alten Bewohner_innen auf Neuankömmlinge, Ausländer_innen, Immigrantinnen oder Immigranten treffen; die sozialen Probleme, die hieraus erwachsen würden sicher variieren, trügen aber auch gewisse Ähnlichkeiten. Zwar werde soziale Mobilität meist über geographische Aspekte erfasst (als Menschen, die von einem Ort an einen anderen ziehen) und Konflikte oft unter anderen Vorzeichen diskutiert (als Rassismus, als das Problem ethnischer Minoritäten oder als Klassenkampf). Diese könnten aber ebenso als Bewegung und Interaktion zwischen sozialen Gruppen verstanden werden, bei denen es letztlich immer darum gehe, die eigene Position zu stärken: „In all these cases the newcomers are bent on improving their position and the established groups are bent on maintaining theirs.“ (Ebd.: 156-8).

48

Z.B. Die höfische Gesellschaft (1983), Studien über die Deutschen (1992) und Über den Prozess der Zivilisation (1997a, b).

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tatsächlich über (Land-)Besitz, Wohnort und berufliches Spezialwissen. Hierauf beruhende Gruppenunterscheidungen hielten aber nicht lange vor. Stattdessen wurde Siedlungsdauer zum bestimmenden Unterschied, über den außerdem eine Hierarchie in der Stadtbevölkerung hergestellt wurde. Positive Attribute wurden den „alte“ Familien bzw. „Dorfbewohnerinnen“ und „Dorfbewohnern“ („villagers“) zugeschrieben; neuere Siedler wurden als Delinquenten und moralisch Verfehlte stigmatisiert – eine Stigmatisierung, gegen die sich die neuen Siedler nicht widersetzen und die sie stattdessen für sich übernahmen. Über diese Stigmatisierung festigten die „alten“ Siedler Winston Parvas ihre Identität und übten Einfluss aus (Elias 1994: xviii). Elias und Scotson prägen hierfür den Begriff der „Etablierten-Außenseiter-Figuration“ und analysieren die inhärenten Konflikte und Machtungleichgewichte, die diesem und anderen Fällen eigen sind, auch wenn sich, wie sie anmerken, das Machtungleichgewicht im Lauf der Zeit durchaus verschieben kann (ebd.: xx-xxi). Eliasʼ Figurationen-Konzept ist allerdings in manchen Punkten erweiterbar, wobei hier nur zwei Punkte angemerkt werden sollen, die in der vorliegenden Arbeit deutlich wurden. So geht Elias z.B. nicht näher auf die Pluralität von Figurationen ein. Dabei scheint es nur konsequent, davon auszugehen, dass sich diverse Figurationen überlappen. So würden sich – über die Einbindung von Akteurinnen und Akteuren in diverse Figurationen sowie über geteilten Raum – unterschiedliche figurationale Muster sowie Strategien und Machtungleichgewichte gegenseitig beeinflussen. So entsteht, was ggf. als „Figurationen von Figurationen“ bezeichnet werden kann (Crossroads Asia Working Group Conflict 2012/2014: 4). Veränderungen in einer Figuration wirken sich entsprechend in anderen Figurationen aus, was zu permanenten interdependenten Veränderung führt (ebd.). Mit Latour (2002) argumentiert außerdem Sökefeld (2015c), dass Elias in seiner Konzeption Materialität außer Acht lässt. Wie Sökefeld zu bedenken gibt, würden sich z.B. Eliasʼ Spiele ohne Dinge, Umfeld und Umwelt sehr anders ausnehmen. Objekte spielen wichtige Rollen in Figurationen. Sie können Handlungen ermöglichen oder verhindern, Beziehungen beeinflussen und Akteure und Akteurinnen „transformieren“, z.B. indem sie Handlungsspielräume erweitern (ebd.: 13). Analog argumentieren auch führende Theoretiker der politischen Ökologie für holistische Betrachtungen, die soziale, kulturelle, historische und materielle Aspekte einbeziehen, wenn sie „umgekehrt“ darauf verweisen, dass z.B. hydraulische Systeme nicht allein aus Materie bestehen, sondern ebenso soziale und historische Aspekte umfassen. Eine solche umfassende Konzeptualisierung soll es erlauben, Phänomene, die oft der Ebene der Natur oder Umwelt zugeschrieben werden, als sozial produziert zu verstehen. Solche Analysen zielen entsprechend darauf ab, die theoretische Trennung zwischen Natur und Ge-

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sellschaft aufzuheben und auf Aufmerksamkeit für die gegenseitige Beeinflussung von Natur und sozialen Ordnungen und Handlungen zu schaffen.49 Hydro-soziale Systeme, oder „hydraulische Einheiten“ wie Mosse (2005b: 4) sie bezeichnet, bilden z.B. soziale Interaktionsräume, die materiell bedingt sowie kulturell und historisch geschaffen sind. Entsprechend fasse ich das Materielle – als Umwelt, Objekte und Material – als bedeutende Elemente in Figurationen auf, auch wenn das Materielle in meiner Forschung eine eher untergeordnete Rolle einnahm. In Gesprächen zur Umsetzung eines neuen Wasserkomplexes z.B. wurde der Diskussion von Möglichkeiten, Geldbeiträge einzusammeln, unvergleichbar mehr Gesprächszeit und Bedeutung zugemessen als dem technischen Verfahren der Filtrationsanlage. Demgemäß folge ich der Perspektive meiner Gesprächspartner_innen, für die das Materielle eher Objekt zu bleiben scheint und nicht – wie im Latourʼschen Blick – Aktant ist.50 Gut veranschaulichen lässt sich dies an einem Gespräch in Jutial zu den Fluten 2010. Auch in Jutial führten heftige Regengüsse im Sommer 2010 zu Sturzfluten in Jutials Gebirgsbach und zu einem starken Anschwellen des Flusses. Diesen Fluten schenkten meine Gesprächspartner in unserer Unterhaltung aber eher wenig Beachtung. Zwar habe es, so erinnerten sie, Warnungen gegeben, den Schwemmfächer des Jutial Nala zu verlassen. Eigentlich „bemerkenswert“ war aber, dass, wie sie scherzten, in der Hektik so manche Verheiratete vor den drohenden Sturzbächen nicht mit dem eigenen, sondern einem anderen Ehepartner geflohen seien. In den meisten Aussagen kam dem Materiellen vergleichbar eine eher untergeordnete Rolle zu, auch unabhängig davon, ob meine Gesprächspartner_in-

49

Siehe z.B. Swyngedouw (1999: 445) oder Mosse (2005b: 4). Mosse (ebd.) fasst Wasser als produktive wie als symbolische Ressource. So kann sie regionalspezifische Institutionen hervorbringen, über welche Herrschaftssysteme legitimiert werden können und welche Leben, Zusammenleben und politische Strategien beeinflussen kann. Anhand seiner Studie zu Wassertanksystemen in Südindien argumentiert Mosse allerdings nicht für die Idee (oder Ideologie) von ökologischem Determinismus oder für die Vorstellung von harmonischer Adaption von Gesellschaften an Natur und natürliche Ressourcen. Dagegen versucht er aufzuzeigen, dass lokale und regionale Institutionen zwar auf die Unsicherheit von Wasserressourcen reagieren aber gleichzeitig auch zu der Unsicherheit beitragen oder sie gar intensivieren können. An anderer Stelle weist Mosse (1999) darauf hin, dass diese Institutionen gleichzeitig ebenso auch regionalspezifischen bis hin zu globalen Einflüssen (wie der Kolonialherrschaft oder globalen Entwicklungstheorien und deren Umsetzung durch internationale NGOs) unterworfen sind.

50

In Spiesʼ (2016) Aufsatz zu Wasserressourcen in Nagar z.B. werden Institutionen wie auch das Materielle in der Bewegung – rückziehende und vordrängende Gletscher, rutschende Hänge etc. – zu Aktanten.

Einleitung | 43

nen z.B. nur Abnehmer_innen oder auch Bewirtschafter_innen von Wasserkomplexen waren. Gegebenenfalls wurde dies aber auch durch die methodische Herangehensweise verstärkt, in der der Schwerpunkt auf dem Gesprochenen lag und andere Zugänge „direkt am Material“, wie Begehungen von Gebirgsbächen, Kanälen, Feldern etc., kaum möglich waren.51 Darüber hinaus kann es sein, dass das Materielle, wie auch das Technische, ggf. eher maskulin besetzt ist, wie z.B. Enloe mutmaßt (in Cohen/Enloe 2004: 1189), weswegen ggf. ich selbst dem Materiellen weniger Bedeutung zukommen ließ und meine Gesprächspartner_innen – einer Forscherin gegenübersitzend – dem ebenso wenig Bedeutung schenkten.52 Dennoch spielt das Materielle, wie Sökefeld (2015c) festhält, immer eine wichtige Rolle in und für Handlungen, kann Ausgangspunkt und Auslöser, maßgebender Umstand ebenso wie Mittel, Zweck oder Ziel sein. Anwendung der Konzepte: Figurationen in der waterscape Gilgits Mit dem Konzept der Figurationen wird im vorliegenden Buch analysiert, welche Regeln und Muster in Gilgit in Bezug auf die waterscape bedeutsam sind. So soll nachvollzogen werden, wie Zugang zu unterschiedlichen Wasserressourcen eröffnet oder verweigert wird, aber auch, welche Strategien angewendet und welche Institutionen und Fraktionen geschaffen werden. Dabei bin ich der Ansicht, dass die so konfigurierte hydraulische Landschaft Übereinstimmungen mit der sozialen Landschaft aufweist. Figurationen der sozialen Landschaft wirken sich auf die hydraulische aus; Figurationen, welche die waterscape prägen, prägen ebenso die soziale Landschaft. Die Erkenntnisse aus einer Forschung zur waterscape führen entsprechend zu einem Verständnis der sozialen Landschaft und der Figurationsprozesse.53

51

Eine Ausnahme war ein Gespräch und die Begehung von Kanälen in Karimabad, Hunza mit einem nambardār (Dorfvorsteher), der mir ausführlich Geschichten und Logiken des Bewässerungssystems von Karimabad erklärte.

52

Vgl. auch Enloe, die beschreibt, wie z.B. Wasserrohre oder Jeeps für deren Transport, ebenso wie z.B. Schwerlastarbeit, aber auch technische Expertise, zumeist als maskulin gedacht werden. Praktische, ggf. aber auch theoretische Beschäftigungen damit werden dann zu „männlichen“ Unternehmungen (in Cohen/Enloe 2004: 1189).

53

Dabei grenzt sich meine Vorstellung zur sozialen Landschaft vom Konzept der „socioscape“ ab. Dieses wird v.a. in urban studies verwendet um – in Anlehnung an Appadurais (1996) Versuch, die Fluidität globaler Landschaften zu erfassen – lokale Gemeinschaften als fluide Formationen zu verstehen (z.B. Albrow 2005; Friesen/Murphy/Kearns 2005; Hüttermann 2013). Autoren wie Albrow oder Hüttermann bauen dabei durchaus auf Eliasʼ figurationalen Ansatz auf, versuchen aber – ausgehend von ei-

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In Gilgit sind Figurationen wie die der Etablierten und der Außenseiter vorhanden und wirkmächtig – wenn auch ergänzt durch weitere Figurationen in einer so polyfigurational zu verstehenden sozialen Landschaft. In der Analyse waren so zunächst zwei Figurationen maßgeblich, die Habitus, Argumentationslinien und Machtdifferenziale vorgeben: die Figuration von Etablierten und Außenseitern bzw. „alten“ und neuen Siedlern und die Figuration von sectarianism bzw. Konfessionszugehörigkeit.54 Eine dritte Figuration, die ich mit dem Begriff „Loyalität zu Pakistan“ bezeichne, wurde weniger in den Daten zur waterscape als in den Daten zur Feldforschung sichtbar und kann als eine „Etablierten-Außenseiter-Figuration“ auf der Makro- oder staatlichen Ebene aufgefasst werden. Sie charakterisiert das Verhältnis der Region Gilgit-Baltistan zu Pakistan und vice versa und wirkt sich in unterschiedlichem Ausmaß auf das Leben in Gilgit aus. In der Forschung zu dem vorliegenden Buch wurde insbesondere deutlich, in welchen Weisen sich einzelne Akteure, die sich als Vertreter des pakistanischen Staats verstehen, in der Region einbringen, um (staatliche, ebenso wie persönliche) Kontrolle herzustellen bzw. zu sichern. Alle Figurationen sind auch in früheren u.a. ethnologischen, politikwissenschaftlichen und disziplinenübergreifenden Arbeiten diskutiert;55 das Ergebnis be-

nem „global shift“ – Eliasʼ Figurationen-Ansatz zu dynamisieren. Wie Hüttermann (2013) schreibt, haben Machtdifferenziale und interfraktionelle Figurationen wie die von Elias und Scotson diskutierte „Etablierten-Außenseiter-Figuration“ in der neuen städtischen Ordnung keinen Platz mehr (ebd.: 11). So umfassen Albrows (2005) „socioscapes“, diverse „sociospheres“, die nebeneinander im urbanen Raum bestehen. In diesen „sociospheres“ bilden lokale Akteure soziale Netzwerke, die zwar lokal verortet, aber ebenso an überlokale oder transnationale Arenen angebunden sind (siehe auch Hüttermann 2013: 10-1). Urbane Räume werden so als polyzentrisch verstanden; in ihnen gibt es keinen sicheren Standpunkt (mehr), von dem aus Eliten andere Gruppen als Außenseiter definieren und zentralisierte Kontrolle über die lokale Öffentlichkeit ausüben können (Albrow 2005; Hüttermann 2013: 11). 54

In meiner Forschung wird dies v.a. anhand von Sunnitinnen/Sunniten und Ismailiten/Ismailitinnen behandelt, weniger über die zumeist fokussierten Reibungen und Konflikte zwischen Sunniten/Sunnitinnen und Schiiten/Schiitinnen.

55

Siehe Sökefeld (1994, 1997a, 1997c, 1998, 1999b, 2010) für die „Etablierten-Außenseiter-Figuration“ von „Leuten von innen“ und „Leuten von außen“. Arbeiten der letzten Jahre, die unter der Bezeichnung sectarianism die Figuration der Konfessionen in Gilgit und Gilgit-Baltistan analysieren sind z.B. Aase (1999), Ali (2008, 2009, 2010b), Grieser und Sökefeld (2015), Hunzai (2013), Sökefeld (1997a, 1998, 2015b), Stöber (2007) und Varley (2008a, 2010, 2014, 2015). Betreffs der Figuration zwischen Pakis-

Einleitung | 45

züglich dessen, was die waterscape Gilgits formt, ist entsprechend nicht unbedingt überraschend.56 Für einen ersten Einblick bietet sich an dieser Stelle ein direkter Vergleich zur „Etablierten-Außenseiter-Figuration“ wie in Elias und Scoton (1994) beschrieben an. Im Zug von zunehmender Migration nach Gilgit im 20. Jahrhundert werden seit den 1950er Jahren maqāmī lōg, „Leuten von innen“ und ğēr-maqāmī lōg, „Leuten von außen“ unterschieden (Sökefeld 1994, 1997a, 1997c, 1998, 1999b, 2010)57 – eine Unterscheidung, die in der Schöpfung der Kategorie der pushtūne bāshinde („alte“ Siedler), Ausdruck findet (siehe Sökefeld 1997a, 1998; Kap. „Die Verhandlung ‚traditioneller‘ Wasserrechte“). Auch in Gilgit werden über das Kriterium der Siedlungsdauer bzw. über einen frei gewählten Zeitpunkt „alte“ von neuen Siedler unterschieden. Die „alten“ Siedler beanspruchen sowohl „traditionelle“ Rechte auf die natürlichen Ressourcen Ödland, Gebirgsbachwasser und Wild als auch auf den Status als die „echten“ oder „originalen“ Bewohner_innen, was mit dem Gefühl moralischer Überlegenheit einhergeht (Sökefeld 1997a: 68; 1998: 138, 143-4). Dennoch erodiert das Überlegenheitsgefühl zunehmend. Während lange Zeit v.a. das Bearbeiten des eigenen Landes angesehen und achtbar war (Sökefeld 1997a: 101-4) haben die „alten“ Siedler Gilgits mittlerweile Landwirtschaft größtenteils aufgegeben. Darüber hinaus haben sie viel Land verkauft – u.a. an „Leute von außen“. Ihr Anspruch auf das Vorrecht, benachbartes Ödland zu erschließen, wurde desweiteren über staatliche Praktiken untergraben. In Jutial z.B., einem Dorf, das mittlerweile Stadtteil Gilgits ist, resultiert dies in Bedauern über den Verlust alter Rechte, Bedeutung und Einfluss (Sökefeld 1997a: 79-80, 1998: 143-4). Dagegen entwerfen z.B. die Bewohner Jutials mittlerweile, wie im Kapitel „Die Verhandlung ‚traditioneller‘ Wasserrechte“ beschrieben, ihr positives Selbstbild über Attribute wie Solidarität, Humanitarismus, Altruismus und Einfachheit. Dies steht einem Fremdbild der neuen Siedler als gerissen und rücksichtslos gegenüber. Im Gegensatz zu Winston Parva aber bleiben diese Attribute und die damit einhergehende Hierarchie in Gilgit nicht unangefochten. Diese Zuschreibungen sind in Jutial, wie auch in Gilgit, umstritten: Gruppen von „alten“ und neuen Siedlern ringen um Ein-

tan und Gilgit-Baltistan siehe z.B. Ali (2008, 2009, 2013), Bodla (2014), Bouzas (2012), Kreutzmann (2010, 2012a) und Sökefeld (1999a, 2005). 56

Im Vergleich dazu bezeichnen Elias und Scotson (1994) ihr Ergebnis zu Winston Parva als überraschend und unerwartet (ebd.: xi-ii).

57 In seinen Publikationen zeigt Sökefeld v.a. Perspektiven der „Leute von innen“ auf. Diese Perspektiven möchte ich im Folgenden über Perspektiven von neuen Siedlern bzw. „Leuten von außen“ ergänzen, die in den letzten Jahrzehnten nach Gilgit gezogen sind.

46 | Den Verlauf kontrollieren

fluss und Macht; beide Gruppen haben ein positives Selbstbild und negative Fremdbilder. Außerdem wurden zwei Figurationen – die der „alten“ und neuen Siedler sowie die der Konfessionen – deutlich, welche Verhalten, Positionen, Argumente, Identitäten und Stigmatisierungen bestimmten. Insofern sind es meiner Ansicht nach nicht allein die Figurationen, welche Individuen positionieren und Prozesse und Beziehungen strukturieren, sondern es sind die Individuen bzw. Akteure/Akteurinnen, welche Figurationen nutzen, um sich zu positionieren und Machtdifferenziale zu verschieben. So war es z.B. möglich, dass Gesprächspartner_ innen im Lauf von Gesprächen auf unterschiedliche Figurationen Bezug nahmen, um die eigene Position oder die anderer zu bestimmen. Als kurzes Beispiel sei hier ein Gespräch mit einer Gruppe von Bewohnern genannt, die sich in den letzten Jahrzehnten auf Ödland in Zulfiqarabad (auch: „lower Jutial“, ehemaliges Ödland Jutials) niedergelassen hatten. In diesem Gespräch wurde deutlich, wie ihre Lebensumstände, aber auch ihre Handlungsmöglichkeiten, durch die unterschiedlichen Figurationen geprägt werden. Über den diskursiven Rückgriff auf und Wechsel zwischen den unterschiedlichen figurationalen Rahmen konnten sie Bedürfnisse und Handlungen rechtfertigen und sich selbst und anderen unterschiedliche Positionen in Macht- und Moraldifferenzialen zuweisen, wie im Unterkapitel „Kategorienwechsel und Kategorienüberschneidungen“ ausführlicher diskutiert wird. Insofern muss Eliasʼ Konzept u.a. diesbezüglich weiter ausgearbeitet werden.

AUFBAU DES BUCHS Auf die Einleitung folgt im nächsten Kapitel eine Beschreibung des „Felds“ Gilgit, der Feldforschungsumstände und Feldforschungserfahrungen sowie eine Reflektion der Methoden. Im Anschluss geht das Buch drei Eigenarten der waterscape von Gilgit nach: Fragmentierung der hydraulischen Landschaft, diskursive Verhandlung von Wasserrechten sowie Formen der Mobilisierung von Gemeinschaft.58 Über die-

58

Diese drei Eigenschaften sind dabei nicht erschöpfend oder allumfassend im Sinne z.B. der Grounded Theory. Neben diesen drei gibt es zweifellos weitere Themen, die mir ggf. nicht zugänglich waren bzw. von meinen Gesprächspartnerinnen und -partnern nicht oder nur am Rande thematisiert wurden, wie z.B. die reinigenden und magischen Kräfte, die Wasser zugeschrieben werden. Außerdem gehe ich im Hinblick auf die von Elias (2004) vorgeschlagene „Triade der Grundkontrollen“ in der Arbeit nur auf soziale, d.h. zwischenmenschliche Beziehungen ein, nicht aber auf eine Analyse der Kontrolle über nichtmenschliche Komplexe bzw. Naturereignisse oder auf Selbstkontrolle (ebd.: 173-4; siehe auch Castro 2013).

Einleitung | 47

se Eigenarten sind Individuen, Ressourcen, das Materielle und Organisationen verbunden und getrennt. Über sie wird Wasserunsicherheit begegnet, verhandelt, aber auch verursacht. Die folgenden drei Kapitel sind – mehr oder weniger streng – diesen drei Eigenarten gewidmet. Das Kapitel „Gilgits fragmentierte Wasserversorgungen“ richtet den Blick zunächst auf die multiplen Fragmentierungen in der waterscape: deren unterschiedliche Wasserquellen, unterschiedliche Rechte auf die verschiedenen Wasserressourcen, unterschiedliche Wasserkomplexe und -infrastrukturen, unterschiedliche private bzw. „artisanale“ Strategien der Wasserversorgung und schließlich die Herausbildung unterschiedlicher Wasserkategorisierungen sowie deren Transformation. Diese Faktoren bedingen Wasserunsicherheit v.a. hinsichtlich der Quantität, ebenso wie Ungewissheit bezüglich der Qualität. Das folgende Kapitel „Die Verhandlung ‚traditioneller‘ Wasserrechte“ beschreibt anhand des Stadtteils Jutial zunächst die „traditionelle“ Handhabung von Wasserressourcen. Hier nutzen die „alten“ Siedler die hydraulische Gemeinschaft und institutionalisieren über historische Begriffe und Regelungen Gewohnheitsrechte auf Land und Wasser. Im Anschluss wird diskutiert, wie diese Rechte im Zuge anhaltenden Zuzugs problematisiert wird. Im Kapitel „‚Verfügbar durch Selbsthilfe‘“ werden Formen der Mobilisierung von Gemeinschaft in den neuen Siedlungen betrachtet, die zum Ziel haben, in sogenannten self-help-Projekten Wasser zu organisieren. Aber auch hier beinhaltet die Mobilisierung von Gemeinschaft – ganz im Sinne von Elias – Ab- und Ausgrenzungsprozesse, wachsende Integration und zunehmende Differenzierung gleichzeitig. Während sich die „alten“ Siedler v.a. über einen Zeitpunkt von neuen Siedlern abgrenzen, ziehen auch die neuen Siedler selbst Grenzen – wenn auch weniger auf dem Aspekt der Zeit. Hier sind es technische Vorgaben wie Raum und Gruppengröße sowie Attribute wie Arbeits- und Zahlungswilligkeit, die vordergründig als Anhaltspunkte dienen; eine tiefergehende Betrachtung rückt Konfessionszugehörigkeit als Grundlage von Integration und Abgrenzung in den Fokus. Das anschließende Kapitel diskutiert diverse „Gräben“ in Gilgits Landschaft und waterscape, die durch die Figurationen aufgeworfen werden. Es beschreibt, wie in Diskursen strategisch auf die Figurationen Bezug genommen und zwischen ihnen gewechselt wird. Das letzte Kapitel führt die unterschiedlichen Stränge und Perspektiven in einem Fazit zusammen. Dabei geht es insbesondere auf die Veränderungen, die in der Urbanisierung die waterscape wandeln und alte Gewissheiten erodieren lassen, sowie auf die Bedeutung von Gemeinschaften, Selbsthilfe und den präsenten aber (ver-)fehlenden Staat ein. Im Hinblick auf die Erkenntnisse aus der vorliegenden Arbeit wird Eliasʼ Figurationenkonzept diskutiert und ergänzt.

Feld, Akteure und Methoden

Wie schon in der Einleitung mit Verweis auf Marcus (2009a) erwähnt, ist es im Rahmen einer postmodernen Methodologie zunehmend üblich, auch unerwartete und unbequeme Umstände zu erkunden und sie in die Ethnographie aufzunehmen, wenn sie die Forschungssituation oder das Forschungsverständnis wesentlich prägen. Dem liegt die Überzeugung zugrunde, dass es angebracht ist, die Leser_innen wissen zulassen, auf welcher Basis die Ethnographie entstanden ist. Daher beschreibe ich im Folgenden sowohl das Forschungsfeld als auch die Umstände der Forschung und reflektiere, welchen Einfluss diese auf die Datenerhebung bzw. Datenproduktion und das Verständnis des Felds hatten. Ich beschreibe dies als die Figuration von Feld, Akteuren/Akteurinnen und Methoden, aus der die vorliegende Arbeit erwachsen ist. Leitmotiv ist hier die Figuration „Loyalität zu Pakistan“. Gerade in empirischen Forschungen sind auch Forschende wie alle anderen Individuen in asymmetrische Machtbeziehungen eingebunden. Zwar erscheinen ethnographische Beziehungen zunächst nicht als notwendig und damit nicht unbedingt als interdependent – z.B. bestand von meiner Seite, wie vonseiten der Akteure und Akteurinnen im Feld immer die Möglichkeit, die Forschung abzubrechen oder so zu eskalieren, dass sie von der einen oder anderen Seite aus beendet werden muss. Dennoch ist auch hier Eliasʼ Definition als interdependent nicht unangebracht: von der persönlichen auf die strukturelle Ebene gebracht, sind Forschende immer auf die Kooperation lokaler Akteurinnen und Akteure angewiesen und Mitarbeiter der agencies sind auf Personen und Umstände angewiesen, die ihre Daseinsberechtigung bestätigen. Das Kapitel beginnt zunächst mit einer kurzen Vorstellung Gilgits als Forschungslokalität. Anschließend reflektiere ich den Entstehungskontext der ethnographischen Daten. Zuletzt beschreibe und analysiere ich Umstände, Ereignisse sowie Akteure und Akteurinnen, die die Forschung und damit auch das Verständnis des Felds und die Methoden der Datenerhebung bzw. der Datenproduktion geprägt haben.

50 | Den Verlauf kontrollieren

FORSCHUNGSLOKALITÄT GILGIT Die Stadt Gilgit ist die Hauptstadt der Region Gilgit-Baltistan im Norden Pakistans. Geographisch ist Gilgit-Baltistan Teil einer Hochgebirgsregion am Zusammenlauf der Gebirgszüge von Karakorum, Hindukush und Pamir mit dem Nanga Parbat als letztem Ausläufer des Himalaya (siehe auch Abb. 1). Abbildung 1: Region Gilgit-Baltistan

Quelle: Kämmer-Kartographie Berlin 2012. Mit freundlicher Genehmigung der KämmerKartographie Berlin

Gilgit-Baltistan umfasst sieben Haupttäler, die bisweilen auch politischen und Verwaltungseinheiten entsprechen – Astor, Hunza-Nagar, Diamer, Skardu, Gilgit, Ghanche und Ghizer – und sechzehn Seitentäler. Die Täler liegen entlang der Flüsse Indus, Gilgit und Hunza, welche aus unzähligen Nebenflüssen und Gebirgsbächen gespeist werden, entlang derer sich auch die größeren Orte befinden, darunter Gahkuch, Chilas und Skardu, sowie die Hauptstadt Gilgit mehr oder weniger im Zentrum der Täler und am Zusammenlauf der Flüsse.

Feld, Akteure und Methoden | 51

Schon bei der Anreise nach Gilgit, entweder auf dem Karakorum Highway (KKH) oder mit dem Flugzeug, wird deutlich, was es bedeutet, von der Region als einer Hochgebirgswüste zu sprechen. Zwischen den hohen, meist ganzjährig schneebedeckten Gipfeln der Berge ziehen sich die größtenteils ariden Berge und Flusstäler. Zwar gibt es auf den Höhen zwischen 2000 und 4000 Metern teilweise bewaldete Abschnitte, die jedoch oft steil und schwer zugänglich sind. Über 3000 Metern umfasst der Niederschlag auch bis zu 2000 Litern pro Quadratmeter (mm) jährlich und lagert sich v.a. auf Höhen über 6000 Metern ganzjährig als Schnee und Gletscher ab (JICA/GoGB 2010: 3/3-3/4; Fazlur-Rahman 2000; Kreutzmann 2000b). Die meisten Siedlungen befinden sich aber zwischen 1000 und 3000 Metern auf den unteren Hanglagen oder Talsohlen – Gebiete, die mit etwa 100 bis 150 mm Niederschlag jährlich quasi niederschlagsfrei sind.1 In Gilgit z.B. beschränkt sich der Niederschlag auf vereinzelte, zumeist leichte Schauer und umfasst im Jahresdurchschnitt nur 130 mm (siehe Tab. 1). Die Temperaturen in den bewohnten Gebieten reichen von durchschnittlich 40°C im Sommer bis -10°C im Winter.

Feb.

Mar.

Apr.

Mai

Jun.

Jul.

Aug.

Sep.

Okt.

Nov.

Dez.

Ges.

6.0

12.6

23.0

25.3

6.1

15.6

15.5

6.5

8.4

1.8

4.1

128.9

4.0

Jan.

Tabelle 1: Durchschnittlicher monatlicher Niederschlag in Liter pro Quadratmeter (mm) für die Stadt Gilgit (1490m).

Quelle: JICA/GoGB (2010: 3/4)

Als Anbauflächen eignen sich v.a. die weniger steilen Talsohlen, Flussterrassen sowie alluviale Schuttfächer der Seitentäler auf mittleren Höhenlagen. Diese sind – wenn bewässerbar – intensiv bewirtschaftet. Saisonal werden auch höhere Lagen als alpine Hochweiden für Tierhaltung genutzt. Landwirtschaftliche Wachstumsperioden variieren mit der Höhenlage; Gilgits Wachstumsperiode umfasst ca. 300 Tage (Kreutzmann 2000b: 93-96).

1

Talsohlen auf mittleren Höhenlagen zwischen 1000 und 3000 Höhenmetern erhalten nur geringe Niederschläge von 130 mm Jahresdurchschnitt (siehe Kreutzmann 2000b: 93-5). Erhebungsdaten zu den tatsächlichen Mengen von Niederschlag und Schmelzwasser variieren dabei teilweise beträchtlich (siehe auch Winiger/Gumpert/Yamout 2005). (Im Vergleich liegt z.B. der Niederschlag in München bei durchschnittlich 930 mm.)

52 | Den Verlauf kontrollieren

In der Region rund um Gilgit gibt es zumeist zwei Anbaufolgen mit Gräsern, Klee oder Getreide im Frühjahr bis in den Frühsommer und Kartoffeln und Mais im Sommer bis Herbst. Daneben sind Früchte und Nüsse wichtige Produkte der Region. Die Produktion von Lebensmitteln ist dabei weiterhin nicht ausreichend. Schon unter der britischen Herrschaft im 19. Jahrhundert wurde Getreide und Reis aus Kashmir geliefert; heute sind es v.a. von der pakistanischen Regierung subventionierte Getreide- und Reislieferungen aus dem Punjab, die das Angebot an Grundnahrungsmitteln stellen, gleichzeitig aber deren Anbau vielerorts unwirtschaftlich machen.2 Wie Jettmar (1991) zu bedenken gibt, seien es bessere Gesundheitsangebote, der Wegfall traditioneller Regelungen zur Geburtenkontrolle und die Abnahme kriegerischer Auseinandersetzungen, die im 20. Jahrhundert zu einem starken Wachstum der Bevölkerung geführt haben. Trotz höherer landwirtschaftlicher Erträge z.B. durch künstliche Dünger, lasse dieses Bevölkerungswachstum die vor Ort angebauten Lebensmittel knapp werden. Darüber hinaus weist Jettmar darauf hin, dass Arbeitsmigration in den Süden Pakistans zu einem Mangel an arbeitsfähigen jungen Männern v.a. in der Landwirtschaft führe (ebd.: 85-6). Um in der Region Viehwirtschaft und Getreideanbau betreiben zu können, müssen die Talsohlen oder Hanglagen terrassiert und bewässert werden. Hierfür sind oft kilometerlange Kanäle notwendig, in denen Wasser aus Fluss oder Gebirgsbächen von günstig gelegenen Aufnahmestellen geleitet werden kann (siehe auch Jettmar 1991: 61). An den Kanälen reihen sich so Siedlungen und Anbauflächen wie Archipele und die Seitentäler und alluvialen Schuttfächer präsentieren sich Betrachtern gerade in den Sommermonaten als Füllhörner, aus denen sich das Grün in die steinige Landschaft ergießt (siehe Abb. 2). Vielen, die über Gilgit-Baltistan schreiben, erscheinen die Orte als Oasen in der Wüste, mit üppig grünen Feldern und Mauern, hinter denen sich Gärten als Rückzugsorte auftun und Bäume in den heißen Sommermonaten kühlen Schatten und saftige Früchte bieten (z.B. Cook 2007).3 So beschreibt auch Durand, ein Britischer Political Agent, der 1899 einen Bericht über seine Reisen durch die Region veröffentlichte, wiederholt Orte als Oasen in der rauen Landschaft. Vermutlich von der Warte des heutigen Jutials aus schreibt er auch über Gilgit:

2

Die im Frühjahr 2014 angekündigte Streichung der Subventionen löste massive Proteste in ganz Gilgit-Baltistan aus (siehe z.B. Dawn Online, 29.04.2014; The Express Tribune Online, 10.03.2014).

3

Meine eigene Wahrnehmung wich diesbezüglich ab. So nahm ich die Region zumeist als steinige und staubige Landschaften und die Ortschaften immer als Orte des Mangels wahr, in denen noch das letzte grüne Blatt vom Baum geklopft und an hungrige Ziegen und Schafe verfüttert wird.

Feld, Akteure und Methoden | 53

„From the highest point where the road crosses the fan [of Jutial, A.G.] there is a splendid view of the triple peaks of Rakapushi, [...] and [to the west] the Gilgit oasis bursts into view. This is a mass of cultivation five or six miles long by a mile wide at the widest, studded with villages and covered with fruit-trees, the whole irrigated and depending for its water on one stream [Kargah, A.G.] which enters the valley at the western end.“ (Durand 1899: 59-60)

Abbildung 2: Blick auf Gilgit

Foto: Autorin 2012

Bewässerungssysteme in Gilgit-Baltistan Die Wasserversorgung wird in Gilgit-Baltistan über oft viele Kilometer lange Kanäle auf der Basis von Gravitation gewährleistet, die sich zumeist entlang der Talseiten ziehen. Die so geschaffenen Wasserinfrastrukturen und die jeweiligen Bewässerungsordnungen sind äußert detailliert ausgearbeitet und ähneln sich in den Grundsätzen über die ganze Hindukush-Karakorum-Himalaya-Region, wobei es Ansichtssache ist, ob Gemeinsamkeiten oder Unterschiede überwiegen.4 An Flächen, die für Landwirtschaft genutzt werden, fächern sich die Kanäle auf und verzweigen sich in immer kleinere Subkanäle. Das Wasser wird aus Flüssen

4

Siehe z.B. Kreutzmann (2000b) für das Bewässerungssystem in Hunza oder Baker (2005) für Kangra, eine Region in Himachal Pradesh, Indien.

54 | Den Verlauf kontrollieren

oder aus wasserführenden Seitentälern (Urdu: nāla; Shina: gāh) aufgenommen.5 Nālas werden meist von hochgelegenen beständigen Schneefeldern und Gletschern auf 3000 bis 7000 Metern gespeist. Dies bedeutet auch, dass die Wassermengen der nālas von der Schmelze abhängig jahreszeitlich bedingten starken Schwankungen in der Menge unterliegen.6 Kanäle sind grundsätzlich anfällig gegenüber Fluten, Erdrutschen und Korrosion (siehe z.B. Baker 2001 für das „kuhl-system“ von Kangra, Himachal Pradesh).7 In der Region des heutigen Gilgit-Baltistan gingen Initiativen zum Bau von neuen Kanälen in den letzten Jahrhunderten oft von lokalen Herrschern aus. Über das Prinzip des rajāki, angeordneter gemeinschaftlicher Pflichtarbeit, forderten diese bestimmte Gruppen zum Bau auf und eröffneten so gleichzeitig Chancen auf neues Land für Landwirtschaft. Baumaterialien waren v.a. die vorhandenen Gesteine; Lehm und Gräser wurden zum Abdichten der Trockenmauern verwendet. Werkzeuge waren lange Zeit allein aus Holz und Horn gefertigt, bis ab dem 19. Jahrhundert auch Sprengstoffe und härtere Metallwerkzeuge zum Einsatz kamen. Durand (1899) beschreibt diese Kanäle im Rahmen des Berichts über seinen Aufenthalt in Hunza 1889 mit einigem Erstaunen. Mit Bezug auf einen Kanal in Hunza erklärt er: „the water channel is a monument of patient labour, and of the clever adaption of the rudest means to the most important end“ (ebd.: 218). Auch wenn Durand in seiner Beschreibung die Werkzeuge halb herablassend mit Werkzeugen

5

Kanäle vom Fluss haben den Vorteil, dass ganzjährig ähnlich hohe Wassermengen abgeleitet werden können. Allerdings müssen Fluss-Kanäle oft viele Kilometer flussaufwärts angelegt werden, um den nötigen Höhenunterschied hin zu bestellbarem Land zu überbrücken. Diese Kanäle können sich über mehrere Kilometer entlang der Täler ziehen.

6

Das Wasser der Seitentäler Gilgits ist vergleichsweise klar, während in anderen Tälern der Region auch das Bewässerungswasser zunächst über Absetzbecken geleitet werden muss, um die teilweise starke Sedimenthaltigkeit des Wassers zu reduzieren. Für die Bereitstellung von Trinkwasser durch das Wasser Department wurden allerdings auch in Gilgit Absetzbecken eingeführt.

7

Gleichzeitig beschreibt Baker (2001) Umwelt-, materielle sowie soziale Faktoren wie insbesondere Arbeitsmigration von Männern. Landwirtschaft – und damit die kontinuierlich notwendigen Arbeiten an der Wasserinfrastruktur – erscheint immer weniger attraktiv und wird mehr und mehr vernachlässigt. Dennoch werden die Kanalsysteme an di.versen Orten weiterhin als Gemeinschaftseigentum intakt gehalten. Baker fragt daher nach den Voraussetzungen für ein funktionales institutionalisiertes Management („common property resource management“), welches solche umwelt- und sozial bedingten Schocks und Transformationen aufzufangen hilft.

Feld, Akteure und Methoden | 55

für Kinder vergleicht, wird die Faszination deutlich, die die kilometerlangen Kanäle hervorrufen: „It must be remembered that the people have no proper tools, no crowbars and dynamite to assist them. A tiny pick of soft iron, which looks like a child's garden tool, shovels fashioned out of wood, and a few poles as levers, are all that they have to work with. The use of mortar is unknown; all their walls are of dry masonry. Yet with all these disadvantages, with nothing but their eye as a guide to levels, they have carried this great irrigation channel for six miles, and turned an arid desert into a garden. […] It is a splendid work, and I admired it more every time I walked along it.“ (Ebd.: 219-20)

Abbildung 3: Jutial Nala und kūl

Foto: Autorin 2012

Während sich die physischen Infrastrukturen entsprechend der Baumaterialien und Bauweisen ähneln, variieren die Bewässerungsregelungen und Wasserrechte allerdings in der gesamten Bergregion, wie auch in den unterschiedlichen Tälern GilgitBaltistans (Kreutzmann 2000c: 21). Kreutzmann (2000b) hält z.B. Bewässerungsregelungen in Hunza fest. Dort sind die Verteilungsregeln ganzjährig bindend und das Wasser wird entsprechend Siedlungsgeschichte und Kanalbau auf verschiedene Verwandtschaftsgruppen und Ortschaften minutiös aufgeteilt:

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„The basic water supply is precisely distributed during all seasons according to a legal set which is binding to all participants. This codex is common knowledge and not written down or fixed like in other mountain regions. The contemporary set of rules and regulations is the result of historically acquired water rights of user groups and modifications directed by the hereditary rulers. The participation of clans and village communities in the construction of new irrigation channels secured their rights to water and lands. Individual channels belong to certain groups of this denomination exclusively. A second criterion for water distribution is the traditional right of access to irrigation water belonging to certain clans or kinship groups.“ (Ebd.: 103-4)8

In Gilgit gelten Beschränkungen zur Verteilung von Wasser insbesondere im Frühjahr, wenn das Schmelzwasser gering, der Bedarf für Landwirtschaft aber schon vorhanden ist. Die Wasserverteilung wird hier aber nur temporär reguliert bzw. beschränkt. Gemessen wird die Wasserzuteilung in Zeitabschnitten, welche bestimmten Besitzgruppen und hierin jeweils bestimmten Nutzergruppen (auf Familienbasis) zustehen. Diese Verteilung wird auch in Gilgit entweder als wārābandī bezeichnet – ein Begriff, der in ganz Britisch Indien verbreitet wurde – oder auf der lokalen Sprache Shina als gonē. Grundsätzlich beruht wārābandī auf vier Voraussetzungen: niedrige Regenfälle, stetig verfügbares Wasser, Kanäle zu den Feldern sowie identifizierter Landbesitz, der es erlaubt, Zeiten und Runden zuzuweisen (Chambers 2013: 158; siehe auch das Unterkap. „Jutial – Besiedelung, Rechte…“).9 Die Bewässerungsinfrastrukturen begründen die Basis für spezifische „hydraulische Einheiten“. Deren physische Infrastrukturen bilden jeweils spezifische historisch gewachsene, soziale und rechtliche Sphären (vgl. Mosse 2005b: 4). In dem

8

Es bleibt unklar, worauf sich Kreutzmann mit dem Begriff „denomination“ bezieht; möglicherweise meint er damit bestimmte Klans oder Dörfer oder die Familie des Herrschers selbst.

9

Auch wenn weiterhin derselbe Begriff verwendet wird, unterscheidet sich die tatsächliche Ausgestaltung von den wārābandī-Systemen wie Narain (2008) und Merrey (1986) sie für Indien oder den pakistanischen Punjab beschreiben teilweise. Laut Merrey (1986) charakterisieren aber ähnliche Problematiken die meisten untersuchten Bewässerungssysteme in Pakistan, darunter die penible Unterteilung von Land und Bewässerungszeiten, die Abwesenheit einer lokalen Autorität, die bei kollektiven Aufgaben für Zusammenarbeit sorgt, sowie die Einbettung des Bewässerungsmanagements in eine hoch fragmentierte und hoch kompetitive Sozialstruktur. Merrey schließt hieraus, dass Versuche, Bewässerungssysteme zu reformieren, problematisch verbleiben werden, solange keine fundamentalen Änderungen im Design und in der Organisierung unternommen werden (ebd.: 61).

Feld, Akteure und Methoden | 57

Gebiet, das heute als der Ort Gilgit zusammengefasst wird, haben sich solche hydraulischen Einheiten zunächst an den Ausgängen der Gebirgsbäche Kargah und Jutial Nala gebildet (siehe auch Abb. 3). Darüber hinaus haben sich aber gerade im 20. Jahrhundert immer mehr Siedler auch auf Flächen niedergelassen, die nicht über das Wasser des Kargah oder des Jutial Nala, sondern über Flusswasser versorgt werden. Die hydraulischen Einheiten – die sowohl die natürlichen Ressourcen, die materielle Umwelt als auch die Regelungen und Praktiken bezüglich Wasserrechten und Wasserzugang umfassen –, machen es möglich, dass trockenes Land zu fruchtbarer, bewohnbarer Lebenswelt wird. Land außerhalb dieser Einheiten ist nur eingeschränkt nutzbar. Abbildung 4: Gilgit mit ausgewählten Stadtteilen und „hydraulischen Einheiten“ der nālas

Quelle: Google Imagery 2017 und eigene Ergänzungen

Gilgit als regionaler Schnittpunkt Obwohl von der Perspektive des Flachlands aus oft als abgeschiedene und bevölkerungsfreie Landschaft imaginiert, ist das Hochgebirge um Gilgit eine Region, die seit Jahrtausenden besiedelt und durchquert wurde; mehrere Routen der alten Seidenstraße führten durch das heutige Gilgit-Baltistan. Die Stadt Gilgit ist dabei ein Knotenpunkt zweier Achsen: zum einen der Nord-Süd-Achse entlang der Flüsse Hunza und Indus, die Westchina mit dem Norden des südasiatischen Subkontinent

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verbindet; zum anderen der Südost-Nordwest-Achse, die die Himalaya-Region im Osten mit Afghanistan und Tajikistan im Westen verbindet (siehe auch Abb. 1). Über diese Lage wurde Gilgit zum geographischenzum sozialen, wirtschaftlichen und politischen Knotenpunkt der Region. Während die Region immer durchquert wurde, nahm die Mobilität von Waren, Menschen und Ideen insbesondere seit der Fertigstellung des KKH in den 1970er Jahren stark zu. Die Gebirgsregion, die lange v.a. auf Subsistenzwirtschaft beruhte, wurde verstärkt in die staatliche Wirtschaft Pakistans einbezogen und außerdem mit dem Markt Chinas westlicher Provinz Xinjiang verbunden. Gilgit blieb dabei Zentrum von Verwaltung, Militär, Gesundheit, Bildung und Wirtschaft in der Region (siehe auch Cook 2007: 3; Kreutzmann 1991; Sökefeld 1999c). Mit dem Bau des KKH in den 1960er Jahren und dem zunehmenden Ausbau von Nebenstraßen erhöhte sich außerdem die Mobilität in der Region und damit auch die intraregionale Bildungs- und Arbeitsmigration nach Gilgit (siehe auch JICA/GoGB 2010: 3/6; Haines 2012; Kreutzmann 1991, 2004; Sökefeld 1997c).10 V.a. Gesundheits- und Bildungsangebote in Gilgit machen die Stadt zunehmend attraktiv für Familien aus den umliegenden Tälern; die Bevölkerung Gilgits ist so in den letzten Jahrzenten stark angestiegen (siehe auch Tab. 2). Nachdem die durchschnittliche Bevölkerung in den Zensuserhebungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei um die 4000 lag, stieg sie in den 1960er Jahren sprunghaft auf ca. 17.500 Anfang der 1970er Jahre an. Beim letzten Zensus im

10

Neben Migration von ländlichen in städtische Gebiete innerhalb Gilgit-Baltistans nahm allerdings auch Migration in die urbanen Gebiete Pakistans sowie saisonale und dauerhafte transnationale Migration zu. Arbeitsmigranten sind dabei sowohl Qualifizierte als auch einfache Arbeiter im informellen Sektor (JICA/GoGB 2010: 3/6). Urbanisierung ist allerdings nicht ein Prozess, der allein Gilgit betrifft. Diesbezüglich ist die Analyse der Japan International Cooperation Agency (JICA) zu einer Projektentwicklung mit dem Ziel einer nachhaltigen, integrierten Entwicklung von Gemeinschaften in GilgitBaltistan interessant. In der Studie wird darauf aufmerksam gemacht, dass Urbanisierungsprozesse zunehmen, diese aber bislang in Erhebungen der Regierung nicht erfasst werden wie z.B. in lokalen Zentren wie Gupis und Gahkuch im Distrikt Ghizer oder Aliabad im Distrikt Hunza-Nagar. Aufgrund diverser verwaltungstechnischer Konsequenzen werden deren Bevölkerungen aber weiterhin nicht als städtische Bevölkerung („urban population“) und die Flächen weiterhin nicht als städtische Flächen („municipal area“) in die offiziellen Statistiken aufgenommen. Definitorisch ist die Unterscheidung außerdem schwierig, da z.B. auch in städtischen Gebieten viele Haushalte Landwirtschaft betreiben. Wie die JICA argumentiert, sollten gerade zukünftige Pläne auch die wachsende Urbanisierung anderer lokaler Zentren in Betracht ziehen (JICA/GoGB 2010: 3/6).

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Jahr 1998 wurde die Bevölkerung Gilgits mit 57.750 angegeben (GoP 2000, 2001). Wird die Wachstumsrate von durchschnittlich 2,74 Prozent seit dem vorherigen Zensus von 1981 projiziert, wäre die Bevölkerung bis 2015 auf ca. 90.250 angestiegen. Diverse Schätzungen gehen aufgrund hoher Zuzugsraten von bis zu 150.000 aus (z.B. AKRSP/UN-Habitat Organization/GBPI 2011; GB EPA o.D. [2013]: viii).11 Die Haushaltsgrößen werden im Zensus von 1998 auf durchschnittlich acht Personen geschätzt.12

1921

1931

1941

1951

1961

1972

1981

1991

19981

20132

20152

4.393

4.474

4.671

4.761

3.405

17.629

30.410

40.000

57.750

85.500

90.250

3.562

1911

Tabelle 2: Bevölkerung für die Stadt Gilgit 1911-2015

Quellen: Kreutzmann (1994: 347), 1GoP (2001: 48) und 2eigene Projektion anhand der zuletzt festgestellten Wachstumsrate für die Bevölkerung Gilgits von 2,74%

Als größter Beschäftigungssektor wird zumeist auf den öffentlichen Sektor bzw. das government verwiesen. Stellen im öffentlichen Sektor erscheinen aufgrund der Möglichkeit einer Verbeamtung ausnehmend attraktiv und viele junge Männer versuchen auf befristeten, ordentlichen oder auch außerordentlichen Stellen oder über inoffizielle Methoden Eingang in den öffentlichen Sektor zu finden. Der Primärsektor mit land- und forstwirtschaftlicher Produktion ist in Gilgit nur noch in kleinteiliger Landwirtschaft und Viehhaltung vorhanden; bis auf kleinstes Handwerk gibt es in Gilgit, wie in der ganzen Region, keine Industrie. Abgesehen von Bildungsangeboten werden Informations-, Beratungs- und Gesundheitsleistungen nur in sehr geringem Maß in Anspruch genommen und bieten somit auch nur ein begrenztes Arbeitsfeld. Verbreitet ist dagegen Einzelhandel. Die Beschäftigung von Frauen auch

11

Die Bevölkerung der Region Gilgit-Baltistan wurde im Zensus von 1998 mit 884.000 angegeben (GoP 2000); wird entsprechend des Wachstums seit dem vorherigen Zensus ein Bevölkerungswachstum von 2,56% angenommen, kann man von einer Bevölkerung von ca. 1,3 Millionen in den 2010er Jahren ausgehen.

12

Diesbezüglich findet sich hier kaum ein Unterschied zwischen ländlichen und städtischen Gebieten; die Veröffentlichung von Japan International Cooperation Agency und Government of Gilgit-Baltistan (2010: 3/6) führt dies v.a. auf die mangelhafte Definition von ländlichen und städtischen Gebieten zurück (ebd.: 3/6).

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außerhalb der Haushalte ist niedrig, steigt aber in den letzten Jahren v.a. im Bildungssektor stetig. Gilgit ist außerdem Sitz für die regionalen Geschäftsstellen der diversen Organisationen, die als Teile des AKDN ab den 1980er Jahren unter Prinz Karim Aga Khan IV. entstanden sind. Die Organisationen arbeiten weltweit und v.a. in Regionen mit einer großen Zahl an Ismailitinnen und Ismailiten. Während die Finanzierung von Organisationen und Projekten größtenteils über den Aga Khan Fund (AKF) abgewickelt wird, kommt der größte Teil der verwendeten Gelder aus der internationalen Entwicklungshilfe.13 Zu den in Gilgit-Baltistan und im angrenzenden Chitral arbeitenden Organisationen gehören u.a. das Aga Khan Rural Support Programme (AKRSP), Aga Khan Planning and Building Service (AKPBS), Aga Khan Education Service, Pakistan (AKESP) und Aga Khan Health Service (AKHS). Im Verlauf der vorliegenden Arbeit werden v.a. zwei Organisationen wichtig. Dies ist zum einen AKRSP, über das u.a. landwirtschaftliche Bewässerungsinfrastrukturen eingerichtet werden und zum anderen das Water and Sanitation Extension Programme (WASEP), das unter AKPBS angesiedelt ist und unter Gemeinschaftsbeteiligung Trinkwasserinfrastrukturen errichtet. Obwohl Gilgit umgangssprachlich auch als „Gilgit city“ bezeichnet wird und Nawaz Sharif 2013 nach seiner Wahl zum Prime Minister Pakistans erklärt hatte, Gilgit auch offiziell den Stadttitel zu verleihen, entspricht Gilgit kaum gängigen Kriterien für Städte. Die Bevölkerung umfasst – trotz des steilen Anstiegs der Bevölkerung – „nur“ um die 100.000 Einwohner_innen; viele Bewohner_innen betreiben weiterhin (wenn auch nur kleinteilig) Landwirtschaft und Viehhaltung; es gibt kaum Konsum- oder Freizeit-Ökonomie, wie sie für Städte üblich ist; es gibt eine Handvoll Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten, einen Poloplatz und ein Sportstadium; ein kleiner Zoo und drei Kinos konnten sich nicht halten. Auch das kommunale Engagement ist eher begrenzt. Obwohl es Planungs- und Baudezernate gibt und seit 2013 auch ein städtisches Planungsamt, die Gilgit Development Authority, sind Infrastrukturprojekte oft kleinteilig angelegt und die Umsetzung mangelhaft; nur selten wird die Stadt als Ganzes in den Blick genommen. So gibt es abgesehen von Straßen keine Infrastruktur auf die das Wort „Netzwerk“ passen würde. Zwar gab es wiederholt Versuche z.B. umfassende Wasserversorgungs- und Abwassernetzwerke einzurichten, was aber bislang nicht erfolgreich umgesetzt werden konn-

13

Projekte, die in Gilgit-Baltistan und dem angrenzenden Chitral über die Organisationen des AKDN umgesetzt werden, sind großenteils durch Träger „westlicher“ Staaten wie die KfW (deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau), CIDA (Canadian International Development Agency) oder Norad (Norwegian Agency for Development Cooperation) finanziert.

Feld, Akteure und Methoden | 61

te. Es gibt, obwohl Pläne hierfür diskutiert wurden, kein regionales Stromnetzwerk und keine Anbindung an das nationale Netz. Dennoch entspricht Gilgit einer Stadt im Hinblick auf eine funktionale und demographische Vorrangstellung im regionalen Zusammenspiel, der Sammlung von Kapital und Arbeitskraft. Gleichzeitig beinhaltet dies auch, dass ländlichen Gebieten Entwicklungschancen entzogen werden (vgl. Michel 2009: 76) – ein Kritikpunkt der für Gilgit insbesondere im Hinblick auf Gesundheit und Bildung zutrifft. Mit dem Ausbau von Bildungs-, Gesundheitsund Verwaltungseinrichtungen und dem Entstehen von Märkten und Geschäften hat Gilgit durchaus Elemente, welche Städte kennzeichnen. Gilgit ist Raum von Versammlung, Zirkulation und Interaktion – Elemente über die z.B. Robinson (2006: 20) Städte charakterisiert. Dennoch ist Gilgit nur eingeschränkt ein Ort, in dem Modernität imaginiert und praktiziert wird.14 Zusammenleben in Gilgit Die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Identitätsgruppen, v.a. auf der Basis von Verwandtschaft, Quasiverwandtschaft und Herkunft, ist von großer Bedeutung (siehe auch Sökefeld 1994, 1997a, 1997c, 1998). Über familiäre und herkunftsbezogene Kriterien hinaus wird in Gilgit-Baltistan, v.a. aber in Gilgit, der Unterscheidung islamischer Konfessionen (Urdu: firqa; Englisch: sect) in den letzten Jahrzehnten im Alltag eine zunehmend große Bedeutung zugeschrieben.15 Wie Löhr (1998)

14

Robinson (2006) definiert Modernität als Ideenreichtum, Veränderung und Transformation und letztlich über die Aneignung von neuen Ideen und Konzepten als zeitnahe Anpassung an die Gegenwart (ebd.: 21, 66). Robinson nennt dies „ambitions to be contemporary“ – das Streben danach, „derzeitig“ zu sein (ebd.: 67). Modernisierung ist damit kein objektiver Prozess materieller Veränderung, sondern ein diskursiver Prozess von Re-Definition und Imagination. Orte, aber ebenso Menschen, Objekte oder Ideen, werden erst „modern“ indem sie von „Tradition“, Vergangenem oder Rückständigkeit unterschieden werden (ebd.: 20-1). Wie im Unterkap. „Self-help-Wasserversorgung…“ angemerkt, kann die Imagination von Modernität z.B. im Zuge von Engagement von Organisationen wie WASEP durchaus auch eher in den ländlichen Gebieten als in Gilgit verortet werden.

15

Im Deutschen bietet sich für eine Übersetzung nur der Begriff Konfessionen an. Darüber hinaus greife ich u.a. auf den englischen Begriff der sects zurück, der auch in Pakistan häufig verwendet wird. Darüber hinaus ist in Pakistan insbesondere dessen Erweiterung als sectarianism prominent, ein Begriff, mit dem eine massive Bedeutungszunahme von Konfessionszugehörigkeit in Angelegenheiten des alltäglichen Lebens

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schreibt, ist insbesondere seit dem Ende der Regierungszeit Zia ul-Haqs in den 1980er Jahren „die Konfessionszugehörigkeit sicherlich das prägnanteste Bestimmungsmerkmal sozialer Kategorienbildung in der pakistanischen Öffentlichkeit“ (ebd.: 25). Zu unterschiedlichen Zeiten mit unterschiedlichen Ausrichtungen des Islam konfrontiert, überwiegen in den verschiedenen Tälern Gilgit-Baltistans unterschiedliche Ausrichtungen des Islam (siehe auch Jettmar 1991: 62-4). Die Bewohner_innen Baltistans im Osten sind zum größten Teil (Zwölfer-)Schiiten und -Schiitinnen, die sich an iranischen Lehren orientieren; darüber hinaus gibt es auch hier Sunniten und Sunnitinnen sowie Noorbakshi.16 Im Distrikt Diamer im Südwesten folgen beinahe alle Bewohner_innen eher orthodoxen sunnitischen Glaubenspraktiken.17 Zwischen Baltistan und Diamer befindet sich Astor, ein Tal, dessen Bewohner_innen sunnitisch und schiitisch sind. Nördlich von Gilgit liegen entlang des HunzaFlusses Hunza und Nagar; die Bewohner_innen Nagars, das hauptsächlich die südöstliche Talseite umfasst, sind (Zwölfer-)Schiitinnen und Schiiten. Die Bewohner_ innen des nordwestlichen Ufers in Hunza und Gojal sind – mit Ausnahme des schiitischen Ortes Ganesh – Nizari-Ismailiten und -Ismailitinnen.18 Im Nordwesten der

bezeichnet wird; in Grieser und Sökefeld (2015) gehen wir diesem Phänomen unter dem Begriff der sectarianization nach. 16

Ein Sufi-Orden, der im 14. Jahrhundert von Sayyad Ali Hamadani im Iran gegründet worden war.

17

Insbesondere zwei Bewegungen sind hier zu nennen, die ihren Ausgang beide im nordindischen Deoband nahmen. Zum einen die sog. Deoband-Bewegung, die im dar ululūm, einer 1866 gegründeten islamischen Hochschule, entstand. Zum anderen die Missionierungsbewegung der tablīğī jamāt, die in den 1920er Jahren von Muhammad Ilyas in Anlehndung an die Deoband-Bewegung gegründet worden war und die mittlerweile global agiert. Beide Bewegungen verfolgen orthodoxe Auslegungen des sunnitischhanafitischen Islam. Viele Sunniten in Gilgit-Baltistan nehmen an Seminaren der tablīğī jamāt teil und gehen im Anschluss selbst auf Missionsreisen.

18

Ismailiten und Ismailitinnen werden im deutschen Sprachgebrauch auch als SiebenerSchiiten und -Schiitinnen bezeichnet. Die Gemeinschaft löste sich im 8. Jahrhundert von den sogenannten Zwölfer-Schiiten und -Schiitinnen. Da sich allerdings Ismailiten und Ismailitinnen in Gilgit-Baltistan keinesfalls als Schiiten oder Schiitinnen bezeichnen und es große Unterschiede in religiösen Praktiken, in der Erziehung und Gestaltung des Alltags etc. gibt, verbleibe ich im Folgenden bei dem Begriff der Ismailitinnen und Ismailiten. Auch innerhalb der Ismailia gibt es unterschiedliche Gruppierungen. Die Ismailiten und Ismailitinnen in Gilgit-Baltistan gehören zu den Nizari Ismailiten und Ismailitinnen, deren spirituelles und weltliches Oberhaupt und imām der Aga Khan ist.

Feld, Akteure und Methoden | 63

Region, dem Gebiet entlang des Ghizer-Flusses, ist die Mehrheit der Bewohner_ innen ismailitisch, wobei es auch sunnitische Bevölkerungsteile und Orte gibt. Zwar gibt es keine Zensusdaten hierzu und Schätzungen von Gesprächspartnern gingen merklich auseinander; dennoch kann festgehalten werden, dass es jeweils große Anteile sunnitischer, schiitischer und ismailitischer Bewohner_innen gibt. Schätzungen für Gilgit-Baltistan gehen von ca. 40 Prozent Schiitinnen und Schiiten, 30 Prozent Sunnitinnen und Sunniten, 20 Prozent Ismailitinnen und Ismailiten und 10 Prozent Noorbakshi aus (z.B. Feyyaz 2011; Karrar/Iqbal 2011: 18). Keine Schätzung gibt jedoch Quellen oder Grundlagen an.19 Gilgit im Zentrum der Region ist ein Ort, an dem die unterschiedlichen Konfessionen aufeinandertreffen, mit jeweils großen Anteilen schiitischer und sunnitischer Bewohner_innen, einem geringeren Anteil Ismailitinnen und Ismailiten und sehr kleinen Minderheiten von Christinnen und Christen sowie Noorbakshi.20 Dennoch sind auch hier insbesondere die alten Stadtteile und Dörfer ausdifferenziert und entweder von Schiiten und Schiitinnen (Barmas, Ampheri, Nagrel, Khomer) bewohnt oder Sunniten und Sunnitinnen (Kashrot, Domial). Nur in wenigen Nachbarschaften wie dem Majini Mohalla und Haidry Mohalla wohnen schiitische und sunnitische Nachbarinnen und Nachbarn zusammen. Im Osten der Stadt, d.h. im vergleichsweise neuen Stadtteil Sonikot sowie im alten Dorf Jutial und den neuen Siedlungen Jutials sind die Bewohner_innen eher „gemischt“. Gerade in den alten und neuen Nachbarschaften Jutials leben Nachbarn und Nachbarinnen aller Konfessionen Seite an Seite, wobei auch hier Ausdifferenzierungsprozesse vonstattengehen und sich die Nachbarschaften „entmischen“ (siehe auch Grieser/Sökefeld 2015; Sökefeld 2015c; Unterkap. „Konfessionslandschaften“). Im neuen Stadtteil Zulfiqarabad („lower Jutial“), ist die Mehrzahl der Bewohner_innen ismailitisch, wobei es auch hier Nachbarschaften gibt, in denen auch oder v.a. Sunnitinnen und Sunniten wohnen. Vergleichbar ist auch das nördliche Flussufer mit den Stadtteilen Konodas und Sakarkui gemischt bewohnt, wenngleich auch hier Nachbarschaften ausdifferenziert sind.

19

Auch im Zensus von 1998 wurde nur die Zugehörigkeit zum Islam erfasst bzw. veröffentlicht, nicht aber die Zugehörigkeit zu Konfessionen. Von der Regierung ist es ggf. nicht unbeabsichtigt, keine genauen Angaben hierzu zu erheben bzw. zu veröffentlichen, u.a. um keine offizielle Basis für Konflikte (z.B. Verteilungskonflikte) zwischen Angehörigen der unterschiedlichen Konfessionen zu bieten.

20

Karrar und Iqbal (2011) schätzen die Konfessionszugehörigkeiten für Gilgit auf 54% Schiitinnen und Schiiten, 19% Sunnitinnen und Sunniten sowie 27% Ismailitinnen und Ismailiten (ebd.: 18).

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Obwohl Gesprächspartner_innen nicht müde wurden, das gute Zusammenleben und gegenseitige Verständnis zwischen den unterschiedlichen Konfessionen zu betonen, gibt es regelmäßig sogenannte sectarian conflicts, gewalttätige Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten. Schon Berichte britischer Reisender und politischer Abgesandter im 19. Jahrhundert erwähnen gewalttätige Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten (siehe z.B. Biddulph 1971: 15; Grieser/Sökefeld 2015: 85-7). Dennoch wird in Gesprächen und Erzählungen v.a. das friedliche Zusammenleben bis in die 1970er Jahre hervorgehoben. In diesen Jahrzehnten sei v.a. die Unterscheidung von qōm, „Ethnien“ oder Quasiverwandtschaftsgruppen (u.a. Shin, Yeshkun, Kashmiri etc.) von Bedeutung gewesen (siehe auch die Ergebnisse der Forschung von Sökefeld 1994, 1997a, 1998). Mit Verweis auf Durand setzt Dani (1991a) die unterschiedlichen Gruppen der qōm mit unterschiedlichen Besiedelungswellen gleich (ebd.: 35-6). Dagegen trat etwa seit den 1970er Jahren Konfessionszugehörigkeit in den Vordergrund und wurde zunehmend wichtig bei der Entscheidung über Heirats- und Geschäftspartner, Wohnort, Konsumverhalten, Mobilität, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen etc.21 Wie Sökefeld (2015c) bemerkt, werden die Handlungen der Bewohner_innen von der sectarianization nicht notwendigerweise bestimmt. Aber Handlungsoptionen – welche Stadtteile betreten, welche Schulen und Institutionen besucht oder welche Heiratspartner angesprochen werden – sind hierdurch drastisch eingeschränkt (ebd.: 21). Stadtteile Wie auch auf Abbildung 4 deutlich wird, ist die Stadt Gilgit verhältnismäßig klein und erstreckt sich auf nur zwei bis vier Kilometern Breite und etwa zehn Kilometern Länge entlang des Gilgit Flusses. Sie ist außerdem in verschiedene Stadtteile zergliedert, die sowohl über die Konfession(en) ihrer Bewohner_innen als auch über Attribute, „alte“ oder neue Stadtteile zu sein, unterschieden werden. Die „alten“ Stadtteile sind aus Dörfern und den zugehörigen Feldern erwachsen, für die Wasser der Gebirgsbäche zur Bewässerung von Siedlung und Feldern umgeleitet wurde. In dem Gebiet, das heute als Gilgit bezeichnet wird, gab es drei solcher Bäche: Kargah, Barmas Nala und Jutial Nala, wobei das Barmas Nala heute trockenliegt und der Stadtteil Barmas aus einer Quelle sowie dem Kargah mit Wasser versorgt wird. Von diesen drei nālas führt insbesondere das Kargah so viel Wasser, dass sich im Lauf der Zeit mehrere Siedlungen am Ausgang des Baches bildeten. Diese machen heute die Stadtteile Baseen, Ampheri, Majini Mohalla, Kashrot und

21

Siehe auch Aase (1999), Ali (2008, 2009, 2010b), Grieser und Sökefeld (2015), Hunzai (2013), Varley (2010, 2014, 2015), Sökefeld (1997a, 2015b).

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Nagrel aus. Sie sind größtenteils auf der Talsohle gelegen und werden auch als „Gilgit proper“ bezeichnet. Dabei ist festzuhalten, dass auch Stadtteile unterschiedlicher Konfessionen auf dieselbe Wasserressource zugreifen. Das bedeutet, dass Wasser Grundlage für Kooperation aber auch für Konflikte zwischen den Konfessionsgruppen werden kann. Im Zentrum der Stadt, nahe dem Fluss, befand sich ein befestigtes Fort, von dem heute nur noch ein Turm erhalten ist, der mittlerweile in das Gelände einer Schule integriert wurde. Hier wurden im 19. und 20. Jahrhundert die zwei großen Moscheen (masjid) sowie das zentrale jamāt ḵhāna22 gebaut (siehe auch Grieser/ Sökefeld 2015: 127). Ringsum befinden sich heute Wohnhäuser und Märkte. Mit dem Ausbau von Verwaltung, nichtlandwirtschaftlichem Wirtschaftssektor und Märkten wurden gerade in den zentralen Stadtteilen Majini Mohalla und Kashrot immer mehr landwirtschaftliche Flächen als Wohn- und Gewerbeflächen genutzt und immer dichter bebaut.23 Am Fuß des südlichen Hangs liegen das größte Krankenhaus der Region, das District Headquarter Hospital (DHQ),24 und die alten Gebäude der Verwaltung. Den terrassierten Hang hinauf befinden sich die Stadtteile Barmas und Naikui. Im Osten schließen sich die Stadtteile Jutial und Khomer an, die am Auslauf des Jutial Nala aus zwei Dörfern entstanden sind. Diese haben sich mittlerweile so weit ausgedehnt, dass auch das ursprüngliche Ödland zwischen den Siedlungen inzwischen bebaut ist und sie sich optisch nahtlos an die alten Stadtteile anschließen. Heute werden auch Khomer und Jutial verwaltungstechnisch als Teil Gilgits verstanden; neue Verwaltungsgebäude (Secretariat) und ein neuer Gerichtskomplex werden seit den 2010er Jahren in Jutial errichtet. Auf der gegenüberliegenden Flussseite im Norden entstanden die neuen Stadtteile Sakarkui und Konodas sowie Kashirodas, ein kleiner Streifen Land direkt am Fluss. Alle Stadtteile sind weiterhin in Nachbarschaften unterteilt, die als mohalla, heṭ oder kōṭ bezeichnet werden und heute oft durch Straßen voneinander getrennt sind. Heṭe sind Haus-Cluster, deren Bewohner_innen oft einer Familie angehören. Kōṭe sind Haus-Cluster, die über eine gemeinsame Außenmauer geschützt und dadurch

22

Gebets- und Versammlungsort der Ismailitinnen und Ismailiten.

23

Im höher gelegenen Baseen dagegen wird noch immer vergleichsweise viel Landwirt-

24

Gilgit hat mittlerweile eine ganze Reihe an Krankenhäusern, was u.a. – wie in diversen

schaft betrieben. anderen Sektoren – der zunehmenden sectarianization geschuldet ist, darunter das DHQ, das City Hospital, das Aga Khan Medical Centre sowie das Family Health Hospital und seit 2016 das Shaheed Saif-Ur-Rahman Memorial Hospital, die beide auf Frauen- und Kinderheilkunde spezialisiert sind. Darüber hinaus gibt es ein Militärkrankenhaus, das Combined Military Hospital (CMH).

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leichter zu verteidigen waren. Wie Gratz (2006) festhält, sind mohalle eher größer und z.B. auch in den Karten des settlement offices vermerkt, heṭe oder kōṭe aber nicht immer. Viele neue Nachbarschaften und Stadtteile werden mit dem Zusatz colony oder ābād bezeichnet. Spezifische Namen für dieselbe Einheit können auch variieren – was sowohl für heṭe als auch für neue Nachbarschaftssiedlungen gilt;25 einige heṭe z.B. verweisen im Namen auf den Gründer, wobei auch unter den Bewohnern oft Uneinigkeit besteht, wer die Ansiedlung tatsächlich gegründet habe. Während die Bewohner_innen von heṭ und kōṭ sich oft auf einen gemeinsamen Vorfahren berufen, bestehen in neuen Nachbarschaften nur selten Verbindungen über Verwandtschaft (ebd.: 209-11). Mit der zunehmenden Urbanisierung Gilgits verändert sich das Leben in Gilgit v.a. für Frauen massiv. Mit dem Zuzug von Fremden müssen zunehmend neue Strategien entwickelt werden, Frauen von den unerwünschten Blicken fremder Männer zu schützen. Häuser werden zunehmend von hohen Mauern umgeben und Fenster wenn möglich nur auf das eigene Grundstück gerichtet. Viele Frauen verlassen nur verschleiert die eigene Nachbarschaft (siehe auch ebd.: 494). Die Mobilität von Frauen ist vergleichsweise gering, nimmt aber immer mehr zu. Aber auch die Mobilität von Männern kann, z.B. aufgrund von Bedrohungen durch die Konflikte, temporär eingeschränkt sein (siehe auch Grieser/Sökefeld 2015).26 Exkurs: Neuere und neueste Geschichte der Region Insbesondere die Verbindung des heutigen Gilgit-Baltistans mit Jammu und Kashmir ist, wie in der Einleitung angerissen, ein grundlegendes Problem, das seinen Ausgang im 19. Jahrhundert nahm und das bis heute Loyalitäten, Identitäten und Rechtslage verunsichert. Obgleich die regionale Verwaltung und Legislative über Reformen sukzessive an die lokale Bevölkerung übertragen werden, verweist Nosheen Ali (2009) auf die Dominanz Pakistans bei gleichzeitiger Verweigerung konstitutioneller Rechte. Hierdurch werde den Bewohnern und Bewohnerinnen effektiv die Bürgerschaft vorenthalten und ihnen ein Status als „exceptional subjects without citizenship“ zugewiesen (ebd.: 73). Indem der Status quo der Teilung des Gebiets

25

Eine Nachbarschaft in Zulfiqarabad z.B., in der ich mit Gesprächspartnern gesprochen hatte, hat sich in drei Jahren während meiner Forschung zweimal umbenannt.

26

In Gilgit wird Bewegung und Verhalten im öffentlichen wie privaten Raum beinahe umfassend überwacht und kontrolliert. Dies beginnt beim Nachfragen von Nachbarn und Nachbarinnen auf der Straße, wohin man unterwegs sei, und geht bis hin zu Männern, die von den agencies angeheuert werden, die sich an Straßenkreuzungen aufhalten und ein Auge auf das Kommen und Gehen haben.

Feld, Akteure und Methoden | 67

mit Indien nicht anerkannt wird, wird versucht, den Anspruch auf die restlichen Gebiete Jammu und Kashmirs nicht verfallen zu lassen.27 Wie Sökefeld (1997a) zusammenfasst, fußen die Auswirkungen des KashmirKonflikts auf die Region im 19. Jahrhundert. Zu dieser Zeit rangen die Herrscher unterschiedlicher Täler der Region weiterhin um die Herrschaft über die lokalen Gebiete.28 In den 1830er Jahren hatte der rāja Nagars Gilgit erobert und dort seinen Sohn eingesetzt. Nachdem dieser wiederum durch den rāja von Yasin, westlich von Gilgit, gestürzt wurde, rief er den Gouverneur von Kashmir, das derzeit eine Provinz der punjabischen Sikh war, zu Hilfe. Die Sikh nahmen das Hilfegesuch als willkommenen Anlass, Herrschaftsgebiet und Handelswege nach Nordwesten auszudehnen. Um das Jahr 1842 eroberten Sikh-Truppen Gilgit. Nach dem Sieg der Briten über die Sikh 1846 verkauften die Briten das Gebiet Kashmirs an den DograFürsten Rajah Gulab Singh von Jammu, der damit mahārāja von Jammu und Kashmir wurde. Er übernahm auch die Kontrolle über die Gilgit Region, Astor und Bunji als „Gilgit Wazarat“ – wenngleich diese Täler außerhalb des mit den Briten vereinbarten Gebiets lag, das nur Land östlich des Indus umfasste. Zwar schaffte es der Herrscher Yasins über eine Allianz mit dem Herrscher von Hunza und einer Streitmacht aus Darel (im heutigen Diamer) kurz nach 1846 die Dogra wieder zu vertreiben. Nach seinem Tod 1860 konnten sich diese jedoch wieder in Gilgit behaupten und weitere Herrschaftsgebiete in der Region, darunter Yasin, Koh-Ghizer und Ishkoman, zu Tributen verpflichten (ebd.: 257-8). Mit dem Interesse, Britisch Indien gegen das benachbarte Russland zu sichern, übernahmen ab 1877 zeitweise und ab 1889 dauerhaft Vertreter Britisch Indiens die Verwaltung der Region als „Gilgit Agency“. In Folge wurden auch die Herrscher der benachbarten Gebiete Hunza, Nagar, Koh Ghizer, Ishkoman, Puniyal und Yasin sowie Chilas zum Anschluss gezwungen. Auch die bislang freien Täler im heutigen Diamer (Darel, Tangier, Kandia, Sazin, Shatial und Harban) wurden hierunter gefasst. Die Verwaltung wurde desweiteren 1935 über einen Pachtvertrag mit Jammu und Kashmir legitimiert. Dieser Vertrag wurde mit dem Rückzug der Briten aus Indien im Sommer 1947 vorzeitig beendet und die Region wurde – trotz einigem Hin und Her zwischen Vertretern Britisch Indiens und Jammu und Kashmirs – dem Gebiet des Dogra mahārāja von Jammu und Kashmir zugesprochen (Ali 2009: 67; Sökefeld 1997b: 63, 1997a: 258-64; siehe auch Dani 1991a, c; Jettmar 1991). Im Hinblick auf einen möglichen Anschluss des Dogra mahārāja – selbst Hindu – an ein mehrheitlich hinduistisches Indien kam es in der mehrheitlich muslimischen Region der

27

Um den Status zu klären trugen die Vereinten Nationen 1949 an, in den betroffenen Gebieten eine Volksabstimmung abzuhalten.

28

Siehe auch Dani (1991b, c, d).

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Gilgit Agency zu einem als jang-e āzādī bekannten Aufstand gegen die Herrschaft des mahārāja und der Ausrufung einer Republik. Beteiligt waren hier insbesondere Offiziere der unter den Briten gegründeten Paramilitärs Gilgit Scouts und der muslimischen Truppen des mahārāja. Nachdem im Oktober 1947 bekannt wurde, dass sich der mahārāja Indien anschließen würde, nahmen diese am 31. Oktober seinen Vertreter, den Gouverneur Ghansara Singh, in Gilgit in Arrest. Kurz darauf übernahmen sie auch den zentralen Militärstützpunkt in Bunji, der von den Hindu- und Sikh-Truppen schon verlassen worden war. Am 1. November bildeten die Offiziere eine provisorische Regierung für die „Islamic Republic of Gilgit“ und verfassten sogleich ein Anschlussgesuch an Pakistan. Dieses Anschlussgesuch musste diverse Male nach Karachi geschickt werden, bevor schließlich am 16. November 1947 ein politischer Vertreter geschickt wurde (Sökefeld 1997a: 265-74, 1997b: 64-6). Offiziell wurde dieses Anschlussgesuch bislang nicht angenommen. Seitdem wurde die Region zunächst als „Northern Areas of Pakistan“ und seit 2009 als „Gilgit-Baltistan“ von Pakistan verwaltet.29 Die Region ist aber laut pakistanischer Verfassung nicht Teil des pakistanischen Staats (Sökefeld 1997b: 73).30 Über diverse Reformen insbesondere seit den 1970er Jahren wurden Verwaltung und Regierung zunehmend auch an lokale Akteure und Akteurinnen übertragen. 1970 wurden die ersten regionalen Wahlen zu einem „Northern Areas Advisory Council“ durchgeführt, einer Körperschaft, die v.a. über Entwicklungsprojekte entscheiden konnte. Mit Reformen unter Zulfiqar Ali Bhutto wurde 1974 die Möglichkeit eröffnet, dass auch politische Parteien aktiv sein dürfen, wobei v.a. politische Parteien dominant sind, die den einflussreichen Parteien in Pakistan entsprechen – in jüngerer Zeit v.a. Pakistan Peopleʼs Party (PPP), Pakistan Muslim LeagueQuaid-e-Azam (PML-Q), Pakistan Muslim League-Nawaz Sharif (PML-N) und Jamat-ul-Islam (JUI). 1999 wurde das Council in ein „Northern Areas Legislative Council“ mit gesetzgebender Gewalt über 49 Bereiche überführt. Die unter Benazir Bhutto 1994 eingeführte „Legal Framework Order 1994“ wurde 2007 zur „Northern Areas Governance Order“ umbenannt und erweitert und das Council zur „Northern Areas Legislative Assembly“. Mit den Reformen 2009 und der „Gilgit-Baltistan (Empowerment and Self-governance) Order 2009“ wurde die Verwaltungs- und Regierungsstruktur der Region an die der pakistanischen Provinzen angeglichen, obgleich nicht gleichgestellt (siehe auch Hussain 2009; Sökefeld 2013). Die rechtlich nicht abschließend geklärte Situation und die Verweigerung der Aufnahme der Region in den pakistanischen Staat führen zu zwei Effekten. Zum

29

Hierfür ist das 1950 etablierte „Ministry of Kashmir Affairs and Northern Areas“, 2009 in „Ministry of Kashmir Affairs and Gilgit-Baltistan“ umbenannt, zuständig.

30

Siehe auch Aase (1999), Kreutzmann (2012a), Sökefeld (1997a: 274-7, 2005, 2015a).

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einen in politischer Unzufriedenheit in der Bevölkerung und politischen Parteien, die sich um einen unabhängigen Status bemühen, wie die Balawaristan National Front (siehe Ali 2009: 179-87; Bodla 2014; Sökefeld 1997b: 72-7, 1997a, 1999a). Zum anderen führt es zu alltäglichen Praktiken von Missrepräsentation oder fehlender Repräsentation der Region in Darstellungen bzw. im Selbstverständnis Pakistans, die Ali (2009) kritisiert – Praktiken, die sie als strukturelle Prozesse bezeichnet, welche die Region und ihre Bevölkerung unsichtbar („invisible“) und unlesbar („illegible“) machen (ebd.: 227). Auch hieraus entsteht m.E. eine Figuration zwischen Pakistan und Gilgit-Baltistan auf der Makroebene, in der es um die Loyalität zu Pakistan geht. Deren Auswirkungen ziehen sich auch durch Beziehungen, Ereignisse und Interpretationen auch auf untergeordneten Ebenen bzw. im Alltag in der Region.

FORSCHUNG UNTER VERDACHT UND ÜBERWACHUNG Im Folgenden reflektiere ich den Entstehungskontext der ethnographischen Daten, die maßgeblich durch die Figuration zwischen Pakistan und Gilgit-Baltistan beeinflusst wurde. Entscheidend von Bedeutung sind hierbei die Mitarbeiter pakistanischer Geheimdienste bzw. agencies und eine aus der Figuration erwachsende „culture of suspicion“ bzw. Kultur des Verdachts (vgl. Subramaniam 1999). Die Intervention der agencies in meinem Fall ist dabei außerordentlich aber nicht ungewöhnlich – sowohl im Rahmen von ethnologischer Forschung als auch von Forschung in Pakistan –, auch wenn sich nur wenige Ethnologinnen, Ethnologen und Sozialwissenschaftler_innen offen mit entsprechenden Erfahrungen auseinandersetzen. Zwar gibt es für Pakistan, wie Ali (2009) anmerkt, viele Werke zum Militär und dessen Einfluss auf Politik und Außenpolitik, jedoch kaum zum ethnographischen Erleben und Navigieren militärischer Macht (ebd.: 83). Gleichzeitig möchte auch ich die Lücke in Repräsentationen von ethnographischem Erleben und Navigieren militärischer Macht nur idiosynkratisch angehen und keinesfalls versuchen sie systematisch zu schließen – trotz und aufgrund der Erfahrungen, die ich in der Forschung gemacht habe. Dabei sind es, wie Goldstein (2010a: 128, 2010b: 492) bemerkt, gerade die ethnologischen Methoden, die dafür geeignet sind, Sicherheit und Unsicherheit als erlebte Erfahrung zu untersuchen, d.h. zu untersuchen, wie Sicherheit und Sicherheitsmaßnahmen (von Staaten bzw. Staatsrepräsentanten, ebenso wie von Gemeinschaften und Individuen) konfiguriert und gehandhabt werden. Goldstein (2010b) regt entsprechend an, ein Arbeitsfeld der „kritischen Sicherheitsethnologie“ („critical anthropology of security“) zu schaffen, in dem die Bedeutung von Sicherheitsdiskursen und Sicherheitspraktiken in den globalen und lokalen Kontexten, in denen die Ethnologie arbeitet, anerkannt wird. Er schreibt: „Many issues that have

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historically preoccupied anthropology are today inextricably linked to security themes, and anthropology expresses a characteristic approach to topics that today must be considered within a security rubric“ (Goldstein 2010b: 487). Dabei kann die Verbindung zwischen Anliegen von ethnologischem Interesse einerseits und Sicherheitsfragen andererseits aus einer Makroperspektive erwachsen; ebenso ist es aber auch möglich, dass der Nexus durch die lokalen Akteure und Akteurinnen selbst hergestellt wird, wie in der Forschung für die vorliegende Arbeit. Hier betteten sowohl agency-Mitarbeiter als auch andere Gesprächs- und Interaktionspartner die Forschung in einen Sicherheitskontext auf regionaler, staatlicher bzw. globaler Ebene. So sagte mir z.B. nach beinahe einem Jahr Bekanntschaft der Sohn meiner Gastgeber, dass er selbstverständlich meine „eigentlichen“ Beweggründe hinterfrage, mit denen ich nach Gilgit gekommen sei („I donʼt know what is your real issue, your real motive. I donʼt know why you have come.“) und stellte implizit eine Verbindung zwischen mir und meiner Forschung einerseits und Sicherheitsfragen andererseits her. Zu anderer Zeit erzählte mir sein Bruder von einer Begegnung mit einem Nachbarn. Dabei hatte dieser meine Forschung in den Kontext eines bevorstehenden Weltkriegs eingebettet, der aufgrund der global knappen Wasserressourcen bald beginnen müsse. Wie er gemutmaßt hatte, würde ich – die clevere Deutsche – wohl im Hinblick auf diesen Krieg schon vorzeitig Forschung betreiben. Die staatlichen Sicherheitsbeamten schließlich betteten mich und meine Forschung in einen Kontext vermuteter internationaler Einmischungsversuche in die internen Angelegenheiten Pakistans ein. So liefert die Feldforschung ein Beispiel dafür, wie sich Verdacht und Sicherheitsbestrebungen im Alltag auswirken – ausgeübt sowohl durch staatliche als auch nichtstaatliche Akteurinnen und Akteure (vgl. Goldstein 2010a: 128, 2010b). Dabei wird die Verwobenheit von „top-down“ Praktiken und Diskursen staatlicher und globaler Institutionen und „bottom-up“ Anwendungen von Sicherheitskonzepten und -praktiken im alltäglichen Leben deutlich. Trotz dem, dass sicher viele Feldforscher_innen von Regierungs- oder Sicherheitsinstitutionen beobachtet oder auch beeinflusst werden, sind Analysen oder gar Autoethnographien zu Forschung unter Überwachung von Geheimdiensten bislang selten. Wird die Feldforschung trotz der Überwachung fortgesetzt, werden Umstände und Einflüsse nur selten in die geschriebene Ethnographie einbezogen und, wenn überhaupt einbezogen, dann in Fußnoten, kurze Paragraphen oder Anspielungen verdrängt. Gegebenenfalls ist dies einer „quiet political correctness“ geschuldet, die davon ausgeht, dass Darstellungen zu Einmischungen solcher Institutionen die Sicherheit von Gesprächs- oder Interaktionspartnerinnen und -partnern gefährden könnten. Was mir entsprechend den Kommentaren von Kolleginnen und Kollegen aber sehr viel wahrscheinlicher erscheint, ist Zurückhaltung ob der Befürchtung, dass solche Darstellungen Forschungsgenehmigungen oder Forschungsmöglichkeiten der Forschenden selbst, nachfolgender Ethnologen und Ethnologinnen oder

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(deutscher) Kollegen und Kolleginnen gefährden, oder dass Misstrauen gegenüber ausländischen Forschern und Forscherinnen wachsen und gegebenenfalls Visa verwehrt werden könnten. Einige Kolleginnen und Kollegen aus meinem (deutschen) universitären Kontext warnten mich, dass die öffentliche Darstellung oder selbst das öffentliche Erwähnen von Überwachung und Einmischung von Regierungsoder Sicherheitsinstitutionen für nachfolgende Forschende schädlich sein könne und ich dies daher unterlassen solle.31 Die Feldforschungsdaten diesbezüglich zu dekontextualisieren erschien ihnen offenbar als eher akzeptabel und im Hinblick auf zukünftige (Forschungs-)Sicherheit angebracht. Schließlich könne man nie die Konsequenzen der eigenen Veröffentlichungen absehen und in einem solchen Fall sei die Gefahr möglicher negativer Konsequenzen nahliegend und groß. Und tatsächlich – wer kann die Konsequenzen und Interpretationen der eigenen Publikationen für und durch andere absehen? Wie auch Varley (2008b) erklärt, meine auch ich, dass es natürlich nicht möglich ist, textlich alles offenzulegen. Dennoch sollten Ehrlichkeit, Lesbarkeit und produktive Anwendbarkeit wichtige Leitmotive beim Schreiben sein (ebd.: 152). Zu erklären, wie soziale Muster, Feldforschungserfahrungen und das Entstehen der Ethnographie verbunden sind, erscheint mir hierfür durchaus angebracht, weshalb ich im Folgenden die Forschungsumstände darlege. Und auch wenn Elias wohl nicht unbedingt Forscher_innen selbst als Teil von Konflikten imaginiert hat, kritisiert auch Elias (2004) den Ausschluss von Konflikten und Reibungen aus wissenschaftlichen Darstellungen: „Es gehört zu den erstaunlichsten Eigentümlichkeiten vieler gegenwärtiger soziologischer und nicht zuletzt auch vieler ökonomischer Theorien, daß sie die zentrale Rolle, die spezifische Spannungen und Konflikte im Zuge jeder Gesellschaftsentwicklung spielen, kaum beachten. Man hat oft den Eindruck, daß Gesellschaftswissenschaftler sich halb unbewußt vorstellen, daß sie durch die Einbeziehung von Spannungen und Konflikten in ihre gesellschaftlichen Modelle unwillkürlich solche Spannungen und Konflikte hervorrufen oder den Anschein erwecken, daß sie solche Spannungen und Konflikte befürworteten. Aber man schafft gesellschaftliche Spannungen und Konflikte nicht dadurch aus der Welt, daß man sie in der Theorie unterschlägt.“ (Ebd.: 193, Herv.i.O.)

31

Ihre Einwände bezogen sich also weniger auf mögliche Probleme der lokalen Bevölkerung oder auf Probleme mit der Epistemologie persönlicher Erkenntnis, sondern v.a. auf die Frage von Sicherheit anderer Forschender. Und auch diesbezüglich bezogen sie sich nicht auf eine tatsächliche Drohung, sondern allein auf die Möglichkeit.

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Wie Ethnologinnen und Ethnologen des 20. Jahrhunderts versteht auch Elias Konflikte zum einen nicht als Defizit, sondern als wichtige soziale Funktion in Gruppenprozessen (Elias 1997a, 2004).32 Zum anderen verweist auch Elias darauf, dass Konflikte nicht (nur) persönliche, sondern oft strukturelle Elemente sind, welcher Bedeutung im kulturellen oder sozialen Entwicklungsprozess zukommen kann (ebd.: 194). Entsprechend verstehe ich den Konflikt im Hinblick auf meine Forschung als wichtiges Element, das auch Teil der Repräsentation sein soll. Gleichzeitig gilt es, wie Elias warnt, die Reibungen zwischen mir und Mitarbeitern der agencies und einem Bürokraten nicht als ein persönliches Problem zu verstehen, sondern als Hinweis auf strukturelle Konflikte. In diesem Fall betrifft dies sowohl die umstrittene Position, die Gilgit-Baltistan wirtschaftlich, geographisch und politisch zukommt und die gleichzeitig intensive Kontrollbestrebungen von Sicherheitsbehörden auslöst, als auch persönliche Beweggründe vor dem Hintergrund intraregionaler und interkonfessioneller Konkurrenz und Neid. Ins Feld Nach einem ersten Überblick über relevante Literatur und nach dem Schreiben eines Forschungsproposals im Rahmen von Crossroads Asia begann die Forschung mit einem ersten explorativen Aufenthalt in Pakistan im Herbst 2011. Der Fokus der vorgesehenen Forschung lag auf Wasser in den Hochgebirgsregionen Pakistans. Wie in der Einleitung angeführt, war es angedacht, Multifunktionsstaudämme auf den Grenzen Pakistans zu den von Pakistan verwalteten Regionen Gilgit-Baltistan und Azad Jammu und Kashmir (zumeist als Azad Kashmir bezeichnet) ins Zentrum der Forschung zu stellen. Mit der Stadt Mirpur in Azad Kashmir und der Stadt Gilgit in Gilgit-Baltistan als mögliche Anfangspunkte für die Forschung schien es anempfohlen, in Gilgit zu beginnen. Eine Doktorandin und ein Doktorand, die in den Jahren zuvor unter demselben Professor ihre Forschungen in Azad Kashmir durchgeführt hatten, waren dort regelmäßig von Mitarbeitern der agencies und Polizei kontaktiert worden und seitdem Azad Kashmir offiziell in eine autonome Regierungsform überführt worden war, benötigen Ausländer_innen schon für einfache touristische Besuche Azad Kashmirs ein NOC, das als einstweilige Genehmigung

32

Auch in der Ethnologie konzeptualisierte z.B. Gluckmann politische und rituell inszenierte Konflikte als wichtige soziale Funktionen. Der gewaltsame ebenso wie der rituelle Vollzug von Konflikten führe langfristig zu sozialer Kohäsion (z.B. Gluckman 1955, 1965). In dessen Tradition stehen auch z.B. Turner (1957), Elwert (1999a, 1999b, 2004) und Elwert, Feuchtwang und Neubert (1999) sowie Eckert (2004a, 2004b), Schlee (1994, 2010) oder Zürcher (2004).

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(hier: für einen zeitlich begrenzten Aufenthalt) gelten kann. Um die Wartefrist zur Beantragung eines solchen NOCs zunächst zu vermeiden, empfahl sich Gilgit als erster Forschungsort an. Im Oktober 2011 flog ich nach Islamabad, von wo aus Gilgit eine Flugstunde bzw. 20 Stunden Busreise entfernt war. Bevor ich nach Gilgit aufbrach, traf ich eine Kollegin, die gerade von einem kurzen Aufenthalt in Gilgit-Baltistan zurückgekehrt war. Sie stellte mich Amir, einem jungen Mann, der in Islamabad arbeitete, und seiner Familie aus Hunza vor. Amir half mir, ein Ticket nach Gilgit zu besorgen und wie in Pakistan üblich brachte er mich zum Bus. Dort machte er sogleich einen jungen Mann aus, der ebenfalls aus Hunza kam und nach Gilgit fuhr. Meine Kollegin hatte mir schon erklärt, dass Frauen in Pakistan in der Regel nicht allein reisen würden und wann immer sie selbst unterwegs gewesen war, sichergestellt wurde, dass sie mit männlicher Begleitung unterwegs sei. Noch an der Bushaltestelle kamen Amir und der junge Mann, Izhar, ins Gespräch und vereinbarten, dass ich mich an Izhar wenden solle, falls ich irgendetwas benötigte. Im Bus wurde ich neben die einzige andere allein reisende Frau gesetzt. Sie hieß Nazin, hatte in Islamabad studiert und kehrte nun nach Gilgit zu ihrer Familie zurück um zu heiraten. Nach dem Aufbruch am Nachmittag und einem Halt zum Abendessen stoppte der Bus am späten Abend plötzlich und zwei Polizisten durchsuchten mit Taschenlampe und Gewehren ausgestattet den Bus. Den Lichtkegel auf mein Gesicht gerichtet, forderten sie mich auf, mit ihnen den Bus zu verlassen. Meine Sitznachbarin ermutigte mich, ihnen zu folgen, und Izhar trat ebenfalls mit aus dem Bus. In einer kleinen Hütte aus Sandsäcken und Wellblech forderten mich die Männer auf, meinen Pass vorzuzeigen und meine Personalien in ein Notizheft einzutragen. Izhar drängte mich zurück in Bus und wir fuhren weiter. Derselbe Vorgang wiederholte sich um 22.30 Uhr, Taschenlampe ins Gesicht, hinaus aus dem Bus und eintragen ins Register. Dann um 23 Uhr, um Mitternacht und um 2 Uhr – die Posten mal notdürftige Unterkünfte, mal Holzhütte mit kleiner Veranda. Zwei weitere Stopps kurz vor und kurz nach 5 Uhr morgens, vor und nach der Grenze zu Gilgit-Baltistan. Ein Schild informierte, dass dies der Ort für Pakistans Mega-Projekt, den Diamer-BhashaDamm sei. Bei Sonnenaufgang stoppten wir in Chilas zum Frühstück mit frittiertem Fladenbrot, Eiern und heißem Tee. Auf der anderen Flussseite deutete eine weiße Linie am Hang den zukünftigen Wasserstand an. Diesen Aufriss vor den Augen und die Aufregung der Nacht in den Knochen erwähnte ich Izhar gegenüber, dass ich plante nach Chilas zurückzukehren und zu dem Damm zu forschen. Wieder unterwegs wurde es schließlich hell und ich fotographierte durch das schmutzige Fenster vorbeiziehende Felsen und den Aufriss des Wasserstands. Ein Reisender hinter mir ermahnte mich auf Englisch, es sei verboten, Fotos zu machen; meine Frage nach dem Warum blieb unbeantwortet. Entlang dem Indus zog sich der Karakorum Highway durch die schroffen Felsen. Ab und an hoben sich kleine Dör-

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fer mit noch grünen Feldern von den graubraunen Felsen ab. Manche Dörfer auf der anderen Flussseite waren über Hängebrücken an den Highway angebunden; andere Brücken waren von Fluten hinweggewaschen worden und nur die Posten aus Stein oder Beton ragten noch an den Ufern in die Höhe. Das Wasser war trüb und grau. An seichten Stellen am Fluss waren Zelte mit der Aufschrift UNHCR zu sehen, die Goldwäscher dort im Herbst aufschlagen. Wir zogen an kleinen Hütten vorbei und an Jungen mit Ziegenherden, an ummauerten Korn- und Maisfeldern und Felsen mit bunter Werbung für Cola und Mobiltelefonanbieter. Zwanzig Meter unter dem Highway ragte ein weißes Auto aus in den Fluten. Ich nickte ein. Beim Aufwachen ein kurzer Blick auf ein Schild mit der Aufschrift „killer mountain – look to your right“ und ein kurzer Blick auf den schneebedeckten Nanga Parbat.33 Eine Gruppe chinesischer und pakistanischer Arbeiter nahm die Arbeit an einem Abschnitt des Highways wieder auf, auf dem wir uns nun in Schritttempo fortbewegten. Der Belag war größtenteils entfernt worden und die Erneuerungsarbeiten schritten langsamer voran als das Abtragen. Nach 22 Stunden Fahrt erreichten wir Gilgit und Izhar setzte mich am Hotel ab. In der ersten Woche nach meiner Ankunft war ich froh, dass ich in Izhar jemanden hatte, der mich in den bazār und zu AKRSP begleitete.34 Izhar – zu der Zeit arbeitslos – bot sich enthusiastisch an, mich zu begleiten. Ich war etwas verunsichert demgegenüber, dass Izhar mich allen als die Deutsche vorstellte, die zum Damm

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Der Nanga Parbat ist der weltweit neunthöchste Gipfel, aber mit einer sehr hohen Lawinengefahr einer der am schwierigsten zu besteigenden Berge. Nach diversen fehlgeschlagenen Versuchen zur Erstbesteigung in den 1930er Jahren durch deutsche Bergsteigerexpeditionen wird der Nanga Parbat auch als der „Schicksalsberg der Deutschen“ bezeichnet. In Pakistan ist er als „killer mountain“ bekannt und wird auch lokal so beworben. Nach dem Anschlag auf eine Gruppe Bergsteiger im Juni 2013, bei dem neun Ausländer und ein Pakistaner getötet wurden (siehe z.B. Dawn Online, 24.06.2013), wurde auf dem lokalen Hinweisschild das Eigenschaftswort „killer“ jedoch geschwärzt.

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Nazin, meine Sitznachbarin im Bus, hatte mir ihre Mobiltelefonnummer gegeben, aber eher verhalten reagiert, als ich sie gefragt hatte, ob wir uns gegebenenfalls treffen könnten oder sie mich auf den bazār begleiten würde. Einen Kilometer vor Gilgit hatte sie einen schwarzen Mantel, wie ich später lernte in Gilgit burqa genannt, umgelegt und ihren bunten Schal gegen eine schwarze Niqab eingetauscht, die nicht nur ihr Haar, sondern auch ihr Gesicht bedeckte, sodass nur ihre Augen noch sichtbar waren. In Islamabad, hatte sie erklärt, hatte sie im Wohnheim bezüglich der Kleidung eine größere Freiheit gehabt als hier in Gilgit, wo ihre Familie erwarte, dass sie sich in der Öffentlichkeit verhülle. Ihre Familie hatte sie am Busbahnhof erwartet, ihre Taschen in den Kofferraum gepackt und sie war ohne eine weitere Verabschiedung abgefahren.

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forschen wolle. Aber meine Erklärung, dass dies nur eine Option unter vielen sei, schien meist ungehört zu verhallen. Mein Professor hatte das Thema eher weit gefasst – eine Studie zu „water in the high mountain areas of Pakistan“ – und hatte mich gewarnt, mit Interesse am Damm zunächst nicht hausieren zu gehen, was ich auch Izhar zu erklären versucht, dieser aber ignorierte. Auf Izhars Einführung hin äußerten alle Gesprächspartner Bedenken gegenüber der Aussicht, dass ich nach Diamer reisen würde, schließlich seien die Bewohner Diamers eher wild bzw. unkultiviert („jangali“), woraufhin ich versicherte, ich würde mich äußerst bemühen, nicht negativ aufzufallen und zählte – aus Reiseführern memorierend – auf, ich würde Körper und Kopf ordentlich bedecken, Augenkontakt und Händeschütteln vermeiden und mich sittsam verhalten. Izhar stellte mich außerdem Kareem vor, einem seiner Cousins, der für die lokale Universität und WASEP arbeitete. Auch er bot mir seine Hilfe an und nahm mich bei einer Gelegenheit auf einen seiner field trips mit, auf dem er den Fortschritt bei der Installation von Trinkwasserinfrastrukturen in zwei Dörfern im nächsten Distrikt begutachtete. Um außerdem jemanden zu kennen, der mir gegebenenfalls aus der Patsche würde helfen können, sollte ich je in eine solche kommen, stellte mich Izhar einem weiteren Cousin vor, Farhad, der im Home Department Gilgit-Baltistans arbeitete. Der Verwaltungsbeamte empfing uns in seinem Büro und monologisierte über die hervorragende Bedeutung ausländischer Forschender und über die Notwendigkeit, Entwicklung in die Region zu bringen. Für eine so „entwickelte“ Person („developed person“) wie eine Deutsche könne es in Diamer jedoch schwierig werden, warnte er mich. Häufig würden sich Touristinnen und Bergsteigerinnen über intensives Anstarren und sexuelle Übergriffe beschweren; entsprechend sollte ich ebenfalls vorsichtig sein. Unter Kommentaren, dass für ihn schließlich nur einvernehmlicher Sex akzeptabel sei, erklärte er, dass ich als großgewachsene und blonde Deutsche auf sexuelle Belästigungen von Männern gefasst sein solle. Nun müsse ich nur noch ein Forschungs-NOC beantragen, bemerkte er, nachdem er verschiedene Telefonate – offenbar mit diversen Geheimdiensten – geführt und nachgefragt hatte, ob mein NOC schon vorliege. Mit dem Verweis, ich solle doch ein Haus in Jutial – wo auch er gemeinsam mit Izhar und Kareem wohnte – anmieten, verließen wir das Büro. Auf dem Weg ins Hotel warnte mich Izhar plötzlich, ich solle vorsichtig sein. Ich solle niemandem einfach so vertrauen, niemandem von meinem Forschungsvorhaben erzählen und aufhören Urdu zu sprechen. Außerdem sei es besser, jedem zu erzählen, dass ich verheiratet sei und daheim Ehemann und Kinder warteten. Diese Warnungen beunruhigten mich; wie sich herausstellte, zurecht. Im Nachhinein machte ich mir Vorwürfe und glaubte, ich hätte weniger offen und vorsichtiger gegenüber Fremden – inklusive Izhar – sein müssen. Schon kurz nach meiner Ankunft in Gilgit bzw. kurz nach meinem Besuch in Farhads Büro wurde ich von den agencies bzw. deren Mitarbeitern nicht mehr nur standardmäßig als Ausländerin beobachtet, sondern zunehmend

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auch angesprochen und auf das Vorlegen eines NOCs gedrängt; auch Gesprächspartner und Bekannte wie Izhar und Kareem wurden befragt und bedrängt. Exkurs: Agencies in Pakistan und Gilgit-Baltistan Als Ausgangspunkt für den extensiven Überwachungsapparat in Pakistan, insbesondere den des Militärs,35 werden zumeist die geopolitische Position sowie historische und soziale Brüche und Uneinigkeiten genannt. Über diese Umstände werden Sicherheitsbedenken begründet und Gefahren für den jungen Staat imaginiert. Pakistans Grenzen zu Ländern zentraler globaler Interessen – historisch im Rahmen des „Great Game“ und des „Cold War“ sowie unlängst im „War on Terror“ – rufen die Wahrnehmung von geopolitischem Druck hervor. Darüber hinaus war Pakistan 1947 aus dem kolonialen Britisch Indien explizit als Staat für die Musliminnen und Muslime Südasiens geschaffen worden. Islam sollte als Grundlage für die Konstruktion und Orientierung des Staats dienen. Wie aber ein solcher islamischer Staat genau aussehen solle, war und bleibt umstritten. Unterschiedliche Ideen und Ideologien stehen der Umsetzung eines kohärenten Staats entgegen. Die Separierung Ostpakistans und Gründung Bangladeshs 1971 forderte so die Souveränität Pakistans ferner heraus; Regionalismus und Sezessionsbewegungen, basierend auf der großen Diversität Pakistans, bleiben Herausforderungen für die Einheit und Integrität des Staats. Kaum eine zivile Regierung konnte über eine längere Zeit ausreichend kulturell-politische Legitimität aufbringen. Wiederholt griff das Militär, das zu einer der stärksten Institutionen Pakistans gewachsen war, ein und übernahm die Regierung des Landes. 2013 konnte das erste Mal eine ganze Legislaturperiode mit Neuwahlen abgeschlossen werden; zuvor wurden alle zivilen Regierungen durch militärische Coups oder Auflösungen des Parlaments vorzeitig beendet (siehe z.B. Cohen 2004; Shaikh 2009; Toor 2011). Über solche Bedrohungen rechtfertigen Militär und Geheimdienste ihre Aufgaben und Aktionsspielräume. Misstrauen wird v.a. gegen Politiker, politische Aktivisten und Journalisten gerichtet sowie gegen

35

Von ca. 30 teilweise konkurrierenden Geheimdiensten in Pakistan sind drei – Intelligence Bureau (IB), Inter-Services Intelligence (ISI) und Military Intelligence (MI) – am prominentesten. Das IB agiert v.a. intern und zur Überwachung von Politikern und politischen Aktivisten; es steht unter dem pakistanischen Innenministerium. ISI und MI sind Teil des Militärs. Der ISI arbeitet als In- und Auslandsgeheimdienst. Der MI überwacht v.a. Militär und hohe Offiziere – inklusive die des ISI. Alle drei sind außerdem für Spionageabwehr zuständig.

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Ausländer_innen, bei denen Spionageverdacht besteht (siehe auch Sökefeld/Strasser 2016).36 Grundlage für die hohe Präsenz von Militär und Geheimdiensten in GilgitBaltistan sind zum einen die geographische Lage als Grenzregion, die historische und rechtlich umstrittene Situation, die über die Verbindung mit dem ehemaligen Fürstentum Jammu und Kashmir bestimmt ist, die Konstruktion von religiösen und sozialen Unterschieden zwischen der Bevölkerung der Region und der Pakistans, aber auch wiederkehrende gewalttätige Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten.37 Wie Ali (2009) argumentiert, entspricht die ethnisch und konfessionell vielfältige Region nicht dem universalistischen „nationalen Narrativ“, besonders was „religiöse Andersartigkeit“ angeht, womit sie auf die großen Bevölkerungsteile verweist, die schiitischem und ismailitischem Glauben angehören, während Pakistan eine sunnitische Mehrheitsbevölkerung hat (ebd.: 74-5). Die Loyalität der Bewohner sei so „per Definition“ fraglich: weil diese an der Grenze wohnen und großenteils nicht Sunniten und Sunnitinnen sind – was antithetisch zu einer zunehmend „sunnisierten“ „Nation“ ist (ebd.: 106-7). Die „Andersartigkeit“ wird von pakistanischen Institutionen, insbesondere dem Militär und militärischen Geheimdiensten zur Grundlage dafür, die Bewohner der Region als „suspekt“ zu etablieren – sie zu verdächtigen und sie gleichzeitig mit umfassenden Überwachungspraktiken auch selbst argwöhnisch zu machen (ebd.: 104-7).38 Wie Ali (2009, 2013) schreibt, haben die

36

In den letzten Jahren nahm auch die Überwachung von Ausländern und Ausländerinnen signifikant zu, insbesondere nachdem 2011 zwei Fälle von verdeckten US-amerikanischen Geheimdienst- und Militäroperationen in Pakistan bekannt wurden. Ein Fall war der von Raymond Davis, einem US-Amerikaner, der für das US-Militär und für private Sicherheitsunternehmen sowie für den CIA gearbeitet hatte. Im Januar 2011 erschoss Davis in Lahore auf offener Straße zwei bewaffnete Pakistaner und floh in die Amerikanische Botschaft. Das US-Konsulat schützte Davis über die Aussage, er stehe unter diplomatischer Immunität. Der zweite Fall war der Eingriff von US Special Forces in Abbottabad in 2011 im Rahmen der Suche nach und Tötung von Osama Bin Laden. Die pakistanische Regierung war über die Planung der Operation nicht informiert und ihre Zustimmung nicht eingeholt worden (siehe z.B. Constable 2011: xvii, 110-1; Sökefeld/ Strasser 2016: 163).

37

Siehe auch z.B. Aase (1999), Ali (2009), Bouzas (2012), Dad (2016), Kreutzmann (2012a), Sökefeld (1997a).

38

In Gilgit, wo auch das Hauptquartier des Militär in der Region ist, wird die Präsenz besonders offensichtlich – insbesondere an den Militärfahrzeugen im Verkehr und den Kontrollposten: In Gilgit, das sich auf einer Länge von ca. zehn Kilometern entlang dem Gilgit Fluss erstreckt, befinden sich an den Hauptstraßen alle ein bis zwei Kilome-

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agencies in Gilgit ein extensives Netzwerk an Mitarbeitern aufgebaut, das über politische Gesinnung und Aktivitäten berichtet, Konformitätsdruck ausübt und Medien zensiert. Auch lokale Bewohner werden als Spitzel rekrutiert (dies. 2009: 104-5). Obwohl Ali mit ihrer Analyse die Unterschiede zwischen der Bevölkerung der Region und Pakistans überspitzt und die Regionalismen sowie sozialen, religiösen, ökonomischen und kulturellen Unterschiede innerhalb Pakistans und der Region unterschlägt, zeigt ihre Analyse den marginalen Satus auf, der die Region gleichzeitig innerhalb und außerhalb Pakistans ansiedelt und Herrschaft und Überwachungspraktiken legitimiert. Pakistanische Institutionen – ebenso aber auch Bewohner selbst – entwickeln so die Annahme, dass die Region von internationalem Interesse sei. Entsprechend überwachen Militär und agencies die Region auf interne und externe Bedrohungen. Auch viele meiner Gesprächspartner_innen in Gilgit stimmten der Notwendigkeit zur Überwachung zu; die Überwachungspraktiken werden als normaler und notwendiger Teil von Regierung erachtet und damit „normalisiert“ (vgl. Lyon/Haggerty/Ball 2012: 7). Auch die Überwachung von Ausländern und Ausländerinnen wird entsprechend von vielen Bewohnerinnen und Bewohnern als notwendig gebilligt. Viele erheben aber Einspruch gegen den teilweise großen Einfluss von Institutionen des Militärs auch in wirtschaftlichen und politischen Angelegenheiten und sind über Militärangehörige verärgert, die ihre Position und Verfügung unzulässig nutzen; gleichzeitig nutzen manche Bewohner die agencies auch als gesellschaftliches Korrektiv, z.B. wenn es Vorwürfe zu Korruption oder Vetternwirtschaft gibt, die überprüft und ggf. korrigiert werden sollen. Verdacht und Überwachung in der Forschung Um in der, was die Sicherheitsinstitutionen angeht, angespannten Lokalität forschen zu können, hatte mein Betreuer mithilfe eines bekannten pakistanischen Professors im Vorfeld der Forschung ein Forschungsvisum beantragt, das über einen „Visa Grant“ des MoI gewährt wurde. Dennoch waren diverse Beamte und Geheimdienstmitarbeiter in Gilgit durch meine Dokumente zunächst verunsichert. Offenbar sehen die meisten Forscher_innen in Pakistan – wie auch im weiteren Südasien – davon ab, offizielle Dokumente zu beantragen und reisen z.B. mit Touristenvisa ein. So forschen die meisten zwar nicht im geheimen, aber auch nicht offiziell. Dies

ter Kontrollposten für Verkehr und Passanten. Namentlich im Zug von sectarian tensions, Konflikten zwischen den Angehörigen unterschiedlicher Konfessionen, wird die Militärpräsenz deutlich erhöht oder sogar der Ausnahmezustand über Gilgit verhängt und die Kontrolle über die Stadt temporär an das Militär übergeben.

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bedeutet jedoch auch, dass der Begriff Forschung und die Kategorie Forschungsvisum unter vielen Beamten und Geheimdienstmitarbeitern unbekannt sind.39 Darüber hinaus besteht in Bezug auf Forschungsgenehmigungen und -visa eine Lücke in den Verwaltungsrichtlinien.40 Ersatzweise können sogenannte NOCs ausgestellt werden – Bescheinigungen, dass gegen eine Unternehmung zunächst kein Einwand besteht. Deren Ausstellung setzt voraus, dass Person und Unternehmung von diversen Sicherheitsinstitutionen überprüft und freigegeben („cleared“) werden, was jedoch einen erheblichen zeitlichen und persönlichen Aufwand bedeutet. Insofern besetzen ausländische Forscher_innen in Pakistan einen unspezifizierten Status – es gibt weder Institutionen, Richtlinien für die Ausstellung für Visa noch Verhaltensrichtlinien für die Forschenden. Dies eröffnet eine Reihe von Unsicherheiten und Ungewissheiten – sowohl auf Seiten der Forscher_innen als auch auf Seiten von Institutionen und deren Mitarbeitern. Im Gegenzug eröffnet dies den agencies die Möglichkeit, eigene Bedingungen aufzustellen und eigenen Interessen nachzugehen. Das Engagement der Mitarbeiter der agencies blieb nicht dabei, sich nur zu erkundigen und meine Bewegungen zu überwachen. Während die Mitarbeiter der agencies in Gilgit zu Beginn meiner Forschung 2011 Informationen über mich zunächst routinemäßig indirekt, d.h. über Gesprächspartner_innen und Hotelbesitzer eingeholt hatten, kam es nach einem Aufenthalt in Chilas (wo ich schon auf der Anfahrt nach Gilgit den Aufriss des zukünftigen Wasserstands vor Augen gehabt hatte) zu direkten Kontaktaufnahmen vonseiten der Mitarbeiter. Sehr bald setzten sie Interaktionspartner auch unter Druck und gingen sie verbal wie auch körperlich an. Auf mich übten sie Druck aus, ein NOC vorzuweisen oder die Region zu verlassen. Ihre Gesichter auf der Straße wie in Gebäuden unter Motorradhelm oder Schal ver-

39

Bei späteren Besuchen beim MoI mit dem Ziel, zusätzlich das von den agencies und dem Home Department in Gilgit geforderte NOC zu bekommen, waren Mitarbeiter des Ministeriums mit dem Begriff Forschung (auf Englisch, wie auch auf Urdu wird hierfür research verwendet) nicht vertraut. Andere kannten die Region nicht und verwechselten Gilgit-Baltistan mit dem ebenfalls konfliktreichen Baluchistan.

40

Anträge auf Forschungsgenehmigungen ausländischer Forschenden werden bislang vom MoI gehandhabt, da es keine spezielle Abteilung hierfür gibt. Betreff ausländischer Forschenden gibt es keine bestimmte Policy und demgemäß auch kein entsprechendes Visum. Das Directorate General Immigration and Passports des MoI listet nur die folgenden Visa-Kategorien auf: ‚Diplomatic UN Visa‘, ‚Student Visa‘, ‚Journalist Visa‘, ‚NGOʼs Visa‘, ‚Work Visa‘, ‚Afghan Visa‘, ‚Pilgrimage Visa‘, ‚Missionary Work Visa‘, ‚House-Maid Visa‘, ‚Visa to Third Country Foreigner‘, ‚Family Visit Visa for Pak Origin Foreigners‘, ‚Business Visa‘, ‚Tourist Visa‘. Siehe http://www.dgip.gov.pk/Files /Visa%20Categories.aspx#T (abgerufen am 12.06.2015).

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steckt, forderten sie mich auf, ihnen Kopien meiner Papiere zu übergeben. Auf Nachfrage wer sie seien, drohten sie, dass sie dafür sorgen würden, dass ich das Land verlassen müsse, würde ich nicht Folge leisten. Bedenken wuchsen in Furcht aus. Wenn ich das Hotel verließ verfolgten mich Männer und machten Fotos von mir mit ihren Mobiltelefonen. Gesprächspartner_innen fingen an, mir von Besuchen durch Mitarbeiter zu berichten. Der Besitzer des Hotels, in dem ich wohnte, erzählte mir, er sei aufgefordert worden, mich dazu zu bringen, Gilgit zu verlassen. Offenbar waren die Mitarbeiter der agencies auf mein Forschungsvorhaben gestoßen (worden) und darüber hinaus perplex gegenüber dem vorliegenden Forschungsvisum. Wolle ich tatsächlich forschen, erklärten sie, brauchte ich nicht „nur“ ein Forschungsvisum und dessen Erteilungsbescheid des MoI, sondern auch ein NOC. Nach einer dritten Woche in Gilgit war ich im November tatsächlich nach Chilas gereist. Dort war ich in der Familie eines Bekannten eines Professors untergekommen, die mir angeboten hatte, bei ihnen zu wohnen und mich einlud, meine Forschung nach Chilas zu verlegen. Nach einer Woche in Chilas hatten jedoch Beamte der Polizei und special branch41 an der Tür geklopft und mich zum Assistant Commissioner der Distriktverwaltung gebracht. Dieser hatte erklärt, ohne NOC könne ich mich nicht in Diamer aufhalten und kommentiert, dass er diesbezüglich Anweisungen aus dem Home Department bekommen hatte. Wie mir später sein damaliger Vorgesetzter bei einem zufälligen Treffen erklärte, habe ihn damals ein Mitarbeiter des Home Departments informiert, dass ich für die USA spionieren würde. Daraufhin sei er gezwungen gewesen, mich nach Gilgit zurückzuschicken und hatte den Assistant Commissioner angewiesen, dies zu veranlassen. Zurück in Gilgit war ich gezwungen, ein NOC zu beantragen und legte Farhad im Home Department meine Papiere vor. Neben Unterstellungen zu spionieren, machten außerdem bald Gerüchte die Runde, ich würde Männer verführen, um an (ansonsten „geheime“) Informationen zu gelangen; ich würde – Stereotypen für angrēz, „Westler_innen“ entsprechend – Alkohol trinken und an Orgien teilnehmen. Außerdem würde ich mich auch sonst „verdächtig“ verhalten und z.B. Kontakt zu politisch engagierten Familien halten.42 Dabei gilt nicht wie im deutschen Sprachgebrauch die Diktion, dass ein Leben jenseits von Hemmungen und Zwängen möglich ist, sobald Zweifel an Anstand aufgekommen sind.43 Im Gegenteil, Makel oder Anschuldigungen können kaum beseitigt

41

Eine Sicherheits- bzw. Geheimdiensteinheit der Polizei.

42

Teilweise trugen mir diverse Bekannte, die Farhad kannten oder beruflich mit ihm zu tun hatten, diese Gerüchte zu und erklärten, dass Farhad sie (u.a. ihnen) erzählt habe. Manche Gerüchte wurden auch von agency-Mitarbeitern überprüft und so verbreitet.

43

Vgl. das deutsche Sprichwort „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“.

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werden, haften langfristig an und sind langfristig wirkmächtig. Dem liegt – wie in Karl Poppers Falsifikationismus44 – das Problem zugrunde, dass Anstand und Unschuld nie bewiesen werden können, ebenso wie z.B. niemand beweisen kann, nicht zu spionieren. All dies kann gegebenenfalls aber widerlegt werden, weshalb sich nur eine Suche nach belastenden Beweisen anbietet. Erst langsam verstand ich, dass in einem sozialen Umfeld von Ungewissheit Gerüchte eine große Rolle spielen und zu Repräsentationen werden können, denen eine große Wirkmächtigkeit zukommen kann. Gerüchte bauen dabei auf kulturelle Themen und Werte sowie kollektive Erfahrungen und Ängste. Sie greifen bei Themen an, die von Bedeutung erscheinen und Emotionen auslösen, wo aber gesicherte Informationen abwesend sind. Gerüchte können so auch politische Handlungen darstellen und Reaktionen beeinflussen. Gerade in Krisenzeiten können Gerüchte einen emotionalen Diskurs konstituieren, der effektive Wirkungen haben kann (vgl. Emde 2005: 388-9; Simons 1995; Subramaniam 1999) – was sich geschickte Akteure und Akteurinnen durchaus auch zunutze machen können, wie ich am eigenen Beispiel erfahren konnte. Dabei möchte ich Gerüchte allerdings nicht wie z.B. Murphy (1985) oder Paerregaard (2002) als unvermeidliches Element von (Fehl-)Interpretationen der Forschenden-Identität oder als Prozess im Rahmen der Herstellung oder Verhandlung ethnographischer Beziehungen verstehen. M.E. entstanden Gerüchte in meinem Fall nicht auf der Basis von Fehlinterpretationen. Stattdessen waren Gerüchte zielgerichtete Fehlinformationen einiger Akteure – wie z.B. Farhad –, die eigene Interessen verfolgten. Wie ich meine, kamen hier zwei Elemente zusammen: zum einen persönliche Interessen, Vorbehalte, Neid und Missgunst in einem Spielfeld von sozialer Fragmentierung; zum anderen eine soziale Umwelt, die von Misstrauen und Verdacht geprägt ist. Vergleichbar konzeptualisiert Subramaniam (1999) für Indien eine „Kultur des Verdachts“, der Gefühle von Misstrauen und Zweifel innewohnen. Subramaniam betont dabei v.a. den Einfluss von Verdacht, Tratsch und Gerüchten auf alltägliche Wahrnehmungen. Verdacht legt hier die Basis, auf welcher Gerüchte, fragmentarische Informationen oder flüchtige Wahrnehmungen nicht nur zu simplen Informationen, sondern zu Informationen als Grundlage für weitere Handlungen werden. Verdacht lässt Zusammenhänge zwischen Ereignissen und Geschichten, die ansonsten unerklärlich sind, kohärent und plausibel erscheinen. Verdacht hat dabei weder die Unnachgiebigkeit von offener Feindseligkeit noch ist sie Reaktion auf eine tatsächliche Gefahr. Verdacht ist stattdessen, so Subramaniam, eine unbewusste, habituelle und gelernte Interaktion (ebd.: 101). Gleichzeitig sind Verdacht und entspre-

44

Siehe z.B. Popper (1935), Parvin (2010). Geläufiges Beispiel ist die Frage, ob alle Schwäne weiß sind. Diese Hypothese kann nie verifiziert, sondern nur durch das Sichten schwarzer Schwäne widerlegt werden.

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chendes Verhalten nicht unbedingt ausschließlich unbewusst und habituell, sondern können auch bewusst als wichtige Strategie verstanden werden (vgl. auch Massa 2016). Kurz nach der Aufforderung, Chilas zu verlassen und ein NOC zu beantragen, flog ich nach Islamabad um dort an einer eine Konferenz teilzunehmen. Eine Antwort des Home Departments bezüglich des NOCs ausstehend blieb ich dort drei Wochen. Die vergangenen Wochen reflektierend schien die Situation vergleichsweise absurd und eingefahren. Ein mit Gilgit vertrauter, bekannter Ethnologe räsonierte, dass Farhad hinter all dem Ärger stecken könne, in dem Versuch, mich zu isolieren, um sich selbst als Retter zu präsentieren. Ohne eine Reaktion bezüglich des NOCs flog ich schließlich nach drei Wochen, Ende Dezember, zurück nach Gilgit, um mich vor Ort zu erkundigen. Vielleicht, so dachte ich, sei dort schon lange ein NOC ausgestellt und warte darauf, abgeholt zu werden. Im selben Flug kehrte auch Kareem, Izhars und Farhads Cousin, der für die lokale Universität und WASEP arbeitete, von einer Konferenz zurück nach Gilgit. Als wir gemeinsam am Flughafen gesehen wurden, wurde er von den Flughafen-Sicherheitsbeamten in ein Streitgespräch verwickelt und beim Verlassen des Flughafens von bewaffneten Männern auf einen Pickup-Truck gedrängt und weggefahren. Wie ich später erfuhr, war er zu einem Büro der agencies gebracht und dort verhört worden. Sein Arbeitgeber bot ihm daraufhin an, ihn zunächst „aus der Schusslinie“ zu nehmen und noch mit dem nächsten Flug verließ er Gilgit wieder. Zur selben Zeit war auch Izhar durch die agencies vorgeladen und dort offenbar nicht nur verhört, sondern auch körperlich gezüchtigt worden – ein Umstand den er mir jedoch selbst nicht erzählte, sondern der mir später über Dritte berichtet wurde. Auch für mich nahm der Druck durch die Mitarbeiter der agencies in den folgenden Tagen weiter zu. Wenn ich das Haus verließ, folgten mir Männer. Ich erhielt Anrufe mitten in der Nacht und der Hotelbesitzer erhielt täglich neue Anfragen unterschiedlicher agencies nach meinen Papieren und einem NOC. Obwohl der Professor in Islamabad nochmals beim MoI nachgefragt und die Antwort erhalten hatte, dass außer dem Forschungsvisum kein NOC nötig sei und sie daher auch keines ausstellen könnten, bestanden die Mitarbeiter der agencies weiterhin darauf. Kurz darauf überbrachte mir ein Mitarbeiter des Home Department einen – von Farhad selbst ausgestellten – negativen Bescheid über meinen NOC-Antrag vom Home Department Gilgit, in dem stand, ich hätte mein Forschungsvorhaben nicht ausreichend detailliert dargelegt und Gesprächspartner nicht spezifiziert. In Anbetracht dieser Absage forderte mich der Überbringer auf, Gilgit zu verlassen und schlug vor, in Islamabad erneut ein NOC zu beantragen. Am Flughafen stellte ein Mitarbeiter der agencies sicher, dass ich in das Flugzeug stieg und ließ sich per Walkie-Talkie von der Stewardess versichern dass ich tatsächlich platzgenommen hatte.

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Da die Mitarbeiter der agencies wiederholt geäußert hatten, dass ich meine Forschung in Ruhe durchführen würde können, sobald ich ein NOC hätte, blieb ich in den drei Wochen bis zu meinem Rückflug nach Deutschland in Islamabad, um dies im MoI zu beantragen. Dort wurde nach drei Monaten tatsächlich ein ForschungsNOC ausgestellt. Wie ich im Frühjahr 2012 nach Islamabad zurückkehrte, berichtete mir eine Bekannte aus Gilgit, die agencies würden Gerüchten nachgehen, laut derer ich in den Flüssen Gilgits nach Uran suchen würde. Ich war entsetzt über die Schwere eines solchen Vorwurfs und die Vorstellung, dass solche Gerüchte darüber hinaus von jemandem in Umlauf gebracht worden sein mussten. Und entsprechend solcher Gerüchte wurde mein Aufenthalt trotz des Forschungs-NOCs zwar nicht unterbunden aber weiterhin kontrolliert und beschränkt. Mit dem Forschungs-NOC fuhr ich Anfang April 2012 zurück nach Gilgit. Mit der Hoffnung, dass der direkte Kontakt für die Mitarbeiter der agencies weniger leicht sei, wenn ich nicht in einem Hotel wohnte, hatte mir eine Bekannte eine Wohnmöglichkeit in Jutial vermittelt. Exkurs: Gewalttätige Konflikte im Feld Am zweiten Tag nach meiner Ankunft in Gilgit kam es zu Schusswechseln in der Stadt. Schon Ende Februar hatten Männer in Militäruniformen Reisebusse auf dem Weg von Rawalpindi nach Gilgit aufgehalten und fünfzehn Schiiten sowie einen Ismailiten getötet. Die Nachricht hatte sich schnell über Mobiltelefonie verbreitet und in Gilgit waren Läden und öffentliche Einrichtungen geschlossen worden. Schiiten hatten Straßenblockaden mit brennenden Reifen errichtet und gegen Sunniten, gegen den Chief Minister sowie gegen die pakistanische Regierung und das Militär protestiert. Ein Sunnit war erschossen worden und die Regionalregierung hatte ein Verbot öffentlicher Versammlungen verhängt und drei Ruhetage ausgerufen. Ende März waren zwei auf der Basis von Konfessionsgruppen neu eingerichtete Verbindungen im öffentlichen Nahverkehr verboten worden, um die gesellschaftliche Separierung nicht weiter zu verfestigen. Maulana Atta Ullah Saqib und weitere sunnitische Geistliche der sunnitischen Vereinigung Ahle Sunnat wal-Jamaat waren verhaftet worden, um sie zu dem Vorfall im Februar zu befragen. Im Zuge dessen kam es in Gilgit auch Anfang April zu weiteren gewalttätigen Auseinandersetzungen (siehe auch Grieser/Sökefeld 2015: 138-9). Am Tag nach meiner Ankunft registrierte ich mich ordnungsgemäß bei der Polizei und besuchte die Familie des Hotelbesitzers aus dem vorigen Jahr. Am Tag darauf kam es erneut zu gewaltsamen Konfrontationen. Wie ich von Bekannten per SMS erfuhr, war eine Handgranate in eine Gruppe sunnitischer Protestierenden geworfen worden, von der mehrere verwundet und getötet worden waren. Dem folgten Schusswechsel in der Stadt. Als Gegenreaktion hatte in Diamer eine Gruppe (sunnitischer) Männer auf dem KKH wiederum Reisebusse angehalten und mehrere

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Schiiten erschossen, was auch bald auf allen Nachrichtensendern berichtet wurde. Im Haus meiner Gastgeber erklärte mir Manwar, ein junger Mann aus Baltistan, der dort als servant45 für den Haushalt zuständig war, dass die talibān Sunniten und Schiiten gegeneinander aufhetzen würden. Außerdem habe er gehört, dass sich wiederum Bewaffnete „aus dem Süden“, d.h. aus Diamer, aufgemacht hätten, um durch verbindende Täler über das Jutial Nala nach Gilgit zu ziehen – eine Trope, welche in Zusammenhang mit dem einschneidenden gewaltsamen Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten im Jahr 1988 steht, bei dem Männer aus Diamer und Kohistan Richtung Gilgit gezogen waren und ein Dorf nahe Gilgit zerstört und alle schiitischen Einwohner_innen getötet hatten.46 Eine befreundete Ethnologin bestätigte den Aufbruch und ergänzte per SMS, dass die Männer aus Diamer nicht kämen, um zu protestieren, sondern um zu kämpfen. Sie empfahl mir, Laptop und Mobiltelefon aufzuladen und keinesfalls das Haus zu verlassen. Falls es nicht genug Essensvorräte im Haus gebe, würde sie einen Verwandten schicken, um Lebensmittel vorbeizubringen. Auch Bekannte und Freunde aus dem Vorjahr schickten mir Nachrichten, in denen sie erklärten, ich solle mich nicht sorgen, aber zunächst im Haus bleiben. Noch am selben Tag übergab die Regionalregierung die Kontrolle an das Militär; eine Ausgangssperre wurde über der Stadt verhängt (siehe auch Grieser/Sökefeld 2015: 138-40). Am Abend wurde die Mobiltelefonie abgeschaltet. Ich saß in meiner neuen Unterkunft und fragte mich, die bisherigen SMS durchgehend, wieso es „cross firing among different places in gilgit“ und „clashes with the police in Chilas and Gilgit“ gebe, wie ein Bekannter geschrieben hatte, und was das bedeute. Vor meinem inneren Auge sah ich bewaffnete Männer wie eine Flutwelle durch das

45

Manwar und Riaz, ein weiterer junger Mann aus Baltistan, waren beide als Kinder von ihren Familien nach Gilgit geschickt worden und arbeiteten in der Gastfamilie als sogenannte servants. In Gilgit-Baltistan ist es nicht unüblich, dass Kinder und Jugendliche aus ländlichen, armen und oft kinderreichen Familien bei gut verdienenden Familien in der Stadt als servants unterkommen. In den Gastfamilien arbeiten sie oft als Unterstützung in Küche und Haushalt oder kümmern sich um jüngere Kinder der Familie, zumeist gegen Kost, Logis und eine geringe Aufwandsentschädigung. Manche dieser Kinder und Jugendlichen besuchen in der Stadt auch die Schule. Solche Arrangements können temporär, z.B. für einen Winter, oder auch langfristig getroffen werden. Manwar und Riaz waren schon als Kinder zu meinen Gastgebern gekommen und arbeiteten dort bis Anfang zwanzig, d.h. bis sie Stellen an öffentlichen Einrichtungen in Baltistan fanden. Beide hatten in der Zwischenzeit in ihren Heimatdörfern geheiratet und Kinder bekommen; während die beiden etwa elf Monate des Jahres in Gilgit verbrachten, lebten Frauen und Kinder bei den Eltern in Baltistan.

46

Siehe z.B. Aase (1999), Ali (2009), Sökefeld (1997a).

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Jutial Nala strömen, die sich mit Wucht über unseren Stadtteil ergießen würden. Meine Gastgeberin und ihr Mann waren zu dieser Zeit in Islamabad, und so saß ich mit drei jungen Männern im Haus fest.47 Während der nächsten zwei Wochen warteten wir ab und verfolgten die Geschehnisse über das Fernsehen und über Berichte von Nachbarn. In Gilgit und Umgebung hatte es durch die Handgranate und Schusswechsel 22 Tote und 45 Verletzte (Sunniten und Schiiten) gegeben; in Chilas waren 9 Schiiten getötet worden; an mehreren Orten waren Geiseln genommen worden. Überraschenderweise gab es beinahe durchgängig Strom und wir saßen viele Stunden vor dem Fernseher, aber schon nach vier Tagen wurde die Berichterstattung über den Konflikt vom Abgang einer Lawine auf dem Siachen-Gletscher und die Verluste bei den dort stationierten Truppen des Militärs abgelöst. Auch in den folgenden Tagen gab es weitere Auseinandersetzungen. Die Ausgangssperre wurde verlängert, einige Stadtteile nach Waffen durchsucht und Verhaftungen durchgeführt. Nachbarn berichteten von ausgelösten Geiseln und der Rückgabe von Frauen, die schon im Februar gekidnappt worden seien; auch sie stellten Parallelen zu dem Konflikt 1988 her und schilderten die Ereignisse in immer ausführlicheren Erzählungen, die sie mir aber meist nicht detailliert übersetzen wollten. Ein ismailitischer Nachbar verwies auf die Friedfertigkeit der Ismailiten, welche es schafften, sich aus den Konflikten herauszuhalten, was er, wie viele andere Gesprächspartner_innen später, auf ihre intensive religiöse und weltliche Bildung zurückführte. Wie viele andere auch, suchte auch er die Ursache für die Konflikte in der Einmischung von „foreign hands“ oder, wie Manwar, im ideologischen und geographischen Vordringen extremistisch-religiöser talibān bzw. Sunniten aus dem Süden nach Gilgit-Baltistan.48 Der Sohn unserer Nachbarn, der ab und an herüberkam, erklärte ebenfalls, eine bewaffnete Armee käme aus dem Süden über das Jutial Nala, aber zumeist unterbrachen er und die jungen Männer des Hauses ihr Gespräch, wenn ich in Sicht kam. Nur einmal führten sie ihre Diskussion fort, in der sie sich darauf einigten, dass es letztlich das Beste sein würde, die schiitischen, sunnitischen und ismailitischen Bevölkerungsteile räumlich zu trennen. Alle Schiiten/Schiitinnen sollten nach Baltistan, alle Ismailiten/Ismailitinnen nach Ghizer und alle Sunniten/Sunnitinnen nach Diamer umsiedeln. Nur so könnten die Konflikte ein Ende nehmen. Während mir die befreundete Ethnologin sowie die Familie meiner Gastgeber im Hinblick auf die Probleme des letzten Aufenthalts in Gilgit geraten hatte, zumindest in den ersten Tagen meine Bewegungen in der Stadt gering zu halten und

47

Außer Manwar und Riaz außerdem ein Neffe des Gastgebers, der in Gilgit seinen Schulabschluss machte und ebenfalls im Haus wohnte.

48

Siehe auch Aase (1999: 61).

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mich eher an lokale Normen für Frauen zu halten was Bewegung im öffentlichen Raum angeht, war ich nun zu kompletten Stillstand gezwungen. Die im Haus wohnenden jungen Männer schlichen sich zwar trotz der Drohung des „shoot on sight“ vonseiten des Militärs heimlich durch die Nachbarschaft und auch in benachbarte Stadtteile. Ich verbrachte die nächsten zwei Wochen dagegen vorwiegend mit dem Lesen von Büchern und Artikeln. Im Garten die Frühlingssonne genießend vernahm ich zuweilen Schusssalven und beobachtete das Kommen und Gehen brauner Militärhubschrauber. Um Wasser zu sparen, schränkten sich alle im Haus beim Waschen ein. Da er Gas sparen wollte, erklärte mir Manwar, dass das Wasser, das sie in einem Tank unter der Einfahrt gestaut hatten, sauber sei und nicht abgekocht werden müsse, was mir kurz darauf eine Kolik einbrachte. Manwar rationierte auch die im Haus vorhandenen Lebensmittel und ich empfand es zunehmend schwierig, die jeweils acht Stunden zwischen Frühstück, Mittagessen und Abendessen abzuwarten. Am vierten Tag wurde die Ausgangssperre für zwei Stunden aufgehoben und wir gingen an die Hauptstraße, die voll von Männern war; eine Fahrbahn der Straße wurde von den Steinen freigeräumt, mit denen sie für die Durchfahrt gesperrt worden war. Stoßstange an Stoßstange drängten sich Autos, zumeist vollbesetzt bis zum Kofferraum, auf dem Weg in die umliegenden Täler an der Straßensperre vorbei. Die Luft war heiß und staubig. Soldaten patrouillierten die Straße auf Pickup-Trucks und trugen nicht nur die sonst üblichen Motorradhelme, sondern eigentliche Soldatenhelme. An den Läden hatten sich lange Schlangen gebildet. Immer nur drei Käufer in den Laden lassend, verkauften die Ladenbesitzer ihre Lebensmittel zum doppelten Preis. Aus einer Ladengarage kauften wir teures Gemüse, das wir sorgsam aus den Kisten mit zermatschten und schimmligen Vorräten heraussuchten. Männer schoben Schubkarren mit Gaszylindern nach Hause, ein alter Mann zog mit einem halben Baumstamm auf den Schultern an uns vorbei, ein anderer hatte zwei Dutzend Milchkartons in Plastiktüten am Motorrad und ich erwischte mich dabei, ihn in Gedanken als rücksichtslos gegenüber späteren Einkäufern zu beschimpfen, die leer ausgehen würden. Manwar kehrte triumphierend mit einem Karton tiefgefrorener Hühnerschenkeln zurück, die er unter Verweis auf die „madam“ im Haus – also mich – einem Ladenbesitzer abgekauft hatte. In Chilas seien die Schiiten nicht einfach erschossen worden, hatte er unterwegs gehört, sondern ihre Köpfe seien auf den Boden gezwungen und sie mit großen Steinen erschlagen worden. Auf meine Frage nach dem Warum hatte er keine Antwort.49 Nach einer

49

Ein Nachbar, mit dem ich mich später unterhielt, war selbst unter den Busreisenden gewesen und erzählte, dass Männer eine Straßensperre aus Steinen errichtet und von einer Klippe aus Steine auf die haltenden Reisebusse geschmissen hatten; andere überprüften Personalausweise der Reisenden, sonderten anhand von Namen und Wohnorten Schii-

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Woche Warten im Haus konnte ich über das Festnetz eines Nachbars Kontakt zu meiner Familie aufnehmen. Nach zehn Tagen erweiterte ich meinen Bewegungsradius innerhalb der Nachbarschaft und nach zwei Wochen sogar bis in ein Internetcafé an der Hauptstraße – ein Schritt, bei dem ich offenbar beobachtet bzw. endlich gesichtet wurde. Meine Registrierung bei der Polizei hatten die Mitarbeiter der agencies offenbar nicht wahrgenommen und angenommen, ich müsse in dem Hotel sein, in dem ich auch beim letzten Aufenthalt gewohnt hatte. Wie mir ein Mitarbeiter des Hotels erzählte, hatten die Mitarbeiter der agencies aufgrund der Registrierungen auf der Busreise schon von meiner Ankunft in Gilgit gewusst, mehrmals im Hotel nach mir gesucht und den Mitarbeitern des Hotels unterstellt, mich zu verstecken. Einen Tag nach dem Besuch des Internetcafés klopfte es bei meinen Gastgebern am Tor und ein Mann trat ein, der sich als Mitarbeiter der special branch vorstellte. Er nahm meine Personalien auf und befragte mich, wie ich dazu gekommen sei, in Gilgit zu forschen, und welchen Eindruck ich von Pakistan hätte. Er fasste auch die Umstände des Konflikts zusammen und bat mich zuletzt, doch v.a. über meine guten Erfahrungen in Pakistan zu schreiben, schließlich würde Pakistan in den meisten Ländern nicht sehr positiv repräsentiert. Eine Stunde später erschien er erneut und forderte mich auf, ihm in das Hauptquartier einer der agencies zu folgen. Feldforschung in gewalttätigem Setting Während meiner Feldforschung waren die Konflikte im April 2012 bei Weitem die heftigsten, allerdings nicht die einzigen. Auch im August gab es wiederholt Schusswechsel und Anschläge in und um Gilgit, wie auch im November und Dezember (siehe auch Grieser/Sökefeld 2015). Laut einem Artikel auf dem Internetmagazin Pamir Times zählte der Menschenrechtsbeobachter in Gilgit (International Human Rights Observer, GB Chapter) im Rahmen von „sectarian conflicts“ 96 Tote und 23 Verletzte (Pamir Times, 20.01.2013).50 Gewalttätige Konflikte, v.a. zwischen Schiiten und Sunniten, wiederholten sich in Gilgit regelmäßig. In den vergangenen Jahrzehnten gab es in Gilgit-Baltistan gewalttätige Konflikte in den Jahren 1988, 1990-93, 2004-06, 2008-09 und 2012-13 (Kreutzmann 2012a: 240-2; sie-

ten aus und erschlugen sie. Einige Passagiere entflohen zum Fluss und stürzten sich in die Fluten, eine Frau starb an einem Herzinfarkt. Die übrigen Reisenden, unter denen auch der Nachbarn selbst war, wurden in umliegende Häuser gebracht und dort schließlich von Militär und Polizei abgeholt und nach Gilgit transportiert. 50

Die Liste umfasst 96 Tote und 23 Verletzte durch „sectarian violence“; 23 Selbstmorde (darunter 10 Frauen und 13 Männer); 7 Tote im Rahmen von sog. Ehrenmorden (6 Frauen, 1 Mann); außerdem zwei Gruppenvergewaltigungen (Pamir Times, 20.01. 2013).

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he auch Hunzai 2013; Sökefeld 1997a). In den letzten Jahren entstanden zunehmend auch wissenschaftliche Veröffentlichungen zu den (gewalttätigen) Konflikten in Gilgit-Baltistan und ihren Auswirkungen auf den Alltag in der Region.51 Wie Gesprächspartner erklärten, komme es gerade in Gilgit immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Schiiten und Sunniten und im Folgenden teilweise auch zu Gewalt und Gegengewalt. Der gewalttätige Konflikt wird oft am Verlauf zwischen schiitischen und sunnitischen Stadtteilen ausgetragen, ruft aber Angst und Vorsichtsmaßnahmen in ganz Gilgit hervor. Dabei spielt auch hier die Verbreitung von Informationen und Gerüchten eine bedeutende Rolle; nicht selten führen diese dazu, dass Bewohner sich in ihren Häusern verschanzen oder vermeintliche Gegenangriffe ausgeführt werden. Wie Subramaniam (1999) für religiöse Konflikte in Indien („communalism“, „communal riots“) schreibt, wird auch hier Gewalt nie als Angriff verstanden, sondern immer als Verteidigung oder Vergeltung für die Angriffe „der anderen“ (vgl. ebd.: 103). In beiden Fällen bilden Gewalt, Erinnerungen und Gerüchte einen Teufelskreis, der in Serien von alltäglichen und gewalttätigen Konflikten, in räumlicher Ausdifferenzierung und einer Kultur des Verdachts mündet. Chaudhary (2014) bettet entsprechend die wiederkehrenden gewaltsamen Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten, wie auch die Ereignisse von 2012, nicht in den Rahmen konfessioneller Konflikte, sondern in den einer lokalen Kultur von Blutfehden. Im Folgenden möchte ich die Feldforschung in einem „violent setting“ weniger in einen theoretischen oder forschungspragmatischen Kontext einbetten als es z.B. Ghassem-Fachandi (2009a), Kovats-Bernat (2002), Nordstrom und Robben (1995), Schmidt und Schröder (2001) oder Sluka (2000) tun, die damit eine „anthropology of violence and conflict“ etablieren. Stattdessen möchte ich aufzeigen, wie gewalttätige, ebenso wie alltägliche Konflikte das Leben in Gilgit prägen. Dabei gehe ich nicht davon aus, dass meine Wahrnehmung der gewalttätigen Konflikte oder der Zeit der Ausgangssperre mit den Wahrnehmungen durch Bewohner_innen Gilgitis übereinstimmt. Während ich z.B. durch die Nachrichten über die Schießereien in der Innenstadt zutiefst beunruhigt war und die Situation in Gesprächen verarbeiten wollte, gab es unter Freunden und Bekannten in Gilgit sehr verschiedene und auch diametral entgegengesetzte Reaktionen. Manche, wie auch die zwei jungen Männer aus Baltistan, zuckten nur mit den Schultern und erklärten, sie seien hiervon nicht sonderlich beunruhigt gewesen; außerdem wiederhole sich dies regelmäßig. Gebe es Nachrichten, dass geschossen werde, wisse man, dass man das Haus nicht verlas-

51

Z.B. Aase (1999), Ali (2008, 2009, 2010b, 2013), Chaudhary (2014), Grieser und Sökefeld (2015), Hunzai (2013), Stöber (2007), Sökefeld (1997a, 2015b), Varley (2008a, 2008b, 2010, 2014, 2015).

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sen solle; und die Familie daheim wisse, warum man sich nicht melde. Ein Freund erklärte mir sogar, seine Familie hätte eine wunderbare Zeit während der Ausgangssperre verlebt, sie hätten viel gegessen, geredet, ferngesehen und entspannt: „Even in the night we would sit together, talk, watch TV and make chips and eat. It was really a great time.“ Andere Freunde erklärten, dass sie selbst immer der Gefahr ausgesetzt seien, unter Beschuss zu kommen, und dass sie daher während und im Anschluss an Schusswechsel meist daheim blieben oder das Haus nur bewaffnet verließen. Während sich die meisten Bewohner_innen der Stadt im Rahmen ihrer Familien geborgen fühlten, fühlte ich mich von aller Kommunikation abgeschnitten; Kontakt zu Freunden und Familie in Deutschland, wie auch in Gilgit selbst, war aufgrund der abgeschalteten Mobiltelefonie nicht möglich. Ich schrieb Briefe an Freundinnen, in denen ich versuchte, meine Ängste, Zweifel und Unklarheiten auszudrücken. Ich war ratlos gegenüber dem Wissen, dass, nur wenige Kilometer weiter, Menschen auf einander schossen und dass Bekannte, mit denen ich wenige Tage zuvor im Bus von Islamabad nach Gilgit gefahren war, ausgesondert und erschossen worden wären, hätten wir vier Tage später im Bus gesessen. Bemerkenswerterweise war es mir im Anschluss an gewalttätige Konflikte und an die Ausgangssperre über Gilgit nur sehr begrenzt möglich, Informationen über die Erfahrungen anderer über diese Zeit zu bekommen. Meine Fragen nach Schwierigkeiten während der Ausgangssperre wurden oft abgewimmelt. Dabei bedeutet die eingeschränkte Mobilität für etliche Familien auch Knappheit an Lebensmitteln, an Wasser sowie eine Gefährdung der Gesundheit (vgl. Ali 209: 128). Eingeschränkte Mobilität bedeutet auch eingeschränkte Möglichkeiten, medizinische Notfälle behandeln zu können, da der schnelle Zugang zu den Krankenhäusern oft nicht möglich ist, medizinisches Personal nicht erscheint und Medikamente nicht erhältlich sind (vgl. Varley 2008a, 2010, 2014). Viele Familien haben außerdem kaum Vorräte an Lebensmitteln, ebenso wenig an Wasser, was gerade in Siedlungen, deren städtische Wasserversorgung aufgrund von traditionellen Wasserrechten im Frühjahr ausgesetzt wird, wie im Stadtteil meiner Gastgeber, deutlich spürbar werden kann. Dennoch beschrieb mir keine Familie die Ausgangssperre als deutlich problematisch und erklärten lieber, sie hätten sich einfach auf die Hilfe ihrer Nachbarinnen und Nachbarn verlassen. Dennoch möchte ich im Folgenden versuchen, Konsequenzen von Ausgangssperren auf die Wasserversorgung in Gilgit aufzuzeigen. Wasserversorgung während der Ausgangssperre Die Ausgangssperre über Gilgit bedeutete zunächst die Beschränkung von Bewegungen innerhalb der Stadt und damit auch, dass öffentliche Einrichtungen, Schulen, Krankenhäuser, Geschäfte, Banken etc. geschlossen wurden. Die Beschränkung von Mobilität während Ausgangssperren zielt darauf ab, die Gewalt zwischen den Bewohnern unterschiedlicher Stadtteile, die Bewegung von Delinquenten sowie das

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Schmuggeln von Waffen zu begrenzen. Oft werden in dieser Zeit auch Hausdurchsuchungen gemacht, in denen das Militär nach Verdächtigten und illegalen Waffen sucht. Während Soldaten v.a. entlang der Hauptstraßen patrouillieren, ist Bewegung innerhalb von Stadtteilen und Nachbarschaften teilweise möglich, aber auch hier gehen Soldaten hart gegenüber Leuten vor, die außer Haus erwischt werden. Die Armee kontrolliert Hauptstraßen, errichtet Straßensperren und verteilt ggf. Passierscheine („curfew passes“) z.B. an Beamte und Mitarbeiter von Krankenhäusern, öffentlichen Einrichtungen wie der Water and Sanitation Authority (WASA) oder dem Electricity Department. Doch werden nicht alle Stadtteile gleichmäßig durch öffentliche Wasserinfrastrukturen und Einrichtungen bewirtschaftet. Gerade manche neue Stadtteile sind (noch) nicht über Infrastruktur abgedeckt oder werden temporär, d.h. im Frühjahr, nicht versorgt, wie z.B. die Lalik Jan Colony,52 die Nachbarschaft, in der ich im Frühjahr 2012 während der Ausgangssperre wohnte. Normalerweise versorgen sich die Bewohner_innen im Frühjahr über private Anstrengungen mit Wasser. Einige Familien beziehen zwischen Februar und Mai Wasser über sogenannte tankers, von Traktoren gezogene Tankwagen, die – je nach Zahlungsfähigkeit der Familien – mit Wasser aus dem Fluss, dem Jutial Bach oder einer Quelle gefüllt werden. Je nach Distanz holen am oberen Ende des Stadtteils auch Kinder Wasser in Kanistern aus dem Tank, die sie in Schubkarren über die oft holprigen Gassen zwischen den Häusern und Nachbarschaften schubsen. Von meinem Besuch im Jahr zuvor wusste ich zwar, dass Wasser in allen Häusern meist nur begrenzt zur Verfügung steht. Da ich aber bislang im Hotel gewohnt hatte, hatte ich dies nicht voll internalisiert und nur langsam wurde mir bewusst, dass ich mein Verhalten entsprechend anpassen sollte. Nachdem ich noch vor der Ausgangssperre in Gilgit angekommen war, hatte ich meine Kleidung gewaschen und setzte meine Gewohnheit fort, jeden zweiten Tag zu duschen. Daraufhin merkte Manwar, der junge Mann im Haus, am zweiten Tag der Ausgangssperre an, dass sie im Frühjahr kein Wasser über die Leitungen bekämen und stattdessen einen tanker rufen müssten. Nachdem alles zum Stillstehen gekommen war realisierte auch ich, dass dies derzeit kaum möglich sein würde und begann, mich einzuschränken. Ich reduzierte das Duschen auf jeden vierten Tag und hörte im Garten sitzend, neidisch das Wasser auf dem Grundstück eines Nachbarn – einem Ingenieur, der für das Public Works Department (PWD) arbeitete und der beinahe ununterbrochen seinen eigenen Garten zu bewässern schien – fließen. Schon im Februar hatte es in vielen neuen Nachbarschaften Jutials kein Wasser gegeben – eine Situation, die in einer lokalen Zeitung mit der Überschrift „Sechs Siedlungen Jutials beginnen, den Anblick

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Ebenfalls ein Pseudonym.

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Kerbelas53 zu geben“ beschrieben wurde (Daily Bang-e-sahar, 04.02.2012). Auch im Garten meiner Gastgeber begann der Rasen langsam zu vertrocknen und die im letzten Jahr gepflanzten Kirschbäume ließen ihre Blätter hängen. Zwar hatten meine Gastgeber mit ca. 60 Kubikmetern einen vergleichsweise großen, betonierten Tank unter ihrer Einfahrt ausheben lassen, aber dennoch war es klar, dass wir uns in Anbetracht der Ungewissheit der Situation vorerst im Wasserverbrauch beschränken würden. Nach zwanzig Tagen Ausgangssperre, als die Beschränkung, tagsüber das Haus zu verlassen, aufgehoben worden war, hörte ich plötzlich, wie es im Garten anfing zu plätschern. Der Neffe meines Gastgebers hatte es am späten Abend geschafft, 45 Minuten an Wasser über die Nachbarschaftsorganisation zu bekommen. Da der Wassertank unter der Einfahrt dank unserer Einschränkungen noch halb voll war, leiteten die jungen Männer das Wasser über die Büsche, Bäume und Rosensträucher am oberen Ende des Grundstücks, von wo es sich über ein leichtes Gefälle entlang des Rasens zog, schließlich auf eine niedrigere Terrasse fiel und bei den trockenen Kirschbäumen versickerte. Ich versteckte mich ob des fremden Mannes, der die Abgabe des Wassers kontrollierte und dessen Stimme sich anhörte als habe er getrunken, im Zimmer, fürchtend, dass ein alkoholisierter Mann sich in Anbetracht einer angrēz schlecht benehmen oder dass er meine Anwesenheit während einer Ausgangssperre missdeuten könne. Wie mir Manwar später erklärte, sei die Familie meines Gastgebers Teil der Nachbarschaftsorganisation, die mithilfe von AKRSP Pumpanlage und Leitungen vom Fluss errichtet hatte. Für die 45 Minuten am Abend und weitere 75 Minuten am nächsten Morgen würden sie Rs.960 zahlen.54 Das sei zwar viel, aber immer noch weniger als die Rs.1000, die ein tanker koste, der sehr viel weniger Wasser liefere. Am nächsten Morgen begann Punkt 8 Uhr erneut das Plätschern des Wassers und nun wurden sowohl der Tank unter der Einfahrt gefüllt als auch der trockene Rasen unter Wasser gesetzt, der, wie sich später herausstellte, der ganze Stolz seines Besitzers war. Zwar war das Wasser aus dem Fluss als Bewässerungswasser gekauft worden, alle würden aber, wie Manwar versicherte, hier das Wasser nicht nur für den Garten nutzen, sondern auch für den Haushalt und als Trinkwasser und niemand würde davon krank – was für mich leider nicht galt.

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Kerbela ist ein Ort im Iran, der für seine Trockenheit bekannt ist, nachdem hier imām Hussain, der Enkel des Propheten Mohammad, seine Zelte aufgeschlagen, sein Gegner Yazeed aber das Wasser gestoppt hatte, woraufhin alles ausgetrocknet sei. Später kam es hier zur Schlacht bei Kerbela, in der Hussain getötet wurde, was zum zentralen identifikatorischen Moment für Schiiten wurde.

54

Zwischen 2011 und 2014 entsprachen 100 Pakistanische Rupien zwischen ca. 68 und 89 Eurocent.

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In den alten Teilen Jutials dagegen sei die Wasserversorgung während der Ausgangssperre kein Problem gewesen, wie mir eine Bekannte, Anees Fatima, später erklärte. Da die meisten Bewohner_innen Jutials „alte“ Siedler_innen sind, die zusammen mit den „alten“ Siedlern und Siedlerinnen Khomers Anspruch auf das Wasser des Jutial Nala erheben, bekommen die alten Teile Jutial auch im Frühjahr Wasser über die städtischen Wasserleitungen. Dementsprechend hatten die Bewohner_innen Jutials auch während der Ausganssperre Wasser über die Leitungen bekommen: die am Tank Angestellten, die in Jutial selbst wohnten, hätten weiterhin ihre Arbeit verrichtet, erklärte Anees. Dennoch überhörte ich ihre Schwiegermutter, wie sie Verwandten über Wasser, Kerbela und „Shia-Sunni“ erzählte. Auf meine Frage, ob sie es statt auf Shina auf Urdu erzählen könne, damit ich es auch verstehen würde, winkte sie ab: wie solle sie das denn auf Urdu erzählen? Am nächsten Tag sprach ich sie nochmals darauf an und nun übersetzte eine Verwandte: normalerweise wird im Frühjahr das Wasser des nāla rationiert und in wārīs, d.h. in Zeitabschnitten, an die „alten“ Siedler ausgeteilt. Doch dieses Jahr habe es im März und April so wenig Wasser gegeben, dass die ganze Aussaat an Klee und Gemüse, wie auch das Gras vertrocknet sei. Es sei gewesen wie in Kerbela. Erst im Juni sei genug Wasser geschmolzen, um die Felder wieder bewässern zu können, das sei aber für die Aussaat von einigem Gemüse schon zu spät. Den Teil über „Shia-Sunni“ allerdings erwähnte keine der Frauen am nächsten Tag mehr, genauso wenig wie die Tatsache, dass während der Konfliktzeiten viele das Haus nicht verlassen, um sich keinem Risiko auszusetzen, und gegebenenfalls viele nicht an die Kanäle gehen, um sich ihren Anteil an Wasser abzuleiten. Forschung unter (Selbst-)Überwachung Wie schon angedeutet, wurde ich drei Wochen in die Ausgangssperre hinein nach dem Besuch eines Internetcafés von einem Mitarbeiter der agencies angesprochen. Während die Mitarbeiter der agencies mich während des ersten Feldforschungsaufenthalts im Jahr zuvor vorzugsweise überwacht und nur im Hotel aufgesucht hatten, wurde ich nun aufgefordert, den Mitarbeiter in ihre Dienststelle zu begleiten. In einem glänzenden, schwarzen Jeep, dessen Ledersitze noch den Geruch von Neuwagen aussonderten, fuhren wir in ein Hauptquartier der agencies, wo ich einem Colonel vorgeführt wurde. Unterbrochen von Telefonanrufen befragte dieser mich erneut. Halb drohend warf er mir vor, wohl sehr kühn („brave“) zu sein; schon im letzten Jahr hätte ich mich – er zeichnete mit einer Hand eine Zickzack-Bewegung auf dem Tisch – „durchgeschlängelt“ und sei nun zurückgekehrt, trotz dem ich im letzten Jahr aus Gilgit verwiesen worden sei. Er befragte mich, was Ethnologie sei, worüber ich forschen wolle und wo ich wohnen würde und warf mir vor, offenbar sehr leicht Freundschaften zu schließen. Schließlich erklärte er, wenn ich tatsächli-

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che Studentin sei, müsse ich auch mit der lokalen Universität zusammenarbeiten. Über diese sollten meine Aktivitäten begutachtet und gelenkt werden. Er hatte schon einen Vertreter der Universität rufen lasen, welcher zu unserem Gespräch stieß und seinerseits Unterstützung durch die Universität anbot. Ein Treffen an der Universität wurde für den nächsten Tag festgesetzt. Dort waren die dazu gebetenen Naturwissenschaftler skeptisch gegenüber den offenen Methoden der Ethnologie, sagten aber dennoch Unterstützung zu. Eine halbe Stunde in das Gespräch platzte ein agency-Mitarbeiter herein, der sich später als Major Bilawal vorstellte. Vermutlich in Bezug auf eine Beschwerde, die ich während des vorigen Aufenthalts gegen einen übergriffigen Polizisten eingereicht hatte,55 beschuldigte er mich, ich hätte mich mit der Polizei „herumgetrieben“. Trotz Forschungsvisum und NOC herrschte er mich an, ohne Genehmigung in Gilgit zu sein und mich ohne Erlaubnis „herumzutreiben“. Von jetzt an müsse ich jeden Tag auflisten, wohin ich gehen und wen ich treffen wolle. Hielte ich mich nicht an ihre Regeln, würden sie mich sofort ausweisen. Schließlich sei das ihr Land und hier machten sie die Regeln. Ich dürfe mich nicht im öffentlichen Raum aufhalten, keine Restaurants oder Internetcafés besuchen, nicht in den angrenzenden nālas wandern gehen, müsse vor Einbruch der Dunkelheit im Haus sein, alle Treffen im Rahmen der Forschung im Vorhinein notieren und bewilligen lassen sowie sie im Nachhinein dokumentieren und dürfe außerhalb des Forschungsrahmens niemanden treffen. Ein Mitarbeiter der Universität solle mich als liaison officer beaufsichtigen. Hierfür müsse ich meine Aktivitäten mit Zeitpunkt und Zweck dokumentieren. Alle zwei Wochen sollte ich Listen von angedachten Gesprächspartnern/-partnerinnen erstellen und im Anschluss Listen der tatsächlichen Gesprächspartner_innen und besprochenen Inhalte. Diese würden über den liaison officer beurteilt und über ihn an die agency weitergegeben. Da die Zustimmung der Vice Chancellor (VC), der Leiterin der Universität, ebenfalls nötig war, sollte diese Regelung von ihr ebenfalls abgesegnet werden. Von der Vorstellung, eine Studentin zu unterstützen, die über die agencies an sie herangebracht wurde, war diese jedoch nicht begeistert. Sie bezichtigte mich, die Ressourcen der Universität „auszunutzen“, z.B. indem ich das universitäre Internet nutzte, und hielt mir vor, dass das Proposal untauglich sei: ihr Name sei auf dem Deckblatt nicht erwähnt, konkrete sampling-Methoden seien nicht beschrieben, außerdem sei der Zitierstil (der in der Ethnologie gängige, nicht der ihrer Disziplin) falsch. In den kommenden Tagen überarbeitete ich mein Proposal mit dem Versuch, die formellen Richtlienien einzuarbeiten, an die die VC aus ihrem Fach gewohnt

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Ein Polizist hatte mir seine Hand auf meinen Oberschenkel gelegt, was ich im Kontext als sexuelle Belästigung bewertete.

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war. Nach beinahe vier Wochen, in denen ich beinahe täglich an die Universität fuhr, zunächst um am Proposal zu arbeiten und anschließend auf die Zustimmung der VC zu warten, akzeptierte sie schließlich mein Proposal und erklärte, ich solle nur noch alle zwei Wochen kommen, um meine Listen der möglichen und tatsächlichen Gesprächspartner_innen über den liaison officer an der Universität absegnen und weiterleiten zu lassen. Schon die erste Liste lehnte die VC allerdings ab. Ohne exakte Zeitangaben für die geplanten Gespräche sowie wie Adresse und Telefonnummer der Gesprächspartner_innen würde sie mein Vorhaben nicht absegnen. Weil ich mich nicht in der Lage sah, zu den Namen auch Informationen wie Telefonnummern oder Adressen anzugeben, kontaktierte ich den Colonel. Dieser war weniger hieran interessiert als skeptisch, warum ich überhaupt mit „normalen“ Leuten reden wolle – was könnten mir „normale“ Leute schon erzählen? Dabei untersagte er mir außerdem Kontakt zu „Expertinnen“ und „Experten“, Politikerinnen, Politikern, Beamten und Beamtinnen. Später untersagte er mir Kontakt zu Angestellten von Nichtregierungsorganisationen wie WASEP und setzte dessen Mitarbeiter unter Druck, Kontakt zu mir zu unterlassen. Unter diesen Restriktionen begann ich im Sommer 2012 die Forschung in Gilgit. Aufgrund der Bedingung, alle Gesprächspartner_innen im Vorhinein aufzulisten, führte ich v.a. Interviews mit Verwandten und Bekannten meiner Forschungsassistenten sowie Nachbarn und Nachbarinnen. Die meisten Gesprächspartner_innen kamen aus Jutial und Zulfiqarabad sowie Kashrot im Zentrum der Stadt; daneben führte ich Gespräche in anderen Stadtteilen wie Khomer, Barmas, Sonikot, Sakarkui, Konodas, Ampheri und in Minawar, einem Ort etwas außerhalb Gilgits. Ab und an verließ ich die Stadt und verbrachte einige Tage in Hunza oder Yasin – Täler die drei bzw. sechs Fahrtstunden von Gilgit entfernt waren –, wo ich (ebenfalls angekündigte) Interviews führte. Diese Abstecher in eher ländlichen Kontexten boten mir Vergleichsperspektiven, aber auch die Möglichkeit, für kurze Zeit der gefühlten Enge Gilgits zu entfliehen. Dennoch hatte ich immer die Hoffnung, dass die Situation sich zum Besseren wenden könne, würde ich alle Regeln befolgen. Im Rahmen meiner Bewerbung für ein weiteres NOC für meinen nächsten Feldforschungsaufenthalt erhielt das Innenministerium (positive) Berichte von allen agencies, außer der, deren Mitarbeiter mich 2012 kontaktiert und mir die restriktiven Regeln gesetzt hatten. Deren Mitarbeiter verweigerten schlicht eine Reaktion und obwohl das Ministerium wiederholt Fristen setzte, verstrichen diese ohne Antwort. Nach einem Monat der Wartezeit in Islamabad brach ich schließlich – wiederum mit Forschungsvisum aber ohne Forschungs-NOC – nach Gilgit auf, um dort die Ausstellung eines „Interim NOC“ zu beantragen. Ein solches Dokument hatte ein Kollege kurz zuvor vom Home Department in Gilgit bekommen. Unter Verweis auf die lange Bearbeitungszeit in Islamabad erbat auch ich ein vorläufiges Doku-

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ment am Home Department. Mithilfe von Bekannten hatte ich schon in Islamabad dem Chief Secretary, dem obersten Verwaltungsbeamten der Region, meine Probleme geschildert und nach einem weiteren Besuch in Gilgit ordnete er das Home Department an, ein Interim NOC auszustellen. Im Home Department ging der Auftrag jedoch an Farhad, den Beamten aus Hunza, der schon 2011 meine Unterlagen an die agencies geleitet hatte und der, wie mir mehrere Bekannte erklärt hatten, die negativen Gerüchte über mich verbreitet hatte. Als ich wenige Tage ins Home Department gebeten wurde, um das Interim NOC abzuholen, war Farhads Vorgesetzter, der Secretary Home (Staatssekretär für Innere Angelegenheiten), am Telefon mit dem Colonel. Dieser behauptete, ich hätte mich verdächtig verhalten, wie der Staatssekretär – offenbar davon ausgehend, ich könne ihm auf Urdu nicht folgen – gegenüber seinen Mitarbeitern wiederholte. Mir zugewandt erklärte er, er könne mir aufgrund meiner vorigen Besuche in Gilgit nun kein Interim NOC ausstellen – das könne nur vom Innenministerium getan werden. Diese Entscheidung bedeutete, dass ich abreisen musste. Dennoch war der Aufenthalt nicht ganz vergebens gewesen. Da ich während des bisherigen Aufenthalts keine Forschungsgenehmigung gehabt hatte, hatte ich bis dahin meine Forschung auch nicht offiziell fortführen können. Im Umkehrschluss hatte dies aber bedeutet, dass ich für einige Wochen weitaus mehr Freiheiten genossen hatte als im Jahr zuvor: ich war nicht mehr genötigt gewesen, Pläne zu erstellen und Gesprächspartner_innen aufzulisten, und hatte die Zeit v.a. genutzt, um Zeit mit Bekannten aus den vorherigen Feldforschungsaufenthalten zu verbringen, wogegen die Mitarbeiter der agencies keinen Einwand erhoben hatten. Ich hatte – der Vorstellung von loser teilnehmender Beobachtung vergleichsweise nahekommend – viel Zeit mit Familien in Jutial verbracht, die ich von den vorherigen Besuchen kannte, hatte Gelegenheit, mit einer Bekannten in den frühen Morgenstunden ihre Beete zu wässern, Unkraut zu jäten und Gemüse zu putzen, hatte mit einem Forschungsassistenten in den frühen Morgenstunden einen Ausflug ins Jutial Nala unternommen, hatte eine Hochzeitsfeier besucht und das Gefühl der Enge abgebaut, das sich in den vorherigen Besuchen in Gilgit ausgebildet hatte. Zwar kontaktierten agency-Mitarbeiter auch jetzt eine Familie bei der ich viel Zeit verbrachte und suchten mich bei meiner Gastgeberin auf. Aber weil ich offiziell keine Forschung machte bzw. machen durfte, hatte ich auch nichts zu berichten, außer, dass ich noch immer auf das Interim-NOC des Home Departments wartete. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland hatte ich aufgrund des Widerstands der agency-Mitarbeiter den Entschluss gefasst, die Datenerhebung vorzeitig abzuschließen und die Ethnographie auf der Basis der bislang erhobenen Daten zu schreiben. Unverhofft stellte das Innenministerium im Herbst 2013 schließlich ein weiteres Forschungs-NOC für mich und Kolleginnen aus, das wir im Frühjahr beantragt hatten. Hiermit kehrte ich für einen weiteren Feldforschungsaufenthalt von Januar bis

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April 2014 nach Gilgit zurück und führte weitere Interviews. Einige der agencyMitarbeiter, die mich in den letzten Jahren angegangen hatten, waren mittlerweile versetzt worden oder ihre Versetzung stand kurz bevor. Ein neuer Colonel erlaubte mir ohne Einschränkungen oder Bedingungen meine Forschung fortzuführen und verlangte nur, dass ich in einem Hotel wohnen solle. Dort suchten mich zwar häufig alte und neue agency-Mitarbeiter auf und versuchten mich wiederum unter Druck zu setzen; dies schafften aber Verwandte des Hotelbesitzers zu unterbinden, indem sie sich an deren weitere Vorgesetzte wandten. Wie schon in den Wochen des vorherigen Aufenthalts konnte ich mich nun beinahe unbehelligt bewegen und Interviews führen – wenn auch nicht unbeobachtet, wie ich nebenbei erfuhr: Ein neu nach Gilgit gezogener Mitarbeiter einer agency hatte sich im selben Hotel eingemietet; ein anderer bekannte sich bei einer Gelegenheit dazu, für eine der agencies zu arbeiten und mir seit Längerem immer wieder zu folgen, wenn ich das Hotel verließe. Eine Woche vor meiner Abreise wurde ich allerdings durch die lokale Verwaltung aufgefordert, Gilgit noch am nächsten Tag zu verlassen. Wie sich herausstellte, hatte Major Bilawal, der agency-Mitarbeiter, der mich schon 2012 u.a. an der Universität angegangen war, das NOC derart ausgelegt, dass die Gültigkeitsdauer überschritten sei und ich meine Forschung sofort abbrechen müsse. Während ich daraufhin gezwungen war, aus Gilgit abzureisen, wurde meine Kollegin, die mit demselben NOC forschte, zur selben Zeit eingereist war und sich zur selben Zeit in Gilgit aufhielt, weder kontaktiert noch aufgefordert Gilgit zu verlassen. Analyse zur Forschung unter Verdacht und Überwachung Im Folgenden diskutiere ich die Grundlagen, die Verdacht und Überwachung nicht bedingten, aber aufrechterhielten, und analysiere ihre Folgen für die Forschung. Das Interesse am Staudamm und Befürchtungen, eine Forschung dazu könne ein ohnehin umstrittenes Projekt weiter politisieren, war wohl ursprünglicher Anlass, die Überwachung zu beginnen. Wie ich meine, ist es die „local politics of surveillance“ (Lyon/Haggerty/Ball 2012: 2) aufgrund derer der Verdacht aufrechterhalten und ich weiter überwacht wurde. Dabei schließe ich mich Lyon, Haggerty und Ball an, die davon ausgehen, dass Überwachung darauf abzielt, Dinge, Menschen und Informationen zu ordnen um so Sicherheit herzustellen. Welche bestimmten Formen Überwachung annimmt, wer und was überwacht wird und auf welchen Grundlagen, ist lokal- und kulturspezifisch und von politischen und historischen Aspekten, Ängsten und Absichten beeinflusst (ebd.). Entsprechend analysiere ich zunächst die Absichten der Geheimdienstmitarbeiter, Sicherheiten herzustellen. Im Anschluss diskutiere ich deren Konsequenzen für die Feldforschung, Datenerhebung und methodologische Erkenntnisse.

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(Nationale) Sicherheit garantieren Alle Mitarbeiter der agencies und Polizei begründeten ihre Schritte unter Verweis darauf, dass es ihre Aufgabe sei, Sicherheit zu gewährleisten. Dabei gab es jedoch zwei unterschiedliche Referenzpunkte bezüglich des Objekts der Sicherheit. Insbesondere rang-niedere Beamte begründeten ihre Maßnahmen mit ihrer Verantwortung, mich zu schützen. Der Colonel dagegen begründete 2012 seine Maßnahmen mit der Verantwortung, das Land zu schützen und verwies dabei auf das Forschungs-NOC, laut dem diese Aufgabe regulär an „seine“ Behörde übertragen war. Entsprechend mahnten gerade seine Mitarbeiter wiederholt ihre Autorität bezüglich meiner Forschung an, bis dahingehend, dass sie die Bemühungen des Innenministeriums untergruben oder selbst bestimmten, wie ein Dokument zu lesen sei und für wen es welche Konsequenzen nach sich ziehen müsse. Wie der Colonel und Major Bilawal erklärten, sei dies ihr Land, in dem sie die Regeln machten. Insofern verwiesen die Mitarbeiter immer wieder auf Sicherheit als Grundlage für ihr Eingreifen. Dagegen schien die Art und Weise ihrer Eingriffe eher darauf abzuzielen, die soziale Ordnung entsprechend kultureller Logiken und sozialer Praktiken (wieder-)herzustellen, die ich teilweise transzendierte. Betreffs der Forschung erachteten sie eine Beziehung zur lokalen Universität als notwendig; von einer Frau erwarteten sie Verhalten entsprechend lokaler Verhaltensregeln für Frauen; als Ausländerin musste ich bei meinem Forschungsaufenthalt 2014 in einem Hotel logieren (siehe auch Grieser 2016). Die Unfassbare kontrollieren Während viele Forscher_innen in der Region, ebenso wie auch in Pakistan generell (und ferner wie in ganz Südasien), häufig ohne offizielle Genehmigungen forschen, war ich mithilfe der Professoren in München und Islamabad zu meinem ersten Forschungsaufenthalt mit einem Bescheid des Ministry of Interior und mit Forschungsvisum nach Gilgit gekommen. Mit diesen Dokumenten hatte ich angenommen, es sei weder möglich noch nötig mein Forschungsvorhaben zu verstecken. Dennoch, oder vielleicht auch deswegen, schalteten sich Mitarbeiter der agency ein und engagierten sich über das „gewöhnliche“ Maß an Überwachung anderer Ausländer_innen hinaus. Wie ich an anderer Stelle (Grieser 2016) ausführe, deute ich die Reaktionen der agency-Mitarbeiter über mehrere Aspekte (ethnologische Methoden, Geschlecht, Fremdheit, Rollenunschärfe). Dazu zählt auch die Tatsache, dass sich meine Forschung nicht entsprechend positivistischer Methoden über ein klar abgestecktes Forschungsobjekt, eine bestimmte Forschungslokalität, ein klar vorgezeichnetes Vorgehen und eine klar definierte Forschungsfrage auszeichnete. Wie ich meine, läuft dies dem in Pakistan vorherrschenden Wissenschaftsverständnis zugegen. Mit einem vergleichsweise offenen Ansatz und weitgehendem Verhalten entsprechend

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meiner Erziehung, in der Kontakt zwischen Männern und Frauen nicht untersagt war, hatte ich offenbar außerdem diverse Grenzen überschritten: zwischen öffentlichem und privatem Raum, den Sphären von Männern und Frauen, als politisch und nicht-politisch verstandenen Themen. Ich kleidete mich zunehmend wie Frauen vor Ort, nutzte aber ohne Begleitung den lokalen Nahverkehr. Ich wohnte wie Ausländer_innen im Hotel, übernachtete aber auch bei Familien. Darüber hinaus sprach ich – wenn auch anfangs nur rudimentär – Urdu. Dadurch war ich offenbar „nicht fassbar“ und wurde, wie ich 2012 mit Forschungs-NOC nach Gilgit zurückkehrte, von den agency-Mitarbeitern mit Regeln konfrontiert, um mein Verhalten entsprechend lokaler Erwartungen zu Forschungen und gender-spezifischen Rollen einzuschränken. So sollte ich meine Bewegungen innerhalb der Stadt und der Region einschränken und ankündigen; Exkurse in die Umgebung wurden verboten, Kontakt zu Mitarbeitern von NGOs und Beamten wurden untersagt. Darüber hinaus erlaubten die Regeln den Mitarbeitern, Treffen für Interviews leicht zu überwachen oder zu inspizieren. In mancher Hinsicht schränkte ich mich aufgrund des schon 2011 aufgebauten Drucks und der Drohungen, ich würde des Landes verwiesen, würde ich gegen die Regeln verstoßen, effektiv selbst entsprechend der Vorgaben der agency-Mitarbeiter ein. Eine methodologisch offene Vorgehensweise, die z.B. gegenüber ZufallsBegegnungen und zufälligen Erlebnissen und Erkenntnissen offen ist (vgl. Behar 2003; Okely 2012), war aus meiner Sicht beinahe unmöglich geworden. Insofern stellt sich die Aufgabe, die Flexibilität ethnographischer Methoden gegebenenfalls noch flexibler zu denken: Eine „Rückkehr“ z.B. zu standardisierten Interviews ist dann kein Versagen gegenüber ethnologischen Methoden, wie im universitätsethnologischen Kontext oft suggeriert, sondern eine Notwendigkeit im Hinblick auf die Erwartungen der Akteurinnen und Akteure (siehe auch Sökefeld/Strasser 2016). Darüber hinaus ähnelten die Regeln der agency-Mitarbeiter außerdem den Regeln, denen (junge) Frauen in Gilgit entsprechend sozialer Normen unterworfen sind. Meinem Geschlecht wurde offenbar sehr viel mehr Bedeutung zugemessen, als ich, mein betreuender Professor oder auch viele Gesprächspartner_innen in Gilgit erwartet hatten. Der Einfluss, den das Geschlecht von Forschern und Forscherinnen auf die Forschung ausübt, wird oft vernachlässigt, es sei denn dass sich die Forschung explizit mit Geschlechterrollen oder geschlechtsspezifischen Aspekten beschäftigt. Wie ich auch an anderer Stelle (Grieser 2014) ausführe, ist die Vorstellung, dass Forscherinnen in einer geschlechtergetrennten Gesellschaft Kontakt sowohl mit Männern als auch mit Frauen pflegen können und dadurch einen Vorteil gegenüber Forschern haben, nicht unüblich (ebd.: 162; siehe auch Moreno 1995: 247-8; Gill/Maclean 2002; Golde 1986: 8-9). So schreibt z.B. Thompson (2011), die in Afghanistan und Pakistan zum Hawala-System forschte, dass sie als Frau keinerlei Beschränkungen unterworfen war, ihr Verhalten weder den lokalen Nor-

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men einer Frau noch eines Mannes entsprach und sie daher von ihren Interaktionspartnern und Interaktionspartnerinnen als quasi „geschlechtslos“ betrachtet wurde (ebd.: 26). Dabei ist, wie ich meine, die Annahme, dass Forscher_innen quasi „geschlechtslos“ in die Forschung gehen können, ein Trugschluss, insbesondere wenn es sich um Forschungen in Gesellschaften handelt, in welcher außerhalb der Familie die Sphären von Frauen und Männern streng getrennt sind. Meine Erfahrungen unterstützen die Annahme, dass fremde Frauen bzw. Forscherinnen in einer solchen Gesellschaft die Möglichkeit haben, sich problemlos in beiden Sphären zu bewegen, nicht. Dennoch waren die Schwierigkeiten bzw. die Reaktionen und Restriktionen mir gegenüber nicht nur für mich und meine betreuenden Professoren überraschend, sondern auch für meine Gesprächspartner_innen und Bekannten vor Ort. Allen Bekannten war der große Einfluss, den die agencies in Gilgit auch in alltäglichen Angelegenheiten nehmen, bekannt. Viele waren beruflich ebenfalls Überwachungen oder Einmischungen von agency-Mitarbeitern ausgesetzt. Dennoch waren sie über die Direktheit, mit der mich die Sicherheitsbeamten kontaktierten, sowie über die Heftigkeit, mit der sie sich in die Durchführung meiner Forschung einmischten, erstaunt und bestürzt. Alle empfanden die Restriktionen und den Druck unangemessen und außerdem schädlich für das öffentliche Image der Region. Das Verbot der agency-Mitarbeiter, mich bei Familien aufzuhalten, weil ich gegebenenfalls an „die Falschen“ geraten könne, verstanden einige als Verleumdung ihrer Gastfreundlichkeit. Die meisten erklärten sowohl die Direktheit als auch die Heftigkeit der agency-Mitarbeiter unter Bezug darauf, dass ich eine junge Frau sei: deshalb sei ich für die frustrierten männlichen Sicherheitsbeamten interessant sowie – mit Hinblick auf die Befürchtung als Frau könne ich lokale Männer verführen und ihnen Geheimnisse entlocken – vermeintlich bedrohlich. Andere waren über die Einmischungen der agency-Mitarbeiter verärgert, weil sie sie als Versuch interpretierten, zu verhindern, dass Wissen über die Region generiert und verbreitet würde. Ein Freund erklärte echauffiert, dass er angeregt durch meine Forschung auch Neues über die Geschichte der Region gelernt hatte, wie über Dadi Jawari, die im 17. Jahrhundert Gilgit regiert und in ihrer Regierungszeit das Ausheben mehrerer Kanälen veranlasst hatte (siehe das Unterkap. „Öffentliche Wasserversorgungen…“). Das Wissen darüber, dass es in der Region schon vor langer Zeit auch Regentinnen gegeben hatte, könne z.B., wie er fortfuhr, heute Ansporn sein, Gleichberechtigung voranzutreiben und somit zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung der Region beizutragen. Die agencies dagegen würden mit allen Mitteln versuchen, den Fortschritt der Region zu dämpfen, weswegen sie auch Forschung in der Region verhindern wollten. Andere deuteten meinen Besuch in Diamer und mein Interesse an dem dort geplanten Staudammbau als Grundlage für die Befürchtung, ich könne eine amerikanische Spionin sein – was, wie ich im Nachhinein erfuhr, auch

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die Begründung gewesen war, mich aus Diamer auszuweisen. Während Interesse am Staudamm aber gegebenenfalls zunächst die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter der agencies auf mich gelenkt haben mag, wurde dies von den Mitarbeitern, wie auch dem Colonel, mir gegenüber nie direkt angesprochen. Genauso wenig wurde ein direktes Verbot ausgesprochen, mich damit zu befassen. Doch obwohl alle Gesprächspartner_innen die Einmischung der agencies ernst nahmen, tadelten mich einige Bekannte auch, ich solle mich nicht zu sehr auf die Forderungen der agencyMitarbeiter einlassen und stattdessen den Versuchen, Druck aufzubauen, ausweichen; so solle ich auf nächtliche Anrufe von unbekannten Nummern hin einfach das Telefon ausschalten und Textnachrichten mit Drohungen unbeantwortet lassen. Vollständige Willfährigkeit mit den Bedingungen, die die Mitarbeiter setzten, schien vielen nicht unbedingt notwendig. Unsicherheit und Ungewissheit im Feld Aufgrund der Überwachung dominierten für mich Unsicherheit und Ungewissheit die Zeit in Gilgit. Insbesondere während der Feldforschungen 2011 und 2012 fühlte ich mich als sei ich unter ständiger Überwachung. Das Misstrauen und die Überwachung führten zu Selbstzensierungen und Selbstdisziplinierungen meinerseits.56 Die meiste Zeit war es mir nicht möglich, eine unverfängliche und produktive Herangehensweise an die Forschung zu entwickeln. Während aller Forschungsaufenthalte fürchtete ich, dass ich jederzeit aufgefordert werden könnte, Gilgit oder Pakistan zu verlassen und dass eine Wiedereinreise unmöglich gemacht werden könnte. 2011 war ich aufgefordert worden, Gilgit zu verlassen solange ich kein Forschungs-NOC hätte, 2013 wurde die Ausstellung sowohl eines Forschungs-NOCs als auch eines Interim NOCs durch die Ausflucht und Verweigerung der agency-Mitarbeiter verhindert und 2014 wurde ich trotz Forschungs-NOC aufgefordert Gilgit zu verlassen, wobei das gemeinsame NOC für mich und meine Kollegin unterschiedlich ausgelegt wurde. Darüber hinaus hatte ich, insbesondere nach dem unsanften Umgang mit Kareem, dem Bekannten, der bei WASEP arbeitete und der auf einen Pickup gedrängt und weggefahren worden war, wiederholt Zweifel, ob die körperliche Unversehrtheit meiner Gesprächspartner und Bekannten sicher sei. Und nicht nur ich selbst hatte auch Zweifel bezüglich meiner eigenen Sicherheit, was 2014 in der Warnung des Hotelbesitzers zum Ausdruck kam, ich solle meine Wasserflaschen

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Vgl. auch ähnliche Dilemmata in Forschungen unter Überwachung wie von JoniakLüthi (2016) oder Zadrożna (2016) analysiert. Siehe auch Foucaults (1995) „self-governing“ und die Idee von „governmental power“ als das Kultivieren von Bedingungen, unter denen nicht-souveräne Subjekte entstehen (vgl. Hart 2004: 92).

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im Zimmer nicht unbeachtet lassen. Auf meine Nachfrage ergänzte er, es könne durchaus jemand seine Angestellten dafür bezahlen, mir etwas ins Wasser zu geben. Die Art und Weise, wie sich die agency-Mitarbeiter engagierten, rief eine umfassende Angst hervor, mich „falsch“ zu verhalten, Personen zu befragen, die in den Augen der Mitarbeiter als „die falschen“ Personen verstanden werden könnten und Fragen zu stellen, die in Berichten über meine Interviews als „die falschen“ Fragen verstanden werden könnten. Ich hatte oft das Gefühl, verletzbar und hilflos zu sein und potenziell eine Gefahr für mich und andere darzustellen und es war äußerst anstrengend und unangenehm, die Forschung und die Vorgehensweise konstant gegenüber Mitarbeitern der agencies verteidigen zu müssen und zu versuchen, nachzuvollziehen, wie diese meine Handlungen würden interpretieren können. Überdies schlichen sich konstantes Misstrauen und Wachsamkeit gegenüber den meisten Gesprächs- und Interaktionspartnern in meinen Forschungsalltag ein, insbesondere da sich Sicherheitskräfte zumeist nicht als solche auswiesen und auch viele „normale“ Bürger als Informanten für die agencies arbeiten oder ihnen Informationen zutragen. Im Verlauf der ersten zwei Feldforschungsaufenthalte schienen auch „gute“ ethnographische Beziehungen, mit Vertrauensverhältnissen unter dem Vorzeichen gegenseitiger Bereicherung kaum oder nur eingeschränkt möglich. Auch Beziehungen, die z.B. Bornstein (2007) als „meaningful relationships“ bezeichnet und als Beziehungen beschreibt, die den Grenzen der Forschung strotzen (ebd.: 485), waren von den öffentlichen Institutionen klar unerwünscht. Mitarbeiter der agencies – ebenso aber auch Sicherheitskräfte an der lokalen Universität – bauten Druck auf, Kontakte einzuschränken. Das Zusammenspiel von Überwachungspraktiken, strukturellem und institutionellem Misstrauen, über welches ethnographische Beziehungen und auch Freundschaften infrage gestellt und getrübt wurden, hinderten mich so daran, diverse Beziehungen aufrechtzuhalten oder auszubauen. Gefördert wurden Wachsamkeit und Misstrauen darüber hinaus durch die Warungen vieler (männlicher) Gesprächs- und Interaktionspartner, anderen nicht zu trauen und mich niemandem anzuvertrauen. Als Ausländerin ohne (einflussreiche) Familie vor Ort sei ich ohnehin schutzlos. Meine Offenheit, von meiner Forschung oder meinem Forschungsthema zu erzählen, habe mich darüber hinaus verletzbar bzw. angreifbar gemacht hatte. Entsprechend boten mir manche Bekannten den Schutz ihrer Familien an und erklärten, sie würden den Mitarbeitern der agencies (größtenteils Männer aus dem Punjab) beibringen, wie sie sich – auch mir gegenüber – zu verhalten hätten. Während der Überwachungsapparat also manche Beziehungen beschleunigt erodieren ließ, war er in anderen die Basis für Hilfsangebote und Vertrauensbekundungen. Wie auch Verdery (2012: 21) schreibt, galt auch hier, dass Überwachung vertrauensvolle Beziehungen nicht automatisch verhinderte, aber die Gestaltung und den Modus von Beziehungen beeinflusste und das Terrain und die Bedingungen von Feldforschung verschob. Sökefeld und Strasser (2016)

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und Verdery (2016) schlagen in Bezug auf Feldforschung unter Überwachung entsprechend vor, die Rolle von Vertrauen – dem im ethnographischen Methodenkatalog eine immense Bedeutung zugemessen wird – eingehender zu untersuchen. Dabei stellt sich weniger die Frage, ob und inwiefern vertrauensvolle ethnographische Beziehungen nötig sind, um ein entsprechend tiefes und umfassendes Verständnis für ein Thema, für die Akteure und Akteurinnen, ihre Handlungen und Interpretationen gewinnen zu können. Eher stellt sich die Frage, wie mit Situationen umgegangen werden kann, in denen Vertrauen abwesend oder nur schwer erreichbar ist oder in denen Vertrauen in Zweifel gezogen wird. Darüber hinaus scheint es bemerkenswert, dass zwar z.B. postkoloniale und feministische Ansätze ethisch unverantwortbare Konsequenzen für Forschungs- und Interaktionspartnern diskutieren. Die Tatsache, dass aber auch Forschende oft nicht ohne Verletzungen aus dem Feld kommen, ist eher selten diskutiert (Coffey 1999: 41; siehe auch Sökefeld/Strasser 2016). Dabei sind Feldforschungserfahrungen insbesondere für Anfänger_innen oft aufwühlend und schwierig (siehe z.B. Begley 2009; Pollard 2009; Zadrożna 2016). Dabei entscheiden sich viele Forscher_innen, auch wenn die Möglichkeit besteht, die Feldforschung abzubrechen oder das Feld zu ändern, dafür, trotz Verletzungen und Schattenseiten im Feld zu verbleiben (vgl. Pollard 2009; Zadrożna 2016; siehe auch Sökefeld/Strasser 2016).

ETHNOGRAPHISCHE DATENERHEBUNG/-PRODUKTION UND ETHNOGRAPHISCHE BEZIEHUNGEN Wie z.B. Behar (2003) oder aber auch Okely (2012: 47-55) argumentieren, zieht die Ethnologie ihre Stärke v.a. aus der Flexibilität gegenüber dem Feld, d.h. gegenüber dem, was im Feld wichtig wird. Forschung, Thema, Datenerhebungsmethoden und konzeptuelle Einbettung werden zwar gegebenenfalls im Voraus anvisiert, werden aber letztlich im Prozess der Forschung verändert oder angepasst. Damit weicht die ethnographische Methodologie von anderen Disziplinen mit vorstrukturierten Forschungsdesigns, welche als unabhängig von den Forschungs-umständen und -prozessen aufgefasst werden, ab (Okely 1992, 2012).57 Anpassungen sind Teil der meisten ethnographischen Forschungen, welche entsprechend dem konstruktivisti-

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Dennoch gibt es auch innerhalb der Ethnologie Druck, dem Anspruch von vermeintlicher „Neutralität“, „Unpersönlichkeit“ und dadurch „Wissenschaftlichkeit“ zu entsprechen (siehe auch Bell 2009: 74-5; Spradley 1979: 30).

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schen Ansatz eben nicht einer linearen Ablaufplanung58 folgen. Dabei werden solche Anpassungen als Anpassungen von Forschung und Herangehensweise an die Wirklichkeit(en) ethnographischer Begegnungen verstanden. Die meisten ethnographischen Forschungsprozesse folgen entsprechend einem zyklischen Ablauf,59 der auch von den Interessen von Forschungs- und Interaktionspartnern, wie von zwischenmenschlichen Ereignissen und Erfahrungen bestimmt ist (vgl. Spradley 2006: 26-9). Hastrup (1992) ergänzt, dass ethnographische Feldforschung ggf. weniger auf (teilnehmender) Beobachtung als auf Aushandlungen beruht. Feldforschung ist in Hastrups Verständnis weniger die Situation, aus welcher Begegnungen und Erkenntnis erwachsen; Hastrup versteht Feldforschung selbst als Konstellation, welche in und durch Begegnungen entsteht (vgl. Hastrup 1992: 116-7). Neuere, autoethnographische Ansätze im Sinne autobiographischer Ethnographien versuchen entsprechend, generelles Wissen mit persönlicher Erfahrung zu verbinden (Ellis/Adams/Bochner 2011; Ellis/Bochner 2000). Damit wird die anerkannt, dass die Ethnographie ausgeprägt persönlich ist, selbst wenn sie Basis für Vergleiche und Verstehen der Gesellschaft anderer sein soll (siehe auch Hastrup 1992: 116; van Maanen 2011: xiii). Solche konstruktivistischen oder autoethnographischen Ansätze streben damit weniger nach Fakten oder Wahrheit, sondern nach einem Verständnis für die Konstruiertheit sozialer Situationen (siehe auch Clifford/Marcus 1986; Okely 1992). In einer radikalen Auslegung (z.B. Ellis 2007) verschiebt sich der Fokus vom Erforschen „Anderer“ explizit zum Erforschen des Miteinanders. Dabei ist Autoethnographie durchaus auch umstritten, insbesondere was Ethiken betrifft (siehe z.B. Delamont 2007; Ellis 2007; Ellis/Adams/Bochner 2011). Bourdieu (1995) z.B. spricht von einer „Epidemie wilder Reflexivität“ (ebd.: 365).60 Reflexive und

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Mit Definieren des Forschungsthemas, Formulierung einer Hypothese, Operationalisierung, Entwerfen der Forschungsinstrumente, Datenerhebung, Datenanalyse, Schlussfolgerung, Schreibprozess (Spradley 2006: 26-9).

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Mit Wahl eines ethnographischen Projekts, Fragen, Teilnehmen, Beobachten und Erstellen von Aufzeichnungen als Sammeln von Daten, Analyse der Daten, Wiederholung der Schritte und letztlich der Schreibprozess (Spradley 2006: 26-9).

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Trawick (2003) kritisiert in seiner Studie zu den Wassersystemen Perus interpretative, hermeneutische und postmoderne Ansätze als eine Besessenheit mit dem ForschendenSelbst sowie mit dem Problem ethnographischer Autorität (ebd.: ix). Solche reflexiven Ansätze haben, wie er schreibt, den Menschen vor Ort nichts zu bieten und bieten damit kein valides Argument für all die Mühen. Stattdessen empfielt er einen langfristigen Dialog mit den Menschen vor Ort und das Bezwecken von Praxisanwendbarkeit (ebd.: xxii). Als Ausnahmen können ggf. die (Selbst-)Reflexionen von „Größen“ in der Wasser-

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konstruktivistische Ansätze entsprechen aber auch der Tatsache und Erkenntnis, dass die Forschungsbedingungen, Umstände und Ereignisse im Feld kaum kontrolliert werden können (siehe z.B. Pieke 1995; Okely 2012), genauso wenig wie die Wahrnehmung durch Akteurinnen und Akteure im Feld kontrolliert werden kann.61 Entsprechend schreiben Robben und Nordstrom (1995) zu Forschung zu Konflikt und Gewalt und Forschung in gewalttätigen Settings, dass Aufmerksamkeit für die Feldforschungsbedingungen unumgänglich ist. Die emotionale Intensität von Geschehnissen, Aufmerksamkeit dafür, was politisch auf dem Spiel steht sowie die schwierigen und nicht planbaren Bedingungen unter denen Feldforschung betrieben wird, verweben Forschung und Ethnographie und färben Leben und Perspektiven der Menschen vor Ort, ebenso wie Leben und Perspektiven der Forschenden (ebd.: 3). Ablauf der Feldforschung, genauso wie die resultierenden Daten und deren Interpretation werden also von den – oft nicht kontrollierbaren – Umständen geprägt, unter denen die Forschung stattfindet. In meinem Fall wurden Feldforschung und Verständnis des Feldes bezeichnend insbesondere von der Opposition und Kontrolle durch Mitarbeiter der agencies als nicht oder nur geringfügig kontrollierbare Umstände geprägt. Um entsprechend des lokalen politischen Rahmens und den Empfindlichkeiten lokaler Akteure und Akteurinnen akzeptabel zu sein, musste ich mein Forschungsvorhaben anpassen und den Forschungsansatz wiederholt neu entwerfen. Darüber hinaus machten die Umstände es unmöglich, bestimmte Elemente im Alltag Gilgits wie Misstrauen gegenüber Fremden, multiple Fragmentierungen in der Gesellschaft (die Fremden gegenüber meist offensiv geleugnet werden) sowie den Einfluss der agencies in Gilgit zu missachten; aus dem Erleben im Feld erwuchs so die Aufmerksamkeit für die Konzepte von Unsicherheit und Ungewissheit. Und obwohl viele Kolleginnen und Kollegen warnten, dass nicht absehbar sei, wie Veröffentlichungen zu diesen Feldforschungsumständen aufgefasst würden und

Literatur wie Iyer (2013) oder Chambers (2013) gelten, die – mit dem Ziel des Nutzen für die Praxis – ihre Erfahrungen in der Arbeit im Wasser-Sektor reflektieren. 61

Pieke (1995) z.B. argumentiert entlang seiner Forschung in China, dass Feldforscher_ innen flexibel bleiben und sich u.a. an die politischen und sozialen Umstände anpassen müssen, wenn sich z.B. das Forschungsinteresse oder die Forschungsfrage als politisch unangebracht oder methodologisch nicht erfüllbar herausstellen. Die Wahl des Forschungsthemas ist somit nicht allein von theoretischen oder methodologischen Vorlieben bestimmt, sondern ist auch eine Frage des Überdauerns („anthropological survival“). Bestimmte Forschungsfragen oder -strategien können sich als unakzeptabel herausstellen oder negative Folgen haben kann wie z.B. die Ausweisung aus dem Land (ebd.: 65).

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welche (negativen) Konsequenzen hieraus folgen könnten, sind diese Elemente meines Erachtens nach nicht nur wichtiger Teil der gelebten, sondern auch der geschriebenen Ethnographie. Diese Herangehensweise entspricht auch neuen Normen, die sich im ethnographischen Schreiben seit der Postmoderne herauskristallisieren (siehe Faubion 2009; Marcus 2009a). Zum einen erheben Forschende bzw. Autoren und Autorinnen weniger Anspruch auf die alten Normen von Ganzheit, Allwissen und umfassender Autorität. Zum anderen werden, wie Marcus (2009a) anhand von Erstarbeiten junger Ethnologinnen und Ethnologen herausarbeitet, in postmodernen Ethnographien vier Prinzipien wegweisend, die auch in der vorliegenden Arbeit von Bedeutung sind. Zunächst ist das ethnographische Forschungsprojekt als ein Prozess zu verstehen. Dies führt zu einem neuen Verständnis des experimentellen Charakters von Ethnographie bzw. Feldforschung, bei dem noch stärker auf das Emergente in den Daten geachtet wird (ebd.: 25-8). Hieraus ergeben sich drei weitere Prinzipien: Unvollständigkeit als Norm statt als Mangel; der Einbezug von verschiedenen Kollaborationen, die die Zusammenarbeit mit Forschungspartnerinnen und -partnern ergänzen oder transzendieren; und der Einbezug unterschiedlicher Auffassungen der Forschung von Gesprächs- oder Interaktionspartnern und -partnerinnen (ebd.: 25-32). In diesem Sinn ist auch die vorliegende Arbeit ein Werk, das von der Einbeziehung dieser Elemente geprägt ist. Insbesondere die Einmischung von Mitarbeitern der agencies als unvorhergesehene „ForschungsKollaborationen“ prägte die Feldforschung und die Wahrnehmung des Felds und damit auch die Analyse der Daten sowie Aufbau und Inhalt der vorliegenden Arbeit und weiterer Veröffentlichungen. Einen besonderen Einfluss hatten dabei die Auffassungen der Forschung durch Mitarbeiter der agencies als potenziell bedrohlich (im Sinne einer potenziellen Einmischung in Fragen der Öffentlichkeit, Kompensationszahlungen etc.). Diese Auffassungen meiner Forschung in Gilgit-Baltistan und die daraus entstandenen „Kollaborationen“ beziehe ich in meinen ethnographischen Text zum einen als persönlich prägendes Element mit ein. Zum anderen bedingten sie im Sinne Cliffords (1986) und Marcusʼ (2009a) eine „partiality“, d.h. eine Unvollständigkeit an Informationen sowie eine bestimmte Deutung der Informationen. Mit anderen Worten, ich möchte nicht behaupten, die waterscape in Gilgit vollständig ergründet oder verstanden zu haben, noch, dieses Feld, seine technischen Gegebenheiten, die Akteure und Akteurinnen, ihre Alltagshandlungen, traditionellen Praktiken oder Ansichten hierzu umfassend darstellen zu können. Dafür lieferte die Forschung einen Einblick in Aspekte vom Streben danach, Abläufe und Ereignisse zu kontrollieren: Versuche vonseiten der agencies, Bewegungen von Bewohnern, Bewohnerinnen, Ausländerinnen und Ausländern in Gilgit-Baltistan zu kontrollieren; Versuche vonseiten lokaler Nachbarschaften und Gesprächspartner und partnerinnen, Informationen sowohl über das Eigene als auch über mich als Fremde zu kontrollieren; sowie Versuche meinerseits, den Verlauf der Feldforschung und

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die Wahrnehmung durch andere zu begreifen und zu leiten. Dies verstehe ich in diesem Kontext als Versuche, Macht auszuüben – Macht darüber, Ereignisse, Handlungen und Interpretationen beeinflussen oder erwirken zu können – wobei, um mit Elias zu sprechen, alle Akteure und Akteurinnen in bestimmte Machtdifferenziale eingebunden waren und (mehr oder weniger gut) den vor Ort gängigen Habitus nutzen konnten. Akteure, Akteurinnen und ethnographische Beziehungen Die vorliegende Arbeit ist aus Interaktionen und Gesprächen mit sehr unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren erwachsen. Entsprechend mache ich von verschiedenen Begriffen Gebrauch. Für Personen, zu denen ich nur in einem oder wenigen Gesprächen Kontakt hatte, greife ich auf den Begriff Gesprächs- oder Interaktionspartner_in zurück.62 Für Personen, mit denen ich über einen längeren Zeitraum hinweg im Alltag in Gilgit und teilweise auch über die Forschung hinaus Kontakt hatte, spreche ich auch von Bekannten, Freundinnen oder Freunden. Gleichzeitig verändern sich Beziehungen ständig und auch ethnographische Beziehungen sind hiervon nicht ausgenommen (vgl. Faubion: 152-3). Eine Bekanntschaft entwickelte sich weiter und der Bekannte ist mittlerweile zu Freund und Ehepartner geworden.

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Die meisten Ethnologinnen und Ethnologen folgen heute einer methodologischen Herangehensweise, in der es um das Verständnis von Konzepten statt um das Testen von Hypothesen, um Übersetzung statt um Beschreibung und um Partner statt um Objekte geht (vgl. Spradley 1979: 30). Dennoch wandeln sich die Herangehensweisen und Begriffe ständig. In seiner wichtigen Arbeit The Ethnographic Interview (1979) bezeichnet Spradley z.B. die Menschen, zu denen er in seiner Forschung Kontakt hatte, als „Informanten“. Dagegen wendet z.B. Sökefeld (2006) ein, dass auch dieser Begriff eher positivistisch zu verstehen ist. Der Begriff Informant_in beinhalte die Idee, dass die Information schon gegeben sei und nur noch an den Interviewer übermittelt werden müsse; außerdem schwinge immer der Gebrauch im Rahmen von Geheimdienstarbeit mit (ebd.: 6). Sowohl die Begriffe Informant(in) als auch Gesprächspartner(in) – sowohl Spradley und Sökefeld verwenden allein die männliche Form – betonen außerdem eine verbale Form der Kommunikation und Sökefeld schlägt daher den Begriff „Interaktionspartner“ vor, über den die soziale Interaktion in den Vordergrund gerückt wird (ebd.: 10). Gleichzeitig ruft der Begriff Interaktionspartner_in m.E. den Eindruck einer vergleichsweise emotionslosen Interaktion hervor und verweist für mich ebenfalls auf den Versuch, den Anschein von Neutralität herzustellen. Vermutlich unterliegt allerdings jede ethnologische Arbeit und Darstellung einer Widersprüchlichkeit zwischen propagierter Nähe und angestrebter Neutralität der Darstellung.

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Weitere Bekannte sind damit zu Familienangehörigen geworden. Da dieser Aspekt während der Forschung nicht absehbar war und ich außerdem so weit als möglich die Identität von Gesprächs- und Interaktionspartnerinnen und -partnern, Bekannten, Freunden und Freundinnen sowie meiner neuen Familienangehörigen in Gilgit anonym behandeln möchte, reflektiere ich diesen Aspekt in der vorliegenden Arbeit nicht ausdrücklich und verwende für alle Personen Pseudonyme. Über die Gesprächspartner_innen hinaus waren im Entstehungsprozess der vorliegenden Ethnographie diverse Akteurinnen und Akteure als „Türhüter“ wichtig, welche den Verlauf der Ethnographie beeinflussten, indem sie mir das soziale Leben er- bzw. verschlossen. Beim Zugang waren mir v.a. zwei Forschungsassistenten und eine Forschungsassistentin behilflich sowie die Familien meiner Gastgeber. „Türhüter“, welche soziale Interaktionsbereiche und Interaktionspartner_innen unzugänglich machten waren v.a. Mitarbeiter der agencies. Grundsätzlich wird in der Ethnologie angenommen, dass gerade vertrauensvolle ethnographische Beziehungen bedeutungsvoll und reziprok sind und gerade hieraus „qualitativ wertvolle“ Daten entstehen. Viele Ethnographinnen und Ethnographen gehen davon aus, dass „gute“ ethnographische Beziehungen und damit auch „gute“ ethnographische Praktiken auf echter Empathie, Vertrauen, Teilhabe beruhen (ebd.: 47).63 Dass solche Beziehungen aus einem Arbeitskontext heraus entstanden sind, kann zwar Bedenken hervorrufen, ist aber unumgängliche Grundlage. Die „Zweckorientierung“ im Rahmen der Forschung muss also nicht, so z.B. Coffey (1999: 54-5), bedeuten, dass solche Beziehungen grundsätzlich bedeutungslos, falsch oder unaufrichtig sind. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob geteilte Erfahrung und geteilte soziale Interaktion tatsächlich die Voraussetzung für „gute“ Daten und „gute“ Analyse sind, wie Coffey (ebd.: 39-40) meint. Zwar können Freundschaften im Feld helfen, aus der Feldforschung entstandene Spannungen verstehen und verarbeiten zu können und kritische Reflektion anzuregen (ebd.: 47). Dennoch wäre es naiv zu glauben, dass dieser Anspruch in allen Feldforschungssituationen umsetzbar ist; ethnographische Praxis kann nicht immer (nur) auf Empathie, Vertrauen und Teilhabe beruhen (vgl. auch Ellis 2007: 13; Sökefeld und Strasser 2016; Verdery 2016; Zadrożna 2016). In Bezug auf die ethnographischen Beziehungen mit manchen Mitarbeitern der agencies treffen Charakterisierungen von gegenseitigem Vertrauen, Aufrichtigkeit und Offenheit sicher nicht zu. Im Gegenteil. Der Kontakt zu den Mitarbeitern der agencies entstand aus Misstrauen ihrerseits mir gegenüber, das – trotz meiner wiederholten und andauernden Versuche, meine Identität als Studentin

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Dabei werden ethische Komplikationen, die hieraus erwachsen können, durchaus nicht naiv abgetan, wie z.B. Ellis (2007) für die Repräsentation von Erkenntnissen aus persönlichen Beziehungen erörtert.

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und universitäre Forscherin unter Beweis zu stellen – nur wenig nachließ. Denn entsprechend Poppers Paradigma des Falsifikationismus (1935) kann wiederum nie bewiesen werden, dass ich nur Studentin und Universitätsmitarbeiterin bin. Gegebenenfalls aber, so die Logik, kann dies widerlegt werden, weshalb sich nur eine Suche nach Gegenbeweisen anbietet, um meine Aussagen zu falsifizieren. Unterdessen haben die Mitarbeiter der agencies die Forschung und mein Verständnis des Felds maßgeblich geprägt und auch hieraus sind qualitative und kritische Daten entstanden. Gleichzeitig hat die Überwachung der agencies auch maßgeblich alle anderen ethnographischen Beziehungen geprägt und gerade Vertrauen sehr schwierig gemacht. Die Einmischung der diversen staatlichen Vertreter lädt ferner explizit dazu ein, Feldforschung und ethnographische Beziehungen als „multiplex“ zu denken. Während frühere Feldforschungskonzepte ethnographische Beziehungen als „Dyaden“ konzipieren – als Dialog zwischen Forscher_in und Gegenüber (sei dieses Gegenüber ein Individuum oder eine Gruppe) – sind Forscher_innen tatsächlich in diverse asymmetrische Machtbeziehungen eingebunden. In der klassischen Ethnologie schienen Machtbeziehungen außerdem oft zugunsten der Forschenden zu stehen, wie z.B. Laura Nader in den 1970er Jahren zu bedenken gab. Schon Nader (1972) forderte daher Ethnologen und Ethnologinnen zum sogenannten „studying up“ auf: Sie sollen sich auch Themen und Feldern zuwenden, in denen die Machtbeziehungen nicht unbedingt zu ihren Gunsten stehen. Hierzu zählt Nader auch Forschungen zu „mächtigen“ Institutionen, Bürokratien und Eliten, welche das Leben vieler beeinflussen, zu denen der Zugang aber – aufgrund asymmetrischer Machtbeziehungen – zunächst erschwert möglich scheint. D.h., Forschungsbeziehungen werden auch bei Nader als eine simple Dyade aufgefasst, in denen die Positionen der Forschenden und die Position der Gegenüber klar zu sein scheinen und sich Forschende bewusst in Naders Begriffen „up“, „down“ oder „sideways“ wenden können (ebd.: 292). Diese Annahme kann allerdings dazu verleiten, zwei Dinge zu vergessen. Zum einen sind Beziehungen kaum je so einfach strukturiert und Machtverhältnisse so klar. Zum anderen sind Forschende nicht immer diejenigen, die ihre eigene Forschung und Forschungsbeziehungen in der Hand haben. Während in Naders Aufforderung, sich Bürokratien und Institutionen zuzuwenden, diese zu Forschungsobjekten werden, können diese bzw. deren Vertreter_innen ebenso Forschungssubjekte sein, die als Akteure und Akteurinnen auf die Forschung einwirken. Dies trifft z.B. ebenso für die Mitarbeiter universitärer Einrichtungen, wie für Geheimdienst- und Staatsvertreter zu. Entsprechend richte ich meinen Blick auch auf solche Akteure und darauf, wie ihre unterschiedlichen Auffassungen und resultierende Handlungen die Forschung im Ganzen formten.

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Datenerhebung und Interviews Aufgrund der Einmischung und Bedingungen der agency-Mitarbeiter wurden Interviews zur vorrangingen Datenerhebungsmethode. Zugang zu Gesprächspartnern und -partnerinnen fand ich v.a. über die Familien meiner Gastgeber. Über diese lernte ich außerdem zwei junge Männer, Tariq und Sohail, sowie eine junge Frau, Sobia, kennen, die mir während der Forschungsaufenthalte 2012 und 2013 als Forschungsassistenten und -assistentin behilflich waren, indem sie Interviews arrangierten und mir bei der Übersetzung von Interviews und Zeitungsartikeln behilflich waren. Tariq und Sohail hatten Abschlüsse als Bachelor of Commerce und waren arbeitssuchend. Beide sahen die Arbeit mit mir als Möglichkeit, ihre Englischkenntnisse in Gesprächen und gemeinsamen Übersetzungen zu vertiefen und auch die Aufwandsentschädigung war willkommen. Sobia stand vor der Einschreibung für einen Bachelor sowie vor einem Umzug zu ihrem Ehemann.64 Viele Gesprächspartner_innen waren Familienangehörige meiner Assistenten oder aber sogenannte notables oder buzurg65, d.h. Männer, die ihnen z.B. über gemeinschaftliches Engagement in ihrem Stadtteil bekannt waren. Während ich viele Gesprächspartner_innen nur einmalig besuchte, gab es darüber hinaus mehrere Familien in unterschiedlichen Stadtteilen Gilgits, zu denen ich über alle vier Feldforschungsaufenthalte hinweg Kontakt hatte, darunter v.a. die erweiterte Familie des Hotelbesitzers in Kashrot und in alten und neuen Teilen Jutials, die erweiterte Familie meiner Gastgeber in den neuen Siedlungen Jutials und die erweiterte Familie Sobias im alten Dorf Jutials und in Minawar. Auch diese arrangierten teilweise Gespräche mit weiteren Verwandten. In Gilgit verbrachte ich Mittage und Nachmittage in der Regel mit Besuchen und Gesprächen und machte mir an den Abenden und folgenden Vormittagen Notizen zu den Gesprächen. Darüber hinaus besuchte ich auch die Familie meines Gastgebers in Yasin, einem Tal sechs Autostunden westlich von Gilgit, sowie die Familie Izhars in Hunza, einem Tal drei Autostunden nördlich von Gilgit, bei denen ich auch in Islamabad für mehrere Wochen zu Gast gewesen war. Solche Ausflüge empfand ich als willkommene Abwechslung, in denen ich zumindest zeitweise der gefühlten Enge und Überwachung in Gilgit entfliehen konnte und

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Viele Eheleute in Gilgit-Baltistan wohnen nach der Eheschließung (nikāh) zunächst weiterhin bei ihren Eltern und vollziehen ihre Ehe erst nach dem Verlauf einiger Jahre, in denen sie ihre Bildung abschließen oder den Übergang ins Berufsleben einleiten. Der Beginn des gemeinsamen Ehelebens wird mit einem Fest, walīma, gefeiert und damit auch öffentlich gemacht.

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Ein respektvoller Begriff für ältere oder angesehene Männer.

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gleichzeitig einen Einblick in andere Regionen und damit andere Handhabungen von Wassermanagement erhielt. Die Interviews konzentrierten auf unterschiedliche Handhabungen und Wahrnehmungen der Wasserversorgung in Gilgit und umfassten v.a. Themen zu unterschiedlichen Möglichkeiten der Wasserversorgung, privaten Anstrengungen im Wassermanagement, Problemen im städtischen und privaten Wassermanagement, Abwasserentsorgung, externen Einflüssen auf das Wassermanagement (wie Elektrizität, gewalttätige Konflikte etc.) sowie Trinkwasser. Darüber hinaus wurden meist auch andere Themen diskutiert, auf die meine Gesprächspartner_innen die Unterhaltungen lenkten, wie v.a. Schulbildung, Frauenbildung, Heirat und Essen. Die meisten Gesprächspartner_innen fühlten sich wohler, Interviews auf Urdu zu führen als auf Englisch, auch wenn dies bedeutete, dass die Gespräche teilweise stockend waren und meine Forschungsassistenten meine in rudimentärem Urdu gestellten Fragen korrigiert wiederholen mussten. Für keinen der Beteiligten waren Urdu oder Englisch Muttersprache; oft wurde zwischen den beiden Sprachen gewechselt, so wie auch im Alltag in Gilgit mit den Sprachen eher flexibel umgegangen wird. In manchen Gesprächen fielen Gesprächspartner_innen und Forschungsassistent_innen außerdem auf die lokalen (Mutter-)Sprachen Shina oder Burushaski zurück.66 Während der ersten Feldforschungsmonate machte ich v.a. Notizen und begann erst nach mehreren Monaten, immer mehr Gespräche auch mit Aufzeichnungsgeräten festzuhalten, was eine genauere Datenerhebung zu erlauben schien. Die Aufnahmen übersetzte und transkribierte ich in den darauffolgenden Monaten selbst oder in Zusammenarbeit mit Tariq oder Sobia, die mir nicht nur mit Urdu, sondern

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Forschende in den 1990er Jahren hielten fest, dass v.a. Männer aber nur wenige Frauen Urdu sprachen (siehe z.B. Löhr 1998; Sökefeld 1997a). Löhr (1998) z.B. erklärt, dass Urdu in seinem Forschungskontext in Yasin, einem Tal im Westen Gilgits, immer mit der Konnotation des Staats oder Militärs behaftet war (ebd.: 30). Gleichzeitig bedeutete dies aber auch, dass Urdu-Sprecher an translokalen Kommunikationen teilhaben konnten. Urdu zu sprechen muss also nicht unbedingt als Aufzwingen einer Lingua franca durch ausländische Eliten verstanden werden (ebd.: 75). Zwanzig Jahre später während meiner Forschung hatte sich dies deutlich verschoben. Die meisten Gesprächspartner_innen (unter 70) hatten die Schule besucht und sprachen Urdu. Viele Gesprächspartner hatten darüber hinaus auch Englischkenntnisse, wie auch viele Gesprächspartnerinnen unter 25. Die meisten Gesprächspartner_innen waren jedoch über meine Urdu-Kenntnisse überrascht und erfreut und so gewann meist Urdu die Oberhand in den Gesprächen, da viele das Gefühl hatten, sich besser auf Urdu ausdrücken zu können.

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auch mit Begriffen und Gesprächsabschnitten auf Shina und Burushaski halfen. Wie ich meine, eröffnete der Wunsch nach Aufzeichnungen aber auch die Fallgrube, dass ich mich sehr – ggf. zu sehr – auf das Gesprochene fokussierte. Ich selbst, wie auch meine Gesprächspartner_innen, erachteten die alltäglichen Routinen oft als selbstverständlich, wodurch informelles und verkörpertes Wissen ggf. aus dem Fokus geriet. Daher kann ich z.B. kaum auf rituelle oder spirituelle Handhabungen von Wasser eingehen. Auch von den Gesprächen mit den Mitarbeitern der agencies machte ich zunächst detaillierte Gedächtnisprotokolle. Später ging ich auch hier zu Aufzeichnungen über – wenn auch mit der Absicht, eventuell einen Beweis über deren Verlauf zu haben. Darüber hinaus ist es wichtig festzuhalten, dass die tatsächlichen und befürchteten Überwachungspraktiken der Mitarbeiter der agencies auch den Verlauf von Interviews beeinflussten. Aber während z.B. Verdery (2012) für ihre Forschung in Rumänien unter dem Ceauşescu-Regime berichtet, dass die Securitate-Mitarbeiter US-amerikanische Forscher_innen als Spione darstellten und damit wohl vorranging Reaktionen und Aussagen ihrer Gesprächspartner_innen beeinflussten, hatte die Einmischung der agency-Mitarbeiter in meinem Fall vermutlich weniger Einfluss auf meine Gesprächspartner_innen als auf mich selbst und meine eigene Gesprächsführung. Aus der Überwachung entstand in Gesprächen bzw. Interviews oft eine Art „mentale Schockstarre“ meinerseits. Ich führte die meisten Interviews unter der Annahme, dass die Mitarbeiter der agencies meine Gesprächspartner_innen später zu unserem Gespräch befragen könnten und führte sie so, dass diese bestätigen könnten, dass ich keine „verdächtigen“ Fragen gestellt hätte. Dabei fühlte ich mich oft unwohl, insbesondere wenn ich gerne Fragen zur Wahrnehmung der Regierung gestellt oder gerne eigene Ansichten geäußert hätte. Sohail und Tariq machten mir im Lauf der Forschung unabhängig voneinander Vorwürfe, dass ich zu wenige oder zu schlechte Fragen stellen würde; beide unterstützen mich diesbezüglich, indem sie meine Anliegen oft nicht nur übersetzten, sondern in vielen Fällen auch verbalisierten und mir dadurch halfen, meine Hemmnisse zu überbrücken. Oft fühlte ich mich nicht wohl, zu Interviews zu gehen und auch im Alltag fühlte ich mich zunehmend unwohl, insbesondere wenn bei Gesprächen mir unbekannte Männer anwesend waren. Was, wenn ein Beistehender ebenfalls für die agencies arbeitete? Ich war unsicher, wie ich mich in Gesprächen mit Unbekannten darstellen sollte. Erwähnte ich meine Forschung, befürchtete ich, dass dies Misstrauen erwecken würde; erwähnte ich sie nicht, keimte ebenso Angst auf, bezichtigt werden zu können, ich würde mich verstellen oder meine Forschung gezielt verheimlichen, wie während eines Kondolenz-Besuchs bei einer christlichen Familie in Jutial zu dem mich ein Bekannter einlud, bei dem ich plötzlich erfuhr, dass ein Familienmitglied für die agencies arbeitete. Die Furcht wurde also nicht nur durch tatsächliche

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Überwachung bedeutsam, sondern ebenso allein durch deren Möglichkeit (vgl. Verdery 2012: 21). Entgegen meiner Hemmungen beantworteten gerade männliche Gesprächspartner Fragen oft mit Enthusiasmus und Elan – wenn auch meist unter Rückgriff auf generalisierte oder idealisierte Darstellungen. Erzählungen zu konkreten Ereignissen waren tendenziell selten, insbesondere wenn die Frage auf kritische Ereignisse abzielte, wie z.B. wasserbezogene (gewaltsame) Konflikte. Gespräche mit Frauen waren dagegen eher schwierig, insbesondere wenn sie als formelle Interviewsituationen verstanden wurden. Wenn ich z.B. Frauen darum bat, sich mit mir zu setzen und Fragen zu beantworten, oder wenn ich in Gesprächen Frauen direkt bat, mir zu antworten, anstatt das Antworten ihren Männern zu überlassen, fühlten sich viele Frauen offenbar eher unwohl. Viele schrieben sich vielleicht nicht die Kompetenz zu, Fragen zu beantworten; andere reagierten indigniert oder gelangweilt von Fragen, die sie als zu simpel oder deren Antworten sie als zu offensichtlich empfanden. Wie auch Gratz (2006) in ihrer Forschung zum Leben von Frauen in Gilgit beschreibt, wichen Frauen solchen formellen Situationen eher aus (ebd.: 23).67 Wie ich gegen Ende der Forschung versuchte, mehr standardisierte Interviews zu führen, fühlten sich insbesondere Frauen in der Interviewsituation oft nicht wohl und drängten darauf, das Interview zu beenden. Raina, eine Bekannte in Kashrot, z.B. hakte schon nach wenigen Fragen nach, wie lange es wohl noch dauern würde – sie müsse mich doch noch bewirten – und verzog sich nach der ersten Seite des zweiseitigen Fragebogens wortlos in die Küche, aus der sie erst nach einer halben Stunde mit Pommes und Tee wieder erschien. Limitationen Teilnehmende Beobachtung zum Thema Wassermanagement im klassischen Verständnis war dagegen beinahe unmöglich. Interviews und Kontakt zu Regierungsund Nichtregierungsinstitutionen, genauso wie der Aufenthalt im öffentlichen Raum und in der „Natur“, d.h. in den nālas, den Seitentälern, aus denen sich ein Großteil der städtischen Wasserversorgung speist, wurden mir von den agencies unter Androhung von Ausweisung aus der Region untersagt. So war mir, ganz zu schweigen von Teilhabe, selbst Beobachtung von Aktivitäten im öffentlichen Raum, wie z.B. Arbeiten an Kanälen etc., nicht möglich. Erblickte ich Männer, die die Straße aufgegraben hatten, um Wasserleitungen zu bearbeiten, zwang ich mich vorüberzugehen und nur flüchtige Blicke zu werfen, nur um nicht dabei beobachtet 67

Gratz musste sich daher vorrangig auf informelle Herangehensweisen, d.h. teilnehmende Beobachtung bzw. beobachtende Teilnahme, verlassen (ebd.: 25-8).

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werden zu können, wie ich mich – unangekündigt und ungenehmigt – unterhielte. Bezüglich Feldforschung unter Überwachung muss die Flexibilität der ethnologischen Methoden entsprechend überdacht und gerade hier den Vorstellungen und Erwartungen von Akteurinnen und Akteuren angepasst werden, auch wenn dies eine Einschränkung bedeutet – wie in meinem Fall das „Zurückfallen“ auf eine Formalisierung hin zu Interviews und dem Ablassen von Teilnahme oder Beobachtung (siehe auch Sökefeld und Strasser 2016). Entsprechend der Hemmnisse durch Restriktionen der agency-Mitarbeiter, eingeschränkter Mobilität, sprachliche Hürden sowie Hemmungen in Zuversicht und Selbstbewusstsein ist meine Datengrundlage zum Thema der urbanen Wasserversorgung ggf. in Breite und Tiefe beschränkt. Gleichzeitig eröffneten sich aber alternative Bedeutungskomplexe und Figurationen im Alltag Gilgits meinem Verständnis. Dazu gehört auch Aufmerksamkeit für methodologische Probleme, aber auch Forschungseinschränkungen für Frauen in einer geschlechtergetrennten Gesellschaft, insbesondere bezüglich Themen, die dem öffentlichen Bereich zugeschrieben werden (siehe auch Grieser 2014, 2016; Zadrożna 2016). Wie Joniak-Lüthi (2016) zu ihrer Forschung unter Überwachung in Xinjiang, China beschreibt, boten sich ihr, aufgrund des staatlichen Misstrauens und staatlicher Überwachungsmaßnahmen, gerade „informelle“ ethnologische Methoden an. Mir dagegen stellte sich wiederholt die Frage, ob und wie ethnographische Methoden in der Tradition Malinowskis, d.h. mit aufmerksamer Präsenz, dem Treibenlassen in sozialen Situationen, dem Nachgehen von Geschichten und Ereignissen, mit zwanglosen Unterhaltungen, Diskussionen, Beobachtungen, Fragen, Lernen etc. einerseits, mit dem sozialen Rahmen, wie auch den Erwartungen der Akteure, Akteurinnen und Gesprächspartner_innen in Gilgit andererseits vereinbar seien (siehe auch Grieser 2016). Die lokalen Interpretationen der flexiblen ethnographischen Methoden ließen diese in meinem Fall an ihre Grenzen stoßen. AgencyMitarbeiter, ebenso wie Bekannte, bezichtigten mich wiederholt, mich „herumzutreiben“ und zu viele Bekanntschaften zu schließen. Sie empfanden die gängigen ethnographischen Methoden wie „Herumhängen“ und Weiterverfolgen von zufälligen Kontakten als suspekt und – gerade für eine Frau – unangebracht und potenziell gefährlich (vgl. auch Zadrożna 2016). Wie mich ein Mitarbeiter der Universität warnte, könne man schließlich nicht immer die Absichten anderer kennen, weswegen es gefährlich sei, ohne eine übergeordnete Kontrollinstanz Kontakte herzustellen. Darüber hinaus erschienen vergleichsweise unsystematische Methoden, wie Teilhabe am Alltagsgeschehen, aber auch natürliche Gespräche mit „normalen“ Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt vielen nicht zielführend. So hielt mir der Colonel mit Blick auf eine meiner Gesprächspartner-Listen vor, ich hätte mich offenbar mit einem „gewöhnlichen“ Bewohner unterhalten. Ungläubig fragte er, was ein solcher wohl zu meiner Forschung beitragen könne? Wie auch einige Gesprächspartner, erwarteten die agency-Mitarbeiter eine „systematische“ Forschung

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mit strukturierten „Experten“-Interviews, klar definierter Forschungslokalität, einer klar definierten Forschungsfrage, dem Testen von Hypothesen und der anschließenden Ableitung praktischer Empfehlungen. Gleichzeitig war es aber nicht allein den formellen Restriktionen geschuldet, dass z.B. das Aufhalten oder Beobachten im öffentlichen Raum nicht möglich war. Wie Gratz (2006) bestätigt, ist Mobilität und insbesondere Mobilität im öffentlichen Raum für Frauen beschränkt und es gilt auch für Forscherinnen, diese Restriktion zu respektieren (ebd.: 10-1). So erschien es nicht angebracht, mich allein im öffentlichen Raum zu bewegen und noch weniger, fremde Männer anzusprechen. In einigen Fällen wagte ich mit einem Forschungsassistenten einen Spaziergang in den Jutial Nala, ein Seitental aus dem die zwei Stadtteile Jutial und Khomer Wasser beziehen; aber auch hier war auch mein Forschungsassistent selbst abgeneigt, mit den Männern zu sprechen, die gerade einen Kanal reparierten, da diese dem anderen Stadtteil und damit einer anderen Konfession angehörten. Auch war keiner meiner Forschungsassistenten, Freunde und Bekannten bereit, mit mir entlang des zehn Kilometer langen Kanals zu laufen, der am südlichen Hang Gilgits verläuft (siehe auch Unterkap. „Herausforderung der Wasserrechte“); alle argumentierten, dass es hierzu nötig sei, zudem Begleiter aus den jeweiligen angrenzenden Stadtteilen zu finden, damit diese gegenüber den jeweiligen Anwohnern für die Legitimität unserer Wanderung einstehen könnten, sollten wir aufgehalten werden. Aber auch teilnehmende Beobachtung ebenso wie offene Gesprächsführung im Privaten war oft nur begrenzt möglich. Wie Löhr (1998) erwähnt, ist die Blickrichtung von Forscherinnen und Forschern nicht immer die von lokalen Akteuren und Akteurinnen erwünschte Richtung und oft werden lokale Figurationen in einer Weise dargestellt, um Einblicke und Erkenntnisse zu kontrollieren Zugänge zu kanalisieren oder Einsichten zu verhindern (ebd.: 77-8). Obwohl z.B. mein Gastgeber Abid Karim regelmäßig Treffen in seinem Garten abhielt, in denen sich die Männer der Nachbarschaft versammelten, um den Bau einer Trinkwasserinfrastruktur zu diskutieren, lud er mich niemals zu einem solchen Treffen ein oder informierte mich darüber. Nahm ich dennoch teil (z.B. wenn ich zufällig im Haus war oder mich Nachbarn einluden), schien er meine Anwesenheit zu ignorieren – was ihn aber auch nicht davon abhielt, sich Dritten gegenüber wiederholt zu brüsten, er erkläre mir alles („each and every thing“) bezüglich des Projekts. Dagegen forderte er mich wiederholt auf, in meiner Dissertation über „sein“ Heimattal etwa fünf Autostunden von Gilgit entfernt zu schreiben. Am besten hätte ich meinen Blick auf sein Heimatdorf richten sollen, bemerkte er öfters vorwurfsvoll. Schließlich sei das ein Musterbeispiel für WASEP und deren Projekte. „That is the best project for water sanitation“ erklärte er einmal unzufrieden, „you should have taken that [for your research]!“ Da ich diesem Vorschlag nicht Folge leistete, solle ich nun notgedrungen eben auf das Projekt vor Ort ausweichen. „Now you should do it here“, erklärte er

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missgestimmt. Wie ich meine, war er aber von der Möglichkeit, dass ich die Konflikte mitbekommen könnte, die im Rahmen der Umsetzung des Infrastrukturprojekts alltäglich waren, nicht angetan. Das „Musterbeispiel“ in seinem Heimatort dagegen, dessen Konflikte wohl schon in der Vergangenheit ausgetragen worden waren, erschien ihm eher vorzeigbar. Aber auch andere Gesprächspartner verdrängten unliebsame Themen – oft durch das Ignorieren von Fragen – eine Praktik, die mir u.a. bei Themen wie Korruption oder sectarian tensions auffiel. Über diese Einsicht ließen sich sowohl Vermeidungsstrategien erkennen als auch weitere Themen als problembehaftet verstehen. So hatte z.B. Bakhtawar Shah, einer der Nachbarn, mit denen ich mich über den Bau der Trinkwasserinfrastruktur in der Nachbarschaft unterhielt, über welche Uferfiltrat vom Fluss in ihre Nachbarschaft gepumpt werden sollte, auf meine Frage hin, ob für das Projekt auch genügend Strom vorhanden sein würde oder ob sie eine Dieselpumpe würden kaufen müssen, erklärt, dass sie bei diesem Projekt keinesfalls Engpässe beim Strom erwarten würden. Da in GilgitBaltistan, wie auch in ganz Pakistan, zu wenig Strom produziert wird, um durchgängig Strom zu Verfügung stellen zu können, wird der Strom regelmäßig und planmäßig nur tage- oder stundenweise ausgegeben und abwechselnd an unterschiedliche Lokalitäten und Stadtteile verteilt – eine Praxis, die als loadshedding bezeichnet wird. Während in Gilgit im Sommer so viel Strom produziert wird, dass alle Stadtteile nur wenige Stunden ohne Strom sind, geht im Winter die Stromproduktion so weit zurück, dass täglich nur ein bis sechs Stunden Strom zur Verfügung gestellt werden.68 Dies liegt daran, dass in ganz Gilgit-Baltistan Strom allein über Wasserkraftanlagen produziert wird. Wenn im Winter der Wasserfluss zurückgeht, geht auch die Stromproduktion zurück. Um z.B. Personen, die ein hohes öffentliches Amt bekleiden, mehr Strom zur Verfügung zu stellen, kann das Power Department sogenannte special lines einrichten: zusätzliche Stromleitungen, die auf den Stromanteil anderer Stadtteile zugreifen.69 Meine Frage, ob sie nun für das neue Trinkwasserprojekt ebenfalls eine special line für die Pumpe am Fluss bekämen, blieb dagegen unbeantwortet. Trotz des langen Kontakts, den ich zu Bakhtawar

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In manchen Orten, wie z.B. denen des Distrikts Ghizer im Westen Gilgits, werden die häuslichen Stromleitungen mit Sicherungen versehen, welche es nur erlauben, Glühbirnen zu betreiben. Hierüber wird der Gesamtverbrauch gedrosselt und das loadshedding reduziert. Bei dem Versuch, solche Sicherungen auch in Gilgit einzuführen, legte dort der Vertreter des Human Rights Observatory Einspruch ein, den er damit begründete, dass die öffentliche Stromversorgung nicht auf Beleuchtung beschränkt werden könne, sondern auch die Nutzung elektrischer Geräte erlauben müsse.

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Neben Anschlüssen durch die Mitarbeiter des Departments richten sich manche Bewohner auch selbst solche special lines an.

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Shah und seiner Familie hatte, stieß ich gerade in Hinblick auf Themen, welche, wie special lines, in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden, immer wieder auf Schweigen oder strategisches Desinteresse. Zwar war die Frage, ob das Power Department dem Projekt eine special line zugestehen würde, eine für mich harmlose und einfach zu beantwortende Frage. Bislang hatte ich des Öfteren gehört, dass Pumpstationen selbst des Wasser-Departments gerade im Winter oft lange Zeit stillliegen – eben weil sie nur an die normale Stromversorgung angeschlossen sind. Bakhtawar Shah dagegen blieb eine Antwort bezüglich der special line schuldig – denkbarerweise da er und seine Familie selbst über eine solche verfügten, die vor einigen Jahren an ihr Haus verlegt worden war (nachdem seine Frau ein politisches Amt übernommen hatte) und die seiner Familie (auch nach Beendigung des Amts) die doppelte Zeit an Strom sicherstellte. Natürlich gebe es auch bei dem Projekt vor Ort Schwierigkeiten, wie er unerwartet und entgegen der sonst üblichen Schönfärberei und des üblichen Ignorierens von Fragen bemerkte. So seien z.B. manchmal die bezahlten Arbeitskräfte faul, dann müsse man sie zur Arbeit zwingen („hamēñ unko khīnchna paṛtha“). Wie ich aber weiter nach Schwierigkeiten fragte, ging er wieder in die übliche Strategie des Verdrängens über – möglicherweise um weitere kritische Punkte zu vermeiden. Vorzugsweise hob er in solchen Fällen, wie auch nun, stattdessen den Erfolg der Organisationen des AKDN und damit auch den Erfolg des derzeitigen Aga Khans hervor. Diesen Erfolg schrieb er u.a. regelmäßigen Kontrollen durch Geldgeber und übergeordnete Instanzen zu, die regelmäßig Verlauf und Ausgaben kontrollieren würden. Schwierigkeiten seien eben Teil jeden Projekts, bemerkte er weiter, es gelte also, diese zu überwinden. Probleme oder Schwierigkeiten mir gegenüber zu erörtern schien allerdings die Gefahr zu beinhalten, das Eigene – darunter auch das „eigene“ Projekt – als schlecht darzustellen. Abweichungen von den üblichen Darstellungen von idealem Verlauf und harmonischem Zusammenleben waren entsprechend ebenfalls selten. Stattdessen zog Bakhtawar Shah es, wie viele andere Gesprächspartner, zumeist vor, die positive Façade hochzuhalten, indem er sich über Schwierigkeiten eher ausschwieg und sich nur punktuell negativ über Vorkommnisse oder Andere äußerte. Reibungen wurden kaum angesprochen oder nur angedeutet – eine Praxis, die sehr gängig ist: Probleme, insbesondere persönlicher oder interpersoneller Art werden kaum oder nur mit Vertrauten innerhalb der Familie diskutiert. Hätte seine Frau Amira allerdings gehört, was er des Öfteren z.B. in Bezug auf Sunniten zum Besten gab, hätte sie sicher auch ihm einen Vortrag darin gehalten, seine Aussagen (noch mehr) zu mäßigen. Als ich 2013 mit ihr im Garten saß, fragte sie mich, ob die Frauen, die ich treffen würde, auch über die tensions, also die gewaltsamen Konflikte der letzten Jahre redeten. Zwar hatte ich manche Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen auch nach der Zeit im Frühjahr 2012 gefragt – wo sie während der Konflikte und der Ausgangssperre gewesen seien und wie sie mit der Situation umgegangen seien –

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aber kaum jemand war auf solche Fragen eingegangen, was ich auch ihr gegenüber reflektierte. Hierauf nickte Amira zufrieden und kommentierte: das sei gut so. Sie sei kurz zuvor im Krankenhaus gewesen, wo eine Gruppe von Frauen über eine andere „Gemeinschaft“ – wie viele andere benutzte sie hier den Begriff community, der in Gilgit oft, aber nicht ausschließlich als eine Art Pronomen für Konfessionsgruppen genutzt wird – hergezogen sei. Daraufhin sei sie zu ihnen gegangen und habe die Frauen zurechtgewiesen: Wenn das jemand höre, könne leicht Streit ausbrechen, was wiederum zu weiteren (gewalttätigen) Konflikten führen könne. Abfällige Aussagen über andere Glaubensgemeinschaften sollten am besten gar nicht geäußert werden oder aber zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Wie Massa (2016) analysiert, sind (Ver-)Schweigen, Lügen und Misstrauen nicht unbedingt eine Unterbrechung, sondern Teil von Dialogen. Sie müssen entsprechend nicht überwunden, sondern verstanden werden (ebd.: 276; vgl. auch Joniak-Lüthi 2016). JoniakLüthi macht darüber hinaus darauf aufmerksam, wie leicht auch Forschende selbst solche Praktiken während der Forschung übernehmen können (ebd.: 208-10). Auch in anderen Gesprächen wurden Geschichten oft bewusst verkürzt, Konfessionsgruppen nicht benannt oder Namen ausgespart. Wie in Amiras Aussage bezogen sich viele Gesprächspartner_innen nicht konkret auf Sunniten/Sunntitinnen, Schiiten/Schiitinnen oder Ismailiten/Ismailitinnen, sondern nur darauf, dass die Akteure oder Akteurinnen einer anderen Konfessionsgruppe angehörten, wobei sie zumeist offen ließen, um welche es sich nun tatsächlich handele. So erwähnte eine Gesprächspartnerin z.B., Angehörige einer „community“ nutzten den Kanal entlang der Stadt, um Waffenlieferungen vom Stadteingang im Osten in den Westen bzw. das Zentrum der Stadt zu bringen und so die Kontrollen entlang der Straßen zu umgehen. Um welche Gruppe es sich hierbei allerdings handele, ließ sie offen. Erst im Lauf der Zeit lernte ich, dies zu interpretieren, lasse es hier jedoch – die lokalen Empfindsamkeiten respektierend – ebenfalls unbenannt. In einer anderen Aussage zu Interessensgruppen erzählte ein Gesprächspartner mir von „pressure groups“, die auch hohen Verwaltungsbeamten drohen würden, wies mich aber daraufhin, dass er die Namen der Beteiligten auslassen müsse, da es sich um Akteure handele, die mir ebenfalls bekannt seien. Und auch in einem Gruppengespräch erklärte ein Gesprächspartner in Bezug auf einen Konflikt um unbebautes Land mit hochgezogener Augenbraue: „I cannot tell their names now, but we know everything!“ Themen, die von Gesprächspartnerinnen oder -partnern als kritisch verstanden wurden, wie die religiösen – oft gewalttätig ausgetragenen – Konflikte (sectarian conflicts, tensions), aber auch Korruption und (Un-)Vermögen der Regierung wurden in Gesprächen mit mir oft übergangen oder nur angedeutet. Aussagen, in denen Angehörige einer anderen Konfessionsgruppe negativ dargestellt wurden, waren vergleichsweise selten, im Gegensatz z.B. zu den Äußerungen der Gesprächspartner Martin Sökefelds ihm gegenüber Anfang der 1990er Jahre (siehe z.B. Sökefeld

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1997a: 130 oder Sökefeld 1998: 130). Wie Nencel (2005) für ihre Forschung zu Prostituierten in Lima schreibt, wurde über bestimmte relevante Themen oft über Schweigen, knappe Aussagen oder Ausweichen kommuniziert. Hieraus leitet Nencel einen methodologischen Ansatz ab, der vom Gesprochen auf das Gefühlte ausweicht (ebd.: 346). Dazu gehört auch das Lesen zwischen den Zeilen und das Hinterfragen von wortgetreuen Wiederholungen bestimmter Aussagen – „grand narratives“, wie Nencel sie nennt (ebd.: 354) – hinter denen unangenehme Fakten versteckt werden. In meiner Forschung zähle ich hierzu z.B. die Aussage, dass das Wasser „natürlich gefiltert“ sei oder dass in Jutial alle friedlich zusammenlebten. Diese und andere Fragmentierungen und Lücken in Gesprächen, die vorherrschende Praxis, Informationen nicht zu teilen und widersprüchliche Aussagen zu tun, aber auch die Unmöglichkeit, z.B. auf offizielle Dokumente zugreifen zu können, bestimmen die vorliegende Arbeit maßgeblich. Repräsentation Während ich die Feldforschung mit ihren Unsicherheiten und Ungewissheiten als extrem schwierig empfand, erstreckte sich diese Problematik weiter auf den Schreibprozess. Wie Ghassem-Fachandi (2009b) für Begegnungen mit Gewalt im Feld erklärt, sind manche Erfahrungen als Daten extrem widersprüchlich: einerseits verlangen sie nach Kommunikation und Diskussion, widerstreben aber ggf. andererseits (schriftlicher) Verbreitung (ebd.: 6). Entsprechend erschienen viele Elemente der Forschung gerade bezüglich der Repräsentation diffizil, insbesondere im Hinblick auf den Anspruch an „relationale Ethik“ (Ellis 2007: 4-5). Die fordert, sich selbst treu zu bleiben sowie Verantwortung für die eigenen Entscheidungen und Handlungen zu übernehmen.70 Wie ich meine, betrifft die Herausforderung allerdings nicht allein die Art der ethnographischen interpersonellen Beziehungen, welche Ellis ins Zentrum ihrer Analyse stellt, sondern ebenso die Frage nach der Repräsentation. Aus der Aufgabe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erwächst auch das Gebot, Diskurse die (sie) bewegen oder (ihnen) am Herzen liegen, aufrechtzuerhalten oder zu initiieren (vgl. ebd.; siehe auch Pandey 2009: 144). Doch trotz der Überzeugung, dass es notwendig ist, zu Diskursen beizutragen, die

70

Während in der ethnologischen Forschung die Forderung nach „prozeduraler Ethik“ Vertraulichkeit, ein Recht auf Privatsphäre, das Einholen des Einverständnisses sowie den Schutz vor Schaden verlangt und „praktische Ethik“ darauf abzielt, auf den Umgang mit unvorhergesehenen Ereignissen im Feld vorzubereiten, werden in der „relationalen Ethik“ interpersonelle Beziehungen und der Anspruch, Respekt und Würde ins Zentrum zu stellen, wichtig (Ellis 2007: 4-5).

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wichtig erscheinen, bleiben Fragen offen. Wenn ich die Mitarbeiter der agencies als Akteure verstehe – habe ich mich dann in der Weiterführung meiner Feldforschung und in ihrer Repräsentation gegen ihren Willen gestellt? Wie akzeptabel erscheint eine Darstellung Gilgits im Zusammenhang mit Unsicherheit und Ungewissheit im Hinblick auf die Praktiken meiner Gesprächspartner_innen, sich selbst, ihre Angehörigen und die Bewohner_innen Gilgits positiv darzustellen? Wie reflektiert bin ich gegenüber Gilgit und dessen Bewohnerinnen und Bewohnern, die ich – über religiöse und gewalttätige Konflikte, aber auch über die gefühlte Arglist mancher Akteure und die Einmischung und Restriktionen der agency-Mitarbeiter – oft als beengend und erbitternd wahrgenommen habe? Wie reflektiert bin ich im Hinblick auf meine Handlungen und Entscheidungen im Feld? Wie Emma Varley (2008b) im Hinblick auf ihre eigene Forschung in Gilgit zu bedenken gibt, sind ethnographische Beziehungen oft komplex, schwierig und von Zweifeln behaftet, beeinflussen aber gleichzeitig unsere Position und Entscheidungen im Feld, wie auch unsere Fähigkeit, die Handlungen, Erfahrungen und Interpretationen von Forschungsakteurinnen und -akteuren zu verstehen und wiederzugeben. Wie sie warnt, können moralische Unsicherheiten unsere Handlungen im Feld beträchtlich beeinflussen, gerade wenn die Forschung an gefährlichen Orten politischen Aufstands oder religiöser Konflikte stattfindet. Weiterhin, so Varley, bleiben in vielen reflexiven Ethnographien Versuche und Versprechen auf Reflexivität hinter Bedürfnissen nach „politischer Korrektheit“ und Praktiken narrativer Verzerrungen zurück. In vielen Ethnographien bleiben außerdem persönliche Fehlurteile oder Fehlleistungen ungenannt oder werden als naive Anfangsfehler dargestellt, welche später korrigiert werden konnten und letztlich zu tieferem Verstehen führten (ebd.: 133-6) – eine Praxis, die Marcus (2009a) auch als „trope of correction“ bezeichnet: die Darstellung, dass die Feldforschung, inklusive der begangenen Fehltritte, letztlich eine Wendung zum Guten genommen und zu etwas komplett Neuem, Unerwarteten und weitaus Interessanterem geführt habe (ebd.: 22). Wie Varley (2008b) anmerkt, bleiben viele Ethnographen und Ethnographinnen in ihrem Schreiben eindeutig sehr großzügig sich selbst gegenüber; die eigenen Ecken und Kanten werden geglättet, während Schwächen der Akteure in den Vordergrund gehoben werden (ebd.: 133-6). Eine ähnliche Kritik hielt mir während des Schreibens auch mein Gilgiti Mann Yasir vor, welcher mich wiederholt aufforderte, ich solle mich auch bezüglich der Bewohner_innen weniger an „negativen“ Ausnahmen festhalten als an den „positiven“ Normen vor Ort. Genau deshalb möchte ich darauf verweisen, dass das Erleben in der Feldforschung das Verständnis des Felds und die theoretische Repräsentation bestimmt und entsprechend auch offengelegt werden sollte. In vielen Ethnographien wird dem Erlebten wenig oder nur sehr begrenzt Platz in den geschriebenen Repräsentationen eingeräumt – eine Art der Repräsentation, die mir auch Gesprächspartner_innen aus dem eigenen universitären Kontext nahelegten.

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Offenbar erscheint es vielen legitim, Feldforschungserfahrungen zugunsten einer „quiet political correctness“ von den Repräsentationen auszuschließen (vgl. ebd.: 134; Pandey 2009: 144). Wie Pandey (2009) in Bezug auf Überwachung durch Sicherheitskräfte und sexuelle Übergriffe durch Interaktionspartner schreibt, besteht in der Disziplin durchaus noch immer die Erwartung, das Selbst weitgehend aus der Ethnographie zu verbannen. Auch Ghassem-Fachandi (2009b) schreibt bezüglich ethnographischen Erfahrungen mit Gewalt und deren Einbeziehen in Ethnographien, dass Kollegen und Kolleginnen diesbezüglich oft argwöhnisch reagieren. Ethnographinnen und Ethnographen, die (selbst) erlebte Gewalt in Ethnographien einbeziehen, scheinen sich zu sehr mit den Forschungserlebnissen zu identifizieren bzw. den erwarteten „Sprung zurück“ nicht geschafft zu haben. Ihre Autorität scheint, so Ghassem-Fachandi, die sensible Balance dessen, was als „angebracht“ erscheint, durcheinanderzubringen; sie rüttelt an Vorstellungen zu „vernünftiger“ wissenschaftlicher Verfassung und Distanz und Nüchternheit gegenüber dem „Forschungsobjekt“. Vor dem Hintergrund epistemologischer Grabenkämpfe zu wissenschaftlicher Objektivität können gerade Ethnographien von Gewalt Forscher_innen suspekt erscheinen lassen (ebd.: 6). Aber geht es in Feldforschung nicht, wie Pandey (2009) schreibt, genau darum, sich sprichwörtlich hineinzuversetzen (ebd.: 144)? Gegenüber dieser Zwickmühle möchte ich mich hier Varley (2008b) anschließen. Sie plädiert zwar dafür, prägende Ereignisse und Erlebnisse im Feld wenn möglich auch in den Repräsentationen darzulegen. Gleichzeitig verweist sie aber auch darauf, dass es nicht immer möglich ist, alles textlich offenzulegen: „our in-text disclosures must be carefully combed through, tested against our personal comfort levels“ (ebd.: 152). Darüber hinaus bleibt die Frage der Autorität dennoch in mancher Hinsicht offen. Bezüglich der Frage, ob auch kritische Punkte Teil der veröffentlichten Ethnographie sein dürfen argumentieren z.B. Brun und Jazeel (2009a) für die Einbeziehung. Gerade kritische Wissenschaft kann Engagement stimulieren und zu einer bedeutsamen Diskussion beitragen. Mit ihrem Beitrag sprechen sie den ferner fraglichen Punkt an, ob Ethnographinnen und Ethnographen Kritik äußern und zu einer Diskussion beitragen sollten, wenn sie nicht oder nur begrenzt Teil der Gesellschaft oder des Diskurses sind. Brun und Jazeel argumentieren diesbezüglich für eine Form der Repräsentation, die sich zu einem Thema äußert („speaking to“), nicht aber die Stimme für andere erhebt („speaking of/for“) – unabhängig davon, ob die Kritik von lokalen oder fremden Autoren und Autorinnen geäußert wird (ebd.: 221). Welche Legitimität aber hat ein Forscher oder eine Forscherin, zu forschen und zu veröffentlichen? Sind Forscher_innen berechtigt, eine Kritik (im Sinne einer kritischen Abhandlung) zu schreiben, welche als gesellschafts- oder regimekritisch verstanden werden kann? In meinem Fall z.B. waren viele Vertraute in Gilgit nicht nur über die Einmischung der agencies an sich entsetzt, sondern in Aufruhr bezüglich

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der Möglichkeit, dass ich, würde ich darüber schreiben, das Image der Region trüben könne. Auch bezüglich der Konflikte zwischen den Konfessionsgruppen versuchten viele, in ihren Aussagen das gute Miteinander statt den Konflikt zu betonen. Wie auch Fregonese (2012: 317) für Beirut festhält, gibt es eine Ambivalenz gegenüber Repräsentationen der Region: zwar wird versucht, ein Bild von Offenheit, Friedlichkeit und Gastfreundschaft zu stützen; dies aber wird wiederholt durch gewalttätige Konflikte innerhalb der Gesellschaft, ebenso wie zwischen Bewohnern und staatlichen Vertretern, herausgefordert. Diese beiden Seiten werden zwar lokal verhandelt; allerdings sind sich alle einig, dass Repräsentationen nach außen unkritisch und positiv sein sollen. Analog hält Varley (2008b) fest, dass der Repräsentation von Familien und Konfessionsgruppen als intern harmonisch und einig eine große Bedeutung zugemessen wird (ebd.: 149). Bezüglich der Frage nach einer Repräsentation, die sowohl den Vorstellungen von lokalen Akteuren und Akteurinnen als auch akademischen Institutionen, Kolleginnen und Kollegen etc. gerecht wird – vgl. auch die Warnungen meiner Kollegen und Kolleginnen, keine „verbrannte Erde“ zu hinterlassen –, spricht Marcus (2009a) von dem Dilemma einer „double agent-cy [sic]“ gegenüber den Erwartungen von „uns“ und „ihnen“. Wie er erklärt, ist es allerdings kaum möglich, den Ansprüchen und Vorstellungen aller Akteurinnen und Akteure und Teilhabenden zu entsprechen (ebd.: 23-4). Darüber hinaus wird das Problem dadurch verkompliziert, dass meist weder das „wir“ noch das „sie“ – wie auch immer man diese definieren will – einheitliche Erwartungen hegen.

FAZIT Ziel des Kapitels war es, einen Überblick über das Forschungsfeld anzubieten. Dazu gehören auch die interdependenten Beziehungen zwischen Akteuren und Akteurinnen inklusive der Forschenden, die wie alle zwischenmenschlichen Beziehungen von Machtdifferenzialen geprägt sind. In diesen Interdependenzen ist auch die Verwobenheit von Feld, Habitus und ethnographischen Beziehungen begründet, ebenso wie hierüber auch Feldforschungsmethoden, Verständnis für das Feld und Repräsentation beeinflusst bzw. bestimmt werden. Dabei wird außerdem die Komplexität von Feldforschung und Ethnographie deutlich; weder entsprechen Beziehungen und Handlungen einer Dyade noch entspricht Kommunikation einem Dialog zwischen Forschenden und Gegenüber noch kann bezüglich der Rezipienten und Krititer von einem simplen akademischen „wir“ und lokalem „sie“ ausgegangen werden. Lokale Bevölkerung wie Forschende sind in ein komplexes Netzwerk von Agierenden und Institutionen eingebunden. Der Versuch der Trennung autobiographischer Aspekte von Datenerhebung, Analyse und Schreibprozess ist immer

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nur ein künstlicher. Dennoch muss ich zugestehen, dass auch in der vorliegenden Arbeit diese Trennung nicht ganz vermeidbar schien. Mit den folgenden Kapiteln schließt sich entsprechend „separat“ die Darstellung und Analyse der waterscape Gilgits an. Anfang macht ein Aufriss der Fragmentierungen, durch die sie maßgeblich charakterisiert ist.

Gilgits fragmentierte Wasserversorgungen

Wie schon divers angedeutet, ist die Wasserversorgung Gilgits auf mehreren Ebenen fragmentiert. Entsprechend zielt das folgende Kapitel darauf ab, einen Überblick über die städtische Wasserlandschaft anzubieten bzw. über die Vielzahl unterschiedlicher Wasserquellen, Infrastrukturen, Anbieter, Institutionen, Gruppen von Rechtehaltern, Nutzergruppen und Praktiken über die auf Wasser zugegriffen wird. Dies umfasst u.a. „traditionelle“ gemeinschaftliche Kanalsysteme, öffentliche bzw. städtische Filtrationsanlagen, Wasserleitungen und -komplexe sowie „artisanale“ und privatwirtschaftliche Ansätze, Haushalte über tankers, von Traktoren gezogene Tankwagen, Brunnen oder Flaschenwasser zu versorgen. Auch subversive Praktiken, mit der beschränkten Wasserversorgung umzugehen, z.B. indem Wasserleitungen angezapft oder Wasseranteile irregulär verlängert werden, werden als Teil der privaten Maßnahmen verstanden. Einerseits wird mit den Diversifizierungen die Wasserversorgung in der zunehmend urbanisierten Wasserlandschaft multipliziert. Wurde „früher“ Wasser für Bewässerung und Haushaltsnutzung allein über Kanäle verteilt, gibt es nun neben Kanälen auch spezielle Haushaltswasserleitungen sowie Filtrationsanlagen. Eine formale Kategorisierung für Gilgit würde heute so aussehen: Bewässerungswasser Haushaltswasser Trinkwasser

: : :

Kanäle öffentliche Leitungen Filtrationsanlagen

Andererseits wird eine solche Kategorisierung in den eigentlichen Nutzungen nicht aufrechterhalten; die tatsächlichen Praktiken trotzen der Unterscheidung der Wasserkategorisierungen. Darüber hinaus untergräbt die tatsächliche Nutzung in vielen Fällen sogar diese Ordnung, bis dahingehend, dass sie verschoben wird: Bewässerungswasser ist eigentlich nur mehr Abwasser, Haushaltswasser wird sowohl als Bewässerungs- als auch als Trinkwasser genutzt, Trinkwasser aus Filtrationsanlagen wird zum Spülen von Geschirr oder zum Waschen von Wäsche verwandt. Da

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die soeben skizzierte formale Trennung für Gilgit entsprechend immer nur eine tentative ist, richtet die Arbeit den Blick auch nicht nur auf eine Kategorie, wie dies in vielen wissenschaftlichen Analysen der Fall ist, die entweder auf Bewässerungswasser oder auf Trinkwasser fokussieren. Stattdessen geht es um die kategorienübergreifenden Praktiken sowie deren diskursive Bewertung, wie z.B. durch einen „Experten“ bzw. ehemaligen Mitarbeiter der WASA Gilgits. Wie Bakker (2003b, 2010) erklärt, ist die Fragmentierung von Wasserversorgung – sowohl bezüglich der Wasserquellen, der Bereitstellung als auch der Nutzer_innen – weltweit eher Regel als Ausnahme. In den meisten Städten bestehen mehrere Wassersysteme nebeneinander, darunter öffentliche Netzwerke, private Unternehmen als alternative Dienstleister und private Verkäufer als Dienstleister im Kleinen. In der Praxis werden oft nicht alle Bewohner_innen und Stadtteile versorgt; das Konzept des „Netzwerks“ ist zumeist als Ideal zu verstehen. Die tatsächliche Wasserversorgung in vielen Städten, insbesondere im „globalen Süden“, gleicht oft eher Archipelen denn Netzwerken: verbundenen aber entfernten Inseln der Versorgung mit weiten Bereichen der Nicht- oder Unterversorgung (dies. 2003b: 337, 2010: 22).1 Lokale Regierungen dehnen typischerweise ihre Dienste nicht auf alle Stadtteile aus und vernachlässigen z.B. sozioökonomisch marginale Stadtteile. Hierdurch gibt es oft Bevölkerungsteile oder Einwohnerschaften, die keinen Zugang zur Wasserversorgung haben, die Bakker als die „urban unconnected“ bezeichnet (Bakker 2010: 27). Gerade in sogenannten „developmental states“, Staaten mit starken staatlichen Kontrollen und Regulationen sowie ggf. unerwartet hohem Wirtschaftswachstum, seien Ansprüche von Bürgern an den Staat keinesfalls sicher und müssten konstant angemahnt und verhandelt werden (ebd.: 28-9, dies. 2008: 239). Forderungen danach, Wasserversorgung universal bereitzustellen, werden von einer solchen Perspektive aus als Versuche gesehen, Demokratie zu stärken. Die materiellen Sinnbilder von (Staats-)Angehörigkeit – grundlegende öffentliche Dienste, die für würdevolles Leben notwendig sind bzw. eine „öffentliche Daseinsvorsorgepflicht“ – sollen so eingefordert werden können (ebd.: 245).2 Dabei

1

Bakker (2003b, 2010) benutzt den Begriff des Archipels illustrativ, ohne, wie z.B. Deleuze, auf philosophischen Implikationen bzw. auf das Archipel als Metapher einzugehen. Deleuzes Bemerkungen zu Inseln und Archipelen (siehe z.B. ders. 1998: 86-7) deuten Verbindungen und interdependente Beziehungen zwischen Inseln an und werden z.B. im transdisziplinären Feld der Nissologie bzw. Inselstudien aufgegriffen, wo der Begriff der Archipele sowohl deskriptiv als auch metaphorisch benutzt wird (siehe z.B. Pugh 2013; Stratford et al. 2011).

2

Bakker (2010) baut hier darauf auf, dass der Schutz von Privateigentum und das Bereitstellen von öffentlichen Dienstleistungen eine Hauptquelle für die Legitimation moder-

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verweist Bakker auf Chatterjees (2006) Einwand, dass gerade in solchen Entwicklungsstaaten Exklusion oft integraler Bestandteil von Modernisierungsprozessen ist. Oft haben diese nicht die nötigen Ressourcen, um materielle Sinnbilder von (Staats)Angehörigkeit (wie Elektrizität oder Wasser) universal bereitzustellen, selbst wenn sie sich, so Chatterjee, eigentlich über deren Bereitstellung legitimieren. Fragen der universalen oder partiellen Bereitstellung werden über Identitätsfragen verkompliziert, z.B. wenn nur Teile der Bevölkerung als volle Mitglieder der Gesellschaft mit allen Ansprüchen anerkannt werden (Bakker 2010: 29, 48). Auch in Gilgit gleicht die Wasserversorgung Inseln und Archipelen der Versorgung – obwohl auch hier, wie noch deutlich werden wird, ein integriertes System bzw. Netzwerk immer wieder Ziel öffentlicher Einrichtungen bzw. Regierungen ist. Davon ausgehend geht das Kapitel der Frage nach, wie das bestehende Wasserverteilungssystem erlebt wird, bevor in den zwei folgenden Kapiteln verschiedene Strategien aufgezeigt werden, die sowohl Basis, mit der Fragmentierung und Wasserunsicherheit umzugehen, als auch Ursachen für zunehmende Fragmentierung sind. Dabei werden Zusammenhänge und Interdependenzen deutlich, die Sicherheit für eine Gruppe und Unsicherheit und Ungewissheit für eine andere bedeuten. Entsprechend wird der Blick zunächst auf die Fragmentierung hinsichtlich der unterschiedlichen Angebote gerichtet: die hydraulischen Einheiten Gilgits, die öffentliche Wasserversorgung und private bzw. artisanale Wasserorganisierung. Im Anschluss wird dargestellt, wie alte Gewissheiten, z.B. in Bezug auf die Wasserqualität, im Zuge neuer Entwicklungen langsam erodieren. So nimmt z.B. mittlerweile Ungewissheit darüber zu, ob das Wasser aus den Brunnen in Anbetracht der vielen Sickergruben tatsächlich noch „natürlich“ rein ist. Ebenso wird angezweifelt, ob das Wasser der Gebirgsbäche durch die Perkolation noch „natürlich“ gefiltert werde. Bezüglich des angebotenen Flaschen- bzw. Mineralwassers ist ebenfalls unklar, ob dies tatsächlich filtriert wird und damit besser ist als das Wasser des Gebirgsbaches von dem es abgefüllt wurde und das – zweifellos unfiltriert und unbehandelt – über die öffentlichen Leitungen ausgegeben wird. Hier und in den folgenden Kapiteln wird deutlich, wie die Bewohner_innen unterschiedlicher Stadtteile den Problematiken von Wasserunsicherheit mit unterschiedlichen Strategien begegnen. Bezüglich der Wasserqualität z.B. gibt es Reaktionen, die Verschmutzung des Wassers zu ig-

ner Staaten ist. Beide zielen auf die Möglichkeit und Verantwortung ab, Entwicklung zu ermöglichen. Dazu kommen gemeinhin marktbestimmtes Wirtschaftswachstum, Verbesserung von Lebensstandards, Gesundheitsleistungen und Sozialhilfe sowie die Bereitstellung der hierfür notwendigen Mittel. Dem liegt eine Kombination aus Altruismus und Zweckrationalität zugrunde: für die Legitimation des Staats ist sowohl eine produktive Arbeitskraft als auch politische Legitimität notwendig (ebd.: 28).

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norieren, sich Möglichkeiten zu suchen, Wasser über Abkochen oder über Filter am Küchenhahn zu reinigen, aber auch Versuche, Stadtbewohner_innen zu Umweltbewusstsein bzw. zu „environmental subjects“ (Agrawal 2010) zu erziehen. Darüber hinaus soll, wie in der Einleitung angesprochen, verdeutlicht werden, inwiefern die mit Trinkwasser verbundenen Problematiken zwar auch auf umweltbezogenen, v.a. aber auf sozialen Grundlagen beruht: Das temporäre Aussetzen der Wasserversorgung kann zwar auch dadurch bedingt sein, dass die Wasserinfrastruktur durch einen Erdrutsch oder eine Sturzflut beschädigt wurde – was durchaus regelmäßig vorkommt. Dagegen entspricht aber der Ausschluss mancher Stadtteile von der Verteilung des nāla-Wassers als soziale Praxis einer Gesetzmäßigkeit und die Verschmutzung der Wasserressourcen ist eine alltägliche Praktik, mit der nicht nur regelmäßig, sondern immerzu umzugehen ist. Die Gespräche und Beobachtungen, auf denen das vorliegende Kapitel beruht, fanden in unterschiedlichen Stadtteilen statt – Probleme von Wasserknappheit und Verschmutzung ziehen sich durch alle Stadtteile – v.a. aber in Jutial und Kashrot. Dabei liegt der Fokus vornehmlich auf den Gesprächen mit Bewohnern und Bewohnerinnen der Stadt, d.h. mit den Nutzerinnen und Nutzern der Angebote. Ansichten und Auffassungen der Vertreter z.B. der Verwaltung, des Public Works Department (PWD) und der Water and Sanitation Authority (WASA) würden das Verständnis der waterscape Gilgits sicherlich erheblich erweitern und die Sicht der Bewohner relativieren. Aufgrund der Eingriffe der agency-Mitarbeiter war dies aber nicht bzw. nur eingeschränkt möglich.3 Daher ergaben sich nur wenige Gelegenheiten, um mit Planern oder „Experten“, d.h. mit Politikern, Beamten oder Mitarbeitern öffentlicher Einrichtungen zu sprechen. Bei Besuchen von Nachbarschaften im oberen Teil Jutials z.B. traf ich 2012 zufällig auf Mitarbeiter der WASA, darunter einen Ingenieur, der über mangelndes ownership, d.h. mangelndes Verantwortungsbewusstsein und mangelnde Übernahme von Verantwortung vonseiten der Bewohner klagte und dem ich, aufgrund der Furcht dabei beobachtet zu werden, mit großer Beklemmnis zum oberen Tank am Ausgang des Jutial Nala folgte. Gegen Ende meines Aufenthalts 2012 führte ich mit einem Forschungsassistenten, dessen Onkel dort langjähriger Mitarbeiter war, ein Gespräch mit einer Belegschaft am unteren Tank Jutials und kurz darauf in dessen Garten ein Gespräch mit dem Onkel selbst. 2014 konnte ich – in der Stunde bevor ich die Nachricht erhielt, ich müsse noch am nächsten Tag abreisen – ein Gespräch mit Sajjad Ahmed führen, einem jungen In-

3

Der Colonel untersagte es mir, mich an Mitarbeiter von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder Politiker zu wenden bzw. erlaubte dies nur unter der Einschränkung, dass es unter Aufsicht des universitären liaison officer geschehe. Diesbezüglich wollte ich kein Risiko eingehen und kein Risiko darstellen.

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genieur, der mehrere Jahre für die WASA in Gilgit gearbeitet hatte: Ein Gespräch, in dem die Frustrationen deutlich werden, die für ihn als Planer aus dem Verhalten anderer Angestellter, wie auch mancher Nutzer entstehen.

HYDRAULISCHE EINHEITEN GILGITS Siedlungsgeschichtlich ist Gilgit aus Dörfern gewachsen, die am Auslauf des Kargah im Südwesten Gilgits entstanden sind (siehe Abb. 4), einem Seitental, dessen Bach sich aus Schneefeldern und Seen speist. In der ganzen Region dienen neben Flüssen v.a. die Bäche von Seitentälern als Wasserquellen (sowohl Seitental als auch der Bach darin werden als nāla bezeichnet). Diese Bäche sind, wie schon unter „Forschungslokalität Gilgit“ beschrieben, meist aus Schneefeldern oder Gletschern gespeist und führen im Winter oft nur wenig oder kein Wasser. Der Wasserumfang nimmt erst in den Frühjahrsmonaten mit der einsetzenden Schmelze wieder zu. Die meisten Orte und landwirtschaftlichen Flächen Gilgits, wie auch der ganzen Region, sind über solche Bäche bewässert, mit Ausnahmen, in denen auf Flusswasser zugegriffen wird. Abbildung 5: Gesäuberter nālī in Nagrel

Foto: Autorin 2014

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Die hydraulischen Einheiten sind großenteils „selbstregulierend“ – ein Charakteristikum, das Trawick (2001) für Peru dazu veranlasst, vergleichbare Gemeinschaften auch als „Mikro-Gesellschaften“ zu bezeichnen (ebd.: 361). In Gilgit-Baltistan spiegelt sich dies in den Festschreibungen der Regelungen zu Gewohnheitsrechten wieder, die jedes Dorf individuell aufgestellt hat, auch wenn – in Gilgit-Baltistan wie auch in Peru – die Regelungen für Wassermanagement über die Dörfer und Regionen hinweg ggf. eher Gemeinsamkeiten als fundamentale Unterschiede aufweisen. Abhängig von der Verfügbarkeit von Wasser und Land kann ein Bach auch mehrere Gruppen oder Dörfer speisen, wodurch diese über Rechte und Pflichten gegenüber dem Wassersystem und untereinander verbunden sind. Bis in die 1970er Jahre beruhte die gesamte Wasserversorgung von Haushalten, Gärten und landwirtschaftlichen Flächen vorrangig auf offenen Kanälen (Urdu: kūl, neher; Shina: dalja, dala), die oft mehrere Kilometer zwischen Aufnahmestelle und Einsatzort überbrücken. Erreicht das Kanalwasser die landwirtschaftlichen Flächen, wird das Wasser in weiter verzweigten Wasserwegen (Urdu: nālī; Shina: yab) an die Felder und Nachbarschaften geleitet. Sie führen auch in Gilgit an Feldern und Grundstücksmauern entlang durch die Stadtteile, wo die Abschnitte der Wasserwege entlang der Felder und Grundstücke in der Verantwortung der jeweiligen Anlieger liegen (siehe Abb. 5). Auch Trinkwasser wurde bislang aus den kūls abgezweigt und in nachbarschaftlich genutzten Zisternen aus Stein und Lehm (Shina: gulko) gespeichert. Traditionell aus Stein gehauen oder aus Erdmaterial gezogen und mit Moosen und Gräsern abgedichtet, sind Kanäle und Wasserwege heute zunehmend bzw. abschnittsweise auch mit Beton befestigt (siehe Abb. 5-6). Traditionell sind die Mitglieder der hydraulischen Einheiten selbst für die Instandhaltung, Reparatur und Säuberung von Kanälen zuständig (siehe Abb. 6); heute wird dies oft auch unter technischer und monetärer Hilfe von öffentlichen Einrichtungen oder mithilfe von Entwicklungsgeldern politischer Repräsentanten wie den Mitgliedern der Gilgit-Baltistan Legislative Assembly (GBLA) getan. Für die Bewirtschaftung der kūls des Kargah – Schließung und Öffnung sowie Reinigung und Reparatur – ist dagegen mittlerweile das Municipal Committee bzw. die lokale Verwaltung zuständig. Gerade nach Überschwemmungen arbeiten aber öffentliche Institutionen auch zusammen mit Bewohnern an Reparaturen von Kanälen oder Wasserleitungen, um eine schnelle Wiederaufnahme des Betriebs gewährleisten zu können. Im Frühjahr 2015 z.B. berichtet die lokale Zeitung Daily K2 über eine „task force“, die auf Geheiß des Chief Secretary, des obersten Verwaltungsbeamten der Region, über das Local Government and Rural Development Department (LG&RD), das Municipal Committee und die District Administration eingerichtet wurde, um die kūls von Abfällen und Sedimentablagerungen zu befreien (Daily K2, 16.03.2015). Vor einer solchen Koordination über die staatliche bzw. städtische Verwaltung gingen derlei Initiativen, wie auch der Bau neuer Kanäle oft von loka-

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len Herrschern oder auch Britischen Verwaltern aus. In Gilgit übernahm dies z.B. der Britische Political Agent, nachdem ab der Mitte des 19. Jahrhunderts Kashmiris und Briten ihren Sitz in Gilgit genommen hatten. Durand (1899) z.B. verweist mehrfach auf Initiativen zur Instandhaltung der Kanäle Gilgits und der Umgebung, an denen die Nahrungsmittel für Bevölkerung und Truppen hingen (ebd.: 282, 301). Abbildung 6: Arbeiten an einem kūl in Hunza

Foto: Autorin 2012

Historischer Hintergrund der hydraulischen Einheiten Gilgits Während in Bezug auf das Wasser der nālas zunächst eine oder mehrere Dorfgemeinschaften sowohl Wasserrechte, -verwaltung als auch -nutzung vereinten, wird diese traditionelle Handhabung in Gilgit durch zunehmende Urbanisierung, neue Akteure, veränderte Alltagspraktiken und Bedürfnisse herausgefordert. Wie in weiten Teilen Südasiens wurden während der kolonialen Periode auch in Gilgit die Regelungen bezüglich der Wasserverteilung als Gewohnheitsrechte formalisiert und fixiert, welche auch nach der Schaffung des pakistanischen Staats und der Ausdehnung dessen Einflusses auf die Region Gilgit-Baltistan in der Praxis weiterhin gültig blieben. Wie auch in anderen Teilen Pakistans und Nordindiens werden für die Institutionen und Rechte auch in Gilgit weiterhin unter den Briten gängig gemachte Begriffe verwendet. Wārābandī bezeichnet die Bewässerung im Rotationsverfah-

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ren, wājib ul-arz Sammlungen bzw. Verschriftlichungen von Gewohnheitsrechten (siehe Unterkap. „Jutial – Besiedelung, Rechte…“). Dabei gab es in Gilgit in der Mitte des 20. Jahrhunderts im Hinblick auf die zunehmende Migration eine Zäsur bezüglich der Flexibilität in der Wasserverteilung und in der Auslegung der Gewohnheitsrechte. Über die politische und verwaltungstechnische Anbindung an Jammu und Kashmir bzw. Britisch Indien von 1879 bis 1947 waren zeitweise auch Migration und Mobilität reguliert und beschränkt gewesen. Im Zuge der Eingliederung der Täler um Gilgit als „Gilgit Wazarat“ in den Staat Jammu und Kashmir im 19. Jahrhundert und der Etablierung der „British Agency“ in Gilgit ab 1879 und erneut 1889 dehnten Kashmiris und Briten politische Richtlinien und Strategien auch auf die Region aus (siehe Sökefeld 1997a: 179; Dani 1991c). Als Sitz der kashmirischen und britischen Verwaltung und Truppen sowie als ein Handelszentrum der Region wurde Gilgit immer bedeutender. Gleichzeitig wurde Land zum māl-e sarkār, zum Staatseigentum erklärt, settlement records erhoben und schließlich die kolonialen Regierungspraktiken und das koloniale Steuersystem übertragen (Sökefeld 1997a: 119-20). Erst 1936 wurde bestelltes Land wieder von Staatseigentum (māl-e sarkār) zu Besitztum der Bevölkerung (māl-e zamīndār) umgewandelt und erst dadurch wurde Land für Bauern auch wieder verkäuflich (ebd.: 122-4).4 Auch Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Gilgit wurden erst ab 1935 wieder aufgehoben und erst damit Migration aus anderen Tälern der Agency nach Gilgit wieder möglich. Dem schloss sich eine stetig wachsende Migration nach Gilgit ab den 1930er Jahren zunächst aus den umliegenden Tälern und ab den 1950er Jahren auch aus dem pakistanischen Tiefland an. In den folgenden Jahren siedelten zunehmend Familien aus den umliegenden Tälern in den Distrikt Gilgit und nach Gilgit selbst um; neue Dörfer wie Danyor und Juglot wurden gegründet. Besonders viele Familien kamen aus Hunza, wo bestellbares Land sehr gering war, die Bevölkerung aber stetig wuchs und regelmäßig Hunger litt (ebd.: 120-1). Die Migranten, die ab den 1930er Jahren nach Gilgit zogen, ließen sich entweder auf Ödland (nautōṛ) oder in den alten Dörfern bzw. Stadtteilen Gilgits auf Land nieder, welches schon urbar gemacht oder bestellt worden war (ābādī zamīn) und das daher besteuert wurde. Bestellbares Land abzugeben oder zu verkaufen, war zwar nicht beliebt, eröffnete aber die Möglichkeit, die Steuerlast zu

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Diese Reform war zunächst in Jammu und Kashmir 1933 unter Maharajah Hari Singh von Jammu und Kashmir eingeleitet worden. Auf Gilgit wurde sie erst auf Drängen des Britischen Political Agent in Gilgit ausgedehnt (Sökefeld 1997a: 122-4).

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verringern (ebd.: 125), welche nicht an den erzielten Erträgen oder bestellten Land, sondern am bestellbaren Land festgesetzt wurde.5 Die große Zahl an neu Zugezogenen wurde in Gilgit offenbar zunehmend kritisch gesehen, was ab den 1950er Jahren dazu führte, dass Kriterien eingeführt wurden, mit deren Hilfe bestimmt werden sollte, wer „eigentlich“ einheimisch sei und wem „eigentlich“ Gewohnheitsrechte zustünden – die Institutionalisierung der „Etablierten-Außenseiter-Figuration“. Zunehmend protestierten in Gilgit Bewohner, die sich selbst nicht nur als Siedler, bāshinde, sondern als pushtūne bāshinde, „alte“ Siedler, verstanden, gegen die Zuwanderer (insbesondere aus Hunza). Schließlich wurde eine zeitliche Zäsur gesetzt. Als Kriterium für die Identifizierung als pushtūne bāshinde wurde festgelegt, vor 1947 in Gilgit besteuertes Land besessen zu haben (ebd.: 129).6 Hierdurch wurde die ursprüngliche Kategorie der Landbesitzer in sogenannte pushtūne bāshinde als „eigentliche“ oder „alte“ Siedler und bāshinde, die nach 1947 Land gekauft oder besetzt hatten, geteilt. Das Recht auf die Ressourcen der nālas wurde entsprechend mit den Familien der „alten“ Siedler verbunden. Während die Nutzung von Wasserressourcen bislang an die Beteiligung an Kanal-Arbeiten, den Besitz und das Bestellen von Land sowie damit verbundene Besteuerung gebunden war, war es neuen Siedlern nun nicht mehr möglich, Anspruch an Wasseranteile zu erheben. Neue Siedler können nun Wasseranteile nur von den „alten“ Siedlern erbeten; Verkäufer und Käufer von schon bewässertem bzw. besteuertem Land können z.B. eine Vereinbarung über

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Sökefeld (1997a) erklärt, dass zuweilen Land nicht an einen Fremden verkauft wurde, sondern dass der Fremde durch eine Heirat in die Familie integriert wurde. Damit wurde das an ihn abgegebene Land faktisch nicht veräußert, sondern in der Familie gehalten (ebd.: 96-7).

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Auch Sökefeld (1997a) stellt fest, dass in Siedlungsgeschichten der Dörfer bzw. Stadtteile Gilgits und in den Zuschreibungen als pushtūne bāshinde („alte“ Siedler) oder muṭhulphau (diejenigen, die das Land brachen) zwar oft Unterscheidungen zwischen „alten“ und neuen Siedlern, oder auch „echten“ Bewohnern und Fremden, getroffen werden, dass hier aber durchaus auch biographische Sprünge oder Neuerfindungen zu finden sind (ebd.: 114-8). Wie viele Haushalte sich zu den „alten“ Siedlern zählen oder von anderen als solche anerkannt werden, ließe sich möglicherweise über einen Zensus erheben; gleichzeitig zeigt aber die Flexibilität im Umgang mit solchen Begriffen und Kategorien, dass Zahlen sich hier nicht für eine Erhebung eignen. Für Jutial z.B. schätzt Sökefeld in den 1990er Jahren die Haushalte, die zu den muṭhulphau zu rechnen seien, auf um die 50 von ca. 400 Haushalten (ders. 1998: 188). Klar ist nur, dass die „alten“ Siedler Jutials im Kontext der Besiedlung von Freiflächen ab den 1950er Jahren zu einer Minderheit im heutigen Stadtteil Jutial geworden sind (siehe auch ebd.: 203).

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Wasser treffen. Der Käufer wird dann zum sāmī, der zwar kein Recht auf Wasser hat, aber jährlich über den Verkäufer einen Anteil an dessen Wasser erbitten oder erarbeiten kann (siehe Sökefeld 1997a: 68-78, 91-2, 114-7). D.h., wer nicht zu den „alten“ Siedlern gehört, kann zwar an der Wasserverteilung beteiligt werden und zu einem Wasser-Nutzer werden, hat aber keine Wasserrechte. Er kann über diese Regelung von der Verteilung des nāla-Wassers des temporär oder langfristig ausgeschlossen werden – eine Regelung, die in den neuen Siedlungen insbesondere zu Beginn des Landwirtschaftszyklus tatsächlich jährlich greift.7 In Gesprächen während meiner Forschung beriefen sich z.B. „alte“ Siedler in Jutial bezüglich diesen Ausschlusses auf die Institution der Gewohnheitsrechte und betonten hierbei insbesondere den Aspekt der Tradition im Sinne von generationenübergreifender Weitergabe von Rechten auf die natürlichen Ressourcen des nālas. Grundlage für ihren Anspruch ist die Argumentation, dass ihre Vorfahren die „eigentlichen“ Bewohner Gilgits seien, muṭhulphau. Diesen wird zugesprochen, so der Shina-Begriff, als Pioniere das Land „gebrochen“, also urbar gemacht, Kanäle konstruiert und das Land so nutzbar gemacht zu haben (ebd.: 114-8, 1998: 133-4). Ihre Nachkommen haben es im Anschluss geschafft, dies in Eigentumsrechte für das Land und Eigentumsrechte für die Ressourcen der nālas zu übersetzen.8 In Gilgit wurde dies als Beibehaltung „traditioneller“ Praktiken bezeichnet und nicht herausgefordert. Dabei macht gerade das Festlegen von 1947 als Datumsgrenze deutlich, dass auch hier Änderungen stattfinden: Manche Elemente, wie bestimmte Verteilungsregelungen, werden als „traditionell“ beibehalten; andere, wie die Praxis der Integration von Migranten in die Wasserverteilung vor den 1940er Jahren, wurde beendet. Interessanterweise wurde der Status als „alte“ Siedler von keinem Gesprächspartner über eigene Verdienste bei der Errichtung oder Instandhaltung des Infrastruktursystems legitimiert. Statt Wasserrechte als Teil eines selbst erworbenen bzw. erarbeiteten Status zu legitimieren, führten alle Gesprächspartner zur Legitimation allein Erbfolge an. Gleichzeitig ist die Legitimation dafür, das Recht auf Wasser auf nur einen Teil der Bevölkerung zu limitieren, nur teilweise auf die Vergangenheit bezogen. Neben dem Bezug auf vergangene Praktiken, welche die Nutzung der Ressourcen der nālas durch bestimmte Familien legitimiert, rechtfertigen pushtūne bāshinde die Beibehaltung auch über zukünftige Bedürfnisse der kommenden Generationen ihrer Familien. Diese, so ihr Argument, würden eine Aufgabe

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Diese Regelung kann auch gegenüber einzelnen Familien angewendet werden, wie im Unterkap. „Konfessionslandschaften“ beschrieben.

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Vgl. auch Li (1996: 510) für Pioniere und deren Nachkommen auf Sulawesi, Indonesien.

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der Gewohnheitsrechte ausschließen (siehe auch das Unterkap. „Herausforderung der Wasserrechte“). Dabei kommt den Gewohnheitsrechten formal ein unklarer Status zu: Die Gewohnheitsrechte werden von staatlichen Institutionen zunächst nicht herausgefordert, ihnen wird aber auch kein formeller Status zuerkannt (siehe Unterkap. „Jutial – Besiedelung, Rechte…“ und „Herausforderung der Wasserrechte“). Boelens (2009) verweist zwar darauf, dass traditionelles Wassermanagement öffentlichen Institutionen generell oft ein Dorn im Auge sei, da es als unkontrollierbar, unverständlich und unangemessen gegenüber technokratischen Vorstellungen von Gerechtigkeit („gleiche Wasserversorgung für alle“) und gegenüber konventioneller technokratischer Rationalität gelten würde (ebd.: 307-8). Dennoch werden entgegen dieses Trends die traditionellen Wasserrechte in Gilgit weiterhin praktiziert und werden nicht abgeschafft. Dabei gibt es in Gilgit die Bedürfnisse, auf denen sich die Wasserrechte ursprünglich begründeten – Landwirtschaft sowie Besteuerung von landwirtschaftlich nutzbaren Flächen – kaum noch: Aus verschiedenen Gründen haben die meisten Familien in Gilgit – insbesondere in der Innenstadt, aber auch in Khomer und Jutial – Landwirtschaft und Tierhaltung größtenteils aufgegeben oder zumindest drastisch reduziert. Eine Zunahme an Arbeitsplätzen in der Verwaltung und in unterschiedlichen Berufsgruppen sowie ein wachsendes Bildungsangebot haben den landwirtschaftlichen Sektor unattraktiv gemacht und staatlich subventionierter Weizen aus dem Punjab hat den Anbau von Getreide und Reis unwirtschaftlich werden lassen. Zuletzt ist durch Bevölkerungswachstum und Bevölkerungszuzug das Verhältnis von Land zu Bevölkerung wesentlich gesunken und der Großteil des Lands wird nicht mehr bestellt, sondern bebaut. Effekte von Gewohnheitsrechten auf die waterscape Gilgits Unter Verweis auf die Wasserrechte gestehen die pushtūne bāshinde den neuen Siedlungen nur gewisse Anteile an Wasser zu. Die Anerkennung der Gewohnheitsrechte der „alten“ Siedler auch durch öffentliche und regionalstaatliche Institutionen und Akteure bedeutet außerdem, dass die ehemaligen Dorfgemeinschaften zunächst frei über den Einsatz des nāla-Wassers entscheiden können. Im Frühjahr, wenn die Schneeschmelze noch gering ist, bedeutet dies, dass die Bewässerung eigener landwirtschaftlicher Flächen Vorrang vor der Trinkwasserversorgung der neuen Siedler_innen hat. Während die öffentliche Wasserversorgung in den alten Siedlungen weiter betrieben wird, wird die der neuen Siedlungen temporär beschränkt oder sogar ganz ausgesetzt. Zwar gibt es über die öffentlichen Wassersysteme für die neuen Siedlungen teilweise auch die Möglichkeit, Wasser aus dem Fluss zu pumpen. Wassermangel in den nālas bedeutet aber gleichzeitig auch eine verminderte Stromproduktion in den Wasserkraftwerken, über die die Region mit

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Elektrizität versorgt wird, und so können die elektrisch betriebenen Pumpen den Wassermangel oft nicht ausgleichen. Dies wird von öffentlicher Verwaltung und Regionalregierung, deren Mitglieder zu großen Teilen entweder selbst pushtūne bāshinde sind oder sich deren Machtvorsprung beugen, grundsätzlich anerkannt bzw. in der Praxis bestätigt – selbst wenn dies bedeutet, dass teilweise große Summen an Entwicklungsgeldern vergeblich investiert wurden. Wie mir z.B. zwei ehemalige Mitarbeiter des PWD, Bakhtawar Shah und Amjad Alam erklärt hatten, habe es immer wieder Versuche gegeben, die verschiedenen öffentlichen Wassersysteme zu einem Netzwerk zu verbinden. Z.B. wurde ein Kanal entlang des Südhangs ausgehoben, um Wasser aus dem Kargah auch für die neuen Stadtteile Jutials und die neuen öffentlichen Einrichtungen dort verfügbar zu machen. Obwohl der Kanal umgesetzt wurde, ließen jedoch die „alten“ Siedler mit Gewohnheitsrechten auf das Wasser des Kargah schließlich nicht zu, dass das Wasser bis nach Jutial geleitet würde.9 Neben den unterschiedlichen Wasserressourcen verursachen damit auch Akteure mit ihren unterschiedlichen, nebeneinander bestehenden Rechtsansprüchen eine ungleiche Wasserverteilung. Dies sind zum einen die Gewohnheitsrechte und andererseits Rechtsansprüche, die unter Verweis auf das demokratische Grundprinzip und den pakistanischen Staat geltend gemacht werden.10 Gerade neue Siedler wiesen auf Grundrechte hin, die ihnen als Bürger zustünden, wie ein Grundrecht auf Wasser und Strom als Ressourcen des alltäglichen Bedarfs, aber auch auf das Grundrecht der Freizügigkeit innerhalb Pakistans. Sie erhoben so Ansprüche an das pakistanische Grundgesetz und weiteten dieses auf Gilgit-Baltistan aus, auch wenn die Region nicht Teil der pakistanischen Verfassung ist. Die Anerkennung der Gewohnheitsrechte auch durch die öffentlichen und regionalstaatlichen Institutionen und die Unterscheidung der Bevölkerung in „alte“ und neue Siedler_innen bedeutet dagegen die Autorisierung von Teilen der Gesellschaft dahingehend, Ansprüche auf die natürlichen Ressourcen der nālas zu erheben. Der Gruppe der „al-

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Dennoch ist das Eingreifen öffentlicher Institutionen auch in die gemeinschaftlichen Infrastruktur- und Verteilungssysteme des nāla-Wassers – wie z.B. in Bezug auf das Investieren von Entwicklungsgeldern für die Reparatur von Kanälen – von mehreren Seiten gefordert: zum einen durch das staatliche Selbstverständnis, den Bedürfnissen von Bürgern bzw. Wählern gerecht zu werden, zum anderen aufgrund von Apellen der Bewohner Gilgits an Verwaltung und Politiker, sich an Aufgaben wie Bau und Reparatur von Kanälen und Wasserbehältern zu beteiligen.

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Obwohl Gilgit-Baltistan nicht offiziell Teil Pakistans ist, stand für die meisten Gesprächspartner_innen die eigene und regionale Zugehörigkeit zu Pakistan außer Frage, auch wenn es politische Bewegungen gibt, die gegen einen Anschluss an Pakistan sind (siehe z.B. Bodla 2014; Sökefeld 1999a).

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ten“ Siedler und „ihren“ Rechten kommt dabei ein naturalisierter und unabänderbarer Status zu, wobei außen vorgelassen wird, dass diese Gruppe und ihr Status durch einflussreiche Akteure erschaffen wurden. Zusammengenommen führt dies zu einer ungleichen Verteilung öffentlicher Ressourcen. Dabei können mit einer solchen sozialen und räumlichen Separierung und einer unterschiedlichen Versorgung durchaus umfangreiche Konsequenzen verbunden sein; Bakker (2010) z.B. nutzt daher für vergleichbare Situationen auch den Begriff der „Apartheid“ (ebd.: 23-4). Wie aus der traditionell gemeinschaftlichen Verwaltung und Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen Land und Wasser diese Ordnung und die damit verbundenen Regelungen und Rechte entstanden sind, wie diese Definition von „alten“ und neuen Bewohnern verstanden wird und was dies für die Wasserversorgung der neuen Siedlungen bedeutet, wird im Kapitel „Die Verhandlung ‚traditioneller‘ Wasserrechte“ am Beispiel Jutials näher erörtert.

ÖFFENTLICHE WASSERVERSORGUNGEN ZWISCHEN VERNETZUNGSVERSUCHEN UND ALLSEITIGEN ENTTÄUSCHUNGEN Bakker (2010) argumentiert, dass die städtische Wasserversorgungkrise daraus resultiert, dass (moderne, demokratische) Regierungen nicht fähig sind, die Leistungen zu erfüllen, auf denen ihre politische Legitimität eigentlich ruht. Wenn Regierungen Leistungen nicht erfüllen, folgen Missstände sowie ggf. Proteste und illegale Zugriffe auf Ressourcen (ebd.: 48-50). Auch in Gilgit haben Regierung und öffentliche Einrichtungen es bislang nicht geschafft, eine gleichmäßige oder ausreichende Versorgung mit Wasser herzustellen, die rechtlichen Differenzen zu integrieren und die damit verbundenen Konflikte erfolgreich zu schlichten. Die öffentlichen Wasserversorgungskomplexe zeichnen sich, wie ich meine, v.a. dadurch aus, Versuche zu sein: Versuche zur Vernetzung, zur Bereitstellung von Wasser über die Stadtteile und hydraulischen Einheiten hinaus. Dabei treffen immer wieder unterschiedliche Erwartungen aufeinander: die Erwartung von „alten“ Siedlern z.B., dass ihre Wasserrechte gewahrt werden; die Erwartung von Bewohnerinnen und Bewohnern der neuen Siedlungen, Wasser zum Leben – nicht nur zum Überleben – nutzen zu können; die Erwartung von Mitarbeitern der Institutionen, dass nur so viel Wasser genutzt werde, wie vorgesehen, auch wenn dies nicht unbedingt den Bedürfnissen der Nutzer_innen gerecht wird. Im folgenden Abschnitt werden zunächst kurz die Infrastrukturen dargestellt, die vonseiten der öffentlichen Einrichtungen installiert wurden. Dem folgt eine Darstellung der Enttäuschungen, die sowohl auf der Seite der Bewohner_innen Gilgits, insbesondere der neuen Siedlungen, als auch auf Seite

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von Mitarbeitern der öffentlichen Einrichtungen die gegenseitige Wahrnehmung sowie die Wahrnehmung der öffentlichen Institutionen prägen. Öffentliche Wasserversorgung und Vernetzungsversuche Vermutlich als Antwort auf zunehmende Verschmutzung der Wasserwege in der Stadt wurde ab den 1970er Jahren vorrangig von regionalen bzw. öffentlichen Institutionen parallel zu den kūls und nālīs der Bau einer gesonderten Infrastruktur für Trink- bzw. Haushaltswasser begonnen. Zunächst waren dies Wasserbehälter an den Ausgängen der nālas und geschlossene Rohrsysteme hin zu auf Stelzen errichteten Speichern aus Beton in den „alten“ Nachbarschaften, von denen Anschlüsse zunächst zu öffentlichen Einrichtungen und zu Häusern ausschließlich von Regierungsbeamten verlegt wurden. Wann und warum zunehmend zwischen Bewässerungswasser einerseits und Trink-/Haushaltswasser andererseits unterschieden wurde, konnte von keinem Gesprächspartner und keiner Gesprächspartnerin konkret ausgemacht werden. In paradoxer Weise wurde die zunehmende Verschmutzung von Kanälen und Kanalwasser in vielen Aussagen als Ursache und Folge der gesonderten Trinkwasserleitungen genannt.11 Das in den 1970er Jahren begonnene Leitungssystem wurde in den folgenden Jahrzehnten ausgedehnt – sowohl räumlich als auch in Bezug auf die Empfänger. Dennoch bleibt die Kontinuität, Quantität und Qualität des Leitungswassers aufgrund diverser Schwachstellen in der Infrastruktur, aber auch in der Planung und Verteilung unzuverlässig. Dabei ist die Bewirtschaftung des Wasserleitungssystems zunächst vergleichbar simpel. Das Wasser wird über betonierte Kanäle in den nālas abgezweigt und in Wasserbehälter geleitet, was eine kontrollierte Ausgabe sowie

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Die Einrichtung der Infrastrukturen erfolgte vermutlich als Antwort auf zunehmende Verschmutzung, war aber ggf. den Verschmutzungen vorausgehend: Mehrere Gesprächspartner erklärten, dass es bis in die 1990er Jahre keinen Diskurs um Wasserverschmutzung gegeben hatte und sie Wasser bis dahin noch direkt aus den nālīs getrunken hatten, die bis dahin sauber gewesen seien. Offenbar hatte es aber schon mit der Verlegung von Wasserrohren unter der britischen Verwaltung ein Vorbild gegeben. Diese hatten von einer Quelle in Barmas vier Leitungen verlegt: zum Wohnsitz des Political Agent, zum District Headquarter Hospital, an die öffentlichen Schulen und sowie die Government Servant Quarters in Konodas. Nur ein Gesprächspartner, Shah Gul Hayat, der selbst ein Mitglied des ersten Municipal Committee gewesen war, erinnerte, dass die ersten öffentlichen Leitungen nach 1972 unter Mubashir Hasan, dem damaligen Finanzminister Pakistans eingeführt worden seien, der selbst über Wasserbautechnik promoviert hatte.

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das Absetzen von Sedimenten erlauben soll. Obwohl ein Mitarbeiter der WASA angab, dass das Wasser außerdem mit Chlor desinfiziert würde, scheint dies höchst unregelmäßig durchgeführt zu werden, wie auch Tests der EPA bestätigen (siehe GB EPA o.D. [2013]). Diverse Gesprächspartner klagten, dass einige der Wasserbehälter nicht abgedeckt sind und das Wasser so z.B. durch streunende Tiere weiter verunreinigt würde. Darüber hinaus sind die Wasserrohre und Leitungen oft nicht dicht. Rohre und Leitungen sind abschnittsweise ober-, unterirdisch oder in Wasserläufen verlegt, sodass nicht nur Wasser verloren geht, sondern auch Schmutzwasser eindringen kann – u.a. da viele Bewohner privat und unprofessionell Wasserleitungen an die öffentlichen Rohre anschließen und die Verbindungsstellen oft nur unzureichend abdichten. Aus den Wasserbehältern wird das Wasser schließlich stundenweise, rotierend und entsprechend Schätzungen der Bewohnerzahlen in unterschiedlichen Leitungsdurchmessern an die bewirtschafteten Nachbarschaften verteilt. Wie auch für Strom werden Verteilungspläne für Wasser für jeden Stadtteil erstellt. Dabei variiert die Dauer der Wasserverteilung in den einzelnen Nachbarschaften zwischen einer und vier Stunden, wobei dies v.a. jahreszeitlich von der Verfügbarkeit von Wasser im nāla bzw. im Kanal abhängig ist.12 Über jahreszeitliche Schwankungen in der Wasserverfügbarkeit hinaus, die zu Unterbrechungen in der Wasserversorgung oder zu Verschiebungen in den Zeitplänen führen, sind die öffentlichen Wasserverteilungssysteme der Bevölkerungszunahme, der immer höheren Siedlungsdichte und der immer größeren Ausdehnung von Stadtteilen nicht gewachsen. Dabei gab es wiederholt Versuche, eine gleichmäßigere Verteilung und Versorgung auch der neuen Siedlungen mit nāla-Wasser zu einzurichten, die diversen separaten hydraulischen Komplexe in ein umfassendes Netzwerk zu überführen sowie ein Abwassernetzwerk einzuführen. Die bedeutendsten Versuche waren ein Kanal entlang dem Südhang Gilgits vom Kargah nach Jutial der 1980er Jahre sowie das in den späten 1990er Jahren begonnene „Greater Water Supply Scheme“. Mit dem „Greater Water Supply Scheme“ (von Gesprächspartnern oft auch einfach „greater“ genannt) war ein stadtumfassendes Wasserversorgungsnetzwerk verabschiedet worden, über das alle Stadtteile entsprechend der Bebauungsdichte mit Trinkwasserleitungen und entsprechenden Trinkwassermengen versorgen werden sollten. Die Infrastruktur wurde um die Jahrtausendwende großenteils verlegt. Dennoch verzögerte sich die Umsetzung aufgrund diverser

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Wie im Unterkap. „Jutial – Besiedelung, Rechte…“ noch detaillierter ausgeführt wird, leiten z.B. die „alten“ Siedler Jutials und Khomers in den Frühjahrsmonaten das Wasser des Jutial Nala vorrangig auf ihre Felder und errichten ein Wehr (sarbandh) oberhalb des Kanals, über welchen im Rest des Jahres Wasser für die neuen Siedlungen abgeleitet wird.

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Komplikationen – manche Gesprächspartner erwähnten flüchtig Korruption auf Seiten der Institutionen und Bauträger – und gerade neue Teile der Stadt sind noch immer nicht an die Wasserversorgung angeschlossen. Vergleichbar war auch der Kargah-Jutial-Kanal, über den schon in den 1980er Jahren eine gleichmäßig(er)e Wasserverteilung über die unterschiedlichen Stadtteile hinweg gewährleistet werden sollte, schon zuvor gescheitert. Da die Wassermengen des Kargah durchgängig größer sind als die des Jutial Nala, sollten über diesen Kanal die neuen Siedlungen Jutials sowie das neue Secretariat und der neue Gerichtskomplex in Jutial mit Trinkwasser aus dem Kargah versorgt werden (siehe Abb. 7). Aufgrund von Widerstand durch Bewohnergruppen, die Anspruch auf „traditionelle“ Wasserrechte auf das Wasser des Kargah geltend machten, scheiterte die vollständige Umsetzung jedoch – gleichwohl nach dem Aushub des Kanals, wie im Unterkapitel „Herausforderung der Wasserrechte“ weiter ausgeführt wird.13 Abbildung 7: Innenstadt Gilgits mit Kargah-Jutial Kanal am Hang

Foto: Autorin 2012

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Dies erinnert an die Analyse von Kanalbewässerungssystemen in Südindien, bei der Wade (1982) nicht von der Annahme ausgeht, dass Wasserinfrastrukturen allein den Interessen von Bauern nachkommen sollen, sondern dass diese dazu dienen sollen, Gelder – bzw. Aufträge – zu mobilisieren und sich aneignen zu können (ebd.: 288).

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In beiden Fällen wurde zwar die Umsetzung der Infrastruktur begonnen; im Fall des Kanals wird jedoch nur das erste Drittel und im Fall des Wassernetzwerks werden nicht alle Stadtteile gleichmäßig bedient. Dabei ist es offenbar die Anerkennung traditioneller Wasserverwaltung sowie die Autorität, welche „traditionellen“ Gewohnheitsrechten (inklusive Wasserrechten) und „traditionellen“ Nutzergruppen zugesprochen wird, welche öffentliche Versuche von flächendeckender Wasserbereitstellung in der Stadt unterminiert und begrenzte hydraulische Systeme hervorruft.14 Defizite in regionalen Institutionen beschreiben schon Hussain und Langendijk (1994) für das in den 1970er Jahren gegründete Local Bodies and Rural Development Department (LBRDD). Wie sie festhalten, wurden deren Projekte des Öfteren nicht fertiggestellt, z.B. weil es an Geld für Material mangelte oder es Unstimmigkeiten bei der Umsetzung gab. Außerdem hatten die Infrastrukturen oft eine nur kurze Funktionsdauer, weil Ersatzmaterial fehlte oder Bedienung und Pflege nicht richtig ausgeführt wurden (ebd.: 13-4). Häufig sei keine ordentliche Bedarfsanalyse gemacht, Material anhand von Schätzungen und Obergrenzen zur Verfügung gestellt worden und nicht entsprechend des Bedarfs, es habe kaum getestete Richtlinien und Designs gegeben, Materialien seien verzögert geliefert worden, oft habe es nicht genügend Werkzeuge gegeben und die Umsetzung sei nicht regelmäßig kontrolliert worden (ebd.: 24-8). Die lange Dauer der Umsetzung vieler Projekte (meist zwischen einem und zwei Jahren oder länger) – ebenso die fehlende Bedarfsanalyse – könne außerdem zur Folge haben, dass der eigentliche Bedarf vom letztlich fertiggestellten Projekt abweiche. Außerdem verringere eine lange Projektlaufzeit den Willen der lokalen Bevölkerung zur Mitarbeit (ebd.: 20). Im Anschluss an die Fertigstellung mache das LBRDD Projektkomitees aus der lokalen Bevölkerung für Wasserverteilung, Instandhaltung etc. verantwortlich; diese würden aber die Verantwortung oft nicht übernehmen (ebd.: 13-4). Darüber hinaus halten Hussain und Langendijk diverse Momente fest, in denen sich eigenständige Entscheidungen der lokalen Bevölkerung negativ auf die Umsetzung von Wasserinfrastrukturprojekten auswirkten, z.B. wenn Zement gestreckt wurde, um den Wassertank größer zu bauen als geplant oder wenn Leitungen nicht wie vorgesehen unterirdisch verlegt wurden (ebd.: 25-7). Die Verantwortung für nur unzureichende Leistungen der öffentli-

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Während ich wiederholt auch nach korrupten Praktiken im Wasserverteilungssystem der WASA fragte, wurde eine schlechte Versorgung oft entweder komplett geleugnet oder aber schlechte Planung und mangelnde Ressourcen für Investitionen (sowohl für Instandhaltung, Reparaturen, aber auch für Erweiterungen) als die maßgeblichen Mängel in der öffentlichen Wasserversorgung bezeichnet. Hinweise auf Korruption waren eher selten und wurden kaum weiter ausgeführt.

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chen Wasserinfrastrukturen machen sie damit – ebenso wie diverse meiner Gesprächspartner – nicht allein auf Seiten der öffentlichen Institutionen und ihren Mitarbeitern fest, sondern ebenso auf Seiten der Nutzer. Viele Leute würden mit dem, was über die Regierung zur Verfügung gestellt würde, nicht sorgsam umgehen, beklagten mehrere meiner Gesprächspartner. Eher im Gegenteil würden viele solcher Anlagen leichtfertig abgewirtschaftet oder gar demontiert. Die Wasserhähne an den öffentlichen Wasserfiltrationsanlagen würden z.B. regelmäßig gestohlen.15 Wasserverschwendung oder Wasser für ein gutes Leben Wie ein Bericht des IUCN (Raza 2003) erklärt, liege ein Fehler in der städtischen Wasserversorgung Gilgits darin, dass das Wasserverteilungssystem entsprechend der Bevölkerung der späten 1970er Jahre und mit 67 Litern pro Kopf geplant wurde. Zukünftiger Bevölkerungszuwachs wurde nicht mit einberechnet (ebd.: 17). Obwohl in den 2000er Jahren über das „Greater Water Supply Scheme“ das Leitungssystem großenteils erneuert und erweitert wurde, bleibt die Wassermenge, die über die fünf Wasserkomplexe läuft, dieselbe. In den 1970er Jahren erlaubten 67 Liter pro Kopf die Nutzung von Wasser z.B. auch für persönliche Hygiene, das Waschen von Kleidung und Alltagsgegenständen, das Anlegen eines Rasens oder auch eines Gartens – und sollten dies auch erlauben. In der Zwischenzeit kam es aber offenbar zu einem Paradigmenwechsel vonseiten öffentlicher Einrichtungen, wie im Gespräch mit Sajjad Ahmed, dem ehemaligen Beamten der WASA deutlich wurde. Als ich das Gespräch auf die neuen Siedlungen und Nachbarschaften lenkte, die von der WASA kaum mit Wasser bedient würden, erwiderte er, dass das Leitungswasser, welches die WASA zur Verfügung stelle, durchaus das tägliche Bedürfnis nach einem Liter Trinkwasser decke. Jegliche Nutzung darüber hinaus jedoch sei dagegen eine unzulässige Verschwendung des bereitgestellten Wassers. Die Wasserknappheit, die viele Bewohner_innen gerade der neuen Siedlungen beanstandeten, betreffe also vielmehr die Bewässerung von Pflanzen, wie er erklärte. Darüber hinaus entstehe die Knappheit gerade daher, dass Wasser, welches eigentlich als Trinkwasser ausgegeben würde, von manchen Bewohnern und Bewohnerinnen für Bewässerung benutzt würde. Wassernutzungen des Leitungswassers über den täglichen Trinkwasserkonsum hinaus sind nun offenbar nicht mehr Teil des öffentlichen Leistungsanspruchs, auch

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Entsprechend würden sich Kinder einen Spaß daraus machen, Straßenlampen mit Steinen zu zerschlagen; öffentliche Mülleimer und Müllcontainer würden kurz nach der Anschaffung entwendet, Bushaltestellen nach und nach abgetragen und die Überwachungskameras in der Innenstadt wurden während einer der zahlreichen Stromausfälle gestohlen.

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wenn solche Nutzungen – zumindest im Verständnis der Bewohner_innen Gilgits und in der ursprünglichen Konstruktion – ebenfalls beinhaltet sein sollten. Diesbezüglich stellt sich die Frage, ob es eine staatliche Pflicht ist, die für ein menschliches Dasein als notwendig erachteten Güter und Leistungen bereitzustellen und welche Güter und Leistungen als für ein menschliches Dasein notwendig erachtet werden. Obwohl der ehemalige Mitarbeiter der WASA dies nicht anerkannte, scheint für viele Bewohner_innen Gilgits ein Garten mit Gemüse und Zierpflanzen oder einem Stück Rasenfläche nötig, um ein Grundstück lebenswert, musterhaft und verdienstvoll zu machen. Blumen sind Zierde und Freude vieler Hausfrauen, gleich, ob sie im Beet gezogen sind oder im Milchkarton, der als Blumentopf genutzt wird; Rasen ist der Stolz vieler Männer und kommt der Chance gleich, auch nichtverwandte Männer empfangen zu können, d.h. ohne dass sie in das Innere und Private des Hauses eindringen müssten. Gemüse ist der Stolz vieler Frauen, die damit außerdem die Haushaltskasse entlasten; Über das Verschenken von selbstgezogenem Gemüse oder Obst werden Beziehungen abgebildet und Zuneigungen ausgedrückt. Darüber hinaus kommt in Bezug auf Tierhaltung – für die zumeist ein Grundstück für den Anbau von Futter notwendig ist – hinzu, dass Eier, Milch und Fleisch aus „eigenem“ Anbau (dēsi) als deutlich gesünder wahrgenommen werden als die Erzeugnisse der Massenproduktion aus dem Tiefland (bazāri). Nicht nur muss für bazāri Produkte ggf. mehr gezahlt werden, sondern sie werden auch als Grundlage für körperliche Ermattung und Krankheiten verantwortlich gemacht. Auch wenn nur wenige Gesprächspartner_innen dies so benannten, ist die Furcht vor Verschmutzungen oder Chemikalien sowie Hormonen oder Antibiotika in den gekauften bazāri Produkten vorhanden. Wirklich gute Lebensmittel dagegen sind die dēsi Produkte aus dem eigenen Garten, dem von Verwandten oder Bekannten oder zumindest aus der Region.16 Sauberes Trinkwasser für alle? Trotz der teilweisen Wasserknappheit und der Verschmutzungen im Trinkwas-ser, auf die viele Gesprächspartner_innen verwiesen, machten sich nur wenige Familien die Mühe, Wasser an den seit 2009 in verschiedenen Stadtteilen und Nachbarschaften installierten öffentlichen Wasserfiltrationsanlagen (siehe Abb. 8) zu holen. Diese Filtrationsanlagen waren zum Jahrtausendwechsel im Zug der „National Drinking Water Policy“ in Auftrag gegeben worden. 2004 hatte der damalige Präsi-

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Dennoch entscheiden in den meisten Familien maßgeblich die Kosten über die konsumierten Lebensmittel bzw. deren Qualität. So ist z.B. nicht näher ausgezeichnetes Öl oft wesentlich günstiger als Butterschmalz, Raps- oder Olivenöle und wird trotz Zweifeln an der Qualität verwendet.

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dent Pervez Musharraf die landesweite „Clean Drinking Water Initiative“ initiiert, im Zuge derer in jedem tehsīl (entsprechend der Bezirksebene) eine Filtrationsanlage installiert werden sollte. In den Jahren darauf wurde – da die Initiative nur die vier Provinzen Pakistans umfasste – ein „President’s Special Development Package to the Northern Areas“ mit dem Namen „Provision of Potable Drinking Water Facility in Gilgit District“ auch auf Gilgit-Baltistan ausgedehnt und sechs Anlagen geplant. In den Jahren 2007 bis 2009 sollte die Zahl auf 23 Filtrationsanlagen erhöht werden. In einer zweiten Stufe wurde 2009 die landesweite Initiative in „Clean Drinking Water for All“ umbenannt und in ein sogenanntes „Mega-Projekt“ überführt, über das in jedem union council (entsprechend der Kreisebene) eine Filtrationsanlage installiert werden sollte. Auch dies wurde auf Gilgit-Baltistan übertragen und die Zahl an Filtrationsanalgen für Gilgit-Baltistan auf 115 angehoben (Senate Secretariat 2009). Es gibt zwar keine veröffentlichten Informationen, ob alle 115 Filtrationsanlagen errichtet und in Betrieb genommen wurden; Mitarbeiter des PWD und der EPA erklärten aber, dass in und um Gilgit 56 Anlagen gebaut wurden, wenngleich nicht alle funktional seien. Bei der WASA beschäftigte Gesprächspartner bemerkten entsprechend, dass diese Filtrationsanlagen Geldverschwendung seien – sie seien meistens außer Betrieb und nur wenig genutzt. Anwohner erklärten dagegen, die Anlagen würden oft nicht gewartet, die Filter nicht getauscht und die Öffnungszeiten oft nicht eingehalten.17 Ein Betreiber und ein WASA Mitarbeiter erklärten, Anwohner würden die Anlagen beschädigen, Wasserhähne stehlen und das Wasser, das als Trinkwasser gedacht sei, zum Waschen von Kleidung oder Geschirr missbrauchen. Dabei erscheint der Versuch, mit solchen Anlagen sauberes Trinkwasser zur Verfügung zu stellen, sowohl veraltet als auch als nicht (mehr) mit lokalen Praktiken vereinbar; das Wasser ist zwar kostenlos aber nicht mühelos verfügbar. Die meisten Bewohner_innen sind kaum bereit, entsprechend Zeit, Engagement oder Enthusiasmus aufzuwenden, um regelmäßig Wasser zu holen. Dies stimmt mit dem Hinweis von White, Bradley und White (1972) überein, die anhand ihrer Studie in Kenya, Tanzania und Uganda darauf verweisen, dass der Wasserbezug und damit auch Wasserverbrauch bedeutsam niedriger ist, wenn das Wasser von Brunnen oder Zapfsäulen geholt werden muss, als wenn das Wasser direkt im Haushalt zur Verfügung steht – unabhängig davon, ob die Distanz zur Wasserquelle 1000 Meter oder nur 30 betrage (White/Bradley/White 1972, zit.n. Thompson et al. 2001: 7). In einer

17

Ein Untersuchungskomitee, das durch den Supreme Appellate Court Gilgit-Baltistans ernannt wurde, hält fest, dass die meisten Anlagen nicht ordentlich instand gehalten würden und es an Elektrizität und technischem Personal mangele (CIT/SAC GB o.D. [2009]; siehe auch The Express Tribune Online, 02.07.2010).

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Nachbarschaft in Kashrot z.B. nutzten viele Bekannte, obwohl die Anlage von vielen Häusern nur zwischen 50 und 100 Metern entfernt war, die Filtrationsanlage nur, als die öffentlichen Leitungen über mehrere Wochen kein bzw. kaum Wasser lieferten. Außerdem stellt sich auch hier das Problem, dass nur Kinder oder Männer Wasser holen können, wenn die Filtrationsanlagen an einer gut zugänglichen Stelle im öffentlichen Raum wie an einer Hauptstraße oder einer Kreuzung erbaut wurden. In dem zunehmend urbanen Kontext bewegen Frauen sich so wenig wie möglich im öffentlichen Raum – insbesondere um zu arbeiten, wozu auch Wasser holen fällt. Frauen sind dann darauf angewiesen, dass Mann oder Kinder dies regelmäßig übernehmen.18 Abbildung 8: Filtrationsanlage in Kashrot

Foto: Autorin 2013

18

In Dörfern, und damit auch in den alten Dörfern aus denen nun die Stadt Gilgit zusammengewachsen ist, waren oft alle Bewohner_innen über Verwandtschaftsbeziehungen verbunden; Frauen konnten so auch Arbeiten wie Wasserholen, Kochen, Kleidung waschen etc. im Freien erledigen. Wenn in einem städtischen Kontext allerdings immer mehr Bewohner_innen einer Nachbarschaft nicht mehr über Verwandtschaftsbeziehungen verbunden sind, werden Hausarbeiten zunehmend in das Innere des Hauses oder des Grundstücks und damit hinter Mauern verlegt, um Kontakt (inklusive Sichtkontakt) zu beschränken (siehe auch Gratz 2006: 215).

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Abgesehen von den Problemen Distanz und Geschlechtertrennung, ist auch die Qualität des Wassers der Filtrationsanlagen ebenso zweifelhaft wie die des Leitungswassers. Auf die Frage hin, ob sie Trinkwasser von einem der öffentlichen Filtrationsanlagen holen würden, winkten gerade die Frauen ab: sie hätten weder die Zeit noch die Ressourcen, es zu holen, nur um anschließend auch dieses Wasser noch abzukochen. Außer einem Betreiber einer Filtrationsanlage sowie dem ehemaligen WASA-Mitarbeiter Sajjad Ahmed waren kein Gesprächspartner_innen von der Qualität des Wassers aus den Filtrationsanlagen überzeugt – Zweifel, deren Berechtigung schließlich auch die EPA in ihren Berichten bestätigt: Sowohl Wasser aus den öffentlichen Leitungen des „Greater Water Supply Scheme“ als auch aus den öffentlichen Filtrationsanlagen sei größtenteils mit Bakterien und anderen Verunreinigungen wie Sand, Erde, aber auch Fäkalien belastet. Entsprechend einem internen Bericht der EPA funktionieren z.B. die UV-Lampen, welche mitunter das wichtigste Element der Filtrationsanlagen darstellen, in 33 der 41 getesteten Anlagen nicht. Darüber hinaus konnte von den 56 Anlagen das Wasser von 15 nicht getestet werden, entweder weil die Anlage außer Betrieb oder die Wasserzufuhr unterbrochen war. Das Wasser von 22 Anlagen war verunreinigt und entsprechend der Empfehlung der EPA nicht zum Konsum geeignet, da es hohe Zahlen an E. coli Bakterien enthielt, was auf Verschmutzung mit pathogenen Mikroorganismen zurückschließen lässt, welche u.a. Typhus, Diarrhoe, Gastroenteritis und andere Krankheiten verursachen können. Das Wasser von nur 19 Anlagen wies keine bakteriellen Verunreinigungen auf (GB EPA o.D. [2013/2014]). Infolge eines Berichts der EPA im Oktober 2014 wurden die Filtrationsanlagen im Dezember durch den Chief Secretary geschlossen und erst nach erfolgten Instandhaltungsmaßnahmen wie Reparaturen, erneute Installation von Wasserhähnen, Erneuerung von Filtermembranen etc. wieder geöffnet (siehe auch Daily K2, 14.10.2014). Enttäuschende Angebote, enttäuschte Anbieter und das Problem des (un-)verantwortlichen Handelns Zentrales Element in den Diskussionen um öffentliche Maßnahmen, Projekte und Leistungen ist dabei die Idee von verantwortlichem Handeln bzw. dessen Fehlen. Soziale Brüche in der Bevölkerung, aber auch Korruption und mangelnder Eifer in den öffentlichen Institutionen scheinen oft den Ausbau von selbst grundlegender Infrastruktur zu verhindern. Ideen für Infrastrukturprojekte, wie der Ausbau von Wegen zu Zufahrtsstraßen oder der Bau eines Wassertanks als Zwischenspeicher, werden geplant und Gelder von der Regierung zur Verfügung gestellt. Dennoch folgen in vielen Fällen keine Taten. Wie manche Gesprächspartner andeuteten, scheint das Ziel von Bauvorhaben oft nicht der Einsatz der fertigen Infrastruktur zu sein, sondern allein die Auszahlung der Gelder.

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Allerdings wird die unzureichende Versorgung nicht ausschließlich der regionalen Regierung, den öffentlichen Institutionen oder der Bürokratie zugeschoben. Stattdessen ist es ein komplexer Diskurs, in dem die Verantwortlichkeit für das Scheitern staatlicher oder öffentlicher Dienstleistungen bei staatlichen Vertretern wie auch bei der Bevölkerung selbst gesehen wird. Verantwortlichkeit wird damit zweifach zum zentralen Element: Zum einen wird die Problematik der als mangelhaft empfundenen Wasserversorgung in der Abwesenheit von Verantwortlichkeitsgefühl gegenüber öffentlichen Gütern und Dienstleistungen verankert. Zum anderen wird Verantwortlichkeit zur treibenden Kraft in der Initiierung privaten Engagements, wie in den Projekten der Programme des AKDN, die im Kapitel „‚Verfügbar durch Selbsthilfe‘“ näher beschrieben werden. Im Weiteren möchte ich aber noch eingehender die Deutungen und Reaktionen von Gesprächspartnerinnen und -partnern bezüglich der öffentlichen Leistungen in der hydraulischen Landschaft Gilgits diskutieren. Pflichten und Probleme öffentlicher Versorgung Wie Sher Khan – ein Beamter im Health Department, der 2005 in die Sultan Colony, eine Nachbarschaft im Osten Zulfiqarabads, gezogen war – mir erklärte, sei das Wasser, das er und seine Nachbarschaft über die öffentliche Wasserversorgung bekomme, bei Weitem nicht ausreichend. Über die „government line“ gebe es oft zehn bis fünfzehn Tage kein Wasser – und wenn, dann meist nur eine Stunde lang. Dies, so Sher Khan, reiche weder als Haushaltswasser noch für die Bewässerung des kleinen Gartens, in dem seine Frau etwas Gemüse anbaut und seine Mutter zwei Kühe hält. Seine Familie, wie auch alle andere in der Nachbarschaft, nutzten daher zwei zusätzliche Optionen, mit einer dritten derzeit in Planung. Gerade im Sommer kaufen viele Flusswasser, das über einen Komplex gepumpt wird, den die Nachbarschaft zwischen 2004 und 2006 mithilfe von AKRSP eingerichtet hatte. Hierüber bezieht z.B. Sher Khan etwa einmal die Woche eine Stunde Wasser für den Garten. Da das Wasser direkt aus dem Fluss gepumpt wird, verwendet seine Familie das Wasser allerdings nicht für den Haushalt (siehe Abb. 9).19 Zusätzlich lassen sie daher beinahe jede Woche für Rs.1200 einen tanker mit Wasser für den Haushalt kommen, erklärte Sher Khan weiter.

19

Wer für Rs.8000 eine Mitgliedschaft abschließt, kann als Mitglied für Rs.5 pro Minute Wasser beziehen. Nicht-Mitglieder zahlen pro Minute Rs.10.

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Abbildung 9: Tanker-Wasserlieferung in Zulfiqarabad

Foto: Autorin 2014

Um eine stetige Versorgung mit sauberem Wasser einzurichten, setzt seine Nachbarschaft mittlerweile mithilfe von WASEP ein Projekt für einen eigenen Trinkwasserkomplex um. Wie Sher Khan, der mittlerweile general secretary des neuen WASEP-Projekts war, erklärte, sei die Versorgung mit Wasser durch die öffentlichen Leitungen kaum ausreichend, weswegen sie sich an WASEP gewandt hätten. Als Beamter versuchte Sher Khan vorsichtig zu erklären, dass die öffentlichen Institutionen sich im Vergleich zu einer NGO natürlich schwer täten, den Bau von Projekten ähnlich schnell und gut durchzuführen. In den öffentlichen Einrichtungen würde das Geld nur jedes Quartal anteilig ausgeschüttet, es komme leicht zu Verzögerungen und Preissteigerungen und so hinke jedes Projekt nach. „But, as a government servant I cannot criticise the government“, schloss er das Thema ab und kam stattdessen wieder auf das WASEP-Projekt zu sprechen. Kritik an der öffentlichen Wasserversorgung war aber nicht nur in Sher Khans Familie gering, sondern generell spärlich. Sher Khan schien in seiner Analyse im Vergleich zu vielen anderen Gesprächspartnern mir gegenüber geradezu direkt und freimütig Schwierigkeiten und Verfehlungen in öffentlichen Institutionen zu benennen. Zwar waren Verfehlungen sicher einigen Gesprächspartnern bekannt, wurden aber kaum explizit benannt oder angeführt. Salman Ali Ustad, der in der Lalik Jan Colony das WASEP-Projekt für Trinkwasser angestoßen hatte und organisierte, erklärte, die Regionalregierung habe schlicht und einfach keinen ausreichend großen

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Haushalt. Daher könne sie weder (überall) Wasserinfrastrukturen umsetzen noch z.B. ausreichend Wasserkraftanlagen bauen, mit denen genug Strom produziert werden kann, um Flusswasser zu den höher gelegenen neuen Siedlungen zu pumpen. Daher gebe es noch immer große Teile ehemaligen Ödlands gerade im Osten der Stadt, das mittlerweile zwar teilweise bebaut wurde, aber noch immer nicht über öffentlichen Wasserinfrastruktur versorgt wird – Siedlungen, die „hinter“ Jutial liegen und oft als die Siedlungen „in the backside“ zusammengefasst werden. Der Haushalt der Regierung reiche noch nicht einmal dafür, Ödland mit Kanälen zu versorgen, ganz zu schweigen von Rohren und Filtrationsanlagen. Aus diesem Grund müssten die Bewohner mit der Regierung zusammenarbeiten, so wie dies in der Vergangenheit getan worden war: Die öffentlichen Institutionen würden für Kosten z.B. für Sprengstoff oder Beton sowie für die Planung und Organisation aufkommen und die Bewohner selbst würden die Grabungsarbeiten übernehmen. So seien z.B. auch die Kanäle in seiner Heimat Gupis und in Yasin geschaffen worden und sei eine Herangehensweise, die durchaus Tradition habe.20 Sie erlaube es der Regierung außerdem, sich auf andere Verpflichtungen zu konzentrieren: Weizen, Strom und Kraftstoffe bereitzustellen, sich um Recht und Ordnung zu kümmern, die wiederholten gewalttätigen Konflikte einzudämmen und Beschäftigungsmöglichkeiten zu ermöglichen, wie er aufzählte. Dennoch ist die Aufgabe, sich selbst um die Wasserversorgung der eigenen Nachbarschaft zu kümmern, in Salman Ali Ustads Aussagen weniger Pflicht als ehrenvolle Aufgabe, die den Bürgern keineswegs zu viel abverlange. Darüber hinaus ermögliche dies der Regierung, sich um die weiteren, tatsächlich wichtigen Verpflichtungen zu kümmern, nämlich größere Investitionen zu ermöglichen, Konsumgüter zu garantieren, langfristig die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen und in der industriearmen Gegend Arbeitsplätze zu schaffen. Vom Aufwärtsfließen und anderen Problemen Dabei erwog auch der Ingenieur Sajjad Ahmed, der für die WASA in Gilgit gearbeitet hatte, dass es durchaus möglich sei, insbesondere die neuen Siedlungen Jutials und Zulfiqarabads über Wasser aus dem Kargah zu versorgen. Wie er erklärte, führe das Kargah selbst in der dürren Periode im Winter um die 53 cusec21 Wasser. Dies sei eine große Menge, wie er ergänzte, und sommers wie winters sei Was-

20

Auch z.B. in Briefen des Political Agent in Gilgit, die in der Public Library in Gilgit aufbewahrt werden, wird diese Praxis bezüglich der Urbarmachung von Land in Taus, Yasin erwähnt.

21

Kubikfuß pro Sekunde. 1 cusec entspricht ca. 28,3 Litern pro Sekunde. 53 cusec entsprechen dem Äquivalent von ca. 10 Badewannen Wasser pro Sekunde.

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ser übrig und fließe ungenutzt in den Fluss. Aber auch hier würden die „alten“ Siedler das Wasser noch eher in den Fluss verschwinden sehen, als es anderen zur Verfügung zu stellen. Insofern seien die öffentlichen Institutionen darauf zurückgeworfen, die neuen Siedlungen mit Flusswasser zu versorgen. Dafür hätten sie in Gilgit am Fluss an die 30 Brunnen und Wasserpumpanlagen errichtet. Wie er zu bedenken gab, sei das darüber zur Verfügung stehende Uferfiltrat allerdings unhygienisch und nicht als Trinkwasser geeignet: „You can say we dig a well, where the water comes through the seepage and is somehow filtered. […] So we are lifting water with them but it is not recommendable.“ Hauptkriterium für die WASA sei v.a. Quantität, nicht Qualität. „And one thing which is pertinent to mention, is that these lift pumps are unhygienic. We donʼt recommend it, because according to the quality it is not fit for human consumption, we just supply according to quantity.“ Dabei bleibt Sajjad Ahmed auf dem Standpunkt des Ingenieurs und argumentiert nicht z.B. von der Warte eines Gesundheitswissenschaftlers aus mit dem Argument, dass Quantität ggf. wichtiger ist als Qualität. White, Bradley und White (1972) z.B. argumentieren, dass gerade fäkal-orale Infektionskrankheiten diverse Übertragungswege haben – neben Trinkwasser auch Hände, Füße, Geschirr – und dass solche Krankheiten ggf. eher „water-washed than waterborne“ seien, also eher durch Waschen verhindert als über Wasser übertragen werden (White/Bradley/White 1972, zit.n. Thompson et al. 2001: 29-30). Abgesehen von der – wie er schätzte – mangelhaften, weil unhygienischen Versorgung der Bevölkerung mit Uferfiltrat, gebe es aber noch weitere Probleme, die zu Verschmutzungen von Wasser führen. Wie er erklärte, seien diese aber sowohl den öffentlichen Institutionen als auch den Bürgern selbst geschuldet: „All the viral diseases come from the water. And the network of the water supply is not controlled. There are weaknesses in the departments as well as in the citizens. For example if the main line is going from my area, if I donʼt get the water, I just go and cut it to link my line. If the plumber comes then, and complains and asks the person, ‚Why did you do that?‘, then I will say, ‚It is my right to the water, so who the hell are you?‘ So when we link our [houseʼs] line with the main pipeline then some water leaks and becomes sewerage due to which there comes infiltration. The dirty water goes inside the pipeline. There are many issues like this.“

Mangelnde Umsetzung bei der Installation führe zum einen dazu, dass die Leitungen und Rohre oft oberirdisch und zugänglich seien. Zum anderen biete dies die Möglichkeit, dass Individuen eigene Leitungen oft unfachmännisch anschließen würden. Beides führe dazu, dass Wasser aus den Leitungen austrete oder eingesaugt würde, was insbesondere daher problematisch ist, da die Leitungen oft in schmutzigem Wasser oder Abwasser liegen, welches dann die Frischwasserzufuhr verunreinigt. Rücksichtnahme oder Bewusstsein für diese Problematik gebe es bei den Leu-

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ten nicht, wie er erklärte. Die Bewohner, insbesondere in den alten Teilen Gilgits, würden selbst gegenüber den Angestellten der öffentlichen Institutionen erklären, dass es schließlich ihr Recht auf ihr Wasser sei, wie er in dem Satz „‚It is my right to the water, so who the hell are you?‘“ nachahmte.22 Dennoch wiederholte auch er diesbezüglich seine Aussage, dass letztlich Quantität und Verfügbarkeit Vorrang vor Qualität hätten: „We cannot talk about quality now, first we have to talk about quantity and availability.“23 Aber auch in Fragen der Quantität verwies Sajjad Ahmed auf die Bürger selbst, die das System der Wasserzuteilung über das Department beeinträchtigten. Zwar seien es die Mitarbeiter der WASA, die verantwortlich seien, die Leitungen zu verlegen. Dies allerdings würden sie – häufig auf Geheiß der Anwohner – oft ohne Plan (und Verstand) tun und ohne Wissen und Kontrolle der Ingenieure der WASA: „They [WASAʼs plumbers and linemen] have the authority to link the line from anywhere, wherever they want to – we [the engineers] also donʼt know [what they are actually doing on ground]. Because even if there was a proper design, it has not been implemented. Therefore some places get water with more pressure and others with less pressure, so and then the people think that if they put the line some houses up they would get more; so they bring themselves an extra-pipe. So the people who are left behind, they think, their neighbor has already put it up, so we should put it even further up, and in this way the planning gets disturbed more and more.“

In seiner Erklärung sind es also die Bürger selbst – wie auch die Bürger als Mitarbeiter der WASA –, die die Wasserversorgung durch ihr individuell-strategisches, aber für die anderen negatives Verhalten beeinträchtigen und das Design der offiziell Verantwortlichen untergraben. Auch die Probleme mit der Wasserversorgung in den neuen Siedlungen resultierten aus ebendiesem Verhalten. Zwar sei auch der Mangel an Strom eine Ursache dafür, dass gerade im Winter zu wenig Wasser aus dem Fluss gepumpt werden könne. Daneben aber gebe es an allen Stellen Lecks, über die das Wasser aus den Leitungen und Rohren entweiche, was aber weniger die Schuld des Departments, sondern der Nutzer_innen selbst sei, die das System durchkreuzen würden. Auch bezüglich der Filtrationsanlagen, die in der Zeit Musharrafs auch in Gilgit errichtet worden waren, kam er zu dem Schluss, dass nicht nur das Department allein den Mangel an sauberem Trinkwasser verursache. Dabei

22

Gegebenenfalls hat Sajjad Ahmed, der aus einem Ort in Diamer stammt, während seiner

23

Ein Schluss, den auch neue Siedler selbst ziehen (siehe Unterkap. „Self-help-Wasser-

Zeit in Gilgit selbst solche Aussagen zu hören bekommen. versorgung…“).

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seien die Filtrationsanlagen für die Versorgung mit Trinkwasser seiner Ansicht nach sowohl angebracht als auch ausreichend – würden nicht die Bürger selbst das Wasser wiederum vergeuden. Gilgit komme mittlerweile auf 52 über die Stadt verteilte Anlagen sowie eine Handvoll weiterer, die über lokale Initiativen in einigen Nachbarschaften errichtet worden seien. Zwar würden hiervon bedauerlicherweise an die 70 Prozent nicht funktionieren, wie auch er schätzte. Dennoch schleiche sich auch hier das generelle Problem des Mangels an Bewusstsein gegenüber diesem Versuch, sauberes Trinkwasser zur Verfügung zu stellen, ein: Anstatt die Filtrationsanlagen als Bezugsstelle für Trinkwasser zu nutzen, verwendeten manche – die momentan über kein Wasser verfügten, denen aber der Weg zum Fluss zu weit sei – das Wasser zum Waschen von Kleidung und Geschirr. Dabei bezieht er sich auf die Möglichkeit, – „wie in alten Zeiten“ – Wäsche am Fluss zu waschen (siehe Abb. 10). Gerade im Frühjahr und Sommer waschen so noch immer manche ihre Wäsche am Fluss, wenn die Verfügbarkeit von Wasser aus den Gebirgsbächen durch die geringe Schneeschmelze oder den hohen Verbrauch vorgelagerter Bewohner_innen gering ist. Hiervon scheinen insbesondere die Bewohner_innen der neuen Siedlungen im Osten der Stadt betroffen zu sein, die nur eingeschränkte Möglichkeiten haben, sich Wasser auch über das „Greater Water Supply Scheme“ zu sichern. Insbesondere Frauen dieser Haushalte, aber auch alleinstehende Saisonarbeiter, nutzen das Wasser am Fluss zum Waschen der Schmutzwäsche. Wie Haji, der Besitzer eines ausgedehnten Grundstücks am Fluss berichtete, würden ihn regelmäßig Männer um Erlaubnis bitten, ihre Familien zum Waschen auf sein Grundstück bringen zu dürfen. Dort machen die Frauen Feuer, über dem sie in Kochtöpfen Wasser erhitzen, um die Wäsche darin einzuseifen. Mit Bleueln (thanāso) schlagen die Frauen die Wäsche, waschen sie anschließend im Flusswasser, wringen sie aus und legen sie auf Steine oder Büsche zum Trocknen. Die Kinder spielen am Ufer; Söhne achten gleichzeitig auf den Schutz beziehungsweise die Abgeschiedenheit der Frauen und Mädchen. Am frühen Abend holen die Männer ihre Familien samt trockener Wäsche wieder ab. Einige ältere Gesprächspartnerinnen über vierzig kannten diesen Vorgang auch aus eigener Erfahrung in ihrer Kindheit und Jugend; alle sprachen aber von „Ausflug“ oder „Picknick“. Sie seien froh, dies nun nicht mehr tun zu müssen, erfreuten sich aber sichtlich an ihren Erinnerungen: Damals hätten sie sich oft mit Cousinen oder Nachbarinnen verabredet und jede habe ein Gericht zubereitet und mitgebracht, sodass sie das Mittagessen als Picknick am Fluss einnehmen konnten. Zwar hat das Wasser meist nur wenige Grade Celsius, dennoch erklärten einige Gesprächspartnerinnen, das Flusswasser selbst sei naram, was auf Urdu „weich“ bedeutet, hier aber gleichbedeutend mit „nicht kalt“ ist. Während das Wasser in den Behältern auf den Dächern im Winter oft einfriere oder gerade Schmelztemperaturen habe, seien Fluss- und Grundwasser vergleichsweise warm.

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Abbildung 10: Wäschewaschen am Gilgit Fluss

Foto: Autorin 2014

Nun aber nutzten manche auch das Wasser der Filtrationsanlagen zum Waschen von Geschirr oder Wäsche – eine Verschwendung, die Sajjad Ahmed laut werden ließ. Bei unserem Gespräch erklärte er: „Even today I was going on the road to the minister, and there was a ‚filtration plant‘ on the way. This water in the ‚filtration plant‘ is even better than Nestlé water. But some people were washing the clothes in the filtration plant. I saw it myself. I turned my vehicle in order to fight with them. But they were three. I was alone. Whatever came to my mouth, I tried to make them understand. You can say it was an abuse of water consumption. I asked them ‚Where are you from?‘ They said they are from Ghizer. Then I said ‚Curse on you! You people are considered as being more social in the whole of ‚G-B‘ [Gilgit-Baltistan], but I myself as a Chilasi24 have to ask you to not do this?‘ I told them that we are supplying this water for drinking and we spend ten to eight thousand rupees per month to change the water filter [for

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Sajjad Ahmed stammt aus einem Ort in der Nähe von Chilas und bezeichnet sich selbst hier als Chilasi, d.h. aus Chilas stämmig. Mit diesem Ausdruck spielt er auf Stereotypen über Bewohner von Chilas als eher ungehobelt und unbekümmert gegenüber dem Wert öffentlicher Einrichtungen an – Eigenschaften, welche Bewohner_innen aus Ghizer, Gilgit oder Hunza für sich selbst entschieden zurückweisen würden.

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the maintenance], ‚And you are using it to wash clothes? Are you not ashamed? [I asked them.] Go to the river!‘“

Grund für die negativen Beeinträchtigungen des Systems ist auch aus seiner Sicht der Mangel an gefühlter Eigentümerschaft gegenüber den öffentlichen Projekten. Dies sei gerade bei Nachbarschaftsorganisationen (village organisations, VOs, und den ihnen mittlerweile übergeordneten local support organisations, LSOs) anders, so Sajjad Ahmed. Bei diesen fühlten sich die Bewohner zuständig, betrieben selbst die Anlagen und gingen entsprechend sorgsam und verantwortungsvoll mit der Anlage und dem Wasser um. So würden durch solche Organisationen auch die öffentlichen Einrichtungen entlastet, wie er, ins Englische übergehend, ausführte: „One good example for managing the system is the LSOs who have recently started to run their own pumps. Because there they have the ownership – with the government projects the people donʼt own anything. [There] they have the ownership, so that is why they maintain it and run it. So that is how we [the government department] also got a bit relaxed [in those areas].“

Darüber hinaus äußerte sich Sajjad Ahmed aber auch dahingehend, dass auch auf Seiten des Departments Misswirtschaft betrieben würde. In vielen Fällen gebe es keine oder aber fehlerhafte Planungen. Gerade von praxisfernen, ebenso wie von ortsfremden Ingenieuren seien ihm schon Pläne untergekommen, laut denen das Wasser hätte bergaufwärts fließen müssen. Außerdem müssten sie als Ingenieure größtenteils ohne fundierte Erhebungen auskommen und es gebe keine Designvorgaben. Stattdessen würden die Planungen aufgrund von Schätzungen sowie anhand von Daten entworfen werden, die aus anderen Provinzen Pakistans, v.a. aus dem Punjab, übernommen würden und die Ingenieure arbeiteten am liebsten auf der Basis von „copy-paste“. Er selbst habe das bei einem Projekt des PWD bemerkt, für das sein Vorgesetzter seine, d.h. Sajjad Ahmeds, Master-Arbeit komplett übernommen hatte – ohne Überprüfung oder Korrektur der Fehler. Es mangele also an Daten und an korrekten Daten, an planerischen Vorgaben, technischem Können und Arbeitsenthusiasmus. Entsprechend sei es der WASA weder möglich, Wasser regelmäßig und in ausreichenden Mengen noch entsprechend sauber bereitzustellen. Seine Empfehlung wäre, über ein „Megaprojekt“ zunächst die Quantität zu bedienen, sodass zumindest in dieser Hinsicht Bedarf und Bedürfnisse gedeckt seien. Dann könne später auch die Qualität in Hinblick auf sauberes Trinkwasser angegangen werden: „So there should be a ‚mega project‘ with the ‚quantity‘ and then we can start to think about ‚quality‘ and how to do that […]. Either we should give water in time in the main line or we

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should ensure water in the filtration plant and everyone can go there – in either way we have to ensure quality.“

Gleichzeitig geht aus seiner Anmerkung die Annahme hervor, dass die öffentlichen Einrichtungen durchaus dafür verantwortlich seien, für sauberes Trinkwasser zu sorgen – sei es über Leitungen direkt an die Haushalte, sei es durch Filtrationsanlagen, von wo die Bürger jeweils Trinkwasser holen können. Diese müssten aber in jedem Fall entsprechend instand gehalten und genutzt werden.25 Wie er ausführte, sei es etwas diffizil, die Filtrationsanlagen zu unterhalten und weder Instandhaltung noch Pflichtbewusstsein seien oberste Priorität der Mitarbeiter – weder an den Filtrationsanlagen noch an anderen Komplexen der WASA. Zwar seien die Stellen der WASA alle besetzt – manche sogar mehrfach.26 Dennoch seien die Mitarbeiter, wie Sajjad Ahmed seufzend erklärte, nicht sehr pflichtbewusst, wenn es um das Arbeiten ginge. „No one wants to work... […] They donʼt want to leave their homes, they just want the salaries. And they belong [for example] to the religious leaders... and due to pressure of the religious leaders they get inducted in the government...“, erklärte er wage. Nepotismus innerhalb der Departments sowie unter Politikern verschaffe zunächst vielen Stellen, für die sie oft nicht qualifiziert seien. Viele seien darüber hinaus nicht bereit, diese Stellen tatsächlich auszufüllen und dieselben Beziehungen seien dann, offiziell oder auch inoffiziell, dabei behilflich, Abwesenheiten zu rechtfertigen oder zu verschleiern (siehe auch Hussain 2014). Daneben würden viele die Stelle für einen Teil des Gehalts an einen Ersatzmann vergeben.27 Die Nachlässigkeit der WASA-Mitarbeiter wurde divers auch über den Supreme Appellate Court (SAC) Gilgit-Baltistans angegangen, so u.a. 2009 und 2011. 2009 folgend ging der SAC der Wasserqualität der öffentlichen Wasserinfrastrukturen nach, nachdem in Zeitungen Beschwerden der Öffentlichkeit („public in general“) veröffentlicht wurden, dass das zur Verfügung gestellte Wasser zu zu vielen Krankheiten führen würde (siehe SAC GB 2010). Im Sommer 2011 hatte dagegen

25

Ein weiteres Problem, das Sajjad Ahmed nicht ansprach, ist die Standortwahl der Anlagen; bislang sind die meisten in alten Siedlungen und Nachbarschaften und nur eine Handvoll in den oder am Rand der neuen Siedlungen errichtet worden.

26

Auch in der Zeitung wird wiederholt darüber berichtet, dass gerade die WASA (ebenso wie das Bildungs-Department) mehr Stellen besetze und schaffe als vorgesehen (z.B. Bād-e-shumāl, 31.03.2013).

27

Auch in Zeitungsartikeln wie in Bād-e-shumāl (31.03.2013) wird berichtet, dass die Ergebnisse der WASA „entgegen Null“ gingen, dass die WASA überbesetzt sei – v.a. aufgrund von „bogus means“, d.h. Vetternwirtschaft – während die meisten der 1500 Angestellten nicht zur Arbeit erschienen.

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die Wasserknappheit angehalten und viele Bewohner_innen von Konodas hatten Wasser direkt aus dem Fluss geschöpft. Im Juni war ein neunjähriger Junge, der mit seinen Geschwistern zum Wasserholen geschickt worden war, im Fluss ertrunken. Um Verantwortliche für diesen anhaltenden Missstand auszumachen und anschließend Klage erheben zu können, waren Mitarbeiter der WASA vor Gericht zitiert. In einem Artikel der Express Tribune wird die Sitzung zusammengefasst: „The chief justice rebuked the officials for failing to cater to public requirements and noted that WASA is an inefficient and overstaffed department. He said that the water shortage speaks volumes of the inability of the department, which has forced people to fetch water from rivers, leaving them prone to accidents.“ (The Express Tribune Online, 17.06.2011)

Laut Oberstem Richter sei die WASA zwar mit 1300 Mitarbeitern durchaus überversorgt („overstaffed“), aber dennoch nicht fähig, die nur 26 Wasserkomplexe Gilgits zu betreuen und eine ordentliche Wasserversorgung zu gewährleisten. Insbesondere die unangemessene Besetzung von Stellen solle desweiteren untersucht werden (ebd.). Der SAC forderte die WASA auf, der Familie des ertrunkenen Jungens Rs.5 Lakh28 als Kompensation zu zahlen; die Summe solle im Anschluss von den Gehältern der verantwortlichen Mitarbeiter abgezogen werden. Der Richter machte die WASA direkt für den Tod des Jungen verantwortlich, da diese versagt hatte, die Wasserversorgung aufrechtzuhalten und außerdem versagt hatte, den Zugang zu gefährlichen Stellen am Fluss abzusichern (The Express Tribune Online, 11.08.2011). Allein im August 2011 ertranken über zwölf Menschen im Gilgit Fluss, was laut dem Deputy Commissioner zum Anlass genommen wurde, Gelder für Zäune und Warnschilder zur Verfügung zu stellen (ebd.). Alles in allem, schloss Sajjad Ahmed, sei die Wasserknappheit in den neuen Siedlungen aber keine Knappheit an Trinkwasser. Spreche man allein von Trinkwasser, dann würde die WASA „über den Daumen“ genug Wasser liefern – schließlich würde jeder Mensch nur knapp etwas mehr als einen Liter Trinkwasser am Tag benötigen. Die eigentliche Knappheit betreffe dagegen die Verwendung des Leitungswassers in Haushalt und Garten – und sei gleichzeitig durch diese Verwendungen bedingt: „There are still crises and shortages in the areas you are talking about [the colonies of Jutial and Zulfiqarabad]. But it is not about drinking water, but for agricultural water. I think, in a day a person is hardly able to drink one liter of water. But these utilizations which you are

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Lakh ist ein in Südasien gängiges Numerale, das für die Zahl 100.000 steht. Rs.5 Lakh entsprechen also Rs.500.000 bzw. zu der Zeit ca. 4100 Euro.

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talking about is about agriculture – in Zulfiqarabad and Jutial, all the flowers, greenery, vegetables, agriculture – for all this they are using water from the same line, so in this way the shortage is coming.“

Abgesehen von der extremen Aussage Sajjad Ahmeds, dass ein Liter Trinkwasser ausreichend sei, erscheint seine Ausführung hier komplett divergent zu den Ansichten von Bewohnerinnen und Bewohnern, für die das Leitungswasser natürlich mehr umfassen muss als nur Trinkwasser. Selbst Haushaltswasser – d.h. Wasser für Bad, Toilette, Küche etc. – lässt Sajjad Ahmed aber komplett außen vor und verweist auf den „unverantwortlichen“ Gebrauch bzw. die Verschwendung von Wasser für den Garten. Auch dies ist konträr zu Aussagen von Nutzern, wie z.B. die von Behram Patwari (siehe auch das Unterkap. „Self-help-Wasserversorgung…“). Wie dieser erklärte, wird Wasser für die Siedler_innen Zulfiqarabads zu einem Lebenselixier („āb-e hayāt“), das diese nicht nur für Bad und Toilette, sondern gleichzeitig auch für den Garten nutzen, um beide Bedürfnisse in einem zu decken. Denn es geht eben nicht allein um nur die wenigen Liter Trinkwasser, die über das „Greater Water Supply Scheme“ oder über Filtrationsanlagen letztlich doch jedem Haushalt zur Verfügung stehen, wie Sajjad Ahmed erklärte. Auch sanitäre Einrichtungen, ebenso wie ein Garten, sind unbedingter Teil eines guten Lebens. Mit einer Auffassung, dass v.a. Trinkwasser notwendig sei, werden m.E. die Bestrebungen und Wünsche der Bewohner_innen untergraben, sich – zumindest hinter den Mauern – ein gutes Leben zu verwirklichen. Außerdem übersieht Sajjad Ahmed hier, dass ein solches Leben nicht unbedingt eines ist, das allein landwirtschaftlichen Ordnungen vorangegangener Generationen folgt, sondern eines ist, in das neue Elemente wie Badezimmer und Rasenflächen integriert werden müssen. Ist der Staat zu Leistungen verpflichtet und wenn ja, zu welchen? Viele Gesprächspartner waren sich durchaus darin einig, dass es die Aufgabe der Regierung sei, für Aufgaben wie die Wasserversorgung Verantwortung zu tragen. Einige antworteten mit dem Hinweis darauf, dass sie schließlich selbst für Infrastrukturen wie Straßen, Wege, Wasser- und Stromleitungen aufkommen würden, z.B. in Form von Gebühren, die beim Kauf und Verkauf von Land erhoben würden. Wie z.B. Behram Patwari in der Benazir Colony Zulfiqarabads erklärte, zahle er als Käufer beim Landkauf eine revenue charge (2,5% des Kaufpreises) – Geld, das formal dafür verwendet werden soll, grundlegende Infrastrukturen wie Straßen, Wasser- und Stromkomplexe bereitzustellen. Dennoch ist nicht nur der Anschluss an, sondern auch der der Bau von Infrastruktureinrichtungen kein Prozess, der automatisch anläuft, sondern einer, um den sich die Bürger aktiv bemühen müssen. Die öffentlichen Einrichtungen stellen zwar ggf. Infrastrukturen wie Wasser- und Stromleitungen bereit, allerdings oft erst nach einigen Jahren und erst nachdem sich

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Bewohner direkt oder über politische Vertreter wie Mitglieder der Legislative Assembly oder des Municipal Committee aktiv bei den jeweiligen Departments um Erhebung, Planung, Bewilligung des Projekts, Ausschüttung von Geldern und Umsetzung bemühen. Und auch dann ist allein die Infrastruktur keinesfalls Garant für eine anschließende tatsächliche Versorgung. Im Licht der vorangegangenen Diskussionen stellt sich die Frage, ob und inwiefern das „government“ oder der (regionale) Staat überhaupt zu Leistungen verpflichtet ist – insbesondere, nachdem die Leistung von Seiten des Staats im Normalfall an den Staatshaushalt und an Beiträge hierfür, d.h. Steuern, gebunden sind. Da in Gilgit-Baltistan offiziell keine Steuern erhoben werden,29 ist der regionale Haushalt und damit das Engagement größtenteils von Geldern abhängig, die die Zentralregierung Pakistans der Region zuspricht, außerdem von Einnahmen aus Forst- und Mineralverwertung (siehe auch Dani 1991d: 427). Akhter Hussain, ein Professor an Gilgits Universität KIU, erklärte entsprechend: „Here, the people are reluctant to pay taxes. One reason is the political situation. Still it is undecided and has an ambiguous status. The people donʼt enjoy the full political status, and so they are also reluctant. […] There was a slogan: ‚Without participation no taxation.‘30 So, the [federal] government should finally take action and make a decision.“

In Sakarkui dagegen argumentierte der nambardār31 entsprechend, dass im Hinblick auf die nur minimalen staatlichen Leistungen niemand bereit sei, Steuern zu zahlen: „If the government would give us facilities, then we would give taxes. Even if we pay the taxes, you see the situation here… How can the government come to us [asking] for taxes?“ Wie der nambardār erklärte, bestehe eine gute Beziehung immer auf dem Prinzip des Gebens und Nehmens – ein Prinzip, das aber zu seinem Bedauern hier nicht bestehe: „Give something and take something – that is the right way. If they are not giving anything, then how can they take something?“

29

Ein Vorbehalt, der an eine politische Entscheidung, wie die Eingliederung als Provinz

30

Als „No taxation without representation“ war dies eine Forderung im amerikanischen

Pakistans oder einen Status als autonome Region geknüpft wird. Unabhängigkeitskampf der 1750er Jahre, die ihre Grundlage in einem Punkt der Magna Carta von 1215 findet. 31

Ein Begriff und Amt Britisch Indiens von Englisch number (Zahl) und Persich dar (Halter). Nambardāre sind Dorfvorsteher, die vom Landesherren beauftragt waren, Steuern und Rechtspflege zu verwalten. In Pakistan ist das Amt des nambardār ein Erbamt, wobei die offizielle Autorität im Zuge diverser Reformen wiederholt verändert wurde.

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Dennoch argumentierte Ali President32, ein Gesprächspartner in der Benazir Colony Zulfiqarabads, dass sie natürlich für Infrastrukturversorgung zahlen würden, selbst wenn die Zahlungen nicht notwendigerweise „Steuern“ hießen. Diese Zahlungen aber würden nicht investiert, sondern veruntreut: „The one who buys the land, he has to do the payment. ‚Revenue charge‘ we call that. So according to that, money is collected. But that has not been spent on that village, or that town [where it has been made]. That has also been taken in corruption by the corrupt people (voh bhī khānewāle khāke gayē).33 Otherwise there is a municipal committee – there is a right of the citizen (sheherioñ ke huqūq). Because… if I buy the land, then I pay 2.5 percent! So the government has the responsibility to construct roads, water channels, electricity poles... in order that for them the water problems should be solved... my fees have been taken for all these things! But they are not giving [these facilities]. So where did [the money] go? Who has eaten [i.e. embezzled] it? The Chief Secretary has eaten it, the Chairman of the Municipal Committee has eaten it – we donʼt know. During the time from 1994 to 2012 not a single rupee was spent here by the government – I claim that and I am clear in saying this as a government employee. I can claim myself that until today the government has not spent a single rupee for us [here in the Benazir Colony]. No credit goes to the government. The main reason is this, that there is no procedure of [spending] the taxes [properly]. But we are paying the taxes!“

Wie viele weitere Gesprächspartner äußerten auch Ali President und Behram Patwari in der Benazir Colony ihre Frustrationen über die Idee von Ungerechtigkeiten, die Vermutung, dass Beiträge zum Gemeinwohl nicht an alle gehen, sondern von Verantwortlichen in hohen politischen oder Verwaltungsämtern abgegriffen werden (siehe auch Hussain 2014). Ali President äußerte sich darüber hinaus sichtlich em-

32

Berufs- oder Funktionsbezeichnungen, die auf einen hohen Status verweisen (z.B. Patwari, Advocate, Engineer etc.) können in Gilgit-Baltistan auch als Beinamen gebraucht werden, wie im Fall von Ali President oder Behram Patwari. Nachnamen wie in der europäischen Tradition sind in Gilgit bislang eher unüblich. Zwar gibt es Familien- bzw. Gattungsnamen; diese werden aber nur selten als Teil des Personennamens verwendet. Insofern ist ein Namenssystem gebräuchlich, in dem die Namen frei gewählt werden können. Üblich sind ein bis drei Namen. Oft wird der erste Vatersname als zweiter Name des Kindes gewählt, obgleich dies nicht strikt und oft nur bei einem Teil der Kinder so gehandhabt wird.

33

„Voh bhī khānewāle khāke gayē“ bedeutet wörtlich „auch dies wurde von den Essenden gegessen“. Im Zusammenhang mit Personen in öffentlichen Ämtern bezeichnet der Ausdruck des Essens zumeist die Veruntreuung von (öffentlichen) Geldern.

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pört darüber und betonte, dass er dies als Beamter sage – womit er beabsichtigte, seiner Aussage Autorität zu verleihen und die Bedrängnis hervorzuheben, die ihn sogar dazu treibt, seine Karriere zu riskieren.34 Diverse Formen von Korruption werden wiederholt als Übel und Grundlage für staatliches Versagen diskutiert, wobei Korruption mitunter sehr lose definiert, wird. Ein Freund z.B. verwendete auch für eine außereheliche Beziehung den Begriff corruption: Korrupt ist, was oder wer gegen Normen und Moral verstößt – auch wenn Korruption v.a. als Sammelbegriff für Nepotismus oder Unterschlagung verwendet wird. Paradigmatische Idee ist dabei ein System („system“) bzw. ein ordentliches Verfahren („proper system“), das Regeln vorgibt, sowie deren Einhaltung überwache und ahnde – ein System, das in dieser Form aber nicht vorhanden sei. Wie Ali President erklärte, fehle bezüglich dem „government“ und den „government departments“ ein solches System, das zwei Aufgaben übernehmen müsse. Zum einen müsse es für eine gleichmäßige, gerechte und ordentliche Ausgabe von Geldern sorgen und verhindern, dass Gelder über Korruption veruntreut würden. Zum anderen müsse es auf wirtschaftswissenschaftlichen und technokratischen Prinzipien beruhen, Arbeitsschritte wie Planung und Rechenschaft beinhalten und auf die Verantwortung und Inklusion von Gemeinschaft und Betroffenen beharren. Darüber hinaus bestand Ali President darauf, dass sie als Stadtbewohner_innen durchaus Rechte auf Leistungen hätten („sheherioñ ke huqūq“) – Rechte, die mit ihrem Zuzug begännen und die unabhängig von Dauer der Anwesenheit und unabhängig von Vorrechten anderer seien. Vorrechte der pushtūne bāshinde auf das Wasser der nālas einerseits und Ausschluss neuer Siedler_innen aufgrund der zeitlichen Dimension im Besiedlungsprozess Gilgits andererseits erschienen gerade vielen neuen Siedlern und Siedlerinnen, wie meinen Gesprächspartnern in der Benazir Colony, ungerecht und unrecht – auch wenn nicht alle notwendigerweise für deren Abschaffung plädierten und einige die Rechte an sich nicht infrage stellten (vgl. auch das Unterkap. „Herausforderung der Wasserrechte“).35 Dennoch herrschte auch innerhalb der Benazir Colony Uneinigkeit über die Bewertung von alten Vorrechten auf Wasser. Während z.B. Ali President argumentierte, dass die Ressourcen und die Pflichten, z.B. für Strom oder Landübertragung zu zahlen, zwischen „alten“ und neuen Siedlern ungleich und ungerecht verteilt seien, hielt Behram Patwari, dagegen. Er gab zu bedenken, dass es ggf. einfach nicht genug Wasser

34

Beamte können zwar nicht entlassen, aber zum Beispiel strafversetzt werden, wenn sie

35

Eine Begrenzung über die räumliche Dimension (statt der zeitlichen) erschien dagegen

sich nicht konform verhalten. eher neutral, fair und gerechtfertigt, wie im Unterkap. „Self-help-Wasserversorgung…“ deutlich wird.

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gebe – also noch nicht einmal genug für die „alten“ Siedler selbst. Wie sollten diese dann Wasser an sie, die Zugezogenen geben? Insofern bliebe ihnen keine andere Lösung als das Wasser, wie derzeit, aus dem Fluss zu pumpen. Dennoch ist auch dies, wie schon angemerkt, eine Lösung mit Schwachstelle: Gerade wenn im Frühjahr das Wasser aus den Seitentälern knapp ist, lässt auch die Stromproduktion der Wasserkraftwerke nach, mit deren Strom die Wasserpumpen betrieben werden. So erschöpft sich gerade im Winter und Frühjahr die Stromlieferung in ein bis zwei Stunden Strom täglich. „Dadi Jawari“ und die Frage nach der Verpflichtung gegenüber Faulen Dennoch stellten Gesprächspartner wie Shah Gul Hayat, ein Bewohner Jutials, dessen Familie noch in den 1940er Jahren nach Jutial gezogen war, und Professor Akhter Hussain infrage, in wie weit der Staat überhaupt moralisch für die Bereitstellung von Wasserinfrastrukturen und der Bereitstellung von Wasser gegenüber der Bevölkerung Gilgits zuständig sei. Auf meine Frage nach einer Verpflichtung des Staats führten beide eine Geschichte über Jawar Khatun an. Diese hatte Gilgit im 17. Jahrhundert regiert und wird heute zumeist liebevoll als „Dadi Jawari“, Großmutter Jawari, bezeichnet.36 Hierüber versuchten sie, die berühmte Faulheit der Bewohner Gilgits deutlich zu machen – eine Faulheit, die für sie die moralische Grundlage für öffentliches bzw. staatliches Engagement infrage stellt. Wie Akhter Hussain erklärte, würden viele Bewohner Gilgits bzw. der Region Ansprüche an die regionale oder sogar die staatliche Regierung unter Verweis darauf stellen, dass sich die Bevölkerung der Region dem pakistanischen Staat anschließen wollten (vgl. Unterkapitel „Exkurs: Neuere und neueste Geschichte der Region“) und dass sie als Bevölkerung der Bergregion arm und bedürftig seien. Dabei sei dies nur die halbe Wahrheit. Immerhin bewohnten oder bearbeiteten die meisten Bewohner_innen der Region den eigenen Grund und Boden. Im Vergleich hierzu seien viele im Rest des Landes landlos und so vergleichsweise schlechter gestellt. Zwar seien die Landbesitze in der Region oft nur gering, dennoch hätten die meisten Land als wirtschaftliche Sicherheit und seien damit vergleichsweise gut gestellt – Akhter Hussain bezeichnete die Bevölkerung Gilgit-Baltistans daher bewusst mit dem Marxschen Begriff als „petty bourgeoisie“. Während früher Abgaben bzw. Steuern von Reis und Weizen geleistet werden mussten, gebe die Regierung nun sogar subventionierten Weizen an die Bevölkerung – die Verhältnisse in

36

Alternativ werden die Namen Jawar, Jowari, Jawahir oder Juvari sowie der Titel Malika (Arabisch: Königin) verwendet. Siehe auch z.B. Jettmar (1991: 76) oder Dani (1991b: 182-4).

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der Region seien also genau umgekehrt als früher und als überall sonst in Pakistan. Die Leute aber nähmen dies aber nicht wahr: „The people donʼt see this. They are only seeing the one side, that they donʼt have the full rights, but they don’t see the other side.“ Andererseits, so Akhter Hussain weiter, unterstütze Staat bzw. Regierung die Bevölkerung tatsächlich nicht ausreichend in Bemühungen, Beschäftigungs- und Verdienstmöglichkeiten als Ersatz zur schwindenden Landwirtschaft zu entwickeln. Z.B. benötigt es Strom, um (kleine) Unternehmen aufzubauen; ohne sei dies kaum möglich. Über dieses strukturelle Problem hinaus sei aber gerade die Bevölkerung Gilgits generell faul. „The people from Gilgit are actually very lazy (Gilgit ke lōg bahut sust hayñ),“ kommentierte er halb enttäuscht, halb schmunzelnd. „People from Hunza go to Dubai, to Saudi Arabia, to England, all around the world. People from Baltistan go to Srinagar, to Delhi, to Ladakh… but people from Gilgit just sit in their houses.“ Der zugleich als Historiker arbeitende Akhter Hussain erklärte, dass diese Faulheit sich schon unter Dadi Jawari bemerkbar gemacht habe. Diese habe die Bewohner Gilgits dazu aufgefordert, weitere kūls auszuheben, um mehr Land bearbeiten zu können. Wie Akhter Hussain kommentierte, seien die Bewohner aber geradezu „lethargisch“ gewesen und hätten geantwortet, dass sie genug (bewässertes) Land besitzen würden. Daraufhin habe Dadi Jawari Vertreter Darels, einem Tal im Süden Gilgits, das über das Kargah in zwei bis drei Tagesmärschen mit Gilgit verbunden ist und das im heutigen Distrikt Diamer liegt, aufgefordert und Männer aus Darel seien gekommen und hätten mehrere Kanäle in und um Gilgit ausgehoben. Zwei davon, der obere Kanal, ajīni dalja, und der untere Kanal, khirīni dalja, bewässern bis heute den Innenstadtbereich Gilgits; ein weiterer bewässert Nomal, einen Ort nördlich von Gilgit. Als Gegenleistung für die Arbeit erhielten die Bewohner Darels die Rechte über Khanberi, eine zwischen Darel und Gilgit gelegene Hochweide. In den meisten Erzählungen wird Jawar Khatun zu einer weisen, bewundernswerten Frau stilisiert, die vorausschauend handelte und sich um das Wohl der Bevölkerung kümmerte. Einige Gesprächspartner hoben hervor, dass Dadi Jawari die Herrschaft übernommen hatte und erfolgreich regierte, obwohl sie eine Frau gewesen sei – eine Tatsache, die Beweis dafür sein soll, dass Frauen wie Männer das Potenzial für große Fähigkeiten in sich trügen.37 Im Jahr 2013 z.B. wurde das Bild von

37

M.M. Kaizal z.B. erklärt in einem Beitrag auf dem lokalen Internetmagazin Pamir Times Urdu, die Frauen Gilgit-Baltistans seien so tapfer, tüchtig und wohlgesittet wie Gilgit-Baltistans Berge hoch seien. Hierfür seien Malika Noorbakht, Daadi Jawari und Noor Bibi, drei Frauen, die Gilgit-Baltistan regiert hätten, die besten Beispiele. Malika Noorbakht beschreibt er als Frau, die der Terrorherrschaft ihres Vaters Shri Badat ein

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„Dadi Jawari“ (siehe Abb. 11) von etlichen Personen aus Gilgit-Baltistan auf Facebook geteilt – zumeist mit dem Titel „Women Empowerment Concept in 1668 Started in GB“. Eine häufige Bildunterschrift ergänzte darüber hinaus: „Frau Dadi Jawar regierte von 1634 bis 1668 über Gilgit und wurde dafür bekannt, dass sie Land für Landwirtschaft entwickelte.“ Abbildung 11: Bild zu „Dadi Jawari“ in der Municipal Library Gilgit

Foto: Autorin 2013

Auch Shah Gul Hayat, ein älterer Gesprächspartner in Jutial, der während meines Aufenthalts 2014 verstarb, schilderte die Geschichte über Dadi Jawari. Diese habe Ende gesetzt habe, und die Bevölkerung tüchtig und geschickt regiert habe. In den 1630er Jahren sei es aufgrund von Verschwörungen zu einer schnellen Abfolge an Herrschern gekommen und schließlich sei Jawar als einzige Tochter 1635 an die Herrschaft gekommen. Kaizal bezeichnet sie als eine visionäre und intelligente Frau und gute Herrscherin; der Auftrag, den Kanal vom Kargah nach Gilgit ausgeben zu lassen, sei eine gute Tat gewesen. Später habe Noor Bibi als dritte Frau die Regierung über Gilgit übernommen. Kaizal schließt daraus, dass die Bewohner_innen Gilgit-Baltistans Frauen gegenüber schon immer wohlgesonnen gewesen seien und diese daher schon im 15. Jahrhundert [sic] hatten regieren können (Pamir Times Urdu, 06.12.2014).

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zusätzlich zu einem schon bestehenden oberen Kanal einen unteren Kanal ausheben lassen wollen, da die Bevölkerung Gilgits gestiegen sei. Nachdem diese sich aber verweigert hatte, hätten sich 120 Männer aus Darel bereiterklärt, die Aufgabe zu übernehmen, und innerhalb von sechs Monaten den unteren Kanal ausgehoben: „From Kargah, the upper kūl is old and it is from the period of [before] Dadi Jawari. The water of the upper kūl became too little because Sonikot was also to be irrigated; there was a problem of water, so Dadi Jawari requested the people of Gilgit a lot to make one more kūl, because the population was increasing; but then the people of Gilgit didn’t do it. Then 120 men came from Darel and they said ‚we will do it‘. These 120 men made that lower kūl, in six months. They cleaned the kūl, then they let the water flow, and then all the hard working men came together and they sent one man to Dadi Jawari. And Dadi Jawari was living behind the old polo ground. […] The kūl was so high but they completed it. Dadi Jawari came there and she thanked them a lot, [saying] ‚you have made a very good kūl and in a short time‘. There had been no agreement between them, so Dadi Jawari asked them ‚What can I do for you? Tell it‘. An old man, Beralwi, stood up – it is from before we were born, so I am telling it to you like a history, because everyone doesn’t know these type of things… That Beralwi said ‚we have animals, but the land (jangal) is too little for us, this is a big problem for us. If you give us Khanberi, then we can graze our animals there‘. Khanberi – I have not seen it, it is a big area, [now] there is a high school, there is a dispensary and a hospital or this or that, it is a big area, I didn’t see it myself… – Dadi Jawari was astonished, because there was no agreement, she had to admit to their demand… There was no other [demand], so the Darel people took from the Gilgiti people the land of Khanberi.“

Shah Gul Hayat hob in seiner Erzählung jedoch Jawars Großzügigkeit gegenüber der Bevölkerung Gilgits als Fehler hervor und erklärte, dass ihr Nachsehen bzw. ihre Unfähigkeit, sie zum Ausheben des Kanals zu bringen, schließlich die Schwächen der Bevölkerung Gilgits bis heute geprägt habe: „The laziness of Gilgiti people towards Dadi Jawari – they were so lazy, they did not even make the effort to throw out their naswār [chewing tobacco]. So, Dadi Jawari has spoilt the people (Dadi Jawari ne lōgōñ ko ḵharāb kiya hay). Now there is no barber from Gilgit, no carpenter, no one is working as driver, no one is doing anything. Barbers came from Mansehra, sweepers came from Jammu and carpenters from Chitral. If this condition of negligence remains, the snakes will come from Kabul and the shrouds from Japan. Nowadays no one [from Gilgit] has a mobile cart [for selling], no one is selling fruit, and in the rajah bazār there is no good shopkeeper from Gilgit. Maybe one or two are there, but they are not doing any work, they are doing nothing.“

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Mit seiner Aufzählung bezog sich Shah Gul Hayat auf das Stereotyp über Leute aus Gilgit als zu faul und zu stolz, um als Handwerker zu arbeiten. Wie auch Sökefeld (1997a) schildert, galt in Gilgit die Bestellung des eigenen Lands bislang als die einzige ehrenhafte Beschäftigung; unterschiedliche Handwerkergruppen – die oft mit qōm als Quasiverwandtschaftsgruppen übereinstimmten – hatten einen vergleichsweise niedrigeren Status, der aber mittlerweile über individuelle Leistungen bzw. über die Ausübung neuerer Berufe wie Beamter, Arzt, Rechtsanwalt, Bauunternehmer etc. auch überkommen werden kann (ebd.: 101-4). Mittlerweile bedeuten diese neuen Berufe Status und Einkommen, Landwirtschaft dagegen nicht mehr. Wie Shah Gul Hayat erklärte, sei die noch immer gängige Ablehnung, sich handwerklich zu betätigen, eine Unsitte, die sich schon zur Zeit Dadi Jawaris gezeigt habe und die durch ihr Nachsehen bestärkt worden sei. Mit diesem Verweis stellten Shah Gul Hayat und Akhter Hussain sowohl den Willen der Bevölkerung Gilgits zu selbständiger Organisation infrage als auch – wenn auch indirekt – den Anspruch einer derart faulen Bevölkerung auf öffentliche Dienstleistungen. Hieran anschließend wird nun erörtert, welche Bevölkerungsteile ihr Recht auf die Stadt durchsetzen können. Wer hat ein Recht auf die Stadt oder Abgeordnete und Lücken in der politischen Repräsentation Die Idee des Rechts auf die Stadt („right to the city“) wurde ursprünglich von Henri Lefèbvre aufgeworfen (siehe Kofman/Lebas 2000) und von David Harvey (2003, 2008) als das Recht ausgearbeitet, nicht nur am Leben in der Stadt teilzunehmen, sondern sie auch mit zu gestalten.38 Dabei führt Harvey (2003) aus, dass das Recht auf die Stadt und das Recht, sie zu gestalten, sowohl Kreativität als auch Zerstörung beinhalten kann. Veränderung in der Stadt ginge quasi nie harmonisch und nie ohne Konflikte und Gewalt vonstatten (ebd.: 939) – auch wenn sich die Frage stellt, ob das nicht generell ein Merkmal von Veränderung ist. Gleichzeitig ist das Recht auf die Stadt, so Harvey, nicht nur das Recht, die Welt (in der Stadt) und das Leben (in der Stadt) so zu verändern, wie es den eigenen Vorstellungen und Wünschen entspricht. Damit einher geht auch eine Veränderung des Selbst, so Harvey: „we change ourselves by changing our world and vice versa“ (ebd.). Dabei, so warnt Harvey,

38

Die Idee des Rechts auf die Stadt wurde insbesondere von Harvey als ein politisches Anliegen formuliert, das, wie einige kritisieren, durch NGOs und grassroots organisations verweichlicht und entradikalisiert wurde – hin zu der Forderung nach Wohnungen und Kulturtreffpunkten (vgl. z.B. McCann 2002).

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bleiben Utopien von Gerechtigkeit, die den Kampf um die Stadt oft beeinflussen, zumeist dies: erwünschte aber unwirkliche Utopien (ebd.: 939-40). Für Swyngedouw (2004) ist kooperative Selbstorganisierung dagegen ein Beispiel dafür, wie Bewohner_innen ihr Recht auf Stadt und Natur geregelt, aktiv und kollektiv beanspruchen können. Wie Swyngedouw bemerkt, sind formelle oder klientelistische Systeme oft für bestimmte Bevölkerungsgruppen blind. Um die Macht der politischen Patrone beizubehalten, fokussieren sie allein auf bestimmte Bevölkerungsgruppen, z.B. „Bürger“ oder Wähler. Gerade in solchen klientelistischen und paternalistischen Systeme bieten sich, so Swyngedouw kollektive Organisationsformen als Korrektiv an (ebd.: 152-3). In Gilgit trifft dies ebenfalls zu. Während z.B. die members, d.h. die Mitglieder der Legislative Assembly, v.a. die „alten“ Siedler unterstützen, setzen sie sich deutlich weniger auch für neue Bewohner_innen Gilgits ein, d.h. für diejenigen, die (noch) nicht in Gilgit gemeldet sind und (noch) nicht dort wählen. Mitunter die größte Erwartung, fehlende oder mangelhafte Infrastrukturprojekte in Angriff zu nehmen, hatten viele Bewohner_innen Gilgits, d.h. gerade die „alten“ Siedler, entsprechend nicht an die Verwaltungsstellen und Departments, sondern an die lokalen politischen Repräsentanten. Dies waren in den Jahren seit 2009 v.a. die Abgeordneten in der GBLA, wie das politische Repräsentantengremium seit 2009 heißt. Dessen Mitglieder haben neben der Legislation zu einer beschränkten Zahl an Bereichen39 maßgeblich die Möglichkeit, über development funds – Rs.50 Millionen40 für jedes der 32 Mitglieder der GBLA – von den Bürger_innen ersehnte Projekte finanziell zu unterstützen. Dabei scheinen jedoch Projekte, die von den members in Auftrag gegeben werden, – scheinbar völlig selbstverständlich und naturgemäß – v.a. denen zugute zu kommen als deren Vertreter das member gilt, d.h. denen, die ihn41 in der Wahl unterstützt hatten. Hierbei scheint die Idee von politischer Repräsentation beinahe wörtlich verstanden zu werden. Immer wieder schien in Gesprächen die Annahme bzw. Erwartung durch, dass die Repräsentanten sich insbesondere für diejenigen Bevölkerungsteile einsetzten, über die sie in den Wahlen das Mandat erhalten hatten bzw. die sie darin unterstützt hatten, ihre Position zu erreichen. Das finanzielle Engagement der members scheint insofern als das direkte Zurückgeben im sozialen Prozess des Gebens und Nehmens verstanden zu werden. Dies bedeutet im Umkehrschluss aber, dass gerade die neuen Siedlungen wenig Un-

39

Siehe hierzu Hussain (2009).

40

Ca. 450.000 Euro.

41

Die 24 gewählten members sind alle Männer; diese werden durch sechs Sitze für Frauen sowie drei Sitze für sogenannte technocrats, technische oder politische Ratgeber, ergänzt, welche ernannt werden.

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terstützung erwarten können – weil viele der Bewohner_innen nicht in Gilgit, sondern in ihren Herkunftsorten ihre Stimme abgeben, weswegen sie in Gilgit selbst kaum einen Vertreter in der GBLA haben, der sich für sie verantwortlich fühlt bzw. denen er verpflichtet ist.42 Wie Ali President in Zulfiqarabad vorbrachte, würden sich diese sozialen Erwartungen auch auf die Gesetzgebung auswirken. So sei das government bzw. die (Mitglieder der) GBLA in der Verantwortung, eine entsprechende Gesetzgebung zu verabschieden und z.B. die Verteilung des Wassers aus den Seitentälern auf alle Bürger Gilgits auszudehnen, unabhängig von Zeitpunkt der Zuwanderung und Wohnort in der Stadt und unabhängig von traditionellen Wasserrechten: „So now it is the responsibility of the government to make the legislation accordingly. Itʼs the responsibility of our assembly [GBLA], to say that: ‚Yes, this is a citizen, he belongs to somewhere else, [maybe] has another religion... [But:] We are 72 sects [in Islam], but everyone has the same rights – being a citizen of the area, everyone has a right.‘ But the government is responsible to make a law. This is not in our control. We cannot say: ‚Give us the rights!‘“

Wie er ausführte, scheitere eine solche Änderung der Gesetzgebung allerdings wiederum an der Unterscheidung zwischen locals (d.h. den „alten“ Siedlern bzw. „Leu-

42

Fehlende oder mangelnde politische Repräsentation ist ein wiederkehrendes Motiv, das auch von anderen Gruppen erwähnt wird, so z.B. von Sunniten (in Kashrot, aber auch in Jutial), die erklären, dass sie in den Wahlen in Gilgit meist die Verlierer seien, weil sie ihre Stimmabgabe weniger strategisch bündelten als Schiiten. Schiiten dagegen klagen, dass der Zuzug von Sunniten nach Gilgit ihre zahlenmäßige Überlegenheit untergrabe und ihre Kandidaten dann auch in Wahlen unterliegen würden. Die Zugehörigkeit zu Konfessionsgruppen wurde, wie auch Sökefeld (1997a) festhält, seit den Wahlen zum Northern Areas Council (der Vorgänger-Institution der GBLA) im Jahr 1983 neben Familien- und qōm-Zugehörigkeit auch in Wahlen zum Kriterium und rückte seitdem zunehmend in den Vordergrund (ebd.: 226-7). Darüber hinaus finden sich ähnliche Klagen auch auf der Distriktebene wieder, so z.B. in dem neu geschaffenen Distrikt HunzaNagar, der 2009 aus dem Distrikt Gilgit gelöst wurde. Trotz der Verfeinerung der politischen Repräsentationsmöglichkeiten und Verringerung von Distanzen zu Büros und Departments setzten sich die Bewohner des Subdistrikts Hunza dafür ein, sich desweiteren von Nagar zu trennen und Hunza und Gojal (auch als Upper Hunza bezeichnet) jeweils mehr Autorität sowie getrennte Sitze in der GBLA zuzugestehen, was 2015 gewährt wurde (siehe z.B. Pamir Times, 11.04.2015; The Express Tribune Online, 26.07. 2015).

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ten von innen“) und nonlocals (d.h. den neuen Siedlern bzw. „Leuten von außen“) sowie am Antagonismus zwischen den unterschiedlichen Konfessionen, insbesondere zwischen Schiiten und Sunniten: „If I am calling an MNA [sic]43 or a representative of the local body, then he will do the same: ‚Shia-Sunni‘, ‚localnonlocal‘.“ Die Zugehörigkeit oder Verpflichtung einer bestimmten Gruppe gegenüber – Ali President führte hier die Kategorisierungen Konfessionszugehörigkeit und Herkunft an – verhindere, dass die Repräsentanten umstrittene Positionen beziehen oder Gesetze verabschieden. Wie er fortfuhr, sei jeder Politiker diesbezüglich in seinen Möglichkeiten beschränkt: „He is unable to enforce that [change in the legislation]. I already told you, it is impossible.“ So könnten sie als Bewohner_ innen Zulfiqarabads zwar Änderungen gegenüber Politikern und Departments fordern. Der Akt des Sprechens gehe aber nicht notwendigerweise damit einher, gehört zu werden, erklärte Behram Patwari weiter. Und auch Gehör zu finden, resultiere nicht notwendigerweise in einer entsprechenden Reaktion der politischen Vertreter: „You have to come to my house in order to understand something. To hear something. Later on it depends on you if you act accordingly or not. If you do, then itʼs good. If not, then... In this way we give the votes to the MNA [sic], we are not paying him. We have cast our votes to the person and we brought him as an MNA [sic], and we requested him to solve the problems. Metal the roads and streets and bring the water system, make the electricity system. But he doesnʼt, so we have to fight... For every thing.“

Als Reaktion auf das ausbleibende Engagement des members des Wahlbezirks, in dem Zulfiqarabad liegt, müssten sie kämpfen, sich bemühen und sich zwischenzeitlich bzw. stattdessen selbst behelfen – obwohl sie mittlerweile, wie sie betonten, in Gilgit gemeldet seien und wählen würden. Dennoch bleibt die Frage, warum die Regierung bzw. die Vertreter sich nicht stärker für alle Bürger und alle Stadtteile gleichermaßen einsetzen, unbeantwortet, erklärte Ali President: „You canʼt ask me this, why he is not doing these things. We have no answer for this.“ Farhan Ali,44 ein Politiker aus Gilgit, der zwar in den Wahlen 2009 verloren, aber einen Sitz als Technokrat zugesprochen bekommen hatte, bestätigte in einem Gespräch 2013 den Fokus der Politiker auf die Stadtteile und Siedlungen mit großenteils wählenden Bürgern und Bürgerinnen. Die Tatsache, dass dadurch gegebenenfalls auch ganze Stadtteile vernachlässigt werden, von denen angenommen

43

Oft wird statt der Abkürzung MLA für die Mitglieder der Gilgit-Baltistan Legislative Assembly aus Flüchtigkeit die Abkürzung MNA verwendet, mit der eigentlich die Mitglieder der (pakistanischen) National Assembly bezeichnet werden.

44

Ebenfalls ein Pseudonym.

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wird, dass deren Bewohner_innen ihre Stimme nicht am Wohnsitz, sondern am Heimatort abgeben würden, ist ihm bekannt. Wie Farhan Ali bestätigte, treffe dies z.B. auf Siedlungen Jutials und Zulfiqarabads zu, deren Bewohner_innen zu großen Teilen noch in ihren Heimatorten gemeldet seien und daher dort wählen würden. Safdar Jang, ein Gesprächspartner in der neuen Yasin Colony am Ausläufer des Jutial Nalas erklärte dies damit, dass bislang jegliche Validierungsprozesse von Personen – offiziellen Dokumenten vorangehend – auf persönlichen Bestätigungen der nambardāre bauen. Diese fungieren als Vertreter der Gemeinschaft gegenüber dem Staat sowie als Leumundszeugen, sind Teil lokaler Ratsversammlungen, führen aber auch Register über Geburten und Sterbefälle. Aufbauend auf solchen persönlichen Beziehung sowie der Verbundenheit mit dem Herkunftsort seien die neuen Siedler_innen Gilgits oft in ihren Herkunftsorten gemeldet geblieben und gäben auch dort ihre Stimme ab, erklärte er. Erst seit einigen Jahren hätten sie begonnen, sich auch in Gilgit zu melden, um dann bei lokalen Wahlen auch dort ihre Stimme abgeben zu können. Farhan Ali bestätigte dies und erklärte, dass gerade Zulfiqarabad und die „backside colonies“ Jutials daher gegebenenfalls vernachlässigt würden. Obwohl dies in seinen Aussagen nur impliziert ist und er dies nicht tatsächlich benannte, investiere auch er die ihm zu Verfügung stehenden Ressourcen für Entwicklungsprojekte in der augenblicklichen Legislaturperiode lieber in andere Stadtteile Gilgits, deren Bewohner_innen nicht nur dort wohnten, sondern auch dort wählten: „Even me, looking at Jutial, [I am thinking that there] the people are not basically the ‚local‘ people. In the election day, my ‚psyche‘ is that the people [there] are only living there in Gilgit and casting their vote in their own constituency.“ Wie er erklärte, würden sich die Repräsentanten vielleicht nach der nächsten Wahl auch um die Entwicklung der neuen Siedlungen kümmern, wenn klar sei, dass deren Bewohner_innen nun ebenfalls in Gilgit wählen würden: „This is the basically the real problem. So in this time I discuss [with] many people in Jutial, from Hunza, from Astor, from Diamer, from Ghizer, [telling them] ‚so you are living in Gilgit: register your vote in Gilgit. In Jutial.‘ Before, their vote was registered in two places – one in Jutial, one in their home village. So in this time – this process in Pakistan – the NADRA [National Database and Registration Authority] is doing this work. So maybe the people of Jutial, this Zulfiqarabad and other adjacent [areas]... [if now] they register their vote in Gilgit maybe next time the politicians from this town, Gilgit, this constituency, will think about their development.“

Er erklärte weiter, dass er betreffs der Wahlen 2015 vor Kurzem von Bewohnern einer neuen Siedlung Jutials angesprochen worden sei, die ihn auf das eine oder andere Problem hingewiesen und erklärt hatten, gemeinsam für ihn stimmen zu wollen: „Now some people from Ghizer had invited me… there [to their houses], they

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live in Ameenabad. They had two, three ‚issues‘... and they had said, that this time we will give you in writing whether we will give you the ‚vote‘ or not, but we will gather in Gilgit [to vote].“ Seiner Schilderung nach schien es beinahe als würde ein Vertrag aufgesetzt („we will give you in writing“), ob bzw. dass die Gruppe geschlossen für ihn, Farhan Ali, wählen würden (den Begriff „vote“ verwandte Farhan Ali in der Einzahl). Als Gegenangebot für die geschlossene Wahl bot Farhan Ali ihnen Engagement bezüglich ihrer Probleme an: „I said [to them], if you will do this, then all the ‚issues‘, about water, about health – all of them will be solved (sāre ṭhīk ho gaye).“ Schon vor den Wahlen ist in vielen Nachbarschaften und Familien klar, für welchen Kandidaten gestimmt werden wird – eine Entscheidung, die oft vom Familienoberhaupt getroffen und über Einschüchterung oder Schwur auf den Koran abgenötigt wird. Entsprechend bestehen die Erwartung und die Verpflichtung, dass der gewählte Kandidat sich später insbesondere um Sorgen und Nöte in den Nachbarschaften und mohallas kümmert, in denen er gewählt wurde – auch wenn sich die Erwartung, dass sich Engagement direkt auszahlt, nicht immer bestätigt. So sprach Sherbaz, ein Bekannter aus Kashrot, ein halbes Jahr nach den Wahlen zur GBLA 2015 seine Enttäuschung darüber aus, dass ein Bekannter, der ihm derzeit beim Schneiden des Mais half, weiterhin auf der Strecke geblieben sei. Der Bekannte war vor sechs Jahren von Juglot, einem Ort südlich Gilgits, nach Kashrot gezogen und lebe seit Kurzem mit seiner Frau und sechs Kindern in einem kleinen Haus in Jutial. Er sei aber nach wie vor ohne Arbeit und lebe weiterhin am Existenzminimum. Wann immer Sherbaz nun zu viel Arbeit mit seinen Feldern oder Tieren hätte, käme der Bekannte, um ihm zu helfen. Nun habe der Bekannte seine gesamte Familie dazu gebracht, bei den Wahlen für Hafeez Urrahman zu wählen, der den Sitz in halqah II, dem zweiten der zwei Wahlbezirke Gilgits, gewonnen hatte und der im Anschluss an die Wahlen zum Chief Minister ernannt wurde. Dennoch habe der Bekannte weiterhin keine Arbeit und auch alle Bitten, ihm zu einer Stelle zu verhelfen, seien auf taube Ohren gestoßen. Dabei sei der Bekannte bitterarm, bedürfe einer Anstellung und habe schließlich auch die Stimmen seine ganzen Familie Hafeez verschafft. Wie Sherbaz bitter resümierte, habe Hafeez, wie auch jeder andere in einer hohen Position, kein Ohr für die Armen; stattdessen würden Gelder und Positionen unter den Reichen verteilt, die über solche korrupten Praktiken noch mehr anhäufen würden. Auch demokratische Wahlen wie in den Jahren 2009 oder 2015 scheinen also nicht (nur) als Chance gesehen zu werden, um bestimmte Gesetzgebungen durchzusetzen, sondern v.a. um Ansprechpartner in der Regierung zu haben – eben um Hilfe z.B. in Hinblick auf Beschäftigungsmöglichkeiten oder Infrastrukturprojekte be-

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kommen zu können.45 Gleichzeitig ist es interessant festzustellen, dass in der Wahl Wähler_innen gegebenenfalls die Grenzen zwischen Sunniten, Schiiten und Ismailiten, ebenso wie zwischen local und nonlocal überwinden, wie ich aus Farhan Alis Kommentar über die Vertreter der neuen Siedlung in Jutial ablese – wobei hier denkbarerweise auch andere Identitätsgruppen oder Verbindungen (wieder) in den Vordergrund rücken, wie eine politischen Partei oder auch qōm – ein Konzept, das historisch Identitätsbewusstsein, Solidarität nach innen und Rivalität nach außen beinhaltet (siehe z.B. Sökefeld 1997a: 73). Was bleibt, ist die Frage, mit welchen weiteren Strategien sich Bewohner_innen die Versorgung mit Wasser sichern, d.h. wie sie es schaffen, am Leben in der Stadt teilnehmen zu können und damit auch die Stadt gestalten. Unterschiedliche Möglichkeiten werden entsprechend im nächsten Abschnitt vorgestellt.

WASSERQUANTITÄT UND „ARTISANALE“ ANSÄTZE ZUR WASSERORGANISIERUNG Aufgrund der unzuverlässigen und ungleichmäßigen Wasserversorgung über gemeinschaftliche und öffentliche Infrastrukturen greifen viele Bewohner_innen auf Strategien zurück, die Bakker (2010) als „artisanale“, „private“ bzw. subversive Praktiken bezeichnet.46 Hierzu zählt Bakker z.B. unreguliertes Anzapfen bestehender Systeme, das Einrichten von kleinteiligen Technologien wie Hand- oder elektrischen Pumpen, mit denen z.B. Wasser aus der Hauptleitung gesaugt werden kann, oder das Einrichten von Infrastrukturen von geringem Umfang (ebd.: 29). Analog zu Scotts (1985) Formen des alltäglichen Widerstands, also gewohnheitsgemäßen und heimlichen Akten der subtilen Sabotage, Vermeidung und Täuschung, die das System unterwandern, bezeichnet Swyngedouw (2004) solche privaten Initiativen auch als aktiven Widerstand im täglichen Ringen um Wasser; er zählt hierzu z.B. il-

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Wie allerdings Uzair, Seemas und gleichzeitig auch Sherbazʼ Cousin, aber erklärte, zeige sich hier der Unterschied zwischen Bewohnern Gilgits und der umliegenden Täler: Während sich letztere v.a. mit Bitten um Hilfe bei dem Bau einer Straße, Brücke oder Wasserleitung an die Politiker wenden würden, kämen Bewohner Gilgits v.a. mit persönlichen Anliegen wie Bitten um einen Arbeitsplatz, einen Platz im Flugzeug oder Hilfe bei der Anmeldung an einer Universität nach Ablauf der Anmeldefrist.

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Der gängige Begriffskatalog, inklusive den Begriffen „informal“, „unserviced“, „private“ und „public“, mit denen Wassersysteme häufig beschrieben werden, ist, wie Bakker (2010) diskutiert, bei näherem Hinsehen nicht sehr präzise und muss entsprechend vorsichtig angewendet werden (ebd.: 21-2).

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legale Anschlüsse, Diebstahl, das Installieren von Pumpen an Leitungen oder den Rückgriff auf Beziehungen, um sich Anteile an Wasserressourcen zu sichern. Wie Swyngedouw bemerkt, können solche Praktiken auch bedeuten, dass die unterversorgten oder ignorierten Teile der Stadtbevölkerung so ihr Recht auf die Stadt beanspruchen; allerdings können solche Strategien Uneinigkeit stiften. Darüber hinaus können sie dazu beitragen, den Status quo beizubehalten, und zu einer fragmentierten oder individualisierten politischen Ökonomie führen, die über persönliche Beziehungen, Gefallen und Gegenleistungen funktioniert (ebd.: 151).47 In Gilgit finden sich entsprechend der Bau privater Brunnen in Stadtteilen, in denen das Grundwasser leicht erreichbar ist, die Installation privater Wasserpumpen, über die Wasser aus dem Fluss gepumpt wird, aber auch unreguliertes Anzapfen von Wasserleitungen oder widerrechtliches Ableiten von nālī-Wasser. Gerade das Anzapfen und Umleiten von Wasser ist prominenter Teil des lokalen Diskurses zur mangelnden Versorgung mit Wasser (ebenso wie auch mit Strom), da hierdurch, wie Gesprächspartner, Beamte und Journalisten argumentierten, das bestehende System gestört, eine zuverlässige, gleichmäßige und „gerechte“ Wasserverteilung verhindert würde und außerdem technische Schwierigkeiten und gesundheitliche Gefährdungen hervorgerufen würden. Wie in den Aussagen des ehemaligen WASA-Mitarbeiters Sajjad Ahmed werden Bewohner_innen in diesem Diskurs nicht nur als Nutzer_innen, sondern auch als Störfaktoren des öffentlichen Wassersystems gesehen. Gleichzeitig werden solche Praktiken von vielen Bewohnern Gilgits durchaus auch als legitime Möglichkeit verstanden, sich zu Gütern zu verhelfen, die ihnen – als Bürger bzw. als Bevölkerung der Region – eigentlich selbstverständlich zustehen würden. Aneignung von Wasser aus gemeinschaftlichen oder öffentlichen Infrastrukturen Praktisch sei es, wie mir ein Bekannter, Zulfiqar Alam, erklärte, zumindest innerhalb der Gebiete, in denen die Wasserinfrastrukturen tatsächlich bedient werden, sehr einfach, Wasser aus den öffentlichen oder gemeinschaftlichen Infrastrukturen abzuleiten. Zwar würde das mir gegenüber wohl kaum jemand zugeben, es gebe aber sehr viele Möglichkeiten, auch über die zubemessene Menge an Leitungswasser hinaus an mehr Wasser zu kommen. So sei es z.B. einfach, neben der von der WASA genehmigten Leitung eine zweite am Hauptrohr anzubringen und so die

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Darüber hinaus erhöhen sich – wie auch für Gilgit schon angedeutet wurde – durch solche Praktiken Wasserverluste und Gefahren von Wasserkontamination. Wasser wird außerdem anderen Nutzerinnen und Nutzern (insbesondere den nachgelagerten) entzogen (Swyngedouw 2004: 151).

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doppelte Menge an Wasser zu beziehen. Die meisten Rohre seien sowieso entweder oberirdisch oder nicht tief unter der Erde verlegt (vermutlich damit der Zugang auch für die line men, die Angestellten der WASA leicht zugänglich ist, was gerade im Hinblick auf die häufigen Blockierungen bzw. Verstopfungen in den Leitungen wichtig ist). So sei es leicht möglich, mithilfe von wenig Werkzeug selbst eine zweite Leitung an die Hauptleitung anzuschließen. Gerade unterhalb des Zugangs zum Haus sei es möglich, die zweite Leitung z.B. unter einer Betonplatte der Zufahrt zu verstecken, sodass sie nicht sofort sichtbar ist, aber leicht zugänglich bleibt. Wenn der Wasserdruck gering ist, erlauben es kleine Motoren, den Wasserfluss zu erhöhen und das Wasser entweder in einer Zisterne oder sofort in eigens angelegten Wassertürmen oder Wasserspeichern auf dem Dach aufzubewahren. Eine weitere Möglichkeit ist es, das Wasser eines Nachbars abzunehmen, wenn dieser über genug verfügt, oder dieses auch gegen seinen Willen abzuzweigen – ein Praxis, die gerade in der Bewässerung über nālīs gängig sei. Ein weiterer Gesprächspartner erklärte, dass manche Bewohner auch die öffentlichen Leitungen oder nālīs unterhalb der eigenen Abzweigung mit Holz oder Plastik verstopfen würden, um den Wasserdruck zum eigenen Haus zu erhöhen, was gleichzeitig bedeutet, dass die unterhalb gelegenen Nutzer_innen weniger oder kein Wasser mehr bekommen. Oft ist die Wasserausgabe in Leitungen und nālīs zeitlich begrenzt; bis das Fehlen des Wassers auffällt und der Verschluss gefunden werden kann, endet schon der zugesprochene Zeitabschnitt und Nebenleitung oder nālī werden wieder von der Hauptleitung oder dem kūl abgetrennt. Gerade hier haben nachgelagerte Bewohner_innen das Nachsehen, selbst wenn sie Wasserrechte besitzen. Werden die Regeln unterwandert, kann oft nicht nachvollzogen werden von wem und nur selten kann der Verlust ausgeglichen werden. Zwar gibt es im Rahmen der traditionellen Rechte die Möglichkeit, das Stehlen von Wasser zu bestrafen. Dies ist aber immer weniger üblich, auch wenn z.B. die Tochter eines nambardār erklärte, dass ihre Familie solche Maßnahmen durchaus noch ergreifen würde. Würde man ein bisschen nachforschen, sei es möglich, auch im Nachhinein herauszufinden, wer z.B. sein Gemüse oder Rasen bewässert habe, schließlich sei dies noch lange am feuchten Boden oder am Zustand der Pflanzen sichtbar. Allerdings setzt dies ein fundiertes Wissen darüber voraus, wer zu welcher Zeit Anspruch auf Wasser hat und wer nicht. Zugriff auf das Grundwasser In anderen Stadtteilen dagegen gibt es außer den gemeinschaftlichen und öffentlichen Wasserversorgungen auch Zugriffe auf Grundwasser. Während gerade die bergseitig gelegenen Stadtteile durchgängig mit Wasser aus dem Kargah oder Jutial Nala versorgt werden, nimmt die Wassermenge – in nālīs wie auch in den Rohren – in den nachgelagerten Stadtteilen teilweise ab und das Wasser der nālīs ist zunehmend verschmutzt. Auch dann werden Alternativen zu gemeinschaftlichen bzw. öf-

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fentlichen Wasserversorgungsangeboten notwendig. In Kashrot und Sonikot z.B. – Stadtteilen, die mehreren anderen Stadtteilen nachgelagert auf der Ebene Gilgits liegen – haben viele Familien ab den 1990er Jahren begonnen, auf ihren Grundstücken Brunnen auszuheben, aus denen sie ihren Wasserbedarf über das Grundwasser abdecken können.48 Allerdings sind nur die wenigsten Pumpen auch manuell bedienbar und werden in der Regel mit Strom betrieben. Entsprechend war in Kashrot vielen Gesprächspartnern und -partnerinnen Strommangel weitaus bedeutender als der Wassermangel in den öffentlichen Rohren. Nicht alle Familien haben allerdings die Möglichkeit, sich auf diese Weise Zugriff auf Wasser einzurichten. Gerade wenn die Grundstücke klein sind, bleibt oft nicht viel Platz, um sowohl ein sogenanntes gutter-system mit Senk- und Sickergruben für Toilettenwasser als auch einen Brunnen auszuheben. Platzmangel ist dabei ein Problem, das sich durch alle dichter besiedelten Stadtteile zieht: Mit der Zunahme der Bevölkerung und abnehmenden Möglichkeiten und Präferenzen, sich ungesehen auf dem Feld oder in ṭaṭṭi ḵhāna, abgeschirmten Trockentoiletten, zu erleichtern, haben mittlerweile alle Haushalte Badezimmer mit Toiletten, deren Abwasser in den Boden geleitet wird – ein Luxus, der in den 1990er Jahren zunächst als Gästetoiletten Einzug hielt. Darüber hinaus werden durch Vererbung und Verkauf auch die Grundstücke durchschnittlich immer kleiner – Grundstücke, die in den Jahren 2011 bis 2014 angeboten oder bebaut wurden, umfassten zumeist nur noch 0,5 oder 1 kanal.49 Mit den immer kleiner werdenden Grundstücken sind außerdem die Freiflächen um die Häuser, die als Sickerflächen oder -gruben verwendet werden können, ebenfalls immer kleiner geworden – ein Problem, dass sich durch alle Stadtteile zieht: Die Gruppe von Nachbarn in der Benazir Colony in Zulfiqarabad hatte erklärt, es seien die NGOs gewesen, die das gutter-system eingeführt hätten. Wie sie kritisierten, seien sie nach dem Bau damit allerdings alleingelassen worden. Nun hätten sie das Problem, gefüllte Gruben regelmäßig entleeren zu müssen; Für den Aushub weiterer Gruben seien ihre Grundstücke zu klein. Auch in Kashrot hatten Bewohner auf dasselbe Problem hingewiesen. Zwar könne man eine Grube bis zu 20 Jahre lang benutzen, dennoch sei es oft auch schon früher notwendig, sie zu leeren, z.B. wenn die Bakterienstämme in den Gruben durch Seifen oder Waschmittel absterben. Im Notfall müssen dann Arbeiter bestellt werden,

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V.a. auf der Ebene Gilgits reicht das Grundwasser bis wenige Meter unter der Oberfläche. In manchen Nachbarschaften Kashrots und Nagrels ist das Grundwasser aufgrund der Ableitung von Abwasser in den Boden in manchen Monaten so hoch, dass das Grundwasser an die Oberfläche steigt und Pfützen bildet.

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Kanal ist eine in Südasien gängige Flächeneinheit, die unter den Briten auf ⅛ Morgen standardisiert wurde, also ca. 22,49 * 22,49m bzw. 505,9m2.

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die die vollen Gruben ausheben und den Inhalt wegtransportieren oder vergraben.50 Sei dies nicht möglich, z.B. weil die Grundstücksgröße es nicht erlaube, die Inhalte zu vergraben, oder weil die Gassen zum Haus hin zu eng seien, müsse der Inhalt in die Bewässerungskanäle gekippt werden. Gleichzeitig sind es in Kashrot ebenjene Senk- und Sickergruben, die zunehmend den Bau von Brunnen verhindern. Wie Misbah, eine Gesprächspartnerin in Kashrot, erklärte, habe die Familie ihres Mannes lange Zeit einen Brunnen an der Rückseite des Hauses gehabt. Wie Misbah und ihr Mann erklärten, hatte es während der Regierungszeit Musharrafs Anfang der 2000er Jahre auch in Gilgit bemerkenswerte Veränderungen gegeben, was die Bereitstellung von Strom und Wasser betraf. Nachdem sich die öffentliche Wasserversorgung spürbar verbessert hatte, hatten sie beim Bau eines weiteren Zimmers diesen Brunnen in eine Sickergrube umgewandelt. Nachdem Musharraf aber 2007 nicht für eine weitere Amtszeit gewählt wurde, seien Strom und Wasser umgehend wieder ausgeblieben. Für einen neuen Brunnen reiche aber nun der Platz nicht mehr aus, insbesondere im Hinblick darauf, dass jeglicher neue Brunnen nun hinter dem ehemaligen Brunnen – nun Sickergrube – liegen würde und das Grundwasser dann vom eigenen Abwasser verschmutzt würde. Misbah erzählte mir dies zwar mit Bedauern, wenngleich ihr der Wassermangel nicht allzu viele Sorgen zu bereiten schien. Das Wasser aus den Leitungen sei zwar nicht ausreichend, allerdings könne sie alternativ auch von ihrem Schwager nebenan mit einem Schlauch Wasser aus deren Brunnen in den Wassertank auf ihrem Dach pumpen oder zur Not aus dem Haus ihrer Eltern ein paar Häuser weiter holen.51

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Arbeiten mit bestimmten, als unrein konzipierten Materialien wie insbesondere Abfall und Exkrementen werden in Pakistan – und seit einigen Jahrzehnten auch in Gilgit – v.a. von Christen übernommen. Wie Beimborn (2014) zusammenfasst, ist die Arbeit mit unreinen Materialien eine unehrenhafte Arbeit, die stigmatisiert. (Im Umkehrschluss wird sie z.T. von Stigmatisierten übernommen, u.a. von Menschen mit Behinderung oder psychischen Störungen.) Nach Gilgit waren die christlichen sweepers zunächst über Anstellungen als sweeper in der Armee gekommen. Seit den 1980er Jahren haben manche von diesen ihre Familie nach Gilgit nachgeholt. Die christliche Minderheit von ca. 50 Haushalten hat seitdem auch in Gilgit den Reinigungssektor übernommen und mittlerweile ein Monopol hierauf. Gerade Stellen in öffentlichen Einrichtungen oder der Armee bieten eine annehmbare Bezahlung und ein sicheres Einkommen – woraus in Gilgit eine Rivalität zwischen zwei christlichen Familien um die alle zwei Jahre vergebenen Aufträge der öffentlichen Einrichtungen erwachsen ist (ebd.: 77).

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Solche reziproken Beziehungen bestehen durchaus, wobei das Geben und Nehmen unterschiedliche „Gaben“ wie Wasser, Haushaltsgegenstände oder Nahrungsmittel um-

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Darüber hinaus hegten allerdings auch Misbah und andere Familien Zweifel, ob das Wasser aus den Brunnen tatsächlich noch „natürlich gefiltert“, oder nicht doch durch die vielen Sickergruben in der Nachbarschaft verschmutzt sei. Eine Gesprächspartnerin in Misbahs Nachbarschaft z.B. erklärte mir, dass auch ihre Familie ihren Brunnen mittlerweile aufgegeben habe, nachdem ein Nachbar nach einem Streit seine neue Sickergrube direkt an der Grundstücksgrenze ausgehoben hatte, nur wenige Meter oberhalb ihres Brunnens. Zwar argumentierten die meisten Familien, auch wenige Meter zwischen Sickergrube und Brunnen reichten schon aus, dass das Grundwasser wieder „natürlich gefiltert“ würde. Dennoch nehmen auch hier bei vielen Zweifel zu, seitdem UNICEF52 vor einigen Jahren das Wasser verschiedener Brunnen in Kashrot getestet und beschieden hatte, dass es als Trinkwasser nicht geeignet sei. Räumliche Zusammenhänge und Abhängigkeiten Während viele Reaktionen bezüglich der Frage nach der Wasserqualität und -menge eher emotionslos waren, war dies aber nicht immer der Fall. Seema z.B., eine Freundin in Kashrot, erklärte mir auf meine Feststellung hin, dass ich in ihrem Bad kein Wasser mehr vorgefunden hatte, um mich nach dem Toilettenbesuch zu reinigen, dass sie am Morgen kein Wasser aus den Leitungen hatten bekommen können. Auf meine Nachfrage, wie viel Wasser sie zurzeit durch die öffentlichen Leitungen bekommen würden, antwortete sie gequält: „Why [do you] make me cry? They give this much water. Just so little. (Hamēñ kyōn rulāti ho? Itna pāni dēte. Thōṛa sa.) Nowadays they give water according to schedule, and right now not at all. And in the morning, when the water came, there was no electricity.“ Strom ist nötig, um das Wasser in den Tank auf dem Dach zu pumpen, von wo aus es in die Hausleitungen geht. „And now there will be electricity, but no water. Thatʼs it. In this way we live like this, happily ignorant. With not even enough water to wash our faces. (To ham isi tarah ḵhushi mēñ phirte. Muh dhōne ke liyē pāni bhī nahīñ.)“ Wie Seema sind viele Frauen in Kashrot mit der Problematik konfrontiert, dass Kashrot zwar traditionelle Rechte am Wasser des Kargah hat, dies aber trotzdem nicht immer in ausreichend Leitungswasser übersetzt wird. Wie in Seemas Familie ist der Tank vieler auf dem Dach installiert. Allerdings ist mit dem Anschluss von einer immer steigenden Zahl an Leitungen der Druck in den öffentlichen Leitungen so niedrig geworden, dass das Wasser nur noch aus den Rohren plätschert, anstatt, wie

fasst. Dennoch nahm dies keinen prominenten Platz in Gesprächen ein, im Gegensatz z.B. zu einer Nachbarschaft Cochabambas, Bolivien, in der gegenseitiges Aushelfen mit Wasser einen zentralen Stellenwert einnahm, wie Wutich (2006a, 2011b) darlegt. 52

United Nations International Childrenʼs Emergency Fund.

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ursprünglich eingerichtet, mit Druck direkt in den Tank auf dem Dach zu fließen. Entsprechend haben viele Familien, die sich dies leisten wollen und können, einen Motor an die Leitung angeschlossen und pumpen das Wasser direkt auf das Dach – was wiederum aber nur möglich ist, wenn Wasser und Strom gleichzeitig kommen. Viele argumentierten daher, wie auch Seema, dass weniger der Mangel an Wasser das Problem sei als der Mangel an Strom. In dem Gespräch mit dem ehemaligen WASA-Mitarbeiter Sajjad Ahmed sprach ich auch dieses Problem an. Sajjad Ahmed allerdings erklärte, dass Wasser und Strom nicht gleichzeitig ausgegeben würden und dass dies auch nicht beabsichtigt sei. Schließlich sei es auch nicht das Problem der Departments, wie die Leute das Wasser handhabten, sobald es ihr Grundstück erreiche. In keinem Fall jedoch sei es rechtmäßig, Pumpen an die Leitungen anzuschließen, um das Wasser zu saugen. Ob das Wasser mit mehr oder weniger Druck komme und auf welche Weise das Wasser für den Hausgebrauch auf das Dach komme, sei ebenfalls nicht Problem der Departments. Eine Möglichkeit ist es entsprechend, das Wasser zunächst im Boden in einer betonierten Zisterne zwischenzuspeichern und es bei Ausgabe von Strom in den Tank auf dem Dach zu pumpen, wie Uzair, Seemas Cousin erklärte. Allerdings würden z.B. in Kashrot viele Anwohner fürchten, dass das Wasser dann wiederum über das Wasser der Sickergruben der Nachbarn verschmutzt werde. Das Wasser direkt aus den Leitungen zu saugen sei dagegen moralisch komplett unzulässig, erklärte Uzair empört – auch wenn nun beinahe alle Familien in seiner Nachbarschaft auf diese Handhabe zurückgreifen würden. Diejenigen, die sich keine Pumpe leisten können, würden dann völlig auf dem Trockenen sitzengelassen. So z.B. seine Großmutter Dadi Yurmas, die, wenn es kein Wasser gebe, missmutig kommentiere, jemand müsse wohl eine Pumpe angeschlossen haben („kisine [apne pamp ko] lagāyā hōga“). Entsprechend würde Dadi Yurmas auch eher wütend auf ihre Nachbarn als auf das Department, wenn zur gewöhnlichen Zeit kein Wasser komme. Immer noch viele Familien auch in Kashrot sind entsprechend weiterhin auf das Wasser angewiesen, das sie allein über den natürlichen Druck durch die Leitungen erreicht, entweder weil sie gegen das Saugen von Wasser aus den Leitungen sind oder sich keinen Motor und keinen Tank auf dem Dach leisten können. Manche speichern Wasser nur in Gefäßen oder Fässern in der Nähe des Wasserhahns und nutzen Wasser zum Waschen und Spülen v.a. in den Stunden, wenn es ausgegeben wird. Saima z.B., die mit ihrer Familie in Kashrot zur Miete in einem kleinen Haus aus Lehmziegeln wohnt, unterbrach unser Gespräch jäh, als das Wasser anfing, nach und nach aus der Leitung zu spritzen, und begann, Geschirr zu spülen. Diese kurze Zeit müsse sie jetzt nutzen, erklärte sie, bevor in einer viertel Stunde der Strom komme, ihre Nachbarinnen ihre Motoren anschalteten und das Leitungswasser in ihre Tanks saugten und dadurch bei ihr kaum noch Wasser ankäme. Einen ei-

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genen Motor könne sie sich nicht leisten. Ohne Motor und ohne Tank auf dem Dach sei es zwar mühsam, aber immerhin kämen Wasser und Strom nicht immer zur selben Zeit, sodass ihr das Wasser an manchen Tagen die ganze volle Stunde zur Verfügung stünde. Wasserlieferungen in Containern und tankers In den neuen Siedlungen wie Zulfiqarabad und den „backside colonies“ von Jutial, aber auch auf der gegenüberliegenden Flussseite in Sakarkui und Konodas, ist dagegen Wasser mindestens temporär im Frühjahr, eigentlich aber dauerhaft knapp. Immer wieder müssen die Bewohner dieser Siedlungen daher auf artisanale Lösungen zurückgreifen und sich – wenn sie nahe genug am nāla oder Fluss wohnen – Wasser z.B. mit Schubkarren und Eimern holen oder über tankers bestellen. Diese liefern Wasser gegen Bezahlung von zwischen Rs.1000 und 1600 pro Fahrt, abhängig von der Distanz zwischen Abnehmer und Wasserquelle. Soll das Wasser vom tanker aus direkt in einen Tank auf ein Dach gepumpt werden, werden Rs.100 extra fällig. Neben Slogans wie „sauberes Quellwasser verfügbar“ („chashme ka sāf pāni dastiyāb“) sind auf den meisten Wassertanks in großen Zahlen die Mobilfunknummer des Fahrers gemalt, sodass Kontakt auch „im Vorbeigehen“ aufgenommen werden kann. Um die 15 tankers gebe es in Gilgit, erklärte mir ein tanker-Fahrer, mit dem ich die Gelegenheit zu sprechen hatte, als ich einen Gang an den Fluss auf das Grundstück des Bekannten machte, das er vor Kurzem für tanker-Fahrer zugänglich gemacht hatte (siehe Abb. 9, 12).53 Deren Fahrer würden sich untereinander kennen und sich, sei genug zu tun, auch gegenseitig auch Aufträge weitergeben. Während er in den anderen Jahreszeiten mit Traktor und Anhänger Baumaterialen transportiere, mache er im Frühjahr nur Fahrten mit dem Wassertank, erklärte der Fahrer weiter – um die sechs Fahrten täglich, wie er angab, wobei dies auch auf das Wetter ankomme: Je später aber das Wetter im Frühjahr warm werde, desto mehr würde

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Wie ein Fahrer erklärte, hatten er und andere Fahrer das Wasser in den letzten Jahren von einer Stelle noch weiter flussaufwärts geholt, aber nun mit Haji verhandelt, dessen Grundstück näher an denen den meisten Kunden ist. Dieser habe daraufhin einen Weg zum Fluss geebnet – eine Investition, die er nach dem ersten Jahr über die Gebühren, die er für die Anfahrt der tankers verlangt, sowie aus dem Verkauf von Schwemmsand wieder eingeholt haben musste: Wie Haji vorsichtig schätzte, kämen zumindest im Frühjahr 15 bis 25 Traktoren täglich und pro Zufahrt zahlten die tanker-Fahrer Rs.50. Geht das Wasser im Herbst zurück, kann er außerdem Schwemmsand verkaufen, der sich an einer Stelle seines Grundstücks absetzt und beim Zurückgang des Wasserstands im Herbst zugänglich wird; eine Ladung Sand verkaufe er für Rs.300.

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Wasser über die tankers bestellt werden, insbesondere in die neuen Siedlungen Jutials und Zulfiqarabads. Je nachdem, was die Kunden bestellten, holten sie das Wasser vom Fluss, aus dem Kargah oder von einer Quelle in Danyor. Da aber der Fluss von den meisten Kunden aus am nächsten zu erreichen sei, sei Flusswasser am billigsten und die Nachfrage am größten. Wie er erklärte, liefere er das Wasser, das er momentan aufgenommen habe, nach Jutial, wo seine Kunden es zum Bauen eines neuen Hauses und zum Bewässern des Gartens bestellt hätten – auch wenn ihm durchaus bewusst war, dass das Wasser zumeist als Haushalts- und Trinkwasser verwendet wird.54 Abbildung 12: Tankers am Gilgit Fluss

Quelle: Autorin 2014

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Als ich später ins Hotel zurückkehrte, bekam ich einen Anruf und eine Nachricht von Haji, dem Besitzers des Flussgrundstücks. Nachdem ich gegangen sei, habe einer der Fahrer, mit denen ich mich unterhalten hatte, ihm beim Bezahlen „gebeichtet“, dass er mich leider angelogen habe: Er habe nicht einordnen können, für wen ich arbeiten würde und habe Befürchtungen dabei gehabt, zuzugeben, dass das Flusswasser, das er liefert, durchaus auch als Haushalts- und Trinkwasser verwendet wird. Daher habe er behauptet, es sei nur Bau- und Bewässerungswasser.

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Auf meine Frage hin, ob sie eher an reiche oder arme Haushalte liefern würden, verzog der Fahrer sein Gesicht: Ärmere Familien könnten sich solche Ausgaben nicht leisten. Auch wenn sie ihnen einen Nachlass von Rs.200 geben, seien Rs.800 immer noch eine große Summe.55 Der größte Teil des Gewinns geht an die Besitzer der Traktoren und tankers: Im Frühjahr (von Februar bis April und in manchen Jahren bis in den Mai) liege der Gewinn – je nach Wetter und Schneeschmelze – bei um die Rs.80.000 monatlich. Davon verdienten die Fahrer selbst um die Rs.15.000 pro Monat (ein Gehalt, das dem eines niedrigen Angestellten oder einfachen Lehrers gleicht). In den Zeitungen finden sich entsprechend regelmäßig Beschwerden von Bewohnern Gilgits über die sogenannte tanker mafia. Dabei zielen solche Artikel, wie mit dem Titel „Aufgrund der Wasserknappheit verdient sich die TankerMafia eine silberne Nase“ (Daily Bād-e-shumāl, 29.09.2015) in den lokalen Zeitungen m.E. darauf ab, Regierungsinstitutionen darauf zu drängen, die Wasserversorgung zu verbessern bzw. Dienstleistungen zu erfüllen und für „Recht und Ordnung“ zu sorgen.56 Nachbarschafts-Wasserkomplexe Manche Gesprächspartner erwähnten auch die regelmäßigen Ausgaben, die sie für Wasser aufbringen müssen. Zu den Ausgaben für tanker-Lieferungen oder für abgefülltes Mineralwasser seien außerdem die Kosten für die Medikamente zu rechnen, die durch wasserübertragbare Krankheiten aufkämen. Wie v.a. Gesprächspartner_innen in den neuen Siedlungen argumentierten, böten sich daher durchaus langfristige und umfassende Lösungen an, v.a. über sogenannte self-helpGemeinschaften auf nachbarschaftlicher Ebene. Diese replizieren traditionelle Dorfgemeinschaften und kümmern sich in Eigenregie um den Bau der Infrastruktur, deren Instandhaltung und Verwaltung. Ihnen ist nachfolgend das Kapitel „‚Verfügbar durch Selbsthilfe‘“ gewidmet. Zunächst werden aber die mit der zunehmenden Urbanisierung entstehenden Problematiken, die sich v.a. in Wasserverschmutzungen manifestieren, sowie unterschiedliche Reaktionen darauf diskutiert.

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Von den Rs.800 bis 1000 würden ca. Rs.400 bis 500 pro Fahrt für Benzin (für Fahrt und

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Der darauffolgende Artikel in der Daily Bād-e-shumāl prangert an, dass es im DHQ

das Betreiben der Pumpe) benötigt. Hospital keine Röntgen-Filme mehr gebe und sich Ärzte und Ärztinnen in ihren privaten Praxen (ebenfalls) „eine silberne Nase“ verdienten; viele Bewohner Gilgits sprechen neben einer tanker mafia auch von einer timber mafia, die in Diamer Wälder als cash crops abholze sowie von einer land mafia, die die Grundstückspreise in Gilgit hochtreibe.

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WASSERQUALITÄT UND DER VERLUST (ALTER) GEWISSHEITEN Wie Bakker (2003) zusammenfasst, sind politische Aspekte betreffs Wasser zumeist sehr offensichtlich: Wasser verbindet Individuen und Ökosysteme, überschreitet geopolitische Grenzen, trotzt Rechtsprechungen, verbindet oder entzweit vorgelagerte und nachgelagerte Nutzer_innen, fördert Zusammenarbeit oder Konkurrenz und ruft Konflikte über Nutzung und Ableitung hervor. Wasser ist daher im herkömmlichen Sinn politisch: es ruft Macht- und Autoritätsbeziehungen hervor. Wasser ist darüber hinaus aber auch „bio-politisch“: Es ist Überträger von Verschmutzungen und (Krankheits-)Keimen und verbindet Individuen und Gesellschaft („the collective body politic“). Moderne Regierungen versuchen daher – vgl. die Foucaultʼschen Analysen – Wasserressourcen und individuelle Wassernutzungspraktiken zu optimieren, um so Gesundheit und Produktivität der Bevölkerung sicherzustellen. Diese Kontrolle wird durch formelle Regulierungen aber auch durch die Normalisierung neuer kultureller Ästhetiken von Sauberkeit, Gesundheit und Hygiene ausgeübt (ebd.: 190). Solche neue Ästhetiken und v.a. die Bildung formeller Institutionen, Regulierungen und Organisationen bilden sich derzeit in Gilgit heraus. In Gilgit ist die Verbindung mit Gesundheitsanliegen vorrangig und wird v.a. vom Entwicklungssektor stark vertreten. Von staatlicher Seite her werden sie allmählich auch in politischen Richtlinien und Organisationen wie der Environmental Protection Agency (EPA) institutionalisiert. Als Referenz dienen meist die Richtlinien der Vereinten Nationen wie die „2000 Millennium Developmental Goals“, Veröffentlichungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder der Weltbank. So wurde z.B. mit der Gründung der EPA 2006/7 ein Instrument geschaffen, die Verschmutzung von Wasserressourcen zunächst zu überwachen, Bewusstsein für Verschmutzung zu schaffen sowie Gegenmaßnahmen zu entwerfen. Mit Agrawal (2010: 212) kann dies als eine Hinwendung zu einer Politik der Umwelt, „politics of the environment“, im öffentlichen Diskurs bezeichnet werden, aufgrund welcher Umweltpolitik, „environmental politics“, betrieben wird (vgl. auch Carter 2007). Wie Agrawal (2010) argumentiert, wird in der Politik der Umwelt durch Zusammenarbeit diverser Institutionen zunächst die Idee vorangetrieben, umweltbewusste Akteure, „environmental subjects“, zu schaffen. Zentrale Elemente hierin sind Politik zu Entwicklung und natürlichen Ressourcen, Medienberichte und eine zunehmende Governmentalisierung der Umwelt. Darüber hinaus wird die öffentliche Aufmerksamkeit auf Erfahrungen und Wahrnehmungen von Wandel in der Verfügbarkeit von Ressourcen gelenkt (ebd.: 207-8). Entsprechend wird die Besiedelung der Gebirgsregion Gilgit-Baltistan und insbesondere Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zunehmend als Bedrohung der „natürlichen Umwelt“ – oft im

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Sinne der bevölkerungslosen Bergwelt – dargestellt. Gesprächspartner wie auch Nichtregierungsorganisationen machen dabei diverse „bedrohliche“ Faktoren aus, darunter die stark ansteigende Bevölkerung, der Ausbau von Infrastrukturen und die Zunahme von Mobilität, eine zunehmende Urbanisierung und der verstärkte Anschluss an die Märkte Pakistans und Chinas (siehe z.B. AKRSP/UN-Habitat Organization/GBPI 2011). Deutlich wird dies z.B. in einer 2003 veröffentlichten Serie an Strategiepapieren zu nachhaltiger Entwicklung,57 die sich mit Wandel in diversen Sektoren und Themen in den „Northern Areas“, d.h. dem heutigen GilgitBaltistan, befasst. In den Vorworten findet sich der Hinweis, welch bedeutende Rolle der Region für eine nachhaltige Entwicklung Pakistans zukommt. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Wasserressourcen für die Versorgung Pakistans mit Wasser und Strom, daneben aber auch auf die Region als Hort einer großen Biodiversität und nicht zuletzt als Tourismusmagnet. Diese natürlichen Ressourcen, die in den letzten Jahren – insbesondere seit dem Bau des KKH und im Licht der schnell wachsenden Bevölkerung – zunehmend bedroht seien, gelte es nun zu schützen (z.B. Raza 2003: vii). Zunehmender Wohlstand, leichter Zugriff auf natürliche Ressourcen sowie mangelnde Bildung bezüglich nachhaltigen Umgangs mit Umwelt und natürlichen Ressourcen werden als Hauptursachen für zunehmende Umweltverschmutzung und gesundheitliche Probleme dargestellt (ebd.: 5).58 Vergleichbar wird auch in einer Veröffentlichung der EPA (GB EPA o.D. [2013]) vermerkt, dass es bislang keine nennenswerten Maßnahmen gegeben habe, unter der Bevölkerung Wissen über die Konservierung von Wasserressourcen oder die Kon-

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Veröffentlicht von IUCN (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources) unter der „Anleitung“ des Planning and Development Department und finanziert durch die Ministerien für Entwicklungshilfe und -zusammenarbeit der Schweiz und Norwegens. Die Serie umfasst Beiträge zu Landwirtschaft und Ernährungssicherheit, Biodiversität, Wald, Wasser, Ödland und Viehhaltung, Management natürlicher Ressourcen, nachhaltiger Entwicklung, Geschlechter, Gesundheit, Kommunikation, Governance, Nichtregierungsorganisationen, Privatsektor, Gewohnheitsrechten, Energie, Bildung, Bevölkerungswachstum und Armut, nachhaltigem Tourismus und kulturellem Erbe sowie Urbanisierung.

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Ohne (zuverlässige) Daten beziehen sich die Autoren der Strategiepapiere, wie z.B. das zu Urbanisierung (Raza 2003), zumeist auf Schätzungen oder Zahlen, die nur offiziell registrierte Fälle umfassen, nicht aber die hohe Zahl an nicht-registrierten. Als Referenz für mangelnde Primärdaten wird vergleichsweise z.B. auf Aussagen der WHO verwiesen, wie z.B. auf die Annahme, dass mehr als 80% der Krankheiten in „Entwicklungsländern“ verschmutztem Wasser oder unzureichenden sanitären Einrichtungen zuzuschreiben seien (ebd.: 9).

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sequenzen vom Gebrauch verschmutzten Wassers zu verbreiten. Selbst Angestellte des Public Health Engineering Department (PHED) und des LG&RD besäßen, so das Dokument, kein Wissen darüber, wie Wasser zu behandeln sei, um „sicheres Trinkwasser“ zu erhalten (ebd.: 16). Demgegenüber wurden Verschmutzungen von Wasserressourcen und Wasserwegen sowie deren Eigenschaften und Ursachen von meinen Gesprächspartnern und -partnerinnen vergleichsweise intensiv diskutiert – wenngleich hieraus nicht immer entsprechende Konsequenzen für den Konsum von und Umgang mit Wasser resultierten. Transformationen von Wasser und Infrastrukturen Mit der zunehmenden Verstädterung – ein Begriff, mit dem ich mich v.a. auf den Bevölkerungsanstieg, die höhere Besiedelungsdichte und die zunehmende Zahl kleiner Betriebe beziehe – wurden die Wasserwege in der Innenstadt selbst eher zu Abwasserwegen. In diese leiten die Anlieger ihr Küchen- und Badezimmerabwasser sowie das Waschwasser; auch das Abwasser der Barbiere, Blut und Abwasser der Schlachter sowie Abwasser und Altöl von Autowerkstätten, die größtenteils in der Innenstadt angesiedelt sind, wird direkt in die kūls und nālīs geleitet; nach dem Streichen werden Farb- und Lackreste ebenfalls in die nālīs gekippt. Entsprechend erklärte Sajid, der Mann meiner Freundin Seema, das größte Problem sei, dass die Regionalregierung die Probleme nicht in die Hand nehme. Da es keine Abwasserkanalisation gibt, müssten sich die Leute selbst ihres Abwassers entledigen – was eben dazu führe, dass alle ihr Abwasser in kūls und nālīs leiteten. Allein für Exkremente würden seit der Einführung von Toiletten in den letzten Jahrzehnten Senk- und Sickergruben ausgehoben, wobei sich auch hier die Problematik zunehmenden Platzmangels abzeichnet und in manchen Fällen die Exkremente ausgehoben und wiederum im nālī „beseitigt“ werden. Eigentlich sei die Praxis, Abwasser derart abzuleiten lange Zeit unproblematisch gewesen, bis die Bevölkerung begann, stark anzusteigen und die Grundstücke immer dichter besiedelt wurden. Noch in seiner Jugend in den 1980er Jahren habe es in ihrer direkten Nachbarschaft nur zwei weitere Häuser gegeben, so Sajid. Nun sei aber ringsherum beinahe alles bebaut und Sickergrube an Sickergrube. Wie auch Hardin (1968) zum Problem der Verschmutzung von Allmendegütern („common pool resources“) und zunehmender Bevölkerung schreibt, gestaltet sich dies in Städten einfach anders als in schwach besiedelten Gebieten: „using the commons as a cesspool does not harm the general public under frontier conditions, because there is no public; the same behavior in a metropolis is unbearable“ (ebd.: 1245). Mit dem steigenden Wasserkonsum und dem Leiten von Abwasser und anderen Restflüssigkeiten in die nālīs bleiben diese fast durchgängig voll. Auch im Frühjahr, wenn die Kanäle am Kargah für mehrere Tage komplett verschlossen werden um Reparaturen und Reinigungs-

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arbeiten durchzuführen, trocknen viele nālīs und kūls mittlerweile nicht mehr aus; sie zu säubern (vgl. Abb. 5) ist auch deswegen eine Aufgabe, die zunehmend ungern übernommen wird. Gleichzeitig begründeten – und entschuldigten – die meisten Gesprächspartner_ innen die Handhabung, auch das eigene Abwasser direkt in die nālīs zu leiten, damit, dass das Wasser eh schon verschmutzt sei. Gesprächspartner_innen in der Ebene Kashrots und Sonikots erklärten außerdem, dass aufgrund der wachsenden Zahl von Toiletten mit Wasserspülung der Grundwasserspiegel in Kashrot deutlich angestiegen sei. Leiteten sie nun ihr Abwasser in den Garten, bliebe das Wasser stehen, statt zu versickern – ein Problem, das ich tatsächlich bei einer Familie in Sonikot selbst sehen konnte. Andere erklärten, dass das Seifenwasser den Pflanzen im Garten abträglich sei und sie daher das nālī-/Abwasser nicht in den Garten leiten würden. Daher verwenden viele Bewohner_innen auch in „alten“ Siedlungen und insbesondere an den hinteren Kanalabschnitten das Wasser der nālīs nicht mehr zur Bewässerung. Stattdessen bewässern viele zumindest Garten und Gemüse mit Leitungswasser und begründen dies damit, dass das Wasser der Bewässerungskanäle so verschmutzt sei, dass Gemüse damit nur kümmerlich und z.B. Tomaten gar nicht wachsen würden. So verschieben sich z.B. in Kashrot und Sonikot, wo die Bewohner_innen auf einen hohen Grundwasserspiegel zugreifen können, Infrastrukturen und ihre Nutzungen folgendermaßen: Brunnenwasser wird zu Trink- und Haushaltswasser; Leitungswasser zu Wasser für die Bewässerung; Bewässerungskanäle werden dafür genutzt, Abwasser aus Küche und Bad abzuführen.59 Für Kashrot und Sonikot kann z.B. die zu Beginn aufgestellte Kategorisierung dergestalt erweitert werden: Bewässerungswasser

:

Kanäle

>

Abwasser

Haushaltswasser Trinkwasser

: :

öffentliche Leitungen Filtrationsanlagen

> >

Bewässerung Trink-/Haushaltswasser

Brunnen

>

Trink-/Haushaltswasser/Bewässerung

„Natürlich sauber“ Der Bevölkerungsanstieg sei dabei nur ein Faktor, erklärte z.B. Professor Akhter Hussain. Schwerer wiege die zunehmende Verantwortungslosigkeit der Leute: „You know, the people say that the change came because the population grew. But actually nowadays the people take it lightly.“ Wie er weiter ausführte, hänge die 59

Zwar nutzen gerade Besitzer von größeren Feldern, die hier und da noch bestellt werden, das nālī-Wasser auch zur Bewässerung. Allerdings sei dies auch der Grund für oft spärliche Erträge, wie manche erklärten.

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zunehmende Verschmutzung der Wasserwege in der Stadt mit der veränderten Ökonomie zusammen. Zum einen habe sich die Art des Schmutzes verändert. So seien „früher“ nur lokale Materialien zu Abfall geworden – Materialien, die sich entweder zersetzten oder durch Tiere „entsorgt“ wurden. So seien die nālīs allein durch Sand und Fäkalien verschmutzt worden, welche sich problemlos auf den Feldern ablagern konnten und darüber hinaus eine Düngefunktion übernahmen. Dagegen seien die Verschmutzungen heute anderer Art: Substanzen, derer man sich nicht mehr so einfach entledigen könne wie z.B. Plastik oder Glas, aber auch MotorenAltöl, Waschmittel, Lacke und Farben, Seifen und Laugen etc. Darüber hinaus seien die Menschen nachlässig gegenüber ihrer direkten Umwelt geworden und entledigten sich des Mülls zumeist in ihrer unmittelbaren Umwelt, d.h. den Wegen und Wasserwegen, was – wie viele Gesprächspartner_innen erklärten – „früher“ verboten gewesen und geahndet worden sei.60 Dabei sei dies eine Veränderung, die sich erst in den letzten Jahren so drastisch verstärkt habe. So beschrieben Akhter Hussain, wie auch andere Gesprächspartner, die Handhabung von Wasser in Kindheit und Jugend, in der Trinkwasser noch aus den Kanälen entnommen wurde: „In old times, up to 1999, we were drinking from the kūls [nālīs, A.G.]. I remember, when I was a kid, down there was a gulko, and we went there and [from there we] drank [the water] from that kūl. There was a wooden bucket on a stick – at that time [in my childhood] there was no tin and these things – so from that we drank the water. It was really cold and clean. At that time the water was clean and there were hardly any diseases related to water.“

Morgens, noch bevor die tägliche Arbeit begann, wurde das noch saubere Wasser für den Gebrauch in gulko genannten Zisternen gespeichert: kleinen, meist mit Steinen abgesicherten Erdlöchern, in denen sich im Lauf des Tages die Sedimente im Wasser absetzten. Aus diesen konnten umliegende Haushalte, wie auch vorbeikommende Reisende, jederzeit Wasser schöpfen, wenn das Wasser in den Kanälen und nālīs im Lauf des Tags durch Spül- und Abwasser, das Waschen von Kleidung oder passierende Tiere zunehmend verunreinigt wurde. Mehrere ältere Gesprächspartner beschrieben mit leuchtenden Augen, wie sie bis in ihre Jugend auch direkt

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Wie ein Gesprächspartner erklärte, sei die Verschmutzung von Wasser im Islam streng geachtet. In der Vergangenheit seien Gebote zur Reinhaltung und Verbote gegen Verschmutzung streng eingehalten worden. Nun aber würde Müll, Abwasser und Dreck in Kanälen und Fluss entsorgt. Dies, so erklärte er, liege daran, dass die Bevölkerung heutzutage keine Muslime mehr seien, sondern Verbrecher, Diebe, Lügner, Betrüger und Terroristen: d.h. auf den eigenen Vorteil bedacht und ohne Rücksicht auf Besitz und Rechte anderer.

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aus den nālīs tranken: „When we were young“, erklärte mir auch Aslam Pervez, Onkel meiner Freundin Seema, und wechselte vom Schneidersitz auf die Knie, „we used to drink the water directly from the nālī. We just stopped anywhere and came down and just…“ Während er sich wie zum Gebet dem Boden näherte, sich zunächst auf den Handflächen abstützend, beugte er sich vor und begann, mit der rechten Hand aus einem imaginativen nālī vor sich zu schöpfen, die Hand zum Mund zu führen und, begleitet von einem tiefen „aah!“, zu schlürfen. „Aah! At that time the water was so cold and clean...“, schwärmte er weiter – eine Beschreibung, die ihn mit mehreren Gesprächspartnern über 60 verband, die, wie Aslam Pervez, ebenfalls die an den Gebetsablauf erinnernde Bewegung auf dem Boden wiederholten, aus der offenen Hand zu schlürfen begannen und von Zeiten schwärmten, als sie jederzeit auch direkt aus den nālīs trinken konnten. Während die Reaktionen gegenüber meinen Fragen nach Wasserversorgung in Gilgit oft mit Zurückhaltung oder Ratlosigkeit ob dessen begegnet wurden, was wohl zu erzählen sei, war die Wiederholung des Bückens und Schlürfens des kalten und klaren Wassers wiederholt Auslöser von Lächeln bis hin zu heiterem Grinsen. „If you do seven steps, then the water is clean“, erklärte Aslam Pervez weiter und lächelte, „that is what we think.“ Immer wieder erklärten Gesprächspartner, dass man, wolle man Wasser aus einem fließenden Gewässer trinken, nehme aber einer Verunreinigung wahr, nur sieben Schritte flussauf- oder abwärts tun müsse und dann ohne Bedenken trinken könne. Ebenso wurde immer wieder angebracht, dass das Wasser, sei es nāla-, Quell- oder Brunnenwasser, eigentlich natürlich sauber sei: „naturally filtered“. Das Mäandern durch die Gesteinsschichten führe unweigerlich dazu, dass Schadstoffe und Verschmutzungen aus dem Wasser gefiltert würden und das Wasser daher bedenkenlos trinkbar sei. Ein Gesprächspartner verwies auch auf eine Pflanze, die – nun nur noch in ländlichen Gegenden – am Rand der Wasserwege wachse. Deren Zweige reichten in die nālīs und entfalteten dort eine antiseptische Wirkung. In diesen Aussagen wird die Natur, inklusive des aus ihr entnommenen Wassers, als perfektes System gedacht, in dem der Mensch zunächst nicht enthalten ist bzw. dessen Verunreinigungen von der Natur selbst rückgängig gemacht werden. Mit der zunehmenden Verschmutzung der Wasserwege durch die wachsende Bevölkerung, ihre veränderten Konsumgewohnheiten und die Zunahme von Müll aus Konsumgütern hat die Natur allerdings keine Chance mehr, die Verschmutzungen rückgängig zu machen. Trotz Annahmen zur (selbst-)reinigenden Kraft fließenden Wassers sind Wasser und Wasserwege in Gilgit heutzutage stark verschmutzt. Die antiseptischen Pflanzen sind mit der massiven Verschmutzung abgestorben oder durch die betonierten Einfassungen verbannt worden. Fluss und Flussufer wurden zur Müllkippe, wo man sich der Windeln, Milchkartons, Plastikflaschen, Dosen und des Verpackungsmaterials, aber auch der Kadaver vergifteter Hunde entledigt,

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die die Klippe zum Fluss hinunter beseitigt werden. Neben Spritzen, Kanülen und Tablettenblistern der Krankenhäuser setzten sich in Flussbiegungen auch tawīz, Amulette mit Schutz- oder Schadenszaubernals Schwemmgut im Sand ab. Deren magische Substanzen sollen nach Gebrauch entweder im Feuer oder im reinen Wasser im Wasser neutralisiert werden – trotz aller Verschmutzungen wird der Fluss offenbar weiterhin als symbolisch rein gedacht.61 Doch die „effluents of affluence“ (Bakker 2003: 190, 2010: 55-6), darunter Plastikabfälle sowie Reinigungsmittel und Dünger der chemischen Industrien, Motorenöl, Lacke, Farben und andere Produkte, lassen es nicht mehr zu, dass sich Wasser noch „natürlich“ reinigt. Dabei zieht sich der Ansatz, Müll nur wegzuschaffen, anstatt ihn zu entsorgen, durch Gesellschaft, Regierung und öffentliche Einrichtungen: Bewohner, deren Häuser nahe der Flussklippe liegen, entledigen sich ihres Mülls, indem sie ihn die Klippe hinunterwerfen; ein Abschnitt entlang des nördlichen Flussufers wurde in den 2010er Jahren zur Müllhalde bestimmt, von wo aus der Müll allerdings aufgrund von Wind und Erosion des Hochufers langsam in den Fluss wandert; und auch öffentliche Krankenhäuser entledigen sich ihren medizinischen Mülls trotz spezieller Verbrennungsanlagen ebenfalls im Fluss. Dabei fange die Verschmutzung, wie viele Gesprächspartner erklärten, schon in den wasserführenden Seitentälern wie dem Kargah oder dem Jutial Nala an, in denen nun immer mehr Viehwirtschaft und auch Landwirtschaft betrieben würde. Auch in den nālas wachsen die temporären und permanenten Siedlungen, in denen dieselben Gewohnheiten praktiziert werden.62 Dies kam z.B. mit Jamhoor Ali, einem „alten“ Siedler und ehemaligen councillor (gewähltes Mitglied des Municipal Committee) Jutials, zu Gespräch. Dieser äußerte, wie auch viele Gesprächspartner in der Innenstadt, Bedenken gegenüber der Bevölkerung, die in den Seitentälern des

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Offenbar werden diverse magische Objekte im fließenden Wasser des Flusses „entsorgt“. Tawīz z.B. sollen so neutralisiert werden, wenn sie ihre Wirkung getan haben. Andere Schadenszauber werden dagegen in den Fluss geworfen, damit sie nicht wiederrufen werden können: Schadenszauber können z.B. an Vorhängeschlösser gebunden werden und heben sich erst auf, wenn das Schloss geöffnet wird. Um die Wahrscheinlichkeit, dass das Schloss geöffnet und der Zauber widerrufen wird, möglichst gering zu halten, können Schloss oder Schlüssel im Fluss unerreichbar gemacht werden.

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Während im Rahmen der Gewohnheitsrechte die „alten“ Siedler Gilgits bzw. der Stadtteile Baseen, Majini Mohalla und Kashrot Nutzungsrechte für das Kargah und die „alten“ Siedler von Jutial und Khomer für das Jutial Nala beanspruchen, gibt es Familien, die in den nālas Tierhaltung und zunehmend auch Landwirtschaft betreiben. Diese wurden von meinen Gesprächspartnern in Kashrot zumeist als gujjar bezeichnet – ein Begriff für ein ursprünglich nomadisches Hirtenvolk in Pakistan und Nordindien.

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Jutial Nala und des Kargah lebten – insbesondere im Hinblick darauf, dass diese das Wasser verschmutzen würden, welches Grundlage der (Trink-)Wasserversorgung der Stadt sei: „The results of the population (ābādiwāla silsila) have started to show now: the people have livestock and go inside [the nāla], and have settled the land there. That is also dangerous. They should be stopped. It is their forest. The forest has its own nature, its beauty. It should be kept in this way. That would be better for all.“

Im Jutial Nala lebten zwar nicht viele Familien – wie Jamhoor Ali schätzte, seien mittlerweile zwischen 15 und 20 Haushalte im nāla ansässig –, diese hätten aber nun Felder angelegt und hielten Nutztiere. Darüber hinaus kämen täglich an die 70 Männer aus der Stadt, die sich für einen oder wenige Tage im nāla aufhalten würden. Dung der Tiere sowie chemische Düngemittel und Seifenwasser würden so das Wasser schon im nāla verschmutzen und als Trinkwasser ungeeignet machen: „The normal water [from the Jutial Nala] which the normal public are using is like poison, in our opinion. However we have also gone through the laboratory testing and this shows that it is not fit for human drinking. It is so poisonous and life-taking. Since around twenty to thirty years the deaths which are happening in this area, most deaths are caused by the water. Due to this dirty water people have issues of hepatitis and if this will not be controlled in time it will become a life-taking issue for the residents and many people have already been victims of this water.“

Entgegen der in der ganzen Region üblichen Praxis, Nutztiere im Sommer auf Hochweiden in den nālas zu halten (vgl. Kreutzmann 2006, 2012b) – eine Praxis, die für Gilgit kaum noch vorhanden ist – wird die zunehmende Bevölkerung im nāla in den Aussagen Jamhoor Alis zu einer Bedrohung für die Gesundheit der Bewohner: das Wasser wird in seinen Worten sogar „giftig“ und „tödlich“, indem es Krankheitserreger von Hepatitis ebenso wie Typhus verbreite. In seinen Aussagen wird das Leben im nāla bzw. auf Hochweiden in den Sommermonaten, das bislang eine gängige Praxis war, ein für ihn nicht zu rechtfertigendes, rücksichtsloses Verhalten mit schädlichen Konsequenzen für die Stadtbevölkerung.63 Die gujjar sind

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Statt einer landwirtschaftlichen Nutzung schlägt Jamhoor Ali vor, das nāla in ein Artenschutz-Reservat zu wandeln und über das von der Regierung geförderte Programm für Trophäenjagden Jagdlizenzen zu verkaufen, um so Geld für die lokale Gemeinschaft (eigentlich: die pushtūne bāshinde des jeweiligen Orts) zu erhalten, wie dies mittlerweile in einigen Orten in Gilgit-Baltistan getan wird.

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werden Außenseiter, die in die nālas ziehen und die, so die Überlegungen der Stadtbewohner, so Gesundheit und Leben der Stadtbevölkerung bedrohen. Erziehung zu umweltbewussten Akteuren Wie schon dargestellt, überwiegen bezüglich der zunehmenden Wasserverschmutzung in Gilgit drei Erklärungsansätze. Dazu gehört, sie als Resultat der Verstädterung darzustellen, als der Verfall von früheren, besseren Praktiken auszulegen, oder über externe Faktoren wie neue und fremdartige Konsumgüter (Waschmittel, Motoröl etc.) zu erklären. In der Konsequenz müssen daher nicht unbedingt die alten Institutionen und Praktiken wiederbelebt werden (wie das Halte von Nutztieren auf Hochweiden), sondern neue Institutionen (wie z.B. Nachbarschaftswachen oder Trophäenjagden mit limitierten Lizenzen) geschaffen werden; Umweltbewusstsein muss Akteuren verdeutlicht werden und sie müssen zu umweltbewussten Akteuren erzogen werden. Interessanterweise wird umwelt- und gesundheitsschädigendes Verhalten jedoch v.a. „den Anderen“ zugeschrieben. Obwohl bislang offenbar nur im Entstehen begriffen, diskutierte z.B. eine Handvoll „alter“ Siedler Jutials eine Initiative, mithilfe einer Gruppe junger Männer darauf zu achten, dass zumindest das Verschmutzen des Wassers durch Stadtbewohner selbst eingeschränkt würde. Immer wieder würden Stadtbewohner Autos ans nāla fahren, um sie dort – die Aufgabe mit einem Ausflug in das kühle nāla verbindend – zu waschen. Außerdem gingen auch immer wieder Frauen mit Schmutzwäsche oder Teppichen ans nāla, um diese dort zu waschen. Sowohl Chemikalien, Altöl als auch Waschmittel gelangen von dort in das Bewässerungswasser und womöglich sogar in die Trinkwasserversorgung. Um dies zu verhindern, hätten sie schon des Öfteren Schilder aufgestellt, die darauf aufmerksam machen sollten, dass das Waschen von Autos oder Wäsche zu unterlassen sei. Nun sollten die Missetäter, unter der Androhung dass die Polizei gerufen würde, von den Jugendlichen gezielt davon abgehalten werden. Während aber Frauen und Mädchen zweifellos aus den anliegenden Nachbarschaften zum Waschen von Teppichen oder Wäsche an den Bach bzw. den Kanal kommen, ist es bemerkenswert, dass meine Gesprächspartner in Jutial das Waschen von Autos eindeutig Ortsfremden – Leuten aus Kashrot, dem Stadtteil in der Innenstadt, oder Sakwar, einem Dorf an der Grenze Gilgits – zuschrieben, auch ohne erklären zu können, warum diese den weiten Weg in eine potenziell bedrohliche Nachbarschaft auf sich nehmen würden, anstatt die Autos z.B. am nahegelegenen Fluss zu waschen. Meines Erachtens wird in solchen Aussagen deutlich, dass immer wieder damit versäumt wird, „die Anderen“ als vernünftige Wesen zu verstehen oder darzustellen. Den vermeintlich „Anderen“ wird so auch ein vernünftiges Verhältnis zu Natur bzw. natürlichen Ressourcen abgesprochen. Nicht jeder scheint ein vernünftiger und selbst-regulierender Akteur zu sein (vgl. Agrawal 2010: 215). Dabei wird das

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Denken und Handeln zum Wohle nicht nur des Selbst, sondern auch der Gemeinschaft, immer wieder betont, insbesondere dann, wenn ein entsprechendes Verhalten zu fehlen scheint. Gerade die „Anderen“ sind so Objekte, die reguliert und überwacht werden müssen. Nur die Mitglieder der eigenen Nachbarschaft sind umweltbewusste Akteuren, Agrawals „environmental subjects“: Akteure, für welche Natur bzw. Umwelt ein Referenzpunkt für Gedankengänge und Handlungen wird und für die das Bedürfnis, die Umwelt vor Verschmutzung oder Zerstörung zu schützen, eine notwendige Idee ist (ebd.: 193). Obwohl in den Aussagen der Gesprächspartner in Jutial die Bewohner der Innenstadt und der Vororte zu Missetätern werden, die rücksichtslos die Wasserressourcen verschmutzen, äußerten Gesprächspartner in der Innenstadt dasselbe Bedauern gegenüber der Verschmutzung von Wasserressourcen – auch wenn oder gerade weil sie hier selbst zu der Verschmutzung aktiv beitragen. Die Vermarktung von nāla-Wasser als Mineralwasser Im Zuge des wachsenden Bewusstseins über Gefahren, die mit verschmutztem Trinkwasser verbunden sind, legen insbesondere Nuklearfamilien zunehmend Wert auf sauberes Trinkwasser. Während einige es sich leisten, Wasser abzukochen oder von der Quelle in Barmas zu holen, greifen andere auf gefiltertes und behandeltes, abgepacktes Wasser zu, das seit den 2010er Jahren in unterschiedlichen Flaschengrößen (0,5l, 1,5l, 5l und 19l) von lokalen Unternehmen wie Sujo oder Vividlé angeboten wird. So erklärte z.B. Marvi in Zulfiqarabad, dass ihr Mann seit zwei oder drei Jahren Wasser „from the bazār“ holen würde. Zuvor hatten sie zunächst das Wasser, das sie über die öffentlichen Leitungen aus dem nāla oder aus dem Fluss bekamen, abgekocht, nachdem im jamāt ḵhāna, in den Schulen und Krankenhäusern über die Gefahren von unsauberem Trinkwasser aufgeklärt worden war. Hierdurch seien in ihrer Familie v.a. Durchfallerkrankungen weniger geworden. Nachdem seit einigen Jahren auch Mineralwasser von Nestlé angeboten worden war, hatten sie zunehmend das Flaschenwasser gekauft und seit Kurzem 19 Liter Flaschen von lokalen Anbietern. Zwar gebe es auch eine Filtrationsanlage an der Hauptstraße, aber die sei meistens geschlossen und es gebe niemanden in ihrer Familie, der das Wasser zu den Öffnungszeiten holen könne. Das Wasser des lokalen Anbieters Sujo sei dagegen anfangs sogar geliefert worden bzw. könne mittlerweile überall gekauft werden. Obwohl sie es nicht überprüfen könnten, gebe es sicher keinen Unterschied zu Nestlé, ergänzte Marvi zuversichtlich. Wie der Betreiber von Sujo in einem Gespräch erklärte, hatte er die Idee, sauberes Trinkwasser zu vermarkten, 2008 nach einer Geschäftsreise nach Xinjiang, der chinesischen Provinz, die an Gilgit-Baltistan grenzt. 2009 begann er mit den Vorbereitungen. Er mietete das Grundstück einer Verwandten in Jutial nahe dem Ausgang des Jutial Nala und beantragte über WASA eine Wasserleitung. Zunächst wurden

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seine Bemühungen aber von Nachbarn gestoppt. Mit der Erklärung, sie würden nun womöglich weniger Wasser erhalten, hatten diese eine Beschwerde vor Gericht eingereicht. Dieses urteilte mit einem Kompromiss: Sujo könne die Produktion aufnehmen, müsse sich aber auf eine häusliche Wasserleitung beschränken. Daraufhin wandten sich die Nachbarn an einen Bekannten im Militär, der eine Produktion weiterhin verhinderte. Daraufhin ließ der Betreiber das Unternehmen ruhen und nahm ein Stipendium für die USA an. Ein Jahr später kehrte er zurück nach Gilgit, wo der betreffende Militär versetzt worden waren und wo er 2012 die Produktion tatsächlich aufnehmen konnte.64 Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs im April 2014 hatte Sujo an die 500 reguläre Kunden – u.a. Verwaltungsbüros und das regionale Transportunternehmen, daneben aber v.a. (ismailitische) Familien, die im angrenzenden Zulfiqarabad leben. Dabei wird der Absatz Sujos v.a. von der begrenzten Wasserverfügbarkeit in der öffentlichen Wasserverteilung gebremst. Gerade im Frühjahr ist nur wenig Wasser verfügbar und bei unserem Gespräch im April erklärte er, es könnten täglich nur an die 40 19l-Flaschen befüllt werden. In der Anlage wird das Wasser des Jutial Nala über Sandfilter, Karbonfilter, verschiedene Membrane sowie einen UV-Filter gereinigt. Um einen bitteren Geschmack zu entfernen, über den sich die Kunden anfänglich beschwert hatten, werden Calcium, Magnesium und Natrium zugefügt. Außerdem nutzt Sujo die Zusätze, um das Wasser als „Mineralwasser“ zu bewerben, nachdem von Käufern das Feedback kam, dass das Wasser wohl nicht besser sei und auch nicht anders schmecke als das Leitungswasser, sodass sich die Ausgaben wohl doch nicht lohnen würden.65 Wie Wilk (2006, 2012) argumentiert, ist Mineral- bzw. Flaschenwasser auch Antwort auf neue Bedürfnisse in einer Welt, in der öffentliches oder sauberes Wasser an vielen Orten nicht (länger) verfügbar ist, in der mehr gereist wird und in der zunehmend auf den Einfluss von Flüssigkeitskonsum auf Gesundheit geachtet wird. Gleichzeitig ist das Phänomen mehr als eine pragmatische Antwort auf diese Veränderungen (2006: 318). Das wissenschaftliche Projekt des Definierens und Messens und das modernistisch industrielle Motiv des Kontrollierens zwängt der Natur den menschlichen Willen auf: In Zeiten, in denen Fluten und Überschwemmungen noch immer die Unvollkommenheit menschlicher Kontrolle über die natürliche Kraft von Wasser vor Augen halten, wird jede Flasche Wasser zu einer Metapher

64

Der Nachbar, der sich gegen Sujo engagiert hatte, wird mittlerweile kostenlos von Sujo versorgt; die Produkte von Sujo werden außerdem auch an das Militär und über deren Supermärkte vertrieben.

65

Vielen meiner Gesprächspartner_innen war der Geschmack von Wasser das gängigste Kriterium und wichtiger als die Qualität, die sie, wie die meisten argumentierten, sowieso nicht nachprüfen könnten.

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für Kontrolle. Wasser wird kanalisiert, gestaut, gereinigt, chemisch behandelt, professionell verteilt und mit zwei Ideologien versehen: Magie und Kraft der Natur sowie moderner Technologie, die auf den Flaschen über Illustrationen, Tabellen und Hinweise auf Reinigungstechnologien explizit gemacht werden (ebd.: 306-8). Entsprechend Wilks Analyse folgen auch in Gilgit die Wasserflaschen der zwei lokalen Anbieter zum einen einer globalen Ikonographie mit Emblemen von Natur mit blauem Himmel, Bergen und Flüssen als Referenz an die „Magie“ der Natur und die inhärente Reinheit „natürlichen“ Wassers. Die Flaschengestaltung folgt ebenfalls der Präferenz für Transparenz und blaue Farbgebung, mit durchsichtigem oder leicht blau gefärbtem Kunststoff und Aufdrucken in weiß-blau (Sujo) und weiß-blau-orange (Vividlé) (vgl. Wilk 2006: 6-7). In den Werbetexten auf den 19lFlaschen verweisen beide Anbieter auf die „reine Natur“ (in Form von „pristine natural water“, „untouched natural glaciers“ und Gesteinen als „natural filters“) – eine Reinheit, die weiterhin über eine räumliche Distanz verdeutlicht wird („at altitudes much higher then [sic] mankind has ever inhabited“ (Sujo), „Created in the heart of Hindukush Mountains“ (Sujo), „from lofty mountains of Karakuram [sic] and Himalayas“ (Vividlé)). Sujo Natural Spring water [sic] comes from untouched natural glaciers at altitudes much higher then [sic] mankind has ever inhabited on planet Earth. Created in the heart of Hindukush Mountains, This [sic] unique water seeps through natural filters in the mountains and emerges as one of the worldʼs healthiest drinking water. Purified filtered [sic] using advanced multiple stage processes under very hygienic conditions and bottled right at the source [sic]. A product of Sujo Punar®. Werbung auf der 19l Flasche von Sujo Punar, 2014 Vividlé Unveiling the secrets of longevity and health, Vividle [sic] brings to you the purest water from lofty mountains of Karakuram [sic] and Himalayas. This water is further filtered through a process that entails reverse osmosis, disinfection [sic] and bottled at the very source by using state of art technology [sic]. A bottle of Vividle [sic] combines essence of pristine natural water with hygienic principles. Bottles are delivered at the doorsteps of the customers free of cost. Ensure health and safety for your staff or family, ask for Vividle [sic]. Werbung auf der 19l Flasche von Vividlé, 2014

Beide Anbieter geben desweiteren, den gängigen Werbestandards folgend, an, dass diese schon reine Natur desweiteren über Technik noch weiter gereinigt werde („purified filtered“ [sic] (Sujo), „advanced multiple stage processes“ (Sujo), „very

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hygienic conditions“ (Sujo), „further filtered“ (Vividlé), „reverse osmosis“ (Vividlé), „disinfection“ (Vividlé), „state of art technology“ (Vividlé)). Ungeachtet der Tatsache, dass dies eine sehr grobe Beschreibung ist, erklären beide Anbieter außerdem, das Wasser würde direkt an der Quelle behandelt und abgefüllt („bottled right at the source“ (Sujo), „bottled at the very source“ (Vividlé)) – auch wenn das Wasser zwischen Quelle und Filtrationsanlage tatsächlich durch (wenn auch nur dünn) besiedelte und landwirtschaftlich genutzte Flächen verläuft und das Wasser nicht, wie evoziert, direkt aus einer Gebirgsquelle gezapft wird, sondern aus dem Wasserhahn öffentlicher Trinkwasserkomplexe. Wie viele andere Flaschenwasser bieten auch Sujo und Vividlé letztlich (nur) gefiltertes und behandeltes Leitungswasser. Die „magische“ Kraft der Natur wird oft dabei, wie Wilk (2012) argumentiert, explizit über eine (imaginierte oder tatsächliche) physische und zeitliche Distanz bzw. Abgeschiedenheit evoziert. Bilder von Eisbergen oder Gletschern oder rhetorische Verweise hierauf versinnbildlichen die Herkunft aus der „reinen“, d.h. vom Menschen nicht beeinträchtigten Natur. Dennoch beseitigt jegliche angebliche räumliche oder zeitliche Distanz von möglichen Verschmutzungen nicht das Bedürfnis nach Technologie. Schließlich wollen Konsumenten von Flaschenwasser nicht wirklich das unvermittelte Schmelzwasser, das gegebenenfalls doch durch Mikroben, den Dung von Tieren, chemische Dünger oder Tenside verschmutzt ist. Entsprechend werden in der Werbung – im Beispiel Wilks ebenso wie im Fall von Sujo – glänzende Rohre und Abfüllanlagen gezeigt, welche an die medizinische Sterilität von Laboren erinnert. Angaben über Mineraliengehalte auf den Flaschen – Mineralien werden ggf. auch extrahiert und kontrolliert wieder hinzugefügt – sowie diverse staatliche Zertifizierungen stehen dafür, dass diese Reinheit mit wissenschaftlichen Methoden garantiert sei (ebd.: 137-8). Magie und Wissenschaft befinden sich hier nicht in einem Widerspruch, sondern in gegenseitiger Beziehung und Abhängigkeit, wie Wilk schreibt: „while it may appear that magic and science are opposed forces at war with one another, they are actually partners in contemporary consumer culture, locked in mutual dependency“ (ebd: 138). Die „Magie der Technologie“ gleicht die Wildheit und die Gefahren der Natur durch Aufbereitung, Analyse, Filtration und das Abfüllen in Flaschen aus – ungeachtet dessen, dass auch die technologischen Prozesse und chemischen Elemente potenziell schädlich sein können. In beiden Ideologien ist „Reinheit“ zentral, auch wenn die Idee von Reinheit in beiden Ansätzen unterschiedliche Konnotationen hervorruft. Dabei scheint das Wort Reinheit einen semiotischen Kompromiss zu erlauben; es ist, so Wilk, ausreichend ambivalent, um diverse Adressaten anzusprechen (2006: 310). Mit Bezug auf Becks (1986) Risikogesellschaft verweist Wilk (2006) auch auf die Möglichkeit, den Erfolg von Flaschenwasser als einen Versuch zu verstehen, unkontrollierten menschlich generierten Gefahren entgegenzuwirken. Flaschenwasser scheint ein kleines Stück der Natur anzubieten, das

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von den drohenden Gefahren der Verschmutzung durch Chemikalien und Mikroorganismen ausgenommen werden konnte – ungeachtet der vielen Eingriffe und Veränderungen (ebd.: 316). Darüber hinaus verkörpert Flaschenwasser auch die Komplexität der Rolle von Staaten im modernen Kapitalismus. Einerseits steht Flaschenwasser für die Notwendigkeit, sich im Hinblick auf unzureichende öffentliche Versorgung um die eigene Gesundheit zu kümmern. Gleichzeitig bleibt nur die Möglichkeit, dem Staat oder einem profitorientierten Unternehmen zu vertrauen; in beiden Fällen ist die (Un-)Schädlichkeit des Produkts für die Konsumenten selbst nicht selbst überprüfbar (ebd.: 317).66 Wilk macht die Frage von Wasserkonsum schließlich zu einer generellen Vertrauensfrage, die letztlich nur über negative Ausschlusskriterien entschieden wird: „More than being a symptom of a pervasive ‚risk society,‘ water from taps and bottles raises issues of trust and distrust, of balancing contradictory messages from different parties, and of being caught in the middle between powerful forces with their own agendas and interests. The question for many people is not so much which message to trust, but which one they distrust the least, which is a very different kind of judgment, with no wholly satisfactory outcome.“ (Ebd.: 318)

Entsprechend äußerten auch in Gilgit immer wieder Gesprächspartner_innen Zweifel, ob das Flaschenwasser tatsächlich eine bessere Qualität als das Leitungswasser habe – ein Zweifel, der wiederholt auch in Artikeln lokaler Zeitungen aufgegriffen wird (siehe z.B. den Zeitungsartikel „Abgabe von verschmutztem Wasser an Gilgits Bevölkerung aufgedeckt“, Daily K2, 14.10.2014). Der ehemalige councillor Jamhoor Ali z.B. stellte infrage, ob die Anlage Sujos auch tatsächlich die Verschmutzungen wie Fäkalien und Chemikalien von Viehhaltung und Düngung aus dem Wasser entfernen könne: „I hope the Sujo has made a survey about water filtration plants, […][because people] put chemicals in the fields, when the water gets to their fields, later onwards the seepage of that water goes into the stream along with the chemicals, and then goes along in their [Sujoʼs] filtration plant. And how they process that water through the filtration plants before they distribute it to the people, that I donʼt know. From the packing it seems quite good, whatever I have seen from outside, but I donʼt know how they process it in their plant.“

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Darüber hinaus gibt Wilk (2006) zu bedenken, dass Flaschenwasser ggf. das Misstrauen in Regierungs- bzw. öffentliche Leistungen verstärkt und so die Idee, dass Bürgerschaft der beste Weg zu öffentlichen Gütern ist, ggf. erodiert (ebd.: 317).

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Im Hinblick auf die Zweifel greifen viele auf das Kriterium des Geschmacks als entscheidendes Kriterium zurück, wie z.B. Sayed Aga Momin und seine Frau in der Lalik Jan Colony in Upper Jutial. Wie sie erklärten, hatten sie auch das lokal abgefüllte Wasser probiert, aber nur für kurze Zeit gekauft: „One time I tried, but it has no taste. My wife was using it, then my son stopped [drinking] it and now we are [again] boiling water at home. Sujo water has no taste. The owner is my friend too, but I don’t know. We actually cannot rely on small companies like Sujo until it has ISO [International Organization for Standardization] standards and [there is a] quality control team and proper check system – I have no idea how they are filling the bottles and supplying.“

Auch Proben, die die EPA schon durchgeführt hatten und deren Ergebnisse zufriedenstellend waren, überzeugten Aga Momin nicht, da regelmäßige Kontrollen auch hiermit nicht gewährleistet seien. Wie seine Frau räsonierte, sei es durchaus möglich, allein für die Kontrolle einen angemessenen Standard herzustellen und hinterher wieder davon abzuweichen. „They might have tested it [the Sujo water] at the initial stage, after that who cares“, fügte sie hinzu. Wie auch Wilk (2006) schreibt, beruht der Erfolg von Flaschenwasser letztlich auf der Fähigkeit, Vertrauen zu erzeugen: Vertrauen darauf, dass das Flaschenwasser mehr ist als nur das Wasser, das sonst auch aus der Leitung erhältlich ist (ebd.: 309) bzw. darauf, dass hiermit zwar gegebenenfalls nicht die beste Wahl getroffen wird, aber zumindest nicht die schlechteste (ebd.: 318). Ist dieses Vertrauen nicht gegeben, greifen die Konsumenten entweder, wie oben erwähnt, auf die billigste oder, wie Aga Momin und seine Frau, auf die für sie am ehesten sichere Alternative zurück. „Uns schmeckt das schmutzige Wasser“ Wachsendes Bewusstsein gegenüber sichtbarer und unsichtbarer Verschmutzungen im Wasser rufen allerdings sehr unterschiedliche Reaktionen hervor. Während manche Familien sich Filter an den Küchenhähnen installieren, kommerzielles „Mineralwasser“ kaufen oder Trinkwasser aus öffentlichen Filtrationsanlagen oder der Quelle in Barmas holen, begegnet ein Großteil meiner Gesprächspartner_innen dieser Problematik mit Ignorieren. Während sich die meisten Familien der Verschmutzungen des Leitungswassers bewusst sind, verwenden bei Weitem nicht alle Mühen und Kosten auf spezielles Trinkwasser, bei dem außerdem weiterhin Zweifel ob dessen Qualität bestehen. Auch in Gilgit gilt, was Hussain und Langendijk (1994) in ihrem Bericht zu verschiedenen Orten in der Region schreiben – dass die Wahl, welches Wasser Frauen für den Haushalt holen, anhand von drei Kriterien getroffen wird: Verfügbarkeit, Temperatur und Aussehen. Hussain und Langendijk stellen fest, dass in ih-

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rer Erfahrung Leitungswasser oft nicht als Trinkwasser verwendet wurde, z.B. weil es nicht als kalt genug empfunden wurde oder nicht kontinuierlich in Bewegung war. Vergleichbar scheint in Gilgit v.a. Verfügbarkeit im Sinn von Reichweite sowie Temperatur und Geschmack Hauptkriterien dafür zu sein, welches Wasser als Trinkwasser konsumiert wird. Reinheit wird zwar als Kriterien wahrgenommen, ist aber nur selten Auslöser dafür, Konsumgewohnheiten zu ändern. In ähnlicher Weise variierten aufgrund des gefühlten Mangels an zuverlässigen, vorteilhaften und praktikablen Alternativen viele Aussagen zur Wasserqualität zwischen scheinbarer Gleichgültigkeit einerseits und Sorglosigkeit andererseits. Zwar erklärte bei einem Besuch in Kashrot Seema schmunzelnd, sie würde das Leitungswasser trinken, weil sie es mögen würde: „Because this is our habit and we like to drink that dirty water.“ Dennoch bleibt es dabei, dass es kaum praktikable Alternativen zu geben scheint – ganz einfach weil das Geld immer knapp ist und viel anderes Vorrang hat. Und wie viele aussagten, seien sie sich letztlich der Qualität in keinem Fall sicher – von daher treffen die meisten Familien die Entscheidung, gleich das billigste Wasser zu trinken – sei es das Wasser aus der Leitung oder das aus dem Fluss, das über tankers geliefert wird. Wie ich meine, stammt möglicherweise aus diesem Mangel an sinnvoll erscheinenden Alternativen zur Versorgung mit sauberem Trinkwasser auch die oft scheinbar sorglose Reaktion vieler Frauen, die auf meine Fragen nach Trinkwasser abwinkten und schulterzuckend entgegneten, was sollten sie schon anderes tun, als das zu trinken, was auch immer es gebe? Mehr als beten bleibe ihnen nicht. Selbst wenn sie auf die Straße gingen und protestierten, bleibe doch alles beim Alten, wie eine Bekannte erwähnte – oder die Leistungen würden womöglich als Reaktion auf Proteste noch schlechter, wie Dadi Yurmas im Hinblick auf die Stromversorgung anmerkte. In vielen Gesprächen mit Frauen wurde zwar klar, dass die meisten sich durchaus der Verschmutzungen des Leitungswassers bewusst sind, dass aber dennoch keine praktikable Lösung in Sicht ist, wie in einem Gespräch mit vier Schwägerinnen deutlich wurde, die gemeinsam in einem Haushalt in Kashrot leben. Auf meine Frage, ob die Krankheiten weniger geworden seien, seit das Wasser aus dem Kargah in der Leitung über das „Greater Water Supply Scheme“ kommt, fingen die Frauen an zu lachen – die Krankheiten hätten stattdessen in den letzten Jahren zugenommen, v.a. die Nierensteine. Das Wasser, das sie über die Leitung aus dem Kargah bekommen, sei meist dreckig, mit Sand und Kies verschmutzt; ab und zu kämen auch Würmer aus der Leitung;67 Gesprächspartnerinnen in Sonikot berichte-

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Während meines Aufenthalts 2014 im Hotel in Kashrot fand ich im Februar drei und im März sechs Regenwürmer im Bad.

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ten von Froschbeinen in der Leitung.68 Außerdem könne man sich Hepatitis oder Nierensteine über das Wasser zuziehen, fügten die Schwägerinnen hinzu. Dennoch nutzten sie das Wasser im Haushalt, in der Küche und als Trinkwasser. Zwar wüssten sie, dass es besser sei, das Wasser vor dem Trinken zumindest abzukochen, tun es aber nicht. Wie sollten sie denn Trinkwasser für zweiundzwanzig Leute im Haushalt abkochen, fragten die Schwägerinnen zurück und ergänzten, dass dies nicht möglich sei. Weder hätten sie die Zeit noch wollten sie so viel Gas oder Holz investieren. Im Winter haben sie zwar meist eine Kanne mit Wasser auf dem Ofen in der Küche stehen, in der das Wasser ab und an auch aufkocht; aber im Sommer trinken alle direkt aus dem Hahn. Obwohl in Kashrot diverse Filtrationsanlagen errichtet wurden, wussten die Schwägerinnen zunächst auch nicht, worauf ich mich beziehe, als ich fragte, ob sie nicht Wasser aus den Filtrationsanlagen holen könnten. Nach kurzem Hin und Her wurde zwar klar, dass ich die Anlagen meinte, die unter Musharraf einige Jahre zuvor errichtet worden waren. Von dort holten sie aber auch kein Wasser, erklärten sie – wer solle das denn tun? Für ein Ehepaar oder eine kleine Familie sei das vielleicht möglich, aber für zweiundzwanzig? Dafür hätten sie weder die Zeit noch die Kraft. Als ich anmerkte, dass die Kinder das ja tun könnten, wie der Vierzehnjährige, der uns kurz zuvor einen Kuchen aus einem Laden um die Ecke geholt hatte, winkten sie ab: Den Kuchen zu holen sei schon mehr gewesen als er ihnen sonst helfe und regelmäßig Wasser holen würde er erst recht nicht. Diejenigen, die die Frage nach Qualität dennoch aufgriffen, verankerten die Verantwortung bei den Individuen und Familien selbst. Auch die vier Ärzte und Arztinnen, mit denen ich sprach, erklärten, dass zwar die Wasserversorgung von Anbieterseite her verbessert werden müsse, dass hierfür aber wiederum die Leute selbst verantwortlich seien. Dafür und bis dahin müssten die Leute zuerst erzogen bzw. unterrichtet werden, d.h. über mögliche Krankheiten und Vorsorgemöglichkeiten aufgeklärt werden. Viele Gesprächspartner_innen bedauerten Unwissen in Bezug auf Krankheiten, die über Wasser übertragen werden. Dieses Unwissen bedeutet in vielen Fällen sowohl, dass weiterhin Wasser ohne Bedenken konsumiert wird; darüber hinaus gibt es aber im Krankheitsfall ebenso viel Unwissen bezüglich der Ursache der Krankheit wie auch bezüglich Möglichkeiten zur Behandlung. Bei vielen Betroffenen führt dies zu Selbstmedikation, mehreren Therapien aus unterschiedlichen Heilangeboten und oft zu Resignation.

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Bis vor einigen Jahren habe es eine große Froschpopulation in Gilgit gegeben. Mit der zunehmenden Verschmutzung ist diese mittlerweile komplett geschwunden.

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FAZIT Die waterscape Gilgits zeichnet sich über diverse Fragmentierungen auf der Ebene der Wasserquellen, der Infrastrukturen und Anbieter aus, ebenso wie auf der Ebene der privaten Ansätze, Wasser zu organisieren und mit den Herausforderungen von Knappheit und Verschmutzungen umzugehen. Was sich durch die diversen Problematiken zieht, ist das Konzept der (mangelnden) Verantwortung. „Experten“ wie Nutzer_innen sind von den Handlungen der jeweils anderen enttäuscht: Die Nutzer_innen von öffentlichen Einrichtungen, die keine oder nur ungenügende Leistungen anbieten, und die „Experten“ von Nutzern und Nutzerinnen, welche mit ihren artisanalen Ansätzen und Handlungen, die auf individuelle Vorteile ausgerichtet sind, „das System“ unterminieren. Dabei dringt in diversen Aussagen die „Etablierten-Außenseiter-Figuration“ ein: In den Erzählungen der „alten“ Siedler in Jutial sind es „die Anderen“ – aus anderen Stadtteilen –, die in Jutial das Wasser beim Waschen der Autos verschmutzen. In der Erklärung des ehemaligen WASAMitarbeiters Sajjad Ahmed sind es die aus anderen Teilen der Region Zugezogenen, die das Wasser der Filtrationsanlagen verschwenden; die Zugezogenen in den neuen Siedlungen Jutials sind es, die das Wasser für ihre Pflanzen verschwenden und somit das zur Verfügung stehende Wasser für alle reduzieren. Umgekehrt verweisen die „alten“ Siedler in Sajjad Ahmeds Erklärung auf ihr Recht, das System durch weitere Leitungen zu unterminieren, in Opposition zu ihm, dem „Experten“, und den nicht näher eingeordneten plumbers. Darüber hinaus wird deutlich, dass sich die Ansätze zur öffentlichen und privaten Wasserversorgung in gewisser Weise gleichen: Anstrengungen werden im Hinblick auf Mühen und Kosten auf ein Minimum reduziert und Probleme werden trivialisiert. „Experten“ wie Sajjad Ahmed argumentieren, dass die Leistung der öffentlichen Institutionen ausreichend seien, das sie letztlich nur einen Liter Trinkwasser pro Tag pro Kopf liefern müssten. Nutzerinnen greifen auf die naheliegendsten Lösungen zu und stellen in ihren Aussagen Wasserknappheit und schlechte Wasserqualität als bedeutsam weniger negativ dar, als Nutzerinnen in anderen Studien dies tun.69 Stattdessen stellten viele Gesprächspartnerinnen die mangelhafte Situation in einen positiven Kontext: Abwesenheit von Wasser könne zu einer unverhofften Pause von den alltäglichen Aufgaben des Waschens und Spülens verhelfen, Wäsche am Fluss zu waschen wird zu einem Ausflug mit Picknick und das dreckige

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Siehe z.B. die Diskussionen von Wasserknappheit in Cochabamba, Bolivien in Wutich (2006a, 2009a, 2011b) und Wutich und Ragsdale (2008) oder auch Workmans (2013) Diskussion zu Lesotho.

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Leitungswasser wird zu dem Wasser, das so richtig schmeckt. Solche Umdeutungen verstehe ich als Versuche, mit den alltäglichen Problemen zurechtzukommen. Gleichzeitig doppeln und vervielfachen sich aufgrund der mangelhaften Leistungen in den meisten Haushalten über die Jahre Möglichkeiten bzw. Infrastrukturen, die den Zugriff auf die eine oder andere Wasserressource erlauben – ob diese nun über die Regierung gestellt werden oder durch Selbsthilfeprojekte. Dabei scheint es aber, dass selbst Projekte, die auf „sauberes Trinkwasser“ abzielen, letztlich mehr zur Absicherung von Quantität dienen als von Qualität. Während in manchen Nachbarschaften Wasserversorgung erst durch eigenes Engagement überhaupt ermöglicht wird, liefern in anderen Nachbarschaften self-help Projekte einen dritten oder sogar vierten Zugang zu Wasser: neben einem Anschluss an die öffentliche Leitung (die aber ggf. im Frühjahr trocken liegt), neben der Möglichkeit, zumindest im Sommer Wasser aus einem Bewässerungskanal holen zu können, neben einem Anschluss an eine Bewässerungsleitung z.B. von AKRSP, mit der Wasser vom Fluss gepumpt werden kann. Wer es sich leisten kann, kauft darüber hinaus abgefülltes Wasser in der 19l-Flasche und kann dann das Leitungswasser sogar für den Garten verwenden. Wer sich dies nicht leisten kann, muss auf das Wasser zurückgreifen, das mit dem geringsten Aufwand verfügbar ist. Argumentativ rechtfertigen dies viele mit dem Hinweis auf mangelnde praktikable Alternativen oder auch über Sarkasmus, wie Seema, die erklärte: „We like to drink that dirty water“. Zentral ist dabei immer der kontinuierliche Rückbezug auf Engagement. Während, wie manche Gesprächspartner argumentierten, individuelle Verantwortung in der „traditionellen“ Dorfgemeinschaft noch eingefordert worden sei, habe sich dies in den letzten Jahrzehnten geändert. Nun würden die Bewohner auch traditionell selbstverständlichen Aufgaben und Regelungen wie der Reinigung von Wasserwegen und dem Respektieren von Wasseransprüchen nicht mehr nachkommen. Unter Verweis auf die Verdichtung von Raum und Bevölkerung im Zuge der Urbanisierung stellten manche sogar die Behauptung auf, dass diese individuelle Verantwortung gar nicht mehr geleistet werden kann. Die Auflösung traditioneller Dorfgemeinschaften wird gerade in Stadtteilen wie Kashrot in der Innenstadt mit negativen Folgen, wie insbesondere der Verschmutzung von Wegen und Wasserwegen, in Verbindung gebracht und beklagt. Dabei ist die Idee von einer lokalen Gemeinschaft, welche Gemein- bzw. Allmendegüter gerecht und nachhaltig bewirtschaftet, nicht nur im Diskurs zum Management von Gemein- bzw. Allmendegütern gepriesen, wie im nun folgenden Unterkapitel „Theoretische Überlegungen zur Bewirtschaftung von Allmenden…“ diskutiert wird. Auch in Gilgit ist die lokale bzw. Dorfgemeinschaft gleichbedeutend mit dem Ideal von Ordnung, Nachhaltigkeit, Verteilungsgerechtigkeit und Handlungsmöglichkeiten – ein Ideal, das sich durch die Aussagen von Bewohnern aller Stadtteile zieht: durch die in den neuen Siedlungen, in denen es die Gründung von village organisations den Bewohner_innen er-

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laubt, Ressourcen zu mobilisieren, wie im Kapitel „‚Verfügbar durch Selbsthilfe‘“ aufgezeigt wird; aber auch durch die „alten“ Dörfer, in denen die „alte“ Gemeinschaft mit ihren „traditionellen“ Regelungen für Ordnung sorgt und Autorität über natürliche Ressourcen begründet, wie in Jutial und Khomer. Im nächsten Kapitel richte ich entsprechend den Blick auf eine solche „alte“ Gemeinschaft mit „traditionellen“ Regelungen und diskutiere die Ursprünge, Prozesse und Folgen einer solchen Organisierung von Wasser.

Die Verhandlung „traditioneller“ Wasserrechte

Das vorherige Kapitel machte den Auftakt, die Wasserlandschaft Gilgits zu skizzieren und darzustellen, wie sie über unterschiedliche Wasserressourcen, hieran historisch gewachsene hydraulische Einheiten und Stadtteile, aber auch über unterschiedliche Wasserinfrastrukturen und Anbieter sowie Möglichkeiten auf diese zurückzugreifen, fragmentiert ist. Während bislang v.a. Probleme von Wasserqualität sowie öffentliche und private Strategien, eine größere Wasserquantität herzustellen, beschrieben wurden, wird nun am Beispiel des Jutial Nala die „traditionelle“, gemeinschaftliche Organisation von Wasser vorgestellt. Zugleich sind es maßgeblich die mit den hydraulischen Einheiten verbundenen Rechtsansprüche, die die Fragmentierung der hydraulischen Landschaft Gilgits ausmachen. In der Region sind es oft mehrere Gruppen eines Dorfes oder mehre Dörfer, die an einer Wasserquelle eine hydraulische Einheit bilden bzw. die Wasser aus derselben Wasserquelle beziehen und umleiten, Wasserrechte beanspruchen und die Einheit bewirtschaften. Die hydraulischen Einheiten in und um Gilgit wurden historisch fortwährend erweitert und ausgedehnt, sowohl was Infrastruktur und Land betrifft, das bewässerbar gemacht wurde, als auch was Mitglieder und neue Siedler anbelangt. Im Rahmen des zunehmenden Wachstums Gilgits durch Leute aus anderen Teilen der Region wurde allerdings die Kategorie der pushtūne bāshinde oder „alte“ Siedler geschaffen und die hydraulischen Einheiten werden seitdem nur mit Einschränkungen um neue Siedler oder Siedlungen erweitert. Die neue Kategorisierung in „alte“ und neue Siedler schafft diesbezüglich die Grundlage für die Legitimation einer lokalhistorisch als „angemessen“ verstandenen Wasserverteilung an nur die „alten“ Siedler. Eine gleichmäßige Wasserverteilung über die städtische Landschaft hinweg wird so eingeschränkt. Das folgende Kapitel führt zunächst in theoretische Überlegungen zur Bewirtschaftung von Wasser als Allmendegut und Konzepte von Wassermanagement durch lokale Gemeinschaften ein. Auf Gilgit angewandt umreißt es anschließend die Bewirtschaftung einer hydraulischen Einheit am Beispiel des Jutial Nala. Im Fall des Jutial Nala sind es zwei ehemalige Dörfer, Jutial und Khomer, die Ge-

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wohnheitsrechte auf die Wasserressourcen des Jutial Nala beanspruchen.1 Während meiner Feldforschungszeit hatte ich über mehrere Monate hinweg in Jutial gewohnt – zwar in einer neuen Siedlung aber nah am alten Zentrum. Über Vermittlung einer Bekannten hatte ich außerdem Kontakt zu einer „alten“ Familie Jutials. Ich sprach mit vielen Gesprächspartnerinnen und -partnern in Jutial und verbrachte vergleichsweise viel Zeit bei Familien und mit Interviews dort. Entsprechend schildere ich die Wasserrechte und -praktiken v.a. für Jutial. Diese Ausgangslage ist dabei eher Zufällen verschuldet und bedeutet bei Weitem nicht, dass dies in Khomer oder anderen Stadtteilen nicht möglich gewesen wäre. Eine Familie in Jutial, mit der ich viel Zeit verbrachte, war die Familie Sohails, einer meiner Forschungsassistenten, die sich selbst zu den pushtūne bāshinde Jutials zählen. Dabei resultierte dies allerdings weniger in detaillierten Informationen als ich erhofft hatte. Ein Onkel Sohails z.B., der als Rechtsanwalt arbeitet und sich ebenfalls zu den pushtūne bāshinde zählt und den ich nach dem Verhältnis der Gewohnheitsrechte zu pakistanischem Recht befragen wollte, konnte mir hierzu nur antworten: „I donʼt know exactly. I am so confused about that“. Zwar bestanden alle Mitglieder der Familie stolz und heftig auf ihren Rechten, die sie als pushtūne bāshinde Jutials auf das Wasser des Jutial Nala erheben. Niemandem war es allerdings möglich, mir im Detail zu erklären, wie dies z.B. in Zeiten des wārābandī, wenn die Wasserverteilung beschränkt und reguliert wird, für sie tatsächlich funktioniere oder warum sie noch immer auf ihren Wasserrechten bestehen, obwohl die Familie kaum noch Land hat und überhaupt keine Landwirtschaft mehr betreibt. Zwar ist vom früheren Landbesitz, das Sohails Urgroßvater Meherban urbar gemacht hatte, noch ein kleines Ladengeschäft an der Hauptstraße übrig sowie ein kleiner Garten, auf dem die Mutter Gemüse für die Familie und Gras für eine Kuh anpflanzt. Wie viele hat aber auch Sohails Familie den größten Teil des Lands mittlerweile über zwei Vererbungsvorgänge geteilt. So kam z.B. Sohails Vater neben dem Ladengeschäft nur noch ein Kanal Land zu, der nun mehr schlecht als recht zwischen Sohail und seinen zwei Brüdern geteilt werden muss. Landwirtschaft kann entsprechend schon lange nicht mehr betrieben werden – was auch niemand in der Familie tun wollte. Stattdessen arbeiten die Familienmitglieder v.a. in öffentlichen Einrichtungen, u.a. bei der Polizei, am Gericht, im öffentlichen Nahverkehr oder in der Schule; Sohails vier Schwestern arbeiten allesamt als Lehrerinnen.2

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Sökefeld (1997a) bezeichnet diese als Kooperationsgemeinschaften (ebd.: 83). Obwohl, wie Sökefeld (1997a) geschrieben hat, die Bearbeitung des eigenen Lands bislang als die „einzige ehrenhafte Beschäftigung“ galt (ebd.: 101-4), kam dies weder für Sohail noch für seine Brüder, Cousins, Onkels, Vater oder Großvater infrage. Schon der

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Auch traditionelle Begriffe wie muṭhulphau, sāmī oder īl-e karēlo, die manche Gesprächspartner von Martin Sökefeld in den 1990er Jahren in Gilgit verwendeten, wurden in Gesprächen mit mir in den 2010ern nie gebraucht. Im Gegenteil: Fragte ich nach den Begriffen, die ich bei Sökefeld (1997a, 1998) gelesen hatte, brauchte es meist mehrere Anläufe bis klar wurde, wonach ich wohl fragte.3 Fragte ich während meiner Forschung Gesprächspartner_innen nach īl-e karēlo wussten die meisten gar nicht erst, wovon ich sprach. Dabei markierte das īl-e karēlo eine wichtige Stelle im jährlichen Kalender. Jedes Jahr säuberten und besserten die Gemeinschaften zu einem Termin im Frühjahr die Hauptkanäle aus und zum opferten zum Abschluss ein Tier – Ziege oder Schaf –, um mit dem Opfer um stetigen aber maßvollen Wasserfluss zu bitten. Diese Tradition verlor aber merklich an Bedeutung. Wie manche Gesprächspartner berichteten, würden Aktivitäten und Opfer zwar noch immer stattfinden, die Teilnehmerzahlen würden jedoch immer geringer und immer mehr Mitglieder würden sich über Ausgleichszahlungen von einer Teilnahme entlasten – eine Veränderung, die zweifellos mit dem drastischen Rückgang von Landwirtschaft sowie der Zunahme von nichtlandwirtschaftlichen Erwerbszweigen zusammenhängt.4 Gesprächspartner_innen waren v.a. Mitglieder aus Sohails erweiterter Familie aber auch Nachbarinnen und Nachbarn, die ich zumeist mit Sohail aufsuchte, sowie sogenannte „notables“ oder hervorragende Persönlichkeiten des Stadtteils. Darüber hinaus sprach ich auch mit einer Handvoll Familien in Khomer sowie mit Familien in den neuen „backside colonies“ Jutials – den Siedlungen, die in den letzten Jahrzehnten auf dem ehemaligen Ödland Jutials entstanden waren –, die ich allein oder mit Tariq Shahab, meinem zweiten Forschungsassistenten besuchte. Dabei zeichneten sich in Gesprächen neben den Darstellungen wiederholt latente Problematiken ab, die kaum jemand bereit war, deutlich zu formulieren: So verwiesen die meisten Gesprächspartner_innen in Jutial wie auch in Khomer auf die guten Beziehungen zwischen den beiden Stadtteilen und den Bewohnerinnen und Bewohnern der neuen

Großvater hatte als Händler, Bauunternehmer und Politiker gearbeitet und das Bearbeiten des Lands seiner Mutter und seiner Frau überlassen. 3

Auch Sökefeld (1997a) stellt entsprechend fest, dass diese Begriffe v.a. muṭhulphau, d.h. Siedler, die schon über mehrere Generationen in Gilgit leben und dort Land bewirtschafteten, bekannt seien – was er im Umkehrschluss dafür nutzte, um muṭhulphau zu identifizieren (ebd.: 114-5).

4

Ferner tragen wohl auch andere Faktoren dazu bei, dass immer weniger Mitglieder teilnehmen; im Frühjahr 2012 z.B. die gewalttätigen Konflikte und die Ausgangssperre über Gilgit, aufgrund derer das īl-e karēlo zeitlich verschoben und eine Teilnahme von vielen sicher als unnötiges Risiko empfunden wurde.

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Siedlungen, auf die gemeinsamen Anstrengungen bei der Errichtung der Wasserkanäle oder auf die Großzügigkeit bei der Vergabe von Land zur Zeiten der Vorfahren. Dass es zwischen den Bewohnern und Bewohnerinnen Jutials und Khomers und den Bewohnerinnen und Bewohnern der neuen Siedlungen Konflikte gibt, stritten die meisten ab. Ebenso verschwiegen sie auch die wiederkehrenden Konflikte v.a. zwischen den schiitischen Bewohnern Khomers und den Sunniten Jutials.5 Dass es dabei auch zu gewaltsamen Konflikten kommt, sprachen eigentlich alle Gesprächspartner_innen ab und dieser Aspekt wurde nur unterschwellig deutlich, z.B. wie Sohail mich eines Abends entgegen seiner sonstigen Fürsorge nicht zu einer Gesprächspartnerin in Khomer begleitete. Andermal zischte er mir auf der Rückkehr nach einem der wenigen Besuche ins nāla zu, dass die Gruppe von Männern, die gerade an einem Kanal arbeiteten, aus Khomer seien und bat mich schnarrend, sie weder anzusehen noch mich womöglich an sie zu wenden. Eine gemeinsame Bekannte erklärte mir, dass die männlichen Mitglieder Sohails sunnitischer Familie leicht in einen Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten verwickelt werden könnten und daher oft nur bewaffnet das Haus verlassen würden. Mehrere Verwandte waren Opfer von Konflikten geworden, einige waren ums Leben gekommen. Die Ethnologin Emma Varley, die 2004-05 in derselben Nachbarschaft gelebt und ihre Forschung durchgeführt hatte, erläutert in einem Artikel die Komplexität von Konflikten zwischen Sunniten und Schiiten in der Nachbarschaft. In einem solchen Feld scheinen Sicherheit und Gewissheiten ständig gefährdet und Loyalitäten müssen wiederholt bewiesen werden. Wie sie bemerkt, betreffen solche Komplexitäten alle Anwesenden – inklusive sie selbst (dies. 2008b). Während vieler Gespräche fühlte ich mich darüber hinaus, aufgrund der Befürchtungen, die die agency-Mitarbeiter hervorgerufen hatten, befangen. Gleichzeitig hatte ich auch öfters das Gefühl, dass auch auf Seiten meiner Gesprächspartner_innen Verschwiegenheit oder zumindest Zurückhaltung vorherrschte. Dies erklärte Sohail mit der Befangenheit vieler Gesprächspartner_innen, über kritische Ereignisse oder Situationen zu sprechen. Als Fremde, mit der Kultur nicht vertraut, sei es mir außerdem wohl nicht möglich, Themen auf die richtige Art und Weise anzusprechen und meine Gesprächspartner_innen so zum Erzählen anregen zu können, wie er erklärte: „No, people donʼt tell you. They will never ever tell you, when you ask [e.g. about conflicts over water]… […] So, in Germany you know the people very well. Because you are German. So, in Gilgit, the psyche, the mentality of the people – we [Gilgitis] can understand it… how

5

Während die Bevölkerung Khomers überwiegend schiitisch ist, ist die Bevölkerung Jutials gemischt sunnitisch, schiitisch und ismailitisch.

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you can press the button of talking... People are very cooperative here actually [and like to help]. [But] sometimes they feel shy... […] Yes, sometimes they feel shy or confused. You are a strange person in front of them. Exactly – thatʼs why people hesitate.“

Die Darstellungen mir gegenüber sind, wie Sohail erkannte, immer die Darstellungen gegenüber einer Fremden.6 Darüber hinaus war es mir mit den Restriktionen der agencies sowie aufgrund von lokalen Normen für Frauen auch nicht möglich, viel teilnehmende Beobachtung an den Kanälen und im nāla zu betreiben. Insofern bleiben auch hier die Informationen zu „traditionellen“ Wasserverteilungspraktiken auf der Ebene des Erzählten und damit ggf. vergleichsweise dünn.7 Da Wasserversorgung maßgeblich mit der Besiedelung von Land zusammenhängt, werden nach einem Überblick über theoretische Überlegungen zur Bewirtschaftung von Allmenden durch lokale Gemeinschaften im nächsten Teil des Kapitels die Besiedelung Jutials und damit einhergehende Landkonflikte beschrieben, auch wenn dieser Zusammenhang nicht jedem sofort einleuchtend ist: Als Major Bilawal auffiel, dass ich auch Fragen zu Land stellte, blickte er freudig überrascht auf und rief triumphierend seinen Kollegen zu sich. Für ihn waren Fragen zu Land Beweis genug, dass ich mein Thema vergessen hätte, was er offenbar als Zeichen dafür wertete, dass ich vielleicht doch keine Studentin sei, wie angegeben. Dabei ist, wie im Folgenden deutlich wird, der Bezug von Wasser und Land zentral. Wasser ist ausschließlich in Hinsicht auf Land nötig, entweder um dies für eine landwirtschaftliche Nutzung zu bewässern oder um es bewohnbar zu machen. Wasser ist also weniger Ziel an sich als Mittel zum Leben, Arbeiten und Überleben wie zum guten Leben. Später schafften es der Kollege des Majors und der liaison officer der Universität, auch ihm den Zusammenhang von Land und Wasser glaubhaft nahezubringen.

6

Vgl. Nencel (2005), die infrage stellt, in wie weit in ethnographischen Beziehungen Intersubjektivität erreicht werden kann und in wie weit das Verlangen nach ethnographischer Intersubjektivität ein ethnozentrisches, paternalistisches Konzept ist (ebd.: 350-1).

7

Vergleiche auch die Möglichkeit, z.B. Kanäle mit Forschungsassistenten oder lokalen Begleitpersonen abzulaufen, die z.B. Spies (2016) in seiner Forschung zu Gletscher-Bewässerungssystemen in Nagar nutzte (ebd.: 130).

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THEORETISCHE ÜBERLEGUNGEN ZUR BEWIRTSCHAFTUNG VON ALLMENDEN DURCH „LOKALE GEMEINSCHAFTEN“ Die Ressourcen der Seitentäler werden in Gilgit-Baltistan meist als Gemeingüter gehandhabt und verwaltet. Dazu gehören Weideflächen, Wälder wie das Wasser der Gebirgsbäche. Dies bedeutet, dass nur eine bestimmte Gruppe oder eine Mehrzahl an Gruppen Besitztums- und damit Nutzungsrechte beanspruchen können. Daher folgt zunächst ein kurzer Überblick zu theoretischen Konzepten aus der Ressourcenökonomik zu unterschiedlichen Systemen zur Verwaltung natürlicher Ressourcen und Überlegungen zur Bewirtschaftung von Wasser als Allmendegut. Dies wird im Anschluss durch Theorien zur Verwaltung von natürlichen Ressourcen durch „communities“ bzw. „lokale Gemeinschaften“ ergänzt. Während in Gilgit Besitz- und Nutzungsrechte für nālas meist bei einer oder mehreren Gruppen liegen, welche Nichtmitglieder von der Nutzung ausschließen, gibt es für Fluss- und Grundwasser kein Ausschlussrecht.8 In der Ressourcenökonomik werden diese unterschiedlichen rechtlichen Handhabungen mit den Begriffen „common property resource“ (Gemeinschaftseigentum, Allmende) und „open access resource“ (frei zugängliche Ressource) bezeichnet. Solche unterschiedlichen Systeme von Besitztum bestehen oft nebeneinander und begründen einen Rechtspluralismus bezüglich natürlicher Ressourcen. Oft werden in der Ressourcenökonomik mit den unterschiedlichen Rechten auch unterschiedliche Fälle der Zerstörung der Ressourcen z.B. durch Übernutzung oder Verschmutzung verbunden (Ostrom/Hess 2008: 6). Dabei unterscheidet sich gerade Wasser von anderen Ressourcen wie Weideland oder Wald. Während diese gleichsam ein Reservoir bilden, auf das einfach und individuell zugegriffen werden kann, ist für eine kontinuierliche Wasserversorgung kollektives Handeln zur Erschließung der Wasserressource vorausgesetzt. Wasser unterscheidet sich außerdem von anderen natürlichen Ressourcen insofern als hier „freerider“, die als unbefugte Nutzer_innen von der Wasserressource Gebrauch machen, nur die Kapazitäten schmälern. Im Unterschied zu Wald oder Weiden, die durch Übernutzung auch komplett zerstört werden können, wird dadurch aber nicht die Existenz der Ressource gefährdet (Baker 2001: 5-6). Entsprechend werden nach Kriterien von Rivalität und Ausschließbarkeit unterschiedliche ökonomische Kategorien unterschieden. Gemeingüter, sogenannte „public goods“, können durch Nutzung nicht geschmälert werden (wie z.B. Sonnenlicht). 8

Land in den nālas ist oft ebenfalls Gemeinschaftsgut mit geteilten Besitzrechten, während Land in den Talsohlen als Privatbesitz oder Familienbesitz geführt oder vom Staat beansprucht wird.

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Wasser dagegen gehört zu den endlichen bzw. subtraktiven öffentlichen Gütern, die als „common pool resources“ bezeichnet werden. Sie nehmen durch Nutzung ab, ihre Nutzung kann allerdings kaum effektiv reguliert werden (Ostrom/Hess 2008: 89; McKean 1996: 6-7). Management von Wasser als öffentliche natürliche Ressource Ein zentrales Thema in diversen Disziplinen ist das Management von Wasser als öffentliche Ressource. Gemeinschaftliches Wassermanagement wurde dabei v.a. für ländliche Orte und Regionen mit einem Schwerpunkt auf Bewässerungsmanagement untersucht.9 Zusammenhänge zwischen ländlicher und urbaner Wasserversorgung (z.B. Cirelli 2002; Trawick 2003) oder Management von Wasser als öffentliches Gut in Städten (z.B. Wutich 2009b) sind eher selten. Ein Großteil der Literatur zum Management natürlicher Ressourcen beruht auf der von Hardin (1968) aufgeworfenen Hypothese der „tragedy of the commons“, die Hardin im Zuge seines Fokus auf Überbevölkerung eröffnete. Hieraus erwuchs die Frage, welche Rolle „Gemeinschaften“ bezüglich Erhaltung oder Zerstörung natürlicher Ressourcen zukommt. Dabei werden zumeist subtraktive Ressourcen betrachtet, deren Zugang nicht oder kaum reguliert werden kann, d.h. „common pool resources“ bzw. Gemein- bzw. Allmendegüter wie Ozeane, Flusswasser etc. Ausgangspunkt ist oft die Annahme, dass diese mit zunehmender Bevölkerung Objekte massiver Übernutzung oder Zerstörung werden. Genauer gesagt beschäftigen sich diverse Veröffentlichungen seit Hardins Beitrag 1968 v.a. mit zwei Komplexen: zum einen mit den Auswirkungen unterschiedlicher Besitz- und Verwaltungsregimes auf subtraktive natürliche Ressourcen, zum anderen auf Versuche, Erfolge und Misserfolge kollektives Handeln zu regulieren.10 Entscheidendes Element ist hierbei die Kontrolle, die die Gemeinschaft über Individuen ausübt, wie Hardin (1998) zu seinem Artikel von 1968 hinzufügt: Während Gemeingüter, die nicht

9

Siehe z.B. Baker (2001, 2005), Trawick (2001, 2003). Die meisten Studien für GilgitBaltistan beziehen sich auf die Verteilung und Unterhaltung von Wasserressourcen innerhalb und zwischen Dörfern und Dorfgemeinschaften oder (Quasi-)Verwandtschaftsgruppen, z.B. Butz (1987), Fazlur-Rahman (2000), Hansen (1997), Hill (2014), Kreutzmann (2011) oder Spies (2016) sowie Kreutzmanns (2000a) Sammelband Sharing Water und hierin Khan und Hunzai (2000), Kreutzmann (2000b, 2000c), Schmid (2000) und Stöber (2000).

10

Siehe z.B. Agrawal und Gibson (1999), Bruns und Meinzen-Dick (2001), Ciriacy-Wantrup und Bishop (1975), Deeny et al. (1990), Ostrom (1990, 2000), Ostrom und Hess (2008) oder Wutich (2009b).

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verwaltet werden („unmanaged commons“) der Übernutzung anheimfallen können, sei das Verwalten der Gemeingüter („managed commons“) die Lösung gegen Übernutzung.11 Zumeist wird davon ausgegangen, dass die Rechtsform bezüglich Nutzung und Übernutzung bestimmend sei.12 Die zugrunde liegende Auffassung z.B. hinter der Etablierung von Wasserrechten sei auch, so z.B. Pradhan und Meinzen-Dick (2003), dass eine klare Definition, wer, wann und wo zu welchen Wassermengen berechtigt sei, Unsicherheit und Konflikte reduzieren würde (ebd.; siehe auch Molle 2004). Wie Pradhan und Meinzen-Dick (2003) bezüglich Wasserrechten hinweisen, sind Wasserrechte zwar ein universelles Konzept, können aber beträchtlich variieren. Oft würde es erst unter Bedingungen von Wasserunsicherheit, z.B. durch Wasserknappheit, notwendig, Wasserrechte festzulegen, um Konflikte schlichten oder vermeiden zu können.13 Viele lokale Wasserrechte besitzen auch, so Pradhan und Meinzen-Dick, eine Art Hybridcharakter: Oft sei es schwierig, zwischen lokalen, gewohnheitsmäßigen und religiösen Grundlagen von Wasserrechten zu unterscheiden. Sie warnen auch vor einer Romantisierung von Wasserrechten, welche oft keine gleichmäßige Verteilung garantieren, sondern z.B. von elitären Gruppen dominiert werden (ebd.). Entsprechend ist die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit und Bevorzugung oder Benachteiligung bestimmter Gruppen ebenfalls zentrales Thema in Studien zu Wassermanagement.14 Andere, darunter z.B. Bakker

11

Ostrom (z.B. 1990, 2000) formuliert diesbezüglich die folgenden Elemente als zentral: Das Formen klarer Grenzen bzw. Grenzregelungen („boundary rules“) zur Definierung von Nutzergruppen; Regelungen zur Nutzung und Bereitstellung natürlicher Ressourcen; Möglichkeiten der Regeländerungen für Ressourcennutzer; Existenz von Kontroll-, Sanktions- und Konfliktresolutionsmechanismen und die eigene Wahl von Kontrollautoritäten und (graduellen) Sanktionen; Autonomie bzw. Anerkennung durch staatliche oder regionale Regierungen und, was für größere Systeme gilt, die Organisierung von Managementaktivitäten in „nested layers“, d.h. das Nebeneinander kleinerer Systeme ggf. mit eigenen Organisationsregeln (ebd.: 149-53; siehe auch z.B. Baker 2001: 6; McKean 1996; Wade 1987).

12

Dabei ist, wie Ostrom und Hess (2008) anhand unterschiedlicher Bergregionen veranschaulichen, auch ein Nebeneinander unterschiedlicher Rechtsformen (Rechtspluralismus) innerhalb von Gemeinschaften nicht unüblich (ebd.: 20-1; siehe auch MeinzenDick/Pradhan 2001).

13

Ein weiterer Ansatz zur Konfliktreduzierung bei Wasserknappheit ist z.B. Wasserver-

14

Diverse Studien fokussieren hierbei z.B. auf die Auswirkung von Geschlecht auf Zu-

marktung über eine zentrale Organisation (siehe z.B. Kaiser/Phillips 1998). gang zu und Handhabung von Wasser wie Narain (2014) oder Sultana (2011) oder auf den Einfluss von Geschlecht auf Wasserverteilung und Verteilungsgerechtigkeit wie

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(2008), bringen vor, dass gegebenenfalls Rechtsformen und Besitztumsverhältnisse weniger wichtig als ursprünglich angenommen und stattdessen Institutionen und deren Einfluss bezüglich einer Nutzungsregulierung von größerer Bedeutung sind (ebd.: 245). Darüber hinaus ist die Annahme, dass gemeinschaftlicher Besitz und gemeinschaftliche Verwaltung natürlicher Ressourcen dazu führe, dass sowohl Risiken als auch Bemühungen geteilt würden, weit verbreitet. Dies mache ein solches Regime insbesondere gerade in fragilen Umwelten attraktiv, wie z.B. McKean (1996: 12) schreibt. Auch in Gilgit ist die Ansicht weit verbreitet, dass gemeinschaftliche Verwaltung von Wasserressourcen für die Nutzenden attraktiv sei und zur nachhaltigen Nutzung beitrage. So preist für Gilgit-Baltistan z.B. Fazlur-Rahman (2000) gemeinschaftliche Nutzung und Verwaltung von Wasser und Weideland in Astor als vorausschauendes Instrument zur Erhaltung der natürlichen Ressourcen, wie auch als Grundlage für wirtschaftliche Sicherheit: „Based on the traditional knowledge and experience, the mountain communities formulated rules, regulations and management techniques, keeping in view the fragileness and limitation of their physical environment. These rules and management techniques […] minimize risks of crop failure and […] ensure continuation of their sustenance in the future“ (ebd.: 65).

Dabei wird sowohl in Gilgit bzw. Gilgit-Baltistan als auch in der Literatur zum Management natürlicher Ressourcen die Idee der lokalen Gemeinschaft, „(local) community“, zentral. Auch in Gilgit wird oft der Begriff community – auf Englisch – im Hinblick auf einen räumlichen oder sozialen Bezugsrahmen verwendet (vgl. auch Fazlur-Rahmans „mountain communities“, ebd.). Dabei wird die Verwendung in Gilgit grundsätzlich großzügig gehandhabt. So kann der Begriff sowohl Konfessionsgruppen, die Bewohner von Nachbarschaften als auch die Gesamtheit der Bewohner_innen Gilgits oder sogar Gilgit-Baltistans umfassen. Die von Pradhan und Meinzen-Dick (2003) erwähnte Romantisierung von „communities“ findet sich gerade in Literatur zur Ressourcenökonomik der letzten Jahrzehnte häufig wieder. Hier werden gemeinschaftlich organsierte Systeme zur Verwaltung von Gemeingütern („common property resource management regimes“) als besonders erfolgreich bezüglich nachhaltiger natürlicher Ressourcennutzung und -Konservierung gefeiert, wie z.B. Agrawal und Gibson (1999) darlegen. Wie ich im nächsten Uterkapitel mit Agrawal und Gibson (ebd.) und Li (1996) vorschlage, ist es daher wichtig und aufschlussreich, das Konzept der „(local)

Agarwal (2000, 2002), Resurreccion und Elmhirst (2008), Zwarteveen (2008, 2010), Zwarteveen und Boelens (2006), Zwarteveen und Meinzen-Dick (2001).

208 | Den Verlauf kontrollieren

community“ im Management natürlicher Ressourcen und die damit verbundenen Politiken näher zu betrachten, um einen naiven Gebrauch des Konzepts zu vermeiden und ein Gespür für hiermit verbundene Prozesse zu bekommen. Das Konzept der Gemeinschaft im Management natürlicher Ressourcen Seit den 1960er Jahren im Entwicklungssektor als Allheilmittel gepriesen, wird das Konzept der „community“ im Management natürlicher Ressourcen in den letzten Jahren zunehmend kritisch betrachtet. So skizzieren z.B. Agrawal und Gibson (1999), Bakker (2008) oder Li (1996), wie der Begriff ab den 1960er Jahren an Popularität gewann und verweisen auf die positiven Konnotationen, mit denen das Konzept des Managements natürlicher Ressourcen durch lokale Gemeinschaften („community-based resource management“) in den letzten Jahrzehnten ausgestattet worden war. Nachdem Hardins (1968) Dystopie zur Übernutzung öffentlicher natürlicher Ressourcen zunächst eine Krise ausgelöst hatte, wurden Gemeinschaften zwischenzeitlich als maßgebliche Agenten von Umweltschutz und Lösung gegen Übernutzung angesehen (Agrawal/Gibson 1999: 631; Li 1996: 503). Gerade in diesbezüglichen Strategien internationaler Entwicklungsinstitutionen ist das Konzept überaus populär, wie Agrawal und Gibson (1999) schreiben: „International agencies such as the World Bank, IDRC [International Development Research Centre], SIDA [Swedish International Development Cooperation Agency], CIDA [Canadian International Development Agency], Worldwide Fund for Nature, Conservation International, The Nature Conservancy, The Ford Foundation, The MacArthur Foundation, and USAID [United States Agency for International Development] have all ‚found‘ community. They direct enormous sums of money and effort toward community-based conservation and resource management programs and policies“ (ebd.: 631).

Grundlage hierfür sind die zwei Annahmen von Geldgeberinstitutionen: zum einen die Annahme, dass lokale Gemeinschaften ein langfristiges Interesse hätten, natürliche Ressourcen zu schützen, zum andern, dass sie diesbezüglich auch mehr Wissen und Erfahrungen als externe Akteure hätten. Eine solche Vision von Gemeinschaft als zentrales Element in Ressourcenmanagement und -erhaltung steht Narrativen gegenüber, in denen staatliche Kontrolle oder Privatisierung von Ressourcen glorifiziert werden (Agrawal/Gibson 1999: 631-3; Bakker 2008, 2003b; Li 1996: 503). Devolution als (Rück-)Führung von Verantwortung an bestimmte lokale Nutzergruppen wird dagegen z.B. als „re-scaling of governance for better resource management“ (Wiber/Bull 2009) gepriesen. Dass deren Umsetzung oft scheitert, wird dabei zunächst außer Acht gelassen.

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Im Rahmen einer Kritik an der Dominanz des Konzepts zu gemeinschaftlichem Ressourcenmanagement in Strategien (trans-)nationaler Institutionen arbeiten Agrawal und Gibson (1999) zunächst unterschiedliche definitorische Ansätze im Gebrauch des „community“-Konzepts heraus, um dessen Gebrauch besser verstehen zu können. Gängige Elemente in Definitionen von „communities“ sind v.a. Vorstellungen von einer geteilten, räumlich kleinen Einheit, sozialer Homogenität und geteilten Normen und Werten, über welche Zusammengehörigkeit und einheitliche Ziele imaginiert werden. D.h. in solchen Vorstellungen werden Gemeinschaft(en) oft naiv als „organische Einheiten“ konzipiert. Konzepte von Ressourcennutzungsgemeinschaften, die sich auf Raum beziehen, führen meist räumliche Nähe zu den natürlichen Ressourcen an. Diese wecke Interesse an deren Konservierung und erleichtere Kontrollen. Soziale Homogenität (bezüglich Ethnizität, Religion, Sprache, Besitz etc.) scheinen Kommunikation und Konsens und dadurch Gemeinschaftsbildungsprozesse wie auch Managementprozesse zu erleichtern und Gruppen nach innen zu stärken. Zuletzt wird angenommen, dass aus geteiltem Raum und Homogenität (sowie ggf. kleiner Gruppengröße) eine lokale Auffassung von Gemeinschaft erwachse. Aus dieser würden sich geteilte Interessen, Werte und Normen innerhalb der Gruppe und damit Zusammengehörigkeitsgefühl ableiten (ebd.: 633-6). Agrawal und Gibson prägen für solche Vorstellungen und Definitionen den Begriff der „mythic community“: der Idee von kleinen, integrierten Gruppen, die idealerweise über lokale Normen zu nachhaltigem und gerechtem Management von Ressourcen verfügen (ebd.: 638, 640). Li (1996) bezeichnet sie aus einer ähnlichen kritischen Haltung heraus als „moral communities“. 15 Wie Agrawal und Gibson kritisieren, seien in der Literatur zu Ressourcenmanagement und Ressourcenkonservierung ebenso wie in Strategien (trans-)nationaler Institutionen der Fokus auf und das Verlangen nach Gruppen, die diese Kriterien zu erfüllen scheinen, besonders groß (ebd.: 640). Eine solche Mystifizierung und Simplifizierung lässt jedoch, wie Agrawal und Gibson argumentieren, z.B. sozialen Wandel außer Acht. Außerdem wird ein positiver Zusammenhang zwischen derartig definierten bzw. vorgestellten Gemeinschaften und gutem Management bzw. Konservierung natürlicher Ressourcen vorausgesetzt. Unterschiedliche Interessen unterschiedlicher Akteure, strategische Allianzen, externe Prozesse sowie der Einfluss von Institutionen werden tendenziell vernachlässigt (ebd.: 636-8, 640; siehe auch Bakker 2008: 245-6). Dabei ist Aufmerksamkeit gegenüber solchen Details notwendig, wenn z.B. (transnationale) politische Strategien zu Resultaten führen

15

Die meisten Gemeinschaften, die Anspruch auf Ressourcennutzung erheben, sind, so Li (1996), auch dabei allerdings nicht wirklich auf eine moralische Ökonomie gegenseitiger Unterstützung, wie z.B. von Scott (1976) diskutiert, ausgerichtet.

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sollen, die auch die Ansprüche von Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit erfüllen (Agrawal/Gibson 1999: 633). Anstatt sich auf Raum, Gruppengröße, -charakteristika oder Normen zu konzentrieren, schlagen Agrawal und Gibson einen institutionellen Analyserahmen vor. Sie empfehlen, wie auch Bakker (2008), auf die Institutionen zu achten, welche die Gemeinschaften ausmachen und Regeln implementieren. Dies mache es nötig, die gegebenenfalls multiplen und sich überlappenden Regeln, die Gruppen und Individuen, die hierüber betroffen sind, und die Prozesse zu betrachten, aufgrund derer Regeln gegebenenfalls geändert werden. Über einen solchen Ansatz können bzw. müssen auch externe Akteure wie z.B. die staatliche und internationale Ebene und ihr Einfluss auf Gruppen und Institutionen einbezogen werden (Agrawal/Gibson 1999: 637-8). Vergleichbar schlägt Li (1996) vor, den analytischen Fokus auf Aushandlungsprozesse innerhalb und zwischen Gemeinschaften zu legen. Ein solcher Ansatz fasst Gemeinschaften als politische Zusammenschlüsse auf, die über politische und kulturelle Prozesse und Imaginationen geschaffen werden (ebd.: 508). Wie Li argumentiert, sind Vorstellungen von Gemeinschaft oft zentral, wenn es um den Zugriff auf natürliche Ressourcen geht. Allerdings sind es kaum Traditionen selbst, die Rechte auf Ressourcen bedingen. Stattdessen werden Nutzung und Nutzungsrechte stetig verhandelt. In diesem Prozess bieten Gemeinschaften kulturelle Legitimationen zur Verhandlung von Macht. Sie stellen ein Vokabular zur Verfügung, über das Bedürfnisse gerechtfertigt oder Druck ausgeübt werden kann. Damit bieten bestimmte Visionen von Gemeinschaft einen Rahmen zur Verhandlung von Regeln und Praktiken. Bezüglich der Diskussion zur Verwaltung natürlicher Ressourcen über lokale Gemeinschaften schlägt Li vor, auf die „micro political economy“, d.h. auf alltäglichen Diskurse und Praktiken einzugehen, über welche Zugang zu Land, Arbeitskraft und anderen produktiven Ressourcen legitimiert werden. Ein solcher Ansatz betont agency und Praxis und fokussiert auf die wechselseitige Anpassung kultureller Ideen, Institutionen und Praktiken des täglichen Lebens im Hinblick auf steten Wandel (ebd.: 508-9). Ein solcher Ansatz erlaubt es im Folgenden, unterschiedliche Gemeinschaften in Gilgit nicht nur über geteilten Raum, Homogenität und geteilte Normen und Werte zu konzeptualisieren. Es werden auch Aushandlungs- und Legitimationsprozesse innerhalb und zwischen Gemeinschaften betrachtet, über die Gemeinschaften formiert und deren Ansprüche auf und Verteilung von Wasser legitimiert werden und durch die auch die Fragmentierung der Wasserversorgung in Gilgit intensiviert wird. Ein solcher Ansatz erlaubt es außerdem, nachzuvollziehen, mit welchen Logiken und Legitimationen diese Fragmentierung – z.B. in Form des temporären oder permanenten Ausschlusses mancher Bewohner(-gruppen) von gemeinschaftlicher und öffentlicher Wasserversorgung – gerechtfertigt wird. Insbesondere im Zug von Migration und Verstädterung scheinen diese Legitimationen an Bedeutung zu gewinnen, wenn neue Bewohner_innen bzw. neue Stadtteile, aber auch neue Rechtssysteme

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und Institutionen – darunter auch öffentliche Einrichtungen, Nichtregierungsorganisationen, aber auch globale Rechtsdiskurse – die bisherigen Verteilungspraktiken herausfordern. Doch nun zu einer kurzen Beschreibung, wie in Gilgit und speziell im Fall des Jutial Nala die Institutionalisierung solcher „mythischen“ oder „moralischen“ Gemeinschaften vonstattenging und wie diese Gemeinschaften permanente oder periodisch exklusive Wasserverteilung legitimieren. Wie Li anführt, wird eine solche Legitimierung zumeist über ein bestimmtes Vokabular begründet, das über Begriffe wie Tradition Verwurzelung in der Vergangenheit und Unveränderbarkeit anmahnt, und dies ungeachtet dessen, dass eigentlich ein stetiger Wandel stattfindet. Gemeinschaften in Gilgit legitimieren den exklusiven Anspruch auf natürliche Ressourcen der nālas z.B. unter dem rhetorischen Rückgriff auf Begriffe wie dastūr (traditionelle Regelungen) und rasm-o-rivāj (Gewohnheiten, Bräuche und Traditionen) sowie über die Feststellung, dass diese mittlerweile haq (Recht) und qānūn (Gesetz) entsprechen würden.

JUTIAL – BESIEDELUNG, RECHTE AUF NATÜRLICHE RESSOURCEN UND LANDKONFLIKTE Am Schwemmfächer des Jutial Nala ist in den letzten Jahrhunderten aus dem Dorf Jutial ein Stadtteil Gilgits angewachsen, das auch als Teil Gilgits eingemeindet wurde. Dies gilt auch für Khomer, ein Dorf, das aus drei Siedlungen bestand, das ebenfalls am Jutial Nala liegt.16 Um den Nukleus Jutials (Jutial kōṭ bzw. kōṭ mohalla) breiten sich durch Zuzug, aber auch durch Anwachsen der Familien, Bebauung und Begrünung immer mehr aus. Darüber hinaus entstanden durch den Verkauf von urbarem Land neue Siedlungen wie zunächst der Sami Mohalla, wo neue Siedler schon bestelltes Land kauften, für das sie mit den Verkäufern Vereinbarungen, Wasser über deren Anteil zu erhalten, trafen. Während das ursprüngliche Dorf Jutials vergleichsweise dicht am Ausgang des Jutial Nala liegt, wurde im 20. Jahrhundert so immer mehr Ödland im Norden und Osten, d.h. „stadtauswärts“, besetzt und bebaut. Mittlerweile ist beinahe der ganze Schwemmfächer des Jutial Nala bebaut oder zumindest parzelliert – aus der Vogelperspektive scheint sich das Grün Jutials und Khomers langsam von Westen nach Osten aufzufächern (vgl. Abb. 4).

16

Während ursprünglich Ödland (dās bzw. ḵhālisa) zwischen den vereinzelten Siedlungen der Dörfer verblieb, haben sich Siedlungen und landwirtschaftliche Flächen mittlerweile so weit ausgedehnt, dass die Stadtteile optisch zunächst nicht zu unterscheiden sind.

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Mit dem stetigen Wachstum werden heute mehrere Teile Jutials unterschieden; unterhalb des Ausgangs des Jutial Nala verbleibt der Dorfnukleus (Jutial kōṭ mohalla) als „upper Jutial“. Unterhalb der Shahra-e-Quaid-e-Azam, der Hauptstraße, die Gilgit mehr oder weniger parallel zum Fluss durchzieht, entstanden ab den 1930er Jahren diverse Siedlungen (Englisch: colony, Urdu: ābādī) wie die Benazir Colony, Sultanabad und Sultan Colony, die oft wiederum als „lower Jutial“, zusammengefasst werden. Dabei wird „lower Jutial“ aber nicht nur räumlich durch eine Hauptstraße vom alten Teil Jutials getrennt, sondern zunehmend auch begrifflich durch einen eigenen Namen: Zulfiqar Colony bzw. Zulfiqarabad. Ab den 1990er Jahren entstanden in „upper Jutial“ im Osten und in immer größerer Nähe zum Ablauf des Gebirgsbachs die „backside colonies“, wie die Lalik Jan Colony, Diamer Colony, Yasin Colony oder auch Satellite Town, die Gesprächspartner_innen im alten Jutial zumeist als die „hinteren Siedlungen“ („the colonies in the backside“ bzw. „pīchewāle jo kāloniyāñ hayñ“) zusammenfassten. Begrifflich und verwaltungstechnisch werden sowohl Zulfiqarabad als auch die „backside colonies“ ebenfalls zu Jutial gerechnet, allerdings sind die meisten ihrer Siedler_innen nach dem ersten Drittel des 20. Jahrhundert aus den umliegenden Tälern nach Jutial gezogen, während die Siedler_innen „upper Jutials“ schon zuvor nach Jutial migriert waren – was großenteils auch für die Bewohner_innen Khomer gilt. Während die Bewohner_innen der alten Siedlungen Jutials und Khomers Anspruch auf das Wasser des Jutial Nala beanspruchen, bleiben gerade die neuen Siedlungen, d.h. die Zulfiqarabads und die der „backside colonies“, im Frühjahr für zwei bis vier Monate von der Wasserversorgung abgetrennt. Grundlage für den temporären Ausschluss von der Wasserversorgung ist der Anspruch auf die Gewohnheitsrechte, welche die Gemeinschaften der pushtūne bāshinde („alte Siedler“) Jutials und Khomers erheben. Dabei ist, wie auch in Elias und Scotsonsʼ Untersuchungseinheit Winston Parva, die Unterscheidung in „alte“ und neue Siedler_innen eine subjektive Kategorisierung. Es wird auf die „passenden“ historischen Elemente verwiesen, um so eine Kontinuität mit der Vergangenheit herzustellen, über die die Kategorisierung sowie gewisse Praktiken als „traditionell“ legitimiert werden sollen (vgl. auch Hobsbawm 2000: 2-3). Die Bedeutsamkeit der (neuen) Kategorisierung als „alte“ oder neue Siedler korrespondiert zum einen mit dem sozialen Prestige des Originals und des Eigentlichen, wie auch und Sökefeld (1998) in seinem Aufsatz The People Who Really Belong to Gilgit diskutiert (siehe auch Sökefeld 1997a). Zum anderen korrespondiert sie mit der Möglichkeit, sich auf Gewohnheitsrechte zu berufen, die den Zugriff auf angrenzendes Land und die natürlichen Ressourcen der Seitentäler legitimieren.

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Institutionalisierung der Kategorie der pushtūne bāshinde in Jutial Über die Erstbesiedelung Jutials gibt es unterschiedliche Versionen. Jamhoor Ali, der councillor Jutials gewesen war und seitdem diverse Stellen als Lehrer, Journalist und Jugendarbeiter besetzte, erklärte z.B., dass seine Familie schon seit mehr als 500 Jahren in Jutial siedele. Den ersten Nachweis – ein settlement record bzw. settlement, d.h. ein Register für Besitz und Erträgnisse – hätten 1906 die Briten für Jutial erstellt und hierin zehn Familien registriert.17 Ein Nachbar, Rasul Mir, der in den 1980er Jahren member des Municipal Committee für Jutial gewesen war und der außerdem damit Staat machte, 1947 die Anschlusserklärung Gilgits an Muhammad Ali Jinnah überbracht zu haben, erklärte dagegen, Jutial sei ab den 1930er Jahren besiedelt worden, nachdem der Dogra Herrscher Maharajah Hari Singh Familien aus Hunza und Diamer die Genehmigung gegeben hatte, sich dort niederzulassen. Entsprechend sei sein Vater Meherban 1930 aus Darel, einem Tal Diamers, nach Gilgit gezogen und habe sich in Jutial niedergelassen. Dort hatte er den Versuch, sich als „business man“ zu etablieren, aufgegeben und war ṭhekedār bzw. contractor, d.h. Bauunternehmer im öffentlichen Sektor geworden. Auch sein Nachbar Romaas bestätigte, dass die Familie Rasul Mirs, ebenso wie die eigene, in den 1930er Jahren nach Jutial gezogen waren. Während dieser Zeit sei die Bevölkerung gering und Land üppig gewesen und ihre Familien konnten mehrere Dutzend Kanal Land gewinnen. Wie Romaas kalkulierte, habe seine Familie sich so über 100 Kanal Land auf dem Fächer Jutials und weitere 100 im nāla erarbeitet und Rasul Mirs Familie ebenfalls mindestens 50 Kanal. Die Dörfer von Khomer und Jutial hätten dabei oft zusammengearbeitet, wenn es darum ging Kanäle zu bauen und instand zu halten, und es hätte auch keine Konflikte über Land oder auch Wasser gegeben – schließlich sei „mehr als genug“ Land und Wasser vorhanden gewesen, wie Romaas erklärte.18 Rasul Mir ließ die Siedlungsgeschichte Jutials also mit dem Zuzug aus Darel beginnen – obwohl sein Nachbar Romaas ergänzte, dass es

17

Leider waren mir diese Dokumente nicht einsehbar. Außerdem hatte es im settlement office Gilgits vor einigen Jahren einen Brand gegeben, bei dem die aktuellen sowie die historischen Grundbesitzkarten verbrannt waren; seitdem werden die Grundbesitzdaten neu erhoben.

18

Auch wenn er mit der Ergänzung, dass ansonsten eine jirga einberufen worden sei, durchaus bestätigte, dass es auch Konflikte gegeben haben muss.

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durchaus schon eine, wenn auch geringe, Bevölkerung gegeben habe, zu der auch die Familie Jamhoor Alis gehört habe.19 Familien, die wie Jamhoor Alis, Rasul Mirs oder Romaas Familien, Land urbar gemacht und Bewässerungskanäle angelegt hatten, bezeichnen sich mittlerweile stolz als „alte“ Siedler (pushtūne bāshinde, purāne bāshinde) oder als „alte“ Rechtehalter (pushtūne malikān, pushtūne ḵhēbardarān). Sie verstehen sich als muṭhulphau bzw. deren Nachkommen: die Land über die eigene Arbeit urbar gemacht (wörtlich: gebrochen), bewässert und bestellt haben (siehe auch Sökefeld 1997a: 68, 1998: 137). Der Begriff muṭhulphau bezeichnet insofern keine spezielle Gruppe, sondern eine Beziehung zum Land bzw. den natürlichen Ressourcen (ebd.). Über diese Pionierleistungen erheben die Nachkommen Anspruch auf Wasser aus den nālas sowie dessen weitere natürliche Ressourcen und auf das „Gewohnheitsrecht“, sich shāmilāt, Ödland, das die Siedlung angrenzt, anzueignen. Dieses Gewohnheitsrecht sei in sogenannten wājib ul-arz von den Briten verschriftlicht worden. Ebenso wie die settlement, waren diese Teil von diversen Dokumentationspraktiken, die ab dem 16. Jahrhundert unter den Moghulen in Südasien eingeführt worden waren und die die Verwaltung Britisch Indiens übernommen hatte. Settlements etwa entsprechen den als bandobast bezeichneten Registern des Moghulreichs, in denen Besitz und Erträgnisse und die daraus abgeleiteten Staatseinnahmen erhoben und dokumentiert wurden (siehe auch Sundaram 1929). Entsprechend der unterschiedlichen Auffassungen und Erzählungen der Siedlungsgeschichte gibt es über die Zahl an Familien, die als pushtūne bāshinde anerkannt sind, keine Klarheit; die genannten Zahlen reichten von 10, 12 und 14 bis hin zu 20 und 32 Familien – was ggf. über die unterschiedlichen, wiederholt erhobenen settlements erklärbar wäre, auf die sich meine Gesprächspartner gegebenenfalls bezogen, was aber auch vermuten lässt, dass die Kategorisierung eine subjektive und bis zu einem gewissen Grad flexible Angelegenheit ist. In Jutial wurde die Kategorie der pushtūne bāshinde jedoch zunehmend wichtig und zusammen mit den Gewohnheitsrechten bemüht. Anlass waren die Verwaltungen, die zwischen den 1930er und 1990er Jahren zunehmend das an Jutial angrenzende Ödland an Leute „von außen“ überschrieben. Diese Überschreibungen waren aufgrund unterschiedlicher Auffassungen möglich gewesen, wer ein Recht auf das Ödland habe und hatten zu diversen Konflikten geführt. Die „alten“ Siedler verstanden das Ödland als Ödland der Gemeinschaft (ḵhālisa-e awām bzw. ḵhālisa-e deh) bzw. als Ödland, das an das Dorf angrenzt (shāmilāt). Dieses steht der Dorfgemeinschaft zu und kann zum Eigentum von Dorfbewohnern werden, sofern es er-

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Eine ähnliche familienzentrierte Umdeutung der Siedlungsgeschichte schildert auch Sökefeld (1998: 191).

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schlossen und kultiviert wird20 – ein Prozess, der auch als Einverleiben bzw. „Essen“ von Land (zamīn khāna) bezeichnet wird.21 Dieser Auffassung von Ödland, als Gemeinschaftsgut und potenzieller Privatbesitz stand eine Definition von Ödland als ḵhālisa-e sarkār, d.h. staatliches Ödland entgegen. Eine solche Definition war im Zuge der Verwaltung des Landes durch die Kashmiris im 19. Jahrhundert auch auf die Region ausgeweitet worden (vgl. Sökefeld 1998: 138-9). Über diese war es der Verwaltung möglich, unabhängig vom Wohn- und Herkunftsort der Begünstigten, Land zu überschreiben. So begann auch die Britische Verwaltung damit, verdienten Unteroffizieren der Gilgit Scouts, deren Kompanien mit Männern aus Hunza, Nagar, Yasin, Ghizer und Gilgit besetzt wurden, als Belohnung oder Entschädigung ḵhālisa auf dem öden Ausläufer des Jutial-Schwemmfächers zu überschreiben.22 Darüber hinaus war in den 1930er Jahren die State Subjects Rule auch in der Region wieder abgeschafft worden. Diese war zunächst in Jammu und Kashmir und später auch im Gilgit Wazarat eingeführt worden und hatte zum Inhalt, dass Land nur an state subjects hatte überschrieben oder verkauft werden können. Zum anderen war die Jammu Alienation of Land Regulation ebenfalls auf das Gilgit Wazarat ausgedehnt worden. So war der Kauf und Verkauf von Land wieder frei möglich und es war auch „Leuten von außen“, z.B. aus Hunza, möglich, Land in Gilgit zu kaufen (Sökefeld 1997a: 123-4, 1998: 138-9, 160-1). D.h. auch, dass die kashmirischen Herrscher zunächst die bisherige Möglichkeit der flexiblen Handhabung, Zuwanderer zu integrieren, verschlossen. Nach 1935 wurden die Regeln wiederum so gelockert, dass Gilgit für alle offen war. Die Bevölkerung der Region wurde zunehmend wieder räumlich und sozial mobil; darüber hinaus wurde die Verwaltung zunehmend ausgeweitet und Geldwirtschaft eingeführt; der nichtlandwirtschaftliche Arbeitsmarkt wuchs, ebenso wie der bazār. Landwirtschaft war nur mehr eine Möglichkeit des Lebensunterhalts unter vielen, Land wurde zur Ware und damit einher ging eine Veränderung im Wertesystem (Sökefeld 1998: 162).

20 Usman Hussain, der Enkel Rasul Mirs, erklärte, dass laut dem wājib ul-arz die Bewohner Jutials das Recht hätten, sich bis zu 1000 Kanal angrenzendes Ödland „einzuverleiben“, ohne dass es einer weiteren Genehmigung von staatlicher Seite bedürfe. 21

Dabei kann der Begriff zamīn khāna mit sehr unterschiedlichen Konnotationen verwendet werden: für das rechtmäßige oder unrechtmäßige „Einverleiben“ von Land ebenso wie für das Verprassen des Erlöses aus dem Verkauf von geerbtem Land.

22

Für heutige Verhältnisse waren diese Grundstücke sehr groß; Sökefeld (1997a) führt z.B. Muhabatullah Beg an, der 1938 in Jutial 120 Kanal ḵhālisa überlassen bekam (ebd.: 160-1). Zum Vergleich werden in den 2010er Jahren Grundstücke für den privaten Hausbau überwiegend auf 0,5 bis 1 Kanal angesetzt.

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Im Zuge dieser Veränderungen wurden die Überschreibungen von Land v.a. im heutigen Zulfiqarabad an „Leute von außen“ insbesondere in den 1970er bis 90er Jahren zum Objekt von Konflikten. Infolge derer wurden die Überschreibungen zwar nicht rückgängig gemacht, aber durch Überschreibungen auch an die Mitglieder der Dorfgemeinschaften Jutials (und Khomers) ergänzt – wobei auch hier zentrale Frage war, wer hierzu zählt (siehe auch Sökefeld 1998). Mit dem Verkauf auch diesen Lands durch „alte“ Siedler an neue Siedler, entstanden in Folge auf dem bisherigen Ödland weitere neue Siedlungen – die „backside colonies“ Jutials. Mit den so entstandenen Siedlungen gehen jedoch keine Rechte auf das Wasser des Jutial Nalas einher. Dabei ist die Teilhabe und Nutzung der natürlichen Ressourcen des nāla und des Ödlands zunächst flexibel gehandhabt und erst in den 1950er Jahren festgezurrt worden: Bis in die 1940er Jahre konnten sich neue Siedler – so wie die Familien von Rasul Mir und Romaas – über Pionierleistungen, d.h. das Urbar- und Bewässerbarmachen von Land, Ressourcenrechte erarbeiten (siehe auch Sökefeld 1997a).23 Diese Praxis wird heute in Aussagen „alter“ Siedler idealisiert, in denen diese die damalige Unterstützung neuer Siedler akzentuieren. So hätten „früher“ (purāne zamāne meñ) die schon Ansässigen Siedler neu Siedelnde beim Urbarmachen des Landes, dem Ausweiten des Kanalsystems und dem Bau von Häusern unterstützt. Die Weitläufigkeit des Kanalsystems, über welches das Land Jutials sowie der drei angrenzenden Dorfteile Khomers (Beshot, Damot, Yerkot) bewässert wird, bezeugt, so viele „alte“ Siedler, eine Vergangenheit, in der Kooperation und Großzügigkeit an der Tagesordnung gewesen seien und in der es Land und Wasser im Überfluss gegeben habe.24 Die Nachkommen der Pioniere, die sich vor den 1940er Jahren in Jutial und Khomer angesiedelt hatten, bildeten zwar zwei Dorfgemeinschaften, aber eine hydraulische Gemeinschaft, deren Mitglieder über das Anlegen und Instandhalten von Wasserinfrastrukturen sowie über Kooperation bei der Verteilung des Wassers verbunden waren. Ab den 1950er Jahren wuchs jedoch unter den erbeingesessenen Bewohnern Gilgits, die sich als „die richtigen“ Einwohner Gilgits verstanden, die Unzufriedenheit über die Überschreibung von ḵhālisa an

23 Übernahmen neue Siedler dagegen von muṭhulphau schon bewässertes oder bewässerbares, urbar gemachtes Land, wurden sie zu sogenannten sāmī, die zwar kein Recht auf Wasser hatten, aber jährlich über „ihren“ muṭhulphau einen Anteil an dessen Wasser erbitten oder erarbeiten konnten (siehe Sökefeld 1997a: 68-78, 91-2, 114-7). 24

Immer wieder merkten Gesprächspartner_innen an, dass „früher“ Land vor der Urbarmachung keinen Wert an sich besessen habe und daher günstig verkauft oder gar verschenkt worden sei. Noch in den 1950er Jahren hätte z.B. Rasul Mir so viel Land im Osten Jutials an Bekannte verschenkt, erklärte mir sein Enkel, dass nach der Vererbung des restlichen Lands den Enkeln kaum noch mehr als jeweils ein Kanal verbleibe.

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„Leute von außen“ – insbesondere an Ismailiten aus Hunza, die in einer vergleichsweise kurzen Zeit Bildung, wirtschaftliche Erfolge und Kapital auf sich vereinen konnten (Sökefeld 1997a: 129). Zunehmend wurde die Unterscheidung zwischen Leuten „von innen“ und „von außen“ gezogen. Mit Bezug auf die frühere Besteuerung des bestellbaren Landbesitzes (māliya) und die als unrechtmäßig verstandene Überschreibung von ḵhālisa wurde in den 1950er Jahren in Gilgit unter Ghulam Muhammad Gun, einem Kashmiri aus Kashrot,25 die Kategorie und politische Bewegung der pushtūne bāshinde geprägt. Über diese wurde gefordert, dass alle Steuern abgeschafft und der Verkauf oder die Überschreibung von Land an Leute von außerhalb verboten werden sollten (Sökefeld 1997a: 129, 1998: 164).26 Wie Sökefeld (ebd.) bemerkt, wurde die Bewegung recht großzügig gefasst; als Kriterium wurde festgelegt, vor 1947 Land besessen zu haben. Über diese Kategorie sicherten sich die „vor 1947-Siedler“ in ganz Gilgit, inklusive Jutial und Khomer, exklusive Rechte auf die natürlichen Ressourcen der nālas. Obwohl die eigentlichen Pioniere schon verstorben sind, beanspruchen deren Nachkommen Gewohnheitsrechte auf die natürlichen Ressourcen. Dies rechtfertigen sie über Verweise auf „Tradition“ (dastūr) und „Gewohnheit“ (rasm-o-rivāj) und stellen es als eine Weiterführung traditioneller Praktiken dar. Dabei gab es durchaus eine Änderung: die bisherige, „traditionelle“ Möglichkeit z.B., dass sich auch neue Siedler über das Urbarmachen von Land und über Erweiterungen und Instandhaltungsarbeiten der Bewässerungsinfrastruktur ein Recht auf Wasseranteile erarbeiten können, wurde nicht weiter gewährt. Wie auch Li (1996: 311) für Sulawesi, Indonesien erfasst, werden Besitzansprüche und Nutzungsrechte nun über Vererbung geltend gemacht und können nicht mehr über Erarbeitung beansprucht werden. Entsprechend wurde der Status als „alter“ Siedler von keinem Gesprächspartner über eigene Verdienste bei der Errichtung oder Instandhaltung des Infrastruktursystems legitimiert. Statt Wasserrechte als Teil eines erworbenen bzw. erarbeiteten Status zu legitimieren, verwiesen alle Gesprächspartner nur auf Vererbung als Legitimation. Gleichzeitig würden zukünftige Bedürfnisse kommender Generationen eine Aufgabe der Gewohnheitsrechte ausschließen. Über diese Argumentationen verankerten meine Gesprächspartner_innen die Gewohnheitsrechte also sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft.

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Kashrot war von Kashmiris gegründet worden, die in den letzten Jahrhunderten nach

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Sökefeld (1997a) beschreibt die „Puśtūnī-Bāśindē-Bewegung“ als eine Bewegung, die

Gilgit übergesiedelt waren. zwar später v.a. auf die Vorenthaltung demokratischer Rechte fokussierte, zunächst aber bezüglich die als unrechtmäßig verstandene Vergabe von Ödland sowie Steuern und Abgaben mobilisiert worden war (ebd.: 281; Schreibweise wie im Original).

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Aus diesen Entwicklungen ergab sich einerseits eine räumliche und verwaltungstechnische Nähe von alten und neuen Siedlungen Jutials. Andererseits wurden die neuen Siedlungen aus der hydraulischen Einheit ausgeschlossen. So entstand ab den 1950er Jahren, was mit Elias und Scotson (1994) als klassische „EtabliertenAußenseiter-Figuration“ bezeichnet werden kann: die Unterscheidung von Langansässigen und neu Zugezogenen. Dabei sehen sich die ersteren auf einer moralisch überlegenen Position; Sie sind diejenigen, die beanspruchen, im Recht zu sein. Gleichzeitig werden sie wiederholt (durch unrechtmäßige Überschreibungen von Land, durch unfairen Landverkauf und durch die Nötigung, nun auch Wasser abgeben zu sollen) bedrängt und benachteiligt. Wie bei Elias und Scotson zeichnen sie sich zunächst über einen größeren Kohäsionsgrad aus, der es bis zu einem gewissen Grad erlaubt, soziale Macht auszuüben, wie zuvor und nachfolgend deutlich wird: die „alten“ Siedler schaffen es wiederholt, sich auf Allianzen innerhalb der hydraulischen Einheit zu berufen, um ihre Ansprüche auf Land und Wasser durchzusetzen. Dennoch gilt auch hier, wie im Lauf der Arbeit deutlich wird, dass das Machtungleichgewicht und damit einhergehend Stigmatisierungen keinesfalls statisch sind und diese nicht uneingeschränkt durch die stigmatisierte Gruppe übernommen werden. Landkonflikt revisited Die zunehmende Übernahme von Land durch „Leute von außen“ sowie die Besetzung von Land durch das Militär löste v.a. in den 1970er, 80er und 90er Jahren wiederholt Proteste aus (Sökefeld 1998: 186-95, 2010: 248-51). Das Hin und Her bezüglich der Auslegung von Regelungen und der Ein- und Ausgrenzung bestimmter Familien im Hinblick auf die Kategorie der „alten“ Siedler beschreibt Sökefeld (1998: 188-206) aus der Sicht verschiedener „alter“ Siedler.27 So hatte z.B. das Force Command Northern Areas (FCNA) Land unterhalb des alten Dorfkerns Jutials besetzt und hierfür Wasser aus dem Jutial Nala abgeleitet. 1972 führte dies zu einem Konflikt zwischen Bewohnern Jutials und dem Militär, nachdem Soldaten begonnen, Wasser direkt aus dem nāla abzuleiten. Offenbar wurden die Soldaten – noch dazu bewaffnet – im nāla als Bedrohung (insbesondere für die Frauen) wahrgenommen bzw. als Bedrohung dargestellt. Vertreter Jutials und Khomers sowie des Sami Mohalla reichten Beschwerde hiergegen ein. Um ein Aufeinandertreffen von Frauen und Soldaten zu verhindern, sprachen Vertreter Jutials und Khomers dem Militär schließlich eine zwei Inch Leitung und Bewässerungswasser zu; mitt-

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Auch Sökefeld (1993) verwendet Pseudonyme sowohl für seine Gesprächspartner als auch für die Ortschaften.

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lerweile wird diese Entscheidung als Anspruch des FCNA auf Gewohnheitsrechte auf Wasser gewertet.28 Wie Jamhoor Ali, der vormalige councillor Jutials, erklärte, habe das Militär damals Entschädigungszahlungen für das besetzte Land versprochen, diese aber nie beglichen. In den 1980er Jahren wurde weiteres Ödland von Verwaltungsbeamten an „Leute von außen“ verkauft, wogegen die „alten“ Siedler Jutials, mithilfe derer Khomers, protestierten. Um ihren Anspruch auf das Ödland deutlich zu machen, bezeichneten die „alten“ Siedler in diesen Konflikten die Überschreibungen der Verwaltung öffentlich als illegal und die Beteiligten als korrupt. Über das Pflanzen von Baumsetzlingen markierten sie das Ödland als das eigene: Ausgehend von traditionellen Regelungen ist Landbesitz daran gebunden, das Land auch zu kultivieren und hierfür Wege und Wasserwege anzulegen und abzugrenzen. Das Kultivieren des Landes, insbesondere das Anpflanzen und Bewässern von Bäumen, heute aber zunehmend auch das Abgrenzen über Mauern, gilt dabei als Marker für Besitz.29 Wird das Land nicht bebaut oder bestellt verfällt (nach 10 Jahren) der Besitzanspruch. Darüber hinaus griffen die Bewohner Jutials, um ihren Anspruch geltend zu machen, bei diesen Landkonflikten zum einen auf die Verschriftlichung von Gewohnheitsrechten im wājib ul-arz und zum anderen auf die in den 1950er Jahren geschaffene Kategorie der pushtūne bāshinde zu. Mir gegenüber erklärte Jamhoor Ali die (unrechtmäßigen) Überschreibungen von Land darüber, dass insbesondere die Verwaltung die rechtlich ungeklärte Situation und die Einfachheit (sādagī) der ungebildeten Bevölkerung genutzt bzw. ausgenutzt habe, um Land an (zahlende) Außenstehende, aber auch an die verschiedenen Departments selbst zu überschreiben. „So within this area […] the ‚administration‘ is taking advantage of our simplicity (sādagī) – of the simplicity of the uneducated people – and pressurizing them about this or that thing. […] The law, which was there since the time of the British (angrez), was badly destroyed – [otherwise] within these areas [that are near to a village] you cannot make ‚allotments‘

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Mittlerweile ist das Hauptquartier des FCNA für Gilgit-Baltistan in Jutial; das Gebiet, das vom Militär beansprucht wird, dehnt sich so zunehmend auf einer Nord-Süd-Achse quer durch die am Fluss entlang verlaufenden Stadt aus. Neben der Army Public School und dem Combined Military Hospital (CMH) – Institutionen, die für Militärangehörige eingerichtet wurden, aber auch für Privatpersonen zugänglich sind – eröffnet das Militär zunehmend auch Lebensmittelgeschäfte und vermietet Ladengeschäfte in Jutial und wird somit zur Konkurrenz für lokale Ladenbetreiber. Darüber hinaus baut das Militär im Osten der Stadt zwischen Sakwar und Minawar, wo der KKH auf Gilgit trifft und in Richtung Hunza bzw. China abschwenkt, einen Stützpunkt aus.

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Vgl. auch Li (1996) für ähnliche Praktiken bei den Lauje in Indonesien.

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without the ‚permission‘ of the people! [But:] Most ‚allotments‘ were made within the boundaries of Jutial! Most of all! Thousands of kanal of land did the government take for its own ‚purpose‘; took it and occupied it for their use. Today [it has come so far that] the people, the real (pakke) [people] of here, who are the owners, are [even] talking about water [i.e. talking about protecting their right on the water, A.G.]. And the graveyard – there is not even space to bury the people. The people are sorry that they have built so many houses. The people have no land anymore. Those who are settled here for a long time! That is the situation.“

Das Land, das eigentlich den „alten“ Siedlern zustehe, sei mittlerweile vertan, d.h. von der Verwaltung besetzt oder vergeben oder von den eigenen Leuten verkauft oder verbaut. Selbst für Friedhöfe, so Jamhoor Ali, sei nun kein Land mehr verfügbar. Unter diesen Voraussetzungen sähen die „eigentlichen“ („pakke“) Bewohner_ innen nun auch ihre Wasserrechte bedroht. Wie auch Sökefeld (1998) argumentiert, fühlen pushtūne bāshinde im Zuge der zunehmenden Veränderungen ein Gefühl des Verlusts, das Hand in Hand mit Bedauern über den Verlust von Bedeutung und Einfluss geht. Land, das ursprünglich Zeichen für Status war, wird so zu einem Symbol der Enteignung. Im Zuge moderner Entwicklungen wie Landreformen unter den Sikh Dogra, der Autorisierung (pakistanischer) staatlicher Institutionen sowie Prozessen sozialen Wandels wird so die traditionelle soziale und moralische Ordnung herausfordert (ebd.: 143-4; siehe auch Sökefeld 1997a: 79-80). Wie Jamhoor Ali weiter erklärte, sei die Überschreibung des Lands der Verwaltung möglich gewesen, weil die Bevölkerung einfach, ungebildet und aufrecht („sīdhe sādhe“, „unpaṛh“, „sharīf“) gewesen sei und sich mit rechtlichen Dingen nicht ausgekannt habe. Dies habe sich im Lauf diverser Veränderungen gezeigt: insbesondere nach der Angliederung der Region unter Zulfiqar Ali Bhutto, der zu Beginn der 1970er Jahre lokale Herrscher abgesetzt, die Frontier Crimes Regulations sowie Pflichtarbeit (rajāki) abgeschafft und das pakistanische Gesetz – wenn auch nicht formell so zumindest praktisch – auch auf die Northern Areas ausdehnte hatte. Wie Jamhoor Ali argumentierte, war dies ein Wandel, in dessen Zuge es v.a. denen möglich war, hiervor zu profitieren, die sich mit dem (neuen) Recht auskannten. Hierzu zählen, wie ich meine, zum einen Gilgitis, die Chancen auf Bildungsmigration wahrgenommen hatten, so z.B. junge Männer aus Kashrot, die als Kashmirirs in Srinagar, Kashmir studierten. Auch Sökefeld (1998) hält diesen Diskurs, dass Bildung bzw. Wissen um Regeln in (staatlichen) Insitutionen zu einer Ressource wird, fest, auch wenn Sökefeld anhand seiner Forschung nahelegt, dass sich die meisten Gilgitis im 20. Jahrhundert weniger auf neue Ressourcen wie Bildung als auf die altbekannte Ressource Land verließen: „[apparently] people from outside were able to acquire and make use of new resources and instruments like education, whereas the people of Gilgit just enjoyed their ‚old‘ resources, the land, which gradually changed its meaning“ (ebd.: 199). Wie auch im Hinblick auf die

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Mobilisierung von organisationalen und damit monetären Ressourcen insbesondere über das AKDN, wird der Diskurs um Bildung zu einer Frage nach potenzieller Macht und Vorteilsnahme (siehe auch das Unterkap. „Konfessionslandschaften“). Wie Jamhoor Ali weiter argumentierte, beschränkte die Verwaltung die Möglichkeiten der „alten“ Siedler darüber hinaus mit dem Argument, Gilgit sei städtisches Zentrum („capital area“ und „headquarter“). Hierdurch sei es den „alten“ Bewohnern Jutials unmöglich gemacht worden, ohne die Zustimmung der Verwaltung weiterhin shāmilāt bzw. ḵhālisa zu besetzen. Dabei habe es für Gewitzte bzw. solche, die die Regeln kannten, durchaus immer Möglichkeiten gegeben, diese zu umgehen. Ihre Einfachheit und Aufrichtigkeit hätte die Bewohner Jutials aber davon abgehalten, sich für ihre Rechte einzusetzen oder die Verwaltung dahingehend zu bedrängen, rechtens zu handeln. Erst 1986 habe sich dies geändert. Für das Überschreiben von Land in und um Jutial sei es nun auch für die Verwaltung notwendig geworden, die Zustimmung von Vertretern Jutials einzuholen. Ein Komitee mit Beraterfunktion (silāhī kamēṭī) wurde etabliert, in dem sieben Repräsentanten die „vierzehn“ „alten“ Familien vertraten. Dies ermöglichte es den „alten“ Familien (wieder), sich ebenfalls Land einzuverleiben: die „alten“ Siedler besetzten Land und über Beziehungen („birāderī“30) brachten sie die Verwaltung dazu, diese Besetzungen zu legalisieren. Dabei spielte die Kooperationsgemeinschaft, die über die hydraulische Einheit zwischen Jutial und Khomer bestand, eine bedeutende Rolle. In Folge des Landkonflikts, den die Dörfer Jutial und Khomer in den 1980er und 90er Jahren austrugen, wurden Überschreibungen von Ödland an „Leute von außen“ zwar nicht rückgängig gemacht, aber durch Überschreibung von Land an die Dorfgemeinschaften Jutials und Khomers ergänzt. Offenbar waren dabei die „alten“ Siedler Khomers von den „alten“ Siedlern Jutials beteiligt worden, um einen größeren Einfluss ausüben zu können. Basis für die Beteiligung war der Rückgriff auf die hydraulische Einheit, die Jutial und Khomer bilden.31 Die gemeinsame Nutzung und Bewirtschaftung des Wassers des nāla ist so Grundlage für eine beizeiten aktivierte Allianz – auch wenn Gesprächspartner Jutials bedauernd kommentierten, dass diese Allianz mit dreiviertel des nāla-Wassers und mit der Überschreibung von dreiviertel des gewonnenen

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Birāderī hat eine ähnliche Bedeutung wie qōm als Quasiverwandtschaftsgruppe, bezeichnet hier aber eher eine Interessensgruppe.

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Die Rechte, die Khomer auf andere Ressourcen aus dem Jutial Nala hat, sind umstritten; das Recht auf Wasser wird fraglos den „alten“ Siedlern Jutials und Khomers zugesprochen und auch die Erträge aus Wildjagdlizenzen werden offenbar geteilt – obwohl die „alten“ Siedler Khomers laut „alten“ Siedlern Jutials außer dem Wasser keinen Anspruch auf die weiteren natürlichen Ressourcen des Jutial Nalas besitzen würden.

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Lands teuer erkauft sei: Die drei Dorfcluster Khomers (Beshot, Damot, Yerkot) werden je als Äquivalent zum originären Jutial gesehen und mit Wasser versorgt. D.h. Wasser geht in gleichen Teilen an Beshot, Damot, Yerkot und Jutial. So entspricht die Wasserverteilung Khomer zu Jutial heute drei zu eins und auch die Landverteilung wurde hierüber bestimmt. Dennoch bildete hier die hydraulische Einheit nicht nur eine technische, sondern auch eine soziale Domäne, von der auch über die Bewirtschaftung der Wasserressourcen hinaus wirksam Gebrauch gemacht wurde (siehe auch Mosse 2005b: 4-5). Bei meiner Forschung 2012 wurden diese Ereignisse jedoch wesentlich anders dargestellt und definiert als in den 1990er Jahren gegenüber Sökefeld. Auf die Umstände des Konflikts wollte keiner meiner Gesprächspartner – auch nicht die damals selbst beteiligten Bewohner Jutials und Gesprächspartner Sökefelds der 1990er Jahre – mehr näher eingehen. Der Konflikt um Land und Kompensationen, der aber auch Fragen von Identität und Zugehörigkeit aufgeworfen hatte, wurde mir gegenüber von den meisten „alten“ Siedlern in abgehackten Nebensätzen abgetan. Darüber hinaus wurde der Verlust des Landes – durch die staatlichen Überschreibungen, aber auch durch anschließenden privaten Verkauf an neue Siedler – vielmehr als (ironischer) Beweis der Philanthropie und des Altruismus der „alten“ Siedler Jutials gegenüber den neuen Siedlerinnen und Siedlern sowie den „alten“ Siedlern Khomers dargestellt. Usman Hussain z.B., Rasul Mirs Enkel und zuletzt gewählter councillor Jutials, erwähnte, dass sich ğēr-ḵhēbardarān, d.h. Leute, die kein Recht auf die naütrlichen Ressourcen des nāla haben, ebenso wie Departments der Verwaltung („government“, „‚government‘ ke idāre“), über Bestechungsgelder („rishwat aur sifārish“) bzw. unter der Hand („chupke“) das shāmilāt Jutials hätten überschreiben lassen. Usman Hussain betonte dabei aber, sie als „alte“ Siedler hätten die Beteiligten gewähren lassen, keinen Ärger („taklīf“) deswegen gemacht, keine Gewalt angewendet, auf tausende Kanal Land verzichtet und das Land für die anderen und für die Regierung geopfert („hamne unko qurbāni dī“). Diese habe diese Überschreibungen im Hinblick auf ihre „traditionellen Rechte“ illegal getätigt, dennoch aber ohne ihren Wiederstand. „Who should have been ‚compensated‘ has not been ‚compensated‘. So, here the people have done a lot ‚cooperation‘ with the government. Thousands of kanal land we have given. Our people have not done a [proper] ‚agreement‘. [...][They have not asked the government:] ‚fulfil our ‚demands‘‘... And we could have given ‚demands‘! We are the people (awām)... itʼs the peopleʼs ‚power‘, no? What is the government? The people (awām) are ‚powerful‘, no? We ourselves have ‚power!‘“

Gegen die Macht des „gemeinen Mannes“ („awām“) sei die Regierung zwar grundsätzlich machtlos, erklärte Usman Hussain; dennoch hätten sie gar nicht erst Forde-

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rungen gestellt, sondern stattdessen das ihnen zustehende Land geopfert.32 Statt aber auf den erfolgten Widerstand einzugehen, erklärte er, wie er es häufig tat, dass die „alten“ Siedler großzügig und freigiebig gegenüber neuen Siedlerinnen und Siedlern gewesen seien – an keinem anderen Ort würde die Bevölkerung Land (an „Leute von außen“) vergeben. In Jutial dagegen zeuge die Tatsache, dass sich Familien aus allen möglichen Teilen der Region in Jutial haben ansiedeln können, von der Gelassenheit und Großzügigkeit der Bewohner: „Only in Jutial everyone has been able to eat [i.e. grab] land (vāhid jūṭiyāl hay, jahāñ pe sab ne zamīn khāya)! […] Right? People from every area (har ilāqe ke lōgōñ ne). Ghizer people have eaten land here; Diamer people have eaten too; Hunza people have eaten too; Skardu people have eaten land here too; in Jutialʼs boundaries. So Jutialʼs people have done nothing [against this]! They said [to each other]: ‚brother, leave it!‘“

Was Usman Hussain aber als Gelassenheit der Bewohner Jutials gegenüber den Landüberschreibungen darstellte, wurde dagegen, wie schon angemerkt, in den 1970er bis 1990er Jahren als handfeste Landkonflikte ausgetragen – welche Usman Hussain in seiner Erzählung jedoch ausließ. Wie er erklärte, hätten zunächst unbestimmte Personen, die er nur über die Attribute „clever“ und „engagiert“ konturierte, über Engagement, Geld und Beziehungen Land in Besitz genommen, was aber in seiner Darstellung eher individuellen und vereinzelten Vorgängen gleicht: „It was like this that someone has captured more [land], who was clever, he has gotten more... and who was weak, who did not take ‚interest‘, he did not took hold [of land]... who took an ‚interest‘ and procured money, procured time, did an effort,... right, no? He took hold of the land (jis ne inṭresṭ līya, paise lagāya, vaqt lagāya, mehnat kīya... ṭhīk hay, na? us ne zamīn khāya).“

Den manifesten Konflikt auslassend ging Usman Hussain in seiner Beschreibung der Ereignisse gleich zu der anschließenden schon erwähnten Verteilung von Land

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Auch gegenüber den „alten“ Siedlern Khomers seien sie großzügig gewesen – da nach den alten Regelungen im Frühjahr drei von vier Teilen des Jutial-Wassers an die drei Dörfer Khomers geht, wurde auch das nun überschriebene Land mit dem selben Verhältnis aufgeteilt. Nur ein Gesprächspartner, Shah Gul Hayat, erklärte den Einbezug der (schiitischen) Bewohner Khomers durch die Schiiten Jutials als falsch, sogar heuchlerisch, resignierte aber gegenüber deren Entscheidung, die „alten“ Siedler Khomers an der Verteilung des Lands, das der Gemeinschaft der „alten“ Siedler überschrieben worden war, zu beteiligen.

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an die „alten“ Siedler Jutials (und Khomers) in den 1990er Jahren über. Wie er erklärte, sei diesbezüglich ein Dokument, das sogenannte misal bīs („Liste der Zwanzig“ der „alten“ Familien) erstellt worden. Hierüber sollte fixiert werden, welche Haushalte in Jutial aufgrund des Status als „alte“ Siedler ein Recht auf das angrenzende Ödland haben sollten. Knapp 2300 Kanal Land wurden dann entsprechend des Gewohnheitsrechts auf shāmilāt durch die Regierung für die „alten“ Siedler (Jutials und Khomers) zugewiesen, wovon um die 1600 Kanal Land (knapp drei Viertel) an die „alten“ Familien Khomers überschrieben wurden und 611 Kanal unter den „alten“ Familien Jutials verteilt wurden. Jedem Haushaltsvorstand der ca. 175 Haushalte, die aus den vierzehn bis zwanzig ursprünglichen „alten“ Familien Jutials hervorgegangen waren, wurden hiervon vier Kanal Land übertragen. So wurden auch die „alten“ Siedler, die bislang leer ausgegangen waren, an der Verteilung des Ödlands beteiligt, wie Usman Hussain erklärte: „And during the distribution, those guys who had been left [so far], they also got land. No-one was left. Everyone got land in Jutial. Because there were not so many households at that time, and according to the households the land was distributed.“ Wer jedoch in diese Liste der Zwanzig aufgenommen wurde – und wer nicht –, vermochte oder wollte Usman Hussain nicht weiter nennen. Die Diskussionen bezüglich Einschluss- und Ausschlusskriterien der Liste zeichnet dafür Sökefeld (1998) entlang der unterschiedlichen Aussagen und Haltungen der damaligen Gesprächspartner in Jutial nach. Offenbar waren u.a. Konfessionszugehörigkeit, Besitz von Land, ökonomische Situation und Status wichtige Faktoren (ebd.: 188-203). Sökefeld hält z.B. fest, dass schiitische, nicht aber ismailitische sāmī in die Liste aufgenommen worden seien, obwohl sāmī generell keine Rechte auf Wasser oder shāmilāt zustand (Sökefeld 1997a: 132). In seiner Diskussion wird außerdem deutlich, dass manche schiitischen Bewohner Jutials einer sunnitischen Familie, der auch Usman Hussain und sein Großvater Rasul Mir angehörten, zeitweise die Identität als „alte“ Siedler und damit das Recht auf Teilhabe und das Recht auf Gewohnheitsrecht absprachen (ders. 1998: 188-203). Während Sökefeld (1997a, 1998) die Landkonflikte aber v.a. aus der Sicht der „alten“ Siedler schildert, zeichnet der folgende Abschnitt den Landkonflikt auf den neuen Siedlungen im Osten Jutials nach, stellt aber den Perspektiven von „alten“ Siedlern die eines neuen Siedlers gegenüber. Das Schweigen von Gesprächspartnern im alten Teil Jutials um die alten Konflikte um Land und damit auch um die Implementierung der Gewohnheitsrechte soll hier über die Erzählung Salman Ali Ustads ergänzt werden. Salman Ali Ustad hatte in den 1990er Jahren im Osten Jutials ein Grundstück erworben und dieses gegen die Übergriffe der „alten“ Siedler verteidigen müssen. Seine Erzählung bildet dabei ein Gegenstück zu der Schilderung des Konflikts durch die „alten“ Siedler, die Sökefeld (1998) festhielt. Wie Salman Ali Ustad sich entsinnte, hatte es auf dem Land

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um sein Grundstück kaum Häuser gegeben, als er und seine Familie auf das Ödland hinter Jutial gezogen waren. Nur nach und nach wurde das Land parzelliert, verkauft und besiedelt und erst nach und nach entstand die Siedlung, die nun als Lalik Jan Colony bezeichnet wird. Wie Salman Ali Ustad berichtete, hatte er das Land von einem Mann aus Hunza gekauft. Dieser hatte das Land zuvor einem „alten“ Siedler Jutials abgekauft, verkaufte es aber weiter, nachdem er wiederholt von „alten“ Siedlern Jutials bedroht worden sei, das Land zu verlassen. Und auch Salman Ali Ustad war, nachdem er das Land gekauft und begonnen hatte, es zu bebauen, bedroht worden, es wieder aufzugeben: „So I made a house but they also ‚resisted‘ against me. But I did not leave it... […] When I had arrived here, in the night they tore down the walls and when I had put plants, they would rip them out, so one day I came here and all the plants had been removed and replaced with their plants.“ Was er gebaut und angebaut hatte, wurde verwüstet.33 Salman Ali Ustad erklärte das Herausreißen und das Ersetzen der Pflanzen durch die „alten“ Siedler in Hinblick auf das Bedauern der „alten“ Siedler, die Ressource Land, die zunehmend im Wert gestiegen war, vergeben zu haben. Im Zuge der zunehmenden Migration waren Landpreise immens und stetig gestiegen. Land wurde außerdem zunehmend nicht nur als Grundlage für Landwirtschaft genutzt, sondern auch zur Geldanlage. Während die „alten“ Siedler Gilgits, bzw. in diesem Fall Jutials und Khomers, zwar seit den 1940er Jahren kontinuierlich Land verkauften, wuchs ihre Unzufriedenheit zum einen mit den bisher erzielten Landpreisen als auch mit der Erkenntnis, dass nun auch Leute „von außen“ von Kauf und Verkauf des Landes in Jutial profitierten. Bei mehreren meiner Gesprächspartner_innen waren diesbezüglich Geschichten populär, nach denen „alte“ Siedler „früher“ – manchmal auf einen Zeitraum um die Gründung des pakistanischen Staats angenähert – Land für so wenig wie ein Radio oder ein Paar Schuhe verkauft hatten, wie auch Salman Ali Ustad zu erzählen wusste: „One person took one pair of shoes for land in Danyor. [...] For a pair of shoes he has given his whole land. [At that time] the land had no value. It was dās, it was unsettled (bē-ābād). I myself remember, when I was studying in matric [around the 1960s], there was jangal (wilderness) here, bē-ābād, dās, no one came here. The water [of the Jutial Nala] was going on the backside. So, the people there behind Khomer, they were settled there. The remaining was totally dās. For some four thousand, thre thousand, one thousand [rupees], you got land; for these amounts. For five thousand [rupees] you would get three or four kanal – [even though at that time] five thousand [rupees] was a big amount [of money to have]!“

33

Siehe auch Sökefeld (2010: 250).

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Während die Bewohner Gilgits arm und daher derzeit froh über das mit Landverkauf erzielte Geld gewesen seien – zu einer Zeit, in der nur extrem wenige über große Summen an Geld verfügten – sei im Lauf der Zeit die Unzufriedenheit der „alten“ Siedler über die ehemals erzielten Einnahmen und die mittlerweile von anderen erzielten Gewinne gestiegen. Wie Salman Ali Ustad weiter erklärte, sei es diese Unzufriedenheit gewesen, die nun die gewalttätigen Aktionen zur Vertreibung der neuen Siedler auslöste. „They are poor – the people of Gilgit are poor. So when we [people from other places of Gilgit-Baltistan] took the land from them, like here – this was all dās – so when the people came from Hunza, from Yasin, from Ghizer, they sold it for fourty thousand, ten thousand [rupees]... So now it has come up to fourty lakh34 [rupees]! So when the prizes went up, then these people came here and tried to take it back. They even fought us – but our people here were very active and strong. So the land was legally allotted on our names. We did not leave it, came here and made the houses.“

Wie Salman Ali Ustad erklärte, war es daher, nachdem er das Land in der Lalik Jan Colony gekauft hatte, nötig – aber auch möglich – Bekanntschaften und Quasiverwandtschaftsbeziehungen zu aktivieren und Freundschaften zu schließen, um sich gegen widrige „alte“ Siedler zur Wehr zu setzen. „We made friendships with the local people [who already lived in Lalik Jan Colony], so then we were known to each other... we established a friendship with the sons of SP [Superintendent Police] Kamal; immediately after me neighbors were also coming... so relationships grew and we got to know each other, then no one asked. So, in the beginning here some people were bullies (badmāsh), not everyone. A ‚mafia‘ – a ‚land mafia‘. This ‚land mafia‘ tried to force the people, in the shape of a ‚party‘ (i.e. group), trying to force the people to leave. Who was afraid left and who resisted is still here. So the nambardārʼs son was also in the ‚mafia‘ – he broke my walls. He broke all my walls. So when I came here I asked the laborers, who was doing this? [And they said] ‚The son of the nambardār came here and threatened us‘.“

Auch andere Gesprächspartner bestätigten eine solche Vorgehensweise. Ein „alter“ Siedler Jutials merkte ebenfalls an, dass hier der nambardār ein Akteur sei, der sich auf Kosten der Schwächeren bereichert:

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Vier Millionen.

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„The shortage that is there in water – the nambardār uses this to extract money with a mafia (bhatta). He uses the youth for this. You have asked these questions [about water shortage before] – at that time I hid this. But: We should tell the truth! [So now I tell you this:] The nambardār is telling the youth: ‚See, this is someone from Yasin, go there, blackmail him and extract money from him with the revolver‘.“

Mit seinem Bericht von den widrigen „alten“ Siedlern lieferte Salman Ali Ustad eine Gegennarrative zum friedlichen Zusammenleben aller in Jutial sowie zu Akzeptanz und Altruismus der „alten“ Siedler Jutials. Wie schon geschildert, hatte z.B. Usman Hussain in einem Gespräch kurz zuvor auf die Rhetorik des friedlichen Zusammenlebens in Jutial zurückgegriffen und selbstsicher und stolz erklärt, im Gegensatz zu anderen Ortschaften würden in Jutial die „alten“ Siedler gelassen damit umgehen, dass immer mehr neue Siedler kommen und der eigene Landbesitz immer weniger wird: „The common people (awām) of Jutial, those who are good people here, each other they are offering sacrifices (qurbāni), they are compassionate (hamdardi), mostly there is no injustice (zulm ziyādahtar nahīñ hay) – not like there is in other ‚areas‘. If you take Sakwar – there, the parents have sold land, while the sons [again] occupy it illegitimately (is ke ūpar qabsa ho rahi hay). […] They ‚disturb‘ them [the buyers], they donʼt let them do ‚construction‘... This ‚system‘ [of illegally occupying sold land] is not here. Here, if the father has sold it, itʼs sold. The son does not get ‚involved‘ in it. Right? Because this thing [the selling of the land] happened. This deal happened (sōdā huā hay), it is sold... So, here the people are good (acche).“

Salman Ali Ustads Erzählung steht also auch entgegen der Beschreibung der „alten“ Siedler als gelassen und großzügig gegenüber neuen Siedlern, wenn er die Maßnahmen beschreibt, die er als neuer Siedler ergreifen musste, um das gekaufte Land in Jutial langfristig behalten und bewohnen zu können. Über Bekanntschaften und Familienbande hinaus wandte sich Salman Ali Ustad desweiteren an die Polizei, um den Konflikt zu schlichten. Die nahm den Sohn des nambardār in Gewahrsam. Nach zwei Tagen bei der Polizei, an denen die Polizisten dem Sohn „mit dem Stock“ gezeigt hatten, wer das Sagen habe, sei sein Vater, der nambardār, gekommen und sie hätten sich auf einen Kompromiss geeinigt, durch den Salman Ali Ustad sein Land behalten und der Sohn den Polizeigewahrsam verlassen konnte.35 Zum anderen hatte er seine Zugehörigkeit zu der qōm der

35

Dass Salman Ali Ustad auch die staatliche Institution Polizei einschaltete, ist offenbar eher ungewöhnlich. Viele Gesprächspartner gaben an, dass v.a. lokale soziale Instituti-

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Shin aktiviert, die ihm gegen die „alten“ Siedler, die zum größten Teil der qōm der Yeshkun angehören, beschützten.36 „So in this way everyone has his own story of settling here... trying to settle here... Some have paid some money, others have given bribes, if someone was in trouble, then they helped them... so in this way the friendships grew. After all the region is the same. All of us speak one language, Shina; someone is from Gilgit, I am from Gupis, [but] our birāderī is here. Especially my birāderī [Shin, A.G.] is here a lot. […] So I befriended them, and they were giving protection.“

Ein solcher Ausgang zwischen inoffizieller Einigung, die auch mithilfe von lokalen Schlichtern wie z.B. einer jirga erreicht werden kann, und korrupter Praktik37 scheint dabei kein ungewöhnlicher Ausgang solcher Konflikte. Wie Sökefeld (1998) erklärt, geht es in solchen Konflikten nicht unbedingt um das Durchsetzen von Regeln und Rechten, sondern um die Macht, zu bestimmen, welche Regeln wie angewandt und wessen Rechte bestätigt werden. Regeln und die darauf begründeten Rechte sind auch Objekt von Wandel und müssen legitimiert bzw. anerkannt werden; oft stehen sich auch unterschiedliche Rechte und Regeln gegenüber wie staatliche Regeln zur Verteilung und Überschreibung von Land einerseits und „traditionellen“ bzw. Gewohnheitsrechten auf Land andererseits. Rechte, Regeln und Identitäten sind, wie Sökefeld festhält, keine Gegebenheiten, die dem Konflikt vorausgehen, sondern sind Gegenstand des Konflikts (ebd.: 195, 203-4). Gleichzeitig wurden in dem Konflikt um Land und in der Zusprechung von Land an die alten Gemeinschaften Jutials und Khomers die Gültigkeit der Gewohnheitsrechte und damit auch die Rechte auf das Wasser des nāla bestätigt.

onen zu Hilfe gerufen würden wie z.B. eine jirga oder ein Schlichtungskonzil. Auch Sökefeld (1998) argumentiert, dass Gruppen oder Personen auf der Basis von Herkunft, Religion oder Verwandtschaft unterschiedliche Positionen und Beziehungen (ebenso wie Attribute als „innen“ oder „von außen“) zugewiesen werden können, dass aber staatliche Institutionen wie die Verwaltung (oder aber auch die Polizei) immer als „außen“ verstanden würden (ebd.: 197). 36

Dies ist der einzige Fall in meiner Forschung, in dem qōm eine Rolle spielte oder in

37

Intervention von Politikern oder einflussreichen Personen kann Polizeigewahrsam oder

dem auf die Bedeutung von qōm hingewiesen wurde. weitere Strafverfolgungen beenden; Schmiergelder können vorteilhafte offizielle Dokumente hervorbringen.

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GRUNDLAGEN DER WASSERRECHTE Während bislang diskutiert wurde, wer und auf welcher Grundlage Gewohnheitsrechte beanspruchen darf, soll im Folgenden beschrieben werden, wie die Wasserverteilung in Jutial eigentlich vonstattengeht, welche Ansätze ihren Regelungen zugrunde liegen, welche Konflikte hiermit verbunden sind und welche (eingeschränkte) Autorität den Gewohnheitsrechten im Verhältnis zum staatlichen Recht zukommt. Ähnliche Regelungen zu den natürlichen Ressourcen sind, wie z.B. Mosse (1999) oder Narain (2008) festhalten, über die gesamte Bergregion von Himalaya, Karakorum, Hindu Kush und Pamir gängig. Auch das verteilungsorientierte System des wārābandī, dessen gleichmäßige Wasserverteilung gleichmäßige Ernteerträge über die Bevölkerung hinweg erzielen soll, ist im ganzen Norden Südasiens verbreitet (vgl. Narain 2008). Ebenso ähnelt sich die Festschreibung von Gewohnheitsrechten in jeweiligen wājib ul-arz als koloniales Erbe über Pakistan und Indien hinweg (siehe z.B. Mosse 1999, Narain 2008).38 Während die Implikationen des wārābandī-Systems nachfolgend ausgeführt wird, wird zunächst das wājib ul-arz, d.h. die verschriftlichten Gewohnheitsrechte, vorgestellt, das in Jutial noch immer die Grundlage bildet, bestimmte Wasserverteilungsregelungen und Ausschlüsse aus der Wasserverteilung zu legitimieren. Gewohnheitsrechte und ihre (eingeschränkte) Autorität Wie Usman Hussain erklärte, garantiere das sogenannte wājib ul-arz von Jutial den „alten“ Siedlern Nutzungsrechte auf das Jutial Nala bzw. auf dessen natürliche Ressourcen Wasser, Weiden, Bäume und Wild. Die mit der zunehmenden Migration nach Gilgit entstandene Diskussion der 1950er Jahre und die daraus entstandene Kategorie der pushtūne bāshinde wurde im Zuge des Konflikts um Land auch für Jutial angewendet. Hierdurch wurden bestimmte Familien Jutials als muṭhulphau bzw. Pionierfamilien anerkannt und im misal bīs als 20 „alte“ Familien fixiert. Mit diesem Status wurden diese Familien gleichzeitig zu (pushtūne) ḵhēbardarān: denen die Rechte und Pflichten bezüglich der natürlichen Ressourcen zustehen. Grundlage für die Zusprechung von Rechten auf Wasser sowie auch darüber hinaus auf das nāla war ursprünglich das settlement (record). Für Jutial und andere Dörfer in und um Gilgit wurde dieses Dokument das erste Mal offenbar um 1916 unter den

38 Chambers (2013) dagegen gibt zu bedenken, dass oft angenommen wird, dass sich Wassermanagementsysteme einer Region ähneln, während die einzige eigentliche Konstante sei, dass diese sich unterscheiden (ebd.: 155).

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Briten erhoben. Im Zuge des settlement wurden entsprechend der Besteuerung (māliya) Zugriffe auf und Verteilung von natürlichen Ressourcen als Gewohnheitsrechte betrachtet und vergleichbar Besitzrechten (malikhāna huqūq) im wājib ul-arz fixiert.39 Insbesondere mit periodisch erneuten Beglaubigungen des wājib ul-arz (in den Gesprächen vielen Jahreszahlen 1906, 1917, 1960er Jahre, 2002, 2004) sowie in Dokumenten über Landbesitz (settlements) bzw. über Landbesitzübertragung (intiqāl-nāma) wird die Gültigkeit der traditionellen Regelungen auch für die Gegenwart übernommen. Dabei ist zumindest das wājib ul-arz Jutials größtenteils unverständlich und unklar in der Definition von Rechten und Pflichten.40 So bestätigt es das Recht, angrenzendes Land (shāmilāt) zu besetzen und für landwirtschaftliche Zwecke zu nutzen, wobei nicht ausgeführt wird, auf wie viel Land dies zutrifft oder was die hierfür nötigen Prozesse sind. Auch wer sich auf das wājib ul-arz oder sonstige Rechte in Bezug auf die natürlichen Ressourcen berufen kann, ist nicht dokumentarisch festgelegt. Detaillierte Bewässerungspraktiken oder Bewässerungsrechte sind im wājib ul-arz ebenfalls nicht festgehalten, genauso wenig wie die Praktik des Ableitens des Wassers an die verschiedenen Dörfer, hiermit verbundene Rechte und Pflichten, Sanktionsmöglichkeiten oder Schlichtungsautorität. Dennoch geht z.B. aus einer beglaubigten Kopie des wājib ul-arz, welche fünf Vertreter Jutials 2001 bestätigten, hervor, dass die Rechte und Pflichten in Verhandlung mit staatlichen Vertretern festgelegt und sanktioniert wurden. Auch in Bezug auf die Bewässerung ist von einem Verwaltungsbeamten die Rede, der in die Bewässerungsprozesse eingebunden sei. Dennoch ist das wājib ul-arz ein Dokument, auf das sich diejenigen, die sich als „alte“ Siedler positionieren können, zumindest teilweise erfolgreich berufen können: Übereinstimmend mit dem Dokument war ihnen in den 1980er bis 90er Jahren u.a. das Recht auf shāmilāt zugesprochen worden – ein Recht, das sie (wenn auch nur nach jahrelangem Streit vor Gericht) im Zuge des

39

Auch hier ist anzumerken, dass unterschiedliche Gesprächspartner unterschiedliche Entstehungskontexte für das wājib ul-arz Jutials boten. Ali Khan, der als ğildāwar (revenue officer) und sub-magistrate gearbeitet hatte und, mittlerweile pensioniert, als Anwalt bei Landrechts- und Zivilstreiten arbeitete, erklärte, dass das wājib ul-arz Jutials mit dem settlement record 1916 oder ’17 unter Thakur Singh festgeschrieben wurde. Jamhoor Ali dagegen schrieb den Briten die von ihm hochgeschätzte Rolle zu, die Gewohnheitsrechte der Bevölkerung Jutials im wājib ul-arz fixiert und damit anerkannt zu haben: „They were here and, like a wazīr, have made for us [in Jutial] a law (qānūn) about the water, about the forest, about the ‚wildlife‘, and also about the land and then they left.“

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Eine Feststellung, die Hill (2014) auch für ein Dorf in Skardu trifft. Wie er anmerkt, liegen dem möglicherweise auch Übersetzungsschwierigkeiten zugrunde (ebd.: 17).

Die Verhandlung „traditioneller“ Wasserrechte | 231

Landkonflikts um die Überschreibung des Ödlands letztlich erfolgreich anwenden konnten. Im Umkehrschluss wurden hierdurch wiederum auch die Gültigkeit des Dokuments selbst und die darin verschriftlichten Gewohnheitsrechte bestätigt. Dennoch kommt es in diversen Bereichen zu einem Rechtspluralismus bzw. zu Konflikten zwischen pakistanischem Recht und Gewohnheitsrechten, welche zwar teilweise weiterhin praktiziert werden, aber keinen formalen Status haben. Wie auch Wiersma (2005) feststellt, bekommen traditionelle Systeme zum Management von Gemeinschaftseigentum in vielen Rechtskodexen neu unabhängiger Länder keinen formalen Status zuerkannt, was auch in Gilgit-Baltistan der Fall ist.41 Wie mir ein nambardār eines Orts in Hunza erklärte, stehe mittlerweile das Gesetz Pakistans („pakistani law“) den Gewohnheitsrechten („customary laws“, „traditional laws“) entgegen. Mit dem Sieg der Briten gegen den Mir von Hunza 1891 sei auch hier die Unabhängigkeit verloren gegangen; und mit den Reformen unter Bhutto 1974 hätten die traditionellen Rechte letztendlich ihr Fundament verloren: „They are not protected; they are only customary laws.“ Was dies bedeute, erklärte er in Bezug auf seine Position als nambardār: So habe er nach dem Gewohnheitsrecht die Möglichkeit, dessen Verletzung oder Überschreitung zu ahnden. Z.B. wird die Wasserverteilung oft strikt begrenzt und kontrolliert – in Hunza zumeist durchgängig und in Gilgit im Frühjahr während der Zeit des wārābandī. Nur bestimmte Familien sind dann jeweils berechtigt, Wasser aus den Kanälen zu entnehmen. Leite dann jemand Wasser ab, der nicht dazu befugt ist, könne der nambardār ihn nach dem Gewohnheitsrecht dafür ahnden und eine Entschädigung (in Form eines Tiers, eines Baums, tragbaren Besitztums wie Mobiliar oder Küchenzubehör oder auch eine Geldstrafe) einholen. Diese Regelung ist aber über pakistanisches Recht nicht gesichert. Der so Bestrafte kann gegen den nambardār Anzeige erstatten; dieser wird dann selbst zu demjenigen, der Besitz entwendet und damit das Recht gebrochen hat. Wie auch in den nächsten Unterkapiteln diskutiert, sind pakistanisches Recht, oder die allgemeine Vorstellung davon, einerseits und Gewohnheitsrechte andererseits in mancher Hinsicht nur schlecht vereinbar. Z.B. reibt sich die Vorstellung von Freizügigkeit und der Möglichkeit, sich als Bürger_innen überall mit bestimmten Bürgerrechten und Ansprüchen niederlassen zu können42 mit Gewohnheitsrechten auf Wasser, die dahingehend genutzt werden können, neue Bewohner_innen von

41

Diesbezüglich kommt hinzu, dass Gilgit-Baltistan weder eine eigene Verfassung hat

42

Wie schon erwähnt, erachten sich die meisten Gesprächspartner_innen als pakistanische

noch unter die pakistanische Verfassung fällt. Staatsbürger_innen, unabhängig davon, dass Gilgit-Baltistan nicht offiziell unter pakistanisches Staatsgebiet und die pakistanische Verfassung fällt.

232 | Den Verlauf kontrollieren

der Wasserversorgung auszuschließen – selbst wenn diese mittlerweile über kommunale Einrichtungen organisiert wird.43 Doch bevor nachfolgend die Herausforderung der Wasserrechte näher betrachtet wird, zunächst eine Beschreibung der „traditionellen“ Wasserverteilung in Jutial, die weiterhin über das wājib ul-arz legitimiert wird. Wasserrechte und „traditionelle“ Wasserverteilung in Jutial Aus dem Jutial Nala führen zwei Hauptkanäle, nach Jutial und Khomer; der obere Kanal (ajīni dalja) führt Richtung Westen durch Jutial und Khomer. Der untere Kanal (khirīni dalja) führt eher Richtung Norden durch Jutial. Wie auch in anderen Teilen der Region haben die meisten Kanäle spezifische Namen. Diese beziehen sich oft entweder auf die relative Lage (wie oberer und unterer Kanal), auf die versorgte Ortschaft oder Auftraggeber.44 Vom Zentrum Jutials gehen drei kleinere Subkanäle ab, die nur noch ca. zwei auf zwei Fuß umfassen. Der Soniyab, der von Jawar Khatun alias Dadi Jawari in Auftrag gegeben worden war und über die er auch seinen Namen erhalten hatte: Jawar Khatun wurde auch mit dem Kosename Soni bezeichnet, nach dem auch der Kanal sowie der Stadtteil Sonikot benannt wird, der aus dem „soni-kōṭ“ gewachsen ist, in dem sie gewohnt haben soll. Der Chokiyab, dessen Name von Shina choko/choki stammt, was steil oder abschüssig bedeutet. Ein dritter Subkanal versorgt Khomer mit Wasser und wird Birachiyab genannt, was sich von Shina biracho/birachi ableitet, was so viel wie „im Weg“ oder „Hindernis“ bedeutet und sich auf den „irritierenden“ Verlauf nach Khomer bezieht. Von diesen Subkanälen zweigen tertiäre Kanäle ab, die die Felder versorgen. In den Sommermonaten, wenn das Wasser des Jutial Nala vergleichsweise üppig ist, fließt das Wasser in den kūls, plätschert in nālīs durch die Nachbarschaften und rauscht im Bachbett, das mittlerweile an die Stadtgrenzen verdrängt wurde und

43

Gesprächspartner in Khomer führten an, dass in diversen Orten außerhalb Gilgits neue Siedler – weiterhin – in das Wasserverteilungssystem zur Bewässerung integriert würden, wie dies in Jutial und Khomer auch lange getan worden war. Auch Merrey (1986) dokumentiert für das „warabandi-system“ eines Orts im Punjab, dass hier sowohl die Wasserrouten als auch die Rotationsfolgen mehrfach geändert wurden, um Veränderungen in der Bevölkerung, im Landbesitz und im sozialen Gefüge aufzufangen.

44

Auch in anderen Teilen der Region haben die meisten Kanäle spezifische Namen. In den letzten Jahrhunderten waren meist die lokalen Herrscher Auftraggeber; in den Jahrzehnten zunehmend auch Institutionen wie das PWD oder AKRSP. Für z.B. das Kanalsystem Hunzas siehe Kreutzmann (2000b).

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an dessen Kiesstränden Fahrzeuge gewaschen werden, hinunter zum Fluss. In dieser Zeit können alle Bewohner_innen Jutials die nālīs öffnen, um Wasser zur Bewässerung abzuzweigen. Wer das Bewässern innerhalb der Familie übernimmt, hängt oft von individuellen Interessen der Familienmitglieder ab. Männer übernehmen häufig das Bewässern des Rasens, um dort Bekannte empfangen zu können; Frauen sind daran interessiert, Gemüse und Blumen zu versorgen. Häufig übernehmen ältere Frauen Verantwortung für Beete und Tiere, während ihre Schwiegertöchter sich um Haushalt und Kinder kümmern – auch wenn dies nicht grundsätzlich der Fall sein muss; zumeist würde dies nach Vorlieben entschieden. Oft sind Grundstücke auch so angelegt, dass das Wasser zuerst über die Gemüsebeete und Obstbäume geführt wird und sich schließlich entweder auf dem Rasen verbreitet. Restwasser kann fließt über eine Öffnung in der Grundstücksmauer zurück in den nālī oder weiter auf das Grundstück des angrenzenden Nachbars. Wie in der ganzen Region ist auch in Gilgit die Praxis der Überstaubewässerung üblich, d.h. Gärten und Felder werden je nach Hitze und Wasserverfügbarkeit alle drei bis fünf Tage großflächig geflutet.45 Hierzu muss meist nur eine kleine, meist mit Steinen und Erde (und Abfällen) temporär verschlossene Öffnung im nālī geöffnet werden, um einen Teil des Wassers abzuzweigen und über das Grundstück zu leiten. Gemüsebeete z.B. werden mit Vorliebe am frühen Morgen bewässert, wenn das Wasser noch kalt aus dem nāla kommt – wie mehrere Gesprächspartnerinnen mir erklärten, würden über das kalte Morgenwasser Würmer und Insekten am Gemüse abgetötet, während von der Sonne erwärmtes Mittagswasser Ungeziefer noch stärker wachsen lasse. Während das Jutial Nala im Sommer durch die starke Schmelze ausreichend Wasser führt, um das Gebiet Jutials und Khomers inklusive der neuen Siedlungen Jutials im Norden und Osten mit Wasser zu versorgen, ist die Wassermenge zwischen Herbst und Frühsommer gering. Um im Frühjahr ursprünglich die Bewässerung der Aussaat, heute die Wasserversorgung der pushtūne bāshinde, zu garantieren, werden – je nachdem, wann die Schneeschmelze einsetzt – für sechs bis zehn Wochen bzw. zwischen März und Mai Verteilungsregelungen (wārābandī)46 angewendet, deren rotierende Wasserverteilung eine gleichmäßige Rationierung für Rechtehalter gewährleisten soll.

45

Kreutzmann (2000b) erwähnt zwar Versuche in Hunza, auf neue Bewässerungsmethoden wie Leitungen, Sprenkler oder Siphons umzustellen (ebd.: 111), dennoch bleibt die Überstaubewässerung die Norm.

46 Der Begriff wārābandī steht für die Festlegung des Turnuswechsels der Bewässerung und impliziert eine rotierende Wasserverteilung: die Silbe wāra steht für Runde im Sinne von Rotation, Turnuswechsel; bandī steht für Bindung oder Festlegung (Narain 2008: 412).

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Theoretische Überlegungen zu den Wasserregelungen des wārābandī Grundsätzlich entstanden die Praktiken und Regelungen zur Wasserverteilung im Rahmen der Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen zur Sicherung von Ernteerträgen in trockenen Anbaugebieten. Um der Voraussetzung von niedrigem Niederschlag in ariden Gegenden zu begegnen, haben sich in Südasien vorwiegend zwei Systeme etabliert: Auf dem Dekkan-Plateau und im Süden Indiens bedarfsorientierte Methoden, bei der die Anbauflächen reduziert werden oder nur bestimmte Pflanzen angebaut werden, die wenig Wasser bedürfen. Im Nordwesten Indiens und in Pakistan wurde das verteilungsorientierte wārābandī-System etabliert, das darauf beruht, die Menge des Wassers für alle Flächen zu rationieren und den Bauern die Entscheidung zu überlassen, welche (Teil-)Flächen sie mit der geringen Wassermenge bestellen und welche Pflanzen sie anbauen wollen (Narain 2008: 411). Das wārābandī-System ist, so Narain, in Nordwest-Indien und in Pakistan auf über 24 Millionen Hektar verbreitet (ebd.: 412) und ist auch in Gilgit-Baltistan das gängige Bewässerungssystem. In solchen Systemen wird eine stetige aber begrenzte Menge an Wasser in ein Kanalsystem eingespeist. Jeder Landbesitzer ist dann zu einem Anteil an Wasser entsprechend seinem Besitz an bestellbaren Flächen berechtigt, sodass das zur Verfügung stehende Wasser allen Beteiligten entsprechend ihrer bestellbaren Flächen zukommt (Merrey 1986: 44; Narain 2008: 412). Obwohl das Wasser entsprechend dem Landbesitz zugeteilt wird, ist in wārābandī-Systemen das Wasser bzw. die Dauer der Zuteilung des Wassers zumeist nicht mit dem Land selbst, sondern oft mit Personen bzw. Familien verbunden (Merrey 1986: 48).47 Dieses Prinzip, erlaubt es auch in Jutial „alten“ Siedlern, Land mit Wasserrechten zu verkaufen oder allein das Land zu verkaufen und die dazugehörigen Wasserrechte zu behalten. Wie Narain (2008) zusammenfasst, wird eine solche verteilungsorientierte Austeilung des Wassers auch „protective irrigation“ bezeichnet. Der „Schutz“ bezieht sich hierbei weniger auf die Bedürfnisse der Pflanzen, wie von Bewässerungsingenieuren bevorzugt, als auf die Erfordernisse der Bauern bzw. der Beteiligten. Diese Art der Bewässerung, bei der Felder nach Verfügbarkeit und nicht nach Bedarf geflutet werden, ist dabei nicht unbedingt auf hohe Erträge ausgerichtet.48 Die Rotation von Wasserverteilung soll stattdessen garantieren, dass die Felder aller Anlieger

47 Eine offizielle bzw. staatliche Anerkennung dieses Systems kann die Regelungen einer solchen Wasserverteilung zum Eigentumsrecht wandeln, indem ein offizielles Verzeichnis des Verteilungssystems eines Kanals oder einer Wasserquelle erstellt wird (Narain 2008: 415). 48

Fazlur-Rahman (2000) bestätigt dies auch für Astor (ebd.: 65).

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mit Wasser versorgt und die Nutzpflanzen aller vor Austrocknung geschützt werden. Im Hinblick auf die geringen Erträge werden oft auch die Infrastrukturen so kostengünstig wie möglich gehalten; häufig gibt es keine oder nur simple Regulierungselemente, um die Wasserstände zu kontrollieren; auch das Management bedarf nur vergleichsweise geringen Engagements. Die Flächen, die dabei unter Bewässerung gebracht werden sind dagegen oft so groß, dass im Verhältnis zu der zur Verfügung stehenden oder kontrollierbaren Wassermenge eine eingeplante Wasserknappheit („designed scarcity“) besteht, die eine institutionell überwachte Rationierung des Wassers erfordert (ebd.: 410-1). Während in anderen Orten der Region spezielle Wachmänner eingesetzt werden, die den Verlauf des Wassers sowie den Zustand der Kanäle und Tanks kontrollieren (siehe z.B. Fazlur-Rahman 2000: 75; Kreutzmann 2000b: 108-9), gibt es in Gilgit solche Positionen formell nicht; diese Aufgaben werden von Männern der jeweiligen Gemeinschaften übernommen, die über Wasserrechte verfügen, oder – wie im Fall des Kargah-Wassers – teilweise auch von öffentlichen bzw. kommunalen Einrichtungen. Obwohl aufgrund des regelmäßigen Wassermangels nur mit geringen Ernten zu rechnen ist, wird die Methode der „protective irrigation“ durchaus auch als sinnvoll erachtet: da die landwirtschaftliche Produktion des gesamten Bewässerungssystems im Hinblick auf die begrenzten Wassermengen dennoch vergleichsweise hoch sei, v.a. aber weil die Produktion vergleichsweise ebenmäßig verteilt und dadurch gerecht sei. Ein über die Landschaft und Bevölkerung weit ausgedehntes Bewässerungssystem schaffe außerdem im Vergleich zu konzentrierter intensiver Bewässerung wie bei der „wet irrigtaion“ mehr Arbeitsplätze und verteile so die Vorteile über eine größere Zahl an Produzenten (Narain 2008: 412).49 Trotz der eigentlichen Ausrichtung auf Verteilungsgerechtigkeit wird das wārābandī-System allerdings auch kritisiert. In Ermangelung von Wasserspeichern wird die Wasserverteilung und damit die Bewässerung zumeist unabhängig vom Wachstumsstatus und Bedarf der Pflanzen festgelegt. Bauern sind gezwungen, ihren Was-

49

Merrey (1986) z.B. bemerkt für die britischen Investitionen in wārābandī-Systeme im Punjab, dass durchaus eine Erwartung an die Rentabilität der Investitionen bestand (ebd.: 45). Narain (2008) dagegen wendet ein, dass es der britischen Regierung in Indien, die solche Bewässerungssysteme durch die koloniale Politik unterstützt habe, weniger darum ging, Profite zu erwirtschaften, als darum, Hunger und ggf. soziale Unruhen zu verhindern und dadurch die koloniale Herrschaft zu sichern; erst nach der Unabhängigkeit des Subkontinents von den Briten hätten sich die Erwartungen an Bewässerungssysteme verschoben und neben Verteilungsgerechtigkeit und Grundsicherung des Lebensunterhalts wurden zunehmend auch gewinnbringende Erträge erwartet (ebd.: 410-1).

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seranteil zu dem vorgegebenen Zeitpunkt zu nutzen oder den Anspruch verfallen zu lassen. Darüber hinaus werden Verluste durch Versickerung, Verdunstung oder Diebstahl in dieser Art Bewässerungssystem kaum gemessen oder berücksichtigt, insbesondere da die meisten der so regulierten Wasserverteilungssysteme auf technisch einfachen physischen Infrastrukturen beruhen. Dies führe außerdem dazu, dass zumeist nicht Wassermengen gleichmäßig zugemessen werden, sondern Zeitabschnitte (ebd.: 416-7). Eine Rotation der Wasserzuteilung soll an sich verhindern, dass sich die Nähe oder Entfernung zur Wasserquelle in der verfügbaren Menge an Wasser niederschlägt; Manipulationen des Systems können aber dennoch zu „headand tail-enders“-Dilemmata führen (ebd.: 417; siehe auch Merrey 1986). Wie Narain (2008) feststellt, weichen z.B. aufgrund von Tausch oder Verkauf von Wassereinheiten Praktiken oft von den festgelegten Abfolgen der Wasserverteilung ab. Die zuvor angesprochene Rigidität kann dadurch abgemindert werden. Daneben gibt es aber auch immer wieder unrechtmäßige Manipulationen der Wasserinfrastruktur oder Bestechung der Aufseher. Narain merkt dazu an, dass solche Ausnahmen wiederum den Charakter von Regelhaftigkeit annehmen können, die langfristig zu einem rechtlichen Pluralismus führen können (ebd.: 415-7). Wārābandī in Jutial und Khomer In Jutial wird die Zeit des wārābandī jährlich um das Neujahrsfest naurōz am 21. März verkündet, nachdem die Hauptkanäle zuvor trockengelegt und gesäubert und ggf. ausgebessert wurden.50 Das wārābandī endet meist um den 5. Mai, wobei das tatsächliche Datum jährlich entsprechend dem effektiven Einsatz der Schneeschmelze angepasst wird. Während dieser Zeit, wenn die Agrarsaison mit Pflügen, Aussaat und Bewässerung beginnt, wird das nāla-Wasser über sarbandh, temporäre Dämme aus Bachsteinen, in die Kanäle geleitet und der Ablauf von nāla-Wasser in Richtung Fluss verhindert. Sarbandh und die Regelungen des wārābandī sollten ursprünglich gewährleisten, dass das zu dieser Zeit knappe Wasser komplett genutzt und gleichmäßig und gerecht verteilt wird. Grundlage bei der Erstellung der Regelungen zur Wasserverteilung war das bestellbare bzw. besteuerte Land.51 Ein Verteilungszyklus der hydraulischen Einheit Jutial Nala umfasst zwischen 10 und 11 Tagen. Davon geht das Wasser drei Tage nach Jutial, drei Tage nach Khomer Yerkot, drei nach Khomer Damot und einen Tag nach Khomer Beshot, außerdem (seit ca. 1956) jeden zweiten Durchgang auch einen Tag an das FCNA, dessen Hauptquartier unterhalb des kōṭ mohalla Jutials liegt. Zwar gehöre das nāla zu

50

Fazlur-Rahman (2000) verwendet für das Prinzip des Säuberns und Reparierens von Kanälen durch die Dorfgemeinschaft den Begriff „self-help basis“ (ebd.: 74).

51

Hier: der Dörfer Jutial, Khomer Yerkot, Khomer Beshot und Khomer Damot.

Die Verhandlung „traditioneller“ Wasserrechte | 237

Jutial, erklärte Jamhoor Ali – was schließlich der Name Jutial Nala selbst wiederspiegele – und die Ressourcen gehörten den „alten“ Siedlern Jutials. Dennoch hätten die Vertreter Jutials zu einem früheren Zeitpunkt – der nicht mehr bestimmbar sei – den Siedlern Khomers Wasser abgegeben. Dies sei schließlich über die Regelungen des wārābandī in die heutigen Wasserrechte überführt worden. Grundlage bei der Erstellung der Regelungen zur Wasserverteilung war das damalige bestellbare und besteuerte Land der Dörfer Jutial, Khomer Yerkot, Khomer Beshot und Khomer Damot. Khomer als Ganzes erhalte so Dreiviertel des Wassers, während nur ein Viertel an Jutial gehe. Innerhalb dieses Verteilungsschemas zwischen den Orten wird das Wasser ebenfalls entsprechend Anteilen rationiert, die in ganzen, halben und viertel Stunden gemessen werden. Die Zuteilung des Wassers in jedem Turnus wird als wārī (Urdu) oder nōbat (Shina) bezeichnet. Wie Gesprächspartner erklärten, sei das zugrundeliegende Flächenmaß ein Kanal Land, für den jeweils ein ghāṛō als Wassereinheit festgelegt worden war: so viel Wasser, wie in einer Stunde durch eine mit beiden Händen angedeutete Öffnung komme. Der angedeutete Durchmesser umfasste meist um die vier Inch (ca. 10 cm) – wobei ein ghāṛō zumeist umgekehrt darüber definiert wurde, dass vier ghāṛō ein Mühlrad antreiben könnten. Wie auch Narain (2008) erwähnt, orientieren sich die Anteile aber eher an der Zeit als an der Wassermenge selbst – was zum Vor- oder Nachteil der einzelnen Bezieher gereichen kann, da die Öffnungen nicht als fixe vier Inch tatsächlich abgemessen sind; stattdessen wird das Kanalbett an einer Stelle geöffnet und am Ende der Frist wieder mit Erde (oder umherliegendem Abfall, v.a. Plastiktüten) verschlossen. In der Bewirtschaftung des Bewässerungssystems gibt es in Jutial keine gesondert beauftragten Wasserwächter. Stattdessen sorgen die zu Wasser Berechtigten selbst dafür, dass das Wasser des nāla in die Kanäle fließt; sie leiten das Wasser entsprechend von der Aufnahmestellte bis hin zu den eigenen Feldern selbst. Meist tun dies die Männer der Haushalte einer „alten“ Familie gemeinsam, insbesondere da der Fluss des Wassers entlang der Wasserläufe kontrolliert werden muss. Die Männer positionieren sich entsprechend entlang des Wasserlaufs und achten darauf, dass kein Wasser abgezweigt wird. Je weiter das zu bewässernde Feld vom Hauptkanal entfernt ist, desto schwieriger ist es, mit wenigen Beteiligten für einen ordentlichen Fluss zu sorgen.52 Wem zur selben Zeit ein Anteil am Wasser aus den

52

Ein Gesprächspartner aus Kashrot erklärte mir, was für eine Plackerei es gewesen sei, als Jugendlicher mit seinen zwei Brüdern die Felder zu bewässern: sobald sie alle Subkanäle an allen relevanten Stellen geschlossen oder geöffnet hatten und selbst am eigenen Feld angekommen seien, sei der Wasserfluss schon wieder versiegt, weil andere am oberen Ende das Wasser abgezweigt oder den Wasserfluss umgeleitet hätten. Auch ein

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Haupt- oder Subkanälen zusteht und wem nicht, wüssten die Männer aus Erfahrung, erklärten die meisten Gesprächspartner.53 Wasserkonflikte und das Überwachen von Wasserrechten Während hydraulische Gemeinschaften grundsätzlich auf Kooperation bestehen, kann es ebenso zu (gewaltsamen) Konflikten kommen, in denen Wasser Gegenstand oder Medium sein kann. Wie z.B. Merrey (1986) für einen Ort im Punjab beschreibt, kann das Bewässern des Landes bzw. die dafür notwendige Bewegung entlang der Kanäle v.a. während schwelender Konflikte problematisch sein, insbesondere wenn man dafür Land der gegnerischen Gruppe passieren muss. Außerdem ist es möglich, dass Individuen, Familien oder Gruppen von der Wasserverteilung ausgeschlossen werden können (ebd.: 54). Im Fall des Ortes, den Merrey beschreibt, nutzten z.B. einflussreiche Beteiligte das Bewässerungssystem, indem sie die Wasserverteilung bzw. -routen änderten, um Kontrolle über andere zu erlangen oder diese zu bestrafen. Bewässerungssysteme können so auch zum Mittel werden, über das Konflikte in der ländlichen Bevölkerung Pakistans ausgetragen werden (ebd.: 61). Auch wenn mir gegenüber nur wenige Gesprächspartner solche Punkte formulieren wollten, trifft dies zweifellos auch für Gilgit und auch für die hydraulische Einheit des Jutial Nala zu. So sprach z.B. mein Forschungsassistent Sohail von auch gewaltsam ausgetragenen Wasserkonflikten und erklärte mir, wie diese „normalerweise“ gelöst würden. Ein Freund seines Vaters z.B. habe Wasser von den Leuten aus Khomer „genommen“ (er sprach von „nehmen“, nicht von „stehlen“). Als dies bekannt wurde, hätten sie ihn mit einer Strafe von einer Ziege belegt. Normalerweise müsse daher während des wārābandī jeder aufmerksam sein, nicht das Wasser eines anderen zu nehmen, erklärte er. Handle man gegen die Regeln, würde das bestraft werden, bis hin zu einer Anzeige bei der Polizei. Das Einschalten von Polizei sei aber eher selten und Vergehen würden meist weiterhin von lokalen Entscheidungsgremien geklärt. Als ein Nachbar, der offenbar das Ableiten von Wasser durch Leute aus Khomer hatte verhindern wollen, auf diese geschossen hatte, war der Konflikt in einer jirga mit councillor und nambardār geklärt worden. Als Strafe für das Schießen sei dem Nachbarn eine Strafzahlung eines Yaks auferlegt worden.

Gesprächspartner aus Minawar, einem Ort in der Nähe Gilgits, erwähnte, dass die Kanäle während des wārābandī bewacht werden müssten. 53

Siehe auch die Hinweise von Narain (2008: 412) und Kreutzmann (2000b: 103), dass dies „Allgemeinwissen“ sei. Kreutzmann schreibt hierzu: „This codex [of water distribution in central Hunza] is common knowledge and not written down or fixed like in other mountain regions“ (ebd.).

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Auf meine Frage hin, was Bewohner_innen aber tun könnten, wenn sie sehen würden, dass ihre Pflanzen vertrockneten, erklärte auch Sohail, wie der ehemalige councillor Usman Hussain, dass sie sich an jeden wenden könnten, der über Wasser verfüge: „They can just request anyone. They can take... and everybody is ready to give water.“ Dass Leute dennoch Wasser stehlen würden, sei reine „Gewohnheitssache“, wie Sohail lachend erklärte: „Itʼs habitual. […] They are... what can we say? They just say: ‚nobody will see me, and I will put water to my plants within a short time. And I will just... make it good again, prop up this channel again.‘“ Dabei stimmte Sohail mir zu, dass klar sein müsse, dass das Wasser, das abgezweigt wird, auf den Feldern anderer fehle. Gerade während des wārābandī sei die verfügbare Wassermenge gering, bestätigte er, dann würde natürlich nachgeforscht, warum nur noch so wenig Wasser komme: „If it is my wārī, if Iʼm putting water on my plants, then I can realize from the water quantity – on that time we can guess it: yes, somebody is stealing my water! Because the quantity is very little. At that time we check and then we will find out.“ Mit seinen Erklärungen ist Sohail jedoch einer der wenigen, der Konflikte, insbesondere gewaltsam ausgetragene Konflikte, bestätigte; die meisten Gesprächspartner schoben diese in eine ferne Vergangenheit, von der sich die heutige Bevölkerung zunehmend über Bildung abgewandt hätte. Entsprechend erklärte z.B. Ayub Wali, ein Gesprächspartner, der aus Sakwar nach Jutial gezogen war, dass die Konflikte v.a. daher rührten, dass nur wenige gebildet seien. Wären alle gebildet, gebe es auch keine Probleme mehr. Dabei scheint der Erklärungsansatz über (mangelnde) Bildung mehr Hoffnung als Tatsache zu sein. Dabei könnte man sich der waterscape Gilgits, ebenso wie der sozialen Landschaft, auch allein über die gewaltsam ausgetragenen Wasserkonflikte nähern. Auch hier wird wiederum deutlich, dass – neben der „Etablierten-Außenseiter-Figuration“ und der Frage, wer Wasser beanspruchen kann – die Figuration der Konfessionen eine bedeutende Rolle dabei spielt, wer wem Wasser zu- oder abspricht, ebenso wie dabei, Wasserbewilligung oder -verweigerung dafür zu nutzen, die städtische Landschaft aktiv zu strukturierten. Wie ein Bekannter, der ebenfalls in Gilgit ethnographische Forschungen durchgeführt hatte, erklärte, gebe es auch in Jutial regelmäßig Konflikte um Wasser und Männer würden oft mit Schaufeln oder Waffen ausgestattet an Wasserbehältern und Kanälen patrouillieren. Mir gegenüber bestätigte dies ein Gesprächspartner in einer neuen Siedlung Jutials mit einer Erzählung davon, wie er eines Frühjahrs mit seinen Nachbarn versucht habe, den sarbandh im Jutial Nala zu durchbrechen, um etwas Wasser in die eigene Siedlung zu leiten. Diesen Versuch hätten sie aufgegeben, als von einer etwas höheren Warte aus auf sie geschossen worden sei. Desweiteren erklärte mir der befreundete Ethnologe, dass er selbst von einem Vorfall gehört hatte, bei dem Wasser bzw. der Zugang zum nāla Auslöser eines gewaltsamen Konflikts zwischen Bewohnern Khomers und Jutials

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gewesen war. Hierbei wurde, wie er wiedergab, eine sunnitische Familie angegriffen, deren Grundstück am Aufgang zum Jutial Nala lag – offenbar weil dies von den Schiiten Khomers als Hindernis wahrgenommen wurde. Sie bedrohten zunächst die sunnitische Familie bzw. deren Männer und erschossen schließlich den ältesten Sohn, woraufhin die Familie das Grundstück verkaufte und damit sprichwörtlich den Weg freigab. Obwohl ich teilweise auch mit denselben Gesprächspartnern sprach wie der befreundete Ethnologe, wollte niemand über diesen oder ähnliche Vorfälle sprechen. Nur ein weiterer Gesprächspartner, Jalaluddin Shah, ein Ismailit, dessen Familie sich ebenfalls zu den pushtūne bāshinde Jutials zählt, verwies auch darauf, dass es bezüglich Wasser regelmäßig Streit gebe und auch zu gewaltsamen Konflikten bis hin zu Totschlag komme – Konflikte, die er aus der Distanz, die er als Ismailit hierzu einnimmt, in die sectarian conflicts bettet: „Two months in a year [during the wārābandī], [only] we [pushtūne bāshinde] are watering our crops with the ‚natural‘ water. During that time, everyone [of the pushtūne bāshinde] takes the water during his own term; so in that time, one, two are stealing, then there is also anger and fighting. But in our ‚community‘ [Ismaili] it is not like that, we are ‚civilized‘ people, but the other ‚communities‘ [Shia and Sunni] keep on having fights amongst each other. So far that sometimes people also kill each other. […] There are very many ‚cases‘; every year injuries are a normal routine, and then, after this fighting there is enmity amongst each other, after that, one attacks the other and kills him also.“

Über das Sortieren von Bewohner_innen in den Nachbarschaften und das Überwachen von Wasserrechten auf der Mikroebene hinaus gilt es aber für die „alten“ Siedler auch, die Institution der Wasserrechte an sich zu überwachen, da diese gerade im Rahmen der Urbanisierung zunhemend herausgefordert wird.

HERAUSFORDERUNG DER WASSERRECHTE Wie schon angerissen, kann die Beibehaltung von traditionellen Wasserrechten – in Gilgit, wie auch in anderen Kontexten – zu einer Debatte um Fairness und Gerechtigkeit bei der Verteilung führen. In der Literatur zu Wassermanagement werden diesbezüglich zwei Verteilungsprinzipien unterschieden: zum einen eine „gleichmäßige“ („equal“) Wasserverteilung im Rahmen einer generalisierten Gerechtigkeit („equality“), bei der von uniformen Bedürfnissen und Ansprüchen aller ausgegangen wird. Zum anderen das Prinzip von sozialer Gerechtigkeit („equity“), das lokale historische Normen berücksichtigt und so eine „angemessene“ („equitable“) Wasserverteilung gewährleisten soll (Boelens 1998, 2009; Wutich et al. 2015: 221). Während Regelungen in einem modernen Staatsverständnis zumeist auf generali-

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sierte Gerechtigkeit abzielen, korrespondieren traditionelle Wasserrechte meist mit dem Prinzip der sozialen Gerechtigkeit. Hier zeichnen bestimmte soziale, zeitliche, räumliche und politische Merkmale einen spezifischen Rahmen aus, in dem die Wasserrechte verhandelt und etabliert werden. Daher bezeichnet Boelens das Prinzip sozialer Gerechtigkeit – nicht aber die generalisierte Gerechtigkeit – auch als „fair“ (Boelens 1998: 19, 2009: 310). Boelens argumentiert entsprechend, dass Menschen im Hinblick auf soziale Unterscheidungen und Stratifizierungen zunächst nie gleich seien; innerhalb jeder Gesellschaft gebe es eine intrinsische Vielfalt, unterschiedliches Wissen, unterschiedliche Lebensstile. Forderungen nach Gerechtigkeit auf der Basis von „Gleichheit“ seien daher allein als rhetorische Stilmittel zu verstehen (ders. 1998: 18). Wie Boelens darüber hinaus anmerkt, würden sich traditionelle Wasserrechte daher zumeist auch von technologischen Prinzipien unterscheiden, welche Wasserverteilung anhand messbarer Kriterien wie Landbesitz oder Bewässerungsbedürfnissen zuteilen (ders. 2009: 310). Dabei ist die Angelegenheit zumindest im vorliegenden Fall bei Weitem nicht so simpel: Denn die Bewässerungsordnung für das Jutial Nala war zunächst auf einem eben solchen „technologischen“ Prinzip, d.h. auf der Grundlage von gleichmäßiger Wasserverteilung entsprechend Landbesitz und Besteuerung, entworfen worden; erst die Fixierung dieser Bewässerungsordnung als Gewohnheitsrecht führte dazu, dass das ursprüngliche Prinzip von bedarfsorientiert gleichmäßiger Verteilung in den Hintergrund geriet. Die Fixierung der Wasserordnung bei gleichzeitigen bedarfsmäßgen Veränderungen (Verkauf, Bebauung von Grundstücken) führte dazu, dass die ursprünglich bedarfsorientiert gleichmäßige Wasserverteilung zu einer „sozio-historisch angemessenen“ aber ungleichmäßigen und exklusiven Wasserverteilung wurde.54 Entsprechend kommt in Gilgit wiederholt die Frage auf, welches Prinzip für die Wasserverteilung des nālaWassers letztlich durchgesetzt werden sollte: sollte Wasser auf dem ursprünglich traditionellen Prinzip von Bedarf wieder gleichmäßig verteilt werden? Und wenn ja, auf welcher Basis (wiederum Landbesitz oder stattdessen Bebauung, Haushaltsmitglieder)? Oder sollte weiterhin eine sozio-historisch angemessene Verteilung auf der Basis der inzwischen fixierten Wasserrechte stattfinden, auch wenn deren Grundlage – Landbesitz, Landwirtschaft und Besteuerung – derweil aufgrund von historischem, ökonomischen und sozialen Wandel größtenteils fehlt? Derzeit werden die fixierten Wasserrechte weiterhin unter dem Vorzeichen der „Tradition“ praktiziert – wenn auch eben als „an evolved modern version of a tradition“, wie Trawick (2001: 364) dies für hydraulische Einheiten in Peru bezeichnet.

54

Mir selbst fällt es zugegebenermaßen schwer, die so praktizierte Wasserverteilung mit Boelens Begriffen als „sozial gerecht“ oder „fair“ zu bezeichnen.

242 | Den Verlauf kontrollieren

Denn die Regelungen bezüglich der natürlichen Ressourcen des nāla blieben weder vor noch nach den 1950er Jahren unverändert. So reguliert und sanktioniert mittlerweile das Forest Department das Jagen von Wild im Jutial Nala und die Regelungen zur Wasserverteilung änderten sich mit dem Wachsen der vier Dörfer Jutial, Khomer Beshot, Khomer Damot und Khomer Yerkot, mit dem Einbezug des Militärs in die Wasserverteilung, aber auch mit dem Einbezug des PWD beim Unterhalt der Kanäle und der Verteilung von Haushaltswasser über Wasserkomplexe. Über die Bemerkung, dass die Gewohnheitsrechte „traditionell“ seien, wird ihnen Autorität verliehen, selbst wenn es sich eben um eine veränderte, moderne Version von Tradition handelt (vgl. auch Hobsbawm 2000: 2-4). Mit dem Wegfall der Grundlagen, auf denen die Wasserverteilung ursprünglich eingerichtet wurde, wird ihr Status als „Tradition“ gefestigt (vgl. ebd.). Und tatsächlich fehlen mittlerweile die Grundlagen, auf der die Regelungen kodifiziert wurden und die als Begründung dienten, komplett: Die Besteuerung von bestellbarem Land wurde aufgehoben, das Bestellen des Landes größtenteils aufgegeben, Land verkauft oder für Häuserbau verwendet. Dennoch verbleiben die Rechte auf die natürlichen Ressourcen weiterhin bei den neu geschaffenen alten Gemeinschaften und deren Mitgliedern. Deren Gemeinschaftsrechte und ihre (temporär) exklusive Nutzung der natürlichen Ressourcen des nāla bleiben ebenfalls unangetastet und – zumindest aus Sicht der meisten „alten“ Siedler – auch unantastbar. Wie z.B. Shah Gul Hayat, sich seiner Sache absolut sicher, anmerkte, könne nicht einmal der Supreme Court Pakistans die Wasserrechte und Verteilungspraktiken ändern. Wasserrechte – weder abänderbar noch abschaffbar Trotz des Wegfalls der ursprünglichen Grundlagen für die Wasserverteilung und trotz des fehlenden formalen Status, kommt für pushtūne bāshinde das Recht der alten Gemeinschaften auf die Ressourcen des nāla dem Grundrecht auf Besitz gleich. Jamhoor Ali z.B. bezeichnete das Vorrecht der pushtūne bāshinde auf das Wasser des Jutial Nala als Recht (haq) in Form eines Gesetzes (qānūn) und sogar als „grundlegendes Menschenrecht“ („buniyādi insāni huqūq“). Zwar würde auch das Land, auf deren Basis z.B. seine eigene Familie 24 Stunden Wasser bekomme,55

55

Da das Recht auf Wasser wie schon erwähnt bei Familien liegt, kann das Recht auf Wasser – auch nach der Aufgabe von Landwirtschaft, Verkauf oder Bebauung – weiterhin bei der Familie verbleiben. So erklärten z.B. die Söhne Rasul Mirs, dass mittlerweile der meiste Landbesitz des Großvaters verkauft bzw. vererbt und mit Häusern der Brüder bebaut worden sei. Jeder der Brüder besitze nun nur noch jeweils ein bis vier Kanal Land und baue nur noch auf kleinen Flächen Gemüse und Futter für ein oder

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längst nicht mehr bestellt, sondern sei mit dem eigenen sowie Häusern seiner Brüder bebaut.56 So habe er nun 24 Stunden Wasser für 24 Kanal – weit mehr als er je brauchen könne. Geändert oder aufgegeben werden könnten diese Wasserrechte jedoch nicht, wie Jamhoor Ali erklärte: „That is a long debate – I will just say that whatever development you get and the world advances, but the rights can not be changed. The basic rights of humans cannot be changed. It can neither be finished, nor would we allow someone to finish it.“ Ihre Gültigkeit und Rechtmäßigkeit verankerte er in deren Aufzeichnung durch „die Briten“ bzw. die britischen Amtsträger in Gilgit zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Diese Anerkennung und Festschreibung der Regeln sei dabei in beidseitigem Einvernehmen zwischen britischen und lokalen Amtsträgern geschehen. Dieses Einvernehmen sei es, das auch heute noch Voraussetzung für die Weiterführung der Beziehung nun zwischen „department“ und lokalen Amtsträgern sei. Während eine Abschaffung der Wasserrechte also ausgeschlossen sei, verbleibt jedoch jederzeit die Möglichkeit, überflüssiges Wasser (phalto pānī) an neue Siedler zu verschenken, wie Jamhoor Ali erklärte, was aber bedeutet, dass das Wasser nur an einzelne geht. „During the [time of the] shortage those people [from the new colonies] request us [the family] and then what we do is that [out of our twenty-four hours] we use our eighteen hours of water for ourselves and we give the remaining six hours to them. Then we tell them: ‚ok, you can take water through your own channel from our time and fill your tanks‘. Because they cannot afford to buy the water through ‚tankers‘, because they are poor, so we give them.“

Dabei scheint das Verschenken von Wasser jedoch nicht in eine moralische Ökonomie von Reziprozität und gegenseitiger sozialer Absicherung gegenüber Wasserunsicherheit eingebettet, wie z.B. von Wutich (2011b) für Cochabamba festgestellt, sondern sporadisch zu sein. Außerdem bleibt dem Verschenkenden vorbehalten, an wen das Wasser geht und auf der Basis welcher Kriterien.57 Dabei wurden meine

zwei Kühe an. Dennoch verbleibe das Recht auf 24 Stunden Wasser bei ihnen und den Cousins, die sie sich nun untereinander teilten oder auch an andere Familien verschenkten. Wird Land vererbt, müssen die Nachkommen sich untereinander (meist zwischen Brüdern und Cousins) auf die Verteilung von Land und Wasser einigen. 56

Das meiste Land wurde sicher familien-intern bebaut. Wie Gratz (2006: 211) und Sökefeld (1998: 144) festhalten, ist es außerdem rentabler, Land zu bebauen und als Wohnraum zu vermieten als es zu bestellen.

57 Kritisiert, aber dennoch verbreitet, ist auch die Praxis, Wasser an das Serena Hotel im oberen Teil Jutials zu verkaufen.

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Fragen danach, ob und inwiefern das Vergeben von Wasser Allianzen, PatronageBeziehungen, Reputationsbildung oder die Anhäufung von Verdiensten fördert (vgl. Mosse 2005b: 5), von keinem Gesprächspartner beantwortet oder angesprochen und bleibt damit unklar. Für Bewohner Jutials und Khomers, die sich nicht zu den pushtūne bāshinde zählen dürfen hat dies sehr unterschiedliche Konsequenzen: Neue Bewohner_innen, die Land im Gebiet der alten Siedlungen besitzen, haben zwar kein Recht auf nālaWasser, können aber das Wasser der öffentlichen Wasserleitungen und im Sommer nach der Zeit des wārābandī auch das der gemeinschaftlichen Kanäle nutzen – auch wenn dies nicht notwendigerweise immer der Fall ist, wie im Unterkap. „Konfessionslandschaften“ anhand der Geschichte von Muhammad Younus dargestellt wird. Bewohner_innen der neuen Siedlungen dagegen bleiben gerade im Frühjahr beinahe komplett auf dem Trockenen sitzen; der Wasserkomplex für die neuen Siedlungen Jutials wird nicht weiter mit nāla-Wasser versorgt, sondern – sofern möglich – mit Flusswasser, was aber, wie schon angeführt, aufgrund des Strommangels im Frühjahr oft nur unzureichend möglich ist. Die Bereitstellung von Wasser für die neuen Siedlungen, betonten viele pushtūne bāshinde Jutials, liege in der Verantwortung der öffentlichen Institutionen, nicht der „alten“ Siedler. Während, wie schon diskutiert, z.B. Jamhoor Ali die Wasserrechte Jutials als unabänderbar und unabschaffbar bewertete, liege die einzige Möglichkeit, die Regelungen zur Wasserverteilung zu ändern oder die Rechte aufzugeben, in der Zustimmung der Betroffenen selbst. Der nambardār dagegen stellte diese Möglichkeit an sich infrage. Wie er erklärte, sei dies auch nicht notwendig, da sich Anwohner, die kein Recht auf Wasser hätten, durchaus auch während des wārābandī Wasser aus dem Jutial Nala holen könnten – verdursten müsse niemand. Und wie seine Tochter ergänzte, könnten neue Siedler_innen, die Land in Jutial oder Khomer kauften, in jedem Fall Wasser bekommen – auch wenn dies bedeute, dass sie eben dafür zahlen müssten – entweder indem sie schon bestelltes Land (kāshtwāli zamīn) bzw. registriertes Land (bandobasti zamīn) zu einem höheren Preis kauften oder indem sie Wasser privat besorgten. Während Wasser der pushtūne bāshinde eine Sache der Gemeinschaft ist, wird das Wasser für alle anderen ganz klar zur Privatsache von Individuen, wie sie in ihrer Aussage deutlich macht: „If he has taken the land without water, then he will not take any water, not even drinking water. He will just build the house on the land and he will bring water that he has to buy. Either with the tanker, with the tractor, or the cooler, or a glass – it depends on him.“ Die Frau des nambardār fügte hinzu, dass auch neue Siedler_innen sich an das öffentliche Leitungssystem anschließen lassen könnten. Haben sie aber Land gekauft, ohne auf die Wasserversorgung zu achten, sei das ihr eigenes Problem, bei dem auch der nambardār nichts ändern könne. Zwar kämen immer wieder auch Bewohner aus den neuen Siedlungen mit der Bitte um Wasser zu ihrer Familie; sie fühlten

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sich aber weder für die Versorgung der neuen Siedler_innen zuständig noch befugt. Das Wasser gehöre der Gemeinschaft (der pushtūne bāshinde), erklärten sie; der nambardār – oder jeglicher anderer Vertreter – könne daher nicht über das Wasser verfügen. Dies sei insbesondere daher unmöglich, da es immer auch solche Mitglieder in der Gemeinschaft gebe, die nicht für sich selbst einstehen könnten. Witwen oder Waisen z.B. hätten kaum die Möglichkeit, sich diesbezüglich zu äußern. Eine Entscheidung, die Verteilung des Wassers des Jutial Nala auf die neuen Siedlungen auszudehnen würde daher immer über die Köpfe mancher Rechtehalter hinweg gehen und sei daher nicht rechtens. Als nambardār müsse er daher solche Anfragen neuer Siedler negativ bescheiden: „The water does not belong to me, the water belongs to all the people, to the widows, to the orphans, to all the people; I cannot make a decision about this. From our own wārī – for blessings from God – we could share some to you, but not from all the peopleʼs water.“ Die Zustimmung darüber jedoch, die Wasserrechte zu ändern oder gar abzuschaffen, könne in einer Gemeinschaft, in der niemals alle Betroffenen an der Diskussion teilnehmen können, nie erzielt werden, wenn die Zustimmung aller Betroffenen vorausgesetzt wird. Abschaffungsdiskurse Dabei hatte es Versuche, die Wasserversorgung auch permanent auf die neuen Siedlungen auszudehnen, vor einigen Jahren durchaus schon gegeben, wie mir zwei Gesprächspartner, Basharat Issa in Khomer und Shah Gul Hayat in Jutial, erklärten. Die Familien beider waren in den 1930er Jahren nach Jutial bzw. Khomer gezogen, und hatten dort bandobasti zamīn erworben, d.h. Land, das bislang bewässert wurde, das unter das bandobast fiel und damit offiziell als solches registriert war. Dabei fielen ihre Einschätzungen der Wasserrechte und ihre Meinungen zu deren Beibehaltung oder Abschaffung allerdings sehr unterschiedlich aus.58 Im Rahmen eines Gesprächs mit einer Gruppe von bāshinde Khomers, empörte sich z.B. Basharat Issa darüber, dass Familien wie die ihren, die in Khomer Land gekauft hatten, noch immer von der Gnade einer kleinen Gruppe von pushtūne bāshinde abhängig seien. Selbst bei bandobasti zamīn sei es eine Frage des Geldes auf Seiten der Käufer, da Land mit Wasserrechten vergleichsweise wertvoller und daher auch teurer ist. Es sei außerdem eine Sache des guten Willens auf Seiten der Verkäufer: in manchen Fällen bestünden die Verkäufer darauf, dass Wasser über

58 Wie ich meine, hängt dies ggf. damit zusammen, dass die Familie Basharat Issas, die nach Khomer gezogen war, kein Recht auf Wasser zugesprochen bekamen, während dies bei der Familie Shah Gul Hayats in Jutial der Fall war – und dies obwohl Shah Gul Hayat sich selbst und seine Familie nicht als pushtūne bāshinde bezeichnete.

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Mithilfe bei der Bewässerung der Felder der Verkäufer sprichwörtlich erarbeitet werden müsse. Was Sökefeld (1997a, 1998) als eine formale Beziehung zwischen pushtūne bāshinde und sāmī beschreibt, bei der die Wassernutzung über die Wasserrechte des Landverkäufers auch Pflichten mit sich bringen kann, wird von Basharat Issa nicht nur nicht (mehr) als solche (an-)erkannt – er verwendete keinmal den Begriff sāmī –, sondern sogar als „ungerecht“ („insāf“) bezeichnet: „Within these people [the „old“ settlers] there are some people that are so unjust (insāf), that when they sold the land to someone, only if the person would help them to give water to their own fields they would give them water as well. If they did not help them, they would not give water to that person. Some people even do that!“

Wie Basharat Issa weiter erklärte, seien seine Eltern um 1935 von Hunza nach Khomer gezogen. Kurz darauf – er verwies grob auf die Zeit nach der Gründung Pakistans – sei der Status der pushtūne bāshinde fixiert, deren Mitglieder bestimmt und das Recht dieser wenigen auf das Wasser des nāla festgelegt worden. Als Referenzpunkt für die Bestimmung, wer als pushtūne bāshinde gelten würde, sei die Gründung Pakistans festgelegt worden – ein für ihn beliebiger Referenzpunkt und obendrein einer, der nicht durchgängig angewandt worden sei: Obwohl seine Familie schon 1935 nach Khomer gezogen sei, wurde ihnen der Status als pushtūne bāshinde nicht zugestanden. Darüber hinaus seien Festlegungen dieser Art nicht rechtens, wie er meinte: „There needs to be change. If they [i.e. some ten families] settle it [the nāla area] from the beginning, it doesn’t need to be like this that there is water only for ten people [i.e. ten families]. It should not be like this. […] There is no law (qānūn) [that supports this].“ Die Idee von Besitztumsrechten ist für ihn keinesfalls eine, die auf Wasser angewendet werden kann. Doch obwohl diese Grundlage unrecht sei, seien diese Festlegungen im Lauf der Zeit wiederholt bestätigt worden. So war er selbst 2004 an einem Treffen beteiligt worden, das ein tehsīldār (ein Verwalter eines Subdistrikts entsprechend der Bezirksebene) für Jutial und Khomer einberufen hatte. Hierzu waren vier Stellvertreter der Dörfer Jutial, Yerkot, Beshot und Damot sowie Stellvertreter weiterer Orte außerhalb Gilgits, wie Sakwar und Minawar, geladen worden. Wie er erklärte, sollte bei diesem Treffen ein neues settlement entworfen werden: ein neues Abkommen über die Gültigkeit der alten Regeln, welche damit auch zur Diskussion gestellt waren. Am Ende seien die Wasserrechte der pushtūne bāshinde von der Mehrheit, die die pushtūne bāshinde ausmachten – Basharat Issa selbst sei der einzige gewesen, der nicht unter den Status der pushtūne bāshinde gefallen sei –, bestätigt worden. Diejenigen, die seit 60 Jahren oder mehr (also vor 1944) in Jutial bzw. Khomer lebten, sollten weiterhin Gewohnheitsrechte gültig machen können (bedastūr rahē). Die Zahl der Familien, die sich hierauf berufen können, sei aber nicht diesem Kriterium entspre-

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chend angepasst worden; Basharat Issa, dessen Familie schon zehn Jahre vor diesem Zeitpunkt in Khomer Land gekauft hatte, blieb weiterhin außen vor. Wie er weiter erklärte, würden die später nach Khomer Gezogenen zwar an der Wasserverteilung beteiligt – allerdings eingeschränkt und abhängig vom guten Willen der „alten“ Siedler. Wird bandobasti zamīn verkauft, so bleibt es auch hier weiterhin eine Frage des guten Willens, ob das Land weiterhin über die Rechte der „alten“ Siedler bzw. alten Besitzer bewässert werden kann: „[The „old“ settlers] give according to their own choice (apni marzi se dēte). But they donʼt include us in this right.“ Auch das Recht an Teilhabe sei weiterhin beschränkt, wie Basharat Issa fortfuhr. Wenn er, mit seinen 66 Jahren, ins nāla ginge, wage zwar niemand etwas dagegen zu sagen. Komme es aber zu Streitigkeiten und er wolle dabei schlichten helfen, würde er – ebenso wie andere „neue“ Siedler – unter Verweis darauf, dass er keine Gewohnheitsrechte beanspruchen könne, zurück- und zurechtgewiesen: „Whenever someone is angry or there is some fight, then they say [to me/us]: ‚What right do you have? You have not even a right to the nāla. What’s your right for water? Only we have this right.‘ Thatʼs what is being said.“ D.h. die Vorrechte der pushtūne bāshinde auf das Jutial Nala waren durchaus zur Diskussion gestellt worden – allerdings vor einer Versammlung von pushtūne bāshinde und mit dem Resultat, dass die pushtūne bāshinde selbst deren Aufrechterhaltung beschlossen. Wütend habe Basharat Issa 2004 die Versammlung verlassen, nachdem er erkannt habe, dass die Anwesenden nur gewillt waren, den Status quo zu bestätigen. Mit einem ähnlichen familiären Hintergrund wie Basharat Issa, aber dennoch mit einer völlig konträren Haltung, die ggf. daraus resultierte, dass seiner Familie beim Umzug von Hunza nach Jutial in den 1930er Jahren Wasserrechte zugestanden worden waren, erklärte Shah Gul Hayat dagegen, dass er selbst die Abschaffung der Wasserrechte des Jutial Nala verhindert habe. Vor einigen Jahren habe der zuständige settlement officer eine Erklärung vorbereitet gehabt, laut der das Wasser des Jutial Nala komplett das Gebiet Jutials und Khomers sowie Sonikots und der neuen Siedlungen Jutials im Osten und Zulfiqarabad im Norden abdecken sollte. Nachdem Shah Gul Hayat selbst Mitglied des ersten Municipal Committee gewesen war, sei auch ihm das Dokument vorgelegt worden. Dieses hatten zu seinem Erstaunen eine ganze Reihe an Vertretern der pushtūne bāshinde auch schon unterzeichnet. Und obwohl Shah Gul Hayat bzw. seine Familie selbst ebenfalls erst in den 1930er oder 40er Jahren Land in Jutial erworben hatte, votierte Shah Gul Hayat gegen eine solche erweiterte Wasserverteilung im Frühjahr. Wie der bald Siebzigjährige mir erklärte, hätten ihn daraufhin settlement officer und andere als „Yazid“

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beschimpft – ein Name der hier für Unrecht und Ungerechtigkeit steht –59 und versucht, ihn zur Unterzeichnung des Dokuments zu bringen, indem sie ihn in Polizeiverwahrsam nahmen. Für Shah Gul Hayat allerdings sei es nicht möglich gewesen zu unterzeichnen. Würde das Wasser auf diese ganze Gegend verteilt, blieben für jeden Haushalt nur noch wenige Minuten Wasser am Tag, wie er erklärte.60 Er unterzeichnete nicht und beschrieb mir gegenüber die weiteren Vertreter als Ungebildete bzw. Dumme, die das Dokument in ihrer Unwissenheit schon per Daumenabdruck besiegelt gehabt hätten.61 Die neuen Siedler sind entsprechend für ihn keine Bedrohung seines Status; vielmehr sie sind Außenseiter, für die schlicht keine Kapazitäten vorhanden sind. Insbesondere Gesprächspartner in den neuen Siedlungen Jutials aber betonten, dass die Gewohnheitsrechte entsprechend Landbesitz, der Bestellung dieses Landes und der damit zusammenhängenden Besteuerung festgelegt und später fixiert worden waren; da diese Besteuerung in den 1970er Jahren unter Bhutto aufgehoben wurden, seien auch die damit verbundenen Ansprüche auf Wasser hinfällig.62 In Khomer bedauerte ein Gesprächspartner, der bei dem Gespräch mit Basharat Issa anwesend war, dass die Abschaffung der Steuern – und damit auch der auf den Steuern begründeten Rechte auf die natürlichen Ressourcen – nicht den erhofften Schritt zur Egalität und gleichen Rechten für alle bedeutet hatte: „Zulfiqar Ali Bhutto [had] said that the tax system is an injustice with the people (awām par zulm hōta hay); because the people [of the mountain area] were so poor, so he finished the

59

Yazid ibn Muawiya war von 680 bis ’83 zweiter Ummayaden-Kalif. Während dieser Zeit kam es bei Kerbela zur Schlacht zwischen Yazid und Hussain, dem Enkel des Propheten Muhammad und dritten (schiitischen) imām. Das Heer Yazids war bedeutsam größer als das Hussains; Hussain und alle seine Anhänger wurden getötet und Frauen und Kinder gefangen genommen. Auch Ayatollah Khomeinis Anhänger jagten 1979 den iranischen Schah Mohammad Reza Pahlavi unter dem Schimpfnamen „Yazid!“ aus dem Land.

60

Gleichwohl Shah Gul Hayat nicht erwähnte auf welches Maß er sich bezog, ist anzu-

61

Siehe auch Sökefeld (1998), der die Empörung eines Gesprächspartners darüber fest-

nehmen, dass er von nur wenigen Minuten Leitungswasser sprach. hält, dass viele „alte“ Siedler den Wert von Land (oder auch Wasser) nicht einzuschätzen vermochten und es so an andere ging (ebd.: 199). 62

Alle Gesprächspartner führten nur die Abschaffung der Steuern als Grund an, weshalb auch die Wasserrechte abgeschafft werden sollten; den Verkauf von Land und die Aufgabe von Landwirtschaft nannten sie nicht.

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land taxes (māliya). Then the people thought they were now all equal – equal rights to water, to jungle, to barren land.“

Doch anstatt die Gewohnheitsrechte ebenfalls aufzuheben, seien diese verblieben; die Verwaltungsbeamten hätten weiterhin Land auf die lokalen Bewohner (muqāmi lōg) überschrieben und diese hätten ihren Einfluss weiterhin geltend gemacht – wenn auch nun über alte Ämter wie die des nambardār und neue wie die des member (der neu eingeführten Assembly) und chairman (des neu eingeführten Municipal Committee) etc. sowie in politischen Parteien. In seiner Beschreibung wird die Überschreibung von Land an die „alten“ Siedler zu Diebstahl und die Aneignung von Arbeitsplätzen zu einer Listigkeit – alles in allem Vorgehen, an das „gewöhnliche Leute“ („ām lōg“) nicht einmal denken könnten. Auch die Wasserrechte müssten entsprechend der Abschaffung der Steuern aufgehoben und das Wasser von den pushtūne bāshinde abgenommen werden, um es – auf der Basis von Gerechtigkeit im Sinne von Gleichheit und Bedarf – an alle zu verteilen. So sei dies auch in anderen Orten Gilgit-Baltistans der Fall: „No, this system is nowhere else. Only we are suffering. This system is nowhere else! In Oshikandas63 all people are equal. In Danyor64 lots of people came from outside but there the ‚system‘ is such that any man, any local man (muqāmi), is having equal rights and in this way the people who have come from outside also get equal rights (istefāza kartē hayñ). […] Just like the local people get their right, the people who have come from outside also get their right. […] Only in Jutial and Khomer... only here we have this trouble (taklīf).“

Ein weiterer bei dem Gespräch in Khomer Anwesender erklärte, dass dies bislang nicht geändert worden sei, da sie, die neu Gekommenen, sich nicht entsprechend eingesetzt hätten: „This is because first of all we are not fond of fighting. We, who have come from outside. This is already a place where there is much fighting, from more fighting the situation (hālat) will become even worse, [...] it would be in vain. And there is also no one to listen to us.“ In einem Umfeld, das schon durch gewaltsame Konflikte geprägt sei, würden Bewohner, die sich für eine Änderung des Status quo einsetzten, nur mehr Konflikte provozieren, erklärte er. Ein solches Bestreben würde das Leben in Gilgit noch schwieriger machen und sei außerdem aussichtslos – ein Kommentar, der auf die gefühlte politische Unterrepräsentation der „Leute von außen“ in der Stadt abzielt, wie schon im Unterkapitel „Öffentliche Wasserversorgungen…“ diskutiert.

63

Ein Ort in der Nähe von Gilgit.

64

Ein Ort, der an Gilgit grenzt.

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Entsprechend wird unter Verweis auf diverse Dokumente und Vereinbarungen diskutiert, ob die Gewohnheitsrechte und die exklusive Wasserverteilung rechtens seien. So erklärte auch Ali President in der Benazir Colony in Zulfiqarabad, der selbst paṭwāri ist (d.h. ein Beamter, der für Landbesitzrechte, Ernteerträge und Besteuerung zuständig ist), es gebe zwar die Abmachungen über das Wasser, die im wājib ul-arz festgehalten seien (er datiert das wājib ul-arz auf 1917), welche als huqūq-e ābpāshi, als Rechte auf Wasser, fungierten. Dieses Recht sei für Jutial auf diejenigen anzuwenden, die vor 1947 in Jutial lebten. Als Siedler, der 1994 gekommen sei, sei es ihm und seiner Familie daher nicht möglich, diese Rechte zu beanspruchen. Entsprechend eines amendments des settlement records von 1960 jedoch sei die Grundlage für diese ausschließende Handhabung der Gewohnheitsrechte nicht mehr gültig und das Recht auf das Wasser sei auch auf die neuen Siedler_innen ausgeweitet worden: „According to the law, this has been changed. There is an amendment in the 1960s settlement record. The rights of water have been expanded.“ Darüber hinaus habe sich die Bevölkerung Jutials durch die zahlreichen Migranten vergrößert. Die Regierung sei daher verpflichtet, eine entsprechende gesetzliche Regelung zu treffen, über die alle Bürger bzw. Einwohner unabhängig von Siedlungsdauer, Herkunft, Religion oder Konfession Rechte (auf grundlegende Versorgung) hat, und diese Rechte umzusetzen:65 „So now it is the responsibility of the government to make the legislation accordingly. Itʼs the responsibility of our [Legislative] Assembly to say that: ‚Yes, this is a citizen, [even if] he comes from somewhere else, [or] has another religion…‘. There are 72 sects [in Islam], but everyone has the same rights – being a citizen of the area, everyone has a right. But the gov-

65

Auch laut Bakker (2010) ist Schlüsselaufgabe und Legitimation des modernen Staats der Schutz des Privateigentums und die Bereitstellung öffentlicher Dienste. Dies ist mit der Logik verbunden, eine produktive Arbeitskraft zu sichern und unter Bezug auf ethische Imperative – die als „Menschenrechte“ verpackt sein können, aber nicht müssen – politische Legitimität zu sichern (ebd.: 28). Wie Bakker vorschlägt, kann die Anrufung der Idee eines „Menschenrechts auf Wasser“ eine gerechtere Verteilung von Wasser sowie einen nachhaltigeren Umgang mit Wasserressourcen fördern (ebd.: 210). Dabei bleiben, wie Boelens, Zwarteveen und Roth (2005) festhalten, in „rights-based approaches“ zu Wasserknappheit, die versuchen, Wasserrechte als ein (globales) Menschenrecht zu positionieren, diverse Fragen offen: Was wäre Inhalt und Bedeutung eines solchen Rechts auf Wasser? Für welche Nutzer_innen und Nutzungen und unter welchen Umständen sollte ein solches Recht auf Wasser definiert werden? Wie kann ein solches Recht ausgeübt und operationalisiert werden, insbesondere in Kontexten in denen (wie in Gilgit) lokale Definitionen auf Wasserrechte bestehen (ebd.: 1-2)?

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ernment is responsible to make a law. This is not in our control. We cannot say: ‚Give us the rights!‘“

Aber auch Ali President vermerkt dabei die eigene Handlungsunfähigkeit. Weder könnten sie die Regierung dazu bewegen, die Wasserverteilung auch auf die neuen Siedler_innen auszuweiten. Noch können sie, wie im Unterkapitel „Öffentliche Wasserversorgungen…“ diskutiert, Politiker dazu zu bringen, sie, die neuen Siedler und Siedlerinnen, überhaupt als Bürger bzw. Bürgerinnen der Stadt, mit Ansprüchen auf Zuwendungen im Kontext der Stadt aufzufassen.66 Menschenliebe und Großzügigkeit oder entpolitisierter Humanitarismus In diversen Gesprächen verwiesen pushtūne bāshinde darauf, dass zwar die Gewohnheitsrechte nicht geändert oder abgeschafft werden könnten. Sie könnten aber „on humanitarian grounds“, wie es ein nambardār und andere Gesprächspartner Jutials bezeichneten, (überflüssiges) Wasser abgeben – auch wenn ihre Gewohnheitsrechte sie dazu nicht verpflichteten. Als Grundlage dafür, Wasser abzugeben, nannten sie geteiltes Menschsein, Philanthropie, aber auch die zu solchen Handlungen verpflichtende Basis des Islam und stellten sich selbst so in ein Licht von Menschenliebe, Großzügigkeit und Frömmigkeit. Wie auch Wutich (2011a, 2011b: 189) sowie Jewell und Wutich (2011) für Nachbarschaften in Cochabamba feststellen, waren auch in Gilgit für das Abgeben von Wasser Anmerkungen zu religiösen Normen gängig. Und auch in Gilgit wurden die Empfänger zumeist nur über das Attribut der Bedürftigkeit („those in need“, vgl. Wutich 2011b) näher bestimmt – was auch der jüdisch-christlich-islamischen Tradition entspricht, dass das Geben an Bedürftige als ein Dienst an Gott verstanden werden kann (vgl. auch Silber 2000).67 Der councillor Usman Hussain in Jutial erklärte z.B., dass zehn Monate lang das

66

Im Englischen und Französischen ist der Zusammenhang von Stadt (city, cité), Bürger

67

Damit das Verschenken von Wasser dem islamischen Ideal von niyyah entspricht, d.h.

(citizen, citoyan) und Bürgerschaft (citizenship, citoyenneté) deutlicher erkennbar. der Absicht, eine (gute) Tat im Namen Gottes zu tun, dürfen damit keine weiteren Absichten damit verbunden sein bzw. keine Gegenleistungen erwartet werden (vgl. Benthall 2012: 362). Im Gegensatz dazu gibt es in Gilgit z.B. in Wahlen distinkte Erwartungen von Leistung und Gegenleistung. Und während Wutich (2011a, b) schildert, dass z.B. in Cochabamba Wasser in der Nachbarschaft auch dann abgegeben wurde, wenn die eigenen Vorräte knapp waren (dies. 2011a, b: 18-9), wurden in Gilgit Gesuche eher abgelehnt, wenn das eigene Wasser knapp zu sein oder knapp zu werden schien.

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Wasser ausreiche und sowieso geteilt werde, nur im März und April – während des wārābandī – würde das Wasser rationiert. Aber auch während dieser Zeit würden sie Wasser abgeben. Seine eigene Familie habe das Recht auf anteilig 24 Stunden Wasser pro Runde; das Land jedoch, nach dem die 24 Stunden bemessen worden waren sei mittlerweile, teilweise durch Verkauf, teilweise durch Bebauung, verbraucht („zamīne hamāri ḵhatam hō gayī hayñ“). Daher hätten sie auch während der Zeit des wārābandī Wasser übrig, das sie auf der Basis von geteiltem Menschsein („insāniat ke nāte“) vergeben könnten: „We can give it to them [the new settlers] (ham unko dē sakte hayñ). On humanitarian grounds (insāniat ke nāte) […] – according to the law – we give them. If someone comes to us and sais: ‚We have no water‘, then we will do it like that: twelve hours I have given, twelve hours my uncle has given, twelve hours my other uncle has given, three hours my cousin has given, four hours my relatives have given – in this way we have some fifty hours’ ‚time‘ [that we can give to them].“

Wer zu ihnen, den pushtūne bāshinde, komme, würde auch Wasser bekommen, schloss Usman seine Aussage – wer allerdings nicht komme, bekomme auch nichts.68 Darüber hinaus habe er sich außerdem – auf derselben Basis der Menschlichkeit – auch als councillor dafür eingesetzt, dass auch die Bewohner_innen Jutials, die keine pushtūne bāshinde seien, von den kommunalen Institutionen eine größere Wasserleitung bekämen als ursprünglich vorgesehen. Um ein guter Mensch und besonders ein guter Muslim oder eine gute Muslimin zu sein, sei es nicht genug, allein die vorgeschriebenen Gebete einzuhalten; es sei außerdem notwendig, sich für Bedürftige einzusetzen. Daher würde er sich dafür einsetzen, dass überflüssiges Wasser an die neuen Siedler_innen abgegeben würde und als councillor habe er für die neuen Siedlungen den Anschluss an das „greater“ („Greater Water Supply Scheme“) durchgeboxt – für Rs.1,5 karoṛ69 wie er stolz berichtete: „The ‚tankys‘ (tanks) that we have made within the ‚greater‘ [„Greater Water Supply Scheme“] for the backside, the dās, in Yasin Colony and Diamer Colony... We have had them made, [but] then our people here [the pushtūne bāshinde] have made complaints (itrās). [Saying] ‚they will give our water to them!‘ I said: ‚We will not give our water! They have no ‚water rights‘! No rights. But humanity (insāniat) – on the basis of ‚humanity‘… Now for example, if some water is being wasted (fuzūl zāya hōta hay), we should ‚use‘ it [for them in-

68

Jeder wird so für sich selbst verantwortlich gemacht, insbesondere dafür, die Initiative zu ergreifen.

69

Ein in Südasien gängiges Numerale, das für die Zahl 10.000.000 (10 Millionen) steht.

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stead].‘ […] It is not enough that we keep the fast and we pray [i.e. follow the Islamic instructions], so therefore I have [furthermore] gotten a two inch line approved for them [too, through public institutions].“

Zwar hätten die neuen Siedler_innen, wie er wiederholt erwähnte, an sich keine Rechte auf Wasser, sollten aber – auf der Basis geteilten Menschseins und auf der Basis guten Muslim_in-Seins – mit Wasser versorgt werden. Wie Massé (1954) für Muslime und Musliminnen im Iran festhält, ist das Teilen von Wasser Teil moralischen Verhaltens. Das Anbieten von Wasser wird dabei zu einem spirituellen Akt (ebd.: 225, zit.n. Jewell/Wutich 2011: 309).70 Auch in Gilgit erklärte mir ein Bekannter, dass das Bitten um Wasser für die adressierte Person die Möglichkeit biete, sich über deren Erfüllung spirituellen Verdienst (sawāb) zu sichern; wenn er also seine Mutter um ein Glas Wasser bitte, eröffne dies für sie die Möglichkeit, sich sawāb zu erwerben.71 Wie auch die Familie des nambardār, blieb aber auch Usman Hussain dabei, dass die alten Regelungen und Rechte nicht aufgegeben werden könnten – auch wenn er die Verantwortung für die Verweigerung auf die (schiitischen) Bewohner Khomers und deren Furcht schob, eine bessere Wasserversorgung könne (noch) mehr Sunniten dazu veranlassen nach Jutial, und ziehen: „There is not only people from Jutial – there are also people [pushtūne bāshinde] from [Khomer] Yerkot, and they donʼt agree. Khomer as well, they donʼt agree. Then... […] They donʼt agree because… You ask them why they donʼt agree! They donʼt agree because [they fear that then] there [in the new colonies] the population will rise, this is the thing. [As we were discussing earlier they fear that in Jutial] the Sunni will become more – there is a Sunni population, more Sunni will come, they will have ‚facilities‘, they will get the ‚facilities‘, so tomorrow they will make problems, tomorrow they will give a loss (nuqsān) to us, that is their thinking. That is their ‚mentality‘. Right? We [on the other hand] think that a sayyid72, a pauper – whoever – is a Muslim, a human. Right? If he needs water, we will give water, […], if he needs ‚time‘, we will give ‚time‘, right? [...] But this is not the responsibility of all, but that of some people. […] There are also some guys that say: ‚Brother, why would we give water? After all the water is our right (haq)? If we give water to them – after all they have already

70

Wie Massé (1954) weiter feststellt, gilt dies insbesondere im Rahmen schiitischer Praktiken in Anlehnung an Hussain und seine Familie in Kerbela; reines Wasser ist demnach das beste Geschenk (ebd.: 225, zit.n. Jewell und Wutich 2011: 309).

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Gleichzeitig wurden meiner Beobachtung nach solche Bitten nur an Frauen gerichtet,

72

Nachfahren der Familie des Propheten Muhammads bzw. seiner Tochter Fatima werden

niemals an Männer. mit dem Titel Sayyid bezeichnet.

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taken all the land – if they now also take the water, then tomorrow we will be in a bad situation. There will be no water for us.‘ Because the population is growing, they ‚pressure‘ the ‚government‘, [saying] ‚Brother, bring the government in here. The government should do this.‘ Isnʼt it?“

Für die Wasserversorgung der neuen Bewohner_innen zu sorgen sei dagegen Aufgabe der Regierung und der öffentlichen Einrichtungen, so Usman Hussain. Darüber hinaus zeichnete er die Auffassung vieler pushtūne bāshinde nach, die Verlierer des Urbanisierungsprozesses zu sein – schließlich fühlten sich viele pushtūne bāshinde Jutials und Khomers im Rahmen der Besiedelung des Ödlands schon billig um ihr Land betrogen, wie auch Sökefeld (1997a, 1998) in den 1990er Jahren erhoben hatte. Entsprechend lehnten viele pushtūne bāshinde es ab, nach dem Verlust von Land, Bedeutung und Einfluss nun auch noch die Wasserrechte zu verlieren. Die Verantwortung für die (Wasser-)Versorgung der neuen Siedler_innen schieben die pushtūne bāshinde folglich von sich: Sie seien nicht für die neuen Siedler_innen verantwortlich, dies sei Sache der Regierung. Damit stößt das Gebot der Menschlichkeit hier an seine Grenzen und Hilfe wird, wie Usman Hussain es ausdrückte, zur Sache von nur einigen wenigen. Dennoch versuchten die pushtūne bāshinde mit denen ich mich unterhielt, das Bild des Verlusts von Land, Landwirtschaft und damit der Grundlage für Lebensunterhalt und Status (vgl. Sökefeld 1997a: 79-80, 1998: 144) durch die Selbstrepräsentation als großzügig und ehrenvoll zu ergänzen oder zu überlagern. Sie sind nicht (nur) Opfer der vergangenen Ungerechtigkeiten von unrechtmäßigem oder unfairem Landverlust, sondern stolze Besitzer von Wasserrechten und stolze, selbstdefinierte Altruisten. Mit Feldman und Ticktin (2010a) kann der Verweis auf die „humanitarian basis“ aber als Versuch verstanden werden, sich einer moralischen Position zu versichern. Sich auf Menschlichkeit bzw. auf Humanitarismus zu berufen, bedeutet, sich einer machtvollen Kategorie zu bedienen, die fast unangreifbar zu sein scheint: „a claim to speak on behalf of humanity stakes out a powerful position. It is one of the few categories that is meaningful across political, religious, and social divides. While people may disagree on the source of its power, almost everyone agrees that humanity should be considered sacred.“ (Ebd.: 1) Wie Feldman und Ticktin weiter vorbringen, ist der Diskurs um die Idee von „humanity“ und „humanitarianism“ zu einem Phänomen geworden, das weltweit diskutiert wird, auch wenn es kein klares Konzept umreißt und Bedeutungen manchmal unterschiedlich oder sogar widersprüchlich verstanden und benutzt werden (ebd.: 1-2). So führt es auch in Gilgit dazu, dass die pushtūne bāshinde ihr Handeln als dem Ideal von Menschlichkeit entsprechend verstehen oder es als solches darzustellen versuchen. Dabei bleiben die Handlungen bzw. der selbstbezeichnete Humanitarismus der pushtūne bāshinde unpolitisch reine Wohlfahrt einzelner;

Die Verhandlung „traditioneller“ Wasserrechte | 255

der Status quo der unterschiedlichen Rechte wird nicht hinterfragt (vgl. Benthall 2012; Redfield 2012: 452-3). Während eigentlicher Humanitarismus politisch auf radikale Veränderungen abzielt (ebd.), ist das Abgeben von Wasser hier nur eine Linderung der Symptome, keine Adressierung der Ursachen. Zutiefst politische Fragen und Entscheidungen werden so strategisch entpolitisiert (vgl. Boelens 2014: 236). Die neuen Siedler dagegen berufen sich auf die Idee allgemeiner Menschenrechte und argumentieren, dass das Verhalten der „alten“ Siedler weder Idealen von Menschlichkeit noch Menschenrechten entspreche. Amjad Alam, ein Gesprächspartner in einer der neuen „backside colonies“ Jutials, der selbst als Ingenieur für das PWD gearbeitet hatte, erklärte diesbezüglich, dass die pushtūne bāshinde nur in der Zeit Wasser abgeben, in der es ausreichend vorhanden sei, und nur, nachdem sie ihre Bedürfnisse gestillt haben. Damit stellt er infrage, ob das Abgeben von nur überflüssigem Wasser noch als gute Tat verstanden werden kann. Darüber hinaus argumentierten mehrere Gesprächspartner in den neuen Siedlungen für die Abschaffung von Wasserrechten – insbesondere wenn die Wasserrechte so weit ausgelegt werden können, dass nicht einmal das überflüssige Wasser an neue Siedlungen geht, wie im nächsten Abschnitt für das Wasser des Kargah diskutiert wird. Der Fall des Kargah-Jutial-Kanals oder Sectarianization vor Wohlfahrt Die Forderung, den neuen Siedlungen und deren Bewohnerinnen und Bewohnern Wasser bereitzustellen, betrifft dabei nicht allein die pushtūne bāshinde des Jutial Nala, sondern auch die pushtūne bāshinde mit Rechten auf das Kargah, den Gebirgsbach im Osten der Stadt. Da das Wasser im Kargah vergleichsweise üppig ist und große Teile ungenutzt in den Gilgit Fluss fließen, schien es sich anzubieten, dieses übrige Wasser nach Jutial zu leiten, um dort das bisherige Ödland mit Wasser zu versorgen. Um die neuen Siedlungen Jutials sowie neue Regierungsgebäude (u.a. einen neuen Appellate Court und das neue Secretariat) mit Wasser zu versorgen, wurde Anfang der 1980er Jahre ein Kanal vom Ausgang des Kargah entlang dem ca. 10 Kilometer langen Südhang Gilgits bis nach Jutial ausgehoben und ein zweiter Wasserkomplex in Jutial erbaut. Diese Infrastruktur selbst war in wenigen Jahren verwirklicht worden (siehe Abb. 7).73 Bislang liefert der Kanal jedoch nur auf den ersten Kilometern bis Barmas und liegt ansonsten trocken.

73

Kein Gesprächspartner, selbst der an den Planungen beteiligte Ingenieur Amjad Alam, war sich der genauen Jahreszahlen mehr sicher. Im Frühjahr 1992 war der Kanal wohl

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Für das Scheitern der Wasserversorgung hierüber gab es drei Erklärungsansätze, die mir unterschiedliche Gesprächspartner nahelegten: (1) Verweigerung der pushtūne bāshinde, Wasser abzugeben, aufgrund der Befürchtung, die Wasserrechte langfristig zu verlieren; (2) technische Fehler sowie (3) Verweigerung der pushtūne bāshinde, Wasser abzugeben, aufgrund von sectarian conflicts und der Missachtung von Recht und Ordnung. Der erste Erklärungsansatz verweist darauf, dass sich die Rechtehalter des Kargah-Wassers aus Baseen, Majini Mohalla und Kashrot nach dem Bau des Kanals der Inbetriebnahme widersetzten. Entsprechend ihrer Gewohnheitsrechte machten sie Ansprüche auf das gesamte Wasser des Kargah geltend – obwohl auch hier die Landwirtschaft allmählich zurückgeht und auch die Wasserverteilung schon seit Langem nicht mehr im Sinne von wārābandī mit festen Bewässerungsfolgen praktiziert wird. Wie ein Gesprächspartner in Baseen erklärte, sie die Weigerung „alter“ Siedler, Wasser nach Jutial abzugeben, zum einen der Versuch, die wenigen Rechte zu schützen, die sie als pushtūne bāshinde noch hätten. Zwar gebe es im Sommer genug Wasser im Kargah, so dass auch Wasser abgegeben werden könne. Würde aber das Wasser einmal nach Jutial geleitet, wäre es gegebenenfalls nicht mehr möglich, diese Praxis rückgängig zu machen oder temporär auszusetzen. Daher hätten die pushtūne bāshinde mit den Rechten auf das Kargah dem Ableiten des Wassers schließlich widersprochen. Muhammad Iqbal, ein Gesprächspartner in Kashrot, ging in seiner Erklärung allerdings weiter und bezeichnete die Weigerung Wasser abzugeben als reine Missgunst („zid“) – und verwies damit ebenfalls auf die Idee, dass die Verschwendung von Wasser in den Fluss Menschlichkeit und Menschenrechten entgegenstünde: „This is stubbornness (zid). What else? This would be nice. I am also in favor of it [the channel]. But the „old“ people [„old“ settlers] have said ‚this is our water, even if it goes into the river, the ordinary people will not get it.‘ [...] Now this water goes into the river. [...] It should go to the people. They should get it under the idea of ‚human rights‘.“

Damit bettete Muhammad Iqbal das Scheitern des Kargah-Jutial-Kanals in eine Erklärung, die sozialen Motiven Vorrang gab. Amjad Alam dagegen, der zur Zeit der Umsetzungsversuche als Ingenieur für das PWD gearbeitet hatte, rekonstruierte das Scheitern des Projekts zunächst als eine Abfolge von technischen Hürden und erst später auch über religiöse Spannungen, bei denen die Wasserrechte als Grundlage dienten, das Projekt scheitern zu lassen. Wie Amjad Alam erklärte, sei die Regionalregierung damit konfrontiert gewesen, die neuen Siedlungen und damals in der

fertiggestellt, lieferte aber kein Wasser, da er, wie Martin Sökefeld in seinen Feldnotizen im Februar 1992 festhielt, noch undicht sei (siehe auch Sökefeld 1997a: 92).

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Planung befindlichen Regierungsgebäude in Jutial mit Wasser zu versorgen. Anfang 1980 war daher damit begonnen worden, einen Kanal vom Kargah nach Jutial auszuheben, da damals Kanäle noch als am ökonomischsten erachtet worden waren.74 Die Umsetzung ging an einen damals bekannten Bauunternehmer, Birano. Dieser sei allerdings laut Amjad Alam zu selbstsicher gewesen und habe keinen Gebrauch von Messinstrumenten gemacht. Der Kanal habe so eine konkave Form angenommen, die Birano später, unter Einsatz von eigenem Geld, versucht habe, aufzufüllen – ein Unterfangen, bei dem er aber ebenfalls gescheitert sei. Wasser sei zwar schließlich geflossen, aber nur schlecht. Abgesehen von dem Konstruktionsfehler habe es zur gleichen Zeit das Problem gegeben, dass die zwei Kanäle, über die Gilgit bewässert wurden, nicht ausreichend Wasser führten. Die Bewohner der Nachbarschaften, welche am vorderen Abschnitt des Kargah-Jutial-Kanals gelegen sind, hatten daher begonnen, den Kanal an unterschiedlichen Stellen zu öffnen und das Wasser für ihre Felder zu nutzen.75 Um den Kanal doch noch in Betrieb zu nehmen, sei 1988 ein Bauvorhaben (PCI)76 eingereicht worden, ein Rohr in das Kanalbett zu verlegen – 600 Millimeter vom Kargah nach Barmas und 500 Millimeter von Barmas nach Jutial –, um den Fluss des Wassers so gegen Diebstahl wie auch gegen Verdunstung und Verschmutzung abzusichern. Hierfür seien aber später keine Gelder zur Verfügung gestellt worden. Wie Amjad Alam erklärte, sei die Projektbewilligung bei den members, den Mitgliedern des Councils (damals das Northern Areas Council) gelegen. Deren Mitglieder seien alle selbst aus Gilgit gewesen und hätten daher nur Projekte unterstützt, von denen sie sich bei der nächsten Wahl Stimmen erhofften. Bei den Wahlen auch damals sei aber, wie auch im Unterkapitel „Öffentliche Wasserversorgungen…“ angeführt, nicht klar gewesen, wie viele der Bewohner_innen der neuen Siedlungen überhaupt in Gilgit registriert waren und ihre Stimme in Gilgit und für das jeweilige member abgeben konnten. Daher bildeten und bilden die neuen Siedlungen und deren Bewohner_innen im Verständnis politischer Vertreter bislang keinen relevanten Fokus. Wie Amjad Alam angab, sei das PC-I erst sehr viel später, unter der Militärregierung Musharrafs, berücksichtigt worden, da deren Re-

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Für Rohre sei das Budget zu gering gewesen und die Möglichkeit, Wasser aus dem

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Hierzu habe es Anzeigen bei der Polizei sowie Gerichtsverhandlungen gegeben, die

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PC-I Proforma werden als detaillierte Projektdokumente inklusive Umfang, Planung,

Fluss zu pumpen, sei erst später in Betracht gezogen worden. Nachbarn seien allerdings ohne Strafe davongekommen. Leistung, Kosten und Begründung der Projekte erstellt; PC-II sind Erhebungen und Durchführbarkeitsstudien; PC-III sind Projektberichte; PC-IV sind abschließende Projektevaluation; PC-V sind Berichte zu Betrieb und Instandhaltung (GoP o.D. [2010]).

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gierung andere Kriterien für Projekte gehabt habe. Auch hier hätten allerdings Verzögerungen in der Umsetzung zu Kostensteigerungen geführt, weswegen die geplanten Rohre nur die ersten zwei Kilometer bis nach Barmas verlegt worden seien und nicht bis nach Jutial. Während der Planung und der vier Baujahre von 1980 bis 1984 hätte es, so Amjad Alam, kaum Widerstand gegen den Kanal und das Vorhaben gegeben.77 Indessen sei nach 1988, als es darum ging die Rohre zu verlegen, Widerstand aufgekommen, was daher problematisch war, da zu Beginn des Projekts niemand an eine schriftliche Vereinbarung zwischen den Rechtehaltern des Kargah und den öffentlichen Institutionen gedacht habe.78 Diese Ablehnung unter den Bewohnern Gilgits bzw. unter den „alten“ Siedlern mit Wasserrechten im Kargah gegenüber dem Vorhaben, auch Jutial mit Wasser aus dem Kargah zu versorgen, bezeichnete Amjad Alam als einen „trend“ – einen Gedankengang, der bis in die 1980er Jahre noch nicht stark ausgeprägt gewesen, sondern erst ab 1988 aufgekommen sei: „So there is a certain ‚trend‘ among the people [since 1988] – and now the people of Gilgit say ‚we donʼt give water to Jutial‘. […] Earlier it was not that ‚serious‘. When the channel had been made, then they had not resisted.“79 Zwar habe es Einwände gegeben, in denen die Befürchtung vorgetragen worden sei, der Kanal könne die unterhalb liegenden Nachbarschaften stören. Dies wies Amjad Alam als Ingenieur allerdings zurück. Diese Gefahr habe während des Baus des Kanals in den 1980er Jahren, bei dem kleine Sprengungen getan worden waren, bestanden, sei aber mit dem Abschluss der Sprengarbeiten abgeschlossen. Und ein Einwand auf der Basis der Wasserrechte sei ebenfalls nicht rechtens, wie Amjad Alam erklärte: Solange die alten Gewohnheitsrechte weiterhin erfüllt würden und die alten Kanäle und Grundstücke mit Wasser versorgt seien, sei es nicht rechtens, dass Wasserfluss an

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Nur Bewohner von Barmas hätten kurzzeitig Forderungen nach Kompensationszahlungen dafür gestellt, dass der Kanal oberhalb ihrer Grundstücke verläuft und ihr unterhalb gelegener Besitz bei den Grabungs- und Sprengungsarbeiten gefährdet gewesen sei. Da die Arbeiten aber schon ohne Vorfälle vonstattengegangen waren, sei dies als irrelevant abgelehnt worden.

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Sajjad Ahmed, der Ingenieur, der für die WASA gearbeitet hatte, empörte sich in unserem Gespräch sowohl über diesen Sinneswandel als auch über die Nachlässigkeit des Departments, keine Einigung mit den Rechtehaltern getroffen zu haben.

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Entsprechend bemerkte auch Jamhoor Ali in einem Gespräch, dass sich die Vertreter der drei Dörfer/Stadtteile mit Rechten im Kargah im Anschluss an den Bau des KargahJutial-Kanals ans Gericht gewandt hätten. Unter Verweis auf ihre Wasserrechte hätten sie Einspruch erhoben, gegen den die Regierung und die öffentlichen Institutionen machtlos gewesen seien.

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andere Orte und andere Personen verhindert würde. Wie er versicherte, sei die Versorgung der „alten“ Rechtehalter über die alten Kanäle mit derselben Menge an Wasser in jedem Fall gesichert gewesen. Für Jutial wäre nur phalto pānī, das überflüssige Wasser, verwendet worden, das ansonsten über das nāla direkt in den Fluss abläuft. Wie Muhammad Iqbal beurteilte auch Amjad Alam die Verhinderung, Wasser nach Jutial zu lassen, als eine Sache von Eigen- oder Unwilligkeit („masti karne wāli bāt hay“). Auch die Berufung darauf, dass die Umsetzung der Wasserrechte nachhaltig gestört werden könne, wies Amjad Alam zurück – in Gilgit sei das alte System der Wasserverteilung schon lange gestört bzw. sogar beendet. Mit der Einmischung der öffentlichen Departments seien die traditionellen Regelungen von Bewässerung nach (Zeit-)Plan schon lange zu einem Ende gekommen: „Here [in Gilgit], the ‚local traditions‘ are gone. The ‚government‘ has crashed them (takwār diya).“80 Die Berufung auf die Wasserrechte und die Ablehnung der Fertigstellung des Kargah-Jutial Projekts schrieb Amjad Alam u.a. einer wachsenden Missachtung von Recht und Ordnung durch die „alten“ Siedler zu. Wie er erklärte, hätten die Angestellten der öffentlichen Institutionen keine Sanktionsmöglichkeiten gegenüber regelbrechenden Bewohnern und Bewohnerinnen, sei es gegenüber dem Stehlen von Wasser oder von Strom. Diebstahl würde in den wenigsten Fällen zur Anzeige kommen. Und selbst wenn jemand deswegen von der Polizei verhaftet würde, so käme er sogleich über die Hilfe von Politikern wieder frei.81 Nachdem er aber technischen Gründen zunächst Vorrang gegeben hatte, schrieb Amjad Alam das Scheitern des Vorhabens im Verlauf des Gesprächs doch maßgeblich dem wachsenden Konflikt zwischen den Konfessionsgemeinschaften zu – was hier als dritter Erklärungsansatz für das Scheitern des Kargah-Jutial-Kanals gilt – auch wenn er verharmlosend nur von einem „kleinen“ sectarian issue spricht („ēk ṭhōṛa ‚sectarian issue‘“). Während erster und zweiter Erklärungsansatz es erlauben, die Zugehörigkeit der Bewohner_innen Gilgits zu den unterschiedlichen Konfessionen des Islam sowie die wiederkehrenden gewalttätigen Konflikte (v.a. zwischen

80 Daneben sei das Ende der traditionellen Regelungen auch darin begründet, dass die mit der Wasserverteilung beauftragten Beamten den Aufgaben der Überwachung von Wasserverteilung, der Einhaltung von Regelungen und der Sanktionierung von Regelüberschreitungen aus Mangel an Autorität und Sanktionsmöglichkeiten sowie aus Furcht vor Reaktionen der Rechtehalter nicht nachkämen. 81

Wobei die Möglichkeit z.B. eine Entlassung zu erwirken, bei Weitem nicht auf Politiker oder Parteivorsitzende beschränkt ist; auch religiöse Autoritäten oder Personen, die einen hohen Status in der Stadt besitzen, können ihre Autorität entsprechend geltend machen. Betroffene müssen es nur schaffen, eine Beziehung zu einer solchen Person zu aktivieren, damit diese sich für die Betroffenen einsetzt.

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Sunniten und Schiiten) auszublenden und das Scheitern einem Konstruktionsfehler, Korruption oder gar reiner Unwilligkeit zuzuschreiben, ist im dritten Erklärungsansatz der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten grundlegend. Mit einer Abneigung über Konflikte zwischen Konfessionen zu sprechen, war dieser dritte Erklärungsansatz sehr unpopulär und selbst Amjad Alam, der ihn ebenfalls in Betracht zog, minimierte ihn in seinen Aussagen. Wie Amjad Alam erklärte, gebe es in Gilgit selbst und v.a. in den alten Stadtteilen, bei denen die Wasserrechte über das Kargah liegen, eine Mehrheit an Schiitinnen und Schiiten. (Kashrot mit einer überwiegenden Mehrheit an Sunniten und Sunnitinnen bildet hier eine Ausnahme.) In Jutial und v.a. in den neuen Siedlungen Jutials gebe es dagegen eine Mehrheit an sunnitischen und ismailitischen Bewohnerinnen und Bewohnern, die darüber hinaus politisch nicht stark seien und sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft und Konfession auch nicht gemeinsam engagieren würden. Die Mehrheit der Entscheidungsträger dagegen gehöre den alten Stadtteilen Gilgits und den „alten“ Siedlern an. Diese würden die neuen Siedler_innen, die noch dazu mehrheitlich anderen Glaubensgemeinschaften angehören, daher kaum unterstützen: „There is a small ‚sectarian issue‘ (ēk ṭhōṛa ‚sectarian issue‘). In Gilgit most people are Shia. In this area in Jutial [the new colonies] there are mostly Sunni and Ismaili. And they have not such a ‚political force‘. They are not meeting, supporting someone collectively... in their own interest – this is not possible because these are settlers from outside, some from Chilas, from Hunza, from Ghizer, such people. So there is no one who would help them or make others help them (‚lift‘ nahīñ karwāte). Less importance is given to them. So the people of Gilgit say: ‚this water is ours and we don‘t give it.‘ So, the ‚decision-makers‘ are mostly from Gilgit, because this is a big ‚town‘, and the ‚decision-makers‘ and ‚policy-makers‘ are mostly from Gilgit. Because of that we donʼt get that water here [in Jutialʼs new colonies].“

Was Amjad Alam außerdem nicht weiter ausführte, waren die weiteren Umstände des „Trends“ zum Widerstand gegen den Kanal vom Kargah nach Jutial ab 1988. Wie ich meine, hatte dieser „Trend“ weniger mit der Wiederaufnahme des Projekts und dem Plan der Rohrverlegung zu tun und war vielmehr von den massiven gewaltsamen Konflikten zwischen Schiiten und Sunniten im selben Jahr und danach beeinflusst. Dieser Konflikt im Sommer 1988 war aus der Uneinigkeit über die Feier des īd-Fests, das zum Ende der Fastenzeit ramazān gefeiert wird, entstanden. Dabei kam es zunächst zu Konflikten zwischen Schiiten Nagrels und Sunniten Kashrots. Im Anschluss zogen bewaffnete Truppen von Sunniten aus Diamer in Richtung Gilgit. Zwar wurden sie vom Militär gehindert, nach Gilgit einzuziehen, aber nicht daran, mehrheitlich schiitische Dörfer außerhalb Gilgits anzugreifen und deren schiitische Bevölkerung zu töten (siehe auch z.B. Aase 1999; Ali 2009: 1227; Sökefeld 1997a: 203-17). In diesem Konflikt, vor Ort als aṭhāsi, Achtundachtzig,

Die Verhandlung „traditioneller“ Wasserrechte | 261

bezeichnet, sowie in weiteren gewalttätigen Konflikten in den folgenden Jahren, manifestierten sich Konflikte bezüglich Glaubensfragen, allerdings mit weitreichenden gesellschaftlichen Rivalitäten und Trennungen, die hierüber hinausgehen (siehe auch das Unterkap. „Feldforschung in gewalttätigem Setting“). Amjad Alam erkannte diesen Konflikt und seine Nachwirkungen zwar als Faktor an, allerdings nur unter einer beiläufigen Nennung des Jahres 1988 als zeitlichen Wendepunkt und unter Rückgriff auf den Euphemismus „kleiner“ sectarian issue. Eine Erklärung bezüglich dem Zusammenhang zwischen neuer Interpretation des Projekts einerseits und gewalttätigem Konflikt andererseits auslassend ging Amjad Alam in seiner Ausführung zu Ereignissen um den Jahrtausendwechsel über. Um das Jahr 2000 sei ein Komitee einberufen worden, um einen Dialog mit den politischen Vertretern zu halten. Hier habe er dargelegt, dass entsprechend der Kapazität im Kargah auch bei Entnahme von Wasser für die neuen Siedlungen für die alten Stadtteile keine Knappheit bestünde. Die anwesenden Politiker hätten daraufhin zugegeben, dass dem Projekt auf Basis der Zahlen zugestimmt werden müsse. Dennoch wandten sie ein, dass auch sie die Herausgabe des Wassers nicht forcieren könnten, da sonst ihre politischen Karrieren negativ beeinflusst würde, wie Amjad Alam das Gespräch von damals rekonstruierte: „So they said: ‚We... actually, principally we agree. They should get the water.‘ Because they [the politicians] were responsible people, they could not resist ‚logical‘ arguments. [But then they continued:] ‚But we are not able to tell them: give us. Because then our ‚political‘ career will be affected negatively. Our ‚political interest‘ will ‚suffer‘. You understand, no? It means that these people will be mad at us and they will not give us their ‚votes‘.‘“

Schließlich, da die Vertreter den „logischen Argumenten“ nicht wiederstehen konnten, erklärten sie, das Department solle das Projekt weiter vorantreiben; sie selbst würden versuchen, dabei „indirekt“ zu helfen. Würde das Department auf die Zustimmung der Rechtehalter warten, wäre alle Mühe sonst vergebens: „‚Take it!‘ they said. ‚You should make the project and we will ‚help‘ you ‚indirectly‘. They will not make it [happen otherwise].‘“ Im Anschluss an diese Gespräche arbeitete das PWD offenbar weitere Möglichkeiten aus, um doch noch Wasser über das Kargah-Jutial Projekt zu leiten.82 Diese wurden aber aufgrund von internen Ent-

82

Wie Jamhoor Ali erklärte, habe es z.B. die Überlegung geben, von Ampheri aus, d.h. von einem Punkt aus, an dem das Wasser des Kargah nicht weiter von den pushtūne bāshinde genutzt wird, Wasser nach Barmas zu pumpen und von dort in den KargahJutial-Kanal einzuspeisen. Gelder dafür hätten aus dem Khushhal Pakistan Programm,

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scheidungen im Department nicht umgesetzt, wie andere Gesprächspartner bemerkten. Dennoch war auch Amjad Alam überzeugt, dass das Projekt früher oder später fertiggestellt und in Betrieb genommen würde. Die Kosten, entsprechende Mengen Wasser vom Fluss zu den neuen Siedlungen und öffentlichen Institutionen zu pumpen, würden wesentlich höher liegen.83 Dennoch baute auch Amjad Alam seine Hoffnung nicht auf die Mitarbeiter und Beamten der zuständigen Departments, sondern auf außergewöhnliche und durchsetzungsfähige Individuen auf Positionen wie denen des Chief Secretary, Chief Ministers oder Richters. Nur über solche Institutionen, die sich über die Belange der „alten“ Siedler hinwegsetzen könnten, könnte der Konflikt um den Kargah-Jutial-Kanal zu einer vorteilhaften Lösung gebracht werden.

FAZIT Am Ausläufer des Jutial Nala waren zunächst die Dorfgemeinschaften Khomers und Jutials entstanden, die Wasser von derselben Ressource bezogen und eine hydraulische Einheit bildeten. Zwischen und innerhalb der Dörfer besteht grundsätzlich Kooperation in der Bewirtschaftung der Wasserressourcen. Die hydraulische Einheit war zunächst sowohl flexibel bei der Verteilung als auch gegenüber dem Einschluss Fremder in Dorfgemeinschaften und in das Verteilungssystem, welches auf das Prinzip gleichmäßiger Verteilung in Bezug auf im Register erfasstes Land ausgerichtet war. Mit der Herausforderung in ganz Gilgit, immer mehr und neue Nutzer_innen zu beteiligen, kam es schließlich zu einem Paradigmenwechsel. Über die Formierung der Mitglieder der hydraulischen Gemeinschaften als pushtūne bāshinde und die Fixierung der (bislang) gleichmäßigen Verteilungsregeln als Gewohnheitsrechte, wurde versucht, die Nutzerzahlen zu begrenzen. Die bisherige Verteilung auf Basis einer generalisierten Gerechtigkeit wurde zu exklusiven Verteilungsregeln auf dem Prinzip „sozialer Gerechtigkeit“. Dies wurde über eine Institutionalisierung der Verhältnisse von 1947 und über eine Darstellung der damaligen Bewohner als alte Gemeinschaft – vergleichbar zu Agrawal und Gibsons (1999)

das unter Musharraf gegründet worden war, kommen sollen. Auch dies scheiterte aber an Einsprüchen der Vertreter Kashrots, Ampheris und Majini Mohallas. 83

Wie er schätzte, würde die Pump-Lösung jedes Jahr um die Rs.300 Mio. Mehrkosten für Infrastruktur und Personal etc. ausmachen. Auch NESPAK (National Engineering Services Pakistan, eine der größten Ingenieurbauberatungsdienste in Asien und Afrika) habe in einer Vergleichsstudie bestätigt, dass ein Rohr, über das Wasser vom Kargah nach Barmas und dann nach Jutial gebracht wird, die ökonomischste Lösung sei.

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„mythic community“ und Lis (1996) „moral community“ – auf einer bestimmten Fläche, mit bestimmten „verdienten“ Mitgliedern erreicht. Aber auch hier sind die Mitglieder der jeweiligen hydraulischen Einheiten keineswegs „organische Einheiten“. Auch hier gibt es unterschiedliche Identitäten innerhalb der hydraulischen Gemeinschaften, wie auch unterschiedliche Ziele und Interessen; dies wird u.a. in den Schilderungen über interne Wasserkonflikte deutlich, für die insbesondere die Zugehörigkeit der Mitglieder zu unterschiedlichen Konfessionen von Bedeutung zu sein scheinen. Aus der Durchsetzung der Unterscheidung in „alte“ und neue Siedler entsteht so eine strukturelle Ungleichheit in der Verteilung von nāla-Wasser, sowohl was das Jutial Nala als auch das Kargah angeht. Zwar wachsen die hydraulischen Einheiten um neu angelegte (private bzw. gemeinschaftliche) Kanäle und öffentliche Wasserkomplexe. Neue Siedlungen werden gegründet und öffentliche Wasserkomplexe und -infrastrukturen errichtet. Neue Siedler_innen sind aber, wenn sie nun Land kaufen, nur Siedler (bāshinde). Sie haben nicht wie „alte Siedler“ (pushtūne bāshinde) Rechte auf die natürlichen Ressourcen der nālas. Topographie, Klima, mangelnde Technologie und schwache Ökonomie machen es zudem nur umständlich möglich, diese Ungleichheit z.B. über Flusswasser auszugleichen. Wie im vorigen und nachfolgenden Kapitel dargestellt, gibt es zwar öffentliche und private Anstrengungen in dieser Hinsicht, die aber von Schwächen in Politik und Verwaltung, technischen Schwierigkeiten und sozialen Brüchen beeinträchtig werden. In allen Kapiteln zeigt sich entsprechend, dass es wiederholt um Gemeinschaftsbildungsprozesse, inklusive deren Grenzziehungen geht: um die Fragen, wer Teil der Gemeinschaft sein darf, wer an der Erschließung und der anschließenden Verteilung von (finanziellen und natürlichen) Ressourcen beteiligt wird, auf welche institutionellen und sozialen Netze hierfür zurückgegriffen wird und unter Berufung auf welche Konzepte und welches Vokabular. Von Seiten der Regierung werden Wasserrechte und Verteilungspraktiken formal nicht herausgefordert und stattdessen in der Praxis autorisiert – wie auch Agrawal und Gibson (1999: 633) bemerken, können sich Allianzen über mehrere politische Ebenen spannen. Über diese können aktive und kreative Individuen strategisch ihre Interessen verfolgen. Dabei bieten die „alten“ Gemeinschaften eine kulturelle Legitimation für Ein- oder Ausschluss in die bzw. aus der Ressourcennutzung. Sie stellen ein Vokabular zur Verfügung, über das Bedürfnisse gerechtfertigt oder Druck ausgeübt werden kann (vgl. Li 1996: 508). Die Gemeinschaft der

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pushtūne bāshinde schafft es z.B., sich ein eigenes Vokabular zu schaffen,84 über das sie die Wasserrechte in Vergangenheit und Zukunft verankern. Darüber hinaus stellen sie Verbindungen zum Vokabular des internationalen Diskurses zu Menschenrechten her, in denen der Staat für die Versorgung der Bevölkerung verantwortlich gemacht wird. Desweiteren berufen sie sich auf das Vokabular des Islam. Dabei wird das Gebot zu Menschlichkeit und Großzügigkeit im Islam zwar in der Praxis wirksam – allerdings nur punktuell, individuell und irregulär. Dem Recht auf Wasser und dem Gebot zu Nächstenliebe, Wohltätigkeit bzw. Menschlichkeit anderen gegenüber wird zwar beigepflichtet. Dennoch werden diese Ideale unter Verweis auf transgenerationelle Verantwortung hintenangestellt. Eine gemeinschaftliche Pflicht im Hinblick auf eine gleichmäßige Wasserversorgung über alle Bewohner_innen der Stadt hinweg wird so von den Mitgliedern der „alten“ Gemeinschaften zurückgewiesen. Die Verpflichtung zu einer regulären Versorgung aller wird stattdessen dem Staat zugewiesen – eine Ansicht, die von „alten“ wie auch von neuen Siedlern geteilt wird. Da der Staat jedoch, wie schon erläutert, gerade auch in den neuen Siedlungen ebenfalls nur punktuell und irregulär Dienstleistungen im Wassersektor bereitstellt, formen auch hier kreative Individuen Gemeinschaften. So erarbeiten sie in Ergänzung und in Abgrenzung zu öffentlichen Angeboten Wasserversorgungsmöglichkeiten. Dies wird im nächsten Kapitel vorgestellt und analysiert.

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U.a. über den Rückgriff auf Begriffe, die durch die Herrschaft von Moghulen und Briten im südasiatischen Kontext verbreitet wurden, wie wārābandi, wājib ul-arz oder huqūq-e ābpāshi.

„Verfügbar durch Selbsthilfe“ – Wasserorganisierung in den neuen Siedlungen

Im Diskurs um Wasserrechte argumentierten viele meiner Gesprächspartner unter Rückgriff auf in den letzten Jahrzehnten verbreitete Begriffe und Konzepte wie „Menschenrechte“. Wie Godale (2012) diskutiert, ist dies ein Konzept, das insbesondere zur moralischen Sprache des Neoliberalismus gehört (ebd.: 469) – eine Sprache, die wohl v.a. über die Organisationen des Aga Khan verbreitet wurde und die sich, wie im folgenden Kapitel deutlich wird, gerade in den neuen Siedlungen Gilgits durch Handlungen und Argumentationen der Bewohner zieht. In dieser Sprache liegt der Fokus auf dem Individuum, das durch neoliberale Rhetoriken zum „guten Handeln“ und zum „guten Sein“ angeleitet wird und selbst für ein „gutes Leben“ verantwortlich ist. Wie zuvor beschrieben, sind die neuen Siedlungen nicht Teil der hydraulischen Einheiten und deren gemeinschaftlichen Wasserversorgung. Darüber hinaus resultiert aus technischen und finanziellen Mängeln sowie Handlungen unverantwortlicher Akteure eine nur temporäre und unregelmäßige Wasserbewirtschaftung über kommunale bzw. öffentliche Einrichtungen. Auch hier gilt daher der Grundsatz, dass Wasser am besten über kollektive Organisation dauerhaft erschlossen und verfügbar gemacht werden kann. Immer mehr Nachbarschaften der neuen Siedlungen gründen daher auch hier lokale Gemeinschaften, die in gewisser Weise traditionelle Dorfgemeinschaften replizieren. Über diese kümmern sich Nachbarschaften um zusätzliche Wasser-Infrastrukturen und deren Verwaltung. Vergleichbar dem globalen Diskurs internationaler Organisationen, auf den sich auch Agrawal und Gibson (1999) beziehen, lebt, wie ich im Folgenden argumentiere, in neuen Siedlungen und hier v.a. unter ismailitischen Bewohnerschaften das Ideal von „mythic communities“, d.h. von lokal begrenzten Gemeinschaften mit homogenen und gleichgesinnten Mitgliedern, auf. Dabei scheint bezüglich der neu zu schaffenden Gemeinschaften in Gilgit v.a. Homogenität bezüglich der Konfession von besonderer Bedeutung zu sein. Über diese soll m.E. geteilte Interessen, Werte und Normen und damit der Erfolg von Projekten vorausgesetzt bzw. sichergestellt werden. Solch gemeinschaftliches Engagement geschieht zumeist unter dem

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Motto self-help, womit zwei Schwerpunkte gesetzt werden: zum einen der Fokus auf das Individuum und individuelles Engagement in der Gemeinschaft; zum anderen Engagement in Ergänzung oder sogar in Abgrenzung zu staatlichem Engagement. Viele dieser self-help-Gemeinschaften sind jedoch nicht tatsächlich autark oder autonom. Dies gilt sowohl für die Kosten, die mit der Umsetzung von (Wasser-)Infrastrukturen verbunden sind, als auch für technische Expertise. Entsprechend ist für die Umsetzung von Wasserinfrastrukturprojekten in den meisten Nachbarschaften die Mobilisierung technischer und finanzieller Hilfen von Regierungs- oder Nichtregierungsorganisationen zentral.1 Betreffs institutioneller Unterstützung bei Wasserorganisierung sind in Gilgit v.a. AKRSP, WASEP und Al Sabah wesentlich, die alle aus der ismailitischen Gemeinde hervorgegangen sind. Mobilisierungsprozesse, die im Hinblick auf den Staat umgesetzt werden gibt es ebenfalls, wenn Unterstützung von öffentlichen Institutionen oder deren Vertretern eingefordert wird (was sowohl für alte als auch neue Siedlungen gilt). Manche Gesprächspartner benutzten den Begriff der self-help z.B. in Bezug auf das Befestigen eines Kanals für Flusswasser mit Beton, das die Kanalnutzer selbst durchführten, das aber über den development fund eines Politikers finanziert wurde. So können z.B. über die Mitglieder der GB Legislative Assembly Entwicklungsgelder beantragt werden, um Kanäle zu erweitern, zu reparieren oder zu befestigen, auch wenn diese Möglichkeit hier nicht ausführlich diskutiert wird: Da ich den Vorwurf vermeiden wollte, ich würde korrupten Praktiken nachgehen oder Politikern unausgewogene Verteilung vorwerfen wollen, sah ich mich nicht in der Lage, den mit staatlichen Fördermitteln verbundenen Prozessen nachzugehen. Folglich sind die Beispiele zu self-help im folgenden Kapitel auf Projekte und Nachbarschaften beschränkt, die über NGOs (v.a. WASEP) finanziert und unterstützt wurden. Zunächst folgt ein kurzer Überblick über das self-help-Konzept, dessen Bedeutung im Feld sowie grundlegende Ideen im (internationalen) Entwicklungssektor. Im Anschluss zeichnet das Kapitel nach, wie das Ödland der neuen Siedlungen bewohnbar gemacht wurde und wie die Wasser(selbst)versorgungen organisiert werden. Hierfür beziehe ich mich v.a. auf Gespräche in den neuen Siedlungen Zulfiqarabads und den „backside colonies“ Jutials. Zunächst folge ich diesbezüglich den Schilderungen von Bewohnern der Benazir Colony, in der eine Nachbarschaft in Eigenregie einen eignen Wasserkomplex eingerichtet hat. Allerdings wird auch hier schon deutlich, dass auch in self-help-Projekten die Mobilisierung von fremder Unterstützung nicht unwesentlich ist. Im Anschluss schildere ich, wie drei Nachbar-

1

In beiden Fällen sind allerdings m.E. Anstrengungen nötig, die auf die Herstellung bzw. Inszenierung einer Gemeinschaft im Sinne von Agrawal und Gibsons (1999) „mythic community“ abzielen (siehe auch Cleaver 1999: 603-5).

„Verfügbar durch Selbsthilfe“ | 267

schaften um eigene Wasserkomplexe ringen. Dieses Ringen bezieht sich auf den Prozess, eine Gemeinschaft zu bilden, sowie auf Bestrebungen, so eine Partnerschaft mit WASEP herstellen zu können, über die technische und finanzielle Hilfe mobilisiert werden kann. Dabei betrachte ich, Agrawal und Gibsons (1999: 630) Vorschlag entsprechend, die verschiedenen Interessen und Akteure – v.a. derjenigen, die die Entscheidungsfindungsprozesse maßgeblich beeinflussen. Wie auch Ostrom (2000) anführt, sind in der Organisierung kollektiven Handelns oft einzelne Individuen zentral: „the world contains multiple types of individuals, some [of whom are] more willing than others to initiate reciprocity to achieve the benefits of collective action“ (Ostrom 2000: 138).2 Gleichzeitig wird deutlich, dass auch diese Gemeinschaften bei Weitem keine Solidaritäts-, sondern reine Zweckgemeinschaften sind. Auch Li (1996: 508-9) zieht diesen Schluss: Gemeinschaften sind oft weniger auf gegenseitige Unterstützung ausgerichtet, als darauf, ein Vokabular zur Verfügung zu stellen, über das Handlungen legitimiert werden können. Zum Abschluss des Kapitels wird die Frage diskutiert, warum gerade die Bewohner_innen der neuen Siedlungen von Seiten des Staats oft nur stille Unterstützung erwarten und nicht, wie in den alten Siedlungen, mehr direkte Hilfe durch die politischen Repräsentanten bzw. durch die sogenannten members, d.h. Mitglieder der Legislative Assembly. Wie ich meine, liegt dies u.a. auch an einem klientelistischen System. Ohne politischen Repräsentanten vor Ort entsteht auch hier eine Situation, die Chatterjees (2006) Unterscheidung von formaler und realer Bürgerschaft gleicht. Entsprechend stellt sich die Frage, wer ein Recht auf die Stadt hat und wie dieses ausgeübt werden kann.

SELF-HELP KONTEXTUALISIERT In vielen Bereichen des alltäglichen Lebens greift das Prinzip des Arbeitens im lokalen Kollektiv. Dies wird in Gilgit oft auf Englisch als self-help oder auf Urdu mit dem Ausdruck „apni madad āp ke tehet“ („verfügbar durch Selbsthilfe“) bezeichnet. Solche Selbsthilfe ist eine Form der sozialen Mobilisierung, hier mit dem Ziel, sich natürliche, aber auch soziale, finanzielle oder organisationale Ressourcen zu erschließen.3 Einige Nachbarschaften organisieren sich tatsächlich selbstständig

2

Auch Mielke (2015) stellt dar, dass es oft einzelne Individuen sind, die es nicht nur schaffen, aus Einzelnen eine Gruppe zu machen, sondern auch Ressourcen z.B. aus dem Kontext internationaler (Entwicklungs-)Hilfe zu mobilisieren.

3

Andere Definitionen von self-help beziehen sich z.B. auf Unabhängigkeit im Rahmen des Therapie-Sektors wie z.B. populär-psychologische Ratgeber-Literatur (siehe z.B.

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oder mit nur punktueller finanzieller Hilfe z.B. von regionalstaatlichen Organisationen wie in der Benazir Colony (vgl. Unterkap. „Benazir Colony“). Immer mehr Nachbarschaften jedoch richten ihre Anstrengungen weniger auf eine komplett selbständige Organisierung aus, sondern auf Unterstützung durch sogenannte „public-private-community partnerships“ (PPCPs), die von Entwicklungsorganisationen und multilateralen Kreditinstituten befördert werden. Ob auch solche Partnerschaften noch als Selbsthilfe bezeichnet werden können, wird von diversen Autoren unterschiedlich gesehen. Burns und Taylor (1998) etwa beharren darauf, dass self-help-Projekte tatsächlich autonom sein müssen, um als solche bezeichnet werden zu können. Uphoff (1993) greift auf den Begriff „assisted self-reliance“ zurück (ebd.: 619; Herv. A.G.).4 Vergleichbar großzügig fassen dagegen andere Autoren auch assistierte Initiativen mit dem Begriff „self-help“ (z.B. Archer 2009; Acher/ Vanderhoven 2010; Berner/Phillips 2003). Archer (2009: 5) und Archer und Vanderhoven (2010: 4) z.B. weisen pragmatisch darauf hin, dass solche Bestrebungen in vielen Fällen nur oder besser über die Ausstattung mit externen Ressourcen realisiert werden können. Berner und Phillips (2003) bezeichnen „self-help“ außerdem als etwas keinesfalls Neues, sondern als „the default strategy of the poor“ (ebd.: 2) und verweisen auf „self-help housing“ bzw. „squatting“, d.h. informelle Siedlungen in urbanen Räumen, als das am meisten prominente Beispiel (ebd.: 2-3). Die Bewohner Gilgits verwenden den Begriff self-help ebenfalls weniger strikt auch für Situationen, in denen auch externe Beziehungen zu staatlichen oder nichtstaatlichen Organisationen bestehen. In Gilgit bedeutet self-help zumeist, dass Akteure in ihrer Freizeit, oft mit eigenem Material und auf eigenem Land, Projekte errichten.

Béjar 2014). In einem anderen Kontext benutzt Gluckman den Begriff „self-help“ beiläufig im Rahmen von Sanktionen, die ein Indiviuum selbst ausführt und die, so Gluckman, häufig zu Fehden führen (ders. 1955: 2, 1965: 3) – auch hier also ein Kontext, in dem der Staat abwesend oder sogar unerwünscht ist. 4

Uphoff (1993) unterscheidet drei Idealtypen: einen öffentlichen und einen privaten sowie einen „dritten“ Sektor („third sector“), für den er auch die Begriffe „self-help sector“, „voluntary sector“, „membership sector“, „participatory sector“ und „collective action sector“ verwendet. Der öffentliche Sektor zeichne sich über bürokratische Mechanismen aus und strebe nach Entsprechung mit Regierungsvorgaben, technischen Prinzipien und hierarchischen Entscheidungen. Der Privatsektor greife auf Marktmechanismen zurück; Entscheidungen würden von Individuen getroffen, ohne öffentliche Interessen zu bedienen. Der „dritte Sektor“ beruhe größtenteils auf Freiwilligkeit und beinhaltet Prozesse wie Verhandlung, Diskussion, Zugeständnisse und Überzeugung; hierbei würden sowohl individuelle als auch gemeinschaftliche Interessen berücksichtigt (ebd.: 609-10).

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Neben den Kosten sind allerdings auch die Mühen oft nur schwer zu meistern, insbesondere da nicht mehr alles, wie bei der Errichtung und Instandhaltung der traditionellen Kanäle, nur durch eigene Arbeitszeit und lokale Materialien ausgeführt werden kann. So benötigt es zumeist Gelder für Rohre, Leitungen, Transformatoren, Motoren, Sprengstoffe, Zement, Stahl, aber auch große Maschinen etc., die oft nur schwer „selbst“ aufzubringen sind; Regierung oder NGOs versprechen diesbezüglich Unterstützung. Allerdings sind auch hier die Budgets begrenzt. Um Anteil an diesen Geldern zu bekommen, gilt es dann für die Antragsteller, sich zu bemühen, Kontakte zu pflegen, Petitionen zu schreiben, dranzubleiben. Viele scheinen aber nicht bereit oder nicht in der Lage, Projekte so aufwändig zu verfolgen. Entsprechend erklärte ein nambardār in Sakarkui,5 es sei besser, gar nicht erst auf die Regierung oder öffentliche Einrichtungen zu warten. Lange Prozesse und Engagement gegenüber Einrichtungen (egal ob staatlich oder nichtstaatlich) seien nicht ihre Sache, wie er mir erklärte. Falls also nicht jemand die Mittler- oder Fürsprecherrolle gegenüber Institutionen übernimmt, bliebe nur das praktische Engagement: „So if you could do something, through some NGO or… If there are long processes involved [then] we donʼt want to do this kind of work ourselves and we rather do ourselves what we can do [practically]… We have never even looked towards the government nor at NGOs, but water is our need, and if we wait for the government it might not happen, so we do it ourselves, because it is our need. We canʼt keep ourselves thirsty, at least some things have to be done by ourselves. The people here are very well aware and very brave [i.e. it is very easy to mobilize the people for practical work]. We are trying our best to do whatever we can, through ‚self-help‘, and you can see [our successes] yourself.“

Dabei ist in self-help-Konzepten – sowohl in der wissenschaftlichen Literatur als auch in Gilgit-Baltistan – der Staat und dessen Unfähigkeit, umfassende öffentliche Serviceleistungen zu Verfügung zu stellen, meist expliziter oder auch impliziter Referenzpunkt: Selbsthilfe muss dort geleistet werden wo der Staat nicht (ausreichend) handelt. Auf der Facebook-Seite des regionalen Internetmagazins Pamir Times z.B. wurden nach den starken Regenfällen im April 2016 Fotographien von Anstrengungen gesammelt. Die Beischrift stellt dabei explizit einen Bezug zu fehlenden Maßnahmen des regionalen Staats („the government“) her und verweist so auf ein explizit politisches Element im lokalen Verständnis von self-help: „Communities across Gilgit-baltistan [sic] have started helping themselves, instead of wating [sic] for the government. From clearning [sic] roads, to transproting [sic] patients and repair-

5

Eine vergleichsweise neue Siedlung auf der nördlichen Flussseite.

270 | Den Verlauf kontrollieren

ing water channels on their own, the people of Gilgit-Baltistan have proved [sic] that self-help is the best help.“ (Pamir Times (Facebook), 10.-12.04.2016)

Schon in einer frühen Konzeptualisierung von self-help wie in dem gleichnamigen Buch Self-Help von Samuel Smiles aus dem Jahr 1859 wird deutlich, dass das Individuum sowie das Verhältnis des Individuums zum Staat zentral sind. In seinem Buch führt Smiles (1908) prominente Individuen der europäischen Neuzeit auf, welche sich durch eigene Energie, Willenskraft, und Disziplin, Mut, Arbeitswillen und eigenes Bemühen hervorgehoben hätten. Self-help wird zu dem, was Smiles Faulheit und Abhängigkeit von Staat oder Erbgut gegenüberstellt und propagiert. Selbstvertrauen, Selbstrespekt und Unabhängigkeit sind dabei Ausgangspunkt und Ziel. Seine Botschaft ist klar: Jeder solle sich individuell engagieren und auf die eigenen Fähigkeiten setzen, anstatt den Staat für sich verantwortlich zu machen: „men [sic] must necessarily be the active agents of their own well-being and welldoing; and that, however much the wise and the good may owe to others, they themselves must in the very nature of things be their own best helpers“ (Smiles 1908: 31).6 Regierungs- oder staatliche Organisationen können, so Smiles, Erfolg, Wohlsein und Wohlstand höchstens passiv unterstützen. Entsprechend der Prämisse, dass der Staat nicht die erforderliche oder gewünschte Verantwortung übernimmt oder übernehmen kann, bildeten sich im Großbritannien des 19. und 20. Jahrhunderts, wie auch im Gilgit des 20. Jahrhunderts, zunehmend Gesellschaften, Genossenschaften und Kooperativen. In beiden Fällen verschob sich dabei der Angelpunkt des Begriffs self-help vom Individuum auf die Gemeinschaft.7 Lokale Akteure organisieren, verwalten und finanzieren sich in unabhängigen oder auch in Netzwerken organsierten Kollektiven. Über die Förderung sozialen Kapitals und sozialer Beziehungen sollen so individuelle und gemeinschaftliche Interessen verfolgt werden. (Diese stimmen im besten Fall überein.) Derartige Organisationen sollen so unabhängig vom Staat Unterstützung und Rückhalt bieten. In den letzten Jahrzehnten wurde eine solche aktive Bildung lokaler Gemeinschaften in Gilgit insbesondere im Sektor von inter- und transnationalen Nichtregierungsorganisationen angepriesen. Hierbei werden lokale Akteure aufgefordert und gefördert, sich in lokalen Gemeinschaften in den Bereichen Bedarfsanalyse, Entscheidungsfindung, Projektimplementierung und Projektinstandhaltung sowie dem nachhaltigen Management natürlicher Ressourcen einzusetzen. Ein sol-

6

Smilesʼ Geschichte vorbildlicher Individuen ist strenggenommen eine Geschichte vorbildlicher Männer.

7

Vgl. auch Archer (2009: 3) für Großbritannien.

„Verfügbar durch Selbsthilfe“ | 271

ches Vorgehen wird oft auch unter dem Konzept des „empowerment“ gefasst (siehe z.B. Abatena 1995; Anzorena et al. 1998; Badshah 1996; Pretty/Ward 2001). Die Ursprünge konzertierter self-help-Ansätze in Pakistan wurzeln aber vermutlich schon im kolonialen Britisch Indien. So führt Waseem (1982) die Entstehung der Idee von sogenanntem „community development“ in Südasien auf die Jahre zwischen den Weltkriegen zurück. Insbesondere nach dem ersten Weltkrieg, so Waseem, stützen sich diverse koloniale bürokratische Maßnahmen auf die Idee der self-help bzw. die Idee von bürgerlichem bzw. bäuerlichem Engagement. Hiermit suchten die koloniale Bürokratie einerseits und die im Entstehen befindlichen staatlichen Führungseliten andererseits jeweils die Legitimität der armen Massen zu gewinnen. Für das heutige Pakistan – damals noch Teil Britisch Indiens – waren zwei britische Bürokraten, Malcolm Darling und F.L. Brayne, hierbei maßgeblich. Darling regte im Punjab die Formierung bäuerlicher Kooperativen an; Brayne forcierte ländliche Entwicklungsprogramme auf „self-help basis“, die später in der pakistanischen Bürokratie als Landentwicklungsprogramme weitergeführt wurden. Wie Waseem erläutert, sah Brayne ländliche Rückständigkeit in bäuerlichen Traditionen verankert, die zu Faulheit, Antriebslosigkeit und Fatalismus führen würden.8 Selfhelp-Gemeinschaften bzw. Kooperativen könnten dagegen neue Produktionstechniken, effiziente Standards, Hygieneeinrichtungen und ein „modernes Denken“ anbieten, in dem z.B. auch Angehörige von niedrigen Kasten und Frauen ebenbürtig seien (Waseem 1982: 225-6; vgl. Brayne 1929). Brayne folgend versuchten sich auch nachkommende Bürokraten über vergleichbare Projekte an der Modernisierung der bäuerlichen Gesellschaft und unterstützten lokale Gemeinschaften durch technischen Beistand und Praxisanleitung. Nach der Unabhängigkeit und Gründung Pakistans wurden lokale Institutionenbildungsprozesse sowie technische und praktische Anleitungen wichtige Aspekte des „nation-building“-Projekts für Pakistan; viele fanden unter US-amerikanischen Initiativen statt. Zunächst wurde der Ansatz ab 1952 unter dem Programm Village Agricultural and Industrial Development (VAID) verfolgt.9 Ab den 1960er Jahren folgten das Rural Works Programme, in den 1970er Jahren das People's Works Programme und später das Integrated Rural De-

8

Diese prangert Brayne z.B. in seiner Veröffentlichung Socrates in an Indian Village. Dehati Socrat (1929) an.

9

Ziel solcher Programme war, ländliche Einkommen durch Verbesserungen in Landwirtschaftstechniken und Baumwollindustrie zu steigern, einen „spirit of self-help“ unter Dorfbewohnern zu aktivieren und Gemeinschaftsleistungen in den ländlichen Gegenden zu erhöhen (Waseem 1982: 226-7).

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velopment Programme.10 Auch hier paarten sich technische und praktische Anleitungen mit der Stärkung lokaler Gemeinschaften. „Social workers“ sollten für die Modernisierung werben und als „Katalysatoren“ dienen (Waseem 1982: 226-7). Self-help im Forschungskontext Auch in Gilgit-Baltistan ist self-help auf Gemeinschaftsbasis zentrales Element in zweierlei Hinsicht: zum einen in dem Versuch, lokale Gemeinschaften zu stärken, Entwicklungsprojekte zu implementieren und die Gesellschaft zu reformieren; zum anderen in dem Versuch, Versorgungslücken zu schließen, die nicht vom Staat gefüllt werden. Auch hier sollen Warten auf und Abhängigkeit von staatlichen Zuwendungen durch eigene Initiativen abgelöst werden. Wie in Smiles’ (1908) Beschreibung sind auch hier Selbstrespekt und Unabhängigkeit, Arbeit und Engagement Ausgangspunkt und Ziel zugleich. Daneben besteht die Überzeugung, dass eine solche Vorgehensweise Fürsorge für und Nachhaltigkeit der implementierten Projekte und Komplexe hervorrufe. Im Gegensatz fehle dies, so viele meiner Gesprächspartner, in Gilgit in Bezug auf öffentliche Einrichtungen und deren Angebote. Wie auch im vorhergehenden Kapitel diskutiert, würden z.B. öffentliche Infrastrukturen – sofern vorhanden – von den Bürgern nicht genutzt, ausgenutzt oder gar untergraben: Die Filtrationsanlagen für sauberes Wasser z.B. würden dafür genutzt, Geschirr zu spülen oder Kleidung zu waschen und die dort installierten Wasserhähne würden – ebenso wie z.B. öffentliche Mülleimer oder Glühbirnen – abmontiert und gestohlen. Wie auch Smiles (ebd.) vorbringt, seien individuelle Faulheit, Selbstsucht und Laster Ursache staatlichen Verfalls. Vergleichbar argumentierten auch in Gilgit Gesprächspartner, Pakistan sei eine „kambaḵht qōm“, eine verflixte Nation, wobei sich der Begriff sowohl auf den Staat als auf dessen Bevölkerung bezieht.11 Jede Regierung ist – im Verständnis Smilesʼ wie auch im Verständnis meiner Gesprächspartner in Gilgit – nur so gut oder so korrupt wie die Bevölkerung selbst. Smiles schreibt hierzu: „In the order of nature, the collective character of a nation will as surely find its befitting results in its law and government, as water

10

In den unterschiedlichen Programmen wurde die Autorität zwischen den unterschiedlichen lokalen und regionalen staatlichen Organisationen wie Union und District Councils etc. konstant verschoben (Waseem 1982: 226-30; Kreutzmann 2012a: 232-3). Kreutzmann wertet die Veränderungen allerdings v.a. als Namensänderungen ohne Wirkung auf die Umsetzung von Projekten (ebd.).

11

Wie Smiles (1908) schreibt, können Staaten ihre Bürger zwar vor dem Verlust von Leben, Freiheit und Besitz schützen, aber nicht vor sich selbst, d.h. vor den eigenen Lastern (ebd.: 1-3).

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finds its own level. The noble people will be nobly ruled, and the ignorant and corrupt ignobly“ (ebd.: 2-3) – eine Annahme, die auch mehrere Gesprächspartner für Region und Land äußerten und die an Guptas (1995) Verweis erinnert, (Regional-) Staat bzw. (Regional-)Regierung seien weniger als Gegenstück zu Gesellschaft oder Bevölkerung zu verstehen als als deren soziale Praktiken. In der Vorstellung Smiles, wie auch der meiner Gesprächspartner, ist daher ein umfassender Reformprozess nötig, welcher von den Individuen selbst ausgehen muss: ein Reformprozess, in welchem der Geist kultiviert, der Charakter gestärkt und Faulheit überwunden werden muss. Sowohl in den Aussagen meiner Gesprächspartner in Gilgit als auch in Smilesʼ Werk kommt hierbei Bildung sowie dem Lernen am Vorbild eine große Bedeutung zu. Gerade Lernen am Vorbild sei die beste Voraussetzung, sich zu kultivieren und zu bilden; entsprechend sollen einzelne Individuen mit gutem Beispiel vorangehen und eine Sogwirkung auf Familie und Nachbarn sowie darüber hinaus auf andere Nachbarschaften und Stadtteile etc. entfalten. Dabei wird argumentiert, dass individuelle spirituelle, geistige und physische Anstrengungen zu individueller bis hin zu staatlicher Spiritualität, aber auch individuellem und kollektivem Erfolg, Zufriedenheit und Fortschritt führen. Hierbei sind in Gilgit-Baltistan religiöse Unterweisungen zentral. Bei Ismailitinnen und Ismailiten z.B. sind farmān, Anweisungen des imām, wegweisend. Insbesondere der derzeitige imām Karim Aga Khan IV.12 betont, wie auch sein Großvater und Vorgänger Aga Khan III.13, die Bedeutung von individuellen Anstrengungen, Bildung sowie Zusammenarbeit. Hierdurch sollen zunächst alle physischen Bedürfnisse gestillt werden, um sich schließlich den spirituellen Bedürfnissen zuwenden zu können. Bei vielen Sunnitinnen und Sunniten Gilgit-Baltistans spielen Predigten der tablīgh-i-jamāt eine ähnliche Rolle. Diese betonen den jihād, der hier als die Läuterung des Individuums durch Selbstkontrolle verstanden wird, mit der eine Läuterung der Gesellschaft Hand in Hand geht. Gleichzeitig wurden auch in den Aussagen vieler sunnitischer Gesprächspartner_innen – wenn auch manchmal mit knirschenden Zähnen – aufgrund deren wahrgenommenen wirtschaftlichen und organisationalen Erfolgen durchaus auch Ismailitinnen, Ismailiten und ismailitische Entwicklungsorganisationen als Vorbilder genannt.14 Auch im heutigen Gilgit-Baltistan wurde die gezielte Institutionalisierung lokaler self-help-Gemeinschaften seit den 1960er Jahren unter Entwicklungsprogrammen Ayub Khans unter dem Begriff der village organisations (VOs) begonnen. Ne-

12

Prinz Shah Karim Al Hussaini, der 49. imām.

13

Sir Sultan Muhammed Shah, der 48. imām.

14

Da ich nur wenige schiitische Gesprächspartner_innen hatte, muss die Aufzählung hier bezüglich schiitischer Perspektiven unvollständig bleiben.

274 | Den Verlauf kontrollieren

ben Förderung und Forderung lokalen Engagements ermöglicht die Gründung von VOs, Partnerschaften mit öffentlichen Organisationen eingehen zu können („publicprivat-community partnerships“). Dieser zunächst staatliche Ansatz wurde ab 1982/3 im Rahmen von Entwicklungsprogrammen von AKRSP fortgesetzt und prominent gemacht. Drei Jahre nachdem AKRSP begonnen hatte, in Gilgit-Baltistan zu arbeiten wurde weiterhin die Gründung von womenʼs organisations (WO) forciert, einem Pendent für die Frauen, die in der geschlechtergetrennten Gesellschaft von den Treffen der VOs ausgeschlossen waren. Obwohl AKRSP häufig als Vorreiter für den Ansatz gilt, lokale Gemeinschaften über VOs zu stärken, bauen AKRSPs Begriffe und Strategien auf vorhergehende staatliche Bestrebungen zu Institutionenbildung ab den 1950er Jahren wie dem V-AID Programm auf. Dies würde von ARKSP jedoch zumeist unterschlagen oder vergessen und auch in Bewertungen AKRSPs z.B. durch die Weltbank übersehen, kritisierte der mittlerweile verrentete Beamte Aslam Pervez in einem Gespräch. Konzeptuell und begrifflich greifen VOs auf Organisationsformen im Stil von Dorfgemeinschaften zurück. Organisationsform der VO sowie das Engagement in self-help sind so m.E. Versuche, die Ideen und Vorstellungen, die mit „traditionellen“ Gemeinschaften und Arbeitsweisen verbunden sind, aufzugreifen und zunutze zu machen. Auch ein Mitarbeiter AKRSPs formulierte dies mir gegenüber, dass VOs und WOs schließlich „traditional“ seien – und dies ungeachtet der Tatsache, dass sie erst seit Kurzem als solche auf die Anregung AKRSPs hin etabliert werden. Interessanterweise greift die Bildung solcher VOs seit den 2000er Jahren zunehmend auch in der Stadt – in Gilgit v.a. in den vergleichsweise neuen Stadtteilen, Sakarkui und Sonikot sowie den neuen Siedlungen Jutials inklusive Zulfiqarabad, und hier v.a. in Nachbarschaften, die hohe Zahlen ismailitischer Bewohner_innen aufweisen. Mitarbeiter AKRSPs und WASEPs schafften es zudem, diese Siedlungen als Randgebiete Gilgits und damit als „ländlich“ zu definieren, was Voraussetzung dafür war, den Kriterien von Geldgeberorganisationen gerecht zu werden, die zunächst nur Projekte in „ländlichen“ Gegenden finanziell förderten. Gerade in den neuen Siedlungen mit ihrer oft heterogenen Bevölkerung bieten VOs unterdessen die Gelegenheit, persönliche Kontakte herzustellen oder zu stärken und die Bewohner_innen als „Gemeinschaft“ zu konstituieren. Damit wird – zumindest nach außen – die formale Notwendigkeit, eine kollektive Identität zu schaffen, erfüllt. Die VOs bieten außerdem formal eine moralische Grundlage und moralische Inhalte für die so geschaffenen „Gemeinschaften“ – eine Notwendigkeit, auf die auch Chatterjee (2006) für „squatter colonies“ in Kalkutta hinweist: „This is an equally crucial part of the politics of the governed: to give to the empirical form of a population group the moral attributes of a community“ (ebd.: 57). Nur mit einer solchen moralischen Grundlage kann eine Bevölkerung effektiv ihre Ansprüche auf institutionelle Hilfsangebote geltend machen – sowohl in Chatterjees Fall (ebd.: 75) als auch in Gil-

„Verfügbar durch Selbsthilfe“ | 275

git.15 Dann bedarf es „nur noch“ des richtigen Drucks an den richtigen Stellen der Regierungs- oder Verwaltungs-Maschinerie: „To effectively direct those benefits toward them, they must [then] succeed in applying the right pressure at the right places in the governmental machinery“ (ebd.: 66). Die Anstrengungen in solchen Unternehmungen werden damit auf mehrere Punkte gerichtet: das verantwortliche Individuum, die Bildung einer Gemeinschaft mit bestimmten Attributen, die – nach anfänglicher externer technischer und finanzieller Unterstützung – spätere Selbständigkeit bzw. Selbstverwaltung in der Gemeinschaft verspricht. Wie im Lauf des Kapitels deutlich wird, sind diese Punkte allerdings nicht unproblematisch. Gemeinschaften bzw. Dorfgemeinschaften werden, wie in der Kritik Agrawal und Gibsons (1999), zumeist als eine homogene Gemeinschaft dargestellt und vorausgesetzt, was aber oft nicht der Fall ist oder nur unter Ausschluss oder Ignorieren mancher. Häufig ist „die Gemeinschaft“ ein forciertes Produkt; auch unterschiedliche oder sogar entgegengesetzte Wahrnehmungen und Bedürfnisse sozialer Akteure werden oft außen vor gelassen. Darüber hinaus soll das im internationalen Entwicklungssektor wie auch in den Programmen von AKRSP und WASEP angewandte Konzept der „participation“ die lokale Bevölkerung ermächtigen und verantwortliche Individuen schaffen. In einer kritischen Lesart aber wird so die Verantwortung von Erfolgen und Scheitern von Entwicklungsprojekten von der Makro- auf die Mikroebene d.h. auf die Bevölkerung verschoben. Ein Projekt scheitert dann nicht an schlechten institutionellen Vorgaben, sondern an schlechten Teilnehmern (Williams 2004: 564-5). Entsprechend drohten auch in den vorliegenden Fällen Projekte zu scheitern, wenn Gemeinschaften oder einzelne Mitglieder mit den Erwartungen der Programme oder der Geldgeber nicht konform waren, z.B. weil sie sich nicht auf ein Territorium oder auf geteilte Werte und Normen einigen konnten. Entsprechend führte die Selbständigkeit oder Autonomie von Gemeinschaften in einem Fall zum Ausschluss von Mitgliedern und zur Sabotage der Projekthandhabung. Institutionenbildung und Teilhabe: AKRSP und WASEP Da AKRSP und WASEP derzeit die prominentesten und meistdiskutierten NGOs sind, die in den letzten Jahren in Gilgit-Baltistan zu Wasserversorgung gearbeitet haben,16 bietet sich vorab eine kurze Einführung zu den Organisationen und dem

15

Chatterjee (2006) spricht von staatlichen Angeboten, wobei ich dies hier auch auf nicht-

16

Andere sind z.B. UNICEF, Worldwide Fund for Nature (WWF), Al Sabah, AlKhidmat

staatliche Angebote übertrage. Foundation.

276 | Den Verlauf kontrollieren

Konzept der participation an. Insbesondere zu AKRSP gibt es seit den 1990er Jahren eine Reihe an Veröffentlichungen (z.B. Clemens 2000; Fazlur-Rahman 2000; Khan/Hunzai 2000; Wood/Malik/Sagheer 2006). Diese beschreiben die Arbeit AKRSPs in den ersten Jahren, d.h. den 1980ern und 1990ern, wenn auch eher unkritisch; wie Hill (2014: 3) feststellt, veranschaulichen sie v.a. Erfolge. Eine kritische Betrachtung der Vorgehensweise AKRSPs bietet z.B. Settle (2010, 2012). Für das 1997/8 gegründete WASEP sind bislang nur in Reichweite und Bedeutung vergleichsweise limitierte Studien zu gesundheitlichen Aspekten in Bezug auf Wasserqualität verfügbar (z.B. Abbas/Schlosser 2004; Nanan et al. 2003), nicht jedoch zu den institutionellen Grundlagen und Arbeitsweisen. Nach der Etablierung AKRSPs in Pakistan 1982/3 arbeitete AKRSP zunächst im damaligen Gilgit District (Gilgit, Nager, Hunza, Gojal, Puniyal, Gupis, Yasin, Ishkoman) und ab 1985/6 auch in Baltistan sowie Chitral, einem Distrikt der angrenzenden Provinz in Khyber-Pakhtunkhwa (damals North-West Frontier Province). AKRSP, ebenso wie andere Organisationen unter dem AKDN, dehnen ihre Einsatzgebiete in Gilgit-Baltistan und Chitral zunehmend aus.17 Ziel der Arbeit von AKRSP ist Entwicklung unter den Vorzeichen von Angemessenheit, Produktivität und Nachhaltigkeit (Durr-e-Nayab/Ibrahim 1994: 1274). Hussain Wali Khan und Izhar Hunzai, die beide hohe Positionen bei AKRSP besetzt hatten, beschreiben in einem Beitrag zu einem Sammelband das Ziel von AKRSP als die Einbeziehung der ländlichen Bevölkerung in Entwicklungsaktivitäten: „The primary objective of this initiative [AKRSP] is to involve rural people of the area in their own development“ (Khan/Hunzai 2000: 136). Grundlegende Maßnahme hierfür sei die Bildung bzw. Stärkung lokaler Institutionen („local institution-building“), was insbesondere nach den politischen Reformen der 1970er Jahren notwendig erschien (ebd.: 137; Clemens 2000: 4). Dorfgemeinschaften werden dabei grundlegend als Interessensgruppen verstanden. Auf dieser Grundlage wird die Bildung expliziter „village organisations“ als Organisation (tanzīm) forciert, da dies, wie schon erwähnt, notwendige Voraussetzung ist, um Partnerschaften mit externen Organisationen eingehen zu können. Die Aufnahme von Gesprächen zwischen Mitarbeitern AKRSPs und Vertretern eines Ortes ist hierfür ein erster Schritt; im Anschluss kann ein Kooperationsvertrag („terms of partnership“) für eine VO unterzeichnet werden.

17

Auf Initiative der Bevölkerung von Astor begann AKRSP 1993 auch dort zu arbeiten (Clemens 2000: 4). Seit einigen Jahren gibt es Versuche der Organisationen, Engagement auch in Diamer anzubieten. AKRSP z.B. kooperiert hierfür mit lokalen NGOs oder öffentlichen Einrichtungen; 2013 bereiteten Mitarbeiter WASEPs ein Projekt in einem Dorf Diamers vor. Bislang scheiterte eine Etablierung in Diamer regelmäßig an Misstrauen gegenüber den als ismailitisch verstandenen Organisationen.

„Verfügbar durch Selbsthilfe“ | 277

AKRSP initiiert mit einer ersten Einzahlung ein Gemeinschaftsguthaben (Clemens 2000: 22). VOs und WOs sind außerdem primäres Mittel, Entwicklungsbedarf zu identifizieren, Ressourcen zu mobilisieren und neue produktive Fähigkeiten zu verbreiten, um letztlich die ökonomische Situation der Bewohner_innen der Bergregion zu verbessern. Clemens fasst zusammen, dass die VOs damit sowohl Ziel als auch Instrument sind (ebd.: 5). Durch VOs sollen Bauern als gemeinschaftliche Einheit agieren. Darüber hinaus sollen sie so die Möglichkeit haben, Kapital zusammenzutragen, Bedürfnisse zu identifizieren und dann zielgerichtete Maßnahmen zu ergreifen (Khan/Hunzai 2000: 144). Das regelmäßige Erheben kleiner Geldbeträge soll es ermöglichen, Sicherheiten für Darlehen oder Beiträge zu stellen, mit denen Entwicklungsprojekte finanziert werden können (ebd.: 135). AKRSP sieht sich hierbei als Initiator, diese Erkenntnis zu realisieren und Kapital sowie institutionelles und technisches Wissen zur Verfügung zu stellen (ebd.: 144). Um das erste Zwischenziel zu erreichen – das Einkommen in der Region innerhalb von zehn Jahren zu verdoppeln – bot AKRSP zunächst Unterstützung beim Bau von „productive physical infrastructures“ (PPI) an.18 Über die Hälfte aller PPI-Projekte AKRSPs in den drei Programmregionen (Gilgit, Baltistan und Chitral) waren auf Bewässerungsinfrastrukturen ausgerichtet, da in der Hochgebirgswüste Wasser der dringendste Faktor in der Landwirtschaft ist. Andere Projekte nahmen Hochwasserschutz und Verbindungsstraßen in Angriff, da die Regierung solche Infrastrukturinvestitionen gerade in abgelegenen Gebieten nicht oder nicht ausreichend tätigt (Clemens 2000: 32). Wie Khan und Hunzai (2000) argumentieren, waren Regierungsorganisationen weder institutionell noch finanziell in der Lage, diese Aufgaben zu übernehmen; traditionellen Organisationsformen war nach dem politischen Wandel der 1970er Jahre mit der offiziellen Absetzung der lokalen Herrscher unter Bhutto ebenfalls die Grundlage entzogen worden. Außerdem, so Khan und Hunzai seien die Entscheidungen über öffentliche Investitionen oft politisch motiviert (ebd.: 137). Darüber hinaus sei der finanzielle Aufwand bei AKRSP und bei öffentlichen Institutionen sehr unterschiedlich hoch: bei AKRSP lagen die Kosten für den Bau eines Meters Kanal bei durchschnittlich Rs.46, die des Northern Areas Public Work Departments bei Rs.246 (ebd.: 141).19

18

Seit 1992 wurden auf Kritik von Experten der Weltbank hin u.a. auch Maßnahmen zur Entwicklung von „Humankapital“ sowie nichtlandwirtschaftlicher Unternehmungen angegangen (Clemens 2000: 2).

19 Kriterien seiten AKRSPs für die Annahme von Projektanträgen sind u.a. physische Erreichbarkeit sowie soziale „Rezeptivität“ (ebd.: 22). Z.B. wurden in den ersten Projektjahren PPI-Projekte v.a. in den leicht erreichbaren Dörfern der Tal-Ebenen umgesetzt und erst in den folgenden Jahren auch in Seitentälern und schwerer erreichbaren Dör-

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Diese Vorgehensweise AKRSPs entsprach auch der in den 1980er und 90er Jahren prominent gewordenen Entwicklungsidee von „participation“ (vgl. Chambers 1994a, 1994b). Ein Schwerpunkt in der Vorgehensweise AKRSPs liegt dabei auf dem Engagement durch die lokalen Akteure selbst. In diesem Prozess wird „selfhelp“ als Zeichen für die Bereitschaft der lokalen Bewohner Verantwortung zu übernehmen gesehen. „Self-help“ wird damit zu einer zentralen Grundlage von Zusammenarbeit, wie auch in Khan und Hunzais Aussage deutlich wird: „In AKRSPʼs view, self-help translates into the willingness on the part of the villagers to organize themselves and embrace the responsibility of co-operative management“ (ebd.: 143). VOs seien bei der Identifizierung und Implementierung von Projekten laut Khan und Hunzai deutlich engagiert, woraus, so betonen sie, die Übernahme von Verantwortung („ownership“) und darüber auch die Instandhaltung resultiere, was die Projekte erfolgreich mache (ebd.: 140). Dies entspricht der gängigen Idee im Entwicklungssektor, dass Teilhabe bzw. „participation“ eine Schlüsselbedingung für Nachhaltigkeit bzw. langfristige Nutzung sei (vgl. Gardner/Lewis 1996: 112).20 Während das Einsatzspektrum AKRSPs sehr breit ist, liegt der Arbeitsschwerpunkt WASEPs, das auf Initiative von Mitarbeitern AKRSPs initiiert und unter AKPBS etabliert wurde, auf der Versorgung mit sauberem Trinkwasser (gemäß WHO-Standards). Wie die Projekte AKRSPs werden auch die WASEPs über internationale Entwicklungshilfegelder finanziert. Neben der Identifizierung von sauberen Wasserquellen und dem Bau von Wasserinfrastrukturen gehört zu den Projekten außerdem Aufklärung bezüglich Hygiene im Haushalt, Wasserkonsum und Abwas-

fern. Vorhandene Straßen sowie Nähe zu den Verwaltungszentren sind damit zentrale Kriterien für die Vergabe von Projekten. Die Region Gojal bildet hier ggf. eine Ausnahme (ebd.: 24-5). Für eine Analyse der Haushaltsrepräsentation, regionalen Deckungsdichte, Korrelation mit Religions- bzw. Konfessionszugehörigkeit und Größe von VOs in den 1990er Jahren siehe Clemens (2000: 7-10). 20

Ambro (2006) analysiert im Rahmen seiner Masterarbeit den Begriff von „local ownership“ am Beispiel von Projekten ARKSPs in Baltistan. In seiner Arbeit wird der Begriff über die folgenden vier Punkte definiert: (1) Stolz auf Beteiligung, Arbeit und Erfolg (inklusive internen Verhandlungen, die auch explizit ohne Beteiligung AKRSPs stattfinden; für jedes Projekt muss vor Beginn eine Mehrheit von 75% zustimmen); (2) Respekt gegenüber Religionszugehörigkeit, Alter, Geschlecht; (3) Opferbereitschaft, inklusive der Bereitschaft zur finanziellen Beteiligung und der Erwartung, dass Individuen ggf. Ressourcen (Land, Bäume etc.) auch ohne Kompensation aufgeben; (4) Eigeninitiative, Erfüllung der Bedürfnisse der Gemeinschaft, „exit strategies“, sodass die Vereinbarung zwischen VO und AKRSP bei fehlendem gegenseiteigen Respekt oder Uneinigkeiten beiderseits aufgekündigt werden kann (ebd.: 50-63).

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serhandhabung. Die Gemeinschaften sollen so zu selbstorganisiertem Wassermanagement entsprechend vorgegebener Kriterien angeleitet werden. Auch bei WASEP ist der partizipative Ansatz Norm. Dazu gehört auch hier die Mitarbeit an und Mitfinanzierung von Projekten. Und auch hier ist die Idee der Dorfgemeinschaft grundlegend, verkörpert in VOs und in sogenannten „participatory rural appraisals“ (PRAs), in welchen Wissen über die Lokalität und Bewohner_innen eingeholt wird und über welche die vorhandenen Kapazitäten der Bewohner_innen „mobilisiert“ werden sollen.21 In der Regel wird der Bau von Wasserkomplexen zu Beginn mit externen Ressourcen (Geld, technische Hilfestellung und Trainings) unterstützt.22 Auch hier wird Partizipation als (Weg zu) „empowerment“ verstanden; die Bevölkerung wird informiert, ihre Meinung(en) eingeholt. Mitglieder können eigene Interessen vorbringen; langfristiges Engagement am Projekt ist erwünscht und notwendig. Wie nachfolgend ausgeführt, sind diesbezüglich social mobilizers aus der Gemeinschaft und der Organisation zentral, die die Teilnehmenden zu Engagement motivieren und in das neue Kollektiv zusammenführen sollen.23 Kritiken zu Entwicklungssektor und „participation“ International gelten die Programme des AKDN als extrem erfolgreich; AKRSP gilt als Vorzeigeorganisation für ländliche Entwicklungsprogramme bei der Weltbank und in internationalen Entwicklungsstudien (Settle 2012: 387; siehe auch Hurlbut/ McEuen 2002; Smith 1996; Uphoff 1993: 617; World Bank 1990, 1995). WASEP wurde 2010 mit dem Energy Globe Award ausgezeichnet (AKDN, 06.06.2010) und in der Veröffentlichung der United Nations Development Group zu den Millennium Development Goals Good Practices lobend hervorgehoben (AKDN, o.D.). Dabei werden die Konzepte und Herangehensweisen des Entwicklungssektors, die auch AKRSP und WASEP replizieren, in der Entwicklungsforschung durchaus kritisiert. Prominenter Kritikpunkt für den gesamten Sektor ist z.B. eine mangelnde politische Reflexivität der Entwicklungskonzepte; so könne das derart konzipierte Engagement z.B. politische Teilhabe sowie demokratische Prinzipien untergraben. Ferguson (2006) z.B. kritisiert den Entwicklungssektor als eine „anti-politics machine“, in der politische Fragen bezüglich Land, Ressourcen, Arbeitsplätzen oder Löhnen als „technische Probleme“ dargestellt werden, die „technischer Lösungen“ bedürfen. Diverse Autoren mahnen, dass der Fokus des Entwicklungssektors auf

21

Zu dem Ansatz der PRAs siehe auch Chambers (1994a, 1994b).

22

Zwischen 1997 und 2010 hatte WASEP an die 200 Projekte für sauberes Trinkwasser in Gilgit-Baltistan und Chitral eingerichtet (Ismaili.Net, 07.06.2010).

23

Vgl. auch die Ausführungen zu „water user associations“ in Mosse (1999: 318-9).

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Armut liegen müsse; oft seien es jedoch politische Strukturen, über welche eine Gruppe eine andere arm macht und arm hält. Diese Strukturen würden im Entwicklungssektor jedoch weder hinterfragt noch angegangen; stattdessen würde das Problem von Armut entpolitisiert (ebd.: 273; siehe auch Li 2007: 6-8; Mitchell 2002). Vergleichbar Williams’ (2004: 564-5) zuvor genannter Kritik, dass Projekte nicht an schlechten Vorgaben, sondern an schlechten Teilnehmenden scheiterten, kann entsprechend von einer Verschiebung der Verantwortung auf das Individuum ausgegangen werden. Während AKRSP Partizipation als Ideologie auffasst, in der Teilhabe und Engagement sowohl Instrument als auch Ziel in sich selbst ist, wird auch dieser Ansatz in der Entwicklungsforschung kritisch diskutiert. Kritik wird u.a. auf die wahrgenommene Entpolitisierung auch des „participation“-Konzepts gerichtet, das ursprünglich aus dem Bereich des (politischen) Aktivismus stamme, aber mittlerweile einer utilitaristischen oder sogar autoritären Anwendung unterliege (Christens/ Speer 2006; Williams 2004). Insbesondere die Beiträge in Cooke und Kotharis (2004) Participation: The New Tyranny werfen auf, dass „participation“ in der Praxis nicht (mehr) dem partizipativen, offenen „bottom-up“ Prozess entspreche und dass bestehende Machtverhältnisse und Machtungleichgewichte beibehalten und rhetorisch versteckt würden (ebd.; siehe auch Berner/Phillips 2003: 6-7). Auch Williams (2004) analysiert „participation“ bzw. „participatory development“ hinsichtlich des Kritikpunkts der Entpolitisierung: die Idee der Reform des Individuums gewinne Überhand über die Idee des politischen Kampfes; lokale Machtgefälle würden durch das Feiern des Gemeinschaftskonzepts überdeckt; und das Konzept der Emanzipierung würde verwendet, um marginalisierte Bevölkerungen in ein Projekt der kapitalistischen Modernisierung einzubinden. Williams gesteht zwar zu, dass Teilhabe auch neue Möglichkeiten bieten kann, denen eine Stimme zu verleihen, die bisher ungehört blieben, und dass solche Ansätze keine vorbestimmten Folgen haben müssen. Um aber die genannten Kritikpunkte zu vermeiden, schlägt er eine Repolitisierung von „participation“ vor. „Participation“ könne v.a. dann als ermächtigend verstanden werden, wenn Projekte die Fähigkeit von Bewohner_innen, mit dem Staat zu verhandeln oder sich mit dem Staat anzulegen („to engage with the state“), stärken. Dazu müssen sie befähigt werden, sich dorthin zu wenden, wo Entscheidungen getroffen werden, wo Einfluss und Autorität verortet ist (ebd.: 568-9; siehe auch Hickey und Mohan 2004). In einem solchen Ansatz werden Werte wie soziale Gerechtigkeit und Emanzipation auch als Weg zu materiellem Wohlstand verstanden (Christens/Speer 2006: 27). Von einem pragmatischen Standpunkt aus wenden dagegen z.B. Christens und Speer (ebd.: 7), Cleaver (1999: 597-9) oder Workman (2013: 345) ein, dass Teilhabe (bislang bzw. in der klassischen Entwicklungspraxis) v.a. eine Methode sei, um Projektimplementierung zu vereinfachen. Trotz der Teilhabe würden Entscheidun-

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gen, so auch Berner und Phillips (2003), letztlich doch von den Organisationen gefällt. Konsensfindungsprozesse seien insofern ineffizient, insbesondere da Zeit die wertvollste und oft auch knappste Ressource gerade von Armen sei (ebd.: 1-2; siehe auch Cleaver 1999: 597; Anzorena et al. 1998: 174-5). Berner und Phillips (2003) merken entsprechend an, dass in Indonesien der Begriff partisipasi auch die Last bezeichnet, als die Teilhabe wahrgenommen wird (ebd.: 1-2; siehe auch Vandergeest 1991). Darüber hinaus würden oft außerdem nicht – wie angepeilt – arme Bevölkerungsteile, sondern Eliten und untere Mittelklassen unterstützt (vgl. Anzorena et al. 1998). Entsprechend solcher Kritiken kritisiert auch Settle (2010, 2012) in ihren Studien zu ARKSP in Gilgit-Baltistan deren Akzeptanz neo-liberaler Prinzipien. Über diese, so Settle, folge AKRSP einem Prinzip, das die Anhäufung von Kapitalien (sozialem, finanziellem und humanem Kapital) anstrebt (dies. 2012: 391). Zwar sollen alle Maßnahmen zum Ziel haben, das Leben der Bewohner_innen GilgitBaltistans zu verbessern. Gleichzeitig, so Settle (2012), werde dabei aber das politische System unterminiert: Marktfunktionen und „gemeinschaftliche“ Entscheidungsprozesse würden zunehmend Regierungsfunktionen ersetzen (ebd.: 396-9; siehe auch Workman 2013: 103-5). AKRSP folge dabei zwar partizipativen Prinzipien von Beteiligung und „ownership“, der „Lokalisierung“ von Handlungskontexten und Ablaufplanung von Richtlinien.24 Grundlage hierfür sei jedoch die Anerkennung eines neo-liberalem Marktverständnisses, Dezentralisierung und dem Zurückziehen des Staats (ebd.: 387). Auch Campos, Khan und Tessendorf (2004) bezeichnen AKRSP entsprechend als ergänzende Institutionen (ebd.: 53) bzw. Substitutionsinstitutionen (ebd.: 51), welche die Lücke zwischen makroökonomischen Wachstum und schwachem Wachstum sozialer Wohlfahrtseinrichtungen füllen, die durch unzureichende politische Strategien entstanden sind (ebd.). Die Lücken im staatlichen Engagement würden gemäß einem solchen neo-liberalen Verständnis durch Privatsektor und NGOs geschlossen, die so die staatliche Last der öffentlichen Daseinsvorsorgepflicht reduzierten. Dies könne, wie Settle (2012) argumentiert, letztlich zur Exklusion bestimmter Bevölkerungsgruppen von notwendigen Leistungen wie Bildung, Gesundheit etc. führen. Weiterhin wird mit einem solchen Ansatz Unternehmertum in den Mittelpunkt gerückt.25 Fragen nach der Verantwortung der Regierung sowie Teilhabe am demokratischen politischen Prozess würden

24

Sogenanntes „policy sequencing“, wie von Joseph Stiglitz, dem Washington Consensus folgend, im Rahmen eines „New Development Paradigm“ vorgebracht (Settle 2012: 387).

25

Tatsächlich zielte im Förderzeitraum 2011-17 AKRSPs Programm EELY (Enhancing Employability and Leadership for Youth) u.a. auf Unternehmertum ab.

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so in den Hintergrund gerückt; Entwicklung wird zu einem apolitischen Dienstleistungsgegenstand. Der umfassende Ansatz der (ismailitischen) Organisationen auch in den Bereichen von Bildung und Gesundheit lasse auch diese Aspekte zu vermarktbaren Gütern werden und etabliere ggf. die Auffassung, dass auch diese Bereiche nicht notwendigerweise in der Verantwortung des Staats liegen. Damit werden (gute) Bildung und (gute) Gesundheitsleistungen v.a. für diejenigen zugänglich, die zahlen können. Bei einem solchen Ansatz können leicht insbesondere die Ärmsten (oft Frauen) auf der Strecke bleiben (ebd.: 396-8; siehe auch Anzorena et al. 1998: 174-5). Darüber hinaus ist AKRSP den Beteiligten VOs und deren Mitgliedern gegenüber nicht rechenschaftspflichtig. Wie auch Gandy (2008) zusammenfasst, ist das Engagement von NGOs – ebenso wie ggf. auch das staatliche – nicht zuverlässig, unterliegt aber weniger demokratischen Prinzipien als staatliche oder städtische Institutionen. Mitarbeiter und Strategien von NGOs sind ebenfalls in soziale Machtstrukturen eingebunden und vom Engagement einflussreicher Individuen abhängig; sie unterliegen aber keinen Wahlen und einer anderen, ggf. weniger öffentlichen und beeinflussbaren Rechenschaftspflicht (ebd.: 120). Dennoch liegt das Ziel des vorliegenden Kapitels nicht in einer ablehnenden Kritik staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen und ihrer Projekte. Wie Li (2007) vorbringt, sind die Ergebnisse von Entwicklungsprogrammen26 – trotz aller Kritik – nicht immer oder nicht nur schlecht. Viele bringen auch Veränderungen, die von den Menschen vor Ort erwünscht sind: mehr Infrastruktur, weniger Krankheiten, mehr Kontrolle über natürliche Ressourcen, weniger Korruption. Ziel von Analysen ist entsprechend nicht Verdammung, sondern Verstehen (ebd.: 1).

SELF-HELP-WASSERVERSORGUNG IN DEN NEUEN SIEDLUNGEN Im Folgenden zeichnet das Kapitel anhand der Erzählungen von Gesprächspartnern und -partnerinnen nach, wie in neuen Siedlungen Gilgits self-help-Gemeinschaften in Bezug auf Mobilisierung von Wasserressourcen entstanden und welche Prozesse und Schwierigkeiten hiermit verbunden sind. Der räumliche Schwerpunkt liegt dabei auf Zulfiqarabad und den „backside colonies“ Jutials; der zeitliche Schwerpunkt auf der Zeit ab den 1990er Jahren. Wie z.B. Mubarak Shah anmerkte – ein Bewohner der Sultan Colony, einer Nachbarschaft in Zulfiqarabad, die etwa seit der Jahrtausendwende besiedelt wird und die seit Kurzem auch an die öffentlichen Wasserleitungen angeschlossen ist –, sei die Wasserversorgung vieler Dörfer besser als die

26

Li (2007) selbst spricht von Verbesserungsvorhaben („improvement schemes“).

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Gilgits bzw. gerade die der neuen Siedlungen. Diese Bemerkung gilt insbesondere für solche Dörfer, die schon seit der Jahrtausendwende über WASEP mit Quellwasserprojekten ausgestattet worden waren. Gerade in den neuen Siedlungen bleiben die Wasserrohre dagegen oft trocken und die Bewohner_innen sind dazu angehalten, sich selbst um einen ordentlichen Fluss des Wassers zu kümmern sobald Wasser in der Hauptleitung fließt, so Mubarak Shah. Oft behindern Steine, Dreck oder Lufteinschlüsse in den Wasserleitungen den Wasserfluss. Diese Hindernisse müssen Bewohner_innen selbst beheben. Lufteinschlüsse müssten z.B. entfernt werden, indem man in die Leitung pustet. Das sei aber zum einen mühsam und resultiere in frustrierend geringen Erträgen, wie er ergänzte: „And just to blow the pipe – by God – waiting for your turn, and then it will take half an hour and more water than you received to clean your face again, after getting all dirty from blowing the pipe.“ Mubarak Shahs Beschreibung löste zwar ein Lachen bei allen Anwesenden – mir, seiner Frau und einem Nachbarn – aus, aber gerade für Familien, die ein geringes Einkommen haben und es sich nicht leisten können, zusätzlich Wasser über tankers bringen zu lassen, ist eine solche Situation mehr als beschwerlich. Wie auch im Unterkapitel „Öffentliche Wasserversorgungen…“ beschrieben, wurde ein umfassendes Wasserleitungssystem in Gilgit erst mit dem „Greater Water Supply Scheme“ um die Jahrtausendwende begonnen. Ein Anschluss von neu bebauten Gebieten an dieses System ist zwar möglich, setzt aber einen langen Prozess voraus, der sich oft mehrere Jahre hinzieht und nicht immer in einer akzeptablen Wasserversorgung resultiert. Gerade in neuen Siedlungen und hier insbesondere in Nachbarschaften, die noch nicht oder nur schwach besiedelt sind, bedeutet dies meist, dass die Besitzer oder Bewohner sich selbst um den Bau von Wasserleitungen und Wasserkanälen, ebenso wie von Straßen und Stromleitungen, kümmern müssen. Dies wird zumeist als self-help bezeichnet oder über den Ausdruck „apni madad āp ke tehet“, „verfügbar durch Selbsthilfe“, beschrieben. Ikram Baig z.B., dessen Vater sich schon in den 1950er Jahren im heutigen Zulfiqarabad angesiedelt hatte, erklärte, dass es bis in die 1970er Jahre auch in Zulfiqarabad noch möglich gewesen war, Wasser vom etwa drei Kilometer entfernten Wasserlauf des Jutial Nala im Osten abzuleiten. Darüber konnte seine Familie in Zulfiqarabad viele Jahre lang mehrere Kanal Land bewässern. Insbesondere „überflüssiges“ Wasser, welches im Frühjahr den sarbandh, den provisorischen Damm im nāla, passierte und Wasser, welches im Sommer von den „alten“ Siedlern nicht in Anspruch genommen wurde, war auch für neue Siedler verfügbar, sobald es die Felder der „alten“ Siedler passiert hatte. Diese Möglichkeit versiegte allerdings um die Jahrtausendwende dadurch, dass sich Zulfiqarabad immer weiter von Westen nach Osten ausdehnte. Damit wurde zum einen der Lauf des nālas immer weiter nach Osten gedrängt, zum anderen wurde dies schließlich mit einer Verfestigung einer Flutmauer besiegelt. Zwar verspricht diese auch einen gewissen Schutz, gleichzeitig wird aber das Was-

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ser des nāla als Bewässerungswasser für die weiter westlich gelegenen Nachbarschaften bzw. für die „old settlers of Zulfiqarabad“, wie Ikram Baig sie bezeichnete, quasi unerreichbar. Wasser dagegen durch die Kanäle der alten und höhergelegenen Siedlungen Jutials zu bringen sei mühsam und nur schwer umsetzbar. Hierfür gelte es, das Wasser an zu vielen höhergelegenen Grundstücken vorbeizubringen, ohne dass deren Bewohner_innen – von denen die meisten ein Vorrecht beanspruchen – davon allzu viel abzweigen. Wie ein anderer Gesprächspartner in Zulfiqarabad erklärte, bedürfe es hierfür mittlerweile einer ganzen Handvoll an Helfern. Je mehr Helfer, desto einfacher sei das Unterfangen. Gleichzeitig lohne es sich für den Einzelnen dann kaum noch, weil das so organisierte Wasser unter all diesen Helfern aufgeteilt werden müsse. Neuen Siedlern und Siedlerinnen ist es also weiterhin zunächst selbst überlassen und in der eigenen Verantwortung, Grundstücke und Haushalte mit Wasser zu versorgen – im Fall der Benazir Colony z.B. über den ca. 600 Meter entfernten Gilgit Fluss, der am Ende des Schwemmfächers ca. 20 Meter unterhalb einer Steilklippe fließt. In vielen neuen Siedlungen im Norden und Osten Jutials, d.h. in Zulfiqarabad und in den „backside colonies“, ist dabei der Zusammenschluss in Nachbarschaftsorganisationen, mit denen sie Komplexe einrichten, um Uferfiltrat vom Fluss zu pumpen, die gängigste Option (siehe Abb. 13). Abbildung 13: Jutial und Zulfiqarabad mit Wasserkomplexen am Flussbett

Foto: Autorin 2015

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Benazir Colony – Mühen für das Lebenselixier Wasser Wie mühsam es aber ist, im Kollektiv einen Wasserkomplex zu errichten, wurde in einem Gespräch mit einer Gruppe von Nachbarn in der Benazir Colony deutlich. Besonders redegewandt waren hier zwei Nachbarn, Behram Patwari und Ali President. Beide waren in den 1990er Jahren auf das damalige Ödland in Zulfiqarabad gezogen, nachdem sie Stellen in der Verwaltung als paṭwāri in Gilgit bekommen hatten, bei denen sie als Beamte für Landbesitzrechte, Ernteerträge und Besteuerung zuständig sind. Ihre Beschreibung gibt die harte Arbeit wieder, der es bedarf, bislang unbewohntes und unbewässertes Land bewohnbar zu machen. Ödland besiedeln Wie Behram Patwari erklärte, war er 1983 zum paṭwāri ernannt worden und nach Gilgit gezogen. Zehn Jahre später war es ihm endlich möglich gewesen, ein Stück Land zu kaufen – in einem zu dieser Zeit komplett öden und unbebauten Teil von Zulfiqarabad nahe an der Steilklippe zum Fluss. Dort hatte Anfang der 1990er Jahre eine kleine Zahl von Familien aus Hunza große Teile dās in Besitz genommen, das sie nun Stück für Stück bzw. Kanal um Kanal verkauften. Wie Behram selbst, der aus Gojal im Norden stammte, oder seine Nachbarn aus Yasin im Westen, kamen die meisten Käufer ursprünglich aus den Gilgit umliegenden Tälern und die meisten waren Ismailiten. Doch obwohl immer mehr Grundstücke bebaut wurden, gab es noch immer keine Wasserversorgung über die öffentlichen Einrichtungen und jeder mussten sich zunächst selbst um die Wasserversorgung kümmern. In einer kurzen Schilderung von Behram Patwari wird deutlich, mit welchen Mühen sie das Land gerade anfangs besiedelten: „When I came here in 1992, at that time our ladies [wives] took the dirty water from the river. On their shoulders. […] we were drinking this dirty water for seven years. It was our duty to bring the water twice daily. Two jerry cans at a time. […] The big ones… 36 kg each. One my wife and one myself – each brought one jerry can. Now there was the problem of the bathroom. How could we use the washroom [i.e. toilet], bringing the water from the river? These seven years we spent a very hard life.“

Ohne Infrastruktur holten Behram und seine Nachbarinnen und Nachbarn zu Fuß Wasser in Containern vom Fluss oder ließen sich für damals Rs.600 zehn barrel27 Wasser über einen tanker bringen. Ein tanker, so Behram Patwari, reichte seiner Familie, wenn sie sparsam damit umgingen, an die sieben Tage. Teuer erkauft, be-

27

Ein barrel umfasst ca. 160 Liter.

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zeichnete Behram das Wasser als „āb-e hayāt“, „Lebenselixier“, das auf keinen Fall verschwendet werden durfte: „We used it more like an elixir of life (āb-e hayāt). We also advised the children to wash their faces in the morning not in the washroom but in the garden. All my children know this. If you wash under the trees then it will not be wasted. In such a way we faced the situation. In these badlands (dās).“

Und ganz offensichtlich waren ihre Bemühungen, Wasser nicht zu verschwenden und nicht nur für den eigenen Bedarf zu verwenden, sondern auch für Pflanzen, bei Weitem nicht umsonst. Wie ich erinnere war Behram Patwaris Grundstück eines der am üppigsten bewachsenen, mit hohen Zypressen, großen Rosenstöcken, die den Zugang säumten und satten Weinreben, die entlang des Hauses rankten. Einen eigenen Wasserkomplex errichten Während Behram Patwari gerade die ersten Jahre, in denen er und seine Frau jeden Tag Wasser vom Fluss holen mussten, als besonders beschwerlich beschrieb, war dies auch die Zeit, in der er begann, die wachsende Nachbarschaft zu mobilisieren, um sich gemeinsam der Wasserversorgung anzunehmen. Die naheliegende Lösung war, vom nahegelegenen Fluss Wasser auf die Oberterrasse zu pumpen, auf der ihre Nachbarschaft liegt (vgl. Abb. 13). Doch zunächst wollten sich die meisten Männer der Nachbarschaft diesem Unterfangen nicht anschließen, wie Behram Patwari schilderte – vermutlich waren es neben der schweren körperlichen Arbeit v.a. die Kosten, die die Männer abschrecken. Nach ersten gescheiterten Bemühungen legte eine Frau aus Hunza, die selbst für AKRSP arbeitete, ihnen nahe, ein tanzīm (d.h. hier eine Nachbarschaftsorganisation) zu gründen und sich um Hilfe zu bewerben. Auf die Anregung der Dame von AKRSP hin, hätten die Frauen der Nachbarschaft zunächst eine WO gegründet – bei der er zunächst selbst den Schriftführer gegeben habe, wie er schmunzelnd erklärte. Über diese bekamen sie schließlich, nach vielem Hin und Her, über AKRSP Hilfe zugesagt: „In the beginning we started with a womenʼs organization. For a year, one and half years, I made the documentation myself. I had almost become a lady myself. Because I was always sitting with the ladies. I even started talking like them. Believe me! In a week we had one meeting. Every Sunday. In this way we organized and within a year or one and half years we had collected some money. Then, after that, slowly the money got more, and we gave an application to WASEP. WASEP said ‚this is an urban area, and we are working only in the rural areas. Not in the city.‘ Then I became very worried. But we had to bring the water at any cost. So we collected more money and went to AKRSP. We also went to the PWD; we made

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three committees and applied in three different places. At last WASEP said: ‚Give us the payment.‘“

Wie Behram erklärte, waren es v.a. die Frauen der Nachbarschaft, die hier die führende Rolle gespielt hatten. Die Frauen seien es gewesen, die zunächst Geld gesammelt und langsam ihre Männer an Bord geholt hatten: „God knows, and we know, that this was not the work of the men. Me and Mirbaz, my neighbor, we shaped an organization (tanzīm). We took the ladies and through the ladies we forced their men. So with the help of the ladies we collected the money and made the tanzīm. This was the initial work.“ Wie eine gewisse Summe beisammen gewesen war, hatten sie wiederholt Anträge bei den öffentlichen Departments sowie bei AKRSP und WASEP eingereicht, um Hilfe bei der Planung und der Finanzierung zu bekommen. Wie Behram Patwari veranschaulichte, suchten sie dafür immer wieder Politiker und Beamte direkt in ihren Büros auf oder luden sie zu sich ein, um ihnen ihre Situation aufzuzeigen. Außerdem sprachen sie bei AKRSP und AKPBS vor, bis ihnen schließlich zur Jahrtausendwende hin durch WASEP Hilfe zugesagt wurde. Zwar bot WASEP ihnen kein Projekt an sich an, aber die Möglichkeit, ihnen für Rs.180.000 Leitungen abzukaufen. Denn Leistungsträger wie US-AID28 oder die KfW, mit deren Hilfe WASEP in der Regel den größten Teil der Kosten für Trinkwasserprojekte (für Leitungen, Zement, Stahl, Wasserhähne sowie Verwaltungsaufwand, Mitarbeiter- und Bürokosten etc.) finanziert, stellten, offenbar mit der Absicht, das Leben in den Dörfern zu erleichtern und dadurch Abwanderung in die Städte zu verringern, bis 2011 ihre Gelder nur für den Bau von Infrastrukturen in „ländlichen“ Gegenden zur Verfügung, wie ein Mitarbeiter WASEPs mir unter vorgehaltener Hand erklärte.29 Wie meine Gesprächspartner zähneknirschend erwähnten, mussten sie daher Arbeiten und Materialkosten selbst stemmen – was auch bedeutete, dass ihr Unterfangen weitere drei Jahre in Anspruch nahm. Gemeinsam mit einem Ingenieur von AKRSP erstellten die Nachbarn ein Proposal, auf Grundlage dessen sie bei immer mehr Haushalten Geld einsammelten. Mit diesem Geld waren sie letztlich in der Lage, die Materialien von WASEP abzukaufen und anschließend – nach Feierabend – selbst zu verlegen, wie ein anderer Nachbar erklärte:

28

United States Agency for International Development.

29

Viele Gesprächspartner_innen, die aus den umliegenden Tälern in die neuen Siedlungen gezogen waren, erklärten entsprechend, dass sie über WASEP-Projekte in den elterlichen Häusern in den Dörfern eine bessere Wasserversorgung als in der Stadt hätten.

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„[Besides WASEP] AKRSP also guided us, an engineer of AKRSP visited us, then they made a proposal, then on this basis, with small collections and the money that the women had collected, then the men also collected money, per ‚individual‘ or per ‚household‘ – all those people who were living in this area – all came together to collect the money. But gradually, not at a time. Then we were able to build this project. We are thankful to AKRSP. […] They gave us the guidelines and told us what to do, how to run things... So we brought the motor, then the pump, then they gave us suggestions for the digging, down at the river; then we set the system for digging – and there we built a big room [for the motor etc.]. Morning till evening we were doing our businesses, our duties. We didnʼt do [the work for this] during the days, but during the nights. We did the laboring ourselves. We did not have that much money that we could bring laborers.“

Mit der technischen und organisatorischen Unterstützung durch AKRSP und WASEP war es der Nachbarschaft schließlich möglich gewesen, am Fluss einen Brunnenkomplex zu errichten, oberhalb der Nachbarschaft einen Wasserbehälter zu bauen und Leitungen zu verlegen. Gleichzeitig sei dies aber auch mit vielen Mühen verbunden gewesen, wie meine Gesprächspartner immer wieder erwähnten: Die Männer mussten überzeugt werden, die Organisationen um Hilfe gebeten, das nötige Geld gesammelt und die Infrastruktur nach Feierabend verlegt, instand gehalten und nach einer Flut sogar wieder instand gesetzt werden. Instandsetzung und Zwist um finanzielle Unterstützung Während sich die Männer aber zunächst nicht weiter zum alltäglichen Wassermanagement äußerten, verwiesen sie jedoch auf die Flut 2010, bei der alle Elemente am Flussbett, d.h. der Brunnenaushub, die abgehenden Leitungen und der Transformator der Wasserpumpe beschädigt worden waren. Die folgenden acht Monate seien finanziell aber auch persönlich eine schwere Zeit gewesen, wie Ali President erklärte. Während die Männer die Grabungsarbeiten wiederum selbst übernahmen, war der größte Schaden am Transformator geschehen, dessen Reparatur Rs.150.000 bis 200.00030 kostete – eine große Summe, für die Ali President einen Kredit bei der Bank aufnehmen musste. Obendrein mussten sie die Zeit mit tanker-Wasser aus dem Fluss überbrücken, was wiederum Krankheitswellen nach sich gezogen habe: Wie er erklärte, seien sie an das aus dem Flussbett gefilterte Grundwasser gewöhnt gewesen und das von den tankers direkt aus dem Fluss gelieferte Wasser habe nun bei allen Magen-Darm-Krankheiten hervorgerufen:

30

Ca. 1500 Euro.

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„It was very hard to do all this – we had to do it a bit fast – so it was done in approximately eight months. [...] Eight months we just worked day and night. We called the tanker. At that time we were drinking tanker water. Then again there were so many diseases. For the whole eight months we had to bring ‚tankers‘. Everyone! But the diseases increased. One reason is, that that water [before] had been ‚filtered‘ – but that [tanker] water was not ‚filtered‘. So we had become used to that [filtered water], so there was pain and diseases in everyoneʼs stomach. Due to all this some other problems were also created and to build this [water system again] we even brought money on credit. From here, from the banks, the societies. I myself fought for the funds in our society to get loans for this work.31 We were repairing the transformer for one lakh sixty thousand [rupees]. The government has not done that! The government of Pakistan has done nothing!“

Am Tag der Flut habe er noch versucht, zumindest den Motor abzumontieren, so Ali President, aber der Flusspegel sei schon zu hoch gewesen. Nach der Flut begutachteten ein X-EN (executive engineer des PWD) und ein RE (resident engineer bzw. assistant engineer des PWD) im Auftrag des District Commissioner die Gegend. Als paṭwāri begleitete der Präsident selbst das Team. Die Pumpen von neun tanzīm seien beschädigt gewesen und allein die Dokumentation und Bestimmung aller Entschädigungsberechtigten, bei der er selbst mitgewirkt habe, habe sechs Monate gedauert. Wie ein weiterer Gesprächspartner ergänzte, hätten sie schon um die Langwierigkeit, mit der die staatlichen Organisationen arbeiteten, gewusst, weswegen sie und auch alle anderen Betroffenen sofort begonnen hätten, die Sache (erneut) selbst in die Hand zu nehmen: „So, the public reaction was like this: the government progress was in front of them and they knew the progress of the government department – there is no chance of immediate compensation. So thatʼs why they did everything themselves and brought all the material themselves. The [GB] government was not serious with these issues. … All the people know about the attitude of the government, what they are doing... so there was no expectation of anything from the government. So we did it ourselves (apni madad āp ke tehet). We didnʼt consider day and night, we worked during the day and did the labour during the night.“

Wie auch Behram Patwari ergänzte, hätten sie gleichzeitig den (langsamen) Fortschritt ihrer Kompensationsdokumente nachverfolgen können. Dennoch habe der Prozess bis zur Ausschüttung eineinhalb Jahre in Anspruch genommen und dennoch stecke das Geld – zwei Jahre später – noch immer fest:

31

Ali President war der Vorsitzende der Benazir Multi-Purpose Society, im Rahmen derer eine Gruppe von Leuten aus Yasin Darlehen geben und nehmen.

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„There were some cases... The progress of our files was there – they sent it to the next office, then to the next... after a long time, after one and half years they sanctioned the money... that was very difficult. There was one person, with the help of his reference the funds were transferred to the LSO and at the LSO the funds are stopped until now. The disaster was in 2010 and now we have 2012. And we havenʼt gotten the money.“

Neun tanzīms hatten Kompensationsforderungen über die LSO Zulfiqarabad eingereicht, wie Ali President erklärte,32 und mithilfe die LSO sei auch ihr Antrag bearbeitet worden: „So with the help of these LSOs our applications are moving forward.“ Doch obwohl das Geld im Namen der tanzīms an die LSO ausbezahlt worden war, würden die Vorsitzenden der LSO das Geld nun nicht an diese weiterleiten. Wie Ali President erklärte, hätten die Vorsitzenden der LSO Geld aus der Jubilee Health Insurance33 veruntreut (khāya, wörtlich: gegessen) und ersetzten das fehlende Geld nun mit den Flut-Kompensationszahlungen. Allerdings, so der Präsident, würden sie das Geld bzw. die LSO-Verantwortlichen nicht ziehen lassen, auch wenn er des Nachhakens müde geworden sei. „Now, I went so many times, I am tired of it. Now we have to go to the extremes and start fighting. […] Until now we were not united – once we are united we will go. We have to do that – we canʼt leave it.“ Schließlich würden sie nur verlangen, was ihnen zustehe; außerdem sei gerade er durch die Situation unter Druck gesetzt, da er, um die Belastung für die anderen Mitglieder gering zu halten, den Kredit auf sich aufgenommen hatte. Daher müssten sie nun beginnen zu kämpfen und womöglich bei der Polizei Anzeige erstatten: „We would even go to the police. We will never let them go. The government has given us the money after all. Because we have to pay the debts also! I myself am the President of the Society. I brought the loan from that Society, now I am responsible for that. I have brought the loan on my name and now we have built this, so the government funds were misused, so now can I stay silent now? I take some three or four people to fight and I fight with them! There is no other solution.“

Was in diesem Fall besonders auffällt, ist der Eindruck, dass die natürlichen Widrigkeiten – das Ödland, die Flut – durch Arbeit überwundern werden können, dass

32

Da die Regierung Geld nur an registrierte Gemeinschaften auszahlen kann, waren di-

33

Die Jubilee General Insurance ist 1953 aus dem AKFED (Aga Khan Fund for Economic

verse tanzīms bzw. VOs und WOs unter der LSO zusammengeschlossen worden. Development) hervorgegangen und mittlerweile einer der drei prominentesten Versicherer Pakistans.

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es aber die lokalen Organisationen bzw. deren korrupte Vorsitzende, die eigentlich eine Hilfe sein sollten, sind, gegen die angekämpft werden muss. Über solche spezifischen Herausforderungen hinaus ist aber auch der normale Betrieb nicht unproblematisch, sondern erfordert wiederholte Entscheidungen über die Betriebsbedingungen sowie über den Ein- und Ausschluss von potenziellen Mitgliedern. Technische und räumliche Grenzen Zwar hatten Behram Patwari und Ali President beschrieben, wie sie gerade anfangs Probleme gehabt hatten, Männer zu einer Beteiligung an ihrem Projekt zu mobilisieren. In der Zwischenzeit aber, seitdem ihre Wasserversorgung etabliert sei, seien zu viele Haushalte daran interessiert, über ihre Infrastruktur mit Wasser versorgt zu werden, so die beiden. So viele seien nun interessiert, dass sogar Gefahr bestünde, für die einzelnen zu wenig Wasser bereitstellen zu können, würden sie allen zusagen. Für ursprünglich 25 Haushalte angelegt, versorgten sie jetzt schon um die 55 Haushalte, wie sie erklärten. Zwanzig Jahre nachdem die ersten Grundstücke v.a. von jungen Ehepaaren wie ihnen bebaut worden waren, seien außerdem nun Kinder erwachsen und verlangten eigene Häuser. So würden sowohl die Grundstücke als auch die Wasserversorgung an ihre Grenzen gebracht. Diese erfülle schon lange nicht mehr die tatsächlichen Bedürfnisse der Mitgliedshaushalte. Aufgrund der massiven Bevölkerungszunahme in ihrer Nachbarschaft wie auch in der Stadt – bedingt u.a. durch die hohen Geburtenraten,34 aber genauso durch die hohen Zuzugsraten – stieß ihr Nachbarschaftsprojekt schon bald an seine Grenzen. Mit dem Bau von immer größeren Häusern oder gleich mehreren Häusern auf den einzelnen Bauplätzen stieg für die einzelnen Grundstücke auch der Bedarf an Wasser. Damit stieg wohl auch die Versuchung, ein zweites oder gar drittes Rohr von der Hauptleitung zu legen oder Wasser über einen Motor zu saugen. Wie ich aus dem Gespräch schließe, gingen Routineinspektionen in Überwachungspraktiken über, ob nicht doch heimlich weitere Leitungen oder Motoren angeschlossen wurden. Wie ein weiterer Nachbar während unseres Gesprächs andeutete – offenbar aus Versehen, denn er brach jäh seine vorwurfsvolle Äußerung ab –, gab es vermutlich auch hier immer wieder auch Konflikte über den Gebrauch bzw. Missbrauch von

34

In den frühen 2010er Jahren lag die Fruchtbarkeitsrate in Gilgit-Baltistan bei 3,8 Kindern. Damit liegt Gilgit-Baltistan mit der durchschnittlichen Fruchtbarkeitsrate Pakistans für denselben Zeitraum gleichauf. Während für Gilgit-Baltistan keine Vergleichsdaten vorliegen, ist die Fruchtbarkeitsrate für Pakistan von durchschnittlich 5,4 Geburten in den Jahren 1986-96 auf 3,8 Geburten in den Jahren 2010-13 gesunken (NIPS/ICF International 2013: 69-70).

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Wasser. Daher war es nötig geworden, sowohl die Infrastruktur als auch die Nutzungsregeln weiter zu verfeinern und Strafmaße festzulegen.35 Um alle Haushalte mit Wasser versorgen zu können, wurde ein Komitee aufgestellt, das Zeitpläne festlegte, nach denen ein bis zwei Stunden Wasser täglich verteilt werden. Außerdem installierten sie eine weitere Pumpe, um den Wasserdruck in allen Rohren ähnlich hoch zu gestalten. Daneben wurde es nötig, die Wasserverteilung auf an die 55 Haushalte zu begrenzen und auch räumliche Grenzen zu ziehen, wie Ali President erklärte – eine auch sonst gängige Praxis in Zulfiqarabad, die insbesondere zur Hauptstraße hin meist durch den Bau einer Mauer und das Einziehen eines Tors manifestiert wird: „We have drawn a boundary (hudūd), [agreeing] that we can give until here. So those who are ‚out‘ – for them it is not ‚possible‘ [to be included in the water distribution]. It canʼt be. We said this, and the people made a lot of objections (itrazāt) [with AKRSP that had helped with the project]. Then these people came to us. We said that we are not ready to make an unlimited (lāmehdūd) thing and it canʼt be more than us. So we have kept a ‚line‘, for example this wall. This is ‚a limited‘... Up to this area we will give [water in the future] and from them we will take twenty thousand rupees each.“

Während Behram Patwari und Ali President zunächst die Not geschildert hatten, die sie dabei hatten, ihr Wasserinfrastrukturprogramm zu initiieren und Mitglieder zu gewinnen, stellten sie nun dar, wie schwierig es anschließend wurde, neue Anwärter abzuweisen. Wie in alten Stadtteilen, in denen neue Siedler in der Regel ebenfalls in die Versorgung mit einbezogen werden, schien die Einbeziehung auch von Haushalten, die nicht von Anfang an bei dem Projekt mitgewirkt hatten, bis zu einem gewissen Punkt möglich – bis das Projekt mit an die 55 Haushalten schließlich mehr als doppelt so viele Haushalte als die ursprünglichen 25 versorgte. Den Ausschluss weiterer Haushalte begründeten sie schließlich unter Verweis darauf, dass sie technisch von der Leistung des Transformators abhängig seien, den sie sich seit der Flut 2010 auch noch mit einem weiteren Projekt teilten. Außerdem verwiesen sie auf die Wassermenge, die letztlich nicht mehr genug sei, wenn sie noch mehr Haushalte mit aufnehmen würden.

35

Z.B. dürfen neue Häuser nur über den Wassertank der nunmehr alten Häuser versorgt werden und es dürfen keine neuen Leitungen angeschlossen werden; außerdem dürfen keine Motoren an den Leitungen installiert werden, um zusätzlich Wasser zu saugen – eine Praktik, die gerade an den Leitungen der öffentlichen Wasserversorgung durchaus üblich ist.

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Grenzziehungen sowie damit einhergehende In- und Exklusionen sind ein Phänomen, das sich nicht nur in alten, sondern ebenso in neuen Siedlungen zeigt. Zu welchen erbitterten Grabenkämpfen aber die Frage führen kann, wer an den Projekten teilhaben kann und wer nicht, wird in einem Projekt in Sultanabad ganz in der Nähe der Benazir Colony deutlich, dem der nächste Abschnitt gewidmet ist. Dort wurde versucht, mithilfe WASEPs einen Wasserkomplex zu errichten. Wie schon erwähnt, hatte WASEP die ersten Wasserkomplexe zunächst in den umliegenden Tälern Gilgit-Baltistans und Chitrals eingerichtet. Da Geldgeberorganisationen wie US-AID oder KfW zunächst verfügt hatten, dass das zur Verfügung gestellte Geld nur in ländlichen Gegenden eingesetzt werden könne, war es WASEP zunächst nicht möglich gewesen, sich auch in Gilgits zu engagieren, das als Stadt definiert wurde. Mit wiederholten Nachfragen von Nachbarschaften der neuen Siedlungen bei WASEP schafften Mitarbeiter WASEPs es schließlich 2011 diese Kondition zu kippen. 2012 hatte WASEP daraufhin in mehreren Nachbarschaften Jutials, d.h. in Zulfiqarabad und den „backside colonies“, sogenannte „participatory rapid appraisals“ (PRAs) durchgeführt: Treffen, in denen Informationen über die potenziellen Projektpartner erhoben wurden und in denen die Bewohner_innen in das anstehende Projekt einbezogen werden sollten. Anhand der Vorgänge in und um eines dieser PRAs sowie anhand von Gesprächen in drei WASEP-Projektnachbarschaften gehe ich im Anschluss eingehender auf die Frage nach Grenzziehungen im Rahmen der Errichtung von Wasserkomplexen ein. Denn wie im Projekt der Benazir Colony waren auch hier räumliche und technische, v.a. aber soziale Grenzziehungen wesentliche Faktoren. Sultanabad und Sultan Colony – Autorität(en) und Grenzziehungen Nur einen Kilometer von der Benazir Colony entfernt in Sultanabad hatte WASEP 2011/12 die vorläufige Zusammenarbeit mit der Nachbarschaft aufgenommen. Doch auch bei diesem Projekt gab es Grenzziehungen. Und während auch hier die Grenzziehung über technische und räumliche Faktoren begründet wurde, beruhte sie m.E. aber tatsächlich auch – oder sogar: vor allem – auf einer sozialer Basis. Dabei stütze ich meine Schlussfolgerung zum einen auf Gespräche und Beobachtungen während eines Treffens zwischen Mitarbeitern WASEPs und den Bewohnern Sultanabads, dessen Frauensitzung ich beiwohnte, bevor der agency-Colonel mir und WASEP(-Mitarbeitern) Kontakt untersagte. Zum anderen ergänze ich dies mit den Schilderungen von den ausgeschlossenen Bewohnern Sultanabads bzw. der Sultan Colony, die ich bei einem Gespräch beinahe zwei Jahre später gewinnen konnte.

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Räumliche und soziale Grenzen Wie auch in der Benazir Colony war die Ausgangslage eine recht ähnliche: Eine Handvoll Männer hatte sich zusammengetan und sich bei WASEP für den Bau eines neuen Trinkwasserkomplexes beworben. Über den sollte – wie bei der Benazir Colony – Uferfiltrat in einen Wasserbehälter am oberen Ende der Siedlung gepumpt und von dort verteilt werden. Nachdem der Antrag eingereicht worden war, hatte WASEP 2012 ein Treffen für ein PRA zu dem potenziellen Projektgebiet einberufen. Während des Treffens kam es aber zum Streit: Während die anfänglichen Gespräche zwischen dem tanzīm und WASEP schon abgeschlossen gewesen seien, seien nun weitere Männer gekommen, deren Häuser im Osten Sultanabads lagen. Sie hatten die Einbeziehung von ca. 70 weiteren Häusern bis hin zur nächsten Straße gefordert, wie mir ein WASEP-Mitarbeiter im Anschluss an das PRA erklärte. Mit der Begründung, dass das Projekt womöglich zu groß und unhandlich werden würde, war die Projektgrenze schließlich nicht wie üblich entlang der Straße, sondern entlang eines Weges gezogen worden, der in einem ausgetrockneten Wasserlauf endete, welcher wiederum eine spitze Kerbe in die Oberterrasse gerissen hatte, auf der Zulfiqarabad liegt (ein solcher Einschnitt ist z.B. auch in Abb. 13 sichtbar). Damit wurde Sultanabad im Zuge des WASEP-Projekts entlang der physischen Grenze des ausgetrockneten Wasserlaufs (neu) begrenzt und die außenliegenden Haushalte von WASEPs „Sultanabad Project“ ausgeschlossen. Zwar bekamen die ausgeschlossenen 70 und an die 300 weitere Haushalte ca. ein Jahr später ein eigenes Projekt unter dem Namen „Sultan Colony Project“ genehmigt. Dennoch scheinen die technischen und organisationalen Begründungen, die für eine Abgrenzung genannt wurden, eher soziale und religiöse Grenzen zu überdecken, welche, wie ich meine, die eigentliche Grundlage für einen Ausschluss der Haushalte waren. Dabei bleibe ich hier bewusst vorsichtig in meinen Formulierungen, da meine Deutung der Vorgänge v.a. auf meiner Interpretation der Umstände beruht und nur in einer Aussage eines Gesprächspartners wurzelt. Dabei sei gleich zu Beginn auf die Namen der Nachbarschaften, nämlich Sultanabad und Sultan Colony verwiesen, die von den Bewohnern auch als jeweilige Projektnamen der Wasserversorgungsprojekte gewählt worden waren. Hierin wird die Diffizilität, mit der Siedlungen als räumliche und soziale „Einheiten“ geschaffen werden, sowie die Flexibilität und Rigidität zugleich deutlich, denen dem Prozess der Grenzziehung begegnet wird. Dabei ist die Ähnlichkeit von Sultanabad und Sultan Colony natürlich kein Zufall. Wie ich meine, drückt sie sowohl Nähe als auch Differenz zwischen der Sultan Colony – die zuvor unter dem Namen „Colonel Hassan Colony“ bekannt gewesen war – gegenüber dem benachbarten Sultanabad

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aus, von dessen Wasserversorgungsprojekt die Bewohner_innen der Colonel Hassan Colony/Sultan Colony nun ausgeschlossen worden waren (siehe Skizze 1).36 Skizze 1: Sultanabad und Colonel Hassan/Sultan Colony in Zulfiqarabad

Sultanabad

(Col. Hassan Colony) Sultan Colony

Wie sich auch in anderen Siedlungen und Stadtteilen zeigte, sind Namenswechsel oder der parallele Gebrauch unterschiedlicher Namen für dieselbe Nachbarschaft nicht ungewöhnlich. Gratz (2006) verweist diesbezüglich auf das Element der Deutungshoheit und erklärt, dass anhand Namensgebungen z.B. einem (verstorbenen) Bewohner oder Gründer einer Ansiedelung Respekt gezollt, darüber aber ggf. auch eine Vormachtstellung (s)einer Familie ausgedrückt werden soll (ebd.: 209-11). Eine solche Deutungshoheit kann entsprechend weitreichende Konsequenzen haben. Im vorliegenden Fall wurde versucht, über den Namen Anschluss an eine Nachbarschaft und an deren Wasserversorgungsprojekt zu finden. Wie ich meine waren jedoch hierbei, wie auch in anderen Fällen, Unterschiede bezüglich der Konfession, persönliche Differenzen sowie das Verschwimmen von professionellen und sozialen Verpflichtungen und Identitäten bestimmend für den Ausgang dieses Versuchs. Wie weiter unten ausgeführt wird, wurde außerdem die Idee des „communitydriven development“ beinahe wörtlich umgesetzt. D.h. nicht die Organisation (hier: WASEP), sondern die lokale Gemeinschaft Sultanabads bzw. drei „smarte“ Führungspersonen entschieden über die Ausführung und Konditionen des Projekts. Aber zunächst zu dem fraglichen Prozess der Gemeinschaftsbildung bzw. Grenzziehung, den ich anhand des PRA-Treffens von WASEP-Mitarbeiterinnen, -Mitarbeitern und Gemeinschaft nachzeichne. Gemeinschaftsbeteiligung oder Wer gehört zur Gemeinschaft? Wie in der Benazir Colony siedelten auch auf dem Gebiet Sultanabads seit 1985 „Leute von außen“, v.a. Ismailitinnen und Ismailiten. Obwohl direkt an die Hauptstraße angrenzend, ist auch in Sultanabad die Versorgung durch Wasser über den öffentlichen Wasserkomplex nicht durchgängig und nicht ausreichend. Wie Be-

36

Zwei Jahre später, 2016, versahen die Bewohner die Nachbarschaft wiederum mit einem neuen Namen.

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wohner Sultanabads bei dem PRA im Sommer 2012 erklärten, hatte zwar „das government“ – wohl im Rahmen des „Greater Water Supply Scheme“ – 1998 Wasserleitungen verlegen lassen. Die Versorgung mit Wasser sei aber dennoch unzureichend und frustrierend. Die Männer Sultanabads beklagten sich zudem über die Qualität des Wassers, das sie durch die öffentlichen Leitungen bekamen. Dieses sei, wie sie erklärten, von Sedimenten und Dreck verunreinigt und rufe Durchfallerkrankungen, Typhus, Hautkrankheiten, Malaria und Nierenerkrankungen hervor. Außerdem sei die öffentliche Wasserinfrastruktur ohne Plan verlegt worden und bloßes Stückwerk und nicht für eine Zukunft mit einer steigenden Zahl an Bewohnern und Bewohnerinnen ausgelegt. Daher hatten Vertreter Sultanabads wiederholt bei WASEP vorgesprochen um nun – über die Versorgung der öffentlichen Organisationen und die schon zuvor eingerichtete Bewässerungsanlage AKRSPs hinaus – einen Wasserversorgungskomplex zu installieren, der ihnen ganzjährig Trinkwasser gewährleisten könne. Wie schon angeführt, führt WASEP PRAs durch, um Informationen über die potenziellen Projektpartner zu erheben, um aber auch gleichzeitig die Bewohner_innen in das anstehende Projekt einzubeziehen. Deren Einbeziehung ist eine maßgebliche Bedingung WASEPs, die die Zustimmung und Beteiligungsbereitschaft sowohl bezeugen als auch befördern soll. Die Bereitschaft der Mitglieder, sich sowohl finanziell als auch tatkräftig am Bau und der Instandhaltung der Leitungen und Infrastrukturen zu beteiligen ist zentrale Idee WASEPs im Rahmen von sogenannten „community-driven development“-Initiativen.37 Ein solcher Ansatz soll zum einen gewährleisten, dass Projekte zügig und mit möglichst wenig Problemen und Widerständen umgesetzt werden. Zum anderen sollen sie im Anschluss selbständig und ohne Zutun der Organisation instand gehalten werden. Findet ein Projekt nicht genügend Zustimmung in der Nachbarschaft – formell ist die Zustimmung von 75 Prozent der Gemeinschaftsmitglieder notwendig – oder ist eine Gemeinschaft sich über die Umsetzung des Projekts nicht einig, wird es von WASEP nicht genehmigt. Wie mir der WASEP-Mitarbeiter Attaullah erklärte, seien ansonsten kurzfristig die Fertigstellung und langfristig der Betrieb nicht gewährleistet. Bei dem PRA der Männer Sultanabads in der Moschee im Sommer 2012 war es allerdings zu einem Eklat gekommen. Über diesen Streit erwähnte Attaullah, mit dem ich mich am Ende des PRAs unterhielt, mir gegenüber nur, dass sich „the two communities“, sprich Gruppen ismailitischer und sunnitischer Nachbarn, über die Frage uneins gewesen seien, ob weitere Haushalte einbezogen werden könnten. Wie er erklärte, seien an diesem Tag zwei Männer gekommen, die bisher zu keinem Treffen erschienen seien. Sie wollten ihre eigenen und weitere 70 Haushalte in das

37

Zur Idee von „community-driven development“ siehe z.B. Dongier et al. (2002).

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WASEP-Projekt Sultanabads eingeschlossen wissen. Andere Anwesende Sultanabads hätten sich jedoch gegen ihr Gesuch ausgesprochen. Er selbst, als Vertreter WASEPs, sehe es ebenfalls kritisch: Eine Handvoll Haushalte könne ja immer einbezogen werden, aber siebzig? Das sei schon beinahe die Größenordnung eines weiteren Projekts. Aber er kenne das schon, kommentierte Attaullah: Sunniten würden wiederholt Probleme bereiten. Während er den Streit nicht näher ausführte, erklärte er weiter, dass WASEP solche Treffen anfangs eigentlich immer mit Männern und Frauen gemeinsam halten würde. Auch dies sei ja nun, aufgrund der Teilnahme der sunnitischen Nachbarinnen, nicht möglich gewesen.38 Das ganze Projekt sei ohnehin schon sehr kurzfristig zustande gekommen und daher müsse nun umso schneller entschieden werden. Würden sich WASEP und die Gemeinschaft Sultanabads einig, könnten sie noch in der kommenden Woche offiziell ein Abkommen treffen und schon in der nächsten Woche – so der tentative Zeitplan – Sultanabad als Projektgebiet in Zonen teilen und die Grabungsarbeiten beginnen. Das Einbeziehen von Sunniten oder einer sunnitischen Nachbarschaft schien Attaullah diesbezüglich eher ein Dorn im Auge zu sein. Konflikt über Engagement Entgegen dieser Einbettung des Konflikts in einen Bezugsrahmen von Konfessionszugehörigkeiten beschrieb Anjum Basharat, der selbst für AKRSP arbeitet und in Zulfiqarabad wohnt, den Vorfall in der Moschee mir gegenüber jedoch explizit nicht als Konflikt zwischen sunnitischen und ismailitischen Bewohnern. Stattdessen verwies er auf die Manifestierung individueller Sturheit und Dickköpfigkeit seitens dreier Vertreter bzw. Wortführer des Sultanabad-Projekts (zwei Anwälten und einem Richter). Diese seien strikt gegen eine Einbeziehung der „neuen“ Nachbarschaft gewesen. Wie er erklärte, war er während des PRAs ebenfalls anwesend gewesen und hatte den Konflikt miterlebt. Auch er erklärte, dass neben den sonst üblichen Vertretern Sultanabads dieses Mal auch zwei Männer anwesend gewesen seien, Waqar Ahmed und Kifayat Manzoor, welche sich bislang noch nicht für das Projekt engagiert hatten. Es hatte eine Einführung durch WASEP gegeben und im Anschluss hatte das WASEP-Team die Männer gebeten, die Geschichte der Nachbarschaft zusammenzufassen, in Mindmaps Informationen über Sultanabad zusammenzutragen (u.a. über die Zahl an Häusern, Bewohnern, ihre Erwerbstätigkeiten, die täglichen Routinearbeiten und wasserbezogenen Krankheiten) sowie eine Karte der Nachbarschaft zu zeichnen. In einer der Gruppen, die eine Landkarte skizzieren sollte, sei es zwischen Amanullah Khan, einem der führenden Vertreter Sultana-

38

Aus demselben Grund war ich selbst auch zum Treffen der Frauen gelotst worden und hatte den Konflikt der Männer nicht selbst mitbekommen.

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bads, und dem neu anwesenden Waqar Ahmed zur Frage der Grenzziehung gekommen. Amanullah Khan hatte die Grenze Sultanabads und damit auch des Projekts so gezogen, dass die angrenzenden „neuen“ Haushalte (im Folgenden wie von meinem Gesprächspartner auch als „Waqars Haushalte“ bezeichnet) nicht Teil waren. Als Waqar Ahmed hiergegen Einspruch erhob, argumentierte Amanullah Khan, dass die Projektgrenze von 300 Haushalten, die WASEP ihnen gegeben hätte, nicht überschritten werden dürfe. Ein Projekt sei also nur unter Ausschluss von „Waqars Haushalten“ gewährleistet. Waqar Ahmed jedoch, der selbst bei AKPBS, der WASEP übergeordneten Organisation, arbeitete, hielt dagegen und brachte vor, dass 300 Haushalte die Mindestgröße sei und das Maximum bei 500 Haushalten liege. Daraufhin sei es zu einem kleinen Zwist – wenn nicht Handgemenge – gekommen, was, so Anjum Basharat, noch dazu in der Moschee natürlich nicht hätte vorkommen dürfen. Ein weiterer Nachbar sei zwischen Waqar Ahmed und Amanullah Khan gegangen und hätte eingeworfen, dass zwar auch Waqar Ahmed und „seine“ Nachbarschaft willkommen seien. Die Bewohner „seiner Nachbarschaft“ seien allerdings kaum zuverlässig, schränkte er seine Aussage jedoch ein: „People from your area […] will not support you in realizing this project, because they are used to saying things, not doing the things‘“ wiederholte Anjum Basharat die Aussage des Nachbarn. Wie Anjum Basharat ergänzte, hatte es keinen stichhaltigen Grund gegeben, „Waqars Nachbarschaft“ auszuschließen. Schließlich seien, wie er ausmalte, in keinem Team alle Spieler gleich schnell oder gewandt. Der Ausschluss von „Waqars Nachbarschaft“ sei also allein aufgrund des womöglich geringeren oder verspäteten Engagements kaum gerechtfertigt. Auch Sher Khan, der Beamte des Health Department und Mitglied der ausgeschlossenen Nachbarschaft, erklärte später, dass die Aussage des Nachbars wohl Zweifel widergespiegelt habe, ob ihre Nachbarschaft ausreichend organisiert sei, um die nötigen finanziellen Beiträge einsammeln zu können, aber auch um den Betrieb und die Instandhaltung des Projekts zu gewährleisten: „Because they [might have the] doubt that we, the people of this area, are […] less organized and we can create problems in terms of this collection of money, in terms of operation and maintenance of the project.“ Natürlich ist nicht nachvollziehbar, ob die Aussage und die dahinterstehenden Annahmen, die Nachbarschaft würde sich vermutlich finanziell und praktisch nicht beteiligen, persönlich und auf Erfahrung basierend an die jeweiligen Nachbarschaftsmitglieder gerichtet gewesen war oder auf Vorurteilen beruhten. Dennoch wiederholten sich in anderen Kontexten während der Forschung Aussagen zu ähnlichen Vorkommnissen, die zu der Annahme (ver-)leiten, dass es insbesondere Unterschiede in der Konfessionszugehörigkeit sein könnten, die die Zweifel an der Verbindlichkeit der Mitglieder von „Waqars Nachbarschaft“ entstehen ließen: die Mehrheit Sultanabads ist ismailitisch, die Mehrheit in „Waqars Nachbarschaft“ in der Colonel Hassan Colony/ Sultan Colony ist sunnitisch. Ähnlich räsonierte z.B. Zulfiqar Alam, dessen ismaili-

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tische Familie in der Lalik Jan Colony, einer neuen Nachbarschaft oberhalb der Hauptstraße in Jutial lebt, wo WASEP zur selben Zeit ein Trinkwasserprojekt initiierte. Sunniten würden, so Zulfiqar, selbstverständlich weniger Projekte über die Organisationen des AKDN bewilligt bekommen. Schließlich hätten sie im Vergleich zur ismailitischen Gemeinde keine Einigkeit („unity“) untereinander. Ismailitische Nachbarschaften dagegen würden zum einen über die farmān, die Anleitungen des Aga Khan, zum anderen über die Gemeindezentren der jamāt ḵhānas unterrichtet und auf gemeinsame Ziele und Strategien eingeschworen. Auch sein Vater, Bakhtawar Shah, brachte ähnliche Argumente mehrfach vor und ergänzte außerdem, dass Organisationen unter dem AKDN wie AKRSP und WASEP v.a. mit Geldern der ismailitischen Gemeinde arbeiten würden. Die Vergabe von Projekten an ismailitische Empfänger sei daher auch gerechtfertigt – ein Punkt, der unter Ismailitinnen und Ismailiten zwar populär aber nicht zutreffend ist. Denn WASEPs organisationales Setup sowie die Projektkosten werden, abgesehen von der eher nominellen Beteiligung der Nachbarschaften mit 25 Prozent der Projektkosten, v.a. über transnationale Entwicklungshilfe finanziert.39 Offenbar war es aber bezüglich des Sultanabad-Projekts zu einem weiteren Missverständnis gekommen. Wie der AKRSP-Mitarbeiter Anjum Basharat erklärte, seien tatsächlich manche Projekte auf bis zu 300 Haushalte beschränkt. Dies treffe aber allein auf Projekte in ländlichen Gegenden zu, die auf unterschiedlichen technischen Herausforderungen beruhen. Die neuen Projekte für den städtischen Raum dagegen seien tatsächlich, wie Waqar Ahmed argumentiert hatte, auf Größen zwischen 300 bis zu 500 Haushalte ausgerichtet. Die 70 oder sogar mehr Haushalte hätten also durchaus mit einbezogen werden können. Dennoch hatten sich die Mitarbeiter WASEPs diesbezüglich offenbar nicht geäußert – eine Tatsache die, wie Anjum Basharat vorschlug, ein ganzes weiteres Kapitel für meine Forschung ausmachen könne: „You can write another research paper on this only short question, why WASEP-people left everything open on the community.“40 Selbst in der Nähe wohnend, erklärte Anjum Basharat persönliche Motive zur Ursache für den Widerstand gegen „Waqars Nachbarschaft“. Diese Position habe aber gleichwohl in der Zurückhaltung WASEPs Rückhalt gefunden, erklärte er und kritisierte damit die Passivität der WASEP-Mitarbeiter, bei der grundlegenden Frage über die Projektgröße nicht klärend eingeschritten zu sein und den Einschluss der weiteren Haushalte

39

Die WASEP-Trinkwasserprojekte in Gilgit wurden z.B. durch das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert, das über die KfW und WASEP den Großteil der Kosten zur Verfügung stellte.

40

Weshalb WASEP-Mitarbeiter die Frage nach der Projektgröße nicht klärten, muss derweil offen bleiben.

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nicht unterstützt zu haben. Zwar habe es, wie er sich bei WASEP versichert hatte, keinerlei rechtliche oder technische Barrieren gegeben, die den Einbezug der Nachbarschaft hätten hindern können. Dennoch hätten sich die WASEP-Mitarbeiter nicht klärend an der Diskussion beteiligt. Stattdessen hatten sie die Vertreter Sultanabads selbst autorisiert, die Entscheidung zu treffen. Für Anjum Basharat verletzte WASEP mit dieser Passivität das Mandat, auch als Aufsichtsbehörde zu dienen. Wie er argumentierte, sollte die Leitung der Projekte und Anleitung der Gemeinschaft in den Händen WASEPs liegen – und nicht in denen der lokalen Gemeinschaft oder gar in denen einzelner Mitglieder wie Amanullah Khan. Dies begründete er sowohl mit der Erfahrung, die die WASEP-Mitarbeiter mitbrächten, als auch mit der Finanzierung, zu der die Gemeinschaft nur 25 Prozent beitrage, während der Größte Teil von Leistungsträgern komme: „More than seventy-five percent of money comes from the donor through WASEP. So, the central command, the central power should be with the WASEP-management. Not [with] the [contributers of] twenty-five percent.“ Damit kritisierte Anjum Basharat die strikte Umsetzung des Projekts als „community-driven“ und kritisierte die Verlagerung der Autorität vorranging in die Gemeinschaft.41 Statt die Vertreter Sultanabads aufzuklären und zu überzeugen, seien die Mitarbeiter WASEPs still geblieben – was WASEP nun letztlich ein weiteres Projekte (in der Sultan Colony) koste, wie er lakonisch kommentierte. Obwohl die offizielle Begründung für den Ausschluss die Handhabbarkeit („manageability“) des Projekts in Sultanabad gewesen war, schien Anjum Basharat hiervon nicht überzeugt. Dabei hätten Waqar und „seine“ Nachbarn schließlich (nur) um Wasser, nicht um Wein gebeten, wie er sarkastisch hinzufügte. Wie er argumentierte, hatte es keinerlei gültige Gründe für einen Ausschluss gegeben, zu denen er z.B. Wasserrechte, Landrechte oder eine Überlastung des Projekts durch zu hohe Anschlusszahlen, zählte. Das Wasser komme vom Fluss und sei so kaum limitiert. Der größte Teil der Finanzierung komme über WASEP und die Entscheidung liege damit eigentlich bei WASEP. Außerdem würde WASEP – anders als öffentliche Institutionen – die Infrastruktur in jedem Fall im Hinblick auf zukünftiges Bevölkerungswachstum schon jetzt größer anlegen als momentan nötig, sodass 70 weitere Haushalte kein Problem darstellen würden. Wie auch er anmerkte, aber explizit nicht weiter ausführte, sei der Ausschluss vielmehr in sozialen Differenzen und geheimen bzw. geheim zuhaltenden Angelegenheiten begründet. Nachdem Waqar Ahmed und seine Nachbarn im Anschluss an das PRA im Sommer 2012 mit ihrem Anliegen, in das Projekt einbezogen zu werden, von

41

Vgl. die entgegengesetzte Kritik zum Entwicklungssektor im Unterkap. „Self-help kontextualisiert“, nach der lokale Gemeinschaften oft nur formell, nicht aber ausschlaggebend, am Entscheidungsprozess beteiligt würden.

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WASEP zu den Vertretern Sultanabads geschickt worden waren, hatte es bis zum Winter diverse weitere Treffen gegeben, wie mir Anjum Basharat weiter erklärte. Vertreter Sultanabads waren dabei Amanullah Khan, der Richter und weitere Mitglieder des Projektausschusses. Diese hätten Waqar Ahmed und seine Nachbarn jedoch beinahe sechs Monate zum Narren gehalten, wie Anjum Basharat es bezeichnete („for six months they kept [them] foolish“). Zum Jahreswechsel hatte das Projektkomitee schließlich einer Aufnahme zugesagt, aber, wie Anjum Basharat resümierte, nur unter drei Bedingungen: erstens sollten in „Waqars Nachbarschaft“ pro Anschluss Rs.20.000 gezahlt werden statt der Rs.11.000, die die Mitglieder Sultanabads gezahlt hatten. Zweitens sollten diese Rs.20.000 pro Anschluss innerhalb einer Woche eingesammelt werden. Drittens sollte die öffentliche Wasserversorgung abgestellt werden.42 Waqar Ahmed und eine Gruppe von Nachbarn sammelten daraufhin in weniger als einem Monat an die Rs.1,6 Mio. bzw. Beiträge für 80 Anschlüsse ein. Dennoch wurden „Waqars Haushalte“ letztlich abgewiesen. Als Begründung wurde genannt, dass der Bau des Projekts in Sultanabad schon begonnen hatte und schon im Mai 2013 fertig gestellt werden sollte. Wie Mubarak Shah, ein Bewohner der Colonel Hassan Colony bzw. Sultan Colony aber erklärte, bot WASEP ihnen, d.h. „Waqars Nachbarschaft“, kurz darauf die Möglichkeit auf einen eigenen, weiteren Wasserkomplex. Nachdem sie schon in der kurzen Zeit die nötigen finanziellen Beiträge eingesammelt hatten, war es WASEP möglich, ihnen die Unterstützung für ein weiteres Projekt zuzusagen – in Anlehnung an den Nachbarschaftsnamen „Sultan Colony Project“ getauft. Weil „Waqars Nachbarschaft“ allein jedoch wiederum nicht die erforderliche Mindestgröße erfüllte, wurde ihr Projekt um die Nachbarschaften im Osten bis hin zur nächsten Straße hin erweitert (siehe Skizze 2). Skizze 2: WASEP-Projekte in Sultanabad und Colonel Hassan Colony/Sultan Colony

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Sultanabad

(Col. Hassan Colony) Sultan Colony

„Sultanabad WASEP-Projekt“

„Sultan Colony WASEP-Projekt“

Gerade die letzte Bedingung schien nicht nur unerklärlich, sondern v.a. nicht realisierbar, wie Anjum Basharat argumentierte. Die Kompetenz in diesem Punkt liege nicht bei den Bewohnern und Bewohnerinnen selbst, sondern bei den öffentlichen Einrichtungen („with the government“).

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Der Ausschluss aus dem Projekt Sultanabads stellte sich also, wie Mubarak Shah und sein Nachbar Sher Khan erklärten, im Nachhinein als Segen heraus: „Yes, that was true that this was a big blessing in disguise, and their ‚zid‘ (obstinacy) was a blessing for us and [it was] really fortunate that we got an independent project.“ In dieses konnten, wie Sher Khan ergänzte, 150 weitere Haushalte mit einbezogen werden. Und dies, wie Mubarak Shah bemerkte, ohne dass sich die Bewohner_innen dieser Nachbarschaft hatten bemühen müssen: „We are at least happy that those people, those poor people, got a project for free [i.e. without working for it]. Because of all of us. Otherwise, even they have come to no single meeting, even they donʼt know what is… what is the WASEP project, they just... we say their plate has been filled and they have received it... all done and dusted (pakki-pakāi unko mil gayi).“

Wie Mubarak Shah, der anfänglich ebenfalls zu keinem Treffen des Projekts für Sultanabad selbst gekommen war, der aber davon ausgegangen war, dass ihre Nachbarschaft Teil des ursprünglichen Projekts von Sultanabad sein würde, in dem Gespräch weiterhin erklärte, hätten sie kein Problem damit, nun diese Nachbarschaft mit in „ihr“ Projekt aufzunehmen, auch wenn ein Mitarbeiter WASEPs sie – gleich der Warnung, die bislang gegen sie selbst gerichtet war – vor deren potenziellem Nicht-Engagement gewarnt hatte. Doch auch er betonte nun die Notwendigkeit, das Projekt räumlich zu begrenzen: „But we also said [to WASEP]: ‚yes, include does not mean that we go open-ended. There must be a boundary. Because people must know each other, it should be a manageable project.‘“ Heimlich den Graben überbrücken oder Abhängigkeit von der Gemeinschaft Als sich im Verlauf des Winters 2012-13 herausstellte, dass „Waqars Nachbarschaft“ trotz allem nicht in das WASEP-Trinkwasserprojekt Sultanabads würde einbezogen werden, investierte Mubarak Shah, der selbst ein eher gut situierter Bewohner der Colonel Hassan Colony bzw. der Sultan Colony ist, über das praktische Engagement hinaus in eine weitere Möglichkeit, sich Wasser zu organisieren. Wie er mir in einem Gespräch 2014 erklärte, hatte er schon früh die Befürchtung, dass er und seine direkten Nachbarn nicht als Teil Sultanabads anerkannt und nicht in das Projekt Sultanabads einbezogen werden würden. Um in jedem Fall an der neuen Wasserversorgung teilhaben zu können, kaufte er daher im Frühjahr 2013 unter einem anderen Namen für Rs.1.2 Mio.43 in Sultanabad ein Grundstück, das direkt an der Klippe des ausgetrockneten Wasserlaufs, d.h. an der (neu festgesetzten) Grenze

43

Ca. 11.000 Euro.

„Verfügbar durch Selbsthilfe“ | 303

Sultanabads lag. „I did not need that piece of land, but because I need the water [I bought it]“, erklärte er mir sein Vorgehen. Sobald der Kauf offiziell war, reichte er den Antrag ein, für das bislang unbebaute Stück Land ebenfalls eine WASEPVerbindung zu bekommen und zahlte den WASEP-Beitrag. „Instead of twelve thousand [rupees][for a water connection] I spent twelve thousand [rupees] on the water connection and one point two million [rupees] on the piece of land“, erklärte er weiter. Seit dem Kauf des Grundstücks und der Einrichtung der Wasserverbindung dort pumpte er nun das Wasser über einen täglich kurzfristig verlegten Schlauch über den zehn Meter tiefen Graben hinweg auf sein Grundstück auf der anderen Seite des ausgetrockneten Wasserlaufs. Da im Lauf der Zeit auch in Sultanabad die Versorgung weiterer Grundstücke über ein Regelwerk des Projektkomitees verboten wurde und andere in der Nachbarschaft angenommen hatten, Wasser würde gestohlen, schloss Mubarak Shah mithilfe von Frau und Söhnen den Schlauch jeweils nur nachts, im Schleier der Dunkelheit, an. Tagsüber kümmerte sich ein eigens engagierter älterer Mann darum, dass das Wasser ordentlich in die Zisterne fließt, die Mubarak Shah am Eingang des neuen Grundstücks unter die Auffahrt hatte verlegen lassen, sowie um ein kleines Gemüsebeet, das Mubarak Shahs Frau Razia auf dem ansonsten leerstehenden Grundstück angelegt hatte. Obwohl die beiden Grundstücke Mubarak Shahs durch einen Graben getrennt sind, der beinahe senkrecht an die 10 Meter abfällt und an dem jeder Tritt beim Ab- und Aufsteigen Sand und Steine ins Rollen und Rutschen bringt, schrak Mubarak Shah nicht zurück, seine zwei 10 und 14 Jahre alten Söhne den Schlauch verlegen zu lassen. Gerade in der Dunkelheit sei das nicht nur mühsam, sondern auch gefährlich, wie er zu bedenken gab, aber die Not würde ihn zu dieser Aktion treiben. Wenn es Strom habe – den er benötigte, um das Wasser mit einer kleinen Pumpe auf das alte Grundstück pumpen zu können –, zöge ein Sohn einen Schlauch von der Seite des alten Grundstücks her den steilen Hang hinunter und hinauf zum neuen Grundstück. Obwohl Mubarak Shah aber in unserem Gespräch wiederholt die finanziellen Kosten betonte, deuten seine Erzählungen v.a. auf eine Abhängigkeit von der Gemeinschaft hin. Dabei wird ebenso die Bedeutung einflussreicher Personen wie die Ungewissheit deutlich, die hieraus für manche resultieren kann. Mubarak Shah, ein Mann in den Fünfzigern, der über Anstellungen bei Organisationen des AKDN gut verdiente und ein Foto auf dem Wohnzimmerbord hat, auf dem er Karim Aga Khan die Hand schüttelt, war zum einen finanziell in der Lage, sich in das erforderliche System einzukaufen und sich so aus dieser Abhängigkeit freizukaufen. Zum anderen war es ihm möglich, sein organisationales Wissen einzusetzen, um ein weiteres Wasserversorgungsprojekt zu etablieren. So sicherte er sich mit dem Kauf des neuen Grundstücks und schließlich auch mit dem Vorantreiben des Projekts in der Sultan Colony gleich mehrere Wasserversorgungsmöglichkeiten. Seine Möglichkeiten sind jedoch nicht unbedingt repräsentativ für viele Familien – wohl aber das Ange-

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wiesensein auf die Gemeinschaft sowie der Versuch, sich an verschiedenen Möglichkeiten der Wasserversorgung zu beteiligen und sich dadurch so gut wie möglich abzusichern. Gleichzeitig eröffnete Mubarak Shah mit seiner Erzählung einen Blick auf Konflikte und wie diese ggf. auch auf unspektakuläre Weise still und heimlich ausgetragen werden. Wie Zwarteveen (2010) in Anlehnung an Scott (1985) bemerkt, wird die Aufmerksamkeit bezüglich Wasserkonflikten oft auf offensichtliche Konflikte gelenkt, die in spektakulären und gewaltsamen Aktionen (inklusive Stehlen, Kämpfen oder Bestechen) ausgetragen werden. Daneben würden aber ebenso zunächst unsichtbare, versteckte, alltägliche Formen von Widerstand wie Schweigen, Stillhalten oder strategisches Unsichtbarmachen, wie von Scott (1985) beleuchtet, zur Anwendung kommen (Zwarteveen 2010: 83). Aus einer solchen Haltung heraus kaufte Mubarak Shah auf der „richtigen Seite“ an der neu festgelegten Grenze Sultanabads ein Grundstück, um Zugriff auf Wasser aus dem Projekt Sultanabads zu bekommen. Natürlich ist der Kauf des Grundstücks nicht nur eine Investition in eine zuverlässige Wasserversorgung. Gerade bei Landpreisen, die sich alle zehn Jahre vervielfachen, ist es auch eine gute Geldanlage. Aber Mubarak Shahs Strategien verdeutlichen darüber hinaus, welche Aufwendungen und auch Anstrengungen z.B. er und seine Familie aufnehmen, um Zugriff auf eine zuverlässige Wasserversorgung zu bekommen. Darüber hinaus ist der alltägliche, stille Widerstand, wie er bei Mubarak Shah zum Vorschein kommt, natürlich wie bei Scott (1985) auch in Klassenunterschiede gebettet – wenn auch umgekehrt als in Scotts Forschungsgebiet in Malaysia: Im Gegenteil zu den armen, bäuerlichen Protagonisten Scotts zeichnet sich Mubarak Shah eher dadurch aus, dass er gebildet ist, in den USA gearbeitet hatte, eine gute Position in einer Organisation des AKDN innehat und über Geld und gute Beziehungen verfügt. Diese Voraussetzungen erlaubten es ihm, sich zu wiedersetzen, indem er sich in ein Projekt einkaufte. Er konnte ferner sein Wissen nutzen und gemeinsam mit Waqar Ahmed und anderen ein weiteres Projekt anleiern. So verhalfen sein Wissen und seine Bemühungen ihm, seinen Nachbarn und darüber hinaus weiteren Haushalten zu einem eigenen WASEPProjekt. Wer hat die Autorität im „community-driven development“? „So will the water [from WASEP] be clean now? I donʼt think so.“ Interessiert an meiner Einschätzung bezüglich der Qualität des Wassers, das nun über das neue WASEP-Projekt verfügbar sein würde, stellte Mubarak Shahs Frau Razia mir diese Frage und äußerte gleichzeitig ihre Zweifel gegenüber dem WASEP-Wasser. Wie sie erklärte, hätte sie auch schon Frauen, die über das Projekt Sultanabads Wasser bekamen, nach deren Einschätzung gefragt. Auch dort sei das Wasser nicht sauber, wie sie ergänzte; viele hätten über Lehm und Sand im Wasser geklagt – Verunreinigungen die, wie Mubarak Shah erklärte, am Brunnen liegen würden, über den

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WASEP das Uferfiltrat gewinne. Dieser sei nicht richtig geschützt, weshalb zeitweise Flusswasser hineingewaschen worden sei, was dazu geführt habe, dass das Wasser in seinen Worten wie Tee, d.h. milchig braun, aus den Hähnen gekommen sei. WASEP habe daraufhin einen Deich um den Brunnen gebaut, um die Anlage in Zukunft vor weiteren Hochwassern zu schützen. Wie Mubarak Shah unzufrieden erklärte, sei das Wasser aber noch immer mit Keimen belastet und dies obwohl WASEP explizit mit Wasser nach WHO Standards geworben habe. Entsprechend dürften keinerlei Verschmutzung und überhaupt keine Bakterien im Wasser sein. Natürlich gebe es auch andere Standards, die ggf. auch höhere Verschmutzungswerte tolerierten, aber damit habe WASEP ja nicht geworben. „As far as I know it should be zero E. coli“, erklärte Mubarak Shah bestimmt. Auch wenn vorübergehende Verunreinigungen wie durch Fluten natürlich nicht ausgeschlossen werden könnten, habe WASEP seit Beginn der Arbeit 1997/8 nach und nach bestimmte Kriterien aufgestellt, um Wasserstandards nach WHO-Standards zu garantieren, so auch der AKRSP-Mitarbeiter Anjum Basharat. Hierzu gehören u.a. geschlossene und unterirdisch verlegte Leitungen, außerdem sogenannte tapstands – Wasserhähne in isolierten Stelen, die außerhalb der Häuser im Vorgarten errichtet werden (siehe Abb. 14) – sowie ein Kontrollsystem das unautorisierte bzw. unprofessionelle Anschlüsse verhindern soll. Wie er aber nun weiter kritisierte – wenn auch nur anonym, wie er sagte: „one thing on conditional anonymity“ – würden WASEPs Bemühungen und ihre Messungen zur Lieferung sauberen Wassers von den Beschlüssen der Bewohner Sultanabads unterminiert: In Sultanabad hätte WASEP sich der Petition Amanullah Khans gebeugt und diverse Zugeständnisse gemacht.44 So würde in Sultanabad nun auf die tapstands verzichtet, was besonders kritikwürdig sei. Durch den Verzicht auf tapstands entstehe die Möglichkeit, dass Wasser zurück ins Rohr fließen könne, wenn der Wasserdruck nachlasse: „you stop it, then it sucks back“. Dadurch könne Dreck und verschmutztes Wasser angesaugt werden und bis hinein in den Brunnen wandern: „it can take shit, it can take whatever, and after five minutes that thing has got in your sump“, wie Anjum Basharat erklärte. Damit sei dann der ganze Brunnen verschmutzt und alle Anstrengungen für sauberes Wasser vergeblich.

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Gegebenenfalls ein Zugeständnis im Rahmen des Wandels des partizipativen Ansatzes hin zu mehr Autorität, Stimme, Rechten und agency der Mitglieder, die von Nutzenden zu Schaffenden werden sollen – von „users and choosers“ zu „makers and shapers“, wie Cornwall und Gaventa (2001) dies im NGO-Sprech ausdrücken.

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Abbildung 14: Neu errichteter WASEP-tapstand

Foto: Autorin 2011

Außerdem würden viele das Wasser nicht allein als Trink- und Haushaltswasser nutzen, wie dies von WASEP eigentlich ebenfalls als Bedingung gesetzt ist, sondern stattdessen auch Garten und Beete bewässern. Dabei war es keinesfalls Anjum Basharats Anliegen, dass WASEP die Leute erziehen oder gar kontrollieren solle, oder dass die mit der Zeit von WASEP festgelegten Regeln durchaus sinnvoll seien. Obwohl die von WASEP entworfene Infrastruktur, mitsamt ihrem Regelwerk wohl durchdacht sei, sei es die organisationale Expertise, die nun die Klienten Sultanabads, gefährden würden, indem sie das Expertenwerk untergraben. Und indem sie sich den Forderungen der Klienten in Sultanabad beugten, würden auch die Mitarbeiter WASEPs selbst die eigene Organisation und deren Expertise untergraben. Wie er kritisierte, müsse es auch diesbezüglich Grenzen geben („there should be some restrictions“). WASEP solle nicht auf „Leute wie sie“ hören; sie sollten nicht die Freiheit bekommen, WASEP so beeinflussen zu können: „it should not be our choice to tell WASEP to do like this. No.“ Außerdem sei es für WASEP als Organisation von Vorteil, erkennbar zu bleiben, wie Anjum Basharat erklärte: der tapstand sei dabei ein wichtiger Indikator für das Engagement, eine „symbolische Repräsentation“, wie er es nennt. Damit kritisierte Anjum Basharat die radikale Anwendung des Konzepts von „community-driven development“ und stellte infrage, in wie weit der Gemeinschaft letztlich zugestanden werden solle, Entscheidungen zu treffen.

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Wie er kritisierte, überlies WASEP der Gemeinschaft nicht nur die Frage nach Projektgebiet bzw. Projektmitgliedern, sondern auch technische Entscheidungen. Dadurch könnten letztlich die tatsächlichen Leistungen des Projekts sowie die Autorität und das Engagement WASEPs untergraben werden. Desweiteren wird deutlich, dass Nachbarschaften im Rahmen der Errichtung von Wasserprojekten sowohl hergestellt, verändert als auch neu definiert werden. Überdies wird erkennbar, wie Einzelne auf die Gemeinschaft angewiesen sind – auf deren Mitziehen beim Engagement, aber auch auf deren Wohlwollen im Hinblick auf Einbeziehung oder Ausschluss. Besonders wichtig sind hierbei die Wortführer bzw. „smart leaders“, die die Gemeinschaft nicht nur gegenüber den Organisationen darstellen, sondern die auch intern über deren Beschaffenheit bestimmen. Bevor ich aber anhand eines weiteren Nachbarschaftsprojekts, das ebenfalls über WASEP ausgeführt wurde, weiter auf solche „smarten“ Personen eingehen will, möchte ich den Blick zunächst auf den oszillierenden Standpunkt von Frauen richten. Exkurs: Ungewisser Standpunkt von Frauen Ein eigener Abschnitt zu Frauen scheint mir notwendig, obwohl bzw. weil die Reaktionen der Frauen während meiner Forschung auf das Forschungsthema größtenteils zurückhaltend waren. Zwar wird ein Großteil des Wassers, das in Gilgit verbraucht wird, in den Haushalten eingesetzt und hier v.a. von Frauen.45 Außerdem sind es Frauen, die, wenn die Leitungen trocken bleiben, in Eimern Wasser bei Verwandten oder Nachbarinnen holen müssen. Dennoch schrieben die Frauen, mit denen ich im Lauf der vier Jahre gesprochen hatte, Besorgnis und Sorgen für Wasser umfassend und beinahe ausnahmslos Männern zu. Die meisten verwiesen mich bezüglich meiner Fragen sofort an die männlichen Familienmitglieder; viele taten kund, dass es keinerlei Probleme mit Wasser gebe; und manche erklärten sogar, dass sie in ihrem Alltag überhaupt kein Wasser nutzen würden, dazu also auch nichts zu sagen hätten. Grundlegende Idee in der Region ist, dass es Männersache ist, sich um die Beschaffung von Wasser zu kümmern. Es liegt in der Verantwortung der Männer, Kanäle zu graben, Leitungen zu verlegen und beide zu reparieren, Blockaden zu beseitigen, Felder zu bewässern und sich darum zu kümmern, dass der Wasserfluss anhält: Aufgaben, die Frauen zumeist an Männer delegieren. Offenbar gilt dies umso mehr in der Stadt. In Orten um Gilgit herum diskutierten dagegen durchaus auch Frauen mit, wenn es darum ging, wer Anrecht oder Vorrecht auf Wasser hat und welche Verantwortungen bei welchen Familienmitgliedern liegen. In Minawar z.B.,

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Viele Studien nehmen an, dass wasserbezogene Aufgaben in Haushalten weltweit größtenteils Frauen zukommen (siehe z.B. Bapat/Agarwal 2003; Ray 2007; UNDP 2006).

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einem Ort knapp 8 Kilometer östlich von Gilgit, beteiligten sich auch Frauen an der Diskussion und erklärten klar, dass sie sich gegebenenfalls selbst um das Wasser kümmerten – sowohl um das für den Haushalt als auch, falls nötig, für die Felder.46 Dadi Malika z.B., selbst um die 70 Jahre alt, die in Minawar aufgewachsen war und dort lebte, erklärte, dass sie in ihrer Jugend im Winter oft in den Minawar Nala gegangen sei, um mit Eimern Wasser zu holen. Je kälter es wurde, desto weiter mussten die Frauen ins nāla hoch, hin zu einer ganzjährigen Quelle; und weil es oft lange dauerte, bis die Eimer aus der Quelle gefüllt gewesen seien, habe dort oft eine ganze Schlange weiterer Frauen gewartet. Seit der Jahrtausendwende gibt es auch in Minawar einen zweiten großen Wasserbehälter oberhalb der Siedlung, von wo aus ganzjährig Wasser über Leitungen an die Haushalte geht. Dennoch ist auch hier im Frühjahr Wasser aufgrund der vorrangigen Nutzung für Landwirtschaft knapp. So erzählte mir Malikas Nichte Sobia, die mir auch bei der Forschung half, im Frühjahr 2013, wie sie und ihre Schwägerinnen sich, als die Leitungen zu ihrem Grundstück längere Zeit trocken lagen, über Verwandte Wasser besorgten: Zunächst hatten sie von einer Tante Wasser geholt, deren Haus etwas weiter oben gelegen sei als das ihre und die daher zuerst, mehr und länger Wasser bekommen habe. Nachdem das Wasser allerdings kurz darauf auch bei der Tante knapp geworden war, hatte diese erklärt, sie würde ihnen nun nur noch Trinkwasser geben, aber kein Wasser mehr für Küche und Bad. Daraufhin sei ihre Schwägerin nachts heimlich über die Mauer gestiegen, um sich zu einem Eimer Wasser zu verhelfen, wobei sie allerdings – tief in den Tank gebeugt – erwischt worden sei; ein Vergehen, das ihr Schelte eingebracht, aber ebenso allgemeines Gelächter ausgelöst habe. Sich über Verwandte und Bekannte gegenseitig mit Wasser auszuhelfen ist auch in Gilgit verbreitet, allerdings wurde dies nur wenige Male thematisiert. So hatte Jameela in Kashrot erklärt, dass viele Frauen aus den umliegenden Häusern zu ihnen kämen, um Wasser zu holen. Aber auch Leitungen, die sich durch kleine Löcher in den Grundstücksmauern ziehen, zeugen von solchen Praktiken des Austauschs, die aber den Frauen offenbar nicht weiter nennens- oder diskussionswert erschienen. Viele Frauen in Gilgit dagegen schienen Mangel an Wasser und Praktiken von reduziertem Wasserverbrauch eher mit Gleichgültigkeit, Ignoranz, bis hin zu Sorg-

46 Auch mein Forschungsassistent Sohail erzählte mir, dass seine Großmutter in Jutial, da ihr Mann als Händler viel unterwegs gewesen sei und kein Interesse an der Arbeit an den Feldern gehabt habe, das Bewässern der Felder in ihrer Jugend zumeist selbst übernommen hatte und dabei nicht zimperlich gewesen sei. Einen Mann, der ihr die wārī streitig gemacht habe, habe sie kurzerhand angeschossen.

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losigkeit zu begegnen.47 Sorglosigkeit lässt sich am ehesten in der Erklärung einiger junger Frauen aus Kashrot und Sonikot verdeutlichen: Als ich – an ihrer Schweigsamkeit bezüglich meiner Fragen beinahe verzweifelt – versuchte, mit ihnen durchzugehen, welche alltäglichen Aufgaben im Haushalt bestehen, für die Wasser benötigt wird, und wie sie damit umgehen, wenn es oft ein bis mehrere Tage lang kein Wasser in den Leitungen gebe, zuckten sie nur unberührt mit den Schultern. Wenn es kein Wasser gebe, dann machten sie die Hausarbeiten eben später. Ebenso wenig sei die Qualität des Wassers besorgniserregend: zwar sei kein Wasser wirklich sauber, aber besser dreckiges Wasser als kein Wasser. Entgegen solchen Schulterzuckens steht allerdings die Misere, die in Sobias Erzählung deutlich wurde, als sie erklärte, dass die Tante in Minawar ihnen schließlich tatsächlich nur noch Trinkwasser gegeben habe, nicht aber für Küche und Bad. Wäschewaschen, baden sowie die Toilette benutzen – Gesäß und Genitalien werden nach dem Stuhlgang mit Wasser gereinigt – ebenso wie wazū, die Reinigung vor dem Gebet, wurden damit quasi unmöglich. Wasser muss dann so schnell als möglich organisiert werden – sich mit Papier zu reinigen oder sich „wie früher“ (bis in die 1990er Jahre) mit Steinen zu säubern ist kaum vorstellbar, ebenso wie es für Frauen mittlerweile undenkbar ist, sich im Freien zu erleichtern.48 Dennoch scheinen viele Frauen an den wiederkehrenden Mangel an Wasser gewöhnt zu sein und ihn als gegeben hinzunehmen, auch wenn er den Alltag beeinträchtigt und mühsam macht, wie eine Freundin Seema erklärte, als ich sie einen Samstagvormittag beim Wäschewaschen antraf. Ihre Toplader-Waschmaschine lief und sie hatte gerade Teppiche eingeweicht und mit Waschpulver eingestreut, um sie anschließend mit einer Bürste zu schrubben. Die Hausarbeit würde ihr als „working woman“ – sie führt ihre eigene Schule und übernimmt von Zeit zu Zeit Aufträge von AKRSP – sehr schwer fallen. Während sie ihrem Mann und ihren zwei Kindern gerade Frühstück gemacht hatte, sei endlich wieder Strom gekommen. So sei sie, ohne selbst gefrühstückt zu haben, gleich auf die Veranda, um die Kleiderberge in Angriff zu nehmen, die sich über die Woche angesammelt hatten. Zwar gibt es am Haus der Familie ihres Mannes in Kashrot, in dessen Obergeschoss sie wohnen, einen eigenen Brunnen. Den kann sie allerdings nur

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Dies steht z.B. in Kontrast zu Wutich (2009a), die für Cochabamba argumentiert, dass Wasserunsicherheit Stress und Besorgnisse auslöst (vgl. auch Workman 2013 für Lesotho).

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Im Gegensatz dazu hatte ein Mann während eines Gesprächs von der Großartigkeit des Stuhlgangs im Freien, z.B. im Maisfeld, geschwärmt. Siehe auch Frembgen (2014), der für einen Ort in Harban, einem Tal im Süden Diamers, in den 1990er Jahren anmerkt, dass hier der Stuhlgang im Freien in einem angrenzend Waldstück erledigt wurde – mit unterschiedlichen Zeitfenstern für Frauen und Männer.

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nutzen wenn es Strom gebe. Insofern sei Elektrizität das größte Problem, weswegen es auch bei ihr zu Schwierigkeiten mit dem Wasser komme. Ohne Strom seien sie aufgeschmissen, erklärte Seema: „Electricity is the biggest issue here. Without that we are stuck. We can just go and lay down again and the work is left undone.“ In Deutschland sei das wohl anders, kommentierte sie und seufzte. „Hai, hai – also take me there, no!? Here, sometimes electricity pays a short visit, then it goes again (kabhi kabhi bijli hamēñ salām karti hay, phir chali jāti hay).“ Sobald der Strom kommt, springen also auch in Kashrot viele Frauen wie Seema auf, um Wasser zu pumpen, Tanks zu füllen, Wäsche zu waschen, Geschirr zu spülen oder Beete zu wässern. Auch bei dem schon erwähnten Besuch in Sakarkui, bei dem mir der nambardār eine WASEP-Anlage gezeigt hatte, tauchte zu meinem Erstaunen gleich neben uns eine Frau vom Ufer auf, einen Eimer Wasser auf dem Kopf. Wie der nambardār mir zeigte, gibt es zwar eine WASEP-Anlage, über die mittlerweile ein Teil Sakarkuis mit Wasser versorgt wird. Aber auch diese müsse mit den normalen Stromzeiten auskommen, die das Power Department für Sakarkui ausgibt – zum Zeitpunkt unseres Gesprächs im April drei Stunden am Tag. Wie er kommentierte, sei in Gilgit alles – gleich dem deutschen Sprichwort – zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel: „Well, this is the problem, this is how we have to live on (bandā nahīñ marta, to kya karta). That is why the women are taking water directly [from the river], you have seen that. Nobody is doing that for fun.“ Solchen Positionen diametral entgegen schien Wasser für die Frauen Sultanabads, wo WASEP nun den neuen Wasserkomplex in Aussicht stellte, wiederum nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Dies erläutere ich im Folgenden anhand des PRAs, von dessen Männer-Treffen schon die Rede war, und an dem ich selbst am Treffen der Frauen hatte teilnehmen können. PRA oder Was Frauen wollen Nachdem ich schon bei meinem ersten Aufenthalt in Gilgit 2011 Kareem kennengelernt hatte, der für WASEP arbeitete, sprach ich im Sommer 2012 bei WASEP vor und bat offiziell darum, Projekte begleiten zu dürfen, um Material für meine Dissertation zu sammeln. Im Gegenzug bot ich an, den Projektmitarbeiterinnen und mitarbeitern u.a. beim Schreiben von Berichten behilflich zu sein. Auf Druck des Colonels wurde es WASEP im Anschluss untersagt, mich zu unterstützen oder an Projekten teilhaben zu lassen. Mir untersagte er, mit NGOs Kontakt aufzunehmen. In der Zwischenzeit aber hatte ich die Möglichkeit, an dem Treffen Sultanabads teilzunehmen, zu dem mich die zwei WASEP-Mitarbeiter Mubashir Karim und Attaullah eingeladen hatten, sie zu begleiten. Wie schon angeführt, sollen interaktive Teile der PRAs (z.B. Gruppenarbeiten) im Rahmen der Idee von „community-driven development“ das (Selbst-)Verständnis der Bewohner_innen als treibende Kraft der Projekte etablieren. Dabei produzieren solche PRAs gleichzeitig auch interessante

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Einblicke in grundlegende Diskurse und Ansichten. Im Fall Sultanabads waren dies Einblicke u.a. in räumliche, aber auch soziale Grenzen und Identitäten sowie (unterschiedliche) Erwartungen und Bestrebungen von Frauen und Männern, wie im Folgenden ausgeführt. Nachdem Mubashir Karim mich in der Nähe meiner Unterkunft abgeholt und ins Büro mitgenommen hatte, wo noch letzte Unterlagen durchgesprochen worden waren, fuhren wir gegen 10 Uhr nach Sultanabad. Dort saß schon eine Gruppe von Männern auf der Veranda vor der Moschee. Amina, eine health and hygiene specialist, stand schüchtern an einem Auto. Offenbar einigermaßen selbstverständlich war das jamāt ḵhāna Ort des Treffens und ein Jugendlicher geleitete Amina und mich hinüber, wo schon an die 20 Frauen warteten und wo bei unserer Ankunft eine große Diskussion ausbrach, wohin man nun ausweichen könne. Nicht-Ismailitinnen und Nicht-Ismailiten könnten zwar bis auf die vorgelagerte Veranda eintreten, aber nicht in die Innenräume. Während die Männer an der Moschee verblieben waren, machten sich die Frauen daher in das neu gebaute und großzügig angelegte zweite Stockwerk einer Familie der Nachbarschaft auf, das den schließlich ca. 50 Frauen und WASEP-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern genügend Platz bot. Da ich der lokalen Sprache Burushaski nicht mächtig war, in der die Frauen den Ortswechsel diskutierten, aber besorgt, dass wir womöglich meinetwegen umziehen mussten, wandte ich mich an eine Frau. Diese aber erklärte, dass ja nun auch noch Frauen aus „der anderen community“ kämen – Sunnitinnen, die, wie sie mitleidig kommentierte, so eingeschränkt in ihren Möglichkeiten seien, dass sie weder einfach aus dem Haus gehen noch frei mit den männlichen Familienmitgliedern sprechen könnten und selbst vor den eigenen Familienmitgliedern strikte parda halten müssten. Während wir eine weitere Stunde auf weitere Mitarbeiterinnen von WASEP warteten, trafen alle zehn Minuten kleine Gruppen von Frauen ein. Währenddessen erklärte mir Amina, die health and hygiene specialist, dass sie von WASEP einzelne Aufträge bekomme, Frauen oder Schulklassen in Bezug auf Gesundheit und Hygiene zu unterweisen. Am Tag zuvor z.B. hatten sie einen Workshop in Baltistan durchgeführt. Dabei würden sie erklären, dass Sauberkeit wichtig sei und dass man Hände und Füße regelmäßig waschen solle. Gerade in ländlichen Gegenden würden viele Frauen ihre Kinder ohne Schuhe herumlaufen lassen, obwohl überall Dreck herumliege. Stattdessen sei es besser, Schuhe zu tragen, diese aber beim Betreten der Wohnräume auszuziehen. Am Ende des Workshops bekomme jede Teilnehmerin einen Beutel mit Zahnbürste, Zahncreme, Nagelschneider und einem Stück „Lifebuoy“-Seife.49 Außerdem gebe es ein WASEP-Programm, das den Bau von

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Halvorson (2003) z.B. gibt zu bedenken, dass einige Familien in Oshikandas, dem Ort ihrer Forschung in der Nähe Gilgits, zwar um Hygienemaßnahmen und deren Bedeu-

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Badezimmern und Toiletten unterstütze. Gerade auf dem Land hätten viele keine Toilette, sondern gingen auf die Felder. Dort würden sie das gutter-system vorstellen – ein System von Senk- und Sickergruben, in denen sich die Exkremente sammeln und zersetzen – und für den Bau einer solchen Anlage würde WASEP Bauanleitung und Beton zur Verfügung stellen. Zwei Stunden nach dem offiziellen Beginn gab schließlich Mubashir Karim eine Einführung. Wie er erklärte, gehe es bei diesem Treffen um die Zustimmung der Nachbarschaft, das Projekt gemeinsam mit WASEP durchzuführen. Es gehe WASEP aber nicht nur darum, das Projekt als solches nur zu installieren. V.a. gehe es darum, mit der Gemeinschaft zusammenzuarbeiten. Zwar kämen 70 Prozent der Arbeit und der Finanzierung von WASEP, 30 Prozent lägen aber in ihrer eigenen Verantwortung. WASEP wolle zum einen eine Filtrationsanlage – in diesem Fall ein Brunnen zur Entnahme des Uferfiltrats – installieren und damit sauberstes Wasser („sāf-suthrā pānī“) anbieten, wodurch sich Krankheiten vermeiden ließen. Die Geldgeber forderten desweiteren, dass das Projekt langlebig und nicht schon nach ein, zwei Jahren unbrauchbar sei. Deshalb verlange WASEP, dass die Rohre vier Fuß tief verlegt würden und mache weder Kompromisse hierbei noch bei der Qualität aller Arbeiten, die von den Bewohnern selbst geleistet werden müssen. Pro Haushalt bzw. pro Anschluss müssten Rs.8000 beigetragen werden; davon würden Rs.5000 für das Projekt direkt aufgewendet und Rs.3000 auf ein Konto für Instandhaltung und Notfälle eingezahlt werden.50 Die Zahlung des finanziellen Beitrags sei Symbol der Befürwortung des Projekts und würde daher zur Bedingung gemacht. Wolle jemand nachträglich an den Komplex angeschlossen werden, müsse er sich ebenfalls gleichwertig beteiligen. Dafür bekämen sie dann Wasser nach „WHOStandards“, das außerdem regelmäßig getestet würde. Wie er weiter erklärte, wisse er, dass die meisten hier gebildet seien („paṛhe-likhe lōg“). Dennoch gebe es die Bedingung der Geldgeber, dass Vorträge gehalten und Trainings gegeben werden müssten, was Gesundheits- und Hygienepraktiken angehe. An diesen hätten, ungeachtet der Bildung, alle teilzunehmen, wenn die Siedlung den Zugschlag für das Projekt bekomme. Dabei ginge es insbesondere darum, dass auch Kleinigkeiten große Effekte haben könnten und es mit solchen Maßnahmen bis zu 80 Prozent we-

tung in der Prävention von Durchfallerkrankungen wissen, sich Hygieneartikel wie Seife aber nicht durchgängig leisten können. Sie zitiert eine Gesprächspartnerin: „We sometimes use soap, but if we all wash our hands daily with soap, from where will we bring the soap?“ (ebd.: 127). 50

Später wurde die Summe auf Rs.11.000 hochgesetzt, um die Kosten für Maschinen sowie Grabungsarbeiter aufzufangen; von Waqar Ahmed und „seiner“ Nachbarschaft forderten die Sultanabad-Führungspersonen später sogar Rs.20.000 pro Anschluss.

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niger Krankheiten gebe. Daher sollten sie doch bitte auch in dieser Hinsicht kooperieren. Ansonsten, wandte er ein, wisse er, dass viele von ihnen Flusswasser trinken würden – Flusswasser, das sehr schmutzig sei, weil die Leute schließlich alle Abfälle in den Fluss werfen. Wie schlecht es um das Wasser beschieden sei, wisse er selbst aus eigener Erfahrung, da auch er in Zulfiqarabad wohne. Daher wisse er auch, wie nötig das Projekt sei und welchen Unterschied es machen könne. Einige der Frauen sprachen sich im Anschluss an Mubashir Karims Rede deutlich für das WASEP-Projekt aus – schließlich sei das Wasser, das sie derzeit bekämen zumeist schmutzig und die Versorgung unregelmäßig. Die Aufgabe, untertags Wasser zu besorgen, sei zumeist ihnen, den Frauen, überlassen, wenn die Männer aus dem Haus und die Kinder in der Schule seien und sie die Hausarbeiten erledigen müssten. Dennoch gab es auch kritische Stimmen. Eine Frau warf ein, wie viele Rohre denn noch verlegt werden sollten? Schließlich gebe es schon eine ganze Reihe davon – abgesehen von den Kanälen die Leitungen des government, von AKRSP und anderen Organisationen – die zwar alle verlegt worden seien, aber dennoch kein Wasser lieferten. Eine andere Frau äußerte Bedenken, dass die Wasserverteilung über die anderen Systeme nach der Installation des neuen Projekts womöglich eingestellt würde. Sollten dann alle vorherigen Mühen etwa vergeblich gewesen sein? Einigen schien das Projekt mit WASEP nicht als die Verheißung, als die die WASEP-Mitarbeiter_innen die Projekte präsentierten. Erfahrungen, dass Bemühungen oft scheitern, schienen Misstrauen und Zurückhaltung zu rechtfertigen. Insbesondere die Zahlung des Geldbetrags – bei diesem Treffen noch bei Rs.8000 angesetzt und später auf Rs.11.000 erhöht (in einer anderen Nachbarschaft sogar Rs.16.000) – schien vielen als sehr hohe Vorleistung, insbesondere ohne die feste Zusage, dass das Projekt anschließend von WASEP genehmigt und die versprochenen Leistungen erfüllt werden. Die meisten Frauen blieben aber still und zurückhaltend – wobei mich Sadaf, Frau des verrenteten Beamten Aslam Pervez, dazu brachte, zu überdenken, ob Frauen tatsächlich so apolitisch sind, wie ihre Zurückhaltung oft suggeriert. Bei dem Besuch einer Diskussionsrunde zum Weltfrauentag, an der wir 2014 gemeinsam teilnahmen, wurden alle Frauen aufgefordert, sich der Reihe nach bezüglich den gesellschaftlichen und politischen Umständen zu äußern, die das Leben für Frauen in Gilgit erschweren würden. Die Frauen sprachen diesbezüglich eine Reihe von Punkte wie Transport-, Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten sowie Quoten in der Legislative Assembly an. Nur Sadaf verweigerte eine Aussage. Unmittelbar während der Veranstaltung hatte ich dies dahingehend gedeutet, dass sie wohl entweder keine Meinung hierzu gebildet habe oder sich geniere, vor einer großen Gruppe zu sprechen. Wieder zuhause, erklärte ich, dass die Veranstaltung wider Erwarten doch interessant gewesen sei und ich froh sei, teilgenommen zu haben. Sadaf dagegen runzelte nur die Stirn und kommentierte: All diese Forderungen sei-

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en schon in jedem der letzten zwanzig Jahre geäußert worden und nichts habe sich geändert. Daher habe sie die Veranstaltung und eine Teilnahme daran als mehr als überflüssig empfunden. Sadafs stille Verweigerung war hier nicht Desinteresse, Meinungslosigkeit oder Schüchternheit, sondern stille Äußerung von Missbilligung. Doch abgesehen von stiller Zurückhaltung vieler Teilnehmerinnen gegenüber dem im PRA vorgestellten WASEP-Projekt, schien die Wasserproblematik für viele der Frauen Sultanabads an sich nicht unbedingt an erster Stelle zu stehen, wie ich im Folgenden argumentiere. Im Anschluss an seine Rede hatte Mubashir Karim die Damen zur Gruppenarbeit aufgefordert. Je eine Gruppe von fünf bis zehn Frauen sollten sich zusammensetzen und ein Thema bearbeiten: Welche Probleme gebe es heutzutage, was könne man ändern? Welche Bedürfnisse hätten die Frauen? Wie sehe ihr Alltag aus? Was seien die Aufgaben von Männern und was die von Frauen? Während eine Gruppe von Frauen einen Zeitplan ihrer täglichen Aufgaben erstellte, eine zweite Gruppe wasserbedingte Krankheiten auflistete, eine dritte die in ihrer Nachbarschaft engagierten Organisationen auflistete und eine vierte Gruppe die unterschiedlichen Jahreszeiten und damit einhergehenden Arbeiten notierten, arbeitete eine fünfte Gruppe an einer Liste von Bedürfnissen (zaruriyāt). In der nächsten halben Stunde erstellten die Frauen dieser fünften Gruppe eine lang diskutierte Liste von Institutionen und Projekten, die ihnen derzeit in ihrer Nachbarschaft fehlten und die sie als notwendig erachteten, um einen besseren und einfacheren Alltag zu führen. In der folgenden Reihenfolge listeten sie auf: Sultanabad ki zaruriyāt (Was in Sultanabad fehlt)

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ladiesʼ shops, womenʼs market (Stoff- und Bekleidungsläden von und für Frauen) general store (Supermarkt) beauty parlor (Kosmetiksalon) silai center, cooking classes (Nähwerkstatt für Frauen und Kochunterricht) daycare centre, early childhood development centre (Kindergarten und Kinderkrippe)

All diese Einrichtungen gebe es, wie die Frauen erklärten, nur im Zentrum Gilgits oder in anderen Nachbarschaften oder Stadtteilen; würde es diese Einrichtungen auch in Sultanabad geben, erspare dies Fahrtzeit und Fahrtkosten und erlaube es ihnen, sich den häuslichen Aufgaben besser widmen zu können. Vielen sei es nicht immer oder nur mühsam möglich, zum bazār zu gehen, insbesondere nicht ohne Auto. Und gerade in der letzten Zeit, d.h. während der Ausgangssperre im Frühjahr 2012, sei es deutlich geworden, dass eine gute Versorgung mit Läden wichtig sei, insbesondere wenn die hālat, die Situation in der Stadt schlecht sei und man u.a. für den Einkauf von Lebensmitteln nicht zum bazār gehen könne. Darüber hinaus würden diese Einrichtungen es einigen erlauben, die Angebote in Anspruch zu nehmen, während es anderen Verdienstmöglichkeiten eröffne. Dabei wiederhole ich dies

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hier, um zwei Punkte deutlich zu machen: zum einen auf die veränderten Bedürfnisse von Frauen in einer sozialen Umwelt, die zunehmend auf Erwerbsarbeit, Konsum und Konkurrenz ausgerichtet ist. Zum anderen auf die Nebensächlichkeit, die Wasserversorgung für die Frauen einnimmt. Als zwei Mitarbeiter WASEPs nach der Rückkehr ins WASEP-Büro das Plakat mit der Liste der Frauen sahen, fingen sie an, sich über die Liste bzw. die Frauen lustig zu machen. Insbesondere der Wunsch nach ladiesʼ shop und beauty parlor wurde verspottet – ob die Frauen nichts Besseres zu tun hätten? Doch wie auch Mubashir Karim den Männern entgegenhielt, hegen immer mehr Frauen auch in Gilgit Bedürfnisse, einem Schönheitsideal (mit heller, reiner, ebenmäßiger Haut und gepflegten Brauen) zu entsprechen, modisch gekleidet zu sein sowie Arme und Beine zu waxen – Bedürfnisse die man keinesfalls verlachen dürfe, schließlich seien dies legitime Wünsche und die Übersicht eine ehrliche Auflistung. Meines Erachtens nach spiegeln solche Wünsche aber auch die ökonomische sowie gesellschaftliche Verschiebung vieler Familien in Gilgit von überwiegender Selbstversorgung hin zu Erwerbsarbeit und steigenden Konsummöglichkeiten wider. Frauen tragen zunehmend mit Einkommen z.B. aus Bildungseinrichtungen zum Haushalt bei – ein gesellschaftlicher Arbeits- und Lebensentwurf, in dem Konkurrenz- und Arbeitsmarktfähigkeit zunehmend auch über das äußere Erscheinungsbild ausgedrückt wird. Der Beitrag zum Haushalt über Erzeugnisse aus dem Eigenanbau von Lebensmitteln oder Viehhaltung nimmt, bei insgesamt abnehmender Landwirtschaft in der Region im Allgemeinen und in Gilgit im Speziellen, auch bei Frauen ab; Garten und Tierhaltung werden vielmehr zum Hobby älterer Frauen. Meinem Verständnis nach zeigte sich in der Gruppenarbeit aber auch die Nebensächlichkeit, die Wasser oder Wasserversorgung im Denken vieler Frauen in Gilgit zukommt. Während Männer zur selben Zeit in der Moschee angegeben hatten, sie müssten sich täglich bis zu einer Stunde lang „auf die Suche nach Trinkwasser“ begeben („pānī ki talāsh“), war Wasser bei den Frauen offenbar ein eher unwesentlicher Punkt. Erst nachdem Mubashir Karim sie gegen Ende der Gruppenarbeit nochmals darauf hinwies, dass es WASEP schließlich nur in Bezug auf Wasserinfrastruktur möglich sei, sie zu unterstützen, und es insofern durchaus angebracht sei, diesen Punkt ebenfalls als Bedürfnis in ihre Liste mit aufzunehmen, pflichteten die Frauen ihm verlegen bei. Eingezwängt in den Leerraum zwischen Überschrift und dem ursprünglichen Wunsch Nummer eins nach ladiesʼ shops, fügten sie ihrer Liste den Punkt Trinkwasser und Abwassersystem hinzu. Die Anstrengung Mubashir Karims, zwischen den Wünschen der Frauen und dem Angebot der Organisation zu vermitteln, erinnert dabei an Mosses (2005a, 2006) Analyse von Entwicklungsprojekten, -organisationen und deren Mitarbeiter_ innen. In diesen macht Mosse diverse Anstrengungen aus, wie Mitarbeiter_innen Lücken zwischen dem „Sein“ vor Ort einerseits und dem „Soll“ der institutionellen Strategien und Vorgaben andererseits überbrücken:

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„Although their [NGO staffʼs] practice often contradicted the prescriptions of participatory project design, staff […] worked hardest of all to sustain and protect official interpretations of actions, so that they articulated with […] policy, matching events to theory in many and sophisticated (though not always conscious) ways – because, thereby, success and their […] own interests were secured.“ (Ebd.: 940; Herv. A.G.)

Mosse verdeutlicht die große Bedeutung, die der Repräsentation der Situation vor Ort in Entwicklungsprojekten zukommt: So kann über den professionellen Diskurs einer speziell daraufhin ausgerichteten „interpretativen Gemeinschaft“ von NGOMitarbeiterinnen und -mitarbeitern die Lücke zwischen Praxis einerseits und institutionellen Vorgaben andererseits überbrückt oder hinwegdiskutiert werden. Dadurch sichern sie die Interessen der Gemeinschaft an Entwicklungsprojekten, ebenso wie die eigenen Interessen an organisationalem Erfolg (ebd.). Entsprechend ermöglichen die Anstrengungen Mubashir Karims und seiner Kollegen und Kolleginnen es den Bewohnerinnen und Bewohnern Sultanabads, die Umsetzung des Projekts voranzutreiben, indem sie ihnen die taktische Simulation von Begeisterung und Bedarf zugestanden bzw. sie dabei sogar anleiteten.51 Wie ich vermute, könnte auch die Aussage der Männer, sich täglich eine Stunde lang „auf die Suche nach“ Wasser begeben zu müssen, einer solchen Anleitung entstammen, über die Bedarf verdeutlicht werden soll. Vergleichbar hatte eine Frau bei der anschließenden Präsentation pflichtbewusst vorgetragen, dass sauberes Wasser nötig sei, um Krankheiten vorzubeugen, schließlich seien auch die Folgekosten der Behandlung sehr hoch, ebenso wie die Kosten, z.B. über einen tanker sauberes Wasser zu organisieren. Zuletzt sei auch ein Abwassersystem wichtig – die Abwasserleitungen der meisten Häuser gingen direkt in die Kanäle, die eigentlich zur Bewässerung angelegt worden waren und in denen Teilweise die öffentlichen Wasserrohre verlegt sind. Durch diese Art der Abwasserentsorgung würde die ganze Nachbarschaft schmutzig und das Wasser in den Wasserrohren würde durch Lecks und Öffnungen vom Schmutzwasser verunreinigt. Gleichzeitig schien diese Frau sich schon gezielt auf das Treffen vorbereitet und Argumente präsent zu haben, die den meisten anderen Frauen weder so zielstrebig noch so eloquent über die Lippen gekommen wären. Irrelevanz von mangelnder Wasserversorgung? Die Beiläufigkeit, mit der die Frauen auch im Sultanabad-PRA der Wasserproblematik begegneten, spiegelt meines Erachtens die Nebensächlichkeit wider, mit der

51

Vgl. hierzu Williams (2004), der solche Reaktionen auf Entwicklungsangebote und deren Mitarbeiter – wiederum mit Scott (1985) – als den Widerstand der Schwachen bezeichnet (ebd.: 565).

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die meisten Frauen in Gesprächen mit mir das Thema Wasser diskutierten. Dabei sind Frauen durchaus von der mangelnden Qualität und Quantität der Wasserversorgung in ihrem Haushalt direkt betroffen. Wie z.B. Mubarak Shahs Frau Razia in der Sultan Colony anmerkte, laste der tägliche Druck, sich um die Wasserversorgung zu kümmern, auf den Frauen: Diese kümmern sich um den Haushalt, sodass es in vielen Familien auch in der Verantwortung der Frauen liegt, sich um den Fluss des Wassers zu kümmern, während die Männer außer Haus sind: „The pressure is in any case on us. The men leave early in the morning and we [the women]... the problems are ours.“ Insbesondere die Frauen, die auf das Wasser durch die öffentlichen Wasserleitungen angewiesen seien, kämen fortwährend an die Straße, entlang derer die Hauptleitung verlegt ist, in der Hoffnung, dass doch noch Wasser käme, so Mubarak Shah: „The women, what should I say, with how much pain, how ‚helpless and hopeless‘ they go out and pull at the pipes.“ Gleichzeitig scheint dies eine Art Gewohnheitszustand zu sein, den viele Frauen in Gesprächen entweder nicht wahrnehmen oder zumindest in dieser Situation nicht abrufen könnten, wie auch Razia Mubarak erklärte: „Means, the women are used to it. The women have become accustomed to living such a life. That is why people donʼt ‚feel‘ it. Otherwise there are so many problems! [Even] the hands are in a bad shape, from fixing the pipe with the rubber band.“ Ihre Erklärung bestätigt die schon angesprochene Nebensächlichkeit, die dem Mangel von Wasser oft zugewiesen wird. Gleichzeitig lässt ihre Aussage unterschiedliche Erfahrungen sowie ökonomische, soziale und geographische Ungleichheiten aufblitzen, die auch in Gilgit existieren. Obwohl das Besitz- und Eigentumsgefälle im Vergleich zum Rest des Landes eher gering ist, bestehen durchaus Unterschiede in den Möglichkeiten, sich Ressourcen des täglichen Bedarfs leisten zu können. Wie ihr Nachbar Sher Khan erklärte, seien viele Familien östlich der Sultan Colony (sunnitische) Lohnarbeiter, die aus Kohistan, Chilas oder Astor zugezogen seien und die in kleinen, gemieteten Einraumhäusern wohnen würden, die weder die finanziellen Möglichkeiten haben, sich wie Mubarak Shahs Familie einen Anschluss teuer zu erkaufen, noch die Möglichkeit, sich in tankers Wasser liefern zu lassen. Dennoch stieß die offenbare Ignoranz, mit der auch manche dieser Frauen dem Mangel von Wasser zu begegnen scheinen, auch vonseiten Razia Mubaraks auf Unverständnis. Ähnlich dem Hohn, den die WASEPMitarbeiter den Frauen entgegengebrachten, die einen Bedarf an ladiesʼ shops und beauty parlours äußerten, beschrieb Razia Mubarak die Frauen aus den Nachbarschaften als irrational und eitel. Viele von ihnen würden in ihren, d.h. Razias, ladiesʼ shop kommen, den sie auf vier Quadratmetern in einem kleinen Raum zur Gasse hin betrieb. Dort allerdings würden sie ihr Geld eher für Modeartikel oder Accessoires anstatt für Hygieneprodukte ausgeben, wie Razia verständnislos erzählte: „All their hair are up. […] Means, they donʼt wash it, no? And the hair of all the kids is also up. And they come to the shop and just come for the ‚fashion‘ things.

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They come to the store and match their bangles and match their rings. I say: Take some soap and wash them [the children]!“ Im Hinblick auf solche Familien erklärten Sher Khan, Mubarak Shah und seine Frau Razia auch die vorgeschriebenen health and hygiene trainings als notwendig und sinnvoll, wie Sher Khan ausführte: „In our ward [some people are educated, knowledgeable]. Like, madam [Razia Mubarak] is educated, she is awared [sic], ok, she is fine. But what about those who are illiterate and unawared [sic] and have shifted to this place from very far-flung and poor areas?“ Wenn auch nicht für sich selbst, so seien die health and hygiene trainings doch z.B. für genau diese oft ärmeren Familien aus entlegenen Tälern sinnvoll. Wie Sher Khan erklärte, seien viele Familien Gilgit-Baltistans, insbesondere in entlegenen Tälern, ungebildet (illiterate and unawared). Im Vergleich zu diesen wird Gilgit zu einem Zentrum des Fortschritts – eine Differenz zwischen Zentrum und Peripherie, die sich in den letzten Jahrzehnten ausgebildet habe. Aufgrund dieser Entwicklung Gilgits seien Familien wie auch die seine, die schon vor zwei oder drei Dekaden nach Gilgit gezogen waren, demgemäß von Bildungslosigkeit und Ahnungslosigkeit schon ausgenommen, sprich gebildet und aufgeklärt.52 Darüber hinaus klingen in Sher Khans Aussage, in der er sich und seine Nachbarn als „awared“ (anstatt „aware“) und die Bewohner_ innen in den anderen Nachbarschaften als „unawared“ (anstatt „unaware“) bezeichnet hatte, zwei Punkte an, die sich auch in anderen Gesprächen widerspiegelten: Zum einen deutet sein Gebrauch des Wortes „(un)awared“ an, dass Bildungschancen nicht nur ungleich verteilt sind, sondern manchen vorsätzlich verwehrt zu bleiben scheinen. Zum anderen gibt es in Gilgit wiederholt Diskussionen zu einer Wissensdifferenz, bei der es um die Ungleichheit von Zentrum-Peripherie, v.a. aber um die sozio-religiösen Unterschiede geht, wie unter dem Unterkapitel „Konfessionslandschaften“ ausführlicher diskutiert.53 Doch darüber hinaus stellt sich nun zunächst die Frage nach Geschlechterrollen und wie diese in Diskussionen zu Wasser dargestellt wurden. Darstellungen von Geschlechterrollen Entsprechend der Widersprüchlichkeit, dass Frauen einerseits durchaus von der (mangelhaften) Wasserversorgung direkt betroffen sind, dass sie andererseits aber

52

Dabei verbleibt eine Differenz zwischen Gilgit und z.B. Kanada, wohin Mubarak Shah und seine Frau für mehrere Jahre gezogen waren. Nach der Rückkehr nach Gilgit seien sie über die Hygienestandards in Gilgit wiederum zunächst geschockt gewesen.

53

Sowohl von ismailitischer als auch sunnitischer Seite aus diskutierten meine Gesprächspartner_innen v.a. den Vergleich zwischen Ismailiten/Ismailitinnen und Sunniten/Sunnitinnen; Schiiten und Schiitinnen blieben meist außen vor.

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oft Unbetroffenheit demonstrieren, sind auch Aussagen über Frauen sehr unterschiedlich. So wurde sowohl in Sultanabad als auch der Benazir Colony die Idee geäußert, dass Frauen ihre Männer dazu „gezwungen“ hätten, sich an der Einrichtung einer besseren Wasserversorgung (über WASEP bzw. über das tanzīm) zu beteiligen. So hatte Attaullah, der für das Sultanabad-Projekt zuständige WASEP-Mitarbeiter, angemerkt, dass die finanzielle Beteiligung der Nachbarschaft gesichert sein müsse bevor das Projekt zugesagt werden könne – eine Aufgabe, die er den Frauen zuwies: Diese sollten ihre Männer überzeugen, die Rs.8000 beizusteuern. Und auch Behram Patwari aus der Benazir Colony hatte erklärt: „We took the ladies and through the ladies we forced their men. So with the help of the ladies we collected the money and made the tanzīm.“ Frauen scheint also durchaus Einfluss auf die Entscheidungen bezüglich des Haushalts zugestanden zu werden. Dennoch wurden die Rollen von Frauen selbst in der Benazir Colony sehr unterschiedlich dargestellt. Einerseits stellte Behram Patwari aus Gojal die Frauen als die treibende Kraft hinter dem Wasserkomplex dar und erzählte, wie er und seine Frau anfangs gemeinsam Wasser vom Fluss geholt hatten. Ali President aus Yasin andererseits erklärte dagegen – komplett im Gegensatz zu Behram Patwari –, dass die Männer die eigene Wasserversorgung angestoßen und umgesetzt hätten, während die Frauen dies wenig gekümmert habe. Desweiteren stellte er die Frauen in Gilgit als vergleichsweise schwach oder gar faul dar. In den Dörfern seien es meist die Frauen, die, je nachdem, zu Bach, Fluss oder einer Quelle laufen und in Kanistern Wasser holen müssten, um Wasser für den Haushalt zu holen, so auch Ali President. In der Stadt aber würden die (faulen) Frauen sich über unregelmäßige Versorgung mit Wasser beschweren und dann die Aufgabe des Wasserholens den Männern zuschanzen: „In the villages it is mostly the women who go [to fetch water]. Here, if we [men] come back from work, tired, then they [the women] say that there is no water, then we have to go to the river and bring it to the house.“ Auch Ayub, ein junger Mann aus Baltistan, der seit seiner Kindheit als servant54 bei einer Familie in Jutial wohnte, erklärte, dass es in den Dörfern seiner Heimat die Frauen seien, die Wasser holen würden. In der Stadt dagegen hätten die Frauen zu viel Stolz (naḵhrā) und würden ihre Männer, Söhne oder andere männliche Verwandte oder Bekannte schicken, wenn es darum ginge, Wasser zu holen oder Leitungen zu reparieren. Dies hörend, rümpfte Amira, bei der Ayub als servant lebte, die Nase und entgegne-

54

Auch Ayub, der mittlerweile 19 Jahre alt und im Dorf verheiratet war und dort eine zweijährige Tochter hatte, war als Kind von seinen Eltern aus dem Distrikt Skardu nach Gilgit gegeben worden, da sie Schwierigkeiten hatten, für den Unterhalt aller Kinder aufzukommen; siehe Fußnote 45 im Kap. „Feld, Akteure und Methoden“.

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te, naḵhrā könne sich niemand leisten wenn es darum ginge, sich mit etwas so notwendigem wie Wasser zu versorgen, auch keine Frau in Gilgit. Obwohl in den Aussagen von Ali President und Ayub Frauen als faul oder hochmütig dargestellt wurden, beschreiben diese m.E. die zunehmende Herausbildung unterschiedlicher Geschlechterrollen und zunehmend strikter Praktiken von parda in der Stadt. Diese Veränderungen ergeben sich u.a., wie schon Gratz (2006) für die 1990er Jahre festhält, aus der zunehmenden Heterogenität in den Nachbarschaften, in denen nicht mehr nur oder v.a. Verwandte leben (ebd.: 209-11). Abbildung 15: Beim Spülen am häuslichen Spülbereich

Foto: Autorin 2014

Aus diesem Grund sind es in der Stadt v.a. die Männer, die sich den Aufgaben im öffentlichen Raum widmen. Wie auch Gratz bemerkt, verlegen Frauen Aufgaben wie Kleidung waschen oder Geschirr spülen immer mehr – bzw. nun umfassend – hinter die eigenen Grundstücksmauern, um vor den Blicken fremder Männer geschützt zu sein (ebd.: 209-11, 215; siehe Abb. 15). Dass Frauen heute noch z.B. an den Fluss gehen, um dort Wäsche zu waschen (vgl. Abb. 10), ist eher die Ausnahme. Und auch dabei sind sie immer in Begleitung von Söhnen oder männlichen Verwandten, die ihre Kreise um die Gruppe von Frauen ziehen und so darauf achten, dass Unbekannte nicht zu nahe kommen.

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Lalik Jan Colony – Die Bedeutung von „smart leaders“ und Engagement In der Beschreibung zu einem weiteren Projekt für einen nachbarschaftlichen Wasserkomplex in der Lalik Jan Colony, einer neuen Siedlung „hinter“ dem alten Jutial, werden nun die Akteure, die die Entscheidungsfindungsprozesse maßgeblich beeinflussen, noch eingehender in den Fokus genommen. In der Lalik Jan Colony sprach ich zwischen 2012 und 2014 wiederholt mit verschiedenen (sunnitischen und ismailitischen) Nachbarinnen und Nachbarn – darunter mit solchen, die sich nur über Geldzahlungen an dem Projekt beteiligten, aber auch mit verschiedenen Nachbarn, die Teil des Projektkomitees sind. Schon in der Beschreibung des Projekts der Benazir Colony zuvor wurde deutlich, dass self-help-Projekte regelmäßiges Engagement erfordern. Vonseiten WASEPs wird zunächst Engagement gefordert, sich für die eigene Bewerbung stark zu machen. Die Bereitschaft der NachbarschaftsGemeinschaft für ein Projekt muss dann über das Sammeln von Beitragsgeldern sowie Unterschriftenlisten interessierter Bewohner_innen manifestiert werden und entsprechend wird vonseiten der Gemeinschaft bzw. ihrer Vertreter darauf geachtet, dass das Projektgebiet v.a. Nachbarschaften umfasst, deren Bewohner_innen Engagement zu versprechen scheinen – was, wie im Fall Sultanabads, die Praxis des Gerrymandering in Erinnerung ruft. Im Fall des WASEP-Projekts, das in der Lalik Jan Colony zeitgleich und in Konkurrenz zum Sultanabad-Projekt angefangen wurde – offenbar bewarben sich die beiden Nachbarschaften zunächst um dieselbe Finanzierung und erst später wurden mehr Gelder zugesagt und die Umsetzung beider Projekte ermöglicht –, wurde deutlich, dass einerseits vonseiten WASEPs Engagement gefordert ist, dass andererseits aber auch innerhalb der Gemeinschaft Engagement erwartet wird. Engagement ist somit sowohl Grundlage für die Umsetzung von Projekten, gleichzeitig ist es aber auch ein Faktor, der über Einbezug und Ausgrenzung bestimmt. Und auch in der Lalik Jan Colony spielen Fragen der Konfessionszugehörigkeit eine Rolle: zum einen in Form von Misstrauen, das insbesondere sunnitische Bewohner_innen WASEP als Teil des AKDN entgegenbringen (auch wenn dies nicht direkt benannt wird), sowie daraus resultierende Ressentiments ismailitischer Projektmitglieder gegenüber Sunniten, wenngleich immer wieder – gewissermaßen als Ausnahmen, die die Regel bestätigen – individuelle Sunniten als engagiert herausgestellt wurden. Auch in der Lalik Jan Colony spielt die ismailitische Bewohnerschaft eine maßgebliche Rolle in der Erschließung der Nachbarschaft bzw. in der Herstellung oder Inszenierung der Nachbarschaft als Gemeinschaft. Schon als das Gebiet, das nun als Lalik Jan Colony bezeichnet wird, langsam besiedelt worden war, hatte eine Reihe von Nachbarn Land für ein jamāt ḵhāna mit angebundenem Gemeindezentrum gekauft, in dem sie den religiösen Unterricht organisieren könnten, erklärte Salman

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Ali Ustad, der auch Mitglied des Projektkomitees war.55 Um die wachsende Nachbarschaft organisieren zu können („to keep the people together“), wurde außerdem eine VO und eine WO gegründet und junge Männer in boysʼ scouts organisiert, deren Trupp z.B. zur Aufgabe habe, sich in der Siedlung um das Müllaufsammeln zu kümmern. Doch, wie Salman Ali Ustad erklärte, sei ihnen im Lauf der Jahre aufgefallen, dass die Versorgung der Lalik Jan Colony mit Wasser problematisch sei und so hatten sie Geld für ein Projekt von AKRSP gesammelt, um Wasser für die Bewässerung der Gärten einzurichten, das ab 2006/7 in Betrieb ging. Zur dieser Zeit hatte auch WASEP erfolgreich begonnen, in Gilgit-Baltistan Projekte für Trinkwasserversorgung zu bauen. Er, sein Nachbar Bakhtawar Shah, der selbst auch für das PWD gearbeitet hatte, und eine Handvoll weiterer buzurg hatten daraufhin begonnen, sich im Namen der Lalik Jan Colony bei WASEP für ein Trinkwasserprojekt zu bewerben. Wie auch Hussain und Langendijk (1994) beschreiben, verläuft die Bildung von Projektkomitees, die eine Gemeinschaft oder ein Dorf gegenüber Organisationen vertreten – wie im von Hussain und Langendijk beschriebenen Fall dem LBRDD gegenüber, ebenso aber auch übertragbar auf in diesem Fall WASEP – nicht immer unbedingt demokratisch. Die Mitglieder der Komitees sind oft nicht gewählte, sondern ausgesuchte Vertreter und umfassen zumeist diejenigen, die sich am meisten engagieren. Dabei kommt den Vertretern die Aufgabe zu, die Gemeinschaft zu repräsentieren und gemeinschaftliche Projekte zu initiieren und voranzutreiben. Wie auch Hussain und Langendijk schreiben, können gerade aktiv handelnde Vertreter den Erfolg eines Projekts immens beeinflussen (ebd.: 15-8). Insofern scheint es sprichwörtlich bemerkenswert, dass in der Lalik Jan Colony ein hochrangiger Mitarbeiter von AKRSP wohnte, in Sultanabad der Chairman von WASEP selbst und in der Colonel Hassan Colony/Sultan Colony ein hoher Mitarbeiter von AKPBS – auch wenn ein Zusammenhang mit der Vergabe der Projekte nie genannt, sondern, im Gegenteil, diese Tatsache selbst verschwiegen wurde. Zwar gab es auch in der Lalik Jan Colony eine öffentliche Wasserversorgung. Wie mir Salman Ali Ustad sowie seine Nachbarn und Komiteemitglieder Bakhtawar Shah und Sayed Aga Momin in den Jahren 2012 bis 2014 immer wieder erklärten, wird diese aber aufgrund der Wasserknappheit im Jutial Nala in den Frühjahrsmonaten regelmäßig für ca. drei Monate ausgesetzt. Aus diesem Grund hatten sie sich schon um die Jahrtausendwende um das AKRSP-Projekt bemüht, dessen Fluss-

55

Vgl. auch die Schilderung von Salman Ali Ustad über seine Anfangszeit in der Lalik Jan Colony im Unterkap. „Jutial – Besiedelung, Rechte…“.

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wasser offiziell und größtenteils zur Bewässerung der Gärten verwendet wird.56 Dennoch kann gerade in den Frühjahrsmonaten, in denen die öffentlichen Leitungen aus dem Jutial Nala trocken bleiben, auch die Not zum Ratgeber werden. Dann werden nicht nur Bäume und Beete mit dem Flusswasser versorgt, sondern auch die Tanks für Haushaltswasser damit gefüllt. Zwar konnte keine Familie in der Lalik Jan Colony, mit der ich gesprochen hatte, sagen, wie oft oder welche Krankheiten sie in der Vergangenheit durch den Konsum von Flusswasser bekommen hatten. Dennoch warben die buzurg ab 2011 in der Nachbarschaft dafür, sich bei WASEP für ein Projekt für „sauberes Trinkwasser“ zu bewerben.57 Ein Nachbar bot an, hierfür ein leeres Grundstück an der alten Hauptstraße, durch die die Lalik Jan Colony am oberen Hang begrenzt wird, zur Verfügung zu stellen, um dort einen Wasserbehälter wie auch ein Rieselfeld und weitere Filtrationsanlagen errichten zu können. Durch diese sollte zwischen Mai und Februar das Wasser, das die Lalik Jan Colony durch die öffentliche Wasserverteilung bekommt, nun vor der Verteilung gefiltert werden.58 Wie sich in Gesprächen mit mehreren Nachbarn und Nachbarinnen zeigte, stand die Sauberkeit des Wassers für die meisten aber eher im Hintergrund. Eigentliches Ziel schien eher zu sein, zusätzlich Wasser zu bekommen. Wie einige Gesprächspartner erklärten, würde mit dem WASEP-Projekt nicht nur in den neun Monaten, sondern durchgängig Wasser zur Verfügung gestellt werden. Ländlich oder städtisch, arm oder reich, zahlungswillig oder nicht Auch Salman Ali Ustad beschrieb den Bewerbungsprozess jedoch als sehr langwierig – allein die Verhandlungen mit WASEP dauerten an die drei Jahre: Auch ihre Siedlung war wie Sultanabad zunächst als „städtisch“ deklariert worden, was wiederum bedeutete, dass auch hier zunächst die Hürde der Geldgeberorganisationen überwunden werden musste. Zwar hatten sich die WASEP-Mitarbeiter in der Lalik Jan Colony vorab wohl sehr aufgeschlossen gezeigt und die Nachbarschaft Rs.3000

56

Dafür wird es über Rohre an den höchsten Punkt der Nachbarschaft gepumpt und anschließend in den Bewässerungskanal desjenigen geleitet, der bei einem Aufseher Wasser bestellt hat und entsprechend die jeweiligen Minuten an Wasser zahlt.

57 In Gesprächen, die ich darüber hinaus mit Bewohnern einer angrenzenden Siedlung, der Yasin Colony führte, wurde außerdem deutlich, welcher Voraussetzungen es bedarf, um überhaupt nur einen Projektantrag stellen zu können – offenbar sind allein diese für manche Nachbarschaften unerfüllbar, wie nachfolgend ausgeführt. 58

Das Flusswasser bedürfe, so die meisten Erklärungen, keiner gesonderten Filtration mehr, da es in Zukunft nicht mehr direkt aus dem Fluss, sondern als Uferfiltrat aus einem Brunnen gepumpt würde.

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pro Haushalt einsammeln lassen.59 Dennoch fand sich bis auf weiteres keine Organisation für die Finanzierung der Materialkosten, die den Großteil der ProjektAuslagen ausmachen. Wie Salman Ali Ustad schilderte, überzeugten die Mitarbeiter WASEPs allerdings schließlich die KfW, das Projekt zu finanzieren. Dies sei eben mithilfe des schon gesammelten Geldes möglich gewesen, das WASEP gegenüber der KfW als schon beiderseits geleistete Verpflichtungserklärung ausgelegt habe: „The donors said [to WASEP]: ‚you [have to] develop the ‚rural areas‘.‘ But because they [WASEP] had a commitment with us – which they had made before this was declared as a matter of ‚urban-rural‘ – and because we had already gathered the money, they requested the donors that we had requested them a long time ago, [telling the KfW that] ‚we [already] collected from them ‚in cash‘.‘ So then they said [to us]: ‚you give eight thousand [rupees] per household‘. So three thousand [rupees] we had already given, then they collected five thousand [rupees] more. And the total amount they collected was twenty-four lakh [rupees]60.“

Während der Verhandlungen zunächst mit WASEP und dann mit der KfW war außerdem die Zahl der durch die Geldsammlung ausgedrückten potenziellen Haushalte bzw. Anschlüsse von 80 auf 300 angewachsen. Mithilfe der schon geleisteten Geldsammlung – als Symbol für Willigkeit und Einigkeit der Gemeinschaft – konnte WASEP die KfW dazu bringen, die Geldzusage auch auf die städtische Nachbarschaft auszudehnen. Dabei stellte sich allerdings das Problem, dass die Rs.3000 auf der Basis erhoben worden waren, die sonst für Projekte in Dörfern gelten. Während WASEP in den Dörfern ausschließlich auf Quellwasser zurückgreift, ist dies für die städtischen Siedlungen nicht möglich. Entsprechend müssen nicht nur Wasserbehälter, Leitungen und tapstands finanziert werden, sondern auch eine Pump- und eine Filtrationsanlage. Die Kosten für die Anlagen, deren Instandhaltung und Betrieb sind außerdem höher und so hob WASEP den Beitrag zunächst von Rs.3000 auf Rs.8000 an. Später wurden die Beiträge nochmals auf schließlich Rs.16.000 pro Anschluss angehoben, da die Stadtbewohner die anfallenden Grabungsarbeiten

59 Ein Teil des Geldes, das so zusammenkommt, wird von WASEP und der Gemeinschaft als Guthaben auf ein Konto eingezahlt, von dem die laufend anfallenden Kosten beglichen werden, wie das Gehalt eines Betreibers, einer health and hygiene-Mitarbeiterin oder Instandhaltungskosten. Vonseiten der Geldgeberorganisationen werden die anfänglichen bzw. grundlegenden Leistungen wie Leitungen und Wasserbehälter sowie die Gehälter der WASEP-Mitarbeiter_innen finanziert. 60

Was den Beiträgen für 300 Anschlüsse gleichkommt.

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nicht wie in den Dörfern selbst übernehmen wollten. Die Kosten für die Bauarbeiter mussten die Mitglieder daher entsprechend selbst abdecken. Weshalb sich WASEP aber v.a. in ländlichen Gegenden engagiere und weniger in der Stadt, versuchte mir bei einem Besuch eines Gesprächspartners in Zulfiqarabad dessen Untermieterin, Shazia Abid, ihrem eigenen Verständnis nach zu erklären. Shazia arbeitete u.a. für WASEP und Al Sabah61 in Teams, die vor den PRAs erste Kontakte zu Nachbarschaften aufnehmen. Hierfür gehen die Mitarbeiterinnen von Haus zu Haus und stellen das Angebot vor. In Shazias Ausführungen ist v.a. interessant, dass ihr Verständnis der Arbeit WASEPs drastisch von den Argumentationen ranghöherer WASEP-Mitarbeiter abweicht. So wird z.B. die Grundlage, weshalb WASEP v.a. auf dem Land arbeite und weniger in der Stadt, bei ihr nicht zu einer Frage von Bedarf (und erst recht nicht zu einem Mittel, um Landflucht zu vermindern). Stattdessen werden unterschiedliche finanzielle Möglichkeiten Grundlage für (Nicht-)Engagement; in ihren Aussagen wird deutlich, dass in der Stadt paradoxerweise Armut bzw. Zahlungsunfähigkeit eher zu einem Ausschlusskriterium wird. Überhaupt erklärte Shazia Abid viele Punkte über eher überraschende Ansichten. So wird die Vergabe von WASEP-Projekten offiziell zumeist über Kriterien wie Bedarf, Bedürftigkeit, Projektumfang, lokale (geographische, aber auch soziale) Hindernisse sowie Realisierbarkeit eines Projekts gerechtfertigt. Zur Bestimmung dieser Kriterien führt WASEP PRAs durch, vergibt für jedes Kriterium Punkte und erstellt anschließend ein Ranking der Bewerbungen. In Shazia Abids Erklärungen wird die Vergabe von Projekten dagegen zu einer Sache von Zahlungsfähigkeit, Zahlungswilligkeit und Kooperation mit den WASEP-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern. Die von Shazia vorgetragene grundsätzliche Motivation für die Arbeit WASEPs stimmt zunächst grob mit den offiziell verbreiteten Annahmen überein. Grundlage sei das geteilte Menschsein sowie über die Weisung des Aga Khan insbesondere die Bevölkerung der Bergregion zu unterstützen: „Behind this is that we are human beings and we need to help; especially if our molā62, if our highness [Agha Khan] does this, then we think that our community (jamāt) [also has to do

61

Eine (ismailitische) Organisation, die wie WASEP ebenfalls Infrastrukturprojekte für Trinkwasser anbietet. Siehe auch Sökefeld (1997a: 135-9).

62

Der Begriff molā leitet sich wie der Begriff mulla, der ein Ehrentitel für islamische Rechts- und Religionsgelehrte ist, vom arabischen al-mawlā (Herr oder Meister) ab. In Aussagen ismailitischer Gläubiger steht der Begriff molā, oft als maula transkribiert, für den Aga Khan, ebenso wie die Ausdrücke his highness oder hāzir imām, d.h. derzeitiger imām (siehe auch Sökefeld 1997a: 131).

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this], [since our people] is in very deep troubles. Because he [the Aga Khan] knows that we are in mountain areas and our people have many problems, so that is why our office people [of the AKDN organisations] have this vision [...]. It is not like this that Ismailia should be separate from Sunni or Shia. In whatever area they live, they [WASEP staff] should prefer that area where there is poverty... and [they too consider] their health... they want their life to be easy. […] They work there where the people are ‚backward‘ and in need and poor.“

Konfessionszugehörigkeit solle dabei keine Rolle spielen, sondern Armut bzw. Bedürftigkeit, wie Shazia Abid zunächst erläuterte: „Actually, our ‚main vision‘ is this that mostly we work in those areas where there is poverty and those areas where people earn from the earth. So, from this perspective, our department AKPBSP [under which WASEP functions] is working for those people [who are poor or in the rural areas]; and in the city people can afford money easily and in the villages people cannot [afford money/things] so easily. So, they [AKPBS/WASEP] work a little bit less there [where people can afford more]. In Hunza and in Ishkoman63 – there it is three thousand [rupees] per household [for one connection]. And in the city, for example in Sultanabad, there it is seven thousand [rupees] for each house. So we check these things [i.e. capacities to pay] in the villages and in the city and check the people, and then we do the work.“

WASEP habe, wie sie erklärte, den Auftrag, insbesondere in Gegenden zu arbeiten, in denen die Bewohner_innen eher arm seien und v.a. Landwirtschaft betreiben würden („earn from the earth“), und weniger in Gegenden in denen die Bewohner_ innen eher wohlhabend seien, wie in der Stadt. Daher genehmige WASEP gerade in der Stadt weniger Projekte und verlange – wenn doch – dort höhere Beiträge. Gleichzeitig scheinen die höheren Beitragsforderungen in der Stadt für viele in den potenziellen Nachbarschaften abschreckend zu sein, wie sie berichtete. „If we look at Sonikot, there are all rich. We got a good response from the houses which we have visited there just like here [in Zulfiqarabad]. When we talked to the people we told them [it would cost] some ten thousand [rupees] – between seven thousand and ten thousand [rupees]. So [at that point] the people didn’t agree. Therefore it ‚failed‘. So from here [Zulfiqarabad] up to [Sonikot] people didn’t agree. Now the demand of this area [Zulfiqarabad][for water] is too much, no? So, looking at this area [Zulfiqarabad] we did the work on the area where people can afford it.“

63

Zwei Täler im Norden bzw. Nordwesten Gilgits, deren Ortschaften als ländlich definiert werden.

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Während in den ländlichen Gebieten Armut zunächst ein Kriterium für Engagement zu sein scheint, erweckt Shazia Abids Erklärung den Eindruck, dass in der Stadt das Gegenteil der Fall sei: hier würde WASEP dort arbeiten, wo sich die Bewohner_innen die höheren Kosten leisten könnten und wollten. Dabei erklärte sie die höheren Beiträge nicht damit, dass in der Stadt die Kosten höher sind, z.B. weil in der Stadt die Kosten für eine Filtrationsanlage dazukommt, die in den Dörfern nicht nötig ist, da hier Quellwasser verteilt wird und weil z.B. sich in der Stadt viele Nachbarschaften weigerten, sich an den Grabungsarbeiten zu beteiligen. Sie erklärte die höheren Beiträge stattdessen damit, dass sich Bewohner_innen der Stadt mehr leisten können, frei nach der Idee „wer viel hat, soll viel zahlen“. Gleichzeitig rückte in ihren Ausführungen das eigentlich zentrale Element, Wasser, in den Hintergrund: Bedarf an sauberem Trinkwasser bzw. die Qualität des vor Ort verfügbaren Wassers nannte Shazia Abid in keiner ihrer Aussagen als Kriterium dafür, wo sich WASEP engagiert oder engagieren sollte.64 Fernerhin sollten die Projekte WASEPs, wie Shazia Abid erklärte, den „Zurückgeblieben“, „Bedürftigen“ und „Armen“ („‚backward‘“, „poor“, „needy“) helfen – was sie über eine Simplifizierung von Entwicklungsrichtlinien über das Betreiben von Landwirtschaft definierte. So wurde in ihrer Logik auch das Kriterium von Armut oder geringem Bildungsgrad in der Stadt eher zum Ausschlusskriterium: In der Stadt kosteten die Projekte mehr und könnten daher nur in Nachbarschaften mit zahlungsfähigen und zahlungswilligen Mitgliedern implementiert werden. Zwar betonten andere Mitarbeiter AKRSPs oder WASEPs immer wieder, dass die finanziellen Ressourcen zumindest anteilig von den lokalen Akteuren selbst geleistet werden sollen, um das Verantwortungsgefühl zu stärken. Selbstbeteiligungen, Tarife oder Beitragszahlungen können so aber auch bedeuten, dass nur Verdienende sich beteiligen können. Auch die Notwendigkeit, für die Projektimplementation zeitliche oder materielle Ressourcen wie Arbeitskraft oder Land bereitstellen zu müssen, kann so durchaus zu einem Ausschlusskriterium werden. Wenn Investitionen an solche Bedingungen geknüpft werden, profitieren, wie Anzorena et al. (1998) zu bedenken geben, ggf. nicht die eigentlich angepeilten Armen oder Mittellosen von Subventionen, sondern die mittleren und oberen Einkommensgruppen (ebd.: 171-2, 174-5) – ein Punkt, der auch auf die Arbeitsplätze der WASEP-Mitarbeiter_innen zutrifft. Wie auch im Gespräch in der Colonel Hassan

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Zu Shazia Abids Verteidigung könnte man entgegenhalten, dass die Qualität des Wassers überall schlecht sei und einen Eingriff WASEPs rechtfertige. Vergleichbar schien auch in den meisten Gesprächen und Diskursen um die Frage, ob und wo in Gilgit ein WASEP-Projekt implementiert werden solle, eher die Inszenierung der Nachbarschaft gegenüber den Nachbarinnen und Nachbarn selbst sowie gegenüber externen Betrachtern relevant als die momentane Wasserversorgung.

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Colony/Sultan Colony durchschien, behindert außerdem ein geringer Bildungsgrad eher die Möglichkeit, ein Projekt zu bekommen (was m.E. sowohl für ländliche als auch für städtische Ortschaften gilt): ohne Bildung kein oder nur eingeschränktes Wissen um die Organisationen und deren Funktionieren; ohne Wissen um die Organisationen weder Wissen um die Projekte noch Wissen um die notwendigen Schritte zu einem Projekt. Nöte und Nötigungen beim Bezahlen der Beiträge Doch auch innerhalb der Lalik Jan Colony war es nicht nur schwer gewesen, Zusagen für die externen Gelder zu bekommen, sondern ebenso für die internen Beitragszahlungen, die gegenüber WASEP die Zustimmung der Bewohner_innen bestätigen sollte. Um die Beiträge zusammenzubekommen, die nötigen waren, um eine Mehrheit für das WASEP-Projekt vorweisen zu können, hatten manche Nachbarn wie Sayed Aga Momin gleich zwei Leitungen beantragt – auch wenn dies, wie er später erklärte, letztlich von Vorteil sei, um auch tatsächlich genügend Wasser zu bekommen. Außerdem beeinflussten die Fragen um räumlichen Umfang sowie um Einigkeit („unity“) der Mitglieder auch in der Lalik Jan Colony den Verlauf insbesondere während der Bewerbungsphase – u.a. weil das Projekt in der Lalik Jan Colony und das in Sultanabad um dieselben externen Gelder konkurrierten und ähnliche Schwierigkeiten aufzuweisen schienen, u.a. bezüglich der (Un-)Einigkeit der Mitglieder sowie der Begrenzung bzw. Reichweite des Projektraums. Später wurde sowohl der Lalik Jan Colony als auch Sultanabad ein Projekt zugesagt und umgesetzt. Aber auch in der Lalik Jan Colony sei das Projekt gefährdet gewesen, wie Bakhtawar Shah 2013 bestätigte. Wie er erklärte, sei ein Großteil der Grundstücke noch unbebaut und die Besitzer nicht auffindbar gewesen. Immerhin seien nun zumindest die an Bord, die sich in Gilgit aufhielten und hätten die Zahlungen des Gemeinschaftsbeitrags zugesagt. Dies war insbesondere fraglich geworden, als klar wurde, dass die Kosten nicht nur die anfänglich kalkulierten Rs.8000, sondern Rs.16.000 betragen sollten – eine Beitragssteigerung, die sich daraus ergeben hatte, dass die Männer der Lalik Jan Colony das Graben nicht selbst übernehmen wollten; wie Bakhtawar Shah meinte, seien schließlich die meisten Angestellte in der Verwaltung (mulāzimīn), Männer also, die nicht selbst graben würden, sondern graben lassen. Neben den gesammelten Beiträgen sei aber die letztendliche Zusage v.a. ihrem neuen Ansprechpartner bei WASEP zu verdanken, Sadruddin Jabhar, dem Chef des WASEP-Büros. Schon beim vorherigen Ansprechpartner WASEPs, Sarfaraz Ali, hätten sie drei Schreiben eingereicht, mit denen sie um Verzeihung dafür gebeten hatten, dass bisher die Zustimmung bzw. Zahlungswilligkeit nur beschränkt vorhanden gewesen sei. Dieser hatte ihre Bitten aber ignoriert. (Meiner Feststellung, dass Sarfaraz Ali meines Wissens nach selbst in Sultanabad wohne – der Siedlung, die um dieselbe Finanzierung konkurrierte – begegnete Bakhtawar Shah nur

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mit einem stummen Neigen des Kopfes.) Jedoch wollten sich nun, wie Bakhtawar Shah eher unglücklich bemerkte, weitere Haushalte ihrem Projekt anschließen: 35 Haushalte unterhalb der Hauptstraße in Zulfiqarabad, 35 am Sportkomplex und 37 oberhalb der alten Hauptstraße. Dies ginge aber nicht, wie er polterte, schließlich hätten sie – er selbst und seine Nachbarn – die ganze Arbeit mit WASEP gehabt und nun wollten diese sich einfach anschließen. Das ginge höchstens, so Bakhtawar Shah, falls es überflüssiges Wasser geben würde – eine Sache, die abzuwarten sei. Auch in der Lalik Jan Colony war also die Frage, wer und wie viele Haushalte an dem WASEP-Projekt beteiligt werden könnten, problematisch. Auch hier wurden Straßen als Projektgrenzen verwendet. Dennoch gab es auch hier weitere Nachbarschaften über die Straßen hinaus, die sich ebenfalls beteiligen wollten und die zurückgewiesen wurden. Und wie auch in Sultanabad und der Sultan Colony, wurde auch in der Lalik Jan Colony die Frage nach Engagement und der Übernahme von Aufgaben immer wieder zum Thema. Schließlich sei es, wie Bakhtawar Shah nach Anerkennung haschend bemerkte, alles keine leichte Aufgabe: „It’s very tough work (intehāi musībat kām hay).“ Insbesondere die Aufgabe, die Beiträge aller Haushalte einzutreiben, sei schwer, wie er auf Englisch verdrießlich erklärte: „Per household we have to collect sixteen thousand [rupees] but the people are not giving, making excuses.“ Dass das Einsammeln der Beiträge für das WASEP-Projekt nicht einfach sei liege auch daran, wie Arman, Bakhtawar Shahs Neffe erklärte, dass – obwohl für Land in der Lalik Jan Colony mit die höchsten Preise verlangt werden und obwohl die meisten Häuser großzügig und aus Stein und Beton erbaut und viele sogar zweistöckig sind – nicht alle Bewohner_innen auch reich seien. Er wisse von einigen Familien, die alles Ersparte in Land und Haus investiert hätten, die aber nun, wie z.B. Bakhtawar Shah nach der Verrentung oder wie ein Nachbar nach dem Verlust der Arbeit, kaum noch Geld zur Verfügung hätten. Besonders in Bezug auf die Beitragszahlungen kam es daher oft zu Widerständen. Einige Häuser weiter schimpfte z.B. auch Farzana Banu 2012 und 2013 wiederholt, dass schon wieder einer vom tanzīm dagewesen sei und nach Geld gefragt habe. Farzana Banu hatte zusammen mit ihren Brüdern Murtaza Ghulam und Ajmal Sohail Wakeel ihr Land in der Lalik Jan Colony nicht gekauft, sondern als pushtūne bāshinde Jutials von den Eltern geerbt. Der Vertreter des tanzīm habe geklopft und argumentiert, dass ihr Mann doch jetzt schließlich seine Rente hätte, und habe sie aufgefordert, davon „endlich“ den Beitrag für das WASEP-Projekt zu zahlen. Schon beim letzten Mal habe sie ihn vertröstet, erklärte sie, nun sei er aber schon wieder gekommen. Aber sie habe ja kein Geld – woher solle sie es denn nehmen, fragte sie mich bitter. Die Kinder würden alle noch studieren, bis auf den ältesten Sohn. Der verdiene schon, müsse aber alles Geld für die Flüge seiner punjabischen Frau ausgeben, die nun regelmäßig zwischen Gilgit und Lahore pendele. Wenn,

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dann müsste der Sohn das Geld zahlen, schließlich gehöre das Haus bald ihm. Sie und ihr Mann seien ja nur noch die wenigen Jahre bis zum Tod hier, rechtfertigte sie mir gegenüber trotzig ihre Zahlungsverweigerung. Und auch Bakhtawar Shah, bei dessen Familie ich viel Zeit verbrachte, beklagte häufig, dass seine Rente von Rs.30.000 kaum ausreichend sei. Schon am zwanzigsten des Monats sei alles ausgegeben: dreitausend für die Gaszylinder am Herd, zehntausend für Lebensmittel, zweitausend für Gemüse und zweitausend für Fleisch wenn Gäste kämen.65 Außerdem müsse er sich daneben um die Verwandten kümmern – wenn von denen jemand ins Krankenhaus nach Gilgit komme, würden sie ihn anrufen und er sei verpflichtet, ihnen bei den Ausgaben zu helfen. Daneben die Brüder und anderen Verwandten, die daheim im Dorf seien und denen er regelmäßig Reis oder andere Lebensmittel schicken müsse. Er selbst und ein weiterer Bruder hätten eine Ausbildung bekommen und es in den Staatsdienst geschafft, erklärte er; ein dritter Bruder allerdings nicht, der daraufhin im Heimatdorf geblieben sei und dort das in der Familie vererbte Amt des nambardār übernommen habe. Dafür habe er, Bakhtawar Shah, allen Kindern – vier Söhnen und einer Tochter – sowie seiner Frau zum Master verholfen und auch Kinder seiner Brüder habe er auf die Schule und an die Universität geschickt, d.h. ihnen die Ausbildungsgebühren und Lebensunterhaltskosten bezahlt. Während seiner Arbeitszeit im PWD habe er außerdem 48 seiner Verwandten und Bekannten – er spricht von seiner community, ein Begriff der sich in vielen Aussagen auf die Konfessionsgruppe bezieht, hier aber spezifischer wohl auf Verwandte und Bekannte aus dem Heimatort verweist – eine Stelle beim government verschafft. All dies müsse sich eigentlich nun auszahlen, bemerkte er stirnrunzelnd. Wen sollten all diese Schützlinge sonst nun unterstützen, wenn nicht ihn? Und schließlich blieb er bei seiner Aufzählung nicht bei den knapp fünfzig Schützlingen stehen: Nicht nur, dass er diesen Fünfzig geholfen habe, sondern an jedem würden ja auch mindestens vier weitere Familienmitglieder hängen, die er damit indirekt unterstützt habe, also über 250 Leute, wie er vorrechnete. Dennoch schien seine bisherige Unterstützung nicht in direkten Geld(rück)gaben zu resultieren. Auch seine Söhne seien ihm keine Hilfe, wie er anmerkte. Zwar verdienten beide mittlerweile in Islamabad und Karachi jeweils Rs.70.000 monatlich, aber beide seien sehr verschwenderisch. Nicht nur könne er sie nicht um Unterstützung des Familienhaushalts in Gilgit bitten, sondern im Gegenteil würden sie Ende des Monats ihn um Geld bitten. Abgesehen von Geldsorgen aber scheint es außerdem wahrscheinlich, dass viele Haushalte der Zahlung einfach eine nachrangige Bedeutung zukommen ließen. Wie

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In seiner Aufzählung nicht enthalten, aber ebenfalls regelmäßige Ausgaben, waren die Kosten für das Benzin eines Jeeps und jeweils Rs.5000 Taschengeld für zwei servants.

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auch Murtaza Ghulam, Farzana Banus Bruder und Mitglied des Projektkomitees, eines Tages anmerkte, gebe es auch einige Haushalte, die schlicht nicht bereit seien zu zahlen. Gerade Sunniten – d.h. seine eigenen Verwandten – hätten sich die längste Zeit gescheut, zu zahlen. Immerhin, so gab er zu bedenken, seien einige auch mittellos und Rs.16.000 eine große Summe. Aber dennoch seien zumindest die Leute hier, in seinem mohalla, nicht arm und hätten dennoch nicht gezahlt. Selbst sein Bruder (ebenso wie auch seine Schwester Farzana) hätte nicht voll gezahlt, obwohl der Geld habe – im Monat verdiene er sicher an die Rs.60.000, wie Murtaza Ghulam überschlug. Und auch mit praktischer Hilfe würde der Bruder das Projekt nicht unterstützen.66 Wie Bakhtawar Shah erläuterte, koste das Projekt aber nicht nur Geld, sondern v.a. auch Zeit und Aufwand – insbesondere ihn, wie auch die weiteren Mitglieder des Projektkomitees Salman Ali Ustad, Muzaffar Fareed, Didar Rehan Engineer und Arman Engineer. „We are responsible for all the digging and all the payments and... It’s very tough work (intehāi musībat kām hay). Per household we have to collect sixteen thousand [rupees] but the people are not giving, making excuses. […] Now they have given, at least a bit; but now we have a problem here, we have to pay the people who are doing the digging, so if the people are not giving all per household how can we give to the people who are doing the digging?“

Und nicht nur, dass sie die Mitglieder selbst und die notwendigen Zahlungen überwachen müssten, sondern darüber hinaus auch die Grabungsarbeiten und die Arbeiter. Auf meine Erwähnung hin, dass manchmal auch Streitereien von der Ferne zu hören seien, die wohl im Zuge der Grabungsarbeiten entstünden, räumte er diesmal entgegen seiner üblichen Praxis, Konflikte zu verneinen oder zu verschweigen, ein, dass es tatsächlich durchaus auch Probleme gebe. „Yes, this is a big problem, there are many fights here. If the workers are being lazy, then we have to draw them (hamēñ unko khīnchna paṛta), no? They are just leaving, walking out... We are being held responsible through WASEP and the responsibility is with us, so if they don’t work, they [WASEP staff] will be asking me: ‚you are the president – what you are doing?

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Er selbst arbeite aber von Herzen mit an dem WASEP-Projekt, wie Murtaza Ghulam erklärte, wenn sie dann nur sauberes Wasser bekämen. In den nālīs, in denen derzeit ihre Wasserleitungen verlaufen, sei das ganze Schmutzwasser; jeder würde sein Abwasser darin ableiten und sie müssten das dann trinken.

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[sic]‘ The ‚chief executive‘ will directly ask me: ‚Yes, Mister Bakhtawar Shah, you are the president and you are not managing properly? Why?‘“

Wie auch in der Benazir Colony angedeutet, bedeutet Verantwortung zu übernehmen auch, z.B. von WASEP-Mitarbeitern und Geldgeberorganisationen verantwortlich gehalten zu werden. Und auch auf Seiten der Nachbarn vor Ort, auf deren finanzielle Hilfe und Kooperation das Komitee angewiesen ist, gilt es, mit der Arbeit zu überzeugen. Wie schon angedeutet, waren es gerade einige Familien, die zunächst dem Projekt und v.a. den Zahlungsaufforderungen eher misstrauisch gegenüberstanden, die dies jedoch erschwerten – Misstrauen, das gegenüber NGOs im Allgemeinen und denen des AKDN im Besonderen zu bestehen schien, wie nun diskutiert. Misstrauen gegenüber Nichtregierungsorganisationen Auch die Familie einer Bekannten, Bibi Saleema, war lange Zeit nicht bereit, den Beitrag für das WASEP Projekt der Lalik Jan Colony zu zahlen. Zwar hatten sie schließlich sowohl den ursprünglichen Beitrag von Rs.8000 als auch die Steigerung auf Rs.16.000 jeweils entrichtet – allerdings mit Verzögerung und eher missmutig, wie ich aus den Erzählungen von Bibi Saleemas Söhnen Talha und Mansoor Alam heraushörte. Als ich ihre Familie im Sommer 2012 in der Lalik Jan Colony besuchte und wir auf dem Rasen in der Sonne saßen, erklärte sie auf meine Frage hin, wo in Gilgit sie denn am liebsten wohnen würde, Jutial sei ihr der liebste Ort. Ihre Familie stammte ursprünglich aus Kashrot; die ihres Mannes aus Kashgar, einer Stadt der benachbarten chinesischen Provinz Xinjiang. Vor einigen Jahren aber hatten sie sowohl ihr Haus als auch das Land inklusive Wasserrechten in Kashrot verkauft und davon das Land in der Lalik Jan Colony gekauft, wenige hundert Meter vom Haus entfernt, in das ihre Schwester geheiratet hatte. Weil es in Jutial so ruhig sei, würden auch immer mehr Leute aller drei Konfessionsgemeinschaften in diesen Teil der Stadt ziehen, wie auch ihre Familie, führte ihr Sohn Talha weiter aus. Hier in Jutial würden alle drei sects wohnen – Schiiten und Schiitinnen, Sunniten und Sunnitinnen, Ismailiten und Ismailitinnen –, und die Ismailitinnen und Ismailiten seien auch diejenigen, von denen und für die jetzt das neue Projekt umgesetzt würde. „Actually we did not plan to come to this place,“ ergänzte sein Bruder Mansoor Alam. „Suddenly some of our relatives said this is a good place to come. So we saw the place and we bought it.“ Das Grundstück war leicht am Hang gelegen, was sie aber über kleine, ebenerdige Terrassen ausgeglichen hatten. Hierdurch war das Grundstück in mehrere Parzellen geteilt, mit einem Gemüsegarten und einem kleinen Ziegenstall neben dem Eingang, dem Haus im unteren Eck und einer Rasenfläche vor dem Haus, zu der mannhohen Mauer hin gerahmt von Kirschbäumen und Rosensträuchern – eine Aufteilung, die es erlaubte, Wasser zunächst über die Ge-

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müsebeete langsam nach unten zu Bäumen und Rasen zu leiten und dabei – je nach Menge des Wassers – die Nutzpflanzen wie Gemüse und Bäume bevorzugt zu bewässern. Gemüsegarten wie auch die zwei Ziegen und der scheinbar immergrüne Rasen waren offensichtlich Bibi Saleemas großer Stolz. Wie sie erklärte, gebe es seit Kurzem auch wieder Wasser über die öffentlichen Leitungen. Das sei aber dieses Jahr so schmutzig. Alles Mögliche sei darin: Steine, Dreck, Würmer, Abwasser. Aber das sei ja auch kein Wunder, schließlich komme das Wasser über offene Kanäle aus dem nāla, gehe dann in einen offenen Tank des PWD und von dort weiter zu den Häusern, aber ohne dass es irgendwie gefiltert würde. Und wie jeder wisse, gebe es so viele Leute, die schon oben im nāla das Wasser verschmutzten, ganz abgesehen von den Verschmutzungen des Bewässerungswassers in den Kanälen, die die Siedlungen durchziehen und in die die Leute alle Abwässer leiteten. Im nächsten Jahr wolle daher „WASIF“ – oder sei es AKRSP? – einen Tank bauen, mit einer Filtrationsanlage und Leitungen zu jedem Haus in der Lalik Jan Colony. Das habe ein Ingenieur, der in der Lalik Jan Colony wohne und bei AKRSP arbeite, angeleiert, erklärte sie, wobei sie eher vorwurfsvoll darüber klang, dass sie – schon wieder – Geld für ein solches Projekt bereitstellen sollten. Rs.3000 hätten sie schon für eine Mitgliedschaft bei AKRSP bezahlt, über die sie Wasser aus dem Fluss mit dem Lift hochgepumpt bekomme – für Rs.8 pro Minute statt der Rs.15 ohne Mitgliedschaft. Das Wasser in der Lalik Jan Colony sei so schlecht, da würde die Organisation nun – entgegen der üblichen Praxis – ihren Service auch in der Stadt anfangen und dann ggf. ausdehnen, ergänzte wiederum Talha. In Ghizer67 z.B. hätte WASEP schon in jedem Dorf eine solche Wasserversorgung installiert, aber hier in Gilgit müssten die Leute das dreckige Wasser trinken, ergänzte er bitter. Dieses Jahr hätten sie immerhin genug Wasser gehabt, auch in den zwei vorigen Monaten März und April, erklärte Talha – wobei er aber nicht begründete, ob das trotz oder wegen der Ausgangssperre so gewesen sein könnte, die 2012 im gesamten April über die Stadt verhängt gewesen war. Gerade im März und April sei das Wasser oft knapp. Im nāla gebe es zwar immer Wasser, aber das würde an die „alten“ Siedler gehen, wie er erklärte. Aber das Land hier (d.h. die Colony) sei ja eben erst seit Kurzem besiedelt – gerade ihre unmittelbare Nachbarschaft erst seit vier, fünf Jahren. Bis dahin hätte es hier nur Steine gegeben, keine Pflanzen und keine Bäume. Die „alten“ Siedler würden zuerst ihre Felder bewässern und Tanks füllen; was dann übrig bleibt, gehe weiter an sie. Aber gerade im März und April gebe es nicht genug und dann würden die „alten“ Siedler auch nichts abgeben. Wenn man mit Eimern oder Gefäßen käme, könne man durchaus auch direkt vom nāla Wasser holen, das sei kein Problem. Letztes Jahr hatte seine Familie zwei oder drei Mal Wasser mit dem

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Ein Distrikt im Westen Gilgits.

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tanker holen lassen, was aber sehr teuer sei, wie er erklärte – Flusswasser koste um die Rs.1000 und nāla-Wasser sei noch teurer. Dennoch schien auch in Talhas Aussagen die Zurückhaltung gegenüber dem WASEP-Projekt durchzuklingen. Wie sein Bruder Mansoor Alam bei einem Besuch im Jahr 2014 dann erklärte, beteiligten sie sich tatsächlich eher ungern an dem WASEP-Projekt. Nicht jedoch weil es über eine ismailitische Organisation ausgeführt würde, wie ich sicher vermuten würde: Ihre Zurückhaltung stamme aus der Befürchtung, dass, wer auch immer das Projekt ausführe – seien es Sunniten/Sunnitinnen, Schiiten/Schiitinnen oder Ismailiten/Ismailitinnen – sicher auch dieses Projekt nicht rechtschaffen ausgeführt würde. Gut seien nur die NGOs, die die Finanzierung (zunächst) selbst übernehmen würden, anstatt die lokale Bevölkerung nach Geld zu fragen, das schließlich veruntreut würde, wie Mansoor erklärte: „I like those NGOs who put their own money first. I donʼt like those who look for more and more money. If the Aga Khan [would be] giving his [own] money then it [would be] good. But the people in Gilgit, be they Sunni, Shia or Ismaili, they just take the money for themselves. They just put a small amount in the project and the rest is gone. Now for this project every house had to give a lot, like ten thousand [rupees] or more. But it is still not working.“

Wie Mansoor weiter erwog, würden die Organisatoren des Projekts vielleicht 25 Prozent des gesammelten Geldes tatsächlich in das Projekt investieren, den Rest aber sicher in die eigene Tasche stecken. Obwohl das Projekt schon 2012 angefangen worden sei, schon diverse Treffen stattgefunden und sie immer höhere Beiträge entrichtet hatten, gebe es jetzt, im Februar 2014, noch immer kein Wasser – für Mansoor ein Grund, am Projekt und v.a. an den Durchführenden zu zweifeln. Dabei schien Skepsis gegenüber WASEP an sich nicht unangebracht, wie auch Bakhtawar Shah erklärte. Obwohl er den Fall argwöhnischer sunnitischer Haushalte nicht mit der eigenen Skepsis in Verbindung brachte, erzählte er, wie er selbst von WASEP verlangt habe, die Kalkulation offenzulegen – ohne das würde auch er den Beitrag nicht leisten. Als ehemaliger PWD-Mitarbeiter bezog er sich dabei auf die Praktiken der (regional-)staatlichen Departments und erklärte, dass nur die Offenlegung aller Kalkulationen Korruption verhindern könne. Hätte WASEP z.B. einen Posten für 50 Lakh ausgeschrieben, der Bauunternehmer biete seine Leistungen aber schon für 40 Lakh an, dann sei das ein sicheres Zeichen für Betrug und man müsse sich fragen: Warum macht der Bauunternehmer das so günstig? Und warum hatten die WASEP-Ingenieure so viel kalkuliert? Und was würden dann die Investoren sagen? Als er wiederholt bei WASEP verlangt habe, die angesetzten Projektkosten offenzulegen, habe WASEP zunächst versucht, die Kalkulationen zu verstecken (chupāna), wie er erklärte. Aber schließlich würde er für das Projekt von

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WASEP Rs.16.000 zahlen – da wolle er doch schon wissen, wie groß das Projekt insgesamt sei und für was dieses Geld im Detail eingesetzt würde. Sanktionen, (enttäuschte) Erwartungen und „demokratische Prinzipien“ 2013 begann schließlich auch in der Lalik Jan Colony die Implementierung des Projekts. Doch gegen Ende der Bauarbeiten 2014 hatten offenbar noch immer nicht alle in der Nachbarschaft gezahlt. Bei einer Sitzung des Projektkomitees, an der ich 2014 ebenfalls teilnahm, beschlossen die Anwesenden daher schließlich, eine Zahlungsfrist für die Beiträge zu setzen. Damit sollten sowohl die Rs.16.000 für Grabungsarbeiten und Rücklage als auch ab Beginn der Wasserverteilung ein monatlicher Beitrag von um die Rs.300 für laufende Kosten erfasst werden. Um diese Beiträge zu bekommen, hatten einige Komiteemitglieder durchaus schon auf drastische aber altbekannte Mittel zurückgegriffen: „Today I collected the motorcycle of Mister Hadi, a connection holder, and I told him ‚if you pay till the fifteenth, you will get it back, if not, we will sell you motorcycle‘“, verlautbarte ein Anwesender während des Treffens. Seine Aussage fand dabei in der Diskussion kaum Beachtung – wie ich meine, weil eine solche Methode der traditionellen Handhabung des Beschlagnahmens von Besitztum folgt, wenn sich Mitglieder einer Gemeinschaft nicht an gemeinschaftlichen Arbeiten beteiligen.68 Anstatt dieses Vorgehen zu diskutieren oder gar zu kritisieren schlugen die führenden Komiteemitglieder Salman Ali Ustad und Muzaffar Fareed vor, dass noch eine Monatsfrist gestellt werden solle, in der Zahlungen nachgeholt werden könnten: „We will issue a warning to all who have not contributed. The last date will be fifteenth of next month, after that we will dis-

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Dies entspricht auch der gängigen Handhabung von gemeinschaftlicher Arbeit bzw. der Weigerung, daran teilzuhaben, wie z.B. auch Hussain und Langendijk (1994) es beschreiben. Zwar verwenden Hussain und Langendijk auch hier den Begriff „rajaaki“ (ebd.: 22; Schreibweise wie im Original), der eigentlich gemeinschaftliche Arbeiten bezeichnet, die vom Herrscher (rāja) beauftragt wurden, auch wenn die gemeinschaftliche Arbeit eher „būe“ gleicht, dem reziproken Arbeitstausch in der Nachbarschaft für Arbeiten, die ein Haushalt nicht allein bewältigen kann (siehe Sökefeld 1997a: 82-3). Als Strafe für Nichtbeteiligung wird ein Betrag angesetzt, der der Bezahlung eines ungelernten Arbeiters entspricht; ob dieser Betrag tatsächlich erhoben wird, wird allerdings unterschiedlich gehandhabt. Auch Hussain und Langendijk (1994) nennen einen Fall, in dem die Gemeinschaft die Arbeiten generell über solche Beträge an externe Arbeitskräfte delegierten – allerdings handelte es sich hierbei um eine Gemeinschaft, die der ehemaligen Herrscherfamilie angehörte (ebd.: 22).

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connect their connections.“ Wer bis dahin nicht gezahlt habe, dessen Leitung würde – eine einfache Sache – unterbunden („simpl-si bāt hay, ham inki lain kāṭenge“). Wer nicht bereit sei zu zahlen, deren Leitung würde gegebenenfalls von der Hauptleitung abgesperrt, wiederholte auch Bakhtawar Shah in einem Gespräch anschließend an das Treffen die Entscheidung. Und wer sich danach wieder anschließen lassen wolle, müsse dann zusätzliche Rs.10.000 zahlen. Schließlich sei es nicht ihre Aufgabe, andere unentgeltlich mitzutragen. Wie er ausführte, gebe in ganz Gilgit es kaum Wasser, Leute müssten das dreckige Flusswasser trinken und hier in der Lalik Jan Colony würden manche ihr (bzw. WASEPs) sauberes Wasser und ihr Projekt nicht akzeptieren, das noch dazu von externen Geldgebern unterstützt wird? Wie er aufgebracht erklärte, sollten sie lieber dankbar sein („shukarguzār hōna chāhiyē“) und die Rs.16.000 zahlen. Wie er erklärte, sei das außerdem eine einfache Rechnung: Wenn sie stattdessen, wie bisher, Wasser über tanker bezögen, würden sie denselben Betrag schon in einem Jahr ausgegeben haben, während ihr Projekt ad infinitum („hamēsha ke liyē“) bestünde. Dennoch hatte Muzaffar Fareed bei einem Treffen des Komitees noch während der Grabungsarbeiten 2013 erklärte, dass die Unterstützung durch WASEP sie keinesfalls gegenüber WASEP oder gegenüber anderen in der Nachbarschaft zu irgendetwas verpflichte. So könnten sie durchaus ihre eigenen Regelungen treffen und seien auch nicht dazu gezwungen, Leitungen so zu verlegen, wie WASEP es fordere – was sich in diesem Fall auf die Forderung WASEPs bezogen hatte, Leitungen so zu verlegen, dass gegebenenfalls später weitere Haushalte angeschlossen werden könnten. Wie Muzaffar Fareed einwarf, seien sie auch keinesfalls dazu verpflichtet, sich um die zu kümmern, die weder praktisch mit ihnen zusammengearbeitet noch gezahlt hatten: „We don’t have to give those people who didn’t cooperate with us and who didn’t pay anything. If the department [WASEP] wants [this], it should give [these facilities] itself. We will only take into account [the people] where we have done the work [of collecting money] and later we will see. After all, the world has not yet come to an end. And we have decided this in the meeting [last time], that we only take the pipes to those people who work with us, who cooperate [by helping or at least by paying the money]. […] This is our rule that whoever did not cooperate cannot have this [service through our project]. If a person does not care and does not help, why should we go to his door [and approach him again and again]?“

Sie müssten eindeutige Grenzen ziehen bzw. Entscheidungen fällen, wie Muzaffar Fareed weiter erklärte, ansonsten müssten sie auch langfristig mit Problemen, bezüglich Leuten, die auch nachträglich angeschlossen werden wollten, rechnen: „[Otherwise] later they can claim ‚it is my right too, that the department should

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provide this‘, then social problems can come from this.69 And how can we solve the problem at that time?“ Denn nicht nur die Organisation, auch die Mitglieder des Projektkomitees selbst hatten durchaus Erwartungen an das Engagement der Nachbarn – schließlich kann auch das beste Komitee die Unternehmung nicht allein stemmen. Die fehlende oder nur eingeschränkte Bereitschaft, sich um das Projekt zu kümmern, Grabungsarbeiten zu überwachen oder auch nur den Arbeitern Tee anzubieten, wurde in Gesprächen mit mir, aber auch in gemeinsamen Versammlungen des Projektkomitees immer wieder angesprochen. Wie ein Nachbar bemerkte, sei im Hinblick auf Zahlungsmoral und Ehrlichkeit gerade der Umgang mit der (sunnitischen) Verwandtschaft Murtaza Ghulams sehr schwierig – obwohl Murtaza selbst sich so bemerkenswert für das WASEP-Projekt einsetzte, wie er beifügte. Wie der Nachbar erklärte, hätte Murtaza ihm vor Kurzem erst erklärt, dass sein Schwager Jaffar nicht zahle und daher auch keinen Anschluss bekommen solle. Kurz darauf hätte Jaffar sie während der Grabungsarbeiten angesprochen und erklärt, er würde nun auch zahlen und wolle daher auch einen Anschluss. Er hätte er bislang nicht gezahlt gehabt, da er bislang kein Vertrauen in das Projekt gehabt habe. Jetzt aber, wo er sehe, dass tatsächlich gearbeitet würde, wolle auch er teilhaben. Vergleichbar zum Argument in Mansoor Alams Familie griff auch Murtazas Schwager Jaffar auf die Aussage zurück, dass sich die Zurückhaltung beim Zahlen aus Misstrauen gegenüber NGOs im Allgemeinen gespeist habe – ein Misstrauen, das sich nun, mit der Umsetzung des Projekts, als unbegründet erwiesen habe. Ggf. kann ein solches generelles Misstrauen also auch als legitime Erklärung für Zurückhaltung dienen. Unter Rückgriff auf dieses Argument bat Jaffar um einen nachträglichen Anschluss an das Projekt und darum, die bislang unterlassene finanzielle wie auch tatkräftige Unterstützung möge verziehen werden. Wie in der Beschwerde des Nachbarn über Jaffar jedoch durchklang, schien das Misstrauen von Jaffar aber weder gerechtfertigt noch verzeihlich. Salman Ali Ustad dagegen, der als treibende Kraft meist die Versammlungen moderierte, entfuhr im Anschluss an solche Beschwerden gegenüber einzelnen Personen regelmäßig die Schelte, dass sich durchaus insgesamt mehr Bewohner auch tatkräftig einbringen könnten, anstatt sich nur über andere zu beschweren. Wie er wiederholt ironisch ergänzte, sei sich zu engagieren keinesfalls ein Privileg, das den Mitgliedern des Projektkomitees vorbehalten sei. Insbesondere wenn auf den wöchentlichen Versammlungen immer wieder Forderungen geäußert wurden, die Leitung derer, die nicht gezahlt hätten, einfach zu kappen („Just cut it!“), fuhr Salman Ali Ustad die Fordernden an: „Who will cut it? From where? And when to cut

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Damit bezieht sich Muzaffar Fareed vermutlich auf mögliche Beschwerden derer, die sich selbst praktisch oder finanziell am Projekt beteiligt haben.

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it? Who will be standing there when they will cut it? Fix the responsibility! If we have to cut it, then who will be responsible? Fix that now!“ Sich am Projekt zu beteiligen bedeutet nicht allein, die Beiträge zu zahlen und gelegentlich bei Treffen anwesend zu sein, sondern bedeutet auch, sich darüber hinaus zu engagieren. Anstatt Probleme aufzuzählen oder Schuldige auszumachen sollten die Probleme lieber selbst angegangen und gelöst werden. Dabei wird auch deutlich, dass die Zahl der aktiv Engagierten nur eine Handvoll Männer ist und dass sich nicht – wie idealerweise wünschenswert – alle engagieren, wie Salman Ali Ustad kommentierte: „We are also careless; our community doesn’t work the way we have to, I don’t work the way I have to, I am not active as much as I have to!? We don’t pay attention if someone works as one person and takes payment for four persons. This all comes because we are careless, we have certain weak points that we cannot control yet.“

Da nütze es nichts, auf einzelne wie Jaffar zu zeigen. Wie Salman Ali Ustad kommentierte, solle sich lieber jeder der eigenen Verantwortlichkeit klar machen: „You tell, except us few people is there any other person who came for a meeting here ever? Is anyone taking interest? Leave Jaffar – there are thousands of people – [but] did any one come and look for work? They are all busy with all their bad works but they don’t come to see this work. I will name two hundred people who never came! [And] we are not their servants that we are working for them here. Don’t give the example of Jaffar only – there are so many people here like him.“

Muzaffar Fareed dagegen forderte dazu auf, mit Milde z.B. gegenüber Jaffar und anderen zu reagieren, die sich nicht oder nur wenig engagierten. Viele hätten keine Erfahrung mit solcher Art von Projekten. Die weniger Erfahrenen müssten daher durch die angeleitet werden, die schon mehr Erfahrungen hätten: „Those people are not bad. Jaffar is not a bad person; they just don’t know the work and the history and they don’t have experience. It’s not their fault. I and you did a lot of social work, but they didn’t. For example, if the workers are outside, working, you bring them water and tea, but in front of other houses they are working and nobody gives them a glass of water. They didn’t learn to help people, so thatʼs why we have to train them. We have to be calm and behave nicely with them. They are our arm and we have to be very careful. If later they go to the department [WASEP and complain about us] saying ‚we will do this and thatʼ then all our work is useless.“

Als diejenigen, die die Verantwortung haben, müssten sie vorsichtig sein, erklärte Muzaffar Fareed, und es sich mit anderen – Nicht-Erfahrenen oder Nicht-Engagier-

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ten – nicht verscherzen; ansonsten, könne es sein, dass diese über Beschwerden alle ihre Bemühungen zunichtemachten. Stattdessen müssten sie in der Art und Weise gemeinschaftlichen Arbeitens unterwiesen werden und diejenigen, die sich wie z.B. Murtaza Ghulam engagierten, müssten gelobt werden: „Murtaza is working – he is [working even] better than me – we have to encourage and appreciate him.“ Die Frage, wer sich wie sehr für das Projekt engagiere könne, so Muzaffar Fareed, kein Grund sein, das Projekt zu stoppen, das eigene Engagement zu reduzieren oder Individuen auszuschließen – obwohl dies, gerade gegenüber Zahlungsverweigerern, dennoch letztlich in Erwägung gezogen wurde. Dabei bleibt festzuhalten, dass auch die zitierten Aussagen immer zweideutig sind. Auch hier kann Salman Ali Ustads der Verweis auf die community, die sich nicht so sehr engagiere wie möglich wäre, sowohl auf die Nachbarschaft bzw. die Nachbarn an sich als auch auf die anwesenden Ismailiten beziehen, die sich trotz der Zugehörigkeit zur Ismailia der Arbeit entziehen. Sein und Muzaffar Fareeds Verweis auf Jaffer und andere, gegenüber denen mit Nachsicht gewaltet werden müsse und die angelernt werden müssten, kann sich sowohl auf Jaffar und andere als Individuen als auch auf Jaffer und andere als Sunniten beziehen. Und der Verweis, dass Murtaza gute Arbeit leiste, kann ebenfalls auf ihn als Individuum als auch auf ihn als Sunnit gemünzt sein. Dabei bleibt die Isolierung von Sunniten in diesen Aussagen implizit bzw. Interpretation. Letztendlich seien es aber „demokratische Prinzipien“, die Vorgehen und Regelungen bestimmen würden. Wie Sayed Aga Momin in einem Gespräch 2014 anmerkte, hätten schließlich auch alle sunnitischen Haushalte ihre Beiträge gezahlt, mit Ausnahme eines einzelnen. Dieser habe sich lange Zeit nicht am Projekt beteiligen wollen und hatte auch nicht die Genehmigung dazu gegeben, die Rohre in der Straße vor seinem Grundstück verlegen zu lassen. So habe er die Organisatoren des WASEP-Projekts zunächst dazu gezwungen, vor seinem Haus die Straßenseite zu wechseln, d.h. einen Abschnitt der Rohre auf der gegenüberliegenden Seite der Straße zu verlegen. Nun würde er mittlerweile, nachdem WASEP-Wasser geliefert werde, ebenfalls am Projekt teilhaben wollen – in Sayed Aga Momins Augen kein Ding der Unmöglichkeit, aber durchaus einer satten Strafe wert. Für einen Anschluss jetzt solle er anstatt der Rs.16.000 am besten gleich Rs.50.000, aber doch mindestens Rs.32.000, also das Doppelte zahlen. Ansonsten würde er eben auf dem Trockenen sitzenbleiben, schließlich würde auch das Wasser aus den öffentlichen Leitungen mittlerweile über die WASEP-Infrastruktur verteilt. Dies wurde auch bei einem Treffen des Projektkomitees kurz zuvor so diskutiert: Wer sich nicht beteiligen wolle, müsse sich eben mit dem tanker Wasser bringen lassen. Wie ein Anwesender mir erklärte, sei das in einer Demokratie eben so. Wenn dreihundert (Haushalte/Bewohner der Siedlung) das Projekt befürworteten und drei nicht, könne doch daran nicht das ganze Projekt scheitern. Dass die nicht teilnehmenden Nachbarn

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dann auch kein Wasser durch die öffentlichen Leitungen mehr bekämen, sei allein ihr eigenes Problem. Dennoch schien es kaum wahrscheinlich, dass sich diese (wenigen) Bewohner der Nachbarschaft langfristig dem Projekt entziehen würden, wie auch Salman Ali Ustad in einem Gespräch im Vorjahr vorausgesagt hatte. Letztlich würden auch die Verbleibenden sich früher oder später anschließen wollen. Bei vielen sei es eben eine Frage von Taten statt Worten. Seien die Taten und das Ergebnis erst einmal sichtbar, würden sich auch die Zweifler überzeugen lassen – wie mit Jaffar geschehen. Würde das Wasser erst einmal fließen, könne sich niemand mehr entziehen. Daher sei es auch nötig gewesen, so Salman Ali Ustad, dass sie als Projektkomitee die Arbeit zunächst auch ohne die Zustimmung (und ohne das Engagement) vieler Haushalte begonnen, statt sich auf lange Diskussionen einzulassen: „[In the beginning] we did not convince them. Not with words. We discussed it, but they did not understand. So then we said: ‚[Let us] start the work.‘ We [first] worked on the ‚tanky‘. So at that time we were around fourty percent of the people. When we started working on the ‚tanky‘. When that work was done, it was fifty percent of the people. So after the ‚tanky‘ we did the digging. So those persons in front of whose houses we were working, they also joined. So it got up to eighty percent. When we did the piping, it became ninety percent. Now it is ninety-five percent. So now there are some two or four people... [who didn’t join until now]. Those are some four people [/households].70 So once we will be drinking the clean water for one month and give them the dirty water, so... naturally they feel... that ‚we are drinking that water and these people are drinking this water‘. So, naturally they will come. When they will keep separate... for how long? […] So, when we will give the water, then they will also come. By themselves.“

Über kurz oder lang, so Salman Ali Ustad, würden alle von ihrer Arbeit überzeugt sein. Aneignung oder Vereinnahmung des Systems Wie auch in Sultanabad wichen aber auch in der Lalik Jan Colony die Forderungen nach Projektregulierungen von den sonst mit WASEP üblichen Regeln ab. Hier betrafen die Abweichungen v.a. die Frage, für welche Zwecke das WASEP-Wasser verwendet werden könne. Schon zuvor hatte es wohl nur in wenigen Haushalten eine Trennung von Wasser für Bewässerung, für den Haushalt und als Trinkwasser gegeben. Auch wenn Salman Ali Ustad dies zunächst bestritt, war es unter Umstän-

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Eine sehr grobe Schätzung; die Diskussionen im folgenden Jahr bezüglich dem Abtrennen mancher Haushalte von der schon verlegten Wasserinfrastruktur lässt darauf schließen, dass es sich um weit mehr als vier Haushalte gehandelt haben musste.

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den nicht unüblich, in den Frühjahrsmonaten, wenn die öffentliche Wasserversorgung mit Wasser aus dem nāla abgestellt wurde, das Bewässerungswasser auch für den Haushalt und als Trinkwasser zu nutzen. Nur die wenigsten Haushalte haben gesonderte Tanks, um das in Tranchen ausgeschüttete Leitungswasser aus dem nāla sowie das AKRSP- oder tanker-Flusswasser überhaupt getrennt aufbewahren zu können. Auch Sayed Aga Momin hatte dies zuvor angemerkt: „The people use that water [from the river, coming through the AKRSP line] for drinking [as well] – there is no other choice. And what else should they do? The river water is very dirty; if you go and see, all the dirty water is going there. […] But still this is Allah's system that this water seems clean.“

Wie Salman Ali Ustad auch kurz darauf selbst bestätigte, sei das Wasser, das aus dem nāla kommt, nicht ganz so verschmutzt wie das aus dem Fluss; und da auch Flusswasser konsumiert wird, sei eben Filtration nötig. „The people drink the water from up [from the nāla]. Just like that, directly. This water is not that much... contaminated. But down in the river it is very dirty. The river water is eighty percent more dirty [than the nāla water]. Here this [nāla water] is maybe some twenty percent dirty. And in this, the germs that are inside, we can remove them [by boiling etc.]. The water from down – that has big worms. Those can not be destroyed. Only by filtration. So for this we brought the filter [through the WASEP project]. So when this will be completed – at least in the Lalik Jan Colony there will be clean water.“

Dabei scheint auch die Anweisung WASEPs, das durch ihre Projekte zu Verfügung gestellte Wasser nur als Trinkwasser zu verwenden, den Bewohnern und Bewohnerinnen eher als Empfehlung, denn als Grundsatz. Neben dem WASEP-Wasser würde kein weiteres Wasser – in dem Fall für Bewässerung – nötig sein, wie z.B. Salman Ali Ustad erklärte. Stattdessen würde das WASEP-Wasser, wenn es von Zeit zu Zeit überschüssig sei, auch für die Bewässerung verwendet. Schließlich bekämen sie, wie er kalkulierte, über WASEP mehr als genug Wasser: „There will be a surplus – depending on how much we use. We donʼt use that much in the houses. So with the rest we will do the irrigation. Otherwise the donors donʼt allow to use that water for irrigation. Also not in the toilet. But we have no [other] water as a substitute.“ Schließlich gehe auch das Wasser aus den öffentlichen Leitungen direkt in den WASEP-Tank und von dort über die Filtrationsanlage dann in die privaten Tanks der Bewohner_innen, von wo aus es in ihrer eigenen Verantwortung liege, das Wasser zu nutzen – ob für Haus, Bad, Küche oder Garten. Vielmehr sei es wichtig, dann darauf zu achten, dass auch in den eigenen Tanks das Wasser sauber bleibe, sodass es auch von dort weiterhin als Trinkwasser verwendet werden könne.

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„So from that ‚tanky‘ [at home] we will use it either directly or store it – itʼs up to us. We can use the clean water even for irrigation. So it will be our own duty how we will keep our water clean at our houses. This will be our own right [i.e. responsibility], our own task.“ Mit einer solchen Handhabung würden auch die öffentlichen Leitungen, die das Wasser derzeit noch zu den Haushalten führten, komplett abgedreht und alles Wasser von der öffentlichen Hauptleitung aus über die WASEP-Infrastruktur geleitet – eine Vorgehensweise, die auch bedeutet, dass Haushalte, die sich nicht am WASEP-Projekt beteiligen, kein Wasser mehr bekommen, wie oben diskutiert. Außerdem, argumentierten sowohl Salman Ali Ustad als auch Sayed Aga Momin, sei das Wasser, das sie nun über WASEP bekommen würden, entgegen dem sonst üblichen Grundsatz WASEPs, von Anfang an nicht nur als Trinkwasser gedacht. Wer würde schon Rs.16.000 nur für Trinkwasser ausgeben, wie Sayed Aga Momin entsetzt entgegnete: „Why would we give sixteen thousand rupees just for drinking water?“ WASEP würde zwar eine solche Bedingung in Gegenden setzen, in denen Quellwasser an die Haushalte gehe. Sei das Quellwasser eher knapp, dürfe es nicht z.B. in Toiletten verschwendet werden. Hier in Gilgit aber würde eine solche Regelung nicht greifen. „Here this does not apply; if we give this much money only for drinking, it would not work [for us]. That is why we gave more money so that we can use that water for everything.“ Wie Sayed Aga Momin argumentierte, müssen aus den hohen Beteiligungskosten auch mehr Rechte resultieren – unabhängig davon, dass die höheren Kosten für die Grabungsarbeiten erhoben worden waren, die die Stadtbewohner nicht selbst durchführen wollten. Auch in zwei weiteren Projekten in Gilgit, so Sayed Aga Momin, hätte es sich gezeigt, dass so restriktive Regelungen nicht durchsetzbar seien. Daher hätten sie in der Lalik Jan Colony nun die Freiheit, selbst zu bestimmen, wofür sie das Wasser verwenden – als Trinkwasser, Haushaltswasser oder zur Bewässerung. „It happened in the beginning in two projects“, erklärte er bezüglich der Regelung, das Wasser nicht z.B. in Bad oder Toilette zu benutzen, „[but] that was wrong. What is the point if you can't use the water in the washrooms?“ Auch das WASEP-Wasser – gleich dem Wasser, das über die öffentlichen Leitungen geliefert wird – ist also eigentlich von der Organisation als Trinkwasser bestimmt und soll von Haushaltswasser und Bewässerungswasser unterschieden werden, das vielerorts entsprechend durch verschiedene Leitungen und Kanäle an die Grundstücke geht. So sind zwei Wasserleitungen und zwei Hähne in vielen Haushalten in den Ortschaften, in denen WASEP über die öffentliche Leitung hinaus ein Projekt implementiert hat, nicht unüblich und oft wird über die zwei Leitungen hinaus das Wasser zur Bewässerung weiterhin über einen nālī geleitet. Diese Unterscheidung ist aber für die Bewohner_innen bzw. Nutzer_ innen in Gilgit weder eingängig noch scheint eine solche Unterscheidung umsetzenswert, weswegen sie die Bedingungen entsprechend ihrer Bedürfnisse modifi-

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zieren. Und wie sich herausstellte, war die Qualität des Wassers einigen Gesprächspartnern und -partnerinnen ohnehin weniger bedeutend als die durchgängige Versorgung. Darüber hinaus wurden aber nicht nur die von WASEP üblicherweise geforderten Regeln verändert, sondern z.T. auch umgedeutet – wie z.B. die von WASEP aufgestellte Bedingung, die Leitungen nicht nur oberirdisch oder nur wenige Zentimeter unter der Erde zu verlegen, sondern vier Fuß tief. Während die offizielle Absicht darin besteht, die Leitungen vor Frost zu schützen, wurde die Tiefe von vier Fuß in den Aussagen der Bewohner zu einer Möglichkeit, sich gegen Anzapfen der Leitungen und Anschließen nichtsanktionierter Nebenleitungen zu schützen. Und auch diesbezüglich war weniger Thema, dass durch unprofessionelle Anschlüsse die Leitungen für Wasser und verschmutztes Wasser durchlässig werden. Stattdessen wird das Anzapfen des gemeinschaftlichen bzw. privaten Systems hier ganz konkret als Stehlen verstanden, durch das sich die Wassermenge für die offiziell Beteiligten verringert, wie ein Mitglied während einer Komiteeversammlung erklärte: „It is compulsory that it should be four feet [below the ground]. Because we are afraid of stealing. So those people who don’t want to give [an application to the government department, or money for the WASEP-project], they [usually] steal [water from the pipes], but how can they steal now? They can’t go down four feet.“

Das von WASEP vorgegebene Regelwerk wird also auch hier sowohl abgeändert als auch umgedeutet. Und wie schon an verschiedenen Stellen durchgeblitzt, betrifft dies nicht allein die Regelungen zu Betrieb und Verwendung, sondern darüber hinaus sogar WASEPs eigentliche Absicht, mit ihren Projekten die Qualität des verfügbaren Wassers zu verbessern: Während WASEPs Absicht darin besteht, „sauberes Trinkwasser“ verfügbar zu machen, ist es für die Bewohner_innen ggf. weniger die Qualität als das Regelmaß, dass das WASEP-Projekt attraktiv erscheinen lässt, wie im Folgenden diskutiert. Regelmaß vor Qualität Tatsächlich ging das Wasser das erste Mal im März 2014 über den WASEPKomplex. Wie Sayed Aga Momin erklärte, hätten sich die Grabungen im Sommer verzögert gehabt und konnten erst im Februar wieder aufgenommen werden, als der Boden nicht mehr gefroren war. Kurz nach Beginn der ersten Wasserausgabe gab es allerdings eine Beschwerde darüber, dass ein Kind krank geworden sei. WASEP habe das Wasser kontrolliert und tatsächlich Keime gefunden; wie WASEP rekonstruiert habe, müsse Wasser aus dem Fluss über die Schutzmauer geflossen sein. Die Mauer wurde erhöht und die Bewohner_innen der Lalik Jan Colony aufgefor-

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dert, ihre Tanks zu leeren und erst das neue Wasser wieder zu trinken. Wie Sayed Aga Momins Frau jedoch erklärte, sei das Problem nun aber, dass das WASEPWasser im Vergleich zum nāla-Wasser nicht wirklich gut schmecke. Es sehe noch nicht einmal aus wie Wasser, sondern sei milchig weiß von all den Chemikalien, erklärte sie mir und goss mir ein Glas ein. Daher würde sie das Wasser nach wie vor zehn bis zwanzig Minuten abkochen, wie ihr Mann es ihr schon seit vielen Jahren aufgetragen hatte – damals um sicher zu sein, nun um sicher zu gehen. Anschließend fülle sie es ab und warte, bis sich auch die weißen Partikel absetzen würden. Insofern habe das WASEP-Projekt jedenfalls nicht den versprochenen Erfolg erzielt, ihnen Wasser zur Verfügung zu stellen, das auch tatsächlich direkt trinkbar sei, wie sie resümierte. Aber immerhin würden sie nun ganzjährig Wasser bekommen: neben den neun Monaten von Sommer bis Winter, in denen sie Wasser vom Jutial Nala bekommen hatten, nun auch in den Frühlingsmonaten. Schon im Jahr zuvor hatte ihr Mann Sayed Aga Momin, der vor einigen Jahren selbst sechs Monate lang für WASEP gearbeitet hatte, erklärt, er würde der Qualität des WASEP-Wassers in keinem Fall trauen, sondern es v.a. für Haushalt und Garten verwenden. Als Trinkwasser wolle er weiterhin entweder das Wasser abkochen oder über Sujo liefern lassen. Wie er erklärte, liege der Brunnen, über den das Wasser aufgenommen würde, schließlich doch direkt am Fluss, in den jegliches Abwasser fließe. Darüber hinaus sei über das WASEP-Projekt allein die Filtration durch zwei Rieselfelder, d.h. sandgefüllte Becken, vorgesehen, von denen er nicht glaube, dass diese alle Bakterien und Verunreinigungen beseitigen würden. Trotz der diversen Informationsveranstaltungen war das Wissen darum, wie der WASEP-Komplex nun tatsächlich funktioniere, woher das Wasser komme und über welche Prozesse das Wasser behandelt würde, unter meinen Gesprächspartnern und -partnerinnen sehr verschiedenartig – ebenso wie auch die Annahmen darüber, ob das Wasser nun sauber sei bzw. Trinkwasserqualität habe. Manche Nachbarn und Nachbarinnen der Lalik Jan Colony waren der Ansicht, zumindest das Uferfiltrat sei entsprechend schon filtriert („naturally filtered“), allein dadurch dass es die verschiedenen Gesteinsschichten durchlaufe; dies schien vielen als ausreichend. Sie erklärten, dass zumindest dieses Wasser nicht nochmals gefiltert werden müsse und dass die Filtrationsanlagen am Tank oberhalb der Siedlung allein für das Wasser aus dem nāla nötig seien. Bakhtawar Shah dagegen erklärte, auch das Flusswasser bzw. Uferfiltrat würde nochmals gefiltert und erst anschließend verteilt. Ohne Chemikalien jedoch, rief er bestimmt aus: „No chemicals!“ 71 Und auf meine Frage, ob das Wasser allein durch die Sandfilter denn auch sauber und frei von Bakterien

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Eine Behandlung mit Chemikalien war nicht geplant, war aber offenbar doch nachträglich eingeführt worden.

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sei, war er sich sicher: „If the filtration will be done from two places then what will be left [of any contamination]? The water is not coming from river directly, no?“ Insofern stellt sich die Frage, ob die Qualität des Wassers für die Bewohner_innen der Lalik Jan Colony tatsächlich im Zentrum stand. Auch als weiterhin Zweifel aufkamen, ob das Wasser, das über die WASEP-Leitungen verteilt wurde, auch „wirklich“ sauber sei – die Grundlage mit der WASEP gegenüber Geldgebern und Gemeinschaften argumentiert – wurden Investitionen und Mühen keinesfalls als vergeblich dargestellt. Wie Sayed Aga Momin und seine Frau argumentierten, würden sie nun zumindest ganzjährig Wasser bekommen. Entsprechend schien die Qualität, mit der WASEP wirbt, für viele Bewohner_innen Zugunsten von Regelmäßigkeit in der Versorgung in den Hintergrund zu rücken. Zwar hatte sich im Lauf der Umsetzung des Projekts der Lalik Jan Colony herausgestellt, dass das WASEPProjekt die Wasserversorgung nicht doppeln würde, wie viele Bewohner_innen lange Zeit gehofft und argumentiert hatten. Mehrere Gesprächspartner, u.a. einer der initiierenden und das Komitee ausmachenden buzurg, hatten mir immer wieder erklärt, das Wasser des nāla würde weiterhin und wie gehabt über die öffentlichen Leitungen verteilt und das Wasser für den WASEP-Komplex würde ganzjährig aus dem Fluss gepumpt und so zusätzlich verteilt. Dafür schien das Projekt aber dennoch auch im Nachhinein gerechtfertigt – wenn auch nicht unbedingt, weil das Wasser nun eben gefiltert und sauber käme, wer könne sich dessen schon sicher sein? Sondern weil das Wasser nun ganzjährig beständig kommen würde. Außerdem haben die Bewohner_innen der Lalik Jan Colony die Wasserversorgung nun selbst in der Hand und können über ihr Projekt immer Wasser vom Fluss aufstocken sowie Reparaturen sofort durchführen oder Blockaden beheben lassen. Meines Erachtens nach scheint es diese Beständigkeit bzw. Regelmäßigkeit zu sein, die für viele im Vordergrund steht. „Smart leaders“ Wie in diversen Unterkapiteln deutlich wurde, ist für solche Projektarbeit – trotz des rhetorischen Fokus auf das Kollektiv oder die Gemeinschaft – v.a. das besondere Engagement Einzelner Voraussetzung. Diese müssen es schaffen, das Engagement Weiterer hervorzurufen – sowohl auf Seite der Organisation als auch auf Seite der Nachbarschaft. Sie müssen es auch schaffen, eine gemeinsame Identität und gemeinsame Ziele zu prägen, um die Ressourcen der Organisation zu ergattern – ein Prozess, der ähnlich auch in den alten Siedlungen bzw. Dörfern notwendig war.72 Vergleichbar müssen in der Bewerbungsphase auch in den neuen Siedlungen

72

Vergleiche die Prägung der Identität von pushtūne bāshinde, über die Gewohnheitsrechte auf die Ressourcen der nālas gesichert wurden.

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die Bewohner_innen der Siedlung als eine (hilfs-)bedürftige aber auch arbeits- und zahlungswillige, klar abgesteckte und einige Gemeinschaft inszeniert bzw. repräsentiert werden.73 Dies wird aber nicht notwendigerweise über das Zutun aller Bewohner_innen der Nachbarschaft erreicht, sondern, wie auch Ostrom (2000) erwähnt, über das einiger Weniger: „some [individuals who are] more willing than others to initiate reciprocity to achieve the benefits of collective action“ (ebd.: 138). Tsing (2005) beschreibt ein solches Verfahren in Südkalimantan als das von „smart leaders“, die dort unter der Bezeichnung der „tribal elders“ arbeiten – politisch aktive und kreative Individuen, die nach außen eine Gemeinschaftsidentität inszenieren (ebd.: 165). Hierüber soll die so inszenierte Gemeinschaft in den Augen derjenigen, die über die Ressourcen (der staatlichen oder internationalen Organisationen) verfügen, als unterstützenswert dargestellt werden: „One must have a stable village that can be identified and funded. One must have a distinctive culture worth studying and saving. And one must have a strong, visible leadership to articulate community concerns in ways that these agencies can understand. To craft each of these is a work of imagination and artistry.“ (Ebd.: 181)

Im Folgenden möchte ich anhand der Nachbarschaften in den neuen Siedlungen erklären, wie dies in Gilgit vonstattengeht. Wie ich meine, bilden sich in den tanzīms Rollen heraus, die ich mit Tsing ebenfalls als „smart leaders“ bezeichnen möchte. In Gilgit entsprechen diese „smart leaders“ zwei Kategorien: einerseits den buzurg oder committee members der Nachbarschaft oder Siedlung. Andererseits den sogenannten social mobilizers, die für WASEP die Aufgabe übernehmen, Gemeinschaftsarbeit zu forcieren. Dabei ist diese Unterscheidung nur eine tentative, insbesondere da der Begriff der social mobilizers sowohl für die offiziellen Stellen innerhalb der WASEP-Struktur benutzt wird als auch auf Individuen der Nachbarschaft selbst (z.B. auf die buzurg) übertragen werden kann. In beiden Fällen besteht die Aufgabe darin, die Nachbarschaft dazu zu bringen, sich für das Projekt zu engagieren. Beide haben außerdem die Aufgabe, die Nachbarschaft in der WASEPDokumentationsarbeit, d.h. in den PRAs und damit gegenüber den Geldgeberorganisationen als Gemeinschaft und als unterstützenswert zu inszenieren bzw. zu repräsentieren. Die social mobilizers müssen Mittler zwischen internationalen Geldgeberorganisationen und lokalen Bewohnerinnen und Bewohnern sein und als Brücke fungieren – sie müssen, in Tsings Worten, ein „field of attraction“ erschaffen:

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Vgl. auch hier die „mythic communities“ Agrawal und Gibsons (1999), die deren Definition(en) als zahlenmäßig und räumlich begrenzte Gruppen mit geteilten Normen und Werten betrachten.

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„the single most important sign of a community representative’s success is his or her ability to conjure, and be conjured by, that emotionally-fraught space that keeps the experts coming back. In this space creative action is possible, and collaborations are forged.“ (Ebd.: 160) Bei diesen Vorgängen spielt sicher eine Rolle, dass einige WASEP- und AKRSP-Mitarbeiter bzw. -Leiter in Gilgit und in ebenden Siedlungen wohnen, in denen schließlich Wasserkomplexe über die Organisationen errichtet wurden. Ggf. war es einigen so möglich, sich Eigenschaften wie Engagement sowie Wissen um das Funktionieren diverser (AKDN- wie auch Geldgeber-)Organisationen anzueignen, die sie nun als „smart leaders“ nutzen können. Entsprechend spielt in den alten Siedlungen sicher eine Rolle, dass sich diejenigen, die es schaffen, die Kategorie der pushtūne bāshinde anerkennen zu lassen auch diejenigen sind, die Stellen in der Regionalregierung und -verwaltung besetzen, politisch aktiv sind oder traditionelle Ämter innehaben, wie die des nambardār. Ohne Brücke bzw. ohne aktive Akteure gibt es auch keine Zusammenarbeit und die Nachbarschaft bleibt sich selbst überlassen. Dies weiß auch Salman Ali Ustad, der in der Lalik Jan Colony bemerkte, dass v.a. der Wille und die Entschiedenheit zähle – “It is about the energy, the potential that the people have to work. It is about the energy that the people have, their training, their being convinced, their spirit“ –, als er erklärte, dass Wille und Entschiedenheit Gelder nicht nur von einer bestimmten, sondern von allen möglichen Organisationen eröffnen könne: „If I need something, if I really want something, then whether the government is giving me [then I say]: ‚welcome‘; whether the AKDN is giving me [then I also say]: ‚welcome‘.“ Und auch die WASEP-Mitarbeiter wissen um Möglichkeit und Notwendigkeit, die Gemeinschaft zu inszenieren. Wie Tsing anführt, schaffen die „smart leaders“ mit trickreichen Transformationen Raum zu Manövrieren (vgl. ebd.: 165). Über solche trickreichen Transformationen machten z.B. die WASEP-Mitarbeiter die Umsetzung von Wasserkomplexen auch in der Stadt möglich: Zunächst, indem sie Stadtteile (insbesondere an den Grenzen der Stadt gelegene) gegenüber Geldgeberorganisationen als „ländlich“ definierten, um die diesbezügliche Voraussetzung in deren Policy-Katalog zu erfüllen. Und schließlich auch, indem sie es schafften, dass dieses Kriterium von manchen Geldgeberorganisationen aufgegeben wurde, wodurch Projekte auch im städtischen Raum ermöglicht wurden. Dabei ist der Schritt in die Stadt ein sehr großer. Denn auch für Pakistan gilt, was Tsing für Indonesien festhält: Es ist einfacher, Entwicklungsarbeit auf dem Land zu verkaufen. „Normaler“ Bedarf ist uninteressant, wenn er nicht mit (romantisierenden) Vorstellungen von „traditionellem Leben“ gepaart ist, wie Tsing für die Mitarbeiter_innen von Entwicklungsorganisationen schreibt: „Ordinary poverty is uninteresting to those who imagine themselves civilizing the tribes“ (ebd.: 176). Gleichzeitig haben weder Tsings „tribal elders“ noch Gilgits social mobilizers besondere Geschicke. Noch repräsentieren sie homogene oder einheitliche Gemein-

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schaften. Auch hier sind die „Gemeinschaften“, ihre Definition, Ziele etc. intern unterschiedlich und umstritten (vgl. ebd.: 160). Wie auch Agrawal und Gibson (1999) anführen, verfolgen in den als homogen und einheitlich gedachten „mythic communities“ unterschiedliche Akteure unterschiedliche Interessen; auch hier gibt es strategische Allianzen und externe Einflüsse (ebd.: 636-8, 640).74 So wird z.B. in den Aussagen Bakhtawar Shahs deutlich, dass es z.B. für die Komiteemitglieder ggf. um mehr geht als nur um das Projekt an sich. So verwies er wiederholt auf den Beitrag, den sie – d.h. die initiierenden Führungspersonen der Lalik Jan Colony – mit dem WASEP-Projekt für ihre Siedlung leisteten: „This is a very big project, and if this will be done during our ‚tenure‘, then later up to our grandchildren they will say ‚our grandfathers have done this‘ and our names will be written in the list of the donors in Germany, [mentioning] that this project has been completed in Gilgit, village Lalik Jan Colony, at the cost of two hundred million rupees during their ‚tenure‘.“

Der Nutzen des Projekts liegt für ihn bei Weitem nicht allein darin, dass nun sauberes Wasser oder durchgängig Wasser geliefert würde. Bakhtawar Shah verspricht sich darüber hinaus explizit auch Weiteres, darunter Status, soziales Kapital sowie eine potenzielle Beschäftigung im hart umkämpften Arbeitsmarkt Gilgits als social mobilizer, die ihm von AKPBS angeboten worden sei, wie er mir zu anderer Zeit unter vorgehaltener Hand erklärte. Wie auch Tsing (2005: 160) anmerkt, ist es außerdem sehr wahrscheinlich, dass die angestrebten Entwicklungsprojekte nur wenige Meter entfernt schon unbekannt oder unbedeutend sind. Selbst innerhalb der Nachbarschaften, in denen sich eine Handvoll Akteure für WASEP-Projekte beworben hatten, waren bei Weitem nicht alle Nachbarinnen und Nachbarn für ein solches Projekt. Und manche Gesprächspartner_innen innerhalb der Siedlungen wussten kaum etwas über Absicht, Vorgehensweise oder Voraussetzungen für das Projekt, außer der Tatsache, dass es eine Stange Geld kosten solle. „Wir übernehmen nur die Aufgaben der Regierung“ – Multiplikation, Annexion und „Demokratie“ in der Wasserlandschaft der neuen Siedlungen Im Anschluss an die bisherigen Informationen stellt sich die Frage, wie sich das Engagement der Nichtregierungsorganisationen und das private Engagement in den Gemeinschaften auf die Wasserlandschaft Gilgits auswirkt und in welchem Ver-

74

Siehe auch Berner und Phillips (2003: 6) für eine Kritik der führenden Persönlichkeiten in self-help-Projekten unterschiedlichster Art.

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hältnis öffentliches und „privates“ Engagement stehen. Hierbei ist m.E. auffällig, dass Wasserversorgungskomplexe und Infrastrukturen oft multipliziert werden – mehrere Systeme bestehen nebeneinander. Darüber hinaus kann es aber auch, wie die der Lalik Jan Colony, vorkommen, dass neue, private Infrastrukturen alte und sogar öffentliche Infrastrukturen annektieren. Dies ist insbesondere dann problematisch, wenn die private, z.B. über ARKSP oder WASEP errichtete Infrastruktur explizit in einen religiösen Kontext gebettet ist. Zwar schien das WASEP-Projekt gerade in den ersten Jahren der Bewerbung (ca. 2011 bis 2013) diversen Bewohnern der Lalik Jan Colony insbesondere deswegen als attraktive Option, weil es eine Vervielfachung der Möglichkeiten und so eine weitere Absicherung der Wasserversorgung zu versprechen schien. Wie mehrere Bewohner_innen erklärten, solle es zum Wasser der öffentlichen Leitungen zusätzlich Leitungswasser bereitstellen, das ganzjährig vom Fluss gepumpt würde. Auch Bakhtawar Shah, selbst Mitglied des Komitees, hatte mir dies noch 2013 so erklärt. Dennoch wurde offenbar im Lauf des Jahrs 2013 klar, dass nur in den Frühjahrsmonaten Wasser aus dem Fluss gepumpt werden sollte, wenn das Wasser aus dem nāla vergleichsweise knapp ist. Wenn im Sommer bis Winter das öffentliche Department Wasser auch an die neuen Siedlungen wie die Lalik Jan Colony verteilen kann, sollte weiterhin nur dieses verteilt werden. Wie Salman Ali Ustad mir – nur zwei Tage nach dem Gespräch mit Bakhtawar Shah – erklärte, gebe es daher dann kein Wasser mehr in den öffentlichen Leitungen der Lalik Jan Colony: „But there will be no water! We will finish that [water from the public lines]! We will put the [nāla] water of the PWD75 in that [WASEP] ‚tanky‘! In the filtration plant. [...] From where else would we get water? The one from down, through the ‚lift‘ [i.e. the river water], will also go there. The ‚lift‘ will run in these months, when the water [from the nāla] is less. Otherwise we will not put it to the other upper water. The ‚government pipes‘ [that delivered so far to the houses] will be dry. They will be stopped.“

Diese Entscheidung bedeutet allerdings gleichzeitig, dass Haushalte, die nicht an das WASEP-Projekt angeschlossen sind, sprichwörtlich auf dem Trockenen sitzen gelassen werden. Aber anstatt das Projekt durchgängig über Flusswasser zu versor-

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Eigentlich WASA. Das PWD ist nur für den Bau der Infrastrukturen zuständig, während die WASA die Wasserverteilung übernimmt. Salman Ali Ustad ist jedoch in dieser Ungenauigkeit nicht allein: Die meisten Gesprächspartner_innen sprachen, wenn es um das „Wasser-Department“ ging, zumeist vom PWD. Einige übersetzten PWD auch als Power and Water Department statt Public Works Department.

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gen, schien Salman Ali Ustad eher davon überzeugt, dass auch diese Haushalte sich letztlich dem Projekt anschließen würden oder müssten: „For them we were thinking: if we will be drinking clean water [through the WASEPproject], then after one month ‚naturally‘ they will bend towards us. They will accept it [even if] unwillingly (majbūran). So we will tell them ‚you will not get the government water. It will not be enough. So you come to us.‘ So, ‚automatically‘ they will come. Slowly. Slowly, slowly it will become one hundred percent [of neighbors participating].“

Die Infrastruktur der öffentlichen Wasserversorgung bleibe zwar weiter bestehen, und liefere auch für eine zeitlang noch Wasser. Ziel sei jedoch letztlich alles Wasser über die WASEP-Anlage zu leiten: „We will keep their work – the [government] infrastructure will be there. We donʼt reject it openly (sar-e dast). We will see. We may run both parallelly [for some time]. If it will be necessary, then we will put the water for some time in the ‚tanky‘ and the rest we will keep. We will introduce a new system. So then, slowly, when they [all remaining neighbors] will come towards us, slowly up to a hundred percent, then we will put the whole water there [to the WASEP-project]. Thatʼs how we will do it.“

Über die Möglichkeit, dass Bewohner darüber Beschwerde einlegen würden, machten sie sich keine Sorgen, erklärte Salman Ali Ustad zuversichtlich – auch wenn sie diese offenbar ebenfalls schon diskutiert hatten, wie in einem Szenario deutlich wird, das er entwarf. Ihre Mehrheit sieht auch er in jedem Fall als im Vorteil an: „So then they will go to the government, but we are more then they and we will say that we did this project, then the government will say [to them]: ‚Get lost! Go and join them!‘ Thatʼs it. The majority is the authority. We are the majority. What are those two percent? Or, for example, otherwise we distribute the water hourly – we will give them the minutes that are theirs [through the public line]. If we give two hours water to three hundred houses, then per household they will get as much water. We will take those minutes and tell them: ‚Take them!‘“

Dass ein solches Vorgehen kaum genug Wasser liefern würde, um ein Fernbleiben von ihrem Projekt auf Dauer aufrechtzuerhalten, war Salman Ali Ustad sich sicher. „Their share will be finished [after ten minutes or so] and for how long will they drink those ten minutesʼ water? They will come ‚automatically‘. It is not a problem. With the passage of time this will be solved.“ Wer sich nicht der Mehrheit anschließen wolle, müsse also auf dem Trockenen sitzenbleiben und Wasser individuell auf Haushaltsbasis besorgen – „They somehow have to manage themselves from some-

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where...“ – was für ihn aber nicht problematisch zu sein schien. Wie auch schon ein anderer Nachbar bei einem Treffen kommentiert hatte, liege die Entscheidung – wie in jedem „demokratischen System“ – bei der Mehrheit („The majority is the authority“). Nur in der Zeit im Frühjahr, wenn im nāla das Wasser knapp würde und das wārī-System einsetze, würde dann auf das Uferfiltrat zugegriffen. Um das Wasser die knapp drei Kilometer den Hang hinauf in die Lalik Jan Colony zu pumpen, griffen die Projektplaner darüber hinaus auf die vorhandenen Leitungen und die Pumpe von AKRSP zurück, die ehedem für Bewässerungswasser aus dem Fluss installiert worden waren. Während des gleichen Treffens plädierte dagegen eine Reihe von Männern dafür, dass das Wasser der öffentlichen Leitungen nicht abgestellt werden sollte. Wie sie argumentierten, seien die Leitungen des government schon eine außerordentliche Leistung („extra facility“) gewesen, die die Regierung ihnen zugestanden hatte. Diese wollten sie nun aufrechterhalten – schließlich solle dieses Engagement nicht umsonst gewesen sein. Obwohl ihre Aussagen beinahe zu besorgt gegenüber der öffentlichen Einrichtung erschienen, tat Muzaffar Fareed ihr Plädoyer jedoch direkt als Angriff auf ihr WASEP-Projekt ab: „Donʼt try to destroy the project we made. It is important to keep it up because it is running successfully. The things you are saying now might undermine the project.“ Wie Salman Ali Ustad etwas diplomatischer antwortete, sei das WASEP-Projekt – und auch hier rückt die eigentliche Absicht des Filterns und der Bereitstellung sauberen Wassers in den Hintergrund – lediglich die Möglichkeit, die Verteilung des Wassers, das sie bislang durch das öffentliche System bekämen, nun „systematisch“ zu verteilen: „Well, we want to get the water from all the government pipes, and collect all the water and distribute it in a systematic way. Now we were getting the water in wārīs, some at one time, some at another time, and then someone would dig it open, and half of the water is getting lost through leakage, and anyone can just dig it open and take water. Now we get all the water in one place and then, systematically, distribute it. So is there any problem with this?“

Wie Muzaffar Fareed ergänzte, würden sie die öffentliche Wasserzufuhr natürlich nicht komplett stoppen, sondern nur umleiten: „If someone said that we stopped the water completely, this is not true. We have just put a wall [so that the water will only go in our tank] and if we need we can open it again.“ Desweiteren rechtfertigte er die Entscheidung, die öffentlichen Leitungen zunächst abzudrehen, damit, dass die öffentliche Leitung über das Grundstück eines Bewohners verlegt worden sei, weshalb nun andere, die Probleme mit der Wasserversorgung hätten – häufig sind z.B. Leitungen mit Steinen oder Müll verstopft –, auf dessen Grundstück aus und ein gingen, was der Besitzer gerne unterbinden wolle: „He doesnʼt want people to come any more, with their tools, disturbing him and disturbing his land, fixing or

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creating leakages...“ Dennoch berühren die Nachbarn hierbei einen wichtigen Punkt, schließlich liegt es nicht in ihrem eigenen Ermessen, über die öffentliche Infrastruktur und ihre Nutzung zu bestimmen, wie auch der ehemalige WASAIngenieur Sajjad Ahmed bestätigte. Insbesondere wenn die öffentlichen Leistungen oder Infrastrukturen umgewidmet oder rückgebaut werden sollen, müsse dafür ein Antrag gestellt werden. Wie er erklärte, sei das entsprechende Departement zwar nicht Eigentümer, aber doch Hüter („guardian“) der öffentlichen Einrichtungen.76 Im Anschluss an eine solche Diskussion, ob und inwiefern das private Engagement das öffentliche nicht nur ergänzen, sondern ablösen darf, schließt sich auch die Frage an, in welchem Verhältnis private Systeme zu den öffentlichen Einrichtungen stehen. Interessanterweise erklärten mit Gesprächspartner wie Salman Ali Ustad, dass sie mit solchen Angeboten letztlich den Staat „unterstützen“ würden, indem sie diesen von gewissen Aufgaben entbinden würde. Gleichzeitig scheint es angebracht, diesbezüglich die zu Beginn des Kapitels diskutierte neoliberale Position zu bedenken, nach der das Angebot von Dienstleistungen durch private, zumeist zahlungspflichtige Angebote letztlich die Angebote im Rahmen einer öffentlichen Daseinsvorsorgepflicht ersetzen könnten.77 Den Mitgliedern des Projektkomitees, mit denen ich mich unterhalten hatte, schien die Möglichkeit, dass die „Annexion“ der öffentlichen Wasserverteilung in der Lalik Jan Colony zu Kritik führen könnte aber kaum ein dringliches Anliegen. Gebe es Beschwerden über ihr Vorgehen, würden sie eben versuchen, die Vertreter der öffentlichen Einrichtungen von ihrer Arbeit zu überzeugen, wie Salman Ali Ustad zuversichtlich erklärte – schließlich sei ihre Arbeit eine Unterstützung des Staats. Die öffentlichen Einrichtungen müssten NGO und Gemeinschaft zunächst einfach gewähren lassen und könnten dadurch einen Teil ihrer Verpflichtungen abgeben:

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Auch in einer Siedlung Zulfiqarabads hatte ein Gesprächspartner sich dahingegend geäußert, dass WASEP es im Hinblick auf ein gerade in der Planung befindliches Projekt hier zur Bedingung gemacht hätte, dass die öffentliche Wasserinfrastruktur demontiert würde, wobei nicht bestätigt werden konnte, ob dies eine tatsächliche Forderung oder nur Gerücht war.

77

Ein wichtiger Punkt diesbezüglich ist, dass bislang die öffentlichen Angebote für die Nutzenden zumeist kostenlos sind – Wasser wird komplett kostenlos verteilt und für Strom werden erst seit 2014 wieder regelmäßige aber niedrige Gebühren erhoben. Ebenso erheben staatliche Schulen nur vergleichsweise geringe Schulgebühren von ca. Rs.1000 und staatliche Krankenhäuser verlangen zunächst nur eine nominelle Grundgebühr von Rs.10.

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„The government is with us. [...] The government will help us. It will not be against us. Because the work that we are doing is ‚the function of the government‘. [...] We are going to own the responsibilities of the government. So the government will help us. It will extend her help. We are doing the work of the government. It is not our responsibility to provide water to the people. Because water is the peopleʼs [human] right. And it is the necessity of the government to provide the water to the people of the area.“

Zwar seien auch sie unter der Aufsicht und Überprüfung der öffentlichen Einrichtungen. Gleichzeitig unterstützten die Organisationen des AKDN die öffentlichen Einrichtungen aber sowohl praktisch, wie über die Wasserinfrastrukturprojekte, als auch technisch, wie im Hinblick auf die Erarbeitung oder Korrektur politischer Richtlinien. Dies gelte dies nicht allein für Trinkwasserprojekte WASEPs, sondern auch für weit mehr Projekte unter dem AKDN, wie Salman Ali Ustad erklärte: „After all, we [the AKDNʼs organisations] need the permission of the government and the officials of the government come and check. We are working with the government department, WASA, under their supervision. We sit in their conferences on water and other issues. Then the government will be thankful to the NGOs because they are working in the remote areas. The AKDN is working from the very beginning and the government has to be thankful for that. They have established so many schools, which also is the governmentʼs work [responsibility], but the government does not acknowledge that. The government should be obliged to us. We are working for them.“

So sollten die öffentlichen Einrichtungen den Organisationen des AKDN letztlich dankbar dafür sein, dass diese mit ihren Projekten dem Staat Arbeit und Verantwortung abnehmen würden. Den Vorwurf mancher Nicht- Ismailitinnen und NichtIsmailiten, dass die Organisationen des AKDN aber möglicherweise nicht für alle Bürger arbeiten würden bzw. vorrangig für Ismailitinnen und Ismailiten wies Salman Ali Ustad zurück: sie – womit er sich vermutlich sowohl auf ihr Projekt in der Lalik Jan Colony als auch auf den AKDN bezog – arbeiteten für alle, erklärte er. Selbst für Unzuverlässige oder solche, die an einer Zusammenarbeit nicht interessiert seien, sei ihre Tür offen – auch wenn ihnen selbst das nicht immer gefalle: „Just see: We are working for every person. The persons who are not trustworthy (qābil-e bharōsa), whom we also donʼt want to give the water – even for them our doors are open. We do this for the humanity, on humanitarian basis.“ Wie auch in der Argumentationen des nambardār aus Khomer und Jamhoor Alis in Jutial (siehe das Unterkap. „Herausforderung der Wasserrechte“) griff hier auch Salman Ali Ustad auf das Konzept geteilten Menschseins und Humanitarismus zurück, erklärte aber auch, dass es eben doch Personen gebe, die nicht vertrauenswürdig seien und die nur über ein Zugeständnis einbezogen würden. Desweiteren ist bemerkenswert,

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dass Salman Ali Ustad das eigene Engagement für sauberes Trinkwasser aber keinesfalls als Pflicht deutete und keinen Vorwurf dafür formulierte, dass der Staat seine Verantwortlichkeit verpasst, sondern stattdessen das Engagement als Recht der Bewohner erwog. Statt aktiver Unterstützung, z.B. in Form von finanzieller oder technischer Unterstützung bei der Umsetzung der Infrastruktur durch öffentliche Einrichtungen, erwartete er schlicht passive Unterstützung, d.h. dass sich die öffentlichen Einrichtungen ihrem Projekt nicht entgegensetzen und der neuen Wasserverteilung über den neuen WASEP-Wasserkomplex nicht widersprechen würden. Mithilfe von WASEP, so Salman Ali Ustad, würden die Nachbarn bzw. die NGO die staatlichen Verantwortlichkeiten übernehmen, was der Staat dann – im Hinblick auf zufriedene bzw. friedliche Bürger – dankbar zu akzeptieren habe: „The NGOs are doing the work of the government. And the government will receive a peaceful environment. [...] Otherwise everyone will come to Jutial to protest against the government. Then they will fight with the government, fight with the government officials, then there will be an insurgency. So we do all these things which the government has to do. So thatʼs why the government should help us [in the form of not opposing the project]. Because it benefits the government as well.“

In Salman Ali Ustads Verständnis helfen sich so beide Parteien. Die NGOs helfen dem schwachen Staat, der Schwierigkeiten hat, seine Bürger zu versorgen („[the government] has difficulties in doing that“); und der Staat helfe ihnen, indem er sie gewähren lasse. Vergleichbar argumentierte Jalaluddin Shah, ein pushtūne bāshinde in Jutial, sogar, dass das gemeinschaftliche Eigenengagement und die eigene Finanzierung sogar auf der Idee beruhe, man wolle dem Staat nicht zur Last fallen: „The government cannot afford [water supply], so on the ‚community-basis‘, on the basis of ‚self-finance‘, we do it ourselves. Because we donʼt want to be a big burden to the government.“ Dies erkannte auch der WASA-Ingenieur Sajjad Ahmed, der die Arbeit von NGOs (insbesondere über Nachbarschaftsorganisationen) ebenfalls als eine Entlastung für die öffentlichen Einrichtungen darstellte, so an. Die Departments könnten, u.a. aufgrund des rapiden Bevölkerungswachstums, die Dienstleistungen nur schwerlich zufriedenstellend aufrechterhalten. Immer mehr Familien würden zuziehen und – ohne Genehmigung des Departments – ihre Häuser an die bestehende Wasserversorgungsinfrastruktur anschließen, sodass die Versorgung mit Wasser proportional geringer werde und Wasser über unprofessionelle Befestigungen verlorengehe, wie er bezüglich der neuen Siedlungen schon erklärt hatte: „They donʼt have water because in some places the electricity gets short, you know, especially in the winters there is no electricity, and the pumps require a lot of electricity – they require a lot and not just a bit – and in some places there is such a lot of wastage of water and

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in some places there are so many connections that then the water gets short – so it is very difficult for us to go and do all the things. Even the ‚plumbers‘ and the people themselves are not fair – they try to get another connection from somewhere else and from somewhere else, and in this way the whole planning gets disturbed.“

In Bezug auf privates bzw. das von NGOs unterstützte Engagement erklärte er weiter, führe das Engagement im Prozess des Errichtens der Infrastruktur zum einen zu einem Gefühl der Verantwortlichkeit; die Infrastruktur würde als das Eigene verstanden, was dazu führe, dass diese Komplexe weniger sabotiert und eher gepflegt würden. Zum anderen nähmen solche Projekte Druck von den öffentlichen Departments, die dadurch entlastet würden („‚relax‘ hō jāte hayñ“): „One good example for managing the system are the LSOs who have recently started to run their own ‚pumps‘. Because there they have the ownership – with the government projects the people donʼt own anything. They [the members of the LSO] have the ownership, so that is why they maintain it and run it. So that is how we [the government department(s)] also got a bit ‚relaxed‘ [in those areas].“

Das Engagement über die Organisationen des AKDN gegenüber dem Staat wird also vor Ort von diversen Positionen aus weniger kritisch gesehen als in der Kritik Settles (2010, 2012), in der das neoliberale Vorgehen der NGOs über Marktfunktionen und „gemeinschaftliche“ Entscheidungsprozesse zunehmend Regierungsfunktionen zu untergraben droht. Im Gegenteil, die Arbeit der NGOs wird als Unterstützung der öffentlichen Einrichtungen gesehen bzw. dargestellt. Yasin Colony – Die Notwendigkeit von Energie und Überzeugungskraft Doch zuletzt zur Yasin Colony, die sich nordöstlich der Lalik Jan Colony anschließt, und in der zum einen nochmals deutlich wird, wie wichtig die Mobilisierung von Nachbarn, übergreifende Zusammenarbeit sowie individuelle Beziehungen, Bemühungen, Energie und Überzeugungskraft auf Seiten der Gemeinschaft, als auch Individuen auf Seiten der Organisationen für die Beantragung von Projekten sind, und welche Rolle konfessionelle Animositäten diesbezüglich spielen können. Auch in der Yasin Colony ist eine regelmäßige Versorgung mit Wasser das zentrale Argument, welches ein Gesprächspartner, Safdar Jang in der Yasin Colony, einer „backside colony“ Jutials hinter der Lalik Jan Colony, vorbrachte, als er erklärte, dass sie sich ebenfalls für ein WASEP-Projekt beworben hatten und nochmals bewerben wollten:

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„If we would get the same amount of water regularly, then we could store that water. From that we could fulfil our needs. If that would not come, then there will be a problem for us. If you look at the availability: If there is more, then you can use more, if there is less, then you will use less. If we would get water regularly every day ten minutes or half an hour, then the ‚tank‘ that we have made... then in half an hour or one hour... [it would be filled and we would be well-stocked.]“

Während sich auch in Safdar Jangs Aussage kein Verweis auf Qualität findet, ist es auch hier eine regelmäßige und ausreichende Wasserversorgung, die lohnenswert sei, sich zu engagieren – ein Unterfangen allerdings, das, wie Safdar Jang und sein Neffe schilderten, keinesfalls einfach ist. „Itʼs about the spirit and the potential“ Sich wie zuvor beschrieben für Wasserversorgungsprojekte einzusetzen, ist durchaus nicht selbstverständlich oder einfach. Während die Frage, woher bzw. durch welche Organisation Geld und Hilfe kommen könne, letztlich nebensächlich sei, bestätigte auch Salman Ali Ustad in der Lalik Jan Colony, dass es viel mehr auf den Willen ankomme, solch eine diffizile und langfristige Sache anzugehen: „If I need something, if I really want something, then whether the government is giving me [then I say]: ‚welcome‘; whether the AKDN is giving me [then I also say]: ‚welcome‘. It is about the energy, the potential that the people have to work. It is about the energy that the people have, their training, their being convinced, their spirit.“

Für Salman Ali Ustad steht das Wissen und das Engagement innerhalb der Gemeinschaft im Vordergrund. Sei dieses da und würden entsprechend viele mitarbeiten, sei es kein Problem, über die eine oder andere Organisation an das nötige Geld zu kommen – obwohl, wie für die Benazir Colony diskutiert, organisationale Hilfe nicht immer leicht zu bekommen ist. In der angrenzenden Yasin Colony dagegen erschien ein Projekt z.B. über WASEP meinen Gesprächspartnern – aufgrund des Mangels an eben dieser Energie und Überzeugungskraft und daher mangelnder Einigkeit – unmöglich. Und dies, obwohl die Bewohner auch hier schon mehrere Jahre lang auf den Anschluss an die öffentliche Wasserversorgung hingearbeitet hatten. Wie Safdar Jang erörterte, sei ihre Yasin Colony nicht groß genug, um ein eigenes WASEP-Projekt beantragen zu können. Sie teilten nun schon den vor wenigen Jahren neu gebauten öffentlichen Wasserbehälter mit der angrenzenden Diamer Colony. Über diesen sei nicht nur die bisherige, sondern auch jegliche zukünftige Wasserversorgung ihrer Yasin Colony an die Diamer Colony gekoppelt. Daher sehe er keine Möglichkeit auf ein weiteres Projekt – offenbar erwartete er von den (sunnitischen) Bewohnern der Diamer Colony insbesondere für ein Projekt über das (ismai-

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litische) WASEP keine Unterstützung. Und wie er ausführte, seien die Mühen und Kosten, ein eigenständiges Projekt allein für die Yasin Colony umzusetzen, einfach zu groß. Ein Projekt aber für sowohl die Yasin als auch die Diamer Colony – ohne aber deren Hilfe – zu stemmen, seien sie jedoch ebenfalls nicht bereit: „Now if we would want to do that for ourselves, then we would have to get a lot of money, we would have to buy land, we would have to make a ‚tanky‘, then... down, through which we would distribute the water... we would have to make a second ‚line‘ to supply to our houses... and if we will save some then we can use that water. If we take it from that [government] ‚tanky‘ [which is already built], then the water also goes to their houses [in the Diamer Colony]. That would mean that we will have the expenses, we will do the efforts, and then the water will be for all... This will not happen, this is not possible.“

Wie Safdar Jangs Neffe, Khushhal Khan erklärte, seien die Unterschiede zwischen den Bevölkerungen der zwei Siedlungen das Problem. In ihrem Heimatdorf in Yasin78 sei es einfach gewesen, sich zusammenzutun und über WASEP die Wasserinfrastruktur zu verlegen: „For example in Yasin there is one community. Means the people with the same thinking (nazriāt: thinking, ideology).“ In ihrem Dorf gebe es weder Sunniten/Sunnitinnen noch Schiiten/Schiitinnen, sondern nur Ismailiten und Ismailitinnen, ergänzte Safdar Jang und klärte so die Zweideutigkeit des Begriffs community hier.79 In Gilgit dagegen bzw. in ihrer Umgebung sei das anders. Aufgrund der unterschiedlichen Herkunftsorte (Yasin und Diamer) gebe es sehr unterschiedliche Ansichten, welche Zusammenarbeit und die Festlegung auf ein gemeinsames Ziel schwierig machten: „Here are people from every background. So with them the work will be difficult“. Über die ismailitische Gemeinde seien sie verpflichtet, sich entsprechend zu engagieren, erklärte Safdar Jang. Dies gelte aber für die Angehörigen der anderen Konfessionsgemeinschaften nicht. Khushhal Khan erklärte weiter, dass auch die Mitarbeiter von WASEP sie schon kontaktiert hätten, allerdings war es nicht einmal möglich gewesen, die nötige Startsumme einzusammeln. Wie Safdar Jang schon erwähnt hatte, seien sie – sowohl finanziell als auch organisatorisch – auf die Diamer Colony angewiesen. Dort gebe es aber Bewohner, die gegen ein solches Projekt seien. Ihre (ismailitische) Gemeinschaft sei zwar bereit („hamāri ‚community‘ sāri tayyār hay“), aber „die anderen“, d.h. die sunniti-

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Ein Tal im Westen Gilgits.

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Zwar gibt es in Yasin auch sunnitische Familien, wenngleich diese nur wenige Haushalte in manchen Dörfern umfassen. Wie Jettmar (1991) erklärt, zeichne sich die Beziehung zwischen sunnitischen und ismailitischen Bewohner_innen in Yasin durch Toleranz und die geteilte Abneigung des zunehmenden schiitischen Gilgits aus (ebd.: 75-6).

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schen Bewohner der Diamer Colony, seien das nicht gewesen („dūsre, unka masla hay“). Zwar hätten sie schon einen Versuch für ein gemeinsames Projekt gestartet, seien aber an der Verweigerung der „anderen“ gescheitert: „Once we discussed this here to collect ten thousand [rupees] per household. But then the other people refused this work. Saying we can not do this. So then this work has not been done.“ Wie auch im Fall der Lalik Jan Colony geschehen, müssten stellvertretend einige Wenige die Initiative ergreifen und, wie auch in der Lalik Jan Colony, zunächst Tatsachen schaffen. Dies erschien ihnen allerdings nicht realisierbar: „The money will be a problem, to get the money from the people, from some we will get five hundred, from some one thousand rupees, because of that... when the program will have been set, then they would also be ready [for a meeting]. So in this way there is no one who is ready to give time. That is the actual problem.“

Sich allein (oder in einer kleinen Gruppe) für ein solches Projekt zu engagieren sei nicht nur zeitaufwändig, sondern auch kostspielig. Es müssten nicht nur eventuelle Lohnausfälle für die Zeit des Engagements einberechnet werden, sondern auch Kosten für Wegstrecken sowie Schmiergelder. Wie er vorrechnete, seien allein für ein anfängliches Engagement an die 10 bis 20 Tage Einsatz einzurechnen. Bei einem Tagesverdienst von Rs.2000, die Safdar Jang als Selbstständiger im Bau verdiene, mache dies an die Rs.20.000 bis 40.000 plus Fahrtkosten aus – eine Summe, auf die er und seine Familie bei Weitem nicht verzichten können: „I earn two thousand rupees per day, so my twenty thousand rupees are gone in ten days. And I will have at least some ten thousand rupees expenses [on top]. From here I will have to go to the office of the Chief Secretary with the taxi, to the office of the engineer, to the office of the overseer, to a second place, a third place,... I will have to move. There I have to invite someone for tea, do something for someone else... through these things [it will become possible to get the project] – without it, it wonʼt! Someone I will have to give one thousand rupees (khelāna)80, someone I will have to give five hundred rupees... These days a... a very small income... that is... a servantʼs... who is seated outside an office – if you donʼt give him a hundred rupees, he will not let you inside! [He will say:] ‚Inside the Sir is sitting in a meeting.‘ That is the problem. We are used to these offices – we know!“

Nicht nur die Umsetzung des Projekts, sondern sogar schon die Bewerbung beanspruche Zeit, Kosten und Mühen, die bei ihnen keiner bereit sei, zu übernehmen.

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Auch hier der Begriff des Essen servierens, khelāna, der sich hier auf das Zahlen von Schmiergeldern bezieht.

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Wie er erzählte, hatte er gemeinsam mit dem chairman der Siedlung schon im Jahr zuvor, 2012, eine Bewerbung bei WASEP eingereicht. Die Bewerbung müsse aber, wie auch Ali President und Behram Patwari in der Benazir Colony erklärt hatten, nicht nur eingereicht, sondern auch immer weitergereicht bzw. weiterbewegt werden. Das bedeutet meistens, dass jemand dazu gebracht werden muss, sie weiterzureichen – zumeist gegen Geld oder Gefallen. Solche Vorgänge des Beschleunigens oder Entschleunigens von Akten beschreibt Hull (2012) für öffentliche Einrichtungen Islamabads und bezeichnet sie mit dem Begriff „Beine machen“ („us ko pahiye lagana“) – Vorgänge, für die ebenfalls zumeist Bestechungsgelder nötig sind (ebd.: 156, Schreibweise entsprechend der Quelle; siehe auch Alimuddin/Hasan/Sadiq 1999: 39). Wie Safdar Jang erklärte, hätten sie sich z.B. nicht nur darum kümmern müssen, dass ihre Akte auf dem Schreibtisch eines Mitarbeiters landet, sondern auch darum, dass sie weiter auf den des Chefs wandert: „Their ‚chief‘ (boss) was not there, so we met the person second to him. The one from Hunza. We told him. He said ‚if you had told this last year... then we would have given you a scheme this year. [...] Now you have told us this year, so we can think about giving you next year.‘ But last year we had [also] given them the application. It is there. But we didnʼt focus on it. We didnʼt go again and again. The ‚committee‘ that we had established did not [personally] get through to the ‚chief‘. We did give the ‚application‘ to the one second in command [at that time as well] and he still has it with him. He said: ‚It is still here. But at that time I had told you that you put it to the ‚chief‘, so then he would have given the permission to give the project for the Yasin Colony. […] At that time it was getting clear. At that time you did not give it up to the ‚chief‘. You didnʼt forward it [follow it up]. So due to that your application is still here with me.‘ So, for this year they have given it [the project] to that place... [the Lalik Jan Colony]. […] And also down in Sultanabad. They have given it to those two places. Now for the next year we have the hope that this is possible [to have our project approved]. We are following that up. Next year the chances are there.“

Ihre Bewerbung war liegengeblieben – zum einen, weil sie den Chef WASEPs nicht selbst angetroffen oder besser: aufgesucht hatten. Zum anderen wird das Interesse einer Gemeinschaft an einem Projekt offenbar nicht allein durch die Bewerbung kundgetan, sondern muss z.B. durch wiederholte Besuche und Gesuche bestärkt werden.81 Dabei wird klar, dass es zu wissen gilt, wie solche Vorgänge funktionie-

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Auch Hussain und Langendijk (1994) beschreiben diese Art von Lobbying für Projekte über das LBRDD, wobei Besuche der Mitglieder des Union Councils und der Dorfvorsteher bei den entsprechenden Mitarbeitern des LBRDD die Dringlichkeit des eigenen Projekts bezeugen und auf die nähere Auswahlliste bringen sollen (ebd.: 15). Wie Hus-

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ren – d.h. in diesem Fall, dass es nötig ist, eine homogene Gemeinschaft zu evozieren und die Bewerbung über persönliches Engagement voranzutreiben –, und dass es nicht einfach ist dies umzusetzen (vgl. auch Williams 2004: 571). Türöffner in Organisationen Durch welche Organisation – staatlich oder nichtstaatlich – letztlich Entgegenkommen gezeigt wird, schien dabei in vielen Gesprächen unwesentlich, wie Aussagen in den diversen Siedlungen und Nachbarschaften verdeutlichten. Allerdings schien es in beiden Kategorien notwendig, die Organisation individuell zugänglich zu machen. Einzelne Personen scheinen es zu sein, die über Engagement oder Nichtengagement von Organisationen entscheiden. Wie Safdar Jang für die Wasserversorgung der Yasin Colony erklärte, seien zwar die öffentlichen Departments zuständig und es gebe auch einen zuständigen X-EN und einen RE, beide seien aber korrupt. Wie er erklärte, gebe es auch relativ einfache Lösungen für eine bessere öffentliche Versorgung mit Wasser. Dazu zählte er einen größeren oder einen zusätzlichen Wasserbehälter sowie weitere Pumpanlagen – Projekte, die seit Langem genehmigt seien, bei denen die Arbeit aber seit zwei oder drei Jahren ruhen würde. Außerdem sei es notwendig, den Tank, aus dem ihre Siedlungen versorgt würden, endlich mit einem Dach zu versehen und endlich die rohen Wände zu verputzen, sodass das Wasser weniger verschmutzt würde. Aber politische Leitlinien blieben für die Beamten reine Lippenbekenntnisse: „Officers and all others are not serious about this issue – everyone is using the water for drinking, for the masjid, for the praying, for the imāmbārgā82, for the jamāt ḵhāna – everyone is saying: ‚Use filtered water for drinking‘. How will we drink filtered water in this situation?“ Um eine Änderung herbeizuführen, sprachen Safdar Jang und eine Handvoll weiterer Bewohner der Siedlung daher 2013 bei dem damaligen Chief Secretary Sajad Hotiana vor, der daraufhin ihren Tank besuchte und ihre Situation begutachtete. Offenbar sei Hotiana bestürzt gewesen, hätte die Verantwortlichen des Departments entsetzt gefragt, ob sie in dieser Art und Weise Wasser an die Bevölkerung vergeben würden und sie sogar mit Schimpfworten bedacht, wie Safdar Jang, zufrieden ob der offiziellen Bestätigung, dass ihre Begehren durchaus legitim seien, erklärte. Auch auf seiner Facebook-Seite, die Sajad Hotiana aktiv nutzte (siehe auch Hussain 2014), dokumentierte Hotiana sowohl seinen Besuch des Tanks als auch seine Bestürzung über den Zustand. Nach dem Besuch hätte es sogar ein paar Tage lang eine

sain und Langendijk folgern, führe dies dazu, dass Projekte des LBRDD eher aufgrund von Lobbying und Druck umgesetzt würden als aufgrund von Bedarfsanalysen (ebd.: 20). 82

Schiitischer Versammlungsort.

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regelmäßig Versorgung mit Wasser gegeben und der Tank sei gesäubert und geweißelt worden. Die Verbesserung sei aber nur von kurzer Dauer gewesen. Wie deutlich wird, gibt es bei den öffentlichen Einrichtungen ebenso wie bei den Organisationen des AKDN Mittelsmänner, an die appelliert werden muss, wie Safdar Jang für die Yasin Colony erklärte: „Nowadays we have also made a request with NGOs: please complete this ‚tank‘ – we have also requested Attaullah [from WASEP][, saying]: ‚Brother, please do this work for us.‘ But until today neither the government nor any NGO is working for us.“ Organisationales Engagement bedarf, wie schon deutlich wurde, Ressourcen, Türöffnern, Geduld und Überzeugungskraft. Wie Safdar Jang erklärte, sei die einzige Möglichkeit, Hilfe zu bekommen, sich sprichwörtlich an die Fersen derer zu hängen, die öffentliche Ämter bekleiden: „So, I am following the responsible people [in the government department], I am disturbing them – now we have ‚applications‘ – even today I have been there and I requested to make a [proper] chamber – if the water does not reach the ‚tank‘, and on the other side there is no electricity – so the water cannot reach us. The people are worried a lot – the population increases and the absence of water is also increasing a lot. So we are appealing to the government and NGOs [saying]: ‚we are the poor and we have the problems – we are sharing our problems with you and you have to take these problems to upper levels‘.“

Mit geringem oder unzureichendem Engagement öffentlicher Einrichtungen erscheint vielen die Möglichkeit, Wasserversorgung über Organisationen des AKDN zu organisieren, attraktiv. Selbst Ajmal Sohail Wakeel, ein sunnitischer Bewohner der Lalik Jan Colony und Bruder der oben diskutierten Murtaza Ghulam und Farzana Banu, anerkannte die Leistungen der Organisationen, genau die Institutionen bzw. Infrastrukturen einzurichten, die eigentlich durch die Regierung bzw. die öffentlichen Einrichtungen gestellt werden sollten: „We thank AKRSP – right? I am saying this with confidence. He [the Aga Khan] did something, that is, the lift irrigation. The government of Pakistan – how much budget does it give to us? But AKRSP – ‚through his highness‘ [Karim Aga Khan] – gives double the amount which the government gives. And he also wants to give ‚quality education‘, water, ‚health‘ [facilities][…]. Thatʼs why [we are thankful].“

In seinen Aussagen, wie auch in Aussagen von Ismailiten und Ismailitinnen, ist dabei frappierend, wie die Organisationen des AKDN mit der Person des Aga Khan personifiziert werden. Karim Aga Khan ist es in den Aussagen von Ajmal Sohail Wakeel, der den Bewässerungskomplex einrichtete („He [the Aga Khan] did something“) und der zum Mittelsmann der Organisation wird („AKRSP – ‚through his

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Highness‘ [Karim Aga Khan] – gives…“). Auf einer solchen persönlichen Ebene scheinen dann auch entsprechend die Gespräche, der Austausch und die Zusammenarbeit mit den Bewohnern und Gemeinschaften stattzufinden. Eine solche Personifizierung von Organisationen scheint sowohl erfolgreicher Anrufung zu folgen als auch Voraussetzung dafür zu sein. Ist kein persönlicher Kontakt vorhanden oder sind die Ansprechpartner nicht gewillt sich einzusetzen, bleiben die staatlichen wie auch nichtstaatlichen Organisationen monolithischer Block, ohne die Möglichkeit auf Zugriff. In beiden Fällen – sowohl bezüglich der öffentlichen Einrichtungen als auch der AKDN-Organisationen – muss der „organisationale Block“ erst über Türöffner zugänglich gemacht werden. Oft sind dies Verwandte oder Bekannte innerhalb der Einrichtung oder, wie im Fall des Chief Secretary Sajad Hotiana, seine Facebook-Seite, die es Bürgerinnen und Bürgern erlaubte, ihn zu kontaktieren und über Defizite in öffentlichen Einrichtungen zu informieren (siehe auch Hussain 2014).83 Dies wurde von meinen Gesprächspartnern aber meist als ein langwieriger Prozess geschildert, der oft nicht oder erst spät von Erfolg gekrönt wird. Selbst Ali President aus der Benazir Colony, der selbst als paṭwāri arbeitete, erwähnte die Mühe und Geduld, die es gekostet hatte, Gelder für die Reparatur ihres Motors am Fluss zu bekommen – und dies, obwohl er als paṭwāri mit bürokratischen Vorgängen vertraut war und sich dieses Wissen eigentlich zunutze machen kann84 und am Prozess der Dokumentation und Beantragung der Gelder auch selbst beteiligt gewesen war. Hier scheint es dagegen selbst für mit bürokratischen Vorgängen Vertrauten schwierig und für Nicht-Vertraute entsprechend schwieriger. Wie Chatterjee (2006: 66) bemerkt, ist es zumeist nötig, den richtigen Druck an den richtigen Stellen der Regierungsmaschinerie anzuwenden – was nicht immer eine einfache oder notwendigerweise von Erfolg gekrönte Aufgabe ist.

FAZIT Wie bei den pushtūne bāshinde im vorherigen Kapitel ist auch bei den neuen Siedlern und Siedlerinnen das Element der Inszenierung von Gemeinschaft zentral. Da-

83

Wobei auch hier natürlich einer offenen Tür auch ein offenes Ohr folgen muss, wie Behram Patwari erklärt hatte: „You have to come to my house in order to understand something. To hear something. Later on it depends on you if you act accordingly or not.“

84

Vgl. auch Guptas (1995) Hinweis auf die Kompetenzen insbesondere von Beamten oder Staatsvertretern, bürokratische Prozeduren über das berufliche Wissen zu beeinflussen (ebd.: 383-4).

„Verfügbar durch Selbsthilfe“ | 363

bei wird insbesondere die Bedeutung aktiver und kreativer Individuen deutlich. Und auch in den neuen Siedlungen wird – z.B. unter dem Konzept der village organisations – auf die Rekonstruktion einer „traditionellen“ Einheit zurückgegriffen. Besonders einflussreich hierbei ist die Zusammenarbeit mit und Überlappung von lokal und international arbeitenden Organisationen des AKDN und ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Wie in den Definierungs- und Inszenierungsprozessen der „alten“ Siedler ist auch in den neuen Siedlungen das Ziehen von Grenzen ein zentraler Prozess. Dies wird über räumliche wie über soziale Grenzziehungen umgesetzt. Hierüber soll m.E. eine Gruppe sowohl zahlenmäßig begrenzt als auch als Gemeinschaft repräsentierbar gemacht werden. Ohne eine Annäherung an eine mehr oder weniger homogene Zusammensetzung scheint offenbar manchen Nachbarschaften – wenn auch nicht allen, eine Ausnahme ist z.B. die Lalik Jan Colony – die von Geldgeberorganisationen geforderte Inszenierung der Gemeinschaft als zahlungsbereit, zahlungswillig, engagiert etc. gefährdet und damit auch die Aussicht auf ein Projekt: können sie sich nicht als Einheit präsentieren, bleiben die in Aussicht stehenden Ressourcen verwehrt. Experten sind es, die hier die Regeln vorgeben und die Bedingungen stellen – auch wenn, wie in Sultanabad deutlich wird, ggf. verhandelbar ist, wer die Experten sind: Über Kenntnis von Entwicklungsdiskursen und die derzeitige Verschiebung von Autorität von den „professionellen Experten“ auf die „lokalen Experten“ bzw. die lokale Gemeinschaft schafften es z.B. „smart leaders“ in Sultanabad, dass Autorität verschoben wurde und sie die Regeln maßgeblich (mit) bestimmen durften. Dabei wird klar, dass „technische“ Grundlagen nicht immer oberste Maxime sind. Zwar wurde die Beschränkung von Mitgliedern und Projektgebiet unter Fingerzeig auf „technische“ Erklärungen beschlossen; der Verzicht auf tapstands und gesonderte Nutzungsbeschränkungen dagegen führt eher zur Herstellung als zur Vermeidung tatsächlicher „technischer“ Probleme, wie der AKRSP-Experte Anjum Basharat anmerkte. Dabei sind die „smart leaders“ – sowohl die der Nachbarschaften als auch die in den Organisationen – maßgeblich bedeutsam für den Erfolg ihrer Ambitionen. Sie müssen es zumindest in den offiziellen Repräsentationen schaffen, die Positionen vor Ort mit den Policies der Geldgeber zu vereinbaren. Gleichzeitig wird deutlich, dass aber auch sie auf das Mitmachen und das Engagement sowie das Wohlgesonnensein der anderen, d.h. ihrer Nachbarn, angewiesen sind. Und wie im Fall Sultanabads und der Sultan Colony erkennbar wurde, können hier diverse „social issues“, ebenso aber auch persönliche Reibungen in den Weg kommen. Darüber hinaus wird auch hier deutlich: Die Mitglieder der „Gemeinschaften“ haben bei Weitem nicht die gleichen Ziele und unmittelbaren Präferenzen. Diese unterscheiden sich u.a. nach Konfessionszugehörigkeit, aber auch nach Erfahrung und Bildung sowie Geschlecht. In Bezug auf die Frauen zeigt sich, dass diese Freizeit-, Konsum- und Verdienstmöglichkeiten ggf. mehr Bedeutung beimessen als

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Möglichkeiten, eine (weitere) Leitung für Trinkwasser zu einzurichten. Dabei wird gleichzeitig deutlich, dass auch Frauen nicht nur eine Rolle einnehmen. Stattdessen gibt es ebenso Frauen, die ihre Männer zu Engagement zwingen, wie Frauen, für welche Schönheitssalons eine höhere Priorität einnehmen als die von den Männern vorangetriebenen Projekte einer neuen Wasserversorgung. Und auch die „smart leaders“ selbst haben unterschiedliche Ziele und Ambitionen: Während sich Bakhtawar Shah wie es scheint, v.a. engagierte, um Prestige bzw. soziales Kapital zu erarbeiten – das er u.a. in eine Stelle bei WASEP transformieren zu können hofft –, bemühte sich Sayed Aga Momin v.a. für das Ziel einer regelmäßigen bzw. durchgängigen Wasserversorgung. Während Sayed Aga Momin die Qualität aber, der er sich nur selbst durch Abkochen tatsächlich versichern kann, eher unwichtig zu sein schien, hatten andere ggf. tatsächlich Hoffnung auf sauberes Trinkwasser. Zum Abschluss des Kapitels möchte ich nochmals darauf hinweisen, dass gerade die Unterstützung durch die NGOs es den neuen Siedlern letztlich erlaubt, ihr Recht auf die Stadt durchzusetzen, d.h. am Leben in der Stadt teilzunehmen und die Stadt mit zu gestalten, wie im Unterkapitel „Öffentliche Wasserversorgungen…“ erörtert. Der Blick auf die Gemeinschaftsbildungsprozesse in den neuen Siedlungen und auf die Anstrengungen, die hierüber getan werden, ermöglicht es, zu argumentieren, dass auch die neuen Siedler_innen nicht hilflose Außenseiter sind. Auch sie beanspruchen ein Recht auf die Stadt, nehmen am Leben in der Stadt teil und gestalten sie – zumindest an ihren derzeitigen Rändern, die die neuen Siedlungen darstellen – mit. Dabei wird dennoch deutlich, dass auch die diskutierten kollektiven Organisationen nicht, wie Swyngedouw (2004) anmerkt, auf universale Forderungen ausgerichtet sind. Auch solche Projekte werden – wie Regierungsprojekte ebenfalls – nur punktuell initiiert und können entsprechend nur punktuell Erleichterungen schaffen. Zum einen sind auch hier die finanziellen Ressourcen begrenzt und mit externen Geldern aus internationalen Entwicklungsfonds ist noch immer großenteils der Auftrag verbunden, in ländliche Gegenden zu investieren. Zum anderen sind die Programme und deren Mitarbeiter_innen wie auch die Bevölkerung Gilgits in die konfessionellen Kontexte eingebettet, die konfessionsübergreifende Kooperationen erschweren und nur begrenzt zulassen, selbst wenn die Erfolge der Organisationen des AKDN auch für die Angehörigen anderer Konfessionen zum Teil vorbildhaft sind. Diese beiden Voraussetzungen führen dazu, dass die Ungleichmäßigkeit und Verschiedenheit der Wasserversorgung sowohl in der Stadt als auch über die Region hinweg nur teilweise behoben und (zumindest zunächst) eher verstärkt wird. Auch wenn sie, wie die WASEP-Mitarbeiterin Shazia Abid betonte, den Auftrag hätten, dort zu arbeiten, wo die Bevölkerung „zurückgeblieben, bedürftig und arm“ sei, trifft dies nicht für alle Projekte zu und nicht alle Orte, auf die dies zutrifft, haben die gleiche Chance auf Unterstützung. An dieser Stelle kann zwar nicht, wie auch Tsing (2005: 159) und Li (2007: 1) anführen, über die Richtigkeit

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oder Falschheit solcher Initiativen entschieden werden. Dennoch ist es aber, wie sie argumentieren, angebracht, Strategien der Repräsentation und die sozialen Kategorien und Verweise, auf denen sie beruhen, zu betrachten. Dabei ist m.E. jedoch festzuhalten, dass, wie auch Settle (2012) bemerkt, über organisationales Engagement wie das der Organisationen des AKDN Leistungen wie sauberes Trinkwasser, ebenso wie gute Bildung und gute Gesundheitsleistungen ggf. zu einem Privileg derjenigen werden können, die imstande sind zu zahlen. Obwohl Fürsprecher für die Organisationen argumentierten, dass deren Engagement die Regierung bzw. öffentliche Einrichtungen entlasten würden, mindern sie nur punktuell das alltägliche Leiden – und dies ggf. unter anderen Kriterien als öffentliche Einrichtungen dies tun (sollten). Um die organisationalen Erfolge zu vervielfachen und sie gleichmäßiger auszudehnen, so die Hoffnung, gehen auf einem neuen Weg Regierung und Organisationen des AKDN Kooperationen ein, wie z.B. die Kooperation zwischen der Regierung und WASEP zur Umsetzung weiterer Trinkwasserinfrastrukturen, die 2016 beschlossen wurde. In diesen Kooperationen unterstützen die Organisationen die Umsetzung neuer Projekte mit technischem und projektbezogenem Wissen, während Finanzierung und Verortung über die Regierung erfolgt.

Gräben in Gilgits land- und waterscape

In vielen Städten zeichnet sich das soziale Gewebe auch in der Topographie ab; soziale und ökonomische Unterschiede manifestieren sich in sichtlich unterschiedlichen Räumen. So zeichnet sich der urbane Raum zumeist über abgetrennte Bereiche, Diskontinuitäten, Grenzen und Gegensätze aus.1 Wie ich meine, können sich entsprechend auch Figurationen in Landschaften sichtbar manifestieren, ebenso wie sie Handlungen und Bewegungen im Raum und Wahrnehmungen von Raum strukturieren können (vgl. auch Grieser und Sökefeld 2015). In der Landschaft und waterscape Gilgits manifestieren sich die maßgeblichen Figurationen in unterschiedlichen Wasserkomplexen und -infrastrukturen, in Bäumen, grünen Rasen und üppigen Gärten in machen Stadtteilen und Nachbarschaften ebenso wie in deren Abwesenheit in anderen. Gleichzeitig formen die Figurationen auch die Wahrnehmung des städtischen Raums und bestimmen Handlungen. Diesbezüglich möchte ich im Folgenden der Relation der zwei hier grundlegenden Figurationen, der Konfessionen und der „alten“ und neuen Siedler, nachgehen. Wie ich meine, bestehen die beiden Figurationen nebeneinander und Akteure können argumentativ auf die eine oder andere Figuration zurückgreifen. In den unterschiedlichen Figurationen kommen Akteure unterschiedliche Positionen zu. Entsprechend Lis (1996) Argument, dass bestimmte Visionen von Gemeinschaft einen Rahmen zur Verhandlung von Regeln und Praktiken bieten (ebd.: 508), bieten auch Figurationen bestimmte Visionen von Gemeinschaft und Beziehungen in und zwischen Gemeinschaften. Entsprechend bieten sie kulturelle bzw. figurationale Legitimationen in einem stetigen Prozess der Verhandlung von Positionen; sie bieten so auch moralische Grundlagen, wie auch praktischer Handlungsmacht. In der waterscape Gilgits bestimmt z.B., wie ich meine, Konfessionszugehörigkeit maßgeblich sowohl die Entstehung

1

Durdu (2014) z.B. zeichnet nach, wie sich in Mazar-i-Sharif in Afghanistan Geschlechtertrennung in der urbanen Landschaft abzeichnet und Bewegungen, Handlungen und Kontakte strukturiert.

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von als auch die Dynamiken innerhalb von „moral communities“ und deren Engagement bezüglich der Wasserversorgung innerhalb der so entstandenen Gemeinschaften. Dies wird z.B. daran deutlich, wo und wie sich Programme wie AKRSP und WASEP engagieren bzw. wie und wo deren Engagement evoziert und gewährt wird. Gleichzeitig können Akteure argumentativ auf die eine oder andere Figuration zurückgreifen.

KATEGORIENWECHSEL UND KATEGORIENÜBERSCHNEIDUNGEN Wie der Wechsel zwischen den Kategorien Etablierte und Außenseiter einerseits und Konfessionen andererseits vonstattengehen kann, möchte ich im Folgenden anhand von Aussagen deutlich machen, die meine Gesprächspartner in der Benazir Colony, Ali President und Behram Patwari, gegen Ende unseres Gesprächs äußerten. Im Anschluss an ihre Schilderungen über ihren Wasserkomplex, den sie so mühevoll errichtet und nach den Fluten wieder instandgesetzt hatten, wies Ali President auf die „locals“ hin, die alle Vorzüge der Stadt auf sich vereinen würden. Wie sich herausstellte, bezog er sich hierbei auf die Bewohner der alten Stadtteile in der Innenstadt (nicht auf die Jutials) und klagte an, dass zwischen den Bewohner_innen der alten und neuen Stadtteile die Lasten einerseits und Infrastrukturen andererseits radikal ungleich verteilt seien. Dabei wurde schon nach wenigen Sätzen der Stadtteil Kashrot, und mit Kashrot auch dessen vorrangig sunnitische Bevölkerung, zur Vergleichsfolie um diese „Ungerechtigkeiten“ aufzuzeigen: „Now the proper Gilgit is… Kashrot, take that example: Their streets are done properly (pakkā), their channels are made properly... they have a water system... they have twenty-four hours water.“ Dabei scheint seine Aussage weniger Vergleich als klarer Vorwurf zu sein – wenn auch nicht korrekt, wie in den Unterkapiteln zu Wasserquantität und Wasserqualität ersichtlich wurde. Auch in Kashrot sind weder die (Neben-)Straßen ordentlich beschottert oder geteert noch ist die Wasserinfrastruktur makellos oder die Wasserversorgung durchgängig – auch wenn die Bewohner Kashrots sich als local und als pushtūne bāshinde verstehen.2 Trotz der Wasserrechte gibt es auch in Kashrot im Frühjahr wenig und nur temporär Wasser in der Leitung; das Kanalwasser ist verschmutzt und stinkt. Auch in Kashrot werden Wasser und Strom nur unregelmäßig und unzureichend geliefert. Doch trotz der Probleme auch in Kashrot, 2

Die Bewohner Kashrots definieren sich zwar als Kashmiris, beanspruchen aber erfolgreich traditionelle Wasserrechte. Auch Ghulam Muhammad Gun, unter dem die Kategorie und politische Bewegung der pushtūne bāshinde entstand, war selbst aus Kashrot (siehe Sökefeld 1997a: 129).

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wurde Kashrot im tanzīm in der Benazir Colony als Folie gehandhabt, vor der ihre eigene Infrastrukturversorgung als eine Unterversorgung und damit als ungerecht erschien. Aus ihrer Warte sind sie es, d.h. die neuen Siedler_innen bzw. „nonlocals“, die z.B. bei Landkauf die revenue charges in den öffentlichen Haushalt einzahlen und die Gebühren für Strom entrichteten, während die „locals“ nichts beitragen würden: „The ‚non-locals‘ who are living in this area – be they from Nagar, Hunza, Yasin, Puniyal, Punjab, down – they will pay. Wherever they pay – even as tenants – the ‚non-locals‘ will make the payments, the ‚locals‘ will not pay. That is the difference.“ Ali President erklärte die Unterschiede in den Stadtteilen aber nicht allein auf der Basis von local und non-local, sondern ebenso auf der Basis der unterschiedlichen Konfessionen, denen sie angehören und den Gemeinschaften, die diese bilden: „Here the system runs only on a sectarian basis (firqaparasti). On the basis of biases (tāsub). Sunni [stay all together] in the Sunni area – so even if a Sunni ‚meter-reader‘ comes [to read the meter installed for the electricity], then there will be no bill [for the used electricity]. Shia ‚meter-reader‘ in the Shia area – then there will also be no payment. For us – whether a Sunni comes or a Shia – we are obliged to give. We accept all. We give them the payment and we also invite them for tea.“

Bei seiner Erklärung begann er zwar, wie auch die anderen Anwesenden, über seine Übertreibung zu lachen, fuhr aber dennoch fort: „For us there is no difference, we have to make the payments for the electricity. For the phone. For the mobile. For the land.3 But there are no ‚facilities‘. They [the locals/Shias/ Sunnis] are eating [illegally using] the money, sitting for free. The pain is on our side, the worries as well.“

Obwohl sie, die neuen Siedler_innen bzw. Ismailitinnen und Ismailiten, die Steuern und Gebühren zahlen würden, würden Infrastrukturen dagegen in den Stadtteilen der locals, d.h. der Sunnitinnen/Sunniten und Schiitinnen/Schiiten umgesetzt. Wie er erwähnte, manifestiere sich die Ungleichheit u.a. in einer „dauerhaften“, beinahe „makellosen“ Infrastruktur in den alten Stadtteilen, über die eine permanente Versorgung mit Wasser gewährleistet werden könne. Auch Strom gebe es dort ungleich besser – so gut, dass in Kashrot sogar kleine Industrien arbeiten könnten (wie z.B. 3

Mit dem Hinweis auf (Mobil-)Telefonie und Land verweist er z.B. auf die Steuern, die beim Kauf von Telefonguthaben automatisch erhoben werden oder auf die schon genannten revenue charges beim Landkauf (siehe Unterkap. „Öffentliche Wasserversorgungen …“).

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Autowerkstätten oder Schreinereien) und dies, wie Ali President und Behram Patwari beteuerten, obwohl die Bewohner Kashrots weder für den Strom zahlen würden noch zulassen würden, dass überhaupt erst ein Zähler installiert würde.4 Doch während Behram Patwari und Ali President zuerst erklärten, die Unterschiede lägen zwischen den „alten“ und den neuen Siedlern, setzten sie im Lauf des Gesprächs zunehmend „alte“ Siedler mit Sunniten (und Sunnitinnen) und Schiiten (und Schiitinnen) gleich und neue Siedler mit Ismailiten (und Ismailitinnen). Dabei beriefen sie sich darauf, dass gerade sie als Ismailiten (und Ismailitinnen) ihren moralischen Pflichten wie dem Zahlen von Steuern und dem Begleichen von Rechnungen nachkämen; den „alten“ Siedlern bzw. Sunniten und Schiiten sprachen sie dagegen Moral und verantwortungsvolles Handeln ab und bezeichneten sie schließlich als Extremisten („‚extremists‘“), unzivilisiert („jāhil“), Schurken („badmāsh“) und den Taliban ähnlich („talibān-‚type‘ ke lōg“). In diesen Aussagen versicherten sie sich einer Position, in der sie – die Außenseiter in der Figuration der „alten“ und neuen Siedler – die moralisch Überlegenen sind und nahmen nicht die moralisch unterlegene Position ein, wie die Außenseiter in Elias und Scotsons Winston Parva. Stattdessen machten sie sich zu den „underdogs“ – zu denjenigen, die von (korrupten) Politikern und öffentlichen Einrichtungen missachtet würden. Darüber hinaus sind in ihrer Sicht die Etablierten, d.h. die „alten“ Siedler_innen, diejenigen, die auf Kosten des Staats bzw. der neuen Siedler_innen leben. Über korrupte Praktiken, so die beiden neuen Siedler, veränderten 4

Viele Gesprächspartner in Kashrot argumentierten in Gesprächen 2011-13, dass das Wasser, mit dem der Strom erzeugt wird, ihnen, der Bevölkerung Gilgit-Baltistans, gehöre. Daher gehöre auch der Strom ihnen. Dass aber abgesehen von den Wasserkraftwerken in Kargah ein Großteil des Stroms für Gilgit aus einem anderen Tal, Naltar, kommt, wird dabei nicht berücksichtigt. Ebenso wurden auch die Kosten für den Bau der Anlagen und Infrastrukturen sowie für den Betrieb zumeist unter Verweis auf die rechtlich ungeklärte Situation der Region verdrängt und erklärt, dass sie, solange die Situation ungeklärt bleibe, hierauf einen Anspruch ohne Bezahlung hätten. Der Mann meiner Freundin Seema dagegen erklärte, dass seine Familie die Gebühren durchaus zahlen würde, aber weil es kaum Strom gebe, müssten sie auch kaum etwas zahlen – wie er schätzte, vielleicht monatlich Rs.100. Wie mir Uzair, Seemas Cousin 2014 erklärte, wurde im selben Jahr in Kashrot die Erhebung von Stromgebühren geändert. Von einer Erhebung über Zähler, die manipuliert oder demontiert werden könnten, ging das Department zu einer Erhebung auf der Basis von Pauschalen über. Wie er weiter erklärte, würden die Angestellten von Größe und Zustand des Hauses auf Kaufkraft und Konsum der Bewohner – sprich Fernseher, Kühlschränke etc. – und damit auf den Verbrauch zurückschließen. Für ihr Haus mit einem alten Erdgeschoss und einem neuen Obergeschoss würde eine Pauschale von Rs.5000 monatlich erhoben.

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die „alten“ Siedler die städtische Landschaft zu ihren Gunsten und zerstörten darüber hinaus über ihre orthodoxen Ansichten und daraus folgernde Konflikte den Frieden in der Stadt und wirkten damit negativ auf die Möglichkeiten auf ein „gutes Leben“ in der Stadt ein. Mit ihren orthodoxen Ansichten und sectarian conflicts machten die „alten“ Siedler es darüber hinaus (ismailitischen) neuen Siedler_innen unmöglich, an den Vorteilen der alten Stadtteile teilhaben zu können, wie im nächsten Unterkapitel ausgeführt wird.

KONFESSIONSLANDSCHAFTEN Beinahe noch einflussreicher als die Unterscheidung zwischen „alten“ und neuen Siedler_innen ist in Gilgit das Denken in Kategorien der Konfessionszugehörigkeit. Es bestimmt alltägliches Handeln und wurde (auch für mich) im Alltag immer wieder deutlich.5 Diese Feststellung treffe ich trotz dem, dass dies mir gegenüber meist nur punktuell, zurückhaltend oder indirekt verbalisiert wurde. So warnten mich z.B. diverse Bekannte (aller Konfessionen) vor Interaktionspartnern, wobei sich Warnungen zumeist auf die Angehörigen einer anderen Konfession bezogen, ohne dass dies aber begründet oder ausgeführt wurde. (Alternativ wurden andere Erklärungsebenen wie die Unterschiede zwischen Stadt- und Landbevölkerung oder Bildungsunterschiede hervorgehoben.) Und eher im Gegenteil verwiesen viele Gesprächspartner_innen auf ein gutes Zusammenleben zwischen den Konfessionsgruppen, hielten sich mit negativen Aussagen über andere Konfessionsgruppen zurück oder erwähnten gemeinsame Familienbeziehungen. Dabei ist die Unterscheidung zwischen Schiitinnen/Schiiten, Ismailitinnen/Ismailiten und Sunnitinnen/Sunniten eine, die durchgängig gemacht wird. Sie beeinflusst die Wahrnehmungen von Ereignissen und Anderen, provoziert das Denken in Stereotypen und prägt alltäglich Ereignisse, Diskurse und Alltagsentscheidungen. Auch die Planung und Umsetzung von 5

Dabei spielte sowohl die Zugehörigkeit zum Islam, die religiöse Identität als auch die täglich gelebten Glaubenspraktiken in vielen Gesprächen meiner Forschung kaum eine oder nur eine nebensächliche Rolle. Zwar kamen meiner Einschätzung nach die meisten meiner Gesprächspartner_innen regelmäßig religiösen Pflichten nach, zu denen auch täglich mehrere Gebete gehören, welche sowohl spirituelle als auch körperliche Reinheit voraussetzen – inklusive dem Reinigen von Gesicht, Armen und Füßen sowie des Genitalbereichs. Dennoch wurden Gespräche nie auf die Bedeutung von Wasser oder dessen Abwesenheit in Bezug hierauf gerichtet. Nur mein späterer Mann Yasir wies mich darauf hin, dass Wasser diesbezüglich eine große Bedeutung zukomme – auch wenn die Reinigung auch mit Sand oder einem Stein durchgeführt werden kann, falls Wasser überhaupt nicht beizukommen ist.

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Wasserinfrastrukturen werden hiervon beeinflusst, ebenso wie die Mobilisierung von Beziehungen, das Ziehen von Projektgrenzen oder eine Entscheidung über die Abgabe oder Nichtabgabe von Wasser „on humanitarian grounds“. Um zu verdeutlichen, in welcher Weise Konfessionszugehörigkeit immer wieder beträchtliche Bedeutung zukommt, gehe ich im Folgenden Fällen nach, in denen sich Konfessionszugehörigkeit tatsächlich in den Erklärungsmustern für Stereotypisierung, Misstrauen und Ablehnung anderer wiederfindet und so das Leben und Zusammenleben in der Stadt bestimmt. Entsprechende Argumentationsverläufe darzulegen ist meines Erachtens aus zwei Gründen interessant. Zum einen können solche Aussagen als Kulisse verstanden werden, vor denen Gemeinschafts- und Selbsthilfeprojekte ausgeführt werden. Insbesondere Ismailiten (und Ismailitinnen) machen sich in ihren Erzählungen oft zu den Helden ihrer eigenen Geschichte, gerade wenn es um den Erfolg der Organisationen im Rahmen des AKDN geht. Von Seiten meiner sunnitischen Gesprächspartner_innen dagegen tauchten immer wieder Zweifel ob der (Un-)Befangenheit und (Un-)Glaubwürdigkeit der Organisationen des AKDN bzw. deren Mitarbeiter_innen auf. Und dies, obwohl sich die Organisationen stark bemühen, dem Vorwurf entgegenzuwirken, dass sie – als Organisationen unter der Schirmherrschaft des Aga Khan – nur oder v.a. für Ismailitinnen und Ismailiten arbeiteten. Insofern beeinflusst die „Konfessionen-Figuration“ auch Annahme oder Ablehnung bestimmter Organisationsformen von Selbsthilfeprojekten sowie deren Ausführung – auch wenn dies oft nicht angesprochen oder sogar abgestritten wird. Darüber hinaus kamen – ob in den Schilderungen in der Benazir Colony, in Kommentaren zu Sultanabad oder in Misstrauen, Vorurteilen und Abneigungen, die in der Lalik Jan Colony bzw. Jutial geäußert wurden – v.a. Reibungen zwischen Ismailiten/Ismailitinnen und Sunnitinnen/Sunniten zum Vorschein. Diesem Konflikt wird, vermutlich da er sich kaum in gewalttätigen Auseinandersetzungen äußert, kaum Beachtung geschenkt – im Gegensatz zu dem sonst so prominenten, oft gewalttätig geführten Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten.6 Ganz im Gegenteil bescheinigen sich Ismailiten und Ismailitinnen selbst oft eine neutrale Position (siehe z.B. Hunzai 2013: 8) – eine Rhetorik, die gerne auch in weiteren Darstellungen wie Zeitungen und Reiseliteratur aufgegriffen wird. Konfession als Grundlage für solche „unspektakulären“ Konflikte mit ismailitischer Beteiligung wurde so immer wieder abgestritten und stattdessen andere Grundlagen für gegenseitiges Misstrauen zitiert – maßgeblich Bildungsunterschiede, Unterschiede und Ungleichheiten zwischen Stadt- und Landbevölkerung oder auch zwischen „alten“ und neuen Siedlerinnen und Siedlern. Dennoch führten viele Diskussionen letztlich doch regelmäßig zu religiösen Vorurteilen und Unterscheidungen zurück. Dass sich 6

Wie sich Schiitinnen und Schiiten, Noorbakshi oder Christinnen und Christen diesbezüglich positionieren bleibt in der vorliegenden Arbeit leider außen vor.

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die Bedeutung von Konfessionszugehörigkeit immer wieder auch in Interviews und Gesprächen wiederfanden, obwohl die meisten Gesprächspartner_innen erklärten, Konfessionszugehörigkeit habe keinen oder keinen bedeutenden Einfluss auf Alltag und Zusammenleben in der Stadt, bezeugt meines Erachtens sowohl auf das Vorhandensein des Denkens in Mustern von Konfessionen an sich als auch auf das Unbehagen, das solches Denken und dessen Verbalisierung auslöst. Wie eine Bekannte, Amira erklärte, beinhalte solches Denken und v.a. dessen Verbalisierung in der Öffentlichkeit außerdem tatsächliche Gefahren – wie die, dass aus Gesprächen über andere Konfessionsgruppen gewalttätige Konflikte erwachsen könnten (siehe Unterkap. „Ethnographische Datenerhebung/-produktion…“). Unsicherheit und Rückzugsort Trotz der zuvor von meinen Gesprächspartnern in den neuen Siedlungen Jutials und Zulfiqarabads diskutierten Schwierigkeiten mit der Wasserversorgung und trotz der Notwendigkeit individueller Anstrengungen schlossen diese es aber auch für sich aus zu versuchen, sich „ins Gemachte Nest zu setzen“ und in eine der alten Nachbarschaften oder Stadtteile zu ziehen, um dort an den Vorzügen der traditionellen Rechte teilzuhaben. Grundstücke dort seien, wie viele erklärten, um ein Vielfaches teurer. Und zur Miete zu leben wiederstrebe ihnen, da sie ein gemietetes Haus jederzeit als Rückzugsort verlieren könnten. Ein Haus ist v.a. ein Ort, an dem man frei von den Sorgen ist: „free of all these tensions“ wie Behram Patwari in der Benazir Colony erklärte. Damit sprach er sowohl die lauernde Gefahr für Zugezogene an, in Gilgit ohne eigenes Heim in den Nesseln zu sitzen, als auch die lauernde Gefahr von (sectarian) tensions. Denn: Grund, in der Stadt zu leben sei die Ausbildung der Kinder. Allerdings lohne sich das nur, wenn die Kinder auch die Angebote nutzen könnten – und das ginge nur, wenn sie nicht gestört bzw. verstört („disturbed“) würden. Auf die gewaltsamen Konflikte in Gilgit, insbesondere in den Stadtteilen in der Innenstadt, wurde in den verschiedenen Teilen Jutials häufig Bezug genommen. Gerade in Jutial ginge es besonders friedvoll zu: „it is a peaceful area“. Nicht jedoch, weil hier ausschließlich Ismailitinnen und Ismailiten wohnen würden, sondern gerade weil hier alle drei Gruppen – Schiitinnen, Schiiten, Sunniten, Sunnitinnen, Ismailiten und Ismailitinnen – gemeinsam leben würden. Außerdem hätten sich gerade in den neuen Nachbarschaften v.a. auch Familien angesiedelt, die alle die Bildung der eigenen Kinder zum Ziel hätten, auch wenn die Nähe zu Bildungseinrichtungen sowie die überwiegende Abwesenheit von gewaltsamen Konflikten mittlerweile auch hier die Preise hier steigen ließen, wie der ehemalige PWDMitarbeiter Amjad Alam ausführte:

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„Here we get less water, there is no electricity, but despite this the price of the land is higher. Because it is ‚peaceful‘. Secondly, here there is the school. College school. Now the Secretariat is being built [etc.]. The other thing is that it is studied people. ‚Civilized‘ [people]. In Gilgit there are mohallas, some Sunni mohalla, some Shia mohalla, so there the people donʼt ‚feel easy‘ (vahañ par lōg ‚easy feel‘ nahīñ karteñ). [If they are in an old mohalla] they fear (ghabrāte: are scared, nervous, frightened), if there will be a ‚tension‘ they will get shot...“

Gerade in Jutial müsse sich niemand fürchten. Aber auch hier klingt durch, was Behram Patwari erklärte: Ein eigenes Haus sollte wenn möglich im Rahmen der eigenen (hier: ismailitischen) Gemeinschaft liegen. „If I live among the Shia, then there is a threat. If I live among the Sunni, then there is a threat. So thatʼs why our children are getting disturbed. But if you have your own house – if you are rich or poor – you can live there safe and secure. If you have your own house then you are free of all these tensions. So thatʼs why we are building our own houses. The basic purpose is that we transfer her for our childrenʼs education. This is our main reason. Education.“

Gerade die Stadtteile in der Innenstadt Gilgits sind verbunden mit einem Gefühl der Unsicherheit. Lebe man in den alten Teilen Gilgits, so ihre Interpretationen, seien öffentlicher Raum (das Fremde, die Anderen) und privater Raum (die Familie, das Haus) nachteilig verknüpft. Tensions können sich von außen nach innen verlagern: tensions mit dem Vermieter, der einem potenziell kündigen könne, wie auch tensions zwischen Schiiten und Sunniten. Das eigene Haus, aber auch die eigene, also vorrangig ismailitische Siedlung, wird dagegen zu einem Raum, den man selbst gestalten kann, wo (zumeist über die ismailitischen Verbände organisierte) Nachbarschaftsorganisationen sich um die Versorgung mit Infrastrukturen kümmern, boy scouts regelmäßig Müll auflesen, aber auch die Gassen patrouillieren und damit für ein Gefühl der Sicherheit sorgen. Die eigene Nachbarschaft wird so aber auch „safe and secure“ zum Leben. Der Besitz von Land und Haus bedeutet eine Sicherheit, die der Ausgangspunkt für ein gutes Leben in Gilgit ist, das sich durch soziale und politische Unsicherheiten auszeichnet. In einer Stadt, die lokales Zentrum für Bildung, Gesundheitsversorgung und nichtlandwirtschaftliche Arbeitsplätze ist, in der aber auch regelmäßig gewaltsame Konflikte ausbrechen, bedeutet der Besitz von Haus und Grund einen Rückzugsort. In Behram Patwaris Darstellung wird Gilgit zu einem Raum, der von Gewalt bzw. von gewaltsamen Konflikten geprägt ist. Diese werden nur selten über staatliche Institutionen oder Organisationen verhindert, geregelt oder der Gerechtigkeit zugeführt. Im Gegenteil, der (pakistanische) Staat wird oft als Ursache von Ge-

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walt und Unrecht, die (vorrangig) lokalen Polizisten als gleichermaßen in die lokalen Spannungen eingebunden verstanden.7 Das Militär fungiert als eine gespaltene, ambivalente Institution, mit einem Geheimdienst, der als Verbreiter von Zwietracht verstanden wird, auf der einen Seite und militärischen Befehlshabern (wie Musharraf) und Soldaten, die für Ordnung, Ruhe und Verbesserungen sorgen können, die aber aufgrund ihrer Anhäufung von Ressourcen auch sehr kritisch gesehen werden, auf der anderen Seite. Gleichzeitig ist der Staat (inklusive dem Militär) als der größte Arbeitgeber auch Rettungsanker, weil gerade Stellen in der Verwaltung für eine lange und sichere Beschäftigung stehen – auch wenn gerade die unteren Beschäftigten auch hier nicht sorglos sein können. Oft werden die Gehälter gerade der technischen Arbeiter unregelmäßig ausgezahlt; regelmäßig berichten Zeitungen von Streiks der Angestellten, die seit drei oder zehn Monaten auf ihre Gehälter warten. Räumliche Ausdifferenzierung Neben der Absonderung neuer, ismailitischer Siedler von den „alten“, sunnitischen und schiitischen Siedlern, nimmt aber seit einigen Jahrzehnten auch in den alten Stadtteilen zunehmend eine räumliche Ausdifferenzierung im Hinblick auf Konfessionszugehörigkeit zu (vgl. das Unterkap. „Zusammenleben in Gilgit“; siehe auch Grieser und Sökefeld 2015; Sökefeld 1998: 173, 2015c). Darauf, wie eine solche zunehmende Ausdifferenzierung vonstattengeht, lässt auch die Geschichte der Familie ahnen, deren Haus am Jutial Nala lag und die sich nach dem Erschießen eines Familienmitglieds dazu gezwungen sahen, den Weg zum nāla freizumachen, wie im Unterkapitel „Jutial – Besiedelung, Rechte…“ erwähnt. Gegenstand des Konflikts war hier, wie mein Gesprächspartner erklärte, der Weg zum Wasser. Dagegen kann das Recht der „alten“ Siedler auf Wasser nicht nur Ziel, sondern auch Mittel oder Druckmittel sein, um die Nachbarschaft bezüglich der Konfessionszugehörigkeit ihrer Bewohnerschaft zu homogenisieren, wie in der Erzählung von Muhammad Younus deutlich wird. Dessen Familie stammte ursprünglich aus einem Stadtteil im Westen Gilgits. In den 1980er Jahren hatte sein Vater in Gilgit eine Stelle im Gesundheitssektor bekommen und mit dem Ersparten 1985 drei Kanal Land in Barmas gekauft. Zu dieser Zeit seien die Beziehungen zwischen Schiiten und Sunniten noch in Ordnung gewesen, erklärte Muhammad Younus; die gewalttätigen Konflikte hätten noch nicht begonnen gehabt. Das Grundstück in Barmas sei in der Nähe der Straße und des Polizeireviers und damit aus ihrer Sicht gut 7

Das Gefühl der Unsicherheit ist ggf. auch eines der politischen Unsicherheit, die unter u.a. mit der Verweigerung der Anerkennung als autonome Region oder als Provinz zusammenhängt.

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gelegen gewesen. In den folgenden Jahren hatte sein Vater ein Haus errichtet, in das die Familie 1988 zog. Dennoch verließen sie Barmas 1992. Die Nachbarn machten es ihnen, wie er erklärte, unmöglich, eine dauerhafte Wasserversorgung für das Grundstück einzurichten: Ein Nachbar habe erklärt, er könne die Leitung nicht durch sein Land legen lassen, der nächste habe eingewandt, dass seine Mauer beschädigt werden würde und so weiter. Wie er erklärte, hätte „the other community“ – in dem Fall schiitische Nachbarn – ihnen mit immer neuen Ausreden kein Wasser zukommen lassen. Schließlich hatte die Familie einen schiitischen Gemeindevorsteher kontaktiert und ihn gebeten, sich für sie einzusetzen und um Wasser zu bitten. Die Gemeinschaft habe sich daraufhin beratschlagt aber weiterhin mit „lahmen Ausreden“ das Wasser zurückgehalten. Im selben Jahr wurde auch der Vater in der Nähe des Krankenhauses erschossen und so tauschten die drei Brüder das Haus im schiitischen Barmas gegen eines in einer sunnitischen Nachbarschaft von Konodas, von wo aus sie im Anschluss nach Sonikot zogen. Im Kontrast hierzu wird Jutial immer wieder als Ort hervorgehoben, in dem Schiiten, Schiitinnen, Sunnitinnen, Sunniten, Ismailiten und Ismailitinnen gemeinsam lebten. Im alten Dorf Jutials trifft dies auch tatsächlich zu und es gibt noch immer Anlässe wie Beerdigungen und Hochzeitsfeiern, bei denen Nachbarinnen, Nachbarn, Verwandte und Bekannte unabhängig ihrer Konfession eingeladen werden und teilhaben. Dennoch differenzieren sich auch hier immer mehr Nachbarschaften nicht nur nach Familien, sondern auch nach Konfessionszugehörigkeit aus, indem Grundstücke und Häuser verkauft oder getauscht werden. Bei einem Besuch bei der Familie eines Freundes im alten Jutial z.B. erklärte er mir unter tatsächlich vorgehaltener Hand, dass Kauf und Tausch von Grundstücken in den letzten Jahren in Jutial immer mehr zunehmem würden. So hatte auch seine Familie ein Grundstück günstig kaufen können, wo sie nun anfangen könnten, weitere Häuser für ihn bzw. die Brüder zu bauen. Seiner Mutter aber, die neben uns am Feuer saß und sich um den Tee kümmerte, sei es unangenehm dies mit mir zu diskutieren, wandte er ein und bat mich, ich möge dies doch auch nicht mit anderen besprechen. Und auch gerade die neuen Siedlungen, die auf dem ehemaligen Ödland Jutials erbaut werden, sind größtenteils über die Herkunft der neuen Siedler_innen und damit auch in ihrer Konfessionszugehörigkeit geprägt.8 Gleichzeitig finden aber auch in den neuen Siedlungen dieselben Abgrenzungsprozesse auf der Basis von Konfessionszugehörigkeit statt; und während die ismailitischen Bewohner der Be8

Eine Ausnahme bildet z.B. die Lalik Jan Colony, die seit den 1990er Jahren teilweise von Familien erschlossen wurde, die zu den „alten“ Siedlern und Siedlerinnen Jutials gehören und teilweise von neuen Siedlern und Siedlerinnen aus diversen Herkunftstälern wie Hunza, Ghizer oder Yasin, weshalb dort nun v.a. ismailitische, aber auch sunnitische und auch ein oder zwei schiitische Familien wohnen.

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nazir Colony sich und ihre Siedlung mit den Sunniten Kashrots verglichen und abgrenzten, geschah dies in der Lalik Jan Colony in Verhältnis zu Sunniten der eigenen Nachbarschaft. Obwohl immer wieder diskutiert wird, dass gerade der Stadtteil Jutial sich dadurch auszeichnet, dass hier Sunniten, Sunnitinnen, Schiiten, Schiitinnen, Ismailiten und Ismailitinnen lebten und Eintracht und Frieden im gemeinsamen Zusammenleben („unity“) begründet seien – die meisten Anschläge und Schusswechsel finden in den Stadtteilen der Innenstadt statt –, strukturieren auch hier Vorurteile gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften Denken und Wahrnehmungen. Wie schon zuvor angedeutet, tun sich auch in der Lalik Jan Colony ausgedehnte Gräben des Misstrauens auf, das v.a. auf Konfessionszugehörigkeit basiert. Die Heterogenität der Bevölkerung sei, wie z.B. Sayed Aga Momin erklärte, die Grundlage für Schwierigkeiten, sich innerhalb der Siedlung auf gemeinsame Ziele zu einigen oder – wie es lokal-idiomatisch ausgedrückt wird – „Einheit“ zu schaffen („to make unity“). Für Ismailiten wie ihn stellen insbesondere sunnitische Nachbarn eine Herausforderung dar, gemeinschaftliche Selbsthilfe zu organisieren, wenn diese über die ismailitische Gemeinde hinaus die Einbeziehung von Nicht-Ismailiten und Nicht-Ismailitinnen erfordert. Sayed Aga Momin hatte, wie auch seine unmittelbaren Nachbarn, sein Grundstück Mitte der 1980er von Sher Ali, einem pushtūne bāshinde Jutials gekauft. Für 1,5 Kanal habe er damals Rs.30.000 bezahlt – wie er erklärte, damals eine stolze Summe, die er sich leisten konnte, da er zu dieser Zeit um die Rs.3000 monatlich als Angestellter einer Bank verdiente. Wie der größte Teil der neuen Siedler_innen in den neuen Siedlungen Jutials sei auch für ihn die Bildungsmöglichkeiten für seine Kinder Grundlage gewesen, nach Gilgit zu ziehen bzw. sich in Jutial niederzulassen: „My thought was very brief. It was a very brief thought, it wasnʼt a long thinking: that if I will settle in Gilgit, then the children will study here in good schools. In the village these good ‚facilities‘ were not ‚available‘. This was the point in buying [land in Gilgit or Jutial respectively]. ʻ86 I bought this land. ʻ94 I built this house. Then after building it, one or two years later, in ʻ95 or in ʻ96 I have ‚shifted‘ here. After having shifted here those two children have been born, the boy and the girl. This [third] one has been born later. So, what I have been thinking, that has proven right. I have built the house here and the children go straight to the Public School. This Public School is the best school here.“

Jedoch schien der Umstand, dass in Jutial alle drei Konfessionsgruppen gemeinsam lebten, für Sayed Aga Momin – entgegen der üblichen Argumentation – eher abträglich zu sein. Die meisten Gesprächspartner_innen in Jutial und insbesondere in den neuen Siedlungen Jutials hatten argumentiert, dass das Leben in Jutial im Vergleich zu den Stadtteilen in der Innenstadt Gilgits friedlich somit lebenswert sei, eben weil in Jutial Angehörige aller drei Konfessionsgruppen lebten. Ganz im Gegenteil aber Sayed Aga Momin: Während in den 1980er Jahren, als er das Grund-

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stück in der Lalik Jan Colony gekauft hatte, Konflikte zwischen den Konfessionsgruppen noch eher außergewöhnlich gewesen waren, sei es ihm auch damals schon wichtig gewesen unter Ismailitinnen und Ismailiten zu wohnen.9 „No, in ʻ86 it was not at all [like this, with sectarian conflicts]… In that time also there were no such dangerous things. These ‚sectarian problem[s]‘ – these things were not there. And I was also not thinking in this direction, that there will be such kind of problems. But still – one thing was on our mind from the beginning – this might have been with others as well: We try, that in whatever mohalla we go, at least Ismailis should live there. We rather ‚avoid‘ to live amongst Sunni. […] This... we think that these are not truthful people (ye sacche lōg nahīñ hayñ). They are doing fraud every time (unke sāth hamēsha bemāniyān hōti hayñ). This means, they will never do good with you.“

Auf meine Entgegnung, dass ich seine schlechten Erfahrungen mit Sunnitinnen und Sunniten nicht teilen könne, erklärte er: „In your opinion this might also be right [that it is not like this]. But this thing has maybe settled in our heads, and the second thing is that these kind of crimes that they keep on doing here, they keep doing such injustices (zulm) – from this these people have gotten infamous (badnām hō gayē hayñ).“

Zwar seien nicht alle Sunniten schlecht, wie er einlenkte, und überall, selbst in Gegenden mit ausnahmslos sunnitischer Bevölkerung, gebe es auch gute Menschen, wie er unter Verweis auf Orte in Diamer (Chilas, sowie die Täler Darel und Tangir) festzumachen versuchte. Aber dennoch sei das Leben allein unter Ismailitinnen und Ismailiten durchweg einfacher. Schon durch das gemeinsame spirituelle Oberhaupt den Aga Khan und dessen Anweisungen – spirituelle Anweisungen, ebenso wie zur Lebensführung – gebe es unter Ismailiten und Ismailitinnen mehr Gemeinsamkeiten als mit Sunnitinnen und Sunniten: „Now after all not all in Chilas are bad [just because they are Sunni], no? Now if people go to Darel, Tangir, when they go and come back, they [might also] say: ‚There are so nice people there! There are such straight and honest people (sīdhe-sādhe lōg). Such amiable people are there.‘ So in this way we also have nice [Sunni] people in our neighborhood, like the inspector who lives above... there is no kind of troubles, no worries... so... But the way Ismailis do it [– we prefer that way –], the Sunni also want it this [their own] way and the Shia also want it this [their own] way, [i.e.] the asna-asharīah [Twelver Shia]. The reason for this is

9

Wobei er diese Aussage ggf. rückwirkend aus seiner heutigen Perspektive traf.

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that [for us] this [Ismailia] is our own ‚society‘, [then we will have] our own jamāt ḵhāna, so then it is easy to go there.“

Sayed Aga Momin erklärte Glauben sowie spirituelle und praktische Vorgaben für die Lebensführung zum bestimmenden Element – nicht nur im Privaten, sondern auch für das Leben in der Gemeinschaft. Wie er erklärte, seien schließlich in jedem Haushalt unterschiedliche Praktiken zu finden, sodass eine Ordnung nach Konfessionsgruppen zumindest geringfügig Erleichterung verschaffe und dazu verhelfe, die eigenen Werte aufrechtzuerhalten und zu leben: „I... if I am amongst Sunnis and would go there as one single person, then I would not manage to ‚adjust‘.10 In this way if one Sunni would come amongst us, he could not ‚adjust‘. There are problems for him. Because his house has his own ‚culture‘, the houses of Ismaili have their own ‚culture‘ – even ‚family to family‘ the ‚culture‘ of the houses are different. Now that ‚culture‘ that Bakhtawar Shah has in his house – this will not at all be in my own house. In my house there is another ‚culture‘. I am different ‚family-wise‘, he is different ‚family-wise‘. In this kind, if you go to someone elseʼs house, then his ‚culture‘ again will be different. There the bowls [for eating] will be different, the language will be different, to sit and get up will be different.“

Konfessionszugehörigkeit wird bei ihm so zum intern verbindenden und zum extern trennenden Element, auch innerhalb und über unterschiedliche Herkunft und verschiedene Sprachen hinweg: „So in this perspective we Ismaili try that at least our ‚culture‘ is similar (miltā-jultā). Because we believe in one imām, Karim Aga Khan. […] And because of this we believe that other than them [non-Ismailis] we [Ismailis] are all the same. So, on this basis we try to find a place within our own ‚community‘, so we are here.“

Entgegen der öffentlichen Position des Aga Khan, der sich wiederholt für ein friedliches Zusammenleben ungeachtet von Religions- und Konfessionszugehörigkeit ausspricht, wird der Aga Khan bei Sayed Aga Momin zu dem Faktor, der Ismailitinnen und Ismailiten eint und damit von den anderen trennt. Nicht-Ismailiten und Nicht-Ismailitinnen, d.h. Schiiten und Schiitinnen, Sunnitinnen und Sunniten, werden so zu den „Anderen“. Wie Sayed Aga Momin erklärte, sei es daher – gerade weil ihr Stadtteil nicht nur Ismailitinnen und Ismailiten, sondern auch Sunnitinnen, 10

Gerade Frauen, die über sprachliche, konfessionelle, regionale und qōm Unterschiede hinweg heiraten, schaffen es offenbar dennoch, diese Unterschiede zu überbrücken oder sich nichtsdestotrotz einzufinden.

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Sunniten, Schiitinnen und Schiiten umfasst – schwierig, die Einstimmigkeit zu erreichen, die z.B. erforderlich ist, um über WASEP ein Projekt genehmigt zu bekommen. Gerade die Einbindung WASEPs als Organisation unter der Schirmherrschaft des AKDN könne, z.B. in den Auslegungen religiös orthodoxer (sunnitischer oder schiitischer) Gemeinschaften, auch deren Produkte, d.h. die Infrastruktur, wie auch das darüber bereitgestellte Wasser, quasi religiös aufladen. Eine solche Vorstellung erschien Sayed Aga Momin dagegen kleingeistig und entsprechend forderte er, die Angebote der Organisationen unabhängig vom religiösen Rahmen zu betrachten. „You see, it is very hard to make ‚unity‘ here, we also suffer from many difficulties. Here the Ismailia ‚community‘ is very quickly being motivated, they are ready to do everything. The Sunni community is a very ‚rigid community‘. Some of the people from them are saying this water is forbidden (harām) for drinking – there is an issue about harām and halāl [i.e. what is forbidden and what is allowed according to Islamic law]. [Furthermore,] they are thinking ‚this money [of the international donors, perhaps also that of Ismailis] is non-Muslimʼs money which is not legal for us to use‘. Because they are donkeys – ‚they are donkeys‘ – they are not human, so it is very hard to motivate them.“

In seiner Aussage, in der er Sunniten zunächst auf Urdu und anschließend, sodass ich ihn auch wirklich verstehen würde, auf Englisch als Esel bezeichnete und erklärte, sie seien keine Menschen, machte er gerade Sunniten zu den „ganz Anderen“. Gleichzeitig sprach er ihnen mit seiner Aussage auch das geteilte Menschsein ab, das in anderen Aussagen wiederholt als Argument der Kooperation und Unterstützung angeführt wurde. Während mich gerade Erklärungen wie die von Sayed Aga Momin wiederholt erstaunten und schockierten, wurden seine drastischen Bemerkungen insbesondere zu Sunniten zwar nicht akzeptierbar, aber seine Vorurteile dennoch ein Stück weit nachvollziehbar, als Sayed Aga Momin mir davon erzählte, wie er im April 2012 Zeuge des gewaltsamen Überfalls von Sunniten – aus dem eben zitierten Diamer – auf Passagierbusse geworden war.11 Sayed Aga Momin war selbst unter den Passagieren; nach den Anschlägen wurde er mit anderen zunächst in ein Haus im nächsten Ort und später nach Gilgit gebracht. Wie Sayed Aga Momins Aussagen bezüglich unterschiedlicher „Kulturen“ mit unterschiedlichen Praktiken, unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen etc. und seine Bemerkung, es ge11

Diese hatten, wie auch im Unterkap. „Forschung unter Verdacht…“ beschrieben, infolge des Anschlags auf die protestierenden Sunniten in Gilgit, die die Freilassung von inhaftierten Mitgliedern des Ahle Sunnat wal-Jamaat gefodert hatten, Busse auf dem KKH auf dem Weg von Rawalpindi nach Gilgit angehalten, um gezielt Schiiten auszusondern und umzubringen (siehe auch Grieser und Sökefeld 2015; Chaudhary 2014).

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be auch „gute Menschen“ unter Sunniten, nahelegten, schien ihm durchaus bewusst, dass Urteile und Vorurteile oft ungerechtfertigt auf ganze Gruppen übertragen werden. Dennoch schienen es eigene Beobachtungen von Gewalt schwierig zu machen, sich der negativen Stereotypisierung zu entziehen. Allerdings ziehen sich vergleichbare Stereotypisierungen auch unabhängig von solchen Erlebnissen durch Ansichten und Aussagen. Über die Erklärungen, dass Bewohner_innen unterschiedlicher Konfessionen gemeinschaftlicher Einheit in der Lalik Jan Colony entgegenstünden, hinaus ging z.B. ein anderer ismailitischer Gesprächspartner, der selbst ebenfalls für das PWD gearbeitet hatte, sogar noch weiter. Die Sunnitinnen und Sunniten, die sich in den neuen Siedlungen niedergelassen hätten, seien die Ursache, dass die neuen Siedlungen nicht mit Wasser versorgt würden, wie er anmerkte. Zwar sei, um die neuen Siedlungen mit Wasser versorgen zu können, der Kanal vom Kargah nach Jutial ausgehoben worden, da das Kargah „mehr als genug“ Wasser führe. Dieses Projekt sei aber zum Stillliegen gekommen, da die schiitischen Bevölkerungen (aus Barmas und dem Majini Mohalla) nicht zulassen wollten, dass „ihr“ Wasser an die Sunniten in Jutial ginge (siehe auch das Unterkap. „Herausforderung der Wasserrechte“). Daher würde das Kargah-Jutial Projekt erst dann wunschgemäß Wasser nach Jutial liefern, wenn alle Sunniten aus Jutial vertrieben seien. Wie ich den councillor Jutials, Usman Hussain, der selbst Sunnit ist, mit dieser Aussage konfrontierte, deutete er diese als angstvolle Reaktion eines alten Mannes auf die steigende Bevölkerung Jutials: „This is his mentality (zahniyat) that the backside now has been populated. [They fear that] ‚people are coming, ‚colonies‘ are growing, houses are growing [in numbers][…]‘. [They fear that] ‚all Sunnis are coming‘. So, they do come, but they are human, no (insān to hayñ)? They are Muslims, no? Whether we are Sunni, whether they are Ismaili, whether they are Shia – will we not give them water? If we donʼt then we are not Muslim! This is not the work of a Muslim, this is not the work of a human, that I will drink my water and one brother [i.e. some other person] should not drink. Right? What I eat, he should eat, what I drink, he should drink. Well, he is old, this is his mentality […]“

In seiner Aussage betonte Usman Hussain seinen Standpunkt, dass jeder seinem Nächsten helfen müsse, wie auch vom Islam vorgegeben – unabhängig von der jeweiligen Glaubenspraktik – auch wenn dies bedeute, dass Wasser notfalls vom Fluss gepumpt werden müsse um alle versorgen zu können. Auf eine Nachfrage im Gespräch mit dem ehemaligen councillor Jamhoor Ali, ob es zwischen dem Scheitern des Kargah-Jutial Projekts und den Konflikten zwischen Schiiten und Sunniten einen Zusammenhang gebe, lachte dieser auf und erklärte: der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten sei – vergleichbar einer Krankheit – so überwältigend und unkontrollierbar, dass sich jeder sofort darauf beziehen würde. Jedes Niesen würde hierüber erklärt werden; die Verantwortung auf jeweils andere geschoben oder böse

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Absichten unterstellt. Davon sei das ganze Leben betroffen: Jeder habe Angst davor, nicht nur indirekt, sondern auch direkt betroffen zu werden, nicht sicher zu sein. Das beeinflusse auch das friedliche Zusammenleben: „These days this ‚Sunni-Shia‘ is an ‚issue‘. Since the last 15, 20 years this is like a disease. If someone is sneezing then they will say that someone else is responsible for this. Nowadays the situation is like that. Everyone is uncomfortable, feeling unsafe, the Shia, the Sunni, every believer. Every ‚community‘ is afraid of the ‚terrorism‘. No-one is safe. The peace is destroyed. The economy is destroyed. Thinking that the Sunni will [have to] leave this area is the thinking of some emotional people and the thinking of ‚terrorists‘, who are engaged in such activities.“

In der Folge möchte ich argumentieren, dass es naheliegend scheint, die Aussagen von Gesprächspartnern wie Sayed Aga Momin oder dem ehemaligen PWD-Mitarbeiter, die beide immer wieder negative Aussagen gerade über Sunniten trafen, als Kulisse zu verstehen, vor der auch andere Projekte zu betrachten sind. So erscheint es z.B. durchaus denkbar, dass der Ausschluss sunnitischer Siedler (der Colonel Hassan Colony/Sultan Colony) aus dem Projekt der Nachbarschaft Sultanabad mit größtenteils ismailitischen Bewohnern, unter der Schirmherrschaft WASEPs, einer NGO mit größtenteils ismailitischen Mitarbeitern, aufgrund konfessionell bedingter Unterschiede oder Unterscheidungen erfolgte. Meines Erachtens gilt dies dessen ungeachtet, dass ein solcher Gedanke von Sunniten in der Sultan Colony selbst beinahe reflexartig zurückgewiesen und darauf verwiesen wurde, dass auch bei WASEP Sunniten und Sunnitinnen arbeiteten und dass die Colonel Hassan Colony/Sultan Colony inklusive einer weiteren sunnitischen Nachbarschaft schließlich ein eigenes WASEP-Projekt bekommen habe. In Aussagen in diversen Stadtteilen und Nachbarschaften zeigte sich, dass die Nutzung von Wasserinfrastrukturen durchaus flexibel gehandhabt werden kann – sowohl dahingehend, neue Haushalte in Verteilungskomplexe zu integrieren, als auch, neue Haushalte auszuschließen. Tatsächliche Gründe für den Ausschluss von Haushalten oder Nachbarschaften aus Projekten ließen sich im Nachhinein meist nicht letztlich sicher feststellen. Gleichzeitig scheinen insbesondere Prozesse von sectarianization dominant, d.h. dass Handlungen und Vorgänge, ebenso aber auch Personen und Institutionen über die Linse der Zugehörigkeit zu Konfessionsgruppen betrachtet und interpretiert wurden – auch wenn viele Gesprächspartner_innen solche Interpretationen, wenn ich diese direkt ansprach, zurückwiesen. Stattdessen erklärten die meisten z.B. Ausschlüsse von Nachbarn oder Nachbarschaften vorzugsweise über technische Zwänge oder über schwammige Hinweise auf „soziale“ Gründe, wie auch im Projekt in Sultanabad diskutiert. Entsprechend der Analyse Fergusons (2006: 273) wurde auch hier die politische Frage danach, wer und wer nicht teilnehmen durfte, als ein „technisches Problem“ dargestellt (Gruppengröße),

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das einer „technischen Lösung“ (Begrenzung der Mitglieder über eine Begrenzung des Raums) bedarf. Nur vereinzelt und oft nur als Andeutung wurde Konfession als ausschlaggebender Faktor angesprochen, wie in der Begründung des PWD-Mitarbeiters, der den Sunniten die Schuld gab, dass die neuen Siedlungen Jutials noch immer nicht über den Kargah-Jutial-Kanal versorgt werden, oder die Bemerkung des WASEP-Mitarbeiters Attaullah, Sunniten würden häufig Probleme aufwerfen. Dabei schien der Ausschluss der großenteils sunnitischen Nachbarschaft in bzw. angrenzend an Sultanabad durchaus darauf hinzuweisen, dass die Bewohner des ismailitischen Sultanabads sowie die ismailitischen Mitarbeiter von WASEP die sunnitischen Nachbarn nicht in ihr Projekt aufnehmen wollten – entweder weil diese Sunniten sind oder zumindest weil diese als Sunniten andere Erwartungen an, andere Vorstellungen und ein anderes Verständnis von Projekten der AKDN-Organisation WASEP haben. So ist z.B. das Engagement für ein Projekt im Rahmen solcher Organisationen für Ismailiten und Ismailitinnen Teil der religiösen Praxis, nicht aber für Sunniten/Sunnitinnen oder Schiiten/Schiitinnen (siehe auch Wood 2006: 6; Sökefeld 1997a: 135-7). Auch Varley (2002) schreibt, dass es für Sunniten und Sunnitinnen bezüglich der Beteiligung an und Nutzung von organisational unterstützten Projekten stattliche soziale und ideologische Hürden bezüglich gebe. Auch sie begründet dies damit, dass der Großteil dieser Projekte nicht nur über westlich geprägte und über internationale Entwicklungsgelder finanzierte NGO-Entwicklungsprogramme, sondern über das ismailitische AKDN ausgeführt wird. Und obwohl das AKDN eine Nichtregierungsorganisation ist, die sich selbst als säkular beschreibt, werden das AKDN und seine Organisationen, so Varley, von Sunnitinnen und Sunniten als ismailitische, religiös begründete und religiös geprägte Organisationen wahrgenommen (ebd.: 9-10).12 Misstrauen gegenüber AKDN-Organisationen Trotz der Zurückhaltung, Probleme auf sectarian basis anzusprechen, wird Konfessionszugehörigkeit doch immer wieder zu einem wesentlichen Faktor. Dies gilt auch für das Engagement der Organisationen des AKDN – auch wenn dieser Faktor oft nur verhalten oder indirekt erwähnt wird. Während ich mich z.B. mit der WASEP- und Al Sabah-Mitarbeiterin Shazia Abid über das Entgegenkommen der Bewohner_innen unterhielt, denen WASEP Projekte anbiete, argumentierte sie zunächst egalitär. Sie erklärte, dass allerorten – unabhängig von der Konfessionszuge12

Darüber hinaus gebe es, wie Varley (2002) schreibt, Tendenzen unter Sunnitinnen und Sunniten, Ismailitinnen und Ismailiten nicht als Musliminnen und Muslime zu verstehen, sondern als häretische Abspaltung des ebenfalls häretischen schiitischen Glaubens (ebd.: 9).

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hörigkeit – manche Bewohner_innen für, andere gegen eine Zusammenarbeit mit WASEP seien. In Ishkoman z.B., einem Tal westlich von Gilgit im Distrikt Ghizer mit einer größtenteils ismailitischen Bevölkerung, hätte WASEP zuletzt in sechs Dörfern Projekte begonnen. Auch dort seien – trotz der Zugehörigkeit der meisten zur Ismailia – Zweifel an WASEP aufgetaucht, die den zuvor geschilderten gleichen: „So, they were saying ‚we don’t know if you will do something or whether you just keep coming here again and again and meet with us‘... So they are saying these kind of things to us. But when the project was ready and water started, then these people were so happy and said ‚yes!‘“ Statt Konfessionsgruppen stellte Shazia zunächst eher unterschiedliche Lebensstile, dabei insbesondere Bildung, als entscheidender Faktor für ihre Arbeit in den Gemeinschaften dar: „[When we go in the communities] we are looking at these things, [for example] everyone has their own ‚culture‘, their own way of talking and their own ‚lifestyle‘... Now if we talk about Hunza – they are ‚modern‘, means ‚educated‘ people. If we see Ishkoman then, itʼs a little bit backward (ṭhōra-sa pīche hay). Now for example there [in Ishkoman] the women are not that much educated, then we have to deal with them in that way, means in a ‚simple‘ language, and to sit the way they are [sitting], and their issues need to be discussed first.“

So hätten z.B. bei der Umsetzung eines Projekts in dem Ort Imit in Ishkoman die diversen Konfessionszugehörigkeiten der Bewohner_innen keine Rolle gespielt. Wie sie erklärte, seien die Leute in Imit, d.h. auf dem Land, ganz anders als in der Stadt. Auf dem Land hätten alle, unabhängig der Konfessionszugehörigkeiten, das gleiche Ziel. Alle seien sich ähnlich und insgesamt eher uninformiert und so gebe es ebenfalls wenig Informationen über das Konzept der unterschiedlichen Konfessionen:13 „Means, people there live a simple life and they don’t have much ‚information‘ and they don’t have this ‚concept‘ that [some people] are Sunni and [some are] Shia and [some are] Ismailia… […][There] we went to Sunni houses and Shia houses and wherever we went we got the same attitude, the same respect – whether it was a Sunni house or a Shia house or an Ismailia house.“ 13

Dabei zeichnen sich die Bewohner_innen gerade in Imit über eine große Diversität aus: die Bevölkerung Imits umfasst nicht nur Isamilitinnen/Ismailiten, Sunnitinnen/Sunniten und Schiitinnen/Schiiten, sondern auch Sprecher neun unterschiedlicher Lokal- bzw. Regionalsprachen aus verschiedenen Sprachfamilien (Shina, Burushaski, Kharkuch, Urdu, Gujjar, Khowar, Wakhi, Kohistani und Pashtu, wie ich bei einem Besuch in Imit lernte).

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Dennoch geraten auch ihre Aussagen im Anschluss ins Fahrwasser von sectarianism, sobald sie über ihre Erfahrungen in der Stadt spricht. In Gilgit gebe es sofort Diskussionen darum, ob und warum WASEP ihre Dienste nur für Ismailiten und Ismailitinnen anbiete. Sunniten und Sunnitinnen seien misstrauisch gegenüber WASEP bzw. dessen ismailitischen WASEP-Mitarbeitern und -Mitarbeiterinnen und verweigerten sich daher Angeboten: „Sunni people were thinking ‚they [WASEP] are cheating (dhōka) with us‘. […] Because when we [female social mobilizers] go for visits we [from the] Ismailia are going, and the ‚engineers‘ are also Ismailia. So that is why they [Sunni and Shia residents] don’t trust us. Because they were thinking ‚how they will bring water for us?‘. [...] Because if we go here in Gilgit to houses and when we knock at the doors, then if there is Ismailia they will open the door and if there is Sunni and Shia or such people and they see us, they will close the door. […] Some of them are good but we also met some [women] who closed the door in our face and went back inside, without saying a word, even though we were all women, but still we met some who did not talk to us. […] We gave [information] to some houses and not to those houses who didn’t talk with us. Later they said ‚they [WASEP] didn’t come to our house and didn’t give us‘ and this and that. Then we said that we went there but they didn’t even open the door of the house and they reacted like this with us so [thatʼs why] we went back.“

Entsprechend Shazias Ausführungen führt schon vorhandenes Misstrauen dazu, tatsächlich die Situation zu produzieren, die angekreidet wird: Sunnitinnen/Sunniten und Schiitinnen/Schiiten seien den (ismailitischen) Organisationen und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber nicht aufgeschlossen und in Folge arbeiten diese v.a. in ismailitischen Nachbarschaften. Dabei wies sie zurück, dass ihr eigenes Verhalten gegenüber Ismailitinnen oder Sunnitinnen unterschiedlich sei: „We are not going with this concept that if itʼs Ismailia we will be comfortable and if it’s Sunni we don’t need to stay and should not eat…“ Stattdessen erklärte sie solche Reaktionen im Rahmen von Unwissenheit und Desinteresse vonseiten sunnitischer Frauen, wobei sie exemplarisch den Besuch bei einer (sunnitischen) Frau in Sonikot schilderte. „The reason [for such reactions] might be that maybe they have no idea. […] [For example] we went to the house of one lady four times but she didnʼt understand. We told her that we are giving an Al Sabah water connection in this area, so you will have these and those benefits, and you will not have a water shortage – still she didn’t get that. She said in [the local language] Shina ‚we are drinking water and nothing happens, there is no problem‘, so we left that place. Our form was empty and we ‚crossed‘ the form. Later they complained ‚they didn’t come to us, and they did not explain it to us properly‘. These kind of complaints are there.“

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Auch das Mitglied des Projektkomitees der Lalik Jan Colony, Salman Ali Ustad, äußerte sich diesbezüglich. Er erklärte, dass – trotz dem Auftrag des Aga Khan, unabhängig von religiöser Zugehörigkeit zu arbeiten – die Nicht-Ismailiten und NichtIsmailitinnen den ismailitischen Hintergrund der AKDN-Organisationen zur Grundlage machten, sich nicht für deren Projekte zu engagieren. In Salman Ali Ustads Darstellung sind es nicht die Organisationen, sondern diese „anderen“ selbst, die die Unterscheidung zwischen sich selbst und ihnen als Ismailitinnen und Ismailiten und den Organisationen als ismailitische Organisationen treffen würden. Dabei sei es doch letztlich gleichgültig, von wem oder über welche Organisation Unterstützung komme. Eine solche opportunistische Haltung jedoch, ebenso wie das Ignorieren konfessioneller Bezüge, sei eine Frage von Unterricht(ung). Die Ablehnung von Projekten über AKDN wird damit zum einen zu einer Sache von Stolz, zum anderen zu einer Sache von mangelnder Bildung und Erziehung oder fehlgeleiteter Anleitung durch (religiöse) Autoritäten: „Even if we leave the religion aside – if I need something, if I really want something, then whether the government is giving me [then I say]: ‚welcome‘; whether the AKDN is giving me [then I also say]: ‚welcome‘. It is about the energy, the potential that the people have to work. It is about the energy that the people have, their training, their being convinced, their spirit. […] We [Ismailis] were preached to work like this. We are energetic. And we are working with consensus and clearly. We donʼt fight. We have acceptance within us. This is why there are more projects within Hunza and Ghizer.14 If you go and take that project to Diamer, then their mōlwi15 will announce: ‚Donʼt take the project of the Ismailis! Because these funds are illicit (harām).‘ So if we take this mōlwi aside and give him one lakh [rupees] in his pockets, then he will announce: ‚Right! Take this project! Itʼs permissible (halāl)!‘ They are mentally bad people. With bad habits. They have no training for humanitarian causes. They are trained on using the weapons. They are trained on fighting, on nonsense (bakwās). There is no education. The women are imprisoned. Did you see the condition of the women in Darel or Tangir [in the southern district Diamer]? Every house is a prison. Every house is a prison! 14

Die meisten Dörfer Hunzas und Ghizers haben rein ismailitische Bewohnerschaften. Salman Ali Ustad aber versuchte wiederum, die große Zahl an AKDN-Projekten über das Engagement der jeweiligen Bevölkerung erklären, nicht darüber, dass die ismailitische Basis der Organisationen oder die ismailitischen Mitarbeiter_innen die Projekte ggf. v.a. ismailitischen Klienten zukommen lassen. Vgl. auch die Überlegung zu Projekten auf Basis des Partizipations-Konzepts, die zu bedenken gibt, dass über dieses Konzept ggf. das Scheitern auf die Mikro- bzw. individuelle Ebene verschoben wird (siehe auch Williams 2004: 564-5 und Unterkap. „Self-help kontextualisiert“).

15

Mōlwis sind Leiter muslimischer Gemeinden. Im Gegensatz zu mullas haben mōlwis nicht notwendigerweise eine fundierte religiöse Ausbildung.

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They are not allowed to come outside. […] Other people are not allowed to enter the houses. […] It is much more difficult for the AKDN, such institutions, to work there. So, what do the donors want? They say: ‚Spend my money in such places, where there is acceptance. Where there is more acceptance. Donʼt spend it where there is no acceptance.‘ So what should we do? So they will go there, where there is acceptance. Where there is no acceptance, there they will not go.“

Für die Implementierung von Projekten z.B. durch die Organisationen des AKDN mangele es bei den nicht-ismailitischen Bevölkerungsteilen also einerseits an Erziehung zu Fleiß, Arbeitswilligkeit, gutem Betragen, Offenheit, aber auch Gleichstellung von Frauen. Andererseits, argumentierte auch Salman Ali Ustad, dass Geld und Arbeit nur dort investiert werden könnten und sollten, wo sie auch willkommen seien. Gleichzeitig stellt sich gerade in Bezug auf Organisationen des AKDN und deren Mitarbeiter_innen die Frage, inwieweit die Unterscheidung zwischen Angehörigkeit zu den unterschiedlichen Konfessionsgruppen auf Missverständnissen und Ablehnung seitens Nicht-Ismailiten und Nicht-Ismailitinnen beruht und inwieweit auf denen der (größtenteils ismailitischen) Mitarbeiter_innen. Wie im Unterkapitel „Self-help-Wasserversorgung…“ zu Sultanabad und der Sultan Colony angeführt, hatte z.B. der WASEP-Mitarbeiter Attaullah im Anschluss an das PRA in Sultanabad gemurmelt, dass Sunnit(inn)en immer wieder Probleme bereiten würden. Andere Erzählungen ließen durchblicken, dass gerade Sunnitinnen und Sunniten vonseiten der ismailitischen Institutionen, u.a. AKRSP, ebenso wie den Schulen des AKESP oder der Jubilee Insurance des AKFED, strategisch ignoriert würden. In Kashrot erklärte z.B. Saira, dass es ihnen als Sunnitinnen und Sunniten kaum oder nur schwer möglich sei, ihre Kinder in den Schulen des AKESP unterzubringen. Das gleiche gelte auch für die anderen „ismaili-institutions“, wie Organisationen des AKDN manchmal bezeichnet wurden, die v.a. für „die eigene Gemeinschaft“ arbeiten würden. Ebenfalls in Kashrot erklärte Muqaddas, dass sie seit einem Jahr versuche, über die (ismailitische) Jubilee Health Insurance eine Krankenversicherung zu bekommen. Obwohl sie schon diverse Male das Büro besucht habe, habe sie noch nicht einmal ein Formular erhalten. Die Mitarbeiter_innen hätten sie mit immer neuen Ausreden weggeschickt: die richtige Person sei nicht da, jetzt sei eine schlechte Zeit oder es gebe gerade kein Formular mehr. Auch im alten Teil Jutials erklärte ein Bekannter, er habe versucht, die schiitischen und sunnitischen Familien Jutials mit der Jubilee Health in Kontakt zu bringen. Dafür habe er, in Absprache mit einem Mitarbeiter der Versicherung, an die fünfzig Frauen der Nachbarschaft für eine Informationsveranstaltung zusammengerufen. Am Tag der Veranstaltung aber seien Ansprechpartner_innen und Mitarbeiter_innen der Versicherung nicht erschienen und hätten, nachdem er versuchte, sie telefonisch zu erreichen, schließlich auch die Telefone abgeschaltet.

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Mitarbeiter_innen WASEPs und AKRSPs dagegen wiesen solche oder ähnliche Berichte entweder zurück oder erklärten, wie Shazia Abid, dass gerade Sunniten und Sunnitinnen „nicht bereit“ für ihr Engagement seien („tayyār nahīñ hayñ“). Sie hätten immer wieder Schwierigkeiten, in nicht-ismailitischen Nachbarschaften zu arbeiten, was am Misstrauen oder der mangelnden Bildung der nicht-ismailitischen Bewohner_innen liege. Der councillor Jamhoor Ali in Jutial, dessen Cousin für AKRSP gearbeitet hatte, erklärte dagegen, die Anspielungen der WASEP-Mitarbeiter_innen, dass Sunnitinnen und Sunniten nicht „bereit“ seien, die Ziele der (Hilfs-)Organisationen zu verstehen, nicht „bereit“ seien, sich zu engagieren, oder nicht „bereit“ seien, die Hilfe ismailitischer Organisationen anzunehmen, sei nicht korrekt. Mit den Erklärungen von Desinteresse, Unwissenheit und Bildungslosigkeit vertraut, erklärte Jamhoor Ali, dies sei nur vorgeschoben. Die Behauptungen, dass ihre Angebote in ismailitischen Orten und Gemeinschaften auf eine größere Akzeptanz stoßen würden und dass Akzeptanz mit Bildung korreliere, seien reine „Propaganda“; schließlich seien auch Schiitinnen/Schiiten ebenso wie auch Sunniten/Sunnitinnen durchaus gebildet. Im Gegenteil erklärte auch er, dass Projekte und Gelder bevorzugt in die ismailitischen Gebiete Hunza und Ghizer geleitet würden, von wo auch der Großteil der Mitarbeiter_innen der rekrutiert werde. Auch Tabassum, eine Bekannte, die selbst beinahe zwei Jahrzehnte für und mit AKRSP gearbeitet hatte, die weiterhin regen Kontakt zu diversen Mitarbeiterinnen AKRSPs hielt und die Projekte und Initiativen der Organisation beobachtete, äußerte sich kritisch gegenüber AKRSP und den AKDN-Organisationen. Bezüglich meinem Ansuchen im Sommer 2012, für die Dauer meiner Forschung mit WASEP zusammenzuarbeiten, erklärte sie, dass dies vermutlich nicht nur vonseiten des Colonels unterbunden worden war. Über diesen Umstand hinaus könne WASEP selbst auch mein Ansuchen abgelehnt haben, um die eigenen korruptiven Praktiken nicht preiszugeben – erst recht, nachdem es in der bevorstehenden Zeit darum gegangen war, die Zusammenarbeit mit den regionalstaatlichen Departments zu diskutieren. Als ich ihr von den Aussagen der Frauen berichtete, die sich beschwert hatten, dass sie keinen oder nur begrenzten Zugang zu den AKDN-Organisationen, Schulen oder der Versicherung finden würden, nickte Tabassum und erklärte, dass sie bei AKRSP schon immer darauf gedrängt hätte, dass das Geld überall investiert werden solle – in alle Distrikte und unabhängig der Glaubensgemeinschaft der Bewohner_ innen. Schließlich sei das Geld, das den Programmen v.a. aus internationalen Entwicklungsfonds zur Verfügung steht, für ganz Gilgit-Baltistan (und Chitral) und nicht nur für eine community gegeben worden. Die Mitarbeiter_innen würden es dennoch nicht entsprechend einsetzen. Das ärgere sie, schließlich seien viele Familien, wie ihre eigene, „gemischt“ und umfassten oft sunnitische, schiitische und ismailitische Familienmitglieder. Sie frage sich, wie andere da so strikt Grenzen ziehen könnten. Auch Tabassum sah den großen Anteil ismailitischer Mitarbeiter_innen, den sie z.B. für AKRSP auf weit über 80 Prozent schätzte, als Ursache für die

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ungleichmäßige Verteilung von Ressourcen. Eine weitere Bekannte, Anees Fatima, die in den letzten sechs Jahren für AKRSP gearbeitet hatte, hielt darüber hinaus einen Wandel in der internen Organisierung AKRSPs fest. Bisher hätten auch Schiitinnen, Schiiten, Sunniten und Sunnitinnen dort gearbeitet, aber das sei immer weniger der Fall. Sie selbst hatte AKRSP verlassen, nachdem ihre Beförderung wiederholt ausgesetzt worden war – wie sie vermutete, weil sie selbst Sunnitin war. Immer mehr Stellen seien von Ismailitinnen und Ismailiten aus Hunza übernommen worden, die, wie sie ergänzte, immer radikaler würden und die Projekte im Wesentlichen an ismailitische Gemeinschaften und vorrangig nach Hunza vergeben würden – ein Umstand, der, wie Anees anmerkte, über kurz oder lang zum Untergang der Organisation führen müsse. Auch Tabassum hatte bedauert, dass sich AKRSP in den letzten Jahren aus vielen nicht-ismailitischen Ortschaften wie Baseen, Bagrot oder Juglot in der Nähe Gilgits zurückgezogen bzw. Engagement dort aufgegeben hätte, wo sie selbst in den 1990er Jahren mit Kolleginnen viel Zeit und Mühe investiert hatte, WOs zu gründen und eine Grundlage für Zusammenarbeit zu schaffen. Kritische Stimmen gab es allerdings auch unter Ismailiten. Auch Zulfiqar Alam, Sohn des ehemaligen PWD-Mitarbeiters Bakhtawar Shah, verwies auf eine ungleichmäßige Verteilung von Projekten und Geldern des AKDN in Gilgit-Baltistan. Nicht nur, dass es eine Bevorzugung ismailitischer Regionen und Bevölkerungen gebe, sondern auch innerhalb dieser liege ein Schwerpunkt auf dem Regional Council von Hunza und Gojal. Die Mehrzahl der Chief Executive Officers der pakistanischen AKDN Organisationen seien aus Hunza und Gojal. Er zählte auf: AKRSP – Hunza; WASEP – Gojal; Focus Humanitarian Assistance – Gojal; AKHSP – Hunza; AKESP – Gojal; AKCSP – Hunza. Dabei nehme sich diese derzeitige Besetzung der Stellen seit Bestehen der Organisationen vergleichbar aus. Dies würde oft über statistische Wahrscheinlichkeit damit erklärt, dass in Hunza und Gojal die höchsten Bildungsquoten zu finden seien – was aber seines Wissens nach nur eine vorgeschobene Erklärung sei. Stattdessen entspreche der Zusammenhang einem Automatismus. Seit den 1960er Jahren würden die Positionen der ismailitischen Institutionen für Gilgit-Baltistan von Ismailiten aus Hunza und Gojal besetzt. Am Ende ihrer Amtszeit würden diese Stelleninhaber selbst ihre Nachfolger vorschlagen, weshalb die Positionen immer in derselben Region verbleiben würden.16 Auf einem solchen personellen Fundament gingen dann entsprechend 16

Er erklärte weiter. Seit 1965 sei das imāmiat unter dem National Council for Pakistan, das im Ganzen von der ismailitischen Elite Karachis dominiert wird; in der Region Gilgit-Baltistan gibt es desweiteren diverse Aga Khan Regional Councils (RC Gilgit, RC Council Hunza-Gojal, RC Gupis-Yasin, RC Puniyal-Ishkoman), die je wiederum diversen Local Councils vorstehen. Jedem Regional Council stehe ehrenamtlich ein Regional President und ein Regional Secretary mit einer Handvoll Mitglieder vor. Das Regional

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auch die meisten Stellen, ebenso wie Angebote für neue Bildungseinrichtungen und -chancen (in Form von Schulen, Erwachsenenbildung und Stipendien) seit Jahrzehnten in dieselben Gegenden. Wie er grob schätzte, seien zwischen 1985 und 2012 sicher vier bis fünf Milliarden Dollar an internationalen Entwicklungsgeldern an Gilgit-Baltistan geflossen, wovon 75 Prozent in Hunza und Gojal investiert worden seien. „No wonder that they [Shia and Sunni] hate us [Ismailis],“ ergänzte er mehr oder weniger resigniert. Aus demselben Grund speise sich auch die Missgunst zwischen Ismailiten und Ismailitinnen der unterschiedlichen Regionen Gilgit-Baltistans. Dabei bleibt festzuhalten, dass die Organisationen entsprechende Daten, mit denen solche Vorwürfe zu belegen oder wiederlegen wären, nicht öffentlich machen. Die Aussagen meiner Gesprächspartner_innen können also (zunächst) nur wiedergegeben, aber weder bestätigt noch widerlegt werden. Zwar identifizieren sich die Organisationen unter dem AKDN als nichtkonfessionsgebunden. Auf der Webseite des AKDN wird dieses als ein Kollektiv von privaten, internationalen, nichtkonfessionsgebundenen Entwicklungsorganisationen beschrieben (AKDN, 2007). Karim Aga Khan selbst versuche über sein Netzwerk eine Strategie von Inklusion, Pluralismus und Toleranz zu propagieren. Die meisten Mitarbeiter_innen WASEPs und AKRSPs heben entsprechend hervor, dass sie „for all communities“ arbeiten – d.h. ohne einen Unterschied in der Konfessionszugehörigkeit zu machen – wahrscheinlich eben weil dies wiederholt infrage gestellt wird. Alle höheren Mitarbeiter, mit denen ich sprach, verwiesen außerdem auf die hohen Zahlen von nicht-ismailitischen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen – Aussagen, die die ehemaligen Mitarbeiterinnen AKRSPs Anees Fatima und Tabassum aber, wie schon angeführt, zurückwiesen. Dabei gilt es zu bedenken, dass auch die Organisationen des AKDN zu den Phänomenen zählen, die sich, wie Ferguson (2004) zu bedenken gibt, nicht einfach kategorisieren lassen: Sie verkörpern lokale Dynamiken und sind gleichzeitig Pro-

Council Gilgit sei für die Verteilung von Geldern sowie dafür zuständig, die anderen Regional Councils zu beaufsichtigen; es hat außerdem Kontrolle über die Organisationen des AKDN, welche regelmäßig in den Regional Councils über Projekte und Neuerungen berichten müssen. Die Regional Councils seien allerdings alle seit den 1980ern fest in der Hand von Männern aus Hunza und Gojal. Die Stelleninhaber stellen am Ende ihrer Periode eine Liste potenzieller Kandidaten zusammen, aus der der Aga Khan den Nachfolger bestimmt. Über diese Kandidatenlisten bleibe die regionale Besetzung größtenteils erhalten, da jeder Stelleninhaber v.a. Familienmitglieder oder Verwandte, zumindest aber Bekannte aus derselben Gegend vorschlagen würde. Auch die Chefpositionen der diversen Ableger der AKDN-Organisationen in Gilgit-Baltistan blieben so fest in der Hand von Männern aus Hunza und Gojal.

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dukt und Ausdruck einflussreicher globaler Ideen und Kräfte, staatlicher, wie auch transnationaler Rechtsgebilde (ebd.: 389-91). Settle (2012) erklärt Aussagen und Beschreibungen, weder konfessionsgebunden zu sein noch konfessionsgebunden zu arbeiten, im Hinblick auf die Logiken des Geldgebersektors. Dabei bestimmen, wie auch sie schreibt, die religiösen und kulturellen Unterschiede dennoch maßgeblich Erfolge und Misserfolge der Projekte in den unterschiedlichen Ortschaften der Region, werden aber in internen Berichten und Analysen, ebenso wie in Evaluationen der Weltbank, regelmäßig vernachlässigt (ebd.: 393-6). Gleichzeitig hält auch Settle die schon wiedergegebenen Vorwürfe fest, die Programme würden v.a. Ismailiten und Ismailitinnen zugutekommen, sowohl was Projekte als auch was Beschäftigung in den Programmen angeht, woraus auch sie zumindest auf ein großes Misstrauen unter Nicht-Ismailitinnen und -Ismailiten schließt (ebd.: 394). Auch Clemens (2000) weist in seiner Analyse von Institutionenbildungsprozessen und Investitionen AKRSPs zwischen 1983 und 1991 auf infrastrukturelle Disparitäten zwischen Gilgit, Baltistan und Chitral hin. Diese bestanden zwar schon zuvor und seien u.a. sozialen, kulturellen und religiösen Unterschieden geschuldet. Sie wurden aber durch den Einsatz der Organisation auch nicht ausgeglichen (ebd.: 29-30). Auch Clemens greift das Argument auf, dass insbesondere die Angehörigkeit zur Ismailia, die in der Division Gilgit weiter verbreitet ist als in Baltistan und Chitral, in manchen Ortschaften und Gegenden zu einer größeren Akzeptanz und Unterstützung des Programms beitrage (ebd.: 30). AKRSP, ebenso wie alle weiteren Programme unter dem AKDN, werde von den Angehörigen aller drei Konfessionsgruppen als Fortsetzung und Erweiterung ismailitischer Wohlfahrtsprogramme verstanden. Entsprechend würden sie insbesondere von ismailitischen Bewohner_innen und daher gerade in der Division Gilgit leichter akzeptiert und genutzt. Sunnitische und schiitische Bevölkerungen seien dagegen eher skeptisch oder wiesen das Programm zurück (ebd.) Auch Settle (2012) kommt zu einem ähnlichen Fazit, hält aber ebenfalls fest, dass AKRSP-Mitarbeiter_innen diesen Umstand oft herunterspielten (ebd.: 392-3). Settle (2010, 2012) argumentiert desweiteren in Bezug auf AKRSP, dass das Programm in nicht-ismailitischen Gegenden schlechte Ergebnisse erziele. Sie schließt daraus, dass der sonst so anerkannte Erfolg des Programms gegebenenfalls weniger der besonderen Arbeitsweise zu verdanken ist, die oft hervorgehoben wird. Vielmehr führe die religiöse Einbettung zu einer höheren Akzeptanz des Programms unter Ismailitinnen und Ismailiten (ebd.: 399). Wie zuvor erwähnt, legen auch Wood (2006: 6) und Sökefeld (1997a: 135-7) diesen Schluss nahe: Sich in Projekten der Organisationen des AKDN zu engagieren, zählt für Ismailiten und Ismailitinnen zur Erfüllung der religiösen Pflichten. Für Nicht-Ismailiten und Nicht-Ismailitinnen gilt dies natürlich nicht.

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Wissensgräben Aber nicht nur Unterschiede zwischen den Konfessionen schienen per se ausschlaggebend. Gerade bei Projekten, die über Programme des AKDN unterstützt wurden waren auch Unterschiede in Wissen und Vertrautheit mit bestimmten Diskursen und Vertrautheit mit den Organisationen bzw. deren Programmen ausschlaggebend. Vergleichbar schreibt Chatterjee (2006) über die Mobilisierung staatlicher Hilfen an Bedürftige: „Benefits that are meant to be available in general are effectively cornered by those who have greater knowledge of and influence over the system. This is so not only because of what may be described as corruption, that is, the criminal misuse of legal or administrative powers. Rather, it happens well within the normal ambit of legality because some sections of the people simply do not have the knowledge or the will to make claims to what they are entitled.“ (Ebd.: 66)

In einigen Gesprächen – insbesondere mit Sunnitinnen und Sunniten, aber auch mit Ismailitinnen und Ismailiten – wurde zumindest implizit deutlich, dass man von einer Wissensdifferenz sowie einem Machtgefälle in Bezug auf spezifisches Wissen ausgehen kann. Dies betrifft sowohl z.B. Diskurse und Wissen über Wasserqualität und die Bedeutung von sauberem Trinkwasser, welches in der ismailitischen Gemeinde insbesondere über Gemeindezentren verbreitet wird, als ebenso Wissen über Projektabläufe und Terminologien WASEPs. Dass hier eine Wissensdifferenz besteht, wurde z.B. im Rahmen eines Gesprächs im WASEP-Büro in Gilgit zwischen dem WASEP-Mitarbeiter Mubashir Karim und Männern aus Diamer deutlich, in welchem Mubashir den Männern Projektabläufe erläuterte. Noch während die Männer aus Diamer dabei waren das Büro zu verlassen, versah ein weiterer Mitarbeiter WASEPs, dessen Schreibtisch sich im selben Büro befand, dieses Gespräch (oder die Gesprächsteilnehmer) auf der lokalen Sprache Burushaski mit einem offenbar abfälligen Kommentar. Daraufhin mahnte Mubashir (auf Urdu und damit für mich verständlich) seinem Kollegen gegenüber die Wissensdifferenz an, die zu den Bewohnern und Bewohnerinnen Diamers bestünde. Wie Mubashir ihn erinnerte, war dies eines der ersten Projekte, die WASEP in Diamer starten würde. Entsprechend sei kaum jemand in Diamer mit Zielen, Vorgehensweise und Terminologie WASEPs vertraut. Wie ich meine, wird diese Differenz – vor Ort zumeist als fehlende Erkenntnis (awareness) bezeichnet – von „beiden“ Seiten immer wieder als Defizit wahrgenommen. Gleichzeitig wird die Ursache dieses Mangels wahlweise der anderen Seite zugesprochen: Ismailitinnen und Ismailiten argumentierten oft, dass Nicht-Ismailiten und -Ismailitinnen gegenüber ihren Organisationen nicht aufgeschlossen seien

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– was zur Folge habe, dass sie „unaware“ seien und blieben. Sunnitische Gesprächspartner_innen argumentierten dagegen, dass sie vonseiten der Ismailitinnen und Ismailiten aus „deren“ Organisationen und Einrichtungen ausgeschlossen würden. Ein vorsätzlicher Ausschluss, durch den Bildungschancen verwehrt bleiben, scheint dann zu dem Phänomen zu führen, das Sher Khan – wenn auch wohl nur unbewusst oder unabsichtlich – mit dem Begriff „unawared“ bezeichnete (siehe Unterkap. „Self-help-Wasserversorgung…“).17 Lernen am Vorbild Dennoch werden Beziehungen zwischen Sunnitinnen/Sunniten und Ismailiten/Ismailitinnen nicht immer nur von Misstrauen beherrscht. Z.B. argumentierte meine Freundin Seema in Kashrot im Rahmen eines Treffens von Frauen in einem ladiesʼ shop, gerade sie (Sunnitinnen) müssten sich an Ismailitinnen orientieren, und sich alle wieder mehr für die Gemeinschaft und für Gemeinschaftsgüter einsetzen und die Nachbarschaft sauber halten: „Then, diseases are there, but why they are spreading? Because of dirt outside, there are dirty waters outside of the house because of that dirty water diseases are there. For this we should not wait for a government person no, we have to do it ourselves, and Allah will not change the position of those people (qōm) or their condition, until and unless they do not want to change. If we start ourselves, [with] our own dirt, our own mohalla, then we can do many things. These Ismailia people are making organizations (tanzīm) in every mohalla, and first they are saving their money – we [in Kashrot instead] are the most extravagant people in our ‚community‘ (sab se fuzūl ḵharch qōm ham hayñ). People are wearing clothes for ten or more thousand [rupees] and our jewelry will be for forty, fifty thousand [rupees][…] They [our Kashroti women] don’t have the concept of saving, and they don’t give that much importance to education as much as they are thinking that it is important that ‚when I go to a wedding then there should be jewelry on my arm‘.“

Unter den sunnitischen Gesprächspartner_innen Kashrots ist der Islam steter Bezugspunkt. Islamische Vorgaben zu Sauberkeit und Bildung können so zu einem Maßstab werden, über den auch Ismailitinnen und Ismailiten zum Vorbild werden 17

Gleichzeitig versicherten Sher Khan und Mubarak Shah (siehe ebenfalls das Unterkap. „Self-help-Wasserversorgung…“), dass unterschiedliche Konfessionszugehörigkeiten – zumindest in ihrer Nachbarschaft bzw. in ihrem Stadtteil, im Gegensatz zum Zentrum Gilgits – kein Problem seien. Stattdessen seien soziale und kulturelle Unterschiede, die sich z.B. in den unterschiedlichen Prioritäten was Hygiene anginge, auftun würden, wie Mubarak Shahs Frau Razia erklärte, heikel.

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können, wenn ihre Praktiken „guten“, d.h. in qurān und sunna geforderten, Praktiken entsprechen – und dies, obwohl Ismailiten und Ismailitinnen aufgrund ihrer ansonsten eher liberalen Auslegungen und Praktiken unter Sunniten/Sunnitinnen und Schiiten/Schiitinnen teilweise nicht als Muslime und Musliminnen anerkannt werden (vgl. Varley 2002: 9).18 Seemas Aussage erinnert damit wieder an die Vorstellungen Smilesʼ und seinen vorbildlichen Individuen. So können in dem Reformprozess, den Geist zu kultivieren und die Gesellschaft durch gemeinschaftliches Arbeiten und gemeinschaftliche Organisationen zu stärken, der wachsende Wohlstand sowie der augenscheinliche Erfolg sogar von Ismailitinnen, Ismailiten und ismailitischen Institutionen zum Vorbild werden. Dennoch bleibt es fraglich, ob die ismailitischen Erfolgsstrategien sich auch langfristig als erfolgreich beweisen und ob sie von den religiösen und spirituellen Bezügen gelöst werden können.

FAZIT Die diskutierten Figurationen wirken sich auch in der Gestaltung der Stadt aus und bedingen Möglichkeiten und Einschränkungen, sich in der Stadt bewegen und Raum und Ressourcen in Besitz nehmen zu können. Das Denken in Konfessions18

Darüber hinaus scheint aber die Idee, sich in Nachbarschaftsorganisationen zusammenzutun, um hierüber Ressourcen oder Infrastrukturen zu organisieren, in sunnitischen Nachbarschaften eher schwierig. Ebenfalls in Kashrot erklärte mir Seemas Cousin Uzair, dass er unter den benachbarten und teilweise verwandten Haushalten vorgeschlagen habe, sich zusammenzutun, um gemeinsam einen leistungsstarken Generator zu kaufen und anstelle der vielen kleinen Generatoren, die mittlerweile einige Haushalte am Abend betreiben, wenn der Strom ausbleibt, zu betreiben. Für einen überschaubaren Beitrag, so sein Vorschlag, könnten sie einen 10 kVa Generatoren kaufen und einen Wachmann bezahlen, der sich um den Betrieb und Reparatur kümmert. Seine Nachbarn – die großenteils nahe und ferne Verwandte sind – hätten jedoch abgelehnt. Auf meine Frage hin, wieso derartige Projekte in ismailitischen Nachbarschaften eher zustande kämen, erklärte er, unter ihnen, Sunniten, sei das Misstrauen einfach zu groß – gegenüber Organisationen, dem Staat und selbst gegenüber Verwandten und Bekannten. Ismailiten und Ismailitinnen dagegen organisierten sich was Gemeinde- und Gemeinschaftsprojekte anginge; jeder zahle die monatlichen Abgaben an die Gemeinschaft und die Gemeinschafts- und Gebetshäuser seien mit den besten Materialien und mit Gärten zum Verweilen gebaut. Sunniten dagegen seien misstrauisch; niemand vertraue auch nur darauf, dass der Staat das zakāt-Geld für wohltätige Zwecke verwende, erwarte stattdessen Entwendung und Korruption selbst diesen Geldes und auch die Moscheen würden nur schnell, billig und einfach gebaut.

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gruppen schafft und reproduziert, wie ich meine, Ordnung im Sinne von Trennung und Kompartmentalisierung von Stadtteilen und Nachbarschaften in sunnitisch, schiitisch und ismailitisch, ebenso wie die „Etablierten-Außenseiter-Figuration“ Unterscheidungen von Stadtteilen als alt und neu und Bewohner_innen als local und non-local produziert. Gleichzeitig werden dadurch unterschiedliche Qualitäten von Stadtteilen, Bewohnern und Bewohnerinnen als sicher und unsicher, kultiviert und unkultiviert, entwickelt und vernachlässigt gebildet oder verstärkt. Solche Unterscheidungen lassen das Leben in der Stadt als ungleich und, aus der Sicht der neuen ebenso wie der der „alten“ Siedler, ungerecht erscheinen. Die Figurationen wirken innerhalb der waterscape und wirken sich auf die waterscape aus. Ebenso wirken sie innerhalb der städtischen Landschaft und auf die städtische Landschaft.

Zusammenfassung: Gilgits waterscape, Mobilisierung von Gemeinschaften, Umgang mit Unsicherheiten

Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit war die Einbettung in das des Kompetenznetzwerk Crossroads Asia, das zum Ziel hatte, lokalen, regionalen und transregionalen interdependenten Beziehungen und Interaktionen, die räumliche oder staatliche Grenzen überschreiten, nachzugehen. Anker für das Projekt war die Frage, welche interdependenten Beziehungen Wasserresourcen in der Hochgebirgswüste im Norden Pakistans und darüber hinaus bedingen und welche Konflikte, „Figurationen“ und Muster sich darüber abzeichnen. Für ein Leben in Pakistan und insbesondere in der Hochgebirgswüste ist Kontrolle über Wasser elementar. Geringe Niederschläge in den bewohnbaren Gegenden und Begrenztheit von Wasserressourcen sind die Grundlage dafür, dass Wasserquellen erschlossen und Wasser aktiv bewirtschaftet und verteilt werden muss. Hierfür bedarf es sorgfältig ausgearbeiteter Infrastrukturen, klarer Verteilungsregeln und Kooperationen, um Leben zu ermöglichen sowie Konflikte zu vermeiden oder zu schlichten. In Gilgit bedeutet das laufende Wachstum der Stadt das Kommen von Neuem und bedingt weitere Veränderungen. In Bezug auf die Wasserversorgung führt dies u.a. zu einer zunehmenden Fragmentierung und Diversifizierung. Hieraus erwachsen diverse Fragen: Was bedeuten diese Transformationen für das Leben in der Stadt? Sind unter den derzeitigen Vorzeichen der Figurationen z.B. übergreifende Systeme oder Netzwerke wie ein stadtumfassendes Wassernetzwerk derzeit überhaupt möglich? Kann die Wasserversorgung zu einer gleichmäßigen Versorgung ausgebaut werden oder ist die derzeitige Versorgung, die als „sozial gerecht“ beschrieben werden kann, weiterhin vertretbar? Welche weiteren politischen und sozialen Konsequenzen, wie auch physische und psychische Gefährdungen, erwachsen hieraus? In dem nun folgenden Fazit verweise ich zunächst auf die Zusammenhänge zwischen Feld, Akteuren und Methoden. Damit soll die Aufmerksamkeit dafür, wie diese Zusammenhänge notwendigerweise Forschung und Forschungsarbeiten prä-

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gen, geschärft und die methodischen und konzeptionellen Erkenntnisse aus Forschung unter Überwachung erörtert werden. Daran schließt sich eine Diskussion des Staats an, der vor Ort zwar präsent ist, der aber den an ihn gerichteten Ansprüchen nicht gerecht wird. Dabei geht die vorliegende Arbeit aber, wie schon angeführt, diesem grundlegenden Thema nur am Rande nach. Unter anderem waren es die während der diesbezüglichen Feldforschung aufgekommenen Sicherheitsbedenken, Überwachung und Misstrauen, die dazu führten, den Blick weg vom ursprünglich angepeilten Gegenstand auf die waterscape von Gilgit zu richten – ein Feld, das zugleich dynamisch und wenig beachtet ist, das politisch interessant ist, aber als unpolitisch wahrgenommen wird. Die Leitfrage wurde entsprechend im Verlauf der Forschung neu aufgestellt; die vorliegende Arbeit fragt demnach, was die waterscape, d.h. die hydraulische und soziale Landschaft Gilgits prägt und welche Figurationen sie bestimmen. Die Forschungserfahrungen richteten das Augenmerk auf Unsicherheiten und Ungewissheiten als konzeptionellen Rahmen. Auf das Forschungsfeld der waterscape Gilgits übertragen, fiel auf, dass es weniger umwelt-bezogene Unsicherheiten und Ungewissheiten sind, die im Alltag von Bewohnern Gilgits wichtig sind. Stattdessen sind v.a. Unsicherheiten und Ungewissheiten, die über den sozialen Kontext bedingt sind, von Bedeutung. Aus unterschiedlichen gemeinschaftlichen und öffentlichen Wasserverteilungssystemen und Allianzen erwachsen strukturelle Ungleichheiten bei der Wasserverteilung. Dies resultiert in (relativer) Wassersicherheit für manche Bewohner_innen der Stadt und Wasserunsicherheit für andere. In den Daten und Darstellungen der Eigenschaften der waterscape Gilgits werden Zusammenhänge und Interdependenzen deutlich, die oft Sicherheit für eine Gruppe und Unsicherheit und Ungewissheit für eine andere bedeuten. Ein Netzwerk bedeutet immer auch aufeinander angewiesen zu sein und kann damit ebenfalls Grundlage für Unsicherheit sein – wie die Befürchtung von Dadi Yurmas, dass oberhalb gelagerte Bewohner gezielt bestimmte Wasserleitungen und Bevölkerungsteile vergiften könnten. In der Analyse der waterscape Gilgits habe ich drei Eigenarten – Fragmentierung, Wasserrechte und Mobilisierung – ausgemacht, welche maßgeblich (Wasser-) Unsicherheit produzieren. Gleichzeitig bieten diese drei Motive aber auch die Möglichkeit, (Wasser-)Unsicherheit zu begegnen und zu verhandeln. Dabei werden oft, wenn auch in veränderter Weise, alte Praktiken aufgegriffen, wie z.B. die Vorgehensweise, Gemeinschaften zu schaffen. Diese Herangehensweise ist zwar „traditionell“, wird aber über neue Institutionen und Regeln neu gestaltet. Dabei ist sie weiterhin ambivalent, beinhaltet Grenzziehungen und Ausgrenzungen, Exklusivität und Exklusion. So entstehen Gemeinschaften, die eher Zweck- als Solidaritätsgemeinschaften sind: sie bieten zwar Vokabular und Rhetoriken zur Herstellung von Legitimität und versprechen Sicherheiten und Ressourcenmobilisierung. Sie bieten

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aber kaum eine moralische Ökonomie von Reziprozität und gegenseitiger sozialer Absicherung; Kooperationen und Konflikte innerhalb und zwischen Gruppen alternieren. Auch sie tragen zu einer weiteren Fragmentierung von Infrastrukturversorgung, städtischer Landschaft und Bevölkerung bei. Darüber hinaus sind Wissen um organisationale Regeln, Beziehungen und „smart leaders“ notwendig, um organisationale Unterstützung erhalten zu können. Um strukturelle Muster herauszuarbeiten, griff die Arbeit auf Eliasʼ Figurationenkonzept zurück. Hiermit wurden Figurationen oder strukturelle Beziehungsmuster bestimmt, welche Gilgits waterscape formen und in Gilgit Habitus prägen, Beziehungen strukturieren sowie Machtdifferenziale vorgeben. In der Analyse der Forschungsdaten wurden drei Figurationen prominent: das spezielle Verhältnis zwischen Pakistan und Gilgit-Baltistan, Konfessionszugehörigkeit sowie die Unterscheidung von „alten“ und neuen Siedlern.1 Diese wurden auch in früheren (u.a. ethnologischen) Arbeiten diskutiert und sind so nicht unerwartete Figurationen, wie z.B. die „Etablierten-Außenseiter-Figuration“ in Elias und Scotsons (1994) Analyse. Nichtsdestotrotz bietet die vorliegende Arbeit einen Einblick, wie diese spezifischen Figurationen die hydraulische und die städtische Landschaft und das alltägliche Leben in Gilgit prägen und wie Akteure im Alltag mit diesen Vorgaben umgehen. Dennoch erwuchsen insbesondere im Lauf der Datenanalyse diverse Fragen nach der praktischen Anwendung des Figurationen-Konzepts. Wie, z.B., generieren sich Figurationen in der Datenanalyse? Und in welchem Verhältnis stehen parallele bzw. zeitgleiche Figurationen? Die Arbeit schließt mit einer Diskussion dieser theoretischen Fragen sowie einer Reflexion über Ungewissheit und Unsicherheit.

ZUSAMMENHÄNGE ZWISCHEN FELD, AKTEUREN UND METHODEN Theoretischer Ausgangspunkt für die Forschungsarbeiten des Kompetenznetzwerks Crossroads Asia waren Eliasʼ Figurationen. Dementsprechend war die Forschungsarbeit zunächst auf die Verquickungen lokaler, regionaler und translokaler Zusammenhänge und Interdependenzen in Bezug auf Wasserressourcen im Norden Pakis-

1

Andere Unterscheidungen bzw. Figurationen, die in Gilgit Habitus, Macht und Beziehungen bestimmen können sind z.B. qōm, Geschlechterrollen oder die unterschiedlichen Herkunftsorte und -täler. In meiner Betrachtung der waterscape aber spielten diese eher eine untergeordnete Rolle und wurden seltener angesprochen oder als einflussreich diskutiert. Gesonderte Aufmerksamkeit hierauf könnte zu Ergebnissen führen, die die vorliegende Arbeit diesbezüglich ergänzen können.

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tans ausgerichtet. Als lohnende Ansatzpunkte für die Forschung erschienen die Prozesse hinsichtlich großer Staudämme auf den Grenzen des „eigentlichen“ pakistanischen Staatsgebiets. Einer der Stauseen befindet sich auf dem von Pakistan verwalteten Gebiet Azad Jammu und Kashmir; ein weiterer, auf dem Gebiet GilgitBaltistans, ist in Planung. Der Überlegung, einen entsprechenden Forschungsschwerpunkt zu legen, stellten sich, wie im Kapitel „Feld, Akteure und Methoden“ nachvollzogen, Mitarbeiter diverser staatlicher Institutionen, darunter in erster Linie Mitarbeiter eines militärischen Geheimdienstes, entgegen. Im selben Kapitel werden entsprechend die facettenreichen, oft paradoxen und im Positiven wie im Negativen persönlichen Reaktionen sowie ihre Bedeutung für die Forschung beschrieben und analysiert. Die Mitarbeiter thematisierten und problematisierten nicht nur meine Dokumente, sondern auch tatsächliches sowie unterstelltes Verhalten. Wie ich aufgrund von Gesprächen mit den Mitarbeitern selbst sowie mit anderen lokalen Gesprächspartnern vermute, lagen den Eingriffen der Mitarbeiter verschiedene Motive zugrunde, darunter v.a. die Sorge, eine Forschung in der Gegend des geplanten Staudamms könne ein ohnehin umstrittenes Projekt weiter politisieren. Ihre konkreten Befürchtungen blieben allerdings unausgesprochen. Angesprochen und problematisiert wurden indessen vor Ort ungewohnte Handlungen meinerseits: ethnographische, d.h. nicht-standardisierte Methoden inklusive freier Bewegung im öffentlichen Raum und innerhalb der Region; das Aufbauen ethnographischer Beziehungen; Kenntnisse der Landessprache Urdu. Unterschiedliche Auffassungen davon, wie „richtige“ Forschung abzulaufen habe, resultierten darin, dass ich klassische ethnologische Methoden zunächst nur eingeschränkt anwenden konnte und dass diese Misstrauen schürten.2 Ich wurde aber nicht ausgewiesen oder die Forschung beendet. Stattdessen wurde ich intensiver Überwachung sowie temporären Restriktionen unterworfen, aus denen Selbstüberwachung, ebenso aber auch eine Anpassung von Forschungsthema und Forschungsmethoden folgten. Nachdem die Aufmerksamkeit der agencies auf mich gelenkt (worden) war – eine Aufmerksamkeit, die ich aufgrund unserer offiziellen Herangehensweise mit Dokumenten des pakistanischen Innenministeriums, wie ich glaubte, nicht hätte scheuen müssen – musste ich meine Vorgehensweise wiederholt erklären, rechtfertigen und über Mitarbeiter

2

Zu den „klassischen“ ethnologischen Methoden zähle ich u.a. Möglichkeiten, am öffentlichen und privaten Leben teilzunehmen, ethnographische Beziehungen aufzubauen und Themen zuzulassen, die die engen Grenzen einer einleitenden Forschungsthematik überschreiten. Damit meine ich, z.B. Verbindungen zwischen unterschiedlichen Themen, Ebenen und Bereichen nachgehen und herstellen zu können und so ein neues, im Lokalen verwurzeltes und in der Interaktion entstehendes Verständnis zu verfolgen (vgl. Behar 2003; Faubion 2009; Marcus 1995, 2009a; Okely 2012).

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der lokalen Universität in Gilgit als legitim bestätigen lassen. Zeitweise musste ich außerdem meine Aktivitäten minutiös offenlegen und überprüfen lassen. Gebote und Verbote vonseiten der Geheimdienstmitarbeiter wirkten sich entsprechend sowohl auf Vorgehen und Methoden der Feldforschung sowie die Konzeption der vorliegenden Arbeit aus als auch auf meine Befinden und mein „ForschendenSelbst“. In großen Teilen der Feldforschung waren zufällige Gespräche, freie Bewegung, Ausflüge in die nālas, Aufenthalt und Interaktion im öffentlichen Raum untersagt. Diese Restriktionen wurden durch Furcht, ich könne belauscht, verfolgt oder bespitzelt werden, noch verstärkt und Übertretungen aufgrund von Selbstzensur und Selbstüberwachung extrem selten. Die Restriktionen riefen außerdem Gefühle hervor, als Ethnologin zu versagen, Bedenken, andere und mich selbst zu gefährden, bis hin zu Zweifeln, Lebenszeit sinn- und ergebnislos zu vergeuden. Gleichzeitig stellten die Geheimdienstmitarbeiter immer wieder eine reibungslose Forschung in Aussicht, würde ich ihre Regeln befolgen, weswegen ich die Forschung nicht vorzeitig abbrach. Meine Vorgehensweise entsprach darüber hinaus durchaus der eher abstrakten ethnologischen Methode, die Behar (2003) oder Okely (2012: 47-55) als die Stärke der Ethnologie hervorheben: Flexibilität gegenüber dem, was im Feld wichtig wird. Sich den Umständen im Feld anzupassen und unerwarteten Themen und Ansichten nachzugehen, bedeutete in diesem Fall, die Regeln und Erwartungen der Geheimdienstmitarbeiter zu berücksichtigen; dem Unerwarteten nachzugehen verlangte danach, die Ein- und Auswirkungen der Geheimdienstmitarbeiter auf die Forschung zu analysieren. Über die Eingriffe der agencyMitarbeiter traten so zum einen sozial bedingte Unsicherheit und Ungewissheit, zum anderen Kontrollprozesse von Sicherheitsbehörden bzw. Akteuren, die sich als Vertreter des pakistanischen Staats und dessen Interessen verstehen, in den Vordergrund. Diese sind sowohl gegenüber Organisationen, Bewohnerinnen und Bewohnern als auch Besucherinnen und Besuchern in der Region und gegenüber ungewohnten und unkontrollierten Handlungen stark ausgeprägt; dazu zählt nicht nur Kontrolle bezüglich Aspekten staatlicher Sicherheit,3 sondern auch bezüglich der öffentlichen Ordnung und lokaler Normen. Wie ich meine, entspricht dies einem Habitus, der auch als „Kultur des Verdachts“ bezeichnet werden kann (vgl. Subramaniam 1999) und in dem Verdacht Beziehungen und Interaktionen strukturiert.4 Und ebenso wie lokale Akteure in lokale, regionale, staatliche und transnationale

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Vgl. auch den Artikel 9(2) der Gilgit-Baltistan (Empowerment and Self-Governance) Order 2009, der Äußerungen und Handlungen untersagt, die sich gegen die „Ideologie Pakistans“ richten (vgl. auch Bouzas 2012: 874).

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Dieser Prozess ist zumeist unbewusst und habituell, kann aber m.E. auch bewusst ausgelöst und strategisch genutzt werden.

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(Macht-)Beziehungen eingebunden sind, wurde auch ich in und mit meiner Forschung hierin eingebunden. Mittlerweile ist in den Sozial- und Geisteswissenschaften allgemeiner Konsens, dass Forschung und Datenerhebung kein neutraler oder „freischwebender“ Prozess ist, sondern immer Datenproduktion und in Forschungserfahrungen verwurzelte Repräsentation. Auch ich gehe davon aus, dass erst die Verwurzelung der Daten, der Konzeptualisierung der Forschungsarbeit und der Repräsentation in den Umständen der Feldforschung zu einer umfassend erkenntnisreichen Ethnographie führt. Dennoch forderten mich gerade in Deutschland einige Kollegen und Kolleginnen unterschiedlicher ethnologischer Institute aber auch anderer Disziplinen auf, diese Umstände nicht publik zu machen. Dabei richteten sich die Befürchtungen nur nebensächlich auf negative Konsequenzen für Gesprächs- und Interaktionspartner und -partnerinnen oder mich selbst. Stattdessen, so die Befürchtungen, könnte eine detaillierte Darstellung der Ereignisse eine schlechte Ausgangsposition für nachfolgende Forschungen, Forscher und Forscherinnen in Pakistan evozieren; in der Befürchtung, mein Beitrag zu einem Konferenz-Sammelband könne negative Konsequenzen für den zu Pakistan arbeitenden Herausgeber haben, wurde dieser sofort und entschieden abgelehnt. Dies legt die Überlegung nahe, dass oft Pragmatik oder gar Opportunismus Vorrang vor Prinzipien der Wissenserkenntnis hat. Aber wie würde eine Forschungsrepräsentation ohne diesen Aspekt aussehen? Das Resultat wäre vermutlich eine vergleichsweise dünne Ethnographie, deren Erkenntnisse sich – Dilettantismus? – auf fragmentarische und reservierte Aussagen, in zögerlich und ängstlich geführten Gesprächen gewonnen, stützten. Die Forschungserfahrungen dagegen verweisen auf ein Feld, in dem strenge soziale und staatliche Überwachungspraktiken einen bestimmten Habitus prägen und durch diesen wiederum geprägt werden. Handlungen und Aussagen sind hier immer zunächst von Vorsicht und Zurückhaltung gegenüber politischen oder als politisch verstandenen Elementen geprägt. Sicherheitsbedenken beeinflussen immer die Wahrnehmungen aller Akteure5 – eine Einsicht, die auch für nachfolgende Forschende erkenntnisreich sein kann.

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Dabei wird deutlich, was Goldstein (2010b) meint, wenn er schreibt, dass viele Angelegenheiten, mit denen sich die Ethnologie in der Vergangenheit beschäftigt hat, heute mit Sicherheitsanliegen verbunden sind (ebd.: 487) – gleich, ob diese Verbindung aus einer Makro- oder Mikroperspektive hergestellt wird. Und wie Goldstein ebenfalls anmerkt, scheinen gerade die ethnologischen Methoden dafür geeignet, Sicherheit und Unsicherheit als erlebte Erfahrung zu untersuchen und zu betrachten, wie Sicherheit und Sicherheitsmaßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen konfiguriert und gehandhabt werden (ders. 2010a: 128, 2010b: 492).

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Zuletzt bleibt gleichwohl festzuhalten, dass sowohl die vorliegende Arbeit als auch weitere Veröffentlichungen (z.B. Grieser 2016) von diesem Habitus beeinflusst sind. Denn selbst wenn ich den Bedenken meiner Kolleginnen und Kollegen nur bedingt zustimme und nur anfangs Raum gab, habe auch ich, dem Rat Varleys (2008b: 152) folgend, meine Repräsentationen sorgfältig gemäß meinem persönlichen Komfortlevel und meinen persönlichen Sicherheitsbedenken ausgelotet. Meine Analysen der agency-Einmischungen bleiben bewusst auf dem Level von Habitus und Interaktionen und sind nicht Ausgangspunkt für Analysen des Staats oder staatlicher Institutionen.6 Wie Ali (2009) anführt, gibt es zwar viele Werke zum pakistanischen Militär und dessen Einfluss auf Politik und Außenpolitik, jedoch kaum zum ethnographischen Erleben und Navigieren militärischer Macht (ebd.: 83). Diese Lücke kann auch ich, trotz und aufgrund meiner Erfahrungen, nur auf einer idiosynkratischen Ebene bearbeiten. Dabei legen die Überwachung und Einmischungen der Geheimdienstmitarbeiter bezüglich meinen Forschungsinteressen Zeugnis dafür ab, dass die Figuration von Pakistan und Gilgit-Baltistan bzw. die Figuration zwischen der Bevölkerung Gilgits und Vertretern von föderalem Staat und regionalem Staat umfassend einflussreich ist. Wie ich folgere, ist die Art und Weise, wie sich Machtbeziehungen gestalten und gestalten lassen sowohl für die waterscape GilgitBaltistans als auch für die waterscape Pakistans von Bedeutung. Im Hinblick auf die Einmischungen der Geheimdienstmitarbeiter ist aber der Blick auf den Staat und eine theoretische Behandlung des regionalen oder gar nationalen Staats bewusst gering gehalten.

DER PRÄSENTE ABER (VER-)FEHLENDE STAAT Obwohl der (regionale) Staat in der vorliegenden Arbeit nur am Rande Analyseobjekt ist und trotz der Zurückhaltung von allen Seiten, ihn in Gesprächen zum Thema zu machen, wurde er dennoch immer wieder en passant als bedeutungsvoll thematisiert. Vorgaben und Angebote staatlicher – ebenso wie nichtstaatlicher – Organisa-

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Andere Kolleginnen und Kollegen hatten vorgeschlagen, die Dissertation komplett dem Komplex von Feldforschung, Überwachung und Geheimdiensten zu widmen. Dies habe ich bewusst abgelehnt, u.a. da ich mich nicht selbst widerlegen wollte: Würde ich doch nicht, wie wiederholt angegeben, zu Wasser in der Hochgebirgsregion arbeiten, könnte ggf. das Misstrauen der agency-Mitarbeiter als gerechtfertigt erscheinen; einen solchen drastischen Themenwechsel schien ich daher in Pakistan (derzeit) nicht rechtfertigen zu können.

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tionen beeinflussen lokale Akteure, bieten Anreize für und wider privates oder gemeinschaftliches Engagement, wecken Hoffnungen, enttäuschen. In der Analyse der waterscape zeigte sich, dass das Verhältnis, das Bewohner_ innen Gilgits gegenüber dem regionalen und zentralen Staat haben, höchst ambivalent ist:7 Einerseits gibt es den Anspruch, dass der Staat und dessen Vertreter Stabilität, Sicherheiten und Gewissheiten schaffen sowie den Interessen der Bürger_innen dienen. Großenteils besteht ein Wunsch nach mehr staatlichem Engagement und mehr Dienstleistungen. Dass für staatliches Engagement andererseits aber z.B. auch monetäre Beiträge in Form von Steuern notwendig sind, lehnten viele Gesprächspartner ab, solange es keine staatlichen Vorleistungen gebe, die einen verantwortlichen Einsatz von Steuern demonstrieren würden. Wie viele Gesprächspartner argumentierten, gebe es keine Gewissheit gegenüber der Qualität oder Zuverlässigkeit staatlicher Leistungen. Außerdem fühlten sich viele von staatlichen Institutionen missachtet; dabei werden die mangelhaften Wasserversorgungssysteme u.a. zu Parametern für (geringen) Lebensstandard und (mangelnde) staatliche Funktionalität. Frustration oder Resignation sind die häufigsten Reaktionen auf fehlende oder mangelhafte öffentliche Einrichtungen und Dienstleistungen, wie z.B. in der Aussage des nambardār von Sakarkui zum Ausdruck kam, der anmerkte, dass eine Situation, in der Bewohner_innen weiterhin gezwungen sind, Wasser vom Fluss zu holen, kaum als ein vernünftiger Lebensstandard betrachtet werden kann. Demgemäß sind die Bewohner_innen der neuen Siedlungen in einer Situation, in der die Notlage sie zum Handeln zwingt.8 Unter diesem Vorzeichen erwachsen die selfhelp-Projekte als Reaktionen auf fehlende staatliche Leistungen – auch wenn die self-help-Projekte nur von machen Gesprächspartnern als Zwang, von anderen dagegen als Chance dargestellt wurden. Häufig wird diese Situation in Gilgit mit dem Ausdruck bezeichnet, dass es kein „System“ gebe. Damit wird insbesondere darauf verwiesen, dass die Zuverlässigkeit staatlicher Leistungen und die Gleichheit von Bewohnern und Bewohnerinnen nicht gegeben seien. Mängel in der öffentlichen Wasserversorgung, aber ebenso in der Stromversorgung und in anderen öffentlichen Dienstleistungen, würden nicht aus einem Mangel an Wasser, Strom oder Ressourcen resultieren, sondern aus einem Mangel an verantwortungsvollen Amtsträgern. Diese seien oft „korrupt“ – eine Eigenschaft, die sich aber in allen Teilen der Gesellschaft wiederfinden lasse, wie Zulfiqar Alam kommentierte: Korrupt ist, was oder wer gegen Normen und Moral

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Vgl. auch z.B. Ali (2009, 2013), Grieser und Sökefeld (2015). Gesprächspartner wie Salman Ali Ustad in Ameenabad dagegen deuteten auf die Ehrenhaftigkeit von Arbeiten wie den WASEP-Komplexen hin, mit denen der Staat entlastet würde.

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verstößt. Insofern sind nicht nur Reformen in den öffentlichen Einrichtungen nötig, sondern in der ganzen Gesellschaft.

VERÄNDERUNGEN IN DER URBANISIERUNG Ein weiterer maßgeblicher Faktor, der die waterscape Gilgits beeinflusst, ist die zunehmende Verstädterung und der Verlust landwirtschaftlicher Lebensweisen. Dies hängt zusammen mit und bedeutet das Kommen von Neuem: neuen Organisationen und Akteuren, Beziehungen und Interdependenzen, neuen Produkten und Praktiken, neuen Möglichkeiten, neuen Unsicherheiten und Ungewissheiten. Aufgrund der zunehmenden Urbanisierung und der neuen Angebote durch staatliche und nichtstaatliche Organisationen wird die waterscape weiter diversifiziert aber auch fragmentiert. Dies betrifft alle möglichen unterschiedlichen Ebenen: Nutzung, Angebot, Infrastrukturen, Kategorisierungen von Wasser, öffentliche und private Organisationen und Institutionen. Die zunehmende Bevölkerungsdichte in Gilgit und Umgebung sowie neue Produkte führen zu veränderten Konsumgewohnheiten und neuen Praktiken, welche Wasserqualität und -quantität in der waterscape Gilgits beeinflussen. An sich wird das Wasser der Region als „natürlich“ rein erachtet, was sich in den vielen Aussagen widerspiegelt, das Wasser sei „naturally filtered“. Die Sorglosigkeit im Umgang mit Umwelt und natürlichen Ressourcen führt aber zu weitreichenden (negativen) Veränderungen – das „natürliche“ System funktioniert nur solange die Natur ohne (viele) Menschen ist (vgl. Hardin 1968: 1245) und solange bestimmte Regeln eingehalten werden, wie die, Wasser und Wasserwege nicht zu verschmutzen. Heute jedoch sind die räumlich und sozial mobilen Menschen in der Stadt diesbezüglich zunehmend ungehemmt und unkontrolliert. Es gibt keine Autorität (mehr), die die alten Regeln überwacht oder sanktioniert. Mit zunehmender Verschmutzung von Wasserressourcen lässt auch das Gefühl, individuell verantwortlich zu sein, nach – eine Abwärtsspirale. Mit der wachsenden und zunehmend mobilen Bevölkerung, veränderten Praktiken und Konsummöglichkeiten wird Wasser zunehmend verschmutzt und verliert seine „natürliche“ Reinigungskraft. In der Stadt werden Abwässer großenteils in die Wasserwege geleitet; Müll wird am Fluss abgeladen; in nāla und Fluss werden Autos gewaschen, Farben und Lacke „entsorgt“. Selbst das nāla-Wasser ist nicht mehr das „natürlich gefilterte“, „magisch Reine“ der Natur, sondern durch chemische Dünger und Waschmittel der zunehmend ausgedehnten Bevölkerung verunreinigt. Solche Verschmutzungen verursachen jedoch Ungewissheiten bezüglich schädlicher Substanzen durch Wasser und

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Nahrung.9 Daher werden den Verunreinigungen zunehmend technische aber auch chemische Prozeduren entgegengestellt – Absetzbecken, Rohre und Leitungen, Filter an Küchenhähnen, öffentliche Filtrationsanlagen, private und gemeinschaftliche Filtrationskomplexe – die aber für die Nutzer_innen oft nur vordergründig Gewissheit herstellen. Tatsächliche Gewissheit kann letztlich nur selbst oder über kombinierte Anstrengungen hergestellt werden, z.B. über Filtration und Abkochen, was aber vielen aufgrund der Kosten, die damit verbunden sind, nicht möglich oder nicht wichtig genug ist. Alternativ bleibt das Negieren von Problematiken und Ungewissheiten. Sie werden weggelacht oder mit sarkastischen Bemerkungen oder Hinweisen auf die „natürlichen“ Selbstreinigungskräfte von Wasser verdrängt und so an alten, mit einem guten und vernünftigen Leben in Verbindung gebrachten Gewissheiten und Vorstellungen festgehalten.

GEMEINSCHAFTEN UND GRENZEN Zu den Neuerungen in der waterscape zählt auch das Festhalten an und die Veränderung von alten Praktiken. Manche bisherige Praktiken werden als „Traditionen“ etabliert und bisherige hydraulische Gemeinschaften und Dörfer werden als „traditionelle Gemeinschaften“ abgefasst. Gleichzeitig sichern sich die Nachkommen der „alten“ Pioniere Rechte nun auf der Basis von Vererbung, anstatt über eigene (Pionier-)Leistungen. Neue Siedler werden nur noch bedingt unterstützt. Die Möglichkeit, in und um Gilgit Land über eigentlich „traditionelle“ Wege, d.h. über die Konstruktion von Kanälen und das Umleiten von nāla-Wasser, bewohnbar zu machen, kann nur mehr von „alten“ Siedler genutzt werden. Die „traditionelle“ Handhabung wird verändert und damit zu einer exklusiven Praxis. In der Vergangenheit konnten auch „Leuten von außen“ entweder bewässertes Land übernehmen oder Kanäle hin zu bislang brachliegendem Land ausdehnen – eine Praxis, die in anderen Orten auch weiterhin möglich ist. In Gilgit gilt aber seit den 1950er Jahren sowohl für das Wasser des Jutial Nala ebenso wie für das Wasser des Kargah eine Zäsur bezüglich dem Einbezug in die Verteilung von nāla-Wasser. In beiden Fällen wird die Erweiterung der Wasserverteilung unter dem Hinweis auf Wasserknappheit abgelehnt –

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Vergleichbare Veränderungen werden auch für Lebensmittel festgestellt. Diese werden nur noch teilweise vor Ort produziert; der größte Teil wird aus downcountry Pakistan, d.h. insbesondere aus dem Punjab und aus Khyber-Pakhtunkhwa importiert – Lebensmittel, die verlockend scheinen, aber gleichzeitig als verunreinigt, gestreckt und manipuliert gesehen werden und die, so die gängige Annahme, krank oder zumindest schwach machen.

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für das Jutial Nala temporär, für das Kargah kategorisch. Die eigentliche Grundlage ist aber, wie ich meine, v.a. eine Fragmentierung auf der sozialen Ebene: zwischen „alten“ und neuen Siedlern wie zwischen unterschiedlichen Konfessionen, die hierüber Exklusivität und Exklusion produzieren. Doch trotz solcher Reifikationen der Ideen dazu, was „traditionell“ sei und welche Rechte damit für wen – und für wen nicht – einhergehen, wurde die „traditionelle“ gemeinschaftliche Organisierung in den „alten“ Stadtteilen tatsächlich nur teilweise erfolgreich aufrechterhalten. Zwischen Jutial und Khomer wird die hydraulische Gemeinschaft von Konflikten und Gewalt auf der Basis von Konfessionen untergraben. In Stadtteilen wie Kashrot, in denen gemeinschaftliches Organisieren kaum noch umgesetzt wird (ohne dass hierfür eigentliche Ursachen genannt werden können, außer dem Anführen von Veränderungen durch die Urbanisierung), wird dieser Zustand bedauert; gleichzeitig fehlt das Vertrauen darin, dass sich die Nachbarn tatsächlich erfolgreich gemeinschaftlich organisieren könnten. Wie Uzair, ein Bekannter aus Kashrot, erklärte, sei das Misstrauen unter den Nachbarn gegenüber Organisationen, dem Staat und selbst gegenüber den eigenen Verwandten in der Nachbarschaft zu groß. Als Kontrast wurde immer wieder auf Ismailiten und Ismailitinnen verwiesen, die es schaffen würden, gemeinschaftliche Zusammenarbeit zu leisten. Wie mehrere (ismailitische wie sunnitische) Gesprächspartner_innen erklärten, liege dies an den diversen Kontrollinstanzen, die v.a. durch die formalen Vorgaben ismailitischer Institutionen ebenso wie die Organisationen des AKDN sowie inter- und transnationale Geldgeberorganisationen gegeben seien. Die Mobilisierung von Gemeinschaften in Form von Neu- oder Wieder-Erfindungen von village organisations10, „Dorfgemeinschaften“, erscheint daher umso interessanter: Wie und unter welchen Bedingungen funktioniert Gemeinschaftsbildung? Und worauf zielt diese ab? Allein auf ein kollektives Begegnen von Infrastrukturmangel und Ressourcenunsicherheit oder auch auf Ziele darüber hinaus?

„MORALISCHE“ GEMEINSCHAFTEN? Bei den diversen Vorgängen bezüglich der waterscape geht es, wie deutlich wurde, weniger um Sicherheit im Sinne von Überleben als um die Frage, was für ein „gutes Leben“ notwendig ist und die Versuche, die grundlegenden Bedingungen hierfür herzustellen. Hierfür scheint v.a. der Rückzug ins oder die Schaffung des „Eigenen“ zentral: der Bau eines eigenen Hauses in der „eigenen“ community; die Herstellung von Nachbarschaften als die „eigene“ Nachbarschaft – als kleine, räumlich begrenz-

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In Erweiterung auch von womenʼs organisations und local support organisations.

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te, homogene Einheit im Sinne einer „mythic community“ (vgl. Agrawal und Gibson 1999) auf der Basis der figurationalen Muster; die Schaffung eines „eigenen“ Wasserkomplexes. Zentrale Elemente dabei sind Grenzziehungen und Ausschlüsse: Die Etablierung einer begrenzten Gruppe funktioniert nur unter dem Ausschluss anderer – ein Grundsatz, der für die „alten“ wie die neuen Siedler_innen und Siedlungen gilt, d.h. auch für die Außenseiter_innen bzw. selbst Ausgeschlossenen. Zwar ist es sowohl im Fall von „alten“ Siedlungen als auch neuen Nachbarschaften notwendig, ausreichende Mitgliederzahlen aufweisen zu können, um gegenüber staatlichen oder nichtstaatlichen Organisationen gewichtig genug zu erscheinen. Zu große Mitgliederzahlen dagegen scheinen die Projekte zu sprengen bzw. nutzlos zu machen, wenn aufgrund zu großer Nutzerzahlen die einzelnen Anteile schrumpfen. Entsprechend Agrawal und Gibsons Definition von „mythic communities“ greifen auch hier vergleichbare Prinzipien: räumliche Begrenzung, die über Mauern oder Tore, Infrastrukturen und strategische Namensgebungen manifestiert werden kann; Betonung bzw. Repräsentation von Homogenität (z.B. im Hinblick auf Konfessionszugehörigkeit); und die Forcierung oder zumindest strategische Repräsentation gemeinsamer Werte und Ziele. Im Prozess der tatsächlichen Ausgestaltung solcher Gemeinschaften sind m.E. die Figurationen bzw. Prinzipien der Figurationen von großer Bedeutung dafür, wo die sozialen und räumlichen Grenzen gezogen werden, wer als gleich oder anders betrachtet wird und welche Werte hervorgehoben werden. In der Analyse dieser Fragen sind es Konfessionszugehörigkeit, ebenso wie die Frage, wer sich nicht nur als bāshinde, also Bewohner, sondern als pushtūne bāshinde, als „alte“ Bewohner, anerkennen lassen kann, die hervorstehen. Die Figurationen sind so maßgeblich beteiligt, wenn es z.B. darum geht, wer Teil einer Gemeinschaft sein darf. Während der Formationsprozess von Gemeinschaften in den „alten“ Siedlungen – mit allen Kämpfen bezüglich der Frage, wer und wer nicht zur Gemeinschaft der „alten“ Siedler gehört oder gehören darf – sich bis Ende des 20. Jahrhunderts abgezeichnet hat, finden diese Auseinandersetzungen in den neuen Siedlungen derzeit statt. Dies kostet jedoch, wie insbesondere im Kapitel „‚Verfügbar durch Selbsthilfe‘“ deutlich wurde, Arbeit und Überzeugungsarbeit. Dabei entstehen Gemeinschaften, die jedoch, wie auch Li (1996) notiert, kaum eine moralische Ökonomie von Reziprozität und gegenseitiger sozialer Absicherung bieten; sie sind weniger Solidaritäts- als Zweckgemeinschaften. Und auch diesbezüglich besteht eine Herausforderung, da die Akteure der Gemeinschaften oft unterschiedliche Zwecke verfolgen; die Errichtung eines Wasserkomplexes z.B. soll einem Gesprächspartner sauberes Trinkwasser, einem anderen eine durchgängige Wasserversorgung, einem dritten eine Beschäftigung bezwecken. Gegenüber staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen müssen die Vertreter der Gemeinschaft diese dagegen als uniform und einig hinsichtlich Mitteln, Werten und Absichten präsentieren. Sie müssen ein Vokabular zur Verfügung stellen, über das Bedürfnisse

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gerechtfertigt oder Druck ausgeübt werden kann (vgl. ebd.: 508). Über die Rhetorik gegenseitiger Unterstützung, bieten sie Legitimität, versprechen Sicherheiten sowie die Möglichkeit, Ressourcen mobilisieren zu können. Wie Li (1996: 513) schreibt, bieten sie einen Rahmen, in dem im Kontext von Machtdifferenzialen Bedeutung produziert und verhandelt werden kann: Die Gemeinschaft der pushtūne bāshinde schafft es, sich ein eigenes Vokabular zu schaffen, über das sie Ansprüche auf Ressourcen wie Land, Wald und Wasser in Vergangenheit und Zukunft verankern. Dabei beziehen sie sich v.a. auf vergangene Taten der Vorfahren wie auch auf zukünftige Bedürfnisse der Nachfahren. Bewohner_innen der neuen Siedlungen hingegen greifen auf Ideen und Vokabular aus dem internationalen Entwicklungssektor und aus internationalen Diskursen zu. Auch sie beziehen sich auf Vergangenheit und Zukunft: einerseits setzen z.B. die Organisationen des AKDN die Gründung von sogenannten village organisations voraus – altbekannten und „altbewährten“ Dorfgemeinschaften. Andererseits werden Planungen auf zukünftiges Bevölkerungswachstum und zukünftige eigenständige Bewirtschaftung ausgerichtet. Hierüber steht den Bewohnern und Bewohnerinnen der neuen Siedlungen ein technisches Vokabular zur Verfügung, das, wie im Fall Sultanabads und der Sultan Colony, Argumentationsmöglichkeiten bezüglich Ein- oder Ausgrenzung erlaubt. In beiden Nachbarschaften wurde das Problem des Ausschlusses – wie auch in anderen Entwicklungsprojekten (vgl. Ferguson 2006: 273) – offiziell zu einem technischen Problem mit technischen Lösungen gemacht. Urbane Herausforderungen über Gemeinschaften anzugehen, ist also ebenfalls ambivalent. Einerseits befähigt es Nachbarschaften dazu, ihre Umgebung zu organisieren, zu bewirtschaften, Ordnung herzustellen und sich Ressourcen zu sichern, die für ein gutes Leben notwendig sind. Gleichzeitig trägt aber auch dies zu einer weiteren Fragmentierung von Infrastrukturversorgung, städtischer Landschaft und Bevölkerung bei. Der Ausschluss von (neuen) Stadtteilen und neuen Bewohnerinnen und Bewohnern aus der Wasserversorgung wird über „technische“ Notwendigkeiten erklärt und gerechtfertigt.11 Strukturen, durch welche ungleiche Wasserverteilung in der Stadt entsteht und perpetuiert wird, werden nicht hinterfragt oder angegangen, sondern entpolitisiert. Verantwortung für eine dauerhafte und allgemeine Versorgung wird wechselweise auf öffentliche Einrichtungen oder individuelles Engagement verschoben. Dementsprechend bleibt auch z.B. der selbstbezeichnete Humanitarismus der pushtūne bāshinde unpolitisch reine Wohlfahrt einzelner. Der Status quo der unterschiedlichen Rechte wird nicht hinterfragt. Zutiefst politische Fragen und Entscheidungen werden so strategisch entpolitisiert.12

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Vgl. auch Ferguson (2006: 273), Li (2007: 6-8), Mitchell (2002).

12

Vgl. Benthall (2012), Boelens (2014: 236), Redfield (2012: 452-3).

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SELBSTHILFE, ORGANISATIONALES WISSEN UND BEZIEHUNGEN Eigenes Engagement bzw. self-help ist eine Möglichkeit – oder aber auch eine Bedingung – gewisse Sicherheiten und Einrichtungen, die der Staat eben nicht oder nur beschränkt zur Verfügung stellt, selbst zu etablieren. Self-help in Gilgit weist dabei zwei Seiten bzw. Bezugspunkte auf: zum einen wird self-help in Gilgit und der Region als eine durchaus „traditionelle“ Praktik verstanden. So werden häufig Parallelen zu selbstorganisierten Arbeitsweisen in der Vergangenheit gezogen, die damals Norm und einzige Möglichkeit gewesen seien, sich eine Lebensgrundlage zu schaffen. Zum anderen wird self-help – gerade von neuen Siedlern – aber auch unter direktem Verweis auf fehlende staatliche Leistungen konzipiert. Diese Auffassung wird auch in einem Beitrag im Onlinemagazin Pamir Times geteilt. Hier wird die (alte) Praktik, selbst an Infrastrukturen zu arbeiten oder diese zu reparieren, zur Ausnahme, mit der auf die Vernachlässigung durch Staat bzw. Regierung reagiert wird: „Communities across Gilgit-baltistan [sic] have started helping themselves, instead of wating [sic] for the government. […] the people of GilgitBaltistan have proved [sic] that self-help is the best help“ (Pamir Times (Facebook), 10.-12.04.2016). Ggf. kann self-help entsprechend auch als neoliberale Reaktion auf mangelhafte staatliche Angebote gesehen werden, die über Berührungspunkte mit neoliberalen Entwicklungssystemen induziert wurde.13 Dennoch ist Engagement unter der Schlagzeile der self-help in Gilgit und Region nur in den wenigsten Fällen tatsächlich autonomes oder autarkes Engagement. Zumeist bedeutet self-help zwar, dass Bewohner_innen sich engagieren und Zeit und Ressourcen, wie z.B. Land für eine Straße oder einen Wasserkomplex, zur Verfügung stellen. Oft ist die Bedingung hierfür aber, dass finanzielle Ressourcen bzw. Kompensationen über Organisationen – den (Regional-)Staat, die (Regional-)Regierung oder Nichtregierungsorganisationen – mobilisiert werden können,14 d.h. dass Organisationen finanzielle und technische Unterstützung wie auch Entschädigungen in Aussicht stellen. Allerdings werden hierüber auch gewisse Regeln vorgegeben; die Organisationen können sich einmischen und sanktionieren.

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Vgl. auch eine solche Auslegung für self-help in Bolivien in Goldstein (2012: 84).

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Zwar wird zumeist Zeit bereitgestellt. Abgesehen davon bestehen aber durchaus klare Erwartungen an finanzielle Unterstützung und Kompensationen. Wird Land für eine Straße oder eine Filtrationsanlage verwendet, wird entweder eine Kompensation oder ein Job erwartet; stellt ein Mitglied Land für einen WASEP-Wasserkomplex zur Verfügung, können z.B. die durch das WASEP-Projekt geschaffenen Arbeitsplätze (plumber, health and hygiene specialist) an Mitglieder seiner Familie vergeben werden.

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Um organisationale Unterstützung erhalten zu können, ist es aber notwendig, die Regeln zu kennen, Beziehungen zu haben und diese mobilisieren zu können. Ebenso wichtig sind „smart leaders“, die Wege finden, Regulierungen zu umgehen, Gesetzeslücken zu nützen und die „Gemeinschaft“ den organisationalen Erfordernissen entsprechend zu repräsentieren. Sowohl im Hinblick auf die „alten“ als auch auf die neuen Siedlungen wird eine öffentliche Projektion einer geschlossenen kollektiven Identität wichtig. Diese ist sowohl Voraussetzung für die Aneignung von Ressourcen aus dem internationalen Entwicklungssektor als auch für das Gewähren von Geldmitteln sowie Konzessionen über öffentliche Einrichtungen. Organisationale Unterstützung ist so berechenbar und unberechenbar zugleich, da Organisationen v.a. über Personen und Beziehungen beeinflussbar sind. Bestehen keine persönlichen Beziehungen zu Ansprechpartnern staatlicher oder nichtstaatlicher Organisationen in gehobenen Positionen oder sind diese nicht erreichbar, bleiben Akteure ohne deren Unterstützung zurück: Zum einen, weil die Wahrscheinlichkeit, dass Anträge berücksichtigt und bewilligt werden, sinkt. Zum anderen, weil bestimmtes Wissen darüber nötig ist, welche Angebote überhaupt existieren und welche Voraussetzungen und Erwartungen erfüllt werden müssen, damit ein Projektantrag genehmigt und ein Projekt umgesetzt wird. Fehlen Beziehungen in die und Wissen um die Organisationen, bleiben Bewohner tatsächlich allein auf die eigenen Ressourcen angewiesen. Darüber hinaus kamen in meiner Analyse Widersprüchlichkeiten im Entwicklungssektor auf. Zum einen scheint Wasserqualität sowohl für Bewohner_innen, Mitarbeiter_innen als auch Organisationen teilweise eine nur untergeordnete Rolle zu spielen. So ist es z.B. WASEP erst nach einigem Hin und Her möglich, Entwicklungsgelder auch in der Stadt einsetzen zu können – wie Tsing (2005) kommentiert, ist Engagement in der Stadt im Entwicklungssektor ggf. weniger interessant als Engagement für die „zurückgebliebene“ Landbevölkerung (ebd.: 176). Zum anderen sollen Projekte den armen oder ärmsten Bevölkerungsteilen zugutekommen. Wie aber in den Gesprächen deutlich wurde, müssen potenzielle Klienten und Klientinnen nicht nur arbeitswillig, sondern auch zahlungsfähig sein. In Gilgit wird so Armut ggf. zum Ausschlusskriterium: In der Stadt sind die Kosten für Projekte zur Trinkwasserversorgung höher15 und können so v.a. in Nachbarschaften mit zahlungsfähigen Bewohnern und Bewohnerinnen implementiert werden (vgl. Anzorena

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In der Stadt ist – im Gegensatz zu den meisten Dörfern in der Region – z.B. Quellwasser nicht verfügbar oder kann nicht bereitgestellt werden, weswegen umfassendere Wasserkomplexe nötig sind. Während in Dörfern zumeist nur Leitungen und ein Zwischenspeicher nötig sind, bedarf es in der Stadt Brunnen für Uferfiltrat, Pumpen, ein oder mehrere Zwischenspeicher sowie Filtrationsanlagen.

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et al. 1998: 171-5). Wie auch Settle (2012) schreibt, können so über das Engagement von Organisationen wie denen des AKDN Leistungen wie gute Bildung und gute Gesundheitsleistungen, ebenso aber auch sauberes Trinkwasser, zu einem Privileg derjenigen werden, die zahlen können.16 Entsprechend einer Feststellung Swyngedouws (2006: 5) ist aber ein Fokus auf eine Unterscheidung von arm und reich zumeist nicht ausreichend, um Exklusions-Prozesse in waterscapes zu erklären. Wie auch im vorliegenden Fall sind es oft andere Figurationen, die die waterscape maßgebend prägen und Exklusion herstellen.

NEBENEINANDER UND WECHSEL VON FIGURATIONEN Im Besonderen griff die Arbeit Eliasʼ Figurationenkonzept auf, um der Frage nachzugehen, welche Figurationen oder strukturellen Beziehungsmuster es sind, die Gilgits waterscape tatsächlich formen. Dabei bleiben aber diverse Fragen offen. Bezüglich Eliasʼ figurationalem Ansatz scheint die Frage grundlegend zu sein, wie oder wodurch eine Figuration in der Analyse deutlich wird? Elias selbst gibt diesbezüglich keine eindeutigen Hinweise oder Vorschläge. Im Hinblick auf die vorliegende Arbeit bin ich davon ausgegangen, dass Figurationen in der Analyse als bedeutende wiederkehrende Logiken, Muster oder Rhythmen deutlich werden – ungeachtet dessen, ob diese jeweils von Interaktions- und Gesprächspartnern verbal benannt oder gezielt mit Schweigen bedacht wurden. So wurde in den Umständen meiner Forschung die Beziehung, die zwischen Pakistan und Gilgit-Baltistan besteht, maßgebend – eine, wie ich meine, das Leben in Gilgit umfassend prägende Figuration. In der Betrachtung der waterscape wurden die Beziehungen zwischen „alten“ und neuen Siedlern ebenso wie die zwischen den Konfessionen wiederholt als bedeutende Faktoren erkennbar. Alle drei wurden von Gesprächspartnern und -partnerinnen zumeist ungern und fragmentarisch dargestellt. Dabei meine ich, dass der Unwille, diese Faktoren anzusprechen oder „durchzuarbeiten“, weniger darin verankert ist, dass die Figurationen unwichtig oder unbewusst sind, als dass Konflikt- und Gewaltpotenzial groß sind. Zudem geht Elias auch nicht näher auf die Überlegung ein, dass auch die Regeln einer Gesellschaft nie über nur eine Figuration bestimmt werden. Auch sind

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Um eine gleichmäßige Versorgung zu gewährleisten, gehen auf einem neuen Weg Regierung und Organisationen des AKDN Kooperationen ein, in denen NGOs die Organisierung und Implementierung neuer Projekte mit technischem und projektbezogenem Wissen unterstützen, wie z.B. eine Kooperation zwischen der Regierung und WASEP zur Umsetzung von Trinkwasserinfrastrukturen, die 2016 beschlossen wurde.

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Individuen nie in nur eine Figuration gebettet oder können sich nur auf die Regeln einer Figuration berufen. Individuen sind stets in mehrere Figurationen eingebettet, die nebeneinander bestehen und die je nach Situation evoziert werden können, so wie Individuen auch nicht nur eine Identität haben, sondern Identitäten flexibel verhandeln und je nach Situation auf unterschiedliche Identitäten zurückgreifen können. Elias dagegen führt meines Wissens allein eine zeitlich anknüpfende Teilhabe an unterschiedlichen Figurationen an, d.h. dass Individuen sich von Figurationen lösen und in andere eintreten können, oder dass eine Figuration durch eine andere abgelöst werden kann (vgl. Elias 2001: 88-9). Meines Erachtens finden sich Individuen jedoch in unterschiedlichen Figurationen wieder, werden positioniert und positionieren sich. Habitus beeinflusst Handlungen dahingehend, dass Handlungen bewusst oder unbewusst bestimmten Mustern folgen. Gleichzeitig scheint es, dass es den Akteuren zumindest zuweilen vorbehalten bleibt, unter verschiedenen Figurationen selbst zu bestimmen, in welche sie ihre Handlungen eingebettet wissen wollen, um ihren Handlungen und Wahrnehmungen ebenso wie Selbstrepräsentationen eine bestimmte Bedeutung zu verleihen. Insofern sind es nicht allein die Figurationen, welche Individuen positionieren und Prozesse und Beziehungen strukturieren. Individuen oder Akteure nutzen auch Figurationen, um sich zu positionieren, sich und anderen ein bestimmtes Image zuzuweisen, Machtdifferenziale zu verschieben, Verantwortungen zu- oder zurückzuweisen. „Alte“ Siedler wie Usman Hussain in Jutial versuchten z.B. eher, die Unterschiede und Konflikte herunterzuspielen und ein positives Bild über die Verdienste der „alten“ Siedler zu stärken. Wie Sökefeld (1997a: 79-80, 1998: 144) in den 1990er Jahren dokumentierte, trug die veränderte städtische Landschaft bei den „alten“ Familien in Jutial und Khomer zu einem Gefühl der Marginalisierung und dem Verlust von Kontrolle bei. Demgegenüber stellten sich die pushtūne bāshinde Jutials in Aussagen mir gegenüber als Altruisten dar und überlagerten das Bild des Verlusts von Land, Landwirtschaft und damit auch Ehre durch die Selbstrepräsentation als großzügig und ehrenvoll. Die pushtūne bāshinde mit denen ich mich unterhielt waren nicht (nur) Opfer der vergangenen Ungerechtigkeiten unrechtmäßigen oder unfairen Landverlusts, sondern stolze Besitzer von Wasserrechten, selbst definierte Philanthropen und gute Muslime. Meine Gesprächspartner in der Benazir Colony dagegen verwiesen auf sich selbst abwechselnd als neue Siedler und als Ismailiten und auf die Bewohner der alten Stadtteile abwechselnd als „alte“ Siedler und Sunniten bzw. Schiiten. Auch hier fand eine Überlappung von Kategorien sowie Eigenschaften statt. Über den diskursiven Rückgriff auf und Wechsel zwischen den unterschiedlichen Rahmen, d.h. „alte Siedler – neue Siedler“ sowie die Konfessionen, konnten meine Gesprächspartner Bedürfnisse und Handlungen rechtfertigen und sich selbst und anderen unterschiedliche Macht- und Moraldifferenziale zuweisen. Unterschiedliche Figurationen können einzelnen auch erlauben, unterschiedliche Allianzen zu evozieren bzw. zu mo-

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bilisieren. Positive Selbstbilder, feste Handlungsmöglichkeiten und Legitimationen, die über Figurationen zu einem gewissen Grad vorgegeben sind, können eine Grundlage schaffen, Zuversicht in die eigenen Handlungen und Wahrnehmungen der Gegenwart zu haben. Bei Elias bleibt dagegen unklar, wie sich parallele Figurationen zueinander verhalten oder wie sich gesellschaftliche Verschiebungen zwischen Figurationen vollziehen. Generell scheint es, als könnten figurationale Wechsel in lokalen Transformationen ebenso wie in externen Anstößen begründet sein. Wie die Regeln von Tanz oder Spiel, sind die sozialen Regeln zwar für die einzelnen Individuen schon vorhanden. Sie sind aber auch veränderbar, können ausgehandelt werden, können in den Hintergrund geraten oder wieder erneuert werden. Individuen haben so einen gewissen Spielraum, aber nicht unbedingt völlige Wahlfreiheit. Neue Figurationen können in den Vordergrund rücken und andere Verdrängen, so wie die Figuration von qōm, Quasiverwandtschaftsgruppen – zumindest in der waterscape – in den Hintergrund gerückt ist. In Gilgit schien qōm im Hinblick auf die Wasserversorgung nichtexistent oder unwichtig und damit vernachlässigbar. Die Bedeutung von qōm, die über Dörfer bzw. Stadtteile verteilt sind und zwischen denen (so zumindest Erklärungen in anderen Ortschaften wie Minawar in der Nähe Gilgits oder in Karimabad in Hunza) Bewässerungsfolgen etabliert worden waren, kam in Bezug auf die Wasserbewirtschaftung für Gilgit nicht auf. Entsprechend scheinen bestimmte Figurationen zu einem gewissen Zeitpunkt oder in Bezug auf gewisse gesellschaftliche Prozesse und Themen in besonderer Weise gesellschaftlich relevant erscheinen, während andere vorübergehend oder themenspezifisch in den Hintergrund rücken.

FIGURATIONEN, UNGEWISSHEIT UND UNSICHERHEIT – EIN AUSBLICK Figurationen grenzen Individuen durch ihre Vorgaben ein; parallele bzw. zeitgleiche Figurationen bieten aber auch Flexibilität und damit die Gelegenheit, das eigene Handeln zu kontextualisieren und sich so neue Möglichkeiten zu eröffnen. Wird das eigene Handeln und das eigene Leben dagegen als eines verstanden, das durch externe Kräfte kontrolliert wird, führt dies zu Ungewissheit. Wie ich meine, ist diese Ungewissheit der Punkt, an dem das Verlangen entweder nach dem Altbekannten oder nach Reformen wächst. Die Bildung von „traditionellen“ Gemeinschaften ist ebenso Reaktion auf die gegebene Situation wie auch die Hoffnung auf Reformen, in denen Individuen, soziale Institutionen und die Gesellschaft transformiert werden: Transformationen hin zu dem, was als ordentlich und systematisch verstanden wird; hin zu Institutionen, in denen die gegenwärtigen Figurationen weniger Ein-

Zusammenfassung | 415

fluss haben; und hin zu Systemen, die technischen oder neutralen Prinzipien folgen und in denen moralische Solidarität und generalisierte Gerechtigkeit zur Anwendung kommen. Dabei weisen solche Transformationsideen und -hoffnungen in Gilgit wiederum Parallelen zu Smilesʼ (1908) Annahmen von einem Ganzen auf, das von den Einzelteilen bestimmt wird, einer Nation, die von ihren Bürgern bestimmt wird; zu Annahmen zum Wert von Selbständigkeit und eigener Arbeit, zum Wert vom Lernen am Vorbild; und zu Annahmen von Reformen, die über das Nacheifern vorbildlicher Persönlichkeiten bzw. Gemeinschaften vonstattengehen. Nur wenn Individuen und Gesellschaft einen Reformprozess von Innen durchlaufen, so der Konsens auch in Gilgit, kann ein funktionales Ganzes erreicht werden. Wie sich in den „alten“ und neuen Gemeinschaften zeigt, ist individuelles Engagement im Kollektiv effektiv – wie ich meine, sowohl um Wasserunsicherheit als auch, über die reine Mobilisierung von Ressourcen hinaus, weiteren Unsicherheiten des Alltags zu begegnen. Dabei stellen sich über die vorliegende Forschung hinaus die Fragen, welche Unsicherheiten und Ungewissheiten gemeinschaftlich bewältigbar sind (oder scheinen), welche Herausforderungen hierüber angegangen werden können, was dies für den Staat und das Recht auf die (Gestaltung der) Stadt bedeutet und wie Reformen nicht nur erträumt, sondern auch implementiert werden können.

Anhang

Glossar lokaler Begriffe ābād

Suffix für die Bezeichnung von Siedlungen

agencies

Sammelbegriff für Geheimdienste

angrēz

„Westler_in“ (von Portugiesisch inglês: Engländer)

bandobast

Register von Besitz und Erträgnissen, ursprünglich im Moghulreich

bandobasti zamīn

bewässertes und registriertes Land für Landwirtschaft

bazār

Bazar

birāderī

Verwandtschafts- bzw. Quasiverwandtschaftsgruppe; auch: Interessensgruppe

buzurg

respektvoller Begriff für ältere Person

councillor

gewähltes Mitglied des Municipal Committee

dalja /dala

Kanal (Shina)

dās

Ödland

gāh

(wasserführendes) Seitental, auch: dessen Gebirgsbach (Shina)

gulko

Zisterne aus Stein und Lehm (Shina)

īl-e karēlo

jährliche Aktion im Frühjahr zur gemeinschaftlichen Säuberung und Ausbesserung der Hauptkanäle (Shina)

jamāt ḵhāna

ismailitisches Gebets- und Gemeindehaus

kanal

eine in Südasien gängige Flächeneinheit, unter den Briten auf ⅛ Morgen standardisiert; ca. 22,49m*22,49m bzw. 505,9m2

khāna

essen, einverleiben, auch: (Geld, Ressourcen) veruntreuen

ḵhālisa

Ödland

418 | Den Verlauf kontrollieren

ḵhālisa-e awām/ ḵhālisa-e deh

Ödland der Gemeinschaft

ḵhālisa-e sarkār

Ödland des Staats

kōṭ

ursprünglich Haus-Cluster mit gemeinsamer Außenmauer

kūl

Kanal (Urdu)

lakh

ein in Südasien gängiges Numerale, das für die Zahl 100.000 steht

masjid

Moschee

māliya

Steuern auf bestelltes oder bestellbares Land

mohalla

Siedlung, Nachbarschaft

muṭhulphau

ursprüngliche Siedler; Pioniere; wörtlich: die, die das Land gebrochen haben (Shina)

nambardār

Erbamt des Dorfvorstehers (von Englisch number: Zahl und Persisch dar: Halter)

nāla

(wasserführendes) Seitental, auch: dessen Gebirgsbach (Urdu)

nālī

untergeordneter, sekundärer oder tertiärer Kanal (Urdu)

parda

Form der Geschlechtertrennung, Verschleierung der Frau (von Persisch: Vorhang)

paṭwāri

ein Beamter, der für Landbesitzrechte, Ernteerträge und Besteuerung zuständig ist

pushtūne malikān

„alte“ Rechtehalter (Shina)

pushtūne bāshinde (auch: purāne bāshinde)

„alte“ Siedler (Shina)

qōm

Quasiverwandtschaftsgruppe

rāja, mahārāja

lokale Herrscher

rajāki

vom Herrscher angeordnete gemeinschaftliche Pflichtarbeit

sarbandh

Wehr, im Frühjahr in Bächen der Seitentäler errichtet

sāmī

Käufer von bewässertem Land, der an der Wasserration des Verkäufers beteiligt werden kann

settlement/ settlement record

Register von Besitz und Erträgnissen, in Britisch Indien von den im Moghulreich üblichen bandobast übernommen

shāmilāt

zu einem Dorf gehöriges Ödland

tanker

(von einem Traktor gezogener) Tankwagen

tanzīm

lokale Organisation

Anhang | 419

tehsīl

Subdistrikt, entsprechend der Bezirksebene

union council

Subdistrikt, entsprechend der Kreisebene

wājib ul-arz

dorfspezifische Verschriftlichung von Gewohnheitsrechten

wārābandī

verteilungsorientierte rotierende Wasserverteilung

wārī

Wasseranteil im Turnuswechsel

yab

untergeordneter, sekundärer oder tertiärer Kanal (Shina)

Abkürzungsverzeichnis AKCSP

Aga Khan Cultural Service, Pakistan

AKDN

Aga Khan Development Network

AKESP

Aga Khan Education Service, Pakistan

AKF

Aga Khan Fund

AKFED

Aga Khan Fund for Economic Development

AKHS

Aga Khan Health Service

AKPBS

Aga Khan Planning and Building Service, Pakistan

AKRSP

Aga Khan Rural Support Programme, Pakistan

CIDA

Canadian International Development Agency

CMH

Combined Military Hospital

DHQ

District Headquarter Hospital

EPA

Environmental Protection Agency

FCNA

Force Command Northern Areas

GBLA

Gilgit-Baltistan Legislative Assembly

IUCN

International Union for Conservation of Nature and Natural Resources

ISO

International Organization for Standardization

JICA

Japan International Cooperation Agency

KfW

Deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau

KIU

Karakoram International University

KKH

Karakorum Highway

LBRDD

Local Bodies and Rural Development Department

LG&RD

Local Government and Rural Development

LSO

local support organisation

MLA

member of the legislative assembly

MNA

member of the national assembly

420 | Den Verlauf kontrollieren

MoI

Ministry of Interior

NADRA

National Database and Registration Authority

NGO

Nichtregierungsorganisation (Non-Governmental Organisation)

NOC

no objection certificate

PHED

Public Health Engineering Department

PRA

participatory rural appraisal/participatory rapid appraisal

PWD

Public Works Department

RE

resident engineer bzw. assistant engineer (Position, z.B. im Public Works Department)

SAC

Supreme Appellate Court

UNICEF

United Nations International Childrenʼs Emergency Fund

US-AID

United States Agency for International Development

V-AID

Village Agricultural and Industrial Development

VC

vice chancellor

VO

village organisation

WASA

Water and Sanitation Authority

WASEP

Water and Sanitation Extension Programme

WHO

World Health Organization

WO

womenʼs organisation

X-EN

executive engineer (Position, siehe RE)

Quellenverzeichnis

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Ethnologie und Kulturanthropologie Nikola Langreiter, Klara Löffler (Hg.)

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