181 94 14MB
German Pages 84 Year 1963
DAS SCHLESWIG-HOLSTEINISCHE LANDESMUSEUM
KULTURGESCHICHTLICHE MUSEEN IN DEUTSCHLAND HERAUSGEGEBEN VON GERHARD WIETEK BAND II
ERNST SCHLEE
DAS SCHLESWIG-HOLSTEINISCHE LANDESMUSEUM SCHLESWIG • SCHLOSS GOTTORF
VERLAG CRAM, DE GRUYTER & CO.
.
HAMBURG
Fotografien:
Sdileswig-Holsteinisches Landesmuseum (Ilse Plehn und Bruno Topel)
Gesamtgestaltung:
Herausgeber und Verlag
Das Erscheinen dieses Bandes wurde durch einen Druckkostenzusdiuß des Herrn Kulturministers des Landes Schleswig-Holstein gefördert
© Copyright 1963 by Cram, de Gruyter Sc Co., Hamburg 13 Satz und Drude: Otto von Holten GmbH, Berlin 30 Printed in Germany
GESCHICHTE DER SAMMLUNG
Die Ideen, aus denen die Anfänge des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums hervorgingen, finden sich eindrucksvoll ausgesprochen in einem Aufsatz von H . BIERNATZKI im „Volksbuch für das Jahr 1845", einem in den dänisch regierten Herzogtümern Schleswig und Holstein stark verbreiteten Kalender. Es ist die Zeit, in der sich rings in Deutschland die Sehnsucht nach staatlicher Vereinigung steigert, eine Sehnsucht, die wenige Jahre später, 1852, in der Gründung des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg Ausdruck findet. Seit den frühen Bekenntnissen der deutschen Romantik ist fast ein halbes Jahrhundert vergangen, die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte ist allgemeines Anliegen geworden und hat die Bestandsaufnahme des überlieferten Gutes in Gang gebracht. In Schleswig-Holstein wächst das Verlangen nach Befreiung von dänischer Oberhoheit und Vereinigung mit den andern deutschen Stämmen; 1848 bricht es sich Bahn in der schleswig-holsteinischen Erhebung. Biernatzki schlägt einen Ton an, der nur aus dem geistigen Aufschwung dieser Jahre zu verstehen ist. Er will den Kunstsinn im Dienste der allgemeineren nationalen Idee beleben. „ N u r die Übung der Wissenschaft ist bei uns national und frei", schreibt er. „Die Kunst selbst beschränkt sich freilich nicht auf R a u m und Zeit, die ist allumfassend; aber der Sinn dafür, der ist wie jede kühle Regung mit unserem eigenen Selbstbewußtsein zu Grunde gegangen. Es ist also an der Zeit, daß er mit demselben auch wiedererweckt, daß der Geist des Volkes auch nach dieser Seite hin entwickelt werde; die Bildung des Kunstsinns setzt eine schöne Saite der Volksbildung in Schwung; sie bringt etwas Melodie in die Eintönigkeit unserer Bewegung" - womit die nationalpolitische Bewegung gemeint ist. Er preist dann „die Schnitzkunst oder Holzsculptur" als die Kunst, die hierzulande einst in höchster Blüte gestanden habe. Sie sei eine rein vaterländische, eine lehrreiche, eine heilige und recht eigentlich eine Volkskunst gewesen (das Wort „Volkskunst" scheint hier zum ersten Mal verwendet zu sein). Das Volk des Landes müsse sein eigenes Leben zurückgewinnen, und der Sinn für Kunst müsse dazu beitragen. Wenige Jahre nach der Veröffentlichung dieses Aufrufs begann FRITZ THAULOW, Professor für Philosophie und Pädagogik an der Universität Kiel, Denkmäler der so gepriesenen schleswig-holsteinischen Schnitzkunst zu sammeln. Er war 1817 in Schleswig geboren und hatte schon als Kind den mächtigen Eindruck des Brüggemann-Altars im Schleswiger D o m empfangen. Die Begeisterung für die heimatliche Überlieferung alter Schnitzkunst verband sich auch bei ihm mit 5
dem Pathos des nationalen Gedankens. Die Überlieferung hat Thaulow das Erstlingsrecht daran in den Herzogtümern zugesprochen, vielleicht weil er gleich auch praktisch zu handeln, d. h. zu sammeln begann und damit weite Kreise aufmerksam machte. Seine Aktivität wurde allgemein als patriotischer Dienst aufgefaßt. Er war auch an vielen anderen Bestrebungen beteiligt, die in dieser oder jener Form auf den staatlichen Anschluß der Herzogtümer an Deutschland abzielten und dem deutschen Geist im Lande Stätten bereiteten, so an Neubauten der Kieler Kunsthalle und der Universität, an der Wiedergewinnung des „Museums nordischer Alterthümer", das im Kriege 1864 von Flensburg nach Seeland ausgelagert worden war, und der Erwerbung der Heinzelmannschen Kupferstichsammlung für die Kunsthalle. Sein Haus am Lorentzendamm füllte sich allmählich mit den eigenen Sammlungen. Die Selbstverständlichkeit, mit der dort ein Altarschrein zum Sofabild gemacht war, wirkt heute erstaunlich. Aber auch sonst war das Verfahren naiv. So wurden Truhen, die in einer praktisch nicht verwendbaren Menge erworben waren, kurzerhand zu modernen Möbeln umgebaut, zu einem Schreibtisch etwa. Man tut Thaulow nicht Unrecht, wenn man ihn, gemessen an den Maßstäben heutiger Museumspraxis, einen Dilettanten im Bereich des Kunstsammelns nennt, wie es etwa F R E I H E R R H A N S VON UND ZU AUFSESS, der Begründer des Germanischen Nationalmuseums, ebenso war. Audi fehlte Thaulow wohl der eigentliche Sinn für das Anschauliche. Es heißt, er habe die neu erworbenen Schnitzwerke zunächst „mit Hilfe kunstgeschickter Hände zu ihrer eigenen Schönheit zurückgeführt". Der Tischlermeister W I G G E R T S hat in seinem Auftrag eine große Zahl von Sammlungsstücken nicht nur von Fassung oder Anstrich radikal befreit, sondern auch mit scharfer Klinge übergangen, so daß von der alten Oberfläche in manchen Fällen kaum etwas übrig blieb. Auf Thaulows Sammeltätigkeit ist es wohl zurückzuführen, daß seit den 1860er Jahren auch andere private Sammlungen derselben Art im Lande entstanden. Unter ihnen ist die des Wasserbaudirektors G R O V E in Husum hervorzuheben. Etwa gleichzeitig begann auch der Maler C H R I S T I A N C A R L MAGNUSSEN (1821 bis 1896) mit seinen Erwerbungen, wohl einer von der K A I S E R I N F R I E D R I C H kommenden Anregung folgend. Aber auch das Interesse der Händler wurde geweckt, und lawinenartig wuchsen Umsatz und Export, in Schleswig-Holstein anscheinend sogar besonders rasch. Die Herzogtümer, durch den Krieg 1864 in Deutschland populär geworden, entwickelten sich zu einem bevorzugten Revier für die Sammler von Volkskunst. So erklärt es sich, daß sie besonders gut auch in der Sammlung K L I N G in Frankfurt vertreten sind, dem späteren Grundstock der volkskundlichen Abteilung des Germanischen Museums in Nürnberg. Am 3. Oktober 1875 bot Thaulow seine Sammlung der Provinz SchleswigHolstein als Geschenk an. Er stellte dabei die Bedingung, daß der schleswigholsteinische Landtag den vom Kieler Architekten H E I N R I C H MOLDENSCHARDT aus Ahrensbök entworfenen Bau eines Museumshauses in Kiel finanziere und daß mit der Errichtung im Jahre 1876 begonnen würde. Der eigentliche Wert
6
der Sammlung, so sagte Thaulow zu ihrer Empfehlung, liege in ihrer spezifisch schleswig-holsteinischen Geschichtlichkeit, ihrem Admonito an die Bewohner Schleswig-Holsteins, die Vorfahren aus dem 16. und 17. Jahrhundert nachzuahmen und wieder zu erreichen in deren ernster Frömmigkeit, Solidität und ästhetischer Feinheit. Noch im Juni 1876 wurde mit dem Bau des Hauses am Sophienblatt begonnen, Ende 1877 war es fertig. Das Haus des Thaulow-Museums aber war zu klein bemessen, als daß der Architekt seine Ideen von Repräsentation im Sinne eines italienischen Renaissancepalastes darin glücklich hätte zur Geltung bringen und außerdem den praktischen Aufgaben hätte dienen können. Bald nach Fertigstellung des Hauses schrieb A L F R E D L I C H T W A R K seine nur allzusehr berechtigte, bittere Kritik: „eine Museumsanlage, wie sich unbrauchbarer nicht ausdenken läßt." Die Idee Thaulows zielte in erster Linie auf ein „Denkmal der Kultur und Kunstfertigkeit der Bewohner dieses Landes" (Brandt), daneben aber auch auf ein Institut von der Art der Kunstgewerbe-Museen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts, nach der Londoner Weltausstellung von 1851, das Anliegen weiter Kreise waren. Er wollte, daß seine Sammlung als „Grundlage eines Gewerbemuseums der schleswig-holsteinischen Kunst dienen solle". Er hegte die Erwartung, die öffentliche Hand werde eine Gewerbeschule anschließen, eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte. Das Thaulow-Museum war das erste unter den deutschen Kunstgewerbemuseen, das sich in der Sammelpraxis ausdrücklich auf eine Region beschränkte. Den umfassenden Ansprüchen, wie Thaulow selbst sie formulierte, wäre seine Sammlung kaum gerecht geworden. Sie enthielt einen größeren Bestand an spätmittelalterlichen Skulpturen, darunter einige vollständige Altarschreine und zahlreiche Einzelfiguren, sodann viele mit Schnitzerei dekorierte Kastenmöbel der hierzulande besonders fruchtbaren Jahrzehnte 1560 bis 1650. Der Zahl nach aber überwogen Bruchstücke aller Art aus Eichenholz, einzelne Füllungen und Schmuckteile, so Rollwerkkartuschen und dergleichen. Es kamen Gegenstände aus Messing wie Ofenstülpen und Bettpfannen hinzu, ferner einzelne holländische und einheimische Fayencen. In wenigen Beispielen war die volkstümliche Kunstübung vertreten, bezeichnenderweise aber auch sie vornehmlich in Gestalt von Schnitzereien. Textilien, Geräte aus Edelmetall traten ganz zurück. Das Schwergewicht lag, dem Geschmack der Zeit entsprechend, bei der „altdeutschen" Kunst der Spätgotik und der Renaissance, und im Vordergrund stand der Gedanke der Dekoration. Er bestimmte auch die Verteilung der Stücke auf Räume und Wände des Museumshauses wie zuvor der Privatwohnung. Am 10. August 1878 fand die feierliche Einweihung des Thaulow-Museums statt. Der festliche Eröffnungsakt war verklungen - und schon begann der Verfall. Denn man hatte versäumt, für fachliche Betreuung und Weiterentwicklung der Sammlung zu sorgen. Wohl um das Fehlen eines Direktors zu überbrücken, hatte Thaulow eine Verbindung zur Universität gewünscht in der Hoffnung,
7
daß sich dort immer genügend fachliches Interesse regen würde. Schließlich, nach eineinhalb Jahrzehnten des Vegetierens, kam ein Anstoß zur Weiterentwicklung. A D E L B E R T M A T T H A E I , seit 1 8 9 3 Professor für Kunstgeschichte an der Universität, übernahm 1895 die Leitung und dazu die Aufgabe, die Bestände neu zu ordnen. Er brachte eine Neuaufstellung „nach kunsthistorischen Gesichtspunkten" zustande, indem er die Gegenstände so zusammenstellte, daß jedesmal in einem Raum aus Holzschnitzereien, Eisenschmiedearbeiten, Silberarbeiten usw. der Gesamtgeschmack einer früheren Periode dem Beschauer erkennbar wurde. „In der Hoffnung, daß unsere Kunsthandwerker, wenn sie sehen, wie die Vorfahren in origineller Weise die Bedürfnisgegenstände des täglichen Lebens geschmackvoll zu gestalten wußten, nun auch Lust bekommen werden . . . aus dem Geist unserer Zeit zu konstruieren und zu schmücken und nicht mehr ausgelebte Formen breit treten, die uns auf die Dauer zu langweilen beginnen" - schon eine deutliche Einschränkung des Gedankens einer Vorbildersammlung! Seit 1 9 0 1 war D R . G U S T A V B R A N D T ( 1 8 6 5 - 1 9 1 9 ) Direktor. Er, der an der allgemeinen Diskussion über modernes Museumswesen beteiligt war und auch für seine Sammlung ein klares Ziel verfolgte, setzte 1906 die Forderung nach mehr Raum durch. Ein großer Anbau an das alte Haus, entworfen von Landesbaurat KESSLER, wurde 1911 eröffnet. Das Thaulow-Museum war um das Vierfache erweitert. Damit hatte Brandt, ganz im Sinne Matthaeis, ein Programm verwirklicht, das anderen weitergreifenden Forderungen gerecht wurde, als sie noch Thaulow selbst gehegt hatte. Zwar huldigte auch er noch dem Gedanken, die Sammlung solle vor allem dem praktischen Kunsthandwerk dienen, aber er machte den Versuch, ein Gesamtbild der Kulturgeschichte Schleswig-Holsteins vom späten Mittelalter bis zum frühen 19. Jahrhundert zu entwickeln. Gegenüber der Thaulowschen Sammlung neu war vor allem der Einbau ganzer Stubeninterieurs aus Bürger- und Bauernhäusern. Uberhaupt war inzwischen die Volkskunst, die Thaulow nur sehr beiläufig beachtet hatte, in den Blick sowohl der Wissenschaft wie auch der Bildungswelt getreten, und Brandt nutzte die damals noch reichliche Gelegenheit zu Erwerbungen dieser Art, namentlich aus Holstein. Dadurch ergab sich eine deutliche Gliederung in einen zeitlich geordneten, stilhistorischen Trakt und einen landschaftlich geordneten, volkskundlichen. Ähnliche Ausgestaltungen des Programms beobachtete man damals auch in anderen regionalen Museen Deutschlands, etwa in dem kurz zuvor fertig gewordenen Kaiser-Friedrich-Museum in Magdeburg. Aber auch die Nähe des skandinavischen Vorbilds machte sich geltend. Für das von A R T U R H A Z E L I U S 1872 gegründete Nordische Museum in Stockholm und für ähnliche spätere skandinavische Gründungen ist die Aufgliederung in eine Abteilung der „höheren Stände" und eine des „gemeinen Mannes" (allmoge) charakteristisch. Mag sie in dieser Entschiedenheit den Verhältnissen etwa der schwedischen Kulturgeschichte eher gerecht werden als denen einer deutschen Landschaft, so 8
findet in ihr doch eine Idee von allgemeinerer Gültigkeit Ausdruck: das Ganze einer regionalen Kultur auch in ihrer sozialen Differenzierung, im Zusammenspiel von Wandlung und Beharren und in ihren lokalen Sonderformen, läßt sich in dieser Aufgliederung überzeugend veranschaulichen. Für die Fortentwicklung der Thaulowschen Sammlung gerade in diesem Sinne waren nach der Gründung freilich kostbare eineinhalb Jahrzehnte versäumt worden. Das Thaulow-Museum hatte anderen Museen wie denen in Flensburg, Altona, Hamburg und Privatsammlern die Ausbeute der das Land durchstreifenden Händler überlassen müssen. Für das Museum im Ganzen, für seine tragende Idee aber ist es bedeutsam, daß nunmehr die historische Abfolge zum ordnenden Prinzip geworden ist. Fortan ist es ein historisches Museum, d. h. es führt primär Geschichte vor, und zwar am Beispiel des Kunsthandwerks und der Lebensform: Stilgeschichte als Beispiel für Geschichte überhaupt! Wenn ein solches Programm auf ein landschaftlich, geschichtlich und sozial vielgestaltiges Gebiet bezogen wird, so stellt es eine Fülle von Aufgaben und Problemen. Die skandinavischen „Volksmuseen" haben sich dieser Aufgaben im weitesten Umfange angenommen und sind ihnen vielfach in sehr glücklicher Form gerecht geworden. der 1920 die Nachfolge Brandts antrat, nahm diese Gedanken auf und erklärte, das Museum müsse „sich als historisches, das ist ethnographisches Museum entwickeln, auf breiter Grundlage, aber in ausschließlicher Einstellung auf Landeskunde und Landesgeschichte". Er führte bewußt die Tendenz auf eine kulturhistorische Sammlung im umfassenden Sinne fort. Das Thaulow-Museum wurde, dieser Entwicklung entsprechend, vor dem zweiten Weltkrieg umbenannt in „Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum".
D R . E R N S T SAUERMANN,
Namentlich die Bestände der Volkskunst wurden durch Sauermann erheblich erweitert, vornehmlich um eine stattliche Sammlung schleswigscher Stücke. Andere Pläne freilich, so der Aufbau einer Sammlung von Porträts aus der Landesgeschichte, die Abzweigung eines eigenen Historischen Museums und die Begründung einer Ritterschaftlichen Bibliothek, schließlich auch eine Sammlung einfachen, zeitlosen Geräts im Sinne D E X E L S blieben in den Anfängen stecken und scheiterten schließlich am Ausbruch des zweiten Weltkriegs. Gegen Ende des zweiten Weltkriegs ging der Moldenschardtsche Altbau, von Bomben getroffen, in Flammen auf, während der Neubau von 1911 bestehen blieb. Die Sammlungen waren zuvor fast vollständig an fünf verschiedenen Stellen im östlichen Holstein ausgelagert worden, die als leidlich sicher gelten konnten. Verluste, die dennoch eintraten, schädigten den Kern der Bestände nicht. Die Verhältnisse der Landeshauptstadt Kiel nach Kriegsende ließen die Rückkehr des Museums in das größtenteils erhaltene Gebäude nicht zu. So griff 1947 die Landesregierung auf Pläne zurück, die schon während der 1920er Jahre erörtert worden waren, nämlich das Schloß Gottorf in Schleswig für
9
museale Zwecke zu nutzen. Früher hatte man daran gedacht, hier ein „Historisches Landesmuseum" für Schleswig-Holstein neu zu begründen und in didaktisch-demonstrativer Form die Geschicke des Landes von der Urzeit bis zur Gegenwart museal zu traktieren. Diese für die 1920er Jahre bezeichnende Idee war inzwischen glücklicherweise überwunden, und als selbständiges Institut sollte nun das Schleswig-Holsteinische Landesmuseum neben dem bisherigen Kieler „Museum Vaterländischer Altertümer", dem jetzigen Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum für Vor- und Frühgeschichte, und dem Landesarchiv in das historische Bauwerk einziehen. „Schloß und Riegel des Landes" Schleswig-Holstein hat man den festen Sitz Gottorf genannt. Auf einer Insel im innersten Winkel der Schlei, des etwa 40 km weit in das Land hineinreichenden schmalen Ostseearmes, und in der N ä h e der alten Handelsstadt Schleswig gelegen, konnte er in früheren Jahrhunderten sowohl den Landweg, der im Osten der cimbrischen Halbinsel an den Förden entlang von Süden nach Norden führte, wie auch die quer dazu verlaufenden Verbindungen zwischen N o r d - und Ostsee beherrschen. Im Mittelalter residierten hier die Bischöfe von Schleswig, später die holsteinischen Grafen. 1544, nachdem die Herzogtümer Schleswig und Holstein zwischen den Söhnen des HERZOGS UND KÖNIGS FRIEDRICH I. neu aufgeteilt worden waren, erwählte HERZOG ADOLF den Platz zur Residenz, und so wurde er zum Stammsitz des Gottorfer Herzogshauses. Das zugehörige Territorium war klein und keineswegs reich, seine Lage aber und die politischen Verhältnisse im europäischen Norden des 17. Jahrhunderts gaben dem Staat eine gewisse Bedeutung. Bevor die Herzogtümer zwischen die Mühlsteine der feindlichen Großmächte Schweden und Dänemark gerieten und 1721 Schleswig an Dänemark verlorenging, rührte sich am Gottorfer Hof ein geistiges Leben von bemerkenswerter Eigenart und Selbständigkeit, namentlich in der Mitte des 17. Jahrhunderts, zur Zeit HERZOG FRIEDRICHS III., des Enkels von Adolf. Das Schloß selbst, so wie es bis in unsere Zeit erhalten blieb, hat im Inneren von den Zeugnissen der Hofkultur allerdings nur bescheidene Reste bewahrt. Nachdem die vom dänischen König vertriebenen Herzöge es 1721 hatten verlassen müssen, begann es zu verfallen, und seine Ausstattung wurde schubweise in die dänische Hauptstadt verbracht. Als es im Krieg 1848/50 zunächst dänisches Lazarett, dann Kaserne geworden war, blieb der Hauptbau im Äußeren zwar bewahrt, das Innere aber mußte sich mancherlei Veränderungen gefallen lassen. Bis zum Ende des zweiten Weltkriegs behielt der Bau seine kriegerische Funktion. Danach, erst 1947 und in den folgenden Jahren, zogen die zuvor in Kiel stationierten historischen Sammlungen des Landes in das Schloß ein, und damit erneuerte sich in anderem Sinne die Bedeutung von Bau und Stätte für das soeben zum selbständigen Staat gewordene Land Schleswig-Holstein. Es wurde zum „Denkmal der Landesgeschichte", zur Stätte der Anschauung, der Besinnung und der Forschung. 10
DAS SCHLOSS GOTTORF
Aus einer Karte aus Andreas Angelus, Holsteinische Chronica, Leipzig 1597
Zu dieser neuen Bestimmung hatte das Schleswig-Holsteinische Landesmuseum einen wesentlichen Beitrag zu leisten; es hatte einen großen Teil des Bauwerks und vornehmlich die Räume von kulturgeschichtlicher Bedeutung mit der Atmosphäre des Historischen neu zu erfüllen, indem es seine Sammlungen aus der Kunst- und Kulturgeschichte des Landes darin ausbreitete. Das Schloß bietet dem von Süden Kommenden die 1702 neu gestaltete mächtige Fassade dar (Abb. 1), eine Architektur von kühler und etwas kahler Großartigkeit. Es scheint sicher, daß an dem Entwurf für den mit der Südfassade 1698 begonnenen Neubau der Architekt des schwedischen Königs NICODEMUS TESSIN D. J. stark beteiligt war. Er besuchte Gottorf mehrfach. Den Südflügel kann man als das südlichste Denkmal des skandinavischen Barocks bezeichnen. Sein nächster Verwandter ist ein nicht ausgeführter Entwurf Tessins für das Stockholmer Schloß von 1692. Der gedrungene Turm beherrscht von der Mittelachse aus ein Bauwerk, das Torso blieb, weil der Bauherr H E R Z O G FRIEDRICH IV. beim polnischen Küssow als Waffengefährte seines Schwagers, KARLS XII. VON SCHWEDEN, gefallen war und bald danach der Dänenkönig als Sieger auf Gottorf einzog. So blieb die durchgreifende Erneuerung auf den Südflügel beschränkt. Dahinter stehen noch die übrigen drei Flügel aus älterer Zeit. Im Kern geht die Anlage auf das Mittelalter zurück. Der Herzog und K Ö N I G FRIEDRICH I. hat zu Beginn des 1 6 . Jahrhunderts große Teile erneuert. Vor allem aber entfaltete sich unter H E R Z O G A D O L F eine rege Bautätigkeit. Von 1 5 6 4 an, nach einem heftigen Brand, bis gegen Ende des Jahrhunderts wurde wohl fast ständig gebaut. Namentlich der Nordflügel wurde rasch neu errichtet. Man scheint damals auf Vorrat gebaut zu haben; denn während etwa hundert Jahren danach wurde am Außenbau kaum etwas verändert. Im Inneren aber hatte man noch Jahrzehnte später mit der Ausstattung der Räume zu tun. Welchen Beitrag der holländische Baumeister HERCULES VON OBERBERG zur Architektur leistete, ist nicht mehr klar erkennbar. Die Stadt Schleswig kann nicht auf eine stolze Tradition urbaner Kultur pochen. Mit gutem Recht trägt sie den Namen, der zugleich das Land bezeichnet, in dem sie liegt. Eine Landstadt ist sie noch heute, von ihrer Umgebung stärker geprägt als vom Leben in ihrem Weichbild. Es bedurfte einiger Jahrhunderte, bis zwischen der Bischofstadt und dem Schloß der Herzöge eine dünne Zeile kleiner Häuser angewachsen war und sich soweit geschlossen hatte, daß man sagen konnte, Schloß Gottorf liege in der Stadt Schleswig. Wer das Schloß besucht, besucht seither damit auch die Stadt, aber seit je besucht er vor allem das Land, in dessen gewachsene Formen Stadt und Schloß heute noch eingebettet liegen wie je. Von der Region der inneren Schlei wird man in alle Richtungen gewiesen. Hier kreuzen sich Linien, die in der Vorzeit, im Mittelalter und bis gegen 1700 über den Kontinent, durch Jütland und Skandinavien, westlich und östlich aber über die Meere fortliefen: Handelswege, Heerzüge, Missionsreisen, Wallfahrten, Forschungsexpeditionen. Schleswig ist vermit11
telnde Station und Umschlagplatz auf weiten Wegen mit fernen Zielen. Aber hier schieden sich auch die Geister. Der südlichste Vorposten skandinavischer Bauformen, eben das Schloß Gottorf, markiert zugleich die Grenze, bis zu der deutsche Bauernhausformen nordwärts vordrangen. Hier erreichten in der Frühgeschichte die Pelz- und Bernsteinlasten aus fernen Ostseeländern den europäischen Kontinent, und die Tuchballen der flämischen Kaufleute traten hier die Seereise nach dem Osten und Norden an, bevor Lübeck alles an sich zog. Das war von je die Schwäche dieses Platzes: es fehlte ihm die Kraft zum Festhalten, er lag zu offen da, nahm und gab viel und bewahrte wenig. Noch heute behauptet sich der stattliche Körper des Schlosses gegen die Bebauung der herandrängenden Stadt, obwohl seine Insellage bei weitem nicht mehr so stark in Erscheinung tritt wie einst. Nachdem H E R Z O G A D O L F schon im 16. Jahrhundert und H E R Z O G FRIEDRICH III. im 17. Dämme durch das umgebende Gewässer legten und die Insel künstlich vergrößerten, verlandete der Burgsee mehr und mehr, und vollends als man in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Befestigungswälle ringsum ins Wasser schüttete, Nebenbauten abriß und neue militärische Gebäude an die Stelle setzte, büßte das Gesamtbild der herzoglichen Residenz viel ein. Immerhin bleibt die alte Situation noch erkennbar und wirksam, in Richtung nach Westen vor allem die unmittelbare Verbindung zur offenen Landschaft, zur umwaldeten Wasserfläche des Burgsees. Im Norden dehnt sich noch das alte Wildgehege, der Tiergarten und darin die Terrassen als Rest des großartigen Parks Neuwerk, den FRIEDRICH III. hatte anlegen lassen. Das Innere des Schlosses hatte sich während genau hundert Jahren die Anpassung an Kasernenbedürfnisse gefallen lassen müssen, dabei viel von seinem Denkmalwert und von seiner Schönheit verloren, dennoch aber auch manches bewahrt. Erhalten blieb die alte Raumgliederung, von Erneuerungen im Westflügel nach einem Brand im ersten Weltkrieg und von einer Umgestaltung der Treppenhäuser seitlich der Einfahrt abgesehen. Einige Räume behielten Teile ihrer wandfesten Ausstattung, die Schloßkapelle im Nordflügel sogar fast ihren gesamten Zustand vom frühen 17. Jahrhundert. Schon in den 1920er Jahren war durch Herausbrechen neuerer Wände der „Hirschsaal" zurückgewonnen worden, und nun, nach dem Einzug des Museums, erfolgte in der spätgotischen Königshalle dasselbe. Mit Rücksicht auf den Bestand alter Raum- und Dekorationsformen wurden dem Landesmuseum das gesamte Erdgeschoß und die westliche Hälfte des ersten Obergeschosses für Ausstellungszwecke überlassen, heute insgesamt 57 Räume. Der Einrichtung gingen Bauarbeiten im Sinne der Denkmalpflege voraus. Dabei wurden viele Einzelzüge der alten Architektur zurückgewonnen. Allmählich erhielt das Haus in diesem Bereich wieder den Zeugniswert seiner Geschichte und eine Atmosphäre, die der Einrichtung des Museums aufnahmebereit entgegenkam. 12
SCHLOSSRÄUME
„Ist ein Museum so glücklich, ein brauchbares altes Haus zu besitzen, so ist das ein großer Vorzug; denn ein altes Haus rahmt eine Altertumssammlung so gut und so natürlich ein, wie es kein Neubau vermag" (OTTO LAUFFER). Geschichte nistet sich in Geschichte ein, und wenn sowohl Haus wie Sammlung eine zentrale Bedeutung für die Geschichte ihres Bereichs in Anspruch nehmen können wie hier, so kann man von ihnen insgesamt in besonderem Sinne als vom „Denkmal der Landesgeschichte" sprechen. Es war die natürliche Aufgabe, die Sammlungen dem Gedanken dieser Gemeinsamkeit unterzuordnen und der Architektur gewissermaßen einzuschmiegen. Dabei zeigte diese eine besonders günstige Disposition. Der Rundgang, der dem Verlauf der Geschichte vom Mittelalter bis in das 19. Jahrhundert zu folgen hat, beginnt in einem spätgotischen Raum, der „Königshalle", und endet in einem R a u m von den Ausmaßen einer biedermeierlichen Wohnstube. Fast während des gesamten Verlaufs durch alle vier Schloßflügel bleibt der Einklang zwischen R a u m und Sammlung gewahrt, z. T. in beglückender Deutlichkeit, z. T. mit spürbaren Einschränkungen. Letzteres gilt besonders für die Darstellung des 18. Jahrhunderts, einer Zeit, die keine baulichen Spuren am Schloß hinterlassen hat. Dem Gesamtbild passen sich die Räume mit bewahrter Ausstattung glücklich ein. Sie ergänzen so die Sammlung u m die N o t e höfischer Kultur, die ihr zuvor empfindlich fehlte, und bieten die Möglichkeit, im Gesamtablauf der neuzeitlichen Kulturgeschichte gerade auch die zentrale Stellung des Gottorfer Hofes am rechten Platz gebührend zur Geltung zu bringen. All diese Umstände tragen dazu bei, daß der Besucher Haus und Sammlung als eine lebendige Einheit erfährt. Dieser Eindruck wird dadurch kaum beeinträchtigt, daß sich der Raumgruppe mit Stücken des 18. Jahrhunderts ein gotisches Kabinett und dem Trakt der Volkskunsträume ein Saal mit Gewölbestukkaturen des 17. einfügt. Der älteste größere R a u m mit deutlichem Stilcharakter ist die zweischiffige mit Kreuzrippengewölben gedeckte Halle im Südflügel (Abb. 2), „Königshalle" genannt, weil sie auf F R I E D R I C H I., H E R Z O G VON S C H L E S W I G - H O L S T E I N und seit 1523 auch König von Dänemark, zurückgeführt wird. E r dürfte sie u m 1530 errichtet haben, residierte er doch auch als König mit besonderer Vorliebe auf Gottorf. Die Architektur ist anspruchslos und zeigt schon das Erlahmen des gotischen Stils, der sich mit diesem Raum, ursprünglich einem selbständigen Gebäude der vielgliedrigen Schloßanlage, hierzulande verabschiedet. Denno&i ist er der bedeutendste unter den wenigen profanen Räumen des Mittelalters im Lande. Von einer älteren Dekoration, bestehend in tiefrotem Anstrich und goldenen Lorbeerranken, sind nur noch geringe Reste verblieben, so an den Gewölberippen. Für museale Zwecke wurde der Sa..l schon 1650 genutzt, zur Zeit F R I E D R I C H S III., der hier durch seinen Hofbibliothekar und -astronomen A D A M O L E A R I U S die einst berühmte Gottorfische Kunstkammer einrichten ließ, in engster Verbindung mit der bedeutenden Bibiiothek. Es war eine Sammlung von Naturalien, archäologischen und völkerkundlichen Merkwürdigkeiten, 13
allerlei Bildwerken und Mechanismen, wie dergleichen auch an anderen Fürstenhöfen der Zeit anzutreffen war, freilich von beträchtlicher Bedeutung. Ihr Inhalt ist genau verzeichnet und läßt sich zum großen Teil in dänischen Museen und Schlössern noch nachweisen. In der Königshalle war die Sammlung offenbar nach kosmologischer Ordnung aufgebaut, und vermutlich gehen darauf die Zeichen der Tierkreisbilder zurück, die in den Gewölbezwickeln erhalten blieben. Schmuck und Bedeutung verliehen dem Raum, der der „goldene Saal" genannt wurde, ein solches Ansehen, daß man ihn bei dem Neubau des Südflügels um 1700 bestehen ließ. Man beschränkte sich darauf, Achsenfolge und Größe der Fenster dem barocken Bedürfnis anzugleichen, wobei seltsame Verschneidungen bei den Fensterleibungen zustandekamen. Aus einer etwas früheren Zeit, vermutlich noch aus dem 15. Jahrhundert, stammt ein von drei Kreuzrippengewölben überdecktes Kabinett im Nordflügel, das im Neubau des späten 16. Jahrhunderts bestehen blieb; anscheinend stellt es den Rest von einer Art Gang dar, der sich früher nach Norden fortsetzte. Die ursprüngliche Gesamtgestalt blieb der 1590 bis 1593 im Nordflügel eingerichteten Schloßkapelle erhalten, wobei sogleich einschränkend bemerkt werden muß, daß die Architektur für diesen Zweck nicht erdacht war. Vielmehr wurde in der gleichmäßigen Doppelreihe quadratischer, von gotisierenden Gewölben überdeckter Säle ein Gewölbepaar herausgebrochen, so daß ein quer durch den Schloßflügel reichender Raum von doppelter Geschoßhöhe entstand. Wichtiger als die Raumform war der nachreformatorischen Zeit die Einrichtung des Kirchenraums (Abb. ;). Sie besteht hier in einer umlaufenden, von Holzsäulen getragenen Empore. Die nördliche Emporenseite, dem Orgelprospekt, einem aus der vorangegangenen Schloßkapelle übernommenen Schnitzwerk von JOHANN VON GRONINGEN, gegenüber, nimmt ein 1 6 0 9 - 1 6 1 3 nachträglich eingefügtes Gehäuse, der „Fürstenstuhl0 ein, wohl der kostbarste Raum des Schlosses. Diese kleine Ofenstube ist innen an Wänden und Decke mit sehr delikatem Intarsienschmuck ausgeziert (Abb. 4), zu vergleichen etwa dem Fredenhagenzimmer in Lübeck und ähnlichen Getäfeln im Rathaus zu Lüneburg. Von den Meistern, ANDREAS SALGEN und JÜRGEN GOWER, sind weitere Arbeiten nicht bekannt. Den Fürstenstuhl zeichnet eine intime Räumlichkeit aus, eine Atmosphäre profaner Behaglichkeit, die sich im kirchlichen Bereich eigenartig ausnimmt. Ebenso eigenartig ist die Plazierung des Gehäuses über dem Altar. Nach außen wendet es der Schloßgemeinde eine pompös mit Schmuck beladene Fassade zu, die sich mit dem handwerklichen, bunt bemalten Schmuck der übrigen Holzeinbauten verbindet. Nur der Altar von 1666 (Abb. 27) sondert sich ab. Er besteht aus einem Aufbau aus Ebenholz, in den silberne Bildtafeln, Treibarbeiten des Hamburger Goldschmieds HERMANN LAMPRECHT, eingesetzt sind. An drei Seiten der Empore läuft ein Bilderzyklus von der Hand des holländischen Malers M A R T E N VAN A C H T E N um, Szenen aus dem Leben Christi. An der Ausstattung der Kapelle allein ließe sich ein ganzer 14
Abschnitt schleswig-holsteinischer Kunst- und Kulturgeschichte ablesen und damit ein Kapitel dessen, wovon das Landesmuseum insgesamt zu berichten hat. Es müßte darin neben anderem von den Beziehungen zu Lübeck, zu Hamburg und zu den Niederlanden die Rede sein, von Gottorf als Station wandernder Künstler und Handwerker und vom Geist eines provinziellen Fürstenhofes wenige Jahrzehnte nach der Reformation. Unmittelbar an die Kapelle grenzt der „Hirschsaal", der Festraum für die Jagdgelage. Auch er wird seine Ausstattung in den 1590er Jahren erhalten haben. Sie ist jedoch nicht ungeschoren geblieben; in der Kasernenzeit waren kreuz und quer Wände und Decken eingezogen worden. In den 20er Jahren aber stellte man ihn als Gesamtraum wieder her, nur der Erker an der Südseite, zum Schloßhof hin, blieb verloren; einst hatte er den Musikern Platz geboten. Neben dem kleinen gewölbten Seitenraum im Osten aber, wohl der Bierzapfernische, war der Kamin in ursprünglicher Gestalt erhalten geblieben und an seinem Rauchfang das hohe Stuckrelief eines Hirschs mit einem mächtigen Geweih, einem Vierundzwanzig-Ender. Eine Beischrift gibt an, die Herzogin habe das Tier 1595 auf der Ostenfelder Heide erlegt. Nach dem Muster dieses Hirschs und auf Grund noch erkennbarer Umrisse sind in den übrigen Wandfeldern oberhalb des gemalten Wandbehangs weitere Tiere ergänzt worden, und ebenso konnte man Landschaften drumherum und die SchwarzweißMalereien der Deckengewölbe wieder so weit herstellen, daß das Gesamtbild des Raumes dem ursprünglichen entsprechen dürfte. Es ist ein derber Ton, der hier erklingt, passend zu den handfesten Freuden der Geselligkeit, die der Jagd zu folgen pflegte, auch dies ein verläßliches Zeugnis für die Lebenshaltung des Hofes am Ende des 16. Jahrhunderts. Der ästhetischen Würdigung, die mit manchen Einschränkungen bedacht sein muß, sollte auch hier die kulturgeschichtliche folgen. Dabei treten wieder neue Beziehungen hervor: möglicherweise stammt die Dekoration mit Gruppen von Hirschfiguren von einem Mitglied der Stukkateurenfamilie P A H R , deren Wanderweg sich vom Mittelmeergebiet über mancherlei deutsche Stationen, darunter Güstrow, nach Gottorf, Tondern und weiter über Skandinavien bis nach Finnland verfolgen läßt. Wieder erscheint Gottorf als Station auf Bahnen, durch die Schleswig-Holstein in seiner Brückenstellung gekennzeichnet wird.
Intarsienmotiv aus dem Betstuhl der Schloßkapelle
Von den übrigen Schloßräumen mit alter Ausstattung, alle im ersten Obergeschoß gelegen, sind noch einige zu nennen, deren Gewölbestukkaturen des 17. Jahrhunderts erhalten blieben, die jetzige Bibliothek im Westflügel, ein winkelförmiger Raum vor dem Rundturm der Nordwestecke und die anschließenden Säle im Nordflügel, der sogenannte Weiße und der Blaue Saal. Die Dekorationen sind recht verschiedenartig; am eindrucksvollsten bieten sich die des Blauen Saales dar: innerhalb der Knorpelwerk-Umrahmungen der Gewölbekappen Prospekte von Phantasiestädten in flachem Relief und Medaillons mit hochplastischen Fruchtbündeln 1(Abb. 3). Etwas direkt Vergleichbares ist r ° bisher nicht bekanntgeworden. Gewiß wurden die Stukkateure, die zur Deko15
ration anderer Bauten, so besonders der Gartenhäuser im Park „ N e u w e r k " berufen waren, gleichzeitig auch mit der Auszier der Schloßräume beauftragt. Dazu bestand in den 1640er und 1650er Jahren ein besonderer Anlaß, da der Herzog durch ein Geschenk des Schahs von Persien in den Stand gesetzt war, die Wände einiger Säle mit der kostbarsten persischen Seide zu überziehen, soweit sie nicht schon vergoldete Ledertapeten trugen. N u n mußten die Gewölbe ebenfalls würdig verziert werden. Die Reste dieses Aufwandes ergeben heute freilich nur eine dürftige Vorstellung vom einstigen Zustand der Räume; und es wäre verfehlt, wollte man sie etwa als authentische Raumbilder von einst wieder in Erscheinung treten lassen. U m so glücklicher ist es, daß die Reste der Dekoration jetzt eine neue Verbindung eingehen können mit den zeitlich entsprechenden Sammlungsbeständen des Landesmuseums. Für die Einordnung der Museumssammlung in das Schloß sind mit den geschilderten Räumen feste Richtpunkte gegeben. Zwischen der Königshalle am Beginn, die für den Hauptbestand der mittelalterlichen Sammlung vorbestimmt ist, und den Sälen mit Stukkaturen des 17. Jahrhunderts sind in etwa einem Dutzend von Räumen, sehr verschieden nach Größe, Art, nach Lichtverhältnissen und Atmosphäre, die übrigen Denkmäler des Mittelalters und die des 16. und 17. Jahrhunderts eingeordnet. In der dann folgenden Gruppe von 8 Räumen ist das Gewicht der überlieferten Räumlichkeit so sehr bestimmend, daß hier auch das Sammlungsgut mehr oder weniger unter dem Stichwort „ G o t t o r f " steht. Darin setzt sich die Darstellung des 16. und 17. Jahrhunderts fort, hat doch das Gottorf er Hofwesen in dieser Periode seine eigentliche Glanzzeit erlebt. U m dieses Verhältnisses willen erscheint diese Zeit vielleicht etwas überbetont, muß sie doch bis zum Hirschsaal hingedehnt werden; schon der Wechsel der Raumformen aber bewahrt vor Einförmigkeit. Danach, hinter dem Hirschsaal im Sinne des Rundgangs, k o m m t in 4 Räumen endlich das 18. Jahrhundert mit seinen lebhafteren und zarteren Farben und seinen bewegteren Formen zur Geltung, freilich mit der Einschränkung, daß die schweren Tonnengewölbe des späten 16. Jahrhunderts den Dingen des 18., besonders etwa den Möbeln, die gemäße Sphäre nicht schaffen können. Wenn man danach in den Ostflügel hinüberwechselt, wo mangels der ursprünglichen Raumgliederung neue stubenartige Nischen eingerichtet werden konnten, so gelangt man in das rechte Raummaß, das den Wohnformen des bürgerlichen 19. Jahrhunderts angemessen ist. Bei alledem braucht nicht verschwiegen zu werden, daß die Einordnung der Sammlung in ein eigenwilliges Gemäuer nur mit Kompromissen und Opfern möglich ist. Sie gehen meist einseitig zu Lasten der Sammlung; nach Auswahl und Abfolge hat sie dem Bau den Vorrang zu lassen. Dieser muß sich zum Ausgleich hier und dort kleine Gewaltsamkeiten gefallen lassen, schon damit überhaupt ein „Rundgang für Museumsbesucher" zustande kommen konnte. Das bedeutet nicht eine prinzipielle Entscheidung zugunsten des gewiß problematischen Rundganggedankens überhaupt, sondern lediglich das Eingeständnis, daß 16
ein vierflügeliges Bauwerk auf anderem Wege nicht zu erschließen ist. Daß sich der Besucher zwar sicher, aber doch unmerklich und ohne Zwang von R a u m zu R a u m geleitet fühlt, steht einem Museum, das einen historischen Weg nachvollzieht, gut an. Es ist Sache der Aufstellung, diese unerläßliche Folgerichtigkeit nicht als Schema wirken zu lassen. DIE SAMMLUNG IM GANZEN
Den Namen Landesmuseum erhielt die Sammlung zu einer Zeit, als es ein staatlich selbständiges Land Schleswig-Holstein noch nicht gab; er bezeichnet also mehr die Kulturlandschaft als das Hoheitsgebiet. Aber es ist unvermeidbar, daß der N a m e auf den erst nach dem zweiten Weltkrieg neu entstandenen Staat bezogen wird. Mit seinen heutigen Grenzen deckt sich das traditionelle Einzugsgebiet der Sammlung nicht. Bis zur Abtretung Nordschleswigs an Dänemark nach dem ersten Weltkrieg wurden zahlreiche Stücke auch von dort ins Museum gebracht; sie behalten hier auch heute ihren Sinn, da eine strenge Abgrenzung, zumal der volkstümlichen Kultur, zwischen deutsch und dänisch nicht möglich ist. Die Hansestadt Lübeck, heute zum Land gehörig, sondert sich, kulturgeschichtlich betrachtet, als Zentrum von höchst eigener Art und Bedeutung aus; sie hat bekanntlich eine eigene, bedeutende Tradition auch im Museumswesen. Das Landesmuseum kann die Hansestadt dennoch nicht unberücksichtigt lassen, gilt es doch, die Bedeutung des überlegenen städtischen Gemeinwesens für den ganzen Ostseebereich in ihren Auswirkungen innerhalb des Landes anschaulich darzustellen. Auch andere Sammlungen entlasten gewissermaßen das Landesmuseum, etwa die Kunsthalle in Kiel, eine Gemälde- und Grafiksammlung, und die Historische Landeshalle ebendort, die vor allem Gebiete der politischen Geschichte angebaut hat. Im einst Schimmelmannschen Herrenhaus Ahrensburg bei H a m burg ist der Kultur des schleswig-holsteinischen Adels im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert eine eindrucksvolle Stätte eingerichtet. Andere Museen haben bestimmte Sachgebiete für das ganze Land in Pflege genommen, so das Altonaer Museum in H a m b u r g das Schiffahrts- und Fischereiwesen neben der Kulturgeschichte und Volkskunde insgesamt. In vieler Hinsicht dem Landesmuseum verwandt ist das Museum der Stadt Flensburg. Ein Landesmuseum soll das schleswig-holsteinische der Idee nach in dem besonderen Sinne sein und immer mehr werden, daß es nach Veranschaulichung und Dokumentation der im Lande selbst erwachsenen und gelebten regional geprägten Kultur strebt. Wie es heute sich darbietet, will es nicht „anschaulich m a c h e n " , was die wissenschaftliche Forschung aus mancherlei Quellen zu berichten weiß, und ist demgemäß nicht von vornherein einer akademischen Sparte verschrieben. Vielmehr zitiert es das überlebende Monument selbst, den untrüglichen Zeugen anschaulicher Art. Es strebt eine sinnvolle Vergesellschaftung solcher Denkmäler an, nicht eine Systematik von der Art absichtsvoller Lehrmittel. Es möchte zuförderst mehr beeindrucken als belehren, stellt daher das Gesamtbild eines Raumes über die systematische Anordnung der Samm17
lungsstücke, ohne aber lediglich zu dekorieren und ohne ein waches wissenschaftliches Gewissen zu überhören. Es sucht die bildhafte Wirkung des Authentischen und vertraut auf das unmittelbare Zeugnis des Denkmals, das am vernehmlichsten wird in der Sprache der Kunst. Zur Zeit Thaulows stand das Künstlerische als normgebendes, historisches Vorbild für die Praxis im Vordergrund. Heute ordnet sich das Einzelstück auch in seiner künstlerischen Sprache dem Gesamtbild einer regionalen Kulturgeschichte ein, ohne seine Eigenbedeutung zu verlieren. Aber es braucht die ihm gemäße Sphäre, welche vor allem der Raum, doch auch die Gesellschaft der Dinge hervorbringen. Damit jedem Stück diese Sphäre zugesichert ist, nicht aber um einer abstrakten Systematik willen, gliedern sich die Schausammlungen des Museums dreifach. 1. Die historische Folge, beginnend mit dem hohen Mittelalter und einstweilen abschließend mit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Das Schwergewicht liegt bei der stilgeschichtlichen Wandlung in der Lebensform der sozial führenden Gruppen. Die historischen Schloßräume sind einbezogen. 2. Die landschaftliche Folge, die einen Gang durch die künstlerisch geprägte volkstümliche Kultur des Landes ermöglicht, durch Bereiche der bäuerlichen, seemännischen und handwerklichen Volkskunst. Das Schwergewicht liegt hier bei der von der allgemeinen Stilgeschichte mehr oder weniger unabhängigen, traditionellen Gestaltungsform der Landschaften mit ausgeprägter künstlerischer Physiognomie. 3. Die Folge der praktischen Arbeiten, die einen Überblick bietet über das traditionelle technische Gerät der vorindustriellen Praktiken in Landwirtschaft, Handwerk und Hauswirtschaft. Das Schwergewicht liegt bei dem Werkvorgang, bei der Zusammengehörigkeit eines Werkstattinventars oder bei den Verwendungsmöglichkeiten eines Werkstoffs. Die Grenzen dieser drei Komplexe, des geschichtlichen, des landschaftlichen und des technologischen, lassen sich nicht mit Sicherheit ziehen. Vielmehr sind Berührungen und Ubergänge wünschenswert. Der Aufbau des Museums beruht auf der Zuversicht, daß der dreifache Aspekt das Ganze der regionalen Kultur erfaßt, soweit es sich museal erfassen läßt. Da es mit einem Reichtum hervorragender Einzelstücke nicht aufwarten kann, muß es um so mehr aus dem Gesamtbild leben. Als Bindeglied zu dem ebenfalls im Schloß (im zweiten Obergeschoß) untergebrachten „Landesmuseum für Vor- und Frühgeschichte" erscheint am Anfang eine Eichenbohle, die in der Kirche von Humptrup/Nordfriesland gefunden wurde, ein Teil eines Stabwerkbaus von skandinavischer Art aus der Mitte des 11. Jahrhunderts, beschnitzt mit ineinander verschlungenen Drachen. Im frühen Mittelalter war noch die führende Bedeutung der skandinavischen Kultur bis nach Schleswig herein spürbar. Das folgende 12. Jahrhundert aber schon hatte entschieden, daß künftig die Vorbilder von Süden und Westen kommen würden. In westdeutschen Bauhütten müssen die Meister gelernt haben, die für 18
DIE HISTORISCHE RAUMFOLGE
Christus als Gärtner, Anfang des 16. Jahrhunderts, Flachstickerei, Seide auf Leinen, 44 x 55 cm
19
die Granitquaderbauten schleswigscher Kirchen des 12. Jahrhunderts die schmuckhaften Teile herstellten, von denen das Museum drei Kapitelle von der 1871 zusammengestürzten St. Michaelis-Rundkirche in der Stadt Schleswig als Proben zeigt. Im übrigen aber übernimmt nun das kirchliche Inventar die Vergegenwärtigung von Gläubigkeit und Kunstsinn des Mittelalters. Mit der Mitte des 13. Jahrhunderts setzen die Holzplastiken ein. Die starre Feierlichkeit einer Michaelsfigur, die aus einer schleswigschen Kirche stammen muß, leitet sich letztlich aus der französischen Kathedralplastik her. Einer folgenden Generation gehört die Kreuzgruppe aus Kosel, Kreis Eckernförde, an (Abb. 6), in welcher der Geist der ebenfalls von FrankreiJi her bestimmten Hochgotik durchbricht. Den Weg zu erkunden, den die künstlerische Form von ihren Zentren her in das Land nahm, ist kaum noch möglich, doch scheint es, daß er vielfach über See führte. Das gilt ebenso für die folgenden Jahrhunderte, in deren Verlauf im übrigen auch Hamburg und Lübeck Bedeutung für die Kunst des Landes gewannen. Aus Lübeck kamen, wie in das gesamte Küstenland um die Ostsee so auch nadi Schleswig-Holstein, zahllose Werke mittelalterlicher Kunst seit dem 14. Jahrhundert, doch wirkte die Hansestadt auch als Vermittler fremder Werke, vor ?Ilem niederländischer. Gewiß über Lübeck kam ein in Nottingham entstandener Alabasteraltar nach Groß-Grönau und von dort ins Landesmuseum, und gewiß waren es Lübecker Künstler, denen die Vorzeichnungen für die Paramente des 14. und 15. Jahrhunderts aus dem Frauenkloster Preetz (Abb. 12 und J J ) zu danken sind, war das Kloster doch von Lübeck aus gegründet worden. In Skulpturen des 15. Jahrhunderts werden mit Deutlichkeit auch bestimmte Lübecker Meister erkennbar, so besonders in dem Kopf einer kalksteinernen Marienstatue aus Marienwohld bei Mölln von etwa 1420 bis 30. Das Kunsthandwerk Lübecks präsentiert sich vornehmlich in einem „Feuerschapen", d. h. einem Glutbecken aus Bronze von 1493, das aus der Dorfkirche von Petersdorf auf Fehmarn stammt. Hamburgs Bedeutung als mittelalterliche Kunststätte, heute im Ganzen weit schwerer zu fassen als die Lübecks, tritt mit dem Flügelaltar aus Landkirchen auf Fehmarn (Abb. 8) zutage, der in der Nachfolge des Hamburger Petrialtars von 1379 steht und bald nach diesem entstanden sein wird. Die Passionsgeschichte wird in Reliefbildern vorgeführt, lauter Szenen voll stiller Verhaltenheit in Form und Bewegung. Der I indkirchener Altar steht an der Spitze einer Reihe von zahlreichen vollständigen Altarwerken, deren Entstehungszeiten sich bis an den Vorabend der Reformation hinziehen. Zusammen mit vielen Einzelfiguren der Sammlung ergeben sie einen recht vollständigen Überblick über die Kunstrichtungen, die sich im Lande auswirkten. Erst die neuere Forschung ist mit Erfolg bemüht, die in Schleswig-Holstein selbst tätigen Werkstätten gegenüber dem Import abzugrenzen. Daneben mögen auch wandernde Meister mitgewirkt haben, und vielleicht erklärt es sich so, daß etwa in dem Altarrelief aus Haselau auch einmal mainfränkische Züge anklingen.
20
Nur ein Meister der Reformationszeit, der im Lande selbst tätig war, ist seit je als Persönlichkeit deutlich und läßt sich mit Namen nennen: H A N S B R Ü G G E MANN aus Walsrode (Hannover). Sein Werk, berühmt geworden durch den Bordesholmer Altar, der 1666 in den Schleswiger Dom überführt wurde, ist im Landesmuseum vertreten durch einen Altarsdirein aus dem „Goschhof" in Eckernförde. Die Gruppe der Sippe Christi (Abb. 7) im eigentlichen Schrein, besonders die der 14 Nothelfer in der Predella, sind dem Meister mehrfach zuund wieder abgesprochen worden. Neuerdings hat Fritz Fuglsang die großen Figuren überzeugend für Brüggemanns Werk erklärt, einzuordnen zwischen den früheren Christopherus im Schleswiger Dom und den 1525 entstandenen Bordesholmer Altar. An diesen schließt sich eng ein kleineres Altarblatt mit der Kreuztragung Christi an, das aus der Kirche von Brügge bei Bordesholm stammt; durch Überarbeitung in neuerer Zeit hat es leider stark verloren. Die Vergegenwärtigung kirchlicher Kultur des Mittelalters im Landesmuseum ist im wesentlichen auf die ersten vier Räume beschränkt. Für die nachreformatorische Zeit wird das Thema im weiteren Rundgang in der Schloßkapelle wieder aufgenommen, nun aber in Gestalt eines seit alters bis heute in Funktion gebliebenen protestantischen Sakralraumes. Das Inventar des profanen Lebens wird für das Mittelalter nur durch Stücke der späten Zeit vertreten, die meist kaum vor 1500 zurückreichen. Vornehmlich sind es Truhen und Schränke, letztere noch keine eigentlichen Möbel, sondern Bestandteile der Hauswand und daher als Museumsstücke ihres eigentlichen Zusammenhangs beraubt. An ihrem Gefüge wie am Schmuck der Flächen läßt sich wieder ein kleines Kapitel Kunstgeschichte ablesen. Als Verzierung herrscht hier wie an den Truhenfronten das für Nordwesteuropa im späten Mittelalter kennzeichnende Faltwerk vor (Abb. 14 a). Seine Abwandlungen an den spätesten Möbeln dieser Gruppe lassen schon das Eindringen von Formvorstellungen der Renaissance spüren. Dennoch erschließt sich mit den Möbeln des späteren 16. und des frühen 17. Jahrhunderts, deren das Landesmuseum eine sehr ansehnliche Sammlung besitzt, ein neues Bild. Die Truhen der gehobenen Lebensverhältnisse lassen ab vom Stollenaufbau und erscheinen als einfache, flachgedeckte Kästen auf Kufen oder Füßen. Die Schränke lösen sich z. T. erst später aus der Wand und gewinnen selbständigen Stand davor. Wie beharrlich dennoch die mittelalterlichen Formen bleiben, verdeutlicht besonders der Schranktypus der noch wandfesten Schenkschiewe (Abb. 16), die auch im Haus der reichen dithmarsischen Bauern zu den repräsentativen Ausstattungsstücken gehört. Das Gesamtbild des häuslichen Bedarfs beginnt sich zu differenzieren, weil sich die sozialen und kulturgeographischen Verhältnisse nun deutlicher unterscheiden lassen. Anderseits tritt auch das Handwerkertum deutlicher erkennbar hervor, das den Bedarf in Stadt und Land deckt. Einige Hauptstücke, so der bekannte „Susannenschrank" vom Gut Bothkamp, bleiben zwar namenlos, im übrigen aber kennt man heute viele der Schnitkermeister und Bildensnieder, die von den Städten
21
und Flecken aus Adlige wie Bürger und Bauern versorgten: in Flensburg H E I N R I C H R I N G E L I N K , in Husum J O H A N N VON GRONINGEN, in Rendsburg H A N S P E P E R , in Wilster J Ü R G E N H E I T M A N N D. Ä . - um nur diese wenigen aus der um 1600 tätigen Generation zu nennen. Besonders leistungsfähig waren jahrzehntelang offenbar die Werkstätten in Eckernförde (Abb. 14 b). Das Landesmuseum besitzt mehrere Brauttruhen aus der Werkstatt des dort tätigen älteren H A N S G U D E W E R D T . Sein Stil wirkt fort in einem aus Schweden erworbenen Überbauschrank aus der Mitte des 17. Jahrhunderts und bezeugt, daß die schleswig-holsteinischen Werkstätten Kräfte abgaben an die damals sehr aufnahmebereiten skandinavischen Länder. Besonders im sogenannten Ohrmuschelstil von der Mitte des 17. Jahrhunderts brachte das Land recht ansehnliche, eigenartige Leistungen hervor. Es sind die Namen B E R E N D CORNELISSEN in Husum, H E N N I N G CLAUSSEN in Neuenkirchen, H E I M E N K L A U S in Lunden und H A N S G U D E W E R D T D. J. in Eckernförde zu nennen. Letzterer brachte es zu bedeutender künstlerischer Höhe (Abb. 19), erkennbar freilich weniger im traditionellen Möbelwerk als in freieren kirchlichen Arbeiten. Die Sammlung weist sein kraftvolles plastisches Können an Figuren einer Kreuzgruppe aus Eckernförde und an einer Begräbnistür aus Dänischenhagen auf. Die in der Möbelsammlung am eindrucksvollsten hervortretende Holzschneidekunst der Renaissance und des Ohrmuschelbarocks gehört zu den gewichtigsten kunsthandwerklichen Leistungen des Landes. Sie setzt etwa 1560 mit einer Reihe vorzüglich geschnittener Bekrönungen von Gestühlswangen des Schleswiger Doms ein und verebbt bald nach der Mitte des 17. Jahrhunderts, begleitet also, zeitlich genau, die eigentliche Blüte des Gottorfer Hofes. Die meisten Arbeiten dieser Art hat man sich farbig gefaßt vorzustellen; erst das 19. Jahrhundert bevorzugte das bloße Eichenholz und entfernte die Farben. Von der Farbigkeit der Wohnräume gibt im Landesmuseum die bemalte Stubendecke aus einem Kieler Bürgerhaus zumindest eine Vorstellung. Bemalt waren aber auch die sandsteinernen Schmuckteile sowohl außen am Haus wie im Inneren. Das Landesmuseum führt einige dekorative Stücke dieser Art vor, so die Portaleinfassung vom Kieler Haus des JOHANN R A N T Z A U , einige Kaminstürze u. a. m. Die alte Bemalung blieb freilich nur an einem Kaminstück aus Terrakotta bewahrt, das der sehr produktiven Lübecker Werkstatt des STATIUS VAN D Ü R E N entstammt. Im übrigen trugen Textilien zum farbigen Gesamtbild der Wohnräume entscheidend bei. Davon vermitteln Proben einer wohl im Lande selbst ausgeübten Gobelinweberei in Gestalt von Stuhlkissen eine Vorstellung. Wohnstil und Lebensform wurden namentlich seit dem 16. Jahrhundert von Holland her geprägt. Über See nahm das Land holländisches Einfuhrgut unmittelbar auf, holländische Handwerker und Künstler durchreisten das Land oder wurden, wie der schon genannte Johann von Groningen, seßhaft; die holländischen Siedler der Westküste und Friedrichstadts zogen Landsleute nach. Der Gottorfer Hof war besonders empfänglich für holländisches Wesen. Der
22
Signet des Schleswiger Druckers Nicolaus Wegener (druckte 1 5 8 2 - 1 6 0 5 )
Hofmaler JÜRGEN OVENS (1623-1678) (Abb. 28) erlernte seine Kunst in Rembrandts Werkstatt und lebte lange in Amsterdam. Trotz der Leistungsfähigkeit der heimischen Möbelbauer kam ein Strom holländischer Möbel ins Land (Abb. IJ). Mit Beispielen solcher Importmöbel, die sich freilich schwer von den heimischen Nachahmungen unterscheiden lassen, veranschaulicht das Landesmuseum die Bedeutung des holländischen Vorbilds im 17. Jahrhundert. Wie nachhaltig es auch in der Folgezeit fortwirkte, zeigt am besten das Beispiel der Keramik. Sie vermittelte dem damaligen Europa die so erregend fremdartige Formenwelt des chinesischen Porzellans, nämlich durch die holländischen Fayencen. Das Interesse dafür stand im Zusammenhang mit der Vorliebe für Fliesen als Wandbekleidung. Bis ins 19. Jahrhundert gehörte sie zum Bestand auch der ländlichen Wohnsitten, besonders an der Westküste (Abb. 41). Verbindungen auch zu anderen ferngelegenen Zentren des künstlerischen Lebens stellte immer wieder der Gottorfer Hof her. In der Sammlung des Landesmuseums geben davon freilich nur wenige Denkmäler Zeugnis. Das gesamte profane Schloßinventar ging dem Lande verloren, von einigen wenigen Stücken abgesehen. Die aus Holland bezogenen vergoldeten Ledertapeten etwa, die einst die Wände zahlreicher Schloßräume bedeckten, lassen sich nur noch in kleinen Fetzen vorweisen. Eindrucksvoller schon sind die Stücke persischer Seidengewebe des 17. Jahrhunderts, die von der früheren Wandbespannung anderer Schloßräume eine Vorstellung geben (Abb. 29). Solche Stoffe, die zu den kostbarsten Geweben der damaligen Welt gehörten, hatte FRIEDRICH III. in Ballen vom persischen Schah geschenkt erhalten, als dieser den Besuch einer Gottorfer Gesandtschaft von 1636 mit einer Gegengesandtschaft erwiderte. Friedrich hatte diese damals unerhörte Beziehung angeknüpft, um die Lieferungen persischer Stoffe nach Europa via Rußland und die Ostsee über sein Territorium zu lenken und damit die östlichen Handelsverbindungen des frühgeschichtlichen Haithabu zu erneuern. Zu der Weltoffenheit und dem Unternehmergeist des Herzogs, die aus diesem Beispiel zu erkennen sind, gesellt sich sein Interesse für die Wissenschaften, für fremde Sprachen und Kulturen wie für Mathematik und Astronomie. Das Landesmuseum hat von den literarischen Werken, die im Bereich des Gottorfer Hofes entstanden sind und zum großen Teil in der Hofdruckerei zu Schleswig gedruckt wurden, zusammengetragen, was sich in den letzten 15 Jahren erreichen ließ. Besondere Bedeutung und eine angesehene Stellung in der Literaturgeschichte hat die Beschreibung der schon erwähnten Gottorfer Expedition über Rußland nach Persien, das Hauptwerk des Hofgelehrten und Gesandtschaftssekretärs ADAM OLEARIUS, dessen reger Geist dem Hof Friedrichs III. das Gepräge gab. Daß die Sammlungsbestände des 16. und 17. Jahrhunderts aus Gründen, die oben schon genannt wurden, einen recht breiten Raum einnehmen, entspricht der Tatsache, daß die Herzogtümer in dieser Zeit eine besonders fruchtbare Periode ihrer Kulturgeschichte erlebten. Die Adelssitze, die sich namentlich im Osten des Landes zu großen Gutswirtschaften entwickelten, bildeten lebendige 23
Mittelpunkte auch des geistigen Lebens. Von den ältesten Sammlungsstücken, die mit schleswig-holsteinischen Adelsgeschlechtern verknüpft sind, sei hier die Dokumentenlade der Ritterschaft des Landes von 1504 genannt. Besondere Bedeutung für die Landesgeschichte hat sie deshalb, weil in ihr das Original des 1460 zu Ripen geschlossenen Vertrages zwischen dem dänischen König und der Ritterschaft auf uns gekommen ist, jenes Dokument also, das die später zum politischen Schlagwort gewordene Formel enthält, die Herzogtümer Schleswig und Holstein sollten „bliven ewich tosamende ungedelt". Die Adelsgeschlechter bildeten auch in der Gottorfer Zeit ein wichtiges verbindendes Element in den staatsrechtlich verschieden gestellten Territorien. Zu den bedeutendsten Familien gehörten die Rantzaus. An J O H A N N R A N T Z A U ( 1 4 9 2 - 1 5 6 5 ) , den Statthalter des dänischen Königs und Unterwerfer der Dithmarscher, erinnern in der Sammlung des Museums die schon genannte Portaleinfassung und sein Grabstein, der ihn als Andächtigen vor dem Kruzifix darstellt. Als geistige Persönlichkeit überragte ihn sein Sohn H E I N R I C H ( 1 5 2 6 - 1 5 9 8 ) , der die Nachfolge als königlicher Statthalter antrat und seinen Sitz Breitenburg bei Itzehoe zu einer Stätte gelehrter Studien einrichtete. Sein Porträt, dem Kupferstich des Hamburger Goldschmieds J A K O B M O R E S nachgebildet, erscheint auf einer großen silbernen Trinkkanne von 1582 (Abb, 26), dem einzig noch erhaltenen von drei gleichen Exemplaren mit gegossenem, getriebenem und ziseliertem Dekor, die Rantzau für seine drei Töchter durch einen Silberschmied in Krempe hatte anfertigen lassen. Die sogenannte „Wucherkanne" von 1587 aus der Familie BLOME, eine henkellose Trinkkanne aus Silber, in deren Wandung das Bild K Ö N I G F R I E D R I C H S II. V O N D Ä N E M A R K ZU Pferd eingraviert ist, vermittelt durch ihre Inschrift ein ganzes Sittenbild: Sie wurde aus dem Geld hergestellt, das der König im Jahre 1 5 8 7 den Adeligen K A I R A N T Z A U und H A N S B L O M E im Spiel abgewonnen hatte. Im 16. und 17. Jahrhundert bezog man aufwendiges Silbergeschirr mit Vorliebe aus Hamburg, und noch H E R Z O G C H R I S T I A N A L B R E C H T gab dort bei dem Goldschmied H E R M A N N L A M B R E C H T den Altar der Schloßkapelle von 1 6 6 6 in Auftrag, einen Aufbau aus Ebenholz, der mit Silberreliefs ausgestattet ist (Abb. 2j). Ein weiteres Denkmal hamburgischer Silberschmiedekunst sind die Abendmahlskanne und die Oblatendose von 1679, die aus dem adeligen Kloster Uetersen in das Landesmuseum kamen; sie tragen das Wappen der Familie SCHACK. Diese Hinweise mögen genügen, um den Anteil des Adels am Kunsthandwerk des Landes zu kennzeichnen. Wie Hof und Adel durch große Aufträge, durch Reisen und verwandtschaftliche Beziehungen, die Bürger durch Handel und Wandel den Lebensstil immei wieder dem Vorbild einer weiteren Welt anglichen, so taten es die Handwerker auf ihre Weise, indem sie in die Fremde wanderten, den Regeln ihrer Ämter gemäß. Den Handwerkerzünften, dem zeremoniellen Gerät ihres überlieferten Gemeinschaftslebens, den Symbolen ihres Rechtswesens und ihren Batterien von Trinkgefäßen ist ein besonderer Raum des Museums gewidmet. Es über24
Signet vom Titelblatt der „Newen Orientalischen Reise" des Adam Olearius, Schleswig 1647
wiegen die Beiträge der Kieler Handwerker, aber auch andere Orte des ganzen Landes sind vertreten. Zugleich kann das bizarre Formelwesen dieser Tradition eintreten für das gleichartige Gerät der vielen Gilden, die das Leben in Stadt und Land seit Jahrhunderten mitbestimmten, der Brand-, Toten-, Schützengilden, um nur diese zu nennen. Nachdem Schleswig 1721 und Holstein 1773 dem Königreich Dänemark ganz zugefallen waren, spielte sich das kulturelle Leben der einstigen Herzogtümer im Rahmen des mächtigen dänischen Gesamtstaates ab. Gegenüber den dänischen Provinzen bewahrten sie freilich eine staatsrechtliche Sonderstellung und gewannen innerhalb des dänischen Staates ein großes Gewicht, vor allem dank dem starken Einfluß des schleswig-holsteinischen Adels bei Hofe und dank der starken Zuneigung der in Kopenhagen maßgebenden Kreise zum deutschen Geistesleben. Zahlreiche Herrenhäuser des Landes standen auf der Höhe der Zeit. Man richtete sich ein mit den besten Möbeln, die der französische und der englische Markt boten. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts spiegelte sich die besondere Stellung des schleswig-holsteinischen Adels am deutlichsten im Hauswesen F R I T Z R E V E N T LOWS und seiner Gattin JULIA, GEB. SCHIMMELMANN, auf Emkendorf bei Rendsburg. Hier versammelten sich die lebendigen Geister des Landes, unter ihnen die Brüder STOLBERG und M A T T H I A S CLAUDIUS; auch KLOPSTOCK gehörte zu den Gästen. Der geistigen Bedeutung des Kreises entsprach die Ausstattung des Hauses mit einer großenteils in Italien erworbenen Gemäldesammlung und dem Mobilar aus der Mitgift Julias. Von dieser kamen die kostbarsten Stücke, unter anderem zwei insgesamt aus 17 Teilen bestehende Sitzmöbelgarnituren von ca. 1780 in das Landesmuseum, Sofas, Bergeren und Voyeusen, aus der Pariser Manufaktur A. P. DUPAIN. Eine solche Ausstattung gehörte freilich zu den Ausnahmen. Erstklassige englische Möbel aber entsprachen eher der Regel. Man bezog sie über Hamburg oder Altona; doch wurden vortreffliche Nachahmungen dort und auch sonst im Lande hergestellt. Besonders beliebt war ein Schranktypus, dessen unterer Teil komodenartig gebaut ist und dessen Aufsatz eine Tür mit Spiegelglas trägt (Abb. JJ). Bezeichnend ist der Besatz mit geschnitztem und vergoldetem Ornament. Einen hervorragenden Beitrag zum Kunsthandwerk des Gesamtstaates aber lieferten die Herzogtümer in Gestalt von Fayencen. Dank ihrer Beziehungen zu den damals maßgebenden Produktionsstätten in Deutschland erreichten die schleswig-holsteinischen Manufakturen z. T. beachtenswerte Leistungen. Die zeitlich erste Manufaktur gründete J . C. L. VON LÜCKE 1755 in Schleswig. Ihre Gefäßformen sind vielseitiger als der Dekor, der sich vielfach auf Manganmalerei beschränkt. Bezeichnend ist reichliche Verwendung von plastischen Figuren in Verbindung mit Gefäßen. Viel farbiger erscheint die Ware aus der anfangs in Criseby, dann in Eckernförde betriebenen Manufaktur, die von 1765 bis 1780 in Betrieb war (Abb. J J ) . Ihre beste Leistung ist mit den Namen JOHANN BUCHWALD als des Direktors und ABRAHAM LEIHAMERS als des bedeutendsten 25
Malers verknüpft. Beide wechselten später zur Kieler Manufaktur hinüber, die von 1758 bis 1787 produzierte, und hielten dort die Qualität der Ware auf der von J. S. F. T Ä N N I C H erreichten Höhe. Die z. T . nach Kupferstichen von N I L S O N bemalten Kieler Potpourrivasen gehören zu den schönsten Fayencen des Landes und behaupten sich im Vergleich mit der sonstigen Produktion Europas. In Proben verschiedenster Gefäße und besonders in Kachelöfen und bemalten Tischplatten wird auch die Manufaktur von Stockelsdorf bei Lübeck (1771 bis ca. 1800) vorgeführt (Abb. j2). Auch hier waren Buchwald und Leihamer tätig. Die Manufakturen in Rendsburg und Kellinghusen, hier nicht weniger als sechs, fanden auf verschiedene Weise den Übergang in das 19. Jahrhundert. In Rendsburg ging man zur Nachahmung des englischen Steingutes über, in Kellinghusen mündete die Produktion in die Massenherstellung volkstümlichen Geschirrs, das über ganz Nordeuropa verbreitet wurde. Die bürgerliche Kultur des 19. Jahrhunderts spiegelt sich in einer kleinen Gruppe von Räumen mit stubenartigem Ausmaß. Für einen vornehmeren Lebensstand tritt ein Raum ein, der mit Pariser Tapeten ausgestattet ist, Darstellungen der Geschichte Telemachs in idealen Landschaften (Abb. 38). Die bürgerliche Lebensform schließlich gewinnt Gestalt in einem biedermeierlichen Wohnraum von ca. 1840. Ebenso aber illustrieren Gruppen von liebenswürdigen Kleinigkeiten die besinnliche Häuslichkeit jener Jahrzehnte, in denen sich die Unruhe einer neuen Zeit vorbereitete. Diese kam für Schleswig-Holstein 1848 mit dem Versuch, sich von der dänischen Herrschaft zu lösen. Trotz der Vergeblichkeit des Kampfes stärkte der Sieg von Eckernförde am 5. April 1849 das nationale Bewußtsein auf das nachhaltigste. Aus der Stille gepflegter Wohnräume war der lebendige Teil der Bevölkerung künftig in die Öffentlichkeit des nationalpolitischen Kampfes gerufen. Dieser Einschnitt bezeichnet den zeitlichen Abschluß für den „historischen Trakt" des Museums und zumindest vorläufig auch für seine Bestände an Wohngerät, Kunsthandwerk usw. Darum erscheint am Abschluß des Rundgangs die riesige Gallionsfigur des dänischen Linienschiffs Christian VIII., das in der Eckernförder Schlacht in die Luft geflogen ist (Abb. 39). Auf manchem besonderen Gebiet freilich sind die Sammlungen über diese historische Schwelle fortgeführt bis in die Gegenwart, so etwa in bezug auf das Kunsthandwerk vom Beginn unseres Jahrhunderts. Ein ausgeglichenes Bild
26
davon vorzuführen, ist aber einstweilen noch nicht möglich. Die Lücke wird dadurch wettgemacht, daß das Landesmuseum in drei ausgezeichnet geeigneten Sälen des Südflügels regelmäßig wechselnde Sonderausstellungen zeigt, in denen neuere und neueste Kunst in sehr vielseitiger Form zur Geltung kommt. DIE LANDSCHAFTLICHE RAUMFOLGE
Was Schleswig-Holstein an Werken der volkstümlichen Kunstübung hervorgebracht hat, ist vielleicht der gewichtigste und eigenartigste Beitrag des Landes zum Gesamtbild der europäischen Kultur. Wie bemerkt wurde, waren Gegenstände schleswig-holsteinischer Volkskunst schon vor 1900 sehr begehrt, und nicht von ungefähr taucht im „Volksbuch" von 1845 erstmals das Wort „Volkskunst" auf. Obwohl das Landesmuseum mit der Sammlung auf diesem Gebiet allzu spät begonnen hat, kann es heute doch ein vielseitiges Gesamtbild jener landschaftlich besonders geprägten Physiognomie der volkstümlichen Lebensform, insbesondere seiner „sonntäglichen" Seite, bieten, und an der Abrundung dieses Bildes wird ständig mit besonderem Eifer gearbeitet. Bei der Darstellung setzt die Schloßarchitektur freilich Grenzen; immerhin bietet das Mezzanin niedrige Räume von glücklichen Maßen an. In ihnen sind die Sammlungen aus dem Landesteil Schleswig ausgestellt, während die aus Holstein in den anschließenden Räumen des Westflügels Platz fanden. Darin spiegelt sich in etwa das Verhältnis zwischen den engräumigeren schleswiger Bauernhäusern zu den weiträumigen Hallenhäusern Holsteins. Die landschaftlichen Sonderformen künstlerischer Betätigung sind auch innerhalb Schleswigs und Holsteins sehr verschiedenartig. Nordfriesland ist die an eigenartigen Leistungen reichste Landschaft, was zum guten Teil auf der Verbindung von Entlegenheit mit Welterfahrenheit der seefahrenden Bevölkerung beruht. Die südlichste Landschaft, Eiderstedt, hat schon im 16. Jahrhundert mit der Hinwendung zum Großbauerntum und mit der Übernahme holländischer und südfriesischer Bau- und Wirtschaftsformen eine besondere Entwicklung eingeschlagen. Formen von großer Altertümlichkeit in Hausbau, Wohnweise und Gerät bewahren dagegen vor allem die Inseln. Der nördliche Teil des friesisch besiedelten Festlandes einschließlich der Köge hält dazwischen etwa die Mitte. Die Altertümlichkeit der volkstümlichen Kultur stellt deutlich eine Verbindung zum nördlich anschließenden, jetzt dänischen Gebiet her, wie sich an bestimmten Geräte- und Möbelformen deutlich zeigen läßt. So ist es nur natürlich, daß Nordfriesland und Nordschleswig gemeinsam vorgeführt werden. Die Landschaft Angeln im Osten Schleswigs unterscheidet sich jedoch stark, besonders durch die Übernahme von Formen des frühen 19. Jahrhunderts, die gewiß durch das nahe Flensburg vermittelt wurden. Die zeitliche Schichtung der künstlerischen Ausdrucksformen ist leicht zu erkennen. Aus vormittelalterlicher Tradition wurde in Nordfriesland die Knüpfarbeit überliefert und bis an das Ende des vorigen Jahrhunderts fortgeführt. Eine Zeit sehr gründlicher Erneuerung war das 16. Jahrhundert, das in Verbindung mit wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Wandlungen auch neue Ge-
27
räte- und Schmuckformen von Süden und Westen her ins Land brachte. In vielen hölzernen Denkmälern blieb das damals angenommene Formengut bis ins 18. Jahrhundert wirksam, in der Frauentracht des Kirchspiels Ostenfeld bis gegen 1900. In der Mitte des 18. Jahrhunderts wird eine neue Welle spürbar, mit der sich barockes Empfinden durchsetzt, barocker Schmuck verbindet sich gelegentlich mit viel älteren Formen seines Trägers. Mit diesen knapp andeutenden Bemerkungen soll nur gesagt sein, daß die Aufstellung der Volkskunstsammlung bei der Ordnung nach Landschaften die historische Perspektive, die Sonderformen erst verständlich macht, nicht außer Acht läßt. Im übrigen aber finden sich die Gegenstände wie von selbst zu Gruppen zusammen, wobei die verschiedensten Motive mitsprechen. Ein größerer Raum vereinigt Möbel und Textilien aus der älteren Schicht und veranschaulicht damit gleichsam den noch verhältnismäßig einheitlichen Stand der volkstümlichen Kultur ganz Schleswigs im 16. und 17. Jahrhundert. Ein anderer Raum zeigt die später einsetzende Differenzierung kleinerer Bereiche am Beispiel der stark von der Seefahrt bestimmten nordfriesischen Inseln Sylt, Föhr, Amrum und der Halligen. Denkwürdig ist es, daß in der Nähe Husums, das wenige Dörfer umfassende Kirchspiel Ostenfeld sich sozusagen zu einer winzigen Kulturprovinz für sich entwickelte, eigenartig in Tracht, Haus- und Möbelformen. Eine Sonderleistung der schleswigschen Westküste sind die Beiderwandstoffe, die in großen Bahnen zum Verhängen der Wandbetten dienten. Sie übersetzen die Damastmuster des 17. Jahrhunderts in die äußerst dekorative Kontrastwirkung von ungefärbtem Leinen und farbiger Wolle und führen einen großen Motivschatz fort, der von einfachen geometrischen Mustern bis zu üppigen, aus dem Orient stammenden Blumen einerseits, zu biblischen und anderen Szenen (Abb. 47) anderseits reicht. In ähnlicher Geschlossenheit bieten sich die hölzernen Kleingeräte dar, deren geschnitzter Dekor bei aller Mannigfaltigkeit das gemeinsame Gepräge ursprünglicher Schmuck- und Darstellungsfreude trägt. Mangelbretter, Waschhölzer, Wickelpflocks, Strumpfleisten, Behälter und Kästen von verschiedenster Art und Zweckbestimmung bilden einen köstlichen Schatz volkstümlicher Formenphantasie, in dem sich Uberlieferung mit persönlicher Neuschöpfung oft eigenartig verbindet. Als Ersatz für ein Stubeninterieur, das sich im Mezzanin nicht einbauen läßt, sind in einer Art Schaufenster verschiedenartige Dinge vereinigt, die auch im Leben lebendige Gesellschaft hielten, so daß ihr Zusammenklang wenigstens angedeutet ist: hölzernes Paneel, Wandfliesen, Beiderwand, Frauentrachten von Föhr, Messinggerät, Keramik u. a. m. Es schließt sich ein gangartiger Raum an, dessen Vitrinen Proben jener Dinge zeigen, die zum großen Teil nicht im Lande selbst entstanden, sondern von außen hereingetragen sind, und zum Gesamtbild des häuslichen Inventars eine besondere Note hinzufügen: das nautische Gerät der Seeleute und ihre Mitbringsel aus fremden Ländern, ferner buntbemalte Spanschachteln, wie sie über die Märkte meist aus Thüringen ins Land kamen. 28
Schlickermalerei von einer irdenen Schüssel aus der Probstei, 1770
Aus J . Laß, Snmmelung einiger Husumischer Nachrichten, Flensburg (C. F. Holwein) 1750
Die Volkskunst der holsteinischen Landschaften ist weit stärker durch die Stilentwicklung des 18. Jahrhunderts bestimmt. Zumal die Holzarbeiten der rechtselbischen Marschen nehmen Formen auf, wie sie das hochentwickelte Tischlerhandwerk Hamburgs bei großen Schränken zu Beginn des Jahrhunderts bevorzugte. Ein vollständiges Stubeninterieur aus der Krempermarsch (Abb. 40) repräsentiert die Kunst der ländlichen Schnitzer um 1750, außerdem aber die noble Wohnkultur eines Marschenbauern dieser Zeit. Stuben dieser Art mit Eichengetäfel und Wandfliesen als Wandbekleidung gehören zu den eindrucksvollsten volkstümlichen Wohngelassen schon wegen ihrer räumlichen Klarheit. Diese ergibt sich daraus, daß alle Kastenmöbel gewissermaßen hinter die Wand verlegt sind, so daß der Raum leer erscheint. Insgesamt sind fünf vollständige Ofenstuben ausgestellt, außer der genannten eine von 1800 aus Süderdithmarschen, eine aus dem späten 18. Jahrhundert aus Kellinghusen und zwei aus der Probstei bei Kiel, eine von ca. 1750, die andere vom Ende des 18. Jahrhunderts. Ein Vergleich der Räume, die eine Art von Gesamtkunstwerk darstellen, verdeutlicht die für jede der Landschaften bezeichnenden Züge.
29
Gemeinsam ist den holsteinischen Volkskunst-Landschaften die Vorliebe f ü r gestickte Stuhlkissen, im Gegensatz zu den geknüpften Nordfrieslands. Das Museum besitzt eine stattliche Sammlung auch solcher Stücke. Auch in dem gestickten Blumendekor zeigt sich die beherrschende Rolle des Hochbarocks. Die stufenweise Vereinfachung der in Farben u n d Formen differenzierten Vorbilder zu kontrastreichen, strengformigen Volkskunstwerken zeigt den f ü r alle Volkskunst so bedeutsamen Umformungsprozeß mit großartiger Deutlichkeit. Der Probstei entstammt daneben die köstlichste Bauernkeramik, die das Land hervorgebracht hat. A m schönsten sind die Teller des 18. Jahrhunderts mit figürlichen Darstellungen (Abb. 46) u n d Blütenmotiven. Meist jünger, aber nicht weniger monumental sind die stämmigen Töpfe f ü r die Erntesuppe. Insgesamt m u ß die Ausstellung der Volkskunst-Sammlung auf knappe Proben beschränkt bleiben, große Bestände, so das bäuerliche Silber aus Holstein, können n u r vorübergehend gezeigt werden. Leider ließen sich auch nicht alle Stubeneinrichtungen wieder aufbauen, die das einstige Kieler Museumshaus aufgenommen hatte. Was oben als die „Folge der praktischen Arbeiten" bezeichnet wurde, wird den dritten T r a k t der Ausstellungsräume des Landesmuseums erfüllen. E r wird in einem der Nebengebäude, einem ehemaligen Pferdestall, eingerichtet werden. Sein Gegenstand ist das einfache Gerät der bäuerlichen, der handwerklichen u n d der hauswirtschaftlichen Arbeit des Alltags, wie es bis zur Technisierung u n d Industriealisierung des Lebens in traditionellem Gebrauch war. Die Sammlung solcher Dinge ist seit 1953 zusammengebracht worden, vornehmlich im Zusammenhang mit dem wissenschaftlichen Unternehmen der „Volkskundlichen Landesaufnahme". Diese hat das Landesmuseum in Gang gebracht, u m rings im Lande die überlieferten Praktiken auf allen Gebieten des volkstümlichen Lebens dokumentarisch festzuhalten. Die Sicherung der von modernen Medianismen verdrängten u n d v o m Untergang bedrohten Geräte ist n u r eine Seite dieser Arbeit, die anderen bestehen in der Herstellung von schriftlichen u n d zeichnerischen Notizen aller Art, von Aufmessungen u n d Photographien, Filmen und Tonbändern. Es ist so ein Archiv entstanden, das zum Bestand der Sachgüter den notwendigen Kommentar liefert. Das Arbeitsgerät alter A r t weist bei weitem nicht so ausgeprägte landschaftliche Unterschiede auf wie das schmuckhafte Dinggut künstlerischen Gepräges, oder die landschaftlichen Unterschiede sind doch von anderer A r t ; sie beruhen auf Verschiedenartigkeit des Ackerbodens oder der Wirtschaftsformen. Eine sinnvolle O r d n u n g ist in erster Linie an den Arbeitsvorgang selbst gebunden, muß daher technologisch sein. Die bestimmenden Einheiten heißen also: Verlauf eines bestimmten Vorgangs, (wie z. B. Herstellung von Faßreifen), Bearbeitung eines bestimmten Stoffes (wie z. B. Zinnguß) oder Ausstattung einer bestimmten Werkstatt (z. B. eines Uhrmachers) oder Produkte eines bestimmten Handwerks. Der Werkprozeß wird stets im Vordergrund stehen, be30
DIE VOLKSKUNDLICHE SAMMLUNG
Breitopf für die Wöchnerin, „Möschenpott", 1787. Irdenware. östliches Holstein (Probstei?). Höhe: 24 cm
31
sonders auch bei den bäuerlichen Arbeiten, z. B. Feldarbeit vom Düngen und Pflügen bis zur Ernte, und bei den hausfraulichen Arbeiten, z. B. Textilherstellung von der Ernte des Flachses bis zum Weben des Leinens. Dem so bestimmten technologischen Gesichtspunkt gesellen sich aber gleich auch andere bei, so regionale Unterschiede, die nicht natürlich, sondern historisch begründet sind, oder der Gesichtspunkt der historischen Entwicklung selbst, so daß also immer auch die Ordnungsmotive anklingen, die in den anderen beiden Abteilungen vorherrschen. Im Frühjahr 1963 zeigte das Landesmuseum erstmals eine Probe der bis dahin zusammengebrachten Bestände in einer Sonderausstellung unter dem Titel „Handwerk, Haus und H o f " . Die darin - pars pro toto - gezeigten Geräte waren unter folgenden Stichworten gruppiert: Bäuerliche Arbeiten: Feldbestellung, Ernte, Dreschen, Kornreinigung, Messen, Wägen, Mahlen, Bohnensortieren, Wettern- und Grabenreinigung, Soden-, Plaggen- und Mergelgewinnung, Torfgewinnung, Bienenzucht, Fischfang, Hausschladiterei, Viehhaltung; handwerkliche Arbeiten: Bandreißerei, Reepschlägerei, Binsenflechterei, Reetdachdeckerei, Schuhmacherei, Uhrmacherei, holzverarbeitende Handwerke; hausfrauliche Arbeiten: Flachsbearbeitung, Wollbearbeitung, Spinnen, Weben, H e r stellung von Litzen und Bändern, Näharbeit, Waschen, Mangeln, Plätten, Milchwirtschaft, Kochen, Backen. Diese Stichworte, zu denen noch einige weitere wie „Feuerlöschgerät" hinzukommen, mögen die Reichweite des Sachgebiets andeuten. Zu ergänzen ist noch das weite Gebiet des Fahrens und Transportierens, das in einer Sammlung von Schleifen, Karren, Wagen, Schlitten und Fahrrädern anschaulich wird. Als letztes Glied technischer Entwicklung gilt das erste industriell fabrizierte Gerät seiner A r t in einem bestimmten Bereich. Die weitere technische Vervollkommnung bis heute bleibt unberücksichtigt, weil sie von ganz anderen als den in der Landschaft selbst faßbaren Faktoren abhängt. Einige Geräte erlebten eine an Varianten besonders reiche Entwicklungsphase unmittelbar vor ihrer Verdrängung durch Industrieprodukte; solche vorindustriellen, schon halbwegs maschinenartigen Geräte, oft sehr persönliche Basteleien, verdienen besonderes Interesse. Beim Aufbau dieser Abteilung wird großer Wert darauf gelegt, vollständige „Sätze" zu erhalten, und zwar mit allen erreichbaren Erläuterungen über Herkunft, Hersteller, Benennung, Gebrauch, Beurteilung usw.; zum bloßen Gegenstand gehört im Sinne volkskundlicher Erhebung das ganze Fluidum des gelebten Lebens eines Hauswesens, einer sozialen Gruppe oder auch eines Individuums. Erst in dieser ganzheitlichen Sicht, die sich schwerlich mit musealen Mitteln allein demonstrieren läßt, erfüllt sich der Sinn der Sammlung. Geht man allen Umständen und Bedingungen nach, so ist es oft erstaunlich, in welchem Maße ein schlichtes Gerät Auskunft gibt über den Geist und die Praxis der Lebensbewältigung. Soweit dem Verfasser bekannt ist, wird eine solche Sammlung mit dieser besonderen Zielsetzung sonst von keinem deutschen Museum betrieben. 32
Melchior Lorck (ca. 1 5 2 6 - nach 1 5 8 3 ) , Türkischer Reiter, Hollschnitt aus „Wolgerissene und geschnittene Figuren", Hamburg 1626
33
Einige Spezialsammlungen, die nicht ständig ausgestellt werden können, erganzen die drei „Folgen". Als besonderes Thema ist einem geschichtlich orientierten Museum seit Beginn des Museumswesens überhaupt das historische Porträt gestellt. Das Landesmuseum hat es seit Jahrzehnten unter seine Sammelaufgaben aufgenommen und einen Bestand von einigen hundert gemalten, plastischen, gezeichneten und graphischen Porträts von Persönlichkeiten aus allen Gebieten der Landesgeschichte vereinigt. Die hier abgebildeten Porträts des HERZOGS ADOLF VON H O L S T E I N - G O T T O R F von 1 5 8 6 (Abb. 24), des dänischen KÖNIGS CHRISTIAN I V . von der Hand P E T E R ISAACSZ' (Abb. 2j) stehen zeitlich am Anfang und müssen hier die ganze Sammlung vertreten. Einen Bestand solcher Bilddokumente von repräsentativer Bedeutung, von künstlerischem Gewicht und vor allem von einer gewissen Abrundung zu erreichen, ist mittlerweile sehr schwer geworden. Indessen sind sowohl das Herzogshaus wie das dänische Königshaus als Landesherren schon recht stattlich vertreten, ebenso das die Feudalkultur namentlich des 18. Jahrhunderts vertretende Adelsporträt. Auch aus der bürgerlichen Welt des 19. Jahrhunderts können künstlerisch beachtenswerte und die ganze Sphäre repräsentierende Bilder vorgeführt werden. Einige geschlossen überkommene Porträtgruppen wurden in die Sammlung aufgenommen, so der Rest des Bestandes aus dem einstigen Kieler Schloß und eine Bildergruppe aus dem einstigen Gottorfer Amtshaus. Der Bestand der graphischen und gezeichneten Porträts gehört gleichzeitig der graphischen Sammlung des Landesmuseums an. Diese umfaßt einige tausend sehr verschiedenartige Blätter, die insgesamt die Kulturgeschichte des Landes illustrieren. Es rechnen dazu Ansichten der Ortschaften, Landkarten und Pläne, Szenen aus der Geschichte, Volkstrachten- und Uniformblätter, Karikaturen und mancherlei Art von „Gebrauchsgraphik". Damit sind gemeint: Gesellenbriefe, Diplome, Adressen, Anschlagzettel, Plakate, Glückwünsche, Bindebriefe usw., ferner Bilderbogen, dann Kartenspiele, auch Spiele anderer Art. Bilddokumente zu bestimmten Themen wurden mit besonderer Aufmerksamkeit gesammelt, so z. B. Darstellungen vom Walfang, jenem verwegenen Gewerbe, dem die nordfriesischen Inseln drei Jahrhunderte lang ihren Wohlstand verdankten, ferner Darstellungen aus dem schleswig-holsteinischen Volksleben, also Dokumente von überwiegend volkskundlichem Interesse. Dies Thema bleibt in der Sammlung des Landesmuseums übrigens nicht auf graphische Blätter beschränkt, sondern präsentiert sich zudem in einer Reihe von Gemälden (Abb. 48). Für die Volkskunde des Landes wichtig ist ferner ein beträchtlicher Bestand von Aufmessungen alter Bauernhäuser. Schließlich ist zu erwähnen, daß der gesamte zeichnerische Nachlaß des Architekten H E I N RICH MOLDENSCHARDT ( 1 8 3 9 - 1 8 9 2 ) , dessen Neubauten in der Gründerzeit der Stadt Kiel ein besonderes Gepräge gaben, in der graphischen Sammlung bewahrt wird. Längst auch hat die frühe Photographie, gerechnet mindestens bis zum Beginn des ersten Weltkriegs, eine Bedeutung gewonnen, die dazu nötigt, sie in die 34
BESONDERE SAMMLUNGEN
Sammelarbeit einzubeziehen. Der Anfang, der mit dem besonderen Ziel einer „Bilderchronik" zur Kulturgeschichte des Landes von 1864 bis 1914 gemacht wurde, war so ergiebig, daß künftig mit breiterem Gesichtswinkel gesammelt werden kann. Von hier aus ist wiederum der Übergang zu einem weiteren Sammlungskomplex des Landesmuseums gegeben, zum wissenschaftlichen Archiv, das Aufzeichnungen verschiedenster Art, Dokumente und Ausarbeitungen, Protokolle und Notizen, auch schriftliche Nachlässe aufnimmt, dazu photographische Dokumente und Skizzen. Das Archiv bewahrt das für die kritische Bearbeitung der Sammlung erforderliche Vergleichsmaterial und liefert Stoff für wissenschaftliche Arbeiten.
Christiaa R o h l f s ( 1 8 4 5 - 1 9 3 8 ) , Holsteinisches Bauernhaus, Holzschnitt
35
LITERATURAUSWAHL
Heinrich Dose, Katalog der schleswig-holsteinischen Holzschnitzwerke und Intarsien im Thaulowmuseum zu Kiel, 1884. Adelbert Matthaei, Verzeichnis der aus der Zeit bis 1530 im Thaulow-Museum in Kiel vorhandenen Werke der Holzplastik und des Kunstgewerbes = 3. Teil von: Zur Kenntnis der mittelalterlichen Schnitzaltäre Schleswig-Holsteins, Leipzig 1898 (darin S. 151-202). Gustav Brandt, Führer durch die Sammlungen des Thaulow-Museums in Kiel, 1911. Ernst Sauermann (Herausg.), Schleswig-Holsteinisches Jahrbuch 1928/29: Das ThaulowMuseum in Kiel, Hamburg 1928. Ernst Schlee (Herausg.), Kunst in Schleswig-Holstein, Jahrbuch des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums I (1960) ff. - Darin insbesondere: Schlee: Zum Neuaufbau des Landesmuseums in Schloß Gottorf (I, S. 150-163) und in jedem der ersten 11 Bände fortlaufende Berichte „Aus der Arbeit des Landesmuseums"; ferner: Ein Gang durch die Kapelle des Schlosses Gottorf (II, S. 151-162, auch als Sonderdruck erschienen). Ernst Schlee, Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, kurzer Führer mit 20 Abb., Flensburg (1958). Arnold Lühning, Die volkskundliche Landesaufnahme des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums, in: Beiträge zur deutschen Volks- und Altertumskunde VII (1963),
36
1. Schloß G o t t o r f , Südfassade von 1702
37
2. Sog. Königshalle, ca. 1530, Blick nach O s t e n , d a r i n mittelalterliche S a m m l u n g
38
3. Kreuzrippengewölbe des späten 16. J a h r h u n d e r t s im Blauen Saal mit S t u k k a t u r e n von ca. 1640/50
39
4. I n n e r e s des F ü r s t e n s t u h l s in der Schloßkapelle, v o n A n d r e a s Salgen u n d J ü r g e n G o w e r , 1 6 0 9 - 1 6 1 3
5. Schloßkapelle, Blick nach N o r d e n . Ü b e r d e m A l t a r der F ü r s t e n s t u h l . Kanzel v o n H e i n r i c h K r e m b e r g , 1592 40
7. Die heilige Anna aus dem Altarschrein des ehem. Goschhofs in Eckernförde, ca. 1520. Eichenholz. Bemalung des 17. J a h r h u n d e r t s
6. Maria von der Kreuzgruppe aus Kosel/Kreis Eckernförde, Eichenholz, Fassung zerstört, Ende des 13. J a h r h u n d e r t s 43
8. Gefangennahme Christi aus dem Altarschrein von Landkirchen/Fehmarn ca. 1370/80. Eichenholz mit alter Fassung. H ö h e der Figuren: 55,5 cm
9. Betende Königstochter von einer St. Georg-Gruppe, vermutlich aus Nübel/Kreis Schleswig, u m 1480. Eichenholz. Fassung zerstört. H ö h e 66 cm 45
I I a . Kelch aus dem Schleswigschen, u m 1500. Silber vergoldet. H ö h e : 19 cm
I I b . Kelch derGottorferSchloßkapelle, 1617. Silber vergoldet, H ö h e : 22,7 cm 47
48
13. Leinentuch mit Stickerei, aus dem Kloster Preetz/Holstein, 14. J a h r h u n d e r t . Ausschnitt. H ö h e des G r e i f e n : 44 cm 49
_ .
, - „
MM
14 a. T r u h e m i t F a l t w e r k f ü l l u n g e n aus A n g e l n , 16. J a h r h u n d e r t . Eichcnholz. H ö h e : 65 cm 14 b. T r u h e m i t D a r s t e l l u n g e n aus d e r Geschichte Simsons v o n Ciriacus D i r k s , u m 1580. E c k e r n f ö r d e . Eichenholz. H ö h e : 81 cm
15. G e b u r t Christi, Relief aus der Kirche N i e n s t e d t e n bei H a m b u r g u m 1600. H a m b u r g e r M u s t e r . Eichenholz 76,3 x 59,7 c m 50
B B—
-
-
-
-
in-WMiiaaiB
16. Wandschrank, sog. „Schenkschiewe", aus Angeln, ca. 1540/50. Eichenholz. H ö h e : 219 cm 52
17. Schrank aus dem Kreis Rendsburg, um 1600. Holland. Höhe: 200 cm 53
18. I n t a r s i e n v o n der Decke des Betstuhls in der Schloßkapelle, 1 6 0 9 - 1 3 54
19. „Bettelbrett" zum Almosensammeln, von H a n s Gudewerdt d. J., Eckernförde, ca. 1640. Eichenholz. Länge: 36 cm 55
20. T r u h e aus B u n s o h / S ü d e r d i t h m a r s c h e n mit Szenen aus der Weihnachtsgeschichte, ca. 1650, von J o h a n n e s H e n n i n g (?), Heide. Eichenholz m i t R e s t e n b u n t e r B e m a l u n g . H ö h e : 100 c m 56
21. Steinerner Tisch mit ausgegründetem O r n a m e n t , Mitte des 17. Jahrhunderts, Schweden. H ö h e : 93 cm
57
23. W o h n r a u m aus einem Lübecker P a t r i z i e r h a u s , 1644, m i t Schnitzereien v o n H i n r i c h Sextra II. Eichenholz
A DO! i . V O W - GOT I K~r nny. r n » E : ?•/• 'NOR-wkg> N s ì t i g «ìql «TEI\ - l'nB MAB. VND DER. DM MARSH» V C.RAV« 4./ t»l Dì Mv/R( h y.v) 0QXIM - tRSIjg, .4:1 AUS 9VA. f>Ü ACC (. -»RIST ! . .
24. U n b e k a n n t e r Meister. Portrait Herzog Adolf von Schleswig-Holstein-Gottorf (1526-1586), 1586. ö l auf Leinwand. 123,2 x 93 cm. Leihgabe des Museums f ü r Hamburgische Geschichte
60
25. Peter Isaaks (geb. 1569). Portrait König Christian IV von Dänemark (1577-1648), u m 1620. ö l auf Leinwand. 138 x 107,5 cm
Magnat
Sil ¡ H g H p ^ M f F I »
26. T r i n k k a n n e des Heinrich Rantzau (1526-1598) mit seinem Porträt, bestimmt f ü r seine Tochter, 1582, Beschau der Stadt Krempe. H ö h e : 31,8 cm Leihgabe aus Privatbesitz 62
27. M i t t e l f e l d vom Obergeschoß des A l t a r s in der Schloßkapelle, Treibarbeit in Silber von H e r m a n n Lambrecht, H a m b u r g , 1666. H ö h e des Bildfeldes: 47 cm 63
28. J ü r g e n O v e n s ( 1 6 2 3 - 1 6 7 8 ) , K i n d m i t O r a n g e n ö l auf H o l z . 32,5 x 25,5 c m
29. A u s s c h n i t t aus e i n e m S e i d e n s t o f f , persisch, 17. J a h r h u n d e r t . H ö h e des B l a t t e s : 22 c m 64
30. Willkomm der Glückstädter Schuhmachergesellen, 1659, Silber, Meister H a n s Keiner (?), Glückstadt, H ö h e : 49,2 cm
3 1 a . Deckelterrine, Silber z. T . vergoldet, u m 1700, H a m b u r g , Meister Albrecht Behrend Fürst, Durchmesser: 22,7 cm
3 1 b . T a u f k a n n e , Silber vergoldet, 1706, Meister G e r h a r d Weghorst, K o p e n h a g e n . H ö h e : 23,5 cm 67
32 a. Terrinendeckel, F a y e n c e , E c k e r n f ö r d e r M a n u f a k t u r . S i g n a t u r : O t t e / E c k e r n f ö r d e r / B u c h w a l d D i r e c t e u r / A . L e i h a m e r 1768. Durchmesser 30,5 c m
32 b. T e r r i n e , F a y e n c e , bemalt in Scharffeuerfarben, 1 7 6 3 - 6 8 , Kieler M a n u f a k t u r . Signatur K / T / C ( = Kiel/Tännich D i r e k t o r / C h r i s t o p h e r s e n Maler). G r ö ß t e L ä n g e : 43 c m
33. Teetischplatte, Fayence, in Mangan b e m a l t , E c k e r n f ö r d e r M a n u f a k t u r , 1767. Signiert O / E / B ' L . 50,7 x 67 cm
69
34. Gläserne D e c k e l p o k a l e m i t F l a c h s c h n i t t d e k o r a) m i t M o n o g r a m m Friedrichs V. v o n D ä n e m a r k (1723-1766). H ö h e : 41 c m H e r g e s t e l l t z u r H o c h z e i t des W i l h e l m v o n S a c h s e n - G o t h a m i t A n n a v o n S c h l e s w i g - H o l s t e i n - G o t t o r f , 1742 b) m i t den W a p p e n von Schleswig-Holstein u n d Sachsen-Gotha. P o t s d a m . H ö h e : 41,5 cm 70
35. Aufbauschrank mit Spiegel im Oberteil u n d geschnitztem vergoldeten O r n a m e n t , um 1750. Eichenholz fourniert, H ö h e : 272 cm 71
36. Ludwig Strack ( 1 7 6 1 - 1 8 3 6 ) , Aufstieg zum Aetna, ö l auf Leinwand. 74 x 101 c m
37. Asmus J a c o b Carstens ( 1 7 5 4 - 1 7 9 8 ) , Sokrates im K o r b e , u m 1790, Bleistift und Bister, weiß gehöht. 23,8 x 13,4 c m 72
38. W o h n r a u m mit Empire-Mobiliar. Papiertape in Vierfarbendruck aus dem Atelier D u f o u r u n d Leroy. Paris, u m 1825, mit Szenen aus dem R o m a n „Telemach"
39. Galionsfigur des dänischen Linienschiffs „Christian V I I I . " Spolie aus der Schlacht von Eckernförde am 5. April 1849. H ö h e : 295 cm 74
40. Bäuerliche W o h n s t u b e aus der K r e m p e r m a r s c h (an der E l b m ü n d u n g ) , m i t Eichenholzget'afel, 1750
76
ffi^
:T ~ \ \
I) K I . A
AT
• / 'A '< anA< rt O « l ' A cll'inaS'
41. Fliesenbild aus einem Seefahrerhaus auf der Hallig Hooge, 1750. Holland. 52 x 65 cm
77
42. S t u b e n t ü r aus einem H a u s auf der Insel Föhr, bunt bemalt, 2. H ä l f t e des 18. J a h r h u n d e r t s
78
43. Eckschrank („Hörnschapp") aus der Wilstermarsch, 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Fichtenholz. Höhe: 153 cm
45 a. Koffertruhe aus der Probstei bei Kiel, 1797. Eichenholz mit Intarsien. H ö h e : 88,5 cm 45 b. T r u h e aus Süderdithmarschen, geschnitzt und bunt bemalt, 1757. Eichenholz. H ö h e : 62 cm
44. Eintüriger Schrank von der Insel Föhr mit farbig bemalter Schnitzerei, 1778. Eichenholz. H ö h e : 153 cm
46. I r d e n e r Teller aus der P r o b s t e i bei Kiel, 1767. D u r c h m e s s e r 34,5 cm
47. B e i d e r w a n d s t o f f v o n der Schleswigschen W e s t k ü s t e m i t Szenen aus „ P y r a m u s u n d T h i s b e " , 18. J a h r h u n d e r t . Leinen u n d Wolle, weiß u n d g r ü n
48. J a k o b G e n s l e r (1808- 1 8 4 5 ) , N e t z f l i c k e n d e r Fischer in R e t k u h l / östliches H o l s t e i n , 1834. ö l auf H o l z . 45 x 35 c m
84