230 74 627KB
German Pages 152 Year 2015
Philipp Werner David Lewis und seine mereologische Interpretation der Zermelo-Fraenkelschen Mengenlehre
Logos
Studien zur Logik, Sprachphilosophie und Metaphysik Herausgegeben von/Edited by Volker Halbach, Alexander Hieke, Hannes Leitgeb, Holger Sturm
Band/Volume 24
Philipp Werner
David Lewis und seine mereologische Interpretation der Zermelo-Fraenkelschen Mengenlehre Eine Rekonstruktion
ISBN 978-1-61451-778-8 e-ISBN (PDF) 978-1-61451-703-0 e-ISBN (EPUB) 978-1-61451-936-2 ISSN 2198-2201 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter Inc., Boston/Berlin/Munich Printing: CPI books GmbH, Leck ♾ Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com
| Meiner Frau und meinen Eltern
Vorwort Dieses Buch ist eine geringfügig überarbeitete Fassung eines Textes, der im Sommersemester 2012 von der Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie und Religionswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen wurde. Ich möchte mich ganz herzlich bei meinen Logiker-Freunden der ersten Stunde – Johannes Stern, Martin Fischer, Roland Poellinger – für die guten Gespräche, bei meinem Gutachter Godehard Link und besonders bei meinem Doktorvater Karl-Georg Niebergall für die erstklassige Betreuung sowie bei meinen Eltern für die in jeder Hinsicht großartige Unterstützung bedanken. Aus tiefstem Herzen möchte ich mich jedoch bei Dir, liebe Ursula, bedanken – bedanken und entschuldigen.
Inhalt Vorwort | VII 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5 1.2 1.3
Einleitung | 1 Hintergrund der Arbeit | 1 Nominalismus, Mengen und Fusionen | 1 Elementschaft und Überlappung | 2 Die Theorien ASE und CI | 3 Ein Nichtinterpretierbarkeitsresultat | 4 Mereologien | 4 Aufbau der Arbeit | 5 Notation der Arbeit | 7
Teil I: Überlappung 2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.3
Die mereologische Sprache | 11 Syntax | 11 Die Sprache LL[∘] | 11 Substitution | 12 Semantik | 12 Modelle | 12 Koinzidenzlemma | 12 Die Folgerungs-Beziehung | 13 Theorien | 13 Parametrisierte Interpretierbarkeit | 14
3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3
Die Mereologie M | 15 Überlappungs- und Individuierungsaxiom | 15 Das Überlappungsaxiom | 15 Das Individuierungsaxiom | 15 Fusions- und Komprehensionsaxiome | 16 Die Fusionsaxiome | 16 Die Komprehensionsaxiome | 17 Die Mereologie M | 18 Das Axiomensystem Ax(M) | 18 Mereologien zweiter Stufe | 18 Die Mereologie M | 18
X | Inhalt 4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8 4.9 4.10
Mereologische Begriffe erster Stufe | 20 Überlappung | 21 Diskretheit | 21 Teile | 22 Echte Teile | 22 Summe | 23 Allobjekt | 24 Produkt | 24 Negat | 24 Atome | 25 Gunk | 26
5 5.1 5.2
Gunk-Neutralität | 27 Gunk-Axiome | 27 Gunk-Neutralität | 28
6 6.1 6.2
Die Fusionsfunktion | 29 Die Fusionsbeziehung | 29 Die Fusionsfunktion | 30
7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7 7.8 7.9 7.10
Mereologische Begriffe zweiter Stufe | 31 Atomare Klassen | 31 Die Hypothese Hp | 31 Die Hypothese Hn | 32 Klassen atomarer Klassen | 32 Allklassen | 32 Einerklassen | 33 Vereinigungsklassen | 34 Klassen | 35 Klassen von Klassen | 36 Potenzklassen | 37
Teil II: Unendlichkeit und Codierung 8 8.1 8.2 8.2.1 8.2.2
Das Axiom φB | 41 Unendlichkeit | 41 Größenvergleich ohne Parameter | 43 Burgess-Dyadik | 43 Burgess-Funktionen | 43
Inhalt
8.3 8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4 8.3.5 8.3.6 8.3.7 9 9.1 9.1.1 9.1.2 9.1.3 9.2 9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.3
Das Axiom φB | 44 Die Hypothese Hn | 44 Die Hypothese Hd | 44 Die Hypothese Hf | 45 Die Hypothese Hi | 46 Die Hypothese Hb | 46 Der Satz φI | 47 Der Satz φB | 47 M + φB interpretiert parametrisiert OPN | 48 Die Theorie OPN | 49 Die Sprache von OPN | 49 Eine Axiomatisierung von OPN | 49 Die Theorie OPN | 49 Burgess-Paare | 50 Gegenstücke | 50 Bilder | 51 Burgess-Paare | 53 M + φB interpretiert parametrisiert OPN | 55
Teil III: Starke Unerreichbarkeit und Elementschaft 10 Das Axiom φL | 59 10.1 Starke Unerreichbarkeit | 59 10.1.1 Stärke, Regularität und Überabzählbarkeit | 59 10.1.2 Initiale Wohlordnungen | 59 10.1.3 Singletonfunktionen | 62 10.1.4 Omegafunktionen | 64 10.1.5 Überabzählbarkeit | 65 10.2 Größenvergleich mit Parametern | 65 10.2.1 Lewis-Dyadik | 65 10.2.2 Definitionsmenge, Wertemenge | 66 10.2.3 Rechtseindeutigkeit, Linkseindeutigkeit | 66 10.2.4 Funktionen | 67 10.2.5 Auswahlfunktionen | 69 10.2.6 Injektionen, Surjektionen, Bijektionen | 70 10.2.7 Größenvergleich | 72 10.2.8 Ersetzung | 80 10.2.9 Kleine Individuenklassen | 80 10.2.10 Kleine Klassenindividuen | 82
| XI
XII | Inhalt 10.3 10.3.1 10.3.2 10.3.3 10.3.4 10.3.5 10.3.6 10.3.7 10.3.8 10.3.9 10.3.10 10.3.11 10.3.12
Das Axiom φL | 84 Die Hypothese Hs | 84 Die Hypothese Hr | 87 Mengenklassen | 91 Singletonfunktionen | 91 Induktive Klassen | 92 Omega-Klassen | 92 Existenz kleiner Omega-Klassen | 93 Die Hypothese Hu | 93 Die Hypothese Hc | 101 Die Hypothese Hl | 101 Der Satz φC | 102 Der Satz φL | 102
11 M + φL interpretiert parametrisiert ZFC | 103 11.1 Die Theorie ZFC | 103 11.1.1 Die Sprache von ZFC | 103 11.1.2 Eine Axiomatisierung von ZFC | 103 11.1.3 Die Theorie ZFC | 104 11.2 Lewis-Elementschaft | 105 11.2.1 Pseudo-Elementschaft | 105 11.2.2 Lewis-Elementschaft | 105 11.2.3 Lewis-Teilmengen | 106 11.2.4 Lewis-Nachfolger | 115 11.3 M + φL interpretiert parametrisiert ZFC | 119 12 12.1 12.2 12.3
Schluss | 126 Zusammenfassung | 127 Konsequenzen | 127 Ausblick | 128
Appendix | 129 Literatur | 131 Symbolverzeichnis | 133 Personenverzeichnis | 137 Stichwortverzeichnis | 139
1 Einleitung 1.1 Hintergrund der Arbeit 1.1.1 Nominalismus, Mengen und Fusionen Gemäß einer genauso gängigen wie vagen Charakterisierung besteht der oder eine Variante des Nominalismus in der Ablehnung abstrakter Gegenstände. Mengen sind das Paradebeispiel abstrakter Gegenstände. Jede Katze ist konkret, die Menge der Katzen ist etwas abstraktes – und als solche für den Nominalisten nicht akzeptabel. Zudem kann der Nominalist mit Verweis auf Russell ein logisches Argument gegen den Mengenbegriff anführen: intuitiv sollte es zu jeder Eigenschaft F die Menge der F geben. Die übliche erststufige Formalisierung dieses Postulats ist inkonsistent.1 Der Fusionsbegriff ist dem Nominalist sympathischer, denn die Fusion konkreter Gegenstände ist konkret: die Fusion der Katzen ist der aus allen Katzen bestehende Gegenstand. Er ist zwar unzusammenhängend über die Welt verstreut, aber dennoch konkret. Der Fusionsbegriff wird auch nicht vom logischen Argument getroffen. Zu jeder nicht-leeren Eigenschaft F soll es die Fusion der F geben. Die übliche erststufige Formalisierung dieses Postulats ist konsistent.2 Die vage Frage, ob sich der Mengenbegriff sich durch den Fusionsbegriff ersetzen lässt, besitzt also nicht nur logisches, sondern auch philosophisches Interesse. Eine erste Analyse lässt daran zweifeln, dass die Frage zu bejahen ist. Zwar teilt der Fusionsbegriff mit dem Mengenbegriff das Merkmal der Rechtseindeutigkeit: sind Eigenschaften umfangsgleich, so sind ihre Fusionen identisch. Aber der Fusionsbegriff ist im Gegensatz zum Mengenbegriff nicht linkseindeutig: Hase und Hasenteil sind nicht umfangsgleich, ihre Fusionen jedoch identisch.3
1 Weiter ist der Mengenbegriff unendlichkeitserzeugend. Aber daran braucht sich der Nominalist nicht unbedingt zu stören. 2 Der Fusionsbegriff ist zudem nicht unendlichkeitserzeugend. 3 So gesehen ist der Fusionsbegriff vielleicht kein echter Komprehensionsbegriff. Immerhin: wir können von dem Sachverhalt, dass die Fusion der Kinder von Adam identisch ist mit der Fusion der Kinder von Eva, darauf schließen, dass Adam und Eva dieselben Kinder haben. Denn Kinder sind Menschen und überlappende Menschen sind identisch. (Dagegen sind Hasen und Hasenteile in der Regel verschieden, auch wenn sie sich überlappen). Aber leider sind Fusionen von Menschen in der Regel keine Menschen.
2 | 1 Einleitung 1.1.2 Elementschaft und Überlappung Im Hinblick auf eine Präzisierung der gestellten Frage ist es günstig, den Blick auf Theorien der Elementschaftsbeziehung ε und Theorien der Überlappungsbeziehung ∘ zu lenken. Denn z ist die Menge der F
bzw
z ist die Fusion der F
wird gemeinhin durch ∀u(u ε z ↔ Fu)
bzw
∀u(u ∘ z ↔ ∃x(Fx ∧ u ∘ x))
erklärt.4 Welche Axiome sind mit ε bzw ∘ verbunden? (i) Überlappung ist reflexiv und symmetrisch. Ferner enthalten überlappende Gegenstände einen gemeinsamen Teil. Zusammengenommen führt dies zum so genannten Überlappungsaxiom5 ∀xy(x ∘ y ↔ ∃z∀u(u ∘ z → u ∘ x ∧ u ∘ y)) (ii) Das Extensionalitätsaxiom bzw Individuierungsaxiom6 ∀u(u ε z ↔ u ε w) → z = w
bzw
∀u(u ∘ z ↔ u ∘ w) → z = w
ist äquivalent mit der Forderung der Rechtseindeutigkeit des Mengen- bzw Fusionsbegriffs. (iii) Die oben angeführten Existenzpostulate gehen über in das Komprehensionsschema ∃z∀u(u ε z ↔ Fu) bzw das Fusionsschema ∃xFx → ∃z∀u(u ∘ z ↔ ∃x(Fx ∧ u ∘ x)) Das Komprehensionsschema ist inkonsistent: es enthält die Russell-Antinomie ∃z∀u(u ε z ↔ ¬u ε u)
4 So ergibt sich unmittelbar die Linkseindeutigkeit des Mengenbegriffs. Ist z die Fusion der F und mit der Fusion z der F identisch, so sind F und F umfangsgleich, sofern jedes F bzw F , was ein F bzw F überlappt, mit diesem identisch und Überlappung reflexiv ist. 5 Das Überlappunsaxiom ist äquivalent zur Konjunktion der Sätze ∀xx ∘ x, ∀xy(x ∘ y → y ∘ x) und ∀xy(x ∘ y → ∃z∀u(u ∘ z → u ∘ x ∧ u ∘ y)). 6 Ich übernehme die Bezeichnung aus [46].
1.1 Hintergrund der Arbeit
| 3
An konsistenten Instanzen enthält es den mit dem Leeremengeaxiom ∃z∀u¬u ε z äquivalenten Satz ∃z∀u(u ε z ↔ u ≠ u) sowie das Adjunktmengeaxiom ∀xy∃z∀u(u ε z ↔ u ε x ∨ u = y) Das Fusionsschema ist konsistent. Sowohl das Summenaxiom ∀xy∃z∀u(u ∘ z ↔ x ∘ y ∨ u ∘ y) als auch das Negataxiom ∀x(∃y¬x ∘ y → ∀x∃z∀y(∀u(u ∘ y → u ∘ z) ↔ ¬x ∘ y)) ist mit einer Instanz des Fusionsschemas äquivalent.
1.1.3 Die Theorien ASE und CI Die Theorie ASE, eine Teiltheorie der Zermelo-Fraenkelschen Mengenlehre mit Auswahlaxiom ZFC, ist durch Extensionalitätsaxiom, Leeremengeaxiom und Adjunktmengeaxiom axiomatisierbar. Bezüglich relativer Interpretierbarkeit7 ist ASE erheblich schwächer als ZFC. Immerhin ist die Robinson-Arithmetik Q in ASE relativ interpretierbar.8 Da Q wesentlich unentscheidbar ist, ist folglich jede konsistente Theorie, in der ASE relativ interpretierbar ist, unentscheidbar. Goodmans Individuenkalkül aus [19] ist die durch Fusionsschema, Individuierungs- und Überlappungsaxiom axiomatisierte Theorie.9 Die Theorie CI ist durch Summen-, Negat-, Individuierungs- und Überlappungsaxiom axiomatisierbar10 (also eine Teiltheorie von Goodmans Individuenkalkül) und in BA, der Theorie der Booleschen Algebren, treu interpretierbar. Mit der Entscheidbarkeit von BA ergibt sich so die Entscheidbarkeit von CI.11
7 Siehe [48]. 8 Siehe [47]. Umgekehrt ist ASE in Q relativ interpretierbar. Siehe [49]. 9 Siehe auch [67]. Goodmans Individuenkalkül ist endlich axiomatisierbar. Siehe [52]. 10 Siehe [32]. 11 Siehe [52].
4 | 1 Einleitung 1.1.4 Ein Nichtinterpretierbarkeitsresultat In [52] hat Niebergall gezeigt, dass ASE ist in keiner mit CI konsistenten L[∘]Theorie relativ interpretierbar ist. Der Beweis verläuft so: Angenommen ASE ist in einer mit CI konsistenten L[∘]-Theorie relativ interpretierbar. Da ASE endlich axiomatisierbar ist, enthält die betreffende Theorie einen Satz φ, so dass ASE in der durch φ axiomatisierten Theorie und erst recht in der Erweiterung von CI um φ relativ interpretierbar ist. Aber diese Erweiterung ist konsistent und somit (siehe oben) unentscheidbar. Als endliche Erweiterung von CI ist sie jedoch entscheidbar. Widerspruch.
1.1.5 Mereologien Der polnische Logiker Lesniewski entwickelte von 1916 an einige Theorien des Fusionsbegriffs, die er später Mereologien nannte.12 In [63], [65] und [22] wurden seine Theorien in vertraute Notation übertragen. Das mereologische Axiomensystem aus [22] besteht cum grano salis aus Überlappungsaxiom, Individuierungsaxiom und dem Fusionsaxiom zweiter Stufe ∀X(∃xXx → ∃z∀u(u ∘ z ↔ ∃x(Xx ∧ u ∘ x))) Es gibt also gute historische Gründe, Mereologien auf den Bereich der L[∘]- und LL[∘]-Theorien zu beschränken.13 Aber nicht jede L[∘]- bzw LL[∘]-Theorie soll eine Mereologie erster bzw zweiter Stufe sein: Konsistente Merologien erster Stufe sollten mit Goodmans Individuenkalkül (und erst recht mit CI) konsistent sein. Denn Fusionsschema, Individuierungsund Überlappungsaxiom ergeben sich aus der Analyse des Fusions- und des Überlappungsbegriffs. Man wird keines dieser Axiome als synthetisch ansehen wollen. Mit dem Ergebnis von Niebergall ergibt sich so: nicht einmal ASE ist in einer konsistenten Mereologie erster Stufe relativ interpretierbar. Konsistente Mereologien erster Stufe sind also bezüglich relativer Interpretierbarkeit sehr schwach14 und somit ist − Mereologien erster Stufe gelten als die nominalistischen Theori12 Einen Überblick gibt [57]. 13 L[∘] bzw LL[∘] ist die zu ∘ gehörige Sprache erster bzw (monadischer) zweiter Stufe. Der Begriff der L[∘]-Theorie ist klar, der Begriff der LL[∘]-Theorie wird in dieser Arbeit mittels der allgemeinen Folgerungsbeziehung erklärt. Siehe hierzu Kapitel 2. 14 Man könnte auch sagen: der Fusionsbegriff ist für sich genommen sehr schwach. Inwiefern Theorien (etwa Zahlentheorien) durch Hinzufügung des Fusionsbegriffs verstärkt werden können, siehe [37].
1.2 Aufbau der Arbeit |
5
en schlechthin – eine nominalistische Behandlung der Mathematik via relativer Interpretierbarkeit von ZFC auf eine konsistente Mereologie erster Stufe ausgeschlossen.15 Konsistente Mereologien zweiter Stufe sollten mit der Erweiterung des Axiomensystems aus [22] (Überlappungsaxiom, Individuierungsaxiom, Fusionsaxiom zweiter Stufe) um das Komprehensionsschema ∃Z∀u(Zu ↔ φ) (die so axiomatisierte Theorie nenne ich M) konsistent sein – und in diesem Buch werden Mereologien zweiter Stufe erklärt als LL[∘]-Theorien, die inkonsistent oder mit M konsistent sind. Diese Definition genügt offensichtlich dem angegebenen Kriterium. Eine Konsequenz der Definition ist, dass jede Erweiterung von M in LL[∘] (und somit M) eine Mereologie zweiter Stufe ist. Auf die naheliegende Frage, wie stark konsistente Mereologien zweiter Stufe bezüglich relativer Interpretierbarkeit sind, gibt die einschlägige Literatur leider keine Antwort. Was die Frage betrifft, wie stark konsistente Mereologien zweiter Stufe bezüglich parametrisierter Interpretierbarkeit sind, ist jedoch das Buch Parts of Classes von David Lewis die erste Adresse. Leider sind Lewis’ Ausführungen unsystematisch, informell, lückenhaft und selten präzise. Die vorliegende Arbeit entstand aus der Zielsetzung, den Text von Lewis exakt und lückenlos zu rekonstruieren.16 Die Arbeit klebt jedoch nicht an der Vorlage: Beispielsweise kommt die Mereologie M + φB (s.u.) im Gegensatz zum Original ohne das Atomizitätsaxiom aus – mehr noch, sie ist Gunk-neutral.17
1.2 Aufbau der Arbeit Die Arbeit ist wie folgt aufgebaut: In Kapitel 2 werden nach kurzer Darstellung der Syntax von LL[∘] zwei Semantiken für LL[∘] erklärt. Das Kapitel schließt mit der Definition von parametrisierter Interpretierbarkeit.
15 Die Token-Konkatenationstheorie aus [51] sowie der Concept Calculus aus [17] sind Beispiele für Theorien, die ZFC relativ interpretieren und als Kandidaten für nominalistische Theorien in Frage kommen. 16 Die Rekonstruktionen in [44] und [57] lassen viele Fragen offen. Beispielsweise wird der so wichtige Appendix on Pairing aus [42] dort überhaupt nicht behandelt. 17 Zum Begriff der Gunk-Neutralität siehe Definition 27.
6 | 1 Einleitung In Kapitel 3 werden zentrale mereologische Axiome vorgestellt. Weiter wird M als klassische Mereologie zweiter Stufe definiert. In Kapitel 4 werden zentrale mereologische Begriffe sowie Theoreme erster Stufe aus M angegeben. In Kapitel 5 wird der Begriff der Gunk-Neutralität definiert. In Kapitel 6 wird gezeigt, dass der Fusionsbegriff innerhalb gewisser Einschränkungen linkseindeutig ist. In Kapitel 7 werden einige mereologische Begriffe sowie Theoreme zweiter Stufe aus M angegeben. Die Kapitel 8 bis 11 bilden die eigentliche Rekonstruktion von Parts of Classes18 und den Kern der vorliegenden Arbeit. Die Rekonstruktion ist von folgender Form: Es gibt einen mereologischen Satz zweiter Stufe φB mit φB drückt aus, dass es eine unendliche Partition gibt (Kapitel 8) M + φB interpretiert parametrisiert OPN19 (Kapitel 9) Es gibt einen mereologischen Satz zweiter Stufe φL mit φL drückt aus, dass es eine stark unerreichbare Partition gibt (Kapitel 10) M + φL interpretiert parametrisiert ZFC (Kapitel 11) Kapitel 12 enthält (zusammen mit dem Appendix) einen Beweis von ZFC ist (die Konsistenz von ZFC vorausgesetzt) in einer konsistenten Mereologie zweiter Stufe parametrisiert interpretierbar Im Appendix selbst wird ein Verfahren angegeben, mit dem sich zu jeder konsistenten, endlich axiomatisierbaren und nur im Unendlichen erfüllbaren L[ε ]-
18 Teile von Kapitel 10 beruhen auf [43]. 19 Mit OPN bezeichne ich die Theorie geordneter Paare mit Nicht-Surjektivität.
1.3 Notation der Arbeit
| 7
Theorie eine endliche Erweiterung von M in LL[∘] konstruieren lässt, die konsistent ist und die die betreffende L[ε ]-Theorie parametrisiert interpretiert.
1.3 Notation der Arbeit Die verwendeten metasprachlichen Junktoren und Quantoren sind v
&
⇒
⇔
bzw ∀
∃
An üblicher mengentheoretischer Notation wird verwendet: 0, 1, 2, ... A∈B A=B A⊆B A⊂B A∪B A∩B A\B ⋃A ℘A (A, B) A×B ≤ < Def(A) Bild(A) −1
A↾B a → b f :A→B f : A B f : A B f : A B A⪯B A≺B A⪰B
Die Von-Neumann-Zahlen. A ist ein Element von B A ist identisch mit B A ist eine Teilmenge von B A ist eine echte Teilmenge von B A vereint mit B A geschnitten mit B A minus B Die Vereinigung von A Die Potenzmenge von A Das geordnete Paar von A und B Das Kreuzprodukt von A und B Ordnungsrelation Strenge Ordnungsrelation Der Definitionsbereich von A Der Bildbereich von A Umkehrrelation A eingeschränkt auf B a wird abgebildet auf b f ist eine Funktion von A nach B f ist eine Injektion von A nach B f ist eine Surjektion von A nach B f ist eine Bijektion von A nach B Es gibt eine Injektion von A nach B Es gibt eine Injektion von A nach B aber nicht umgekehrt Es gibt eine Surjektion von A nach B
8 | 1 Einleitung A∼B |A| A B ω
Es gibt eine Bijektion von A nach B Die Mächtigkeit von A Die Menge der Funktionen von A nach B Die Menge der natürlichen Zahlen
Idiosynkratische mengentheoretische Notation wird im Zuge ihrer Einführung erläutert. Zum Schluss noch eine Konvention: bei Elementschaftsaufzählungen wird auf Kommasetzung verzichtet; so steht beispielsweise abc ∈ M bzw EF ∈ 3 Ω für a, b, c ∈ M bzw E, F ∈ 3 Ω .
| Teil I: Überlappung
2 Die mereologische Sprache 2.1 Syntax 2.1.1 Die Sprache LL[∘] Die Sprache LL[∘] ist die Menge aller Formeln20 Vj vi | vi = vj | vi ∘ vj || ¬φ | φ → ψ | ∀vi φ | ∀Vi φ Dabei sind V und v auf ω erklärte injektive Funktionen mit disjunkter Bildmenge. ∘ ist das Überlappungsprädikat. Für eine Formel φ sei frei(φ) die Menge der in φ frei vorkommenden Variablen, ⌈φ⌉ der Allabschluss und ⌊φ⌋ der Existenzabschluss von φ. Für n, m ∈ ω sei m
LL[∘]n = {φ ∈ LL[∘] | frei(φ) = Bild(v ↾ n) ∪ Bild(V ↾ m)}
Eine Formel liegt also genau dann in LL[∘]m n , wenn in ihr genau die ersten n „kleinen“ und die ersten m „großen“ Variablen frei vorkommen. Sei speziell 0
SS[∘] = LL[∘]0
die Menge der LL[∘]-Sätze und m
PP[∘] = {φ ∈ LL[∘] | ∃nm ∈ ωφ ∈ LL[∘]n+1 }
̇ und m ∈ ω (BeFür jedes φ ∈ PP[∘] gibt es genau ein n ∈ ω (Bezeichnung: φ) zeichnung: φ)̈ mit φ ∈ LL[∘]m . Eine Formel aus PP [∘] wird aufgefasst als „Ausn+1 sage“ über die Variable vφ̇ mit φ̇ „kleinen“ Parametern v0 , . . . , vφ̇ −1 und φ̈ großen „Parametern“ V0 , . . . , Vφ̇ −1 . Beispielsweise wird die Formel φ = V0 v0 → V1 v1 als „Aussage“ über die Variable vφ̇ = v1 mit dem „kleinen“ Parameter v0 und den „großen“ Parametern V0 , V1 aufgefasst: „v1 hat die Eigenschaft: gehört zu V1 , wenn v0 zu V0 gehört“.
20 Die Zeichen ∨, ⋁, ∧, ⋀, ↔ und ∃ seien wie üblich erklärt.
12 | 2 Die mereologische Sprache 2.1.2 Substitution Sei für paarweise verschiedene Variablen x0 , . . . , xj und X0 , . . . , Xk und beliebige y0, . . . , yj und Y0 , . . . , Yk y0 . . . yj Y0 , . . . Yk φ x0 . . . x j X 0 , . . . X k das Resultat der simultanen Substitution von x0 , . . . , xj und X0 , . . . , Xk durch y0, . . . , yj und Y0 , . . . , Yk in der Formel φ. Sei speziell φY0 ,...Yk y0 . . . yj := φ
y0 . . . yj Y0 , . . . Yk v0 . . . vj V0 , . . . Vk
2.2 Semantik 2.2.1 Modelle LL[∘]-Modelle sind Tripel M = (M, Ω , I)
mit M ≠ 0 ≠ Ω
Ω ⊆ ℘M
I : {∘} → ℘(M × M)
Gilt Ω = ℘M, heisst M Standardmodell. Zu M gehörende Belegungen sind Funktionen β : Bild(v) ∪ Bild(V) → M ∪ Ω mit β (x) ∈ M bzw β (X) ∈ Ω für jedes x ∈ Bild(v) bzw X ∈ Bild(V). Die Modellbeziehung M, β φ sei wie üblich erklärt. Weiter stehe ⋆
M, β φ
für Ω = ℘M & M, β φ
2.2.2 Koinzidenzlemma Sei für paarweise verschiedene Variablen x0 , . . . , xj und X0 , . . . , Xk und beliebige a0 , . . . , aj ∈ M und A0 , . . . , Ak ∈ Ω β
a0 . . . aj A0 , . . . Ak x0 . . . xj X0 , . . . Xk
2.2 Semantik
|
13
die Belegung, die x0 , . . . , xj und X0 , . . . , Xk auf a0 , . . . , aj und A0 , . . . , Ak abbildet und ansonsten mit β übereinstimmt. Es stehe M,β a0 . . . aj 0 ...Ak
φA für M, β
a0 . . . aj A0 , . . . Ak v0 . . . vj V0 , . . . Vk
φ
m n Für φ aus LL[∘]m n , A aus Ω und a aus M ist im Kontext
M,β
φA
a
die Belegung β irrelevant (Koinzidenzlemma) und kann daher weggelassen werden: φAM a
2.2.3 Die Folgerungs-Beziehung Die Folgerungs-Beziehung Γ φ sei wie üblich erklärt. Weiter stehe Γ ⋆ φ für
∀ M, β (M, β ⋆ Γ ⇒ M, β φ)
2.2.4 Theorien Definition 1. T ist eine Theorie in LL[∘]: T ⊆ SS[∘] und für jedes φ ∈ SS[∘] mit T φ gilt φ ∈ T. Für eine LL[∘]-Satzmenge Γ und einen Satz LL[∘]-Satz 𝛾 sei Γ = {φ ∈ SS[∘] | Γ φ} Γ + 𝛾 = (Γ ∪ {𝛾})
14 | 2 Die mereologische Sprache
2.3 Parametrisierte Interpretierbarkeit Definition 2. Sei Γ eine Satzmenge aus LL[∘], R ein von ∘ verschiedenes (n + 1)stelliges Relationssymbol, und Δ eine Satzmenge aus L[R]. Γ interpretiert parametrisiert Δ ⇔ l+1 k+1 Es gibt m, l, k ∈ ω mit l, k ≤ m sowie π ∈ LL[∘]m+1 0 , δ ∈ LL[∘]1 und ρ ∈ LL[∘]n+1 mit
Γ ⌊πV0 ...Vm ⌋ Γ ⌈πV0 ...Vm → ∃v0 δV0 ...Vl v0 ⌉ Γ ⌈πV0 ...Vm → φ τ ⌉ für jedes φ ∈ Δ für τ : L[R] → LL[∘] mit (x = y)τ = x = y (Rx0 . . . xn )τ = ρV0 ...Vk x0 . . . xn (¬φ)τ = ¬φ τ (φ → ψ )τ = φ τ → ψ τ (∀xφ)τ = ∀x(δV0 ...Vl x → φ τ )
3 Die Mereologie M In diesem Kapitel wird ein Axiomensystem für die klassische Mereologie zweiter Stufe (kurz M) angegeben. Im Anschluss wird eine Definition von Mereologien zweiter Stufe vorgeschlagen.
3.1 Überlappungs- und Individuierungsaxiom 3.1.1 Das Überlappungsaxiom Das Überlappungsaxiom postuliert, dass Überlappung reflexiv und symmetrisch (kurz: eine Verträglichkeitsrelation) ist und überlappende Individuen einen gemeinsamen Teil besitzen: Definition 3. Ax(W) = {⌈v0 ∘ v0 ⌉ , ⌈v0 ∘ v1 → v1 ∘ v0 ⌉} Ax(P) = {⌈v0 ∘ v1 → ∃v2 ∀v3 (v3 ∘ v2 → v3 ∘ v0 ∧ v3 ∘ v1 )⌉} Ax(O) = Ax(W) ∪ Ax(P) Wie in der Einleitung bereits erwähnt, ist die Konjunktion der Sätze aus Ax(O) äquivalent mit ⌈v0 ∘ v1 ↔ ∃v2 ∀v3 (v3 ∘ v2 → v3 ∘ v0 ∧ v3 ∘ v1 )⌉ Das Überlappungsaxiom besagt also, dass sich Individuen dann und nur dann überlappen, wenn sie einen gemeinsamen Teil besitzen.
3.1.2 Das Individuierungsaxiom Das Individuierungsaxiom postuliert, dass Überlappung extensional ist: Individuen mit gleichen Überlappern sind gleich: Definition 4. Ax(I) = {⌈∀v2 (v2 ∘ v0 ↔ v2 ∘ v1 ) → v0 = v1 ⌉} Überlappungsaxiom und Individuierungsaxiom seien fortan wie folgt zusammengefasst: Definition 5. Ax(E) = Ax(O) ∪ Ax(I)
16 | 3 Die Mereologie M
3.2 Fusions- und Komprehensionsaxiome 3.2.1 Die Fusionsaxiome Die Fusionsaxiome fordern, dass es zu jeder nicht-leeren Eigenschaft φ die Fusion der φ gibt: Definition 6. Sei fus : PP[∘] → SS[∘] mit φ → ⌈∃vφ̇ φ → ∃vφ̇ ∀vφ+1 ̇ (vφ̇ +1 ∘ vφ̇ ↔ ∃vφ+2 ̇ (φ
vφ̇ +2 vφ̇
∧ vφ+1 ∘ vφ+2 ̇ ̇ ))⌉
Lemma 1. Es gilt M fusφ gdw {a ∈ M | φ M a} ≠ 0 ⇒
φ̇ = 0 = φ̈
∃b ∈ M∀ ∀c ∈ M(c ∘M b ⇔ ∃a ∈ M(φ M a & c ∘M a)) ̈
∀ P ∈ φ Ω [{a ∈ M | φPM a} ≠ 0 ⇒ M
∃b ∈ M∀ ∀c ∈ M(c ∘
b ⇔ ∃a ∈
φ̇ = 0 ≠ φ̈
M(φPM a
&c∘
M
a))]
∀ p ∈ φ M[{a ∈ M | φ M pa} ≠ 0 ⇒ ̇
M
∃b ∈ M∀ ∀c ∈ M(c ∘ ̇
b ⇔ ∃a ∈ M(φ
φ̇ ≠ 0 = φ̈ M
pa & c ∘
M
a))]
̈
∀P ∈ φ Ω [{a ∈ M | φPM pa} ≠ 0 ⇒ ∀ p ∈ φ M∀
φ̇ ≠ 0 ≠ φ̈
∃b ∈ M∀ ∀c ∈ M(c ∘M b ⇔ ∃a ∈ M(φPM pa & c ∘M a))] Das Fusionsschema ist die Menge der Fusionsaxiome: Definition 7. Fus = Bild(fus) An wichtigen Instanzen dieses Schemas sind zu nennen:21 Definition 8. Ax(F) = {fusV0 v0 }
Das Fusionsaxiom
Ax(S) = {fusv0 =v2 ∨v1 =v2 }
Das Summenaxiom
Ax(N) = {fus¬v0∘v1 }
Das Negataxiom
21 Siehe hierzu auch Lemma 12, 16 und 21.
3.2 Fusions- und Komprehensionsaxiome
|
17
Für spätere Bezugnahme sei definiert: Definition 9. Ax(D) = Ax(E) ∪ Ax(S) Ax(H) = Ax(E) ∪ Ax(S) ∪ Ax(N)
3.2.2 Die Komprehensionsaxiome Die Komprehensionsaxiome fordern, dass es zu jeder Eigenschaft φ die Klasse der φ gibt. Definition 10. Sei cmp : PP[∘] → SS[∘] mit φ → ⌈∃Vφ̈ ∀vφ̇ (Vφ̈ vφ̇ ↔ φ)⌉ Lemma 2. Es gilt M cmpφ gdw {a ∈ M | φ M a} ∈ Ω φ̈
∀ P ∈ Ω {a ∈ M | φ̇
φ̇ = 0 = φ̈
φPM a} M
∀ p ∈ M{a ∈ M | φ
∈Ω
pa} ∈ Ω
∀P ∈ φ Ω {a ∈ M | φPM pa} ∈ Ω ∀ p ∈ φ M∀ ̇
̈
φ̇ = 0 ≠ φ̈ φ̇ ≠ 0 = φ̈ φ̇ ≠ 0 ≠ φ̈
Das Komprehensionsschema ist die Menge der Komprehensionsaxiome: Definition 11. Cmp = Bild(cmp) Jedes Standardmodell erfüllt jedes Komprehensionsaxiom: Lemma 3. ⋆ Cmp Zwischen Fusionsaxiom, Fus und Cmp besteht folgender Zusammenhang: Lemma 4. Ax(F) cmpφ → fusφ Ax(F) ∪ Cmp Fus Ax(F) ⋆ Fus
18 | 3 Die Mereologie M
3.3 Die Mereologie M 3.3.1 Das Axiomensystem Ax(M) Das klassische mereologische Axiomensystem zweiter Stufe besteht aus dem Überlappungsaxiom, dem Individuierungsaxiom und dem Fusionsaxiom: Definition 12. Ax(T) = Ax(E) ∪ Ax(F) Tatsächlich werden in den klassischen Texten zur Mereologie die Komprehensionsaxiome nicht explizit angeführt. Nun gilt zwar ⋆ Cmp, es gilt aber auch Ax(T) ̸ Cmp. Sei fortan also das klassische mereologische Axiomensystem zweiter Stufe: Definition 13. Ax(M) = Ax(T) ∪ Cmp
3.3.2 Mereologien zweiter Stufe Die folgenden zwei Definitionen sind prima facie plausible Vorschläge. Wer ihnen kritisch gegenübersteht, möge sie als Abkürzungen auffassen. Definition 14. Γ ist mereologisch: Γ ⊆ SS[∘] und Γ ist inkonsistent oder Γ ∪ Ax(M) ist konsistent. Definition 15. T ist eine Mereologie zweiter Stufe: T ist eine mereologische LL[∘]Theorie. Jede konsistente Mereologie zweiter Stufe ist also mit Ax(M) konsistent.
3.3.3 Die Mereologie M Die Mereologie zweiter Stufe M ist der Abschluss von Ax(M):
Definition 16. M = Ax(M)
M ist eine Mereologie zweiter Stufe: denn aus den obigen Definitionen ergibt sich, dass jede LL[∘]-Obertheorie von M eine Mereologie zweiter Stufe ist.
3.3 Die Mereologie M |
M impliziert jedes Fusionsaxiom sowie die Gesetze der Klassenalgebra: Lemma 5. M Fus Beweis. Mit Lemma 4. Lemma 6. Für M M gilt M ∈ Ω und 0 ∈ Ω sowie für alle AB ∈ Ω : A∪B ∈ Ω A∩B ∈ Ω M\A∈Ω A\B ∈ Ω Beweis. M {cmp¬V0 v0 , cmpV0 v0 ∨V1 v0 }. Weiterhin gilt: Lemma 7. Mit M M ist {a} ∈ Ω für alle a ∈ M. Beweis. M {cmpv0 =v1 }.
19
4 Mereologische Begriffe erster Stufe Im Folgenden werden einige elementare mereologische Begriffe sowie mit ihnen verbundene Sätze aus M angegeben. Um im Hinblick auf spätere Kapitel (speziell Kapitel 8 und 10) eine gewisse Einheitlichkeit zu gewährleisten – die Standardfolgerungs-Beziehung lässt sich nicht durch einen Kalkül einfangen – wird allerdings bereits hier – obwohl man auch syntaktisch vorgehen könnte22 – modelltheoretisch gearbeitet. Die entsprechenden Sätze lassen sich sofort ablesen. Beispielsweise besagt der erste Teil von Lemma 8, dass jeder Satz der Gestalt ∀xx ∘ x zu M gehört. Beweise werden nur bei „ungebräuchlichen“ Theoremen angegeben.
4.1 Überlappung Überlappung ist eine extensionale Verträglichkeitsrelation: Lemma 8. Für M M gilt: a ∘M a a ∘M b ⇒ b ∘M a ∀ c ∈ M(c ∘M a ⇔ c ∘M b) ⇒ a = b
4.2 Diskretheit Individuen, die sich nicht überlappen, heißen diskret:23 Definition 17. ≀ = ¬v0 ∘ v1 Für alle ab ∈ M sind somit äquivalent: a ≀M b nicht a ∘M b Diskretheit ist irreflexiv und symmetrisch:
22 Siehe [58]. 23 Diskretheit ist nicht mit Verschiedenheit zu verwechseln!
22 | 4 Mereologische Begriffe erster Stufe Lemma 9. Für M M gilt: nicht a ≀M a a ≀M b ⇒ b ≀M a
4.3 Teile Ist jeder Überlapper von a ein Überlapper von b, so ist a ein Teil von b: Definition 18. ⊑ = ∀v2 (v2 ∘ v0 → v2 ∘ v1 ) Für alle ab ∈ M sind somit äquivalent: a ⊑M b ∀ c ∈ M(c ∘M a ⇒ c ∘M b) Die Teilbeziehung ist reflexiv, transitiv und antisymmetrisch. Teile sind Überlapper und Überlapper von Teilen sind Überlapper des Ganzen. Sich zu überlappen bedeutet einen gemeinsamen Teil zu besitzen: Lemma 10. Für M M gilt: a ⊑M a a ⊑M b & b ⊑M c ⇒ a ⊑M c a ⊑M b & b ⊑M a ⇒ a = b a ⊑M b ⇒ a ∘M b a ∘M b & b ⊑M c ⇒ a ∘M c c ⊑M a & c ⊑M b ⇒ a ∘M b a ∘M b ⇒ ∃c ∈ M(c ⊑M a & c ⊑M b)
4.4 Echte Teile Ist a ein Teil von b aber nicht umgekehrt, so ist a ein echter Teil von b: Definition 19. < = v0 ⊑ v1 ∧ ¬v1 ⊑ v0 Für alle ab ∈ M sind somit äquivalent: a