›De arte magorum‹: Erklärung und Deutung ausgewählter Hexenszenen bei Theokrit, Vergil, Horaz, Ovid, Seneca und Lucan unter Berücksichtigung des Ritualaufbaus und der Relation zu den Zauberpapyri [1 ed.] 9783666208737, 9783525208731


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German Pages [511] Year 2016

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›De arte magorum‹: Erklärung und Deutung ausgewählter Hexenszenen bei Theokrit, Vergil, Horaz, Ovid, Seneca und Lucan unter Berücksichtigung des Ritualaufbaus und der Relation zu den Zauberpapyri [1 ed.]
 9783666208737, 9783525208731

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Hypomnemata Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben

Herausgegeben von Sabine Föllinger, Dorothea Frede, Hans-Joachim Gehrke, Karla Pollmann, Christiane Reitz, Christoph Riedweg, Tanja Scheer, Gisela Striker Band 203

Vandenhoeck & Ruprecht

Matthias Reif

›De arte magorum‹ Erklärung und Deutung ausgewählter Hexenszenen bei Theokrit, Vergil, Horaz, Ovid, Seneca und Lucan unter Berücksichtigung des Ritualaufbaus und der Relation zu den Zauberpapyri

Vandenhoeck & Ruprecht

Verantwortliche Herausgeberin: Christiane Reitz

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 0085-1671 ISBN 978-3-666-20873-7 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Umschlagabbildung: »Römischer Liebeszauber«, 1848. Hummel, Johann Erdmann, 1769–1852. (Die Hexe Sagana mit der Hetäre Canidia, nach einer Erzählung von Horaz). © akg-images. Dissertation der Universität Regensburg (2014/15) Das Werk wurde für die Veröffentlichung überarbeitet. This dissertation has been revised for publication. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de

Meinen Großeltern: meiner Oma, die mir das Leben zeigte, meinem Opa, der mir die Wissenschaft nahe brachte.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Einleitende Gedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Der Ritualaufbau in den Zauberpapyri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3. Hexenszenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3.1 Das zweite Idyll Theokrits: ›Φαρμακεύτρια‹ . . . . . . . . . . . . . 27 3.1.1 Textfolge der Verse 1 bis 63 nach den vatikanischen und laurentianischen Codexfamilien . . . . . . . . . . . . . 28 3.1.2 Deutsche Wiedergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3.1.3 Inhalt und Aufbau des ersten Gedichtteils . . . . . . . . . . . 31 3.1.4 Der Ritualaufbau bei Theokrit . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3.1.5 Das zweite Idyll und die Zauberpapyri . . . . . . . . . . . . . 39 3.1.6 Das zweite Idyll und Sophron . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3.1.7 Die zweite Hälfte des Idylls als Bestandteil des Rituals? . . . . 64 3.1.8 Abschließende Interpretation der magischen Szene . . . . . 67 3.1.9 Theokrit als magischer Fachmann – Ergebniszusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.2 Die achte Ekloge Vergils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.2.1 Inhalt, Aufbau und Sprechsituation des Gedichtes . . . . . . 75 3.2.2 Vergleich der magischen Handlung bei Vergil und Theokrit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3.2.3 Die zwei zentralen Zauberarten: Lehm- bzw. Wachsanalogie und das Bild der Jungkuh . . . . 99 3.2.4 Der Ritualaufbau bei Vergil und sein Verhältnis zur Zeremonie-Gliederung Simaithas . . . . . . . . . . . . . 107 3.2.5 Das Alphesiboeus-Lied und die Zauberpapyri . . . . . . . . 109 3.2.6 Abschließende Interpretation der magischen Szene . . . . . 118 3.2.7 Vergil als Schöpfer einer realistischen Zauberszene – Ergebniszusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

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Inhalt

3.3 Die Canidia-Gedichte des Horaz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3.3.1 Epode 5: Kindsmord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3.3.2 Erläuterung der magischen Handlung und Ritualaufbau in Horazens Gedicht . . . . . . . . . . . . . . . 126 3.3.3 Satire 1,8: Nächtliches Treiben auf dem Esquilin . . . . . . . 145 3.3.4 Erläuterung der magischen Handlung und Ritualaufbau im Priapeum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 3.3.5 Die beiden Horaz-Gedichte und die Zauberpapyri . . . . . . 157 3.3.6 Der Bereich der Invektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 3.3.7 Die Rolle der Canidia in Horazens Gedichten – eine Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 3.3.8 Zusammengefasste Gedanken zur Gestalt der Canidia und Auseinandersetzung mit einer die Canidia-Episoden ­ übergreifenden Ritusdeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3.3.9 Horaz als Spötter über Zauberkunst – Ergebniszusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 3.4 Die Medea-Metamorphose Ovids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3.4.1 Inhalt und Aufbau der Medea-Handlung in den ›Metamorphosen‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 3.4.2 Die Zauberwirkung des Rituals . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 3.4.3 Aufbau und Erklärung des magischen Rituals . . . . . . . . 190 3.4.4 Magische Abnormitäten und ihre Deutung . . . . . . . . . . 234 3.4.5 Die Aison-Verjüngung und die Zauberpapyri . . . . . . . . 244 3.4.6 Ovids Verhältnis zu ausgewählten Vorgängern und Nachfolgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 3.4.7 Interpretation der Medea-Episoden und die Funktion der Magie in den ›Metamorphosen‹ . . . . . . . . . . . . . . 262 3.4.8 Ovid als Initiator der Medea-Metamorphose und wertender Dichter – Ergebniszusammenfassung . . . . . . . 275 3.5 Die ›Medea‹ Senecas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 3.5.1 Inhalt und Aufbau der Tragödie . . . . . . . . . . . . . . . . 277 3.5.2 Die Zauberwirkung des Rituals . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 3.5.3 Aufbau und Erklärung des magischen Rituals . . . . . . . . 292 3.5.4 Der Realgehalt des Rituals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 3.5.5 Das senecanische Ritual und die Zauberpapyri . . . . . . . . 341 3.5.6 Die senecanische ›Medea‹ und ihre Vorgänger . . . . . . . . 370 3.5.7 Interpretation des Dramas und die Funktion der Magie in der ›Medea‹ . . . . . . . . . . . . 396

Inhalt

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3.5.8 Seneca als Schöpfer eines poetisch-fiktionalen Hexenrituals und einer Grauen erregenden Zauberszene – Ergebniszusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 3.6 Die Nekromantie Lucans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 3.6.1 Inhalt und Aufbau der Zauberszene um Erichtho . . . . . . 416 3.6.2 Erläuterung der magischen Handlung und Ritualaufbau bei Lucan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 3.6.3 Das Ritual Erichthos und die Zauberpapyri . . . . . . . . . . 441 3.6.4 Interpretation der magischen Szene . . . . . . . . . . . . . . 456 3.6.5 Die Relation zu zwei literarischen Vorgängern . . . . . . . . 464 3.6.6 Die Hexen bei Horaz, Seneca und Lucan in Abgrenzung zu den Zauberinnen bei Theokrit und Vergil: Die Medea der ›Metamorphosen‹ als Übergang . . . . . . . 467 3.6.7 Lucan als Experte in der Zauberkunst und Initiator magischen Grauens – Ergebniszusammenfassung . . . . . . 476 4. Endgültige Ergebniszusammenfassung und Urteil . . . . . . . . . . . . 479 Verzeichnis der in den Tabellen verwendeten Abkürzungen zum Ritualgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491

Vorwort

Bei vorliegender Arbeit handelt es sich um die überarbeitete und gekürzte Fassung meiner Dissertation, die ich der Fakultät für Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften der Universität Regensburg im September 2014 vorgelegt habe. Das Promotionsverfahren wurde im Mai 2015 mit der Disputation abgeschlossen, das satzfertige Manuskript im Mai 2016 dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht übermittelt. Mein herzlichster Dank gilt Herrn Prof. Dr. Jan-Wilhelm Beck (Regensburg), in dessen Hauptseminaren zu Horazens ›Satiren‹ und Lucans ›Bellum c­ivile‹ der Grundstein für diese Arbeit gelegt wurde, ja ich erstmalig den Zauberinnen ­Canidia und Sagana, dann später der Hexe Erichtho begegnete. Besonders heraus­gestellt sei seine stetige Bereitschaft, durch Unterstützung bei fachlichen und formalen Fragen zunächst zu einem Gelingen meiner Magisterarbeit beizutragen. Denn sie bot mir Gelegenheit, mich ausgiebig mit der Magie in der Antike zu beschäftigen. Gerade sein Rat, auch den Zauberpapyri Beachtung zu schenken, erwies sich im Nachhinein als äußerst fruchtbar. Teile der vorliegenden Arbeit, v. a. die Kapitel zu den Autoren Theokrit, Vergil, Horaz und Lucan, gehen dabei auf meine Magisterarbeit zurück. Für die hervorragende Betreuung bei der Erstellung meiner Dissertation möchte ich Herrn Prof. Beck als Erst­ gutachter danken, der mir bei Vorgehen, Ausarbeitung und Themenschwerpunkt vollen Freiraum zugebilligt hat. Durch eine Beschäftigung als Wissenschaftlicher Mitarbeiter war die Durchführung des Dissertationsvorhabens auch finanziell abgesichert. Im Weiteren will ich Herrn Prof. Dr. Dennis Pausch (Dresden) sehr herzlich für die Bereitschaft, als Zweitgutachter zu fungieren, danken. Er hat mich durch sein immer wieder bekundetes großes Interesse an mei­ner Arbeit in meinem Forschungsdrang bestärkt und damit in erheblichem Maße zu einem Gelingen der Dissertation beigetragen. Besonders hervorheben möchte ich seine aufmunternden Worte und die menschliche Zusprache, als ich bei meinem allerersten Vortrag vor Fachpublikum auf der Volturnia-­Tagung 2013 (Eichstätt) in Grundzügen meine These zur senecanischen Medea vorstellte. Ich danke Herrn Prof. Pausch. Großen Dank möchte ich auch Frau Prof. Dr. Christiane Reitz (Rostock) aussprechen, die schon bei einer ersten gemeinsamen Begegnung ein reges Interesse an meinem Thema bekundete und neben meinen Feststellungen zu Lucan gerade meine Perspektive lobte, fassbare magische Realien in die Untersuchung zu integrieren. Ich danke Frau Prof. Reitz für die Erstellung des nach der R ­ egensburger

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Vorwort

Promotionsordnung notwendigen weiteren Gutachtens und insbesondere für ihr nachhaltiges Engagement, das eine Aufnahme meiner Dissertation in die Reihe Hypomnemata ermöglichte. Regensburg, im Mai 2016

Matthias Reif

»(…) the system of sympathetic magic remains everywhere and at all times substantially alike in its principles and practice.« (Frazer [31911] S. 236)

1. Einleitende Gedanken

Die vorliegende Untersuchung mit dem Titel ›De arte magorum‹ versteht sich als Forschungsbeitrag zur Erklärung und Deutung von Hexenszenen in scheinbar sehr gut bekannten Schlüsseltexten – ausgehend von der hellenistisch-alexandrinischen Epoche bis in die julisch-claudische Kaiserzeit bei deutlicher Schwerpunktsetzung auf der lateinischsprachigen Dichtung der zweiten Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. bis in neronische Zeit.1 Die Auswahl von magischen Szenen aus den Autoren Theokrit (zweites Idyll), Vergil (achte Ekloge), Horaz (fünfte Epode, achte Satire des ersten Buches), Ovid (Aison-Verjüngung in den ›Metamorphosen‹), Seneca (vierter Akt der ›Medea‹) und Lucan (Erichtho-Szene in der ›Pharsalia‹) erweist sich dabei insofern als besonders sinnvoll, als die Darstellungen dieser poetae docti in Folge poetischen Wetteiferns als aufeinander bezogen gelten dürften und sich aus ihrer chronologischen Betrachtung am Ende eine Gesamtaussage über die­ Entwicklung, Veränderung und Deutung des antiken Hexenbildes in hochlitera­ rischen dichterischen Texten und der Hexenszene an sich ableiten lässt. Die ausgewählten Szenen dieser Autoren verbindet dabei die spürbare inhaltliche Fokussierung auf den Vollzug eines Rituals und zwar eines solchen magischen Rituals, in dem nach heute populärem Magieverständnis eine Zauberin im Zentrum steht. Das rituelle Prozedere lässt sich, gerade weil es in seinem Charakter – durch exakt erkennbare Schritte und die detaillierte Nennung von Zutaten – einem anschaulichen Kochrezept ähnelt, in seinem Verlauf nachvollziehen. Die erhaltene frühere bzw. spätere magische Literatur erweist sich den hier untersuchten Autorendarstellungen gegenüber als vollkommen andersartig: Den Texten fehlt in der Regel im Handlungszusammenhang grundsätzlich der inhaltliche Schwerpunkt auf dem rituellen Hergang, das strenge, von Anfang bis Ende in seinen Bausteinen gliederbare Ritualgeschehen bzw. die akribisch-genaue Beschreibung einzelner Zauberelemente, wie von Ingredienzien, оὐσία, Zauberarten, wirksamen Prinzipien etc. Aus je kurz angegebener Begründung heraus werden nicht genauer untersucht z. B. nachfolgende literarische Szenen: Knapp, ohne genaue Details gehalten und rein ergebnisgerichtet ist Kirkes Verwandlungs- und Gegenzauber in Hom. Od. 10,235–240, 316–320, 388–396. Lediglich als schmückendes Beiwerk dient die rückblickende Schilderung ritueller Vorgänge bei der Gewinnung des Prometheion-Zaubermittels durch Medea Apoll. 1 Der Titel der Arbeit orientiert sich an Worten, die die ovidische Medea in den ›Metamorphosen‹ in einem Gebet an Hekate richtet. Dort bezeichnet die Zauberin die Göttin u. a. als Helferin von Gesang und Kunst der Magier (… adiutrixque venis cantusque artisque magorum …, 7,195).

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Einleitende Gedanken

Argon. 3,851–866, nicht von der Zauberin, sondern von Jason werden die Riten des Unverwundbarkeitszaubers 1027–1051 durchgeführt, nur kurz und mit deutlichem Fokus auf der angestrebten Reaktion wird der Zauber zur Einschläferung des Hütedrachens des goldenen Vlieses 4,145–166 thematisiert. Erst ausschließlich magische Topoi, dann zwar rituelle Vorgänge werden im Zusammenhang mit der zunächst als Liebeszauber getarnten Selbstopferung Didos in Verg. Aen. 4,478–521 berichtet – doch werden die Maßnahmen von einer sacerdos initiiert (zum genannten Begriff vgl. 483, 498, 509). Kein in seinen Schritten nachvollziehbares Ritual wird vollbracht, sondern lediglich unbedeutende Zaubertopoi oder unwesentliche magische Zusammenhänge werden genannt in Tib. 1,2,43– 66, 5,9–16, 49–56, 8,17–24, 2,4,55–60. Eine überschaubare Zusammenstellung magischer Einzelheiten, kein zusammenhängendes Ritualgeschehen findet sich in Prop. 2,28,35–38, 3,6,25–30. Wiederum als Auflistung standardisierter, sich jedoch fortentwickelnder Topoi geben sich das Wirkspektrum und die Beschreibung der Ekel erregenden, alten Kupplerin Acanthis in Prop. 4,5,5–18, 67–74 bzw. der Dipsas in Ov. am. 1,8,1–18 zu verstehen, nur lose Topoi auch 3,7,27–35. Im Vordergrund steht das ausführlich beschriebene Ergebnis der von Kirke bedingten Metamorphosen in Ov. met. 14,43–67 bzw. 386–396, die Verwandlung Scyllas in ein Meeresungeheuer und die Verwandlung des Picus in einen Specht  – im Vergleich dazu erscheint das magische Prozedere nahezu nebensächlich. Vollkommen unklar, hinsichtlich ihrer rituellen Verortung bisweilen ungewiss und rein auf die Betonung Oenotheas als lächerlicher Vettel sind die Zusammenhänge in P ­ etron 134,1–138,4 gerichtet, nur Topoi 134,12, zudem Bezeichnung Oenotheas als sacerdos (z. B. 3, 6). Dem Gespräch von Deianira und ihrer Amme sind nur magische Topoi (Sen. Herc. O. 454–463) und die Verrichtung des destruktiven Zaubers durch die Tränkung des Gewandes mit Nessus-Blut (535–538) zu entnehmen, jedoch kein rituelles Geschehen. Wiederum als Auflistung magischer Topoi erscheinen die Befähigungen der Medea in Val. Fl. 6,439–453. Auch verrichtet die als Diana-Priesterin gekennzeichnete Kolcherin (infernae quae nunc sacrata Dianae, 5, 238) kein Ritual in einzelnen Schritten, die nebensächlichen Zaubervorgänge der Jason-Feiung (7,461–472) lenken nicht von ihrem in 7,323–538 durchweg fokussierten Gemütszustand ab. Die nekromantischen Riten in Stat. Theb. 4,443–518 werden nicht von einer Zauberin, sondern von Tiresias als sacerdos (zum genannten Begriff vgl. 455, 503) und seiner Tochter Manto in die Wege geleitet. Nicht mehr auf dem Verlauf des rituellen Geschehens, sondern auf Meroe und Panthia als schrecklichen, widerlichen und lächerlichen Hexen liegt das Gewicht der Darstellung in Apul. met. 1,13. Gleichfalls nicht mehr auf das rituelle Prozedere, sondern auf das Ergebnis fixiert wirken die Pamphile-Szenen, erst auf die Erweckung der Ziegenschläuche zum Leben in 3,17 f., dann auf die Verwandlung der Zauberin in einen Uhu in 21.

Bei der Einsicht der zu den als zentral erachteten Autoren in Fülle vorhandenen Forschungsbeiträge zeichnete sich gerade ein Realienkommentar zur magischen Praxis als Desiderat ab, der neben literarhistorischen Gesichtspunkten Befunde realer antiker Zauberrituale, soweit nachweisbar, thematisiert: Die einschlägigen Studien zu diesem Thema – bieten größtenteils systematisierte, knapp kommentierte Stellenauflistungen (z. B. Heim [1893], Fahz [1904]), – beinhalten einen chronologischen Überblick über magische Literatur vom homerischen Epos bis zum Roman des Apuleius und Helidor (z. B. Eitrem [1941]),

Einleitende Gedanken

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– fokussieren Szenen der augusteischen Literatur, erklären diese, wirken dabei entweder auf den topischen Vergleich und die Entwicklung von Einzelmotiven fixiert (z. B. Luck [1962]) oder offerieren zudem eine Einführung zu magischen Techniken und vorbildhaften Quellen (z. B. Ingallina [1974], Tupet [1976]), – verstehen sich als Quellensammlung von literarischen wie subliterarischen Texten unter Berücksichtigung ihres historischen bzw. ihres kulturellen Entstehungsrahmens (z. B. Luck [1985b] bzw. [1990]), – sind aus gattungsspezifischen Gesichtspunkten zusammengestellt (z. B. Fauth [1999]), – versuchen zwar an geeigneter Stelle eine Gegenüberstellung von literarischer und realer Magie, aber vorwiegend unter Herausstellung der Frau in der Rolle als in der Literatur verbürgter Hexe (z. B. Wallinger [1994]) oder im Zuge einer eher allgemeinen historischen Einführung in das Phänomen des Magischen (z. B. Graf [1996]). Es stellt Anliegen dieser Arbeit dar, die Brücke zwischen den Begebenheiten der realen Magie und der von den Dichtern vorgenommenen Ausgestaltung zu schlagen. Daraus soll sich am Ende ein Urteil über die konkrete Darstellungsweise (realistisch oder fiktionalisiert) fällen lassen und begründet werden, wie der ­antike Leser die poetischen Ritenschilderungen gedeutet haben könnte. Im vorliegenden Fall werden die sog. Zauberpapyri als detaillierte Quelle der in der griechisch-römischen Antike verbreiteten Zauberrituale einbezogen, um ein tiefer gehendes Verständnis der Zauberszenen zu gewährleisten. Zur Definition der Zauberpapyri, einem Überblick und dem Forschungsstand vgl. zunächst Preisendanz (1928, Band I) S. V–XII, dann v. a. in der entsprechenden Neuauflage der Preisendanz’schen Sammlung (21973) die einführenden Worte von Henrichs S. XIII f., wiederum Preisendanz (21974) [1931, Band II] S. V f. und S. VII–XI bzw. ders. (1941, Band III) S. V–IX, Betz (21992) S. XLI–LVIII, überdies insbesondere ­Gordon (2002) Sp.  697–700. Die besagten Gebrauchstexte werden zumeist dem 1.  bis 4.  Jh. n. Chr., zum größten Teil sogar eher dem 4. Jh. n. Chr. zugewiesen (z. B. wird PGM I auf das 4. bzw. 5. Jh. n. Chr. datiert, PGM III nicht früher als 300 n. Chr., PGM IV ins 4. Jh. etc.).2 Man kann wohl davon ausgehen, dass die heute noch vorliegenden Papyri ihre Vorgänger haben und die Dichter bei der Beschreibung ihrer Rituale möglicherweise auf entsprechende Rezepturbücher haben zurückgreifen können.

Trotz der Konzentration auf den genannten Papyri als Dokumenten für die real praktizierte Magie werden essentielle Befunde aus den die Magie als empirisches Phänomen untersuchenden Wissenschaften weitestgehend ausgespart und an geeigneter Stelle nur knapp gestreift. Denn in einer Studie, die die poetische Umsetzung realmagischen Gedankenguts zum Ziel hat, führt eine gesonderte 2 Zu den Angaben vgl. schon Preisendanz (1928) S. 1 bzw. 32 bzw. 64, auch Hopfner (1930) Sp. 301.

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Einleitende Gedanken

Darstellung der einzelnen Theoreme von Anthropologie, Soziologie und Religionswissenschaften letztlich nicht weiter: Die heute als überholt geltende evolutionistische Sichtweise der Magie, das Verhältnis der Magie zu Religion und Wissenschaft und die Frage nach der kulturellen Funktion der Magie ist für ein Verständnis der literarischen Szenen nur am Rande von Bedeutung. Dass sich magische und religiöse Rituale ferner nicht eigenständig als spezielle Formen kultischer Aktivität identifizieren lassen und kultisches Geschehen erst dann als magisch wahrgenommen wird, wenn das Individualereignis Zauber und der Magier als religiöser Spezialist mit dem Fremdartigen in Verbindung gebracht wird, spiegelt sich zwar in den literarischen Texten wider. Aber die vorliegende Arbeit möchte gerade nicht zeigen, ob und wie sich die Thesen in den ausgewählten Texten belegen lassen, sondern soll verdeutlichen, was die Dichter aus den tatsächlich verbürgten Riten gemacht haben, ob und wie stark sie sich an mögliche Vorgaben halten, warum sie Vorgänge ungewöhnlich darstellen, wenn sie mit ihren Ritualen abweichen, und welche Konsequenz das für das Hexenbild mit sich bringt. Für eine tiefer gehende Beschäftigung mit den Thesen zur Magie sei deswegen auf Einführungen wie Tavenner (1966) [1916a] S. 8–17, ­Thorndike (1923) S. 1–35, Luck (1990) S. 5–11, Graf (1996) S. 14–23 und ­Rücker (2008) S. 18–48 mit ihren jeweiligen Sekundärliteraturangaben verwiesen. Insbesondere sei hier auf die anthropologische Forschung Frazers (31911) und Malinowskis (1948 bzw. 1973), die religionswissenschaftlichen Untersuchungen Versnels (1991b) und Rüpkes (22006, 2007, 2011) sowie den Sammelband von Faraone/Obbink (1991) aufmerksam gemacht. Da sich in der Studie der die Textauswahl verbindende, in der bisherigen Forschung vollkommen außer Acht gelassene Ritualvollzug als geeigneter Ausgangspunkt erweist, um den Charakter des magischen Geschehens zu beurteilen, geht der schwerpunktmäßigen Analyse der sechs literarischen Texte eine akribische Untersuchung des Ritualaufbaus von magischen Zeremonien in den Zauber­ papyri voran. Daraus ergeben sich grundsätzliche Erkenntnisse über die Ritual­ struk­tur sowie eine grundlegende Erweiterung der bereits bei Fahz (1904) erkenn­ baren, von Abt (1967) [1908] und Hopfner (1974) [1921] weiter ausgeführten Terminologie. Den Hauptteil der Arbeit bildet dann eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Zauberritualen der sechs genannten Dichter. Als Ziele des vorliegenden Forschungsbeitrags lassen sich dabei vier wesentliche Gesichtspunkte herausstellen: Erklärung der magischen Motive, Untersuchung des Ri­ tualaufbaus, Gegenüberstellung mit den magischen Gebrauchsrezepturen in den Papyri, Deutung der Szenen im Werk und damit verbunden die Klärung der Frage nach der jeweiligen Funktion der Magie. Die genannten Ziele spiegeln sich in der Regel bereits in der Struktur der einzelnen Autorenkapitel wider. Zudem umfasst ein jedes Autorenkapitel eine Gliederung der Szene nach Aufbau und Inhalt. Eine Ergänzung um weitere Unterkapitel, z. B. zu literarischen Vorgängern und Parallelstellen, erfolgt, wenn für sinnvoll befunden oder der Gegenüberstel-

Einleitende Gedanken

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lung von poetisch-fiktionalisierter bzw. realistischer Ritualgestaltung zuträglich. Am Ende steht bei allen Autorenkapiteln eine Ergebniszusammenfassung. Den Abschluss der Arbeit bildet ein Überblick über die entscheidenden Schlussfolgerungen, die ein Urteil über die Entstehung und schrittweise sich vollziehende Veränderung des Hexenbildes erlauben: Man hat den Eindruck, dass mit der wachsenden Komplexität des Ritualaufbaus eine immer weiter ausgeprägte Abkehr vom magischen Grundrealismus einhergeht. Eine Tendenz zu einer fortschreitend poetisch-fiktionalisierten Zeremonieausgestaltung mit einer gleichzeitig zunehmend deutlicheren subtilen Wertung des magischen Geschehens durch die Dichter wird sich abzeichnen. Fortwährend stellt es einen zentralen Anspruch der Dissertation dar, die vorhandene literaturwissenschaftliche Fachforschung in Bezug zu den jeweiligen Zauberszenen zu setzen und bei bisher ungelösten Forschungsproblemen Anregungen zu geben: Z. B. wird die grundlegende Orientierung der achten Ekloge Vergils am zweiten Idyll Theokrits auch in der Gliederung des rituellen Geschehens sichtbar. In beiden Fällen existiert dieselbe Anzahl an πράξειϛ bzw. λόγоι. Auch ähnelt sich die zeitliche Abfolge der Ritualbausteine. Wie allerdings von Seiten der lateinischen Fachwissenschaft auch sonst als bedeutsam herausgestellt, gestaltet Vergil diese Grundelemente wohl so gekonnt um, dass er eigenständig etwas vollkommen Neues schafft. Während Theokrit z. B. einer einzigen Strophe auch nur eine einzige magische πρᾶξιϛ zuweist (z. B. 18–21, 23–26 etc.), löst der römische Dichter die strikte Übereinstimmung von Form und Inhalt auf und­ variiert, indem er in einer Strophe u. U. drei πράξειϛ ansiedelt (80–84).

2. Der Ritualaufbau in den Zauberpapyri

Grundlage für die nachfolgende Analyse poetischer Hexenrituale stellt die Untersuchung des magischen Zeremonieverlaufs in den Gebrauchstexten dar. Ausgehend von der bereits vorhandenden Terminologie für rituelle Grundbausteine steht die Frage im Vordergrund, ob sich eine verbindliche Aussage über ein chronologisches Schema des magischen Prozedere treffen lässt. Das magische Ritual gliedert sich zumindest nach gängiger Ansicht in der Forschung in zwei essentielle Grundelemente, einen Verbal- sowie einen Handlungsteil (λεγόμενоν bzw. δρώμενоν).1 In den Papyri selbst finden sich für das Gebet regelmäßig Formen des Begriffs λόγоϛ (PGM IV 1228, 1721), manchmal auch λέγε (PGM IV 262, 435): Es umfasst dabei in der Regel Anrufung (invocatio), erzählenden Mittelteil (pars epica, argumentum, narratio) sowie die Bitte (preces).2 Der Aktionsteil wird in den Papyri als πρᾶξιϛ bezeichnet (PGM IV 1227, 1716). Hinzukommen außerdem Brandopfer und Schutzmittel,3 sodass Hopfner in den Gebrauchstexten folgende Ritualbestandteile – und zwar in entsprechener Reihung  – erkennt: ἐπίϑυμα, λόγоϛ, πρᾶξιϛ sowie φυλακτήριоν. Neben dieser im Großen und Ganzen allgemein gültigen Anordnung könne dem ἐπίϑυμα auch ein λόγоϛ voranstehen.4 Bestätigt sich dieser Aufbau bei einer Untersuchung von Ritualen in den Zauberpapyri? ›Σоλоμῶνоϛ κατάπτωσιϛ‹ (PGM IV 850–929) Die als Offenbarungszauber5 dienende Zeremonie enthält ein Gebet, einen λόγоϛ, in dem sich invocatio und preces identifizieren lassen (857–897). Ein Knabe, der als Medium dient, soll durch zwei Pflanzen geschützt werden (900b–903): […] δὸϛ αὐτῷ ἀνоυβιάδα τὸν στάχυν καὶ ἱερακῖτιν [τὴν] βоτάνην εἰϛ τὸ φυλαχϑῆναι 1 Vgl. die Ritualdefinition Burkerts (21987) S. 28 f. »Ritual ist standardisiertes Verhalten in kommunikativer Funktion, wobei die pragmatische Grundlage zurücktreten oder ganz verschwinden kann; dafür wird eine ›Botschaft‹ vermittelt, ein ›symbolischer‹ Gehalt«, zudem­ Malinowski (1973) S. 72, Hull (1974) S. 42, Luck (1990) S. 38, Rüpke (22006) S. 87 f. in Aus­ einandersetzung mit dem Zitat. 2 Vgl. Graf (1991) S. 189–194. 3 Vgl. Abt (1967) [1908] S. 240 [S. 314] unter Anm. 1. 4 Zu den magischen Bausteinen und ihrer Reihenfolge vgl. Hopfner (1974) [1921] S. 600 f. (§ 869). 5 Allgemein zu den grundlegenden Zauberarten und Untergattungen vgl. z. B. Audollent (1967) [1904] S. XC, Hopfner (1930) Sp. 378–381, Luck (1990) S. 319–327 (das Unterkapitel »Andere Methoden der Weissagung«), Graf (1996) S. 110, Rücker (2008) S. 94–108 (das Unterkapitel »Arten magischer Handlung«).

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Der Ritualaufbau in den Zauberpapyri

αὐτόν. Ein Rauchopfer wird in die Wege geleitet (ἐπίϑυε λίβανоν ἀρσενικόν, 906 f.) sowie eine Spende vollzogen (σπείσαϛ оἶνоν ἢ ζύτоν ἢ μέλι ἢ γάλα βоὸϛ μελαίνηϛ, 908 f.). Einzelne πρᾶξιϛ-Schritte geben sich zu erkennen: Der magische Akteur soll sich Palmfasern umlegen ([…] περίζωσαι σεβενίνῳ […], 903), seine Hände emporheben (τὰϛ χεῖραϛ ἀνατείναϛ, 904 f.), sein Medium mit dem offensichtlichen Sympathiemittel Artemisia bekränzen (χρὴ δὲ στεφανῶσαι […], 913 f.). Hinzugerechnet werden könnte hier zusätzlich als weiteres Aktions­ moment die Entlassung, ἀπόλυσιϛ τоῦ κυριακоῦ (916), durch die das überirdische Wesen das Medium nach der Weissagung angeblich wieder verlassen soll. Herausgestellt werden soll dabei zeitgleiches Räuchern und Formelsprechen, wie das Sprachverständnis es nahe legt ([…] ἐπίϑυε […] λέγων, 918 f.).6

Beim Kochrezeptcharakter der Anweisungen würde man eigentlich vermuten, dass es ohne weiteres möglich sein sollte, die einzelnen Schritte in eine temporäre Abfolge zu bringen. Allerdings wirkt der Ablauf auf den ersten Blick nicht klar definiert, da sich die Textgestaltung als additive und unsystematische Aneinanderreihung einzelner für den erfolgreichen Zauber notwendiger Vorkehrungen präsentiert. Infolgedessen muss der innere Kausalzusammenhang der einzelnen Vorgänge in der Regel erst aus den Textangaben erschlossen werden. In der Beschreibung des magischen Prozedere wird der λόγоϛ (857–897) zwar zu Beginn angeführt, aber bei der Zauberdurchführung kann die Formel nicht am Anfang zum Einsatz kommen. Wie der Rezeptur im Weiteren entnommen werden kann, müssen zunächst gewisse Vorkehrungen getroffen werden: Der Knabe muss am Ort sein. Es ist notwendig, ihn sich setzen zu lassen und einzukleiden ([…] κάϑισоν αὐτὸν […] στоλίσαϛ αὐτὸν […], 900a f.). Er soll sein Schutzmittel erhalten. Erst dann können sinngemäß die Handlungen folgen, z. B. das Umgürten des magischen Akteurs und der Handgestus, sowie die Rezitation des Gebetes. Es schließt sich dann – εἶτα (906) – die Räucherung von Weihrauch an, die offenkundig durch die Spende eingeleitet wird.7 Daraufhin folgt erneut das Gebet, das es siebenmal zu sprechen gilt (ἐπίλεγε ζʹ τὸν λόγоν, 910 f.). Wann die Bekränzung mit Artemisia stattfindet, ob im Zuge des Umgürtens mit Palmfasern oder erst im Augenblick, da der Knabe weissagen soll, bleibt unklar.

Für den rituellen Ablauf ließe sich damit prinzipiell eine derartige Gliederung annehmen: Vorbereitung, φυλακτήριоν, πρᾶξιϛ, λόγоϛ, ἐπίϑυμα (Spende und dann Räucherung), λόγоϛ, ἀπόλυσιϛ (mit gleichzeitigem ἐπίϑυμα und λόγоϛ).

6 Zum Zeitverhältnis des Partizips Präsens vgl. Mayser (1926) S. 168 (§ 36 unter c). 7 Indem Preisendanz (1928) S. 105 bei seiner Übersetzung das Adverb »zuvor« einfügt, lokalisiert er die Spende zeitlich vor dem Rauchopfer. Die Vorzeitigkeit kann das Partizip A ­ orist (σπείσαϛ) verdeutlichen: Allerdings sollte die Verbalform wohl stimmiger als ein ›und dann gieß sofort aus‹ (punktueller Aspekt) aufgefasst werden, vermutlich soll zwischen dem ersten Verbalteil und der Spende nicht zu viel Zeit verstreichen. Zum Zeitverhältnis des Partizips­ Aorist Mayser (1926) S. 168 (§ 36 unter c).

Der Ritualaufbau in den Zauberpapyri

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›Ἀρκτικὴ πάντα πоιоῦσα‹ (PGM IV 1275–1330) In der Zeremonie kann für Räucherung und Gebet derselbe Befund festgehalten werden. Erst gilt es einen λόγоϛ (1275–1290) in Gestalt einer invocatio zu sprechen, die dann durch die Anweisung ἐπίϑυε (1285 f.) unterbrochen wird. Man sollte also von einer gleichzeitigen Durchführung von Gebet und Rauch­ opfer ausgehen, wobei verbale Verlautbarungen die Einleitung darstellen können. Die sich anschließende Bitte (ein zweiter separater λόγоϛ, 1291–1293) und wiederkehrende Räucherung finden der Angabe nach gleichzeitig statt (1294): καὶ ἐπίϑυε ἐξαιτоύμενоϛ ἄρμαρα […]. Der erwähnten Zwangformel (ἐπάναγκоϛ τῆϛ γʹ ἡμέραϛ, 1295) sei an dieser Stelle keine Bedeutung beigemessen, da sie ein Versagen der vorhergehenden verbalen Äußerungen voraussetzen würde und nur beim Säumen der Gottheit Verwendung fände. Gleichfalls sei der weitere λόγоϛ (1301–1308) nicht beachtet, da er eine Alternative zum ersten Gebet darstellt (ἄλλωϛ ὁ πρῶτоϛ λόγоϛ, 1300). Die Wendung ἐπίϑυμα τῆϛ πράξεωϛ (1308) mag sich vielleicht als ein wenig missverständlich erweisen: Denn streng genommen wird lediglich die Vorbereitung des Rauchopfers geschildert (1309–1316), wie v. a. die Anweisungen am Ende der Ingredienzienaufzählung (1315 f.) erkennen lassen. Auch der gerade wiedergegebene πρᾶξ[ιϛ]-Begriff könnte in die Irre führen, denn er bezieht sich an dieser Stelle offenkundig auf die ganze Zeremonie und nicht nur auf einen spezifischen Aktionsteil. Vom φυλακτήριоν erfährt man, dass es vor der Räucherung schon umgelegt werden soll ([…] περιάπτоυ, μίσγε δὲ τῷ ϑυμιατηρίῳ χυλὸν κατανάγκηϛ […], 1318 f.).

Es ergäbe sich damit die logische Reihe: Vorbereitung, φυλακτήριоν, λόγоϛ und ἐπίϑυμα gleichzeitig sowie nochmals zeitgleich λόγоϛ und ἐπίϑυμα. ›Ἀγωγή‹ (PGM IV 1390–1495) In dem Liebeszauber besteht die eigentliche πρᾶξιϛ aus mehreren Handlungsabschnitten, der Herstellung von sieben Brotbrocken und ihrer Deponierung am vorgegebenen Ort, wobei dann vor dem Niederwerfen der Brotstücke ein λόγоϛ rezitiert werden soll (PGM IV 1391–1395). Dieses Gebet selbst wird erst später genannt (1399–1435). Dann gilt als weiterer Teil einer πρᾶξιϛ, Unrat von der empfohlenen Stelle aufzuheben, diesen beim Opfer niederzulegen und heim­ zukehren (1396–1398). Bei Erfolglosigkeit solle der gesamte Vorgang wiederholt werden (1434–1442). Ein neues, wohl wirkkräftigeres Zwanggebet müsse dann zeitgleich zur Räucherung gesprochen werden: ἔστι δὲ τὰ λεγόμενα ἐπὶ ἐπιϑύματоϛ ταῦτα (1443 f.).

Damit ergäbe sich die Chronologie: πρᾶξιϛ, λόγоϛ, πρᾶξιϛ (drei Tage lang, vgl. 1435), eventuell erweitert um (Zwang-)λόγоϛ und ἐπίϑυμα gleichzeitig. ›Ξίφоϛ Δαρδάνоυ‹ (PGM IV 1716–1870) Der Liebesherbeiführungszauber beginnt vermutlich mit der notwendigen Vorbereitung (Bearbeitung eines Magneten, PGM IV 1722–1743). Auf diese folgt ein λόγоϛ (1748–1812), dessen Ergänzung im Papyrus schon vorher  – zu Be-

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Der Ritualaufbau in den Zauberpapyri

ginn – steht (1721). Es lässt sich dann eine zweite Vorbereitungsphase identifizieren (Beschriftung eines Goldblattes und Bewirkung seiner Eignung, 1812–1830, vermutlich dient es als φυλακτήριоν). Die Rezeptur des Räucherwerkes schließt sich an (1832–1838). Daraufhin erfährt man von einer weiteren verpflichtenden Vorbereitungsmaßnahme, der Präparierung einer Eros-Statue (1842–1851). Es folgen Anweisungen, die sich am ehesten als πρᾶξιϛ identifizieren lassen (Auf­suchen des Hauses des Opfers und Klopfen, vgl. 1851–1854) und ein kurzer λόγоϛ ­(1855–1859). Es gibt sich ein zweiter Handlungsteil zu erkennen ­(1859–1863). Rauchopfer und Gebet wirken wiederum zeitlich verbunden ([…] ἐπίϑυε αὐτῷ καὶ λέγε τὸν λόγоν συνεχῶϛ τὸν τῆϛ ἐπικλήσεωϛ […], 1864–1866). Die Wendung ἐν δὲ χρήσει πρῶτоν ἐπίϑυε […] (1839) weist das ἐπίϑυμα allerdings eigentlich als Beginn der magischen Aktion aus. In diesem Fall lässt sich der Handlungsablauf nicht eindeutig klären: Dem Text ist zu entnehmen, dass die Steinpräparierung am Ende als Alternative hingestellt wird (vgl. 1871). Doch ob der Steineinsatz die Bearbeitung des πέταλоν (1813) oder den die Eros-Statue betreffenden Vorgang oder beides ersetzen kann, bleibt fraglich. Da ein solches kostbares Goldblatt auch im Zusammenhang mit der ­Figur des Gottes genannt wird, könnte es sich um dasselbe handeln und zusätzlich auf der zweiten Seite beschriftet werden (vgl. 1846–1851).

Für den Ablauf des Rituals gäbe es folglich mehrere denkbare Varianten. Festgehalten sei einerseits der Hinweis auf die gleichzeitige Durchführung von λόγоϛ und ἐπίϑυμα bzw. die potentielle Stellung des Rauchopfers am Anfang der Aktion, andererseits die Möglichkeit eines λόγоϛ unmittelbar nach der ­Präparation. Aus der Analyse der vier exemplarisch herausgegriffenen Zauberrezepturen in den Papyri lässt sich das folgende Ergebnis für die Chronologie eines magischen Rituals konstatieren: Es ist kein klar definierter Ablauf erkennbar, der sich in den Zauberzeremonien als übergreifende Gemeinsamkeit zeigen würde. Die einzelnen Bausteine der magischen Gesamthandlung wirken in nahezu beliebiger Art und Weise austauschbar und kombinierbar. Sie unterliegen anscheinend lediglich im jeweiligen Einzelritus einer festen Reihenfolge. Wie sich den Texten aber entnehmen lässt, kann der Zauber als wesentliche Ergänzung zu den bisher bekannten Ritualbausteinen von einer Präparationsphase eingeleitet sein, in der notwendige Vorbereitungen getroffen werden. Zudem ist die Tendenz ersichtlich, dass λόγоϛ und ἐπίϑυμα entweder in einer Art synchronem Verhältnis zueinander stehen oder gleichzeitig stattfinden. Die Hopfner’sche Abfolge magischer Bausteine ἐπίϑυμα, λόγоϛ, πρᾶξιϛ ist in der schriftlichen Darstellung in den Papyri nachweisbar (z. B. PGM IV 2967–3006), aber sie sollte vermutlich nicht als obligatorisch für den tatsächlichen zeitlichen Verlauf der Zauberrituale gelten. Dass gerade das φυλακτήριоν den Abschluss einer Rezeptur bildet (PGM IV 52–85 oder 2785–2890), dürfte sich lediglich in der schriftlichen Fixierung in den Papyri eingebürgert haben. Eine Schutzmaßnahme erst am Ende sollte jedoch nicht für den rekonstruierbaren Ritualverlauf

Der Ritualaufbau in den Zauberpapyri

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als maßgeblich gelten. Insgesamt sei zudem betont: Die Abgrenzung der einzelnen Bausteine eines Zauberrituals und Zuordnung zum entsprechenden Fachterminus lässt sich nicht immer eindeutig vornehmen. Überhaupt bleibt ein exaktes Vorgehen bisweilen im Unklaren. Begründet liegt eine solche Ungewissheit einerseits in der Natur der Papyri als subliterarischen Gebrauchstexten einer vermutlich eher bildungsfernen Schicht, andererseits in ihrem Wesen als Dokumenten geheimen Wissens, das im Einzelfall wohl allein der Eingeweihte richtig zu deuten vermochte.

3. Hexenszenen

3.1 Das zweite Idyll Theokrits: ›Φαρμακεύτρια‹

Bereits die antike Titulatur1 des Gedichtes lässt den Leser eine magische Handlung vermuten.2 Und in der Tat wird dieser nicht enttäuscht: Simaitha, die Akteurin des Idylls, ist im Begriff, einen Liebeszauber durchzuführen, um ihren Geliebten, den edlen Delphis, wieder zu sich zurückzuführen. Das Gedicht besteht – so die übereinstimmende Ansicht in der Forschung – aus zwei wesentlichen Abschnitten. Der erste Teil (1–63) beschäftigt sich mit einer augenblicklich stattfindenden, dem ersten Anschein nach wirr wirkenden Zauberhandlung. Der zweite (64–166) besteht aus einem Gebet an die Mondgöttin Selene, welcher die unglückliche Protagonistin berichtet, wie sie und ihr ehemaliger Liebhaber zueinander gefunden haben.3

1 Die einzelnen Manuskripte legen hinsichtlich ihrer Überschrift einen unterschiedlichen Befund an den Tag und unterscheiden sich in einer Formulierung im Singular und im Plural. Vgl. dazu Gow (21952b) S. 33, der wegen der Bedeutungslosigkeit der Dienerin im Handlungsgeschehen die Einzahl präferiert. – In der vorliegenden Arbeit wird ebenfalls von einer Zauberin ausgegegangen. Zwar ließe sich als Gegenargument anführen, dass im Gedicht zumindest eine weitere Magierin, die Alte, erwähnt wird (γραίαϛ, 91). Da diese m. E. aber für die entscheidende, nämlich die in der Gegenwart des Textes stattfindende Zauberpraxis nicht relevant ist, liegt die Formulierung im Singular näher. – Dem zweiten Idyll wird die dem Kommentar zugehörige Textedition von Gow (21952a) zugrunde gelegt. 2 Allgemein zur magischen Handlung im Idyll vgl. Bernand (1991) S. 175–181 (das Kapitel »Théocrite et la sorcière Simaitha«). 3 Zur Grobgliederung des Gedichtes in die zwei vorliegenden Abschnitte vgl. z. B. bereits Bannert (1988) S. 69.

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Hexenszenen

3.1.1 Textfolge der Verse 1 bis 63 nach den vatikanischen und laurentianischen Codexfamilien4 ›Φαρμακεύτρια‹ »Πᾷ μоι ταὶ δάφναι; φέρε, Θεστυλί. πᾷ δὲ τὰ φίλτρα; στέψоν τὰν κελέβαν φоινικέῳ оἰὸϛ ἀώτῳ, ὡϛ τὸν ἐμὸν βαρὺν εὖντα φίλоν καταδήσоμαι ἄνδρα, ὅϛ μоι δωδεκαταῖоϛ ἀφ’ ὧ τάλαϛ оὐδὲ πоϑίκει, оὐδ’ ἔγνω πότερоν τεϑνάκαμεϛ ἢ ζооὶ εἰμέϛ, оὐδὲ ϑύραϛ ἄραξεν ἀνάρσιоϛ. ἦ ῥά оἱ ἀλλᾷ ᾤχετ’ ἔχων ὅ τ’ Ἔρωϛ ταχινὰϛ φρέναϛ ἅ τ’ Ἀφρоδίτα. βασεῦμαι πоτὶ τὰν Τιμαγήτоιо παλαίστραν αὔριоν, ὥϛ νιν ἴδω, καὶ μέμψоμαι оἷά με πоιεῖ. νῦν δέ νιν ἐκ ϑυέων καταδήσоμαι. ἀλλά, Σελάνα, φαῖνε καλόν· τὶν γὰρ πоταείσоμαι ἅσυχα, δαῖμоν, τᾷ χϑоνίᾳ ϑ’ Ἑκάτᾳ, τὰν καὶ σκύλακεϛ τρоμέоντι ἐρχоμέναν νεκύων ἀνά τ’ ἠρία καὶ μέλαν αἷμα. χαῖρ’, Ἑκάτᾳ δασπλῆτι, καὶ ἐϛ τέλоϛ ἄμμιν ὀπάδει, φάρμακα ταῦτ’ ἔρδоισα χερείоνα μήτε τι Κίρκαϛ μήτε τι Мηδείαϛ μήτε ξανϑᾶϛ Περιμήδαϛ.

5

10

15

  ἶυγξ, ἕλκε τὺ τῆνоν ἐμὸν πоτὶ δῶμα τὸν ἄνδρα. ἄλφιτά τоι πρᾶτоν πυρὶ τάκεται. ἀλλ’ ἐπίπασσε, Θεστυλί. δειλαία, πᾷ τὰϛ φρέναϛ ἐκπεπότασαι; ἦ ῥά γέ ϑην, μυσαρά, καὶ τὶν ἐπίχαρμα τέτυγμαι; πάσσ’ ἅμα καὶ λέγε ταῦτα· ›τὰ Δέλφιδоϛ ὀστία πάσσω.‹

a 20

  ἶυγξ, ἕλκε τὺ τῆνоν ἐμὸν πоτὶ δῶμα τὸν ἄνδρα. Δέλφιϛ ἔμ’ ἀνίασεν· ἐγὼ δ’ ἐπὶ Δέλφιδι δάφναν αἴϑω· χὠϛ αὕτα λακεῖ μέγα καππυρίσασα κἠξαπίναϛ ἅφϑη κоὐδὲ σπоδὸν εἴδоμεϛ αὐτᾶϛ оὕτω τоι καὶ Δέλφιϛ ἐνὶ φλоγὶ σάρκ’ ἀμαϑύνоι.

b 25

  ἶυγξ, ἕλκε τὺ τῆνоν ἐμὸν πоτὶ δῶμα τὸν ἄνδρα. ὡϛ τоῦτоν τὸν κηρὸν ἐγὼ σὺν δαίμоνι τάκω, ὣϛ τάκоιϑ’ ὑπ’ ἔρωτоϛ ὁ Мύνδιоϛ αὐτίκα Δέλφιϛ.

e

4 Die Strophenanordnung im Idyll ist – wie angemerkt – seit langem umstritten. Die hier dargestellte inhaltliche Reihenfolge weicht ab von P3 (ca. 500 n. Chr.) und der am besten geltenden Manuskripttradition K (13. Jh.), nach welchen sich z. B. der abgedruckte Text in der Gow-Ausgabe (21952a) richtet. Zur Würdigung der letztgenannten Tradierung vgl. ders. S. liv »(…) if P3 is often with K it is because that ms has often preserved the truth where others fail.« Zur Verdeutlichung dieser erstrangigen Überlieferung werden die Quartette mit Buchstaben versehen, deren alphabetische Folge die dort vertretene Stellung demonstriert.

Das zweite Idyll Theokrits: ›Φαρμακεύτρια‹

χὠϛ δινεῖϑ’ ὅδε ῥόμβоϛ ὁ χάλκεоϛ ἐξ Ἀφρоδίταϛ, ὣϛ τῆνоϛ δινоῖτо πоϑ’ ἁμετέραισι ϑύραισιν.

29 30

  ἶυγξ, ἕλκε τὺ τῆνоν ἐμὸν πоτὶ δῶμα τὸν ἄνδρα. νῦν ϑυσῶ τὰ πίτυρα. τὺ δ’, Ἄρτεμι, καὶ τὸν ἐν Ἅιδα κινήσαιϛ ἀδάμαντα καὶ εἴ τί περ ἀσφαλὲϛ ἄλλоΘεστυλί, ταὶ κύνεϛ ἄμμιν ἀνὰ πτόλιν ὠρύоνται· ἁ ϑεὸϛ ἐν τριόδоισι· τὸ χαλκέоν ὡϛ τάχоϛ ἄχει.

c 35

  ἶυγξ, ἕλκε τὺ τῆνоν ἐμὸν πоτὶ δῶμα τὸν ἄνδρα. ἠνίδε σιγῇ μὲν πόντоϛ, σιγῶντι δ’ ἀῆται· ἁ δ’ ἐμὰ оὐ σιγῇ στέρνων ἔντоσϑεν ἀνία, ἀλλ’ ἐπὶ τήνῳ πᾶσα καταίϑоμαι ὅϛ με τάλαιναν ἀντὶ γυναικὸϛ ἔϑηκε κακὰν καὶ ἀπάρϑενоν ἦμεν.

d 40

  ἶυγξ, ἕλκε τὺ τῆνоν ἐμὸν πоτὶ δῶμα τὸν ἄνδρα. ἐϛ τρὶϛ ἀπоσπένδω καὶ τρὶϛ τάδε, πότνια, φωνῶ· εἴτε γυνὰ τήνῳ παρακέκλιται εἴτε καὶ ἀνήρ, τόσσоν ἔχоι λάϑαϛ ὅσσоν πоκὰ Θησέα φαντί ἐν Δίᾳ λασϑῆμεν ἐυπλоκάμω Ἀριάδναϛ.

f 45

  ἶυγξ, ἕλκε τὺ τῆνоν ἐμὸν πоτὶ δῶμα τὸν ἄνδρα. ἱππоμανὲϛ φυτόν ἐστι παρ’ Ἀρκάσι, τῷ δ’ ἔπι πᾶσαι καὶ πῶλоι μαίνоνται ἀν’ ὤρεα και ϑоαὶ ἵππоι· ὣϛ καὶ Δέλφιν ἴδоιμι, καὶ ἐϛ τόδε δῶμα περάσαι μαινоμένῳ ἴκελоϛ λιπαρᾶϛ ἔκτоσϑε παλαίστραϛ.

g 50

  ἶυγξ, ἕλκε τὺ τῆνоν ἐμὸν πоτὶ δῶμα τὸν ἄνδρα. τоῦτ’ ἀπὸ τᾶϛ χλαίναϛ τὸ κράσπεδоν ὤλεσε Δέλφιϛ, ὡγὼ νῦν τίλλоισα κατ’ ἀγρίῳ ἐν πυρὶ βάλλω. αἰαῖ Ἔρωϛ ἀνιαρέ, τί μευ μέλαν ἐκ χρоὸϛ αἷμα ἐμφὺϛ ὡϛ λιμνᾶτιϛ ἅπαν ἐκ βδέλλα πέπωκαϛ;

h 55

  ἶυγξ, ἕλκε τὺ τῆνоν ἐμὸν πоτὶ δῶμα τὸν ἄνδρα. σαύραν τоι τρίψασα κακὸν πоτὸν αὔριоν оἰσῶ. Θεστυλί, νῦν δὲ λαβоῖσα τὺ τὰ ϑρόνα ταῦϑ’ ὑπόμαξоν τᾶϛ τήνω φλιᾶϛ καϑ’ ὑπέρτερоν ἇϛ ἔτι καὶ νύξ, καὶ λέγ’ ἐπιτρύζоισα ›τὰ Δέλφιδоϛ ὀστία μάσσω.‹   ἶυγξ, ἕλκε τὺ τῆνоν ἐμὸν πоτὶ δῶμα τὸν ἄνδρα. […].«

i 60

30

Hexenszenen

3.1.2 Deutsche Wiedergabe ›Zauberin‹ »Wo sind die Lorbeerblätter für mich? Bring sie, Thestylis! Wo ist der Liebeszauber? Umhülle die Schale mit purpurroter Schafwolle, deswegen weil ich meinen geliebten Mann, der mir schwer zusetzt, binden werde, und es sind jetzt schon zwölf Tage, seitdem er, der Schuft, nicht einmal mehr zu mir kommt, noch auch Erkundigungen eingeholt hat, ob wir tot oder am Leben sind, noch an die Tür geklopft hat in seiner feindsinnigen Natur. Gewiss nun anderswohin trug schleunigst Eros ihm das flatterhafte Gemüt und Aphrodite. Ich werde morgen zur Turnhalle des Timagetos gehen, um ihn zu sehen, und ich werde ihn tadeln, was für Dinge er mir antut. Jetzt aber werde ich ihn mit Brandopfern binden. Wohlan denn, Selene, scheine schön; zu dir nämlich werde ich bedächtig singen, Göttin, und zur in der Unterwelt beheimateten Hekate, vor der auch Hunde beben, wenn sie kommt über Totengrabhügel und schwarzes Blut. Grüß dich, zerrende Hekate, und begleite uns bis zum Ende, indem du diese Gifte weder in irgendeiner Hinsicht schlechter machst als die Kirkes noch die Medeas noch die der blonden Perimede.   Iynx, ziehe du den Mann da zu meinem Haus. Gerstengraupen schmelzen ja zuerst im Feuer. Wohlan denn, streu drauf, Thestylis. Elende, wo bist du mit deinen Gedanken hin abgeschweift? Ja, bin ich folglich wohl, Abscheuliche, auch dir Gegenstand der Schadenfreude geworden? Streu und sag zugleich dies: ›Des Delphis Knochen streue ich.‹   Iynx, ziehe du den Mann da zu meinem Haus. Delphis kränkte mich; ich entzünde für Delphis Lorbeer; wie dieser laut kracht, nachdem er Feuer gefangen hat, und plötzlich brannte und wir nicht einmal Asche von ihm erblickten, so soll doch auch Delphis in der Flamme sein Fleisch zermalmen.   Iynx, ziehe du den Mann da zu meinem Haus. Wie ich dieses Wachs mit Unterstützung der Gottheit schmelze, so soll von Liebesverlangen der Myndier Delphis sofort dahinschmelzen. Wie dieses eherne Zauberrad infolge Aphrodites sich herumdreht, so soll jener sich an unserer Tür herumdrehen.   Iynx, ziehe du den Mann da zu meinem Haus. Nun werde ich Kleie opfern. Du aber, Artemis, könntest auch den Stahl im Hades erschüttern und wenn es irgendetwas anderes Standfestes gibt – Thestylis, die Hündinnen bellen uns in der Stadt; die Göttin ist am Dreiweg; stimm schleunigst das Erz an.   Iynx, ziehe du den Mann da zu meinem Haus. Sieh da, es schweigt das Meer, es schweigen die Winde; nicht aber schweigt mein Schmerz innerhalb der Brust, sondern in jenen bin ich als ganze glühend verliebt, der verursacht hat, dass ich Elende anstatt einer Ehefrau eine Schlimme und Befleckte bin.

Das zweite Idyll Theokrits: ›Φαρμακεύτρια‹

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  Iynx, ziehe du den Mann da zu meinem Haus. Auf dreimal spende ich, dreimal spreche ich das, Gebieterin. Ob eine Frau neben jenem liegt oder ein Mann, in solchem Maße möge ihn Vergessen heimsuchen, wie sehr einst Theseus – so heißt es – auf Dia die schön gelockte Ariadne vergessen habe.   Iynx, ziehe du den Mann da zu meinem Haus. Rosswahn ist eine Pflanze bei den Arkadern, über die alle Füllen und schnellen Stuten in den Bergen verzückt sind, so möge ich auch den Delphis sehen und in dieses Haus möge er eindringen einem Rasenden ähnlich – aus der fettschimmernden Turnhalle.   Iynx, ziehe du den Mann da zu meinem Haus. Diese Borte vom Oberhemd verlor Delphis, die ich nun zerraufe und in das wild lodernde Feuer hinabwerfe. Weh, weh, betrübender Eros, warum hast du, eingewachsen wie ein in Sümpfen lebender Blutegel, mein schwarzes Blut ganz aus der Haut gesaugt?   Iynx, ziehe du den Mann da zu meinem Haus. Nachdem ich also eine Eidechse zerrieben habe, werde ich ihm morgen einen schlimmen Trunk bringen. Thestylis, jetzt aber ergreif du diese Kräuter und rühr sie dann über der Türschwelle von jenem, solange noch Nacht ist, und sprich dazu summend: ›Des Delphis Knochen knete ich.‹   Iynx, ziehe du den Mann da zu meinem Haus. (…).«

3.1.3 Inhalt und Aufbau des ersten Gedichtteils Der einführende Abschnitt (1–10) beinhaltet die unumgänglichen Vorbereitungen, deren eine magische Aktion bedarf: Ganz abrupt durch die ein wenig ungeduldig wirkende Frage Simaithas nach dem Lorbeer (Πᾷ μоι ταὶ δάφναι,  1) und die sich anschließende Forderung an ihre Dienerin Thestylis, ihn herbeizuschaffen (φέρε, Θεστυλί, 1), befindet man sich schon zu Beginn des Idylls unversehens im wohl schon länger andauernden Zaubergeschehen. Dessen Ziel lässt sich an einem einzigen Wort der unglücklich Liebenden erkennen: Ihre Absicht ist es, mit Zauber zu binden (καταδήσоμαι, 3). Beim Opfer handelt es sich um einen Mann, der zunächst anonym bleibt, dem die Akteurin den Vorwurf macht, dass er sich schon zwölf Tage nicht mehr hat bei ihr sehen lassen ([…] ὅϛ μоι δωδεκαταῖоϛ ἀφ’ ὧ τάλαϛ оὐδὲ πоϑίκει / […], 4), und dem sie genau das am nächsten Tag vorzuhalten beabsichtigt (αὔριоν, 9). Doch fürs Erste (νῦν δέ, 10) will sie sich damit begnügen, ihn in einem Opferritual zu binden ([…] ἐκ ϑυέων καταδήσоμαι, 10).

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Unmittelbar anschließend an markanter Stelle im Vers (10 – nach der bukolischen Dihärese) wendet sich Simaitha der Mondgöttin Selene sowie der Gespensterfürstin und Zaubergöttin Hekate zu. Beide spricht die Akteurin eigentlich nur kurz direkt in Vokativen an (Σελάνα, 10, Ἑκάτα δασπλῆτι, 14). So hat es sich für die invocatio eines Gebetes, die sich in diesen Versen identifizieren lässt (10–16), eingebürgert. Mit der Nennung der φάρμακα (15) leitet Simaitha das Ende des ersten verbalen Teils ein und wendet sich dem praktischen Geschehen zu. Die Zauberhandlung selbst wird in neun Abschnitten zu je vier Versen geschildert.5 Dabei grenzt der immer wiederkehrende Refrain ›Iynx, ziehe du den Mann da zu meinem Haus‹ (er liegt insgesamt zehnmal vor, zum ersten Mal in Vers 17) die einzelnen in sich geschlossenen Quartette voneinander ab und bildet Anfang und Ende des ersten großen Gedichtteiles. Der Vierzeiler a (18–21) enthält Anweisungen an Thestylis, Gerstenmehl bzw. -graupen ins Feuer zu werfen (ἄλφιτά τоι […] ἐπίπασσε, / Θεστυλί, 18 f.) und unterdessen den Spruch ›Des Delphis Knochen streue ich‹ (21) zu sprechen. Es lässt sich ein Analogiezauber erkennen: Wie das Getreide ins Feuer rieselt, so sollen es auch die Gebeine des ehemaligen Liebhabers.6 Im Quartett b (23–26) verbrennt Simaitha Lorbeer (δάφναν, 23). Wie dieser in den Flammen auflodert, so soll es auch Delphis. Wiederum liegt der Ausgestaltung der Praktik die analoge Magievorstellung zugrunde. Teilabschnitt e (28–31) greift thematisch erneut dieselbe Zauberart auf – hier sogar in Doppelung. Simaitha schmilzt Wachs. Auf dieselbe Weise möge auch Delphis in Liebe zu ihr erweichen (28 f.). Wie sich der Rhombos im Kreise dreht, so soll auch er einem Wirbelwind ähnlich sich windend zu ihr ins Haus kommen (30 f.). Die Strophe  c (33–36) thematisiert drei verschiedene Teilhandlungen. Die verliebte Protagonistin möchte Kleie zum Zwecke eines Brandopfers darbringen (νῦν ϑυσῶ τὰ πίτυρα, 33) und wendet sich direkt an die Göttin Artemis (τὺ δ’, 33). Als Hundegeheul zu vernehmen ist, heißt sie ihre Sklavin, Bronzebecken (τὸ χαλκέоν, 36) erschallen zu lassen. Quartett  d (38–41) stellt eine Beziehung zwischen den äußeren, situativen Umständen und den inneren Empfindungen Simaithas her. Kein Meeresrauschen ist zu vernehmen, kein Wind bläst  – die Natur ist zur Ruhe gekommen ([…] σιγῇ […] σιγῶντι […], 38). Doch ganz anders steht es um das Gemüt der kleinen Zauberin. In ihr brodelt es, denn der Geliebte (wieder fällt der Name nicht) hat über sie Schande gebracht, anstatt sie zum ihm angetrauten Weibe zu 5 Die Strophengliederung in neun Quartette könnte eventuell mit der in der Magie bedeutsamen Drei zusammenhängen. Denn auch die Göttin Hekate wird in Vers 36 wie auch Vers 43 mit der Zauberzahl in Verbindung gebracht. Vgl. dazu Gow (21952b) S. 39. Zur Bedeutung der Zahlen und insbesondere der Drei bzw. ihrer Multiplicativa in der Magie siehe u. S. 111 mit Anm. 161, 196 mit 55, 314, Kap. 3.2.2 56, 3.4.3 93, 3.5.3 73 und 3.6.3 133. 6 Allgemein zu den grundlegenden Prinzipien magischer Wirksamkeit vgl. z. B. die knappe Auflistung Fauths (1999) S. 21, Rücker (2008) S. 92 f.

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machen. Er hat sie offenkundig gesellschaftlich ruiniert, indem er sie ihrer Unschuld beraubte ([…] ἔϑηκε κακὰν καὶ ἀπάρϑενоν ἦμεν, 41). Es schließt sich in der folgenden Strophe  f (43–46) eine dreifache Spende und dreifache Anrufung der weiblichen Gottheit an (ἐϛ τρὶϛ ἀπоσπένδω καὶ τρὶϛ τάδε, πότνια, φωνῶ, 43). Dabei bringt die Protagonistin ihre Bitte vor  – dem Textabschnitt lässt sich der preces-Teil eines Gebetes entnehmen. Unter Verweis auf das Mythologumenon von Theseus, der Ariadne auf Dia7 vergessen habe, wünscht sich Simaitha, dass Delphis seine neue Liebe vergesse, unabhängig davon, ob es sich bei der Person um eine Frau oder einen Mann8 handle (44–46). Wiederum also erweist sich das Geschehen vom Analogiegedanken bestimmt.9 In Quartett g (48–51) wird die ominöse Pflanze ›Rosswahn‹10 (ἱππоμανὲϛ φυτόν, 48) erwähnt, von der es heißt, sie versetze Pferde in Raserei. Genauso soll Delphis – ein weiteres Mal lässt sich ein Analogiezauber nachvollziehen – in Liebeswahn in Simaithas Heim rennen (50 f.). Teilabschnitt h (53–56) bringt die Borte vom Oberkleid des Delphis (ἀπὸ τᾶϛ χλαίναϛ τὸ κράσπεδоν, 53) ins Spiel. Dabei handelt es sich augenfällig um einen 7 In Wahrheit existieren sechs verschiedene Inseln mit dieser Bezeichnung. Das Eiland Naxos, auf dem Theseus Ariadne zurückließ, wurde später Dia genannt. Vgl. Schnur (1975) S. 164. 8 Zur Homoerotik in der Bukolik der Griechen vgl. Effe (1992) S. 55–67. 9 Die Passage ist sprachlich höchst elegant gestaltet. Theokrit lässt in Vers 45 offen, wer derjenige ist, der vergessen soll. Grammatikalisch müsste man das vorausgehende Subjekt ergänzen, also die Frau bzw. den Mann (44), mit der bzw. dem sich Delphis jetzt vergnügt. Sinngemäß könnte jedoch auch Delphis selbst eingesetzt werden. Der Dichter beweist hier ein gekonntes Spiel mit der Zauberart. Denn die Intention dahinter lässt sich sehr unterschiedlich deuten: Entweder soll Delphis selbst verlassen werden (so z. B. Bannert [1988] S. 74 und ihre Angaben unter Anm. 16) und es ihm so ergehen wie Simaitha. Alternativ soll er selbst seine neue Liebe vergessen (so z. B. Gow [21952a] S. 19), um zu Simaitha zurückkehren zu können. Welcher Auffassung man eher beipflichten will, ist letzten Endes egal. Denn die kleine Zauberin wünscht sich einfach den Geliebten zurück. Als deutlich Hass erfüllter gibt sich die erste Interpretation zu verstehen. Auf magischer Ebene sollte m. E. eher die zweite Auffassung präferiert werden. Denn bei einem analogen Vergleich ergibt es vermutlich mehr Sinn, den Täter Theseus (Mann) mit dem Täter Delphis (Mann) sowie das Opfer Ariadne (Frau) mit der neuen Liebe des Delphis (Mann oder Frau) gleichzusetzen. Eine solche Deutung wäre zwar magisch näherliegend, könnte aber eine Überinterpretation darstellen. Eine Gleichsetzungsebene zwischen Ariadne (Frau) als Opfer und Delphis (Mann) als Opfer kann auch nicht von der Hand gewiesen werden. Die von Theokrit gewählte Formulierung wirkt genial-offen. Denn auch das Verb in der Wendung τόσσоν ἔχоι λάϑαϛ weist m. E. die sprachliche Ambiguität auf. Näherliegend ist es, ›er bzw. sie soll so viel Vergessen haben‹ im Sinne von ›er bzw. sie soll so viel vergessen‹ aufzufassen. Allerdings könnte man die theokriteische Wendung auch als ›auf ihn bzw. sie soll so viel Vergessen niederfallen‹ im Sinne von ›er bzw. sie soll so sehr vergessen werden‹ verstehen. Zwar dürfte letztere Auffassung wiederum wegen der analogen Struktur des Zaubers ausscheiden. Denn ein ›vergessen werden‹ kann kaum einem ›vergessen‹ (λασϑῆμεν, 46) gegenüberstehen. Auf jeden Fall darf man wohl davon ausgehen, dass Theokrit sich hier bewusst sprachlich nicht festlegt. 10 Anders die Übersetzung Effes (1999) S. 23 mit »Roßwut«. Vgl. auch Verity (2002) S. 8, der den nicht äquivalenten Begriff »coltsfoot« (Fohlenfuß) wählt, sowie Vox (1997) S. 119, der das Original nachahmt und mit »l’ippomane« wiedergibt.

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typischen оὐσία-Stoff, der in einem sympathetischen Verhältnis mit seinem Besitzer stehen dürfte.11 Wenn Simaitha im Folgenden diesen Kleiderfetzen in­ Stücke zerrauft (54), zerreißt sie damit symbolisch vermutlich auch ihren Geliebten. Wenn sie die Überreste anschließend dem Feuer übergibt, überantwortet sie damit denkbar auch Delphis der Glut. Dann klagt die unglückliche Frau dem Gott der Liebe (in Vers 55 angesprochen) ihr Leid. Quartett i (58–62) wirkt inhaltlich zweigeteilt und beschäftigt sich sowohl mit einem Vorhaben Simaithas als auch einem Auftrag an Thestylis. Zunächst wird ein Trank thematisiert, der mit einer besonderen Zutat, nämlich einer zerriebenen Eidechse, versetzt und am Folgetag dem Delphis dargebracht werden soll: σαύραν τоι τρίψασα κακὸν πоτὸν αὔριоν оἰσῶ (58). Im Anschluss weist die Protagonistin ihre Dienerin an, Kräuter (ϑρόνα, 59) an der Türschwelle des Delphis zu bearbeiten und die Worte ›Des Delphis Knochen knete ich‹ (62) dazu zu sprechen. Durch den an das Gemurmel von Vers 21 in Quartett a erinnernden Spruch – die Prädikate unterscheiden sich im Griechischen lediglich im Anfangslaut – sowie durch seine Einbettung in eine Anweisung an die Dienerin bildet sich ein Rahmen.12 Es lässt sich eine Ringkomposition wahrnehmen.13 Strophe a und i stellen Anfang und Ende des magischen Rituals dar. Über die Anordnung der einzelnen Quartette wurde in der Forschung immer wieder spekuliert. Es wird sich zeigen, dass der in der Arbeit präferierten Strophenfolge eine gewisse Logik zugrunde liegt, die sich auch mit dem grundsätzlichen magischen Ritualaufbau, wie er aus den Zauberpapyri erschließbar ist, vereinbaren lässt: – Eine Gruppe der Theokrit-Forschung spricht sich für die Anordnung abcdefghi [1] aus und beruft sich je nachdem auf den Codex Ambrosianus (K) oder den später entdeckten, ihm im Befund gleichenden Papyrus Antinoae (P3). Darunter sind zunächst Ahrens,14 dann später Gallavotti15 und Gow zu nennen. Entscheidendes Argument des Letzteren ist, dass in Strophe d (mit der Antithese Ruhe außen – Unruhe innen) die rituelle Handlung unterbrochen werde. Abschnitt e dagegen enthalte zum Ausgleich zwei Handlungen und zwei Bittwünsche (Schmelzen des Wachses bzw. Wirbeln des Rhombos und die entsprechenden Worte Simaithas dazu).16 11 Allgemein zur оὐσία und ihrer Wirksamkeit vgl. z. B. Rücker (2008) S. 117 f. Allgemein zur Sympathiewirkung vgl. Gow (21952b) S. 158 unter Verweis auf Nonn. D. 48,690, Suet. Cal. 5, 22, Aug. 16, ferner Luck (1990) S. 9. Dazu siehe u. S. 43 f. und 114 sowie Kap. 3.5.3 Anm. 117. 12 Vgl. Bannert (1988) S. 71 f. 13 Vgl. schon Hommel (1956) S. 192 unter Anm. 28. 14 Vgl. die Ausgabe von Ahrens (21902). 15 Vgl. nach schlüssiger Argumentation Gallavotti (1948) S. 208 »La strofe 5 sta bene dove sta (…).« 16 Vgl. Gow (21952b) S. 40.

Das zweite Idyll Theokrits: ›Φαρμακεύτρια‹

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– Die traditionelle Reihenfolge abecdfghi [2] – auch hier für wahrscheinlich erachtet – basiert auf den jüngeren vatikanischen und laurentianischen Codexfamilien. Dafür spricht sich in neuerer Zeit u. a. Bannert aus. Hauptgesichtspunkt der Letzteren ist die doppelte Wiederkehr des Analogiegedankens in e, der das Quartett mit ab verbinde. Dabei finde auch die sprachliche Gestaltung ihr Pendant, die Korrelativa χὠϛ – оὕτω (24/26) des Vierzeilers b im ὡϛ – ὣϛ (28/29) bzw. χὠϛ – ὣϛ (30/31) des Abschnittes e.17 – Die Anordnung abcdfeghi [3], für die Lavagnini argumentiert, orientiert sich an den ambrosianischen Überlieferungsträgern. Demnach stehe zuerst Strophe f mit der Bitte, Delphis möge seine aktuelle Liebe vergessen (44–46). Dem Forscher nach handle es sich bei dem doppelten Analogiezauber in e, der Handlung mit dem Wachs (28 f.) und dem Rhombos (30 f.), sowie dem die ἱππоμανέϛ-Pflanze aufgreifenden Zauber in g (48–51) um drei in der Tat aufeinanderfolgende Momente. Dass der Geliebte wie ein wirbelnder Kreisel zu Simaithas Tür (ϑύραισιν, 31) komme, finde die Fortführung im Eindringen ἐϛ τόδε δῶμα (50), dem Effekt der ›Rosswahn‹-Analogie.18 Damit läge dem Handlungsablauf eine gewisse innere Logik zugrunde. – Rist argumentiert für die ebenfalls auf den ambrosianischen Codices beruhende Strophenpositionierung abcdfgehi [4]: Die Positionierung von g und e nacheinander, also das Aufeinanderfolgen von Wahn- (μαινоμένῳ ἴκελоϛ, 51) und verzehrendem Wachsmotiv (τάκоιϑ’, 29), spiegle sich auch in der Beschreibung der Reaktion Simaithas beim ersten Anblick des Delphis wider (82 f.):19 χὠϛ ἴδоν, ὣϛ ἐμάνην, ὥϛ μоι πυρὶ ϑυμὸϛ ἰάφϑη / δειλαίαϛ […].

3.1.4 Der Ritualaufbau bei Theokrit Bei dem Vorhaben, der einen oder anderen Strophenstellung eine größere Plausibilität nachzuweisen, dürfte es nützlich sein, den grundsätzlichen Aufbau eines magischen Rituals, wie ihn die Zauberpapyri überliefern, miteinzubeziehen: Als erster hat Abt vier wesentliche magische Bausteine für den Theokrit-Text nachgewiesen: Den λόγоϛ (10–16), das ἐπίϑυμα, das sich in das Rauchopfer (33–36) und die Spende (43) gliedert, die πρᾶξιϛ (18–21, 23–26, 28–31, 48–51, 53–56, 59–62) und das φυλακτήριоν (36).20 Doch geht mit dem rituellen Prozedere zudem eine Präparationsphase einher.21

17 Vgl. Bannert (1988) S. 72 f. 18 Vgl. Lavagnini (1950) S. 83. 19 Zum Argument vgl. Rist (1975) S. 108. 20 Dazu siehe o. S. 21 mit Anm. 3. 21 Dazu siehe o. S. 21–24.

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Den Anfang des Geschehens bildet besagte Vorbereitungsphase (1–10):22­ Simaitha fragt, wo (Πᾷ, 1) sich der Lorbeer befinde, und weist Thestylis an, ihr diesen zu bringen (φέρε, 1). Dann wiederholt sich das Aufbauschema: Es folgt eine zweite Frage, wo (πᾷ, 1) denn der Liebestrank sei. Daran schließt sich wieder ein Befehl an die Dienerin an, die Schale mit purpurner Schafwolle zu umwickeln (στέψоν, 2). Der Leser kann erkennen, dass in diesem durch die Gestaltung mit Interrogativsätzen und Imperativen etwas hektisch wirkenden Teil des Gedichtes der eigentlichen Zauberhandlung noch der Weg bereitet wird. Die Anlage erweckt gewissermaßen den Eindruck von Hast und Aufregung wegen des bevorstehenden magischen Bindevorgangs (καταδήσоμαι, 3). Die Begründung für Simaithas Tun folgt dann unmittelbar (4–10). In Vers 10 gibt sich der erste λόγоϛ zu erkennen, der – wie gezeigt – in Gestalt einer invocatio an die Göttinnen Selene und Hekate gerichtet ist (10–16). Es schließen sich einzelne Tätigkeiten an, der Ritus befindet sich im Vollzug: Strophe a umfasst den ersten Teil der πρᾶξιϛ, die Gerstenmehlanalogie (18–21), Quartett b den zweiten Teil der πρᾶξιϛ, die Lorbeeranalogie (23–26).23 Teilabschnitt c mit der Kleie ist einerseits das ἐπίϑυμα zu entnehmen, andererseits die invocatio der Artemis, also auch ein λόγоϛ (33–36). Die von der Antithetik Ruhe und Aufruhr beherrschte Strophe d lässt sich gar nicht in das Schema einbeziehen – sie verkörpert eine Pause (38–41), durch die Theokrit die Zauberaktion augenscheinlich unterbrochen wissen will. Quartett e kann als πρᾶξιϛ identifiziert werden durch Wachs- und Rhombosanalogie (28–31).24 Strophe  f enthält mit der Spende einen Teil des ἐπίϑυμα sowie durch die Bitte, des Delphis’ Erinnerungsleistung zu reduzieren, die preces eines λόγоϛ (43–46). Teilabschnitt g reiht sich durch die ἱππоμανέϛ-Analogie wohl in die πρᾶξιϛ ein (48–51),25 Strophe h mit 22 Vgl. bereits Graf (1996) S. 159, der zwar feststellt, dass das Gedicht mit einer Vorbereitung beginnt, jedoch daraus keine Konsequenzen für den Aufbau der magischen Handlung zieht. 23 Letztlich ist das gesamte zweite Idyll in Monologstruktur gehalten, d. h. zur jeweiligen verbalen Schilderung hat man sich den betreffenden πρᾶξιϛ-Schritt vorzustellen. In Quartett b z. B. kann durch Vers 23 und den Anfang des Folgeverses auf die Verbrennung des Lorbeers geschlossen werden. Dann schließt sich die Erläuterung des Vorganges an (24–26), wodurch sich die Analogie ergibt. Die eigentliche Erklärung wird nicht dem λόγоϛ zugerechnet, da es sich dabei nicht um einen traditionellen Gebetsbestandteil handelt. 24 Beim strikten Gliederungsprinzip Theokrits in lauter gleich lange Strophen scheint es m. E. plausibel, jedem Abschnitt auch nur einen magischen Baustein zuzuweisen, so auch hier Quartett e (28–31) oder später i (58–62). Die einzige Ausnahme stellt der in der Regel gemeinsam einhergehende Komplex von ἐπίϑυμα und λόγоϛ dar. Hinzu kommt, dass sich nicht klären lässt, ob der Rhombos eventuell während des Schmelzvorganges oder während der ganzen Handlung im Kreis geschwungen wird. Er könnte als Ersatz für die wohl ausschließlich metaphorische [ἴ]υγξ des Refrains dienen (dazu siehe u. S. 58). Die Untergliederung der Strophe e in zwei verschiedene πράξειϛ wird deswegen verworfen. 25 Anders vgl. Schweizer (1937) S. 37 unter Anm. 76, der die Erwähnung des ›Rosswahn‹Krauts rein verbal deutet. – Doch die Ausgestaltung des Quartetts als λόγоϛ ist m. E. lediglich

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Das zweite Idyll Theokrits: ›Φαρμακεύτρια‹

der оὐσία ebenfalls in die πρᾶξιϛ (53–56). Das letzte Quartett i wird, weil es von der Eidechsen- bzw. Kräuterbearbeitung handelt, wiederum der πρᾶξιϛ zugewiesen (58–62). Als auffällig erweist es sich, dass der Theokrit-Text nicht nur hinsichtlich der Präparationsphase mit den magischen Papyri übereinstimmt, sondern in der hellenistisch-alexandrinischen Darstellung auch das ἐπίϑυμα realmagisch fundiert eine Einheit mit einem λόγоϛ bildet.26 Das Opfer wird im Idyll zweimal greifbar mit einem Verbalteil verbunden, einerseits mit einer invocatio (Strophe c), andererseits mit den preces (Quartett f). Tab. 1: Überblick über die diversen Strophenanordnungen und die sich daraus ergebende unterschiedliche Stellung der magischen Grundbausteine. Anfangs­ verse

Strophen­ folge

Anordnung der magischen Bausteine

1–10/ 10–16

abcdefghi [1]

Vorbereitung

λi

π1

π2

ἐ λi

(Pause)

π3

ἐ λp

π4

π5

π6

1–10/ 10–16

abecdfghi [2]

Vorbereitung

λi

π1

π2

π3

ἐ λi

(Pause)

ἐ λp

π4

π5

π6

1–10/ 10–16

abcdfeghi [3]

Vorbereitung

λi

π1

π2

ἐ λi

(Pause)

ἐ λp

π3

π4

π5

π6

1–10/ 10–16

abcdfgehi [4]

Vorbereitung

λi

π1

π2

ἐ λi

(Pause)

ἐ λp

π4

π3

π5

π6

In der tabellarischen Darstellung wird deutlich, dass die voneinander abweichenden Anordnungen der Quartette im grundsätzlichen Ablauf des Zaubergeschehens zu eher unwesentlichen Veränderungen führen. Auf dieser Ebene kann also nicht geklärt werden, welche der Strophenfolgen als stimmiger erscheint. Dass sich der Aufbau des Idylls im Gesamten an den Zauberpapyri orientiere und die unsystematische Strophenfolge abcdefghi [1] die verwirrende Gestaltung von magischen Gebrauchstexten imitiere, wäre eine denkbare, jedoch gesuchte Interpretation, die m. E. entschieden zu weit ginge. Denn aus den erhaltenen Texten lässt sich auf Theokrit insbesondere als einen Dichter schließen, bei dem auf den ersten Blick naheliegend. Denn es kann nicht eindeutig als Bestandteil eines Gebets identifiziert werden, auch wenn natürlich je nach Strophenfolge die preces aus f ihre Fortsetzung finden könnten. Gerade weil sich bereits in den Quartetten abe je eine πρᾶξιϛ erkennen lässt, die dann verbal erläutert wird, ist eine vergleichbare Gestaltung m. E. auch hier anzunehmen. Überdies kann auch sonst für kein Quartett ausschließlich λόγоϛ-Struktur nachgewiesen werden. Möglich, u. U. sogar wahrscheinlich ist, dass Simaitha die Pflanze ins Feuer wirft oder sie sie, während sie spricht, in die Höhe hält. 26 Dazu siehe o.  S.  22–24 sowie u. 74, 219, 297 f., 413, 479 und Kap.  3.3.2 Anm.  92.

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Hexenszenen

ein ausgeprägtes ästhetisches Empfinden stetig spürbar ist.27 Es liegt nahe, dass bei einem ἐπίϑυμα Spende und Rauchopfer gemeinsam einhergehen. Dieser Befund lässt sich z. B. für die ›Σоλоμῶνιϛ κατάπτωσιϛ‹ (PGM IV 850–929) sowie die Pflanzenhebung (PGM IV 2967–3006) festhalten. Das Ergebnis würde sich dem immer wieder geäußerten Unwillen gegenüber der Strophenfolge abcdefghi [1] fügen und diese ausschließen. Denn die Pause in der Zauberhandlung mit dem Gegensatz vom Zustand der äußeren Welt und dem inneren Empfinden Simai­ thas kann sehr gut für einen Moment den Komplex von ἐπίϑυμα und λόγоϛ unterbrechen. Dass sich aber vor seiner Fortsetzung ein dritter πρᾶξιϛ-Schritt (π3) einschiebt, ist denkbar unwahrscheinlich. Die Vorschläge abcdfeghi [3] und abcdfgehi [4] weisen ein sehr starkes Ungleichgewicht auf. Denn der Ritualteil nach der Pause besteht aus doppelt so vielen πρᾶξιϛ-Abschnitten wie sein Gegenstück vor der Unterbrechung. Die beiden Varianten unterscheiden sich lediglich in der Umdrehung des dritten und vierten Handlungsabschnittes (π3 und π4). Die unglückliche Ponderierung stellt m. E. ein schlagkräftiges Argument gegen diese Thesen dar. Die traditionelle Strophenstellung abecdfghi [2] findet gerade wegen ihrer inneren Ausgewogenheit Gefallen und soll deswegen an dieser Stelle Bestärkung erfahren. Aus künstlerisch-ästhetischer Perspektive wirkt sie unübertroffen. Die ersten drei πρᾶξιϛ-Schritte entsprechen plausibel den letzten drei πρᾶξιϛ-Abschnitten: Die Analogiezauber in π1, π2, π3 verbinden die Passagen nachvollziehbar zu einer Gruppe. Die Nennung des Delphis gibt π4, π5, π6 als Einheit zu erkennen (vgl. 50, 53, 62), die noch dazu ihr Pendant in der Reihe der ersten drei Gedichtabteilungen findet (vgl. 21, 23/23/26, 29).28 Zwischen den beiden πρᾶξιϛ-Gruppen erstreckt sich der in Strophe d durch die Pause unterbrochene ἐπίϑυμα-λόγоϛ-Komplex. Das Brandopfer (ϑυσῶ, 33) aus c findet eine fassbare Entsprechung in der Libation (ἀπоσπένδω, 43) in f. Analog korrespondieren vermutlich die zwei Invokationen Ἄρτεμι (33) und πότνια (43). Auch erweist sich die Dreizahl als verbindendes Glied (τριόδоισι, 36, ἐϛ τρὶϛ […] καὶ τρὶϛ, 43).29

27 Vgl. die Würdigung Leskys (1999) [31971] S. 814, der von der »wohldurchdachten Sorgfalt« Theokrits schwärmt und das Faktum, »[d]aß wir seinen Gedichten von dieser Mühe der Ausarbeitung so wenig anmerken (…)«, als Zeichen seines dichterischen Genies wertet. 28 Zu den beiden aufeinander bezogenen Dreierpartien vgl. Bannert (1988) S. 75. 29 Zur Gesamtargumentation der Verbindungen zwischen Strophe  c und  f vgl. Bannert (1988) S. 74 f. Neben den genannten Begründungen könnte der Forscherin nach die Botschaft, dass Artemis Unwandelbares (ἀσφαλὲϛ, 34) vermag, mit dem Wunsch Simaithas korrespondieren, die neue Liebe des Delphis möge diesen vergessen (44–46). Denn die Gottheit gilt als die einzige Macht, die den abwegigen Wunsch zu erfüllen in der Lage sein dürfte. – Das letztgenannte Argument der Wissenschaftlerin wirkt nachvollziehbar. Allerdings spielt es m. E. wohl eher nur im Hintergrund eine Rolle und man sollte sich nicht zu sehr darauf konzentrieren, denn – wie herausgestellt (siehe o. Kap. 3.1.3 Anm. 9) – könnte die Aussage über das Subjekt, welches vergessen soll, im Griechischen absichtlich zweideutig formuliert sein.

Das zweite Idyll Theokrits: ›Φαρμακεύτρια‹

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3.1.5 Das zweite Idyll und die Zauberpapyri Es ist zu prüfen, inwiefern sich die Ritualschilderung Theokrits in der ›Φαρμακεύτρια‹ auch mit den noch fassbaren Vorstellungen einer realen Zauberhandlung in Einklang bringen lässt. Die Gesamtsituation als solche entspricht nachvollziehbar den Angaben in den Gebrauchstexten: Die Szene ereignet sich nachts, wie sich einerseits aus Simaithas Hinwendung zum Mond schließen lässt, andererseits auch die Konjektur gegen Ende des ersten Gedichtteiles – jedenfalls insofern sie als Versuch einer authentischen Rekonstruktion gelten kann – nahe legt. Simaitha trägt ihrer Dienerin zum Schluss auf, die πρᾶξιϛ an Delphis’ Türschwelle zu vollführen, solange die Nacht noch andauert ([…] ἔτι καὶ νύξ […], 60). Das stimmt in etwa mit einer Angabe im ›Mondräucherwerk des Klaudianos‹ überein, das spät nachts zur fünften Stunde stattfinden soll ([…] ὀψέ, ὥρᾳ εʹ νυκτόϛ […], PGM VII 874 f.). Über den Ort des Geschehens als solchen lässt sich nur spekulieren, auch wenn dem Text einige versteckte Hinweise entnehmbar sind. Irgendwo in Meeresnähe muss sich die magische Zeremonie ereignen, sonst gäbe die Aussage Simaithas über die Stille von Ozean und Wind keinen Sinn (ἠνίδε σιγῇ μὲν πόντоϛ, σιγῶντι δ’ ἀῆται, 38).30 Ein ein wenig abgelegener Ort für die Zeremonie ist somit anzunehmen. Allerdings befindet sich die unglückliche Liebende weitestgehend im Umfeld einer Stadt (πτόλιν, 35) bzw. bei ihrem Haus (τόδε δῶμα, 50). Aus diesen Angaben lässt sich z. B. auf einen Hinterhof schließen.31 Da im Ritual mit vielen Ingredienzien hantiert wird, die dem Feuer zugeführt werden, ist von einem Ort im Freien auszugehen, auch wenn die PGM eine Weihrauchopferung auf irdenem Altar und eine Rosenölspende, z. B. in einem hochgelegenen Zimmer, keineswegs ausschließen: […] [νυκτὶ ἀνα]βὰϛ ἐπὶ δώματоϛ ὑψηλоῦ […] ἐπιϑύων λίβανоν ἄ[τμητоν] καὶ ῥόδινоν ἐπισπένδων, ἐπιϑύσαϛ [ἐπὶ γηί]νоυ ϑυμιατηρίоυ […] (PGM I 56–63). Dass die ganze Szene auf Kos oder eher noch auf Rhodos in der Nähe der gleichnamigen Stadt spielen könnte, darüber wurden bereits Vermutungen angestellt.32 Der ganze erste große Gedichtabschnitt (1–63) handelt von erotischer Magie, wie es der Ausdruck τὰ φίλτρα (1) als entscheidende inhaltliche Komponente ankündigt. Der schon erwähnte Fachterminus καταδήσоμαι (3, 10) definiert den Handlungsvorgang im zweiten Idyll genauer: Es geht offenkundig um einen Liebeszauber, wie ihn die Papyri beschreiben, als deren wohl bekanntestes Beispiel der ›Φιλτρоκατάδεσμоϛ‹ im ›Großen Pariser Papyrus‹ (PGM IV 296–466) gilt.33 Die 30 Zur Stille im Ritual der Zauberpapyri vgl. PGM VII 320–323. 31 Gow nennt zwei bisherige Deutungsversuche vgl. Gow (21952b) S. 33. 32 Zu einer prägnanten Zusammenfassung der Thesen vgl. v. Blumenthal (1934) Sp. 2005. 33 Dazu vgl. u. a. Petrovic (2007) S. 15 und ihre unter Anm. 61 angegebenen weiteren Verweise.

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dortige Häufung von Begriffen mit dem Wortstamm des Bindens fällt ins Auge.34 Mit Theokrits Liebesbindezauber ist erkennbar eine weitere ebenfalls schon erwähnte Form erotischer Magie verbunden, die ἀγωγή,35 welche in den Gebrauchstexten eine sehr gängige Zauberart darstellt:36 Simaitha hat die Hoffnung, Delphis nicht nur zurückzugewinnen, sondern ihn darüber hinaus per Zauber in ihr Haus zu führen ([…] ἐϛ τόδε δῶμα περάσαι […], 50). Dass der Vorgang des Bindens eines Geliebten ohne weiteres mit dem ἀγωγή-Gedanken einhergehen kann – so lässt es sich eben für Theokrit festhalten –, findet in den PGM wiederum durchaus Bestätigung. Der besagte ›Φιλτρоκατάδεσμоϛ‹ enthält die Formel: »[…]. ἄξоν τὴν δεῖνα […] φιλоῦσάν με […]. […]« (PGM IV 350 f.). Wenn die Codices bei Theokrit für Vers 3 καταϑύσоμαι anstatt des καταδήσоμαι (von P3) anführen, ist diese Lesart ebenfalls denkbar. Der Bedeutungsunterschied der beiden Worte hat als relativ unerheblich zu gelten. Ob Delphis letzten Endes durch ›ein Zauberopfer zur Liebe gezwungen‹ oder alternativ ›gebunden werden‹ soll, weicht nicht sehr voneinander ab. Bereits Grafs Sammlung von in Defixionen verbreiteten Verben hat gezeigt, dass ohnehin das entscheidende Gewicht auf dem κατα-Präfix des jeweiligen verbum compositum liegt (vgl. auch κατ’ […] βάλλω, 54).37 Hinter dem ›hinab‹ als einem erahnbaren Verweis auf die unterirdischen Mächte tritt vermutlich die Bedeutung des zweiten Wortbestandteils zurück. Allerdings liegt in der Textpassage m. E. das Gewicht eindeutig auf der Vorstellung des Bindens, das noch dazu als Fachterminus in der antiken Welt allgemein verbreitet gewesen sein muss und im Verlauf des Gedichtes erneut aufgegriffen wird. Denn auch für die Verse 10 sowie 159 existieren beide Lesarten, wobei Gow das in den Codices tradierte Prädikat wegen der sich im ersten Fall ergebenden Wortstammhäufung (ἐκ ϑυέων καταϑύσоμαι) als Stilbruch verwirft.38 Der spezifischen Formulierung καταδήσоμαι kommt im Gesamtzusammenhang eine besondere Relevanz zu. Der magische Fachbegriff sollte – u. a. auch wegen des heraus­ragenden Alters der zugehörigen Papyrusüberlieferung – präferiert werden. 34 Vgl. PGM IV 335 f. »παρακατατίϑεμαι ὑμῖν τоῦτоν τὸν κατάδεσμоν, ϑεоῖϛ χϑоνίоιϛ […]. […].«, 380–395 »[…]. πоίησоν, κατάδησоν εἰϛ τὸν ἅπαντα χρόνоν τῆϛ ζωῆϛ μоυ […]. […]. ἄξоν, κατάδησоν τὴν δεῖνα φιλоῦσαν […].« Zudem muss man sich die im Zusammenhang erwähnte Voodoo-Puppe der Frau wohl im Rücken gefesselt vorstellen (αὐτὴν δὲ ὀπισϑάγγωνα, 301). 35 Vgl. Petrovic (2007) S. 15 sowie Schweizer (1937) S. 39. 36 Bei der ἀγωγή handelt es sich um eine der in den PGM am häufigsten erkennbaren Zauberarten. Allein im griechischsprachigen Teil des ›Großen Pariser Papyrus‹ findet sie sich an zahlreichen Stellen. Sie steht im Regelfall in erotischem Kontext, muss diesen aber nicht aufweisen. Auch ist sie nicht immer mit der entsprechenden Bezeichnung betitelt. Zur ἀγωγή vgl. z. B. PGM IV 296–466, 1265–1274, 1390–1495, 1496–1595, 1716–1870, 1872–1927, 1928–2005, 2006–2139, 2441–2621, 2622–2707, 2708–2784, 2891–2942, 2943–2966. Vgl. auch die eher lücken­haft wirkende Aufzählung von zwölf definitiven ἀγωγή-Riten in den gesamten PGM und PDM (›Papyri Demoticae magicae‹) bei Winkler (1991) S. 225. 37 Zu den Begrifflichkeiten vgl. Graf (1996) S. 113 f. 38 Vgl. Gow (21952b) S. 37.

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Die scheinbar unwichtige Erwähnung des Gefäßes, der Schale (τὰν κελέβαν, 2), die es mit purpurner Schafwolle (φоινικέῳ оἰὸϛ ἀώτῳ, 2) zu umwickeln gilt, dient offensichtlich einem wesentlichen Zweck: der Verdeutlichung des Bindevorganges. Schon Schweizer verweist anhand des folgenden Beispiels auf die Funktion von Fäden in den Papyri (PGM VII 436–438):39 […] δήσαϛ αὐτὴν [= πλάκαν aus 432, Anm. d. V.] σπάρτῳ, βάλε φέρεσϑαι εἰϛ τὸν ῥоῦν (ἢ εἰϛ ϑάλασσαν), ἵνα, ὅτε ϑέλειϛ, ἐκλύσῃϛ. Sie symbolisieren  – an einer Platte befestigt  – vermutlich die Bindung, die auch wieder gelöst werden kann.40 Darüber hinaus ist rote Wolle als A ­ potropaion bekannt und könnte nach Gow gewissermaßen als Schutzmittel für die Schale gelten.41 Stimmiger erweist sich m. E. jedoch die Deutung im Sinne einer Bindung – zumal, da nicht weiter erläutert wird, warum denn das Gefäß bzw. sein Inhalt abgeschirmt werden sollte. Der um den Herbeiführungszauber erweiterte Liebesbindezauber fügt sich in einen Gebets-λόγоϛ, in dem drei Göttinnen angerufen werden: Selene, Hekate und Artemis. Alle drei werden dabei mit bestimmten Charakteristika versehen: In direkter Hinwendung zur Mondherrin fordert Simaitha deren hellen Schein (ἀλλά, Σελάνα, / φαῖνε καλόν […], 10 f.). Der Zaubergöttin Hekate weist die unglückliche Liebende in ihrer Anrede zwei Epitheta zu. Zunächst wird sie als τᾷ χϑоνία ϑ’ Ἑκάτᾳ (12), also ›in der Unterwelt beheimatete Hekate‹, und als Ἑκάτα δασπλῆτι (14), ›zerrende Hekate‹, bezeichnet. Darüber hinaus bringt Simaitha die Zauberpatronin mit den für die Gottheit typischen Hunden und mit Grabhügeln Verstorbener sowie schwarzem Blut in Verbindung:42 […] τὰν καὶ σκύλακεϛ τρоμέоντι / ἐρχоμέναν νεκύων ἀνά τ’ ἠρία καὶ μέλαν αἷμα (12 f.). Die dritte Göttin im Bunde, Artemis, wird erst später invoziert (33). Von ihr heißt es, sie könne das Unmögliche verrichten, ja sogar den Stahl (ἀδάμαντα, 34) in der Unterwelt erschüttern. Im Anschluss werden κύνεϛ (35) erwähnt sowie Dreiwege (ἐν τριόδоισι, 36). Wie hat man sich diese Gottheiten nun vorzustellen? Handelt es sich um drei getrennte Wesen oder sollte man sie sich bereits als verbundene Trias vorstellen, wie es im Zeitalter des spätantiken Synkretismus der Fall gewesen sein dürfte? Petrovic kommt in einer schlüssigen Argumentation zum Ergebnis der Einheit von Hekate, Selene und Artemis und deutet die Verbindung als einen von 39 Vgl. Schweizer (1937) S. 19. 40 Auch die 365 Knoten eines Fadens, der im berühmten ›Φιλτρоκατάδεσμоϛ‹ zur Bindung an eine Platte angebracht werden soll, sind hier zu nennen. Den dazu gemurmelten Spruch »Ἀβρασάξ, κατάσχεϛ« (PGM IV 332) kann man als deutliches Indiz für ihre Aufgabe ansehen. Zu den Knoten siehe u. S. 112 f. und 161. 41 Vgl. Gow (21952b) S. 37, der meint, dass sich beide Möglichkeiten (also Bindung und Schutz) in der Magie nicht ausschließen müssen. Eine solche kombinierte Wirkung ist denkbar, allerdings im vorliegenden Fall wohl wenig plausibel. 42 Zur Göttin und zu Hunden als ihren Begleitern vgl. Johnston (1998) Sp. 269.

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Theokrit beabsichtigten Realismus in der magischen Zeremonie. Trotz der Vorstellung von eher getrennten Wesen in den Versen 10 bis 13 ergebe sich mit der alleinigen Invokation der ursprünglichen Jagdgöttin (τὺ δ’, Ἄρτεμι, 33) der Eindruck, Simaitha habe diese von Anfang an mitangesprochen. Auch verweise der Singular in Vers 36 nur auf die Anwesenheit einer einzigen Göttin (ἁ ϑεὸϛ).43 Das erscheint nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass zwei typische Charakteristika­ Hekates, nämlich Hund und Dreiweg, in unmittelbarer inhaltlicher Nähe zu Artemis genannt werden, was darauf schließen lässt, dass die Zauberin wohl nicht zwischen den einzelnen Gottheiten differenziert und sich vermutlich ein einziges Wesen vorstellt. Die Einheit von Hekate, Selene und Artemis findet sich auch in den PGM. Schweizer hat auf zahlreiche Parallelen zwischen den Gebrauchstexten, einer ἀγωγή (PGM IV 2441–2621) sowie v. a. der ›Εὐχὴ πρὸϛ Σελήνην‹ (IV 2785–2890), und dem zweiten Idyll hingewiesen: Die dreieinige Göttin wird in den Papyri wie bei Theokrit mit dem Epitheton »[…] χϑоνία […]« (2550 f.) versehen. Auch ist die Invokation als »[…] ἥσυχε καὶ δασπλῆτι […]« (2544) gängig und wird im S­ elene-­ Gebet wörtlich wieder aufgegriffen (2856). Die letztere Eigenschaft, das Epitheton als ›Zerrende‹, steht auch in der Charakterisierung der Hekate bei Theokrit. Als »[…] τάφоιϛ ἔνι δαῖτα ἔχоυσα […]« (2856 f.) steht die dreieinige Göttin eindeutig auch im Konnex von Gräbern. Die Titulatur »[…] αἱμоπότι […]« (2864), ›Blutschlürferin‹, schließt sich dem an. Bei einer solchen Charakterisierung kann es nicht weiter verwundern, wenn es heißt, selbst Dämonen und Unsterbliche würden – den Hündinnen Theokrits vergleichbar – bei der Epiphanie der Göttin erschaudern (»[…] δαίμоνεϛ ἢν φρίσσоυσιν καὶ ἀϑάνατоι τρоμέоυσιν […]«, 2829 f.).44 Doch lässt sich Schweizers Gegenüberstellung noch um zahlreiche Parallelen erweitern. In der folgenden Passage aus dem Gebet werden alle drei Gottheiten invoziert (2813–2827): »[…] κύνεϛ φίλоι ἀγριόϑυμоι· τоὔνεκά σε κλῄζоυσι Ἑκάτην, πоλυώνυμε, Мήνην, ἀέρα μὲν τέμνоυσαν, ἅτ’ Ἄρτεμιν ἰоχέαιραν, τετραπρόσωπε ϑεά, τετραώνυμε, τετραоδῖτι, Ἄρτεμι, Περσεφόνη, ἐλαφηβόλε, νυκτоφάνεια, τρίκτυπε, τρίφϑоγγε, τρικάρανε, τριώνυμε Σελήνη, ϑρινακία, τριπρόσωπε, τριαύχενε καὶ τριоδῖτι, ἣ τρισσоῖϛ ταλάρоισιν ἔχειϛ φλоγὸϛ άματоν πῦρ καὶ τριόδων μεδέειϛ τρισσῶν δεκάδων τε ἀνάσσειϛ· ἵλαϑί μоι καλέоντι καὶ εὐμενέωϛ εἰσάκоυσоν […]. […]« »(…) Lieb sind dir rohherzige Hunde; deswegen nennen sie dich Hekate, Vielnamige, Mene, Luft durchfahrende, wie die pfeilschüttende Artemis, viergesichtige Göttin, vier 43 Zur Argumentation der Einheit der Göttinnen vgl. Petrovic (2007) S. 4 f. 44 Zu den vorliegenden Parallelen zwischen den PGM und Theokrit vgl. bereits Schweizer (1937) S. 29–31. Im Übrigen erwähnt der Forscher, dass die Charakterisierung als »[…] τάφоιϛ ἔνι δαῖταν ἔχоυσα […]« auch schon in der ἀγωγή (und zwar 2544) steht. – Die genannten Epitheta erfreuen sich in Zaubergebeten offenkundig einer gewissen Beliebtheit.

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namige, vierwegige, Artemis, Persephone, Hirsche erlegende, des Nachts scheinende, dreifach brausende, drei Stimmen besitzende, dreiköpfige, dreinamige Selene, mit dem Dreizack ausgestattete, dreigesichtige, dreinackige und dreiwegige, die du in drei Körben45 der Flamme unermüdliches Feuer hältst und die du Gebieterin bist über Dreiwege und Herrscherin über drei Dekaden: Mach dich mir bei meiner Anrufung geneigt und erhöre mich wohlwollend (…). (…)«

In der Passage aus dem Gebet werden die drei Göttinnen genannt: Hekate, Artemis und Selene (letztere sogar schon früher, nämlich zu Beginn der ›Εὐχή‹, vgl. 2787). Die Dreiheit ist hier sogar zu einer Vierheit ausgeweitet, denn zusätzlich tritt die unterweltliche Persephone auf. Genannt werden zunächst Hunde der Hekate, die viele Namen besitzt, was auf die synkretistische Verbindung mit weiteren Gottheiten verweisen dürfte. Artemis wird wohl der Tradition gemäß mit der Jagd in Verbindung gebracht, allerdings tritt als weitere charakteristische Eigenschaft bereits der Aspekt vom nächtlichen Mondschein hinzu. Der Dreiweg wird zweimal mit der Identität Selenes verknüpft. Interessant wirkt ein Detail in Simaithas Σελάνα-Anrufung, denn die unglückliche Protagonistin appelliert an sie im Vokativ mit dem Ausdruck δαῖμоν (11). Dabei soll es an dieser Stelle gar nicht um die exakte Bedeutung des Wortes und die damit verbundene Vorstellung gehen. Vielmehr dürfte die sich dem kundigen Leser magischer Gebrauchstexte sicher aufdrängende Ähnlichkeit zu Invokationen höherer Wesen relevant sein – teils wird der Ausdruck für eine Gottheit, teils für einen unechten Dämon gebraucht. Gow verweist bereits auf das an Hermes gerichtete »[…]. ἐλϑέ μоι, ὁ ὑπὸ γῆν, ἔγειρέ μоι , ὁ μέγαϛ δαίμων […]. […]« (PGM V 248–250) sowie auf »[…]. ὁρκίζω σέ, δαίμων […]. […]« (PGM VII 242).46 Überhaupt entspricht die δαίμων-Anrede der erkennbaren Konvention in den Gebrauchstexten: Im ›Großen Pariser Papyrus‹ richtet sich der Akteur an einen Totendämon. Es fallen Wendungen wie das bereits zitierte »[…]. ὁρκίζω σε, νεκύδαιμоν […]. […]« (PGM IV 361) oder »[…]. μή μоυ παρακоύσῃϛ, νεκύδαιμоν […]. […]« (IV 367 f.). Besonders in Exorzismen findet sich die entsprechende Formulierung: »[…]. ἐξоρκίζω σε, δαῖμоν […]. ἔξελϑε, δαῖμоν […]. […]« (PGM IV 1240–1244). – Die denkbare Nähe Theokrits zu realen Gebrauchstexten ist zu spüren. Grundlegende Vorstellungen von Sympathie- und Analogiezauber, wie sie sich bei Theokrit zeigen, treten in den Papyri ebenfalls zu Tage. Eine eindeutig sympathetische Handlung lässt sich im zweiten Idyll eigentlich nur im Quartett h erkennen. Der Gewandsaum in Vers 53 in seiner erschließbaren Funktion als оὐσία 45 Zum Ausdruck τρισσоῖϛ ταλάρоισιν vgl. schon Betz (21992) S. 91, der mit »in triple baskets« ähnlich übersetzt. – Die deutsche Wiedergabe »in dreifacher Fackel«, vgl. dazu Preisendanz (1928) S. 163, wirkt deutlich freier. 46 Vgl. Gow (21952b) S. 38.

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des Delphis wird von der Protagonistin zerfetzt und ins Feuer geworfen. Der Stoff selbst steht vermutlich mit seinem Besitzer in Verbindung, dem dasselbe widerfahren soll. Insbesondere im Liebeszauber erfreut sich solches Material großer Beliebtheit. In den PGM finden sich zahlreiche Belege für sympathetische Stoffe: Der Zauberstoff soll z. B. unter eine Tafel getan werden: […] τὴν оὐσίαν ὑπόϑεϛ αὐτῆϛ (PGM IV 2236). Andernorts heißt es wiederum in der Anweisung zu einer Platte für ein φίλτρоν: […] оὐσιάσαϛ оἵᾳ δήπоτε оὐσίᾳν ἕλιξоν […] (PGM VII 463). Ein typischer Sympathiezaubervorgang, wie das Zerreißen des Gewandes bei Theokrit, lässt sich in den Papyri nicht belegen. Allerdings existiert dort offenkundig analoges Gedankengut: Die Myrrheverbrennung im Zuge eines Liebeszaubers kann als geeignetes Beispiel dafür fungieren (PGM IV 1540–1553). Das aus besagter Pflanze gewonnene Harz wird dem Feuer übergeben. Wie der Akteur das Naturprodukt verbrennt, soll selbiges das Opfer in Flammen setzen (1540–1545). Inwiefern sind nun die einzelnen Stoffe, die der hellenistische Dichter erwähnt und Simaitha zum Zwecke des Analogiezaubers verwendet, in den Rezepturen der Papyri belegt? Die Zeremonie Simaithas beginnt mit der Verwendung von Graupen bzw. Mehl (ἄλφιτά τоι πρᾶτоν […], 18), also einer in magischen Gebrauchstexten auffindbaren Ingredienz.47 Schweizer z. B. nennt einen Zauber, in dem ἄλ[ε]υρ[α κ]αὶ ὥ[ρι]μα συκάμι[να] (PGM III 612), Weizenmehl sowie reife Maulbeeren, zum Einsatz kommen.48 Doch handelt es sich bei der von Simaitha verwendeten Substanz um Gerste. Schweizers Parallelstelle wirkt deswegen ein wenig gesucht.49 Erst durch das Ende der Strophe a und die erklärenden Worte Simaithas wird die Analogie deutlich. Die Graupen bzw. das Mehl stehen symbolisch für die Knochen des Delphis (21), die dem Feuer überführt werden. Der zweimal erwähnte Lorbeer (1, 23) ist für die Papyri ebenfalls zu belegen. Gern wird er in Verbindung zu Apoll gesetzt, in einem Vereinigungsgebet mit Helios wird die Pflanze dreimal aufgegriffen (vgl. PGM VI 6, 15, 40). Zusätzlich lässt sich ein Spiel mit dem Namen Δάφνη erkennen (zweimal in 42). Der zunächst noch fragliche Zusammenhang zwischen der Benennung des Geliebten als Δέλφιϛ und der Verwendung des Lorbeers (δάφνη)50 dürfte sich mittlerweile als hinreichend geklärt erweisen: Der Name des Geliebten Simaithas mag­ etymologisch vom Ort Delphi entlehnt sein. Die Bezeichnung des Geliebten 47 Vgl. z. B. PGM IV 2585 f. »[…] σύκων ἄλφιτоν […]« (Feigenmehl). Dazu siehe u. S. 162. Zu Getreidegattungen vgl. z. B. 3003 f. ἑπτὰ μὲν πυρоῦ κόκκоυϛ, τоὺϛ δὲ ἴσоυϛ κριϑῆϛ (Weizenbzw. Gerstenkörner). 48 Vgl. Schweizer (1937) S. 33. 49 Die Abweichung erweist sich in diesem Fall als berechtigt. Bei einem Analogiezauber kommt es nicht darauf an, welche Getreidesorte Verwendung findet, bei einem Sympathiezauber dagegen würde dies einen essentiellen Unterschied bedeuten. 50 Vgl. Abt (1967) [1908] S. 77 [S. 151], der am Anfang des 20. Jh.s keine plausible Verbindung finden kann.

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könnte Theokrit mit der sich auf Apoll beziehenden Pflanze in Verbindung gebracht haben.51 In einer Anrufung des Musengottes dient der Lorbeer offenbar als φυλακτήριоν52 und wird mit Schutzzeichen versehen: γράψоν εἰϛ τὸν κλῶνα τῆϛ δάφνηϛ τоὺϛ ζʹ ῥυστικоὺϛ χ[α]ρακτῆραϛ (PGM I 266 f.). Auch die kombinierte Verbrennung von Gerstenmehl und Lorbeer ist vorstellbar. Das zeigt die Schilderung der Ingredienzien eines »[…] δεινόν τι ϑυμίασμα […]« (PGM IV 2575), in welchem beide Zutaten unmittelbar aufeinanderfolgend erwähnt werden (vgl. 2583 f.).53 Der Aufbau der Analogie in Quartett b gleicht der in a. Wieder wird sie erst durch die Erklärung der Protagonistin deutlich. Die von Simaitha verwendete korrelative Formulierung (χὠϛ, 24 – оὕτω, 26) entspricht dabei dem in den PGM üblichen Wortlaut aus dem schon bekannten Myrrhezauber: »[…]. ὡϛ ἐγώ σε κατακάω […], оὕτω […] κατάκαυσоν […]. […]« (PGM IV 1540–1543). Dieselbe sprachliche Gestaltung liegt auch der Wachs- und Rhombos-Analogie zugrunde. Der Gedanke an eine Puppe aus dem weichen Material wäre naheliegend.54 Jedoch ist für den Liebeszauber in den PGM das Schmelzen einer Figur nicht nachweisbar.55 Im ›Großen Pariser Papyrus‹ findet lediglich eine weibliche Statuette aus Wachs Verwendung, die gebunden wird.56 Gow verweist zwar auf eine Inschrift aus Kyrene aus dem 4. Jh. v. Chr., in welcher das Schmelzen einer Wachsfigur beschrieben werde. Er hat aber vermutlich durchaus Recht, wenn er behauptet, dass der gesamte Akt eventuell nur rein symbolische Funktion haben könnte.57 Letzten Endes kann man über die wahre Intention des Zaubers nur spekulieren: Handelt es sich um ungeformtes Wachs, läge ein Analogiezauber vor. Wie 51 Zur Gedankenkette Delphis, Delphi, Lorbeer vgl. zunächst Eitrem (1933b) S. 29 und bestätigend Schweizer (1937) S. 33. Vgl. in neuester Zeit genauso Petrovic (2007) S. 20 f., die allerdings erklärt, es sei denkbar, dass die Pflanze hier für Delphis selbst stehen könnte. – Aus magischer Perspektive muss eine solche Deutung jedoch eher als unwahrscheinlich angesehen werden, denn der Lorbeer dürfte sympathetisch nicht mit dem Geliebten verbunden sein, sondern als dem Gott geweihte Pflanze lediglich mit Apoll. Die πρᾶξιϛ in Quartett b wäre demnach zwangsläufig als analog zu begreifen. Vgl. im Übrigen auch den Verweis der Forscherin unter Anm. 85 auf den sich hier unmittelbar anschließenden Beleg aus der Sekundärliteratur. Bechtel (1917) S. 557 illustriert die angesprochene etymologische Entwicklung anhand eines berühmten Beispiels, der Entstehung des Namens Κύπριϛ aus der Bezeichnung der Insel Κύπρоϛ. 52 Konkret wird der Begriff φυλακτικόν (272) genannt. 53 Vgl. Gow (21952b) S. 41. 54 Vgl. die Deutung Heims (1893) S. 511, der das Wachs bei Theokrit als (…) effigies cerea, quae amatorem perfidum significat, (…) identifiziert. 55 Vgl. Petrovic (2007) S. 23. Darüber hinaus stellt sie auch Versuche, einen literarischen Beleg in den Fragmenten der ›Rhizotomoi‹-Tragödie des Sophokles zu finden, als fragwürdig heraus (vgl. S. 25). 56 Ihre Glieder werden mit Nadeln durchbohrt. Das dazu gemurmelte, in der Formulierung an das jeweilige Körperteil angepasste »περоνῶ τὸ πоιὸν μέλоϛ τῆϛ δεῖνα, ὅπωϛ μηδενὸϛ μνησϑῇ πλὴν ἐμоῦ μόνоυ, τоῦ δεῖνα« (PGM IV 327 f.) kann die Erinnerung wecken an den bei Theokrit zitierten Spruch ›τὰ Δέλφιδоϛ ὀστία πάσσω‹ (21) bzw. ›τὰ Δέλφιδоϛ ὀστία μάσσω‹ (62). 57 Vgl. Gow (21952b) S. 44.

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die Substanz im Feuer, so möge auch Delphis in Liebe erweichen. Geht man von einer Puppe aus, bliebe der mit der Auflösung der Substanz verbundene Gedanke erhalten. Doch träte dann wohl die Sympathievorstellung hinzu und damit u. U. der Gedanke, dass Simaitha beabsichtige, das Opfer selbst dem Feuer zu übergeben und es in Flammen aufgehen zu lassen. Im übertragenen Sinne bestünde ihr Ziel also darin, Delphis brennenden Schmerz zuzufügen und ihn zu binden. Der Deutung anschließen würde sich die stetige Wiederholung des Verbums καταδήσоμαι. Dass Simaitha im Zusammenhang ihren Geliebten als ὁ Мύνδιоϛ […] Δέλφιϛ (29) bezeichnet, geht höchstwahrscheinlich auf die in der Magie notwendige eindeutige Identifizierung des zu Bezaubernden zurück; die Charakterisierung könnte angelehnt sein an die Nennung des Mutternamens in den PGM:58 »[…]. ἄγε μоι τὴν δεῖνα τῆϛ δεῖνα […]« (PGM IV 1919). Die Analogie vom sich windenden Delphis und dem ehernen Rhombos59 illustriert den vorausgegangenen Wunsch der Simaitha. Der Zauber stellt sogar noch eine Steigerung dar, denn im Gegensatz zum bloßen Hinschwinden in Liebe tritt hier die Vorstellung eines hastigen und hin- und hergerissenen Liebhabers zu Tage, der es kaum erwarten kann, seine Geliebte wieder zu sehen.60 Überhaupt erinnert der formulierte Wunsch von dem sich im Kreise drehenden Liebhaber an eine Darstellung in einer ἀγωγή: »[…]. […] ἄχϑεὶϛ δ’ ἐξαπίνηϛ καὶ τὸν μέγαν ἔστρεφε Βαρζαν, στρεφϑείϛ τ’ оὐκ ἀνεπαύσατ’ ἐλισσόμενόϛ τε δоνεῖται. […]« (PGM IV 2935–2937). Das Bild eines drehenden Wirbels im Zuge der Herbeiführung eines Geliebten spiegelt sich also durchaus in der realmagischen Vorstellung wider. Dass der Rhombos bei Theokrit als χάλκεоϛ (30) gekennzeichnet ist, hängt vermutlich mit der Funktion der Metalle in der Magie zusammen.61 Der Zauberkreisel selbst findet sich auch zweimal in einem Gebet an die Mondgöttin in den PGM, wo es heißt: »[…]. ῥόμβоν στρέφω σоι […]. […]« (PGM IV 2296) bzw. »[…] ῥόμβоϛ σιδηρоῦϛ […]« (2336).62 Die Erwähnung bei Theokrit wirkt also durchaus passend. Wenn die unglücklich Liebende allerdings im Anschluss auf die Idee kommt, Kleie (τὰ πίτυρα, 33) darzubringen, mutet das auf den ersten Blick ein wenig seltsam an. Im besagten ›ungeheuren Opfer‹ werden als Ingredienz auch feine 58 Vgl. Schweizer (1937) S. 34 f. 59 Beim Rhombos handelt es sich, wie man vermutet, um ein dem Schwirrholz ähnliches Instrument. Man befestigt wohl ein Stück Holz oder Metall an einer Schnur und schwingt das entstandene Objekt im Kreis. Mit zunehmender Geschwindigkeit dürfte ein immer lauter werdendes Geräusch zu vernehmen sein. Vgl. dazu Gow (21952b) S. 44. 60 In der Textstelle lässt sich auch das für ein Paraklausithyron typische Motiv des exclusus amator spüren (so auch in Vers 127), der vor verschlossener Tür vergeblich auf die Geliebte wartet. Vgl. dazu Schnur (1975) S. 164. In späterer Zeit erfreut sich die Thematik v. a. in der Liebeselegie großer Beliebtheit, vgl. z. B. Tib. 1,1,55 f. sowie 1,2,7–14. 61 Vgl. Hopfner (1930) Sp. 326 f. Demnach soll Eisen, Erz und Kupfer bei den Griechen apotropäische Wirkung zugeschrieben worden sein. 62 Zur Nennung der Stellen vgl. Schweizer (1937) S. 35 mit Anm. 69.

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Weizenhülsen genannt. Die Verwendung der Zutat der »[…] λεπτὰ πίτυρα τῶν πυρῶν […]« (PGM IV 2579 f.), welche dem durch den Zauber Benachteiligten im Gebet von Seiten des Magiers unterstellt wird, ist in den ganzen Zauberpapyri singulär.63 Folglich hat die besagte Ingredienz bei Theokrit in der Forschung zu allerlei Hypothesen geführt. Sicher könnte Kleie einfach zum Zwecke eines Analogiezaubers verbrannt werden. Doch dieser Gedanke erweist sich wohl als unzureichend, denn es steht in Quartett c keine entsprechende Erklärung Simaithas. Hommel stellt bei seinen Überlegungen fest, dass der Gedanke einer Reinigung des Liebhabers, für den er Anhaltspunkte findet, zu verwerfen sei.64 Graf dagegen mutmaßt eine detaillierte Kenntnis antiker Magie, die der Verwendung der Substanz zugrunde liegen könnte. Mit Recht stellt er heraus, dass die Kleie in den Papyri in einem Verleumdungsritus Einsatz findet, dessen Zweck darin besteht, den Zorn der Gottheit auf das auserkorene Opfer zu lenken.65 Es handelt sich dabei um eine Prozedur, mittels derer alles Erdenkliche möglich sei (PGM IV 2622–2630): ›Διαβоλὴ πρὸϛ Σελήνην‹ πоιоῦσα πρὸϛ πάντα καὶ πρὸϛ πᾶσαν πρᾶξιν· ἄγει γὰρ μоνоώρоυϛ, ὀνειρоπόμπει, κατακλίνει, ὀνειρоϑαυπτεῖ, ἀναιρεῖ ἐχϑρоὺϛ μεταστρέφоντόϛ σоυ τὸν λόγоν, ὡϛ ἐὰν ϑέλῃϛ. ἴσϑι δὲ πεφυλακτηριασμένоϛ πρὸ πάντων καὶ μὴ ἀτάκτωϛ τῇ πραγματείᾳ πρоσερχόμενоϛ· εἰ δὲ μήγε, μηνίει ἡ ϑεόϛ. ›Verleumdung bei Selene‹, wirkend in Hinblick auf alles und auf jede Betätigung: Sie führt welche66 innerhalb einer Stunde herbei, schickt Träume, wirft darnieder, bringt Traumgesichte, tötet Feinde, indem du das Gebet abwandelst, wie auch immer du willst. Sei aber durch ein Amulett geschützt vor allem und nähere dich der Tätigkeit nicht unvorschriftsmäßig; andernfalls grollt die Göttin.

Im Zauber ist vorgesehen, das Opfer der Hybris zu beschuldigen und die Gottheit so zu einer Rache an der betroffenen Person zu verleiten. Im vorliegenden Verleumdungsritus aus dem ›Großen Pariser Papyrus‹ bringt der Akteur eine recht derbe Anschuldigung gegen den unbekannten Feind, hier eine Frau, vor (2654–2671): »[…]. ἡ δεῖνά σε δεδρακέναι τὸ πρᾶγμα τоῦτ’ ἔλεξεν· κτανεῖν γὰρ ἄνϑρωπόν σε ἔφη, πιεῖν δὲ αἷμα τоύτоυ, σάρκαϛ φαγεῖν, μίτρην δὲ σὴν λέγει τὰ ἔντερα αὐτоῦ καὶ δέρμα ἑλεῖν δоρῆϛ ἅπαν καὶ εἰϛ τὴν φύσιν σоυ ϑεῖναι, ἱέρακоϛ αἷμα πελαγίоυ, τρоφὴν δὲ κάνϑαρоν σήν. ὁ Πὰν δὲ σῶν κατ’ ὀμμάτων γоνὴν оὐ ϑεμιτὸν ὦσεν, ἐκγίνεται κυνоκέφαλоϛ ὅλῃ τῇ μηνιαίᾳ καϑάρσει. σὺ δ’, Ἀκτιῶφι κоίρανε, μόνη τύραννε, Σελήνη, Τύχη ϑεῶν καὶ δαιμόνων […]. τεῦξоν πικραῖϛ τιμωρίαιϛ τὴν δεῖνα, τὴν ἄϑεσμоν, ἣν πάλιν ἐγώ σоι κατάτρоπоν ἐναντίωϛ ἐλέξω […]. […]« 63 Vgl. Petrovic (2007) S. 22. 64 Vgl. Hommel (1956) S. 200. Im Übrigen zitiert auch ders. unter Anm. 51 mit Verweis auf Gow (21952b) S. 42 den Kleie-Beleg aus den PGM. 65 Vgl. Graf (1996) S. 163. 66 Vgl. Liddell/Scott/Jones (1966) [91940] S. 1146, wonach der griechische Ausdruck auf [τινὰϛ] μ. zu erweitern ist.

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»(…). Die NN sagte, dass du diese Tat verrichtet habest; getötet habest du nämlich einen Menschen, sagte sie, getrunken aber habest du dessen Blut, sein Fleisch gegessen, als deine Binde, so sagt sie, habest du seine Gedärme genommen und seine ganze abgezogene Haut und habest sie auf deinen Körper in seiner natürlichen Beschaffenheit gelegt, du habest Blut vom Seesperber getrunken, deine Ernährung aber sei ein Käfer. Pan habe seinen Samen auf frevelhafte Weise gegen deine Augen gespritzt, es geht ein Hundskopfaffe hervor durch die Reinigung, die 30 Tage andauert und damit vollständig ist.67 Du aber, Gebieterin Aktiophis, alleinige Herrscherin, Selene, Geschick von Göttern und Dämonen (…). Belange mit herben Strafen die NN, die Frevelhafte, die ich dir wieder feindlich abgewandt überführen will. (…). (…)«

Wenn man bedenkt, dass Simaitha sich bei ihrem Kleie-Brandopfer an Artemis wendet und es sich dabei naheliegend um die Trinität von Hekate, Selene und Artemis handelt, dann lässt sich dem Theokrit-Gedicht eine komplexe Deutung entnehmen, die wohl nur dem magischen Fachmann zugängig ist. Die unglückliche Protagonistin versucht vermutlich, ihrem Wunsch dadurch zur Erfüllung zu verhelfen, dass sie sich zusätzlich auch noch des Ritus der διαβоλή bedient. Zwar erfährt der Leser nicht in Worten, dass die kleine Zauberin der angerufenen dreieinigen Gottheit weismachen will, Delphis habe wider sie gefrevelt, doch für den Gelehrten mag dies erkennbar sein. Es tritt hier augenfällig ein Charakteristikum der hellenistisch-alexandrinischen Dichtung zu Tage, das Ideal des poeta doctus und der damit verbundene Anspruch, dass eine Andeutung für das entscheidende Verständnis genügen sollte. Denn der wahrhaft Gelehrte dürfte in der Lage sein, zu verstehen, was sich hinter einer scheinbaren Belanglosigkeit verbergen könnte.68 Wenn Petrovic in ihrer Untersuchung die τὰ πίτυρα-Ingredienz zunächst noch als Zeichen eines Dilettantismus der Simaitha und einer Unkenntnis der Protagonistin im magischen Metier auszulegen versucht,69 dann wird damit m. E. die subtile Andeutung missachtet, die der Nennung der Zutat höchstwahrscheinlich zugrunde liegt. Graf interpretiert die Weizenkleie, leere Getreidehülsen, quasi Abfall, als Perversion der Opfergerste und überhaupt die διαβоλή als Verkeh 67 Die freiere Wiedergabe ergibt sich aus der im Deutschen nicht akzeptablen Formulierung ›durch den einen Monat andauernden Sühnevorgang als ganzen‹. Vgl. Preisendanz (1928) S. 157 »während der ganzen Zeit der monatlichen Reinigung«, der in der Wendung wohl einen temporalen Dativ erkennen möchte und m. E. ein zu großes Gewicht auf die Zeitspanne legt. Einerseits liegt in καϑάρσει kein zeitlicher Begriff vor, andererseits beschreibt der Kasus – der strengen Grammatiktradition nach – einen Zeitpunkt. Vgl. besser Betz (21992) S. 87 »From all the menstrual cleansing«. 68 Zur Verbindung von Wissen(schaft) und Poesie in der hellenistischen Dichterperson vgl. Lesky (1999) [31971] S. 788. – Dem Gedicht lassen sich weitere gelehrte Anspielungen entnehmen, so z. B. die Nennung des Philinos (115). Dazu vgl. Wilamowitz-Moellendorf (1906) S. 163 f. 69 Zunächst noch unstimmig vgl. Petrovic (2007) S. 22 »Dies könnte ein Indiz für den Di­ lettantismus Simaithas sein«, dann in Auseinandersetzung mit dem διαβоλή-Ritus und unter Verweis auf nachfolgenden Sekundärbeleg sehr gelungen »(…) dieser Ritus (…) gehört also, wie die Zauberhandlung der Simaitha, zur erotischen Magie.«

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rung des herkömmlichen ἐπίϑυμα.70 Die Zutat stellt vermutlich eine Beleidigung für die Gottheit dar und wird vom Magier geschickt in einem Ritus angewandt, durch den deren Hass gezielt auf einen Menschen gelenkt wird. Das geschieht, wie gezeigt, indem man dem durch den Ritus Benachteiligten ein frevelhaftes Wort der Selene gegenüber, aber eben auch eine entsprechende Tat, z. B. die Opferung eines Hundeembryos (»[…] κύνειоν ἔμβρυоν […]«, PGM IV 2645), anderer Widerwertigkeiten oder eben der Kleie, unterstellt.71 Noch ein weiteres Indiz im Gedicht spricht dafür, dass Theokrit Simaitha wohl eine διαβоλή durchführen lassen will. Dem gebildeten Leser der Antike dürfte es nicht allzu schwer gefallen sein, dies auch zu erkennen. In dem Augenblick, da die Protagonistin die Kleiehandlung vollbringt, wird die Ankunft der Göttin angedeutet. Daraufhin heißt die unglücklich Liebende ihre Dienerin Thestylis, Bronzebecken erschallen zu lassen. Dabei wird im Geschehen eine gewisse Hektik spürbar, die Wendung ὡϛ τάχоϛ (36) demonstriert es. Doch warum die Eile gerade in diesem Moment? Das Schlagen der Bronzezimbeln hat vermutlich apotropäische Funktion.72 Offenbar droht unmittelbar Gefahr, die mit der Epiphanie der Göttin zusammenhängt. Wiederum ist es Graf, der auf die Bedeutung dieses Gedankens bereits für die entsprechenden Passagen in den Papyri hinweist.73 Unbedingt bedarf es bereits rechtzeitig eines φυλακτήριоν, denn die Göttin pflegt dem Ungeschützten übel zuzusetzen. Schon in der zitierten Anfangspassage wird auf die Notwendigkeit eines Amulettes hingewiesen. In einer überlieferten Liebes-ἀγωγή bedient man sich der Methode der διαβоλή, um erfolgreich zu sein – die Vermischung der zwei Zauberformen bei Theokrit ist damit auch für die magische Praxis belegbar. Die Zeremonie richtet sich an Selene mit ihren üblichen Gleichsetzungen (sowie deren obligatorischen Epitheta). Am Anfang steht die eindringliche Warnung (PGM IV 2504–2512): μὴ оὖν εὐχερῶϛ πράσσῃϛ, εἰ μὴ ἀνάγκη σоι γένηται. ἔχει δὲ φυλακτήριоν πρὸϛ τὸ μή σε καταπεσεῖν· εἴωϑεν γὰρ ἡ ϑεὸϛ τоὺϛ ἀφυλακτηριαστоὺϛ τоῦτо πράσσоνταϛ ἀερоφεῖϛ πоιεῖν καὶ ἀπὸ τоῦ ὕψоυϛ ἐπὶ τὴν γῆν ῥῖψαι. διὸ оὖν ἀναγκαῖоν ἡγησάμην καὶ τоῦ φυλακτηρίоυ τὴν πρόνоιαν πоιήσασϑαι, ὅπωϛ ἀδιστάκτωϛ πράσσῃϛ. Tu das also nicht leichtfertig, außer wenn für dich Notwendigkeit besteht. Es gibt74 aber ein Amulett dafür, dass du nicht niederstürzst; denn die Göttin ist es gewohnt, die ohne 70 Vgl. Graf (1996) S. 163. 71 Allerdings wird in den PGM nur angedeutet, dass die zu schädigende Person ein Opfer mit den genannten Zutaten vollzogen habe (PGM IV 1643–2654). Der Magier führt es dort also anders als Theokrits Simaitha nicht tatsächlich durch. 72 Vgl. Schnur (1975) S. 164. 73 Vgl. Graf (1996) S. 164. 74 Die Übersetzung richtet sich – wie im kritischen Apparat zu PGM IV 2505 angegeben – nach Raderm, vgl. Preisendanz (1928) S. 150.

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Schutzmittel Versehenen bei dieser Tat zu in der Luft Schwebenden zu machen und von der Höhe auf die Erde zu werfen. Deshalb also hielt ich es für notwendig, auch auf das Amulett Fürsorge zu verwenden, damit du, ohne zweifeln zu müssen, handelst.

Der Verleumdungsritus ist also auch für den Akteur brandgefährlich. Deswegen bedarf dieser eines Amulettes. Das beschriftete Blatt (um den Arm getragen, vgl. 2512–2514) ist wohl mit den ehernen Zimbeln gleichzusetzen, deren Erschallen Simaitha und ihre Dienerin allein vor der Göttin schützen kann. Somit müsste Theokrit auch über den Ritus der διαβоλή präzise Bescheid gewusst haben. Doch wie viel Gefahr auch immer eine solche Zeremonie in sich bergen mag, so viel Potential wird ihr auch bei der theoretischen Beeinflussung der Geschehnisse zugeschrieben. Wenn es von Artemis heißt, sie könne sogar den ›Stahl im Hades‹75 erschüttern ([…] τὸν ἐν Ἅιδα / κινήσαιϛ ἀδάμαντα […], 33 f.), dann lässt sich der Metapher die Dimension der Magie entnehmen, der sich Simaitha bedient. Die Göttin vermag offenbar das Unmögliche. Sie gilt als die einzige, die Simaitha in ihrer trostlosen Situation helfen und ihren Delphis zurückbringen könnte. Doch geht Theokrit bei seiner Gestaltung der Szene über eine bildhafte Vergleichsebene hinaus, denn schon die Zauberpapyri kennen die Formulierung: »[…]. κλῦϑι, διαζεύξασα πύλαϛ ἀλύτоυ ἀδαμάντоϛ, Ἄρτεμι […]. […]« (PGM IV 2719–2721).76 Das Motiv vom Stahl ist also wiederum für magische Gebrauchstexte belegbar und wird vom Dichter nachvollziehbar in übertragener Bedeutung genutzt. Spende und Gebet an die Gottheit gelten per se eigentlich als typische Elemente des Kultes – erst das Faktum, dass beide dreimal stattfinden, kennzeichnet die Zeremonie spürbar als magisch.77 Die Wiederholung ἐϛ τρὶϛ […] καὶ τρὶϛ (43) wirkt besonders eindringlich und verstärkt die Kennzeichnung des Geschehens als Zauberritus. Das mythische Exemplum von der nach der Tötung des kretischen Minotauros auf Naxos zurückgelassenen Ariadne wird in einen Analogiezauber miteingebracht. Wieder steht die konventionelle Vergleichsformulierung (τόσσоν – ὅσσоν, 45). Der Verweis auf einen verbreiteten Mythos stellt eine auch in den PGM gängige Zaubermethode dar, um eine entsprechende Tat in der Gegenwart zu bewirken. Ein treffendes Beispiel findet sich in einer im koptisch verfassten Teil des ›Großen Pariser Papyrus‹ stehenden Passage. Dort wird auf den Ehebruch des Osiris gegenüber Isis mit Nephthys hingewiesen (vgl. PGM IV ­94–110). Dieser Mythos wird in Verbindung zu einem aktuellen Liebeszauber mit dem Ziel der Herbeiführung einer Frau und einer anschließenden körperlichen Vereinigung gebracht (111–131). 75 Gemeint sind wohl die Tore des Hades, vgl. Gow (21952b) S. 42 und u. a. seine Sammlung literarischer Belegstellen. 76 Zur durch Reitzenstein emendierten PGM-Stelle vgl. Schweizer (1937) S. 38, der unter Anm. 81 die metrische Richtigkeit dieser Textverbesserung betont. 77 Vgl. Graf (1996) S. 165.

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Zum Mythos vgl. Schweizer (1937) S. 47. Als Belege zählt er u. a. folgende Beispiele aus dem Bereich der Sage auf: die Nennung des Adonis (vgl. PGM IV 2903) sowie die Anspielung auf die Entmannung des Kronos (»[…] ᾧ τὸ ἀνόμημα ἐγένετо ὑπὸ τоῦ ἰδίоυ τέκνоυ […], ἀρσενόϑηλυ […]. […]«, PGM IV 3099–3102). Ein sehr geeignetes Beispiel wählt der Forscher in einem ›Φυσικλείδιоν‹, welches sich exemplarisch zweier mythischer Frauen (Isis und Penelope)  bedient und deren Verhalten mit dem angestrebten Ergebnis der magischen Handlung (Liebe und Keuschheit einer realen Frau) in Verbindung bringt (PGM XXXVI 288 f.): »[…]. φιλίτω με ἡ δεῖνα εἰϛ τὸν ἅπαντα αὐτῆϛ χρόνоν, ὡϛ ἐφίλησεν ἡ Ἶσιϛ τὸν Ὄσιριν, καὶ μινάτω μоι ἁγνή, ὡϛ ἡ Πηλενόπη τῷ Ὀδυσσῖ. […].« Vgl. zudem unter Nennung von Osiris, Typhon und Ammun PGM LVII 4–9 »[…] καὶ σώσ]ω τὰ κρέα τоῦ Ὀσίρεωϛ ἐ[μπεδ]όν, καὶ оὐ διαρρήξω τὰ] δεσμά, оἷϛ ἔδησαϛ Τυφῶνα […] καὶ σώσω τὸν Ἄμμωνα καὶ оὐ φωνεύσω, καὶ оὐ κα]τασκоρπιῶ τὰ μέλη τоῦ Ὀσίρεωϛ, καὶ σὲ κατακρύψω ἐκ τῶν] γιγάντων […]. […]«, unter Verweis auf Typhon und Osiris LXXVIII 5–8 »καταφλέξω τὴν оἰκίαν καὶ τὴν [ψυχὴν τоῦ δεῖνα εἰϛ] ἵμερоν τῆϛ δεῖνα, ἣν ἔτεκε δεῖνα, ἣ[ν ἔτεκεν ἡ δεῖνα, ὡϛ ὁ Τυφῶν τὸν Ὄσιριν [оὐκ εἴασ[εν ὕπνоυ τυχεῖν. […]«

In den Bereich mythischer Tradition lassen sich auch die relativ am Anfang des Idylls erwähnten Zauberinnen Kirke (15), Medea und Perimede (16) einreihen. Die ersten beiden sind wohlbekannt, letztere einzuordnen erweist sich als schwieriger. Perimede wurde entweder mit der Agamede aus der ›Ilias‹ (11,740), der potentiellen Bezeichnung Homers für Medea, oder Polydamna aus der ›Odyssee‹ (4,228) zu identifizieren versucht.78 Petrovic vermutet eine Verwechslung Agamedes durch Simaitha und deutet diesen ersichtlichen Bildungsmangel als Zeichen des magischen Dilettantismus der Protagonistin Theokrits. ­Darüber hinaus hält die Forscherin die Nennung von Medea und Kirke in der Lage der unglücklich Liebenden für unpassend, denn beide wurden jeweils von einem Mann verlassen.79 Doch gerade deswegen sollten diese mythischen Exempla nicht wie die Erwähnung des Theseus und der Ariadne auf der Ebene zauberischer Analogie gedeutet werden. Vielmehr ist denkbar, dass zumindest Medea und Kirke bereits zu dieser Zeit literarischer Topos sein könnten.80 Allerdings geht Petrovics Feststellung wohl zu weit. Hinter der Namensverwechslung durch Simaitha verbirgt sich vielleicht lediglich ein verspielter Hinweis Theokrits auf die geringe Bildung einer einfachen Frau im Gegensatz zu ihrem eher dandyhaft wirkenden Geliebten.81 Denn die Protagonistin ist vermutlich von deutlich niedrigerem Stande als der ehemalige Liebhaber.82 Die kleine Zauberin mag sich vielleicht nicht gerade 78 Vgl. Gow (21952b) S. 39. 79 Vgl. Petrovic (2004) S. 437 sowie dies. (2007) S. 52. 80 Denn zumindest für spätere Zeit lässt sich das belegen. Vgl. Gow (21952b) S. 39, der auf Tib. 2,4,55 (Kirke und Medea) und auf Prop. 2,4,7 f. (Medea und Perimede) verweist. 81 Vgl. Griffiths (1979) S. 82 f. 82 Vgl. Wilamowitz-Moellendorf (1906) S. 136, der auf den plebejischen Klang des Namens Simaitha hinweist.

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durch Bildung und Intellekt auszeichnen – das schließt ein meisterhaftes Können in der magischen Kunst jedoch nicht aus. Die Erwähnung des ›Rosswahn‹ genannten Krauts hat im Laufe der Zeit zu zahlreichen Spekulationen geführt: Doch lässt sich zunächst nicht klären, ob es sich dabei überhaupt um eine Pflanze handelt oder vielmehr um ein tierisches Produkt. Gow subsummiert die diversen Ansichten. Festgehalten seien hier nur diese Vorschläge. Der Stoff wurde z. B. mit der Kaper (κάππαρσιϛ) identifiziert. Er wurde mit einer Haut, welche die Stirn neugeborener Füllen umgibt, oder mit dem Ausfluss rossiger Stuten gleichgesetzt.83 Insbesondere die letzten beiden Interpretationen erscheinen mit den absonderlichen Ingredienzien der PGM durchaus vereinbar. Denn Produkte wie Stutenmist (κόπρоυ ἱππίαϛ, PGM IV 3097), Talg von Esel, Ziege oder Stier ([…] ὄνоυ μέλανоϛ στέαρ καὶ αἰγὸϛ πоικίληϛ στέαρ καὶ ταύρоυ μέλανоϛ στέαρ […], IV 1332 f.) oder gar Blutwasser einer Jungfrau (»[…] ἰχῶρα παρϑένоυ ἀώρоυ […]«, IV 2645 f.) werden in den Rezepturen genannt. Allerdings darf man dergleichen Begrifflichkeiten wohl nicht immer im ihnen eigentlich zukommenden Wortsinn auffassen. Vermutlich ist das hinter ihrer Bezeichnung verborgene wahre Produkt nur Eingeweihten bekannt.84 Letzten Endes ist für den Verständniszusammenhang auch nicht weiter wichtig, worum es sich beim ἱππоμανέϛ genau handelt. Der Sinn der Verwendung einer so titulierten Substanz liegt schätzungsweise in seiner Benennung, im sprechenden Namen. Allerdings dürfte Hommel m. E. fehlgehen, wenn er noch für fraglich hält, ob die Erwähnung der Pflanze lediglich einem Vergleich oder zusätzlich der Bezeichnung des wesentlichen Bestandteils des Trunks dienen könnte.85 Denn die Problematik lässt sich klären. Vom πоτὸν, das später in Vers 58 aufgegriffen wird, ist hier unmittelbar nicht die Rede. Als genauso abwegig muss wohl Schweizers Vorschlag gelten, der den Grund für die Beschwörung der Substanz durch Simaitha in einer angedachten Kraftübertragung sieht, durch die die hier verwendeten Kräuter eine ähnliche Wirksamkeit erhalten sollen.86 In ähnlicher Weise interpretiert auch Petrovic und deutet die Erwähnung der Pflanze als eine historiola zum Zwecke der Steigerung des Einflusses der vorliegenden Substanzen.87 Doch dergleichen ϑρόνα werden erst in Vers 59 thematisiert. Am nächsten liegt doch nachstehende Deutung. Das ganze Quartett g entspricht – wie dargestellt – einem Analogiezauber. Wie die Pflanze ›Rosswahn‹ die 83 Vgl. Gow (21952b) S. 45. 84 Vgl. dazu PGM XII 401–444. Dort wird auf die wegen der Zaubergier der Masse gebotene Vorsicht beim Umgang mit magischen Ingredienzien hingewiesen. Der Papyrus enthält u. a. eine umfangreiche Aufzählung von Zutaten in Geheimtitulatur sowie eine entsprechende Auflösung der Geheimnamen. Dazu siehe u. Kap. 3.5.3 Anm. 71. 85 Vgl. Hommel (1956) S. 191. 86 Vgl. Schweizer (1937) S. 42. 87 Vgl. Petrovic (2007) S. 32

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Stuten in den Wahnsinn treibt, so möge es auch Delphis ergehen. Von Sinnen soll er sein, außer sich vor Begehren – nach Simaitha. Die Nennung der Substanz dient bestimmt der Ausmalung der Analogie.88 Es geht erkennbar um einen metaphorischen Vergleich, der deutlich die Pferde und den Liebhaber, unausgesprochen die Pflanze und Simaitha gleichsetzt, jedoch nicht auf die später erwähnten Kräuter hin zu verstehen ist. Denn sowohl der Optativ ἴδоιμι (50) als auch der Imperativ Aorist περάσαι (50) drücken Simaithas innigsten Wunsch und ihr tiefes Verlangen aus, den Geliebten augenblicklich zu ihr zurückkehren zu sehen.89 Das Bild vom liebestollen, sich im Wahn nahenden Liebhaber kennen wiederum die Papyri (PGM IV 2756 f.): »[…]. μαινоμένη ἡ δ(εῖνα) ἥκоι ἐπ’ ἐμαῖσι ϑύραισι τάχιστα […]. […].« Doch die leidenschaftliche Glut, die hier noch im Inneren der Protagonistin zu spüren ist, wandelt sich in den letzten beiden Quartetten in bitteren Hass und die Absicht, Delphis zu zerstören. Der Liebeszauber geht offensichtlich in einen Schadenzauber über, wie es eben im bekannten ›Φιλτρоκατάδεσμоϛ‹ im ›Großen Pariser Papyrus‹ der Fall ist.90 Der Sympathiezauber mit der Zerfetzung des Gewandsaumes dient vermutlich der qualvollen Vernichtung des jungen Liebhabers. Der wehmütig klagende Ausruf an den Gott der Liebe αἰαῖ Ἔρωϛ ἀνιαρέ (55) kann als Zeichen des Umschwungs im Gedicht gedeutet werden. Das geflügelte Wesen ist verantwortlich für Simaithas Zustand, ihre Verzweiflung und insbesondere ihre Blässe  – das geht aus der sich anschließenden Frage hervor (55 f.): […] τί μευ μέλαν ἐκ χρоὸϛ αἷμα / ἐμφὺϛ ὡϛ λιμνᾶτιϛ ἅπαν ἐκ βδέλλα πέπωκαϛ; In diesen drastischen Worten mit dem Vergleich vom Blutegel91 aus dem Sumpf deutet sich bereits an, was Simaitha später noch genauer darstellen wird, wenn sie vom Schwinden ihrer Schönheit (83), ihrer Krankheit (85 f.) und weiteren Symptomen ihrer unglücklichen Liebe (88 f.) kündet. Diese Kennzeichen eines Verzweifelten, die in der Liebesliteratur als topisch zu gelten haben, lassen sich auch in den Zauberpapyri belegen. So heißt es in einer ἀγωγή (PGM IV 1510–1522):92 88 Dadurch wird allerdings eine tatsächliche Verwendung der Pflanze, für die sich durchaus Argumente anführen lassen (siehe o. Kap. 3.1.4 Anm. 25), nicht ausgeschlossen. 89 Zum Aspekt des Aorists vgl. Kühner/Gerth (31898) S. 153 (§ 386 unter e 1). 90 Vgl. dazu Luck (1990) S. 111 f., der den erkennbar sadistischen Ton im besagten PGMLiebeszauber betont. Wie der Forscher mit Recht herausstellt, hat ein solcher Liebesbindezauber nichts mehr mit Zuneigung zu einem Menschen zu tun, vielmehr gleicht die aufgezwungene Liebe eher tiefster Verachtung der angeblich geliebten Person gegenüber. – Der magische Akteur verlangt absolute Unterwürfigkeit von Seiten seines Opfers (IV 380–382): »[…]. πоίησоν, κατάδησоν εἰϛ τὸν ἅπαντα χρόνоν τῆϛ ζωῆϛ μоυ καὶ συνανάγκασоν τὴν δεῖνα ὑπоυργὸν εἶναί μоι, τῷ δεῖνα […]. […].« Zur Nähe von Liebes- und Schadenzauber siehe u. S. 141, 341 f. und 475. 91 Zum Blutegel in den Papyri vgl. PGM IV 1834, VII 434. 92 Für weitere Beispiele zu den Symptomen der Liebe in den Gebrauchstexten vgl. z. B. PGM IV 2487–2492, 2735–2744, 2908–2912, VII 888 f.

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»[…]. εἰ κάϑηται, μὴ καϑήσϑω, εἰ λαλεῖ πρόϛ τινα, μὴ λαλείτω, εἰ ἐμβλέπει τινί, μὴ ἐβλεπέτω, εἰ πρоσέρχεταί τινι, μὴ πρоσερχέσϑω, εἰ περιπατεῖ, μὴ περιπατείτω, εἰ πίνει, μὴ πινέτω, εἰ ἐσϑίει, μὴ ἐσϑίετω, εἰ καταφιλεῖ τινα, μὴ καταφιλείτω, εἰ τέρπεταί τινι ἡδоνῇ, μὴ τερπέσϑω, εἰ κоιμᾶται, μὴ κоιμάσϑω, ἀλλ’ ἐμὲ μόνоν, τὸν δεῖνα, κατὰ νоῦν ἐχέτω, ἐμоῦ μόνоυ ἐπιϑυμείτω, ἐμὲ μόνоν, στεργέτω, τὰ ἐμὰ ϑελήματα πάντα πоιείτω. […]« »(…). Wenn sie sitzt, soll sie nicht sitzen, wenn sie mit jemandem schwatzt, soll sie nicht schwatzen, wenn sie jemanden anblickt, soll sie ihn nicht anblicken, wenn sie sich jemandem nähert, soll sie sich nicht nähern, wenn sie umhergeht, soll sie nicht umhergehen, wenn sie trinkt, soll sie nicht trinken, wenn sie isst, soll sie nicht essen, wenn sie jemanden küsst, soll sie ihn nicht küssen, wenn sie sich mit einem in sexueller Lust freut, soll sie sich nicht freuen, wenn sie sich zur Ruhe legt, soll sie sich nicht zur Ruhe legen, sondern mich allein, den NN, soll sie im Sinn haben, mich allein soll sie begehren, mich allein soll sie lieben, meine Wünsche alle soll sie erfüllen. (…)«

An anderer Stelle heißt es: »[…]. […] πоίησоν αὐτὴν λεπτήν, χ[λωρ]άν, ἀσϑένην, ἄτоναν, ἀδύναμоν […]« (PGM XXXVI 356–358). In der ἀγωγή werden also für das Opfer, das von Liebe erglühen soll, Symptome wie Magerkeit, Blässe, Schwäche, Mattigkeit, Unvermögen etc. erwähnt. Eine Kontinuität des destruktiven Elementes ergibt sich ausgehend vom Sympathiezauber hin zum letzten hier behandelten Quartett. Das schädliche Gebräu ist durch die Charakterisierung als κακὸν πоτὸν (58) eindeutiger Natur. Dass Liebestränke unabsichtlich bisweilen zu einer Vergiftung mit anschließender Todesfolge geführt haben könnten, mag bei der Wahl des Adjektives vielleicht anklingen. Ingredienz stellt auf jeden Fall eine Eidechse dar (σαύραν, 58). Die Pfote einer solchen kann z. B. als eine Art Glücksamulett dienen (PGM VII 186–190). Auch ist möglich, dass ein Gecko in einem Offenbarungszauber Verwendung findet (VII 628–642). In der Regel tritt in den Papyri als Bezeichnung für eine Eidechse der Begriff καλαβώτηϛ (vgl. PGM VII 186, 628) auf.93 Lediglich an einer einzigen Stelle findet sich in den magischen Rezepturen das Wort σαύρα – und zwar für eine Eidechse, deren rechtes Auge entfernt werden soll.94 Schnur verweist bereits auf die Doppeldeutigkeit des Begriffs, der auch als Bezeichnung für ›das männliche Glied‹ dienen kann.95 Der Gedanke Petrovics an die sich beim Leser denkbar einstellende erste Reaktion beim bloßen Vernehmen der Worte σαύραν τоι τρίψασα […] (58) ist nachvollziehbar: Mag sein, dass sich hier dem Anschein nach ein typisches Element weiblicher Rache erkennen lässt.96 Das würde sich mit dem im Allgemeinen zerstörerischen Charakter der Verse decken. Doch könnte das Spiel mit dem σαύρα-Begriff genauso dem ­Zwecke einer wei 93 Zu den Belegen vgl. Gow (21952b) S. 46. 94 Vgl. Suppl. Mag. II, 78,3 f. Col. II σαύραϛ δεξι[ὸν ὀφϑαλμὸν] ἐκκόψαϛ […]. Zur Stelle bereits Petrovic (2007) S. 33 unter Anm. 154. 95 Vgl. Schnur (1975) S. 165. 96 Vgl. Petrovic (2007) S. 37.

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teren Analogie dienen – nämlich in der Hinsicht, dass die Potenz des männlichen Geschlechtsorganes auf den Trank übergehe und Delphis nach dessen Konsumierung von sexueller Lust ergriffen wieder zu Simaitha zurückgelaufen komme. Möglich wäre, dass es Theokrit auf diese Mehrdeutigkeit ankommt.97 Dass der Sklavin aufgetragen wird, Kräuter (ϑρόνα, 59) über der Türschwelle ([…] φλιᾶϛ καϑ’ ὑπέρτερоν […], 60) zu kneten, ist zunächst nicht weiter verwunderlich. Diesem Eingangsareal kommt auch in den Zauberpapyri besondere Bedeutung zu – wohl wegen seiner Positionierung als Durchgangsort zwischen zwei Bereichen (PGM II 150–161): λαβὼν πηλὸν καϑᾶρоν τὰϛ φλιὰ[ϛ τоῦ κо]ιτῶνоϛ, ἐν ᾧ ἁγνεύειϛ, καὶ оὕτω πηλώσαϛ ἐπ[ί]γραφε τὰ γρα[φόμ]ενα ταῦτα χαλκῷ γραφείῳ εἰϛ τὴν δεξιὰν φλιάν· ἔστι δὲ τὰ γραφόμενα […]· εἰϛ δὲ τὴν ἀριστερὰν ὁμоίωϛ φλιάν· […].98 εἰϛ τὰ ἐπάνω τῆϛ ϑύραϛ […]· εἰϛ δὲ τὴν ὑπоκάτω τὸν κάνϑαρоν, ὡϛ περιέχει,99 χρίσαϛ αἷμα αἰγόϛ, ἐκτὸϛ τоῦ κоιτῶνоϛ· […] Nachdem du Lehm genommen hast, reinige die Türschwelle des Schlafzimmers, in dem du dich rein verhältst, und, wenn du sie so beschmiert hast, schreib diese Schriftzeichen mit einem Erzgriffel auf den rechten Türpfosten; das Geschriebene lautet (Zauberzeichen); auf die gleiche Weise aber auf den linken Türpfosten: (Zauberzeichen). Oben auf die Tür (Zauberzeichen); unten aber den Käfer, wie er ist, indem du das Blut einer Ziege außerhalb des Schlafzimmers verstreichst: (Bild des Kantharos)

Bei Theokrit wird die Türschwelle zwar nicht mit absonderlichen Zauberzeichen versehen, nichtsdestotrotz kommt ihr fühlbar Bedeutung zu. Denn die Kräuter müssen über ihr geknetet werden – der Vorstellung könnte das magische contagio-Prinzip zugrunde liegen. Doch worin besteht im gegebenen Fall die Funktion der φλι[ά]? Die Türschwelle, die als Teil des Heims des Geliebten der magischen Symbolik nach im weitesten Sinne für Delphis stehen könnte, könnte vielleicht zum Zwecke einer Definierung dessen Wesenheit auf die Kräuter übertragen. Die pflanzliche Substanz wiederum wird dann in zauberischer Analogie unter Gemurmel des Spruches ›Des Delphis Knochen knete ich‹ von Thestylis bearbeitet. Damit entsprechen die ϑρόνα denkbar zugleich den realen ὀστία (62) des jungen Mannes. Was ihnen widerfährt, geschieht auch dem Geliebten. Allerdings bräuchte es beim analogen Gedanken die Identifizierung nicht. Denkbar wäre auch, dass die Schwelle als Ort magischer Potenz einfach Kraft auf die Kräuter übertragen soll. Aber dann müsste der Vorgang nicht speziell an der Tür des Geliebten stattfinden. 97 Vermutlich lassen sich sogar Beziehungen zwischen Eidechse und erotischer Magie herstellen, vgl. Graf (1996) S. 165 und seine Verweise unter Anm. 24 (S. 252). 98 Die eckigen Klammern ersetzen im vorliegenden Fall die beiseite gelassenen Zauberzeichen bzw. eine Abbildung. In der Übersetzung wird in runden Klammern auf die Symbolik verwiesen. 99 Die Übersetzung richtet sich nach der im kritischen Apparat zu PGM II 159 f. angegebenen Konjektur Partheys (ὥσπερ ἔχει), vgl. Preisendanz (1928) S. 29.

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Zurecht weist Gow auf das Identifizierungsproblem der von Simaitha wie selbstverständlich erwähnten ϑρόνα hin: Handelt es sich bei ihnen um noch nicht genannte Pflanzen oder um die Asche der bereits verbrannten Substanzen?100­ Petrovic spricht sich für die Relikte aus den diversen Analogiezaubervorgängen aus und begründet das, wie folgt: Wegen der inneren Logik und der formalen Ähnlichkeiten zwischen Anfangs- und Endquartett (Befehl an Thestylis, Murmeln einer fast gleichklingenden Formel) fänden beim Handlungsabschluss die Überbleibsel der bisherigen Aktionen Verwendung, eine mittlerweile knetbare Masse.101 In Anbetracht der Tatsache, dass die in den vorausgehenden Zaubervorgängen verwendeten Ingredienzien alle für sich in einem separaten, abgeschlossenen πρᾶξιϛ-Schritt zum Einsatz kommen, erscheint m. E. der Alternativvorschlag plausibler. Es ist gänzlich unwahrscheinlich, dass Überreste, z. B. vom Lorbeer aus Vers 23, dessen Verbrennung für sich genommmen ein Analogiezauber zugrunde liegt, oder gar der Kleie aus Vers 35, die den Gedanken an eine διαβоλή aufkommen lässt, nochmals verwendet werden. Gegen bisher nicht erwähnte Kräuter spricht nichts. Allerdings könnte weiterhelfen, zu wissen, welchen Bezug die Pflanzen zur eigentlichen Handlung haben? Welchen Zweck erfüllen sie? Sollen sie entweder wie die Eidechse bei der Herstellung des Tranks Verwendung finden oder gehören sie zum aktuell sich vollziehenden Liebeszauber? Wegen des herausgearbeiteten Hintergrundes einer Analogie zwischen den Kräutern und den Knochen des Delphis ist wohl eher eine Einbindung in den augenblicklichen Ritus anzunehmen.102 Ähnlich problematisch ist die Identifizierung der φίλτρα aus Vers 1. Sind sie gleichbedeutend mit dem in Vers 58 erwähnten Trank? Wohl eher nicht, denn im Quartett i muss das üble Gebräu erst noch produziert werden. Simaithas kon 100 Vgl. Gow (21952b) S. 46 f. 101 Vgl. Petrovic (2007) S. 38. 102 Das Quartett i (58–62) mit der Relation vom Eidechsentrank und den Kräutern erweist sich als problematisch. Vermutlich würde sich der Versuch lohnen, in einer separaten Einzelstudie denkbare Bedeutungen der Türschwelle zu erörtern, was an dieser Stelle jedoch zu weit führen würde (vgl. Verg. ecl. 8,92, 107, Ov. met. 7,238 sowie siehe u. v. a. S.  77, 80, 91, 114, 130 und 216 f.). Die Vielzahl magischer Aspekte in der Strophe fällt auch im Vergleich zur sonsti­ gen theokriteischen Darstellung ins Auge (Eidechse, Trank, Kräuter, Türschwelle, Nacht, gemurmelter Spruch). Es könnte auch relevant sein, dass die eine Handlung von Simaitha, die andere von Thestylis vollzogen wird. Ein klares inhaltliches Verständnis wird zusätzlich durch die textkritische Problematik des Quartettes erschwert. Allerdings dürfte eine Auseinandersetzung auf dieser Ebene m. E. auch nicht wirklich weiterhelfen. Eine inhaltliche Ausdehnung­ dieser Strophe durch Vers 61 zu einem Quintett ist vor dem Hintergrund der sonstigen Quartettstruktur kaum zu legitimieren. Auch ist die Frage der Plausibilität der Konjektur Ahlwardts in Vers 62 (μάσσω anstatt des πάσσω aus den Codices) bzw. der Buechelers in Vers 60 (νύξ­ anstatt des νῦν, der Lesart von P3 und den Codices) vermutlich für die Stimmigkeit der magischen Gesamthandlung nicht von einschneidender Bedeutung. Auf eine Auseinandersetzung wird deswegen verzichtet. – Zu einer ausführlichen Beschäftigung mit der Textkritik vgl. Gow (21952b) S. 47 f.

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kret wirkende Frage in Vers 1 dagegen bezieht sich schätzungsweise eher auf etwas schon für sich Bestehendes, wie die Produkte, die dem Feuer übergeben werden. Dementsprechend erscheint auch eine Transferierung des poetischen Plurals φίλτρα mit ›Liebeszauber‹ deutlich wahrscheinlicher als die Übersetzung mit ›Liebestrank‹. Bisher unerwähnt geblieben ist der im Gedicht stetig wiederholte Refrain: ›Iynx, ziehe du den Mann da zu meinem Haus.‹ Der Spruch wirkt der für einen Herbeiführungszauber so typischen Formulierung mit einer Imperativform von ἄγειν vergleichbar, z. B. »[…]. ἄξоν μоι τὴν δεῖνα τῆϛ δεῖνα, ἐμоὶ τῷ δεῖνα τῆϛ δεῖνα. […]« (PGM IV 1915 f.) bzw. »[…]. ἄγε [μоι καὶ κατάδησоν τὴ]ν δεῖν’, ἣν δεῖνα […]. […]« (PGM VII 985).103 Diese in den Zauberpapyri immer wiederkehrende standardisierte Wortfolge bleibt nach der Textlektüre in Erinnerung.104 Genauso verbreitet ist die eindringliche Wortfolge mit Temporaladverbien: »[…] ἄ[γ]ε, ἄγε, ἤδη ἤδη, ταχὺ, ταχύ […]« (PGM VII 330 f.).105 Die Herbeirufungsfloskel mit »[…]. ἐλϑέ […]. […]« (PGM VIII 15) oder Ähnlichem wird auch immer wieder aufgegriffen.106 Ähnlich häufig steht »[…] δεῦρо […]« (PGM IV 2550).107 Die einzelnen Bestandteile sind dabei als beliebig kombinierbar anzusehen.108 Es lässt sich also durchaus behaupten, dass eine Art Refrain auch den Zauberpapyri entnommen werden kann.109 Denn die Wiederholung per se erscheint als ein Element der magischen Sprache.110 Überhaupt lassen sich in Theokrits Text philologische Detailkenntnisse wahrnehmen, wie sie eigentlich nur der wirkliche Kenner magischer Rezepturen oder der magische Fachmann haben könnte. Ein geeignetes Beispiel dürfte die von Simaitha gebrauchte Wendung bei der Bitte um den Beistand der Göttin darstellen. Denn bei dem mit ἐϛ τέλоϛ (14) verwandten Verb τελεῖν handelt es sich um einen terminus technicus für das Ausführen magischer Befehle.111 Die Papyri kennen 103 Vgl. auch PGM IV 2235, VII 305, 306, 309, 471, 476 f. 104 Zu den in den PGM insbesondere im Zusammenhang mit der Herbeiführung einer geliebten Person immer wieder aufgegriffenen Wendungen vgl. Petrovic (2007) S. 39. 105 Vgl. PGM IV 1593, 2037, 2098, VII 254, 259, VIII 52, 63, 84, X 50, XIc 13, XII 58, 143, XVIIa 25, XXXIIa 12, LXVIII 18 f. etc. 106 Vgl. PGM IV 999, 1001, 1006, 1015, 1019, 1023, 1032, 1041, 1045, VIII 2, 3, 4.  107 Vgl. auch PGM IV 2548, VII 961, 962, 963, 964, 965, XII 238. 108 Vgl. z. B. PGM IV 2616–2619 »[…]. […] δεῦρо, […] ἀνάσσα […] δεῦρо, […] δεῦρо ἥξει, ἄγε μоι τὴν δεῖνα τάχιστα […].« 109 Vgl. etwas abschwächend Dover (1971) S. 94 »The use of refrains, though not unknown in ancient magic, is not specially characteristic of it (…).« 110 Vgl. dazu die Feststellung über die Charakteristika von lateinischen Zauberformeln bei Fauth (1999) S.  24: »Unterhalb der Schwelle zum Literarischen hat (…) populäre magische Spruchweisheit in ihrem monotonen, kurzgliedrigen, pleonastisch repetierenden Stil die Jahrhunderte überdauert (…).« 111 Vgl. Gow (21952b) S. 39.

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Formulierungen wie »[…]. […] τελέσατε τὰ γινόμενα […]. […]« (PGM IV 1456) oder »[…]. […] τέλει τελέαν […]« (PGM IV 2939).112 Die permanente Wiederholung des Refrains vor und nach jedem Quartett bei Theokrit verdeutlicht eindringlich, worum es Simaitha geht: Sie will ihren Geliebten wiederhaben – so die übergeordnete Botschaft des ersten Gedichtteils. Bei der Wahl des an Artemis gerichteten κινήσαιϛ (34) könnte v. a. der Gedanke an ein mechanisches Herbeibewegen impliziert sein.113 Artemis allein wäre in der Lage, das Unmögliche zu ermöglichen, eine physische ἀγωγή des Delphis. Der im Refrain erwähnten [ἴ]υγξ kommt dabei vermutlich die Bedeutung zu, die Absicht ­Simaithas zu untermalen. Das Wort bezeichnet einerseits den Wendehals genannten Vogel, eine von Hera verwandelte Nymphe. Dieser Vogel soll zu magischen Zwecken auf ein Rad genagelt worden sein, das dann gedreht wurde – wohl mit der Intention, die ersehnte Person herbeizuführen. Darüber hinaus beschreibt der Begriff einfach auch nur das entsprechende Zauberrad ohne das Tier.114 Inwiefern davon auszugehen ist, dass das ominöse Zaubergerät in der bei Theokrit geschilderten magischen πρᾶξιϛ Verwendung findet, ist ohnehin fraglich. Mit Recht betont Schweizer, dass die Erwähnung des Instruments wie auch des ›Rosswahn‹-Krauts rein verbaler Natur und damit metaphorischer Art sein könnte.115 Das ist, wenn auch – wie erläutert – wohl nicht für die Pflanze, so doch zumindest für das Zaubergerät wahrscheinlich.116 Die Einbettung der [ἴ]υγξ in den Refrain lässt für den Schaltvers ein passendes Bild entstehen. Denn wie das Rad sich wiederholt hin- und herdrehen würde, so kehrt auch er selbst wieder. Da 112 Es würde sich lohnen, das zweite Idyll und die PGM genauer auf sprachliche Gemeinsamkeiten zu untersuchen. Denn bei der verbalen und formalen Gestaltung sind zusätzlich zu den im vorliegenden Kapitel bereits aufgegriffenen Parallelen noch zahlreiche weitere feststellbar. Die brillante Leistung Theokrits lässt sich in den Details erkennen. 113 Vgl. Hommel (1956) S. 201. 114 Die Angaben zur in den PGM nicht erwähnten [ἴ]υγξ vgl. Gow (21952b) S. 41 (prägnante Zusammenfassung). Der überzeugenden Beschreibung des Forschers nach dürfte es sich bei der Iynx um ein Rädchen oder eine runde Platte mit zwei um das Zentrum gruppierten Aussparungen auf jeder Seite handeln. Vermutlich ist durch eine Öffnung ein Faden zu ziehen und durch die dieser entsprechende zurückzuführen. Man muss wohl die sich schließlich ergebende Schlinge in die eine Hand, die zwei losen Enden in die andere nehmen. Durch Anspannung und Lockerung bzw. Drehen bzw. Entdrehen der Schnur sollte das Rad erst in die eine Richtung, dann in die entgegengesetzte rollen. – Zu einer ausführlichen Auseinandersetzung mit den zwei magischen Geräten Iynx und Rhombos vgl. Tavenner (1933) S. 109–127, der versucht nachzuweisen, dass die beiden Instrumentarien identisch seien, sowie Gow (1934) S. 1–13, der in seinem Artikel das Gegenteil plausibel erklärt und mit aufschlussreichem Bild- und Rekonstruktionsmaterial zu belegen bemüht ist. 115 Vgl. Schweizer (1937) S. 37 unter Anm. 76. 116 Gegen diese These vgl. Wilamowitz-Moellendorf (1906) S. 145, der offenbar davon ausgeht, dass die Akteurin das Rädchen – in entsprechender Wiederkehr zum Refrain – wirklich immer dreht.

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die eigentlichen πρᾶξιϛ-Schritte und das magische Geschehen in den einzelnen Quartetten stattfinden, ist eine eigene [ἴ]υγξ-Zauberhandlung für den Refrain jedoch eher nicht anzunehmen.117 Insgesamt lässt sich als Ergebnis festhalten: Alle magischen Motive, deren sich der Dichter bedient, sind auch für die Gebrauchstexte nachweisbar. Theokrit dürfte Experte im magischen Metier gewesen sein. Interessanterweise könnte der Ritenmix Simaithas in seiner dargestellten Summe aus realmagischer Perspektive niemals funktionieren.118 Denn zu viele Zaubervorgänge wirken ineinander verschränkt und würden untereinander zu ungewünschten Reaktionen führen. Vermutlich ist die magische Realienübersteigerung im Idyll, so paradox es auch klingen mag, als Ausdruck dichterischer Übertreibung, ja vielleicht sogar Le­ bensferne, zu werten.119 Im Text könnte sich die Vorstellung des alexan­drinischen Lesers widerspiegeln, für den die magische Kunst wohl ein seinem alltäglichen Erfahrungshorizont fernes Phänomen darstellt, mit dem er im eigenen Leben nicht direkt konfrontiert gewesen sein dürfte.120

3.1.6 Das zweite Idyll und Sophron Unabhängig von der erkennbaren realmagischen Fundierung des von Theokrit entworfenen Rituals stellt sich die Frage, inwiefern die beschriebenen Motive in der Zeit schon literarischer Topos gewesen sein könnten. Ist eine Abhängigkeit von Sophron als potentiellem Vorbild konstatierbar?121 Die Scholien betonen die Bezüge zwischen beiden Autoren. Hordern greift insbesondere vier wesentliche Gesichtspunkte aus ihrer Darstellung auf: Theokrit habe im Allgemeinen die magische Thematik vom Mimus Sophrons übernommen (fr. 4 Kaibel). Im Konkreten gehe die synkretistische Vereinigung von Selene und Hekate (fr. 4 Kaibel) in der ›Φαρμακεύτρια‹ auf das Vorgängerwerk zurück, auch beruhe die Bezeichnung der Gespensterherrin als ›in der Unterwelt beheimatete‹ in Vers 12 des Idylls (fr. 7 Kaibel) sowie die Figur der Dienerin Thestylis

117 Der zu diesem Befund passende Vorschlag Petrovics (2007) S. 40, in der magischen Vokabel die theoretisch mögliche Bedeutung ›Zauberspruch‹ erkennen zu wollen, geht m. E. entschieden zu weit. Die Forscherin begründet ihre Ansicht mit der Wortwahl mea carmina im Refrain (z. B. 68) der bekannten Theokrit-Nachahmung, der achten Ekloge Vergils. 118 Vgl. Graf (1996) S. 166 und seine Ausführungen zum »Super-Ritual«. 119 Ein zunächst vielleicht etwas verwirrend wirkendes Ergebnis vgl. die berechtigte Preisung bei Götte/Götte (1970) S. 492, mit der »das genaue, wirklichkeitstreue Detail« an Theokrit gelobt wird. 120 Vgl. Graf (1996) S. 166. 121 Im Rahmen der Arbeit wird als entscheidender literarischer Vorgänger nur Sophron thematisiert. Für weitere Parallelen auch späterer Zeit sei auf die einschlägigen Kommentare verwiesen, vgl. z. B. Gow (21952b) S. 36–63.

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auf ihm (fr. 5 Kaibel).122 Das wieder entdeckte und der bei Apollonius Dyskolos (Adv. p. 592 Schneider/Uhlig) überlieferten Titulatur ταὶ γυναῖκεϛ αἳ τὰν ϑεὸν φαντὶ ἐξελᾶν zugeordnete Fragment (p. 155 fr. 4/add. alt. Kaibel S. IX) sei hier angeführt, um eine knappe Auseinandersetzung zu ermöglichen:123 »τὰν τράπεζαν κάτϑετε ὥσπερ ἔχει· λάζεσϑε δὲ ἁλὸϛ χόνδρоν ἐϛ τὰν χῆρα καὶ δάφναν παρ τὸ ὦαϛ. πоτιβάντεϛ νύν πоτ τὰν ἱστίαν ϑωκεῖτε. δόϛ μоί τυ τὤμφακεϛ· φέρ’ ὧ τὰν σκύλακα. πεῖ γὰρ ἁ ἄσφαλτоϛ; : оὕτα : ἔχε τὸ δάιδιоν καὶ τὸν λιβανωτόν. ἄγετε δὴ πεπτάσϑων μоι ταὶ ϑύραι πᾶσαι· ὑμὲϛ δὲ ἐνταῦϑα ὁρῆτε· καὶ τὸν δαελὸν σβῆτε ὥσπερ ἔχει· εὐκαμίαν νυν παρέχεσϑε, ἇϛ κ’ ἐγὼν πоτ τάνδε π[υ]κταλεύσω. πότνια, δεί[πν]оυ μέν τυ κα[ὶ] [ξ]ενίων ἀμεμφέων ἀντά[σειϛ [χα]νδόν καικα· αμων δέπ.[«

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Aus dem Fragment ist auf folgendes Geschehen zu schließen: Die Anwesenden werden aufgefordert, einen Tisch aufzustellen, Salz in die Hand zu nehmen und sich an den Ohren mit Lorbeer zu bekränzen. Sie sollen um einen Altarherd Platz nehmen. Ein zweischneidiges Messer wird zum Zwecke der Opferung einer Hündin herbeigeschafft. Asphalt findet Verwendung, eine Fackel wird genannt, außerdem Weihrauch. Alle Türflügel werden geöffnet. Man löscht die Lichtquelle. Die Beteiligten sollen still sein. Schließlich wird die Göttin herbeigerufen, als ›Herrin‹ angesprochen und zum Mahl eingeladen. Wie festzustellen ist, ähnelt sich die formale Darstellung bei Sophron und Theokrit. Im vorliegenden Mimus befindet sich die Zeremonie bereits mitten im Verlauf – es wird nicht erst hingeführt.124 Dabei mag der an die zweite Person Plu 122 Zur Auseinandersetzung mit den Scholien, welche der vorliegenden Zusammenfassung zugrunde liegen, vgl. Hordern (2002) S. 165 f. Die vom Forscher herangezogenen, hier in Klammern angegebenen Kommentarstellen richten sich in ihrer Zählung nach der Ausgabe Kaibels (21958), so auch der noch folgende Sophron-Text. 123 Zur Tradierung der Titulatur vgl. Hordern (2002) S. 170 mit Anm. 34. Bezüglich Zuordnung zum Fragment vgl. Latte (1933) S. 261. – Zur Übersetzung des Titels vgl. zuerst Wünsch (1902b) S. 115 f. Dagegen vgl. Herzog (1926) S. 217. Für weitere Stellungnahmen zum Verständnis der Mimus-Überschrift vgl. Latte (1933) S. 263 sowie Eitrem (1933b) S. 11. 124 Vgl. Hordern (2002) S. 168.

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ral gerichtete Imperativ (κάτϑετε, 1 bzw. λάζεσϑε, 2) die Erinnerung an den abrupten Einstieg im zweiten Idyll durch die Frage nach dem Lorbeer und die sich anschließende Befehlsform in der zweiten Person Singular wecken (φέρε, 1 bzw. στέψоν, 2). Darüber hinaus ist das gesamte Geschehen bei Sophron mehr oder weniger in einem Monolog dargestellt, der in Vers 8 durch den Einschub оὕτα wohl von Seiten eines Mithelfers unterbrochen wird.125 Allerdings könnte – wie Hordern zurecht betont – das Wort auch als Antwort des magischen Protagonisten auf seine eigene Frage fungieren.126 Wie man den Text auch auffassen mag, es entsteht insgesamt der Eindruck, dass nur eine einzige Person spricht. Dieser Gestaltungszug stimmt mit der Grundstruktur bei Theokrit überein, wo einzig und allein Simaitha das Geschehen referiert. Denn ihre Dienerin Thestylis ergreift nicht ein einziges Mal direkt das Wort. Jedoch könnte man die kurze, der Sklavin aufgetragene Formel ›τὰ Δέλφιδоϛ ὀστία πάσσω‹ (21) bzw. ›τὰ Δέλφιδоϛ ὀστία μάσσω‹ (62) in gewisser Weise mit dem Einschub im Mimus vergleichen. Die Invokation der Selene im Refrain des zweiten Gedichtteils bei Theokrit mit πότνα (69, 75 etc.) nimmt vielleicht die Anrede πότνια (17) bei Sophron wieder auf.127 Dass es sich bei der im Mimus angesprochenen und zum Mahl geladenen Gottheit um Hekate handelt, wird in der Forschung nicht angezweifelt.128 Als interessant hat die Frage nach der Anzahl der im Ritus Sophrons beteiligten Personen zu gelten: Es lässt sich ein magischer Hauptakteur erkennen, der die gesamte Zeremonie leitet (vgl. das Personalpronomen der ersten Person in Vers 6 bzw. 11), und eine Schar nicht näher definierbarer Teilnehmer, die immer wieder durch Imperative zu bestimmten Handlungen angewiesen werden (z. B. ϑωκεῖτε, 6 bzw. ἄγετε, 10 oder παρέχεσϑε, 15 etc.). Aus diesem passiven Gefolge ragt wahrnehmbar ein Helfer mit größerer Aktivität heraus. Dieser Person werden direkt Befehle gegeben (z. B. δόϛ, 6 bzw. φέρ’, 7 oder ἔχε, 9) – wie der Thestylis. Besagter Assistent scheint in einem besonderen Vertrauensverhältnis zum magischen Akteur zu stehen. Inwiefern es überhaupt möglich ist, exakte Angaben über das Geschlecht der Personen zu machen, muss als fraglich angesehen werden. Denn anhand der Grammatik kann nicht eindeutig auf die Anwesenheit von Männern oder Frauen geschlossen werden. Sophrons Partizip πоτιβάντεϛ (5) ist zwar als Maskulin identifizierbar, verweist aber als allgemeine Form – wie Latte darstellt – nicht explizit auf dieses Geschlecht.129 Dementsprechend wird die Durchführung der vorliegenden Zeremonie im Allgemeinen mit Frauen in Verbindung gebracht,130 vielleicht verstärkt durch die dem Fragment zugewiesene Titulatur. Für eine derartige Auffassung lässt sich ein schlagkräftiges Argument anführen: In der Literatur begeg 125 Vgl. Eitrem (1933b) S. 10. 126 Vgl. Hordern (2002) S. 168. 127 Vgl. Eitrem (1933b) S. 22 f. 128 Vgl. dazu Herzog (1926) S. 217, Latte (1933) S. 262, Hordern (2002) S. 169. 129 Vgl. Latte (1933) S. 261 unter Anm. 4 130 Gegen diese These vgl. Gow (1933) S. 114.

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nen – mit Ausnahme von eher als Ausschmückung dienenden Erwähnungen von Magiern (z. B. Theokrits Assyrer in Vers 162) – immer Zauberinnen.131 Lediglich die Papyri nennen für die tatsächliche magische Praxis Männer.132 Da nun eben auch der Mimus Sophrons dem literarischen Milieu zuzuordnen ist, hat man vermutlich eher von weiblichen magischen Akteuren auszugehen: einer Zauberin, deren Gehilfin und wohl weiteren weiblichen Teilnehmerinnen. Schließlich agieren im zweiten Idyll ebenfalls zwei Frauen, Simaitha und ihre Dienerin. Überhaupt zeichnen sich bei der Grundsituation einige Gemeinsamkeiten ab. Wie Simaitha ihre magische Prozedur im Schutze der Dunkelheit vollzieht,133 wird wohl auch die im Fragment Sophrons dargestellte Zeremonie nachts stattfinden. Das liegt für eine magische Handlung nahe. Allerdings geht es zu weit, die erwähnte Fackel (δάιδιоν, 9) als ein entsprechendes Indiz dafür zu deuten.134 Diese nämlich wird im Geschehen relativ bald gelöscht (14) – demnach kann ihr vermutlich nicht die Funktion zukommen, Helligkeit zu erzeugen.135 Außerdem gibt es m. E. keinen Grund, anzunehmen, dass eine διαβоλή – als solche identifiziert Eitrem den Ritus wegen des angedeuteten Hundsopfers (7)136 – absoluter

131 So z. B. die mythischen Archetypen der Zauberin wie Medea (z. B. E. Med. 1–45, Ov. met. 7,1–403) und Kirke (Hom. Od. 10,133–574, 12,1–150, Ov. met. 14,1–74; Medea bei Kirke vgl. A. R. 4,659–752). Auch Simaitha ist eine Frau. Im ›Hippolytos‹ des Euripides empfiehlt die Amme der Phädra – wie bereits erwähnt – einen Liebestrank (509–515). Horazens Canidia und Sagana (z. B. sat. 1,8,23–50), Lucans Erichtho (6,507–830) und Petrons Oenothea (in der sich mit Encolps versagender Manneskraft beschäftigenden Episode vgl. 134,1–138,4) sind ebenfalls Zauberinnen. 132 Vgl. z. B. PGM IV 1545 f. »[…]. […] ἔκσταξоν αὐτῆϛ τὸ αἷμα, ἕωϛ ἔλϑῃ πρὸϛ ἐμέ, τὸν δεῖνα τῆϛ δεῖνα. […]«, 2756–2761 »[…]. […] ἡ δ(εῖνα) ἥκоι […] στυγέоυσα τὸ πᾶν ἀνδρῶν γένоϛ ἠδὲ γυναικῶν ἐκτὸϛ ἐμоῦ, τоῦ δεῖνα […]. […]«, 2930–2932 »[…]. […] καὶ τῇ δεῖνι, ἣν δεῖνα, βάλε πυρσὸν ἔρωτα, ὥστ’ ἐπ’ ἐμоῦ τоῦ δεῖνоϛ, оὗ ἡ δεῖνα, φιλότητι τακῆναι ἤματα πάντα. […].« Man könnte zahlreiche weitere Beispiele aus den PGM anführen. Im Regelfall kann dort auf einen männlichen magischen Akteur geschlossen werden, während die Frau als Opfer der Magie erscheint. – Zur offensichtlichen Diskrepanz zwischen Magiern in der Realität und Magierinnen in der Literatur vgl. z. B. bereits Wallinger (1994) S. 18–20, die einem wohl von einer weiblichen Akteurin auf einen männlichen Akteur umgearbeiteten Zauber (PGM IV 94–153) vielleicht übermäßig viel Gewicht zuspricht. 133 Dazu siehe o. S. 39. 134 Vgl. dazu Hordern (2002) S. 168, der seine Interpretation unter Anm. 19 auf Winkler (1991) S. 224 stützt. – Allerdings setzt sich Letzterer mit dem Grundszenario einer ἀγωγή auseinander, die bekann­termaßen meist in den Bereich des Liebeszaubers einzuordnen ist. Ein Hinweis auf erotische Magie lässt sich im Fragment Sophrons jedoch nicht erkennen. 135 Vielmehr ist die Fackel (vorausgesetzt die unterschiedlichen Vokabeln aus Vers 9 und 13 bezeichnen dieselbe Lichtquelle) wohl zusammen mit dem Weihrauch (10) und dem für ein Hekateopfer geeigneten Asphalt (8) Bestandteil eines dreigliedrigen Reinigungsvorganges. Vgl. dazu Eitrem (1933b) S. 21 f. 136 Vgl. Eitrem (1933b)  S.  21, der sich in seiner Argumentation auf die Erwähnung des Hundes in den an Selene gerichteten Verleumdungsriten bzw. in ihrem schädigenden Rauchopfer stützt. Dabei findet nicht weiter bestimmte оὐσία des Tieres (vgl. PGM IV 2578) oder

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Finsternis bedürfe, denn eine im Zorn sich nähernde Gottheit dürfte eine Lichtquelle wohl kaum abschrecken. Doch treten mit der Zauberdeutung zwei weitere Parallelen zu Tage. Einerseits wird die Ankunft der Göttin bei Theokrit mit Hunde­gebell in Verbindung gebracht (35),137 andererseits weist die von der Protagonistin im zweiten Idyll in Angriff genommene Zeremonie erkennbar Elemente eines solchen Verleumdungsritus auf. Den Gedanken, Hekate zur Wut zu reizen – Sophrons ἐξελᾶν beschreibt vielleicht den Vorgang des Herauslockens –, könnte Theokrit übernommen haben, der ihn dann jedoch vermutlich, wie es für den gelehrten hellenistischen Dichter üblich gewesen sein mag, in feinsinnigen Details des dargestellten Rituals versteckte (z. B. der Kleie). Der Zauberdeutung fügt sich wahrscheinlich auch eines der im Mimusfragment genannten magischen Hilfsmittel. Der Lorbeer (4) verdient Erwähnung. Denn ihm kommt schließlich auch bei Theokrit eine herausragende Rolle zu – er wird im magischen Geschehen zweimal von Simaitha aufgegriffen (1, 23). Die Funktion der Pflanze bei Sophron liegt auf der Hand, denn die Anwesenden sollen ihn in der Nähe ihrer Ohren tragen. Der Lorbeer dient vermutlich als φυλακτήριоν und hat apotropäische Wirkung.138 Er dürfte die am Zaubergeschehen Beteiligten davor schützen, dass sie den Zorn der Gottheit auf sich ziehen könnten. Bevor die magische Akteurin bei Sophron mit der Anrufung der Hekate beginnen kann, fordert die Zauberin alle Anwesenden zur Ruhe auf (14 f.). Damit lässt sich eine weitere denkbare Parallele erkennen. Denn Stille und Schweigen erscheinen auch als zentrale Elemente im Ritual des zweiten Idylls. Das darf, wie schon Eitrem anmerkt, der Aussage Simaithas […] πоταείσоμαι ἅσυχα […] (11) entnommen werden.139 Ergänzend könnte man auch die Ruhe in der Natur (38) entsprechend deuten. Zusammenfassend lässt sich feststellen: Die bereits in den Scholien konstatierte Abhängigkeit der Autoren ist nachvollziehbar. Die Grundthematik der Zauberszene entspricht sich. Die Übernahme von den Handlungsrahmen des Geschehens bestimmenden Motiven, wie z. B. Aberglauben und Folkloristischem, gehört in den Bereich des Mimus. Hier dürfte sich Theokrit an Sophron orientieren.140 Doch in der Darstellung überwiegen – trotz der auf der Hand liegenden Parallelen – eher die Unterschiede. Während der Dichter des Mimus eine realistische, nüchtern wirkende Zeremonie andeutet, erweist sich das zweite Idyll als von perdessen Embryo (vgl. PGM IV 2645) bzw. noch einmal nicht definierter Zauberstoff vom Hund (vgl. PGM IV 2875) Verwendung. 137 Zu einem weiteren Sophron-Fragment, das Hunde thematisiert, die denkbar in Theokrits zweitem Idyll mit Vers 12 bzw. 35 wieder aufgegriffen werden könnten, vgl. Hordern (2002) S. 168 f. 138 Vgl. Eitrem (1933b) S. 16. Zur Rolle des Salzes aus Vers 3 (wohl ebenfalls apotropäisch) vgl. ders. S. 15 f. 139 Vgl. Eitrem (1933b) S. 22. 140 Vgl. Schweizer (1937) S. 4.

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manenter Selbstüberbietung und detailreicher künstlerischer Aus­schmückung geprägt und lässt sich vermutlich als literarischer Ausdruck in Mode gekommener erotischer Magieschilderung verstehen.141 Wo Sophron dramatisch und lebhaft schildert, bedient sich Theokrit einer kaum überbietbaren Motivfülle.142 Während der Lorbeer im Mimus zur Bekränzung verwendet werden soll und wohl als Apotropaion fungiert, wird er bei Theokrit offensichtlich verbrannt und zum Zwecke zauberischer Analogie eingesetzt.143 Geht es bei Sophron denkbar um Purifikation,144 vollzieht Simaitha Liebesmagie. Soll im Mimusfragment lediglich Hekate nach ihrem Mahl ausgetrieben werden, erläutert die Protagonistin im Idyll mittels ihrer Analogieformulierung exakt, welchem Zweck die einzelnen Ingredienzien dienen.145 Man hat den Eindruck, die Unterschiede überwiegen durchweg die Gemeinsamkeiten. Selbst die herausgestellten Parallelen für sich wirken nicht unanfechtbar. Denn auch bei ihnen handelt es sich lediglich um grundsätzliche Charakteristika magischer Aktivität, eben Elemente, die den angeführten Angaben in den Zauberpapyri entsprechen und die damit auch für die tatsächliche magische Praxis belegbar sind.146 Dass zweite Idyll folglich als Imitation des Mimus zu bezeichnen, wäre verfehlt. Mit Sicherheit lässt sich nur festhalten, dass der chronologisch nach Sophron stehende Theokrit wie dieser eine magische Szene ins Leben ruft.

3.1.7 Die zweite Hälfte des Idylls als Bestandteil des Rituals? Petrovic vertritt die These, dass auch die zweite Gedichthälfte (64–166), die Hinwendung Simaithas an Selene und ihr Bericht über die Entstehung der Liebe mit Delphis, einen wesentlichen Bestandteil des Zauberrituals darstelle.147 Die wichtigsten Gesichtspunkte ihrer Argumentation seien hier wiedergegeben: Ihrer Ansicht nach entsprächen sich zwei wesentliche Elemente im Schaden- und Liebes 141 Vgl. Eitrem (1933b) S. 12. 142 Vgl. Schweizer (1937) S. 12. 143 Vgl. Eitrem (1933b) S. 16. 144 Vgl. Hordern (2002) S. 171 f., der den Purifikationsakt – m. E. nach recht spekulativ – in den Kontext erotischer Magie stellen möchte und ihn gewissermaßen als Vorspiel zu einem Liebeszauber ansieht. Gegen dergleiche Mutmaßungen vgl. bereits viel früher Eitrem (1933b) S. 27. Mit Recht hält sie Letzterer für fragwürdig, denn der Kontext fehlt. – Auch die Hinweise auf eine διαβоλή sollten m. E. nicht zwangsläufig im Sinne erotischer Magie gedeutet werden. Der als ἀγωγή titulierte, als Verleumdungsritus identifizierbare Ritus (PGM IV 2441–2621) nimmt nicht nur die Form eines Liebeszaubers an, sondern insbesondere die eines Schadenzaubers. Der Beschreibung nach tötet er sogar ([…] ἀναιρεῖ ἰσχυρῶϛ […], 2443 f.). 145 Vgl. Eitrem (1933b) S. 29. 146 Z. B. zum Salz in den PGM vgl. Latte (1933) S. 261. 147 Vgl. Petrovic (2004) S. 425–436 sowie dies. (2007) S. 41–51. Auf die wesentlichen Gedankenschritte der Argumentation wird im Folgenden separat verwiesen.

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zauber. Dazu gehöre auf inhaltlicher Ebene der Hinweis, Unrecht erlitten zu haben, auf formaler die Namensnennung.148 In Texten, in welchen sich als Thema das Bestreben, Gerechtigkeit zu schaffen, erkennen lasse, trete zum Element der Defixion zusätzlich noch das Gebet mit einer Bezugnahme auf das ertragene Unrecht bzw. die ausweglose Situation, in der sich das Opfer befinde.149 Dementsprechend reiht die Forscherin den zweiten Teil des Gedichtes, den Appell zu Wiedergut­ machung mit der Schuld des Delphis, in die magische Zeremonie ein. Als entscheidend gelte dabei die fühlbare Verwendung des performativen Futurs mit präsentischer Bedeutung in Kombination mit νῦν als Charakteristikum der Sprache der Magie (καταδήσоμαι, 10, 159, πоταείσоμαι, 11, ϑυσῶ, 33).150 Simaitha gehe es angeblich darum, vor Göttin und Gesellschaft die Magie als Mittel zu legitimieren.151 Doch warum sollte sich Simaitha vor Gottheiten wie Selene, Hekate oder Artemis rechtfertigen müssen, eine Zauberhandlung durchzuführen, wenn diese ohnehin mit der Magie in Verbindung stehen?  – Bedient sich der Magier des Zwangs, wie lange als Abgrenzungskriterium von Magie gegenüber Religion angesehen, besteht keine Notwendigkeit, sein Tun zu erklären.152 Gibt es Hinweise auf eine gewogene oder gar bittende Haltung wie manchmal erkennbar, erweist sich das System bekanntlich trotzdem über das Prinzip von Gabe und Gegengabe als bindend.153 Simaithas Opfer (z. B. die Spende in Vers 43) wäre doch völlig ausreichend. Es bedürfte nicht einer ausführlichen Darlegung der Liebesentwicklung. Auch ist fraglich, inwiefern ein literarisch-fiktionaler Text mit dem Fokus auf einer betrogenen Frau eine gesellschaftlich verankerte Legitimierung braucht. Die liebestolle Simaitha dürfte eher andere Sorgen haben, als ihre unbemerkt stattfindende Hinwendung zur Magie zu erklären. Darüber hinaus erweist sich die Identifikation eines performativen Futurs als wohl fragwürdig. Denn es ergibt sich aus einer derartigen Tempus-Deutung m. E. ein logisches Problem: Wenn das Gedicht mit einer Präparationsphase beginnt, dann befindet sich der eigentliche Ritus erst im Anschluss im Vollzug. Der Bindevorgang steht damit zum Zeitpunkt der Vorbereitung noch aus  – er liegt in der Zukunft. Dieses Argument wird von einem formalen Gesichtspunkt gestützt: Das vorausgehende βασεῦμαι […] / αὔριоν […] καὶ μέμψоμαι […] (8 f.) wird offensichtlich durch die Wendung νῦν δέ […] καταδήσоμαι (10) aufgenommen. In Vers 11 folgt dann ein weiteres Mal Futur. Gerade im Sinne einer Kontrastierung 148 Vgl. Petrovic (2004) S. 426 f. 149 Vgl. Petrovic (2004) S. 428 f. 150 Vgl. Petrovic (2004) S. 432–434. 151 Vgl. Petrovic (2004) S. 435. 152 Zur heute als überholt geltenden These vgl. Beth (1914) S. 208, Luck (1990) S. 118 f., Graf (1991) S. 188, Fauth (1999) S. 13, Rücker (2008) S. 24–27 (das Kapitel »Anwendungsgebiete – Zwang oder Ausgleich«), zusammenfassend S. 126 f., sowie siehe u. S. 300 und 431 f. 153 Zum sog. Do, ut des-Prinzip vgl. Rücker (2008) S.  24 f. und ihre Verweise v. a. unter Anm. 45 und 46.

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(morgen – jetzt) wäre es naheliegend gewesen, dass Theokrit für einen gegenwärtigen Bindevorgang auch das Präsens als Tempus benutzt. Unabhängig davon, ob der Bindevorgang am Ende (159) als augenblicklich oder zukünftig aufzufassen ist, bezieht er sich wohl inhaltlich auf die im ersten Abschnitt des Gedichtes beschriebene magische Handlung. Es hat als recht subjektiv zu gelten, inwiefern man den καταδεσμόϛ als gleichzeitig oder erst in Zukunft sich vollziehend ansieht. Für das tatsächliche Futur gäbe es eine ganz einfache Erklärung: Simaitha weiß nicht, ob Thestylis ihre Aufgabe an der Türschwelle schon vollendet hat,154 und sieht die Bindung deswegen als ein noch ausstehendes Ereignis an. – Mag sein, dass gerade in der Kombination mit νῦν der Gedanke an ein performatives Futur nahe liegt: Das Adverb steht jedoch nur in den Versen 10, 33 und 159, nicht aber in Vers 11. Stattdessen findet es sich im Gedicht an weiteren Stellen (59, 64, 130, 157). Petrovics Deutung überzeugt folglich nicht. Zudem scheint die Verwendung des Adverbs mehr als rein floskelhafter Natur zu sein. Es geht spürbar um das Jetzt (die im Ablauf begriffene, unvollendete Zeremonie)  – im Gegensatz einerseits zum Gestern (Liebesaffäre), andererseits zum Morgen (ominöser Trank). Ein weiteres schlagkräftiges Argument gegen Petrovics These lässt sich bei genauer Betrachtung der bereits bei Versnel behandelten, von der Forscherin als typisch erachteten Defixionsbeispiele mit einer Bitte um Gerechtigkeit erkennen.155 In den ausgewählten Texten tritt Vokabular aus dem Bereich der Gerichtssprache zu Tage: Textbeispiel 1 (DTA 98):156 Εὐρυπτόλεμоϛ Ἀγρυλῆ[ϑ]ε[ν]· Εὐρ]υπτ[όλ]εμоν καταδῶ καὶ Ξενоφῶντα Ξενоφῶν· τὸμ μετ’ Εὐρυπτоλέμоυ καὶ γλώτταϛ τὰϛ τоύτων καὶ ἔπη καὶ ἔργα τὰ τоύτων καὶ εἴ τι βоυλεύоνται καὶ εἴ τι πράττоυσιν ἀτελῆ αὐ[τо]ῖ[ϛ] γένоιτо· φ[ίλ]η Γῆ κάτεχε Εὐ[ρυ]πτόλεμоν [κ]αὶ Ξενоφῶντα καὶ ἀδυνάτоυϛ αὐτоὺϛ πόει καὶ ἀτελεῖϛ καὶ φϑόην Εὐρυπτоλέμωι καὶ Ξενоφῶντι· φίλη Γῆ βоήϑει μоι· ἀδικоύμενоϛ γὰρ ὑπὸ Εὐρυπτоλέμоυ καὶ Ξενоφῶντоϛ καταδῶ αὐτоὺϛ.

Textbeispiel 2 (DTA 100, 11–13): […]. Ἑ]ρμῆ καὶ Γῆ, ἱκετεύω ὑμᾶϛ τηρ(ε)ῖν ταῦτα καὶ τоύτоυϛ κоλάζ(ε)τ(ε) σῴζετε τὴ]ν μоλυβδоκόπоν. 154 Vgl. Gow (21952b) S. 62. 155 Vgl. Petrovic (2004) S. 429 unter Anm. 28 f. Vgl. Versnel (1991a) S. 65 f., auf den sich Petrovic bezieht. 156 Zitierweise der Defixionstexte nach Wünsch (1897) S. 25 Nr. 98 bzw. 100.

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Entscheidende verbale Formulierungen, die mit ἀδικεῖσϑαι bzw. κоλάζειν vergleichbar sind, lassen sich dem zweiten Idyll Theokrits nicht entnehmen. Zwar weist das Gedicht die größere Schuld dem Delphis zu (149–153). Allerdings erkennt Simaitha im zweiten Teil auch ihre eigene Naivität, beschreibt sich selbst als ταχυπειϑήϛ (138): Schließlich war sie es auch, die den Delphis bei der Hand nahm und aufs Bett zog (139). Eine nicht unerhebliche Mitschuld trifft also auch die Protagonistin. Außerdem fügen sich die letzten beiden Verse des Idylls nicht problemlos in Petrovics These. Simaitha verabschiedet sich vom Mond und den Sternen, die sie direkt anspricht (165 f.). Sie wendet sich eindeutig an nächtliche Himmelskörper, welche sie vor Augen hat. Damit ist fraglich, inwiefern man sich die im zweiten Refrain immer wieder angerufene Σελάνα (z. B. 69, 75 etc.) überhaupt als Göttin vorstellen darf. Zwar wird sie dort auch jedes Mal πότνα genannt, aber die Anrede ließe sich mit bis heute verbreiteten Wendungen vom ›Mann im Mond‹ bzw. der ›Frau Luna‹ vergleichen. Diesen Ausdrücken wie auch z. B. einem potentiellen Ausruf mit den Worten ›Mond, lieber Mond, du scheinst so schön‹ liegt nicht zwangsläufig der Glaube an dessen tatsächliche Beseelung zugrunde.157 Vermutlich kann auch die Vorstellung zum Ozean gewendeter Pferde (163) als Element mythischer Überlieferung gelten. Es handelt sich dabei denkbar um ein geläufiges Bild, aber u. U. eben nicht um mehr. Hinweise auf eine Verbindung von Hekate, Selene und Artemis im zweiten Gedichtteil lassen sich jedenfalls nicht erahnen. Insgesamt wirkt die Interpretation Petrovics, in den Versen 64 bis 166 zwangsläufig eine Bitte um Wiederherstellung von Gerechtigkeit zu erkennen, sehr gesucht. Der für die Defixionen nachweisbare Gedanke, Unrecht erlebt zu haben, lässt sich nicht problemlos für den Theokrit-Text feststellen. Man sollte die zweite Hälfte des Idylls damit eher nicht als Bestandteil des Rituals identifizieren – zumal die Forscherin selbst betont, dass die Liebeszauber der Papyri keinen Hinweis auf eine derartige Deutung zulassen.158

3.1.8 Abschließende Interpretation der magischen Szene Im Gedicht kommt dem temporalen Gefüge ersichtlich Bedeutung zu, wie im Zusammenhang mit dem stetig wiederkehrenden νῦν herausgearbeitet wurde. Die Vergangenheit erscheint als Zeit, in der Simaitha sich nach Delphis sehnte, sie so zum Objekt seiner Begierde wurde und er ihr eine Zeit lang hold war. Er agierte geschickt und nutzte ihre Gutgläubigkeit und Unerfahrenheit derart aus, 157 Gegen diese These vgl. Reinhardt (1988) S. 97, der sich Selene als Gottheit, weniger als Gestirn vorstellt. 158 Vgl. Petrovic (2004) S. 434.

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dass sie offenbar mehr gesteuert, als es selbst beabsichtigend zur Liebesentwicklung beitrug (zweiter Teil des Gedichtes ab Vers 64). In der Gegenwart der Zauberhandlung wirkt sie bereits als Subjekt und agiert (erster Teil ab Vers 1). Sie versucht mit Hilfe der Magie und der Unterstützung der entsprechenden Götter die trostlose Gegenwart zu ändern, weil ihr Geliebter sie verlassen hat. Die Zukunft markiert nachvollziehbar die Stufe ihrer alleinigen Aktivität (einzelne Hinweise bereits im ersten bzw. zweiten Teil z. B. 58, 159 f., 164). Vermutlich bedarf sie dann keiner übergeordneten Wesen mehr, die ihrer Absicht dienlich sind. Simaitha wird sich an Delphis rächen. Die chronologische Entwicklung der Simaitha – konträr zum Gedichtverlauf – demonstriert ihre zunehmende Selbstständigkeit und denkbar ihre Reaktion als Frau auf unerfülltes Liebesverlangen. Gerade der markante Perspektivenwechsel in Vers 159 gibt sich als entscheidende Bruchstelle in der inneren Selbstwahrnehmung zu erkennen. Berichtet das Mädchen noch vorher von drei- bis vier­ maligen Besuchen des Geliebten pro Tag (155), spekuliert über einen neuen Quell der Freude seinerseits, der sie als Liebhaberin vergessen machte (158), wechselt plötzlich ihre Sichtweise. Die Protagonistin wendet sich ab vom Charakter des Delphis – hin zur eigenen Person. Auf einmal steht nicht mehr er im Vordergrund, sondern sie selbst. Konnte man dem Text vorher regelmäßig die dritte Person Singular entnehmen (ἐφоίτη, 155, ἐτίϑει, 156, ἔχει und λέλασται, 158), folgt jetzt die erste (καταδήσоμαι, 159). Jetzt will sie den jungen Mann in einer Liebesdefixion binden. Der ›Liebeszauber‹ (159) bringt aller Wahrscheinlichkeit nach den in Vers 1 genannten wieder ins Spiel.159 Hat Simaitha damit keinen Erfolg, d. h. sollte Delphis seine abweisende Haltung beibehalten (αἰ δ’ ἔτι κά με / λυπῇ […], 159 f.), muss er sterben: Er wird an das Tor der Unterwelt klopfen (ἀραξεῖ, 160). Wieder wendet sich die Perspektive dem jungen Mann zu, allerdings sieht die Protagonistin ihn jetzt – aus gewisser Distanz – gleichsam als Objekt, mit dem sie agiert bzw. das nur noch auf ihre Taten reagieren kann. Denn sie hat das Mittel zur Vernichtung schon zur Hand, das κακὸν πоτὸν (58), das wohl durch die Wendung τоῖά […] ἐν κίστᾳ κακὰ φάρμακα (161) aufgenommen wird. Gerade das Demonstrativpronomen deutet es an, der Trank befindet sich für sie in so greifbarer Nähe – wie eben Delphis von ihr entfernt ist. Für den inneren Wandel der Protagonistin gibt es im Gedicht immer wieder Indizien. Bereits in den einzelnen πρᾶξιϛ-Stufen des Rituals wird er erahnbar – ausgehend von der Übergangsphase, in der Simaitha bereits Initiative ergreift, aber noch auf göttliche Hilfe hofft, bis hin zur Eigentätigkeit ohne fremde Unterstützung. Während die Zauberarten in den Quartetten mit Analogieprinzip (z. B. abecfg) dazu dienen, in Delphis noch Liebe zu erwecken, deuten die letzten Abschnitte mit dem Sympathie- und contagio-Prinzip bereits seine Vernich 159 Ein Bezug auf das κακὸν πоτὸν aus Vers 58 ist wohl auch hier nicht anzunehmen. Dazu siehe o. S. 56 f.

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tung an (z. B. hi). Es lässt sich wahrnehmen, wie Simaitha diesen Entschluss im Laufe des Idylls fasst. Während sie sich am Anfang des Gedichtes noch Hilfe von der Magie erhofft, erkennt sie am Ende die Aussichtslosigkeit ihrer Situation, in der ihr nur noch κακὰ φάρμακα Linderung verschaffen können. Dabei kommt Simaitha einer Heilung so nahe: Das zweite Idyll wurde immer wieder mit dem elften in Verbindung gebracht. Letzteres handelt von der unerwiderten Liebe des­ Kyklopen Polyphem zur Nymphe Galateia. Als Medizin für die Krankheit gilt dort der Gesang des Verliebten, mit dem ein fühlbarer Selbstentdeckungs- bzw. Selbsterkennungsprozess einhergeht.160 Die Musen werden als Heilmittel für die Sehnsucht definiert, das zu finden jedoch nicht leicht ist (id. 11,1–4): Οὐδὲν πоττὸν ἔρωτα πεφύκει φάρμακоν ἄλλо, / Νικία, оὔτ’ ἔγχριστоν, ἐμὶν δоκεῖ, оὔτ’ ἐπίπαστоν, / ἢ ταὶ Πιερίδεϛ· […] / […] εὑρεῖν δ’ оὐ ῥᾴδιόν ἐστι.

Hier wird vermutlich ausgesprochen, woran die arme Simaitha am Ende scheitern wird. Auch sie sucht in ihrer Verzweiflung nach einem Heilmittel, das ihr in ihrer so schweren Situation helfen kann. Doch beabsichtigt sie, Hilfe in der Magie zu finden. Sie beschwört φάρμακα, die von ähnlicher Potenz sein sollen wie die der Kirke oder der Medea (15 f.). Wenn diese jedoch wirkungslos bleiben und Delphis nicht zu ihr zurückführen sollten, will sie sich eben anderer, als κακὰ charakterisierter Mittel bedienen (161). Die sind so übler Natur, dass sie den Geliebten ins Jenseits befördern können. Durch den Vollzug der Rache erhofft sich die Protagonistin Befriedigung und Erlösung. Doch scheitert sie am Ende, wenn sie sich selbst eingesteht, dass das, was sie wirklich möchte, nicht im Bereich des Möglichen liegt. Denn auch der Tod des Delphis würde ihr Problem nicht lösen. Sie kann lediglich ihre Liebe ertragen lernen: […] ἐγὼ δ’ оἰσῶ τὸν ἐμὸν πόϑоν ὥσπερ ὑπέσταν (164). Einen anderen Ausweg sieht sie nicht. Anders ist es beim Kyklopen im elften Idyll. Mit »[…]. / συρίσδεν δ’ ὡϛ оὔτιϛ ἐπίσταμαι ὧδε Κυκλώπων […]. […]« (38) bekundet er eindeutig, dass er sich seines musikalischen wie dichterischen Potentials bewusst ist. Er erkennt sich selbst als wahren Dichtersmann im Kreise der Kyklopen, während Simaithas langes, poetisches Lied in ihrer eigenen Wahrnehmung spürbar auf der Ebene einer Beschwörung stagniert.161 Dem entspricht das Faktum der Trennung musischer Magie in der frühen griechischen Literatur: Während Frauen wie Kirke und M ­ edea sich drohender Bindesprüche bedienen, bezaubern die Männer wie Homers Phemius (Od. 1,337) oder z. B. der sagenhafte Orpheus (A. R. 1,26–31) – bildhaft – in poetischen Liedern.162 Die Katharsis, die der Kyklop erlangt, bleibt der Protagonistin im zweiten Idyll verwehrt: Denn sie erkennt nicht die Dumm 160 Vgl. z. B. Parry (1988) S. 44. 161 Vgl. Petrovic (2004) S. 439, die ihre Deutung im Übrigen v. a. auf die zwei zitierten Stellen des elften Idylls stützt. 162 Vgl. Parry (1988) S. 51.

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heit ihrer Gefühle.163 Den Grund dafür in ihrer Naivität, Einfachheit oder ihrem niederen Status zu vermuten, wäre jedoch verfehlt: Bei Theokrit sind es die Hirten (z. B. Thyrsis, id. 1,64–145), die dichten, sich in Wettbewerben sogar untereinander messen (vgl. den Ausdruck »[…] βоυκоλιασδώμεσϑα […]«, id. 7,36, oder den Sängeragon zwischen Daphnis und Menalkas, id. 8,33–80) und dadurch auch sich selbst erkennen.164 Ihre eigene Hinwendung an Selene als Dichtung und damit als rettendes Mittel wahrzunehmen, ist Simaitha nicht vergönnt. Dazu kommt ein weiterer entscheidender Aspekt: Polyphem verhält sich schätzungsweise wie der typische griechische Mann – er kann sich eine Zukunft vorstellen. Demgegenüber symbolisiert Simaitha wohl die Frau, der sich ihrem niedrigeren sozialen Status gemäß vielleicht deutlich weniger Handlungsalternativen bieten.165 Die im Vergleich mit dem elften Idyll erkennbare gegensätzliche Grundausrichtung der Akteure dürfte an sich schon das überragende Gestaltungsprinzip im zweiten Gedicht verdeutlichen. Die Rolle des Kontrastes stellt Hommel an zahlreichen Beispielen heraus: Er verweist u. a. auf den Gegensatz von Stadt und Land, von Realität und surreal gewordener magischer Aktivität, von Mensch und Gott, Ruhe und Lärm, den sozialen Unterschied zwischen Simaitha und Delphis.166 Insbesondere das zuletzt angesprochene gesellschaftliche Gefälle spiegelt sich auch in der Sprache Simaithas wider, die sich bisweilen für sie ungemäßer, affektierter Ausdrücke bedient, möglicherweise um den Klassenunterschied auszugleichen.167 Nachvollziehbar verbunden wirken die kontrastiven Gegenüberstellungen durch das im gesamten Gedicht immer wiederkehrende Bild vom Feuer, das dem zweiten Idyll sogar den Vorwurf der Monotonie eingebracht hat.168 Es dürfte die Unwägbarkeit der Liebesglut symbolisieren. In den Zauberquartetten abecdh tritt es zu Tage – mal deutlicher, mal mehr im Hintergrund stehend. Dem zweiten 163 Vgl. Parry (1988) S. 48. 164 Vgl. Petrovic (2004) S. 439 f. Für Informationen zum Wettgesang der Hirten bei Theokrit sowie in weiteren Kulturkreisen vgl. Merkelbach (1986) S. 212–238. 165 Vgl. Parry (1988) S. 50. 166 Vgl. Hommel (1956) S. 195 f. 167 Vgl. Griffiths (1979) S.  86, der den Zeitpunkt, an dem das Mädchen die eigene allzu große Aufgeschlossenheit gegenüber Delphis erkennt (ἐγὼ […] ἁ ταχυπειϑήϛ, 138), als den Auslöser für die Abkehr vom für sie unadäquaten, nur vom Geliebten übernommenen Sprachstil identifiziert. – Dem Forscher gemäß hatte sich ihre eigentliche Naivität und Unbeholfenheit gezeigt, als Delphis Simaitha mit ὦ γύναι (132) anspricht. Sie missversteht das in Vers 41, wo sie meint, Delphis nenne sie seine Ehefrau. In der Folge bedient sich die Protagonistin z. B. epischtragischer Ausdrücke. In ihrer Hinwendung an Selene zitiert sie ihre eigenen Worte an die Dienerin: Mit ›εἰ δ’ ἄγε, Θεστυλί […]‹ ὣϛ ἐφάμαν (95–102) spricht die Liebende wie eine Heroine Homers. Vgl. dazu ders. S. 83 f. 168 Vgl. recht hart wertend Roussel (1932) S. 364 »Les sortilèges employés ici sont du reste assez monotones: (…) le feu joue un trop grand ròle (18, 24, 28, 54), alors qu’il y tant d’espèces d’envoûtement possibles!«

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Gedichtteil mit der Schilderung der Liebesentwicklung ist es in gleicher Weise für die weibliche wie für die männliche Hauptfigur entnehmbar: erst für Simaitha ([…] ὥϛ μоι πυρὶ ϑυμὸϛ ἰάφϑη […], 82), dann für Delphis ([…] τύ με δευτέρα ἐκ πυρὸϛ εἵλευ, […] ἡμίφλεκτоν· Ἔρωϛ δ’ ἄρα καὶ Λιπαραίω / πоλλάκιϛ Ἁφαίστоιо σέλαϛ φλоγερώτερоν αἴϑει, 131–134). Die Liebe als Feuer stellt eine geläufige Metapher dar. Sie entspricht sogar so sehr der menschlichen Natur, dass auch die Zauberpapyri sich immer wieder dieses Bildes bedienen (PGM IV 2930–2932): »[…]. […] καὶ τῇ δεῖνι, ἣν δεῖνα, βάλε πυρσὸν, ἔρωτα, ὥστ’ ἐπ’ ἐμоῦ τоῦ δεῖνоϛ, оὗ ἡ δεῖνα, φιλότητι τακῆναι ἤματα πάντα. […]« »(…). (…) Und wirf in die NN, der NN Tochter, Feuerbrand, Liebe, sodass sie aus Sehnsucht nach mir dem NN, der NN Sohn, alle Tage hinschmelze. (…)«

In einer weiteren ἀγωγή heißt es (PGM XXXVI 80–82): »[…] ὡϛ ὑμεῖϛ καίεσϑε καὶ πυρоῦσϑε, оὕτωϛ καὶ ἡ ψυχή, ἡ καρδία τῆϛ δεῖνα, ἧϛ ἔτεκεν ἡ δεῖνα, ἕωϛ ἄν ἔλϑῃ φιλоῦσα ἐμὲ τὸν δεῖνα […].« »(…) Wie ihr verbrannt und entflammt werdet, so auch die Seele und das Herz der NN, die die NN geboren hat, bis sie kommt in Liebe zu mir, dem NN (…).«

Auch klingen ähnliche Töne in einem homosexuellen Liebeszauber zwischen zwei Männern an (PGM XXXIIa, 1–12): Ὡϛ ὁ Τυφῶν ἀντίδικόϛ] ἐτιν τоῦ Ἡλίоυ, оὕτωϛ καῦσоν καρδίαν καὶ ψυχὴν αὐτоῦ Ἀμωνείоυ, оὗ ἔτεκεν Ἑλένη […], καῦσоν ψυχὴν καὶ καρδίαν αὐτоῦ Ἀμωνείоυ, оὗ ἔτεκεν Ἑλέν, ἐπ’ αὐτὸν Σεραπιακόν, ὃν ἔτεκεν Θρέπτη […]. Wie Typhon Widersacher des Helios ist, so entbrenne Herz und Seele von Amônios selbst, den Helene gebar (…), entbrenne Seele und Herz von Amônios selbst, den Helene gebar, für Serapiakos selbst, den Threpte gebar (…).

Das Bild vom Feuer lässt sich in den Gebrauchstexten vielfach belegen.169 Bekanntlich steht es beim Menschen grundsätzlich für knisternde Spannung und glühende Leidenschaft, wenn die Liebe auf beiden Seiten erwidert wird. Wird die Sympathie jedoch – wie bei Simaitha – zum Zeitpunkt der magischen Handlung nur einseitig empfunden, dann kann es einerseits der Qual der Gekränkten Ausdruck verleihen, andererseits den dem treulosen Geliebten angewünschten Schmerz symbolisieren. Mitunter diese Ambiguität verdeutlicht vielleicht am besten die Gegensätzlichkeit als wesentliches Charakteristikum im Gedicht. Das im ersten Teil  die Mittelposition einnehmende Quartett  d greift diesen Kontrast auf. Als es im Inneren der Simaitha brodelt, schweigt die Natur (38–40). Als Delphis sich ihr nähert, fühlt Simaitha sich kälter als Schnee, von ihrer Stirn 169 Vgl. zusätzlich zu den erwähnten Textstellen PGM XII 478–492 und XXXVI 191–201. Vgl. auch die Belegstellen bei Schweizer (1937) S. 44–46.

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ergießt sich Schweiß, Tautropfen gleich (106 f.). Am Ende, wenn die Protagonistin akzeptiert, ihre Sehnsucht zu ertragen, thematisiert Simaitha die ruhige Nacht (εὐκάλоιо […] Νυκτὸϛ, 166). Nach Griffiths könnte die Schilderung der Natur in den drei Textstellen dem Zweck der Selbstdefinierung dienen.170 Zum Schluss wirkt die Not der Simaitha also doch ein wenig gelindert. Wenn sie sich auch nicht der Dichtung als φάρμακоν und sich selbst als Dichterin bewusst geworden ist, so hat sie offenbar doch zumindest Delphis durchschaut (158). Sie will ihre Sehnsucht aushalten. Eine andere Möglichkeit bietet sich ihr als Frau vermutlich auch nicht. Es liegt nahe, dass Simaitha, trotz ihrer greifbaren Entwicklung zum handelnden Subjekt hin, in einer von Männern dominierten Welt auf einer Stufe stehen bleiben muss, die sie als Frau nicht überschreiten kann. Relativ drastisch bringt es Parry auf den Punkt: Zeigt sich die männliche Antwort auf unerfülltes Verlangen möglicherweise in einer Vergewaltigung, kann die weibliche in Magie offenbar werden.171 Die destruktive Seite der Zauberkunst wird in ihren grässlichsten Zügen in den κακὰ φάρμακα deutlich. Die Tatsache, dass Simaitha deren Zubereitung von einem fremden assyrischen Magier gelernt hat (Ἀσσυρίω, δέσπоινα, παρὰ ξείνоιо μαϑоῖσα, 162), beweist ein weiteres Mal: Simaitha ist wohl keineswegs eine Dilettantin im magischen Metier. Wenn sie es schon nicht schaffen sollte, dass Delphis sie liebt, so wird sie ihn zumindest zur Strecke bringen. Diesem Gedanken fügt sich eine weitere mögliche Interpretation, die sich zwar als recht spekulativ erweist und deswegen nicht zu sehr herausgehoben werden soll, die allerdings im Gesamtzusammenhang des Gedichtes insbesondere beim dichterischen Genie des Theokrit zumindest nicht ausgeschlossen werden darf. Sie entwickelt sich auf magischer Ebene: Es ist auffällig, dass der von Simaitha geschilderte Prozess, wie sich Delphis ihr überhaupt zuwandte, im Gesamten den Charakter einer magischen ἀγωγή aufweist. Die Protagonistin erzählt ihrer Sklavin von ihren Gefühlen  – und das Unheil nimmt seinen Lauf.172 Simaitha fordert von der Dienerin ein Mittel zur Lösung ihres Problems (95). Sie heißt Thestylis, u. a. den Ersehnten herbeizuführen (ὑφαγέо, 101). Dabei verwendet die verliebte Herrin im Prinzip bereits begrifflich den magischen Fachterminus.173 Ehe sie sich versehen kann, steht schließlich bereits 170 Vgl. Griffiths (1979) S. 87. 171 Vgl. Parry (1988) S. 53. 172 Das erinnert in Grundzügen an den ›Hippolytos‹ des Euripides. Erst als Phädra ihrer Amme die Liebe zum Stiefsohn (351) gestanden hat, führt deren Eingreifen (565–615) letzten Endes zur Entscheidung der Herrscherin, sich umbringen zu wollen (723), und damit zur Katastrophe. An den Jüngling richtet sich der Vorwurf, sich an seiner Mutter vergangen zu haben, er wird von seinem eigenen Vater verflucht (882–890), erleidet einen Unfall (1230–1239) und ist so dem Tode ausgeliefert (1347–1458). 173 Inhaltlich entspricht der Imperativ ὑφαγέо dem ἄγε einer ἀγωγή. Dazu siehe o. S. 57 mit Anm. 103. Der dorischen Form ist in Sprache bzw. Klang sogar noch deutlicher die denkbare Parallele zu entnehmen als einem attischen ὑφηγоῦ.

Das zweite Idyll Theokrits: ›Φαρμακεύτρια‹

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Delphis – wie bei einer ἀγωγή – an ihrer Schwelle (102–104). Überhaupt ist die Schilderung wohl parallel zur Rhombos-Analogie in Vers 30 f. und zur Hippomanes-Handlung (48–51) zu sehen, wo Tür bzw. Haus der Simaitha thematisiert werden. Es hat also fast den Anschein, dass die eigentliche Vereinigung von Simaitha mit ihrem Geliebten schon von Anfang an nicht aus freien Stücken zustande gekommen ist, sondern bereits dabei Magie im Spiel gewesen sein könnte. Dann wäre es auch nicht weiter verwunderlich, dass Delphis irgendwann nicht mehr heimkehrt. Denn nach einem magischen Grundsatz, richtet sich jeder Zauber früher oder später gegen seinen Urheber.174 Die ganze geschilderte Zeremonie (1–63) wäre dann von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Gewissermaßen lägen dann zwei ineinander verknüpfte magische Handlungen vor. Das scheint ohnehin nicht so abwegig – zumal Simaitha auch eine auffällige Äußerung von sich gibt, die dergestalt verstanden werden könnte, dass sie selbst sogar eine alte Zauberin aufgesucht hat (90 f.).175 Der Gedanke ist natürlich reine Spekulation, steht aber durchaus mit der Gesamtdeutung des Idylls in Einklag. Das Gedicht enthielte dann einen Handlungsstrang nicht nur auf den drei bekannten, sondern sogar auf vier verschiedenen temporären Ebenen. Den äußeren Rahmen bildet die aktuell stattfindende magische Handlung der Simaitha (1–63). In die Gegenwart kehrt Simaitha auch am Ende (νῦν δέ, 157) gedanklich zurück. Dazwischen steht der Rückblick in die Vergangenheit über die Entwicklung der Liebe und die Aufdeckung des Betrugs (64–156). Doch ließe sich in diesem inneren Rahmen – analog zu den im ganzen Gedicht immer wieder wahrnehmbaren Verweisen auf eine zukünftige Tat (z. B. 58)  – anhand der beschriebenen Details vielleicht noch eine weitere zurückliegende Handlungsebene rekonstruieren: ein möglicherweise bereits von der Alten durchgeführter ἀγωγή-Zauber. Theokrit als offenkundiger Experte im magischen Metier und dichterisches Genie könnte denkbar selbst den Entwicklungsprozess der Liebe im Charakter einer ἀγωγή gestaltet haben – unabhängig davon, ob sie im Rahmen der Handlung realistisch ist oder nicht.

174 Vgl. Luck (1990) S. 71. 175 Der Sinn ihrer Zwischenbemerkung (καὶ ἐϛ τίνоϛ оὐκ ἐπέρασα, / ἢ πоίαϛ ἔλιπоν γραίαϛ δόμоν ἅτιϛ ἐπᾷδεν; / ›Und in wessen Haus ging ich nicht oder welcher Alten Haus ließ ich hinter mir?‹) ist nicht eindeutig erschließbar. Zunächst kann Simaitha damit die Frage in den Raum stellen, welche Zauberin, die doch hätte helfen können, sie nicht aufgesucht hat. Andererseits wäre eine gegenteilige Auffassung mit der Bedeutung, bei welcher Magierin sie denn eigentlich nicht ein- und ausgegangen sei, genauso denkbar und wohl wahrscheinlicher. – Das inhaltliche Problem wird durch den sprachlich verwirrenden, elliptischen Ausfall des δόμоν im ersten Satzteil noch erschwert. Zur Stelle vgl. Petrovic (2007) S. 52.

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3.1.9 Theokrit als magischer Fachmann – Ergebniszusammenfassung Die Auseinandersetzung mit dem zweiten Idyll hat gezeigt, dass sich der hellenistische Dichter bei der Schilderung der magischen Handlung im wohl auf den ersten Teil des Gedichtes beschränkten Ritus vermutlich en détail an Vorgaben gehalten hat, die auch für die Zauberpapyri belegbar sind: Dementsprechend könnte er u. U. sogar die gleichzeitige Durchführung von ἐπίϑυμα und λόγоϛ als Einheit sowie die Präparationsphase als in der realen Magiepraxis verankerte Elemente aufgegriffen haben. Die Zusammengehörigkeit von Rauchopfer und Spende darf im weitesten Sinne als plausibles Argument zur Bestärkung einer naheliegend vom Poeten gewählten Strophenanordnung gelten. Als entscheidender Beleg für die erahnbare Kompetenz des Dichters im magischen Fachgebiet wurde der von Simaitha durchgeführte, als διαβоλή identifizierte Ritus gewertet. Auch die herausgestellte Interpretation, dass Delphis sich vielleicht nur infolge einer ἀγωγή im Haus der Simaitha eingefunden haben könnte, dürfte Theokrits poetische Genialität und sein magisches Fachwissen erkennen lassen. Allerdings soll zudem festgehalten werden, dass der Überrealismus der magischen Aspekte zwangsläufig zum Scheitern des Rituals führen würde, würde man sich bei einer Durchführung an die Vorgaben halten. Eine eindeutige Verbindung zu Sophron konnte nicht nachgewiesen werden. Denn die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Autoren gehen nicht über ein allgemeines Spektrum grundsätzlicher Zaubercharakteristika hinaus. Die Magie selbst fungiert im zweiten Idyll wohl als letzter erkennbarer Zufluchtsweg, der sich einer betrogenen Frau in einer von Männern dominierten Gesellschaft bieten könnte.

3.2 Die achte Ekloge Vergils

Seine Fortsetzung findet das hellenistische zweite Idyll in der achten Bukolik des römischen Nationaldichters Vergil.1 In den Sängerwettstreit zwischen den Hirten Damon und Alphesiboeus ist die eindrucksvolle Schilderung einer magischen Szene eingebettet.

3.2.1 Inhalt, Aufbau und Sprechsituation des Gedichtes Zu Beginn der Ekloge wird der Wettstreit zwischen den zwei Hirten thematisiert (1–5), eine knappe Widmung schließt sich an (6–13). Es folgt nach kurzer Überleitung (14–16) die Wiedergabe des ersten Liedes (17–61): Damon singt in der Ich-Perspektive traurig von der unglücklichen Liebe zu Nysa, deren Hochzeit mit einem anderen Mann, Mopsus, ansteht (26).2 Im Anschluss an weitere Übergangsverse (62 f.) steht das Lied des Alphesiboeus (64–109), das dieselbe Grundthematik aufweist.3 Es handelt von einer Frau, die eine magische Zeremonie initiiert, um den ihr untreuen Geliebten zurück nach Hause zu führen.4 In der vorliegenden Abhandlung geht es vordergründig um das zweite Lied im amoebaeum, dem Wechselgesang.5 Rein formal können dem Gesang des Alphesiboeus neun Abschnitte ungleicher Verszahl entnommen werden.6 Dabei wer 1 Auf eine ausführliche Behandlung der wohl berühmtesten magischen Szene Vergils, des fulminanten Liebesschadenzaubers der Dido (Aen. 4,450–665), wird in dieser Arbeit verzichtet. Denn es ist sinnvoll, sich auf ein Gedicht mit eindeutigen Theokrit-Bezügen zu beschränken. Zur magischen Handlung der ›Aeneis‹ vgl. z. B. Heinze (31915) S. 141–144, Eitrem (1933a) S. 29–41, Luck (1962) S. 15–24, Pease (1967) [1935] S. 368–514, Fauth (1999) S. 49–58, knapp siehe u. S. 258–260. Darüber hinaus gilt das Alphesiboeus-Lied in gewisser Weise als Vorgänger der Dido-Szene. Zu Parallelen vgl. Robinson (1977) S. 13–15 und seine Verweise unter Anm. 41. 2 Ob Damon und Ich-Person seines Gesanges als identisch aufzufassen sind, ist fraglich. Vgl. dazu Leach (1974) S. 153. Allerdings handelt es sich zumindest bei beiden Personen um Hirten (vgl. 33 f.). Im Folgenden wird, wenn es um den verzweifelten Liebhaber des Gedichtes geht, vom Ich des Damon-Liedes die Rede sein. 3 Zur verzweifelten Liebe in Vergils Eklogen vgl. Lee (1930) S. 58–69 (das Kapitel »Love: Eclogues 2 and 8«), Wójcik (1969/70) S. 83–98 (in den Bukoliken 2, 8 und 10). 4 Zum Aufbau des Gedichtes und insbesondere der Gliederung des Alphesiboeus-Liedes vgl. bereits Pfeiffer (1933) S. 34 f. 5 Zum lateinischen Fachbegriff vgl. Pfeiffer (1933) S. 35. 6 Vgl. Clausen (1994) S. 238. Dagegen vgl. Page (1957) [1898] S. 155 mit einer Zählung von zehn Strophen. – Zum diese nummerische Divergenz auslösenden Schaltvers (76) siehe u. S. 87 mit Anm. 64 f.

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den die inneren Handlungsschritte immer wieder von einem Kehrvers unterbrochen, sodass sich für die einzelnen Partien ein Umfang von drei, vier oder fünf Versen ergibt.7 Das erste Quartett (64–67) beinhaltet die Vorbereitung des anstehenden magischen Ritus. Die Akteurin benötigt Wasser, eine Binde, grüne Zweige und Weihrauch (64 f.). Ihr Ziel ist es, durch die Zeremonie dem ihr untreuen Mann den gesunden Menschenverstand auszutreiben (… coniugis … sanos avertere … / … sensus, 66 f.).8 Dazu verwendet sie Zaubersprüche (67). Die beschworenen carmina werden in Vers 69 sogleich aufgegriffen. Das Terzett (69–71) ist recht allgemein gehalten, kein konkreter Bezug zur rituellen Handlung lässt sich erkennen: Magische Formeln  – so heißt es  – können den Mond vom Himmel ziehen, haben dereinst des Odysseus Gefährten verwandelt, bringen sogar Schlangen zum Bersten. Die nächsten beiden Abschnitte erweisen sich als inhaltlich zusammengehörig. Die Dreizahl fungiert offensichtlich als verbindendes Element (z. B. 73, 77). Drei Fäden werden thematisiert, dreimal soll ein Bild um den Altar getragen werden (73–75). Drei Knoten sollen von Amaryllis geknüpft und die Worte ›Der­ Venus Fesseln binde ich‹ von ihr dazu gemurmelt werden (77 f.). Zwischen beiden Abschnitten steht der Kehrvers (76), er trennt die eigentliche Sinneinheit, ein denkbares Quintett, in zwei Teile. – Die Zeremonie hat bereits begonnen. Weitere Taten werden im sich anschließenden Vierzeiler geschildert (80–83). Die Magierin übergibt zum Zwecke eines Analogiezaubers Lehm und Wachs dem Feuer. Wie der eine hart wird und das andere erweicht, so soll auch der untreue Geliebte Daphnis in Liebe sich erhärten bzw. weich werden (80 f.). Die Akteurin heißt sodann die Dienerin, Mehl bzw. Schrot (molam, 82) ins Feuer zu streuen, Pech (bitumen, 82) und Lorbeerblätter (lauros, 82) hineinzuschütten. Wie der gemeine Mann der Akteurin brennenden Schmerz zufügt, so verbrennt sie die Pflanze (83), um bei Daphnis entsprechende Gefühle auszulösen. Erkennbar liegt wiederum analoge Magie vor. Daraufhin folgt ein Fünfzeiler (85–89). In einem anschaulichen Bild vergleicht die Protagonistin Daphnis mit einer Jungkuh, die müde von der Suche nach dem Stier im Grünen niedersinkt und sogar nicht mehr an die für sie unangenehme Nacht denkt (85–88). Ein weiteres Mal wird die Vorstellung von einem Analogiezauber deutlich. Denn genauso soll Daphnis von Liebe gefesselt sein (89).

7 Conington/Nettleship (1963) [51898] S. 93 erwähnen zusätzlich noch den Zweizeiler, der hier allerdings wegen der offensichtlichen Zusammengehörigkeit der Verseinheit 73 bis 75 mit 77 f. beiseite gelassen wird. 8 Dem vergilischen coniu[nx] muss hier nicht die Bedeutung ›Gatte‹ zukommen. Es ist nicht notwendigerweise anzunehmen, dass die Akteurin und der ihr Kummer bereitende Mann verheiratet sind, sondern man mag vielleicht eher an eine Beziehung denken, in der ein Eheversprechen gegeben wurde. Vgl. z. B. Gould (1967) S. 68.

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Das nachstehende Terzett (91–93) führt die magische оὐσία des Geliebten an, seine Kleidung (exuvias, 91). Diese vergräbt die Protagonistin unter der Türschwelle (limine in ipso, 92 f.) und erhofft sich so seine Rückkehr. Dann thematisiert die Akteurin in einem Quintett (95–99) magische Hilfsmittel: Die Giftkräuter vom Schwarzen Meer stammen von einem Zauberer namens Moeris (95 f.). In der Vergangenheit sah die Liebende bereits, wie dieser sich mit Hilfe der Substanzen in einen Wolf verwandelte, Geister aus Gräbern lockte und Getreide von einem Feld auf das andere hexte (97–99). Schließlich  – es folgt ein Terzett (101–103)9  – heißt die Protagonistin ihre Dienerin Amaryllis, das Relikt der Zauberhandlung, die Asche (cineres, 101), in den Fluss zu werfen, ohne sich dabei umzudrehen (… nec respexeris, 102). Damit wäre der Ritus wohl eigentlich zu Ende geführt. Doch fasst die Akteurin dann offenbar einen neuen Plan und will sich anderer Mittel gegen den Geliebten bedienen (his ego Daphnim / adgrediar, 102 f.). Das letzte Quartett (105–108) beschreibt eine unerwartete Wendung im Geschehen. Plötzlich entzündet sich die Asche und entflammt erneut (corripuit tremulis altaria flammis …, 105). Die Akteurin versteht nicht, was vor sich geht, und der Hund Hylax kläfft (107). Die Protagonistin ist sich nicht sicher, ob sie ihren Augen trauen kann (108). Was ist ihr gerade widerfahren? Der letzte Kehrvers – in abgeänderter Form – bietet dem Leser die Auflösung dar: Der Zauber hat funktioniert. Der Geliebte steht vor der Tür (… ab urbe venit … Daphnis, 109). Der Gesang des Alphesiboeus mit der magischen Handlung ist nach Pfeiffer grob in drei wesentliche Gliederungsabschnitte unterteilbar, in deren Mittelstück die Macht der Liebe demonstriert wird. Einen Rahmen zwischen dem ersten und letzten Teil kann er nicht erkennen.10 Aber es lässt sich eine signifikante Verbindung zwischen den beiden Großabschnitten feststellen: Die topischen Charakteristika der Magie, die im Zusammenhang mit den Zaubersprüchen genannt werden (69–71), finden eine wahrnehmbare Fortführung in der Wirkung der von Moeris erhaltenen magischen Mittel (97–99). Auch an dieser Stelle werden etablierte Zaubermotive genannt. Der Dichter verwendet in beiden Fällen drei Verse zur Schilderung dreier verbreiteter Kennzeichen der Zauberkunst. Er gestaltet formal wie inhaltlich parallel. Dieser Befund stimmt mit einer Feststellung MacDonalds überein, die den beschriebenen Ring im zweiten Gesang der Ekloge bei einer Gegenüberstellung mit Theokrit ebenfalls nachzuweisen versucht: Interessanterweise führt sie eine voll 9 Zur in der vorliegenden Arbeit beiseite gelassenen Auseinandersetzung mit einer spekulativen Umstellung der Strophenordnung (Austausch der Strophe 101 bis 103 mit der Strophe 95 bis 99) vgl. z. B. die Diskussion Kolsters (1882) S. 178. 10 Vgl. Pfeiffer (1933) S. 35, der jedoch bei gleicher Thematik im Mittelteil für das Gedicht Damons eine Rahmenkomposition eindeutig nachweisen kann.

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kommen divergente Begründung ins Feld. Aufgrund der verbalinhaltlichen Entsprechung der Kirke-Thematisierung (70) ergebe sich ein Bezug zu Simaithas Anrufung der Göttin Hekate und der Bitte um Kräuter, die das Machtpotential der Pflanzen der großen Zauberin aufwiesen (id. 2,14–16). Die Substanzen des Moeris (95 f.) nähmen Bezug auf die zugehörige Passage mit der Nennung der schlimmen Mittel des Assyrers (id. 2,159–166). Da sich damit bei Theokrit eine Ringkomposition ergebe, müsse sie sich auch bei Vergil widerspiegeln.11 Die Dreiteilung des Alphesiboeus-Liedes zeigt sich formal auch dergestalt, dass ein jeder Abschnitt erkennbar aus je einem Terzett, Quartett und Quintett besteht  – jeweils in unterschiedlicher Abfolge.12 Dabei verbindet Teil  eins und drei – der Rahmung entsprechend – im weitesten Sinne die Thematik der Magie und ihrer Macht, während der Mittelteil vom ersehnten Effekt, also Liebe und einer entsprechenden Gemütsverfassung bei Daphnis, handelt.13 Die Untersuchung der Sprechsituation des zweiten Liedes erweist sich als recht komplex. Zunächst ist der ganze Gesang als der des Hirten Alphesiboeus gekennzeichnet (62 f.). Doch selbst im Gedicht wird nicht die direkte Konfrontation der zwei Hirten geschildert, sondern stattdessen von einer dritten Person (mihi, 8) quasi zu einem späteren Zeitpunkt deren Vortrag referiert. Nimmt man es genau, geschieht das nicht einmal durch das Dichter-Ich, sondern vielmehr durch die Musen (62 f.). Stellt man sich Alphesiboeus vor, wie er gerade sein Gedicht rezitiert, dann schlüpft er bei seiner Wiedergabe in die Gestalt der unglücklichen Frau. Er berichtet aus deren Perspektive, der ersten Person (z. B. experiar, 67, duco, 75 etc.). Die Akteurin selbst wird bei der Durchführung der magischen Zeremonie von ihrer Dienerin Amaryllis unterstützt, der sie immer wieder Anweisungen gibt (z. B. effer, 64, cinge, 64 etc.) oder die sie sogar namentlich anspricht (necte …, Amarylli …, 77). Wendet sich die Protagonistin nicht an ihre Sklavin, dann spricht sie im Refrain die Zaubersprüche selbst an, die Daphnis heimführen sollen (z. B. 68, 72 etc.). Im Grunde genommen dürfte das Lied im Wesentlichen einen Monolog aus dem Munde der Akteurin verkörpern. Lediglich bei zwei Versen (105 f.) muss als fraglich gelten, ob sie von ihr stammen – sie sind vielleicht eher der Dienerin zuzuweisen.14 Denn dum ferre moror (106) bezieht sich vermutlich auf Amaryllis, die zögert, die Asche zu tragen – also das zu tun, was ihr soeben aufgetragen worden war (101 f.). Sicher könnte die Akteurin auch zusammen mit ihrer Sklavin die Relikte der magischen Verbrennung entfernen und selbst die Worte sprechen – 11 Zur Argumentation von Anfang bzw. Ende der Ringkomposition vgl. MacDonald (2005) S. 19 bzw. 22 f. Doch dazu genauer u. S. 80. 12 Vgl. Clausen (1994) S. 238. 13 Vgl. MacDonald (2005) S. 18, die in ihrer Darstellung für den ersten und letzten Abschnitt als Thema »Magic and power«, für den mittleren »Desired effect and state of mind« angibt. 14 Vgl. Schol. Bern. ad Vergili Bucolica (8,105) forsitan ancilla dicit. Vgl. in der Moderne erneut bestätigend z. B. Ladewig/Schaper/Deutike (101973) [91915] S. 71.

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so Heyne.15 Doch die Gesamtsituation als solche legt m. E. eine andere Deutung nahe. Bei einem magischen Ritual eine Gehilfin an der Seite zu haben, ist sowohl für Sophron als auch für Theokrit belegbar.16 Es kann auch hier als wahrscheinlich angenommen werden. Auch legt der erste Leseeindruck zwei agierende Personen nahe. Eher fraglich ist, ob die Ausrufe ›Schau doch!‹ (Aspice, 105) bzw. ›Hoffentlich bedeutet’s Gutes!‹ (bonum sit, 106) wirklich auch von der Dienerin stammen müssen.17 Denn es wäre vorstellbar, dass sich z. B. erst durch aufsteigenden Rauch irgendetwas noch nicht Bestimmbares andeutet – deswegen die überraschte Aufforderung der Herrin an die Gehilfin, hinzuschauen.18 Doch weil die Sklavin bereits unmittelbar vor dem Opferherd steht, kann die gebietende Protagonistin vielleicht nicht sehen, dass die Asche entflammt ist. Das teilt dann die Dienerin mit. Die Flamme wird möglicherweise noch größer. Schließlich erkennt die Zauberakteurin mit eigenen Augen, was vor sich geht, und verleiht ihrer Skepsis dem Geschehen gegenüber Ausdruck. – Auf jeden Fall erscheint es gerade wegen der üblichen Personenkonstellation in magischer Literatur gewagt, das ganze Lied, wie von Büchner und Wallinger in Erwägung gezogen, als ein Selbstgespräch einer Amaryllis zu identifizieren.19 Denn dass sie sich selbst, z. B. mit den genannten Imperativen, anspricht, wirkt wenig plausibel.

3.2.2 Vergleich der magischen Handlung bei Vergil und Theokrit Während das Damon-Lied offenkundig die Idylle eins und v. a. drei und elf zum Vorbild hat, rekurriert der Gesang des Alphesiboeus erkennbar auf die ›Φαρμακεύτρια‹.20 Die Grundsituation des vergilischen Zauberritus wirkt der im hellenistischen Bezugsgedicht auf den ersten Blick recht ähnlich gestaltet.21 Eine 15 Vgl. Heyne (1968) [41830] S. 219. 16 Auch in den PGM ist ein Gehilfe nicht ungewöhnlich. Das kann ein Knabe (wie in PGM V 1–52) sein oder z. B. ein Parhedros-Dämon (PGM I 1–42, 42–195). Mehr zur magischen Gehilfin siehe o. S. 61 f. sowie u. 221, 323, 328 f. mit Anm. 210 und 413. 17 Die Frage wirft Mancini (1964) S. 89 zumindest schon für den zweiten Ausspruch auf. 18 Gegen Servius (ecl. 8,105), der zum Ausruf ›Schau doch!‹ festhält: hoc ab alia dici debet. 19 Vgl. Büchner (1966) Sp. 214 f., Wallinger (1994) S. 30. – Doch m. E. ist ein variierender Sprecher, gerade weil im Textzusammenhang ein Hirte den Gesang vorträgt und dieser wiederum der Vorstellung nach bei seiner Rezitation ohne weiteres seine Stimme verstellen könnte, keineswegs von der Hand zu weisen, mag der Gedanke auch als recht unkonventionell erscheinen. 20 Vgl. Holtdorf (1959) S. 211. – Dass der zweite Gesang wohl die Struktur von Theokrits Simaitha-Zauberhandlung übernimmt und sich nicht so sehr, wie im Wettbewerb zu erwarten wäre, am vorausgehenden orientiert, hat immer wieder zur Hypothese geführt, das Lied Damons sei in Anlehnung an das nachgestellte angefertigt. Vgl. dazu z. B. Clausen (1994) S. 238 f.,­ MacDonald (2005) S. 30. 21 Das zweite Idyll selbst lebt erkennbar in zwei Bukoliken Vergils fort. Vgl. Segal (1987) S. 170, der der zweiten Ekloge »the mood, dramatic technique, and psychological concentration« des Vorbildes, der achten »its external form, the magical spell of the refrain« zuweist.

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unglücklich liebende Frau bedient sich der Magie, um ihren untreuen Liebhaber zurückzugewinnen.22 Bei ihrem Tun wird sie von einer Dienerin unterstützt. Werden beide Akteurinnen Theokrits mit Namen benannt, erfährt man bei Vergil – zumindest soweit die zur Sprechsituation dargestellte Deutung sich als stimmig erweist – nur den Namen der Sklavin, Amaryllis.23 Dabei orientiert sich der römische Dichter auch in formaler Hinsicht sichtbar an seinem Vorbild. Denn das Alphesiboeus-Lied (die ganze sich augenblicklich vollziehende Zauberhandlung der Ekloge inklusive Vorbereitung) und der in Verlauf befindliche Ritus des Idylls (ab der ersten πρᾶξιϛ) erstrecken sich in beiden Fällen bei gleicher Strophenzahl über 36 Verse hin.24 Auch entspricht sich die Anzahl von je zehn25 Kehrversen im Gesang des Hirten und in Simaithas magischer Aktion. Zusätzlich übernimmt Vergil, wie MacDonald herausarbeitet, die erkennbare Gliederung in einen inneren sowie äußeren Rahmen: Der Forscherin gemäß beginne die innere Handlung in Vers 78 der Ekloge mit einer wörtlichen Anlehnung an id. 2,21, also an das erste Quartett von Simaithas Zauberhandlung: Die Wendung necte … ›Veneris‹ dic ›vincula necto‹ entspreche πάσσ’ […] λέγε […]· ›τὰ Δέλφιδоϛ ὀστία πάσσω.‹ Sein Ende finde das innere Geschehen mit der Passage von Vers 91 bis 93 (Vergraben der оὐσία unterhalb der Türschwelle) in Anlehnung an den Schluss der magischen Aktion in id. 2,53 f. (Vernichtung des Gewandsaumes) sowie id. 2,59–62 (Zerreiben der Kräuter an der Schwelle).26 Der äußere Rahmen habe seine Bezüge u. a. durch die Anweisung, Ingredienzien herbeizuschaffen (ecl. 8,64–67, id. 2,1 f.), und die Thematisierung der giftigen Kräuter (ecl. 8,95–99, id. 2,159–166). Das Wegschicken der Dienerin in ecl. 8,101–103 korrespondiere mit demselben Geschehen am Ende der Zauberhandlung in id. 2,58–62.27 Im Zuge der Motivgegenüberstellung und -erklärung wird sich zeigen, dass Vergil stets in unverkennbarer Weise mit den Vorgaben des Theokrit arbeitet, aber dabei selbst immerzu eigenschöpferisch wirkt und gern auch vom Bekannten abweicht.28 So lassen sich beim Aufbau der Ekloge zwar formale Ähnlichkeiten mit dem Idyll wahrnehmen. Doch ersetzt Vergil die immer gleich blei 22 Zur Magie bei Theokrit und Vergil vgl. Gessler (1948) S. 193–198. 23 Die Protagonistin Vergils bleibt anonym, vgl. dazu bereits Gould (1967) S. 67. 24 Zur nummerischen Gleichheit vgl. Clausen (1994) S. 237 f. 25 Zur nummerischen Gleichheit bei der Anzahl der Kehrreime im Damon- und Alphesiboeus-Lied vgl. bereits Kollmann (1973) S. 80. 26 Zu den Stellenangaben von Anfang bzw. Ende des inneren Rahmens vgl. MacDonald (2005) S. 19 bzw. S. 22. 27 Zu den einzelnen Bezügen des äußeren Rahmens vgl. MacDonald (2005) S.  18 f. bzw. S. 22 bzw. S. 23. 28 Vgl. Kappelmacher (1929) S. 90 f. mit seiner These, »(…) daß wir weniger von Vergils Gedächtnis, aber um so mehr von seiner dichterischen Seele zu halten haben.«

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bende Verszahl der einzelnen Strophen bei Theokrit im eigenen Gedicht durch S­ trophen unterschiedlichen Umfangs. Die drei Teileinheiten des AlphesiboeusLiedes werden folglich aus je einem Drei-, Vier- und Fünfzeiler gebildet – anstatt der Quartette beim Vorbild.29 Darüber hinaus entsprechen sich auch trotz der Rahmungen die Inhalte beider Texte keineswegs. Denn ohnehin erweist sich Vergils Szene im Vergleich zu ihrem Pendant als deutlich komprimierter.30 Es lässt sich spüren, wie sich der römische Autor durchweg vom griechischen distanziert. Wie in der Auseinandersetzung mit dem hellenistischen Text nachgewiesen wurde, führt Simaitha einen φιλτρоκατάδεσμоϛ bzw. einen καταδεσμόϛ durch und bezweckt eine ἀγωγή. Es finden sich sogar Hinweise auf eine διαβоλή.31 Derart komplex wirkt die Handlung in der achten Ekloge nicht. Doch dient die Zeremonie per se der Rückgewinnung und physischen Herbeiführung des Geliebten Daphnis. Der Refrain (z. B. 76) ist im Sinne einer ἀγωγή zu verstehen: ducite ab urbe domum, mea carmina, ducite Daphnin. Bringt aus der Stadt heim, ihr meine Zaubersprüche, bringt den Daphnis.

Es lohnt zum Zwecke eines Vergleiches die Gegenüberstellung mit dem theokriteischen Interkalarvers (z. B. 17): ἶυγξ, ἕλκε τὺ τῆνоν ἐμὸν πоτὶ δῶμα τὸν ἄνδρα.

In naheliegender wörtlicher Anlehnung nimmt domum das im griechischen Kehrvers stehende ἐμὸν πоτὶ δῶμα wieder auf. Die Kritik Kolsters, dass der Vergil-Text das Possessivpronomen der ersten Person nicht enthalte, dürfte sich als unhaltbar herausstellen.32 Denn der inhaltliche Unterschied spielt offenbar eine Rolle: Daphnis soll nicht wie Delphis in das Haus Simaithas, eine ihm eigentlich fremde Wohnung, gelockt werden, sondern soll ›nach Hause‹, in das eigene Zuhause, heimkehren. Die Imperative der Schaltverse, ducite und ἕλκε, entsprechen einander. Die Formulierung im unterschiedlichen Numerus ergibt sich durch das jeweils angesprochene, fokussierte Zaubermittel. Vergil hat die [ἴ]υγξ Simaithas augenfällig durch carmina ersetzt.33 Die denkbar sexuelle Konnotation des theokriteischen Refrains durch die Nennung des Zauberrades – ein Bezug zu kurzlebigen Liebschaften ist herstellbar34  – fehlt dem lateinischen Kehrvers. Vergil distanziert sich offensichtlich vom Vorbild. Diese Grundhaltung wird auch bei der metrischen Ausgestaltung fassbar. Denn der im Hexameter verfasste Kehr 29 Vgl. Clausen (1994) S. 238. 30 Vgl. Klingner (1967) S. 146. 31 Dazu siehe o. S. 47–50 sowie u. 135 f., 176 f. mit Anm. 237 und 449. 32 Vgl. Kolster (1882) S. 173. 33 Vgl. bereits Klingner (1967) S. 145. 34 Vgl. Segal (1981) S. 82.

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vers des Idylls beginnt mit einem Spondeus, auf den Daktylen folgen. Im lateinischen Pendant, das im selben Metrum verfasst ist, wurde der erste Versfuß durch einen Daktylus ersetzt: _ʹ _ | _ʹ  v v | _ʹ  v  v | _ʹ  v v | _ʹ  v  v |  _ʹ  v ἶυγξ, ἕλκε τὺ τῆνоν  ἐμὸν  πоτὶ δῶμα τὸν ἄνδρα. _ʹ  v  v | _ʹ v  v | _ʹ  v v | _ʹ  v v | _ʹ v v | _ʹ  v ducite ab urbe   domum, mea  carmina, ducite  Daphnin.

Auch die Hintergrundszenerie als solche wirkt recht unterschiedlich ausgearbei­ tet: Während Simaitha und Thestylis  – wie gezeigt  – aller Wahrscheinlichkeit nach im Freien agieren,35 findet Vergils Zauberhandlung vermutlich im Inneren eines Hauses statt. Zwar kann der Verweis auf die Schwelle (92) noch nicht als Beleg dafür gewertet werden. Aber die Aufforderung an die Dienerin, die Asche nach draußen (foras, 101) zu bringen, darf wohl als Indiz für eine Durchführung der Handlung in einem geschlossenen Raum gelten. Ob es sich um ein Wohnhaus oder ein Gebäude agrarischer Nutzung, z. B. eine Scheune, handelt, lässt sich nicht erkennen. Als problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang der Befehl, Wasser heraus- bzw. hinauszutragen (effer, 64).36 Denn dann müsste die magische Handlung außerhalb des Hauses stattfinden. Fasst man die Anweisung als ein ›trag empor‹, die einzige sinnvolle andere Übersetzungsmöglichkeit, auf, befände sich die Dienerin offenbar an einem niedrigeren Punkt als die Akteurin.37 Demnach könnte der Ritus in einem höher liegenden, nicht ebenerdigen Gemach stattfinden.38 Alternativ müsste die Sklavin das Wasser entweder vom Bach herbeitransportieren (101) – vorausgesetzt, er läge tiefer – oder aus einem weiter unten sich befindenden, nicht genannten Reservoir hoch holen. Nur so viel lässt sich erkennen: Während Simaitha ihren Ritus in einem nicht eindeutig identifizierbaren Milieu im Umfeld einer Stadt vollzieht, findet die vergilische Zeremonie auf dem Land, in bukolischer Sphäre statt:39 Ein Bach fließt – 35 Dazu siehe o. S. 39. 36 Vgl. die unglückliche, im Zusammenhang wohl weniger gelungene Übersetzung Klingners (1967) S.  130 »Bring Wasser heraus (…)« sowie die Alpers’ (1979) S.  51 »Bring water out (…).« Vgl. zusätzlich die unscharfe Wiedergabe von Götte/Götte (1970) S.  47 »Wasser bringe (…)«, die Haeckers (1932) S. 67 »Wasser bring’ her (…)«, die Ebeners (1984) S. 53 »Weih­ wasser bringe (…).« 37 Zum Verbum efferre und seinen Bedeutungen, v. a. »in die Höhe, emporheben«, vgl. Georges I (1992) [81913] Sp. 2344–2346. 38 Keineswegs unwahrscheinlich, dazu siehe o. das Ritual in einem hochgelegenen Zimmer S. 39. 39 Vgl. Coleman (1975) S. 147, Segal (1987) S. 167 f. Vgl. zusätzlich Rumpf (1999) S. 167 f., der die höhere Häufigkeit sog. bukolischer Substantive bei Vergil im Vergleich zu Theokrit heraus­stellt und unter Anm. 12 für das Alphesiboeus-Lied z. B. die Begriffe bitumen (8,82), flamma (8,105), verbena (8,65), vitta (8,64), ulva (8,87) etc. auflistet. Vgl. außerdem Murr (1890) S. 96 und seine

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wie beschrieben – in der Nähe.40 Auch bedient sich die Akteurin eines rustikalen Bildes (85–89). Liefert Theokrit in seinem Text Hinweise auf eine Durchführung bei Dunkelheit und Nacht, könnte das Geschehen in der achten Ekloge zu jeder beliebigen Uhrzeit stattfinden – es lassen sich keinerlei konkrete Angaben dazu entdecken.41 Die magische Szene beginnt (64–67) ähnlich abrupt wie im Idyll: »Effer aquam et molli cinge haec altaria vitta verbenasque adole pinguis et mascula tura, coniugis ut magicis sanos avertere sacris experiar sensus; nihil hic nisi carmina desunt. »Trag Wasser empor und umwinde diesen Altar mit einer weichen Binde und bring als Brandopfer dichtes grünendes Gezweig und männlichen Weihrauch dar, sodass ich mit Zauberriten den gesunden Menschenverstand des Geliebten auszutreiben versuche; nichts außer Zaubersprüche fehlen hier.

Der erste Vers des Alphesiboeus-Liedes enthält eine Aufforderung, die mit ziemlicher Sicherheit an die Dienerin gerichtet ist. Die Imperative effer und cinge (64) nehmen dabei wortwörtlich die Anweisungen Simaithas, φέρε (id. 2,1) und στέψоν (id. 2,2), wieder auf.42 Vergil leitet nicht erst zum magischen Geschehen über. Es lässt sich also auch hier mimische Gestaltung erahnen43 – letzten Endes möglicherweise auf Sophron zurückgehend.44 Doch wird Amaryllis zunächst aufgefordert, Wasser (aquam, 64) herbeizu­ schaffen  – eine konkrete Parallele zu diesem Element findet sich bei Theokrit nicht. Allenfalls die Spende (ἀπоσπένδω, 43) könnte im Zusammenhang angeführt werden, wobei im Idyll aber nicht klargestellt wird, woraus sie denn eigentlich besteht. Die Flüssigkeit bei Vergil dient aller Wahrscheinlichkeit nach zur Verweise unter Anm. 3 u. a. auf Ael. VH 10,18 und Serv. ecl. 5,20. Der Forscher legt für den Namen Daphnis eine eindeutige Verbindung zum Hirten-Milieu dar und betont die Rolle der sich hinter der Bezeichnung verbergenden mythischen Gestalt als Schöpfer des bukolischen Gesanges. Allgemein zur Thematik der Natur bei beiden Dichtern vgl. Posch (1969) S. 86–101 (das Kapitel »Die Natur in der Darstellung Theokrits und Vergils« mit den Unterkapiteln »Die Darstellung der [›idealen‹] Landschaft« sowie »Naturbeseelung und sympathetisches Naturgefühl«). 40 Vgl. Büchner (1966) Sp. 212. Zu den Gewässern als Element der bukolischen Landschaft vgl. Pietzcker (1965) S. 192–194 (das Kapitel »Die Gewässer«). 41 Gegen die gewagte These Büchners (1966) Sp. 212, der das magische Geschehen im Gegensatz zur nächtlichen Komponente des Damon-Liedes am Tag verorten will. – Einen magischen Ritus bei Helligkeit durchzuführen, hat als recht unwahrscheinlich zu gelten. Zur Rolle und Anrufung der Nacht siehe u. S. 134 und 198–200. 42 Zur Parallele vgl. bereits Hosius (1915) S.  47. Vgl. auch Ladewig/Schaper/Deuticke (101973) [91915] S. 67 f. 43 Vgl. Luck (1962) S. 6. 44 Zu Gemeinsamkeiten zwischen Vergils Alphesiboeus-Lied, Theokrit und Sophron vgl. Lavagnini (1935) S. 153–155. – Neben den mimusartigen Elementen sind auch Bezüge zur Liebeselegie erkennbar, vgl. Fauth (1999) S. 125.

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rituellen Waschung.45 Dabei steht wohl der Gedanke einer κάϑαρσιϛ im Vordergrund.46 Für die Nennung der Binde (vitta, 64) lässt sich wiederum keine Entsprechung entdecken, allerdings wird sie als weich (molli, 64) charakterisiert. Das Adjektiv könnte die theokriteische Schafwolle (оἰὸϛ ἀώτῳ, id. 2,2) wieder aufnehmen.47 Außerdem fordert die Akteurin – ohne erkennbaren Bezug zum griechischen Dichter – grüne Zweige (verbenas, 64) und Weihrauch (tura, 65). Die genannten Naturstoffe lassen sich alle im Kult belegen – nach Luck wird die Zeremonie eigentlich erst durch die noch ausstehende Thematisierung der carmina (67) magisch.48 Dass die Akteurin im Sinn hat, ein magisches Opfer durchzuführen, deutet aber bereits die Wendung magicis (…) sacris (66) an. Die Formulierung rekurriert vermutlich auf das hellenistische ἐκ ϑυέων (id. 2,10).49 Ein dem dortigen Zusatz entsprechendes καταδήσоμαι findet sich bei Vergil jedoch nicht. Zwar wird auch hier eine Bindung vollzogen werden, allerdings besteht der fassbare Zweck der Handlung in einer psychischen Veränderung des Geliebten (66 f.). Simaitha dagegen trifft keine vergleichbare Äußerung. Vielmehr drängt sich der Gedanke auf, dass es ihr v. a. um einen Wandel des Delphis auf physischer Ebene gehe. Er soll ὑπ’ ἔρωτоϛ (id. 2,29) stehen. Der Leser kann erahnen, dass in der Darstellung Theokrits das Ausleben sexueller Lust im Vordergrund steht.50 Auch bei der Wahl der Vokabeln zeigt sich die inhaltlich verschiedene Grundausrichtung. Während das vergilische experiar (67) zur Bezeichnung der magischen Aktion nach dem Motto ›Ich kann’s ja mal versuchen‹ zaghaft und mild wirkt, erweist sich das im Futur formulierte καταδήσоμαι als sehr bestimmt. Dazu gesellt sich ein weiterer Befund: Dass Vergils Protagonistin auf die Macht von carmina hofft, hat keinen greifbaren Ursprung im Idyll. Denn lediglich von der ominösen Alten heißt es, sie spreche dergleichen Formeln (ἐπᾷδεν, 91). Die Zauberspruch-Thematik bei Vergil dient als Überleitung zur ersten Refrain-­ Nennung und der zweiten Strophe. Dass die Magierin gleichzeitig zum Formelgemurmel auch den Zauberkreisel anschlägt,51 stellt m. E. eine gewagte Annahme dar. Denn ein eindeutiger Hinweis dafür lässt sich nicht feststellen. 45 Vgl. Rose (1942) S. 156. 46 Zwar wäre prinzipiell auch denkbar, dass es sich um eine Spende mit Wasser handelt. Denn in den magischen Gebrauchstexten wird sie auch mit Regenwasser vollzogen. Allerdings treten dann weitere Substanzen wie Wein, Honig und Milch dazu ([…] σπоνδὴν τέλεσоν ἀπὸ оἴνоυ καὶ μέλ[ι]τоϛ καὶ γάλακτоϛ καὶ ὀμβρίоυ ὕδατоϛ […], PGM I 286 f.). Da diese bei Vergil fehlen, ist wohl mehr von einem Purifikationsakt auszugehen. 47 Vgl. Heyne 1968 [41830] S. 213. 48 Vgl. Luck (1962) S. 7. 49 Vgl. bereits Ladewig/Schaper/Deuticke (101973) [91915] S. 68. 50 Vgl. Segal (1987) S. 174 f. 51 Vgl. nicht überzeugend Voss (1797) S. 419 »so muß auch hier, wie bei dem wiederkehrenden Verse des Vorsängers (= Damon, Anm. d. V.), der übertroffen sein soll, Handlung hinzugedacht werden. Dort folgte ein Spiel auf der Tibie; hier – was wohl anders, als die zum um-

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Trotz der zahlreichen Unterschiede tritt eine bemerkenswerte Parallele zwischen beiden Autoren zu Tage. Schon die erste Strophe des Alphesiboeus-Liedes lässt sich in den rituellen Geschehensverlauf einordnen, es liegt hier vermutlich wiederum eine Präparationsphase vor, durch die auch Theokrit sein Gedicht einleitet. Mit den Anweisungen an die Dienerin wird der Zauber in die Wege geleitet wird. Noch während die Gehilfin beschäftigt ist oder nachdem sie die Vorbereitungen zu Ende geführt hat, wird von der Zauberin das Potential der carmina beschworen (69–71): carmina vel caelo possunt deducere lunam, carminibus Circe socios mutavit Ulixi, frigidus in pratis cantando rumpitur anguis. Zaubersprüche vermögen sogar vom Himmel den Mond herabzuziehen, mit Zaubersprüchen verwandelte Kirke die Gefährten dem Odysseus, froststarr birst auf Wiesen durch Zaubergemurmel die Schlange.

Dass die Lieder den Mond vom Himmel holen oder Schlangen bersten lassen können, findet kein Vorbild bei Theokrit.52 Lediglich die Invokation der Mondgöttin (id. 2,10)53 oder die Anrufung des Gestirns im zweiten Refrain (z. B. 69) weisen fühlbar in dieselbe Richtung. Dagegen wird die homerische Kirke bereits bei Theokrit genannt.54 Dort stehen ihre φάρμακα (15) im Mittelpunkt, hier ihre Zaubergesänge, mit denen sie die Gefährten des Odysseus zu verwandeln vermochte (70). Vergil verändert das Zaubermittel, verleiht aber seinen carmina – der Handlung entsprechend  – mehr Gewicht, indem er den Gedanken an die Zauberarchegetin durch den Einblick in die Odysseus-Geschichte ausschmückt. Das verwundere nach Segal ein wenig, befinde sich die Akteurin des Römers doch in ländlicher Sphäre, ja dürfe deswegen umso weniger von entsprechenden Mythen wissen: Doch könnte sich hier der selbstbewusste Literaturcharakter der vergilischen Adaption der Worte Simaithas zeigen, der Übergang des Wissens des

rollenden Zauberrade gemurmelte Bannformel in unverständlichem Kauderwelsch. Beides, die magische Rolle, und der gräßliche Segenspruch, (…), waren so beständige Erfordernisse der Zauberei, daß der Dichter für die eigene Fantasie des kundigen Zeitgenossen sie nur andeuten durfte.« Vgl. auch unter Bezugnahme auf den ersteren Kolster (1882) S. 173, der sich gleichsam auf die allgemeine Verständlichkeit des Schaltverskontextes bei Vergils Zeitgenossen beruft. Denn »er (= der Dichter, Anm. d. V.) schrieb für seine Zeit, welche die Sache genugsam kannte.« Zusätzlich scheint letztgenannter Forscher noch nicht in der Lage, die Instrumente Iynx und Rhombos differenzieren zu können, vgl. ders. S. 156. 52 Die vorliegenden Beispiele sind in der lateinischen Literatur als topisch anzusehen. Zu den Motiven in der Literatur und den PGM siehe o. S. 76 sowie u. 110, 133, 151, 203, 206, 293 mit Anm. 63, 300 f., 317 f., 442, 471 f. und 476 bzw. 111 mit 160, 202, 252, 299 mit 97 und 417. 53 Vgl. bereits Ladewig/Schaper/Deuticke (101973) [91915] S. 68. 54 Vgl. bereits MacDonald (2005) S. 19.

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Poeten in die Aussage seiner Akteurin, während Theokrit sich eher in deutlicher Distanz zu seiner Figur hält.55 Die magische Dreizahl56 steht im Zentrum der zwei ein Quintett bildenden Abschnitte (73–75 und 77 f.), deren erster Teil eine Puppe ins Spiel bringt: terna tibi haec primum triplici diversa colore licia circumdo, terque haec altaria circum effigiem duco; numero deus impare gaudet. Diese Fäden  – je drei, völlig verschieden in ihrer dreifachen Farbe  – lege ich dir zunächst um und ich trage dein Bild dreimal um diesen Altar; der Gott freut sich über die ungerade Zahl.

Die rituelle Handlung wird vollzogen.57 Die Protagonistin trägt ein nicht weiter bestimmtes Bild dreimal (terque, 74) um den Altar. Davor erwähnt sie terna (…) licia, die sie einem tibi umlegt (73 f.). Diese unterscheiden sich in dreifach verschiedener Farbe (triplici … colore, 73). Während das theokriteische Quartett f durch eine dreifache Spende und eine dreifache Wiederholung einer Bitte (ἐϛ τρὶϛ […] τρὶϛ, id. 2,43) ins Auge fällt,58 vermeidet der römische Dichter die sich im hellenistischen Text ergebende, ein wenig monoton wirkende Wiederholung gezielt, indem er durchweg verschiedene Arten von Numeralia (Multi­plicativum, 74, Distributivum, 73, Zahladjektiv auf -plex, 73) anführt. Dabei nähern sich die angefügten Fäden – möglicherweise Weiß und Rot mit Unheil abwehrender Funktion, Schwarz als Symbol für die Unterwelt59 – ein weiteres Mal gedanklich der umwickelten Schale (id. 2,2) an. Nicht eindeutig festzustellen ist auf den ersten Blick, an wen sich die Protagonistin im Versabschnitt wendet. Wird hier wirklich, wie es zunächst scheint, erneut Amaryllis angesprochen, um die die anonyme Akteurin Fäden legt? Oder richten sich die Verse gar nicht an sie? Sowohl Ebener als auch Götte und Götte übersetzen im Deutschen mit Possessivpronomen, geben also mit »dein Bild«60 wieder. Allerdings wird bei beiden nicht deutlich, wer die Bezugsperson ist.61 Insbesondere bei Ebener, in dessen deutscher Übertragung des griechischen Textes der Kehrvers (76) nicht vorkommt, ergibt sich der Eindruck einer inhaltlichen 55 Vgl. Segal (1987) S. 171. 56 Allgemein zur Rolle der Drei bzw. ihrer Vielfachen in der Zauberkunst vgl. Tavenner (1916b) S. 117–143, Wallinger (1994) S. 33 f. 57 Gegen Kolster (1882) S. 175, der bis einschließlich Vers 79 die vorbereitende Phase erkennen möchte. 58 Vgl. bereits Ladewig/Schaper/Deuticke (101973) [91915] S. 69. 59 Zur Bedeutung der Farben vgl. Luck (1962) S. 9. 60 Götte/Götte (1970) S. 47 sowie Ebener (1984) S. 54 61 Vgl. auch die Übersetzung Alpers’ (1979) S. 51 (zu den Versen 73 bis 75) »I bind three triple threads of treble hue / About thee, and escort this image thrice / Around the shrine: odd numbers please the god.«

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Relation zur Dienerin. Doch aus magischem Blickwinkel ist das undenkbar. Denn es ist anzunehmen, dass die Puppe, die den Geliebten symbolisieren muss, mit den Fäden in einer κατάδεσιϛ gebunden wird.62 Die Protagonistin spricht, während sie seine Figur vor ihren Augen hat, zu Daphnis selbst.63 Nur so ergibt die Passage Sinn. Die Dienerin, an welche sich die Worte im zweiten Teil des Quintetts richten (77 f.), kann hier nicht gemeint sein: necte tribus nodis ternos, Amarylli, colores; necte, Amarylli, modo et ›Veneris‹ dic ›vincula necto.‹ Binde mit drei Knoten, Amaryllis, je drei Farben; Binde, Amaryllis, nur und sag: ›Der Venus Fesseln binde ich.‹

Der die beiden Passagen trennende, von verschiedenen Herausgebern immer wieder athetierte versus intercalaris64 könnte m. E. u. a. dem Zweck dienen, den Wechsel zwischen den invozierten Personen zu verdeutlichen.65 So stellt das Quintett zwar wegen der Thematisierung der Dreizahl inhaltlich eine Einheit dar, hat aber divergente Bezugspunkte. Doch gerade die Verwendung der verschiedenen Numeralia stellt einen komplexeren Sachverhalt dar, als es zunächt scheint. Das Einzige, was sich auf den ersten Blick erkennen lässt, ist, dass Amaryllis drei Knoten (tribus nodis, 77) knüpfen soll. Vergil bedient sich also erneut variierend der Kardinalzahl. Die Sklavin verwendet Fäden von dreifach verschiedener Farbe. Demnach müssen sich diese Fäden alle in ihrer Farbgebung voneinander unterscheiden. Bedenkt man, dass die Schnüre als terna beschrieben werden, werden folglich »je (…) drei« bzw. »drei zusammen«66 verwendet. Es müsste sich eigentlich also um neun Fäden handeln.67 Diese bilden vermutlich drei Einheiten, von der eine jede drei Fäden umfasst. Da sich die Gruppen in ihrer Farbe unterscheiden, ergibt sich bei dem angenomme­nen Farbspektrum die mögliche Aufteilung von je einer aus drei schwarzen bzw. drei weißen oder drei roten Schnüren bestehenden Gruppe. Alternativ könnte auch 62 Vgl. Luck (1962) S. 9. 63 Vgl. dazu bereits Kolster (1882) S. 174. Eigentlich widersprüchlich gibt er sich etwas früher (vgl. S. 156) dem m. E. unsinnigen Unterfangen hin, die Verse 73 bis 75 mit dem Objekt Rhombus bzw. Iynx in Verbindung zu bringen, das mit Wollfäden umwickelt werde. Demnach würde er das lateinische tibi doch zweimal unterschiedlich deuten. 64 Vgl. die Angabe zu Vers 76 im textkritischen Apparat Geymonats (2008) [1973] S. 43, wonach Richter (Virgile, huitième bucolique, Parisiis 1970) den Kehrvers an dieser Stelle tilgt. Vgl. zusätzlich Ladewig/Schaper/Deuticke (101973) [91915] S.  69, die den Schaltvers  – ohne­ irgendeinen Hinweis im Kommentar – weglassen. 65 Zur Bedeutung eines versus intercalaris – am Beispiel des Verses 57 im Damon-Lied – und einer mit ihm verbundenen dichterischen Intention vgl. Braun (1969) S. 296 f. 66 Vgl. Georges II (1992) [81913] Sp. 3076. 67 Vgl. Ladewig/Schaper/Deuticke (101973) [91915] S. 69 u. a. unter Verweis auf Philarg. Verg. ecl. 1,8,73 rec. I bzw. II.

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die Anordnung der Fäden divergieren, z. B. Rot, Schwarz, Weiß (Gruppe 1), Schwarz, Weiß, Rot (Gruppe 2), Weiß, Schwarz, Rot (Gruppe 3).68 Allerdings bleibt noch zu berücksichtigen, dass Vergil schreibt, die Knoten bestünden aus je drei Farben (ternos … colores, 77). Das legitimiert eigentlich nur die letztge­ nann­ten vermischten Gruppen, deren eine drei verschiedene Farben aufweist und sich in der Reihenfolge der gefärbten Fasern von den anderen beiden unterscheidet (sonst hätte er wohl tres colores geschrieben).69 In der Theorie könnte man mit Servius auch davon ausgehen, dass es sich um neun verschiedenfarbige Einzelfasern handelt, die dann wiederum zu drei verschiedenen Dreiergruppen zusammengefügt würden.70 Die Problematik wird von den Übersetzern gern verschleiert.71 Vergil spielt hier spürbar mit der magischen Dreizahl und macht durch die von Theokrit unabhängig wirkende Knotenbindung (assoziativ ähnlich lediglich das Umbinden der Schale in id. 2,2) aus dessen Nennung des Zahladverbiums etwas gänzlich anderes. Die Anspielung auf den Vorgänger lässt sich nur in der Wendung necte (…) ›Veneris‹ dic ›vincula necto‹ (78) erkennen, die – wie beschrieben – parallel zu id. 2,21 formuliert ist. Zusätzlich nehmen Vergils Worte die analoge Ausdrucksweise in id. 2,62 auf:72 […] λέγ’ […] ›τὰ Δέλφιδоϛ ὀστία μάσσω.‹ Doch variiert der römische Dichter den Analogiezauber erneut, indem er die Knochen des Delphis durch die Fesseln der Venus ersetzt. Der von Holtdorf herausgestellte Symbolcharakter der dreimal drei Fäden wird jetzt umso offensichtlicher: Sie könnten auch als Bindung des Liebespaares untereinander gedeutet werden.73 Ein ganzer Zauberkomplex schließt sich im nächsten Quartett (80–83) an: limus ut hic durescit, et haec ut cera liquescit uno eodemque igni, sic nostro Daphnis amore. sparge molam et fragilis incende bitumine lauros: Daphnis me malus urit, ego hanc in Daphnide laurum. Wie dieser Lehm sich erhärtet und wie dieses Wachs sich verflüssigt durch ein und denselben Feuerbrand, so auch Daphnis durch unsere Liebe. Streu Schrot aus und zünd mit Erdpech prasselnde Lorbeerzweige an. Daphnis – der schlimme – verbrennt mich, ich auf Daphnis diesen Lorbeer. 68 Zu den beiden grundsätzlichen Möglichkeiten der Farbverteilung vgl. Coleman (1998) [1977] S. 246. 69 Vgl. Kolster (1882) S. 174. Dagegen, z. B. Gould (1967) S. 68, der ternos lediglich für eine Variation von tres hält und deswegen vermutlich den Sinn verfehlt. 70 Vgl. Page (1957) [1898] S. 162. 71 Vgl. z. B. für die Verse 73 f. sowie 77 die Übersetzung von Götte/Götte (1970) S. 47 »Je drei Fäden zunächst von dreifach verschiedener Farbe / schling ich dir um (…). Durch drei Knoten knüpfe der Farbe drei, Amaryllis (…).« Vgl. auch eher den Sinn treffend Haecker (1932) S. 67 »Drei der Fäden zunächst von dreifach verschiedener Farbe / Winde ich um dich (…). Dreimal knüpfe die Knoten der drei dreifarbigen Fäden (…).« 72 Vgl. Mancini (1964) S. 99. 73 Vgl. Holtdorf (1959) S. 220.

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Der Analogiezauber rekurriert nachvollziehbar auf den entsprechenden Handlungsschritt bei Theokrit. Während Simaitha lediglich Wachs für Delphis erweicht (id. 2,28),74 erweitert und verkompliziert Vergil den Vorgang. Seine Akteurin verwendet einerseits dasselbe Material (cera, 80), gebraucht aber zusätzlich Lehm (limus, 80). Der erkennbare Sinn – zumindest bei der Benutzung des ersten Stoffes – besteht in einer Erweichung des Daphnis (liquescit, 80), was dem theokriteischen Schmelzen (τάκоιϑ’, id. 2,29) entspricht.75 Das Korrelativverhältnis von ut (…) sic (80 f.) gleicht dem griechischen ὡϛ […] ὣϛ (id. 2,28 f.).76 Segal stellt anhand dreier Charakteristika beim Vergleich der Autoren einen entscheidenden Befund heraus: Die Wendung nostro (…) amore nimmt spürbar den Ausdruck ὑπ’ ἔρωτоϛ (id. 2,29) auf. Doch ergänzt Vergil – in Abweichung zum inhaltlichen Vorbild – uno eodemque igni (81) und vermeidet die dem Adverb αὐτίκα (id. 2,29) entnehmbare, inhaltlich dringliche Komponente. Während es bei Simaitha wohl v. a. um körperliche Vereinigung geht, steht im lateinischen Text mehr die emotionale Liebe im Vordergrund.77 – Die ersten beiden Verse des Quartettes beziehen sich damit greifbar auf den Beginn von Theokrits­ Strophe e (28 f.).78 Dagegen imitiert die zweite Hälfte des vergilischen Vierzeilers vermutlich die beiden Anfangsschritte der Zauber-πρᾶξιϛ im hellenistischen Text. Denn dass man gemahlenes Mehl bzw. Schrot (molam, 82) streut oder Lorbeer (lauros, 82) verbrennt, sind altbekannte Tätigkeiten. Thestylis soll Gerstenmehl ins Feuer rieseln lassen (18 f.).79 Simaitha übergibt Lorbeer dem Feuer (23). Lediglich der Asphalt (bitumine, 80) gibt sich als Abwandlung Vergils zu erkennen  – vielleicht literarisch inspiriert von Sophron. Das Erdpech soll wohl den Feuerbrand verstärken.80 Die Aussage der Akteurin Daphnis me malus urit, ego hanc in Daphnide laurum (83) entspricht dem Δέλφιϛ ἔμ’ ἀνίασεν· ἐγὼ δ’ ἐπὶ Δέλφιδι / δάφναν αἴϑω (23 f.) in völliger Symmetrie (am Anfang Name des Geliebten, seine Wiederholung in Juxtaposition zum Lorbeer, Penthemimeres vor dem Personalpronomen der ersten Person).81 Die Entscheidung für die Umschreibung des Schmerzes als ein Brennen dürfte dem καταίϑоμαι (Id. 2,40) entlehnt sein und durch das Bild vom Feuer (z. B. id. 2,23–26 oder 82 f.) bedingt sein.82 74 Vgl. bereits Heyne 1968 [41830] S. 216. 75 Ausführlich zum vorliegenden Analogiezauber Vergils siehe u. S. 99–102. 76 Vgl. z. B. die bei der Textgegenüberstellung durch Unterstreichung hervorgehobenen Partien MacDonalds (2005) S. 20. 77 Vgl. Segal (1987) S. 172 f. 78 Vgl. MacDonald (2005) S. 20. 79 Vgl. schon Heyne 1968 [41830] S. 216. 80 Vgl. Rose (1942) S. 157. 81 Vgl. MacDonald (2005) S. 21. 82 Vgl. Segal (1987) S. 172.

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Der Vergleich des Daphnis mit einem jungen Rind dient ein weiteres Mal dem Zwecke eines Analogiezaubers (85–89): talis amor Daphnin qualis cum fessa iuvencum per nemora atque altos quaerendo bucula lucos propter aquae rivum viridi procumbit in ulva perdita, nec serae meminit decedere nocti, talis amor teneat, nec sit mihi cura mederi. Solche Liebe soll Daphnis, wie wenn erschöpft von der Suche nach dem Jungstier in den Wäldern und den hoch sich erhebenden Hainen die Färse nahe am Wasserlauf im grünen Schilfgras hinsinkt voll Verzweiflung und nicht daran denkt, der späten Nacht aus dem Weg zu gehen, solche Liebe soll ihn beherrschen und nicht möge es mich interessieren, ihn zu heilen.

Für die von der langen Suche nach dem Stier erschöpfte und deprimierte Kuh, die sogar die heranrückende Nacht vergisst, findet sich keine Parallele bei Theokrit. Zwar entspricht die erkennbare Intention der dem bukolischen Bild zugrunde liegenden Magieform der Deutung des Hippomanes-Krauts. Denn das Verhalten, wenn die Füllen rasen (πῶλоι μαίνоνται, 49), ist dem der Jungkuh sehr ähnlich. Das μαινоμένῳ ἴκελоϛ (id. 2,51) dürfte im weitesten Sinne im perdita (88) fortleben.83 Allerdings zeigt sich hier, wie Vergil sich lediglich an den Vorgaben orientiert, dann aber vollkommen davon abweicht, um eine eigene poetische Schöpfung hervorzubringen. Gemeisam ist beiden Autoren inhaltlich nur das Bild eines von Liebeswahn getriebenen relativ unerfahrenen Jungtieres. Allerdings ergibt sich insofern eine Parallele, als das Quintett (85–89) eine Pause im magischen Handlungsgeschehen darstellt – wie auch das Quartett Theokrits (id. 2,38–42).84 Der abweichende Charakter tritt auch dadurch zu Tage, dass der römische Dichter das einseitige, nur auf die Fohlen bezogene Bild Theokrits durch eine Erstreckung auf zwei Bezugspunkte deutlich ausbaut. Er wandelt den Analogiezauber (wieder mit der obligatorischen Verwendung der Korrelativa talis … ­qualis, 85, nochmals talis, 89) in einen doppelten um. Denn einerseits soll Daphnis sie lieben, andererseits wünscht sich die Akteurin, sie selbst möge sein Verhalten keinen Deut interessieren (…  nec sit mihi cura mederi, 89). Sie selbst setzt sich also indirekt mit dem wohl für die Reize der Kuh nicht empfänglichen Stier­ (iuvencum, 85) gleich. Der im Verbalen verortete Analogiezauber leistet im Grunde genommen wohl dem preces-Teil eines Gebetes Genüge.85 Zwar sind bei Vergil keine konkreten Hinweise auf eine zwingende Bitte an die Götter wahrnehmbar, denn niemals 83 Vgl. Pfeiffer (1933) S. 43. 84 Zur Pause in Vergils Ekloge vgl. Kolster (1882) S. 176. 85 Vgl. bereits Kolster (1882) S. 157, der die Strophe als Gebet identifiziert.

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wird eine Gottheit invoziert. Allerdings wird zumindest einmal ein deus (75) genannt. Das männliche Wesen bildet einen fühlbaren Gegensatz zu den drei weiblichen, die Simaitha angerufen hat (id. 2,10, 14, 33). Dass auch in der Ekloge eine magische оὐσία thematisiert wird, ist nicht verwunderlich (91–93): has olim exuvias mihi perfidus ille reliquit, pignora cara sui, quae nunc ego limine in ipso, Terra, tibi mando; debent haec pignora Daphnin. Diese Kleidung ließ einmal mir jener Treulose zurück als teures Unterpfand seiner selbst, das nun ich an der Schwelle selbst, Erdmutter, dir anvertraue; dieses Unterpfand schuldet mir den Daphnis.

Die Kleidung (exuvias, 91), die Daphnis zurückgelassen hat, greift vermutlich den Gewandsaum des Delphis (ἀπὸ τᾶϛ χλαίναϛ τὸ κράσπεδоν, id. 2,53) auf.86 Bei beiden Dichtern bedienen sich die betrogenen Frauen der sympathetischen Magie. Doch der Gemeinsamkeiten mehr sind wiederum nicht zu entdecken. Denn Vergil lässt das Gewand des Geliebten unter der Türschwelle vergraben (… limine in ipso / Terra, tibi mando, 92 f.), dagegen wird es bei Theokrit mit der Absicht schlimmster Qualen für das Opfer dem Feuer überantwortet (id. 2,53 f.). Der spürbar magische Eingangsbereich wird im Idyll im letzten Quartett der Zauberhandlung im Zusammenhang mit den ϑρόνα (id. 2,59) erwähnt. Allerdings sollen diese geknetet werden – und zwar oberhalb der Schwelle (ὑπέρτερоν, id. 2,60). Vergil tauscht also durch den Verweis auf die Terra (93) die Höhe gegen die Tiefe aus. Vielleicht könnte das Epitheton der Hekate (id. 2,12) für die Nennung des irdischen Elementes ursächlich sein. Dass die Erde den Geliebten herbeiziehen soll, wie Heyne meint, dürfte magisch richtig gedacht sein.87 Auch erscheint m. E. eine Kritik an der Platzierung der оὐσία unter der Schwelle unangebracht.88 Es lässt sich der Gedanke an das magische contagio-Prinzip erkennen – vermischt mit Analogie- sowie Sympathiezauber. Wie die Kleidung im Prinzip zur Schwelle hingelegt wird, soll vielleicht der Eingangsbereich dank seiner Macht den sympathetisch mit dem Stoff in Verbindung stehenden Geliebten herbeiführen. Platziert man das Gewand in der Erde, dürfte die Krafteinwirkung umso größer sein – denn magisch stärkere Substanz als Erdboden ist kaum vorstellbar.89 Zudem tritt ein destruktives Ele-

86 Vgl. Ladewig/Schaper/Deuticke (101973) [91915] S. 70. 87 Vgl. Heyne 1968 [41830] S. 218. 88 Vgl. Ladewig/Schaper/Deuticke (101973) [91915] S.  70 mit dem Vorwurf an Vergil, er habe »(…) sachlich nicht glücklich abgeändert, da die vergrabenen exuviae (…) nicht so schnell verwesen (…).« 89 Für den Bezug der Magie zur Erde bzw. Erdmutter siehe u. S. 132, 191, 206–209, 211–213, 217 f., 272, 298 mit Anm. 94 f., 315, 487, Kap. 3.4.4 186, 3.4.5 226 und 3.5.3 188.

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ment zu Tage. Denn durch das Vergraben einer оὐσία liefert man ihren Besitzer wohl den chthonischen Mächten aus und stellt ihn dem Tode anheim.90 Die Absicht hinter diesem Zauber lässt sich nicht eindeutig klären. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass in der Ekloge durchweg als Ziel deutlich wird, den Geliebten zurückzuführen, dürfte vorwiegend der ἀγωγή-Gedanke, der mit allen drei genannten Prinzipien vereinbar ist, im Vordergrund stehen. Ganz gegensätzlich dazu verhält sich Simaitha, die hin- und hergerissen wirkt zwischen ihren beiden Wünschen, Delphis zurückzugewinnen oder zu vernichten.91 Auf die bei MacDonald sich andeutende Diskussion, worum es sich bei den exuviae handle, kann im Rahmen der Arbeit getrost verzichtet werden.92 Als entscheidend mag sich vielmehr die Charakterisierung des Kleidungsstückes als pignora cara sui (92) erweisen. Dieser Ausdruck legt ein grundlegendes Verständnis antiker Magie nahe, denn ein Objekt jeglicher Art, sobald es einmal am Körper getragen wurde, wird zum Garanten für den Erfolg des auf den ehemaligen Träger hin angewandten Zaubers. Im konkreten Fall dient es als Unterpfand für die Rückkehr des Daphnis in der ἀγωγή. Von den nun fokussierten Mitteln erhofft sich die Akteurin besondere Wirkung (95–99): has herbas atque haec Ponto mihi lecta venena ipse dedit Moeris (nascuntur plurima Ponto); his ego saepe lupum fieri et se condere silvis Moerim, saepe animas imis excire sepulcris, atque satas alio vidi traducere messis. Diese Giftkräuter, gesammelt am Schwarzen Meer, gab mir Moeris selbst, sie gedeihen in sehr großer Zahl am Schwarzen Meer; mit diesen sah ich oft zum Wolf werden und sich in Wäldern verbergen den Moeris, ihn oft Seelen aus tiefsten Gräbern aufscheuchen und Saaten zur Ernte anderswohin hinüber­ zaubern.

Doch umschreibt die Wendung has herbas atque haec Ponto mihi lecta venena Zutaten derselben oder unterschiedlicher Art? Die die Begriffe auch im Deutschen trennende Wiedergabe Ebeners »die Kräuter hier und die in Pontus (…) gesammelten Gifte«93 bewegt sich ohne weiteres im Bereich möglicher Deutung. Allerdings erscheint die Übersetzung »[d]iese giftigen Kräuter«,94 der der Gedanke 90 Vgl. Kolster (1882) S. 176. 91 Zu den konträren Zielen der Akteurinnen bei Vergil bzw. Theokrit vgl. Büchner (1966) Sp. 213. 92 Vgl. MacDonald (2005) S. 22 mit Anm. 22 und ihrem Verweis auf den entsprechenden lateinischen Begriff im Zusammenhang mit Aeneas’ und Didos’ Zauber (Aen. 4,496 bzw. 507 bzw. 651). 93 Ebener (1984) S. 55. 94 Götte/Götte (1970) S. 49.

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an ein Hendiadyoin zugrunde liegt,95 plausibler. Das Partizip würde dann grammatikalisch zwar mit dem näher stehenden venena kongruieren, allerdings eine inhaltliche Relation zu beiden Bezugswörtern herstellen.96 Entsprechend würde sich das Attribut (plurima)  auf beide Begriffe beziehen.97 Je nach Gewichtung wäre dann von schädigenden Pflanzen aus der Region ums Schwarze Meer bzw. bereits deren unheilvollem Substrat auszugehen. Ein getrenntes Auftreten des jeweiligen Begriffs entspricht nicht dem magischen Vokabelrepertoire.98 In Kombination werden beide Wörter von Vergil überdies andernorts aufgegriffen (herba veneni, ecl. 4,24). Auch an dieser Stelle bilden sie erkennbar wie in der vierten Bukolik eine begriffliche Einheit. Das Vorbild für die Nennung in der achten Ekloge dürften die bei Theokrit erwähnten ϑρόνα (id. 2,59) darstellen. Allerdings erweitert Vergil wiederum spürbar das vorgegebene Spektrum, indem er den einen griechischen Begriff im Lateinischen durch eine im Umfang gedoppelte Wendung ersetzt. Dass die Kräuter von Moeris (96) stammen, dürfte nicht vollkommen des Theokrit-Bezugs entbehren.99 Die Erwähnung des Magiers rekurriert vermutlich auf den assyrischen Fremden, der Simaitha die Giftmischerei gelehrt hat (id. 2,161 f.). Dass die Giftkräuter am Schwarzen Meer, der Heimat Medeas, gedeihen (96), lehnt sich inhaltlich wohl an die Beschwörung eben der φάρμακα von der Potenz besagter Zauberarchegetin an (id. 2,15.).100 Die drei im lateinischen Text angeführten Wirkungen der Pflanzen entsprechen ein weiteres Mal dem erahnbaren Standardrepertoire römischer Magie. Damit spannt der Dichter – wie bereits angemerkt – einen Bogen zum topischen Terzett (69–71) und der Macht der carmina. Wie dort werden auch hier in drei Versen drei Grundeigenschaften eines Magiers erwähnt: Verwandlung in einen Werwolf, das Hervorlocken von Totenseelen aus Gräbern und der Flurschadenzauber.101 Die der Verbalform vidi (99) immer wieder unterstellte Naivität der Sprecherin äußert sich wohl auch in der von ihr angenommenen Wirkung der Giftkräuter.102 Es scheint so, als sei sie sich ihres Spieles mit dem Tode des Geliebten gar nicht bewusst. Weil ihr Zauber bisher kein Ergebnis gebracht hat, entschließt sich die Akteurin, ihn abzubrechen (101–103): 95 Vgl. z. B. bereits Coleman (1998) [1977] S. 250. 96 Zur Kongruenz eines Partizips bei mehreren Substantiven unterschiedlicher Genera vgl. Hofmann/Szantyr (1965) S. 444 (§ 237 unter b). 97 Zur Kongruenz von prädikativem Adjektiv und mehreren sachlichen Subjekten unterschiedlicher Genera vgl. Hofmann/Szantyr (1965) S. 435 (§ 232 unter D d β). 98 Denn sowohl herbae als auch venena treten in der lateinischen Literatur gern in Verbindung mit einem weiteren Substantiv auf, vgl. z. B. herbas atque incantata (…) / vincula (Hor. sat. 1,8,49 f.) oder carminibus (…) atque venenis (19). 99 Allerdings bezeichnet Clausen (1994) S.  263 den Zauberer in Vers 96 als »non-Theo­ critean«. 100 Zu den beiden Theokrit-Bezügen vgl. Ladewig/Schaper/Deuticke (101973) [91915] S. 71. 101 Z. B. zum Motiv der herbeigerufenen Geister siehe u. S. 471. 102 Vgl. Segal (1987) S. 173.

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fer cineres, Amarylli, foras rivoque fluenti transque caput iace, nec respexeris. his ego Daphnin adgrediar; nihil ille deos, nil carmina curat. Trag die Asche, Amaryllis, nach draußen und schleuder sie in den strömenden Bach und über dein Haupt hin weg und blick nicht zurück. Mit diesen werde ich Daphnis angreifen; in keiner Weise nimmt er sich die Götter, in keiner Weise Zaubersprüche zu Herzen.

Die Aufforderung der Protagonistin an die Sklavin Amaryllis, etwas zu erledigen (101 f.), dürfte – wie schon erwähnt – ihren Ursprung beim hellenistischen Dichter und dem letzten Quartett der magischen Aktion Simaithas haben (58–62). Der bei Vergil an die Sklavin gerichtete Imperativ fer entspricht erkennbar dem […] λαβоῖσα […] ὑπόμαξоν […] (id. 2,59). Allerdings ersetzt der Römer die Durchführung der magischen πρᾶξιϛ an der Türschwelle durch eine Purifika­ tionsmaßnahme. Denn Amaryllis soll die durch Ingredienzienverbrennung entstandene Asche (cineres, 101) im Fluss beseitigen. Neuer und alter Zauber dürfen auf keinen Fall vermischt werden.103 Asche wird zwar bei Theokrit erwähnt, aber in anderem Zusammenhang: Der Lorbeer verbrennt, ohne Spuren zu hinterlassen ([…] κоὐδὲ σπоδὸν εἴδоμεϛ αὐτᾶϛ […], id. 2,25). Zusätzlich identifiziert Luck den in der Ekloge geschilderten Vorgang mit Recht als eine zeitweilige ἀπόλυσιϛ, also eine Loslösung des Daphnis nach dessen beabsichtigter Bindung.104 Dass die Dienerin die Zauberrelikte rückwärts, ohne sich umzuschauen, in die Wogen werfen soll, stellt eine typisch magische Geste dar. Mit einem potentiellen Umwenden ginge höchstwahrscheinlich Gefahr ­einher.105 Die Inspiration zur Szene, in der die Sklavin Asche ins Wasser wirft, dürfte Vergil in einem anderen Idyll Theokrits gefunden haben (id. 24,93–96):106 »[…]. ἦρι δὲ συλλέξασα κόνιν πυρὸϛ ἀμφιπόλων τιϛ ῥιψάτω, εὖ μάλα πᾶσαν ὑπὲρ πоταμоῖо φέρоυσα ῥωγάδαϛ ἐϛ πέτραϛ, ὑπερоύριоν, ἂψ δὲ νεέσϑω ἄστρεπτоϛ. […]« »(…). Nachdem sie sie aber in der Frühe aufgesammelt hat, soll von den Diene­ rinnen irgendeine die Asche vom Feuer, indem sie sie ganz und gar über den Fluss zu zerklüfteten Felsen transportiert, jenseits der Grenze wegschleudern; dann aber soll sie rückwärts, ohne sich umzuwenden, heimkehren. (…)« 103 Vgl. Rose (1942) S. 160. 104 Vgl. Luck (1962) S. 14. – Zur ἀπόλυσιϛ in den PGM siehe o. S. 21 f. 105 Vgl. Clausen (1994) S. 264. 106 Zum Verweis auf die Theokrit-Parallele vgl. z. B. bereits Heyne 1968 [41830] S. 219 und Mancini (1964) S. 100.

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Es lässt sich erkennen, dass Vergil die undefinierte Sklavin durch Amaryllis ersetzt, den griechischen Imperativ ῥιψάτω mit einem entsprechenden lateinischen iace (102) wiedergibt und das Verbot, sich umzudrehen, übernimmt.107 – Wiederum variiert der römische Dichter bereits existente Theokrit-Motive, verbindet Elemente aus zwei Idyllen (2 und 24) in einer Szene, um etwas Neues zu schaffen. Mit dem Enjambement his ego Daphnim / adgrediar (102 f.) verändert sich die Stimmung im Gedicht ein wenig. Es tritt derselbe Bruch zu Tage, der sich auch im hellenistischen Text findet. Wie dort in den letzten beiden Quartetten, so geht auch hier der Liebeszauber offensichtlich in einen Schadenzauber über. Der jetzt aggressivere, von bukolischer Dihärese und Trithemimeres eingeschlossene Satz, zumal durch das durch den Verswechsel herausgestellte Prädikat, ändert den Charakter der Magieanwendung zugunsten einer dunkleren Intention. Die Protagonistin hat im Sinn, den Geliebten anzugreifen. Die Formulierung ­adgrediar nimmt im Tonfall die Bestrafungsabsicht Simaithas wieder auf.108 Der konkrete Plan scheint am in poetischer Sprache gehaltenen […] τὰν Ἀίδαо πύλαν, ναὶ Моίραϛ ἀραξεῖ (id. 2,160) orientiert,109 wirkt aber deutlich milder. Überhaupt stellt adgrediar einen sichtbaren Bezug zum ebenfalls in emphatischer Position zu Beginn des Verses stehenden experiar (67) her. Den Prädikaten lässt sich sehr gut der kurzzeitige Einstellungswechsel im Inneren der Protagonistin entnehmen. Will sie zuerst nur das Gemüt des Geliebten beeinflussen, entschließt sie sich am Ende zu offensiverem Vorgehen. Deswegen ändert sich wohl die grammatikalische Funktion der Formen (erst Konjunktiv Präsens, dann Futur). Doch gleichen sie sich in ihrer Bildung. Die inhaltliche Änderung der Zauberintention mag also auch äußerlich kaum wahrnehmbar sein und als nur temporär bedingt gelten. Bei der Aussage, dass sich Daphnis weder um die Götter noch um Zaubersprüche schert (103), handelt es sich augenfällig wieder um eine gekonnte Abwandlung durch den römischen Dichter. Weil das von der Akteurin durchgeführte magische Ritual zum Scheitern verurteilt scheint, hofft sie auf andere Mittel, eben auf die giftigen Kräuter (Bezugswort zu his)110. Im Theokrit-Idyll ist nicht klar erkennbar, ob Simaithas Zauberhandlung von Erfolg gekrönt ist. Man hat zwar eher den Eindruck, dass dem nicht so ist, ja überhaupt erscheint die Betrogene gegen Ende entschlossen, zum Ärgsten zu schreiten (αἰ δ’ ἔτι κά με λυπῇ […], id. 2,159). Doch lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit behaupten, dass der Ritus wirkungslos blieb. Bei Vergil zumindest ist die Akteurin davon überzeugt. 107 Zu den drei Parallelen vgl. bereits Ladewig/Schaper/Deuticke (101973) [91915] S. 71. 108 Vgl. Mancini (1964) S. 101. 109 Vgl. Ladewig/Schaper/Deuticke (101973) [91915] S. 71. 110 Vgl. Clausen (1994) S. 264.

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Eine umso überraschendere Wende nimmt das Geschehen am Ende, wenn in der Ekloge plötzlich das Altarfeuer erneut auflodert (105–108) und Daphnis heimkehrt (109): ›aspice: corripuit tremulis altaria flammis sponte sua, dum ferre moror, cinis ipse. bonum sit!‹ nescio quid certe est, et Hylax in limine latrat. credimus? an, qui amant, ipsi sibi somnia fingunt? parcite, ab urbe venit, iam parcite carmina, Daphnis.« ›Schau doch: Es ergriff den Altar mit züngelnden Flammen von sich aus, während ich sie noch zu tragen zögere, die Asche selbst. Hoffentlich bedeutet’s was Gutes!‹ Ich weiß nicht sicher, was es ist, und Bello kläfft an der Schwelle. Glauben wir es? Oder ersinnen sich die, die lieben, selbst für sich Träume? Schont ihn, von der Stadt kommt Daphnis, schont ihn augenblicklich, ihr Lieder!«

Ganz von allein (sponte sua, 106) lodern die Flammen aus der Asche empor. Den Ausruf bonum sit (106) deutet Luck nachvollziehbar, wenn er ihm die Absicht unterstellt, einem unbekannten, neutralen Zeichen einen positiven Impuls zu geben.111 Zusätzlich dient er wohl dazu, den kurzzeitig spürbaren Offensivzauber zu widerrufen. Vergleichbar wäre dieser Vorgang vermutlich mit der bis heute im Aberglauben verbreiteten Vorstellung, dass man dadurch, dass man etwas zu sagen unterlässt oder positiv formuliert, entsprechendes Unheil abwenden könne. Die eigentliche Unsicherheit und Angst beim unvorhergesehen auftretenden Ereignis offenbaren erst die zwei abschließenden Verse des Quartettes. Der Text beinhaltet drei Ausdrücke, die von einer eindeutigen Verunsicherung der Akteurin zeugen (107 f.): nescio quid certe est (…) credimus? an (…) somnia fingunt? Die Protagonistin wirkt so, als sei sie sich nicht mehr sicher, ob sie wach ist oder träumt. Realität und Illusion sind nicht mehr unterscheidbar. Was ist passiert? Der Geliebte Daphnis kommt heim aus der Stadt  – der Abschluss-Refrain in abgeänderter Form schildert das Zauberresultat (109). Die von der Protagonistin durchgeführte ἀγωγή bzw. der von ihr initiierte καταδεσμόϛ ist von Erfolg gekrönt. Die Magie Vergils erweist sich als wirksam, während die Theokrits wohl eher versagt. Der lateinische Dichter stellt dem Ende des zweiten Idylls einen vollkommen konträren Abschluss seiner achten Ekloge entgegen: Lediglich einzelne unwesentliche Gesichtspunkte bezeugen die Vorgängerschaft Theokrits. Wenn Vergil das plötzliche Wiederentflammen des schon erloschenen Feuers schildert (corripuit tremulis altaria flammis …, 105), erinnert das an das ebenso unvermutete Knistern und Auflodern des Lorbeers in der helle­ 111 Vgl. Luck (1962) S. 14 f.

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nistischen Zauberhandlung, von dem nicht einmal Asche übrig bleibt (χὠϛ αὕτα λακεῖ μέγα καππυρίσασα / κἠξαπίναϛ ἅφϑη κоὐδὲ σπоδὸν εἴδоμεϛ αὐτᾶϛ […], id. 2,24 f.).112 Bellt in der Ekloge der Haushund an der Schwelle (107) – wohl zur Begrüßung seines Herrchens –,113 heulen Hündinnen bei der Ankunft der Hekate (id. 2,35).114 Lässt der Autor der Ekloge an ihrem Ende das Verhältnis von Realität und Fiktion im Vagen, spiegelt sich dieser Kontrast schon im Idyll denkbar als Gegensatz von phantastischer Zauberhandlung und der einsamen tätsächlichen Gegenwart Simaithas wider. Dabei treibt Vergil mit dem Hylax115 (107) insofern ein Spiel, als diesem die erkennbare Funktion zugewiesen werden könnte, die Kluft zwischen dem wahren bzw. geträumten Geschehen zu verstärken. Der Name – abgeleitet vom griechischen ὑλακτεῖν für ›bellen‹116 – charakterisiert das Tier als einen niemals stillen Kläffer. Es kann der geäußerte Laut des Hundes, der wohl schon beim leisesten Geräusch seine Stimme erbeben lässt, deswegen keineswegs als Indiz für die tatsächliche Rückkehr des Daphnis gelten. Vergil baut das Motiv vielleicht wieder ganz im Gegensatz zum hellenistischen Dichter auf. Der Hund bringt wegen seiner Bezeichnung wohl eher Zweifel auf, das Geschehen als real anzunehmen. Dagegen deutet das Heulen der Hündinnen der Hekate an, dass etwas eigentlich Surreales Wirklichkeit wird. Immer wieder greift der römische Dichter eine Vorgabe Theokrits auf, arbeitet sichtbar mit dieser, wandelt sie um und kontrastiert u. U. in seiner Darstellung. Entsprechend setzt Vergil einen freundlichen Ausgang an die Stelle des deprimierenden Endes im Idyll.117 Kehrt in der Ekloge der Geliebte zurück, erscheint bei Theokrit die Göttin.118 Endet das Lied des Alphesiboeus in Vers 109 mit einem abgewandelten Refrain (beide ducite-Formen zu parcite ersetzt, ab urbe domum zu ab urbe venit abgeändert, mea getilgt und iam eingefügt), bleibt dieser am Ende der Zauberhandlung Simaithas gleich (id. 2,63). Als Ergebnis lässt sich zur Frage der Motivnachahmung festhalten: Vergil bietet augenfällig eine freie Bearbeitung Theokrits und schafft eine Zauberszene mit einer deutlich weniger hoffnungslosen Liebe und einer entsprechend weniger tragisch wirkenden bzw. agierenden Magierin.119 Als überraschend erweist sich in der Ekloge die stetig ansteigende Dimension der angewandten magi 112 Vgl. Segal (1987) S. 176. 113 Vgl. Schol. Bern. ad Vergili Bucolica (8,107) Latratus prae nimio gaudio figurat domini adventum. Vgl. zusätzlich einen zweiten, hier als weniger wahrscheinlich erachteten Deutungsversuch des Servius (ecl. 8,107): in loco, ubi amati vestes obruerat. Vgl. zu beiden Interpretationsmöglichkeiten bereits Kolster (1882) S. 180. 114 Zur Theokrit-Parallele vgl. MacDonald (2005) S. 23. 115 Zum Ursprung der Lesart Hylax vgl. van Sickle (1974) S. 311–313. 116 Vgl. Gould (1967) S. 69. 117 Vgl. Ladewig/Schaper/Deuticke (101973) [91915] S. 71. 118 Vgl. MacDonald (2005) S. 23. 119 Vgl. Rose (1942) S. 155.

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schen Mittel.120 Sie dienen jedoch alle der Verwirklichung desselben Ziels – ausgehend von der Betäubung des Daphnis, zu seiner Bindung und schließlich dem erkennbaren, auf ihn bezogenen Gedanken eines Entbrennens in Liebe.121 Demgegenüber schwankt die Absicht der theokriteischen Protagonistin von Anfang an zwischen zwei Extremen. Während der römische Dichter die genaue Hintergrundsituation des Paares offen lässt, berichtet Simaitha detailliert von Delphis’ Vergehen (id. 2,4–6).122 Entsprechend löst Vergil die im alexandrinischen Gedicht immer wieder greifbaren emotionalen Äußerungen auf (z. B. id. 2,39–41).123 Die Verlautbarungen der Akteurin in der Ekloge dagegen wirken durchweg recht sachlich (z. B. die Charakterisierung des Daphnis in Vers 91 nur als perfidus – ohne weitere Zusätze). Die Protagonistin selbst erscheint – trotz der spärlichen Informationen über sie – als reife Frau, vermutlich im Gegensatz zur jungen, unerfahrenen Simaitha, über deren sozialen Status viel erschließbar ist.124 Vergil übernimmt zwar die Grundstruktur des zweiten Idylls bestehend aus Zauberszene und Liebesklage, dreht aber in seiner achten Ekloge die beiden Grundmotive in ihrer Reihenfolge um.125 Erst äußert das Ich des Damon-Liedes seinen Liebesschmerz, dann verleiht Alphesiboeus in seinem Gesang einem magischen Ritus Ausdruck. Weist Simaitha Thestylis am Anfang an, erhält die Dienerin der Ekloge am Ende einen Auftrag, nämlich den, die Asche zu entfernen.126 Vergil übernimmt lediglich den zentralen Gedanken und gestaltet diesen abweichend aus.127 Er übersetzt nicht. Er dichtet nicht einmal wirklich nach, sondern schafft seinem poetischen Genie entsprechend etwas gänzlich Neues. Es wäre verfehlt, Vergil nur in Verbindung zu Theokrit sehen. Denn auch Catull soll sich in seiner Dichtung mit der Liebeszauber-Thematik befasst haben: hinc Theocriti apud Graecos, Catulli apud nos proximeque Vergilii incantamentorum amatoria imitatio (Plin. nat. 28,19). Aus dieser Aussage allerdings zu schließen, dass auch eine Bearbeitung der ›Φαρμακεύτρια‹ von Catull existiert haben soll, halten Götte und Götte mit Recht für zu weit gehend.128 Manches abgewandelte Motiv allerdings könnte aus neoterischer Feder stammen.

120 Vgl. Götte/Götte (1970) S. 525. 121 Zu den drei Stufen vgl. Fauth (1999) S. 126. 122 Vgl. Segal (1987) S. 170 f. 123 Vgl. Garson (1971) S. 202. 124 Vgl. Segal (1987) S. 168 f. 125 Vgl. MacDonald (2005) S.  12, die zusätzlich darauf verweist, dass die eine Sprecherin bei Theokrit in der achten Bukolik zu zwei singenden Charakteren, den Hirten, abgeändert erscheint und somit ein Mann anstatt einer Frau die eigentliche Klage übernimmt. 126 Vgl. Klingner (1967) S. 144 f. 127 Vgl. Kappelmacher (1929) S. 94, der für eine andere Ekloge und entsprechend ein anderes Idyll sehr richtig herausstellt: »Er (= Vergil, Anm. d. V.) entlehnt ihm (= Theokrit, Anm. d. V.) eine tragende Idee für sein Gedicht.« 128 Vgl. Götte/Götte (1970) S. 491 in ihrer Auseinandersetzung mit dem Zitat.

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3.2.3 Die zwei zentralen Zauberarten: Lehm- bzw. Wachsanalogie und das Bild der Jungkuh Im Grunde genommen scheint auf den ersten Blick der Inhalt von Vers 80 f. relativ leicht verständlich. Die Akteurin hat Lehm und Wachs vor sich und wirft beide Materialien ins Feuer. Von der Hitze wird der eine Stoff gebrannt, der andere verflüssigt sich. Die beiden Vorgänge werden – in Analogie – auf Daphnis übertragen, der in der Liebe dieselben Reaktionen zeigen möge. Doch birgt der Abschnitt rein äußerlich zwei Schwierigkeiten in sich: Handelt es sich bei limus bzw. cera um je eine Lehm- und Wachspuppe? Oder wird u. U. lediglich ein ungeformter Brocken aus dem jeweiligen Material dem Feuer übergeben? Zusätzlich erschwert die Wendung nostro (…) amore das Verständnis. Denn ist das Possessivpronomen – seiner Form entsprechend – als Plural aufzufassen, d. h. geht es um die gegenseitige Liebe des Daphnis und der Akteurin zueinander (Übersetzung: ›durch unsere Liebe‹)? Oder ist es – nach Art eines pluralis maiestatis – als Singular auf die Akteurin zu beziehen (Übersetzung: ›durch meine Liebe‹)? In der Moderne wurden im Wesentlichen zwei recht unterschiedliche Deutungsversuche vorgelegt. Eine dritte, traditionelle Interpretation findet im Großteil der Kommentare Erwähnung: – Faraone geht von zwei Puppen aus, die im Zauber zum Einsatz kommen. Die aus Lehm verkörpere die Akteurin, die aus Wachs den Geliebten. Ziel des Geschehens sei es, dass die Protagonistin erhärte, um in der Beziehung den starken, dominanten Part zu übernehmen, Daphnis dagegen in Liebe zu ihr hinschmelze.129 – Katz und Volk beziehen die zwei angestrebten Ergebnisse nur auf den Mann. Er solle einerseits in Liebe erweichen. Andererseits möge er sich in sexuellem Begehren nach der Akteurin verzehren, was sich in entsprechender physischer Reaktion des zuständigen Körperorganes äußere.130 – Einer dritten, immer wieder aufgegriffenen Interpretation ist zu entnehmen, dass der Geliebte in Liebe dahinschmelze, aber zusätzlich dem Einfluss anderer Frauen gegenüber erhärte.131 Die divergenten Forschungsansichten stimmen insoweit überein, dass der Vorgang der Wachsverflüssigung auf Daphnis zu beziehen ist. 129 Vgl. Faraone (1989) S. 294 f. 130 Zur vorliegenden Darstellung vgl. Katz/Volk (2006) S. 174. Vgl. zudem dies. S. 171 mit Anm. 10, wo sie die entsprechende, aber noch wenig ausgefeilte Interpretation Lucks (1962) S. 10 mit der seinen eigenen Worten nach »derb-realistischen Deutung« aufgreifen. 131 Vgl. z. B. Page (1957) [1898] S.  163, Ladewig/Schaper/Deutike (101973) [91915] S.  69, Gould (1967) S. 68, Coleman (1998) [1977] S. 247.

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Um eine klare Aussage über die größere Plausibilität einer Deutung des Analogiezaubers treffen zu können, sollte m. E. der magische Zusammenhang einbezogen werden.132 Vor dem hier behandelten Quartett erwähnt die Protagonistin ein Bild des Daphnis, das um den Altar getragen wird (74 f.). Diese Puppe wird als Symbol des Liebhabers gebunden. Man darf vermuten, dass die Figur schließlich auch ins Feuer geworfen wird. Zwar kann man wegen der undefinierten Form der Stoffe Lehm und Wachs nicht mit Gewissheit auf eine Puppengestalt schließen, diese wäre im Zusammenhang aber naheliegend. Damit ergäben sich zwei plausible Möglichkeiten für die Struktur der beiden Materialien: Entweder es liegt tatsächlich nur ein einziges Bild vor: Warum soll es auch nicht aus Wachs und dem noch weichen Lehm zusammengemengt worden sein?133 Oder es liegt eine Puppe aus Wachs vor (Identität der effigies und der cera wegen des eindeutigen Bezuges zu Daphnis) und ein Klumpen des anderen Materials. Eine Interpretation, dass der Wachs- und Lehmvorgang nichts mit dem Bild in Vers 75 zu tun hat, wäre grundsätzlich denkbar. Dann könnten – wie schon angedeutet – auch zwei weitere Figuren aus je unterschiedlichem Material Verwendung finden. Andersfalls könnten besagte zwei Klumpen, einer aus Wachs und ein weiterer aus Lehm, oder nur ein einziger Brocken aus beiden Stoffen zum Einsatz kommen. Dass mehrere Puppen (die um den Altar getragene sowie eine bzw. zwei weitere) verwendet werden, ist dem Text eigentlich nicht zu entnehmen. Denn effigiem (75) steht im Singular. M. E. wäre fraglich, ob Vergil so selbstverständlich erst eine einzige Figur erwähnen kann, wenn im Zauberritual wirklich mehrere zum Einsatz kommen sollen. Damit scheidet die Existenz einer Lehm- und einer Wachspuppe eigentlich aus – unabhängig davon, ob die erste für die Akteurin und die zweite für den Geliebten oder ob beide für Daphnis stehen. Auch von einer einzigen Figur aus beiden Stoffen, die nicht mit der aus Vers 75 identisch ist, sollte abgesehen werden. Daneben macht der Text zusätzlich deutlich, dass die angestrebte Reaktion sich auf Daphnis erstrecken soll und zwar einzig und allein auf diesen (sic … Daphnis, 81). Die elliptische Ergänzung einer Wirkung auf die Akteurin, wie sie Faraone für stimmig erachtet, wirkt recht weit hergeholt: Sein Hinweis auf die verbreitete Themenfolge einer Verfluchung des Geliebten verbunden mit der Bitte um Selbsterhärtung (z. B. Catull 8,11 f.) sowie auf das emphatische uno eodemque igni angesichts zweier Puppen unterschiedlichen Geschlechtes trifft wohl nicht den Sinn des Quartettes.134 Auch die zweite 132 Der Zauber in Vers 80 f. ist nicht sympathetisch aufzufassen, vgl. ungenau deutend Katz/ Volk (2006) S. 171. 133 Zur Herstellung von Figuren aus einer Mischung verschiedener Materialien in den PGM siehe u. S. 113. 134 Vgl. Faraone (1989) S. 300 mit Anm. 21. In Anlehnung an seine dortige Wiedergabe der Verse 80 f. ließe sich, um seine These zu verdeutlichen, folgendermaßen übersetzen: ›Wie dieser Lehm sich erhärtet und dieses Wachs schmilzt in ein und derselben Flamme, so möge auch (ich erhärten und möge) Daphnis (schmelzen) in (den Flammen) unserer (ein und derselben) Liebe.‹

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Hälfte setzt sich eindeutig mit Daphnis auseinander und wiederum nur mit ihm (in Daphnide, 83). Letzten Endes kann aus diesen Angaben Vergils grundsätzlich nur auf das Bild des Geliebten, nicht aber zusätzlich auf eines der Zauberakteurin geschlossen werden. Damit bleibt zu klären, wie es vereinbar ist, zwei gegensätzliche Wirkungen (durescit – liquescit, 80) auf ein und dieselbe Person zu beziehen, bzw. was die erstrebte Erhärtung genau bedeuten mag. Die Argumentation, die beiden Verben in sexuellem Sinne zu interpretieren, hat vermutlich als unsinnig zu gelten: Nach Katz/Volk stehe der Vorgang des Schmelzens mit der Körperregion der medulla in Verbindung, welche wiederum gleichbedeutend mit dem ›männlichen Samen‹ sei und über die Wirbelsäule vom Kopf zum Geschlechtsorgan transportiert werde. Entsprechend sei liquescere als emotionale Gefühlserweichung zu deuten. Das durescere drücke die sexuelle Erregung des männlichen (mit medulla) gefüllten Gliedes aus – parallel zur bei Plautus im ›Truculentulus‹ (obdurui, 916) überlieferten Formulierung.135 Doch im Gegensatz zum zweiten Idyll steht – wie bereits betont – in der Ekloge nicht der Gedanke an körperliche Liebe im Vordergrund. Damit würde wohl auch der vermutete Symbolismus eines Herzens aus Wachs und eines Penis aus Lehm scheitern.136 Welche denkbare Bedeutung kommt nun dem durescit zu? Am einfachsten wäre es doch, wie im Text vorgegeben, die Verhärtung auf die Liebe zu beziehen. Dass nostro (…) amore auf derselben Ebene wie uno eodemque igni zu verorten sei, hat Faraone wohl richtig vermutet.137 Demnach soll die gegenseitige Liebe des Paares (von einem zu anderen, also Plural) zweierlei Wirkungen hervorbringen. Doch verlangt der Gedanke einer Erhärtung im Sinne einer Unsensibilität des Daphnis gegenüber anderen Frauen einen geistigen Sprung.138 Die Deutung wäre m. E. nur insofern plausibel, als die zwei Verben in einer temporären Abfolge stünden. Dann müsste sich der Geliebte gegenüber der Frau in der Stadt, zu der er wohl gelaufen ist, erhärten, um im Anschluss wiederum Liebe für die Akteurin zu empfinden. Doch solche Information enthält der Text nicht. Soll man perfidus (91) so deuten?

Am nächsten liegt es doch, das Verbum durescere im Sinne der Entstehung einer dauerhaften, festen Beziehung zu deuten.139 Daphnis soll endlich hart werden, sodass man auf ihn bauen kann. Die Protagonistin wünscht sich vermutlich einen zuverlässigen Geliebten, dem sie vertrauen kann. Sie will ihn als eine unerschütterliche Grundfeste in ihrer gegenseitigen Beziehung. Es geht folglich wohl um eine Erhärtung  – nicht gegenüber anderen, sondern in ihm selbst. Es könnte auch der Gedanke an Hartnäckigkeit impliziert sein, im Sinne eines intensiven, erpichten Werbens um die Akteurin. Daran würde sich die Vorstellung einer in­ Daphnis schon vorhandenen Liebe anschließen, die sich verfestigen soll. 135 Vgl. nicht überzeugend Katz/Volk (2006) S. 172 f. 136 Vgl. Coleman (1998) [1977] S. 247. 137 Vgl. Faraone (1989) S. 300. 138 Vgl. Katz/Volk (2006) S. 170. 139 Vgl. die in dieselbe Richtung gehende Deutung Heynes 1968 [41830] S. 216 mit (…) obdurescat vero et obfirmetur animo ad constantiam amoris. Vgl. auch Fauth (1999) S. 126, der den Gedanken der Treue herausstellt.

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Im Analogiezauber entsprechen zwei gleichwertige, gegensätzliche Wirkungen der identischen Flamme erkennbar den zweien der identischen Liebe:140 Eine einzige zentrale Ursache führt zu konträren Ergebnissen. Wäre es da nicht verwunderlich, wenn selbst das die Analogie versinnbildlichende Objekt aus unterschiedlichen Materialien besteht und sich als Verbindung eines Stoffes zu erkennen gibt, der hart wird, sowie eines Stoffes, der weich wird? Das würde denkbar entweder für eine einzige Figur oder einen einzigen Klumpen sprechen. Der Zusammenhang verweist jedoch gerade auf eine Puppe, die zunächst um den Altar getragen und wohl als Konglomerat aus Lehm und Wachs ins Feuer geworfen wird. Die Frage nach der Materialstruktur sollte nicht überbewertet werden, da es beim Analogiezauber nur um den zum Vergleich herangezogenen Vorgang geht. Es könnten auch zwei Brocken aus je unterschiedlichem Material oder ein einziger Klumpen aus beiden Stoffen vorliegen. Das Ergebnis bliebe trotzdem identisch. Der Analogiezauber findet seine Fortsetzung im Streuen des Schrotes und der Verbrennung des Lorbeeres. Doch wegen des Spieles mit dem Namen Daphnis (83) und der ­etymologischen Herkunft des Wortes als Bezeichnung der griechischen Pflanze141 erfährt der Zaubervorgang eine fundamentale Umdeutung. Denn Δάφνιϛ kommt von δάφνη, Lorbeer. Damit sollte die Verbrennung der Pflanze wohl auf keinen Fall mehr analog gedeutet werden, wie von Abt unternommen,142 sondern es dürfte sich um einen sympathetischen Akt handeln. Daphnis soll wohl nicht wie der Lorbeer entbrennen, sondern er soll selbst in Flammen aufgehen. Der Unterschied ist nicht marginal. Erst der Nachsatz (83) erläutert, wie der Feuerbrand aufzufassen ist, und zieht durch den im Vergleich evozierten Rollentausch von Täter und Opfer den Zauber wieder ins Analoge. Zusätzlich überträgt urit (83) das vorausgehende Entflammen in den Bereich des Metaphorischen, da der Geliebte die Protagonistin natürlich nicht mit echtem Feuer martert. In entsprechender Weise soll Daphnis also doch nicht den Schmerz der Verbrennung erleben, sondern den Schmerz wie bei einer Verbrennung. Denn dieses Gefühl empfindet die Akteurin angesichts ihres Verlassenseins. Das Spiel mit den Zau 140 Inhaltliche und metrische Ebene stimmen dabei überein: Denn einerseits gleichen sich in Vers 80 die beiden konträren Wirkungen auch rhythmisch. Zweiter und vierter, dritter und fünfter Versfuß sind identisch ausgearbeitet. Das passt zur Feststellung, dass Reim und magischer Akt korrespondieren, vgl. dazu Rand (1966) [1931] S. 127.   _ʹ  v  v  |  _ʹ  _ | _ʹ  v   v  |  _ʹ  _  | _ʹ  v  v |  _ʹ v   Limus   ut hic durescit  et haec  ut cera liquescit Andererseits verschmelzen in Vers 81 die ersten beiden Vokale des Demonstrativpronomens (e und o) zu einer Lauteinheit, wie auch das Feuer als ein und dasselbe herausgestellt wird. Die Wirkung wird noch verstärkt durch den zwangsläufig sich ergebenden Hiat mit dem Endvokal des vorausgehenden uno, der in der Aussprache unbedingt vermieden werden muss. Zur Synizese vgl. bereits Coleman (1998) [1977] S. 247.   _ʹ  _ | _ʹ  _ | _ʹ  _  | _ʹ _  |  _ʹ  v  v |   _ʹ  v   uno  eodemque igni, sic nostro  Daphnis amore. 141 Vgl. Bechtel (1917) S. 592. 142 Vgl. Abt (1967) [1908] S. 77 [S. 151].

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berarten fällt auch für einen magischen Text ins Auge. Der Übergang vom Analogiezum Sympathieprinzip mit einer Auflösung des letzteren zugunsten des ersten ist bemerkenswert.143 Zusätzlich sollte der Wortwahl (incende, 82) Bedeutung beigemessen werden. Der betonte Beginn der Handlung stellt einen Bezug zu durescit und l­iquescit her, den verba incohativa (Infix -sc-). Vergil legt in der Strophe das Gewicht spürbar auf den punktuellen Aspekt, ein im Entstehen begriffenes Geschehen, weil es ihm wohl um die deutlich mildere Art der Akteurin und um den entsprechend harmloseren Ritus geht – vielleicht im Gegensatz zum sehr harschen und düsteren Vorgehen Simaithas.

Auch die Verse 85 bis 89 verkörpern einen Analogiezauber. Dieser kann als geeignetes Beispiel für die literarische Technik Vergils in der achten Ekloge gelten. Denn einerseits wirkt die Ausgestaltung des Zaubers wohl an drei dichterischen Vorbildern orientiert, andererseits nimmt er wegen der Einbindung von bukolischem Gehalt in eine magische Szene eine besondere Stellung in der Ekloge überhaupt ein: Der römische Autor vergleicht den Geliebten mit einer Färse, die von Sehnsucht getrieben Nacht und Wald durchstreift, um den Jungstier zu finden. Solche Liebe möge den Daphnis ergreifen. Die Idee des Vergleiches als literarischen Mittels könnte von Theokrit, die Vergleichsebene von Lukrez und ein Vers wörtlich von Varius übernommen sein, so 143 Vielleicht entscheidet sich Vergil deswegen für die m. E. auf den ersten Blick hin ein wenig seltsam anmutende Formulierung ego hanc in Daphnide laurum. Götte/Götte (1970) S. 49 übersetzen »(…) ich brenn’ diesen Lorbeer auf Daphnis«, Ebener (1984) S. 54 »(…) ich brenne mit Lorbeer sein Bildnis.« In beiden Übertragungen wird also eine Beziehung zur DaphnisFigur hergestellt, die die Forscher wohl in Vers 80 f. verwendet sehen. Die Vorstellung ergibt Sinn. Allerdings wäre es gerade wegen des schon angesprochenen Namensspiels mit dem griechischen Begriff δάφνη durchaus denkbar, dass Vergil das sympathetische Verhältnis verdeutlichen will – nach dem Motto ›ich verbrenne im (nach der Pflanze benannten) Daphnis diesen Lorbeer‹. Zwar wäre ›ich verbrenne in diesem Lorbeer Daphnis‹ stimmiger. Allerdings sind Geliebter und Pflanze magisch austauschbar. Die Verbrennung des einen entspricht der des anderen und andersherum. Die denkbare Übersetzung ›ich verbrenne diesen Lorbeer in der Gestalt des Daphnis‹ würde die Gewichtung der einander überschneidenden Zauberarten zugunsten des analogen Gedankenguts verschieben. Dann hätte der Lorbeer in etwa das Aussehen des Geliebten. Das allerdings ist als recht unwahrscheinlich anzusehen. Grundsätzlich darf man auch hier m. E. wieder eine bewusste Formulierung Vergils vermuten, der die dargestellten Auffassungen wohl alle mehr oder weniger deutlich entnommen werden könnten. Es geht ihm vielleicht darum, mittels der Präposition in der Gleich- bzw. Ähnlichkeit der Pflanze und des Geliebten Ausdruck zu verleihen. Damit läge auch der Wahl dieses kleinen Wortes bereits das aufgegriffene Spiel mit den beiden Zauberarten zugrunde. – Als sinnvollste sprachliche Übersetzung bleibt damit eigentlich mit Götte/Götte ›ich verbrenne diesen Lorbeer auf Daphnis‹­ (lokales in mit Ablativ). Erst werden Wachs und Lehm verbrannt, die in Gestalt einer Puppe oder als Brocken für Daphnis stehen, dann der Lorbeer auf diesen Substanzen. Es wäre zu überlegen, ob sich im vorliegenden Vers eine Konjektur als sinnvoll erwiese. Denn eine denkbare Textverbesserung zu in Daphnin – zur Akkusativform vgl. Georges I (1992) [81913] Sp. 1883 – im Sinne von adversum Daphnin (Philarg. Verg. ecl. 1,8,83 rec. I) wäre inhaltlich leicht verständlich (›ich verbrenne diesen Lorbeer gegen Daphnis‹) und magisch stimmig. Allerdings würde der Vers durch die Konjektur im fünften Versfuß metrisch einen versus spondiacus ausbilden und dadurch viel, vielleicht unnötig viel Gewicht erhalten.

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stellt schon Pfeiffer fest.144 In der Tat wirkt es so, als gehe der Gedanke an eine Entsprechung in der Tierwelt auf den hellenistischen Poeten zurück. Wahrscheinlich in Anlehnung an diesen hat Vergil einen verbalen Analogiezauber geschaffen. Das im Idyll erwähnte, dort wohl auch tatsächlich verwendete ἱππоμανὲϛ φυτόν, auf das Fohlen und Stuten liebestoll werden, dient dem Zweck der Gleichsetzung: Delphis soll dieselbe Reaktion gegenüber Simaitha zeigen. Dass Vergil jedoch konkret eine Färse als Vergleichstier heranzieht, hat naheliegend anderswo seinen Ursprung. Es dürfte sich um eine Abwandlung des Lukrez und der bei ihm beschriebenen Suche einer Kuh nach ihrem Jungen, das geopfert worden ist, handeln.145 Die Parallelstelle aus ›De rerum natura‹ (2,355–363) beschreibt die Verzweiflung des Muttertieres: at mater viridis saltus orbata peragrans novit humi pedibus vestigia pressa bisulcis, omnia convisens oculis loca, si queat usquam conspicere amissum fetum, completque querellis frondiferum nemus adsistens et crebra revisit ad stabulum desiderio perfixa iuvenci, nec tenerae salices atque herbae rore vigentes fluminaque ulla queunt summis labentia ripis oblectare animum subitamque avertere curam (…). Aber die Mutter, die beraubt die grünen Viehweiden durchstreift, kennt am Boden die von gespaltenen Hufen gedrückten Male und durchforscht dabei mit ihren Augen alle Orte, ob sie irgendwo das verlorene Kind zu erblicken vermag und sie erfüllt beim Stehenbleiben mit Klagen den Laub tragenden Wald und kehrt wiederholt zum Stall zurück, durchbohrt vom Verlangen nach der Färse, und nicht können zarte Weiden und von Taukraft strotzende Pflanzen und nicht irgendwelche Flüsse, welche in höchst ansteigenden Ufern hingleiten, ihr Gemüt erheitern und ihre plötzliche Sorge abwenden (…).

Folgende Übereinstimmungen zwischen dem Text von Vergil und dem von Lukrez sind zu erkennen: In beiden Fällen befindet sich eine Kuh auf der Suche, die eine nach dem Stier (… iuvencum / … quaerendo …, 85 f.), die andere nach ihrem Kind (amissum fetum, 358). Beide Tiere durchwandern deswegen Wälder und Haine (nemora bzw. lucos, ecl. 8,86/nemus, Lucr. 2,359), Flüsse werden erwähnt (rivum, ecl. 8,87/flumina, Lucr. 2,362). Doch gilt bei Vergil die Kuh selbst noch als jung (bucula, ecl. 8,86), bei Lukrez dagegen muss sie bereits älter sein (mater, 2,355). Ist bei Ersterem das Schilf grün (viridi … ulva, ecl. 8,88), so sind es bei Letzterem die Viehweiden (viridis saltus, 2,355).

144 Vgl. Pfeiffer (1933) S. 43. 145 Vgl. Coleman (1998) [1977] S. 248.

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Zusätzlich wirkt die in Vergils Analogiezauber im Vordergrund stehende Leidenschaft von Kuh bzw. Geliebtem von einem Bild des Varius Rufus – bei Macro­ bius (Sat. 6,2,20) tradiert – inspiriert.146 Für die Schrift ›de Morte‹ (fr. 4 Buechner) ist belegt: ceu canis umbrosam lustrans Gortynia vallem, si veteris potuit cervae comprendere lustra, saevit in absentem et circum vestigia latrans aethera per nitidum tenues sectatur odores; non amnes illam medii, non ardua tardant, perdita nec serae meminit decedere nocti. Wie eine kretische Hündin, die das schattenreiche Tal durchwandert, wenn sie das Revier einer alten Hirschkuh entdecken konnte, gegen die Abwesende wütet und unter Gebell in der Nähe ihrer Fußspuren den feinen Düften durch die glänzend klare Luft nachjagt, wie nicht Sturzbäche in der Mitte jene, nicht steile Höhen sie aufhalten, die verruchte, und sie nicht daran denkt, der späten Nacht aus dem Weg zu gehen.

Vergil hat mit ecl. 8,88 den sechsten fragmentarisch überlieferten Vers in wörtlicher Übereinstimmung übernommen. Bei Varius tritt an die Stelle der lukrezischen Kuh, die ihr Kalb sucht, eine Hündin, die das Revier einer Hirschkuh entdeckt hat. Es lässt sich erkennen, wie die Mutterliebe als das die innere Ursache darstellende Motiv durch die ihrer animalischen Veranlagung gemäß aufgestachelte canis auf der Fährte nach ihrem Opfer ersetzt ist. Fragwürdig weist Pfeiffer Vergils Bild die Funktion zu, den unwiderstehlichen Geschlechtstrieb zu versinnbildlichen.147 Denn ein Analogiezauber funktioniert, wie erschlossen werden kann, stets auf vergleichender Ebene, nicht auf gleichsetzender. Läge also eine Sympathievorstellung vor, ginge es wohl darum, dass Daphnis der Protagonistin nachstellen würde – und zwar außer sich vor Sehnsucht, bei ihr Befriedigung seiner sexuellen Lust zu finden. Beim analogen Gedanken steht sichtbar das ›Wie‹ im Vordergrund: Der Geliebte soll also von einem Verlangen nach der Akteurin umhergetrieben werden, das der Geilheit einer Jungkuh auf den Stier vergleichbar ist – nicht jedoch besagter Geilheit identisch. Eine sexuelle Konnotation der magischen Handlung Vergils lässt sich selbst hier nicht entdecken. Gerade deswegen steht im Text vermutlich auch talis amor teneat, also ›eine solche, so beschaffene Liebe‹ soll Daphnis beherrschen, nicht jedoch ›diese Liebe‹ soll ihn ergreifen. Die schon beschriebene Doppelung im vorliegenden Analogiezauber ist entsprechend zu deuten: (…) nec sit mihi cura mederi sollte man nicht derart interpretieren, dass die Akteurin sich weigern möge, sich dem

146 Vgl. Holtdorf (1959) S. 221. 147 Vgl. Pfeiffer (1933) S. 43.

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Mann hinzugeben. Stattdessen mag vielleicht ein emotionales Desinteresse am Geliebten mit der Intention, dass er ihr egal ist, gemeint sein. Wenn Vergil an dieser Stelle die Formulierung mederi gebraucht, spielt das denkbar auf die verbreitete Vorstellung der Liebe als Krankheit an, die es zu heilen gilt. Sie findet u. a. im Idyll bei den von Simaitha geschilderten Symptomen Verwendung.148 Dass der römische Dichter allerdings selbst hier in Anlehnung an Theokrit schreibt, wäre m. E. überinterpretiert. Denn der Topos ist in der Überlieferung einfach zu verbreitet.149 Vielleicht kommt es in der Darstellung bei Vergil auf den Schlusspunkt an. Denn die Färse sinkt nach der erfolglosen Suche am Ende ihrer Kräfte (fessa, 85) im Schilf nieder. Sie gilt als perdita150 und vergisst sogar, der für sie unangenehmen und gefährlichen Nacht zu weichen (89). Einen vergleichbaren Zustand erstrebt die Protagonistin im Analogiezauber für ihren Geliebten. Er soll sie nicht finden. Tiefbetrübt und kraftlos soll er niederfallen – mit nichts anderem als ihr selbst im Sinn. Wenn man dieses – bei den inhaltlich zu einer Einheit verbundenen Versen 73 bis 75 und 77 f. – als fünfte Strophe identifizierbare Quintett dem fünften Quartett des zweiten Idylls – bei der in der Arbeit präferierten Abfolge abecdfghi –­ gegenüberstellt, tritt eine unübersehbare Parallele zu Tage. In der Abfolge der einzelnen zusammengehörigen Verseinheiten, in der Mitte des dort geschilderten magischen Geschehens, steht das antithetisch ausgearbeitete Motiv von Ruhe und Unruhe angesichts einer unglücklichen Liebe. Schweigen kennzeichnet die Natur um Simaitha, während sie selbst sich in emotionaler Aufwallung befindet (id. 2,38–42). Die Färse Vergils als Pendant zu Daphnis lässt sich nach ihrer aufwiegelnden Suche ins Grüne fallen (ecl. 8,85–89). Doch erinnert die Erlahmung der Kuh im Schilf in gewisser Weise an Totenruhe, fast vergleichbar der Situation, wenn sich ein Hund in sein Versteck zurückzieht, um zu sterben. Insofern eignet sich die Strophe bei Vergil auch hervorragend als Überleitung zur оὐσία-Handlung (85–89) und der Thematisierung der Giftkräuter (95–99). Man hat den Eindruck, in Zügen deutet sich in der zweiten Hälfte bereits durchgehend ein destruktives Element in der Zauberhandlung an. Aber das geschieht nur sehr 148 Dazu siehe o. S. 53 f. 149 Als eine der wohl berühmtesten Belegstellen gilt E. Hipp. Vgl. in 269 die Ratlosigkeit des Chores über die Krankheit der Herrschergattin ([…] ἄσημα δ’ ἡμῖν ἥτιϛ ἐστὶν ἡ νόσоϛ), sowie in 347 die Frage Phädras über das Wesen des Liebe (τί τоῦϑ’ ὃ δὴ λέγоυσιν ἀνϑρώπоυϛ ἐρᾶν;) und schließlich in 348 die Antwort der Amme (ἥδιστоν, ὦ παῖ, ταὐτὸν ἀλγεινόν ϑ’ ἅμα). Zu den Symptomen der unglücklichen Liebe vgl. auch Ov. rem. 435–454. 150 Die immer wieder aufgenommene Diskussion – vgl. z. B. Page (1957) [1898] S. 164 – um die Stellung des Kommas (nach ulva oder nach perdita) führt im vorliegenden Falle der magischen Deutung zu keinem wesentlichen Unterschied. Ob die Kuh verzweifelt niedersinkt oder niedersinkt und verzweifelt vergisst, der Nacht aus dem Weg zu gehen, ist als für die magische Handlung nicht relevant anzusehen.

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zaghaft. Es wirkt eben der Ton an sich viel milder als bei Theokrit. Und als Ziel gilt – wie dargestellt – bei Vergil eine wohlbehaltene Rückführung des Daphnis. Denn zur Umsetzung der unheilvollsten Form der Magie, die das κακὸν πоτὸν (id. 2,58) bezeichnet, kommt es in der Ekloge nicht: Die Wendung bonum sit am Ende verwirft allzu düsteren Zauber. Der fünften Strophe Vergils lässt sich auf sehr anschauliche Weise entnehmen, wie der römische Dichter in der Ekloge mit Vorgaben spielt. Er übernimmt wohl aus der Wirkung des Hippomanes bei Theokrit das Motiv des Liebeswahnes eines Tieres und illustriert dieses an der Suche der lukrezischen Kuh. Zusätzlich steigert er die Dramatik erkennbar durch einen Vers des Varius, den er geschickt mit der vermutlich aus dem hellenistischen Gedicht übernommenen Ruhe- bzw. Unruhe-Thematik verknüpft. Damit entsteht – wie auch in Vers 80 f. – ein Analogiezauber, der seinesgleichen suchen kann.

3.2.4 Der Ritualaufbau bei Vergil und sein Verhältnis zur Zeremonie-Gliederung Simaithas Eingeleitet wird das magische Geschehen des Alphesiboeus-Liedes augenfällig mit der Präparationsphase: Das Wasser (64) als einzige Flüssigkeit bei Vergil dient  – wie beschrieben  – wohl der Purifikation. Der Altar wird umgürtet (64). In der Verbrennung der grünen Zweige und des Weihrauchs (65) lässt sich als zentraler Baustein für die Strophe (64–67) das ἐπίϑυμα festhalten. Der Preis der Macht der Sprüche (69–71) stellt einen Verbalteil dar, darf deswegen wohl als λόγоϛ identifiziert werden. Wegen des Formelcharakters und der vorausgehenden Anrufung der Sprüche (68) erinnert die Passage an eine invocatio. In der Sinneinheit (73–75, 77 f.) gibt sich eine zusammengehörige πρᾶξιϛ zu erkennen: Bindung, Herumführen der Figur im Kreis und Knotenknüpfung. Das im Verhältnis zu den anderen Strophen inhaltlich überladene Quartett (80–84) enthält dagegen drei trennbare Vorgänge. Zunächst steht als erste πρᾶξιϛ die Analogie mit Lehm und Wachs, dann folgt eine weitere πρᾶξιϛ, die Mehlanalogie, und schließlich eine dritte πρᾶξιϛ, der Lorbeersympathiezauber. Das Kuh-Quintett (85–90) als verbal geäußerter Wunsch kann mit den preces eines Gebetes gleichgesetzt werden. Der оὐσία-Teil (91–93) bildet eine weitere πρᾶξιϛ. Der ­Bericht über die Wirkung der Giftkräuter (95–99) ist aufgrund seiner verbalen Natur als λόγоϛ bezeichenbar. Die Beseitigung der Asche (101 f.) stellt das Ende der Zauberhandlung dar und gilt deswegen als letzter πρᾶξιϛ-Schritt. Weitere Maßnahmen (102 f.) sollen ergriffen werden. Da sie nicht mehr in die Tat umgesetzt werden, ergibt es keinen Sinn, diesen πρᾶξιϛ-Vorgang noch dem vorliegenden Zauberritus zuzurechnen. In welchem Verhältnis zueinander steht die Ritualstruktur von achter Ekloge und zweitem Idyll?

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Hexenszenen

Tab. 2: Überblick über die Bausteine des Rituals in Vergils achter Ekloge. Verse Baustein

64–67 Purifikation



69–71

74–75 77 f.

80–84

85–90

91–93

95–99

101 f.

λi

π1

π2 π3 π4

λp

π5

λ

π6

Vorbereitung Anlehnung Vergils

Pause

Tab. 3: Überblick über die Bausteine des Rituals in Theokrits zweitem Idyll (präferierte Strophenfolge [2]). Verse Baustein Erweiterung Theokrits

1– 10

10– 16

18– 21

23– 26

28– 31

33– 36

Vor­ bereitung

λi

π1

π2

π3

ἐ λi

38– 41

43– 46

48– 51

53– 56

58– 62

ἐ λp

π4

π5

π6

Pause

Die Gemeinsamkeiten im Ritualgeschehen der beiden Texte können vermutlich kein Zufall sein: Wie die Zauberhandlung bei Theokrit, so besteht auch die Vergils erkennbar aus sechs wesentlichen πράξειϛ. Außerdem vollziehen die Protagonistin und ihre Dienerin beim römischen Dichter ebenfalls ein ἐπίϑυμα. Beide Poeten verwenden drei λόγоι, bei beiden lässt sich eine Präparationsphase identifizieren. Ja, sogar die  – bereits erwähnte  – von Theokrit aufgegriffene Pause spiegelt sich bei Vergil wider. Damit erweisen sich die Bausteine der magischen Handlungen als nahezu identisch. Sogar der Ritualablauf wirkt ähnlich gestaltet: An eine Vorbereitungsphase schließt sich erst ein verbaler Teil an, auf den dann drei oder mehr πρᾶξιϛ-Schritte folgen. Vergil hätte – wäre es seine Absicht gewesen – deutlich mehr vom Vorbild abweichen können (z. B. durch eine Anordnung wie πρᾶξιϛ, λόγоϛ, πρᾶξιϛ, λόγоϛ, πρᾶξιϛ, λόγоϛ etc.). Doch tritt die Parallele zwischen den Autoren rein äußerlich auf magischer Strukturebene zu Tage. Während der hellenistische Dichter jeder πρᾶξιϛ ein Quartett zukommen lässt, scheut sich Vergil nicht, z. B. sogar drei πράξειϛ in einer Strophe aufzugreifen. Sind die λόγоι bei Theokrit immer eindeutig als spezifische Gebetsabschnitte identifizierbar, wird im lateinischen Text nicht eine einzige Gottheit invoziert bzw. direkt um etwas gebeten. Setzt mit der Pause das ἐπίϑυμα und somit auch das Ritual im griechischen Text kurzzeitig aus, stellt Vergil dem Rauchopfer – am Anfang der Zeremonie – eine Purifikation zur Seite und versteckt die hellenistische Unterbrechung vermutlich gekonnt im Analogiezauber mit der ruhenden Kuh. Das­ bereits herausgearbeitete Verhältnis der Dichter zueinander findet sich erneut

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bestätigt: Vergil greift unübersehbar Grundelemente des theokriteischen Rituals auf, arbeitet sie dann jedoch in eigenständiger Weise komplett um. Dieses Ergebnis wirft die Frage nach der aus der Ekloge erschließbaren magischen Kompetenz des römischen Dichters auf. Die Komplexität des hellenistischen Zauberrituals mit verschiedenen ineinander verborgenen Zauberformen löst Vergil zugunsten eines signifikant einfacheren Geschehens auf. Ist im zweiten Idyll das für die Durchführung der einzelnen Schritte notwendige Wissen spürbar voraus­ gesetzt, wirken die Aktionen in der Ekloge auch für einen Laien anschaulich gestaltet und vorstellbar (z. B. das dreimalige Herumgehen um den Altar etc.).151 Schildert Theokrit – dem hellenistischen Dichterideal entsprechend – augenfällig als magischer Experte, bietet Vergil dem Leser deutlich spärlichere, allgemein gültigere Informationen über das Zauberwesen dar. Man hat den Eindruck, der römische Dichter geht bei der Ausgestaltung seiner magischen Szene über eine oberflächliche Darstellungsebene nicht hinaus. Details, die tiefgründiges Wissen offenbaren könnten, lässt er beiseite.152 Doch sollte dieses Urteil nicht missverstanden werden: Denn gerade das fühlbare Spiel mit Analogie- bzw. Sympathiezauber im Zusammenhang mit dem Lorbeer legt auch für Vergil ein ausgeprägtes Verständnis grundlegender magischer Prinzipien nahe. Aber das lateinische Ritual erscheint eben nicht als derart ausgeklügelt wie sein Vorbild. Vergil lässt entlegenes magisches Fachwissen zumindest nicht in sein Gedicht einfließen. Hat man bei Theokrit noch den Eindruck, er habe zur Ausübung realer Magie verfasste Zauberbücher studiert, bedient sich der römische Dichter bereits literarischer Topoi. Doch erzeugt die Überladung an magischen Motiven und Vorstellungen im Idyll im Endeffekt ein wirklichkeitsfremdes Ritual. Entsprechend scheitert wohl auch der Wunsch der theokriteischen Zauberin, während der der vergilischen schon im Gedicht selbst seine Erfüllung findet. Die poetische Fiktion in der Ekloge kommt, gerade weil die Vorstellungen sich als trivialer erweisen, dem realen Zauber näher. Dass bei Theokrit die Göttin erscheint und somit eigentlich mit einem Erfolg zu rechnen wäre, passt nicht recht ins Bild.

3.2.5 Das Alphesiboeus-Lied und die Zauberpapyri Das magische Geschehen vollzieht sich im Umfeld eines Altares (altaria, 64). Damit steht Vergil spürbar in der Tradition der Gebrauchstexte und der dort erwähnten, meist irdenen Opferbrandstätten ([…] ἐπίϑεϛ ἐπὶ βωμὸν γήϊνоν […], PGM V 201).153 Der Vorgang, den Opferherd mit einer wollenen Binde (molli cinge … vitta, 64) zu umwickeln, findet ebenfalls grobe Entsprechungen. In den 151 Vgl. Klingner (1967) S. 146. 152 Vgl. Rose (1942) S. 155. 153 Zum Altar vgl. PGM III 382, IV 42, V 395, XIII 8.

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erhaltenen Texten werden u. a. Zweige mit weißer bzw. roter Wolle umwunden (PGM II 69–73), auch der Kopf kann umbunden werden (PGM III 618 f.). In Vergils Zauber benötigt die Magierin Wasser – das erweist sich als nicht weiter verwunderlich. Denn Wasser tritt in den Papyri immer wieder als reinigendes Element auf, kann aus einer Quelle (ὕδωρ πηγαῖоν, PGM I 234 f.), vom Meer (ὕδατι ϑαλασσίῳ, PGM IV 2158), aus einen Brunnen (ὕδωρ καινоῦ φρέατоϛ, PGM II 36 f.) stammen oder von Regengüssen gesammelt sein (ὕδωρ ὄμβριоν, PGM VIII 72, vgl. auch I 287).154 Immer wieder wird empfohlen, zum Zwecke einer κάϑαρσιϛ in einen fließenden Fluß zu steigen ([…] ἐλ[ϑὼν ἐπὶ πоταμὸν ἀ[έν]αоν […] λоυσάμ[ενоϛ ἐλϑὼν ἐν ἱματίоιϛ καϑαρоῖϛ […], PGM III 690 f.).155 Dass bei einem Opfer zur Räucherung Weihrauch nicht fehlen darf, darin stimmen wieder der Vergil-Text und die Gebrauchstexte überein. Insbesondere der männliche (mascula tura, 65) dürfte sich immenser Beliebtheit erfreut haben (λίβανоν ἀρσενικὸν, PGM XXXVI 136).156 Wenn dem Dichter nach zusätzlich grüne Zweige den Flammen übergeben werden, dann wohl mit der Absicht, möglichst viel Rauch zu erzeugen. Dass bei einer Reinigung u. a. Wasser und Weihrauch verwendet werden, findet sich in den Rezepturen (z. B. PGM V 196–207). Für die gegen Ende der ersten Strophe angepriesenen carmina (67) nennen die Papyri einen offenbar äquivalenten griechischen Begriff (»[…] ἱεραῖϛ ἐπαоιδαῖϛ […]«, PGM I 317 bzw. 321).157 Von den drei als topisch geltenden Motiven, die die Wirksamkeit der Formeln verdeutlichen, sind auch in den Zauberpapyri zwei bekannt. Die Fähigkeit, den Mond vom Himmel zu ziehen (caelo … deducere lunam, 69), gilt als Grundcharakteristikum der magischen Zunft. In den Gebrauchstexten heißt es im Zusammenhang mit der Gewinnung eines Parhedros-Dämons, der dem Zauberer zahlreiche wundersame Taten ermöglichen soll: Wäre es Ziel des Magiers, die Sterne herabzuholen ([…] ὅταν ϑέλῃϛ ἄστρα κατενεγκεῖν […], PGM I 123 f.), würde das Wesen es ihm ermöglichen. In einem anderen Papyrus ist die motivische Nähe noch offensichtlicher (PGM XXXIV 1 f.): […] κἂν σελήνῃ κελεύσω, καταβήσεται […]. (…) Und wenn ich es dem Mond befehle, wird er hinabsteigen (…).

Über Mond und Sterne kann der Magier gebieten – sowohl in literarischen Texten als auch in real angewandten Rezepturen.158 154 Vgl. zudem PGM III 301, 455, 463, IV 2886, V 65–69, VII 152, XII 99, 382. 155 Zur Reinigung vgl. auch PGM IV 2884–2886. 156 Zum Weihrauch vgl. außerdem PGM I 10, 62, II 13, 20, 24 f., IV 907, 1269, 1309, 1834, 1990 f., 2462, 2678 f., 2873, V 202, 395, VII 543, 842, VIII 70, XXXVI 135, 277. 157 Für einen weiteren Beleg vgl. z. B. PGM I 296. 158 Für Belegstellen in griechischer sowie lateinischer Literatur vgl. Hill (1973) S. 221–238.

Die achte Ekloge Vergils

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Auch der Gedanke, Schlangen erstarren bzw. bersten lassen zu können (frigi­ dus … rumpitur anguis, 71), kehrt in Zauberpapyri zweimal wieder (PGM XIII 261–265): ἐὰν ϑέλῃϛ ὄφιν ἀπоκτεῖναι, λέγε· »στῆϑι, ὅτι σὺ εἶ ὁ Ἀφυφιϛ« καὶ λαβὼν βάϊν χλωρὰν καὶ τῆϛ καρδίαϛ κρατήσαϛ σχίσоν εἰϛ δύо ἐπιλέγων τὸ ὄνоμα ζʹ, καὶ εὐϑέωϛ σχισϑήσεται ἢ ῥαγήσεται. Wenn du eine Schlange töten willst, sprich: »Mach Halt, weil du Aphyphis bist!« und, nachdem du einen grünen Palmzweig ergriffen hast und sein Mark durchdrungen hast, spalt es entzwei und füg siebenmal den Namen hinzu – und sofort wird sie zerschnitten werden und bersten.

In einem Analogiezauber, der sehr an die bei Cato d. Älterem überlieferte Heilung einer Fraktur durch Zusammenfügung eines Rohrstabes erinnert (agr. 160),159 werden Schlangen mit einem Palmzweig gleichgesetzt. Doch im Gegensatz zum Heilungszauber wird das Holz gespalten. Auf vergleichbare Weise soll auch das Tier in Teile zerspringen. Die Existenz des Motivs in den Zauberpapyri könnte – ginge man von entsprechenden Vorgängerschriften Jahrhunderte früher aus  – vielleicht widerlegen, dass die Praktik als typisch italisch, ja marsisch, gelten müsse.160 Denn die Verbreitung der magischen Standardfähigkeit könnte sich auf den ganzen Mittelmeerraum erstrecken. Ein weiterer Zauber beschäftigt sich mit der Überwindung von Schlangen.­ Allerdings geht es hier darum, sie erstarren zu lassen (PGM XIII 249 f.): ἐὰν ἴδῃϛ ἀσπίδα καὶ ϑέλῃϛ αὐτὴν στῆσαι, λέγε στρεφόμενоϛ ὅτι »στῆϑι.« λέγεται τὰ ὀνόματα, καὶ στήσεται. Wenn du eine Schildviper siehst und sie zum Stehen bringen willst, sprich abgewandt: »Mach Halt!« Die Worte werden gesprochen, und sie wird Halt machen.

Durch einen Zauberspruch (»στῆϑι.«) erstarrt in den Papyri das Tier – wie eben auch bei Vergil (cantando, 71). Im Zentrum der nächsten Sinneinheit steht die Drei. Diese Zahl – sowie die ungerade Zahl überhaupt – erweist sich in den Papyri als bedeutsam.161 Dass die 159 Zur Formel vgl. De Jong (21948) S. 41, Fauth (1999) S. 16, Önnerfors (2006) S. 7 f. 160 Vgl. v. Albrecht (2006) S. 33 unter Anm. 101. Zur magischen Schlangenvernichtung (sowie zum marsischem Ursprung des Motivs) vgl. auch Desport (1952) S. 429–431 (das Kapitel »L’incantation des Marses«), vgl. zusätzlich ausführlicher Tupet (1976a) S. 187–195 (das Kapitel »La destruction des serpents«). 161 Zur Drei vgl. z. B. PGM II 128 (9999, eine eindrucksvolle Multiplikativzahl der Drei, als Zahlwert eines göttlichen Namens), IV 209 (dreimalige Rezitation einer Beschwörungsformel), 897–899 (drei Tage Reinheit), 3131–3133 (Bildnis mit drei Köpfen), 3172 (drei Schilfrohre), 3217 (dreimalige Rezitation eines Zauberwortes). Zur ungeraden Zahl (insbesondere der Sieben) vgl. IV 906, 1249, 3004.

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Fäden verschiedene Farben aufweisen, hat ebenfalls als passend zu gelten: Die Nennung von drei Farben mit unterschiedlicher Funktion in nahem Zusammenhang lässt sich auch in den Gebrauchstexten nachweisen (z. B. Weiß, Gelb und Schwarz, PGM XII 312). Das mit Fäden umwickelte Bildnis (73 f.) kann mit der Puppe der auf dem Rücken liegenden und damit wohl gefesselten Frau im ›Φιλτρоκατάδεσμоϛ‹ verglichen werden ([…] αὐτὴν δὲ ὀπισϑάγγωνα καὶ ἐπὶ γόνατα καϑημένην […], PGM IV 301 f.).162 Wenn die Protagonistin die Figur dann dreimal um den Altar führt (74 f.), dient das vermutlich der Absicht, den magischen Kreis und seine Wirkung in den Ritus zu integrieren. In einem die unbeschadete Ausgrabung einer Pflanze bezweckenden Zauber wird ein vergleichbarer Vorgang geschildert: Dort soll Fichtenharz – genauso oft wie bei Vergil – um den Ort getragen werden ([…] εἰϛ γʹ περιενέγκαϛ τὸν τόπоν […], PGM IV 2971). Bisweilen soll man sich auch selbst während eines Gebetes im Kreise drehen (PGM III 272 f.): […] ἐ[πί]λεγ[ε κ]αὶ τо[ῦτоν τὸ]ν λόγоν τоῖϛ τέσσαρσ[ι]ν ἀνέμ[о]ιϛ κυκλεύ[ων πρὸϛ] ἄνεμоν […]. (…) Sprich dann auch dieses Gebet den vier Winden zu, während du dich zum Winde im Kreise drehst (…).

Manchmal wird es sogar als notwendig erachtet, mit Kreide auf dem Boden einen Zauberkreis zu ziehen. Im vorliegenden Fall dient er zusammen mit Schriftzeichen, die im Papyrus später folgen, als Sicherheitsgarant (PGM VII 857 f.): φυλακτήριоν· ἡ оὐρὰ καὶ оἱ χαρακτῆρεϛ σὺν τῷ κύκλῳ, ᾧ ἐφεστήξει,163 γράψαϛ κρήτῃ. Schutzmittel: der Schweif (einer Katze, Anm. d. V.) und die Zeichen mit dem Kreis, über dem du stehen wirst, nachdem du ihn mit Kreide gezeichnet hast.

Dem Kreis wird damit augenfällig auch im realen Zauber besondere Bedeutung zugemessen.164 Genauso wie in der Ekloge dienen die Knoten (77) der Papyri der Versinnbildlichung einer Bannung bzw. Bindung: In den Rezepturen wird z. B. ein schwarzer Faden erwähnt, in welchen 365 Knoten geknüpft werden sollen ([…] λαβὼν μίτоν μέλανα βάλε ἅμματα τξεʹ […], PGM VII 452 f.).165 Die denkbar in Anlehnung an Theokrit geformte Wendung ›Veneris‹ (…) ›vincula necto‹ (78) kann in ihrer Formulierung die Erinnerung an die Fessel-Metaphorik der Gebrauchstexte wecken. So heißt es z. B. einmal »[…]. […] δεσμεύω δεσμоῖϛ 162 Zur Stelle siehe u. 161. 163 Zum Futur Perfekt in nicht aktivischer Bildung (ἑστήξоμαι) vgl. Liddell/Scott/Jones (1966) [91940] S. 841. 164 Vgl. allgemein zum Kreis PGM III 275–281 (als ›[Κύκλоϛ]‹ betitelt), V 308 f. (Umkreis eines Ringes), VII 284–299 (als ›Κύκλоϛ [σ]ελήνηϛ‹ betitelt). 165 Zur Bindung durch einen Faden siehe o. S. 41.

Die achte Ekloge Vergils

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ἀδαμαντίνоιϛ ἀλύτоιϛ […]« (PGM IV 1246 f.). Insbesondere im Zusammenhang mit der Liebe wird das Wortfeld immer wieder aufgegriffen:166 Die Gattungsbezeichnung φιλτρоκατάδεσμ[оϛ] (z. B. PGM III 163 f.) mit den etymologischen Bildungselementen φίλτρоν (Liebeszauber) und καταδεῖν (festbinden) erweist sich bereits als recht aufschlussreich.167 Der Analogiezauber mit einer naheliegend aus Wachs bzw. Lehm bestehenden Figur (80 f.) steht vermutlich in Tradition realer Zauberrezepturen (PGM IV 296). Gerade ein Konglomerat der beiden Stoffe würde die offensichtlich verbreitete Vermengung verschiedener Ingredienzien bei der Puppenherstellung widerspiegeln: Für eine Hundestatue werden z. B. Pech, Wachs, Keuschbaumfrüchte und Manna benötigt (PGM IV 1877–1881): λαβὼν κηρоῦ оὐγκίαϛ δʹ, ἄγνоυ καρπоῦ оὐγκίαϛ ηʹ, μάννηϛ δραχμὰϛ δʹ. […] μίσγε τῇ πίσσῃ καὶ τῷ κηρῷ […]. Genauso können auch Lehm, Schwefel und Blut für ein Selenebildnis verwendet werden (PGM VII 866–869): λαβὼν πηλὸν ἀπὸ τρоχоῦ [κ]εραμικоῦ μῖξоν μίγματоϛ τоῦ ϑείоυ καὶ πρόσβαλε αἰγὸϛ πоικίληϛ αἷμα καὶ πλάσоν κυρίαν Σελήνην Αἰγυπτίαν […].168 Wenn Vergil Erhärtung und Erweichung der beiden Stoffe in Analogie auf Daphnis beziehen will, steht er damit möglicherweise ebenfalls in Tradition der Papyri (PGM IV 2735–2768): »[…]. στάντεϛ ὑπὲρ κεφαλῆϛ τῆϛ δεῖνα ἀφέλεσϑε αὐτῆϛ τὸν γλυκὺν ὕπνоν, μηδέπоτε βλέφαρоν βλεφάρῳ κоλλητὸν ἐπέλϑоι, τειρέσϑω δ’ ἐπ’ ἐμαῖϛ φιλαγρύπνоισι μερίμναιϛ. εἰ δέ τιν’ ἄλλоν ἔχоυσ’ ἐν κόλπоιϛ κατάκειται, κεῖνоν ἀπωσάσϑω, ἐμὲ δ’ ἐν φρεσὶν ἐνκαταϑέσϑω καὶ πρоλιπоῦσα τάχιστα ἐπ’ ἐμоῖϛ πρоϑύρоισι παρέστω, δαμνоμένη ψυχῇ ἐπ’ ἐμῇ φιλότητι καὶ εὐνῇ. […] μαινоμένη ἡ δ(εῖνα) ἥκоι ἐπ’ ἐμαῖσι ϑύραισι τάχιστα, ληϑоμένη τέκνων συνηϑείηϛ τε τоκήων καὶ στυγέоυσα τὸ πᾶν ἀνδρῶν γένоϛ ἠδὲ γυναικῶν ἐκτὸϛ ἐμоῦ, τоῦ δεῖνα, μόνоν με δ’ ἔχоυσα παρέστω,169 ἐν φρεσὶ δαμνоμένη κρατερῆϛ ὑπ’ ἔρωτоϛ ἀνάγκηϛ. […] φλέξоν ἀκоιμήτῳ πυρὶ τὴν ψυχὴν τῆϛ δεῖνα. […]«

166 Dazu siehe o. S. 39 f. 167 Zudem kann die Fessel-Metaphorik bei der Charakterisierung der Selene Verwendung finden. Die Göttin wird als »[…] σφιγγόμενη κατὰ νῶτα παλαμναίоιϛ ὑπὸ δεσμоῖϛ […]« (PGM IV 2806 f.) umschrieben. 168 Zu weiteren Zutatenmischungen für die Statuenherstellung vgl. PGM IV 2359–2361, XII 17 f. Die am häufigsten verwendeten Stoffe dürften allerdings Wachs bzw. Teig sein – vgl. z. B. PGM IV 2944–2946 […] λαβὼν σταίτιоν ὠμὸν ἢ κηρὸν ἄπυρоν πλάσоν κυνάριоν […]. 169 Interessanterweise entschließt sich Preisendanz (1928) S.  161 in seiner Übersetzung (»mich aber allein im Sinn habend«) – eigentlich in Widerspruch zu der von ihm gewählten Kommasetzung im griechischen Text –, ἐν φρεσὶ zu μόνоν με δ’ ἔχоυσα zu ziehen. Das ist vom sprachlichen Ausdruck zwar recht naheliegend. Allerdings ist m. E. bei der deutschen Wiedergabe die für das Original gewählte Zeichensetzung zu präferieren: Die NN soll in ihrem Sinne bezwungen sein vom starken Liebestrieb. Damit verschiebt sich die Gewichtung zugunsten der Entbrennung der Frau, deren gesamtes Denken von sexueller Gier beherrscht ist. Dem μόνоν με δ’ ἔχоυσα kommt dann im Prinzip entweder trotzdem der Sinn der um ἐν φρεσὶ erweiterten Wendung zu. Vgl. von den im kritischen Apparat zu 2760 f. angegebenen Konjekturen die entsprechende Reitzensteins ( μоῦνоν δ’ ἔμ’ ἔχ.). Allerdings wäre es

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Hexenszenen

»(…). Nachdem ihr euch über das Haupt der NN gestellt habt, nehmt ihr den süßen Schlaf weg, niemals möge sich Augenlid Augenlid fest verbunden nähern, aber quälen soll sie sich in wachhaltenden Sorgen um mich. Wenn sie aber mit irgendeinem anderen an den Brüsten daliegt, soll sie jenen zurückweisen, mich aber soll sie im Herzen aufnehmen und sie soll sich, nachdem sie ihn verlassen hat, aufs Schnellste an meinem Hauseingang einfinden, gezwungen in ihrer Seele zur Geschlechtsliebe und Ehe mit mir. (…) In Wahn möge die NN zu meiner Tür aufs Schnellste kommen und dabei ihre Kinder und den Umgang mit ihren Eltern vergessen und voll von Hass auf das ganze Geschlecht von Männern wie Frauen außer auf mich, den NN, sie soll da sein mit mir allein an der Seite, im Sinne bezwungen vom starken Liebestrieb. (…) Entzünde mit ruhelosem Feuer die Seele der NN. (…)«

Im vorliegenden Textstück fordert der magische Akteur von der von ihm erstrebten Frau einerseits Entbrennung bzw. Erweichung in Liebe, andererseits Erhärtung gegenüber anderen Vertretern männlichen bzw. weiblichen Geschlechts, den Eltern sowie den eigenen Kindern. Zwar lässt sich dem vergilischen durescit (80) weniger eine Orientierung nach außen entnehmen, ein emotionales Erstarren gegenüber der Umwelt wie hier, sondern eher die entsprechende abhärtende Standhaftigkeit im Inneren. Doch festzuhalten bleibt: Die antithetische Gestaltung im Liebeszauber spiegelt sich auch in den Gebrauchstexten wider. Die übrigen Elemente dieses Zaubers (82 f.) gelten – mit Ausnahme der Verwendung von Asphalt – als theokriteisch und wurden bereits an anderer Stelle als mit den PGM konform definiert.170 Erdpech thematisieren die Rezepturen auch (»[…] ἄσφαλτоν […]«, PGM VIII 98 oder schon erwähnt πίσσῃ, IV 1882). Allerdings stimmt der Zusammenhang nicht mit der Vergil-Darstellung überein. Bei der sich in der Ekloge anschließenden analogen Magie bukolischer Prägung handelt es sich offensichtlich um dichterische Fiktion. Lediglich ihr Ende (89) greift nochmals die für den PGM-Liebeszauber belegbare konträre Gestaltung auf. Jedoch wird ein Extrempunkt der gegensätzlichen Gefühlslage der Protagonistin, einer Daphnis zugewiesen. Die Kleidung des Daphnis wird als magische оὐσία (91) in der Nähe der Schwelle (92) dem Boden anvertraut:171 Die direkte Anrede der Erde (…) Terra, auch möglich, μόνоν με δ’ ἔχоυσα παρέστω als Steigerung zum früheren ἐπ’ ἐμоῖϛ πρоϑύρоισι παρέστω (2743) bzw. μόνоν με δ’ ἔχоυσα παρέστω als Steigerung zu ἥκоι ἐπ’ ἐμαῖσι ϑύραισι (2757) aufzufassen. Dann soll sich die NN erst dem Hauseingang bzw. der Türe des Akteurs nähern und schließlich – ›ihn allein habend‹ – bei ihm anwesend sei: Die Aussage ließe sich derart deuten, dass die Frau einzig und allein ihm den Platz an ihrer Seite zuweisen möge und niemandem sonst. Für den genannten Bezug spricht außerdem die annähernd parallele Formulierung von ἐν φρεσὶ δαμνоμένη κρατερῆϛ ὑπ’ ἔρωτоϛ ἀνάγκηϛ (2762 f.) und dem vorangehenden δαμνоμένη ψυχῇ ἐπ’ ἐμῇ φιλότητι καὶ εὐνῇ (2743 f.). Die Preisendanz’sche Wiedergabe würde die analoge Ausdrucksweise zerstören. 170 Zum Mehl bzw. Lorbeer siehe o. S. 44 f. 171 Zur оὐσία siehe o.  S.  33 f. mit Anm.  11 und 43 f. sowie u. Kap.  3.5.3 Anm.  117. Zur Schwelle siehe o. v. a. S. 55 mit Anm. 102, 77, 80 und 91 sowie u. 130 und 216 f.

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tibi mando (93) steht wiederum in spürbarer Nähe zu den Gebrauchstexten, in denen die Bedeutung des Chthonischen immer wieder angezeigt wird. Ein geeignetes Beispiel dafür stellt wohl die hier zitierte, leider sehr korrupte Stelle dar (PGM III 391–395): ὅταν ὁρκ[ίζῃ]ϛ τὴν γαῖαν λέγων τὸν ἕβδоμоν [λόγо]ν εἰϛ τὴν] γῆν κ αὶ [ἅ]παν ταϛ τоὺϛ [ϑεоὺϛ] ἀϑανάτоυ[ϛ. λ]όγоϛ оὗτоϛ· »ᾗκέ μоι, κύρι[ε . . . . ἅγι]оν πνεῦ[μα« …] ὥρᾳ ἐνάτῃ . . . . . . παντ … τо оυϛ μετὰ τоῦτоν τὸ[ν λόγоν]· »ὁρκί ζ ω τо]ὺϛ αὐτоκρ[ά]τоραϛ . . . . . . . . . . . . καὶ ὁρκίζ[ω τὴν] γῆν καὶ τὸν оὐρανὸν κα[ὶ τὸ φῶϛ κα]ὶ τ]ὸν π[άντα κτίσαντα« . . . . Wenn du die Erde beschwörst, indem du das siebte Gebet zur Erde sprichst, und alle unsterblichen Götter. Dies ist das Gebet: »Komm zu mir Herr, … heiliger Geist …« Zur neunten Stunde … Nach diesem Gebet: »Ich beschwöre die Selbstherrscher … und ich beschwöre die Erde, den Himmel, das Licht und den, der alles gegründet hat.« …

Die Erde steht sichtbar im Mittelpunkt jeder Magie. Der Erdboden erweist sich als Träger ungeahnter Kräfte. Vergils Schilderung kann vermutlich als der Weisung vergleichbar gelten, eine mit einer оὐσία versehene Figurenzeichnung in der Tiefe eines Bades zu verbergen (PGM II 47–49): […] τῇ πέμπτῃ τὸ ὑπоγ[ε]γραμμένоν ζῴδιоν […], περιειλήσαϛ ῥάκει ἀπὸ βιоϑανάτоυ βάλε εἰϛ ὑπоκαύστραν βαλανείоυ. Am fünften Tage wirf das unten hingezeichnete Figürlein (…), nachdem du es mit einem Fetzen von einem gewaltsam Verstorbenen umwickelt hast, in die HypokaustenHeizung einer Badeanstalt.

Wie im Gebrauchstext Figur und Gewandfetzen durch die Deponierung in der Tiefe der Erde näher gebracht werden, so auch die оὐσία bei Vergil.172 Vermutlich weil alle bisherigen Zaubervorgänge vergeblich zu sein scheinen, entschließt sich die Akteurin, fühlbar stärkere Mittel einzusetzen. Die Giftkräuter (95) als solche stehen in Einklang mit den Papyri. Sie spiegeln sich im weitesten Sinne in den verschiedenen, mal ominöseren, mal alltäglicheren Gewächsen wider, deren manche Zauberaktion bedarf (z. B. Mandelbaumblüte, PGM III 312, Maulbeersaft, VIII 71).173 Konkret werden solche Zauberpflanzen fassbar, z. B. bei der Gewinnung eines Parhedros-Dämons: Dort heißt es u. a., er werde dem Magier wilde Kräuter verschaffen und ihm verkünden, wie man heilen könne (δώσει δέ [σоι καὶ] ἀγρίαϛ βоτάναϛ καὶ πῶϛ ϑερ[α]πεύσειϛ […], PGM I 190). 172 Vgl. zusätzlich das in den Papyri immer wiederkehrende Element des Chthonischen, z. B. PGM II 57, V 371, XIa 5, auch als Epitheton, z. B. III 29 f. 173 Vgl. z. B. auch den Ritus, wie man vorzugehen hat, um eine Pflanze auszugraben und dabei ihre Wirksamkeit zu bewahren (PGM IV 286–295).

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Hexenszenen

Beim Bericht über die Wirkungen der magischen Pflanzen bedient sich Vergil naheliegend erneut literarischer Topoi: Zunächst schildert er die Verwandlung des Moeris in einen Wolf (97 f.).174 In einem λόγоϛ, der die Eigenmetamorphose ermöglichen soll, findet sich als Ziel die Verwandlung des Äußeren in verschiedenerlei Gestalt (PGM XIII 270–277): »σὲ μόνоν ἐπικαλоῦμαι, τὸν μόνоν ἐν κόσμῳ διατάξαντα ϑεоῖϛ καὶ ἀνϑρώπоιϛ, τὸν ἑαυτὸν ἀλλάξαντα μоρφαῖϛ ἁγίαιϛ καὶ ἐκ μὴ ὄντων εἶναι πоιήσαντα καὶ ἐξ ὄντων μὴ εἶναι, Θαῢϑ ἅγιоϛ, оὗ оὐδεὶϛ ὑπоφέρει ϑεῶν τὴν ἀληϑίνην ὄψιν ἰδεῖν τоῦ πρоσώπоυ. πоίησόν με γενέσϑαι ἐν ὄμμασι πάντων κτισμάτων λύκоν, κύνα, λέоντα, πῦρ, δένδρоν, γῦπα, τεῖχоϛ, ὕδωρ (ἢ ὃ ϑέλειϛ), ὅτι δυνατὸϛ εἶ.« »Dich als einzigen rufe ich an, den einzigen, der im Kosmos Göttern und Menschen ihren Platz zugewiesen hat, den, der sich selbst in heilige Gestalten verwandelte und der aus nicht Seiendem Sein gemacht hat und aus Seiendem nicht Sein, heiliger Thaÿth, dessen wahres Antlitz keiner von den Göttern zu erblicken aushält, mach, dass ich in den Augen aller Geschöpfe Wolf, Hund, Löwe, Feuer, Baum, Geier, Mauer, Wasser (oder was du willst) werde, weil du dazu fähig bist.«

Wesentlich häufiger als die Verwandlung in einen Wolf kehrt in den Papyri der Wunsch wieder, unsichtbar zu sein. Das kann der bereits genannte ParhedrosDämon ermöglichen ([…] ἀμαυρоῖ, ἵνα μηδεὶϛ [κ]αϑόλоυ σε ϑεωρήσῃ […], PGM I 102).175 Die Fähigkeit, Seelen hervorzulocken (98), gehört auch in den Papyri zum magischen Standardrepertoire. Es finden sich entsprechende Mittel. An einer leider nur fragmentarisch erhaltenen Stelle lässt sich eine Andeutung entnehmen: Ἐὰν εἴδη φωνῆσαι αΰϑ, ἁγίоυ ϑεоῦ.« λέγε τὸ ὄνоμα.

143 Zur Unehrlichkeit der Dämonen und der Vorgabe falscher Identität vgl. Tert. anim. 57,2. Entsprechend ist die Aufforderung an einen Dämon zu erklären, sein wahres Wesen zu ent­ hüllen (PGM IV 3037–3045). 144 Zum Verweis auf die Stelle vgl. Baldini Moscadi (1976b) S. 182 und Graf (1996) S. 179 und sein Verweis unter Anm. 66 (S. 255).

Die Nekromantie Lucans

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›Auferweckung eines toten Körpers‹: »Ich beschwöre dich, in der Luft hin- und herfliegender Geist, dring ein, hauch Leben ein, mach stark, richte auf diesen Körper durch die Macht des ewigen Gottes, auch soll er umherlaufen an diesem Ort,145 weil ich der bin, der Einfluss nimmt durch die Macht des Thaÿth, des heiliges Gottes.« Sprich den Namen.

Mit göttlicher Kraft – so schildert der Papyrus – könne ein Toter wieder belebt werden, sodass dieser sogar fähig sei, später umherzugehen. Dabei komme der Nennung des Namens erneut Bedeutung zu. – Graf stellt heraus, dass in den Gebrauchstexten zumindest ein Ritual belegt sei, für das man eine nekromantische Handlung vermuten könne. In dem als ›Πίτυоϛ ἀγωγή‹ (PGM IV 2006) bezeichneten Zauber findet der Schädel (τῆϛ κεφαλῆϛ, 2049) eines Toten Verwendung. Er fungiert als magische оὐσία und dient dazu, einen Parhedros-Dämon herbeizurufen (2041–2046). Dem wiederum kommt z. B. die Aufgabe zu, durch Träume Prophezeiungen zu vermitteln (ὀνειρоπоμπεῖ, 2077). Damit erfolge die Divination also nicht, wie auf den ersten Blick zu erwarten wäre, durch den ­sprechenden Kopf des Toten.146 Die Vorstellung einer durch einen Dämon bewirkten Weissagung, die nachts im Schlaf erfolgt, findet sich in den Papyri mehrfach tradiert: Vgl. z. B. PGM I 88–90, 97 f. »ἕξω φίλоν σε πάρεδρоν, εὐεργέτην ϑεὸν [ὑπ]ηρετоῦντά μоι, ὡϛ ἂν εἴπω, τάχоϛ, τῇ σῇ δυνάμει ἤδη ἔ[γγ]αιоϛ, ναὶ ναί, φαῖνέ μоι, ϑεέ.« […] ἐὰν ἐπιτάξῃϛ, παραυτὰ τὸ ἔργоν ἐπιτελεῖ· ὀνειρоπоμπεῖ […], 317–320 »[…]. πέμψоν δαίμоνα τоῦτоν ἐμαῖϛ ἱεραῖϛ ἐπαоιδαῖϛ νυκτὸϛ ἐλαυνόμενоν πρоστάγμασιν σῆϛ ὑπ’ ἀνάγκηϛ, оὗπερ ἀπὸ σκήνоυϛ ἐστὶ τόδε, καὶ φρασάτω μоι, ὅσσα ϑέλω γνώμῃσιν, ἀληϑείην καταλέξαϛ […]. […].«

Überhaupt zeigt sich dort immer wieder, dass der Magier den überirdischen Wesen Aufträge erteilen kann.147 Erwähnt sei an dieser Stelle jedoch noch eine weitere im Schlaf erfolgende Divination, bei der dem Akteur im Traum angeblich als Symbol der Nichterfüllung der zur Frage stehenden Angelegenheit ein Soldat erscheinen soll (PGM XXIIb 32–35). Denn zumindest wird hier eine Prophezeiung mit einem Mann aus dem Militär in Verbindung gebracht, wie eben in Lucans Nekromantie mit einem mil[es] (717). In den Papyri selbst lässt sich für die Weissagung eines Toten ein konkreter Beleg entdecken (PGM IV 2164–2166):148 καταδίκῳ δὲ σφαγέντι ἁψάμενоϛ εἰπὲ εἰϛ τὸ оὖϛ τоὺϛ στίχоυϛ, καὶ ὅσα ϑέλειϛ, πάντα σоι ἐρεῖ. Demnach muss man einem Hingerichteten spezifische, bereits früher genannte Formeln (2146–2151) ins Ohr sagen und er wird mitteilen, worüber man eine Antwort zu erhalten begehrt. 145 Zur Ortsauffassung vgl. die Übersetzung bei Preisendanz (21974) [1931] S.  102, Betz (21992) S. 180. 146 Zu den Angaben zur ›Πίτυоϛ ἀγωγή‹ sowie zu weiteren Informationen über die zwei anderen inhaltlich verwandten Zaubertexte vgl. Graf (1996) S. 178 f. und unter Anm. 60 (S. 254). 147 Vgl. z. B. PGM III 3–14, IV 447–451, 2043–2055, LI 1–27. 148 Zum Verweis auf die Stelle vgl. Graf (1996) S. 179 unter Anm. 67 (S. 255).

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Zur Divination wird also eindeutig ein Verstorbener herangezogen, ein dem cadaver bei Lucan vergleichbares Wesen. Angemerkt sei an dieser Stelle noch ein weiterer mit dem Ritual Erichthos zusammenhängender Befund: Sextus bittet die Hexe darum, zu erfahren, welches Ergebnis der Krieg bringen wird (592 f.). Zwar will er – wie schon dargestellt – im Wesentlichen über dessen allgemeinen Ausgang Erkundigungen einholen. Allerdings ist damit offenkundig auch ein persönliches Anliegen intendiert. Denn er möchte wissen, wen sich der Tod holen möchte (quos petat e nobis, Mortem mihi coge fateri, 601). Die Frage nach dem eigenen Schicksal bzw. der eigenen Zukunft lässt sich auch für die Gebrauchstexte nachweisen. Dort heißt es (PGM XIII 708–714): σὺ δὲ πυϑάνоυ· »δέσπоτα, τί μоι εἵμαρται;« καὶ ἐρεῖ σоι καὶ περὶ ἄστρоυ καὶ πоῖόϛ ἐστιν ὁ σὸϛ δαίμων καὶ ὁ ὡρоσκόπоϛ, καὶ πоῦ ζήσῃ καὶ πоῦ ἀπоϑανεῖσαι. ἐὰν δέ τι φαῦλоν ἀκоύσῃϛ, μὴ κράξῃϛ, μὴ κλαύσῃϛ, ἀλλὰ ἐρώτα,149 ἵνα αὐτὸϛ ἀπαλείψῃ ἢ μεϑоδεύσῃ. δύναται γὰρ πάντα ὁ ϑεὸϛ оὗτоϛ. Du aber frag: »Herr, was ist mir durch das Schicksal bestimmt?« Und er (= der Gott, Anm. d. V.) wird dir sowohl über deinen Stern berichten als auch, wie beschaffen dein Dämon ist und dein Horoskop, und wo du leben und wo du sterben wirst. Wenn du aber etwas Schlechtes hörst, stoß kein Kreischen aus, brich nicht in Tränen aus,­ sondern ersuch ihn, es selbst auszulöschen oder abzuwenden. Denn dieser Gott kann alles.

Damit stünde eine Frage wie die des Sextus im grundsätzlichen Einvernehmen mit den Papyri, wenn auch eine Einflussnahme auf das Schicksal in der kon­ kreten Situation bei Lucan (vgl. die Worte Erichthos in den Versen 611 bis 615) – anders als in der vorliegenden Stelle in den Gebrauchstexten  – als nicht möglich gilt. Zusammenfassend lässt sich feststellen: Lucans Ritual erweist sich in großen Teilen als realmagisch fundiert. Der Kenner magischer Texte hat den Eindruck, dass die vom Dichter geschilderten Elemente mit den Informationen aus den Zauberpapyri übereinstimmen. Schon seit langem gilt Lucan in der Forschung als Experte im magischen Metier. Bereits Fahz (1904) S. 166 [S. 60] vermutete, der Dichter müsse sein Wissen aus Büchern, vergleichbar der uns erhaltenen PGM-Sammlung, bezogen haben: In universum autem quae apud reliquos desiderantur, non tam e memoria repetita esse a Lucano ­putaverim, sed ab eo hausta e libro quodam magico, non modo quod tantam rerum magicarum multitudinem in trecentos fere versus coactam videmus, sed etiam quod res illae sunt simillimae eis, quas in dies melius cognoscere atque intellegere possumus e praeceptis quae papyris magicis sunt nobis servata. 149 Zur Bedeutung und Konstruktion von ἐρωτᾶν mit ἵνα vgl. Kießling/Preisigke I (1925) Sp. 602 Z. 17–22. – Vgl. überdies die Bedeutungen des lateinischen rogare.

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Auch in späteren Jahrzehnten wurde die magische Gelehrtheit Lucans immer wieder gewürdigt: Vgl. z. B. das Lob Nocks (1929) S. 227 »Lucan’s account of magical practices is highly coloured (…)«, sehr richtig Martindale (1980) S. 371 f. »At all events his description (…) shows the extent of his doctrina«, Graf (1996) S.  182 »Lucan muß sein Szenario in intimer Kenntnis magischer Riten­ gestaltet haben; man kann vermuten, daß er Zugang (…) zum mündlich tradierten Wissen der Chaldaei in Rom gehabt hat.«

Der Schriftsteller könnte durchaus in entsprechende Zeremonien eingeweiht oder einfach nur am magischen Sujet interessiert gewesen sein.150 Überhaupt scheint es die Zeit auszuzeichnen, dass zunehmend orientalische Kulte nach Rom eindringen und dass sich die Zauberthematik bei neupythagoreischen Bewegungen der Beliebtheit erfreut.151 Auch soll Kaiser Nero selbst an nekromantischen Séancen beteiligt gewesen sein (Plin. nat. 30,14–18).152 Beim Dichter ­Lucan ist schon in seinem Frühwerk (mit Titeln wie ›Medea‹ oder ›Catachthonion‹) eine Hinwendung zum magischen Genre erkennbar.153 Zudem könnte die denkbare Aufgeschlossenheit des Poeten durch seine stoische Prägung eine Rolle spielen.154 Die bei einer Gegenüberstellung mit den Papyri erschließbare Kompetenz Lucans in der Zauberkunst ist beachtenswert. Allerdings sollte man nicht so weit gehen wie Bourgery und behaupten, es gebe in der ganzen Antike keinen Text mit einer detaillierteren Darlegung magischer Zeremonien.155 Zwar wirkt es so, dass sich Lucan im Wesentlichen an das Vorgabenspektrum hält, das aus den PGM zu ersehen ist, und sein Wissen mag unbestreitbar exzellent sein. Ihn aber theoretisch als kompetenter als Theokrit einzustufen, würde wohl die Wahrheit verfehlen. Die Fachkenntnis beider Dichter dürfte in etwa auf einem vergleichbar hohen ­Niveau angesiedelt sein.

150 Vgl. die gute Abwägung Baldini Moscadis (1976b) S. 190 »Se Lucano sia stato iniziato o meno alle pratiche magiche, se abbia creduto o no al potere della magia, se se ne sia interessato per naturale curiosità o per puro desiderio di erudizione, non ci è dato di sapere.« 151 Vgl. Korenjak (1996) S. 32 f. und sein Verweis unter Anm. 123. 152 Vgl. Bourgery (1928) S. 304 f. 153 Vgl. Hömke (1998) S. 120 mit Anm. 5. 154 Vgl. Fauth (1975) S. 331 f. mit Verweis unter Anm. 28. 155 Gegen die zu gewagte Aussage Bourgerys (1928) S. 312 »Ce qui est certain, c’est qu’aucun texte, dans toute l’antiquité, n’affirme les doctrines fondamentales de la magie avec plus de clarté et de précision.«

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3.6.4 Interpretation der magischen Szene Immer wieder wurde in der Forschung darauf hingewiesen, dass Lucan mit den Geschehnissen um Sextus und Erichtho einerseits eine Handlung schildere, die nicht auf belegbaren historischen Fakten beruhe. Andererseits lenke er sein Epos in eine ungünstige Richtung, denn sein Bericht besitze keinerlei Bedeutung für die von ihm zugrunde gelegte Thematik um das Bürgerkriegsgeschehen. Hinzukomme, dass die Hexenhandlung selbst massive Schwierigkeiten mit sich bringe, wie z. B. den Bruch, als sich die Akteure offenbar urplötzlich mitten auf einem mit Leichen übersäten Schlachtfeld befinden (625 f.).156 Ein Argument für die Etablierung der Hexenszene, angeführt von Martindale, ist gewiss nicht von der Hand zu weisen. Der Dichter könnte beabsichtigen, unmittelbar vor der Schlacht von Pharsalus einen möglichst spannungsreichen Geschehensverlauf ins Werk zu integrieren.157 Sinnvoll erscheint es m. E., an dieser Stelle einen deutenden Gedankengang darzustellen, auf den sowohl in der Auseinandersetzung mit Theokrits Idyll als auch Vergils Ekloge hingewiesen wurde, den Zusammenhang von Dichtung und Zauber.158 Masters liefert folgende These: Das carmen des Poeten und der Hexe lassen sich als einander entsprechend ansehen. Auf vergleichbare Weise verschmelzen vermutlich auch Dichtung und Prophezeiung. Seiner Darstellung nach könnte Lucan als vates fungieren. Nicht nur das Totenmedium (628), sondern auch Erichtho (651) erhalten jeweils dieselbe Bezeichnung. Deshalb sollte es als legitim gelten, die Rede der Hexe über das Schicksal als Selbstbezug des Dichters zu werten. Beide können nur auf kleine Begebenheiten Einfluss nehmen (fata minora, 605). Die entscheidenden Ereignisse dürfen nicht verändert werden (at, simul a prima descendit origine mundi / causarum series … plus Fortuna potest, 611–615). Man hat den Eindruck, die Möglichkeiten und Einschränkungen der beiden decken sich. Damit mag sich letzten Endes erkären, wie Lucan vor der Schlacht von Pharsalus in die Handlung eine unwesentliche Begebenheit wie die Nekromantie einbauen kann.159 Offenbar müssen nur die entscheidenden historischen Fakten beibehalten werden. Dass Sextus dem überwiegenden Teil der Überlieferung gemäß vor der Schlacht von Pharsalus mit seiner Stiefmutter auf Lesbos geweilt haben soll, wird von Lucan

156 Zu den Problemen vgl. Hömke (1998) S. 119 f. 157 Vgl. Martindale (1980) S. 368. 158 Dazu siehe o. S. 69, 119 f. und 174 f.  159 Zur These und der vorliegenden Darstellung vgl. Masters (1992) S. 205–209. Eine weitere Parallele zwischen Erichtho und Lucan stellt der Aspekt des Innovativen bei beiden dar, weshalb der Autor der ›Pharsalia‹ auch als »›Caesarian‹ type of poet« bezeichnet wird. Dazu vgl. ders. S. 214. – Allgemein zur These des Dichters als vates vgl. schon früher O’Higgins (1988) S. 208–226.

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verworfen.160 Die historische Unkorrektheit nimmt der Dichter wohl zugunsten einer eindrucksvollen Schilderung über die Begegnung mit einer Hexe in Kauf. Auf die sich hier eigentlich aufdrängende, gern diskutierte Frage um die Verortung des lucanischen Werks innerhalb der literarischen Gattungen kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden. Vgl. dazu Hömke (2006) S. 175 und ihre Angaben v.a unter Anm. 47 f. und 50, die die Aussagen einiger antiker bzw. spätantiker Literaten über Lucans gattungsspezifische Einordnung anführt: Der Vergil-Kommentator Servius (Aen. 1,382) wirft Lucan vor, nicht Dichter, sondern Geschichtsschreiber zu sein. Quintilian (inst. 10,1,90) will ihn unter den Rhetorikern, nicht den Poeten verorten. Bei Petron (118,6) wird einem Bürgerkriegsgedicht – eine Bezugnahme auf Lucan ist nicht eindeutig – zu große Faktentreue und somit sinngemäß Phantasielosigkeit vorgeworfen.

Jedenfalls nutzt der Poet die den Werksverlauf eigentlich einengende ErichthoSzene geschickt. Denn er wählt eine Thematik, die den zeitgenössischen Leser umso mehr gefesselt haben dürfte, als sie der vermutlich weit verbreiteten Freude am Grauenhaften bzw. Hässlichen entsprochen haben mag, wie es sich in den zahlreichen orgiastischen Kulten, bei blutrünstigen Gladiatorengemetzeln oder Tierabschlachtungen sowie in rhetorischen Deklamationen u. a. wohl als Ausgleich für den Mangel an eigener Kriegserfahrung in der Epoche gezeigt haben könnte.161 Insofern erklären sich höchstwahrscheinlich die vielen ekelhaften bzw. Abscheu erregenden Passagen im sechsten Buch (z. B. 550–553). Auch der nicht nachvollziehbare Bruch im Geschehen zwischen der an Sextus gerichteten Antwortrede der Hexe und ihrer cadaver-Auswahl mag so einleuchtender erscheinen: Denn Lucan nimmt hier wohl den in der Schlacht von Pharsalus seinen Höhepunkt findenden Brudermord von Römer gegen Römer in einer Art Zukunftsblick vorweg. Das ergäbe insofern Sinn, als es von Erichtho heißt, sie könne Schlachtreihen wieder erstehen lassen (si tollere totas / temptasset campis acies et reddere bello, 633 f.). Es wäre also durchaus möglich, dass der von ihr durchgeführte Zauber zur Herbeiziehung des Krieges (581 f.) allmählich seinen Erfolg zeigt.162 Gewissermaßen zeigt sich schon in der Gegenwart der Erichtho-Szene das bevorstehende, aber eben unvermeidliche Geschick des­ Römergeschlechtes.163 Die Ortsveränderung kann also ganz im Sinne der von

160 Vgl. Hömke (1998) S. 119, insbesondere unter Anm. 3 (mit Verweis u. a. auf die ›Pom­ pejus-Biographie‹, Plu. 658E). Dagegen vgl. Korenjak (1996) S. 25 mit Anm. 78, der unter Verweis auf Vell. 2,53 herausstellt, dass Sextus doch in Pharsalus dabei gewesen sein soll. – Nur so viel ist eindeutig belegbar: Kein anderer erhaltener Text berichtet über die Konsultation einer Hexe durch den Sohn des Pompejus, vgl. dazu Martindale (1980) S. 367. 161 Vgl. Fuhrmann (1968) S. 30. 162 Zur Erklärung der Leichen als Ausblick und der Wirksamkeit der Hexerei Erichthos vgl. Finiello (2005) S. 180. 163 Vgl. entsprechend die sehr richtige Aussage Fuhrmanns (1968) S. 57 »Erichtho dient (…) als Symbol für die grauenhaften Konsequenzen des furchtbaren und sinnlosen Bürgerkrieges.«

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v. Albrecht vorgebrachten »Kunst der Vorausdeutung auf das Kommende«164 verstanden werden. Für die ›Pharsalia‹ ist bezeichnend, dass die gleichsam absurden wie grausamen Elemente  – anders als z. B. der beim Rezipienten Entsetzen auslösende Kindsmord der senecanischen Medea – in ihrer Schrecklichkeit so übertrieben und grotesk wirken, dass der Leser Lucans sich gewissermaßen amüsiert von der Zauberin abwendet, sie ja sogar belächelt.165 Immer wieder bietet der Text Indizien für eine indirekte Wertung durch den Dichter: Die Hexe, die vor wilden Tieren und Vögeln kauert (… ante feras volucresque sedet …, 551), die sich mit Wölfen streitet (… morsusque luporum / expectat …, 552 f.), um ihnen Leichenteile zu entreißen, wirkt einfach lächerlich. Wenn Erichtho dann vor Sextus prahlerisch eine Nekromantie in die Wege leitet (… facilesque aditus multique patebunt / ad verum, 616 f.), die herbeigerufene Seele sich aber weigert, in den Körper zurückzukehren (720–723), dann erweist sich auch die große Zauberin in ihrem Machtpotential als beschränkt. Dass sie sich schließlich zwar durchsetzt, der Tote ihr aber ihre eigentliche Frage gar nicht beantworten kann – wie herausstellt war er noch gar nicht so richtig ins Jenseits vorgedrungen (777 f.) –, zeigt, dass ihr nicht wirklich glückt, was sie anstrebt. Gerade zusammen mit dem aus ihrem Munde stammenden Hinweis, nicht auf den Verlauf des Schicksals Einfluss nehmen zu können (611–615), fügen sich die genannten Indizien zu einem stimmigen Bild: Es mag sein, dass Erichtho eine Meisterin der ›schwarzen‹ Magie ist, die sogar nicht einmal mehr eines Schutzmittels bedarf. Doch ist sie so animalisch, in der dargestellten Umgebung von Gräbern (511 f.) und düsterer Grotte (640 f.) gerade auch als teufelsgleiches Ungeheuer so entmenscht und erniedrigt, dass der Leser ihr mit Spott begegnet. Anders als die senecanische Medea, die am Ende durch ihr eiskaltes Handeln göttlich erhaben, gewissermaßen über den Dingen stehend wirkt, erscheint die dem Sextus zu Diensten stehende Erichtho in ihrer Schaurigkeit so greifbar (… laetatur vulgato nomine famae …, 604), dass man jeden Respekt vor ihr zu verlieren scheint. Anders als das Erstarrung auslösende Grauen Senecas ruft die durch die Hexe symbolisierte Grässlichkeit Schmunzeln hervor. Als Zwischenergebnis lässt sich somit konstatieren, dass sich die dargestellten Grundsatzprobleme des sechsten Buches nur als scheinbar kritikwürdig erweisen. Denn der logische Bruch kann als Audruck des Absurden gelten und könnte wegen des sich anschließenden Grauens als spöttisch wertende Haltung des Dichters begriffen werden. Damit geraten nun weitere Deutungsgesichtspunkte in den Blickwinkel. Der Dichter selbst gilt als stoisch geprägt.166 Die Magie im sechsten Buch des Werks 164 V. Albrecht (1970) S. 284. 165 Zum fließenden Übergang zwischen dem Grauenhaften und Spöttischen bei Lucan vgl. schon Fauth (1975) S. 332. 166 Vgl. Martindale (1977) S. 375.

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könnte dabei den Zweck erfüllen, den augenblicklichen, in Perversion befindlichen Zustand der Welt zu verdeutlichen. Entstehung und Auflösung letzterer würden im Buch – so die Darstellung Korenjaks – am Beispiel Thessaliens offensichtlich. Die im anfänglichen Exkurs dargestellte Genese des Landes durch das Verschwinden des Sees (siehe z. B. die Entstehung von Pharsalus mit melius mansura sub undis / Emathis aequorei regnum Pharsalos Achillis / eminet, 349–351) mag vielleicht das Hervorgehen der Welt symbolisieren. Der Scheiterhaufen für den Leichnam am Ende (rogum, 825) könnte dann – zumal wegen des explizit formulierten Vergleichs Lucans an späterer Stelle im siebten Buch167 – für ihren Untergang in der ἐκπύρωσιϛ stehen. Für das Verständnis der Zusammenhänge dürfte es sich dabei als entscheidend erweisen, dass sowohl in der stoischen Lehre als auch in der Magie das Prinzip der kosmischen συμπάϑεια vorherrscht.168 Wie Erichtho offenbar sympathetisch die Götter nötigen kann (Wirkung von unten nach oben), so kann das stoische Weltgefüge bei Missachtung sämtlicher Normen durch den Menschen in sich zusammenbrechen (Wirkung von oben nach unten).169 Es wäre möglich, dass die Magie die Verkehrung der Umstände symbolisieren und gleichzeitig als Mittel dazu fungieren soll. Dabei steht Erichtho mit­ ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten vermutlich weniger für Traditionsbruch und Chaos einer zugrunde gehenden Welt, sondern wohl vielmehr für ein Wesen, das Perversion und Unordnung gezielt bewirkt.170 Den Wandel der Verhältnisse erreicht sie offenbar gerade über das Prinzip der Sympathie. Der Interpretation fügt sich auch die von Lucan vielleicht im Zuge der beschriebenen philosophischen Tradition vorgenommene Ersetzung der Gottheiten durch das fatum.171 Als der ängstliche und damit gewissermaßen als antistoisch gekennzeichnete Sextus die Zauberin nach dem Kriegsausgang fragt, antwortet sie, darüber aufklären zu können (615–617). Einflussnahme sei in der vorliegenden geschichtsträchtigen Situation jedoch, wie erläutert, nicht möglich. Hier – so stellt Martindale richtig heraus – könnte der Dichter beabsichtigen, Magie und Stoizismus in Einklang zu bringen: Denn Erichthos Worte brandmarken das Anliegen des Sextus als sinnlos. Der stoische Weise, als dessen Gegenbild sich der Sohn des Pompejus auffassen ließe, begehrt keine Voraussagen über ein Geschick, 167 7,812–815 hos, Caesar, populos si nunc non usserit ignis, / uret cum terris, uret cum gurgite ponti. / communis mundo superest rogus ossibus astra / mixturus. 168 Zu den stoischen Elementen und der gemeinsamen Grundkomponente der philosophischen Strömung mit der Zauberkunst vgl. Korenjak (1996) S. 34–37 mit v. a. seinen Angaben unter Anm. 140, 149 f. und 152. Mehr zu Kosmogonie und Vergehen der Welt vgl. Ricken (32000) S. 207 f. 169 Für einen guten Überblick über den Zusammenhang von Ethik und Physik in der stoischen Lehre vgl. Forschner (1981) S. 160–165 (das Kapitel »Natur als Maßstab«). 170 Vgl. Hömke (1998) S. 136. 171 Zur Substitution des Göttlichen durch das Geschick in der Stoa vgl. Wanke (1964) S. 163, Ricken (32000) S.  211. Zur Ersetzung konkret bei Lucan vgl. Wallinger (1994) S.  215.  – Allgemein zur Religion beim Dichter vgl. Le Bonniec (1970) S. 159–195.

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das nicht beeinflussbar ist.172 Amüsanterweise wirkt es so, als ob Erichtho als Vertreterin der Magie absolut stoisch argumentiere. Sie, die doch nach der allgemein verbreiteten Vorstellung von der Zauberkunst alles bewirken können müsste, verneint dies. Die Hexe selbst, so hat man zumindest den Eindruck, besitzt ein unerschütterbares Gemüt:173 Sie sorgt sich – zumindest gibt es keinen Hinweis darauf – weder um den Ausgang des Bürgerkriegs noch um die Zukunft. Ihr einziges Anliegen besteht spürbar darin, dass die Schlacht sich in Thessalien ereigne, damit ihr genügend magische оὐσία zur Verfügung stehe (namque timens ne Mars alium vagus iret in orbem / Emathis et tellus tam multa caede careret / …, 579 f.). So nähert sie sich in ihren zentralen Eigenschaften schon fast dem stoischen Weisen an. Denn es lässt sich erkennen, dass sie in vollkommenem Einklang mit ihrem Kosmos lebt174 und sich als autark erweist (… nec cantu supplice numen / auxiliare vocat, 523 f.). Jedoch stellt sich gerade dieser Kosmos als das Chaos der alten, sich wandelnden Weltordnung dar. Für gewöhnlich wurde in der ›Pharsalia‹ mit Recht Cato mit dem stoischen Weisen in Verbindung gebracht, mit dem die Hexe vermutlich die Uneingebundenheit in die Umwelt sowie ein Agieren nur um des Agierens willen gemeinsam hat (Tugend nur zum Zwecke der Tugend bzw. Magie nur zum Zwecke der Magie).175 Auch er disqualifiziert die Erforschung der Zukunft, indem er eine Befragung des Ammon-Orakels ablehnt (9,581–584): »(…). sortilegis egeant dubii semperque futuris casibus ancipites: me non oracula certum sed mors certa facit. pavido fortique cadendum est: hoc satis est dixisse Iovem.« »(…). Zweifler und immer über zukünftige Vorfälle im Schwanken Befindliche sollen Weissager nötig haben: Mich machen nicht Prophezeiungen sicher, sondern der sichere Tod. Ein Angstvoller und ein Tapferer müssen fallen: Genug ist es, dass Jupiter das gesagt hat.«

Sowohl Cato als auch Erichtho kommen der Vorstellung vom stoischen Weisen sehr nahe: Es sieht so aus, als ob sie dabei wie unterschiedliche Seiten einer Medaille fungieren.176 Jeder von beiden nähert sich erkennbar dem Ideal an, aber 172 Zur Verbindung von Stoizismus und Magie vgl. Martindale (1977) S. 379. 173 Allgemein zur ἀταραξία bzw. tranquillitas animi und deren Gleichsetzung mit ἀπάϑεια vgl. Hossenfelder (1997) Sp. 146 f. Mehr zur Definition des Ziels der ἀπάϑεια vgl. Forschner (1981) S. 139 f. 174 Vgl. das stoische Gebot bei D. L. 7,87 τὸ ἀκоλоύϑωϛ τῇ φύσει ζῆν. Vgl. dazu Inwood (2001) Sp. 1014. 175 Zur Identifizierung Catos mit dem stoischen Weisen sowie den erkennbaren Parallelen zwischen ihm und Erichtho vgl. Korenjak (1996) S. 24 f. 176 Auch lassen sich zahlreiche Parallelen zwischen Erichtho und Cäsar finden, auf die im Zuge der Arbeit leider nicht eingegangen werden kann. Mehr dazu vgl. Fauth (1975) S. 342, Ahl

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nur im je eigenen System, das sich zu dem des anderen als vollkommen konträr ausgerichtet erweist. Im sich wandelnden Bürgerkriegschaos könnte der eine als virtutis amator (562) im weitesten Sinne den alten republikanischen Kosmos, die andere wegen ihrer Untaten den neuen Kosmos des Prinzipats mit allen seinen Schattenseiten verkörpern. Die beiden Charaktere sowie die hinter ihnen stehenden Systeme sind als antipodisch zu begreifen. Was des einen Chaos, ist der anderen Kosmos – und umgekehrt. Neben dieser philosophisch geprägten Deutung wurde immer wieder versucht, die Hexenszene zeithistorisch zu interpretieren. Auf Neros nekromantische Praktiken wurde bereits verwiesen. Gordon schildert aufschlussreich: Die grausame, jeglicher sozialen Bindungen entbehrende, die cadaver-Nekyomantie durchführende Erichtho könne das Gegenbild zum frommen, in der Öffentlichkeit ein Opfer vollziehenden Kaiser darstellen.177 Man hat den Eindruck, die Magie erweist sich hier gewissermaßen als Inversion der Religion.178 Die Hexe als denkbares Symbol für eine chaotische Weltordnung stünde ganz im Kontrast zum auf Ordnung im Reich bedachten Herrscher. Zudem könnte sie eben gerade den degenerierten Kaiser verkörpern. Plausibel deutet Johnson einen Abschnitt aus dem persönlichen Teil der Prophezeiung als schlagkräftigen Hieb auf Nero (6,806–809):    »(…). veniet quae misceat omnis hora duces. properate mori, magnoque superbi quamvis e parvis animo descendite bustis et Romanorum manes calcate deorum. (…)« »(…). Kommen wird die Stunde, die alle Anführer vermischt; begebt euch eilends in den Tod und steigt stolz erhabenen Gemüts wenn auch von kleinen Scheiterhaufen hinab und tretet auf die Manen römischer Götter. (…)«

Der wieder belebte Tote weissagt dem Sextus, dass die Anführer beider Römerparteien, sowohl Pompejus als auch Cäsar, dem Untergang geweiht seien – unab­ hängig davon, wer gewinne. Demnach erwartet selbst den Sieger und vermutlich auch seine Nachfolger, die späteren Kaiser, nach dem Tode nicht eine Apotheose, sondern sogar ihr aller Leben findet ein definitives Ende: Denn das wahrhaft Göttliche, die Freiheit, dürfte durch den Bürgerkrieg mit anschließender Einführung des Prinzipats und dem Auftreten sich bisweilen fatal auswirkender Herrscher wie eben Nero zugrunde gegangen sein.179 Erichtho könnte durchaus als »the mirror-image of the godly emperor«180 angesehen werden. (1976) S. 213 f., Masters (1992) S. 214, Korenjak (1996) S. 24, Hömke (1998) S. 137 mit einigen geeigneten Lucan-Belegstellen, Radicke (2004) S. 373. 177 Vgl. Gordon (1987) S. 241. 178 Vgl. Graf (1996) S. 182 f. 179 Zur Textstelle und Interpretation der verloren gegangenen Freiheit vgl. Johnson (1987) S. 32. 180 Gordon (1987) S. 241.

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Andererseits wäre auch eine Gleichsetzung von Sextus und Nero denkbar. Denn wie der Kaiser ist der Sohn des Pompejus von einer Anzahl von Begleitern umgeben (fidi scelerum suetique ministri, 573), hat sich vom herkömmlichen Kult abgewandt (z. B. non tripodas Deli, non Pythia consulit antra, 425) und wird von Furcht zur Zukunftserkundung veranlasst (stimulante metu, 423).181 Die negative Brandmarkung des Sextus, z. B. in Vers 420 oder 589, fände eine Entsprechung in negativen Eigenschaften des Herrschers. Die These einer Identifizierung mit Sextus wäre in ihrer Ausprägung allerdings weniger anstößig als die Gleichsetzung mit Erichtho. Denn im einen Fall könnte die Szene gewisserweise als Parodie auf die Hinwendung des Kaisers zu magischen Praktiken, also auf einen einzigen Charakterzug, verstanden werden. Im anderen scheint seine ganze Handlungsweise mit der der Zauberin vergleichbar, sodass ihm letztendlich die sich im religiösen Opfer offenbarende göttliche Legitimation abgesprochen würde.182 Neben den bereits genannten möglichen Funktionen Erichthos als vates, als Verkörperung des stoischen Weisen oder als Symbol Neros bzw. kaiserlichem Spiegelbild übernimmt sie im Ritualverlauf vermutlich eine weitere zentrale Aufgabe. Ab dem Zeitpunkt, da sich Sextus und die Hexe begegnen (589), bleiben nach Finiello die erwähnten kommentierenden Bemerkungen des Erzählers urplötzlich aus. Diese Beobachtung veranlasste die Forscherin zur These, dass die Zauberin dessen Rolle übernehme. Denn beide, Erzähler und Magierin, sind mit der Kriegsthematik konfrontiert. Beiden liefern die Wirren der Zeit den Stoff bzw. die оὐσία und beide bedienen sich dichterischer Worte bzw. der carm[ina] (578), um die Auseinandersetzung zu schildern bzw. deren Verlauf an Thessalien zu binden. Zudem ist jeder von ihnen – wie mehrmals dargestellt – den zentralen Bestimmungen der Geschichte unterworfen. Wenn Erichtho die entscheidenden Handlungen in einer Grotte inszeniert (640 f.), die als Aktionsraum der Hexe gewissermaßen ein Thessalien im Kleinen symbolisieren könnte, dann übernimmt sie offenbar die Leitung des Geschehens. Indem die magische Akteurin zum Zwecke der Ausstoßung der Götternamen Tier- und Naturlaute imitiert (685–693), wirkt sie wie eine Schauspielerin. Man hat den Eindruck, sie lässt den Leichnam anschließend agieren (»dic«, … »… / quod iubeo …«, 762 f.) – und zwar in tragischer Manier (Maestum fletu manante cadaver, 776). Der berichtet von der Zwietracht in der Unterwelt (777–802). Es sieht so aus, als läge hier gewissermaßen ein Theaterstück im Theaterstück vor. Nach der Erlösung des Toten (824–827) kehrt die Hexe aus der Szene der Grotte, eben wohl des Thessaliens im Kleinen,

181 Zur vorstellbaren Gleichsetzung von Sextus und Nero vgl. Korenjak (1996) S. 33 f. und seine Verweise unter Anm. 130 bis 132. 182 Zum Opfer als Symbol für die Rechtmäßigkeit der Herrschaft vgl. Gordon (1987) S. 241.

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in das große und wahre Thessalien, das der epischen Handlung, zurück (… ad castra … / it, 827 f.) – und der Erzähler löst Erichtho wieder ab.183 Als erwähnenswert muss die Deutung Finiellos m. E. deswegen gelten, weil sie mit der Gleichsetzung von Erzähler und Magier in ihren Grundzügen einen erkennbaren Überlappungsbereich mit der Masters’ aufweist. Denn Hexe und Poet fungieren gewissermaßen auch als vates. Allerdings sollte Finiellos These insofern eingeschränkt werden, als die Erzählerkommentare wohl weniger »verstummen«,184 sondern vermutlich einfach in den Hintergrund treten bzw. nicht mehr in Umgebung narrativer Partien aufzufinden sind. Das könnten sowohl die­ wertenden Äußerungen am Anfang der Schilderungspartie über Erichtho (die Verse 507 bis 509 im Abschnitt 507 bis 569) als auch die am Ende der Passage vor dem Zusammentreffen der Protagonisten demonstrieren (die Verse 581 bis 588 im Abschnitt 570 bis 588). Auch ist in der gemeinsamen Handlung von Sextus und Hexe ein prägnanter kommentierender Einschub identifizierbar (724), allerdings kommt ihm wohl keinerlei Bedeutung zu. Die Funktion Erichthos als den Leser führende Person, die in der Grottenszene den Erzähler ersetzt, tritt deutlich zu Tage. Damit steht die wesentliche Erkenntnis Finiellos mit dem Befund dieser Arbeit in Einklang, der bei der Untersuchung der Bausteinstruktur der Hexenszene als eklatant herausgestellt wurde: Dort deutete sich auf signifikante Weise an, dass bei Lucan die Begriffe magische Handlung und Ritual nicht mehr auf den identischen Handlungsabschnitt anwendbar erscheinen, sondern sich wohl letzteres lediglich als Teil der ersteren präsentiert, wenn auch als umfangreicher. Man hat den Eindruck, in der magischen Handlung führt noch der Erzähler das Wort, im Ritual jedoch verschwindet er und die Hexe fungiert an seiner statt. Auf interpretatorischer Ebene mag dieser Wechsel als höchst bemerkenswert anzusehen sein. Denn im Endeffekt könnte das Ritual der Nekromantie dadurch als so verwerflich, abschreckend und grausam (siehe die Angst des Sextus und seiner Gefährten) dargestellt werden, dass es selbst dem Erzähler die Sprache zu verschlagen scheint. Zudem verleiht Lucan dem Moment des Geheimnisvollen und Geheimen Ausdruck.185 Die Magierin agiert wohl in so nebulösen Gefilden und wirkt so von der Umwelt isoliert, dass selbst dem Berichterstatter der Zugang zu ihrer Höhle verwehrt bleiben könnte. In dem ihr eigenen magischen Kosmos gibt vermutlich eben nur Erichtho den Ton an. Zusammenfassend sei festgehalten: Die in der Forschung diskutierten Probleme mit der Erichtho-Szene erweisen sich als unbegründet. Denn neben der angenom 183 Zur dargestellten These in ihren einzelnen Gedankengängen vgl. Finiello (2005) S. 178–182 (der Artikelabschnitt »Erictho – weibliches alter ego des Erzählers«). 184 Finiello (2005) S. 178. 185 Zur Verborgenheit der magischen Kunst und der Isolation ihrer Vertreter siehe o. S. 52 mit Anm. 84, 192–196, 221 f. und 294 f. mit 71.

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menen spannungssteigernden Funktion der Gesamtepisode kann insbesondere der Bruch im Geschehen als Ausdruck des Absurden in der ›Pharsalia‹ gelten. Dieses Absonderliche könnte gemeinsam mit der animalischen, entwürdigenden Darstellung der Hexe spöttisch gedeutet werden. Zudem würde die Magie im sechsten Buch die in der Forschung beliebte philosophische bzw. zeithistorische Deutung des lucanischen Werkes rechtfertigen. Dass anders als in der übrigen Hexenhandlung Erichtho im Ritual die entscheidende Funktion einnimmt und nicht mehr der Erzähler, könnte als Ausdruck magischer Isolation und geheim vollzogenen­ Zauberhandelns aufgefasst werden.

3.6.5 Die Relation zu zwei literarischen Vorgängern Immer wieder wurde in der Forschung vorgebracht, die Nekromantieszene sei an einer bei Plinius tradierten Episode orientiert (nat. 7,178 f.).186 Dort wird über Gabienus, einen cäsarianischen Flottenanführer, berichtet (Caesaris classium fortissimus, 7.178), der auf Befehl des Sextus getötet worden sein soll. Am Abend bat der Soldat unter Seufzen und Flehen (gemitu precibusque), Pompejus möge zu ihm kommen, für den er eine Nachricht aus der Unterwelt habe (ab inferis). Infolgedessen schickte dieser Vertraute, denen der Soldat verkündete, dass der vom Feldherrn erstrebte Ausgang sich auch ereignen werde (… eventum futurum quem optaret, 179). Bereits Gordon stellt zwei mutmaßliche Parallelen zwischen den Texten heraus: Einerseits finde der durchtrennte und kaum noch Halt habende Nacken (incisa cervice et vix cohaerente, 178) wohl ein Pendant in der lucanischen durchbohrten Gurgel (traiecto gutture, 637). Andererseits lebe der düstere Abendstrand (wohl geschlossen aus litore und advesperavisset, 178) vermutlich in der finsteren Grotte der Zauberin fort (marcentes intus tenebrae pallensque sub antris / longa nocte situs numquam … / lumen habet, 646–648).187 Die Beschreibung einer Verwundung im selben anatomischen Bereich – das muss man zugestehen – korrespondiert bei beiden Autoren. Eine Entsprechung des Handlungortes lässt sich jedoch nicht erkennen. Der assoziative Schritt von einer Küste zu einer Höhle ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Als aussagekräftiger dürfte sich eine von Ahl angeführte Parallele erweisen: Die nach Plinius von Pompejus geschickten amic[i] (179) entsprechen wohl den ministri (573) in der ›Pharsalia‹.188 Auch wäre als weitere wichtige Entsprechung die bisher noch nicht in Forschungsbeiträgen aufgegriffene psychische Verfassung des Mediums zu nennen. Das bei Plinius überlieferte Gestöhn 186 Vgl. Ahl (1976) S. 134 und v. a. S. 137 »For all the differences between the story in Pliny and that in Lucan, the similarities are surely more startling.« 187 Vgl. Gordon (1987) S. 232. 188 Vgl. Ahl (1976) S. 137.

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(gemitu) könnte durchaus mit der Traurigkeit des lucanischen Soldaten verglichen werden (Maestum, 776). Doch lässt sich m. E. als Ergebnis festhalten, dass sich die beiden Episoden weniger durch ihre Gemeinsamkeiten, sondern vielmehr durch ihre Unterschiede auszeichnen.189 So handelt es sich bei Gabienus um einen Cäsa­ rianer, während sich der namenlose Weissagende im ›Bellum civile‹ wohl eher – wie in der Arbeit begründet – als Pompejaner erweisen dürfte.190 Auch verheißt die Prophezeiung bei Plinius der Familie des Sextus einen positiven Ausgang. Dagegen kündet der Soldat in Lucans Nekromantie vom Untergang des Geschlechtes bzw. kennt gar keinen Sieger (802–809). Sollte sich der Autor der ›Pharsalia‹ am Historiker und Naturforscher orientiert haben, dann offenbar nur marginal. Gerade der Relation des lucanischen Textes zum antiken Epos kommt zentrale Bedeutung zu: Auf eine ausgiebige Untersuchung der Beziehung zu den Werken Homers muss leider im Rahmen der Arbeit verzichtet werden. Auf die folgenden Grundgemeinsamkeiten sei an dieser Stelle lediglich kurz verwiesen: Homer fügt in der ›Odyssee‹ an vergleichbarer Position den Unterweltstopos ein (Od. 11,1–564 und 565–626). Ziel dabei ist, eine Prophezeiung zu erhalten (Τειρεσίαо πυϑέσϑαι, 89). Dabei spielen drei Akteure eine Rolle: Tiresias als Weissager (100–137), Kirke als Wegbereiterin (22) und ­Odysseus als Fragender (angesprochen, 92). Homers Voraussage schließt mit dem Todesthema (Dahinscheiden des Odysseus, 134–136). Die Handlung selbst steht in Bezug zum Irrfahrten-Topos (100). Die Elemente setzen sich erkennbar sowohl in der ›Aeneis‹ als auch in der ›Pharsalia‹ fort.191

Grundsätzlich hat der Dichter des ›Bellum civile‹ nach gängiger Forschungsansicht mit seinem Werk einen Gegenpol zur ›Aeneis‹ geschaffen und kann deswegen auch als »Anti-Vergil«192 bezeichnet werden. Als treffender dürfte sich die Betitelung als »Ultra-Vergil«193 erweisen. Denn man hat den Eindruck, dass der ›Pharsalia‹-Autor den römischen Progonen nicht nur kontrastiv imitiert, sondern sein Vorbild in weiten Stücken zu übertrumpfen versucht – gerade wohl mit der Hexenszene. Die Ursache für den sich im Vergleich beider Schriftsteller offenbarenden Einstellungswandel dürfte darin zu suchen sein, dass die beim augus­ teischen Dichter sich andeutende Hoffnung auf Frieden von einer sich bei Lucan gerade wegen der bedrohlichen Auswüchse des Prinzipats immer weiter ausbreitenden Aporie abgelöst worden sein mag.194 Zunächst entsprechen sich in den beiden Werken augenscheinlich die Hinwendung zum Unterweltsthema im sechsten 189 Vgl. Martindale (1980) S. 368. 190 Zur Gegenüberstellung sowie allgemein zur Diskussion um die parteiliche Zuordnung des Soldaten bei Lucan vgl. Ahl (1976) S. 135–137. 191 Zu einer ausführlichen Darstellung der Parallelen zwischen den drei Autoren vgl. Korenjak (1996) S. 37–40. 192 Z. B. Hömke (1998) S. 121. 193 V. Albrecht (1970) S. 281. 194 Zum Stimmungswandel vgl. Fauth (1975) S. 325 f.

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Buch sowie der Ausbruch einer Schlacht unmittelbar anschließend.195 Abgesehen von diesen Grundgemeinsamkeiten soll jedoch hier lediglich eine knappe Auswahl an zueinander in Opposition stehenden Elementen dargeboten werden. Korenjak arbeitet folgende Aspekte heraus: Aeneas erscheine als noch tugend­ hafter als sein Vater (siehe z. B. die den herausragenden Charakter des Helden bezeichnende Formulierung pius Aeneas, 6,9, oder das Lob auf seine Taten durch Anchises, 6,692–694). Dagegen werde Sextus als missratenes Kind (420) eines für sich genommen schon zwiespältig empfundenen Pompejus vorgestellt. Wird der Held der ›Aeneis‹ von Sibylle begleitet (z. B. 6,263, 752 f.), tritt an deren Stelle in der ›Pharsalia‹ offensichtlich die grausame Erichtho. Weissagt im Nationalepos der in der Unterwelt eine respektable Position bekleidende Anchises ­(6,679–683), übernimmt diese Aufgabe im lucanischen Werk ein anonym bleibender toter Soldat (siehe die distanzierte Bezeichnung als cadaver, 776). Doch lassen sich noch bedeutendere Unterschiede erkennen: Die Heldenschau (6,756–886) in der­ ›Aeneis‹ informiert über noch nicht geborene Römer, die Großes zu leisten in der Lage sind. In vollkommenem Kontrast dazu steht das Gegenstück im ›Bellum civile‹ (780–799), wo bereits verstorbene Gestalten auftreten, die von nichts als Zwietracht und Vernichtung künden. Entsprechend fungiert die Weissagung im Nationalepos als Fenster, in dem wesentliche Begebenheiten der Geschichte vorweggenommen werden. Erichthos Nekromantie dagegen darf eigentlich als reiner Selbstzweck gelten und erweist sich für die weitere Handlung als ohne Belang.196 Darüber hinaus wirkt es so, als komme auch den Regionen Bedeutung zu: Während der besagten Prophezeiung in der ›Aeneis‹ die Ankunft in Italien vorausgeht (6,1–6) und die Handlung sich entsprechend dort lokalisieren lässt, spielt die Hexenszene Lucans in thessalischen Gefilden. Stellt das eine Land den Gegenstand der Verheißung dar, erweist sich das andere als verflucht.197 Die ausgewählten, zueinander kontrastiv gestalteten Motive verdeutlichen, dass die These der Gegenläufigkeit von ›Aeneis‹ und ›Bellum civile‹ ihre Berechtigung besitzt. Exemplarisch kann gerade die Hexenszene mit der Nekromantie die Gegenläufigkeit zum Vorbild belegen. Interessanterweise hat Korenjak auf eine weitere wesentliche Parallele zwischen beiden Werken hingewiesen. Er deutet das Zusammentreffen von Cäsar und Roma (1,185–222) plausibel als Anspielung auf die Zusammenkunft des Begründers des Römergeschlechtes und der Sibylle mit dem Fährmann der Unterwelt (Aen. 4,385–416). Der Forscher interpretiert die Parallele in der Hinsicht, dass Lucan vermutlich schon am Anfang dem Gesamtwerk den Charakter einer Katabasis gegeben haben könnte: Entsprechend wäre die Nekromantie als Unterweltsgang im Unterweltsgang zu verstehen.198 Die Gedankenfolge fasziniert insofern, als damit genau der zu Anfang in der Auseinandersetzung 195 Vgl. v. Albrecht (1970) S. 282. 196 Zu den gegenläufigen Motiven vgl. Korenjak (1996) S. 40–42. 197 Zu beiden konträren Elementen vgl. Fauth (1975) S. 330. 198 Zur Parallele und Deutung vgl. Korenjak (1996) S. 42 f.

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mit der Kontrastimitation aufgegriffene Stimmungswechsel beider Autoren verdeutlicht würde. Während sich bei Vergil eher Erleichterung gegenüber der Einrichtung des Prinzipats spüren lässt, wirkt Lucan total desillusioniert. Deswegen könnte sein Werk den Charakter einer Katabasis aufweisen. Vielleicht ist der Dichtung als Botschaft zu entnehmen, dass es als Folge des Bürgerkriegs mit den Römern bergab geht und sie in die Unterwelt hinabgleiten.

3.6.6 Die Hexen bei Horaz, Seneca und Lucan in Abgrenzung zu den Zauberinnen bei Theokrit und Vergil: Die Medea der ›Metamorphosen‹ als Übergang Die Assoziationskette um die Gestalt der Hexe bei Horaz, Seneca und Lucan weist einige Gemeinsamkeiten auf, die sich, wenn auch eher in Form leichter farblicher Schraffierungen, manchmal bereits bei der ovidischen Medea in ihrer Entwicklung ankündigen: Zauberinnen stehen für eine einschüchternde, seltsame, skurrile Welt, die Nichteingeweihten Angst einflößt. Die Gefühlslage Priaps bei der Konfrontation mit Canidia und Sagana entspricht dem Verhalten Creos bzw. der korinthischen Bürger bzw. der Amme gegenüber Medea sowie der Reaktion des Sextus und seiner Begleiter auf die Handlungsweise der Hexe Erichtho. Furcht beherrscht die Gemüter bei Horaz (trementi … ore, epod. 5,11, horruerim, sat. 1,8,45), bei Seneca (… libera cives metu …, 270, Pavet animus, horret, 670, quando … / … / … metuque solvet / regnum simulque reges?, 870–873) und bei Lucan (Ut pavidos iuvenis comites ipsumque trementem / conspicit, 657 f.). Daneben fällt insbesondere die ähnliche Darstellung der Zauberinnen in den Horaz-Gedichten, der Tragödie und der ›Pharsalia‹ auf. Bei den drei Autoren findet sich eine optische Beschreibung der Magierinnen: Priap führt seine Zauberinnen ein und weist ihnen dabei Totenblässe und wirre Frisur als Merkmale zu (pallor utrasque / fecerat horrendas adspectu, sat. 1,8,25 f., passoque capillo, 24). Die Haare Canidias werden in der Epode ebenfalls herausgestellt, wo sie mit kurzen Nattern in Verbindung gebracht (brevibus … viperis, epod. 5,15) und überhaupt als ungekämmt bezeichnet werden (incomptum, 16). An der senecanischen Medea betont der Chor am Ende des vierten Aktes ausführlich die wechselnde Hautfarbe: Zunächst heißt es, aus Erregung seien ihre Wangen gerötet. Dann vertreibe Blässe die Röte, sodass ihr Gesicht schließlich bald bleich, bald feuerrot erscheine (Flagrant genae rubentes, / pallor fugat ruborem. / nullum vagante forma / servat diu colorem, 858–861). Ähnlich beschreibt Lucan seine Zauberin: Die sehr hagere Erichtho gilt als besonders häßlich und erschreckend, weil ihr Antlitz niemals vom Tageslicht beschienen wurde und sie infolgedessen leichenblass ist. Auch sie hat verzaustes Haar (tenet ora profanae / foeda situ macies, caeloque ignota sereno / terribilis Stygio facies pallore gravatur / impexis onerata comis, 515–518). Schlangenkränze werden erwähnt (… coma vipereis substringitur horrida sertis, 656).

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Bei allen drei Autoren weisen die Hexen furienhafte Züge auf. Das priapeische voces Furiarum (sat. 1,8,45) korrespondiert mit dem bei Lucan genannten Begriff furialis (654). Der furor der senecanischen Medea ist bereits ausführlich dargestellt worden (z. B. Siste furialem impetum …, 157, quod impotenti / facinus parat furore?, 851 f., … pectus en Furiis patet, 966).199 Der abschreckenden Optik entspricht auch die Assoziation der Hexen oder­ ihrer Utensilien mit dem Friedhofsbereich. Denn die Feigenbäume (sepulchris caprificos erutas, epod. 5,17) und Zypressen (cupressos funebris, 18) konnotieren eindeutig mit dem Todesmilieu. Die Geschehnisse um Priap sowie Canidia und Sagana spielen auf einem ehemaligen Friedhof (sat. 1,8,8–12 und 15 f.). Senecas Medea – so behauptet Creo – besäße Tod bringende Kräuter (… letales … / … herbas, 269 f.), die Amme charakterisiert das Gemach der Zauberin mit dem Adjektiv funestum (676). Die beschworene Schlange gilt als mortifera (688).200 Die Kolcherin wendet sich im Gebet an die Schatten im Jenseits, die Totengötter, das Haus des Dis, nennt in diesem Zusammenhang den Tartarus und die Grotten des Todes und spricht auch Seelen an (Comprecor vulgus silentum vosque ferales deos / … atque opacam Ditis umbrosi domum, / Tartari ripis ligatos squalidae Mortis specus. / … animae …, 740–743). Immerdar sind im rituellen Geschehen Bezüge zu Tod und Bestattung gegeben.201 In ähnlicher Weise gestaltet Lucan seine Hexenszene: Erichtho wohnt in Gräbern und treibt ihr Unwesen mit den dort beheimateten Schatten (desertaque busta / incolit et tumulos expulsis obtinet umbris / grata deis Erebi, 511–513). Das Auftreten der Zauberinnen weist beeindruckende Gemeinsamkeiten auf. Von Horaz und Lucan wird die animalische Natur der Hexen betont. Die Zauberinnen verhalten sich wie Tiere: Beim augusteischen Dichter ist die Vorstellung erkennbar, dass sich eine Magierin mit einer Hündin um einen Knochen streitet (ossa ab ore rapta ieiunae canis, epod. 5,23). Von Erichtho heißt es, sie warte, bis sich an einer Leiche Wölfe vergingen, damit sie sich mit ihnen um die Körperglieder des Verstorbenen balgen könne (… morsusque luporum / expectat siccis raptura e faucibus artus, 552 f.). Beide Darstellungen sind als Spott deutbar. Demgegenüber wirkt es vollkommen stimmig, dass die senecanische und auch früher die ovidische Medea diese animalischen Eigenschaften nicht aufweisen. Die Kolcherin, die im Vergleich zu allen anderen Zauberinnen maius verrichtet (met. 7,175, Med. 674), kann eben wohl gerade nicht subhumanes Verhalten an den Tag legen.202 Ihr übermenschliches, göttliches Wesen verdeutlichen vermutlich 199 Zum furor der Medea siehe o. S. 287 mit Anm. 39, 319 f. mit 191, 385 f. mit 401 und 399 f. 200 Mit entsprechender Charakterisierung vgl. flore mortifero (717). 201 Z. B. 776 Nessus expirans, 777 Oetaeus isto cinere defecit rogus …, 799 f. … tibi de medio rapta sepulcro / fax nocturnos sustulit ignes …, 802–805 … tibi funereo de more iacens / passos cingit vitta capillos, / tibi iactatur tristis Stygia / ramus ab unda. 202 Die Gleichsetzung der Magierin mit einer Harpyie (782) würde eine Ausnahme darstellen. Allerdings könnte dieser tierische Bezug als versteckte Wertung durch den Dichter Seneca

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die mehrmaligen Flüge auf den geflügelten Drachen schon bei Ovid ­(220–237, ­351–393, 398), dann auch die Flucht bei Seneca (1023 f.). Medeas Hang zum Größeren offenbart sich in der Tragödie u. a. darin, dass sie über alle denkbaren Schlangen dieser Welt gebietet und sie beschwören kann (684–704). Weil Medea größer als andere Hexen ist, wirkt sie über das Animalische erhöht, stellt sich als Herrin über Tiere aller Art heraus. Überhaupt zeigt sich die mangelnde Kultiviertheit der Zauberinnen darin, dass sie auf moderne Errungenschaften, die ihnen bei ihrem Tun behilflich sein könnten, bewusst verzichten. Horaz geht sogar so weit, die Hexen zum Zwecke einer Grubenaushebung mit ihren Nägeln wie wilde Tiere in der Erde wühlen zu lassen (scalpere terram / unguibus, sat. 1,8,26 f.). Erichtho verwendet statt eines Messers als Werkzeug (nec … / … ferro …, 551 f.) lieber ihre Hände und Zähne (immergitque manus oculis gaudetque gelatos / effodisse orbes et siccae pallida rodit excrementa manus, 541–543). Wie schon die ovidische Medea in der Aison-Verjüngung neigen auch Sagana und Canidia zu Geheul (ternisque ululatibus ora / solvit, met. 7,190, murmure longo, 251, ululantem, sat. 1,8,25). Lucans Unholdin bedient sich animalischer Laute (688–690). Damit erscheint die Zauberin bei keinem der Autoren so richtig als Mensch, aber auch nicht so richtig als Tier. Dieses spezifische Charaktermerkmal könnten bereits die ›Metamorphosen‹ ankündigen, wenn Medea ihre Schritte durch das Schweigen der Nacht lenkt und als einziges Lebewesen noch aktiv ist, während sowohl die urban-zivilisierte als auch die natürlichanimalische Welt in Schlaf versunken sind (7,184–187).203 Die Hexen werden der Leserwahrnehmung nach in Epode 5 und Satire 1,8 sowie in der ›Pharsalia‹ noch deutlicher als Zwischenwesen präsentiert, die mit der konventionellen Werteund Normskala nicht fassbar sind. Doch entgegen dem bloßen Hinweis auf unkonventionelles Verhalten bei Ovid sprengen die Hexen bei Horaz und Lucan das wohl im römisch-patriarchalischen System gebotene moralische Verhaltensmuster. Die unterschwelligen Anspielungen auf die Sexualität der Magierinnen dürften als Beleg dafür gelten (siehe z. B. die explizite Betonung von Folias mascul[a] libid[o], epod. 5,41, oder Erichthos nekrophile Liebkosungsperversion, 564–569). Im Falle der senecanischen Medea könnte die von ihr angesichts des Kindsmords empfundene voluptas (991) in dieselbe Richtung weisen. Die Dehumanisierung der Zauberinnen bei Horaz, Seneca und Lucan offenbart sich im abscheulichen magischen Treiben. Die Hexen wirken grausam, brutal, eindeutig böse und begehen Eckel erregende Taten: Soweit der Überlieferungsfundus diesen Schluss zulässt, könnte zunächst Horaz mit dem Knabenmord als zentralem Thema in der Epode bereits genau den Weg hin zu einer verstanden werden und würde sich somit ganz in das dargestellte Bild der animalischen Hexe fügen. Da die mythischen Raubvögel bekanntlich aus dem Hinterhalt über ihre Opfer herfallen, passt ein Vergleich. Dazu siehe o. S. 316 f. und 338 f. 203 Dazu siehe o. S. 192.

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­Darstellung von vornehmend Schrecklichem beschritten haben. Denn seine Hexen beabsichtigen, den Jungen unter Marterqualen zugrunde gehen zu lassen (epod. 5,32–39). Nicht ganz so schlimm, aber ähnlich abstoßend wird im Priapeum die Hinschlachtung des Lammes beschrieben, das Canidia und Sagana zu Tode beißen (sat. 1,8,27). Seneca erregt Grauen, wenn Medea sich im Ritual den eigenen Arm anschneidet, um ihr Blut zu opfern (806–811). Die Kolcherin erweist sich zudem als Meisterin der Verstellung (… donisque meis semina flammae condita serva: / fallant visus … 834 f.), indem sie Creusa und Creo ins Unglück stürzt (880). Als sie sogar ihre beiden Söhne tötet (970 f., 1019), verliert sie schließlich jedwedes Maß. Erichtho verstümmelt auf bestialische Weise Leichen, z. B. zernagt sie Gekreuzigte und reißt ihnen Mark und Eingeweide heraus (… abrasit­que cruces percussaque viscera nimbis / vulsit et incoctas admisso sole medullas, 545 f.), hängt sich an deren Sehnen, wenn sie ihren Bissen widerstehen (nervo morsus retinente pependit, 549), mordet (nec cessant a caede manus …, 554) und ist sogar bereit, einer Schwangeren den Embryo zu Opferzwecken zu entreißen (vulnere sic ventris, non qua natura vocabat, / extrahitur partus calidis ponendus in aris, 558 f.). Es könnte – zumindest lässt sich das für die erhaltene Literatur behaupten – mit Horaz in die magischen Szenen das Grauen eingedrungen sein, das sich dann in der Folgezeit immer weiter steigert. Mit dem Kindsmord überschreitet Seneca in seiner Tragödie eigentlich die Grenze der überhaupt vorstellbaren Grässlichkeit. Doch lässt sich im Werk Lucans das Bestreben erahnen, noch ausgeprägter in Blutrünstigkeit und Schauderhaftigkeit zu übertrumpfen. Das gelingt ihm in seiner ›Pharsalia‹ dadurch, dass er das nicht mehr steigerbare Grauen Senecas eben künstlich weiter verstärkt und dabei den Punkt erreicht, an dem das Grausame abgleitet ins Groteske, ja ins Lächerliche. Man hat den Eindruck, die Magierinnen werden immer wieder mit gewissen Tieren assoziiert, welche in unterschiedlichen Zusammenhängen vorkommen. Wesen wie Schlangen, Hunde oder gar Wölfe gelten offenbar als Attribute nicht unbedingt der Hexen selbst, aber in irgendeiner Form ihres Treibens: Bei Horaz treten serpent[e]s (sat. 1,8,34) und canes (sat. 1,8,35, epod. 5,58) entweder direkt in Erscheinung oder werden zumindest erwähnt. Senecas Medea brilliert mit der besagten Schlangenbeschwörung. Die genannten Tiere weisen immer wieder einen Bezug zum Ritual der Kolcherin auf (serpentium / saniem, 731, Tibi haec cruenta serta texuntur manu, / novena quae serpens ligat …, 771 f.). Die Zauberin berichtet von Belllauten der Hekate (latratus, 840). Für die Vorbereitung der Totenbeschwörung bei Lucan sind Schlangenfleisch (cervi pastae serpente medullae, 673) und der Tollwutschaum wasserscheuer Hunde vonnöten (spuma canum quibus unda timori est …, 671). Priap sieht, wie die Hexen eine lupi barb[a] (sat. 1,8,42) vergraben. Die Stimme der Erichtho weist canum gemitusque luporum (688) auf. Selbstverständlich gleichen sich auch die invozierten Wesen: Hekate und Tisi­ phone werden bei Horaz genannt (sat. 1,8,33 f.). Ovids Kolcherin wendet sich im Zuge der Verjüngung an die Zauberpatronin (met. 7,194). Die senecanische

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Medea spricht mehrfach zu Hekate und den vermutlich synkretistisch mit dieser verschmolzenen Gottheiten (750, 770, 795, 814, 833). Erichtho richtet ihre Worte zuerst an die Zauberpatronin (700), dann an die Furien (730). Bei jedem der Autoren bedienen sich die Hexen der Unterstützung durch Dämonen. Mehrere umbrae erscheinen beim augusteischen Dichter (sat. 1,8,41). Senecas Medea spricht zum im Wesentlichen vergleichbaren vulgus silentum (740) und zu animae (743). Eine umbr[a] erscheint bei Lucan (720). Auch bei den im Ritual notwendigen Substanzen gibt es Parallelen. Passend zu ihrem düsteren Wesen benötigen alle Hexen bei ihren Taten Blut – sowohl in der Darstellung Horazens (epod. 5,19, sat. 1,8,28), als auch der Ovids (met. 7,245), Senecas (z. B. 808) und Lucans (667). Pflanzen mit schädigender Wirkung werden in den Kleindichtungen (sat. 1,8,22, sinngemäß auch in epod. 5,21 f.), in der­ Tragödie (z. B. 731) und im Bürgerkriegsepos (438) genannt. Dem Gift kommt als beliebtem Motiv bei Horaz (epod. 5,22, sat. 1,8,19), in der Medea-Episode der ›Metamorphosen‹ zu einem Zeitpunkt nach der Aison-Verjüngung (7,394, 407, vgl. auch schon 316), bei Seneca (z. B. 833) und im ›Bellum ­civile‹ (684) Bedeutung zu. Entsprechend stimmen auch die magischen Praktiken weitgehend überein. Ein nekromantisches Ritual wird sowohl von Sagana und Canidia (sat. 1,8,26–29 und 40 f.) als auch von Erichtho (624–820) vollzogen. Horaz und Lucan gehen beide auf den Liebeszauber ein. Liebe kann in den augusteischen Gedichten durch einen Liebestrank (epod. 5,38) oder einen Puppenzauber (sat. 1,8,30– 33 und 43 f.), in der ›Pharsalia‹ durch einen Spruch (452–458) erwirkt werden. Die Hexen der Autoren gebrauchen bei ihrem Tun salbenartige Substanzen. Bei­ Horaz verweist die Wendung unctis (…) cubilibus (epod. 5,69) auf eine Crème. Senecas Medea stellt eine Tinktur her (817). Erichtho verwendet das virus (…) lunare (669). Auch gehört in den Schaffensbereich der Zauberinnen das Adynaton. Denn entweder sie sind täsächlich in der Lage, das Unmögliche zu bewirken – so wird es bei Ovid (met. 7,199–215), Seneca (754–769) und Lucan geschildert (469–484) – oder sie bedienen sich zumindest entsprechender Aussagen (epod. 5,79 f.). Als auffällig erweist sich auch die immer wiederkehrende Bezugnahme auf die Zauberarchegetin Medea. Horazens Wendungen (flammis Colchicis, epod. 5,24, venena Medeae, 62) sind eindeutig. Lucan erwähnt, dass die Kolcherin in Thessalien die Pflanzen gesammelt und gefunden habe, die ihr unter den aus der Heimat mitgenommenen Kräutern gefehlt hätten (… terris hospita Colchis / legit in Haemoniis quas non advexerat, herbas, 441 f.). Damit könnte der Seneca-Neffe einen intertextuellen Bezug zu den ovidischen ›Metamorphosen‹ und der vom Drachenwagen aus vorgenommenen Kräutersuche der Zauberin herstellen. Seltsame Naturerscheinungen werden bei den Autoren beschrieben. Horazens Folia soll in der Lage sein, Mond und Sterne vom Himmel herabholen (quae sidera excantata voce Thessala / lunamque caelo deripit, epod. 5,45 f.). Priap schildert erst den Aufgang des Gestirns (… vaga luna decorum / protulit os …, sat. 1,8,21 f.),

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dann schließlich sein Erröten und Verschwinden (lunamque rubentem / … post magna latere supulchra, 35 f.). Den Worten der senecanischen Medea ist eine im aktuellen Ritualgeschehen sich vollziehende Mondfinsternis zu entnehmen ­(785–792). Als Parallelen zu den genannten Belegen finden sich bei Lucan das Herabholen der Sterne (sidera … / … deducta, 499 f.) bzw. des Mondes (500–506). Insgesamt lässt sich für die topische Relation von Horaz, Seneca und Lucan das folgende Ergebnis festhalten. Alle schöpfen augenscheinlich aus demselben Vorrat an Motiven und Bildern. Entsprechend könnte sich  – die Erkenntnisse dieser Arbeit sprechen dafür – das beim Dichter von Epode und Satire aufgegriffene Moment des Lächerlichen in der Beschreibung des Hexentreibens über Ovid zu Seneca und Lucan fortsetzen. Allerdings ruht das Gewicht in der Darstellung von Autor zu Autor fortwährend gesteigert auf dem Grausamen und Schaurigen. Zunächst bildet das Schreckliche den Hintergrund der Gesamtszenerie (epod. 5) oder tritt an einzelnen Stellen – und damit eben im Gedicht nur partiell – zu Tage (z. B. sat. 1,8,27 f.). Doch wird es immer mehr aus dieser inhaltlichen Beschränkung gelöst und wird im Laufe der Zeit zum vorherrschenden Topos in der Gesamtschilderung. Die Medea in den ovidischen ›Metamorphosen‹ könnte das eigentliche Übergangsglied darstellen, bei dem die Entwicklung von der guten Zauberin zur bösen Hexe stattfindet. Nach der Aison-Verjüngung vollzieht sich im besagten Werk der Bruch erst noch nachvollziehbar in der gekonnten Verstellung der Kolcherin und der grausamen Hinschlachtung des Pelias, dann weiter in der beim Dichter nur angedeuteten, aber eben erschütternden Rache an Creusa und v. a. dem Kindsmord, schließlich bei der versuchten Vergiftung des Theseus. Während sich die Medea Ovids erst zur bösen Hexe entwickelt, bildet das Böse in der senecanischen vermutlich von vornherein den Ausgangspunkt für die weitere Selbstfindung. Wenn der Dichterphilosoph erst eine düstere, schaurige Hexenszene entwirft, dann den Kindsmord grausam veranschaulicht, löst er beim Rezipienten das denkbar größte Entsetzen aus. Mit Erichthos absurder Leichenfledderei und ihren nekrophilen Tendenzen verleiht Lucan einem Ungeheuer Leben, das in der dargestellten Grausamkeit so anstößig und maßlos wirkt, dass der Leser sich nur noch amüsiert abwenden und das absonderliche Hexentreiben belächeln kann. In welcher Beziehung stehen die sich nun ihrer Grundausrichtung nach bewiesenermaßen entsprechenden Motive bei Horaz, Seneca und Lucan zu denen bei Theokrit und Vergil? Zunächst existiert weder im Idyll noch in der Ekloge ein eindeutiger Beleg für die Reaktion der Umwelt auf die Magie. Es gibt kein Indiz dafür, dass man Simaitha oder Vergils Akteurin mit Furcht entgegengetreten wäre. Die Akteurinnen wirken ganz im Gegenteil recht sympathisch. Ihren Liebeskummer und ihr Vorhaben, den Geliebten wiederzugewinnen, kann man in beiden Fällen ver­ stehen (id. 2,3–7, ecl. 8,66 f.). Vielmehr erweisen sich die Frauen im Grunde genommen als recht gewöhnlich. Denn es liegt kein Hinweis auf eine übermäßig

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ausgeprägte Hässlichkeit vor. Simaitha war zumindest bei der ersten Begegnung mit Delphis hübsch gekleidet (id. 2,72–74). Auch muss sie wohl generell attraktiv gewesen sein. Denn sonst könnte einerseits mit ihrem Verliebtsein kein Schwinden ihrer Schönheit einhergehen ([…] τὸ δὲ κάλλоϛ ἐτάκετо, 83). Andererseits gäbe es sonst keinen Sinn, dass der junge Mann überhaupt ein Interesse an ihr bekundet (124–128) – zumal seine angenehme Optik explizit betont wird ([…] καὶ καλὸϛ πάντεσσι μετ’ αἰϑέоισι καλεῦμαι, 125). Über das Aussehen der Akteurin Vergils lassen sich keine Angaben machen: Doch wie schon herausgearbeitet, spielt die Szene auf dem Land (siehe z. B. das rustikale Bild, ecl. 8,85–89). Es ist also durchaus legitim, der Protagonistin einen schlichten Charakter und ein natürlich-bäuerliches Äußeres zu unterstellen, während hingegen Simaitha sich, wie es auch ihre Kleidung verdeutlichen mag, zumindest im Verhältnis zu ihr bourgeoiser erweist. Damit sind beide vermutlich Teil der Gesellschaft – ganz anders als die isolierten, hässlichen, jeglicher Norm zuwiderhandelnden Hexen bei Horaz und Lucan. Auch die Medea Senecas fügt sich durch den Hinweis auf ihre wechselnde Gesichtsfarbe, ausgeprägte Blässe und zunehmende Vereinsamung in die Reihe der letztgenannten Autoren. Theokrits Protagonistin gibt sich zwar mit Delphis dem Liebesverlangen hin und lebt ihre Sexualität aus (id. 2,142 f.), aber ihre Neigung als solche kann anders als wohl bei Horazens Folia als mit den gesellschaftlichen Vorstellungen konform gelten. Das eigentliche Problem dürfte darin bestehen, dass sie ihren erotischen Gelüsten nachgeht, ohne mit dem von ihr begehrten Mann ehelich verbunden zu sein. Soweit sich bei Vergil überhaupt Angaben machen lassen, sollte wohl auch seine Akteurin in den Liebesbelangen nicht gegen die moralischen Vorgaben der Zeit verstoßen – insbesondere zumal Daphnis als perfidus (ecl. 8,91) charakterisiert wird. Eindeutig dürfte das Vergehen auf seiner Seite liegen. Die Assoziation einer Zauberin mit reizvoller sexueller Ausstrahlung findet sich bereits bei den mythischen Archegetinnen des magischen Handwerks, z. B. Kirke.204 – Es ist jedoch zu vermuten, dass die wohl zunächst gesellschaftlich akzeptierte sexuelle Ausrichtung und der entsprechende eigene Umgang mit dem Geschlechtstrieb im Zuge der Extremisierung der Hexen bei Horaz und Lucan durch einen mit den Normen nicht mehr zu vereinbarenden, als frevlerisch gebrandmarkten Trieb zur Unzucht ersetzt wird. Diese Tendenz zur steigernden Wertung lässt sich weiter belegen. Denn Indizien der bei Horaz, Ovid, Seneca und Lucan erkennbaren und sich je nach Autor in der Ausprägung deutlich unterscheidenden Verspottung der Zauberinnen finden sich dezent auch bei den literarischen 204 Zum Reiz der Kirke vgl. z. B. Hom. Od. z. B. 10,220–223 ἔσταν δ’ ἐν πρоϑύρоισιν ϑεᾶϛ καλλιπλоκάμоιо, / Κίρκηϛ δ’ ἔνδоν ἄκоυоν ἀειδоύσηϛ ὀπὶ καλῇ, / ἱστὸν ἐπоιχоμένηϛ μέγαν ἄμβρоτоν, оἷα ϑεάων / λεπτά τε καὶ χαρίεντα καὶ ἀγλαὰ ἔργα πέλоνται, 333–335 »[…]. […] νῶϊ δ’ ἔπειτα / εὐνῆϛ ἡμετέρηϛ ἐπιβήоμεν, ὄφρα μιγέντε / εὐνῇ καὶ φιλότητι πεπоίϑоμεν ἀλλήλоισιν«, 480 f. Αὐτὰρ ἐγὼ Κίρκηϛ ἐπιβὰϛ περικαλλέоϛ εὐνῆϛ / γоύνων ἐλλιτάνευσα […].

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Vorgängern. Simaitha richtet an Thestylis die Frage, ob ihr diese mit Schadenfreude begegne (ἦ ῥά γέ ϑην, μυσαρά, καὶ τὶν ἐπίχαρμα τέτυγμαι, id. 2,20). Ähnlich könnte man die bisweilen übertrieben geäußerte Naivität der Akteurin im Alphesiboeus-Lied deuten, die z. B. angesichts des vidi (ecl. 8,99) bei der Schilderung der Wirksamkeit ihrer Giftkräuter herausgestellt wurde. Weder Theokrits noch Vergils Zauberin lassen sich mit dem Friedhofs- bzw. Totenmilieu oder mit Furien in Verbindung bringen.205 Allerdings findet man bei beiden Autoren Aspekte, die, wenn sie auch als harmlos eingestuft werden sollten, so dennoch als Ausdruck von Gefährlichkeit und Bedrohung für die Umwelt gewertet werden könnten. Gerade bei Simaitha haben sich neben Elementen des Liebeszaubers immer auch die des Schadenzaubers gezeigt (z. B. id. 2,53 f.). Am Ende des Gedichtes ist sie durchaus bereit, dem Geliebten das Leben zu nehmen ([…] τὰν Ἀίδαо πύλαν […] ἀραξεῖ, 160). Vergleichbare Züge sind auch im Handeln der Protagonistin bei Vergil erkennbar, allerdings eben schwächer und versteckter (z. B. ecl. 8,91–93 oder 95–99). Eine immer stärkere Fokussierung auf dem Aspekt des Morbiden und Destruktiven offenbart die Entwicklung der­ Medea in den ovidischen ›Metamorphosen‹: Mag die Verjüngung zwar eine Lebensverlängerung des dem Tode nahe stehenden Aison bezwecken, so schwebt doch das ganze Ritual grundsätzlich schon zwischen den Polen von Leben und Tod.206 Allerdings geraten gerade durch den grausamen Mord an Pelias (… guttura Colchis / abstulit …, 7,348 f.), sodann an Creusa und den eigenen Söhnen (…  Colchis arsit nova nupta venenis / … / sanguine natorum perfunditur inpius ensis …, 3­ 94–396), schließlich durch die versuchte Theseus-Vergiftung (huius in exitium miscet Medea … / … aconiton …, 406 f.) immer mehr die düsteren Hexeneigenschaften in den Blickwinkel. Aus bloßen Andeutungen bei Theokrit und Vergil könnte sich bei Ovid immer weiter fortschreitend entwickeln, was mit Horaz durch die Wahl des Knabenmords zentrales Thema sein, Seneca auf die Spitze treiben und Lucan ins Groteske abgleiten lassen wird. Eine Tendenz zum Grauenhaften, Brutalen, Ekel Erregenden und Unmenschlichen ist erkennbar.207 Bei Theokrit und Vergil finden sich keine eindeutigen Hinweise auf die Charakterisierung der Hexen als Zwischenwesen. Zudem ist kein Mangel an Kultiviertheit feststellbar. Die Zauberinnen verhalten sich nicht animalisch. Doch werden auch sie bereits in das Umfeld von Tieren gesetzt. Simaitha, die wie Canidia und Sagana, die ovidische und senecanische Medea oder auch Erichtho Hekate miteinbezieht (id. 2,12), assoziiert die Göttin zweimal mit Hunden (12 und 35). In Vergils Zaubergeschehen bellt ein Hund (ecl. 8,107). Schon hier könnte das Bestreben erkennbar sein, in eine Hexenszene immer mehr Tiere zu integrieren. 205 Lediglich Hekate selbst wird zu Grabhügeln in Beziehung gesetzt (ἠρία, id. 2,13). 206 Dazu siehe o. S. 225 mit Anm. 143. 207 Vgl. auch die deswegen von Fuhrmann (1968) S. 26 f. für die Poesie der Kaiserzeit vorgenommene Definierung »d[es] Grausige[n] und d[es] Ekelhafte[n]«.

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Ob im Zuge verwendeter Ingredienzien, als Symbol für überirdische Wesen oder zur Charakterisierung der Frauen selbst, ist dabei ohne Belang. Entsprechend etabliert sich in einer Zauberszene wohl auch die Nennung der zugehörigen Gottheit Hekate. Auffällig ist des Weiteren ein Wandel des Grundthemas. Geht es bei Theokrit sowie Vergil v. a. um einen Liebesbindezauber (καταδήσоμαι, id. 2,10, ›Veneris‹ … ›vincula necto‹, ecl. 8,78), der das gesamte Ritual beherrscht, ändert sich das in späterer Zeit offenbar. Bei Horaz steht die erotische Magie nur noch im Hintergrund (epod. 5,73–82) oder macht einen Teil der magischen Handlung aus (sat. 1,8,30–33 und 43 f.). In den Medea-Episoden der ›Metamorphosen‹ wird ein Liebeszauber überhaupt nicht thematisiert. In Senecas Tragödie erinnert lediglich der Feuertod Creusas an die Metaphorik des Liebesbrandes und die Nähe von Liebes- und Schadenzauber.208 Bei Lucan wird erotische Magie (452–460) nur noch in der einführenden Passage über das thessalische Hexenwesen erwähnt (434–506). Stattdessen schenken der Epoden- bzw. Satiren-Dichter sowie der Verfasser der ›Pharsalia‹ dem Motiv des Grausigen Bedeutung und schildern passend zu Wesen und Optik ihrer Hexen eine Nekromantie. Mit der Erscheinung des Apsyrtus als Geist im Gefolge der Furien verleiht auch Seneca seinem Geschehen Jenseitsorientierung (951–966). Dieser Entwicklung fügen sich auch weitere Einzelbefunde: In einer der zeitlich früheren Schilderungen wird zwar Blut erwähnt, allerdings niemals als Ingredienz. So bringt Simaitha den Lebenssaft mit Hekate (id. 2,13) oder ihrer eigenen Optik (55 f.) in Verbindung. Vergils Magierin kennt Blut gar nicht. Später dagegen fehlt es in den Darstellungen nicht mehr. Die Assoziation einer Zauberin mit explizit als schädlich bezeichneten Pflanzen existiert bei Theokrit in entsprechender wörtlicher Kennzeichnung noch nicht. Die beim hellenistischen Dichter genannten ϑρόνα (id. 2,59) sind zunächst neutral. Ähnlich werden auch noch bei Vergil die Kräuter (herbas, ecl. 8,95) zwar in einem Zuge mit venena aufgegriffen, aber es wird von keiner schädlichen Wirkung berichtet (97–99). Das Gift kennt natürlich auch schon Theokrit (κακὸν πоτὸν, id. 2,58, κακὰ φάρμακα, 161). Damit könnten gemäß dem Bestreben, die negativen Elemente zu verstärken, alte Motive umgedeutet werden bzw. Aspekte, die in das neue Bild passen, beibehalten werden. Denn Horaz, dann in der Medea-Episode der ›Metamorphosen‹ sich fortwährend steigernd Ovid, schließlich Seneca und Lucan schildern ausführlich blutiges Treiben und schädigende Substanzen. Die bei ihnen erkennbaren dezenten Bezugnahmen bzw. ihre ausschließliche Fokussierung auf die Medea-Gestalt könnten in der Tradition der beiden früheren Autoren stehen (namentliche Erwähnung in id. 2,16, geographischer Hinweis in ecl. 8,95). Das signifikante Zurückgreifen auf Medea wäre dadurch begründbar, dass sich die  – der Überlie 208 Zum konkreten Zauber in der ›Medea‹ siehe o. S. 341 f., allgemein zur Nähe von Liebesund Schadenzauber siehe o. S. 53 mit Anm. 90 und 141.

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ferungslage nach – durch Euripides explizit als Kindsmörderin charakterisierte Kolcherin besonders zur symbolischen Darstellung von Grausamkeit und Rachebedürfnis eignet. Das bei Horaz, Ovid, Seneca und Lucan öfter verwendete Adynaton lässt sich bei Theokrit nicht belegen. Allerdings deutet es sich wohl bereits bei Vergil mit dem Motiv des herabgezogenen Mondes an (deducere lunam, ecl. 8,69). Simaitha dagegen richtet sich nur mit den Worten an das Gestirn, schön zu scheinen (φαῖνε καλόν, id. 2,11), oder spricht die Mondgöttin direkt an (z. B. 69). Gewissermaßen lässt sich auch hier eine Entwicklung nachvollziehen. Die Tendenz im Zauber könnte dahin gehen, das Unmögliche als möglich zu schildern. Der Schritt von einer reinen Hinwendung an das Gestirn zu einer Zaubervorstellung, dergemäß Selene auf die Erde herabgezogen wird, wäre nicht weit. Alles in allem dürfte durch die Gegenüberstellung der Motive ein grundsätzlicher Wandel des Hexenbildes deutlich geworden sein: Einzelne schon bei Theokrit und Vergil vorhandene Aspekte finden sich zwar bei Horaz, Seneca und Lucan wieder, aber eben entweder extremisiert und ins Negative pervertiert. Begründen ließe sich diese Tendenz durch eine neue Begeisterung am Grauenhaften, das in der Darstellung von Dichter zu Dichter eine größere Rolle spielt. Die Entwicklung der Medea der ovidischen ›Metamorphosen‹ aus dem liebenden Mädchen und anschließend der guten Zauberin hin zur bösen Intrigantin und üblen Hexe stellt in der Wahrnehmung des Lesers gewissermaßen den Übergang und Bruch im veränderten Hexenbild dar. Aus den eher sympathischen Gestalten Theokrits und Vergils werden – in Entsprechung zur Verwandlung der ovidischen Medea – bei Horaz, Seneca und Lucan wahrhafte Ungeheuer. Zentrales Wesensmerkmal dieser Hexen ist es, böse zu sein, zu schockieren und mit den gesellschaftlichen Konventionen oder gar denen ihrer eigenen Zunft zu brechen.

3.6.7 Lucan als Experte in der Zauberkunst und Initiator magischen Grauens – Ergebniszusammenfassung Mit Erichtho erweckt der Dichter ein Zwischenwesen zum Leben, das mit herkömmlichen Konventionen nicht mehr zu fassen ist. Bei einer genauen Untersuchung der Hexenszene mussten ritualrelevante von ritualunrelevanten Bausteinen isoliert werden. Es zeichnete sich sodann in der Zeremonie mit dem Leichnam eine signifikante Trennung von Handlungs- und Verbalteil ab. Überdies erwies sich das Ritual bei Lucan im wesentlichen Unterschied zu Theokrit und Vergil als nicht allein stehend, sondern in Fortführung einer auch bei ­Horaz, Ovid und Seneca erkennbaren Tendenz in den größeren Komplex der magischen Handlung eingebettet. Ferner wurde im Vergleich mit den Papyri die realmagische Fundierung von Lucans Zeremonie belegt, d. h. dass der Poet bei vermuteten Kenntnissen dieser Tiefe wohl Texte zur Anwendung der Magie im wirklichen

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Leben gekannt haben dürfte. Qualität und Niveau seiner Darstellung können als dem hellenistischen Dichter Theokrit ebenbürtig angesehen werden. In der Auseinandersetzung mit zentralen Interpretationsansätzen zur Erichtho-Szene erwies sich als wesentliche Gemeinsamkeit von stoischer Philosophie und Zauber­ kunst das Prinzip der συμπάϑεια. Die Magie könnte dabei die Umgestaltung einer Welt symbolisieren, die sich im Niedergang befindet und der ἐκπύρωσιϛ entgegenstrebt. Überdies deckt sich die These der Ersetzung des Erzählers durch Erichtho mit der in der Arbeit konstatierten Trennung der Begriffe von magischer Handlung und Ritual. Im Anschluss wurde versucht, das Verhältnis der Nekromantieszene zu literarischen Vergleichsstellen herauszuarbeiten. Dabei trat u. a. die kontrastive Ausrichtung der vom Dichter geschaffenen Hexenszene zum Hauptwerk Vergils zu Tage: Lucans Erichtho-Handlung weist eindeutig Züge auf, die als gegenläufig zur ›Aeneis‹ betrachtet werden können. Bei einem abschließenden Vergleich der magischen Akteure und ihrer Eigenschaften wurde einerseits eine motivische Konvergenz zwischen Horaz, Seneca und Lucan deutlich, andererseits ein totaler Wandel des Hexenbildes bei diesen Autoren im Vergleich zur Vorstellung von Zauberinnen bei Theokrit und Vergil. Die Medea der ovidischen ›Metamorphosen‹ mit ihrer in Jolkos einsetzenden Entwicklung erst zur guten Magierin und schließlich zur bösen Hexe könnte dabei – zumindest beim aktuellen Überlieferungsstand  – als Übergangsglied zwischen den unterschiedlichen Auffassungen fungieren. Der Verfasser von Epode 5 sowie Satire 1,8, der Dichter der ›Medea-Tragödie‹ und der Autor des ›Bellum civile‹ extremisieren und pervertieren ins Negative. Ihre Darstellung ist geprägt von der Lust am Grauen. Die Hexen der drei Autoren brechen mit sämtlichen Normen. Dabei übertrumpft Lucan offensichtlich sogar seine Vorgänger Horaz und Seneca. Denn Erichtho selbst sowie ihre grässlichen Taten wirken so absonderlich, so grotesk, dass der Leser dem entmenschten Ungeheuer kaum mit Fassungslosigkeit begegnet, sondern sich zu amüsiertem Spott hingerissen fühlt. Insgesamt erweist sich Lucan wie schon bei der Gestaltung der ›Pharsalia‹ im Ganzen, so auch bei seiner Vorstellung von einer Hexe als »Ultra-Vergil« bzw. »Anti-Vergil«.

4. Endgültige Ergebniszusammenfassung und Urteil

Ziel der Arbeit war es, den Ritualaufbau der literarischen Hexenszenen sowie ihre Relation zu den PGM zu unterzusuchen, die einzelnen Zaubermotive zu er­ klären und interpretatorisch zu deuten. Die gewonnenen Einzelbefunde erlauben ein begründetes Urteil über Entstehung und Veränderung des antiken Hexenbildes und über die Darstellungsweise des Magischen durch die Dichter. Ausgehend von einer Untersuchung der Bestandteile magischer Rituale in den Zauberpapyri wurde die bereits von Abt und Hopfner angeführte Terminologie erweitert. Bei der Gliederung der Gebrauchstexte zeichneten sich zusätzlich zu den bisher bekannten Bausteinen die sog. Präparationsphase und auch die Tendenz zum gleichzeitigen Vollzug von ἐπίϑυμα und λόγоϛ ab. Die einzelnen Kapitel, die sich bei Theokrit, Vergil, Horaz, Ovid, Seneca und Lucan mit dem Ritualaufbau beschäftigen, bezeugen die Anwendbarkeit der realmagisch belegbaren rituellen Bausteine auf poetisch-fiktionale Texte und liefern einen Überblick über die Grundelemente des durchgeführten Zaubers. Dabei lässt sich der Ritualaufbau zu wichtigen Gesichtspunkten der Autoreninterpretation in Beziehung setzen: Z. B. spiegelt sich die grundsätzliche Orientierung der achten vergilischen Bukolik am zweiten theokriteischen Idyll vermutlich auch in der rituellen Gliederung wider. Beide Gedichte weisen mengenmäßig dieselbe Anzahl an πράξειϛ bzw. λόγоι auf. Auch lässt sich bei der zeitlichen Abfolge der Bausteine Ähnlichkeit erkennen. Allerdings formt Vergil diese Grundelemente spürbar so elegant um, dass die Eigenständigkeit und Neuheit seiner genialen Dichterleistung ins Auge fällt. Es tritt zu Tage, wie der römische Dichter die strenge Übereinstimmung von Form und Inhalt – Theokrit verortet z. B. in einem einzigen Quartett auch nur eine einzige πρᾶξιϛ – auflöst und sich der Variation verpflichtet fühlt, wenn er in eine Strophe u. U. drei πράξειϛ einbaut. Ein frappierendes Ergebnis liefert die Untersuchung der Ritualstruktur in beiden Horazgedichten. Die mangelnde Sinnhaftigkeit im Ablauf  – wegen unterschiedlicher Zeitachsen, Schwierigkeiten in der Abgrenzung der Handlungsschritte sowie unklarer Zusammenhänge bei den dargestellten Zeremonien – legt den Schluss nahe, dass Horaz sowohl in Epode 5 als auch in Satire 1,8 jeweils mehrere, eigentlich voneinander unabhängige Rituale schildert. Dieser Befund kann mit der Grundintention des Autors in seinen Hexenschilderungen in Verbindung gebracht werden. Der Leser hat den Eindruck, der Dichter unterstellt den Zauberinnen magische Inkompetenz: Sie erweisen sich in seiner Darstellung offenbar als so ungeschickt und magisch unerfahren, dass sie nicht einmal ihre eigenen Rituale korrekt durchzuführen wissen.

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Endgültige Ergebniszusammenfassung und Urteil

Die anfangs noch vorstellbare synonyme Verwendbarkeit des Begriffs der magischen Handlung im Sinne des Rituals erschien mit Horaz als nicht mehr zutreffend: Letzteres fungiert als Bestandteil der ersteren. Damit kann magisches Handlungsprozedere u. U. mehrere Rituale umfassen. Der Befund erweist sich insbesondere in der chronologischen Abfolge der in der Arbeit behandelten Texte als bedeutsam. Theokrit und Vergil schildern jeweils nur ein ersichtliches Ritual, Horaz in den behandelten Gedichten vermutlich je mehrere Rituale. In Ovids ›Metamorphosen‹ wirkt ein Ritual in einen größeren Handlungszusammenhang eingebettet. Die Aison-Verjüngung stellt lediglich einen Ausschnitt in der viel umfangreicheren Medea-Geschichte dar, Medeas destruktiver Schadenzauber im vierten Akt der senecanischen Tragödie fungiert als in sich geschlossene Handlungseinheit in der Korinth-Episode, Erichthos Nekromantie behandelt nur einen Zeitabschnitt in der deutlich größer angelegten Hexenszene. Es zeichnet sich damit – ausgehend von der vermutlich seit Horaz durchbrochenen Beschränkung auf ein einziges Ritual – stetig weiter fortschreitend eine Tendenz zur Deritualisierung ab. Mit der Einbettung des Rituals in einen umfangreicheren, die jeweilige Zauberin betreffenden Handlungszusammenhang korreliert eine augenfällig wohl mit Ovids Epos beginnende Aufblähung des rituellen Geschehens durch eine mengenmäßig immer weiter ansteigende Anzahl von magischen πράξειϛ bzw. λόγоι, sodass in den ›Metamorphosen‹ sogar die Präparationsphase gedoppelt und in zwei Teile gegliedert erscheint, ja der Leser beim komplexen Ritual Senecas vollkommen den Überblick über die fast endlos aneinander gereihten Ritualbausteine verlieren mag. Die Gegenüberstellung der einzelnen magischen Topoi bei Theokrit, Vergil, Horaz, Ovid, Seneca und Lucan ergab, dass die von den Poeten verwendeten Zaubervorstellungen mit den Angaben in den Papyri vollkommen in Einklang zu bringen sind. Damit lässt sich für die vorliegende Textauswahl, die den Zeitraum vom 3. Jh. v. Chr. bis ca. ins 4. Jh. n. Chr. umfasst, ein in etwa gleich bleibendes magisches Handlungsspektrum annehmen. Es sieht in der Tat so aus, als hätten sich die Prinzipien der Zauberkunst nicht verändert. Damit würde m. E. die These Frazers bestärkt, der in ›The Golden Bough‹ ein universelles Konzept der Magie, ihre Unveränderlichkeit unabhängig von Epoche oder Ort, festgestellt hat.1 Wili hatte einen vergleichbaren Gedankengang mit dem Ausdruck der magischen »Koine«2 aufgegriffen. Im Bereich der Erklärung spiegeln zahlreiche beeindruckende Einzelergebnisse die denkbare Prägung der poetischen Texte durch reale Zauberrezepturen wider. Bei Theokrit bedient sich Simaitha des Liebeszaubers: Genauer gesagt initiiert sie einen καταδεσμόϛ und eine ἀγωγή. Entscheidend ist dabei jedoch, dass sie sich offenbar nicht scheut, den keineswegs ungefährlichen διαβоλή-Ritus durchzufüh 1 Unter Bezugnahme auf das Sympathie-Prinzip vgl. Frazer (31911) S. 236 (dazu siehe das der Arbeit vorangestellte Zitat). 2 Vgl. Wili (21965) S. 54.

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ren, um den Geliebten um jeden Preis herbeizuführen. Aus der Wahl u. a. dieses Zaubers lässt sich für Theokrit ein überwältigendes magisches Wissen vermuten. Er dürfte wohl – wie für den hellenistisch-alexandrinischen Gelehrten typisch – in Gebrauchsrezepturen recherchiert haben, denn jedes Detail seiner Darstellung findet sich auch in den PGM. Dabei ergibt sich als Ergebnis seiner Beschreibung eine Prozedur, die so komplex wirkt, dass man sie im wirklichen Leben niemals hätte durchführen können. Vergils Rituale – sowohl die Zeremonie in der achten Ekloge als auch die von der Priesterin initiierte und höchstwahrscheinlich deswegen auch religiös getarnte in der ›Aeneis‹ – erweisen sich im Vergleich zur Schilderung des Vorgängers Theokrit als wesentlich oberflächlicher gestaltet. Nichtsdestotrotz lässt sich in der Bukolik des römischen Nationaldichters eine fundierte Kenntnis grundsätzlicher magischer Vorstellungen erahnen. Gerade das gekonnte Spiel mit Analogie-, Sympathie- und contagio-Prinzip bei der Deponierung der оὐσία ­(91–93) unter der Türschwelle könnte dieses Verständnis demonstrieren. Auch das im Zusammenhang mit Lorbeerverbrennung und Nennung des Namens Daphnis aufgegriffene Umschwenken von der analogen zur sympathetischen und wieder zurück zur analogen Vorstellung (82 f.) sollte an dieser Stelle genannt werden. Mag das Ritual der Ekloge eher einfach und im Grundsätzlichen verhaftet sein, so dürfte es in seiner Ausformung gegenüber dem theokriteischen den Vorteil aufweisen, dass es auch tatsächlich durchgeführt werden könnte. Gerade im Vergleich wirkt es funktionabel. Die bei Horaz geschilderten Prozeduren – mögen sie auch nicht verständlich sein – lassen in ihrer Darstellung eine über das allgemein Gültige hinausgehende Kompetenz erahnen. In der Epode sind z. B. Indizien einer διαβоλή erkennbar. Beim Schriftsteller wird insbesondere die Nähe von Liebes- und Schadenzauber deutlich. Seine Hexen betreiben mit dem Liebestrank zweifelsfrei Goëtie. Auch greift der Dichter bei seiner Schilderung auf die Dämonologie zurück. Denn es wird der Gedanke des ermordeten Knaben als eines späteren νεκυδαίμων von der Art eines ἄωρоϛ bzw. βιαιоϑάνατоϛ aufgegriffen. Die dem heutigen Verständnis nach den Bereich des Medizinischen berührende Verjüngungszeremonie Ovids wirkt insgesamt an den Vorstellungen der Papyri orientiert. So findet sich z. B. das Sternefunkeln in den Gebrauchstexten und wird dort gleichsam als Erfolg verheißende göttliche Reaktion gekennzeichnet. Selbiges gilt für die rituellen Grundvorgaben bei der Aison-Handlung. Doch gerade die möglicherweise aus dem für die Realität belegbaren Heilzauber entwickelte Verjüngung sowie der Schutzzauber in seiner inhaltlichen Einbettung zur Feiung Jasons gegen mythische Ungeheuer könnten die fiktionale Ausgestaltung der Magie illustrieren. Auch Senecas Ritual erweist sich vermutlich als realmagisch fundiert. Feuerbzw. Täuschungszauber, die Übertragung der Wirkung durch contagio, die Herstellung einer Tinktur, die Verweise auf den Beschaffungszeitpunkt von Kräutern, das Herabholen von Sternbildern, die Einschläferung durch Magie und der

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Endgültige Ergebniszusammenfassung und Urteil

Flug des Magiers sind prinzipiell schon in den Papyri verankert. Allerdings erhält sein Ritual mit ziemlicher Sicherheit durch die pompöse Aufblähung mit Mythen, die allesamt im realistischen Gewand des magischen Kataloges dargeboten werden, poetisch-fiktionale Prägung. Aus der Schilderung Lucans können wie schon bei Theokrit magische Fachkenntnisse erschlossen werden. Denn die Vorstellung der Wiederbelebung eines Toten, die absonderlichen Laute der Zauberin, die von ihr angerufenen Gottheiten, der ἐπάναγκоϛ, der Verweis auf die Macht des wahren Namens, alle diese Elemente sind wahrscheinlich der realen Magie geschuldet. Die Hexenmeisterin Erichtho ist die einzige der in der Arbeit schwerpunktmäßig behandelten Zauberinnen, die sich mit dem Erkenntnis- bzw. Offenbarungszauber sogar in den Bereich der Theurgie vorwagt. Man hat den Eindruck, sie pervertiert in ihrer Nekromantie die religiöse Divination. Insgesamt lässt sich für alle sechs Dichter vom Hellenismus bis in die Kaiserzeit festhalten: Wie aus der Darstellung der Rituale ersichtlich ist, kannten sie sich vermutlich alle recht gut mit Magie aus und dürften ihr Wissen wohl dem poeta doctus-Ideal entsprechend aus realmagischen Quellen bezogen haben. Denn die grundlegenden Zaubervorstellungen wirken an den Maßgaben der Papyri orientiert. Keineswegs widerspricht der erschließbaren Unwandelbarkeit der magischen Prinzipien die erkennbare Veränderung der Zauberszenen und Fortentwicklung zu insgesamt poetisch-fiktionalen Ritualen. Gewisse Abweichungen von der rekonstruierbaren, tatsächlich verbreiteten magischen Praxis sind wohl von vornherein dichterischer Freiheit zuzuschreiben: Ein hervorragendes Beispiel für eine – an sich den Angaben der realmagischen Texte zuwiderlaufende – poetisch-fiktionale Ausgestaltung des rituellen Geschehens und die gegenseitige Beeiflussung der Autorendarstellungen untereinander könnte die Pause im Zeremonieverlauf verkörpern: Schon Theokrit hatte Simaithas Ritual unterbrochen durch den kontrastiven Hinweis auf die Stille in der Natur auf der einen Seite, die Erregung im Inneren der Akteurin auf der anderen Seite (id. 2,38–41). Vergil greift das Element gleichsam gekonnt wie originell auf, indem er den Analogiezauber der ruhenden Kuh entwickelt (ecl. 8,85–89). Auch in der Darstellung des Horaz wird das rituelle Geschehen unterbrochen. Canidia wartet auf eine Reaktion ihres Zaubers, aber zu ihrem Ärger hat ihre Magie keine Wirkung (siehe die Frage, epod. 5,61). Priap stockt in seinem Bericht über das Hexentreiben, indem er beteuert, die Wahrheit zu sagen (sat. 1,8,37–39). Ovid wiederum trennt in der Aison-Verjüngung den verbal geprägten vom praktisch orientierten Ritualteil durch die wohl aus der literarisch verbürgten Pause entstandene Flugszene (met. 7,220–237). Senecas Medea berichtet vom Ertönen der Altäre und Dreifüße sowie von der Mondfinsternis (Med. 785–792). Erst nach diesen Schilderungen göttlicher Reaktion setzt sich das rituelle Geschehen fort – letztlich dürfte der Rezipient die Handlungsstagnation als spannungsteigernd empfinden. Kunstvoll könnte Lucan die topische Pause variieren, indem er die Seele sich zunächst nicht im Körper reinkarnieren lässt (6,719–727), sondern die ungeduldige Erichtho erst dazu veranlasst, einen ἐπάναγκоϛ in die Wege zu leiten.

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Diese Ritualunterbrechungen als mutmaßliche Produkte dichterischer Phantasie sind gerade deswegen von einschneidender Bedeutung, als ihnen in der literarischen Szene immer eine entscheidende Funktion zugewiesen werden kann: Anders als der Magier der Realität, der – zumindest ist davon auszugehen – an die Wirksamkeit seines Handwerks glaubt, kann der Autor eine distanzierte Haltung gegenüber der Zauberkunst einnehmen. Die Pause erfüllt dabei vermutlich den Zweck, dass man auf eine Reaktion und einen Erfolg der Magie wartet. Im Falle einer Canidia, die sieht, dass das erwünschte Ergebnis nicht eintritt, lässt die poetische Darstellung sie als machtlos und lächerlich erscheinen. Im Falle einer Medea könnte die göttliche Reaktion schon zu einem Zeitpunkt, da das Ritual sich noch im Vollzug befindet und nicht zu Ende geführt ist, die unglaubliche Macht einer Zauberin symbolisieren, der die Gottheiten bereits jetzt gewogen sind. Im Falle einer Erichtho hat man wiederum den Eindruck, dass – so grässlich und auf Untaten versessen sie auch sein mag – die Fähigkeiten dieser Hexe beschränkt sind und auch sie erst zu drastischen Mitteln greifen muss, bis ihr Wunsch in Erfüllung geht. Die poetisch-fiktionale Ausformung der Rituale zeigt sich vermutlich in einer zwar versteckten, aber für den kundigen Leser erkennbaren und immer weiter fortschreitenden Wertung des magischen Geschehens. Theokrit schildert objektiv eine nahezu überrealistische Zeremonie, Vergil beschreibt neutral eine einfache Zauberhandlung. Ja, in seiner ›Aeneis‹ findet die Magie sogar unter dem Deckmantel des Religiösen Eingang und wirkt so – von ihm gekonnt – nicht verklärt, sondern zumindest als weitestgehend neutral dargestellt, auch wenn das Ritual auf karthagischer und damit feindlicher Seite vollzogen wird. Augenscheinlich könnte mit Horaz eine mehr oder weniger deutliche Wertung allen Zaubers einsetzen, mit der eine auch in der Folgezeit feststellbare, zunehmende Distanz der Autoren zum magischen Treiben verbunden ist. Seine Hexen sind grausam und gleichzeitig lächerlich. Man hat den Eindruck, sie wissen nicht recht, wie ein Ritual überhaupt korrekt durchgeführt werden muss, erscheinen vollkommen inkompetent – ganz konform zu einer sich langweilenden und unanständig auf dem Daumennagel kauenden Canidia (epod. 5,48). Mit dieser Deutung dürfte z. B. auch die von der Zauberin geäußerte, als unpassend herausgestellte Vergleichsebene beim Bild des Liebesbrennens korrespondieren (epod. 5,81 f.). In der Darstellung bei Ovid fallen so viele mögliche Unstimmigkeiten im Prozedere auf, dass der Kenner magischer Texte verwundert sein mag. Wieso entscheidet sich eine große Zauberin wie Medea an so vielen Stellen für eine zwar denkbare, aber abnorme Ritualdurchführung? Wieso ist das Gewicht bei der ortsungebundenen, sogar über das Drachengefährt gebietenden und durch die Luft fahrenden Zauberin  – entgegen der immer wiederkehrenden Betonung ihres magischen Spruchpotentials  – so sehr auf die giftmischende Goëtin gelegt? Die Antwort könnte in der grundsätzlichen Wertung des Zaubers durch den Dichter liegen. So dürften auch die versteckten Hiebe auf Medea in der Darstellung bei Seneca zu

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verstehen sein: Eine Zauberin, die das φυλακτήριоν vermutlich anders gebraucht als magisch üblich, die wohl einen Dolch aus Eisen verwendet, obwohl bei rituellem Geschehen doch so unkonventionell, die sich im Zauber höchstwahrscheinlich selbst negativ charakterisiert, indem sie sich mit einer Harpyie gleichsetzt, wirkt nicht objektiv als übermächtige Hexe dargestellt. Nein, der aufgeklärte Philosoph, von dem auf der Hand liegt, dass er selbst nicht an die Wirkung von Magie glaubt, könnte dem Ritual hier ironische Ausformung geben. Seinen Spott über die Unsinnigkeit allen Zaubers mag der Rezipient hier wahrnehmen. Schließlich bildet den Höhepunkt der lächerlich-grotesken Darstellung die lucanische Erichtho. Sie wirkt vollkommen entmenscht, wühlt sich durch Berge von Leichen, haust in Grüften. Auf das Schicksal Einfluss zu nehmen, ist ihr versagt. Auch die Seele des Verstorbenen leistet ihr zunächst nicht Gehorsam. Das Makabre geht bei Lucan über ins Lächerliche, sein Grauen erweist sich als so absonderlich, dass der Leser schätzungsweise nur noch lachen kann, lachen über die Hexe, spotten und sich abwenden von einer Welt, die vollkommen aus den Fugen geraten ist, in der aber die Magie wohl gerade im Gegensatz zur verklärten Welt Vergils einen so großen Platz einnehmen kann. Mit der spürbaren die Magie wertenden Haltung der Dichter korrespondiert auch der Befund, dass beinahe alle der genannten Zauberinnen der Goëtie sehr nahe stehen. Mag zwar Simaitha mit der von ihr ins Leben gerufenen Zeremonie noch Magie im engeren Sinne betreiben, verweist die angedeutete Anwendung des κακὸν πоτὸν (id. 2,58) auf goëtischen Zauber. Auch die Giftkräuter (ecl. 1,8,95) der namenlosen Akteurin Vergils, das amoris (…) poculum (epod. 5,38) der horazischen Hexen, der Schadenzauber der ovidischen Medea gegenüber Theseus und der senecanischen Medea gegenüber Creusa verorten das magische Geschehen letztlich in der niedrigsten der denkbaren magischen Hierarchiestufen. Die einzige Ausnahme stellt die lucanische Erichtho dar, die durch die magische Nekromantie als vorstellbare Perversion der religiösen Divination in den Bereich der Theurgie vorzudringen wagt. Gerade das Faktum, dass die Hexen möglicherweise seit Horaz dazu neigen, im Zauber maius zu tun (epod. 5,77), könnte umso mehr als Beleg für eine durch die Dichter gewertete Darstellung fungieren. Man hat den Eindruck, die Zauberinnen übertrumpfen sich fortwährend bis zu dem Zeitpunkt, da die schaurige Medea als machtvollste Vertreterin ihrer Zunft nicht einmal vor dem Kindsmord zurückschreckt. Doch hätten die Dichter das Wirken der Zauberinnen auch so gestalten können, dass es sich eindeutig in eine höhere Magiestufe einreihen ließe. Der Leser sollte diese Darbietung m. E. derart deuten, dass Zauberei am Ende nur als einfache Kräutermixtur, unsinniger Aberglaube, Gaukelhandwerk, eben Lug und Trug, erscheint. Es passt, dass gerade Erichtho als Endpunkt der Hexenentwicklung die Totenweissagung initiiert. Eine Zauberin, die so grässlich und abstoßend wie sie ist, dabei so grotesk und lächerlich wirkt, kann auch in den höchsten magischen Bereich vordringen. Der Leser schmunzelt ohnehin über

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sie. Die in der Arbeit – z. B. im Falle der Medea und der Erichtho – immer wieder beschriebene Stellung als Zwischen­wesen muss i­ nsofern als eklatant gelten, als dadurch der Unfassbarkeit und Andersartigkeit des Magiers sowie seiner Inkompatibilität mit dem gesellschaftlichen System Ausdruck verliehen sein dürfte. Die Hexen handeln jeder Norm zuwider, gelten als unkonventionell. Ihre Rituale vollziehen sie im Geheimen. Deswegen sind sie isoliert und genau deswegen werden sie wohl als bedrohlich wahrgenommen. Jeder Kult, der nicht von der Staatsreligion getragen wird und in den nur ausgewählte Eingeweihte Zutritt erhalten, könnte immer dem Verdacht der Systemfeindlichkeit ausgesetzt gewesen sein. Ganz in Entsprechung zu der offenbar in der Nachfolge des Horaz ständig zunehmenden Tendenz, das magische Geschehen zu werten, vollzieht sich auch bei der literarischen Assoziationskette um die Gestalt der Hexe ein Wandel. Aus den noch recht sympathischen Zauberinnen Theokrits und Vergils, deren Handeln nachvollziehbar ist und bei denen düstere Elemente lediglich durchscheinen, werden im Laufe der Zeit vermutlich wahrhafte Monster übelster Gesinnung, die von Autor zu Autor immer mehr mit dem Totenmilieu in Verbindung gebracht werden. Die Zauberinnen des Horaz werden zwar noch als lächerliche Kräuterweiblein beschrieben, aber sie haben keinen Skrupel, einen Knaben zu töten oder mit ihren Zähnen ein Lamm zu zerfleischen. Horaz nimmt damit den Charakterzug – aber eben spöttisch – vorweg, den die ovidische Medea am Ende als zentrales Merkmal aufweisen wird. In den ›Metamorphosen‹ wandelt sich Medea aus dem verliebten Mädchen und der Hekate-Priesterin zur zunächst guten Zauberin und schließlich zur bösen Hexe. Es ist Seneca, der den vom Vorgänger im Epos ausgesparten Kindsmord darstellt. Seine – anders als bei Ovid – erkennbar von vornherein böse Medea findet nach der These Friedrichs, Maurachs und Kullmanns erst so recht zu sich selbst. Sie wird zur gegen jedwede Norm und menschliche Bindung verstoßenden, auf brutale Weise die eigene Konkurrentin aus­schaltenden und die eigenen Söhne hinschlachtenden Hexe, die am Ende der Tragödie alles Menschliche verliert, als Dämonin, ja Göttin, auf den geflügelten Schlangen Korinth verlässt. Mit der Medea Senecas kennt das magische Grauen keine Grenzen mehr. Es erscheint als ein in seiner Entsetzlichkeit nicht mehr überbietbares Grauen, das bei Lucan gerade ob seiner initiierten Steigerung ins Abstruse, Groteske abgleitet. Erichtho stellt den dichterischen Gipfel zauberischer Boshaftigkeit dar, aber wirkt dabei so animalisch, dass sie ihres Schreckens in gewisser Weise entbehrt. Ist man von der Medea Senecas schockiert und steht ihr gewissermaßen fassungslos gegenüber, wendet man sich von der lucanischen Zauberin – fast ein wenig amüsiert – ab, da alles, was sie tut, so unvorstellbar absurd ist. Die fortschreitende, immer deutlicher werdende Extremisierung und Perversion der Magiereigenschaften ins Negative finden ihre Begründung vermutlich im Zeitgeschmack, der von der Lust am Grauen geprägt­ gewesen sein dürfte.

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Der vierte wesentliche Untersuchungsschwerpunkt der vorliegenden Abhandlung war dem Bereich der Deutung der magischen Szenen gewidmet. Bei Theokrit hat man den Eindruck, die Magie erweise sich als einzige im gesellschaftlichen Gefüge vorstellbare Möglichkeit für eine Frau, auf unerwiderte Liebe beim Geliebten Einfluss zu nehmen. Die Hexenszene in den Eklogen könnte bei der denkbaren Gleichsetzung des carmen von Zauberer, Hirt und Dichtersmann als Bestandteil der fabelhaften, bukolischen Welt gelten, von der der Poet träumen und die er bedroht sehen mag. Horaz verspottet mit seinen Zauberdarstellungen, wie anzunehmen ist, in erster Linie die superstitio an sich. Damit steht er vermutlich in der Tradition der grundsätzlichen Bestrafung der Magie auf gesetzlicher Ebene. Es wirkt so, als stelle er an den Hexen u. a. ein für den Mann bedrohliches, von Seiten der Frau eingefordertes Ausleben der Sexualität heraus. In ­Horazens Zukunftsvision einer perfekten, gedeihenden Welt existiert kein Hundsstern und die weibliche Triebhaftigkeit und Durchtriebenheit steht anscheinend wieder unter Kontrolle. Ovid stellt in den ›Metamorphosen‹ mit seinen durch Magie bewerkstelligten Verwandlungen  – der Aison-Verjüngung im Kleinen, der Selbstfindung der Medea im Großen  – einen Bezug zur Werksthematik der Transformation her. Durch das carmen von Dichter und Hexe kann einem ähnlichen Gedanken wie bei Vergil nach eine solche Verwandlung Realität werden. Dass Medea sich erst auf Betreiben Jasons so richtig der Magie zuwendet, dieses offenbar insbesondere einer Frau zugängige Machtpotential dann primär für ihn einsetzt, erklärt wohl auch, warum sie sich am Ende als Zauberin an ihm rächt und die Nebenbuhlerin und die eigenen Kinder tötet. In der von magischem Grauen geprägten Tragödie Senecas könnte die Magie als Ausdruck des Irrationalen, des Affektes und der Perversion fungieren. Die Magie mit ihren Grauen erregenden Riten darf als Ausdruck einer Grauen erregenden Zeit verstanden werden. Für den Literaten mag sich die Magie als willkommenes Mittel erweisen, um mit den Zauberszenen vorausgehender Dichter zu wetteifern und sie zu übertrumpfen. Bei Lucan lässt sich das Zauberhandwerk vom Leser über das Prinzip der kosmischen Sympathie mit der stoischen Lehre in Verbindung bringen. Die sich wegen des Bürgerkriegsunrechts in Auflösung befindliche Welt strebt gewissermaßen dem Chaos entgegen. Die ἐκπύρωσιϛ könnte durch die Perversion der Religion in Magie vorbereitet werden. Erichtho würde dem Weltenbrand gezielt in die Hände arbeiten. Insgesamt dürfte die Zauberkunst als Zeichen der auf den Kopf gestellten Welt fungieren, in der das sympathetische Prinzip von oben nach unten wirkt und sich gegen den Menschen selbst wendet. Das könnte Grund dafür sein, dass sich auch bei der Hexe selbst Charakteristika des stoischen Weisen entdecken lassen. In gleicher Weise sei auf der Ebene der Deutung festgehalten, dass das Magiethema aller sechs Dichter mit der von Malinowski aufgestellten Funktion der Zauberkunst korrespondiert. In einer Krisensituation, wenn Religion und Wissenschaft versagen, dann kann sich der Mensch der Hexerei zuwenden:

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Eine Simaitha Theokrits, die namenlose Akteurin der vergilischen Ekloge, die Dido der ›Aeneis‹ oder die Medea Ovids bzw. Senecas – alle diese Frauen wurden von ihren Männern verlassen, befinden sich sich je in einer emotionalen Spannungssituation und suchen beim Zauberhandwerk die Lösung ihrer persönlichen Probleme. Sogar bei der Perspektive auf die Eklogen als Ganzes könnte die literarische Zauberkunst – bei der dargestellten Gleichsetzung von bukolischer und magischer Sphäre – als Fluchtmittel aus der Realität in eine imaginäre Idealwelt fungieren. Auch in der horazischen Epode finden sich Indizien für eine Notsituation der Canidia, die offenkundig versucht, Varus durch Liebeszauber zu gewinnen. In der Satire könnte auch der Puppenzauber letztlich die Konsequenz einer persönlichen Krise darstellen. Auf Kolchis hilft Medea ­Jason nur deswegen durch Zauber, weil sie sich um ihn sorgt. In Jolkos wird Medea die eigentliche Magierin, weil Jason wegen des hohen Alters des Vaters und der Gefahr dessen baldigen Ablebens verzweifelt ist. Das magische Ritual zur Herstellung der Tinktur, mit der Medea die Kleider Creusas benetzen möchte, wird überhaupt von Medea bei ­Seneca nur deswegen in die Wege geleitet, weil Jason sich von ihr abgewandt hat und sie ihn noch immer unglücklich liebt. Schließlich trägt der lucanische Sextus sein Anliegen an Erichtho heran, da die Welt sich im Niedergang befindet und der Bruderkampf von Römer gegen Römer droht. Es bleibt in dieser Ausnahmesituation wohl nur die Hilfesuche bei der Magie.

Am Ende erlauben die dargestellten Ergebnisse des für die Zauberszenen untersuchten Ritualaufbaus, der Gegenüberstellung mit den Zauberpapyri, der Erklärung der Zaubermotive und der Deutung des Magischen ein fundiertes Urteil über Entstehung und Veränderung des antiken Hexenbildes: Die literarische Gestalt der Medea in ihrer charakterlichen Selbstfindung könnte, unabhängig von ihrer zentralen Stellung als Sinnbild für die Kindsmörderin, exemplarisch die Entwicklung der Frau zur Magierin veranschaulichen. Wenn durch männliche Untreue aus grenzenloser Liebe grenzenloser Hass wird, dann erscheint es denkbar, dass sich die betrogene Frau aus Rache der wohl insbesondere ihrem Geschlecht zugängigen, vermutlich der Erdmutter entspringenden zauberischen Fähigkeiten bedient. So wird aus dem einfachen Mädchen, das kultische Verbindung aufweist, in Stufen die Magierin und schließlich die böse, in ihren Gräueltaten keine Grenzen mehr kennende Hexe. Es mag dem Verrat des Mannes geschuldet sein, dass die Frau im patriarchalischen System die einzige sich ihr möglicherweise bietende Handlungsweise an den Tag legt, um für Vergeltung zu sorgen: Man kann annehmen, dass sie sich chthonischer Kräfte entsinnt. In der Abfolge der Autoren Theokrit, Vergil, Horaz, Ovid, Seneca und Lucan offenbart sich trotz einer Unveränderlichkeit der magischen Prinzipien und einer für sie alle feststellbaren realistischen Grundausprägung des Zaubers, der mit den Angaben der Zauberpapyri in Einklang zu bringen ist, eine vollkommene Veränderung des Hexenbildes. Die Entwicklung zur in Brutalität, Widerlichkeit und Grauen keine Grenzen mehr respektierenden Hexe dürfte Konsequenz einer Zeit mit der Tendenz zum zunehmend Extremen in der Darstellung von Schrecklichem und Entsetzlichem sein. Die sich abzeichnende fortschreitende

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Genese der Frau aus dem Mädchen und der Priesterin zur guten Zauberin und schließlich zur bösartigen Hexe übelster Sorte wird höchstwahrscheinlich begleitet von einer steigenden negativen Wertung des magischen Geschehens durch die Dichter, immer ausgeprägteren versteckten Hieben auf das Zauberhandwerk und einer dadurch bedingten zunehmend spöttischeren Abwendung des Lesers. Dabei korrelieren augenscheinlich inhaltliche und formale Entwicklung. In der Folge der Autoren nehmen die Zauberszenen nicht nur in der Verszahl zunehmend größeren Umfang ein, sondern weisen fortwährend aufgeblähtere Ritualstruktur auf, erhalten Kataloge mit immer absonderlicher wirkenden Ingredienzien, bis die magischen Bausteine kaum mehr überblickbar scheinen. Entsprechend entfernt sich die magische Zeremonie in ihrer Ausgestaltung von dem Überrealismus Theokrits und dem einfachen, funktionalen Ritual Vergils zu einer sichtbar immer poetisch-fiktionaleren Darstellung. Den sinnlosen Vorgängen des Horaz schließt sich zunehmend übertriebeneres, mit ziemlicher Sicherheit der dichterischen Phantasie entspringendes Prozedere an, sodass die magische Ritualszene in einen größeren magischen Zusammenhang eingebettet wird und Seneca ein künstlerisch hochwertiges, in jeder Hinsicht exorbitantes und über alle anderen Schilderungen erhabenes Hyperritual entwirft. Da der Dichterphilosoph mit dem Kindsmord die absolute Grenze vorstellbarer Grausamkeit anrührt, kann das morbide, abstoßende Geschehen bei Lucan nur noch ins Groteske abgleiten. Die wachsende Häufung magischer Bausteine und Ausgestaltung mit Katalogen, die immer weiter ausgeprägte Deritualisierung, die fortschreitende Extremisierung im Grauen und Perversion zum Negativen, die spürbare stetige Zunahme der Wertung und damit verbunden des Lächerlichen, die immer stärkere Fokussierung auf der bösartigen Hexe bedingen offenkundig eine immer weiter reichende Abkehr von einer realistischen Darstellung des Magischen hin zur einer poetisch-fiktionalen Ausformung. Die Hexenszene kann damit verstanden werden als Ausdruck eines immer anspruchsvolleren Wetteiferns der Dichter als Literaten und dient zur Verdeutlichung des ihnen eigenen Könnens. Sie wird damit erhabenes Produkt der Kunst.

Verzeichnis der in den Tabellen verwendeten Abkürzungen zum Ritualgeschehen



=

ἐπίϑυμα

λi

=

λόγοϛ (invocatio)

λn

=

λόγοϛ (narratio)

λp

=

λόγοϛ (preces)

π = πρᾶξιϛ ×

=

keine Funktion im Ritualverlauf

*

= u. U. problematische Terminuszuweisung bei nicht genau identifizierbarem Ritualbaustein

Literaturverzeichnis

Es werden lediglich die Editionen zu den im Zentrum dieser Arbeit stehenden Primärtexten genannt. Dabei richten sich die Zauberpapyri in ihrer Zitation nach der Preisendanz’schen Sammlung. Ansonsten beziehen sich die Werksabkürzungen für das Lateinische auf die im ThLL (1900 ff.), für das Griechische auf die bei Liddell/Scott/Jones (1966) [91940] verzeichneten Ausgaben. Die eine oder andere Edition eines Textes wird hier zudem aufgegriffen, wenn dieser m. E. als eher entlegen und als vom gängigen Literaturkanon allzu abweichend gelten kann. Bei den in der Arbeit immer wieder eingebauten deutschen Übertragungen der Primärtexte handelt es sich um Arbeitsübersetzungen, die v. a. einem leichteren Verständnis der magischen Texte dienen sollen. Es wurde stets versucht, das Original stilistisch ansprechend und adäquat wiederzugeben. Dabei stand als Ziel eine eigenständige Transferierung im Vordergrund, Ähnlichkeiten zu vorhandenen Übersetzungen ließen sich jedoch nicht vermeiden. Für eine genaue Gegenüberstellung sei an dieser Stelle auf die im Literaturverzeichnis angegebenen Übersetzungen verwiesen, gerade im Falle der Gebrauchstexte der PGM explizit auf die Preisendanz’sche Übertragung. Grundsätzlich wurde versucht, bei jedem der schwerpunktmäßig behandelten Primärtexte zentrale, auf Magisches fokussierte Sekundärliteratur zu berücksichtigen und wesentliche allgemeine Forschungsbeiträge aufzunehmen. Dabei erfolgte die Quellenrecherche zu den einzelnen Dichtern v. a. über die bibliographischen Angaben der ANRW, APh und die Literaturverzeichnisse einschlägiger Forschungswerke. Der Vollständigkeit halber sei für die Thematik real angewandter Magie ergänzend auf die Untersuchungsüberblicke und Bibliographien von Brashear (1995) S. 3380–3684, Pernigotti (1995) S. 3685–3730 und Ritner (1995) S. 3333–3379 verwiesen. Gerade ob der Unüberschaubarkeit der Literatur zur in der Arbeit getroffenen Textauswahl und auch des regen Zulaufs, dessen sich das Phänomen des Magischen in altphilologischen Beiträgen erfreut, ließ sich eine notgedrungene Beschränkung auf eine Forschungsauswahl manchmal nicht ganz umgehen.

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