Das Verhältniß der philosophischen zur christlichen Sittenlehre in Beziehung auf die materielle Beschaffenheit beider Wissenschaften, dargestellt: Teil 1 9783111432342, 9783111066813


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Vorwort
Inhalt des Ganzen
Erster Theil. Aufsuchung der allgemeinsten Begriffe beider Sittenlehren
Zweiter Theil. Vergleichung beider Disciplinen
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Das Verhältniß der philosophischen zur christlichen Sittenlehre in Beziehung auf die materielle Beschaffenheit beider Wissenschaften, dargestellt: Teil 1
 9783111432342, 9783111066813

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Das

Verhältniß der philosophischen zur christlichen

S i t t e n l e h r e, in

Beziehung

auf die formale Beschaffenheit beider Wissenschaften, dargestellt von

Carl Wilhelm Vetter, evangelische»,

Pfarrer z„

Acnka» in Schlesien,

Berlin, s»

t i

G.

Reime r. 1 8 3 0.

S r.

Hoch würden

dem König!. Superintendenten, Pastor an der Hauptund Pfarrkirche zu St. Elisabeth in BreSlau

Herrn

Dr.

Tscheggry

widmet diesen ersten Versuch wissenschaftlicher Forschung

eh rfu rchrsvoll

Der Verfasser.

Vorwort.

es etwas für die Wissenschaft selbst ersprießliches sei, wenn das Verhältniß zweier Disciplinen in einer besonderen Untersuchung aufgestellt wird, könnte noch in Zweifel gestellt werden.

Einmal nämlich könnte man das

richtige Verhältniß zweier verwandten Disci« pllnen von der richtigen Darstellung beider er­ warten, und es müßte einem jeden, der sich über ihr Verhältniß belehren wollte, zugemn-

VI

tfyet werden, dasselbe aus jenen wissenschaftli­ chen

Darstellungen

unmittelbar

aufzufassen;

sodann aber könnte man auch Bedenken tra­ gen, ob eine solche Untersuchung in der That auf eine wissenschaftliche Weise anzustellen sei, weil sie, zwei Wissenschaften berücksichtigend, sowohl

das Restexionö - Vermögen

in

seiner

Kontinuität schwächen, als auch keinen inneren Zusammenhang der Idee selbst erzeugen werde. WaS

nun

den

ersten

Zweifel

anlangt,

so

kommt es lediglich auf den jedesmaligen Zu­ stand der zu vergleichenden Wissenschaften an, ob

ein solcher Versuch

nicht.

anzustellen, sei,

oder

Gehen diese den natürlichen Gang ih­

rer Entwickelung von selbst fort, und ist man allgemein einverstanden, wie auf jedem Punkte ihrer Entwickelung das Wesen der einen und der andern richtig erkannt werde,

so würde.

VII

eine solche Vergleichung insbesondere anzustel­ len, wenn auch dann noch nicht überflüssig, doch von geringerem Nutzen erscheinen.

Liegt

aber in der Geschichte zweier Wissenschaften das Umgekehrte am Tage, d. i. werden sie in ihrer natürlichen Entwickelung dadurch aufge­ halten, daß das eigenthümliche Wesen beider verkannt, und auf eine der Wissenschaft selbst nachtheilige Weise beide Disciplinen mit einan­ der vermischt werden, so tritt dann sogar das Bedürfniß ein, das Verhältniß dieser Wissen­ schaften auf eine ausführlichere Weife sicher zu stellen, als dies in der eigentlichen Darstellung jeder Disciplin für sich geschehen kann.

Wie

sehr nun dies von den von uns zu vergleichen­ den Disciplinen der Fall ist, darüber ist nichts nöthig hinzuzufügen; unser Versuch wird von dieser Seite von jedem vollkommen gerechter-

tigt werten.

Was aber die andere Besorgniß

anbelangt, inwiefern ein solcher Versuch irgend wie auf wissenschaftliche Form Anspruch ma­ chen könne, so ist ja jede solche vergleichende Untersuchung ihrem

Wesen nach Kritik,

und

wie wenig diese, zumal in der neuesten Zeit, für etwas nicht wissenschaftliches gehalten wird, ist allgemein bekannt.

Etwas schwieriges bleibt

es aber immer, eine gute Methode für einen solchen Versuch aufzusinden, obwohl sich man­ cherlei Wege darzu darbieten. tiger Untersuchung gen,

daß

Bei gegenwär­

sind wir davon

ausgegan­

es am besten fein möchte für die

Vergleichung zweier Disciplinen, doch den allge­ meinsten Begriff beider vorauszuschicken.

Denn

wollte man auch jedes in Vergleichung zu brin­ gende Element, an dem Orte der Vergleichung erzeugen, so würde doch ein solches Verfahren

IX

bei gründlicher Darstellung jedes Einzelnen stets auf das Allgemeine rekurriren müssen, in wel­ chem das Einzelne mit enthalten ist. Wir ha­ ben diefetn zu Folge einen allgemeinen Theil vorausgeschickt, welcher den höchsten Begriff beider Wissenschaften darstellen soll, und dies sowohl ihrem Inhalte als ihrer Form nach; indem, obwohl wir nur in gegenwärtiger Un­ tersuchung auf das formale Verhältniß beider Wissenschaften Rücksicht nehmen werden, die Konstruktion des Inhalts bei der Aufsuchung der höchsten Begriffe nicht vermieden werden kann; auch ist es die Absicht des Verfassers, wenn dieser Versuch einer Aufmerksamkeit ge­ würdigt wird, das Verhältniß beider Discipli­ nen auch von Seiten ihres Inhalts noch nä­ her aufzustellen, in welchem Falle an jene schon aufgestellten allgemeinsten Begriffe nur

wiederum angeknüpft werden dürfte, und somit der Vergleich

des Inhalts als der eigentliche

Schluß

ganzen

würde.

der

Untersuchung

erscheinen

Inhalt des Ganzen.

Vorwort

Seite v — x.

ErsterTheil. Aufsnchnng der allgemeinsten Begriffe beider Wissenschaften.

Seite l — 33, §.1 — 6.

Erster Abschnitt. Begriff der philosophischen Sittenlehre. Zweiter Abschnitt. tenlchre.

Seite 1 — 20. §. 1 — 4. Begriff der christlichen SitSeite 20 — 33. §, 5 und 6.

Zweiter Theil. Vergleichung beider Disciplinen Seite 36 — 64. §. 7 — 16.

XII

Methode der Vergleichung. Seite 34 «nt» 35. §, 7. Erste Abtheilung. Vergleichung der »berste» Grund­ sätze beider Disciplinen. Seite 36 — 42. §.8 — io. Zweite Abtheilung. Vergleichung -er System« beider Disciplinen.

Seite 43 — 50. §. ii — 12.

Dritte Abtheilung. Vergleichung beider Dis­ ciplinen in Bejiehung auf ibre Begriffsbildung. Seite 50 — 64. §. 13 — 16.

Erster Theil. Aufsuchung der allgemeinsten Begriffe beider Sittcnlehren.

Erster Abschiritt. Begriff der philosophischen Sittenlehre.

§. 1. Ableitung ihres Inhalts aus der Philo­ sophie. SSBctrn eS das Wesen aller Begriffsbildung ist, einmal das Allgemeine, in welchem sowohl von der realen als idealen Seite, die Begriffe ihre noth­ wendige Einheit finden, und sodann auch das Be­ sondere, aus welchem wiederum auf beiden Seiten ihre nothwendige Trennung und Verschiedenheit hervorgeht, aufzusuchen, so erhellet, das; alle dieje­ nigen Wissenschaften, welche den Charakter deß All­ gemeinen schon an sich tragen, nur noch von einer Wissenschaft abgeleitet werden können, welche im A

Allgemeinen die höchste Einheit, und wiederum Im Besondern, nur die Trennung der höchsten Gegen­ sätze aufweisen

kann.

Diese Wissenschaft nennen

wir die Philosophie, welche demnach allem bestimm­ ten Wissen so zum Grunde liegt, daß nur durch sie sowohl die Stelle, welche jede reale Wissenschaft in dem großen Zusammenhange alles menschlichen Wissen- einnimmt, als auch dasjenige gefunden werden kann, was jede Wissenschaft zu einer be­ sondern macht. Dieses gilt nun auch vorzugsweise von einer so allgemeinen Disciplin,-wie die jetzt im obersten Begriff darzustellende philosophische Sittenlehrc, so daß jedes andere Interesse, wie etwa daö an der Sittlichkeit,

als eines Triebes der

menschlichen Natur, von welchem aus man eine Ableitung dieser Wissenschaft versuchen wollte, wenn nicht überhaupt ihr jeden wissenschaftlichen Werth, dennoch gewiß den ehrenvollen Namen einer philo­ sophischen Disciplin rauben würde.

So nothwen­

dig nun aber dieses Zurückgehen auf die Philoso­ phie in vorliegender Untersuchung gefordert werden muß, um so mehr ist cs Pflicht, unö in demselben von vorn herein so zu beschränken, daß nicht etwa ein solcher Versuch die Philosophie selbst erzeugen wollte; sondern, da wir uns eben so wenig auf ein allgemein bekanntes System der Philosophie be­ rufen können wird das Verfahren daS allein pas­ sende sein, in jenem Zurückgehen auf die Philvso-

3 phie mehr auf kritische Weise einmal das allgemein Anerkannte, u»V dann auch nur das für unsere Un­ tersuchung Nothwendige in Betrachtung zu ziehen. Je sorgfältiger wir aber in der Untersuchung selbst den ersten Gesichtspunkt im Auge behalten, desto mehr können wir hoffen, daß unser Versuch Anerken­ nung finden werde, sowie, je mehr wir den zweiten Gesichtspunkt ins Auge fassen, desto mehr wir alles nicht in diese Untersuchung Gehörende vermeiden, und ihren intensiven Werth dadurch erhöhen werden. Der erste Gegensatz nun, der in allen philoso­ phischen Schulen, sowohl der ältern, als neuern Zeit immer herausgetreten ist, ist der von Wissen und Sei».

Die

richtige Darstellung der Einheit

der Glieder

dieses Gegensatzes

ist überhaupt

die

höchste Aufgabe der Philosophie, welche Einheit we­ der von chem einseitigen Standpunkte bet Realis­ mus noch dem des Idealismus aus, gelöst werden kann.

Es gehört jedoch nicht innerhalb der Gren­

zen dieser Untersuchung, zu sehen, in wie weit diese Aufgabe wirklich schon gelöst, und auf welche Weise; für unsere besondere Aufgabe vielmehr bedarf eS keines

höhen« Gegensatzes, um

etwa von einem

solchen aus, jene Einheit des Seins und Wissenselbst nachzuweisen, sondern wir unsern Ortes kön­ nen u»s völlig beruhigen, wenn wir ihn nur als den Gegensatz bezeichnet haben, in welchem alle Ge­ gensätze des bestimmten Wissens wenn auch noch A 2

4 auf verhüllte Weise, doch so enthalten sind, daß eben nur die wissenschaftliche Operation Hinzukoni«teil darf, um sowohl das für unsere Disciplin be­ stimmte Sein, als auch daö ihr zugehörige Wissen aufweisen zu können. Wohl aber müßen wir doch das eine aus der Philosophie herübernehmen, daß beide Glieder des Gegensatzes, das Sein sowohl als auch das Wissen nur in einer nothwendigen Bezie­ hung auf einander richtig aufgefaßt werden kön­ nen, d. i., daß ste einen relativen nicht absoluten Gegensatz bilden. Diesen Satz, welchen die Philophie selbst zu begründen hat, können wir aber mit um so allgemeinerer Anerkennung aus ihr entleh­ nen, da in allen Spstemcn diese Beziehung als eine wirklich vorhandene vorausgesetzt wird; in den rea­ listischen nämlich schon dadurch, daß ste die vor­ handene Zusammengehörigkeit zu Gunsten des Rea­ len nur mit Gewalt zu vernichten im Stande sind, so wie eben so die Idealisten zu Gunsten des Idea­ len dasselbe thun. Vorausgesetzt diese nothwendige Beziehung bei­ der Glieder des Gegensatzes, so fragt es sich: wel­ ches ist denn die Beziehung des Wissens zum Sein, und wiederum welche die des Seins zum Wissen? Ohne Zweifel folgt doch daraus schon die negative Bestimmung, daß es teilt Wissen geben kann, ohne ein dazu gehörendes Sein, und eben so daß es kein Sein geben kann, ohne ein dazu gehörendes

- s Wissen; denn gäbe eS das eine ohne iai andere, so hörte jene nothwendige Beziehung auf. darin aber auch

ES liegt

schon die positive Bestimmung,

daß beide Glieder deö Gegensatzes doch so auf ein­ ander bezogen werden können, daß sie eine graduel verschiedene Beziehung

ausdrücken.

ES

kann ja

gedacht werden, daß in dieser Beziehung, das Wis­ sen das Ueberwiegende, so wie es eine Beziehung beider Glieder des Gegensatzes geben kann, in wel­ cher das Sein das Ueberwiegende ist.

Aus diese

Weise entsteht uns ein neuer Gegensatz, welchen u>ir mit den Ausdrücken des Geistigen und Sinn­ lichen zu bezeichnen pflegen, so nämlich, daß daS Geistige eben jene Beziehung des Wissens auf daS Sein ausdrückt, aber in der Potenz des Wissens, so wie das Sinnliche die Beziehung des Seins auf das Wissen ist, aber in der Potenz des Sinnlichen. Wenn wir nun auch diesen Gegensatz dcS Sinnli­ chen

und

Geistigen

durch Dieselbe Operation der

graduclcn Beziehung als einen solchen betrachten, welcher noch niedere unter ihm stehende Gegensatze in sich faßt, so könnten wir ja die Glieder des zu­ nächst unter ihm stehenden Gegensatzes so binden, daß wir sagen: es kaun das Geistige in Beziehung auf daö Sinnliche gesetzt werden, aber in der Potenz des Geistigen, und cs kann das Sinnliche in Be­ ziehung auf das Geistige gedacht werden, aber in der

Poteriz

des Sinnlichen, für welche Glieder die-

6 ses neuen Gegensatzes wir die Ausdrücke Natur und Vernunft zu gebrauchen pflegen, so zwar daß die Vernunft jeneS Ineinander des Geistigen und Sinnlichen aber in der Potenz des Geistigen, und die Natur des Ineinander des Geistigen und Sinn­ lichen aber in der Potenz des Sinnlichen ausdrückt. Wie nun in diesem Gegensatze von Vernunft imb Natur, welchen wir zum Behuf dieser Untersuchung aus jenem höher» Gegensatze von Sein und Wissen ableiten mußten, auch wirklich das liegt, was die Ausdrücke Vernunft und Natur einem jeden be­ zeichnen, erhellet ja am sichersten daraus, daß nie­ mand

das eine Glied des Gegensatzes setzen wird,

obne jene nothwendige Beziehung auf das andere mitzusetzen. Denn denken wir die Vernunft, wie wäre dies möglich ofytic ihre Beziehung auf die Na­ tur mitzudenken, so wie wir eben so wenig die Na­ tur setzen werden, ohne die Vernunft mitgcsetzt zu haben.

Dies hindert aber so wenig in der Zusam­

mengehörigkeit beider, das eine Glied als das Ueberwiegende zu denken, caß vielmehr grade hierdurch die Natur sowohl als auch die Vernunft,

Glieder

eines natürlich relativen Gegensatzes werden. Wollten wir nun schon von hier aus die Frage auswerfen, ob wir etwa das durch letzter» Gegen­ satz bestimmte Sein für unsere Disciplin gefunden hatten, d. t. wollten wir fragen, mit welchem Gliede dieses Gegensatzes eS die philosophische Ethik zu

7 thun habe, so wird niemand sich weigern zu sagen, mit der Vernunft. Denn auch nur ausgehend da­ von, daß die Ethik Regeln für den menschlichen Willen aufstelle, so ist ja der menschliche Wille eben nach der praktischen Seite die ganze Vernunft, wie sie vorzüglich als eine in Handlungen übergehende Kraft sich manifestirt. Dennoch sind wir an die­ sem Orte noch nicht im Stande, über den Inhalt der philosophischen Ethik zu entscheiden, sondern cd entsteht uns noch eine neue Frage, nämlich die: wird cs die Sittcnlehre mit der ganzen Vernunft, im Gegensatze zur Natur zu thun haben, oder laßt sich irgend wie durch Theilung der Glieder dieses Gegensatzes, der für uns noch ein höherer ist, ein besonderer Komple,rus des vernünftigen Seins aufsinden, welcher der Sittenlehre als das ihr eigen­ thümliche Gebiet nachgewiesen werden könnte? Diese Ungewißheit fordert zu einer neuen Untersu­ chung auf, deren Nothwendigkeit auch noch auö unserm Verfahren selbst erkannt werden muß. §. 2.

Aufsuchung eines ncuenGegensatzes vom Wissen. Speculativcs und empirisches Wisse n. Während wir in der vorhergehenden Untersu­ chung den Gegensatz von Vernunft und Natur auö

8 jenem fut1 uns höchsten des Seins und Wissens ableisten, so geschah dies mehr auf reale Weise, d. i. so, daß wir die Zusammengehörigkeit dcö Seins und Wissens, des Sinnlichen und Geistigen, des Natürliche,» und Vernünftigen, mit dem mehr und minder des einen und des andern Gliedes aufzeigcnd, beides in diesem Ineinander, doch immer nur als ein neues Sein auffaßten.

Es ließe sich aber

auch jedes der beiden Glieder des Gegensatzes von Sein und Wissen so weiter abwärts theilen, daß wir die Glieder der neu gebildeten Gegensatze mehr als das Ideale und Reale von Seiten des Wissens, und ebenso als daö Reale und Ideale von Seiten deö Seins auffaßten,

worin liegt und allerdings

vorausgesetzt werden muß, daß auch diese Glieder dcS

für

uns

höchsten Gegensatzes,

dennoch

auf

einem noch höher», dem dcö Realen und Idealen beruhen und ihn voraussetzen.

Diese Untersuchung

gehörte nun allerdings der höchsten Wissenschaft an, für

welche jener für uns höchste Gegensatz von

Sein und Wissen nur ein niederer ist.

Es wird

aber an diesem Orte, so lange eine solche höchste Wissenschaft nicht allgemein anerkannt vor uns liegt, so daß jeder nur nöthig hatte den Ort seiner dar­ zustellenden Disciplin in jcnerWissenschaftslchre nach­ zuweisen, folgende ihrer Natur nach transcendentale Untersuchung nöthig sein.

Ausgehend

davon,

daß auch

der für unS

höchste Gegensatz des Seins und Wissens, in einem noch höher«, dem des Idealen und Realen gebun­ den ist, so könnten wir, jedoch ohne jenen Gegen­ satz des Realen und Idealen selbst begründen zu wollen, die einzelnen Glieder unsers Gegensatzes ins Auge fassend, fragen: was ist denn im Sein überwiegend das Reale, was das Ideale, und ebenso was ist denn das eine und das andere im Wissen? Könnten wir diese Frage auf eine allgemein befrie­ digende Weise, ohne jene transcendentalen Princi­ pien selbst zu deduciren, beantworten, so würden wir vielleicht den

bedeutendsten Schritt in dieser

Untersuchung gethan

haben.

Wir versuchen eS,

anfangend mit der Frage: waS ist das Reale und Ideale im Wissen?

Wir werden im Ganzen ge­

nommen keinem philosophischen Systeme widerspre­ chen, wenn wir jenes die Wahrnehmung, dieses aber das Denken in dem Sinne nennen, wie es daö vollendete Wissen noch nicht zu feilt braucht.

Denn

durch dieses beides zusammengenommen, kommt ja wohl das menschliche Wissen zu Stande, insofern es nämlich eine doppelte Beziehung auf das Reale und Ideale im Sein annimmt, so zwar, daß die Erkenntniß des Realen im Sein auch mehr an das Reale int Wissen, d. t. an die Wahrnehmung, und die Erkenntniß des Idealen int Sein wehr an daS Ideale im Wissen, d. i. an das Denken gebunden fei» wird; wobei jedoch wohl zu merken ist, daß

10 hier unter dem Realen und Idealen im Sein nicht für dieses die Vernunft und für jenes die Natur, sondern schon das verstanden wird, was in bewert Gliedern an

sich

wiederunr

als das Reale und

Ideale erscheint, welche Trennung im Sein hier noch nicht entwickelt werden kann.

Für die noth­

wendige Zusammengehörigkeit beider Wissens-For­ men laßt sich der Beweis am sichersten apagogisch führen.

Konnten wir nämlich die menschliche Na­

tur uns so derrken, daß durch sie nur diese Erkennt­ niß der Dinge möglich wäre, wie sie die Wahrneh­ mung, welche von der Organisation unsrer Sinne abhängt, in uns erzeugt, so wäre dies gewrß keine Erkenntniß mehr,

sondern höchstens die thierische

Empsittdung der organischen Impressionen.

Von

dieser Seite also sehen wir ein, wie jede Wahrneh­ mung, auch die am meisten von den Sinnen ab­ hängige, nicht ohne das Denken, als das am mei­ sten von jener Scelenkraft,

welche wir Verstand

nennen, abhängige, Erkenntniß in uns hervorrufen kann.

Eben so ist es aber auch richtig, daß das

Denken, von aller Wahrnehmung abgelöst, keine Erkenntniß hervorrufen kann; denn wenn alles Wis­ sen eine nothwendige Beziehung auf das Sein aus­ drückt, so müßte ja das Denken als die eine Form des Wissens ohne die Wahrnehmung, jene nothwen­ dige Beziehung auf das Sein aufheben, und als

eine Aeußerung des reinen Verstandes, also nur als

~

11

daS Leere erscheinen. Daher wir auch sagen können, die bloße Wahrnehmung könnte in uns nichts her­ vorrufen als das Chaos organischer Eindrücke, den bloßen Stoff für daS Wissen; und das bloße Denken könnte in uns nichts als einen leeren Schematis­ mus erzeugen, die bloße Form für das Wissen, in welchen beiden kein menschliches Wissen gesetzt sein kann. Diese auf jedem Punkte des Wissens noth­ wendige Zusammengehörigkeit beider Wissensformen, muß nun wiederum so gedacht werden, daß in ihr sowohl das Denken, welches unter der Form deö Begriffs den Charakter des Allgemeinen an sich tragt, überwiegend ist, und ebenso, daß darin auf einem andern Punkte die Wahrnehmung, wie sie unter der Form des Urtheils den Charakter des Besondern an sich tragt, als das überwiegende her­ vortreten kann. Dieses aber giebt uns eine graduel verschiedene Beziehung, welche sich in folgen­ der Formel ausdrücken laßt: es giebt in dem Wis­ sen von Seiten des Idealen ein Ineinander des All­ gemeinen und Besondern, aber in der Potenz des Allgemeinen, und es giebt in dem Wissen von Sei­ ten des Realen ein Ineinander des Allgemeinen und Besondern, aber in der Potenz des Besondern, von welchen beiden wir jenes erstere die speculative, dieses letztere aber die empirische Form deö Wissens nennen.

§. 3.

Das Sein als ein Ineinander bey Allgc«ifinen und B csondern. Kraft und Erschcinn ng. Wenn wir nun zurückkehren zur Beantwortung der andern Frage, was beim das Reale und Ideale im Sein sei, so können wir uns nicht begnügen, das Erstere im Sein als die Natur, das Letztere im Sein als die Vernunft anzuerkennen, denn so­ wohl in der Natur werden wir neben dem Realen das Ideale, sowie in der Vernunft neben dein Idealen daS Reale antreffen. -Sir müssen viel­ mehr von dem (Bliebe des für uns höchsten Gegen­ satzes, nämlich dem Sein ausgehend, einen Gegen­ satz aufsuchen, in welchem das Ideale im Sein so erschiene, daß cs dem Idealen im Wissen, und ebenso das Reale im Sein dem Realen im Wissen entsprechen würde. Diese Untersuchung könnte in einer Transcendental - Philosophie allerdings nur von dem Standpunkt der Vereinigung dcö Realis­ mus und Idealismus geführt werden, und da wir uns auf eine Philosophie dieser Art nicht berufen können, so müssen wir uns begnügen, wenn wir nur für daS Folgende allgemeine Anerkennung fin­ den möchten. Wenn das Wissen, wie wir es in seiner nothwendigen Beziehung auf das Sein ge­ setzt habe», sich uns in die beiden Formen des spc-

13 culativen und empirischen spaltete, so ttamlicf), dag das speculative mehr die Seite des Idealen, mib das empirische mehr die Seite des Realen in dem Wissen ausdrückte, so muß ja nothwendiger Weise in dem Sein, von welchem jenes Wisstn der Aus­ druck werden soll, ein solches Ideale, mehr den Charakter des Allgemeinen an sich tragend, und ebenso ein solches Reale mehr den Charakter des Besondern an sich tragend, aufzufinden sein. Denn ohne eine solche, wenn auch wiederum nur relative Trennung im Sein, zerfiele unsre ganze Untersus chung in nichts, weil das Prinzip der Zusammen­ gehörigkeit beider des Seins und des Wissens, wel­ ches Prinzip unsere allererste Voraussetzung war, dadurch zerstört würde. Was ist das aber, was im Sein das Ineinander des Allgemeinen und Be­ sondern unter dem Charakter des Allgemeinen, und wiederum das Ineinander des Allgemeinen und Besondern unter dem Charakter des Besondern aus­ drückt? Wir finden diesen Gegensatz in der Sprache niedergelegt in den Ausdrücken Kraft und Erschei­ nung. Die Kraft nämlich das Allgemeine, die Er­ scheinung das Besondere im Sein darstellend, so zwar, daß der Gegensatz ein relativer bleibt, und im Allgemeinen das Besondere mit eingeschlossen ist auf allgemeine Weise, so wie im Vesonderu einge­ schlossen ist, das Allgemeine, aber auf besondere Weise.



14

Nun sind wir endlich mit Aufsuchung der nö­ thigen Gegensätze überall bis ans Ende gekommen. Wir Hatten, darauf ausgehend, den Inhalt der phi­ losophischen Sittenlehre zu finden, uns die Glieder jenes höchsten Gegensatzes

von Sein und Wissen,

in den Gliedern eines aus ihm

abgeleiteten

nie­

dern Gegensatzes von Vernunft und Natur gebun­ den, von welchen Gliedern das erste die 83ermmft uns als Inhalt der Sittenlehre, jedoch so erschien, daß wir noch nicht behaupten konnten, ob sie ganz oder nur zum Theil werde Gegenstand der Ethik werden.

Ferner

fanden wir, vom Wissen,

einen Gliede des

dem

höchsten Gegensatzes ausgehend,

den Gegensatz der fpvculanvui und empirischen Erk'enntnlßfvrur, welche Formen in ihrer lebendigsten Durchdringung die Weltweioheit zu Stande bringen müßten, die aber auf dem Gebiete des realen Wis­ sens immer nur in einer graducl verschiedenen Be­ ziehung

vorkommen

können.

Endlich

sahen wir,

daß im Sein selbst ein diesem analoger Gegensatz sich uns gestaltete, nämlich der von Kraft und Er­ scheinung, so daß wir nun sagen können: daß alles spekulative Wissen sich auf die Kraft als das ihm zugehörige Sein,

so

wie

alles empirische Wissen

auf die Erscheinung als das ihm zugehörige Sein sich beziehen werde. die Frage mit

entschieden,

der ganzen

Somit aber haben wir auch ob

Vernunft

unsere Wissenschaft eS oder nur

mit einem

15 Theile derselben zu thun habe. Denn wenn die Verminst als Sein gesetzt, in jenen Gegensatz von Kraft und Erscheinung hineingehen muß, und wenn niemand laugnett wirs, daß die philosophische Ethik der speculativcn Form des Wissens bedarf, so er­ hellet, daß ihr Sein nur fein kann die Verminst, insofern jte als Kraft, d. i. als das Allgemeine in allem vernünftigeit Sein zu denken ist. Somit aber haben wir auch den obersten Beg.lss der philophisckcn Sittenlchre aus der Philosophie abzuleiten versucht. —

§. 4. Erklärende Zusatze. Es kann hier, tim unsern gefundenen Begriff in seiner richtigen Ableitung »och klarer aufzufas­ sen, die Gelegenheit nicht vorbei gelassen werden, denselben in seinem Verhältniß zu den Begriffen anderer Wissenschaften, die uns in jener Ableitung implicite mit entstanden sind, naher zu betrachten. Daß aber solche Wissenschaften zugleich mit ent­ standen sind, bürgt gar sehr für die Richtigkeit un­ sers Verfahrens, weil, von dem Grundsätze auS, daß jedes bestimmte Wissen nur dadurch zur Vollen­ dung kommen kann, daß das übrige Wissen auf allen Punkten zugleich zur Vollendung gebracht wird, der nothwendige Zusammenhang unserer Wis-

16

senschaft mit bcn sj&iijjcu realen Wissenschaften in jener Ableitung auS der höchsten Wissenschaft zu­ gleich mitgefunden ist. Es crgicbt sich nämlich, wenn wir die aufgestellten Gegensätze sich durch­ kreuzen lassen, folgende Quadruplicirät von realen Wissenschaften. Fangen wir zunächst damit an, uns die Ver­ nunft als das Ideale im Sein, d. i. als Kraft zu denken, und beziehen hierauf das Ideale im Wis­ sen, nämlich die spekulative Form desselben, so ent­ steht unS die philosophische Sittenlchre, welche dem­ nach das spekulative Wissen um die Vernunft als Kraft ist. Denken wir uns ebenso das Ideale in der Natur, d. i. die Natur als Kraft, und beziehen auch hierauf das diesem Idealen im Sein entspre­ chende Ideale im Wissen, so entsteht uns ein spe­ kulatives Wissen um die Natur als Kraft, welches Wissen die Naturwissenschaft bildet. Denken wir uns aber das Reale im vernünftige» Sein, und beziehen auf dasselbe das ihm entsprechende Reale im Wissen, so entsteht uns das empirische Wissen um die Vernunft als Erscheinung, welches Wissen die Geschichte ist; denken wir uns endlich das Reale des natürlichen Seins, und beziehen hierauf das ihm entsprechende Reale im Wissen, so entsteht uns das empirsche Wissen um die Natur als Erschei­ nung und wir erhalten in diesem Wissen die Na­ turgeschichte. — Vergleichen wir zunächst die Na­ tur-

17 turwissenschaft mit der Ethik, so sind sie ein- ih­ rer Form, verschieden aber ihrem Inhalte nach» Beides nämlich sind speculative Wissenschaften, d. i» sie fassen das Sein nur unter dem Begriffe des Allgemeinen, beziehen sich also auf die allen Er­ scheinungen zum Grunde liegende Kraft. Ihr In­ halt aber ist ein verschiedener, für die Ethik ist die­ ser Inhalt die Vernunft, für die Naturwissenschaft die Natur; inimer jedoch so, daß die Vernunft so­ wohl als die Natur nur als Kraft, d. i. als das Allgemeine ihres Seins gedacht, Gegenstand der genannten Wissenschaften werden könne». Man könnte also dem Parallelismus zufolge, die Ethik auch Vernunftwissenschaft nennen; ein Name de» man nirgend vorfindet, weil die ethischen Künstler bei der Konstruktion ihrer Wissenschaft nicht vom rein wissenschaftlichen, sondern öfter wohl von dem praktischen Interesse an der Sittlichkeit selbst aus­ gegangen sind. Die beiden empirischen Wissenschaf­ ten, die Geschichte und Naturkunde, haben es überall nur mit dem Einzelne», wie cs in Zeit und Raum erscheint und sich gestaltet, zu thun. Sind also wie jene eins in der Form, verschieden aber in Bezie­ hung auf den Inhalt, denn die Geschichte ist das empirische Wissen um die Erscheinungen der Ver­ nunft, die Naturgeschichte das empirische Wisse» um die Erscheinungen der Natur» Man kann aber auch die Vernunftleyre und bie Geschichte in eine

18

nähere Vergleichung bringen, welche Wissenschaften sich gleich sind durch ihren gemeinschaftlichen In­ halt, nur daß er in der einen mehr als das Ideale, in der andern als das Reale gesetzt ist; die sich aber ungleich sind in der Beziehung auf die Form, denn die erstere hat die spekulative, die letztere aber die empirische Form; welcher Unterschied beider Dis­ ciplinen wohl allgemein anerkannt werden möchte, indem ja nicht geläugnet werden kann, daß die Ethik über die Erscheinung hinausgeht, und die Verminst als Kraft fetzend, es. versucht das-Ideal einer sittlichen Weltordnung a priori zu consiruirc»; wogegen die Geschichte, die schon real gewordene Vernunft, d. i. ihre Erscheinungen darstellend, nie bis an jenes Ideal wird reichen können. Wie aber auch die Naturwissenschaft und Naturgeschichte in Beziehung auf ein anderes Sein, denselben Pa­ rallelismus geben, ergiebt sich aus dem Vorigen von selbst. Wenn nun aber die Ethik oder Vernunftwissenschaft sich auf die Vernunft bezieht, und diese selbst sowohl von ihrer realen als idealen Seite an­ gesehen, in einem nothwendigen Verhältniß zur Na­ tur gedacht werden muß, wie wir diese ihre Bezie­ hung auf die Natur schon gefunden und festgestellt haben; wenn ferner in der Ethik die Vernunft nur in ihrer Allgemeinheit, d. i. als Kraft kann auf­ gefaßt werden, so folgt auS beiden zusammen ge-

19

nommen auch daS Princip der philosophischen Sittenlehre, welches also mit ihrer Ableitung aus der höchsten Wissenschaft zugleich gefunden wird. Näm­ lich wenn wir die Vernunft als Kraftänßerung in Beziehung auf die Natur setzen, so wird sie ihrem Wesen nach Thätigkeit auf die Natur sein, so wie diese selbst in der Ethik alö der für die Vernunft empfängliche Stoff erscheint. Das heißt nun, alles ist sittlich, was eine Thätigkeit der Vernunft auf die Natur ausdrückt; das Resultat aber einer sol­ chen Thätigkeit ist überall daö Ineinander von Ver­ nunft und Natur, so daß dieses Ineinander, in welchem die Natur nicht mehr der bloße Stoff, und die Vernunft nicht mehr der bloße Trieb ist, die Idee eines sittlichen Gutes ausdrückt, welche Idee als Maximum, nämlich so gedacht, daß die ganze Natur in die'Vernunft hineingegangen ist, das höchste sittliche Gut ausdrücken würde. Die Ethik also, wie wir sie abgeleitet haben, kann nur von dem Princip der Thätigkeit ausgehen, und sie müßte von jedem andern Princip aus wie das der Lust, wie eö noch zuletzt in der anglikanischen Schule herausgetreten ist, von uns gänzlich ver­ neint werden. Wie nun aber nach diesem Princip der Vernunftthätigkeit auf die Natur, das Sittliche selbst in eine bestimmte, d. i. immer im Begriff ge­ gebene Vielheit — (nämlich auf spekulative Weise so daß daö, was auch alö einzelnes gesetzt ist, denB 2



20 —

noch den Charakter des Allgemeinen an sich tragen muß) — sich spaltet; wie demnach die Ethik als Wissenschaft unter einem Komplexus von Begriffen zu Stande kommen kann, ist die Aufgabe der ethi­ schen Wissenschaft selbst, welche eben damit recht eigentlich anhebt, von dem ethischen Princip auS, durch Aufsuchung untergeordneter Gegensätze, das Sittliche nach allen Richtungen hin begriffsmäßig, d. i. wissenschaftlich darzustellen.

Zweiter Abschnitt. Begriffder christlichen Sittenkehre. §. 5.

Begriff per Theologie überhaupt. Soll auch hier der Versuch von uns gemacht werden, die allgemeinste Begriffsbestimmung der christlichen Ethik aufzusuchen, damit wir alsdann um so sicherer die Vergleichung beider Sittenlehren anstellen, und sie in ihrem richtigen Verhältniß zu einander auffassen können, so werden wir eine» ähn­ lichen Weg, wie in der vorhergehenden Untersuchung einzuschlagen haben. Wie nämlich der Begriff der

21 philosophischen Moral nur dadurch gefunden wer» den konnte, daß wir ihn unmittelbar auS der Phi­ losophie ableiteten, d. i. ihn in seiner Einheit mit den höchsten Begriffen aufsuchten, und wiederum durch Theilung auch sein Verhältniß zu den neben ihm stehenden Begriffen nachwiesen, so werden wir auch hier genbthigct, den Begriff der christlichen Moral als einer theologischen Disciplin aus der Theologie selbst abzuleiten, und ihn in dem richti­ gen Verhältniß zu allen übrigen theologischen Dis­ ciplinen aufzufassen. Doch schon an der Schwelle dieser Untersuchung stoßen wir auf eine bedeutende Schwierigkeit, welche in allen Perioden christlicher Zeiten nicht wenige Verwirrung angerichtet hat; und auch jetzt, nachdem vom Standpunkt der Theologie mit bewunderungswürdiger Klarheit hier­ über gesprochen worden ist, scheint der Streit noch keincsweges seine Endschast erreicht zu haben. Können wir nämlich den Begriff unserer christlichen Sitten­ lehre nur aus der Theologie selbst ableiten, so ent­ steht ja vor allem die Frage: in welchem Verhält­ niß wird die Theologie zur Philosophie stehen, in welcher uns 1a alles Sein und alles Wissen impli­ cite eingeschlossen zu sei» schien? In unserm vori­ gen Versuche, die philosophische Ethik aus der Phi­ losophie abzuleiten, entstanden uns mit ihr zugleich andere Disciplinen, aber auf eine Wissenschaft, welche wir Theologie nennen könnten, sind wir nir-

22 gendS gestoßen. Wissen

nur

Es frägt sich also, da doch alles

eine

gemeinschaftliche

Wurzel

haben

kann, liegt diese Wissenschaft noch höher, als jene mit der Ethik zugleich abgeleiteten Disciplinen, also etwa

in

der

Transcendental - Philosophie

selbst,

welche es damit zu thun hat, die Principien und den Zusammenhang alles Wissens aufzustellen; ober liegt sie niedriger als jene aus der Philosophie ab­ geleiteten Disciplinen, und ist sie vielleicht mit noch andern Disciplinen aus der Ethik oder Geschichte abzuleiten; denn sie mit den Wissenschaften, welche sich auf daS Naturgebiet beziehen, in Verbindung zu bringen, davon halt uns schon ein natürliches Gefühl der Unmöglichkeit zurück.

Was nun das

erste anlangt, nämlich nachzuweisen, daß die Theo­ logie keine Transcendental - Philosophie sein könne, auch wenn diese allerdings auf die absolute Kraft aller Erscheinungen,

die Gottheit, und wiederum

auf die absolute Erscheinung der absoluten Kraft, die Welt» und auf das Verhältniß beider zu ein­ ander sowohl auf der realen als idealen Seite, auf jedem Punkte ihrer Untersuchung hinweisen

muß,

so wird doch keine ihrer Untersuchungen eine theo­ logisch« genannt werden können; denn in jeder sol­ chen Untersuchung wird auf den ersten Blick eine Grundlage erkannt werden, auf welche die Theolo­ gie nie errichtet werden kann. —

Was aber den

zweiten Punkt anlangt, daß sie irgend wie zusam-

23



menhängen kann mit dem realen Wißen, so werden wir allerdings hier den Weg entdecken, welcher unS aus den philosophischen Wissenschaften in die theo­ logischen hinüberführt.

Wie nämlich jeder zugeste­

hen wird, daß inß Besondere die christliche Theolo­ gie, wit welcher allein wir cs hier zu thun haben, sich auf ein historisches Faktum, nämlich die Mensch­ werdung deS Sohnes Gottes bezieht, so erhellet, daß

die Theologie

aber

den

den

empirischen,

keineswegcS

spekulativen Charakter au sich

tragen,

d. i. also, daß sie ihrem Wesen nach Geschichte sein werde. — logie,

sobald

Deswegen hat man auch der Theo­ sie

als

eine Wissenschaft bestimmt

herausgetreten war, den bezeichnenden Namen einer positiven Wissenschaft gegeben. sitiv nämlich soll bezeichnen:

Das Beiwort po­ 4) daß ihr eigentli­

cher Inhalt keineswcgcs erst durch einen Akt des Wissens selbst erzeugt wird, wie dies in der Phi­ losophie geschieht, sondern daß dieser ihr eigenthüm­ liche Inhalt ein für alle Mal als eine geschichtliche Erscheinung gegeben ist, wie ja in der That das in die Welt getretene Christenthum eine solche Er­ scheinung ist; 2) aber soll dieses Beiwort andeuten: Laß die einzelnen Theile der Theologie keineswegcS unter sich zu einer bestimmten Einheit dadurch ver­ bunden sind, daß sic sämmtlich auö einem obersten Princip

auf dialektische Weise

abgeleitet werden,

sondern nur dadurch gehören sie unter sich zusam-

24 men, baß sie sämmtlich nur eine gemeinschaftliche Beziehung auf ein historisches Faktum, die christ­ lich-theologischen Disciplinen also auf das in der Welt erschienene Christenthum ausdrücken. Wenn nun die Thatsache des Christenthums, was aber natürlich hier nachzuweisen nicht der Ort sein kann, keinesweges etwa ein aus jenem in der menschli­ chen Vernunft angelegten Idealen nothwendig sich entwickelndes Reales ist, sondern wenn es vielmehr seinem innern Wesen nach als etwas auf ursprüng­ liche Weise in die Welt getretenes den Charakter der Offenbarung an sich trägt, und zunächst mit einer ganz andern Anlage der menschlichen Natur, nämlich der Frömmigkeit zusammenhangt, so ist klar, daß die theologische Wissenschaft dasselbe in dem Menschen nicht hervorrufen kann. In so fern haben auch alle diejenigen Recht, welche das Chri­ stenthum seinem Wesen nach der Wissenschaft ent­ gegen stellen, und von jeder Vermischung mit der­ selben es frei halten wollen. Unrecht aber haben sie wenn sie diese Trennung so streng ausdrücken, daß jede Beziehung deS Wissens auf die christliche Frömmigkeit verneint werden solle. Wie nämlich alle Kräfte der menschlichen Seele nur dadurch ge­ pflegt und gesteigert werden können, daß sie stets auf einander bezogen werden, und durch diese Be­ ziehung sich gegenseitig unterstützen, so können und müssen zumal von denjenigen, deren objektives Be-

25 wußtsein biS auf einen gewissen Grad gebildet ist, auch die frommen Gemüthszustande, Gegenstand der Betrachtung werden, worin liegt, daß daS Wissen sich auf die Frömmigkeit als Sein setzen kann, welches überhaupt die Grundbedingung der Möglichkeit einer Theologie ist. Daß umgekehrter Weise von dem Wissen dasselbe gelten muß, kann man schon daraus abnehmen, daß alle wahrhaft Wissenden von der Frömmigkeit durchdrungen ge­ wesen sind, auch wenn man nicht geneigt sein möchte anzuerkennen, wie die höchste Wissenschaft zur Ergänzung ihrer aufgestellten Principien das religiöse Selbstbewußtsein voraussetzen muß. Liese gegenseitige Beziehung der einen Sceleufunktio» auf die andere, ist freilich in unendlich verschiede­ nen Abstufungen denkbar, und hangt keine von der andern so ab, daß die eine erst die andere hervor­ rufen müßte, sondern vielniehr ist es denkbar, daß der mit einem Minimum vom objektiven Bewußt­ sein doch wohl sehr fromm, so wie der mit einem Maximum von Wissen die Frömmigkeit als Mini­ mum in sich tragen kann. Ist aber beides das objektive und religiöse Bewußtsein in einem Men­ schen gleichmäßig erwacht, so wird eS die höchste Aufgabe seines Lebens, beide in ihrer innigsten Be­ ziehung und Zusammengehörigkeit aufzufassen, und somit zur höchsten intellektuellen Einheit seines We­ sens zu gelangen.

26 Ist also

die Wissenschaft in Beziehung

auf

die Frömmigkeit möglich, d. i. giebt cs eine Theo­ logie, so ist klar, daß auch sie nur unter denselben wissenschaftlichen Formen zu Stande kommen kann, wie jedes

andere Wissen, mit einem andern der

Frömmigkeit entgegengesetzten Sein.

Diese Formen

aber haben hier eine modifieirte Bedeutung.

Der

Begriff nämlich unter welchem vorzugsweise dieje­ nigen theologischen Wissenschaften, welche in einem höhern Sinne

auf den Namen der Wissenschaft

Anspruch machen, und in dieser Beziehung

den

mehr technischen Disciplinen entgegengesetzt sind, wird hier allerdings dem Wesen nach derselbe sein, wie auf den philosophischen Gebieten, d. i. er wird die Merkmale der Theilung und Verknüpfung in sich tragen, und stets nur das Besondere im Allgemei­ nen darstellen, allein unterscheiden werden sich alle theologischen Begriffe von den philosophischen auf das Bestimmteste dadurch, daß ihre Beziehung auf die Frömmigkeit, nicht eine aus einer ursprünglichen Identität der Frömmigkeit und des Wissens abge­ leitete ist, so daß auch jeder theologische Begriff nur seine Wahrheit erhielte, wenn er von allen auf dasselbe Princip jener ursprünglichen Einheit bezo­ gen würde, wie dies in der Philosophie in Bezie­ hung auf daS Sein und Wissen der Fall ist, son­ dern

alle theologischen Begriffe

kdrmen nur von

denjenigen für wahr gehalten werden, von welchen

27 wir voraussetzen können, daß itmen dieselbe christ­ liche Religion eingepflanzt ist, über welche Religion jene Begriffe nur Reflexionen sind.

Wenn also in

der Philosophie Begriffe nur dadurch auf allgemeine Anerkennung

Anspruch

macken

könne»,

daß

sie

sämmtlich auf ein höheres Princip bezogen werden, welches anderweitig

erst deducirt sei» muß, so ist

nicht zu begreifen, wie der große Unterschied tbeologischer Begriffe von den philosophischen, erstere jenes

welche

Princips nickt bedürftig sind, fonocrn

deren allgemeine Anerkennung von etwas ganz an­ derem abhängig ist, nickt langst ans eine unbestrit­ tene Weise ist festgestellt, und die Scheidewand ge­ macht worden, welche die Philosophie von der Theo­ logie trennt. — Wir können nicht umhin, als Erläuterung zu dem über den Unterschied der Theologie von der Phi­ losophie hier in Erwähnung Gezogenen,

auf eine

Darstellung der christlichen Dogmatik hinzuweisen, welche jenen Unterschied auf eine nie wieder streitig zu machende Weise auseinander gesetzt hat. verweisen

nämlich

auf

die Dogmatik

Professor Schleiermacher,

welcher

des

Wir Herrn

gerade

da­

durch, daß er überall die Grenzen des theologischen und philosophischen Wissens auf eine Weise gesteckt hat, wie cs auch ein Meister in beiden Wissenschaf­ ten nur vermochte, in der Theologie selbst Epoche machend geworden ist.

In jener Dogmatik ist durch-

28 gehendS die strengste Begriffs cntwickelung aufzufin­ den, so daß auch baß Eingelegte in dem Werke seine Klarheit und Bedeutung nur aus dem Gan­ zen erhält, so wie das Ganze auch wirklich erst aufgefaßt ist, wenn auch das Einzelne verstanden ist. Diese strenge Begriffscntwickelung aber für Philosophie zu halten, kann nur den Unkundigen in der Philosophie verrathen; denn nirgends stoßen wir in derselben auf Principien, welche, wenn wir in ihre Deduktion nicht einstimmen könnten, auch den noch so künstlichen Begriffsschematismus um­ stoßen würden, sondern nur derjenige könnte von der Dogmatik des Herrn Profess.- Sch lei erwa­ ch er keinen Gebrauch machen, dessen innerstes Selbstbewußtsein nicht zugleich von derselben christ­ lichen Frömmigkeit durchdrungen wäre, welche dort auch im Begriff dargestellt worden ist. Doch viel­ leicht schon zu lange halten wir uns bei dem all­ gemeinsten Begriffe der Theologie auf, da uns noch übrig ist, den besondern Begriff b'tr christlichen Ethik aufzusuchen, zu welchem wir sogleich fortschreiten. §. 6. Begriff der christlichen Sittenlehre ins Beso ndere. Wenn die gesummte Theologie in die drei großen Gebiete getheilt wird, in die philosophische,

29 historische und praktische, gründe

dafür folgende:

so sind die TheilungSdas Christenthum

ist so

lange intensiv die menschliche Erzeugung fortdauert, und extensiv noch immer Raum vorhanden ist, wo­ hin es noch nicht gelangt ist, »och im Werden, d. i. eS hat seine eigentliche Aufgabe, die ganze Welt intensiv und extensiv mit seiner göttlichen Kraft zu durchdringen,

noch

nicht erfüllt.

Es giebt aber

neben dem sich entwickelnden Christenthum noch an­ dere Erscheinungen der geistigen Welt, welche auf überwiegende Weise den allgemeinen Vernnnftcharakter an sich tragen, woraus sich nothwendig ergicbt, daß, so lange das Christenthum »eben diesen Erscheinungen sich selbst noch immer mehr entwickeln soll, und auch schon seinen hdhern Ursprung neben denselben genommen hat, stets ein wissenschaftliches Bestreben

vorhanden sein

müsse,

welches einmal

daS Wesen des Christenthums, im Gegensatz gegen das neben demselben allgemein menschlich Erschiene festhalten, so wie auch die Art, wie es ursprünglich in

das

werden

allgemeine Menschliche nachweisen

müsse».

hineingetreten

ist,

DieS Bestreben nun

bildet die philosophische Theologie, welche von je her unter den Namen der Apologetik und Polemik da gewesen ist, und sich auch in der That in diesen beiden Wissenschaften, sowohl von ihrer positiven als negativen Seite erschöpft.

Wenn wir nun für

alle geschichtlichen Erscheinungen, sobald sie ihrem

30 eigentlichen Wesen

nach aufgefaßt werden sollen,

die philosophische Qfrbif gefunden haben, so erhellet, wie

die

philosophische

Theologie

stets

auf diese

Wissenschaft Bezug nehmen werde, welche Bezugnahme ihr auch den Beinamen der philosophischen gegeben bat, da sie durchaus nicht eine philosophi­ sche Disciplin in dem Sinne genannt werden kann, daß sie aus der Philosophie selbst abgeleitet würde, und ihre eigentlichen philosophischen Principien hatte. Ferner muß es, sobald das Wesen des Christen­ thums

richtig

aufgefaßt,

aber des richtig

die eigentliche Tendenz

erkannten Christenthums die ist,

daß es die menschliche Natur nach allen Richtun­ gen hin immer mehr durchdringe, eine Theorie ge­ ben, welche Regeln aufstellt, wie das, was als daS Wesen des Christenthums erkannt ist, auch auf Er­ den intensiv und extensiv realisirt werde, d. i. wie das Christenthum immer mehr zur Idee der triumphirenden Kirche sich selbst gestalten müsse, welche Theorie, die ihrem Wesen imd) Technik sein wird, die

praktische

Theologie

genannt wird.

Endlich

aber, da das Christenthum ein schon zeitlich und räumlich Gewordenes ist, jedeS geschichtlich Gewor­ dene aber, wenn es weiter gefördert, d. i. der eigent­ lichen Idee naher gebracht werden soll,

nur von

seinem letzten Momente aus weiter gefördert wer­ den kann, so folgt hieraus, daß auch das Christen­ thum, als das bereits Erschiene aufgefaßt werden

31

müsse, welches, weil jeder letzte Moment nur aus de» frühern begriffen werden kann, nur dadurch möglich wird, daß sein ganzer historischer Verlauf zugleich aufgefaßt werde. Dies nun giebt die historische Theologie, in welche unsere Disciplin ein­ geschlossen ist, welche näher zu bestimmen wir noch einen Theilungsgrund aufsuchen müssen. Das Chri­ stenthum konnte, wie alles was sichtbar wird, nur unter bestimmten Formen erscheinen, und sich in diesen Formen zur sichtbaren Kirche gestalten, welche daher ohne eine bestimmte Verfassung nicht mög­ lich ist. Man kann also in der Geschichte desselben «ine Trennung feinem Inhalte nach machen, indem nian nämlich entweder mehr nach seiner inneren Seite die Frömmigkeit selbst, oder nach seiner äußern Seite die Formen, unter welchen jene Frömmig­ keit sich manifesiirte, inö Auge faßt. Die inner« Seite bildet die Geschichte des Lehrbegriffö, die äußere die Geschichte der kirchlichen Verfassung. Beziehen wir nun diesen Theilungsgrund auf jenen ersteren, so stellt der Verlauf aller christlichen Er­ scheinungen von ihrer inneren Seite angesehen, die Geschichte der Dogmatik dar, »oh ihrer äußern Seite aber die Geschichte der kirchlichen Verfassung.— Auch mußte daö Christenthum, wenn cs der mensch­ lichen Natur eingepstanzt werden sollte, in das Ge­ biet des Individuellen hincintreten, welches Indi­ viduelle als ei» sittliches Moment der menschlichen

Natur überhaupt die philosophische Ethik auf allgemeine Weise,

d. i.

a priori nachzuweisen hat.

Das beißt nun nichts anderes, als das Christen» thum konnte nur in einer Verschiedenheit kirchlicher Gemeinschaften erscheinen, welche verschiedene Ge­ meinschaften

als

sittliche Elemente

des Cbristen-

thumS die Apologetik aufzustellen hat. gen wir denn: im

Daher sa­

die christliche Frömmigkeit wie sie

gegenwärtigen Augenblicke

auf

irgend

einem

Gebiete des Individuellen sich äußert, wissenschaft­ lich darstellen, ist Las Geschäft jener theologischen Disciplin, welche wir in einem weitern Sinne Dog­ matik nennen.

J'n dieser Erklärung nämlich ist die

Ethik mit eingeschlossen,

so wie auch in der That

in einer frühern Zeit beide Wissenschaften nur als eine behandelt worden sind.

Es laßt sich aber noch

unterscheiden die Frdmniigkeit als christlich frommes Gefühl, wie es rein innerlich einen Lebensmoment erfüllt, und wiederum die Frömmigkeit, wie sie als Gefühlzustand aufhörend in ein nothwendig zu ihr gehörendes Handeln übergeht.

Das christliche Han­

deln nun, wie cs von dem christlich frommen Selbst­ bewußtsein hervorgerufen im gegenwärtigen Zustande einer bestimmten Kirchengemeinschaft heraustritt, wis­ senschaftlich darstellen,

ist das Geschäft derjenigen

Disciplin, welche wir christliche Ethik nennen. — Zusatz.

Bevor wir zum eigentlichen Vergleich

beider im allgemeinsten Umriß definirten Discipli-

33 nen fortschreiten, ist es nöthig zu bemerken, daß die christliche Ethik, welche wir mit der philosophi­ schen vergleichen wollen, die protestantische ist. wenn

auch

das

eine Glied

Denn

der Vergleichung die

philosophische Ethik, für alle Kirchengcineinschasten dieselbe sein kann, so ist doch unmöglich, daß ein solcher Vergleich etwa mit der katholischen Sitten­ lehre von einem Protestanten könnte angestellt wer­ den; eben so wie es unmöglich ist, sich vorerst eine allgemeine christliche Ethik, mit welcher jede christ­ liche Glaubensgemeinschaft sich befriedigen könnte zu bilden,

um mit einer solchen

den Vergleich desto

sicherer zu Stande bringen zu können.

C

34

Z.w e iter Theil. Vergleichung beider Disciplinen. §. 7. Methode der Vergleichung» §benn wir, nachdem wir die Begriffe beider Wis­ senschaften im Allgemeinen festgestellt haben, zu ih­ rer Vergleickung fortschreiten, um sie in ihrem rich­ tigen Verhältniß aufzufassen, so wird cs nöthig fein, für diese Vergleichung eine Methode aufzusu­ chen, damit durch den großen Umfang der vor uns liegenden Massen zweier Disciplinen, die Untersu­ chung sich nicht verwirre, und die Vergleichung der Klarheit ermangele, welche jedem Versuche dieser Art erst ihren eigentlichen Werth giebt. Es laßt sich aber jede Wissenschaft am richtigsten von zwei Seiten her mit einer andern vergleichen. Einmal nämlich wenn man auf die Form, sodann auch wenn man auf den Inhalt beider zu vergleichcndeit Disciplinen sieht. Den» wen» auch dieser Gegen-

35 satz von Form und Inhalt, Gestalt und Gehalt nur ein relativer ist, d. i. wenn sich beide gegen­ seitig bedingen, so eine

Glied dieses

hindert Lies nicht dennoch daS Gegensatzes, wenn auch immer

in Beziehung auf den ihm eigenthümlichen Gehalt, besonders ins Auge zu fassen, um die Vergleichung des

ihm

entsprechenden

Gliedes desselben

Gegen­

satzes, aber einer andern Wissenschaft mit aller nur möglichen Klarheit zu

Stande zu

bringen.

Was

nun die Form der von uns zu vergleichenden Wis­ senschaften anlangt, mit welcher wir cs hier allein zu thun haben, so wird sie sich bei jeder Wissen­ schaft, welche Anspruch darauf machen kann im Be­ griff dargestellt zu werden, wie wir es von beide» Sittenlehren

behauptet haben,

in

folgenden

drei

unter sich genau zusammenhangenden und auö ein­ ander abzuleitenden Theilen zeigen.

Einmal näm­

lich gehört zu jeder Wissenschaft ein oberster Grund­ satz, sodann ein System und

endlich die Art und

Weise, wie von dem obersten Grundsätze aus die Begriffe, welche sich zum Systeme gestalten sollen, gebildet

werden.

In

dieser dreifachen Beziehung

müssen unsere Disciplinen verglichen werden, wenn die formale Beschaffenheit beider in ihrer Verschie­ denheit aufgefaßt werden seil.

C 2



36

Erste Abtheilung. Vergleichung der oberste» Grundsätze beider Disciplinen. §. 8. Ueber Grundsätze im Allgemeinen. Was also zunächst den obersten Grundsatz an-» betrifft, so ist ein solcher in der philosophischen Ethik auf jeden Fall vorhanden, in der christlichen aber sonnte man sagen er sei da und auch nicht; je nachdem man von dem Begriffe eines Grund« satzcs überhaupt ausgeht. Welcher Ansicht von einem Grundsätze wir aber auch beistimmen mögen, so sind wir dennoch in jedem Falle verpflichtet, ist ein solcher Grundsatz in der christlichen Moral vorhanden, denselben in seiner nothwendigen Verschiedenheit von dem Grund­ sätze der philosophischen Sittenlehre nachzuweisen; so wie, wenn wir nach unserer Ansicht keinen solchen Grundsatz in ihr ausweisen könnten, wir doch eben so nothwendig nachweisen müsite», aus was für Grün­ den er hier entbehrt werden könne. Wir versuchen eS zunächst auf ganz allgemeine Weise eine Bestim­ mung über Grundsatz zu geben. Wenn es daS erste Merkmal des Wissens ist, daß die Vorstellun­ gen eines denkenden ZndividuumS identisch werde» mit de« Vorstellungen aller denkenden Individuen,

37 so wirb hierzu zweierlei erforderlich sein:

1) baß

daö denkende Individuum A in demselben Zusam­ menhange des Denkens zu seinen Vorstellungen geIstitgt ist, in welchem auch die übrigen denkenden Individuen ihre Vorstellungen erzeugt haben; denn jede Differenz des Zusammenhanges, welcher durch die Operation des Theilens und Verknüpfcns zu Stande kommt, führt auch auf differente Vorstel­ lungen, die eben Zeugniß geben, daß die Wissen­ schaft noch nicht vollendet ist.

2) Da eö niöglich

ist, daß Vorstellungen, auch wenn sie in demselben Zusammenhange, also nach de? gleichen Methode dcS Theilens und Verknüpfens erzeugt worden sind, dennoch different sein können, so wird zu demselben Zusammenhange auch ein gleicher Grundsatz hinzu­ kommen müssen, von welchem aus beide denkenden Individuen ihre Vorstellungen erzeugt haben.

Die­

ser gleiche Grundsatz wäre dcnmach die zweite noth­ wendige

Bedingung

für

jeneS

oben

aufgestellte

Merkmal des Wissens; denn ohne dieselbe, könnte A zu L sagen, wir sind zwar in demselben Zusam­ menhange

zu dieser Vorstellung gelangt, aber ich

kann dem ohnerachtet deine Vorstellung nicht für die mehlige erkennen, weil du von einem andern Grundsätze ausgegangen bist als ich; wir müssen uns also zunächst, sollen unsere Vorstellungen wirk­ lich identisch werden, über den Grundsatz einigen. Daher sagen wir auch, daß die Differenz aller Vor-

38 stelln ngcrr in allen denkenden Individuen nicht eher gehoben werden kann, bevor nicht der absolute Zu­ sammenhang und das absolute Princip alles Wis­ sens gefunden worden ist;

absolut nainlid) werden

beide genannt, weil sie so beschaffen sein mußten, daß sie nie mehr wankend gemadjt werden könn­ ten, sondern von jedem, in welchem das objektive Bewußtsein erwacht, als wahr and) sogleich ange­ nommen werden müßten.

Dies mag die höchste

Aufgabe der Philosophie bleiben; für unsern Zweck aber folgt hieraus: daß ein Princip derjenige oberste Grundsatz ist, welcher einem wissenschaftlichen Gan­ ze!, so zum Grunde liegt, daß er eben für alle in demselben vorkommenden Begriffe dasjenige ist, was ihnen ihre höchste Einheit sowohl, als ihre volle Wahrheit giebt.

§. lX

Grundsatz der philosophischen Sitten­ lehre. Wenn wir es vcrfud>t haben, die philosophische Ethik aus der Philosophie selbst abzuleiten, weil jede andere Ableitung, wie etwa die aus einent praktischen Interesse an der Sittlid)keit, der Ethik ihren philosophischen Gehalt rauben würde, so folgt hieraus nothwendig, daß das Princip der philosophischen Sittenlehre vom Standpunkte deö höchsten

39 Wissens aus durch einen Akt deö Wissens selbst erst dcducirt werden muß. -Dies haben wir denn auch wirklich gethan, denn wir sind von dem Ge­ gensatze von Sein und Wissen, wie ihn die Philo­ sophie in seinem richtigen Verhältniß auffaßt, aus­ gegangen, und können, indem wir auf dialektische Weise die Glieder jcncö Gegensatzes theilten, in Be­ ziehung auf das Sein sowohl als auch auf daS Wissen auf andere niedere Gegensätze, aus welchen sich einerseits die wissenschaftliche Form, andererseits daS eigentliche Objekt unserer Wissenschaft so ergab, daß sie die spekulative Erkenntniß um das allge­ meine Sein der Vernunft ist, welches allcmcine Sein wir als Kraftäußcrung oder alö Thätigkeit der Vernunft auf die Natur auffaßte».

Dieses

nun ist das höchste Princip der philosophischen Mo­ ral; denn alles, was wir in derselben als sittlich setzten, muß jenes Princip irgend wie ausdrücken, so daß also dieses Princip sowohl das eigentliche Merkmal alles Sittlichen, als auch, wie cS einem obersten Grundsätze zukommt, die höchste Einheit für alleö Sittliche, überhaupt ist.

Da aber der

höchste Grundsatz der philosophischen Ethik nur aus dem höchsten Wissen selbst abgeleitet werden kann, so ist hiermit auch die Erscheinung erklärt, wie in den

verschiedenen philosophischen Systemen auch

verschiedene Grundsätze für die Slttenlehre von je­ her ausgestellt worden sind; und cs muß auch von

40 dem auf diese Weise abgeleiteten Princip der Sittenlchre, bescheidener Weise ausgesagt werden, daß eö mir für alle diejenigen Geltung haben kann, die dieselben Grundsätze deS höchsten Wissens mit unS theilen.

§. 10. Grundsatz der christlichen Sittcnlehre. Daß nun in der christlichen Ethik von einem Grundsätze in dem hier aufgestellten Sinne gar nicht die Rede sein kann, dafür dürfen wir nur fol­ gendes in Betrachtung ziehen. Gesetzt cs wollte jemand für die christliche Sittcnlehre, wie dies für die Dogmatik von Theologen oft genug versucht worden ist, ein solches Princip, auf die oben ange­ gebene Weise aus dem Wissen selbst deduciren, so hieße dies nichts weniger als den Versuch machen, das christliche Handeln wie es einzig allein aus dem religiösen Selbstbewußtsein entsteht, durch einen Akt des Wissens zu erzeugen. Das Christenthum aber würde auf diese Weise seines positiven Cha­ rakters beraubt werden, und cs mußten alle dieje­ nigen, welche diesen Versuch auf consequente und wirklich wissenschaftliche Weise irgend wie zu Ende bringen wollten, auf das gemeinschaftliche Resultat kommen, daß sic die Sendung des Sohnes Gottes für unnöthig erklären, weil das allgemein mensch-

41 ließe objektive Bewußtsein irgend einmal baS ganze Christenthum von selbst erzeugt haben würde; denn dieses Bewußtsein war ja in demselben Grade der Vollkommenheit, zumal in der hellenischen Welt, vor wie nach dem Christcnrhume vorhanden. — Wie aber noch unzureichender daö Verfahren ist, nach welchem aus der sogenannten Moral-Philoso­ phie die Principien für die christliche Sittenlehre entlehnt werden, so daß diese Wissenschaft ihrer ganzen Selbstständigkeit beraubt wird, darüber darf nach dem schon Vorausgeschickten kein Wort mehr hinzugefügt werden. Wir behaupten, es kann kein Princip, welches aus der Idee des Wissens selbst abgeleitet, oder aus der Philosophie geborgt ist, ein Grundsatz der christlichen Sittenlehre werden, und es giebt in einem solchen Sinne überhaupt keine Principien der christlichen Sittenlehre. Soll aber dem ohnerachtet in der christlichen Sittenlehre von einem Princip die Rede sein, indem ja ohne ein solches alle christlich-ethischen Begriffe der höchsten Einheit und der allgemeinen Anerkennung ermangeln würden, so kann ein solches ja wohl kein anderes seilt, als das jedem einwohnende christliche Selbst­ bewußtsein, wie es als ein in Handlungen überge­ hendes aufgefaßt werden muß. Denn nur dieses kann der gemeinsame Probirstein sein, ob irgend ein einzelnes Handeln falsch oder wahr beschrieben worden ist; kcinesweges aber ein Satz, zu dessen

42 allgemeiner Anerkenntnis? ein jeder durch die wissen­ schaftliche Deduktion erst gelangen müßte. JcncS religiöse Selbstbewußtsein aber ist jedem auf einem ganz andern Wege überkommen, und kann so we­ nig von der höchsten Wissenschaft hervorgerufen werde», als es überhaupt ein vergebliches Unter­ nehmen ist, jemanden den Glauben an Christum deduciren zu wollen, welcher Glaube im weiteren Sinne des Wortes diesem religiösen Selbstbewußt­ sein gleichzusetzen ist. Wenn aber die Wahrheit und allgemeine Anerkennung des christlich Sittlichen nur auf unmittelbare Weise aus diesem Selbstbe­ wußtsein folgt, wenn ferner, wie in der philosophi­ schen Sittenlehrc alles dasjenige nur als das Sitt­ liche erschien, was das Princip nach einer Bezie­ hung hin in sich schloß, auch auf dem Gebiete des christlichen Handelns nur alles das ein sittliches genannt werden kann, was ein Ausstoß jenes christ­ lich-religiösen Selbstbewußtseins gewesen ist, so ist es richtig, wenn in diesem Sinne dieses christliche Selbstbewußtsein das Princip deß christlichen Han­ delns genannt wird. Aus diesen wenigen Grundzügen wird der große Unterschied der Principien beider Wissenschaften zu erkennen feilt, welcher Un­ terschied sich allerdings noch in mancherlei Bezie­ hung weiter verfolgen ließ.

Zweite Abtheilung. Vergleichung der Systeme beider Wissenschaften.

§. 11.

Ueber System im Allgemeinen» Wenn wir beide Wissenschaften in formaler Beziehung auch in so fern vergleichen müssen, »15 sie darauf Anspruch machen ein System zu heißen, so möchte dies eine der schwierigsten Untersuel'ungcn sein; indem die Forderung deS Systems einer Wissenschaft noch nicht so allgemein festgestellt ist, als die Forderung des Princips derselben. Wir se­ hen uns daher auch bei dieser Untersuchung genö­ thigt, eine allgemeine Bestimmung über das, was in einer Wistenschaft System genannt wird, voraus zu schicken. Wenn von vorn herein zugegeben werden muß, daß jeder in welchem nur irgend wie das objektive Bewußtsein als die allgemeine Grundlage alles Wisscnö erwacht ist, auch sogleich auf ein System seiner Erkenntniß getrieben wird, wenn also die Nothwendigkeit desselben von jedem Wissenden ein­ gesehen wird, so erscheint es um so befremdender, daß gerade diejenigen Wissenschaften, welche alles ethische und physische Wisse» durchdringen, d. i. welche überhaupt allem realen Wissen zum Grunde

44 liegen, eines solchen Systemes nicht bedürfen.

Diese

Wissenschaften sind die Logik und Mathematik, an welchem noch niemand die Forderung eines Systems gemacht hat.

Wenn wir den Grund dieser aller­

dings merkwürdigen Erscheinung hier nicht weiter verfolgen können, so ist doch soviel daraus zu er­ sehen, daß ein solches System seinen Grund mehr in demjenigen einer Wissenschaft haben müsse, was wir das Reale, als in demjenigen, was wir bas Ideale in derselben zu nennen pflegen.

Unter dem

Realen einer Wissenschaft, um diesen Terminus in seine für uns hier geltende Bedeutung aufzulösen, verstehen wir das Gegenständliche eines bestimmten Erkenntnisses, das bestimmte durch relative Gegen­ sätze für ein bestimmtes Gebiet des Wissens be­ grenzte Sein.

Ein solches nämlich erscheint, wenn

«ö anders als ein wirklich bestimmtes aufgefaßt ist, als ein System entweder so, daß es angesehen wird als ein Ganzes, in welchem jedes einzelne so inharirt, daß es nur aus dem Ganzen verstanden wer­ den kann, oder es erscheint auch als die Totalität der Aeußerungen einer Kraft, welche sich aber nur in der Mannigfaltigkeit des Einzelnen manifesiircn kann.

Nun aber muß doch unbedingt zugegeben

werden, daß, sobald uns ein bestimmtes Reale in dem angegebenen Sein als ein System erschienen ist, auch sogleich daS Ideale, unter welchem wir hier die Erkenntniß selbst verstehen, in jenes System

45 eingehen werde, welches auch folgen muß auS dem, was wir über die nothwendige Zusammenge­ hörigkeit des SeinS und Wissens im Anfange un­ serer Untersuchung gesagt haben. Ebenso wenn in Frage gestellt wird, waö das in uns sei, was in einem bestimmten Realen jenes System entdeckt, so wird niemand sich weigern zu sagen, das Ideale, aber dennoch in einem solchen Sinne, daß aus der Beschaffenheit des Realen das System sich ergeben muß, und daß das Ideale auf das Reale sich nur so bezieht, daß eö eben die Form des Realen wird, nicht so aber, daß aus dem Idealen wie etwa ans einem Behälter fertiger Formen, das Reale als System erzeugt würde, und in seine Formen sich fügen müßte.

§. 12. Systeme beider SiLtenlchren. Nach diesen allgemeinen Bemerkungen schreiten wir zur Vergleichung unserer Disciplinen fort, in­ sofern sie darauf Anspruch niachen können Systeme zu bilden» Zugestanden also, baß jedes Reale nur in Beziehung auf das ihm zugehörige Ideale ein System werden könne, wenn auch das Reale den eigentlichen Grund des Systems in sich schließt, so kann nur durch die Darstellung der zwiefachen Art wiß etwas reales ideal jn uys werden kann, unsere

46 Vergleichung

ein

befriedigendes

Resultat

geben.

Denken wir uns — und das können wir doch — unter dem Realen das Alles außer uns, die Welt nämlich mit ihren unendlichen Erscheinungen, so wird alles außer uns zu einem Innern für uns, gleichsam eine symbolische Einheit des Acußcrn und Innern, entweder so, daß es in unser objektives, oder so, daß es in unser subjektives Bewußtsein tritt.

Im erstem Falle entsteht jene Einheit indem

wir die überwiegend Erkennenden, im letztern, in­ dem wir die überwiegend Fühlenden waren.

DieS

Eiuöwerden also des Aenßern und Innern, gleich­ sam Ausgenomrnerrwerden der Welt in unser gan­ zes Bewußtsein, oder das Hineingehen der Natur in den Geist, unterscheidet sich aber gar sehr, je nachdem das menschliche Bewußtsein in jenem Akte die Eüngung entweder als das überwiegend Ob­ jektiv- oder als das überwiegend Subjektiv-Ideale hervortritt.

Diese Trennung in ihrem eigentlichen

Grunde zu verfolgen gehört nicht an, diesen Ort; das aber sei hier beantwortet, daß jenes Eingehen des Realen in das Ob/eltm-Ideale oas Kennzei­ chen der Allgemeinheit an sich trägt, d. h. daß das Reale nicht eher wirklich in das Ideale aufgenom­ men worden ist, bevor es nicht auch von allen an­ dern, in welchen dasselbe objektive Bewußtsein an­ gelegt, auf übereinstimmende Welse aufgenommen worden ist.

Jenes Eingehen aber des Realen in

47 das Subjektiv-Ideale tragt das jenem entgegenge­ setzte Merkmal der Eigenthünilichkcit an sich, indem nämlich ein solches Eingehen für einen jeden ein anderes sein kann.

Daher kommt cs denn auch,

daß im erster» Falle jenes Eingehen des Realen in das Objektiv-Ideale, das Ich ein thätiges bleibt und

in Reaktionen übergeht, indem nämlich die

Identität aller denkenden Subjekte etwas bleibt, dem nur angestrebt, was selbst aber nie erreicht werden kann; dagegen durch das Hineingehen des Realen in das Subjektiv-Ideale daS Ich als das Subjektive einen ganz andern Charakter annimmt. Denn hier kann von einem Zwiespalt im obigen Sinne nicht die Rede fei», weil das Eigenthümliche in jedem ein persönliches ist, und voll dieser Seite sein Dasein auch so ganz erfüllt, daß das Ich in jener Einigung ein bewegtes, d. i. so

durchaus

eins mit ihm wird, daß daraus das entsteht, was wir einen Zustand nennen.

Was folgt anS dieser

Betrachtung für unsere jetzt zu lösende Aufgabe? Was zunächst die philosophische Ethik anlangt, so haben wir sie aus der Philosophie selbst abgeleitet, nämlich aus dem Gegensatze von Sein und Wissen, wie ihn die Philosophie in seiner allein möglichen Beziehung darzustellen hat.

Nehmen wir nun im«

scrc jetzt angestellte Betrachtung zu Hülfe, so folgt aus beiden! zusammengenommen:

daß wenn die

philosophische Ethik ein System bilden soll,

das

48

Reale in ihr, weil es nur in Beziehung auf das Wissen von vorn herein gesetzt worden, immer nur so gesetzt fein kann, wie es in das Objektiv-Ideale hineingegangen ist; und wenn auch in diesem Rea­ len das Subjektiv-Reale enthalten wäre, so könnte es dennoch mir in dem System gesetzt sein als das Reale, was in das Objektiv-Ideale eingehen soll. Dieses nun wird bedeuten, daß das System der philosophischen Moral nur so zu Stande kommt, Laß die Totalität aller Vcrnunftkräfte, wie sie als Kräfte die Thätigkeit auf die gesummte Natur bil­ den, und daS Sittliche im philosophischen Sinne hervorbringen, so gefunden werde, daß das diesem Realen entsprechende Ideale, als die nothwendige Form desselben, selbst das Ideale ist, wie es an je­ nem höchsten Gegensatze von Sein und Wissen haf­ tet, und als solches nur im Zusammenhange und durch die Principien des höchsten Wissens selbst ge­ funden werden samt. — Dies aber verhält sich anders in der christlichen Sittenlehre. Hier nämlich ist das Reale ein schon Ineinander des Realen und Subjektiv-Idealen, in welchem Ineinander die höchste sittliche Aufgabe, daß alles, was außer uns ist auch in unser subjektives Bewußtsein aufgenom­ men werden soll, von dieser Seite angesehen, auch schon ganz gelöst ist. Muß es aber dennoch aus einem andern Grunde als nothwendig erscheinen, daß auch auf das in Handlungen übergehende Selbst-

49

Selbstbewußtsein das begriffsmäßige Wissen sich richte, so entsteht auch hier das Bedürfniß eines Systems; und die Totalität aller von diesem Selbst­ bewußtsein ausgehenden Kräfte, als ein bestimmtes einzelnes Handeln erzeugend, wäre das System der christlichen Moral. Das Objektiv »Ideale aber, was zu dem Realen in der christlichen Sittenlchre hinzutritt, bannt sie zum System sich gestalten kön­ nen, ist zwar auch ein Wissen, aber kcinesweges ein solches, wie es nur aus den Principien der höchsten Wissenschaft abgeleitet sein darf. Denn wahrend das System der philosophischen Moral nur Anerkennung finden kann, indem von dem Standpunkte des höchsten Wissens aus jeder jedes Einzelne in dem Systeme als wahr begreifen kann; wahrend in der philosophischen Moral der Streit der Systeme mir von dem Standpunkte der höch­ sten Principien aus geschlichtet werden kann, so ist in der christlichen Moral die Anerkennung ihres Systems etwas ganz anderes; denn hier kommt es vorzüglich darauf an, ob in dem Systeme die christ­ lichen Gemüthszustände, wie sie ein Handeln er­ zeugen wollen, einem jeden mir so auf objektive Weise wiedergegeben werden, wie er sie anders woher in jenem Zusammenhange schon erhalte» hat. Hieraus folgt nun ganz dasselbe wie oben bei der Vergleichung der Principien, daß die christ­ liche Moral, auch in so fern als sie ein System D

50 — bildet, nicht deducirt werden kan», sondern daß sie auch in dieser Beziehung überhaupt nur für den Christen sein, so wie von Christen dargestellt wer« den kann. —

Dritte Abtheilung. Vergleichung beider Disciplinen in Bestehung auf ihre BcgriffSbildung.

§. 13. Bildung der ethische» Begriffe über­ haupt. Man theilt die Begriffe in jedem wissenschaft­ lichen Ganzen in obere und untere, so zwar, daß die ober» auf Gegensätzen beruhen, deren Glieder einen grdßern Komplezus des Seins ausdrücken, die niedern aber auf Gegensätzen, deren Glieder einen kleinern Umfang des Seins haben. Eine eigentliche Grenze würde hier niemals zu finden fein, denn jeder schon höhere Begriff ließe sich im Vergleich mit den noch höher« als ein niederer,

51 so wie jeder schon niedere Begriff int Vergleich mit dem noch niedern, wiederum als ein höherer be­ trachten.

Wir entdecken aber in einem wissenschaft­

lichen Ganzen, welches darauf Anspruch machen kann im Begriff dargestellt zu werden, noch einen andern Unterschied in den Begriffe», von welchem Unter­ schiede ausgehend, wir am richtigsten die Begriffs­ bildung unserer Disciplinen vergleichen können.

Wir

stoßen nämlich in jeder begriffsmäßigen Darstellung irgend eines bestimmten Seins auf Begriffe, welche sich nicht verhalten, wie obere und untere,

oder

höhere und niedere, sondern welche einander coordinirt in verschiedenen Reihen dasselbe Gebiet deS SeinS ganz darstellen.

Solche Begriffe, welche un­

mittelbar nur aus der höchsten Idee einer Wissen­ schaft abgeleitet werden können, und dasselbe Sitt­ liche

nur

unter

verschiedenen

Formen

darstellen,

nennen wir formale Begriffe, zu welchen, weil sie den Umfang eines bestimmten Seins nur für eine besondere Reihe angeben, nothwendig die realen hin­ zukommen

müssen,

welche

auf jenem Gegensatze

des Höhcrn und Niedern beruhend, das bestimmte Sein

so

desselben

darstellen,

daß

mehr gedacht

keine werden

weitere Trennung kann.

Die

ver­

schiedenen Methoden nach weichen beide Arten die­ ser Begriffe in unsern zu vergleichenden Discipli­ nen gebildet werden,

wollen wir nun naher ver­

gleichen. D 2

- 52 §. 14. Formale Begriffe der philosophischen Sittenlehre. Es sind solche, welche den Inhalt eines Be* stimmten Seins in einer bestimniten Reihe darstel­ len, und welche mit dem Princip einer Wissenschaft unmittelbar zusammenhängen.

Was nun zunächst

die philosophische Ethik anlangt, so ist also klar, daß an eine Bildung formaler Begriffe nicht eher zu denke» ist, bevor nicht der höchste sittliche Grund­ satz selbst gefunden worden ist.

Denn wollten wir

auch versuchen, ohne jenes Princip solche Begriffe auf synthetische Weise zu

bilden

so würden wir

doch auf keinem auch noch so hohen Punkte int Stande sein, das Gebiet des sittlichen Seins ganz zu überschauen. schaulicher zu

Wir wollen, um dies noch an­

macke», es versuchen, von unserm

gefundenen Princip aus solche Begriffe zu bilden. Unser höchstes Princip für die rationale Sittenlehre war die gesammte Thätigkeit der Vernunft auf die Natur, so daß das Sittliche selbst nicht mehr die bloße Natur, und

nicht mehr die reine Vernunft

war, sondern das Einssein beider ausdrückte.

Fragt

man nun, wie ist von diesem Princip aus die Mög­ lichkeit gegeben, zu formalen Begriffen zu gelan­ gen, so ist nicht zu zweifeln, daß man die Totali­ tät des Sittlichen darstellen werde, wenn man in

einer Reibe das Sittliche so beschreibt, wie cs als das Ineinander von Verminst und Natur erscheint. Dieses

nun Ware

die

objektive Darstellung

alles

Sittlichen, welche Darstellung unter dem Namen der sittlichen Güter auch geschichtlich vorbanden ist. Wenn wir

aber auf jedes einzelne Glied unsers

Princips sehen, so entstehen uns noch zwei andere formale Begriffe, unter welchen sich dasselbe Sitt­ liche,

in zwei von einander verschiedenen Reihen

ganz darstellen laßt.

Da nämlich die Vernunft als

Kraft gesetzt, das thätige Princip auf die Natur ist, so muß sich auch das ganze Sittliche darstellen lassen, wenn in allen Gliedern einer besondern Reihe dasjenige beschrieben wird, was alles Sittliche her­ vorruft, nämlich das thätige Princip selbst, die Ver­ nunft als Kraft, abgesehen aber von ihrem eigent­ lichen Objekte, der Na ur.

Dies giebt uns den

formalen Begriff der Tugenden, auch vorhanden ist.

der geschichtlich

Endlich aber, wenn wir auf

die Natur sehen, so erscheint sie uns, so lange sie noch

nicht

ganz in die Vernunft hineingegangen

ist, d. i., so lange das höchste sittliche Gut noch nickt erschienen ist, als das noch nicht gewordene Sittliche;

besteht aber der eigentliche sittliche Pro­

zeß darin, daß jenes nicht gewordene Sittliche in der Zeit als ein Sittliches erscheinen soll, so wird das ganze Sittliche auch beschrieben werden kön­ nen, wenn die Regeln angegeben werden, nach wcl-

eben jene Vernunftthatigkeit des noch nicht gewor­ denen Sittlichen in jedem Momente des sittlichen Verlaufs sich bemächtigen soll. Dies giebt uns den formalen Begriff von Pflichten. Von allen drei formalen Begriffen ist also klar, daß sie sich nicht verhalten wie obere und untere, höhere und niedere, sondern daß jeder für sich das Sittliche in einer bestimmten Reihe erschöpfend darstellt. Denn ich habe, wenn ich bad ganze Ineinander von Ver­ nunft und Natur dargestellt, auch das ganze Sitt­ liche auf objektive Weise dargestellt. Eben so habe ich, wenn ich die Dernunftkraft, wie sie das ganze Sittliche hervorbringen muß, beschrieben, auch das ganze Sittliche vargestellt, und endlich würde ja unstreitig, so wie das ganze Sittliche, das höchste Gut erscheinen müßte, wenn jene Vernunstthatigkeit in allen auch in jedem Momente der Zeit in Beziehung auf daS noch nicht gewordene Sittliche festgehalten, und in jedem folgenden, der sittlichen Idee naher gerückten Moment, auf gesetzmäßige Weise übergetragen würde, auch bad ganze Sittliche unter der Form des Pflichtbegriffes beschrieben. Wenn aber daS ganze Sittliche in jedem dieser Be­ griffe vollständig enthalten ist, so könnte allerdings in Frage gestellt werden, welches der eigentliche Grund sei, daß eine tüchtige Sittenlehre in allen drei genannten Formen bad Sittliche darstellen müsse; und in der That sind diese verschiedenen

55 Formen in den vorhandenen Sittensystemen nicht immer auf gleichmäßige Weise herausgetreten. In der neuern Zeit hat man sehr die Form der Güter und Tugenden verlassen, und sich lediglich an den Pflichtbegriff gehalten, so wie in der alten Zeit das Entgegengesetzte Statt fand. Diese Frage aus» führlich zu beantworten, ist nicht diese- Ortes, es reicht hin hier zu bemerken, daß schon das ge­ schichtliche Vorhandensein oller drei Formen von je­ der neu aufzustellenden Sittenlehre berücksichtiget werden müsse. §. 15. Formale Begriffe der christlichen Sitten­ lehre. Sehen wir auf die christliche Ethik hinüber, so ist ein solcher Unterschied formaler und realer Begriffe auszuweisen ein sehr schwieriges Geschäft. Zwar finden wir noch in den neuesten christlichen Moralsystenien jene formalen Begriffe wie den der Pflicht und der Tugend; aber eben weil diese Be­ griffe aus der philosophischen Ethik herübergenom­ men sind, und daS christliche Sittliche unter er­ borgten Forme» behandelt worden ist, so kann kaum die Verwirrung auf einem andern Gebiete größer gedacht werden, als auf diesem, wo man ein or­ dentliches Recht zu haben meint, von der sogenannt

56 fett praktischen Philosophie alles sowohl in Bezie­ hung auf Form als Inhalt, auszuborgen, damit nur diese Disciplin einen recht philosophischen Cha­ rakter bekommen möge.

Ist eS nun gelungen die

Dogmatik in der neuesten Zeit als eine von der Philosophie durchaus unabhängige Disciplin zu be­ handeln, so ist es Pflicht, dahin mitzuwirken, daß auch das ethische Gebiet der christlichen Theologie, nicht mehr als der eigentliche Sammelplatz philoso­ phischer werde.

und

theologischer

Meinungen

angesehen

Nur etwas in dieser Beziehung durch die­

sen Versuch beigetragen zu haben, würde den Ver­ fasser auf's Herrlichste belohnen. formalen

Bedingungen,

eine

Was nun jene

Sittenlehre

wissen­

schaftlich zu begründen, nämlich die Principien und Systeme anlangt, so glauben wir aus dem ober­ sten Grundsatz beider Wissenschaften den großen Un­ terschied in dieser Beziehung nachgewiesen zu ha­ ben ; ob es uns aber mit der jetzigen Untersuchung gelingen werde, daran könnte gezweifelt werden, in­ sofern nämlich der Versuch, rein vom christlichen Standpunkte a»S, bringen,

eine Sittenlehre zu Stande zu

noch nicht gemacht, also auch gar noch

nicht gefunden ist, inwiefern ein solcher Unterschied von formalen und realen Begriffen wirklich in der­ selben zu machen sei.

Alles also, was wir in die­

ser Beziehung zu einer wirklichen Begründung eines solchen Unterschiedes sagen werden, kann nur einen

57 hypothetische» Werth baden, wenn ein solcher Ver­ such die Grenzen der nöthigen Bescheidenheit nicht überschreiten soll. Von dem obersten Begriffe der christlichen Sit­ tenlehre,

in dem Sinne nämlich, wie wir ihn nur

auf eine uneigentliche Weise einen Grundsatz ge­ nannt haben, müßte ausgegangen werden, um for­ male Begriffe zu bilden;

wenn es auch hier nicht

etwa solche gebe, die lieber auf synthetische Weise von unten anfingen und die oberste» Begriffe fei* nesweges aus dem Obersten,

sondern nur

durch

Aufsuchung und Verknüpfung der Niedern ollmahlig die Höher» und endlich den Höchsten finden woll­ ten.

Wir unsern Orte- könnten ein solches Ver­

fahren schon wegen der erforderlichen Kürze dieser Untersuchung nicht einschlagen, wenn die Möglich­ keit veffelben auch zugest""0en werden maßte. Un­ ser höchster Grundktz für die christliche Sittenlehre war daS christlich religiöse Selbstbewußtsein, inso­ fern eö als ein lebendig Inneres auch ein noth­ wendiges Handeln erzeugt. eine Theilung, welche

einander

die

auf

Finden wir in diesem

formale Begriffe

coordinirt

führte,

ganze Reibe» für fich

bilden, und in denen das ganze Sittliche erschöpft dargestellt werden könnte? Es ist vom Herrn Professor Schleierm acher dieses religiöse Selbstbewußtsein beschrieben worden, als ein solches, welches als Zustand den übrrwieE

68 gerrben Charakter

entweder

der Lust oder Unlust

an sich trägt, welcher relative Gegensatz zum Tbeilungsgrund frommen

für

die

Beschreibung

Gemütbsznsiände,

aller

insofern

christlich

sie

nämlich

einen Moment des Menschenlebens wirklich ausfül­ len, gemacht worden ist.

Konnte wohl dieser Ge­

gensatz auch einen Theilungsgrund für ethische Be­ griffe abgeben?

Die Beantwortung dieser

Frage

erforderte eine Untersuchung darüber, daß auch das christliche Handeln,

insofern

es ja seinen Grund

nur in demselben Bewußtsein haben kann,

auch

ganz veranlaßt würde durch dieses Selbstbewußt­ sein, wie es sowohl den Charakter der Lust als auch den der Unlust an steh tragt.

Was aber wäre daö

Handeln, was ans einem Gefühle der Unlust ent­ stände?

Doch gewiß kein anderes, als dasjenige,

was eben darauf ausging, jenes Gefühl des ge­ lhemmten Lebens dadurch vers^winden zu machen, daß

das

in dem christlichen Lebrn durch ein be­

stimmtes Handeln aufgehoben würde, Gefühl

der

Hemmung

veranlaßte.

was Sowie

jenes das

Handeln, was aus dem Gefühle des geforderten Lebens, also der Lust hervorginge, ja offenbar nur darauf ausgehen könnte, dieses Gefühl nur noch mehr zu steigern und zu erhöhen, dadurch, daß das christliche Leben durch das aus jenem Gefühle ent­ sprungene Handeln, naher gerückt würde.

feiner Vollkommenheit immer Hierin läge nun allerdings

59 ein Theilungsgrund für zwei einander

coorbinirte,

also formale Begriffe, von denen jeder das christ­ liche Handeln auch ganz beschriebe.

Denn denken

wir uns das christliche Handeln unter jenem zuerst aufgestellten negativen Begriff ganz zu Stande ge­ bracht, so wäre ja alles, waö im christlichen Leben die Unlust in jenem Gefühle hervorriefe, verschwun­ den, und nur das andere Glied des Gegensatzes, daS Gefühl der Lust bliebe übrig, und zwar so, wie wir es als nicht mehr von der Unlust getrübt, nur als das reine Gefühl der Seligkeit in uns tragen könnten, d. i. es würde auch Vas Handeln von diesem Gefühl aus als ein wirksames, d. i. das christliche Leben weiter förderndes, vollendet sein. Sowie umgekehrt, wenn das Handeln von dem Ge­ fühle der Lust ausgehend gänzlich vollendet wäre, auch das Gefühl der Unlust,

folglich auch das

Handeln als Folge desselben nicht mehr vorhanden sein könnte.

Daß übrigens beide Arten des christ­

lichen Handelns noch nicht zu begreifen sind, wenn nicht auch dasjenige Handeln bcschrieöen wird, wel­ ches entsteht, wenn wir darauf sehen, wie, da beide Gefühle nickt unmittelbar auf einander folge» kön­ nen, noch ein eigenes von jenem verschiedenes Ge­ fühl sich manifcstirt, können wir dahin gestellt sein lassen, da dieses Handeln, was eine nähere Unter­ suchung leicht zeigen müßte, mir an dem positiven Handeln haftet.

Das aber bleibt uns

noch

zu

60 imtfrfud)vit

übrig,

und

schließt

Seite unsere Untersuchung, diese

auch

von

dieser

wie unterscheiden sich

formalen Begriffe der christlichen

der philosophische» Sittenlehre.

.on jenen

Zunächst erhellet,

daß sich weder das positive noch negative christliche Handeln (wir gebrauchen diese Ausdrücke noch in ihrer Unbestimmtheit, Sittenlehre

obschon

noch bezeichnendere

in

einer

wirklichen

aufgefunden wer­

den müßten) mit einem von jenen formalen Begrif­ fen, der Güter, Pflichten und Tugenden vergleichen läßt.

Sodann aber, wa- das wichtigste und auch

der Grund der Unmöglichkeit dieser Vergleichung ist, so sind jene Begriffe der christlichen Mora! uns un­ mittelbar aus dem christlichen Princip auf durchaus positive

Weise

entstanden.

Denn

dieses

Princip

war uns ei» gegebenes, nämlich daö religiöse Selbst­ bewußtsein, wie es durch die Menschwerdung Jesu Christi in uns das geworden ist,-was sowohl der Grund aller unserer christlichen Gemüthözustände, als auch die Triebfeder aller unserer christlichen Handlungen ist.

Wir

nannten es daher auch in einem unei,

gcntlichen Sinne ein Princip, insofern nämlich,, als es

auf eine durchaus reale Weise den ganzen Um­

fang unsers christlichen Seins ausdrückt,

und als

ein solches alle Gegensätze in sich fassen muß, durch welches sich jenes Sein, wenn eö Objekt des Wis­ sens wird,

auch

aber insofern es

im Begriff darstellen läßt, nicht auf ideale Weise

deducirhar ist,

61

d. i. in der höchsten Wissenschaft selbst erst erzeugt werden muß, wie wir dies von dem Princip der philosophischen Sittenlehre in der That nachgewie­ sen haben. §. 16.

Reale Begriffe beider Sittenlehren. Was nun endlich die realen Begriffe anlangt, mit deren Vergleichung in Beziehung auf ihre Ent­ stehung wir diese Aufgabe beschließen, so kann hier­ über nur noch weniges gesagt werden. Reale Be­ griffe waren diejenigen, bie das Sittliche bis zum Einzelnen herab, so ausdrückten, daß in jedem solchen relativ begrenzten sittlichen Sein Dir Zusammenhang desselben mit allein übrigen sittlichen Lein, als auch der Grund der relativen Trennung nachgewiesen, und eine abermalige Trennung eines so bestimmten Seins nicht mehr denkbar ist. Wenn wir nun zu­ nächst auf die philosophische Ethik binüberblicken, so müssen die realen Begriffe in derselben, das Sittliche wie es in den endlichen Reihen durch die formalen Begriffe schon bezeichnet war, seinem eigentlichen Inhalte nach nun wirklich darstellen. Hierin liegt, daß die Bildung solcher realen Begriffe abhängig ist von den formalen, welche die Princi­ pien der weiteren Theilung in sich schließen. Aus dem formalen Begriffe der Güter in der philosophi-

S

62 scheu Sittenlchre, müßten sich auf diese Weise auch die zu demselben gehörenden realen ableiten lassen. Wenn z. B. in der philosophischen Sittenlehre daS Sittliche unter der Form der Güter als Ineinan­ der von Vernunft und Natur dargestellt wird, so ist hierin schon die Theilung für reale Begriffe ein­ geschlossen ;

denn es ist ja jenes Einswerden von

Vernunft und Natur, ein relativ verschiedenes, wie es durch die schon organisirte Natur zu Stande ge­ bracht wird, von dem Einswerden, wie cs durch einen Akt unsers Bcwußseinö zu Stande kommt. Auf gleiche Weise müßten in einer christlichen Mo­ ral in den formalen Begriffen auch schon die realen angelegt fein, jedoch immer so, daß hier das Posi­ tive

dieser Wissenschaft in jedem solchen Begriffe

sich offenbaren müßte.

Wenn nun aber auf diese

Weise die realen Begriffe ihre eigentliche Begrün­ dung und Ableitung in den formalen finden, und diese nach dem oben Aufgestellten sich so unterschei­ den, daß die philosophischen aus einem Princip, was deducirt werden muß, diese aber aus einem Princip, was in der Erfahrung gegeben ist, abzu­ leiten sind, so erhellet zugleich hieraus, wenn auch nur auf mittelbare Weise, der eigentliche Unter­ schied der realen Begriffe beider Sittcnlehren.

Noch

einö könnte hier bemerkbar gemacht werden.

Wir

stoßen nämlich in beiden Sittenlehrcn auf verwandte reale Begriffe.

Hierher gehören vorzugweise die Be-

63

griffe des Allgemeinen und Individuellen, durch welche Begriffe sowohl in der philosophischen ol3 christlichen Ethik des Sittliche thcilbar wird. Es entsteht also die Frage: wie verhalten stch diese, beiden Wissenschaften gleich sehr zugehörendcn rea­ len Begriffe? Wir werden von unserm Stand­ punkte aus nothwendig sagen müssen, giebt es in der philosophischen Ethik ein Individuelles und All­ gemeines, so muß die Nothwendigkeit desselben aus dem Princip selbst nachgewiesen werden; wogegen in der christlichen Ethik auch dieser Gegensatz des Allgemeinen und Besondern einmal als eine That­ sache der menschlichen Vernunft vorausgesetzt, und sodann nur vom Standpunkte des Christenthums aus entschieden werden müsse, ob das christlich Sittliche seinem Princip gemäß in diesen Gegensatz des Allgemeinen und Individuellen wird eingehen können oder nicht; denn wäre auch in der philoso­ phischen Ethik das Individuelle und Allgemeine wirklich construirt, so kann es doch in der christli­ chen Ethik nur ein Individuelles und Allgemeines geben, wenn das religiöse Selbstbewußtsein, Me es der Impuls zu allen christlichen Handlungen ist, auch in der That in diese Formen des Individuel­ len und Allgemeinen hineingegangen ist. Dieses nun, sowie die Vergleichung der realen Begriffe überhaupt führt uns schon darauf, wie auch der Inhalt beider Sittenlehren, wenn auch seiner ur-

sprünglicben Ableitung nach ein verschiedener, den­ noch ein sich nicht widersprechender sein kann. Eine vergleichende Untersuchung auch über den Inhalt beider Sittenlehren müßte dies aus eine evidente Weise auseinandersetzen, welche Untersuchung, ob­ wohl sie als der eigentliche Schluß dieser Abhand­ lung erscheinen müßte, wir für dieses Mal aus­ schließen wollten.

Gedruckt bei C. F. Müller.