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German Pages 40 [44] Year 1904
Vas
Stimmrecht der frauen in kirchlichen Angelegenheiten.
bin Vortrag von
Cmil Glider Pfarrer
* 3« Ridter’öcbe Verlagsbuchhandlung (Hlfred Cöpelmann) • Giessen 1904
Druck von E. G. Rüder, Leipzig.
Vorbemerkung. Der folgende Vortrag wurde am 24. Mai laufenden Jahres in der Zusammenkunft der „Freunde der christ lichen Welt aus Süddeutschland und der Schweiz" in
Basel gehalten.
Das Thema war mir vom „schweizeri
schen Göttingerkränzchen", einer der „christlichen Welt"
nahestehenden Vereinigung jüngerer schweizerischer Theo logen, in der Meinung aufgetragen worden, die Behand
lung dieser zurzeit hierzulande häufig diskutterten kirchen
politischen
Materie
sollte
den reichsdeutschen Freunden
gleichsam ein bescheidenes Situationsbild dessen geben, was
uns Schweizer in unsern kirchlich interessierten Kreisen momentan mehr oder weniger bewegt.
Ob und inwieweit
diese Absicht erreicht worden ist, entzieht sich meiner Be
urteilung.
Jedenfalls resulttert aus dieser Genesis meines
Vortrags mein gutes Recht, den Gegenstand vom schwei zerisch-demokratischen Standpunkt aus zu behandeln
und ich ersuche den verständigen Leser ausdrücklich, sich
diese gewollte reservatio stetsfort freundlich gegenwärtig
halten zu wollen. Gerade auch von dieser Erwägung aus fand ich mich zu wesentlichen Änderungen an dem freien Bortragscharakter
meiner
damaligen Ausführungen
den Druck nicht veranlaßt. Aarwangen, Kt. Bern, im August 1904.
6. ©Oder,
für
Leitsätze, welche dem Vortrag zu Gründe lagen: 1. Der moderne Feminismus findet sein Ziel erst in der Heranziehung der Frau zu öffentlich rechtlichen Funk tionen. Die Frau will instand gesetzt werden, ihren Einfluß
auf das öffentliche Leben, speziell auf die Gesetzgebung,
nicht mehr bloß als ideales Jmponderabile, sondern ver
mittelst des Sttmmzettels auch als quantitativen Macht faktor in die Wagschale zu legen.
Der Zusammenhang zwischen der Frauenbewe gung im allgemeinen und dem kirchlichen Frauen
stimmrecht
im
besondern liegt
also
darin,
daß
die
Gewährung des letztem eine (erste) Etappe bedeutet auf
dem Wege zu dem dergestalt gesteckten Ziel. 2. Christlich-religiös angesehen kann die Berechti
gung dieser Neuerung grundsätzlich nicht bestritten werden. Christus behandelt Mann und Frau als religiös gleich
wertig
und
gleichberechtigt;
Paulus
übrigens
ebenso:
Gal. 3 28. 3. Auch vom kirchlichen Gesichtspunkt aus ist da
gegen nichts einzuwenden. schränkung: Malier
Die berühmte paulinische Ein
taceat in ecclesia *) bedeutet im
*) Das Weib schweige in der Gemeinde: I. Kor. 14 34 ver
glichen mit I. Timoth. 2 12. Süder, Dar Stimmrecht der Frauen.
1
2 Textzusammenhang bloß eine kultische, in den damaligen
Zeitverhältnissen begründete Ordnungsmaßregel, welche den Intentionen des Apostels kaum entsprechend erst in spä
terer Entwicklung zu der folgenschweren kanonischen Lehre
von der sogenannten kirchlichen Jnkapazität des Weibes
aufgebauscht worden
ist
und
für
uns in
gegenwärti-
ger Frage schlechterdings nicht normative Bedeutung be anspruchen kann.
4. Im Gegenteil:
Die Einführung
des kirchlichen
Stimmrechts der Frauen ist heutzutage ein unabweisliches
Postulat der Gerechtigkeit angesichts der Tatsachen,
daß an den kirchlichen Gottesdiensten die Frauenwelt in der Regel sowohl numerisch wie intensiv ein weit leb hafteres Interesse nimmt als die Männerwelt, und daß sie sich in sehr ausgedehnter und hingebender Weise in den
Dienst der praktisch kirchlichen Liebestätigkeit stellt.
5. Psychische, dem weiblichen Geschlecht als solchem inhärierende Momente angeblicher Minderwertigkeit, wie
z. B. geringere Fähigkeit zu objektiver Beurteilung, einseitiges Sichbeeinfluffenlaffen von bloßer Sympathie und Antipathie, Jntriguensucht und dergleichen mehr können
im Ernst wider das kirchliche Frauenstimmrecht nicht ins Feld geflihrt werden.
6. Daß durch dasselbe die „häusliche" Bestimmung
der Frau geschädigt, ihr „sanfter und stiller Geist" ver letzt oder der Eheftiede getrübt würde, ist nicht zu be fürchten.
7. Vielmehr ist von der Gewährung dieses Rechtes eine Belebung des kirchlichen Interesses überhaupt, eine
Hineintragung desselben in weitere Volkskreise und eine animierende Rückwirkung auf die indifferente Männerwelt
zu erhoffen.
3 8. Aus
opportunistischen und referendumstaktischm
Gründen empfehlen sich jedoch gewisse Modifikationen für
das praktische Vorgehen: a) bezüglich des Subjekts des kirchlichen Frauen
stimmrechts ist dasselbe zunächst nur den Ehefrauen und
den Witwen einzuräumen, welche für eine überwiegend von sachlich kirchlichen Gesichtspunkten geleitete Ausübung
desselben
im Vergleich
zu den
Unverheirateten erhöhte
Garantien bieten;
b) bezüglich des Objekts des diesen Frauen zu ge
währenden Rechtes ist dasselbe zunächst zu beschränken auf die Mitbeteiligung an der Wahl des oder der Ge meindepfarrer als der bedeutsamsten öffentlichen An
gelegenheit einer Kirchgemeinde, an welcher auch die Frauen zumal in ihrer Eigenschaft als Mütter ihrer dem Unter richt des Pfarrers anzuvertrauenden Kinder zumeist inter
essiert sind. 9.
Des fernern ist das kirchliche Stimmrecht nur
denjenigen Frauen zuzuerkennen, welche es in formeller
Weise direkt für sich verlangen.
Die Verbindung dieses
Grundsatzes mit den oben aufgestellten Postulaten ver schafft uns speziell in den reformierten Volkskirchen der Schweiz in kirchen politischer Hinsicht de lege ferenda
die erwünschte Möglichkeit, im Volksbewußtsein die Allein
herrschaft der starr staatskirchlichen Tradition zu erschüt
tern, das kirchliche Stimmrecht bedürfe schlechterdings des politischen als seiner unumgänglich notwendigen Voraus setzung.
Das kirchliche Frauenstimmrecht klopft eben in diesen Tagen vernehmlich an unsere Kirchentüren und begehrt Einlaß — wenn auch nicht gerade stürmisch, so doch mit
einem des schließlichen Erfolges sicheren Nachdruck.
Es
wird gegenwärtig in weitem kirchlichen Kreisen in unsrer
reformierten Schweiz lebhaft diskutiert.
Und zwar schon
nicht mehr bloß in akademischem Sinn als fernes Zukunfts
programm, sondem es ist mit seiner tatsächlichen Einfühmng in das kirchliche Recht bereits da und dort Emst gemacht
worden und anderswo steht diese grundsätzlich und prak tisch hochwichtige Neuemng in absehbarer Zeit als wahr scheinlich bevor.
Aber auch im Deutschen Reich wird dem
Gegenstand verschiedentlich rege Aufmerksamkeit geschenkt. So hat im letzten Jahre die Stöckersche kirchlich-soziale
Konferenz sich ausdrücklich damit befaßt und sympathische Referate von Frl. Paula Müller und Dr. Stöcker selbst
darüber gehört.
Es hat auch eine vom deutschen Verein
für Frauenstimmrecht in Berlin im März abhin einberufene Versammlung unter dem Beifall zahlreich anwesender Geist licher und Kirchenvorstände eine das Stimmrecht der Frau in Kirchensachen als eine Forderung der Gerechtigkeit an erkennende Resolutton gefaßt.
Des fernem bringt das
Machest der Baumgartenschen „Monatsschrift für kirch-
liche Praxis" einen einläßlichen Bericht von Herrn Pfarr amtskandidaten Schmidt in Groß-Lichterfelde bei Berlin
5 über bezügliche sehr interessante Verhandlungen in Ham burg. Dort wird auch mitgeteilt, der deutsche Verein für
Frauenstimmrecht habe bei vielen theologischen Dozenten eine Enquete über die Stellung der christlichen Ethik spe ziell zur vorliegenden Frage veranstaltet; die eingegangenen Antworten überwiegend zustimmender Art, unter anderen von den Professoren Harnack, Pfleiderer und Schmiedel, sollen demnächst publiziert werden. Der gegenwärtige Stand der Angelegenheit in der evangelischen Schweiz zeigt folgendes Bild: Zu Recht be steht das kirchliche Frauenstimmrecht bereits jetzt in der
Genfer eglise libre seit 1891 und zwar als obligatoire pour toutes les paroisses. Ebenso in der Waadtländer eglise libre seit 1898. Die Neuenburger eglise independante laboriert gerade gegenwärtig daran. Zwar
wurde in ihrer am 14. Juni abhin stattgehabten Synode für den Antrag der Synodalkommission, das kirchliche Stimmrecht der Frauen zunächst bei Pfarrwahlen einzu führen, die Dreiviertelsmajorität, welche zu einer Änderung der Konstitution notwendig ist, nicht erreicht.
(Der An
trag wurde bloß mit 65 gegen 30 Stimmen angenommen.) Gleichzeitig wurde aber dafür gesorgt, daß die Angelegen heit in anderer Gestalt, nämlich als für die Einzel gemeinden nicht obligatorisches, sondern je nach Gutfinden
fakultativ einzuführendes Recht, die Synode neuerdings be schäftigen wird. Der schließliche Sieg des Prinzips des Frauenstimmrechts dürfte also auch hier nur eine Frage der Zeit sein. Rach einstimmigem Zeugnis berufener Ver treter dieser kleinern französischen Kirchengemeinschasten hat die Neuerung zu durchaus keinen unliebsamen Jnkon-
venienzen geführt; im Gegenteil habe man durchweg gute und erfreuliche Erfahrungen bezüglich Förderung des
6 religiös-kirchlichen Lebens damit gemacht.
Daß übrigens
die freien Kirchen der französischen Schweiz mit der recht
lichen Gleichstellung der Frau mit dem Manne in Kirchen sachen den Anfang gemacht haben, enthält allerdings noch
nichts besonders auffälliges.
Sie konnten das eben um
ihrer Unabhängigkeit vom Staate und von der demokrati schen Volksabstimmung willen mit verhältnismäßiger Leich
tigkeit tun.
Auch ist nicht zu übersehen, daß in manchen
ihrer Gemeinden das weibliche Element sozial wie numerisch
eine hervorragende Stellung einnimmt.
Bedeutsamer für
uns ist schon die Tatsache, daß bei Anlaß der Borbera tung eines neuen Gesetzes für die waadtländische Na
tionalkirche die dortige Kirchensynode am 29. September
1903 mit 39 Stimmen gegen 15 beschlossen hat: le droit de vote est accorde aux femmes.
Dieser Beschluß
geht nun freilich zuerst noch an die politische Behörde, den Großen Rat, und von da eventuell erst noch an das Volk zu definitiver Annahme oder Ablehnung.
Inbegriffen
sind in diesem droit de vote alle über 20 Jahre alten Frauen und Töchter, welche sich in die speziellen kirchlichen
Wählerlisten eintragen lassen.
Dieser Beschluß der Synode
des pays de Vaud erscheint besonders deshalb als gewichtiger Art, weil er beweist, daß der Gedanke des kirch
lichen Frauenstimmrechts auch schon in Kreisen, welche bewußterweise Volks- oder landeskirchlich, multitudinaristisch
interessiert sind, festen Fuß sich zu gewinnen gewußt hat. Von noch größerem Wert und Interesse als das Vor
gehen der Waadtländer Synode für das gesamte refor
mierte Kirchengebiet der Schweiz dürste der Umstand sein, daß auf Anregung des Standes Zürich die schweizerisch
reformierte Kirchenkonferenz, sich zusammensetzend aus De legierten der verschiedenen kantonalkirchlichen Administrativ-
7 behörden, veranlaßt wurde, bereits in ihrer letztjährigen und
dann wieder in ihrer diesjährigen Tagung am 15. Juni in Frauenfeld sich einläßlich mit unserm Gegenstand zu Das erfreuliche und angesichts des moralischen
befassen.
Ansehens, welches diese kirchliche Zentralinstanz in der
Schweiz mit Recht genießt, bedeutsame Ergebnis der inter essanten Beratungen war die mehrheitliche Annahme einiger
durch den ersten Referenten, Herrn Kirchenratspräsidenten
Dr. Scheller von Zürich, empfohlener Thesen, welche wir
hier unter Weglassung des bloß auf die schweizerischen Verhältnisse Bezüglichen als Dokument gerne in ihrem
Wortlaut veröffentlichen: Durch
I.
zurzeit
weite
die Frage
gelegenheiten
des
Kreise
der
protestantischen
Frauenstimmrechts
lebhaft erörtert;
in
in
Welt
wird
kirchlichen An
verschiedenen
freikirchlichen
Verbänden ist sie bereits in bejahendem Sinn gelöst, und auch in
den Landeskirchen gewinnt sie zusehends an aktueller Be
deutung.
II. Dieser Bewegung läßt sich eine innere Berechtigung nicht
absprechen.
Erfahrungsgemäß betätigt die Frauenwelt allerwärtS
ein ebenso lebhaftes religiöses und kirchliches Interesse wie die Männerwelt, es dürfte deshalb wohl auch das protestantische Prinzip des allgemeinen Priestertums es rechtfertigen, wo nicht
geradezu verlangen, daß die mündigen weiblichen Glieder der Kirche mehr als bisher zu der Mitwirkung in kirchlichen An
gelegenheiten beigezogen werden.
IU. In welchem Umfange diese Mitwirkung einzutreten habe, das mag Sache näherer Untersuchung und insbesondere
der Erfahrung sein. IV.
... Der Kirchenkonferenz steht schon wegen der Mannig
faltigkeit der Verhältnisse nicht zu, hinsichtlich des Postulates
des Frauenstimmrechts initiativ vorzugehen; wohl aber hält sie dafür, es sei den Bestrebungen, die kirchliche Frauenwelt zur Milbetätigung an den kirchlichen Aufgaben herbeizuziehen, ein
wohlwollende- Interesse entgegenzubringen.
8 Damit hat sich die Konferenz deutlich genug de lege ferenda zugunsten des Frauenstimmrechts in der Kirche
ausgesprochen.
Weiter konnte sie nicht gehen, da das
Kirchengesetzgebungsrecht nicht ihr, sondern den einzelnen Kantonen zusteht.
Der Antrag Zürich wurde veranlaßt
durch eine dem dortigen Kirchenrat überwiesene Petitton
von feiten der schweizerischen Union für Frauenbestrebun gen; zugleich wurde mitgeteilt, daß ebenso auch beim Con-
sistoire in Genf eine mit zahlreichen Unterschriften bedeckte
Petttton für Einführung des kirchlichen Frauensttmmrechts cingegangen sei. — Außerhalb der Schweiz, aber innerhalb des europäi schen Kontinents — darüber hinaus will ich im gegen
wärtigen Zusammenhang
nicht
gehen,
denn
die
nord
amerikanischen und australischen Verhältnisse und Voraus
setzungen der Frauenrechte sind doch vielfach ganz und gar andere als die unsttgen — ist etwa noch erwähnenswert
die Bestimmung, welche die Waldensersynode in Torre Pellice im September 1903 in ihre neue Kirchenverfassung
ausgenommen
hat:
.Jede Gemeinde
kann den Frauen
Stimmrecht übertragen und zwar zu den für die Männer
geltenden Bedingungen."
Auch Dänemark und der skan
dinavische Norden mit Island kennen dieses Rechts.
In
Deutschland finden sich gegenwärtig allerdings erst bloß
vereinzelte Ansätze davon in der St. Georgengemeinde in
Berlin, sowie in den reformierten Gemeinden in Hamburg, Lübeck, Ostfriesland und in der Mennonitengemeinde in Emden. Wohl aber haben die Frauen in einigen Gegenden
in Schleswig-Holstein, Hannover und Hessen-Nassau gleich *) Desselben erfreuen sich ebenfalls einige evangelische Dia sporagemeinden,
z. B. die deutsche Gemeinde in Florenz
reformierte Gemeinde in Sursee, Kanton Luzern.
und die
9 den männlichen Gemeindegliedern das Recht, Einsprache zu erheben, wenn sie gegen eine Pfarr- oder Kirchenvorsteher
wahl begründete Einwände zu haben glauben. — Dies eine gedrängte Territorialstatistik deS gegenwär
tigen Besitzstandes des kirchlichen Frauenstimmrechts.
ES
geht daraus wohl evident hervor, daß die Idee marschiert
und gerade im letzten Jahrzehnt namhafte Fortschritte er rungen hat.
Von Spezialliteratur über den Gegenstand
erwähne ich namentlich: stimmrecht.
Prof. Dr. C. Hilty, Frauen
Separatabdruck aus dem polittschen Jahrbuch
der schweizerischen Eidgenossenschaft.
Bern 1900; Regie
rungsrat A. Locher, Bom Frauenstimmrecht, insbeson
dere in kirchlichen Angelegenheiten.
Zürich 1903; Paula
Müller und Dr. Ad. Stöcker, Rechte und Pflichten der
Frau in der kirchlichen und bürgerlichen Gemeinde.
Nr. 28
der Hefte der freien kirchlich-sozialen Konferenz.
Berlin
1903;
Paula Müller, Stimmrecht der Frau in kirch
lichen Angelegenheiten in der Monatschrift „Die Frau", herausgegeben von Hel. Lange.
Aprilhest 1904.
Berlin.
prinzipielle Erörterung. Die Frage des Sttmmrechts der Frauen in kirch- ehest i.
lichen Angelegenheiten kann offenbar nicht, wie cs auch schon versucht worden ist, als solche einfach auf den Isolier
schemel gesetzt werden.
Sie steht unverkennbar im Zu
sammenhang und zwar nicht bloß in einem äußerlich losen, sondern in einem organischen mit der modernen Frauen bewegung überhaupt.
Die mehr intellektualistische Seite
derselben: die Heranziehung der Frau, namentlich der un verheirateten, zu erweiterter Berufs- und Erwerbstättgkeit,
10 die Eröffnung neuer Berufsarten für sie, die Bestrebungen für zweckentsprechendere Erziehung und Bildung des weib lichen Geschlechts, das Frauenstudium, sowie die intensivere
Inanspruchnahme desselben für soziale Wohlfahrtspflege, für Armen- und Krankenpflege, für schul- und anstalts
behördliche Tätigkeit, für die Sittlichkeitsinteressen usw., kurz das, was wir in der Regel etwa unter der Rubrik „grauenfrage" zusammenzufassen pflegen: letztinstanzlich nur ein Mittel zum Zweck.
das alles ist Zu welchem?
Welches ist denn eigentlich das treibende Prinzip, das all diesen im einzelnen sehr verschiedenartigen und aus einandergehenden Anstrengungen und Organisationen der
Frauen bewußt oder unbewußt einheitlich zugrunde liegt? Doch wohl einfach das Streben, erhöhten Einfluß zu gewinnen auf das öffentliche Leben, das menschheitliche Kulturleben überhaupt. Die moderne Frau, sei sie nun emanzipiert radikal oder christlich-sozial gerichtet, sei ihr Milieu ein bürgerliches, liberal-konservatives oder als Pro letarierin ein sozialdemokratisches, will sich nun einmal
nicht mehr begnügen mit ihren bisherigen Jmponderabllien,
mit der schon jetzt unzweifelhaft großen, doch aber mehr stillen, privaten, unmeßbaren und unwägbaren Macht ihres idealen Einflusses auf die Männerwelt und die Gesamt heit; vielmehr will sie sich neuerdings auch als quantita tiven, organisierten Machtfaktor geltend machen zur Jnfluenzierung des öffentlich rechtlichen, staatlich sozialen Zusammenlebens, um demselben eine ihren Idealen tun lichst entsprechende Gestaltung zu verlechen. Ist dies aber ihr ernstlicher Wille, so muß sie selbstverständlich auch den Fragen der staatlichen Gesetzgebung, durch welche das öffentliche Leben aufs nachhaltigste bestimmt wird, die denkbar größte Aufmerksamkeit schenken, wie wir dies eben
11 jetzt in der Schweiz beobachten können, wo es sich zurzeit um den Erlaß einer neuen einheitlichen Zivilgesetzgebung handelt, zu deren Beeinflussung in ihrem Interesse unsre
organisierten Frauenvereine mit allem Recht, vielfach unter stützt
von
scheuen.
uns,
die
bedeutendsten Anstrengungen nicht
Die moderne Frau muß darnach trachten, eine
solche Stellung zu erhalten, daß die staatlich politischen
Organe, die Regierungen und die Parlamente mit ihr als einer nicht länger zu ignorierenden Realpotenz rechnen müssen.
Hinwieder aber wird sie zu einer dergestalt ein
flußreichen Position erst vermittelst des aktiven Stimm-
und Wahlrechts instand gesetzt werden können.
Erst der
Stimmzettel in der Hand, diese so harmlos scheinende und doch so mächtige Waffe von Papier, wird ihr die Mittel
dazu verschaffen, daß ihre Stimme auch von zuvor tauben Ohren gehört werden muß, und daß die Männer des Staats und der öffentlichen Verwaltungen es alsdann
nicht mehr in der Hand haben, die Frage, ob sie den Frauen Gehör schenken wollen, sozusagen nur als eine Frage der Galanterie gegenüber den Damen zu behandeln,
zu welcher die Herren sich je nach Gutfinden so oder anders, zustimmend oder ablehnend, verhalten können. Das ist im Hintergrund das treibende Motto der ganzen Frauen bewegung unserer Tage.
Und dies wird von den auf
richtigern oder auch radikalern unter ihnen als im tiefsten
Grunde zu erstrebendes Ziel auch ganz offen zugestanden. So schreibt z. B. Else Lüders in einer im Auftrage des
Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine bearbeiteten, gut orientterenden Darstellung
des
«Standes
der deutschen
Frauenbewegung im Beginn des Jahres 1902" (Zürich und Leipzig 1902), S. 64, durchaus unmißverständlich:
. .. „Nur durch das Sttmmrecht werden die Frauen in
12 den Stand gesetzt, in durchgreifender Weise an der Gestal
tung ihrer Lage und am Geschicke ihres Landes mitzu arbeiten. Ohne politische Macht kann ihr soziales Wirken nur unzulänglich sein, ohne politische Macht müssen sie ost an die Erreichung ganz selbstverständlicher Forderungen
jahrelange Mühe und Agitation wenden ... Die Er langung des aktiven und passiven Wahlrechts bildet das Alpha und Omega der Frauenbewegung!" Über diesen
letzten Zielpunkt der Bewegung mache man sich also gar keine Illusionen. Zur Beruhigung allzu ängstlicher Ge müter sei jedoch der Eröffnung dieser weitausschauenden
Perspektive sofort die einschränkende Prognose hinzugefügt, daß nach aller menschlichen Wahrscheinlichkeit die Entwick lung zu einer derartigen völligen Gleichstellung der Frau mit dem Manne in politisch-rechtlicher Hinsicht unter uns eine so außerordentlich gemächliche sein wird, daß jeden falls die jetzige Generation sie nicht mehr erleben wird. Sogar in der fortschrittlich gesinnten, demokratischen Schweiz ist schlechterdings keine Gefahr vorhanden, daß
das souveräne Volk, d. h. die stimmfähigen männlichen Bürger, sich so rasch entschließen könnten, ihre politischen Prärogattven mit dem andern Geschlechte zu teilen. Die geschichtlichen Traditionen des Landes sprechen zu sehr da wider. Im Kanton Bern wurde charakteristischerweise erst vor 41/« Jahren eine ziemlich harmlose Gesetzesvorlage,
welche den Frauen den Eintritt in die amtlichen Bolksschulkommissionen einräumen wollte, mit 42000 gegen 17 000 Stimmen verworfen. Wackere patriotische Stauf
facherinnen hat es zwar hierzulande in ältern und neuern Zellen je und je gegeben, auch Amazonen sind unter uns wie in Deutschland historisch nichts unbekanntes, bereits
in frühern Jahrhunderten wurden da und dort um ihrer
13 hervorragenden Tapferkeit in kriegerischen Zeitläuften willen den Frauen als Gesamtheit erblich gewisse kirchliche Ehren
rechte zuerkannt, z. B. der Vortritt bei der Abendmahls feier, auch an literarisch hochgebildeten Frauen hat es
unter uns nicht gefehlt (ich erinnere z. B. an Julie von Bondeli, die berühmte Freundin Wielands und Rousseaus).
Aber sie durch Verleihung aktiver Bürgerrechte auszu zeichnen, beziehungsweise zu belohnen, fiel niemandem auch
nur im Traume ein, im Gegenteil: Frauen, die sich an
maßten, eine aktive politische Rolle zu spielen, wurden je und je ziemlich ungalant zum Schweigen verwiesen.
Es
ist schon zur Genüge dafür gesorgt, daß diese weiblichen
Bäume nicht gleich in den Himmel wachsen werden.
Aber
allerdings wird sukzessive — davon bin ich völlig über
zeugt — die Logik der Geschichte, der tatsächlichen Ent
wicklung, weiter dazu führen, daß den Frauen auch auf politischem Gebiete gewisse ihnen bisher noch gänzlich vor enthaltene Rechte eingeräumt werden müssen.
Und es wird
dies im ganzen und großen kaum zum sittlichen Schaden der Gesamtheit
ausschlagen.
Speziell
für hochwichtige,
ethisch-soziale Postulate: energischere Bekämpfung des Alko holismus, der Prostitution und dergleichen mehr durch die Gesetzgebung haben die Frauen naturgemäß weit mehr
Sinn und Verständnis als die Mehrzahl der an der Stuf» rechthaltnng
der
traditionellen
laxen
Beurteilungsweise
interessierten Männer.
Nun ist aber auf der Hand liegend, daß bei dieser Situation mit der Heranziehung der modernen Frau zu
öffentlich-rechtlichen Funktionen irgendwo und irgendwie
ein praktischer Anfang gemacht werden muß.
Und hierzu
dürste nun allerdings aus zum Tell in der Natur der
Sache liegenden Gründen, die im weiteren Verlaufe unsrer
14 Erörterungen zur Sprache kommen werden, die kirchliche Sphäre ganz besonders geeignet sein.
Ob und inwieweit
dem Feminismus im weitern Verlauf die Eroberung ähn
licher Rechte auch auf den andern Gebieten des öffentlichen Lebens über diese erste Etappe oder Sprosse hinaus ge
lingen wird, kann uns übrigens hier zunächst ziemlich gleichgültig sein.
Wir dürfen diese Sorge füglich der Zu
kunft überlassen.
Qui vivra, verra!
Die Kirche ist oft
genug der kulturellen Entwicklung um halbe Jahrhunderte nachgehinkt; es steht ihr gar wohl an, auch einmal mit
dem guten Beispiel einer zeitgemäßen Neuerung voran-
zugehen.
Chtee II.
Aber stehen dem Frauenstimmrecht in kirchlichen An gelegenheiten nicht zunächst rein religiös, christlich religiös im Verhältnis von Gott zu Mensch und von Mensch zu Gott angesehen, gewichtige, ja dasselbe schlechter dings verunmöglichende Instanzen entgegen?
Nein, in
keiner Weise, so wenig, daß wir über diesen kaum um strittenen Punkt verhältnismäßig rasch hinweggehen dür fen.
Daß Christus Frau und Mann als religiös in Be
tracht kommende Persönlichkeiten vollständig auf dem Fuße der Gleichheit behandelt, daß er an beide durchaus die
nämlichen
religiös-sittlichen Anforderungen
jeder Kenner
der
evangelischen Geschichte.
Wort des Paulus in Gal. 3 28:
stellt, weiß
Das große
.Da ist nicht Jude
noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, nicht Mann noch Weib: denn allzumal seid ihr einer in Christus Jesus" ist völlig adäquat dem Geiste Christi geschrieben.
Schon
an der Eingangspforte des Lebens Jesu in seiner Kind
heitsgeschichte
stehen als typische
Gestalten Manu und
Frau, Simeon und Hanna, in gleicher Weise das Kind
segnend.
Frauen haben den Herrn auf seinen Lehrgängen
15 begleitet wie Männer, Frauen standen bis zuletzt um sein Kreuz, Frauen waren mit die ersten Botschafterinnen der Auferstehungskunde, von Frauen hat er vorzugsweise tief
empfundene, feine Huldigungen entgegengenommen, Frauen
hat er mit besonders aufmerksamer Zartheit seines Heilands verkehrs
gewürdigt, Frauen hat er auch Heilung von
körperlichen Leiden
und
wiederum Seelsorge zukommen
lassen genau wie Männern: die Frau ist in der christlichen
Religion zur Gotteskindschaft und zum allgemeinen Priester
tum der Gläubigen berufen genau so gut wie der Mann. Mit dieser Stellung Jesu zur Frau steht im vollen Ein
klänge diejenige der Urchristenheit.
In charakteristischer
Weise hat Petrus in seiner Pfingstrede nach dem Bericht der Apostelgeschichte das Pfingstereignis hingestellt als eine
Erfüllung der bekannten Verheißung des Propheten Joel:
. . . „und es wird sein in den letzten Tagen — spricht Gott — da werde ich ausgießen von meinem Geist über
alles Fleisch und eure Söhne und eure Töchter wer den weissagen und eure Jünglinge werden Gesichte sehen und
eure Greise werden
Träume
träumen
und
zwar
über meine Knechte und über meine Mägde werde ich in jenen Tagen ausgießen von meinem Geist und sie
werden weissagen."
Damit stimmt völlig überein die in
I. Petr. 3 7 enthaltene religiöse Wertung des weiblichen Geschlechts, wo die Männer aufgefordert werden, ihnen, den Frauen, mit Ehrerbietung zu begegnen, „als den
Miterben
der Gnade des Lebens".
Die religiöse
Ebenbürtigkeit der Frau mit dem Manne vor Gott ist
somit
tums.
ein
geradezu
konstitutives Prinzip des Christen
Jeder Verdacht von Minderwerttgkeit des weib
lichen Geschlechts ist auf diesem Gebiete schlechterdings ausgeschlossen. —
16 ehest III.
Die religiöse Sphäre deckt sich indessen bekanntlich nicht mit der kirchlichen. Letztere nimmt, soweit es sich in ihr um organisatorische Fragen handelt, stets zugleich ein rechtlich statutarisches Element in sich auf, welches zum
rein religiösen sich vielfach disparat verhält. So auch in gegenwärtiger Frage. Ungeachtet der prinzipiell vom Christen tum proklamierten religiösen Gleichwertigkeit von Frau und Mann wurde auf kirchlichem Gebiet schon bald dahin
tendiert, den Mann zum hauptsächlichen oder alleinigen Träger und Inhaber der aus der Gemeindezugehörigkeit resultierenden formalen Rechte, namentlich des aktiven und passiven Stimm- und Wahlrechtes, zu erheben und dagegen
die öffentlich-rechtliche Stellung und Tätigkeit der Frau als gleichberechtigtes Gemeindeglied in steigendem Maße zurückzudrängen und zuletzt völlig zu unterbinden. Und als erster und einflußreichster Auktor dieser kirchen- und kulturgeschichtlich so eminent bedeutsamen und bis zum gegenwärtigen Augenblick noch so folgeschweren rechtlichen Depossedierung oder Degradierung der christlichen Frau wird kein geringerer als der Apostel Paulus auf Grund seiner hochberühmten Weisung: Malier taceat in ecclesia — das Weib schweige in der Gemeinde — präten diert, derselbe Paulus, welcher der Schöpfer ist jenes be reits angeführten, durch ideal weitherzigen, großartigen Universalismus sich auszeichnenden Wortes von der Ein heit und Ebenbürtigkeit von Mann und Weib in Christus. Wie erklärt sich wohl einigermaßen befriedigend dieser sonderbare, auf den ersten Anblick sogar beinahe etwas be
fremdende Hiatus, diese bei dem großen Manne gelegentlich in der Tat zutage tretende, nicht abzuschwächende Geringer schätzung der weiblichen Eigenart und Leistungsfähigkeit gegenüber der männlichen? Ich glaube, gewisse persönliche
17 Führungen, Erfahrungen und Eindrücke Pauli geben uns
hierüber in genügender Weise den wünschbaren Aufschluß. Sodann werden wir aber auch sehen, daß jene das weib
liche Handeln in der Gemeinde einschränkende Norm ur sprünglich im Textzusammenhang ganz und gar nicht den weittragenden Sinn beanspruchen darf, welcher ihr erst nachträglich im weitern Verlauf der Entwicklung beigelegt
worden ist.
Im einzelnen darf zunächst wohl an die
persönlich zölibatäre Lebensführung des Apostels erinnert werden.
So hochachtungswert auch das Motto derselben
war: Ermöglichung einer durch keine familiären Rücksichten und Verpflichtungen irgendwie gehemmten Missionstätigkeit,
so wenig günstig mußte sie seine Gesamtbeurteilung weib lichen Wesens überhaupt beeinflussen, da sie ihm ja die Frau
eher als hindernd denn als fördernd zur höchsten Lebens aufgabe, dem Dienst am Reiche Gottes, erscheinen ließ.
Des fernern legte ihm die besttmmte Erwartung der nahen Parusie,
der Wiederkunft Christi,
der Ver
gegenüber
flochtenheit in zeitliche Interessen, in welche in gewisser Hinsicht auch Ehe und Familienleben einzurechnen sind,
eine reservierte Haltung auf und endlich mag ihm ja frei» lich das zartere Geschlecht auf seinen Reisen in der Gestalt
von emanzipierten Heidenchristinnen gerade etwa in der Gemeinde Korinth in einigen weniger anmutigen, viel
mehr vorlaut und ungeziemend sich vordrängenden Reprä sentantinnen entgegengetreten sein.
Daß übrigens Paulus
andrerseits das Wirken der Christenfrau namentlich in
charitattver Hinsicht, aber auch als aktiver Gehilfin im
Missionsdienst voll und ganz zu würdigen wußte, geht
aus andern bekannten Stellen seiner Briefe, Grußausträgen und dergleichen wie namentlich aus seinen Beziehungen zu dem Missionspaar Aquila und Priscilla zur Genüge Glider, Das Stimmrecht der Frauen.
2
18 hervor.
Auch erhält man den Eindruck, daß Paulus in
seiner Stellung zur Frau als solcher sich vielleicht nicht
stetSfort sein ganzes Leben hindurch völlig gleich geblieben
ist.
Was nun aber den Kardinalpunkt in dieser Sache für
uns betrifft, nämlich seine hochbedeutsame Enffcheidung: Malier taceat in I. Kor. 14 34 und damit wesentlich über
einstimmend in I. Tim. 2 12, so ist zu konstatieren, daß
nur durch ein arges Mißverständnis, durch eine förmliche Entstellung aus dieser ursprünglich bloß kultisch gemeinten
Anordnung des Apostels, also seinen originalen Inten
tionen zuwider oder jedenfalls sie maßlos aufbauschend und auf ein ganz anderes Gebiet übertragend, der nachmalige kanonische Rechtssatz von der kirchlichen Jnkapazität
(Unfähigkeit)
oder
Jnhabilität
(Ungeschicklichkeit)
des
Weibes — dies sind nämlich die in den canones vor
kommenden termini technici — abgeleitet werden konnte. Man lese doch einmal ohne Voreingenommenheit schlicht
und einfältig im Originaltext oder in einer guten deut schen Übersetzung (von Weizsäcker oder von Kurt Stage in der Reclam-Bibliothek) das berühmte 14. Kapitel des 1. Korintherbriefes.
Sofort wird man unschwer erkennen,
daß es sich darin im Zusammenhang mit einer Belehrung
des Apostels über das ekstatische Zungenreden einerseits und das ruhige Prophetenreden andrerseits in der Tat bloß um eine Anweisung für die gottesdienstlichen Ver
sammlungen der Christengemeinden nach dem Maßstabe dessen handelt, was nach der Anschauung jener Zeit als
anständig, als geziemend galt. „Wie in allen Versammlungen der Christen sollen die Frauen
auch in euer» Versammlungen nicht reden; sie sollen nicht reden, sondern sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt.
Wenn
sie eine Belehrung haben wollen, so mögen sie zu Hause ihre
19
Männer fragen; denn es ist unpassend für eine Fran, in der Versammlung zu reden." Ties der Wortlaut von I. Kor. 14 34. 35, der übrigens in einem auffälligen, zunächst fast unerklärlichen Wider
spruch steht mit ausdrücklichen Anordnungen, welche der selbe Apostel einige Seiten zuvor im 11. Kapitel des
selben Briefes V. 3—10 über das Verhalten der Frauen bei ihrem öffentlichen Auftreten in christlichen Versamm lungen gibt. Dort schreibt derselbe Mann: „Die Frau soll, wenn sie (in der Gemeinde) betet oder als Prophetin
auftritt, dies nicht mit unverhülltem Haupte, sondern ver schleiert tun, weil es sonst aussehen würde, als ob sie geschoren wäre" (wie eine Dirne in damaliger Zeit). Der
Widerspruch liegt, wie man sieht, darin, daß Kapitel 11 das öffentliche Beten und Prophezeien der verschleierten
Frau gestattet, Kapitel 14 dagegen rundweg verbietet. Man hat — ob mit Recht oder Unrecht ist hier aller dings nicht zu entscheiden — diese merkwürdige Inkongruenz radikal dadurch auszugleichen gesucht, daß man das Ver
bot in der zweiten Stelle einfach als eine Glosse, einen spätern Zusatz erklärt hat, entstanden in einer Zeit, in der man die Rechte der Frauen kirchlich immer mehr einzu schränken gesucht hat. Damit vergleichen wir I. Tim.
2 12, einem Briefe entnommen, betreffs dessen direkt paulinischer Herkunft übrigens starke Zweifel walten:
... „Eine Fran höre still zu in aller Unterwürfigkeit. Ich kann nicht gestatten, daß eine Frau lehrend auftritt oder den Mann beherrscht; sie soll sich füll verhalten." Der Brieffchreiber äußert also hier seine persönliche, aller dings autoritativ vorgetragene Ansicht, aus der er für Andere in ihren eigentümlichen Verhältnissen kein absolut verbindliches, die Freiheit ihres Handelns aufhebendes Gesetz 2*
20 machen will. Sachlich geht seine Auffassung allerdings da
hin, es gezieme sich der christlichen Frau ihrer ganzen Natur, Art und Bestimmung nach nicht, sich in der Öffent lichkeit ungebührend vorzudrängen und das laute Wort zu
führen; sie solle sich nicht in die geistlichen Funktionen eindrängen und sich vor der Sucht hüten, durch geräusch
volles, marktschreierisches Treiben sich interessant machen
zu wollen; der Mann sei in erster Linie dazu berufen, der öffentliche Beter zu sein.
Dies ist der Standpunkt der ersten Christenheit, be ziehungsweise des Paulinismus in der Frage der lehrhaften Beteiligung der christlichen Frauen an den öffentlichen Ge
meindeversammlungen und Gottesdiensten.
Was hat dies
übrigens mit dem kirchlichen Frauenstimmrecht zu tun? Streng genommen sehr wenig oder nichts. Denn damit, daß
jemand seine Stimme abgibt, übt er doch nicht eine lehr hafte Funttion aus; das paulinische: das Weib schweige
in der Gemeinde sagt ja im Grunde gar nichts aus über
die Grenzen, innerhalb deren die Frau im öffentlich-recht lichen Leben sich bewegen darf.
Es ist eine gekünstelte,
den wirklichen Sachverhalt entstellende und deshalb un wahre Folgerung, den angeführten neutestamentlichen Brief
stellen die Forderung einer für alle Zeiten und Verhält
nisse gülttgen schlechthinigen Rechtslosigkeit der Frau in den öffentlichen Angelegenheiten der kirchlichen Gemeinde entnehmen,
ihre definitive Verurteilung zur reinen be
züglichen Passivität als biblisch begründet behaupten zu wollen.
Daß im Gegenteil gerade die älteste Kirche in
Heranziehung der Frau zu akttver Teilnahme am Ge
meindeleben ungleich liberaler war als wir es noch zur
Stunde in der Regel zu sein pflegen, ist eine kirchengeschicht
liche Tatsache, welche sowohl unter Theologen wie bei
21
Laien besser bekannt und gewürdigt zu werden wohl ver dienen würde.
Mit Recht hat neuerdings Adolf Har-
nack in seiner Geschichte der „Mission und Ausbreitung des
Christentums
den
in
ersten
drei
Jahrhunderten"
(Leipzig 1902) darauf großes Gewicht gelegt.
Weibliche
Kirchenbeamte, namentlich die sogenannten Witwen und Diakonissen, gehörten in der alten Kirche unbestritten zum Klerus und nahmen als solche in den christlichen Ver
sammlungen Ehrenplätze beim Altare ein. Jahrhundert
hinaus
wurde
Bis ins dritte
ein heißer Kampf um die
Rechte der Frau in der Gemeinde geführt und erst unter dem Einfluß zunehmender Katholisierung und steigenden bischöflichen Amtsbegriffs wie auch im Gegensatz zu ge
wissen Mißbräuchen christlicher Sekten — Gnostizismus und Montanismus — gelangte die offizielle Kirche mehr und mehr dazu, die Tättgkeit der Frauen in der Kirche — abgesehen von den Dienstleistungen an Frauen —
ganz zu untersagen.
Das bedauerliche Fazit des lehr
reichen historischen Prozesses war demnach die völlige Zurückdrängung
der Frau
von
ihrer früher innegehabten
öffentlich rechtlichen Stellung in die Sülle des Hauses
und des Klosters und die statutarische Kanonisierung jenes Satzes von der kirchlichen Jnkapazität oder Jnhabllität
des Weibes als unabänderlichen Rechtssatzes, eine Kanoni sierung, die bekanntlich nicht bloß die ganze mittelalterlich
katholische Kirche beherrschte, sondern maßgebendes Prinzip auch für das protestantische Kirchenrecht geworden und bis zur Gegenwart geblieben ist — aber nicht auf alle
Zeiten hinaus bleiben soll. Denn über Antiquiertes, Überlebtes, Absterbendes Cbese iv.
schreitet die Kritik und die Geschichte, schreiten insbesondere die Bedürfnisse der Neuzeit unerbittlich zur Tagesordnung,
22 und wäre es auch durch die Tradition von Jahrhunderten noch so sehr sanktioniert. Patriarchalische Einschränkungen der vergangenen Ära fallen auf allen Lebensgebieten den ver
änderten Verhältnissen der Gegenwart zum Opfer. — Und heutzutage — darf man wohl sagen — stehen in der Tat die Dinge so, daß die Gewährung eingreifender öffentlicher,
bisher bloß von der Männerwelt ausgeübter Rechte an die Frauen int Umkreis der Kirche geradezu ein unabweisbares
Postulat der ausgleichenden Gerechtigkeit, der rationellen
Billigkeit geworden ist.
Wer ist es denn in der Gegen
wart, der am kirchlichen Leben sowohl nach seiner gottes
dienstlichen wie nach seiner charitativen Seite hin den re lativ regsten Anteil nimmt?
Wer ist es, der allsonntäg
lich noch immerdar in großen Scharen zu den Tempeln
des Landes wallt, während die Männer in nimmer auf zurüttelnder, schmählicher Indifferenz auf der faulen Haut liegen oder feuchter Geselligkeit pflegen?
in
christlicher Wohlfahrtspflege
Wer ist es, der
in Famllien und Spi
tälern, in den Kammern der Armen und den Boudoirs der Reichen das denkbar größte an persönlicher Hingabe,
an uneigennützig selbstlosen Liebesopfern leistet? unsre Frauen.
Das sind
Wer ist es in der Gemeinde, der dem
Pfarrer am eifrigsten und ausdauerndsten in der Pflege
der armen und zurückgesetzten Glieder, in Ausübung prak tischer, werktätiger Liebestättgkeit — organisiert oder un organisiert — zur Seite steht? — die Frau.
Wer ist
es, der an den das kirchliche Leben der Gemeinde wesent lich bestimmenden Faktoren, an Wahl und Wirksamkett
des Pfarrers vielfach ein weit intensiveres Interesse nimmt als
die
Frau.
Großzahl
der
sttmmberechtigten
Männer:
die
Wer, dem die religiöse und kirchliche Erziehung
ihrer Kinder inniger am Herzen läge als der Mutter?
23 Und sie, die Frau, die Mutter, sie sollte unter solchen
Umständen dauernd von dem Rechte ausgeschlossen sein, das auch dem indifferentesten und stupidesten männlichen
Gemeindeglied von vornherein seit Urväterzeiten zusteht, ihre Stimme
in
gewichtigsten Angelegenheiten der
den
Kirche geltend zu machen und in die Urne der Entscheidung zu legen?
Sollte es nicht doch im Grunde der männlich
despotische, selbstherrliche Egoismus sein, der — ob auch zuweilen verhüllt sogar durch ein fromm scheinendes, bibli-
zisttsches Mäntelchen
— seinen billigen Triumph feiert
in der mehr oder weniger plumpen Niederhaltung des Einflusses der ihm ebenbürttgen, ja in dieser Beziehung
ihm
teilweise
ganzen
überlegenen
faktisch
zivilisierten
Welt
Gefährtin?
entsprechen
doch
In
sonst
der
über
nommenen — sei es nun freiwillig oder aufgetragen über
nommenen — Pflichten auf der einen Seite billigerweise
Rechte auf der andern.
Am 28. Brnmaire 1793 reichten
die Damen Olympe de Gouges und Louise Lacombe dem Konvent in Paris 17 Artikel über Frauenrechte ein, welche
mit den Worten begannen: „Hat die Frau das Recht, das Schaffot zu besteigen, so muß sie auch das Recht haben,
auf der Tribüne zu sprechen."
Es ist dies eine weib
liche Logik, gegen welche sich schwer wird auflommen lassen. Ähnlich müssen wir auch hier erklären: Haben die Frauen das Recht, die eifrigsten Kirchenglieder zu sein und unter ziehen sie sich der Pflicht, diesen Eifer unter selbstlosen
persönlichen Opfern am lebhaftesten und werktättgsten zu dokumentieren, so dürfen sie demgemäß wohl auch das
Recht beanspruchen, zur Regelung der das kirchliche Leben der Gemeinde aufs nachhaltigste bestimmenden Rechtsord
nungen und Wahlen ihre Stimme zugleich mit derjenigen der Männer in rechtskräftiger Weise geltend zu machen.
24 Aber wie verhält es sich im
Cbeee v.
ganzen und großen
mit der Qualifikation der Frauen zur Ausübung dieses so verantwortungsvollen und einflußreichen Rechtes? Auf diesem Punkte der Untersuchung angekommen prasselt eine
unheimliche, fast erdrückende Flut von schweren Anllagen auf die bedauernswerte Weiblichkeit nieder, Anklagen, die sämtlich in näherem oder weiterem Zusammenhang mit einer von alters her von vielen Männern behaupteten psychisch-ethischen Inferiorität des andern Geschlechtes stehen.
Diese Art mehr oder weniger tendenziöser Einreden richtet ihre Spitze freilich nicht bloß wider das kirchliche Frauen-
stimmrecht speziell, sondern wider die Betätigung der Frau am öffentlichen Leben überhaupt. Da jedoch ersteres unter
der Voraussetzung der Berechtigung jener sich von vorn
schlechterdings
undurchführbar
Herausstellen
würde, dürfen wir sie nicht völlig übergehen.
Aber gerade
herein
als
die sachliche Begründetheit dieser Anschuldigungen wird von
andrer, zum mindesten ebenso vertrauenswürdiger Seite
des entschiedensten bestritten.
Treten wir in eine ob auch
bloß summarische Untersuchung darüber ein, so will ich
mich
zwar auf das speziell physiologische Gebiet dabei
nicht einlassen, sondern bloß im Vorbeigehen bemerken,
daß ich für meine Person an den sogenannten „physio logischen Schwachsinn
des Weibes",
über welchen vor
einiger Zeit ein Dr. Möbius geschrieben hat, nicht glaube.
Daß das weibliche Gehirn als solches absolut weniger leistungsfähig sei
als das männliche, halte ich für eine
leere, wissenschaftlich durchaus nicht bewiesene und auch nicht beweisbare Behauptung, genau so haltlos, wie die jenige von dem „habituellen Schwachsinn des Mannes",
über welchen bald nach Erscheinen des Möbiusschen Buches
ein Herr oder eine Dame Heberlein sich schriftstellerisch
25 verbreitete.
Solche mehr oder weniger pikant formulierte
Rangfragen zwischen Mann und Weib aufzuwerfen, ist
eine lächerliche, unbegreifliche Albernheit.
Die beiden Ge
schlechter sind wohl der Art, aber nicht dem Grade nach verschieden. katalog
Nehmen wir nun aber den weiblichen Laster
mehr
nach seiner hier wesentlicher in Betracht
kommenden ethischen Seite unter die Lupe, so ist es kaum ein psychischer Defekt, der darin nicht figurieren
würde.
Hören
wir
einmal in gedrängter Kürze:
Weiber taugen alle von Grund aus nichts.
Die
Sie sind
zaghaft, mutlos, leicht irrezuleiten und zu verführen, ein bilderisch, furchtsam, zu Tränen und Wehklagen geneigt, unverbesserliche Jammerbasen — Empfindsamkeit, Affilia
tion, Ziererei.
Nichts darf man vor ihnen beim rechten
Namen nennen, ohne eine unliebsame Szene gewärtigen zu müssen.
Sie denken nur mit dem Herzen, mit dem
Affekt; ihr Verstand steht im Solde ihrer Leidenschaft. Sie wollen nur Tändelei und leichte Annehmlichkeiten —
ohne alle geistige Gründlichkeit; Genie ist ihnen gänzlich versagt, die Wissenschaft völlig verschlossen.
Kleinlichkeits
krämerinnen, vom bloßen Schein abhängig.
Unzugänglich
für Belehrung gegen Vorurteile; oberflächlich, leichtsinnig.
Herrschsüchtig
(Pantoffelhcrrschaft),
rechthaberisch, eigen
sinnig, voll Widerspruchsgeist; sie wissen ihren Willen in allen Fällen durchzusetzen.
Sie sind eitel: Putz- und
Kleidersucht, Genuß- und Vergnügungssucht, Lod- und Ge
fallsucht, Koketterie, Rang-
und Titelsucht.
immer höher hinaus als die andere.
Jede will
Sie können einander
selbst nicht leiden: gegenseitige Rivalität, Eifersucht, Un verträglichkeit.
Keine Frau
traut der andern.
Ihnen
selbst ist niemals zu trauen: ihre Unbeständigkeit, Launen
haftigkeit, Wankelmut; Lachen und Weinen zu gleicher Zeit,
26 Flatterhaftigkeit, Treulosigkeit, Falschheit, Weiberlist; ver schlagen, ränkevoll, intrigant; Verstellungskunst, Neugier,
Plaudersucht,
leere
Geschwätzigkeit,
Verleumdungssucht,
Bosheit; zänkisch: Xanthippen und Megären! hat
gesagt,
Bocaccio
die Frauen gehörten überhaupt nicht zum
Menschengeschlecht!
„La
femme
est
un
etre dan-
gereux.“ — Sehen wir von den mehr spaßhaft wirken den Übertreibungen und Einseitigkeiten dieses umfangreichen
Lasterkatalogs ab, so heben sich daraus im Ernste gleich
wohl noch einige psychologische Defekte hervor, die für unsre
Frage allerdings in Betracht kommen könnten und, wenn sie wirklich allgemein das weibliche Geschlecht als solches
belasten würden, in der Tat geeignet wären, selbst den zuvor begeistertsten Freund des kirchlichen Frauenstimm-
rechts wider die projektierte Neuerung sehr bedenklich zu stimmen.
Einmal der Vorwurf: der Frau gehe die Fähig
keit objektiver Beurteilung einer Sachlage oder einer Per sönlichkeit ab, sie lasse sich in ihrem Urteil vielmehr über wiegend von einem spontanen, impulsiven Eindruck, von
vorgefaßter Sympathie und Antipathie leiten; sie sei stark in Neigung und Abneigung und werde leicht blind gegen
über den Vorzügen der von ihr Verschmähten wie gegen über den Fehlern und Schwächen der von ihr Bevorzugten.
Sollten diese Gravamina in jedem Fall zutreffend sein, so würde damit allerdings auch nach meiner Ansicht die Ge
währung öffentlicher bürgerlicher Rechte, zumal des Stimm
rechts an die Frau in hohem Grade unratsam gemacht.
Denn von demjenigen, der auf wichtige Entscheidungen in irgendwelchem Gebiete des öffentlichen Lebens durch seine
Stimmgabe einen verantwortlichen Einfluß gewinnen will,
muß ja freilich prinzipiell in erster Linie eine sachlich ob jektive Würdigung der die schließliche Stimmgebung be-
27 stimmenden Faktoren verlangt werden können.
Wie ver
hält es sich nun in Wirklichkeit damit bei der Frau? Nach meiner Ansicht ungefähr so: Die weibliche Psyche hat frei-
lich, soweit das hier in Betracht kommt, eine andere Art als die männliche; sie ist im allgemeinen feiner, zarter
organisiert; sie ist weniger auf das diskursive Denken, auf das dialektisch scharfe Disputieren, als auf das unmittel bare, intuitive Empfinden gerichtet.
Aber daß sie deshalb
gänzlich aufgehen, zerfließen würde in reiner Subjektivität,
daß sie deshalb von vornherein schlechterdings außerstande wäre, die in ihren Gesichtskreis tretenden Dinge so zu sehen, wie sie sind, beziehungsweise wie sie sich präsentieren,
das kann ich nicht zugcben.
Bloße unllare, enthusiastische
Gefühlsschwärmerei, völlig unpraktischen Mangel an ob
jektiver
Urteilsfähigkeit
in
bezug
auf Verhältnisse
und
Menschenkenntnis konnte ich wenigstens in der Regel bis her
weder bei hochgestellten Damen noch bei schlichten
Frauen des Volkes konstatieren, die sich vielmehr gar oft
durch Nüchternheit und praktische Verständigkeit, durch einen gesunden Realismus der Auffassung auszeichnen.
Sollte
übrigens Herder nicht etwas recht haben, wenn er int Cid sich dahin äußert, jedes Weibes Fehler sei des Mannes
Schuld?
Und
seien
wir
doch
ehrlich:
Stimmen
wir
Männer denn auch wirklich in jedem Fall ganz objektiv?
Lassen wir unser Urteil nicht sehr oft bestimmen durch die
Rücksicht auf die Partei- oder Fraktionsinteressen?
Ab
solute Objektivität gehört zu den Prärogativen Gottes, den Menschen ist sie — ob Mann oder Weib — versagt. Und was speziell das behauptete intrigante Wesen der Frauen betrifft, so ist auch hier die Gegenfrage zu stellen:
Gibt es nicht auch intrigante Männer, und zwar viele?
Und ist es recht, stets zu generalisieren, aus dem Umstand,
28 daß einige Frauen vielleicht gerne intrigieren, den Schluß zu ziehen, das sei die Erb- und Todsünde aller?
Nein, nur
unverbesserliche Männeregoisten und geschworene Frauen-
hässer können sich dergleichen psychisch-ethische Minder
wertigkeiten
des
weiblichen
Geschlechtes
theoretisch
kon
struieren, auf den unbefangenen Mann der Praxis machen solche Argumente,
die von starker Voreingenommenheit
zeugen, keinen Eindruck.
Ungleich schwererwiegend dürfte ein anderer, gleich
Cbeee vi.
falls der weiblichen Eigenart oder wenigstens ihrer tradi tionellen Betätigungsweise entnommener,
häufig geltend
gemachter Einwand ins Gewicht fallen:
durch die Ein
räumung des Stimmrechts, zunächst des kirchlichen, an die Frauen
werde
ihre „häusliche"
Bestimmung geschädigt
und ihr von Gott ihnen als überaus köstliche und feine Perle angewiesener „sanfter und stiller Geist" verletzt, sie
würden widernatürlicherweise ins „feindliche Leben", in
das lärmende, verrohende Getriebe der Politik, des Tages
gezänks und der Parteistreitigkeiten der Männer hinein gezerrt, der zarte Schmelz echter, reiner Weiblichkeit, ihre
vornehmste adelige Würde würde ihnen gewaltsam abge streift, kurz, gerade aus respektvoller Hochachtung vor der
Frau und ihrer Eigenart müsse ihr das Recht, zu den öffentlichen Angelegenheiten, sei es der Kirche oder des Staates, ein gewichtiges Wort mitzureden, versagt bleiben. Und
speziell
im
Eheverhältnis
könnte
durch
konträre
Stimmabgabe der Gatten das friedliche, harmonische Ein
vernehmen unter ihnen ernstlich gettübt werden.
In dieser
Weise sieht z. B. der bekannte Genfer Philosoph Emest
Naville in seiner lesenswerten Skizze über die „Condition
sociale des femmes“ (Lausanne 1891) in der Zuwei sung öffentlich-rechtlicher Funktionen an die Frau in den
29 Sodetes religieuses schwere Gefahren für ihr religiöses Leben, für ihre Frömmigkeit. „Les frottements per-
sonnels “ — sagt er — „inseparables de tonte administration, les discussions d’nn corps ecclesiastique, les partis et parfois les intrigues, qui s’y fonnent, tont cela n’est pas favorable ä la piete, car la piete
s’alimente surtout de paix et de recueillement . . . Jeter les femmes dans les fractions ecclesiastiques ne serait-ce pas nuire ä leur belle et noble passion: la Conservation de la piete?“ Aber auch diese Vor halte scheinen mir im ganzen, soweit sie sich auf daS
Stimmrecht in Kirchensachen beziehen — und von anderem
rede ich hier gar nicht — unschwer zu widerlegen. Diese und ähnliche Befürchtungen vermag ich durchaus nicht zu
teilen. - Ich kann gar nicht einsehen, wieso die innere Herzensfrömmigkeit einer Christin durch das in länger» oder kürzern Intervallen erfolgende Einwerfen eines von ihr beschriebenen Zettels in die Wahlurne verletzt werden sollte und ebensowenig, wie sie mit dieser Funftion über die natürlichen Schranken ihres Geschlechts, die auch ich
durchaus respektiert wissen möchte, hinauszugehen ver anlaßt würde, abgesehen davon, daß ja niemand daran denkt, für die Frauen den obligatorischen Stimmzwang einzuführen, und daß mithin jede, die im Zusammmhang damit für ihr Seelenheil ernstlich besorgt ist, sich einfach in die Wählerlisten nicht braucht eintragen zu lassen. Und was die Parteiorganisationen mit ihren allerdings zuweilen damit verbundenen fleischlichen Auswüchsen, Leidenschaften und Agitationen betrifft, so möchte ich fragen: Müssen denn die Frauen alle schlechten, verwerflichen Gepflogenheiten der Männer im öffentlichen Leben sofort imitieren und müssen auch sie in den Kämpfen der Parteiinteressen
30 sich deshalb zerfleischen, weil einige hirnwütige Männer
es tun? Angesichts der nackten Tatsache, daß in unsern Tagen
Hunderttausende
von
Frauen,
verheiratete
und
ledige,
ihren Erwerb außerhalb des Hauses suchen müssen, ist es überdem ein längst antiquiertes Axiom, dessen Rück ständigkeit nur noch von seiner brutalen, männeregoistischen
Unverständigkeit übertroffen wird: die Frau und der Ofen gehöre ins Haus, und das öffentliche Leben in Kirche,
Schule und Vaterland gehe sie nichts an.
Und wenn
wirklich die Beschäftigung mit den öffentlichen Angelegen
heiten der Kirche ein fressendes Gift wäre für die persön
liche Religiosität und für den Frieden des Herzens, wäre das nicht ebensosehr für die Männer der Fall, welchen die Pflege persönlichen religiösen Lebens doch auch das oberste Anliegen ihres Daseins bilden soll, und wäre es dann für sie nicht ebenso pflichtgemäß, durch soforttges Aufgeben all ihrer öffentlichen Interessen auch ihre Seelen zu retten?
Und nun gar der Ehefriede!
Sollte es wirklich durch ent
gegengesetztes Votum, z. B. bei einer Pfarrwahl, zwischen
Ehegatten zu unliebsamen ernstlichen Auseinandersetzungen kommen, dergestalt ernstlichen, daß eine dauernde Ent
fremdung zwischen ihnen eintreten würde, so wäre diese Erscheinung
höchstens
ein Symptom
einer schon vor
gängig eingettetenen Zerrüttung des ehelichen Verhält nisses. Eheleute, die sich trotz abweichender Überzeugungen oder Auffassungen doch im allgemeinen gut zusammen verstehen, werden sich auch über ein disparates Votum ver
mittelst des Stimmzettels niemals im Ernste und dauernd entzweien.
Cbeee viL
Welches werden nun aber die mutmaßlichen Folgen dieses neuen Frauenrechtes sein? — Die mutmaßlichen
31 sage ich absichtlich — denn ganz bestimmte Prognosen wage ich angesichts hierorts mangelnder Erfahrung nicht zu Ich meine nicht etwa die günstigen
stellen.
oder un
günstigen Folgen für irgendwelche kirchliche Partei oder Richtung.
Denn darnach von vornherein zu fragen und
gar seine ablehnende oder zustimmende Stellung zu der
Frage von der Furcht vor Schädigung des Parteiinteresses einerseits oder von der Hoffnung auf Stärkung desselben
durch den Stimmenzuwachs der Frauen andrerseits ab hängig zu machen, halte ich für grundsätzlich verkehrt, jedenfalls für eine nicht gerade ideale Betrachtungsweise.
Ich habe dabei vielmehr Folgen für das kirchliche Leben überhaupt im Auge.
Und ich meine, dieselben werden im
ganzen so schlimm nicht fein.
Ohne auch nur entfernt
einem schwärmerischen Optimismus oder blinden Idealis mus zu huldigen, als ob das Frauenstimmrecht ein oder gar das Universalmittel für die Heilung der Schäden unsrer Kirche überhaupt wäre, kann ich mir doch eine
wirlliche Belebung des kirchlichen Interesses als Ertrag der Einführung dieser Institution denken, eine allmähliche
Hineintragung dieses Interesses auch in Kreise, die sich ihm zuvor immer noch hartnäckig verschlossen hielten, ja möglicherweise sogar eine stimulierende Rückwirkung auf
die vielfach
indifferente Männerwelt.
Von gegnerischer
Seite ist freilich bereits auch schon der entgegengesetzten
Befürchtung
Ausdruck
verliehen
worden,
die
Männer
möchten alsdann die kirchliche Domäne erst recht ganz und gar den Frauen überlassen und sich noch völliger davon zurückziehen, als es schon jetzt vielerorts der Fall ist, wodurch dann allerdings eine bedenkliche Entmannung
unsrer
Kirche
einerseits
und
andrerseits Platz greifen müßte.
Verweiblichung
derselben
Pessimisten dieser Art
32 dürfte etwa der ein wenig malitiöse Reimspruch Goethes
als Wegleitung dienen: Was waren das für schöne Zetten: In ecclesia mulier taceat! Jetzt, da eine jegliche Stimme hat, Was will ecclesia bedeuten?
Und auch Herr Pfarrer Brändli in Basel, wiewohl kein Gegner des kirchlichen Frauensttmmrechts, zitiert in seinem in der letztjährigen schweizerisch-reformierten Prediger gesellschaft in Schaffhausen vorgetragenen Referat über „die Bedeutung des Laienelementes in Kirche und Gemeinde" mit Beistimmung das Epigramm des Holländers Genestet:
„Die Theologen schlimmster Art, das ist die Sorte ohne Bart." Ich gestehe meinerseits, daß auch mir dilettantisch theologisierend schriftstellernde Damen stets antipathisch waren. Aber in der Frage, um die es sich hier handelt,
glaube ich gar nicht an jenes schmähliche Zurückweichen des männlichen Elementes vor dem weiblichen. Wenigstens da, wo schon jetzt das kirchliche Frauenstimmrecht teilweise zu Recht besteht, in der französischen Schweiz, macht man diese fatale Beobachtung durchaus nicht. Im Gegenteil: Herr Professor Philippe Bridel von der faculte libre de theologie in Lausanne schreibt mir ausdrücklich, die Beteiligung der Männer an den Pfarrwahlen sei seit Gewährung des Frauensttmmrechts in seiner Kirche eher größer geworden als zuvor. Im übrigen wird man es allerdings unter uns auch auf die Erfahrung ankommen lassen müssen. Im gegenwärttgen Zusammenhang bleibt nun freilich noch ein Punkt zu erledigen, der vielleicht zu ernsten Bedenken Anlaß geben könnte, nämlich die Frage: Sind aber die Frauen, welchen wir die kirchliche Sttmmkarte
33 ausliefern wollen, auch wirklich reif zur Ausübung eines
immerhin so gewichtigen und verantwortungsvollen Rechtes?
Nun, sind denn auch alle Männer reif dazu, deren Ge schlecht doch die Ausübung dieses Rechtes unter uns schon seit Jahrhunderten reserviert ist, z. B. auch jene Männer,
deren unüberwindliche Indifferenz in Dingen der Religion und der Kirche durch die Äußerung Falstaffs bei Shakespeare
nicht übel charakterisiert wird: „Ich will ein Brauerpferd sein, wenn ich weiß, wie eine Kirche im Innern aussieht"? Gewiß wird es an untauglichen oder leidenschaftlichen Frauen
nicht fehlen, welchen wir die Administration unsrer kirchlichen
Angelegenheiten nicht anvertrauen möchten. Andrerseits aber zählt unser Volk bereits jetzt unter seinen Bürgerinnen
eine große Zahl von Persönlichkeiten, welchen der Be sitz eines durchaus gediegenen, einsichtsvollen Urteils in dieser Sphäre nicht abgesprochen werden darf.
Und auch
abgesehen davon ist es eine allbekannte Erfahrung, welche
man auch anderswo häufig machen kann, daß der Besitz
eines Rechtes zu dessen Gebrauch vielfach erst erzieht.
In
den schweizerischen Demokratien mußte das stimmfähige Volk zum Teil auch erst sukzessive zur politischen Reife erzogen werden.
Und analog wird sich der Verlauf auch
im kirchlichen Stimmrecht der Frauen gestalten.
Bange
machen gilt da nicht, zumal unter den vorsichtigen Kautelen nicht, mit welchen ich wenigstens für die Übergangs zeit diese kirchenrechtliche Novelle umgeben wissen möchte.
Denn allerdings — das soll nun keineswegs ver- Cbeecnvm hehlt, sondern im Gegenteil kräftig betont werden: Wie sehr ich für das Stimmrecht der Frauen in Kirchensachen
prinzipiell mit Entschiedenheit eingenommen bin, so sehr
wünsche ich hinsichtlich des praktischen Vorgehens de lege
ferenda
d. h. betreffs
der zukünftigen
Gtider, Da» Sttmmrecht bet grauen.
konkreten Ein-
3
und
34 führung dieses Rechtes in die kirchliche Gesetzgebung eine vorsichtige, formell und materiell weise moderierte Gestaltung
der
bezüglichen
Postulate.
Gerade
vom
demokratischen Standpunkte aus dürfen
schweizerisch
wir
nicht ver
gessen, daß es sich dabei um ein völliges Novum im Um
kreis unsres landeskirchlichcn Rechtes handelt, nicht etwa bloß um eine Erweiterung schon früher zu Recht bestan
dener Ansätze.
Solche prinzipielle Neuerungen lassen sich
aber in der Referendumsabstimmung, ohne welche sie hier
zulande angesichts der gegenwärtigen kirchenpolitischen Ver
hältnisse niemals Gesetzeskraft erlangen könnten, in dem
Falle meist leichter durchsetzen, wenn sie dem Volke nicht gerade zugleich auch die Annahme der äußersten Kon
sequenzen des neuen Grundsatzes zumuten.
Das Volk
liebt im allgemeinen solchen Galoppfortschritt nicht, es vermag ihm nicht nachzukommen.
Wir werden gut tun,
uns daran zu erinnern, daß es bis jetzt doch erst einige führende Kreise sind, in welchen der Gedanke ventiliert wird,
daß aber die große Menge der stimmfähigen Bürger selbst
noch keineswegs in die Lage kam, sich dafür zu erwärmen oder auch nur zu interessieren. Es scheint mir beim schlichten
Volke dafür zurzeit der Resonanzboden noch nicht geschaffen zu sein, der doch in der Volksseele mehr oder weniger vor
ausgesetzt werden muß, wenn eine Gesetzesvorlage die Klippe des Referendums ungefährdet passieren soll.
Lassen wir
uns warnen durch das Schicksal einer Gesetzesnovelle be treffend Wählbarkeit von Frauen in die amtlichen Primarschulkommissionen im Kt. Bern, welche vor wenigen Jahren
trotz der verhältnismäßigen Harmlosigkeit ihres Inhalts mit überwälttgendem Mehr verworfen worden ist. Machen wir also unser Kirchenvolk nicht kopffcheu durch Über
ladung des Wagens.
Hauptsächlich aus opportunistischen,
35 referendumstaktischen Erwägungen möchte ich mithin zur Legiferierung eine etwas verklausulierte Praxis empfehlen. Und zwar zunächst hinsichtlich des künftigen Subjekts
des Frauenstimmrechts. Welche Frauen sollen dieses Recht zunächst beanspruchen können? Alle, welche unsrer Kon fession angehören oder nur eine Auswahl derselben und — wenn letzteres — welche? Meines Erachtens sollte mit den Frauen im eigentlichen Sinn des Wortes der Anfang gemacht werden, mit den Ehefrauen und den Witwen. Ich glaube, diese Einschränkung böte eine verhältnismäßig größere Garantie für Ausübung des Rechtes nach wirklich in der Natur der Sache liegenden Gesichtspunkten, als wenn wir von vornherein die gesamte herangewachsene Weiblichkeit mitstimmen ließen. Bei der Stimmabgabe durch Ehelose z. B. namentlich bei Pfarrwahlen könnten sich doch unwillkürlich leicht überwiegend subjektive Motive einmischen, die mit gewissen äußern Vorzügen eines zur Wahl sich Präsentierenden in innigerem Zusammenhang stehen möchten, als es das kirchlich-religiöse Gesamtinteresse der Gemeinde im Grunde erfordern würde?) Übrigens
erscheint ja die Ehestau in der Regel doch auch in ihrer Stellung als Mutter und im Grunde schon als Gattin am kirchlichen Leben naturgemäß eigentlich von vornherein etwas interessierter als die für sich allein stehende Un verheiratete und es dürste deshalb im großen und ganzen
auch ihr Pflicht- und Verantwortlichkeitsgefühl in dieser Hinsicht ein etwas gesteigerteres sein. Man hat nun stei*) Nach Professor, jetzt Pfarrer Dr. Bornemann („Der Pro
testantismus und die Frauen".
Ein Vortrag.
Magdeburg 1900)
werden in Württemberg gewisse Frauenzimmer, die ihre Frömmig
keit darin zeigen, daß sie den beliebten Pfarrer huldigend und störend
umschwirren, „Pastorenbremsen" genannt.
36 lich dagegen eingewendet, nein, gerade den Ledigen gehöre in erster Linie das Stimmrecht, nicht den Ehefrauen, die
ohnehin genugsam Gelegenheit hätten, ihren Einfluß auf ihre zur Wahlurne tretenden Männer geltend zu machen und es wäre eine Unbilligkeit, wenn alsdann die Eheleute,
Mann und Frau, mit zwei Stimmen gleichsam prämiert, hingegen die Ledige bloß um ihres ehelosen Standes willen,
den sie doch in vielen Fällen nicht selbst verschuldet habe, leer ausgehen müßte.
Allein abgesehen davon, daß nach
These 8 kein Stimmzwang besteht, die Ehefrau es also in der Hand hat, sich in die Wählerverzeichnisse gar nicht eintragen zu lassen, dürfte der Einfluß der Frau auf die Stimmgabe des Mannes in der Regel doch nicht so durch
schlagend sein, wie man es sich etwa vorzustellen pflegt, so daß von einer ehelichen Doppelstimme in der Mehr
zahl der Fälle wohl kaum im Ernst geredet werden kann.
Bezüglich des Objekts des kirchlichen Frauenstimm rechts d. h. seines Betätigungsumfangs möchte ich das selbe vorläufig auf die Mitbeteiligung der stimmberechtigten
Ehefrauen und Witwen an den Pfarrwahlen der Kirch gemeinde beschränken.
Die Pfarrwahl ist denn doch für
die Gestaltung des kirchlichen Gemeindelebens meist die
weitaus eingreifendste und interessanteste öffentliche Aktion und da der Pfarrer zugleich der Religionslehrer, Unter weiser und Konfirmator ihrer Kinder ist, zu welchem die Mutter doch auch ein gewisses persönliches Zutrauen zu
empfinden berechtigt ist, so spricht auch dieses gemütlich familiäre Interesse zugunsten der Beschränkung des kirch
lichen Frauenstimmrechts auf die Pfarrwahl.
Die Heran
ziehung der Frau außerdem zu den Wahlen der Kirchen
vorsteherschaft und der Synodalen könnte namentlich in
engern kleinstädtischen und dörflichen Verhältnissen, wo
37 es zuweilen bei Wahlen ohne Rivalitäten, traditionelle Familieninteressen und gegenseitige Empfindeleien nicht ab geht, zu Jnkonvenienzen und sie selbst — die stimmenden
Frauen — in unliebsame Situationen führen, die ihnen
besser erspart bleiben, namentlich auf solange, als das neue Recht in der Praxis sich noch nicht zu bewähren
Gelegenheit und Zeit fand.
Und was ferner die rein ge
schäftlichen Verhandlungen der Kirchgemeindeversammlungen betrifft wie Beschlüsse finanzieller Natur, Aufstellung des Jahresbudgets,
Rechnungsablage,
Unterhalt
der
Ge
bäude usw., so dürfte dies alles in der Tat für die große Mehrzahl unsrer kirchlichen Frauen von weniger lebhaftem
Interesse sein.
Und gar erst vom passiven Wahlrecht
der Frauen in kirchliche Körperschaften kann auch hierzu
lande jedenfalls noch auf lange Zeit hinaus nicht im
Ernst die Rede sein.
Des fernern bin ich entschieden der Ansicht, es seien in der angedeuteten Beschränkung bloß diejenigen Frauen mit kirchlichen Stimmkarten zu begaben, welche durch ein
förmliches, bei der kompetenten Behörde eingereichtes Be gehren ihr persönliches Interesse daran ausdrücklich doku
mentieren gemäß dem alten guten Grundsatz: Beneficia non obtruduntur d. h. Wohltaten werden nicht auf
gedrängt.
Von Gegnern
des
kirchlichen
Frauenstimm
rechts ist schon zuweilen behauptet worden, die verehrten
Damen begehrten ja selbst dieses neue Recht gar nicht, weil
es ihnen als eine zweifelhafte Bereicherung ihrer
Kompetenzen vorkomme.
Nun, das wird eben die Zeit
lehren.
Diejenigen unter ihnen, die wirklich glauben, dieses
Recht
mit ihrer zarten Weiblichkeit nicht vereinigen zu
können, werden sich einfach auf die Wählerlisten oder so genannten kirchlichen Stimmregister nicht eintragen lassen —
38 dann bleiben sie völlig verschont davon.
Aber ich ver
mute sehr, daß auch die anfänglich noch zurückhaltenderen dem Vorgang ihrer kühner voranschreitenden Geschlechts genossinnen auf die Länge sich nicht werden
entziehen
können oder wollen und daß sie aus ihrer freiwilligen Reserve verhältnismäßig schon bald heraustreten werden.
Das Recht, einmal eingeführt, wird sich ganz ohne Zweifel
unter den damit zu Beglückenden rasch einleben und warme Freundinnen
desselben
aus verschiedenen Bevölkerungs
kreisen werden schon eifrig dafür besorgt sein, daß es nicht bloß auf dem Papiere stehen bleibt.
Mit einer derartigen kirchlichen Ordnung des Stimm rechts der Frauen würde sich endlich sofort — wenigstens
für die schweizerischen Verhältnisse — ein andrer, kirchen
politisch beinahe nicht hoch genug anzuschlagender Fort schritt verbinden. Immer noch dominiert nämlich in unsern unter der kantonalstaatlichen Gesetzgebung stehenden refor mierten Landeskirchen der deutschen wie der französischen Schweiz das traditionelle, aber antiquierte Prinzip, das
kirchliche Stimmrecht setze
das
politische
als
conditio
sine qua non voraus, ersteres besitze also im Grunde
keine Autonomie, sondern sei bloß ein sekundäres Derivat des letztern.
Diese starr staatskirchliche Auffassung ver
trägt sich aber schlechterdings nicht länger mit dem ge
samten modernen Kirchenstaatsrecht,
wonach der Staat
nicht mehr die der Kirche übergeordnete öffentliche Potenz ist, sondern beide, Staat und Kirche, einander durchaus
selbständig gegenüberstehen, wenn sie auch aus Gründen
historisch-politischer Konvenienz und aus Rücksicht auf die salus publica sehr wohl eine mehr oder weniger intime
Allianz auf dieser Grundlage eingehen können.
Und eben
so sehr steht jenes staatskirchlich-multitudinaristische Prinzip,
39 wonach die kirchlichen Genossenschaften sozusagen Zwangs korporationen sind, in welche man passiv einfach hinein
geboren wird und deren Mitgliedschaft man sich nur ver
mittelst förmlicher Austrittserklärung entziehen kann, in
flagrantem Widerspruch zu dem mehr freikirchlich orien tierten Postulat der Neuzeit, dem zweifelsohne die Zu kunft gehören wird, daß nämlich die rechtliche Zugehörig keit zu einer Kirche erst durch einen persönlichen Willens
att, durch eine aküv verpflichtende Beitrittserklärung er worben werden kann.
Indem nun aber den Frauen, die
ja das polittsche Stimmrecht nicht besitzen und bei uns
auf Jahrzehnte hinaus nicht besitzen werden, das Stimmrecht in Kirchensachen konzediert wird, wird damit zugleich
der erwünschten Beseitigung jener spröden Residuen des alten Staatskirchenrechts vorgearbeitet
und so nach den
beiden angedeuteten Seiten der kirchlichen Selbständigkeits bewegung unsrer Zeit in bedeutsamer Weise Vorschub ge leistet.
Dann wird ja selbstverständlich auch
die Ein
räumung des Kirchensttmmrechts an die polittsch niemals
sttmmberechtigten Ausländer, dessen Hintanhaltung schon lange
ein
ungerechtferttgter
Schwierigkeiten mehr bieten.
Anachronismus
ist,
keine
So ergibt sich denn aus
der Zulassung des weiblichen Stimmrechts in der Kirche als Begleiterscheinung die verlockende Aussicht, damit zu
gleich mit einem ttrchenpolitischen Zopf aufzuräumen, der unsrer Zeit nun einmal nicht mehr ansteht. — Zum Schluß erübrigt mir nur noch die Bemerkung, daß
die moderne Frauenfrage, von welcher die vorliegende nur einen bescheidenen Ausschnitt bildet, im Grunde ebenso sehr
eine Männerftage ist. Wir Männer haben es in der Hand,
unsre Gefährtinnen und Schwestern freiwillig an unsern bis
her uns ausschließlich reservierten Prärogativen parttzipieren
40 zu lassen.
Mögen wir denn, wenn einmal über kurz oder
lang da oder dort die Frage spmchreif wird, nicht in schmählichem Egoismus die sich meldende weibliche Konkurrenz im kirchlichen Mitstimmen und Mithandeln zurück
weisen, vielmehr sie zu Nütz und Frommen unsrer Volks kirche als gleichberechtigte Genossinnen der Freude herz lich willkommen heißen mit dem freundlichen Zuruf: So
kommt denn herein, ihr Gesegneten des Herrn, warum steht ihr noch draußen? Kommt herein, es ist alles be
reit, auch der Stimmzettel und die Wahlurne sind für euch bereit! Mögen dann aber auch sie, die mit dem neuen Recht Begabten, stets auch der damit verbundenen ernsten Mitverantwortung eingedenk sein. Mögen sie ver
trauensvoll einschlagen in die wohlwollend ihnen dar gebotene männliche Rechte und unsern Willkomm er widern mit der freudigen Zusage: Wohlan, es gilt! Ihr
Männer gewährt uns Anteilnahme an euerm kirchlichen Recht und wir Frauen wollen euch dieses Entgegenkommen lohnen mit um so treuerer und verständnisvollerer Er füllung unsrer hingebenden Pflicht!
Alle eure Dinge aber laßt in der Liebe geschehen!