Das Zusammenspiel der Verbalkategorien und die französischen Futura [Reprint 2017 ed.] 9783110924831, 9783484304093

Taking French as an example and drawing on a sophisticated model of category interaction, this study undertakes to demon

158 102 20MB

German Pages 227 [228] Year 1999

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Einleitung
2. Ein semantisches Rahmenmodell
3. Ein Modell der verbalkategorialen Inhalte
4. Zur Datenerhebung und -auswertung
5. Das présent futural
6. Das futur simple
7. Das futur périphrastique
8. Zusammenfassung
Literatur
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Das Zusammenspiel der Verbalkategorien und die französischen Futura [Reprint 2017 ed.]
 9783110924831, 9783484304093

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Linguistische Arbeiten

409

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Gerhard Heibig, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese

Monika Sokol

Das Zusammenspiel der Verbalkategorien und die französischen Futura

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1999

Meinem

Mann und unseren

Familien

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Sokol, Monika: Das Zusammenspiel der Verbalkategorien und die französischen Futura / Monika Sokol. Tübingen : Niemeyer, 1999 (Linguistische Arbeiten : 409) Zugl.: Bamberg. Univ.. Diss.. 1998 ISBN 3-484-30409-X

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 1999 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Buchbinder: Nadele Verlags- und Industriebuchbinderei, Nehren

Inhaltsverzeichni s

Vorwort

IX

1. Einleitung 1 1.1. Zur Themenwahl 1 1.2. Forschungsstand und offene Fragen 4 1.2.1. Aktionalität/Aspektualität und Futurität 4 1.2.2. Modalität und Futurität 9 1.2.2.1. Überkommene Axiomatik: ,Die Zukunft ist auf Sand gebaut.' 9 1.2.2.2. Alte Axiomatik neu gewandet: die ,Sprechhaltung der Gewißheit' 10 1.3. Schwerpunkte, Aufbau, Methodik 12 1.4. Ausschluß bestimmter Untersuchungsbereiche 16 2. Ein semantisches Rahmenmodell 2.1. Vier Ebenen der Beschreibung 2.1.1. Zwei-Ebenen-Semantik und modistisches Modell 2.1.2. Modellbeispiele für die Interaktion der vier Ebenen 2.2. Konstanten und Konstituenten des verweisenden Sprechens

19 19 19 24 25

3. Ein Modell der verbalkategorialen Inhalte 3.1. Aktionalität 3.1.1. Aktueller Forschungsstand 3.1.1.1. Zur Definitionsproblematik 3.1.1.2. Forschungspositionen 3.1.2. Aktionalität als Basis der kategorialen Architektur 3.1.2.1. Vorsprachliche Musterbildung und deren sprachliche Relevanz.... 3.1.2.2. Metonymische Beziehungen und aktionale Merkmale 3.1.3. Der Status aktionaler Merkmale 3.1.3.1. Zum Unterschied zwischen Durativität und Temporalität 3.1.3.2. Dynamik und Transitionalität 3.1.3.3. Aktionalität im Gewand der Sprache 3.1.4. Definition der Kategorie 3.1.5. Die aktionalen Klassen des Französischen 3.1.5.1. Situationstyp [- dynamisch] 3.1.5.1.1. Stativ 3.1.5.1.2. L-Stativ 3.1.5.1.3. Interstativ 3.1.5.2. Situationstyp [+ dynamisch] 3.1.5.2.1. Progressiv 3.1.5.2.2. Ph-Progressiv 3.1.5.2.3. Transition 3.1.5.2.4. R-Progressiv 3.1.5.2.5. Intergressiv

31 31 31 31 31 33 33 35 37 37 38 40 44 46 46 46 47 48 48 48 49 50 51 52

VI

3.1.5.3. Aktionale Markiertheitsrelationen in Übersicht 3.2. Aspektualität 3.2.1. Eine Frage des Standpunktes 3.2.2. Definition der Kategorie 3.2.3. Zusammenspiel von Aktionalität und Aspektualität 3.3. Temporalität 3.3.1. Implizite Temporalität 3.3.2. Explizite Temporalität 3.3.3. Zusammenspiel von Aspektualität und Temporalität 3.3.4. Futurität 3.3.4.1. Zum Sonderstatus eines notionellen Bereichs 3.3.4.2. Futurische Temporalität 3.3.5. Kategoriale Vernetzung im temporalen Bereich 3.4. Modalität 3.4.1. Aussage und Referenz 3.4.2. Modale Kernsemantik 3.4.2.1. Die Doppelung der Perspektive 3.4.2.2. Das deiktische Funktionsspektrum modaler Relatoren 3.4.3. Definition der Kategorie 3.4.4. Ausschluß paramodaler Werte von Futura 4. Zur 4.1. 4.2. 4.3.

Datenerhebung und -auswertung Zu den Teilkorpora Erhebung, Präsentation und Probleme der Datenklassifikation Vergleichstabellen

53 53 53 55 57 60 60 62 62 64 64 68 68 69 69 71 71 75 78 78 81 81 83 88

5. Das présent futural 5.1. Aktueller Forschungsstand (aspektuelle Markiertheit, Grammatikalisierung) 5.2. Präsens und Futurität - übereinzelsprachlich 5.2.1. Das Funktionsspektrum aspektuell unmarkierter Präsensformen 5.2.2. Futurisches Präsens - Bedingungen der Grammatikalisierung 5.2.3. Futurität und Perfektivität - Ein Exkurs 5.3. Das System des futurischen Präsens im Französischen 5.3.1. Aktionale Klassen und futurisches Präsens (implizite Temporalität) 5.3.1.1. Situationstyp [- dynamisch] 5.3.1.2. Situationstyp [+ dynamisch] 5.3.1.3. Zwischenbilanz 5.3.2. Das présent in futurisch situierenden Ko- und Kontexten 5.4. Aktionale Klassen und das présent futural 5.4.1. Präsentation der Auswertung 5.4.2. Analyse der Auswertung

91 91 92 92 93 98 99 99 100 104 113 115 119 119 121

6. Das futur simple 6.1. Manifestationen diachroner Prozesse 6.1.1. Zur Grammatikalisierung 6.1.1.1. Infinitiv + h a b e r e ^ - Grammatikalisierungsbedingungen

127 127 127 127

VII

6.1.1.2. Aktionale Klassen und temporal fungierende Periphrasen 6.1.1.2.1. Periphrasen als aktionale Desambiguierungsfunktoren 6.1.1.2.2. Die Grammatikalisierung des passé composé 6.1.1.2.3. Die Grammatikalisierung des futur simple 6.1.2. Form und Funktionalität des futur simple 6.1.2.1. Restsemantik des (ehemaligen) Infinitivs 6.1.2.2. Restsemantik des (ehemaligen) Auxiliars 6.1.2.3. Zwischenbilanz 6.2. Synchrone Funktionsmuster 6.2.1. Das f s über dynamischen Prädikatklassen 6.2.2. Das f s über nicht-dynamischen Prädikatklassen 6.2.3. Das f s über pc-markierten Prädikaten (sog. futur antérieur) 6.3. Zwischenbilanz 6.4. Aktionale Klassen und das futur simple 6.4.1. Präsentation der Auswertung 6.4.2. Analyse der Auswertung

129 129 131 133 139 139 142 144 146 146 154 161 164 165 165 167

7. Das futur périphrastique 7.1. Manifestationen diachroner Prozesse 7.1.1. Zur Grammatikalisierung 7.1.2. Form und Funktionalität des futur périphrastique 7.1.2.1. Semantik des finiten Verbs (Vollverb => Auxiliar) 7.2. Synchroner Befund 7.2.1. Zur Bindung an bestimmte aktionale Klassen 7.2.2 .fs : f p - Eine Opposition lokalistischen Charakters 7.3. Synchrone Funktionsmuster 7.3.1. Lexikalische Konkretverwendung 7.3.2. Semilexikalische Verwendung 7.3.3. Semigrammatische Verwendung 7.3.4. Prospektiv-inchoative Verwendung 7.3.5. Temporal-futurische Verwendung (Tempusfiinktion) 7.4. Aktionale Klassen und das futur périphrastique 7.4.1. Präsentation der Auswertung 7.4.2. Analyse der Auswertung

169 169 169 175 175 177 177 180 184 184 185 185 190 191 192 192 194

8. Zusammenfassung 8.1. Rahmenmodell 8.2. Kategoriale Inhalte 8.2.1. Aktionalität und Aspektualität 8.2.2. Temporalität 8.2.3. Modalität 8.3. Kategoriale Werte der futurisch fungierenden Zeichen des Französischen 8.3.1. Présentfutural 8.3.2. Futur simple 8.3.3. Futur périphrastique

197 197 197 197 199 199 200 200 201 203

Vili 9. Ergebnis und Ausblick 9.1. Funktionale Komplementarität 9.2. Übereinzelsprachlicher Ausblick 9.2.1. Tempussystematik und aspektuelle Markiertheit 9.2.2. Außersprachlicher Sand im Getriebe der Sprache - Ein Postulat

207 207 208 208 210

Literatur Primärliteratur/Datenquellen Sekundärliteratur Grammatiken/Nachschlagewerke

213 213 213 218

Vorwort

Ich möchte an dieser Stelle allen von Herzen danken, die direkt und indirekt an der Entstehung dieser Arbeit beteiligt waren. Mein erster und besonderer Dank gilt meiner Betreuerin und akademischen Lehrerin Prof. Dr. Annegret Bollée, die mir in allen fachlichen und menschlichen Bereichen Hilfe und Vorbild war und bleibt. Ihren Beitrag kann ich an dieser Stelle schon aus Platzgründen nicht ausreichend würdigen. Weiterhin danken möchte ich Prof. Dr. Elisabeth Leiß für die vielen wertvollen Anregungen und Hilfestellungen, das immer offene Ohr und ihr Eingreifen an entscheidender Stelle. Von besonderem Wert, vor allem in der Anfangsphase, war mir die konstruktive und freundschaftliche Kritik von Dr. Susanne Michaelis und Prof. Dr. Martin Haspelmath, die mich vor so manchem Galopp in die falsche Richtung bewahrt hat. Den Herausgebern der Linguistischen Arbeiten, besonders Herrn Prof. Dr. Peter Blumenthal, danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe. Für unermüdliche Informationsdienste sei meinen französischen Mitarbeitern Frédérique Bonne, Virginie Cavanna und Séverine Durand gedankt, die oft gar nicht wußten, wozu sie befragt wurden, und dennoch geduldig blieben. Besonders danken möchte ich Sybil Wright, deren sprachlichem Feingefühl und deren Scharfsinn ich viele erhellende Einsichten verdanke. Für manches hilfreiche Gespräch in den Gängen der Universität bedanke ich mich bei Herrn Klaus Bach. Für Korrekturlesen, manchmal in letzter Minute und im Akkord, sei vor allem Anette Hanf, Gunde Hetzel sowie Brigitte Hoepcke gedankt, wegen nimmermüden Wiederholungstätertums jedoch in besonderem Maße Dr. Uwe Voigt und meinem Mann Armin. Zuletzt gilt mein herzlicher Dank meiner Familie, meiner Patin Heidi und ihrem Mann Gerhard Kleeberg, vor allem aber meinen Eltern Erika und Karl Sokol für ihre großzügige Unterstützung in allen Lebenslagen, weiterhin Dieter, Arja, Timo und Mona Sokol für die Sonnenstrahlen im Alltag. Nicht ausreichend würdigen kann ich das, was ich meinem Mann Armin Fischer verdanke, ohne den das ganze Projekt nicht hätte zustande kommen können. Ich danke ihm für alle sachlichen und liebevollen Stützen - und seine große Geduld.

1. Einleitung

1.1. Zur T h e m e n w a h l Sowohl die Problematik der grammatischen Kategorisierung als auch die des Teilbereichs der Futurität haben in jüngerer Zeit, einzel- und iibereinzelsprachlich, zu immer neuen Fragestellungen Anlaß gegeben und damit Raum für vielfältige Arbeiten geboten. Der erstgenannte, übergeordnete Bereich wurde dadurch immer komplexer und heterogener. Ein ernsthaftes Ringen um eine auch nur annähernd einheitliche Terminologie kann man bisweilen nicht einmal innerhalb einzelner Schulen konstatieren - dies ist eine Feststellung, die in linguistischer Literatur inzwischen als topisch gelten kann. Jeder mit der Thematik befaßte Linguist ist nach wie vor, selbst in unselbständigen Veröffentlichungen, genötigt, vorab darzulegen, was er unter einer Kategorie oder Kategorisierung versteht und weiterhin, diese für seinen Gebrauch zu definieren. Über die Grenzen der einzelnen sprachwissenschaftlichen Richtungen findet wenig Austausch statt, wenn es auch Tendenzen zu einer Art Schulterschluß in festumrissenen Bereichen gibt: So findet sich, um einige Beispiele zu nennen, in französischen Arbeiten taxonomischer Prägung immer häufiger die als solche ausgewiesene Übernahme GuiLLAUMEscher Theorieelemente. Die blühende Grammatikalisierungsforschung im übereinzelsprachlichen Bereich hat auch vorher erklärtermaßen nur synchron arbeitende Richtungen für die diachrone Perspektive geöffnet. Übernahmen aus dem Bereich der Kognitionswissenschaften und psycholinguistisch orientierte Argumentationslinien finden sich ebenfalls in Veröffentlichungen unterschiedlichster Prägung. Das Gebiet dessen, was ich an dieser Stelle als Aspektologie bezeichnen möchte, kennzeichnet eine relativ übergreifende, wenn auch selektive Rezeption. Vor allem die im Rahmen der allgemeinen Sprachwissenschaft entstandenen Werke gehören zum Standard, dennoch ist man von einer echten Annäherung im Sinne eines Minimalkonsens weiter entfernt denn je. Geradezu diametral entgegengesetzt stellt sich die Situation zum zweiten Teilbereich der vorliegenden Arbeit dar, zum System futurischen Ausdrucks im Französischen: SCHROTT (1997: 24ff.) kann in der Heranführung an ihre synchron orientierte Studie bereits von einem „Konsens" sprechen, der nach ihrem Dafürhalten auch einen gewissen „Stillstand" der Forschung markiert - dies vor allem im Bereich der Funktionsverteilung der zur Verfugung stehenden Formen: Allein seit 1989 erschienen fünf umfangreiche und synchron orientierte Monographien zum französischen Futur. 1 Diese Lage ist symptomatisch für den gegenwärtigen Stand der Sprachwissenschaft im allgemeinen: Es liegen nahezu erschöpfende Detailuntersuchungen einzelsprachlicher Systeme und Teilsysteme vor, ihnen stehen auf der anderen Seite eine Fülle theoretischer Arbeiten gegenüber, die sich durch hohe Spezifik und insgesamt uneinheitliche Terminologie auszeichnen, so daß jeder, der sie auf die einzelsprachlich zutage geförderten Ergebnisse anwenden will, vor eine Entscheidung gestellt wird, die dann zu unnötigen Beschränkungen fuhrt: Entweder muß eine Schule (meist sogar nur ein individueller Ansatz inner-

1

LORENZ, B . ( 1 9 8 9 ) ; LORENZ, S. ( 1 9 8 9 ) ; SUNDELL ( 1 9 9 1 ); HELLAND ( 1 9 9 3 ) ; SCHROTT ( 1 9 9 7 ) .

2 halb der entsprechenden Schule) favorisiert werden, oder man sieht sich genötigt, in atomistischer Manier adäquate Theorieelemente je nach Bedarf einmal hier, einmal dort zu wählen, je nachdem, welche Eigenschaften das konkrete Sprachmaterial zu erkennen gibt. Im ersten Fall entsteht der Eindruck von Systematik und Kohärenz, allerdings auch von systematischer Unterschlagung wesentlicher Aspekte des konkreten Materials. Im zweiten Fall bietet sich das Bild statistisch-deskriptiver Fleißarbeit ohne Überbau, die zu Datenmengen fuhrt, welche nicht nutzbringend weiterverwertbar sind, weil sie nicht zielorientiert erhoben wurden. Vergleicht man die Monographien zur Futurität im Französischen, so decken sie nahezu paradigmatisch die ganze Bandbreite zwischen den oben benannten extremen Ausprägungen ab. Die Arbeiten der Schwestern LORENZ ( 1 9 8 9 ) kennzeichnet ein kurzer Exkurs zum Forschungsstand auf der einen und eine Fülle an statistischen Erhebungen und Auswertungen auf der anderen Seite. Letztere werden dann nur relativ fragmentarisch genutzt, um bestimmte Teilaspekte im funktionalen Bereich greifbar zu machen. 2 Am anderen Ende der Skala bewegt sich die Arbeit von HELLAND ( 1 9 9 3 ) . Sie bietet, unter Rückgriff auf andere, vergleichbare Ansätze, ein eigenes Modell zu Aspektualität, Temporalität und Modalität, allerdings nur bezogen auf die zur Debatte stehenden Formen, sowie Analysen zu deren deiktischem Potential. Die Untersuchung gipfelt in der immerhin originellen (und durchaus diskussionswürdigen) These, daß Tempora nicht an sich deiktisch seien und ihr paradeiktisches Potential aus dem Kontext bezögen. 3 Das Versprechen, Grundwert und Kontextleistung nunmehr in ihrer getrennten Funktion aufzeigen zu können, wird dann jedoch nicht, wie der Titel erwarten läßt, an konkretem Sprachmaterial vorgeführt oder gar pragmalinguistisch unterfuttert. Selektiv und dürftig werden einige besonders passende Kontexte an konstruierte Beispiele geknüpft - gerade über das vom Autor selbst behauptete enorme pragmatische Leistungsspektrum bleibt man schlecht informiert. SUNDELL ( 1 9 9 1 ) konzentriert sich ausschließlich auf das literarische Register des Französischen, liefert allerdings dann einen für die begrenzte Fragestellung adäquaten Theorierahmen und eine sich innerhalb dieses Rahmens bewegende und vor allem von einer dezidierten Fragestellung geleitete statistische Untersuchung. Die aktuellste Arbeit (SCHROTT, 1997) sei bereits an dieser Stelle näher beleuchtet, da die einzelsprachliche Studie in den Kapiteln 4. bis 7. als Gegenstück und Ergänzung vor allem zu dieser zu verstehen ist. SCHROTT unternimmt den Versuch einer Annäherung der beiden Enden der oben aufgezeigten Skala. Zentrales Anliegen ist, einen sich im Laufe der Untersuchung immer stärker herauskristallisierenden Basiswert der französischen Futura von deren Nutzwerten zu trennen. Wo HELLAND die Abstraktion der langue fokussiert, filtert und destilliert Schrott in verschiedenen ausdruck-, inhaltseitigen und pragmatischen Bereichen so lange, bis sich ein Grundwert und eine Opposition scheinbar aufdrängen, die immer und überall erhalten bleiben. Auf der Basis dieser umrissenen Grundwerte kategorisiert SCHROTT dann in der Rede erscheinende Werte als abgeleitete und kontextinduzierte Manifestationen. Sie beschränkt sich auf das schriftsprachlich geprägte Register als dem vermeintlich unmarkierten Pol des Systems (eine ähnlich fundierte und erschöpfende Behandlung des gesprochenen Registers 2

Eine ausfuhrliche, fundierte Kritik dazu bieten VET (1993) und vor allem SCHROTT (1997: 68FF.), die auch im Fortgang ihrer Untersuchung immer einmal wieder auf diese Schwäche eingeht.

3

HELLAND, 1 9 9 3 : 3 1 8 .

3 hätte sicher interessante Zusatzergebnisse zur Folge gehabt). SCHROTT verzichtet zwar auf eine eigene statistische Erhebung, es finden sich jedoch in allen Kapiteln umfangreiche Belegpassagen mit Kommutationsproben, approbiert von Muttersprachlern. Man gewinnt den Eindruck, die Autorin ringe um größtmögliche Vollständigkeit, wolle alle relevanten Bereiche abhandeln und auch Detailfragen nicht ungeklärt lassen. Die genaue Beschaffenheit der als relativ bekannt geltenden Opposition zwischen futur simple und futur périphrastique soll detailliert aufgezeigt und dann auch genauer benannt werden. Das funktionale Profil des futurischen Präsens wird in Abgrenzung zu den genuinen Futura gezeichnet. Je nach Bedarf werden Forschungslücken geschlossen (wie etwa die bisher fehlende systematische Erfassung des futurischen Präsens sowie der Interaktion mit sprachlichem und außersprachlichem Kontext). Auch syntakto-semantisch induzierte Restriktionen, denen die einzelnen Formen unterliegen, hat die Autorin zumindest am Rande im Blick. Sie kommt zu überzeugenden Erkenntnissen, kann einige bisher kursierende Annahmen als so nicht haltbar nachweisen bzw. ausräumen und liefert insgesamt ein auch theoretisch reich untermauertes Großpanorama des futurischen Ausdrucks in dem von ihr untersuchten Register. Nun birgt gerade diese vorerst bestechende Vollständigkeit und das Bestreben, alle Leistungen der Formen unter sammeln und sich unter einem Leitstern pragmalinguistischer Prägung durch den Irrgarten der linguistischen Untersuchungsfelder und Terminologien zu bewegen, Gefahren. Die disparat aus unterschiedlichsten Kontexten herausgegriffenen Theorieelemente wirken bisweilen unverbunden. Es entsteht kein theoretischer Über- sondern ein relativ heterogener Unterbau. Dieser wird (so SCHROTT selbst, 1997: 16ff.) aufgrund des Auftretens bestimmter Wertigkeiten nach und nach erstellt, die als Emanation des Materials im Räume stehen bzw. gemäß Forschungskonsens anzunehmen sind. Welches semantische Modell z.B. hinter der Untersuchung steht, erschließt sich im Laufe der Lektüre nur bruchstückhaft. Zwar war die Erarbeitung eines solchen Modells nicht intendiert, es erweist sich jedoch, daß eine Theorieentwicklung in progress zwangsläufig weitere Fragen aufwirft, die am Ende nicht mehr beantwortet werden können. Manches eingangs herangezogene theoretische Raster muß mit wachsender Detailerkenntnisfulle derart geweitet werden, daß es die Kontur verliert. Von Kapitel zu Kapitel häufen sich Fälle, in denen ein funktional gleichwertiges Datum einer Form unterschiedlich, geradezu widersprüchlich interpretiert wird, weil die Autorin in jedem Kapitel immer nur einen Aspekt herausarbeiten möchte. Dies hat zur Folge, daß vorher im Text ziemlich eindeutig formulierte Aussagen in Fußnoten wieder abgeschwächt werden, manchmal so weit, daß die ursprüngliche Aussage und der Erkenntnisgewinn nahezu zurückgenommen scheinen. Dies nimmt der Arbeit nichts von ihrem Wert, was den Abdeckungsradius, die Redlichkeit des Vorgehens (Abtesten an konkretem und fingiertem Material, Sprecherbefragung usw.) und nicht zuletzt die nahezu lückenlose Rezeption von und Auseinandersetzung mit der bisherigen themenrelevanten Forschung anbelangt (ohne vorverurteilende Auswahl nach linguistischen Schulen!). Sie ist in diesem Bereich standardsetzend. Die vorliegenden Arbeit stellt einen Brückenschlag zwischen Theorie und Deskription zur Diskussion, der sich einer anderen Perspektive verdankt. Futurität wird in den Rahmen eines Modells der Kategorieninteraktion eingeschrieben, d.h. als eines von vielen möglichen Anwendungsbeispielen fiir dieses Modell untersucht. In einem ersten Teil geht es also um die Erarbeitung einer adäquaten Metasprache, die in allen verbalkategorialen Bereichen greifen sollte. Wie nützlich diese sein kann, um bekanntes Wissen zu systematisieren bzw. überhaupt erst bewerten zu können, wird dann am Teilbereich der Futurität des Französi-

4 sehen zu exemplifizieren sein. Das Formeninventar, das im Französischen temporal futurische Funktionen hat, weist ja bekanntermaßen auch Wertigkeiten anderer verbalkategorialer Färbung auf, so z.B. modale, und bietet sich somit als besonders geeignet an. Eine theoretische Grundannahme ist die, daß Temporalität und Modalität keine unhintergehbaren Größen darstellen, sondern ökonomisch auf hierarchisch vorgeordneten kategorialen Inhalten sprachlicher Zeichen (Aktionalität und Aspektualität) aufbauen. Diachrone Aspekte und übereinzelsprachliche Tendenzen müssen systematisch Eingang in die Argumentation finden. Wenn ein Modell der kategorialen Interaktion Sinn machen soll, muß es auch übereinzelsprachlich anwendbar sein und zudem die Werte einzelner Formen (z.B. futurische) in einer Art und Weise benennen können, daß sie auch mit kategorialen Wertigkeiten aus anderen Teilbereichen eines einzelsprachlichen Systems vergleichbar sind. Es muß sich zudem für die Beschreibung diachroner Werteveränderungen eignen.

1.2. Forschungsstand und o f f e n e Fragen 1.2.1. Aktionalität/Aspektualität und Futurität Das Gegenwartsfranzösische verfugt über zwei Formen, denen man, wenn auch nicht unumstritten, temporal-futurischen Status zubilligt - eine verbalperiphrastische, , a l l e r g t + Infinitiv' (sog. futur périphrastiqué) und eine synthetisierte Form (sog. futur simple), die diachron aus einer Verbalperiphrase (,Infinitiv + habereÎm^) entstanden ist, wobei das ehemalige Auxiliar zur Flexionsendung wurde. Zudem kann das formale Präsens (sog. présent futural) unter bestimmten Bedingungen temporal futurisch fungieren. 4 Einige Fragen stehen nun trotz der unter 1.1. erwähnten Fülle an statistischer, deskriptiver und analytischer Forschungsliteratur noch offen. Der Bereich ist vor dem nunmehr gut bekannten einzelsprachlichen Beflind noch einmal im Hinblick auf die übereinzelsprachliche Systematik kategorialer Architektonik und temporaler Semantik zu betrachten und eventuell neu zu bewerten. Als relativ befriedigend beantwortet kann die Frage nach der synchronen Funktionsverteilung zwischen periphrastischem und synthetischem Futur im Teilbereich der Temporalität gelten. Es gibt zwar Kontexte, die eine der beiden Formen jeweils ausschließen (welche, das hat SCHROTT aufgezeigt), dieser Unterschied ist jedoch, nach SCHROTT (1997: 54f.), nicht darauf zurückzufuhren, daß sie in temporaler Opposition im Sinne einer Referenz auf unterschiedliche Zeitstufenabschnitte stehen (,nahes Futur' ,fernes Futur'). Der Unterschied bzw. die Nicht-Kommutierbarkeit, so ihre Hypothese, beruhten vielmehr auf einer nicht-temporalen Inhaltskomponente, die sie als distinktives Merkmal der „aktuellen" ( f p ) bzw. „virtuellen Konditionierung" ( f s ) bezeichnet. Für das futurisch verwendete Präsens (1997: 149ff., 227ff.) ermittelt sie den Grundwert einer präsentischen Gültigkeit, einer gegenüber den Futura stärkere Integration in die origo. Das Merkmal einer im deiktischen Zentrum wurzelnden Konditioniertheit differenziert also das f p vom fs, und eine Zunahme der Integration in die origo differenziert weiterhin f p und futurisches Präsens. Es fußt auf einem erweiterten, nicht nur raumzeitlichen Verständnis der origo im Sinne einer erhöhten bzw. sich verlierenden Sprecherrelevanz. Das futurische 4

Das futur simple wird im folgenden Text mit f s , das futur périphrastiqué Präsens, frz. présent futural, mit pf abgekürzt.

mit f p und das futurische

5 Präsens stehe außerhalb der Opposition f s - f p , weil diese in unterschiedlichen Arten der Konditioniertheit bestehe, außerhalb der Opposition von futurischem Präsens und f p stehe das fs, da es nicht mit einem wie auch immer gearteten Integrationsgrad in die origo markiert sei (SCHROTT, 1997: 407). Im Kontext der Grammatikalisierungsforschung wird eine derartige formale Mehrfachrealisierung eines kategorialen Inhalts als layering5 bezeichnet. Verbildlichen ließe sich SCHROTTS Modell für den temporalen Bereich folgendermaßen: Ausdruck:

présent

Inhalt:

futur périphrastique

atemporal

temporal futurisch

futur

simple

modal

(,präsentisch')

Layering kann man als eine Art Synonymie verstehen. Wie jedoch Synonymie aufgrund von Polysemie immer Grenzen gesetzt sind, so gibt es auch .echtes' Layering meist nur in einem funktionalen Bereich: u.a. temporal fungierende Zeichen sind, was kategoriale Inhalte anbelangt, polyfunktional (d.h., sie haben u.U. unterschiedliche nicht-temporale Funktionen). Dieses ,Mehr' an Funktionalität kann man einerseits als zusätzliche inhaltliche Markiertheit verstehen, oder aber andererseits davon ausgehen, daß ein Grundwert (ein Merkmal) in wechselnden Kontexten immer wieder anders funktionalisierbar ist. Die zuletzt genannte Forschungsposition vertritt SCHROTT. Die Basiswerte, die sie ermittelt, dominieren ihrer Meinung nach transkategorial die temporale, aspektuelle und modale Semantik. Für das futur simple läßt sich ihre Hypothese folgendermaßen darstellen: Grundwert:

Funktionen:

,virtuelle Konditioniertheit'

aspektuell (?)

temporal

modal

(von der origo gelöstes Futur) (distanziert - epistemisch)

Die aspektuellen, temporalen und modalen Teilfünktionen sind als kontextabhängige Manifestationen dem zentralen Wert bei einem solchen Verständnis hierarchisch nachgeordnet. Das im Bereich der aspektuellen Manifestation eingefügte Fragezeichen soll nun bereits deutlich machen, wo ein .blinder Fleck' in SCHROTTS Arbeit zu orten ist, nämlich im Bereich der aktionalen und aspektuellen Werte. Vor allem der aspektuelle Wert des f s wird kaum thematisiert, vor allem jedoch nicht systematisch in die Analyse einbezogen. Die nicht ausreichende Berücksichtigung der genannten Inhalte hat zur Folge, daß auch in anderen kategorialen Bereichen Einbrüche bzw. inkohärente Argumentationslinien zu verzeichnen sind. Es wird zu zeigen sein, inwieweit kategoriale Basiswerte aktionaler und aspektueller Provenienz durch ihr jeweils spezifisches Zusammenspiel die z.B. von SCHROTT konstatierten Werte hervorzubringen imstande sind und insoweit als grundlegend gelten müssen. Für das futur simple beispielsweise könnte unter dieser veränderten Perspektive das hypothetische Schema eher so aussehen:

5

BYBEEU.A., 1994: 21 f.

6 1. Aktional-aspektueller Wert der Form => 2. aspektueller Wert

mit bestimmten aktionalen Klassen in bestimmten Kontexten

=> 3. temporaler Wert

mit bestimmten aktionalen Klassen in bestimmten Kontexten

=> 4. modaler Wert

mit bestimmten aktionalen Klassen in bestimmten Kontexten

Ein kategorialer (aspektueller) Zentralwert würde nach diesem Verständnis je nach Prädikattyp und Kontext temporal oder modal reinterpretierbar. Gesetzt den Fall, perfektive Aspektualität wäre als Basiswert des fs anzunehmen, dann könnte man SCHROTTS Wert der ,virtuellen Konditioniertheit' z.B. als dessen frequenteste Manifestation betrachten. Damit ist der beschriebene Gegenstand (in diesem Fall der Bereich der Futurität des Französischen) in Beziehung setzbar mit vergleichbaren Gegenständen (etwa dem Referenzbereich der Vorzeitigkeit im Französischen oder der Futurität in anderen Sprachen). Es wird zu zeigen sein, daß ein solches Verständnis zudem eine Beantwortung der Fragen ermöglicht, die in SCHROTTS Untersuchung entweder nicht beantwortet oder aufgeworfen worden sind. Die nicht beantworteten Fragen bezüglich des Funktionsbereichs, der dem temporalen diachron und synchron vorgeordnet ist, lassen sich wie folgt formulieren: a.) Gibt es Affinitäten einzelner futurisch fungierender Formen zu bestimmten Prädikattypen (aktionalen Klassen)? Kann man gar Restriktionen feststellen? 6 b.) Gibt es im futurischen Bereich Aspektoppositionen bzw. Oppositionen aspektueller Färbung? Widersprüchliche Aussagen zum Zusammenhang zwischen Aktionalität/Aspektualität und Futurität sind in der Forschungsliteratur häufig zu finden. Auch die ansonsten so differenzierte und ausfuhrliche Arbeit von S C H R O T T bleibt in diesem Bereich fragmentarisch. Dies ist ein Nebeneffekt der Zielsetzung der Autorin, da sie transkategoriale und transpragmatische Merkmale sucht, denen folglich auch aspektuelle Werte hierarchisch als Nutzwert nachordenbar sein müssen, auch wenn sich ein eigenes Kapitel zu Aspekt und auch stellenweise eingestreute Aussagen zur Thematik finden. Affinitäten bestimmter Situationstypen (aktionaler Klassen) zu einzelnen Tempora werden explizit nicht ausgeschlossen, diese Affinitäten bzw. die zugrundeliegenden semantischen Mechanismen gleichwohl nur fur das futur antérieur systematisch erfaßt (1997: 209ff.). Bereits beim présent futura!, wo Affinitäten, die die Forschung bisher festgestellt hat, eingeräumt werden, ist dieser Umstand kaum in die Analyse integriert - für das f p und das fs werden aktional bedingte Unverträglichkeiten als irrelevant betrachtet und, wo sie sich zeigen, auf das Merkmal der virtuellen Konditioniertheit oder den Kontext zurückgeführt (1997: 141,228).

6

Die Frage wird von SCHROTT für f p und fs negativ beantwortet (1997: 228). Die Negativbeantwortung wird jedoch an anderen Stellen der Arbeit in Frage gestellt, manchmal implizit, manchmal explizit. Die Unklarheit im aktionalen Bereich geht vermutlich darauf zurück, daß SCHROTT ihn als Teilbereich der Kategorie Aspekt behandelt (zur damit verbundenen Problematik vgl. 3.1.1.).

7

Gerade in Anbetracht der vielen Veröffentlichungen und der kontroversen Auffassungen zu diesem Thema, erscheinen die Aussagen zur Aspektualität lückenhaft. Aspekt als Begriff wird mit unscharfen Grenzen sowohl für das Phänomen der Phasenfokussierung als auch für die Opposition perfektiv/imperfektiv verwendet. Das fs wird als perfektiv bzw. neutral, das f p als imperfektiv (aufgrund inchoativer Diskurswerte) zwar bezeichnet (1997: 105), der spezifischen Wirkung dieser Markiertheit allerdings kaum (fp) bzw. gar nicht (fs) nachgespürt. Wie mißlich die Unterordnung dieses so zentralen Funktionsbereichs ist, sei an einigen Beispielen vor Augen geführt. Zum einen führt sie zu einer variablen, teilweise auch widersprüchlichen Handhabung der Begrifflichkeit im Bereich Aktionalität (Situationstypen).7 Global hält SCHROTT fest (1997: 111), im Französischen dominiere Aspekt (in der weiten, unscharfen Definition, die sie favorisiert) den Situationstyp (Aktionalität). Situationstypen (aktionale Klassen) bestehen ihrer Auffassung nach nicht in spezifischen Merkmalkonstellationen von Verben, Prädikaten, Verbkonstellationen o.ä., sondern konstituieren sich über Sätze incl. Adverbialien (1997: 103). D.h., zentrale Aktanten und periphere Zirkumstanten haben den gleichen aktionalen Status. Bis hierhin kann man dies als kaum konsensfähige, gleichwohl aber originelle Definition noch akzeptieren. Nicht zu akzeptieren ist jedoch, daß sich SCHROTT im Fortgang der Arbeit nicht an diese Definition hält. Im Untersuchungsbereich Negation etwa (1997: 272ff.) wird zur Feststellung des Situationstyps bestimmter Sätze zwischen satzkonstituierenden und satzmodifizierenden Elementen unterschieden. An anderer Stelle werden zur Abtestung der implizit temporalen Wirkung bestimmter Situationstypen im Präsens Adverbien wie demain weggelassen (1997: 168), die sie beim futur antérieur als den Situationstyp konstituierend analysiert (1997: 34Iff.). Es scheint der Willkür überlassen, ob Adverbialien den Situationstyp konstituieren oder nicht. Zudem greift die Autorin selbst bei Bedarf auf die so vehement abgelehnte Fassung der Situationstypen als Verbklassen zurück. Zwar argumentiert sie dort, wo sie die Marginalität aspektueller Umdeutungen im fs (1997: 112ff.) zu belegen versucht, damit, daß man aus einer sichtlichen Häufung der Verben être und avoir bei dieser Form keinesfalls auf eine grundsätzliche Affinität zum Situationstyp state schließen (1997: 112) dürfe, zur Untermauerung eigener Thesen greift sie jedoch mehr als einmal selbst auf eben dieses Argument zurück. So etwa, wo eine Restriktion der epistemisch-modalen Verwendung des fs auf die Verben avoir und être konstatiert und daraus direkt eine Restriktion dieser Funktion auf den Situationstyp state gefolgert wird (1997: 302). Tempora sind nach SCHROTT, im Gegensatz zu Aspekten (hier: Phasenaspekten), für den Situationstyp durchlässig. Das f p in seiner phasenaspektuellen Verwendung löse deshalb Umdeutungen von Prädikaten aus, während es in seiner temporalen Nutzvariante aspektuell neutral sei und keine derartigen Umdeutungen auslöse. Auf dieser Grundlage sei für das fs, bei dem es sich eindeutig um ein Tempus (ohne aspektuellen Nebenwert im Sinne von Phasenaspekt) handle, die Transparenz für den wie auch immer verstandenen Situationstyp anzunehmen. Das wohlbekannte aktional-aspektuelle ,Kippen' 8 von state-Prädikaten im fs, das sich zudem an SCHROTTS Beispielmaterial in Hülle und Fülle dokumentieren ließe, wird übergangen. 7

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Allein dieses in fast allen Arbeiten zu konstatierende Manko würde schon beinahe eine weitere Untersuchung rechtfertigen. Auf Einzelnachweis sei an dieser Stelle verzichtet, da ein Teil des Kapitels 6. diesem Phänomen gewidmet ist - der Forschungsstand wird dort in der nötigen Ausführlichkeit referiert.

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Nicht zuletzt diese Inkohärenzen ermöglichen, das Phänomen der Aspektualität gegenüber den von ihr behaupteten Grundmarkierungen der ,virtuellen' und .aktuellen Konditioniertheit' abzuwerten - die mangelnde Widerspruchsfreiheit in der Basisargumentation jedoch macht die erzielten Endergebnisse angreifbar. SCHROTT kommt, was das Verhältnis von Aspektualität und Temporalität betrifft, zu einer Schlußfolgerung, die sie selbst vermutlich außerhalb ihres begrenzten Untersuchungsbereiches sofort als so nicht haltbar erkannt haben würde. Sie behauptet, bei Formen mit dominant temporaler Funktion verliere bzw. neutralisiere sich deren aspektuelle Markiertheit. 9 In eine derartige Sicht wäre bereits das passé simple, ein unbestreitbares Tempus, nicht mehr zu integrieren, das ja bekanntermaßen in temporaler Funktion zusätzlich aspektuell fungiert. Nachdem einmal behauptet wurde, primäre Tempora seien aspektuell neutral und für die Aktionalität des Situationstyps durchlässig, müssen die vielen am vorgeführten Beispielmaterial erscheinenden Fälle eines aktional-aspektuell umgedeuteten Prädikats im f s z.B. analytisch unbeachtet bleiben. Im Zuge einer Passage über transitionell umgedeutetes savoir im f p wird lediglich nebenbei erwähnt, mit der aktionalen Klasse der sog. states bleibe im f s „der Zustandswert eher [Hervorh. MS] erhalten." (1997: 114). Wenn das f s jedoch die für Tempora behauptete generelle Durchlässigkeit für den Situationstyp hätte, dürfte es überhaupt nicht zu derartigen Umdeutungen kommen - oder man müßte nachweisen, daß der Kontext verantwortlich ist. Allerdings merkt SCHROTT in einer Fußnote selbst an (1997: 111), es gebe möglicherweise noch aufzudeckende Wechselwirkungen zwischen Situationstyp, Aspektualität und Futura, nachdem diese sich für das présent futural und das futur antérieur als relevant erwiesen haben. Systematisch wurde dergleichen im Bereich der französischen Futura (für das gesprochene Register) bisher nur von JEANJEAN ( 1 9 8 8 ) beleuchtet, und zwar nicht nur statistisch, sondern auch systematisch theoretisch. Die Untersuchung erfolgte allerdings ausschließlich verbzentriert, die Grundfrage nach dem Zusammenhang zwischen aktional-aspektueller Markiertheit und den zu untersuchenden Tempora ist also weiterhin unbeantwortet. BYBEE U.A. z.B. sahen sich genötigt, ihre übereinzelsprachlich-vergleichenden Erhebungen auf der Basis von Referenzgrammatiken zu tätigen. Auch sie bedauern, daß Korrelationen hochrelevant, in ihrem Umfang jedoch weitgehend unbekannt seien (1994: 203): An important feature o f grammaticization of tense and aspect is the changing interactions with lexical semantics o f the verb. Our reference grammar survey has turned up a number o f tantalizing details o f this interaction but more frustrating gaps in the descriptions. More detailed languagespecific studies need to be made of the lexical co-occurrence patterns o f these developing tense and aspect grams.

Eines dieser „gaps", was die ,,co-occurence patterns" anbelangt, soll im folgenden geschlossen werden, indem Zusammenhänge von aktionalen, aspektuellen und temporalen Werten bei den französischen Futura aufgedeckt werden. Wie sich zeigen wird, gibt es Affinitäten und Restriktionen in weit größerem Umfang als bisher angenommen werden konnte.

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SCHROTT, 1997: 228: Denn bei der von einem Tempus geleisteten Lokalisierung werden keine Grundbausteine der Situation fokussiert [...].

9 1.2.2. Modalität und Futurität 1.2.2.1. Überkommene Axiomatik: ,Die Zukunft ist auf Sand gebaut.' Besonders Fragen, die die Wechselwirkung von Futurität und Modalität betreffen, sind trotz extrem häufiger Behandlung bisher gar nicht oder unbefriedigend beantwortet: a.) Steht das Phänomen der Modalität temporal futurisch fungierender Formen in ursächlicher Beziehung zum temporal-referentiellen Bereich Nachzeitigkeit? Sind einige nicht vielmehr eher als Modus zu betrachten (etwa die deutsche ,werdenfmA + Infinitiv'-Periphrase)? b.) Wie erklärt sich die Instabilität von als Tempus Futur grammatikalisierten Formen, d.h. deren Anfälligkeit fur das Phänomen sog. diachroner Ablösung, ihr relativ hoher Markiertheitsgrad und der Umstand, daß die inhaltliche Kategorie Futurität ausdruckseitig oft von einem Konglomerat verschiedener lexikalischer und grammatischer Elemente getragen wird? 10 c.) Wie steht es mit der oft behaupteten asymmetrischen Verteilung grammatisch markierter Formen zum (ausschließlichen) 11 Ausdruck des gegenüber dem Sprechzeitpunkt Nachzeitigen im Vergleich zu denen mit Verweis auf Vorzeitigkeit? Warum gibt es in manchen Sprachen kein genuines Futur, in anderen zwei oder mehr? Problembereich a.) wird in den meisten Veröffentlichungen zum ftiturischen Ausdruck entweder positiv beantwortet oder mit Rekurs auf die ontologische Besonderheit dessen, was der Mensch noch vor sich habe, axiomatisch als positiv zu beantworten gesetzt. 12 Wo das Axiom in seiner ontologischen Prägung abgelehnt wird, behält man dennoch gern dessen linguistisches Nebenprodukt bei. 13 Die Problembereiche b.) und c.) können dann auf a.) abgewälzt werden. Derartige Grundübereinkünfte entbinden zwar offensichtlich nicht davon, die Frage nach dem Beigeschmack des Faktischen oder des Eventuellen in Veröffentli-

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Vgl. BYBEE U.A. , 1994: 245ff. ' Vgl. BYBEE U.A. (1994: 243), wonach Futurität als Funktion und Subfunktion die häufigste Bedeutungskomponente in dem von ihnen untersuchten Sample von 70 Sprachen war. 12 Vgl. LUDWIG (1988), der sich dezidiert gegen ontologische Axiome (1988: 39 incl. FN) im Bereich sprachlicher Bedeutung wendet: [...] primär ist nicht, daß die in der Rede gestellte Proposition wahr ist [Hervorh. MS], sondern daß sie vom Sprecher als wahr hingestellt wird. Anders gesagt, für jede Aussage, fur jede Darstellung gilt im Normalfall, daß der Sprecher sie assertiert, die kommunikative Regreßpflicht für sie übernimmt. [...] Insofern sind nun im Sinne von Heger die Sätze X ist und Ich meine, daß X ist kategoriell identisch [...]. D.h. ich gebrauche 'Wirklichkeit' ('Realität') ohne ontologische Implikationen. Ohne erkennbaren Rechtfertigungsdruck wird für das Futurische anders definiert (1988: 39 FN): Im Zusammenhang mit der kategorialen Trennung zwischen Vergangenheits- und Gegenwartsaussagen einerseits und Zukunftsaussagen andererseits [...] wird allerdings dann die Möglichkeit einer ontologischen Begründung erwogen. Die entsprechenden Kapitel (1988: 91 ff.) zeigen, daß diese Möglichkeit keineswegs nur erwogen, sondern ohne weitere Diskussion genutzt wird. 13 Hierzu beispielsweise SCHROTT, 1997: 232: So stellt die bei den temporal-futurischen Verwendungen gegebene epistemische Modalität gleichsam die Kehrseite der Futurität dar und bildet fur die Äußerungen eine konstante epistemische Grundierung. 1

10 chungen zu Tempussystemen und zu futurischen Ausdrucksmitteln immer wieder zu stellen - die Antwort fällt jedoch mit leichten Nuancen stereotyp aus. Dabei wird zu argumentatorischen Mitteln gegriffen, die man in der Linguistik gewöhnlich meidet: Ein seit der griechischen Antike immer wieder strapazierter, erkenntnistheoretischer Gemeinplatz wird herangezogen, was regelrecht verhindert, daß sprachliche Interaktion bei modalen Lesarten im Detail untersucht wird. Wichtige Nebenbeobachtungen zu sprachlich-formalen Auffälligkeiten, die mit dem Axiom nicht gut zu vereinbaren sind, finden sich demzufolge oft in Fußnotentexte verbannt. Dieselben Autoren, die sich des Axioms (zu paraphrasieren etwa mit: ,Die Zukunft ist auf Sand gebaut und damit jedes Futur') in wie auch immer gearteter Form bedienen, lehnen die Bemühung ontologisch-erkenntnistheoretischer Vorgaben fur andere Bereiche ihres Forschungsfeldes strikt ab. Sofort als wissenschaftlich inakzeptabel erkennbar wird das Axiom, wenn man es auf andere Bereiche überträgt: Man stelle sich etwa vor, jemand schicke der Untersuchung modaler Verwendung temporal minussituierender Formen (wie etwa beim französischen imparfait zu beobachten) als erklärungsadäquates Diktum voran, die Vergangenheit (!) sei eben Schall und Rauch oder (pragmalinguistische Version) der Sprecher ringe mit seinem mangelhaften Gedächtnis und Vorstellungsvermögen, was dann zur Neutralisation des temporaldeiktischen Merkmals oder zu einer metaphorischen Umdeutung in einem unpassenden Kontext führe. Im Bereich der Futura schreckt man vor ähnlichen Gleichsetzungen mehr oder weniger deutlich ontologisch basierter Vorentscheidung mit dem morphosyntaktischen wie semantischen Verhalten sprachlichen Formeninventars nicht zurück. 1.2.2.2. Alte Axiomatik neu gewandet: die ,Sprechhaltung der Gewißheit' SCHROTTS (1997) Argumentation zur Modalität von Futura stellt, verglichen mit den unter 1.2.2.1. referierten Positionen, insofern eine Ausnahme dar, als sie die angesprochene Problematik erkennt und benennt. Sie bezieht Stellung in der Weise, daß sie explizit die unreflektierte Vermischung außersprachlicher Begriffe (Zeitlichkeit, Ungesichertheit der Zukunft) mit innersprachlicher Temporalität ablehnt, einen mittelbaren Zusammenhang jedoch zugesteht (1997: 19). Sie weist weiterhin eine häufig bemühte pragmalinguistische lightVersion des Axioms entschieden zurück: Die Ungesichertheit zukünftiger Ereignisse für den Sprecher, ein außersprachliches Phänomen, schlage sich keineswegs, wie oft behauptet werde, indirekt als abgeleitete kontrafaktische Modalität im Bereich der Futura nieder (1997: 230f.). Und so überrascht, daß nahezu übergangslos die Feststellung folgt, eine Diskussion um Temporalität und Modalität von Futura erübrige sich, weil „Modalität für die temporalen Verwendungen eine epistemische ,Grundierung'" bilde, "die sich aus der futurischen Referenz ableiteft]" (1997: 231). Nicht etwa eine außersprachlich verankerte Ungewißheit trete indirekt sprachlich auf den Plan, sondern deren Gegenstück, die Sprechhaltung der „Gewißheit" (1997: 232ff.), die nur im Bereich primärer Futura zu verzeichnen sei (das futurische Präsens weise sie z.B. nicht auf). 14 Eine derartige Markierung habe dann, je nach Zusammenspiel von Kontext und Basissemantik, bestimmte andere Schattierungen von

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Es stellt sich hier die Frage, w a r u m das futurische Präsens von modalem Kippen verschont bleiben sollte, w o doch bei futurischer R e f e r e n z (und nicht etwa bei T e m p o r a mit primärer futurischer Funktion) angeblich immer eine epistemische G r u n d i e r u n g bestehen soll (s. Zitat).

11 Modalität zur Folge. Epistemische Grundierung in Form des Merkmals der nachdrücklichen Gewißheit seitens des Sprechers eigne Futura generell (übereinzelsprachlich). 15 Damit ist der besondere Status futurischer Referenz und, was weniger augenfällig ist, der Sonderstatus des außersprachlich Zukünftigen durch die Hintertür wieder etabliert. Wenn es denn eine Sprecherhaltung zum Gesagten in der genannten Form nur als Beigeschmack bzw. Grundierung futurischer Temporalität gibt, so ist die Frage, ob ein Sprecher bei Bezug auf Vergangenes oder gegenwärtig nicht Wahrnehmbares weniger mit seiner kommunikativen Regreßpflicht im Sinne einer Beweisnot zu ringen hat, implizit gestellt und positiv beantwortet. Das sprechende Subjekt kämpft weiterhin tapfer gegen die Windmühlenflügel der ungesicherten Zukunft an, in diesem Fall dann eben mit verstärktem Verweis auf die Gesichertheit seiner Aussage. Im Bereich des Sprachlichen werden die Verhältnisse hier nur umgekehrt, der referentielle Bereich verbleibt damit in seinem axiomatisch mystischen Halbdunkel. Autoren, die so argumentieren wie SCHROTT, machen die außersprachliche Verhaftung ihrer Argumentation meist explizit, und das Axiom ontologischer Prägung erhebt unter umgekehrten Vorzeichen sein Medusenhaupt. 16 Die formale Instabilität im futurischen Bereich wird auch in diesem Fall als logische Folge der oben thematisierten Vorverurteilung erklärt. Sprecher stehen durch semantischen Abschliff alter modal-futurischer Formen, die zunehmend nur noch temporal verwendbar sind, permanent vor der Notwendigkeit, diese durch semantisch reichere, Gewißheit und Notwendigkeit expressiv vermittelnde Formen zu ersetzen.' 7 Bei futurischer Referenz liege ein automatischer Verstoß gegen die GRICEsche Maxime vor, nur das zu sagen, was man für wahr halte. Dies sei der Motor dafür, daß ständig neue Formen in den Grammatikalisierungsstrudel gerieten und bei Abschliff der expressiven Semantik untauglich würden. Etwas in der Zukunft liegendes für wahr zu halten und das auch noch zu vermitteln, sei schier unmöglich, und der Verweis darauf müsse unter ungleich mehr Aufwand erfolgen als auf bereits Geschehenes oder gerade Geschehendes. In diesem Zirkelschluß wurzelt implizit auch SCHROTTS differenzierte Argumentation: a.) Zukünftige Ereignisse haben noch nicht stattgefunden, vergangene und gegenwärtige schon oder teilweise (Ontologie). Sie haben für Sprecher unterschiedliche Synapsen fur die Zuordnung von Wahrheitswerten und unterstehen deshalb anderen Mechanismen der kommunikativen Regreßpflicht. Aus diesem Grund muß die Versprachlichung dieses Bereichs Besonderheiten aufweisen. b.) Das besondere formale und funktionale Spektrum sprachlicher Zeichen mit Verweis auf temporal nachgeordnete Ereignisse ist mit a.) zu erklären. Es soll nun keinesfalls bestritten werden, daß es möglicherweise ein Ankämpfen gegen die außersprachliche Nicht-Verifizierbarkeit von Aussagen als dem Sprechen zugrundeliegen15

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Auch hier liegt ein Widerspruch zu einer vorher gemachten Aussage vor. Zur semantischen Markiertheit im Zusammenhang mit Sprecherhaltungen im allgemeinen steht (1997: 121) zu lesen, „daß die Futura keine Sprecherhaltungen ausdrücken". Vgl. ZELLER (1992:102ff.), der ebenfalls eine Modalität Sprechergewißheit der temporalen Funktion Futurität diachron und synchron vorordnet. Eine vergleichbare Auffassung scheint auch Peter KOCH zu vertreten. Er äußerte sie anläßlich eines Vortrags über die Grammatikalisierung modaler Periphrasen zu Futurmarkern im linguistischen Kolloquium der Universität Bamberg (WS 1996/ 1997). V g l . FLEISCHMAN, 1 9 8 2 : 3 1 f.

12 des und dieses damit prägendes Phänomen gibt. Es sollte jedoch nicht immer nur thematisiert werden, wenn es einen Erklärungsnotstand zu beheben gilt, sondern in seiner grundlegenden Systematik erfaßt und linguistischer Beschreibung generell verfügbar gemacht werden. Ebensowenig ist auszuschließen, daß das Ausdrucksinventar im futurischen Referenzbereich (Nachzeitigkeit) möglicherweise anderen Gesetzen gehorcht als das zum Ausdruck der Vorzeitigkeit. Bevor eine derartige innersprachliche Mechanik jedoch nicht in einzelnen Sprachen im Detail erkannt und formuliert ist, sollte man sie nicht auf der Basis außersprachlich fundierter oder erkenntnistheoretischer Vorgaben von ansonsten geltenden Übereinkünften ausschließen. In einem integrativen Modell muß das sprechende Subjekt in allen kategorialen Bereichen als nicht nur einkalkulierter, sondern durchgängig linguistisch beschreibbarer Faktor erscheinen - und zwar als eines, das nicht nur maximal sozial erfolgreich zu sein, sondern auch auf eine außersprachliche Wirklichkeit zu referieren hat. Angesichts der ungeklärten Bereiche wird im Zentrum der folgenden Untersuchung das durchgängige Verhältnis von Aktionalität, Aspektualität, Temporalität und Modalität stehen. Dessen Ausprägung bei den französischen Futura und dem futurisch verwendeten Präsens ist in den Zusammenhang eines kategorialen Modells einzuschreiben, das auch zur Beschreibung anderer Bereiche herangezogen werden kann.

1.3. S c h w e r p u n k t e , A u f b a u , M e t h o d i k

Zwei zentrale Untersuchungsbereiche sind durch die Fragestellung bereits vorgegeben. Einen ersten Schwerpunkt bilden die Synchronopse des aktuellen Forschungsstandes im Bereich verbalkategorialer Semantik und die Definition der kategorialen Inhalte Aktionalität, Aspektualität, Temporalität und Modalität auf der Basis eines Semantikmodells. Der erste Teil schließt mit der Erstellung eines Modells der Beziehungen zwischen den Kategorien. Im zweiten Schwerpunkt wird das Modell als Beschreibungs- und Analysemodell exemplarisch auf seinen Nutzwert in einem einzelsprachlichen Teilsystem (Futurität im Französischen) getestet. Dies erfolgt in drei Schritten: Jedes futurisch fungierende Tempus wird analytisch und unter Einbeziehung diachroner Gegebenheiten auf kategoriale Werte und deren formales Korrelat hin untersucht. Es folgt jeweils die Formulierung von daraus ableitbaren Hypothesen, die dann an erhobenen Daten aus drei Registern statistisch verifiziert bzw. rektifiziert werden. Die Ergebnisse aus den Teilbereichen werden in einem abschließenden Kapitel systematisch aufeinander bezogen. In Form eines Ausblicks wird die Relevanz des Ergebnisses fur die übereinzelsprachliche Theorienbildung diskutiert (Kapitel 9). Ein Semantikmodell, das eine adäquate Basis für eine Kategorienmodell darstellen soll, muß zwei Ebenen der Bedeutung sowohl in ihrer Differenz als auch in ihrer Abhängigkeit voneinander kenntlich machen können. Kapitel 2 erörtert einen sich aus zwei Komponenten (Semantikmodell und Beschreibungsmodus) zusammensetzenden theoretischen Rahmen, der als Basis für die Beschreibung des Zusammenspiels kategorialer Inhalte in Kapitel 3 dient. Vor die Bestimmung kategorialer Inhalte wird also jeweils die Klärung des Stellenwerts ontologischer Vorgaben und kognitiver und außersprachlicher Mechanismen geschaltet. Wahrnehmung und Kognition sind der Sprachentstehung, sowie Sprachverwen-

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dungs- und Sprachverstehensprozessen onto- und phylogenetisch vorgeordnet. Es ist zu klären, wo und vor allem in welcher Weise sie fur das Verständnis sprachlicher Bedeutung relevant sind. Eine dem sprachlichen Bereich vorgeordnete Ebene muß auf einer sehr grundlegenden Stufe der Beschreibung ihren Platz finden, und nicht, was häufig geschieht, erst dann auf den Plan kommen, wenn sprachliche Zeichen linguistisch nicht mehr elegant genug beschreibbar scheinen. Aspektuelle Werte werden z.B. häufig nur deshalb mit den Merkmalen ,subjektive/objektive Darstellung eines Sachverhaltes' umschrieben, weil nicht auf einer vorgeordneten Stufe diskutiert wurde, daß aufgrund des Verhältnisses zwischen denkendem Subjekt (!) und der Wirklichkeit, wie sie sich diesem darstellt, ein Merkmal wie [+ objektiv] nicht deskriptiv adäquat sein kann. Vergleichbar ist das Auftauchen des Begriffs der Sprechhaltung im schillernden Bereich des Modalen - so als ob mit einer Sprechhaltung nicht immer zu rechnen sei. Dem Kategorienmodell wird aus den genannten Gründen ein Semantikmodell (2.1.) unterlegt, das wahrgenommene Welt, wahrnehmend-verarbeitendes Subjekt, sprechendes Subjekt und Sprache in Beziehung zeigt. Zwei bereitstehende Zeichen- bzw. Semantikmodelle werden zu diesem Zweck integriert (eines aus dem 13. Jahrhundert und das im Rahmen der generativen Grammatik entwickelte Modell der sog. Zwei-Ebenen-Semantik, allerdings unter Absehung von spezifisch generativistischen Grundannahmen). Anschließend wird unter Verwendung RElCHENBACHscher Terminologie ein schematischer Beschreibungsmodus zur Verwendung im kategorialen Modell eingeführt (2.2.). Unter Rückgriff auf disparate Theorieelemente 18 erfolgt die Erstellung eines theoretischen Modells (3.) der wechselseitigen Abhängigkeit der kategorialen Inhalte Aktionalität (3.1.), Aspektualität (3.2.), Temporalität (3.3.) und Modalität (3.4.). Es sollte so weit als möglich konsensfähig sein, so daß man also unabhängig von einer bestimmten Basisaxiomatik darauf zurückgreifen kann. Eine undifferenzierte Verwendung von Bezeichnungen für formale Kategorien auf inhaltlicher Ebene und umgekehrt soll in der Weise umgangen werden, daß Kategorien über Funktion bzw. Inhalt definiert werden. Ziel ist also nicht, eine weiteres, originelleres Modell zu entwickeln, sondern aus bestehenden Ansätzen die Gemeinsamkeiten herauszulesen und gewinnbringend zu systematisieren bzw. als kompatibel vor Augen zu führen. Es kommt allerdings, man erlaube hier die schräge Metapher, bei einer Zusammenschau dieser Art auch auf metasprachlichem Gebiet zur Neutralisation von Merkmalen eines Theorieelements in bestimmten Umgebungen, die hoffentlich zu verschmerzen sind. Die Bereiche Aktionalität, Aspektualität und Temporalität sollen klar definitorisch eingegrenzt und in deutlicher Differenz aufgezeigt werden. Das bisher oft als Graubereich sich verlierender Prototypikalität verstandene Feld zwischen den kategorialen Bereichen wird einer systematischen Fassung zugeführt. Hierzu werden die Begriffe der impliziten Aspektualität und der impliziten Temporalität eingeführt. Als Basis für das Verständnis tempo18

Es handelt sich z.B. um Theoreme der Grammatikalisierungsforschung, der Prädikaten- und Tempuslogik, der Grammatikschule in der Nachfolge GUILLAUMES. , Anlehnung' steht nicht fur ,unmodifizierte Übernahme': Weder die psycho-mechanische Basistheorie GUILLAUMES, noch die Formalismen der Prädikatenlogik werden übernommen. Wesentliche Anregungen und die Lenkung des Interesses auf bestimmte Phänomene, wie etwa den möglichen Zusammenhang zwischen Futurentstehung und aktional-aspektuellen Gegebenheiten in einer Einzelsprache, verdanke ich vor allem den Veröffentlichungen und den persönlichen Äußerungen von Elisabeth LEIB (im Literaturverzeichnis als: LEISS). Auf von ihr geleisteter Vorarbeit basiert ein Teil meiner Argumentation.

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raldeiktischer Kraft sprachlicher Zeichen muß vor allem auch der Grundcharakter und das funktionale Profil des morphologischen Präsens in der zu untersuchenden Sprache genau definiert werden. Der kategoriale Bereich der Modalität ist im Gegensatz zu bisherigen Verfahren stark definitorisch abzuspecken, um ein leistungsfähiges Beschreibungsinstrument darstellen zu können. Der Diskussion des bereits eingangs thematisierten Futuraxioms muß ein nicht unerheblicher Raum zugebilligt werden, da viele fragwürdige Beurteilungen des morphosyntaktischen oder semantischen Verhaltens futurischer Formen auf dieses zurückgehen. Die Möglichkeit einer modalen Lesart primär temporal fungierender Zeichen liegt in zwei sehr unterschiedlichen Ausprägungen vor, die beide unabhängig von Futurität sind, was selten einmal bemerkt wird. In einem Fall handelt es sich um lexikalische Restsemantik (eines Modalverbs etwa), die eine sich gerade erst grammatikalisierende Form noch aufweist und die sich diachron gerade bei zunehmender temporaler Funktion verliert, was dafür spricht, daß sie für Futurität im temporalen Sinn eben gerade nicht konstitutiv ist. Im anderen Fall tritt sie in Form sog. epistemisch-modaler Werte bereits grammatikalisierter Futura in Erscheinung. Doch auch diese sind kein Indiz für die vielbemühte Ungesichertheit des Zukünftigen (oder eben für die Vermeidung des Wertes ,Ungesichertheit'), denn die entsprechenden Zeichen referieren gerade bei dieser modalen Färbung nicht auf den notionellen Bereich des ,Dann', sondern verlieren ihren temporaldeiktischen Wert. Somit können auch sie nicht mit dem futurischen Wert zusammenhängen bzw. erklärt werden. Derartige Verluste eines temporaldeiktischen Wertes sind übereinzelsprachlich auch im Bereich der Vergangenheitstempora zu beobachten, was ebenfalls gegen die notwendige Koppelung des Phänomens an den Wert der Futurität spricht. Der Verlust eines temporalen Wertes wird manchmal auch als Neutralisierung aufgrund bestimmter atemporaler Ko- und Kontexte verstanden. LEISS thematisiert (1992: 191ff) die aus übereinzelsprachlichen Untersuchungen bekannte, 19 nicht-temporale Modalverwendung grammatikalisierter Tempusformen und erklärt sie mit einer außersprachlich oder textuell determinierten präsentischen Bezugsnotwendigkeit (1992: 205f.). In dem von ihr angeführten deutschen Beispielsatz (Ich wollte, daß er mit dem Spotten auftiörte) lege der pragmatische Kontext (in diesem Fall: ein bekanntermaßen oder hörbar Spottender) den präsentischen Bezug der Aussage nahe und verhindere eine temporale Lesart, es handle sich um eine „nichtoptimale Verwendung". Für das Französische hat SCHROTT Kontexte ermittelt, die nach ihrer Auffassung den Verlust des temporaldeiktischen Merkmals beim f s zur Folge haben. Das Merkmal der ,virtuellen Konditioniertheit' werde metaphorisch vom temporaldeiktischen in den epistemisierenden Bereich übertragen, sobald der Kontext eine präsentische Lesart auslöse. 20 Nur Futura, die Futurität ohne Verbindung zur origo signalisierten, seien geeignet, in der genannten Weise reinterpretiert zu werden. Der epistemischmodale Wert basiere ebenso wie der temporale auf der „Semantik der verschobenen Verifizierbarkeit".21 Es erfolge also eine Umdeutung vom außendeiktischen in den innendeiktischen Referenzraum. Forschungskonsens ist demnach, daß Tempora kontextbedingt, aus stilistischen Gründen (die Erwartungshaltung durchbrechend) und aufgrund metaphorischer Übertragungsprozes19

V g l . B Y B E E U . A . , 1 9 9 4 : 195FF.

20

V g l . SCHROTT, 1 9 9 7 : 2 9 6 .

21

SCHROTT, 1 9 9 7 : 2 9 4 .

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se ihren temporalen Wert verlieren. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird demgegenüber u.a. zu untersuchen und zu diskutieren sein, ob die These von der Verantwortung des außersprachlichen oder temporalsemantischen Kontexts und von den stilistischen Gründen haltbar ist. Wie zu zeigen sein wird, kann immer einmal wieder eine Tempusform auch ohne pragmatisch gegebene Implikation oder präsentische Determinierung nicht temporal gelesen werden. Zudem ist bisweilen eine präsentische Lesart auch in präetabliert präsentischem Kontext ausgeschlossen. Bis zu welchem Grad der Mechanismus, der einmal futurische (bzw. temporale) und dann wieder modale Lesarten hervorbringt, sowohl diachron als auch systematisch-synchron auf bereits fixierten sprachlichen Markierungen beruht, ist in einem ersten Argumentationsstrang zu überprüfen. Möglicherweise werden einige von ihnen mit den außersprachlichen und textuell-diskursimmanenten Gegebenheiten lediglich abgeglichen und kommunikativ weiter spezifiziert. Kapitel 4. bis 7. sind der Anwendung des Modells auf das System des futurischen Ausdrucks im Französischen gewidmet. Vorangestellt ist ein Exkurs zur Methodik und Spezifik der jedem Kapitel integrierten Datenauswertung (4.). Das morphologische Präsens wird in seiner futurischen Teilfunktion sowohl analytisch als auch vor allem statistisch einbezogen, was bei den bisherigen Erhebungen meist nicht der Fall war. Das Phänomen ist keineswegs marginal, und für das gesprochene Französisch gibt es Indizien, daß das pf sich funktional den Zeitstufen-Bereich gleichgewichtig mit den beiden Futura teilt.22 Wie sich zeigen wird, ist es sogar relevanter, als bisher angenommen werden konnte. Zur Analyse der formalen und funktionalen Spezifik der beiden Futura ist es unentbehrlich, den futurischen Leistungsumfang präsentischer Formen zu kennen: Futurische Funktionen, für die im Deutschen das morphologische Präsens ausdruckseitig erscheint und im Französischen das Präsens inakzeptabel ist, können Hinweise auf die funktionale Charakteristik des f p und des fs liefern. Als Hauptmotiv für eine eigene Datenuntersuchung ist allerdings zu nennen, daß die Bedeutungskomponenten, die für die vorliegende Arbeit grundlegend sind (aktionale, aspektuelle und epistemisch-modale), in bisherigen Arbeiten statistisch kaum bzw. gar nicht berücksichtigt wurden. Die herausgearbeiteten Merkmale werden in Wechselwirkung mit außersprachlichem und sprachlichem Ko- und Kontext gezeigt. Die bisherige Forschung, was die Funktionsverteilung der beiden Paradigmen des Französischen betrifft, wird an geeigneter Stelle als kompatibel mit der Analyse dargestellt oder als konträr diskutiert; die sog. Konkurrenz des fs und des f p bzw. das oft thematisierte diachrone Verdrängtwerden des ersteren ist dabei zweitrangig. In den vergangenen Jahren kam es im Rahmen der Diskussion um diese Konkurrenz, die einerseits postuliert, 23 andererseits als nicht-existent 24 abgelehnt wird, zu umfänglichen Datenveröffentlichungen, die ich als Beispieldateien verwende. Grundzüge des diachronen Werdegangs jeder Form werden den synchronen Analysen jeweils vorgeschaltet. Eine hierarchische Ordnung kategorialer Inhalte und Markierungen ist gerade in diachronen Auf- und Abbauprozessen gut erkennbar (auch als musterhafte Verlagerung von Bedeutungsschwerpunkten). Ein bei B Y B E E U . A . (1994: 11) erwähntes For-

22

23 24

Vgl. hierzu LORENZ, B. (1989: 37f.), wo als absolute Häufigkeit futurisch verwendeter Präsensformen in dem von ihr erhobenen Korpus ein Prozentsatz von 34,1 % angegeben wird (fs: 36,2 %; fp: 27,2 %). In nahezu apodiktischer Form in FLEISCHMAN, 1982. Ein überzeugend mit Fakten unterlegtes Dementi bietet HUNNIUS, 1994.

16 schungsdesiderat kann en passant (zumindest teilweise) erfüllt werden: Es soll bei der vorgelegten Untersuchung der Grammatikalisierung nicht nur die spätere grammatische Markierung im Vordergrund stehen, sondern die gesamte syntaktische und morphologische Umgebung. Eine bisher besonders vernachlässigte Umgebung dieser Art stellen aktionale Klassen dar.25 Den diachronen und synchronen Abschnitten zu présent futural (Kapitel 5.), futur simple (Kapitel 6.) und futur périphrastique (Kapitel 7.) ist jeweils eine registerdifferenzierte Korpusauswertung nach Prädikatklassen, adverbialer und transphrastischer Umgebung eingegliedert. Ausgehend vom formulierten semantischen Spektrum, dem aktional-aspektuellen, temporalen und modalen Profil der genannten Formen, werden die Korrelationen auf ihre statistische Häufigkeit hin überprüft, um die Richtigkeit der geleisteten Analyse zu dokumentieren, diese zu ergänzen, wo nötig auch zu reformulieren. Parameter, wie etwa grammatische Person, Belebtheit bzw. Unbelebtheit des Subjektreferenten etc., die für weitergehende Analysen nützlich sein können, wurden statistisch mit erfaßt. Der Abschnitt zum formalen und semantischen Profil des fs fällt auch deshalb vergleichsweise umfangreich aus, weil in diesem die aktional-aspektuelle Grundwertigkeit bestimmter grammatischer Formen (etwa die der infiniten Verbformen) zu klären ist, die dann im Kapitel über das f p als bekannt gelten darf. Dem futur antérieur ist kein eigenes Kapitel gewidmet. SCHROTT hat es ausführlich analysiert und in diesem Fall auch die aktional bedingten Restriktionen herausgearbeitet. Dieser Kenntnisstand wird herangezogen, um die Argumentation zum f s flankierend zu ergänzen. SCHROTTS These, die modalen Verwendungen des fs seien abgeleitet aus den modalen Funktionen des futur antérieur, wird bei dieser Gelegenheit zu hinterfragen sein. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der Versuch unternommen werden soll, das Zustandekommen der kategorialen Inhalte als Mechanismus der Interaktion herausgearbeiteter Merkmale aufzuzeigen und darüberhinaus die zentralen Subftinktionen einer Form als Ergebnis eben derselben Interaktion erkennbar zu machen. Es sollte nachvollziehbar werden, daß es konstante, vor allem sprachliche Merkmale in einem größeren als dem bisher vermuteten Umfang gibt. Kapitel 8. faßt die Ergebnisse zusammen, in Kapitel 9. wird eine allgemeine Hypothese zur Tempussystematik und zur Futurität auf der Basis der Untersuchungsergebnisse formuliert.

1.4. Ausschluß bestimmter Untersuchungsbereiche Die Diskussion darüber, ob sich fs und f p im modernen Französisch als Konkurrenten' gegenüberstehen, und letzteres sich anschickt, ersteres aus dem System zu verdrängen, wird, wie bereits angedeutet, hier nicht fortgesetzt. Wenn sich, wie schon mehrfach erkannt wurde, im gesprochenen Register des Französischen ein höherer Anteil ^»-Formen konstatieren läßt als im schriftsprachlichen, so liegt dies möglicherweise daran (vgl. SCHROTT, 1997: 139), daß dieses etwas leisten kann, was es für den Bereich der konzeptuellen Mündlichkeit 25

Bybeeu.A. (1994: 11): [...] we must attend to the syntax and morphology of the source construction and not simply to the referential meaning of its lexical items.

17

(sog. Sprache der Nähe) 26 prädestiniert. Der im vorliegenden Korpus zu konstatierende Prozentsatz des futurisch verwendeten Präsens liegt erheblich höher als der, den die Schwestern L O R E N Z in ihrer Auswertung verzeichnen. Insgesamt sollte dessen funktionaler Umfang bei künftigen Spekulationen über die sich angeblich abzeichnende Ablösung des fs nicht übergangen werden. Darauf, wie die formalen Futura mit ;>«/?a/-/a¡7-Markierung (im Fall des fs das conditionnel, im Fall des f p dessen imparfait-Form) fungieren, kann nicht eingegangen werden, weil das Beschreibungsmodell dadurch um eine zusätzliche Ebene erweitert werden müßte - und damit fur einen zur Diskussion gestellten Basisentwurf zu voluminös geriete. Grundsätzlich ist eine solche Erweiterung um zusätzliche Ebenen natürlich nicht nur möglich, sondern wünschenswert. Modalperiphrasen mit den jeweiligen Futurmarkierungen in die Analyse einzubeziehen, war methodisch ausgeschlossen: Analysiert man sie, ist schwer festzustellen, welchen Anteil die Futurmarkierung an der Modalisierung einer Aussage hat. Die Modalisierung durch primär futurisch fungierendes Ausdrucksinventar stellt einen Untersuchungspunkt dar, so daß die Periphrasen unberücksichtigt bleiben müssen. 27 Die unberücksichtigten Daten sind sol-che, die die folgenden Prädikate in finiter oder infiniter Form enthalten (der jeweilige Prozentsatz wird in jeder Einzelerhebung angegeben): pouvoir + Infinitiv vouloir + Infinitiv falloir + Infinitiv devoir + Infinitiv valoir (+ Adverb) + Infinitiv

26

KOCH/ OESTERREICHER, 1 9 9 0 : 1 2 f f .

27

Auch hierzu ist allerdings anzumerken, daß das Zusammenspiel der ,frühen' lexikalischen, pragmatisch nutzbaren Modalität von Modalverben mit der .späten', eher sprachlich basierten bei weit grammatikalisierten Tempora ein ausgesprochen lohnender Untersuchungsgegenstand wäre. Damit letztere erst einmal klar herausgearbeitet werden kann, muß im Rahmen dieser Untersuchung darauf verzichtet werden.

2. Ein semantisches Rahmenmodell

2 . 1 . V i e r E b e n e n der B e s c h r e i b u n g 2.1.1. Zwei-Ebenen-Semantik und modistisches Modell Das tetradische Semantikmodell, das nunmehr vorgestellt wird, soll das Verhältnis zwischen kognitiver Fassung außersprachlicher Wirklichkeit, sprachlicher Verarbeitung und Kommunikation darstellbar machen. Es dient dazu, die Benennung und Ordnung feststellbarer sprachlicher Eigenschaften (Merkmale) zu erleichtern, vor allem was den unterschiedlichen hierarchischen Status kategorialer Inhalte betrifft. Zwei historisch weit auseinanderliegende Quellen speisen es: ein im Rahmen der generativen Grammatik entwickeltes Modell und ein sehr viel älteres, mittelalterlich-scholastisches. In den vergangenen Jahrzehnten wurde in verschiedenen Kontexten häufig darauf hingewiesen, daß weder die Grundbedeutung noch die Varianz der Bedeutung mit dyadischen und triadischen Bedeutungsmodellen befriedigend faßbar ist. D e m Problem der Unscharfe der Bedeutung begegnete man mit unterschiedlichen Strategien, sei es, daß man die Semantik ganz aus der linguistischen Beschreibung verbannte, sei es, daß man Sprache als eine Form menschlichen Handelns betrachtete, wobei man die Sprecher in einem dauernden unbewußten. Streben nach Ökonomie und maximalem sozialen Erfolg wähnte. In den 80er Jahren stellten LANG und BIERWISCH eine Theorie zum Verhältnis sprachlicher Zeichen und ihrer Bedeutung einerseits und außersprachlicher Wirklichkeit und deren kognitiver Fassung andererseits auf, das ein tetradisches Verständnis der Zeichenbedeutung vorgibt. 1 Aufgrund der komprimierten Darstellung sei hierzu EGG (1994: 18) vollständig zitiert: Die unter dem Titel,Zwei-Ebenen-Semantik' bekannte Theorie [·..] geht davon aus, dass sprachliche und allgemein-kognitive Fähigkeiten des Menschen nicht miteinander identifiziert werden dürfen, sondern zwei verschiedene Module der menschlichen Intelligenz sind. Diese beiden Fähigkeiten des Menschen wirken bei der Verarbeitung von sprachlichen Aeusserungen zusammen. Zur menschlichen Sprachfertigkeit gehört als Teil der Grammatik eine semantische Komponente, die sprachlichen Aeusserungen eine sprachliche Bedeutung zuordnet. Dies ist die erste Ebene der Bedeutung [...].Diese Ebene determiniert die Bedeutung der Aeusserung jedoch nicht vollständig. [...] Die allgemein-kognitiven Fertigkeiten des Menschen dienen auf der anderen Seite dazu, ihm ein Bild von der Wirklichkeit zu verschaffen. Auf dieses Bild der Wirklichkeit wird nun die sprachliche Bedeutung einer Aeusserung abgebildet. Dabei wird sie in Abhängigkeit vom Kontext noch weiter ausdifferenziert. Erst nach dieser Abbildung kann man von einer vollständig determinierten Bedeutung sprechen. Sie konstituiert dann die zweite Ebene der Bedeutung. Die Sprache spiegelt somit [...] unsere Konzeptualisierung der Welt. [...] Ein weiterer Unterschied zwischen beiden Ebenen ist, dass auf der konzeptuellen Ebene nichtkompositionale Umdeutungen durchgeführt werden können, während die Semantik rein kompositional aufgebaut ist. Beispiele für ersteres sind die [...] erzwungenen Typenanpassungen, in denen ein Prädikat in einer bestimmten Weise uminterpretiert werden muß, um die Akzeptabilität eines Satzes zu ,retten'. 1

Sowohl HILTY als auch HEGER entwickelten in den 60er Jahren viergliedrige Modelle zur semantischen Beschreibung lexikalischer Einheiten, die hier nicht explizit einbezogen werden, da sie in das vorgeführte Modell ohne weiteres integrierbar sind.

20 Außersprachliche Wirklichkeit und sprachliche Zeichen stehen in Beziehung, die Etablierung der Beziehung wird über eine Zwischenschaltung zweier interdependenter Übersetzungsstellen verstanden (dies natürlich nicht im Sinne eines zeitlichen Vorher-Nachher). Sprache liefert auf der Ebene der Zeichenbedeutung eine Art Bild, das sich aus innersprachlichen Elementen und Korrelatoren zusammensetzt. Die so entstehenden Bilder werden in vergleichender Rückkoppelung mit Bildern gelesen, die aufgrund unserer perzeptiven und kognitiven Fähigkeiten (hierzu gehört auch unser Wissen) und als Fassung der Wirklichkeit (auch der außersprachlich gegebenen Situation) präsent sind. Seit man begonnen hatte, im 20. Jahrhundert Elemente der Logiksprache zur Beschreibung natürlicher Sprachen heranzuziehen (besonders seit REICHENBACHS Veröffentlichung von 1947),2 drängte sich die Splittung der Bedeutungsebene auf, so daß die ,Zwei-EbenenSemantik' als eine späte Systematisierung einer Herangehensweise betrachtet werden muß, die in taxonomischen Schulen bereits weitgehend üblich war. Damit ist die Auffassung, zwei Bereiche menschlicher Intelligenz wirkten bei Sprachäußerung und -Verarbeitung zusammen, weder besonders neu noch besonders revolutionär. Fragwürdig ist die modulare Auffassung nur, wenn man annimmt, diese beiden Module agierten entkoppelt. Ansonsten ist sie ohne weiteres mit einem holistischen Verständnis vereinbar, das häufig als wissenschaftlicher Gegenentwurf gehandelt wird. Auch wenn man von einer Abgleichung innersprachlich-semantischer und gnoseologisch-kognitiver Strukturen ausgeht, entsteht als Resultat eine Gesamtbedeutung. Dies ruft zwei zunächst nicht augenfällige theoretische Konnotate auf den Plan: a.) Die Bilder der beiden Ebenen müssen abgleichbar sein, was nichts anderes heißt, als daß sie in einer wie auch immer gearteten strukturellen Ähnlichkeitsrelation stehen müssen. b.) Sprachliche Zeichen müssen Funktoren ihrer Beziehbarkeit auf die nicht-sprachliche Bedeutungsebene beinhalten. In der Regel werden Sätze nicht vorsätzlich opak geäußert. Auch Register, wie etwa Dichtung, die auf Vieldeutigkeit abzielen, übermitteln eben diese als intendierten Inhalt. 3 Im linguistischen Bereich selten rezipiert wurde ein anderes tetradisches Modell, das die Probleme a.) und b.) nicht im Bereich des Konnotats beläßt. Ansonsten mutet es wie ein früher Zwilling der ,Zwei-Ebenen-Semantik' an. Es entstand im 13. Jahrhundert im Rahmen der hochscholastischen Grammatiktheorie, 4 die reifste Ausformung findet sich frag-

2

REICHENBACH (Erstauflage 1947, Unveränderte Neuauflage 1980: V): From the very beginning, the prepositional operations are introduced in two interpretations, distinguished as the adjunctive and the connective interpretation, and it is shown that the first, useful as it is for the calculus, cannot exhaust the meaning o f the corresponding terms o f conversational language until it is supplemented by another which can account for the feeling o f connection that is associated, for instance, with the usual notion o f implication. It is shown that such connective operations can be constructed from the adjunctive ones by the help of the metalangue.

3

V g l . HOGREBE, 1 9 9 2 : 24FF.

4

Die Beschreibung des Modells fußt größtenteils auf RAÍBLE ( 1987). Zum anderen verdankt sich der erste Kontakt mit der modistischen Grammatik, wie auch mein primärer Blickwinkel darauf einem germanistischen Oberseminar zur Mereologie, sowie einer sprachphilosophischen Vorlesung, beide im WS 1996/97 bei Elisabeth LEIB (im Literaturverzeichnis als LEISS) an der Universität Bamberg. Deren persönliche Anmerkungen zu einem Vortrag von Wolfgang RAÍBLE (Geburtstagskolloquium zu Ehren von Annegret BOLLÉE im April 1997) zum selben Thema finden ebenso Berück-

21 m e n t a r i s c h i m W e r k d e s MICHEL DE MARBAIS u n d in d e r Grammatica

Speculativa

des

THOMAS VON ERFURT. Noch am bekanntesten dürfte das Motto der scholastischen Semantik sein, der nirgendwo so belegbare Satz „Voces significant res mediantibus conceptibus". Weniger bekannt ist, daß sich dahinter nicht etwa ein dreigliedriges, sondern ein viergliedriges Modell mit den Elementen RES, CONCEPTUS, SIGNIFICATO und VOX verbirgt. Eine erste Ebene der Bedeutung (PRIMA ARTICULATIO) entsteht dadurch, daß sich die außersprachliche Wirklichkeit (RES) mit ihren Seinsweisen {modi essendi) als Bildbegriff (CONCEPTUS) im menschlichen Verstand spiegelt. Sie kann dies, weil er über ein perzeptiv-kognitives Aufnahmepotential verfugt, dem eine aktive Gerichtetheit entspricht {ratio intelligendi —> modi intelligendi). Die Wirklichkeit drückt ihrerseits als aktives Element dem Verstand mittelbar ihr , So-sein' auf (PRIMA IMPOSITIO). Eine zweite Ebene des Bedeutens (SECUNDA ARTICULATIO) besteht in dem Verhältnis zwischen den materiellen sprachlichen Zeichen (VOX/VOCES) und deren sprachlicher Bedeutung (SIGNIFICATION Dieses Verhältnis wird, wie BIERWISCH und LANG es ausdrücken würden, von einem anderen „Modul menschlicher Intelligenz" gesteuert (der ratio significandi modi significandi). Das dynamische Spiegelverhältnis zwischen sprachlicher Bedeutung und sprachlichem Ausdruck wird als SECUNDA IMPOSITIO bezeichnet. Der enkodierte und dekodierte Sinn einer Äußerung beruht auf der Abgleichung der beiden Ebenen und zeugt ebenfalls von einer Spiegelungsrelation. Jedes Element sucht quasi auf der anderen Ebene seinesgleichen und findet es immer dann, wenn eine Äußerung im Bewußtsein der Kommunizierenden Sinn macht, bezeichnende Kraft erhält: RES (-> modi essendi) - PRIMA IMPOSITIO PRIMA ARTICULATIO (ratio intelligendi modi intelligendi)

CONCEPTUS

SECUNDA ARTICULATIO (ratio significandi —» modi significandi)

SIGNIFICATO

- SECUNDA IMPOSITIO VOX

Dies ist ein .spekulatives' 5 Modell im ursprünglichen Wortsinn, weil es auf der Vorstellung einer Ähnlichkeitsrelation sprachlicher und kognitiver Bilder beruht. Zwei unzureichende linguistische Perspektiven schließen sich bei einem solchen Verständnis aus: einerseits, daß die Bedeutung sprachlicher Zeichen mit außersprachlichen kognitiven Größen nichts zu tun habe, und andererseits, daß die zwei vom Status her differierenden Bereiche axiomatisch und ohne Begründung gleichgesetzt werden. Dem modistischen Modell liegt die Vorstellung von relativer Nicht-Arbitrarität auf allen Ebenen zugrunde, nur indirekt in Verbindung stehende Ebenen stehen in einem relativ arbiträren Verhältnis.

5

sichtigung. Dies betrifft vor allem den Bereich des Verständnisses der modi essendi, wo RAÍBLE eine andere Auffassung vertritt als die hier geäußerte, die sich an der LElßschen Lesart orientiert. .Spekulativ' im (noch) nicht pejorativen, scholastisch-mittelalterlichen Sinn.

22 Für ein modernes Verständnis ist die Vorstellung einer primär spiegelnden Vernunft, in die sich eine aktiv-bedeutsame Welt gleichsam hineinwirft, schwer akzeptabel. So stehen für eine arbiträre Relation mehr Kandidaten bereit: zum einen die zwischen außersprachlich Existentem und Konzept, und zum anderen die zwischen sprachlicher Bedeutung und Ausdruck. Über das Verhältnis zwischen ,Ding' und Konzept Aussagen machen zu wollen, ist nun aber, gerade weil die Welt nach aufgeklärtem Verständnis sich selbst nicht aktiv dem Verstand kommuniziert, gar nicht möglich - auch nach der sog. Kognitiven Wende ist die Linguistik hier kaum weitergekommen. Denn sobald wir über Gegenstände und Sachverhalte ausschließlich im kognitiv-perzeptiven Sinn und damit eben nicht ,objektiv' informiert zu sein glauben, können wir ihnen zwar eine außerhalb unserer Perzeption befindliche, genuin andersartige Natur unterstellen, d.h. behaupten, die Dinge seien wahrscheinlich nicht so, wie wir sie determiniert durch unsere Wahrnehmung und unsere Art zu denken zu kategorisieren pflegen (dies ist die aufgeklärt-moderne Position), es ist aber ebenso statthaft zu behaupten, sie ständen in einer Ähnlichkeitsrelation zu dem, wie wir sie wahrnehmen und konzeptualisieren (so die geistesgeschichtlich frühere und inzwischen wieder neue, eben postmoderne Auffassungsvariante). Eine Entscheidung, welche Behauptung richtiger ist, ist gerade durch das moderne Verständnis unmöglich geworden. Die Entscheidung darüber, ob es ein Ding an sich im KANTschen Sinne gibt oder nicht, erübrigt sich eben deshalb, weil der Vernunft eine Wirklichkeit schaffende Kraft zugeschrieben wird. Von jenseits des Dings an sich wird jede Aussage über dessen Beschaffenheit zum Parad o x o n . H i e r z u PEIRCE ( 1 8 6 8 , zit. n a c h HOOPES, H g . , 1991: 81 f.): [...] the absolutely incognizable is absolutely inconceivable. [...] since the meaning of a word is the conception it conveys, the absolutely incognizable has no meaning because no conception attaches to it. It is, therefore, a meaningless word; and, consequently, whatever is meant by any term as 'the real' is cognizable in some degree, and so is of the nature of a cognition, in the objective sense of that term. [...] Now, a proposition whose falsity can never be discovered, and the error of which is absolutely incognizable, contains, upon our principle, absolutely no error. Consequently, that which is thought in these cognitions is the real, as it really is [Hervorh. MS].

Demnach spricht für die Annahme eines arbiträren Verhältnisses zwischen Welt und Weltbild ebensoviel wie für die Annahme eines nicht-arbiträren. Bleibt also noch das seit SAUSSURE etablierte Diktum vom arbitraire du signe im Verhältnis signifié - signifiant. Auch diese Bastion wurde in den vergangenen Jahren zunehmend attackiert, und es lassen sich inzwischen gute Gründe dafür anführen, daß auch in diesem Bereich ein höherer Grad an Motiviertheit aufzudecken ist, wenn man Arbitrarität nicht axiomatisch setzt, sondern im einzelnen ebenso nachweisen muß wie nicht-arbiträre Relationen. 6 Mit beiden Modellen läßt sich die Konstituierung von Bedeutung so verstehen, daß das semantische Skelett einer Aussage mit den in Frage kommenden Konzepten von außersprachlicher Wirklichkeit und den Gegebenheiten der Sprechsituation abgeglichen wird. Es muß Elemente enthalten, die darüber informieren, auf welche gnoseologische Größe es abbildbar, u.U. auch, welcher es vergleichbar ist. Diese Beziehbarkeit ist zum einen durch konventionelle Übereinkünfte gewährleistet, welche Größe symbolisch gemeint ist (lexikalische Bedeutung). Zum anderen stehen Elemente bereit, die Symbole untereinander und

6

Zu bekannten und möglicherweise noch zu entdeckenden ikonischen Beziehungen, vor allem im Bereich der Grammatik, vgl. BYBEE ( 1 9 8 5 ) , DRESSLER ( 1 9 8 9 ) , LEISS ( 1 9 9 2 : 5FF.), s o w i e vor allem LEISS ( 1 9 9 7 ) .

23 diese mit Begriffen in Beziehung setzen, so daß ein strukturiertes, mehrdimensionales Bild entstehen kann, das u.U. in einer Ähnlichkeitsrelation zum begriffenen Gegenstand oder Sachverhalt und dessen relativer Lagerung zum Ursprung des Sprechens (Sprecher und sein Standort) steht. Ohne dies könnte Sprache weder bedeuten noch bezeichnen. Diese relationale Funktion kommt eher den grammatischen Zeichen bzw. grammatischen Funktoren zu, der Syntax etwa. Insofern lassen sie sich als indexikalisch (verweisend, identifizierend) und ikonisierend (Ähnlichkeitsrelationen aufweisend) verstehen. 7 Es ist möglich, in dieses Modell einige Zielsetzungen der linguistischen Pragmatik analytisch einzubeziehen. 8 Der Vorteil gegenüber ausschließlich pragmatischer Ausrichtung besteht darin, daß der Aufbau der Analyse sprachlicher Zeichen die Gerichtetheit des Verhältnisses, die das Modell vorgibt, übernehmen kann. Im Rahmen taxonomischer und logischer Beschreibungsmodelle faßt man die PRIMA und die SECUNDA ARTICULATIO mit Kalkül-Formalismen. Die Scholastik hingegen trennte scharf zwischen Grammatik und Logik: Wahrheitswerte von Aussagen interessierten den Logiker, den Grammatiker jedoch nur am Rande, da die Logik der Grammatik nachgeordnet war. Grammatische Strukturen mußten funktional bereits analysiert und bekannt sein, bevor Reflexionen über logische Probleme angestellt werden konnten. Gerade die erste Ebene des Bedeutens mit logischen Formeln zu fassen, würde sicher als grobe Verletzung einer natürlichen' Hierarchie und damit als inadäquat empfunden worden sein. 9 So sehr sich die ,Zwei-Ebenen-Semantik' und das modistische Modell also gleichen, so sehr differieren sowohl die jeweiligen Basisannahmen als auch die abgeleitete Methodik. Einerseits ist die vorliegende Arbeit ein Kontext, der diese Unterschiede neutralisiert und das Archimodell nutzt, andererseits erfolgt die Anwendung nach dem mittelalterlichen Verständnis von Grammatik und Logik, insoweit zur Klärung grammatischer Bedeutung nicht auf logische Formeln zurückgegriffen wird. Das Archimodell liest sich wie folgt: 1. Perzeptible und/oder faßbare außersprachliche Wirklichkeit. Referent ^

Γ

2. Deren Fassung in kognitiven Begriffen, gnoseologischen Größen. Konzept

Sinn/Bedeutung 3. Die inhaltliche Komponente sprachlicher Zeichen (mit ihrer Verweiskraft und Beziehbarkeit auf 1. und 2.) Inhalt 4. Die lineare, ausdruckseitig-materielle sprachliche Zeichenkette. Ausdruck 7

Hierzu LEISS (1992: 6): Die grammatischen Kategorien haben die Funktion, so fasse ich meine These zusammen, primär indexikalische und ikonische Zeichenfunktionen in das arbiträre Symbolsystem der Sprache einzugliedern. Die wesentliche Funktion aller grammatischen Zeichen besteht in der Entarbitrarisierung von Sprache.

8

V g l . LEVINSON, 1 9 8 3 : 2 4 , s o w i e RAÍBLE, 1 9 8 7 : 5 0 8 .

9

Vgl. RAÍBLE, 1987: 508f.

24 Die vier Ebenen stelle man sich im kommunikativen Prozeß korrelativ, die zwei Ebenen der Bedeutung interaktiv vor. Daraus ergibt sich u.a., daß kognitiver Aufwand bei Konstituierung eines Wirklichkeitsbildes sich mittelbar auch in der (inhaltlichen und formalen) Komplexität sprachlicher Zeichen niederschlagen kann. Wenn also die inhaltliche Komplexität sprachlicher Zeichen mit ausdruckseitiger korrelieren kann, dann erlaubt die Form sprachlicher Zeichen auch, Aussagen über die Komplexität des kognitiven Aufwands zu machen, für den sie stehen. Der zentrale Unterschied zwischen Ebene 2. und 3. besteht darin, daß 2. in direkter Beziehung zu biologisch-perzeptiven Möglichkeiten steht, von diesen geprägt ist. Die Wurzel des Sprechens hingegen ist das ,Aussagen über', häufig gekoppelt an ein Verweisen auf eben nicht perzeptiv verfugbare Gegenstände und Sachverhalte. Somit sind diese im Sprechen doppelt mittelbar repräsentiert. Auch das räumliche Vorhandensein des versprachlichten Bezugselements im Perzeptionsfeld der Kommunikation ändert daran wenig, es entsteht nur ein anderer Grad der Mittelbarkeit. Eine sprachlich realisierte Proposition ist immer auch illokutionär, eine illokutionslose Satzaussage anzunehmen paradox, denn es gibt keinen ,reinen begrifflichen Gegenstand' (propositionalen Gehalt) im Gewand der Sprache, und sei dieses noch so künstlich reduziert. Nicht auszuschließen ist allerdings, daß bestimmte Bedeutungskorrelate sprachlicher Zeichen stärker vom wahrgenommenen oder imaginierten Gegenstand abhängen, d.h. enger mit Ebene 2. in Beziehung stehen, als andere. Immer, wenn im folgenden von Proposition die Rede ist, ist kein Etwas gemeint, das seinen Aussagegehalt in einem parallel dazu denkbaren illokutionären Akt zusätzlich erhält. Mit K O C H (1981: 63f.) gehe ich davon aus, daß das, was versprachlicht wird, ausgesagt und als solches auch assertiert ist. 10 Unser kognitiver Apparat bedingt gewisse Abstraktionen im Bereich der Wahrnehmung, unsere sprachorientierte Intelligenz baut auf dieser Abstraktion auf und ermöglicht qua Sprechen gerade eine Lösung vom Zugangsbereich der Perzeption.

2.1.2. Modellbeispiele für die Interaktion der vier Ebenen Bevor die kategorialen Bereiche zur Beschreibung von versprachlichten Situationen mit Hilfe des tetradischen Modells definiert werden sollen, sei ohne Rückgriff auf die metasprachliche Ebene an Beispielen verdeutlicht, wie man sich eine Interaktion der zwei Bedeutungskorrelate vorstellen kann. Zu analysieren sei etwa der Satz: ( 1 ) Maria war blond Das semantische Gerüst auf der sprachlichen Bedeutungsebene (Ebene 3.) liest sich wie folgt: Es gibt einen Sachverhalt, der als vor dem Sprechzeitpunkt gültig und zum Sprechzeitpunkt nicht mehr gültig dargestellt wird. Eine Person war mit einer Eigenschaft ausgestattet. Unser Weltwissen (Ebene 2.) liest dies als dauerhafte Eigenschaft einer uns bekannten Maria für ein vor dem Augenblick der Äußerung abgeschlossenes Intervall: Haarfarben werden auf dieser Ebene primär als natürliche Eigenschaft kategorisiert. Der versprachlichte Sachverhalt,Maria = blond' kann auch so aufgefaßt werden, daß er zum Zeitpunkt der Äußerung nicht mehr gilt, weil es die mit .Maria' bezeichnete Person außersprachlich nicht mehr gibt. Modifiziert man den Satz zu:

10

V g l . LEISS, 1 9 9 2 : 3 4 f .

25 (2) Maria war fünfmal

blond.,

entsteht, metaphorisch gesprochen, eine Art Interessenkonflikt zwischen zwei innersprachlichen Bedeutungen, der, wenn es nicht möglich ist, ihn mit Weltwissenkonzepten zu lösen, dazu fuhren kann, daß dem Satz kein Sinn zuzuschreiben ist: a.) Es gibt einen vor dem Entstehen der Äußerung abgeschlossenen Sachverhalt. Eine Person war mit einer Eigenschaft ausgestattet. b.) Es gibt fünf Intervalle, die vor dem Entstehen der Äußerung als abgeschlossen zu betrachten sind. Für diese gilt, daß eine Person mit einer Eigenschaft ausgestattet war. Dazwischen war sie es nicht. Ein Aufgehen der beiden Strukturen in einer Lesart ist möglich, wenn die indizierten fünf Einzelbilder als Subintervalle eines übergeordneten betrachtbar sind, wobei die Aussage über die Eigenschaft der Person für jedes der Subintervalle gilt, und ein übergeordnetes Intervall auf die Existenz der benannten Person vor dem Sprechzeitpunkt beziehbar ist. Im vorliegenden Fall ist eine solche Reanalyse möglich, weil es außer der Möglichkeit, Haarfarbe als natürliche menschliche Eigenschaft einzustufen, noch die Vorstellung von wechselnder Haarfarbe gibt. Die Bedeutungszuschreibung verdankt sich einer Weltwissenschublade mit der Aufschrift ,Haare kann man färben'. Das Bild, das entsteht, ist komplexer als die Summe seiner Teile: eine automatisch entstehende Zusatzinformation ist z.B. die hierarchisierende Zuordnung des Gesamtintervalls an die Existenz der Person und die Zuschreibung des Phänomens ,blond' an die Subintervalle. 11 Wenn dergleichen nicht möglich ist, können grammatisch vergleichbare Sätze nicht als sinnvoll dekodiert werden (d.h.: werden in der Regel wohl nicht geäußert, s.u.). So blockiert das iterierende Adverb im folgenden Beispiel eine Sinnzuschreibung, weil es auf Ebene 2. kein Deutungskorrelat gibt: (3) (4)

Franz-Josef * Franz-Josef

war Bluter. war fünfmal

Bluter.

Zur Vorführung zweier koagierender Interpretationsmodi mußte fingiert werden, entstehen und dann entweder als sinnvoll oder nicht sinnvoll gelesen werden. spricht natürlich nicht den Gegebenheiten, unter denen sprachliche Äußerungen In der Regel werden als sinnvoll zumindest angelegte Äußerungen produziert, die in der Kommunikation reinterpretiert werden und lediglich in Ausnahmefällen bleiben. Die Abgleichung läuft parallel zum Prozeß des Denkens und Sprechens.

daß Sätze Dies ententstehen. nur selten kryptisch

2.2. Konstanten und Konstituenten des verweisenden Sprechens

Zur Beschreibung von Tempussystemen zog man in der Sprachwissenschaft des 20. Jahrhunderts häufig die von REICHENBACH eingeführten Symbole S (für , Sprecherperspekti-

11

Systematisch spielt Reanalyse bei Merkmalkollision (clash of features) allerdings in Grammatikalisierungsprozessen eine Rolle (vgl. HOPPER/ TRAUGOTT, 1993: 32ff.). Eine Summierung der gegebenen Information ist nicht möglich, und so wird eine weitere Komplexitätsebene inferiert (vgl. auch LEISS, 1994: 149-160).

26 ve'), R (für ,Referenzpunkt ') und E (Air ,Ereignis') heran. Zur Problematik, die mit der Übernahme dieses Beschreibungsmodus verbunden war, schreibt VETTERS (1996: 18): Le système temporel de Reichenbach est l'exemple type d'une approche onomasiologique du temps. [...] le problème principal de Reichenbach est que, au lieu de décrire la structure de la langue, il part d'une structure préexistante qu'il impose ensuite à la langue [...] Les linguistes ayant constaté cette faiblesse, considèrent le modèle de Reichenbach comme point de départ, mais ne l'acceptent presque jamais tel quel. La plupart des chercheurs proposent leur propre variante. 12

Es wäre nun zu erwarten, daß bei jeder Übernahme des Modells dieses Problem diskutiert worden wäre. Man unterzog es jedoch lediglich einer Kritik im Hinblick auf seine deskriptive Adäquatheit, d.h. man bezeichnete z.B. die formalen Manifestationen, die REICHENBACH für seine Klassifikation der englischen Tempora herangezogen hatte, als willkürlich gewählt, nicht repräsentativ und damit seine 3 χ 3-Systematisierung des englischen Tempussystems als falsch. Das Problem, daß man eine structure préexistante zur Beschreibung von Sprachmaterial nutzte, wurde hingegen nicht thematisiert. 13 VETTERS (1996: 27ff.) zeigt, daß es bereits seit dem 18. Jahrhundert vergleichbare Modelle (BEAUZÉE, um 1782; TE WINKEL, 19. Jahrhundert) gab, und führt die Bemühungen der französischen Grammatiker (von Port-Royal bis BRUNOT) vor Augen, einen ähnlichen Beschreibungsmodus zu erarbeiten. REICHENBACHS Standardwerk wurde speziell in Frankreich erst ab Mitte der 70er Jahre rezipiert, die erste ausführliche Auseinandersetzung findet sich in VET (1979). Es gibt entscheidende Gemeinsamkeiten aller Verwendungen der Symbolismen prä- und post-REICHENBACHscher Prägung. Erkennbar werden sie, wenn man von den folgend genannten strittigen Punkten absieht: a.) Anzahl und Bezeichnung der notwendigen Betrachterstandpunkt-Symbole. b.) Berücksichtigung oder Ausklammerung aspektueller Werte. c.) Vorstellung der Größen (symbolisiert durch S, R und E) als eher durativ (ausgedehnt) oder als eher punktuell (ohne Ausdehnung). 14 d.) Anzahl der temporalen .Schubladen', die man benötigt, um ein System adäquat zu erfassen. e.) Anzahl der Ebenen höherer Ordnung (Typ 2 χ 2, 3 χ 3 oder anders), mit denen diese einander zuzuordnen sind. 12

13

Man betrachte in diesem Zusammenhang jedoch noch einmal das Zitat aus REICHENBACHS Vorwort (FN 2, Kapitel 2. der vorliegenden Arbeit). Die Hereinnahme konzeptueller Bereiche fand bewußt und in einem klar definierten Rahmen statt. Sie ist wissenschaftlich eher zu rechtfertigen als der Umgang mit den Symbolismen in Modellen, die Schwierigkeiten mit eben dieser Hereinnahme einräumen, sich des Modells jedoch bedienen ohne einen solchen Rahmen festzulegen. Eine ausführliche Zusammenfassung des Umgangs mit der REiCHENBACHschen Symbolik in der Romanistik

14

findet

s i c h in VETTERS, 1 9 9 6 :

18-75.

Vgl. hierzu REICHENBACH (1980: 290) selbst, der von (time) point of speech, point of reference und point of event spricht, wohingegen andernorts oft von speech time, event time und reference time (oder: Betrachtzeit) die Rede ist. Dies liegt u.a. daran, daß REICHENBACH selbst den Begriff point of reference auf Adverbien anwendete, die offensichtlich eine Erstreckung in der Zeit denotieren. HELLAND (1993: 13ff. und 1995: 3FF.) ,korrigiert' das REiCHENBACHsche System explizit, indem er von temps de l'événement spricht und auf die Notwendigkeit einer flexiblen Anzahl von points perspectifs verweist, von denen einer mangels anderer Angaben mit S zu identifizieren sei.

27 Die Gemeinsamkeiten lassen sich wie eine Negativgrundierung herauslesen. Vor allem ein Element steht nicht zur Disposition, und das ist E, also das versprachlichte Ereignis, der Sachverhalt. Eine zweite Übereinkunft besteht darin, daß es als entscheidend angesehen wird, das Verhältnis zwischen E, Referenzzeiten/Referenzzeitpunkten sowie einer Sprechzeit/einem Sprechzeitpunkt (einer Sprecherperspektive, S) zu bestimmen. Paradigmatisch hierzu lesen sich VET (1981: 112; System mit quatre points référentiels) und HELLANDS Plädoyer für eine bedarfsgerechte Variabilität der Referenzpunkt-Symbole (1993:15ff. und 1995: 4f.). S muß als Symbol für die unmarkierte Perspektive bei Entstehung einer Äußerung einen prominenten, d.h. grundlegenden Platz einnehmen. Von daher wird eine structure préexistante im vorliegenden Fall nicht nur zugelassen, sondern als unmarkierte Basis definitorisch und deskriptiv eingeführt - zur Signalisierung einer Abweichung von dieser impliziten, natürlichen Perspektive bewegt der Sprecher sich zunehmend in den Bereich inhaltlicher und vermutlich auch ausdruckseitig-sprachlicher Markierung hinein. Zur terminologischen Ergänzung erfolgt eine Anleihe bei einer linguistischen Schule, deren gesamter Beschreibungsmodus auf der psychisch-kognitiven Grundlage sprachlicher Bedeutung aufbaut, nämlich bei der in der Tradition GUILLAUMES stehenden. Die Kürzel A und O basieren auf CURAT (1991: 68ff.), der sie für das Französische als C (fur commencement) und F (für fin) bezeichnet. Sie stehen für aktionale Intervallgrenzen eines versprachlichten Ereignisses E. 15 Mit den Buchstaben-Symbolen sollten möglichst alle kategorialen Inhalte, also nicht nur Temporalität, beschreibbar sein. Es sind deshalb weitere Betrachtperspektiven-Symbole einzuführen, die z.B. auch aspektuelle Spezifizierung erlauben. 1.) Natürlicher Betrachterstandpunkt, S Als S sei das implizite, natürliche deiktische Zentrum bei Entstehung einer Aussage dargestellt. Das ,Ich-hier-Zentrum' des Sprechenden bedingt einen primären Blickwinkel von dort, der außersprachlich gegeben ist und die menschliche Wahrnehmung prägend steuert. Mit der Anwesenheit dieser Größe ist immer zu rechnen, auch dort, wo innersprachlich scheinbar kein Bezug darauf genommen wird. 16 Es besteht keine Veranlassung, dem deiktischen Zentrum auf einer grundlegenden Beschreibungsebene eine implizite Eigenschaft des Typs [+ jetzt] zuzubilligen. Das Konzept eines Jetzt setzt das Bewußtsein für ein Zeitintervall mit Namen Nicht-Jetzt voraus. Primäre S-Zentriertheit besteht nicht darin, sich in einem Zeitintervall bzw. als Schnittstelle zwischen Intervallen zu verorten. Das hier favorisierte Konzept von S ist ein in erster Linie räumlich zu ortender Standpunkt ohne inhärente Zeitstufen-Komponente, die demgegenüber auf einer anderen Hierarchieebene Eingang in die Analyse finden muß. 17 15

16

17

In CURATS Terminologie erscheint REICHENBACHS E als Ρ (für procès orienté). Da ich die Orientiertheit bzw. Prozeßhaftigkeit von Ereignissen als aktionale Merkmale betrachte, die auch fehlen können, ziehe ich das neutralere E vor. Ansonsten decken sich die Vorstellungen zum Verhältnis zwischen S (CURAT: L fur locuteur), R (CURAT: R) und den übrigen Elementen weitgehend. Dies führt zu einem erweiterten Deixisbegriff: S-Implikatur liegt im unmarkierten Fall regelhaft vor und muß sprachlich explizit ausgeblendet werden, wenn der Sprecher von dieser Perspektive abstrahieren möchte. Der dafür benötigte linguistische Beschreibungsmodus hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Verfahren der Literaturwissenschaft. Es wird dort zwischen außersprachlichem (wenn vielleicht auch bereits verstorbenem) Autor und einem in Texten erkennbaren Erzähler unterschieden. Der Erzähler und seine Erzählperspektive werden häufig erst adäquat analysierbar, wenn man sie in Relation zur davon überlagerten Perspektive des Autors begreift und beschreibt. Vgl. 3.1.3. zum Verhältnis der Konzepte Räumlichkeit und Zeitlichkeit.

28 2.) Fiktiver Betrachterstandpunkt, r: Als r sei ein fiktives deiktisches Zentrum bezeichnet, das als solches u.a. auch über bestimmte Charakteristika von S verfugt, nämlich einen (dann imaginären) Standort und einen Blickwinkel von dort. Als fiktives und damit auch konzeptuell bewegbares Zentrum kann es jedoch, im Gegensatz zu S, zu den Konstituenten E, S oder anderen Größen je eigen in Beziehung gesehen bzw. gesetzt werden. Die Größe r ist kommunikativ allein über sprachliche Markierung zu signalisieren, während S inferiert oder auch nicht-sprachlich explizit gemacht werden kann. 3.) Archi-Betrachterstandpunkt, R: Als R sei ein Betrachterstandpunkt dann bezeichnet, wenn zu bestimmten Zwecken nicht spezifiziert werden soll, ob es sich um S oder r handelt. Das Symbol wird immer dort erscheinen, wo aspektuelle Perspektivierung ohne Interferenz von Implizitheit/Explizitheit oder Zeitstufenproblematik darzustellen und in ihrer Eigenwertigkeit kenntlich zu machen ist. 4.) Ereignisse und Sachverhalte, E: Als E seien situationeile Bezugsgrößen (Ereignisse und Sachverhalte) bezeichnet, wie sie als kognitiv (v)erarbeitete bzw. abgeleitete, virtuelle und abrufbare Bilder der Versprachlichung zugrunde liegen. Diese Basisstrukturen können mit aktionalen Merkmalen deskriptiv gefaßt werden (vgl. 3.1.3 bis 3.1.5.). Diese stark außersprachlich determinierten Strukturen (situation types) legen im sprachlich unmarkierten Fall S-Bezogenheit nahe. Mit sprachlicher Markierung kann eine Abweichung von dieser natürlichen Perspektive signalisiert werden, unter dieser Perspektive kann dann wiederum der Situationstyp verändert erscheinen. Nichts, was auf eine sprachliche Perspektivierung zurückgeht, sollte als Basismerkmal von E definiert werden. In diesem Punkt differiert die zugrundeliegende Position von anderen Auffassungen. Exemplarisch sei D I K (1989) genannt, der R E I C H E N B A C H S E gleichsetzt mit dem von ihm eingeführten Begriff eines 18 State of Affairs (Konvolut aus Verbalcharakter/Aktionsart und Aspekt). Derartige Gleichsetzungen beruhen auf der Annahme, Aspektualität sei nicht deiktisch (nicht perspektivierend nutzbar). Erkennbar differierende Lesarten von E unter aspektueller Markierung sprechen jedoch dafür, zumindest expliziten aspektuellen Zeichen die Fähigkeit der Relationierung von Ereignis und Betrachterstandpunkt zuzubilligen, d.h. deiktische Eigenschaften im engeren Sinne. E darf also nicht so definiert sein, daß es Aspektualität immer als explizite Funktion beinhaltet. 19 E kann sich auf eine außersprachliche Situation, einen außersprachlichen Referenten beziehen, aber auch auf einen innersprachlichen im Sinne von Text. Mit NEF20 gehe ich davon aus, daß auf sprachliche Zeichen (Text) nicht losgelöst von deren Bedeutung verwiesen

18 19

20

Wiedergegeben nach VANBAAR, 1994: 147-160. SCHROTT nimmt an, daß sowohl Situationstypen (1997: 104f.) als auch das Präsens (1997: 170) aspektuell markiert seien, unterscheidet aber auch zwischen inhärentem Aspekt (ableitbar aus dem Situationstyp) und grammatischem Aspekt. Da sie zudem Phasenaspekt einbezieht, wird kaum deutlich, welchen Status (formalen oder inhaltlichen, impliziten oder expliziten) Aspektualität in ihrer Analyse hat. Vgl. NEF, 1984: 87ff.

29 werden kann, und verweisende Zeichen nie ausschließlich autoreferentiell sind. Text ist ein Gegenstand, auf den verwiesen wird - es ist bisher kein guter Grund d a f ü r angeführt worden, w a r u m er im deiktischen Bereich einen Sonderstatus vor anderen Gegenständen beanspruchen sollte. So muß nicht grundsätzlich zwischen textstrukturierenden Eigenschaften von T e m p o r a und deren außendeiktischer Funktion (exophorischer und endophorischer Leistung 2 1 ) unterschieden werden: Die Relationierungsleistung bezüglich des Referenten ist nahezu identisch. Wichtig ist die Unterscheidung nur dort, wo eine Funktion der anderen diachron vorgeordnet ist und einem anderen Grad von Grammatizität entspricht. 5.) Ereignis- und Sachverhaltskonturen, A und O: Für die Links- bzw. Rechtsgrenze 2 2 aktional grenzbezogener Ereignisse stehen die Symbole A bzw. O , aber auch f ü r semantische Begrenzung, die durch relationierende Zeichen explizit installiert wird. Es handelt sich also um Referenzrahmen, die nur im ersten Fall E inhärent sind. A u f die Ebenen des semantischen Modells übertragen, lassen sich die symbolisierten Konstituenten wie folgt verteilt verstehen.:

Ebene 1 : Gegenstände (Sachverhalte, Ereignisse) - Sprecher

*

Ebene 2 : E (ev. A und/oder O ) ; S

Bedeutung E b e n e 3 : E (A und /oder O ) ; R , r, r ' usw. Ebene 4 : Sprachlicher Ausdruck / formale U m s e t z u n g

21

22

Vgl. SUNDELL (1991: 25): Endophorische Zeichen verweisen auf Textraum (espace textuel), exophorische auf den Situationellen Kontext (espace situationnel). Da in beiden Fällen die Raummetapher angemessen scheint, ist beides als nicht essentiell verschieden zu betrachten. Aufgrund des von unserer Schriftkonvention abgeleiteten Konzepts, sich Verläufe von links nach rechts gehend vorzustellen, sei diese Begriffswahl erlaubt. Hierzu CURAT (1991: 70): C'est par une convention liée à l'orientation de l'écriture dans les langues indo-européennes que l'avant est représenté à gauche, et l'après à droite. [...] Par la même convention que précédemment, le procès est représenté se dérouler de gauche à droite entre un instant de commencement C et un instant de fin F.

3. Ein Modell der verbalkategorialen Inhalte

3.1. Aktionalität 3.1.1. Aktueller Forschungsstand 3.1.1.1. Zur Defmitionsproblematik Das, was im weiteren Text als Aktionalität bezeichnet wird und als inhaltseitiges Phänomen zu verstehen ist, wird in der Sprachwissenschaft sehr unterschiedlich aufgefaßt und gehandhabt. Auf die Notwendigkeit einer Entflechtung der Terminologie, auch und vor allem einer getrennten Fassung der funktionalen Bereiche Aktionalität/Aktionsart und Aspektualität/Aspekt wird ebenso häufig hingewiesen wie andererseits eine Mischung der Begrifflichkeit und die Subsumierung beider Phänomene unter dem Sammelbegriff Aspektualität/ Aspekt erfolgt. Für beide Kategorien kommt erschwerend hinzu, daß sie einerseits über Funktion andererseits über Form definiert werden. Umstritten ist weiterhin, ob die Funktionen über die Wortart Verb oder mehrere Konstituenten sprachlicher Äußerungen realisiert werden. Im letzteren Fall muß festgelegt werden, über welche ausdruckseitigen Elemente, was wieder zu je unterschiedlichen Ergebnissen (ver)fuhrt. Der Status sog. Perfekt-Formen, die man einerseits als nicht-temporal grundierten Aspekt, andererseits als temporal einstufen kann, erschwert die Diskussion zudem, da außer der Kontroverse um die Trennung zwischen Aktionalität und Aspektualität noch die Zeitstufenproblematik interferiert. Je nach grammatischer Schule oder Theorie findet man die verschiedensten Ausprägungen und Mischungen aus der genannten Palette der Möglichkeiten. Auffällig ist, daß man sich in der Regel aus der Palette bedient, gegen andere Modelle abgrenzt, jedoch häufig nicht rechtfertigt, warum man diese und keine andere Fassung vorzieht.

3.1.1.2. Forschungspositionen In Anlehnung an die deutsche Begrifflichkeit fand die Bezeichnung Aktionsart Eingang in die nicht-deutschsprachige Literatur (im französischsprachigen Bereich als mode de procès; in englischsprachigen Veröffentlichungen oft unübersetzt). LEISS (1992: 3Iff.) vermittelt einen Einblick in die neuere deutsche Forschungsliteratur zum Thema. Sie selbst definiert die Kategorie ausdruckseitig (als morphologische Ableitung von Grundverben) und schreibt ihr inhaltseitig aspektuelle Funktion zu (im Sinne dessen, was in der Tempuslogik als outer aspect bezeichnet wird). Es handle sich um so etwas wie die Ruinen eines ehemals auch ausdruckseitig durchgängigen Aspektsystems. Aktionsart/Aktionalität wird damit zur defizitären Erscheinungsvariante einer ehemaligen Vollkategorie Aspekt. Innerhalb der Prädikatenlogik beruhen aktionale Klassifikationen (kategorial sehr unterschiedlich bezeichnet als: inner aspect, temporal entities, semantic classes of verb phrases oder types of states of affairs) auf VENDLERs Einteilung der englischen Verben in vier Klassen. Dieser selbst verwendete den Begriff time schemata, die Prädikaten als semantische Profile innewohnen und deren morphosyntaktisches Verhalten sowie den Zugang zu

32 bestimmten grammatischen Umgebungen steuern. 1 Sein System beinhaltet vier Klassen {states, activities, accomplishments und achievements), die per Kreuzklassifikation bezogen auf die Merkmale [+/- dynamisch, durativ, transitionell] in ihrem Verhältnis zueinander darstellbar sind: durativ

dynamisch

transitionell

Beispiel:

State

+

-

-

to be dead

Activity

+

+

-

to run

Accomplishment

+

+

+

to run a mile

-

+

+

to part

Achievement

Das System wurde seither ausgebaut und verfeinert, und in neuerer Literatur beruft man sich auf VENDLER meist in Form eines logischen Kalküls, das die Interaktion semantischer Grundkomponenten innerhalb von Prädikaten/Propositionen adäquat beschreiben soll. Die Einteilung in aktionale Klassen ist insofern verbzentriert, als dem Verbstamm die zentralen Merkmale zugeschrieben werden, die dessen Argumentenstruktur bestimmen. In jüngster Zeit betrachtet man auch differierende Subjekt-NPs als aktional-aspektuell relevant. 2 Im Rahmen der allgemeinen Sprachwissenschaft hat die Klassifikation VENDLERS ebenfalls ihren Platz gefunden. LYONS bezeichnet das Phänomen als aspectual character, COMRIE spricht von inherent meaning,3 Es wird als Teilkomponente der Kategorie Aspektualität/Aspekt einverleibt und innerhalb dieser sehr unterschiedlich und mit unscharfen Grenzen umrissen (verbzentriert oder propositional, formal oder semantisch). 4 Nun bauen auf LYONS (1977) und COMRIE (1976) die meisten Untersuchungen auf, und somit ist eine Trennung in zwei Kategorien bzw. funktionale Bereiche bis heute nicht üblich. Mit dieser weit gefaßten Definition sind am konkreten Sprachmaterial sehr unterschiedliche Manifestationen von Aspektualität zu konstatieren, denen die Kategorie dann weiter angepaßt werden muß. Über die Zeit wurde sie im Zuge dessen zu einem heterogenen Konglomerat aufgebläht, in dem sich alles findet, was nicht eindeutig unter Tempus oder Modus unterzubringen scheint. Man kann BACHE (1995: 65f.) durchaus zustimmen, wenn er schreibt: „I criticize Comrie 1976 and Lyons 1977 for failing to draw the necessary dinstinction between aspect and action." Beide Bereiche involvierten „different types of meaning" und erforderten „different categories in our metalangue." Die romanistische Tradition beruht, anders als die anglo-amerikanische, auf Vorarbeiten von Slawisten. Als erste und wichtige Quelle ist GAREY in den 50er Jahren zu nennen, auf den die Klassifikation in telische und atelische Verben (oder Prädikate, je nach Auffassung) sowie die Beschreibung des Phänomens auf der Basis von Oppositionen zurückgeht. 5 Zusammenfassend lassen sich folgende Fragen formulieren, die bei einer kategorialen Definition von Aktionalität und Aspektualität nicht unbeantwortet bleiben dürfen. 1 2

3 4

5

VENDLER, 1967. Eine ausfuhrliche Darstellung und Diskussion der Handhabung der VENDLER-Klassen in der Aspekt- und Tempuslogik bietet VERKUYL, 1994: 33-68. Vgl. VETTERS, 1996: 87FF. Einen guten Einblick in den neuesten Stand der Diskussion, vor allem aber auch in die immer hybrider werdende Uneinheitlichkeit der Handhabung bieten BERTINETTO U.A. (Hg.), 1995 sowie DRESSLER/ ABRAHAM/ KLIMONOW (Hg.), 1996. Vgl. VETTERS, 1996: 78.

33 a.) Ist eine eigene Kategorie Aktionsart/Aktionalität notwendig, um Sprachsysteme adäquat beschreiben zu können? Handelt es sich nicht vielmehr um aspektuelle Subkomponenten lexikalischer Provenienz, die der Kategorie Aspekt eingegliedert werden können? b.) Wenn es einer eigenen Kategorie Aktionsart/Aktionalität bedarf, ist sie inhaltlich oder formal, verbzentriert oder nicht ausschließlich verbzentriert zu fassen? c.) Läßt es sich linguistisch rechtfertigen, daß eine kategoriale Klassifikation mit behaupteter grammatischer Relevanz auf der Basis lexikalischer Merkmale erfolgt, noch dazu unter Rückgriff auf musterhafte Situationstypen, also relativ außersprachliche Größen, und wenn ja, wie? 3.1.2. Aktionalität als Basis der kategorialen Architektur 3.1.2.1. Vorsprachliche Musterbildung und deren sprachliche Relevanz Bei Analyse von Sprachen, die über aspektuelle Zeichen mit den Grundwerten perfektiv/ imperfektiv verfugen, ist Frage a.), ob man außer der Kategorie Aspekt noch eine weitere, grundlegendere Kategorie zur adäquaten Beschreibung benötigt, unzweifelhaft mit ja zu beantworten: Restriktionen, Affinitäten und bestimmte semantische Umdeutungen unter aspektueller Markierung sind regelhaft nur in Kombination mit bestimmten Prädikaten zu beobachten, was zu einer supplementären Klassifizierung zwingt. Verallgemeinernd kann man sagen, daß aktionale Merkmalkonstellationen unstrittig immer dann ermittelt und benannt werden müssen, wenn sich Restriktionen bzw. Affinitäten im Hinblick auf bestimmte grammatische Markierungen erkennen lassen. Dies ist noch kein Argument für eine übereinzelsprachliche Relevanz von Verb- oder Prädikatklassifikationen - und noch weniger eines fiir die übereinzelsprachliche Tauglichkeit einer bestimmten Klassifikation. Problemkomplex b.) zur formalen Dingfestmachung der Kategorie ist auf dieser Basis ebenfalls nicht zu bewältigen, denn nachweislich handelt es sich bei aktionalen Merkmalen nicht um solche, die sich ausdruckseitig eindeutig kodiert finden. So sind beispielsweise die deutschen Verbalpräfixe als ,ordentliches' (durchgängig grammatisches) Inventar defizitär. Es bleibt dann nur noch, von lexikalischen Merkmalen auszugehen und die Kategorie insgesamt dem lexikalischen Bereich zuzuordnen. Dies ist jedoch ebenfalls keine gute Lösung, denn es sind nachweislich nicht alle lexikalischen Merkmale, die als aktional in Frage kommen. Zudem ist man sich bei der Selektion der Merkmale, die die Kategorie konstituieren, eigenartigerweise relativ einig, obwohl sich bisher kaum jemand die Mühe machte, die Selektion zu rechtfertigen. Intuitiv scheint man zu erkennen, welche Merkmale einen Situationstyp konstituieren und welche nicht. Bei einer Klassifikation nach Prädikaten oder gar Propositionen stellt sich die Frage, welches Lexem bzw. welche grammatische Markierung welches aktionale Merkmal trägt, und wie man eine derart komplexe, lexikalisch und grammatisch basierte Klassifikation methodisch bewerkstelligen will. Kombinierbarkeit mit bestimmten grammatischen Umgebungen reicht als einzelsprachliches und damit nicht konsensfahiges Kriterium nicht, wie der terminologische und definitorische Split zwischen Anglisten und Slawisten vor Augen führt: Erstere setzten den Zugang zur progressive form als Parameter der Klassifikation,

34 letztere die Kombinierbarkeit mit bestimmten Aspektmarkierungen, was zu unterschiedlichen Klassifikationsmustern führte. Problemkomplex c.), d.h. wie man Situationstypen ohne Rückgriff auf außersprachliche Muster überhaupt definieren soll, bereitet große Schwierigkeiten. Bereits V E N D L E R war vorgeworfen worden, die Kategorie sei als sprachwissenschaftliches Beschreibungsinstrument inakzeptabel, da sie eine Selektion von pertinenten Merkmalen aus Lexemen größtenteils unter Rückgriff auf präexistente, außersprachliche Eigenschaften von Gegenständen und Sachverhalten erforderlich mache. 6 Es handle sich um ein metaphysisches Konstrukt. Auch hier begegnet wieder das bereits im Zusammenhang mit REICHENBACH (vgl. 2.2.) erwähnte Unbehagen angesichts einer oder gar mehrerer structures préexistantes. Und ebenso wie die REICHENBACHsche Terminologie wurde die VENDLER-Klassifikation tradiert, obwohl das Grundproblem weiterhin ungeklärt im Raum stand. Selten findet es heute noch Erwähnung, so etwa wenn SMITH (1995: 113f.) schreibt, sowohl Situationstypen als auch die Wirkung, die deren Veränderung mit sprachlichen Mitteln habe, lasse direkt auf kognitive Musterbildung schließen („[...] represent the basic manner in which humans cognize such situations.")· BLUMENTHAL (1997: 2 2 ) spricht ebenfalls von einem „hohen Stellenwert von aktionsartlichen Kategorien bei der Erfassung von Wirklichkeit." In pragmalinguistisch orientierten Untersuchungen sucht man solche Eingeständnisse vergeblich: Die Existenz einer Kategorie, die auf transsubjektiven Merkmalen von Ereignissen basiert, bevor diese konkret in der Sprechsituation erscheinen, muß suspekt scheinen. SCHROTT, die direkt auf V E N D L E R zurückgreift, kann dies z.B. nur, indem sie relativ unmotiviert behauptet (1997: 103), es handle sich bei den Situationstypen um [...] Situationen auf der Ebene von Versprachlichung, die durch temporale und nicht-temporale Merkmale charakterisiert sind [...] Unter dem Situationstyp verstehen wir [sie] also keine Situationen der Wirklichkeit oder kognitive Repräsentationen. Diese Trennung der unterschiedlichen Ebenen von Sprache, Wirklichkeit und Kognition wird auch in der Forschung erläutert [...].

Diese Trennung wird nun tatsächlich „in der Forschung erläutert" - und dort, wo sie besonders überzeugend erläutert wird (s.o.), folgt in der Regel auch das Eingeständnis, daß sich aktionale Merkmale nahezu ausschließlich aus der Art ableiten lassen, wie Ereignisse und Sachverhalte außersprachlich kategorisiert werden. 7 Die Problembereiche a.) - c.) hängen ursächlich zusammen: Das Zentrum bildet Bereich c.), also die sich aufdrängende Erkenntnis, aktionale Klassen konstituierten sich aufgrund außersprachlich ableitbarer Merkmale, was um so schwerer wiegt, als diese Merkmale eindeutig nicht auf der Situation des Sprechenden in Sprechsituationen, sondern auf dessen 6 7

Vgl. VETTERS, 1996: 87. An anderer Stelle (SCHROTT, 1997: 21) scheint eine andere Auffassung durch. KLEIN habe fälschlicherweise die nicht-temporale Deutung eines Satzes dem Kotext zugeschrieben {He was dead, eingeleitet von They found John in the bathtub), denn er habe verkannt, daß inhärente Merkmale des Ereignisses (der Situationstyp?) die a-temporale Lesart auslösen und nicht etwa der Kotext: Diese angebliche Inkongruenz zwischen den gegebenen Tatbeständen und der Zeitreferenz der Tempora ist jedoch ein Scheinproblem, das durch die Vermischung der Ebenen Wirklichkeit und Versprachlichung entsteht. Was Klein in den Beispielen konstatiert, ist nicht die Leistung der Tempusform, sondern die zeitliche Erstreckung des Sachverhalts ,be dead' in der Realität, die aus Kontext und Weltwissen abgeleitet werden kann [Hervorh. MS]. Hier wird also zugestanden, daß aktionale Merkmale (die nicht begrenzte Durativität von states) aus dem Weltwissen über Sachverhalte abgeleitet sind - und damit die Definition unterlaufen.

35 Wahrnehmung und Fassung der außersprachlichen Wirklichkeit beruhen. Daraus folgt dann notwendigerweise Frage b.), ob man über Form oder Funktion, verbzentriert oder nicht verbzentriert definieren soll. Denn einen grammatisch relevanten Inhalt, der kein evidentes Formkorrelat zu haben scheint, kann man nur noch ins Lexikon verweisen, was dann zu der bereits genannten intuitiven Selektion eines Ausschnitts der lexikalischen Bedeutung von Verben fuhrt. Oder man sucht auf der Ausdruckseite so lange, bis man auf ein eventuelles Korrelat stößt (Propositionen, Sätze o.ä.). Auch die Tatsache, daß aktionale Merkmale gern unter Aspekt bzw. Aspektualität subsumiert werden, geht auf das Basisproblem zurück: Aspektualität bietet, zumindest in einigen Sprachen, ein funktional relativ eindeutiges und ausdruckseitig manifestes Instrument der Perspektivierung. Es läßt sich zudem zumindest einigermaßen elegant über eine binäre Opposition beschreiben. Das virtuelle Ereignis mit seiner gefährlich präexistenten Merkmalstruktur ist innerhalb der Begrifflichkeit ,Außenperspektive'-, Innenperspektive' oder ,Fokussierung' vor allem deshalb gebannt, weil das sprechende (!) Subjekt sich hier als aktiv perspektivierend zeigt. Der Kategorie Aspekt wird nämlich unter Verweis auf diese perspektivierende Funktion (in Abgrenzung zu älteren, auf JAKOBSON zurückgehende Auffassungen, wie sie noch bei COMRIE, 1 9 7 6 , und LYONS, 8 1 9 7 7 , zu finden sind) deiktisches Potential zugeschrieben (vgl. LEISS, 1 9 9 2 : 5 ) . Die Eingliederung in die Hyperkategorie Aspekt ist jedoch eine default-Lösung, denn Situationstypen liefern keine Perspektive und nachweislich auch keinen Hinweis auf ein sprachlich perspektivierendes Subjekt: Es handelt sich um Muster, die von jenseits der Sprache kommend diese bis in formal-grammatische Bereiche hinein beeinflussen und denen man in ihrer Eigenwertigkeit nicht gerecht wird, wenn man sie auf die rein sprachliche Bedeutungsebene zu verlagern versucht. Die Kategorie ist stärker als andere ,wahrnehmungsdeterminiert' und nur als solche in linguistische Beschreibungsmodelle nutzbringend zu integrieren. Sie muß nicht nur von Aspektualität als tatsächlich deiktischer Kategorie getrennt werden, sondern kann auch den Sonderstatus beanspruchen, direkt auf kognitive Verarbeitungsmuster schließen zu lassen. Aus den genannten Gründen muß sie als Basis der kategorialen Architektur betrachtet werden.

3.1.2.2.

Metonymische Beziehungen und aktionale Merkmale

Linguistische Forschung, die Erkenntnisse aus den Kognitionswissenschaften integriert, geht naturgemäß von einer Rückbindung versprachlichter Ereignisstrukturen an die Bedingtheit der menschlichen Wahrnehmung aus. Ein Beispiel fur eine derartige Vernetzung sei an dieser Stelle herausgegriffen und beschrieben, da es in besonderer Weise geeignet ist, 8

Es ist nicht ganz nachvollziehbar, warum SCHROTT (1997: 102) von einem „Konsens" in Richtung einer nicht-deiktischen Auffassung ausgeht (noch dazu unter Verweis auf dieselben Autoren wie LEISS, nämlich FUCHS und HEGER). Dies liegt möglicherweise daran, daß sie Aktionalität (einen tatsächlich nicht-deiktischen Inhalt), Phasenaspekt und die Opposition , imperfektiv-perfektiv' unter dem Oberbegriff Aspekt subsumiert. Allerdings spricht sie selbst im weiteren Text (1997: 103ff.) von „Fokussierung", „ v i e w p o i n t aspect" und davon, daß vom Sprecher „Bereiche außerhalb des Fokusintervalls ausgeblendet werden". Funktionen dieser Art kann man aber bei Absenz von deiktischem Verweisen gar nicht postulieren. Deixis ermöglicht (vgl. LEISS, 1992: 7), den Ort, von dem aus sprachlich auf die Welt verwiesen wird, zu rekonstruieren; über aspektuelle Zeichen kann sich der Sprecher in einem bestimmten Verhältnis zum Sachverhalt zeigen, das er per Wahl anderer aspektueller Markierung auch anders darstellen kann.

36 einen systematischen sprachlichen Niederschlag außersprachlicher Musterbildung vor Augen zu fuhren. In lexikalischen Sprachwandelphänomenen sind bestimmte systematische Arten der Bedeutungsverlagerung zu beobachten. Diese gehen auf den Umstand zurück, daß zentrale sprachliche Inhalte eines Lexems stets in einen kognitiven Rahmen (engl, frame), einen Bildbereich eingebettet vorstellbar sind. Derart kognitiv benachbarte Inhalte können situativ in der Kommunikation aktiviert und diachron bei häufiger derartiger Verwendung als Zentralbedeutung funktionalisiert (konventionalisiert) werden. Ein solches Einrücken aus dem angrenzenden nichtsprachlichen Bereich in das sprachliche Bedeutungsspektrum versteht man, in Anlehnung an die Begrifflichkeit der Stilistik, als metonymisch basiert. Hierzu D E T G E S (1997: 5), der das Phänomen am Beispiel von lat. CAPUT > frz. chef verdeutlicht: Designate sind Konzepte, die unseren Vorstellungen von den Dingen entsprechen, auf die wir mittels sprachlicher Zeichen referieren. Die Kontiguität solcher Designate ist zunächst eine außersprachliche Relation. Designate sind in Frames, d.h. in stabilen konzeptuellen Zusammenhängen organisiert. [...] Zu unserem Wissen über das Konzept KOPF gehört zum Beispiel, (1) daß der Kopf Teil des Körpers bzw. der Person ist, (2) daß dieser Teil (beim Menschen) sich über bzw. (beim Tier) vor dem restlichen Körper befindet, (3) daß der Kopf Sitz des Intellekts und der Sinne ist, und damit (4) der Koordination von Bewegung und Wahrnehmungen dient [...]. Metonymie meint nun die Verschiebung der Bedeutung eines Zeichens in der Weise, daß anstelle des bisherigen Designates ein anderes, kontiges Designat eintritt. [...] Irgendwann können bestimmte [...] Faktoren dazu fuhren, daß eines der Hintergrundkonzepte fokussiert wird, so daß Figur und Grund ausgetauscht werden. Dies ist die Bewegungsform metonymischen Bedeutungswandels.

Metonymische Beziehungen (auch zwischen Bedeutungskomponenten mit unterschiedlichem Status) seien insgesamt ,welthaltiger', d.h. direkter wahmehmungsdeterminiert als etwa metaphorische. 9 Derartige Umdeutungen, Umwidmungen von Komponenten von einem angrenzenden außersprachlichen in den sprachlichen Bereich spielen nun nicht nur in lexikalischen Bedeutungsverschiebungen eine Rolle, sondern vor allem in Grammatikalisierungsprozessen, wenn also lexikalische Einheiten zu grammatischen Funktoren werden. 10 Auch dabei wird durch metonymisch motiviertes Kippen ein ursprünglicher Wert zunehmend ausgeblendet, und in dessen Funktionsbereich rückt eine semantische Komponente als Zentralwert ein, die dem ursprünglichen Bereich als /rame-Komponente beigeordnet war. Ein solcher Reanalyseprozeß, bei dem ein ursprünglicher Bedeutungsschwerpunkt zurücktritt und ein metonymisch angelagerter, häufig inferierter als Hauptinhalt im sprachlichen Bedeutungsspektrum erscheint, wird in der Grammatikalisierungsforschung als conventionalization of implicature bezeichnet (vgl. H O P P E R / T R A U G O T T , 1993: 80ff.). Hierin zeigt sich einmal mehr, wie hochrelevant konzeptuelle Kategorien für das sprachlich-funktionale System sind. Für das Verständnis der Merkmale, die intuitiv immer zur Beschreibung aktionaler Klassen herangezogen werden, ist dieses Wissen um die Relevanz 9

10

DETGES ( 1 9 9 7 : 6):

[...] die Metonymie [ist] eine äußerst „welthaltige", auf der faktischen Welt (so wie wir sie wahrnehmen) basierende, aber häufig auch sehr unauffällige Beziehung (Blank 1996:221). Wenn auch, wie z.B. HOPPER/ TRAUGOTT (1993: 86f.) aufzeigen, mehrere metonymische Verlagerungen diachron dazu fuhren, daß ein Ausgangskonzept und ein resultierendes (dann) in einer Beziehung stehen, die sich metaphorisch ausnimmt (vgl. hierzu auch HEINE, 1993: 98f.).

37 kognitiver Bildbereiche nun nicht nur interessant, sondern zentral. Denn die intuitive Klassifikation sog. Situationstypen beruht auf Ereignis- bzw. Sachverhaltsbildern, die gerade in diachronen Bedeutungverschiebungen vergleichbarer Natur deutlich sichtbar werden. Sachverhalte und Ereignisse in ihrer sprachlich relevanten Kontur sind nur in Abgrenzung zu ihrem jeweiligen frame überhaupt feststellbar. Diachrone metonymische Verschiebungen im Bereich der Grammatikalisierung können zur Bestimmung aktionaler Merkmale herangezogen werden, und umgekehrt ist die Kategorie und die Pertinenz einer aktionalen Klassifikation u.a. dann gerechtfertigt, wenn sich ihre Relevanz in metonymisch motivierten, diachronen Bedeutungsverlagerungen erweist. In den folgenden Abschnitten wird es also auch darum gehen, den kategorialen Inhalt der Aktionalität zum einen in seiner notwendigen ,Welthaltigkeit' zu belassen, zum anderen allerdings genau zu definieren, in welcher Weise er systematische sprachliche Relevanz hat.

3.1.3. Der Status aktionaler Merkmale 3.1.3.1. Zum Unterschied zwischen Durativität und Temporalität Ebenso wie im aspektuellen Bereich wird bei Fassung aktionaler Werte immer der Begriff der Temporalität bemüht. Dies liegt vermutlich daran, daß beide Kategorien auf der Basis von Phänomenen definiert wurden, die man an Verben ausdruckseitig markiert fand (Aktionsart als verbale Derivationserscheinung, Aspekt in Form des slawischen Verbalaspekts). Temporalität als funktionaler Bereich interferiert, weil man in der traditionellen (an indoeuropäischen Sprachen entwickelten) Grammatikschreibung temporale Verweisfiinktionen mit der Wortart Verb in Verbindung sah. Wissenschaftlich älter ist eine heute als inadäquat betrachtete Zuordnung des verbalen Funktionsbereichs zum Konzept der Zeitlichkeit. Temporalität gilt heute als innersprachliche deiktische Relationierungsfunktion, die u.a. fur Zeitstufenverweise genutzt werden kann. Im Zuge dessen ist auch in den Definitionen von Aktionalität und Aspektualität nicht von ,Zeitlichkeit' die Rede, sondern von einer temporalen Struktur'- so in COMRlEs vielzitierter Definition der Leistung von Aspektualität als Durchblicksmöglichkeit auf die temporal constituency of a situation. Bei genauer Betrachtung entspricht nun im Bereich der Aktionalität jedoch die naivere, ältere Auffassung eher den Gegebenheiten. Der Begriff der Temporalität, der aus dem Bemühen heraus entwickelt wurde, funktionale Leistung sprachlicher Relatoren und das außersprachlich-kognitive Inferieren eines Zeitverlaufes zu trennen, ist zur Beschreibung von Situationstypen eigentlich unangebracht, denn diese relationieren nichts, ja zeigen nicht einmal Relationen an; der aktionale Gehalt eines Satzes wie Meine Mutter besitzt fünf Hühner vermittelt intern oder extern temporal z.B. gar nichts. Was linguistisch oft als inhärente temporale Struktur bezeichnet wird, geht auf den Umstand zurück, daß Sprecher und Hörer dem versprachlichten Sachverhalt eine je eigen geartete Gelagertheit (Dauer) in der Zeit zuschreiben. Diese Art der Dauerzuschreibung ist ein aus dem Sachverhalt oder Ereignis, wie es außersprachlich konzeptualisiert wird, abgeleitetes Implikat. Es wird dem Ereignis bzw. Sachverhalt grundierend unterschoben, weil wir eine Ubiquität von ,Zeitlichkeit' gelernt haben anzunehmen. Wenn also Situationstypenklassifikationen ohne einen Begriff wie Durativität nicht auskommen, so handelt es sich gerade nicht um jene so klar von Zeitbegriffen abgegrenzte Temporalität, die in anderen kategorialen Bereichen eine Rolle spielt,

38 sondern um ein konzeptuelles Implikat von jenseits der Sprache, das tatsächlich abhängt vom menschlichen Zeitbegriff. 3.1.3.2. Dynamik und Transitionalität Zeit als außersprachliches Konzept baut kognitiv, sowohl phylo- als auch ontogenetisch, auf Raumbildern auf, verdankt sich also nicht der direkten menschlichen Wahrnehmung. Als aus Raumwahrnehmung abgeleitetes Konzept ist es folgerichtig ohne die Heranziehung räumlicher Muster kaum vor- und darzustellen. Kinder konstruieren auf einer frühen Stufe ihrer Entwicklung (vor Einsetzen der Möglichkeit, sich selbst im Raum fortzubewegen, und vor Beginn des Spracherwerbs) bereits Vorstufen zeitlicher Verlaufsvorstellung in Form von sequentiellen Mustern oder UrsacheWirkung-Beziehungen. So etwa, wenn ein mit ,Zuwendung' konnotiertes Gesicht aus dem Sichtfeld verschwindet und nach ausgiebigem Schreien dort wieder auftaucht. Dieses .Gesicht weg' - .Schreien' - ,Gesicht wieder da' wird nicht nur als Sequenz, sondern (ganz richtig) auch als Ursache-Wirkung-Mechanismus dekodiert. Sequentielle Abfolge und ein zeitliches Vorher-Nachher wird auch insgesamt aus Veränderungen geschlossen, denen Raum und Objekte unterliegen. Über die Wahrnehmung der Verfügbarkeit oder Nichtverfugbarkeit von Gegenständen und Personen (deren Auftauchen und Verschwinden aus dem direkten Umfeld) und den sichtbaren Veränderungen, die es an ihnen verfolgen kann, baut das Kind einen Maßstab auf. Es ersteht, was es später als Zeit zu begreifen glaubt: Auf der Basis von Dynamik (Bewegung der Objekte und Personen innerhalb des Gesichtsfeldes) und Transitionalität (Verschwinden aus dem Gesichtsfeld) eröffnet sich die Möglichkeit, Zeiträume zu deduzieren. Erst danach ist die Möglichkeit gegeben, die Vorstellung eines Jetzt zu konstruieren, das auf der Abgrenzung zu einem Nicht-Jetzt gründet, in dem andere Wahrnehmungskonstellationen herrschten. Alle Pro-bleme, sich auch auf späteren Stufen der geistigen Entwicklung ein Jetzt konkret vorzustellen, resultieren aus dessen Abgeleitetheit im begrifflichen Sinn. 11 Der Erwerb bestimmter sprachlicher Strukturen hängt eng mit senso-motorischen Fähigkeiten zusammen. Die Möglichkeit, sich selbst im Raum fortbewegen zu können, bildet zum einen die Voraussetzung für den Aufbau der sog. Objektkonstanz (kognitive Trennung zwischen konturiertem ,Ich' und umgebender Umwelt), zum anderen bildet diese Fähigkeit auch die Grundlage dafür, daß mittels der Sprache auf Gegenstände und Sachverhalte verwiesen werden kann, die der Wahrnehmung nicht unmittelbar zugänglich sind. 12 Die Konzepte Raum und Zeit erweisen sich also nicht nur in den ontologischen Weltmodellen der modernen Physik als untrennbar, und nicht nur in der Quantenphysik gibt es eine konkrete Abhängigkeit des Beobachtungsobjekts von der Beobachtung durch den Beobachter. Einige der bereits deutlich gewordenen Konstanten beim Aufbau von Zeitbildern sind zudem kulturell divergierenden Zeitbegriffen 13 gemeinsam. So gibt es die Vorstellung von Zeit z.B. nur im Doppelpack mit, d.h. im Gegensatz zu einem Anderen der Zeit. In unserem Kulturkreis strömt (seit der griechischen Antike) eine dynamische Zeit unaufhaltsam dahin und reißt alles Irdische mit; davon kündet noch das Bild von der Zeitli"

V g l . MAINZER, 1 9 9 6 : 5 0 . , s o w i e RUHNAU, 1 9 9 6 : 8 3 f f . u n d ZIMMERLI, 1 9 9 6 : 2 2 1 .

12

Vgl. WEIST, 1992: 370f. Darstellung angelehnt an VON FRANZ, 1981: 5ff.

13

39 nie, die wir uns, allerdings kulturspezifisch, von links nach rechts laufend imaginieren. 14 In hierarchisch darüber sich lagernden, zunehmend weniger dynamischen Schichten ist ihre Macht gebrochen, und sie verliert sich im rein geistigen Reich der zeitlosen Ideen (PLATO bzw. Neuplatonismus) oder des Nicht-Wesenhaften (christliche Mystik). Dort herrscht bezeichnenderweise zusätzlich zur Zeitlosigkeit nicht nur Stillstand, sondern auch Raumlosigkeit. Zyklische Zeitkonzepte, wie sie z.B. in asiatischen Kulturen dominieren, unterscheiden sich in diesem Punkt nicht, sie rollen die vorwärtsdrängende Linie nur zum Kreis: das Anti-Universum des Zeitlosen ist dann in der Kreismitte zu orten, wo ebenfalls alles stillsteht und (das) Nichts) (k)einen Raum beansprucht (vergleichbar mit dem in Literatur und Kunst des europäischen Mittelalters verwendeten Bild vom ,Rad der Fortuna'). Im konzeptuellen Bereich baut also die Vorstellung von Zeitlichkeit auf den primären Bildern der Bewegung, der Veränderung und der räumlichen Bildbegrenzung auf. Was keinen Raum einnimmt und/oder sich nicht bewegt, läßt kein Zeitbild zu. Es ist zu erwarten (und nachzuweisen), daß sich nicht nur im Spracherwerb, sondern auch in der Entwicklung von Einzelsprachen Spuren dieses Verwobenseins der Konzepte des Räumlichen und des Zeitlichen nachzeichnen lassen. Sprachliche Zeichen beziehen sich auf Sachverhalte und Ereignisse. Insoweit wir gelernt haben, diesen eine außersprachliche Lagerung in der Zeit zuzuschreiben, wird dies als Implikat in jeder Aussage mitschwingen. Weil Dinge, Menschen und Situationen sich bewegen, verändern, konzipieren wir auch sich nicht sichtbar verändernde Sachverhalte als potentiell veränderbar oder zumindest dauernd. Unsere Konzeption von Dauer und Zeitlichkeit wurzelt also in der Wahrnehmung von Begrenzung, d.h. einsetzenden veränderten Wahrnehmungsbedingungen (Transitionalität) und Bewegung (Dynamik). Dieses Muster läßt uns in versprachlichte Ereignisse und Sachverhalte Elemente wie Dauer, Dynamik und/oder Begrenztheit in der Zeit projizieren. 15 Damit lesen sich die Merkmale, mit denen sprachwissenschaftlich Aktionalität beschrieben wird (Dynamik, Transitionalität, Telizität, Begrenztheit, Durativität usw.), wie aus vorsprachlicher Intuition hervorgeholt. Nachdem ein Plädoyer für den primär außersprachlichen bzw. vorprachlichen Status aktionaler Merkmale vorgebracht wurde, sei der folgende Abschnitt der Frage gewidmet, welche sprachlichen Strukturen so unmarkiert sind, daß sie aktionale Muster durchscheinen lassen, die ja eine Ebene tiefer zu orten sind.

14

Elisabeth LEIB verdanke ich die Kenntnis eines Artikels aus der LINGUIST List 7.340 (4.3.1996), in der P. JAENICKE eingegangene Antworten auf die Frage referiert „[...] which languages used the orientational metaphor with future being in the back." Demnach werden noch ausstehende Ereignisse in manchen Sprachen der Welt wie als räumlich hinter dem Rücken des Betrachters liegend versprachlicht, das Vergangene hingegen als wie vor Augen liegend. Dieser Befund veranlaßt die Autorin zu der Frage „[...] how real our perception of time [sic!] is [...]". Davon abgesehen, daß ,unsere' abendländisch-lineare Zeitlinie natürlich sowieso keinen direkten Wirklichkeitsstatus beanspruchen kann, ist aus dem Befund nicht einmal auf ein anderes Zeitkonzept zu schließen: E wird hier zu S nur sprachlich als anders relationiert dargestellt, der Betrachter erscheint, verglichen mit der spiegelbildlichen Strategie, umgedreht, blickt in eine andere Richtung. Perspektivierung ist eben das, was Sprache signalisieren kann. So ist (leider?) kein Rückschluß auf ein faszinierend anderes Wirklichkeitsbild im Sinne einer veränderten Richtung des Fließens der Zeit erlaubt.

15

BACHE (1995: 89) schreibt in diesem Zusammenhang, „that discourse reflects the organization of any picture: it is structured in more or less salient portions." Events seien leichter visualisierbar als states. Jedes durative Element verschiebe einen Sachverhalt in Richtung state, also hin zum weniger gut visualisierbaren P o l ( 1 9 9 5 : 71).

40 3.1.3.3. Aktionalität im Gewand der Sprache VETTERS (1996: 79, in Anlehnung an MILNER) ist durchaus zuzustimmen, wenn er eine Unterschied macht zwischen einer référence virtuelle (Aktionalität des Situationstyps) und einer stärker sprachimmanenten référence actuelle. Sprachlich realisierte Aussagen können Ereignisrahmen eröffnen und dynamische oder statische Bilder des Gegenstandes implizieren. Das zentrale Problem liegt in der Festlegung eines formalen Korrelats des unmarkierten Situationstyps, der référence virtuelle. Es ist in der Forschung umstritten, welche formalen Elemente für Grundaktionalität stehen und welche sie modifizieren. Teilkomponenten einer Äußerung, die ein Ereignis- oder Sachverhaltsbild semantisch tragen (Satzglieder etwa) geben in ihrer vermeintlich unmarkierten Erscheinungsform (wie sie beispielsweise in Lexikoneinträgen zu finden sind) häufig entweder nicht alle oder mehr als die aktional relevanten Merkmale zu erkennen. Infinitiv-Endungen sind z.B. grammatisch alles andere als funktionslos: HASPELMATH16 etwa weist auf die übereinzelsprachlich beobachtbare Markiertheit von Infinitiv-Endungen hin, die auf einer erhaltenen Restbedeutung fußt. In der Prädikatenlogik versucht man das Problem insofern zu umgehen, als man eine Darstellungsweise in Satzform wählt, bei der ein formal unmarkierter Verbalstamm in Großbuchstaben erscheint. Dies ist keine glückliche Lösung, da man bei Annahme eines sukzessiven Aufbaus aktionaler Bilder, wie sie die Prädikatenlogik favorisiert, auch syntaktische Rollen oder nominale Aktanten unmarkiert erscheinen lassen müßte - von der Syntax ganz zu schweigen. Man sollte sich zudem vor Augen halten, daß für aktionale Gegebenheiten wie Lagerung in der Zeit, Begrenzung und Dynamik einige ausdruckseitige Elemente sicher entscheidender, wesentlicher sind als andere: Relevant ist z.B. die Numerusmarkierung, die grammatische Person spielt hingegen eine untergeordnete Rolle, ist ihrerseits jedoch für den Aufbau aspektueller Bedeutung wesentlich (vgl. 3.2. und 6.2.). Es macht für ein Situationsbild mit den Elementen Dynamik, Dauer und Begrenztheit z.B. keinen Unterschied, ob man Ich esse einen Apfel zu Du ißt einen Apfel oder Meine Mutter ißt einen Apfel kommutiert. Bei Pluralisierung des Subjekts oder Objekts ändert sich jedoch Entscheidendes: Wir essen Äpfel und Ich esse einen Apfel differieren auch bzw. vor allem aktional. Aktionale Grundmuster im Sinne eines kategorialen Inhalts müßten feststellbar sein, wenn es möglich wäre, eine vollständige Äußerung mit allen relevanten, auch grammatischen Markierungen beizubehalten und nur von den Elementen abzusehen, die explizit aspektuelle, temporale und modale Informationen liefern. Es gilt also, Aussagen (in Form von Sätzen) in eine derart unmarkierte Form zu überführen. Die Form solcher für Aktionalität durchlässigen Sätze differiert aufgrund der unterschiedlichen Markiertheitsverhältnisse sicherlich von Einzelsprache zu Einzelsprache, und so bleibt zu analysieren, welche formale Analysebasis für aktionale Muster sich im Französischen (und Deutschen) anbietet. Aufgrund der bisher dargelegten kognitiven Verankerung von Aktionalität schließt sich eine Klassifikation nach Verbklassen aus. Verben vermitteln keine Sachverhaltsbilder, und damit ist über Verbbedeutungen nicht feststellbar, welche Muster in einer Einzelsprache klassenkonstitutiv, d.h. grammatisch relevant sind. Hierin befinde ich mich in Überein-

16

HASPELMATH, 1989: 2 8 8 :

Infinitives come from purposive action nomináis.

41 S t i m m u n g m i t VERKUYL 17 , BECK 18 , SCHROTT 19 u n d v o r allem EGG 20 , d i e A k t i o n a l i t ä t a u f

der Ebene der gesättigten Verbvalenz (Verbprojektion, Satz) vermuten. Die Einbeziehung des Begriffs der Temporalität ist jedoch, wie bereits gesagt, unnötig. Zirkumstanten sind deshalb nicht einzubeziehen, weil sie u.a. aspektuelle und temporale Information liefern. Adverbiale Konstituenten, die valenzbedingt sind, wären allerdings zu berücksichtigen (Beispiel: Er bleibt vier Wochen] jedoch nicht: Er bleibt noch weitere vier Wochen). Als geeignete, da aspektuell-temporal unmarkierte Formen, in denen Aktionalität erkennbar wird, können sowohl im Deutschen als auch im Französischen Äußerungen im morphologischen Präsens gelten. Diese Unmarkiertheit des Präsens, sowohl im formalen als auch im inhaltlichen Bereich, stellt eine einzelsprachliche Besonderheit dar, es gibt Sprachen, in denen Präsensformen z.B. aspektuell markiert sind. Da es hierzu auch andere Forschungspositionen gibt, sei an dieser Stelle erläutert, warum das französische Präsens weder als eine Aspekt- noch als eine Tempusmarkierung zu betrachten ist. Zum aspektuellen Status des Präsens im Französischen kursiert vor allem die Auffassung, es sei aspektuell imperfektiv markiert. SCHROTT (1997: 168f.) favorisiert z.B. diese Auffassung, bemerkt jedoch selbst (1997: 166), daß Imperfektivität nicht allen Verwendungen zugrunde liegt. In anderen Analysen, wie etwa der TOGEBYS (1982: 311), gilt es als aspektuell neutral. Bei Favorisierung der Imperfektiv-Version beruft man sich auf die Tatsache, daß sog. telische Verben (wie dt. sterben oder frz. mourir) im Präsens primär immer eine Involvierung des Subjekts in den Sterbevorgang kommunizieren und nicht etwa das Erreichen des Telos, des natural endpoint (LINDSTEDT, 1995: 107), was im Bedeutungsspektrum der Prädikate mit sterben oder mourir der Übergang vom Leben zum Tod wäre. Als ein weiteres Argument wird angeführt, daß bei Kombination mit Situationstypen, die über das Merkmal der Durativität verfugen, der Sprechzeitpunkt als innerhalb des Ereignisintervalls liegend kommuniziert erscheine. 17

VERKUYL (1994: 23ff.): Verkuyl (1971) proposed that terminativity be assigned to the sentential node S [...], leaving the position in earlier works that it be assigned to VP. The move from VP-level to the S-level was prompted by the observation that subject-NP plays a decisive role in aspect construal [...]. Its final chapter added the insight that the subject NP is also involved in the formation of inner aspect. [...] The compositional outlook on aspect construal [...] runs counter to approaches to aspect based on aspectual classes. [...] It [d.i.: die Diskussion, MS] serves [...] to underscore the importance of a compositional approach by showing how approaches based on Vendler's aspectual classes all show a systematic default by not taking seriously into account the need to look at aspect construal as a structural process.

18

BECK (1987: 93): Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Klassifizierungen besteht darin, daß Vendler seine Klassifikation als Verb-Klassifikation versteht, während in den von uns konzipierten Klassen Aussagen in temporalstruktureller Hinsicht zusammengefaßt werden. SCHROTT (1997: 103), die allerdings auch temporale Angaben zur Basisaktionalität rechnet: Unter dem Situationstyp verstehe ich prototypische Situationen auf der Ebene der Versprachlichung, die durch temporale und nicht-temporale Merkmale charakterisiert sind. In einer Äußerung umfaßt der Situationstyp alle Elemente der Proposition, die zur Kontur des Sachverhalts beitragen, kann also auch Aktanten und temporale Angaben einschließen und darf nicht auf die bloße Verbsemantik beschränkt werden. EGG (1994: 11), der eine Einteilung verbaler Prädikate in aktionsartlich definierte Klassen unternimmt, definiert erstere als „Verben, Projektionen von Verben und Sätze (soweit man diese nicht zu den Verbprojektionen zählen will)".

19

20

42 Die genannten Indizien kann man jedoch auch anders deuten - und damit die aspektuelle Unmarkiertheit des Präsens belegen. Sog. telische Verben/Prädikate haben möglicherweise eine Phase als aktionales Merkmal bereits angelegt; 21 sie wird also nicht von einem vermeintlich imperfektiven Präsens erst installiert. Eine solche Sicht erweist sich insoweit als angemessener, als die Involvierung in diese Phase im französischen wie im deutschen Präsens ja nicht ausschließlich kommuniziert wird (was typisch wäre fur den imperfektiven Aspekt), sondern gleichberechtigt auch der natural endpoint. Sog. telische Prädikate im französischen Präsens sind ohne weitere Angaben und Kontext in dieser Hinsicht also zweideutig, was darauf hindeutet, daß eine aspektuelle Perspektive eben gerade nicht festliegt, denn eine imperfektive Markierung müßte die aktional angelegte Telos-Komponente systematisch kommunikativ ausblenden. Die Lesart kann auch deshalb nicht auf einer explizit aspektuellen Markierung beruhen, weil sie auch in einem entsprechenden Kontext nicht in jedem Fall erfolgt. Es handelt sich vielmehr um eine von mehreren aspektuellen Interpretationsmöglichkeiten einer aktionalen Struktur, die gerade aufgrund des Fehlens einer expliziten aspektuellen Information inferiert werden kann. Die Auffassung, u.a. präsentisch fungierende Formen seien generell imperfektiv markiert, geht einher mit einer ebenfalls diskussionswürdigen Auffassung zu deren temporalem Leistungsumfang. Er bestehe darin, das versprachlichte Ereignis mit einem sog. Sprechzeitpunkt zu parallelisieren. Manchmal wird dieser Sprechzeitpunkt auch als ,Sprechzeit' bezeichnet, was immer man sich darunter vorzustellen hat, und die Funktion dann mit .Sprechzeit = Aktzeit', was auch auf eine subjektive Deckung von Ereignis und Sprechakt ausgedehnt werden könne. Ein Präsens signalisiere eine konkrete oder mentale Kopräsenz des Ereignisses mit allen Komponenten der Sprechsituation (vgl. COMRIE, 1 9 8 5 : 3 8 ) . Andere als ,präsentische' Verwendungen des Präsens (sog. historisches, gnomisches, futurisches Präsens usw.) werden entweder als Stilistikum verstanden (z.B. zur mentalen ,Vergegenwärtigung') bzw. über einen erweiterten, metaphorisch um die subjektive Komponente der Sprecherrelevanz bereicherten origo-Begriff erfaßt und erklärt ( S C H R O T T , 1997: 130, sowie 144ff.). Daß ein systematisch futurisch fungierendes Präsens von dessen narrativer Verwendung allerdings zu unterscheiden sei, darüber herrscht weitgehend Konsens (vgl. L E I S S , 1992: 2 4 7 f f ; S C H R O T T , 1997: 163), ein Grund dafür wird jedoch nicht angegeben. Die futurische Funktion des vermeintlich imperfektiven französischen Präsens wird damit erklärt, daß zwar ein Teil des Ereignisses als futurisch vermittelt werde (bei sog. telischen Verben wie mourir also z.B. die Transition im kommunikativen Zentrum stehe), die Imperfektivität jedoch als Wert des präsentisch gegebenen Plans oder einer Prädeterminierung des futurischen Ereignisses erhalten bleibe (vgl. S C H R O T T , 1997: 169). Leider gilt dies für das Deutsche nicht, und das Argument ist von dieser Seite her betrachtet bereits anfechtbar. Zudem vermag diese These die automatisiert futurische Lagerung bestimmter Komponenten von E bei den sog. telischen Prädikaten bzw. von E als Ganzem bei den sog. punktuellen nicht zu erklären. Eben diese automatisierten Deutungen sind jedoch von den narrativen und anderen Verwendungen des Präsens deutlich unterschieden und liefern vor allem ein starkes Argument für die aspektuelle Unmarkiertheit des französischen und deutschen Präsens. 21

H i e r z u DELFITTO/BERTINETTO ( 1 9 9 5 : 137):

[...] achievements typically involve a durative prelude, incorporated into the lexical meaning of the predicate.

43 In allen Erläuterungen, die dem Präsens temporale Markiertheit zusprechen, wird die relative Vergeblichkeit eines solchen Unterfangens bereits dort deutlich, wo der Versuch unternommen wird, ein Jetzt des Sprechers/Sprechens zu definieren und über dieses dann die Funktionen des Präsens. Dieses Jetzt erscheint wahlweise als Zeitstufe, als Intervall oder als Moment des Sprechaktes, der Äußerung. Die Beziehung dieses schwer greifbaren Jetzt zum versprachlichten Sachverhalt oder Ereignis muß dann über ein wie auch immer geartetes Parallelitätsverhältnis definiert werden. So kommt es zu originellen, gleichwohl wenig erhellenden Vorstellungen wie sich überlappenden Sprechzeit- und Aktzeit-Intervallen ( v g l . BALLWEG n a c h LEISS, 1 9 9 2 : 2 4 9 ) .

Eine andere Auffassung lassen die Analysen erkennen, die Markiertheitsrelationen im temporalen Bereich präsupponieren bzw. als Deskriptionsmodus nutzen. Dort erscheint das Präsens vor allem als unmarkierter Pol des temporalen Verweis-Systems. Sein Leistungsumfang ist festgelegt auf das, was die übrigen temporalen Markierungen an Bedeutung im funktionalen Bereich Temporalität übrig lassen. Es erhält also sein relativ umfängliches, von Sprache zu Sprache differierendes funktionales Profil gerade deshalb, weil es über eine Differenz von natürlicher Betrachtbasis S und einem temporal verschoben Referenzpunkt r gerade keine Information im Sinne eines sprachlichen Signals enthält. Das deutsche Präsens etwa gibt nach LEISS (1992: 246) keine temporalen „Verweisungsanweisungen", und so wird die außersprachliche Situation, auch das implizite ,ich-hier-Zentrum' des Sprechers, fur die nicht gegebene Anweisung kommunikativ eingesetzt (vgl. LÖBNER, 1985: 173, der allerdings von „Betrachtzeit" und „Ereigniszeit" spricht, die im default-FM des Präsens zusammenfallen). HELLAND (1993: 2Iff.) argumentiert für das französische Präsens ähnlich und zeigt, daß in präsensmarkierten Aussagen ein Betrachterstandpunkt entweder aus dem unmittelbaren sprachlichen Kontext geschlossen oder, wenn nicht möglich, der naheliegendste, nämlich S, angenommen wird. In Übereinstimmung mit den zuletzt genannten Forschungspositionen, unter Verweis auf NEF (1984: 107) und HELLAND,22 halte ich es für unangebracht, dem deutschen und französischen Präsens einen Inhalt des Typs .Sprechzeit = Aktzeit' zuzuschreiben, zumal Sprechzeit ein unterdeterminierter Begriff ist. Das deutsche und französische Präsens teilen zudem über das Verhältnis S (als vantage point oder point perspectif) und E nichts mit, sind also auch nicht aspektuell markiert. Das Zusammenspiel von aktionalen Merkmalen und Kontext läßt aus einer Aussage im Präsens entnehmen, ob S als Element des Ereignisintervalls von E zu verstehen ist oder nicht. Auch die semantische Komponente, E differenziert von S betrachten zu können, entspringt nicht einer deiktischen Verweisrelation eines explizit aspektuellen und/oder temporalen Zeichens, sondern ist jeweils ableitbar aus Aktionalität und Kontext. Im Fall von Basissätzen werden die aktionalen Merkmale des versprachlichten Sachverhalts und der konkrete Sprechsituationskontext als Perspektivierungsmuster adaptiert und ökonomisch genutzt (vgl. die Wiedergabe dieser Auffassung in SCHROTT, 1997: 166f.). Zusammenfassend ist TOGEBY (1982: 311) zuzustimmen:

22

HELLAND (1994: 75) wendet sich gegen die Vorstellung einer Koextensivität eines schwer definierbaren Jetzt und eines Ereigniszeitraums im Sinne COMRIES, geht jedoch davon aus, daß das Präsens eine Information der Art „Situate the event time simultaneous to the point of calculation" enthielte. Ein Punkt und eine Zeitstrecke können jedoch nicht als simultan vorgestellt werden. Entweder der Punkt ist Teil oder er ist nicht Teil des zur Debatte stehenden Ereignisintervalls.

44 Le présent, qui est le temps neutre, est également l'aspect neutre: il peut s'employer aussi bien imperfectivement que perfectivement.

Der inhaltlichen Unmarkiertheit der Form entspricht, daß man sowohl im Deutschen als auch im Französischen nicht mehr von einer formalen Präsensmarkierung sprechen kann, handelt es sich doch um Verbstämme mit flexivisch daran realisierter Person- und Numerusmarkierung. Für das Französische gilt also dasselbe, was Z E L L E R (1994: 115) für das Deutsche konstatiert, daß nämlich „ein präsentisches Tempusmerkmal weder durch eine morphologisch in Erscheinung tretende Tempusform realisiert noch intensional eindeutig zu definieren" sei. Die Unmarkiertheit begründet gerade den Leistungsumfang. Weil es keine temporale Verschiebungsanweisung gibt, bleibt der Betrachterstandpunkt und dessen Lagerung gegenüber dem Ereignis offen. Inferierbar bleibt damit, E in seiner aktionalen Struktur so zu betrachten, wie es primär von S bzw. einem bereits etablierten R aus betrachtbar wäre. 23

3.1.4. Definition der Kategorie Der aktionale ist ein für das sprachliche System relevanter Bereich, der sich daraus ableitet, wie Sachverhalte und Ereignisse kognitiv (v)erarbeitet werden. Er liegt in Form virtueller Musterbildung der Versprachlichung zugrunde. Im ausdruckseitigen Bereich wird die Kategorie vom Zusammenspiel bestimmter lexikalischer und grammatischer Merkmale aller in Valenzrahmen geordneten Konstituenten einer Aussage getragen. 24 Sie ist den stärker sprachimmanenten, da deiktischen Kategorien Aspektualität und Temporalität hierarchisch vorgeordnet. Merkmalprofile werden in Äußerungen erkennbar, die aspektuell und temporal unmarkiert sind, im Französischen z.B. in Sätzen im Präsens, die nicht durch aspektuell oder temporal modifizierende Adverbialien ergänzt sind. Insoweit adverbiale Ergänzungen obligatorisch sind, sind sie zu berücksichtigen. 25 Aktionalität ist die semantische Eigenschaft von Verbprojektionen bzw. Sätzen, so man diese nicht als Verbprojektionen zu betrachten gewillt ist, die anzeigt, ob intervallkonstituierender Referenzrahmen (Ereignis- und Sachverhaltsgrenzen) anzunehmen sind, und weiterhin, ob E als dynamisch 26 oder nicht-dynamisch vorstellbar ist. Sowohl Ereignis- und 23

24

25

26

L Ö B N E R (1988: 168) bemerkt, daß auch imperfektiv markierte Zeichen keinen Referenzpunkt liefern, sondern aus dem Kontext beziehen (dies ist die Ursache für die oft erwähnte , Unselbständigkeit' imperfektiver Tempora). Sie bieten jedoch eine explizite Information des Typs ,kontextuell oder implizit gelieferter Punkt R im Ereignisintervall verortbar' - aspektuell unmarkierte Zeichen liefern dieses Signal nicht, die Lagerung von R zu E muß ebenfalls aus Aktionalität bzw. Kontext inferiert werden. Es sei hier noch einmal wiederholt, daß eine Einteilung der Art ,Aktionalität = lexikalisch', A s pekt = grammatisch' zu kurz greift (vgl. BACHE, 1995: 65f.). Denn einerseits sind nicht alle Merkmale einer Aussage aktional relevant und andererseits spielen z.B. Numerusmarkierungen eine Rolle, so daß man die Kategorie nicht in das Lexikon verbannen kann. B A C H E (1995: 65) spricht ganz richtig von einer „semantic distinction with formal repercussions". Vgl. hierzu SMITH (1995: 114ff.), für die aktionales shifting durch Adverbialien auch einer inhaltlichen Markiertheitszunahme entspricht. Es kommt zu Merkmalkollision, das Adverbial dominiert, so es Skopus über den Gesamtsatz hat und nicht Teilkonstituente ist, den Situationstyp. Unter [+ dynamisch] sind die Situationstypen gefaßt, die eine Bewegung, Aktion, Progression oder Veränderung eines beteiligten Aktanten oder der Gesamtsituation vermitteln, unter [- dynamisch]

45 Sachverhaltskonturen als auch Dynamik und Transitionalität oder deren Abwesenheit werden auf das außersprachlich-kognitive Phänomen der ,Dauer in der Zeit' projiziert, was sich im aktionalen Merkmal der Durativität manifestiert. Folgende Analyseschritte liegen der Feststellung aktionaler Muster zugrunde: 2 7 a.) Es ist zu unterscheiden, ob der versprachlichten Situation ein dynamisches (dargestellt als: - » ) oder statisches Bild (dargestellt als: — ) zugrunde liegt. b.) Es ist festzustellen, ob E die Grenze zwischen zwei anders konzeptuell zu füllenden Ereignisintervallen darstellt (A = O ) bzw. selbst über ein begrenztes und konzeptuell füllbares Ereignisintervall verfügt. Die Begrenzung kann bestehen als Linksgrenze (auch lesbar als ,Beginn', Transition 1; dargestellt als A) oder Rechtsgrenze (z.B. lesbar als ,Ende', Transition 2; dargestellt als O ) oder in Form zweier Grenzen (dargestellt als A — bzw. - » O). c.) Wichtig ist zudem, ob E intern wechselnde Subphasen aufweist oder nicht. Mit den Merkmalen Dynamik, generelle Begrenztheit, phasische Strukturiertheit und Art der Begrenztheit (einseitig, beidseitig) lassen sich die aktionalen Muster beschreiben, die für das Französische relevant sind. Relevant bedeutet, daß grammatische Restriktionen erklärt und die Interaktion mit anderen Kategorien verdeutlicht werden können. 2 8 Die übergeordnete Differenzierung erfolgt in Übereinstimmung mit der bisherigen Forschung: eine Unterscheidung statisch vs. dynamisch gilt durchgängig als wesentlich. 2 9 Dynamik bezieht sich nicht nur auf deren agentive Ausprägung, vorstellbar als Tätigkeit. Sie bildet in dem folgend darzustellenden Modell die Grunddifferenzierung, von der aus eine weitere Auffächerung in Subkategorien vorgenommen wird. Die Wahl des Basismerkmals ist insofern zu rechtfertigen, als bei Merkmalveränderungen (Neutralisation) im untergeordneten Bereich ein Durchscheinen der angenommenen, zugrundeliegenden Basis zu verzeichnen ist. Das Merkmal der Begrenztheit bezieht sich auf jede Art von grenzziehender Semantik, das Merkmal der Geschlossenheit hingegen liegt vor, wenn ein extern begrenztes Intervall denotiert wird.

(stativ) diejenigen, die Stillstand bzw. keine Aktion oder Veränderung suggerieren (vgl. CURAT, 1991: 162). 27

Aktionale Merkmale dieser Art könnten m ö g l i c h e r w e i s e in den Katalog der universellen semantic primitives oder primitifs sémantiques a u f g e n o m m e n werden. N a c h PEETERS/ WIERZBICKA ( 1 9 9 3 : 3ff.) unterscheidet sich die Suche nach eben diesen primitifs von der traditionellen semantischen A n a l y s e (der Suche nach S e m e n ) dadurch, daß diese Merkmale u.a. nicht als arbiträres Gegenstück zu der Form, die j e w e i l s für sie steht, aufzufassen sind ( 1 9 9 3 : 5).

28

Mit einigen A u s n a h m e n (vor allem, w a s die B e z e i c h n u n g e n anbelangt) decken sich m e i n e Klassifikationskriterien mit denen in EGG, 1994:40ff. EGG ( 1 9 9 4 : 149ff.) übernimmt von KRIFKA ( 1 9 8 9 ) die Vorstellung, daß kognitive Abbildbarkeit ein wesentlicher Faktor. Aktionale Merkmale von Prädikaten werden z.B. als ,Objektabbildbarkeit' ( M A P - O ) und ,Ereignisabbildbarkeit' ( M A P - E ) bezeichnet, stehen also in direkter Verbindung mit kognitiv-konzeptuellen Ereignisgrenzen.

29

Zur Debatte steht für die Primäropposition noch [+/- begrenzt] ([+/- bound] in englischer Terminologie, vgl. SMITH, 1995: 105). Eine Primärdifferenzierung [+/- dynamisch] wird allerdings auch den Erkenntnissen zum Erst- und Zweitsprachenerwerb eher gerecht. Hierzu RAMAT ( 1 9 9 5 : 302): Indeed, basic situation types, such as states and activities, s e e m to be distinguished by human beings on the basis o f their perceptual and cognitive faculties, as claimed by Smith ( 1 9 9 1 ) and confirmed by the descriptive results o f Slobin ( 1 9 8 5 ) on acquisition.

46 3.1.5. Die aktionalen Klassen des Französischen 3.1.5.1. Situationstyp [- dynamisch] Häufig wird angenommen, Stativität ginge immer einher mit unbegrenzter Durativität, d.h. states verfügten nie über das Merkmal [+ begrenzt], 30 Ein formales Objekt, das als lexikalisches Merkmal eine ,Begrenztheit in der Zeit' enthält (z.B. das der ,vorübergehenden Erscheinung'), kann jedoch auch ein Stativ-Prädikat als [+ begrenzt] kennzeichnen. Eine Auffacherung der nicht-dynamischen Prädikate in begrenzte und unbegrenzte ist vor allem auch deshalb notwendig, weil dieser Unterschied im Französischen den Zugang zu bestimmten grammatischen Markierungen steuert.31 Begrenzte statische oder dynamische Ereignisse und Sachverhalte implizieren, im Gegensatz zu nicht-begrenzten, angrenzende, semantisch fullbare Bildbereiche (frames), die als Vor- und/oder Nachintervalle verstanden werden können. Wenn E durch die Merkmale A und/oder O gekennzeichnet ist, eröffnet es also ein Intervall der Präsupposition, I p , und/ oder ein Intervall der Implikation, I 1 . 32 Läßt sich bei Stativa ein semantisch füllbarer frame feststellen, so ist der Rückschluß erlaubt, sie seien mit [+ begrenzt] markiert.

3.1.5.1.1. Stativ Die aktional am wenigsten markierte Klasse stellen die von VENDLER als states bezeichneten Prädikate (Darstellung: ?—?) dar, die klassisch nicht-begrenzten, durativen also, die keinen semantisch füllbaren frame implizieren. Hierzu ein Beispiel: (5) Tout est

calme.

Der Satz ruft nicht unmittelbar das Bild eines präsuppositionellen (I p ) oder implikativen Intervalls (I 1 ) auf, und läßt primär auch keinen Schluß darüber zu, ob es ein angrenzendes Intervall gibt, für das die Aussage nicht gilt (im Sinne von Nicht-E). Stativa sind nur durch die explizite Indikation eines vollständigen Rahmens und damit sekundär als [+ begrenzt] zu kennzeichnen, ohne ihren statischen Charakter zu verlieren. Die sekundär vermittelten Vor- und Nachintervalle sind jedoch, anders als bei primär [+ begrenzten] Prädikaten, nicht semantisch gefüllt (entsprechen keinem kognitiven frame).

30

H i e r z u SMITH ( 1 9 9 5 :

107):

A m o n g non-statives, the durative schemata have two endpoints, the instantaneous have one. Statives do not include endpoints [...]. 31

32

N a c h VETTERS (1996: 102ff.) haben nicht-begrenzte ítaíe-Pradikate im Französischen keinen Zugang zum passé simple, begrenzte jedoch schon: * Louis XIV eut le nez aquilin. Louis XIVfut vieux. VET (1979: 85) stellt fest, Sachverhaltskonturen (Transitionspunkte, Ereignisgrenzen) implizierten Vor- und Nachintervalle (Intervalle der Präsupposition, Intervalle der Implikation). Die aktionalen Grenzen des Satzes Le papier jaunit riefen zwei weitere Ereignisräume auf den Plan (1979: 73):

/ Ip ~ jaune (le papier)

/ I jaunir (le papierj

I' jaune (le papier)

47 Die sekundäre Ereignisgrenze läßt die angrenzenden Bereiche vielmehr als Nicht-E erscheinen. Die Installation einer sekundären Begrenzung über einem unbegrenzten Stativ-Prädikat kann mittels einer adverbialen Bestimmung erfolgen: (6) Tout est calme quand tu es

absent.

Der ergänzte Satz eröffnet über die adverbiale Ergänzung Intervalle, für die jeweils NichtE gilt (pas de calme, quand tu es là) und die als vor und nach dem versprachlichten Sachverhalt liegend gelesen werden (Projektion auf die ,Dauer in der Zeit')· 3.1.5.1.2. L-Stativ Markiert gegenüber den aktional nicht grenzbezogenen Stativa sind aktional linksbegrenzte Stativa, die als L-Stativa bezeichnet werden sollen. Vorzustellen sind sie als Zustand, der semantisch nach rechts offen ist (Darstellung: A — ?). Die Linksgrenze ist als , Anfang' des Zustandes zu lesen: (7) Il reste.

Es mag auf den ersten Blick strittig scheinen, warum einem Satz mit dem Verb rester das Merkmal linksbegrenzt (A) zugeordnet wird. Ein Grund dafür ist, daß Sätze mit dem Verb rester ein Intervall I p (ein Vorintervall) eröffnen. Sie bestätigen die unveränderte räumliche Lage oder Gültigkeit eines anderen E {Il est là im Fall des Beispiels), sind aber mit diesem nicht synonym. So erklärt sich z.B., warum das so unbegrenzt-statische, imperfek-tivisch 33 anmutende Verb in fast allen präsentischen Kontexten perfektive und mit imparfait-Markierung inchoative Bedeutung hat. 34 Man vergleiche etwa: (8) Tout restait

immobile.

Der Satz impliziert nicht, daß fur das vorausgehende Intervall der Sachverhalt Tout restait immobile galt (was typisch wäre für unbegrenzt-statische Prädikate unter dem imperfektiven Aspekt), sondern vielmehr tout était immobile. Ein weiterer Beleg für aktional primäre Begrenztheit ist die Tatsache, daß Sätze wie II reste nicht automatisch ein Vorintervall des Typs II ne reste pas implizieren, wenn sie adverbial sekundär ergänzt werden (s.o.). Ein formal komplexes Beispiel fur ein L-Stativ bietet der folgende Satz: (9) Il garde sa

position.

Als Kriterien für die Klassifikation gelten auch in diesem Fall, daß I p (II est/se trouve dans une certaine position) nicht mit E synonym ist und bei Hinzufugung begrenzender Zeitadverbialien Nicht-E (// ne garde pas sa position) als Inhalt dieser angrenzenden Intervalle ausgeschlossen ist.

33

SCHROTT (1997: 244) betrachtet und bezeichnet Moi, je reste gegenüber Je pars et je t'emmène als „imperfektiv markiert". Das Verb rester stelle im Präsens automatisch eine ,Innenperspektive' her. Das ist jedoch bei dem genannten Beispiel gerade nicht der Fall: Der Satz versprachlicht die Intention des Sprechers, zu bleiben. A erscheint dem Kontext der Sprechsituation ausgelagert, und das Präsens erweist sich einmal mehr als aspektuell neutral.

34

Vgl. hierzu auch EGGS, 1993: 107f.

48 3.1.5.1.3. Interstativ Auf einer weiteren Markiertheitsstufe stehen die Prädikate, die ein beidseitig geschlossenes Intervall für den Sachverhalt annehmen lassen (Darstellung: A — O). Sie seien als Interstativ bezeichnet und mit folgendem Beispiel illustriert: ( 10) Ma mère a sa

migraine.

Das Objekt, das lexikalisch mit [+ vorübergehender Zustand] markiert ist, löst eine beidseitig begrenzte, intervallische Lesart (A — O) aus. Subjektzentrierte (in generativer Terminologie: inakkusative) Prädikate sind insgesamt selten mit [+ begrenzt] markiert. Man vergleiche etwa das folgende unbegrenzte Stativ-Prädikat: (11) Ma mère est très

aimable,35

Hier eröffnet sich nicht die Vorstellung von Transitionen, wie dies bei Beispiel (10) der Fall ist (sprachlich: Ma mère commence à avoir sa migraine, ... cesse d'avoir sa migraine).

3.1.5.2. Situationstyp [+ dynamisch] 3.1.5.2.1. Progressiv Das Merkmal der Dynamik kennzeichnet den inhaltlich komplexeren Partner der Primäropposition, d.h. ein differenzierteres Feld verschiedener Subtypen. Bei dem am wenigsten markierten Subtyp handelt es sich um die VENDLERschen activities/processes, die keine externe Begrenzung im Sinne von Transitionen implizieren. Dazu zählt auch die Versprachlichung eher passivischer Phänomene (Fließen von Wasser, Fallen von Regen), da auch ihnen ein bewegtes Bild entspricht. Die Klasse sei als Progressiv bezeichnet (Darstellung: ? - » ?). Im folgenden Beispiel etwa ist eine Person involviert in eine dynamische Situation, es läßt sich primär keine begrenzte Dauer dieser Situation (externe Begrenztheit) entnehmen: (12) Ma mère

travaille.

Allerdings steht die Option im Raum, daß intern mit Arbeit gefüllte Phasen und (wie auch immer geartete) Pausen abwechseln. G E B E R T (1995: 87) bezeichnet deshalb activities als lexical iteratives. Sie beruhten auf einer inhomogenen Bildstruktur, unterschiedliche Teilereignisse würden zu einem übergeordneten Begriff zusammengefaßt. Diese Teilereignisse gleichen sich nicht, deshalb bleibt eine relative Homogenität der Gesamtvorstellung gewährleistet, insoweit das Ereignis (bei einwertiger Realisierung von Verben wie travailler, manger usw.) kognitiv schwer dekonstruierbar ist. Die dynamische Homogenitätsvorstellung kann primär über eine Lesart als Habitualis durchbrochen werden. Dt. Meine Mutter arbeitet kann auch als Meine Mutter geht arbeiten/hat einen Arbeitsplatz interpretiert werden. Das Merkmal der Dynamik wird abgeschwächt, das Prädikat gerät aktional in die Nähe der Stativa. Die Zweideutigkeit progressiver Prädikate in unmarkierten Präsensformen, d.h. dieses Changieren zwischen homogen35

Vgl. hierzu LEISS (1992: 186ff.), die auf die unterschiedliche Verweisrichtung von sein und haben in auxiliarer Funktion hinweist: haben sei kataphorisch (objektzentrierend), sein anaphorisch (subjektzentrierend).

49 durativ-singulärem und inhomogen-habituellem Wert, fuhrt einzelsprachlich häufig zur Herausbildung eines Instrumentariums zur Vereindeutigung dieser Klasse. Ein solches Mittel stellen z.B. sog. progressive forms dar. Auf frühen Grammatikalisierungsstufen desambiguieren sie activities in Richtung singulär-durative Tätigkeit (vgl. 5.2.2.).

3.1.5.2.2. Ph-Progressiv Hierbei handelt es sich um dynamische, nicht-begrenzte Ereignismuster, die im Gegensatz zu den weniger markierten Progressiva konzeptuell leichter dekonstruierbar sind, weil sie auf dem Bild eines regelhaften Wechsels gleichartiger Teilereignisse beruhen. Insoweit dieser regelhafte Wechsel in relativ geringen Abständen erfolgt, schließt sich eine habituelle Lesart primär aus. Eine potentielle Dekonstruierbarkeit unter Erhalt singulärer Referenz ist also in der Grundbedeutung enthalten. Dieser Typ sei als Phasen- bzw. Ph-Progressiv bezeichnet (dargestellt als ? (x-»y x—>y x->y) ?). Das Bild wechselnder Subintervalle bedarf hier nicht einer zusätzlichen Markierung (in Form eines iterierenden Adverbs etwa). Es besteht semantisch eine Verwandtschaft zu markierten, sekundären Iterativa, da Ph-Progressiva und Iterativa jeweils zwei miteinander verkoppelte Ereignisstrukturen (eine homogene, übergeordnete und eine inhomogene, untergeordnete) vermitteln, wobei bei Ph-Progressiva diese Doppelinformation primär im außersprachlichen Bild des Ereignisses wurzelt ( G E B E R T , 1995: 87, bezeichnet die Eigenschaft als internal iterativity, um sie von sekundärer, adverbial indizierter Iterativität abzugrenzen). Hierzu ein Beispiel: (13) Paul rit. Der Satz enthält implizit zwei aktionale Informationen: zum einen steht er für das Bild eines übergeordneten Charakteristikums der Gesamtvorstellung (eines ,Lachvorgangs'), zum anderen für dessen Gegliedertheit in Subintervalle, fur die jeweils die Aussage abwechselnd gilt und nicht gilt (.Geräusch, Lachen' - , P a u s e ' - ,Geräusch, Lachen' usw.). Die einzelnen Teilereignisse sind vergleichbarer Natur und damit sprachlich fokussierbar: Im Deutschen z.B. können die einzelnen Akte des geräuschvollen Luftausstoßens aus Heiterkeit, die zusammengenommen den Sachverhalt des Lachens ergeben, als Lacher nominalisiert werden. Im Deutschen und Russischen besteht vor allem bei diesen Prädikaten die Möglichkeit, sie über eine Aktionsart- oder Aspektmarkierung semelfaktiv zu machen: 3 6 Imperfektiver Aspekt (14) russ. drozat' (15) russ. kricat' (16) russ. strucat'

dt. ,zittern' => dt. ,schreien' => dt. .klopfen' =>

Perfektiver Aspekt russ.drognut' dt. ,erzittern, -schauern' russ.kriknut' dt. ,aw/schreien' russ. struknut' dt. ,zuschlagen'

Ph-Progressiva können umgekehrt in manchen Sprachen mit reduplikativen Wortbildungsmustern von weniger markierten Semelfaktiva abgeleitet werden. Dabei wird besonders deutlich, daß die Vergleichbarkeit der Teilereignisse tatsächlich grammatisch eine Rolle spielt, da ansonsten eine derartige Pluralbildung im Referenzbereich der Ereignisse und Sachverhalte nicht möglich wäre. Im Mokilese, einer afrikanischen Sprache, etwa bedeutet sikoa ,etw. besprechen, klären', der reduplizierte Partner sikesik ,sich unterhalten'. 37 36 37

Beispiele GEBERT, 1995:87. Beispiel GEBERT, 1995: 87.

50 Für interne Iterativa gibt es nun außer der Möglichkeit, ein Teilereignis zu fokussieren, häufig auch sprachliche Mittel, mit denen das Bild eher in Richtung Homogenitätsvorstellung desambiguiert werden kann. Hierfür bietet das Deutsche Beispiele. Über verbale Frequentativ- und Intensivinfixe, die mit Stammwechsel einhergehen, kann man semantisch die internen Intervallgrenzen einander annähern, wodurch sich denotativ auch die ,Dauer' der diskreten Teilereignisse verringert: (17) Paul hustet.

=>

Paul

hüstelt.

Manche Ph-Progressiva sind auf diesem Weg in die Klasse der homogeneren Progressiva, ja bis hin zu den Stativa verschiebbar. Es kommt zu einer Einebnung der Intervallstruktur, durch die dann auch das Merkmal der Dynamik neutralisiert wird: ( 18) Paul lacht.

=>

Paul

lächelt.

Phasisch strukturierte, unbegrenzt-dynamische Aktionalität ist also hochsensibel für Markiertheitsabbau und -aufbau, da sie auf einer semantischen Figur-Grund-Struktur basiert, die sich fur explizite Fokussierung und Defokussierung anbietet. Der formale Bereich der Aktionsartenmarkierungen des Deutschen, wie LEISS (1992: 41 ff.) ihn definiert, ist nur eine von vielen ausdruckseitigen Möglichkeiten, Sachverhalts- und Ereignismuster in andere aktionale Klassen zu überfuhren.

3.1.5.2.3. Transition Die häufig als punktuell bezeichneten Prädikate sollen hier als Transitionen bezeichnet werden, dargestellt als Τ (Α = O). Sie stehen nicht für eine Entwicklung auf einen Transitionspunkt hin, sondern nur fur diesen selbst, stehen also für eine Schnittstelle zwischen zwei Ereignisräumen: (19) Paul tire. (20) Jean retrouve

le journal

(sur la

table).

Extern nicht begrenzte Prädikate (Stativa, Progressiva) zeigen im Französischen und Deutschen formal eine gewisse .Vorliebe' für intransitive Realisierung. Die relativ geringe inhaltliche Markiertheit korreliert also mit einem relativ geringen syntaktischen Aufwand. Bei Zunahme inhaltlicher Markiertheit erscheint häufig auch eine komplexere syntaktische, etwa eine transitive Struktur. Ein direktes (Singular-) Objekt steht häufig als direktes formales Korrelat einer Begrenzungssemantik. 38 Kommt das Merkmal der Phase hinzu, wird transitive oder anderweitig komplexe Realisierung die Regel. Transitionen stellen insofern ein Paradox dar, als sie zwar keine Phase zwischen dem Beginn und dem Ende des Ereignisses vorstellbar machen, andererseits jedoch, wie alle dynamischen Situationstypen, auf das Phänomen .Dauer in der Zeit' projiziert werden. Sie sind sehr kontextsensibel und zeigen sich, vor allem diachron, als besonders anfällig für metonymisch motivierte Umdeutungen: Die stark semantisch gefüllten Vor- und Nachpha38

Pluralobjekte stellen ein Mehr an Markierung dar und verändern die ursprüngliche Bildstruktur weiter. Es gibt primäre Nichtbegrenztheit (Pierre dessine), die durch ein Singularobjekt mit [+ begrenzt] markiert werden kann (Pierre dessine un arbre), und eine davon wiederum ableitbare, auch inhaltlich komplexere Nichtbegrenztheit (Pierre dessine des arbres). Die resultierende inhaltliche Komplexität spiegelt sich auch hier in einem Mehr an ausdruckseitiger Markierung.

51 sen der eigentlich denotierten Transition (präsuppositionelle und implikative Intervalle) können leichter als bei anderen Klassen als Zentralwert funktionalisiert werden. Diese Möglichkeit ist besonders dann gegeben, wenn ein transitionelles Prädikat auf ein agentives, bewegungsfähiges Subjekt referiert. In Beispiel (20) etwa schwingt als Hintergrundinformation des ,Zeitung-auf-den-Tisch-Legens' mit, daß der Subjektreferent vor dem primär versprachlichten, punktuellen Akt Anstalten dazu machte, sich auf den Tisch zubewegte. So ist durchaus verständlich, daß in aktionalen Kategorisierungen immer einmal wieder das Merkmal [+ agentivisch] bzw. [+ controlf9 als wesentlich erachtet wird, um derartige Lesart-Variationen beschreibbar zu machen, und so wird es auch im folgenden immer einmal wieder zu berücksichtigen sein. Der Umstand, daß transitorischen Geschehnissen Vor- und Nachphasen beigeordnet werden, die leicht als zentraler Inhalt zu lesen sind, hat direkt mit der kognitiven Verarbeitung derartiger Ereignisse zu tun. 40 Bei plötzlich hereinbrechenden, kaum oder kurz andauernden Geschehnissen unterliegen wir einem ,Überhang' der Wahrnehmung. Bei Übersetzung solcher Ereignisse in Denken und Sprache verlängert sich diese Spanne. Punktuelle Ereignisse können als einzige regelhaft immer erst versprachlicht werden, wenn sie schon stattgefunden haben bzw. sich gerade anbahnen, und auch aktionale Transitionalität ist ein Ausschlußfaktor für ein völliges Zur-Deckung-Kommen von Stattfinden, Wahrnehmung und Versprachlichung. Nicht einmal das vielzitierte Fußballreporterpräsens parallelisiert, wie oft behauptet wird, Sprechakt und Ereignis, denn der Reporter versprachlicht auch hier transitionelle Ereignisse, wenn sie bereits stattgefunden haben oder sich gerade anbahnen: (21 ) Klinsmann schießt, Hässler nimmt an, gibt weiter zu Bierhoff... Tor! Eine Koinzidenz zwischen Wahrnehmung und Versprachlichung punktueller Ereignisse besteht ausnahmsweise nur, wenn ein Subjektreferent die Handlung in dem Moment versprachlicht, in dem er sie selbst ausführt (Kontext Kinds- oder Schiffstaufe). Da Sprecher/ Ausführender und Publikum Ereignis und Versprachlichung geradezu rituell erwarten, läßt sich die Spezifik transitioneller Semantik hier gerade nicht erkennen, der Kontext neutralisiert sie.

3.1.5.2.4. R-Progressiv In diese Klasse fallen die in romanistischer Tradition als telisch bezeichneten Prädikate, die eine Transition und einen darauf zusteuernden, dynamisch-progredierenden Sachverhalt als aktionale Merkmale angelegt haben. Es handelt sich also um einerseits phasisch, andererseits rechtsbegrenzt vorstellbare Ereignisstrukturen, die deshalb als R-Progressiva bezeichnet werden sollen (dargestellt als ? - > O). Typisch fur diese Klasse sind Äußerungen mit Verben wie mourir, arriver, disparaître, venir, sortir oder zweiwertige Verbkonstellationen, in denen eine Konstituente semantisch

39

40

V g l . z . B . D E G R O O T , 1 9 9 5 : 3 3 ff.; LAKOFF, 1 9 7 0 : 8 4 .

Vgl. hierzu RUHNAU (1996: 84), wonach die Integration verschiedener Reize, die ein Gegenwartsempfinden bzw. die kognitive Kumulierung zu einem Reizcluster (Ereignis) zur Folge hat, ca. drei Sekunden in Anspruch nimmt. Unterhalb einer bestimmten „Ordnungsschwelle" würden physikalisch diskrete Phänomene (Lichtsignale etwa) nicht als diskret wahrgenommen, sondern kognitiv zu einem Ereignis zusammengefaßt.

52 fur das Erreichen des Telos, also die Rechtsgrenze steht (wie z.B. le sommet in II monte au sommet). Die folgenden Beispielsätze basieren, obwohl formal intransitiv realisiert, auf dem für R-Progressiva typischen Doppelbild Phase=>Transition: (22) Paul (23) Jean

arrive. vient.

Die Grenze zu den weniger markierten transitionellen Mustern verläuft fließend, denn einerseits kann bei R-Progressiva die Rechtsgrenze relativ leicht durch den Kontext fokussiert erscheinen, was eine transitionelle Lesart zur Folge hat, und andererseits können agentiv-transitionelle Ereignisse als vorphasisch vorgestellt und damit als R-Progressiv gelesen werden. Ein formaler Indikator für die Abgrenzung zwischen transitionellen und rechtsbegrenzten Prädikate, allerdings kein ganz verläßlicher bzw. durchgängiger, ist im Neufranzösischen die Bildung des passé composé mit dem Auxiliar être. Man vergleiche: (24) Jean est sorti, - arrivé, - venu. (25) Jean a tiré, - retrouvé le journal

sur la table.

R-Progressiv Transition

3.1.5.2.5. Intergressiv Zu Dynamik und Grenzbezogenheit kommt im Falle der Intergressiva als weiteres Merkmal die Lage des Ereignisses zwischen zwei fokussierbaren Transitionspunkten hinzu (Darstellung: A —> O). VENDLER subsumiert unter der Bezeichnung accomplishments Transitionen und Intergressiva. In der hier vorgenommenen Klassifizierung werden die Prädikate, die nur einen Transitionspunkt als Merkmal aufweisen, als eigenständige, weniger markierte Klasse aufgefaßt. KLEIN (1969) bezeichnet Intergressiva als bedingt telisch, d.h. er bringt sie mit den rechtsbegrenzten Mustern in Zusammenhang, differenziert sie gleichwohl, da sie sich mit bestimmten grammatischen Markierungen anders verhalten als die primär telischen (R-Progressiva). Zuzustimmen ist der in beiden Fällen erkennbaren Auffassung, daß es eine gewisse Verwandtschaft mit transitioneller und rechtsbegrenzter Aktionalität gibt, die sich auch direkt grammatisch manifestiert. Es gibt jedoch noch zu erläuternde Unterschiede, die die Fassung in einer eigenen Klasse notwendig machen. Im Bereich dynamischer Aktionalität läßt sich, wie bereits erwähnt, generell eine Zunahme formaler Objekt-Zentriertheit im zunehmend inhaltlich markierten Bereich feststellen. Auf dem von Intergressiva repräsentierten Markiertheitsgrad bewegen sich die Sprecher formal sowohl im Deutschen als auch im Französischen ausnahmslos aus dem Bereich der Intransitivität hinaus. Intergressiva werden immer transitiv (mit Objekt) oder anderweitig syntaktisch komplex realisiert: (26) Paul mange une pomme. (27) Jean joue une sonate.

Ebenfalls dieser Klasse zuzuordnen sind Äußerungen, in denen konturierende Daueradverbialien obligatorische Satzkonstituente sind: (28) Les préparatifs

prennent

trois

heures.

Daß die Beispielsätze im Präsens referentiell relativ indifferent wirken, liegt an ihrem hohen Markiertheitsgrad, d.h. ihrer aktionalen Dreiwertigkeit. Das virtuelle Bild beinhaltet zwei semantische Grenzen und ein Intervall (,Dauer des Ereignisses'). Jede Komponente

53 kann ohne Kontext, d.h. von S aus, als primär betrachtet werden. Desambiguierung muß gerade in diesen Fällen der Kontext oder eine zusätzliche Markierung leisten. Und so ist anzunehmen, daß fur markierte und im Präsens mehrdeutige Prädikate, wie vor allem Intergressiva sie darstellen, häufiger zusätzliche sprachliche Mittel benötigt werden als für andere aktionale Klassen, um einen eindeutigen Referenzbezug zu ermöglichen. 3.1.5.3. Aktionale Markiertheitsrelationen in Übersicht Die nunmehr definierten aktionalen Klassen lassen sich in ihrem Verhältnis zueinander tabellarisch und als Baumstruktur wie folgt darstellen: phasisch

geschlossen

0 +

0

+

-

+

+

+

Progressiv

+

-

0

0

Ph-Progressiv

+

-

+

0

Transition

+

+

-

0

R-Progressiv

+

+

+

-

Intergressiv

+

+

+

+

Merkmal \

Klasse Stativ L-Stativ Interstate

dynamisch

begrenzt

-

-

-

-

+durativ (,Dauer in der Zeit') -dyn /

— ^

-+dyn

\

-beg

^ +beg

'

( 0)

+beg

-beg

\ +gesch

7

+phas

(0) +gesch

\

+pnas

-phas

/

-gesch

+phas

\

+gesch

3.2. Aspektualität 3.2.1. Eine Frage des Standpunktes Zum Funktionsradius und dem formalen Korrelat von Aspektualität kursieren ähnlich divergente Forschungspositionen wie zu Aktionalität/Aktionsart. Beide werden ja häufig nicht differenziert bzw. nicht als funktional verschieden betrachtet. In universalistischen und typologischen Analysen wird Aspekt als Inhalt gehandhabt, der sein Formkorrelat im verbalen Bereich hat. Zur Abgrenzung zwischen formal-kategorialem Aspekt und Tempusmarkierungen hat sich die Auffassung eingebürgert, ersterer modifiziere lediglich die Bedeutung des Verbs, während temporale Markierung immer die Gesamtproposition inhaltlich auf andere Zeitstufen verschiebe.

54 Wenn nun in Definitionen der Kategorie Aspekt/Aspektualität ebenfalls der Begriff der Temporalität auftaucht, dann deshalb, weil auch in diesem Bereich eine Verbindung mit der Wortart Verb besteht, und darüberhinaus ebenfalls .Dauer in der Zeit' mit Temporalität vermischt wird. Zudem sind aspektuelle Komponenten einer Aussage oft sekundär temporal reinterpretierbar (vgl. 3.3.1.), und aspektuelle Oppositionen spielen auch im Bereich grammatikalisierter Tempora eine Rolle (im Französischen zwischen passé simple und imparfait). Temporalität interagiert in diesen beiden Bereichen tatsächlich mit Aspektualität (und diese Interaktion wird im folgenden ausführlich zu analysieren sein), gehört jedoch nicht zu deren funktionalem Kern. 41 Aspektuell fungierende Zeichen vermitteln, so der Forschungskonsens, den Blickwinkel, unter dem ein Ereignis E kommuniziert wird, bzw. die Lagerung eines Betrachterstandpunkts zum Ereignis und umgekehrt. Wenn man die gemeinhin als temporalen Inhalt mißgedeutete Dauerprojizierbarkeit, die auf der aktionalen Ebene eine Rolle spielt, aus der Definition herausnimmt, so kann man durchaus LEISS (1992: 47) zustimmen, die von COMRlEs vielzitierter Definition („Aspects are different ways of viewing the temporal constitutency of a situation.") nur den a-temporalen Kern übernimmt („aspects are different ways of viewing the constituency of a situation.") Im Rahmen der Prädikatenlogik faßt man unter dem Oberbegriff viewpoint aspect zwei Subkategorien. Eine (inner phasal aspect, Phasenaspekt) vermittelt als Inhalt, welche Phase eines Ereignisses E jeweils im kommunikativen Fokus steht. Dabei sind drei Perspektiven möglich, die ein Sprecher wählen und kommunizieren kann (DE G R O O T , 1 9 9 5 : 3 7 ) : Ingressiv (X starts Y)

Progressiv (X is at Y)

Egressi ν (Χ stops Y)

Auf einer höheren Abstraktionsebene 42 wird dann eine zweite Subkategorie {outer aspect) eingeführt, der als formales Korrelat beispielsweise der russische Verbalaspekt entspricht. Mithilfe dieser Kategorie können zwei Perspektiven auf ein Ereignis E vermittelt werden, eine Innen- oder eine Außenperspektive: Imperfektiver Aspekt (Innenperspektive)

Perfektiver Aspekt (Außenperspektive)

Wenn man, wie vorgeschlagen, aktionale Klassen und deren Merkmalkonstellationen als Basis definiert, über die sich hierarchisch Aspektualität als separater kategorialer Inhalt legt, ist es möglich, Phasenaspekt als Manifestation der Interaktion zwischen aktionalen Merkmalen und einer Innen- bzw. Außenperspektive zu fassen - eine Zwischenkategorie ist verzichtbar. Wichtiger für eine deskriptiv adäquate Fassung aspektueller Werte scheint eine Unterscheidung anderer Art. Sätze in ihrer unmarkierten Form (bei Erscheinen der Basisaktionalität) legen ein bestimmtes Verhältnis von Betrachterstandpunkt und Ereignis nahe, wenn ein sprachliches Signal für aspektuelle Perspektivierung fehlt. Aufgrund der fehlenden Information wird S als Basis der Betrachtrichtung verstanden. E unterliegt also auch dann kommunikativ einer Perspektive, in diesem Fall jedoch nur implizit. Ob E bei Entstehung der Äußerung außersprachlich wahrnehmbar ist oder nicht spielt fur diese Art aspektueller Dekodierung eine Rolle. Solche protoaspektuellen Lesarten müssen von expliziter aspektu41

Vgl.

LEISS ( 1 9 9 2 :

46f.), die fur eine eher räumliche Sicht dessen, was Aspekt leistet, argumentiert,

e b e n s o w i e BROSCHART, 1 9 9 3 : 3 3 . 42

D E GROOT

(1995: 36) betrachtet diesen Aspekt als Emanation von Aktionalität, also als implizit.

55 eller Funktion sprachlicher Zeichen unterschieden werden. Die Wechselwirkung zwischen dem wahrnehmbaren Kontext, S und E, das einsetzt, weil explizite aspektuelle Information fehlt, soll im folgenden als implizite Aspektualität bezeichnet und analysiert werden. Sie ist zu trennen von den aspektuellen Funktionen, die von zusätzlichen sprachlichen Markierungen erbracht werden (fakultativen Ergänzungen, grammatikalisierter Aspektmarkierung usw.), die ihrerseits unter dem Begriff der expliziten Aspektualität gefaßt werden. Beide Arten von Aspektualität können dennoch deskriptiv mit einer Gesamtdefinition erfaßt werden, denn in beiden Fällen geht es um ein spezifisches Verhältnis zwischen E und einem Betrachterstandpunkt (S bzw. R). Wenn bei aspektuell markierten Äußerungen der Eindruck entsteht, man erhalte Einblick in eine bestimmte temporal constituency im Sinne COMRlEs, geht dies ausschließlich auf das grundierende aktionale Merkmal der Dura-tivität zurück. Explizite aspektuelle Markierung kann den Betrachterstandpunkt in seinem Verhältnis zum Ereignis demgegenüber je unterschiedlich gelagert vermitteln. Dies kann auch die aktionale Struktur verändert erscheinen lassen, da bestimmte aktionale Merkmale fokussiert oder defokussiert werden. Sekundär verändert sich damit u.U. auch die Abbildbarkeit auf die ,Dauer in der Zeit'.

3.2.2. Definition der Kategorie Implizite und explizite Aspektualität ist die semantische Eigenschaft von Verbprojektionen bzw. Sätzen, die erkennen läßt, ob ein Betrachterstandpunkt außerhalb des versprachlichten Ereignisses oder Sachverhaltes anzunehmen ist (perfektive Aspektualität) oder nicht (imperfektive Aspektualität). Insofern zwei Elemente (eine versprachlichte Situation E/deren Ereignisintervall I e und ein Betrachterstandpunkt S/R) je eigen in Beziehung gesetzt werden, ist Aspektualität deiktisch. 43 Aktionale Strukturen legen im unmarkierten Fall eine bestimmte Betrachtweise nahe und sind deshalb auf diesem Wege jeweils einem aspektuellen Pol affin (implizit aspektuell). Umgekehrt kann explizite aspektuelle Markierung die Grundaktionalität verändern. Aktionalität ist als nicht deiktisch der perspektivierenden Kategorie Aspektualität hierarchisch vorgeordnet. Implizite Aspektualität kann als aspektuelles Destillat einer aktionalen Basisstruktur in Wechselwirkung mit dem Kontext verstanden werden. Der pragmatische Kontext ist also vor allem fur implizite Aspektualität relevant. Explizite aspektuelle Markierung hingegen blendet die Möglichkeit aus, eine Perspektive auf ein versprachlichtes Ereignis aus dem Kontext zu inferieren. Sie weist über den Bereich des konkret Gegebenen (der natürlichen Perspektive des Sprechers, der aktionalen Merkmale) hinaus. Kommunikative Schwerpunkte können verschoben, neu gesetzt und damit von der konkreten Sprechsituation gelöst werden. 44

43

44

H i e r z u LEISS ( 1 9 9 2 : 7 ) :

Kennzeichnend für das rein indexikalische Zeichen ist es, daß der Standort, von dem aus verwiesen wird, bekannt ist. Mit der grammatischen Deixis verhält es sich umgekehrt. Ihre Funktion besteht darin, den Standpunkt des Betrachters erst zu orten. Der Ausgangspunkt der Deixis muß festgelegt werden. Implizite Aspektualität kann diachron über den Weg der conventionalisation of implicature als explizite Aspektualität reanalysiert werden (vgl. 3.2.3. zur Entstehung des russischen Verbalaspekts).

56 Aspektualität umfaßt über die typisch perfektive Außen- und typisch imperfektive Innenperspektive hinaus noch einen dritten Funktionsbereich, der die beiden Pole verbindet und füreinander durchlässig macht. Dieses Phänomen der dritten Art wird gerne aktional verstanden und als Iterativität bezeichnet. Tatsächlich gibt es, wie bei der aktionalen Kategorisierung sichtbar wurde, im Fall der Ph-Progressiva aktionale Iterativität. Wie es implizite Perfektivität und Imperfektivität aufgrund aktionaler Merkmale gibt, gibt es also auch implizite Iterativität auf der Basis aktionaler Merkmale. Davon zu unterscheiden sind formal komplexer realisierte, explizite Iterativitäts-Signale, die dem aspektuellen und damit deiktischen Bereich zuzuordnen sind. Bei analytischer Fassung von Sprachsystemen, in denen Aspektualität als Vollkategorie ausdruckseitig direkt markiert wird (man nimmt dies z.B. fur das Indoeuropäische an), 45 geht die Forschung von einer parallelen Existenz formal-grammatischer Iterativmarkierungen aus. Sie sind den explizit perfektiven und imperfektiven Formen triadisch beigeordnet, und ihre Funktion besteht darin, perfektive Elemente imperfektiv oder imperfektive perfektiv zu machen. Zum t e r n ä r e n S y s t e m d e s I n d o e u r o p ä i s c h e n s c h r e i b t ERHART ( 1 9 8 5 : 7f.): Wir möchten uns deshalb mit der Feststellung begnügen, daß es in einer frühen Entwicklungsphase des Indogermanischen eine Opposition der Grammeme c : b gegeben hat [c für Perfektiv, b fur Imperfektiv, MS], mit c als merkmalhaftem Glied. Die im frühindogermanischen Verbalsystem dominierende Opposition war jedoch [...Jnicht einfach binär, sondern vielmehr ternär: sie umfaßte noch ein drittes Glied i - das Iterativum. [...] Diese drei Grammeme sind als Bündel von zwei semantischen distinktiven Zügen aufzufassen - pf = perfektiv (kompakt, ganzheitlich) und m = multipliziert: pf

m

b ; c + i - +

c

—> K

b

i 71

Die Pfeile deuten die Derivationsrichtung an: von b (einem natürlich imperfektiven Verbum) wurde durch bestimmte formale Mittel ein c (ein Perfektivum) oder ein i (ein Iterativum) und von c (einem natürlich perfektiven Verbum) ein i (ein Iterativum) abgeleitet. [...] Das dreieckige Aspektsystem besitzt in dem ebenfalls dreieckigen System der Numeri eine Parallele [...]: (Perfektivum) (Iterativum) (Imperfektivum)

- Singular - Plural - eine in Hinsicht auf Numerus indifferente Form

Auch in Sprachen, in denen die Opposition perfektiv/imperfektiv nicht als formale Opposition vorliegt, läßt sich im funktionalen Bereich ein triadisches Verhältnis zwischen Perfektivität, Imperfektivität und Iterativität erkennen. Da Iterativität, in Grammatikalisierungsprozessen und als Schnittstelle zum Bereich der Temporalität hin, eine wichtige Rolle spielt, muß sie im Bereich der aspektuellen Perspektivierungsmöglichkeiten berücksichtigt werden. Aktionale Ereignisstrukturen können, so sie nicht inhärent iterativ, d.h. ph-progressiv sind, mit sprachlichen Mitteln zum Iterativum aufgerüstet werden, wenn die dabei vermittelte, sehr komplexe aktional-aspektuelle Struktur ein außersprachliches Korrelat hat. Verwiesen sei zur Illustration auf Beispiel (2) (die blonde Maria in Abschnitt 2.1.), wo fünfmal iterierende und damit auch aspektuelle Funktion hat. Es pluralisiert ein primär nicht 45

Vgl. ERHART, 1985:6.

57 begrenztes Stativ-Prädikat, was eine Lesart der Einzelsachverhalte als aktional [+ begrenzt] auslöst. Eine im Fall präsentischer Markierung aktional vorgegebene, implizit imperfektive Perspektive wird in Richtung Perfektivität verschoben; eines der begrenzten Subintervalle kann aus der Sequenz gelöst und unter perfektiver Außenperspektive kommuniziert werden. Die Überführung einer aktional-aspektuellen Struktur in Richtung Begrenzung und/oder Iterativität kann den Charakter eines Ereignisbildes so signifikant verändern, daß das abgeleitete Ereignisbild nicht mehr derselben gnoseologischen Kategorie zuzuordnen ist wie die Ableitungsbasis. Interne Iterativa (Ph-Progressiva, wie etwa Peter lacht) können, wie bereits dargelegt, im Deutschen durch Wortbildungselemente zu jeweils einem implizit aspektuellen Pol hin verschoben werden. Die inhärente semantische Doppelstruktur wird damit in Richtung impliziter Perfektivität oder Imperfektivität monosemiert: (29) Peter lacht auf.

Das Wortbildungselement auf desambiguiert in der Weise, daß ein Subintervall des Sachverhalts Peter lacht in seiner Begrenztheit (als singular) und damit implizit perfektiv kommuniziert wird. Als implizit aspektuelles Gegenstück fungiert das Infix in: (30) Peter

lächelt.

Es desambiguiert die Bildstruktur in die entgegengesetzte Richtung (vgl. 3.1.5.2.), indem es die Übergänge zwischen den untergeordnet wechselnden Intervallen E/Nicht-E verwischt. Damit ergibt sich der Eindruck eines homogen von E abgedeckten Ereignisraumes und es liegt eine implizit imperfektive Lesart näher. Sowohl implizite als auch explizite Iterativität sei definiert als die semantische Eigenschaft von Verbprojektionen bzw. Sätzen, perfektive und imperfektive Aspektualität für eine Situation E als gleichermaßen gültig zu signalisieren. Es ergibt sich das Bild einer Ereigniskette, bei der E und Nicht-E abwechseln. Inferiert oder signalisiert wird: ,Setze E sowohl für jedes Teil-Ε als auch für die Ereigniskette insgesamt'. Die aspektuelle Grundfunktion besteht darin, perfektive Aspektualität in Richtung imperfektiver und imperfektive in Richtung perfektiver verschiebbar zu machen. BROSCHART (1993: 30), der alle kategorialen Inhalte (auch Temporalität und Modalität) als „unterschiedliche Wahmehmungs- oder Sichtweisen der Relationen zwischen Situationen" versteht, hat „ein geometrisch-topologisches Modell" entwickelt, „das Unterschiede und Gemeinsamkeiten repräsentiert". Auch innerhalb dieses Modells wird Aspektualität („Α-Wahrnehmung") in Beziehung gesehen mit Fokussierung und Defokussierung, dem Perspektivenwechsel also, der Figur-Grund-Konstellationen konstituiert: Ich postuliere im folgenden fur die A-Wahrnehmung und -Wirkung eine Konzeption, die wesentliche Eigenschaften mit der Wahrnehmung und Wirkung von Phänomenen in einem perspektivischen Hintereinander gemein hat, allgemein geht es dabei um die Bestimmung eines ,Feld-' oder ,Interesse-Unterschiedes' zwischen sich überlagernder, gleichzeitig verarbeiteter Information i.S. einer Figur-Grund-Konstellation.

3.2.3. Zusammenspiel von Aktionalität und Aspektualität Mögliche Formen der Interaktion von Aktionalität und Aspektualität sollen an dieser Stelle an Beispielen demonstriert werden, vorerst an deutschen Sätzen, da die transkategorialen

58 Leistungen der aktionalen Klassen des Französischen in Kapitel 5. zum ftiturischen Präsens ausführlich behandelt werden. (31 ) Unser Großvater stirbt. Aktionale Klasse: R-Progressiv, E = ? - » O Aktionaler Ereignisrahmen: Zustandsveränderung des Subjektreferenten (Phase), rechts begrenzt (Transition, O). In diesem Fall liegt eine aspektuelle Perspektive nicht fest. Die aktionale Struktur ermöglicht so zwei implizit aspektuelle Lesarten. Die Perspektive kann, vom Sprecherstandpunkt aus, imperfektiv sein, d.h. auf die Phase vor der Transition referieren, oder aber perfektiv, d.h. auf die Transition vom Leben zum Tod Bezug nehmen. Bei R-Progressiva kann eine der beiden Lesarten explizit durch zusätzliche Markierung oder den Kontext favorisiert werden, wenn der Sprecher die Aussage nicht in aspektueller Zweideutigkeit belassen will. Die implizit imperfektive Komponente kann im Deutschen ausdruckseitig periphrastisch explizit gemacht werden: (32) Unser Großvater liegt im/ist am Sterben. Bei R-Progressiva steht im Deutschen keine aspektuelle Option im Vordergrund. Im Russischen, wo Aspektmarkierung im Präsens obligatorisch ist, besteht diese Möglichkeit der Unbestimmtheit nicht. Der Sprecher muß sich entscheiden, ob er die Rechtsgrenze in den kommunikativen Fokus stellen möchte, oder umgekehrt, wie KLEIN (1969: 58ff.) diesen Effekt beschreibt, das Telos zu neutralisieren wünscht. Bei Übersetzung in eine Sprache, die Aspektualität ausdruckseitig in Form grammatischer Paradigmen markiert, würde etwa das Beispiel (31 ) mit dem imperfektiven Aspekt 46 markiert und damit desambiguiert. Durch ein Adverb kann im Deutschen die implizit perfektive Komponente hervorgehoben werden. Die Rechtsgrenze wird durch ein zusätzliches sprachliches Mittel fokussiert: (33) Unser Großvater stirbt bald. Adverbien können eine solche Rechtsgrenze überhaupt erst einführen, was hier jedoch nicht der Fall ist: Eine aktional angelegte Phase wird gegenüber dem Übergang von I E {im Sterben liegen) zu I1 (tot sein) lediglich ausgeblendet. Kasus sind ausdruckseitige Relatoren, die u.a. auch aktionale Information modifizieren. Implizit können sie damit auch eine aspektuelle Verschiebung befördern. BECK (1987: 12f.) zitiert DEUTSCHBEIN, der bereits 1939 feststellte, daß die Kasusflexion im Deutschen oft eine ähnliche Funktion erfüllt wie in den slawischen Sprachen der Verbalaspekt, insoweit sie implizit bestimmte aspektuelle Perspektiven favorisiert: 46

Dies ist kein Argument für eine imperfektive Markiertheit des deutschen Präsens. Der imperfektive Aspekt bei bestimmten russischer Verben stellt den unmarkierten Partner einer privativen Opposition dar, ist also non-perfektiv (vgl. BACHE, 1985: 66ff). So tradiert er die Zweideutigkeit des deutschen Präsens bei diesen Prädikaten am ehesten. Und deshalb kann auf der Zeitstufe der Vergangenheit ein im Russischen unmarkiert-imperfektives Prädikat bei einer Übersetzung ins Französische nicht immer adäquat mit einem imparfait wiedergegeben werden. Die unmarkierte russische Form kann auch perfektive Perspektive ausdrücken (sog. imperfect paradox), was mit dem französischen imparfait, weniger möglich ist. Auch bei Sprachen mit formalem Aspekt ist zwischen Inhalt und Form zu unterscheiden (vgl. KLIMONOW, 1996: 79). Hierzu BACHE (1985: 7): Despite the semantic complexity of most aspect systems, it is important, I think, to stress the notional nature of the perfective/imperfective opposition because the category lacks consistent formal expression even in time-honoured aspect languages like Russian.

59 (34) Das Schiff verschwindet. Aktionale Klasse: R-Progressiv (E = ? -> O)

Der Referent des Erstaktanten erscheint involviert in einen Situationstyp, der einerseits eine Bewegung (Progression) denotiert, andererseits auch das Ende dieser Bewegung. Wie bei (31) läßt die r-progressive Struktur zwei implizit aspektuelle Lesarten zu. Desambiguierung kann in diesem Fall durch eine Ergänzung in einem bestimmten Kasus erfolgen. (35) Das Schiff verschwindet in die Ferne. Aktionale Klasse: R-Progressiv (s.o.), verschoben zu: E = ? —» [O] Implizite Aspektualität: ? -> S -> [O] => imperfektive Lesart: E—> S —> E

Die Ergänzung im Akkusativ läßt also die Rechtsgrenzenoption in den Hintergrund treten, die naheliegende Lesart ist damit die imperfektive. Anders liegt der Fall mit einer Ergänzung im Dativ: (36) Das Schiff verschwindet in der Ferne. Aktionale Klasse: R-Progressiv (s.o.), verschoben zu: E = [? -> | O Implizite Aspektualität: [? ->] S [ - » ] O => perfektive Lesart: S | O

Der Schwerpunkt liegt nun eher auf der Transition von I e nach I1, die Rechtsgrenze steht im kommunikativen Fokus. Die implizite Aspektualität ist damit eher perfektiv. Die Lagerung zwischen S und den aktionalen Teilkomponenten verändert sich, wie zu sehen ist, nicht, die Betonung bestimmter Komponenten fuhrt jedoch indirekt dazu, daß in (35) S als Teil des Ereignisintervalls, in (36) jedoch vom primär vermittelten Ereignis (Überschreiten der Horizontlinie) differenziert erscheint. LEISS (1992: 8) spricht bezüglich der Monosemierung von Lexemen in bestimmten syntaktischen Umgebungen vom Verweis an ein lexikalisches Subsystem. Es ist jedoch fraglich, ob der Rezipient beim Dekodieren in diesen Fällen regelhaft nur auf sein lexikalisches Wissen zurückgreift. Es scheint vielmehr so, daß umgekehrt eine regelhaft inferierbare aspektuelle Färbung das Phänomen des lexikalischen Splits provoziert, d.h. ein lexikalisches Subsystem dadurch erst entsteht: Sowohl impliziter als auch expliziter aspektueller Charakter sind diachron relativ stabil und können massive Bedeutungsveränderungen in anderen Bereichen auslösen. Ein ehemals expliziter Aspekt z.B. kann in Form impliziter Aspektualität erhalten bleiben, wenn Aspektpartner lexikalisiert werden: (37)

X.Ich horche. 2. Ich gehorche.

Beide Verben bilden im Neuhochdeutschen kein Aspektpaar (sind von ihrer lexikalischen Bedeutung her nicht aufeinander beziehbar). Die Aspektualität der Sätze, in denen sie auftauchen, determinieren sie jedoch über aktionale Werte weiterhin so, wie sie es als Aspektverben getan haben: 1. ist (implizit) imperfektiv, 2. (implizit) perfektiv. Explizite Aspektualität, die direkt formal signalisiert wird (wie im Französischen im Fall passé simple!imparfait), affiziert über den Perspektivenwechsel auch jeweils das aktionale Profil. Und aktionale Markierungen, die ursprünglich aspektuell zweideutige Prädikate implizit desambiguierten, können andererseits diachron als explizite Aspektmarker reanaly-

60 siert und generalisiert werden, wie etwa in den slawischen Sprachen geschehen, wo Wortbildungspräfixe über ihre implizit aspektuellen Werte zu expliziten Aspektmarkern wurden.

3.3. Temporalität 3.3.1. Implizite Temporalität Die enge Vernetzung, die zwischen Aktionalität und Aspektualität erkennbar wurde, kompliziert sich nun dadurch, daß beide zudem mit Temporalität interferieren. Aktionalität eröffnet Grenzen und Räume fur Ereignisse/Sachverhalte, der Betrachterstandpunkt wird in der Kommunikation implizit oder explizit gegenüber diesen Strukturen aspektuell perspektiviert (Außen-, Innenperspektive). Im Falle perfektiver Aspektualität (Außenperspektive) erscheint er losgelöst vom versprachlichten Ereignis. Da ,Dauer in der Zeit' als grundierender Teppich versprachlichten Ereignissen beigeordnet ist, ist diese perfektiv-aspektuelle Differenzierung auf diese Grundierung projizierbar. E erscheint dann semantisch in einem Intervall angesiedelt, das konzeptuelle auch zeitlich differenziert ist von dem, in dem sich S (bzw. R) verortet. Die diachrone und synchrone Vorstufe von Temporalität ist in derartigen Implikaten zu suchen. Sobald also E aktional dynamisch erscheint, eine aktional angelegte Grenze aufweist und diese mit Hilfe monosemierender Elemente fokussiert wird, entsteht die Vorstellung eines differenten Ereignis- und damit sekundär auch Zeitintervalls. 47 Bestimmte Koppelungen aktionaler und aspektueller Merkmale erzeugen, in Wechselwirkung mit Gegebenheiten im außersprachlichen Kontext, derart sequentielle und damit implizit temporale Bilder. Eine sequentielle Vorstellung stellt sich z.B. mit bestimmten aktional begrenzten Prädikaten automatisch ein, diese werden also nicht nur implizit perfektiv, sondern auch implizit temporal differenziert gelesen. Die folgenden, linear nacheinander versprachlichten, aktional grenzbezogenen Ereignisse und Sachverhalte werden als außersprachlich sequentiell nacheinander ablaufende Ereignisse gelesen: (38) Er kommt herein, stolpert und fällt hin.

Jedes E:

[+ dynamisch], [+ begrenzt] => Reihung in der Aussage steht ¡konisch für .nacheinander ablaufend'. =>E1 E 1-3 eine Zeitstufe, gleichzeitig verlaufend'

Implizite Imperfektivität verhindert also, daß eine zeitliche Relation der Ereignisse inferiert werden kann, und sie kann damit auch nicht implizit temporal genutzt werden. Wie aktionale und aspektuelle Merkmale in Wechselwirkung mit dem außersprachlichen Kontext semantische Strukturen liefern, die eine Vorform temporaler Wertigkeiten ohne explizites temporales Verweisen ermöglichen, sei an weiteren Beispielen verdeutlicht. Festzuhalten bleibt, daß eine Zeitstufendifferenz hierbei über das implizite Bild eines NichtJetzt des Ereignisses ersteht und erst im Gegensatz dazu das von einem Jetzt des Sprechers. Die Grenze des Ereignisses eröffnet also zwei referentialisierbare Zeitstufen. (40) Peter holt ein Glas aus dem Schrank nebenan. Aktionale Klasse: Intergressiv (E = A - » O)

Je nachdem, ob der Subjektreferent sich im Raum befindet, sich sichtbar bewegt/nicht bewegt oder sich nicht im Raum befindet, ergeben sich verschiedene implizit aspektuelle Interpretationsmöglichkeiten. Diese fuhren, projiziert auf das Phänomen der ,Dauer in der Zeit', auch dazu, daß implizit unterschiedliche temporale Relationen inferierbar sind. Kontext A: Der Subjektreferent ist sichtbar anwesend und bewegt sich nicht. => S I A - > O, implizit perfektiv, damit auch implizit temporal (futurisch) Kontext B: Der Subjektreferent ist sichtbar in Bewegung Richtung Nebenraum. => A - > S - » O, implizit imperfektiv, O nicht im Fokus. Kontext C: Der Subjektreferent ist nicht sichtbar anwesend. => Weiterer Ko- und Kontext ausschlaggebend. (z.B. vorausgehende Frage: Wo ist denn der Peter abgeblieben?

=> implizit imperfektiv)

Daß es nicht primär oder gar nur der Kontext (Perzeptibilität z.B.) ist, der unterschiedliche, u.a. implizit temporale Lesarten nahelegt, sondern vielmehr die stark markierte Prädikatklasse ein gewisses kontextsensibles Interpretationsspektrum überhaupt nur ermöglicht, zeigt sich, wenn man das R-Progressiv mit einem Stativ im selben Kontext vergleicht. Implizit liegt hier imperfektive Perspektive fest, eine sekundäre Inferenz von zeitlichen Bezügen ist in keinem Fall möglich. Ob der Subjektreferent sichtbar ab- oder anwesend, in Bewegung oder nicht in Bewegung ist, ist irrelevant: (41 ) Peter ist ein fauler Kerl. Aktionale Klasse: Stativ (E = ? — ?) Implizite Aspektualität ? — S — ? => immer imperfektiv: E - S - E

Die Beispiele führen vor Augen, wie über implizit aspektuelle Werte eine Vorstufe temporaler Relationierung möglich wird. Diese nicht explizit markierte Temporalität soll im folgenden als implizite Temporalität bezeichnet werden. Die Vorstellung einer anderen Ereignis- und damit Zeitstufe wird nicht mit sprachlichen Mitteln als temporale Verschiebungsanweisung signalisiert. Bei impliziter Temporalität wird aufgrund der Differenz S (Betrachtbasis im default-Fall des Präsens) von E (aspektuell-perfektive Perspektive) sekundär eine zeitintervallische Differenz von I e und S deduziert.

62 3.3.2. Explizite Temporalität Auf einer komplexeren Ebene bewegt sich explizites, temporal-deiktisches Verweisen, da es seinen Weg über einen im Nicht-Jetzt bereits verorteten Betrachtschwerpunkt nimmt, dessen Vermittlung direkt sprachlich-formal erfolgt. Die traditionell Tempora zugeordnete Funktion, Gegenstände und Sachverhalte referentiell im Bereich eines Nicht-Jetzt zu situieren, geht auf einen von S differenzierten Blickwinkel zurück (r). Erschienen bei impliziter Temporalität ein Betrachterstandpunkt R und ein Ereignis E in einer Weise differenziert, die sekundär temporal reanalysiert werden konnte, so differenzieren explizit temporal-deiktisch fungierende sprachliche Zeichen den dem deiktischen Zentrum inhärenten Betrachterstandpunkt S von einem fiktiven deiktischen Zentrum r. Von diesem aus ist das auf einer anderen Zeitstufe lokalisierbare Ereignis betrachtbar. Explizite Temporalität sei definiert als die semantische Eigenschaft von Verbprojektionen bzw. Sätzen, einen fiktiven, temporal verschobenen Betrachterstandpunkt r gegenüber dem natürlichen deiktischen Zentrum S zu etablieren. Der maximale Leistungsumfang expliziter Temporaldeixis ist gegeben, wenn man über dieses fiktive deiktische Zentrum die wesentlichen Charakteristika des natürlichen Zentrums S auf einer anderen Referenzstufe imitieren kann. Zur Grundleistung, S von r zu differenzieren, gesellt sich in diesem Fall die Funktion, r innerhalb eines temporal verschobenen I E ZU verankern. R als von E gelöst oder nicht gelöst darzustellen, ist eine aspektuelle Funktion. Zeichen, die explizit temporal fungieren (Differenzierung von S und r) und zudem einen verschobenen Betrachterstandpunkt imperfektiv in ein temporal verschobenes E verlegen (explizite Imperfektivität) müssen als hochgradig markiert gelten, so also auch das französische imparfait. Explizite imperfektive Temporalität ist zu definieren als die semantische Eigenschaft von Verbprojektionen bzw. Sätzen, die deiktischen Gegebenheiten der natürlichen Redesituation auf einer anderen Zeitstufe rekonstruierbar zu machen. Diesem Umstand entspricht die grammatikographische Gewohnheit, imperfektive Vergangenheitstempora als présent dans le passé zu bezeichnen (BRUNO!·, 1922: 778) bzw. als markierteres Pendant des Präsens zu betrachten (VET, 1979: 28). 48

3.3.3. Zusammenspiel von Aspektualität und Temporalität Implizite imperfektive Aspektualität basiert auf aktionalen Merkmalen des versprachlichten Ereignisses, die mit den Gegebenheiten zum Sprechzeitpunkt in Beziehung gesetzt werden. Der Sprechende ist das Zentrum des Ereignisraumes, auf den er sich bezieht, andere Anweisungen sind den aktionalen Mustern nicht zu entnehmen. Implizite und explizite perfektive Aspektualität lassen den Betrachterstandpunkt S als vom Ereignis gelöst erscheinen - und liefern damit eine Vorstufe temporaler Deixis. So wie implizite Aspektualität per Konventionalisierung der Implikatur diachron als explizite Aspektmarkierung reinterpretierbar ist, kann auch perfektive Aspektualität, die implizit temporal fungiert, diachron als explizites Temporalitätssignal verstanden werden. In 48

Hierzu auch LEISS (1992: 233): Die Funktion der Tempuskategorie ist es, immer wieder eine Innenperspektive herzustellen. Das bedeutet in letzter Konsequenz, daß über das Tempus sekundäre Formen von Imperfektivität konstruiert werden.

63 Sprachen, die über formale Aspektmarkierungen verfügen, fungieren präsentisch-perfektive Zeichen auch temporal. Sie eröffnen aufgrund der fokussierten Ereigniskontur, die das versprachlichte Ereignis unter der Außenperspektive zeigt, einen differenzierten Referenzraum. Im Russischen etwa wurde die perfektive Markierung bei bestimmten Verben über die Konventionalisierung einer solchen Implikatur zum Futur. Perfektive Aspektualität liefert nur die Information , Außenperspektive' und keine Information darüber, welche Grenze des nunmehr konturierten Ereignisses (A oder O) näher an S liegt. Es bestehen theoretisch zwei Interpretationsmöglichkeiten: das Ereignis kann a.) als vor dem Sprechzeitpunkt abgeschlossen oder b.) als nach dem Sprechzeitpunkt beginnend gelesen werden. Eine Grammatikalisierung als resultatives oder kompletives Perfekt oder als Futur wäre damit gleich wahrscheinlich, und tatsächlich läßt sich beides übereinzelsprachlich finden - allerdings mit signifikant differenter Frequenz. 49 Es gibt Sprachen, in denen ein temporal nicht markiertes, lediglich perfektiv zu lesendes E regelhaft als bereits abgeschlossen aufgefaßt, häufiger jedoch den Fall, daß es regelhaft als noch ausstehend (demnächst stattfindend) gelesen wird. Betrachtet man den Mechanismus einer regelhaften temporalen Interpretation perfektiver Aspektualität innerhalb einer Einzelsprache genauer, wie dies für das Französische hier geschehen soll, ist allerdings zu beobachten, daß implizit perfektive Äußerungen zwar regelmäßig vor allem in eine temporaldeiktische Richtung interpretiert werden (im Französischen als implizit fiiturisch), es gleichwohl Ausnahmen gibt, bei denen eine Interpretation des Ereignisses als .bereits abgeschlossen' erfolgt. 50 Auch diese Flexibilität bezüglich der temporalen Reinterpretationsrichtung ändert nichts an der Tatsache, daß implizit bzw. explizit perfektiv lesbare E regelhaft interpretatorisch dem Referenzraum der Sprechsituation ausgelagert werden. Der Ursprung temporaler Deixis liegt also im Bereich nicht explizit temporal markierter Perfektivität. Diese Erkenntnis erweist sich bei der Ermittlung von Markiertheitsrelationen im temporalen Bereich als nützlich. In der sprachwissenschaftlichen Beschäftigung mit klassischen Aspektsprachen wird kontrovers diskutiert, welcher Aspekt insgesamt als der inhaltlich markiertere gelten muß. Für die Annahme, der perfektive sei gegenüber dem imperfektiven markiert, scheint es ebenso viele gute Gründe zu geben wie für die Gegenposition. 51 Angesichts des weiter oben geschilderten Umstands, daß implizite und explizite Perfektivität ganz automatisch eine temporale Reinterpretation auslösen kann, bietet sich eine Lösung des Problems an. Sobald man zwischen temporaldeiktisch bereits verschobenem und nichtverschobenem Bereich unterscheidet, läßt sich eine Umkehrung der Markiertheitsrelationen in aspektueller Hinsicht beobachten. Auch vor dem Hintergrund übereinzelsprachlicher Gegebenheiten (BYBEE U.A., 1994: 175) ist anzunehmen, daß im temporal nicht markierten (,präsentischen') Bereich perfektive Aspektualität gegenüber imperfektiver markiert ist. Im Bereich genuiner, expliziter Temporalität hingegen ist umgekehrt im Fall einer aspektuellen Differenzierung imperfektive gegenüber perfektiver Aspektualität stärker markiert. Explizite imperfektive Aspektualität auf der Zeitstufe des Nicht-Jetzt (imperfektive Temporalität) muß damit als stark markiert betrachtet werden, und auch ausdruckseitig ist mit einer höheren Komplexität der Zeichen zu rechnen, die die genannte Funktion erfüllen.

49 50

51

Vgl. ULTAN, 1978. VET (1979: 124) nennt als Beispiel den Satz II sort du lycée, der die eigentliche Handlung als vorzeitig und den Sprecherstandpunkt im ,Danach' derselben erscheinen läßt. Zu den verschiedenen Positionen zum russischen Verbalaspekt, vgl. BACHE (1985: 62ff).

64 Regelhafte diachrone Prozesse sind für die weitere Analyse von Interesse: Zunehmend auxiliar fungierende finite Verben werden häufig als Teil einer Tempusmarkierung weitergrammatikalisiert (eigentlich: reanalysiert). Es ist anzunehmen, daß die Quellkonstruktion mit ihrer Präsensmarkierung bereits über Eigenschaften verfugte, die S von E und weiterhin S von r differenziert erscheinen lassen, und es kann fur ein besseres Verständnis von Grammatikalisierung lohnend sein, nach diesen Komponenten zu fahnden. 3.3.4. Futurität 3.3.4.1. Zum Sonderstatus eines notionellen Bereichs Als linguistischer Gemeinplatz muß gelten, daß Futurität einen Sonderfall von Temporalität darstellt. Auch hier sei futurischer Temporalität ein eigener Abschnitt gewidmet, allerdings deshalb, weil die Auffassung dargelegt werden soll, daß ein epistemischer Sonderstatus temporaler Futurität, vor allem in axiomatischer Form, nicht dienlich ist, und zur Fassung futurischer Temporalität die Definitionen der temporalen Deixis im allgemeinen genügen. Das abendländische lineare Zeitkonzept impliziert eine ontologische Prämisse: Wir vermeinen sowohl als Einzelwesen als auch als Kollektiv über eine Vergangenheit (das, was nicht mehr ist) und eine Zukunft (das, was noch nicht ist) zu verfugen. Es wird nun behauptet, das, was nicht mehr ist, und das, was ist, sei ontologisch gesicherter als das, was noch nicht ist. Auf die Stoiker geht das Exempel zurück, Rauch sei ein zuverlässigeres Indiz fur Feuer als Wolken für Regen. Vor dem Hintergrund der neuzeitlichen Auffassung, daß alles Wissen relativ und die Welt nur durch unser biologisch determiniertes, kognitives Raster erfahrbar ist, kann diese Vorstellung allerdings nicht bestehen: Was als Rauch wahrgenommen und kategorisiert wird (eine andere Möglichkeit besteht nach modernem Verständnis nicht), kann u.U. nur ähnlich sein wie das, was bisher als Rauch etikettiert wurde. Außersprachlich kann es sich auch um ein Phänomen handeln, das eben nicht auf eine als Feuer klassifizierbare Erscheinung zurückgeht. Wolken werden ebenso sicher bzw. wenig sicher irgendwo abregnen, wie die Substanz, die wir als Rauch kategorisieren, tatsächlich die Folge von Feuer ist. Das Problem der mittelbaren Begreifbarkeit bleibt auch bestehen, wenn sich der zu begreifende Gegenstand im Perzeptionsfeld der begreifenden Subjekte befindet, denn man kann ihm nicht einen außerhalb unserer Fassung liegenden Wahrheitswert unterstellen. Bei (zeitlich wie räumlich) nicht mehr und noch nicht dort befindlichen Gegenständen kommt ein Mehr an Mittelbarkeit hinzu. Selbst wenn man die Vorstellung von einer außersprachlichen Verifizierbarkeit nicht aufgeben möchte, bleibt fraglich, warum bis heute eine direkte Übertragung dieser ontologischen Prämisse auf den Status sprachlicher Aussagen erfolgen darf. Und dies sogar in Veröffentlichungen, in denen ansonsten scharf zwischen sprachlicher Bedeutung und Interpretation sprachlicher Zeichen mit Hilfe von ,Weltwissen' unterschieden wird. Seit ARISTOTELES gilt als Axiom, daß man einer Aussage über noch Ausstehendes keinen Wahrheitswert zuordnen könne, wie dies bei Aussagen über bereits Geschehenes oder Gegenwärtiges möglich sei. Dies hat die Sprachwissenschaft direkt oder indirekt übernommen: Etwas, was bereits geschehen ist oder im Moment geschieht, kann stets assertiert und damit sogleich vom Hörer auf seine Richtigkeit überprüft werden [sie!]. Das Problem, das in Einzelsprachen mit der Analyse der Kategorie 'Futur' stets verbunden ist, liegt darin, daß Verben im Futur

65 zwar verschoben assertiert sein können, daß jedoch jede Assertion, die für den Moment des Sprechakts gilt, per definitionem nicht möglich ist. Potentiell hat damit jedes Futur das mögliche Merkmal 'nicht assertiert', es besteht mithin die Möglichkeit einer sogenannten modalen Bedeutung des Futurs.52 Daß jede Aussage nicht nur assertiert werden „kann", sondern assertiert ist, wenn sie nicht sprachlich als nicht oder abgeschwächt assertiert markiert wird, wurde bereits gesagt. Inwieweit Aussagen wie Du bist ein Idiot oder Gestern hast du dich benommen wie ein Elefant „sogleich vom Hörer auf ihre Richtigkeit überprüft werden können" (noch dazu „stets"), muß wohl ein Geheimnis bleiben. Auf einen vermeintlichen Wahrheitswert hin sind Aussagen zudem auch dann nicht überprüfbar, wenn der Sprecher von einem solchen ausgeht. Die Motivation fur eine sprachliche Aussage besteht ja häufig darin, daß der Sprecher ahnt, beim Hörer herrschten möglicherweise differierende Vorstellungen. Auch scheinbare Tatsachenfeststellungen auf der referentiellen Stufe des Jetzt bei außersprachlich perzeptiblem Referenten können keinen Anspruch auf nachprüfbare Objektivität erheben. Sie kristallisieren sich nur am perzeptiblen Gegenstand oder Sachverhalt, dem nicht Wahrheit, sondern Wirklichkeit 53 unterstellt wird. Hierzu PEIRCE (zit. nach: PAPE, 1989: 127): [...] you look at an object and say ,That is red'. I ask you how you prove that. You tell me you see it. Yes, you see something·, but you do not see that is red, because that is red is a proposition and you do not see a proposition, and there is no logic in saying that your proposition is proved by the image. Weniger umstritten ist, daß die Überprüfung eines Wahrheitswertes bei temporaldeiktisch verschobenen Äußerungen nicht gegeben ist. Einem Menschen außer Atem, der sagt Ich bin stundenlang gerannt und habe dich gesucht muß man allerdings nicht weniger glauben, was er sagt, als einer Frau mit sichtbar gewölbtem Bauch, die sagt Ich bekomme in 3 Monaten mein Kind.54

52

53

54

LUDWIG, 1 9 8 8 : 15.

BROSCHART (1993: 29) zur Funktion modal fungierender sprachlicher Zeichen: [Der] Begriff der „Wahrheit" hängt [...] weniger mit einer „objektiven" Wahrheit als mit dem Begriff der „Wahr-nehmung" und der psychologischen „Wirk-lichkeit" (also Wirkung) dieser Wahrnehmung zusammen (etymologisch besteht zumindest ein indirekter Bezug zwischen wahr in wahrnehmen und wahr sein). Ein Element der conditio humana wird in der Sprachwissenschaft kaum berücksichtigt, obwohl es fur kommunikative Prozesse von Bedeutung ist. Der sprechende Mensch kann die Gegenstände und Sachverhalte, die er aus unterschiedlichen Blickwinkeln wahrnimmt, imaginiert und sprachlich kommuniziert, auch vergessen, nicht wahrgenommen und bewußt übergangen haben. Erfahrung ist relativ und die Sprache hängt von ihr nicht ausschließlich ab. Es ist dem Subjekt zudem freigestellt, wie es aktuell das, was es erfahren hat, kognitiv präsent hält oder sprachlich darstellt. All dies gilt auch für den Rezipienten einer Äußerung. Vor diesem Hintergrund erweisen sich z.B. GRICES Maximen als unbefriedigend (wiedergegeben nach ZELLER, 1994: 60), daß ,jedem Gesprächsteilnehmer an jedem Punkt des Gesprächs dessen momentaner Zweck bekannt [ist], und jeder [...] voraussetzen [kann], daß auch sein Gegenüber diesen Zweck erfaßt hat." Dieses „übergreifendet...] Kooperationsprinzip, dessen Beachtung alle Teilnehmer eines Gesprächs voneinander erwarten können" steht z.T. im Widerspruch zu dem, was weiter oben ausgeführt wurde. Das gleiche gilt fur (nach ZELLER, 1994: 60f.) die „Obermaxime: Versuche einen Gesprächsbeitrag zu liefern, der wahr ist" mit den Untermaximen „Sage nichts, wovon du glaubst, daß es falsch ist", und: „Sage nichts, wofür du keine hinreichenden Gründe hast." Andere Maximen zeigen sich bei ein wenig Alltagsbeobachtung gar nur als für Ausnahmefälle sprachlicher Kommunikation zutreffend („Vermeide Unklarheiten [...] Mehrdeutigkeiten [...] unnötige Weitschweifigkeit [...].")

66 In tempuslogisch orientierten Modellen finden sich nur scheinbar legitimere Strategien, sich des Axioms zu bedienen. Die Ebenen der Ontologie und des notionell-semantischen Bereichs Nachzeitigkeit werden dort zumindest vorgeblich getrennt behandelt. Nur im ontologischen Bereich postuliert man einen unterschiedlichen Status von Vergangenem und Zukünftigem, für den sprachlichen Bereich gesteht man zu, daß dort auf allen Zeitstufen epistemisch nuanciert werden könne. Hierzu M A R T I N / N E F (1981: 12): Par nature, l'avenir échappe à la certitude. [...] il est indissolublement lié au possible. Non que le passé n'ait pas de son coté aucun lien avec le possible: que l'on songe aux hypothèses de l'historien ou, plus banalement, aux assertions modalisées que tout locuteur produit [...j. Mais par l'irréversibilité du temps, le passé n'est jamais lié au possible que par un lien epistémique, plus précisément par l'insuffisance du savoir. L'avenir, au contraire, comme lieu de l'action [...] s'apparente ontologiquement au possible, c'est à dire par son être même.

Wie eine solche Vergangenheit und Zukunft ohne das konzipierende Subjekt aussehen soll, wie eine irreversible Zeit außerhalb dessen, daß wir sie uns so vorzustellen pflegen, angenommen werden kann, wird wohl nicht zu klären sein. Daß jedoch ein Begriff wie certitude immer an ein Subjekt gekoppelt ist, dürfte nicht abzustreiten sein. So man für den Bereich Vergangenheit eine insuffisance du savoir zubilligt, dann geht die incertitude bezüglich der Zukunft auf eben diesen und keinen qualitativ anderen Mangel an Wissen zurück. NEF äußert in anderen (späteren) Veröffentlichungen 55 eine andere Auffassung, der eher zuzustimmen ist: Schon ontologisch sei zwischen Vergangenheit und Zukunft nicht zu unterscheiden, die Fassung als notionelle Bereiche sei in beiden Fällen epistemischer Natur und eine Vorabunterscheidung qualitativer Art vor allem auf sprachwissenschaftlichem Terrain unzulässig. Es sei nicht zu rechtfertigen (1984: 113), alle zukünftigen Ereignisse als epistemisch unzugänglich zu bezeichnen. Irrtum sei sowieso auf beiden Seiten möglich. Es erübrigt sich bei dieser Sicht der Dinge auch der Rekurs auf den LElBNizschen Begriff der ,möglichen Welten', der sich Analysen futurischer Formen oft beigesellt findet. In diesem Rahmen wird diskutiert, ob ein/das Futur als temps ramifié (verzweigende Struktur, wobei offen bleibt, welcher monde des attentes realisiert wird) zu betrachten ist, oder als temps linéaire (Korrelat einer monopolaren Fortsetzung des linearen Zeitkontinuums; es kann sich nur eine der .möglichen Welten' realisieren). 56 Ob mit temps Tempus, notioneller Bereich, oder Zeit im außersprachlichen Sinn gemeint ist, wird nicht immer deutlich. Je nach Favorisierung eines der beiden Modelle werden Futura als modal (im ersteren Fall) oder als temporal (im letzteren) betrachtet. Erfreulicherweise werden ab und an gute Argumente dafür genannt, daß es bezüglich des epistemischen Status von Aussagen in ihrem Bezug zur außersprachlichen Wirklichkeit eigentlich nur einen durchgängigen Parameter gibt, nämlich den der Perzeptibilität oder 55

56

NEF, 1984: 46ff., 111: Nous ne développerons pas [Γ] argument qui consiste à affirmer que, la différence passé/futur étant épistemique, il n'y a pas de différence ontologique entre individus appartenant à l'une ou l'autre région temporelle. [...] L'identification du futur au possible n'est pas linguistiquement soutenable. Zur Diskussion des Für und Wider, vgl. MARTIN, 1981: 81-124. NEF (1984: VII) wendet sich gegen eine Gleichsetzung von „primitifs sémantiques" mit sog. „primitifs ontologiques"; der Linguistik gehe es nicht um eine „représentation [...] du temps physique, notamment relativiste", sondern um den Aufweis einer „affinité entre la représentation du temps grammatical via les modèles sémantiques et les logiques temporelles et la carte cognitive de la référence temporelle [...]".

67 Nicht-Perzeptibilität des Referenten. Allerdings scheint es auch in diesem Fall möglich, ohne erkennbaren Rechtfertigungsdruck wieder auf eine angeblich kognitive Differenz der Art [- perzeptibel/vorzeitig] vs. [- perzeptibel/nachzeitig] zu rekurrieren. Paradigmatisch liest sich hierzu D E T G E S (1997: 15), der sich zur Grammatikalisierung von Tempusmarkern wie folgt äußert: Neue Tempusmarker sind in aller Regel Produkte der konzeptionellen Mündlichkeit. [...] In mündlichen, direkten Kommunikationssituationen spielen zwei Sorten von Gegebenheiten eine Rolle: solche, die für Sprecher und Hörer sichtbar und hörbar sind, und auf die sie sich unmittelbar beziehen können, und solche, die vom Sprecher und Hörer nicht unmittelbar erfahren werden können. Zur zweiten Klasse von Gegebenheiten gehören Ereignisse, die sich in der Vergangenheit abgespielt haben (die zwar möglicherweise erfahren wurden, nun aber beendet sind) und - in noch stärkerem Maße [Hervorh. MS] - Ereignisse, die sich in der Zukunft abspielen werden, weil diese ja nur in der Vorstellung von Sprecher und Hörer existieren. Nicht-gegenwärtige Sachverhalte sind in hohem Maße beglaubigungsbedürftig.

Soweit zu erkennen ist, wird auch hier nicht der Versuch unternommen, ein genuin linguistisches Argument zu finden, warum für die Versprachlichung zukünftiger Ereignisse besondere Grundgegebenheiten anzunehmen sind. Denn für versprachlichte zukünftige und vergangene Ereignisse gilt doch eigentlich gleichermaßen, daß sie „nur in der Vorstellung von Sprecher und Hörer existieren". Und auch als gegenwärtig ablaufend' kommunizierte Ereignisse können durchaus nicht perzeptibel sein, werden also ebenfalls nur imaginär im Diskurs heraufbeschworen. Zu allem Überfluß besteht noch die Möglichkeit, Ereignisse als gegenwärtig, vergangen oder zukünftig zu versprachlichen, die außersprachlich nicht erfahren wurden, erfahrbar sind oder sein werden. Sie werden also versprachlicht, obwohl (vielleicht sogar weil) sie gar nicht erfahren werden können bzw. konnten. Man müßte für diese Ereignisse bzw. deren Versprachlichung dann eigentlich ebenfalls eine vergleichbare epistemische Grundierung annehmen, wie man sie als zukünftig versprachlichten Ereignissen so gerne ohne Beweisnot als inhärent unterstellt. Unwidersprochen soll vorerst die Auffassung bleiben, daß nicht der direkten Wahrnehmung zugängliche Referenten u.U. eines höheren ,Bebilderungsaufwands' im Sinne möglichen sprachlichen Aufwands bedürfen als perzeptible. Postulierte Unterschiede zwischen den Zeitstufen des ,Nicht-mehr' und des ,Noch-nicht' sind auf dieser Ebene der Argumentation jedoch nicht zu rechtfertigen. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß es nicht statthaft ist, einen behaupteten besonderen Status von Wirklichkeit (losgelöst von der menschlichen Fassung derselben) auf sich eben dieser menschlichen Fassung verdankende Ereignisbilder zu applizieren. Ebensowenig zulässig ist es, diese Axiomatik auf die Sprachanalyse zu übertragen. Wenn man davon ausgeht, daß die Wirklichkeit sich über ihre Erfahrbarkeit durch Subjekte konstituiert und manifestiert, nimmt dies eben dieser Wirklichkeit nichts von ihrer Wirklichkeit, macht gleichwohl eine Trennung der Bereiche , sicher' und unsicher' in einen ontologischen und epistemischen überflüssig. Sich in Aussagen mittelbar zeigende Wirklichkeit kann schon gar nicht in dieser Weise klassifiziert werden. Abschließend sei H I N T I K K A (1979: 149ff.) zitiert, dessen Auffassung (zumindest in diesem Fall) zugestimmt werden soll: What I take to be the distinctive feature of all propositional attitudes is the fact that in using them we are considering more than one possibility concerning the world. [...] It would be more natural to speak of different possibilities concerning our .actual' world than to speak of several possible worlds.

68 з.3.4.2. Futurische Temporalität Im Bereich des Futurischen gelten, bevor sich ein Unterschied erkennen läßt, die gleichen Voraussetzungen wie im Bereich der temporalen Deixis im allgemeinen. Einerseits ist mit implizit oder explizit perfektiven Zeichen zu rechnen, die implizit futurisch fungieren. Explizit temporal-futurisch fungierende Zeichen müssen andererseits die Kriterien für explizite Temporalität erfüllen, d.h. einen Betrachtpunkt r etablieren, von dem aus E gegenüber S in einem abgegrenzten, notionellen Bereich des ,Dann', erscheinen kann. Ein Futur liegt vor, wenn hinter der Aussage Es wird X geben steht Ich assertiere, es wird Xgeben.5,1 Dies ist vergleichbar mit der Identität von X ist und Ich assertiere, daß X ist. Mit dem Zusatz, daß sich in diesem Punkt die futurische von nicht-futurischer Temporaldeixis nicht unterscheidet, gilt die Definition für futurische Temporalität aus BYBEE И.A. (1994:244): We regard the focal use of future as equivalent to a prediction on the part of the speaker that the situation in the proposition, which refers to an event taking place after the moment of speech, will hold [...].

3.3.5. {Categoriale Vernetzung im temporalen Bereich a.) Implizite Imperfektivität

/ (1)

E EX ^ (bzw. [DÜW. *Γ (R=)s

(1)

,Dauer in der Zeit' b.) Implizite Perfektivität => Implizite Temporalität Nachzeitigkeit:

S (=R)

|

E (A oder O)

(A = 0) ,Dauer in der Zeit'

Vorzeitigkeit:

E | (A oder O) (A = 0 )

S (=R)

, Dauer in der Zeit'

57

Vgl. hierzu NEF, 1984: 115.

^

69 c.) Explizite perfektive Temporalität: Nachzeitigkeit: (S)

|

r

E (A oder O) ( A -» / — O) .Dauer in der Zeit'

Vorzeitigkeit:

r ] (S)

Τ

E (A oder O) (A / — O) ,Dauer in der Zeit'

d.) Explizite imperfektive Temporalität Nachzeitigkeit: (S)

| (r) E (bzw.

IE)

/ \ (I) r· (I) .Dauer in der Zeit'

Vorzeitigkeit:

(r) | (S) E (bzw. I E ) / \ (I) r' (I) ,Dauer in der Zeit'

>

3.4. Modalität 3.4.1. Aussage und Referenz Über den mittelbaren Zusammenhang zwischen Aussage und Ausgesagtem ist in den vorausgehenden Kapiteln schon einiges gesagt worden. So auch, daß das wissenschaftliche Konstrukt einer illokutionslosen Satzaussage kaum brauchbar ist, und jedem X im sprachlichen Gewände nicht nur ein X ist, sondern auch ein ich sage aus, daß X ist entspricht. Dieses ich sage, daß... hat u.a. zur Folge, daß bei Wahl bestimmter sprachlicher Mittel Konno-

70 tate auftauchen, die in linguistischer Literatur oft als modal bezeichnet werden, es im Sinne einer sprachlichen Markierung jedoch nicht sind. 58 Bei Definition des Begriffes der Temporalität wurde gezeigt, daß sich das Zuschreiben von zeitlicher Dauer an versprachlichte Situationen nicht immer der sprachlichen Bedeutung von Aussagen verdankt, sondern mit dieser nur interferiert (allerdings so, daß es in die Beschreibung sprachlicher Phänomene systematisch einfließen muß). Ganz ähnlich verhält es sich mit vielen als modal kategorisierten Phänomenen. Sprachliche Zeichen kennzeichnet, daß sie in eben dem Maß ,Welt' heraufbeschwören, wie Sprecher mit deren Hilfe auf eine solche zu verweisen versuchen. Eine paramodalisierende Konstante ist etwa, daß man einem Sprecher, der einen Satz in der 1. Person Singular äußert, in einer anderen Haltung gegenübersteht, als einem, der in der 2. Person Singular spricht: Es ist nicht dasselbe, ob jemand sagt Ich habe gestern meinen Hund verprügelt, Du hast gestern deinen Hund verprügelt oder Heinz-Rüdiger hat gestern seinen Hund verprügelt. Satz 1 kann der Zuhörer glauben oder nicht, Satz 2 kann er als faktisch außersprachlich richtig oder falsch betrachten, Satz 3 wiederum kann er entweder glauben oder nicht. Für den Sprecher ist Satz 1 am ehesten noch mit ,faktisch richtig' oder ,faktisch falsch' konnotiert, 59 die anderen beiden mit ,glaube ich' (bzw. ,habe ich gesehen/erfahren'). Jede Äußerung hat unterschiedliche außersprachliche Synapsen dieser Art, auch wenn sie keine gültigkeitseinschränkenden sprachlichen Elemente enthält. Niemand würde z.B. behaupten, die Sätze seien modal grundiert oder das hier temporal fungierende Perfekt eigentlich ein Modus, weil Du hast gestern Deinen Hund verprügelt eine ontologisch nicht mehr überprüfbare Unterstellung mit beleidigendem Unterton darstelle. Bei primär futurisch fungierenden Zeichen, die axiomatisch im Ruch des Modalen stehen, ist man geneigter, die illokutionäre Kraft der 1. oder 2. Person Singular als modalen Wert der Futurform zuzuschreiben. Man vergleiche Sätze wie Ich werde morgen eine Bank überfallen, Du wirst morgen eine Bank überfallen und Heinz-Rüdiger wird morgen eine Bank überfallen. Satz 1 gilt als volitionell modal, Satz 2 als deontisch, Imperativisch etc., während Satz 3 wohl noch am ehesten als temporal (faktisch prädizierend) durchgehen würde. Diese Werte stellen jedoch kein Inhaltskorrelat der futurischen Form dar, sondern gehen auf den jeweiligen Grad von Zugänglichkeit zurück, den wir außersprachlich mit den grammatischen Personen 60 verbinden.

58

59

60

Hierzu auch NEF (1984: 128): [que] l'on réserve à la modalité un sens assez strict [...]. Il ne nous semble pas judicieux de faire rentrer l'illocutionnaire dans la modalité. Was nicht heißt, daß es außersprachlich faktisch richtig oder falsch isf. Für den Sprecher kann meinen Hund verprügeln für etwas stehen, das ein anderer Betrachter (oder der Sprecher selbst in einem anderen Kontext) als dem Hund einen Klaps geben kategorisieren würde. KLEIN (1969: 87) liefert ein Beispiel auf der Zeitstufe der Vergangenheit: Prädikate mit sog. telischen Verben (R-Progressiva) zeigen sich im französischen imparfait als aspektuell zweideutig. Ein Subjektpronomen in der 1. Ps. Sg. nun wirke desambiguierend: Je me noyais dans le Tamise un jour sei eindeutig, denn wer noch sprechen kann, muß in der Regel als unertrunken gelten (außer in einem Kontext, in dem mit dem Auftauchen ertrunkener Untoter zu rechnen ist). Die Zweideutigkeit von R-Progressiva im imparfait deutet darauf hin, daß das Tempus seine imperfektive Markiertheit verliert, denn ein imperfektives Tempus würde das sog. Telos (die Rechtsgrenze von E) explizit ausblenden. Für einen Markiertheitsabbau beim imparfait spricht auch, daß es seit dem 19. Jahrhundert in literarischen Texten als .Vordergrundtempus' genutzt werden kann (sog. imparfait de rupture). Hier scheint also Sprachwandel im merklichen Gange.

71

Nebeneffekte des Illokutionären als modal zu klassifizieren fuhrt in letzter Konsequenz dazu, daß man Modalität als Grundkonstante allen Sprechens anerkennen muß und kategorial-funktional nicht mehr definieren kann. So schreibt etwa T E S N I È R E 1 9 6 6 (zit. nach L U D W I G , 1 9 8 8 : 3 1 FN 1 6 ) : [...] la modalité revêt des formes protétiques et disparates: expression distincte du dictum, incorporation dans le dictum, mode du verbe dictai, intonation. Mais la modalité n'est jamais absente de la phrase, elle en est l'âme.

Modalität, modale Inhalte in ihren unterschiedlichen Ausprägungen haben meist keine klare formale Entsprechung. Aus Teilfunktionen der ausdruckseitigen Kategorie Modus (Verbalkategorie mit formalem Ausdruck oder als Aussagemodus) ist sie beispielsweise nur bruchstückhaft ableitbar. Auch in diesem Bereich kommt es infolgedessen in der Sprachwissenschaft zu einer Verwischung inhalt- und ausdruckseitiger Bereiche, die besonders schwer wiegt, wie der wissenschaftstheoretische Exkurs in L U D W I G , 1 9 8 8 : 2 1 - 3 1 deutlich werden läßt. Sehr beliebt ist in jüngster Zeit auch eine Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Modalität, beide werden allerdings sehr unterschiedlich definiert und gehandhabt. 61 Auch dabei wird letztendlich wieder jeder Aussage Modalität zugeschrieben, insoweit man die bloße Assertion als objektive Modalität kategorisiert. 62 Im folgenden sei Modalität als ein noch zu definierender kategorialer Inhalt verstanden, der Konstituenten des Sprechens in Beziehung setzt bzw. als in bestimmten Beziehungen stehend vorführt. Nuancierung, die sich aus der Charakteristik des Sprechens an sich ableiten läßt, aus dessen immer gegebenem nur mittelbaren Bezug zur Objektwelt also, soll als Nebeneffekt der Illokution im weiteren nicht als Modalität bezeichnet, gleichwohl jedoch berücksichtigt werden. Aus den bereits verschiedentlich angeführten Gründen, die eine Etikettierung mit den Begriffen ,objektiv' und ,subjektiv' fragwürdig machen, erscheint es auch wenig sinnvoll, modale Funktionen mit diesen Begriffen zu belegen.

3.4.2.

Modale Kernsemantik

3.4.2.1.

Die Doppelung der Perspektive

In den voraufgehenden Abschnitten wurde dargestellt, daß eine Perspektive im Verhältnis Sprecher-versprachlichter Gegenstand/Sachverhalt entweder implizit gegeben oder explizit 61

62

LUDWIG (1988: 33, FN 19): Die terminologische Unterscheidung von subjektiver und objektiver Modalität ist verbreitet, womit allerdings beileibe nicht immer dasselbe gemeint ist. Für Busch ist die subjektive Modalität epistemischer, die objektive Modalität hingegen deontischer Natur (1984:212 f..). Für Lyons (1977: 797 ff., s.u., 3., (1)) und - im Anschluß an Lyons - für Watts 1984 sind subjektive und objektive Modalität Spielarten der epistemischen Modalität. KLARE (1980, zit. nach: LUDWIG, 1988: 33), der in der genannten Weise vorgeht, erkennt die damit verbundene Problematik vergleichsweise deutlich, wenn er schreibt: [...] le rapport entre le contenu de l'énoncé et la réalité objective se reflète, médiatisé, et indirectement il est vrai [Hervorh. MS], dans la modalité objective. C'est-à-dire que le sujet parlant peut indiquer, par l'organisation de son énoncé, si ce qu'il dit correspondra à la réalité objective ou non. Cette constatation est complétée par la modalité subjective qui permettra au locuteur d'exprimer son attitude mentale, personelle, vis-à-vis des faits réelles, vis-à-vis de l'action et du procès mis en cause.

72 sprachlich vermittelt sein kann. Die jeweilige Art, wie Inhalte in Beziehung gesetzt werden oder erscheinen, konstituiert jeweils kategorial-fiinktionale Kernbereiche. Eine Relationierung der Größen, die mit S, R (r) und E symbolisiert wurden, sei nun auch als Kernfunktion von Modalität angenommen. Der assertive Grundcharakter bildet als unmarkierter Inhalt des ,Sprechens-über' die Basis, auf der Modalität aufbaut. Es wird zu klären sein, worauf Modalität im Gegensatz zu den vorher analysierten kategorialen Inhalten abzielt (worin deren kommunikativer Mehrwert besteht), welches Bedeutungselement, welche zusätzliche Perspektivierungsmöglichkeit also eingeführt wird, und welche sprachlichen Zeichen für diese Funktion ausdruckseitig herangezogen werden können. Anzunehmen ist, daß Zeichen mit bestimmten aspektuellen und temporalen Funktionen auch den Aufbau modaler Werte ökonomisch mittragen, wie dies in den hierarchisch vorgeordneten Bereichen Aktionalität, Aspektualität und Temporalität bereits erkennbar wurde. Die Mittelbarkeit des Aussagens ist in der sprachlichen Kommunikation als nicht explizit formal vermitteltes sine qua non zu betrachten. Sie schwingt bei En- und Dekodierung mit, mit ihr ist immer zu rechnen. In modalisierten Propositionen nun liegt der besondere, d.h. markierte Fall vor, daß der Sprecher explizit zu erkennen gibt, daß und in welcher Form er mit der Mittelbarkeit des ,Aussagens-über' ringt. Das sprechende Subjekt kann in diesem Fall signalisieren, daß es sich des fragilen Verhältnisses zwischen Aussage und Ausgesagtem bewußt ist. Wenn also bei Sätzen wie X ist immer ein aussagendes Subjekt und damit ein implizites Ich sage, daß X ist vorauszusetzen ist, so darf gerade deshalb das ausdruckseitige Erscheinen eines Ich sage, daß... als Indiz genommen werden, daß eine zusätzliche Größe in der Kommunikation auftaucht: eine weitere Perspektive und die Möglichkeit Nicht-E erscheinen im semantischen Skopus. Wo eine Selbstverständlichkeit explizit gemacht ist, wird die Möglichkeit ausgeblendet, sie werde von einem anderen Standpunkt aus als nicht selbstverständlich betrachtet. Man vergleiche hierzu: mit

(42) (43)

Ich sage, er hat eine Bank überfallen. Er hat eine Bank überfallen.

mit

(44) (45)

Ich sage, er bekommt zehn Jahre Knast Er bekommt zehn Jahre Knast dafür.

dafür.

Aus den mit Ich sage... eingeleiteten Sätzen geht hervor, daß es möglicherweise auch andere Auffassungen bezüglich des versprachlichten Sachverhalts gibt. Die eigene wird gegen diese betonend hervorgehoben. In den unmarkierten Sätzen hingegen wird nicht vermittelt, daß andere Auffassungen im Raum stehen, gegen die Stellung bezogen wird. Auch im Bereich des Modalen spielt es eine Rolle, daß Ausdruck und Inhalt einerseits und außersprachliche Gegebenheiten und sprachlich induzierte Bedeutungskomponenten andererseits unterschieden werden: der assertive Grundcharakter durchzieht als protosemantischer Untergrund auch Aussagen über Ereignisse und Sachverhalte. Dieser Behauptungscharakter, der jedem versprachlichten Ereignis mehr oder weniger innewohnt, ermöglicht, daß das Gegenteil im Sinne von Nicht-E ebenso angenommen werden kann. LUDWIG (1988: 34ff.) benutzt bei seiner funktionalen Analyse französischer Modalausdrücke den von HEGER und RAIBLE eingeführten Begriff einer kommunikativen Regreßpflicht für das Ausgesagte, der sich Sprecher per modaler Markierung entziehen können. Der Terminus leitet sich aus zwei von SEARLE und GRICE formulierten Kommunikationsmaximen ab, nämlich 1.): Sag nichts, von dem Du annimmst, es sei falsch, und 2.): Sag

73 nichts, was Dir nicht in adäquater Weise evident ist.63 Immer wenn es einem Sprecher an diesen Voraussetzungen fehle, sei er genötigt, seine Aussage als nicht assertierbar zu markieren. Innerhalb der hier vertretenen Auffassung liegt der Fall anders: Sprecher vermitteln (und zwar häufig) sprachlich auch solche Ereignisse, die ihnen keineswegs evident sind, als unmarkiert assertiert. Umgekehrt können sie für Ereignisse, die sie für außersprachlich gegeben halten, die ihnen evident sind, die kommunikative Regreßpflicht immer einmal wieder nicht übernehmen wollen - und dies dann per Sprache signalisieren. Der Regelfall der Kommunikation ist der Austausch unterschiedlicher Perspektiven auf Gegenstände und Sachverhalte, und dies steht bei Situationsentbindung besonders im Vordergrund. Es steht zu befürchten, daß Sprecher keineswegs immer unbedingt,richtige' Aussagen machen wollen oder nur das kundzutun wünschen, was ihnen evident ist. Nimmt man einen unmarkierten assertiven Grundcharakter von Aussagen in ihrem Verhältnis zu E an, kann Modalität als kategorialer Inhalt verstanden werden, der dieses Verhältnis explizit hervorhebt und näher kennzeichnet. Das in diesen Fällen betonte Erscheinen der Option Nicht-E im Bedeutungsskopus, auf dem der Unterschied zu anderen kategorialen Inhalten beruht, kann dann in unterschiedlicher Weise genutzt werden: a.) Zur Relativierung der Assertion (Verweis darauf, daß Nicht-E ebenfalls gegeben sein kann). b.) Zur Betonung des assertiven Charakters einer Aussage (betontes Hervorheben von E gegenüber der Option Nicht-E). SCHROTT (1997: 230) ist also zuzustimmen, wenn sie schreibt, daß sprachliche Elemente immer dann Träger modaler Bedeutung seien, wenn sie „die Präsenz des Sprechers in der Sprache signalisieren [Hervorh. MS]." 64 Gemeinhin werden zwei Arten einer derartigen Präsenzsignalisierung unterschieden: Zum einen nimmt man eine Modalität an, bei der sich der Sprecher in einer bestimmten Haltung gegenüber dem außersprachlichen Sachverhalt zeigt (deontische) und zum anderen eine, in der er eine Haltung gegenüber der Aussage bzw. dem Aussagecharakter vermittelt (epistemische). Nimmt man nun an, Modalität verweise vor allem auf mögliche andere Standpunkte im Sinne einer expliziten Differenzierung von E und Nicht-E im kommunikativen Prozeß, erübrigt sich eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen deontischen oder epistemischen Funktionen: Eine Aussage hat immer einen Inhalt, der kommuniziert wird; und ein Inhalt wird immer nur im Rahmen einer Aussage vermittelt, so daß E immer für den Inhalt und die Aussage steht. Der Unterschied deontisch vs. epistemisch beruht nicht auf einer je unterschiedlichen Grundfunktion modalisierender Zeichen, sondern darauf, daß sie über aktional, aspektuell und eventuell temporal bereits markierte Prädikate gelegt werden. Deren nicht-modale Werte verursachen dann divergente Lesarten des modalisierten Ausdrucks. Dies sei exemplarisch am deutschen Modalverb sollen vorgeführt, dem deontische und epistemische Funktionen zugeschrieben werden: (46) Heinz-Rüdiger (47) Heinz-Rüdiger (48) Heinz-Rüdiger

soll vorausgehen. soll ein Idiot sein. soll vorausgegangen

63

V g l . LUDWIG, 1 9 8 8 : 4 3 f .

64

Vgl. hierzu auch BYBEEU.A., 1994: 179.

sein,

(deontisch) (epistemisch) (epistemisch)

74 Das Verb sollen vermittelt in allen drei Fällen eine Komponente, die ich vorerst als virtuellen Betrachter bezeichnen möchte. Im semantischen Skopus erscheint ein möglicher Standpunkt, der nicht in jedem Fall mit dem von S gleichzusetzen ist, und von dem aus Nicht-E als mögliche Option ins Blickfeld gerät. Gegen diese im Raum stehende Version wird dann E als die zu kommunizierende Option abgegrenzt und hervorgehoben. Sprachlich bleibt dabei offen, auf welchen konkreten Referenten der fiktive Standpunkt und seine Perspektive zu projizieren wäre. Und so kann er unterschiedlich sprechertaktisch genutzt werden, so etwa für eine Positionsdoppelung im Bewußtseins des Sprechers oder zum Verweis auf eine nicht genannte und/oder bekannte andere Instanz. In (46) ist der Referent von Heinz-Rüdiger im Verdacht, Nicht-E (,Nicht-Vorausgehen') zu favorisieren, und bietet damit eine Projektionsfläche fur den virtuellen Betrachterstandpunkt. Es wird nun seitens des Sprechers die Position betont, daß von anderswo her betrachtet dieses sein versprachlichtes Vorausgehen (E) dringend erwünscht wenn nicht gefordert ist. In (47) sind ebenfalls zwei konkurrierende Perspektiven zu verzeichnen, und zwar wiederum diejenige, von der aus betrachtet Heinz-Rüdiger kein Idiot ist (Nicht-E), und die, von der aus betrachtet er als ein solcher gilt (E). Beide Optionen räumt der Sprecher ein, kommuniziert aber Option E, was als kommunikativen Wert vermutlich E ergibt. In (48) werden ebenfalls zwei Perspektiven kontrastiert (Nicht-E, E). Wiederum wird dann E im Sinne von vermutlich E kommuniziert. In der hier vorgeschlagenen Analyse verfügt also das Verb sollen nur über eine modale Grundfunktion. Es vermittelt eine nicht referentiell festgelegte Instanz, die für die Möglichkeit Nicht-E steht, wogegen die Option E betonend hervorgehoben wird. Daß sollen in (46) anders wirkt als in (47) und (48) liegt am unterschiedlichen aktionalen, aspektuellen und temporalen Status der Prädikate, über die es in Form einer Markierung gelegt wird (Progressiv im Infinitiv, Stativ im Infinitiv, resultativ markiertes Progressiv im Infinitiv). In dem Bereich der Grammatikalisierungsforschung, in dem die Reanalyse lexikalischer Modalverben zu Tempusmorphemen einerseits und die ehemaliger Tempus- zu Modusmarkern andererseits untersucht wird, bedient man sich feinmaschigerer terminologischer Netze. BYBEE U.A. (1994: 176ff.) subsumieren unter Modalität eine Vielzahl von Bedeutungsvarianten. Sie unterscheiden zwischen agensorientierter, sprecherorientierter und aussageorientierter (entspricht: epistemischer) Modalität, eine vierte Möglichkeit bezeichnen sie als subordinierend. Diese Variante wird als Restsemantik ehemals in anderen modalen Bereichen fungierender Formen verstanden, es handelt sich demnach um eine Art Altersruhesitz ehemals anderweitig aktiven Ausdrucksinventars. Auch die von BYBEE U.A. eingeführten Varianten sind unter der weiter oben formulierten Funktion sammelbar. Diachron ist zu beobachten, daß unterschiedliche Kontexte erst im Laufe des Verlusts bestimmter lexikalischer Merkmale Zugang zu einem zunehmend grammatisch modal fungierenden finiten Verb erhalten. Interessanterweise sind es nun gerade immer bestimmte Kontexte, die systematisch mit differierenden kommunikativen Werten einhergehen. Dies sei anhand eines englischen Beispiels aus BYBEE U.A. (1994: 1 7 7 f f ) verdeutlicht. Das englische Modalverb must findet sich in den Abschnitten zu folgenden Modalitätsvarianten: 1.) Agensorientiert: „Obligation [...] Necessitiy [...] Abilitiy [...] Desire" (1994:177) (49) All students must obtain the consent of the Dean of the faculty concerned before entering for examination.

75 2.) Sprecherorientiert: „Directives [...] as well as utterances in which the speaker grants the addressee permission [...]" (1994: 181) (50)

You must call your

mother.

3.) Aussageorientiert (epistemisch): „Possibility [...]. Probability [...] inferred certainty [...] counter-factual" (1994: 179f.) (51)

There must be some way to get from New York to San Francisco for less than $ 600.

Für 1.) wird behauptet, es existierten externe, möglicherweise soziale Bedingungen, die den Subjektreferenten nötigten, die im Prädikat versprachlichte Handlung auszuführen, während in Verwendung 2.) der Sprecher selbst derartige Bedingungen gegenüber dem Adressaten der Äußerung stelle. Auch hier wird nicht erkannt, daß diese Variation nicht auf zwei Inhalten des Modalverbs beruht, sondern (wie so oft) auf der differenten grammatischen Person. Die Grundinformation von must besteht sowohl in (49) als auch in (50) in der Hervorhebung eines zugrundeliegenden E gegenüber der Option Nicht-E, die möglicherweise von einem anderen Standpunkt aus präferiert werden könnte. Daß dies in einem Fall eine Instanz, im anderen Fall der Sprecher selbst ist, ist eine Leistung des infiniten Prädikats und der Personaldeixis, nicht des finiten Verbs. Die spezifisch obligationelle Lesart geht darauf zurück, daß es sich in (49) und in (50) um grenzbezogene, dynamische Prädikate handelt, die ohne die Markierung mit must implizit perfektiv lesbar wären (All students obtain X, You call X). Nur derart perfektive Prädikate können in Verbindung mit must als gefordertes, da noch ausstehendes Ereignis vermittelt erscheinen und auf dieser Basis eine obligationelle Lesart erhalten. In (51) hingegen liegt ein Stativ-Prädikat zugrunde, das im unmarkierten Fall implizit imperfektiv, d.h. auch nicht implizit temporal verschoben lesbar wäre (There is a way to get from X to Y for less than $ Ζ). Die Leistung des Modalverbs, E gegen Nicht-E abgrenzend hervorzuheben, ist deshalb nicht sequentiell-temporal, nicht futurisch und damit nicht obligationell auffaßbar. Das nicht temporal reanalysierbare Basisprädikat korreliert immer mit einer epistemischen Funktion des finiten Verbs, da Obligationalität an eine grundierende Futurität gekoppelt ist. Der Grundwert von must bleibt unverändert: Der Sprecher läßt die Möglichkeit Nicht-E erkennen und kommuniziert, wie in (49) und (50), E als die favorisierte Option. Beispiel (51) zeigt, daß der implizite, vom konkreten Sprecher verschiedene Standpunkt keiner konkreten Projektionsfläche, keines außersprachlichen Referenten bedarf. Signalisiert wird: ,Es gibt möglicherweise einen/mehrere Betrachter, die Nicht-E favorisieren'. So fühlt etwa ein Sprecher, der sich selbst sagt Martha muß mich mögen, zwei in seiner Brust streitende Seelen, von denen eine von Nicht-E ausgeht, die andere ihm jedoch die verheißungsvollere Option E suggeriert.

3.4.2.2. Das deiktische Funktionsspektrum modaler Relatoren Insoweit Modalität auch als eine Verlagerung des kommunikativen Schwerpunkts auf der Skala zwischen Nicht-E und E verstanden werden kann (s.o.), können eine im Bereich Aspektualität und Temporalität relevante Begrenzungssemantik sowie von S abstrahierte Betrachterstandpunkte ökonomisch genutzt werden. Betrachterstandpunkte stehen in Beziehung zu Intervallstrukturen bzw. Ereignisräumen, die sich im Fall begrenzender Semantik

76 auch als referentialisierbare Räume Nicht-E und E betrachten lassen. Sprachliche Zeichen können, wie zu zeigen war, S/R und E als verbunden oder unverbunden vermitteln. Begrenzungssemantik eröffnet präsuppositionelle und implikative Intervalle, als perfektiv lesbare Ereignisstrukturen sind u.a. auf das außersprachliche Phänomen des Verlaufs in der Zeit projizierbar und damit sekundär als temporal reinterpretierbar. Diese sequentielle ist jedoch nur eine von zwei Möglichkeiten, wie man eine perfektive Differenzierung von Ereignis und natürlichem Betrachterstandpunkt dekodieren kann, handelt es sich doch, vor allem im expliziten, grammatikalisierten Fall, um eine indifferente Lösung von Betrachterstandpunkt und Ereignis. Es ist nicht festgelegt, wie diese einander zuzuordnen sind. Im Fall impliziter Temporalität einer perfektiven Äußerung war bereits zu sehen, daß grundsätzlich einer Reanalyse in beide temporale Richtungen nichts im Wege steht (das Ereignis E kann sowohl als abgeschlossen als auch als zukünftig beginnend gelesen werden). Es besteht nun noch eine weitere Möglichkeit, ein begrenztes Ereignisintervall von S aus zu verorten. Ein als abgeschlossen gekennzeichneter Ereignisraum kann bei Wegfall einer temporal-sequentiellen Reanalyse als ,irgendwo' jenseits von S kommuniziert erscheinen. Diese Interpretationsoption ist favorisiert, wenn der versprachlichte Sachverhalt nicht grenzbezogen ist und kein dynamisches Element enthält, denn sowohl Nichtbegrenztheit als auch Stativität verhindert eine Projizierbarkeit auf das Phänomen ,Dauer in der Zeit' und damit eine implizit temporale Reinterpretation. 65 Explizite perfektive Aspektualität auf der Basis stativer Aktionalität liefert auf dieser Basis die Wertigkeit eines nicht temporal interpretierbaren Abstandes vom Gegenstand der Aussage. Von S aus wird auf den Bereich verwiesen, für den E gilt, der Bereich Nicht-E (der bei temporal-sequentieller Interpretation als Noch-nicht E oder Nicht-mehr E aufgefaßt würde) bleibt dem virtuellen Betrachterstandpunkt als Betrachtfeld. Bei einer Koppelung aktionaler Stativität und perfektiver, nicht temporaler Aspektualität durch explizite Markierung entsteht also zur syntagmatisch-horizontalen Achse der Temporalität, auf der Intervalle sequentiell geordnet sind, eine vertikale Achse, auf der die Ereignisräume Nicht-E und E angeordnet und betrachtbar erscheinen. Entlang dieser vertikalen Achse kann man sich nun, wie auf der horizontalen, ebenfalls verschobene fiktive Betrachterstandpunkte vorstellen, die für den Stellenwert eines Gegenstandes oder Sachverhaltes auf der Skala zwischen Nicht-E und E stehen. Über diese vertikale Achse können explizit modale Werte sprachlicher Zeichen beschrieben werden, sie fuhrt den genuinen Funktionsbereich des Modalen vor Augen. BROSCHART (1993: 27ff.) beschreibt die grundsätzliche Verwobenheit von aspektueller, temporaler und modaler Semantik in ganz ähnlicher Weise. Als gemeinsamen funktionalen Nenner für die drei Bereiche betrachtet er die Relationierung zweier oder mehrerer Referenzbereiche. Im Falle von Aspektualität handle es sich um die Vorstellung eines „perspektivischen Hintereinander" (Figur-Grund-Konstellation) zweier Bereiche, im Falle temporaler Lesart werde von der rein räumlichen Dimension (der perspektivischen Tiefe) abstrahiert und das Verhältnis der Ereignisräume zweidimensional als ein „sequentielles Nebeneinander" aufgefaßt. Bei modaler Interpretation nun liege eine Art Drehung der Perspektive zugrunde, was zur Vorstellung eines „hierarchischen Untereinander" führe. Die von ihm verwendeten Bilder seien hier, leicht modifiziert, übernommen: 65

Zum direkten Zusammenhang der Konzepte von Dynamik, im Sinne räumlicher Bewegung, und Zeitlichkeit, vgl. 3.1.2.

77 Aspektualität:

Temporalität:

Modalität:

Im Ursprung räumlich relationierende sprachliche Einheiten können diachron später auch dafür herangezogen werden, eine Differenz von E gegenüber S zu vermitteln, und im weiteren temporal-sequentiell fungieren (wie die russischen Verbalpräfixe, die aus räumlichen Präpositionen grammatikalisiert wurden). Räumlich-begrenzende Semantik kann sprachliche Zeichen nun auch für eine grammatische Funktion auf der modalen Achse prädestinieren. Die Quelle einer relativ jungen Abtönungspartikel des Deutschen (irgendwo) stellt beispielsweise ein synchron parallel noch existentes Raumadverbial dar, das für unbestimmte örtliche Begrenzung steht. Dieser Grundwert führt nun in Verbindung mit stativer Aktionalität zu einer Interpretation als Modalpartikel, nur in dieser Konstellation wird das ursprünglich räumliche Referenzareal als Gültigkeitsbereich reanalysiert, so etwa in: (52)

Heinz-Rüdiger Stativ

ist irgendwo ganz schön - » modal

bescheuert.

Die Tatsache, daß X = ganz schön bescheuert (E) als begrenzt versprachlicht wird, schwächt die Kraft der Prädikation ab. Es eröffnet sich ein Raum, für den Nicht-E gelten kann (X = nicht ganz schön bescheuert). Da es sich um eine Prädikation über das Subjekt, kann dieses Verhältnis weder räumlich-konkret aufgefaßt noch auf die temporal-sequentielle Ebene projiziert werden. S wird nun in anderer Weise dem Bereich Nicht-E zugeordnet, E als eingegrenzt und vertikal verschoben kommuniziert. Mit Progressiva ist irgendwo ebenfalls modal lesbar, bei Anwesenheit des aktionalen Merkmals [+ begrenzt] wird hingegen immer räumlich-lexikalisch interpretiert. Man vergleiche: (53) (54) (55)

Heinz-Rüdiger Progressiv Heinz-Rüdiger Intergressiv Heinz-Rüdiger R-Progressiv

macht irgendwo ganz schön viel Streß. —> modal (?) erledigt irgendwo seine Hausaufgaben. —» räumlich stirbt irgendwo. —> räumlich

Modal ist irgendwo also nur mit Prädikatklassen, bei denen es selbst eine Kontur vermittelt, die den Gültigkeitsbereich von E gegenüber Nicht-E differenziert erscheinen läßt. Vergleichbar mit der modalisierenden Wirkung einer derartigen Hervorhebung von E ist der kommunikative Effekt bestimmter Diskursstrategien. Wenn ein Sprecher auf dem Wirklichkeitscharakter dessen, worüber er spricht, zu sehr insistiert, taucht automatisch das Gespenst Nicht-E im Schlepptau der Aussage auf. Es entsteht der (meistens berechtigte) Eindruck, es werde gegen Nicht-E angekämpft. Einen guten Lügner hingegen kennzeichnet, daß er seine vermeintlichen Wahrheiten beiläufig vermittelt - ihm wird dann geglaubt.

78 3.4.3. Definition der Kategorie Modale Elemente machen bereits differenzierte Referenzräume Nicht-E und E in der Weise nutzbar, daß ein verschiebbarer, virtueller Betrachterstandpunkt gegenüber der Perspektive des Sprechers kontrastierend eingesetzt werden kann. Modalität als deiktische Kategorie steht in enger Beziehung zu vorgeordneten kategorialen Inhalten. Diese reduzierte Auffassung zu modaler Funktion bietet zwei Vorteile. Zum einen ist sie trennscharf Werte, die lediglich auf der Mittelbarkeit des ,Aussagens-über' beruhen, können nicht darunter subsumiert werden. Zum anderen können sehr unterschiedliche Arten von Modalität als einem funktionalen Bereich zugehörig betrachtet und als Manifestationen nur einer Relationierungsleistung beschrieben werden. Modalität sei definiert als die semantische Eigenschaft von Verbprojektionen bzw. Sätzen, Nicht-E in die semantische Struktur einer Aussage einzuführen und zu signalisieren, welcher Stellenwert auf der Skala zwischen Nicht-E und E einem Element oder der versprachlichten Situation insgesamt zukommt. Implizit oder explizit kann hierbei ein von S bereits als differenziert vermittelter Ereignisraum und Betrachterstandpunkt eine Rolle spielen. Deiktische Grundkomponenten, die die Kategorien Aktionalität, Aspektualität und Temporalität tragen, interferieren also.

3.4.4. Ausschluß paramodaler Werte von Futura Folgende oft als modal kategorisierte Verwendungen des französischen f s sind (vgl. 3.4.1.) nicht als genuin modal zu betrachten und werden als futurisch temporal klassifiziert: a.) Sog. imperatives/volitives Futur (Typ: Vous éteindrez en sortant. Vous renverrez le récipissé. )66

b.) Sog. prophetisches/promissives Futur: (Typ: Le temps viendra où... Je

reviendrai!)

Kontext und Tonfall haben hier einen paramodalen Effekt. Will man die genannten Werte auf der Basis einer modalen Grundierung der futurischen Form zuschreiben, muß man eigentlich als logische Konsequenz auch einen Satz wie Je n'ai pas tué ton frère! als modal (z.B. promissiv) kategorisieren, und die Parallelität so weit treiben, daß man das passé composé fur diese Lesart verantwortlich macht, was sicher niemandem einfiele. 67 Nur die folgenden Verwendungen futurischer Ausdrucksmittel sollen als möglicherweise modal 66

67

Hier ist NEF (1984: 127f.) zuzustimmen, der IMBS' und MARTINS Klassifizierung eines Satzes wie Vous quitterez cette femme als volitif ablehnt: La phrase [...] est susceptible de recevoir plusieurs interprétations. Imbs pense certainement à son interprétation impérative, mais on peut facilement l'annuler: (40) Saturne dans la maison IV: vous quitterez votre femme. L'interprétation impérative n'est donc pas indépendante du contexte. Nous ferons l'hypothèse qu'il s'agit d'une valeur illocutionnaire dérivée [...]. Vgl. hierzu ebenfalls NEF (1984: 130): Pour ce qui est du promissif, nous ne pouvons que répéter ce que nous avons dit à propos du volitif. IL s'agit, ici aussi, d'un emploi du futur comme marqueur de dérivation illocutionnaire. [...] Si on admet le futur prophétique, pourquoi refuser le futur électoral [...].

79 analytisch Berücksichtigung finden, wobei auf mögliche entscheidende Unterschiede noch einzugehen sein wird: a.) Die diachron frühe obligationelle Bedeutung des fs ist im Rahmen der Analyse der bedeutungstragenden Elemente zu berücksichtigen. b.) Die Verwendungen des fs, in denen es das Merkmal [+ temporaldeiktisch] nicht aufweist, und bei denen Nicht-E im semantischen Skopus einer Aussage erscheint, sind zu untersuchen. Es wird auch zu klären sein, ob mit dem f p ähnliche Werte erzielbar sind. c.)Die intentionale und die sog. allure extraordinaire-Lesart des f p werden berücksichtigt. Es handelt sich (vgl. SCHROTT, 1997: 233ff.) zwar um ein funktionales Profil, das an Vorstufen der temporal-futurischen Funktion gebunden ist, gleichwohl jedoch wichtige Hinweise auf eine entstehende temporale Grundfunktion und deren aktional-aspektuelle Unterfütterung liefern kann.

4. Zur Datenerhebung und -auswertung

4.1. Zu den Teilkorpora Die Erhebung für das literarisch-narrative Register speist sich aus zwei Romanen (QUEFÉLEC, Yann; Les noces barbares, und SIMENON, Georges; L'affaire Saint-Fiacre). Für diesen Bereich liegen bereits einige Untersuchungen des fs und des f p vor. In SUNDELL (1991) wurden 50 nach 1968 erschienene Romane auch statistisch ausgewertet, die Studie enthält (1991: 16-232) u.a. eine kontextuelle Präsentation von Daten mit analytischen Einschüben. Dabei fällt auf, daß nahezu das gesamte Material aus Passagen mit direkter oder erlebter Rede stammt. SCHROTT, die ebenfalls das literarische als das unmarkierte Register des Neufranzösischen wählt, führt Belegpassagen im Zuge ihrer Analysen an - auch dabei fällt auf, daß nahezu alle aus direkter Rede stammen. Daß weder SCHROTT noch SUNDELL darauf hinweisen, überrascht. 1 Ein entsprechender Hinweis fehlt auch in der Untersuchung von S. LORENZ (1989). Diese Beobachtung bot Anlaß, die o.g. Romane unterschiedlichen Stils auch deshalb zu wählen, weil sie ausreichend dialogische Passagen enthalten. Romane, die gesprochene Sprache vorgeblich imitieren (etwa QUENEAUs Zazie dans le Métro), wurden nicht herangezogen, weil u.a. ein authentisches sprechsprachliches Korpus auszuwerten war: Fiktive Mündlichkeit in literarischen Texten ist für den statistischen Beleg einer Norm der tatsächlich im Alltag gesprochenen Sprache wenig bzw. nicht geeignet. 2 Yann QUEFFÉLECs Les noces barbares zeigt die Besonderheit, daß die Protagonisten des Romans literarische Figuren sind, deren Äußerungen man den niedrig markierten 3 Registerebenen des gesprochenen Französisch zuordnen würde. Die Hauptfigur ist z.B. ein Kind, noch dazu eines, dessen Erziehung auf ausgesprochen barbarische Art vernachlässigt wurde, also der Prototyp eines illettré. Dem steht der Anspruch des Autors gegenüber, sprachlich anspruchsvolle, auf hoher stilistischer Ebene anzusiedelnde Literatur zu produzieren. So entsteht eine spannungsreiche Stil- und Registermischung, die einen reichen Fundus sprachlicher Variation bereitstellt. Der Autor versucht, Eigenheiten der gesprochenen Sprache graphisch zu berücksichtigen, so etwa phonetisch nicht realisierte Vokale: (56)

[...] et si t'es bien sage, j'tepaierai

un

esquimau.

In direkter Rede oder innerem Monolog fehlt das ne der Verneinung häufig. Das Pronomen in indirekter Objektfunktion (lui) wird graphisch als y realisiert, was ebenfalls dem gesprochenen Register nachempfunden und dort diastratisch oder diatopisch markiert ist:

Bei diachronen Untersuchungen wird, bezüglich des Grammatikalisiertheitsgrades von futurischen Formen, angeführt, man müsse sie in der j e w e i l s untersuchten Epoche als typisch sprechsprachliches, expressives und damit schwach grammatikalisiertes Phänomen betrachten, da sie in literarischen Korpora (incl. Theaterstücken) nur in direkter Rede zu finden seien. Wenn nun aber futurische Formen in narrativen Kontexten nahezu ausschließlich in direkter bzw. temporal nicht angepaßter erlebter Rede vorkommen, ist eine solche Schlußfolgerung unzulässig. 2

V g l . h i e r z u KOCH/ OESTERREICHER, 1 9 9 0 : 2 6 .

3

Zur Klassifikation dessen, was als diaphasisch und diastratisch niedrig markiert aufzufassen ist, v g l . KOCH/ÖSTERREICHER, 1 9 9 0 : 1 5 .

82 (57)

Et toi aussi, t'avais dit j'y dirai au revoir au prochain coup, j'avais entendu à la porte.

Georges SlMENONs L'affaire Saint-Fiacre gehorcht anderen Gesetzen. Trotz eines hohen Prozentsatzes an direkter Rede untersteht diese den Normen und Regeln der Schriftsprache (so fehlt etwa das ne der Verneinung nie). Die sprachlich-grammatische Struktur der direkten Rede wird von Figur zu Figur wenig bis gar nicht variiert. Nur zwei nicht als Sympathieträger angelegte Figuren befleißigen sich eines unangenehm unterwürfigen Stils. In diesen Kontexten kommt es zu einer erhöhten Okkurrenz von Redeverben mit ^ - M a r k i e r u n g in modaler Funktion (Typ: je vous prierai de X). Das sprechsprachliche Korpus wurde aus zwei Veröffentlichungen zur gesprochenen Sprache entnommen (LUDWIG, Ralph; Korpus: Texte des gesprochenen Französisch. Materialien I. Tübingen, 1988, und ESCHMANN, Jürgen ; Texte aus dem „français parlé". Tübingen, 1984), d.h. nicht selbst erhoben. Ausgewählte Passagen wurden innerhalb einer eigenen Systematik geordnet. Folgende Kriterien lagen der Auswahl zugrunde: Es sollte sich möglichst nicht um provozierte Daten handeln, d.h. nicht um Antworten auf gezielt gestellte Fragen. Für eine Erhebung, die auch auf die Verteilung auf grammatische Person, belebte bzw. unbelebte Subjektreferenten und aktionale Klassen abhebt, sind solche Daten nicht nutzbar. Dies zeigt sich deutlich am Korpus von B. LORENZ (1989: Anhang Iff.), die auf ausgearbeitete Fragen nach den Vorhaben der nächsten Zeit von ihren Informanten zwar vergleichsweise dichte futurische Daten erhielt, allerdings keine repräsentative Verteilung, was die grammatische Person betrifft, denn die Antworten erfolgten natürlich meist in der 1. grammatischen Person. Die Fragen gaben zudem die Wahl des Prädikats in der Antwort zu stark vor. Korpora, die zu stark dialektal bzw. regional gefärbte Passagen enthielten, wurden ebenfalls nicht berücksichtigt. Für alle statistisch berücksichtigten Teilkorpora gilt, daß sie auf Aufnahmen zurückgehen, die bei Gesprächen nebenbei getätigt wurden, wobei die Informanten dies entweder nicht wußten oder, was die Daten bisweilen erkennen lassen, vergaßen. Ausgeschlossen wurden weiterhin monologische Erzählungen mit Referenz auf Vergangenes, da in diesen Kontexten kaum futurische Ausdrücke vorkamen. Im gesprochenen Register des Französischen sind, jenseits des diatopischen Bereichs, unterschiedliche Ebenen zu unterscheiden. Die selegierten Teilkorpora sind folgenden Ebenen zuzuordnen. Eines umfaßt beiläufige, familiäre Unterhaltungen (informelle Gespräche), ein zweites (weniger umfangreiches) aufgezeichnete Funkkontakte zwischen Busfahrern (Busfahrer-Funkkontakte), ein drittes steht für die Schnittstelle zur Schriftsprachlichkeit und enthält politische Diskussionen/Interviews (Mediendiskurse): a.) Informelle Gespräche Ort: Großraum Paris Kaffeeklatsch-Situation; Kommentar zu Urlaubsfotos. (ESCHMANN T e x t 2: 2 3 - 3 3 )

Ort: Großraum Paris Familiäres Gespräch. (ESCHMANN Text 3: 35-41) Ort: Großraum Paris Schülerunterhaltung + provozierte Spielsituation. (ESCHMANN Text 4: 43-57)

83 Ort: Großraum Lyon Unterhaltung zwischen zwei befreundeten Lehrerinnen beim Abendessen. (ESCHMANN Text 6: 73-79) Ort: Großraum Grenoble Familiäres Abendessen; eine Reise steht bevor. (LUDWIG: 13-42) Ort: Großraum Grenoble Familiäres Gespräch. (LUDWIG: 4 4 - 5 3 )

b.) Busfahrer-Funkkontakte Ort: Paris (ESCHMANN Text 5: 59-71) c.) Mediendiskurse Diskussion zur Stellung der Frau in der Landwirtschaft. (LUDWIG: 5 6 - 8 9 )

Interview mit Georges (LUDWIG:

MARCHAIS

im Anschluß an die Nachrichten.

90-102)

Diskussion über wirtschaftliche, landwirtschaftliche und gewerkschaftliche Belange. (LUDWIG:

104-121)

Diskussion über die wirtschaftliche Lage. (LUDWIG:

122-129)

Die Daten des pressesprachlichen Teilkorpus stammen aus der Tagespresse (Le Monde, 1 4 . / 1 5 . Juli 1 9 9 6 , internationaler Teil: S. 1 - 4 , und Les Echos. Le Quotidien de l'Economie, 1 2 . / 1 3 . Juli 1 9 9 6 , französischer/internationaler Teil: S. 1 - 5 ) . Textsortenspezifisch ist die hohe Belegdichte an /s-Formen, 4 die fast durchgängig in der 3. Person Singular oder Plural erscheinen. 5 Das Korpus wurde deshalb bewußt klein gehalten, um die registerübergreifende Statistik nicht zu stark zu beeinflussen oder gar zu verfälschen.

4.2. E r h e b u n g , P r ä s e n t a t i o n und P r o b l e m e der Datenklas.sifikation

Bei der Einordnung der Daten unterstützten mich Sibyl WRIGHT, Virginie CAVANNA, Séverine DURAND und Frédérique BONNE. Eine der Personen war linguistisch vorbelastet und wußte, wonach gesucht wurde. Zwei weitere verfügten über sprachwissenschaftliche 4

5

Hier ist SCHROTT (1997) zu widersprechen, die ihr Korpus im Register der (konzeptionellen) Schriftlichkeit wählte, weil dieses im modernen Französisch die unmarkierte Varietät darstelle. Für die Futura mag dies fur literarische Texte zutreffen, fur die Pressesprache, die sie als gleichwertig heranzieht, kann man aber nicht von Unmarkiertheit ausgehen. Zur Affinität des fs zur 3. Person insgesamt, vgl. 6.2.

84 Grundkenntnisse, waren aber nicht informiert, worum es jeweils ging. Eine vierte verfugte weder über linguistische Vorbildung, noch wußte sie, wozu sie befragt wurde. Den Datenpräsentationen nach aktionalen Klassen ist ein parametrischer Rahmen beigefügt, der zu erkennen gibt, ob eine Aussage durch adverbiale Bestimmungen, einen prädeterminierend futurischen Kontext, unmittelbar vorausgehende Konditionalsätze oder solche, die eine semantische Reihung zur Folge haben, geprägt ist. So bleibt nachvollziehbar, inwieweit eine Äußerung ohne zusätzlich stützenden Kontext E als temporal verschoben vermitteln kann, also selbst temporal fungiert. Bestimmte ergänzende Adverbien sind zudem j a auch aspektuell modifizierend. Ohne determinierenden Kontext bedeutet, daß die aspektuelle, temporale oder modale Leistung von der entsprechenden Form selbständig erbracht, d.h. nicht vom außer- und innersprachlichen Kontext induziert wird. Futurisch prädeterminiert bedeutet, daß entweder unmittelbar vor dem zur Debatte stehenden Prädikat eine futuri sehe Form mit reihender Semantik zu finden ist, oder eine adverbiale Angabe die temporale Verschiebung leistet. Der Begriff inzisiv verweist auf die Anwesenheit sog. Punktadverbialien, die nicht auf futurische Referenz festgelegt sind, wie etwa tout d'un coup. Als intervallisierend gelten Adverbialien wie pendant cinq jours usw., für die ebenfalls gilt, daß sie nicht automatisch auf eine bestimmte Zeitstufe referieren. Unter indeterminiert sind diejenigen Adverbialien kategorisiert, die weder temporal noch aktional-aspektuell festlegend sind. In der Regel handelt es sich um quand, un jour (in interrogativen und nicht-interrogativen Kontexten). Als gereiht/konditional bedingt sind die Daten ausgewiesen, denen ein reihender S/-Satz vorausgeht, bzw. ein Prädikat, das eine semantische Reihung des Folgeprädikats auslöst. Die Feststellung der Grundaktionalität eines Datums erfolgte danach, welchen aktionalen Charakter die Äußerung mit Präsensmarkierung hat bzw. (fs- und ^»-markierte Daten) haben würde. Dabei war festzustellen, ob die Tempusmarkierung auch eine aktional-aspektuelle oder modale Umdeutung auslöst. Eine , Vorliebe' bestimmter aktionaler Klassen für die eine oder andere Form in futurischer Funktion kann ebenfalls bestimmt werden. Die Zahl der aktional relevanten Elemente in Sätzen mußte für eine angemessene statistische Erfassung erweitert werden. Grundsätzlich ist Negation ein sprachliches Ausdrucksmittel, das den aktionalen Charakter einer Aussage verändert - und damit eigentlich nicht der Basisaktionalität zuzurechnen. Im Bereich bestimmter Wertigkeiten der Futura, vor allem des fp, spielt Negation jedoch eine Rolle und mußte deshalb auch statistisch Berücksichtigung finden. Zudem wäre die Statistik bei Ausschluß der Negation noch in einem anderen Bereich ungerechtfertigt verzerrt: Sie kommt im fs signifikant häufiger vor als im fp6 und pf, die Prozentsätze der Gesamtstatistik wären also bei Ausschluß nicht mehr repräsentativ. Die Hereinnahme erfordert keine Erweiterung des aktionalen Klassifikationsschemas: So verschiebt etwa die Negationspartikel ne...plus z.B. bestimmte dynamische Prädikate zum L-Stativ (vgl. Jean marche mit Jean ne marche plus), konstituiert jedoch keine neue Klasse. Die Verneinungspartikel ne...que wird nicht unter die (funktional) negierenden Formen gerechnet, da sie E unnegiert setzt. Die unter 1.4. ausgeschlossenen modalperiphrastischen Fügungen sind in die absolute, der Einzeluntersuchung vorausgehende prozentuale Gesamtverteilung der drei Tempusformen eingerechnet, bei der weitergehenden Prädikatenkategorisierung wird der Prozentsatz der nicht berücksichtigten Daten jeweils angegeben. Die Prozentangaben scheinen darauf 6

Vgl. SUNDELL, 1992: 19.

85 hinzudeuten, daß Modalperiphrasen im fs erheblich häufiger auftreten als etwa im Präsens. Dieser Eindruck ist jedoch falsch, da ja nur die Präsensformen mit futurischem Referenzbezug statistisch erfaßt wurden. Modalperiphrasen mit präsentischem Bezug des finiten Prädikats im Präsens fallen somit heraus. Prädikate in Si'-Sätzen mußten ausschlossen bleiben, da in diesem Kontext das f s restringiert ist und somit keine statistische Vergleichbarkeit mehr gegeben wäre. Si in der Bedeutung ob, für das das Ausschlußkriterium nicht gilt, ist berücksichtigt. Periphrastische Konstruktionen mit ,aller + Infinitiv', die eindeutig lexikalisch verwendet sind, wurden nicht als f p erfaßt, sondern als diskontinuierlich realisierte, futurische Präsensformen, wenn sie E (in diesem Fall das konkrete Gehen) als erst nach dem Äußerungszeitpunkt beginnend vermitteln. Nicht immer eindeutig war allerdings zu entscheiden, ob die Periphrase semigrammatisch oder grammatisch (vgl. 7.3.) verwendet war, da sie mit bestimmten grammatischen Personen z.B. immer intentional gefärbt erscheint. Semigrammatische Verwendung wurde deshalb als f p erhoben und der Prozentsatz jeweils angegeben. Jede Teildarstellung enthält eine Prozentverteilung auf die grammatischen Personen. On für nous ist der 1. Ps. PI. zugeschlagen, on in der Bedeutung ils der 3. Ps. Pl.. Es wird zudem angegeben, wieviele Daten negiert und interrogativ verwendet waren, und zu welchem Prozentsatz das entsprechende Tempus mit belebten oder unbelebten Subjektreferenten erscheint (Parameter: belebt/unbelebt). Bei den prozentual ebenfalls ausgewiesenen sog. diskontinuierlichen Prädikaten handelt es sich entweder um periphrastische, also über mehr als ein verbales Element realisierte, oder um hypotaktische Konstruktionen, in denen Nebensätze Gliedsatz- oder Satzgliedwert haben. Diese Prädikate sind aktional komplex und somit schwerer als andere kategorisierbar. Die geringen Prozentsätze bürgen dafür, daß dies die Zahlenverhältnisse insgesamt kaum beeinflußt. Um eine bessere Vorstellung davon zu geben, was sich hinter den präsentierten Tabellen verbirgt, soll der Klassifikationsmechanismus an einzelnen, in den Korpora vorkommenden Daten exemplarisch vorgeführt werden. Die Grundlage für die Kategorisierung ist, wie gesagt, der entsprechende Satz im Präsens. (58)

J'aurai un métier moi aussi.

—» S t a t i v

(59) (60)

Il ne restera rien de mon Je garde l'argent volé.

—> L - S t a t i v

patrimoine.

Daten wurden z.B. auch dann als [+ begrenzt] kategorisiert, wenn sie sich per Pronomen anaphorisch oder kataphorisch auf vorausgehende oder folgende Aussagen bezogen, die ein [+ begrenztes] Prädikat enthielten. Unmittelbar vor dem folgenden Beispielsatz wurde z.B. diskutiert, zu welcher Tatwaffe ein Mörder am ehesten greifen würde. Somit denotiert die Äußerung das zeitlich begrenzte Vorhandensein einer Waffe zu einem bestimmten Zweck. (61)

Ce sera la bombe ou le revolver.

—» I n t e r s t a t i v

Ebenfalls als interstativ wurden die Daten klassifiziert, bei denen das prädikative Element eine bekanntermaßen das Subjekt nicht charakterisierende, vorübergehende Eigenschaft versprachlicht; im folgenden Fall z.B. verweist ce auf ein Ladengeschäft, das bekanntermaßen dadurch gekennzeichnet ist, daß man dort etwas kaufen kann, d.h. durch Öffnung für Kundenverkehr: (62)

C'est

fermé.

—> Interstativ

86 (63) L 'assasin va manger du poulet comme les autres. (64) On en parlera. -> Progressiv Ph-Progressiva, d.h. lexikalische Iterativa, fanden sich in den Korpora selten. Wo sie vorkamen, handelte es sich um Sätze mit Pluralsubjekten und/oder um Prädikate, die sich wiederholende Tätigkeiten mit topikalisierten logischen Objekten vor Augen führten, meist also solche im sog. Vorgangspassiv: (65) Différents accords seront signés.

—> Ph-Progressiv

Zu einer Verschiebung in Richtung Ph-Progressiv kann es z.B. bei Intergressiva durch Pluralobjekte kommen: (66)

1. Il pose une devinette. 2. Il pose des devinettes

- » Intergressiv - > Ph-Progressiv

Die Schwierigkeiten bzw. auch die Möglichkeiten, Transitionen von R-Progressiva (Phase und Transition) abzugrenzen, wurden bereits m 3.1.5.2.3. angesprochen: (67) Je lui mettrai mon poing dans la figure. (68) Vous le trouverez dans la bibliothèque. (69) La loi entrera en vigeur (le 31 décembre).

—> Transition

(70) Les choses s'estomperont. (71 ) Je l'emporte à New York.

—» R-Progressiv

Formal diskontinuierliche Prädikate sind häufig r-progressiv (zum Zusammenhang zwischen periphrastischer Realisierung und Finalität, vgl. 6.1.1.2.). Äußerungen mit den Verben venir und arriver wurden den R-Progressiva zugeschlagen (vgl. hierzu 5.3.1.2.).: (72) (Iis) [...] se retrouveront à nos côtés pour imposer la vérité. - > R-Progressiv Intergressiva sind häufig durch Singularobjekte charakterisiert und in diese Klasse zählen zudem die frequenten Prädikate mit Redeverben {dire, avouer, remarquer etc.), da diese auf einen bestimmten, abgegrenzten Sprechakt oder Textausschnitt verweisen. So überrascht nicht, daß diese Klasse insgesamt die in allen Registern und allen Tempora häufigste ist: (73) (74) (75) (76) (77)

La reine [...] paiera le gros de la transaction financière. Vous fermerez la porte à clef. Je vais te poser une question. Je lui raconte tout. Et c'est lui qui dira quoi faire. -> Intergressiv

Eine aktionale Kategorisierung konkreter Daten trifft vor allem auf folgende Probleme. Es tauchen z.B. mit dem f s oder f p markierte, meist idiomatische Sätze und Wendungen auf, für die es kein Pendant im Präsens gibt (wie tu en verras d'autres, oder et va voir ce qui va ce passer). Aus der Gesamtbedeutung läßt sich allerdings konstruieren, welcher Klasse diese Äußerungen im Präsens am ehesten zuordenbar wären. Hierzu ein besonders komplexes Beispiel: (78) C'est pas dit qu 'elle passera l'hiver. dt. Es ist nicht gesagt, daß sie den Winter überlebt. Elle passe l'hiver gibt es im Präsens ohne Ortsangabe nicht. Mit Ortsangabe (z.B. als eile passe l'hiver à Paris) bedeutet es etwas völlig anderes als der markierte Satz - und wäre

87 dann aktional als Interstativ zu interpretieren. Der futurisch markierte Satz hingegen fokussiert einen Transitionspunkt am Ende des Winters, von dem an gilt, daß die Person weiterlebt (oder eben nicht). 7 Über eine derartige Rekonstruktion wurde deshalb ein R-Progressiv als Ausgangsstruktur präsupponiert. Äußerungen wie die folgende waren ausschließlich über das außersprachliche Bild zu kategorisieren, für das sie stehen, in diesem Fall der (habituell?) wiederkehrende Zeitpunkt des Beginns der Frühmesse. Damit handelt es sich aktional am ehesten um eine Transition mit Nachphasenimplikat. (79) La seconde messe est à sept heures.

Fälle wie dieser erwiesen sich allerdings als marginal, so daß sie die Statistik nicht maßgeblich beeinflussen. Von wirklicher statistischer Relevanz war hingegen ein Phänomen, das in einem Register (Pressesprache) relativ häufig zu finden ist: Im Französischen sind grenzbezogene Passivprädikate ohne explizite Agensangabe im Präsens aktional mehrdeutig. Sie bieten sich für zwei differierende Lesarten an, die in metonymischer Beziehung stehen. Der folgende Passivsatz etwa kann sowohl intergressiv als auch 1-stativ aufgefaßt werden, als Intergressiv kann er u.a. auch implizit futurisch gelesen werden: (80)

Une structure administrative

est installée.

Möglichkeit 1. dt. Eine Verwaltungsstruktur (sog. Vorgangspassiv)

wird

aufgebaut.

Aktionalität: Intergressiv Aspektualität: a.) implizit imperfektiv b.) implizit perfektiv S

A -» O [A) —> S —> [O] | A O

Möglichkeit 2. dt. Eine Verwaltungsstruktur (sog. Zustandspassiv)

ist aufgebaut.

Aktionalität: L-Stativ Aspektualität: implizit imperfektiv

[IE [I e

] — I1 — ? J — S — ?

Das f s nun desambiguiert diese aktional-aspektuell polyvalenten Prädikate regelhaft - ohne zusätzliche Markierung oder neutralisierenden Kontext ist Lesart 1. b.), d.h. die Intergressiv-Lesart unter perfektiver Außenperspektive obligatorisch: (81 )

Une structure administrative sera installée. S I E=A - > O I

Die Frage, auf welche Basisaktionalität man zurückführen soll, ist in diesem Fall tatsächlich nicht zu beantworten, man muß sich an die mit der Markierung vorgefundene Aktionalität halten. So ist der signifikant erhöhte Prozentsatz an Intergressiv-Daten mit ^-Markierung im pressesprachlichen Register zu erklären, denn Passivkonstruktionen ohne Agensangabe im f s sind in Zeitungstexten hochfrequent. 7

Das Verb passer zeigt eine hohe aktionale Varianz mit verschiedenen Ergänzungen im Präsens. Als Intergressiv kann es sowohl imperfektiv als auch perfektiv (transitionell) gelesen werden, wie in Elle passe son examen (Sie schreibt gerade ihre Prüfung/Sie besteht ihre Prüfung). Die Bedeutung bestehen hat das Verb, wenn O fokussiert ist. Eine regelhaft auftretende Fokussierung dieser Art in einem bestimmten Kontext führt diachron (auch übereinzelsprachlich) häufig zur Lexikalisierung einer solchen Variante (vgl. BYBEE, 1985: 88ff. zum Phänomen des lexical split).

88 4.3. Vergleichstabellen

Zum Vergleich mit anderen Erhebungen und den spezifischen Erhebungsergebnissen in den folgenden Kapiteln sei vorab eine Häufigkeitsverteilung der drei Tempora auf die einzelnen Register eingeschaltet. Sie soll vor unzulässigen Verallgemeinerungen schützen. Eine geringe Häufigkeit eines bestimmten Tempus in einem bestimmten Register etwa kann eine scheinbar hohe Frequenz einer aktionalen Klasse innerhalb dieses Tempus relativieren. Gesamtzahl Daten:

PF FS FP GESAMT

Literatur 21,73% 50,82 % 27,45 % 612/100%

1077/100%

Modalperiphrasen:

Gesprochen 41,59% 34,25 % 24,16% 327/100 %

Presse 6,52% 84,78 % 8,70 % 138/100%

Das Prozentverhältnis fs / f p entspricht in etwa dem, was bisherigen Untersuchungen referiert: SUNDELL:

ft

GESAMT 25,81 % 50,14 % 24,05 % 1077/100% SUNDELL

Modalpp. 12,95 % 21,30% 13,51 %

(1991: 14ff.) aus allen

MS:

fp

Pressesprache: 9 0 % 10% Literar. Prosa: 70 % 30 % Sprechsprache: 64 % 36 %

186/17,27%

ft

fp

90,70% 9,30% 64,93 % 35,07 % 58,64 % 41,36 %

Das pf erscheint im gesprochenen Register nahezu doppelt so häufig verwendet wie das üblicherweise gern als typisch sprechsprachlich qualifizierte f p . Der Prozentsatz liegt erheblich über dem in B. L O R E N Z (1989: 37f.) ausgewiesenen. Da dort nicht angegeben wird, nach welchen Kriterien die Erhebung eines präsentischen Datums als futurisch erfolgte, ist der Grund für diese Differenz nicht feststellbar (vgl. auch SCHROTT, 1997: 139). Die folgenden Tabellen zeigen die Verteilung der drei Tempora auf aktionale Klassen und Kontexte. Auch sie sollen als Vergleichsmaßstab für Abweichungen in einzelnen Tempora bzw. Registern dienen. ALLE TEMPORA

Ohne

Futurisch

Stativ

3,93 %

L-Stativ

2,36 %

2,92 %

Interstativ

0,67 %

0,34 %

Progressiv

1,91 %

2,13%

Ph-Progressiv

0,22 %

0,11 %

inzisivadv.

7,07 %

Transition

6,29 %

5,95 %

R-Progressiv

6,85 %

7,07 %

0,22 %

Intervalladv.

Indet. Adv.

1,23%

0,79 %

0,45 %

0,11 %

GESAMT:

15,60%

0,45 %

1,01 %

7,41 %

0,11 %

0,11 %

1,23 %

0,11 %

0,34 %

4,49 %

0,11 %

0,79 %

0,34 % 0,45 %

Konditional/ Konsekutiv/ Gereiht 2,58 %

0,90 %

1,80%

15,49%

1,57%

1,35%

16,84%

Intergressiv

17,62%

14,37 %

0,22 %

0,90 %

2,02 %

3,03 %

38,16%

GESAMT:

39,84 %

39,96 %

0,90 %

3,03 %

5,95 %

10,33%

100%

89 Gesamt IPS

24,24 %

2. PS

20,65 % 2. PP

3. PS

32,32 % 3. PP

Gesamt 77,22 %

1.PP

11,11 % 35,35 % 1,35%

22,00 %

Diskont./ Kontin.

10,55%

89,34 %

Negiert/ Affirmiert

8,64 %

91,25%

10,33 % 42,65 %

Interrog./ Nicht interrog.

8,98 %

90,91 %

22,78 %

Unbel.SR/Bei.SR

16,72 %

83,16 %

100%

5. Das présent futur al

5.1. Aktueller Forschungsstand (aspektuelle Markiertheit, Grammatikalisierung) Bevor geklärt werden kann, wie sich die futurische Funktion des französischen Präsens im Detail gestaltet, ist zu klären, welche funktionalen Bereiche eine temporal unmarkierte Verbalform (z.B. ein Präsens) übereinzelsprachlich abdecken, und unter welchen, vor allem einzelsprachlichen Bedingungen sie auch Träger einer futurischen Funktion sein kann. Übereinzelsprachlich ist zwischen aspektuell unmarkierten und aspektuell markierten Präsensformen (bzw. Null-Tempora) zu unterscheiden. In Abschnitt 3.1.3.2. wurden Argumente dafür genannt, daß das französische und das deutsche Präsens als aspektuell unmarkiert gelten müssen. Im futurischen Funktionsbereich unterscheidet sich das französische Präsens bekanntermaßen signifikant vom deutschen, und so muß erklärt werden, worauf dieser Unterschied beruht. SCHROTTS Hypothese von einer imperfektiven Markiertheit des französischen Präsens in all seinen Funktionen kann den unterschiedlichen Funktionsradius z.B. nicht erklären. Denn wenn, wie sie annimmt, ein explizit imperfektiver Wert im Französischen eine Restriktion (1997: 168ff.) auslöst, dann müßte das deutsche Präsens, für das eine vergleichbare Markiertheit zumindest nicht bestritten wurde, ebenso restringiert sein. Für SCHROTT stellt sich das kategoriale System des Französischen so dar, daß die Kategorie Aspekt durchgängig den Situationstyp (die aktionale Markierung des Prädikats) dominiert. Dies manifestiere sich u.a. in den durchgängig imperfektiv basierten Werten des Präsens. Den pragmatischen Nutzen dieser Markiertheit faßt sie so, daß die Sprecher eine Gültigkeit bzw. ein Verankertsein des versprachlichten Sachverhalts in der Sprechsituation vermitteln können. Dieser Bedingung der Verankerung im Gültigkeitsareal Sprechsituation müsse ein Präsens nun auch in temporal futurischer Funktion genügen, d.h. das Ereignis bzw. der Sachverhalt müsse zum Zeitpunkt der Äußerung bereits geplant oder prädeterminiert vorstellbar sein. 1 Das futurisch verlagerte Ereignis sei dann aspektuell neutral lesbar, weil der imperfektive Aspekt an die präsentische Plan-Komponente abgegeben werde. Automatisch futurische Deutungen eines Präsens aufgrund der aktionalen Klasse des Prädikats (implizite perfektive Aspektualität und implizite Temporalität also) sei auszuschließen. Was den Grundcharakter und den pragmatischen Wert der beobachteten Restriktion betrifft, ist SCHROTT durchaus zuzustimmen. Warum das französische Präsens weder insgesamt, noch in futurischer Funktion imperfektiv markiert sein kann, ist allerdings auch auf übereinzelsprachlicher Basis (vgl. 5.2.) zu erläutern. Und vor einem übereinzelsprachlichen Hintergrund kann sicher auch besser geklärt werden, ob und wie weit das französische Präsens in futurischer Funktion fortschreitend grammatikalisiert wird. SCHROTT, die von

1

SCHROTT (1997: 145): Es sei „der Basiswert der Gültigkeit in der Sprechsituation „auch beim praesens pro futuro gegeben", dies führe zur pragmatischen Note „daß eine futurische Handlung in der Gegenwart schon als Plan gegeben ist". Hierzu SCHROTT (1997: 168) weiter: Das imperfektive présent gibt in der Funktion présent futural seine aspektuelle Markierung an die Komponente des Plans ab, so daß die Komponente der Realisierung durch keinen grammatischen Aspekt mehr markiert ist. Durch diese Unmarkiertheit ist die Realisierung des Sachverhalts im présent futural transparent für den Situationstyp [...].

92 einer weitgehenden Grammatikalisierung ausgeht, definiert weder, was sie unter Grammatikalisierung versteht, noch nennt sie Indizien fur eine zunehmend futurische Funktion des Präsens. Es bleibt also zu klären, wie es überhaupt zu einer Funktionalisierung einer unmarkierten Form im futurischen Bereich kommen kann, damit die Verhältnisse im Französischen vor dem gezeichneten Hintergrund bewertet werden können. Es wird zu zeigen sein, daß sich das französische Präsens in futurischer Funktion diachron nicht etwa ausdehnt, sondern vielmehr fortschreitend restringiert wird. Eine Manifestation dieses funktionalen Rückzugs ist die fälschlich einer imperfektiven Markiertheit zugeschriebene Einschränkung im futurischen Subfunktionsbereich, denn nur dort ist das Präsens an eine kound kontextuelle Verankerung in der Sprechsituation (eine scheinbare Prädeterminiertheit bzw. Geplantheit des versprachlichten Ereignisses) gebunden und damit restringiert. Zwei Typen futurischer Verwendung des Präsens sind zu unterscheiden, damit Werte, die auf den aktionalen Typ zurückgehen, und solche, die sich einer Zusatzmarkierung oder dem Kontext verdanken, unterscheidbar sind. Es gilt einerseits festzustellen, inwieweit eine präsensmarkierte Äußerung selbständig futurisch fungieren kann, und andererseits, ob und wie sie sich in Äußerungen einfugt, die bereits mittels anderer Zeichen oder durch den Kontext temporal-futurisch verschoben sind. Übereinzelsprachlich lassen sich vier Typen futurischer Verwendungen von aspektuell neutralen, präsentischen Formen unterscheiden: a.) Die automatisierte futurisch-temporale Deutung einer präsentischen Form (implizite Temporalität) ohne futurisierenden Kontext. b.) Die Deutung eines aktional mehrdeutigen und damit implizit aspektuell nicht festgelegten Prädikats als futurisch (Monosemierung aktional-aspektuell polyvalenter Prädikate). c.) Verwendung eines Präsens als futurisch in einem bereits temporal futurisch verschobenen Ko- und Kontext. d.) Erzielung eines stilistischen Effekts durch eine temporal nicht markierte Form. 2

5.2. Präsens und Futurität - übereinzelsprachlich 5.2.1. Das Funktionsspektrum aspektuell unmarkierter Präsensformen Die Verwendung einer morphologischen Präsensform zum Ausdruck von Zeitstufenbezügen ist übereinzelsprachlich häufig. Bezogen auf das deiktische Zentrum kann sie ftir vorzeitig und nachzeitig zu vermittelnde Ereignisse und Sachverhalte herangezogen werden. 3 Temporal unmarkierte Verbalformen fungieren am häufigsten in folgenden Bereichen: 4 a.) Kennzeichnende, generelle Aussagen (sog. A-Temporalität, eher: nicht auf das Phänomen der zeitlichen Dauer projizierbar) (82)

Beispiel: Der Affe ist ein

Säugetier.

2

Verwendung d.) werte ich, in Übereinstimmung mit SCHROTT, nicht als futurisches Präsens.

3

V g l . ULTAN, 1 9 7 8 .

4

V g l . B Y B E E U.A.,

1994:

SCHROTT, 1 9 9 7 : 1 6 2 f .

125ff.;

HASPELMATH,

1997:

16f.;

ZELLER,

1994:

49

(nach

LYONS);

93 b.) Erzielung gnomischer Werte (sog. Omnitemporalität: Jedes Mal wenn..., dann...') (83) Beispiel: Der Klügere gibt nach. (Jedesmal, wenn jemand nachgeben muß, tut dies der Klügere.) c.) Habituelle Verwendung (84) Beispiel: Ilse raucht (gern). d.) Progressive Verwendung (85) Beispiel: Ilse raucht (gerade). e.) Futurische Verwendung (86) Beispiel: Ilse kommt gleich. In narrativen/fiktionalen Kontexten findet sich das Präsens als Stilmittel. Der Effekt basiert auf der Nutzung der ,reinen', unmarkierten Ereignisstruktur und ist mit den Funktionen a.) bis e.) nicht vergleichbar (vgl. 5.1., FN 2): (87) Kommt mein Vater rein, knallt mir eine und fragt mich, was ich hier zu suchen habe. (88) Die Explosion der Bombe im Jahr 1876/2076 schockiert die Bevölkerung: Niemand wagt sich auf die Straße, das öffentliche Leben steht still. Wie an den Beispielsätzen zu sehen ist, korrelieren die Funktionen a.) bis e.) in kontextlosen Beispielsätzen mit bestimmten aktionalen Merkmalstrukturen. Bei einer sog. Grammatikalisierung eines Präsens in einem bestimmten Funktionsbereich darf davon ausgegangen werden, daß sie bei einer für diese Funktion besonders geeigneten aktionalen Klasse einsetzt. Zur grammatischen Funktionalisierung bzw. Festschreibung einer formal unmarkierten Präsensform kommt es iibereinzelsprachlich am häufigsten in den Bereichen Futurität und Habitualität. Die Mechanismen und Bedingungen, die dabei innerhalb des sprachlichen Systems eine Rolle spielen, seien im folgenden Abschnitt dargestellt. Es wird dabei auch deutlich werden, inwieweit futurische und habituelle Funktion auf ein vergleichbares aspektuelles Muster zurückgehen.

5.2.2. Futurisches Präsens - Bedingungen der Grammatikalisierung Nach B Y B E E U.A. (1994: 125ff.; 275ff.) und HASPELMATH (1997) wird in den Sprachen der Welt ein Präsens immer dann zunehmend und dann auch ausschließlich futurisch verwendet, wenn eine neue, ausdruckseitig komplexere präsentische Form entsteht, die die diachron ältere, formal-inhaltlich unmarkierte in bestimmten Funktionsbereichen zu ersetzen beginnt. Als Beispiel sei hierfür die Entstehung des englischen present progressive (to be + Partizip Präsens) herangezogen: Es ersetzte das ältere simple present zuerst bei bestimmten aktionalen Klassen, breitete und breitet sich jedoch auf andere Prädikatklassen und weitere Funktionsbereiche aus. 5 Explizit progressiv fungierende Marker, wie das englische present

5

Die futurische Funktion eines Präsens hängt nach HASPELMATH nicht mit der Existenz oder Entstehung genuiner Futura zusammen: Futurisches Präsens und Futura existierten parallel, so daß es

94 progressive, signalisieren explizite Imperfektivität bezogen auf ein singulares Ereignis. Sie kommunizieren, daß S in dessen Ereignisintervall zu verorten ist, sind also diachron früh auf dynamisch-phasische Prädikate restringiert. Sie dehnen sich dann auch auf andere Klassen aus. Das alte, ausdruckseitig nicht markierte Präsens ist aspektuell nicht markiert und für aktionale Merkmale durchlässig. Es weist, wie alle unmarkierten Präsensformen aufgrund seiner Durchlässigkeit für aktionale Semantik, unabhängig davon, ob im System eine neue, markiert imperfektive Formen existiert oder nicht, Futurität und Habitualität als Subfunktionen mit bestimmten Klassen auf (vgl. 5.2.1.). Dies ist im Französischen und Deutschen z.B. der Fall. Entsteht nun, wie im Englischen, eine explizit imperfektive Form bei bestimmten Klassen, so wird das alte Präsens funktional zunehmend auf die perfektive Subfunktion bei eben diesen Klassen restringiert. Eigentlich kann man bei einer Begrenzung auf Rückzugsgebiete der Grammatik nicht von Grammatikalisierung sprechen, und deshalb bezeichnet HASPELMATH (1997) diese Entwicklung in der Überschrift seines Artikel als Funktionsverschiebung „without Grammaticalization". Die Durchlässigkeit einer alten Präsensform für aktionale Semantik ist also der Motor für das Entstehen zusätzlicher, desambiguierender Formen, als welche man die formal markierteren, imperfektivierenden Formen betrachten muß. Mit aspektuell implizit als imperfektiv festgelegten Klassen finden die neuen Formen folgerichtig zuerst gar keine Verwendung, ein explizit imperfektiver Aspekt ist bei diesen redundant, 6 die Sprecher brauchen quasi fur unbegrenzte Stativa keine neue, explizit imperfektive Form. Und tatsächlich bekommt diese Klasse übereinzelsprachlich spät oder nie Zugang zu diesen Markierungen. Transitionsprädikate (sog. punktuelle) bieten umgekehrt für einen imperfektiven Aspekt gar keine Angriffsfläche (vgl. HASPELMATH, 1997: 18) - sie sind einer impliziten Perfektivität ebenso stabil verhaftet wie die Stativa einer impliziten Imperfektivität. Deshalb hat auch diese Klasse spät oder nie Zugang zu explizit imperfektiven Präsensformen.

6

zu Layering im Bereich temporaler Futurität komme. Meine Untersuchung des Französischen zeigt, daß sich über die veränderte Funktionsverteilung das Spektrum des Präsens sehr wohl ändern kann, wenn ein genuines Futur grammatikalisiert wird. Wenn sich eine markiert imperfektive Form ausnahmsweise auch auf klassische sto/e-Prädikate (Stativa) ausdehnt, verlieren diese zum einen ihre prototypische sto/e-Semantik, zum anderen ergeben sich Zusatzwerte (modale etwa), da die Markierung redundant eine Imperfektivität signalisiert, die im Prädikat schon angelegt ist. Das englische present progressive ist mit staie-Prädikaten erst seit jüngster Zeit zu belegen und sehr selten (vgl. KÖNIG, 1995). Es ist restringiert auf agentive Subjekte, meist in der 3. Ps. Sg., se/n-Kopula und nominale Ergänzungen. Die doppelte Signalisierung von Imperfektivität, das Mehr an Information, führt zu einer Rekategorisierung (Reanalyse). Entweder kommt es zu einem Wert des Typs .Jemand tut/ist kurzzeitig etwas' oder zu einer Lesart des Typs .Jemand verhält sich so, als ob er etwas oder jemand sei'. Es wird also entweder das für Stativa typische Bild der Unbewegtheit in Richtung Tätigsein verschoben, oder eine im unmarkierten Fall dauerhaft (substantiell) dem Subjekt zugeschriebene Eigenschaft wird umgedeutet in eine vorübergehende (The children are being quiet., At Die Kinder verhalten sich ruhig.). Bei stark als kennzeichnend festgelegten Eigenschaften, wie etwa physische Attraktivität, wird die begrenzte Gültigkeit des Sachverhalts auf die vertikal-modale Achse projiziert. Er wird im Sinne eines pretend-reading reanalysiert. Auf der Bildfläche erscheint Nicht-E als Wertigkeit (KÖNIG, 1995: 157): S kommuniziert .Sachverhalt not true' (Nicht-E). Dem Subjekt von E hingegen wird unterstellt, fur E zu stehen (She is being pretty., dt. Sie macht auf hübsch.·, She is being liberal., dt. Sie gibt sich liberal.).

95 Eine Funktion der neuen, markiert imperfektiven Formen besteht also in einer Reduktion der Mehrdeutigkeit bei aktional stark markierten, polysemen Prädikaten des dynamischen Bereichs. Im aspektuell unmarkierten Präsens waren diese implizit sowohl imperfektiv als auch perfektiv lesbar. Die perfektive Interpretation führte auch auf der vorgeordneten Stufe bereits zu einer Reanalyse als temporal (futurisch): (89) Martha verschwindet. R-Progressiv ? -> O Lesarten: Martha ist dabei zu verschwinden, Martha ist gleich weg. (90)

(imperfektiv) (perfektiv => futurisch)

Sie schreibt sich deine Telefonnummer Intergressiv A -> O

auf?

Lesarten: Sie ist gerade dabei, deine Telefonnummer aufzuschreiben, Sie schreibt sich gleich deine Telefonnummer auf.

(imperfektiv) (perfektiv => futurisch)

Bei unbegrenzt-dynamischen Progressiva und Ph-Progressiva hingegen manifestiert sich eine perfektive Lesart in anderer Weise, sie werden nicht als futurisch, sondern habituell verstanden: (91 )

Meine Mutter Progressiv

raucht. ? —» ?

Lesarten: Meine Mutter raucht gerade Meine Mutter ist Raucherin.

eine Zigarette.

(imperfektiv=> singular) ( p e r f e k t i v e iterierend, habituell)

Habitualität stellt also die Lesart der perfektiven Variante bei nicht-begrenzt-dynamischen Prädikaten dar, Futurität deren Interpretation bei begrenzt-dynamischen. Perfektivität wird häufig mit Vereinzelung (Singularität) in Verbindung gebracht. Es gibt jedoch, wie der vorliegende Fall zeigt, auch singularisierende Imperfektivität oder iterierend-pluralische Perfektivität: mit aktionalen Progressiva führt die Signalisierung einer Innensicht automatisch zum Bild eines singulären Ereignisses, dessen Begrenzung jedoch ausgeblendet ist (mit My mother is working werden Beginn und Ende eines konkreten ,Arbeitens' nicht denotiert). Umgekehrt konturiert Perfektivität in erster Linie, singularisiert aber nicht notwendigerweise. Perfektive Perspektive über Progressiva erzeugt z.B. die Lesart einer Kette von abgegrenzten Teilereignissen. Auch im nominalen Bereich (vgl. KRIFKA, 1992) korrelieren Konturiertheit und Pluralisierbarkeit: Nur die lexikalisch konturierten count nouns können einen formalen Plural bilden. Im Fall von My mother works liegt also der Fall so, daß perfektive Aspektualität und aktionale Unbegrenztheit zusammenwirken. Perfektive Aspektualität über Progressiva entspricht in etwa einem Plural im Bereich der Ereignisbilder. 8 7

Zit. nach: HASPELMATH, 1 9 9 7 : 1 8 .

8

Imperfektive Vergangenheitstempora lösen umgekehrt ausschließlich bei grenzbezogenen Prädikaten habituelle Lesarten aus. Der Mechanismus erfolgt also in spiegelbildlicher Manier, wobei wiederum ein Signal für Begrenztheit und eines für Unbegrenztheit zusammen fungieren. Es wird ein aktional als konturiert festgelegtes Prädikat über eine sekundäre Imperfektivierung iteriert: Je tire au sort wird als Quand j'étais jeune, je tirais au sort habituell lesbar, weil es sich um ein grenzbezogenes Prädikat handelt. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an das Zitat aus ERHART

96 Entsteht nun in einem einzelsprachlichen System eine neue, markiert imperfektive Form (wie etwa das englische present progressive), so schließt diese die perfektive Lesart explizit aus. Im Fall der R-Progressiva und Intergressiva blendet sie damit die futurische, im Fall der Progressiva die habituelle Lesart aus. Die explizit imperfektive Formen vermittelt also einen explizit nicht-futurischen Wert bei begrenzt-dynamischen und einen nicht-habituellen Wert bei unbegrenzt-dynamischen Prädikaten. Das alte Präsens wird für imperfektive Funktionen entbehrlich und auf seinen perfektiven Verwendungsbereich reduziert. Die Kodierung eines Prädikats im alten Präsens wird infolgedessen zunehmend so verstanden, daß der Sprecher eine imperfektive Lesart explizit ausschließen möchte. Dies kann so weit gehen, daß der regelhaft inferierbare perfektive Gehalt als Markiertheit, als Inhalt der Form reanalysiert wird - ab dann wird das alte Präsens als perfektives Aspektsignal aufgefaßt (Konventionalisierung der Implikatur): Unbegrenzt-dynamische Prädikate werden im einfachen, alten Präsens nur noch perfektiv und damit habituell gelesen, begrenzt-dynamische ebenfalls nur noch perfektiv und damit temporal futurisch verschoben. Dann ist es, zumindest mit diesen Prädikaten, als Futur und Habitualis reanalysiert, ,grammatikalisiert'. Wenn man die Bindung der funktionalen Verschiebungen an bestimmte aktionale Gegebenheiten übersieht, erhält man ein vereinfacht schematisches Bild: Ein neues Präsens mit einem bestimmten funktionalen Profil (Imperfektivität) scheint ein älteres Präsens insgesamt in den Bereich der Restfunktionen Habitualität und Futurität zurückgedrängt zu haben (HASPELMATH, 1997: 16): When the progressive use disappears from the language as a result o f the rise of the new progressive construction, only the two peripheral uses habitual and future remain.

In den von HASPELMATH untersuchten Fällen der neu entstehenden Präsensformen kommt es diachron häufig zu einer Ausdehnung der neuen, imperfektiven Form auf weitere, manchmal auf alle Prädikattypen. In diesen Fällen ist dann dieses neue Präsens allerdings schon fast wieder ein altes: Die Ausdehnung läuft parallel mit dem Verlust der markiert imperfektiven Semantik. Das Merkmalprofil gleicht immer stärker dem des älteren Partners, den die Form als semantisch reichere einstmals funktional ergänzte. Abgesehen von den unbegrenzten Stativa ist das alte Präsens auf der Stufe, auf der das jüngere beginnt, seine imperfektive Markiertheit zu verlieren, für alle übrigen aktionalen Klassen zum Futur oder Habitualis geworden. Oft hat es noch die Zusatzfunktion eines Subordinationsmodus. Auf die funktionale Parallelität von Futurität und Subordination (in beiden Fällen geht es um einen bestimmten Fall von Nachordnung) weist HASPELMATH (1997: 24f.) hin. Die modale Note, die diesen Formen zugeschrieben wird, erkläre sich aus der nunmehr fokussierten, perfektiven Grundwertigkeit. Perfektivität habe, begünstigt durch bestimmte Kontexte, insgesamt paramodalisierenden Effekt: I propose that they [d.s. die modalen Werte, M S ] may be contributed to the extralinguistic context, and that they are favoured by the perfective reading that old presents are given preferentially after the introduction o f the new present: A perfective , w e go' is quite likely to be meant as ,let's go', because it cannot mean , w e are going' - and also the hortative meaning component is not originally part o f the gram.

(1985) in Abschnitt 3.2. zur aspektuellen Schnittstellenfunktion iterierender Zeichen: Zum einen überfuhren sie implizit perfektive Situationstypen in die Bildstruktur der Imperfektivität, zum anderen imperfektive in die der Perfektivität. Der erste Fall liegt bei grenzbezogenen Prädikaten im imparfait vor, der zweite bei der perfektiven Interpretation des Präsens bei Progressiv-Prädikaten.

97 Das neue, im Zuge der Generalisierung immer schwächer imperfektiv markierte Präsens rückt diachron in die ehemaligen Bereiche des alten Präsens vor, kann also bei nachlassender imperfektiver Markiertheit ebenfalls die Bereiche Futurität etc. als Subfunktion abdekken. Eine grenzziehende aktionale Semantik (die implizite Perfektivität ermöglicht) kann bei einem Nachlassen imperfektiver Markiertheit wieder durchscheinen. Dieser Stand ist im Englischen bereits erreicht, wo nicht nur das simple present futurisch und habituell fungiert, sondern auch die jüngere progressive form bei begrenzt-dynamischen Prädikaten seit jüngster Zeit futurisch fungieren kann, wenn sie durch ein Adverb verstärkt wird. Das folgende Beispiel für die futurische Verwendung des englischen present progressive entnehme ich B Y B E E U . A . ( 1 9 9 4 : 250f.). 9 (92)

We're flying to Irkutsk on

Wednesday.

Die futurische Verwendung ist (noch?) auf entsprechende adverbiale Kontexte restringiert, und natürlich dürfen sich im Entstehungskontext der Äußerung die mit we bezeichneten Personen nicht in der Luft bzw. im Flugzeug befinden - unabhängig von der Semantik des Adverbs. 10 Einer ehemals dominanten imperfektiven Semantik der Periphrase ist bereits wieder die aktionale, implizit perfektivierende Begrenztheit des Ereignisses als Wert beigeordnet. Die imperfektive Komponente bleibt funktional insoweit erhalten, als sie im Sinne einer Involvierung des Subjekts in eine Planungsphase, also Vorphase des Geschehens reinterpretiert wird. Auf diese Weise kann synchron im Englischen mit der progressive form bei grenzbezogenen Prädikaten die Wertigkeit eines scheduled future11 erzielt werden. Das auf perfektive Restfunktionen restringierte simple present kann selbständig (ohne Ko- und Kontext) futurisch fungieren, allerdings, und das ist entscheidend, nicht mit dem Wert eines scheduled future.12 S C H R O T T ( 1 9 9 7 ) , die für das Französische ein markiert imperfektives Präsens mit futurischer scheduled-Lesart annimmt, übersieht, daß die zwei systematischen Voraussetzungen dafür beim französischen Präsens gerade nicht vorliegen: Markiert imperfektive Präsensformen gibt es nur zusammen mit bzw. im funktionalen Kontrast zu alten Präsensformen, 9

10

11

12

BYBEE U.A. (1994:251): Whether all the instances of this use of imperfectives are in Indo-European languages because they tend to enjoy more comprehensive descriptions than non-Indo-European languages is unclear. It may be that all imperfectives with future uses allow what is in effect an expected future reading when the predicate refers to a plannable event and an appropriate temporal expression is present [Hervorh. MS]. Auch We 're flying to Irkutsk right now wäre implizit futurisch, wenn offensichtlich noch niemand in das versprachlichte Ereignis involviert ist. Daß es sich tatsächlich um ein Durchscheinen aktionaler Semantik und nicht etwa eine explizite Perfektivität handelt, zeigt sich, wenn man ein nicht-begrenztes Ereignis einsetzt: Die Grenze des Ereignisses mußte im Fall von We 're flying to Irkutsk adverbial nur refokussiert, nicht aber installiert werden. We 're drinking water etwa bietet keine solche Angriffsfläche und ist als futurisch in keinem Kontext akzeptabel. Bei offensichtlichem Nicht-Stattfinden des versprachlichten Sachverhalts ist dieses Prädikat primär habituell reinterpretierbar (perfektive Lesart bei Progressiva). Dies ist ein weiteres Indiz für einen Markiertheitsabbau beim englischen present progressive, der es zunehmend aktional durchlässig werden läßt. BYBEE U.A. (1994:251): [...] it is [...] true that the Present [das non-progressive, MS] cannot be used to report a planned event [...] ( I f l y to Chicago cannot be used to report the fact that one holds a ticket on a scheduled flight to Chicago yet to occur).

98 die (dann) auf die vorher bereits als Subfunktion existente perfektive Komponente (futurisch/habituell) restringiert sind. Nur diese neuen, auch ausdruckseitig komplexeren Formen können auf einer bestimmten Stufe der Grammatikalisierung (zusammen mit einem diese Lesart fördernden Ko- und Kontext) die Wertigkeit eines scheduled future annehmen. Vor dem übereinzelsprachlichen Hintergrund ist das französische Präsens als alte, formal und inhaltlich unmarkierte Form zu betrachten. Sie hat keinen perfektiven Partner im System, der sie auf imperfektive Wertigkeit festschreiben würde. Es gibt im Französischen, wie im Deutschen, eine Progressiv-Periphrase, diese ist allerdings nicht weit grammatikalisiert (,être en train de + Infinitiv')· Wollte man nun diese unbedingt als aspektuelles Pendant zum unmarkierten Präsens betrachten, stellte sie gerade den markiert imperfektiven Partner dar, und das alte Präsens würde von ihr diachron zunehmend vor allem in perfektive Enklaven abgedrängt. Es gibt also auch von dieser Seite kein Argument für eine imperfektive Markiertheit des französischen Präsens. Für die Annahme einer perfektiven Markierung gibt es ebenfalls kaum Anhaltspunkte, da die imperfektivierende Periphrase (noch?) keinen grammatischen Partner darstellt (sie kann mehrdeutige Prädikate desambiguieren, wird aber nicht systematisch immer zu dieser Funktion herangezogen 13 ). Auch wenn sich die Restriktion des französischen Präsens im futurischen Subfunktionsbereich wie das englische scheduled future in der progressive form ausnimmt, muß eine imperfektive Markiertheit als deren Ursache demnach ausgeschlossen werden.

5.2.3. Futurität und Perfektivität - Ein Exkurs Als nicht intendiertes Nebenergebnis der vorausgehenden Argumentation steht im Raum, daß es eine natürliche Affinität implizit perfektiver Formen zu temporal-futurischer Funktion zu geben scheint. Ausgelöst bzw. beschleunigt wird dieser Prozeß durch die Entstehung einer neuen, explizit imperfektivierenden Form mit bestimmten Prädikaten. Perfektive Komponenten einer Aussage werden automatisch aus dem Bereich der Äußerung verschoben aufgefaßt. Man sollte annehmen, daß ohne desambiguierenden Kontext die Kommunizierenden das Ereignis ebenso häufig als bereits vergangen wie als noch ausstehend interpretieren. Primäre Perfektivität scheint jedoch, entgegen dieser Erwartung, häufiger für zukünftigen als für vergangenen Zeitstufenbezug stehen. Für einen möglichen Basisnexus Perfektivität/Futurität gibt es noch ein anderes Indiz. Imperative, ebenfalls formal meist sehr reduzierte Zeichen, fungieren viel eindeutiger und ausschließlicher futurisch als z.B. Futura, ihr Referenzbezug ist immer und in jedem Kontext auf Futurität festgelegt. Bestimmte Charakteristika futurischen Verweisens bei (relativer) Unmarkiertheit müßten Imperative in ihrem funktionalen Spektrum also in Reinform zu erkennen geben. Auf aktional-aspektuelle Besonderheiten im Bereich imperativ fungierender Formen wird tatsächlich häufig hingewiesen (so schon VENDLER, 1967: 115), in funktionale Untersuchungen zum futurischen Zeitbezug werden diese allerdings nicht eingebaut, obwohl sie sich dazu anbieten. HASPELMATH (1997: 24) zeigt z.B., daß es einen Zusammenhang zwischen perfektiver Semantik und der Reinterpretation als Hortativ gibt (perfektives we go, das nur als let's go zu verstehen sein könne, vgl. 5.2.2.). Imperative 13

Erwähnt sei allerdings, daß es auf früheren Sprachstufen des Französischen, besonders vor Beginn massiver externer Normierung, aspektuelle Partner des alten Präsens gab, die sich auf dem Weg der Grammatikalisierung befanden, vielleicht sogar schon grammatikalisiert waren (vgl. 7.1.1.).

99 Lesarten einer 2. Ps. Sg./Pl. beruhen ebenfalls auf futurisch reanalysierter Perfektivität. Es scheint insgesamt eine implikative Beziehung zwischen den Funktionen Perfektivität und Futurität/Imperativität zu geben. Daß Imperativität Futurität impliziert, ist nicht weiter erstaunlich. Interessant ist nun der weit weniger evidente Umstand, daß Imperativität umgekehrt automatisch Perfektivität zu implizieren scheint. 14 Dies äußert sich z.B. darin, daß in Einzelsprachen dynamisch-grenzbezogene Prädikate im Imperativ die Regel sind. Unbegrenzte Stativ-Prädikate hingegen haben entweder gar keinen Zugang zum Imperativ oder werden automatisch transitionell-grenzbezogen reanalysiert, Interstativa werden regelhaft transitionell verstanden: (93) * Sachez Stativ (94)

l'anglais! ? — ? => nicht umdeutbar, nicht akzeptabel

Sachez que Χ! Stativ ? — ? => lesbar als transitionell A = O, dt. Nehmen Sie zur Kenntnis, daß XI

(95) dt. Sei still! Interstativ Α — O => lesbar als transitionell A = O, dt. Halt die Klappe!/Hör auf, Lärm zu machen!

Der Zusammenhang wird oft damit begründet, daß Zustände nicht befehlbar seien, und Imperative deshalb restringiert seien auf Klassen, die Handlungen (Ereignisse) versprachlichen. Das Argument erweist sich als brüchig, wenn man bedenkt, daß es sehr wohl kontrollierbare Zustände (Haltungen, Positionen) gibt. Die nahezu automatische Umdeutung in Richtung Perfektivität bzw. eine mögliche perfektive Grundierung von Futurität ist für die weitere Analyse im Auge zu behalten.

5.3. Das System des futurischen Präsens im Französischen 5.3.1. Aktionale Klassen und futurisches Präsens (implizite Temporalität) Da das französische Präsens nicht imperfektiv markiert sein kann, bleibt festzustellen, inwieweit eine im Präsens durchscheinende Aktionalität perfektive und u.U. futurische Reinterpretation ermöglicht. Es wird zu zeigen sein, daß im Französischen, wie im Deutschen, die aktionale Merkmalstruktur ohne temporal situierenden Kotext eine perfektiv aspektuelle und damit temporale Interpretation einer Aussage ermöglicht. 15 Dabei ist auch die gegenteilige Auffassung ( S C H R O T T , 1997: 168ff.) auszuräumen, das französische Präsens sei für Aktionalität nicht durchlässig. Wie in anderen Sprachen mit unmarkierten Präsensformen müßte sich die Durchlässigkeit für aktionale Semantik in folgender Weise äußern: Stativa wären gebunden an implizite Imperfektivität (implizite A-Temporalität), Transitionen an implizite Perfektivität (implizit temporale Funktion). Bei allen übrigen Prädikatklassen ist 14 15

Vgl. hierzu auch VETTERS (1996: 100), der dies für das Französische aufzeigt. Sätze wie Die Erde ist eine Kugel sind nie temporal reinterpretierbar. Für sog. omnitemporale Aussagen gilt dies nicht. Sie vermitteln eine iterierende Semantik des Typs ,Immer wenn..., dann...' und damit eine Projizierbarkeit auf das Phänomen zeitlicher Sukzession (Wer nicht kommt zur rechten Zeit, muß essen, was übrig bleibt).

100 mit aspektueller und temporaler Mehrdeutigkeit zu rechnen. Diese kann dann durch einen entsprechenden Ko- und Kontext reduziert werden: Unbegrenzt-dynamische Prädikate bedürfen desambiguierender Mittel, damit sie entweder progressiv (imperfektiv) oder habituell (perfektiv) lesbar sind, begrenzt-dynamische müssen entweder als imperfektiv oder als perfektiv (und damit futurisch) vereindeutigt werden. Das Deutsche verfügt über implizit aspektuelle Aktionsart-Markierungen, im Französischen sind alte Aktionsart-Markierungen häufig lexikalisiert und haben ihre ursprünglich implizit aspektuelle Signalwirkung verloren. Man könnte die Hypothese aufstellen, daß die sehr produktiven Periphrasen des modernen Französisch möglicherweise diese Funktion übernommen haben. Im Russischen hingegen sind ehemals aktionsartliche Markierungen reanalysiert worden, zuerst als formaler perfektiver Aspekt und weiterhin als Futur. 16 Ein derart expliziter Aspekt ist natürlich in temporaler Funktion weit weniger kontextsensibel als die aktional begrenzten Prädikate des Deutschen und des Französischen. 17 5.3.1.1. Situationstyp [- dynamisch] Klassische, unbegrenzte Stativa können im Französischen wie im Deutschen nicht ohne temporalisierenden Kontext als temporal verschoben kommuniziert werden. Ihre aktionale Struktur bietet keine Möglichkeit, sie implizit perfektiv und damit futurisch zu lesen: (96) (97)

Martha ist sehr schön. Marthe est très belle. Stativ ?— ?

Einzige Lesart:

imperfektiv? — S — ?

SCHROTT versucht, im Gegensatz dazu, nachzuweisen, daß kontextlose Stativa u.a. auch futurisch gelesen werden können. Dies spielt innerhalb ihrer Argumentation eine zentrale Rolle, insoweit sie die Auffassung favorisiert, daß im Präsens der Situationstyp für eine futurische Beziehbarkeit nur marginal wichtig und von Automatismen keinesfalls auszugehen sei (1997: 166ff.). 16

Vgl. LEISS, 1992: 29. HASPELMATH (1997: 20, unter Verweis auf KuRYtowicz) liefert eine Deutung, die übereinzelsprachlichen Gesetzmäßigkeiten entspricht. Er fuhrt die Grammatikalisierung der russischen Aktionsart-Markierungen als explizites Perfektiv-Signal auf das Entstehen einer neuen, markiert imperfektiven Präsensform zurück (die der ausdruckseitig komplexen, sekundär imperfektiv markierten Verben): Demnach sei z.B. im Russischen nicht gruz-u (dt. ich lade etwas auf) der Grund dafür, daß na-gruz-u (dt. ich belade etwas mit etwas) perfektiv und damit futurisch wurde, sondern ein sekundär imperfektivierendes, neu entstandenes nagruz-aj-u (dt. ich bin gerade dabei, etwas aufzuladen). Es läge also funktional eine Parallele zum Englischen vor. D i e s e Argumentation ist sehr schlüssig, würde sie doch viele Probleme der slawischen Aspektforschung, w i e z.B. das des sog. imperfect paradox (vgl. BACHE, 1985: 6 9 f f ), klären helfen.

17

Angesichts der Unterschiede, vor allem im Bereich der [+ begrenzten] Prädikate, muß LEISS (1992: 191ff.) widersprochen werden, die für das Deutsche eine dem Russischen ähnliche Situation annimmt. Ausdruckseitig aktionsartlich markierte Verben, die für grenzbezogene Aktionalität (bei ihr: nonadditive Ereignisstrukturen) stehen und damit perfektiv seien (wie z.B. abhusten), würden mit Präsensmarkierung eindeutig futurisch aufgefaßt. N a c h meinem Dafürhalten können sie als aspektuell polyvalente Prädikate u.a. futurisch fungieren. D i e Markierung ist jedoch nicht w i e im Russischen auf Perfektivität und Futurität restringiert (d.h.: vollkommen reanalysiert), so daß RProgressiva ( w i e Er errötet) auch imperfektiv gelesen werden können.

101 Sie trifft diese Entscheidung vor allem auf der Grundlage eines Tests (1997: 168ff.), bei dem französischen Muttersprachlern vier kontextlose Beispielsätze (angeblich typische VENDLER-Prädikate) zur Interpretation vorgelegt wurden. Die Ergebnisse sollen belegen, daß aktionale Markierung im Präsens nicht automatisch präsentische oder futurische Lesart auslöst (Affinitäten bestimmter Lesarten zu bestimmten Situationstypen werden allerdings eingeräumt; 1997: 170). Analysen unmarkierter Sätze außerhalb dieses Tests sind über die Gesamtuntersuchung verteilt. Zusammengefaßt findet sich die Auffassung der Autorin noch einmal am Ende ihrer Arbeit (1997: 376ff.) formuliert: Der futurische Wert präsentisch markierter Aussagen werde von temporalen Angaben signalisiert, primär der Kontext sei fur futurische Lesarten verantwortlich, auch wenn durative Sachverhalte in futurischer Funktion eher eines temporal verschiebenden Kontexts bedürfen als nicht-durative. Es wird insgesamt noch zu zeigen sein, daß weder dieser exemplarische Test noch die Beispielanalysen geeignet sind, die behauptete Unabhängigkeit vom Situationstyp zu belegen. Die den Muttersprachlern vorgelegten Sätze sind so gewählt, daß die aktionalen Klassen, bei denen ohne Kontext eine ,präsentische' oder futurische Interpretation automatisch inferierbar ist, nicht berücksichtigt wurden. In zwei von vier Fällen stellen die Beispiele keine typischen Repräsentanten fur VENDLER-Klassen dar, und es wird nicht zwischen R-Progressiva und Transitionen (vgl. 5.3.1.2.) sowie zwischen Stativa und Interstativa unterschieden. Damit finden aktionale Unterschiede, die für grammatische Restriktionen im Französischen auch auf anderen Zeitstufen relevant sind, keine Berücksichtigung. Die Informanten wußten zudem offensichtlich genau, wonach gesucht wurde (Möglichkeit futurischer Lesart oder nicht), was zu einer Fokussierung der Aufmerksamkeit führte und sie aspektuelle Zusammenhänge analytisch aussparen ließ. Für die Stativa nun ist der Test und die Analyse damit insoweit anfechtbar, als das Beispiel für die VENDLER-Klasse der states kein klassisch unbegrenztes s/a/e-Prädikat darstellt, sondern ein Interstativ, den markierten Subtyp der Klasse also. Nur die Subtypen L-Stativ und Interstativ sind im Präsens aspektuell mehrdeutig und damit sowohl imperfektiv (,präsentisch') als auch perfektiv (futurisch) lesbar. Die perfektive Wertigkeit und damit die futurische Referenzoption geht also auf das aktionale Merkmal der Begrenztheit zurück, das bei unmarkierten Stativa fehlt. Diese sind ohne Ko- und Kontext auf Imperfektivität und temporal auf Nicht-Futurität festgelegt, wie sich an den Beispielen (96) und (97) zeigt. Der Schluß SCHROTTS, states insgesamt ließen ohne Kontext präsentische und futurische Lesart zu, ist also unangebracht, weil dieser Umstand nur auf markierte Subtypen zutrifft. Im Fortgang von SCHROTTS Untersuchung tauchen allerdings häufig ,echte' Stativa in Beispielsätzen auf, die mit präsentischer Markierung als potentielles futurisches Präsens behandelt und bezeichnet werden, wozu (s.o.) gar kein Anlaß besteht. Und es macht natürlich auch keinen Sinn, diese Stativa im Präsens mit dem f p und f s zu kommutieren oder auf einen futurischen Nebenwert wie Imminenz zu untersuchen. Um zu testen, in welchen Fällen ein Präsens nicht für ein f s eingesetzt werden kann, ersetzt SCHROTT in den folgend zitierten Beispielen (1997: 155f.) das f s durch ein présent. Hier zeigt sich, daß die fraglichen Stativ-Prädikate im Präsens nicht futurisch lesbar sind: (98) Les événements se précisent, je saurai (*sait) demain si je suis augmenté. [...] (99) Demain, je vais à l'hôpital me faire faire une prise de sang, on saura (*sait) peut-être ce que j'ai comme maladie. [...] ( 100) Ce soir, on connaîtra (*connaît) le vote de l'Assemblée.

102 Daß on sait que X in (99) als futurisch nicht brauchbar ist, wird wie folgt begründet: Auch in (207) [d.i. (99), MS] ist zwar die Untersuchung im Krankenhaus planbar, nicht aber das Erkennen der Krankheit [Hervorh. MS] als Ergebnis der Untersuchung. Nebenbei wird hier mitgeteilt, worauf die Nicht-Kommutierbarkeit tatsächlich beruht. In allen drei Beispielsätzen löst nämlich das fs offensichtlich eine transitionelle und damit aktional-aspektuelle Umdeutung des zugrunde liegenden Stativ-Prädikats aus: savoir, dt. wissen => connaître, dt. kennen =>

erfahren, erfahren

herausbekommen

SCHROTT übersieht, daß Stativa im Präsens aufgrund ihrer aktionalen Grundstruktur keinen derart perfektiven, d.h. transitionell-futurischen Wert liefern können, der ja hier vor allem sprachlich vermittelt werden soll. 18 Ihre Auffassung (1997: 183), daß bei „durativen Sachverhalten [...] das présent futur al keine Imminenz ausdrücken" könne, ist fragwürdig, weil durative Sachverhalte (aktional unbegrenzte Prädikate) im Präsens ohne Kontext überhaupt keine Futurität (und damit natürlich auch keine Imminenz) signalisieren können. Auch im folgenden Beispiel wurde eine Präsensform mit dem fs kommutiert und fälschlicherweise als présent futural bezeichnet, weil nicht erkannt wurde, daß Stativ-Prädikate im Präsens keinen futural-Option ermöglichen (1997: 189): (101) [...] Pouvez-vous venir chez Arafat après dîner? Une voiture vous attendra

(*attend).

Das Präsens ist nach SCHROTT hier nicht akzeptabel, weil es in dem zitierten Kontext entscheidend auf die Vermittlung der ,virtuellen conditio'' ankäme, die nur das fs, nicht aber das angebliche présent futural signalisieren könne, „auch wenn die reine Zeitstruktur mit dem présent futural vereinbar wäre" (was sie in diesem Fall wohl annimmt). Der Satz im

18

SCHROTT führt an anderer Stelle (im Zusammenhang einer konstatierten Umdeutung von savoir im f p von dt. wissen => erfahren, herausbekommen, erkennen) eine solche Umdeutung auf einen inzeptiv-prospektiven auf der Basis eines imperfektiven Aspekts des f p zurück (1997: 1 lOff.): Greift man auf die getroffenen Differenzierungen von Imperfektivität und Perfektivität zurück, dann ergibt sich für die Futura, daß das futur périphrastique durch die Hervorhebung der Anfangsphase eine Fokussierung der temporalen Kontur leistet und daher als imperfektive Form einzustufen ist. [...] [Es drückt] Je vais le savoir keinen Zustand mehr aus, sondern die ingressive Phase, die dann diesen Zustand des Wissens nach sich zieht. Die Differenzierung erfolgt im Deutschen durch eine lexikalische Varianz von wissen und erfahren [...]. Da sie dem futur simple perfektive Aspektualität zuschreibt, bleibt fraglich, wie sich die Umdeutung in den zitierten Beispielen (98) - (100) erklären läßt, die sie selbst ja zumindest bemerkt. Grundsätzlich ist gegen diese Analyse einzuwenden, daß die transitionelle Lesart von Prädikaten, die Verben des Typs , wissen' oder ,kennen' enthalten, keineswegs typisch für eine imperfektive, sondern für eine perfektive Perspektivierung ist - schließlich spricht SCHROTT selbst von „Fokussierung einer temporalen Kontur", was ja nur unter perfektiver Außenperspektive möglich ist. Ingressiv-Werte einer imperfektiven Form, wie etwa beim imparfait zu beobachten, beruhen auf einem völlig anderen Mechanismus - gerade mit Prädikaten, die savoir und connaître enthalten, sind sie nicht erzielbar. Es handelt sich dabei immer um die Analyse aktional stark begrenzter Prädikate unter dem imperfektiven Aspekt. Regelhaft bewirken hingegen Zeichen mit perfektiver Grundfunktion bei Stativen Sachverhalten des Typs .wissen', ,kennen' eine Reinterpretation als transitionell. Hierzu BYBEE ( 1 9 8 5 : 87):

Its general meaning is „bounded event". When it applies to active verbs, it gives a punctual [...] meaning, but as we saw earlier, when it applies to stative verbs such as [...] „to know" an inceptive reading of „found out" results.

103 Präsens weist jedoch keine Markierung auf, die es möglich macht, ihn zusammen mit der vorausgehenden Frage semantisch zu verschieben. Auch im Deutschen wäre dies so: (102) Können Sie nach dem Abendessen

noch bei Arafat vorbeikommen?

Ein Wagen erwartet

sie.

Der zweite Satz ist in beiden Sprachen am ehesten so zu interpretieren, daß der Wagen zum Zeitpunkt der Äußerung bereits wartet und nicht erst zum Zeitpunkt des Abendessens warten wird. Es ist also zu konstatieren, daß auch in SCHROTTS Beispielmaterial außerhalb des Tests unbegrenzte Stativa sich imperfektiver Aspektualität verhaftet zeigen. Bei L-Stativa und Interstativa hingegen liegt im Präsens aktional bedingte Mehrdeutigkeit (präsentische Imperfektivität, perfektive Futurität, selten auch: Habitualität) vor. Je deutlicher und vor allem bildhafter die grenzziehende Semantik im Objektbereich ist, desto anfälliger für eine perfektive Interpretation ist das Prädikat. Wenn es sich um ein exakt eingegrenztes Intervall handelt, stellt sich außer der Möglichkeit futurischer noch die habitueller Interpretation ein, wie in Beispiel ( 1 0 4 ) . Auch im Bereich der Ereignisse und Sachverhalte hängt also die Möglichkeit einer Art Pluralbildung von maximal definiter Vorstellbarkeit ab. Ist das Intervall in seiner Abgegrenztheit hingegen ungenau vorstellbar, entfällt die Möglichkeit einer perfektiven Lesart ganz, wie bei ( 1 0 5 ) : (103) Martha hat eine Besprechung. Interstativ A ·— O aspektuell zweideutig temporal nicht festgelegt Lesarten: 1. imperfektiv als 2. perfektiv => futurisch als

A— S— O Martha hat gerade eine s | a — O Martha hat gleich eine

(104) Martha hat drei Wochen Interstativ A — O Lesarten: 1. imperfektiv als 2. perfektiv => futurisch als => habituell als 1 9

Besprechung. Besprechung.

Ferien.

A— S— O Martha hat gerade Ferien. s | a — O Martha hat bald Ferien. Martha hat für gewöhnlich drei Wochen

Ferien.

(105) Martha hat eine Migräneattacke. Interstativ A— O nur imperfektiv als

A— S— O Martha hat gerade

eine

Migräneattacke.

Aus dieser inhärent polyvalenten Klasse wählt also fur ein typisches s/a/e-Prädikat: ( 106) Nous avons conseil des

SCHROTT ( 1 9 9 7 : 1 6 8 )

ihr Paradebeispiel

ministres.

Die Unterscheidung zwischen Stativa und Interstativa ist in anderen Bereichen, wie bereits mehrfach erwähnt, relevant für das System, 20 ein funktionaler Unterschied zeigt sich jedoch 19 20

Zum Zusammenhang Perfektivität/Habitualität, vgl. 5.2.2. Vgl. VETTERS (1996: 102f.): Stativa haben keinen Zugang zum passé simple,

Interstativa schon.

104 bereits im Präsens: Modifiziert man die sprachliche Äußerung zu einem echten StativPrädikat, entfallen perfektive und damit auch futurische Interpretationsmöglichkeit: ( 107) Nous sommes en plein conseil des ministres.

5.3.1.2. Situationstyp [+ dynamisch] Progressiva bieten kaum eine aktionale Anlaufstelle fur implizit perfektive Interpretation. Je stärker ein Progressiv jedoch als Ph-Progressiv vorstellbar ist, desto eher bietet es sich fur perfektive Lesart an, die dann primär zu einer iterativ-habituellen Dekodierung fuhrt: (108) Martha reitet. Progressiv ? —> ? Lesarten: 1. imperfektiv als 2. perfektiv => habituell als

? - » S -> ? Martha reitet gerade, ist am Reiten. ? (A->0) | S | (A-»0) ? Martha ist Reiterin.

Bei polyvalenten Prädikaten ist der Kontext entscheidend. Wird Satz (108) etwa geäußert, wenn Martha anwesend ist und sichtbar nicht reitet, ist er als perfektiv desambiguiert. Unbegrenzte Progressiva, die nicht in Richtung eines Ph-Progressivs verschiebbar (nicht bildhaft in Teilereignisse zerlegbar) sind, erweisen sich, wie die unbegrenzten Stativa, als nicht in dieser Weise kontextsensibel, da sie implizit aspektuell stärker auf Imperfektivität festgelegt sind: (109) Es regnet. (110) Martha ist gescheit. Aufgrund der aspektuellen Verhaftung werden die Sachverhalte auch dann als ,präsentisch' dekodiert, wenn sie nicht sichtbar stattfinden bzw. nicht wahrnehmbar sind: Martha bleibt auch dann kommunikativ gescheit, wenn sie zum Zeitpunkt der Äußerung abwesend ist, ja sogar, wenn sie anwesend ist und nichts davon erkennen läßt, und daß es gerade regnet, wird auch angenommen, wenn zum Zeitpunkt der Äußerung nichts davon zu sehen ist. Derart,echte' Progressiva lesen sich im Französischen analog zum Deutschen: (111 ) Il pleut. Auch wenn es im Äußerungskontext keinen sichtbaren Regen gibt, wird kein temporal verschobenes Regnen oder ein habituell einsetzender und aufhörender Regen annehmbar. Dekonstruierbar in Phasen sind Progressiva, wenn sie sich in der Vorstellung aus vergleichbaren Teilereignissen zusammensetzen, die dann als iterativ oder als futurisch fokussierbar sind (Ph-Progressiva). Im Französischen liegen auch bei dieser Klasse mit dem Deutschen vergleichbare Verhältnisse vor. Ein Satz wie (112) Marthe fume. kann imperfektiv eine gerade rauchende Marthe bezeichnen oder deren unter perfektiver Außenperspektive iterierendes, also gewohnheitsmäßiges Rauchen. Ist Marthe bei Äußerung des Satzes anwesend und raucht nicht, ist der Satz desambiguiert. Er kann dann nur perfektiv aufgefaßt werden, d.h. in diesem Fall, daß Marthe Raucherin ist.

105 Für den deutschen Beispielsatz (108) (Martha reitet) gibt es kein französisches Analogon, da das Französische den Sachverhalt mit zwei Periphrasen versprachlicht, die jeweils für eine der Lesarten des deutschen Satzes stehen. Jede der beiden Umschreibungen ist aspektuell implizit festgelegt: (113) Marthe fait du cheval. perfektiv (habituelle Lesart) (114) Marthe va à cheval. imperfektiv (singulare Lesart)

VENDLER faßt Progressiva und Ph-Progressiva zusammen in der Klasse der activities/ processes. Sie seien mit [+ dynamisch] und [+ durativ] markiert und verfügten nicht über das Merkmal der Begrenztheit bzw. der Transitionalität. Dekonstruierbarkeit in Teilereignisse, wie sie Ph-Progressiva bieten, berücksichtigt er nicht. SCHROTT analysiert als typisch für ein französisches aci/'v/'iy-Prädikat im VENDLERschen Sinne den folgenden Beispielsatz (1997: 168), der präsentisch oder futurisch verstanden werden könne: (115) Je fais du cross.

Auch für dieses Beispiel gilt nun, daß es sich nicht um ein unmarkiertes activity-Prädikat handelt, und weiterhin, daß eine der Interpretationen nur durch die erste grammatische Person und unter Annahme eines spezifischen Kontexts möglich ist. Es handelt sich also keineswegs um einen repräsentativen Vertreter der Klasse, der für die Demonstration typischer Eigenschaften tauglich wäre. Ein Progressiv im weitesten Sinne liegt zwar vor, faire du cross ist aber bereits auf den perfektiven Aspekt und damit auf Habitualität festgelegt (wie faire du cheval, s.o.). Es würde im Englischen z.B. ein zentrales VENDLER-Kriterium für ein activity-verb (den Zugang zur progressive form) nicht erfüllen. SCHROTT greift bei Wahl eines französischen Pendants von VENDLERs to run also auf ein Äquivalent zurück, nicht aber auf das Äquivalent. Je fais du cross entspricht to run im simple present - und das englische simple present ist funktional mit dem französischen Präsens gerade bei Progressiva nicht vergleichbar: Es hat perfektive Werte in allen Kontexten, weil es im Englischen eine progressive form {to be running) gibt, und ist damit auf Habitualität und Futurität beschränkt. In diese Richtung hat SCHROTT also im Französischen lexikalisch desambiguiert, bei Je fais du cross (dt. Ich mache Waldlauf) handelt es sich um einen lexikalischen Habitualis, ein PhProgressiv, das im Präsens eine Neigung zu implizit perfektiver Lesart aufweist. Diese relativ festliegende Perfektivität nun ermöglicht in einem spezifischen Kontext sekundär auch die Herauslösung eines Einzelbildes aus der habituellen Kette - und über diesen Umweg futurische Lesart. Die futurische Option ist also keineswegs so naheliegend, so inhärent wie SCHROTT annimmt. Meine französischen Informanten, die nicht wußten, wozu ich ihnen das Beispiel vorlegte, nannten durchgängig die habituelle Interpretation zuerst, meist erst auf Nachfrage räumten sich einen futurischen Wert ein. Nur in der 1. und 2. grammatischen Person und in einem speziellen Kontext kann der Satz perfektiv-füturisch oder, ganz selten, auch imperfektiv-progressiv fungieren. Letzteres ist möglich, wenn der Subjektreferent zum Zeitpunkt der Äußerung sichtbar dabei ist, durch den Wald zu joggen. Eine futurische Lesart ist nur ableitbar, wenn am Verhalten (oder der Kleidung) des Subjektreferenten zum Zeitpunkt der Versprachlichung zu erkennen ist, daß er demnächst losjoggen wird - ohne derartige außersprachliche Indizien würde die lexika-

106 lisch indizierte habituelle Lesart präferiert. Der Satz ist somit habituell und nur unter sehr speziellen Kontextbedingungen imperfektiv oder futurisch lesbar. Hierzu ist außerdem noch anzumerken, daß die 1. Ps. Sg.21 bei Polyvalenz nicht demonstrationstauglich ist, da bei einem solchen Kotext eine bestimmte außersprachliche Wahrnehmbarkeit bzw. Nichtwahrnehmbarkeit von E jeweils vorauszusetzen ist. Sichtbar Nicht-E bei erkennbarer Vorbereitung auf E ermöglicht bei Ph-Progressiva ausnahmsweise futurische Interpretation. Hätte SCHROTT ein typischeres «c/zv/fy-Prädikat (ein ,echtes' Progressiv) in der 3. Person als Musterbeispiel verwendet, so hätten die Muttersprachler vermutlich keine futurische Beziehbarkeit inferiert. Transitionen werden im Deutschen mit Präsensmarkierung automatisch implizit perfektiv und implizit futurisch gelesen: (116) Die Bombe Transition immer perfektiv => futurisch als

explodiert. A = O S |A = O Die Bombe explodiert

gleich.

Bei agentiven Subjekten lagert sich vor das punktuelle Bild die Vorstellung, daß der Subjektreferent Anstalten macht, die Handlung auszufuhren. Der Satz ist damit in Richtung eines aktional markierteren R-Progressivs verschoben und aspektuell zweideutig: (117) Martha explodiert. Transition A = O R-Progressiv => ? —> O Lesarten: 1. perfektiv => futurisch als 2. imperfektiv => als

s| A= 0 Martha explodiert gleich. ?— S [O] Martha schäumt vor Wut.

,Echte' R-Progressiva sind immer in dieser Art aspektuell zweideutig: (118) Martha stirbt. R-Progressiv ? —> O Lesarten: 1. perfektiv => futurisch als 2. imperfektiv => als

[ ? — ] S [ —>] | O Martha stirbt bald. ?— S (O) Martha liegt im Sterben.

Im Französischen besteht nun in analoger Weise die Möglichkeit, R-Progressiva im Präsens entweder imperfektiv oder perfektiv zu lesen bzw. zu verwenden. NEF (1984: 122) nutzt als Demonstrationsbeispiel für das futurische Präsens ein aspektuell und damit implizit auch temporal zweideutiges R-Progressiv:

21

Zur Überprüfung der Polyvalenz bzw. funktionaler Ambiguitäten hat SCHROTT fur alle vier Demonstrationsbeispiele ausschließlich Prädikate in der 1. Person gewählt, die dafür am wenigsten geeignet sind. Dies ist um so unverständlicher, als sie selbst an anderer Stelle (1997: 90, 162) auf die desambiguierende Kraft der 1. und 2. grammatischen Person hinweist: Ambiguitäten seien am ehesten in der 3. Person zu erkennen, da diese den konkreten Kontext als Desambiguierungsfaktor am wenigsten wahrscheinlich mache.

107

(119) Je pars à Tombouctou.

(ambigu)

Eine erste Interpretationsmöglichkeit beruhe auf der angelegten Rechtsgrenze des Ereignisses, die der Satz denotiere („[...] dénote un changement de lieu")· Diese könne im Fall perfektiver Lesart als futurisch fokussiert werden. Eine zweite Interpretationsmöglichkeit eröffne sich durch die darauf zusteuernde Vorphase, die im Fall imperfektiver Lesart im Vordergrund stehe („[...] l'autre d'après laquelle il peut signifier l'accomplissement des conditions préalables à ce changement de lieu.")· Das Merkmal [+ dynamisch], über das auch die verbes d'activité verfugten, reiche nicht aus, um eine futurische Option zu eröffnen (NEF, 1984: 124), das Prädikat (Verb) müsse vor allem den Übergang von einem Ereignisraum in einen anderen vermitteln, eine Transition also. NEF geht nicht auf den Umstand ein, daß in einem Satz in der 1. Ps. Sg. die Involviertheit in eine Vorphase der Abreise immer perzeptibel ist (oder eben nicht). Der Kontext desambiguiert in diesen Fällen. Es gibt damit Verwendungen von R-Progressiva, bei denen der Kontext eine transitionelle und damit futurische Lesart automatisch auslöst. VET (1979: 124ff.) stellt demgegenüber einen größeren funktionalen Umfang fest: Transitionen und R-Progressiva (die er in einer Klasse faßt) können im Präsens nicht nur futurisch, sondern auch kompletiv (also mit Vergangenheitsbezug) fungieren. Bei ,Nichtparallelität' der primär denotierten Übergangsphase mit dem Sprechakt erscheine der Referenzpunkt als implizit in das Intervall unmittelbar danach oder auch davor verschoben und von dort aus die Gegenwart als Vor- oder Nachphase vermittelt. VET (1994 2 : 5If.) greift ergänzend auch auf KAMPS Discourse Representation Theory von 1981 zurück. Events und states unter aspektueller Markierung werden dahingehend untersucht, ob sie über die semantische Eigenschaft verfugen, gegenüber einem vorerwähnten Ereignis .parallel' oder ,nicht parallel' gelesen zu werden. Begrenztheit, Dynamik und perfektive Aspektualität fuhren zu ,nicht-parallelen' Lesarten. Transitionen/R-Progressiva, die gegenüber einem vorerwähnten Ereignis ,nicht parallel' lesbar seien, stellten in der Regel auch die Klasse dar, die im Präsens und ohne weitere adverbiale Transponierung für ein Nicht-Jetzt gelten können. SCHROTT kann eine Imperfektivität des französischen Präsens (1997: 166ff.) analytisch auch deshalb annehmen, weil sie nicht zwischen R-Progressiva und Transitionen unterscheidet. Sie faßt, wie VET und zurückgehend auf VENDLER, beide Klassen in einem Situationstyp (achievement) zusammen. Der aktionale Unterschied ist jedoch gerade für das französische Tempussystem hochrelevant (s.u.). Wie entscheidend er auch für die präsentische oder futurische Lesart kontextloser Beispielsätze ist, sei nun demonstriert. SCHROTT analysiert als typisches achievement-Prädikat folgenden Satz: (120) Et puis d'abord tu m'énerves: je m'en vais. Sie stellt durch die Befragung der französischen Muttersprachler fest, daß in diesem Fall eine futurische Lesart häufiger inferiert werde als bei den durativen Prädikaten (states, activities, accomplishments). Eine präsentisch-imperfektive Interpretation (,ich mache Anstalten, den Ort zu verlassen, an dem ich mich gerade befinde') sei allerdings möglich. Dies beweise, daß der Situationstyp (hier: ein vermeintlich punktuelles, transitionelles Prädikat) nicht automatisch eine futurische Lesart auslöse, sondern der imperfektive Aspekt des Präsens eine präsentisch-imperfektive Interpretation gleichfalls ermögliche. Bei dem Beispiel handelt es sich um ein punktuelles (transitionelles) Prädikat, das aufgrund des agentiven Kontexts in Richtung R-Progressiv verschoben ist (anwesender Sub-

108 jektreferent, 1. Ps. Sg.)· Die u.a. sekundär auch mögliche imperfektive Lesart geht damit nicht auf ein vermeintlich imperfektives Präsens zurück, sondern auf das in agentiven Kontexten auftauchende Merkmal der Vorphase. Das derart zu einem R-Progressiv verschobene Je m'en vais kann (wie dt. Ich verlasse diesen Raum) also imperfektiv gelesen werden, sobald der Kontext eine Involvierung des Subjektreferenten in die Vorphase der Transition erkennen läßt. Die Einleitung des Satzes stellt außerdem eine Zusatzinformation dar, die man nicht ohne weiteres anfügen dürfte. Ein kontextloses Beispiel für ein typisch punktuelles achievement liegt in diesem Fall jedenfalls nicht vor: Der Satz entspricht durch die Wahl der grammatischen Person und den Kontext aktional in etwa Beispiel (119). Damit fehlt in SCHROTTS Beispiel-Analyse auch ein typisches, also unmarkiert transitionelles Prädikat. Bei ,echten' Transitionen handelt es sich nun wiederum um eine der Klassen, die aspektuell und damit temporal implizit festgelegt sind, bei denen es also zu aktional bedingten Automatismen kommt. Zudem zeigt sich vor allem mit Transitionen der zentrale Unterschied zum deutschen futurischen Präsens. Da SCHROTT sie bei ihrem Test nicht berücksichtigt hat, kommt es später in manchen Abschnitten zu unnötig komplizierten Deutungen bestimmter Lesarten bei R-Progressiva und Transitionen. So etwa, wenn das in RProgressiva verwendete Verb partir als punktuell (transitionell) klassifiziert wird: ( 1 2 1 ) Je pars. ( 122) [Le train se met en marche]

Ah on part.

Sie analysiert die erkennbare, fur R-Progressiva typische Polyvalenz wie folgt (1997: 170): Nicht-durative Sachverhalte [...] bilden kein Intervall und werden nur durch ihre zusammenfallenden Grenzen konstituiert, die folglich auch nicht ausgeblendet werden können. Einem nicht-durativen Sachverhalt fehlen damit eigentlich die notwendigen Voraussetzungen für den imperfektiven Aspekt, doch durch die Dominanz des grammatischen Aspekts sind auch diese Sachverhalte im imperfektiven présent möglich [...] [es] wird der nicht-durative Sachverhalt partir durch den imperfektiven Aspekt gleichsam gedehnt und erhält die Erstreckung eines Intervalls. [...] Das gleiche Phänomen zeigt sich auch beim ebenfalls imperfektiven imparfait [...]. So wird in dem Satz Je partais lorsque le téléphone sonna der Sachverhalt ,partir' durch den imperfektiven Aspekt gleichsam gedehnt [...].

Dieser von ihr selbst gegebene Hinweis auf die Verwendung im imparfait widerlegt nun die Auffassung, partir verfuge über eine aktionale Semantik des Typs A = O. Transitionelle Prädikate ohne aktional angelegte Vorphase, wie etwa Je retrouve mes clés, haben nur unter bestimmten Bedingungen (iterative Reinterpretationsmöglichkeit) 22 Zugang zum französischen imparfait, sie bieten jedoch keine Angriffsfläche für einen singulativ-imperfektive Lesart. Aus diesem Grund sind übereinzelsprachlich transitionelle Prädikate mit noch ausgeprägt imperfektiv markierten Formen gar nicht kombinierbar. Im französischen imparfait sind sie in singulativer imperfektiver Lesart ebensowenig akzeptabel wie die typischen nicht-begrenzten Stativa im passé simple (vgl. 3.1.5.1): 23 ( 1 2 3 ) * Il trouvais ses clés lorsque le téléphone ( 124) * Il tirais lorsque le téléphone sonna.

sonna.

22

23

Den Hinweis auf diese Zugangsmöglichkeit verdanke ich Julia MITKO (Regensburg). Auch in dieser Kombinationsmöglichkeit erweist sich das imparfait einmal mehr als eine Form, die eine deutliche imperfektive Markiertheit allmählich verliert. Für das Italienische stellen DELFITTO/ BERTINETTO (1995: 125ff.) parallel fest, wie wichtig die Unterscheidung ist, um bestimmte Zugangsrestriktionen zum imperfetto erklären zu können.

109 Wenn also Sätze mit partir als singulativ-imperfektiv im imparfait erscheinen können, dann deshalb, weil sie aktional nicht ,punktuell' sind, sondern über das Merkmal der Vorphase verfugen. Diese kann im aspektuell unmarkierten Präsens kommunikativ ebenso fokussiert werden wie die (dann) fiiturische Rechtsgrenze (Transition). Hätte S C H R O T T auch ein ,echtes' transitionelles Prädikat untersucht, wäre ihr die Restriktion im Bereich des imperfektiven Aspekts (Zugang zum imparfait) aufgefallen, was natürlich das Eingeständnis einer aspektuellen Unmarkiertheit des Präsens als logische Folge nach sich gezogen hätte: Ein unauffälliges und vermutlich deshalb nie Erwähnung findendes Indiz dafür, daß das französische Präsens aspektuell neutral sein muß, stellt nämlich die Tatsache dar, daß alle Prädikate im Präsens erscheinen können, was weder für die markiert imperfektive Periphrase (,être en train + Infinitiv'), noch fur das passé simple, noch fiir das imparfait, noch für das passé composé24 gilt und für die Futura noch zu untersuchen sein wird. Stark aspektuell markierte Formen sind besonders eindeutig auf bestimmte Prädikatklassen restringiert (vgl. die Ausführungen zum present progressive, 5 . 2 . 2 . ) , eine Abnahme aspektueller Markiertheit geht einher mit der Ausdehnung auf weitere Prädikattypen. Bei aspektueller NichtMarkiertheit können alle Prädikatklassen ohne aspektuelle oder sonstige Umdeutung mit der Form verwendet werden. Umdeutungen zeigen immer an, daß eine Form noch über aspektuelle (Rest)semantik verfügt (vgl. 5 . 2 . 2 . , FN 6 , zum present progressive und statePrädikaten). Analysiert man nun Transitionen im französischen Präsens, erweisen sie sich als nicht polyvalent. Aufgrund einer regelhaft inferierbaren perfektiven Aspektualität werden sie auch regelhaft temporal reanalysiert. Das Nicht-Jetzt, in das sie projiziert werden, ist allerdings im Französischen, im Gegensatz zum Deutschen, nicht automatisch ein futurisches. Häufiger kommt es zu einer impliziten Verschiebung auf die Zeitstufe der (rezenten) Vergangenheit: (125) Jeanne Moreau renonce au cinéma. Transition A = O nur perfektiv als kompletiv

A = O IS

Theoretisch müßte eine futurische Lesart möglich sein. Dann könnte der Satz implizit temporal sowohl bedeuten, daß die Absage ans Filmgeschäft bereits erfolgte, als auch, daß sie noch erfolgen wird. Die erste Möglichkeit wird im Französischen jedoch präferiert, die zweite scheint blockiert. Daß transitionelle Prädikate häufiger als im Deutschen mit vorzeitigem Zeitstufenbezug gelesen werden, gibt einen ersten Hinweis darauf, worin die bereits angesprochene Restriktion, der das französische Präsens (nur) in futurischer Funktion unterliegt, wurzelt, und diesem Hinweis wird noch nachzugehen sein. S C H R O T T ( 1 9 9 7 : 1 5 5 ) führt an einem (von ihr nicht aktional kategorisierten und analysierten) transitionellen Prädikat die semantische Wirkung dieser Restriktion vor: (126) *Chirac gagne [...] les

24

élections.

Das sog. sein- oder é/re-Perfekt, mit seiner primär präsentischen Nachzustandsbedeutung, die es nachweislich im Deutschen und im Französischen hat, halte ich mit SAETTELE (1971: 68f. für das Französische) und LEISS (1992: 165ff. fiir das Deutsche) nicht fur ein passé. Damit gibt es Restriktionen beim passé composé, weil eben nicht alle Verben mit avoir kombiniert werden können.

110 Der Satz sei als fiiturisch nur in zwei Fällen akzeptabel. Entweder müsse ein Kotext angefügt werden, durch den sich der Sprecher als Garant fur den Sachverhalt zu erkennen gebe (Tu vas voir, Chirac gagne les élections), oder es müsse aus Ko- und Kontext bekannt sein, daß es sich um einen Fall intendierter Wahlmanipulation handle. Der transitionelle Satz ist also dann als futurisch akzeptabel, wenn man dem Ereignis einen wie auch immer gearteten semantischen Vorlauf beiordnen oder unterstellen kann. Für die Beziehbarkeit des Satzes auf ein gerade abgeschlossenes Ereignis gilt hingegen keine derartige Restriktion. Dem Ereignis muß bei kompletiver Bedeutung kein Nachhang im Sinne eines Nachzustandes zur Seite stehen (was zusammengenommen resultative Wertigkeit ergeben würde). Dieser Umstand belegt, daß die Restriktion nicht, wie SCHROTT annimmt, auf eine generelle imperfektive Markiertheit des Präsens zurückgeht, denn für das kompletive Präsens ist sie nicht zu konstatieren. Die Restriktion nur in futurischer Funktion, die es im Deutschen analog nicht gibt, ist so zu fassen, daß fur die Möglichkeit einer ftiturischen Deutung eines transitionellen Prädikats ein Ko- oder Kontext erforderlich ist, der die Vorstellung ermöglicht, es habe eine semantisch füllbare Vorphase des futurischen Ereignisses gegeben. Auch am folgenden Beispiel (SCHROTT, 1997: 164ff.) wird deutlich, daß im Fall von Transitionen vermutlich deshalb regelmäßig eher eine kompletive Lesart präferiert wird: (127) Aufforderung einer Person an eine andere: [...] Tais-toi, la vieille! Antwort: Je me tais.

Für SCHROTT handelt es sich hier um eine stilistische Verwendung des Präsens im Sinne einer „Evozierung der Zukunft als Gegenwart". Der Fall liegt jedoch einfacher: Tais-toi! entspricht dt. Halt den Mund!, se taire also in der Bedeutung ,aufhören zu sprechen'. Das transitionelle Prädikat wird im französischen Präsens aufgrund der Restriktion im futurischen Bereich eher kompletiv aufgefaßt - die Möglichkeit der Lesart Ich habe aufgehört zu sprechen liegt also regelhaft näher. Auch wenn dieser Wert hier nicht mit Referenz auf etwas außersprachlich Gegebenes, sondern zu anderen kommunikativen Zwecken eingesetzt wird, fußt er nicht auf so komplizierten Umdeutungsmechanismen, wie SCHROTT sie annimmt. Transitionen sind also im französischen Präsens ebenso regelhaft temporal zu reinterpretieren wie in anderen Sprachen mit aspektuell unmarkierten Präsensformen auch. Die generelle Affinität zu direkter futurischer Beziehbarkeit ist im Französischen jedoch unterbunden, da für die futurische Funktion eine Restriktion vorliegt. Im Französischen besteht die Neigung zu einem automatisierten Bezug auf die Stufe der rezenten Vergangenheit deshalb, weil die Projektion in den futurischen Bereich einem zusätzlichen Kriterium genügen muß. Dieses Iäßt sich so formulieren, daß Transitionen, um als futurisch akzeptabel zu sein, sekundär durch den Ko- oder Kontext zu einem R-Progressiv oder Intergressiv aufgerüstet werden müssen, d.h., daß eine fullbare Vorphase in das aktionale Bild zu integrieren ist. R-Progressiva unterliegen der Restriktion im implizit futurischen Bereich folglich deshalb nicht, weil sie eine Vorphase bereits im aktionalen Spektrum aufweisen. Für sie gilt damit die übereinzelsprachlich üblichere Affinität zu futurischer Referenz dieser Rechtsgrenze. SCHROTT liegt falsch, wenn sie den futurischen Referenzumfang von R-Progressiva, fur die die einzelsprachliche Restriktion nicht gilt und deren Rechtsgrenze damit regelhaft futurisch gelesen wird, ebenfalls als Stilistikum analysiert. Das folgende Beispiel

Ill zeuge von einer (1997: 164) „suggestive[η] Vergegenwärtigung [...] in der spatialen Perspektive": (128)

J'arrive!

Sie analysiert wie folgt (1997: 164): Der Sprecher versetzt sich in die Perspektive des Angesprochenen, der den Sprecher gleichsam schon auf sich zukommen sieht - eine Umkehrung der Perspektive, wie sie auch beim deutschen Ich komme gegeben ist.

Eine Umkehrung der natürlichen Perspektive ist hier keineswegs festzustellen: Der Sprecher, gleichzeitig Ausführender der versprachlichten Handlung, ist zum Zeitpunkt der Äußerung vom Angesprochenen entfernt, signalisiert also ein futurisches beim Angesprochenen Ankommen, was von seiner Sicht aus die perzeptiv vorgegebene (die ,normale') und keine metaphorisch umgedeutete Perspektive ist. Die regelhaften futurischen Werte anderer R-Progressiva (Je viens, Je pars) der räumlichen Fortbewegung basieren auf vergleichbaren Konstellationen. Die sich bezeichnende Person kann in die Vorphase bereits sichtbar involviert sein oder nicht, die Transition (Rechtsgrenze) ist in jedem Fall nur futurisch zu verstehen. J'arrive! verfugt also aktional über eine Phase des ,Kommens' und eine Transition des ,Ankommens' - welche Komponente kommunikativ im Vordergrund steht, entscheiden andere sprachliche und außersprachliche Gegebenheiten, das ,Ankommen' jedoch steht unabhängig von der Fokuslegung in jedem Fall noch aus. 25 Auch S C H R O T T scheint im weiteren Fortgang ihrer Darstellung davon abgekommen zu sein, daß es sich bei J'arrive um ein Stilistikum handelt, exemplifiziert sie doch ab und an typische Verwendungen des futurischen Präsens am Prädikat J'arrive (vgl. 1997: 195, 1997: 197). Es bleiben nun noch die stark markierten Intergressiva zu analysieren. Vor allem diese Prädikate sind im Deutschen wie im Französischen aspektuell und damit auch implizit temporal polyvalent und werden durch zusätzliche Mittel oder den Kontext desambiguiert: (129) Martha spült das restliche Geschirr Intergressiv Α - > O Lesarten: 1. imperfektiv als 2. perfektiv futurisch als 25

26

ab.

(A] - > S - » [O] Martha ist gerade dabei, das restliche Geschirr abzuspülen. S | A -> O Martha spült bald/irgendwann das restliche Geschirr ab.26

BYBEE U.A. (1994: 269f.) machen auf eine unnötige Komplizierung ähnlicher Art in einer anderen Monographie zum romanischen Futur aufmerksam: FLEISCHMANN (1982) bemühte zur Erklärung der Existenz sog. go- und come-futures die Vorstellung, letztere zeugten von einer umgekehrten Perspektive auf das Phänomen Zeit: Bei go-futures handle es sich um eine moving-ego metaphor, bei come-futures rolle die Zeit auf den Betrachter zu (moving-time metaphor). Diese Auffassung sei nicht haltbar, „because in both cases it is the subject who moves". Lediglich der kommunikative Schwerpunkt liege anders: im Fall der go-futures auf dem Weg und dem Ziel, bei den comefutures hauptsächlich auf dem , Ankommen dann' (nur dem Ziel). I'm coming to Dallas next week sei ebenso moving-ego wie I'm going to Dallas next week und eine ontologische Umdeutung des Strömens der Zeit nicht zu folgern. Vgl. hierzu auch SERZISKO (1993: 187), wonach bei jedem Andativ das deiktische Zentrum ursprünglich gleich dem referentiellen Zentrum ist, beim Venitiv hingegen das referentielle Zentrum gerade nicht dem deiktischen Zentrum entspricht. Die futurische Interpretation ist nur als Automatismus erklärbar, denn es könnte ebensogut O als vor S liegend, also das Ereignisintervall als abgeschlossen verstanden werden, da irgendwann

112

Es besteht auch die Möglichkeit einer Verschiebung in die Klasse der weniger markierten Progressiva und damit habitueller Lesart: Pluralische Objekte oder nicht genau referentiell (auf eine konkrete Tätigkeit oder Zeitspanne) eingegrenzte E können so dekodiert werden. Hierzu zwei Beispiele, die die graduelle Zunahme der Möglichkeit habitueller Interpretation verdeutlichen helfen. Aus primären, ,echten' Intergressiva wie (129) ist eine habituelle Lesart (Martha spült gewöhnlich das restliche Geschirr ab) relativ schwer zu inferieren. Bei Reduzierung der intergressiven Markierung und Durchscheinen von Ph-Progressivität (als dem weniger markierten Inhalt) nimmt die Wahrscheinlichkeit einer habituellen Interpretation zu: (130) Martha spült das Geschirr. Intergressiv/Progressiv selten als

Martha spült gewöhnlich

(131) Martha spült Progressiv auch als

das

Geschirr.

Geschirr.

Martha spült gewöhnlich

Geschirr/ist

Spülkraft.

SCHROTT (1997: 145) liefert, ohne dies zu intendieren, 27 ein typisches französisches Beispiel für die aspektuelle Mehrdeutigkeit von Intergressiva an der Schnittstelle zu Progressiva. In diesem Fall ist es das vorhandene Pluralobjekt, das die intergressive Markierung abschwächt und eine Interpretation als Ph-Progressiv (mit Habitualität als Subfunktion) ermöglicht: (132) Je range mes affaires. Je suis occupée en ce moment. Je range mes affaires. C'est devenu une habitude. Je range mes affaires. C 'est promis.

Die Lesarten sind funktional identisch mit denen von Beispiel (130): die erste steht für implizite Imperfektivität, die zweite für implizite Perfektivität/Futurität. Das Pluralobjekt bietet zudem die Möglichkeit einer weiteren Variante der perfektiven Lesart, und das ist die habituelle, die im dritten Fall im Vordergrund steht. Im Rahmen ihres Tests stellt SCHROTT für Intergressiva (VENDLER: accomplishments) lediglich die Möglichkeit präsentischer und futurischer Lesart fest: (133) Je fais mes dix kilomètres

en cross.

Zusammenfassend lassen sich für Intergressiva ähnliche Werte verzeichnen wie für die ebenfalls beidseitig begrenzten Interstativa. Allerdings wird durch das Merkmal der Stativität die Neigung zu imperfektiver Lesart, durch das der Dynamik zu perfektiver Lesart verstärkt. 28 Da auch typische Intergressiva im Präsens über die fokussierbaren Merkmale

27

28

nicht auf Vor- oder Nachzeitigkeit festgelegt ist. Die bloße Anweisung ,verschiebe E temporal', die irgendwann signalisiert, aktiviert also Futurität. Die Autorin verwendet die Sätze, um unterschiedliche Manifestationen der „Semantik der Gültigkeit" (1997: 45) des Präsens zu illustrieren. Hier dringt ein kognitives Korrelat (die Interdependenz der Konzepte Dynamik, Begrenztheit und ,Zeitlichkeit' im Sinne zeitlicher Progression) ins funktionale Spektrum durch: Je weniger dynamisch ein Sachverhalt ist, desto weniger abbildbar ist er auf das Konzept zeitlicher Dauer. Aktionale Begrenztheit kann diese Systematik durchbrechen, da sie die Vorstellung von Transitionen impliziert, die wiederum sekundär auf dynamische Komponenten schließen lassen.

113

der Phase und Transition (Rechtsgrenze) verfugen, genügen sie dem einzelsprachlichen Kriterium der semantisch fullbaren Vorphase, das ein französisches Präsens erfüllen muß, um als futurisch akzeptabel zu sein. 5.3.1.3. Zwischenbilanz Das französische Präsens erweist sich in nicht-ergänzten Beispielsätzen als aspektuell und temporal unmarkierte Form und ist als solche fur aktionale Semantik durchlässig. Die aktionale Merkmalstruktur bedingt, daß Prädikate im Präsens ohne aspektuell oder temporal modifizierenden Ko- und Kontext über unterschiedliche implizit aspektuelle und damit u.U. auch implizit temporale Lesarten verfugen. Unbegrenzte Stativa sind auf imperfektive Aspektualität festgelegt und können nicht implizit temporal verschoben, damit auch nicht futurisch gelesen werden. Progressiva sind etwas weniger festgelegt, Ph-Progressiva sind aspektuell nicht festgelegt. Perfektive Perspektive wird als Iterativität (Habitualität) reanalysiert. Sie sind also im Präsens auch bei u.a. möglicher perfektiver Interpretation nicht primär futurisch lesbar. Bestimmte Ko- und Kontexte, die die habituelle Lesart ausblenden und dennoch perfektive Lesart nahelegen, können sekundär eine futurische Interpretation erlauben. Bei den intern deutlicher strukturierten Ph-Progressiva ist diese Möglichkeit in stärkerem Maße gegeben. Die Klassen, die über das Merkmal der Phase und der Begrenztheit verfugen (Interstativa, R-Progressiva, Intergressiva) können imperfektiv und perfektiv gelesen werden. Perfektive Lesart fuhrt automatisch zu einer futurischen Interpretation, Intergressiva und Interstativa, bei denen durch pluralische Aktanten eine Tendenz zur Neutralisation, d.h. Affinität zu progressiver Lesart gegeben ist, können auch perfektiv-habituell interpretiert werden. Transitionen sind auf den perfektiven Aspekt festgelegt, wenn sie nicht durch den Kontext (agentiver Subjektreferent, 1. oder 2. grammatische Person) zum R-Progressiv verschoben erscheinen. Übereinzelsprachlich wird dieser Aspekt meist als implizit futurisch gelesen. Im Französischen jedoch ist kompletive Reanalyse häufiger, da die futurische Funktion des Präsens einer einzelsprachlichen Bedingung unterliegt, der diese Klasse inhärent nicht genügt. Sie sind nur dann als futurisch verwendbar, wenn aus dem Kontext eine Vorphase der Transition geschlossen werden kann, d.h. wenn sie sekundär um das Merkmal der Phase ergänzt sind. L-Stativa, Interstativa, R-Progressiva und Intergressiva unterliegen damit der Restriktion im futurischen Referenzbereich nicht, da sie eine Vorphase der futurisch reanalysierbaren Transitionspunkte angelegt haben. Ohne weiteren aspektuell oder temporal modifizierenden Ko- und Kontext kann ein französisches Präsens futurisch also in folgenden Fällen verwendet werden: a.) Die aktionale Struktur weist mindestens einen Transitionspunkt auf, der unter perfektiver Außenperspektive im Fokus stehen kann. Dieser Bedingung genügen unmarkierte Stativa und Progressiva nicht, Ph-Progressiva bedingt. b.) Dem futurisch vermittelten Sachverhalt muß semantisch eine Vorphase unterstellt werden können. Interstativa, Intergressiva und R-Progressiva genügen dieser Bedingung (Restriktion) bereits aktional, Transitionen jedoch nicht. Sie sind als futurisch nur akzeptabel, wenn sie sekundär zu einem Interstativ, Intergressiv oder R-Progressiv verschoben werden. Diese Leistung kann ein entsprechender Ko- oder Kontext erbringen.

114 SCHROTTS Argumentation ist im Bereich des futurischen Präsens an einigen Stellen nicht haltbar. Die für bestimmte Klassen typischen Beispielsätze sind selektiv aus Subklassen gewählt, inhaltlich wie kontextuell markierte Prädikate wurden bevorzugt, unmarkierte übergangen. Damit kann die Sprecherbefragung keinen Belegcharakter beanspruchen und die gezogenen Schlußfolgerungen (1997: 170) konnten nicht unwidersprochen bleiben. Es spricht nichts dafür, daß das französische Präsens Träger eines imperfektiven Aspekts ist. Der Schluß, es gebe keine Restriktionen, sondern lediglich Affinitäten von Lesarten zu bestimmten Situationstypen, ist fur nicht aspektuell oder temporal ergänzte (zusätzlich markierte) Äußerungen nicht zu rechtfertigen: Echte Stativa können im Präsens nicht futurisch und echte transitionelle Prädikate nicht imperfektiv gelesen werden. Die im Präsens gegebene und fur das französische Tempussystem so entscheidende Durchlässigkeit fur aktionale Semantik, die bei anderen Tempora entfällt, wurde nicht erkannt. Die kontextlos gegebenen Lesart-Möglichkeiten des französischen Präsens in Abhängigkeit von aktionalen Klassen seien noch einmal tabellarisch zusammengefaßt. Die Klassen, die der Restriktion im futurischen Funktionsbereich unterliegen, werden kenntlich gemacht:

Stativ Beispiel:

Imperfektiv Präsentisch II est un homme comme les autres.

L-Stativ Futurisch restringiert!

Imperfektiv Resultativ

Beispiel: Interstativ Beispiel: Progressiv Beispiel: Ph-Progressiv Beispiel: Transition Futurisch restringiert! Beispiel: R-Progressiv Beispiel: Intergressiv Beispiel:

Perfektiv Kompletiv (+ Vorphase: futurisch)

Il garde sa position. Imperfektiv Präsentisch Il a une réunion.

Perfektiv Futurisch / (habituell)

Imperfektiv Progressiv Il fume. Imperfektiv Progressiv Il rit.

Perfektiv Habituell / (futurisch) Perfektiv Habituell / (futurisch) Perfektiv Kompletiv (+ Vorphase: futurisch)

-

Il renonce à tous ses biens. Imperfektiv Progressiv Il monte au sommet.

Perfektiv Futurisch

Imperfektiv Progressiv Il range son stylo/ses

Perfektiv Futurisch / (habituell) affaires.

115

Welche für temporale Funktionen entscheidenden Kontexte die implizit futurische Komponente betonen, eine explizite selbst einfuhren, und an welcher Stelle einer ftiturischen Funktion des Präsens im Französischen im Kontext Grenzen gesetzt sind, bleibt noch festzustellen. Es muß geklärt werden, wann im Französischen, im Gegensatz zum Deutschen etwa, das Präsens trotz adverbialer oder anderweitiger Zeitstufendeterminierung nicht fur futurischen Zeitbezug zur Verfügung steht. 5.3.2. Das présent in futurisch situierenden Ko- und Kontexten Adverbiale Ergänzungen können, wie Tempusmarkierungen, als temporale Relatoren fungieren. Sie weisen eine Referenzrahmen oder -punkt als nicht dem Sprechaktkontext zugehörig aus. Zudem können sie insoweit determinierend sein, als sie aufgrund ihrer lexikalischen Bedeutung den Betrachterstandpunkt im Intervall des Ereignisses verorten oder nicht, und damit die aspektuellen und aktionalen Bedeutungskomponenten einer Aussage zusätzlich modifizieren. Man vergleiche: (134) Il fait son travail pendant toute imperfektivierend

l'année.

( 1 3 5 ) / / fait son travail en cinq jours. perfektivierend

Grundsätzlich müßte nun, wie im Deutschen, jedes Zeitadverbial oder ein Futurität implizierender Kontext (wie etwa ein reihender Konditionalsatz) eine formal präsentisch markierte Aussage für eine andere Zeitstufe funktionalisierbar machen. Im bereits durch andere Elemente temporal-futurisch situierten Bereich unterscheidet sich das Französische vom Deutschen jedoch deutlich, das Präsens ist in futurischen Kontexten im Deutschen akzeptabel, in denen es im Französischen nicht erscheinen kann. CONFAIS (1990: 278ff.) nennt in seiner kontrastiven Untersuchung folgende Beispiele, bei denen jeweils in der französischen Übersetzung eines deutschen Satzes ein Präsens ausgeschlossen ist: (136) Wenn du so aus dem Haus gehst, erkältest du dich. * Si tu sors comme ça, tu attrapes froid. (137) [Ich denke/ich bin sicher/es ist wahrscheinlich, daßj die SPD (am Sonntag) die Wahlen gewinnt. [Je pense/je suis sûr/il est probable que] les républicains-sociaux gagnent les élections (dimanche). (138) Das vergesse ich nie. * Je n'oublie jamais cela.29

29

Ich präzisiere hier in Anlehnung an SCHROTT (1997: 156) den bei CONFAIS als Je ne l'oublie jamais zu findenden Satz. Er wäre allerdings auch im Deutschen ohne Kontext nicht eindeutig futurisch, sondern aspektuell und damit auch implizit temporal mehrdeutig. Diese Mehrdeutigkeit bleibt mit dem Adverb erhalten, denn frz .jamais ist ebenso wie dt. nie/niemals nicht festgelegt auf singulare Referenz. Es kann Iteration signalisieren (,immer wenn, dann') oder als hyperbolische Verneinung singulär-imperfektiv fungieren. Bei perfektiver Lesart ist der Satz primär habituell und nur sekundär futurisch interpretierbar. Und nur diese futurische Lesart ist im Französischen blokkiert, die habituelle hingegen nicht (dt. Was, du hast keinen Schirm mitgenommen? Das vergesse ich nie., frz. ebenso: Quoi, tu η 'as pas emporté ton parapluie? Je η 'oublie jamais cela.)

116

Insgesamt sei das französische Präsens als futurisch nicht akzeptabel, wenn die Aussage erkennbar auf der subjektiven Überzeugung des Sprechers bzw. auf einer intersubjektiv nicht überprüfbaren Voraussetzung beruhe (CONFAIS, 1990: 283: „dès que le jugement est présenté comme issu d'une pure .conviction intime'"). Aussagen, die die Bedingung einer anerkannten bzw. überprüfbaren Gegebenheit erfüllten, könnten sogar epistemischen Modalverben untergeordnet werden und seien dennoch als futurisch akzeptabel: (139) [Je pense etc. que] Maradone joue ce soir dans le match contre le Bayern. (140) [Ils arriveront plus tard parce qu '] ils passent par la Suisse. Je crois/je suis sûr qu'ils passent par la Suisse.

Hingegen nicht: (141) *J'ai bien l'impression

qu'ils passent par la Suisse.

CONFAIS (1990: 283) schreibt die Akzeptanzunterschiede einem grundierenden, je unterschiedlichen Evidenzstatus zu, den er mit L-vérité (Je dis que...) und On-vérité {On [m'a] dit/voit que...) bezeichnet. Es gebe jedoch Sätze, deren Akzeptabilität als futurisch unter den grammairiens zwar diskutiert, gleichwohl aber anerkannt werden müsse, und die offensichtlich L-vérité -basiert seien: (142) D'ici cinq ans au plus, je suis Premier (143) Dans dix ans, j'ai fait fortune.

ministre.

CONFAIS (1990: 283) erklärt diese Akzeptabilität als futurisch wie folgt: Mais une fois réalisées par un locuteur précis, ces phrases se présentent comme apportant une garantie de vérité autre que purement subjective, prévenant à l'avance toute velléité de contestation de la part du destinataire, qui est stupéfait de l'écart entre la plausibilité du contenu et la certitude véhiculée dans l'énoncé.

Diese Erklärung selbst liefert ein anschauliches Beispiel dafür, wie L-vérité alle Äußerungen prägt (auch die von Sprachwissenschaftlern): Weil Sätze von einem konkreten Sprecher geäußert würden (man fragt sich unwillkürlich, wer sie wohl sonst äußern sollte), seien sie assertiert, und weil sie derart assertiert seien, stünden deren Inhalte wie faktisch im Raum. Dem Angesprochenen, sprachlos angesichts und scheinbar auch morphinisiert von einer solchen Dreistigkeit, werde jede Möglichkeit genommen, dem Sprecher Subjektivität zu unterstellen. Was hier übersehen wurde, ist die Selbstverständlichkeit, daß die assertive Grundierung des Sprechens auch bei Vermittlung möglicherweise sehr subjektiver Überzeugungen den Effekt einer On-vérité vermittelt. Zur Erklärung grammatisch nicht akzeptabler Form macht es wenig Sinn, etwas verantwortlich zu machen, das immer vorliegt. Jede Behauptung könnte man mit dem Kriterium einer L-vérité fundieren, nur besteht die Notwendigkeit einer Erklärung eben nicht immer. Die Akzeptanz des folgenden futurischen Präsens etwa wäre mit einer On-vérité ebensogut wie mit einer L-vérité zu begründen, sehr erhellend wären beide Erklärungen nicht. ( 144) 30

Arrêtez - ou je

tire!30

Aus einem Comic von HERGÉ, zit. nach CURAT (1991: 157). Ich führe das Beispiel an, weil es sich um die Verwendung eines transitionellen Prädikats in einem r-progressiv verschiebenden Kontext handelt (1. Ps. Sg., Agentivität, semantische Vorphase: X n'arrête pas). Tirer findet sich in der Forschungsliteratur häufig in ,ungrammtischen' Beispielsätzen, um den Unterschied zwischen

117

Der folgende, von CONFAIS als nicht akzeptabel analysierte Satz (vermutlich wegen L-vérité) erweist sich zudem, zumindest in bestimmten Registern, als sehr wohl akzeptabel: (145) (*)Dans deux ans, personne n'en parle plus. dt. In zwei Jahren spricht niemand mehr davon.

Meinen französischen Informanten fiel an diesem Satz nichts Ungewöhliches auf. Erst als sie darauf aufmerksam gemacht wurden, daß er von einem grammairien als ungrammatisch kategorisiert werde, gaben sie einschränkend zu bedenken, er sei möglicherweise nur im gesprochenen Register akzeptabel. SCHROTT (1997: 147) nennt einen ähnlichen Fall, wobei der Beispielsatz interessanterweise eine vergleichbare aktionale Struktur hat. Sie fand ihn in einer Untersuchung als inakzeptabel kategorisiert, von ihren Informanten jedoch wurde er als vollkommen normal empfunden: (146) (*) Je prends ma retraite dans dix ans. dt. In zehn Jahren gehe ich in Rente.

SCHROTT sucht ebenfalls nach dem durchgängigen Faktor, der ein Präsens als futurisch ausschließt. Sie kommt zu dem Schluß, ein in der Imperfektivität des Präsens wurzelndes Potential des „objektiv gegebene[n] Programms" (1997: 148) (Prädeterminiertheit), der Sprecherkontrolle (Planbarkeit) und der kommunikativen Vermittlung „präsentische[r] Faktizität" (1997: 146) diktiere die Restriktion bzw. Akzeptanz. Dieser Grundwert des Präsens werde durch die Angabe eines expliziten Zeitpunktes der Realisierung des Sachverhalts in Form einer temporalen Verschiebung aktiviert (1997: 148ff). Immer wenn der Kontext gegen die Bedingung verstoße, oder der Sprecher eine scheduled-Lesart ausschließen wolle, sei das Präsens nicht erlaubt. Ein solcher Kontext, in dem im Deutschen ein Präsens möglich sei, im Französischen jedoch nicht, seien meteorologische Voraussagen (1997: 153f.): (147) La météo annonce que, dès demain, les températures [...]* remontent. dt. Der Wetterbericht meldet, daß von morgen an die Temperaturen wieder

steigen.

(148) Quelle chaleur. Ça [...] * finit par de l'orage. dt. Was für eine Hitze. Das gibt ein Gewitter.

Der folgende Satz sei z.B. nur dann akzeptabel, wenn der Sprecher als Pechvogel bekannt sei, der im Urlaub immer schlechtes Wetter habe: ( 149) Tu vas voir, demain il pleut.

Die [+ im Jetzt garantiert]-Wertigkeit des Präsens mache es als futurisch mit Wahrscheinlichkeitsangaben oder nach epistemischen Einleitungssätzen inakzeptabel (1997: 157ff.): ( 150) Chouette! On η 'a pas de maths cet après-midi. * Chouette! On η 'a probablement pas de maths cet

après-midi.

(151) Tun 'oublieras pas de me remettre les clés de la voiture, j'en ai besoin demain. * Tu η 'oublieraspas de me remettre [...], j'en ai sans doute besoin demain 31

31

dem deutschen und dem französischen futurischen Präsens zu demonstrieren. Im Französischen ist es als futurisch tatsächlich meist nicht akzeptabel, in dem vorgeführten Kontext erweist sich die Restriktion jedoch als aufgehoben, da das Kriterium der ,semantisch fällbaren Vorphase' greift. Certainement sei eher akzeptabel: mit zunehmender Wahrscheinlichkeitssignalisierung durch das Adverb nehme auch die Akzeptabilität zu.

118 Entscheidend sei immer die Annahme des Sprechers, das zukünftige Ereignis sei von faktischen Voraussetzungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt diktiert. Und so könne in einem bestimmten Kontext ein Satz im Präsens als futurisch akzeptabel (1997: 158f.) sein, in einem anderen der gleiche oder ein vergleichbarer Satz (1997: 159) jedoch nicht: (152) [...] Moi, je te dis qu 'ilsy vont demain f...]. (153 ) Je vous promets que je [...] * viens demain.

Die Beispiele sprechen nun allerdings dafür, daß die „beschlußfähige Instanz" (1997: 150), die die Voraussetzung für die fliturische Verwendung bildet, nicht der Sprecher selbst sein kann. Auf einer anderen Ebene der Betrachtung stünde damit doch so etwas wie L-vérité und On-vérité zu vermuten, nur daß die Bedingtheit hier etwas anders formuliert wird: Ein Sachverhalt, der von den Kommunikationspartnern als von außersprachlichen Gegebenheiten diktiert gilt, kann mit temporal dislozierenden Angaben ñiturisch verwendet werden, ein Sachverhalt, bei dem dies nicht der Fall ist, nicht. SCHROTT analysiert die Restriktion so, daß sich die generelle Imperfektivität des Präsens bei futurischer Verwendung in Form des Diskurswertes einer in der origo wurzelnden Gültigkeit/Faktizität manifestiere. 32 SCHROTT weist an einer Stelle am Rande darauf hin, daß im Deutschen das Kriterium der Planbarkeit offensichtlich weiter gefaßt werde, da das Präsens in futurischer Funktion im Deutschen nicht so stark restringiert sei (1997: 156) - tatsächlich deutet allerdings im Deutschen nichts auf die von SCHROTT formulierten Kriterien hin; und so ist nicht von einer weiter gefaßten Plankomponente auszugehen, sondern von gar keiner, denn ein Präsens ist im Deutschen mit jeder Art von futurisch dislozierendem Kontext akzeptabel: (154) Morgen regnet es vielleicht wieder. (155) Ich verspreche Dir, daß ich morgen komme.

Für die funktionalen Ausfallerscheinungen des französischen Präsens im futurischen Bereich muß die Ursache also noch gefunden werden. Wichtige Hinweise für die Klärung des Problems erhält man, wenn man sich die Systembedingungen einer Reanalyse unmarkierter Präsensformen als Futura vor dem einzelsprachlichen Befund noch einmal vor Augen hält. Auf perfektive und damit futurische/habituelle Werte werden unmarkierte Präsensformen dann restringiert, wenn eine imperfektiv markierte Form in ihren präsentischen Funktionsbereich einbricht (vgl. die Verdrängung des englischen simple present aus dem Bereich der präsentischen Imperfektivität). Das französische Präsens hat demgegenüber nachweislich eine intakte imperfektive Teilfunktion, ist jedoch im Gegenzug restringiert in einem Subfunktionsbereich des perfektiven Pols, insoweit vor allem die futurische Reanalyse perfektiver Werte bzw. eine Verwendung in einem futurisch verschobenen Kontext an eine bestimmte zusätzliche Bedingung gebunden ist. Es kann als futurisch nur erscheinen, wenn das Ereignis durch einen semantischen Vorlauf, eine Vorphase direkt mit dem Entstehungskontext der Äußerung verbunden ist. D.h., es ist immer dann akzeptabel, wenn die Äußerung inklusive Kontext primär oder sekundär das aktionale Bild eines L-Stativs, Interstativs, R-Progressivs oder Intergressivs vermittelt. 32

Auf welcher Basis SCHROTT (1997: 403) eine Grammatikalisierung des Präsens in futurischer Funktion behaupten kann, ist nicht nachvollziehbar. Da sie eine automatische Deutung als futurisch ausschließt, d.h. die futurische Leistung immer dem Kontext zuschreibt, kann eigentlich das Präsens nicht mit [+ futurisch] markiert sein. Dies wäre jedoch die Voraussetzung dafür, daß Grammatikalisierung (eigentlich: Reanalyse) in futurischer Funktion angenommen werden kann.

119 Als Grund für die Bindung des französischen fiiturischen Präsens an dieses (primär oder sekundär gegebene) aktionale Muster könnte man nun, wenn man die Konventionalisierung einer Implikatur vermutet, eine spiegelbildliche Entwicklung zu der des englischen simple present präsupponieren: Das französische morphologische Präsens konnte eventuell als aspektuell und temporal unmarkierte Form ursprünglich mit allen aktionalen Klassen futurische Funktionen erfüllen (ohne temporalisierenden Kontext: mit den Klassen, die sich für eine perfektive und damit futurische Reanalyse eigneten; mit temporal verschiebendem Kound Kontext: mit allen Klassen). Es könnte nun diachron eine Form in futurische Funktion eingerückt sein, die zunehmend ein explizites Futur für die Klassen darstellte, mit denen das Präsens futurisch nur mit Zusatzaufwand verwendbar war (Stativa, Progressiva usw.). Mit diesen Klassen erschien es infolgedessen weniger häufig. Die Struktur, die es mit den verbleibenden, häufiger verwendeten Klassen (L-Stativa, Interstativa, R-Progressiva, Intergressiva) regelhaft vermittelte, wurde zuerst als Bedingung einer fiiturischen Verwendung des Präsens und im weiteren als dessen Merkmal aufgefaßt. Für diese Vermutung spricht, daß das französische Präsens z.B. im iterativ/habituellen Funktionsbereich, der ebenfalls auf Perfektivität beruht, nicht restringiert ist. Dieser Hypothese soll u.a. auf der Basis der statistischen Erhebung im folgenden Abschnitt nachgegangen werden.

5.4. Aktionale Klassen und das présent

futuraI

5.4.1. Präsentation der Auswertung

PRÉSENT FUTURAL

Ohne

Stativ L-Stativ Interstativ Progressiv Ph-Progressiv Transition R-Progressiv intergressiv

10,33% 6,61 % 14,88%

GESAMT:

40,08 %

1. PS 2. PS 3. PS Gesamt

0,83 % 4,13% 0,41 % 2,89 %

Futurisch

2,89 2,48 0,83 3,31 0,41 9,92 7,85 6,61

Prozent

Absolut 278 36 242

PRÉSENT FUTURAL Gesamtzahl Daten: Gesamtzahl Modalperiphrasen: Berücksichtigte Daten:

% % % % % % % %

34,30 %

Inzisivadv.

12,95% 87,05%= 100%

Intervalladv. Indet.Adv.

0,41 %

0,83 % 0,41 %

0,83 %

0,41 %

1,24%

Gesamt 27,39% 11. PP 116,18%" 43,57% 25,73% 2.PP 1,24% 26,97% 22,82% 3. PP 6,64% 29,46% 75,93 % 24,07 % 100 %

Konditional/ GESAMT: Konsekutiv/ Gereiht 2,07 % 6,61 % 1,24% 10,74 % 2,07 % 0,41 % 0,41 % 2,07 % 0,41 % 6,61 % 0,41 %

0,41 %

2,48 % 1,24% 1,24%

4,13% 1,65% 4,96 %

28,10% 17,36 % 28,10%

2,07 %

6,61 %

15,70%

100%

Diskont./Kontin. 9,54% Negiert/Affirmiert 5,39% Interrog./ Nicht interrog. 19,50% Unbel. SR/ Bei. SR 10,79%

90,46% 94,61% 80,50% 89,21%

120 Registerspezifische Auswertung: PFI Ohne Gesprochenes Register Stativ L-Stativ Interstativ Progressiv Ph-Progressiv Transition R-Progressiv Intergressiv

3,28 % 9,02 % 16,39%

1,64% 3,28 % 0,82 % 4,92 % 0,82 % 14,75% 5,74 % 9,02 %

GESAMT:

38,52 %

40,98 %

PFI Literarisches Register

1,64% 5,74 %

Futurisch

2,46 %

Ohne

1,64% Inzisivadv.

4,46 % 1,79% 0,89 %

0,89 %

16,96% 4,46 % 14,29%

3,57 % 9,82 % 4,46 %

GESAMT:

41,96%

26,79 %

PFI Ohne Pressesprachl. Register

1,64 %

Futurisch

Stativ L-Stativ Interstativ Progressiv Ph-Progressiv Transition R-Progressiv Intergressiv

2,68 % 0,89 % 2,68 %

Inzisivadv.

1,79%

Futurisch

Intervalladv. Indet.Adv. Konditional/ GESAMT: Konsekutiv/ Gereiht 1,64% 4,92 % 0,82% 1,64% 1,64% 13,11 % 0,82 % 7,38 % 0,82 % 2,46 % 22,13 % 1,64% 1,64% 18,03 % 0,82 % 6,56 % 32,79 % 2,46 %

Inzisivadv.

15,70%

100%

Intervalladv. Indet.Adv. Konditional/ GESAMT: Konsekutiv/ Gereiht 4,46 % 8,93 % 0,89 % 2,68 % 8,93 % 0,89 % 0,89 % 3,57 % 0,89 % 5,36 % 0,89 %

0,89 %

4,10%

0,89 %

4,46 % 0,89 % 0,89 %

6,25 % 1,79% 3,57 %

32,14% 16,96 % 24,11 %

1,79%

8,04 %

20,54 %

100%

Intervalladv, Indet-Adv.

Konditional/ GESAMT: Konsekutiv/ Gereiht

Stativ L-Stativ Interstativ Progressiv

12,50 %

12,50%

Ph-Progressiv Transition

25,00 %

R-Progressiv

25,00 %

Intergressiv GESAMT:

12,50%

12,50%

62,50 % 12,50 %

12,50% 37,50 %

37,50 %

25,00 %

100%

121

5.4.2. Analyse der Auswertung Der Bereich, in dem ein Datum futurische Funktion ohne temporalisierenden Kontext erfüllt, sei als erster behandelt: Das Präsens ist hier, wie zu erwarten war, nahezu völlig auf [+ begrenzte] Prädikate beschränkt. 90,72 % sind extern grenzbezogen, die nicht-begrenzten 9,28 % bestehen zu 3/< aus Progressiva in ph-progressiver Lesart, die im Kontext einer (auffällig häufigen) 1. und 2. Ps. Sg. ohne temporalisierenden Kotext auch futurisch lesbar sind (vgl. 5.1.: Bei Ph-Progressiva besteht die Möglichkeit einer futurischen Lesart, wenn zum Sprechzeitpunkt E sichtlich nicht stattfindet). Der Prozentsatz der unbegrenzten Stativa (0,83 %) geht ausschließlich auf 2 Okkurenzen im gesprochenen Register zurück. Unter den Bedingungen der .Sprache der Nähe' kann scheinbar auch nicht explizit determinierten Stativa ein semantischer Vorlauf unterstellt werden, der sie als futurisch akzeptabel macht. Der Prozentsatz an nicht ergänzten Stativa ist zwar auch in der Gesamtstatistik sehr gering (ca. 4 %), es fällt jedoch auf, daß das pf im schriftsprachlichen und pressesprachlichen Korpus mit dieser Klasse gar nicht vertreten ist. Mit zunehmender Dynamik und Grenzbezogenheit nimmt auch die Häufigkeit selbständig futurisch fungierender Daten zu. Der höchste Prozentsatz ist bei den Intergressiva zu verzeichnen, das gilt aber für die Gesamtstatistik in noch stärkerem Maße, so daß das présent in seiner futurischen Teilfunktion bei dieser Klasse sogar eher unterrepräsentiert ist. Dies überrascht nicht, denn Intergressiva können ohne desambiguierenden Kontext auch imperfektiv/nicht-futurisch gelesen werden, was für R-Progressiva ebenso gilt, die ebenfalls statistisch nicht auffallig sind. Häufiger futurisch verwendet finden sie sich im gesprochenen Register, was wiederum auf den Desambiguierungsfaktor des perzeptiblen außersprachlichen Kontextes zurückzuführen ist. Merklich erhöht gegenüber der Gesamterhebung ist der Prozentsatz der traditionellen Prädikate. Allerdings, und das ist entscheidend, geht dieser hohe Prozentsatz nahezu ausschließlich auf die beiden schriftsprachlichen Register zurück, im gesprochenen Register ist er demgegenüber sogar hochsignifikant niedriger (3,28 % gegenüber 17,5 %!). Eigenartigerweise ist nun zudem auch der Prozentsatz selbständig futurisch fungierender Formen insgesamt ausgerechnet im schriftsprachlichen Korpus etwas höher als im sprechsprachlichen (41,76 % gegenüber 38,52 %). Und noch eine andere überraschende Einsicht gewährt die Auszählung: Stativa sind zwar ohne zusätzliche Temporalisierung im schriftsprachlichen Register nicht zu finden, kontextdeterminiert findet man sie jedoch signifikant häufiger als im gesprochenen (8,33 % gegenüber 4,92 %). Dieses Bild bleibt im Bereich der temporalisierenden Umgebungen insgesamt erhalten: Die transitionellen Prädikate stellen mit 34,17 % den höchsten Prozentsatz in den schriftsprachlichen Korpora gegenüber nur 22,13 % im gesprochenen Register. Intergressiva stellen zusammen mit den R-Progressiva dagegen im sprechsprachlichen Korpus mit über 50 % die Mehrzahl der Prädikate (gegenüber 41,07 % im literarischen und gar nur 12,50 % im pressesprachlichen Korpus). Diese Beobachtungen sind, verglichen mit bekannten Gesetzmäßigkeiten in Grammatikalisierungsprozessen, nicht mit der Hypothese von einer Ausbreitung des pf zu vereinbaren: Literarisches und pressesprachliches Register gelten als eher konservativ bezogen auf die Entwicklung des Systems. Das pf galt nun bisher als typisch für die gesprochene Sprache (was, in Absehung von aktionalen Klassen und Kontext, auch die absolute Häufigkeitsverteilung zu belegen scheint). L U D W I G (1988: 128f.) geht z.B. davon aus, das pf schicke

122

sich an, funktional das fs vor allem in der gesprochenen Sprache zu ersetzen. Damit wäre im progressiveren Register ein weitgehenderer futurischer Funktionsumfang zu erwarten. Daß es eine eindeutig futurische Funktion selbständig, also ohne futurisierenden Kotext, bevorzugt in den eher konservativen Registern erbringt, noch dazu, wo dort der außersprachliche Kontext als entscheidender desambiguierender Faktor entfällt, zeugt nun jedoch gerade vom Gegenteil. Im konservativen (schriftsprachlichen) Register finden sich zudem die Klassen der Transitionen und Stativa signifikant häufiger als im weniger konservativen. Beide Phänomene sind, was die Spezifik konzeptioneller Mündlichkeit und Restriktionsauflösungen in Grammatikalisierungsprozessen betrifft, kontraintuitiv: Stativa sind übereinzelsprachlich als ftiturisch nur mit starker Kontextverankerung verwendbar (z.B. im Deutschen), die ja eigentlich unter den Kommunikationsbedingungen der ,Nähe' stärker gegeben wäre. Weiterhin stellen Transitionen und Stativa die Klassen dar, die in Grammatikalisierungsprozessen in der Regel als letzte Zugang zu einer Form finden. Das pf scheint sich jedoch im sprechsprachlichen, progressiveren Register in futurischer Funktion gerade von diesen Klassen zu verabschieden, mit denen es in den konservativeren Registern in größerem Umfang noch verwendet wird. Alle Indizien sprechen dafür, daß das Präsens nicht etwa zunehmend in den Funktionsbereich der Futurität vordringt, sondern auf einem früheren Stand des Systems umfassendere futurische Funktion hatte. In bestimmten Bereichen wurde und wir es offensichtlich abgelöst, vermutlich vor allem und gerade im gesprochenen Register. Damit ist auch zu erklären, warum das deutsche futurische Präsens nicht den kontextuellen Beschränkungen unterliegt, die sich für das französische pf erkennen lassen: Im Französischen gibt es zwei (mehr oder weniger) grammatikalisierte Futura, im Deutschen hingegen nur eine Form, deren futurische Funktion zudem umstritten ist. Für die Gebundenheit des pf an ein Muster, das das versprachlichte Ereignis als scheduled erscheinen läßt, liefert die statistische Differenz zwischen schrift- und sprechsprachlichem Register im Bereich der transitionellen und statischen Prädikate einen Erklärungshintergrund. Der Grundwert, für den CONFAIS die Vorstellung einer On-vérité und SCHROTT eine imperfektive Markiertheit (Determiniertheit, Planbarkeit) bemüht, kann aktional-aspektuell dargestellt werden. Das französische pf ist beschränkt auf das Muster: IP->S

I E.

Für dieses Muster bieten sich phasische und grenzbezogene Prädikate im Präsens aktional an. Die, die sich aktional nicht dafür eignen (Transitionen und Stativa z.B.), müssen in einen Ko- oder Kontext eingebettet werden, der eine Vorlaufphase impliziert oder explizit sprachlich markiert. Das deutsche Präsens kann, im Gegensatz zum französischen, auch ohne diese Bedingung futurisch fungieren. Dies liegt möglicherweise daran, daß das deutsche Präsens kein Pendant im System für bestimmte futurische Subfunktionen hat. In der Beschränkung des pf auf die Wertigkeit ,I P vor E abgeschlossen' manifestiert sich ein Abgedrängtwerden aus einem umfassenderen funktionalen Bereich. Synchron ist die Bedingung als Inhalt (Markiertheit) des futurischen Präsens reanalysiert. Immer, wenn der Wert einer als abgeschlossen zu betrachtenden Voraussetzungsphase ausschließlich vermittelt werden soll, kann deshalb das Präsens nicht mit dem fs oder f p kommutiert werden. Hierzu ein Beispiel aus VET (1994 2 : 62), das u.a. auch den von CONFAIS und SCHROTT ge-

nannten Evidenzstatus vermittelt. In dem Augenblick, in dem eine angesprochene Person Anstalten macht, einen Raum zu verlassen, ist in einer Frage nur das Präsens akzeptabel:

123 ( 1 5 6 ) Tu pars? * Tu vas partir? * Tu partiras?

Im Fall eines agentiven Subjektreferenten schwingt bei Transitionen das Konnotat einer Vorphase stark mit. An sich setzt etwa Je retrouve mes clés (zum R-Progressiv verschobene Transition) das Suchen der Schlüssel nicht in dem Maß voraus, wie Je reste là (Ein LStativ) Je suis là voraussetzt (man kann seine Schlüssel auch zufällig finden - dableiben, obwohl man nicht da war, kann man nicht). In einem Kontext, in dem der Sprecher mit Je retrouve mes clés sichtlich vermittelt, daß er um jeden Preis seine Schlüssel zu finden gewillt ist, genügt der Satz dem Kriterium der Vorphase im Sinne von manisch Schlüssel suchen. Die damit einhergehende paramodale Färbung erweckt den Anschein, es werde besonders auf das ausstehende E verwiesen. So erzeugen Kontext und Äußerung den Wert eines ,daß auf jeden Fall E', der dieses dann nebenbei wie prädeterminiert erscheinen läßt. Es ist zusammenfassend davon auszugehen, daß auf einer älteren Sprachstufe die transitionellen und statischen Prädikate, die selbst keine Phase vermitteln, im Präsens als futurisch akzeptabel waren. Es entstand vermutlich eine Form, die sich für eine futurische Funktion mit diesen Prädikaten besser eignete: Sie vereindeutigte Transitionen, die seither im Präsens eine Tendenz zur Kompletivinterpretation haben, als fiiturisch und verschaffte Stativa, die ohne Zusatzmarkierung gar nicht temporal reinterpretierbar sind, eine ,echte' Tempusmarkierung. Das futurische Präsens konzentrierte sich in Folge stärker auf die übrigen Klassen. Für diese kennzeichnend ist das Bild von Intervallen und Ereignisgrenzen. Die Konzentration auf Ereignisstrukturen, bei denen ein progredierendes Intervall ein I p für ein futurisches Ereignis darstellt, wurde über den Prozeß der conventionalization of implicature als notwendiger Kontext, später als Merkmal des fiiturisch fungierenden Präsens aufgefaßt. Über die Datenerhebung hinaus wird diese These durch den Umstand gestützt, daß es sich bei fast allen Beispielen, die CONFAIS und SCHROTT als nicht akzeptabel vorfuhren, um transitionelle und statische Prädikate handelt (bzw. um R-Progressiva an der Schnittstelle zu transitioneller Semantik). Es fehlt diesen regelmäßig ein Kontext, der ein I p für E vorstellbar macht, im Falle der Akzeptanz ist ein I p benannt oder inferierbar. Besonderen Belegcharakter haben solche Prädikate, die aktional polysem in der Weise sind, daß sie sowohl über transitionelle als auch stative Lesart verfugen bzw. verneint von transitionell nach Stativ mutieren: ( 1 5 7 ) * Je η 'oublie jamais cela. (Je ne l'oublie Primär transitionell A = O Sekundär Stativ (ne... jamais)·. ?— ? (158) * Personne ne te croît. Primär transitionell: Sekundär Stativ (ne..personne)

jamais).

A = O ?— ?

In beiden Fällen fehlt aktional die Möglichkeit, einen semantischen Vorlauf beizugesellen. Prädikate hingegen, die über eine jeweils lexikalisierte transitionelle und intergressive Variante verfugen, sind erwartungsgemäß weniger restringiert, d.h. in ihrer intergressiven Lesart futurisch verwendbar, in ihrer transitionellen hingegen nicht. Als Beispiel diene eine Äußerung mit dem Verb passer, von dessen Doppelwertigkeit u.a. auch die Möglichkeit der Kombination mit avoir und être zur Bildung des passé composé zeugt:

124 (159) Intergressiv Le facteur a déjà passé? dt. Ist der Briefträger schon hier

vorbeigekommen?

(160) Transitionell: Le facteur est déjà passé? dt. War der Briefträger schon da? bzw. Ist der Briefträger schon wieder weg? SCHROTT ( 1 9 9 7 : 156) führt zur Demonstration einer vermeintlich kontextabhängigen Nichtakzeptanz des Präsens in futurischer Funktion einen Beispielsatz mit passer an. Die Verwendung in (161) sei akzeptabel, in (162) jedoch nicht. Wie die von mir beigefugte deutsche Übersetzung erkennen läßt, ist der Unterschied, den das Adverb auslöst, vor allem aktionaler Natur. Es desambiguiert nämlich das polyseme Prädikat in Richtung Transition und löst vermutlich deshalb die Nichtakzeptanz aus: (161) Donne-moi du courage, demain je passe mon examen. dt. Drück' mir die Daumen, morgen schreibe/habe ich meine Intergressiv Α -> O (162) * Donne-moi du courage, demain je passe peut-être dt. Drück ' mir die Daumen, morgen bestehe/schaffe Transition (A =) O

Prüfung.

mon examen. ich vielleicht meine

Prüfung.

Entscheidend scheint mir nicht der Wahrscheinlichkeitswert, sondern der dadurch veränderten aktionalen Grundwert: Wer um Daumendrücken bittet, weiß, daß er am nächsten Tag eine Prüfung zu absolvieren hat. Was er nicht weiß, und diese Komponente von passer wird durch peut-être fokussiert, ist, ob er das Examen besteht. Das Adverb löst also eine transitionelle Lesart aus, und damit fehlt ein inferierbares I p , das die Zugangsvoraussetzung für das pf darstellt (das Schreiben einer Prüfung oder das Sich-einer-Prüfung-Unterziehen fuhrt nicht notwendig dazu, daß man sie besteht). Die bis hierher erkennbare Tendenz einer funktionalen Verdrängung des futurischen Präsens aufgrund einer conventionalization of implicature und die Hypothese über deren Ursache müßten auch dann als bestätigt gelten, wenn es nachweislich eine futurische Form im Französischen gäbe, die (besonders im gesprochenen Register) Transitionen und Stativa als explizites Futur dient. Abschließend sei noch auf ein Merkmal hingewiesen, das die im pf gleichermaßen restringierten transitionellen, Stativen und ,echt' progressiven Prädikate verbindet. Es korreliert direkt mit deren syntaktischer Realisierung, ihrer Form also. LEISS (1992: 220ff.) und BLUMENTHAL (1997: 16ff.) weisen daraufhin, daß direkte Objekte nicht nur einen Zusammenhang mit zunehmender Grenzbezogenheit haben, sondern daß Objektzentriertheit auch das natürliche Informationsfokusgefälle im Satz betont. LEISS spricht bei grenzbezogenen Prädikaten mit direkten Objekten von kataphorischer Verweisrichtung. BLUMENTHAL versucht, die unterschiedliche Kombinierbarkeit der italienischen Verben mit den Hilfsverben essere und avere zur Bildung des zusammengesetzten Perfekts ebenfalls mit den Kriterien der Subjektzentriertheit und Objektzentriertheit zu erklären. Essere habe einen Zusammenhang mit Subjektzentriertheit, es weise das Subjekt als Zentrum der Information aus (LEISS: anaphorische Verweisrichtung), während avere objektzentrierend sei (LEISS: kataphorische Verweisrichtung). Hierzu einige Beispiele:

125 (163) Il est un cochon. Λ

Stativ, subjektzentriert

(164) Il a encore trois heures de cours. Interstativ, objektzentriert

(165) Il marche.


Habitualis 1. Jean arrête de/commence à me donner des livres. 2. Les rois arrêtent de/commencent à avoir le nez aquilin.

Eine Parallele haben derartige diachrone Gesetzmäßigkeiten im Erst- und Zweitsprachenerwerb: Tempusmarker werden dabei zuerst mit Intergressiva und R-Progressiva, dann zunehmend mit Progressiva und erst zuletzt mit Stativa verwendet.14

13

14

Vgl. ROCHETTE, 1993: 67ff.

RAMAT (1995: 301) formuliert, allerdings verbzentriert, wie folgt: A scalar representation of the development [...] would give the following array : telic verbs activity verbs state verbs >

131

6.1.1.2.2. Die Grammatikalisierung des passé composé In das französische System wurden auf dem Weg vom Lateinischen zwei Periphrasen in temporale Funktion grammatikalisiert, in denen ein Verb mit der lexikalischen Bedeutung ,haben, halten' zum Auxiliar (passé compose) und zur Flexionsendung (fs) wurde. Das synchrone französische passé composé ist, wie das fs, aus einer Konstruktion entstanden, in der lateinisch h a b e r e ^ mit einer infiniten Verbalform erschien. Seine Grammatikalisierung ist, was den diachronen Zugang verschiedener Prädikatklassen und die damit einhergehenden Funktionsveränderungen betrifft, besonders gut erforscht und soll deshalb hier als illustratives Muster für den anschließend darzustellenden Weg des fs dienen, fur das man sich bisher in dieser Hinsicht kaum interessiert hat. Die in der gesprochenen Varietät synchron als Tempus grammatikalisierte Form15 hat ihren Ursprung in einer lateinischen Periphrase, in der ein Partizip Perfekt adjektivisch ein vorhandenes Objekt ergänzte, auf das sich habere bezog. (175) Mansionem tectam habeo. dt. Ich habe ein gedecktes Haus.

Das Subjekt des Satzes war nicht unbedingt als Agens des partizipial versprachlichten Geschehens zu verstehen (im Beispiel: Das Haus mußte nicht vom Subjektreferenten gedeckt worden sein). Im synchronen Englisch gibt es eine /jaôew-Periphrase, die diesen Stand der Grammatikalisierung noch als Subfunktion aufweist. Der folgende Beispielsatz läßt ebenfalls nicht erkennen, ob der Subjektreferent als Agens von to do zu betrachten ist: ( 176) I have my hair done.

Die im Lateinischen insgesamt selten zu belegende Periphrase findet sich prozentual häufiger mit Verben des Denkens/der Gemütsbewegung belegt. In diesem Fall sind Agens des partizipial versprachlichten Geschehens und Subjektreferent des Satzes automatisch identisch. Derartige Kontexte kämen als Umgebung in Frage, die die Grammatikalisierung befördert haben könnte. Ab dem 6. Jahrhundert häufen sich die Belege, in denen sich die Bedeutungskomponente, die das Objekt räumlich oder übertragen räumlich als Teil des Subjekts vorstellbar machte, auf das Partizip verschoben hat. Das Subjekt des Verbs habere und das Agens des Partizips waren nunmehr regelhaft identisch, und eine räumlich-relationale Bedeutung des finiten Verbs ist ausgeschlossen: ( 177) Episcopum invitatum habes.

Auf dieser Stufe ist das bereits weit auxiliarisierte habere noch immer auf aktional begrenzte, phasische Prädikate beschränkt, wobei die Markierung Partizip Perfekt zusätzlich grenzziehende Semantik beisteuert (O | S). Begrenztheit lag durch das noch regelhaft vorhandene Objekt (Objektzentriertheit) automatisch vor (vgl. 5.4.2.). Am häufigsten zu finden sind R-Progressiva und Intergressiva (Prädikate mit sog. terminativen oder telischen Verben), mit denen die Periphrase folgende aktional-aspektuelle Struktur aufwies: Leistung der Periphrase: Basisaktionalität: 15

IE

/ \

|

I1

I _s—?

A (?) -> O

Darstellung der Grammatikalisierung nach

SAETTELE

(1971)

sowie POLLAK ( 1960).

132 Bis ins 11. Jahrhundert wird diese bezogen auf E vor allem aspektuelle Information (E | R, perfektiv), die bereits eine temporale Differenz impliziert, von der aktionalen Wertigkeit des Auxiliars mit seiner Präsensmarkierung (Interstativ, kann imperfektiv gelesen werden) dominiert. Als Grundwert signalisierte die Fügung also, daß S auf I1 zu beziehen war (Intervall der Implikation, Nachzustand). Im Fokus der Information stand nicht das bereits als abgeschlossen dargestellte Ereignis, sondern dessen Nachphase (I1). Diese präsentische Resultativfiinktion war durch die Bindung an bestimmte Prädikatklassen gewährleistet (nur Prädikate mit einer Rechtsgrenze implizieren ein Nachintervall, in dem S sich als verortet darstellen kann). Die semantischen Angriffsflächen, die sie für temporal minussituierende Funktionen geeignet machen, weist die Periphrase von Anfang an auf: Sie fuhrt das infinit vermittelte E als intervallisch, temporal links von S gelagert und abgeschlossen vor. Ab dem 11. Jahrhundert läßt sich die Ausdehnung auf grenzbezogene Prädikate mit iterierenden Adverbien und Progressiva nachweisen. Mit diesen Prädikaten verliert sich die resultative Funktion, denn sie haben keine I1 als frame angelegt, bieten also keine semantische Angriffsfläche für eine imperfektive Verortung von S. Es steht damit die ,rein' perfektive Information E | S im Vordergrund. Diese Wertigkeit als Abgeschlossenheitsmarker ist als diachrone Brücke zur späteren Tempusfunktion zu betrachten. Der Ausdehnung muß eine Reanalyse vorausgegangen sein, d.h., die Sprecher/Schreiber betrachteten die Periphrase nicht mehr primär als präsentisches Relevanzsignal. Zuletzt kann E auf der Zeitstufe des Nicht-Jetzt von einem Betrachterstandpunkt r aus holistisch betrachtbar erscheinen. In dieser Teilfunktion als perfektives Vergangenheitstempus zeigt sich das passé composé im synchronen gesprochenen Französisch: / (?)

r

\ i -> I E

(S)

Die aktional-aspektuelle Grundstruktur der Periphrase verändert sich nicht, wird jedoch zusammen mit verschiedenen aktionalen Klassen mit anderen Schwerpunkten nutzbar. BYBEE U.A. (1994: 5Iff.) stellten im übereinzelsprachlichen Bereich fìir /?aòe«-Konstruktionen, die als past-Marker fungieren, folgende diachrone Stationen (mit fließenden Übergängen und unter Beibehaltung älterer Wertigkeiten im Sinne von Teilfunktionen) fest: resultative

=>

anterior

=> perfective/simple past

Diese Funktionsstufen sind auch für das französische passé composé festzustellen: a.) In im Altfranzösischen primärer Resultativfiinktion stand der imperfektiv in I1 (Nachzustand) verortete Sprecherbetrachtpunkt im Fokus: (E) I — S — ? b.) Der Aufbau der Anterior-Funktion lief parallel zur Ausdehnung auf Prädikate, die aufgrund ihrer aktionalen Struktur nicht mit Nachzustand gelesen werden konnten: E I S Die Form ist derart ,rein' perfektiv-aspektuell, daß sie auch zeitstufenneutral verwendet werden kann (mit der Auflösung von I1 kann auch von S abstrahiert werden). Sobald Anterior-Funktion etabliert ist, kann die Form sie generalisiert mit allen Prädikaten vermitteln:

133 E

I

R

(178) 1. J'ai fini dans cinq minutes. 2. Ayant tout dit, il quitta/quittait la chambre. c.) Im gesprochenen Register des Gegenwartsfranzösischen finden sich Verwendungen als perfektives Vergangenheitstempus:

r ?

IE Ο

I (S)

Die Periphrase hat sich nicht völlig auf transitionelle und statische Prädikate ausgedehnt (diese werden mit être konstruiert und in dieser Verbindung auch synchron primär resultativ verwendet). Nur Stativa mit 1-stativem Konnotat werden kombiniert und transitionell reanalysiert (j'ai su als ,ich habe erfahren', j'ai eu als ,ich habe bekommen', zu j'ai été vgl. 6.2.).

6.1.1.2.3. Die Grammatikalisierung des futur

simple

Für das f s ist davon auszugehen, daß vergleichbare diachrone Muster und Mechanismen eine Rolle gespielt haben. Die anfangs periphrastische Form war zu Beginn sicher nicht allen Prädikaten zugänglich, und es steht weiterhin zu vermuten, daß sie aktional stark markierte Klassen in Richtung Perfektivität desambiguierte, was gleichzeitig eine implizit futurische Lesart auslöste. Die obligationelle Lesart stellt eine von zwei Möglichkeiten dar, die aktional-aspektuelle Struktur, die die Periphrase über bestimmten Prädikaten erzeugt, zu interpretieren. An der Grammatikalisierung des passé composé konnte gezeigt werden, daß sich eine solche Struktur diachron nicht grundsätzlich verändert. Der besondere aktionale Charakter der jeweiligen Basisprädikate bedingt jedoch, daß jeweils andere Komponenten funktional im Vordergrund stehen. Die obligationelle Lesart, die futurisch fungierende ,haben + Infinitiv'-Periphrasen übereinzelsprachlich auf einer frühen Stufe der Grammatikalisierung aufweisen, ist ganz ähnlich erklärbar wie die Resultativ-Funktion des passé composé. Es sei zuerst an der synchron existenten Obligativ-Periphrase des Deutschen (,haben zu + Infinitiv', wie frz. avoir à + Infinitiv), die mit der Quellkonstruktion des heutigen f s vergleichbar sein dürfte, demonstriert, inwieweit die obligationelle Funktion, die immer auch bereits eine futurische ist, nur mit bestimmten Prädikatklassen erzielt werden kann. Weiterhin ist zu zeigen, unter welchen, vor allem syntaktischen Bedingungen diese Restriktion unterwandert werden kann. Eine relativ eindeutige, sowohl obligationelle als auch futurische Funktion kann die Periphrase in Hauptsätzen nur haben, wenn das infinite Basisprädikat grenzbezogen ist. Das finite Verb haben/avoir ist weitgehend auxiliarisiert, eine Entwicklung aus einer objektzentrierenden Quellkonstruktion mit weitgehend konkreter Verwendung von haben als halten ist anzunehmen. Das finite Verb bezog sich dabei zuerst konkret auf ein Objekt, dem ein infinit versprachlichtes Geschehen beigeordnet war. Der Abschluß des Geschehens war bereits auf dieser Stufe futurisch lesbar, Obligation signalisierte die Fügung jedoch (noch) nicht, da sich haben konkret-räumlich auf das Objekt bezog und nicht auf den Infinitiv:

134 (179) als:

Er hat einen Brief zur Post zu bringen. Er hat einen Brief, den er zur Post bringen wird.

Hier wird ein grenzbezogenes, implizit perfektives E als nachzeitig kommuniziert, diese Information wird jedoch über die Semantik des Objekts dominiert von der noch konkreträumlichen, imperfektiven Information der Präsensmarkierung des Auxiliars. 16 Leistung der Periphrase:

IP ?— s —

| I

Basisprädikat:

IE A -> O

Bei bestimmten Intergressiva nun hat das nachzeitige Verbalgeschehen die Existenz des Objektreferenten erst zur Folge. Mit diesen erscheint dann automatisch in der Periphrase auch das Objekt aus dem Referenzraum der Sprechsituation ausgelagert: (180) als:

Er hat Er hat

einen Brief zu schreiben, dann einen geschriebenen

Brief.

Sowohl die im Infinitiv kodierte Handlung als auch der (dann erst) geschriebene Brief können nur als nachzeitig aufgefaßt werden. Und haben kann sich nicht mehr räumlich konkret auf den Objektreferenten beziehen. Das vorphasische Intervall, für das S und das finite Verb nach wie vor stehen, wird damit semantisch neu fullbar (natürlich nicht willkürlich), und damit setzt die obligationelle Bedeutung ein. Sätze mit dem finiten Verb haben implizieren 17 eine Transition des Typs erhalten, bekommen (passivisch) oder nehmen (aktivisch). Diese Linksgrenze kommt dann ins Spiel, wenn Gesamt-E als futurisch verschoben gelten kann. Sie kann, sobald haben als Brücke zu E reanalysiert ist, nur als vor S liegend gelesen werden: Der Übergang von 16

V g l . FLEISCHMAN, 1 9 8 2 : 5 8 f .

17

CURAT (1991: 161) zum frame der drei klassisch statischen Verben sein, haben und wissen : [...] ces trois [...] verbes expriment des procès statiques, qui sont des états au résultat d'autres procès, eux dynamiques et opératifs [...]. OPÉRATION => RÉSULTAT devenir => être faire/prendre => avoir apprendre => savoir Mir erscheint bei avoir das passivische recevoir als Pendant zu prendre primär, faire hingegen irrelevant. Betrachtet man Äußerungen, in denen die Verben jeweils zum Einsatz kommen, ist festzustellen, daß bei sein die Transition nicht in dem Maß zum aktionalen Rahmen gehört, wie dies bei haben der Fall ist. Dies liegt an dem speziellen Verhältnis, das sein zwischen Subjekt und prädikativem Element herstellt: es schafft keine Hierarchie, sondern übernimmt eine Beziehung, die in der lexikalischen Bedeutung angelegt ist. Sekundär fuhrt dies z.B. dazu, daß der referentielle Umfang des Subjekts und des anderen Elements als identisch betrachtet werden. Wenn es also bei sein eine Transitionsphase gibt, dann aufgrund des transitorischen Charakters des Subjektreferenten zusammen mit dem Prädikat, das es als Ganzes kennzeichnet (Subjektzentriertheit). Man betrachte nur die übereinzelsprachliche Häufigkeit der Derivativa von sein im Begriffsinventar für das Überzeitliche, Ewige, Unveräußerliche, das Wesen der Dinge (wie z.B. lat. essentia, dt. Wesen, wesentlich). Getrude STEINS A rose is a rose is a rose kann deshalb das bedeuten, was es bedeutet, weil sein eben, salopp gesprochen, nicht immer werden im Schlepptau hat. SWn-Kopula werden aus lexikalischen Verben des Inhalts ,leben, existieren' oder ,da sein, stehen' grammatikalisiert (vgl. LEHMANN, 1995: 24ff.), die in Stativa vorkommen. Haben-Kopula hingegen werden häufig aus Verben mit transitionellen Grundbedeutungen (,ergreifen, bekommen') rekrutiert. Mit einer Restsemantik in Form eines Transitions-Konnotats ist also nur bei haben-Kopula zu rechnen.

135 nicht-haben zu haben taucht auf als Bedeutungskomponente bekommen, was einen frameAktanten auf den Plan ruft, einen .Gebenden', der im Falle eines ,Tuns' nur ein .Auftraggebender' sein kann. Diese Implikatur erzeugt die obligationeile, modale Semantik der Periphrase (aufgegeben bekommen haben zu tun = tun müssen). Die Reanalysemöglichkeit eröffnet sich also parallel zu dem Umstand, daß die räumliche Interpretationsmöglichkeit entfallt und E selbst kein semantisch zu füllendes I p aufweist. f1 p (haben) II 1I e T/A — S — ? I A -> O (Aufgegeben) bekommen - haben -X zu tun

Ein weiteres Indiz dafür, daß die obligationelle Lesart in einer transitionellen Implikatur wurzelt, ist der Umstand, daß die Periphrasen in dieser Wertigkeit in manchen Sprachen durch ihr transitionelles Pendant substituierbar sind (Vgl. engl. I have to go home und I've got to go home bzw. I gotta go home). Auch in der obligationeilen Zusatzbedeutung ist das infinit versprachlichte E weiterhin unverändert futurisch gegenüber S vermittelt. Die Leistung des finiten Verbs besteht, wie beim passé composé, vorerst darin, S imperfektiv zu fixieren, was sprechertaktisch eingesetzt wird. Aktional polyvalente Prädikate werden zudem dahingehend desambiguiert, daß E eindeutig aus dem Betrachtfeld der Sprechsituation gelöst erscheint. E oder aktionale Komponenten von E müssen allerdings nach wie vor sequentialisierbar sein, damit sie Zugang zu der Konstruktion haben. Sobald aktional nicht-konturierte Prädikate Zugang zu ,haben + Infinitiv'-Periphrasen erhalten, ist eine futurische Lesart von E und damit der Obligationswert aufgehoben. Progressiva, die eine Zerlegung in Teilereignisse unter perfektiver Perspektive ermöglichen, haben auch in diesem Fall eine diachrone Brückenfunktion, da mit ihnen eine perfektiv-futurische Lesart in bestimmten Kontexten noch möglich ist. Ohne diese Kontexte sind jedoch auch Progressiva in der Periphrase nicht futurisch, sondern präsentisch zu lesen: (181) Er hat zu arbeiten. Progressiv ? —>—>—> ? Primäre Lesart: 1. Er hat im Augenblick

(viel)

Arbeit.

Nur im Fall eines sichtbar anwesenden, nicht-arbeitenden Subjektreferenten und bei Ausgeschlossenheit der habituellen Lesart, kann der Satz obligationeil/futurisch gelesen werden: 2. Er arbeitet jetzt nicht, soll/muß aber bald

arbeiten.

Auf Stativa, die im Präsens ohne Kontext nicht perfektiv und damit futurisch gelesen werden können, hat sich im Deutschen die Periphrase nicht generell ausgedehnt: (182) * Er hat eine große Nase zu haben. (183) * Er hat ein schlechter Mensch zu sein.

Für Interstativa gilt die Restriktion nicht, denn sie genügen dem Kriterium der Sequentialisierbarkeit (A). Die aktional angelegte Linksgrenze steht in der Periphrase jedoch in einer Weise im Fokus, daß sich transitionelle Lesart ergibt:

136 ( 184) Er hat still zu sein. Interstativ A — O Lesart: 1. Er muß/soll aufliören Lärm zu machen/zu

sprechen.

Eine sekundär mögliche präsentische und modale Lesart wird von einem sichtbar stummen Subjektreferenten ausgelöst: 2. Jemand hat ihm aufgegeben/befohlen

still zu sein.

Bei der Weitergrammatikalisierung der Periphrase zu einem Tempusmarker ist nun zu beobachten, daß in bestimmten syntaktischen Umgebungen die Restriktion für nicht-begrenzte Stativa fällt. Diese Kotexte ermöglichen zudem, daß Interstativa unabhängig von der Anwesenheit des Subjektreferenten fiiturisch-transitionell gelesen werden können. Ein solcher Kotext ist die 2. Ps. Sg., denn sie ermöglicht eine Imperativische und damit implizit futurische Lesart: (185) Du hast still zu sein. Interstativ A — O Lesart:

Halt den Mund/Hör auf, Lärm zu machen.

Außerdem können Stativa verwendet werden, wenn ihnen ein eindeutig futurisierender Kotext vorausgeht. Exemplarisch ist diese Bedingung im Fall von Nebensätzen erfüllt, die einem temporal situierenden oder reihenden Hauptsatz folgen. Wenn beide Bedingungen (2. Ps. Sg., reihender Kotext) erfüllt sind, kann der Sachverhalt als besonders eindeutig perfektiv-sequentiell und damit auch futurisch verschoben verstanden werden, und hat unter Erhalt seines Stativen Grundcharakters über diesen Umweg Zugang zur /îaôew-Periphrase: (186) (Wenn ich heute abend nach Hause komme,) hast Du am Schreibtisch zu sitzen! Stativ als:

Ich befehle Dir hiermit, daß Du dich (bevor ich nach Hause komme) bereits an den Schreibtisch gesetzt hast.

Auch in Kombination mit futurisch verschiebenden Zeitadverbien sind Stativa zulässig, denn auch dann können sie sekundär entweder als Interstativ oder als L-Stativ reinterpretiert werden und erfüllen die Zugangsbedingung der Perfektivität über die Sequentialisierbarkeit. (187) Ab morgen! Morgen hast Du freundlich zu sein. Stativ => Sekundäres L-Stativ/Interstativ

Im Deutschen kann die Periphrase also in Hauptsätzen nur mit bestimmten Prädikaten futurisch-obligationell fungieren (R-Progressiva, Intergressiva). Mit Progressiva wird E in der Regel nicht als futurisch verschoben vermittelt, mit Interstativa kommt es zu transitioneller Lesart (Fokussierung der Linksgrenze), regelhaft im Kontext der 2. grammatischen Person. In Hauptsätzen ist die Periphrase mit Stativa nicht akzeptabel. Nur in einem präetabliert füturischen Kontext, vor allem in Nebensätzen, denen ein semantisch-temporal reihender Hauptsatz vorausgeht, sind Stativa kombinierbar. Besonders förderlich ist auch in diesem Fall eine 2. Ps. Sg. (s.o.). Die Periphrase ist also, was die Selegierung der Prädikate anbelangt, nicht generalisiert. Als konventionalisierte Werte eignen ihr aufgrund der häufigen Verwendung mit bestimm-

137 ten (grenzbezogenen) Prädikaten perfektive Futurität bezogen auf das infinit versprachlichte E und Obligationalität als Subfunktion. Die Bedingung, unter der ansonsten nicht akzeptable Klassen Zugang zur Periphrase erhalten, ist der Erhalt perfektiver Gesamtbedeutung (z.B. Transitionalität), eine andere (sekundäre) futurische Obligationalität. In einem weiteren Schritt nun können Stativa iibereinzelsprachlich generell Zugang zu den primär perfektiven und nur sekundär futurischen ,haben + Infinitiv'-Konstruktionen bekommen. Der perfektive Grundwert bleibt dabei erhalten, er wird jedoch nicht mehr futurisch reanalysiert. Die perfektive Ereignisraumdifferenzierung wird mit nicht-dynamischen Klassen nicht auf die temporale Achse projiziert, sondern auf die vertikal-modale. Wie man sich dies vorzustellen hat, kann synchron im Englischen beobachtet werden. Es kommt bei einer Auflösung der Restriktion auch zu einer Lösung des inzwischen als explizit konventionalisierten perfektiven Grundwertes vom futurischen Bereich. Mit nicht-begrenzten, nicht-dynamischen Prädikaten ist eine epistemisch-modale die primäre Lesart: (188) This man has to be really rich. Stativ Lesart:

Es ist anzunehmen,

daß dieser Mensch wirklich reich ist.

Das präsentische Intervall, für das have steht, bekommt den zweiten, abgegrenzten Sachverhaltsraum, fur den das infinite Prädikat steht, nicht sequentiell, sondern vertikal beigeordnet. Der virtuelle Aktant, der bereits in der Obligativ-Periphrase eine Rolle spielte, erscheint nicht mehr als , Auftraggebender' (denn als unbegrenzt versprachlichte Zustände kann man nicht in Auftrag geben), sondern als Jnformationsgebender' bezogen auf ,He = rieh man'. Die separaten Referenzräume Nicht-E/E werden auf die modale Achse geordnet, E erscheint unverändert von außen vermittelt. Eine in vergleichbarer Weise nur mit Stativa erzielbare epistemisch-modale Wertigkeit hat im Deutschen und im Französischen eine andere Periphrase (,müssen/devoir + Infinitiv'), die ebenfalls parallel mit grenzbezogenen Prädikaten oder in reihenden Kontexten perfektiv/futurisch und obligationell fungiert: ( 189) Er muß einen Brief zur Post bringen/schreiben. ( 190) Il doit poster/écrire une lettre. (191) Er muß wirklich reich sein. ( 192) Il doit être très riche.

Bei der Grammatikalisierung des f s aus einer ,haben + Infinitiv'-Periphrase ist auf dieser Basis ebenfalls von einer frühen Bindung an R-Progressiva und Intergressiva bei perfektivfuturischer Grundwertigkeit auszugehen. Weiterhin eröffneten bestimmte Nebensatzkontexte oder eine imperativisch-transitionelle Interpretationsmöglichkeit (2. grammatische Person) Progressiva und Stativa Zugang, da diese Kontexte den Erhalt des perfektiv-futurischen Grundwertes ermöglichten. Damit wäre die These BENVENISTES, daß Nebensätze als bevorzugte Umgebung für die Grammatikalisierung in temporaler Funktion gelten müssen, untermauert, setzt doch die Grammatikalisierung einer Tempusform immer eine Öffnung für weitere Prädikatklassen voraus. Es gibt nun einen sprachgeschichtlichen Beleg dafür, daß sich die Fügung zu einem Zeitpunkt, als sie durchgängig perfektiv-futurisch verwendet wurde und keine obligative Zusatzfunktion mehr hatte, nämlich im 11. Jahrhundert, noch nicht generell auf Stativa ausge-

138 dehnt hatte: 18 Die futurische Funktion bei Stativa mit der Kopula sein deckte im 11. Jahrhundert immer noch die aus dem Latein tradierte Futurform ab (lat. ero => afrz. er, ier) und nicht das neu entstandene Futur. Bis ins 13. Jahrhundert hinein findet sich diese alte Futurform parallel zur neuen /s-Form der Kopula. Die neue Form (*essere habeo => serai) entstand nun interessanterweise nachweislich in ganz bestimmten Kontexten, d.h. über diese erhielten Stativa (spät) Zugang zum fs\ In altfranzösischen Texten findet sich die alte Futurform in allen grammatischen Personen - nur nicht in der 2. Ps. PI..19 Diese nun ist in den Gattungen Epos und höfischer Roman (den Hauptbelegtexten des Altfranzösischen) die übliche, da höfische Anredeform sowohl für singularische als auch für pluralische Referenten. Aus dem Fehlen eines Belegs des alten Futurs fur die 2. grammatische Person kann man schließen, daß Anreden in der 2. Person diejenige syntaktische Umgebung darstellten, in der das neue Futur fur die Prädikate mit se/H-Kopula zuerst obligatorisch wurde. In einer solchen Umgebung hat es das geforderte Imperativische Konnotat, da es transitionell reanalysiert werden kann und damit dem perfektiven Grundwert entspricht. In diesem Punkt läßt die Grammatikalisierung des f s eine Parallele zu übereinzelsprachlich beobachtbaren Mustern deutlich erkennen. Stativa bekamen also auch im Französischen über den Umweg einer Sonderfunktion, in der sie nicht statisch bleiben, Zugang zum Paradigma des bereits rein perfektiv-futurischen fs. Damit spielten Stativa im f s von Anfang an eine Sonderrolle und es wird sich zeigen, daß sie diese synchron unverändert spielen. Wenn die Grammatikalisierung des f s den typischen Verlauf genommen hat, dann muß bei einem Wegfall der Restriktion auf transitionelle oder sekundär futurische Reanalysemöglichkeit (Imperativkontexte, vgl. dt. Du hast still zu sein) die futurische Funktion mit Stativa einbrechen. Unter unverändert perfektiver Perspektive wären sie in Hauptsätzen z.B. als modal dekodierbar (vgl. engl. This man has to be really rich). Nur ein bereits anderweitig als futurisch ausgewiesener bzw. sequentialisierender Kontext, wie z.B. ein reihender Hauptsatz, ermöglichen eine futurische Lesart unter Erhalt der statischen Semantik (vgl. dt. Wenn ich nach Hause komme, hast Du am Schreibtisch zu sitzen). Der Gang der Entwicklung zeigt, was die Generalisierung auf aktionale Klassen betrifft, eine bestechende Ähnlichkeit zur Grammatikalisierung des passé composé. Die Leistung des finiten Auxiliars bestand diachron früh in einer Fixierung von S in einem E ausgelagerten Intervall. Dieser Funktionsumfang ist zunächst gekoppelt an die Bedingung, daß das infinit markierte Prädikat über aktionale Grenzen verfugt, d.h. semantisch sequentiell an dessen Referenzbereich angelagert werden kann. Die Kombination mit Progressiva und habituell lesbaren Prädikaten markierte beim passé composé die Schnittstelle zu Tempusfunktionen. Beim f s ist nun gerade bei Kombination mit diesen Prädikaten eine futurische Funktion nicht mehr gewährleistet. Bei Ausdehnung auf Stativa, die über eine bestimmte Sonderfunktion überhaupt nur möglich war, verliert sie sich. Im Zuge der Generalisierung kommt es zu Merkmal-Kombinationen, mit denen der Grundwert verstärkt, ergänzt oder aber in Einklang gebracht werden muß. Damit sind einer Generalisierung auf alle Prädikatklassen unter Beibehaltung einer Funktion Grenzen gesetzt - und dies wird am Fall des f s auch synchron zu demonstrieren sein.

18

V g l . LAUSBERG, 1 9 7 2 : 2 2 6 f .

19

V g l . BONNARD/ RÉGNIER, 1 9 9 1 : 1 1 7 ; RAYNAUD DE LAGE,

I2

1975: 97.

139 6.1.2. Form und Funktionalität des futur simple 6.1.2.1. Restsemantik des (ehemaligen) Infinitivs Im Französischen ist ein Vollverb des Inhalts haben/halten zur grammatischen Markierung geworden, und zwar als Auxiliar im passé composé und als flexivisches Element im fs. Die temporaldeiktische Verweisrichtung, die das fs vom passé composé unterscheidet, muß also auf eine andere Markierung zurückgehen. Im Theorierahmen der .natürlichen Morphologie' (wo Durchsichtigkeit als synchrone funktionale Transparenz verstanden wird) gilt das fs als besonders durchsichtige, diagrammatische Form. Sie bilde ihren Inhalt in nicht-arbiträrer Anordnung formaler Elemente ab. KILANI-SCHOCH ( 1 9 8 8 : 1 2 9 ) nennt sie gar als einziges flexivisches Beispiel für Diagrammatizität im Französischen: Les processus morphologiques qu'il [d.i. der Parameter der Diagrammatizität, M S ] implique prioritairement sont des processus additifs, tels l'affixation. Parmi les exemples choisis pris au français, citons à nouveau ment-eur, bêt-ise, etc. pour la dérivation, auxquels on pourrait ajouter (nous) transpir-er-ons, où transpir- est le thème, -er- la marque du temps futur (vs. zéro du présent) et -ons celle de la 1ère personne du pluriel (vs. zéro du singulier).

In anderen Systembeschreibungen des Französischen wird die Form nicht in dieser Weise (chant-er-ai) aufgefaßt, die konform geht mit dem Wissen um das diachrone Herkommen, sondern es wird unter Berücksichtigung der opak gewordenen, unregelmäßigen Formen {z.B. pouvoir => pourrai) das -r- als distinktive morphologische Tempusmarkierung betrachtet (d.i.: chant-fejr-ai,pour-r-ai).20 Es gibt jedoch einige Argumente dafür, daß sowohl Infinitiv als auch ehemaliges Auxiliar in der Fusion nicht gänzlich opak geworden sind. Das Einsetzen der temporalen Funktion 21 ist für den Beginn der Entstehung der romanischen Idiome anzusetzen, die Form existierte im Lateinischen in dieser Funktion nicht (es ist lediglich ein Fall bei TERTULLIAN aus dem 3. Jahrhundert dokumentiert). Es gibt keinen Beleg, der über den Zeitpunkt der Fusion der beiden diskontinuierlichen Konstituenten Auskunft geben könnte: der erste stammt aus dem 7. Jahrhundert, als eine perfektiv-futurische Grundfunktion bereits relativ stabil etabliert war (vgl. 6.2.1.). Wenn die Form auch älter ist als das ebenfalls gemeinromanische periphrastische Perfekt, das sich seit dem 5. Jahrhundert in resultativer Funktion nachweisen läßt, so darf die zeitliche Differenz der Grammatikalisierung dennoch als nicht zu groß angenommen werden. Noch im 16. Jahrhundert sind für das Spanische periphrastische Graphien belegt, und sowohl im Spanischen als auch im Portugiesischen war die Einfügung amphiklitischer Pronomina zwischen Infinitiv und Auxiliar bis zu diesem Zeitpunkt noch möglich. 22 Im modernen Französisch ist die Form, trotz der Fusion, nicht annähernd so undurchsichtig wie andere synthetische Tempusformen: Im graphischen Code entspricht synchron der überwiegende Teil der Infinitive (Verben auf -er und viele auf -ir) dem entsprechenden Element des fs. Neue Verben werden nur mit -er (selten auch mit -ir) gebildet, alle anderen Endungen sind im Neufranzösischen nicht produktiv. Darüber, wie sich ein nachgestelltes 20 21 22

Vgl. SUNDELL, 1991: 10. Vgl. BONNARD/ RÉGNIER, 1991: 85f. Vgl. LAUSBERG, 2 1972: 229FF.

140 Auxiliar im modernen Französisch lautlich auf einen Infinitiv auswirken würde, könnte man spekulieren, natürlich soll das hier nicht versucht werden. Das gesamte Singular-Paradigma der Endungen, sowie die der 3. Ps. PI. (d.h.: die frequentesten) sind noch im Neufranzösischen mit denen von avoir identisch. Im Hinblick auf das relative Alter der Konstruktion muß dieses zufällige synchrone Auftreten von relativer Durchsichtigkeit (dies natürlich nicht im Bewußtsein der Sprecher) überraschen: Beide Elemente der alten Periphrase sind synchron häufig ihren lexikalischen Entsprechungen ähnlich. Das synthetisierte Futur sei deshalb im folgenden auch anhand seiner diachron bekannten und noch heute z.T. erkennbaren, ehemals diskontinuierlichen Komponenten analysiert. Damit ist auch auf synchroner Ebene -er-/-ir- (und nicht wie in anderen Analysen -r-) als Kandidat für die eigentliche Futurmarkierung zu betrachten. Für eine solche Auffassung spricht noch ein anderer Befund. Nach BYBEE U.A. (1994: 256ff.) ist die (gegenüber allativen Konstruktionen übereinzelsprachlich seltene) Grammatikalisierung von Futura aus ^aèe«-Periphrasen so zu analysieren, daß das prospektivierende Signal nicht auf das Auxiliar zurückgehen könne, das ja oft innerhalb der selben Einzelsprache parallel mit völlig anderen Werten grammatisch fungiert. Die prospektivierend-futurische Bedeutungskomponente sei im Infinitiv zu lokalisieren (BYBEE U.A., 1994: 184f.). Den in Periphrasen grammatisch fungierenden verbalen Nominalformen entsprächen drei Grundfunktionen: Der Subjektreferent erscheine vor allem aspektuell je unterschiedlich betrachtbar, und zwar im: Partizip Perfekt Partizip Präsens/Gerundiv Infinitiv

als als als

„[having] completed an activity" „currently engaged in (progressive sense)" „projected to engage in (projected sense)"

CURAT (1991: 88ff.) formuliert ganz ähnlich fur das Französische: Partizip Perfekt Partizip Präsens Infinitiv

„F < R" „C < R < F" „R = C, R < C "

(perfektivierend) (imperfektivierend) (perfektivierend)

Ein derart deiktisches Verständnis der nominalen Verbalformen erkläre z.B., warum eine formale Reihung von Infinitiven eine reihende Lesart der versprachlichten Ereignisse auslöse. Der Unterschied zwischen der Funktion des Partizip Präsens und der des Infinitivs könne am Beispiel von infiniten Ergänzungen mit Satzgliedcharakter demonstriert werden: (193) 1. Je me vois mal vous auscultant à travers votre manteau. 2. Je me vois mal vous ausculter à travers votre manteau.

Damit wäre der Infinitiv eine morphologische Markierung des Verbs, die eine Sequentialisierung von Sprecherstandpunkt und Ereignisraum bzw. zwischen zwei linear nacheinander versprachlichten Ereignisräumen signalisiert, was auch eine implizit temporale Lesart von E gegenüber S ermöglicht. Auch in diesem Fall ist es jedoch so, daß diese Funktion gebunden ist an bestimmte Prädikatklassen, denn die Tendenz zu einer sequentiell-temporalen Reanalyse nimmt mit zunehmender aktionaler Statik und Unbegrenztheit des Basisprädikats ab: ( 194) Acheter une robe rouge, prendre un pot et gagner le Jack-Pot, Intergressiv, Intergressiv, Transition

S I El I E2 I E3

quel

bonheur!

141 (195) Marcher, cueuillir les fleurs du printemps, Progressiv, Progressiv ? —> ?

quel bonheur!

? —» ? S ( 196) Etre beau, être riche, quel bonheur! Stativ, Stativ

·>

9 9

·>

S In (195) und (196) sind alle E nicht implizit temporal von S differenziert, während in (194) bereits das erste Ereignis als S = A, wenn nicht S | A erscheint. Für das Progressiv gilt, daß es, wie im Präsens, bei sichtlicher Gegebenheit von Nicht-E singular oder habituell interpretiert werden kann. Aspektuell unmarkiert, wie das Präsens, ist nun allerdings die Infinitivendung nicht. (195) und (196) sind zwar nicht futurisch lesbar, Imperfektivität kann gleichwohl nicht inferiert werden. Der Betrachterstandpunkt (S) ist nicht im Ereignisraum zu lokalisieren, sondern außerhalb (in dem Bereich, für den Nicht-E gilt). Von dort aus wird der Sachverhalt in den Blick genommen. Insoweit sind die von CURAT und BYBEE U.A. geäußerten Auffassungen lediglich zu modifizieren. Der Infinitiv ,nennt' ein Ereignis, ruft es als nicht dem Referenzraum des Sprechers zugehöriges, d.h. als nicht direkt referierendes Bild auf. Die kommunikative Wertigkeit dieses eigen gefärbten, perfektiven Grundwertes (Betrachterstandpunkt verbleibt im Bereich Nicht-E, von dort aus wird auf E verwiesen) ist abhängig von der jeweiligen aktionalen Klasse. Perfektivität ist nicht nur temporal reanalysierbar. Je begrenzter und dynamischer E aktional ist (affiner zur Projektion auf die ,Zeitachse'), desto eher kann es auf die sequentielle, d.h. die temporale Achse projiziert werden, bei Stativität jedoch nicht. Wenn nun das prospektivierende Element des fs (und damit die Futurmarkierung) die ehemalige Infinitivmarkierung ist, dann ist davon auszugehen, daß bei nicht-begrenzten und statischen Prädikaten dieses prospektivierende Element diachron entfiel. Die Gesamtkonstruktion wäre damit mit bestimmten Klassen nie ein ,echtes', selbständiges Futur gewesen und ist es vermutlich auch heute nicht (darauf deuteten ja bereits die übereinzelsprachlichen und diachronen Beobachtungen hin). Man könnte so weit gehen, bestimmte morphologische Gegebenheiten mit dieser funktional-semantischen Spezifik in Verbindung zu bringen. Im Gegenwartsfranzösischen lassen gerade die Verben und Prädikate ausdruckseitig den Infinitiv im fs nicht mehr erkennen, deren diachrone Infinitivmarkierung innerhalb der Fügung nie prospektivierende Funktion hatte und die sich für eine futurische Lesart nicht anboten. In Anbetracht der relativ späten Entstehung einiger dieser Formen (wie etwa * essere habeo => serai) ist zu konstatieren, daß sie schnell opak geworden sind. Auch synchron wäre eine futurische Grundfimktion damit direkt gekoppelt an eine relativ erkennbare Infinitivmarkierung, die eben nur bei grenzbezogenen Prädikaten auch ein fiiturisierendes Signal darstellte. Diese These ist bewußt vorsichtig formuliert, hat sie doch weitreichende Konsequenzen. Der zentrale Vorteil einer solchen Sicht besteht darin, daß man wieder zu einer näherungsweisen 1-zu-l Entsprechung von Inhalt und Form gelangte. Der große Nachteil besteht darin, daß die gesamte Tempusmorphologie nach einer anderen Systematik zu ordnen wäre - im Fall des

142 fs dürfte man beispielsweise opak gewordene Formen nicht mehr als Futura betrachten und klassifizieren, wenn einer morphologischen Devianz tatsächlich direkt ein kategorialer Unterschied entspricht. Die Frage soll offen bleiben, ob sich diese Mühe nicht lohnte. 6.1.2.2. Restsemantik des (ehemaligen) Auxiliars Bestimmte syntaktische Besonderheiten und die relevanten aktionalen Grundkomponenten des Aaèe«-Auxiliars wurden in 6.1.1. bereits dargelegt. Das im fs diachron ursprünglich verwendete Auxiliar (die synchrone Flexionsendung) setzt ein in der Aktantenstruktur angelegtes Subjekt in eine spezifische Relation zu einem ebenfalls angelegten Objekt, das im Fall der grammatikalisierten und synthetisierten Periphrase fs eine nominale Verbalform (ein Infinitiv) war. Es bleibt zu überprüfen, ob die Relationierungsfahigkeit des ehemaligen Auxiliars in der synthetisierten Fügung in Schwundstufen erhalten ist. Habere verfugte im Lateinischen über bestimmte Bedeutungskomponenten, die es in seiner lexikalischen und in seiner auxiliaren Erscheinungsform zeigte: halten (aktivischstatisch) und haben (passivisch-statisch). In den romanischen Sprachen blieb sowohl in lexikalischer Vollbedeutung als auch in auxiliarer Funktion nur letztere erhalten. Es wird zu zeigen sein, daß vor allem ein Merkmal, über das es als Vollverb u.a. verfugte, in allen Verwendungen (auch im synthetisierten fs) wirksam bleibt. Das aus habere entstandene französische avoir weist folgende fur grammatische Funktionen prädestinierende Züge auf: a.) seine Zweiwertigkeit, 23 b.) das inklusive Verhältnis, 24 das es als Verb zwischen den beiden valenzbedingten Elementen herstellt, c.) das Implikat einer Linksgrenze im frame (vgl. 6.1.1.2.3.). Die Eigenschaften a.) und b.) erzeugen in der syntaktischen Umgebung von haben ein semantisches Gefälle: Ein Element, das in lexikalischer Vollbedeutung konkret räumlich umschlossen von einem anderen, als Teil von diesem gedacht werden kann, muß (räumlich gesprochen) vom Umfang her auch geringer gedacht werden als dieses. Dieses Gefälle bleibt auch erhalten, wenn der Objektreferent nicht mehr räumlich-konkret dem Subjekt gegenüber als Teilelement vermittelt wird, wie im Fall von Massennomina oder Abstrakta. Auch als Auxiliar in Verbalperiphrasen signalisiert haben, allerdings im Bereich der Ereignis- und Sachverhaltsbilder, eine durchaus quantitativ vorstellbare Unterordnung des in der alten Objektposition befindlichen Elements. Das in der verbalen Nominalform kodierte E wird einem eigenen Gültigkeitsraum oder -intervall zugeordnet, es erscheint dem Bildbereich des Subjektreferenten gegenüber untergeordnet: 23

24

Als typische Kandidaten für Grammatikalisierung listet HEINE (1993: 31F.) Strukturen auf, die sich auf sog. basic event schémas beziehen und syntaktisch meist bivalent (X verbales Element Y) sind. Das sich grammatikalisierende Element etabliert eine Beziehung zwischen zwei anderen Elementen, die in die grammatische Funktion eingeht. CURAT ( 1 9 9 1 : 3 0 ) :

Avoir dit de son support qu'il est le lieu (concret ou abstrait) de son apport. GUÉRON ( 1 9 9 3 : 116FF.):

Nous proposons que le verbe avoir est interprété comme un opérateur d'inclusion. [...] BE est un opérateur d'identification.

143 Ausdehnung Sub J ekt > Ausdehnung 0 b J e k t

Intervall Sub j ekt > Intervall E r e i 8 n i s

A s größer als A °

I S größer als I E

Um das behauptete Gefalle zwischen den beiden Aktanten vor Augen zu fuhren, sei es an dieser Stelle an einigen (häufigen) Satzbaumustern mit avoir demonstriert: ( 197) 1. Jean a un petit truc dans sa main. 2. Jean a une belle maison 25 3. La belle maison a une grande cheminée. In allen drei Fällen wird eine vergleichbare Teil-Ganzes-Relation zwischen den Referenzbereichen des Subjekts und des Objekts vermittelt: Innerhalb des übergeordneten Bildbereichs des Subjekts steht das Objekt für einen abgegrenzten Teil desselben. (198) 1. Jeanadufric. 2. Jean a de la chance. Der hier obligatorische Partitiv verdeutlicht das semantische Verhältnis zwischen Subjektund Objektbereich: Selbst nicht begrenzt konzipierbare Bedeutungsträger (Massennomina) erscheinen semantisch portioniert und gegenüber der Ausdehnung des Bereichs, für den das Subjekt steht, untergeordnet. Das Objekt und dessen notionelle Zugehörigkeit wiederum determinieren, welcher Bereich gemeint ist. In (198) 2. ist vom Räumlich-Konkreten abstrahiert. Ein nur scheinbares Gegenbeispiel bei den Mustern Ν - V - Ν ergibt sich mit bestimmten Abstrakta der Gemütsverfassung oder der physischen Befindlichkeit bei Subjekten mit dem lexikalischen Merkmal [+ belebt], (199) 1. Jean a peur. 2. Jean a froid. Auch in diesem Fall bleibt das Hierarchiegefalle, das avoir etabliert, erhalten. Es wird in diesem Fall auf die zeitliche Sukzessions-Achse projiziert. Das dem Subjekt als Teilkomponente untergeordnete Element wird als vorübergehende Eigenschaft interpretiert, sie deckt ein untergeordnetes Intervall innerhalb des Gesamtintervalls ab, für das das Subjekt steht (dessen Lebensspanne). Die transitionellen Partner zu (199) 1. und 2. beruhen ebenfalls auf dem Bild einer Vereinnahmung des Objektreferenten durch das Subjekt (prendre peur, attraper froid), der Referent des nominalen Elements wird damit gleichzeitig als greifbare, begrenzte Größe voraussetzbar bzw. explizit gekennzeichnet. Das Verb erbringt auf allen Funktionsstufen eine weitgehend konstant bleibende Relationierungsleistung, verfügt also Uber eine stabile Grundmarkierung. ^/«-Konstruktionen sind demgegenüber weniger markiert. Wenn Äußerungen mit \e;'n-Kopula eine hierarchische Beziehung vermitteln, dann wird diese nur über eine lexikalische Markiertheit der Aktanten etabliert und nicht über das finite Verb. Die Kopula ist ein redundanter Marker für

25

Vergleichbar hiermit ist ein lateinisches Beispiel in VINCENT (1982: 79). Der lateinische Satz hostis habet muros kann wie folgt interpretiert werden: In (16) it might appear that muros refers to a place and therefore should be in the Locative [d.i. die Funktion, die ansonsten das Objekt von habere prototypisch ausübe, MS], but the meaning of the sentence is more forceful than the mere assertion that the enemy are on the wall - it rather expresses the location of the walls as being within the territory held by the enemy [Hervorheb. MS].

144 eine bereits durch die Bedeutung der anderen Elemente festgelegte Relation, haben als inhaltlich markiertes Element jedoch nicht (vgl. 7.2.2.). Ein Beleg fur die Markiertheit von haben- gegenüber se/'w-Konstruktionen ist die Tatsache, daß in Sprachen, die einen Sachverhalt sowohl mit sein- als auch mit haben-Strukturen vermitteln können, mindestens ein Aktant in der se/n-Konstruktion ausdruckseitig stärker (etwa mit einem Dativ) markiert werden muß: (200) Lateinisch:

1. X mihi est.

2. Xhabeo. Daß im Aktantenbereich unmarkierte Aaòen-Konstruktionen bei Übersetzung in eine andere Sprache oft mit zusätzlich markierten ,ve;«-Konstruktionen wiederzugeben sind, ist ein weiterer Beleg: (201) Vgl.

1. frz. Elle est froide. 2. frz. Elle a froid

mit mit

dt. Sie ist kalt. dt. Ihr ist kalt.

Ein interstative Lesart von Elle est froide (vorübergehende Eigenschaft) ist natürlich möglich, es ist dann aber der Kontext, der das Bild eingrenzt. Elle a froid hingegen eröffnet in jedem Fall selbst das Bild einer (hier: zeitlichen) Begrenztheit, erklärt also die ,Kälte' zum vorübergehenden Phänomen, das den Subjektreferenten, die Person, nicht als Ganzes kennzeichnet.

6.1.2.3. Zwischenbilanz Im nominalen Bereich ist ein durchgängiger Erhalt grenzziehender Semantik von avoir bezogen auf das Objekt zu verzeichnen, die das finite Verb selbst signalisiert. Ähnliches gilt auch fur den verbalperiphrastischen Bereich. Bei Grammatikalisierung des fs bezog sich habere/avoir als Auxiliar zuerst auf grenzbezogen-dynamische Prädikate, dehnte sich diachron auf Progressiva und zuletzt auf Stativa aus. Die Bedeutung von habere bzw. avoir war von Anfang an relativ abstrakt (im Sinne der weiter oben angeführten quantifizierenden Unterordnung). Wie am passé composé und den nominalen Kontexten vorgeführt, kommt es mit unterschiedlichen nominalen Aktanten bzw. Prädikattypen zu unterschiedlichen Möglichkeiten, diese abstrakte Relation zu dekodieren. Für das pc und das fs wurde diachron in analoger Weise vorgeführt, wie sich entlang der semantischen Leiste, die die aktionale Struktur bietet, im Zuge der Ausdehnung auf vormals nicht zulässige Prädikate der kommunikative Schwerpunkt verlagern kann. Die aktionale Grundstruktur und deren implizit aspektuelle Semantik bleiben dabei konstanter erhalten als andere vorgeordnete (lexikalische) oder nachgeordnete (temporale, epistemische) Werte. 26 In Obligationsbedeutung dominiert das präsentisch markierte Auxiliar die Information prospektivierender Infinitive. Bei dominant perfektiv-futurischer Bedeutung hingegen dominiert ein prospektivierender Infinitiv die Präsensmarkierung des Auxiliars, das nun sei26

Hierzu VET ( 1 9 8 1 :

109-124):

Je crois que chaque temps verbal exprime, outre une relation déictique [d.i.: temporaldeiktisch, MS], une valeur aspectuelle; il y a lieu de distinguer deux aspects: l'imperfectif et le perfectif. L'aspect imperfectif et lié à l'emploi de deux temps, le PR et l'IMP. Les autres temps entraînent l'aspect perfectif.

145 nerseits seine intervallkonstituierende Wertigkeit in abstrahierter Form einbringt (IS | I E ) und den Infinitiv personaldeiktisch einem Subjekt zuordnet. Die Stellung Infinitiv-Auxiliar, die sich der Grammatikalisierung in Nebensätzen verdankt, fordert die futurische Lesart, da sie die Merkmale der Fügung diagrammatisch in relevanz-adäquater Reihenfolge abbildet: Funktor der Prospektive Infinitiv

=> =>

Funktor der Objektzentriertheit fossiles Auxiliar

Bestimmte infinite Prädikate fanden, wie zu sehen war, spät Zugang und waren zuerst an eine bestimmte Umgebung und Funktion gekoppelt, die mit der generellen Perfektivität der Fügung zu vereinbaren war. Bei etabliertem perfektiven Wert entfiel die Restriktion, die Spätzugänge erhielten unter perfektiver Perspektive eine andere als die futurische Lesart, da ein stativer Sachverhalt bereits im Infinitiv nicht auf die temporale Achse projizierbar ist.27 Das ehemalige Auxiliar implizierte im frame das Merkmal [+ Transition, A]. Zu dem Zeitpunkt, als Stativa Zugang fanden, hatte sich die obligationeile Semantik, die über dieses Merkmal etabliert wurde, bereits verloren. Somit war es frei und konnte über den Umweg einer aspektuellen (perfektiven) Umdeutung einem virtuellen, statischen Ereignis die Möglichkeit des Zugangs auf die horizontale Achse der Sequentialität bieten. Die Perfektivität blieb über eine Lesart differenzierter Referenzräume auf der vertikalen, modalen Achse erhalten. Die Ausführungen zur gleichbleibenden quantifizierenden Information von haben und dessen Markiertheit gegenüber sein ließen einmal mehr erkennen, daß haben-Konstruktionen objektfokussierend wirken. Die Gesamtbedeutung einer Äußerung wird in besonderem Maß durch das Objekt determiniert, auf der Objektposition liegt ein binnendeiktischer Akzent. Es ist anzunehmen, daß sich dieser Akzent auch dann nicht verliert, wenn die Objektstelle von einer infiniten Verbalform eingenommen wird. Am Fall des passé composé konnte gezeigt werden, daß tatsächlich der aktionale Charakter des Prädikats zusammen mit der Markierung Partizip II die Lesarten der Gesamtaussage noch synchron determiniert. Für das f s steht zu vermuten, daß die aktionale Klasse und die infinite Markierung jeweils festlegen, ob die Fügung temporal, aspektuell konvertierend oder epistemisch modal zu lesen ist, denn das inzwischen synthetisierte Auxiliar verweist unverändert darauf, daß der ehemalige Infinitiv in Objektfunktion die zentrale Information enthält. Ein Nexus zwischen Objektzentriertheit und Perfektivität wurde bereits verschiedentlich deutlich und ist auch in diesem Fall anzunehmen. Bei Stativa ist eine aspektuelle Umdeutung, wie sie diachron früh zu verzeichnen ist, oder eine Ereignisraumdifferenzierung auf der vertikalen, nicht-temporalen Achse erwartbar. Ob es bei prototypischer Stativität gar zu Unverträglichkeitsreaktionen (zu synchronen Restristriktionserscheinungen) kommt, ist zu überprüfen. Wenn man einen noch rudimentär erkennbaren Infinitiv als ausdruckseitiges Korrelat der temporalen Interpretationsmöglichkeit auffaßt, so haben bestimmte Verben im f s keine derartige Markierung - weder formal noch inhaltlich. Das f s hat zu keinem Zeitpunkt seines grammatischen Werdegangs futurischen Wert unabhängig von aktionalen Klassen gehabt, ist also streng genommen gar kein Tempus. Und so dürfte man dessen epistemisch-modale Funktion nicht als Tempusmetapher betrachten, wie SCHROTT (1997: 312) und viele andere dies tun. Wenn Grundwerte einer Form nur dann als solche anerkannt werden können, wenn sie auch bei Ausblendung des Kontexts erhalten bleiben (vgl. SCHROTT, 1997: 39), 27

Zum Nexus Perfektivität/epistemische Modalität vgl. auch THIEROFF/

BUDDE,

1995: 54.

146 dann wurde dies gerade für das f s nicht ausreichend berücksichtigt. Und auch JEANJEAN (1988: 244 f.), die schreibt „[...] dans le futur en ra, l'idée de futur est donnée d'emblée et sans limitation dans l'à venir. C'est une sorte de futur statif [...]", übersieht, daß ein Erhalt der Stativität bei gleichzeitiger Futurität immer nur durch stützende Zeitadverbien möglich ist, nicht aber von der Markierung vermittelt wird. Der von SCHROTT ermittelte Basiswert der , virtuellen conditio' für das fs ist durchaus kompatibel mit der bisherigen Analyse. Die Lösung von Betrachterstandpunkt und Ereignisraum, zusammen mit der Fokussierung der ehemaligen Objektstelle und der virtuellen Aufrufung des Ereignisbildes ermöglichen tatsächlich in vielen Fällen diese Lesart: Die Form abstrahiert von der Sprechsituation und weist das bloße Ereignis in seinem Raum als Zentrum der Information aus. Welcher Raum dies allerdings ist, ein temporal oder ein modal-vertikal zu verortender, das hängt von der aktionalen Markierung des Prädikats und vom Kontext ab.

6.2. Synchrone Funktionsmuster 6.2.1. Das fs über dynamischen Prädikatklassen Über Intergressiva fungiert das f s perfektiv-futurisch. Der Wert ist so stabil, daß er in nahezu allen Kontexten erhalten bleibt. Intergressiva sind nicht nur die diachron älteste, sondern auch synchron die in allen Registern häufigste aktionale Klasse. Wie sich Futurität unter perfektiver Außenperspektive ausnimmt, zeigt sich gerade mit ihnen in aller Deutlichkeit, und so werden Intergressiva in der Forschung gerne herangezogen, wenn Grundwerte des insgesamt als perfektives Tempus geltenden fs demonstriert werden sollen. V E T 2 8 etwa illustriert Grundfunktionen des f s anhand von Beispielsätzen auf intergressiver Basis (1979: 82; 1981: 117), bei denen das gesamte Ereignisintervall als vollständig ablaufend, wie von außen betrachtbar erscheint: (202) (203)

Jeanne jaunira le papier. Jeanne copiera la lettre.

Diese funktionale Grundkomponente beruht, im Gegensatz etwa zur futurischen Teilfunktion des Präsens, gerade auf dem Fehlen eines semantisch füllbaren Vorlaufs für E: Das Ereignis wirkt futurisch verschoben, in erster Linie aber eigenartig abgehoben (virtuell). Zu 28

VET (1979: 98f.): Dans ce qui suit, nous partirons de l'idée que le FUT est, à bien des égards, le pendant futur du PC. Parmi les différences, signalons le fait que le FUT ne possède pas ce que nous avons appelé l'aspect accompli [d.i. in der Terminologie von BYBEE U.A.: Anterior-Funktion, MS], mais l'aspect perfectif seulement. Ce qu'on exprime, selon nous, dans des phrases comme (20 a, b): (20) a. Jeanne courra b. Jeanne jaunira le papier c'est le fait que, après r x = s, il y a un intervalle I pendant lequel la situation dont il est question dans (20 a) et (20 b) est valable. La perfectivité est particulièrement claire dans (20 b); cette phrase implique, en effet, que la situation se complète au dernier moment de I, [...]. Comme (20 a) ne renvoie pas à une situation transitioned, le caractère perfectif de cette phrase n'est pas aussi évident que dans (20 b); nous traiterons ce type de phrases pourtant de la même façon, parce que leur comportement par rapport aux adverbes de temps et de durée est sensiblement le même.

147 paraphrasieren wäre diese besondere Art temporaler Verortung mit ,es ist irgendwann einmal der Fall, daß E'. 2 9 SCHROTT spricht von Nicht-Orientiertheit und betrachtet diese als Manifestation der ,virtuellen Konditioniertheit'. VET (1979: 98) bezeichnet den Wert, über den interessanterweise auch das passé composé verfugt, als lecture non-spécifique·. Ohne präzisierende temporale Angabe könne das im fs versprachlichte Ereignis nicht in einem definiten Verhältnis zu S vorgestellt werden. 30 Pragmatisch ist dies z.B. dann nutzbar, wenn der Sprecher dieses Verhältnis im Unbestimmten lassen will, so etwa, wenn er den Diskurswert einer „verschobenen unliebsamen Arbeit" (SCHROTT, 1997: 204) erzielen möchte. Die lecture non-spécifique ist im Deutschen im Bereich Nachzeitigkeit schwer zu imitieren, am ehesten adäquat ist eine Kombination aus aktionsartlicher Markierung, Vorgangspassiv und Adverb: ( 2 0 4 ) Kontext: in einer Wohnung befindet sich ein seit Tagen angewachsener Berg verschmutzten Geschirrs. Eine Person, der das Geschirrspülen obliegt, wird auf diesen Umstand aufmerksam gemacht und reagiert mit folgendem Satz: Ne t'inquiètes pas, je le ferai dt. Keine Sorge, das wird (schon) irgendwann

erledigt.

Daß der Satz die angesprochene Person nicht besonders beruhigen dürfte, liegt daran, daß E mit seinem Gesamtintervall, metaphorisch gesprochen, wie eine Insel im Meer des Referenzbereichs Nachzeitigkeit liegt. Der parallele Wert des passé composé ist vor allem im schriftsprachlichen Register deutlich als Markiertheit erkennbar, da die Form dort u.a. in Opposition zum passé simple steht. Diese unspezifisch-perfektive Wirksamkeit setzt beispielsweise CAMUS in L'étranger zur Erzielung eines stilistischen Effekts ein. Durch die Versprachlichung der Ereignisse im passé composé blockiert er das Bild einer Ereignisreihung. Die Unterdeterminiertheit der Beziehungsintervalle, die zwischen den Ereignissen liegen, und die weitgehend indifferente Intervallbasiertheit der Ereignisse selbst lassen sie eigenartig isoliert erscheinen, was den Eindruck einer Entkoppelung natürlicher Sinnzusammenhänge weckt. 32 Daß der spezifische perfektive Wert eventuell auch etwas mit der diachronen Quelle des Auxiliars bzw. der Flexionsendung zu tun haben könnte, darauf deutet hin, daß z.B. auch das deutsche haben-Perfekt über ihn verfugt. Im folgenden Beispiel etwa vermittelt die Versprachlichung klar konturierter Einzelbilder ebenfalls nicht das Bild einer Ereigniskette, eines Sinnzusammenhangs, da die Beziehungsintervalle unterdeterminiert bleiben: ( 2 0 5 ) Er hat um Hilfe gerufen. Er hat versucht, gesehen; keiner hat etwas unternommen. habe mir meinen Teil gedacht.

aus dem Wasser zu kommen. Die Leute haben Die Polizei hat ihn aus dem Wasser gefischt.

zuIch

Das diachron ältere deutsche Präteritum erweist sich demgegenüber als aspektuell unmarkiert, wie die Substitution zeigt. Die Relationierung der Ereignisse beruht in Form implizi29

30

31 32

SCHROTT ( 1 9 9 7 : 5 9 ) :

Das futur simple trifft so eine ,Existenzaussage' und beinhaltet lediglich, daß ein Ereignis in der Zukunft realisiert wird, ohne diese Realisierung [...] zu präzisieren. Diese nicht-orientierten, non-spezifischen Werte weisen übereinzelsprachlich vornehmlich perfektive Tempora auf (vgl. GEBERT, 1995: 91). Beispiel und Analyse: Sibyl WRIGHT. Annegret BOLLÉE verdanke ich den Hinweis, daß Jean-Paul SARTRE die Wirkung der TempusSetzung in L'étranger mit der von mir für das fs benutzten Inselmetapher beschrieben hat.

148

ter Aspektualität auf aktionalen Werten. Es entsteht das Bild eines Gesamtszenarios (nichtbegrenzte Prädikate) mit inzidierenden, gereihten Ereignissen (begrenzte Prädikate): (206) Er rief um Hilfe. Er versuchte, aus dem Wasser zu kommen. Die Leute sahen zu; keiner unternahm etwas. Die Polizei fischte ihn aus dem Wasser. Ich dachte mir meinen Teil.

Einen funktionalen Inseleffekt vermittelt nun auch das fs. Explizite Zeitangaben müssen herangezogen werden, wenn die Unterdeterminiertheit des Beziehungsintervalls aufgelöst werden soll bzw. muß - und so erscheinen sie relativ häufig. Der Wert manifestiert sich auch darin, daß indefinite Subjektpronomina {on und interrogatives qui) im Kontext eines fs in einer ganz bestimmten Weise monosemiert werden. 33 Wo das pf und das f p einen außersprachlich bereits implizit oder explizit spezifizierten Aktanten benötigen, um ausreichend referentiell festgelegt zu sein, erlaubt das fs, sich wen auch immer vorzustellen. Der Subjektreferent kann auch bei singulärer Referenz unbestimmt bleiben. Man vergleiche die folgenden Beispiele: (207) \.fp:qui on 2. fs: qui on

Referent: Kreis der Angesprochenen + Sprecher. (Qui va descendre la poubelle?) Referent: Kreis der Angesprochenen + Sprecher: nous {On va faire ce qu 'on peut.) Referent: Wer (auch immer) (Qui dira les souffrances de ses gens. ) Referent: Indeterminiert, dt. man, {On m 'objectera que X. )

irgendwer

Das fs vermittelt damit eine Sicht auf ein Ereignis, die dieses u.a. automatisch mit der 3. grammatischen Person in Verbindung bringt und den Referenzbereich der 1. oder 2. Person ausblendet. Die 3. Person steht nach LANGACKER fur ein „optimal viewing arrangement" (nach SCHROTT, 1997: 90), da sie Betrachter und Objekt der Versprachlichung voneinander gelöst erscheinen läßt.34 In der Interpretation eines indefiniten Subjektpronomens als 3. Person manifestiert sich u.a. die Betonung der Subjekt-Prädikat-Differenzierung, die habenKonstruktionen bewirken (ehemalige Fokussierung der Objektstelle. NEF (1984: 155ff.) stellt diese Spezifik in einem anderen Zusammenhang fest. Er unterscheidet zwischen lecture attributive und lecture référentielle definiter Subjekte; das fs löse regelhaft eine lecture attributive aus: (208) Le professeur

Kamp volera dans la lune.

Es werde ausgesagt, daß es zu einem späteren Zeitpunkt eine erst dann referentiell festgelegte Person mit Namen Kamp gibt, die eine Mondfahrt unternimmt. Zum Sprechzeitpunkt müsse es keinen konkreten Referenten fur professeur Kamp geben. Das f p z.B. könne nur im Fall einer lecture référentielle herangezogen werden, d.h., wenn eine zum Sprechzeitpunkt bereits existente Person später eine Mondfahrt unternehmen wird. Auch im folgenden Beispiel erweise sich der Subjektreferent erst in der Zukunft als referentiell festgelegt: 35 33 34

Vgl. SCHROTT, 1997: 85ff.

Deshalb bezeichnet BENVENISTE ( 1 9 6 6 : 227f.) die 3 . grammatische Person als non-personne·. Sie kann für alles stehen, was aus dem Sprechkontext gelöst betrachtbar ist, da sie sich als einzige nicht auf die direkt an der Kommunikation beteiligten, die ,echten' Personen bezieht. Hierzu NEF (1984: 157):

149 (209) Le président

de la General Motors volera dans la lune.

An den Beispielen (207) bis (209) wird deutlich, daß die typischerweise definite Umgebung des Subjektbereichs defokussiert erscheint. Eine aus der Aaiew-Konstruktion verbliebene Restsemantik läßt den Subjektbereich unterbelichtet erscheinen, vornehmlich vermittelt wird ein jenseits der Sprechsituation liegender Ereignisbereich, auf den dann auch die referierende Kraft des Subjekts projiziert werden kann. Ausblendung des Subjektbereichs, Fokus-sierung des Prädikatinhalts und dessen Eingrenzung gegenüber dem Subjektbereich ergeben zusammengenommen den Wert einer perfektiven Perspektive auf das Ereignis (Lösung vom konkreten Betrachterstandpunkt S). Bei dynamisch-begrenzten Prädikaten ist dieser aspektuelle Grundwert temporal-futurisch reanalysierbar. Eine Projektion auf die temporale Achse ist allerdings blockiert, 36 wenn das Ereignis wahrnehmbar innerhalb des Sprechkontexts stattfindet. In diesem Fall muß der Wert reinterpretiert werden. Die abtönende Funktion des fs bei performativen Redeverben kann als Beispiel dienen. Prädikate mit Redeverben sind in der Regel intergressiv, ihr aktionaler Umfang ist determiniert von der begrenzten Dauer des Machens einer Aussage. Die abtönend-modalen Werte mit diesen Prädikaten sind an die Bedingung geknüpft, daß versprachlichtes Ereignis und Sprechakt koinzidieren (Äußerungen in der 1. Ps. Sg.).37 Sie stellen dann einen doppelten Bruch bezogen auf das dar, was das fs leisten kann (Außenperspektive auf E, referentielle Unterbelichtung des Subjektbereichs). Das Subjekt kann nicht als unspezifisch verschoben gelten, weil es der maximal referentiell festgelegt Sprecher ist. Beide Grundwerte können nun auf der vertikalen, modalen Achse genutzt werden. Der Sprecher ordnet E (sein Meinen/Denken/Sagen zu einem Ereignis, einem Sachverhalt) dem Bereich unter, fur den er als Subjektreferent, als Aussagender insgesamt (ein)steht, es wird ,singularisiert', als singulär kommuniziert und gegenüber einem Bereich abgegrenzt, in dem bezüglich des gleichen Sachverhalts etwas anderes gesagt, gemeint und gedacht werden kann. ,Ich' ist also in diesem Fall ein anderer: (210) Je dirai qu'elle a raison. dt. Ich sage/behaupte (jetzt) 'mal sie hat recht. (211 ) Je vous demanderai de vous taire un peu. dt. Ich bitt' Sie jetzt 'mal, ein bißchen den Mund zu halten.

36

37

Dans (91) [d.i. der zitierte Satz, MS] la description définie est de la forme 'quel que soit l'individu i qui satisfait la propriété 'être président de la General Motors'. (91) est alors paraphrasable: 'quel que soit l'individu i ...General Motors, il possédera la propriété dé voler dans la lune'. Es ist nicht von einer ungebrochen nach vorne weisenden Funktion auszugehen (der Referent ist nicht die noch zu machende Aussage). Hierzu DE CORNULIER (zit. nach: SUNDELL, 1991: 39 FN): Il [ne faut pas] s'imaginer par exemple que le futur du verbe placé au début d'une phrase ou d'une suite plus vaste renverrait à sa fin; car il reste dans l'ordre inverse: Blablabla, voilà tout ce que je vous répondrai; Blablabla, telle sera ma réponse; même chose avec l'incise postposé dans: C'est une espèce de fièvre aptheuse, dirons nous. H i e r z u SUNDELL ( 1 9 9 1 : 3 8 f . ) :

Il est généralement admis que l'emploi du futur simple dans ces cas sert à atténuer un énoncé [...]. Comment pourtant est-il possible de créer cette illusion? Tout d'abord il paraît que le choix du verbe est primordial et que le nombre des verbes [...] est limité. Il s'agit de toute évidence de verbes de caractère performatif: avouer, demander, dire, faire remarquer, permettre, prier etc. Un verbe performatif, employé à la première personne du singulier [...].

150 Diese Verwendung des fs in Redekontexten wird im Deutschen oft mit präsentischen Modalperiphrasen oder einem Konjunktiv Präteritum wiedergegeben. Es gibt jedoch adäquatere Mittel, wenn man sich den unverändert perfektiven Grundwert vor Augen hält. So wie das französische fs in den meisten seiner temporalen Verwendungsformen bekanntermaßen nicht dem deutschen werden-Futur entspricht, so sollte man bei der Übersetzung der epistemischen Verwendung nicht einfach auf irgendeinen deutschen epistemischen Marker zurückgreifen. Dies um so mehr, als es im Deutschen einen modalen Marker gibt, dem modal reinterpretierte Perfektivität eignet. Wie sich die implizit temporale Funktion des deutschen praesens pro futuro aktional begrenzter Verben (meist aktionsartlich markiert) mit adverbialen Ergänzungen zur Wiedergabe der futurisch reanalysierten Perfektivität eignet, so eignen sich flir den modalen Funktionsbereich grenzziehende Modalpartikel, wie etwa das bereits in 3.4.2.3. analysierte (ein)mal. Nicht in den Bereich der performativ-attenuativen Verwendung gehören allerdings fsmarkierte Redeverben in Fragesätzen, denn sie sind ,ordentlich' futurisch insoweit die weiter oben genannten Bedingungen nicht vorliegen: (212) Que direz-vous

si je vous demande de faire une petite promenade

avec moi?

Die dem fs eigene Konturierung und Hervorhebung des Prädikatinhalts erklärt einerseits, daß es sich fur explizit um Information nachsuchende Fragen besonders eignet, andererseits auch den von SCHROTT bemerkten Umstand, daß Adverbien in Rhema-Position beim fs eine gegenüber dem f p erhöhte Rhematizität aufweisen ( 1 9 9 7 : 346f.). Daß das fs selbst eine Ereigniskontur vermittelt, wird natürlich erst bei den Prädikatklassen deutlich, die aktional in dieser Hinsicht nicht festgelegt sind. Als erstes seien die diachron frühen R-Progressiva analysiert, die aktional bezüglich A nicht markiert sind. In (213) 1. und 2. (aus VET, 1979: 12Iff.) hat der Subjektreferent um 8 Uhr seine Arbeit ganz erledigt. Anders wirkt sich die Adverbstellung hingegen mit einem f p aus: (213) 1. Il finira son travail à huit heures. 2. A huit heures, il finira son travail. (214) 1. Il va finir son travail à huit heures, (wie oben) 2. A huit heures, il va finir son travail. dt. Um acht Uhr wird er loslegen, um seine Arbeit zu Ende zu

bringen.

Die jeweilige Stellung löst mit dem f p jeweils auch eine andere Lesart aus, da nicht die verbale Markierung die Ereignisbegrenzung signalisiert, sondern das Adverb. Das fs, das selbst grenzziehend fungiert, läßt für das Adverb nur die Möglichkeit, daß es sich auf das Ereignis als Ganzes bezieht - und damit auf das insgesamt abgelaufene Intervall. Im folgenden Beispiel (literarisches Register) verschafft das fs einem R-Progressiv Gesamtkontur, d.h., es verhindert eine vorphasische, imperfektive Lesart und löst die im Präsens nur u.a. mögliche perfektive Lesart automatisch aus (deshalb die deutsche Übersetzung mit einem aktionsartmarkierten Verb): (215) (Subjektreferent: ein Schaf) Mais si tu ne l'attaches pas, il ira n'importe où et il se perdra. dt. (frei) Aber wenn du es nicht anbindest, läuft es sonstwohin und Du hast es

gesehen.

Noch besser ist die Fähigkeit des fs, eine Gesamtkontur und damit eine Außenperspektive zu erzeugen, natürlich mit nicht-grenzbezogenen Prädikaten zu belegen. Bei Progressiva

151

mit Objektergänzung, die aktional zu intergressiver Lesart tendieren, löst das fs die perfektive Fokussierung der Ereignisgrenzen aus. Der folgende Satz ist im Präsens aktional zweideutig, im fs jedoch desambiguiert: (216) 1. X mange la soupe. Progressiv/Intergressiv Lesarten: imperfektiv X ißt Suppe. perfektiv X ißt die Suppe (ganz) auf 2. X mangera la soupe. perfektiv

X ißt die Suppe (demnächst ganz) auf.

Befindet sich das /s-markierte Prädikat in einem Nebensatz, dem ein Hauptsatz mit Wahrnehmungsverb vorgeschaltet ist, löst der perfektive Wert auch eine veränderte Lesart des Wahrnehmungsverbs aus: 3. X voit que Y mangera la soupe. nicht X sieht, daß Y dabei ist, die Suppe aufzuessen. sondern Xhat begriffen, daß Y die Suppe demnächst (ganz auf)ißt.™

Das Ereignisintervall des ersten Prädikats und das des ,Suppe-(Auf)essens' erscheinen voneinander gelöst, voir kann damit nicht als Perzeptionsprädikat interpretiert werden. In den Fällen, die sich an der Schnittstelle zwischen grenzbezogener und nicht-grenzbezogener Semantik bewegen, desambiguiert das fs ambivalente Prädikate, indem es deren perfektiven Anteil positiv verstärkt und damit sekundär auch eine eindeutig futurische Lesart ermöglicht. Im Kontext einer 2. Person Singular kann dieser Wert z.B. für den Diskurswert einer sehr kategorischen Imperativität genutzt werden: 4. Tu la mangeras ou tu auras une gifle!39 dt. Du ißt sie auf oder du kriegst eine Ohrfeige!

Mit typischen Progressiva verändert sich das Bild. Es wird erkennbar, daß Futurität lediglich eine Manifestation des perfektiven Grundwertes mit bestimmten Klassen darstellt. Es wurde im Zusammenhang mit dem futurischen Präsens (vgl. 5.1.) bereits erläutert, daß Progressiva (vor allem Ph-Progressiva) unter dem perfektiven Aspekt primär iterativ (habituell) und nur unter bestimmten Kontextbedingungen auch futurisch verwendet werden können: Das Ereignis wird unter dem perfektiven Aspekt in Einzelereignisse zerlegt, die dann mit Intervallen von Nicht-E abwechseln.40 Diese perfektive Seite von Progressiva ist es nun, die vom fs explizit hervorgehoben wird, bei gleichzeitiger Differenzierung des Subjekt- und Prädikatsbereiches. Aufgrund dieser Entkoppelung wird die Iteration nicht nur auf die Achse der Sukzessionen (,Zeitachse') projizierbar, sondern auch auf die vertikal38 39

40

Beispiel und Analyse aus VET, 19942: 54. ANOUILH, zit. nach B. LORENZ (1989: 20). Man beachte auch die aspektuelle Wertigkeit des zweiten Prädikats, das es im Präsens nicht gibt (* tu as une gifle). SCHROTT (1997) stellt ebenfalls fest, daß habituelle und iterierende Lesarten mit dem fs, nicht aber dem f p möglich sind. Alle von ihr genannten Beispiele ohne iterierendes Adverb sind Progressiva, Intergressiva oder R-Progressiva mit Pluralobjekten bzw. -Subjekten. Explizit iterierende Adverbien sind nur mit dem f s zulässig, zweideutige (wie jamais) werden in diese Richtung desambiguiert.

152 modale. Nur bei entsprechendem Kontext kann ein singulares Ereignis aus der repetitiven Kette herausgelöst kommuniziert werden. Auch dieses Spektrum mit Progressiva hat das fs mit dem passé composé gemeinsam, wie sich an den Beispielen (217) und (218) zeigt (aus VET, 1 9 8 1 : 1 1 7 ) : (217) Jeanne jouera du piano. dt. (vom Kontext gefördert) Jeanne ist wohl Klavierspielerin. oder Jeanne wird irgendwann einmal Klavier spielen. (218) Jeanne a joué du piano. dt. Jeanne war Klavierspielerin. oder Jeanne hat (irgendwann einmal) Klavier

gespielt.

Im folgenden Beispiel (informelle Gespräche) ist der Kontext das gemeinsame Betrachten von Urlaubsphotos. Kommentiert wird ein Photo, auf dem eine Person beim Tauchen zu sehen ist. Jemand erzählt, um wen es sich handelt (Ah c'est X qui plonge, oh mais attendez y a mieux que [ça]..,). Eine der Anwesenden kommentiert wie folgt: (219) Ah, il plongera X. habituell, dt. Ach, dann taucht der also/ist der also

Hobbytaucher.

NEF (1984: 124) demonstriert diese spezifische Wirkung des expliziten perfektiven Aspekts Uber Progressiva ebenfalls. Er widerspricht COMRIE, der die Imperfektivität des englischen w/7/-Futurs mit einem bestimmten Beispielsatz zu belegen glaubt ( When I am singing you will be crying). Der Satz sei nur deshalb imperfektiv lesbar, weil er nicht nur mit dem willFutur, sondern auch mit der progressive form markiert sei. Er stellt diesem zusätzlich markierten Beispiel aus dem Englischen das französische Pendant im fs gegenüber, wo sich die Markierung als Auslöser einer habituellen Lesart erweist, die wiederum ihre Parallele im passé composé hat: (220) Quand je chanterai tu pleureras. (221) Quand j'ai chanté tu as pleuré.

Quand ist hier als ,immer wenn..., dann...' zu lesen. Die erste grammatische Person macht sekundär auch eine singulär-temporale Lesart möglich. Die Äußerung referiert also entweder auf ein singulares oder öfter auftretendes, konturiertes Singen und ein davon gelöstes singuläres oder jedesmal stattfindendes Weinen. Ihr entspricht im Englischen am ehesten eine Realisierung im auf perfektive Restfunktionen restringierten simple present mit dessen (singularisch) futurischem und (pluralisch) habituellem Funktionsspektrum: (222) When(ever) I sing, you cry.

Aspektuell und temporaldeiktisch unspezifische Angaben erhalten, wie in (220) zu sehen ist, in Kombination mit einem Progressiv im fs eine ganz spezifische Wertigkeit, wie sich auch an folgendem Beispiel verdeutlichen läßt: (223) Je roule à vélo et je roulerai à vélo tant qu'il me plaira.

Die Äußerung bedeutet primär nicht, daß der Sprecher gerade Fahrrad fährt und nicht gewillt ist, mit diesem singulären Fahren aufzuhören. Vermittelt wird vielmehr, daß der Subjektreferent Fahrradfahrer ist und dies auch zu bleiben wünscht (d.h., daß er immer wieder zum Fahrrad greifen und damit fahren wird, bis ihm das nicht mehr gefällt). Nur in einem Kontext, in dem etwa der volltrunkene Subjektreferent mit seinem Fahrrad vor Ort ist und

153 auf ein Verbot reagiert, kann aus der Kette der Teilereignisse eines als futurisch herausgelöst erscheinen. Auf der perfektiv-habituellen Interpretation von Progressiva beruhen auch die häufig angeführten sog. gnomischen 41 Werte des fs, auch hier führt das perfektivierende f s zu einer iterierend-pluralischen Lesart: (224) Les Russes boiront facilement une bouteille de Vodka42 (225) Les Tartares venant en course feront de trente à quarante lieues en une nuit, mettant un petit sac plein de paille attaché à la selle de leurs chevaux,43 Als ehemals objektzentrierende Form setzt es keinen definiten Subjektbezug voraus. Damit ist in (224) und (225) aufgrund des f s ausgeschlossen, daß sich die Aussage des Prädikats auf eine konkrete, im Äußerungskontext bereits referentiell festgelegte Gruppe Russen bzw. Tartaren bezieht. Im Deutschen kann man ähnliche Sinneffekte mit anderen formalen Mitteln erzielen, nämlich über den Weg einer konturierenden Ereignis-Singularisierung, die dann eine Vorstellung von Iteration im Sinne einer Pluralisierung möglich macht. Die Ausblendung der referentiellen Kraft des Subjekts, die im Französischen das f s signalisiert, kann im Deutschen durch einen zusätzlich markierten unbestimmten Artikel erfolgen: (226) So ein Russe ist ohne weiteres in der Lage, eine ganze Flasche Vodka zu leeren,44 (227) So ein Tartare schafft, wenn er auf Feldzug ist, bis zu dreißig oder vierzig Meilen in der Nacht, denn er befestigt gewöhnlich einen Sack voll Stroh am Sattel des Pferdes. Die Verwendung des f s in allgemeinen Geboten und Verhaltensmaßgaben mit omnitemporalem Charakter (vgl. SCHROTT, 1997: 252f.) geht ebenfalls auf diese perfektive ,immer wenn..., dann...'-Semantik zurück. Auch mit nicht temporaldeiktisch orientierenden, also nicht auf Futurität festgelegten Adverbien wird das fs, sobald der Kontext eine singulare und damit futurisch referierende Lesart nicht erfordert, so gelesen: (228) Un jour, elle passera devant vous et vous ignorera complètement, le lendemain, elle vous sautera au cou comme si vous étiez sa meilleure amie.4i dt. Bei ihr müssen Sie immer darauf gefaßt sein, daß sie an einem Tag an ihnen vorbeiläuft und Sie vollkommen ignoriert und Ihnen am nächsten Tag um den Hals fällt, so als wären Sie die allerbesten Freundinnen. Es bleiben noch die transitionellen Prädikate zu untersuchen, die im Präsens implizit auf perfektive Lesart und kompletive Funktion festgelegt sind. Das f s doppelt deren perfektive Komponente. Im Fall des ersten Belegs eines formal synthetischen f s (Fredegarchronik, 7. Jahrhundert) handelt es sich um ein transitionelles Prädikat in perfektiv-futurischer Ver41

42

43 44

45

ULTAN (1978: 87) schließt gnomische Verwendungen futurisch fungierender Formen analytisch aus. Entsprechende Kontexte könnten bei jedem Tempus temporale Grundwerte neutralisieren, was sich dann eben gnomisch ausnehme. Wie hier zu sehen ist, bietet sich jedoch nicht jedes Tempus mit jedem Basisprädikat für diese Interpretation an. Hierbei handelt es sich um das Standardbeispiel für die gnomisch-modale Verwendung des fs, das in fast allen Veröffentlichungen zu finden ist. Beispiel aus NEF, 1984: 127. Man beachte, daß die Lesart ,Mehrere Russen trinken eine Flasche' ausgeschlossen ist, was beweist, daß Einzelbilder des Prädikatinhalts pluralisiert werden, und es zudem unzweideutig um das Austrinken (perfektiv) und nicht etwa das Aus-der-Flasche-Trinken (imperfektiv) geht. Beispiel aus SCHROTT, 1997: 303.

154 wendung. Es taucht auf im Rahmen eines Zwiegesprächs zwischen dem Verteidiger einer belagerten Stadt, der im lateinischen Futur kundtut, er werde diese keinesfalls dem Feind übergeben, und einem Belagerer, der darauf mit dem neuen Futur lakonisch antwortet: (229) 1. Belagerter: Non dabo. 2. Belagerer: Daras.46 Lakonisch wirkt (229) 2. deshalb, weil S und E nur sehr unspezifisch differenziert erscheinen. Dieser Wert dominierte also bereits im 7. Jahrhundert die obligationelle Färbung, die im Kontext der 2. Person eigentlich exponiert sein müßte: (230) dt. (Ich kann warten, denn) es kommt der Tag, an dem Du fev. : genötigt sein wirst zu) E.

Futurität ist nur eine mögliche Interpretation des perfektiven Werts, auch im fs können Transitionen kompletiv gedeutet werden. Die Zusatzinformation (Lösung von Betrachterstandpunkt und Ereignis) kann als modale Differenzierung zwischen Subjekt- und Prädikatbereich genutzt werden. Diese direkten Werte werden in der Forschung gerne kompliziert und über den Umweg der Futurität analysiert (vgl. z.B. S C H R O T T , 1997: 255): (231 ) Vous remarquerez que je suis patiente. dt. Sie haben sicher bemerkt, daß ich geduldig bin.

Remarquer findet sich im Präsens in zwei aktional differenten Verwendungen. In einem Fall entspricht es dt. etw. anmerken (in Intergressiva), im anderen etw. bemerken (in Transitionen). Im fs hat das Prädikat, wie unter dem perfektiven Aspekt ohne futurisierenden Kontext zu erwarten, transitionelle Bedeutung (etw. bemerken). Die primäre temporaldeiktische Projektionsrichtung für ,echte' Transitionen ist im Französischen die in Richtung Kompletivität (E | S). Das zusätzliche perfektive Signal, das das fs liefert, wird hier epistemisch-modal genutzt, d.h. es ist als Differenzierung auf der vertikalen Achse lesbar. 6.2.2. Das fs über nicht-dynamischen Prädikatklassen Stativa mit Tendenz zu L-Stativität (Prädikate mit den Verben savoir,47 voir, connaître) werden im fs und ohne temporalisierenden Kontext entweder transitionell, und damit implizit futurisch, seltener auch epistemisch-modal interpretiert. Auch wenn es sich um ,echte' Stativa handelte, was häufig angenommen wird, wäre die häufige transitionelle Reanalyse im fs erklärbar: Die einzige Möglichkeit, einen nicht grenzbezogenen, Stativen Sachverhalt des Typs ,wissen' oder ,kennen' unter der perfektiven Perspektive zu dekodieren, ist die transitionelle Reinterpretation.48 Dieser ,reine' perfektive Aspekt unterscheidet sich von aktional angelegter Transitionalität, denn er ist von seinem semantischen Spektrum her weniger festgelegt. Die Bedeutung kann z.B. zwischen ,erfahren' (passivisch), ,in Erfahrung bringen' (aktivisch), .erkennen' (weder aktivisch noch passivisch) changieren. Wird hingegen lediglich ein angelegtes aktionales Merkmal A dekodiert, ist die Färbung, je nach Verb, auf einen dieser Nebenwerte festgelegt. 46

47 48

BONNARD/RÉGNIER, 1 9 9 1 : 86.

Vgl. VET, 1979: 98f. Vgl. BYBEE, U.A. (1994: 87): /«cep/ive-Marker seien keineswegs immer mit der übergeordneten, allgemeineren Funktion perfective ausgestattet, auch wenn sie über bestimmten Prädikaten oft ähnliche Bedeutungsnuancen wie explizit perfektive Zeichen erzeugten.

155 Wenn ein Kontext eine transitionell-futurische Lesart ausschließt, wird auch in diesem Fall das Distanz- und Begrenzungssignal des fs als epistemisch-modal aufgefaßt, wie dies bereits bei den Transitionen dargestellt wurde. Die Stativität kann dann erhalten bleiben: (232) II saura la réponse. Lesarten: transitionell Er erfährt die Antwort. modal Er wird die Antwort vermutlich wissen.

Hierzu ein Beispiel aus meinem literarischen Korpus, wo aufgrund einer temporalen Angabe die transitionelle und futurische Lesart naheliegt: (233) Un jour les voisins sauront qu'elle couve et ma maison sera montrée du doigt. dt. Irgendwann kriegen die Nachbarn heraus, daß sie schwanger ist, und man wird mit dem Finger auf uns zeigen.

Dieser aktional basierte aspektuelle Wert macht das fs auch als sog. futur historique verwendbar. Mit L-Stativa ist es aspektuell bedeutungsgleich mit passé simple und passé composé (mit dem imparfait jedoch nie). Hierzu NEF49 (1984: 124): Soient les phrases équivalentes: (26) Napoléon connaîtra la gloire à Austerlitz et l'humiliation à Waterloo. (27) Napoléon connut/a connu la gloire à Austerlitz et l'humiliation à Sainte-Hélène. (26) n'est par contre pas équivalente à (28): (28) Napoléon connaissait la gloire à Austerlitz et l'humiliation à Sainte-Hélène.

Eine ganz ähnliche Art der Festschreibung auf Transitionalität erfährt das Verb voir im fs. Es verfugt im Französischen lexikalisch über zwei Bedeutungsvarianten, die man im Deutschen mit sehen (stativ verwendet) und begreifen/einsehen (transitionell verwendet) wiedergeben kann. Im Präsens hat es im letzteren Fall (Transitionalität) kompletiven Wert: (234) Je vois. Lesarten: stativ transitionell-kompletiv

dt. Ich sehe. dt. Ich habe verstanden.

Die von mir befragten Muttersprachler nannten für voir im fs ausschließlich perfektive, transitionelle Werte, die besonders gut im Vergleich zu on va voir faßbar werden: (235) On verra (ça). On verra ça (après). dt.

Das wird sich dann schon herausstellen. Das klären wir später.

(236) On va voir. On va voir ça après. dt.

49

Schauen wir mal. Damit beschäftigen wir uns später.

Zur inhaltlichen und morphologischen Parallele zwischen fs und passé simple vgl. auch IMBS, 1968: 45ff.

156 Diese Analyse steht in Übereinstimmung mit den Werten, die SCHROTT (1997: 52ff.) eruiert und die in manchen Kontexten eine Kommutation mit dem f p ausschließen. Im Teilbereich der begrenzten Stativa 50 zeigt sich also ebenfalls das Bild, das sich bei den dynamischen Prädikaten bereits abzeichnete. Die spezifische Perfektivität des fs hat nicht notwendig eine futurische Interpretation zur Folge. Für aktional begrenzte Stativa mit dem fs gilt: a.) Sie sind transitionell deutbar. In dieser Variante sind sie häufig implizit futurisch, besonders wenn der Kontext dies nahelegt. b.) Sie können epistemisch-modal gelesen werden, wenn der Kontext eine transitionelle Deutung nicht nahelegt oder ausschließt (Projektion auf die vertikal-modale Achse). c.) Nur in einem bereits temporal-futurisch verschobenen Kotext sind sie unter Erhalt ihres ursprünglichen aktionalen Status futurisch lesbar. Diese Futurität ist aber nicht auf das fs zurückzuführen, sondern eben auf die temporale Angabe, die einen eigenen Ereignisraum eröffnet und damit dem perfektiven Aspekt eine Projektionsfläche bietet. Ein französisches Präsens Passiv kann (vgl. 4.2.) Stativ oder intergressiv gelesen werden. Mit dem fs wird es, wie unter dem perfektiven Aspekt zu erwarten ist, ohne Kontext als intergressiv desambiguiert. 51 Nur in einem bereits futurischen Kontext ist 1-stative Lesart möglich: (237) L'arbre est abattu. Stativ (O) — ? Intergressiv A —> O (238) L'arbre sera abattu. Intergressiv S | A —> O

Der Satz referiert perfektiv auf das Gesamtereignis, das temporal reanalysierbar ist, was man im Deutschen mit einem futurischen Präsens im Vorgangspassiv wiedergeben kann: (239) Der Baum wird (irgendwann)

gefällt.

Will man futurische Nachzustandsbedeutung signalisieren, muß die Äußerung um ein Adverb oder andere Elemente ergänzt werden: (240) A huit heures l'arbre sera abattu et on pourra se

reposer.

Nicht-passive Interstativa werden im fs transitionell gelesen, können jedoch in einem bereits futurisch festgelegten Referenzrahmen unter Erhalt ihrer interstativen Semantik futurisch fungieren. Daß für explizite Futurität der Kontext und nicht etwa das fs verantwortlich ist, zeigt sich daran, daß, je nachdem, ob Adverbiale oder Kontext einen Rahmen oder einen Punkt setzen, intervallbasiert oder linksbegrenzt gelesen wird.

50

51

Hierzu VET (1981: 121 FN): [...] les exemples de l'emploi modal du FUT que donnent les grammaires ont tous le mode d'action non transitionnel. Auch übereinzelsprachiich kommt es bei haben-Futura in der Regel aufgrund statischer Prädikate zu epistemischen Lesarten, das Französische ist also kein Einzelfall (vgl. BYBEE U.A., 1994: 202). Vgl. VET, 1979: 118ff.

157 (241) Je dois aller à Saint-Genêt. Je serai absent toute la journée.52 Zeitintervalladverbiale (toute la journée)

=>S| A — O (242) Jolivet, dans deux ans vous serez sans doute médecin. Zeitpunktadverbiale (dans deux ans) =>S| A —

?

Ohne Kontext neigen Interstativa und L-Stativa aufgrund der angelegten Transitionskomponenten also im fs dazu, aspektuell desambiguiert zu werden (perfektive Aspektualität, auf die temporale Achse projiziert). Seltener werden sie auch epistemisch-modal verwendet (projiziert auf die vertikal-modale Achse). Prädikate, die avoir und ein nicht maximal definites direktes Objekt enthalten, liegen aktional zwischen Interstativ und Stativ. Die Möglichkeit fiiturisch-transitioneller und epistemisch-kompletiver Lesart sind im fs gleichermaßen gegeben. Hierzu ein Beispiel (literarisches Korpus). Ein Junge soll in ein Heim für schwer erziehbare Kinder eingewiesen werden. Er hat einen heimlich gehörten Satz nicht verstanden, weil ihm der desambiguierende Kontext entgangen ist. Das Kind reflektiert den Satz in Form eines inneren Monologs: (243) (Il part en maison. dt. Er kommt in ein Heim. gedeutet als: Er fährt ins Haus. ) Nicole a répondu [...] il part en maison donc j'aurai une maison... Stativ/(Interstativ) (J'ai une maison) Mögliche Lesarten: 1. transitionell-futurisch dt. [...] also bekomme ich ein (eigenes) Haus. 2. kompletiv-modal dt. [...] also werde ich wohl/vermutlich ein (eigenes) Haus haben.

Es ist tatsächlich nur der Kontext, der eine der beiden Lesarten exponiert. Im textuellen Umfeld des folgenden Beispiels (literarisches Korpus) etwa wurde jemandem eine Belohnung in Aussicht gestellt für den Fall, daß er eine Aussage zu einem Verbrechen macht: (244) C'est vrai que j'aurai un missel? dt. Bekomme ich wirklich ein Meßbuch?

Die unspezifische Lagerung von E ist eine notwendige Zugangsbedingung zum futurischen fs, oder es muß eine epistemisch-modale Interpretationsmöglichkeit gegeben sein. In Antworten auf Fragen, die auf eine exakte temporale Differenz zwischen Äußerungskontext und Ereignis abheben, ist das fs deshalb ausgeschlossen. Eine zusätzliche exakte Zeitangabe hingegen löst diese Restriktion auf: 5 3 52 53

Beispiele aus SUNDELL, 1991: 135 und 123. JEANJEAN (1988: 242) versucht an diesem Prädikat in der 1. Person Singular eine angebliche imperfektive Markierung des fs nachzuweisen: [...] le futur en ra ne serait vraiment acceptable qu'avec un complément de temps: ? il me demande quel âge avez-vous je lui réponds '¡'aurai dix-huit ans. il me demande quel âge avez-vous je lui réponds j'aurai dix-huit ans dans un mois. Sie übersieht, daß der Satz mit einer anderen grammatischen Person akzeptabel, dann allerdings nicht futurisch ist: il me demande quel âge a-t-elle je lui réponds elle aura (bien) dix-huit ans. Es ist unser außersprachliches Wissen, das uns Sätze wie Ich bin vermutlich achtzehn Jahre alt als

158 ( 2 4 5 ) Frage: Antwort:

Quelle âge a-t-elle? (*) Elle aura dix-huit

ans.

1. inakzeptabel (wegen der Frage) als: 2. akzeptabel als: 3. stativ-futurisch nur mit explizitem Zeitadverbial:

Sie wird irgendwann achtzehn. Sie wird wohl achtzehn Jahre alt Elle aura dix-huit ans en 1999. dt. 1999 wird/ist sie achtzehn.

sein.s4

Daß es mit dem fs neben den seltenen modalen Lesarten vor allem zu transitionellen (und damit nur implizit futurischen) Interpretationen von Stativa kommt, wird zwar in der Forschungsliteratur ab und an erwähnt (vgl. G O B E R T / MAISIER, 1 9 9 5 : 1 0 0 5 ) . Dennoch bezieht kaum jemand diesen Umstand in die Analyse ein. Es steht zu vermuten, daß die seltenen modalen Lesarten besser ins Bild vom modalitätsaffinen Futur passen. Wenn alles bisher für das fs festgestellte richtig sein soll, dann müssen sich bei dessen Kombination mit unbegrenzten Stativa Probleme ergeben: Sie dürften als futurisch mit dem fs nur akzeptabel sein, wenn sie auf einen Sachverhalt referieren, der irgendwie grenzbezogen dekodierbar ist. In allen anderen Fällen müßten sie sich als inakzeptabel erweisen. Bei stark bzw. ausschließlich subjektzentrierten Stativa ist mit relativ starken Unverträglichkeitsreaktionen zu rechnen, sobald sie mit einer Form kombiniert werden, die ein der Grundinformation entgegengesetztes Signal liefert (Objekt- bzw. Prädikatzentrierung). Zuerst seien die Fälle und Bedingungen genannt, unter denen Prädikate mit Tendenz zu ,echter' Stativität synchron Zugang zum fs haben. Das folgende Beispiel ist z.B. unproblematisch, weil hier die lexikalische Bedeutung des Prädikatsnomens eine begrenzte Vorstellung des Sachverhalts ermöglicht. Wiederum eröffnet die Fokussierung der Transition, die das fs bewirkt, zwei Lesart-Möglichkeiten: ( 2 4 6 ) Ils seront tous

malades.

1. transitionell-futurisch: 2. kompletiv-modal:

dt. Irgendwann wird ihnen allen schlecht. dt. Sie werden vermutlich alle krank sein.

Eine weitere Möglichkeit des Zugangs ergibt sich, wenn Stativa über ein progressives Konnotat im frame verfugen, weil sie die Ableitung eines grenzbezogenen Prädikats darstellen. Im folgenden Beispiel handelt es sich um ein Interstativ mit sekundärer Intergressiv-Lesart, das durch eine pluralische Ergänzung zum Stativ/Ph-Progressiv verschoben ist: ( 2 4 7 ) On η 'est pas assez sévère avec les Lesarten: 1. Stativ 2. Progressiv

dt. dt.

voleurs.

Man ist nicht streng genug gegenüber Man verfährt mit Dieben nicht streng

Dieben. genug.

Als mögliches Ph-Progressiv hat es im Präsens eine Möglichkeit perfektiver Lesart angelegt (gnomisch gefärbte Habitualität), die vom perfektiven Aspekt des fs fokussiert werden

54

nicht besonders sinnvoll erscheinen läßt (es sei denn, sie kommen aus dem Mund eines Kaspar Hauser). Die modale ist hier die einzig zulässige Lesart von zwei grundsätzlich möglichen, weil es sich um eine Anwort auf die konkrete Frage nach dem Alter einer Person handelt. JEANJEAN liefert, ohne es zu bemerken, mit dem Beispiel ein besonders eindeutiges Indiz fur den perfektiven Wert des fs. Der um das Adverb verstärkte Satz müßte im Deutschen auf jeden Fall übersetzt werden mit:...ich werde in einem Monat achtzehn. Alle modalen Interpretationen, bei denen die Form zudem a-temporal ist, bezeichneten meine Informanten als weniger im Vordergrund stehend, aber möglich.

159 kann ( . i m m e r w e n n j e m a n d stiehlt, behandelt man ihn nicht streng g e n u g ' ) . A u f der Basis einer progressiven Fassung mit Tendenz zu iterativer Lesart ist also der Z u g a n g z u m f s möglich. W i e bei den Passivprädikaten fördert die begrenzende Außenperspektive also auch eine Interpretation als [+ dynamisch]: (248) On ne sera jamais assez sévère avec les voleurs. dt. Man kann mit Dieben gar nicht streng genug verfahren. Unter Erhalt der Stativität kann der Satz mit d e m f s nur verwendet werden, w e n n er sich auf einen vorerwähnten Sachverhalt bezieht, der seinerseits grenzbezogen oder abgeschlossen ist, d.h. bei Möglichkeit singulären Referenzbezugs (Kompatibilität mit perfektiver A u ß e n perspektive). A u c h in diesem Fall j e d o c h wird die Zusatzinformation des f s als modales Signal verstanden. So etwa, w e n n es sich bei d e m folgenden Beispiel u m den K o m m e n t a r einer Person handelt, die erfahren hat, daß ein Dieb vor Gericht freigesprochen wurde: (249) Alors on ne sera pas assez sévère avec les voleurs (dans ce pays). dt. Es ist davon auszugehen, daß man (bei uns) gegenüber Dieben nicht streng genug ist. W e n n eine ^ - m a r k i e r t e Aussage einen K o m m e n t a r zu einem Ereignis oder Sachverhalt mit definitem R e f e r e n z u m f a n g darstellt, sind Stativa also unter Erhalt ihrer Stativität zulässig, und zwar mit kompletiv-modaler Bedeutung, auf die die perfektive Grundinformation bezogen ist. Dies sind die Fälle, die in der Forschung fast i m m e r als der typische modale V e r w e n d u n g s t y p des f s gehandelt werden. Selten wird darauf hingewiesen, daß es sich nahezu ausschließlich u m Stativa handelt, und nie, daß die vielzitierte ,präsentische Bezugsmöglichkeit' allein nicht ausreicht, u m stative Prädikate überhaupt akzeptabel zu machen - die Bedingung des definiten Referenzbezugs wird übersehen. Hierzu einige überall in der Forschungsliteratur zu findende Beispiele, die diese Bedingung z u m einen belegen, z u m anderen die Grundperfektivität als Wurzel der modalen Wertigkeit erkennen lassen. Eine transitionell-futurische Deutungsmöglichkeit, die der perfektive Aspekt j a ebenfalls ermöglicht, ist in allen folgend genannten Fällen entweder aufgrund mangelnder aktionaler Begrenztheit des Grundprädikats oder durch den K o m m e n t a r k o n t e x t ausgeschlossen: (250) Qui sonne? Ce sera le facteur. dt. Wer klingelt denn da? Das ist wahrscheinlich der Briefträger. A u f den gleichen M e c h a n i s m u s geht das sog. Höflichkeits- oder V e r k ä u f e r f u t u r des Französischen zurück: (251) Ça sera tout? (252) Ça fera 100 F. Das auf die modale Achse projizierbare Verhältnis von Nicht-E und E, das die Aussagen zu erkennen geben, könnte man folgendermaßen beschreiben: Nicht-E: Der Kunde braucht noch etwas. Nicht-E: Ich bekomme keine hundert Francs vom Kunden, (was ja durchaus im Bereich des Möglichen liegt!) E: E:

Der Kunde hat alles, was er braucht. Ich bekomme hundert Francs. (= favorisierte, distanziert in den Blick genommene und vermittelte Version)

160 Der Sprecher schlägt seine Version als die im R a u m stehende vor, gibt aber zu erkennen, daß er um die Existenz einer differierenden Version weiß, die er für den Betrachterstandpunkt des K u n d e n fiktiv öffnet: Das wirkt dann höflich. Gemeinhin wird bei der Analyse dieser Lesarten eine metaphorische Übertragung des temporalen Abstands in den Bereich des Distanznehmens von der A u s s a g e a n g e n o m m e n . Es wird jedoch, und dies galt es zu zeigen, kein metaphorischer U m w e g g e n o m m e n . D e n n die fiiturische Lesart ist nur eine, aber nicht die einzig mögliche Weise, in der die grundsätzliche Perfektivität des fs dekodiert werden kann. Sie findet sich vornehmlich mit aktional stark markierten Prädikaten, mit denen die Form diachron auch zuerst kombiniert wurde. Mit aktional schwach markierten Prädikaten, auf die sie sich diachron ausgedehnt hat, fuhrt die Perfektivität direkt zu anderen Lesart-Manifestationen. Genuin temporale Werte konnten mit diesen Prädikaten im fs (ohne ein A d v e r b z.B.) nie erzielt werden. Es gibt nun Stativa, f ü r die keine der genannten Bedingungen f ü r den Z u g a n g z u m fs gegeben ist. Sie bieten keine Möglichkeit, sie perfektiv (kompletiv-modal oder transitionell-futurisch) zu reinterpretieren - und erweisen sich tatsächlich im fs als nicht akzeptabel. An dieser Restriktion zeigt sich, daß klassisch subjektzentrierende, ,reine' Stativa mit einer Form, die ein Element in den Fokus stellen würde, über das diese aktional nicht verfügen, nicht kompatibel sind: 5 5 (253) New York est une très belle ville. => * New York sera une très belle ville. (254) Ma tante, c 'est une femme blonde. => * Ma tante, ce sera une femme blonde. Bei beiden Sätzen liegt prototypische Subjektzentriertheit (anaphorische Verweisrichtung im Satz) vor. Sie sind ohne Kotext im fs nicht sinnvoll zu dekodieren. Dies liegt an der bereits mehrmals erwähnten Eigenheit von Aa6e«-Konstruktionen, das O b j e k t zu fokussieren und das Subjekt zu defokussieren. In beiden Sätzen nun liegt der kommunikative Fokus gerade darauf, eine zentrale Aussage über ein referentiell eindeutig festgelegtes Subjekt zu machen. D a f ü r eignet sich die Konstruktion nicht. A u f einer anderen E b e n e der Betrachtung könnte man dies auch so formulieren: Je weniger eine Teil-Ganzes-Relation zwischen Subjekt- und Prädikatreferenz in einer Aussage eine Rolle spielt, desto weniger kann sie Uberhaupt im fs erscheinen. Mit einer temporalen A n g a b e ist das fs allerdings auch bei diesen Prädikaten zulässig, denn die temporale Fixierung m a c h t sie mit d e m perfektiven Wert des fs kompatibel. A u f der Basis dieses Verständnisses ist erklärbar, w a r u m das fs mit externer Negation, also mit einer Markierung, die die Begrenztheit eines Sachverhaltes tendenziell auflöst, auf eine existentielle Charakteristik des Sachverhalts verweist (nämlich dessen Nichtgegebenheit), nicht perfektiv-modal reanalysierbar ist. W e n n S in Nicht-E verortet ist, kann nicht gleichermaßen Nicht-E von außen betrachtet werden (die B e g r e n z u n g und Z u o r d n u n g der Bereiche, die die zentrale Bedeutungskomponente darstellt, wäre in paradoxer Weise aufgehoben): (255) * Il ne sera pas malade,56 55 56

Beispiele aus SCHROTT, 1 9 9 7 : 305FF. und HELLAND, 1 9 9 3 : 224FF. An dieser Stelle sei erwähnt, daß eine abtönende Wirkung grundsätzlich nur mit einer internen Negation erzielt werden kann, nie mit einer externen. Auch dt. Er wird doch wohl nicht krank sein

161

Negierte Stativ-Prädikate sind im fs nur in den Fällen verwendbar, in denen eine Grenze zwischen Nicht-E und E explizit anderweitig versprach licht wird oder durch den Kontext evident ist. Im folgenden Beispiel (informelle Gespräche) erzählt eine Frau einer anderen von einem Urlaub, den sie mit ihrem Mann in Griechenland verbracht hat. Das Paar hatte eine Bootsfahrt unternommen, die Frau wußte um die Neigung ihres Mannes zu Seekrankheit. Sie schildert die Situation: (256) (On était partis [...] en bateau et j'appliquais la méthode Coué à mon époux tu ne seras pas malade, tu ne seras pas malade. Y a pas de roulis y a rien du tout c 'est parfait etc. etc. [...] Il a pas été malade. dt. transitioned als: [...] Dir wird nicht schlecht, Dir wird nicht schlecht [...]

Interne Negation (mit ne...rien z.B.) ist nicht nur kein Ausschlußfaktor, sondern im Gegenteil besonders prädestiniert dafür, mit dem fs in modaler Funktion zu erscheinen. Sie fokussiert selbst bereits das syntaktische Nachfeld und betont so die Teil-Ganzes-Relation, die das fs ansonsten etabliert. Auf die Prädikatzentriertheit ist auch die Tatsache zurückzuführen, daß Sätze mit übertragener Bedeutung im fs nicht modal reanalysiert werden können (vgl. SCHROTT, 1997: 305ff.): (257) (// η 'est pas là. ) aber nicht :

Il doit s'être évaporé. * Il se sera évaporé.

Das fs lenkt den Blick auf E als scharf konturiertes Bild, abstrahiert vom Subjektbereich. Eine ,Als-ob-Bedeutung' lebt nun aber gerade davon, daß ein konkretes Bild durch ein anderes überlagert wird, eine Dekodierung als metaphorisch ist nur unter Rückgriff auf ein maximal referentiell festgelegtes Subjekt überhaupt möglich. Wenn der Kontext ein solches als konkret anwesenden Referenten liefert, dann ist die Kombination bezeichnenderweise akzeptabel, ansonsten nicht. 6.2.3. Das fs Uber pc-markierten Prädikaten (sog. futur antérieur) Vor dem Hintergrund des gezeichneten Panoramas muß nun die These SCHROTTS überprüft werden, die epistemisch-modale Verwendung des fs mit Stativa gehe auf eine Übertragung aus dem Funktionsbereich des futur antérieur zurück. 57 Bei einem hierarchischen Verständnis grammatischer Markierung wäre das futur antérieur als die /s-markierte Form des passé composé zu betrachten. Das fs fokussiert die aktional-aspektuelle Struktur eines Prädikats und ordnet es gleichzeitig einem nicht näher bestimmten (unterbelichteten) Referenzbereich des Subjekts als eingegrenzt unter (wie alle grammatischen Markierungen, die auf Aa¿>e«-Konstruktionen zurückgehen). Das Basisprädikat ist nun im Fall des futur antérieur bereits passé composé-markiert, verfugt also auch über dessen inhaltliches Spektrum.

57

negiert nicht den Sachverhalt E. Eine derartige Funktion der Negation ist am ehesten mit einem analytischen Prädikat zu kommunizieren, w o eben nur ein Teil, nämlich das finite Element, verneint wird, so daß beinahe automatisch interne Negation vorliegt. SCHROTT, 1997: 294ff.; zusätzlich stütze ich mich auf SCHROTTS Paper zum Romanistentag 1997 in Jena, das ausschließlich dem futur antérieur gewidmet ist. Da dies die einzige Stelle ist, an der ich das Paper verwende, zitiere ich es als SCHROTT, 1997 p .

162 SCHROTT weist nun über relativ umständliche Analyseprozesse nach, daß das futur antérieur Anterior- und Resultativ-Funktion auf sich vereint. Es könne einen Sachverhalt als ab-geschlossen vor R darstellen, aber auch den daraus resultierenden Nachzustand (R dann imperfektiv darin verortet). Weil es keine eindeutig deiktisch-verweisende Komponente (Tempusfunktion) habe, sei es zeitstufenneutral verwendbar. Die Autorin hätte sich nicht so bemühen müssen, denn dieses Profil geht auf das passé-composé-mzx)áe,xts Basisprädikat zurück und nicht auf das fs:5t Das passé composé kann resultativ, als Anterior und zeitstufenneutral (Subfunktion der Anterior-Funktion) verwendet werden, allerdings nur das passé composé mit avoir. Die Konstruktion mit être ist resultativer Nachzustandsbedeutung stabil verhaftet und bedarf zusätzlicher Markierung, um als Anterior gelesen werden zu können. 59 Dieses komplexe und komplementäre Wertespektrum bleibt im sog. futur antérieur erhalten und wird nicht etwa von diesem signalisiert. So hat ein futur antérieur auf der Basis einer éíre-Konstruktion z.B. nie Anterior-, sondern immer nur Resultativbedeutung, was SCHROTT entgeht. Aus einer bereits im Ansatz anfechtbaren Auffassung folgert sie nun, daß sich in eben diesem Bedeutungsspektrum der Form (Anterior und Resultativ in futurisch verschobenen Kontexten, zeitstufenneutral in epistemisch-modaler Funktion, sog .futur de probabilité) ein diachroner Verlagerungsprozeß vom temporalen in den modalen Bereich manifestiere. An einer ihrer Beispielanalysen sei vorgeführt, inwieweit die Argumentation dem Befund nicht gerecht wird (SCHROTT, 1997P: 6f.): (258) Jean, mon ami, vous vous êtes encore disputé avec votre fille, η 'est-ce pas? Cet enfant aura pris la mouche et sera partie à (X) [...]. Elle aura demandé l'hospitalité à ses cousins. Analyse

SCHROTT:

Das Verschwinden des Mädchens, mit dem Sprecherin und Gesprächspartner im ego-hic-nunc konfrontiert sind, wird durch die im futur de probabilité versprachlichten Hypothesen mit möglichen Handlungen verknüpft, die als Konsequenz das Verschwinden des Mädchens nach sich ziehen könnten. Bei der modalen Verwendung wird also von einer in der origo gegebenen Folgephase auf einen vorzeitig zur Sprechsituation zu Ende geführten Sachverhalt geschlossen. Die bei dieser Vermutung hergestellte Relation zwischen Sachverhalt und Folgephase stellt nun eine Korrelation dar, die von der „present relevance"-Semantik des Anteriors herrührt. Die Auffassung, Anterior- und Resultativ-Werte seien fiir eine epistemische Lesart verantwortlich, ist insofern unangebracht, als das passé composé sie ebenfalls aufweist und keine 58

59

Sie selbst geht (1997: 222) davon aus, daß das passé composé in dem von ihr untersuchten literarischen Register auch einen präteritalen Vergangenheitstempus-Wert hat. Dies ist jedoch nicht der Fall: Im schriftsprachlichen Register ist es weitgehend auf Anterior- und Resultativ-Funktion beschränkt, weil das passé simple hier als perfektives Vergangenheitstempus komplementär zur Verfugung steht. Die Distribution auf beide Auxiliare ist aktional bedingt. Eine aktional angelegte transitionelle Komponente ist die Voraussetzung für den Zugang zum sog. être-passé composé, das der als vorzeitig vermittelten Transition eine stative Nachzustandskomponente beiordnet. Der resultative Nachzustand als Phase bietet die Möglichkeit einer Verortung von S im Verhältnis zu E. LEISS (1992: 271 ff.) hat für das Deutsche die These aufgestellt, beim sog. sew-Perfekt, das funktional und formal dem Zustandspassiv gleichkomme, handle es sich genaugenommen um das Präsens punktueller (bei ihr: nonadditiver) Verben, die ansonsten im Präsens eben nie imperfektiv und damit klassisch ,präsentisch' sein können. Diese Hypothese könnte man (z.T. auch, was das Passiv anbelangt) für das Französische ebenfalls aufstellen.

163 Möglichkeit einer epistemischen Reinterpretation bietet. Auch die epistemischen Verwendungen im Vergangenheitskontext und die gegebenen Erklärungen befriedigen nicht: Zeitstufenneutrale Anteriorverwendung mit Resultativkomponente fuhrt nicht automatisch zu einem epistemischen Wert, dieser verdankt sich einem anderen Mechanismus. Die Autorin weist zudem darauf hin, daß sich die Form in der modalen Variante bereits in altfranzösischen Texten findet und relativiert damit ungewollt selbst ihre Hypothese einer diachronen Verschiebung. Auch die von ihr fur die epistemische Bedeutung verantwortlich gemachte Komponente einer futurisch verschobenen Verifizierbarkeit läßt sich an den Beispielen nicht ablesen. Das fs ist insgesamt nicht in dieser Weise grundiert. Die Beschränkung der präsentisch-modalen Funktion des fs auf die Vollverben avoir und être geht nicht auf eine conventionalisation of implicature60 zurück, d.h. auf eine Übertragung aus der regelhaften Koppelung der Auxiliare avoir und être mit einem epistemischen Wert im futur antérieur,61 Denn das spätere fs war mit Stativa diachron zu keinem Zeitpunkt der Entwicklung selbständig in der Lage, futurisch zu fungieren. Die epistemischmodale ist, neben der transitionellen, eine seiner primären Lesarten mit Stativa, ein Umweg über das futur antérieur muß nicht konstruiert werden. Beim futur antérieur verhindert die Zusatzmarkierung (R und E sind durch das passé composé relationiert) eine Umdeutung als transitionell. Es bietet sich für die perfektive Außenperspektive-Markierung dann nur noch die modale Interpretation an, die deshalb beim futur antérieur die Regel ist. Auch die Tatsache, daß die von SCHROTT kontrastiv verglichene Jevo/'r-Periphrase (ungrammatisch bzw. inakzeptabel mit dem avoir-passé composé) immer nur mit Stativa epistemisch verwendbar ist (im übrigen eine übereinzelsprachlich durchgängige Erscheinung), verträgt sich schlecht mit der Annahme einer diachronen Reanalyse. Die funktionalen Kontraste mit der ¿evo/r-Periphrase kann man auf der Basis der Grundfiinktion des fs erklären. Wenn sich ein gerade einbrechender Einbrecher aufgrund eines beunruhigenden Geräusches an seinen Miteinbrecher wendet, ist das fs fur eine Aufforderung zur Flucht (direktive Note) nicht geeignet (SCHROTT, 1997: 309), die cfevo/r-Periphrase jedoch schon: (259) Ecoute! Il y a quelque chose qui bouge! Ça doit être/* Ça sera le gardien de nuit.

Ce steht anaphorisch fur quelque chose qui bouge, d.h. fur einen als indefinit vermittelten Referenten. Mit der i/evo/r-Periphrase wird eine Möglichkeit der semantischen Verknüpfung zwischen Subjekt und Prädikat eröffnet, bei der von der üblichen größtmöglichen Definitheit des thematischen Subjekts auszugehen ist. Die Aussage liest sich als: Ce qui bouge, c 'est le gardien de nuit. 60

61

Auch BYBEE U.A. (1994: 201) stellen für alle epistemischen Lesarten von noch oder ehemals obligationeil fungierenden Konstruktionen fest, daß diese generell bei Zugang von Stativa einsetzen. Es könne sich damit keinesfalls um eine conventionalization of implicature handeln („conventionalization of implicature cannot be the source for the epistemic sense."). SCHROTT ( 1 9 9 7 : 7):

Diese Beschränkung des futur simple de probabilité auf „states" ist als Reflex des futur antérieur zu erklären und als Versuch, die Anterior-Semantik mit anderen sprachlichen Mitteln nachzubilden. Die beim futur antérieur gegebene Relation zwischen abgeschlossenem Sachverhalt und Folgephase ist in der Basissemantik des futur simple nicht enthalten. Das futur simple kompensiert diesen ,Mangel' durch entsprechende Situationstypen, die als „states" eine ausgeprägte Folgephase ausdrücken, und bildet so mit lexikalischen Mitteln die Anterior-Semantik des futur antérieur nach.

164 Das fs hingegen vermittelt eine andere Hierarchie. Es beläßt das Subjekt ce (qui bouge) in referentieller Unbestimmtheit. Fokussiert wird eine Möglichkeit (le gardien de nuit), die durch die /zaèen-Konstruktion als abgegrenzter Teilbereich des Referenzfeldes des Subjekts (iquelque chose qui bouge) erscheint - der Sprecher bietet höflich die von ihm favorisierte Möglichkeit an, gesteht aber andere zu. Es handelt sich damit um einen Wert, der sich als dringliches Aufbruchsignal natürlich nicht eignet und deshalb in diesem Kontext ein fs ausschließt: Je prends le gardien de nuit pour la cause du bruit, mais le réfèrent concret du sujet („ce qui bouge ") peut toujours être quelqu 'un d'autre/autre chose.

Zusammenfassend sei festgehalten, daß der Angelpunkt für die epistemische Modalität auch beim futur antérieur eine (u.a. vom passé composé signalisierte) Stativität ist. Eine solche weisen diejenigen Prädikate regelhaft auf, die bereits im passé composé primär res u l t a t i fungieren. So erklärt sich die Restriktion der modalen Verwendung auf Verben mit transitioneller und agentiv-rechtsbegrenzter Semantik, die SCHROTT feststellt (1997: 222), denn diese bilden das passé composé häufig mit être. Bei den Prädikaten, die auch nach SCHROTT im futur antérieur nicht epistemisch fungieren können, handelt es sich folgerichtig um Exemplare aus Klassen, die im passé composé bereits keine Nachzustandsbedeutung, also nie Resultativ-Funktion und damit auch keine stative Lesart haben (mit avoir konstruierte, wie z.B. J'ai marché).

6.3. Zwischenbilanz Das fs vermittelt eine Außenperspektive auf ein versprachlichtes Ereignis, einen Sachverhalt. Sowohl die Information des Infinitivs (Verweis auf einen virtuellen, nicht instantiierten, damit aus der Sprechsituation gelösten Sachverhalt) als auch die aktionale Struktur des Prädikats werden durch die Restsemantik der Äaftew-Konstruktion gegenüber der Position des Subjektreferenten besonders betont. Dieser wird im Gegenzug ausgeblendet und als sekundärer Referenzrahmen dem fokussierten Bereich des Prädikatinhalts übergeordnet. Der in erster Linie prononciert perfektive Wert des fs ist nur unter bestimmten Bedingungen auf die sequentielle Achse projizierbar, d.h. temporal und dann futurisch reanalysierbar. Die Möglichkeit einer Projektion auf die temporale Achse ist besonders bei dynamisch-begrenzten Prädikaten gegeben. Je weniger dynamisch und grenzbezogen ein Prädikat jedoch ist, desto weniger kann das Signal ohne Zusatzmarkierung diese nur implizite Futurität signalisieren; primäre habituelle (gnomische), transitionelle und epistemisch modale Werte, als ebenfalls mögliche Manifestationen des perfektiven Aspekts mit bestimmten aktionalen Klassen, stellen sich ein. In einem bereits als futurisch ausgewiesenen Kontext ist eine futurische Lesart nicht-begrenzter, nicht-dynamischer Prädikate im fs möglich. Denn wenn bereits ein von der Sprechsituation gelöster Referenzrahmen für das Ereignis, den Sachverhalt eröffnet wurde, kann es als perfektiv von außen betrachtbar in diesen sozusagen eingescannt werden. Wenn der Kontext eine präsentische Lesart ermöglicht, kommt die modale Komponente zum Tragen, ohne Kontext dominiert transitionelle Reanalyse. Unbegrenzte Stativa mit ausgeprägter Subjektzentriertheit, die nicht transitionell umgedeutet werden können, sind im fs ohne temporale Zusatzmarkierung nicht zulässig.

165 Genaugenommen ist also das futur simple gar kein futur, sondern ein perfektives Aspektsignal, das futurische Werte nur in bestimmten Kontexten oder mit bestimmten Prädikatklassen annimmt. In einem etwas anderen Zuordnungskontext kommt bereits HELLAND (1995: 7f.) dahin, dem fs eine genuin temporaldeiktische Funktion abzusprechen. Es erlaube lediglich, ein Ereignis E als einem beliebigen Betrachterstandpunkt Ρ (point perspectif) nachgeordnet zu situieren. Auch nach der hier vorgeführten Analyse signalisiert das fs, R und E zu lösen, voneinander abzugrenzen. SCHROTTS (1997) .virtuelle conditio' ist als pragmatisches Etikett brauchbar, trägt aber dem systematischen Wechselspiel mit unterschiedlichen Prädikatklassen nicht Rechnung. Der Zusammenhang zwischen perfektiver Aspektualität und virtueller Konditioniertheit bleibt unerkannt. Die atomistische, nur auf Futurität konzentrierte Untersuchung verleitet bisweilen zu fragwürdigen Schlüssen. So wurde etwa das futur antérieur zwar mit dem fs in Beziehung gesehen, nicht aber mit dem Funktionsspektrum des passé composé, das gleichermaßen relevant ist. Und infolgedessen wurde die Anterior- und Resultativsemantik als entscheidender Faktor für die modale Interpretation analysiert, die nicht ausschlaggebend sein kann. Auch im Fall des futur antérieur wird das perfektive Signal der ^-Markierung aufgrund von (hier: sekundärer) Stativität auf die modale Achse projizierbar.

6.4. Aktionale Klassen und das futur simple 6.4.1.

Präsentation der Auswertung

FUTUR SIMPLE Gesamtzahl Daten: Gesamtzahl Modalperiphrasen: Berücksichtigte Daten: FUTUR SIMPLE

Ohne

Futurisch

Prozent

Absolut 540 115 425 Inzisivadv.

Stativ L-Stativ

5,65 % 0,94 %

11,76% 4,24 %

Interstativ Progressiv Ph-Progressiv

1,18% 0,71 %

2,59 %

Transition R-Progressiv Intergressiv

4,24 % 3,06 % 14,12%

5,65 % 6,82 % 20,24 %

0,47 % 0,24 %

GESAMT:

29,88 %

51,29%

0,94 %

1. PS 18,59% 11.PP 2. PS 20,94% 2.PP 3. PS 40,94% 3. PP Gesamt 80,47 %

7,76%~ 0,94% 10,82% 19,53 %

0,24 %

Gesamt 26,35% 21,88% 51,76% 100 %

21,30% 78,70%= 100%

Intervalladv. Indet.Adv.

1,41 % 0,24 %

0,71 % 0,24 %

Konditional/ GESAMT: Konsekutiv/ Gereiht 4,00 % 23,53 % 0,71 % 6,59 % 0,47 %

1,18% 3,76 %

1,41 %

0,24 % 1,41 % 2,59 %

1,41 % 1,41 % 1,65%

12,00% 17,36% 40,24 %

3,06 %

5,18%

9,65 %

100%

Diskont./Kontin. 9,88% Negiert/ Affirmiert 10,82 % Interrog./ Nicht interrog. 4,47 % Unbel. SR/ Bei. SR | 24,47 %

90,12% 89,18 % 95,53 % 75,53 %

166

Prozentsatz transitionell I modal reanalysierter Prädikate nach Registern FUTUR SIMPLE 1 Verwendungstyp: Stativ: => transitionell Stativ: => epistemisch modal Intergressiv (performativi => abtönend Progressiv: => habituell (gnomisch) GESAMT:

Gesprochen 5,95 % 3,57 % 1,19% 10,71 %

Literarisch 6,28 % 0,84 % 4,60 % 11,72%

Presse 2,94 %

2,94 %

GESAMT: 4,24 % 1,18% 2,59 % 0,24 % 8,25 %

Registerspezifische Auswertung: FSI Gesprochen Stativ L-Stativ Interstativ Progressiv Ph-Progressiv Transition

Ohne

Futurisch

8,33 %

5,95 %

1,19% 2,38 % 1,19%

1,19%

3,57 % 7,14%

3,57 %

Intervalladv. IndetAdv.

2,38 % 1,19%

Konditional/ GESAMT: Konsekutiv/ Gereiht 8,33 % 25,00 %

1,19%

4,76 % 2,38 % 1,19% 0,82 %

R-Progressiv Intergressiv

17,86%

8,33 % 14,29%

GESAMT:

41,67%

33,33 %

FSI Literarisch

Ohne

Futurisch

Stativ

5,86 %

13,39%

L-Stativ

1,26% 0,84 % 0,84 %

4,18%

Interstativ Progressiv

Inzisivadv.

3,57 % 2,38 %

1,19%

1,19% 2,38 %

10,71 % 17,86% 38,10%

5,95 %

2,38 %

15,48%

100%

1,19% 1,19% Inzisivadv.

Intervalladv. Indet.Adv.

0,84 %

1,26% 0,42%

4,18%

Ph-Progressiv Transition

5,86 %

6,28 %

R-Progressiv Intergressiv

2,51 % 15,06%

6,28 % 14,64%

GESAMT:

32,22 %

48,95 %

0,84 %

0,84 %

Konditional/ GESAMT: Konsekutiv/ Gereiht 3,35 % 24,69 % 0,42 %

6,28 % 0,84 %

0,84 %

5,86 %

0,42 %

0,42 %

0,84 %

2,09 % 4,18%

1,26% 1,67%

13,81 % 12,13 % 36,40 %

1,76%

8,37 %

7,95 %

100%

167 FSI Presse Stativ L-Stativ Interstativ

Ohne

2,95 %

GESAMT:

Inzisivadv.

Intervalladv. lndet.Adv.

1,96 %

12,75 % 6,86 %

Konditional/ GESAMT: Konsekutiv/ Gereiht 1,96% 19,61 % 1,96% 8,82 %

0,98 %

Progressiv Ph-Progressiv Transition R-Progressiv Intergressiv

Futurisch

0,98 % 0,98 %

0,98 %

0,98 % 8,82 %

5,88 % 6,86 % 38,24%

0,98 %

14,71 %

71,57%

0,98 %

1,96% 1,96%

8,82 % 9,80 %

1,96%

0,98 %

50,98 %

3,92 %

8,82 %

100%

6.4.2. Analyse der Auswertung In vielerlei Hinsicht spiegelt die Auswertung den Forschungskonsens: Das fs kann eine futurische Funktion nicht in dem Maß selbständig erbringen, wie dies andere (teil)futurisch fungierende Formen des Systems tun (29,88 % gegenüber 40,08 % im pf und 58,58 % fp). Dies geht darauf zurück, daß das fs strenggenommen nur mit bestimmten Klassen ein Futur ist. Eine referentielle .Unterbelichtung' des grammatischen Subjekts und die NichtOrientiertheit, die mit der mangelhaften Fixierbarkeit des Subjektreferenten in ursächlichem Zusammenhang steht (vgl. 6.1. und 6.2.) erfordern zusätzliche Markierung. Der Anteil unbegrenzter Prädikate beträgt insgesamt 27,29 % (gegenüber 13,63 % pf und 16,52 % fp). Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man daraus schließen, beim fs handle es sich um die Form, die diesen, im Präsens als futurisch restringierten Prädikaten eine Möglichkeit eindeutig futurischer Funktion eröffnet. Bei differenzierter Betrachtung erweist sich dies jedoch als Trugschluß. Betrachtet man nämlich nur die Prozentsätze im Bereich der selbständig fungierenden Daten, ändert sich das Bild. Dort sinkt der Prozentsatz aller Stativa gegenüber der Gesamtstatistik auf 18,90 % (gegenüber 13,75 % f p und aufgrund der Restriktion verständlich geringen 9,28 % im pf). Bleibt als Ergebnis, daß Stativa zwar mit /s-Markierung häufig zu finden sind, weniger häufig jedoch in selbständig futurischer Funktion. Zieht man noch den Prozentsatz transitionell reinterpretierter oder modal fungierender Stativa und den der Progressiva, die unter der perfektiven Perspektive habituell/gnomisch gelesen werden, ab, verbleibt fur die unbegrenzten Prädikate, die tatsächlich futurisch fungieren, ein Prozentsatz von nur 0,24 % (in absoluten Zahlen: ein Fall). Die Daten belegen hier in hohem Maße, daß ein genuin futurisches Fungieren bei Stativa und Progressiva eine Leistung des Kontexts und nicht des fs ist. Sie liefern einen wichtigen Beleg fur die Hypothese, daß das sog. fs primär ein perfektives Signal ist. Offensichtlich hat sich das Funktionsspektrum seit dem Altfranzösischen kaum verändert. Intergressiva, die als Ausgangsklasse in der diachronen Quellkonstruktion anzunehmen sind, stellen mit Abstand den häufigsten Prädikattyp dar. Das fs diente und dient vornehmlich bei Intergressiva und R-Progressiva, also im Präsens aspektuell zweideutigen Klassen, als Perfektivitätsverstärker und kann als solcher eindeutig futurisch fungieren,

168 wenn der Kontext dies erlaubt (vgl. die modale Verwendung intergressiver Redeprädikate). Für die alle Prädikate gilt, daß das f s vornehmlich einen implizit perfektiven Anteil betont. Im registerdifferenzierten Bereich bleibt der Prozentsatz an Stativa und Intergressiva flir das gesprochene und das literarische Register konstant. Die Verschiebung im pressesprachlichen Bereich (über 50 % Intergressiva) geht auf die eingangs erwähnte Schwierigkeit zurück, die hochfrequenten Passivprädikate ohne Agensangabe, die im f s perfektiv desambiguiert und damit intergressiv erscheinen, auf ihren aktionalen Grundwert zurückzufuhren. Die Unselbständigkeit des f s ist innerhalb der gesprochenen Varietät weniger ausgeprägt, was nicht überrascht, da außer- und parasprachliche Mittel ja referenzfixierend zu Gebote stehen. Redeverben in modaler Funktion fanden sich allerdings ausschließlich in den literarischen Texten. Es steht zu vermuten, daß diese Verwendung weitgehend auf extrem normierte, konservative Register oder idiomatisierte Wendungen des Französischen beschränkt ist, was im übrigen meine muttersprachlichen Informanten bestätigten. Die Präponderanz der 3. grammatischen Person, die als typisch für das f s gilt, ist registerdifferenziert unterschiedlich stark ausgeprägt. Im meinem literarischen Korpus war die 1. Person sogar etwas häufiger zu finden (Lit.: 3. Person 34,31 %, 1. Person 35,98 %; Gespr.: 3. Person 42,86 %, 1. Person 30,95 %). Man würde demgegenüber nun eher fur das stärker normierte, literarische Französisch die prototypische Bindung von f s und 3. grammatischer Person erwartet haben. Die Grammatikalisierungsforschung böte eine Erklärung fur dieses Phänomen. Bei der Grammatikalisierung von Periphrasen zu Tempusmarkern kommt es diachron generell zu einer quantitativen Verlagerung von der 1. auf die 3. grammatische Person. Man könnte damit davon ausgehen, daß die Sprache der Literatur einen älteren Stand des Systems repräsentiert, und sich dort als Standbild auch eine Restbindung an die 1. Person bewahrt hat. Da allerdings im literarischen Register auch ein deutliches Übergewicht des pf in der 1. Person zu beobachten ist, muß man beide Erscheinungen wohl eher den Gesetzmäßigkeiten der Textsorte zuschreiben. Der non-personne-Referent, zu dessen Bezeichnung die 3. Person dient, ist in literarischen Texten in der Erzählung aufgefaltet (der Leser ist in der Regel besser informiert als die literarischen Figuren, vor allem, was den situationsentbundenen Kontext anbelangt). Was in der direkten Rede (dem einzigen Kontext, in dem Futurformen in literarischen Texten vorkommen) zu vermitteln bleibt, sind die Befindlichkeiten bzw. Pläne der Protagonisten. Vermutlich würde eine Auswertung von Theaterstücken genau das umgekehrte Bild gezeigt haben. Denn in der Alltagskonversation wie auch im Theaterstück muß die situationsentbundene, futurisch verschobene non-personne in der Rede vermittelt werden. Ein weiteres Indiz für die Richtigkeit dieser Annahme ist die Differenz im Bereich der unbelebten Subjektreferenten (Lit.: 9,21 %; Gespr.: 27,38 %). Auch darin manifestiert sich, daß das f s vor allem im Bereich der Mündlichkeit zur Referentialisierung einer situationsentbundenen non-personne bzw. zur Kommentierung bereits gemachter Aussagen (anaphorisches ce/ça) herangezogen wird. Im pressesprachlichen Register ist die Dominanz der 3. Person am deutlichsten, dies gilt jedoch nicht nur für das fs, sondern für alle Tempora, und ist damit für den gezeichneten Zusammenhang irrelevant. Daß allerdings das f s insgesamt in der Pressesprache so überaus häufig zu finden ist, ist im Anschluß an das bisher Festgestellte erklärbar: Der perfektiv-temporale und der perfektiv-modale Wert des f s eignen sich bestens zur Vermittlung von ausstehenden Ereignissen (Zustände spielen im nicht-kommentatorischen Teil der berichtenden Tagespresse eine untergeordnete Rolle) einerseits und zur epistemischen Kennzeichnung eines Vermeldens unter Vorbehalt andererseits.

7. Das futur périphrastique

7.1. Manifestationen diachroner Prozesse 7.1.1. Zur Grammatikalisierung So unumstritten der fortgeschrittene Grammatikalisiertheitsgrad des f s ist, so umstritten ist der Stand der Grammatikalisierung des f p . Bei den nun folgenden Ausführungen wird dieser auf der Basis eines skalaren Grammatikalitätsbegriffes zunächst zu bestimmen sein. Ähnlich wie das avo/r-Perfekt und das ovo/V-Futur ist die Bewegungsverb + Infinitiv-Periphrase nicht nur eine gemeinromanische, 1 sondern insgesamt übereinzelsprachliche Erscheinung. Die sog. go-futures sind zusammen mit den come-futures die statistisch am häufigsten zu belegende Erscheinungsform primär temporal futurischen Ausdrucks. 2 Damit stellt die französische , aller + Infinitiv'-Periphrase eine wesentlich typischere Quelle fur ein Futur dar als die diachrone Ausgangskonstruktion des fs. Die Tatsache, daß ehemals auf räumliche Relationen referierende sprachliche Einheiten diachron später temporal-relational fungieren, wird häufig einem metaphorischen Übertragungsprozeß zugeschrieben (vgl. BYBEE U.A., 283ff.). Man kann aber auch von metonymischen Verschiebungen und der bereits mehrfach erwähnten Konventionalisierung von Implikaturen ausgehen. Häufig mit einer Form verbundene Konnotate aus deren konzeptuellem frame werden als inhärente Merkmale der Form aufgefaßt und finden Eingang ins funktionale Profil. Dieses Modell soll nun auch für das f p herangezogen werden, weil es für ein besseres Verständnis von Bedeutungsverlagerungen besonders dienlich ist.3 Die Projektion räumlicher Distanz auf das Phänomen zeitlicher Distanz muß bei Bewegungsverben grundsätzlich allerdings weder metaphorischen noch metonymischen Ursprungs sein, denn jede (zielorientierte) Bewegung im Raum, jedes Bild von räumlicher Dynamik geht einher mit der Vorstellung räumlichen Abstands einerseits und der Vorstellung eines Vergehens von Zeit andererseits. Als Quellkonstruktion für das f p muß man das Verb aller in folgender Aktantenstruktur annehmen: Agentivisches Subjekt

zielgerichtete Bewegung

Zielort

Tätigkeit

Je

vais

à Paris

(rendre visite à ma tante).

Auch in diesem Fall befindet sich in der funktional-syntaktischen Position, die später von einem Infinitiv eingenommen wird, ein nominales Element, hier ein Ortsadverbial. Beginnende Grammatikalisierung setzt voraus, daß einerseits in bestimmten Kontexten die konkrete geAe«-Bedeutung zweitrangig wird, und andererseits die Handlung (an einem Ort) und nicht der Ort selbst als Ziel der Verweisrichtung des finiten Verbs erscheint. Nach DETGES (1997: 6) findet sich das Konnotat einer Absicht, einer Intention im frame jedes Bewegungsverbs, auch in lexikalischer Verwendung. Dieses Konnotat gilt in der o.g. Konstruktion als besonders exponiert (Ansteuerung eines Zielorts, goal-orientation), da der Sprecher regelhaft auch eine Absicht zu erkennen gibt. Es erfolgt also auch in diesem Fall 1

V g l . BRÜSER, 1 9 8 9 : 3 f .

2

N a c h BYBEE U.A., 1 9 9 4 : 2 5 3 .

3

Darstellung der Grammatikalisierung gestützt auf DETGES, 1997: 6ff.

170 kein metaphorischer Sprung des Typs ,Eine Handlung ist wie ein Ort', wenn sich der Bedeutungsschwerpunkt vom Zielort auf den Infinitiv verschiebt (Stand im Altfranzösischen, s.u.)· Die Handlung, die mit einem bestimmten Ort als typisch in Verbindung gebracht wird, kann von Anfang an wahlweise kommunikativ im Vordergrund stehen, der Ort bleibt auch bei Nichtnennung vorerst implizit präsent: (260) dt.

Ich gehe ins Kino einen Film anschauen. Ich gehe ( — ) einen Film anschauen.

(261) afrz. Nos alomes la messe oir,4 Implikat: Ort von E = Kirche.

Im folgenden Kontext ist die konkrete Bedeutung von aller defokussiert, weil sie von der Bedeutung des zweiten Bewegungsverbs überlagert wird, dem das nominale Element damit semantisch einverleibt erscheint. (262) afrz. Lors vont en l 'eschafaut monter. /

Trestotes les dames

ensemble.

Daß bei diesem Stand der Dinge dennoch auch ein konkretes Gehen referentialisiert wird, kann man daran ablesen, daß die infinite Verbalkonstituente weiterhin mit .Wohin?' erfragbar wäre, wie synchron im Deutschen: (263) dt. Ich gehe Wäsche aufhängen. Wo gehst Du hin? => Wäsche

aufliängen.

Vom Alt- zum Mittelfranzösischen (GOUGENHEIM, 1929: 93ff.) taucht die Fügung erstmals in nicht räumlich-konkreter Bedeutung auf und ist in etwa fiinktionsgleich mit einigen anderen konkurrierenden Periphrasen des Systems (,s'en aller, vouloir + Infinitiv'). Hierzu einige mittelfranzösische Beispiele: (264) (265) (266) (267)

Par deffaulte de patience, / Tu vas perdre ta conscience; Tu t'en vas perdre ame et corps. Je vous les veulx nommer à tous. Je voys au Monde commencer.5

[...]

Festzuhalten ist, daß die Grammatikalisierung (wie fast immer) bei der 1. und 2. grammatischen Person einsetzt. Bei Zurücktreten der konkret-räumlichen Bewegungssemantik liegt der kommunikative Schwerpunkt vor allem auch durch diesen Kontext auf einem intentionalen Wert (s.u.),6 E ist gegenüber S von Anfang an immer nur als nachzeitig lesbar. Imperfektiv-präsentische Vorphasenbedeutung ist eine universelle Eigenschaft sich grammatikalisierender Futurformen aus vergleichbaren Quellkonstruktionen, ebenso wie die auch fur das Französische zu beobachtende Bindung an belebte Subjektreferenten.7 Im 14. und 15.8 Jahrhundert ist die Periphrase in der Epik sehr beliebt. Allerdings ist sie nun temporal nicht auf Nachzeitigkeit festgelegt, was ein gemeinromanisches Phänomen ist, sondern kann in Vorzeitigkeitskontexten mit der Wertigkeit eines (expressiveren?) Prä4 5 6 7

8

Zit. nach DETGES , 1997: 7. Zit. nach GOUGENHEIM, 1929: 98. Vgl. BYBEEU.A., 1994: 11. BYBEEU.A. (1994:270): [...] all modal and movement future sources begin with human agents and move from the expression of intentions of that agent to the expression of prediction. Vgl. BRÜSER, 1989: 5ff.

171 teritums auftreten. Im Okzitanischen und Katalanischen wurde sie auf der Basis dieser Wertigkeit zu einem periphrastischen perfektiven Vergangenheitstempus weitergrammatikalisiert. Auch im Französischen kann man die Form noch bis ins frühe 17. Jahrhundert in präterital-narrativer Funktion finden9 (in meinem sprechsprachlichen Korpus fanden sich gar noch zwei synchrone Vorkommnisse, vgl. FN 1 6 ) . Wenn nun S C H L I E B E N - L A N G E fur diesen präterischen Funktionsbereich festhält, es handle sich um den „Ausdruck eines komplexiven Aspekts, in dem die Handlung in ihrer Gesamtheit gesehen wird", 10 so ist zu fragen, ob dies nicht auch für die futurische Variante gelten kann. Man denke hierbei etwa an die zeitstufenneutrale Anterior-Verwendung des passé composé, die sich als Teilfunktion ja ebenfalls bis ins heutige Französisch erhalten hat (Typ: Dans cinq minutes, j'ai fini.). Zu überprüfen wäre also, ob der Form ein perfektiver Grundwert entspricht. Mit dem diachronen Verlust der lexikalischen Semantik läßt sich noch die Verwendung als Inchoativ- bzw. Ingressivmarkierung konstatieren. Sie ist ab dem 14. Jahrhundert zu belegen ( G O U G E N H E I M , 1 9 2 9 : 9 5 ) : (268) Et quant se prend l'une à fleurir, / Aus pluseurs vont les fleurs mourir. dt. Und kaum erblüht diese eine, /fangen viele Blüten an zu vergehen. Im 17. und 18. Jahrhundert ist die Fügung dann in relativ eindeutig prospektiv-futurischer Verwendung (zusammen mit der s'en aller-Periphrase) häufig zu belegen und wird in den Grammatiken bereits als futur prochain gehandelt ( G O U G E N H E I M , 1 9 2 9 : 104ff.). Erst ab diesem Zeitpunkt findet das infinite Verb aller selbst Zugang zur Konstruktion. Es darf angenommen werden, daß der weitere Werdegang der Form entscheidend von der normativen Grammatik bestimmt wurde. Orientiert an griechischen Grammatiken war man geneigt, eine der konkurrierenden Periphrasen als Anwärter für ein ,nahes Futur' zu küren. Man entschied sich in gleicher Häufigkeit für die beiden a//er-Periphrasen (und sortierte andere Konstruktionen als nicht normgerecht aus), was zu deren Etablierung in temporaler Funktion sicher entscheidend beigetragen hat. Gerade die diachron von Anfang an zu beobachtende Parallelverwendung mit ,s 'en aller + Infinitiv' liefert einen entscheidenden Hinweis auf die Verwendungskontexte, in denen die Fügung als intentional-futurisch zum Einsatz kam. Gemeinhin wird angenommen, die intentionale Komponente sei direkt aus der abgeschwächten Bewegungssemantik abzuleiten. Bereits bei lexikalischer Vollbedeutung werden jedoch a//er-Konstruktionen, was das denotierte Gehen betrifft, in der Regel implizit futurisch verwendet, d.h. Sprechakt und Verbalgeschehen sind entkoppelt. Auch synchron wird die lexikalische Periphrase meist genutzt, wenn ein Subjektreferent in der 1. Ps. Sg. sein noch nicht stattfindendes Gehen ankündigt: (269) 1. Je vais à Paris. 2. Je vais fermer la fenêtre. Es liegt folgende Struktur zugrunde: —s— Je Je

I vais vais

|(->)| à Paris (rendre visite à ma tante). fermer la fenêtre.

9

V g l . BRÜSER,

10

SCHLIEBEN-LANGE ( 1 9 7 1 ) ,

1 9 8 9 : 6 f f . u n d 12f.

zit. nach BRÜSER, 1 9 8 9 : 7.

172 Die pragmatisch sehr häufige Nutzung von Bewegungsverben in lexikalischer Vollbedeutung als implizit futurisch wird selten beachtet - und damit auch die Tatsache, daß die primäre kommunikative Wertigkeit fur allei- und das infinite Element bereits in Vollbedeutung beinahe immer Futurität war und ist. Die synchron meist noch erkennbare und als diachrone Brückenfunktion so entscheidende intentionale Lesart ist damit keineswegs einem plötzlich auftauchenden, vermeintlich modalen Wert von aller zuzuschreiben, und man darf das finite Semiauxiliar nicht als Modalverb betrachten oder bezeichnen, wie beispielsweise JEANJEAN ( 1 9 8 8 ) dies tut. Es erübrigt sich auch, eine metaphorische Umdeutung des in aller mitschwingenden élan personnel11 zu bemühen, der angeblich herangezogen wird, um ein ausstehendes Ereignis besonders expressiv zu beglaubigen. Sätze wie Je vais faire X (diachron parallel: Je m'en vais faire X) werden synchron ebenso häufig intentionalfuturisch verwendet wie Je vais chez mes parents oder Je m'en vais. Die Äußerungen dienen in beiden Fällen nicht dazu „eine Absicht auf besonders expressive Art und Weise auszudrücken" und ein Versprechen „durch Rekurs auf das konkrete GEHEN zu beglaubigen" ( D E T G E S , 1 9 9 7 : 9 ) . Es handelt sich schlicht um die implizit futurische Verwendung eines präsenmarkierten Bewegungsverbs, das konkret auf ein offensichtlich (noch) nicht stattfindendes Gehen referiert. Futurität ist also im Kontext der ersten beiden grammatischen Personen bereits in lexikalischer Bedeutung als Implikatur nahezu konventionalisiert - und zwar nicht als ich bin ja schon unterwegs (expressive Beglaubigung, metaphorische Referenz), sondern als ich habe vor, mich demnächst in Bewegung zu setzen (futurisches Präsens, konkrete Referenz). Auf der Basis eines nicht-metaphorischen Verständnisses können andere diachrone (und synchrone) Werte des späteren f p besser erklärt werden, so etwa dessen Verwendbarkeit als Inchoativ-Marker. Für die Annahme, daß bereits im Altfranzösischen die Fügung regelhaft linksbegrenzt und damit implizit futurisch bezogen auf alle Komponenten der Handlung war, gibt es weitere Indizien. Der Periphrase stand im System eine andere Konstruktion mit aller zur Seite, die als Progressiv-Marker, d.h. als explizit imperfektivierender Partner fungierte. Es handelte sich um ,a//er+Partizip PräsensGenindiv', dessen imperfektiver Wert auf die infinite Verbalform zurückgeht (vgl. 6 . 1 . 2 . 1 . ) . Noch im Mittelfranzösischen war diese Periphrase, mit oder ohne en, produktiv. In voller Wortbedeutung bedeutete sie gehen und dabei tun und diente in stärker grammatischer Verwendung funktional als present progressive: ( 2 7 0 ) 1. De noz Franceis vait disant si mais moz. 12 dt. Unablässig verbreitet er von uns Franzosen

Schlechtes.

2. Car chevalcez! Pur qu'alez arestant? dt. Reitet doch zu! Warum steht ihr denn immer noch

"

(herum)?

H i e r z u DAMOURETTE/ PINCHÓN ( 1 9 3 6 ) , zit. nach BRÜSER ( 1 9 8 9 : 18), die d a v o n a u s g e h e n , d a ß d a s

Verb aller über folgende Bedeutungskomponenten verfuge: 1. une spontanéité, un élan personnel par lequel le sujet entreprend et accomplit le mouvement, 2. la durée du déplacement, 3. un certain sens du mouvement, à l'origine duquel soit le lieu où se situe le locuteur. Je nachdem, welches Sem im Vordergrund stehe, könne eine Proposition, in der es als finîtes Verb erscheine, anders semantisch gefärbt sein. Bei Betonung von Sem 1 erhalte man modal-expressive und präsentische Werte, mit Sem 2 durative, mit Sem 3 ein sog. ultérieur, also prospektive Wertigkeit. 12

Chanson

de Roland (V. 1783 und 1190), zit. nach BONNARD/ RÉGNIER, 1987: 91.

173 Im Neufranzösischen finden sich noch Relikte dieser von der normativen Grammatik seit dem 17. Jahrhundert zum Verschwinden verdammten Fügung: (271 ) Les prix vont en augmentant/en

diminuant.

Die Konstruktion diente dazu, bestimmte dynamische Prädikate aspektuell zu desambiguieren, denn bereits im Alt- und Mittelfranzösischen war das Präsens nicht mehr aspektuell markiert. Und so kann angenommen werden, daß die Fügung mit dem Infinitiv bereits im Altfranzösischen als expliziter Perfektiv-Marker (bei bestimmten Prädikaten) der imperfektivierenden Fügung gegenüberstand. Dieser Wert ist nur erklärbar, wenn eine vorphasische Verortung von S und die Linksbegrenzung des gesamten Ereignisintervalls auf dieser Stufe bereits als Grundwert konventionalisiert war. Die linksbegrenzende Wertigkeit macht R-Progressiva in der Fügung zu verschobenen Intergressiva, verschiebt Intergressiva und erzeugt über den gegenüber S nicht eindeutig verortbaren Transitionen eine sekundär-intergressive, verschobene Struktur. Eine perfektiv von außen betrachtete, primäre oder sekundäre Intergressivität wäre damit allen genannten Prädikaten in der Fügung gemeinsam. Auf dieser Funktionsstufe ist auch eine Verwendung als zeitstufenneutraler Abgeschlossenheitsmarker denkbar, was ja gemeinromanisch tatsächlich zu belegen ist. Wegen der ,Zielort'-Semantik in der Ausgangskonstruktion ist von einer frühen Bindung dieser semigrammatischen Verwendung an grenzbezogen-dynamische Prädikate insgesamt auszugehen. Die häufig entstehende intergressive Struktur wurde offensichtlich als Wert der Markierung reanalysiert. Daß es auf einer frühen Stufe der Grammatikalisierung zu automatisiert perfektiv-intergressiver Lesart auch mit Prädikaten kam, die aktional gar keine Rechtsgrenze angelegt haben, dafür sprechen bestimmte aktional-aspektuelle Umdeutungen von Progressiva in (semi)lexikalischer Verwendung: (272) Je vais chercher du pain. Intergressiv, implizit perfektiv

S I A-> O dt. Ich gehe Brot holen.

Das intergressive, von außen betrachtbare Ereignisintervall wurde als Gesamtereignis verstanden und als einheitliche Bedeutung lexikalisiert, chercher als limitativ reanalysiert. Eine nächste diachrone Station auf dem Weg zu temporaler Funktion stellte die Ausdehnung auf Prädikatklassen dar, bei denen die intentionale Semantik sich verlor, weil sie keine agentiven Subjekte erfordern (nicht-kontrollierbare Sachverhalte z.B.). Diesen Teilausbau haben z.B. auch die vouloir- und die s'en a//er-Periphrase erfahren, die ja eine ähnliche Wertigkeit vermittelten - letztere allerdings nur in Kombination mit dem Partizip II und damit mit zusätzlich terminativer Markierung: (273) Si mer, si terre et ciel s'en vontperduz,

/Au vieil Chaos retournons

confonduz.13

Auf dieser Stufe dehnt sich aller nicht nur auf nicht-agentive Subjektreferenten aus, sondern es ist auch unpersönlich, d.h. mit nicht-referierendem Subjekt konstruierbar: (274) Il s'en va midi, temps etc. wie dt. Es geht schon bald auf Mittag zu.

13

Zit. nach

GOUGENHEIM, 1 9 2 9 :

111.

174 In dieser syntaktischen Umgebung ist die intentionale Komponente ausgeblendet, unverändert erhalten bleibt jedoch die vorphasische Verortung von S und die Signalisierung der Linksgrenze - bei agentiven Sachverhalten in der 1. und 2. Ps. Sg. allerdings bleibt das intentionale Konnotat weiterhin bis heute deutlich spürbar. 14 Immer stärker jedoch konzentriert sich die kommunikative Wertigkeit auf ein Element, das die Konstruktion von Anfang an auch beinhaltete: auf die Nachzeitigkeit des Ereignisses, für das das infinite Prädikat steht. Als Forschungskonsens kann gelten, daß im modernen Französisch die Periphrase entweder prospektiv (sog. Posterior) oder als Futur fungiert 15 und in Vergangenheitskontexten nicht mehr erscheint. 16 Insgesamt scheint sich seit den frühesten Belegen einer beginnenden Grammatikalisierung nicht viel und seit dem 17. Jahrhundert nichts entscheidendes mehr geändert zu haben. In allen bisher geschilderten Grammatizitätsgraden findet sich die Periphrase auch heute noch. Bestimmte Eigenschaften im morphosyntaktischen Bereich weisen sie immer noch als zum Paradigma der bereits genannten anderen Matrixverben mit Infinitivergänzung gehörig aus - und nicht zu dem der Tempora des Französischen. Legt man den Maßstab fur typische Grammatikalisiertheit 17 an, zeigen sich weitere Inkonsistenzen. HUNNIUS18 (erklärter Gegner der Hypothese einer diachronen Verdrängung des fs durch das fp) listet die Rückschritte auf dem ,Grammatikalisierungspfad' auf: Seit ihrem Auftauchen als verbalperiphrastische Fügung im Altfranzösischen (Verwendung von aller ohne Konkretbedeutung der räumlichen Fortbewegung) konkurriere die Form mit diversen anderen Periphrasen vergleichbarer morphosyntaktischer Struktur, keineswegs jedoch mit dem fs. Bereits in den frühesten Belegen (etwa im Rolandslied) sei sie so prospektiv bzw. so vielseitig verwendbar wie heute (d.h. sie hat sich nicht in zunehmend futurische Funktion hineinentwickelt). 19 Auch ein syntaktischer Rückschritt sei zu verzeichnen: 20 Bis ins frühe 17. Jahrhundert seien Pronomina vor dem finiten Verb zu stehen ge-

14

15

16

Deshalb (vgl. BYBEE U.A., 1994: 15ff.) findet sich im stark grammatikalisierten englischen willFutur in der 1. Person das Auxiliar shall. Die intentionale Komponente von will wäre in der 1. Person als Restsemantik zu stark und würde weiterhin die futurische Funktion überlagern; so wurde im Kontext der 1. Person als ,rein' futurisch das eher passivische shall grammatikalisiert. SCHROTT (1997: 2 9 3 ) bezeichnet z.B. das f p als „Mischtyp der Komponenten Tempus und Posterior". Es sei im Vergleich zum fs das „illokutionär reichere Tempus." In meinem sprechsprachlichen Korpus fanden sich jedoch, wenn auch selten (in 2 Fällen), solche Verwendungen, so etwa im folgenden Beispiel. Eine Frau erzählt, daß sich ihr Sohn bei fremden Leuten nicht ordnungsgemäß verhalten hat und schildert ihre eigene Reaktion: [...] alors quand il va rentrer je lui flanquais une paire de claques. dt. [...] der war noch nicht richtig durch die Tür, da hat er schon ein Paar gefangen.

17

V g l . LEHMANN, 1 9 9 5 : 1 6 4 .

18

V g l . HUNNIUS, 1 9 9 4 : 3 4 f .

19

Folgende Passage aus dem Rolandslied (V. 268-270) wird (1994: 36) mit zwei unterschiedlichen neufranzösischen Übersetzungsvarianten zitiert: Dunez m'en sire, le bastun ele gant, E jo irai al sarazin espan. Sin (sic) vois veder alques de sun semblant BÉDIER ( 1 9 3 6 )

[...] .je vais voir un peu comme il est fait JoVIN (1979)... [...] et ainsi je verrai un peu l'allure qu'il a 20

HUNNIUS, 1 9 9 4 : 3 3 f .

175 kommen (was man als Indiz für eine Agglutinierungstendenz zu werten geneigt sein kann). Diese Eigenschaft teile die Periphrase allerdings mit allen anderen periphrastischen Fügungen des Alt- und Mittelfranzösischen, und zudem sei dieser Schritt in Richtung Agglutinierung wieder rückgängig gemacht worden, denn Pronomina kommen seit dem frühen 17. Jahrhundert wieder zwischen finitem Verb und Infinitiv zu stehen, was ebenfalls bis heute auch für alle anderen Verbalperiphrasen des Französischen gilt (mit Ausnahme der Faktitiva des Typs je le fais chanter). Beide Elemente (finîtes Semiauxiliar und Infinitiv) können separat verneint werden - dies sei ein Indiz dafür, daß sie auch semantisch noch als separate Einheiten aufgefaßt würden. 21 Zudem sei die Form bezüglich einer lexikalischen oder grammatischen Interpretation nach wie vor nicht immer eindeutig. 22 In den nun folgenden Abschnitten wird der synchrone Grammatikalisiertheitsgrad vor dem Hintergrund der Prädikatenselegierung zu überprüfen sein. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit verschiedenen, weitgehend bekannten funktionalen Wertigkeiten der Form. Eine Restriktion auf bestimmte Klassen und auf die Funktion präsentischer aspektueller Desambiguierung wären Indizien für einen schwachen Grammatikalisiertheitsgrad. Sie würden gegen einen synchronen Tempusstatus sprechen. Es kann auf dieser Ebene u.U. festgestellt werden, ob die Grammatikalisierung nicht vielleicht doch seit dem 17. Jahrhundert etwas weiter gediehen ist, als HUNNIUS annimmt, wenn eine Generalisierungstendenz nachweisbar wäre, die ja immer auch mit einer Funktionserweiterung einhergeht. Als Auslöser dafür könnte man die im 17. Jahrhundert einsetzende Normierung des Systems annehmen, die das reiche Ausdrucksinventar im periphrastischen Bereich beschnitt. Die ,aller + Infinitiv'-Periphrase wurde vom Kahlschlag ausgenommen, da als calque des griechischen ,nahen Futurs' akzeptiert, was ihr Fortleben sicherte und ihr zudem eine bestimmte temporal-grammatische Wertigkeit bereits unterstellte.

7.1.2. Form und Funktionalität des futur

périphrastique

7.1.2.1. Semantik des finiten Verbs (Vollverb => Auxiliar) Die Eigenwertigkeit verschiedener Prädikate im Infinitiv wurde in Abschnitt 6.1.2.1. bereits behandelt und gilt auch für die Periphrase mit aller. Allerdings ist sie durch die syntaktische Rolle, die der Infinitiv in diesem Fall spielt, natürlich eigen gefärbt. So bleibt das im modernen Französisch als Vollverb, Semiauxiliar und Auxiliar fungierende aller als Funktionsträger zu analysieren. Es findet sich im Neufranzösischen in verschiedenen Satzbaumustern mit nominalen Konstituenten. Eine jeweils unterschiedliche Aktantenstruktur bringt jeweils unterschiedliche Seme des auch in Vollbedeutung relativ , leeren' aller in den Vordergrund. Das Merkmal [+ zu Fuß] hat es in allen Kontexten verloren. Zwei andere Seme sind erhalten und können durch bestimmte Valenzmuster jeweils betont werden. Die Signalisierung einer Fortbewegung im Raum von einem Ausgangspunkt an einen Zielort vermittelt sekundär auch die Vorstellung eines definiten räumlichen Areals 21

22

HUNNIUS (1994: 30): il ne va pas venir.[...]

il va ne pas

venir.

HUNNIUS (1994: 31): Das Verb aller zeige „einen fließenden Übergang zur Verwendung als Bewegungsverb, so daß Ambiguitäten auftreten können, die nur durch den Kontext oder die Situation auflösbar sind."

176 (einer Strecke ,νοη - bis') und die einer Dauer in der Zeit (eines Zeitraums ,νοη - bis'). Aller kann sich im modernen Französisch deshalb außer auf das Phänomen räumlicher Fortbewegung auch auf eine begrenzte Ausdehnung im Raum (ohne Dynamik) und auf das dynamische Fortschreiten in der Zeit (ohne räumliche Bedeutungskomponente) beziehen. Es findet sich auf dieser Basis in zwei kontrastierenden Funktionsmustern, denen im Altfranzösischen aspektuell jeweils eine der im diachronen Teil beschriebenen Verbalperiphrasen entsprach (,aller + Gerundiv' und ,aller + Infinitiv'). Ein Muster vermittelt einen abgegrenzten Bereich räumlicher oder zeitlicher Natur (eine Art Referenzrahmen), das andere vermittelt keine Begrenzung (also keinen Referenzrahmen). Die syntaktisch weniger aufwendigen Muster vermitteln meist ein unbegrenztes Bild und sind damit im Präsens implizit imperfektiv: a.) Einwertig (Ν - V) findet sich das Verb entweder nur in stark idiomatisierten Kontexten (wie etwa in ça va), oder es muß mit Adverbialien verstärkt bzw. um Präpositionalausdrücke ergänzt werden (N - Ve„ N), die die Art und Weise der Verbalhandlung näher spezifizieren. Sätze wie die folgenden, in denen es in dieser Valenz erscheint, sind implizit imperfektiv: (275) Comment vas-tu? (276) Elle va en voiture. (277) Le tilbury va bon train.

Semantische Parallelen zwischen der Verwendung mit infiniten Verbalformen und nominalen Aktanten, wie sie bei avoir aufgezeigt wurden, sind auch bei aller zu beobachten. Die entsprechenden infiniten Verbalformen werden meist mit den selben Präpositionen angeschlossen wie die nominalen Ergänzungen, wenn ein vergleichbares aspektuelles Bild resultiert. Beispiel (276) mit nominalem Anschluß entspricht z.B. die Gerundiv-Periphrase: (278) Les températures

vont en montant.

b.) Mit nominalen Ergänzungen, die als Zielort einer vom Subjekt auszuführenden Bewegung bzw. als Rechtsgrenze einer Ausdehnung und Ausgerichtetheit des Subjektreferenten aufzufassen sind, entsteht eine andere Lesart. Das finite Verb markiert den Raum zwischen dem Erst- und dem Zweitaktanten bzw. der Ergänzung. Subjektreferent und Ergänzung markieren Anfang und Ende einer Distanz, bei Dauer-Projizierbarkeit sind sie auch temporal gereiht lesbar. Welche Komponente im Vordergrund steht, hängt von lexikalischen Merkmalen des Subjekts ab (Agentivität, Belebtheit usw.). Auch hierzu einige Beispiele: (279) Je vais à Paris. (280) Ces petites artères vont du cœur à une glande (281) Ce nuage va de Montréal à Longueuil.2

23

H i e r z u BOUCHARD ( 1 9 9 3 :

orbiculaire.

51):

Cette phrase est ambigue entre une situation de déplacement - un petit nuage flottant au-dessus du fleuve Saint-Laurent, de Montréal en direction de Longueuil - et une situation d'extension - un gros nuage s'étendant au-dessus du fleuve entre deux villes. [...] le fait que l'unique représentation sémantique du verbe peut correspondre à diverses situations dépend de la nature des arguments mis en relation par le verbe [...].

177 Auch wenn der Zielort nicht ausschließlich ein konkret räumlich vorstellbarer Bereich ist, sondern zusätzlich einen in diesem Rahmen stattfindenden Vorgang impliziert, ändert sich nichts: (282) Ce soir, on va au théâtre. (283) Il va chez le dentiste.

In den Beispielen b.) wird immer ein Sachverhalt mit zwei Begrenzungen, mit klaren Konturen räumlicher oder zeitlicher Natur vor Augen geführt. Die Ergänzung markiert eine Rechtsgrenze, das Verb füllt semantisch den Raum zwischen Subjekt und Rechtsgrenze, entweder im Sinne einer vorstellbaren Bewegung des Subjekts oder dessen Ausdehnung.24 Im Überblick läßt sich die Bindung bestimmter aspektueller Werte an differierende syntaktische Muster wie folgt darstellen: Aller + Referenzrahmen Dynamik (Raum, Zeit) Subjekt + Zielort/Infinitiv Subjekt + Rechtsgrenze Ausdehnung (Raum)

- Referenzrahmen Aller + en- Phrase/Gerundiv

Allen syntaktischen Mustern gemeinsam ist das Merkmal der Gerichtetheit, das aller beinhaltet. Dieses legt eine gewisse Färbung der Aspektualität fest. Mit semantisch nicht reihenden Ergänzungen ist progressive Imperfektivität gegeben, bei den perfektiven Mustern hingegen bewirkt die Gerichtetheit eine semantische Reihung, die der syntaktischen entspricht. Der Subjektbereich wird dem der Ergänzung sequentiell vorgeordnet. Damit wird das finite Verb als Funktor der räumlichen oder zeitlichen Prospektive bezogen auf das syntaktisch an ihn anschließende Element lesbar. Die Periphrase ,aller + Infinitiv' entspricht in all ihren Erscheinungsformen dem Muster Ν - V - N Zie i ortmechtsgrenze . 25 Inwieweit dies auch die aktionale Gruppe der einsetzbaren Prädikate festlegt bzw. deren Semantik prägt, wird noch zu klären sein.

7.2. Synchroner Befund 7.2.1. Zur Bindung an bestimmte aktionale Klassen Diachron hat sich das heutige f p von einer verbalperiphrastisch realisierten Absichtserklärung, eine Bewegung auszuführen, in bestimmten Kontexten zu einer Markierung mit noch näher zu bestimmender futurischer Funktion entwickelt. Alle diachronen Etappen der Form sind synchron im modernen Französisch erhalten, und so läßt sich immer noch nachvollziehen, welche Komponenten des heute vornehmlich ,Gerichtetheit' signalisierenden Verbs aller durch bestimmte Kontexte semantisch im Vordergrund standen und stehen. Die Besetzung der Subjektstelle ist nicht nur entscheidend für eine intentionalen Färbung, sondern auch für die Selektion der Klasse des infiniten Prädikats und den aktional-aspektuellen Status der Gesamtkonstruktion. 24

25

Bei diachroner Ausdehnung auf bestimmte syntakto-semantische Kontexte (z.B. unbelebt-unbewegliche Subjektreferenten) wird das Merkmal [+ Bewegung] ausgeblendet. Die Gerichtetheit und die Betrachtrichtung der Ausdehnung, die die Syntax linear abbildet, bleiben erhalten. Zur grammatischen Ähnlichkeit der Konstruktionstypen vgl. J E A N J E A N , 1 9 8 8 : 2 3 7 F F .

178 Die Beispielsätze aus der Sprachgeschichte, die in der Forschungsliteratur zu finden sind, zeigen die Periphrase ausschließlich kombiniert mit Intergressiva, R-Progressiva sowie mit Transitionen, die durch ein agentives Subjekt zum R-Progressiv verschoben sind. Weder bei GOUGENHEIM (1929), noch bei BRÜSER (1989), noch bei DETGES (1997) findet sich ein Beispiel mit einem Progressiv oder Stativ (sei es unbegrenzt oder begrenzt). Allerdings finden sich die Verben savoir, connaître und voir. Dies spricht dafür, daß die Prädikate, in denen sie erscheinen, tatsächlich eher als L-Stativa zu betrachten wären, was ihnen als u.a. transitionelle Prädikate bereits früh Zugang zur Periphrase verschaffte. 26 Bleibt also zu überprüfen, ob sich diese Restriktion auf grenzbezogene und dynamische Prädikate im Neufranzösischen erhalten hat, d.h., ob auch im modernen Französisch das Auxiliar (oder Semiauxiliar) aller nur bestimmte Prädikate selegiert, bzw. mit anderen inakzeptabel wird oder diese aktional-aspektuell modifiziert. Diese Auffassung wird tatsächlich häufig vertreten. VET (1979: 123ff.) schreibt z.B., daß unbegrenzte und statische Prädikate (bei ihm: Resultativa, Positions- und Zustandsprädikate) nicht mit dem f p kombiniert werden können: il va être mort sei ungrammatisch. Nur transitionell umgedeutet („éventalisé") seien sie akzeptabel (VET, 19942: 67ff.). JEANJEAN (1988: 239f.), die das von ihr ausgewertete sprechsprachliche Korpus auch auf die Häufigkeit bestimmter Verbklassen hin untersucht hat, stellt ebenfalls fest, das f p werde nur mit Verben kombiniert, die in sich bereits eine „limitation spatiale ou temporelle" implizierten. 27 Da sie das f s als imperfektivische Form betrachtet, wertet sie das entstehende f p als perfektivischen Partner in the making. Sie begründet dies mit der diachronen Ausgangsbedeutung: In der lexikalisch-periphrastischen Verwendung von aller erscheine das referentialisierte E bereits als nicht dem Sprechaktintervall zugehörig. Seiner syntaktischen Rolle nach müsse das infinite Prädikat in Anlehnung an die nominalen Zielort-Konstituenten der Modellkonstruktion maximal définit, eingegrenzt vorstellbar sein. Die Erreichung eines Ortes, der außerhalb des Bereiches liegt, in dem sich das deiktische Zentrum befindet, sei immer mit einer Grenzüberschreitung verbunden.

26

27

Dafür spricht auch, daß diese Verben (mit den Modalverben) die einzigen zu sein scheinen, bei denen es übereinzelsprachlich zur Lexikalisierung vormals temporal-funktionaler Formen kommt, also zu einem Fallen in unmarkiert-präsentische Wertigkeit. Dabei handelt es sich um einen Verstoß gegen ein zentrales Grammatikalisierungs-,Gesetz': Temporalität wird diachron normalerweise als epistemische Modalität reanalysiert und nicht als a-temporal/unmarkiert. Übersehen wird dabei, daß auch die epistemisch-modalen Reanalysen auf eine a-temporale Wertigkeit zurückgehen, die sich einer Generalisierung und damit einhergehender spezifischer Merkmalkombination verdankt. Nicht anders verhält es sich mit dem Verschwinden des temporalen Merkmals bei L-Stativa, die implizit aspektuelle Zwitter darstellen (vgl. auch DETGES, 1997: 14f.). Auf dem Weg zum Neuhochdeutschen ist es z.B. beim Inhalt ,wissen' schon zweimal zu derartigen Reanalysen auf der Basis eines Kippeffekts gekommen, der zudem auf eine enge konzeptuelle Verwandtschaft der drei Konzepte ,sehen', ,kennen' und ,wissen' verweist: idg. * woida ,ich habe erblickt' => ahd. wizzan ,wissen' ahd. ih weiz ,ich erfuhr' => nhd. ich weiß JEANJEAN (1988: 240 FN, 249): Je regroupe ici les [...] verbes de phase ainsi que les verbes qui ont dans leur valence un complément exprimant une limite spatiale ou temporelle [sog. telische und bedingt telische Verben, MS]. [...] Dans les quelques cas où un verbe statif est employé avec le futur en va, il y a toujours un contexte qui confirme l'impossibilité d'une idée d'acquis.

179 SCHROTT ( 1 9 9 7 ) , d i e v e r g l i c h e n m i t VET u n d JEANJEAN sehr viel m e h r B e i s p i e l m a t e r i a l

gesichtet hat, zeichnet als einzige ein anderes Bild. Wie bereits erwähnt, stellt für sie die ,aktuelle Konditioniertheit' (Rückbindung an die Sprechsituation) das durchgängige Merkmal der Periphrase dar. Sie unterscheidet weiterhin zwei kategorial differente Grundfunktionen der Form, die jeweils auch einen eigenen Grammatizitätsgrad repräsentieren. Die prospektive Posteriorfunktion stehe für den primär aspektuellen Funktionsbereich der Periphrase, es würden nur Grundbausteine des Situationstyps fokussiert und nicht der Sachverhalt als solcher. In dieser Verwendung werde etwa savoir als transitionell (bei ihr: inchoativ) vermittelt (nicht als wissen, sondern als erfahren). Von dieser semigrammatischen Posteriorfunktion seien diejenigen Verwendungen der Form zu unterscheiden, in denen sie futurisch-temporal fungiere. Dabei verliere sich die aspektuelle Fokussierungssemantik, es komme dann z.B. nicht zu einer transitionellen Deutung von savoir. In diesen Fällen sei das f p als grammatikalisiertes Tempus zu betrachten. In aspektueller Funktion (als prospektives Posterior) sei das f p auf eine bestimmte Semantik des Basisprädikats angewiesen, in futurisch-temporaler Funktion jedoch unterliege es weder Selektionsbeschränkungen noch seien aspektuelle Umdeutungen zu beobachten (1997: 114). Sie formuliert einige zentrale Gemeinsamkeiten, die das f p in beiden Funktionen zu erkennen gibt (und die es vom f s unterscheiden). a.) Im f p versprachlichte Sachverhalte seien immer orientiert, d.h. ihre deiktische Relation gegenüber S sei immer eindeutig (aus S ableitbar). b.) Es werde keine Subjekt-NP selegiert, deren Referent nicht zum Zeitpunkt der Äußerung bereits außersprachlich existiert, also festgelegt ist.28 c.) Bestimmte Adverbien {jamais, toujours) können im Kontext des f p nicht iterativ gelesen werden, sondern immer nur hyperbolisch bezogen auf einen einmaligen Sachverhalt. Allerdings muß sie (1977: 55) einräumen, daß in einigen, seltenen Fällen der durchgängige Basiswert der .aktuellen conditio' fehlt, so etwa in den folgenden Belegbeispielen: (284) Ils η 'arrivent pas à s'endormir. vont être si contents!

Va les embrasser,

tu leur apprendras

la bonne nouvelle. Ils

(285) Je le dirai à Madame Ku, reprit vivement Alexandre. Elle va être vexée, (286) Demain, j'emporterai pas en revenir.

[...].

le journal avec la vraie photo pour les montrer à M. Proteur. Il ne va

Bei den genannten Äußerungen sei eine Rückbindung an die Bedingungen der Sprechsituation nicht erkennbar. Sie kommutiert in den Beispielsätzen als Test mit der entsprechenden ^s-Form und stellt als Unterschied fest, daß das f p eine Auslöser-Wirkung-Beziehung zwischen dem vorhergehenden und dem im f p versprachlichten Sachverhalt vermittle, das f s eine bloße Sukzession (1997: 56). Nach ihrer Auffassung hat sich die Relationierungsfunktion ,Sprecherstandpunkt - Ereignis' auf die Beziehung , Vorerwähntes - Nacherwähntes' übertragen (was man als prototypisches shifting von der exophorischen auf die endophorische Verweisebene bei grammatikalisierten Tempora insgesamt beobachten kann). Die Beispiele geben jedoch noch mehr zu erkennen. In zwei Fällen, (284) und (285), tauchen hier nämlich interessanterweise gerade jene Prädikatklassen auf, die nach VET und 28

Vgl. auch GUERON, 1993: 114.

180 mit dem f p gar nicht oder kaum erscheinen dürften (Stativ, Interstativ) - in Beispiel (286) handelt es sich um die Negation eines transitionellen Prädikats, was zu einer Verschiebung in Richtung resultativer und damit sekundär 1-stativer Bedeutung fuhrt. Die Restriktion scheint also ausgerechnet in Kontexten, in denen die Periphrase ohne Zusatzwert futurisch-temporal fungiert, aufgehoben. Transitionelle und statische Prädikate sind nun außerdem diejenigen, die (zusammen mit den Progressiva) im futurischen Präsens diachron ausgefallen sind. Sollten sich, worauf die Beispiele hindeuten, gerade diese Klassen mit dem f p in temporaler Funktion zeigen, so könnte man davon ausgehen, daß das f p sich in jüngster Zeit (und von einigen Forschern unbemerkt) auf vorher nicht akzeptierte Prädikatklassen ausgedehnt hat; und dies scheint eine Etablierung als temporal futurisch ohne die Bedingung der .aktuellen conditio' gefördert zu haben. Parallel könnte dies dann auch zu einer Restriktion des futurischen Präsens gefuhrt haben, das ja einen futurischen Wert gerade mit diesen Prädikaten immer nur mit einem entsprechenden Kontext, also unter erschwerten Bedingungen erbringen konnte. Auch die Beziehung zum fs erscheint vor diesem Hintergrund in einem anderen Licht. Zwar sind die oben angeführten Beispiele alle so strukturiert, daß die Form in einem präetabliert futurischen Kontext bereits verankert ist. Die von SCHROTT vorgenommene Kommutation mit dem fs ergibt jedoch nach meinem (und meiner Informanten) Dafürhalten Sätze von zweifelhafter Akzeptabilität. Dies gilt besonders für Beispiel (286): Das primär perfektivierende fs (reviendra) vermittelt nämlich aufgrund der externen Negation über transitioneller Semantik das Bild einer unbegrenzten Iteration (Jedesmal, wenn es einen Grund gibt, kriegt er sich nicht mehr ein). Diese Bedeutung ist jedoch im Zusammenhang des genannten Beispiels nicht als sinnvoll zu integrieren. Es sei an dieser Stelle bereits vorab erwähnt, daß sich in meinen Korpora viele ^ - F o r men z.B. mit Stativa finden ließen, bei denen sie nicht transitionell lesbar sind und zudem unzweideutig futurisch fungieren. Es soll im folgenden Abschnitt der Frage nachgegangen werden, inwieweit und mit welchen Konsequenzen für das System die von JEANJEAN und anderen Autoren präsupponierte Restriktion sich in Auflösung befindet. JEANJEAN

7.2.2. Futur simple : futur périphrastique - Eine Opposition lokalistischen Charakters In Abschnitt 6.1.2. wurde die in allen Kontexten erhaltene Grundleistung von haben-Konstruktionen beschrieben. Sie besteht in Form einer bestimmten Relationierung von Subjektund Objekt- bzw. Prädikatbereich, die u.a. auch die Grundlage für die unterschiedlichen Diskurswerte des f s bildet. In Anlehnung an die Ausführungen zur ehemaligen /jaèe/i-Konstruktion soll nun versucht werden, die relationale Grundleistung der , aller + Infinitiv'-Periphrase kontrastiv herauszuarbeiten. Sie muß, parallel zum fs, auch bei Einrücken von Progressiv- und StativPrädikaten erhalten bleiben und sich aus der diachronen Quellkonstruktion ableiten lassen. //aòe«-Konstruktionen weisen als gemeinsames Merkmal auf, daß der Subjektreferent defokussiert wird und das Objekt (in dessen syntaktische Position ein infinites Prädikat eingerückt ist) konturiert im Vordergrund der Mitteilung steht. Sie ordnen den Bereich des Objekts/des Prädikats dem des Subjekts unter und stehen in Opposition zu subjektzentrierenden se/w-Konstruktionen:

181 (287) Il a un garçon très aimable.

SR: Referenzbereich Subjekt OR: Referenzbereich Objekt

(288) Il est un garçon très aimable.

SR: Referenzbereich Subjekt PNR: Referenzbereich Prädikatsnomen

(1993: 125ff.) unterscheidet zwischen sprachlichen Relatoren, die lediglich eine inhärente Beziehung der Aktanten redundant versprachlichen und solchen, die zunehmend eine nicht inferierbare Beziehung eigens herstellen. Die se/H-Kopula stellt innerhalb dieser lokalistisch vorstellbaren Skala die unmarkierte Form dar, sie wird herangezogen, wenn eine inhärente Beziehung (redundant) versprachlicht wird. Die Ziaèew-Kopula ist markierter: Sie kann zwar eine inhärente Beziehung versprachlichen, meist signalisiert sie jedoch, daß eine inhärente Beziehung umzustrukturieren ist. //aèew-Konstruktionen sind in ihrem Verhältnis zu se/'w-Konstruktionen der markierte Pol einer inklusiven Opposition. Übereinzelsprachlich gibt es nun häufig noch weitere, stärker markierte Relationierungsindikatoren, die ein implizites Verhältnis als explizit verändert kommunizieren können. Die Hierarchie der Relatoren auf lokalistischer Basis läßt sich tabellarisch zeichnen (nach PREMPER, 1993: 125f.). Links stehen jeweils zwei nominale Elemente, bei denen sich aufgrund der lexikalischen Semantik jeweils eine inhärente Lokalisation, also Zuordnung aufdrängt. Weiter rechts finden sich zunehmend inhaltlich markiertere Zuordnungen mit ihrer jeweiligen sprachlichen Realisierung: PREMPER

Ich Mann Mann Tischler Mann Werkstatt Mann Auto Auto Werkstatt

(Ich bin bei einem Mann.)29 Der Mann ist Tisch- (Der Mann hat einen Tisch- Der Mann ist bei einem Tischler ler.) ler. Der Mann hat eine Werkstatt. Der Mann ist in der Werkstatt. Der Mann hat ein Auto. Der Mann ist im Auto. Ich bin ein Mann.

Ich habe einen Mann.

Das Auto Werkstatt.

ist in der

Die íe/n-KopuIa signalisiert also keine Hierarchisierung der Bildbereiche (und ist deshalb fur inhärente Lokalisation durchlässig), die /iráew-Kopula ordnet den Objektreferenzbereich dem Subjektreferenzbereich explizit unter. Sie kann, wenn das Unterordnungsverhältnis den nominalen Elementen bereits inhärent ist, redundant gesetzt werden. Die stärker markierte Konstruktion mit einem Lokativ vermittelt eine umgekehrte Hierarchie: Sie ordnet den Subjektbereich dem Bereich der lokalen Angabe unter. Während die haben-Konstruktion also das Informationsgefälle im Satz verstärkt, damit aber gleichzeitig die themaafñne Definitheitsumgebung der Subjektstelle in Richtung Indefinitheit auflöst und das 29

Den Hinweis auf diese ebenfalls bestehende, wenn auch hochmarkierte Möglichkeit verdanke ich Gunde HETZEL.

182 rhematische Objekt als maximal définit ausweist, stellt die Lokativ-Konstruktion die syntaktischen Rollenreferenten in einem umgekehrten Verhältnis dar. Alle drei Muster findet man mit vergleichbarer Funktion auch in den Fällen, wo die Stelle des Zweitaktanten von einer infiniten Verbalform eingenommen wird. Die stark markierte Lokativ-Konstruktion kann aufgrund dieser unveränderten Relationierungsleistung mit verbalnominalen Ergänzungen zur Signalisierung von präsentischer Imperfektivität herangezogen werden, wie im Fall des englischen present progressive, das aus einer Lokativ-Periphrase grammatikalisiert wurde (/ am α-working), denn sie verleibt den Subjektreferenten dem Referenzbereich des Ereignisses gewissermaßen ein. Auch im Deutschen gibt es weniger stark grammatikalisierte, ausdruckseitig vergleichbare Verortungs-Marker mit nominalen und verbalnominalen Ergänzungen, die diese Relationierungsleistung erbringen: (289) Ich bin beim Zahnarzt. Ich bin beim einkaufen/Einkaufen.

OAR/E

SR: Referenzbereich Subjekt O A R / E: Referenzbereich Ortsangabe, Ereignis

Die Kontur des Ereignisintervalls tritt in den Hintergrund, als primäre Information wird die Verortung des Subjektreferenten in einem Bereich/dessen Involvierung in E kommuniziert. Die Aaòert-Konstruktion fokussiert und konturiert den Bereich des Zweitaktanten, die Konstruktion mit einer lokalen Angabe fokussiert demgegenüber den Bereich und Stellenwert des Subjektreferenten und blendet die Kontur des Ortes bzw. des Ereignisses aus. Unterschiedliche Betrachtbarkeit zu signalisieren ist der Kernfunktionsbereich aspektueller Zeichen. Beide Konstruktionen können also aufgrund ihrer komplementären Lokalisationsleistung auch komplementäre aspektuelle Werte vermitteln. Allative Konstruktionen (wie ,aller + Infinitiv') lassen sich zu diesen lokalistischen Schemata in Beziehung setzen. Sie stehen für eine weitere Komplexitätsebene und sprachlich für eine höhere Markiertheitsstufe. Der lokalistische Wert ist relativ durchsichtig. Die Relationierungsfunktion bleibt auch hier erhalten, wenn anstelle der nominalen ZielortKonstituente eine nominale Verbalform zu stehen kommt. Das gegenüber einfacher Lokalisation (Subjekt - seinñ„it - Ortsangabe) erweiterte Muster sei an der Überfuhrung der Beispielsätze (289) in ein allatives lexikalisches Muster verdeutlicht: (290) Ich Ich

gehe gehe

zum Zahnarzt. (zum) einkaufen/Einkaufen

183 SR: Referenzbereich des (konkreten) Subjekts E: Referenzbereich des finiten Verbs OAR/E': Raum-zeitlich verschobener Referenzbereich der Ortsangabe/ des infinit vermittelten Ereignisses. SR': fiktiv verorteter Subjektreferent

Das gegenüber sein-, haben- und unmarkierten Lokativ-Konstruktionen erweiterte Spektrum weist mehrere fokussierbare Bereiche auf: a.) den Bereich, in dem der konkrete Subjektreferent vorstellbar ist. b.) die räumliche und/oder zeitliche Distanz zwischen diesem Bereich und dem entfernten/zukünftigen Zielort/Ereignis (Referenzbereich des finiten Verbs). c.) die Grenze zwischen dem Referenzbereich des finiten Verbs und der Ortsangabe/des infiniten Prädikats. d.) das raum-zeitlich distanzierte Angekommensein/Verortetsein des Subjektreferenten im Zielort/Ereignis. Er wird fiktiv auf den Ort abbildbar, auf den er sich zubewegt, und zwar als (zukünftig) vom Referenzbereich der Zielort-Konstituente umschlossen. Gegenüber primärer Lokalisation besteht die Zusatzleistung vor allem in einer Verschiebung des Bildes nach rechts.30 Alle o. g. Bereiche können fokussiert werden, so etwa die Involvierung des Subjektreferenten in den Referenzbereich des finiten Verbs oder die Grenze zwischen E und E' usw. Im folgenden Abschnitt soll gezeigt werden, daß den verschiedenen Werten von ,aller + Infinitiv' im Französischen, die die Forschung festgestellt hat, jeweils eine bestimmte Bereichsfokussierung entspricht. Es steht zu vermuten, daß die aktionale Klasse des infiniten Prädikats entscheidenden Einfluß darauf hat, welche der möglichen Komponenten in den Vordergrund rückt. Eine weitere Überlegung gilt es bei der nun folgenden synchronen Funktionen-Übersicht im Blick zu behalten. Wenn (vgl. 3.3.3.) imperfektive Temporalität darauf basiert, daß eine fiktive Innenperspektive auf ein temporal verschobenes E vermittelt wird, dann wäre die Periphrase geradezu prädestiniert für diese Funktion. Eine Kontur des Ereignisses ist zu Beginn der Grammatikalisierung, wenn der Schwerpunkt noch auf der Äußerung einer Absicht oder eines Gewilltseins liegt, wesentlicher Bestandteil der Gesamtsemantik (intendierte Sachverhalte sind meist final, woraus sich nahezu automatisch eine Restriktion auf begrenzte Ereignisse ergibt). Je mehr jedoch die temporale Verschobenheit eben dieses Ereignisses kommunikativ in den Vordergrund tritt, desto weniger zentral ist dessen Konturiertheit und desto stärker kann auch die imperfektive Innensicht eines dann fiktiv verschobenen Betrachterstandpunkts im Fokus stehen.

30

Hierzu auch STOLZ (1993: 203):

A figure direction locatum

B

C path ground trajector relational systems locator locus (local) relator

184 7.3. Synchrone Funktionsmuster 7.3.1. Lexikalische Konkretverwendung Fokus: — S —

—> E.aller-

I —> EI:i n f i n i t

Die lexikalische Periphrase kann als role model fur das f p verstanden werden (aller in der Bedeutung der räumlichen Hinbewegung eines Subjektreferenten auf eine infinitiv markierte Handlung, wie dt. ,gehen, um zu + Infinitiv'). Sie unterliegt lexikalischen und aktionalen Restriktionen: Das Subjekt muß über die Merkmale [+ menschlich] und [+ belebt] verfugen, das infinite Prädikat selbst muß (wie aller) eine räumlich-konkrete Bewegung denotieren.31 Aufgrund dieser Bedingung verschmelzen die Semantik von aller und die des infinitiv realisierten Prädikats, beide sind in häufig verwendeten Kombinationen als Einheit lexikalisiert (frz. aller chercher als dt. holen). Mit der Beschränkung auf agentiv-humane Subjekte und Tätigkeitsprädikate geht eine Bindung an die ersten beiden grammatischen Personen einher. Alle drei Restriktionen zusammen führen zu einer relativ stabilen Bindung an [+ dynamische], [+ begrenzte] Prädikate und implizit fiiturische Verwendung, bezogen auf aller wird meist die Phase kommuniziert, die dem Gehen vorausgeht. Der kommunikative Fokus liegt damit auf einer Vorphase des Gesamtgeschehens. Daß S in einer Vorphase dieses Ereignisintervalls verortet ist, hat im Fall der hier ausschließlich zulässigen Tätigkeitsprädikate intentionale Bedeutung zur Folge: (291) Je vais acheter des

cigarettes.

Das bezüglich E futurisierende Element ist das finite aller, das diese Funktion bereits in nominalen Kontexten hat (vgl.: Je vais à Paris.). Es vermittelt die Betrachtrichtung zwischen dem Subjektreferenten und dem infinitiv versprachlichten Ereignis. Das Bild eines konkreten Ortes konstituiert sich nur, insofern dieser gegen die Umgebung abgegrenzt ist. Die Erreichung eines Zielortes ist insofern mit einer Grenzüberschreitung verbunden - dies nun gilt im abstrakteren Bereich auch für eine Absicht. So ist zu erklären, daß beim Übergang der Verwendung von aller vom nominalen in den verbalen Bereich die infiniten Prädikate eine Ereigniskontur oder eine Rechtsgrenze aktional angelegt haben (vgl. JEANJEAN, 1988: 255). Es liegt eine relativ durchgängige Bindung an Intergressiva und R-Progressiva vor. Eine intakte Selektionsbeschränkung korreliert regelhaft mit einem vergleichsweise schwachen Grammatikalisierungsgrad. So sind auch die Funktionsstufen, auf denen die Periphrase gerade kein temporaldeiktisch relationierendes Futur ist, an grenzbezogene Prädikate gebunden. Unter dieser Bedingung ist die Gesamtkonstruktion vor allem markiert perfektiv: von einem präsentisch in der Vorphase des Geschehens verankerten Betrachterstandpunkt aus wird ein Gesamtgeschehen von außen betrachtet. Im Unterschied zum fs ist allerdings nicht das infinite Prädikat fokussiert, sondern das Verankertsein des Subjektreferenten in einer Vorphase des gesamten Ereignisintervalls - und so ist die Funktion des Infinitivs innerhalb dieser Konstruktion anders zu bewerten als beim fs.32 31

SUNDELL ( 1 9 9 1 : 3 7 ) :

En tant que verbe de mouvement, aller n'admet que des verbes compléments spécifiques, notamment les verbes d'action.

185 7.3.2. Semilexikalische Verwendung Fokus unverändert: —

S — |

- > E „ / / „ - > | —> E INFINIT—>

Bereits in der lexikalischen Periphrase klingt ein nachzeitiges Intervall an, dessen Abschluß E darstellt. Fokussiert ist allerdings die präsentische Vorphase des Ereignisintervalls, in die der Subjektreferent involviert ist. Mit den regelhaft auftretenden Tätigkeitsverben in der 1. und 2. grammatischen Person und unter der Bedingung einer Entkoppelung von Versprachlichung und konkretem Gehen kann dies nur als Intention des Subjektreferenten gelesen werden, ein Geschehen in Angriff zu nehmen. Dieser implizite Wert kann die Konkretbedeutung des finiten Verbs überlagern. Es kommt zu Verwendungen, bei denen nicht zu klären ist, ob die konkrete räumliche Bewegung oder eine mentale Ausgerichtetheit des Subjektreferenten zum verbal indizierten Geschehen kommuniziert wird: 3 3 (292) Je vais fermer la fenêtre. dt. Ich gehe/ werde (jetzt 'mal) das Fenster

zumachen.

(293) Je vais faire mes devoirs. dt. Ich gehe /werde (jetzt 'mal) meine Hausaufgaben

machen.

Die Periphrase verfugt hierbei noch über das gesamte temporale Paradigma des Neufranzösischen, je stärker jedoch die Konkretbedeutung von aller abgeschwächt ist, desto weniger besteht die Möglichkeit einer Tempusmarkierung des finiten Verbs, was typisch ist für den Übergang eines Verbs vom Lexem zum Auxiliar (in grammatischer Funktion verfugt aller z.B. nur noch über das Paradigma des présent und des imparfait).34 Wie S C H R O T T (1997: 115ff.) betrachte ich das f p als eine Form, die über ein reiches Spektrum verfügt. Die verschiedenen fokussierbaren Bereiche der allativen Konstruktion eröffnen, in starker Abhängigkeit vom Kotext, präsentische, prospektive und temporale Funktionsfelder, von denen jedes für eine bestimmte Grammatizitätsstufe steht. Die Komponente, die einen bestimmten Typ temporaler Verwendung ermöglicht, ist allerdings bereits in der lexikalischen Verwendung angelegt und schwingt unverändert mit. 35

7.3.3. Semigrammatische Verwendung Fokus: — S — [ [ ] - » E aUer-+\I -> Ε

ίηΓιηΙ1->

Das zentrale Kriterium für eine eher grammatische Funktion der Form ist erfüllt, wenn eine lexikalische Konkretbedeutung des finiten Verbs ausgeschlossen ist, und die Geneigtheit bzw. Intention des Subjektreferenten vermittelt wird, die im infiniten Prädikat ausgedrückte Handlung auszuführen. Wie bei lexikalischer Verwendung verfügt der Subjektreferent weiterhin über das Merkmal [+ belebt], d.h. er muß einer solchen willentlichen Hinwendung auch fähig sein (vgl. SCHROTT, 1997: 235). Wie u.a. SCHROTTS Analyse zeigt, gehen SCHROTT, die ansonsten sehr genau zwischen den verschiedenen Verwendungstypen unterscheidet und die lexikalische Periphrase explizit von ihrer Untersuchung ausschließt, interpretiert ab und an ein Vorkommnis als f p , das man ebensogut als lexikalische Verwendung betrachten könnte oder sogar muß (1997: 79): Attends [...] je vais allumer la petite lampe qui est sur le piano [...]. V g l . SUNDELL, 1 9 9 1 : 3 7 u n d JEANJEAN, 1 9 8 8 : 2 3 5 f .

Eine ähnliche Auffassung vertritt SCHROTT, 1997: 344.

186 Werte wie Intentionalität und Volitionalität auf präsentische Verhaftung zurück. Regelmäßig handelt es sich um Verwendungen in der 1. und 2. grammatischen Person, zudem ist eine Beschränkung auf grenzbezogen-dynamische Prädikatklassen gegeben (Intergressiva, RProgressiva, Transitionen). 36 Diese präsentische Verhaftung, die in leicht veränderter Form gegenüber den semilexikalischen Verwendungen vorliegt, repräsentiert einen Grammatizitätsgrad, der für viele Periphrasen, die zu Tempusmarkierungen werden, übereinzelsprachlich als Durchgangsstation typisch ist. Und so ist es nicht angebracht, diese diachron früh belegbare und synchron als Standbild erhaltene Funktion mit dem Leistungspotential der Form insgesamt gleichzusetzen, wie SCHROTT dies tut, wenn sie dem f p insgesamt (auch in temporaler Funktion) die Jugendsünde' der present relevance unterstellt. Der wesentliche Unterschied zu lexikalischer bzw. auch zu semilexikalischer Verwendung besteht darin, daß die Bedeutung des Semiauxiliars und des Prädikats nun nicht mehr verschmelzen, weil das infinite Verb das Merkmal der konkreten Bewegung im Raum nicht mehr aufweisen muß (gleichwohl immer noch aufweisen kann). Damit ist allerdings eine inhaltliche Verschmelzung anderer Art möglich: die immer schon gegebene Komponente der Vorphase verbindet sich mit der reduzierten Semantik des finiten Verbs. Durch diese Schwerpunktverlagerung ist es bei diesem Verwendungstyp möglich, das infinite Prädikat, also nur E, zu negieren. HUNNIUS hat dergleichen Infinitiv-Negationen beobachtet (1994: 30) und sie ebenfalls dem f p insgesamt unterstellt - in anderen Funktionsbereichen, vor allem im temporalen, sind solche Negationen jedoch nicht mehr möglich. Zusammen mit der häufigen 1. und 2. Person ergibt sich auf dieser Stufe jenes Bild, das so gerne zur Beschreibung des f p insgesamt herangezogen wird: Es stelle eine Brücke zwischen einem präsentischen Bezugsrahmen und einem nachzeitig kommunizierten Ereignis her, die vom präsentisch gegebenen Subjektreferenten ihren Ausgang nehme. JEANJEAN (1988), die dem fp perfektive Grundaspektualität zuschreibt, begründet dies mit der Bindung an grenzbezogene Prädikatklassen, d.h. auch sie verwechselt die Verhältnisse in einem subfunktionalen Bereich mit dem Profil der Konstruktion insgesamt. Auf der hier gezeichneten Stufe ist es nun so, daß das infinit vermittelte E aufgrund der Beschränkung auf begrenzte Prädikate immer unter perfektiver Außenperspektive erscheint. Der kommunikative Fokus liegt jedoch auf dem vorphasisch verankerten Subjektreferenten - es handelt sich also auf dieser Stufe eher um einen imperfektiv-aspektuellen Desambiguierungsfunktor im präsentischen Bereich, der nur sekundär auch ein ausgelagertes, infinit versprachlichtes E perfektiv vermittelt. Der Grundwert der semigrammatischen Periphrase sei noch einmal zusammengefaßt: Die bereits in der lexikalischen Verwendung konventionalisierte Implikatur der Vorphase verschmilzt mit der reduzierten Semantik von aller, das nunmehr vor allem als prospektivierender Betrachtrichtungsfunktor anzusehen ist. Der kommunikative Schwerpunkt liegt auf einer imperfektivischen Verortung des Subjektreferenten in einer progredierenden Vorphase, die auf ein Ereignis zuläuft bzw. auf ein Ereignis schließen läßt. Die Periphrase signalisiert auf dieser Stufe primär präsentische Imperfektivität bezogen auf den Subjektreferenten (der sehr häufig der Sprecher ist, d.h. mit S zusammenfällt) und sekundär eine perfektive Außenperspektive auf ein bereits futurisch verlagertes Ereignis E. Die Funktionalität der Form im System besteht auf dieser Stufe der Grammatikalisierung z.B. darin, transitionellen Prädikaten, die keine Phase aufweisen, einen eindeutig prospektiv 36

SCHROTT, 1997: 235.

187 ausgerichteten semantischen Vorlauf zu vermitteln. Die im Präsens zweideutigen R-Progressiva werden in Richtung einer präsentisch-imperfektiven Lesart desambiguiert. Bei Intergressiva, die sehr häufig zu finden sind, macht die Konstruktion ein implizit mitschwingendes Vorintervall explizit - und verschiebt damit das Ereignisintervall als Ganzes in den futurischen Referenzbereich. Folgende Nutztypen der semigrammatischen Wertigkeit sind zu unterscheiden: 1.) Sog. Volitionalität/Intentionalität Intentional wird die Periphrase bereits in lexikalischer Konkretbedeutung verwendet. Die vorphasische Verhaftung ist hier nun durch eine abgeschwächte Semantik von aller betont, im Fokus steht das gesamte Vorlaufintervall des im Infinitiv versprachlichten Ereignisses. In der zweiten Person kann dies einen sehr eigenen imperativen Wert haben, da man nicht einfach E fordert, das der Angesprochene unter Wahrung seiner persönlichen Nicht-Geneigtheit auch unwillentlich ausführen könnte, sondern die Gewilltheit/Geneigtheit selbst: (294) Tu vas la fermer! dt. Willst/wirst du wohl die Klappe halten! Transition agentiv, 2. Ps. Sg. (295) Oh, je vais pas me taper ça en train quand même. dt. Also ich habe nicht vor, das mit dem Zug abzustottern. Intergressiv agentiv, 1. Ps. Sg. 2.) Sog. allure extraordinaire (dt. etwa: so weit gehen, daß.../ es dahin kommen lassen,

daß...)

Ein besonderes Kennzeichen dieser Wertigkeit ist, daß intern negierte und nicht negierte Sätze häufig die gleiche Bedeutung haben. Der Sprecher tut mit seiner Äußerung kund, daß er einem sich offensichtlich anbahnenden Ereignis ablehnend gegenübersteht (vgl. SCHROTT, 1997: 260): (296) R-Progressiv agentiv, 2. Ps. Sg. a.) unnegiert

Tu vas tuer ce pauvre chien?(!) dt. Du willst/wirst noch diesen armen Hund töten?(!) (..wärst imstande, diesen armen Hund zu töten?)

b.) negiert

Tu ne vas pas tuer ce pauvre chien?(!) dt. Du willst/wirst doch nicht diesen armen Hund töten ?(!) (...doch nicht so weit gehen, diesen armen Hund zu töten?)

Die Form hat in dieser Verwendung Zugang zu Markierungen, mit denen das f p in weiter fortgeschrittener Grammatizität nicht mehr kombiniert werden kann. Eine ist der Imperativ: (297) Ν 'allez pas me dire que X! dt. Sagen Sie bloß nicht, daß X! (Sie wollen mir doch wohl nicht erzählen, daß X!) Die Nutzung des Wertes besteht hier in der pragmatischen Komponente der Kommentierung eines Ereignisses, bei der der Sprecher eine (ablehnende) Haltung zum Ausdruck bringt. In diesem Fall kann sich die Form also auch auf bereits stattgefundene Ereignisse

188 beziehen und hat eine (syntaktisch allerdings anders realisierte) Parallele im modernen gesprochenen (Süd-?)Deutsch: In narrativen Kontexten ist dt. gehen in dieser Funktion nachweisbar und geht ebenfalls mit einer Restriktion auf begrenzte Prädikatklassen einher: (298) Geht der doch her und kauft sich einen BMW! (299) Ich geh ' doch auch nicht her und erzähl' so einen Quatsch! Im gesprochenen Sächsisch scheint es Verwendungen der deutschen werden + Infinitiv'Periphrase zur Signalisierung der allure extraordinaire zu geben. Hierzu ein Beispiel aus KUEN (1950: 112), allerdings dezent verhochdeutscht: (300) Da ging ich vorhin über die Straße und da spielten ein paar Jungs mit 'nem Fußball. Ich hab ' sie weiter gar nicht beachtet - da wird mir doch auf einmal so ein Lausebengel den Ball zwischen die Beine schmeißen! Da bin ich vielleicht erschrocken. Es steht zu vermuten, daß aus einer solchen (u.a. diachron frühen) zeitstufenneutralen und konstant perfektiven Verwendung der heutige Perfekt-Marker des Katalanischen und Okzitanischen entstanden ist (vgl. B R Ü S E R , 1988: 8f.). In manchen Fällen ist durch die gemeinsame Basiswertigkeit (Fokus: Phase, die der Realisierung des Sachverhalts vorausgeht) nicht zu entscheiden, ob intentionale Verwendung oder der Wert einer allure extraordinaire vorliegt (Beispiel aus SCHROTT, 1997: 265): (301) Je ne lui ai jamais menti. Je ne vais pas commencer aujourd'hui. dt. Ich habe ihn niemals belegen. 1. Und ich habe nicht vor, heute damit anzufangen. 2. Und ich werde auf keinen Fall (ausgerechnet) jetzt damit anfangen. Eine Verhaftung im präsentischen Funktionsbereich ist, wie bereits erwähnt, nicht nur eine typische Kinderkrankheit späterer Futura bzw. der go-futures, sondern späterer Tempusmarker im allgemeinen. Als Beispiel wäre auch hier der Resultativwert des passé composé zu nennen. Sobald sich präsentische Verhaftung ausschließt, ist die Möglichkeit zeitstufenneutraler Verwendung gegeben (Anterior-Funktion beim passé composé z.B.), die sich beim f p in der allure extraordinaire als Signal einer ablehnenden Haltung gegenüber E zeigt. Derartige Werte werden oft als besonders subjektiv 37 klassifiziert (beim passé composé z.B. als Wert „Vergangenheit, kontinuierlich subjektiv mit der Gegenwart verbunden"38). Auch wenn das f p dazu genutzt werden kann, einen subjektiven Bezug im Sinne einer psychologischen Relevanz des nachzeitigen E für den Sprecher zu signalisieren, für eine systembeschreibende Erfassung ist ein Merkmal wie [+ subjektiv] untauglich. 39 Es manifestiert sich ein in Grammatikalisierungsprozessen häufig zu beobachtendes Wandern des kommunikativen Schwerpunkts entlang der semantischen Angriffsflächen einer Form. In diesem Fall ist die Übergangszone vom Referenzbereich, in dem sich der Sprecher verortet, in den Bereich des nachzeitigen Intervalls des infiniten Prädikats fokussiert.

37

Auch bei sich grammatikalisierenden Vergangenheitstempora wirkt ein präsentisches Konnotat bzw. die Ablösungserscheinung aus dem präsentischen Bereich subjektiv - hier würde allerdings niemand von Modalität sprechen, und so sollte man dies auch bei fiiturisch fungierenden Formen nicht tun, wenn sie die Jugendsünde eines Wertes der present relevance erkennen lassen.

38

SAETTELE, 1 9 7 1 : 1 2 6 .

39

Vgl. hierzu FLEISCHMAN (1982: 97f.). Der sog. speaker's point of primary concern liege nicht auf dem bereits als nachzeitig verschobenen E, sondern auf S.

189 Oft wird daraufhingewiesen (vgl. hierzu BRÜSER, 1988: 41), daß das f p in temporaler Funktion selten verneint erscheine, in allure extraordinaire-Verwendung hingegen sehr häufig. Es kann nun auch einfach so sein, daß eine Verneinung das finite Element betont und so eine Lesart des Typs ,Vorphase des Ereignisses' fördert. Jede interne Verneinung muß die Vorphasen-Komponente notwendig besonders betonen, auch dann, wenn die unverneinte Äußerung sich vielleicht bereits als Futur lesen ließe. Auch die grammatischen Personen, die besonders mit Intentionalität korrelieren (1. und 2. Person), stellen einen Kontext dar, der eine rein temporale Funktion zumindest erschwert. 40 Bleibt festzuhalten, daß intentional/volitionelle und allure extraordinaire-Werwendungen auf eine Bedeutungsvariante schließen lassen, die den Übergang des kommunikativen Fokus von I P nach I e bereits erkennen läßt. Bei Interpretation als allure extraordinaire liegt der kommunikative Schwerpunkt bereits näher an I e , bei Intentionalität liegt eine Betonung der gesamten Vorphase vor. Es gibt nun noch eine weitere Möglichkeit, den Abstand zwischen dem Subjektreferenten und E, für den aller steht, als Diskurswert zu nutzen. 3.) Sog. abtönende Verwendung S U N D E L L (1991: 38ff.) geht davon aus, daß das f p mit bestimmten Verben abtönend fungieren (1991: 40) kann:

(302) 1. [...] je vous demanderai d'être discret et de faire monter l'invitée [...] par l'ascenseur 2. Je vais vous demander de me suivre jusqu'au bureau du chef d'escale [...].

[...].

Auch S C H R O T T (1997: 249) stößt auf derartige Verwendungen, die nach ihrer und meiner Meinung allerdings keineswegs mit der modalen Funktion des f s gleichgesetzt werden dürfen, da der Wert des f p auf präsentisch-vorphasische Verhaftung zurückgeht, bei der in diesem Fall (ähnlich der gleichfalls paramodalen allure extraordinaire) das besonders ausgeprägte deiktische Verweispotential des finiten Verbs genutzt wird: (303) Eh bien, [...], vous allez me permettre de vous faire un cadeau.

Wie zu sehen ist, handelt es sich (vgl. auch 6.2.1.) regelhaft um kommunikative Sonderfälle, bei denen die deiktische Verweisrichtung des finiten Verbs nicht sprechsituationsentbindend wirksam werden kann, da jeweils eine Kopräsenz von Versprachlichung und Ereignis vorliegt. Die futurische Färbung Volition/Intention ist also durch den Kontext ausgeschlossen (vgl. S C H R O T T , 1997: 235). S C H R O T T (1997: 249f.) definiert die Kontextbedingung dieser Verwendung so, daß ein großzügiges Angebot oder eine offensichtlich wohlmeinende Direktive versprachlicht werde. Das gilt jedoch fur Beispiel (302) aus S U N D E L L nicht. Die zentrale Nuance besteht dabei wohl eher darin, daß (302) 1. um einiges höflicher wirkt als (302) 2.. Dies geht auf die Ordnung zurück, in der die Periphrase die Konstituenten, im Gegensatz zum fs, vorführt. In 1. wird der Akt des Bittens (E) selbst relativiert, indem die Option des Nicht-Bittens (Nicht-E) auf den Plan gerufen und ebenfalls kommuniziert wird. 41 40

41

Die Affinität des f p für bestimmte Verben, adverbiale Umgebungen und die 1. grammatische Person konstatieren SUNDELL (1991: lOlff.), JEANJEAN (1988: 236ff), S. LORENZ (1989: 229ff.) und B. LORENZ (1989: 54f„ 156ff„ 187ff.). SCHROTT (1997) wiederum untersuchte, verteilt über ihre gesamte Arbeit, systematisch den Zusammenhang zwischen Kontext, grammatischer Person, Negation und adverbialer Umgebung mit den unterschiedlichen Lesarten. Daß das fs, im Gegensatz zum f p , immer nur die Optionen E und Nicht-E impliziert, und keine Vorphasen im Sinne von Vorbereitungsphasen, die dann wiederum verneint oder anderweitig

190 In 2. hingegen entspricht der Abstand, der vom Ereignis genommen wird, gewissermaßen nur dem syntaktischen zwischen Subjekt und Infinitiv (E). Damit entsteht eigentlich weniger eine abtönende als eine verstärkende Wirkung: Die betonte Intention, den Angesprochenen nicht etwa zu bitten, sondern aufzufordern, etwas zu tun, fungiert wie eine Brücke, die den Aufforderungsakt besonders betont. SCHROTT bezeichnet dies an anderer Stelle (bei Analyse einer allure extraordinaire) als Strategie der Aufmerksamkeitslenkung, fur die das fp insgesamt prädestiniert zu sein scheint. Vorphasen-Zentriertheit und untypische Kontexte eröffnen also die Möglichkeit, einen Sachverhalt in besonderer Weise als unbedingt herauszustreichen, was im Fall eines angenehmen und freundlich offerierten Sachverhalts höflich bzw. anbiedernd, im Fall einer nur vom Sprecher erwünschten Angelegenheit jedoch eher kategorisch-imperativisch und damit alles andere als abgetönt wirkt. Zwischen semigrammatischer und temporaler Verwendung gibt es Graubereiche, uneindeutige Fälle. Von einem eher temporalen Wert ist dann auszugehen, wenn der kommunikative Fokus auf dem infinit versprachlichten, nachzeitigen Ereignis oder Sachverhalt liegt. Den Übergang zu eindeutiger Tempusfunktion markieren die Fälle, in denen eine desambiguierende Setzung von Adverbialien die Tempuslesart auslöst. Generalisierung auf alle Prädikattypen, die Beschränkung auf die Paradigmen présent und imparfait und die Kombination mit dem infiniten Vollverb aller sind Indizien für ein Vorrücken in den temporalen Funktionsbereich.

7.3.4. Prospektiv-inchoative Verwendung Fokus: —

S —11 - > E

AUER^\

I

E

I N R I

„I,0]

Der Fokus hat sich bei dieser Verwendung auf den Referenzbereich des infinit versprachlichten Ereignisses verschoben - allerdings auf dessen Linksgrenze. Auf dieser Stufe finden Subklassen der Stativa und Progressiva Zugang, sie werden jedoch regelhaft inchoativtransitionell gelesen (Beispiel aus SCHROTT, 1997: 113): (304) Est-ce que tu sais déjà... Non, mais je vais le savoir puisque tu vas me le dire. dt.... Nein, aber ich werde es gleich erfahren, denn du hast sicher vor, es mir zu

erzählen.

Wie SCHROTT ganz richtig bemerkt, geht der Wert auf Aspektualität und implizite Futurität (sog. Posteriorsemantik) zurück. Diese ist nicht in die Tempusfunktion integriert, wie etwa die aspektuelle Konvertierungsfähigkeit des fs, d.h. die Häufigkeit derartiger Umdeutungen geht bei eindeutig temporaler Funktion gegen Null. Bisweilen stehen semigrammatische und prospektive Komponente gleichberechtigt im Raum, wie im folgenden Beispiel aus dem Korpus der informellen Gespräche: (305) On a l'impression qu'elle (Person auf einem Photo) va parler. dt. Man hat den Eindruck, sie fängt jeden Moment zu sprechen an. (inchoativ-prospektiv) oder Man hat den Eindruck, sie will sprechen, (intentional-vorphasisch)

Durch Adverbien kann eine inchoative Lesart bei nicht aktional linksbegrenzten Prädikaten ausgelöst werden. Die syntaktische Stellung ist allerdings entscheidend: pragmatisch genutzt werden können, stellt SCHROTT fest. Der scharfe Kontrast, den das f s vermittelt, kann sprechertaktisch dazu genutzt werden, beide Optionen im Raum stehen zu lassen.

191 (306) A huit heures, il va terminer son travail. dt. Um acht Uhr wird er beginnen, seine Arbeit abzuschließen

42

Bei Verlegung des Adverbs in rhematische Position ist der Satz unzweideutig futurisch: 43 (307) Il va terminer son travail à huit heures. dt. Er wird seine Arbeit um acht Uhr beenden.

7.3.5. Temporal-futurische Verwendung (Tempusfunktion) Fokus: oder : oder:

— s— — s— — s—

-» — »

E

aller-*·

' infinit'- H

—>

In temporaler Wertigkeit verfugt aller nur noch über die Paradigmen des présent und des imparfait. Dies ist der entscheidende Testparameter dafür, ob es sich um temporale oder eine andere Verwendung handelt. Die Form wird temporal selten verneint und/oder adverbial ergänzt. Statistisch signifikant häufig erscheint sie jedoch weiterhin in der 1. Person Singular und Plural (auch on in der Bedeutung nous)44 Die ursprüngliche Vorphasen- und Inchoativbedeutung wird nunmehr dominiert von den aktionalen Merkmalen des Basisprädikats, das Ereignis steht dabei als ftiturisch verschoben im kommunikativen Fokus. In dieser Funktion nun entfallt die Restriktion, was die Prädikattypen anbelangt, gänzlich. Stativa und Progressiva werden selegiert und, was entscheidend ist, nicht transitionell umgedeutet. Hierzu einige Beispiele aus meinem Korpus und aus unterschiedlichen Registern: (308) gesprochen: [...] tout le monde va avoir ce statut. dt. [...] alle verfügen dann über diesen (309) literarisch: [...] viens manger, ça va être froid. dt. [...] komm und iß, später/sonst ist es

Status.

kalt45

(310) pressesprachlich: Les deux filiales du groupe [...] vont constituer un géant de (X) milliards [...]. dt. Beide Filialen des Unternehmens [...] stellen dann einen Wirtschaftsgiganten Milliarden dar.

von (X)

In allen drei Beispielen handelt es sich um ein aktional nicht begrenztes Prädikat. Die Information, dieses semantisch als Zielort gegenüber S aufzufassen, wird reinterpretiert, kann 42

43

Beispiel und Bedeutungskomponenten aus VET, 1979: 123. Man führe sich noch einmal vor Augen, daß der Satz im fs, egal w o das Adverb steht, immer komplexiv wäre (vgl. 6.2.1.). Auf diese Auslöserfunktion von Adverbien bzw. deren verstärkende Wirkung in Grammatikalisierungs- und Reanalyseprozessen weist SMITH (1995: 111) hin.

44

V g l . SUNDELL, 1 9 9 1 : 1 7 .

45

Der Satz bedeutet nicht unbedingt [...] sonst wird es kalt (perfektiv). Auch hier bevorzuge ich in der Übersetzung ein deutsches futurisches Präsens mit Zeitadverb. Deutsch werden in auxiliarer Funktion deckt sich nur zum Teil funktional mit aller. Ein deutscher Satz im periphrastischen Futur ohne adverbiale Ergänzung ( K o m m und iß, es wird kalt sein) ist dem hier zitierten französischen zum einen nicht aktional und aspektuell äquivalent und zum anderen (was entscheidend ist) im Deutschen inakzeptabel (.ungrammatisch').

192 nicht mehr auf die Überschreitung von Ereignisgrenzen bezogen werden. E wird deshalb um einen verschobenen Betrachterstandpunkt r geordnet gelesen. Damit ergibt sich der Wert eines imperfektiven Futurs, und die Periphrase leistet bei unbegrenzten Prädikaten eben das, was das fs selbständig nicht leisten kann. Ein derart futurisch-imperfektiver Wert ist synchron nicht nur mit Stativa oder Progressiva zu finden, deren Zugang sicher für das Einrücken in Tempusfunktion mitverantwortlich war. Das fp findet sich vielmehr auch mit anderen Prädikatklassen (conventionalization of implicature) temporal und ohne Mitschwingen eines Vorphasen-Konnotats verwendet (Beispiel aus S C H R O T T , 1997: 132): (311) Moi aussi! dit-il. J'ai le pressentiment que nous allons passer des vacances magnifiques! J'ai le pressentiment que nous allons manger de belles brochettes de grives, de damages et de perdrix! [...] S C H R O T T führt diese nicht nur eindeutig temporale, sondern vor allem imperfektiv-temporale Lesart, darauf zurück, daß eine „Sprecherpräsenz" fokussiert werde (1997: 133), die sich aus der präsentischen Verhaftung, aus der ,aktuellen conditio'' erklären lasse. Eine subjektivische Färbung wird imperfektiven Tempora insgesamt häufig zugeschrieben - sie beruht jedoch nicht auf einer Abhängigkeit von der natürlichen Sprecherperspektive, sondern im Gegenteil gerade auf der Vermittlung eines von S gelösten, fiktiven und im Ereignisintervall verortbaren Betrachterstandpunkts. Der subjektivische Eindruck geht auf die imperfektive Innenperspektive und nicht auf eine Rückbindung an S zurück. Das fp entspricht hier aspektuell dem imparfait. Wie weitgehend das fp in dieser Weise temporal fungieren kann, wird anhand der Datenerhebung zu klären sein. Es ist nicht zu erwarten, daß die Periphrase aufgrund ihres umfänglichen Funktionsspektrums mit allen Prädikatklassen eine vergleichbare Funktion erfüllt. Die konstatierte Ausdehnung auf vorher nicht selegierte Klassen verweist auf ein partielles Einrücken in Tempusfunktion, die nun auch mit den diachron länger in der Fügung verwendeten Prädikattypen vermittelt werden kann.

7.4. Aktionale Klassen und das futur

périphrastique

7.4.1. Präsentation der Auswertung FUTUR PERIPHRASTIQUE Gesamtzahl Daten: Gesamtzahl Modalperiphrasen: Berücksichtigte Daten:

Absolut 259 35 224

Prozent 13,51 % 8 6 , 4 9 % = 100%

193 FUTUR PÉRIPHR.

Ohne

4,02 % 3,13%

Futurisch

Inzisivadv.

Intervalladv. lndet.Adv.

1,34% 0,89 %

2,68 % 0,89 % 0,45 %

1,79%

Stativ L-Stativ Interstativ Progressiv Ph-Progressiv Transition R-Progressiv Intergressiv

3,13% 0,89 % 5,80 % 14,29% 27,23 %

2,23 % 6,70 % 11,61 %

0,45 %

0,45 %

0,45 % 2,23 % 1,79%

GESAMT:

58,48 %

24,55 %

0,45 %

4,02 %

6,70 %

31,70 % 11. PP 1. PS 2. PS 14,73% 2. PP 3. PS 26,34% 3. PP Gesamt 72,77 %

11,6Ö%~ 2,23% 13,39% 27,23 %

0,45 % 1,34%

Gesamt 43,30 % 16,96% 39,73% 100 %

Konditional/ GESAMT: Konsekutiv/ Gereiht 0,45 % 10,27% 0,45 % 5,36 % 0,45 % 3,57 % 0,45 % 2,68 % 8,48 % 24,11 % 0,89 % 3,57 %

45,09 %

5,80 %

100%

Diskont./ Kontin. 12,95% Negiert/ Affirmiert 8,04 % Interrog./ Nicht interrog. 6,25 % Unbel. SR/ Bei. SR 8,48 %

Stativa FP / Nicht-temporaleVerwendunq => transitionell (inchoativ) 0,89 % => vorphasisch (intentional, allure extraordinaire) 1 , 3 4 % 2,23 % GESAMT

Progressiva 0,45 %

Übrige

0,45 %

10,71 % 10,71 %

87,05 % 91,96% 93,75 % 91,52% GESAMT 1,34% 12,05% 13,39%

Registerspezifische Auswertung: FPI Gesprochen Stativ L-Stativ Interstativ

Ohne

Futurisch

2,99 % 4,48 %

Inzisivadv.

Intervalladv. Indet-Adv.

2,99 %

1,49%

Progressiv Ph-Progressiv Transition R-Progressiv Intergressiv

2,99 % 4,48 % 10,45 % 31,34%

5,97 % 1,49% 13,43%

GESAMT:

58,21 %

20,90 %

1,49%

Konditional/ GESAMT: Konsekutiv/ Gereiht 1,49% 8,96 % 4,48 %

1,49% 4,48 %

2,99 % 1,49%

8,96 % 11,94%

2,99 % 2,99 %

14,93 % 47,76 %

8,96 %

100 %

1,49%

7,46 %

4,48 %

194 FPI Literarisch Stativ L-Stativ Interstativ Progressiv Ph-Progressiv Transition R-Progressiv Intergressiv GESAMT: FPI Presse Stativ L-Stativ Interstativ Progressiv Ph-Progressiv Transition R-Progressiv Intergressiv GESAMT:

Ohne

4,14% 2,76 %

Futurisch

inzisivadv.

2,76 % 1,38% 0,69 %

2,07 %

Konditional/ GESAMT: Konsekutiv/ Gereiht 9,66 % 0,69 % 6,21 % 0,69 % 4,14%

0,69 %

3,45 % 2,07 %

4,14%

2,76 %

7,59 %

4,83 %

6,90 % 27,59 % 44,83 % 100%

Intervalladv. Indet.Adv.

0,69 % 1,38%

4,14% 6,21 % 16,55% 26,90 % 60,69 %

0,69 % 7,59 % 10,34% 23,45 %

0,69 % 0,69 %

16,67%

Konditional/ GESAMT: Konsekutiv/ Gereiht 25,00 %

8,33 % 8,33 % 8,33 %

25,00 % 16,67%

8,33 %

8,33 % 33,33 % 33,33 %

33,33 %

58,33 %

8,33 %

100%

Ohne

8,33

Futurisch

Inzisivadv.

Intervalladv. Indet.Adv.

7.4.2. Analyse der Auswertung In vielen Bereichen spiegelt auch dieses Ergebnis den Forschungskonsens. Die Vorliebe für die 1. Ps. Sg., die gegenüber dem fs stärker ausgeprägte agentive Komponente (Vorliebe für belebte Subjektreferenten) und die Bindung an grenzbezogene Prädikate (80,36 % gegenüber 70,49 % in der Gesamterhebung) sind erkennbar. Auch die relative Seltenheit des f p bei informationsgerichteten und nicht-rhetorischen Fragen, ebenso wie die gegenüber dem fs seltenere Verwendung in der Apodose von Konditionalsätzen finden sich bestätigt. Prototypische Stativa kommen zwar häufiger vor als im futurischen Präsens, insgesamt (mit Kontext) jedoch seltener als im fs. In nicht futurisch situierten Kontexten zeigt sich jedoch bezüglich des zuletzt genannten Sachverhalts ein anderes Bild. Stativa sind dort nämlich genauso häufig bzw. selten wie im fs. Bezieht man noch die L- und Ph-Stativa und die im fs ebenfalls problematischen Progressiva ein, findet man das f p sogar relativ häufiger (11,17 % gegenüber 8,48 %). Da die nicht futurisch prädeterminierten Vorkommnisse, im Gegensatz zum fs, den Löwenanteil der im Korpus zu findenden ^ - F o r m e n ausmachen, muß man bei den absoluten Zahlen von einer erheblich größeren Differenz ausgehen. Beim f p ist gerade der nicht prädeterminierte Bereich, in dem die Form eine futurische Leistung ohne Kontext erbringt, von besonderem Interesse, und er soll als erster untersucht werden. Das f p (58,48 %) ist gegenüber dem futurischen Präsens (40,08 %) und dem fs (29,88 %) mit einem stark erhöhten Prozentsatz vertreten. In 88,83 % der Fälle handelt es

195 sich um grenzbezogene Prädikate. Der Prozentsatz an unbegrenzten Prädikaten beträgt 11,17%, nur in 1,34 % der Fälle kommt es zu einer inchoativ-transitionellen Umdeutung (in absoluten Zahlen: drei mal). Dies liefert ein starkes Argument dafür, daß das f p mit Stativa und Progressiva sehr wohl zulässig und zu finden ist. Das f p stellt zudem die einzige Form des Systems dar, mit der eine temporal-futurische Verschiebung nicht-begrenzter Prädikate unter Erhalt der aktionalen Struktur möglich ist (eine vergleichbare Funktion bei diesen Prädikaten hat z.B. das fs immer nur in temporal bereits determinierten Kontexten). Auch die transitionellen Prädikate sind nur mit dem f p unzweideutig nachzeitig verortbar, wenn der Schwerpunkt nicht mehr auf der Vorphase liegt. Das auxiliarisierte aller ist in temporaler Funktion verläßlicher und unzweideutiger als das fs, das mit bestimmten Prädikaten nur mit einem entsprechenden Ko- und Kontext futurisch lesbar ist. Weiterhin bemerkenswert ist, daß es eine Tempusfiinktion vor allem mit den Klassen erbringt, bei denen das futurische Präsens restringiert ist. Das f p ist in selbständig futurischer Funktion im schriftsprachlichen Register 46 seltener zu finden als im gesprochenen (41,07 % gegenüber 58,21 %). Auch wenn man den außersprachlichen Kontext wiederum als Desambiguierungsfaktor berücksichtigt, ist die Differenz doch relativ hoch man vergleiche damit z.B. das pf bei dem sich eine umgekehrte Tendenz zeigt (41,67 % schriftsprachlich, 38,53 % sprechsprachlich). Man könnte die Registerdifferenz als Anzeichen dafür nehmen, daß die Theorie über die Ursache der Restriktion des französischen futurischen Präsens hier greift, d.h., daß ein rezentes Einrücken des f p in temporale Funktionsbereiche sie ausgelöst hat. Der registerspezifische Teil liefert dafür weitere Anhaltspunkte. Die diachron gegenüber den R-Progressiva und Intergressiva später eingerückten transitionellen Prädikate sind im gesprochenen Register häufiger als im geschriebenen, was ebenfalls eine Umkehrung der Verhältnisse gegenüber dem pf darstellt. Andererseits sind die diachron frühen R-Progressiva im schriftsprachlichen Bereich gegenüber dem gesprochenen nahezu um das doppelte und damit signifikant erhöht (28,03 % gegenüber 14,93 %). Gleichzeitig ist eine umgekehrt proportionale Verteilung auf Intervall- und Inzisivadverbialien feststellbar, was den sich abzeichnenden Trend bestätigt. Diese Differenzen sprechen dafür, daß fur die Restriktion des Präsens im futurischen Funktionsbereich die zunehmende Grammatikalisierung des f p verantwortlich ist: Es wurde und wird in seiner futurischen Funktion bei Transitionen und Stativa eingeschränkt, in denen das f p als einzige Form des Neufranzösischen eine unzweideutig futurische Funktion erfüllen kann. Der Unterschied zwischen schriftsprachlichem und gesprochenem Register deutet auf zwei unterschiedliche Systemzustände, von denen einer für eine weiter fortgeschrittene Grammatikalisierung des f p steht als der andere. Er ist nicht aus den unterschiedlichen Bedingungen der Textentstehung (Sprache der Nähe, Sprache der Distanz) erklärbar, denn er widerspricht dem, was zu erwarten wäre. Verwendungen, in denen E futurisch ist, der kommunikative Fokus jedoch auf der Vorphase liegt, finden sich erwartungsgemäß gehäuft mit grenzbezogen-agentiven Prädikaten: (312) Qu'est-ce qu'on va faire maintenant? dt. Was wollen/können wir denn jetzt tun? Intergressiv, agentiv, 1. Ps. PI.

46

Die erhöhte Zahl im literarischen Bereich geht nur auf einen der beiden Romane zurück (Les noces barbares). Der Autor faßt das f p offensichtlich als markiert sprechsprachliche Form auf und favorisiert es bei der Tempuswahl, vor allem in nicht präetabliert futurischen Kontexten.

196 (313) Qu'est-ce que tu veux, je vais pas remonter! dt. Was willst Du denn, ich hab' nicht vor, da noch mal hochzufahren! Intergressiv, agentiv, 1. Ps. Sg. (314) Alors, tu vas pas épouser Doudou? dt. Dann hast du also nicht vor, Doudou zu heiraten? Intergressiv, agentiv, 2. Ps. Sg. Die Aufforderung, sich willens zu zeigen, wirkt beinahe stärker als ein formaler Imperativ. Ein Fragekontext hingegen läßt den Wert als eher abtönend (im Sinne von ,vorsichtig gefragt') wirksam werden. Zu transitionell-ingressiver Lesart bei Stativa kam es nur in zwei Fällen, bei Progressiva in einem, also sehr viel seltener als im fs. So ist SCHROTTS These, das f p löse ingressive Werte bei Stativa häufiger aus als das fs, am konkreten Datenmaterial falsifiziert. Da zudem in den von ihr in anderen Kontexten zitierten Passagen sehr häufig stative Prädikate in aspektueller Umdeutung gerade mit dem fs zu finden sind, ist nicht nachvollziehbar, worauf genau sich diese ihre Annahme stützt.

8. Zusammenfassung

8.1. Rahmenmodell Zwei viergliedrige Semantikmodelle wurden herangezogen, um die Wechselbeziehung zwischen außersprachlicher Wirklichkeit, einem diese begreifenden (intelligenten) Subjekt einerseits und den sprachlichen Zeichen und ihrer Bedeutung andererseits zu beschreiben. Diese postulieren folgende vier Ebenen: Außersprachliche Wirklichkeit Bedeutung I (außersprachlich): Kognitives Lesen der Wirklichkeit Bedeutung II (innersprachlich): Sprachliche Bedeutung Materielle sprachliche Zeichen In einem weiteren Schritt wurden die Größen, die zur Beschreibung kategorialer Inhalte nötig schienen, in Anlehnung an REICHENBACH benannt, definiert und ihre Darstellung mit Buchstabensymbolen erläutert. Das REICHENBACHsche System mußte unter Rückgriff auf bereits bestehende erweiterte Modelle ergänzt werden: S (Sprecher): Impliziter Betrachterstandpunkt bei Entstehung einer Äußerung. E (Ereignis, Sachverhalt): Bildstruktur eines Ereignisses oder Sachverhalts; diese konstituiert sich über die Interaktion der beiden Bedeutungsebenen (s.o.). A (Beginn eines Ereignisses oder Sachverhalts). O (Ende eines Ereignisses oder Sachverhalts). r, r' usw. (Verschobene Betrachterstandpunkte): Vom natürlichen Betrachterstandpunkt differenzierte, fiktive Betrachterstandpunkte, die ein Sprecher einnehmen und kommunizieren kann. Sprachliche, explizite Bedeutungsebene. R (Archi-Betrachterstandpunkt): Betrachterstandpunkt, wenn irrelevant ist, ob es sich um S oder r, r' usw. handelt.

8.2. Kategoriale Inhalte 8.2.1. Aktionalität und Aspektualität Damit die Beziehung zwischen einem sprachlichen Inhalt und dessen formaler Realisierung, die das zugrundeliegende Semantikmodell voraussetzt, überhaupt nachvollzogen werden konnte, mußten die Kategorien über ihre Inhalte, also funktional definiert werden. In Auseinandersetzung mit der Forschungslage wurde deutlich, daß Aktionalität und Aspektualität als Funktionsbereiche eine getrennte Behandlung erfahren müssen. Aktionale Merkmale eines Ereignisses oder Sachverhalts E haben einen besonderen kategorialen Sta-

198 tus, da sie stärker als andere außersprachlich-konzeptuell determiniert sind. Aktionale Werte sind nicht als deiktisch-relationierend zu betrachten. Die natürliche Sprecherperspektive bei Entstehung einer Aussage wird von Sprecher und Angesprochenem implizit vorausgesetzt, so daß bei aspektueller, temporaler und modaler Nicht-Markiertheit eine Relation zwischen S und E inferiert werden kann. Diese implizite Aspektualität, bei der auf ein bestimmtes Verhältnis zwischen Betrachterstandpunkt und versprachlichtem Ereignis nur geschlossen, nicht aber explizit verwiesen wird, ist von derjenigen zu unterscheiden, bei der eine ausdruckseitige Markierung eine bestimmte Perspektivierungsanweisung signalisiert (s.u.). In Grammatikalisierungsprozessen (hier eher: Reanalyseprozessen) ist häufig zu beobachten, daß implizite Aspektualität, so sie nur systematisch genug inferiert werden kann, als explizit aufgefaßt und diachron als grammatischer Inhalt konventionalisiert wird. Da aktionale Merkmale als von der nicht-sprachlichen Ebene inferiert anzusehen sind, war zu klären, in welcher Weise sie für sprachliche Systeme und damit für linguistische Beschreibungsmodelle relevant sind. Zum Zeitpunkt des Spracherwerbs verfügt ein Kind sowohl über einen Raumbegriff, als auch über den Begriff von sequentiell-zeitlicher Abfolge. Dieser leitet sich aus dem räumlichen Auftauchen/Verschwinden und der Beweglichkeit räumlich abgegrenzter Gegenstände im Gesichtsfeld ab. Das Konzept einer zeitlichen Abfolge ist damit für menschliche Wesen von Anfang an eng verknüpft mit den Begriffen von Bewegung, Veränderung und Begrenztheit im räumlichen Sinn. Die Wahrnehmung und Konzeptualisierung gegebener Beziehungen führt zur Ableitung des Konzepts Zeit (Sequentialität). Ein eigenständiges kognitives Inbeziehungsetzen räumlicher Größen setzt später ein. Aktionale Merkmale sprachlicher Zeichen spiegeln bis zu einem gewissen Grad vor allem die kognitive Verarbeitung gegebener Beziehungen. Die Komponenten Stillstand, Dynamik und Begrenzung werden auf das Phänomen der ,Dauer' bzw. ,Lagerung in der Zeit' abgebildet, wenn Ereignisse und Sachverhalte geäußert und verstanden werden. Auf der Suche nach einem einzelsprachlichen Korrelat aktionaler Bedeutungsmuster konnten Äußerungen im französischen Präsens als Kandidaten ausfindig gemacht werden. Denn das Präsens als morphologische (Nicht-)Markierung hat im Französischen weder aspektuellen noch temporalen Eigenwert und ist somit für aktionale Semantik durchlässig. Aktionalität wurde definiert als semantische Eigenschaft von Sätzen (ohne Zirkumstanten), die indiziert, ob der versprachlichte Sachverhalt E [- dynamisch] oder [+ dynamisch], [- begrenzt] oder [+ begrenzt] und wenn ja, in welcher Weise er begrenzt ist. Anhand dieser Merkmale war das aktionale Klassensystem des Französischen zu erstellen. Die weniger markierten statischen Prädikate wurden, immer vor dem Hintergrund einer direkten formalen Relevanz dieser Klassifikation, unterteilt in drei Subtypen (Stativ, L-Stativ, Interstativ), die markierteren dynamischen in fünf (Progressiv, Ph-Progressiv, Transition, R-Progressiv, Intergressiv). Mit der Zunahme inhaltlicher Markiertheit korrelierte einzelsprachlich regelhaft auch ein Mehr an ausdruckseitiger Markierung. Explizite Aspektualität, als primär sprachliche Funktion, signalisiert, im Gegensatz zum aktionalen Implikat, in welcher Perspektive der Sprecher (vom natürlichen oder einem fiktiven Standpunkt aus) ein Ereignis oder einen Sachverhalt zu kommunizieren wünscht, und verfügt damit über deiktisches Potential. Aspektualität insgesamt wurde definiert als semantische Eigenschaft von Äußerungen, die indiziert, ob ein Betrachterstandpunkt (R) außerhalb des versprachlichten Ereignisses (perfektive Aspektualität, Außenperspektive) oder innerhalb des versprachlichten Ereignisses E (imperfektive Aspektualität, Innenperspektive) anzunehmen ist. Der pragmatische Kontext, in dem eine Äußerung entsteht, ist aspektu-

199 ell insofern relevant, als die Wahrnehmbarkeit, d.h. die räumliche Anwesenheit oder Abwesenheit des Referenten (auch der referentialisierten Personen), aktionale Semantik aspektuell je unterschiedlich erscheinen läßt. Im temporal nicht dislozierten Bereich zeigt sich implizit imperfektive gegenüber perfektiver Aspektualität als markiert. Iterativität wurde definiert als aspektuelle Eigenschaft von Prädikaten, bei der perfektive und imperfektive Perspektive gleichberechtigt nebeneinander stehen. Sie ist als funktionales Feld zu verstehen, auf dem perfektive Grundaspektualität fur Imperfektivität und imperfektive Grundaspektualität für Perfektivität durchlässig gehalten werden kann. 8.2.2. Temporalität Wie aktionale Strukturen eine Perspektive und damit eine aspektuelle Färbung implizieren, so können auch aspektuelle Werte einen versprachlichten Sachverhalt als implizit aus dem referentiellen Bezugsrahmen der Sprechsituation ausgelagert erscheinen lassen. Er wird dann als temporal verschoben reanalysiert (Projektion auf die sequentielle Achse). Diese implizite Temporalität entsteht auf der Basis impliziter oder expliziter perfektiver Aspektualität, die R und E (oder aktionale Teilkomponenten von E) differenziert erscheinen läßt. Vor allem bei aktionalen Klassen, die das Merkmal [+ dynamisch] aufweisen, wird dieser Abstand sekundär als temporal dekodiert. Auch implizite Temporalität kann, so sie regelhaft inferiert wird, als explizite Temporalität reanalysiert werden. Sequentielle Lesart wird dann nicht mehr nur abgeleitet, sondern als Signal, als Merkmal der Form aufgefaßt. In der Grammatikalisierungsforschung betrachtet und bezeichnet man diese Abbildung einer Inferenz auf das Bedeutungsspektrum eines sprachlichen Zeichens als Konventionalisierung einer Implikatur (conventionalization of implicaturë). Ein Beispiel für diesen Mechanismus stellt die Reanalyse der russischen Verbalpräfixe dar: ehemals aktionale Präfixe wurden zu perfektiven Aspektmarkierungen und fungieren synchron als Futurmarkierung bestimmter Verbklassen. Explizite Temporalität liegt vor, wenn ein von S differenter Betrachterstandpunkt als temporal verschoben in der Bedeutungsstruktur einer Aussage erscheint. Perfektive Temporalität ist gegenüber imperfektiver Temporalität unmarkiert, da sie aus implizit und explizit perfektiven, nicht temporal markierten Zeichen inferiert werden kann. Eine Außensicht auf ein Ereignis von S aus ist der Ursprung sequentieller und temporaler Lesarten, die unmarkierte Basis temporaler Deixis. Imperfektivität auf einer temporal differenten Zeitstufe hingegen kann als komplexer Inhalt (fiktive Verortung des Betrachterstandpunkts, fiktive Innenperspektive) nur mit höherem Aufwand signalisiert werden. Dem temporalen Bereich Futurität wird in der Forschung ein modaler Sonderstatus im Sinne einer Grundierung zugesprochen, er wird deshalb anders betrachtet als andere temporale Bereiche. Es sollte deutlich geworden sein, daß dies nicht nötig ist. Futurische Temporalität wurde deshalb auf der Basis der allgemeinen Definition von Temporalität gefaßt.

8.2.3. Modalität Im einleitenden Abschnitt zum kategorialen Inhalt Modalität wurde der mittelbare Zusammenhang zwischen Aussage und Ausgesagtem als nicht dem modalen Funktionsbereich

200 zugehörig definiert. Die explizite sprachliche Leistung funktional modaler Elemente besteht in der Signalisierung zweier diskreter Ereignisräume (E/Nicht-E), wobei die dabei entstehende Achse nicht, wie im Fall temporaler Deixis, als ein sequentiell-horizontales VorherNachher, sondern vertikal vorstellbar ist. Nicht-E ist so zu E gelagert, daß es dieses paradigmatisch ersetzen könnte. Auch an dieser Achse können, wie auf der temporal-sequentiellen, verschobene Betrachterstandpunkte sprachlich vermittelt werden. Insoweit aspektuelle und temporale Funktoren Ereignisräume gegeneinander abgrenzen und wechselnde Perspektiven auf diese vermitteln, baut sich bei Wegfall der Möglichkeit einer Projektion auf die Achse der Sequenzen (Temporalität) modale Semantik auf. Die Projektion auf die modale Achse ist z.B. immer dann favorisiert, wenn ein versprachlichter Sachverhalt als perfektiv, von außen betrachtbar vermittelt erscheint und nicht mit Dynamik in Verbindung gebracht werden kann. In dieser mittelbaren Form durchzieht der außersprachlich-kognitive Grundkonnex Bewegung/Veränderung = ,Zeitlichkeit' den funktionalen Aufbau aller kategorialen Inhalte.

8.3. Kategoriale Werte der futurisch fungierenden Zeichen des Französischen 8.3.1. Présent futur al Das formale Präsens hat im Französischen futurische Teilfunktion. Auf der Basis übereinzelsprachlicher Gegebenheiten wurde der Nachweis geführt, daß das französische Präsens nicht Träger eines expliziten imperfektiven Aspekts ist. Der aktionale Typ des Prädikats dominiert Bedeutung und Funktion in Basissätzen. Es kann, wie im Deutschen, aufgrund aktionaler Wertigkeit zu implizit imperfektiven und implizit perfektiven Lesarten in nicht anderweitig temporal determinierten Kontexten kommen. Implizit perfektive Lesart wiederum kann als implizit futurisch dekodiert werden, da die Differenz zwischen Betrachterstandpunkt und Ereignis als sequentiell und damit temporal reanalysierbar ist. Im nicht anderweitig futurisch markierten Bereich läßt sich speziell für das Französische folgendes Bild zeichnen: Aktional grenzbezogene Ereignisse können im morphologischen Präsens generell implizit futurisch fungieren. Rechtsbegrenzte und intergressive Prädikate sind ambivalent (präsentische Vorphase/ftiturische Rechtsgrenze: O als Transition), linksbegrenzte ebenfalls, wobei jedoch die Linksgrenze eher als vorzeitig reanalysiert wird (vorzeitige Linksgrenze A als Transition). Transitionelle Prädikate insgesamt werden nicht, wie im Deutschen, primär futurisch gelesen, sondern eher als vorzeitig (abgeschlossen). Imperfektivität und damit eine implizite Gleichsetzung von Sprechakt- und Ereignisraum ist mit dieser Klasse an sich nicht zu signalisieren. Stativa wiederum können, wie im Deutschen, nicht perfektiv und damit auch nicht implizit futurisch fungieren. Als erster Unterschied zum Deutschen zeigte sich also, daß transitionelle Prädikate für eine implizit futurische Funktion im Präsens nicht zur Verfügung stehen, während Stativa in beiden Sprachen nicht für eine derartige temporale Reanalyse geeignet sind. Im durch Kontexte als temporal futurisch determinierten Bereich weist das französische futurische Präsens in größerem Umfang Unterschiede zum Deutschen auf, denn es kann nicht in alle Kontexte als futurisch eingesetzt werden. Die Restriktion läßt sich so beschreiben, daß ein Präsens als futurisch dann akzeptabel ist, wenn der außersprachliche oder

201 unmittelbare sprachliche Kontext die Vorstellung eines semantischen Vorlaufs ermöglicht. Ein als futurisch akzeptables Prädikat im Präsens muß als logische Folge aus einem anderen Sachverhalt ableitbar sein. Damit sind Progressiva, Transitionen und Stativa ausgeschlossen, wenn ihnen nicht ein Kontext (eine Zusatzmarkierung) angefügt wird, der sie sekundär als R-Progressiv, Intergressiv oder grenzbezogenes Stativ lesbar macht (das Bild um einen semantischen Vorlauf auffüllt, ergänzt). Die Datenauswertung ließ eine mögliche Ursache für diese Restriktion erkennen. Im konservativeren schriftsprachlichen Register waren die Klasse der Transitionen und der Stativa als prädeterminiert futurisch häufiger als im gesprochenen Korpus zu finden. Stativa und Transitionen haben kein präsuppositionelles Intervall im Sinne einer semantischen Vorphase und auch keine interne Phase angelegt. Auf der Basis dieser und einiger anderer statistischer Beobachtungen wurde die These formuliert, das Präsens habe auf einer früheren Stufe des Systems futurische Funktionen im Umfang des deutschen Präsens gehabt. Synchron jedoch sind Einbrüche im Bereich prädeterminierter Futurität vor allem bei transitionellen und Stativen Prädikaten zu verzeichnen. Es scheint, als ob diese mit einer anderen Form unzweideutig futurisch verschoben werden können, und das Präsens hierfür nicht mehr benötigt wird. Die Konzentration des futurischen Präsens auf Prädikate, die phasische Semantik als Merkmal oder als frame (Intervall der Präsupposition) aufwiesen, führte dann dazu, daß ein semantischer Vorlauf, eine Vorphase mit einem futurischen Präsens häufiger einhergingen. Diese Kookurrenz wurde dann als Bedingung des futurischen Präsens reanalysiert, als sprachliches Merkmal konventionalisiert. Vor allem Transitionen, Stativa und (in schwächerer Ausprägung) auch Progressiva erfüllen dieses Kriterium nicht und können synchron futurisch nur verwendet werden, wenn eine semantisch fullbare Vorlaufphase aus dem Kontext inferierbar oder explizit sprachlich signalisiert ist. So erklärt sich der Umstand, daß nahezu alle in der Forschung als nicht akzeptabel zitierten Beispielsätze sich aus den Klassen der Transitionen, Stativa und Progressiva rekrutieren.

8.3.2. Futur simple Das aus einer ,haben + Infinitiv'-Periphrase entstandene f s weist diachron den übereinzelsprachlich typischen funktionalen Werdegang derartiger Fügungen auf. Präsentisch markierte Verbalperiphrasen erweitern das Merkmalinventar eines Prädikats und multiplizieren referentialisierbare Ereignisräume. Sie sind in lexikalischer Verwendung präsentisch (Dominanz der Präsensendung des finiten Verbs). Dabei ist die aktionale Semantik der Gesamtstruktur zwar gegeben, der primäre Informationsgehalt jedoch besteht in dem, wofür das finite Verb steht. In semigrammatischer Verwendung tritt dann die aktionale und implizit aspektuelle Wertigkeit der Gesamtkonstruktion in den Vordergrund (Dominanz der aktionalen Informationen aller Elemente, Selektionsbeschränkungen). Auf dem Weg zu temporaler Verwendung werden implizit aspektuelle Inhalte zunehmend als explizit aspektuell gefaßt, und in einem weiteren Schritt wird diese Aspektualität als temporale Markiertheit reanalysiert (Integration des aktional-aspektuellen Bildes, Aufgabe von Selektionsbeschränkungen). Die Übergänge sind fließend, synchron können verschiedene funktionale Stufen parallel auftreten. Auch in stark grammatikalisierten Formen ist mit aus der Quellkonstruktion tradierter Restsemantik zu rechnen, dies vor allem dort, wo sie auch ausdruckseitig noch bis zu einem gewissen Grad erkennbar ist.

202 Das fs, im Ursprung eine Periphrase mit ftiturisch-obligationeller Bedeutung, hat sich erst vom Alt- zum Mittelfranzösischen auf Prädikate mit être als Vollverb und Kopula ausgedehnt. Zu dieser Zeit war eine temporale Funktion nur implizit über die Restriktion auf Perfektivität (grenzbezogene Klassen) etabliert. Es war zu zeigen, daß eine temporale Funktion mit den diachron späten unbegrenzten und vor allem den unbegrenzt/nicht-dynamischen Prädikaten nicht gewährleistet war und ist. Dies ist übereinzelsprachlich bei ehemals obligationeilen Äa0e«-Konstruktionen regelhaft zu beobachten. //aèe«-Periphrasen stellen (gegenüber solchen mit einem Modalverb der Bedeutung müssen z.B.) insofern einen Sonderfall dar, als bei ihnen bereits die obligationelle Bedeutung erklärungsbedürftig ist. Es wurde ein Erklärungsmodell angeboten, demzufolge die obligationeile Lesart als eine Subfünktion der perfektiv-futurischen Wertigkeit zu sehen ist und nicht etwa als notwendige Zwischenstufe zu futurischer Funktion. Die Frage, ob das futur simple aus einer primären Unterordnungsfiinktion (worauf die syntaktische Anordnung der Elemente schließen läßt) oder aus einer obligationellen Periphrase grammatikalisiert wurde, kann damit als für das Verständnis der futurischen und weiterer Funktionen unwesentlich erachtet werden. Das futurische Element war in Form eines perfektiven Aspekts sowohl in Obligations- als auch in Nebensatzverwendung gegeben. In bestimmten Nebensätzen war es gegenüber der obligationeilen Note exponiert, und so boten diese sich als Grammatikalisierungsumgebung für einen stabilen perfektiv-futurischen Wert an. Die Ausdehnung auf nicht-begrenzte Prädikatklassen erfolgte ab dem 11. Jahrhundert und führte zu einer nicht-futurischen Analyse des perfektiven Aspekts, Stativa wurden und werden ohne Zusatzmarkierung transitionell oder modal reanalysiert. Das diachrone Herkommen der heutigen Form aus einem prospektivierenden Infinitiv in Objektfunktion und einem Verb, das eine Inklusionsbeziehung zwischen diesem und dem Subjekt indiziert, ist in Form perfektivierender Restsemantik synchron erhalten. HabenKonstruktionen weisen immer das Objekt (oder eine infinite Verbform in der diachron älteren Objektposition) als Hauptinformationsträger aus, sie verstärken also das Informationsgefalle im Satz. Zudem kommunizieren sie das Element in Objektposition als maximal définit, der Bereich des Subjektreferenten wird im Gegenzug semantisch ausgeblendet, was die referentielle Festlegung des Zeichens in Subjektposition blockiert. Vor allem dieses Gefalle signalisiert das f s synchron noch: sowohl die Information des ehemaligen Infinitivs als auch die aktionale Struktur des Prädikats werden besonders fokussiert, und zwar unter unverändert perfektiver Perspektive. Diese Grundfunktion ist die Basis für alle unterschiedlichen Lesart-Möglichkeiten. Futurische Funktion ist nach wie vor gebunden an dynamische Prädikate (Projektionsmöglichkeit auf die sequentiell-temporale Achse). Grenzziehende, perfektivierende Semantik kann die Markierung selbst signalisieren (Kennzeichnung des Prädikats als définit durch Restsemantik von haben), Projektion auf die temporal-sequentielle Achse jedoch nicht. Je weniger grenzbezogen und je weniger dynamisch ein Prädikat ist, desto weniger ist folglich eine Projektion auf die temporale Achse möglich. Die von der Markierung signalisierte Differenzierung S | E wird dann anders interpretierbar, bei Progressiva in der Regel als iterierend (habituell, gnomisch o.ä.), bei Stativa meist transitionell, seltener epistemisch-modal (S im Bereich Nicht-E | E als begrenzter, davon gelöster Bereich). Die epistemisch-modalen Werte sind keiner Tempusmetapher zu verdanken, sondern der Tatsache, daß eine eindeutige futurische Funktion von jeher an bestimmte Prädikatklassen gebunden war. Modale Lesarten nehmen also keinen Umweg über einen vermeintlich primären temporalen Grundwert, sondern sind mit be-

203 stimmten aktionalen Klassen (Stativa) unter der perfektiven Perspektive, die die Form in erster Linie signalisiert, primär. Eine Verstärkung durch temporal futurisch verschiebende Kontexte eröffnet dem f s auch mit den Prädikaten, mit denen es selbst keinen temporalen Wert liefert, futurische Funktionsmöglichkeit. Die Auswertungsergebnisse zeigten, daß dieses Bild der Funktionen des fs weitgehend richtig gezeichnet war. Unbegrenzte, nicht-dynamische Prädikate finden sich zwar relativ häufig, jedoch nicht ohne determinierenden Kontext in futurischer Funktion. Fehlt dieser, werden sie aspektuell perfektiv und damit transitionell-fiiturisch gelesen. Modale Lesart ist ebenso möglich, gegenüber der Interpretation als transitionell jedoch statistisch selten. 8.3.3. Futur périphrastique Das f p geht auf eine allative Quellkonstruktion des Typs .Ausgangspunkt -» lokale Fortbewegung -> Ziel(ort)' zurück, die funktional dem deutschen ,gehen, um zu + Infinitiv' vergleichbar ist. Synchron ist die Periphrase in allen Ausprägungen ihrer diachronen Funktionsstufen erhalten. Bereits in lexikalischer Verwendung hatte und hat das finite Verb mit seiner progredierenden Dynamik prospektivierende Wirkung bezogen auf ein infinitiv realisiertes E, das wiederum final und damit futurisch erscheint. Anfangs war die Form auf agentive Subjekte beschränkt. Bei Abschwächung dieser Restriktion fanden auch Prädikate Zugang, die kein agentives Subjekt aufwiesen; dennoch handelte es sich weiterhin vor allem um R-Progressiva und Intergressiva, so daß die Fügung vorerst aktional-aspektuell relativ stabil blieb. Lediglich die agentive Dynamik des zunehmend semiauxiliar verwendeten aller hatte sich verloren. Die üblichen Stufen der kommunikativen Schwerpunktverlagerung entlang der semantischen Anlaufstellen der Gesamtkonstruktion, die an die aktionale Markierung des infiniten Prädikats gebunden ist, finden sich auch hier. Von einer präsentischen, bereits bei lexikalischer Konkretverwendung gegebenen Intentionssignalisierung, die dem konkreten Gehen vorgeordnet ist, verschiebt sich der Fokus auf das Gehen bzw. das dynamische Element. Mit Ausdehnung auf alle Prädikate verlagert sich der Informationsschwerpunkt zunehmend auf das futurisch zu verortende Prädikat im Infinitiv. Primär diente die sich grammatikalisierende Periphrase wohl dazu, den Klassen, die im Präsens aspektuell zweideutig waren, einen vorphasischen Ereignisraum verstärkend voranzustellen. Zum Neufranzösischen hin fanden transitionelle und nicht-agentive Prädikate Zugang. Ob Stativa mit dem f p kombinierbar sind, darüber bestand in der Forschung Dissens. SCHROTTS Untersuchung (1997) wies jedoch Stativa im f p und in eindeutig futurischer Funktion nach, und so ist von einer synchronen Generalisierung der Form auf alle Prädikatklassen auszugehen. Häufig findet sich in Veröffentlichungen der Hinweis darauf, daß bei Stativa eine aspektuelle Umdeutung in Richtung Transition erfolge. Auch dies war an SCHROTTS Belegbeispielen nicht zu erkennen, obwohl sie selbst für das Verb savoir eine Neigung zur Deutung als transitionell im f p annimmt. Es galt zu überprüfen, ob die spezifische Semantik der Periphrase ebenso auf ein syntakto-semantisches Grundmuster zurückzuführen ist, wie dies fur Aaèe«-Konstruktionen gezeigt werden konnte. Es stellte sich eine Gemeinsamkeit heraus: Beide Fügungen basieren auf einer je unterschiedlichen lokalistischen Bildstruktur, die die syntaktischen Elemente in einer bestimmten hierarchischen Relation vorführt. Die Relation zwischen Sub-

204 jekt- und Objektposition wird durch haben in der Weise organisiert, daß das zweite Element mit seiner semantischen Ausdehnung dem ersten untergeordnet, der Objektreferent also innerhalb des Subjektreferenten verortet kommuniziert wird. Auf diese Relation geht z.B. auch der perfektive Basiswert des f s zurück. Beim f p ist die Verortungsrelation durchsichtiger: Der Subjektreferent wird fiktiv in einen referentiellen Zielort projiziert, der im Fall der grammatikalisierten Periphrase ein Ereignisraum ist. Wenn die Vorstellug der Verortung des Subjektreferenten an diesem Ereignisort dominiert (und das ist bei futurischer Funktion der Periphrase der Fall), dann sind die Ereignisgrenzen defokussiert, irrelevant. Die syntaktischen Muster mit haben und die mit zielgerichtetem gehen bilden eine Opposition, bei der jeweils eine andere Relation zwischen Subjektreferent und dem Referenten der obligatorischen Ergänzung etabliert wird. Diese Relation ist auch der Dreh- und Angelpunkt für die im Französischen erkennbaren grammatischen Funktionen: S - habenrimt-0

S-geAe/i finir Erg.(Zielort)/E

SR

ErgR/E (SR)

SR: Bereich des Subjektreferenten OR/E: Bereich des Objektreferenten/der Ergänzung Ereignisraum des infiniten Prädikats (in Periphrasen) SR': Bereich des fiktiv verorteten Subjektreferenten Aspektoppositionen lassen sich als Figur-Grund-Strukturen vor- und darstellen (vgl. BROSCHART, 1993: 17), was den obigen Schemata entspräche. Mit dem linken Schema kann perfektive Aspektualität dargestellt werden, bei der ein Ereignis unter der Außenperspektive konturiert erscheint, mit dem rechten (dem der allativen Konstruktion) temporale futurische Imperfektivität, bei der ein fiktiver Betrachter als Teil eines temporal verschobenen Ereignisraumes erscheint (Innenperspektive). 1 Auch vor diesem Hintergrund zeigt sich das fs primär als eine Markierung, die perfektive Außenperspektive auf ein Ereignis, einen Sachverhalt signalisiert. Ob diese perfektive Lösung von Betrachterstandpunkt und Ereignis temporal, iterativ (habituell, gnomisch) oder modal reanalysiert wird, hängt von der Prädikatklasse und dem weiteren Kontext ab. Das f p bietet sich aufgrund der syntaktischen Hierarchie, die es etabliert, als imperfektivfuturisches Tempus an, ist jedoch nicht durchgängig grammatikalisiert, d.h. in diese Funktion erst teilweise eingerückt. In lexikalischer Vollbedeutung und in semigrammatisch prospektiver Verwendung bleibt der Betrachterstandpunkt mit S identisch. Von dort aus erscheint das gesamte Ereignis {gehen + E) implizit perfektiv von außen kommuniziert, da in dieser Funktion nur grenzbezogene Prädikate selegiert werden (und damit der Referenzraum ein begrenztes Gesamtintervall ist). Die Fügung ist in diesem Fall imperfektiv präsentisch bezüglich S in I p . Die auf einer schon fortgeschrittenen Stufe der Grammatizität feststellbare inchoative Funktion (die in meinem Korpus kaum belegbar war) ist auf einen 1

Zum Zusammenhang Wortstellung/Aspektualität vgl. ALEXIADOU, 1996: 43.

205 sich langsam aus dem Betrachtfeld von S verlagernden Fokus zurückzuführen: Liegt bei der lexikalischen und protogrammatischen Verwendung der Schwerpunkt auf I p oder \auer, so verschiebt er sich jetzt auf A von E. Kommuniziert wird in diesem Fall vor allem S | A, was in erster Linie als perfektiv aspektuell und nur implizit futurisch dekodiert wird. Auf dieser funktionalen Stufe scheint das f p mit einigen Prädikatklassen dem fs ähnlich. Erst eine weitere Schwerpunktverlagerung, für die sich die Form von jeher anbietet, fuhrt zur Fokussierung des fiktiven Betrachterstandpunkts im verschobenen Ereignisintervall. Bei nichtbegrenzten Prädikaten ist diese Lesart favorisiert, weil sie keine Intervallgrenzen angelegt haben, die fokussiert werden könnten. Der Zugang der Form zu diesen Prädikaten hat beim f p unzweideutige Tempusfunktion vermutlich erst ermöglicht: Funktionale Anlaufstellen Lexikalisch/semilexikalisch Semigrammatisch Prospektiv-inchoativ Futurisch (imperfektiv temporal) Auch SCHROTT hat Verwendungskontexte ausgemacht, in denen sich der Diskurswert des f p nicht über das Merkmal der ,aktuellen conditio' verstehen läßt. Die Ausdehnung auf Transitionen hat sicher das Aufkommen inchoativer Lesart gefördert (A=T), die Ausdehnung auf Stativa und Progressiva akzentuierte die futurische Komponente, da in beiden Kontexten die Information des Elements, das für aktuelle Konditioniertheit stand und steht (aller und seine Vorphase), defavorisiert ist. Wie die Auswertung zeigte, ist von einer synchronen Generalisierung des f p auf alle Prädikatklassen auszugehen, wenn auch von einer relativ rezenten. Stativa sind insgesamt seltener als im fs, fungieren aber auch ohne futurischen Kontext und unter Erhalt ihrer statischen, unbegrenzten Aktionalität futurisch. Für Stativa und Progressiva stellt das f p selbst die imperfektiv-temporale Funktionsmöglichkeit her, die das fs ihnen ohne Zusatzmarkierung nicht bietet. Gerade die statistische Verschiebung im Bereich der spät zugelassenen Stativa und Transitionen läßt annehmen, daß es sich beim f p um die Form handelt, die in den fiiturischen Funktionsbereich des Präsens vorgedrungen ist und dort zu einer Restriktion gefuhrt hat. Die transitionellen und Stativen Prädikate weisen eine Verschiebung vom schrift- zum sprechsprachlichen Register hin auf, die der im futurischen Präsens komplementär (umgekehrt proportional) ist.

9. Ergebnis und Ausblick

9.1. Funktionale Komplementarität Als einzelsprachliches Ergebnis läßt sich festhalten, daß durch das noch nicht besonders weit gediehene Einrücken des f p in eine explizit futurische und imperfektive Funktion das französische System futurischen Ausdrucks sich zwar in einer Umbruchsituation befindet, die Funktionsbereiche jedoch, sobald man sie im Zusammenhang mit unterschiedlichen Prädikatklassen und als funktional gestuft betrachtet, durchaus komplementär verteilt sind. Es spricht vieles dafür, daß das Präsens auf einer diachron früheren Funktionsstufe (wie im Deutschen) implizit futurische Funktion bei grenzbezogenen Prädikaten und explizit futurische Funktion mit allen Prädikatklassen in einem futurisch markierten Kontext erfüllen konnte. Das f s rückte funktional in den futurischen Funktionsbereich ein, insoweit es im Präsens aspektuell zweideutige Prädikate perfektivierte, und sie damit implizit auch temporal futurisch verschob. Es desambiguierte im Ursprung R-Progressiva und Intergressiva aspektuell. Mit Progressiva und dem diachronen Spätzugang der Stativa war es weiterhin perfektivierend, jedoch nicht futurisch. Synchron kann es mit diesen Klassen futurisch fungieren, wenn durch ein Adverb oder einen entsprechenden Kontext bereits Futurität signalisiert wurde. Ohne einen solchen Kontext wird die perfektive Außenperspektive anders dekodiert (habituell-gnomisch, transitionell, modal etc.). Da das fs, sobald es um einen entsprechenden Kontext ergänzt ist, mit allen Prädikatklassen futurisch fungierte, und kein imperfektives Futur kontrastiv zur Verfügung stand, war es für einen langen Zeitraum der französischen Sprachgeschichte tatsächlich zumindest ein Futuräquivalent. Eine Doppelung der perfektiven Semantik lag und liegt im futur antérieur vor. Eine im passé composé wurzelnde Resultativkomponente (Stativität) verbindet sich mit einer vertikal von S aus betrachtbaren Verlagerung eines abgegrenzten Ereignisraumes. Damit wird ein gewisser Evidenzstatus von einem ausgelagerten Betrachterstandpunkt S vermittelt - was als epistemisch-modaler Wert analysiert werden kann. Beim f p handelte es sich aus diachroner Perspektive um eine Form, die im präsentischaspektuellen Bereich Desambiguierung leistete. Sie vermittelte bei aspektuell mehrdeutigen Prädikaten, daß der kommunikative Schwerpunkt auf der Vorphase des infinit versprachlichten Ereignisses liegt, was pragmatisch der Signalisierung einer present relevance dient. Diese Funktion verliert sich, wenn die Form mit aspektuell stärker oder ganz festgelegten Prädikaten zum Einsatz kommt (Transitionen, Progressiva und Stativa). Synchron hat sich in einigen Verwendungen der Periphrase der Fokus von der Vorphase auf das infinite Ereignis verschoben. Im Fall des f p ist damit automatisch auch die Vermittlung eines verschobenen Betrachterstandpunkts möglich, was in der syntaktischen Quellsemantik wurzelt. Es zeichnet sich demnach für das Französische die Möglichkeit einer aspektuellen Opposition im futurischen Bereich ab. In dem Maße, in dem das f p Stativa und Progressiva unter Erhalt der aktionalen Semantik als futurisch verschoben vermitteln kann, wird das f s möglicherweise bei diesen Klassen, die es ohne verstärkenden Kontext nicht temporal verschoben kommunizieren konnte und kann, funktional entlastet.

208 Wenn man davon ausgeht, daß die Kombination mit transitionellen und Stativen Prädikaten die Voraussetzung dafür war, daß das f p in den temporal-futurischen Funktionsbereich einrücken konnte, bietet sich eine Erklärung dafür, warum das futurische Präsens im Französischen gerade mit Transitionen und Stativa restringiert ist: Seit das f p diesen Prädikaten eine futurische Funktionsmöglichkeit unter Erhalt ihrer aktionalen Semantik eröffnete, wurde das Präsens mit diesen seltener herangezogen, um Futurität zu versprachlichen. Weiterhin verwendet wurde es mit begrenzten Stativa, R-Progressiva und Intergressiva, die alle dadurch gekennzeichnet sind, daß das Bild eines semantischen Vorlaufs aktional angelegt ist oder mitschwingt. Infolgedessen wurde diese Struktur zunehmend als Bedingung für ein Präsens in futurischer Funktion aufgefaßt bzw. konventionalisiert. Ein weiteres Argument für diese Funktionsverteilung bietet folgende Überlegung: In dem Maß, in dem das f p zu einem imperfektiven Futur wird, verliert sich die mit ihm diachron früh signalisierbare present relevance, oder wie SCHROTT dies formuliert haben würde, die Bedingung einer .aktuellen Konditioniertheit' des versprachlichten Ereignisses. Dieser Umstand kann eine Reanalyse des futurischen Präsens gefordert haben. Insoweit nämlich vorphasische Verankerung als Merkmal (Markiertheit) des futurischen Präsens verstanden wurde, war es in der Lage, den funktionalen Ausfall im Bereich futurisch zwar verschobener, aber mit erhöhter Relevanz für den Sprecher vermittelter Sachverhalte (in leicht veränderter Form) aufzufangen. Die Möglichkeit, die eine Form den Sprechern bietet, bestimmte Diskurswerte zu erzielen, läßt sich sprachimmanent als ein Zusammenwirken aktionaler, aspektueller, temporaler und eventuell auch modaler Merkmale, die hierarchisch aufeinander aufbauen, darstellen und verstehen. Bei Veränderung eines Parameters ändert sich sowohl das funktionale Spektrum als auch der Charakter der Nutzwerte. Die Werte, die SCHROTT (1997) als Basiswerte formuliert hat, stellen sich in diesem Zusammenhang als Koppelung und Zusammenspiel grundlegender Merkmale dar, wie Sie besonders häufig, aber eben nicht immer in gleicher Weise vorliegen. Es galt zu zeigen, daß subsumierende Grundwerte keine unhintergehbaren Größen darstellen, sondern daß funktionale Zusammenhänge als kompositionelle Feinmechanik differenzierter erfaßt und auch vermeintliche Abweichungen besser verstanden werden können. Vor allem aktionale und aspektuelle Markierungen dürfen nicht als Diskursmanifestationen betrachtet werden. Es handelt sich um deskriptiv hochpotente Basiskomponenten, die als Grundierung den Aufbau grammatischer Markierung im inhaltlichen und formalen Bereich entscheidend prägen, vielleicht sogar steuern. 9.2. Übereinzelsprachlicher Ausblick 9.2.1.Tempussystematik und aspektuelle Markiertheit Aus den im Französischen erkennbaren Entwicklungen lassen sich zwei Hypothesen formulieren. Eine wirkt bezogen auf die Strukturiertheit sprachlicher Systeme optimistisch, die andere auf den ersten Blick pessimistisch. Man könnte einerseits das gezeichnete Standbild unter Berücksichtigung der erkennbaren diachronen Verschiebungen zum Anlaß nehmen, um den Aufbau einer Aspektopposition im Bereich der Futurität vorauszusagen, sobald das f p seine funktionalen Kinderschuhe (lexikalische Interpretationsmöglichkeit, vorphasische Wertigkeiten) abgestreift hat. Damit

209 würde das französische Tempussystem ein paralleles Konstruktionsprinzip im Bereich vergangenen und zukünftigen Zeitstufenbezugs aufweisen. Aus einer anderen Perspektive könnte man argumentieren, daß derartige Voraussagen im Bereich der Grammatikalisierung nicht zulässig sind, denn selbst wenn eine Konstruktion einen Teilausbau in eine bestimmte funktionale Richtung erfahren hat (wie das f p in die temporaldeiktische), muß sie nicht zwangsläufig weiter ausgebaut werden. Jahrhundertelang scheinen die Sprecher des Französischen ohne eine grammatikalische Aspektopposition im futurischen Bereich ausgekommen zu sein, obwohl sie bei den Vergangenheitstempora über eine solche Perspektivierungsmöglichkeit verfugten. Betrachtet man den Befund ohne spekulative Vorhersageabsicht, bietet sich ein relativ eindeutiges Bild: Besonders in quantitativer Hinsicht ist im Französischen im gesamten futurischen Funktionsbereich ein erhebliches Übergewicht perfektiver Perspektivierung zu verzeichnen. Es überwiegen bei weitem Zeichen, die implizit oder explizit perfektiv sind: a.)Das Präsens ist ohne fiiturisierenden Kontext nur bei grenzbezogenen Prädikaten futurisch lesbar. b.) Das f s ist insgesamt perfektivierend, damit auch in seiner futurischen Funktion. c.)Das f p ist in seiner statistisch häufigsten Variante im Bezug auf das futurisch verschobene E grenzbezogen-perfektiv. Insgesamt läßt also das Französische, auch wenn man das Bild sehr differenziert auffächert, eine Struktur erkennen, die übereinzelsprachlich häufig typischerweise bei Systemen zu finden ist, die Temporalität ausdruckseitig markieren: Es basiert auf einer Grunddifferenzierung Vergangenheit (PAST) / Nicht-Vergangenheit (NON-PAST). 1 Der Bereich NONPAST verfügt über eine aktional bedingte Inhomogenität implizit aspektueller Art, die sekundär als Zeitstufendistinktion reanalysiert werden und genutzt werden kann: implizit perfektive Werte werden, so sie nicht zusätzlich als [+ PAST] markiert sind, als futurisch [FUTURE] interpretiert und implizit nicht-perfektive Werte als NON-FUTURE: +

PAST

-PAST

AT - implizit perfektiv + implizit perfektiv -FUTURE

+

FUTURE

Auf die Formen des Französischen projiziert liest sich dies wie folgt: + PASSÉ

+ imperfektiv - imperfektiv imparfait / passé simple passé composé

- PASSÉ

^ présent non-futural i-futural - implizit perfektiv srfektiv - FUTUR

présent —>

^ ^ présent futural + implizit perfektiv + FUTUR

* - imperfektiv fs

1

V g l . SCHROTT, 1 9 9 7 : 1 4 6 , s o w i e LEISS, 1 9 9 2 : 2 2 5 .

4 + imperfektiv z.T.: f p

210 Imperfektive Aspektualität ist, was den temporal verschobenen Bereich betrifft, gegenüber perfektiver insgesamt markierter. Im futurischen Bereich ist sie bei einem derart grundierten System zusätzlich auf einer komplexeren Ebene anzusiedeln als im Bereich PAST: im NON-PAST-Bereich liegt eine natürliche Koppelung von impliziter Perfektivität und Futurität vor, die zu einer höheren funktionalen und ausdruckseitigen Komplexität der Zeichen fuhrt, die diese implizite Beziehung explizit machen. Damit sind alle Hierarchieebenen gegenüber dem PAST-Bereich um ein Stelle nach oben verschoben, zur Signalisierung imperfektiver Futurität bedarf es eines inhalt- und ausdruckseitigen Zusatzaufwands. Vom sprachlichen Befund her ist es kaum zu rechtfertigen, futurischen Zeichen einen genuin modal markierteren Status zuzusprechen. Viel eher ist ein explizit futurisches Zeichen gegenüber dem Bereich der Vergangenheitstempora immer dann markierter, wenn eine explizite Aspektopposition aufgebaut wird. In verschiedenen Kapiteln der vorliegenden Arbeit wurde versucht, die implizite ontologische Verankerung derjenigen Strategien vor Augen zu fuhren, die die übereinzelsprachlichen Besonderheiten im Bereich der Zeichen mit futurischer Referenz über eine modale Grundierung von Futurität erklären. Aus den sprachimmanenten Gegebenheiten des futurischen Ausdrucks im Französischen läßt sich eine Grundierung anderer Art erkennen. Es zeigte sich eine Bindung unmarkierter (impliziter) Perfektivität an futurische Referenz. Was damit die referentiellen Bereiche des ,Davor' und .Danach' vor allem unterscheidet, ist, daß Imperfektivität im FUTURE- gegenüber Imperfektivität im PAST-Bereich um eine Hierarchie- und Komplexitätsebene verschoben ist. Nicht etwa futurische Zeichen werden modal gelesen, sondern ein mit bestimmten Klassen futurisch lesbarer perfektiver Aspekt kann mit anderen nicht temporal reanalysiert werden. Es kann auf der Basis dieses innersprachlichen Befunds eine alternative Hypothese zur Besonderheit der Zeichen mit futurischer Referenzfunktion formuliert werden. Insoweit sich mittelbar in der inhaltlichen Markiertheit sprachlicher Zeichen auch kognitiver Aufwand manifestiert, ist sie möglicherweise tatsächlich außersprachlich grundiert. 9.2.2. Außersprachlicher Sand im Getriebe der Sprache - Ein Postulat Daß Versprachlichung im futurischen Bereich sich vor allem aspektuell, das heißt von der vermittelten Perspektive her, von der im PAST-Bereich unterscheidet, ist an sich augenfällig. NEF (1984: 143) schreibt, prototypisch für futurisch vermittelte Sachverhalte sei deren Lesbarkeit als historiko-kausal angeordnet: [...] les événements y doivent être ordonnés et [...] l'histoire doit être finalisée [...] Une phrase au futur fait plus qu'asserter l'existence d'un état de choses [...] mais asserte l'existence de choses complexes [Hervorh. MS] [...].

Aspektuell formuliert bedeutet dies, daß Ereignisse mit futurischer Referenz in der Regel unter perfektiver Perspektive versprachlicht werden. Hinter den komplexen Überlegungen zur Markiertheit sprachlicher Zeichen und dieser Beobachtung verbirgt sich ein relativ evidenter Sachverhalt, der vermutlich deshalb bisher kaum in der Sprachwissenschaft thematisiert wurde, weil Selbstverständliches sich den Mechanismen der reflektierenden Introspektion entzieht. Bereits mit ein wenig Alltags- und Selbstbeobachtung und ohne linguistische Vorkenntnis kann man eben das konstatieren, was sich nach über 200 Seiten linguistischer Analyse als Ergebnis darbietet: Das antike

211 Axiom von der .ungesicherten Zukunft' und sein linguistisches Derivat wären eigentlich ins Gegenteil umzuformulieren, um den Markiertheitsrelationen, wie sie bis hierhin erkennbar wurden, Rechnung zu tragen. Ausstehendes, das sowieso viel seltener überhaupt versprachlicht wird als Vergangenes, wird normalerweise nicht erzählt, nicht geschildert, nicht in eine Wirklichkeit heraufbeschwörende Ordnung gebracht, d.h. mit relativ wenig Aufwand vermittelt. Dieser geringere Aufwand könnte zum eine darin gründen, daß im referentiellen Bereich des ,Dann' eben gerade nicht durch Tricks und expressive Strategien etwas beglaubigt werden muß, denn im Bereich des ,Dann' gibt es (noch) nichts und damit natürlich auch nichts zu beglaubigen. Zudem besteht nur bei noch Ausstehendem die mehr oder weniger berechtigte Annahme, es könne als noch eintretendes Ereignis außersprachlich verifiziert bzw. als nicht oder anders eintretendes Ereignis falsifiziert werden - bei Vergangenem ist dies unwiderruflich nicht (mehr) möglich. Sprecher müßten demnach vornehmlich Vergangenes, das außersprachlich unheilbar nicht mehr überprüfbar ist, mit erhöhtem sprachlichem Aufwand vermitteln, plausibilisieren. Eine Beglaubigung von bereits Geschehenem ist ja außersprachlich in manchen Kontexten hochrelevant, bisweilen sogar lebenswichtig (vor Gericht etwa). Diese ontologische Begründung befriedigt jedoch nicht, denn, wie bei allen ontologischen Begründungen, kann jederzeit das Gegenteil ebenfalls behauptet werden. So soll abschließend eine andere Erklärung geboten werden, die eher pragmatisch fundiert und damit sicher konsensfähiger ist, zumal man ihre Stichhaltigkeit jederzeit mit einer kleinen Privatstatistik selbst überprüfen kann: Bei Versprachlichung von noch Ausstehendem muß nur in seltenen Ausnahmefällen von Sprechern ein Panorama gezeichnet werden. Narrativität, typisch für die Vermittlung von Ereignissen und Gegebenheiten, die in der Vergangenheit situiert werden, konstituiert sich über das Entwerfen von Szenarien. 2 Dafür werden sprachliche Zeichen benötigt, die Perspektivierung bzw. multiperspektivische Vermittlung erlauben. Eine Figur-Grund-Gewichtung, wie aspektuelle Zeichen sie ermöglichen, ist hierfür nahezu unabdingbar. Im futurischen Bereich hingegen genügt eine sequentielle oder nicht-perspektivische Versprachlichung den meisten kommunikativen Zwecken, für temporal-futurische Imperfektivität (zur Vermittlung hintergrundierender Gegebenheiten etwa) besteht kaum Bedarf. Damit läßt sich die natürliche' Koppelung primärer Perfektivität an eine futurische Projektion ebenso erklären wie die demgegenber schwächere Markiertheit aspektueller Distinktion im PAST-Bereich. All dies hat sich im Zuge der nunmehr abgeschlossenen Untersuchung fur das französische Tempussystem als relevant, wenn nicht determinierend gezeigt. Es bliebe zu untersuchen, ob ein solcher Zusammenhang übereinzelsprachlich nachweisbar wäre. Sollte es sich tatsächlich um eine Gesetzmäßigkeit handeln, die direkt auf kognitive oder pragmatische Notwendigkeiten zurückgeht, dann ließen sich für Futurität insgesamt neue, in diesem Fall durch Sprachbeobachtung deduzierte Axiome aufstellen: Genuin imperfektivierende futurische Formen (nicht zu verwechseln mit präsentischimperfektiven Vorphasenmarkern) sind seltener und markierter als Imperfekte im Bereich der Vergangenheitstempora. Imperfektive Temporalität ist nur und vor allem im futurischen Bereich deshalb selten, weil sie nur bzw. vor allem dort verzichtbar ist. Die Konzentration 2

Ein beredtes Zeugnis liefern die Wahrheitsfiktionen in den Erzählungen der Weltliteratur. Sie bilden einen besonders gelungenen und elaborierten Katalog des Niederschlags von Beglaubigungsstrategien.

212 auf perfektive Werte ist dafür verantwortlich, daß Futura diachron schneller abgelöst werden als andere Tempora, denn sie werden häufig nicht von einem imperfektiven Aspektpartner stabilisiert. Futurisch fungierende, in erster Linie explizit perfektive Markierungen (wie das fs z.B.) dehnen sich auf nicht grenzbezogene und vor allem Stativ-Prädikate aus und können mit diesen nicht selbständig fiiturisch-temporal fungieren (werden z.B. modal reanalysiert). Die stärkere Markiertheit des gesamten Bereichs ist gerade darauf zurückzuführen, daß zum Ausdruck von Futurität überproportional häufig unmarkierte Zeichen herangezogen werden. Denn die Explizitmachung einer impliziten Wertigkeit geht immer auch mit erhöhtem Aufwand einher - und somit jeder explizit perfektive Aspekt, der als Futur reanalysiert werden kann. Folglich ist auch die Funktionalisierung eines Präsens als Futur gerade kein Indiz für ein Ankämpfen der Sprecher gegen den rauhen Wind, der ihnen aus ungesicherten Gefilden entgegenweht, sondern vielmehr für das Gegenteil. Der Nexus ,nicht perzeptibles Ereignis -> Außensicht —> ausstehend' scheint so natürlich, das sich dieses Verhältnis überproportional häufig im formalen Nexus Unmarkiertheit-Futurität abbildet. 3 Wenn sich Sprecher vor der Notwendigkeit einer „Beglaubigung temporaler Inferenzen" 4 sehen, und man deren Spuren in der Sprache zu finden wünscht, sollte man sie eher im temporalen Ausdruck des unwiederbringlich Vergangenen suchen. Beim Gang durch die kategoriale Architektur und den Garten der Futurität im Französischen waren sie zumindest nicht zu entdecken. Vielmehr häuften sich Hinweise darauf, daß es sie dort nicht gibt. So sei abschließend, als Verdichtung dessen, was als .außersprachlicher Sand' bezeichnet wurde, ein Gewährsmann angeführt, der nichts dagegen tun kann, daß er als solcher behandelt wird - lebte er noch, bliebe ihm die Zukunft, es zu verhindern: Die gold'ne Zeit, womit der Dichter uns Zu schmeicheln pflegt, die schöne Zeit sie war, So scheint es mir, so wenig, als sie ist; Und war sie je, so war sie nur gewiss, Wie sie uns immer wieder werden kann. ( J o h a n n W o l f g a n g GOETHE; Torquato

3

Tasso 2, 1)

H i e r z u DETGES, ( 1 9 9 7 : 16):

Eine extrem „problematische" Zeitstufe ist dagegen die Zukunft. Aussagen über Sachverhalte, die in der Zukunft liegen, bedürfen einer besonders aufwendigen Beglaubigung. Die Sprecher müssen sich m.a.W. ständig neue Tricks einfallen lassen, mit denen sie ihre Hörer davon überzeugen, daß die fraglichen Sachverhalte auch wirklich eintreten. [...] Es erklärt auch den scheinbar entgegengesetzten Befund [Hervorh. MS], daß es nämlich Sprachen ohne eigene grammatische Kategorie zur Bezeichnung der Zukunft gibt: diese benutzen zum Verweis auf die Zukunft das Präsens. Diachronisch gesehen ist dieser Zustand das Resultat einer (unter vielen möglichen) Beglaubigungsstrategien, deren Besonderheit darin besteht, daß sie die Grenzen zwischen Gegenwart und Zukunft überhaupt verwischt. 4

V g l . DETGES, 1 9 9 7 : 15.

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