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German Pages 538 Year 1992
FRANK ZIESCHANG
Das Sanktionensystem in der Reform des französischen Strafrechts im Vergleich mit dem deutschen Strafrecht
Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von Hans Joachim Hirsch, Günter Kohlmann Michael Walter, Thomas Weigend Professoren an der Universität zu Köln
Band 6
Das Sanktionensystem in der Reform des französischen Strafrechts im Vergleich mit dem deutschen Strafrecht
Von Dr. Frank Zieschang
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Zieschang, Frank:
Das Sanktionen system in der Reform des französischen Strafrechts im Vergleich mit dem deutschen Strafrecht / von Frank Zieschang. - Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften; Bd. 6) Zug!.: Köln, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07478-5 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 3-428-07478-5
Meinen Eltern
Vorwort Die Abhandlung hat im Wintersemester 1991/92 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation vorgelegen. Für die Drucklegung konnten Rechtsprechung und Schrifttum bis Dezember 1991 berücksichtigt werden. Herzlich danken möchte ich meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Hans Joachim Hirsch (Universität zu Köln), der mich bei der Bearbeitung des Themas stets gefördert hat. Mein Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Heinrich Jescheck (Freiburg i. Br.), der bei der konkreten Themenauswahl mitgewirkt hat und ebenfalls den Verlauf der Untersuchung aufmerksam verfolgt hat. Das Buch ist meinen Eltern gewidmet, die mit ihrem Verständnis und Interesse einen wertvollen Beitrag zum Gelingen der Abhandlung geleistet haben. Köln, im März 1992
Frank Zieschang
Inhalt EiDleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
1. Kapitel: Die gegenwärtige Ausgestaltung des französischen Sanktionensystems und die zu dieser Ausgestaltung durchgef'ührten Reformen seit dem Zweiten Weltkrieg . .
25
1. Abschnitt: Die kriminalpolitischen Tendenzen in der französischen Strafrechtslehre nach dem Zweiten Weltkrieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
26
A. Die Neue Sozialverteidigung (La defense sociale nouvelle) . . . . . . . . . . . . . .
26
I. Abgrenzung zu anderen Auffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
1. Die "neue" Sozialverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
2. Unterschiede zur neoklassischen Strafrechtslehre und zur positivistischen Schule. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
ß. Einzelaspekte der neuen Sozialverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
1. Persönlichkeitsuntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
2. Sanktionensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
ill. Das Mindestprogramm aus dem Jahr 1954 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
N. Die Ergänzung des Mindestprogramms aus dem Jahr 1984 . . . . . . . . . . . .
34
B. Die gegenwärtige neoklassische Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
I. Abgrenzung zu einem rein resozialisierend aufgebauten Strafrecht . . . . . . .
38
ß. Abgrenzung zur neoklassischen Strafrechtslehre des 19. Iahrhunderts .....
39
Gegenüberstellung der neuen Sozialverteidigung und der gegenwärtigen neoklassischen Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
D. Jüngere kriminalpolitische Tendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
I. Repressivere Strömungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
ß. Abolitionistische Auffassungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
c.
1. Die Ansicht von Hulsman .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
2. Die Stellung der neuen ~ozialverteidigung zu dieser Tendenz . . . . . . . .
43
2. Abschnitt: Überblick über die seit Ende des Zweiten Weltkriegs durchgefiihrten wichtigsten Reformen des Sanktionensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
A. Die Situation nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs . . . . . . . . . . . . . . . .
45
B. Reformen in den vierziger und fiinlZiger lahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
C. Reformen seit 1970 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
10
Inhalt
3. Abschnitt: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem und die zu seiner jetzigen Ausgestaltung erfolgten Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
A. Die vom französischen Gesetzgeber als Strafe bezeichneten Sanktionen . . . . . .
51
I. Die Unterteilung in Haupt-, Zusatz- und Nebenstrafen . . . . . . . . . . . . . .
51
D. Die Hauptstrafen und die daran anknüpfende Dreiteilung der Straftaten . . . .
52
1. Art der Androhung der Hauptstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
2. Haupstrafen im Verbrechensbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
a) Die Zuchthausstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
b) Die Festungshaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
c) Die Verbannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
d) Die Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte . . . . . . . . . . . . . . . .
55
e) Die Reformentwicldung der Hauptstrafen im Verbrechensbereich . . . .
56
aa) Das Regierungsgesetzvom 4.6.1960 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
bb) DBS Gesetz vom 9.10.1981 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
3. Hauptstrafen im Vergehensbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
a) Die Gefängnisstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
b) Die Geldstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
Ba) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
bb) Artikel 41 C.p.
64
cc) Artikel 55 C.p.
66
c) Die durch Gesetze vom 11.7.1975 und 10.6.1983 eingeführten Surrogate aa) Die Surrogate des Gesetzes vom 11.7.1975 . . . . . . . . . . . . . .. (1) Artikel 43-1 C.p.
66 67 67
(2) Artikel 43-2 C.p.
68
(3) Artikel 43-3 C.p.
70
(4) Artikel 43-4 C.p.
72
(5) Ergänzende Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
bb) Die Surrogate des Gesetzes vom 10.6.1983 . . . . . . . . . . . . . . .
74
(1) Die gemeinnützige Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
(1.1) Anwendungsvoraussetzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
(2.2) Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
(2) Die Geldstrafe nach dem Tagessatzsystem . . . . . . . . . . . . .
78
(1.1) Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
(2.2) Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
ce) Die Aufnahme der Surrogate in der Strafrechtswissenschaft . . . . .
81
Inhalt
m.
11
(I) Die Surrogate des Gesetzes vom 11.7.1975
81
(2) Die Surrogate des Gesetzes vom 10.6.1983
84
(l.I) Die gemeinnützige Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
(2.2) Die Geldstrafe nach dem Tagessatzsystem . . . . . . . . .
87
d) Angaben zur Anwendung der einzelnen Hauptstrafen im Vergehensbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
e) Grunde für die geringe Anwendung der Surrogate . . . . . . . . . . . . .
93
4. Hauptstrafen im Übertretungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
b) Die Reformentwicldung im Übertretungsbereich . . . . . . . . . . . . . .
97
c) Die verfassungsrechtliche Problematik der Freiheitsstrafe bei Übertretungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
5. Annex: Die unterschiedlichen Formen der Freiheitsstrafe und ihr Vollzug.
101
Nebensanktionen (Neben- und Zusatzstrafen) und die dadurch beeinträchtigten Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
102
I. Beeinträchtigung der Körperintegrität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
102
2. Freiheitsentziehende Nebensanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
102
3. FreiheitsbeschränkendeNebensanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
102
a) Untersagung, bestimmte Orte aufLusuchen . . . . . . . . . . . . . . . . .,
103
aa) Die unterschiedliche Ausprägung des Aufenthaltsverbots . . . . . ..
103
bb) Inhaltliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
103
cc) Die Reformentwicldung des Aufenthaltsverbots . . . . . . . . . . . .
104
b) Paß entzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
106
c) Abschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
106
d) Gemeinnützige Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
107
4. Beeinträchtigungen des Vermögens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
108
a) Geldstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
108
aa) Die "gewöhnliche" Geldstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108
bb) Die Geldstrafe nach dem Tagessatzsystem . . . . . . . . . . . . . . .
109
b) Einziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
109
aa) Einziehung des gesamten Vermögens (Generaleinziehung) . . . . ..
109
bb) Einziehung von bestimmten mit der Straftat in Verbindung stehenden Gegenständen (Spezialeinziehung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
11 0
c) Stillegung des Fahrzeugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
111
d) Betriebsschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .,
112
e) Weitere vermögensbeeinträchtigcndeNebensanktionen . . . . . . . . . ..
113
12
Inhalt 5. Rechtsbeeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
113
a) Aberkennung der Geschäftsfiihigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
113
b) Unf8higkeit, Schenkungen oder testamentarische Verfiigungen durchzufiihren oder Geschenke zu emaIten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114
c) Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
114
d) Rechtsbeeinträchtigungengern. Artikel 42 C.p. . . . . . . . . . . . . . ..
115
e) Entzug von bestimmten Rechten in speziellen Bestimmungen. . . . . ..
116
f) Berufsbeeinträchtigende Nebensanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
116
aa) Die unterschiedliche Ausprägung des Berufsverbots . . . . . . . . ..
117
bb) Die Stellung der Strafrechtswissenschaft zu den Berufsverboten ..
117
g) Entzug von verwaltungsrcchtlichen Erlaubnissen . . . . . . . . . . . . . .
118
h) Verbot der Scheckausstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
120
6. Rutbeeinträchtigende Nebensanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
121
a) Aushängen der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
121
b) Veröffentlichung der Entscheidung in Tageszeitungen . . . . . . . . . ..
122
B. Die im französischen Strafrecht vorgesehenen Maßregeln . . . . . . . . . . . . . ..
122
I. Die vom französischen Gesetzgeber formell als Maßregeln anerkannten Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
123
1. Die in dem Regierungsgesetz vom 2.2.1945 vorgesehenen Erziehungsmaßregeln (Jugendstrafrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
123
2. Maßregeln gegenüber Alkoholabhängigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
125
8) Das Gesetz vom 15.4.1954
125
b) Das Gesetz vom 17.7.1970
126
3. Maßregeln gegenüber Drogenabhängigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
126
D. Maßregeln, die formell vom französischen Gesetzgeber als Strafe bezeichnet werden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
128
1. Aufenthaltsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128
2. Paßentzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
129
3. Einziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
130
4. Betriebsschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
131
5. BerufsbeeinträchtigendeNebensanktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
131
6. Entzug des Führerscheins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
133
7. Verbot der Scheckausstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
134
ill. Rechtsnatur der durch Gesetze vom 11.7.1975 und 10.6.1983 geschaffenen
Surrogate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
135
1. Die Surrogate des Gesetzes vom 11.7.1975 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
135
Inhalt
13
2. Die Surrogate des Gesetzes vom 10.6.1983
136
IV. Ergänzende Hinweise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
137
I. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus . . . . . . . . . . . ..
137
2. Die durch Gesetz vom 2.2.1981 abgeschaffie Strafaufsicht . . . . . . . . ..
138
a) Die relegation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
138
b) Die tutelle penale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
140
V. Einspurigkeit oder Zweispurigkeit des französischen Sanktionensystems . . ..
141
c. Die Strafverhängung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . ..
143
I. Ausschluß der Verhängung einer Strafe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
144
I. Strafausschließungsgriinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
144
2. Strafdispens und Aufschub der Straffestsetzung . . . . . . . . . . . . . . . ..
145
a) Strafdispens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
145
b) Aufschub der Straffestsetzullg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
147
3. Die Aufhebung von Verboten und Unfähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . ..
149
a) Aufhebung als Folge der Nichterwäbnung der Verurteilung im Strafregisterauszug Nr. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
149
b) Artikel 55-1 C.p.
151
aa) Ausgestaltung
151
bb) Reformentwicklung und Reichweite der Vorschrift . . . . . . . . . .
152
cc) Das Verhältnis des Artikels 55-1 C.p. zu den Artikeln 43-1 ff. C.p.
155
ß. Milderung des Strafausspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
156
I. Strafmilderungsgriinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
156
2. Strafmilderung bei Mindetjäbrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
156
3. Mildernde Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
156
a) Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
157
aa) Hauptstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
157
bb) Nebensanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
158
b) Reformentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
160
m. Verschärfung der Strafe
.................................
161
D. Die Aussetzung der Strafe .. ; . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162
I. Die einfache Strafaussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
163
1. Anwendungsvoraussetzungen
163
2. Widerruf der Strafaussetzung
165
3. Reformentwicklung ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
166
4. Angaben zur Anwendung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
169
14
Inhalt D. Die Strafaussetzung zur Bewährung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
169
1. Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
170
m.
2. Die Bewährungszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
171
3. Widerruf der Strafaussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
172
4. Reformentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
173
5. Angaben zur Anwendung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
176
Die Strafaussetzung mit der Auflage zu gemeinnütziger Arbeit . . . . . . . . .
177
I. Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
177
2. Das Verhältnis gegenüber der Strafaussetzung zur Bewährung nach den Artikeln 738 ff. C.p.p. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
179
IV. Die bedingte Entlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
181
1. Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
181
2. Die Bewährungszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
183
3. Widerruf der bedingten Entlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
183
4. Reformentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
184
5. Angaben zur Anwendung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
186
V. Die Halbgefangenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
187
I. Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
187
2. Reformentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
187
3. Anwendungshäufigkeitin der Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
188
2. Kapitel: Die im französischen Strafrecht beabsichtigten Reformen des Sanktioneosy....................................................
190
1. Abschnitt: Die Entwürfe zu einer Gessmtreform des Code penal und die Notwendigkeit einer Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
190
A. Die Reformanstrengungen seit den siebziger Jahren. . . . . . . . . . . . . . . . . ..
190
I. Die Entwürfe aus den Jahren 1976 und 1978 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
190
D. Der Entwurf aus dem Jahr 1983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
193
m. Der jüngste Reformentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
194
steins
B. Die in Frankreich bestehende Diskussion über die Notwendigkeit einer Reform
.
198
2. Abschnitt: Das in den Entwürfen für einen neuen Code penal vorgesehene Sanktionensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 A. Der Aufbau der Entwürfe und ihr Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
203
I. Der Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
203
D. Die Wesenszüge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
203
B. Die Unterteilung in Hauptstrafen und Nebenssnktionen . . . . . . . . . . . . . . . .
205
Inhalt
15
C. Die vorgesehenen Hauptstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . '.' . . . . . ..
207
I. Art der Androhung der Hauptstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
207
n. Die Unterteilung in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen . . . . . . . . .
207
m. Hauptstrafen gegenüber natürlichen Personen
................... ,
209
I. Hauptstrafen im Verbrechensbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ,
209
a) Abschaffung der Todesstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
209
b) Freiheitsstrafen im Verbrechensbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
210
aa) Die Diskussion um die Einheitsfreiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . ,
210
bb) Die Dauer der Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
211
c) Die vorgeschlagene Sicherheitsperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
213
d) Abschaffung der Verbannung und Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
217
e) Ersatzstrafen im Verbrechensbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
217
2. Hauptstrafen im Vergehensbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
218
a) Die Gefängnisstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
218
aa) Die Höchstdauer der Gefängnisstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
218
bb) Die Zuruckdrängungder (kurzen) Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . .
220
cc) Aufteilung der Gefängnisstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ,
223
b) Die Geldstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
224
aa) Allgemeines .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .,
224
bb) Die Geldstrafe nach dem Tagessatzsystem . . . . . . . . . . . . . . .
225
c) Ersatzstrafen im Vergehensbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
228
3. Hauptstrafen im Übertretungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
233
IV. Hauptstrafen gegenüber Personengemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . ..
235
1. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Personengemeinschaften . . . ..
236
a) Gegenwärtige Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
236
b) Die Vorschriften in den Reformentwürfen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
237
aa) Die Entwürfe aus den Jahren 1976 und 1978 . . . . . . . . . . . . ..
237
bb) Der Entwurf aus dem Jahr 1983
238
cc) Der Entwurf aus dem Jahr 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
239
2. Die vorgesehenen Hauptstrafen . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . ..
244
D. Die vorgesehenen Nebensanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
247
I. Nebensanktionengegenüber natürlichen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . .
247
1. Das Aufenthaltsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
248
2. Die Geldstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
250
16
Inhalt 3. Die Einziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
250
4. Die Betriebsschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
251
5. Rechtsbeeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
252
a) Die Entwürfe aus den Jahren 1976 bis 1983 . . . . . . . . . . . . . . . . .
252
b) Der Entwurf aus dem Jahr 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
253
6. Das Berufsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
254
7. Sonstige Nebensanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
254
ß. Nebensanktionengegenüber Personengemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . .
256
1. Die Entwürfe aus den Jahren 1976 bis 1983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
256
2. Der Entwurf aus dem Jahr 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
258
E. Hinweise zum Jugendstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
260
I. Die Entwürfe aus den Jahren 1976 bis 1983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
260
ß. Der Entwurf aus dem Jahr 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
262
ID. Der Vorentwurfzu einem neuen Jugendstrafrecht aus dem Jahr 1990 .... .
264
F. Die Behandlung der Fälle der Geisteskrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
266
I. Die Entwürfe aus den Jahren 1976 bis 1983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
266
ß. Der Entwurf aus dem Jahr 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
268
ID. Die 1990 durchgeführte Reform der Gesundheitsordnung . . . . . . . . . . . . .
271
G. Die Strafaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
272
H. Einspurigkeit oder Zweispurigkeit des vorgesehenen Sanktionensystems . . . . . .
272
J. Die Strafverhängung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
275
I. Ausschluß der Verhängung einer Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
277
1. Strafdispens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
278
2. Aufschub der Straffestsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
279
3. Die Aufhebung von Verboten und Untähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . .
282
a) Die Entwürfe aus den Jahren 1976 und 1978 . . . . . . . . . . . . . . . . .
282
aal Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
282
bb) Das Sanktionenvollstreckungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
283
b) Der Entwurf aus dem Jahr 1983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
284
c) Der Entwurf aus dem Jahr 1989
285
ß. Die Abschaffung der mildernden Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
287
ID. Verschärfung der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
290
K. Die Aussetzung der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
291
I. Die einfache Strafaussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
291
Inhalt
17
I. Der Entwurf aus dem Jahr 1976
291
2. Der Entwurf aus dem Jahr 1978
292
3. Der Entwurf aus dem Jahr 1983
293
4. Der Entwurf aus dem Jahr 1989
294
D. Die Strafaussetzung zur Bewährung
297
1. Die im Entwurf aus dem Jahr 1976 vorgesehene Probation . . . . . . . . ..
297
2. Das in den Entwürfen ab 1978 vorgesehene System der Strafaussetzung zur Bewährung ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
299
m. Die Strafaussetzung mit der Auflage zu gemeinnütziger Arbeit . . . . . . . . .
302
IV. Die bedingte Entlassung
303
V. Die Halbgefangenschaft
305
L. Zusammenfassende Übersicht zum (vorläufigen) Ergebnis der Reform . . . . . . .
306
3. Kapitel: Vergleich des deutschen mit dem gegenwärtigen und zukünftigen französischen Sanktionensystem sowie Wertung der Systeme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
310
A. Die Unterteilung in verschiedene Formen von Reaktionen. . . . . . . . . . . . . ..
310
B. Die vorgesehenen Hauptstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
314
I. Art der Androhung der Haupstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
314
1. Alternative oder kumulative Verhängung von Gefängnis- und Geldstrafe .
314
2. Die Weite der Strafrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
318
a) Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
319
b) Strafrechtliche Gesichtspunkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
321
aa) Auffassung des Schrifttums. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
321
bb) Stellungnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
321
D. Die Unterteilung der Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
323
I. Anknüpfungspunkt fiir die Unterteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
323
2. Dichotomie oder Trichotomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
324
a) Deutsche Rechtslage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
324
b) Rechtslage in Frankreich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
327
c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
330
3. Die zeitliche Grenze zwiSchen Verbrechen und Vergehen. . . . . . . . . ..
334
m. Die Hauptstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
336
1. Die Todesstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
336
2. Die Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
337
a) Die Einheitsfreiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
337
2 Zieschang
18
Inhalt b) Die lebenslange Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
340
aa) Auffassungen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
341
bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
343
c) Die Höchstdauer der zeitigen Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . .
346
3. Die im französischen Strafrecht bestehende Sicherheitsperiode . . . . . . . .
349
a) Obligatorische Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
349
b) Fakultative Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
350
4. Die Verbannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
351
5. Ersatzstrafen im Verbrechensbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
351
6. Hauptstrafen im Vergehensbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
353
a) Die Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
353
aa) Die kurze Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
353
(1) Der ultima ratio Gedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
354
(2) Der short sharp shock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
356
(1.1) Auffassungen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . .
356
(2.2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
358
bb) Der ratenweise Vollzug der Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . .
358
b) Die Geldstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
359
aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
359
bb) Klassisches Geldsummensystem oder Tagessatzsystem . . . . . . . .
360
cc) Ersatzfreiheitsstrafe und gemeinnützige Arbeit . . . . . . . . . . . . .
362
(1) Die gemeinnützige Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
363
(1.1) Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
363
(2.2) Der Umrechnungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
365
(2) Die Ersatzfreiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
367
c) Ersatzstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
370
aa) Die gemeinnützige Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
371
(1) Auffassungen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
371
(2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
373
bb) Weitere Surrogate
375
7. Hauptstrafen im Übertretungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
379
C. Die Strafbarkeit juristischer Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
381
I. Auffassungen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
382
ß. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
383
Inhalt
19
1. Handlungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
383
2. Schuldtihigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
385
3. § 30 OWiG .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
386
D. Nebensanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
387
I. Das Aufenthaltsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
388
11. VennögensbeeinträchtigendeSanktionen, insbesondere die Einziehung ....
390
................................
394
IV. Berufsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
398
V. Fahrverbot und Führerscheinentzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
399
m. Rechtsbeeinträchtigungen
I. Fahrverbot als Nebenstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
399
2. Die Entziehung der Fahrerlaubnis als Maßregel . . . . . . . . . . . . . . . ..
402
VI. Verbot der Scheckausstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
403
VII. Bekanntgabe der Verurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
404
E. Jugendstrafrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
406
F. Maßregeln der Besserung und Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
407
I. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus . . . . . . . . . . ..
408
11. Die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt . . . . . . . . . . . ..
409
I. Gegenwärtige Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
409
2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
411
m. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
...................
413
IV. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. . . . . . . . . . . . . . . . ..
416
I. Die Frage nach Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
417
a) Die unbestimmte Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . .' . . . . . . . . . . . ..
417
b) Rückfallverschärfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
417
c) Die Lebensfiihrungsschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
420
2. "Etikettenschwindel" ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
421
3. Vikariierungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. ..
422
V. Die Führungsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
423
1. Ausgestaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
423
2. Auffassungen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
424
3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
426
VI. Einspurigkeit oder Zweispurigkeit des Sanktionensystems . . . . . . . . . . . .
429
G. Die StralZumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
430
H. Strafdispens und Aufschub der Straffestsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
433
I. Strafdispens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
433
Inhalt
20
1. § 60 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
433
2. Art. 469-2 C.p.p. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
434
11. Aufschub der Straffestsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
438
I. Die Aufhebung von Verboten und Untähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
441
K. Mildernde Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
443
L. Rückfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
443
M. Die Strafaussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
444
I. Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
444
11. Die Höchstgrenze einer der Strafaussetzung zugänglichen Freiheitsstrafe ...
448
1. Auffassungen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
448
2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
449
m. Die Anwendung der Strafaussetzung auf Geldstrafen . . . . . . . . . . . . . . .
452
1. Auffassungen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
452
2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
453
IV. Die teilweise Strafaussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
455
1. Auffassungen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
456
2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
457
V. Die Dauer der Bewährungszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
458
1. Auffassungen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
459
2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
460
VI. Die Auflage der Erbringung gemeinnütziger Leistungen . . . . . . . . . . . . .
461
1. Auffassungen des Schrifttums zur Verfassungsmäßigkeit dieser Auflage ..
461
2. Die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
464
3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
465
VII. Der teilweise Widerruf der Strafaussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
469
1. Pflicht zur Anrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
469
2. Der Umrechnungsmodus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
470
vm. Die Konsequenzen der Bewährung des Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . .
472
IX. Die bedingte Entlassung
473
x. Die Halbgefangenschaft
475
1. Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
475
2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
476
N. Zusammenfassende thesenartige Übersicht zu dem Ergebnis aus dem Vergleich des deutschen und französischen Rechtsfolgenkatalogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
480
Literaturverzeiclmis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
483
Abkürzungsverzeichnis für die verwendeten abgekürzten fl'8llZÖSischsprachigen Ausdriicke
act. leg. D.
Actualite legislative Dalloz, Zeitschrift, zitiert nach Jahrgang, Seite
Arch. pol. crim.
Archives de politique criminelle, Zeitschrift, zitiert nach Band, Jahrgang, Seite
Art.
Artikel
Art. D.
Artikel, Decret
Art. L.
Artikel, Loi
Art. R.
Artikel, Reglement
Ass. nat.
Assemblee nationale
Bull. crim.
Bulletin des amts de la Cour de cassation, chambre criminelle, Sammlung der strafrechtlichen Entscheidungen des Kassationshofs, zitiert nach Datum der Entscheidung, FundsteIlennummer
Cass. crim.
Cour de cassation, chambre criminelle
C. debits boissons
Code des debits de boissons et des mesures contre l'alcoolisme
chr.
chronique
C.p.
Code penal
C.p.p.
Code de procedure penale
C. route
Code de la route
C.s.p.
Code de la sante publique
D.
Recueil Dalloz, Zeitschrift, zitiert nach Jahrgang, Rubrik, Seite
deb.
debats
doctr.
doctrine
dr. crim.
droit criminel
dr. pen.
droit penal
E 1976
Avant-projet de Code penal. Livre I. Dispositions generales, Juli 1976
E 1978
Avant-projet defini~if de Code penal. Livre 1. Dispositions generales, April 1978
E 1983
Avant-projet de Code penal. Livre premier (Dispositions generales), Juni 1983
E 1989
Projet de loi portant reforme au Code penal, Senat, Nr. 213, 1988-89
E StVollzG 1983
Projet de loi, Assemblee nationale, Nr. 1723,1983-84
22
Abkürzungsverzeichnis
Gaz. Pal.
Gazette du Palais, Zeitschrift, zitiert nach Jahrgang, Rubrik, Seite
gen.
general
info rap.
infonnations rapides
J.C.P.
La semaine juridique. Juris-dasseur periodique, Zeitschrift, zitiert nach Jahrgang, Rubrik, FundsteIlennummer
J.O.
Journal ofticiel
Juris-CI.
Juris-Classeur penal et Juris-Classeur de procedure penale, Kommentar, zitiert nach Artikel, FundsteIlennummer
jurispr.
jurisprudence
leg.
legislation
pen.
penal
proced.
procCdure
Rec. gen. lois
Recueil general des lois et de la jurisprudence et repertoire commaille, Zeitschrift, zitiert nach Jahrgang, Rubrik, Seite
Rep. pen.
Repertoire de droit penal et de procedure penale, Kommentar, zitiert nach Themengebiet, FundsteIlennummer
rev. ass. prof. mag. La nouvelle revue de I'association professionnelle des magistrats, Zeitschrift, zitiert nach Monat, Jahrgang, Seite rev. dr. pen.
Revue de droit penal et de criminologie, Zeitschrift, zitiert nach Jahrgang, Seite
rev. dr. publ. sc. polit.
Revue de droit public et de la science politique en France et Zeitschrift, zitiert nach Jahrgang, Seite
rev. int. crim. pol. tech.
Revue internationale de criminologie et de police technique, Zeitschrift, zitiert nach Jahrgang, Seite
rev. int. dr. pen.
Revue internationale et de droit penal, Zeitschrift, zitiert nach Jahrgang, Seite
rev. penit. dr. pen.
Revue penitentiaire et de droit penal, Zeitschrift, zitiert nach Jahrgang, Seite
rev. sc. crim.
Revue de science criminelle et de droit penal compare, Zeitschrift, zitiert nach Jahrgang, Seite
t.
tome
t.i.g.
travail d'int6ret general
a I'etranger,
Einleitung Sowohl bei der deutschen Strafrechtsreformbewegung als auch bei internationalen Novellierungstendenzen liegt der Schwerpunkt im Sanktionensystem. Nicht allein in der praktischen Strafrechtspflege, sondern auch in der Wissenschaft mißt man den Rechtsfolgen große Bedeutung zu. Dabei ist in Deutschland die Diskussion über die strafrechtlichen Reaktionsmittel keineswegs abgeschlossen, und Reformideen sind nicht abgeklungen. Bei jedem dieser neuen Vorschläge taucht jedoch die Frage auf, ob und in welcher Weise vergleichbare Ausgestaltungen und Ideen im Ausland bestehen und sich dort bewährt haben. Hierbei darf die Strafrechtsentwicklung in unserem Nachbarland Frankreich nicht außer acht gelassen werden. Die vorliegende Arbeit möchte daher einen Beitrag dazu leisten, eine Betrachtung und Analyse des französischen Rechts zu vollziehen und enthält zu diesem Zweck eine Gesamtdarstellung der Rechtslage Frankreichs im strafrechtlichen Sanktionenbereich. Das erste Kapitel gibt einen Überblick über das gegenwärtige französische Sanktionensystem. Gleichzeitig werden die seit dem Zweiten Weltkrieg bereits durchgeführten Reformen vorgestellt. Dieser Ausgangszeitpunkt bietet sich an, da das französische Strafrecht seit 1945 eine starke Erneuerung erfahren hat. Die Untersuchung erhält zusätzliche aktuelle Bedeutung dadurch, daß Frankreich um eine Gesamtreform des Strafrechts bemüht ist. Ihr konkretes Voranschreiten ist daran erkennbar, daß der vorgeschlagene Allgemeine Teil des neuen französischen Strafgesetzbuchs seit Mai 1989 im Parlament beraten wird. Das zweite Kapitel befaßt sich demzufolge mit dem in den Reformentwürfen enthaltenen Sanktionensystem sowie den dazu geführten Debatten im Senat und in der Nationalversammlung. In einem abschließenden Kapitel kann dann der Ertrag aus der vorangegangenen Darstellung gezogen werden. Der Vergleich des gegenwärtigen und künftigen französischen Rechtsfolgenkatalogs mit der deutschen Rechtslage im Sanktionenbereich macht deutlich, inwieweit in der eigenen Rechtsordnung Impulse aus unserem Nachbarland zu übernehmen sind oder die deutsche Rechtslage zu bevorzugen ist. Der Blick über die Grenze ermöglicht, die Position des deutschen Rechts kritisch zu prüfen und Anregungen für etwaige
24
Einleitung
Veränderungen des eigenen Strafrechts zu gewinnen. Dazu wird das jeweilige Problemfeld unter Beachtung der wesentlichen in der deutschen Strafrechtswissenschaft vertretenen Standpunkte dargestellt und zusammen mit der jeweiligen französischen Ausgestaltung gewürdigt. Ziel ist es, ein Sanktionensystem vorzustellen, das einerseits Bewährtes beibehält, andererseits in Bereichen, in denen die gegenwärtigen Lösungen nicht befriedigen können, konkrete Vorschläge zu einer Verbesserung unterbreitet.
1. Kapitel: Die gegenwärtige Ausgestaltung des französischen Sanktionensystems und die zu dieser Ausgestaltung durchgeführten Reformen seit dem Zweiten Weltkrieg Um das gegenwärtige französische Sanktionensystem und die seit dem Zweiten Weltkrieg zu seiner Ausgestaltung durchgeführten Reformen zu würdigen, bedarf es der Kenntnis des darin zum Ausdruck kommenden Gedankenguts. Hierbei fällt zunächst auf, daß in Frankreich im Zusammenhang mit der Strafrechtsreform nicht von einer einheitlichen, sie beherrschenden Leitidee gesprochen werden kann. Vielmehr verkörpern die Änderungen teilweise ganz unterschiedliche und sich widersprechende Auffassungen. I Dies beruht einmal auf dem Umstand, daß keineswegs alle erfolgten Reformen als das gereifte Ergebnis einer nachdrücklichen Haltung einer Lehrmeinung anzusehen sind. Vielmehr waren es oft aktuelle Probleme, wie z.B. die Terrorismusbekämpfung, die eine Novellierung veranlaßten. 2 Dementsprechend gingen viele Gesetzesänderungen auch nicht aus einer eingehenden Erörterung durch eine mit Experten besetzte Strafrechtskommission hervor, sondern stellen zuweilen lediglich das Ergebnis eines eilig im lustizministerium erarbeiteten Vorschlags dar, der auf politische und soziale Faktoren reagierte. Weiterhin kommt hinzu, daß die Abgeordneten bei verschiedenen Reformen mehr von wahlpolitischen Gedanken als von strafrechtlichen Lehrmeinungen geleitet wurden. 3 Andererseits kann man aber im Hinblick auf die Entwicklung im Sanktionensystem feststellen, daß dessen Erneuerung nach 1945 mehr als in anderen Bereichen dem Einfluß der Strafrechtslehre zu verdanken ist. 4 Aus diesem Grunde darf der französische Rechtsfolgenkatalog nicht ohne Rück-
I
Gassin, ZStW 91 (1979), 163 (165 ·f.).
Gassin, ZStW 91 (1979), 163 (166); ders., Melanges Ance1, n, S. 3 f.; in diesem Sinn auch StefanilLevasseuriBouloc, dr. pen. gen., Nr. 78, S. 98; Ancel, rev. int. dr. pen. 1982,587 (589); MerleNitu, dr. crim., t.l, Nr. 95, S. 149; Uaute, Le Monde 10.5.1989, 13; ders., Arch. pol. crim. 8 (1985), 13 (14). 2
3
Gassin, ZStW 91 (1979), 163 (166).
4
Rieg, ZStW 81 (1969),411 (422).
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
26
sicht auf die in der Strafrechtslehre nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgten kriminalpolitischen Tendenzen betrachtet werden.
1. Abschnitt: Die kriminalpolitischen Tendenzen in der französischen Strafrechtslehre nach dem Zweiten Weltkrieg Die französische Kriminalpolitik weist im wesentlichen zwei Standpunkte auf, nämlich die Bewegung der neuen Sozialverteidigung und eine neoklassisehe Auffassung.
A. Die Neue Sozialverteidigung (La
d~fense
sociale nouvelle)
Die Konzeption der defense sociale nouvelle wurde von ihrem Hauptrepräsentanten Mare Ancel in seiner Veröffentlichung aus dem Jahre 1954 "La defense sociale nouvelle. Un mouvement de politique criminelle humanisten entwickelt. 5 Diese Bewegung hat zahlreiche Reformen des französischen Strafrechts beeinflußt.6 Bereits durch den Untertitel seines Buches "Eine humanistische kriminalpolitische Bewegung" indiziert, liegt das Wesen der Lehre Ancels darin, daß eine humanistische Tendenz im Strafrecht verfolgt wird. 7 Anliegen sind die Achtung der Würde des Menschen, seiner Persönlichkeit und seiner individuellen Freiheit. 8 Es erfolgt eine ständige Überprüfung des bestehenden strafrechtlichen juristischen Systems, wobei die Grundlage die Respektierung der Menschenrechte darstellt. 9
5 Die 2. Auflage 1966 dieses Werkes ist ins Deutsche übersetzt worden von MeLzer, "Die Neue Sozialverteidigung. Eine Bewegung humanistischer Kriminalpolitik" . Inzwischen ist das Werk von AnceL in der 3. Auflage 1981 erschienen (sie wird im folgenden zitiert). Zu dieser 3. Auflage siehe die Buchbesprechungen von Chazal, rev. sc. crim. 1982, 223 ff.; Jescheck, rev. int. dr. pen. 1984,417 ff; Screvens, rev. dr. pen. 1983, 174 ff., sowie auch Charliac, D. 1983, chr. 219 f.; Bolle, rev. int. crim. pol. tech. 1984,239 f. und Brunois, Gaz. Pal. 1984, doctr.
31.
6 Gassin, ZStW 91 (1979), 163 (168 f.); ders., Melanges Ancel, 11, S. 3 ff.; I.evasseur, Melanges Ancel, 11, S. 35 ff.; Grebing, in: Lünger (Hrsg.) , Strafrechtsreform, S. 98 ff.; Jeandidier, dr. pen. gen., Nr. 53, S. 48. Die Bedeutung dieser Bewegung wird auch angesichts des durch sie entstandenen Forschungszentrums, durch Tagungen und regelmäßige Veröffentlichungen deutlich; siehe dazu PradeL, dr. pen., t.l, Nr. 104, S. 107 und MerLeNiru, dr. crim., t.l, Nr. 85, S. 134.
7
Rieg, ZStW 81 (1969),411 (414).
AnceL, La defense sociale nouvelle, S. 36, 188; ders., rev. sc. crim. 1989,813 f.; Bouzar, rev. int. dr. pen. 1990, II (13). 8
9 AnceL, La defense sociale nouvelle, S.35 f.; Charliac, D. 1983, chr. 219 (220); Bolle, rev. int. crim. pol. tech. 1990,521; Sacoue/AnceL, rev. sc. crim. 1986,179 (180).
I. Abschnitt: Die kriminalpolitischen Tendenzen
27
I. AbgI"ftlZWlg zu anderea Auff8SS1UlgeD
Um den Inhalt der Bewegung Ancels zu verdeutlichen, ist sie von anderen Strömungen zu unterscheiden. 1. Die wneue Sozialverteidigung W
Hierbei kommt dem Umstand Bedeutung zu, daß Ancel von der neuen Sozialverteidigung spricht. Insofern will er sich einmal von Adolphe Prins abgrenzen, der als erster in eigenständiger Weise die Bewegung der Sozialverteidigung formulierte. 10 Andererseits soll durch diese neue Formulierung die Distanz zu der ursprünglichen radikalen Auffassung von Filippo Gramatica über die Sozialverteidigung verdeutlicht werden. 11 Der Belgier Prins, der 1880 zusammen mit von Liszt und dem Holländer van Hamel Mitbegründer der wInternationalen Kriminalistischen Vereinigung"12 war, gab als erster der Bewegung der Sozialverteidigung einen eigenständigen theoretischen InhaltP Für Prins, der den Inhalt seiner Lehre insbesondere in seinem 1910 veröffentlichten Werk "La d6fense sociale et les transformations du droit penal" darlegte, ist die Gefährlichkeit des Täters ein Hauptelement, jedoch wird diese nur aus der Sicht des Staates und der Gesellschaft betrachtet. Ausgangspunkt und allein maßgeblich sei der Schutz der Gesellschaft vor dem Verbrechen. 14 Der Richter habe zu prüfen, ob eine Gefährlichkeit des Täters vorliege und ob diese eine
10 Ancel, 11
La defense sociale nouvelle, S. 191.
Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 191; Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 98.
12 Seit 1924 wird das Werk der IKV durch die·Association Internationale de Droit Penal"
(AlDP) fortgeführt; 1t:scheck, rev. int. dr. pen. 1990, 59 (60 f.); ders., ZStW 98 (1986), I (19); ders., ZStW 97 (1985),707. 13 Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 80, 84; Melzer, Neue Sozialverteidigung und Strafrechtsreform, S. 19; Mary, rev. dr. pen. 1990,15 (16). Der Begriff ·Sozialverteidigung" findet zwar seine Ursprunge in der positivistischen Schule (dazu MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 71 ff., S. 120 ff., insbes. S. 124 ff.), wurde dort jedoch nicht als selbständige Theorie verwendet, so daß die Sozialverteidigung vielmehr eine indirekte Folge der positivistischen Schule darstellt; siehe Ancel, a.a.O., S. 77 ff., 80; Melzer, a.a.O., S. 18.
14 Dieses utilitaristische Verständnis der Sozialverteidigung findet sich bereits in der positivistischen Schule; siehe MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 81, S. 130; Melzer, Neue Sozialverteidigung und Strafrechtsreform, S. 18; Jeandidier, dr. pen. gen., Nr. 50, S. 44 f.
28
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
Maßnahme des Gesellschaftsschutzes rechtfertige. IS Ancel dagegen ist in erster Linie um die Wiedereingliederung des Täters bemüht; verhängte Sanktionen - seien es Strafen oder insbesondere Maßregeln - dienten vor allem dem Betroffenen selber, damit es zu seiner Resozialisierung komme. Die an die Persönlichkeit des Täters angepaßten, ihn resozialisierenden Sanktionen führten dann gleichzeitig zum Schutz der Gesellschaft. 16 Des weiteren wendet sich Ancel gegen die radikale Auffassung der Sozialverteidigung, die von dem Italiener Gramatica entwickelt worden ist. 17 Bereits 1934 hatte Gramatica seine Vorstellungen über die Sozialverteidigung dargelegt,18 und seine Auffassung fand in dem Werk "Principi di difesa sociale" (Grundlagen der Sozialverteidigung) von 1961 19 vollständigen Ausdruck. Gramatica tritt für eine Abschaffung des Strafrechts als solchem ein. 2O Das Recht der Sozialverteidigung müsse das bestehende Strafrecht ersetzen. Die Begriffe "Straftat", "Täter", "Verantwortlichkeit" und "Strafe" seien aus dem strafrechtlichen Vokabular zu streichen. 21 Gramatica will ausschließlich ein System von Maßregeln anwenden. 22 Die Justiz der Sozialverteidigung habe in diesem System keinen anderen Zweck als die Resoziali-
15 Zur Lehre von Adolphe Prins siehe Ancel, La d6fense sociale nouvelle, S. 84 ff.; Merle! ViIU, dr. crim., t.l, Nr. 81, S. 129 f.; Mary, rev. dr. p6n. 1990, 15 ff. 16 Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 30 f., 35 f., 191 f.; ders., Sonderheft zur MschrKrim. 1956,51,56; ders., rev. sc. crim. 1967,242 (243); so beschreibt auch Merle, D. 1977, chr. 303, die defense sociale, ebenso Levasseur, M61anges Ancel, ß, S. 39.
17 Ancel, rev. sc. crim. 1964,188 (189). 18 Principi di diritto penale soggettivo, Turin 1934 (Grundlagen des subjektiven Strafrechts). 19 1964 erschien die französische Übersetzung unter dem Titel "Principes de defense
sociale"; eine deutsche Ausgabe wurde - übersetzt von A. Mergen und G. Herbig - 1965 veröffentlicht ("Grundlagen der defense sociale" , sie wird im folgenden zitiert). Dabei ist die dortige Übersetzung des Begriffs "defense sociale" als "Gesellschaftsschutz" nicht glücklich, da Gramatica und auch - wie dargelegt - Ancel im Gegensatz zu Prins nicht nur den Schutz der Gesellschaft vor dem Verbrechen im Auge haben, sondern vor allem auch die Res~zialisierung des Delinquenten selber. Um diese Komponente deutlicher hervorzuheben, ist die Ubersetzung der "defense sociale" durch Melzer als "Sozialverteidigung" vorzuziehen; vgl. Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 98, Anm. 6. 20 Gramatica, Grundlagen der defense sociale, S. 22 f., 44; zusammenfassend Wanenberger, Sonderheft zur MschrKrim. 1956,60 (64).
21 Gramatica, Grundlagen der defense sociale, S. 21,51; siehe auch dens., M61anges Ancel, ß, S. 110 f., sowie in rev. sc. crim. 1976, 629 (630, 633); die Lehren Gramaticas im Verhältnis zum deutschen Schuldstrafrecht erläutert H. Kaufinann, Festschr. f. v. Weber, S. 418 ff.: Dabei wird aufgezeigt, daß die Ansichten Gramaticas teilweise gemäßigter sind, als es zunächst erscheint; siehe insbes. S. 421, 423, 429 f., aber auch S. 433 f. 22
Gramatica, Grundlagen der d6fense sociale, S. 22, 24.
1. Abschnitt: Dic kriminalpolitischcn Tcndcnzcn
29
sierung des Delinquenten.23 Wenn auch Ancel in der dritten Auflage seines Werkes ausführt, daß seit den 70er Jahren mehr die gemeinsamen Grundlagen Gramaticas und seiner Ansichten betont worden seien und die Divergenzen sich gemildert hätten,24 führt er nichtsdestoweniger aus, daß seine neue Sozialverteidigung im Gegensatz zu den ursprünglich radikalen Lehren Gramaticas einen gemäßigteren Inhalt habe und bestrebt sei, sich in das Strafrechtssystem einzuordnen. 2S Derartige extreme Konsequenzen bedeuteten einen Bruch mit der menschlichen und sozialen Realität, auf die sich die Sozialverteidigung gerade stützen wolle. 26 Ancels Sozialverteidigung zielt nicht auf eine Auslöschung des Rechts, sondern auf die immer bessere Anpassung der Kriminalitätsbekämpfung an die Bedürfnisse des Individuums und der Gesellschaft. Die Strafe wird nicht apriori als Mittel der antikriminellen Reaktion verworfen. 27 Soll der Täter mittels der bei ihm angewandten Sanktion resozialisiert werden, sei es klar, daß tur bestimmte Täter auch eine Strafe die geeignete Sanktion sein könne. 2lI Ancel meint sogar, daß in solchen Fällen als Strafe ggf. ein kurzzeitiger Freiheitsentzug mit der Wirkung eines "short sharp shock" in Betracht komme. 29 Durch diese Abgrenzung erhält der Begriff neue Sozialverteidigung seinen Sinngehalt. Zu klären bleibt die Unterscheidung zur neoklassischen Strafrechtslehre und zur italienischen positivistischen Schule.
23
Gramatica, Grundlagcn dcr defcnsc sociale, S. 44.
24 Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 112, 199; siehe auch Gramatica, Melanges Ancel, 11, S. 115.
2S Ancel, La defensc sociale nouvelle, S. 112, 196; Comil, rev. sc. crim. 1976, 61 (62); Levasseur, rev. sc. crim. 1991,9 f.
26
Ancel, La defensc sociale nouvelle, S. 198.
27
Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 197.
Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 197. Die Strafe ist dann Resozialisierungsmaßnahme; Melzer, Neuc Sozialverteidigung und Strafrechtsreform, S. 93 f.; Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 100; zur Integration von Strafe und Maßregel in einem einheitlichen System sichc unten 1. Kap., 1. Abschnitt, A, 11, 2. 211
29 Ancel, La defensc sociale nouvelle, S. 197 f.; Melzer, Neue Sozialverteidigung und Strafrechtsreform, S. 93 f.; beachte aber auch die Ergänzung des Mindestprogramms der Internationalen Gesellschaft für Sozialverteidigung von 1984 sowie Ancel, a.a.O., S. 277: Die Freiheitsstrafe soll ultima ratio sein, dazu siehe unten 1. Kap., 1. Abschnitt, A, IV.
30
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
2. Unterschiede zur neoklassischen Strafrechtslehre und zur positivistischen Schule
Hinsichtlich der neoklassischen Strafrechtsauffassung des 19. Jahrhunderts30 kritisiert Ancel, daß diese Lehre in ihrem Wesen und in ihrer Zweckbestimmung rein vergeltend sei. 31 Die neue Sozialverteidigung stelle sich als eine Reaktion gegen ein ausschließlich repressives, vergeltendes klassisches System dar. 32 Vielmehr sei es notwendig, im Hinblick auf die jeweilige Persönlichkeit des Täters eine Sanktion zu bestimmen, die geeignet ist, den Delinquenten möglichst zu resozialisieren. 33 Hierzu böten sich in erster Linie die spezialpräventiven Maßregeln an, mit deren Hilfe eine Wiedereingliederung des Täters in die Gesellschaft erreicht werden könne. Weiterhin sind die Anhänger der neuen Sozialverteidigung im Hinblick auf die Resozialisierung seit jeher Fürsprecher der Surrogate der Freiheitsstrafe, z.B. der Strafaussetzung zur Bewährung. 34 Es ist aber auch zu beachten, daß - wie erläutert - die neue Sozialverteidigung im Gegensatz zu Gramatica die (Freiheits)strafe nicht prinzipiell ablehnt: 3s Einerseits könne bei bestimmten Tätern die kurzfristige Freiheitsstrafe als "short sharp shock" die beste soziale Wirkung entfalten. Darüber hinaus führt Ancel aus, daß selbst bei ihm die vergeltende klassische Strafe nicht völlig verschwunden und in bestimmten Bereichen anwendbar sei, etwa wenn der Täter verhängte Maßnahmen ohne Freiheitsentzug sabotiere, im Bereich der Wirtschaftsstraftaten und in Fällen grober Fahrlässigkeit. 36
30 HielZU siehe MerleMtu, dr. crim., 1.1, Nr. 58 ff., S. 107 ff., insbes. S. 111 ff.; Pradel, dr. pen., 1.1, Nr. 95, S. 101 ff.; StefanilLevasseurlBouloc, dr. pen. gen., Nr. 73, S. 87 f.; zur gegenwärtigen Ausgestaltung der neoldassischen Schule und ihrem Vemältnis zur neuen Sozialverteidigung siehe unten 1. Kap., 1. Abschnitt, B, C. 31 Ancel, rev. sc. crim. 1973, 190 (191 ff.), sowie ders., La defense sociale nouvelle, S. 182 ff., mit weiteren Argumenten gegen die neoldassische Schule.
32
Sacone/Ancel, rev. sc. crim. 1986,179 (182); Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 30.
33
Ancel, Sondemeft zur MschrKrim. 1956, 51 (54); ders., La defense sociale nouvelle, S.
182 f.
34 Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 103; Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 271, 277; Nachteile der Freiheitsstrafe spricht Ancel auf den Seiten 273 ff., an; ders., rev. penit. dr. pen. 1976,702 (711). 3S Siehe aber die Ergänzung des Mindestprogramms 1984: Die Freiheitsstrafe soll ultima ratio sein; dazu unten 1. Kap., 1. Abschnitt, A, IV.
36 Ancel, rev. sc. crim. 1964, 188 (190); Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 198,309; kritisch Melzer, Neue Sozialverteidigung und Strafrechtsreform, S. 94 f.; zu der Fallgruppe der Kriegsverbrecher siehe Melzer, a.a.O., S. 95 f., sowie Anhang A ß, S. 141 f.; Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 163.
1. Abschnitt: Die kriminalpolitischen Tendenzen
31
Im Hinblick auf die positivistische SchulEf7 wird deren Determinismus und starre Klassifizierung der Delinquenten abgelehnt. 38 Der einzelne Täter sei nicht in ein vorkonstruiertes Schema zu zwängen, sondern man müsse erforschen, warum gerade dieser Mensch mit seinen jeweiligen persönlichen und sozialen Verhältnissen diese bestimmte Handlung begangen habe. 39 Unter Ablehnung eines uneingeschränkten Utilitarismus«' verfolge die neue Sozialverteidigung ausgehend von der Würde des Menschen und dessen individueller Freiheit in erster Linie die Wiedereingliederung des Täters in die Gesellschaft. 41 11. Einzelaspekte der neuen Sozialverteidigung
Ancel versteht somit insgesamt seine Bewegung als Forderung nach einer Kriminalpolitik zum Schutze der Gemeinschaft, welche die Gefährlichkeit des einzelnen in Betracht zieht, aber an einer Resozialisierung durch Humanisierung des Strafrechts und wissenschaftlicher Erforschung seiner Persönlichkeit orientiert ist. 42 Der Delinquent ruckt endgültig in den Mittelpunkt der strafrechtlichen Bemühungen, ohne ihn zu eliminieren oder zu neutralisieren. 43 Es handelt sich dabei um eine "Pädagogik der Verantwortlichkeit" , d.h. Ziel ist, bei dem Straftäter ein Gefühl der Verantwortung sich selbst und der Gesellschaft gegenüber zu entwickeln. 44
37 Die positivistische Schule ist in Italien entstanden. Vertreter waren Lombroso, Ferri und Garolfo. Zu dieser Schule siehe MerleMtu, dr. crim., t.I, Nr. 71 ff., S. 120 ff.; Stejanil LevasseuriBouloc, dr. pen. gen., Nr. 74 f., S. 88 ff.; Jeandidier, dr. pen. gen., Nr. 50, S. 44 f.; Melzer, Neue Sozialverteidigung und Strafrechtsreform, S. 12 ff.
38
Ancel, rev. sc. crim. 1964, 188 (189); Rieg, ZStW 81 (1969),411 (416).
39
Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 186.
Auch rur die positivistische Schule war die Persönlichkeit des Täters von Bedeutung, aber allein zum Zwecke der Ermittlung seiner Gefährlichkeit rur die Gesellschaft; Stejani/Levasseurl Bouloc, dr. pen. gen., Nr. 74, S. 89; Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 96; Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 78; ders., rev. sc. crim. 1955,562 (565). 40
41 Ancel, Sonderheft zur MschKrlm. 1956,51 (55 f.); ders., La defense sociale nouvelle, S. 185 ff. Durch die Resozialisierung wird dann auch der Schutz der Gesellschaft erreicht; siehe Stejani/Levasseur/Bouloc, dr. pen. gen., Nr. 77, S. 94 f. 42 Siehe Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 35 ff.; siehe auch die 2. Auflage seines Werkes, S. 37 ff., in der Übersetzung von Melzer S. 26 ff.; Rieg, ZStW 81 (1969),411 (415); Levasseur, Melanges Ancel, n, S. 39. 43
Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 99; Pinatel, rev. sc. crim. 1964,757 (760).
44 Siehe Merle, rev. sc. crim. 1964,725 (730); Merle/Vitu, dr. crim., t.1, Nr. 87, S. 137; Ancel, rev. sc. crim. 1964,801 (803); ders., rev. sc. crim. 1964, 188 (192); ders., La defense sociale nouvelle, S. 253; Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 104, S. 108; Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 99.
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystern
32
1. Persönlichkeitsuntersuchung
Um die gegenüber dem Delinquenten zur Resozialisierung angemessene Sanktion zu ermitteln, bedarf es als notwendige Voraussetzung einer Untersuchung der Täterpersönlichkeit. Man zielt auf eine Individualisierung der Sanktion, worunter eine obligatorische, wissenschaftlichen Gesichtspunkten gehorchende soziale Individualisierung gemäß des Bedarfs an Resozialisierung zu verstehen ist. 4S Richtiger Platz für die Erforschung der Täterpersönlichkeit sei der Strafprozeß. 46 Der Delinquent soll nach Ancel in den Strafprozeß eingegliedert werden, der bisher allein dem Urteil über eine Tat galt. 47 Notwendig sei die richterliche Kenntnis von der biologischen Konstitution, der Psyche und der sozialen Situation des Täters, so daß die wissenschaftliche Untersuchung des Angeklagten ein notwendiges Erfordernis des Strafprozesses darstelle. 4S Ein wesentliches Element der Persönlichkeitsuntersuchung ist dabei die Anlegung einer Persönlichkeitsakte (dossier de personnalite), in der unter richterlicher Überwachung die von Spezialisten erarbeiteten Erkenntnisse niedergelegt werden. 49 Um die Integration der wissenschaftlichen Untersuchung zu erreichen, beabsichtigt Ancel die Unterteilung des Strafprozesses in zwei Phasen. Im ersten Abschnitt sei über Tatbestandsmäßigkeit der Fakten und Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten zu urteilen, im zweiten Teil ginge es um die Entscheidung über die für den jeweiligen Täter geeignete Sanktion.so Schließlich will Ancel das vorgerichtliche Verfahren sowie die Urteils- und die Vollzugsphase als eng miteinander verbunden wissen. sl
45 Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 101 f.; Wünenberger, Sonderheft zur Mschr Krirn. 1956,60 (61). 46
Ancel, rev. sc. crirn. 1964,801 (804 f.); Pinatel, rev. sc. crirn. 1964,810 (814).
47
Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 214.
4S
Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 216.
49
Melzer, Neue Sozialverteidigung und Strafrechtsreform, S. 84.
Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 219 f.; Melzer, Neue Sozialverteidigung und Strafrechtsreform, S. 85 Cf.; Jeandidier, dr. pen. gen., Nr. 51, S. 46. SO
SI Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 223; zur Vollzugsphase siehe Wanenberger, Sonderheft zur MschrKrirn. 1956, 60 (62); Hagedorn, Individualisierung, S. 141; Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 102.
1. Abschnitt: Die kriminalpolitischen Tendenzen
33
2. Sanktionensystem
Im Hinblick auf eine derartige Täterbehandlung stellt sich für Ancel die Frage der Neuorganisation des Rechtsfolgenbereichs. Das Erfordernis der Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit führe zur Integrierung der Strafe und der Maßregel in ein einheitliches System, wobei im jeweiligen Einzelfall entsprechend der Persönlichkeit des Täters die für ihn angebrachte Sanktion ausgesprochen werden soll.52 Ausgehend von einer kriminalpolitischen Betrachtungsweise seien alle Mittel zu erfassen, mit deren Hilfe der Kampf gegen die Kriminalität im Interesse der Gesellschaft unter Beachtung der Individualinteressen zu organisieren sei. Unter diesem Gesichtspunkt könnten Strafen sowie Maßregeln gleichermaßen nützlich sein.53 Für eine vemunftgemäße Kriminalpolitik der Verbrechensprävention und Täterbetreuung komme es hauptsächlich auf die Wirksamkeit der Sanktion gegenüber dem Individuum an. So habe man von der Strafe zur Maßregel überzugehen (und umgekehrt) hinsichtlich der Persönlichkeit des Täters und der Rückwirkung seines Milieus. Strafen und Maßregeln bildeten damit keinen Gegensatz mehr. 54 Von entscheidender Bedeutung sei mehr der Inhalt und die Färbung der Sanktion als ihre formelle Benennung. 55 Es soll· damit keine Vereinheitlichung, wohl aber eine Integration der Strafe und der Maßregel in ein einheitliches Sanktionensystem erfolgen, dessen wesentliches Ziel die gesellschaftliche Wiedereingliederung des Delinquenten sei. 56 III. Das Mindestprogramm aus dem Jahr 1954
Die Wesensmerkmale der neuen Sozialverteidigung Ancels finden sich wieder im Mindestprogramm der Internationalen Gesellschaft für Sozialverteidigung von 1954.51 Hier tauchen etwa die Gesichtspunkte des Schutzes der Gesellschaft durch den Schutz ihrer einzelnen Mitglieder, der Achtung der Menschenrechte, der Resozialisierung und des einheitlichen Systems von
52
Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 224, 232.
53
Ancel, La d6fense sociale nouvelle, S. 230.
54
Ancel, La d6fense sociale nouveUe, S. 230.
55
Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 230; ders., rev. sc. crim. 1964,188 (192).
Ancel, La d6fense sociale nouvelle, S. 232; ders., rev. sc. crim. 1973, 190 (193); siehe auch Melzer, Neue Sozialverteidigung und Strafrechtsrefonn, S. 87 ff. 56
51 Abgedruckt in deutscher Sprache im Sonderheft zur MschrKrim. 1956, 58 Cf; Melzer, Neue Sozialverteidigung und Strafrechtsrefonn, Anhang B, S. 143 ff.; auf französisch ist es u.a. wiedergegeben in der rev. int. crim. pol. lech. 1984, 240. Die Internationale Gesellschaft für Sozialverteidigung wurde 1949 gegründet. 3 Zieschang
34
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
Reaktionsmöglichkeiten, angewendet auf die jeweilige Täterpersönlichkeit, wieder auf. S8 Wie schon die Bezeichnung Mindestprogramm deutlich macht, handelt es sich um eine Niederlegung der allgemeinen Grundprinzipien, denen sich alle diversen Ausprägungen innerhalb der Sozialverteidigung anschließen konnten. s9 Andererseits ist zu berücksichtigen, daß im Ergebnis das Mindestprogramm nicht den Extrempositionen Gramaticas folgt, sondern die Handschrift der gemäßigten Richtung seines Mitverfassers Ancel trägt. 60 Die Distanz zu den Auffassungen Gramaticas zeigt sich z.B. daran, daß im Programm die Bezeichnung "Strafe" für gewisse Maßnahmen beibehalten und auch der Begriff "Verantwortung" verwendet wird. 61 Daß sich in der Internationalen Gesellschaft für Sozialverteidigung die Ansicht Ancels durchsetzte und nicht diejenige Gramaticas, ist schließlich auch durch die im Jahr 1966 erfolgte Wahl Ancels zu deren Präsidenten indiziert.62 IV. Die Ergänzung des Mindestprogramms aus dem Jahr 1984
1984 führte man eine Ergänzung des Mindestprogramms von 1954 durch, weIche die gegenwärtigen und zukünftigen Positionen der Bewegung kennzeichnen soll.63 Ancel führt als Grund für diese Ergänzung, die eine Art
S8 Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 97 f.; Melzer, Neue Sozialverteidigung und Strafrechtsreform, S. 35; Wartenberger, Sonderheft zur MschrKrim. 1956,60 (63 f.); das Mindestprogramm kommentiert Ancel in der rev. sc. crim. 1955,562 ff. S9 Ancel, rev. sc. crim. 1955,562 (563); ders., La defense sociale nouvelle, S. 109; ders., rev. sc. crim. 1986, 922 (923); Jescheck, Festschr. f. Blau, S. 425; Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 97. So war z.B. auch Gramatica mit dem Mindestprogranun einverstanden; siehe Barbero Samos, rev. dr. pen. 1985,841. 60 Ancel, rev. sc. crim. 1964, 188 (189); ders., rev. sc. crim. 1982,665; ders., La defense soeiale nouvelle, S. 112; Barbero Samos, rev. dr. pen. 1985, 841; Jescheck, Festschr. f. Blau, S. 434; ders., ZStW 103 (1991),517; Melzer, Neue Sozialverteidigung und Strafrechtsreform, S. 36; Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 97.
61 Abschnitt m, Punkt 2 und 3 des Progranuns; siehe Barbero Santos, rev. dr. pen. 1985, 841 (842); Ancel, rev. sc. crim. 1955,562 (566 f.). 62 Melzer, Neue Sozialverteidigung und Strafrechtsreform, S. 36. Der am 4. September 1990 verstorbene M. Ancel war bis zum 26.8.1985 Präsident der Gesellschaft; Nachfolgerin ist Simone Rozes, die vorher das Amt der ersten Vizepräsidentin einnahm; vgl. SacottelAncel, rev. sc. crim. 1986,179 f.; Marx, rev. sc. crim. 1986,469 f.
63 Ancel, rev. sc. crim. 1982, 665 (666); zu den Arbeiten hinsichtlich der von Ancel initiierten und ausformulierten Ergänzung des Mindestprogranuns siehe Ancel, rev. sc. crim. 1981, 927 (930); Bemat de Celis, rev. sc. crim. 1982, 199 f.; Ancel, rev. sc. crim. 1982,665 (666 f.); ders., rev. sc. crim. 1983,533 ff. 1m März 1984 fand in Wuppertal ein europäischer Kongreß der Sozialverteidigung über die Aktualisierung des Mindestprogranuns von 1954 statt; dazu Haussling, rev. sc. crim 1985, 883 ff.; Beria di Argentine, rev. sc. crim. 1991, 25 (26 f.); siehe auch die auf dem Kongreß vorgetragenen Vorschläge zur Neugestaltung des Mindestpro(Fortsetzung ... )
1. Abschnitt: Die kriminalpolitischen Tendenzen
35
Aktualisierung der Gedanken der neuen Sozialverteidigung und keinen Ersatz des Programms von 1954 darstelle,64 aus, daß nach heutiger Auffassung ein reines Behandlungsideal, nach dem man in Analogie zur Medizin das Verbrechen als durch Behandlung heilbare Krankheit ansieht,6S aufgrund seines nicht eingetretenen Erfolges66 abgelehnt wird, so daß auch die neue Sozialverteidigung nicht bei der "Resozialisierungsbehandlung" stehenbleiben könne. Des weiteren zwingten neuere Tendenzen in der Kriminalpolitik, wie z.B. die "non intervention"67 dazu, die Kriminalitätsbekämpfung ebenfalls mit Mitteln außerhalb des strafrechtlichen Rahmens zu suchen. 68 Neben u.a. einer größeren Beachtung und einem stärkeren Schutz des Opfers wird somit in der Ergänzung von 1984 insbesondere eine angemessene Politik des Rückzugs des Strafrechts (depenalisation) befürwortet. 69 Unter letzterem versteht man zum einen, daß die Freiheitsstrafe nur noch ultima ratio sein soll und im übrigen durch andere Sanktionen zu ersetzen sei. 1O Gleichzeitig bedeutet "depenalisation" in einem umfassenderen Sinn, daß die neue Sozialverteidigung zu vermeiden versucht, das strafrechtliche System in Anspruch zu nehmen und vielmehr zivile und verwaltungsrechtliche Sanktionen und sogar außergerichtliche Wege als Reaktionsmöglichkeit befürwortet. 71 Der
.'( ... Fortsetzung) gramms von Jescheck, Festschr. f. Blau, S. 433 ff. Eine außerordentliche Generalversammlung der Internationalen Gesellschaft für Sozialverteidigung akzeptierte 1985 die Ergänzung; Ancel, rev. sc. crim. 1986, 922 (923 f.); die Mindestprogrammergänzung ist abgedruckt in rev. sc. crim. 1985, 159 ff.
64 Ancel, rev. sc. crim. 1985, 157 (158); siehe auch dens., rev. sc. crim. 1983, 533 (534); Marx, rev. sc. crim 1986,469 (470). 6S Zum Behandlungsideal und seinem Mißerfolg Jescheck, ZStW 91 (1979), 1037 f.; ders., Festschr. f. Blau, S. 427 f.; ders., ZStW 98 (1986), 1 (20); Barbero Samos, rev. dr. pen. 1985,841 (849); Plawski, rev. penit. dr. pen. 1981,473 (475). 66 Die Rückfallquote war bei im Gefängnis "Behandelten" fast genauso hoch wie bei anderen; Ancel, rev. sc. crim. 1983, 145 (146); ders., rev. int. dr. pen. 1982,587 (593); ders., Festschr. f. Jescheck, D, S. 784; Ursachen für die nicht erfolgte Besserung stellt Couvrat, rev. sc. crim. 1985,231 (236 f.), dar; Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 264 f., befürwortet aber weiterhin eine Behandlung, die nicht aufgezwungen ist, sondern auf freiwilliger Basis beruht; ebenso Jescheck, ZStW 91 (1979), 1037 (1054) m.w.N.
67 Zu diesen Auffassungen siehe unten 1. Kap., 1. Abschnitt, D, D. 68
Ancel, rev. sc. crim. 1982,665 (666 f.); ders., La defense sociale nouvelle, S. 271.
(f) Siehe die Mindestprogrammerginzung 1984 Abschnitt Du. m, rev. sc. crim. 1985, 159 f.; Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 104, S. 109; Marx, rev. sc. crim. 1986,469 (471).
10 Mindestprogrammergänzung 1984, Abschnitt m I), rev. sc. crim. 1985, 159 (160); Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 277; ders., rev. penit. dr. pen. 1976,702 (711); ebenso Jescheck, Festschr. f. Blau, S. 437. 71 Ancel, Festschr. f. Jescheck, D, S. 787; ders., La d6fense sociale nouvelle, S. 35 f.; zu dem doppelten Gehalt des Wortes "depenalisation" ausführlich Ancel, rev. sc. crim. 1983, 145 (147 ff.).
36
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
Delinquent soll in bezug auf seine Lebensumgebung betrachtet werden und Möglichkeiten der Sozialisierung72 (z.B. Berufsbildungsmöglichkeiten, Freizeitgestaltung) angeboten erhalten. 73 Das strafrechtliche System sei nicht das einzige und auch nicht das' beste Mittel gegen die Kriminalität. 74 Andererseits ist aber zu berücksichtigen, daß das Ergänzungsprogramm 1984 ausdrücklich festlegt, daß - insbesondere bei Taten im Wirtschaftsstrafrecht ausreichende Reaktionsmöglichkeiten geschaffen werden müssen. 75 Weiterhin sei zwischen schwerer Kriminalität einerseits und mittlerer sowie leichter Kriminalität andererseits zu unterscheiden, wobei letztere den nichtstrafrechtlichen Reaktionsmöglichkeiten zugeführt werden soll.76 Entscheidend ist auch weiterhin für die neue Sozialverteidigung, daß sie sich innerhalb des Rechtsstaats bewegt, der das Gesetzlichkeitsprinzip, den Begriff der individuellen Verantwortlichkeit, einen unabhängigen Richter und einen die Menschenrechte garantierenden Prozeßverlauf beinhaltet.77 Zur KlarsteIlung ist darauf hinzuweisen, daß es innerhalb der Bewegung unterschiedliche Ansichten über die Reichweite des Rückzugs des Strafrechts gibt. 78 Zwar existieren einige Anhänger, die zu einer Abschaffung des Strafrechts tendieren. 79 Auch das Ergänzungsprogramm 1984 macht zwar einen bedeutsamen Schritt in Richtung eines Rückzugs des Strafrechts, andererseits läßt es gleichzeitig deutlich werden, daß keine völlige Abschaffung des Straf-
72 Die Absage an das im Gefängnis aufgezwungene Behandlungsideal bedeutet also nicht, daß das Ziel der Wiedereingliederung in die Gesellschaft aufgegeben wird. 73 Mindestprogrammergänzung 1984, Abschnitt m 2), rev. sc. crim. 1985, 159 (161); zu den verschiedenen Ansichten in bezug auf die depenalisation bei den Anhängern der neuen Sozialverteidigung siehe Ancel, rev. sc. crim. 1983,533 (538).
74 Mindestprogrammergänzung 1984, rev. sc. crim. 1985, 159. 75 Mindestprogrammergänzung 1984, Abschnitt D, rev. sc. crim. 1985, 160; dazu Ancel, in: Festsehr . f. leseheck, D, S. 788. 76 Mindestprogrammergänzungl984, AbschnittD, rev. sc. crim. 1985, 160. 77 Mindestprogrammergänzung 1984, Abschnitt I, m 1), rev. sc. crim. 1985, 159
ebenso Ancel, in: Festschr. f.Iescheck, D, S. 785, 789.
ff.;
78 Zum Verständnis der unterschiedlichen Ansichten innerhalb der neuen Sozialverteidigung sei betont, daß es sich bei ihr nicht um eine geschlossene Schule mit festem Programm handelt, sondern um eine Bewegung, die ausgehend von einer gemeinsamen Grundlage in sich verschiedene Ansichten vereinigt; Gassin, Melanges Ancel, D, S. 36; Ancel, rev. sc. crim. 1955, 562 (563); Charliac, D. 1983, ehr. 219 (220); H. Kaufinann, Festschr. f. v. Weber, S. 418; Hagedorn, Individualisierung, S. 138. 19 Siehe die Berichterstattung zum Wuppertaler Kongreß 1984 durch HiJussling, rev. sc. crim. 1985, 883 (885).
I. Abschnitt: Die kriminalpolitischen Tendenzen
37
rechts intendiert ist. 1IO So geht es etwa weiterhin von der Möglichkeit der Anwendung der Gefängnisstrafe aus, wenn auch als ultima ratio. Ancel führt aus, daß die modeme Kriminalpolitik eingebettet bleiben muß in das Gesetzlichkeitsprinzip und die persönliche Verantwortlichkeit sowie in die Existenz eines die Rechte des einzelnen garantierenden Richters. 81 Darüber hinaus gibt es zahlreiche Mitglieder der Internationalen Gesellschaft für Sozialverteidigung, die ausdrücklich das Strafrecht im Kampf gegen die Kriminalität neben anderen Mitteln aufrechterhalten wissen wollen. 82 Wenn auch die Bewegung der neuen Sozialverteidigung weite Verbreitung in der Lehre und auch Einfluß in der Gesetzgebung gefunden hat, darf keineswegs übersehen werden, daß in Frankreich nicht nur Befürworter der neuen Sozialverteidigung existieren,83 sondern dieser Bewegung die große Zahl84 der Vertreter der neoklassischen Schule gegenüberzustellen ist. 85
B. Die gegenwärtige neoklassische Schule Kennzeichen der gegenwärtigen neoklassischen Schule ist zum einen der geringere "revolutionäre" Charakter dieser Lehre im Vergleich zur Bewegung Ancels,86 zum anderen der Unterschied gegenüber der traditionellen neoklassischen Schule Mitte des 19. Jahrhunderts, der den mitunter verwendeten Begriff "neue neoklassische Schule" für die heutige Ausprägung verstehen läßt. 87
80
Siehe auch unten 1. Kap., 1. Abschnitt, D, 11, 2.
81
Ancel, Festschr. f. Jescheck, n, S. 789.
82 Vgl. Jescheck, Festschr. f. Blau, S. 434; gegen eine Abschaffung des Strafrechts etwa auch Barbero Santos, rev. dr. pen. 1985,841 (846 ff.). 83 Zur Kritik aus den eigenen Reihen der Sozialverteidigung siehe die Wiedergabe von Dutheillet-LAmonthezie, rev. sc. crim. 1972, 189 (197); Kritik auch bei Nuvolone, in: Melanges Constant, S. 283, 289; vgl. im übrigen die Wiedergabe von kritischen Äußerungen z.B. durch Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 327 f., 331 f., der diesen entgegentritt.
84 Zu den zahlreichen Vertretern dieser Richtung siehe die Nachweise bei MerleNilU, dr. crim., t.l, Nr. 88, S. 138, Anm. 6; Prudel, dr. pen., t.1, Nr. 107, S. 111.
85 Rieg, ZStW 81 (1969),411 (417); Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 103. 86
Rieg, ZStW 81 (1969),411 (417).
87
Merle, rev. sc. crim. 1964,725 (728); MerleNitu, dr. crim., t.l, Nr. 88, S. 138.
38
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
I. AbgreDZ1lDl zu Einem rein resozialisierend aufgebauten Strafrecht
Die Neoklassizisten lehnen es ab, die traditionelle strafrechtliche Verurteilung durch eine therapeutische Entscheidung zu ersetzen, die fern jeden Gedankens des Tadels oder der Verantwortlichkeit des Täters sei. Mache man dem Täter nicht verständlich, daß sein Verhalten im Widerspruch zum gesellschaftlichen Bewußtsein stehe - und das setze den Gesichtspunkt des Tadels voraus -, erscheine es schwierig, bei ihm das Gefühl der Verantwortung wiederherzustellen. 88 Der vergeltende Charakter der strafrechtlichen Verurteilung soll beibehalten werden,89 da dies einen belehrenden und die Sittlichkeit fördernden Wert habe. 9O Die Vergeltung, ein tief in der menschlichen Seele verankerter Begriff, sei zunächst im Interesse des Delinquenten selbst anzuwenden. Der Täter könne sich sagen, daß er mit der Abbüßung der Strafe seine Schuld an die Gesellschaft gezahlt habe, und wieder erhobenen Hauptes seinen Platz in der Gemeinschaft einnehmen. 91 Bei einer Ablehnung der Vergeltung bestünde im übrigen das Risiko, daß die Skala der sozialen Werte verfälscht, die Öffentlichkeit beunruhigt und dem Empfinden des Volkes über die Verantwortlichkeit widersprochen würde. 92 Es sei unklug, die öffentliche Meinung, daß Unrecht durch Strafe auszugleichen sei, zu mißachten. 93 Die Strafe sei eine Notwendigkeit, die die "soziale Hygiene" verlange. 94 Einzig eine Strafverurteilung, die den antisozialen Charakter der Straftat brandmarke, könne verhindern, daß das Volk zur Privatrache greife. 95 Des weiteren wird gegen ein Strafrecht, das rein resozialisierend aufgebaut ist, der Einwand erhoben, daß dieses in seiner logischen Schlußfolgerung viel gefährlicher sei für die individuelle Freiheit als die "Besserung", die durch das klassische Strafrecht verfolgt werde. 96 Letzteres versuche, die Person von weiteren Straftaten abzuhalten, ohne seine innere Psyche zu bekehren. Zwar erhoffe man aufgrund des Sühnecharakters der Strafe, daß die Person sich bessere, jedoch sei dies ein geistiger
88
Legal, rev. sc. crim. 1964,827.
89
MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 88, S. 138; Merle, rev. sc. crim. 1964,725 (729).
90
Merle, rev. sc. crim. 1964,725 (731).
91
Legal, rev. sc. crim. 1964,827 f.
92
Merle, rev. sc. crim. 1964,725 (731).
93
MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 89, S. 139; Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 105, S.109 f.
94
MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 89, S. 140.
Siehe MerlelVitu, dr. crim., 1.1, Nr. 89, S. 140. Die Vergeltung besitzt damit einen sozialen Faktor; siehe Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 104. 95
96
Siehe MerlelVitu, dr. crim., 1.1, Nr. 92, S. 144.
1. Abschnitt: Die kriminalpolitischen Tendenzen
39
Prozeß, der einen entsprechenden Willen des Täters erfordere und daher die individuelle Freiheit des einzelnen respektiere. 97 11. AbxreDZUIIg zur neoldassischeo Strafrechtslehre des 19. Jahrhunderts
Andererseits ist zu berücksichtigen, daß auch die gegenwärtigen Neoklassizisten von den Gedanken der neuen Sozialverteidigung inspiriert worden sind und sich dadurch insbesondere die Distanz zur traditionellen neoklassischen Richtung Mitte des 19. Jahrhunderts zeigt. 98 Das wird im Bereich des Strafvollzugs deutlich. Die neoklassische Strafrechtslehre erkennt heute an, daß ein an die Persönlichkeit und dem typisch Verbrecherischem der Handlungsweise des Verurteilten angepaßter Strafvollzug zu erfolgen habe. 99 Die Beachtung der Persönlichkeit des Täters ist somit auch ein notwendiges Erfordernis für die gegenwärtige neoklassische Schule. loo Unter ihren Anhängern ist aber umstritten, zu welchem Zeitpunkt die Täterpersönlichkeit erforscht werden soll. Merle, der als ein Hauptvertreter der gegenwärtigen neoklassischen Schule anzusehen ist,IOI will im Gegensatz zur Bewegung der neuen Sozialverteidigung diese Berücksichtigung der Persönlichkeit erst im Strafvollzug unter der Kontrolle des Strafvollstreckungsrichters stattfinden lassen. 102 Es sei nicht erwiesen, daß die Erforschung bereits im Prozeß tatsächlich nützlich sei. Der erkennende Richter habe lediglich die Strafe auszusprechen, die den Umschlag für die dann folgende Behandlung des Täters darstelle. I03 Die Aufteilung des Prozesses in zwei Phasen würde unweigerlich dazu führen, den vergeltenden Charakter der Verurteilung zu verfälschen, da der zweite Teil seine strafende und moralisierende Funktion verlöre. 104 Andere Autoren dagegen befürworten - stark von der neuen Sozialverteidigung beeinflußt - die Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit
97
MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 92, S. 144.
98
Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 103 f.; Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 107, S. 111 f.
99
Siehe Rieg, ZStW 81 (1969),411 (418).
100
Pradel, dr. pen. t.l, Nr. 107, S. 112.
101
Rieg, ZStW 81 (1969),411 (417).
102 MerlelVitu, dr. crim. t.l, Nr. 88, S. 138, Nr. 90, S. 141 f.; Merle, rev. sc. crim. 1964, 72S (729, 734 f.); dagegen mit gewichtigen Argumenten Ancel, rev. sc. crim. 1964, 801 (804
f.).
103 MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 90, S. 142 f. 104
Merle, rev. sc. crim. 1964, 72S (734).
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
40
bereits im Prozeß vor Verkündung der Verurteilung. lOS Dies sei eine Notwendigkeit, der sich der Richter nicht entziehen könne. Die in dem der Verurteilung nachfolgenden Strafvollzug tätigen Personen seien auch weitaus besser informiert, wenn sie Kenntnis über schon vorher erforschte Persönlichkeitsmerkmale des Täters hätten. 106 Die heutige neoklassische Schule kennzeichnet sich somit insgesamt dadurch, daß die Gesichtspunkte des Tadels, der Verantwortlichkeit und des vergeltenden Strafcharakters beibehalten werden, der Vollzug der Strafe aber an der Persönlichkeit des Delinquenten ausgerichtet sein soll, wobei aber umstritten ist, ob die Persönlichkeit des Täters bereits vor der Verurteilung zu berücksichtigen ist oder erst im Strafvollzug. C. Gegenüberstellung der neuen Sozialverteidigung und der gegenwärtigen neoklassischen Schule Im Jahr 1964 fanden in Paris die 12. "Joumees de defense sociale" statt, deren Thema die Gegenüberstellung der gegenwärtigen neoklassischen Schule und der neuen Sozialverteidigung war. 107 Dabei ergab sich, daß - entgegen der zunächst angestellten Vermutung - die Positionen dieser beiden Richtungen in der Strafrechtslehre gar nicht so weit voneinander entfernt sind. 108 Die Annäherung wird insbesondere in folgenden Bereichen deutlich: Die neoklassische Schule hatte der neuen Sozialverteidigung vorgeworfen, daß sie sich aus dem juristischen Korsett, das, indem es Willkür weitestgehend vermeide, der beste Garant der individuellen Freiheit sei, lösen wolle. 109 Ancel hat jedoch deutlich gemacht, daß seine Bewegung am Gesetzlichkeitsprinzip festhalte und keineswegs den juristischen Rahmen verlas-
105
Levasseur, rev. sc. crim. 1964,785 (794 f.).
106
Levasseur, rev. sc. crim. 1964,785 (795).
107
Die Vorträge und Dislrussionsbeiträge sind abgedruckt in rev. sc. crim. 1964,721 ff.
Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 106; Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 112 f.; Rieg, ZStW 81 (1969),411 (418). 108
109
Merle, rev. sc. crim. 1964,725 (732).
1. Abschnitt: Die kriminalpolitischen Tendenzen
41
se. IIO Im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des juristischen Systems, der Beachtung der individuellen Freiheit und der prozeßualen Garantien besteht daher kein Unterschied zwischen den beiden Richtungen: 1I Auch herrscht Einigkeit darüber, daß eine an die Person des Täters angepaßte Wiedereingliederung durchzuführen sei. 1I2 Lediglich ist, wie ausgeführt, unter den Neoklassizisten umstritten, ob die Täterpersönlichkeit bereits im PlOzeß Berücksichtigung finden soll.1I3 Schließlich hat sich eine Annäherung beider Richtungen in bezug auf den tadelnden und vergeltenden Charakter der Strafsanktion gezeigt, der ein erstes Anliegen der neoklassischen Schule ist"' 4 Ancel führte aus, daß seine neue Sozialverteidigung, die prinzipiell auf Resozialisierung angelegt sei, nicht beabsichtige, den Delinquenten des gesellschaftlichen Tadels zu entziehen, vielmehr möchte sie den Täter dafür empfänglich machen. 1I5 Der Tadel komme einmal durch dessen Verpflichtung zum Ausdruck, vor dem Richter für sein Verhalten Rechenschaft abzulegenY6 Weiterhin sei der gesellschaftliche Tadel in der verhängten Sanktion selber enthalten, da dem jeweiligen Täter im Namen der Gemeinschaft zwingend eine Sanktion (Strafe oder Maßregel) auferlegt werde. 117 Auch den Begriff der "Vergeltung" leugnet Ancel nicht"' s Sie sei aber ebenfalls nicht abstrakt zu verstehen, sondern, wie alle Mittel der Verbrechensverhütung, im Hinblick auf den einzelnen und die Gesellschaft zu benutzen. 1I9
110 Ancel, rev. sc. crirn. 1964, 188 (194); ders. in der Synthese von Levasseur, rev. sc. crirn. 1964, 785 (793); Ancel, rev. sc. crirn. 1964, 801 (804); ders., La defense sociale nouvelle, S. 337; siehe dazu auch Rieg, ZStW 81 (1969), 411 (417); Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 100 f.; MerlelViru, dr. crirn., t.l, Nr. 87, S. 136. 111 MerlelViru, dr. crirn., t.l, Nr. 92, S. 144 f.; Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 112 f., S. 337. 112
MerlelViru, dr. crirn., t.l, Nr. 90, S. 141.
113 Siehe oben 1. Kap., 1. Abschnitt, B, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 106 f.
n, sowie Rieg, ZStW 81 (1969),411 (419); Sessar,
114
Rieg, ZStW 81 (1969),411 (418 f.); Levasseur, rev. sc. crirn. 1964,785 (792).
115
Ancel, rev. sc. crirn. 1964,801 (803 f.); siehe Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S.
105.
116 Ancel, rev. sc. crirn. 1964,801 (803 f.). Darin liegt für Ancel auch die Abschreckung; Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 100. 117 Ancel, rev. sc. crirn. 1964, 828 f. Bei Ancel ist somit der Tadel kein abstrakter Begriff, sondern es erfolgt stets eine konkrete und persönliche Einbeziehung des Täters; siehe dens., rev. sc. crirn. 1964,801 (803,829); Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 105.
IIS Ancel, rev. sc. crirn. 1964, 188 (190); den., La defense sociale nouvelle, S. 309; siehe bereits oben 1. Kap., 1. Abschnitt, A, I, 2. 119
11).
Ancel, rev. sc. crirn. 1964, 828 (829); siehe Cambassedes, I.C.P. 1980, I, 2977 (Nr.
I. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
42
D. Jüngere kriminalpolitische Tendenzen Obwohl somit eine Annäherung der Positionen der neuen Sozialverteidigung und der neoklassischen Schule zu konstatieren ist, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß in jüngster Zeit in der Strafrechtslehre auch wieder sehr gegenläufige Tendenzen vertreten werden. I. Repressivere Strömungen
Einerseits hat sich mit dem ständigen Ansteigen der Kriminalität bei einigen Anhängern der neoklassischen Strömung die Meinung gebildet, dieser Situation durch größere Härte zu entgegnen. Sie wollen die Ideen der Prävention, der Individualisierung und der Wiedereingliederung zurückdrängen. Allein die Bestrafung könne die Bevölkerung beruhigen. Das Gefängnis habe nicht die Umerziehung zu bezwecken, sondern diene lediglich der Neutralisierung und Abschreckung. IW Andererseits werden neben dem Freiheitsentzug auch andere Strafen als Notwendigkeit anerkannt. Es sei zu unterscheiden zwischen professionellen Tätern, die man durch das Gefängnis neutralisieren müsse, und harmloseren Delinquenten, bei denen eine Wiedereingliederung anzustreben sei. 121 11. Abolitionistische Auffassungen
Auf der anderen Seite macht sich aufgrund des Kriminalitätsanstiegs und des Abschwörens vom BehandlungsideaJ122 zum Teil eine Tendenz bemerkbar, die näher den Konzeptionen Gramaticas steht als den gemäßigteren Ansichten Ancels. l23 Diese abolitionistische Richtung befürwortet die Abschaffung des Strafrechts, das ein soziales Übel darstelle. 124
IW
Vgl. etwa Solon, raison pour la justice, S. 74.
Zu dieser Tendenz in der Kriminalpolitik zusammenfassend Pradel, dr. pen., t.1, Nr. 107, S. 112 f. m.w.N.; Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 121, 331 ff.; Jeandidier, dr. pen. gen., Nr. 52, S. 47; Le Gendre, Le Monde 22.3.1983, 2. 121
122 Weitere Ursachen nennt Ancel,
La defense sociale nouvelle, S. 116 f.
MerlelVilU, dr. crim., t.l, Nr. 94bis, S. 147; die vor allem in den USA entwickelten Ausprägungen (labelling theory, criminologie radicale, non-intervention) stellt Ancel, La d6fense sociale nouvelle, S. 118 f., dar. 123
124 ZusammenfaS"send zu dieser Bewegung Pradel, dr. p6n., t.1, Nr. 106, S. 110 f.; MerlelVitu, dr. crim., t.1, Nr. 93 ff., S. 145 ff., insbes. S. 147 f.
1. Abschnitt: Die kriminalpolitischen Tendenzen
43
1. Die Ansicht von Hulsman Hierbei hat in Frankreich insbesondere die abolitionistische Lehre l25 des Niederländers Louk Hulsman Aufmerksamkeit hervorgerufen. l26 Hulsman kritisiert die staatlichen Institutionen, die aus dem strafrechtlichen System einen Mechanismus ohne Seele machten. l21 Im gegenwärtigen System werde der Delinquent schlecht behandelt, es sei unmenschlich und produziere soziale Ungleichheiten. 128 Daher sei das Strafrechtssystem abzuschaffen. l29 Vielmehr habe man jedes unerwünschte Verhalten, gegenwärtig "Delikt" genannt, als ein "Situationsproblem"13O zu betrachten, das im interpersonellen, kulturellen und sozio-politischen Zusammenhang zu lösen sei. 131 Entstandene Konflikte sollen im sozialen Umfeld außerhalb des traditionellen Strafrechts geregelt werden. 132 2. Die Stellung der neuen Sozialverteidigung zu dieser Tendenz Die Bewegung der Sozialverteidigung, die, was in der Mindestprogrammergänzung 1984 deutlich hervorgehoben ist, anstrebt, Konflikte auch im außerstrafrechtlichen Bereich z.B. über zivil- und verwaltungsrechtliche Reaktionen und über Sozialorganisationen zu lösen, weist gewisse Aspekte der beschriebenen Tendenz nicht zurück. 133 Insofern erfolgt aufgrund dieser jüngeren Auffassungen ein Neuüberdenken und eine Aktualisierung der
125 Zum Abolitionismus in seinen unterschiedlichen Ausprägungen insgesamt Kaiser, Festsehr. f. Lackner, S. 1027 ff.
126 HulsmanlBemal de Celis, Peines perdues. Le systeme penal en question; vgl. dazu die Buchbesprechung von Delmas-MartyISzabo, rev. sc. crim. 1984, 396 ff., und Jeandidier, dr. pen. gen., Nr. 52, S. 47.
127 Hulsman,
peines perdues, S. 58 f., 60 f., 62.
128 Hulsman, peines perdues, S. 82 f., siehe auch S. 63 f., 78, 90 f., 100 f.; in diesem Sinne bereits ders., M61anges Ancel, ß, S. 20, 22.
129 Hulsman, peines perdues, S. 104 f.; ders. im Rahmen eines 1984 in Paris veranstalteten Kolloquiums über die Frage, ob Alternativen zum Strafsystem existieren, siehe Bemal de Celis, rev. sc. crim. 1986,309 (311, 315). 130
Hulsman, peines perdues, S. 115 f.
131 Hulsman,
peines perdues, S. 118 f.
132 Siehe Hulsman, peines perdues, S. 121; ders. im Rahmen des in Anm. 129 erwähnten Kolloquiums, siehe Picca, rev. int. crim. pol. tech. 1984,314 (315); Bemal de Celis, rev. sc. crim. 1987,309 (312).
133 Ancel, rev. sc. crim. 1983, 145 (149), sagt, daß sich in der Bewegung der depenalisation gewisse modeme Tendenzen der non-intervention wiederfinden.
44
I. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
Bewegung der Sozialverteidigung;34 wobei man insbesondere auch eine Kriminalpolitik befürwortet, die verstärkt das soziale Problem der Kriminalität und das soziale Umfeld des Täters berücksichtigt. 13s Andererseits werden aber gleichzeitig die mit dieser Ansicht verbundenen radikalen Aspekte verworfen, da sie undurchfiihrbar seien und dem Delinquenten seine durch den Prozeß garantierten Rechte entzögen. l36 Ancels neue Sozialverteidigung vollzieht keinen radikalen Bruch mit dem Bestehenden, sondern hält unter gleichzeitiger Aktualisierung ihrer eigenen Auffassung an hergebrachten Grundprinzipien fest. 137 Insgesamt läßt sich damit feststellen, daß zwischen der Bewegung der neuen Sozialverteidigung und der des Neoklassizismus gewisse Annäherungen erfolgt sind, andererseits teilweise vertretene gegenwärtige extreme Auffassungen (Tendenz zu größerer Härte auf der einen Seite, Abschaffung des Strafrechtssystems auf der anderen) wieder weit auseinanderklaffen. Im folgenden sollen nun die seit 1945 ergangenen Reformgesetze, die für das Sanktionensystem bedeutsam sind, in einem Überblick betrachtet werden unter gleichzeitiger Berücksichtigung, inwieweit sich darin gegebenenfalls die eine oder andere kriminalpolitische Tendenz widerspiegelt.
2. Abschnitt: Überblick über die seit Ende des Zweiten Weltkriegs durchgeführten wichtigsten Reformen des Sanktionensystems Es wurde bereits erwähnt, daß bei den im Bereich der Sanktionen erfolgten Neuerungen der Einfluß der Lehre stärker zu spüren ist als bei anderen Reformen des Strafrechts. Dennoch darf nicht verkannt werden, daß auch zum Teil Novellierungen der Rechtsfolgen von unterschiedlichen politi-
134 Ancel, La defense soeiale nouvelle, S. 120, 297, 327. Im Hinblick darauf, daß die Sozialverteidigung sich vor allem auch als ein stetiges in Frage stellen der bestehenden Positionen versteht, bleibt sie mit dieser Aktualisierung ihren Prinzipien treu; Ancel, a.a.O., S. 120; siehe auchdens., rev. sc. crim. 1989,813 (816). I3S
Ancel, La defense soeiale nouvelle, S. 298.
136 Ancel, rev. int. dr. pen. 1982, 587 (594); ders., La defense soeiale nouvelle, S. 266, 342; kritisch ebenfalls Delmas-Marry/Szabo, rev. sc. crim. 1984,396 (399 f.); Pradel, de. pen., t.l, Ne. 106, S. 110.
137 Siehe oben 1. Kap., 1. Abschnitt, A, IV; insbesondere die Prinzipien der Gesetzlichkeit, der persönlichen Verantwortlichkeit, dem Einschreiten eines Richters; MindestprogrammergänZIIng 1984, Abschnitt I, rev. sc. crim. 1985, 159; Ancel, Festschr. f. Jescheck, H, S. 789; ders., rev. int. dr.pen. 1982, 587; ders., La defense sociale nouvelle, S. 297; vgl. auch Bouzat, rev. int. dr. pen. 1990, 11 (13).
2. Abschnitt: Die durchgeführten wichtigsten Refonnen
45
schen Mehrheitsverhältnissen und sozialen Faktoren beeinflußt worden sind. Will man die nach 1945 einsetzende Entwicklung bis zur Gegenwart umschreiben, lassen sich auch im Sanktionenbereich zwei gegenläufige Tendenzen bemerken. Zum einen ergingen Reformgesetze, die durch eine Tendenz zur Strenge gekennzeichnet sind, andererseits führte man viele Reformen durch, die eine Anpassung der Sanktion an die Täterpersönlichkeit zum Ziel hatten und Gedanken der neuen Sozialverteidigung widerspiegeln. 138
A. Die Situation nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs Die Rechtslage unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs stellte sich in der Weise dar, daß das französische Strafrecht vornehmlich einer klassischen und neoklassischen Tradition verhaftet war. 139 Es galt der SchuldSühne-Grundsatz und die Strafe war vergeltend sowie nach der Schwere der Schuld zu bemessen. l40 Das auf Abschreckung und Vergeltung ausgerichtete Strafrecht benutzte als Hauptsanktionen die Todesstrafe, verschiedene Formen der Freiheitsstrafe und die Geldstrafe. Der Gesetzgeber hatte zwar seit Ende des 19. Jahrhunderts einige Maßregeln der Sicherung eingeführt, ohne aber dem für diese Maßregeln entscheidenden Begriff des gefährlichen Zustandes des Betroffenen einen eigenständigen Platz innerhalb der Reaktion auf das Verbrechen einzuräumen. 141 Auch die Idee der Besserung des Delinquenten wurde nur als zweitrangiger Zweck der Strafe betrachtet. Im Laufe der Nachkriegsjahre kam es jedoch dann zu bedeutsamen Reformen. 142
138
Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 108 f., S. 113 ff., Nr. 113, S. 118 f.
Rieg, ZStW 81 (1969), 411 (420); Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 103, 107; MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 98, S. 153. 139
140
Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 103.
141 Gassin, ZStW 91 (1979), 163 (167); zur Situation nach .dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls: Rieg, ZStW 81 (1969), 411 (420 f.); Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 95; Grebing, in: Lüttger (Hrsg.), Strafrechtsrefonn, S. 91. 142 Im folgenden soll lediglich ein Überblick über die für das Sanktionensystem bedeutsamen Refonngesetze gegeben werden. Die durchgeführten Neuerungen im einzelnen werden bei der Darstellung des gegenwärtigen Sanktionensystems eingehend behandelt (1. Kap., 3. Abschnitt); siehe zu den nachfolgenden Ausführungen auch: Jeandidier, dr. pen. gen., Nr. 53, S. 48 f.; Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 109, S. 114 f., Nr. 113, S. ll8 f.; SrefanilLevasseuriBouloc, dr. pen. gen., Nr. 78, S. 96 f., Nr. 80 ff., S. 100 ff.; Levasseur, rev. sc. crim. 1991, 9 (12 ff.); MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 98, S. 153 f., Nr. 100, S. 156, Nr. 102, s. 157 f.; Grebing, in: Lüttger (Hrsg.), Strafrechtsrefonn, S. 98 ff., 103 ff.; Gassin, ZStW 91 (1979), 163 (170 ff.); den., Melanges Ancel, n, S. 5 ff.; Rieg, ZStW 81 (1969), 411 (422 f.); Marchand, rapport, Ass. nat., Nr. 896, 1989-90, t.l, S. 13 f.
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
46
B. Refonnen in den vierziger und fünfziger Jahren Bereits das Regierungsgesetz vom 2.2.1945 und das Gesetz vom 24.5. 1951 vollzogen eine Erneuerung des Jugendstrafrechts. Danach werden gegenüber jugendlichen Delinquenten in der Regel Maßregeln der Besserung ausgesprochen und nur ausnahmsweise eine Strafe. Ein Gesetz vom 11.2. 1951 schaffte Einschränkungen des Anwendungsbereichs der einfachen Strafaussetzung und der mildernden Umstände ab. Neben dem Gesetz vom 15.4. 1954, das gegenüber gefährlichen Alkoholikern die Anordnung einer Entziehungskur regelte,143 erfolgten durch den im Dezember 1958 verkündeten und am 2.3.1959 in Kraft getretenen Code de procooure penale l44 wesentliche Neuerungen im Geiste der neuen Sozialverteidigung. Der C.p.p. regelte zum einen die Anlegung einer Persönlichkeitsuntersuchung in gewissen Fällen durch den Untersuchungsrichter14S und kreierte die Institution des Strafvollstreckungsrichters. Des weiteren wurde u.a. die Strafaussetzung zur Bewährung gegen Auflagen eingeführt, so daß seitdem der Richter nicht mehr auf die vorher allein bestehende einfache Strafaussetzung beschränkt. ist. Auch schon bestehende Institute reformierte man im Geiste der Anpassung der Sanktion an die Täterpersönlichkeit: Durch eine Verordnung vom 1.4.1952 kam es zu einer Regelung der verschiedenen Kontrollund Unterstützungsmaßnahmen bei der seit 1885 bekannten bedingten Entlassung. Ein Gesetz vom 18.3.1955 gestaltete das Verbot, sich an bestimmten Orten aufzuhalten, neu aus. Das Regierungsgesetz vom 4.6.1960 strich dann die Zwangsarbeit und die Deportation aus dem Katalog der Verbrechensstrafen. 146
143
Diese wird aber letztlich durch das Zivilgericht angeordnet.
Der Code de procedure penale - im folgenden C.p.p. - trat an die Stelle des Code d'instruction criminelle von 1808. 144
145 Siehe den heutigen Art. 81 Abs. 6, 7, 8 C.p.p. In der Praxis wird aber von dieser Möglichkeit nur sehr geringfügig Gebrauch gemacht; vgl. Bernards, in: Iescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe, S. 280 f.; Hagedorn, Individualisierung, S. 167 ff., 175 ff.; Levasseur, SchwZStr. 96 (1979), 1 (35). Zu beachten ist, daß seit dem Gesetz vom 2.2.1981 auch der Oberstaatsanwalt gern. Art. 41 Abs. 5 C.p.p. die Persönlichkeitsuntersuchung anordnen kann. Die jetzige Fassung der Art. 81 Abs. 6 ff., 41 Abs. 5 C.p.p. resultiert aus dem Gesetz vom 6.7.1989; dazu Chambon, I.C.P. 1989, I, 3417 (Nr. 10 f.). 146 Im Besonderen Teil des Strafrechts kam es nach dem Zweiten Weltkrieg zum Teil zu Entkriminalisierungsmaßnahmen (z.B. Aufhebung der Ehebruchtatbestände 1975, siehe Grebing, in: Lüttger [Hrsg.], Strafrechtsreform, S. 94 ff.), teilweise wurde aber auch eine sehr repressive Tendenz verfolgt (z.B. Gesetz vom 23.11.1950, Todesstrafe für Diebstahl mit Waffen [in der Praxis nie angewendet], siehe Gassin, ZStW 91 [1979], 163 [174 ff.]). In einem Vortrag von 1963 befürwortete der damalige Iustizminister Foyer einen repressiven Kurs zur Unterdtiickung der Kriminalität; siehe Aury, rev. penit. dr. pen. 1963, 281 (282 f., 286 f.). Der Vortrag von Foyer spiegelt aber nicht mehr als seine persönliche Meinung wider, die sich gegen die neue (Fortsetzung ... )
2. Abschnitt: Die durchgeführten wichtigsten Refonnen
47
C. Refonnen seit 1970 Eine zweite Welle von Reformen, in denen Forderungen der Bewegung der neuen Sozialverteidigung verwirklicht wurden, setzte ab 1970 ein. 147 Das Gesetz vom 17.7.1970, das u.a. den Anwendungsbereich der Strafaussetzung erweiterte und dabei auch die Möglichkeit der teilweisen Strafaussetzung schuf, ersetzte die 1885 eingeführte Sicherungsverwahrung für Mehrfachrückfalltäter durch die weniger strenge Strafaufsicht. 148 Ein Gesetz vom 31.12.1970, das den Betäubungsmittelmißbrauch sanktioniert, bezweckte die Zurückdrängung der Strafverhängung zugunsten einer Entziehungskur bei drogenabhängigen Tätern. 149 Durch das Gesetz vom 29.12. 1972 wurde u.a. dem Richter die Möglichkeit eröffnet, den Delinquenten von obligatorischen Nebensanktionen zu entbinden. l50 Um eine der bedeutsamsten Reformen handelt es sich dann bei dem Gesetz vom 11.7.1975, das die Individualisierungsmöglichkeiten des Richters immens gesteigert hat1St und wie kein anderes als Gesetz im Sinne der neuen Sozialverteidigung bezeichnet werden kann. IS2 Diese Reform schuf insbesondere die Möglichkeit, im Vergehensbereich anstelle der von der Strafbestimmung vorgesehenen Freiheitsstrafe andere Sanktionen als Hauptstrafe zu verhängen, und es gibt dem Richter Maßstäbe für die Bemessung der Geldstrafe in die Hand. Weiterhin verringerte es u.a. die Anforderungen an die Strafaussetzung und kreierte die Institute des Strafdispenses und des Aufschubs der Straffestsetzung.
'46( ... Fortsetzung) Sozialverteidigung richtete, deren Gegner er war; Rieg, ZStW 81 (1969), 411 (421 f.); einen Kurzüberblick über den Besonderen Teil des Code penal vermitteln HUbner/Consrantinesco, Das französische Recht, S. 115 ff. 147 Da Foyer, der die Ideen Ancels nicht teilte, Anfang der sechziger Jahre lustizminister geworden war, trat diese Unterbrechung bis 1970 ein; Levasseur, rev. sc. crim. 1991,9 (17 f.). t48 Bereits durch Gesetz vom 3.7.1954 war der Sicherungsverwahrung ein fakultativer Charakter gegeben worden.
149 Bereits das Gesetz vom 24.12.1953 gab dem Untersuchungsrichter die Möglichkeit, eine Entziehungskur gegenüber Drogenabhängigen anzuordnen; an dessen Stelle trat das Gesetz vom 31.12.1970.
150 Die Gesetze vom 17.7.1970 und 29.12.1972 führten ebenfalls Refonnen in bezug auf das Strafregister zur Förderung der Wiedereingliederung des Täters durch. ISt
Decocq, rev. sc. crim. 1976, 5 (24 f.).
IS2 Pradel, dr. pen., t.1, Nr. 113, S. 118; ders., zit. nach Vb'in, rev. sc. crim. 1979,527 (529); Gassin, ZStW 91 (1979), 163 (172); Gonnard, luris-Cl. pen., Art. 43-1 - 43-11, Nr. I. Nach Charles, Rec. gen. lois 1976, doctr. 157 (158), sollte das Gesetz vom 11.7.1975 zusammen mit dem Gesetz vom 6.8.1975 (Refonnen im Bereich des Strafprozesses) einige der "himmelschreienden Unzulänglichkeiten" des damaligen Systems glätten und eine Anpassung an die Gegenwart erreichen, ohne erst eine Gesamtrefonn abzuwarten.
48
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
Ganz im Gegensatz zu dieser Reformentwicldung zeigte sich mit dem Reformgesetz vom 22.11.1978 eine repressive Tendenz beim französischen Gesetzgeber,tS3 Dieses Gesetz führte bei bestimmten Straftaten während des Vollzugs der Freiheitsstrafe eine "Sicherheitsperiode" ein; sie bewirkt, daß dem davon Betroffenen während ihrer Dauer bestimmte Vorteile, etwa die bedingte Entlassung oder eine Ausgangserlaubnis, nicht gewährt werden können. l54 Noch deutlicher machte sich diese Tendenz mit dem Gesetz vom 2.2.1981 ("Gesetz zur Stärkung der Sicherheit und zum Schutz der Freiheit der Bürger", kurz "loi securite et liberte")155 Dabei gab es der Sicherheit gegenüber der Freiheit deutlich Vorrang. lS6 Das Gesetz, welches u.a. auch die Strafaufsicht ersatzlos gestrichen hatte, erweiterte zum einen die Sicherheitsperiode. Zum anderen erhielten bestimmte Straftaten eine Qualifizierung als "Gewaltdelikte" mit der Folge, daß bei ihnen etwa der Anwendungsbereich der Institute der Strafaussetzung und der mildernden Umstände eingeschränkt war,tS7 Mit dem politischen Wechsel im Mai und Juni 1981 158 erfolgte jedoch eine Abwendung von dieser repressiven Tendenz: 159 Zunächst wurde mit
153 Plawsld, rev. penit. dr. pen. 1979, 31, spricht von einem Schritt nach hinten; Gassin, Problemes actuels, I, S. 43: Umwälzung der Kriminalpolitik. Es darf andererseits bei dieser hinsichtlich des Sanktionensystems dargestellten Entwicklung nicht übersehen werden, daß zwischen 1965 und 1979 129 Handlungen unter Strafe gestellt wurden, davon 99 mit einer Gefängnisstrafe; Merle, Gaz. Pal. 1980, doctr. 266 (267). 154
Levasseur, rev. int. dr. pen. 1987,207 (218).
155 Der Entwurf des Gesetzes vom 2.2.1981 wurde wenige Monate vor den Präsidentschafts-
wahlen vorgelegt und stellte ein Instrument des Wahlkampfes dar; MerlelVitu, dr. crim., t.I, Nr. 100, S. 156. Minerand hatte klargestellt, daß er die Abschaffung dieses Gesetzes beabsichtige, siehe etwa seinen Brief an die Anwaltschaft vom 4.5.1981, dr. ouvrier 1981, 211; zu der mit diesem Gesetz in Frankreich einhergehenden heftigen Diskussion siehe Levasseur, rev. dr. pen. 1981, 843; MerlelVitu, a.a.O., Nr. 100, S. 156; MarchallPreumonl, rev. dr. pen. 1980, 839, 846 ff.; Philip, rev. dr. publ. sc. polit. 1981, 651 (652 ff.); Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 122 m.w.N. in Anm. 136; Pradel, D. 1981, ehr. 101. 156
261.
Spaniol, JZ 1985,618; dies., in: Eser/Huber (Hrsg.), Strafrechtsentwicklung 1982/84, S.
157 Zum Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens siehe Perier-Daville, Gaz. Pal. 1980, doctr. 413, und dens., Gaz. Pal. 1981, doctr. 20 ff. 158 10. Mai 1981: Fran~ois Mitlerand wird im zweiten Wahlgang zum ersten sozialistischen Staatspräsidenten gewählt; 21. Juni 1981: Die französischen Sozialisten erringen im zweiten Wahlgang zur Nationalversammlung zusammen mit den verbündeten Linksliberalen die absolute Mehrheit. 159 Bereits wenige Monate nach den Neuwahlen verkündete der damalige lustizminister Robert Badinler in einem Rundschreiben vom 21.10.1981 die neuen Orientierungspunkte in der Kriminalpolitik. In diesem Schreiben spricht er sich u.a. gegen das Gesetz vom 2.2.1981 aus (Fortsetzung ... )
2. Abschnitt: Die durchgeführten wichtigsten Refonnen
49
Gesetz vom 9.10.1981 die Todesstrafe abgeschafft. Ein Gesetz vom 10.6. 1983 beseitigte dann zahlreiche Bestimmungen des Gesetzes vom 2.2.1981, so die Erweiterung der Sicherheitsperiode und die Behandlung von bestimmten Straftatbeständen als Gewaltdelikte, was zu den oben erwähnten Einschränkungen geführt hatte. \60 Darüber hinaus vergrößerte dieses Gesetz die Zahl der Surrogate der Freiheitsstrafe, indem es die gemeinnützige Arbeit und die Geldstrafe nach dem Tagessatzsystem einführte. Des weiteren schuf der Gesetzgeber eine dritte Modalität der Strafaussetzung, nämlich die Strafaussetzung mit der Auflage zu gemeinnütziger Arbeit. Eine Neuregelung der Übertretungen erfolgte durch eine Verordnung vom 11. 9 .1985. Seitdem ist die Verhängung einer Gefängnisstrafe bei den ersten drei Übertretungsklassen nicht mehr möglich. Das Gesetz vom 30.12.1985 dehnte dann die seit 1975 im Vergehensbereich bekannte Vorschrift, Nebensanktionen der Straftat als alleinige Hauptstrafe zu verhängen, auf den Übertretungsbereich aus.\6\ Der Sieg der bürgerlich-liberalen Opposition über die Sozialisten bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 16. März 1986 ging dagegen wieder mit einer stärkeren Betonung von Sicherheitstendenzen einher. Bedeutsam für das Sanktionensystem sind hierbei drei Gesetze vom 9.9.1986:\62 Es handelte sich um die Antwort auf die Terroranschläge des Sommers 1986 in
'.!9( ... Fortsetzung) und will eine Inflation der Gefangenenanzahl venneiden, Bouloc, rev. sc. crim. 1982, 209. Seine Zielsetzungen erläuterte Badinter auch auf dem 6. Kongreß der französischen Strafrechtsvereinigung in Montpellier 1983: Er beabsichtigte u.a. die Zuriickdrängung der Untersuchungshaft, die Förderung der Surrogate der Freiheitsstrafe und eine Verbesserung der Geldstrafenbeitreibung; siehe lAzerges, rev. sc. crim. 1984, 161 (162), sowie 7homas, rev. dr. pen. 1984, 462. Badinter selbst bezeichnet sich als Schüler von M. Ancel; siehe Le Monde 2.11.1983, 8; Matagrin, rev. ass. prof. mag. avril/mai 1989,3; Bouzat, rev. int. dr. pen. 1990,11 (14). \60 Zu den sonstigen, nicht das Sanktionensystem betreffenden Änderungen durch das Gesetz vom 2.2.1981 und ihre (teilweise) Änderung und Aufhebung durch das Gesetz vom 10.6.1983 siehe Spaniol, in: Eser/Huber (Hrsg.), Strafrechtsentwicklung 1982/84, S. 260 ff., 265 ff.; dies., JZ 1985, 618 ff.; Perier-Daville, Gaz. Pal. 1983, doctr. 305 ff.; Puech, act. leg. D. 1983,105 ff. \6\ Zu den sonstigen Änderungen im Besonderen Teil des Strafrechts sowie im Strafverfahrensrecht ab Juni 1981 siehe Spaniol, in: Eser/Huber (Hrsg.), Strafrechtsentwicklung 1982/84, S. 256 ff.; Rath/Spaniol, in: Eser/Huber (Hrsg.), Strafrechtsentwicklung 1984/86, S. 460 ff.; Detzldes/Schmandt, in: EserlHuber (Hrsg.), Strafrechtsentwicklung 1986/88, S. 310 ff.; Jeandidier, J.C.P. 1991, I, 3487 (Nr. 2). \62 Ein viertes Gesetz (Nr. 86-1025) von diesem Tage enthält Bestimmungen über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern. Im übrigen verschärfte man die Sanktionen in bezug auf die Verkehrsdelinquenz durch Gesetz vom 10.7.1987 und im Betäubungsmittelbereich durch Gesetz vom 31.12.1987.
4 Zieschang
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
50
Frankreich. l63 So wurde die mit Gesetz vom 10.6.1983 erst eingeschränkte Sicherheitsperiode wiederum erweitert,l64 und ebenfalls der Anwendungsbereich des Verbots, sich an bestimmten Orten aufzuhalten. l65 Weiterhin begrenzte der Gesetzgeber etwas die für den Strafvollstreckungsrichter bestehende Möglichkeit der Ermäßigung der Strafe. 166 Die am 12. Juni 1988 erfolgten Neuwahlen zur Nationalversammlung führten zu einer relativen Mehrheit der Sozialisten. Das unter Premierminister Michel Rocard am 28. Juni 1988 gebildete Kabinett ließ dabei die durch die Gesetze vom 9.9.1986 erfolgten Reformen bestehen. Andererseits kam aber auch wieder der Wunsch zum Vorschein, die Individualisierungsmöglichkeiten des Richters zu stärken. Das zeigt sich an dem Gesetz vom 6.7.1989"67 das neben u.a. einer Verkürzung der Dauer der Bewährungszeit bei der Strafaussetzung zur Bewährung die Möglichkeit schuf, den Aufschub der Straffestsetzung mit einer Bewährungszeit zu verbinden. Gleichzeitig strebt man als maßgebliches Ziel die Verwirklichung einer Gesamtreform des Code penal von 1810 168 an. Um diese beabsichtigte Reform und den darin enthaltenen Reaktionenkatalog würdigen zu können, bedarf es jedoch zunächst einer Darstellung der gegenwärtigen Ausgestaltung des französischen Sanktionensystems und der bereits verwirklichten Reformen im einzelnen.
3. Abschnitt: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem und die zu seiner jetzigen Ausgestaltung erfolgten Reformen Zunächst sollen die vorgesehenen Strafen erörtert werden. Im Anschluß daran ist der Frage nachzugehen, ob das französische Strafrecht Maßregeln kennt.
163 Ralh/Spaniol, in: Eser/Huber (Hrsg.), Strafrechtsentwicklung 1984/86, S. 464. 164 Gesetz Nr. 86-1019 vom 9.9.1986 (Kampf gegen Kriminalität und Delinquenz); zur neugestalteten Sicherheitsperiode Rath/Spaniol, in: Eser/Huber (Hrsg.) , Strafrechtsentwicklung 1984/86, S. 507; Pradel, D. 1987, ehr. 5 (6 ff.); Levasseur, rev. int. dr. pen. 1987,207 (219); Bouloc, rev. sc. crim. 1987,257 (258 f.). 165 Gesetz Nr. 86-1020 vom 9.9.1986 (Bekämpfung terroristischer Gewalttaten). 166
Gesetz Nr. 86-1021 vom 9.9.1986 (Strafanwendung).
167
Es führte vornehmlich Reformen im Bereich der Untersuchungshaft durch.
168 Für das französische Strafgesetzbuch, den Code penal, wird im folgenden die Abkürzung C.p. verwendet.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
51
A. Die vom französischen Gesetzgeber als Strafe bezeichneten Sanktionen Der französische Gesetzgeber differenziert zwischen Hauptstrafen (peines principales), Nebenstrafen (peines accessoires) und Zusatzstrafen (peines complementaires).I69 I. Die Unterteilung in Haupt-, Zusatz- und Nebenstrafen
Die Hauptstrafe ist bei jeder Strafvorschrift vorgesehen und muß durch den Richter ausdrücklich ausgesprochen werden. Die beiden wichtigstenl'lO Hauptstrafen sind die Gefängnis- und Geldstrafe. 171 Den vom Gesetzgeber formell als "Strafe" bezeichneten Neben- und Zusatzsanktionen ist gemeinsam, daß sie grundsätzlichm nur in Verbindung mit einer Hauptstrafe verhängt werden können und letztere somit voraussetzen. Des weiteren sind sie im Gegensatz zu den Hauptstrafen nicht bei jeder Strafvorschrift normiert. 17J Die Nebenstrafen finden automatisch mit der Verhängung einer Hauptstrafe Anwendung, ohne daß der Richter diese in der Verurteilung zu erwähnen braucht. 174 Die Zusatzstrafen dagegen müssen ausdrücklich angesprochen werden. 17S Sie können einmal fakultativ sein, d.h. es bleibt dem Richter überlassen, ob er sie verhängt, andere Zusatzstrafen sind obligatorisch, so daß der Richter verpflichtet ist, diese anzuordnen. 176 Wird eine obligatorische Zusatzstrafe nicht ausdrücklich durch den Richter ausgespro-
169
MerlelVitu, dr. crim., t.1, Nr. 616, S. 798.
170
Eine Darstellung der einzelnen Hauptstrafen erfolgt unten 1. Kap., 3. Abschnitt, A, 11.
171
PradeL, dr. pen., t.l, Nr. 528, S. 530 f.
172 Zu Art. 43-1 C.p. ff., Anwendung von Nebensanktionen als Hauptstrafe, siehe unten 1. Kap., 3. Abschnitt, A, n, 3 c. l7J
PradeL, dr. pen., t.l, Nr. 528, S. 531.
174 Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 6 - 10, Nr. 16.; Robert, dr. pen. gen., S. 74, 384; Soyer, dr. pen. et proced. pen., Nr. 204, S. 120; Rassat, dr. pen., Nr. 356, S. 520; PradeL, dr. pen., t.l, Nr. 528, S. 531; StefanilLevasseuriBouLoc, dr. pen. gen., Nr. 468, S. 522; zur Aufhebungsmöglichkeitgem. Art. 55-1 C.p. siehe unten 1. Kap., 3. Abschnitt, C, I, 3 b. 17S MerlelViru, dr. crim., 1.1, Nr. 616, S. 798; PradeL, dr. pen., 1.1, Nr. 528, S. 531; Soyer, dr. pen. et proced. pen., Nr. 204, S. 120; ContelMaistre de Chambon, dr. pen. gen., S. 244; Robert, dr. pen. gen., S. 75,384; Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 6 - 10, Nr. 16. 176 StefanilLevasseuriBouLoc, dr. pen. gen., Nr. 465, S. 516; zur Anwendung der Aufhebungsmöglichkeit nach Art. 55-1 C.p. auf Zusatzstrafen siehe unten 1. Kap., 3. Abschnitt, C, I, 3 b, bb. Problematisch ist, ob mildernde Umstände auf Zusatzstrafen angewendet werden können, siehe dazu unten 1. Kap., 3. Abschnitt, C, n, 3 a, bb.
I. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
52
chen, hat dies die Aufhebung des Urteils in der zweiten Instanz zur Folge. 177 Durchaus möglich ist, daß ein- und dieselbe Zusatzstrafe für ein bestimmtes Delikt obligatorischer, für ein anderes Delikt dagegen lediglich fakultativer Natur ist. l78 Beispielsweise ist im Bereich der Zuhälterei gern. Art. 335-1quater Abs. 1 C.p. der Entzug der in Art. 42 C.p. aufgezählten Rechte 179 obligatorische Zusatzstrafe, beim Diebstahl 180 dagegen gern. Art. 383 C.p. lediglich fakultative Zusatzstrafe. 181 Auch ist zu beachten, daß eine Sanktion bei verschiedenen Stratbestimmungen unterschiedliche Bedeutung haben kann. So ist die Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte bei Art. 111 C.p. (Wahl fälschung durch Wahlhelfer) Hauptstrafe. Andererseits kann gern. Art. 463 Abs. 2 C.p. (mildernde Umstände) derjenige Täter, der ein Verbrechen verwirklicht hat, aufgrund mildernder Umstände jedoch lediglich zu einer Gefängnisstrafe im Vergehensbereich verurteilt wird, als fakultative Zusatzstrafe l82 die Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte auferlegt erhalten. Schließlich ist diese Entziehung gern. Art. 28 C.p. Nebenstrafe bei Verbrechen. Bereits daran zeigt sich eine gewisse Aufweichung der Unterscheidung in Haupt-, Zusatz- und Nebenstrafen. 183 11. Die Hauptstrafen und die daran anknüpfende Dreiteilung der Straftaten
Der C. p. legt für die verschiedenen strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen unterschiedliche Hauptstrafen fest.
In Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 528, S. 532; Jeandidier, dr. pen. gen., Nr. 377, S. 354; Puech, dr. pen. gen., Nr. 1242, S. 449; Rassal, dr. pen., Nr. 356, S. 521; ComelMaislre de Chambon, dr. pen. gen., S. 245 (sofern der Staatsanwalt Rechtsmittel einlegt). 178
Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 528, S. 531.
179
Z.B. das aktive und passive Wahlrecht.
180
Art. 381 C.p.
181
Weitere Beispiele bei Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 40 - 43, Nr. 45 f.
Jeandidier, Juris-CI. penal, Art. 18 - 39, Nr. 56; Pradel, dr. pen., t.I, Nr. 577, S. 577; SlefanilLevasseuriBouloc, dr. pen. gen., Nr. 468, S. 522. 182
183 Zu Art. 43-1 ff. C.p. und Art. 55-1 C.p., die diese Unterscheidung noch stärker relativieren, siehe unten I. Kap., 3. Abschnitt, A, U, 3 c, und C, I, 3 b. Darüber hinaus ist der Gesetzgeber teilweise unpräzise: So spricht er in Art. 363 C.p. von "Nebenstrafen", obwohl es sich um fakultative Zusatzstrafen handelt; Puech, dr. pen. gen., Nr. 1243, S. 449; Rassal, dr. pen., Nr. 355, S. 519.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
53
1. Art der Androhung der HauptstraJen Möglich ist, daß lediglich eine oder aber auch mehrere Hauptstrafen bei einer Strafbestimmung vorgesehen sind. Legt die Strafvorschrift nur eine Hauptstrafe fest,l84 muß der Richter diese aussprechen, wobei jedoch die Auflockerung durch das Institut der mildernden Umstände zu beachten ist" 8s Es ist aber auch möglich, daß eine Vorschrift mehrere Hauptstrafen normiert. In diesem Fall hat man verschiedene Ausgestaltungen zu unterscheiden. Häufig wird der Richter verpflichter 86 , beide Hauptstrafen anzuwenden. So lautet z.B. Art. 319 C.p. (fahrlässige Tötung): " ... wird bestraft mit Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren und187 einer Geldstrafe von 1000 F bis zu 30000 F." Das Gesetz räumt dem Richter aber auch zum Teil die bloße Möglichkeit zur Verhängung beider Hauptstrafen ein und erlaubt ihm gleichzeitig, lediglich eine der beiden Hauptstrafen auszusprechen. Als Beispiel ist Art. 381 C.p. (Diebstahl) anzuführen, der als Sanktionen Gefängnis von drei Monaten bis zu drei Jahren und Geldstrafe von 1000 F bis zu 20000 F oder lediglich eine der beiden Strafen vorsieht. Anknüpfend an die für das jeweilige Delikt vorgesehene Hauptstrafe erfolgt gem. Art. 1 C.p. gleichzeitig eine Unterteilung der Straftaten in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen.
2. Haupstrafen im Verbrechensbereich Aussagen zu den Hauptstrafen im Verbrechensbereich finden sich in den Art. 6 bis 8 C.p. Um ein Verbrechen handelt es sich demgemäß, sofern eine der folgenden Hauptstrafen normiert ist: Lebenslange oder zeitige Zuchthausstrafe (reclusion criminelle), lebenslange oder zeitige Festungshaft (detention criminelle), Verbannung (bannissement) oder Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte (degradation civique). Gleichzeitig ergibt sich anband der angedrohten Verbrechensstrafen, ob eine politische Straftat oder ein nach allgemeinem Recht strafbares Verhalten vorliegt. Politische Verbrechen werden mit der Hauptstrafe Festungshaft, Verbannung oder Entziehung der bür-
184
So z.B. Art. 304 Abs. 3 C.p. (einfacher Totschlag): lebenslange Zuchthausstrafe.
185 SteJanilLevasseuriBouloc, dr. pen. gen., Nr. 464, S. 516; zu den mildernden Umständen siehe unten 1. Kap., 3. Abschnitt, C, 11, 3.
186
Aufgelockert wiederum durch die noch zu behandelnden mildernden Umstände.
187
Hervorhebung durch den Verfasser.
54
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
gediehen Ehrenrechte sanktioniert,l88 so daß die Zuchthausstrafe die nach allgemeinem Recht strafbaren Delikte kennzeichnet. a) Die Zuchthausstrafe Im Hinblick auf die Zuchthausstrafe ist zu bemerken, daß die Schwurgerichte derzeit jährlich ca. 80 - 90 Verurteilungen zu lebenslanger Zuchthausstrafe verhängen. 189 Am 1.1.1988 befanden sich in den französischen Gefängnissen 415 Personen, welche diese Strafe verbüßen mußten. l90 Die Verurteilungen zu zeitiger Zuchthausstrafe sind beträchtlich höher und liegen bei ca. 1500 jähdich. 191 Gemäß Art. 18 C.p. beträgt die Dauer der zeitigen Zuchthausstrafe ebenso wie die der zeitigen Festungshaft mindestens fünf und maximal 20 Jahre. b) Die Festungshaft Die lebenslange Festungshaft wurde 1963 in fünfzehn Fällen, 1964 in zwei und 1965 und 1966 je einmal durch den französischen Staatssicherheitshof (Cour de Stlrete de l'Etat), der durch Gesetz vom 4.8.1981 abgeschafft worden ist,l92 verhängt. Ab 1967 erfolgten keine Verurteilungen mehr zu lebenslanger Festungshaft und am 1.1.1984 saß kein zu dieser Strafe Verurteilter mehr in den Vollzugsanstalten ein. l93 Die zeitige Festungshaft kam 1963 in 104 Fällen zur Anwendung, ihre Anordnung nahm jedoch in den nachfolgenden Jahren sehr schnell ab. l94 Am 1.7.1979 befand sich noch ein zu zeitiger Festungshaft Verurteilter im Gefängnis, danach keiner mehr. 195
188 SlejanilLevasseur/Bouloc, dr. pen. gen., Nr. 451 ff., S. 504 f.; Pradel, dr. pen., t.1, Nr. 530, S. 533; Jeandidier, Juris-Cl. pen., Art. 6 - 10, Nr. 12.
189 1981: 59; 1982: 61; 1983: 61; 1984: 56; 1985: 73; 1986: 73; 1987: 94, Annuaire statistique de 1a justice 1989, S. 111.
190 1981: 349; 1982: 372; 1983: 380; 1984: 389; 1985: 411; 1986: 387, 1987: 380, Annuaire statistique de 1a justice 1990, S. 179. 191 1981: 1209; 1982: 1176; 1983: 1060; 1984: 1248; 1985: 1512; 1986: 1591; 1987: 1519, Annuaire statistique de 1a justice 1989, S. 111.
192 Dazu Spaniol, in: Eser/Huber (Hrsg.), Strafrechtsentwicldung 1982/84, S. 258 f. 193 SlejanilLevasseuriBouloc, dr. pen. gen., Nr. 451, S. 504.
194 1964: 45; 1965: 13; 1966: 13; 1971: 5; seitdem ein Fall im Jahr 1974; Zahlen nach
SlejanilLevasseur/Bouloc, dr. pen. gen., Nr. 452, S. 505. 195
StejanilLevasseuriBouloc, dr. pen. gen., Nr. 452, S. 505
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Reformen
55
c) Die Verbannung Die Verbannung ist eine Hauptstrafe, die im Ancien Regime sowohl bei bei politischen als auch nach allgemeinem Recht strafbaren Handlungen angewendet wurde. Während der Revolution abgeschafft, nahm man sie für politische Straftaten in den C.p. von 1810 wieder auf. l96 Diese in Art. 32 C.p. normierte Sanktion bedeutet den zwangsweisen Transport des Verurteilten aus dem Staatsgebiet Frankreichs. Ihre Dauer beträgt mindestens fünf und maximal zehn Jahre. l97 Im Hinblick auf ihren geringen Abschrekkungscharakter und die Gefahr, daß der Verurteilte nun von einem anderen Staat aus Feindpläne gegen Frankreich schmieden könne,l98 ist der Anwendungs'bereich der Verbannung stark vermindert worden. Gegenwärtig existieren lediglich drei Strafbestimmungen, in der sie als Hauptstrafe vorgesehen ist. l99 Tatsächlich wird die Verbannung heute nicht mehr verhängt. 200 Sie ist im übrigen unvereinbar mit Art. 3 des Zusatzprotokolls Nr. 4 der europäischen Konvention vom 16.9.1963, der vorschreibt, daß niemand aus seinem Heimatland ausgestoßen werden kann.'lIl1 d) Die Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte Schließlich ist, wie ausgeführt, die Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte Hauptstrafe im Verbrechensbereich. Den Umfang der aus der Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte resultierenden Unfähigkeiten umschreibt
196
Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 18 - 39, Nr. 18.
197 Art. 32 Abs. 2 C.p.; zu den Rechtsfolgen bei vorzeitiger Rückkehr siehe Art. 33 C.p. sowie Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 18 - 39, Nr. 24; Bouzar, Rep. pen., bannissement, Nr. 5 f. 198 Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 547, S. 546; Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 18 - 39, Nr. 22; ders., dr. pen. gen., Nr. 390, S. 367; MerlelViru, dr. crim., t.l, Nr. 726, S. 908.
199 Art. 110 C.p. (schwere Behinderung der Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte), Art. 115 C.p. (willkürliche Freiheitsentziehung durch einen Minister) und Art. 124 C.p. (gemeinschaftliche Maßnahmen von Amtsträgern gegen die Ausführung von Gesetzen bzw. Regierungsanordnungen). Die Verbannung kann theoretisch jedoch auch andere Verbrechen sanktionieren, wenn das Vorliegen mildernder Umstände das Gericht berechtigt, sie anstelle der Festungshaft zu verhängen; Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 18 - 39, Nr. 21. Art. 7 C.p. und 8 C.p. geben gleichzeitig die Reihenfolge der Schwere der Verbrechenssanktionenan. 200
Roben, dr. pen. gen., S. 79; Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 18 - 39, Nr. 22.
'lIl1 Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 18 - 39, Nr. 18; Roben, dr. pen. gen., S. 79 f.; Merle, D. 1981, ehr. 227 (230); MerlelViru, dr. crim., t.I, Nr. 726, S. 907, Anm. I; Decocq, rev. sc. crim. 1974,894 (895); Rudloff, rapport, Senat, Nr. 271, 1988-89, t.l, S. 85; zur Abgrenzung der Verbannung von ähnlichen Maßnahmen siehe Jeandidier, a.a.O., Nr. 19; Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 547, S. 546 f., sowie Bouzar, Rep. pen., bannissement, Nr. 8 ff.
56
I. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
Art. 34 C.p. Sie umfaßt u.a. 202 die Absetzung und den Ausschluß des Verurteilten von allen öffentlichen Ämtern, Tätigkeiten oder Aufgaben, den Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts und auch etwa das Verbot, in einer Unterrichtsanstalt als Professor, Lehrer oder Aufsichtsperson zu unterrichten oder beschäftigt zu werden. 203 Als Hauptstrafe sanktioniert sie nur wenige Taten. 204 Der lebenslange Charakter der Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte als Hauptstrafe20S ist indes Kritik ausgesetzt: Seien alle Anstrengungen auf die Wiedereingliederung des Täters gerichtet, mute es erstaunlich an festzustellen, daß diese Eingliederung durch die aus der Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte resultierenden Unfähigkeiten gehemmt werde. 206
e) Die Reformentwicklung der Hauptstrafen im Verbrechensbereich Wenn auch die Verbannung und die Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte keine Veränderungen erfuhren, sind bezüglich der sonstigen Hauptstrafen im Verbrechensbereich drei Reformgesetze nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutsam. Zum einen das Regierungsgesetz vom 4.6.1960, des weiteren das Gesetz vom 2.2.1981, dessen Neuerungen insoweit nicht wieder 1983 abgeschafft wurden, und schließlich das Gesetz vom 9.10.1981. aa) Das Regierungsgesetz vom 4.6.1960 Durch das Regierungsgesetz vom 4.6.1960 erfolgte eine Neuordnung im Verbrechensstrafenbereich. Die vorher bestehende lebenslange oder zeitige Zwangsarbeit (travaux forces) und die Zuchthausstrafe (reclusion) wurden durch die lebenslange bzw. zeitige Verbrechenszuchthausstrafe (reclusion criminelle) ersetzt. Die ehemalige Festungshaft (detention) und Deportation (deportation) faßte man zur zeitigen sowie lebenslangen Festungshaft für politische Verbrechen (detention criminelle) zusammen. Seitdem bestehen also
202
Siehe im einzelnen die Aufzählung in Art. 34 C.p.
Zu beachten ist, daß der Gehalt des Art. 34 C.p. zuweilen durch andere Gesetze präzisiert, ja ergänzt wird; so etwa Art. 255, 256 C.p.p.: Unfähigkeit, Geschworener zu sein; Jeandidier, Juris-CI. pen. Art. 18 - 39, Nr. 57 mit weiteren Beispielen. 203
204
Art. lll, 114, 119, 121, 122, 126, 127, 130, 167, 183 C.p.
Ebenso, wenn sie Nebenstrafe gern. Art. 28 C.p. ist; Prallet, dr. pen., t.l, Nr. 577, S. 577; Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 18 - 39, Nr. 59; Bouzat, Rep. pen., degradation civique, Nr.5. 205
206
Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 18 - 39, Nr. 53; ders., dr. pen. gen., Nr. 408, S. 386.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
57
nur noch zwei Arten von Freiheitsstrafenm im Verbrechensbereich, nämlich Zuchthaus und Festungshaft. 2tl8 Andererseits hielt man aber noch ohne Veränderung durch das Regierungsgesetz die Todesstrafe bei. 2D9 Der Wegfall der Zwangsarbeit lag darin begründet, daß diese Sanktion nicht mehr als zeitgemäß angesehen wurde. 210 Darüber hinaus fand ohnehin seit 1938 die Vollstreckung der Zwangsarbeit in den Kolonien nicht mehr statf11 und der C. p. p. gestaltete den Vollzug von Zwangsarbeit und Zuchthausstrafe gleichförmig aus, so daß die 1960 erfolgte Vereinfachung bei den Verbrechensstrafen insofern lediglich eine Anpassung an die tatsächliche Vollzugssituation darstellte. 212 Hinsichtlich der zelttgen Verbrechensstrafen hatte die Zwangsarbeit eine Dauer von mindestens fünf Jahren und maximal zwanzig Jahren eingenommen, und die vorher bestehende Zuchthausstrafe konnte zwischen fünf und zehn Jahren verhängt werden. Demgemäß wurde nun die allein bestehende Zuchthausstrafe, soweit sie zeitig ist, in zwei Stufen eingeteilt. Die erste nahm fünf bis zehn Jahre ein, die zweite erstreckte sich von zehn bis zwanzig Jahre. Entsprechendes normierte man für die zeitige Festungshaft. Das Gesetz vom 2.2.1981 strich jedoch diese zwei Einteilungen und legte eine einheitliche Dauer von fünf bis zwanzig Jahren fest. 213
207 Zu den Bemühungen, die verschiedenen Arten der Freiheitsstrafe zu einer Einheitsstrafe zusammenzufassen, siehe Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 113 f.; zu dem Umstand, daß trotz unterschiedlicher Bezeichnung der Freiheitsstrafen für die Aufteilung auf die Haftanstalten zum Teil andere Kriterien maßgeblich sind (z.B. die Dauer der zu verbüßenden Strafe), siehe unten I. Kap., 3. Abschnitt, A, U, 5. 208
Arpaillange/Vouin, rev. sc. crim. 1960, 662.
2D9 Das Regierungsgesetz vom 4.6.1960 erweiterte sogar die Reichweite der Anwendung der Todesstrafe im Besonderen Teil, insbesondere bei den neu geregelten Staatssicherheitsdelikten; siehe Besson, D. 1960, chr. 161 (163 ff.). 210
Besson, D. 1960, chr. 161 (163); Arpaillange/Vouin, rev. sc. crim. 1960,662.
211 Bemards, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe, S. 293; Sessar, Freiheitsstrafe in Frankreich, S. 121.
212 Perdriau, rev. sc. crim. 1960,675 (676); Arpaillange/Vouin, rev. sc. crim. 1960,662; Jeandidier, dr. pen. gen., Nr. 385, S. 362.
213 Art. 18, 19 C.p.; diese Änderung war notwendig, da das Gesetz von 1981 die maximale Strafe der Körperverletzung mit Todesfolge gern. Art. 311 C.p. und des erschwerten qualifIZierten Diebstahls gern. Art. 382 Abs. 3 C.p. auf 15 Jahre Zuchthaus festgeschrieben hatte; siehe Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 18 - 39, Nr. 4.
I. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
58
bb) Das Gesetz vom 9.10.1981 Bedeutsam ist dann schließlich das Reformgesetz vom 9.10.1981:214 Dieses entfernte die bis dahin bestehende Todesstrafe aus dem strafrechtlichen Reaktionenarsenal und ersetzte sie durch die lebenslange Freiheitsstrafe. 215 Die Streichung der Todesstrafe war einer der Forderungen der sozialistischen Partei gewesen und Thema sowohl der Präsidentschaftswahlen im Mai 1981 als auch der Parlamentswahlen im Juni desselben Jahres. 216 Der C.p. hatte 1810 ursprünglich bei 36 Straftaten als Rechtsfolge die Todesstrafe vorgesehen, was bereits eine erhebliche Verminderung der Fälle im Gegensatz zum vorher bestehenden Recht darstellte. 217 Durch die Verfassung vom 4.11.1848 wurde dann die Todesstrafe für politische Straftaten abgeschafft. Eine gegenläufige Tendenz, d.h. eine Vermehrung der mit der Todesstrafe sanktionierten Verhaltensweisen, setzte jedoch unmittelbar vor Beginn des Zweiten Weltkriegs ein. 1939 bedrohte man zahlreiche Straftaten gegen die äußere Sicherheit des Staates, die von ihrem wahren Charakter politische Delikte darstellten, mit der Todesstrafe. Diese Tendenz setzte sich mit dem Regierungsgesetz vom 4.6.1960 fort, das ebenfalls bei bestimmten Straftaten gegen die innere und äußere Sicherheit des Staates als Rechtsfolge diese Strafe vorsah. Auf diese Weise war stillschweigend die Todesstrafe bei politischen Verbrechen wieder eingeführt worden. 218 Trotz der nicht geringen Anzahl von Delikten, die mit der Todesstrafe bedroht waren, ist andererseits zu konstatieren, daß de Jacto eine Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich in der Zeit insbesondere nach 1950 zu verzeichnen ist,219 die sich schließlich rechtlich 1981 vollzog.
214
Dazu Bouloc, rev. sc. crim. 1982,371 ff.
215 Die den Vollzug der Todesstrafe regelnden Art. 12 bis 17 C.p. und Art. 713 C.p.p. traten außer Kraft; zu diesen Vorschriften Hugueney, Rep. pen., mort (peine de), Nr. 10 ff.; einen Überblick über die Bestrebungen in bezug auf die Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich seit Mitte des 18. Jahrhunderts gibt Picca, rev. int. dr. pen. 1987,435 (438 ff.). 216 Decourriere, rev. dr. pen. 1982,485 (486). Diese Forderung war bereits im sozialistisch kommunistischen Regierungsprogramm 1972 aufgetaucht; Spaniol, in: Eser/Huber (Hrsg.), Strafrechtsentwicldung 1982/84, S. 256.
217 Jeandidier, dr. pen. gen., Nr. 381, S. 358; ders., Juris-Cl. pen., Art. 12 - 17, Nr. 2. Vor 1789 war die Todesstrafe bei mehr als 100 Straftaten als Rechtsfolge angedroht; der C.p. von 1791 sah sie in 32 Fällen vor; Picca, rev. int. dr. pen. 1987,435 (436). 218 StefanilLevasseuriBouloc, dr. pen. gen., Nr. 450, S. 503 f.; Picca, rev. int. dr. pen. 1987,435 (436). 219 Jeandidier, Juris-Cl. pen., Art. 12 - 17, Nr. 2; siehe etwa die Aufstellung bei Merle/ Villl, dr. crim., t.I', Nr. 669, S. 853; vgl. auch Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 537, S. 538; Jeandidier, dr. pen. gen., Nr. 381, S. 358; Le Gendre, Le Monde 10.10.1991, 12.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
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Hinsichtlich des Gesetzes vom 9.10.1981 wird z.T kritisiert, daß an die Stelle der Todesstrafe die lebenslange Freiheitsstrafe und keine eigenständige Sanktion getreten sei. 220 Es sei unbefriedigend, daß z.B. nun Mord (assassinat) und Totschlag (meurtre) mit derselben Sanktion (lebenslange Zuchthausstrafe) bestraft würden, obwohl jeweils eine unterschiedliche Tatschwere vorliege. 22\ Andere entgegnen, daß das Fehlen eines Surrogats einen Sieg der humanistischen Prinzipien im Strafrecht bedeute. Die grausame Todesstrafe sei nicht durch eine andere unmenschliche Strafe zu ersetzen. 222 Dennoch hat ein Gesetz vom 9.9.1986 der geäußerten Kritik in gewisser Weise Rechnung getragen: 223 Seitdem kann die durch Gesetz vom 22.11. 1978 eingeführte Sicherheitsperiode - während dieser Zeit können dem Gefangenen keine Vergünstigungen, wie etwa die bedingte Entlassung, zugute kommen _22A bei bestimmten aufgezählten Straftaten, die zu einer lebens-
220 Etwa Solon, Raison pour la justice, S. 72. Der damalige sozialistische Justizminister der neuen Regierung, Robert Badinler, dessen Verdienst die Abschaffung der Todesstrafe ist, hatte sich vehemment gegen ein derartiges Surrogat ausgesprochen; Bouloe, rev. sc. crim. 1982, 371; Peyrot, Le Monde 10.10.1991, 12. 22\ Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 12 - 17, Nr. 6; Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 538, S. 539; Pueeh, dr. pen. gen., Nr. 1204, S. 437. 222
Plawski, rev. penit. dr. pen. 1981,473.
223 Pradel, D. 1987, chr. 5 (7); ders., dr. pen., t.l, Nr. 538, S. 539; Roben, dr. pen. gen., 529; Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 12 - 17, Nr. 7; ders., dr. pen. gen., Nr. 382, S. 359 f.; Levasseur, rev. int. dr. pen. 1987,207 (208, 219); Bouloe, rev. sc. crim. 1987,257 (258).
s.
22A Geregelt in Art. 720-2 C.p.p. Die Sicherheitsperiode hatte die Reformkommission für einen neuen C.p. in ihren Entwürfen aus den Jahren 1976 und 1978 vorgeschlagen, siehe unten 2. Kap., 2. Abschnitt, C, m, 1 c. Das Gesetz vom 22.11.1978 sah vor, daß die Sicherheitsperiode obligatorisch ist bei bestimmten Straftaten (etwa Art. 304 C.p., Totschlag) bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ab zehn Jahren ohne Strafaussetzung (die Dauer beträgt grundsätzlich die Hälfte der Strafe, bei lebenslanger Strafe 15 Jahre) und fakultativ ist, wenn eine Freiheitsstrafe über drei Jahre ohne Strafaussetzung verhängt wurde; siehe im einzelnen Deeoeq, rev. sc. crim. 1979,358 f.; Plawski, rev. penit. dr. pen. 1979,31 ff.; zu Argumenten pro und contra Slaeehele, rev. penit. dr. pen. 1979, 129 (130 ff.). Das Gesetz vom 2.2.1981 erweiterte den Anwendungsbereich der obligatorischen Sicherheitsperiode von 15 auf 28 Straftaten und ließ sie schon bei einer Freiheitsstrafe über fünf Jahre eingreifen. Die Entscheidung über die Zubilligung der Vergünstigungen war bei den in Art. 720-2 C.p.p. aufgezählten Gewaltdelikten und in den Fällen, in denen es zu einer Sicherheitsperiode gekommen war, auf die Strafvollzugskommission verlagert worden; zu den Änderungen siehe Virenque, rev. penit. dr. pen. 1981,429 (436 ff.); Staeehele, rev. penit. dr .. pen. 1981,359 (361 ff.). Das Gesetz vom 10.6.1983 legte die Mindestfreiheitsstrafe wieder auf 10 Jahre fest und verminderte wiederum die einschlägigen Straftaten; siehe Bouloe, rev. sc. crim. 1983,689 (690). Für Vergünstigungen nach Beendigung der Sicherheitsperiode war nun wieder der Strafvollstreckungsrichter zuständig; siehe Pueeh, act. leg. D. 1983, 105 (112). Durch das Gesetz vom 9.9.1986 erfolgte neben der im Text behandelten Erweiterung insbesondere eine Hinzufügung weiterer Straftaten; siehe Bouloe, rev. sc. crim. 1987, 257 (258); Pradel, D. 1987, chr. 5 (6 ff.); Perier-Daville, Gaz. Pal. 1987, doctr. 1 (4 f.).
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
60
langen Haftstrafe geführt haben (z.B. Mord oder Totschlag gegenüber Minderjährigen unter 15 Jahren oder gegenüber Strafvollzugspersonal),225 auf eine Dauer bis zu 30 Jahren festgelegt werden. 226 Hinzuweisen bleibt darauf, daß die Diskussion um die Todesstrafe, deren Abschaffung die Bewegung der Sozialverteidigung im übrigen bereits seit ihrem ersten Kongreß 1947 in Genua gefordert hatte,227 nicht zum Stillstand gekommen ist. 228 Bemerkenswert ist, daß die Streichung der Todesstrafe zu einer Zeit erfolgte, als nach einer Umfrage 64 % der Franzosen für ihre Beibehaltung waren. 229 Um ihre Wiedereinführung zu verhindern, hat die französische Regierung am 28. April 1983 in Straßburg ein Zusatzprotokoll Nr. 6230 zur europäischen Menschenrechtskonvention unterzeichnet, das die Todesstrafe für abgeschafft erklärt (außer bei Straftaten in Kriegszeiten). Der Verfassungsgerichtshof (Conseil constitutionnel) erklärte in seiner Entscheidung vom 22.5 .198,5231 das Zusatzprotokoll für vereinbar mit der französischen Verfassung vom 4.10.1958, die in Art. 16 u.a. dem Staatspräsidenten erlaubt, die Todesstrafe wiedereinzuführen. Diese Ent-
225 Siehe im einzelnen die Aufzählung in Art. 720-2 Abs. 1 Nr. I C.p.p. Es handelt sich insbesondere auch um die meisten Straftaten, bei denen vor 1981 die Todesstrafe angedroht war; Levasseur, rev. int. dr. pen. 1987,207 (208, 219); Pradel, D. 1987, chr. 5 (7); Bouloc, rev. sc. crim. 1987,257 (258); Casorla, rev. int. dr. pen. 1990,555 (564); Roben, dr. pen. gen., S. 528 f. 226 Erfolgt diese Entscheidung nicht, beträgt die Sicherheitsperiode 15 Jahre, wobei durch das Gesetz vom 9.9.1986 weiterhin die Möglichkeit geschaffen wurde, die obligatorische Sicherheitsperiode bei lebenslanger Strafe bei den sonstigen aufgezählten Delikten auf 18 Jahre zu erhöhen (bei zeitigen Strafen auf zwei Drittel der Zeit); vgl. auch Chemin, Le Monde 12.11. 1991, 4 (zur erstmaligen Verhängung einer dreißigjährigen Sicherheitsperiode im Jahr 1989).
227 Rozes, rev. sc. crim. 1988, 379; zur Ablehnung der Todesstrafe durch die neue Sozialverteidigung siehe Ancel, La defense sociale nouvelle, S. 271 f.; Levasseur, rev. sc. crim. 1991,9(20). 228 Zu den Argumenten pro und contra sowie zahlreichen Literaturnachweisen siehe Stefanil Levasseur/Bouloc, dr. pen. gen., Nr. 446, S. 498 ff., S. 499 Anm. 1,2; Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 534 ff., S. 535 ff.; MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 664 ff., S. 847 ff. und vielen Literaturnachweisen vor Nr. 663, S. 845 f.; vgl. als Beispiel für die in Frankreich immer wieder aufflammende kontroverse Diskussion über die Todesstrafe die Berichte in Le Monde 6.11. 1991,10; 8.11.1991, 13; 16.11.1991,16 (Mord an zwei Kindern).
229 MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 669, S. 854; Decourriere, rev. dr. pen. 1982,485 (488); Peyrot, Le Monde 10.10.1991, 12; weitere Umfrageergebnisse bei Picca, rev. int. dr. pen. 1987, 435 (449); vgl. auch Le Gendre, Le Monde 10.10.1991, 12. Pradel, dr. pen., t.1, Nr. 538, S. 538 f., erwägt, ob nicht ein Referendum über die Frage der Abschaffung günstiger gewesen wäre. 230
Zu diesem ZusatzprotokollMayer, rev. sc. crim. 1986,55 (57 ff.).
231 J.O., 23.5.1985,5795; dazu Mayer, rev. sc. crim. 1986,55 (57 f.); Solon, Raison pour lajustice, S. 71; Breillat, rev. sc. crim. 1991,261 (275 ff.).
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgefiihrte Refonnen
61
scheidung des Conseil constitutionnel machte den Weg dafür frei, daß schließlich durch Gesetz vom 31.12.1985 das Zusatzprotokoll von der Nationalversammlung (Assemblee nationale) angenommen werden konnte. 232 3. HauptstraJen im Vergehensbereich
Im Hinblick auf den Vergehensbereich sieht der C. p. für politische Straftaten dieselben Sanktionsformen vor wie für die nach allgemeinem Recht strafbaren Handlungen. 233 Nach dem Wortlaut des Art. 9 C.p. sind Strafen im Vergehensbereich die zeitige Gefängnisstrafe (emprisonnement), die zeitige Aberkennung gewisser staatsbürgerlicher, bürgerlicher oder familiärer Rechte und die Geldstrafe (amende). Diese Vorschrift bedarf in mehrfacher Hinsicht der Präzisierung. Zunächst handelt es sich bei dem Verbot der Ausübung bestimmter staatsbürgerlicher, bürgerlicher oder familiärer Rechte im Gegensatz zu Gefängnis- und Geldstrafe nicht um eine Hauptstrafe, 234 sondern um eine Zusatzstrafe. 23s a) Die Gefängnisstrafe Die Gefängnisstrafe ist die am meisten verhängte Form der Freiheitsstrafe. 236 Ihre von der Strafvorschrift normierte Dauer muß gern. Art. 40 C.p., damit ein Vergehen vorliegt, über zwei Monate betragen. Als Höchst-
232 Jeandidier, Iuris-CI. pen., Art. 12 - 17, Nr. 8; Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 537, S. 538; vgl. dazu auch Bouzat, Melanges Vitu, S. 89; Puech, dr. pen. gen., Nr. 1204, S. 437; Le Gendre, Le Monde 10.10.1991, 12; Breillat, rev. sc. crim. 1991,261 ff., 275 ff., unter Eingehen auf weitere internationale Konventionen zur Abschaffung der Todesstrafe. 233 Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 531, S. 533, Nr. 546, S. 545; StefanilLevasseurlBouloc, dr. pen. gen., Nr. 456, S. 506; Jeandidier, Iuris-CI. pen., Art. 6 - 10; Nr. 13.
234 Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 6 - 10, Nr. 13; ders., dr. pen. gen., Nr. 376, S. 353; StefanilLevasseuriBouloc, dr. pen. gen., Nr. 456, S. 506; Puech, dr. pen. gen., Nr. 1205, S. 437; Rassat, dr. pen., Nr. 353, S. 519; a.A. Roben, dr. pen. gen., S. 85: Man mißachte ansonsten den Wortlaut des Art. 9 C.p.; zudem beruft er sich auf Art. 113 C.p. (Stimmen[ver]kauf bei Wahlen). 23S Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 530, S. 533; zu dem Umstand, daß eine ZUSBtzstrafe aber den Charakter einer Hauptstrafe annehmen kann, siehe unter c. 236 Siehe Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 40 - 43, Nr. 5; Donnees sociales 1987, Institut national de la statistique et des etudes economiques, S. 596 f.
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
62
dauer ist in Art. 40 C.p. eine Grenze von fünf Jahren angegeben,231 es sei denn, es handelt sich um eine Rückfalltaf38 oder das Gesetz bestimmt andere Grenzen. 239 Selbst wenn die Mindestdauer der Gefängnisstrafe durch eine Strafnorm unterhalb von zwei Monaten festgelegt ist, handelt es sich um ein Vergehen, sofern die Höchstgrenze über zwei Monate liegt. 240 b) Die Geldstrafe Die Geldstrafe bedeutet die Verpflichtung des Verurteilten, aufgrund eines Gerichtsurteils eine bestimmte Geldsumme an die Staatskasse zu zahlen. 241
aa) Allgemeines Bei der im französischen Strafrecht geregelten Geldstrafe "in der gewöhnlichen Form"242 handelt es sich um ein klassisches Geldsummensystem. 243 Die Geldstrafe244 im Vergehensbereich kann allein24s oder neben der Gefängnisstrafe als Hauptstrafe durch die Strafnorm angedroht
231 Die einzelne Strafvorschrift kann natürlich eine niedrigere Höchstgrenze nonnieren. 238
In diesem Fall sind in Art. 57 und 58 C.p. Strafschärfungen vorgesehen.
239 Beispiele rur letzteres bei Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 40 - 43, Nr. 14; Jeandidier, J.C.P. 1991, I, 3487 (Nr. 26 Cf.); Mouly, rev. sc. crim. 1982,3 (15); etwa Art. 174 C.p. (Gebühren- und Abgabenüberhebung): bis zu zehn Jahren Gefängnis. Insbesondere auch im Betäubungsmittelstrafrecht geht man weit über die 5-Jahresgrenze hinaus. 240 Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 40 - 43, Nr. 11; Roben, dr. pen. gen., S. 83; etwa Art. 412 (Störung des freien Ablaufs einer Versteigerung): Gefangnisstrafe von mindestens 15 Tagen, maximal drei Monaten. Die in der Strafvorschrift angegebene Mindestdauer und selbst die Zweimonatsgrenze können im Einzelfall wiederum durch das Institut der mildernden Umstände unterschritten werden, dazu siehe unten I. Kap., 3. Abschnitt, C, n, 3.
241 Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 40 - 43, Nr. 22; Benheas, Rep. pen., amende, Nr. 1; zur Abgrenzung der strafrechtlichen Geldstrafe von zivilrechtlichen, disziplinarrechtlichen und steuerrechtlichen pekuniären Sanktionsformen: TeufellPradel, in: JeschecklGrebing (Hrsg.), Geldstrafe, S. 408 f.; Teufel, Kurze Freiheitsstrafe, S. 122 f.; Gonnard, a.a.O., Nr. 20; Bertheas, a.a.O., Nr. 53 Cf. 242
So der Wortlaut des Art. 43-8 Abs. 1 S. 2 C.p.
243
Teufel/Pradel, in: JeschecklGrebing (Hrsg.), Geldstrafe, S. 415.
Zu Vor- und Nachteilen der Geldstrafe siehe Teufel, Kurze Freiheitsstrafe, S. 118 Cf.; TeufellPradel, in: JeschecklGrebing (Hrsg.), Geldstrafe, S. 405 Cf; Bertheas, Rep. pen., amende, Nr. 61 Cf; Plawski, rev. penit. dr. pen. 1983,353 Cf. 244
24S Beispiel ist Art. 264 C.p. (Mißbrauch von bestimmten Titeln durch Geschäftsleute oder Rechtsberater): Geldstrafe von 300 bis 20000 F.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
63
sein. 246 Steht sie neben der Gefängnisstrafe, sind entweder beide Sanktionen zwingend247 zu verhängen24S oder dem Richter wird die Wahl gelassen. 249 Dabei muß die Strafvorschrift eine Geldstrafe über 12000 F androhen, damit es sich um ein Vergehen handelt. 2S0 Eine Höchstgeldstrafe legt der Allgemeine Teil des C.p. nicht fest, sondern diese ist jeweils im Besonderen Teil normiert. lSl Die jeweiligen Strafnormen regeln die angedrohte Geldstrafe auf unterschiedliche Weise. Die geläufigste Art ist, daß eine Ober- und Untergrenze der Geldstrafe festlegt ist. lS2 Andere Strafbestimmungen weisen eine proportionale Geldstrafenhöhe auf, die sich etwa nach dem durch die Tat entstandenen SchadenlS3 oder nach dem Vorteil, der dem Täter zugeflossen ist,2S4 richtet. Sehr häufig wird diese proportionale Geldstrafe gleichzeitig mit der Festlegung einer Ober- und Untergrenze verbunden. lSS
246 Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 40 - 43, Nr. 22. Die Kombination von Geld- und Freiheitsstrafe wird ohne besonderen Rechtsgedanken verwendet; sie soll lediglich eine angemessen scharfe Sanktion darstellen; TeufellPradel, in: JeschecklGrebing (Hrsg.), Geldstrafe, S. 413; Teufel, Kurze Freiheitsstrafe, S. 125. 247 Zu relativieren ist dies im Hinblick auf die mildernden Umstände, siehe unten I. Kap., 3. Abschnitt, C, D, 3. 24S
Zum Beispiel Art. 405 C.p. (Betrug).
So etwa bei Art. 381 C.p. (Diebstahl): Gefiingnis- und Geldstrafe oder eine der beiden Strafen. 249
2SO Das ergibt sich aus Art. 466 C.p. Wird im Tatbestand eine Unter- und Obergrenze angegeben, muß also zumindest das Maximum über 12000 F liegen, siehe z.B. Art. 381 C.p. (Diebstahl): Geldstrafe zwischen 1000 Fund 20000 F; vgl. auch Bertheas, Rep. pen., amende, Nr. 71.
lSl Zum Teil ist die Höchstgrenze der Geldstrafe bei bestimmten Straftaten sehr hoch angelegt worden, z.B. Art. 405 Abs. 2 C.p. (Betrug unter Ausgabe von Wertpapieren): 5000000 F; weitere Beispiele bei Pradel, dr. pen., t.1, Nr. 561, S. 563. lS2 Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 40 - 43, Nr. 30; Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 561, S. 563; MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 738, S. 918; z.B. Art. 381 C.p. (Diebstahl): Geldstrafe von 1000 F bis 20000 F). Eine fest fixierte Geldstrafensumme als Sanktion existiert seit dem Gesetz vom 30.12.1985 nicht mehr; Gonnard, a.a.O., Nr. 31. lS3
Art. 172 C.p. (Geldhinterziehung durch hoheitlichen Verwahrer) .
lS4
Art. 460 Abs. I S. 2 C.p. (Hehlerei).
lSS Art. 172 C.p., ein Viertel des Schadens ist die Obergrenze, ein Zwölftel die Untergrenze. Möglich ist auch eine feste Untergrenze (Art. 135 Abs. 2 C.p., lnverkehrbringen von Falschgeld) oder eine feste Ober- und Untergrenze, wobei aber durch die proportionale Geldstrafe über das Maximum hinausgegangen werden kann; so etwa bei Art. 460 C.p.: Die Geldstrafe beträgt 10000 bis 2500000 F, jedoch kann die Höchstgrenze bis zur Hälfte des Wertes der Hehlereiware angehoben werden, selbst wenn sie dann 2500000 F überschreitet.
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanlctionensystem
64
bb) Artikel 41 C.p. Der durch das Reformgesetz vom 11.7.1975 eingeführte Art. 41 C.p. regelt in seinem ersten Absatz, daß die Höhe der Geldstrafe im gesetzlichen Rahmen im Einzelfall unter Berücksichtigung der Tatumstände sowie der finanziellen Mittel und Belastungen des Angeklagten bestimmt wird. 256 Im Hinblick darauf, daß die Gerichte bereits vorher diese Grundsätze bei der Bemessung der Geldstrafe herangezogen hatten, stellte diese Regelung keine bedeutsame Neuerung dar. 257 Ziel der Vorschrift sollte sein, die Geldstrafe durch eine entsprechende Individualisierung effektiver zu machen. 258 Kritisiert wird jedoch an Art. 41 Abs. 1 C.p., daß die tatsächlich verhängte Geldstrafe nicht erkennen lasse, inwieweit ihre Höhe jeweils von der Tatbegehung oder der finanziellen Lage des Täters bestimmt worden sei. 259 Auch ist zu berücksichtigen, daß die Geldstrafe in Frankreich keinen ausdrücklichen Vorrang gegenüber der (kurzen) Freiheitsstrafe erhalten hat. 260
256 Wenn auch bezüglich der Freiheitsstrafe eine derartige Norm fehlt, ist dennoch allgemein anerkannt, daß diese Strafe unter Beachtung der durch sie verursachten sozialen Beeinträchtigungen und der Persönlichkeit des Täters festzulegen ist; SlefanilLevasseurlBouloc, dr. pen. gen., Nr. 535, S. 577. Dieselben Grundsätze gelten für die Verhängung von Nebensanktionen, sofern das Gesetz dem Richter einen Spielraum gibt. 257 Pradel, D. 1976, chr. 63 (64); Doll, Gaz. Pal. 1976, doctr. 34; TeufellPradel, in: Jescheckl Grebing (Hrsg.), Geldstrafe, S. 423; Jescheck, Strafrecht AT, S. 708; Charles, Rec. gen. lois 1976, doctr. 237 (247); Gerbel, J.O., deb. Ass. nat., seance 16.5.1975, 2828. Einzig neu ist, daß die Gerichte nun dazu ausdrücklich verpflichtet sind; Decocq, rev. sc. crim. 1976, 5 (14). Roben, Strafe, Strafrecht, Kriminologie, S. 292, 303, bemerkt jedoch, daß die Geldstrafe mehr nach einer Art "Tarif" des Delikts und der Rechtsprechung als nach der Leistungsflihigkeit des Beurteilten gehandhabt werde. 258 Decocq, rev. sc. crim. 1976,5 (14); Roben, J.C.P. 1975, I, 2729 (Nr. 15). Im Laufe der parlamentarischen Beratungen des Gesetzes von 1975 äußerte man auch den Vorschlag, das System der Tagessatzgeldstrafe (dazu siehe unten 1. Kap., 3. Abschnitt, A, n, 3 c, bb, (2» einzuführen; C01, J.O., deb. Ass. nat., seance 16.5.1975, 2828; Ciccolini, J.O., deb. Senat, seance 18.6.1975, 1723. Zwar sprach sich niemand dagegen im Grundsätzlichen aus, doch wurde vorgebracht, daß ein derartiges System noch zu verfrüht und zur Zeit unanwendbar sei; Foyer und Justizminister Lecanuel, J.O., deb. Ass. nat., seance 16.5.1975, 2828; Virapoulte, J.O., deb. Senat, seance 18.6.1975, 1723. Daher wurde es nicht durch das Gesetz vom 11. 7 .1975 eingeführt. 259
Schmelck, zitiert in: Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 40 - 43, Nr. 27.
260 Grebing, in: Lüttger (Hrsg.), Strafrechtsreform, S. 105; Hunado-Pol.O, SchwZStr. 102 (1985), 72 (76); Jescheck, rev. sc. crim. 1982, 719 (725); Bemards, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe, S. 284; TeufellPradel, in: JeschecklGrebing (Hrsg.), Geldstrafe, S. 405, 412.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
65
Art. 41 Abs. 2 C.p.261 eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, aus schwerwiegenden medizinischen, familiären, beruflichen oder sozialen Gründen die Zahlung der Geldstrafe in Raten anzuordnen. 262 Eine Grenze im Hinblick auf die Anzahl der Raten ist nicht festgelegt. 263 Art. 41 Abs. 2 C.p., der in Anbetracht seiner weit gefaßten Anwendungsvoraussetzungen dem Richter eine große Einschätzungsfreiheit überläßt,264 bietet die Möglichkeit, Einzelfallsituationen zu würdigen und erlaubt damit ebenfalls eine bessere Individualisierung der Sanktion.26S Er stellt somit die natürliche Vervollständigung des Art. 41 Abs. 1 C.p. dar. 266 Keine Regelung enthält das Gesetz indes für den Fall der Nichtzahlung einer Rate. Aus diesem Schweigen des Gesetzgebers wird die Folgerung gezogen, daß bei Nichtzahlung einer Rate nicbt sofort der gesamte Restbetrag fällig werde, vielmehr lediglich die nichtgezahlte Rate notfalls mit Zwangsmitteln, wie insbesondere der Erzwingungshaft, die bei Nichtzahlung einer Geldstrafe heranziehbar ist, beizutreiben sei. 267
261 Er geht zurück auf einen Änderungsvorschlag und war im Ursprungsentwurf des Gesetzes vom 11.7.1975 nicht vorgesehen, siehe J.O., deb. Ass. nat., seance du 16.5.1975,2828 f.; J.O., deb. Senat, seance du 18.6.1975, 1723. 262 Nicht bei der Verurteilung, sondern withrend des Vollzugs kann aus denselben Gründen gem. Art. 720-1 C.p.p. (eingefiihrt durch Gesetz vom 11.7.1975) die Verbüßung einer Gefängnisstrafe aufgeschoben oder aufgeteilt werden. Der Strafvollstreckungsrichter ist zuständig bei Unterbrechungen unternalb von drei Monaten, ansonsten das Korrektional- oder Polizeigericht. Für andere Strafen als Gefängnisstrafen im Vergehens- oder Übertretungsbereich (also etwa auch Geldstrafen) sieht dies der durch dasselbe Gesetz geschaffene Art. 708 Abs. 3 C.p.p. vor, wobei hier unter drei Monaten der Staatsanwalt zuständig ist, übernalb von drei Monaten wiederum das Gericht. 263 Gonnord, Juris-Cl. pen., Art. 40 - 43, Nr. 36; TeufellPradel, in: Jescheek/Grebing (Hrsg.), Geldstrafe, S. 426.
264 Puech, act. leg. D. 1983, 105 (123); Pradel, D. 1976, ehr. 63 (65); Teufel, Kurze Freiheitsstrafe, S. 132. 26S
Pradel, D. 1976, ehr. 63 (65).
266
Decocq, rev. sc. erim. 1976,5(14).
Pradel, D. 1976, ehr. 63 (65); TerifellPradel, in: JeschecklGrebing (Hrsg.), Geldstrafe, S. 426; Charles, Ree. gen. lois 1976, doctr. 237 (247, Arun. 5); zur Beitreibung der Geldstrafe insgesamt, auch zur Erzwingungshaft bei Nichtzahlung, siehe den Überblick bei Stefanil LevasseurlBouloc, dr. pen. gen., Nr. 479 f., S. 532 ff.; Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 698 f., S. 678 ff.; TeufellPradel, in: JeschecklGrebing (Hrsg.), Geldstrafe, S. 429 ff., 435 ff.; Teufel, Kurze Freiheitsstrafe, S. 137 ff.; MerlelVitu, dr. erim., t.l, Nr. 657 ff., S. 837 ff., sowie Benheas, Rep. pen., amende, Nr. 118 ff. (Verfahren). 267
5 Zieschang
66
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
ce) Artikel 55
c.p.
Vor dem Reformgesetz vom 11.7.1975 bestimmte Art. 55 a.F. C.p., daß alle an einer Straftat Beteiligten solidarisch (gesamtschuldnerisch) bezüglich der Geldstrafe, der Gerichtsgebühren und des Schadensersatzes haften. 268 Zwar konnte der in Anspruch Genommene bei den anderen Beteiligten anteilig Rückgriff nehmen, jedoch war dies oft mangels ausreichender Geldmittel dieser Personen illusorisch. 269 Da in dieser Regelung darüber hinaus ein Verstoß gegen den Grundsatz gesehen wurde, daß der staatliche Strafanspruch auf den Täter selbst zu beschränken sei,270 änderte man Art. 55 C. p. durch das besagte Reformgesetz. Eine uneingeschränkte solidarische Haftung ist heute nur noch in Hinblick auf den zu leistenden Schadensersatz vorgesehen; dies erkläre sich aus dem Gedanken des Opferschutzes und dem Gesichtspunkt, daß jeder Beteiligte persönlich einen Beitrag zu dem durch die Straftat entstandenen Schaden geleistet habe. 271 Dagegen besteht für die Geldstrafe und die Gerichtsgebühren gem Art. 55 Abs. 2 C. p. eine solidarische Haftung für den Delinquenten nur noch, wenn er andere Beteiligte, die mittellos sind, um sich geschart hat, und das Gericht diese Haftung durch eine begründete, besondere Entscheidung anordnet. 272 c) Die durch Gesetze vom 11.7.1975 und 10.6.1983 eingeführten Surrogate Die Getängnis- sowie Geldstrafe stellen nicht die einzigen möglichen Hauptstrafen im Vergehensbereich dar. Mit dem Gesetz vom 11.7.1975, ergänzt durch Gesetz vom 10.6.1983, wurde dem Richter mit den eingeführten Art. 43-1 bis 43-11 C.p. die Möglichkeit gegeben, eine Vielzahl von Surrogaten für die Freiheitsstrafe und gegebenenfalls auch rur die Geldstrafe als
268
Zu Art. 55 a.F. C.p. siehe Teujel/Pradel, in: JeschecklGrebing (Hrsg.), Geldstrafe, S.
269
Pradel, D. 1976, chr. 63 (65).
431 f.
270 Doll, Gaz. Pal. 1976, doctr. 34 (41); Pradel, D. 1976, chr. 63 (65); Decocq, rev. sc. crim. 1976,5 (27); Viru, rev. sc. crim. 1989,723 f.
271 Pradel, D. 1976, chr. 63 (65); Roben, J.C.P. 1975, I, 2729 (Nr. 17); MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 651, S. 832. 212 Siehe Vitu, rev. sc. crim. 1991,69 (71); vgl. dazu auch Art. 366 Abs. 4 und 473 Abs. 2 C.p.p. Vor 1975 erfolgte die solidarische Haftung automatisch und der Richter konnte sie nicht ausschließen; zu Art. 55 C.p. und damit verbundenen Problemen siehe MerlelViru, dr. crim., t.l, Nr. 652 ff., S. 832 ff.; vgl. im übrigen auch Art. L. 21 Abs. 2 C. route (französisches Straßenverkehrsgesetz) .
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
67
Hauptstrafe auszusprechen. Art. 9 C.p. spiegelt somit kein vollständiges Bild der Haupstrafen im Vergehensbereich wider. 273
aa) Die Surrogate des Gesetzes vom 11. 7.1975 (1) Artikel 43-1 C.p. Gemäß Art. 43-1 C.p. kann jede Sanktion, die von der verwirklichten Strafvorschrift neben einer Gefängnis- oder Geldstrafe vorgesehen ist, als Hauptstrafe ausgesprochen werden, so daß seit 1975 eine bei einem Vergehen aufgeführte Neben- oder Zusat:lstrafe als alleinige Hauptstrafe verhängbar ist. 274 Auf diese Weise erwächst dem Richter die Möglichkeit, z.B. bei Straftaten, die in Verbindung mit der Benutzung eines Fahrzeugs begangen worden sind,275 die oft wirksamste Sanktion des Entzugs des Führerscheins anzuordnen, sofern das verwirklichte Delikt dies als Nebensanktion vorsieht,276 ohne daß der Richter verpflichtet ist, gleichzeitig zu einer Gefängnis- oder Geldstrafe zu verurteilen. 277 Art. 43-1 C. p. kommt in Betracht, wenn entweder ein Vergehen sowohl Gefängnis- als auch Geldstrafe oder nur eines von beiden als Hauptstrafe normiert und gleichzeitig eine oder mehrere Nebensanktionen vorgesehen sind. Eine vom Delikt angedrohte Gefängnisstrafe darf das Gericht gern. Art. 43-5 C. p. neben dem Surrogat nicht mehr aussprechen. Andererseits kann eine Geldstrafe,278 sei es, daß sie entweder allein oder zusätzlich zur Gefängnisstrafe vorgesehen ist, durchaus
273 Siehe Decocq, rev. sc. crim. 1976,5 (25 f.); Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 6 - 10, Nr. 13; ders., dr. pen. gen., Nr. 376, S. 353. 274 Gassin, ZStW 91 (1979), 163 (173); Robert, J.C.P. 1975, I, 2729 (Nr. 6 f.); CambassMes, J.C.P. 1980, I, 2977 (Nr. 2); die Neben- und Zusatzstrafen zusammenfassend Bemal de Celis, Arch. pol. crim. 7 (1984), 199 (200).
275 Daß ein Fahrzeug bei der Begehung der Tat benutzt worden ist, stellt aber keine notwendige Voraussetzung für die Anwendung des Art. 43-1 C.p. dar. Entscheidend ist vielmehr nur, daß der Entzug des Führerscheins als Nebensanktion von der Strafvorschrift vorgesehen ist. 276 Zu Fällen des Entzugs des Führerscheins als Nebensanktion siehe Paumeliere, D. 1977, chr. 173 (177). 277 Robert, J.C.P. 1975, I, 2729 (Nr. 6); Pradel, D. 1976, chr. 63 (67); Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 43-1 - 43-11, Nr. 10; siehe im übrigen auch SlefanilLevasseuriBouloc, dr. pen. gen., Nr. 458, S. 512.
278 Ebenso eine andere Nebensanktion; Bemards, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe, S.
308 f.
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
68
mit der Nebensanktion, die jetzt Hauptstrafe ist, verhängt werden. 219 Läßt aber das Gericht bei einer allein als Hauptstrafe angedrohten Geldstrafe diese neben der neuen Hauptstrafe nach Art. 43-1 C. p. bestehen, fragt sich, ob dann die Anwendung des Art. 43-1 C. p. nicht überflüssig ist. Aber auch jetzt behält Art. 43-1 C.p. seine Bedeutung, da nun durch diesen Artikel die zur Hauptstrafe gewordene Nebensanktion der einfachen Strafaussetzung zugänglich wird. 2IIO Die Dauer der als Hauptststrafe ausgesprochenen Nebensanktion legt Art. 43-1 C. p. nicht fest. Diese ist vielmehr der vom Täter verwirklichten Strafvorschrift zu entnehmen. 281 Hierbei hat der Richter gern. Art. 43-1 S. 2 i.V.m. 55-1 Abs. 1 C.p. die Möglichkeit, die vorgesehene Dauer einzuschränken. 282 Zu bemerken bleibt, daß sich ein Problem bei der Anwendung des Art. 43-1 C.p. daraus ergeben kann, daß insbesondere im Hinblick auf den beruflichen Bereich ergehende Nebensanktionen sehr zahlreich sind, so daß es für den Richter sehr schwierig ist, alle einhergehenden Nebensanktionen zu kennen. 283 (2) Artikel 43-2 C.p. Art. 43-2 C.p. normiert das Berufsverbot oder das Verbot einer sozialen Tätigkeit284 als mögliche Hauptsanktion, sofern die Ausübung des Berufes die Straftat erleichtert hat. Im Gegensatz zu Art. 43-1 C.p. ist nicht erforderlich, daß die betreffende Strafvorschrift dieses Verbot bereits als Neben- oder Zusatzstrafe vorsieht. 285 Voraussetzung ist lediglich, daß das verwirklichte Delikt Freiheitsstrafe androht. Diese darf dann bei Anwendung des Art. 43-2 C.p. gern. Art. 43-5 C.p. wiederum nicht mehr verhängt werden.
219 LArguier, rev. sc. crim. 1981,601 (602); Francillon/Salvage, J.C.P. 1984, I, 3133 (Nr. 23); Decocq, rev. sc. crim. 1976,5 (7); Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 43-1 - 43-11, Nr. 11; Cambassedes-Savini, Rep. pen., peines de substitution, Nr. 32.
2110 Siehe Art. 734-1 Abs. 2 C.p.p. sowie Decocq, rev. sc. crim. 1976, 5 (7). Bei einer Nebensanktion als solcher ist nämlich eine Strafaussetzung nicht möglich, vgl. Art. 736 Abs. 2 C.p.p. 281 Pradel, D. 1976, chr. 63 (67 f.); Sebag, D. 1975, chr. 229 (236); Paumeliere, D. 1977, chr. 173 (177); Francillon/Salvage, J.C.P. 1984, I, 3133 (Nr. 72); Cambassedes-Savini, Rep. pen., peines de substitution, Nr. 92.
282
Siehe dazu im einzelnen unten 1. Kap., 3. Abschnitt, C, 3 b, cc.
283 Pradel, D. 1976, chr. 63 (68); Teufel, Kurze Freiheitsstrafe, S. 155; CamhassedesSavini, Rep. pen., peines de substitution, Nr. 93. 284
Zu dem weiten Begriff der "sozialen Tätigkeit" siehe Decocq, rev. sc. crim. 1976,5 (8).
285
Gassin, ZStW 91 (1979), 163 (173).
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Reformen
69
Die Bestimmung des Art. 43-2 C.p. war bei den parlamentarischen Vorarbeiten stark umstritten. 286 Man sah es als unverhältnismäßig an, daß insbesondere eine kurze Freiheitsstrafe durch ein Berufsverbot ersetzbar sei, da dies eine schwerwiegende Verletzung der individuellen Freiheit darstellen könne. 287 Darüber hinaus sei erstes Opfer eines derartigen Verbots die Familie des Verurteilten. 288 Die Regierung dagegen beurteilte Art. 43-2 C.p. als eines der geeignetesten Mittel, um Rückfälligkeit zu vermeiden. 289 Im übrigen sei dem Betroffenen nur diejenige Berufsausübung verboten, die einen Zusammenhang mit der begangenen Straftat aufweise; andere Berufstätigkeiten stünden ihm weiterhin offen. 290 Die schließlich in den C.p. aufgenommene Regelung des Art. 43-2 C.p. normiert, daß sie nicht auf Pressedelikte, auf Wahlmandate291 und gewerkschaftliche Aktivitäten anwendbar ist. Andererseits werden alle übrigen Berufszweige von der Vorschrift umfaßt. 292 Zu beachten ist weiterhin, daß der Gesetzgeber nicht verlangt, daß in Zukunft eine neue Straftat zu befürchten ist. 293 Auch reicht für die Anwendung des weit gefaßten Art. 43-2 C.p. aus, daß die durch die Tätigkeit gegebenen Möglichkeiten zur Tat ausgenutzt wurden. 294 Das Verbot darf eine Dauer von fünf Jahren nicht überschreiten.
286 Siehe Prudel, D. 1976, ehr. 63 (68); Bemards, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe, S. 309 f.; Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 43-1 - 43-11, Nr. 13.
287
Gerbet, J.O., deb. Ass. nat., seance du 16.5.1975,2831.
288
Gerbet, 1.0., deb. Ass. nat., seance du 16.5.1975,2831.
lustizminister Lecanuet, Mb. Ass. nat., seance du 16.5.1975, 2831 f.; ebenso Beslard, rev. penit. dr. pen. 1978,305 (307). 289
290
Justizminister Lecanuel, 1.0., deb. Ass. nat., seance du 16.5. 1975,2832.
Zum Umfang dieser Ausnahme Decocq, rev. sc. crim. 1976, 5 (8); Cambassedes-Savini, Rep. pen., peines de substitution, Nr. 53. 291
292
Vitu, rev. sc. crim. 1979,547 (549).
Prudel, D. 1976, ehr. 63 (68); Teufel, KUlZe Freiheitsstrafe, S. 198. Anders dagegen das nach Art. 138 Abs. 2 Nr. 12 C.p.p. im Rahmen der controIe judiciaire vemängbare Berufsverbot (die controIe judiciaire wurde durch Gesetz vom 17.7.1970 eingeführt; siehe Chavanne, rev. sc. crim. 1971, 148 [149 f.]; sie stellt eine Art von Probation vor der Verurteilung dar mit dem Zweck, die Untersuchungshaft zu vermeiden; Gassin, ZStW 91 [1979],163 [171]; ders., Melanges Ancel, n, S. 15): Es darf nur ausgesprochen werden, wenn zu befürchten ist, daß eine neue Straftat begangen wird. 293
294 Bemards, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe, S. 309; Teufel, KUlZe Freiheitsstrafe, S. 157, 196 f. Das gibt dem Richter eine weite Einschätzungsfreiheit; Francillon/Salvage, I.C.P. 1984, I, 3133 (Nr. 35); Prudel, D. 1976, ehr. 63 (68).
70
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
(3) Artikel 43-3 C.p. Art. 43-3 C.p. zählt sieben als Hauptstrafe anwendbare Sanktionen auf, sofern eine mit Gefängnisstrafe bedrohte Straftat vetwirklicht worden ist. Seine Anwendung verhindert wiederum die Verhängung der Gefängnisstrafe. 29s Es handelt sich ebenfalls um Sanktionen, die bereits vor 1975 - wenn auch nicht als Hauptstrafe - im Rahmen der strafrechtlichen Reak:tionsmöglichkeiten vorgesehen waren. 296 Art. 43-3 Nr. 1 - Nr. 3bis C.p. regeln Hauptsanktionen im Zusammenhang mit der Benutzung eines Kraftfahrzeugs: Entzug297 des Führerscheins bis zu fünf Jahren (Nr. 1)298 oder das Verbot des Führens bestimmter Fahrzeuge für maximal fünf Jahre (Nr. 2), sowie Einziehung eines oder mehrerer Fahrzeuge, die im Eigentum des Angeklagten stehen (Nr. 3)299 oder deren Stillegung für maximal sechs Monate (Nr. 3bis).300 Zwei weitere Sanktionen normieren das Verbot des Besitzes und Tragens genehmigungspflichtiger Waffen bis zu fünf Jahren (Nr. 4) und die Einziehung von dem Angeklagten gehörenden oder ihm zur Verfügung
29S
Art. 43-5 C.p.
296
Decocq, rev. sc. crim. 1976,5 (9); Pradel, D. 1976, chr. 63 (68).
297 Dies ist in der Fonn der Suspendierung des Führerscheins vorgesehen, d.h. nach Fristablauf wird der alte Führerschein zurückgegeben; Bemards, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrsfe, S. 308; Teufel, KUlZe Freiheitsstrsfe, S. 163 f., 168. Die ursprünglich auch vorgesehene Annullierung des Führerscheins wurde bei den parlamentarischen Berstungen abgelehnt und gestrichen; siehe J.O., deb. Ass. nat., seance du 16.5.1975,2834 f.; ausführlich zum Entzug des Führerscheins Teufel, a.a.O., S. 163 ff., 175 ff.
298 Aus beruflichen Gründen kann das Gericht Ausnahmen zulassen, Art. 43-3 Nr. 1 2. Halbs. C.p. Diese Ausnahme ist das Resultat aus einem Verbesserungsvorschlag, der den Entzug des Führerscheins auf die arbeitsfreie Zeit (z.B. das Wochenende) begrenzen wollte, um die Berufsausübung des Verurteilten nicht zu verhindern; siehe Gerbet, J.O., deb. Ass. nat., seance du 16.5.1975,2834; Pradel, D. 1976, chr. 63 (69); Paumeliere, D. 1977, chr. 173 (178). Die Ausnahme soll jedoch nicht in Betracht kommen, wenn der Täter durch die verwirklichte Strsftat zum Ausdruck gebrscht hat, daß er eine Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer darstellt; Doll, Gaz. Pal. 1975, doctr. 634 (635).
299 Der Wagen der Eltern, den der jugendliche Straftäter benutzt hat, kann also nicht eingezogen werden; Doll, Gaz. Pal. 1975, doctr. 634 (635). Durch Gesetz vom 10.7.1987 erfolgte eine den etwaigen Pfandgläubiger schützende Ergänzung des Art. 43-3 Nr. 3 C.p.: Diesem wird der Verkaufserlös abzüglich der angefallenen Gebühren in Höhe seiner Forderung zur Verfügung gestellt, sofern das FahlZeug veräußert wird. 300 Nr. 3bis wurde aber erst durch Gesetz vom 10.6.1983 geschaffen. Man hatte diese Vorschrift wegen prsktischer Schwierigkeiten bei der Durchführung der Einziehung gem. Art. 43-3 Nr. 3 C.p. (z.B. Frsge der Lagerung; siehe dazu Bemards, in: Jescheck [Hrsg.], Freiheitsstrafe, S. 310 f.; Teufel, KUlZe Freiheitsstrsfe, S. 209, 234; auch wird die Einziehung mit der Folge des Eigentumsübergangs auf den Staat als zu hart empfunden; Pradel, D. 1984, ehr. 111 [116]; Robe,." dr. pen. gen., S. 488; Jeandidier, dr. pen. gen., Nr. 403, S. 381) und wegen der schwierigen Kontrolle bei Art. 43-3 Nr. 1 und 2 C.p. auf Vorschlag des Senats eingeführt; Puech, aet. leg. D. 1983, 105 (122); Verin, rev. sc. crim. 1984, 377 (378); Perier-Daville, Gaz. Pal. 1983, doctr. 305 (313); zum Verfahren dabei im einzelnen Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 43-1 - 43-11, Nr. 28; Pradel, a.a.O., 116 f.; Robe,." a.a.O., S. 488.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
71
stehenden Waffen (Nr. 6). Art. 43-3 Nr. 5 C.p. gibt schließlich dem Gericht die Möglichkeit, dem Straftäter die Jagderlaubnis zu entziehen mit gleichzeitiger Verhängung einer Sperrfrist für die Neuerteilung von maximal fünf Jahren. Ein Zusammenhang zwischen der speziellen Straftat und den in Art. 43-3 C.p. geregelten Sanktionen ist nicht erforderlich. 301 Durch Art. 43-3 C.p. kann somit z.B. der Entzug des Führerscheins anstelle der vom Vergehen vorgesehenen Freiheitsstrafe ausgesprochen werden, ohne daß die Straftat in irgendeinem Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen muß. 302 Diese mangelnde Verbindung wurde bei den parlamentarischen Arbeiten kritisiert. 303 So müsse etwa bei der Spezialeinziehung eine Beziehung zwischen dem betreffenden Gegenstand und der Straftat bestehen. In Art. 43-3 C.p. handele es sich dagegen um nichts anderes als die Übertragung des Eigentums an den Staat, ohne daß ein derartiger Zusammenhang notwendig sei. 304 Man entgegnete, daß es keinem Grundsatz widerspreche, wenn der Spezialeinziehung eine neue Funktion zugewiesen werde. So bestehe auch oftmals zwischen einem verwirklichten Delikt und der daraus folgenden Verpflichtung, eine Geldstrafe zugunsten des Staates zu zahlen, keine Beziehung. Daher stelle Art. 43-3 C.p. kein Verstoß gegen irgendein Grundprinzip dar. 305 Das Gericht hat bei der Vorschrift die Möglichkeit, nur eine oder aber auch gleichzeitig mehrere der genannten Sanktionen zu verhängen. Art. 43-3 C.p. ist nicht begrenzt auf Fälle, in denen die Strafbestimmung ausschließlich als Strafe Gefängnisstrafe vorsieht, sondern ist auch anwendbar, wenn daneben die Geldstrafe oder Nebensanktionen angedroht sind. 306 Auf diese
301 Grebing, in: Lüttger (Hrsg.), Strafrechtsrefonn, S. 106; Roben, ].C.P. 1975, I, 2729 (Nr. 10); Bestard, rev. penit. dr. pen. 1978,305 (306); Cukier, Gaz. Pal. 1985, doctr. 461.
302 Gassin, ZStW 91 (1979), 163 (173); Doll, Gaz. Pal. 1976, doctr. 34 (42); ders., Gaz. Pal. 1975, doctr. 634 (635). 303 Siehe ].0., deb. Ass. nat., seance du 16.5.1975, 2834; kritisch auch Roben, ].C.P. 1975, I, 2729 (Nr. 12).
304
Fontaine, ].0., deb. Ass. nat., seance du 16.5.1975,2834.
305
Foyer, ].0., deb. Ass. nat., seance du 16.5.1975,2834.
306 Cass. crim., 1.12.1980, BuH. crim. Nr. 324; Larguier, rev. sc. crim. 1981, 601 (602 f.), mit Argumenten pro und contra dieser Lösung.
72
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
Weise wird das Verhältnis zwischen Art. 43-1 C.p. und 43-3 C.p. deutlich: 307 Sieht die verwirklichte Strafvorschrift ausschließlich Gefängnisund Geldstrafe vor, ist Art. 43-3 C.p., nicht jedoch Art. 43-1 C.p. anwendbar. Ist nur eine Geldstrafe angedroht, kommt weder Art. 43-1 C.p. noch Art. 43-3 C.p. in Betracht. Werden Geldstrafe und eine Nebensanktion normiert, ist lediglich Art. 43-1 C.p. heranziehbar. Bei ausschließlicher Androhung einer Gefiingnisstrafe kann der Richter allein von Art. 43-3 C.p. Gebrauch machen. Sind sowohl Gefiingnis- als auch Geldstrafe und eine oder mehrere Nebensanktionen vorgesehen oder allein Gefiingnisstrafe mit Nebensanktionen, kann der Richter entweder Art. 43-1 C.p. oder 43-3 C.p. heranziehen. 30S (4) Artikel 43-4 C.p. Das Gesetz vom 11.7.1975 führte schließlich Art. 43-4 C.p. ein, der als mögliche Hauptstrafe die Einziehung der Gegenstände, Produkte und Instrumente der Straftat regelt. Erforderlich ist lediglich, daß es sich um ein mit Gerangnis bedrohtes Vergehen handelt, wobei dieses selber noch nicht einmal die Einziehungsmöglichkeit vorsehen muß. 309 Bei Anwendung des Art. 43-4 C.p. ist ebenso wie bei den anderen Surrogaten die gleichzeitige Verurteilung zu der Gefiingnisstrafe ausgeschlossen. Insgesamt kann damit die Spezialeinziehung den Charakter einer Hauptstrafe über Art. 43-1 C.p. annehmen, sofern sie bereits als Nebensanktion vorgesehen ist, über Art. 43-3 Nr. 3, Nr. 6 C.p. sowie über Art. 43-4 C.p.310 Art. 43-4 C.p. ist jedoch, ebenso wie Art. 43-2 C.p., nicht anwendbar auf Pressedelikte. 311
307
Siehe Larguier, rev. sc. crim. 1981,601 (603).
Zu Vorteilen bei Anwendung des Art. 43-3 C.p., wenn Gefängnisstrafe angedroht ist und als Nebensanktion der Entzug des Führerscheins vorgesehen ist, siehe Paumeliere, D. 1977, chr. 173 (177). 30S
309
Cass. crim, 26.5.1983, Bull. crim. Nr. 156.
310 Neben Art. 43-1 C.p., 43-3 C.p. und 43-4 C.p. ist die Spezialeinziehung auch
Hauptstrafe in einigen Fällen des Zollrechts; Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 11, Nr. 23.
311 Diese Ausnahme wurde nach Protesten des Senats gegen die Vorschrift des Art. 43-4 C.p. aufgenommen, siehe J.O., deb. Senat, seance du 18.6.1975, 1729, sowie J.O., deb. Ass. nat., seance du 27.6.1975, 4910 f.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
73
(5) Ergänzende Hinweise Wie bereits mehrfach erwähnt, ist es dem Gericht gem. Art. 43-5 C.p. verwehrt, bei Anwendung der in den Art. 43-1 bis 43-4 C. p. vorgesehenen Möglichkeiten auch eine Gefängnisstrafe auszusprechen. Eine vom Vergehen angedrohte Geldstrafe oder andere Nebensanktion können jedoch zusätzlich verhängt werden. 312 Die Mißachtung der über die Surrogate auferlegten Verpflichtungen stellt gem. Art. 43-6 C.p. ein Vergehen dar, das mit Gefängnisstrafe von zwei Monaten bis zu zwei Jahren sanktioniert werden kann. 313 Dabei soll es dem erkennenden Gericht jedoch nicht untersagt sein, anstelle der in Art. 43-6 C.p. vorgesehenen Gefängnisstrafe wiederum Surrogate nach den Art. 43-1 bis 43-4 C.p. zu verhängen. 314 Andererseits ist es ebenfalls durchaus denkbar, daß der Täter nun zu einer höheren Gerangnisstrafe verurteilt wird, als wenn der Richter wegen der ursprünglichen Straftat kein Surrogat, sondern unmittelbar eine Freiheitsstrafe verhängt hätte. 315 Die Ausführungen zu Art. 43-5 C. p. und 43-6 C. p. gelten ebenfalls für das im folgenden darzustellende Surrogat der gemeinnützigen Arbeit.
312 Roben, J.C.P. 1975, I, 2729 (Nr. 14); Pradel, D. 1976, chr. 63 (69); Doll, Gaz. Pal. 1976, doctr. 34 (42); deTS., Gaz. Pal. 1975, doctr. 634 (635); Charles, Rec. gen. lois 1976, doctr. 237 (248); Suquet, rev. penit. dr. pen. 1989,187 (189), mit Nachw. zur Rechtsprechung; Bemards, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe, S. 308; Grebing, in: Lüttger (Hrsg.), Strafrechtsrefonn, S. 106; Paumeliere, D. 1977, chr. 173 (177); Francillon/Salvage, J.C.P. 1984, I, 3133 (Nr. 21); Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 43-1 - 43-11, Nr. 4; Bouloc, rev. sc. crim. 1983, 689 (691). 313 Bei Rückfall von einem bis zu fünf Jahren. Die Heranziehung der Gefängnisstrafe wird also nicht endgültig ausgeschlossen; Francillon/Salvage, J.C.P. 1984, I , 3133 (Nr. 26 f.); Kritik an dem System, bei Mißlingen wiederum eine Gefängnisstrafe aufzuerlegen, übt Grebing, rev. int. dr. pen. 1982,775 (795 f.). 314 So Francillon/Salvage, J.C.P. 1984, I, 3133 (Nr. 26); Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 590, S. 592 f.; ders., D. 1976, chr. 63 (70); deTS., rev. sc. crim. 1977,723 (734); Decocq, rev. sc. crim. 1976,5 (10); Larguier, rev. sc. crim. 1980,693 (697); Cambassedes-Savini, Rep. pen., peines de substitution, Nr. 151; Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 43-1 - 43-11, Nr. 55. Dies ist aber mehr eine theoretische als tatsächlich in der Praxis angewandte Möglichkeit; gegen die Möglichkeit von Surrogaten bei Art. 43-6 C.p. Rassat, dr. pen., Nr. 375, S. 548 f.; Puech, dr. pen. gen., Nr. 1379, S. 483. ContelMaistre de Chambon, dr. pen. gen., S. 247, halten es von der Logik her für unangebracht, erneut ein Surrogat zu verhängen, bemerken aber andererseits, daß der Text dies nicht untersagt. 315 Pradel, rev. penit. dr. pen. 1986, 144 (154); Bouloc, rev. sc. crim. 1983, 689 (691); daß der Täter nicht weiß, welche Strafe er bei Mißachtung der Verpflichtungen auferlegt erhält, erscheint Neveu, Arch. pol. crim. 9 (1987), 121 (125), als Beeinträchtigung des Gesetzlichkeitsprinzips.
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1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
bb) Die Surrogate des Gesetzes vom 10.6.1983
Das Gesetz vom 10.6.1983316 ergänzte die Surrogate insbesondere durch zweP17 Sanktionen, die dem französischen Strafrecht bis dahin unbekannt waren: 318 Die gemeinnützige Arbeit (Art. 43-3-1 bis Art. 43-3-5 C.p., travail d'interet general) und die Geldstrafe nach dem Tagessatzsystem (Art. 43-8 bis Art. 43-11 C.p., jours-amende). (1) Die gemeinnützige Arbeit
Mit der gemeinnützigen Arbeit wird beabsichtigt, die schädlichen Auswirkungen einer Freiheitsstrafe zu vermeiden, der Gesellschaft einen Vorteil zuteil werden zu lassen und die Wiedereingliederung des Täters in die Gemeinschaft zu begünstigen. 319 Der letztere Gesichtspunkt, die Arbeit im Interesse des Straftäters, ist insbesondere bei Minderjährigen ab 16 Jahren32n maßgebend. So bestimmt Art. 43-3-4 Abs. 2 C.p. ausdrücklich, daß mit ihr die soziale Wiedereingliederung des jugendlichen Straftäters angestrebt werden soll. (1.1) Anwendungsvoraussetzungen
Die Verhängung der gemeinnützigen Arbeit als Hauptstrafe hat zur Voraussetzung, daß das vom Betroffenen verwirklichte Vergehen mit einer Ge316 Hinzuweisen ist darauf, daß die 1975 eingeführten Surrogate durch das Gesetz vom 2.2.1981 in ihrem Anwendungsbereich begrenzt wurden. Es bestimmte in einem neu eingeführten Art. 43-7 a.F. C.p., daß die Surrogate auf Rückfalltäter unanwendbar seien, die bestimmte in Art. 58 C.p. genannte "Gewaltdelikte" begehen; siehe dazu Francillon/Salvage, J.C.P. 1984, 1,3133 (Nr. 41, Anm. 81); Decocq, rev. sc. crim 1981,643 (644); Rassat, rev. int. crim. pol. tech. 1981,7 (9 ff.); Perier-Daville, Gaz. Pal. 1983, doctr. 305 f. Der Verfassungsgerichtshof, 19120.1.1981, J.O., 22.1.1981,308, hat die Bestimmungen über die Gewaltdelikte als mit der Verfassung vereinbar erklärt; dazu Decocq, a.a.O., 644 f.; &caich, la vie judiciaire 9.15.2.1981,7 f.; Philip, rev. dr. publ. sc. polil. 1981,651 (657 ff.); Franck, J.C.P. 1981, U, 19701; Perier-Daville, Gaz. Pal. 1981, doctr. 100 ff. Das Gesetz vom 10.6.1983 hat jedoch Art. 43-7 a.F. C.p. wieder abgeschaffi; siehe Puech, acl. leg. D. 1983, 105 (110); Bouloc, rev. sc. crim. 1983,683 (690); Crut, la viejudiciaire 7.-13.11.1983, 7; Spaniol, JZ 1985,618. 317 Des weiteren wurde durch dieses Gesetz Art. 43-3 Nr. 3bis C.p. (Stillegung des Fahrzeugs) eingeführt; siehe dazu bereits oben Anm. 300. 318 Pradel,
dr. pen., 1.1, Nr. 588, S. 591.
Gonnard, Juris-Cl. pen., Art. 43-1 - 43-11, Nr. 34; Pradel, D. 1984, chr. 111 (112); Neveu, Arch. pol. crim. 9 (1987), 121 (123 f.); vgl. in diesem Sinne auch Art. R. 61-8 C.p.p. 319
32n
C.p.
Unter 16 Jahren kann keine gemeinnützige Arbeit verhängt werden, siehe Art. 43-3-4
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
75
fängnisstrafe bedroht ist. Deren Verhängung ist dann bei Anordnung der Arbeit ausgeschlossen. Ein Änderungsvorschlag im Laufe der parlamentarischen Beratungen, der eine Obergrenze für die Dauer der Gefängnisstrafe erwogen hatte, wurde nicht in geltendes Recht umgesetzt. Dagegen sprach einerseits, daß die schon bestehenden Surrogate ebenfalls keine Obergrenze vorsehen, und zum anderen der zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers, daß Surrogate in den Fällen anzuwenden seien, in denen ansonsten eine kurze Freiheitsstrafe in Betracht käme. 321 Außerdem sollte dem Richter die größtmöglichste Freiheit gelassen werden. 322 Andererseits ist aber im Unterschied zu den oben dargestellten Surrogaten gern. Art. 433-1 Abs. 1 C.p. erforderlich, daß der Delinquent nicht fünf Jahre vor der nun zu sanktionierenden Straftat zu einer Verbrechensstrafe oder zu einer Gefängnisstrafe über vier Monate ohne Strafaussetzung verurteilt worden ist. 323 Damit ist bezweckt, die gemeinnützige Arbeit nicht bei Rückfalloder Gewohnheitstätern zur Anwendung kommen zu lassen. 324 Kritisiert wird daran, daß sich diese Voraussetzung nicht in das System der durch das Gesetz vom 11.7.1975 geschaffenen Surrogate einfügt, die eine derartige Voraussetzung nicht erfordern. 325 Des weiteren setzt das Gesetz voraus, daß der Straftäter während der Verhandlung anwesend ist,326 damit der Richter ihn von der Möglichkeit in Kenntnis setzen kann, daß er das Recht hat, dieses Surrogat zu verweigern. 327 Dadurch erhält die Sanktion den Charakter eines Angebots. 328 Zunächst war im Gesetzesentwurf vorgesehen,
321 Puech, act. leg. D. 1983, 105 (121); siehe Justizminister Badinter, J.O., deb. Ass. nat., seance du 22.7.1982, 4709. 322 Pradel, 323
D. 1984, chr. 111 (112).
Es sei denn, es handelte sich um politische Straftaten.
324 Vitu, rev. sc. crim. 1987,677 (682); Jouys, rev. penit. dr. pen. 1984,249 (256); Puech, dr. pen. gen., Nr. 1212, S. 439; Jeandidier, dr. pen. gen., Nr. 394, S. 371. 325 Puech, act. leg. D. 1983, 105 (121). Perdriolle, Deviance et Societe 1984, 207 (209), empfindet es als paradox, daß eine Strafe, die Inhaftierungen venneiden soll, nicht auf Rückfalltäter anwendbar sei.
326 Bei Vergehen, die nur eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe unter zwei Jahren androhen, kann sich der Betroffene im Prozeß durch einen Anwalt vertreten lassen, Art. 411 C.p.p.; will der Täter nun erreichen, daß die gemeinnützige Arbeit als Sanktion ergeht, muß er somit im Prozeß dennoch erscheinen; Pradel, D. 1984, chr. 111 (113). 327 Art. 43-3-1 Abs. 2 C.p.; erfolgt keine Verweigerung, ist der Richter frei, die gemeinnützige Arbeit zu verhängen oder nicht; Puech, act. leg. D. 1983, 105 (121); ders., dr. pen. gen., Nr. 1212, S. 440. 328 StefanilLevasseurlBouloc, dr. pen. gen., Nr. 485-1, S. 540; Alt-Maes, rev. sc. crim. 1987, 347 (352). Rassat, dr. pen., Nr. 374, S. 547, bezeichnet das Verweigerungsrecht als •grotesk' bei einer Strafe; zur parlamentarischen Diskussion über diese Beteiligung des Angeklagten siehe Pradel, D. 1984, chr. 111 (113); den., rev. penit. dr. pen. 1986, 144 (152).
76
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanlctionensystem
daß die Verhängung der gemeinnützigen Arbeit der ausdrücklichen Zustimmung des Betroffenen bedürfe. Dies hätte bedeutet, daß bei Schweigen
des Betroffenen die Sanktion der gemeinnützigen Arbeit nicht in Betracht gekommen wäre. 329 Der Senat zog jedoch die auch schließlich verwirklichte Lösung vor, dem Betroffenen lediglich ein Verweigerungsrecht zu geben. 33O Bei Schweigen des Betroffenen kann somit das Gericht die gemeinnützige Arbeit verhängen. 331 Durch dieses bloße Verweigerungsrecht werde gleichzeitig vermieden, daß die Verhängung der gemeinnützigen Arbeit einen gewissen Vertragscharakter erhalte. 332 Dieses Recht soll Art. 4 der europäischen Menschenrechtskonvention Rechnung tragen, der Zwangsarbeit verbietet. 333 Zudem will man die Erfolgschancen einer derartigen Sanktion erhöhen. 334 Zum Teil wird im Schrifttum jedoch die Frage aufgeworfen, ob das Verweigerungsrecht nicht lediglich Alibifunktion habe. Es sei evident, daß der Angeklagte nicht daran interessiert sei, den Richter zu kränken, indem er das Angebot ausschlage. Da er im übrigen nicht die Höhe der Gefängnisstrafe kenne, die er bei einer Verweigerung auferlegt erhält, sei das Verweigerungsrecht in der Realität illusorisch.335
329 Francillon/Salvage, J.C.P. 1984, I, 3133 (Nr. 43); kritisch zur Zustimmung Boujard, Le Monde 22.3.1983, 2: Vor Gericht handele es sich nicht um eine wahre Zustimmung; oft verstehe der Beschuldigte auch die dortigen Angaben nicht, so daß es zweifelhaft sei, ob er die Reichweite seiner Zustimmung richtig einstufe; andererseits könne der Betroffene ja jederzeit beim Vollzug die Arbeit verweigern. 330
J.O., deb. Senat, seance du 6.4.1983, 80 ff.
Francillon/Salvage, J.C.P. 1984, I, 3133 (Nr. 43). Dabei darf die mangelnde Verweigerung nicht als Anerkennung der Schuld aufgefaßt werden, was einen Verstoß gegen die Unschuldsvennutung darstellen würde; siehe Francillon/Salvage, a.a.O., (Nr. 44); Alt-Maes, rev. sc. crim. 1987,347 (353). 331
332 Couvrat, rev. sc. crim. 1989, 158 (159); Pueeh, BcL leg. D. 1983, 105 (121); Rudloff, J.O., deb. Senat, seance du 6.4.1983, 80. Dagegen geht Alt-Maes, rev. sc. crim. 1987, 347 (352), davon aus, daß auch dieser Ausgestaltung die Idee eines Vertrags zugrunde liegt. 333 Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 43-1 - 43-11, Nr. 38; Rudloff, J.O., deb. Senat, seance du 6.4.1983, 80; Pueeh, Bct. leg. D. 1983, 105 (121); Pradel, rev. penit. dr. pen. 1986, 144 (152); Fauchere, Arch. pol. crim. 9 (1987),77 (80); Mare, rev. penit. dr. pen. 1985, 111 (112); a.A. Rassal, dr. pen., Nr. 374, S. 548: Es liege keine Zwangsarbeit bei Anordnung durch das erkennende Gericht vor.
334 Franeillon/Salvage, J.C.P. 1984, I, 3133 (Nr. 45); Bouloe, rev. sc. crim. 1983, 689 (691); Alt-Maes, rev. sc. crim. 1987,347 (352); Couvrat, rev. sc. crim. 1989,158 (159). 335
Neveu, Arch. pol. crim. 9 (1987), 121 (127 f.).
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonncn
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(2.2) Ausgestaltung Die gemeinnützige Arbeit stellt eine Leistung dar, die der Betroffene zugunsten einer öffentlichen Gemeinschaft, Einrichtung oder einer Vereinigung erbringt. Die Arbeit wird nicht entlohnt, da es sich um eine strafrechtliche Sanktion handelt. 336 Für Erwachsene beträgt die Anzahl der abzuleistenden Stunden mindestens 40 Stunden und maximal 240 Stunden. 337 Ein etwaiger Maßstab, welche zeitliche Dauer der Gefängnisstrafe wievielen Stunden gemeinnütziger Arbeit entspricht, gibt der C.p. nicht an, so daß insofern der Richter keiner Bindung unterliegt. 338 Der Zeitraum, in dem die Stunden abzuleisten sind, kann bis zu 18 Monate betragen. 339 Diese Frist340 erklärt sich zum einen daraus, daß die konkrete Ausgestaltung der Vollzugsbedingungen sehr oft erst nach einem gewissen Zeitraum erfolgt,341 zum anderen daraus, daß die Arbeit saisonbedingt sein kann. Schließlich liegt der Grund darin, daß auf diese Weise die Arbeit etwa auf die freien Wochenenden aufteilbar ist. 342 Die Frist endet gem. Art. 43-3-1 Abs. 3 S. 2 C. p. unabhängig von ihrer im Urteil bestimmten Dauer, wenn der Verurteilte die gesamte auferlegte Arbeit durchgeführt hat. Das zeigt die Bemühungen des Gesetzgebers, die soziale Wiedereingliederung des Verurteilten zu erreichen. 343 Die konkrete Ausgestaltung des Vollzugs der gemeinnützigen Arbeit3 44 wird gem. Art. 43-3-1 Abs. 4 C.p. durch den Strafvollstreckungsrichter, der diese im Hinblick auf die jeweilige Persönlichkeit des
336 Puech, act. leg. D. 1983, 105 (121); ders., dr. pen. gen., Nr. 1213, S. 440; siehe auch Neveu, Arch. pol. crim. 9 (1987), 121 (130, 138).
337 Bei Mindeljährigen ab 16 Jahren: mindestens 20, höchstens 120 Stunden. 338 Maestracci, in: A1brechtlSchädler (Hrsg.), Cornrnunity service, S. 91. 339 Bei Mindeljährigen über 16 Jahre: Bis zu 12 Monaten. 340 Sie beginnt, wenn die Entscheidung des erkennenden Gerichts rechtskräftig geworden ist; Cass. crim., 1.3.1988, BuH. crim. Nr. 110. Nicht entscheidend ist also der Zeitpunkt, in dem der StrafvoHstreckungsrichter die konkrete Ausgestaltung der Arbeit festlegt; Couvrat, rev. sc. crim. 1989, 158 (160).
341 Die durchschnittliche Dauer von der Gerichtsentscheidung bis zum Vollzugsbeginn beträgt drei Monate; Couvrat, rev. sc. crim. 1989, 158 (160).
342 Puech, act. leg. D. 1983,105 (121); ders., dr. pen. gen., Nr. 1213, S. 440. 343 Puech, aet. leg. D. 1983, 105 (122). 344 Beispiele dafür (etwa: Parkreinigung, Behindertenhilfe) nennen Justizminister Badinter, J.O., deb. Ass. nat., seance du 22.7.1982, 4682; Ferier-Daville, Gaz. Pal. 1983, doctr. 247 (249); Puech, act. leg. D. 1983, 105 (121); Maestracci, Arbeitsgruppe t.i.g., S. 14; Pradel, D. 1984, chr. 111 (114); Yerin, Arch. pol. crim. 7 (1984),179 (182).
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I. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
Delinquenten fixiert,345 festgelegt. 346 Vor der Aufnahme der Arbeit hat gem. Art. R. 61-18 C.p.p. eine gesundheitliche Untersuchung zu erfolgen. Auch kann der Strafvollstreckungsrichte?'7 aus schwetwiegenden medizinischen, familiären, beruflichen oder sozialen Gründen die Verrichtung der Arbeit vorläufig aussetzen. 348 Unabhängig von der Ausübung der Arbeit unterliegt der Verurteilte gem. Art. R. 61-19 C.p.p. gewissen Kontrollmaßnahmen, die denjenigen der Bewährung ähneln. 349 So hat er beispielsweise einen Wohnsitzwechsel zu rechtfertigen, sofern dadurch die Ausübung der gemeinnützigen Arbeit beeinträchtigt wird. Entzieht sich der Verurteilte der Arbeit, benachrichtigt der Strafvollstreckungsrichter den Staatsanwalt, der gegen die Person Ermittlungen wegen einer Straftat einleiten kann, denn die Mißachtung von in Anwendung der Art. 43-1 bis 43-4 C.p. ausgesprochenen Verpflichtungen steht ja gem. Art. 43-6 C.p. unter Strafe. 350 (2) Die Geldstrafe nach dem Tagessatzsystem Die durch Gesetz vom 10.6.1983 ebenfalls eingeführte Möglichkeit, als Surrogat der Freiheitsstrafe die Geldstrafe nach dem Tagessatzsystem auszusprechen, soll die Gleichheit bei der Verhängung von Geldstrafen besser
34S Gonnard, Juris-Cl. pen., Art. 43-1- 43-11, Nr. 43, 46; Maestracci, Arbeitsgruppet.i.g., S. 13; Bouloc, rev. sc. crim. 1983,689 (691); Couvral, rev. sc. crim. 1989, 158 (159); PerierDaville, Gaz. Pal. 1983, doctr. 247. Dem erkennenden Gericht fehlen oft die notwendigen informationen, um die geeignete Arbeit für den Delinquenten auszuwählen; Puech, act. leg. D. 1983,105 (121).
346
Siehe Art. R. 61-12 ff. C.p.p.
347 Zum Strafvollstreckungsrichter siehe Merle/Vilu, dr. crim., t.l, Nr. 626 ff., S. 807 ff., Nr. 826, S. 999 f. m.w.N.; Casorla, rev. int. dr. pen. 1990, 555 (570 ff., 582 ff., 588 ff.). Bei Jugendlichen ist der Jugendrichter gern. Art. 43-3-4 Abs. 2 S. I C.p. zuständig; zu zusätzlichen Verpflichtungen des Jugendrichters siehe Art. R. 61-32 C.p.p. sowie Gonnard, Juris-Cl. pen., Art. 43-1 - 43-11, Nr. 47. 348 Art. 43-3-1 Abs. 3 S. 2 2. Halbs., Abs. 4 C.p.; zu dem Verhältnis dieser Vorschrift zu Art. 708 Abs. 3 C.p.p. (zu diesem siehe oben 1. Kap., 3. Abschnitt, A, 11, 3 b, bb) siehe Cambassedes-Savini, Rep. pen., peines de substitution, Nr. 113 ff. 349 Pradel, dr. pen., t.1, Nr. 695, S. 677; ders., D. 1984, chr. 111 (114). Daneben unterliegt der Betroffene bei der Organisation, wo er die Arbeit auszuführen hat, einer Kontrolle, siehe Art. R. 61-22 C.p.p.; dazu Bouloc, penologie, Nr. 336, S. 235.
350 Vgl. Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 43-1 - 43-11, Nr. 55; Casorla, rev. int. dr. pen. 1990, 555 (591); Pradel, D. 1984, chr. 111 (114); Couvral, rev. sc. crim. 1989, 158 (160); Alt-Maes, rev. sc. crim. 1987,347 (352); Neveu, Arch. pol. crim. 9 (1987), 121 (132).
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
79
verwirklichen helfen. 351 Mit dem in Art. 43-8 bis 43-11 C. p. geregelten Tagessatzsystem kann eine Anpassung an die finanzielle Leistungsfähigkeit des Täters erfolgen. Die hinter dem System stehende Philosophie sei, ihm nicht diejenigen Geldmittel zu entziehen, die er rur seinen und seiner Unterhaltsberechtigten Unterhalt bedürfe. 352 (1.1) Anwendungsvoraussetzungen Voraussetzung rur die Anwendung des Surrogats ist wiederum, daß der Täter ein Vergehen verwirklicht hat, das mit einer Gefängnisstrafe sanktioniert ist, deren Höhe wie bei den anderen Surrogaten keine Eingrenzung erhält. Im Gegensatz zur gemeinnützigen Arbeit ist die strafrechtliche Vergangenheit des Täters unbeachtlich. Auch ist die Geldstrafe nach dem Tagessatzsystem gern. Art. 43-8 Abs. 2 C.p. nur gegenüber Erwachsenen anwendbar. 353 Nach einem Rundschreiben der Staatskanzlei vom 15.9.1983 soll die Sanktion in Anwesenheit des Betroffenen verhängt werden. (2.2) Ausgestaltung Gern. Art. 43-9 C.p. wird im Hinblick auf die Tatumstände die Anzahl der Tagessätze, die 360 nicht überschreiten darf, festgelegt, und in bezug auf die finanziellen Verhältnisse des Täters bestimmt der Richter die Höhe des einzelnen Tagessatzes, der maximal 2000 F betragen darf. 354 Demgemäß muß das Gericht Informationen über die finanziellen Verhältnisse des Täters besitzen. 355 Durch das Tagessatzsystem ist es möglich, über die in der jeweiligen verwirklichten Strafvorschrift gegebenenfalls vorgesehene Geldstrafe hinauszugehen. 356 Die Strafrechtswissenschaft bemerkt dazu, daß man dem Individualisierungsgedanken stärkeres Gewicht beimesse als dem
351 Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 43-1 - 43-11, Nr. 57; Pradel, D. 1984, ehr. 111 (115). Ein erster Schritt zu einer wirksameren Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes erfolgte mit der Einführung des Art. 41 C.p. durch das Gesetz vom 11.7.1975; dazu siehe oben 1. Kap., 3. Abschnitt, A, n, 3 b, bb. 352
Puech, act.leg. 0.1983,105 (123); Pradel, 0.1984, ehr. 111 (116).
353
Zu den Gründen siehe Pradel, D. 1984, ehr. 111 (115).
354 Art. 43-9 C.p. Wegen der Höhe von 2000 F geht Jescheck, rev. sc. crim. 1987, 95 (100), davon aus, daß dieses Institut nur als Reaktion gegen geringfügigere Kriminalität bestimmt ist. 355
Zu ihrer Ermittlung Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 43-1 - 43-11, Nr. 61.
356
Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 564,
s. 565.
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
80
Gesetzlichkeitsprinzip.357 Neben der Tagessatzgeldstrafe darf gern. Art. 43-8 Abs. 1 S. 2 C.p. weder die Gefängnisstrafe noch die klassische Geldstrafe ausgesprochen werden. Die Gesamtsumme ist gern. Art. 43-9 Abs. 3 C.p. nach dem Ablauf einer Frist fällig, die mit der Anzahl der Tagessätze übereinstimmt, es sei denn, das Gericht bestimmt in Anwendung des Art. 41 Abs. 2 C.p.3SS etwas anderes. 359 Wurde bei der Verurteilung keine Ratenzahlung angeordnet und stellen sich beim Täter finanzielle Schwierigkeiten im Laufe der Frist ein, so kann zwar nicht nachträglich eine Änderung der Höhe der Tagessätze erfolgen, jedoch besteht gern. Art. 708 Abs. 3 C.p.p.3ro die Möglichkeit der Suspendierung der Zahlung bzw. der nachträglichen Anordnung von Ratenzahlung. 361 Hat der Verurteilte nicht spätestens einen Monat nach Fälligkeit die ganze Summe beglichen, erhält er eine Zahlungsaufforderung mit Fristsetzung. Kommt er dieser nicht nach, ist er gern. Art. 43-10 C.p. automatisch verpflichtet, eine Gefängnisstrafe von der Dauer der Hälft~2 der nicht bezahlten Tagessätze zu verbüßen. 363 Die Geldstrafe kann dann nicht mehr eingefordert werden. 364 Keine Aussage enthält das Gesetz aber für den Fall, daß bei angeordneter Ratenzahlung eine Rate nicht gezahlt wird. Hierbei wird vorgeschlagen, die Erzwingungshaft bezüglich der nicht gezahlten Rate anzuwenden. 365
357
Bouloc, rev. sc. crim. 1983,689 (692).
358 Dazu siehe oben 1. Kap., 3. Abschnitt, A, U, 3b, bb. 359 Durch die zeitliche Erstreckung der Geldstrafe bestehen gewisse Anklänge an die im
deutschen Recht von Baumann vorgeschlagene Laufzeitgeldstrafe.
3ro Dazu siehe oben 1. Kap., 3. Abschnitt, A, 11, 3b, bb. 361 Puech, act. leg. D. 1983, 105 (123); ders., dr. pen. gen., Nr. 1222, S. 442; Pradel, D. 1984, chr. 111 (116); Gonnard, Juris-CI. pin., Art. 43-1 - 43-11, Nr. 64.
362 Die maximale Gefängnisstrafe kann somit sechs Monate betragen. 363 Gegen diese Ausgestaltung Grebing, rev. int. dr. pen. 1982,775 (795 f.); er schlägt als alternative Sanktion bei Nichtbezahlung die gemeinnützige Arbeit vor; ebenso Kunz, SchwZStr. 103 (1986), 182 (208 f.).
364 Cambassedes-Savini, Rep. pen., peines de substitution, Nr. 154; Casorla, rev. int. dr. pin. 1990,555 (569); a.A. jedoch Rober!, dr. pin. gin., S. 492; siehe dazu 3. Kap., B, m, 6 b, cc, Anm. 273. 365 Pradel, D. 1984, chr. 111 (116); Puech, act. leg. D. 1983, 105 (124); den., dr. pen. gen., Nr. 1223, S. 443; Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 43-1 - 43-11, Nr. 66.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
81
ce) Die Aufnahme der Surrogate in der Strafrechtswissenschaft (1) Die Surrogate des Gesetzes vom 11. 7.1975 Im Schrifttum wird dem Gesetz vom 11.7.1975, dessen Kernstück die Schaffung der Ersatzstrafen darstellt,366 zum Teil ein revolutionärer Charakter beigemessen. 367 Es beinhalte eine bedeutsame Steigerung der Rolle des Richters,J68 in dessen Entscheidungsfreiheit die Verhängung der Surrogate liege. 369 Ausgangspunkt des Gesetzgebers sei, daß die Freiheitsstrafe nicht stets die geeignete Sanktion darstelle. 370 Diesbezüglich ist bedeutsam, daß das Gesetz vom 11.7.1975 die Art. 43-1 ff. C.p. unter dem Titel "Surrogate fiir die kurze Freiheitsstrafe" zusammengefaßt hatte, was deutlich macht, daß der Gesetzgeber das Hauptaugenmerk auf die Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafe legt. 371 Andererseits findet sich keine ausdrückliche Regelung, was unter "kurzer Freiheitsstrafe" zu verstehen ist. 372 Gedacht war in erster Linie an Freiheitsstrafen über 15 Tage und unter sechs Monaten. 373 Sehr kurze Freiheitsstrafen könnten durchaus einen heilsamen 366 Decocq, rev. sc. crim. 1976, 5; Roben, J.C.P. 1975, I, 2729 (Nr. 5); Grebing, in: Lüttger (Hrsg.), Strafrechtsrefonn, S. 104. 367 Doll, Gaz. Pal. 1976, doctr. 34; ders., Gaz. Pal. 1975, doctr. 634; Charles, Rec. gen. lois 1976, doctr. 237 (246): Umwälzung der Konzepte der Strafe. Cambassedes, J.C.P. 1980, I, 2977 (Nr. 4), spricht davon, daß die Funktionen der Strafsanktion in Frage gestellt werden; vgl. auch Jeandidier, dr. pen. gen., Nr. 442, S. 420.
368 Doll, Gaz. Pal. 1976, doctr. 34; ders., Gaz. Pal. 1975, doctr. 634; FrancillonlSalvage, J.C.P. 1984, I, 3133 (Nr. 4); Cambassedes, J.C.P. 1980, 1,2977 (Nr. 18); Teufel, Kurze Freiheitsstrafe, S. 236; Cukier, Gaz. Pal. 1985, doctr. 461. 369 Doll, Gaz. Pal. 1976, doctr. 34; Decocq, rev. sc. crim. 1976, 5 (6). Er braucht seine Entscheidung nicht begründen; MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 779, S. 956; FrancillonlSalvage, J.C.P. 1984, I, 3133 (Nr. 39). 370
Roben, J.C.P. 1975, I, 2729 (Nr. 5); Pradel, D. 1976, ehr. 63; Justizminister Lecanuet,
J.O., deb. Ass. nat., seance du 15.5.1975,2745.
371 Diese Fonnulierung ist aber nicht mehr im C.p. zu finden; Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 589, S. 591 f., der gleichzeitig weitere Möglichkeiten auf diesem Weg aufzählt; zu den seit langem aufgestellten Forderungen der Zurückdrängung kurzer Freiheitsstrafen siehe ausführlich Teufel, Kurze Freiheitsstrafe, S. 1 ff., insbes. 5 ff., 24 ff. und 150 f., sowie Pradel, D. 1976, ehr. 63; Grebing, in: Lüttger (Hrsg.), Strafrechtsrefonn, S. 104; ders., rev. int. dr. pen. 1982, 775 (779 ff.); StefanilLevasseurlBouloc. dr. pen. gen., Nr. 456, S. 506 f. m.w.N.; Pinatel, rev. int. crim. pol. tech. 1984,464 f.; Cambassedes-Savini, Rep. pen., peines de substitution, Nr.3. 372
Kritisch deswegen Perier-Daville, Gaz. Pal. 1983, doctr. 247 (248 ff.).
373 Justizminister Lecanuet, 1.0., deb. Ass. nat., seance du 15.5.1975,2746; Rundschreiben vom 27.12.1975; siehe auch Cambassedes, J.C.P. 1980, I, 2977 (Nr. 18); De Wilde, rev. dr. pen. 1976-77,621 (633); Doll, Gaz. Pal. 1976, doctr. 34 (41); Bestard, rev. penit. dr. pen. 1978,305 (306). Teilweise wird auch eine kürzere Dauer (bis zu drei Monaten), als kurze Frei(Fortsetzung ... ) 6 Zieschang
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
82
psychologischen Schock ausüben, ohne daß sich in dieser kurzen Zeit die schädlichen Einflüsse einer Freiheitsstrafe auswirken würden. 374 Eine Gefängnisstrafe über sechs Monate werde oft bei Straftaten ausgesprochen, die aufgrund ihrer Schwere eine derartige Strafe notwendig machten. Andererseits könnten bei dieser längeren Zeitspanne wirksame Wiedereingliederungsmaßnahmen einsetzen. 375 Bei Freiheitsstrafen über 15 Tage und unterhalb von sechs Monaten jedoch kämen allein die schädlichen Auswirkungen der Gefängnisstrafe (Bruch mit Familie, sozialem Umfeld, Beruf; Wiedereingliederungsmaßnahmen in dieser kurzen Zeit nicht möglicht76 zum Tragen, ohne daß eine Freiheitsstrafe unbedingt notwendig wäre, sondern andere Sanktionen oft viel wirksamer seien.)TI Trotz des Titels "Ersatz der kurzen Freiheitsstrafen"378 in dem Reformgesetz ist andererseits zu berücksichtigen, daß die Art. 43-1 ff. C.p. keinerlei Anforderungen an die Höhe der angedrohten Vergehensstrafe stellen, so daß zumindest theoretisch auch bei einem mit einer sehr hohen Gefängnisstrafe bedrohten Vergehen die Surrogate zur Anwendung kommen können. 379 Der Richter ist nicht etwa
373(. .• Fortsetzung) heitsstrafe aufgefaßt (siehe Pinatel, rev. int. crim. pol. tech. 1984, 464 [468 f.); Kunz, SchwZStr. 103 [1986), 182 [183 f.), zum Teil auch eine längere (bis zu einem Jahr); dazu Bemards, in Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe, S. 281 f.; Teufel, Kurze Freiheitsstrafe, S. 36 f.
374 Justizminister Lecanuet, J.O., deb. Ass. nat., seance du 15.5.1975, 2746; Pradel, D. 1976, chr. 63; Doll, Gaz. Pal. 1976, doctr. 34 (41); Bestard, rev. penit. dr. pen. 1978, 305 (306); vgl. auch Snacken, Deviance et Societe 1986, 363 (371 f.); siehe auch Screvens, rev. dr. pen. 1983, 373, über die Meinungen innerhalb der Internationalen Richtervereinigung. Gegen den "short sharp shock", da er gegen die Menschenwürde verstoße, Grebing, rev. int. dr. pen. 1982, 775 (784); gewisse Einschränkungen auch bei Kunz, SchwZStr. 103 (1986), 182 (203 ff.). 375
Pradel, D. 1976, chr. 63; Bestard, rev. penit. dr. pen. 1978, 305 (306).
Pradel, D. 1976, chr. 63; Doll, Gaz. Pal. 1976, doctr. 34 (41); De Cant, rev. dr. pen. 1982, 3 ff.; zur schädlichen Wirkung der kurzen Freiheitsstrafe zusammenfassend Kunz, SchwZStr. 103 (1986), 182 (187), sowie ausfiihrlich Vb"in, rev. sc. crim. 1965, 441 ff., der aufZuzeigen versucht, daß die negativen Aspekte durch Refonnen im Vollzug gemildert werden könnten; ders., rev. sc. crim. 1973,734 ff. Vgl. auch den zusammenfassenden Überblick zum internationalen Meinungsstand und zu Untersuchungen hinsichtlich der kurzen Freiheitsstrafe bei Snacken, Deviance et Societe 1986,363 ff., mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 376
)TI Siehe Doll, Gaz. Pal. 1976, doctr. 34 (41); ders., Gaz. Pal. 1975, doctr. 634; Pradel, D. 1976, chr. 63; Justizminister Lecanuet, J.O., Mb. Ass. nat., seance du 15.5.1975,2745 f. 378 Dieser Titel diente lediglich der Präsentation der neuen Artikel; Pradel, D. 1976, chr. 63 (69, Anm. 55). Er ist nicht in den C.p. übernommen worden. 379 Bemards, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe, S. 308; Pradel, D. 1976, chr. 63 (70); ders., rev. sc. crim. 1977,723 (734); Rassat, dr. pen., Nr. 373, S. 546, Anm. 2; Decocq, rev. sc. crim. 1976,5 (6); FrancillonlSalvage, J.C.P. 1984, I, 3133 (Nr. 20); Cambassedes, J.C.P. 1980, I, 2977 (Nr. 18).
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgefiihrte Reformen
83
verpflichtet, zunächst festzustellen, daß für den Betroffenen nur eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten in Betracht kommt. 380 Die überschwängliche Aufnahme des Gesetzes vom 11.7.1975 durch einige Autoren wurde jedoch wiederum durch andere gemäßigt. So sei durch das Gesetz die Gefängnisstrafe als solche nicht in Frage gestellt. Auch habe der Gesetzgeber die Möglichkeit der unmittelbaren Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nicht limitiert.381 Zudem seien eine Vielzahl von Nebensanktionen zu speziell und schon von der Strafwirkung nicht geeignet, eine Freiheitsstrafe zu ersetzen. 382 Die Ersatzstrafen würden in Fällen angewendet, bei denen ohnehin keine Gefangnisstrafe verhängt werde, so daß die Bezeichnung "Ersatz" fehl am Platze sei. 383 Es scheine daher so zu sein, daß durch die Surrogate gar die Repression zunehme. 384 Der Gehalt der Neuerungen sei um so mehr reduziert, als die im Gesetz vom 11.7.1975 vorgesehenene Sanktionen bereits, wenn auch als Nebensanktionen, vom C.p. vorgesehen waren. 38S Des weiteren würden durch die eingeführten Vorschriften lediglich nicht zusammenpassende Sanktionen aufgezählt,386 ohne daß eine realistische und rationale Strategie des Ganzen deutlich werde. 387 Darüber hinaus wird bedauert, daß durch die eingeführten Surrogate das Gesetzlichkeitsprinzip bedroht sei. 388 Nun könne "irgendein mit Gefangnis-
380 Larguier, rev. sc. crim. 1981, 601. Decocq, rev. sc. crim. 1976, 5 (6), weist auf die damit verbundenen praktischen Schwierigkeiten hin.
381 Francillon/Salvage, J.C.P. 1984, I, 3133 (Nr. 3, 5). Im Hinblick darauf, daß die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nicht ausdriicklich begrenzt wird, ist Pinatel, rev. int. crim. pol. tech. 1984, 464 (467 f.), der Auffassung, daß die eingefiihrten Sanktionen keine Surrogate, sondern in Wahrheit Alternativen zur Freiheitsstrafe darstellen; ebenso CambassedesSavini, Rep. pen., peines de substitution, Nr. 1.
382 Teufel, Kurze Freiheitsstrafe, S. 233 f.; vgl. auch Foucart, Promovere juin 1983, 43 (46): Der Entzug der Jagderlaubnis sei fiir die absolute Mehrheit der Delinquenten völlig uninteressant. 383 Pb. Robert, Strafe, Strafrecht, Kriminologie, S. 304; J.-H. Robert, dr. pen. gen., S. 484. 384
Robert, dr. pen. gen., S. 484.
38S
Francillon/Salvage, J.C.P. 1984, I, 3133 (Nr. 8).
386 Vgl. Grebing, rev. int. dr. pen. 1982,775 (808). 387 Francillon/Salvage, J.C.P. 1984, I, 3133 (Nr. 11, 80); Hagedorn, Individualisierung, S. 271: "Zu komplex und unausgewogen".
388 Larguier, rev. sc. crim. 1980,693 (697); Francillon/Salvage, J.C.P. 1984, I, 3133 (Nr. 31); Jeandidier, dr. pen. gen., Nr. 90, S. 76, Nr. 442, S. 420; Neveu, Arch. pol. crim. 9 (1987), 121 f.
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
84
strafe bedrohtes Vergehen mit irgendeiner der neuen Sanktionen bestraft werden".389 Der Grundsatz "nulla poena sine lege" sei auf eine spezielle gesetzliche Bestimmung und nicht auf eine allgemeine Regelung zu beziehen. 390 Die Surrogate in den Art. 43-2 ff. C.p.391 würden jedoch völlig unabhängig von einer speziellen Strafvorschrift vorgesehen und stellten allgemeine Regelungen dar. Ließe man dieses für das Gesetzlichkeitsprinzip ausreichen, habe es nur noch einen bescheidenen Gehalt. 392 (2) Die Surrogate des Gesetzes vom 10.6.1983 (1.1) Die gemeinnützige Arbeit
Bei der Einführung dieser Ersatzstrafe dienten ausländische Rechtssysteme als Vorbild. Insbesondere Großbritannien, der Bundesstaat New York und Quebec weisen eine derartige Sanktion als "community service" auf.393 Bereits in seiner Resolution vom 9.3.1976 hatte der Ministerrat des Europarats den Regierungen empfohlen, die Inkorporierung der gemeinnützigen Arbeit in das Rechtsfolgensystem zu prüfen. 394 Auf nationaler Ebene befürwortete 1977 in Frankreich das Komitee für Studien über die Gewalt die Einführung dieser Sanktion, ebenso 1982 die Vereinigung der Bürgermeister über die Sicherheit. 395 Auch die Lehre sprach sich für die gemeinnützige
389
Pradel, rev. sc. crim. 1977,723 (734); ders., dr. pen., t.\, Nr. 590, S. 592.
390 Deeoeq, rev. sc. crim. 1976, 5 (24); Cambassedes-Savini, Rep. pen., peines de substitution, Nr. 12, 44 : Es handele sich nicht mehr um das Gesetzlichkeitsprinzip im strengen Sinne des Wortes.
391 Bei Art. 43-1 C.p. muß die Nebensanktion von der Strafbestimmung vorgesehen sein, so daß er dieser Kritik nicht unterfällt; Deeoeq, rev. sc. crim. 1976,5 (24). 392 Deeoeq,
rev. sc. crim. 1976,5 (24).
393 Einen Überblick über die Rechtslage in den westeuropäischen Staaten gibt Pradel, rev. penit. dr. pen. 1986, 144 ff. Zu den osteuropäischen Staaten siehe Zielinska, rev. sc. crim. 1985,35 (37 ff.); zu außereuropäischen Staaten Mare, rev. penit. dr. pen. 1985, 111 (112 ff.); aus dem französischsprachigen Schrifttum speziell zu Großbritannien: Vb-in, rev. sc. crim. 1979,636 ff.; Pradel, D. 1984, chr. 111 (112); Pueeh, act. leg. D. 1983, \05 (120); De Cant, rev. dr. pen. 1982, 3 (10 ff.); Mare, rev. sc. crim. 1976, 291 fT.; zu New York: Pradel, a.a.O., 112; Leroy/Kramer, rev. sc. crim. 1983,37 (38 fT.); zu Quebec: Simon, rev. int. crim. pol. tech. 1981,385 (389 ff.); Mare, a.a.O., 112 ff.; Pradel, a.a.O., 112.
394 Siehe De Cant, rev. dr. pen. 1982,3 (7); Fauehere, Arch. pol. crim. 9 (1987),77 (78 f.,83). 395 Pradel, D. 1984, chr. 111 (112); Neveu, Arch. pol. crim. 9 (1987), 121 (123); Bestard, rev. penit. dr. pen. 1978,305 (312); Perdriolle, Deviance et Societe 1984,207.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgefilhrte Refonnen
85
Arbeit aus. 396 Ihre Regelung im Gesetz vom 10.6.1983 ging zurück auf einen Vorschlag des Gesetzgebungsausschusses der Nationalversammlung. Nachdem die gemeinnützige Arbeit vom 1.12.1982 bis 31.1.1983 im Gerichtsbezirk Bobigny in Zusammenarbeit mit der Kommune d'Epinay-surSeine auf der Grundlage des Instituts des Aufschubs der Straffestsetzunt97 mit zufriedenstelIenden Ergebnissen erprobt worden war,398 befürwortete das Parlament einstimmig ihre Einführung. 399 Man begründete dies ebenfalls mit der Schädlichkeit der kurzen Freiheitsstrafe und der Überfüllung der Vollzugsanstalten. 400 Auch werden die mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe verbundenen hohen Kosten angeführt. 401 Der finanzielle Aufwand bei einer Verurteilung zu einer gemeinnützigen Arbeit schwanke zwischen 100 und 300 F. 402 Ein Getängnisplatz dagegen erfordere pro Tag je Inhaftierten 170 F, wobei die Konstruktion eines neuen Getängnisplatzes einen Betrag von 400000 F verlange. 403 Neben diesen haushaltsrechtlichen Aspekten nannte man des weiteren als Grund, daß die durch Gesetz vom 11.7. 1975 geschaffenen Surrogate in der Praxis nur in sehr geringem Maße angewandt werden. 404 Die neuen Surrogate seien besser an die erforderliche Kriminalpolitik angepaßt. 405
396 Siehe z.B. Varaut, rev. penit. dr. pen. 1978, 305 (313 f.); Vb"in, rev. sc. crirn. 1979, 636 (646); ders., rev. sc. crirn. 1982,399 (409); Mare, rev. sc. crirn. 1976,291 (293). 397
Zu diesem Institut siehe unten I. Kap., 3. Abschnitt, C, I, 2 b.
398 Neveu, Arch. pol. crirn. 9 (1987), 121 (123); Pradel, D. 1984, chr. 111 (112, Anm. 25);
Bonnemaison, 1.0., Ass. nat., seance du 19.4.1983,353; Kramer, Arch. pol. crirn. 7 (1984), 60 (65 f.); Vb"in, Arch. pol. crirn. 7 (1984), 179 ff.; zur Anwendung im Rahmen des Aufschubs der Straffestsetzung siehe auch Leroy/Kramer, rev. sc. crirn. 1983,37 (45); Verin, rev. sc. crirn. 1979, 636 (647). 399 Perier-Daville, Gaz. Pal. 1983, doctr. 305 (313); Mare, rev. penit. dr. pen. 1985, 111 (113); Maestraeci, Arbeitsgruppe t.i.g., S. 11; Perdriolle, Deviance et SocietC 1984,207. 400 Badinter, zit. nach Perier-Daville, Gaz. Pal. 1983, doctr. 247; Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 548, S. 547 f.; Maestraeci, in: Albrecht/Schädler (Hrsg.), Community service, S. 89; Casorla, rev. int. dr. pen. 1990,555 (592). 401 Leroy/Kramer, rev. sc. crirn. 1983, 37 (43 f.); Neveu, Arch. pol. crirn. 9 (1987), 121 (124); Casorla, rev. int. dr. pen. 1990,555 (592). 402 Temple, Prornovere mars 1986,23 (27). In Toulouse etwa liegen die durchschnittlichen Kosten einer Verurteilung bei 133 F, in Paris bei 108 F; Duguet, Arbeitsgruppe t.i.g., S. 23.
403 Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 591, S. 593; Maestraeci, Arbeitsgruppe t.i.g., S. 15; dies., in: AlbrechtlSchädler (Hrsg.), Community service, S. 95. 404 Zu statistischen Angaben siehe unter d; Leroy/Kramer, rev. sc. crirn. 1983, 37 (44); Perier-Daville, Gaz. Pal. 1983, doctr. 247 (248); Pradel, D. 1984, chr. 111; so bereits Verin, rev. sc. crirn. 1979,636 (646). 405
Pradel, D. 1984, chr. 111; vgl. auch Plawski, rev. penit. dr. pen. 1983,223 (227).
86
I. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
Die Einführung der gemeinnützigen Arbeit wird in der Lehre positiv beurteilt. 406 Die Originalität liege darin, daß der Vollzug unter Einbeziehung der Gesellschaft erfolge, indem die Arbeit in öffentlichen Einrichtungen und sonstigen Vereinigungen abzuleisten sei. 407 Der zu gemeinnütziger Arbeit Verurteilte könne das Gefühl haben, an einer konstruktiven und nützlichen Aufgabe teilzunehmen. 408 Durch die Arbeit habe er die Möglichkeit, die Rolle des Delinquenten zu verlassen und seine eigene, durch andere anerkannte Identität wiederzufinden.«19 Er wirke aktiv am Vollzug der Sanktion mit und werde nicht von seinem sozialen Umfeld isoliert. 410 Die gemeinnützige Arbeit fülle eine Lücke aus, wenn der Richter den Angeklagten einerseits nicht der Gefahr von schädlichen Auswirkungen der Gefängnisstrafe aussetzen wolle, andererseits eine Geldstrafe mangels finanzieller Leistungsfähigkeit nicht angezeigt sei. 411 Lediglich vereinzelt übt man an der Ausgestaltung Kritik. So seien die Vorschriften, die der Strafvollstreckungsrichter bei der Verwirklichung der gemeinnützigen Arbeit zu beachten habe, zu eng und kleinlich gefaßt. 412 Andererseits wird ganz im Gegenteil im Hinblick darauf, daß der Strafvollstreckungsrichter die Modalitäten der Arbeit im einzelnen festlegt und der Verurteilte erst dann konkret weiß, welche Arbeit er wo und wie auszuführen hat, angemerkt, daß ein derartiges Verfahren das Gesetzlichkeitsprinzip außer acht lasse. 413 Schließlich wird teilweise die Stundenzahl (maximal 240) als zu niedrig erachtet, um die Freiheitsstrafe zurückzudrängen. 414
406 Etwa Pradel, D. 1984, chr. 111 (114); Couvral, rev. sc. crim. 1989,158; siehe auch Zielinska, rev. sc. crim. 1985, 35 (60 f.); Legrand, le nouveau pouvoir judiciaire janvierl fevrier 1984,23 (25); zurückhaltender Gassin, Problemes actuels, I, S. 38; Perier-Daville, Gaz. Pal. 1985, doctr. 247 (249); vgl. auch dens., Promovere mars 1986,9 (18).
407 Lazerges, Arch. pol. crim. 9 (1987), 141; Neveu, Arch. pol. crim. 9 (1987), 121 (138); louys, rev. penit. dr. pen. 1984, 249 (255); Maestraeci, in: A1brecht/Schädler (Hrsg.), Community service, S. 90; ferner Cmt, la viejudiciaire 7.-13.11.1983, S. 7 f.; Culder, Gaz. Pal. 1985, doctr. 461. Durch diese Sozialisierung spiegeln sich in der gemeinnützigen Arbeit die Forderungen der Bewegung der neuen Sozialverteidigung wider; VCrin, rev. sc. crim. 1984, 377 (379). 408
Leroy/Kramer, rev. sc. crim. 1983,37 (44 f.).
«19 Ribstein,
rev. sc. crim. 1987,767 (770); Mare, rev. penit. dr. pin. 1985, 111 (120).
410 Grebing, rev. int. dr. pen. 1982, 775 (804); Zielinska, rev. sc. crim. 1985, 35 (61); Foueart, Promoverejuin 1983,43 (44); Boujard, Le Monde 22.3.1983, 2.
411
Culder, Gaz. Pal. 1985, doctr. 461.
412
So der StralVolIstreclrungsrichterlouys, rev. penit. dr. pen. 1984,249 (257 f.).
413
Neveu, Arch'll0l. crim. 9 (1987), 121 (130, 137).
414
Soyer, dr. pen. et proced. pin., Nr. 224, S. 128; Rassat, dr. pen., Nr. 390, S. 569.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
87
In der Praxis haben sich bei der Ausführung sowohl Schwierigkeiten als auch positive Aspekte herausgestellt. 41s Ein Nachteil war bei einigen Einrichtungen die Isolation des Betroffenen, teilweise hervorgerufen dadurch, daß die Verurteilung bekannt geworden war. 416 Auch wurden mancherorts nur wenig aufwertende Tätigkeiten übertragen. Der Schutz von in der Organisation beschäftigten leicht beeinflußbaren Personen (z.B. Jugendliche) hat einige Einrichtungen dazu bewogen, die Aufnahme bestimmter Verurteilter (etwa Drogenabhängige)411 zu verweigern. Des weiteren hatten die Verantwortlichen Schwierigkeiten, Erziehungs- und Kontrollmaßnahmen miteinander zu vereinbaren. Positiv ist festzustellen, daß alle Gerichte über ausreichend viele Arbeitsmöglichkeiten verfügen. 418 Bestimmte Organisationen bieten für die Verurteilten auch Ausbildungsmöglichkeiten an. Meistens wird der Betroffene als Volontär angesehen, so daß er seine Aufgaben gemeinsam mit anderen Arbeitern wahrnimmt, mit diesen die Mahlzeiten einnimmt, etc. Schließlich erfolgte teilweise eine Betreuung von Randgruppen, um deren Wiedereingliederung zu erreichen.
(2.2) Die Geldstrafe nach dem Tagessatzsystem Auch die Geldstrafe auf der Basis des Tagessatzsystems hat ihr Vorbild in ausländischen Rechtsordnungen. 419 Hierbei wird insbesondere das Tagessatzsystem in den skandinavischen Ländern und dessen Erfolg in der Bundesrepublik Deutschland angeführt. 431 In Frankreich forderten 1977 der Ausschuß über Studien zur Gewalt und 1979 eine Kommission unter Vorsitz des
41S
108 ff.
Vgl. zu den folgenden Ausführungen den Erfahrungsbericht der Arbeitsgruppe t.i.g., S.
416 NonnalelWeise weiß nur der Gruppenleiter von der Verurteilung des Betroffenen. Die Bedeutung des Anonymitätserfordernisses, um eine soziale Abstempelung zu venneiden, betont auch Boujard, Le Monde 22.3.1983, 2. 411 Servidio-Delabre, rev. sc. crim. 1985, 667, will die gemeinnützige Arbeit auf Alkoholund Drogenabhängige nicht anwenden; siehe aber auch Staechele, Arbeitsgruppe l.i.g., S. 51.
418 Die freien Stellen seien längst nicht ausgelastet, Maestracci, Arbeitsgruppe t.i.g., S. 16; siehe auch BoucherlJouyslBirling, rev. penil. dr. pen. 1991,29 (59 ff.). 419 Einen Überblick über die europäischen Staaten, die die Geldstrafe nach dem Tagessatzsystem aufweisen, gibt Plawski, rev. penit. dr. pen. 1983,353 (356 ff.). 431 Puech, acl. leg. D. 1983,105 (122); Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 43-1 - 43-11, Nr. 57; de Renzis, 1a vie judiciaire 25.-31. 7. 1983,6; in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft seit dem 1.1.1975; ebenso wurde es in Österreich 1974 eingeführt, in Finnland existiert es seit 1921, in Schweden seit 1931 und in Dänemark seit 1939.
88
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
Generalstaatsanwalts beim Kassationshof Schmelck dessen Einführung. 421 Die Regelung der Geldstrafe nach dem Tagessatzsystem im Gesetz vom 10.6.1983 geht zurück auf einen Vorschlag des Gesetzgebungsausschusses des Senats. Man bezweckte ebenfalls mit diesem Institut die Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafe. 422 Ein maßgeblicher Grund für die Einführung war aber auch, daß die klassische Geldstrafe in Frankreich seit jeher423 in nur sehr geringem Umfang beigetrieben wird. 424 Die Beitreibungsrate der Geldstrafe liegt dort bei lediglich durchschnittlich 25 %.425 Auch im Schrifttum ist man der Auffassung, daß die Tagessatzgeldstrafe effizienter und auch gerechter als die klassische Geldstrafe sei. 426 Die Gefahr der Ungleichheit zwischen arm und reich könne vermieden werden. 421 Die automatische Sanktionierung der Nichtzahlung der Geldstrafe sei ein der Erzwingungshaft (Maßnahme bei Nichtzahlung der klassischen Geldstrafe, die keine Tilgungswirkung hat) vorzugswürdigeres System. 428 Es finden sich
421 Pradel, D. 1984, chr. 111 (1l5); zu der in Frankreich bereits in den 50er Jahren (folgenlosen) Diskussion über das Tagessatzsystem siehe zusammenfassend Hunado-Pozo, SchwZStr. 102 (1985), 72 (91 f.); TeufellPradel, in: JeschecklGrebing (IIrsg.), Geldstrafe, S. 416 ff. Der Vorschlag der Kommission Schmelck vom 2.7.1979 wurde nicht verwirklicht, da sich zu dieser Zeit bereits eine repressivere Tendenz bemerkbar gemacht hatte; siehe Puech, act. leg. D. 1983,105 (122), sowie oben 1. Kap., 2. Abschnitt, C. 422 Puech, act. leg. D. 1983, 105 (122); Hunado-Pozo, SchwZStr. 102 (1985), 72 (91); Schütz, Melanges Vitu, S. 460.
423 Der französische Rechnungshof konstatierte bereits in den 60er Jahren, daß 75 % der Geldstrafen unbezahlt bleiben; Pelier, D. 1964, chr. 223. 424 Puech, act. leg. D. 1983, 105 (122); ders., dr. pen. gen., Nr. 1217, S. 441; PerierDaville, Gaz. Pal. 1983, doctr. 305 (313); vgl. dazu auch de Renzis, la vie judiciaire 26.3.1.4.1979, 10. Perier-Daville, Promovere mars 1986,9 (17), spricht von einer ode facto Straflosigkeit" .
425 Badinter, J.O., deb. Senat, seance du 6.4.1983, 86; den., la vie judiciaire 21.27.2.1983,5; Arpaillange, J.O., deb. Senat, seance du 11.5.1989,667; Perier-Daville, Gaz. Pal. 1983, doctr. 247 (248); StefanilLevasseuriBouloc, dr. pen. gen., t.l, Nr. 480, S. 534 Anm. 3. Rudloff, rapport, Senat, 1981-82, Nr. 197, S. 33, geht gar von einer Beitreibungsrate unter 24 % aus; zu den dafiir bestehenden Gründen (unbekannte Adresse des Angeklagten; die Verwaltung sieht es als interessanter und rentabler an, Steuern beizutreiben; große Anzahl der Amnestiegesetze; Überlastung der Geschäftsstellen; durch politischen Einfluß wird die Geldstrafenforderung nicht beigetrieben) siehe Barella, le nouveau pouvoir judiciaire decembre 1987/janvier 1988, 15 f.; Teufel, Kurze Freiheitsstrafe, S. 135 f.; Casorla, rev. int. dr. pen. 1990, 555 (567). Bedeutsam ist zudem, daß oft aufgrund einer langwierigen Bearbeitungszeit durch die Verwaltung die Geldstrafenverurteilung veljährt. Es sei zu wenig Personal vorhanden und die Erzwingungshaft sei nicht abschreckend genug; vgl. de Renzis, la vie judiciaire 26.3.1.4.1979,10; Barella, a.a.O., 15 f., die die Situation als katastrophal bezeichnet.
426
Plawski, rev. penit. dr. pen. 1983,353 (365).
StefanilLevasseuriBouloc, dr. pen. gen., Nr. 478, S. 532; Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 4043 Nr. 28; Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 560, S. 562. 421
428 Cukier, Gaz. ·Pal. 1985, doctr. 461; zurückhaltender dagegen Gassin, Problemes actuels, I, S. 37.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
89
aber auch zurückhaltendere Einschätzungen; so müsse man sich fragen, welchen Wert das Tagessatzmodell gegenüber dem transparenteren System der klassischen Geldsummenstrafe habe, wenn man bemüht sei, der Bevölkerung lediglich die Anzahl der Tagessätze, nicht jedoch die endgültige Geldstrafenhöhe mitzuteilen, um feindliche und ablehnende Reaktionen der Öffentlichkeit zu vermeiden. 429 Zudem stelle der weite Rahmen der möglichen Tagessätze und Geldstrafenhöhen eine Aufweichung des Gesetzlichkeitsprinzips dar. 430 Im Hinblick auf die Ersatzfreiheitsstrafe sei - wenn auch die Freiheit keinen Preis habe - die mögliche Umrechnung der jeweiligen Tagessatzhöhe auf den Freiheitsentzug durch den Delinquenten bedenklich. Zudem sei zweifelhaft, ob es als wünschenswert anzusehen ist, dem Verurteilten bei der Vollzugsart der Strafe (Bezahlung oder Freiheitsstrafe) die Wahl zu lassen. 431 Die klassische Geldstrafe, die sich ebenfalls gem. Art. 41 C.p. nach den Tatumständen und fmanziellen Verhältnissen zu richten habe, sei ebenso gerecht wie die Tagessatzgeldstrafe, ohne daß sie unweigerlich zum Freiheitsstrafenvollzug führe. 432 d) Angaben zur Anwendung der einzelnen Hauptstrafen im Vergehensbereich Traditionell und selbst nach den 1975 und 1983 durchgeführten Novellierungen des Rechtsfolgensystems nimmt die Freiheitsstrafe im Vergehensbereich einen bedeutsamen Stellenwert ein. 1987 verhängten die Korrektionalgerichte 116791 Freiheitsstrafen433 ohne Strafaussetzung,434 was 25,92 % der gesamten korrektionalgerichtlichen Verurteilungen,435 die sich im Jahr 1987 auf 450357 beliefen,436 ausmacht. In 45398 Fällen nahm sie 1987 da-
429 Vgl.
Schütz, Melanges Vitu, S. 463.
430
Schütz, Melanges Vitu, S. 463.
431
Schütz, Melanges Vitu, S. 466.
432 Schütz, Melanges Vitu, S. 467; kritisch auch Rassat, dr. pen., Nr. 360, S. 527: zu kompliziert; vgl. auch BouzatlPinatel, dr. pen., t.I, Nr. 562, S. 582 f.
433 1980: 105847; 1981: 76777; 1982: 81602; 1983: 100321; 1984: 106037; 1985: 118767; 1986: 122819, Annuaire statistique de la justice 1989, S. 119. Diese und die folgenden Angaben beziehen sich allein auf das EIWachsenenstrafrecht. 434 Miteingeschlossen in dieser Zahl sind jedoch die lediglich teilweisen Strafaussetzungen; zu statistischen Angaben über die Strafaussetzung siehe unten 1. Kap., 3. Abschnitt, 0, I, 4, und II, 5. 435 1980: 22,39 %; 1981: 27,56 %; 1982: 19,34 %; 1983: 20,68 %; 1984: 20,98 %; 1985: 21,43 %; 1986: 22,20 %. 436 1980: 472397; 1981: 278516; 1982: 421631; 1983: 484748; 1984: 505181; 1985: 553843; 1986: 552967; Annuaire statistique de la justice 1989, S. 119.
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
90
bei lediglich eine Dauer unter drei Monaten ein,437 und 51064 Freiheitsstrafen lagen zwischen drei Monaten und einem Jahr. 438 Ausschließlich439 eine Geldstrafe ohne Strafaussetzung440 ordneten die Korrektionalgerichte 1987 bei 112248 Verurteilungen im Vergehensbereich an,441 was einen Anteil von 24,91 % aller Verurteilungen der Korrektionalgerichte bedeutet. 442 Die Anwendungshäufigkeit der Surrogate ist als sehr mäßig zu beurteilen. 443 Eine umfassende Untersuchung für ganz Frankreich führte zu dem Ergebnis, daß 1976 nur in 1,04 % der Verurteilungen wegen Vergehen von der Möglichkeit der Art. 43-1 ff. C.p. Gebrauch gemacht wurde. 444 Auch in den nachfolgenden Jahren wuchs ihre Bedeutung bloß geringfügig: 1977 lag ihr Anteil lediglich bei 0,96 %445 aller Verurteilungen der Korrektionalgerichte, 1978 bei 3,28 %,446 1979 bei 2,47 %,447 1980 bei
437 1980: 53197; 1981: 27502; 1982: 29235; 1983: 41853; 1984: 45864; 1985: 50766; 1986: 50339; Annuaire statistique de lajustice 1989, S. 119. 438 1980: 40383; 1981: 33361; 1982: 36018; 1983: 42049; 1984: 44274; 1985: 50207; 1986: 52312; Annuaire statistique de lajustice 1989, S. 119. Mehr als 75 % der Verurteilten zu einer Freiheitsstrafe haben somit eine Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten zu verbüßen; vgl. Maestracci, Arbeitsgruppe t.i.g., S. 11. 439 Nicht erfaßt sind somit hiervon die Fälle, in denen die Geldstrafe neben der Gefängnisstrafe angeordnet wurde. 440 Die einfache Strafaussetzung ist in Frankreich auch bezüglich der Geldstrafe möglich, siehe unten 1. Kap., 3. Abschnitt, D, I. Miteingeschlossen sind aber die Fälle, in denen eine lediglich teilweise Strafaussetzung angeordnet wurde; zu statistischen Angaben über die Strafaussetzung siehe unten 1. Kap., 3. Abschnitt, D, I, 4, und n, 5.
441 1980: 219707; 1981: 107828; 1982: 183633; 1983: 209586; 1984: 205326; 1985: 208996; 1986: 192476; Annuaire statistique de la justice 1989, S. 119. 442 In den vorhergehenden Jahren war ihr Anteil beträchtlich höher: 1980: 46,49 %; 1981: 38,71 %; 1982: 43,53 %; 1983: 43,21 %; 1984: 40,63 %; 1985: 37,72 %; 1986: 34,79 %. 443 Roben, Strafe, Strafrecht, Kriminologie, S. 303, spricht von einem glatten Scheitern dieser Ersatzstrafen. 444 Siehe Bestard, rev. penit. dr. pen. 1978, 305 (307); z.B. im Gerichtsbezirk Aix-enProvence 0,26 %; Syr, rev. sc. crim. 1979,521 (522).
445 3895 Verurteilungen. 446
14446 Verurteilungen.
447 11157 Verurteilungen.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
91
1,66 %,448 1981 bei 3,86 %,449 1982 bei 3,48 %450 und 1983 bei 4,21 %.451 Auch nach der Ergänzung der Surrogate im Jahr 1983 stieg ihr Anteil nur geringfügig: 1984 ergingen 33407 Verurteilungen der Korrektionalgerichte zu den Ersatzstrafen,452 was 6,61 % sämtlicher korrektionalgerichtlichen Entscheidungen ausmacht. 1985 betrug die Zahl 45595,453 d.h. 8,22 %. 1986 lag sie bei 45743,454 somit waren es 8,27 %, und 1987 handelte es sich um 33485 Verurteilungen zu Ersatzstrafen;45S was einen Anteil von 7,43 % bedeutet. Trotz eines gewissen Anstiegs in den letzten Jahren ist demnach zu konstatieren, daß die Ersatzstrafen die kurze Freiheitsstrafe nicht wirksam zurückdrängen konnten. 456 Im Hinblick auf die Surrogate des Gesetzes vom 11.7.1975 wird am weitaus häufigsten von der Möglichkeit des Entzugs des Führerscheins nach Art. 43-1 C.p. und 43-3 C.p. Gebrauch gemacht. 457 Die anderen Surrogate spielen daneben kaum eine Rolle. Obwohl Art. 43-3 C.p. einen Zusammenhang zwischen Führerscheinentzug und dem verwirklichten Delikt nicht verlangt, erfolgte der Entzug fast ausschließlich bei Straftaten, die in Verbindung mit dem Straßenverkehr stehen. 458
448
7849 Verurteilungen.
449
10779 Verurteilungen.
450
14712 Verurteilungen.
451 20414 Verurteilungen; Zahlen nach Annuaire slatistique de la justice 1989, S. 119. Sie beziehen sich auf die nicht ausgesetzten Surrogate.
452
Annuaire slatistique de la justice 1989, S. 119.
453 454 455
Annuaire slatistique de la justice 1989, S. 119. Annuaire slatistique de la justice 1989, S. 119. Annuaire Slatistique de la justice 1989, S. 119.
Zu Zahlen über die Anwendungshäufigkeit der Surrogate siehe auch Bestard, rev. penit. dr. pen. 1978,305 (307 f.); Pradel, 0.1984, ehr. 111; ders., dr. pen., t.l, Nr. 591, S. 593; Bemat de Celis, Arch. pol. crim. 7 (1984), 199 (201); Francillon/Salvage, I.C.P. 1984, I, 3133 (Nr. 4); Neveu, Arch. pol. crim. 9 (1987), 121 (123); Cambassedes-Savini, Rep. pen., peines de substitution, Nr. 10. Die dort angegebenen Prozentzahlen differieren teilweise von den im Text angegebenen Zahlen, jedoch lediglich um maximal ein oder zwei Prozent, so daß die Feststellung, daß die Freiheitsstrafe nicht zurückgedrängt werden konnte, jedenfalls zutreffend bleibt. 456
457 Delmas-Goyon, rev. sc. crim. 1979,525 (526); Cambassedes-Savini, Rep. pen., peines de substitution, Nr. 10; Bestard, rev. penit. dr. pen. 1978,305 (308); Bemat de Celis, Arch. pol. crim. 7 (1984), 199 (202); Jescheck, ZStW 91 (1979), 1037 (1063); Tsitsoura, Melanges Screvens, S. 88; Teufel, Kurze Freiheitsstrafe, S. 220; Pinatel, rev. int. crim. pol. tech. 1984, 464 (470): 1980: in 88 %. 458
Bestard, rev. penit. dr. pen. 1978,305 (308).
92
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
Einen konkreteren Aufschluß über die Anwendung der gemeinnützigen Arbeit verdeutlichen die folgenden Zahlen. Seit dem Inkraftreten der gemeinnützigen Arbeit am 1.1.1984 erfolgten in diesem Jahr 2231 Verurteilungen zu dieser Sanktion, 1985 bereits 5972, 1986 dann 7478 und 1987 insgesamt 7099 Verurteilungen. 459 68 % der Betroffenen sind unter 25 Jahren,460 der Anteil der Frauen liegt bei 7 %461 und deIjenige der Ausländer bei 8 %.462 Zwei Drittel der Personen sind arbeitslos463 und etwas mehr als die Hälfte weisen eine Vorverurteilung auf. 464 Als Haupstrafe gem. Art. 43-3-1 C.p. wird sie in zwei Drittel der Fälle verhängt, bei den restlichen ist sie eine Modalität im Rahmen der Strafaussetzung zur Bewährung. 465 1984 lag die Durchschnittsdauer der abzuleistenden Stunden bei 103, wobei es sich so verhielt, daß 53 % zu einer Ableistung unterhalb von 80 Stunden verurteilt wurden und 6 % zu der Höchstgrenze von 240 Stunden. In jeweils 28 % der Fälle betrug der Zeitrahmen 1984 18 Monate sowie 12 Monate, in 25 % 6 Monate. 466 Als Hauptstrafe müssen im Durchschnitt 28 Stunden weniger abgeleistet werden als bei der Verurteilung im Rahmen der Strafaussetzung. 467 Zwei Drittel der Arbeiten sind Instand-
459 Diese und die folgenden Angaben betreffen sowohl die gemeinnützige Arbeit als Hauptstrafe gern. Art. 43-3-1 C.p. als auch diejenige der Strafaussetzung zur Bewährung mit der Auflage zu gemeinnütziger Arbeit, dazu siehe unten I. Kap., 3. Abschnitt, D, m; zu statistischen Angaben siehe Couvrat, rev. sc. crim. 1989, 158; Barrerroumier, Gaz. Pal. 1987, doctr. 15 ff.; Barre, Donnees sociales 1987, S. 598 f.; Gonnard, juris-CI. pen., Art. 43-1 - 4311, Nr. 39 f.; Maestracci, Arbeitsgruppe t.i.g., S. 16, 18 f.; table ronde, Maligne, droit penal aout/septembre 1990, I (3); Pradel, rev. penit. dr. pen. 1986, 144 (155); BoucherlJouys/ Birling, rev. penit. dr. pen. 1991,29 ff.
460 1984: 68 %; 1987: 68,4 %. 461
1984: 5 %; 1987: 7,2 %.
462
1984 und 1987 jeweils 8 %.
463
1984: 68 %; 1987: 60,7 %.
1984: 44 %; 1987: 58,3 %. Bei der Verhängung als Hauptstrafe weisen 41 % eine Vorverurteilung auf, im Rahmen der Strafaussetzung 51 %; Barrerroumier, Gaz. Pal. 1987, doctr. 15 (18), für 1984. 464
465 Als Hauptstrafe: 1984: 69,8 %; 1985: 71 %; 1986: 69 %; 1987: 63 %; im Rahmen der Strafaussetzung: 1984: 30,2 %; 1985: 29 %; 1986: 31 %; 1987: 37 %. Couvrat, rev. sc. crim. 1989, 158, geht davon aus, daß auf lange Sicht die gemeinnützige Arbeit im Rahmen der Strafaussetzung überwiegen wird. Dabei bestehen aber in den einzelnen Gerichtsbezirken starke Unterschiede im Verhältnis der Verhängung der beiden Möglichkeiten; siehe Arbeitsgruppe t.i.g., S. 43 f.; Santucci, Arch. pol. crim. 9 (1987), 147 (159 f.); Barrerroumier, Gaz. Pal. 1987, doctr. 15 (18). 466
Maestracci, in: AlbrechtlSchädler (Hrsg.), Community service, S. 98.
467
Barrerroumier, Gaz. Pal. 1987, doctr. 15 (18), für 1984.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Rcfonnen
93
haltungsarbeiten, insbesondere in bezug auf die Umwelt, Gebäude und öffentliche Wege. 468 e) Gründe für die geringe Anwendung der Surrogate Welches sind nun die Ursachen für den zurückhaltenden Gebrauch der Surrogate durch die Praxis. Diese Frage hat das strafrechtliche Schrifttum insbesondere hinsichtlich der durch das Gesetz vom 11.7.1975 kreierten Ersatzstrafen beschäftigt. Angeführt wird, daß die Gerichte über die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten zu wenig informiert seien; man wisse oft nicht, ob dieser einen Führerschein oder einen Jagdschein besitze, über ein Auto oder eine Waffe verfüge. 469 Auch würden die Anwälte diese nicht für ihre Mandanten einfordern, da etwa die Gefängnisstrafe mit Strafaussetzung als weniger hart empfunden werde als ein Entzug des Führerscheins. 470 Darüber hinaus führt man an, daß aufgrund der Nichtseßhaftigkeit zahlreicher Angeklagter die Gerichte die Gefängnisstrafe für gerechtfertigt hielten. Im übrigen erschienen den Richtern die Surrogate als unzureichendes Mittel zur Vermeidung des Rückfalls. Die Überwachung der nach Art. 43-1 ff. C.p. angeordneten Maßnahmen sei zu schwierig - bereits jetzt sei die Justiz überbelastet ßI und auch das Gewicht der langen Tradition von Gefängnis- und Geldstrafe trage zu den mageren Ergebnissen bei. 472 Für die Jahre 1976/77 wurde als weiterer Grund die unzureichende Information der Gerichte über die neuen Möglichkeiten473 und Unkenntnis bei
468 Gonnard, Juris-CI. pen., Art. 43-1 - 43-11, Nr. 43; Maestracci, in: Albrecht/Schädler (Hrsg.), Community service, S. 99, 102. Im Hinblick auf das Tagessatzsystem weist BareLla, le nouveau pouvoir judiciaire decembre 1987/janvier 1988, 15 (17), darauf hin, daß regional die Beitreibungsrate bei 60 % liege. Nach table ronde, Maligne, droit penal aout/septembre 1990, 1 (2), wird aber die Tagessatzgeldstrafe relativ wenig angewendet. 469 Syr, rev. sc. crim. 1979,521 (523); Gunehec, zit. nach verin, rev. sc. crim. 1979,521 (529); Bestard, rev. penit. dr. pen. 1978, 305 (311); verin, rev. sc. crim. 1982, 399 (400); Teufel, Kurze Freiheitsstrafe, S. 229; zu den Mängeln bei der Persönlichkeitsuntersuchung in Frankreich siehe Hagedorn, Individualisierung, S. 167 ff., 171 ff., 175 ff. 470 Syr, rev. sc. crim. 1979,521 (523); Delmas-Goyon, rev. sc. crim. 1979,525; Grebing, rev. int. dr. pen. 1982,775 (808); Teufel, Kurze Freiheitsstrafe, S. 231. 471 Gunehec, zit. nach verin, rev. sc. crim. 1979,527 (529); Bestard, rev. penit. dr. pen. 1978,305 (310). 472 Pradel, zit. nach verin, rev. sc. crim. 1979, 527 (529); Bestard, rev. penit. dr. pen. 1978, 305 (309); Cambassedes-Savini, Rep. pen., peines de substitution, Nr. 11.
473 Bestard, rev. penit. dr. pen. 1978,305 (309); a.A.: Syr, rev. sc. crim. 1979,521 (523), der von einem ausreichenden Wissensstand ausgeht.
94
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
vielen Anwälten angeführt. 474 Auch merkt man an, daß das Reformgesetz vom 11.7.1975 die unmittelbare Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe selber nicht gesetzlich begrenzt habe, was ein Grund für die geringfügige Anwendung der Art. 43-1 ff. C.p. darstellen könne. 47S Im übrigen bestehe Unsicherheit bei den Gerichten, zu welchen Konsequenzen und Resultaten eine Verurteilung nach den Art. 43-1 ff. C.p. führe. Auch sei der Umfang der eingeführten Materie zu komplex. 476 Schließlich würden gewisse Surrogate von den Gerichten als zu streng betrachtet (so z.B. Art. 43-2 C.p.), wobei zum Teil auch die Gefahr bestehe, daß die Familie des Delinquenten in Mitleidenschaft gezogen werde. 4n Andere Surrogate seien wiederum zu schwach (z.B. der Entzug des Jagdscheins); man benötige Surrogate, die der Angeklagte und auch die Gesellschaft als eine der Gefängnisstrafe gleich schwere Sanktion betrachte. 478 In einer Umfrage unter Praktikern aus dem Jahr 1982 im Gerichtsbezirk Paris nannte man ähnliche Gründe für die geringe Anwendung der Ersatzstrafen: 479 Die Surrogate seien nicht vorläufig vollstreckbar,48O und auch habe der Gesetzgeber kein System zur Überwachung der Ausführung von auferlegten Verpflichtungen geschaffen. 481 Im Bezirk Paris seien die Surrogate auf die Angeklagten oft nicht anwendbar. 482 Auch würden die Surrogate dem klassischen Bild der Strafe nicht
474 Delmas-Goyon, rev. sc. crim. 1979, 525; siehe auch table ronde, droit penal aout! septembre 1990, 1 (2): Ergebnis aus einer allgemeinen Umfrage: Die Surrogate seien wenig bekannt, kaum verstanden, kaum akzeptiert. 475
Grebing, rev. int. dr. pen. 1982,775 (788).
476 Beslard, rev. penit. dr. pen. 1978,305 (309); Bemards, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe, S. 312 f.; Cambassedes-Savini, Rep. pen., peines de substitution, Nr. 11.
4n Beslard, rev. penit. dr. pen. 1978,305 (310). 478 Perier-Daville, Gaz. Pal. 1982, doctr. 87 (90); De Wilde, rev. dr. pen. 1976-77, 621 (623); siehe auch verin, rev. sc. crim. 1979, 399 (400); Rassal, dr. pen., Nr. 390, S. 569; Zielinska, rev. sc. crim. 1985, 35 (60). Teufel, Kurze Freiheitsstrafe, S. 234 f., sieht dies mit dem Surrogat der Suspendierung des Führerscheins verwirklicht.
479 Bemal de Celis, Arch. pol. crim. 7 (1984), 199 ff. Es wurden vornehmlich Richter, Staatsanwälte und Anwälte befragt. 480 Das Gesetz vom 11.7.1975 sah in Art. 43-5 S.2 C.p. nur vor, daß die Einziehung vorläufig vollstreckbar ist; siehe Doll, Gaz. Pal. 1976, doctr. 34 (35). Dieser Satz wurde durch Gesetz vom 10.6.1983 gestrichen und Art. 471 C.p.p. wurde vervollständigt mit der Bestimmung, daß die nach Art. 43-1 bis 43-4 C.p. verhängten Sanktionen für vorläufig vollstreckbar erklärt werden können; Perier-Daville, Gaz. Pal. 1983, doctr. 305 (313); Kramer, Arch. pol. crim. 7 (1984),60 (62); dazu kritisch Bouloc, rev. sc. crim. 1983,696 (697 f.).
481
Dazu auch kritisch Francillon/Salvage, J.C.P. 1984, I, 3133 (Nr. 76).
Ein Vorsitzender: "Notwendig ist, daß die Angeklagten einen Führerschein oder ein Auto haben; das ist oft nicht der Fall"; siehe Bemal de Celis, Arch. pol. crim. 7 (1984), 199 (208). 482
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
95
gerecht. 483 Zum Teil wird auch angeführt, daß die Möglichkeit der Strafaussetzung bestehe und nicht einsichtig sei, stattdessen eine andere Strafe zu verhängen. Diese Überlegung verkennt jedoch den Willen des Gesetzgebers. Die neuen Sanktionen sollen keine Surrogate der Strafaussetzung, sondern der vollzogenen Freiheitsstrafe sein. 484 Weiterhin werfen sich die unterschiedlichen Verantwortlichen gegenseitig vor, nicht geneigt zu sein, ein Surrogat zur Geltung kommen zu lassen. 485 Schließlich wird der Gesetzgeber kritisiert, der zu wenig darüber reflektiert habe, ob die Surrogate wirklich notwendig und praxisgerecht seien. 486 Hinsichtlich der gemeinnützigen Arbeit des Gesetzes vom 10.6.1983 wird bemerkt, daß die Richter dennoch in der Tradition der Gefängnisstrafe verhaftet blieben und wohl auch Befürchtungen haben, an außenstehende Organisationen schwierige Straftäter zu überantworten. 481 Man vermutet da-rüber hinaus, daß auch diese Sanktion mehr bei Tätern angewandt werde, die ohnehin keine Gefängnisstrafe erhalten hätten. 488 Aus einer Umfrage unter Richtern ergab sich, daß diese den Gehalt der gemeinnützigen Arbeit ganz unterschiedlich beurteilen. 489 Zwar wird sie teilweise wirklich als eine Ersatzstrafe für die Freiheitsstrafe empfunden und auch so angewandt. Andere sehen sie jedoch als Alternative zur Geldstrafe oder zur Strafaussetzung an. Nur in maximal 50 % der Fälle stelle die gemeinnützige Arbeit ein Surrogat der Freiheitsstrafe dar. 490
483 Ein Staatsanwalt: "Die Leute verstehen eine Strafe nicht, die in keiner Verbindung mit dem Vergehen steht, das sie begangen haben. Nur die Geldstrafe und die Freiheitsstrafe sind die klassischen Strafen"; siehe Bemat de Celis, Arch. pol. crim. 7 (1984), 199 (209). 484 Bemat de Celis, Arch. pol. crim. 7 (1984), 199 (215). Die Umfrage bestätigt somit auch die Feststellung Pradels, dr. pen., t.l, Nr. 591, S. 593, daß man die Surrogate lediglich für weniger schwere Straftaten, die vor 1975 auch schon keine Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe nach sich gezogen haben, verhängt.
48S
Bemat de Celis, Arch. pol. crim. 7 (1984), 199 (216 f.).
486
Siehe Bemat de Celis, Arch. pol. crim. 7 (1984), 199 (219 f.)
So Maestracci, Arbeitsgruppe t.i.g., S. 16. Boucher/Jouys/Birling, rev. penit. dr. pen. 1991,29 (46 f.), merken im übrigen eine unzureichende Information der Richter an. 481
488 Pradel, D. 1984, chr. 111 (117); Nrier-Daville, Gaz. Pal. 1983, doctr. 305 (314); ders., Promovere mars 1986,9 (21); Solon, Raison pour la justice, S. 42. 489 Staechele, Arbeitsgruppe t.i.g., S. 46 ff.; siehe auch die 1982 durchgeführte Umfrage im Gerichtsbezirk Paris, van den Burg-Porte, Arch. pol. crim. 7 (1984), 185 ff., sowie die in der Region Languedoc-Roussillon durchgeführte Umfrage, Santucci, Arch. pol. crim. 9 (1987), 147 (164 ff.); vgl. auch Perdriolle, Deviance ct Societe 1984,207 (209 f.).
490
Staechele, Arbeitsgruppe t.i.g., S. 47; Catelin, Arbcitsgruppe t.i.g., S. 27.
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
96
4. HauptstraJen im Obertretungsbereich
Schließlich sind die Hauptstrafen im Bereich der Übertretungen darzustellen. Wie bei den Verbrechen und Vergehen handelt es sich auch bei den Sanktionen im Übertretungsbereich um echte Kriminalstrafen. 491 a) Allgemeines Art. 464 C.p.492 normiert als Hauptstrafe die Gefängnisstrafe, die hier gem. Art. 465 C. p. mindestens einen Tag und höchstens zwei Monate betragen darf, und die Geldstrafe, die gem. Art. 466 C.p. zwischen 30 F und höchstens 12000 F zu liegen hat. 493 Die Übertretungen sind gem. Art. R. 25 C.p. nach ihrer jeweiligen Schwere in fünf Gruppen unterteilt. 494 Die Gefängnisstrafe ist lediglich bei den Übertretungen der vierten und fünften Klasse zugelassen, wobei sie in der Praxis selten ausgesprochen wird. 495 Hinsichtlich der Geldstrafe ist das klassische Geldsummensystem verwirklicht. Die Vorschrift des Art. 41 C.p. findet gem. Art. 469 C.p. erst bei einer Geldstrafe über 3000 F Anwendung. Zu bemerken ist, daß auch im Übertretungsbereich Gefängnis- und Geldstrafe nicht die einzig möglichen Hauptstrafen sind. Gem. Art. 473 C.p. ist die Vorschrift des Art. 43-1 C.p. ebenfalls im Übertretungsbereich anwendbar, d.h. jede Sanktion, die bei einer Übertretung neben der Geld- oder Gefängnisstrafe angedroht ist, kann selbständig und allein als Hauptstrafe verhängt werden.
491
Spaniol, in: Eser/Huber (Hrsg.), Strafrechtsentwicklung 1982/84, S. 255.
492
Generelle Aussagen zu den Übertretungen finden sich erst am Ende des C.p. in den Art. 464 ff. C.p.
493 Die in Art. 464 C.p. aufgeführte Einziehung ist Zusatzstrafe; Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 530, S. 533; SlejanilLevasseur/Bouloc, dr. pen. gen., Nr. 460, S. 513. 494 Die Höchstgeldstrafe beträgt gegenwärtig in den ersten vier Gruppen gern. Art. R. 25, R. 26, R. 30, R. 34, R. 38 C.p. 250, 600, 1300 und 3000 F. Bei der fünften Klasse liegt sie gern. Art. R. 40 bei 6000 F, kann jedoch bei Wiederholungstätem 12000 F erreichen, Art. R. 25 Abs. 2 Nr. 5, R. 41 C.p. Die Höchstdauer der Gefängnisstrafe beträgt bei Übertretungen der vierten Klasse maximal fünf Tage (Rückfall zehn Tage), bei denen der fünften Klasse maximal ein Monat (Rückfall zwei Monate). 495 SlejanilLevasseur/Bouloc, dr. pen. gen., Nr. 461, S. 514; siehe Annuaire statistique de la justice 1989, S. 125: Bei 93895 Verurteilungen wegen einer Übertretung der fünften Klasse im Iahr 1987 wurden 2327 Gefängnisstrafen verhängt.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
97
b) Die Reformentwicklung im Übertretungsbereich Im Zusammenhang mit den wichtigsten durchgeführten Reformen im Übertretungsbereich nach dem Zweiten Weltkrieg ist zunächst das Regierungsgesetz vom 4.10.1945 zu nennen, das zu den damals bereits bestehenden ersten drei Klassen von Übertretungen eine vierte Klasse hinzufligte. 496 Dadurch sollte die Zuständigkeit der Polizeigerichte erweitert werden und somit eine Entlastung der Korrektionalgerichte erfolgen. 4'17 Diese Reform wurde im Schrifttum kaum kritisiert, da sie den Übertretungsbereich nur geringfligig geändert hatte. Das gemeinsame Charakteristikum der Übertretungen, ihr geringer Schweregrad, war dadurch nicht beeinträchtigt worden. 498 Nachdem in den darauffolgenden Jahren die Geldstrafe im Übertretungsbereich einige Erhöhungen erfahren hatte, die lediglich eine Antwort auf die laufenden Geldentwertungen darstellten,499 erfolgte dann eine bedeutsame Novellierung durch zwei Regierungsgesetze vom 23.12. 1958: Man kreierte eine fiinfte Klasse von Übertretungen, die mit einer Höchstgeldstrafe von 2000 F und einer Gefängnisstrafe bis zu zwei Monaten geahndet werden konnten. soo Erst oberhalb dieser Strafen handelte es sich nun um Vergehen. Da auch diese Reform die Korrektionalgerichte entlasten sollte,SOI wandelten die Regierungsgesetze vorher bestehende Vergehen in Übertretungen der flinften Klasse um. S02 Dies rief im Schrifttum heftige Kritik hervor. Die durch den geringen Schweregrad gekennzeichnete Kategorie der Übertretungen sei deformiert worden. 50) Die Eingliederung von strafbaren Verhaltensweisen, die ihrem wahren Charakter nach Vergehen seien, habe die Homogenität des Übertretungsbereichs zerstört. S04 Der Be496 Diesbezüglich war eine maximale Geldstrafe von 1200 F und eine Höchstgefängnisstrafe von zehn Tagen (vorher fünf Tage) vorgesehen. 4'17
Siehe Chabas, rev. sc. crirn. 1969,281 (285); Mouly, rev. sc. crirn. 1982,3 (9).
498
Levasseur, D. 1959, ehr. 121 (125).
499
Chabas, rev. sc. crirn. 1969,281 (285, Anm. 2); Levasseur, D. 1959, ehr. 121 (125).
SOO
So bei Rückfall; ansonsten bis zu 1000 F und ein Monat Gefängnis.
SOl Mouly, rev. sc. crirn. 1982,3 (10); Chabas, rev. sc. crirn. 1969,281 (285,293); Legal, Gedächtnissehr. f. Lebret, S. 158; Roben, dr. pen. gen., S. 87. S02 Beispielsweise wurde das Vergehen der einfachen vorsätzlichen Körperverletzung, wenn diese lediglich zu einem Gesundheitsschaden von nicht mehr als acht Tagen führt, in eine Übertretung umgewandelt; siehe Levasseur, D. 1959, ehr. 121 (127 f.); Mouly, rev. sc. crirn. 1982, 3 (14); Legal, Gedächtnisschr. f. Lehret, S. 159; Pageaud/Vouin, rev. sc. crirn. 1959, 391 (392); vgl. heute Art. R. 40 Nr. 1 C.p. 50) Levasseur, D. 1959, ehr. 121 (126); Mouly, rev. sc. crirn. 1982, 3 (9, 11); kritisch auch Roben, dr. pen. gen., S. 95.
S04
Legal, Gedächtnisschr. f. Lebret, S. 158.
7 Zieschang
98
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
griff der Übertretungen besitze nur noch einen prozessualen Inhalt, ohne daß er lediglich Straftaten mit geringer Schwere umfasse. 50S Darüber hinaus habe der Gesetzgeber bestimmte, ansonsten für Vergehen vorgesehene Rechtsinstitute auch bezüglich der Übertretungen der fünften Klasse für anwendbar erklärt (z.B. die einfache Strafaussetzung),506 was den ambivalenten und künstlichen Charakter der fünften Übertretungsklasse deutlich mache. 507 Durch Gesetze vom 28.12.1979 und 7.8.1985 erfolgte dann eine Erhöhung der im Übertretungsbereich anwendbaren maximalen Strafen. Zwar behielten beide Gesetze die Höchstgefängnisstrafe von zwei Monaten bei, jedoch erhöhte man 1979 die Höchstgeldstrafe auf 6000 F, 508 die wiederum 1985 auf 10000 F509 festgelegt wurde. Das Gesetz vom 28.12.1979 regelte gleichzeitig, daß der 1975 geschaffene Art. 41 C.p. ebenfalls auf Geldstrafen bei der fünften Klasse anzuwenden ist.slO Die Verordnung vom 11.9.1985 schuf dann die vorher mögliche Gefängnisstrafe bei den ersten drei Übertretungsklassen ab. In demselben Jahr wurde Art. 473 C.p. durch Gesetz vom 30.12.1985 dahingehend ergänzt,S11 daß Art. 43-1 C.p.S12 ebenfalls auf Übertretungen Anwendung findet. SI3 Schließlich erfolgte eine jüngste
50S
Chabas, rev. sc. crim. 1969,281 (290,312); Mouly, rev. sc. crim. 1982,3(11).
506
Zu dieser ausführlich siehe unten 1. Kap., 3. Abschnitt, D, I; weitere Beispiele bei Mouly, rev. sc. crim. 1982,3 (27 f.); Decocq, rev. sc. crim. 1980,461 f.; Levasseur, D. 1959, ehr. 121 (126); Chabas, rev. sc. crim. 1969,281 (298 ff.). 507 Mouly, rev. sc. crim. 1982,3 (25 ff.); Legal, Gedächtnissehr. f. Lebret, S. 161. Mouly, a.a.O., 28, betrachtet daher diese fünfte Klasse als eine Art Puffer zwischen den Vergehen und den eigentlichen Übertretungen. 508
Bei Rückfall, ansonsten 3000 F.
509
Bei Rückfall, ansonsten 5000 F.
Dies zeigt wiederum die Sonderstellung dieser fünften Klasse; Mouly, rev. sc. crim. 1982, 3 (27). SIO
SII In Art. 473 C.p. war bereits durch Gesetz vom 29.12.1972 geregelt, daß Art. 55-1 C.p. (Aulhebung von Verboten, dazu siehe unten 1. Kap., 3. Abschnitt, C, I, 3 b) auch im Übertretungsbereich gilt. SI2
Verhängung von Nebensanktionenals Hauptstrafe.
SI3 Vor dieser Neuerung war kritisiert worden, daß Art. 43-1 C.p. nur auf Vergehen anwendbar war. Dies ergab nämlich das ungereimte Ergebnis, daß etwa bei fahrlässiger Körperverletzung (die, sofern sie keine Arbeitsunfähigkeit über drei Monate nach sich zieht, eine Übertretung ist [Art. R. 40 Nr. 4 C.p.] und bei Arbeitsunfähigkeit über drei Monate ein Vergehen ist [Art. 320 C.p.]), sofern sie durch Benutzung eines Autos erfolgte (dann ist gern. Art. L. 14 Abs. 1 Nr. 2 C. route die Suspendierung des Führerscheins Zusatzstrafe) bei der schwereren Tat (Art. 320 C.p.) über Art. 43-1 C.p. auf Gefingnis- und Geldstrafe verzichtet (Fortsetzung ... )
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
99
Erhöhung der im Übertretungsbereich maximal verhängbaren Geldstrafe durch Gesetz vom 10.7.1989. Bei den Übertretungen der fünften Klasse kann nun bei Rückfall eine Geldstrafe bis zu 12000 F verhängt werden, ansonsten von 6000 F. 514 c) Die verfassungsrechtliche Problematik der Freiheitsstrafe bei Übertretungen Zu bemerken bleibt im Hinblick auf die Kompetenz zur Regelung der Übertretungen, daß die Regierung gem. Art. 37 der französischen Verfassung vom 4.10.1958 ein Verordnungsrecht in den Bereichen besitzt, die nicht gem. Art. 34 der Verfassung als Gesetz durch das Parlament verabschiedet werden müssen. Art. 34 der Verfassung bestimmt, daß die Festlegung der Verbrechen und Vergehen und der in diesem Bereich vorgesehenen Strafen dem Parlament vorbehalten ist. Demnach kann die Regierung innerhalb der vom formellen Gesetz vorgesehenen Grenzen515 durch Verordnung die Übertretungen und ihre Bestrafung festlegen. 516 Damit ist Art. 4 C.p., der vorschreibt, daß eine Übertretungstat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit durch Gesetz bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde, insoweit implizit überholt. 517 Zu beachten ist jedoch, daß der Verfassungsgerichtshof im Zusammenhang mit der Frage nach dem Gesetzes-
m( ... Fortsetzung) werden konnte und allein die Suspendierung des Führerscheins als Hauptstrafe verhängbar war, bei der leichteren Tat (Art. R. 40 Nr. 4 C.p.), da Art. 43-1 C.p. bei Ubertretungen nicht galt, dagegen nicht; Prudel, D. 1976, ehr. 63 (67, Anrn. 39). Dieser Kritik ist nun durch die Anwendungsmöglichkeit des Art. 43-1 C.p. auch im Übertretungsbereich der Boden entzogen. Bezüglich des weiteren Beispiels von Prudel, a.a.O., Trunkenheitsfahrt, Art. L. 1 C. route, ist zu beachten, daß Art. L. 1 C. route heute anders gefaßt ist (schon ab 0,8 Promille liegt ein Vergehen vor). 514
Überhalb von 12000 F handelt es sich demgemäß um ein Vergehen.
515 Art. 465, 466 C.p.: gegenwärtig maximal zwei Monate Gefängnis, maximal 12000 F Geldstrafe. 516 Conseil constitutionnel, 19.12.1963, D. 1964, jurispr. 92; StejanilLevasseuriBouloc, dr. pen. gen., Nr. 127, S. 172; kritisch zu dieser Ausgestaltung Levasseur, D. 1959, ehr. 121 (122 ff.); Rassat, I.C.P. 1975, I, 2740 (Nr. 24 ff.). 517 Conseil d'Etat, 12.2.1960, D. 1960, jurispr. 263 (264); StejanilLevasseur/Bouloc, dr. pen. gen., Nr. 127, S. 172. Kritisch L'Huillier, D. 1960, jurispr. 264 (265 f.), der in der Regelung der Übertretungen durch Verordnung einen Verstoß gegen Art. 8 der Erklärung der Menschenrechte von 1789 (eine Bestrafung ist nur möglich aufgrund eines Gesetzes; diese Erklärung hat Verfassungsrang) sieht. Der Conseil d'Etat, a.8.0., 264, erachtet dagegen Art. 34 der Verfassung als speziellere Vorschrift gegenüber Art. 8 Menschenrechtserklärung; ebenso Vedel, I.C.P. 1960, n, 11629bis (VUl).
100
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
oder Verordnungscharakter bestimmter Vorschriften des Code rural 518 am 28.11.1973519 entschieden hat, daß die Festlegung der Übertretungen und ihrer Strafen in den Verordnungsbereich fällt, "sofern die besagten Strafen keine freiheitsentziehenden Maßnahmen beinhalten" .57JJ Aus dieser Entscheidung hat man zum Teil gefolgert, daß eine Verordnung eine Übertretung nicht mit einer Gefängnisstrafe, sondern lediglich mit einer Geldstrafe sanktionieren dürfe, da niemandem ohne eine durch das Parlament verabschiedete gesetzliche Regelung die Freiheit entzogen werden könne.521 Trotz dieser Entscheidung hat der französische Kassationshof am 26.2.1974 im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen eine Übertretung des C. route, die Gefängnis- und Geldstrafe als Sanktion vorsieht, ausgeführt, daß auch auf der Grundlage einer durch Verordnung geregelten Übertretung, die sich bezüglich der Strafen im Rahmen des Gesetzes hält, eine Freiheitsstrafe verhängt werden kann. 522 Das Argument des Kassationshofes besteht also darin, daß die Übertretungsstrafen durchaus Gegenstand einer formellen gesetzlichen Regelung seien, da ihre Aufzählung in Art. 464 bis 466 C.p. erfolge. 523 Auch der Conseil d'Etat hielt in seiner Stellungnahme vom 17.1. 1974 seine Ansicht bei, daß auf der Grundlage von Verordnungen geregelte Übertretungen sowohl Geld- als auch Gefängnisstrafe vorsehen können. 524 Dadurch, daß die Verordnung vom 11.9.1985 die Gefängnisstrafe bei den ersten drei Übertretungsklassen abgeschafft hat und seit dem Gesetz vom 30.12.1985 Art. 43-1 C.p. auch auf Übertretungen Anwendung finden kann, ist heute der Konflikt etwas entschärft. 525
518
Feldpolizeiordnung.
519
Conseil constitutionnel D. 1974, jurispr. 269.
57JJ Conseil constitutionnel D. 1974, jurispr. 269 (270), bezugnehmend auf die Präambel, Art. 34 Abs. 3, 5 und 66 der Verfassung. 521 Hamon, D. 1974, chr. 83 (86); Rassat, I.C.P. 1975, I, 2740 (Nr. 3, 10); so bereits vorher L'Huillier, D. 1960,jurispr. 264 (266). 522 Cass. crim. D. 1974, jurispr. 273 (279); ebenso Cass. crim. D. 1978, info rap. 344. Stillschweigend ergibt sich aus dieser Entscheidung auch, daß der Kassationshof sich nicht gern. Art. 62 Abs. 2 S. 2 der Verfassung durch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes gebunden fiihlte. Eine solche Bindung ergibt sich nämlich nur in bezug auf den Urteilstenor und die fiir die Entscheidung notwendigen Gründe, was bei den aus der Verfassungsgerichtshofentscheidung gezogenen Schlußfolgerungen nicht der Fall ist; vgl. Larguier, rev. sc. crim. 1974, 855 (856); Touffait, D. 1974, jurispr. 273 (274 f.).
523
Siehe Rassat, I.C.P. 1975, 1,2740 (Nr. 18), auch zur Angreitbarkeit dieses Arguments.
524 Conseil d'Etst D. 1974, jurispr. 280 f. Ebenfalls ein Rundschreiben des Iustizministers vom 18.1.1974 forderte die Stsatsanwälte auf, weiter auch im durch Verordnungengeregeiten Übertretungsbereich die dort vorgesehene Gefängnisstrafe einzufordern; siehe Rassat, I.C.P. 1975, I, 2740 (Nr. 6). 525
Siehe auch Cambassedes-Savini, Rep. pen., peines de substitution, Nr. 82.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonncn
101
5. Annex: Die unterschiedlichen Formen der Freiheitsstrafe und ihr Vollzug Trotz Dreiteilung der Straftaten in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen und trotz unterschiedlicher Bezeichnung des Freiheitsentzugs als Zuchthaus und Festungshaft im Verbrechensbereich sowie Gefängnisstrafe im Vergehens- und Übertretungsbereich ist darauf hinzuweisen, daß die Art des Vollzugs der Freiheitsstrafe an andere Kriterien geknüpft ist. 526 Gern. Art. 718 Abs. 1 C.p.p. erfolgt die Aufteilung der Verurteilten auf die Haftanstalten neben der Berücksichtigung der Strafe auch unter Beachtung ihres Alters, ihres Gesundheitszustandes und ihrer Persönlichkeit. 527 Personen, die eine Freiheitsstrafe über drei Jahre oder eine zeItIge oder lebenslange Zuchthausstrafe zu verbüßen haben, sind in Zentralvollzugsanstalten untergebracht. 528 Verurteilte zu einer Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren,529 d.h. Anknüpfungspunkt ist die Dauer der Freiheitsstrafe, verbüßen gern. Art. 717 Abs. 1 2. Halbs. C.p.p. ihre Strafe in einer eigens für sie vorgesehenen Anstalt. Straftäter, die zu einer Haftstrafe bis zu einem Jah~JO verurteilt wurden, können gern. Art. 717 Abs. 3 S. 1 C.p.p. ausnahmsweise ihre Strafe in einem örtlichen Gefängnis (maison d'arret), in dem sich auch gern. Art. 714 Abs. 1 C.p.p. die Untersuchungshäftlinge befinden, in einem abgetrennten Trakt verbüßen. 531
526 Szejani/Levasseur/Bouloc, dr. pen. gen., Nr. 473, S. 526; Bouloc, penologie, Nr. 187 f., S. 128 f.; Pradel, dr. pen., t.I, Nr. 658, S. 649, Nr. 661, S. 652 f.; Jescheck, rev. sc. crim. 1982, 719 (720).
527 Demgemäß existieren auch ganz spezielle Anstalten, etwa zur Versorgung kranker Häftlinge; siehe Pradel, dr. pen., t.I, Nr. 658, S. 650. 528 Das sind die maisons centrales, siehe dazu Art. D. 70-1 C.p.p., und die centres de detention, siehe dazu Art. D. 70-2 C.p.p. sowie Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 658, S. 649 f. 529 Fakultativ rur Verurteilte zu einer Haftstrafe unter runf Jahren, die nur noch weniger als drei Jahre zu verbüßen haben, Art. 717 Abs. 2 C.p.p. 5JO Ebenso gern. Art. 717 Abs. 3 S. 2 C.p.p. diejenigen, die noch weniger als ein Jahr zu verbüßen haben. 531 Diese Verteilung auf die Vollzugsanstalten ist hervorgegangen aus dem Gesetz vom
22.6.1987. Syr, act. leg. D. 1987, 135 (139), bezeichnet sie als einen Fortschritt in Richtung
einer besseren Individualisierung der Strafe.
102
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
III. NebensaDktionen (Neben- und Zusatzstrafen) und die dadurch beeinträchtigten Rechtsgiiter
Zwar hat die Unterscheidung in Haupt-, Zusatz- und Nebenstrafen insbesondere durch die Art. 43-1 ff. C.p. eine gewisse Aufweichung erfahren, jedoch macht dies eine Darstellung der Nebensanktionen, die im französischen Recht überhaupt existieren, nicht entbehrlich. Die vom Gesetzgeber als Zusatz- oder Nebenstrafen532 normierten bedeutsamsten Sanktionen sollen zur leichteren Übersicht in bezug auf das durch sie beeinträchtigte Rechtsgut dargestellt werden. Bereits jetzt sei darauf hingewiesen, daß das französische Strafrecht zahlreiche und verschiedenartige Nebensanktionen aufweist. 1. Beeinträchtigungen der Körperintegrität
Dem französischen Strafrecht sind in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung Sanktionen, welche die Körperintegrität des Verurteilten beeinträchtigen, unbekannt. 2. Freiheitsentziehende Nebensanktionen
Die grundsätzlich als Hauptstrafe ausgestaltete Gefängnisstrafe ist im C. p. auch als fakultative Zusatzstrafe vorgesehen: Sofern die Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte Hauptstrafe533 ist, kann diese gem. Art. 35 C.p. von einer Gefängnisstrafe, deren Dauer fünf Jahre nicht überschreiten darf, begleitet werden. 534 3. Freiheilsbeschränkende Nebensanktionen In diesem Bereich gibt es mehrere Sanktionen, die vom Gesetzgeber formell als Neben- oder Zusatzstrafe ausgestaltet sind.
532 Auf den wahren Charakter der jeweiligen Nebensanktion (Strafe oder Maßregel) soll später eingegangen werden; siehe dazu unten I. Kap., 3. Abschnitt, B, ll. 533
So z.B. bei Art. 111 C.p., Wahlfälschung durch Wahlhelfer.
534 1m Fall des Art. 35 Abs. 2 C.p. (der Täter ist Ausländer oder ein Franzose, der sein Bürgerrecht verloren' hat) handelt es sich bei der Gefängnisstrafe sogar um eine obligatorische Zusatzstrafe.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
103
a) Untersagung, bestimmte Orte aufzusuchen Zunächst ist das Verbot, bestimmte Orte aufzusuchen,S3S das gern. Art. 11 C.p. formell als Strafe bezeichnet wird, zu nennen. aa) Die unterschiedliche Ausprägung des Aufenthaltsverbots Einerseits ist es etwa nach Art. 44 Abs. 4 Nr. 1 C.p. fakultative Zusatzstrafe bei zeitiger Zuchthausstrafe oder Festungshaft und bei der Verbannung. Ebenfalls kann es fakultative Zusatzstrafe bei Vergehen sein, sofern es sich um ein in der Aufzählung des Art. 44 C.p. enthaltenes Vergehen handelt. Das Aufenthaltsverbot ist aber ausnahmsweise auch als obligatorische Zusatzstrafe vorgesehen. So ist es etwa im Bereich der Zuhälterei gern. Art. 335-3 C.p. zwingend zu verhängen. 536 Dies gilt ebenso bei den in Art. 44 Abs. 5 C. p. aufgezählten terroristischen Straftaten. Erfolgt bei lebenslanger Strafe ein Gnadenakt, zieht dies, sofern die Gnadenentscheidung nichts Gegenteiliges anordnet, gern. Art. 45 C. p. ein fiinfjähriges Aufenthaltsverbot nach sich. Dasselbe gilt für die Vollstreckungsvetjährung lebenslanger Strafen. 537 In seltenen Fällen ist schließlich das Aufenthaltsverbot gar fakultative Hauptstrafe. 538 Kommt z.B. einer Person bei Straftaten gegen die Sicherheit des Staates wegen Mitteilung der bevorstehenden Straftat an die zuständigen Behörden der Strafausschließungsgrund des Art. 101 C. p. zugute und kann somit die normalerweise vorgesehene Hauptstrafe nicht verhängt werden, besteht gern. Art. 101 Abs. 5 C.p. dennoch die Möglichkeit, gegenüber dieser Person ein Aufenthaltsverbot anzuordnen. bb) Inhaltliche Ausgestaltung Beim Aufenthaltsverbot wird dern Straftäter gern. Art. 44 C. p. untersagt, gewisse Orte aufzusuchen. Insbesondere handelt es sich dabei regelmäßig um den Tatort und diejenigen Bereiche, wo das Risiko einer wiederholten Tatbe-
535 Im
folgenden als Aufenthaltsverbot bezeichnet.
536 Durch das Gesetz vom 11.7.1975 hat dieses obligatorische Aufenthaltsverbot das mit ihm nahe verwandte und vorher bestehende Institut des Verbotes, an bestimmten Orten zu erscheinen, ersetzt; zu letzterem Laur, Juris-CI. pen., Art. 44 - 50, Nr. 15 f. 537
In diesem Fall ist das Aufenthaltsverbot Nebenstrafe, Roben, dr. pen. gen., S. 389.
538 MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 728, S. 909; Pradel, dr. pen., t.I, Nr. 557, S. 556; Jeandidier, dr. pen. gen., Nr. 392, S. 369; Bouloe, penologie, Nr. 292, S. 208.
104
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
gehung besonders hoch ist. 539 Die Liste der untersagten Orte wird durch den Innenminister individuell in bezug auf den jeweiligen Verurteilten erstellt. S40 Gleichzeitig gehen mit der Sanktion gern. Art. 44 Abs. 2 C. p. Maßnahmen der Überwachung und Unterstützung einher. Die Überwachungsmaßnahmen541 beinhalten etwa die Pflicht, sich regelmäßig beim örtlichen Polizeikommissariat zu melden. Die Unterstützungsmaßnahmen542 dienen dazu, dem Verurteilten jeglichen Rat und Hilfe zuteil werden zu lassen, um dessen soziale Wiedereingliederung zu erleichtern. 543 Dabei können gern. Art. 46, 47 C.p. jederzeit die Modalitäten des Aufenthaltsverbots an die jeweilige Entwicklung des Verurteilten angepaßt werden. Die Dauer des Aufenthaltsverbots beträgt gern. Art. 44 Abs. 3 C. p. grundsätzlichS44 zwei bis fünf Jahre im Vergehensbereich und fünf bis zehn Jahre im Verbrechensbereich. Nach Art. 44-2 C.p. kann aber das Gericht, welches das Aufenthaltsverbot verhängt hat, die Zeitspanne jederzeit verkürzen. 545 Ein Verstoß gegen die Überwachungsmaßnahmen oder das Erscheinen an verbotenen Orten stellt gern. Art. 49 C.p. ein Vergehen dar. S46 ce) Die Reformentwicklung des Aufenthaltsverbots
Die grundlegende Ausgestaltung des Aufenthaltsverbots in seiner heutigen Form erfolgte durch das Gesetz vom 18.3.1955.541 In erster Linie wurde diese Sanktion im Geiste der neuen Sozialverteidigung in ein Mittel zur
539
Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 555, S. 554; MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 727, S. 908.
S40 Zum Verfahren im einzelnen siehe Azjbert, Rep. pen., interdiction de sejour, Nr. 37 ff. Die Zuständigkeit eines Justizorgans dagegen befiirwortend Jeandidier, dr. pen. gen., Nr. 393, S.369. 541
211.
Zu diesen Laur, Juris-CI. pen., Art. 44 - 50, Nr. 103 ff.; Bouloc, penologie, Nr. 297, S.
542 Dazu ebenfalls Laur, Juris-CI. pen., Art. 44 -50, Nr. 136 ff.; Bouloc, penologie, Nr. 298, S. 211 f. 543
Siehe Art. R. 8 Abs. 4 C.p.
S44 Anders Art. 45 C.p.: 5 Jahre; Art. 763 C.p.p.: lebenslang; Art. 335-3 C.p.: maximal 10 Jahre (obwohl es sich um ein Vergehen handelt).
545 Gern. Art. 44-1 C.p. gilt das Aufenthaltsverbot nicht gegenüber Personen ab 65 Jahren; Ausnahme: Es findet Anwendung wegen Veljährung der Verbrechensstrafe, Art. 763 Abs. 2 C.p.p.
S46 Bemerkenswert ist, daß trotz Verwirklichung der Strafvorschrift die Verurteilung zu einer Strafe fiir den Richter lediglich fakultativ ist; Puech, dr. pen. gen., Nr. 1255, S. 452 f. 541 Vervollständigt durch eine Verordnung vom 16.6.1955; dazu Vouin, rev. sc. crim. 1955, 538. Das Aufenthaltsverbot war durch ein Gesetz vom 27.5.1885 an die Stelle der Polizeiaufsicht getreten.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
105
Unterstützung und Hilfe für den Betroffenen umgeformt. S48 Einmal gestaltete der Gesetzgeber sie nun prinzipiell als fakultative Zusatzstrafe aus. 549 Zum anderen war jetzt anstatt einer vorher neben einer individuellen Liste bestehenden generellen Aufstellung550 der verbotenen Orte nur noch eine individuell auf jeden Täter bezogene Liste festzulegen. Die bedeutsamste Neuerung des Gesetzes war, daß man neben den Überwachungs- nun auch Unterstützungsmaßmahmen gegenüber dem Täter einführte, die dessen Wiedereingliederung zum Zweck haben. m Schließlich wurde durch die Reform von 1955 die Möglichkeit der jederzeitigen Änderung des Aufenthaltsverbots geschaffen. Durch Gesetz vom 29.12.1972 reduzierte der Gesetzgeber weiter die Anzahl der Straftatbestände, auf welche diese Sanktion Anwendung finden kann. 552 Im übrigen verlagerte man die Fixierung der Unterstützungsmaßnahmen gegenüber dem Täter vom Innenminister auf den Strafvollstreckungsrichter. 553 Eine beträchtliche Eingrenzung der Stratbestimmungen, auf welche das Aufenthaltsverbot anwendbar ist, erfolgte auch durch das Gesetz vom 11.7.1975.554 Man war zu der Auffassung gelangt, daß diese Sanktion ein Hindernis bei der Wiedereingliederung des Täters darstellen könne, wenn der Betroffene von seinem beruflichen und familiären Umfeld getrennt werde. 555 Art. 44 Abs. 4 C.p. normiert seitdem ausdrücklich, daß die Verhängung einer besonderen und begründeten Entscheidung bedarf, und im Verbrechensbereich wurde die Höchstdauer von zwanzig auf
S48 Vouin, rev. sc. crim. 1955, 336 (338); MerlelVitu, dr. crim., t.1, Nr. 727, S. 908; Levasseur, rev. sc. crim. 1956, I (30,37); Foulon-Piganiol, D. 1955, leg. 483 (484).
549 Vouin, rev. sc. crim. 1955,336 (338); Foulon-Piganiol, D. 1955, Mg. 483 (486); Vitu, J.C.P. 1955, I, 1251 (feil 1, 1). 550 Siehe zusammenfassend zum alten System Foulon-Piganiol, D. 1955, leg. 483, sowie Vitu, J.C.P. 1955, I, 1251 (vor Teil 1). Zur Geschichte des Instituts insgesamt Azibert, Rep. pen., interdiction de sejour, Nr. 2 ff.; Laur, Juris-CI. pen., Art. 44 - 50, Nr. 2 ff. Die generelle Liste hatte die Wiedereingliederung des Delinquenten oftmals schwer behindert; Bouloc, penologie, Nr. 295, S. 210. 55! MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 731, S. 911; Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 556, S. 554; Foulon-Piganiol, D. 1955, leg. 483 (484); Vitu, J.C.P. 1955, I, 1251 (feil 2, I, B); Larguier, rev. sc. crim. 1984,301 (304).
552 Siehe Decocq, rev. sc. crim. 1973,431 (433 f.); Doll, Gaz. Pal. 1973, doctr. 70 (79); Legal, rev. sc. crim. 1975,311 (320). 553 Siehe dazu Coulon, J.C.P. 1973, I, 2553 (Nr. 9); Dulheillet-Lamonthezie, rev. sc. crim. 1973, 567 (578).
S54 Siehe dazu Doll, Gaz. Pal. 1976, doctr. 34 (39); Decocq, rev. sc. crim. 1976, 5 (18); Charles, Rec. gen. lois 1976, doctr. 237 (260 f.). 555 Doll, Gaz. Pal. 1976, doctr. 34 (39); ders., Gaz. Pal. 1973, doctr. 70 (79); Robert, J.C.P. 1975, I, 2729 (Nr. 67); Decocq, rev. sc. crim. 1976,5 (17); Robert, dr. pen. gen., S. 387.
106
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
zehn Jahre reduziert. 556 Eine weitere bedeutsame Neuerung war die Einführung des Art. 44-2 C.p., der dem Gericht erlaubt, jederzeit die Dauer des Aufenthaltsverbots zu verkürzen oder es ganz zu beenden. Eine gegenläufige Tendenz insbesondere zum Gesetz vom 11.7.1975 setzte aber mit dem Gesetz vom 9.9.1986 ein. 557 Es gestaltete das Aufenthaltsverbot als obligatorische Zusatzstrafe bei durch Terroristen begangenen bestimmten Straftaten aus. 558 Hinzuweisen bleibt darauf, daß durch Gesetz vom 31.12.1971 im Kampf gegen den Drogenmißbrauch die Möglichkeit geschaffen wurde, daß das Strafgericht gegenüber Ausländern, die sich wegen Drogenmißbrauchs strafbar gemacht haben, gern. Art. L. 630-1 C.S.p.559 ein Aufenthaltsverbot in ganz Frankreich ausspricht. 560 b) Paßentzug Eine weitere freiheitsbeschränkende Nebensanktion ist derPaßentzug. Er ist als fakultative Zusatzstrafe z.B. im Bereich der Zuhälterei in Art. 335lquater Abs. 2 C.p. vorgesehen. 561 c) Abschiebung Wie bereits angemerkt, berechtigt Art. L. 630-1 C.s.p. das Strafgericht, gegenüber einem nach dem Betäubungsmittelrecht straffällig gewordenen Ausländer ein Aufenthaltsverbot in ganz Frankreich auszusprechen. In der
556 Die Dauer war bereits bei den Debatten um das Gesetz vom 18.3.1955 stark umstritten, jedoch konnten sich damals die restriktiveren Tendenzen behaupten, so daß die Höchstdauer auf zwanzig Jahre festgelegt worden war; siehe Vitu, J.C.P. 1955, I, 1251 (vor Teil 1 sowie Teil 1, 111); Merle/Vitu, dr. crim., t.l, Nr. 729, S. 909; Laur, Juris-C!. pen, Art. 44 - 50, Nr. 51.
557 Ein im April 1986 erfolgter Vorschlag auf Abschaffung dieses Instituts, siehe Laur, Juris-C!. pen., Art. 44 - 50, Nr. 29, wurde vom Gesetzgeber nicht verwirklicht. 558 559
Siehe im einzelnen die lange Aufzählung in Art. 44 Abs. 5 C.p. Gesundheitsordnung.
Siehe Doll, Gaz. Pa!. 1971, doctr. 117 (123). Diese Möglichkeit der Verhängung eines Aufenthaltsverbots in ganz Frankreich gegenüber Ausländern bestand auch schon vorher, etwa nach Art. 106 Abs. 4 C.p. (strafbares Verbot der Mitfiihrung von Waffen bei einer Demonstration) oder Art. 19 Abs. 2 und 27 Abs. 2 des Regierungsgesetzes vom 2.11.1945 (Ausländergesetz) . 560
561
Ebefalls z.B. im Betäubungsmittelstrafrecht, Art. L. 627 Abs. 7 C.s.p.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgefiihrte Refonnen
107
Praxis machten sich dabei jedoch insofern Schwierigkeiten bemerkbar, als das Strafgericht nicht selber auch gleichzeitig die Abschiebung des Betroffenen aussprechen konntt?'2 und dies vielmehr dem Willen der Verwaltung vorbehalten war. 563 Daher wurde durch das Gesetz vom 10.6.1983 Art. L. 630-1 C.s.p. um einen Absatz 2 dahingehend ergänzt, daß das Aufenthaltsverbot automatisch nach Verbüßung der Strafe die Abschiebung des Ausländers nach sich zieht. Das strafrechtliche Schrifttum mißt dieser Abschiebung den Charakter einer Nebenstrafe bei. SM d) Gemeinnützige Arbeit Hinsichtlich der gemeinnützigen Arbeit ist zu bemerken, daß diese zwar zu Arbeitsleistungen verpflichtet, was sie in die Nähe der den Beruf betreffenden Nebensanktionen rückt; es darf aber nicht übersehen werden, daß die gemeinnützige Arbeit zunächst einmal den Entzug von Freizeit bedeutet,S6S so daß sie bei den freiheitsbeschränkenden SanktionenS66 mitzubehandeln ist. Das Gesetz vom 10.7.1987 zur Bekämpfung des Alkohols am Steuer hat den Korrektionalgerichten erlaubt, diese Sanktion nun auch als fakultative Zusatzstrafe561 zu verhängen. Dies kommt gem. Art. L. 1-1 C. route bei bestimmten Straßenverkehrsvergehen, etwa bei Trunkenheit im Verkehr und Fahrerflucht, in Betracht. Vorgestellt hat man sich, daß der Betroffene die gemeinnützige Arbeit z.B. in einem Krankenhaus zu verrichten habe, etwa in der Notaufnahme von Verkehrsunfallopfern. S68 Art. L.
S62 Möglich war nur folgendes: Wegen des nun illegalen Aufenthalts des Verurteilten kam es zu einer erneuten strafrechtlichen Verurteilung gem. Art. 19 des Regierungsgesetzes vom 2.11.1945 (Ausländergesetz); hier ist die Anordnung der Abschiebung durch das Strafgericht seit jeher möglich. 563 Puech, act. leg. D. 1983. 105 (120); Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 547, S. 546 f.; zu den Befugnissen der Verwaltung (insbesondere Ausweisung) siehe StefanilLevasseuriBouloc, dr. pen. gen., Nr. 511 f., S. 557 ff. SM
Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 18 - 39, Nr. 19; ders., dr. pen. gen., Nr. 393, S. 370.
S6S
Siehe dazu unten 3. Kap., m, 6 b, ce, (1), (2.2).
S66 Vgl. Brughelli, in: Kunz (Hrsg.), Zukunft der Freiheitsstrafe, S. 13; Roben, dr. pen. gen., S. 386; Soyer, dr. pen. et proced. pen., Nr. 221, S. 126. 561 Couvrat, rev. sc. crim. 1989, 158 (162); CouvratlMasse, circulation routiere, Nr. 494, S. 313, Nr. 502, S. 318; Bouloc, rev. sc. crim. 1988, 118 (119); Boyer, rev. sc. crim. 1990, 310 (313); Roben, dr. pen. gen., S. 393; Lorho, rev. sc. crim. 1991,53 f.; Bouloc, penologie, Nr. 328, S. 230 f. Konsequenz ist, daß insofern auch wiederum Art. 43-1 C.p. in Betracht kommt.
S68
Siehe Pradel, D. 1987, ehr. 251 (254); CouvratlMasse, circulation routiere, Nr. 503, S.
319; Dmldes/Schmandt, in: Eser/Huber (Hrsg.), Strafrechtsentwicklung 1986/88, S. 317;
Lorho, rev. sc. crim. 1991,53 (54); Bouloc, penologie, Nr. 328, S. 231.
108
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
1-1 C. route erklärt für die gemeinnützige Arbeit als Zusatzstrafe ebenfalls die Art. 43-3-1 bis 43-3-5 C.p. anwendbar, so daß auch in diesem Bereich der Angeklagte ein Verweigerungsrecht besitzt. Man empfindet es jedoch im Schrifttum als schwer lösbares Dilemma, daß der Richter den Angeklagten fragen müsse, ob er neben der Hauptstrafe darüber hinaus noch die Zusatzstrafe der gemeinnützigen Arbeit akzeptiert, andererseits die Mitwirkung des Angeklagten notwendig sei, um zu vermeiden, daß die gemeinnützige Arbeit den Charakter einer nach den internationalen Konventionen verbotenen Zwangsarbeit erhalte. S69 Eine weitere Schwierigkeit besteht im Hinblick auf die Frist, in der die gemeinnützige Arbeit abzuleisten ist, wenn der Betroffene gleichzeitig zu einer Gefängnisstrafe ohne Strafaussetzung verurteilt wird. Das Schrifttum sieht in der Gefängnisstrafe einen Grund zur Fristaussetzung.570 Aufgrund dieser Probleme wird die Wiederabschaffung der gemeinnützigen Arbeit als Zusatzstrafe befürwortet. S71 4. Beeinträchtigungen des Vermögens a) Geldstrafe aa) Die "gewöhnliche" Geldstrafe Obwohl die klassische Geldstrafe in der Regel eine Hauptstrafe darstellt, gibt es Fälle, in denen sie den Charakter einer Zusatzstrafe annehmen kann. sn Zu unterscheiden ist hierbei zwischen den verschiedenen Deliktskategorien: Im Übertretungsbereich ist die Geldstrafe stets Hauptstrafe. S73 Bei den Vergehen hat sie ebenfalls regelmäßig den Charakter einer Hauptstrafe, jedoch gibt es auch Fälle, in denen sie als Zusatzstrafe ausgestaltet ist.574 Schließlich kann die Geldstrafe auch im Verbrechensbereich ver-
S69
Couvrat, rev. sc. crim. 1989,158 (162); vgl. auch Robel1, dr. pen. gen., S. 393 f.
570
Couvrat, rev. sc. crim. 1989, 158 (162).
571
Couvrat, rev. sc. crim. 1989,158 (162).
572
StefanilLevasseuriBouloc, dr. pen. gen., Nr. 467, S. 520.
573 MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 737, S. 917; Bel1heas, Rep. pen., amende, Nr. 60; Soyer, dr. pen. et proced. pen., Nr. 234, S. 131; Rassat, dr. pen., Nr. 360, S. 528. 574 MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 737, S. 917; Pradel, dr. pen, t.l, Nr. 561, S. 563; Bel1heas, Rep. pen., amende, Nr. 60; so etwa bei Art. 172 i.V.m. 171 C.p. (leichtere Steuerund AbgabenhintelZiehungdurch hoheitliche Verwahrer).
3. Abschnin: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
109
hängt werden (Art. 11 C.p.), hat hier aber stets den Charakter einer Zusatzstrafe. 575 bb) Die Geldstrafe nach dem Tagessatzsystem
Das Gesetz vom 10.7.1987 hat die Möglichkeit geschaffen, die Geldstrafe nach dem Tagessatzsystem als Zusatzstrafe anzuwenden. Zur Bekämpfung der Straftaten in Verbindung mit Alkohol am Steuer schreibt seitdem Art. L. 1-2 C. route vor, daß bei bestimmten Verkehrsdelikten (etwa Trunkenheit im Verkehr oder Fahrerflucht) das Strafgericht als fakultative Zusatzstrafe die Geldstrafe nach dem Tagessatzsystem verhängen kann. Im Hinblick auf die Anwendungsmodalitäten bezieht sich Art. L. 1-2 C. route auf Art. 43-9 f. C.p. Nicht verwiesen ist auf Art. 43-8 C.p., der bei Verhängung der Tagessatzgeldstrafe die klassische Geldstrafe sowie Gefängnis ausschließt. 576 b) Einziehung aa) Einziehung des gesamten Vermögens (Generaleinziehung)
Die Generaleinziehung stellt eine fakultative Zusatzstrafe dar. sn Ihr während des Zweiten Weltkriegs stark ausgeweiteter Anwendungsbereich wurde nach 1945 reduziert, so daß die Generaleinziehung heute gem. Art. 37 C.p. auf Verbrechen gegen die Staatssicherheit begrenzt ist. s78 Diese Sanktion bedeutet den Zugriff des Staates grundsätzlich auf die gesamten Güter des Verurteilten. Es bestehen jedoch auch Grenzen. So sind unpfänd-
575 MerlelVilU, dr. crim., t.l, Nr. 737, S. 917; Soyer, dr. pen. et proced. pen., Nr. 234, S. 131; Rassal, dr. pen., Nr. 360, S. 528; Teufel, KUlZe Freiheitsstrafe, S. 125; z.B.: Art. 172 LV.m. 1691170 C.p. ; Art. 181 C.p., Rechtsbeugung. 576 Es ist daher möglich, daß ein Täter, der sich z.B. gern. Art. L. 1 C. route strafbar gemacht hat (Trunkenheit im Verkehr), zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten bis zu zwei Iahren verurteilt wird und zu einer klassischen Geldstrafe zwischen 2000 Fund 30000 F (Hauptstrafen bei Art. L. 1 C. route) und gleichzeitig eine Tagessatzgeldstrafe als Zusatzstrafe auferlegt erhält, obwohl man sich eine derartige Guristisch zwar mögliche) Verurteilung in der Praxis kaum vorstellen kann; Pradel, D. 1987, chr. 251 (254, Anm. 29).
sn Jeandidier, Iuris-CI. pen, Art. 18 - 39, Nr. 28. Jeandidier, Iuris-CI. pen., Art. 18 - 39, Nr. 30; Bouzal, Rep. pen., confiscation, Nr. 4. Die aktuelle Ausgestaltung des Art. 37 C.p. resultiert aus den beiden Regierungsgesetzen vom 23.12.1958 und 4.6.1960; siehe aber auch den durch Gesetz vom 31.12.1987 im Betäubungsmittelbereich eingeführten Art. L. 629 Abs. 4 C.s.p.; zu dem in der Geschichte stark wechselnden Anwendungsbereich der Generaleinziehung siehe Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 565, S. 565; MerlelVilU, dr. crim., t.l, Nr. 740, S. 920; Jeandidier, a.a.O., Nr. 27. 578
110
I. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
bare Gegenstände von der Generaleinziehung ausgeschlossen. Ebenso werden höchstpersönliche Güter, wie Auszeichnungen sowie literarisches und künstlerisches Eigentum, nicht erfaßt. 579 Gem. Art. 37 C.p. dürfen nur die gegenwärtigen und nicht die zukünftigen Güter eingezogen werden. S80 Weiterhin kann der Staat bei bestehender Ehe nur den Güteranteil des verurteilten Ehegatten konfiszieren, und schließlich umfaßt die Generaleinziehung gem. Art. 38 Abs. 2 C.p. nur den frei verfügbaren Teil des Erblasservermögens, sofern pflichtteilsberechtigte Personen vorhanden sind. Die durch Art. 37 bis 39 C.p. normierten Linderungen werden jedoch als unzureichend angesehen. 581 Die Generaleinziehung mißachte den Grundsatz der Beschränkung des staatlichen Strafanspruchs auf den Täter. S82
bb) Einziehung von bestimmten mit der Straftat in Verbindung stehenden Gegenständen (Spezialeinziehung) Die Spezialeinziehung ist als fakultative oder obligatorische Zusatzstrafe ausgestaltet. 583 Sie ist gem. Art. 11 und 470 C. p. bei allen drei Deliktskategorien möglich, sofern sie d,urch eine Strafvorschrift ausdrücklich vorgesehen ist, S84 und bedeutet die Eigentumsübertragun~ eines bestimmten Objekts an den Staat, wobei drei Arten von Gegenständen in Betracht kommen. Der Gegenstand der Straftat (corpus delicti), wie etwa die Einziehung von Bestechungsgeldern (Art. 180 Abs. 4 C.p.), die Produkte der Straftat, wie z.B. die Einziehung von Einnahmen aus urheberrechtswidrigen Tätigkeiten (Art. 428 Abs. 1 C.p.), schließlich die Instrumente der Straftat,586
579 Jeandidier, Juris-Cl. pen., Art. 18 - 39, Nr. 40 1m Ausland befindliche Güter sind nur einziehbar, sofern entsprechende zwischenstaatliche Vereinbarungen bestehen. 580
Die zukünftigen Güter aber miteinschließend Art. 310 Abs. 2 Militärstrafgesetzbuch .
581
Pradel, dr. pen., t.1, Nr. 565, S. 565.
Jeandidier, Juris-Cl. pen., Art. 18 - 39, Nr. 26; ders., dr. pen. gen., Nr. 401, S. 379, der im übrigen darauf hinweist, daß diese Sanktion nicht angewendet werde. 582
583 Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 566, S. 566; StefanilLevasseurlBouloc, dr. pen. gen., Nr. 466 f., S. 517, 519; Bouzat, Rep. pen., confiscation, Nr. 29; z.B. Art. 132 Abs. 4 C.p. (Geldfälschung): Einziehung des Falschgelds und der Produktionsmittel als obligatorische Zusatzstrafe; Art. 52 C.p.: Einziehung des FahlZeugs, das zur Begehung eines Verbrechens benutzt wird, als fakultative Zusatzstrafe. S84
Cass. crim., 10.6.1970, BuH. crim. Nr. 194.
585 Vorhandene Belastungen des Gegenstandes bleiben bestehen, Jeandidier, Juris-Cl. pen., Art. 11, Nr. 13 f. 586 Zu den Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen corpus delicti und Instrumenten der Straftat sowie dem Zweck dieser Unterscheidung siehe Jeandidier, Juris-Cl. pen., Art. 11, Nr.9.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgeführte Refonnen
111
wie die Einziehung von Fahrzeugen, die zur Begehung eines Verbrechens dienen (Art. 52 C.p.).587 Nach dem Wortlaut des Art. 11 C.p. können die Gegenstände der Straftat nur eingezogen werden, wenn sie dem Verurteilten gehören. S88 In bezug auf die Instrumente und Produkte ist eine derartige Einschränkung nicht vorgesehen, so daß sie unabhängig von der Eigentumslage einziehbar sind. 589 Ist ein Dritter Eigentümer, bleiben diesem lediglich Rückgriffsansprüche gegen den Täter, er besitzt aber keine Entschädigungsansprüche gegen den Staat. 590 In wenigen Fällen berücksichtigt die Strafvorschrift aber dennoch die Eigentumsverhältnisse. So werden die Maschinen, Apparate und Werkzeuge, die zur Falschgeldherstellung dienten oder dienen sollten, wenn dies ohne jedes Wissen des Eigentümers erfolgte, gem. Art. 132 Abs. 5 C.p. nicht eingezogen.59• c) Stillegung des Fahrzeugs Durch Gesetz vom 10.7.1987 ist diese Sanktion als fakultative Zusatzstrafe unter den Voraussetzungen des Art. L. 10 Abs. 1 Nr. 2 C. route bei der Begehung bestimmter Verkehrsstraftaten eingeführt worden. Neben der Möglichkeit, die Stillegung gem Art. 43-3 Nr. 3bis C.p. als alleinige Hauptstrafe anstelle der Gefängnisstrafe zu verhängen, kann sie das Gericht nunmehr also auch im Rahmen des französischen StVG unter den dortigen Voraussetzungen zusätzlich zur Gefängnis- und Geldstrafe anordnen. S92
587 Ein Beispiel aus jüngster Gesetzgebung, in dem das Instrument der Straftat als fakultative Zusatzstrafe einziehbar ist: Art. L. 10 Abs. I Nr. 1 C. route, geschaffen durch Gesetz vorn 10.7.1987, nach dem bei bestimmten Verkehrsdelikten das Fahrzeug einziehbar ist, das der Täter zur Begehung der Straftat benutzt hat, sofern er Eigentümer ist; weitere Beispiele aus der Rechtsprechung bei Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 11, Nr. 8; Teufel, Kurze Freiheitsstrafe, S. 202 f. 588 Bei den Übertretungen erfolgt in Art. 470 C.p. keine Einschränkung in bezug auf die Eigentumslage. 589
Cass. crim. ,5.3.1987, BuH. erim. Nr. 109; Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 11, Nr. 9.
590
Teufel, Kune Freiheitsstrafe, S. 204.
59.
Weitere Beispiele bei Puech, dr. pen. gen., Nr. 1289, S. 460.
592 Insoweit wird die Regelung des Art. L. 10 C. route auch für notwendig erachtet; Pradel, D. 1987, ehr. 251 (253).
112
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
d) Betriebsschließung Oft verglichen mit der Einziehung wird die Zusatzstrafe der Schließung des Geschäftsbetriebs. Dennoch sind beide zu unterscheiden. 593 Die Betriebsschließung zieht im Gegensatz zur Einziehung nicht dessen Veräußerung zugunsten des Staates nach sich. 594 Im C. p. ist diese Sanktion in Art. 335-1 Abs. 1 Nr. 1 als fakultative Zusatzstrafe595 im Bereich der Zuhälterei für mindestens drei Monate und maximal fünf Jahre vorgesehen. Ansonsten findet sie sich in vielen Gesetzen außerhalb des C.p.596 Als Beispiel ist der Bereich des Getränkeausschanks zu nennen. Art. L. 59 C. debits boissong597 eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, als Zusatzstrafe bei Verwirklichung eines im Gesetz vorgesehenen Vergehens die zeitige oder endgültige Schließung des Getränkeausschanks anzuordnen. 598 Auch im Zusammenhang mit der Betriebsschließung werden gegebenenfalls unbeteiligte Dritte in Mitleidenschaft gezogen. Diesem Umstand hat der Gesetzgeber teilweise Rechnung getragen. 599 So kann etwa in einigen Fällen, wenn der Täter nicht Eigentümer des Betriebes ist, dem Eigentümer dessen Wiederaufnahme erlaubt werden. 600
593 Vgl. z.B. Art. 335-1 C.p.: Abs. I Nr. 1 regelt die Schließung des Geschäftsbetriebs, Abs. 1 Nr. 3 dagegen die Einziehung. 594 MerlelVilU, dr. crim., t.l, Nr. 743, S. 923; Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 571, S. 569 f.; Puech, dr. pen. gen., Nr. 1291, S. 460; Jeandidier, dr. pen. gen., Nr. 405, S. 383.
595 Insoweit unrichtig MerlelVitu, dr. crim., t.l, Nr. 745, S. 925, die hier eine obligatorische Zusatzstrafe annehmen, obwohl Art. 335-1 Abs. 1 C.p. ausdrücklich sagt "Das Gericht kann im übrigen verhängen"; siehe StefanilLevasseuriBouloc, dr. pen. gen., Nr. 486, S. 541. 596 Eine Aufzählung findet sich etwa bei Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 572, S. 570 f., sowie bei MerlelVilU, dr. crim., t.l, Nr. 744, S. 923. Zu unterscheiden davon sind die Betriebsschließungen durch die Verwaltung; siehe StefanilLevasseuriBouloc, dr. pen. gen., Nr. 516, S. 563. 597 Gesetz über den Getränkeausschank. 598 Eine vergleichbare, wenn auch mildere Sanktion zur Betriebsschließung ist die Unterstellung des Betriebs unter einen Sequester, was ebenfalls teilweise vorgesehen ist; Stefanil Levasseur/Bouloc, dr. pen. gen., Nr. 487, S. 542 f. 599 Siehe MerlelVitu, dr. crim., t.1, Nr. 745, S. 924 f. 600 Art. L. 61 Abs. 2 C. debits boissons; vgl. etwa auch Art. 335 Abs. 4, 335-1bis C.p. oder Art. L. 59-1 Co. debits boissons; siehe Puech, dr. pen. gen., Nr. 1289, S. 460, Nr. 1294, S. 461.
3. Abschnitt: Ausgestaltung und durchgefiihrte Reformen
113
e) Weitere vermögensbeeinträchtigende Nebensanktionen Als Beispiel bietet sich hierfür wiederum der Bereich der Zuhälterei an. Nach Art. 335-1quater Abs. 3 C.p. kann der Verurteilte verpflichtet werden, die Kosten, die im Hinblick auf die Heimreise eines ausländischen Opfers der Zuhälterei entstehen, zu erstatten. Ebenfalls ist teilweise vorgesehen, daß der Verurteilte, sofern es zur Betriebsschließung kommt, für eine gewisse Zeit den Lohn an seine Angestellten weiter zu zahlen hat. 601 5. Rechtsbeeinträchtigungen a) Aberkennung der Geschäftsfähigkeit Die in den Artikeln 29 bis 31 C. p. normierte Aberkennung der Geschäftsfähigkeit ist eine Nebenstrafe602 sowohl von Zuchthaus als auch Festungshaft. Rechtsgeschäfte, welche diese Person vornimmt, sind nichtig. 603 Daher ist gern. Art. 29 Abs. 1 2. Halbs. C.p. ein Vormund und ein Gegenvormund zu bestellen, die seine Güter verwalten. 604 Der Betroffene kann jedoch selber höchstpersönliche Handlungen vornehmen, wie z.B. heiraten oder ein Vaterschaftsanerkenntnis abgeben/"ls Während der bedingten Entlassung entfaltet diese Nebenstrafe gern. Art. 29 Abs. 2 C.p. keine Wirkungen. Sie entfällt mit der Verbüßung der Zuchthausstrafe oder Festungshaft. 606
601
MerleNitu, dr. crim., LI, Nr. 745, S. 925; z.B. Art. L. 59 Abs. 3 C. debits boissons.
602 StefanilLevasseurlBouloc, dr. pen. gen., Nr. 468, S. 522; Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 18 - 39, Nr. 62; Roben, dr. pen. gen., S. 396. 603
Pradel, dr. pen., LI, Nr. 575, S. 576.
604
Zu dieser Vormundschaft im einzelnen Jeandider, Juris-CI. pen., Art:" 18 - 39, Nr. 63 ff.
Pradel, dr. pen., LI, Nr. 575, S. 576; weitere Beispiele bei Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 18 - 39, Nr. 67; ders., dr. pen. gen., Nr. 406, S. 384; Bouzat, Rep. pen., interdiction legale, Nr. II f. 605
606
Siehe dazu die Begründung bei Roben, dr. pen. gen., S. 396.
8 Zieschang
114
1. Kapitel: Das gegenwärtige französische Sanktionensystem
b) Unfähigkeit, Schenkungen oder testamentarische Verfügungen durchzuführen oder Geschenke zu erhalten Hierbei handelt es sich um eine Nebenstrafe,607 die gem. Art. 36 C.p. mit jeder lebenslangen Zuchthausstrafe oder Festungshaft verbunden ist. Der gegenwärtige Art. 36 C.p. ist das Relikt des durch Gesetze vom 8.6.1850 (bei politischen Straftaten) und 31.5.1854 (im gemeinen Recht) abgeschafften "bürgerlichen Todes", nach dem jeder zu einer lebenslangen Strafe Verurteilte als zivilrechtlieh tot angesehen wurde, mit der Folge, daß seine Ehe aufgelöst und der Erbfall eingetreten war. roll Der Verurteilte kann nach dem heutigen Art. 36 C.p. grundsätzlich weder Zuwendungen über eine Erbschaft noch Geschenke erhalten, es sei denn, es handelt sich um Unterhaltsleistungen. Er selber darf weder schenken noch durch Testament verfügen, ein vor der rechtskräftigen Verurteilung verfaßtes Testament ist nichtig. Die Strafe besteht selbst bei Erlöschen der Hauptstrafe weiter. ()09 Gem. Art. 36 Abs. 2 C.p. hat jedoch die Regierung das Recht, den Betroffenen ganz oder teilweise dieser Unfähigkeit zu entheben. Mit dem Einwand, daß diese Nebenstrafe insbesondere erhebliche Nachteile für die Familie des Verurteilten habe, da dieser keine testamentarischen Verfügungen treffen könne, wird die Abschaffung dieser Sanktion befürwortet. 610 c) Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte Diese Sanktion ist bereits im Zusammenhang mit den Hauptstrafen im Verbrechensbereich vorgestellt worden. 611 Nochmals zu betonen bleibt aber, daß die Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte nicht nur Hauptstrafe sein kann; gem. Art. 28 C.p. ist sie bei der Verhängung von Zuchthausstrafe, Festungshaft oder Verbannung eine Nebenstrafe und des weiteren ist sie gem. Art. 463 Abs. 2 C.p., falls aufgrund mildernder Umstände anstatt einer Verbrechensstrafe eine Vergehensstrafe verhängt wird, eine fakultative Zusatzstrafe. Als Hauptstrafe und Nebenstrafe hat sie lebenslangen Cha-
607 StefanilLevasseurlBouloc, dr. pen. gen., Nr. 468, S. 522; Pradel, dr. pen., t.I, Nr. 576, S. 576; Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 18 - 39, Nr. 7t. roll
Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 18 - 39, Nr. 70.
()09 Jeandidier, Juris-CI. pen., Art. 18 - 39, Nr. 74; Merle/Vilu, dr. crim., t.t, Nr. 751, S. 930; Pradel, dr. pen., t.l, Nr. 576, S. 576; Bouzat, Rep. pen., incapacite de disposer et de re