Das Verhältniß der philosophischen zur christlichen Sittenlehre, in Beziehung auf die formale Beschaffenheit beider Wissenschaften [Reprint 2022 ed.] 9783112627983


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Das Verhältniß der philosophischen zur christlichen Sittenlehre, in Beziehung auf die formale Beschaffenheit beider Wissenschaften [Reprint 2022 ed.]
 9783112627983

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Das

Verhältniß

philosophischen zur christlichen

S i t t e n l e h r e, in Beziehung auf die formale Beschaffenheit beider Wissenschaften,

-arge-cllt von

Carl Wilhelm Vetter, evangelischem Pfarrer

Jenkau in Schlesien.

Berlin,

bet

G.

Retmer. 1830.

S r. Hochwürden dem König!. Superintendenten, Pastor an der Hauptund Pfarrkirche zu St. Elisabeth in.Breslau

Herrn Dr. Tschcggry widmet

diesen ersten Versuch wissenschaftlicher Forschung eh rfu rch tsv o l l

Der Verfasser.

Vorwort.

es etwas für die Wissenschaft selbst ersprießliches sei, wenn das Verhältniß zweier Disciplinen in einer besonderen Untersuchung

aufgestellt wird, könnte noch in Zweifel gestellt werden.

Einmal nämlich könnte man das

richtige Verhältniß zweier verwandten Disci,

plinen von der richtigen Darstellung beider er­

warten, und es müßte einem jeden, der sich über ihr Verhältniß belehren wollte, zugemu-

VI

thet werden, dasselbe aus jenen wissenschaftli­

chen

Darstellungen

unmittelbar

aufzufassen;

sodann aber könnte man auch Bedenken tra­

gen, ob eine solche Untersuchung in der That

auf eine wissenschaftliche Weise anzustellen sei,

weil sie,

sowohl

zwei Wissenschaften berücksichtigend,

das

Reflexions # Vermögen

in

seiner

Kontinuität schwachen, als auch keinen inneren

Zusammenhang der Idee selbst erzeugen werde. Was

nun

den

ersten

Zweifel

anlangt,

so

kommt eö lediglich auf den jedesmaligen Zu­

stand der zu vergleichenden Wissenschaften an, ob

ein solcher Versuch

nicht.

anzustellen sei,

oder

Gehen diese den natürlichen Gang ih«

rer Entwickelung von selbst fort, und ist man allgemein einverstanden, wie auf jedem Punkte

ihrer Entwickelung das Wesen der einen und der andern

richtig

erkannt werde,

so würde,

VII

eine solche Vergleichung insbesondere anzustel«

len, wenn auch dann noch nicht überflüssig, doch von geringerem Nüßen erscheinen. Liegt

aber in der Geschichte zweier Wissenschaften das Umgekehrte am Tage, d. i. werden sie in ihrer natürlichen Entwickelung dadurch qufge-

haüen, daß das eigenthümliche Wesen beider

verkannt, und auf eine der Wissenschaft selbst aachtheilige Weise beide Disciplinen mit einan­

der vermischt werden, so tritt dann sogar das Bedürfniß ein, das Verhältniß dieser Wissen­

schaften auf eine ausführlichere Weife sicher zu stellen, als dies in der eigentlichen Darstellung jeder Disciplin für sich geschehen kann. Wie

sthr nun dies von den von uns zu vergleichen--

dm Disciplinen der Fall ist, darüber ist nichts nöthig hinzuzufügen; unser Versuch wird von

dieser Seite von jedem vollkommen gerechtfer*

VIII

tigt werden. Was aber die andere Besorgniß

anbelangt, inwiefern ein solcher Versuch irgend wie auf wissenschaftliche Form Anspruch ma­

chen könne, so ist ja jede solche vergleichende Untersuchung ihrem Wesen nach Kritik, und wie wenig diese, zumal in der neuesten Zeit,

für etwas nicht wissenschaftliches gehalten wird,

ist allgemein bekannt. Etwas schwieriges bleibt

es aber tmtfter, eknr gute Methode für einen

solchen Versuch aufzufinden, obwohl sich man­ cherlei Wege darzu darbieten. Bei gegenwär­

tiger Untersuchung find wir davon ausgegan­ gen, daß es am besten sein möchte für die

Vergleichung zweier Disciplinen, doch den allge­

meinsten Begriff beider vorauszufchicken. Denn

wollte man auch jedes in Vergleichung zu brin­

gende Element, an dem Orte der Vergleichung erzeugen, so würde doch ein solches Verfahren

IX

bei gründlicher Darstellung jedes Einzelnen stet» auf das Allgemeine rekurriren müssen, in wel­

chem das Einzelne mit enthalten ist. Wir ha­

ben diesem zu Folge einen allgemeinen Theil vorausgeschickt, welcher den höchsten Begriff

beider Wissenschaften darstellen soll, und dies

sowohl ihrem Inhalte als ihrer Form nach;

indem, obwohl wir nur in gegenwärtiger Un­

tersuchung auf das formale Verhältniß beider Wissenschaften Rücksicht nehmen werden, die

Konstruktion des Inhalts bei der Aufsuchung

der höchsten Begriffe nicht vermieden werden

kann; auch ist es die Absicht des Verfassers, wenn dieser Versuch einer Aufmerksamkeit ge­ würdigt wird, das Verhältniß beider Discipli­ nen auch von Seiten ihres Inhalts noch nä­

her aufzustellen, in welchem Falle an jene schon aufgestellten allgemeinsten Begriffe nur

wiederum angeknüpft werden dürfte, Md somit

der Vergleich des Inhalts als der eigentliche Schluß der ganzen Untersuchung erscheinen

würde.

Inhalt des Ganzen

Vorwort

Seite v — x.

EksterThetl. Auffuchung der allgemeinsten Begriff« beider Wissenschaften.

Seite 1 — 33. §. i — 6.

Erster Abschnitt. Begriff der philosophlschcn Sit-

tenlehr«.

Seite 1 — 20. §. 1 — 4.

Zweiter Abschnitt. Begriff der christlichen Sittenlehr«.

Seite 20 — 33, §. 5 und 6.

Zweiter Theil, Vergleichung beider Disciplinen

Seite 36 — 64. §. 7 — 16.



XII



Methode der Vergleichung. Seite 34 und 35. §. 7. ErsteAbtheilung. Vergleichung der obersten Grund»

ssttzt beider Disciplinen. Seite 36 — 42. §. 8 —10. Zweite Abtheilung. Vergleichung der System«

beider Disciplinen.

Seite 43 — so. §.11 — 12.

Dritte Abtheilung. Vergleichung beider DiS­

eiplinen in Bejiehung ans ibre BegriffSbildnng.

Seite so — 64. §. 13 — 16.

Erster Theil. Aufsuchung der allgemeinsten beider Sittcnlehren.

Begriffe

Erster Abschnitt. Begriff der philosophischen Sittenlehre. §. 1. Ableitung ihre- Inhalts auS der Philo­ sophie.

§8)enn es daS Wesen aller Begriffsbildung ist,

einmal das Allgemeine, in welchem sowohl von der realen als idealen Seite, die Begriffe ihre noth« wendige Einheit finden, und sodann auch das Be­ sondere, auS welchem wiederum auf beiden Seiten ihre nothwendige Trennung und Verschiedenheit hervorgeht, aufzusuchen, so erhellet, daß alle dieje­ nigen Wissenschaften, welche den Charakter des All­ gemeinen schon an sich tragen, nur noch von einer Wissenschaft abgeleitet werden können, welche im A

Allgemeinen dir höchste Einheit, und wiederum im Besondern, nur die Trennung der höchste» Gegen­ sätze aufweisen kann. Diese Wissenschaft nenne» wir die Philosophie, welche demnach allem bestimm­ ten Wissen ,so. zum Grunde liegt, daß nur durch sie sowohl die Stelle, welche jede reale Wissenschaft in dem großen Zusammenhänge alles menschlichen Wissen- einnimnit, als auch dasjenige gefunden werden kann, was jede Wissenschaft zu einer be­ sondern macht. Dieses gilt nun auch vorzugsweise von einer so allgemeinen Disciplin, wie die jetzt im obersten Begriff darzustellende philosophische Sittenlehre, so daß jedes andere Interesse, wie etwa daS an der Sittlichkeit, als eines Triebes der menschlichen Natur, von welchem aus man eine Ableitung dieser Wissenschaft versuchen wollte, wen» nicht überhaupt ihr jeden wissenschaftlichen Werth, dennoch gewiß den ehrenvollen Namen einer philo­ sophischen Disciplin rauben wür6e. So nothwen­ dig nun aber dieses Zurückgehen auf die Philoso­ phie in vorliegender Untersuchung gefordert werden muß, um so mehr ist es Pflicht, unS in demselben von vorn herein so zu beschränken, daß nicht etwa ein solcher Versuch die Philosophie selbst erzeugen wollte; sondern, da wir uns eben so wenig auf ein allgemein bekanntes System der Philosophie be­ rufen können wird das Verfahren das allein pas­ sende sein, in jenem Zurückgehen auf die Philvso-

3

phie mehr auf kritische Weise einmal das allgemein Anerkannte, und dann auch nur daS für unsere Un­ tersuchung Nothwendige in Betrachtung zu ziehen. Je sorgfältiger wir aber in der Untersuchung selbst den ersten Gestchtspunkt im Auge behalten, desto mehr können wir hoffen, daß unser Versuch Anerken­ nung finden werde, sowie, je mehr wir den zweiten Gesichtspunkt ins Auge fassen, desto mehr wir alles nicht in diese Untersuchung Gehörende vermeiden, und ihren intensiven Werth dadurch erhöhen werden. Der erste Gegensatz nun, der in allen philoso­ phischen Schulen, sowohl der ältern, als neuern Zeit immer herauögetretcn ist, ist der von Wisse» und Sein. Die richtige Darstellung der Einheit der Glieder dieses Gegensatzes ist überhaupt die höchste Aufgabe der Philosophie, welche Einheit weder von dem einseitigen Standpunkte deS Realis­ mus noch dem deS Idealismus auS, gelöst werden kann. ES gehört jedoch nicht innerhalb der Gren­ zen dieser Untersuchung, zu sehen, in wie weit diese Aufgabe wirklich schon gelöst, und auf welche Weise; für unsere besondere Aufgabe vielmehr bedarf es keines hdhern Gegensatzes, um etwa von einem solchen aus, jene Einheit des Seins und Wissens selbst nachzuwcisen, sondern wir unsern Ortes kön­ nen uns völlig beruhigen, wenn wir ihn nur alS den Gegensatz bezeichnet haben, in welchem alle Ge­ gensätze deS bestimmten Wissens wenn auch noch A 2

4 auf verhüllte Weise, dock so enthalten sind, daß eben nur die wissenschaftliche Operation hinzukomnien darf, um sowohl daS für unsere Disciplin be­ stimmte Sein, als auch das ihr zugebbrige Wissen aufwcisen zu können. Wohl aber muffen wir doch das eine aus der Philosophie hcrübernehmen, daß beide Glieder des Gegensatzes, das Sein sowohl als auch daS Wissen nur in einer nothwendigen Bezie­ hung auf einander richtig aufgefaßt werden kön­ nen, d/i., daß sie einen relativen nicht absoluten Gegensatz bilden. Diesen Satz, welchen die Philophie selbst zu begründen hat, können wir aber mit um so allgemeinerer Anerkennung aus ihr entleh­ nen, da in allen Systemen diese Beziehung als eine wirklich vorhandene vorausgesetzt wird; in den rea­ listischen nämlich schon dadurch, daß sie die vor­ handene Zusammengehörigkeit zu Gunsten des Rea­ len nur mit Gewalt zu vernichten im Stande sind, so wie eben so die Idealisten zu Gunsten deö Idea­ len dasselbe thun. Vorausgesetzt diese nothwendige Beziehung bei­ der Glieder deS Gegensatzes, so frägt es sich: wel­ ches ist denn die Beziehung deS Wissens zum Sein, und wiederum welche die des Seins zum Wissen? Ohne Zweifel folgt dock daraus schon die negative Bestimmung, daß eS kein Wissen geben kann, ohne ein dazu gehörendes Sein, und eben so daß es kein Sein geben kann, ohne ein dazu gehörendes

5

Wissen; denn gäbe es daS eine ohne das andere, so hörte jene nothwendige Beziehung auf. ES liegt darin aber auch schon die positive Bestimmung, daß beide Glieder des Gegensatzes doch so auf ein­ ander bezogen werden können, daß sie eine graduel verschiedene Beziehung auSdrücken. Es kann ja gedacht werden, daß in dieser Beziehung, das Wis­ sen das Ueberwiegende, so wie eS eine Beziehung beider Glieder des Gegensatzes geben kann, in wel­ cher das Sein das Ueberwiegende ist. Auf diese Weise entsteht unS ein neuer Gegensatz, welche» wir mit den Ausdrücken deS Geistigen und Sinn­ lichen zu bezeichnen pflegen, so namlicb, daß das Geistige eben jene Beziehung des Wissens auf das Sein ausdrückt, aber in der Potenz deS Wissens, so wie das Sinnliche die Beziehung des Seins auf daS Wissen ist, aber in der Potenz des Sinnlichen, Wenn wir nun auch diesen Gegensatz des Sinnli­ chen und Geistigen durch dieselbe Operation der graduclen Beziehung als einen solchen betrachten, welcher noch niedere unter ihm stehende Gegensätze in sich faßt, so könnten wir ja die Glieder des zu­ nächst unter ihm stehenden Gegensatzes so binden, daß wir sagen: es kann das Geistige in Beziehung auf das Sinnliche gesetzt werden, aber in der Potenz drö Geistigen, und es kann das Sinnliche in Be­ ziehung auf das Geistige gedacht werden, aber in der Potenz des Sinnlichen, für welche Glieder dir-

6

seS neuen Gegensatze- wir die Ausdrücke Natur und Vernunft zu gebrauchen pflegen, so zwar daß die Vernunft jene- Ineinander des »Geistigen und Sinnlichen aber in der Potenz des Geistigen, und die Natur de- Ineinander des Geistigen und Sinn­ lichen aber in der Potenz des Sinnlichen ausdrückt. Wie nun in diesem Gegensatze von Vernunft und Natur, welchen wir zum Behuf dieser Untersuchung au- jenem hdhern Gegensatze von Sein und Wissen ableiten mußten, auch wirklich das liegt, was die Ausdrücke Vernunft und Natur einem jeden be­ zeichnen, erhellet ja am sichersten daraus, daß nie­ mand , das eine Glied des Gegensatzes setzen wird, ohne jene nothwendige Beziehung auf daö andere mitzusetzen. Denn denken wir die Vernunft, wie wäre dies möglich ohne ihre Beziehung auf die Na­ tur mitzudenken, so wie wir eben so wenig die Na­ tur setzen werden, ohne die Vernunft mitgcsctzt zu haben. Dies hindert aber so wenig in der Zusammengehdrigkeit beider, das eine Glied als das Ued«-twiegende zu denken, raß vielmehr grade hierdurch die Natur sowohl al- auch die Vernunft, Glieder eines natürlich relativen Gegensatzes werden. Wollten wir nun schon von hier auS die Frage aufwerfen, ob wir etwa das durch letztern Gegen, satz bestimmte Sei» für unsere Disciplin gefunden hätten, d. I. wollten wir fragen, mit welchem Gliede diese- Gegensatze- e- die philosophische Ethik zu

-

7

-

thun habe, so wird niemand sich weigern zu sagen, mit der Vernunft. Denn auch nur ausgehend da­ von, daß die Ethik Regeln für den nienschtichen Willen aufstelle, so ist ja der menschliche Wille eben nach der praktischen Seite die ganze Vernunft, wir sie vorzüglich als eine in Handlungen übergehende Kraft sich manifestirt. Dennoch sind wir an die­ sem Orte noch nicht im Stande, über den Inhalt der philosophischen Ethik zu entscheiden, sondern es entsteht unö noch eine neue Frage, nämlich die: wird eS die Sittenlehre mit der ganzen Vernunft, im Gegensatze zur Natur zu thun haben, oder läßt sich irgend wie durch Theilung der Glieder dieses Gegensatzes, der für uns noch rin höherer ist, ein besonderer Komplexus des vernünftigen Seins auf­ finden, welcher der Sittenlehre als das ihr eigen­ thümliche Gebiet nachgewicsen werden könnte? Diese Ungewißheit fordert zu einer neuen Untersu­ chung auf, deren Nothwendigkeit auch noch auunserm Verfahren selbst erkannt werden muß.

§. 2. Aufsuchung eines neuen Gegensatzes vom Wissen. Spekulatives und empirisches Wissen.

Während wir in der vorhergehenden Untersu­ chung den Gegensatz von Vernunft und Natur auö

8 jenem für uns höchsten des Seins und Wissens ableiteten, so geschah dies mehr auf reale Weise,

d. i. so, daß wir die Zusammengehörigkeit des Seins und Wissens, des Sinnlichen und Geistigen, deS Natürlichen und Vernünftigen, mit dem mehr und

minder deS einen und des andern Gliedes aufzei­

gend, beides in diesem Ineinander, doch immer nur als ein neues Sein auffaßten.

ES ließe sich aber

auch jedes der beiden Glieder des Gegensatzes von Sein und Wissen so weiter abwärts theilen, daß

wir die Glieder der neu gebildeten Gegensatze mehr alS das Ideale und Reale von Seiten des Wissens,

und ebenso als daS Reale und Ideale von Seiten deS Seins auffaßten, worin liegt und allerdings

vorausgesetzt werden muß, daß auch diese Glieder des

für unS höchsten Gegensatzes, dennoch auf

einem noch höher«, dem des Realen und Ideale» beruhen und ihn voraussetzen.

Diese Untersuchung

gehörte nun allerdings der höchsten Wissenschaft an,

für welche jener für uns höchste Gegensatz 'von Sein und Wissen nur ein niederer ist.

Es wird

aber an diesem Orte, so lange eine solche höchste

Wissenschaft nicht allgemein anerkannt vor uns liegt, so daß jeder nur nöthig hatte den Ort seiner dar­ zustellenden Disciplin in jenerWissenschaftslehre nachzuweisen, folgende ihrer Natur nach transcendentale

Untersuchung nöthig sein. Ausgehend

davon,

daß

auch

der

für uns

9 höchste Gegensatz des SeinS und Wissens, in einem noch hbhern, dem des Idealen und Realen gebunden ist, so könnten wir, jedoch ohne jenen Gegen­ satz des Realen und Idealen selbst begründen zu wollen, die einzelnen Glieder unsers GegensatzeinS Auge fassend, fragen: was ist denn im Sein überwiegend das Reale, waö das Ideale, und ebenso was ist denn das eine und das andere im Wissen? Könnten wir diese Frage auf eine allgemein befrie­ digende Weise, ohne jene transcendentalen Princi­ pien selbst zu deduciren, beantworten, so würden wir vielleicht den bedeutendsten Schritt in dieser Untersuchung gethan haben. Wir versuchen es, anfangend mit der Frage: was ist das Reale und Ideale im Wissen? Wir werden im Ganzen ge­ nommen keinem philosophischen Systeme widerspre­ chen, wenn wir jenes die Wahrnehmung, dieses aber das Denken in dem Sinne nennen, wie es da­ vollendete Wissen noch nicht zu sein braucht. Denn durch dieses beides zusammengenommen, kommt ja wohl daö menschliche Wissen zu Stande, insofern es nämlich eine doppelte Beziehung auf das Reale und Ideale im Sein annimmt, so zwar, daß die Erkenntniß des Realen im Sei» auch mehr an daReale im Wissen, d. i. an die Wahrnehmung, und die Erkenntniß de- Idealen im Sein mehr an daJdeale im Wissen, d. i. an da- Denken gebunden sein wird; wobei jedoch wohl zu merken ist, daß

10 Hier unter dem Realen und Idealen im Sein nicht für dieses die Vernunft und für jenes die Natur,

sondern schon das verstanden wird, was in beiden Gliedern an sich

wiederum

als das Reale und

Ideale erscheint, welche Trennung i»i Sein hier

noch nicht entwickelt' werden kann.

Für die noth­

wendige Zusammengehörigkeit beider Wissens-For­ men laßt sich der Beweis am sichersten apagogisch

führen.

Könnten wir nämlich die menschliche Na­

tur uns so denken, daß durch sie nur diese Erkennt­ niß der Dinge möglich wäre, wie sie die Wahrneh­

mung, welche von der Organisation unsrer Sinne abhängt,-in uns erzeugt, so wäre dies gewiß keine

Erkenntniß mehr, sondern höchstens die thierische Empfindung der organischen Impressionen.

Von

dieser Seite also sehe» wir ein, wie jede Wahrneh­

mung, auch die am meisten von den Sinnen ab­

hängige, nicht ohne das Denken, als das am mei­ sten von jener Seclcnkraft,

welche wir Verstand

nennen, abhängige, Erkenntniß in uns Hervorrufen kann.

Eben so ist es aber auch richtig, daß das

Denken, von aller Wahrnehmung abgclöst, keine

Erkenntniß Hervorrufen kann; denn wenn alles Wis­

sen eine nothwendige Beziehung auf das Sein aus­ drückt, so müßte ja das Denken als die eine Form

des Wissens ohne die Wahrnehmung, jene nothwen­

dige Beziehung auf das Sein aufheben, und als eine Aeußerung des reinen Verstandes, also iwr als

11 daS Leere erscheinen. Daher wir auch sagen können, die bloße Wahrnehmung könnte in unS nichts Her­ vorrufen als das Chaos organischer Eindrücke, den bloßen Stoff für daS Wissen; und daS bloße Denken könnte in uns nichts alö einen leeren Schematis­ mus erzeugen, die bloße Form für bas Wissen, in welchen beiden kein menschliches Wissen gesetzt sein kann. Diese auf jedem Punkte des Wissens noth­ wendige Zusammengehörigkeit beider Wisseusformcn, muß mm wiederum so gedacht werden, daß in ihr sowohl das Denken, welches unter der Form deBegriffö den Charakter des Allgemeinen an sich tragt, überwiegend ist, und ebenso, daß darin auf einem andern Punkte die Wahrnehmung, wie sie unter der Form des Urtheils den Charakter deS Besondern an sich tragt, alö das überwiegende her­ vortreten kann. Dieses aber giebt uns eine graduel verschiedene Beziehung, welche sich in folgen­ der Formel ausdrücken lügt: es giebt in dem Wis­ sen von Seiten des Idealen ein Ineinander des All­ gemeinen unv Besondern, aber in der Potenz deS Allgemeinen, und es giebt in dem Wissen von Sei­ ten des Realen ein Ineinander des Allgemeinen und Besondern, aber in der Potenz des Besondern, von welchen beiden wir jenes erstere die spekula­ tive, dieses letztere aber- die empirische Form deS Wissen- nennen.

12 §. 3.

Das Sein als ein Ineinander des Allgeyieinen und Besondern. Kraft und Er­ scheinung. Wenn wir nun zurückkehren zur Beantwortung der andern Frage, was denn das Reale und Ideale im Sein sei, so können wir uns nicht begnügen, das Erstere im Sein als die Natur, das Letztere im Sein als die Vernunft anzucrkennen, denn so­ wohl in der Natur werden wir neben dem Realen das Ideale, sowie in der Vernunft neben dein Idealen das Reale antreffen. ; Wir müssen viel­ mehr von dem Gliede deS für uns höchsten Gegen­ satzes, nämlich dem Sein ausgehend, einen Gegen­ satz aufsuchen, in welchem das Ideale im Sein so erschiene, daß eS dem Idealen im Wissen, und ebenso daS Reale im Sein dem Realen im Wissen entsprechen würde. Diese Untersuchung könnte in einer Transcendental - Philosophie allerdings nur von dem Standpunkt der Vereinigung des Realis­ mus und Idealismus geführt werden, und da wir unS auf eine Philosophie dieser Art nicht berufen können, so müssen wir unS begnügen, wenn wir nur für daS Folgende allgemeine Anerkennung fin­ den möchten. Wenn das Wissen, wie wir es in seiner nothwendigen Beziehung auf das Sein ge­ setzt haben, sich unS in die beiden Formen deS fpe-

13

culativen unb empirischen spaltete, so nämlich, daß daS spekulative mehr die Seite des Idealen, und daS empirische mehr die Seite des Realen in dem Wissen ausdrückte, so muß ja nothwendiger Weise in dem Sein, von welchem jenes Wissen der Aus­ druck werden soll, ein solches Ideale, mehr den Charakter des Allgemeinen an sich tragend, und ebenso ein solches Reale mehr den Charakter deS Besondern an sich tragend, aufzufinden sein. Denn ohne eine solche, wenn auch wiederum nur relative Trennung im Sein, zerfiele unsre ganze Untersu­ chung in nicht-, weil das Prinzip der Zusammen­ gehörigkeit beider des Sein- und des Wissens, wel­ che- Prinzip unsere allererste Voraussetzung war, dadurch zerstört würde. Was ist daS aber, waS im Sein da- Ineinander des Allgemeinen und Be­ sondern unter dem Charakter des Allgemeinen, und wiederum da- Ineinander des Allgemeinen und Besondern unter dem Charakter des Besondern auSdrückt? Wir finden bieten Gegensatz in der Sprache niedergelegt in den Ausdrücken Kraft und Erschei­ nung. Die Kraft nämlich das Allgemeine, die Er­ scheinung das Besondere im Sein darstellend, so zwar, daß der Gegensatz ein relativer bleibt, und im Allgemeinen da- Besondere mit eingeschlossen ist auf allgemeine Weise, so wie im Besonder» eingeschlossrn ist, da- Allgemeine, aber auf besondere Weise.

14 Nun sind wir endlich mit Aufsuchung der nö­ thigen Gegensätze überall bis ans Ende gekommen.

Wir hatten, darauf ausgehend, den Inhalt der phi­

losophischen Sittenlchre zu finden, uns die Glieder

jenes höchsten Gegensatzes von Sein und Wissen, in den Gliedern eines ans ihm

abgeleiteten nie­

dern Gegensatzes von Vernunft und Natur gebun­ den, von welchen Gliedern daS erste die Vernunft

uns als Inhalt der Sittknlehee, jedoch so erschien, daß wir noch nicht behaupten konnten, ob sie ganz

oder nur zum Theil werde Gegenstand der Ethik

werden.

Ferner

fanden wir, vom Wissen, dem

einen Gliede de- höchsten Gegensatzes ausgehend,

den Gegensatz der spekulativen und empirischen Er­ kenntnißform, welche Formen in ihrer lebendigsten

Durchdringung die Wcltweisheit zu Stande bringen

müßten, die aber auf dem Gebiete des realen Wis­

sens immer nur in einer graducl verschiedenen Be­ ziehung

Vorkommen können.

Endlich sahen wir,

daß im Sein selbst ein diesem analoger Gegensatz sich uns gestaltete, nämlich 6tr von Kraft und Er­

scheinung, so daß wir nun sagen können: daß alles spekulative Wisse» sich auf die Kraft als das ihm

zugehörige Sein,

so wie alles empirische Wissen

auf die Erscheinung als daS ihm zugehörige Sein sich beziehen werde.

die Frage entschieden,

mit der ganzen

Somit aber haben wir auch ob unsere Wissenschaft es

Vernunft

oder nur mit einem

15



Theile derselben zu thun habe.

Denn wenn bk

Vernunft als Sein gesetzt, in jenen Gegensatz von

Kraft und Erscheinung hincingchen muß, und wenn

niemand läugnen wird, daß die philosophische Ethik der spekulativen Form des Wissens bedarf, so er* hellet, daß ihr Sein nur sein kann die Vernunft,

insofern sie als Kraft, d. i. als das Allgemeine in alleni vernünftigen Sein zu denken ist.

Somit aber

haben wir auch den obersten Begriff der philophi» schen Sittenlehre ans

der Philosophie abzuleite»

versucht. —• §- 4.

Erklärende Zusatze. Es kann hier, um unsern gefundenen Begriff

in seiner richtigen Ableitung' noch klarer aufzufas­ sen, die Gelegenheit nicht vorbei gelassen werden,

denselben in seinem Verhältniß zu den Begriffen anderer Wissenschaften, die uns in jener Ableitung

implicite mit entstanden sind, näher zu betrachten.

Daß aber

solche Wissenschaften zugleich mit ent­

standen sind, bürgt gar sehr für die Richtigkeit unM

serö Verfahrens, weil, von dem Grundsätze au-, daß jedes bestimmte Wissen nur dadurch zur Vollen­

dung kommen kann, daß daS übrige Wissen auf allen Punkten zugleich

zur Vollendung

gebracht

wird, der nothwendige Zusammenhang unserer Wis-

16 senschaft mit den übrige» realen Wissenschaften kn jener Ableitung auS der höchsten Wissenschaft zu­

gleich mitgefunden ist.

Es ergiebt sich nämlich,

wenn wir die ausgestellten Gegensatze sich durch­ kreuzen lassen, folgende Quadruplicitat von realen

Wissenschaften.

Fangen wir zunächst damit an, u«S die Ver­

nunft als das Ideale im Sein, d. i. als Kraft zu

denken, und beziehe» hierauf das Ideale im Wis­

sen, nämlich die spekulative Form desselben, so ent­ steht unS die philosophische Sittenlchre, welche dem­ nach das spekulative Wissen um die Vernunft alS

Kraft ist.

Denken wir uns ebenso das Ideale in

der Natur, d. i. die Natur als Kraft, und beziehen

auch hierauf das diesem Idealen im Sein entspre­

chende Ideale im Wissen, so entsteht unS ein spe­ kulatives Wissen um die Natur als Kraft, welches Wissen die Naturwissenschaft bildet. Denken wir uns aber das Reale im vernünftigen Sein, und

beziehen auf dasselbe daS ihm entsprechende Reale im Wissen, so entsteht uns daS empirische Wissen um die Vernunft als Erscheinung, welches Wissen

die Geschichte ist; denken wir «ns endlich das Reale des natürlichen Seins, und beziehen hierauf das

ihm entsprechende Reale im Wissen, so entsteht unS das empirsche Wissen um die Natur als Erschei­ nung und wir erhalten in diesem Wissen die Ra­

turgeschichte. —

Vergleichen wir zunächst die Na­

tur-

17

turwissenschaft mit der Ethik, so sind sie ein- ih­ rer Form, verschieden aber ihrem Inhalte nach. Beides nämlich sind spekulative Wissenschaften, d. i. sie fassen das Sein nur unter dem Begriffe des Allgemeinen, beziehen sich also auf die allen Er­ scheinungen zum Grunde liegende Kraft. Ihr In­ halt aber ist ein verschiedener, für die Ethik ist die­ ser Inhalt die Vernunft, für die Naturwissenschaft die Natur; immer jedoch so, daß die Vernunft so­ wohl al- die Natur nur als Kraft, d. i. als das Allgemeine ihres Seins gedacht, Gegenstand der genannten Wissenschaften werden können. Man könnte also dem ParalleliSmuS zufolge, die Ethik auch Vernunftwiffenschaft nennen; ein Name den man nirgend vorfindet, weil die ethischen Künstler hei, de« Konstruktion ihrer Wissenschaft nicht vom rein wissenschaftlichen, sondern öfter wohl von dem praktischen Interesse an der Sittlichkeit selbst au-gegangen sind. Die beiden empirischen Wissenschaf­ ten, die Geschichte und Naturkunde, haben es überall nur mit dem Einzelnen, wie es in Zeit und -Raum erscheint und sich gestaltet, zu thun. Sind also wie jene ein- in der Form, verschieden aber in Bezie­ hung auf den Inhalt, denn die Geschichte ist da­ empirische Wissen um die Erscheinungen der Ver­ nunft, die Naturgeschichte da- empirische Wissen um die Erscheinungen der Natur. Man kann aber auch die Vermmstlehre und die Geschichte in eine B



18

nähere Vergleichung bringen, welche Wissenschaften

sich gleich sind durch ihren gemeinschaftlichen In­ halt, nur daß er in der einen mehr als daS Ideale, in der andern als das Reale gesetzt ist; die sich

aber ungleich sind in der Beziehung auf die ger n,

denn die erstere hat die spekulative, die letztere aber die empirische Form; welcher Unterschied beider Dis­

ciplinen wohl allgemein anerkannt werden möchte,

indem ja nicht geläugnet werden kann, daß die Ethik über die Erscheinung hinausgcht,

und die

Verminst als Kraft setzend, es versucht das Ideal einer sittlichen Weltordnung a priori zu construiren;

wogegen die.Geschichte, die schon real gewordene Vernunft, d. i. ihre Erscheinungen darstellend, nie his an jenes Ideal wird reichen können.

Wie aber

auch die Naturwissenschaft und Naturgeschichte in

Beziehung auf ein anderes Sein,

denselben Pa-

rallelismuö geben, ergiebt sich aus dem Vorigen

von selbst.

Wenn nun ttenlehre.

Daß nun in der christlichen Ethik von einem Grundsätze in dem hier aufgestellten Sinne gar nicht die Rede sein kann, dafür dürfen wir nur fol­ gendes in Betrachtung ziehen. Gesetzt es wollte' jemand für die christliche Sittenlehre, wie dies für die Dogmatik von Theologen oft genug versucht worden ist, ein solches Princip, auf die oben ange­ gebene Weise aus dem Wissen selbst deduciren, so hieße dies nichts weniger als den Versuch machen, das christliche Handeln wie eS einzig allein aus dem religiöse» Selbstbewußtsein entsteht, durch einen Akt des Wissens zu erzeugen. Das Christenthum aber würde auf diese Weise seines positiven Cha­ rakters beraubt werden, und es mußten alle dieje­ nigen, welche diesen Versuch auf konsequente und wirklich wissenschaftliche Weise irgend wir zu Ende bringen wollten, auf das gemeinschaftliche Resultat kommen, daß sie die Sendung deS Sohnes Gottes für unnöthig erklären, weil das allgemein mensch-

— 41 liche objektive Bewußtsein irgend einmal bas ganze Christenthum von selbst erzeugt haben würde; denn dieses Bewußtsein war ja in demselben Grade der Vollkommenheit, zumal in der hellenischen Welt/ vor wie nach dem Christenthume vorhanden, — Wie aber noch unzureichender daö Verfahren ist, »ach welchem aus der sogenannten Moral-Philoso­ phie die Principien für die christliche Sittenlehre entlehnt werden, so daß diese Wissenschaft ihrer ganzen Selbstständigkeit beraubt wird, darüber darf nach dem schon Vorausgeschickten kein Wort mehr hinzugefügt werden. Wir behaupten, es kann kein Princip, welches aus der Idee deS Wissens selbst abgeleitet, oder aus der Philosophie geborgt ist, ein Grundsatz der christlichen Sittenlehre werden, und es giebt in einem solchen Sinne überhaupt keine Principien der christlichen Sittenlehre. Soll aber dem ohnerachtet in der christlichen Sittenlehre von einem Princip die Rede sein, indem ja ohne ein solches alle christlich-ethischen Begriffe der höchsten Einheit und der allgemeinen Anerkennung ermangeln würden, so kann ein solches ja wohl kein anderes fein, als das jedem einwohnende christliche Selbst­ bewußtsein, wie es als ein in Handlungen überge­ hendes aufgefaßt werden muß. Denn nur dieses kann der gemeinsame Probirstein fein, ob irgend ein einzelnes Handeln falsch oder wahr beschrieben worden ist; keineöweges aber ein Satz, zu dessen

42 allgemeiner Anerkenntniß ein jeder durch die wissen­

schaftliche Deduktion erst gelangen müßte.

Jenes

religiöse Selbstbewußtsein aber ist jedem auf einem ganz andern Wege überkomme», und kann so we­

nig von

der höchsten

Wissenschaft

hcrvorgerufen

werden, als es überhaupt ein vergebliches Unter­ nehmen ist, jemanden den Glauben an Christum deduciren zu wollen, welcher Glaube im weiteren

Sinne des Wortes diesem religiösen Selbstbewußt­

sein gleichzusetzen ist.

Wenn

aber die

Wahrheit

und allgemeine Anerkennung des christlich Sittlichen nur auf unmittelbare Weise aus diesem Selbstbe­

wußtsein folgt, wenn ferner, wie in der philosophi­ schen Sittenlehre alles dasjenige nur als das Sitt­

liche erschien, was das Princip nach einer Bezie­ hung hin in sich schloß, auch auf dem Gebiete des christlichen Handelns

nur alles

das ein sittliches

genannt werden kann, was ein Ausstuß jenes christ­ lich-religiösen Selbstbewußtseins gewesen ist, so ist

es richtig, wenn in diesem Sinne dieses christliche

Selbstbewußtsein das Princip des christlichen Han­ delns genannt wird.

zügen wird

Aus diesen wenigen Grund­

der große Unterschied

der Principien

beider Wissenschaften zu erkennen sein, welcher Un­

terschied sich allerdings noch in niancherlci Bezie­ hung weiter verfolgen ließ.

43

Zweite Abtheilung. Vergleichung der Systeme beider Wissenschaften.

$.11. Ueber System im Allgemeinen. Wenn

wir

beide Wissenschaften

in formaler

Beziehung auch in so fern vergleichen müssen, als sie darauf Anspruch machen ein System zu heißen, so möchte dies «ine der schwierigsten Untersuchun­

gen fein; indem die Forderung des Systems, einer

Wissenschaft noch nicht so allgemein festgestcllt ist, als die Forderung des Princips derselben.

Wir se­

hen unS daher auch bei dieser Untersuchung genö­

thigt, eine allgemeine Bestimmung über das, was in einer Wissenschaft System genannt wird, voraus zu schicken. Wenn von vorn herein zugegeben werden must,

daß jeder in welchem nur irgend wie das objektive

Bewußtsein

als

die

allgemeine

Grundlage

alles

Wissens erwacht ist, auch sogleich auf ein System seiner Erkenntniß

getrieben

wird,

wenn also die

Nothwendigkeit desselben von jedem Wissenden ein­ gesehen wird, so erscheint es um so befremdender, daß gerade diejenigen Wissenschaften, welche alles

ethische und physische Wissen durchdringen,

d. i.

welche überhaupt allem realen Wissen zum Grunde

41 liegen, eines solchen Systemes nicht bedürfen.

Diese

Wissenschaften sind die Logik und Mathematik, an

welchem noch niemand die Forderung eines Systems gemacht hat.

Wenn wir den Grund dieser aller­

dings merkwürdigen Erscheinung hier nicht weiter verfolgen können, so ist doch soviel daraus zu er­

sehen, daß ein solches System seinen Grund mehr in demjenigen einer Wissenschaft haben müsse, was

wir das Reale, als in demjenigen, was wir das Ideale in derselben zu nennen pflegen.

Unter dem

Realen einer Wissenschaft, um diesen Terminus in

seine für unS hier geltende Bedeutung aufzulösen, verstehen wir das Gegenständliche eines bestimmten

Erkenntnisses, das bestimmte durch relative Gegen­ sätze für ein bestimmtes Gebiet des Wissens be­ grenzte Sein.

Ein solches nämlich erscheint, wenn

es anders als ein wirklich bestimmtes aufgefaßt ist, als ein System entweder so, daß es angesehen wird als ein Ganzes, in welchem jedes einzelne so inhä-

rirt, daß es nur aus dem Ganzen verstanden werdey kann, oder es erscheint auch als die Totalität

der Aeußerungen einer Kraft, welche sich aber nur in der Mannigfaltigkeit des Einzelnen manifestiren

kann.

Nun aber muß doch unbedingt zugegeben

werden, daß, sobald uns ein bestimmtes Reale in

dem angegebenen Sein als ein System erschienen

ist, auch sogleich das Ideale, unter welchem wir hier die Erkenntniß selbli verstehen, in jenes System

45 eingehen werde, welches auch folgen muß auS dem, waS wir über die nothwendige Zusammenge­ hörigkeit des SeinS und Wissens im Anfänge un­ serer Untersuchung gesagt haben. Ebenso wenn in Frage gestellt wird, waö das in uns sei, was in einem bestimmten Realen jenes System entdeckt, so wird niemand sich weigern zu sagen, das Ideale, aber dennoch in einem solchen Sinne, daß aus der Beschaffenheit des Realen das System sich ergeben muß, und daß das Ideale auf das Reale sich nur so bezieht, daß eS eben die Form des Realen wird, nickt so aber, daß aus dem Idealen wie etwa aus einem Behälter fertiger Formen, daS Reale als System erzeugt würde, und in seine Formen sich fügen müßte. §.42.

Systeme beider Sittenlehren.

Nach diesen allgemeinen Bemerkungen schreiten wir zur Vergleichung unserer Disciplinen fort, in­ sofern sie darauf Anspruch machen können Systeme zu bilden. Zngestanden also, daß jedes Reale nur in Beziehung auf das ihm zugehörige Ideale ein System werden könne, wenn auch das Reale den eigentlichen Grund des Systems in sich schließt, so kann nur durch die Darstellung der zwiefachen Art wie etwas reales ideal jn uyö werden kann, unsere

46 Begleichung et» befriedigendes Resultat geben. Denken wir uns — und das können wir doch — unter dem Realen das Alles außer uns, die Welt nämlich mit ihren unendlichen Erscheinungen, so wird alles außer uns zu einem Innern für uns, gleichsam eine symbolische Einheit des Aeußern und Innern, entweder so, daß es in unser objektives, ooer so, daß eS in unser subjektives Bewußtsein tritt. Im erster« Falle entsteht jene Einheit indem wir die überwiegend Erkennenden, im letztem, in­ dem wir die überwiegend Fühlenden waren. DieS Einswerden also des Aeußern und Innern, gleich­ sam Aufgenommenwerden der Welt in unser gan­ zes Bewußtsein, ober das Hineingehen der Natur in den Geist, unterscheidet sich aber gar sehr, je nachdem das menschliche Bewußtsetu in jenem Akte die Einigung entweder als das überwiegend Ob­ jektiv- oder als daS überwiegend Subjektiv-Ideale hervortritK Diese Trennung in ihrem eigentlichen Grunde zu verfolgen gehört nicht an diesen Ort; daS aber sei hier beantwortet, daß jenes Eingehen des Realen in das Objektiv-Ideale daS Kennzei­ chen der Allgemeinheit an sich trägt, d. h. daß daS Reale nicht eher wirklich in das Ideale ausgenom­ men worden ist, bevor es nicht auch von allen an­ dern, in welchen dasselbe objektive Bewußtsein an­ gelegt, auf übereinstimmende Weise ausgenommen worden ist. Jenes Eingehen aber des Realen in

47 das Subjektiv-Ideale trägt das jenem entgegenge­ setzte Merkmal der Eigenthümlichkeit an sich, indem nämlich ein solches Eingehen für einen jeden ein anderes sein kann. Daher kommt es den» auch, daß im erstem Falle jenes Eingehen des Realen in das Objektiv-Ideale, das Ich ein thätiges bleibt rind in Reaktionen übergeht, indem nämlich die Identität aller denkenden Subjekte etwas bleibt, dem nur angestrebt, was selbst aber nie erreicht werden kann; dagegen durch das Hineingehen des Realen in das Subjektiv »Ideale das Ach als das Subjektive einet» ganz andern Charakter annimmt. Denn hier kann von einem Zwiespalt im obigen Sinne nicht die Rede sein, weil daö Eigenthümliche in jedem ein persönliches ist, und von dieser Seite sein Dasein auch so ganz erfüllt, daß das Ich in jener Eitiigung ein bewegtes, d. i. so durchaus eins mit ihm wird, daß daraus das entsteht, was wir einen I«sta»»d nennen. Was folgt aus dieser Betrachtung für unsere jetzt zu lösende Aufgabe? Was zunächst die philosophische Ethik anlangt, so haben wir sie aus der Philosophie selbst abgeleitet, nämlich aus dem Gegensatz«: vor» Sein und Wissen, wie ihn die Philosophie in seiner allein möglichen Beziehung darzustellen hat. Nehmen wir nun un­ sere jetzt angestellte Betrachtung zu Hülfe, so folgt aus beidem zusammengcnommen: daß wenn die philosophische Ethik ein System bilden soll, das

48



Reale in ihr, weil es nur in Beziehung auf daS Wissen von vorn herein gesetzt worden, immer nur so gesetzt sein kann, wie es in das Objektiv-Ideale hincingegangcn ist; und wenn auch in diesem Rea­ len das Subjektiv-Reale enthalten wäre, so könnte es dennoch nur i» dem System gesetzt sein als daS Reale, was in das Objektiv-Ideale eingehen soll. Dieses nun wird bedeuten, daß das System der philosophischen Moral nur so zu Stande kommt, daß die Totalität aller Vernunftkräfte, wie sie als Kräfte die Thätigkeit auf die gesammte Natur bil­ den, und das Sittliche im philosophischen Sinne hervorbringen, so gefunden werde, daß das diesem Realen entsprechende Ideale, als die nothwendige Form desselben, selbst daS Ideale ist, wie es an je­ nem höchsten Gegensatze von Sein und Wissen haf­ tet, und als solches nur int Zusammenhänge und durch die Principien des höchsten Wissens selbst ge­ funden werden kann. — Dies aber verhält sich anders in der christlichen Sittenlehre. Hier nämlich ist das Reale ein schon Ineinander des Realen und Subjektiv-Idealen, in welchem Ineinander die höchste sittliche Aufgabe, daß alles, waS außer uns ist auch in unser subjektives Bewußtsein ausgenom­ men werden soll, von dieser Seite angesehen, auch schon ganz gelöst ist. Muß es aber dennoch auS einem andern Grunde als nothwendig erscheinen, daß auch auf das in Handlungen übergehende Selbst-

49 Selbstbewußtsein das begriffsmäßige Wissen sich richte, so entsteht auch hier das Bedürfniß eines Systems,; und die Totalität aller von diesem Selbst» bewußtsein ausgehenden Kräfte, als ein bestimmtes einzelnes Handeln erzeugend, wäre das System der christlichen Moral. Das Objektiv-Ideale aber, was zu dem Realen in der christlichen Sittenlehre hinzutritt, damit sie zum System sich gestalten kön­ nen, ist zwar auch ein Wissen, aber kcineSweges ein solches^ -wie. eS nur aus den Principien der höchsten Wissenschaft abgeleitet sein darf. Denn während 'das System der philosophischen Moral nur Anerkennung finden kann, indem von dem Standpunkte des höchsten Wissens aus jeder jedes Einzelne in dem Systeme als wahr begreifen kann; während in der philosophischen Moral der Streit der Systeme nur von dem Standpunkte der höch­ sten Principien auS geschlichtet werden kann, so ist in der christlichen Moral die Anerkennung ihreSystems etwas ganz anderes; denn hier kommt eS vorzüglich darauf an, ob in dem Systeme die christ­ lichen Gemüthszustände, wie sie ein Handeln er­ zeugen wollen, einem jeoen nur so auf objektive Weise wiedergegeben werden, wie er sie anders woher in jenem Zusammenhänge schon erhalten hat. Hieraus folgt nun ganz dasselbe wie oben hei der Vergleichung der Principien, daß die christ­ liche Moral, auch in so fern als sie cm System D

50 bildet, nicht deducirt werden kann, sondern baß sie auch in dieser Beziehung überhaupt nur für den Christen sein, so wie von Christen dargestellt wer« den kann. —

Dritte Abtheilung. Vergleichung beider Disciplinen in Beziehung auf ihre Begriff-bildung.

§. 13. Bildung der ethischen Begriffe über­ haupt.

Man theilt die Begriffe in jedem wissenschaft­ lichen Ganzen in obere und untere, so zwar, daß die obern auf Gegensätzen beruhen, deren Glieder einen größern KomplexuS des Sein- ausdrücken, die niedern aber auf Gegensätzen, deren Glieder einen kleinern Umfang des Sein- haben. Eint eigentliche Grenze würde hier niemals zu finden sein, denn jeder schon höhere Begriff ließe fich im Vergleich mit den noch hbhern als ein niederer.

50 bildet, nicht deducirt werden kann, sondern baß sie auch in dieser Beziehung überhaupt nur für den Christen sein, so wie von Christen dargestellt wer« den kann. —

Dritte Abtheilung. Vergleichung beider Disciplinen in Beziehung auf ihre Begriff-bildung.

§. 13. Bildung der ethischen Begriffe über­ haupt.

Man theilt die Begriffe in jedem wissenschaft­ lichen Ganzen in obere und untere, so zwar, daß die obern auf Gegensätzen beruhen, deren Glieder einen größern KomplexuS des Sein- ausdrücken, die niedern aber auf Gegensätzen, deren Glieder einen kleinern Umfang des Sein- haben. Eint eigentliche Grenze würde hier niemals zu finden sein, denn jeder schon höhere Begriff ließe fich im Vergleich mit den noch hbhern als ein niederer.

51

so wie jeder schon niedere Begriff im Vergleich mit dem noch n'edern, wiederum als ein höherer be­ trachten. Wir entdecken aber in einem wissenschaft­ lichen Ganzen, welches darauf Anspruch machen kann im Begriff dargestellt zu werden, noch einen andern Unterschied in den Begriffen, von welchem Unter» schiede ausgehend, wir am richtigsten die Begriffs­ bildung unserer Disciplinen vergleichen können. Wir stoßen nämlich in jeder begriffsmäßigen Darstellung irgend eines bestimmten Seins auf Begriffe, welche sich nicht verhalten, wie obere und untere, oder höhere und niedere, sondern welche einander coordinirt In verschiedenen Reihen dasselbe Gebiet deSeinS ganz darstellen. Solche Begriffe, welche un­ mittelbar nur aus der höchsten Idee einer Wissen­ schaft abgeleitet werden können, und dasselbe Sitt­ liche nur unter verschiedenen Formen darstellen, nennen wir formale Begriffe, zu welchen, weil sie den Umfang eines bestimmten Sein- nur für ein« besondere Reihe angeben, nothwendig die realen hin­ zukommen müssen, welche auf jenem Gegensatze des Höher» und Niedern beruhend, das bestimmte Sein so darstellen, daß keine weitere Trennung Desselben mehr gedacht werden kann. Die ver­ schiedenen Methoden nach welchen beide Arten die­ ser Begriffe in unsern zu vergleichenden Discipli­ nen gebildet werden, wollen wir nun näher ver­ gleichen. D 2



52

-

§. 14. Formale Begriffe der philosophischen Sittenlehre.

Es sind solche, welche den Inhalt eine- be­ stimmten Seins in einer bestimmten Reihe darstel­ len, und welche mit dem Princip einer Wissenschaft unmittelbar zusammenhängen. Was nun zunächst die philosophische Ethik anlangt, so ist also klar, daß an eine Bildung formaler Begriffe nicht eher zu denken ist, bevor nicht der höchste sittliche Grund­ satz selbst gefunden worden ist. Denn wollten wir auch versuchen, ohne jenes Princip solche Begriffe auf synthetische Weise zu bilden, so würden wir doch auf keinem auch noch so hohen Punkte im Stande sein, das Gebiet des sittlichen Seins ganz zu überschauen. Wir wollen, um dies noch an­ schaulicher zu machen, es versuchen, von unserm gefundenen Princip aus solche Begriffe zu bilden. Unser höchstes Princip für die rationale Sittenlehre war die gesammte Thätigkeit der Vernunft auf die Natur, so daß das Sittliche selbst nicht mehr die bloße Natur, und nicht mehr die reine Vernunft war, sondern das Einssein beider ausdrückte. Fragt man nun, wie ist von diesem Princip aus die Mög­ lichkeit gegeben, zu formalen Begriffen zu gelan­ gen, so ist nicht zu zweifeln, daß man die Totali­ tät des Sittlichen darstellen werde, wenn man in

53 einer Reihe das Sittliche so beschreibt, wie eS als das Ineinander von Vernunft und Natur erscheint. Dieses nun Ware die objektive Darstellung' alles Sittlichen, welche Darstellung unter dem Namen der sittlichen Güter auch geschichtlich vorhanden ist. Wenn wir aber auf jede- einzelne Glied unsers Princips sehen, so entstehen unS noch zwei andere formale Begriffe, unter welchen sich dasselbe Sitt­ liche, in zwei von einander verschiedenen Reihen ganz Varstellen läßt. Da nämlich die Vernunft alKraft gesetzt, daS thätige Princip auf die Natur ist, so niuß sich auch daS ganze Sittliche darstellen lassen, wenn in allen Gliedern einer besondern Reihe dasjenige beschrieben wird, waS alles Sittliche her­ vorruft, nämlich das thätige Princip selbst, die Ver­ nunft als Kraft, abgesehen aber von ihrem eigent­ lichen Objekte, der Natur. DieS giebt uns den formalen Begriff der Tugenden, der geschichtlich auch vorhanden ist. Endlich aber, wenn wir auf die Natur sehen, so erscheint sie uns, so lange sie noch nicht ganz in die Vernunft hineingegangen ist, d. L, so lange das höchste sittliche Gut noch nicht erschienen ist, als das noch nicht gewordene Sittliche; besteht aber der eigentliche sittliche Pro­ zeß darin, daß jenes nicht gewordene Sittliche in der Zeit als ein Sittliches erscheinen soll, so wird das ganze Sittliche auch beschriebe» werden kön­ nen, wenn die Regeln angegeben werden, nach wel-

54

chen jene Dernuuftthätigkeit drs noch nicht gewor­ denen Sittlichen in jedem Momente des sittlichen Verlaufs sich bemächtigen soll. Die- giebt uns den formalen Begriff von Pflichten. Von allen drei formalen Begriffen ist also klar, daß sie sich nicht verhalten wie obere und untere, höhere und niedere, sondern daß jeder für sich daS Sittliche in einer bestimmten Reihe erschöpfend darstellt. Denn ich habe, wenn ich da- ganze Ineinander von Ver­ nunft und Natur dargestellt, auch das ganze Sitt­ liche auf objektive Weise dargestellt. Eben so habe ich, wenn ich die Vernunftkraft, wie sie das ganze Sittliche hervorbringen muß, beschrieben, auch da­ ganze Sittliche dargestellt, und endlich würde ja unstreitig, so wie da- ganze Sittliche, das höchste Gut erscheinen müßte, wenn jene Vernunftthätig­ keit in allen auch in jedem Momente der Zeit in Beziehung auf daS noch nicht gewordene Sittliche festgehalten, und in jedem folgenden, der sittlichen Idee näher gerückten Moment, auf gesetzmäßige Weise übergetragen würde, auch da-ganze Sittliche unter der Form deS Pflichtbegriffes beschrieben. Wenn aber da- ganze Sittliche in jedem dieser Be­ griffe vollständig enthalten ist, so könnte allerdings in Frage gestellt werden, welches der eigentliche Grund sei, daß eine tüchtige Sittenlehre in allen drei genannten Formen daS Sittliche darstellen müsse; und in der That sind diese verschiedenen

—> 55

—«

Formen in den vorhandenen Sittensystemen nicht immer auf gleichmäßige Weise herausgetreten. In der neuern Zeit hat man sehr die Form der Güter und Tugenden verlassen, und sich lediglich an den Pflichtbegriff gehalten, so wie in der alten Zeit das Entgegengesetzte Statt fand. Diese Frage aus« führlich zu beantworten, ist nicht diese- Orte-, ereicht hin hier zu bemerken, daß schon da- ge­ schichtliche Vorhandensein aller drei Fornren von je­ der neu aufzustellenden Eittenlchre berücksichtiget werden müsse, §. 15. Formale Begriffe der christlichen Sitten­ lehre.

Sehen wir auf die christliche Ethik hinüber, so ist ein solcher Unterschied formaler und realer Begriffe aufzuweisen ein sehr schwierige- Geschäft. Zwar finden wir noch in den neuesten christlichen Mo­ ralsystemen jene formalen Begriffe wie den der Pflicht und der Tugend; aber eben weil diese Be­ griffe aus der philosophischen Ethik herübergenom­ men sind, und da- christliche Sittliche unter er­ borgten Formen behandelt worden ist, so kann kaum die Verwirrung auf einem andern Gebiete größer gedacht werden, al- auf diesem, wo man ein or­ dentliche- Recht zu haben meint, von der sogenann«

56 fett praktischen Philosophie alles sowohl in Bezie­ hung auf Form als Inhalt, aufzuborgen, damit nur diese Disciplin einen recht philosophischen Cha­ rakter bekommen möge. Ist es nun gelungen die Dogmatik in der neuesten Zeit als eine von der Philosophie durchaus unabhängige Disciplin zu be­ handeln, so ist eS Pflicht, dahin mitzuwirken, daß auch daS ethische Gebiet der christlichen Theologie, nicht mehr als der eigentliche Sammelplatz philoso­ phischer und theologischer Meinungen angesehen werde. Nur etwas in dieser Beziehung durch die­ sen Versuch beigetragen zu haben, würde den Ver­ fasser aufs Herrlichste belohnen. WaS nun jeneformalen Bedingungen, eine Sittenlehre wissen­ schaftlich zu begründen, nämlich die Principien und Systeme anlangt, so glauben wir aus dem ober­ ste» Grundsatz beider Wissenschaften den großen Un­ terschied in dieser Beziehung nacbgewiesen zu ha­ ben ; ob es unS aber mit der jetzigen Untersuchung gelingen werde, daran könnte gezweifelt werden, in­ sofern nämlich der Versuch, rein vom christlichen Standpunkte auö, eine Sittenlehre zu Stande zu bringen, noch nicht gemacht, also auch gar noch nicht gefunden ist, inwiefern ein solcher Unterschied von formalen und realen Begriffen wirklich in der­ selben zu machen sei. Alles also, was wir in die­ ser Beziehung zu einer wirklichen Begründung eines solchen Unterschiedes sagen werden, kann nur einen

67 hypothetischen Werth haben, wenn d« solcher Ver­ such die Grenzen der nöthigen Bescheidenheit nicht überschreiten soll. Don dem obersten Begriffe der christlichen Sit­ tenlehre, in dem Sinne nämlich, wie wir ihn nur auf eine uneigentliche Weise einen Grundsatz ge­ nannt haben, müßte ausgegangen werden, um for­ male Begriffe zu bilden; wenn eö auch hier nicht etwa solche gebe/ die lieber auf synthetische Weise von unten anfingen und die obersten Begriffe fei* nesweges au- dem Obersten, sondern nur durch Aufsuchung und Verknüpfung der Niedern allmählig die Hdhern und endlich den Höchsten finden woll­ ten. Wir unsern Orte- könnten ein solche- Ver­ fahren schon wegen der erforderlichen Kürze dieser Untersuchung nicht «inschlagen, wenn die Möglich­ keit desselben auch ^«gestanden werden müßte. Un­ ser höchster Grundsatz für die christliche Sittenlehre war da- christlich religiöse Selbstbewußtsein, inso­ fern e- al- «in lebendig Innere- auch ein noth­ wendiges Handeln erzeugt. Finden wir in diesem eine Theilung, die auf formale Begriffe führte, welche einander coordinirt ganze Reihen für sich bilden, und in denen da- ganze Sittliche erschöpft dargestellt werden könnte? Es ist vom Herrn Professor Schleiermacher diese- religiöse Selbstbewußtsein beschrieben worden, al- ein solche-, welches al- Zustand den überwieE

68 -

genben Charakter entweder der Lust oder Unlust an sich trägt, welcher relative Gegensatz zum TheilungSgrund für die Beschreibung aller christlich frommen Gemüthszustände, insofern sie nämlich einen Moment deS Menschenlebens wirklich ausfüklen, gemacht worden ist. Könnte wohl diel er Ge­ gensatz auch einen TheilungSgrund für ethische Be, griffe abgeben? Die Beantwortung dieser Frage erforderte eine Untersuchung darüber, daß auch das christliche Handeln, insofern eS ja seinen Grund nur in demselben Bewußtsein haben kann, auch ganz veranlaßt würde durch dieses Selbstbewußt­ sein, wie eS sowohl den Charakter der Lust als auch den der Unlust an sich tragt. Was aber wäre das Handeln, was aus einem Gefühle der Unlust ent­ stände? Doch gewiß kein anderes, als dasjenige, was eben darauf ausginge, jenes Gefühl des ge­ hemmten LebenS dadurch verschwinden zu machen, daß daS in dem christlichen Leben durch ein be­ stimmte- Handeln aufgehoben würde, waS jenes Gefühl der Hemmung veranlaßte. Sowie das Handeln, was auS dem Gefühle des geförderten LebenS, also der Lust hervorginge, ja offenbar nur darauf auSgehen könnte, dieses Gefühl nur noch mehr zu steigern und zu erhöhen, dadurch, daß daS christliche Leben durch das aus jenem Gefühle ent­ sprungene Handeln, seiner Vollkommenheit immer näher gerückt würde. Hierin läge nun allerdings

— 59

rin Theilungsgrund für zwei einander coordinirte, also formale Begriffe, von denen jeder das christ­ liche Handeln auch ganz beschriebe. Denn denken wir uns das christliche Handeln unter jenem zuerst ausgestellten negativen Begriff ganz zu Stande ge­ bracht, so wäre ja alles, was im christlichen Leben die Unlust in jenem Gefühle hervorriefe, verschwun­ den, und nur das andere Glied des Gegensatzes, da- Gefühl der Lust bliebe übrig, und zwar so, wie wir e- als nicht mehr von.der Unlust getrübt, nur alS das reine Gefühl der Seligkeit in uns trage« könnten, d. i. eS würde auch das Handeln von diesem Gefühl aus als ein wirksames, d. i. daS christliche Leben weiter förderndes, vollendet sein. Sowie umgekehrt, wenn daS Handeln von dem Ge­ fühle der Lust ausgehend gänzlich vollendet wäre, auch das Gefühl der Unlust, folglich auch das Handeln al- Folge desselben nicht mehr vorhanden sein könnte. Daß übrigens beide Arten des christ­ lichen Handelns noch nicht zu begreifen sind, wenn nicht auch dasjenige Handeln beschrieben wird, wel­ ches entsteht, wenn wir darauf sehen, wie, da beide Gefühle nicht unmittelbar auf einander folgen kön­ nen, noch ein eigenes von jenem verschiedenes fühl sich manifcstirt, können wir dahin gestellt sein lassen, da dieses Handeln, was eine nähere Unter­ suchung leicht zeigen müßte, mit an dem positiven Handeln haftet. DaS aber bleibt uns noch z«

60

unferfudjeti übrig, und schließt auch von dieser Seite unsere Untersuchung, wie unterscheiden sich diese formalen Begriffe der christlichen von jenen der philosophischen Sittenlehre. Zunächst erhellet, daß sich weder das positive noch negative christliche Handeln (wir gebrauchen diese Ausdrücke noch in ihrer Unbestimmtheit, obschon in einer wirklichen Sittenlehre noch bezeichnendere aufgefunden wer­ den müßten) mit einem von jenen formalen Begrif­ fen, der Güter, Pflichten und Tugenden vergleichen läßt. Sodann aber, wa- das wichtigste und auch der Grund der Unmöglichkeit dieser Vergleichung ist, so find jene Begriffe der christlichen Moral uns un­ mittelbar au- dem christlichen Princip auf durchaus positive Weise entstanden. Denn diese- Princip war uns ein gegebenes, nämlich daS religiöse Selbst­ bewußtsein, wie eS durch die Menschwerdung Jesu Christi in uns das geworden ist, was sowohl der Grund aller unserer christlichen Gemüthszustände, als auch die Triebfeder aller unserer christlichen Handlungen ist. Wir nannten es daher auch in einem unei­ gentlichen Sinne ein Princip, insofern nämlich, als eS auf eine durchaus reale Weise den ganzen Um­ fang unsers christlichen SeinS ausdrückt, und als ein solche- alle Gegensätze in sich fassen muß, durch welches sich jene- Sein, wenn es Objekt des Wis­ sens wird, auch im Begriff darstellen läßt, nicht aber insofern eS auf ideale Weise deducirbar ist.

61 d. i. in der höchsten Wissenschaft selbst erst erzeugt werden muß, wie wir dies von dem Princip der pbilosophischen Sittenlehre in der That nachgewiesen haben. §. 16. Reale Begriffe beider Sittenlehren.

Was nun endlich die realen Begriffe anlangt, mit deren Vergleichung in Beziehung auf ihre Ent­ stehung wir diese Aufgabe beschließen, so kann hier­ über nur noch weniges gesagt werden. Reale Be­ griffe waren diejenigen, die das Sittliche bis zum Einzelnen herab, so ausdrückten, daß in jedem solchen relativ begrenzten sittlichen Sein der Zusammenhang desselben mit allein übrigen sittlichen Sein, als auch der Grund der relativen Trennung nachgewiesen, und eine abermalige Trennung eines so bestimmten Sein- nicht mehr denkbar ist. Wenn wir nun zu­ nächst auf die philosophische Ethik hinüberblicken, so müssen die realen Begriffe in derselben, das Sittliche wie es in den endlichen Reihen durch die formalen Begriffe schon bezeichnet war, seinem eigentlichen Inhalte nach nun wirklich darstellen. Hierin liegt, daß die Bildung solcher realen Begriffe abhängig ist von den formalen, welche die Princi­ pien der weiteren Theilung in sich schließen. Aus dem formalen Begriffe der Güter in der philosophi8

-

62

schen Sittcnlehre, müßten sich auf diese Weife auch

die zu demselben gehörenden realen ableiten lassen.

Wenn z. B. in der philosophischen Sittenlehre das Sittliche unter der Form der Güter als Ineinan­

der von Vernunft und Natur dargestcllt wird, so ist hierin schon die Theilung für reale Begriffe ein­

geschlossen; denn cS ist ja jenes Einswerden von

Vernunft und Natur, ein relativ verschiedenes, wie es durch die schon organisirte Natur zu Stande ge­ bracht wird, von dem Einswerden, wie es durch einen Akt unsers Bewußseins zu Stande kommt.

Auf gleiche Weise müßten in einer christlichen Mo­

ral in den formalen Begriffen auch schon die realen angelegt sein, jedoch immer so, daß hier das Posi­

tive

dieser Wissenschaft in jedem solchen Begriffe

sich offenbaren müßte.

Wenn nun aber auf diese

Weise die realen Begriffe ihre eigentliche Begrün­

dung und Ableitung in den formalen finden, und diese nach dem oben Aufgestellten sich so unterschei­ den, daß die philosophischen aus einem Princip,

was deducirt werden muß, diese aber auS einem Princip, was in der Erfahrung gegeben ist, abzu­

leiten sind, so erhellet zugleich hieraus, wenn auch nur auf mittelbare Weise, der eigentliche Unter­ schied der realen Begriffe beider Sittenlehren.

Noch

einS könnte hier bemerkbar gemacht werden.

Wir

stoßen nämlich in beiden Sittenlehren auf verwandte reale Begriffe.

Hierher gehören vorzugweise die Be-

63 griffe deS Allgemeinen und Individuellen, durch welche Begriffe sowohl in der philosophischen alS

christlichen Ethik deö Sittliche theilbar wird.

ES

entsteht also die Frage: wie verhalten sich diese,

Leiden Wissenschaften gleich sehr zugehdrendcn rea­

len Begriffe?

Wir werden

von unserm Stand­

punkte aus nothwendig sagen müssen, giebt es in

der Philosophischen Ethik ein Individuelles und All­ gemeines, so muß die Nothwendigkeit desselben auS dem Princip selbst nachgewiesen werden; wogegen

in der christlichen Ethik auch dieser Gegensatz des Allgemeinen und Besondern einmal alS eine That­ sache der menschlichen Vernunft vorausgesetzt, und

sodann nur vom Standpunkte des Christenthums

auS

entschieden

werden müsse,

ob das christlich

Sittliche seinem Princip gemäß in diesen Gegensatz

des Allgemeinen und Individuellen wird eingehen können oder nicht; denn wäre auch in der philoso­

phischen Ethik das

Individuelle und

Allgemeine

wirklich construirt, so kann es doch in der christli­

chen Ethik nur ein Individuelles und Allgemeines

geben, wenn das religidse Selbstbewußtsein, wie es der Impuls zu

allen christlichen Handlungen ist,

auch in der That in diese Formen des Individuel­ len und Allgemeinen

hineingcgangen

ist.

Dieses

nun, sowie die Vergleichung der realen Begriffe

überhaupt führt uns schon darauf, wie auch der Inhalt beider .Sittenlehren, wenn auch seiner ur-

64



sprÜnglichen Ableitung nach ein verschiedener, den» noch ein sich nicht widersprechender sein kann. Eine vergleichende Untersuchung auch über den Inhalt beider Sittenlehren müßte dies auf eine evidente Weise auseinandersetzen, welche Untersuchung, ob­ wohl sie als der eigentliche Schluß dieser Abhand­ lung erscheinen müßte, wir für dieses Mal aus­ schließen wollten.

Gedruckt bei C. F. Müller.

Das Verhältniß

der philosophischen zur christlichen

S i t t e n l e h r e in Beziehung auf die materielle Beschaffenheit beider Wissenschaften,

dargestellt von

Carl Wilhelm Vetter, Prediger ju Jenkau in Schlesien.

Zweiter Theil. Berlin, bei G. Reimer 18 34.

Vorwort zum zweiten Theil. Als ich vor drei Jahren das Verhältniß der

philosophischen zur theologischen Sittenlehre in

formaler Beziehung darzustellen versuchte, be,

zweckte ich mit der öffentlichen Bekanntmachung jenes Schriftchens, das ursprünglich für eine

Dissertation bestimmt war, einen nicht unwe­

sentlichen Beitrag für die wissenschaftliche Be­ gründung beider Sittenlehren dem theologische»

Publikum zu

übergeben.

Ich

könnte dem­

nach, zumal andere Berufsarbeiten meine Kraft

in Anspruch nehmen, es ruhig abwarten, in wie weit ich meinen Zweck erreichen und meine

Abhandlung einigen Ruhen für die Wissenschaft stiften werde; allein der Wunsch, etwas Ange­

fangenes nicht unvollendet zu lassen, und die

Ueberzeugung, daß doch Manchem, namentlich

dem Anfänger auf diesem Gebiete der Wissen­ schaft, der zweite Theil werde willkommen sein, weil er das Verständniß des erstem wird er-

Y a

IV

leichtern helfen, bewog mich, die Bearbeitung des Ganzen zu vollenden.

Da es bei dem öffentlichen Vortrage der einen, oder der andern Sittenlehre immer ein Schwieriges ist', auch an dem Orte, wo von

ihrem wesentlichen Unterschiede gehandelt wer­ den muß, etwas Genügendes hierüber zu sagen, indem der Standpunkt

der Betrachttmg nur

auf dem einen Gebiete genommen werden kann: so glaube ich durch die Vergleichung, welche von beiden Standpunkten, der philosophischen

sowohl, als der theologischen Betrachtungsweise, aus gleichmäßig durchgeführt worden ist, allen Denjenigen einen Dienst geleistet zu haben, die

sich noch ausführlicher über einen so wichtigen

Gegenstand belehren wollen, als es über dem Vortrage der einen oder der andern ethischen Wissenschaft geschehen kann. Nachstdem ist es mein Wunsch, daß ^ dieses Büchchen vor­

züglich von denjenigen studirenden Jünglingen gelesen werde, die» in das Heiligthum der Wissen­

schaft einmal eingeführt,

mit oberflächlichem

Fachwerk sich nicht begnügen lassen, sondern,

von wahrhaft wissenschaftlicher Erkenntniß be­ seelt, den Standpunkt zu erreichen streben, auf

welchem sie eben so sicher einer traurigen Ver-

jener gemächlichen

krrung entgehen, als auch

Zufriedenheit, die kraftlos sich mit Jedem be­ gnügen läßt, entsagen werden. Für die Rechtfertigung einer solchen Schrift

reicht dies, verglichen mit dem, was in der Vorrede zum ersten Theile gesagt worden ist,

vollkommen hin.

Ob aber in der That der

innere Gehalt dieser Schrift einem solchen Zwecke entsprechen werde, das muß der Zukunft

überlassen bleiben. In Beziehung auf den letzten Theil ins­

besondere

habe ich noch zu erinnern, daß es

von denen, welche gewohnt sind, die ethische Wissenschaft nur unter der Form des Pflicht­

begriffs darzustellen, nicht übel gedeutet wer­ den möge,

wenn

anders ausgedrückt

überall

das Sittliche dort

erscheint.

Der Vergleich

hätte freilich auch so durchgeführt werden kön­ nen, daß der Begriff desselben überall als das Pflichtgemäße

Vergleichung

gefaßt wäre, aber da es die des Inhalts

betraf, fo

mußte

auch unter derjenigen Form das Sittliche ge­

faßt werden, welche das Gegenständliche dessel­

ben am meisten ausdrückt, nämlich der objecti­

ven Form, die bei den Alten unter dem Na­

men der Güter bekannt ist.

Auch wird jeder



VI

----

Kenner aus der Abhandlung selbst es abneh­ men. wie die philosophische Sittenlehre, wenn sie vollkommen dargestellt werden soll, unter der dreifachen Form.der Güter, fugenden und Pflichten behandelt werden muß, obgleich in der That ein und dasselbe Sittliche in jeder dieser Form auch ganz enthalten ist.

Ienkau. am Listen Sonntage nach Trinitatis,

Vetter.

Inhalt M Ganzen

Vorwort

Seit« in — vi.

Po» den Schwierigkeiten eine«? materielle» Vergleichung -er philosophischen und christlichen Sittenlehre, und von -er Methode dieser Untersuchung« Seit« 1 — 10. §, i. ErsterTheil. Vergleichung des Inhalts beider Wissen« schäften in Beziehung aus ihr Bildungsprinrip. Seite 11 — 45. §. 2 — io. Erster Abschnitt. Da« Bildungsprinrip der philosophischen und der christlichen Moral. Seite 11 — 22. §. 2 und 3. Da« Bildungsprinrip der philosophischen Moral. Seite ii — 13. §. 2.



>ttl



Das Mldungsprinekp der christlichen Stttenlehre. Seite 14 — 22. §. 3. Zweiter Abschnitt. Vergleichung der beiden Bildungsprincipc, der menschlichen Vernunft mit -em göttlichen Geiste. Seite 22 — 39. §• 4 — 10. Erste Abtheilung. Negative Seite. Seite 22 — 32. §.4 — 6. Einleitendes Vorwort. Seite 22 — 25. §. 4. Die menschliche Vernunft ist als «ine wirksame Kraft dem gdttlichen Geiste nicht entgegengesetzt. Seite 25 — 30. §. 5. D«r göttliche Geist ist als eine wir^ame Kraft des menschlichen Vernunft nicht entgegengesetzt. Seite 30 — 3L §.6. Zweit «Abtheilung. Positiv« Seite. Seite 32 — 45. §.7 — 10. Die sittliche Wahrheit auf dem allgemeine« Vernunft­ gebiet«. Seit« 32 — 36. §. 7. Die sittlich« Wahrheit auf dem christliche» Gebiete. Seite 36 — 38. §. 8. Di« Realität der allgemeinen sittlichen Wahrheit ist nicht im Widerspruch mit der Realität der beson­ der» christlich sittlichen Wahrheit. Seite 38 — 39. §. 9* Di« Vernunft ist das Organ des göttliche» Geistes. Seite 39 — 45. §. 10,

IX

Zweiter Theil. Vergleichung des Inhalts beiher Wissenschaften in Beziehung auf ihren Umfang. Seite 46 — 66. §. 41— 15. Einleitendes Vorwort. Seite 46 — 4s. §. 11. Erst« Seite. Der Anfangspunkt sowohl des allgemein menschlich sittlichen, als auch des christlich sittliche» Handelns. Seite 4s — 57. §. 12 und 13. Der Anfangspunkt des allgemein menschlich sittliche« Handelns. Seite 4s — 52. §. 12. Der Anfangspunkt der christlich sittliche» Handelns, verglichen mit dem Anfangspunkte der allgemein menschlich sittlichen Handelns. Seit« 52 — 57. §. 13. Zweite Seite. Der Endpunkt sowohl des allgemein menschlich sittlichen, als auch des christlich sittlichen Handelns. Seite 57 — 66. K. 14 und 15. Der Endpunkt des allgemein menschlich sittliche» Handeln». Seite 57 — 62. z 14. Der Endpunkt des christlich sittlichen Handelns, ver­ glichen mit dem Endpunkt« des allgemein menschlich sittlichen Handelns. Seite 62 — 66. §. 15. Dritter Theil. Vergleichung des Inhalts beider Wissenschaften in Beziehung auf ihre einzelnen Gebiet«. Seite 67 — 106. §. 16 — 24. Einleitendes Vorwort. Seite 67 — 71. §. 16. Verhältniß des Christenthums zu dem allgemeine« (universellen) und eigenthümlichen (individuelle») Bildnngsprozeß der Vernunft. Seite 7i — so §. 17.

Verhältniß des Christenthums zum äußern Naturbildungsvrozeß. Seite so — 85. §. 18. Verhältniß deS Christenthums zum intelligenten BildungSprojetz. Seite 85 — 96. §. 19 *- 21. Einleitendes Vorwort. Seite 85 — 88. §. 19. Das Christenthum in seinem Verhältniß jur Wissen­ schaft. Seite 88 — 92. §. 20. Da- Christenthum in seinem Verhältniß jur Kunst. Seite 92 — 95. §• 21. Verhältniß des Christenthums zum äußern und inner« NaturbildungSprozeß, wir beide in dem bestimmte« Maaße der Familie nnd de» Staates erscheine«. Seite 96 — 106. §. 22 — 24. Einleitendes Vorwort. Seite 96 — 98. §. 22. Verhältniß des Christenthum- jur Familie. Seite 99 — 101. §. 23. Verhältniß der christlich religiösen Gemeinschaft zum Staate. Seite 101 bis 106. §. 24.

§. 1. Von den Schwierigkeiten einer materiel­ len Vergleichung der philosophischen und christlichen Sittenlehre und von der Methode dieser Vergleichung, ^aben wir vielleicht die zuerst angestellte Unter­

suchung über das formale Verhältniß beider Sit­ tenlehren sowohl in ihrem Umfange erschöpfen, als auch bis auf den Punkt der nöthigen wisienschaftlichen Klarheit bringen können, so treten hier für die Vergleichung des Inhalts zweier so verwandten Wissenschaften größere Schwierigkeiten uns entge­ gen, die, wenn wir sie scharf ins Auge fassen, «in gleich befriedigendes Resultat wie auf dem vorigen Gebiete fast nicht erwarten lassen. Einmal näm­ lich, was den Inhalt der jetzt von uns zu lösen­ den Aufgabe anlangt, so muß ja wohl die Ver­ gleichung zweier sittlichen Stoffe, die doch inner­ halb ein und derselben menschlichen Natur sich A

2 vorfinden,

schon

deshalb

etwas

außerordentlich

Schwieriges feilt, da es scheint, als ob es in der That zwei

verschiedene Maximen gebe, nach wel­

chen vollkommen sittlich gehandelt werden könnte, so daß zumal der Mensch, innerhalb des christlichen

Gebietes stehend, hinsichtlich seiner Handlungsweise und praktischen Lebensrichtung eine Persona duplex

sein könnte, was unmöglich gedacht werden kann. Diese Schwierigkeit hat auch da, wo sie nicht nach höher» Principien hat beseitigt werden können, die

einseitige Tendenz in der ethischen Wissenschaft her­ vorgebracht, entweder aus dem Gebiete der Philo­

sophie das Ethische-so auszusassen und darzustellen, daß es fast scheint, als sei durch solche allgemein

ethische

Systeme

die

besondere

Darstellung des

Sittlichen vom christlichen Standtpunkte aus überfiüssig geworden; oder, was in der That noch öftet

geschieht, auf dem

Gebiete der Theologie

lieber

bald die allgemeine Sittenlehre gänzlich zu vernei­ nen

und

Handelns wir auf

jede

Maxime

eines

als überflüssig

den

rein vernünftigen

zu betrachten.

Sehen

gegenwärtigen Zustand der Wissen­

schaften, so tritt in der Philosophie, wenn sie an­ ders einer richtigen Organisation sich erfreut, als

ein sehr wesentliches Gebiet, die allgemeine Moral hervor, und auf gleiche Weise erscheint auch in der

Theologie

unter ihren

wesentlichen,

organischen

Theilen, der Dogmatik gegenüber, die Ethik.

ES

s sind demnach in der That zwei Sittenleh«»: vor­ handen, und wenn die eine, weil sie allgemeines« Natur ist, keine besondere Notiz nehmen wollte von der andern, so ist es doch undenkbar, wie eine christliche Moral sich darstellen ließe, ohne dass'dsr, welcher sie darstellen wollte, sich ihres richtigen Verhältnisses zur allgemeinen ethischen Wissenschaft vollkommen bewußt würde. Da nun weder die Philosophie, noch auch die Theologie die Ethik als ein besonderes, aus ihrer organischen Einheit ent­ springendes Gebiet wird aufgeben wollen, so ist. die gänzliche Verneinung einer dieser besondern Wissen­ schaften vom philosophischen sowohl als christlichen Standpunkt aus, wenn auch ein sehr bequemes, aber ein durchaus falsches, die Wissenschaft selbst hemmendes Verfahren, welches sich auch in einer einseitigen Ausführung der Wissenschaft sehr bald als solches zu erkennen giebt. Vielmehr wird, so groß auch die Schwierigkeit erscheint, bei der wirk­ lichen Existenz zweier Sittenlehren, durchaus ein solches Verhältniß des sittlichen Inhalts aufgestellt werden müssen, daß die beiden Maximen des sitt­ lichen Handelns sich nicht nur nicht widersprechen, sondern sogar in einer nothwendigen Beziehung und gegenseitigen Unterstützung so das Sittliche erzeu­ gen, daß eben nur aus dem Vorhandensein beider die höchste sittliche Vollkommenheit hervorgeht. Eine andere.Schwierigkeit zeigt sich uns, wenn A 2

4 wir nach der Methode fragen, nach welcher eine solche Vergleich»«-des Inhalts beider Sittenlehren

auf die genügendste Weise zu erzielen wäre.

Bei

der formalen Vergleichung wurde die Methode der leichter gestrnden, weil

Ausführung

bie. einzelnen

Theile der Vergleichung sich schon aus der Natur der allgemeinern Betrachtung, welche jenem Theile zu eigen war, von selbst ergaben; hier jedoch, wo

es gilt, den Inhalt zweier Wissenschaften, der, ob­ wohl «r im Princip schon enthalten, in den realen Begriffen aber erst klar angeschaut werden kann, zu

übersehen, scheint sich uns die Betrachtung bis zum Einzelnen

herab

zu

erweitern.

dungsmerkmale des sittlichen

Die Unterschei­

Inhalts, sowie die

Exponenten ihrer Verhältnisse würden dem zufolge erst dann aufgefunden fein, wenn wir beide Wissen­

schaften, jede in ihrer ihr zukommenden Eigenthüm­ lichkeit, vor uns hätten, so daß wir über der An­ schauung selbst nur die differenten Merkmale uns

merke«, um sogleich das Resultat der Vergleichung ziehen zu könne«.

Allem weder

eine philosophi­

sche Sittenlehre, die den ganzen Umfang ihres Ge­ bietes umfaßte und in Beziehung auf die christli­

che

Moral

den richtigen

Standpunkt

einnehme,

noch auch eine christliche Ethik ist vorhanden, die

nur den ihr eigenthümlichen

schung

fremdattiger

Gehalt ohne Beimi­

Elemente

darstellte;

und es

scheint eben dadurch desto nothwendiger die Forde-

s rung einzutreten, durch eine solche für sich durchge-

führte Betrachtung, wie die schon begonnene uhb noch zu vollendende, allererst mit dahin zu wirken)

daß in Zukunft jene Wissenschaften in ihrem wah­ ren Verhältniß zu einander dargestellt werden «lü­

gen.

Auf

dem

Gebiete

rein

theoretischer An­

schauung habe» die Wissenschaften der Philosophie und der

Theologie

bereits einen festeren Stand­

punkt erreicht, vv» welchem aus man ihr Verhält­ niß und ihre gegenseitige Beziehung übersehen kann; und wenn auch hier die Aufgabe noch nicht ganz

vollendet ist, so wird die Spekulation, wie sie in

einer ununterbrochenen Bewegung die theoretischen Gebiete der philosophischen und theologischen Er­

kenntniß durchdringt, immer mehr das besondere

Wesen jeder dieser Wissenschaft« in feinem letzten

Grunde zu erfassen und die Grenzen der Wissen­

schaften selbst richtig abzustecken siechen. praktischen Gebiete

dagegen ist dieses

Auf dem

spekulative

Bestreben nach Absonderung des Fremdartigen und

nach Sicherstellung der nöthigen Grenzbestimmun­

gen noch nicht so cingetretcn, daß nicht die Ver­

wechselung verschiedenartiger Dinge große Verwir­ rung in die wissenschaftliche

Erkenntmß gebracht,

sowie eine systematische Gestalt beider Sittenlehren zu ihrem größten Nachtheile verhindert hätte. Es frägt sich nun, da die einmal angefangene Untersuchung auch zu Ende geführt werden muß.

6 woher nehmen wir, eine Methode, die «ns sowohl die, Ausführung in räumlicher Hinsicht so möglich Machte, wie sie dieser Untersuchung als angemeffen erscheint, als uns auch im Verfolg der Darstellung so leitete, daß wir nichts unbeachtet ließen, was dazu beitragen könnte, das Verhältniß in seinem ganzen Umfange, in aller nur möglichen Klarheit an« zuschapen. Wollten wir in -der Analogie zum vorigen Theil auch hier einen allgemeinen Theil vorausschicken, der uns den ethischen Stoff beider Sit-. tenlehren in allgemeinen Umriffen vor die Augen stellte > um alsdapw den.Vergleich best« sicherer zu Stande zu dringen, so: , würden doch bei gründ­ licher Darstellung eines so allgemeinen Theils die räumlichen Grenzen dieser Untersuchung überschrit­ ten werden müssen, indem ein solches Geschäft sich gar nicht unterscheiden lassen würde von der wirk­ lichen, wenn auch allgemeinsten Darstellung der Wissenschaften selbst. Wir haben daher jeden Ge­ danke« an eine solche ausführlichere Construction des sittlichen Inhalts, welche als eine allerdings wesentliche Vorbereitung für die Vergleichung selbst erscheinen müßte, sogleich aufgegcben und uns nach einem andern Wege umgesehen, aus welchem wir eben so sicher und auf eine unserer Aufgabe angemeßnere Art zum Ziele kommen möchten. Dieser Weg, da er für unS leitete Methode werden

7 soll, muß durch Folgendes noch näher bezeichnet werden. Dasjenige nämlich, von welchem wir ausgehen­ ist eine Voraussetzung, die aber im vorigen Theile der formalen Vergleichung schon ihre Begründung gefunden. Wir haben bereits die höchsten Begriff« beider Sittenlehren gefunden und daraus auch ihre Principien abgeleitet, die wir in formaler Bezie­ hung schon verglichen, sowie den Exponenten ihres Verhältnisses angegeben haben. Ein Princip aber, wenn es, wie wir es gethan haben, aus der richti­ gen Auffassung der höchsten Gegensätze des Seins und Wissens abgeleitet, d. i. wenn es wahrhaft philosophisch deducirt worden ist, wird nicht blos die Beschaffenheit der Form einer Wissenschaft, son­ dern ebenso auch den ganzen Umfang ihres Inhalts enthalten, so daß, wenn ein einziges Element des Stoffes aus dem Princip nach dem logischen Ver­ fahren nicht könnte abgeleitet werden, dies der si­ cherste Beweis wäre für die Untüchtigkeit und Un­ brauchbarkeit des Princips selbst. ES giebt näm­ lich, von dem transcendentalen Standpunkt aus, auf welchen wir uns von vorn herein gestellt ha­ ben, keinen solchen Unterschied von formalen und materiellen Principien, welcher etwa in. einer Ent­ gegensetzung aufzufaffen wäre,, in der die eigen­ thümliche Beschaffenheit des Formalen in einer ihr ausschließlich zukommenden Einheit ihren Ursprung



8



hätte, so daß sich Disciplinen von verschiedenem In­

halt doch in diese oder jene philosophische Form fü­

ge» müßten; vielmehr ist die höchste Einheit der wahrhaft philosophischen Erkenntniß die, in wel­ cher Inhalt und Form identisch erscheinen^- und bei welcher, wenn sie in die Vielheit übergeht, jedes­

mal die Entgegenfttzung gleichmäßig in Beziehung

auf Form und Inhalt zu machen ist, damit diese

oder jene Beschaffenheit des Inhalts auch

immer

tiefe oder jene Beschaffenheit der Form nach sich

ziehe.

So z. B. konnte von der philosophischen

Sittenlehre,, weil sie das Sein her Vernunft auf

allgemeine Weise darstellen soll, die Form nur stin die begriffsmäßige Form der Erkenntniß, da eben

de» Begriff im Idealen am meisten hem allgemein ne» Sim» im Realen entspricht. Wen» wir daher im vorigen Theile nur die Form jeder Wissenschaft ins Auge faßten und ver­

glichen, so wurde doch der Umfang ihres Inhalts schon in ihrem höchsten Begriffe mitgegeben, und

wie wir dort die Form beider

Wissenschaften in

Absicht auf Princip, System und Begriffsbildung darstellten, so können wir nach einer Analogie mit dem dortigen Verfahre»» die Frage so stellen:

Wie

mrterscheidet sich der Inhalt beider Wissenschaften

in Beziehung auf ihr bildendes Princip, auf den sie

begrenzenden Umfang

und

auf die Beschaffenheit,

der besondern sittlichen Gebiete?

Für diese dreifa-

9 che Aufgabe haben wir nun den oberste» Begriff

jeder Wissenschaft, in welchem ja der ganze Inhalt

schon mitenthalten ist/ als den Anfangspunkt, von welchem wir ausgehen

können, und wir dürfe«

demnach nur noch cm Wort über diese drei Aufga-

den, die wir uns stellen, hinzufiigen. Es ist nämlich in der vollkommenen Lösung jeder

dieser Aufgaben

für sich

auch

die

ganze

Frage nach der Verschiedenheit des Inhalts voll­

kommen gelöst.

Denn haben wir z. B. die Ver­

schiedenheit der Bildungsprincip« beider Wissenschaf­

ten richtig erkannt, so könnte darüber kein Zweifel mehr Statt finden, ww sie in Beziehung auf den

Umfang ein

verschiedenes Verhältniß einnchmen;

oder auch darüber, wie dir einzelnen Parthien des

Sittlichen in jeder Disciplin ei»

eigenthümliches

Gepräge an sich tragend erscheinen; denn in dem

Dildungsprincipe wird die Totalität des Umfangs,

sowie das eigenthümliche

Gepräge

des

sittlichen

Stoffs in den einzelnen Parthirn mit befaßt.

Um­

gekehrt wäre die Verschiedenheit des Umfangs oder die

aus

der einzelnen

derselben

auch

Theile gegeben, so müßte sich

die

Verschiedenheit der Bil­

dungsprincipe eonstruiren lassen,

Für die Betrach­

tung ist inzwischen dieses dreifache Verfahren ein

unentbehrliches,

indem,

da

bei her Vergleichung

des Inhalts Fragen aus jedem dieser Theile ins­ besondere aufgeworfen werden können, die Verglei-



10



chung selbst von diesem dreifachen Standpunkt aus in ihrer vollkommensten 'Klarheit erst überschaut und somit die Untersuchung über das Verhältniß des Inhalts als vollkommen vollendet und über jeden Zweifel erhoben angesehen werden kann.

Erster

Theil.

Vergleichung des Inhalts beider Wisse» schäften in Beziehung auf ihr Bildungsprincip.

Erster Abschnitt.

D«S BildungSpkinrip der philosophischen und der christli­ chen Moral.

§. 2. Das Dlldnngsprincip der philosophischen Moral.

§8enn wir hier unmittelbar die im ersten Theil schon gefundenen Prineipien wieder aufnehmen und in eine nähere Betrachtung derselben eingehen müssen, so schließt sich dieser erste Theil der Untersuchung an den vorigen an und es ist natürlich mit ihm zu beginnen. Zn bemerken ist zuvörderst, haß wir im vorigen Theil, wo wir aus dem obersten Begriff der beiden Sittenlehren ihre ihnen zukommenden höchsten

12 Grundsätze

und

ablekteten

verglichen, wohl von

Principien, aber nicht von Bildungsprincipien spra­

chen.

Wie kommen wir hier zu der» Ausdruck Bil­

dungsprincip, und kann eine solche Beziehung etwa eine Differenz in den schon festgestellte« Principien

herbeiführen, so daß wir, nicht rein an das Vorige «»knüpfend, unbewußter Weise wohl gar ei« fremd­

artiges Element mit in die Vergleichung ausneh­ mend

dem

Die Sache verhält sich also:

erste»

Theile bei

Verschiedenheit uns

Wie wir in

Aufsuchung der formalen

ganz begnügen

konnten, die

Principien nur so. hinzustesten, wie sic aus der phi-

losophischen Deduktion der Wissenschaften sich er­

geben, f» ist bei der jetzigen anzustellende« Betrach-

trachtvng über die Verschiedenheit des Inhalts es weniger wichtig, zu wissen, wie die Principien ab­

geleitet und auf spekulative oder empirische Weise

gefunden werden, denn darauf beruht ausschließeytlich der Unterschied ihrer formalen Beschaffenheit, als

vielmehr unsere

richten, wie das

ganze

Aufmerksamkeit darauf zu

Princip in seiner Beziehung auf

den Inhalt einer Wissenschaft erscheint.

Wenn 'wir

nun hier wegen dieser überwiegenden Beziehung die Principe Bildungsprincipe nannte«:, so geschah dies

nicht ohne Grund.

Da

nämlich schon in allen

Wissenschaften das Princip in seiner Beziehung zum Inhalt wird ein Bildungsprineip genannt werden

können, so kommt ihm auf dem ethischen Gebiete

13



diese Bezeichnung ausschliestentlich zu»

Denn was

zunächst das philosophische Morahrrincip anlangt,

so

ist es

keine schwierige

Bildungsprincip aufzufassen.

Gebiet seines

Sache,

Das

dasselbe

als

eigenthümliche

Seins wat ja hiet Kraftäusterun-

oder Thätigkeit der Vernunft; denn jede Sittenlehre, die von der Passivität des mensthlrchcn Soins, wie es als ein Wohlbefinden in der Lust aufgtfastt das Sittliche bHeuten sollte, ausginge, ist schon von uns

anderswo gänzlich verneint wordtn»

Ist nun jene

Araftäüßerung oder Thätigkeit der Vernunft auf die Natur gerichtet, welche mit ihrem Totalomfange

als der für die Vernunft empfängliche Stoff er-

scheint, so hindert ja wohl nichts, jene Thätigkeit

der Vernunft als ein fottwährcndes Bilden, diese Empfänglichkeit der Natur aber als de» bildsamen Stoff zu bezeichnen»

Die Thätigkeit oder die Kraft­

äußerung, wie sie das philosophisch Sitttiche erzeugt, beruht nun ganz auf der Vernunft, und zwar, wie

sie in ihrem allgemeinen Sein von der Spekula­ tion aufzufaffen, nicht aber, wie sie in ihrem beson­ dern Sein, d. i. in ihrer empirischen Zergliederung,

geschichtlich vor uns liegt.

Die Vernunft oder die

Intelligenz in diesem Sinne ist das einfache Bildungsprincip der philosophischen Moral.

14 §. 3.

Das Bildungsprincip der christlichen Sit­ tenlehre.

Schwerer scheint

es zu

sein, dieses einfache

Princip als ein Bildungsprincip in der christlichen

Sittenlehre aufzufinden, weswegen diese Untersu­ chung auf eine ausführlichere Weise von uns ange­

stellt werden soll.

Daß uns das christlich Sittli­

auch als aus der Thätigkeit entsprungen er­

che

schien, ist hinlänglich klar aus der vorigen Untersu­ chung. Wir haben aber dort nichts Einfacheres ge-

funden, als das christlich fromme Selbstbewußtsein,

welches dem liegt.

Dieses

Händeln des Christen zum Grunde nämlich scheint auf unserm jetzigen

Standpunkte ein noch aus zu Vielem zusammenge­ setzter Begriff zu sein, um es in Analogie mit der Vernunft als ‘ ein

können.

Bildungsprincip bezeichnen

zu

Wir müssen es versuchen, das Einfache,

welches als reines Thätigkeitsprincip das Sittliche

in dem

christlichen

Handel»

erzeugt,

herauszu­

mit dem

Ausdruck

Selbstbe­

finden.

Wir beginnen wußtsein

und

lassen die

Begriffe christlich

fromm vor der Hand noch fallen.

und

Der Ausdruck

Selbstbewußtsein ist gleich dem Ausdruck

Gefühl.

Wenigstens werden diejenigen es für gleichbedeutend erklären, welche gewohnt find, das Bewußtsein des

15 Menschen überhaupt, als seine Geistigkeit, in ein zwiefaches, ein subjectives und objectives, zu thei­

len.

Das subjective Bewußtsein ist eben das Selbst­

bewußtsein, indem das Seihst nicht etwa'als ein Gegenständliches in demselben, sondern in einer sol­ chen Einheit mit Allem, was sonst ein rein Objec­

tives für uns ist, hcrvortritt, daß daraus das ent­ steht, was wir vorläufig schon anderswo mit dem

Worte Zustand bezeichneten.

In dem Gefühl neh­

men wir ein solches Zurücktreten des rein Objecti­

ven und ein solches Einswerden desselben mit dem Subjectiven, in welchem das Subjective als da-

Ueberwiegende erscheint, ebenfalls wahr, und hier­ aus geht die Gleichheit desselben mit dem Selbst­ bewußtsein hervor.

Grenzen unserer

Es gehört nicht innerhalb der Aufgabe,

ausführliche,

psycho­

logische und anthropologische Untersuchungen über das Gefühl hier anzustellen, vielmehr können wir von diesem Begriffe nur soviel in Betrachtung zie­ hen, als für die Erläuterung und Darstellung des

frommen

Gefühls

nothwendig erscheint.

Vorerst

müssen wir achten auf eine Duplicität, nach wel­

cher die Gefühle einen zwiefachen Character anneh­

men.

Ein Gefühl nämlich repräsentirt in Bezie­

hung auf das Aeußere

das

(Gegenständliche) und auf

Innere (Subjective) als Zustand

allerdings

nur die Einheit von beiden, aber wir unterschei­

den,

bevor das Gefühl zu Stande kommt, das

16 Subjekt Und die

äußere

Welt,

welche eben int

Gefühl das Subjekt so oder anders mit bestimmt.

Diese Bestimmung im Gefühl erfolgt nun nach ge­

wissen Gesetzen der Harmonie oder Disharmonie^

welche eben in bet zwiefachen Art, wie die Intelli­ genz und die Natur im Selbstbewußtsein eins wer­

den können, vvrgeöildet sind.

Tritt im Gefühl die

Harmonie bbet Gesetzmäßigkeit in dem Verhältniß der Intelligenz zur Natur hervor, so tritt das Ge­

fühl als Zustand der Lust hervor> wogegen^ wenn

im Momente bet Einigung des Innern und Aetißern die Disharmonie entsteht, bas Gefühl als Unlust

Die Verschiedenheit also in dem Verhältniß des Intelligenten und Natürlichen,

zum Vorschein kommt.

des Innern und Aeußern, wie sie in den objectiven

Lebensreihen vor dem Gefühl schon vorhanden war, erzeugt auch eine Verschiedenheit int Gefühl selbst.

Und ebenso verhält sich das, was nach dem Gefühle folgt, als ein Verschiedenes.

Im Zustande der Lust

oder Unlust selbst repräsentier

das Gefühl immer

nur die vollkommene Einheit; das Intelligente in mir und das Natürliche außer mir sind nicht mehr

zu unterscheiden, sie sind in Gefühl übergegangen in die Einheit einer so oder anders bestimmten Ge­

müthsbewegung; nach dem die

Sonderung

des

Zustande jedoch

Subjektiven

und

tritt

Objektiven

wiedenim ein, und wenn im Gefühl die Dishar­

monie beider als Unlust in der Einheit hewortrat, so

so entstehk bet bestimmte Wille, die Harmonie iMch die übrigen Geistesfunktionen miedet Herzastelken, und im umgekehrten Falle, die Harmonie selbff als daS Wohlgefallen Erregende durch die Thätige keit btt übrigen Seelenfunktionen noch zu steigern/ öder die schon gesteigerte äußerlich darzustellen. Bek jedem Gefühl wäre demnach zu unterscheiden di« Beschaffenheit jener Einheit und dasjenige, worin jene Gesetzmäßigkeit als gegründet erscheint. Di« Einheit, wie sie im Gefühl sich darstellt, ist gar sehr verschieden von' bet Einheit, welche die Er* kenntniß in uns auf dem objektiven Gebiete des Seins hervortust; und auf dem richtigen Unter* schiede beider, der hier nicht näher verfolgt werden kann, beruht größtentheils die Beantwortung der psychologischen Frage, was das Gefühl sei. So viel ist gewiß, daß diese Einheit im Gefühl nut eine Einheit für die Persönlichkeit ist und in jedem da» her eine verschiedene sein kann; während umgekehrt jene Einheit im Erkennen für alle ein und dieselbe werden muß. WaS die zweite Frage nach dem Grunde der Gesetzmäßigkeit anlangt, so kann diese Gesetzmäßigkeit auf dem allgemeinen Gebiete aller Gefühle nur in bet Intelligenz, wie sie bie höchste Erkenntniß als wirksam aus bie Natur auffaßt, ih­ ren Grunb haben; in bem frommen Gefühl wird sich bies noch anbers verhalten. Das, was dem religiösen Gefühl für sich zu-



18

kommt, ist: die Thatsache, daß in demselben unsere Intelligenz mit zu demjenigen gehört, was, als das Aeußere, Natürliche oder Objektive, daS Selbstbe­ wußtsein mit bestimmt; das Intelligente aber int frommen Gefühl, was

als das absolut Einfache

die Harmonie zur gesammten Außenwelt hervorruft und

als

Grund

der Gesetzmäßigkeit erscheint, ist

«egativ ausgedrürkt das rein Außetweltliche, posi­ tiv

aber das

absolut Geistige, die Gottheit;

diese Fähigkeit des

und

Menschen, vermöge deren er

durch die Gottheit der absoluten Harmonie, alles Seins inne werden kann, — Und dieses Bestreben des

Menschen, durch s welches

er

seinem

Sein diese

höchste Beziehung zur Gottheit giebt twb: aus

ihr

im Gefühl sich das aneignet. Was seine Geistigkeit

zur göttlichen steigert: — dieses beides nennen wir Re­

ligion.

In sofern nun jene Fähigkeit, so wie dieses

Bestreben im Gefühl ihren Grund haben, hat auch die Religion ihren Sitz im Gefühl.

in dem frommen Gefühl

Ist aber auch

die absolute Intelligenz

als das die Harmonie Hervorrufende gesetzt, so er­

scheint es dennoch,

je nachdem das

Bewußtsein

des Natürlichen jene höchste Einigung hemmt, oder

fördert, als ein Gefühl der Unlust, oder Lust. So weit die Erklärung des frommen Gefühls im Allgemeinen.

Wir haben jetzt noch in Erwä­

gung zu ziehen das christlich fromme Gefühl.

In

dem christlich frommen Gefühl ist das zum Gmnde

19 liegende Verhältniß zu Gott dasjenige Verhältniß, in welches wir durch Jesus von Mazaret gesetzt worden sind. Das Wort Christlich bezeichnet dem­

nach erstlich das Positive des Verhältnisses, wie es nicht etwa aus der schon ursprünglichen Befähigung des Menschen, nach welcher er als ein vernünfti­

ges Wesen bis zur absoluten Geistigkeit sich erheben kann, abzuleiten, sondern wie es vielmehr, als ein

ursprünglich neu Hinzugetretenes, durch das Faktum

der Erscheinung Christi zunächst in die Reihen des reli­ giösen Erscheinungslebens hineingetreten ist. .Zwei­ tens bezeichnet das Wort Christlich auch seinem In­

halte nach die absolute Vollkommenheit jenes Verhält­ nisses; denn die

Bestimmtheiten" unserer frommen

Gefühle haben durch die Erscheinung Christi die

vollkommenste Richtung empfangen, daß wir näm­ lich intensiv alle unsere Gefühle der Unlust in die der frommen Lust durch die erlösende Kraft Christi können übergehen lassen und durch die Person Jesu

von Nazaret in eine vollkommene Vereinigung mit

Gott treten; als auch extensiv, daß alle Bestimmt­ heiten des Gefühls in Beziehung auf die Außenwelt durch die heiligende Kraft des

Erlösers

absoluten Geistigkeit sich steigern sollen.

bis zur

Das Ein­

fache in dem christlich frommen Gefühle, was die

absolute Gesetzmäßigkeit und Harmonie in uns her­ vorriefe, wäre

hiernach die göttliche

Kraft, die

wir uns durch die Vermittelung Christi allerdings B 2



20

für das schon ursprünglich fromme Gefühl aneig-

nen sollen.

aber hier das christlich fromme

3nbem wir

Selbstbewußtsein > wie

es unserm

Handeln zum

Grunde-Jitgt, in Betrachtung ziehen, so müssen wir

dieses Einfache, um es alsdann mit dem Einfachen in dem andern Bildungsprincip zu vergleichen, noch auf eine ander«, aber keinesweges dieser entgegen­ gesetzte, Weise

Das

aufsuchen und

näher

bestimmen.

fromme Gefühl nämlich ist theils

christlich

ein persönliches, theils ein Gemeingcsühl; der Un­ terschied ist nur

ein relativer; er beruht auf det

natürlichen Beschaffenheit des Menschen^ nach wel­

cher er von stich

nicht nur das

Bewußtsein als

eines Einzelwesens, sondern auch das Bewußtsein als eines ELenrplars der Gattung haben muß.

Jenes

persönliche Gefühl wird auf dem Gebiete der christ­ lichen Frömmigkeit am meisten in uns aufgeregt

durch das Vechältniß, in welchem unser Sein durch die erlösende Thätigkeit Christi ein Sehr in Gott

geworden ist;

dieses

Gemeingefühl wird vorzugs­

weise in uns aufgeregt durch das Verhältniße in welchem das Sein Aller

durch die Heiligung in

Christo ein Sein in Gott geworden» allem Handeln

Da nun in

diese nothwendige Beziehung des

Individuums zur Gattung hervortritt, indem ja je­

des Handeln nur ein Wirken in der Gemeinschaft und auf die Gemeinschaft sein kann, so muß das

21 persönliche Gefühl, wenn es der Grund von Hand­

lungen werden soll, jedesmal in ein Gemeingefühl übergehen; und es

ist eine wesentliche Forderung,

daß —7 da in dem sittlichen Handeln jedesmal die ge­ genseitige Beziehung aller

Individuen in Absicht

auf die absolute Einheit aller sittlichen Zwecke, rod«

die Idee des Reiches Gottes ist, heraustritt,

ehe

und da Leine Handlung als sittlich bezeichnet wer«

den kann ohne diese gemeinsame Beziehung — die­

selbe auch im Zustande des schon mitbegriffen' sei.

frommen Erregtseins

Die göttliche Kraft aber,

welche hier als das- Einfache dieses Gemeingefühl,

aus welchem das christlich sittliche Handeln entsteht, belebt und in das Verhältniß der absoluten Geistig­ keit erhebt, ist der göttliche oder heiligende Geist, der von Christo he» Jüngern verheißen, nach seiner

von

Entfernung

der

Erde- über

sie ausgegossen

wurde und noch jetzt die Gläubigen in der christli­ chen Gemeinschaft verbindet und sie, in Beziehung

letzten Zweck, in

auf ihrer»

Er

ist

dem

Geiste

Christi

alle Wahrheit leitet.

nicht

entgegengesetzt,

vielmehr, weil das Gemeingefühl das

persönliche

voraussetzt, nimmt er es von seinem Geiste; er ist

aber, weil alles christliche Handeln nur in Bezie­ hung

auf die

das absolut principe.

Gemeinschaft zu

Stande kommt,

Einfache in dem christlichen Moral­

Er kann ebenfalls, da alles christliche

Handeln in Beziehung auf die Totalität des Stoffes

22 ein Bilden ist, em Bildungsprincip genannt wer­ den.

Und jetzt erst,

nachdem wir

aus beiden

Principen die einfachen Bildungsprincipe abgelei­

tet haben, können wir den ersten Theil des Ver­

gleiches beginnen.

Zweiter Abschnitt.

Vergleichung der beiden Bildungsprincipe, der menschlichen Vernunft mit dem göttlichen Geiste.

Erste Abtheilung.

Negative Veite.

§. 4. Einleitendes Vorwort.

Zunächst ist dieses klar, daß, wenn wir bewei­

sen könnten, wie beide Principe einander nicht wi­ dersprechen, auch in einem zwiefachen sittlichen Han­

deln kein Widerspruch sich finden kann; denn wenn in dem Ursprünge der Handlung, d. i. in ihrem Be­ wegungsgrunde,

kein Widerspruch sich findet, so

kann dann in dem Heraustreten derselben, d. i. in

ihrem Realwerden, kein Widerspruch erscheinen, es sei denn, daß sie in ihrem Verlaufe durch unsitt-

22 ein Bilden ist, em Bildungsprincip genannt wer­ den.

Und jetzt erst,

nachdem wir

aus beiden

Principen die einfachen Bildungsprincipe abgelei­

tet haben, können wir den ersten Theil des Ver­

gleiches beginnen.

Zweiter Abschnitt.

Vergleichung der beiden Bildungsprincipe, der menschlichen Vernunft mit dem göttlichen Geiste.

Erste Abtheilung.

Negative Veite.

§. 4. Einleitendes Vorwort.

Zunächst ist dieses klar, daß, wenn wir bewei­

sen könnten, wie beide Principe einander nicht wi­ dersprechen, auch in einem zwiefachen sittlichen Han­

deln kein Widerspruch sich finden kann; denn wenn in dem Ursprünge der Handlung, d. i. in ihrem Be­ wegungsgrunde,

kein Widerspruch sich findet, so

kann dann in dem Heraustreten derselben, d. i. in

ihrem Realwerden, kein Widerspruch erscheinen, es sei denn, daß sie in ihrem Verlaufe durch unsitt-

23 liche Einflüsse gestört würde, welche Störung- auch wenn sie ihren

Grund

nur in dem Aeußcrlichen

hätte, dennoch immer eine Korruption des Princchs,

also eine Unsittlichkeit schon

andeuten würde.

in ihrem Ursprünge

Mithin beweisen wir, wenn: wir

zeigen können, daß

der .göttliche Geist

die menschliche Vernunft und einander

nicht

entgegengesetzt

sind,: dieses: daß es ein sittliches Handeln der Ver­ nunft geben kann, was dem göttlichen Geiste nicht

zuwiderlauft, und umgekehrt, daß es ein Handeln

des göttlichen Geistes durch uns geben kann, was der Vernunft nicht zuwidcrläuft, — so daß solche

Fragen, wie etwa: ob man etwas mit Erlaubmiß der Vernunft thun könne, was der sittlichen Maxime

des

Christenthums zuwidcrläuft und sich doch'als

ein sittliches Thun vor der -Vernunft rechtfertigen ließe, und umgekehrt, als ganz widersinnig und un­ gereimt erscheinen müßten;

aber eben

die Frage

nach der Beschaffenheit des göttlichen Geistes und

der menschlichen Vernunft, in welcher beide

nic^t

als einander widerstreitende, sich gegenseitig aufhe­

bende Kräfte

erscheinen, ist eine der schwierigsten

Fragen der vorliegenden Untersuchung; ja von der

richtigen Beantwortung dieser Frage, so wie hernach von der richtigen Auffassung dcö Verhältnisses, in wel­

chem der göttliche Geist und die menschliche Vernunft stehen, wird, weil beide das Ganze erhellen, auch die Klarheit und Anschaulichkeit des Ganzen abhangen.

24 Hin Vortheil «nb eine Erleichterung bietet sich unS auf diesem Gebiete der schwierigsten Unters»» chung dar.

Es ist nämlich der Vortheil, daß wir

mit unsrer Untersuchung auf dem praktischen Stand­ punkte stehen, auf welchem Iweifel und Widersprü­ che- durch die unmittelbare Lebensanschauuiig leich­

ter zu heben sind, als auf dem rein theoretischen Gebiete, wo entweder die einseitige Richtung in de»

Begriffsbildung, oder auch die Unbehülflichkeit, ein Gefühl bis zur vollkommnen klaren Anschauung zu «erheben, mehr Hinderniffe in den Weg legen.

Kragen nach jenem Verhältnisse werden

Die

auf die-

fem theoretischen Gebiete auch immer noch von einander entgegengesetzten

Gestchtspunkten

beant­

wortet; die Einen nämlich habe« eine Neigung, der

menschlichen

Vernunft

das

Primat

über

den

göttlichen Geist zu geben; die Andern aber zeigen die Tendenz, die menschliche Vernunft als das dem

göttlichen Geiste Zuwiderkaufcnde zu betrachten und sie überhaupt in ihrer Wirksamkeit zu negiren.

Der

Standpunkt, von welchem aus dieser Gegensatz des

Rationalismus

und Supranaturalismus auch auf

diesem theoretischen Gebiete als nichtig erscheint, läßt sich hier nicht näher bezeichnen; uns gereicht

eS zum Vortheil, auf dem rein praktischen Gebiete so verfahren

zu können, als

hier gar picht vorhanden wäre.

ob jener Gegensatz Vielleicht daß auf

diese indirekte Weise die folgende Untersuchung zur

25 Auflösung jener Frage

etwas

beitrage»» könnte;

denn es ließe sich ja recht wohl denken, daß, wenn man

lange

genug auf dem theoretischen

Gebiete

über diese Frage gestritten, nun einmal dir Unter­

so von vorn anfinge, daß das praktische

suchung

Gebiet der eigentliche Standpunkt der Betrachtung würde.

Doch wir können einen solchen Erfolg unse­

rer Untersuchung

nur wünschen, nie aber darauf

auSgehen, ihn absichtlich hcrvorzurufcn; wir müssen, fern von jeder vorgefaßten Meinung, uns sogleich

auf den Standpunkt der freisten Untersuchung stelle».

§. S. Die menschliche Vernunft ist als eine wirk*

sameKraft dem göttlichen Geistenicht «entgegengesetzt.

Wir

brauchen de» Beweis hierfiir nicht- in

Beziehung auf den Ursprung beider zu führen, und

haben daher auch nicht nöthig die Ansicht zu wi­ derlegen, nach welcher, da beide ihren Ursprung in Gott haben, die menschliche Vernunft durch einen

bösen Einfluß von außen das göttliche Wesen ver­

loren haben soll.

Alle Betrachtungen der Art wür­

den uns von dem praktischen Standpunkt der un­ mittelbaren

Lebensanschanung nur abführen.

Wir

stellen uns Behufs der Beweisführung des obigen

Satzes sogleich auf den praktisch christlichen Stand-

26 punkt und sehen von hier aus, wie die Vernunft dem göttlichen Geiste nicht entgegengesetzt ist.

Vorerst ist als ausgemacht anzunehmen , daß, wenn vom christlichen Standpunkt aus die nunft

als

etwas dem

Widersprechendes

Ver­

göttlichen Geiste geradezu

angesehen

werden

müßte, das

Christenthum selbst, bevor es in seiner praktischen

Tendenz heraustrat, darauf hätte ausgehen müssen, die menschliche Vernunft vorher zu vernichten,

so

daß das erste Produkt seiner geistigen Wirksamkeit

hätte sein müssen eine gänzliche Umschaffung

der

menschlichen Natur überhaupt, in welcher sich die

Vernunft auch in ihrer praktischen Richtung als ein

natürliches Willenövermögen vorfand. solchen Vertilgung

Von einer

der menschlichen Vernunft fin­

den wir im Christenthume keine Spur, und eine solche Umschaffung der menschlichen Natur, dmch

welche jene nur möglich gewesen wäre, würde dem Christenthume direkt entgegenstehen, welches ja die ganze frühere Schöpfung und vorzüglich

die der

menschlichen Vernunft als einen Pkt der göttlichen Allmacht erklärt,

Alles was das Christenthum in

Beziehung auf den frühern Zustand der praktischen Lebcnsrichtung verlangte, drückt sich in der Johannei­

schen Predigt als

aus, d. i. als eine Aen­

derung des Sinnes oder der allgemeinen vernünfti­

gen Willensrichtung.

Denn da der

eben das

allgenrein Vernünftige im Menschen, im Gegensatz

27 zu in«;»*, bezeichnet, so zeigt diese Forderung einer

Aenderung des »«»< nichts weiter

an, als daß in

der damaligen Beschaffenheit des menschlichen Han­

delns sich eben die ursprüngliche Idee des »«« nicht

mehr offenbarte und daß vorerst hier eine Aende­

rung, d. h, diejenige Beschaffenheit des »m eintre­

ten müsse, die als reine

Empfänglichkeit für hie

Einwirkung des göttlichen Geistes als nothwendig vorausgesetzt werden mußte.

wird überdies die

In dem Christenthume

menschliche

Vernunft

gradezu

angesehen als ein Vermögen des Menschen, durch

welches auch die Heiden, welche kein geoffenbartes Gesetz hatten, ssch des göttlichen Strafgerichts hät­

ten entziehen können.

Der Apostel Paulus näm­

lich schreibt der menschlichen Vernunft die Fähig­ keit zu, die Alles

wirkende Gottheit durch

die

Wahrnehmung der Schöpfung (welche Wahrnehmung

eine Thätigkeit des »«-- ist) zu erkennen« Derselbe Apo­ stel sieht ferner den»«-«in seiner richtigen Beschaffen­

heit als die Tüchtigkeit zum Glauben an; denn wenn

w »«-> find, so sinh sie

die Menschen

7«» xisTn.

Der »avr ist, als das Geistige

im Menschen, auch seine natürliche Kraft zum Gu­

ten, entgegengesetzt der bloßen Sinnlichkeit.

Jene

Kraft, die sich gesetzmäßig für das Gute entschei­

den kann, nennt der Apostel den

7»? ,«»'«, die

ihr entgegenstehende Kraft der Sinnlichkeit den * 7.7k ftixw.

Würde uns hier vielleicht der Ein-

28 wmf gemacht, daß. in den meisten dieser paulini-

die Rede fei,, wie

schen Aussprüche von dem

er innerhalb des Christenthums etwa schon gleich­ bedeutend sei mit Twvtw, so steht zu erwiedern, daß

und »0*5 doch immer in einem wesentlichen Unterschiede aufzufassen sind.

ist

aber kein

Dieser Unterschied

andrer, als bei dem Ausdrucke »o*