Das Verhältnis des Staates zur Kirche nach humanistischer Anschauung, vornehmlich bei Erasmus [Reprint 2019 ed.] 9783111664897, 9783111280219


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German Pages 32 [40] Year 1930

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Vorwort
Das Verhältnis des Staates zur Kirche nach humanistischer Anschauung
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Das Verhältnis des Staates zur Kirche nach humanistischer Anschauung, vornehmlich bei Erasmus [Reprint 2019 ed.]
 9783111664897, 9783111280219

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Vas Verhältnis -es Staates zur Nirche nach humanistischer Anschauung vornehmlich bei (Erasmus dargestellt von

Wilhelm Maurer Lic. theol. Pfarrer in Michelbach privaldozent an der Universität Marburg

1930

Verlag von Alfred Töpelmann in Gießen

Rus der Welt der Religion Forschungen und Berichte, unter Mitwirkung von

Heinrich Frick und Rudolf (Dtto

herausgegeben von Erich Fascher und Gustav Mensching

problemgeschichtliche Reihe,

heft 1.

printed in Germany

von Münchow'sche UniversitStsdruckerei (Dtto Kinbt in Gießen

Vorwort. (Es ist eine längst bemerkte merkwürdige Tatsache, daß die für Luther charakteristische Auffassung des verhältniffes von obrigkeit­ licher Gewalt und Kirche, wie sie zuletzt holl klar herausgestellt hat, aus dem Gebiete des Protestantismus sich in den entscheidenden Punkten nicht hat durchsetzen können. Nicht nur die kirchliche Praxis, sondern ebenso die geschichtliche Forschung ist durch diesen Sachverhalt auf mancherlei Irrwege geführt worden. Der Frage nach der geschicht­ lichen Ursache des versickerns von Luthers ursprünglichen Gedanken verdankt die vorliegende kleine Studie ihre Entstehung. (Es Kann hier freilich das Problem nur in großen Umriffen skizziert werden. Eine umfaffende quellenmäßige Untersuchung, die die Soziallehren von Spät­ scholastik, Humanismus und von Luthers Schülerkreis — diesen im weitesten Sinne genommen — umfassen müßte, würde noch Jahre er­ fordern; sie könnte gewiß die hier nur angedeuteten Linien vie sicherer ziehen. Den Grundstock der Untersuchung bildet meine im November 1928 gehaltene öffentliche Antrittsvorlesung; die Umarbeitung hat die Stil form der gesprochenen Rede nicht ganz zum verschwinden gebracht.

IRarburg/lNichelbach, den 20. August 1929. ID. Maurer.

Für die Entwickelung der Staatstheorie bildet im abendländischen Kulturpreis das zweite Jahrzehnt des sechzehnten Jahrhunderts einen bedeutsamen Wendepunkt. 1516 erschien die Institutio Principis Christiani (Unterweisung eines christlichen Fürsten) des Erasmus, mit der Widmung an den Prinzen Karl, den Erben der habsburgischen Weltmonarchie. 1515 schon hatte der Engländer Thomas Morus, damals in regem persönlichen Gedankenaustausch mit dem großen niederländischen Gelehrten stehend, die eine Hälfte seiner Utopia begonnen; im folgenden Jahre kam das ganze Werk heraus, die Programmschrift für die künftige staatspolitische Tätigkeit des Morus. 3n demselben Jahre 1516 vollendete der florentinische Staatsmann Machiavelli handschriftlich seinen Principe, von dem ein erster Ent­ wurf, von den Fürstentümern (de principatibus) betitelt, schon 1513 entstanden war. Auch er verfolgte mit der Abfassung seiner Schrift zunächst ein praktisches Ziel: Vie Medici, die sich eben die Allein­ herrschaft über Florenz aufs neue gesichert hatten, sollten daraus ersehen, daß der Staatsmann Machiavelli nicht nur zum Dienste in der aristokratischen Republik, sondern auch in dem neugeordneten Staatswesen geeignet war. So sind die drei genannten Schriften Gelegenheitsschriften im besten Sinne; sie dienen je einem unmittel­ baren Gegenwartszwecke, der teilweise von ganz persönlichen Absichten nicht zu trennen ist. Aber das mindert keineswegs ihre weit in die Zukunft weisende geistesgeschichtliche Bedeutung. Sie bezeichnen einen neuen Anfang in der Geschichte des staatlichen Denkens. Nachdem das Mittelalter allein die universalen Gewalten von Papsttum und Kaisertum als die herrschenden (Drgane am Leibe der Thristenheit gekannt hatte, wurde hier der Staat - noch nicht so sehr die Nation als ein (Organismus betrachtet, der, zwar immer noch in den uni­ versalen Zusammenhang eingebettet, dennoch sein Eigenleben zu führen berechtigt war. Ligenwert und Ligengesetzlichkeit des Staates sind damals zuerst entdeckt worden. Ehe sie entdeckt werden konnten, mußten sie vorhanden sein. Die Staatstheorie vermag, wie jede andere lebendige Wissenschaft, nur das vorhandene Leben darzustellen und in lebendiger Durch-

6 dringung Klärend zu gestalten. Jener neue Durchbruch im Denken über den Staat hatte zur Voraussetzung die Entstehung des modernen Staates. Noch war er längst nicht zur vollen Entfaltung gekommen, noch lebten die großen Massen der Gebildeten und Unge­ bildeten weiter in den Bahnen mittelalterlichen staatlichen Denkens; noch waren selbst die Träger der neuen Staatsgewalt sich vielfach nicht klar über die Fülle neuer Möglichkeiten, die ihnen in die Hand gegeben waren. Uber seitdem in den großen Resormkonzilien zu Anfang des 15. Jahrhunderts die zentrifugalen politischen Instanzen maßgebenden Einfluß auf die Kirchliche Entwicklung gewonnen hatten, seitdem dann die Kurie, die stärkste geistige Macht der alten Welt, mit den aufstrebenden landesherrlichen Gewalten in einzelnen Konkor­ daten ihren Frieden geschloßen und sie damit legitimiert hatte — seitdem war die neue staatliche Ordnung begründet. Den westeuropäischen Völkern - Frankreich zuerst, dann Eng­ land und schließlich, überraschend schnell, Spanien - war die Ver­ wirklichung der Idee des Einheitsstaates gleichsam über Nacht in den Schoß gefallen. 3tt Deutschland begünstigte der Sturz des universalen Kaisertums das Emporkommen der ständischen Territorialgewalten. Deutschland konnte daher nur peinlich wirkende Miniaturbilder des Westeuropäischen zentralisierten Staates in seinen einzelnen Territorien hervorbringen. Vie neue Staatsidee verkümmerte hier in den patriar­ chalisch regierten Fürstentümern und in den Handbüchern der Gelehrten. In Italien, das, dem nördlichen Nachbarn nach dem verfall des Kaisertums an innerer Zerrissenheit gleich, ihn an Aufgeschlossenheit für die neuen Ideen weit überragte, belebte der Gedanke eines ein­ heitlich zusammengefaßten Staatswesens — als Wunschbild wenigstens — die edelsten Geister; der Traum eines starken Italiens wurde hier, in Anknüpfung an den durch das ganze Mittelalter hindurch gehenden Romgebanfcen1), von Dichtern, Staatsmännern und Feld­ herren geträumt, hier, wo das ungebrochene Licht antiker Traditionen niemals ganz erloschen war, konnte auch die neue staatliche Wirk­ lichkeit zuerst ihr Gegenbild in der Vergangenheit finden, hier gelangte sie deshalb auch zuerst zur Anschauung ihrer selbst und damit zu ihrer eigenen Klärung. Das Imperium Romanum, die altrömische Republik und die griechische polis sind der Spiegel, in dem der moderne Staat seine eigenen Züge wiedererkennt. *) vgl. Fedor Schneider: Hom und der Homgedanke im Mittelalter. Vie geistigen Grundlagen der Henaissance. München 1926.

Jetzt konnte man daher auch erst die Staatsanschauung der klassischen Denker unbefangen in ihrem geschichtlichen Zusammenhang, in ihrer Verflochtenheit mit der antiken Staatswirklichkeit würdigen, brauchte nicht mehr, wie das Mittelalter das getan, die Traditionen des Altertums nach den venkformen des fluguftinismus umzubiegen.

Die antike Staatsphilosophie der großen Historiker und Philosophen — von Plato bis zur Stoa — bietet das Gedankengut dar, mit dessen Hilfe der moderne Staat sein Wesen ausdrückt und sich über Zweck und Ziel seines Daseins Klarheit zu schaffen sucht. Die Fürstenspiegel der italienischen Humanisten im ausgehenden 15. Jahrhundert sind, gerade in dem bombastischen Wortschwall, mit dem sie ihre fürstlichen Mäzene verhimmeln, die ersten schüchternen versuche, mit den Kräften der Antike der neuen Staatswirklichkeit Herr zu wer­ den *).

In diesen Zusammenhang müssen die anfangs genannten staats­ theoretischen Schriften hineingestellt werden; sie bieten in vollendeter

Form, was jene humanistischen Vorläufer erstrebt hatten. Wohl trachten auch ihre Verfasser nach Anerkennung von feiten der Für­ sten, für deren Auge sie zunächst bestimmt sind. Aber nicht durch das Mittel hofmännischer Schmeichelei suchen sie ihr Siel zu erreichen, vielmehr dadurch verschaffen sie sich Gehör, daß sie die Forderungen aussprechen, die der neue Staatsgedanke an die verantwortlichen politischen Führer zu stellen hat. Alle drei Schriftsteller sind von dem tiefsten Pathos erfüllt. So sehr ihnen die Antike als absolutes Vorbild für das moderne Staatsleben vor Augen steht, so sehr sie auch in der Form ihres Stiles dem antiken Beispiel nacheifern, so weit sind sie doch von dem Pathos des antiken Rhetors entfernt, der überreden will, um zu überzeugen. Ihre Schriften sind vielmehr getragen von einer tiefsten, sachlichen Leidenschaft für den Staat und

die unerbittlichen Forderungen, die er zu stellen hat - einer Leiden­ schaft, wie sie nicht die Beschäftigung mit alten Büchern, sondern nur der unmittelbare Eindruck einer lebendigen Wirklichkeit zu erzeugen vermag. Nicht daß sie die Probleme gelöst hätten, die der in sich

selbst ruhende Staat, der in sich selbst einen Kosmos geistiger werte birgt, für jeden stellt, der Kenntnis von überstaatlichen werten be­ sitzt. Aber daß sie diese Probleme empfanden und als Probleme fühlbar machten, ist ihr Verdienst. 3m Grunde handelte es sich bei *) vgl. Wilf;. Münch: Gedanken über Fürstenerziehung, München 1909 S. 47 ff., S. 81 ff., S. 311 flnm. 24.

8 allen diesen Fragen um ein Kernproblem. Wie sollte der Staat, der sich selbst genug ist, fertig werden mit dem Christentum, das seinerseits diese Autonomie nicht anerkennen kann, sondern von sich aus Forderungen auch an den Staat zu stellen hat. Vie Grundfrage der europäischen Staatengeschichte, die immer wieder auftaucht, und die erst dann erledigt sein würde, wenn ein neues Heidentum in unserem Kontinent den Sieg davon trüge — diese Grundfrage wird in unseren 3 Schriften für das politische Denken der Renaissance gestellt, Oder, daß wir sie in ihre Teilsragen zerlegen: Wie verhält sich die Macht, die der Staat nach außen und nach innen ausübt, zu der im Christentum dargestellten sittlichen Idee? Inwieweit ist die Rechtsordnung, die der Staat für sich selber schafft, und nach der er seine Beziehungen zu anderen Staaten regelt, in den sittlichen Ordnungen des Christentums verankert? Wie stellt sich der Staat zu den vom Christentum ausgehenden religiösen Kräften? Ordnet er sie sich ein, so vergewaltigt er sie; läßt er sie frei, so sprengen sie sein wohlgesestigtes Gefüge. Wie insbesondere verhält er sich zu der Gemeinschaftsform des Christentums, die man Kirche heißt, da die vom Christentum entbundene religiöse Kraft sich eine eigene soziale Gestaltung gibt, ohne nach dem autonomen Staate zu fragen, ohne sich an seine Grenzen zu kehren?

Für die Praxis verwickeln sich mit dieser letzten Frage alle die anderen, mehr theoretischen; in der Frage des verhältniffes von Staat

und Kirche wird die Auseinandersetzung zwischen modernem Geist und Christentum für jede Epoche aktuell. Aber gerade weil an diesem Punkte alle jene Fragen zu einer in rechtlichen Formen greifbaren Gestaltung kommen sollen, gerade deshalb ist hier dem Staats­ theoretiker und dem Theologen am meisten Zurückhaltung auferlegt. Man braucht sich deshalb nicht zu wundern, wenn die drei Schriften aus der Zeit der Renaissance, von denen wir ausgingen, für die Bestimmung des verhältniffes von Staat und Kirche uns keine runde Formel anbieten. Erst in schwachen Umrissen vermögen sie die Lösung dieses verhältniffes darzustellen. So eindeutig sie sonst die Aufgaben des Staates aufzuzeigen wissen, so wenig vermögen sie über die Einzelheiten in diesem Grenzgebiete des Staatsrechtes Angaben zu machen. Aber wiederum sagen wir: Vas mindert keineswegs den Wert dieser drei Schriften, auch nicht für unsere Frage nach dem Verhältnis von Staat und Kirche. Gerade darin, daß sie rein von den staatlichen Notwendigkeiten aus dieses Verhältnis bestimmen, liegt

das Neue, in die Zukunft Weisende bei ihnen - während das Mittel­ alter stets von der Kirche ausgegangen war. Um zu einem rechten Verständnis zu kommen, müssen wir daher ihrem Gedankengange folgen, müssen uns ihre Staatsanschauung deutlich machen und von da aus mit ihnen fragen, welcher Raum für eine organisierte Kirche dann noch verbleibt und wie sie gestaltet sein mutz. (Es wird dabei deutlich werden, wie — gemätz der Fülle der im modernen Staate eingeschlossenen Kräfte und Möglichkeiten — bei unsern Staats­ theoretikern die Ansichten über die Aufgaben des Staates auseinander­ gehen, wie aber trotzdem von ihnen allen das Verhältnis von Staat und Kirche einheitlich bestimmt wird. 3nt Blick auf (Erasmus könnte man fragen, ob er überhaupt den modernen Staatsgedanken sich angeeignet hat. vom Princeps Christianus handelt seine Schrift; besagt ihr Titel nicht schon, daß vor der Bedeutung des im Sinne des Christentums geführten Fürsten­ amtes der Staat als selbständige Grötze verschwindet? Gewitz, Erasmus sieht den Fürsten als entscheidenden Träger der Staatsgewalt an; aber diese Staatsgewalt ist für ihn nicht mit der Fürstengewalt identisch, dazu ist er zu tief in das antike Denken über den Staat eingedrungen. „Der Staat, der soviele ausgezeichnete Männer und Frauen umfaßt, ist größer als allein das fürstliche Haupt"; der Fürst kann fehlen, der Staat bleibt deshalb doch bestehen x). Vas aristo­ telische Bild von einem Staat als einem Organismus wird in der Weise der hellenistischen Popularphilosophie dazu verwandt, die Freiheit der Glieder hervorzuheben. Nicht darauf liegt der Ton, daß der Fürst als Haupt des Staatskörpers das vornehmste Glied2) ist, sondern daß auch die Glieder Ansprüche an ihr Haupt zu stellen haben, und daß ihre sittliche Würde die Majestät des Herrschers ausmacht. Niemals sind sie als Untertanen wie Sklaven Eigentum ihres Fürsten3). Vie

*) IV 601 A „Quod si facienda est collatio inter ea quae natura coniunxit, ne componat se Rex cum quolibet suorum, sed cum universo Reipublicae corpore: Ita videbit, quanto pluris sit illa, tot egregios viros et foeminas complectens quam unicum Principis caput. Respublica etiam si Princeps desit, tarnen erit Respublica.“ Die Betrachtung der antiken Demokratien zeigt die Entbehrlichkeit der Fürsten: „denique Respublica Principem amplectitur, non contra. Quid est enim quod Principem tantum facit nisi Consensus obsequentium?“ a) membrum eximium, V 579 E. *) IV, 578 DE: Proinde deterius fecerit Imperium, qui liberos cives verterit in mancipia. Quo praestantius est in quod geris Imperium, hoc magnificentius ac splendidius regnas.

10 Natur hat alle Menschen frei geschaffen, und Sklaverei ist w i d e r die Natur l). Vie Untertanen gehören nicht dem Fürsten, sondern er führt sein Amt als ihr Vertrauensmann: Vie Billigung der anderen macht -en Fürsten zum Fürstens. So wäre wohl in der Theorie, wenn nämlich alle Fürsten die natürlichen Rechte ihrer Untertanen achteten, -ie Monarchie die beste Staatsform, weil ja auch das Weltall von der einen göttlichen Macht beherrscht roirb3); aber in der Gegenwart ist für (Erasmus wie für Machiavelli der vollkommenste Staat der, in dem Monarchie, Aristokratie und Demokratie im rechten Verhältnis stehens. Damit bringt Erasmus, rein äußerlich angesehen, nichts anderes als was Thomas in Anlehnung an Aristoteles auch gelehrt hatte3). Und doch hat sich unter der Gberfläche eine entscheidende Wandlung vollzogen. Nicht mehr wird in akademischer Erörterung die Frage nach der besten Staatsform diskutiert, während die bestehende LehnsOrdnung die unverrückbare Grundlage für den Staatstheoretiker bildet, der er die aus der Antike gewonnenen Merkmale zuerkennt. Sondern in der Rritik an der bestehenden Regierungspraxis kommt Erasmus zur Trennung des eigentlichen Staates vom gegenwärtigen Träger der obrigkeitlichen Gewalt, die Staatsidee verselbständigt sich, ein Staatsideal, an dem die empirische Wirklichkeit gemessen wird und zu dem hin sie gestaltet werden soll, taucht von fern auf. Damit

*) IV 578 ß: Cum natura genuerit omnes homines liberos, et praeter naturam inducta sit servitus, quod Ethnicorum etiam leges fatentur, cogita quam non conveniat Christianum in Christianos usurpare dominium, quos nec leges servos esse voluerunt, et Christus ab omni servitute redemit. 2) IV 579 B: Primum tui non sunt quos servitio premis, Consen­ sus enim Principem facit. 8) IV 576 D . . . . Philosophorum enim ferme Consensus est, saluberrimam esse Monarchiam nimirum, ad exemplar Dei, ut rerum summa penes unum sit, verum ita, si is ad imaginem item Dei, sapientia bonitateque caeteris omnibus antecellat et mullius indigens nihil aliud studeat quam prodesse Respublicae. 4) IV 576 E. 5) vgl. Summa theol. 1, II, 105, 1. — Indem Thomas a. a. (D. wie in de regimine principum in der feudalen Gesellschaftsordnung des Mittel­ alters die ideale Mischung der drei aristotelischen verfassungsformen wiedersindet, fallen die Gegensätze weg, die 3°t A. Tnders (de regimine princi­ pum d. hl. Thomas v. Hquin; Festgabe für Clemens Baeumker, Münster 1913) zwischen dieser politischen Gelegenheitsschrift und der Summa kon­ struiert.

ist die mittelalterliche Anschauung von der Gbrigkeit im Prinzip über­

wunden, im Laufe geistesgeschichtlicher Entwicklung ist mittelalterliches uaturrechtliches Denken wieder rein zu seinem antiken Ursprung zurückgekehrt, hat die antike Staatsidee bei der Entstehung des

modernen Staatsgedankens Geburtshelferdienste geleistet. So bietet hier das heidnische Naturrecht dem Staatstheoretiker das Mittel, den bestehenden selbständigen Staat auch ideell aus den mittelalterlichen Fesseln zu befreien, und gleichzeitig ist dem Gemein­ wesen mit dem Naturrecht ein Gedankengebilde einverleibt, das seine Verfassungsentwicklung bis auf den heutigen Gag entscheidend be­ stimmt hat. Erasmus hat sich indessen in diesem antiken Natur­ recht nicht begnügt; ist es doch der christliche Staat, den er be­ schreibt, so kann er auch das Naturrecht christlich begründen. Ehristus hat die Menschen durch sein Blut von der Sklaverei erlöst; alle die sich nach seinem Namen nennen, dieselbe Glaubenslehre angenommen haben und dieselben Sakramente empfangen, sind untereinander Brü­ der *). Princeps Christianus im Gegensatz zum gottlosen tyrannus ist der, der die vom antiken Naturrecht und vom Christentum ge­ forderte Freiheit der Einzelpersönlichkeit achtet, schätzt und fördert. Unter diesem Gesichtspunkt des wertes der Einzelpersönlichkeit, um derentwillen der Staat notwendig ist, nimmt nun Erasmus die Auslese aus dem antiken Erbgut vor: Nicht die altrömische Bürger­ tugend, die eigenes Glück, ja die eigene Sittlichkeit dem großen Gan­ zen zum Gpfer bringt, ist wie für Machiavelli das Ausschlaggebende, sondern die stoische Jndividualmoral. Sie muß oberstes Gesetz für den Princeps Christianus sein. Mit ihr stimmen aufs beste überein die Lehren und Gesetze Christi und geben ihr das Siegel2), wenn schon die blinden Heiden, ohne von dem Licht des Christentums er­ leuchtet zu sein, die sittliche Wahrheit erkannten, wieviel mehr muß her Princeps Christianus sie befolgen, — diese Schlußfolgerung und Mahnung auszusprechen wird Erasmus nicht rnübe3). wie Plato

x) IV 578 C: Quam absurdum est eos pro servis habere quos Christus eodem redemptos sanguine in communem adseruit libertatem, quos iisdem tecum alit Sacramentis, quos ad eandem immortalitatis vocavit haereditatem: et iis servitutis iugum inducere, qui communem tecum habent dominum ac Principem Jesum Christum. s) IV 566 A: Vocabulis diversum est, caeterum re idem, esse Christianum. •) Nachdem er aus der griechischen Philosophie den Gegensatz zwischen öem guten Fürsten und dem Tyrannen entwickelt hat: „Etenim, si talem

12 schon gefordert hat, daß die Könige Philosophen und die Philosophen Könige sein sollten, so ist der Princeps Christianus in erster Linie philosophus Christianus, im Ideal eine Verbindung von christlichem Mönch und kynisch-stoischem Wanderapostel; in praxi soll er wenig­ stens Macht, Ehre, Titel und Reichtum gebrauchen, als hätte er sie nicht: „wenn Du kein Philosoph bist, kannst Du kein Fürst fein, höchstens ein Tyrann*)." Die Aristokratie der Geburt ist durch die des Geistes und der sittlichen Bildung ersetzt^). Fürst und Untertan stehen unter derselben sittlichen Forderung; wer ihr am besten nach­ kommt, hat allein das moralische Recht, zu herrschens. Allerdings wird dieser Gedanke nicht revolutionär im Sinne der spätmittelalterlichen Tyrannentheorie oder int Sinne der späteren Monarchomachen als Prüfstein für das bestehende Fürstenregiment angewandt Erasmus benutzt ihn nur, um den sittlichen Anspruch an den Fürsten aufs höchste zu steigern, ihm seine Verantwortung aufs schärfste einzuprägen. Lr wird nicht müde, die Mühsale eines recht geführten Fürstenamtes auszumalen. Richt in der Erfüllung äußerer gesetzlicher Normen, wie etwa die Kirche sie stellt, kann der Lhrist die Liebe zu Lhristus bewähren, sondern auf gründ persönlicher Willensentscheidung und unter eigener Verantwortung muß er die Lehre Lhristi in die Tat umsetzen. Die Forderung der Nachfolge Thristi gilt nicht nur Mönchen und prie-

pinxit Aristoteles, primum Ethnicus, deinde Philosophus, inter illos quoque non perinde sanctus ac doctus, quanto magis id praestare oportet eum qui Christi fungatur vice“ IV 572 E. — vgl. auch IV 70 B ff. und IV 773 E, wo dasselbe Schlußverfahren vom Judentum aus ange­ wandt wird. x) IV 566 A: Ni philosophus fueris, Princeps esse non potes, Tyrannus potes. a) IV 566 B: Princeps debet abesse a sordidis opinionibus ac studiis vulgi. 8) Dgl. Anm. 3 zu 5. 6 und Enchiridion Militis Christian! V 48 B Non protinus ius esse putato quid vis, sed id tantum velis quod ius est. Quod ulli mortalium turpe futurum erat, id ne tibi quidem putaris honestum. Immo ne illa quidem tibi permitte, quae vulgo solent condonari. Quod in aliis delictum, in te flagitium fore puta. 4) Doch kann Erasmus ohne ein Wort der Mißbilligung in einem Zusammenhang, in dem sonstige antike Einrichtungen als vorbildlich hin­ gestellt werden, die Stellung der Alten zum Tyrannenmord erwähnen. IV 576 C: at in Tyrannos ea lex erat, quae nunc est in lupos aut ursos (mit denen (Erasmus sie doch 571 C ff. vergleicht), ut praemium esset ex publico qui publicum hostem e medio sustullisset.

stern, sondern jedem, der auf den Christennamen Anspruch erhebt. In allererster Linie aber trifft sie Öen fürsten1), dessen Tugendleben allen übrigen Christen voranleuchten soll. Deshalb hat er auch in der Nachfolge Christi nicht Ehre und Herrlichkeit zu erwarten, sondern das Kreuz. Immer wieder wird sein Amt ihn vor Ent­ scheidungen stellen, die ihn zwingen könnten, die Gerechtigkeit zu verletzen, Blut zu vergießen oder der Religion Schaden zuzufügen. Dann soll er lieber alle seine Macht, ja das eigene Leben drangeben: In allem Kreuz, das ihm durch schmerzliche Verluste und durch üble Nachrede der Menschen zuteil wird, hat er den Trost, in der Nach­ folge Christi zugleich mit den Forderungen christlicher Sittlichkeit das öffentliche Wohl zu wahren, und, wenn er kein ungerechter Fürst sein will, doch wenigstens ein gerechter Privatmann zu bleiben2), hier zeigt sich die Schranke der erasmianischen Staatsanschauung und ihre Größe zugleich, wird deutlich, was er Machiavelli gegen­ über vermissen läßt, und worin er ihn übertrifft: Gerade weil Eras­ mus mit dem großen Florentiner den überindividuellen, von der Persönlichkeit des jeweiligen Trägers unabhängigen Charakter der modernen Staatsgewalt erkannt hat, erhebt sich ihm die Forderung an die private Sittlichkeit des Fürsten ins Ungemeffene, ins Uner­ füllbare, während dem italienischen Staatsmann, der nicht zuerst ethi­ scher Denker war, im Blicke daraus die Norm jeder Privatethik geradezu zerbrochen war: „Nachdem Du Dich einmal dem Staate geweiht hast, steht es Dir nicht mehr frei, nach Deiner Art zu leben; Du mußt den Charakter als Amtsperson, den Du aus Dich genom-

x) IV, 567 B ff. — 567 D: Christiani est, ab omni turpitudine prorsus abhorrere. Principis est, integritate prudentiaque caeteros antecellere. vgl. auch IV 580 C. *) IV, 568 B: „Denique non potes tueri regnum, nisi violata iustitia, nisi magna sanguinis humani iactura, nisi religionis ingenti dispendio: depone potius ac cede tempori. Non potes succurrere rebus tuorum nisi vitae tuae periculo: Publicam salutem antepone vitae“. Mag das auch manche wenig fürstlich anmuten: „Obfirma animum, ut malis esse vir iustus quam Princeps iniustus. Vides, opinor, quam nec Regibus summis desit sua crux, si, quod oportet, ubique rectum sequi velint“. vgl. auch IV 583 B: Si potes simul esse Princeps et vir bonus, fungere pulcerrimo munere; sin minus, abjice Principem po­ tius quam ut ea gratia vir malus fias. Virum bonum invenire licet qui bonum Principem non possit agere. At bonus Princeps esse non potest, qui non idem sit vir bonus.

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men hast, wahren und schützen *)." Diese Mahnung, die so gut machiavellisch verstanden werden kann, ist, an den Princeps Christianus gerichtet, als sittliche Forderung im Sinne der strengsten Individual­ ethik gemeint, wahrlich, der königliche Antimachiavelli, der, ohne das Christentum dabei zu erwähnen, sich 200 Jahre später als ersten Diener des Staates wußte, hat in dem christlichen Moral­ philosophen seinen Vorgänger, der, genau so vom Nebel abstrakter Theorien gefangen gehalten wie sein Geistesverwandter auf dem Königsthron, an den modernen Staat die Forderung richten konnte, christliche Herrschaft bedeute nichts anderes als Dienst, Wohltat und Schutz: Der christliche Staat als Träger einer „gütigen und wach­ samen Dienstleistung" - dieses Staatsideal, das Aufklärung und Humanitätszeitalter zu verwirklichen strebten, und das dem moder­ nen Wohlfahrtsstaat als Ziel vorschwebt, ohne daß er von seiner christlichen Wurzel etwas wüßte, dieses Ideal ist von (Erasmus zuerst in persönlich zugespitzter Form im Blick auf den Fürsten ausge­ sprochen worden. Aber wir brauchen uns nicht so weit in die Jahrhunderte nach (Erasmus zu verlieren, um seine Staatsanschauung geschichtlich zu würdigen. Sie hat für seine unmittelbare Gegenwart Bedeutung genug gehabt, was ist das einigende Band, das nach ihm den sitt­ lichen (Organismus des Staates zusammenhält, in dem der Princeps Christianus als das Haupt und die Untertanen als die Glieder in Freiheit sich gegenseitig dienen? (Erasmus nennt es die publica utilitas, den „gemeinen Nutz", wie die Zeitgenossen den Ausdruck übersetzten. Wir wissen aus Walter Sohms Untersuchung über „Territorium und Reformation in der hessischen Geschichte 1526 bis 1555“2) wie dieser Begriff des „Gemeinen Nutzens" in Theorie und Praxis den inneren Aufbau eines deutschen Territoriums und dessen sittliche Aufgabe im Reformationszeitalter bestimmt hat und wie er der Leitgedanke Landgraf Philipps und seiner Mitarbeiter am hessischen Reformationswerk gewesen ist. (Es ließe sich ohne große Mühe nachweisen, wie auch in anderen Territorien dieser Begriff bei humanistisch gebildeten Theologen und Staatsmännern eine ent-

*) IV 580 B: Postea quam te semel Reipublicae dedicasti, jam non est tibi liberum tuo more vivere: personam, quam suscepisti, sustineas ac tuearis oportet. 2) Veröffentlichungen der historischen Kommission für Hessen und Waldeck XI 1. Marburg 1915.

scheidende Rolle gespielt hat*). hier bei (Erasmus Können wir ihn auf seinem Wurzelboden saften*2);* * *er* * zieht sich durch die ganze

Institutio hindurch, von der Widmung an, wo (Erasmus versichert, er habe mit seiner Schrift nichts als die Forderung der publica utilitas im Auge8), bis zum Schlußkapitel, wo er die Fürsten beschwört,

um des gemeinen Nutzens willen den Krieg zu vermeiden. In diesem Begriffe verbindet sich das aufgeklärte eudämonistische Bildungsstreben mit der vom Christentum geforderten Liebesgesinnung - beides in seiner Anwendung auf den Staat - zu einer unauflöslichen (Einheit^ in ihm findet die humanistische Staatsanschauung, in ihrer Abhängig­ keit von der Antike und in ihrer freundschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Christentum, ihren vollendetsten Ausdruck. Alle Funktionen des Staates dienen dem gemeinen Nutz; die publica utilitas mutz die auswärtige Politik, bei der Abfassung von Bündnissen und ver-

*) In Verbindung mit dem gesamten Reformationswerk wird der „gemeine Rutz" gebracht etwa von Melanchihon in dem bekannten Briese an Karlowitz vom 28. April 1548 CR 6 880, vgl. das Zitat von Otto Ritschl: Dogmengesch. des Protestantismus II, 335. 2) Der Sache nach ist natürlich die Sortierung des Gemeinwohls ein all­ gemeiner Gesichtspunkt naturrechtlichen Denkens, von der salus publica oder dem bonum commune redet im Anschluß an die spatantike Tradition das ganze Mittelalter. Der Begriff der communis utilitas, kennzeichnend für den Umschwung von platonisch - augustinischem zu streng aristotelischem Denken taucht meines wissens erst nach dem Bekanntwerden der Politik des Aristoteles auf (Buch III, cap. VI 1278 b 20 ff. - Susemihl S. 174 f. — To aup, tarn gloriosum Regibus quam ad summi Regis Jesu Similitudinem quam proxime accedere, qui ut erat maximus, ita et optimus erat. — vgl. oben S. 7 Hnm. 3: „qui Christi fungatur vice.“ 4) vgl. oben S. 6 stnm. 3 und IV 582 A: Quod Deus in universo, quod sol in mundo, quod oculus in Corpore, hoc oportet esse Prin­ cipen! in Republica. 6) IV 580 f.: Exemplum administrandi potissimum ab ipso Deo petendum et ab Homine Deoque Christo, e cuius dogmatis praecepta quoque sumenda erunt potissimum. ®) IV 584 C: Non pudeat Principem honesto parere cui paret pse Deus.

Ja, zu dem Wesen Gottes wird das Wesen des Fürstenamtes in Beziehung gesetzt: wie er nichts Tyrannisches an sich hat, so steht auch der Princeps Christianus zu den Tyrannen in einem unver­ einbaren wesensmäßigem Gegensatzel). Wohlgemerkt, es ist bei (Erasmus

stets das Amt, nicht die Person, der diese hohen Worte gelten. Und sie werden von ihm nicht gebraucht, um die Würde, sondern um die Verantwortlichkeit des Amtsträgers hervorzuheben2). Und doch tritt dadurch der Staat ein in die Weihe einer religiösen Sphäre,- das Fürstenamt wird - nicht nur vom Träger, sondern auch von den Untertanen aus gesehen — mit einem religiösen Nimbus umgeben; die Erziehungsaufgabe, die ihm im Staatswesen zukommt, ist eine sittlich religiöse Ausgabe. Damit haben wir den Höhepunkt der erasmischen Staatslehre erreicht. Der Staat ist selbst eine religiöse Größe geworden. Und bis in seine gedrückten Greisenjahre hinein hat (Erasmus diese Erkenntnis festgehalten und es ausdrücklich abgelehnt, den Staat auf eine rein profane Sphäre zu beschränken3).4 *(Eine 6 Verbindung des staatlichen Lebens mit dem religiösen war auch im Mittelalter

vorhanden gewesen. Thomas schreibt dem Staate die Ausgabe der Einrichtung (institutio) und der Leitung (gubernatio) des menschlichen Gemeinschaftslebens zu^). Dieses hat keinen anderen Zweck als den, ein sittliches Leben (virtuosa vita, oder, in Anlehnung an Aristoteles, bona vita) der Menschen herbeizuführen3). Damit bleibt man rein

in der irdischen Sphäre natürlicher Sittlichkeit (virtus humanae naturae); um aber das höchste menschliche Ziel der himmlischen

Seligkeit in der Anschauung Gottes zu erreichen, bedarf es einer höheren, in göttlicher Kraft gewirkten Sittlichkeit (virtus divina). Mit dieser aber hat der Staat direkt nichts zu schaffen; um sie den

*) IV 576 B: Cum Deus longissime absit a natura Tyranni, verisimillimum est, illi nihil invisius esse postilente Rege. 2) vgl. oben 5. 18 Anm. 2. •) vgl. Ecclesiastes sive de ratione concionandi V 769; abgedruckt unten $. 25, Anm. 1. 4) De regimine Principum ad regem Cypri Buch I, Kap. 13 ff. (es sind im folgenden nur die echten Teile — bis II 4 — benutzt vgl. Grabmann a. a. G. S. 216 ff.) — Opuscula philosophica et theologica Tiferni Tiberini 1886, Bd. II S. 29 ff. 6) a. a. G S. 32 f.: Ad hoc enim homines congregantur, ut simul bene vivant, quod consequi non posset unusquisque singulariter vivens: Bona autem vita est secundam virtutem. Virtuosa igitur vita est congregationis humanae finis. —

20 Menschen mitzuteilen, hat Gott die Kirche eingesetzt. So sehr also dem Weltlichen das Geistliche übergeordnet ist, so weit die himmlische Seligkeit den Gemeinen Nutzen übertrifft, so sehr ist auch der Staat und seine Träger der Kirche mit ihren Organen untergeordnet *). Nur über die Priester der Heiden, die keine himmlischen Güter aus­ zuteilen haben, erhebt sich mit Recht weltliche Gewalt^). Thomas hat recht gesehen: Ruf dem Boden des Heidentums hatte es ursprünglich allein den Staat gegeben, der über sich selbst hinaus keine höhere Form der Gemeinschaft kennt. Aber das konnte der Scholastiker noch nicht wissen, daß dieser Staat eine Bildungs­ idee sich zu eigen machen konnte, in der antike und christliche Lehre nicht wie minder wertvolles und höchster wert sich gegenüberstanden, sondern in der sie zu einem untrennbaren Ganzen verschmolzen waren, was die Scholastik mit ihrem in Stufen aufwärts schreitenden Denken vergebens erstrebt hatte, ja, was ihr, je älter sie wurde, um so weniger geglückt war, der christliche Humanismus eines Erasmus hatte es erreicht: Indem das Christentum auf den Stand der Reinheit, den es zur Zeit der Kirchenväter besessen hatte, zurückgeführt worden war, befand es sich zugleich wieder in vollem Einklang mit den edelsten Gütern der antiken Welt. Einer natürlichen Sittlichkeit stand nicht eine höhere göttliche gegenüber, sondern die natürliche war die christliche, wie denn die Lehre der natürlichen Vernunft der Lehre Christi, und die wahre natürlich-sittliche Bildung der christlichen ent­ sprach. Aus dem Boden der mittelalterlich-kirchlichen Kultur, die christlich gewesen war wie keine vorher und nachher, und nicht aus dem antiken Heidentum, das nur zur wissenschaftlichen Klärung verhalfen hatte, war der christliche moderne Staat erwachsen, der selber, in seiner erzieherischen Tätigkeit allein verantwortlich, diese christliche Kultur pflegen und ausbreiten wollte. So hängt also Erasmus in seiner Staatstheorie insofern mit dem Mittelalter zusammen, als er vollendete, was hier erstrebt worden war; er vermochte — nur noch für einen Augenblick! — eine christlich’) a. a. (D. 5. 32 f.

2) a. a. (D. S. 33: Quia igitur sacerdotium gentilium, et totus divinorum cultus erat propter temporalia bona conquiranda, quae omnia ordinantur ad multitudinis bonum commune, cuius regi cura incumbit; convenienter sacerdotes gentilium regibus subdebantur Sed in nova lege est sacerdotium altius, per quod homines traducuntur ad bona coelestia: unde in lege Christi reges debent sacerdotibus esse subjecti.

antike Einheitskultur zu schaffen, bei der äußerlich keine Zugen und Nähte mehr sichtbar waren, und die der Staat in sich zur Darstellung bringen sollte. In der staatlichen Gebundenheit dieser Kultur liegt das Neue. Noch erhob dieser Staat, weil er dem Boden einer christ­ lichen Kultur entsprossen, aber noch nicht entwachsen war, mit Recht

den Anspruch christlich zu sein, wir fragen: wie verhält sich die

Staatsanschauung des Erasmus zu der des Zeitgenossen, der ihm den Ruhm eines christlichen Reformators streitig machen sollte? Ruch Luther hat eine „Unterweisung eines christlichen Fürsten" geschrieben. 3m dritten Teile seiner Schrift: „von weltlicher Gbrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei" (1523)'), hat er sich

derer angenommen, „die gern auch Ehristliche fürsten und Herrn sein wollten" 2). Ruch er weiß aus seiner scholastischen Vergangenheit, daß der Staat zur Förderung des Gemeinwohls bestimmt ist; „auff anderer nutz ehre vnd heyl" soll deshalb die Sorge der Fürsten gerichtet fein3). Ruch Luther beschreibt die Rufgabe des Regenten am liebsten

unter dem Bilde des Hausvaters und dessen fürsorgender — nicht so sehr erziehlicher — Wirksamkeit; auch er sieht deshalb in dem willen des Fürsten ein lebendiges Gesetz und will, daß er das geschriebene Recht handhabe als dessen Herr und nicht als deffen Sklave^). 3um Ruslegungskanon macht er wie Erasmus allein die christlich geleitete

Vernunft. Rber damit beginnt auch schon Luthers Gegensatz gegen Erasmus. Wohl ist ihm die Vernunft, wenn sie sich an das Gesetz der Liebe bindet, die oberste Richtschnur des christlichen Fürsten; wohl ist der Gemeine Rutz oberster Staatszweck, aber nur, insoweit er dem Gemeinschaftswillen christlicher Liebe Raum zur Betätigung gibt5). *) WA XI 230 ff. ’) a. a.