Das Volk der Europäischen Union: Zu Inhalt und Kritik eines normativen Begriffs [1 ed.] 9783428502110, 9783428102112

Die freiheitliche Rechtsetzung in der EU hängt nach dieser Untersuchung allein ab von einer Willens-, Kommunikations- un

125 70 44MB

German Pages 448 Year 2000

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Das Volk der Europäischen Union: Zu Inhalt und Kritik eines normativen Begriffs [1 ed.]
 9783428502110, 9783428102112

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

ANGELA AUGUSTIN

Das Volk der Europäischen Union

Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht Herausgegeben von Thomas Bruha. Meinhard Hilf. Hans Peter Ipsen Rainer Lagoni. Gert Nicolaysen. Stefan Oeter

Band 26

t.

Das Volk der Europäischen Union Zu Inhalt und Kritik eines normativen Begriffs

Von

Angela Augustin

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Augustin, Angela: Das Volk der Europäischen Union: zu Inhalt und Kritik eines normativen Begriffs I von Angela Augustin. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Hamburger Studien zum europäischen und internationalen Recht; Bd. 26) Zug!.: Hamburg, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10211-8

Alle Rechte vorbehalten

© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0945-2435 ISBN 3-428-10211-8 Gedruckt auf aIterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97068

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg im Wintersemester 1999/2000 als Dissertation angenommen. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Meinhard Hilf. Er hat schon während meines Studiums meiner Leidenschaft fiir grundsätzliche Fragen des europäischen Integrationsprozesses immer neue Nahrung gegeben. Besonders aber hat er mich während der Bearbeitung des Dissertationsthemas in jeder Hinsicht unterstützt. Prof. Dr. Gert Nicolaysen habe ich daneben, daß er mein Interesse fiir Europarecht geweckt hat, vor allem fiir eine schnelle Zweitbegutachtung zu danken. Für den wissenschaftlichen Austausch danke ich den Herren Prof. Dr. Massimo La Torre (Bologna), Dr. Michael Anderheiden (Heidelberg) und Dr. Nicolas Passadelis (Basel). Außerdem wurde ich inspiriert durch die Aufenthalte beim Juristischen Dienst des Generalsekretariats des Europäischen Parlaments in Luxemburg und in der Abteilung Sozialpolitik des Rates der Europäischen Union in Brüssel, sowie vor allem durch den vom Deutschen Akademischen Austauschdienst fmanzierten einjährigen Forschungsaufenthalt am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. Zu danken habe ich auch Herrn Prof. Dr. Kurt Seelmann (Basel), der mich besonders seit Studienabschluß gerade fiir Rechtsphilosophie immer wieder zu begeistern vermag und in dem ich einen Chef fmde, wie man ihn sich nur wünschen kann. Zu danken habe ich auch Frau Ingrid Baumbusch, die die mühevolle Korrektur der Vorlage übernahm. Vor allem aber danke ich meinen Eltern. Ohne sie wäre dies alles nicht möglich gewesen. Ihnen ist die Arbeit daher gewidmet. Basel, im Frühling 2000

Angela Augustin

Inhaltsübersicht Einleitung

27

Erster Teil

Inhaltliche Analyse des Volksbegriffes

29

A. Die Rechtsstellung der einzelnen als Definitionsmerkmal ....................................... 30

1.

Ausschließlich formale Abgrenzung ................................................................ 31

11.

Volk als Summe der Angehörigen .................................................................. .41

111.

Volk als Summe der Bürger. ........................................................................... 63

IV.

Zusammenfassung ........................................................................................ 110

B. Nicht auf die Rechtsstellung bezogene Definitionsmerkmale ................................ 111

1.

Abstammungsgemeinschaft ........................................................................... 114

11.

Volkscharakter .............................................................................................. 116

III.

Übereinstimmung der Lebensbedingungen und -stile ................................... 118

IV.

Politisch-rechtliche Kulturgemeinschaft ....................................................... 122

V.

Schicksals- und Erfahrungsgemeinschaft ...................................................... 133

VI.

Geschichtsgemeinschaft ................................................................................ 135

VII. Sprachgemeinschaft ...................................................................................... 139 VIII. Kommunikationsgemeinschaft ..................................................................... 142 IX.

Kollektive Identität ....................................................................................... 155

X.

Willensgemeinschaft ..................................................................................... 183

XI.

Zusammenfassung: Unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten ....................... 193

c. Zusammenfassung .......................................................................................... ........ 193

10

Inhaltsübersicht Zweiter Teil

Funktionale Analyse des Volksbegriffes

196

A. Funktionen des "Volkes" in politischen Gemeinwesen ......................................... 197

I.

Das Volk als Zurechnungssubjekt der Rechtsordnung .................................. 198

11.

Das Volk als Orientierungspunkt für Gemeinwohlzielsetzungen .................. 198

III.

Das Volk als Bedingung der Wirksamkeit einer Rechtsordnung .................. 199

IV.

Das Volk als Garant sachlich richtiger Entscheidungen ............................... 20 I

V.

Das Volk als Legitimationssubjekt ............................................................... 202

VI.

Verzicht auf Volksbezug .............................................................................. 213

VII. Zusammenfassung ........................................................................................ 221 B. Durch den Integrationsprozeß implizierte Zurechnungssubjekte ........................... 222 I.

Die Mitgliedstaaten und ihre Völker ............................................................. 223

11.

Ein "Volk" als unitäre Grundlage ................................................................. 226

III.

Kombination unitärer und f6deraler Grundlagen .......................................... 233

IV.

Nach Politikbereichen variierende Legitimationsgrundlagen ....................... 242

V.

Die zusammenwirkenden Menschen als Zurechnungsgrundlage .................. 245

VI.

Zusammenfassung ........................................................................................ 246

C. Das Volk als verfassunggebende Gewalt... ............................................................ 246

I.

Verfassungsbegriff ........................................................................................ 248

11.

Manifestationen der Verfassunggebung ........................................................ 280

III.

Notwendige Kennzeichen der verfassunggebenden Gewalt... ....................... 285

IV.

Zusammenfassung ........................................................................................ 318

D. Das Volk als Ausgangspunkt der Gesetzgebung ................................................... 319 I.

Geltung des Demokratieprinzips im europäischen Integrationsprozeß .......... 320

11.

Manifestationen des Demokratieprinzips ...................................................... 325

III.

Notwendige Kennzeichen des Demos ........................................................... 335

IV.

Zusammenfassung ........................................................................................ 348

E. Das Volk des plebiscite de tous les jours ............................................................... 349

Inhaltsübersicht

11

I.

Bezugspunkt .................................... .............................................................. 349

11.

Manifestationen ............................................................................................. 350

111.

Feststellung ................................................................................................... 351

IV.

Notwendige Kennzeichen der personalen Grundlage ................................... 354

V.

Zusammenfassung ........................................................................................ 355

F. Erfordernis einer von allen geteilten Motivation .................................................... 355 I.

Motivationserfordernisse ............................................................................... 358

11.

Re1ativierung ................................................................................................. 363

III.

Widerspruch zu freiheitlicher Rechtssetzung ................................................ 369

IV.

Zusammenfassung......................................................................................... 374

G. Entbehrlichkeit des Volksbegriffs .......................................................................... 377 I.

Rückbezug auf den Volksbegriffin Rechtstexten .......................................... 377

11.

Begründungen für den Volksbezug ............................................................... 380

III.

Möglichkeit des Verzichts auf den Volksbezug ............................................ 386

IV. Zusammenfassung.......................................................................................... 391

Dritter Teil

Zusammenfassung und Konsequenzen

393

A. Zusammenfassung ................................................................................................. 393 B. Konsequenzen ........................................................................................................ 397 I.

Förderung der politischen Aktivität ................................................................ 397

11.

Verfahren der Verfassunggebung .................................................................. .401

111. Demokratische Verfahren .............................................................................. 402 IV. Formulierung der Strukturklause1n ............................................................... .404

Literaturverzeichnis

407

Stichwortverzeichnis

439

Inhaltsverzeichnis Einleitung

27

Erster Teil Inhaltliche Analyse des Volksbegriffes

29

A. Die Rechtsstellung der einzelnen als Definitionsmerkmal.. ..................................... 30

1.

Ausschließlich formale Abgrenzung ................................................................ 31 1. Akzessorietät zur Angehörigkeit in einem Mitgliedstaat ............................ 32 2. Begriff des Angehörigen eines Mitgliedstaates .......................................... 35 3. Staatsbezogenheit des Volksbegriffs .......................................................... 37 4. Unions- oder Gemeinschaftsbezogenheit der Unionsbürgerschaft ............. 38 5. Ergebnis: Existenz eines Unionsvolkes ..................................................... .40

H.

Volk als Summe der Angehörigen .................................................................. .41 1. Dauerhafte rechtliche Beziehung zwischen einzelnen und Gemeinwesen.43 2. Personalität der Rechtsbeziehung zwischen Unionsbürgem und der EU .. .44 3. Allgemeinheit ............................................................................................. 46 4. Voraussetzung besonderer Erwerbsgründe ................................................ .47 5. Angehörigkeit als potentiell umfassendes Rechtsverhältnis ....................... 49 6. Ausschließlichkeit ...................................................................................... 49 7. Voraussetzung bestimmter Rechtsfolgen .................. .................................. 53 8. Unmittelbarkeit ........................................................................................... 59 9. Ergebnis: Existenz eines Unionsvolkes ...................................................... 62

H1.

Volk als Summe der Bürger. ........................................................................... 63 1. Bestimmung der maßgeblichen Bürgerschaftskriterien .............................. 63 2. Grundpflichten ............................................................................... ............. 64 3. Abwehrrechte ............................................................................................. 67 a) Bedeutung von Abwehrrechten für die Bürgerschaft ............................. 67 b) Gemeinschaftsrechtliche Abwehrrechte ................................................ 68 c) Rechtsquellen ........................................................................................ 73 d) Überprüfungsgegenstände ..................................................................... 75 e) Motivation zum Grundrechtsschutz ....................................................... 76 f) Schutzniveau .......................................................................................... 78

14

Inhaltsverzeichnis g) Zwischenergebnis .................................... ..... .............................. ........... 82 4. Spezielle soziale Grundrechte .................................................................... 82 5. Unabhängigkeit .......................................................................................... 86 6. Politische Mitwirkungsrechte ..................................................................... 87 a) Politische Mitwirkungsrechte der Unionsbürger ................................... 88 b) Maßstab ................................................................................................. 90 c) Einfluß auf die Zusammensetzung des Rats .......................................... 93 d) Einfluß auf die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments ......... 95 e) Einfluß auf die Zusammensetzung der Kommission ............................. 96 f) Zwischenergebnis .................................................................................. 96 7. Rechtliche Gleichbehandlung ..................................................................... 99 a) Gleichbehandlung als Maßstab der Bürgerstellung ............................. IOO b) Inländerdiskriminierung ...................................................................... 101 c) Polizeivorbehalte ................................................................................. 103 d) Mängel der politischen Mitwirkungsrechte ......................................... 104 e) Zwischenergebnis ................................................................................ 107 8. Ergebnis: Unionsvolk in Ausbildung begriffen ........................................ 108 IV.

Zusammenfassung ........................................................................................ 110

B. Nicht auf die Rechtsstellung bezogene Definitionsmerkmale ................................ 111 I.

Abstammungsgemeinschaft ........................................................................... 114

11.

Volkscharakter .............................................................................................. 116

III.

Übereinstimmung der Lebensbedingungen und -stile ................................... 118

IV.

Politisch-rechtliche Kulturgemeinschaft ....................................................... 122 I. Politische Kultur ...................................................................................... 123 a) Charakteristika politischer Regimes als politische KultuT. .................. 123 b) Politische Kultur der politischen Akteure ........................................... 125 c) Politische Kultur der Unionsbürger..................................................... 127 d) Zwischenergebnis ............................................................................... 129 2. Rechtskultur ............................................................................................. 129 3. Ergebnis ................................................................................................... 133

V.

Schicksals- und Erfahrungsgemeinschaft ...................................................... 133

VI.

Geschichtsgemeinschaft ................................................................................ 135

VII. Sprachgemeinschaft ..................................................................................... 139 VIII. Kommunikationsgemeinschaft ..................................................................... 142 I. Europäische Parteien, Verbände und Bürgerbewegungen ......................... 144 2. Massenmedien ........................................................................................... 149 a) Europäische Massenmedien ............................ ............................. .. ..... 150

Inhaltsverzeichnis

15

b) Europäische Inhalte ............................................................................. 152 3. Ergebnis .................................................................................................... 154 IX.

Kollektive Identität ....................................................................................... 155 1. Identität ..................................................................................................... 155 2. Kollektive Identität ................................................................................... 157 3. Vorliegen einer kollektiven Identität in bezug auf die EU ....................... 160 4. Voraussetzungen der Ausbildung einer kollektiven Identität ................... 162 5. Intersubjektive Anknüpfungsmöglichkeiten für die Identität ................... 164 6. Organisationsbezogene Anknüfungsmöglichkeiten für die Identität ........ 166 a) Das politische Gemeinwesen an sich ................................................... 167 b) Eignung der EU als Orientierungspunkt .............................................. 168 c) Politische Symbole und Mythen .......................................................... 171 d) Politische Werte .................................................................................. 173 e) Rechtliche Identität.. ............................................................................ 174 f) Verfassungsidentität ............................................................................. 176 g) Zwischenergebnis ................................................................................ 181 7. Verfassungspatriotismus ........................................................................... 181 8. Ergebnis .................................................................................................... 183

X.

Willensgemeinschaft ..................................................................................... 183 1. Inhalt des volksbildenden Willens ............................................................ 184 2. Zustimmungsgrad ....................................................................... .. .. .......... 185 3. Feststellung ............................................................................................... 185 4. Willensgemeinschaft in der EU ................................................................ 187 a) Einstellungen zum Integrationsprozeß an sich .................................... 187 b) Beurteilung der Mitgliedschaft des Mitgliedstaates ............................ 188 c) Demokratiezufriedenheit ..................................................................... 189 d) Akzeptanz der gemeinschaftlichen Institutionen ................................. 190 e) Bewertung ........................................................................................... 191 5. Ergebnis .................................................................................................... 192

XI. Zusammenfassung: Unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten ........................ 193 C. Zusammenfassung .................................................................................................. 193

Zweiter Teil Funktionale Analyse des Volksbegriffes

196

A. Funktionen des "Volkes" in politischen Gemeinwesen ......................................... 197

J.

Das Volk als Zurechnungssubjekt der Rechtsordnung ................................... 198

16

Inhaltsverzeichnis 11.

Das Volk als Orientierungspunkt für Gemeinwohlzielsetzungen .................. 198

III.

Das Volk als Bedingung der Wirksamkeit einer Rechtsordnung .................. 199

IV.

Das Volk als Garant sachlich richtiger Entscheidungen ............................... 201

V.

Das Volk als Legitimationssubjekt ............................................................... 202 I. Grundlegung ............................................................................................. 202 2. Materielle Legitimation ............................................................................ 203 3. Formelle Legitimation .............................................................................. 207 4. Soziale Legitimation ................................................................................. 212 5. Ergebnis ................................................................................................... 212

VI.

Verzicht auf Volksbezug .............................................................................. 213 I. Das Diskursprinzip ................................................................................... 213 2. Diskurstheoretische Rekonstruktion des Rechts ....................................... 214 3. Konkretisierung ........................................................................................ 215 4. Zur Kritik ................................................................................................. 217 5. Ergebnis ........................................................................ ..... ...................... 220

VII. Zusammenfassung ........................................................................................ 221 B. Durch den Integrationsprozeß implizierte Zurechnungssubjekte ............................ 222 I.

Die Mitgliedstaaten und ihre Völker ............................................................. 223

11.

Ein "Volk" als unitäre Grundlage ................................................................. 226 I. Staatsqualität ............................................................................................ 226 a) Drei-Elementen-Lehre ......................................................................... 227 b) Kritik an der Drei-Elementen-Lehre ................................................... 227 c) Bedeutung der Drei-Elementen-Lehre ................................................. 228 d) Entscheidender Maßstab zur Feststellung der Staatsqualität... ............ 229 e) Zwischenergebnis ................................................................................ 232 2. Unionsweit gleich wirkende Rechtsakte ................................................... 232 3. Ergebnis ................................................................................................... 233

III.

Kombination unitärer und föderaler Grundlagen .......................... ..... ........... 233 I. Rat ............................................................................................................ 235 2. Europäisches Parlament ........................................................................... 236 3. Kommission ............................................................................................. 240 4. Europäischer Gerichtshof und Europäischer Rechnungshof.. .................. 241 5. Ergebnis ................................................................................................... 241

IV.

Nach Politikbereichen variierende Legitimationsgrundlagen ....................... 242

V.

Die zusammenwirkenden Menschen als Zurechnungsgrundlage .................. 245

VI.

Zusammenfassung ........................................................................................ 246

Inhaltsverzeichnis

17

C. Das Volk als verfassunggebende Gewalt ............................................................... 246 I.

VerfassungsbegrifT......................................................................................... 248 I. Vermeidung etatistischer Verengungen des VerfassungsbegrifTs ............. 248 2. Verfassungstypen ...................................................................................... 250 a) Deskriptive und normative VerfassungsbegrifTe .................................. 250 b) Genetische Verfassungsbegriffe .......................................................... 252 c) Materialer und formaler VerfassungsbegrifT........................................ 254 d) Zwischenergebnis: Funktionaler VerfassungsbegrifT .......................... 255 3. Verfassungsfunktionen ............................................................................. 256 a) Freiheit vor dem politischen Gemeinwesen ......................................... 256 b) Freiheit durch das politische Gemeinwesen ........................................ 261 c) Stabilisierende und integrierende Funktion ......................................... 266 d) Zwischenergebnis ................................................................................ 273 4. Die Forderung nach einer europäischen Gemeinschaftsverfassung .......... 275 5. Ergebnis: In Bezug genommener VerfassungsbegrifT............................... 280

11.

Manifestationen der Verfassunggebung ........................................................ 280 I. Grundlagen ............................................................................................... 280 2. Ausschluß des Repräsentativverfahrens .................................................... 28I 3. Ausschluß des direkten Tätigwerdens ....................................................... 282 4. Ergebnis: Die entscheidenden Kriterien ................................................... 283

III.

Notwendige Kennzeichen der verfassunggebenden Gewalt.. ........................ 285 I. Die verfassunggebende Gewalt im formalen Sinne .................................. 285 2. Verfassungsrechtliche Bestimmung der verfassunggebenden Gewalt ...... 287 a) Beispiele .............................................................................................. 287 b) Insbesondere: Art. 146 GG .................................................................. 288 aa) Verfassungsmäßigkeit ................................................................... 289 bb) Inhalt des Art. 146 GG n.F ........................................................... 290 c) Ziele von Regelungen über die Verfassunggebung ............................. 294 d) Argumente für die Rechtsverbindlichkeit ............................................ 295 e) Argumente gegen die Rechtsverbindlichkeit ....................................... 297 f) Zwischenergebnis ................................................................................ 300 3. WiIIens-. Kommunikations- und Handlungsgemeinschaft der Betroffenen ......................................................................................................... 302 a) Handlungsgemeinschaft. ...................................................................... 302 b) Kommunikationsgemeinschaft ............................................................ 303 c) Sprachgemeinschaft? ........................................................................... 304 d) Politische Kultur? ............................................................................... 307 e) Ziele- und Wertegemeinschaft? ........................................................... 308 f) WiIIensgemeinschaft ............................................................................ 309 g) BetrofTenheitsgemeinschaft ................................................................. 31 0 h) Zwischenergebnis ................................................................................ 311

2 Augustin

Inhaltsverzeichnis

18

4. Gesamtheit der Angehörigen .................................................................... 311 a) Beschränkung auf Angehörige ............................................................ 312 b) Einbezug der dauerhaft Ansässigen .................................................... 3 16 c) Umfang der Mitwirkungsberechtigung von Nicht-Angehörigen ......... 317 d) Zwischenergebnis ............................................................................... 318 5. Ergebnis ................................................................................................... 318 IV.

Zusammenfassung ........................................................................................ 318

D. Das Volk als Ausgangspunkt der Gesetzgebung ................................................... 319

I.

Geltung des Demokratieprinzips im europäischen Integrationsprozeß .......... 320 1. Das Demokratieprinzip im geschriebenen Primärrecht ............................ 321 2. Allgemeine Rechtsgrundsätze in den Mitgliedstaaten .............................. 323 3. Ergebnis ................................................................................................... 325

11.

Manifestationen des Demokratieprinzips ...................................................... 325 1. Institutionelle Momente der Demokratie .................................................. 326 2. Nicht institutionalisierte Momente der Demokratie ................................. 330 3. Das Verhältnis der demokratischen Handlungsformen zueinander .......... 332 4. Ergebnis ................................................................................................... 334

111.

Notwendige Kennzeichen des Demos ........................................................... 335 1. Demos als Gesamtheit der Bürger ............................................................ 335 2. Willens-, Kommunikations- und Handlungsgemeinschaft der Betroffenen ......................................................................................................... 336 a) Handlungsgemeinschaft ...................................................................... 336 b) Kommunikationsgemeinschaft ............................................................ 336 c) Willensgemeinschaft ........................................................................... 339 d) Betroffenheitsgemeinschaft ................................................................. 339 e) Zwischenergebnis ................................................................................ 340 3. Gesamtheit der Angehörigen .................................................................... 340 a) Bedeutung der Verknüpfung Angehörigkeit - politische Mitwirkungsrechte ......................................................................................... 341 b) Praxis in den Mitgliedstaaten .............................................................. 341 c) Nicht hinreichende, sondern nur notwendige Verknüpfung ................ 344 d) Umfang der Beteiligung der Nicht-Angehörigen ................................ 346 e) Zwischenergebnis ................................................................................ 347 4. Ergebnis ................................................................................................... 348

IV.

Zusammenfassung ........................................................................................ 348

E. Das Volk des plebiscite de tous les jours ............................................................... 349

I.

Bezugspunkt .................................................................................................. 349

Inhaltsveneichnis

19

11.

Manifestationen .......................................... ................................................... 350

111.

Feststellung ................................................................................................... 351

IV.

Notwendige Kennzeichen der personalen Grundlage ................................... 354

V.

Zusammenfassung ......................................................................................... 355

F. Erfordernis einer von allen geteilten Motivation .................................................... 355

I.

Motivationserfordernisse ............................................................................... 358 I. Außerpolitische GTÜnde ............................................................................ 358 2. Solidaritätsgerneinschaft ........................................................................... 359 3. Gleiche Konzeptionen des Guten ............................................................. 360 4. Erfahrbarkeit der Vorteile des politischen Gemeinwesens ....................... 361 5. Verfassungspatriotismus ........................................................................... 361

11.

Relativierung ................................................................................................. 363 I. Verhältnis Motivation - politische Aktivität ............................................ 363 2. Liberalismus ............................................................................................. 364 3. Motivation durch Rationalität. .................................................................. 366 4. Ergebnis .................................................................................................... 368

III.

Widerspruch zu freiheitlicher Rechtssetzung ................................................ 369 I. Strukturelle Unterschiede zwischen Bürgerschaft und substantiellen Volksmerkmalen ....................................................................................... 369 2. Mangelnde Rücksichtnahme auf aktuelle Umstände ................................ 370 3. Widerspruch zur freiheitlichen Konzeption von Demokratie und Verfassunggebung .......................................................................................... 370 4. Ergebnis .................................................................................................... 372

IV.

Zusammenfassung ......................................................................................... 374

G. Entbehrlichkeit des Volksbegriffs .......................................................................... 377

2'

I.

Rückbezug auf den Volksbegriff in Rechtstexten .......................................... 377

11.

Begründungen flir den Volksbezug ............................................................... 380 I. Begriffiichkeit. .......................................................................................... 380 2. Menschliche Gemeinschaft in der Zeit - Generationengemeinschaft ....... 381 3. Volkssouveränität ..................................................................................... 381 4. Gesellschaftsvertragstheorien ................................................................... 383

III.

Möglichkeit des Venichts auf den Volksbezug ............................................ 386 I. Abschied vom Gesellschaftsvertrag als Begründung der Organisationsform .......................................................................................................... 386 2. Abschied vom Souveränitätsdenken ......................................................... 387 3. Gefahr des Ausschlusses der Selbstbestimmung ...................................... 387

20

Inhaltsverzeichnis 4. Altemativrnodell ....................................................................................... 388 5. Vorteile .................................................................................................... 389 6. Ergebnis ................................................................................................... 390 IV. Zusammenfassung ......................................................................................... 391

Dritter Teil

Zusammenfassung und Konsequenzen

393

A. Zusammenfassung ................................................................................................. 393 B. Konsequenzen ....................................................................................................... 397 I.

Förderung der politischen Aktivität... ............................................................. 397

11.

Verfahren der Verfassunggebung ........................... ........................................ 401

HI. Demokratische Verfahren .......................................................... .......... .......... 402 IV. Formulierung der StrukturklauseIn ................................................................ 404

Literaturverzeichnis

407

Stichwortverzeichnis

439

Abkürzungsverzeichnis ABI. AJCL Anm. ArchVR ARSP AuslG

BayVBI Belg. StAG

Belg. Verf.

Bschl. Bull.EG CMLRev. dk. StAG

Dk. Verf.

DocIDok DVBI EAG EAGV EC EEC EG EGKS EGKSV

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft American Journal ofComparative Law Anmerkung Archiv für Völkerrecht Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Ausländergesetz, Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet in der Fassung vom 15.7.1999, BGBl1999 1,1618,1620 Bayerische Verwaltungsblätter Belgisches Staatsangehörigkeitsgesetz in der Fassung von 1984 (Loi relative certains aspects de la condition des etrangers et instituant le Code de la nationalite beIge (Mon. 12 juillet 1984», in: Nationality Laws in the European Union, hrsg. v. Bruno Nascimbene, Milano 1996, S. 168 Koordinierte Verfassung Belgiens vom 17. Februar 1994, in: Die Verfassungen der EG-Mitgliedstaaten, 4. Aufl. München 1996, Stand Mai 1996, S. I Beschluß Bulletin der Europäischen Gemeinschaften Common Market Law Review Dänisches Staatsangehörigkeitsgesetz in der Fassung von 1991 (Act on the Acquisition ofDanish citizenship, Consolidation Act no. 457 of 17 June 1991), in: Nationality Laws in the European Union, hrsg. v. Bruno Nascimbene, Milano 1996, S. 200 Verfassung des Königreiches Dänemark vom 5. Juni 1953, in: Die Verfassungen der EG-Mitgliedstaaten, 4. Aufl. München 1996, Stand Mai 1996, S. 38 Dokrnent Deutsches Verwaltungsblatt Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft European Community European Economic Community Europäische Gemeinschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl

a

22 EGV EJIL ELJ ELRev. EMRK EP EPL EPIL Erwgr. EU EuGRZ EUV

EuZW EWG EWGV Fin. StAG

Fin. Verf.

Fn. Fr. Verf.

gr. StAG

Gr. Verf.

GV Harv.ILJ HRLJ ICLQ IGC

Abkürzungsverzeichnis Vertrag zur Gründung der Europäische Gemeinschaft in der Fassung vom 2. Oktober 1997 (Vertrag von Amsterdam) European Journal of International Law European Law Journal European Law Review Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, UNTS Bd. 213, 221 Europäisches Parlament European Public Law Encyclopedia of Public International Law Erwägungsgründe Europäische Union Europäische Grundrechtezeitschrift Vertrag zur Gründung der Europäischen Union vom 7. Februar 1992 (Vertrag von Maastricht) in der Fassung vom 2. Oktober 1997 (Vertrag von Amsterdam) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Finnisches Staatsangehörigkeitsgesetz in der Fassung von 1995, Gesetz Nr. 401168 vom 28. Juni 1968, in: in: Nationality Laws in the European Union, hrsg. v. Bruno Nascimbene, Milano 1996, S. 301 Finnische Regierungsform, erlassen am 17. Juli 1919 in Helsinki, zuletzt geändert am 1. August 1995, in: Die Verfassungen der EG-Mitgliedstaaten, 4. Aufl. München 1996, Stand Mai 1996, S. 111 Fußnote Verfassung der Republik Frankreich vom 4. Oktober 1958, zuletzt geändert am 22. Februar 1996, in: Die Verfassungen der EG-Mitgliedstaaten, 4. Aufl. München 1996, Stand Mai 1996, S. 132 Griechisches Staatsangehörigkeitsgesetz, in: Nationality Laws in the European Union, hrsg. v. Bruno Nascimbene, Milano 1996, S.409 Verfassung der Republik Griechenland beschlossen von dem fünften Verfassungsändernden Parlament am 9. Juni 1975, zuletzt geändert am 12. März 1986, in: Die Verfassungen der EGMitgliedstaaten, 4. Aufl. München 1996, Stand Mai 1996, S.154 Generalversammlung der Vereinten Nationen Harvard International Law Journal Human Rights Law Journal International and Comparative Law Quaterly Intergovernmental Conference

Abkürzungsverzeichnis IGH IPBPR IPWSKR Ir. StAG

Ir. Verf.

It. StAG

JbfSoz JCMS JöR It. Verf.

LIEI LNTS Lux. StAG

Lux. Verf.

MLR NILRev. NI. StAG

NI. Verf.

23

Internationaler Gerichtshof Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, UNTS Bd. 999,171 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966, UNTS Bd. 993, 3 Irisches Staatsangehörigkeitsgesetz, Gesetz Number 26 of 1956 Act to make provision for the acquisition and loss of Irish Nationality and Citizenship (Irish Nationality and Citizenship Act, 1956), in: Nationality Laws in the European Union, hrsg. v. Bruno Nascimbene, Milano 1996, S. 452. Verfassung der Republik Irland vom I. Juli 1937, zuletzt geändert am 26. November 1992, in: Die Verfassungen der EGMitgliedstaaten, 4. Auf!. München 1996, Stand Mai 1996, S. 208 Italienisches Staatsangehörigkeitsgesetz in der Fassung von 1992, legge 5 febbraio 1992 n. 91, in: Nationality Laws in the European Union, hrsg. v. Bruno Nascimbene, Milano 1996, S.497 Jahrbuch für Soziologie Journal of Common Market Studies Jahrbuch des öffentlichen Rechts (neue Fassung) Verfassung der Republik Italien vom 27. Dezember 1947, zuletzt geändert am 30. Oktober 1993, in: Die Verfassungen der EGMitgliedstaaten, 4. Auf!. München 1996, Stand Mai 1996, S.243 Legal Issues of European Integration League ofNations Treaty Series Luxemburgisches Staatsangehörigkeitsgesetz in der Fassung von 1986 (Loi sur la nationalite luxembourgeoise. Texte coordonne du 11 decembre 1986 (Mem. 1986, 2354)), in: Nationality Laws in the European Union, hrsg. v. Bruno Nascimbene, Milano 1996,S. 529 Verfassung des Großherzogtums Luxemburg vom 17. Oktober 1868, zuletzt geändert am 12. Juli 1996, in: Die Verfassungen der EG-Mitgliedstaaten, 4. Auf!. München 1996, Stand Mai 1996,S. 271 Modem Law Review Netherland International Law Review Niederländisches Staatsangehörigkeitsgesetz (Rijkswet op het Nederlandshap van 29 december 1984 (Staatsblad, 628)), in: Nationality Laws in the European Union, hrsg. v. Bruno Nascimbene, Milano 1996, S. 590 Verfassung des Königreichs der Niederlande vom 17. Februar 1983, zuletzt geändert am 10. Juli 1995, in: Die Verfassungen der EG-Mitgliedstaaten, 4. Auf!. München 1996, Stand Mai 1996,S. 287

24

NWB ÖBGBI Ö. StAG

Ö. Verf.

Port. StAG

Port. Verf.

PVS RESS RGBI Rl. Rn

Rs. Schw. StAG Schw. Verf.

Slg. Sp. Sp. Verf.

UNO UNTS Urt. Verf. Vk. StAG VO WVK

Abkürzungsverzeichnis Neue Wirtschaftsbriefe Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich Österreichisches Staatsbürgerschaftsgesetz in der Fassung von 1985, in: Nationality Laws in the European Union, hrsg. v. Bruno Nascimbene, Milano 1996, S. 80 Bundesverfassungs-Gesetz der Republik Österreich vom 10. November 1920, zuletzt geändert am 21. Dezember 1994, in: Die Verfassungen der EG-Mitgliedstaaten, 4. Aufl. München 1996, Stand Mai 1996, S.316 Portugiesisches Staatsangehörigkeitsgesetz NT. 37/81 vom 3. Oktober 1981 (Diärio da Republica I Nr. 228, 3.10. 1981, S. 2648) mit den Änderungen bis einschließlich des Gesetzes NT. 25/94 vom 19. August 1994 (Dimo da Republica I Nr. 191, 19.8.1994, S. 4822), in: Nationality Laws in the European Union, hrsg. v. Bruno Nascimbene, Milano 1996, S. 629 Verfassung der Republik Portugal vom 2. April 1976, zuletzt geändert am 25. November 1992, in: Die Verfassungen der EGMitgliedstaaten, 4. Aufl. München 1996, Stand Mai 1996, S.402 Politische Vierte1jahresschrift Revue Europeenne des Science Sociales Reichsgesetzblatt Richtlinie Randnummer Rechtssache Schwedisches Staatsangehörigkeitsgesetz, Gesetz Nr. 382 vom 22. Juni 1950 Verfassung der Königreichs Schweden vom 1. Januar 1975, zuletzt geändert am 1. Januer 1980, in: Die Verfassungen der EGMitgliedstaaten, 4. Aufl. München 1996, Stand Mai 1996, S.489 Sammlung Spalte Verfassung des Königreichs Spanien vom 29. Dezember 1978, zuletzt geändert am 27. August 1992, in: Die Verfassungen der EG-Mitgliedstaaten, 4. Aufl. München 1996, Stand Mai 1996, S. 522 United Nations Organisation/Organisation der Vereinten Nationen United Nations Treaty Series Urteil Verfassung Staatsangehörigkeitsgesetz des Vereinigten Königreichs 1981, in: Nationality Laws in the European Union, hrsg. v. Bruno Nascimbene, Milano 1996, S. 715 Verordnung Wiener Vertragsrechtskonvention

Abkürzungsverzeichnis YEL ZBJV ZfParl ZfRSoz ZfSoz ZSchwR

Yearbook of European Law Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins Zeitschrift für Parlarnentsfragen Zeitschrift für Rechtssoziologie Zeitschrift für Soziologie Zeitschrift für Schweizerisches Recht

25

Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr.

Friedrich von Schiller, Wilhelm Tell

Einleitung Ein Volk der Europäischen Union? Die Frage nach der Existenz einer so zu bezeichnenden Menge von Menschen scheint sich schnell mit einem schlichten "Nein" beantworten zu lassen. Und tatsächlich fmdet sich in Beiträgen zur Grundlage der Europäischen Union häufig die Aussage, daß es ein europäisches Volk nicht gebe. Dabei wird diese Ansicht oft fiir so evident gehalten, daß sie nicht begründet wird. Sie wird vielmehr als feststehende Tatsache zur Begründung bestimmter Ansichten herangezogen, wozu ein Nebensatz wie zum Beispiel "da es ein europäisches Volk nicht gibt", fiir ausreichend gehalten wird. Wenn überhaupt, fmden sich kurze apodiktische Begründungen, ohne daß dem eine Definition des zugrunde gelegten Volksbegriffs vorausginge. Die mangelnde Auseinandersetzung mit dem vorausgesetzten Begriff hat zur Folge, daß nicht deutlich wird, in welchem Sinne der Volksbegriff verwendet wird und warum dessen Erfiillung fiir die EU abgelehnt wird. Auf der anderen Seite wird dem Volksbegriff fiir politische Gemeinwesen eine bedeutende Rolle zugeschrieben, zum Beispiel zur Festlegung des Kreises von Berechtigten, als Träger des Gemeinwohls oder fiir den Ursprung der Hoheitsgewalt, insbesondere von Verfassungen und Gesetzen. Mit der Ablehnung der Existenz eines Volkes der EU können die Funktionen, die der Volksbegriff fiir Staaten in den bezeichneten Bereichen erfiillt oder angeblich erfiillt, fiir die EU nicht in derselben Art und Weise erfiillt werden. Das Ziel dieser Arbeit ist es, beide Aspekte des Volksbegriffs, seine Defmition( en) und einige seiner Funktionen in den Rechtswissenschaften kritisch in Frage zu stellen. Nach einer Diskussion der möglichen Defmitionen des Volksbegriffs und ihrer Anwendung auf die Situation in der EU (Erster Teil), sollen in einer an den Funktionen des Volkes in politischen Gemeinwesen und auf die EU bezogenen Analyse die Definition(en) ermittelt werden, die normative Relevanz beanspruchen können (Zweiter Teil). Im Lichte der Funktionen des Volkes, wie sie von der allgemeinen Staatslehre identifiziert werden, (Zweiter Teil Abschnitt A.) und der durch Organisation und Wirkungsweise des europäischen Integrationsprozesses implizierten personalen Zurechnungsgrundlagen (Zweiter

28

Einleitung

Teil Abschnitt B.) können anhand ausgewählter Aufgaben eines Volkes in einem politischen Gemeinwesen dessen bestimmende Kennzeichen ermittelt werden (Zweiter Teil Abschnitte C. bis E.). Die sich dabei ergebenden Inhalte des Volksbegriffs werden dann anhand der in Teil 1 diskutierten Volksmerkmale kritisch überprüft (Zweiter Teil Abschnitt F.). Trotz dieses Diskussionsganges wird nicht davon ausgegangen, daß der Volksbegriff zur Erfüllung dieser Funktionen unentbehrlich ist (Zweiter Teil Abschnitt G.). Am Schluß werden schließlich kurz mögliche Auswirkungen der Ergebnisse der Erörterungen auf die politische und rechtliche Praxis umrissen. Für viele hätte als Bezugspunkt einer derart allgemeinen Erörterung des Volksbegriffs und seiner Funktionen das staatliche politische Gemeinwesen möglicherweise näher gelegen. Ein derartiger Hintergrund brächte aber die Gefahr mit sich, zu leicht in nationalstaatlichen Argumentationsstrategien gefangen zu bleiben. Die das Vorliegen eines Volks der EU negierenden Evidenzerlebnisse ermöglichen dagegen eher eine Ablösung davon. Zudem stellt sich in den aktuellen Diskussionen die Frage nach der Grundlage der EU stärker als die nach den Grundlagen staatlicher Gemeinwesen. In dieser Untersuchung wird auf einen Überblick über die Begriffsgeschichte bewußt verzichtet. Sie macht deutlich, daß die oben erwähnte Unklarheit über den verwendeten Volksbegriff dadurch verstärkt wird, daß der in der Rechtswissenschaft verwendete Volksbegriff alles andere als klar defmiert ist. Dabei unterscheidet sich nicht nur seine Verwendung von Autor zu Autor; es ändern sich auch die nur überwiegende Bedeutung und Verwendung sich ändert im Verlauf der Jahrzehnte und Jahrhunderte. Hinzu tritt die Gleichsetzung, Vermischung oder Abgrenzung zum Begriff der "Nation", bei dem man denselben Schwierigkeiten begegnet. Die begriffliche Situation wird zusätzlich dadurch kompliziert, daß aus einem europäischen Blickwinkel heraus die Begriffe in sämtlichen Sprachen zu berücksichtigen wären, womit man vor der weiteren Schwierigkeit steht, daß die begriffliche Entwicklung in den verschiedenen Gebieten Europas keineswegs gleichf6rmig oder parallel verlief. Insgesamt erscheint die Begriffsgeschichte von geringem Erkenntniswert für eine normative Fragestellung. Es kann daher auf entsprechende Untersuchungen an anderer Stelle verwiesen werden, in denen die etymologische und die historische Entwicklung des Volksbegriffs im Vordergrund stehen und in angemessenem Umfang bearbeitet werden. Für diese Arbeit wurde der Ausdruck "Volk" gewählt, ohne daß mit ihm ein spezifisches Vorverständnis verbunden sein soll.

Erster Teil

Inhaltliche Analyse des Volksbegriffes Im diesem ersten Teil sollen die in der Rechtswissenschaft verwendeten Volksbegriffe und Volksmerkmale vorgestellt und auf die Situation in der EU angewendet werden. Innerhalb der Staatslehre, die hier in Hinblick auf die EU als Teil einer allgemeinen Lehre von politischen Gemeinwesen verstanden werden soll, werden sehr unterschiedliche Volksbegriffe und -merkmale verwendet. Dies findet zum Teil seinen Grund darin, daß Volksbegriffe und -merkmale aus verschiedenen Wissenschaftsdiziplinen wie der Psychologie, Soziologie, Ethnologie oder Philosophie rezipiert werden und damit auch die dort vertretenen unterschiedlichen Definitionen in die Rechtswissenschaft übertragen werden. Hinzu treten Volksbegriffe, die mit Hilfe der Rechtsstellung der Mitglieder definiert werden. Ein weiterer Grund fiir die Verwendung unterschiedlicher Volksbegriffe liegt darin, daß der Volksbegriff innerhalb einer Lehre von politischen Gemeinwesen unterschiedliche Funktionen erfiillen (können) soll, was an den Begriff unterschiedliche Anforderungen stellt. Die Untersuchung ist nicht auf die Beschreibung der Voraussetzungen und die Subsumtion der Situation in der beschränkt. Schon hier wird gefragt, ob die jeweiligen Volksbegriffe tatsächlich die angestrebte Abgrenzung leisten und ob sie die ihnen zugeschriebenen Charakteristika erfüllen. Ob der Volksbegriff und die ihm zugeschriebenen Merkmale die ihm zugeschriebenen Funktionen innerhalb der Rechtswissenschaft erfüllt, wird im zweiten Teil untersucht. Die verschiedenen Volksbegriffe und -merkmale stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern werden auf unterschiedliche Art und Weise miteinander kombiniert und aufeinander bezogen. Gleichwohl sollen hier nicht die verschiedenen Kombinationen vorgestellt, sondern die Merkmale einzeln untersucht werden. Denn wenn Definitionsmerkmale Mängel oder Vorzüge aufweisen, gilt das auch für Begriffsbildungen, in denen sie eine von mehreren Voraussetzungen darstellen, es sei denn, diese Vorzüge oder Mängel werden durch andere Voraussetzungen relativiert. Für die Art und Weise der Zusammenfassung von Menschen zu einem Volk werden zwei verschiedene Begriffe herangezogen: "Summe"\ und "Gesamt\ So zum Beispiel Roman Herzog: Allgemeine Staatslehre, Frankfurt a.M. 1971, S. 45; Ingo von Münch: Grundbegriffe des Staatsrechts 11 Staatsform, Staatsorganisation. Eine Einflihrung an Hand von Fällen, 4. Aufl. Stuttgart 1987, Rn 292.

30

1. Teil: Inhaltliche Analyse des Volksbegriffes

heit"2. Es fragt sich, ob diese Wörter Synonyme sind oder für unterschiedliche Inhalte stehen. Wegen der - zumeist umeflektierten - Verwendung beider Begriffe - teilweise von demselben Autor 3 - drängt sich die Vermutung auf, daß ihnen die gleiche Bedeutung beigemessen wird. Andererseits scheint das Wort "Summe" für die Zusammenfassung an sich zu stehen, ohne daß damit weitere Inhalte verbunden wären, während das Wort "Gesamtheit" andeuten könnte, daß ein Volk etwas über die bloße Summation hinaus Charakteristisches auszeichnet. Denn Gesamtheit ist mehr als die Summe der für sich bleibenden einzelnen und impliziert eine Einheit der Vielheit, die eine Summe von Einzelheiten nicht aufweisen muß. Was es aber exakt ist, das über die bloße Summation hinausgeht und die Gesamtheit ausmacht, kann nur für den Zusammenhang bestimmt werden, in dem der Volksbegriff verwendet wird, und ist somit Thema des zweiten Teils dieser Arbeit. Wie schon angedeutet, lassen sich grundsätzlich zwei Arten von Inhalten des Volksbegriffs voneinander unterscheiden. Der Begriff des Volkes kann positivrechtlich definiert werden, wenn man auf die Rechtsstellung der einzelnen in einem politischen Gemeinwesen abstellt und alle Personen mit dieser Rechtsstellung unter dem Begriff Volk zusammengefaßt (A.) Schon diese Definitionen knüpfen häufig an weitere Merkmale an oder beruhen auf ihnen, deren Inhalte nicht mit Hilfe der Rechtswissenschaft ermittelt werden können, sondern aus anderen Wissenschaften rezipiert werden (müssen). Auch ohne die ausdrückliche Übernahme dieser Volksbegriffe und -merkmale in das positive Recht werden derartige Volksmerkmale in den Rechtswissenschaften diskutiert (B.).

A. Die Rechtsstellung der einzelnen als Definitionsmerkmal Die Volksbegriffe, die diejenigen zusammenfassen, die in einem politischen Gemeinwesen dieselbe rechtliche Stellung einnehmen, beziehen sich insbesondere auf die Bürgerschaft oder die Angehörigkeit. Teilweise wird auch auf das Wahlrecht abgestellt, dessen Bedeutung im Rahmen des Bürgerschaftsmerkmals diskutiert werden wird.

2 So zum Beispiel Gearg lellinek: Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. Berlin 1914, 6. Neudruck Darmstadt 1959, S. 406; Alfred Katz: Staatsrecht. Grundkurs im öffentlichen Recht, 11. Aufl. Heidelberg 1992, § 3 Rn 25; Reinhald Zippelius: Allgemeine Staatslehre. Politikwissenschaft, 11. Aufl. München 1991, S. 79. 3 V gl. Ralf Grawert: Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft, Der Staat 23 (1984), 179 (202) (Summe) und ders.: Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I Grundlagen von Staat und Verfassung, hrsg. v. Josef Isensee/Paul Kirchhof, Heidelberg 1987, § 14 Rn 11. (Gesamtheit).

A. Die RechtssteBung der einzelnen als Definitionsmerkmal

31

I. Ausschließlich formale Abgrenzung Derartige Volksbegriffe können rein formal verstanden werden. Allein aufgrund derselben Bezeichnung rur die Stellung in und zu einem politischen Gemeinwesen werden Menschen zu einem Volk zusammengefaßt. Eine Übertragung einer solchen Definition liegt nahe, weil durch den Vertrag zur Gründung der Europäischen Union der Begriff "Unionsbürgerschaft" in die Terminologie des geschriebenen Gemeinschaftsprirnärrechts eingeruhrt wurde, Art. 17 et seq. EGV.4 Dies beendete zumindest die Auseinandersetzung über die angemessene Terminologie, wenn auch nicht diejenige über die Rechtsnatur der Rechtsstellung der einzelnen im europäischen Integrationsprozeß. Schon 1963 prägte Hans-Peter Ipsen den Begriff des "Marktbürgers",5 der die Veränderung des Status als Ausländer durch die europäische Integration beschreiben sollte und auf die Teilnahme der Angehörigen der Mitgliedstaaten am gemeinsamen Markt Bezug nahm. 6 Im Verlauf des weiteren Integrationsprozesses wurde dann terminologisch vom Markt abstrahiert und die Bezeichnungen auf die sich intensivierenden Beziehungen zwischen der EWG und dann der EG ausgerichtet. Bezeichnungen wie "EG-Bürger", "Europabürger" ähnliches in Rechtstexten 7 oder Literatur8 suggerirerten dabei eine Stellung der einzelnen im europäischen Integrationsprozeß, die weiterhin materiell angezweifelt wurde.

4 In Übernahme des sogenannten Spinelli-Entwurfs eines Vertrages zur Gründung der Europäischen Union, ABI. 1984 C 77/33. 5 Hans-Peter Ipsen: Haager Kongreß für Europarecht, NJW 1964, 339 (340). 6 Hans-Peter Ipsen: Europäisches Gemeinschaftsrecht, Tübingen 1972, 91135; Thomas Oppermann: Vom Marktbürger zum EG-Bürger?, in: Lüneburger Symposium flir Hans-Peter Ipsen zur Feier des 80. Geburtstages, hrsg. v. Gert Nicolaysen/Helmut Quaritsch, Baden-Baden 1988, S. 87 (88). 7 Art. 108 et seq. GeschO EP ab 1981, ABI. 1981 C 90/49. 8 "Europäisches Bürgerrecht": Guido van den Berghe/Christian H. Huber: European Citizenship; in: Das Europa der zweiten Generation, Gedächtnisschrift flir Christoph Sasse Bd. 11, hrsg. v. Roland Bieber/Albert Bleckmann/Francesco Capotorti, Kehl am Rhein/Straßburg 1981, S. 755 et seq.; Andrew C. Evans: European Citizenship: A Novel Concept in EEC Law, AJCL 32 (1984), 679 (714); Eberhard Grabitz: Europäisches Bürgerrecht zwischen Marktbürgerschaft und Staatsbürgerschaft, Köln 1970; "EuropaBürger": Hartwig Bülck: Der Europabürger, in: Staatsrecht - Völkerrecht - Europarecht. Festschrift flir Hans-Jürgen Schlochauer zum 75. Geburtstag am 28. März 1981, hrsg. v. Ingo von Münch, Berlin 1981, S.777; "Europäische Bürger": Europäischer Rat von Fontainebleau vom 25.126. Juni 1984: Einsetzung des Ad-hoc-Ausschusses zur Prüfung von Maßnahmen zur Stärkung und Förderung der Identität (der Gemeinschaft) gegenüber den europäischen Bürgern und der Welt; BuB. EG 6-1984, I (11112) ZifT. 1.1.9. Abs.6; "Europäischer Status": Th. Oppermann, in: Lüneburger Symposium flir H.-P. Ipsen, S. 87 (89).

32

I. Teil: Inhaltliche Analyse des Volksbegriffes

J. Akzessorietät zur Angehörigkeit in einem Mitgliedstaat

Das Volk der EU setzt sich dann aus allen Unionsbürgern im Sinne der Art. 17 et seq. EGV zusammen, also den Angehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Art. 17 Abs. 1 Satz 2 EGV. Diese DefInition bedeutet erstens, daß Angehörige von Drittstaaten von der Unionsbürgerschaft ausgeschlossen sind und zweitens, daß alle Angehörige der Mitgliedstaaten Unionsbürger sind. Es gibt somit keine Unionsbürger, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaates sind. Angehörigkeit zu einem Mitgliedstaat und Unionsbürgerschaft sind akzessorisch. Stephen Hall meint allerdings, daß Ausbürgerungen aus Mitgliedstaaten in Hinblick auf die Unionsbürgerschaft nicht zu beachten seien, wenn sie gegen europäisches Gemeinschaftsrecht einschließlich der Grundrechte verstoßen, weil der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts auch insoweit zum Tragen komme. 9 Dann müßten Menschen als Unionsbürger angesehen werden, weil sie Angehörige eines Mitgliedstaates waren, obwohl der Mitgliedstaat sie nicht mehr als Angehörige anerkennt. So wünschenswert dies aber fiir den Bestandsschutz der Rechtspositionen der einzelnen auch wäre, diese Ansicht hat sich bisher nicht durchgesetzt und steht auch im offenen Widerspruch zum Wortlaut des Art. 17 Abs. 1 Satz 2 EGV. Die EG hat auch nicht die Kompetenz, Drittstaater durch Sekundärrecht zu Unionsbürgern zu machen, weil die Evolutivklausel des Art. 22 Abs. 2 EGV "nur" auf die Ergänzung der Rechte, nicht aber auf den Erwerb der Unionsbürgerschaft bezogen ist. Das Europäische Parlament regte zwar schon den direkten Erwerb der Unionsbürgerschaft durch Angehörige von Drittstaaten an. IO Denn die Voraussetzungen fiir den Erwerb der Unionsbürgerschaft durch Drittstaater fallen sehr unterschiedlich aus. So ist schon die erforderliche MindestaufenthaItsdauer fiir den Erwerb der Angehörigkeit zu einem Mitgliedstaat unterschiedlich lang. So verlangen Österreich, Spanien, Griechenland, Italien und Luxemburg eine Mindestresidenz im Staatsterritorium von zehn Jahren, Deutschland von acht Jahren, Dänemark von mindestens sieben Jahre; dagegen begnügt sich Portugal mit sechs Jahren, Belgien, Frankreich, Irland, die Nie-

9 Stephen Hall: Loss of Union Citizenship in Breach of Fundamental Rights, ELRev.21 (1996), 129 (140etseq.). lOReport of the Committee on Public Liberties and Internal Affairs on the Citizenship of the Union PE A3-0437/93. Zumindest flir eine Harrnonisierung der Einbürgerungsvorschriften auch Rainer Bauböck: Citizenship and national identities in the European Union, in: Integration durch Demokratie. Neue Impulse flir die Europäische Union, hrsg. v. Eugen Antalovsky/Josef Malcior/Sonja Puntscher-Riekmann, Marburg 1997, S.13.

A. Die Rechtsstellung der einzelnen als Definitionsmerkmal

33

derlande, Schweden, das Vereinigte Königreich und Finnland sogar mit fünf. I I Aber diese politische Möglichkeit wurde auch durch den Vertrag von Arnsterdam nicht umgesetzt. Damit erscheint die Unionsbürgerschaft streng akzessorisch zum mitgliedstaatlichen Recht, 12 was noch zusätzlich betont wurde durch die "Erklärung zur Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates" der Konferenz der Mitgliedstaaten, nach der die Festlegung ihrer Angehörigkeit allein durch das mitgliedstaatliche Recht geregelt wird. 13 Die Notwendigkeit dieser Erklärung kann in Frage gestellt werden, weil es schon aus der Verteilung der Kompetenzen zwischen den Mitgliedstaaten und der EU heraus eindeutig erscheint, daß es alleinige Angelegenheit der Mitgliedstaaten ist, die Kriterien festzulegen, nach denen die Angehörigkeit zu ihnen erworben, behalten und verloren wird. Denn die EU ist nicht dazu ermächtigt worden, innere Angelegenheiten der Mitgliedstaaten zu regeln. Entsprechend wurden Vorstöße des Europäischen Parlaments, die Regelung der Staatsangehörigkeit in den Mitgliedstaaten zu beeinflussen, nicht belÜcksichtigt, selbst als es im Laufe der Zeit seine Bestrebungen von rechtlich verbindlichen Akten l4 auf unverbindliche Empfehlungen l5 reduzierte. VorbeII Österreich: § 10 Abs. I Nr. I ö. StAG; Belgien: Art. 19 b. StAG; Dänemark: Circular of 6 February 1992 on the acquisition of Danish citizenship in Konkretisierung des dk. StAG, Deutschland: § 85 Abs. I AuslG, Spanien: Art. 22 Abs. I Zivilgesetzbuch; Frankreich: Art. 21 - 16 Zivilgesetzbuch. In Griechenland müssen die zehn Jahre innerhalb der zwölf Jahre vor Antrag auf Erwerb der Staatsangehörigkeit liegen. Interessanterweise gibt es hier aber die prospektiv ausgerichtete Alternative, daß der Antragsteller flinf Jahr nach Antragstellung in Griechenland lebt. Art. 6 Abs.2 lit. b) Staatsangehörigkeitsgesetz. In Irland muß ein Jahr direkt vor Antragstellung liegen, die anderen vier innerhalb der acht Jahre davor, Art. 15 lit. d) ir. StAG. In Italien verkürzt sich diese Zeit flir Unionsbürger auf vier Jahre. Hier scheint man also davon auszugehen, daß diese sich schneller integriert sind. Art. 9 Abs. I Iit. f) it. StAG. In Luxemburg müssen flinf Jahre ununterbrochenen Aufenthalts unmittelbar vor Antragstellung liegen, Art. 6 lux. StAG; Niederlande: Art. 8 Abs. I c) nl. StAG; Portugal: Art. 6 Abs. I lit b) Staatsangehörigkeitsgesetz; Schweden: § 6 schw. StAG, wobei auch hier die Residenzvoraussetzung flir Angehörige nordischer Staaten auf zwei Jahre reduziert ist; Vereinigtes Königreich: Section 6 vk. StAG i. V. m. Schedule I § lAbs. 2 a); Finnland: § 4 NT. 2 fin. StAG. Für Angehörige anderer nordischer Staaten wird dies in praxi auf zwei Jahre reduziert. 12 Alessandra Ruberti: La cittadinanza europea e la cittadinanza ittaliana: aspetti e relazioni, Affari sociali intemazionali 23 (1995), 151 (152). 13 Kritisch wegen der damit verbundenen unterschiedlichen Erwerbsprinzipien: Andrew Evans: Union Citizenship and the Equality Principle, in: A Citizens' Europe In Search of a New Civic Order, hrsg. v. Allan Rosas/Esko Antola, London 1995, S. 85 (99 et seq.); Siofra 0 'Leary: The relationship between Community citizenship and the protection offund amen tal rights in Community law, CMLRev. 32 (1995), 519 (523). 14 Harmonisierung zur Vermeidung der Geburt in Staatenlosigkeit, Ziff. I Entschließung zu dem Gesetzesvorschlag über die britische Staatsangehörigkeit vom 18.9.1981, ABI. 1981 C 260/99 (IOD); dazu Andrew C. Evans: Nationality Law and the Free Movement of Persons in the EEC, with Special Reference to the British Nationality Act 1981, YEL 1982, 174 (189). 3 Auguslin

34

\. Teil: Inhaltliche Analyse des Volksbegriffes

haltlich völkerrechtlicher Verträge und des völkerrechtlichen Mißbrauchsverbotes 16 gehört das Staatsangehörigkeitsrecht zur domaine ft!servee der Mitgliedstaaten und liegt in ihrer alleinigen Regelungskompetenz. 17 Gleichwohl könnte die Akzessorietät zu den innerstaatlichen Angehörigkeitsgesetzen gelockert sein, wenn nämlich der gemeinschaftsrechtliche Begriff der für die UnionsbÜTgerschaft relevanten Staatsangehörigkeit von denjenigen abweicht, die von den jeweiligen Mitgliedstaaten verwendet werden. Dies erscheint deswegen möglich, weil die Kompetenz, Gemeinschaftsrecht und damit auch Art. 8 Abs. 1 Satz 2 EGV letztverbindlich auszulegen, grundsätzlich beim Europäischen Gerichtshof liegt. In diese Richtung gehend wird teilweise die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Sache Micheletti 18 interpretiert. 19 Darin erklärte er 1992, daß das Gemeinschaftsrecht es einem Mitgliedstaat (hier Spanien) verbiete, einem Doppelstaater die Rechte aus dem EWGV (hier Art. 52 EWGV) deswegen zu versagen, weil nach seinem (Spaniens) innerstaatlichen Recht die Staatsangehörigkeit eines Drittstaates (hier Argentinien) wegen des gewöhnlichen Aufenthalts in diesem Staat effektiver als die Staatsangehörigkeit in einem anderen Mitgliedstaat (hier Italien) sei und daher allein maßgeblich. Neben Erwerb und Verlust der Angehörigkeit zu einem Mitgliedstaat gehörten auch die damit verbundenen Wirkungen in die alleinige Regelungskompetenz des jeweiligen Mitgliedstaate, und seien der Beurteilung durch einen anderen unter Gemeinschaftsrecht entzogen. 20 Jeder, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates habe, könne also bei Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses in jeden Mitgliedstaat einreisen,21

15 Aufforderung des Europäischen Parlaments an die Kommission zur Ausarbeitung einer Empfehlung an die Mitgliedstaaten auf Grundlage des Art. 235 EWGV, Entschließung bezüglich der Diskriminierung hinsichtlich der Übertragung der Staatsangehörigkeit vom 20.1.1984, EuGRZ 1984, 167. 16 Kar! Doehring: Allgemeine Staatslehre: Eine systematische Darstellung, Heidelberg 1991, § 2 Rn 53; ders.: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsvergleichung und des Völkerrechts, 3. Autl. Frankfurt a.M. 1984, S. 89; Alexander N. Makarov: Allgemeine Lehren des Staatsangehörigkeitsrechts, 2. Autl. Stuttgart 1962, S. 64 et seq. 17 So die Erklärung der Regierungskonferenz zur Staatsangehörigkeit in der Schlußakte des EUV, die gemäß Art. 31 Abs. 2 lit. b) WVK als Auslegung heranzuziehen ist. 18 EuGH Rs. 369/90 Urt. v. 7.7.1992 Erwgr. 10/11, Slg. 1992 I - 4239 (4262) - Mieheletti. 19 David Ruzie: Nationalite, effectivite et droit communautaire, Revue generale de droit international public 97 (1993),107 (127 et seq.). 20 EuGH Rs. 369/90 Urt. v. 7.7.1992 Erwgr. 12, Slg. 1992 I - 4239 (4262) - Mieheletti. 21 Art. 3 und 4 Richtlinie 73/148 des Rates vom 2 \. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsver-

A. Die Rechtsstellung der einzelnen als Definitionsmerkmal

35

auch wenn er erst dadurch die Angehörigkeit zu einem Mitgliedstaat wieder zu seiner effektiven mache. Daraus wurde geschlossen, daß der Europäische Gerichtshof von einer wechselseitigen Kopplung des europäischen Gemeinschaftsrechts und des mitgliedstaatlichen Staatsangehörigkeitsrechts ausgeht. 22 Damit ist jedoch die Aussage der Entscheidung überinterpretiert. Sie bedeutet in erster Linie, daß die Kompetenz zu entscheiden, ob Personen mit existierender Angehörigkeit zu einem Mitgliedstaat sich auf den EGV berufen können, nicht bei den jeweils anderen Mitgliedstaaten liegt. Die Entscheidung stellt die Abhängigkeit der Unionsbürgerschaft von dem Bestehen der Angehörigkeit zu einem Mitgliedstaat, die nach dessen Recht zu beurteilen ist, nicht in Frage und betrifft nicht die Regeln darüber, ob eine derartige Staatsangehörigkeit existiert und Wirkungen entfaltet. Wenn auch der Europäische Gerichtshof im Fall Micheletti keinen besonderen gemeinschaftsrechtlichen Begriff der Angehörigkeit zu einem Mitgliedstaat geprägt hat, wäre es ohne die Erklärung zur Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates für die Zukunft keinesfalls ausgeschlossen, daß er eigene Kriterien darüber entwickelt, wer als Angehöriger eines Mitgliedstaates anzusehen ist. Die Bedeutung der Erklärung liegt daher in ihrer die Auslegungsmöglichkeiten begrenzenden Wirkung. Die Summe der Unionsbürger setzt sich aus der Summe der Angehörigen der Mitgliedstaaten zusammen. Ohne Vertragsänderung kann niemandem Unionsbürgerschaft zugesprochen werden, der nicht von einem Mitgliedstaat als Angehöriger angesehen wird.

2. Begriff des Angehörigen eines Mitgliedstaates

Somit sind es grundsätzlich die Mitgliedstaaten, die mit ihrem Staatsangehörigkeitsrecht festlegen, wer Unionsbürger ist. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine strikte Akzessorietät zu den mitgliedstaatlichen Staatsangehörigkeitsbegriffen nach innerstaatlichem Recht. Vielmehr können Mitgliedstaaten von ihren innerstaatlichen Regelungen abweichend erklären, welche Personen für das Gemeinschaftsrecht als ihre Staatsangehörigen gelten sollen. 23 Diese kehrs, ABI. 1973 L 172/14; EuGH Rs. 369/90 Urt. v. 7.7.1992 Erwgr. 13, Sig. 19921 4239 (4263) - Micheletti. 22 Gerard-Rem? de Groo!: Auf dem Weg zu einer europäischen Staatsangehörigkeit, NWB 1993,87 (91). 23 W R. Bohning bezweifelt die Zulässigkeit derartiger einseitiger Erklärungen: Free Movement of Workers: A Rejoinder, CMLRev. 1973, 81 (83 et seq.). Vgl. zu den schwierigkeiten im Vereinigten Königreich mit den vier verschiedenen Abstufungen der Angehörigkeit: K. Simmonds: The British Nationality Act 1981 and the Definition of the Term "National" for Community Purposes, CMLRev. 1984,675.

36

1. Teil: Inhaltliche Analyse des Volksbegriffes

Notifikationsmöglichkeit ist von entscheidender Bedeutung, weil sie klarstellt, welches der rur die EU relevante Staatsangehörigkeitsbegriff ist und wer im Lichte des Gemeinschaftsrechts die Angehörigen eines Staates sind. Darüber hinaus kann sie im Einzelfall Anfragen anderer Staaten entbehrlich machen, die klären wollen ob Gemeinschaftsrecht anwendbar ist, weil die Notifikation bekannt gemacht werden muß. Diese Definitionskompetenz kann einschränkend und ausweitend gegenüber den innerstaatlichen Vorschriften ausgeübt werden. Einschränkend hat Dänemark anläßlich seines Beitritts erklärt, daß dänische Bewohner der Faröer-Inseln nur dann als dänische Staatsangehörige rur Zwecke des Gemeinschaftsrechts gelten, wenn Dänemark eine entsprechende Erklärung abgibt,24 was bisher nicht erfolgt ist. Als weitere dänische Staatsangehörige wurden Grönländer von der Anwendung des Gemeinschaftsrechts ausgenommen. Auch Großbritannien gab eine Erklärung ab, nachdem es sein Staatsangehörigkeitsrecht reformiert hatte. Danach sind nur British citizens, British subjects mit Niederlassungsrecht in Großbritannien oder diejenigen, die diesen Status durch eine Beziehung zu Gibraltar erlangt haben, britische Staatsangehörige im Sinne des Gemeinschaftsrecht, mit der weiteren Ausnahme, daß die niederlassungsberechtigten British subjects von den Channel Islands und der Isle of Man aus dem personellen Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts ausgenommen sind. Bei diesen Ausnahmen vom personellen Geltungsbereich handelt es sich jeweils um Korrelate zu Beschränkungen des räumlichen Geltungsbereichs. 25 Für Faröer, Grönländer, und Bewohner der Channel Islands sowie der Isle of Man gilt jedoch, daß sie lediglich ihren Wohnsitz in Dänemark beziehungsweise in Großbritannien nehmen müssen, wozu sie jederzeit berechtigt sind, um Unionsbürger zu werden. 26 Die Bundesrepublik Deutschland erklärte 1957 anläßlich der Unterzeichnung der Gründungsverträge, daß rur Gemeinschaftszwecke als Deutsche diejenigen im Sinne des Art. 116 GG anzusehen seien, und stellten somit neben den Staatsangehörigen die deutschen Bürger der DDR27 und Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit und deren Abkömmlinge unter den personellen Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts. Sogenannte Status deutsche , die die Staatsangehörigkeit zur Bundesrepublik Deutschland noch nicht hatten oder haben, aber 24 Art. 4 des Zweiten Protokolls der Beitrittsakte zu den Europäischen Gemeinschaften von 1972. 25 Für die Faröer: Art. 299 Abs. 6 Iit a) EGV; für die Channel Islands und die Isle of Man: Art. 299 Abs. 6 Iit. c) EGV. Nachdem Grönland sich aufgrund seines im Februar 1982 erworbenen Autonomiestatus durch Volksabstimmung gegen den Verbleib in der EWG ausgesprochen hatte, wurde mit Vertag vom 13.3.1985 aufgrund des Art. 236 EWGV die Anwendung der Verträge für Grönland aufgehoben, ABI. 1985 L 29/1 . 26 Laurie Fransman: British Nationality Law, London 1989, S. 133 et seq. 27 Dazu Albert Bleckmann: The Personal lurisdiction of the European Community, CMLRev. 1978,435.

A. Die Rechtsstellung der einzelnen als Definitionsmerkmal

37

einen Anspruch darauf geltend machen können, werden so erweiternd in den Angehörigenbegriff fiir die Bundesrepublik Deutschland miteinbezogen. Anders als Faröer oder Kanalinselbewohner müssen diese Personen auch nicht ihren Wohnsitz im Territorium der Bundesrepublik Deutschland nehmen, sondern können direkt bei Einreise in einen anderen Mitgliedstaat ihre Rechte als Unionsbürger geltend machen.

3. Staatsbezogenheit des Volksbegriffs Das so gefundene Zwischenergebnis, nach dem die Summe derjenigen, die nach dem Recht der Mitgliedstaaten im Sinne der von diesen abgegebenen Erklärungen ihre Angehörigen sind, das Volk der EU darstellt, läßt sich aber in Frage stellen, wenn man den Volksbegriff auf Staaten bezieht, und weder der EG noch der EU Staatsqualität zubilligt. Die Argumentation kann auch über den Bürgerschaftsbegriff erfolgen, der ebenfalls Staaten vorbehalten wird. Denn dann gibt es keine europäischen Staatsbürger, die zusammen ein Volk bilden könnten. 28 So gehen Wolfgang Phillips und Joachirn Wolf von einer zwingenden Verbindung von Staat und Bürgerschaft aus. Sie ziehen daraus aber gerade umgekehrt den Schluß, daß in der Einführung der Unionsbürgerschaft nach Art. 8 et seq. EGV der Übergang von einer Staatengemeinschaft zu einem Staat liege,29 weil die Mitgliedschaft der Staaten durch die Unionsbürgerschaft der natürlichen Personen überlagert werde. 30 Dietrich Murswiek argumentiert ähnlich, indem er die symbolische Bedeutung des Terminus ,,Bürgerschaft" hervorhebt, spricht aber vorsichtiger von ,,Ansätzen zur Ausbildung eines Staatsvolks".31 Tatsächlich wurden die Begriffe ,,Angehörigkeit" und "Bürgerschaft" primär für Staaten entwickelt. Die Gleichsetzung von Volk und Staatsvolk zeigt sich auch in der Bezeichnung "Völkerrecht", das im wesentlichen die Beziehungen zwischen Staaten regelt, und im Namen der "Vereinten Nationen", in der trotz

28 Ralf Grawert: Staat und Staatsangehörigkeit. Verfassungsgeschichtliche Untersuchung zur Entstehung der Staatsangehörigkeit, Berlin 1973, S. 21. 29 Jaachim Wolf Die Revision des Grundgesetzes durch Maastricht. Ein Anwendungsfall des Art. 146 GG, JZ 1993, 594 (597); Wolfgang Phillips: Ein drei stufiger Bundesstaat? Deutsche Einheit zwischen Europa und den Ländern, ZRP 1992, 433 (433); vorsichtiger Dietrich Murswiek: Maastricht und der pouvoir constituant. Zur Bedeutung der verfassunggebenden Gewalt im Prozeß der europäischen Integration, Der Staat 32 (1993),161 (182). 30 1. Wolf, JZ 1993, 594 (597). 31 D. Murswiek, Der Staat 32 (1993), 161 (182).

38

I. Teil: Inhaltliche Analyse des Volksbegriffes

des Namens grundsätzlich nur Staaten Mitglied werden können, Art. 3 und 4 UN-Charta. 32 Das schließt aber die Anwendung der Begriffe ,,Angehörigkeit" und "Bürgerschaft" auf nicht-staatliche politische Gemeinwesen nicht aus. 33 Die Begriffe Staatsangehöriger und Staatsbürger wären sogar tautologisch, beschränkte man die Bürgerschaft und Angehörigkeit auf staatliche Gemeinwesen. Die Staatsbezogenheit kann dann statt Defmitionsmerkrnal Qualitätsmerkmal des Volkes sein. Die ausdrückliche Staatsbezogenheit gibt dann nur an, in welchem Rahmen und unter welchem Gesichtspunkt eine Personengesamtheit als Volk bezeichnet wird. Da es somit nicht von vornherein ausgeschlossen ist, daß Angehörigkeits- und Bürgerschaftsverhältnisse auch zu nicht-staatlichen Gemeinwesen existieren, hängt die Entscheidung, ob ein derartiges Verhältnis der einzelnen zur EU oder zur EG besteht, von den mit diesen Begriffen verbundenen Inhalten ab. Bei der Entwicklung der Begriffe kann sich allerdings ergeben, daß nur Staaten die notwendigen Inhalte bewirken können, was Thema der folgenden Abschnitte ist (11. und III.).

4. Unions- oder GemeinschaJtsbezogenheit der UnionsbürgerschaJt

In rein formaler Betrachtungsweise bleibt somit allein fraglich, auf welches Gemeinwesen die Unionsbürgerschaft bezogen ist. Denn die Unionsbürgerschaft ist im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft geregelt, während der Name ,Unions'bürgerschaft über den Regelungsbereich der EG hinaus auf die EU und damit auch auf den EGKSV und den EAV, sowie auf die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachenbezogen ist. Dadurch kommt es zu ei32 Daß die Generalversammlung der UNO der PLO als Repräsentantin des palästinensischen Volkes (UN-Resolution 3210 (XXIX) vom 14. 10.1974, UN Doc. AlRes/3210 (XXIX» Beobachterstatus einräumte (UNO-GV Resolution 3237 UN Doc. AlRes/3237 (XXIX» zeigt nichts Gegenteiliges. Denn erstens handelt es sich lediglich um einen beschränkten Status, der auch internationalen Organisationen wie der EG eingeräumt wurde. Zweitens wird auch hier das palästinensische Volk auf einen (zukünftigen) Staat hin gedacht, der nach Erfolg der Befreiungsbewegung gegründet wird. Gleiches gilt für die GTÜndungsmitgliedschaft des Libanon, der Philippinen, Syriens und Indiens, die erst 1946/47 nach der Gründung der UNO ihre staatliche Unabhängigkeit erhielten. Volker Epping, in: Knut Ipsen: Völkerrecht, 4. Aufl. München 1999, § 28 Rn 18.) Hier wurden nicht das libanesische, das philippinische, das syrische und das indische Volk UNO-Mitglieder, sondern die zukünftig unabhängigen Staaten. 33 Zur Möglichkeit eines Staatsvolkes ohne Staat: Christian Tomuschat: Staatsvolk ohne Staat?: Zum Teso-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 77, 137), in: Staat und Völkerrechtsordnung. Festschrift für Karl Doehring, hrsg. v. Rudolf BernhardtlJochen Abr. Frowein/Helmut Steinberger, BerlinlHeidelberg et al. 1989, S. 985.

A. Die Rechtsstellung der einzelnen als Definitionsmerkmal

39

nem Auseinanderfallen des rechtlichen Instrumentariums (Recht der EG), mit dem die Unionsbürgerschaft eingefiihrt und geregelt wird, und des Handlungsrahmens (EU), der mit dem Begriff Unionsbürger angedeutet wird und in dem sich die Unionsbürgerschaft realisiert. Der gegenwärtige Integrationsstand scheint zu implizieren, daß die Unionsbürgerschaft eher eine Gemeinschaftsbürgerschaft als eine Unionsbürgerschaft ist. Erstens bezöge sich eine Unionsbürgerschaft auf ein Gebilde, das keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt. Zweitens besteht die EU aus drei Systemen, von denen zwei, die Polizeiliche und lustizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, überwiegend auf der völkerrechtsgleichen Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten beruhen, deren Aktionen nicht den gemeinschafts besonderen supranationalen Charakter haben und sich auf die Staaten und nicht auf die einzelnen beziehen. Für einen umfassenden Bezug auf die EU spricht dagegen vor allem der Name Unionsbürgerschaft. Und tatsächlich wird die rechtliche Stellung der einzelnen im Ganzen neben den staatlichen Rechtsordnungen und völkerrechtlichen Regimes nicht nur durch die Rechtsetzung der drei Europäischen Gemeinschaften, sondern auch durch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Polizeiliche und lustizielle Zusammenarbeit in Strafsachen geprägt. Die Bezugnahme auf die Union rechtfertigt sich auch aus dem Ziel des EUV, die Beziehungen zwischen den einzelnen und der EU in allen Bereichen zu intensivieren. 34 Die EU wird terminologisch fiir zukünftige Entwicklungen im europäischen Integrationsprozeß bereit gemacht. Denn ein ausfiillungsfahiger Rechtsbegriff wie die Unionsbürgerschaft bietet zumindest die Möglichkeit, ihn mit weiteren Inhalten als den bisherigen zu verbinden. Möglicherweise ist er sogar darauf ausgerichtet, weil mit dem Begriff "Bürgerschaft" bestimmte rechtliche Prinzipien verbunden sind. Dies entspricht dem dynamischen Charakter der Unionsbürgerschaft, die besonders in der Evolutivklausel des Art. 22 Abs. 2 EGV zum Ausdruck kommt. Christian König und Matthias Pechstein vertreten die Ansicht, die Unionsbürgerschaft sei im falschen Vertrag geregelt und gehöre eigentlich in den EUV.35 Gleichwohl ist die Regelung im EGV erklärbar: Gemäß Art. 2 Abs. 1 3. Spiegelstrich EUV soll die Unionsbürgerschaft den Rechts- und Interessenschutz der Mitgliedstaatsangehörigen stärken. Es geht um die Wirksamkeit der 34 Manfred Degen: Die Unionsbürgerschaft nach dem Vertrag über die Europäische Union unter besonderer Berücksichtigung des Wahlrechts, DÖV 1993,749 (751); Hans Georg Fischer: Die Unionsbürgerschaft, EuZW 1992, 566 (567). 35 Christian Koenig/Mauhias Pechstein: Die Europäische Union - die Verträge von Maastricht, 2. Aufl. Tübingen 1998, Rn 56; Renaud Dehousse: From Community to Union: an ever closer Union?, in: Europe After Maastricht, hrsg. v. Renaud Dehousse, München 1994, S. 1 (7).

40

\. Teil: Inhaltliche Analyse des Volksbegriffes

Bestimmungen und der mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Rechte und Pflichten,36 und zwar aller Rechte und Interessen. Das bedeutet, daß auch die unmittelbaren subjektiven öffentlichen Rechte im Gemeinschaftsrecht geschützt und gestärkt werden sollen. Also müssen auch die Regeln über die Unionsbürgerschaft deren Wirkungsrnächtigkeit erreichen können. Sie müssen somit unmittelbar anwendbar sein und Anwendungsvorrang sogar vor dem nationalen Verfassungsrecht genießen sowie in den Mitgliedstaaten und vor dem Europäischen Gerichtshof einklagbar sein. Dann aber ist der EGV der bestmögliche Regelungsort fiir die angestrebte Rechtsstellung, weil diese Wirkung in den anderen Handlungsrahmen nicht erreicht wird. Denn die EG stellt die umfassendste der drei Gemeinschaften und damit den wesentlichen Teil der ersten Säule als eine der drei Grundlagen der EU (Art. A EUV) dar. Für die Regelung der Unionsbürgerschaft stellt sich ihre Lozierung im EGV somit als um der optimalen Zielerreichung willen notwendiges pars pro toto dar.

5. Ergebnis: Existenz eines Unionsvolkes

In rein formaler Hinsicht liegt also ein Volk der EU vor. Indes sagt dieser Volksbegriff fiir die tatsächliche Rechtsstellung der einzelnen und ihre Zusammenfassung wenig aus. Er kann das tatsächliche Vorhandensein bestimmter materialer positivrechtlicher Inhalte widerspiegeln, aber ebenso eine bloße inhaltsleere Benennung sein, die eine nicht existente Wirklichkeit vorspiegelt. Mit dem Ergebnis, daß man aus der Einfiihrung des Wortes "Unionsbürgerschaft" fiir die Bezeichnung der Rechtsstellung der einzelnen einen Volksbegriff konstruieren kann, ist die Frage, ob ein Volk als Summe der Menschen existiert, die materiell dieselbe Rechtsstellung einnehmen, noch nicht geklärt. Fraglich ist also, ob die inhaltliche Ausgestaltung der Unionsbürgerschaft hält, was der Begriff verspricht. Die Untersuchung der materialen Inhalte der Unionsbürgerschaft ist nicht auf die Stellung der einzelnen in und zu der EU beschränkt. Vielmehr kann sich auch ergeben, daß die Unionsbürgerschaft eine Unionsangehörigkeit darstellt. Allerdings wird normalerweise deutlich zwischen Angehörigkeit und Bürgerschaft, nationality und citizenship, nationalite und citoyennete, nazionalita und cittadinanza und zwischen nacionalidad und ciudadania unterschieden. Dort wo Bürgerschaft und Angehörigkeit synonym verwendet werden, wie in der Terminologie Österreichs, erfolgt dies aus traditionellen Gründen. Entsprechend wird dort der Begriff Angehörigkeit sowohl fiir die Übersetzung internationaler Übereinkommen und vieler bilateraler Abkommen als auch in Regelungen ver36 H. G. Fischer, EuZW 1992, 566 (567).

A. Die Rechtsstellung der einzelnen als Definitionsmerkmal

41

wendet, die das Verhältnis der Mitgliedschaft zu anderen Staaten betreffen. 37 Dies zeigt ebenfalls, daß allein aus dem verwendeten Wort nicht auf einen bestimmten, möglicherweise nur intendierten, materiellen Inhalt geschlossen werden kann, so daß dies einer etwaigen KlassifIzierung der Unionsbürgerschaft als Angehörigkeit nicht entgegensteht.

11. Volk als Summe der Angehörigen

Für einen auf die materiale Rechtsstellung der einzelnen abstellenden Begriff des Staatsvolkes kann man an die Staatsangehörigkeit anknüpfen. 38 Dementsprechend könnte man als Volk der EU die Summe aller Unionsangehörigen ansehen, wenn die Unionsbürgerschaft den Menschen die Position einer Angehörigkeit zur EU vermittelt. Allerdings lehnen einige die QualifIkation der Rechtsstellung der einzelnen in und zu der EU als Angehörigkeit ab, und halten höchstens eine allmähliche Entwicklung zu einer Angehörigkeit fiir vorgezeichnet, meistens sogar nur fiir möglich. 39 Obwohl die konkrete Ausgestaltung der Unionsbürgerschaft entscheidend ist, kann mit Hilfe der Terminologie zumindest eine erste Hypothese aufgestellt werden. Die W ortwahl in den Verträgen scheint nämlich anzudeuten, daß die einzelnen nicht als Angehörige der EU angesehen werden sollen. Denn obwohl schon 1974 die Bezeichnung ,,Angehörige der Gemeinschaft" in dem Abschlußkommunique des Treffens der Staats- und Regierungschefs der Gemeinschaft am 9. und 10. Dezember in Paris40 erwähnt wurde, wurde fiir den Vertrag 37 So wird zum Beispiel der Verlust der österreichischen StaatsbürgerschaJt rur den Fall des Erwerbs einer anderen Staatsangehörigkeit angeordnet, §§ 27 - 30 Gesetz über die österreich ische Staatsbürgerschaft vom 15. Juli 1965, öBGBl117111965; vgl. dazu Siegfried Wiessner: Die Funktion der Staatsangehörigkeit. Eine historischrechtsvergleichende Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsordnungen der USA, der UdSSR und der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1989, S.43 Fn. 187 und 188. 38 Ludwig K. Adamovich/Bernd-Christian FunkiGerhart Hozinger: Österreichisches Staatsrecht Bd. I Grundlagen, WienlNew York 1997, Anm. 18.006 unter Verwendung der österreichischen Terminologie "Staatsbüf1er" R. Grawert, HbdStR I § 14 Rn 11; ~. Jellinek, Allg. StL.3, S.406; A. Katz, StR ,§3 Rn 25; R. Zippelius, Allg. StL.l , S.79. 39 Meinhard Hilf. Amsterdam - Ein Vertrag rur die Bürger?, EuR 1997,347 (351, 360); Thomas Oppermann: Sinn und Grenzen einer EG-Angehörigkeit, in: Staat und Völkerrechtsordnung. Festschrift rur Karl Doehring, hrsg. v. Rudolf BemhardtlJochen Abr. FroweinIHeJmut Steinberger, BerlinlHeidelberg et al. 1989, S. 713 (723). 40 Abschlußkommunique des Treffens der Regierungschefs der Gemeinschaft, Paris 9. und 10. Dezember 1974, Achter Gesamtbericht über die Tätigkeit der europäischen Gemeinschaften 8/1974 Ziff. 11, S. 337 (339).

42

I. Teil: Inhaltliche Analyse des Volksbegriffes

von Maastricht die Bezeichnung "Bürgerschaft" gewählt. Außerdem wird der Personenkreis der Unionsbürger gerade durch die Angehörigkeit zu einem Mitgliedstaat festgelegt, so daß die unterschiedlichen Begriffe in demselben Artikel aufgenommen werden. Wenn damit nicht angedeutet werden soll, daß Angehörigkeit und Bürgerschaft gleichbedeutend sind, wird suggeriert, daß die Beziehung zur EU keine Angehörigkeit ist; denn in Kenntnis des Begriffs Angehörigkeit wurde eine andere Bezeichnung gewählt. Etwas anderes gälte nur dann, wenn die Bürgerschaft die Angehörigkeit notwendigerweise enthielte. 41 Entscheidend ist indes die inhaltliche Ausgestaltung. Man könnte die Tauglichkeit gerade der inhaltlichen Aspekte für die Feststellung, ob die Unionsbürgerschaft eine Unionsangehörigkeit darstellt, bezweifeln. Denn nach Georg Jellinek ist die Angehörigkeit als ein Sein im juristischen Sinne nicht definierbar,42 weil einzelne Symptome und Phänomene über ein "Sein" nichts aussagen. Nun sind aber weder Staatsangehörigkeit noch Unionsangehörigkeit ein Sein an sich, sondern eine bestimmte Daseinsform in bezug auf eine konkrete Ausformung politischer Gemeinwesen. Auch die Einordnung der Angehörigkeit als eine rechtliche Eigenschaft,43 als ein Status44 oder gemäß einer vermittelnden Position als ein Rechtsverhältnis, bei dessen Regelung die Eigenschaft der Person als Subjekt eben dieses Rechtsverhältnisses einen rechtlichen Status dieser Person bildet,45 ist mangels konkreter Aussagekraft wenig ergiebig. Daher sind bestimmte Charakteristika für die Angehörigkeit bestimmend. Obwohl hier nicht nach einer Staatsangehörigkeit zur EU gefragt wird, kann die Untersuchung von deren Charakteristika ihren Ausgang nehmen. Denn der Angehörigenbegriff ist für Staaten nicht nur am umfassendsten, sondern fast 41 Vgl. dazu 2. Teil D. III. 3. 42 Georg Jellinek: Das System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. Tübingen 1905, S. 118. 43 Dionisio Anzilotti: Corso di diritto internazionale Bd. I, 3. Aufl. Padua 1928, S. 170 et seq. bzw. deutsche Übersetzung Lehrbuch des Völkerrechts Bd. I Berlin/Leipzig 1929, S. 138 et seq.; G. Jellinek, System2 , S. 116. 44 Peter Badura: Staatsrecht. Systematische Erläuterung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, München 1986, S. 592; Kay HailbronnerlGünter Renner, Staatsangehörigkeitsrecht. Kommentar, München 1991, Teil I C, Rn 5; Kay Hailbronner: Forum: Deutsche Staatsangehörigkeit und DDR - Staatsbürgerschaft, JuS 1981, 712 (712); Hans von Mangoldt, Anerkennung der Staatsangehörigkeit und effektive Staatsangehörigkeit natürlicher Personen im Völkerrecht und im internationalen Privatrecht, BDGV 29 (1988), 37 (41 et seq.); BVerfGE 36, I (30); BVerfGE 37, 217 (239); BVerfGE 77, 137. 45 Gerard-Rene de Groot: Staatsangehörigkeit im Wandel: eine rechtsvergleichende Studie über Erwerbs- und Verlustgründe der Staatsangehörigkeit, Köln/Berlin et al. 1989, S. 12; A. N. Makarov, S. 28; Albrecht RandelzhoJer: "Nationality", Encyc10pedia ofPublic International Law, Bd. 3 AmsterdarnlLausanne et al. 1997, S. 501 (502).

A. Die Rechtsstellung der einzelnen als Definitionsmerkmal

43

ausschließlich entwickelt worden. Zudem weist die Gemeinschaftsordnung hinreichend Ähnlichkeiten mit staatlichen Rechtsordnungen auf, um den Ausgangspunkt der Diskussion vom Staatsrecht zur Ermittlung eines unions- und gemeinschaftsrechtlichen Angehörigenbegriffs zu rechtfertigen. Daher soll die Rechtsstellung der einzelnen im europäischen Integrationsprozeß daraufhin geprüft werden, ob sie die Kriterien der Staatsangehörigkeit erflillt. Liegen bestimmte Merkmale nicht vor, wird untersucht, ob diese Merkmale in der verwendeten Interpretation modifiziert werden können, oder ob sie sogar entbehrlich sind. Maßgebliches Kriterium dafiir sind die Funktionen, die die Angehörigkeit zu politischen Gemeinwesen erflillen sollen. Stellt sich dabei heraus, daß die flir die EU nicht erflillten Merkmale in einer bestimmten Interpretation unverzichtbar sind, kann als Ergebnis festgehalten werden, daß die Unionsbürgerschaft keine Unionsangehörigkeit darstellt und folglich kein Volk der EU in diesem Sinne vorliegt.

1. Dauerhafte rechtliche Beziehung zwischen einzelnen und Gemeinwesen

Erste Voraussetzung einer Angehörigkeit zu einem politischen Gemeinwesen ist, daß es sich um eine rechtliche Beziehung einer Person zu dem Gemeinwesen handelt. 46 Zur Herstellung der rechtlichen Beziehung reicht die gesetzliche Festlegung, wer zu dem Personenkreis gehört, den ein politisches Gemeinwesen als seine Angehörigen ansieht. 47 Auf eine eine ausdrückliche Bezeichnung der einzelnen als Angehörige kommt es dabei nicht an. Sowohl die EG als auch die EU sind Rechtsgemeinschaften, wenn auch letztere keine eigene Rechtspersönlichkeit hat. Die Rechtsnorm Art. 22 Abs. I Satz 2 EGV bestimmt, wer Unionsbürger ist, wobei ein Bezug zur EG durch den Regelungsort, ein Bezug zur EU durch die Bezeichnung hergestellt wird. Die ersten Voraussetzung ist also erflillt. Außerdem muß eine Angehörigkeit auf Dauer angelegt sein. Wie die Staatsangehörigkeit ist die Unionsbürgerschaft wegen der grundsätzlich unbefristeten Geltungsdauer der Verträge gemäß Art. 312 EGV und Art. 51 EUV auf Dauer angelegt. 48

46 K. Hailbronner, JuS 1981,712 (712). 47 Bernhard Raschauer: Staatsangehörigkeit, in: Staatslexikon Recht. Wirtschaft. Gesellschaft Bd. 5, hrsg. v. Görres - Gesellschaft, 7. Aufl. Freiburg im Breisgau 1989, Sp. 173 (173). 48 Dies gilt auch für den EA V; der Regelungsbereich des befristeten EGKSV steht nach Ablauf der Geltungsdauer unter dem Regime des EGV.

44

I. Teil: Inhaltliche Analyse des Volksbegriffes

2. Personalität der Rechtsbeziehung zwischen Unionsbürgern und der EU

Staatsangehörigkeitsverhältnisse sind durch Personalität ausgezeichnet. Darunter ist die Befugnis zu verstehen, verbindliche Regelungen über Personen zu treffen, ohne daß die Beziehung über das Territorium des Gemeinwesens vermittelt wird. Der aktuelle Aufenthalt oder die rechtliche Beziehung zu einem Staat als Eigentümer von Immobilien49 reichen nicht aus. Allerdings zeigt sich, daß zumindest der Erwerb der Angehörigkeit nicht vollständig vom Staatsgebiet zu trennen ist. Dies gilt insbesondere für den Erwerb bei der Geburt nach dem ius soli-Prinzip. Aber auch das ius sanguinisPrinzip hat einen - wenn auch marginalen - Bodenbezug. Denn das Abstammungsprinzip muß auf Vorfahren gleicher Staatsangehörigkeit zurückweisen. Weil das aber nicht ad infinitum möglich ist, müssen zumindest die "UrVölker" primär territorial definiert werden. Entscheidend für die Personalität ist die Personalhoheit, die den Charakter von politischen Gemeinwesen als Personalverbände widerspiegelt, also als Verbände, deren Mitglieder natürliche oder juristische Personen sind. Die Personalhoheit äußert sich in der Befugnis, gebietsunabhängig verbindliche Regelungen für Menschen zu treffen. 50 Indizien dafür sind insbesondere extraterritoriale Wirkungen, die dann bestehen, wenn sich der Staatsangehörige außerhalb des Staatsgebietes befindet. Sie können in Verpflichtungen oder Berechtigungen der einzelnen liegen, die im Inland bestehen, und - gegebenenfalls auch modifiziert - bei Verlassen des Territoriums fortgelten, oder in Rechtsfolgen, die gerade den Fall des Auslandsaufenthaltes betreffen. Allerdings kann die Intensität der Wirkungen erheblich eingeschränkt sein, weil seine Durchsetzung infolge des Konflikts mit der Territorialhoheit des Aufenthaltsstaates nur eingeschränkt möglich ist und in der Regel auf entsprechende völkerrechtliche Vereinbarungen zwischen den betroffenen Staaten angewiesen ist. Fraglich ist also, ob durch den europäischen Integrationsprozeß über und für die Unionsbürger Personalhoheit ausgeübt wird. Der Verlauf des europäischen Integrationsprozesses zeigt, daß er unter dem Schlagwort "Europa der Bürger" immer weiter auf die einzelnen hin ausgerichtet wird. Auf der Rechtsfolgenseite werden immer mehr unmittelbar anwendbare Rechte und Pflichten eingefiihrt. Das Rechtsverhältnis zu den Unionsbürgern kann dabei auch soweit extraterritoriale Wirkung entfalten. So können im Rahmen der Kompetenzen der EG völkerrechtliche Verträge mit unmittelbaren

49 Jose! Isensee: Die staatsrechtliche Stellung der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, VVDStRL 32 (1974), 49 (61). 50 R. Grawert, Staat und Staatsangehörigkeit, S. 218.

A. Die Rechtsstellung der einzelnen als Definitionsmerkmal

45

Rechtsfolgen für Unionsbürger abgeschlossen werden. 51 Damit ist sowohl die Voraussetzung der Personalität des Rechtsverhältnisses als auch die der Möglichkeit der Existenz extraterritorial wirkender Rechtsfolgen durch den europäischen Integrationsprozeß erfüllt. Rainer Hofmann lehnt gleichwohl die Existenz einer vollständigen Personalhoheit deswegen ab, weil gemäß Art. 20 EGV die Ausübung diplomatischen Schutzes den Mitgliedstaaten vorbehalten ist. 52 Extraterritoriale Rechtswirkungen bestehen aber nicht nur, wenn ein politisches Gemeinwesen sie selbst umund durchsetzt. Entscheidend ist, ob aufgrund des Rechtsverhältnisses der einzelnen zu einem politischen Gemeinwesen exterritoriale Rechtsfolgen eintreten. Die Extraterritorialität ergibt sich hier daraus, daß die Mitgliedstaaten aus Gemeinschaftsrecht verpflichtet sind, außerhalb des Territoriums der EU diplomatischen und konsularischen Schutz für Angehörige anderer Mitgliedstaaten wie für eigene auszuüben. 53 Gegen Hofmanns Argumentation läßt sich zweitens und entscheidend ins Feld führen, daß nicht das Kriterium der vollständigen Abdekkung aller möglichen oder jedenfalls bestimmter extraterritorialer Rechtswirkungen angewendet werden muß. Hinter einer derartigen Voraussetzung steht die Idee, daß die Staatsangehörigkeit die Person in ihrer Gesamtheit als Rechtspersönlichkeit urnfaßt. Mit den vielfältigen Einschränkungen der Möglichkeit zur Ausübung von Hoheitsgewalt durch die Einbindung der Staaten in internationale Rechtsverhältnisse kann aber schon für Staaten dieser Maßstab nicht aufrechterhalten werden. Es ist auch nicht erforderlich, daß alle möglichen oder auch nur bestimmte extraterritoriale Rechtsfolgen tatsächlich bestehen. Denn für Personalhoheit reicht es aus, daß sie überhaupt existieren können. Die Rechtsbeziehung zwischen Unionsbürger und EG ist also durch Personalität ausgezeichnet. Die Unionsbürgerschaft äußert sich in einem Rechtsverhältnis, dessen Folgen innerhalb und außerhalb des Territoriums der EU eintreten können. Somit scheitert die Einordnung der Unionsbürgerschaft als Unionsangehörigkeit jedenfalls nicht aus diesen Gründen.

51 Birgit Suski: Das Europäische Parlament. Volksvertretung ohne Volk und Macht?, Berlin 1996, S. 63 et seq. 52 Rainer Hofmann: German Citizenship Law and European Citizenship: Towards a Special Kind of Dual Nationality?, in: European Citizenship: An Institutional ChaIlenge, hrsg. v. Massimo La Torre, The Hague/London/Boston, S. 149 (159/160). 53 Dadurch wird den Unionsbürgern kein Anspruch auf Ausübung diplomatischen Schutzes zu ihren Gunsten vermittelt. Denn es handelt sich nicht um ein subjektives öffentliches Recht der Begünstigten, sondern um eine Berechtigung des Staates zugunsten seiner Angehörigen. Unionsbürger haben somit in der Bundesrepublik Deutschland lediglich einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung, vgl. Karl Doehring: Die Pflicht des Staates zur Gewährung diplomatischen Schutzes, Berlin 1959.

46

\. Teil: Inhaltliche Analyse des Volksbegriffes

3. Allgemeinheit

Staatsangehörigkeit zeichnet sich durch Allgemeinheit aus. Nach Herbert Krüger bedeutet Allgemeinheit in qualitativer Hinsicht, daß der Staat sich nicht mit besonderen Eigenschaften seiner Angehörigen identiflziert. Die Staatsangehörigkeit wird also nicht an beispielsweise Religion oder Rasse der einzelnen geknüpft. 54 Birgit Suski kritisiert das Kriterium der Allgemeinheit, weil es nicht zur Unterscheidung zwischen Angehörigen und Fremden beitragen könne. Da der Fremdenstatus letztlich nur die Negation des Angehörigenstatus sei, werde er mit denselben allgemeinen Kriterien deflniert wie der Angehörigenstatus. 55 Das Allgemeinheitskriterium vermag aber immerhin verschiedene Arten der Zurechnung von Personen zu Staaten oder Verbänden voneinander abzugrenzen. Soll also die Unionsbürgerschaft eine Unionsangehörigkeit darstellen, muß sie sich durch Allgemeinheit auszeichnen. Die Unionsbürgerschaft knüpft nicht an Religion oder Muttersprache an, sondern ausschließlich an die Angehörigkeit zu einem Mitgliedstaat. Aber die Voraussetzung der Angehörigkeit zu einem der Mitgliedstaaten steht der Allgemeinheit der Unions bürgerschaft dann entgegen, wenn die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit eine besondere Eigenschaft der betreffenden Menschen darstellt. Daß nicht die Zugehörigkeit nur zu einem Staat gefordert wird, stellt zwar zumindest eine Verallgemeinerung dar, 56 fUhrt aber nicht automatisch zur Allgemeinheit der Anknüpfung. Denn auch die Voraussetzung der Erfüllung einer von mehreren Möglichkeiten ist eine besondere, wenn alle Alternativen besondere Eigenschaften darstellen und die Möglichkeiten zahlenmäßig beschränkt und abschließend bestimmt sind. Die Unionsbürgerschaft knüpft also durch die Voraussetzung, eine von fünfzehn möglichen Staatsangehörigkeiten zu haben, an besondere Merkmale an, wenn die Staatsangehörigkeit als besondere Eigenschaft der Person anzusehen ist. Dahingehend wird die Ansicht Dionisio Anzilottis relevant, der die Staatsangehörigkeit als rechtliche Eigenschaft ansieht. 57 Aber selbst wenn man die Staatsangehörigkeit, an die die Unionsbürgerschaft anknüpft, als Eigenschaft qualiflziert, was nicht allgemein anerkannt ist,58 stellt sie keine besondere Eigenschaft dar. Denn die Staatsangehörigkeiten aller Mitgliedstaaten sind an allgemeine Voraussetzungen geknüpft. Somit ist die Allgemeinheit der Unionsbürgerschaft gegeben, wenn auch über die Staatsangehörigkeit in einem Mitgliedstaat vermittelt. 54 Herbert Krüger: Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. StuttgartiBerlin et al. 1966, S.160. 55 B. Suski, S. 52. 56 E. Grabitz, S. 105. 57 D. Anzilotti, S. 170 et seq., dt. Übers. S. 138 et seq. 58 Siehe oben unter 11.

A. Die Rechtsstellung der einzelnen als Definitionsmerkmal

47

4. Voraussetzung besonderer Enverbsgründe

Fraglich ist, ob die Stellung als Angehöriger eines politischen Gemeinwesens voraussetzt, daß diese Rechtsstellung aufgrund besonderer Gründe erworben wird. Der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen betont zwar in ständiger Rechtsprechung die grundsätzliche Kompetenz der Staaten festzulegen, wer ihre Angehörigen sind. 59 Aber für die völkerrechtliche Anerkennung der Staatsangehörigkeit verlangt er über Abwesenheit der Zuerkennung in fraudem legis60 oder aufrechtsmißbräuchliche Weise 61 hinaus die Erfüllung weiterer Kriterien: Bei Erwerb der Staatsangehörigkeit anders als durch Geburt muß die Staatsangehörigkeit auf einer tatsächlichen Zugehörigkeit, nämlich einer echten Verbindung von Existenz, Interessen und Empfmdungen vom Individuum zum Staat gründet. 62 Die notwendige Intensität dieser auf Dauer angelegten komplexen Verbindung ist umstritten. Die einen verlangen irgendeine tatsächliche Anknüpfungsmöglichkeit,63 andere eine nähere enge persönliche Beziehung,64 während 59 ICJ Judgement of April 6th, 1955, ICJ Reports 1955, 1 (20) - Nottebohm; PC/J Advisory Opinion No.4 of February 7th, 1923, Series B No 4, S. 23 et seq. - Nationality Decrees in Tunis and Marocco. In diesem Zusammenhang wird meistens Art. 1 Haager Konvention über gewisse Fragen beim Konflikt von Staatsangehörigkeitsgesetzen vom 12.4. 1930 (UNTS Bd. 179, 89 et seq.) zitiert, die aber nur von 21 Staaten ratifiziert wurden. Da die Kritik die Regelungen betreffend Doppelstaater und Staatenloser betraf, zeigt die mangelnde Ratifizierung nicht eine anderweitige Rechtsüberzeugung an, A. Bleckmann, CMLRev. 1978,435 (444). Jedenfalls handelt es sich um allgemeines Völkergewohnheitsrecht aufgrund einer einheitlichen Staatenpraxis, die von einer entsprechenden Rechtsüberzeugung getragen wird, Wolfgang Hannapel: Staatsangehörigkeit und Völkerrecht. Die Einwirkung des Völkerrechts auf das Staatsangehörigkeitsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt a.M. 1986, S. 24; Lassa F. Oppenheim/Hersch Lauterpacht: International Law. A Treatise Bd. 1, 10. Aufl. London 1955, S. 643, 661; Peter Weis: Nationa1ity and Statelessness in International Law, 2. Aufl. Alphen aan dem Rijn 1979, S. 101; BVerfGE 37, 217 (239); BVerwGE 66, 277 (281). 60 S. Wiessner, S. 76.

61 Mit unterschiedlichen Inhalten Georg Dahm: Völkerrecht Bd. I, Stuttgart 1958, S.459. 62 ICJ Judgement of April 6th, 1955, ICJ Reports 1955, 1 (23) - Nottebohm; fan Brownlie: Principles of Public International Law, 4. Aufl. Oxford 1990, S. 407 et seq., kritisch wegen der daraus folgenden faktischen Schutzlosigkeit der Betreffenden bei Fehlen des genuine link: Georges Perrin: Les conditions de la validite de la nationalite en droit international public, in: Recueil etudes droit international en hommage ci Paul Guggenheim, hrsg. v. Faculte de droit de I'Universite de Geneve. Institut universitaire de hautes etudes internationales, Geneve 1968, S. 853 (854 et seq.). 63 Bernhard Dubois: Die Frage der völkerrechtlichen Schranken landesrechtlicher Regelung der Staatsangehörigkeit, Bern 1955, S. 25; A. N. Makarov, S. 95. 64 P. Badura, StR, S.593; W. Hannapel, S.26; Wilhelm Wengier: Völkerrecht Bd. 11, Berlin/Göttingen/Heide1berg 1964, S. 988; BVerfGE 1, 322 (329).

48

I. Teil: Inhaltliche Analyse des Volksbegriffes

eine vermittelnde Meinung das Bestehen vernünftiger, sinnvoller Anknüpfungspunkte fur erforderlich hält65 . Da derartige Beschränkungen der Befugnis, Erwerbsregeln fur die Staatsangehörigkeit zu erlassen, im Staatsrecht kaum thematisiert werden, vertreten einige die Ansicht, daß zwei verschiedene Angehörigkeitsbegriffe existieren,66 und daß der völkerrechtliche enger als der staatsrechtliche sei. 67 Weil im Völkerrecht niemand ohne die entsprechende positive Festlegung als Angehöriger eines Staates gilt, scheint die staatsrechtliche Defmition tatsächlich eine Minimalbedingung der völkerrechtlichen darzustellen, die zusätzlich eine tatsächliche soziale Bindung zwischen dem Individuum und dem Staat verlangt. Bei einer derartigen Argumentation \\