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German Pages 111 [112] Year 1963
HAMBURGER R O M A N I S T I S C H E STUDIEN
Α. Allgemeine Ramanistische Reihe (Fortsetzung der Reihe »Hamburger Studien zu Volkstum und Kultur der Romanen«) herausgegeben von Rudolf Grossmann und Hellmuth Petricooii Direktoren des Romanischen Seminars der Universität Hamburg Band 46
MAGDALENA
PADBERG
DAS ROMANWERK VON GEORGES BERNANOS ALS VISION DES UNTERGANGS
KOMMISSIONSVERLAG: CRAM, DE GRUYTER & CO. HAMBURG 1963
Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany Druck von Ludwig Appel, Hamburg
Inhalt Einleitung
7
»Sous le Soleil de Satan«
17
»Nouvelle Histoire de Mouchette«
39
»L'Imposture« — »Une Nuit« — »La Joie«
48
»Un Crime«
60
»Journal d'un Curé de Campagne«
64
»Monsieur Ouine«
82
Schlußbemerkungen
105
Literaturverzeichnis
110
Einleitung Ce pays nous ennuie, ô Mort! Baudelaire, »Le Voyage« Es gilt als ausgemacht, daß das Romanwerk v o n Georges Bernanos nur außerliterarischen Kriterien zugänglich ist. Seinem W e s e n nach ins Reich der Fiktion gehörend, soll es dodi vornehmlich oder ausschließlich auf einen nicht poetischen Sachverhalt A n t w o r t geben können, sei er nun biographisch, ideologisch oder kulturkritischer Art. Diesem schweigenden Übereinkommen f o l g e n z. B. alle Untersuchungen, die A l b e r t Béguin in einem Sammelband v e r e i n i g t hat. Z w a r beteiligen sich audi Literaturkritiker daran, doch, als gälte es etwas Unschickliches zu verbergen, berufen sie sich nicht auf das zünftige Handwerkszeug ihrer Fakultät — in der audi Bernanos studiert hat — , sondern f o l g e n dem Usus und interpretieren nach fremden Prinzipien. Lediglich die A k z e n t e w e r d e n verschieden gesetzt. So ist der Autor, im Leben ein frommer Katholik, der zudem v i e l e literarische Priestergestalten geschaffen hat, für Y v e s Congar O. P. w i e für M a r c e l A r l a n d der »romancier de la grâce et théologien de l'église« 1 ). Nach diesem w o h l am häufigsten anzutreffenden Urteil könnte man erwarten, daß die Romanhelden vielleicht maßlos heimgesucht und geprüft, dennoch aber gerettet werden, daß es sich andererseits kaum um Erzählungen, sondern um gottesgelehrte Traktate handeln müsse 2 ). Beide Vermutungen sind irrtümlich. W a s den literarisch schwer zu fassenden Begriff der Gnade angeht, so haben die A p o l o g e t e n außer dem Schlußsatz des »Journal d'un Curé de C a m p a g n e « kaum einen Anhaltspunkt, während » L e s e n « d o d i nach Jakob Wassermanns v i e l zu w e n i g beachtetem Diktum » W o r t für W o r t lesen« heißt 3 ). Dieses » T o u t est grâce« 4 ) bleibt 1) »Georges Bernanos«, Essais et Témoignages réunis par A. Béguin, Paris 1949, S. 89 ff., S. 133 ff. 2) Dieser Gattung gehört die umfassendste Monographie in deutscher Sprache an, H. U. v. Balthasar, »Bernanos«, Köln und Ölten 1954. 3) Resigniert fährt Wassermann fort: »Die Korruption in der Beziehung ist heillos.« In »Bekenntnisse und Begegnungen«, Bamberg 1950, S. 92 f. 4) G. Bernanos, »Journal d'un Curé de Campagne« (1936), S. 1259. Wir zitieren die Romane unseres Autors nach der Ausgabe »Œuvres romanesques«, Bibliothèque de la Pléiade, Paris 1961. 7
zudem eine von zweiter Hand zitierte Aussage, wird nicht in poetische Wirklichkeit umgesetzt und muß unter diesen Umständen als ziemlich illegitime »Ehrenrettung« eines Autors angesehen werden, dessen obsessionell dunkel gefärbtes Universum auch den zitierten Kritikern nicht entgangen sein kann. Luc Estang erkennt in der desinkarnierten, von Gott verlassenen Welt unseres Autors ausgerechnet einen »humanisme chrétien« 5 ) und trifft sich auf halbem Wege mit Albert Béguin, dem der Begriff der »enfance« —• im biologischen und evangelischen Sinn — und die Agonie von Verfasser und Romanpersonal wichtige Hinweise geben 6 ). Guy Gaucher dagegen wählt in einer umfangreichen Abhandlung das »Thema des Todes« als Ansatzpunkt, läßt die Karfreitags-Stimmung dann aber in Hoffnung und Osterfreude ausklingen7). Andere Kritiker gehen noch einen Schritt weiter. Nicht nur das zu betrachtende Oeuvre ist durch und durch katholisch-ekklesiologisch geprägt, auch der Leser muß es sein, wenn er begreifen will. »Comme le drame de Claudel, le roman de Bernanos est à base théologique. [...] Les problèmes que pose Bernanos et la psychologie de ses personnages ne sont, on le voit, pleinement intelligibles que pour les seuls c h r é t i e n s « , konstatiert Paul Tuffrau 8 ). Wilhelm Grenzmann nimmt gleichfalls die »fraglose Hinnahme« des christlichen Dogmas als Postulat und versichert dem Bernanos-Leser: »Wer sie nicht mitvollzieht, steht vor einem Kuriosum, das allenfalls noch eine ästhetische Würdigung zuläßt. Eben damit wäre jedoch der Dichter vollständig verfehlt«'). Wir wollen nicht untersuchen, in welch beleidigender Weise damit die Leserschaft dieses Werkes kontingentiert und das poetische Vermögen seines Schöpfers geringgeschätzt wird. Als ob das Publikum, in der Rechten den Roman, mit Links im Katechismus nachzuprüfen pflegte — es kommt weder zur dogmatischen Einordnung noch überhaupt zum Denken! Als wenn nicht der Dichter kraft bannender Überredungskunst noch den Ungläubigsten für die Dauer der Lektüre zu 5) Essais et Témoignages, a.a.O. S. 146 ff. Zu gleichem Ergebnis kommt Luc Estang in seiner Untersuchung »Présence de Bernanos«, Paris 1947. 6) Ebd. S. 138 ff. Nicht anders interpretiert Béguin in der Einleitung zu »Bernanos par lui-même«, Paris 1954. 7) Guy Gaudier, »Le Thème de la Mort dans les romans de Georges Bernanos«, Paris 1955. 8) Im Anhang von G. Lanson, »Histoire de la Littérature française«, Paris 1957, S. 1256. 9) Wilhelm Grenzmann, »Weltdichtung der Gegenwart«, Bonn 1955, S. 81.
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konvertieren, noch den sattelfestesten Thomisten für die n o t w e n d i g e Frist v o n höchst ketzerischen Thesen zu überzeugen vermöchte! W e r die theologische Position als unumgänglich betrachtet, muß erkennen, daß Bernanos fast ausschließlich an der T h e o l o g i e der Sünde interessiert ist, und zwar aus künstlerischen Gründen, denn seine W e l t hat endzeitliche Signatur. M a n könnte auch aufzeigen, w i e innerhalb dieses Bezuges der erzählerische Impuls über orthodox-katholische Aussagen hinausschießt, ein Umstand, der dem A u t o r oftmals die Rüge des »Manichäismus« eingetragen hat. W i r lassen es dabei bewenden, denn für das poetische Gelingen der Romane ist diese Frage irrelevant. Im Gegensatz zu den bisher zitierten Interpreten w o l l e n w i r uns v o n literarischem Standpunkt mit dem W e r k beschäftigen. Dieser Zugang scheint uns trotz aller anderslautenden Dekrete der natürlichste, w o es um ein Opus der schönen Künste und also um eine illusionäre W e l t geht. W i r betrachten die »ästhetische W ü r d i g u n g « auch im Schaffen eines erzkatholischen Verfassers nicht als »quantité n é g l i g e a b l e « . Bei den persönlichen Voraussetzungen v o n Bernanos w ä r e es freilich denkbar, daß er dem Renouveau Catholique angehören könnte. W e i l auch diese Behauptung zahlreiche A n h ä n g e r hat, befragen wir dazu eine Schrift, die v o n sich meint, »vergleichbare
grundsätzliche
Auseinandersetzungen mit der Problematik des literarischen Renouveau Catholique« seien, » s o w e i t bekannt, inzwischen w e d e r in Deutschland noch in Frankreich erschienen«. Auch hier kümmern uns nur die »ästhetischen Probleme der Dichtung aus dem Glauben«. Konzediert man dem Autor die genannten Z ü g e als literarisch verbindlich für seine Gruppe, so beweist die Untersuchung doch trotz entgegengesetzter A b sicht, daß Bernanos in diesem Kreis seine Heimat nicht hat. »Stoffliche Bereicherung durch neue Themen und M o t i v e « , heißt es, »ist w o h l die unmittelbare A u s w i r k u n g gläubiger Haltung des Dichters im literarischen Kunstwerk. A l s Grundproblem ist daher die Frage nach der >Christlichkeit< bzw. Katholizität eines literarischen Themas zu stellen« 1 0 ). Nun, die meisten Themen sind so alt w i e die Literatur. A b e r W e i n e r t versteht den Terminus anders. Er gibt als spezifisch christliche Stoffkreise »Vitalismus, Regionalismus und nationale Them e n « an11). Jammes, Bordeaux, Bazin, Péguy, Claudel u. a. unterstützen seine These. 10) H. Weinert, »Dichtung aus dem Glauben« (1934), Hamburger Romanistisdie Studien, Reihe A, Bd. 19, zweite überarbeitete Auflage Hamburg 1948, S. 10, S. 101. 11) Ebd. S. 101. 9
Im Bernanosschen Werk sind ähnliche Merkmale nicht zu entdecken. Patriotismus sucht man in den Romanen vergeblich. Seine vom Untergang bestimmte Vision wird nicht an ein politisches System, an ein Volk oder Land gebunden. Der Schauplatz könnte überall in der christlichen Welt liegen. Wie die nationale Geschichte stumm bleibt, so gewinnen die Handlungsorte auch vom Regionalen her keine Eigentümlichkeit. Wir sind fast stets in der Provinz, in historisch unbedeutenden Dörfern. Sparsame Beschreibungen vermitteln statt Lokalkolorit Stimmungsmomente, und die wenigen Details, die das Geschehen einrahmen, haben mit dem Artois, Heimat nahezu aller Romane, so viel oder so wenig wie mit jeder anderen nördlichen Landschaft zu tun. Ein Ast, naß und kahl, eine Pfütze, ein abgeholzter Wald etwa sind häufig wiederkehrende Requisiten. Sie lassen keine typisch französischen Bilder entstehen, sondern vermitteln den Eindruck des Feuchten, Desolaten, der Zerstückelung und Zusammenhanglosigkeit endlich, die wie Werthers Wahlheim »nahe am Himmel« ihrerseits nahe am Nichts liegt. Man versteht André Bressons Unmut über den Mangel an Landschaft im »Journal d'un Curé de Campagne« 12 ), kann ihn aber nur einem Filmregisseur durchgehen lassen, der das Tagebuch auf die Leinwand bringen sollte. Seine Optik traf dennoch den Bernanosschen Ton, indem sie unscharf arbeitete und ein so nebliges, graues Dorf Ambricourt schuf, daß darin die Soutane des Priesters nur um einige Nuancen dunkler erschien. Der Artois bot sich als Schauplatz an, weil es hier viel weniger Sonnentage gibt als im Midi, wo Bernanos die meisten Romane geschrieben hat. André Rousseaux skizziert den dortigen Wohnort unter strahlendem Himmel, in üppiger Vegetation 13 ), dodi weder »Monsieur Ouine« noch »Un mauvais Rêve«, beide zu großen Teilen hier entstanden, weisen Spuren südlicher Fülle auf. Von einer Mittelmeerinsel aus wurden die seitenweise honorierten Blätter des »Journal d'un Curé de Campagne« dem Pariser Verleger zugeschickt. Sie enthalten als Wetterangabe kehrreimartig fast nur »brouillard«, »vent et pluie«14). Bernanos hat den wolkenverhangenen Himmel nicht vergessen, unter dem er als Knabe gewandert ist: »Chemins du pays d'Artois, à l'extrême automne, fauves et odorants comme des bêtes, sentiers pourrissants sous la pluie de novembre, grandes chevauchées des nuages, rumeurs 12) Vermerkt bei Luc Estang, a.a.O. S. 148. 13) André Rousseaux, »Littérature du Vingtième Siècle«, Bd. 1, Paris 3 1953, S. 165. 14) »Journal«, S. 1031, S. 1055, S. 1060, S. 1105, S.1113. Wir zitieren das »Journal d'un Curé de Campagne« künftig unter dieser Abkürzung.
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du ciel, eaux mortes« 15 ). Diese herbstliche Reminiszenz wird die Standard-Kulisse seiner Romane. Aber nicht die geographische Angabe entscheidet darüber, sondern die »sentiers pourrissants«, die »eaux mortes«, jene verlöschende Atmosphäre, die mit der Stimmung des Geschehens korrespondiert. Man könnte den Schauplatz auch ins belgische Flandern verlegen, ohne dem Werk seine Eigenart zu nehmen. »Un Crime« spielt ausnahmsweise im Süden. Die mit dem Menschen konspirierende Natur ändert sich dadurch nicht1®). Das Gesagte streift auch bereits Weinerts drittes »Thema«. Bernanos kann einem christlich oder wie immer sonst inspirierten Vitalismus nicht als Zeuge dienen. Dieser Autor ist kein Lebensenthusiast, sondern ein Décadent, dessen Werk in düsterer Landschaft, dazu in Nacht, Regen und Herbst beheimatet bleibt, selbst wenn wir dem Kalender nach Morgenfrühe und Frische erwarten dürften. Die »Nouvelle Histoire de Mouchette« beispielsweise beginnt im Frühling. Aber es ist ein »mars désolé« mit Sturm, toten Blättern, brechenden Ästen 17 ), ein Abend wie der jenes »mars venteux désolé«, an dem die Gräfin des »Journal« ihren einzigen Sohn verlor 18 ), wie der, an dem sich die Françoise der »Dialogues d'Ombres« einem ungeliebten Mann hingegeben hatte: »C'était un soir de printemps [ . . . ] , un soir de pluie et de boue, et de grand vent d'ouest, avec ces cris de corbeaux« 19 ). Das Jahr steigt und fällt nicht mehr im natürlichen Rhythmus, es ist in allen Abschnitten gleich unfruchtbar, gleich hoffnungsleer. Da der Curé sein Journal am 25. November beginnt und durch Monate führt, müßte bei der fingierten Genauigkeit auch der Jahreswechsel, das erwachende kreatürliche Leben der Natur verzeichnet sein. Aber davon lesen wir nichts. Auch im Mai treiben schwere Wolken, schreien Krähen, oder vielmehr erscheinen nur diese Eindrücke dem Autor erwähnenswert. In Sartres »La Nausée«, einem Tagebuch, das am »Mardi gras«, also im Frühling beginnt, finden sich ähnliche Wetternotizen. Könnte man den Niederschlag messen, der während der beiden Journale auf Bouville und Ambricourt fällt, ergäben sich bestimmt auch vergleichbare Mengen, und das ist ebenso wenig zufällig wie das Fehlen weiterer 15) G. Bernanos, »Les Grands Cimetières sous la Lune« (1938), Préface. 16) Es ist abwegig, von einer Jugendlandschaft und der »theologischen Landschaft der Spätzeit« zu sprechen, wie es H. U. v. Balthasar tut. Seine angeführten Beispiele ließen sich ausnahmslos widerlegen. »Bernanos«, a.a.O. S. 190 ff. 17) G. Bernanos, »Nouvelle Histoire de Mouchette« (1937), S. 1265. 18) »Journal«, S. 1165. 19) G. Bernanos, »Dialogues d'Ombres« (1928), S. 46.
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Datenangaben in diesen Dokumenten. Die ewig trübe Witterung unterstreicht nur das Eintönige, Alltägliche des Daseins, »la monotonie, cette moitié du néant«, wie Baudelaire sagte20). Hinter der feuchten Atmosphäre, die Roquentin zum Schluß noch einmal riecht: »Demain il pleuvra sur Bouville«21), wartet das Ende. Bei Bernanos ist sein Schatten schon anwesend, als wir den Landpfarrer zum ersten Mal auf seinem Lieblingsplatz finden. Vor ihm liegt das Dorf im Herbstnebel. Doch er gewahrt keine Erntewagen, wie sie in der Gemüse- und HackfruchtGegend eigentlich nodi hätten unterwegs sein müssen. Er denkt nicht an die Wichtigkeit dieses Jahresabschnitts für seine bäuerlichen Pfarrkinder. Das Land zeigt sich erschöpft und arm. Schon jetzt kommen dem Curé Todesahnungen. Das assoziative Verhältnis zwischen Umwelt und Handlung besteht auch dort, wo endlich einmal ein Sonnentag geschildert wird, so etwa bei der versuchten Totenerwedcung durch Donissan. Man möchte wiederum Roquentin zitieren: »Ce soleil et ce ciel n'étaient que tromperie«22), denn im glitzernden Garten, im berstenden Boden und in den flammenden Hecken spiegeln sich die Attribute des soeben leibhaftig aufgetretenen Teufels wider, der ja — so will es die literarische Tradition — seine Eigenart auch in die Umwelt projizieren kann, und der Erzähler brauchte mit Worten nicht zu sagen, wer hinter der verderblichen Situation steht. Die Atmosphäre in »Monsieur Ouine«, gleichfalls drückend und schwül, ist nicht minder höllischer Abkunft. Diese bleiern schweren, Willen und Vernunft einlullenden Hundstage werden zum gleichen Zwecke inszeniert wie die entnervend windstillen Tage im choleraverseuchten Venedig Gustav Aschenbachs23). Beide Male hält sich der Teufel ja am Orte auf, sei es als pensionierter Oberlehrer, als Gondoliere oder Straßenmusikant. Die Menschen dieser so gezeichneten Umwelt gebärden sich entsprechend. Bernanos, der gern seine intensive Balzac-Lektüre erwähnt, geht in der Charakterisierung der Romanfiguren geradezu den umgekehrten Weg wie der Autor der »Comédie humaine«. Er rundet sie nicht ab, stellt sie nicht klar heraus, sondern läßt ihnen den »contour vague« der Landschaft, löst sie nie ganz aus dem Dunkel. Was wir dennoch erkennen, sind etwa ein gebeugter Rücken, wankende Schritte, blasse Augen, ein zur Grimasse verzerrter Mund, und wieder entsteht 20) 21) 22) 23)
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Ch. Baudelaire, »Le Spleen de Paris«, Any where out of the World. J.-P. Sartre, »La Nausée« (1938), Paris 1951, S. 251. Ebd. S. 51. Th. Mann, »Der Tod in Venedig«, Berlin 1913.
der Eindruck des Auseinandergerissenen, auch Zweideutigen und Gespenstischen. Bleibt auf diese Weise der genaue Umriß der Gestalten verschleiert, so kann man aus den Details doch schon auf die innere Struktur der Helden schließen. In gewisser und für die Absicht der Romane entscheidender Hinsicht gleichen sich alle. Sie sind einsam und nicht gesund, ihr Lebensimpuls ist matt oder wird früh gebrochen, endet in Müdigkeit, ennui, dégoût. Nicht Balzac, sondern Zola verpflichtet ist Bernanos, wenn er seine Menschen auffallend häufig Trinkerfamilien entstammen läßt. Biologisch geschwächt, mit greisenhaften Zügen und welken Händen, werden sie bald ausgelöscht oder greifen zur Droge oder töten sich aus Langeweile. Im ganzen Werk unseres Autors wird kein Kind geboren. Niemand vermag Freude, Glück oder Schönheit um sich zu verbreiten. Das einzige Liebespaar, eine verarmte Bauerntochter und ein lichtscheuer Wilderer, gerät schuldlos unter Mordverdacht und endet freiwillig. Diese Hinweise mögen genügen, die Teilhabe von Bernanos an den bisher genannten Charakteristika des Weinertschen Renouveau Catholique zu verneinen. Nun kann ein Schriftsteller vielleicht dennoch zur besagten Gruppe zählen, da die eben skizzierten Themenkreise noch nicht par excellence das Anliegen »der profanen und sakralen christlichen Literatur« enthalten. Ihm nähern wir uns mit der Hinwendung zum Kult, der »im Ablauf seiner täglichen und jährlichen Rhythmen [ . . . ] einen kaum zu erschöpfenden Reichtum an Motiven und eine Fülle ästhetischer Reize und tiefer Symbole« bietet 24 ). Bernanos nutzte auch diesen Reichtum nicht. Das muß ins Auge fallen, da fast immer ein Priester als Zentralfigur agiert, ü b e r den katholischen Kult, die Messe als Brennpunkt kirchlicher Gnadenmittel, erfahren wir aber nichts. Wie mühelos hätten sich doch solche Meditationen dem Curé in die Feder diktieren lassen. Bei ihm zu Ambricourt geschieht ja so herzlich wenig. Sehen wir den Priester einmal am Altar, dann im Augenblick des Schlußsegens — so leer ist die Kirche und so einsam er selber. Im Tagebuch sucht man auch vergeblich nach Bemerkungen über die Höhepunkte des Kirchenjahres, Advent, Weihnachten, Epiphanie. Sie fallen zwar in die Zeit der Niederschrift, doch bleibt der Verfasser lieber beim Evangelium vom Letzten Gericht stehen, dem adäquaten Ausdruck seiner Lebensstimmung. Was schließlich die Sakramente angeht, so werden sie im Werk unseres Autors nicht nur nicht verherrlicht, sondern bis auf die Beichte nicht vollzogen. Weder Donissan nodi der Curé de Campagne sprechen von Kommunion, Firmung, 24) H. Weinert, a.a.O. S. 106.
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Eheschließung. Sogar sie sterben ohne Letzte Ölung, während bei den gegebenen Voraussetzungen — da nämlich keine Kinder mehr geboren werden — doch nur die Nichterwähnung der Taufe natürlich gewesen wäre. »Das ureigenste Gebiet christlicher Literatur erschließt sich dem Dichter erst durch die Einbeziehung übernatürlicher Wirklichkeit in die Dichtung, durch eine Steigerung in den Bereich des Mystischen, die weit über die Grenzen der >réalité immédiate« hinausführt« 25 ). Bernanos habe das Gemeinte schon im ersten Roman mit »einzigartiger Intensität« dargestellt 2 "). Dort tritt bekanntlich der Teufel auf, dringt die Handlung ins übersinnliche. Gewiß. Aber ist das ein Privileg des Renouveau Catholique? Man braucht nur an Werke von Anatole France, Sartre oder etwa an Bertrand Russells kleine Erzählung »Satan in the Suburbs«27) zu erinnern, an Männer also, die keine Christen sind und von denen der englische Philosoph sogar erklärt hat, warum er es nicht sei28), um die Weinertsche Ansicht zurückzuweisen. Was unsere Romane angeht, so ist darin nicht Gott »Erster Handelnder«, wie es in den zitierten Werken von Henri Ghéon und Paul Claudel der Fall sein mag29), sondern der Teufel, dessen Machtbereich schon im Titel von »Sous le Soleil de Satan« umrissen wird. Diese Konstellation ändert sich nicht, ja, das letzte Werk spricht wenn möglich noch deutlicher vom Reich des nun nicht mehr kurzfristig erscheinenden, vielmehr dauernd anwesenden Bösen. Solchen Aussagen müßten schon Hinweise auf ein göttliches Äquivalent, besser noch auf die sieghafte Kraft des Guten gegenüberstehen, wollten sie sich im Rahmen des Renouveau Catholique halten, dem das Laienapostolat ein wichtiges literarisches Ziel bedeutet. Bernanos hingegen räumt dieser Größe keinen Raum ein, weil seine Vision Heil und Rettung ausklammert. So ist etwa auch in Thomas Manns Roman, der Deutschlands Höllenfahrt zum Thema hat, wenig von Gott, aber umso ausführlicher vom Teufel die Rede, sogar, nein besonders bei den theologischen Vorlesungen zu Halle, weil diese Wissenschaft »ihrer Natur nach dazu neigt und unter bestimmten Umständen jederzeit dazu neigen muß, zur Dämonologie zu werden« 30 ). Der Renouveau Catholique wäre nach Weinert keine eigentlich 25) 26) 27) 28) 29) 30) 14
Ebd. S. 115. Ebd. S. 117. Bertrand Russell, »Satan in the Suburbs«, London 1953. Bertrand Russell, »Why I am not a Christian«, N e w York 1940. H. Weinert, a.a.O. S. 115. Th. Mann, »Doktor Faustus« (1949), Frankfurt 1956, S. 134.
literarische Bewegung, wenn nicht audi die Sphäre der sprachlich-stilistischen Gestaltung von seiner religiösen Inspiration beeinflußt werden könnte. Der Verfasser nennt als wesentliche Merkmale »die Herausbildung bzw. Neubildung eines charakteristischen, religiös geprägten Wortschatzes, der zu dem allgemeinen französischen Wortschatz eine Bereicherung vor allem aus der Sprache der Bibel und Liturgie hinzufügt, und 2. die Verstärkung des Symbolgehaltes der Sprache als Folge religiöser Schau. Eine dritte sprachliche Eigenart< wäre der leidenschaftlich erregte, eigenwillige Sprachstil des religiösen Polemikers« 31 ). Wir müssen uns die Analyse des Bernanosschen Stiles versagen. Sie wäre das Thema einer eigenen Untersuchung, deren Ergebnis in bezug auf die eben angeführten Züge jedoch vorweggenommen werden kann. Man weist auf das furiose Tempo, den heftigen Atem, die passionierte Exklamation seiner Pamphlete hin. Mögen diese Elemente zum stilistischen Imperativ jeder Streitschrift gehören, in den Romanen hält der Autor ein solches Presto nicht durch. Seine Sprache wird gedämpft, melancholisch, verweilt mit Lust nicht bei den Genüssen des Lebens, sondern bei Siechtum und Agonie. Nicht von ungefähr gilt das »Journal« als Meisterwerk. Hier tropft der unaufhörliche Regen durch den Duktus der Sprache, entfärbt sich die Welt immer wieder in welken, fahlen Worten, wird das Fragmentarische dieses Lebens schon im Satzbild beschworen. Eine alt- oder neutestamentarische Tönung verrät der Stil nicht. Wir erwähnten die Aussparung des sakramentalen und liturgischen Bereichs. Selbst ein Widerschein dieser Welt im Sprachstil der vielen Priester, deren tägliche Lektüre doch Missale und Brevier sind, fehlt. Man hört keine Predigt mit an, wodurch sich Bernanos der Möglichkeit begibt, etwa die Kirchenväter zu Wort kommen zu lassen. Das einzige im »Journal« vermerkte Kanzelthema ist eher ein poetisches denn ein exegetisches. Es lautet: »Le regard de la paroisse« 32 ). Als der Pfarrer von Fenouille seine »tote Gemeinde« um sich versammelt, geschieht es nicht mehr, sie zu ermahnen, sondern sie freizugeben. Er stellt die Diagnose entsprechend in medizinischen Termini. Soviel zum Verhältnis zwischen unserem Autor und den literarischen Eigenarten des Renouveau Catholique Weinertscher Prägung. Bernanos, der die Ordnungen nicht neu fügt, sich vielmehr ausschließlich dem Prozeß ihrer Zersetzung widmet und jeden Roman fatal ausklingen läßt, dessen energielose Helden, statt Harmonie zu stiften, 31) H. Weinert, a.a.O. S. 128 f. 32) »Journal«, S. 1052. 15
gebrochen resignieren, hat nichts mit Verjüngung der Welt durch neuen christlichen Geist zu tun. Er gehört vielmehr in eine Aufzählung der Dichter vom fin de siècle, zu Barbey d'Aurevilly, Baudelaire, Huysmans, Zola. Freilich finden sich auch diese Namen — außer dem letzten — in Weinerts Ahnennachweis. Eine dritte Gruppe von Kritikern hält es mit Padre Octavio Carneiro de Cunha: »Appartient à la race des prophètes celui qui parle du présent sur ce ton singulier qui palpite comme le sang dans les artères« 33 ). Sie sehen in Bernanos den Zeugen unseres Unheils, den Warner und Propheten. Ob eine solche Betrachtungsweise den polemischen Schriften gerecht würde, ist zweifelhaft, kann aber hier nicht untersucht werden. Man bezieht sie jedoch ausdrücklich auch auf das Romanwerk: »Beide Werkteile spiegeln sich ineinander. Die Zeitkritik beweist, daß die Romane sehr viel mehr sind und sein wollen als bloße Erzählungen, sie sind Daseins- und Offenbarungsdeutungen angesichts der heutigen Situation« 34 ). So spricht man gern von diagnostischen Romanen, die angeblich die Krise des abendländischen Menschen unseres Säkulums zum Gegenstand haben. Der Autor selber ist mitschuldig an dieser Einschätzung des Werkes. Er hätte wissen müssen, daß seine Pläne, Tagebuch-Skizzen, Briefe und mündlichen Äußerungen viel mehr zu Rate gezogen als die Romane »Wort für Wort« gelesen werden würden. Diese Dokumente vermögen solche Standpunkte zu provozieren — nur steht in ihnen wie bei Zola etwas völlig anderes als im Text, den wir befragen wollen und von dem wir glauben, daß er bei der bisherigen Wertung und Deutung recht unbekannt geblieben ist. Er enthält keine theologische »Summa«35) und keine kulturkritische Deskription der modernen Welt, sondern eine dichterische Vision des Autors. Ihren poetischen Elementen geht die folgende Untersuchung nach. Vergleich und Analyse sollen dabei behilflich sein. 33) Essais et Témoignages, a.a.O. S. 243. 34) H. U. v. Balthasar, a.a.O. S. 25. 35) »Eine Art Summa des christlichen Lebens« fand Eduard v. Jan im »Journal d'un Curé de Campagne«. Wie viele andere Romanisten zählt auch er Bernanos zur »neukatholisdien Bewegung«, deren Erscheinung bei ihm aus der »Abkehr von dem Wissenschaftskult des Naturalismus« und dem »Besinnen auf die primitiven Kräfte der menschlichen Seele [ . . . ] « motiviert wird. »Französische Literaturgeschichte in Grundzügen«, Heidelberg 51962, S. 328 f. Immerhin folgt Bernanos dem »Wissenschaftskult des Naturalismus« so weit, daß er wie Zola an einen Erbzwang glaubt, ihn seinen Helden jedenfalls zur Last legt. Alle Kräfte der Seele, audi die »primitiven«, zielen bei ihm auf Untergang.
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»Sous le Soleil de Satan« L'exécration de 1 impuissance, la haine du médiocre, c'est peut-être l'une des plus indulgentes définitions du Diabolisme! j _K H u y s m a n s i > ) L à . B a s < (
I. Der Prolog des ersten Romans erzählt die Geschichte der Brauerstochter Germaine Malorthy aus dem Dörfchen Terninques. Mit sechzehn erwartet sie ein Kind vom benachbarten Marquis de Cadignan, tötet ihren Liebhaber, der sie nicht bei sich aufnimmt, und wird die Freundin des verheirateten Arztes Gallet. Nach ihrer Niederkunft, der einzigen des ganzen Bernanosschen Werkes, einer Totgeburt überdies, schwindet Germaine lange aus unserem Blickfeld. Am Schluß des zweiten Romanteils begeht sie Selbstmord. Eine Liebesgeschichte? Nicht allein das Ende, auch die Schilderung des eintönigen Provinzlebens lassen an Flauberts »Madame Bovary« denken. Schauplatz des Geschehens sind zwei Flecken in Nordfrankreich, die nur eine Kirche, einen Arzt, eine Straße haben, »la rue, ou la route plutôt« nach Flauberts genauer Angabe 1 ). Germaine wohnt in einem ähnlich nüchternen Badesteinhaus wie Emma seit ihrer Verheiratung mit Charles. Eine Dornenhecke trennt ihren kleinen Garten vom dahinterliegenden Feld ab; bei Bernanos ist es eine Eibenhecke, über die Germaine, vom Autor meist mit ihrem Kosenamen Mouchette benannt, gleichfalls auf ein Lauchfeld blickt. Vater Malorthy geht voll Stolz durch diese kleine Welt, und auch Charles Bovary fühlt sich wohl in solcher Beschränkung. Die beiden Heldinnen aber leiden. Holt Flaubert weit aus, um uns die im Kloster verschlungenen Bücher noch einmal mit Emmas Augen lesen zu lassen, so deutet Bernanos den literarischen Nährboden von Mouchettes Träumen nur eben an. Es sind die »fameux articles du Réveil de l'Artois« 2 ), in denen kaum weniger Liebhaber, Postillons, verfolgte Damen, düstere Wälder, Nachtigallen, löwenhaft tapfere und exemplarisch tugendhafte Feudalherren ihr Wesen treiben mögen als in den Erzählungen der Flaubertschen 1) Gustave Flaubert, »Madame Bovary« (1857), Paris 1921, S. 43. 2) G. Bernanos, »Sous le Soleil de Satan« (1926), S. 68. 17 2 Padberg
Wäscheflickerin.
Louis X I beschäftigt ausdrücklich beide
Mädchen,
und b e i d e schwärmen, w e n n nicht gerade v o n einer fabelhaften V e r gangenheit, v o m bunten Leben der Städte. » E l l e eût bien voulu, ne fût-ce au moins pendant l'hiver, habiter la v i l l e « 3 ) , heißt es während der ersten Unterhaltung Emma Rouaults mit Charles. »J'ai d e l'argent. Qu'est-ce qui m'empêche de prendre demain soir le train de Paris, par exemple?« 4 ) brüstet sich Mouchette v o r ihrem Liebhaber. Beide Heldinnen sind Einzelkinder, haben keine Freundin.
So verwundert es
kaum, daß Rouault w i e verabredet den Fensterladen g e g e n die Mauer stoßen kann, als er seiner Tochter die Ehe mit B o v a r y vorgeschlagen hat. (Dies Zeichen bedeutet dem an der Ecke wartenden A r z t s o v i e l w i e das Ja-Wort.)
Und
verständlich
ist
es
auch, daß
Mouchette
den
Schloßherrn gern sieht, ist er doch ein Marquis mit dem Ehrgeiz, die Balzjagd in Frankreich neu zu beleben.
V o n solchen Helden hatten
Emma und sie ja immer geträumt, ü b e r d i e s geht er »dans son habit de velours et ses grosses bottes« 5 ) genau so gekleidet, w i e die junge Madame Bovary
ihren Gatten für die Hochzeitsreise
ausstaffieren
w o l l t e : »un mari vêtu d'un habit de velours noir à longues basques, et qui porte des bottes molles« 6 ). Leider aber kam erst der spätere Liebhaber diesem Modewunsch entgegen. Er und Cadignan entsprechen sich übrigens in mehr als der Kleidung. Nachdem Rodolphe die morgendlichen Besuche Emmas eine W e i l e lang sehr genossen hat, besinnt er sich mit gerunzelter Stirn » q u e ses visites devenaient imprudentes et qu'elle se compromettrait« 7 ). Cadignan erschrickt schon, als M o u chette zum ersten M a l in der Nacht bei ihm anklopft: » [ . . . ] tu méritais d'être battue« 8 ), und spontan haben beide die gleiche A n t w o r t auf einen Fluchtversuch parat: » T u es folle, vraiment [ . . . ] Est-ce possible?« muß sich Emma sagen lassen 8 ). » P e t i t e sotte, es-tu majeure, oui ou non?« entgegnet der Marquis 1 0 ). Die so Gemaßregelten sind zutiefst enttäuscht.
Emma hat zwar
nichts dazugelernt, sie flüchtet w e i t e r v o n Illusion zu Illusion, eine in allen Phasen ihres Lebens sehnsuchtsvolle Liebhaberin.
Mouchette
dagegen ist nach dem unaufgeklärten M o r d an Cadignan müde für 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 18
»Madame Bovary«, S. 30 f. »Sous le Soleil de Satan«, S. 77. Ebd. S. 68. »Madame Bovary«, S. 56 f. Ebd. S. 228. »Sous le Soleil de Satan«, S. 76. »Madame Bovary«, S. 259. »Sous le Soleil de Satan«, S. 77.
immer. Die »cage« aus rotem Backstein wird ihr allmählich zum Asyl. »L'obscure petite ville qu'elle avait bravée l'avait reprise, se refermait sur elle, la digérait« 11 ). Beide Heldinnen töten sich selber, doch hat Emma auch ein akutes Motiv für diesen Ausgang, denn die Schulden sind ihr längst über den Kopf gewachsen, und niemand will die Leihfrist verlängern. Mouchette aber stirbt einzig an ihrem Traum. Der Priester Donissan hatte ihr klar gemacht, daß sie sidi in nichts von den übrigen Menschen unterscheide, die sie verachtete, daß auch sie zum ordinären »troupeau« gehöre. »Quoi! Pas un acte de sa vie qui n'eût d'ailleurs son double? Pas une pensée qui lui appartînt en propre, pas un geste qui ne fût dès longtemps tracé?«12) Nun steigt sie Stufe für Stufe abwärts und ruft endlich den Teufel, unter dessen Willen ihr ganzes Leben stand. Beiläufig, fast spielerisch tötet sich die Bernanossche Gestalt, während wir Emma langsam und qualvoll sterben sehen. Das ist erstaunlich. Für jenen Autor, dem man den Prozeß wegen Beleidigung der Religion und öffentlichen Moral gemacht hat, bleibt seine Heldin mit ihren Freveln belastet, und er gestattet sich nur voller Melancholie über die nun einmal so schlecht eingerichtete Welt Charles die Feder zu führen, als der oftmals getäuschte Ehemann niederschreibt: »Je veux qu'on l'enterre dans sa robe de noces, avec des souliers blancs, une couronne« 13 ). Der vom Renouveau Catholique beanspruchte Autor dagegen erteilt die Absolution. »Vous n'êtes point devant Dieu coupable de ce meurtre [ . . . ] Vous êtes comme un jouet, vous êtes comme la petite balle d'un enfant, entre les mains de Satan«14), läßt er den Priester sagen. Aber nicht genug mit dem »non coupable«: Mouchette, so heißt es unverhohlen, ist eine »innocente«, eine »mystique ingénue, petite servante de Satan, sainte Brigitte du néant« 15 ). Auch Mouchette trägt also im Tod die Krone. Aber nicht der sentimentale Geschmack Charles' hat sie ihr aufgedrückt. Dies ist der Nimbus der Hölle, übrigens denkt man bei den Vergleichen Donissans statt an die schwedische Königstochter Brigitte viel eher an Thérèse von Lisieux, jene kurz nach ihrem Tode kanonisierte französische Nonne, deren Leben Bernanos gut gekannt hat. In ihrer Autobiographie bezeichnet sie sich häufig als »Spielzeug« oder als »Spielball Gottes«1"). 11) 12) 13) 14) 15) 16)
Ebd. S. 94. Ebd. S. 206. »Madame Bovary«, S. 452. »Sous le Soleil de Satan«, S. 200. Ebd. S. 213. Vgl. Thérèse von Lisieux, »L'histoire d'une âme«, Paris 1925.
19
Entscheidend ist jedoch nicht die Herkunft, sondern die Umkehrung dieser Bilder, deren sich — freilich im ursprünglichen Sinn — auch Elisabeth Langgässer wieder bedienen wird17). Hier verlassen sie zwar ebenfalls nicht den religiösen Bereich, jedoch sind die Bezüge diametral verschieden. Der Böse hat seine Mystikerin, die Hölle ihre Heilige, eine Umdichtung, mit der Flaubert kaum einverstanden gewesen wäre. Es ist vor allem diese Konstellation, die unseren Roman von den zum Vergleich herangezogenen »mœurs de province« distanziert. Wir sind in der Welt eines Barbey d'Aurevilly, eines Baudelaire, in der Zone der schwarzen Messen und satanischen Litaneien. Der Teufel wandert sogar leibhaftig durch die Nacht, die für Mouchettes Ende entscheidend wird. Mit ihm ist die Hauptgestalt des Romans genannt. Lange bevor er selber auftritt, geistert sein Schatten schon durch das Werk. Nachträglich erkennt man, daß er bereits in den Elementen der sehr lyrischen Einleitung enthalten ist, wo der versinkende Tag beschworen wird, » [ . . . ] l'horizon qui se défait — un grand nuage d'ivoire au couchant et, du zénith au sol, le ciel crépusculaire, la solitude immense, déjà glacée — plein d'un silence liquide . . ,«18). In dieser Dämmerung zuckt etwas auf: » [ . . . ] déjà le boulevard déferle et resplendit...« 1 9 ), ein Lichteffekt, den wir von Zola kennen und der, großartig gesteigert, am Höhepunkt des Romans wieder die Szene erhellen wird. Dennoch fehlt die Flaubertsche Sonnenuhr zu Recht. Unser Roman, am Abend und von einem Erzähler begonnen, der sich selber so einführt: »Voici l'heure du poète qui distillait la vie dans son cœur, pour en extraire l'essence secrète, embaumée, empoisonnée« 20 ), spielt vornehmlich in Dunkelheit und Regen. Zwar hat Bernanos, wie wir wissen, als Versicherungsagent in Eisenbahncoupés, später freischaffend zu allen Tageszeiten an Caféhaus-Tischen gearbeitet. Seine Romane dagegen läßt er nur in der Atmosphäre spielen, die seiner künstlerischen Absicht entgegen kommt. Wählte Flaubert gedämpft melancholische Farben, um Landschaft und Wetter von Tostes zu malen, so sind die Töne dieser Palette auf schwarz und grau reduziert. Die Umgebung verliert sogar ihre feste Kontur, greift verwirrend in die Handlung ein und bringt durch Änderung der Maße jene spukhafte Komponente ins Geschehen, die das Kind schwindlig und den Ausgang glaubwürdig macht. 17) 18) 19) 20)
20
Vgl. E. Langgässer, »Das unauslöschliche Siegel«, Hamburg 1946. »Sous le Soleil de Satan«, S. 59. Ebd. Ebd.
Die Charakterisierung der Heldin ereicht mit anderen Mitteln den gleichen Zweck. M o u d i e t t e hat w e n i g Individualität. Sie kann mutatis mutandis als Z w i l l i n g aller Bernanosschen Mädchengestalten betrachtet werden. A u s einer Trinkerfamilie stammend, wirkt sie schon mit sechzehn müde und erschöpft, friert stets, freut sich nie. W i e die Brauerstochter genau aussieht, bleibt ungesagt, aber blaß ist sie auf jeden Fall, und ihre eigentlich blauen A u g e n
schimmern fast immer
schwarz.
W e n n Emma B o v a r y s A u g e n f a r b e im Laufe des Romans wechselt, so mag es sich um ein V e r s e h e n des Autors handeln. Bernanos dagegen, der im ganzen zwar w e n i g e r sorgfältig gearbeitet hat als sein K o l l e g e in Croisset, erwähnt das M o m e n t w o h l nicht v o n ungefähr. Die Spur der Nacht als des Teufels Zeit ist diesen A u g e n eingezeichnet. » V o i c i l'œil noir dessiné à l'encre« 2 1 ), charakterisierte Barbey
d'Aurevilly
seine diabolischen Heldinnen, denen es Mouchette gleichtun möchte, aber dank ihrer biologischen Erschöpfung nicht gleichtun kann. Auch sie lebt in der Nacht, »au regard dormant«, »dans un cauchemar voluptueux« 2 2 ).
Schlafwandlerisch, einem Spielzeug gleich, w i r d sie v o n
ihrem Herrn geführt. Diesen Eindruck v e r t i e f t der andere, häufig wiederkehrende Vergleich.
Mouchette kann kaum zur Rechenschaft
g e z o g e n werden, w e n n sie so dumpf und tierhaft gebunden dahinlebt, w i e es uns der Erzähler glauben macht. Er spricht v o n ihrem immerhin ziemlich geräumigen Elternhaus als der » c a g e étroite«, nennt ihre Hände »ses dix petites g r i f f e s « , gibt uns Proben ihres lautlosen, katzenhaft leichten Gangs, ihrer plötzlichen W i l d h e i t , läßt sie wortkarg erscheinen und betitelt das Mädchen dann und wann geradezu als »petite bête obscure«, als jemanden, der etwas v o n der » m a j e s t é des b ê t e s « ausstrahle 23 ). Diese Züge
des
Somnambulen
und
Triebgesteuerten
greifen ineinander über. Sie erinnern an Baudelaires Frauengestalten, an Barbey d ' A u r e v i l l y s
Heldinnen, d i e auch fast immer
schwarze
A u g e n haben und so oft als Löwin, Panther, T i g e r apostrophiert w e r den. Unter den gegebenen Voraussetzungen ist es jedenfalls verständlich, daß w i r nie v o n den Pflichten der Brauerstochter hören.
Emma
B o v a r y gilt als tüchtige H i l f e auf dem väterlichen Hof, später als gute Hausfrau. Die animalische Mouchette d a g e g e n ist zur A r b e i t untauglich.
21) Barbey d'Aurevilly, »Les Diaboliques« (1874), Préface. 22) »Sous le Soleil de Satan«, S. 68, S. 90. 23) Ebd. S. 75, S. 88, S. 200, S. 97. 21
II. Man läßt Germaine im Dorf gewähren, da sie nach Meinung der Leute an der »schwarzen Krankheit« leidet. Doch ihre plötzlichen Entschlüsse und Umschwünge kehren auch in der Priestergestalt wieder, die den Mittelpunkt des Geschehens bildet. Auch der zweite Romanteil spielt vorwiegend im Dunkel oder in jener zweideutigen Belichtung, die die Umrisse des Helden schon beim ersten Auftritt verzerrt: »Au seuil du vestibule obscur, sa silhouette, prolongée par son ombre, parut d'abord immense, puis, brusquement — la porte lumineuse refermée — petite, presque chétive«24). Ähnlich schwankend und uneinheitlich bleibt der Eindruck von Donissan, freilich nicht in dem Sinn, den Paul Claudel meinte, als er die Unentschlossenheit des Autors tadelte, sich weder für den Athleten der Paulus-Briefe noch für ein Abbild des Curé d'Ars entschieden zu haben 25 ). Bei der Lektüre fühlt man sich weniger an diese Heiligkeitsideale erinnert als an die extreme Handlungsweise eines Menschen, der seiner nicht sicher und auf der Flucht vor sich selber ist. Am Heiligen Abend lernen wir Donissan kennen. Er bereitet aber nicht, wie zu erwarten stünde, Gottesdienst oder Predigt des kirchlichen Hochfestes vor, sondern tritt mit schmutziger Soutane und gekalkten Schuhen auf, weil er den Dachdeckern bei der Ausbesserung des Kirchturms behilflich ist. Schlimm muß es um das Gotteshaus bestellt sein, wenn solche Maßnahmen am Vigiltag nötig sind! Bernanos spricht nur erst so beiläufig davon wie Huysmans, dem sein Jahrhundert auch nichts Gutes mehr bieten konnte, über den beschädigten Turm seines Glöckners Carhaix in » Là-Bas« ; aber das Geburtsfest Christi wird uns ganz verschwiegen. Donissan bittet vielmehr noch in der gleichen Nacht, vom geistlichen Amt suspendiert, wieder zum Pflug zurückkehren zu dürfen. Als ihm der plötzliche Wunsch nicht erfüllt wird, stürzt er sich mit Feuereifer in die seelsorgerische Arbeit, die nun geradezu etwas von körperlichem Kampf bekommt: » [ . . . ] il fait mieux que persuader ou séduire; il conquiert, il entre dans les âmes comme par la brèche«26). Mit ähnlicher Gewalttätigkeit geht der Vikar gegen sich selber vor, beginnt, um seiner mangelnden Bildung aufzuhelfen, mit solcher Besessenheit zu lesen, daß er sich lange Zeit nur zwei Stunden Schlaf pro Nacht gönnt, läßt es bei dieser Askese aber nicht bewenden, 24) Ebd. S. 124. 25) Brief Claudels vom 25. Juni 1926. Der Verfasser wirft Bernanos auch vor, daß seine Helden Angst vor dem Teufel hätten. Vermerkt in: Essais et Témoignages, a.a.O. S. 65. 26) »Sous le Soleil de Satan«, S. 137.
22
sondern verwandelt überdies sein Studierzimmer in eine Marterzelle. Hier kasteit sich der rigorose Priester mit Büßerhemd und Ketten bis aufs Blut. Bernanos zeigt uns seinen Helden niemals am Altar, dafür aber seitenweise nackt und keuchend bei einem Akt der Selbstzerstörung, dessen Motiv vorerst geheim bleibt, wenn wir nicht den traurigen, zur Erde gekehrten Blick der »impuissance«, den bereits im ersten Gespräch deutlich gewordenen Haß auf die Mittelmäßigkeit seines Vorgesetzten als böse Vorzeichen gelten lassen wollen. »Quel drôle de corps« 27 ), sagen die Pfarrkinder, bei denen Donissan um ein Fastenopfer bittet. Sie spüren wohl, daß sich der anscheinend kräftige Mann nur mit äußerster Kraftanstrengung aufrecht hält. Mag unter seinem zerschlissenen Überrock das Armgelenk »noueux comme un cep« 28 ) hervorscheinen, seine Hände zittern oft, suchen einen Halt. Mögen die Schultern breit und wuchtig sein, der Priester geht gebeugt. Auch seine starken, groben Gesichtszüge täuschen. Schon in der ersten längeren Szene schlägt er ohnmächtig zu Boden, »la tête osseuse était maintenant d'une pâleur livide« 29 ). Einsam, ohne Freunde und geschwisterlos wie Mouchette (»sa sœur en lassitude« hätte Huysmans sie genannt), bleibt Donissan sogar ohne Freude, als seine Predigten Resonanz finden. Dabei hatte er immer nur den Wunsch gehabt, Priester zu werden. Im Seminar kaum geachtet, bringt ihm der jetzige Vorgesetzte doch Verständnis entgegen. Er aber fühlt sich wie im Exil. Diese Niedergeschlagenheit wird nur noch drückender, als man Donissan endlich den Beichtstuhl öffnet. (Da normalerweise ein Priester nach seiner Ordinierung jedes Sakrament spenden kann, mag sich Bernanos in diesem Zug an den Curé d'Ars erinnert haben, dessen mangelnde geistige Unterscheidungskraft eine ähnliche Verzögerung ratsam erscheinen ließ.) Warum aber ist der Vikar so scheu und traurig? »Quand j'étais jeune«, sagt er später, »je ne connaissais pas le mal: j e n'ai appris à le connaître que par la bouche des pécheurs« 30 ). Hier im Beichtstuhl scheint er jedoch nicht nur die Sündhaftigkeit des Menschen und seine Unverbesserlichkeit, sondern vor allem auch die eigene Ohnmacht dieser stumpfen Mediokrität gegenüber zu erfahren. Das ist eine schlimme Einsicht für sein stolzes Herz, sie wird als »Tentation du Désespoir« sein künftiges Leben überschatten. Donissan bietet sich schließlich als Opfer an. »Si j e le pouvais, sans te haïr, [ . . . ] j e me 27) 28) 29) 30)
Ebd. Ebd. S. 125. Ebd. S. 131. Ebd. S. 140.
23
damnerais pour ces âmes que tu m'as confiées par dérision, moi, misérable« 31 ). So fordert er den Abgrund heraus, »il l'appelait d'un vœu solennel, avec un cœur pur«32), vollendet der Erzähler. Dieses Flehen wird erhört, doch wohl kaum am wahren Ort, wenn wir nicht vermuten, daß es gleich in Richtung der anderen Adresse gesandt worden ist. »Zur Promission und Errichtung des Paktes« bedarf es ja, wie uns ein etwas jüngerer Teufelsbündler lehrt, keines »Wegscheids im Wald und viel Circel und grobe Beschwörung [. .. ]«33). Ein ähnlicher Wunsch, in bleichem Ernst gesprochen, mag speziell dann genügen, wenn der Böse gar nicht weit sein kann. Mit seinen Vexierkünsten war er ja schon hinter dem Priester aufgetaucht, als wir ihn zum ersten Male sahen: riesengroß zunächst, dann klein, fast schmächtig, und in der mit Kasteiungen verbrachten Nacht hatte es geheißen: » [ . . . ] ainsi que dans le déchaînement de l'orchestre le maître perçoit la première et l'imperceptible vibration de la note fausse, mais trop tard pour en arrêter l'explosion, ainsi le vicaire de Campagne ne douta pas que cela qu'il attendait sans le connaître était venu«34). Schon damals hatte Satan seine Hand auf Donissan gelegt, und wenn sein Name noch verschwiegen wurde, so umschrieb ihn das Geschehen doch bereits mit anderen Worten. Wie planvoll Bernanos in allem, was er uns über den Priester wissen läßt, vorgegangen ist, erhellt die zwanzig Jahre später publizierte Teufelsgeschichte, aus der wir soeben zitierten. Um den gemeinen Mann ist es dem Bösen noch nie zu tun gewesen. Er zeigt sich beteiligt immer nur »von wegen einer feinen erschaffenen Creatur«, wie er Adrian Leverkühn gegenüber formuliert 35 ). Zu diesem besonders disponierten Typus gehört Donissan so gut wie der deutsche Musiker. Gäbe es im Bernanosschen Werk das Phänomen der Musik — doch wir vernehmen nie ein Instrument, nicht einmal Orgelspiel oder Kirchenglocken, obgleich die Priester immer neben dem Gotteshaus wohnen, obgleich der Autor J.-K. Huysmans geschätzt und manch anderen Zug von ihm übernommen hat —, hätte Donissan beispielsweise einmal Schuberts »Winterreise« gehört (»des lieders de Schubert« brachten des Esseintes »hors de lui«), so wäre es vorstellbar, daß ihn die gleiche Stelle zu Tränen gerührt hätte wie Adrian Lever31) 32) 33) 34) 35)
24
Ebd. S. 155. Ebd. Th. Mann, »Doktor Faustus«, S. 660. »Sous le Soleil de Satan«, S. 145. »Doktor Faustus«, S. 302.
kühn, den wir hier zum ersten und letzten Male weinen sehen, während er die Worte nachspricht: Habe ja doch nichts begangen, Daß ich Menschen sollte sdieu'n —. Welch ein törichtes Verlangen Treibt mich in die Wüstenei'n?36)
Das dort besungene »unabwendbare Einsamkeitsverhängnis» lastet audi auf dem Priester, dessen Weltsciieu die Pfarrkinder dergestalt hemmt, daß sie stets einen großen Bogen um ihn schlagen. Seine Isolierung hängt aber vor allem wohl mit der seelischen Temperatur Donissans zusammen, die man, wie sich der Chronist Zeitblohm für seinen Helden ausdrückt, als »Kälte« bezeichnen muß. Auch die von Wendell Kretschmar angedeuteten Züge, »die leichte Ermüdbarkeit, die Neigung zum Uberdruß, die Fähigkeit zum Ekel«37), sind lediglich ins Französische zurückzuübersetzen, wenn der Priester charakterisiert werden soll: seine Lebensstimmung ist gleichfalls der »ennui«. Vermag die Erfahrung im Beichtstuhl dieses Gefühl zum »dégoût« zu steigern, so war doch »die Glock schon halb gegossen«, als der traurige Vikar zum ersten Male erschien. Thomas Mann, sparsam diesmal wie sonst nie in der Schilderung körperlicher Details, legt großen Wert darauf, daß wir die Migräne, »das Hauptweh« Leverkühns, nicht aus dem Gedächtnis verlieren. Bernanos, ebenso zurückhaltend, führt immer wieder die Blässe seines Helden ins Feld. Manchmal bricht er ohnmächtig zusammen, versinkt »dans un vide délicieux« 38 ). Auch diese Labilität, Ausdruck mehr der seelischen Konstitution, des Überdrusses, als körperlich bedingt, scheint schon ein Ansatzpunkt für den Teufel zu sein. Kein allzu großes Wunder, daß er sich den beiden attraktiven Gestalten eines Tages plötzlich nähert. Es herrscht Finsternis, als Donissan, zur Beichte in einen anderen Ort geschickt, die vertraute Gegend nicht wiedererkennt. Macht die nächtliche Stunde seine Verirrung glaubhaft, so mehr noch die Landschaft selbst, die zu »dernières collines«, zu »prés déserts« umgeformt, den Abstieg in eine »plaine immense, confuse, vide« vorbereitet 39 ). So 36) Ebd. S. 106. Audi für Hans Castorp hatte dieser Liederzyklus große Bedeutung. Lernte Adrian ihn schon als Primaner kennen, so der Hamburger erst als Patient auf dem Zauberberg. 37) Ebd. S. 181. 38) »Sous le Soleil de Satan«, S. 145. 39) Ebd. S. 155 ff. Treffend bemerkt dazu Louis Chaigne: »Tout se passe dans une nuit d'apocalypse«. »Georges Bernanos«, Classiques du XX e siècle, Paris 31960, S. 24.
25
schwindlig fühlt sich der Priester, daß er immer wieder zum Ausgang zurückkehrt und den richtigen, vielmehr »den guten Weg« nicht finden kann. Mittels dieser Erschöpfung schafft sich auch der Erzähler ein Alibi. Denn auf solche Weise bleibt offen, ob nicht die ganze Teufelsbegegnung eine Ausgeburt des Traumes, der kranken Einbildungskraft sei, eine Deutung, an der Serenus Zeitblohm in Hinblick auf seinen Freund so sehr gelegen ist. Gleichviel — »d'une chute oblique, très douce«40) gleitet Donissan immer tiefer in diese »Vorhölle«, während die Natur wieder trügerisch mitspielt, ihre Größen verändert und aus Sturm, Regen und plötzlicher Stille die unheimlichste Geräuschkulisse zaubert. In der desorientierenden Leere zeigt sich endlich ein einsamer Baum. »Un arbre, qui lui parut immense, tendait au-dessus de lui ses rameaux invisibles« 41 ). Wir kennen ihn aus der biblischen Paradiesgeschichte, aus Baudelaires »Prière« an Satan42). Der Teufel verbirgt sich gern hinter einem solchen Stamm. Man ist vorbereitet, ihm zu begegnen. Donissan täuscht sich lange über seinen Partner. Offenbar hat er im vergangenen Jahr doch noch zu wenig gelesen! Sonst nämlich wüßte er aus der Literatur, was von diesem »noir petit marcheur« zu halten ist, der »tantôt à droite, tantôt à gauche, devant, derrière« tänzelt 43 ), der sich auch in konventioneller Weise angekündigt hatte, indem der Vikar plötzlich auf gefrorenem Grase marschiert, während er eben noch im aufgeweichten Morast versank, und ihn nun der gleiche lautlose Eiswind anweht, den Adrian Leverkühn als »von schneidender Kälte« beschreibt, »so, als säße einer im winterwarmen Zimmer und auf einmal ginge ein Fenster auf nach draußen gegen den Frost«44). Seine Teufelsbegegnung fällt übrigens in den Sommer. Dieser eisige Hauch ist sozusagen der Gruß des Bösen. Ohne weitere Formalitäten stellt er sich dann ein: »Car depuis un moment (pourquoi ne l'avouerait-il point?) il n'est plus seul. Quelqu'un marche à ses côtés«45), spürt Donissan. » [ . . . ] denn ich bin nicht mehr allein: Jemand sitzt im Dämmer auf dem Roßhaarsofa« 46 ), konstatiert Adrian. Der Priester wird abwechselnd von Hitze und Kälte geschüttelt, jenem Fieber40) 41) 42) 43) 44) 45) 46)
26
Ebd. S. 172. Ebd. S. 165. Ch. Baudelaire, »Les Fleurs du Mal«, Les Litanies de Satan. »Sous le Soleil de Satan«, S. 167 f. »Doktor Faustus«, S. 297. »Sous le Soleil de Satan«, S. 167. »Doktor Faustus«, S. 297.
frost ähnlich, den der Musiker als Ursache seiner Vision anführen möchte. (Doch der Gast bestreitet solche Motivierung: »Du hast keine Spur von Fieber, und ist gar kein Anlaß, daß du je welches haben solltest«47'.) Die Kälte macht ihm jedenfalls trotz des fürsorglich beorderten Wintermantels und Reiseplaids immer noch zu schaffen, wie auch Donissan, seinerseits zuvorkommend auf einen dicken Tuchmantel gebettet, derartig erstarrt, daß der Fremde ausruft: »Vous passez, l'ami! Vous êtes f r o i d . . . Hé là!«48) Beide Male bekennt sich der Teufel übrigens selber zu seiner Temperatur: »Je suis le Froid lui-même. L'essence de ma lumière est un froid intolérable« 49 ), gesteht er dem Vikar. »Ich bin nun einmal so kalt. Wie sollte ich's auch sonst aushalten und wohnlich befinden, dort, wo ich wohne?«50) fragt er rhetorisch den Musiker. Wenn nicht diese Kälte verbreitende Atmosphäre, so hätte der Geruch des Begleiters Donissan warnen müssen. Thomas Mann beruft sich im »Doktor Faustus« nicht auf dieses Spezifikum, aber in einer früheren Erzählung hat er es getan 51 ). Und wenn nicht der Geruch, so doch der Beruf des wie im italienischen Steinsaal mit einschmeichelnder Stimme redenden, grell lachenden und durch die Zähne pfeifenden Besuchers. Er reist für einen Pferdehändler aus Boulogne, erzählt von seinem Onkel, der den schwarzen Rode trägt, und ist auch selber — natürlich —• unverheiratet. »Je n'habite nulle part, autant dire«, versichert er zweideutig, » [ . . . ] On va, on vient, on ne s'attache pas«52). Leverkühns Genösse, der zwar keinen festen Beruf angibt, setzt sich bezeichnenderweise auf das »Roßhaarsofa«, obwohl auch andere Stühle vorhanden sind. Bei seiner dritten Verwandlung vom »Mannsluder« über den »Intelligenzler, der für die gemeinen Zeitungen schreibt«53), zur Gestalt des Privatdozenten Dr. Schleppfuß wiederholt Thomas Mann die Anspielung: » [ . . . ] sondern ritt légèrement im Halbsitz auf der gerundeten Seitenlehne des Sofas«54). Dieser Gast betont gleichfalls seine Freizügigkeit: » [ . . . ] und mich unterschätzest du auch, wenn du mich dermaßen einschränkst und willst mich gänzlich zum deutschen 47) 48) 49) 50) 51) 52) 53) 54)
Ebd. S. 300. »Sous le Soleil de Satan«, S. 175. Ebd. »Doktor Faustus«, S. 302. Vgl. »Der Tod in Venedig«. »Sous le Soleil de Satan«, S. 169. »Doktor Faustus«, S. 317. Ebd. S. 325. 27
Provinzler machen«55). Der pikardische Roßhändler verwandelt sich inzwischen vom kleinen fixen Kerl, der etwa die Statur des anderen »Ludewig« haben mag, in ein grausiges Scheusal, in den Doppelgänger des Priesters, schließlich wieder in die anfängliche Gestalt. Schildert Thomas Mann des Besuchers »rötlich Haar, rötliche Wimpern auch an geröteten Augen«59), so zeigt Donissans Gefährte gleichfalls die teuflische Farbe, wenn auch etwas besser kaschiert. »Ses yeux riaient dans sa face rougeaude«, heißt es einmal, und kurz darauf: »II approchait sa tête ronde, toute flambante d'un sang généreux« 57 ). Sogar der Stein , über dem er die Worte der Hostienweihe gesprochen hat, macht den Zauber mit: »La pierre rougit, blanchit, éclata soudain d'une lueur furieuse« 58 ). Die Teufelsmesse wird übrigens mit den gleichen »plumpfingrigen Händen« vollzogen, die im anderen Fall verschränkt auf dem Schoß ruhen 59 ). Sagten wir vorhin, Donissan habe den nächtlichen Begleiter an seinen literarisch tradierten Eigenarten erkennen können, so wußte er freilich nichts von jenem »Kesperlin«, das wir zum Vergleich heranziehen. Umso hübscher ist die Übereinstimmung, aber wiederum auch so erstaunlich nicht, denn beide Erzähler konnten für diese Szene auf andere gemeinsame Vorbilder zurückblicken'10). Wenn sich der Teufel, in beiden Fällen übrigens lange erwartet, nun endlich zeigt, so geschieht es »in Geschäften«, da das Verhältnis »denn doch einmal nach einer Aussprache drängt« 91 ), wie die Formulierung Leverkühn gegenüber heißt, den er auch als einen Altbekannten sofort mit Du anredet, während sich der Roßhändler diese Vertraulichkeit erst erlaubt, nachdem er Donissan seine Liebe gestanden und ihn geküßt hat. Die beiden irdischen Partner lassen es dem geschwätzigen Unterhändler gegenüber zwar bei einem »Schweig«, »Marktschreier«, »Verleumder, ich habe keine Kundschaft mit dir«92), bei einem »Assez!«, 55) Ebd. S. 302. 56) Ebd. S. 298. 57) »Sous le Soleil de Satan«, S. 183 f. 58) Ebd. S. 178. 59) »Doktor Faustus«, S. 298. 60) H. E. Holthusen bemerkt zu diesem Thema in seinem Essay »Der Skandal der Wahrheit«: »Das Teufelsgespräch in Th. Manns Doktor Faustus kann verstanden werden als literarisch ebenbürtiges Gegenstück zur Sonne Satans«. Dabei läßt er es jedoch bewenden. »Das Schöne und das Wahre«, München 1958, S. 207. 61) »Doktor Faustus«, S. 300. 62) Ebd. S. 305 ff.
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»Va t'en!«, »Tais-toi!«83) bewenden, doch spürt man deutlich, wie gespannt und beteiligt sie dem Anderen lauschen, obwohl ihnen elend zumute ist. »Hier kam ein unaussprechlicher Ekel mich an, so daß ich wild zusammenschauderte«, erinnert sich Leverkühn in seinem Bericht. »Muß in meiner Empörung das Luder verjagt haben«' 4 ). »Une nausée« schüttelt audi den Vikar, der sich nun wütend auf den Teufel stürzt. Zu diesem Zeitpunkt wußten die beiden freilich genau, was der Böse in dieser Nacht von ihnen gewollt hatte. Nur Thomas Mann, der sich ja schon im Titel seines Romans deutlich auf ein klassisches Teufelsbündnis bezieht, gibt seinem Helden in der Unterredung die Zeit bekannt, die ihm bis zur Einlösung des Vertrages bleibt. Bernanos spricht sich darüber nicht aus, wie er überhaupt die Begegung mehr als Versuchung denn als Bündnis hinstellen möchte. An einer ziemlich unauffälligen Stelle dagegen wird das Verhältnis als »ce pacte avec les ténèbres« 65 ) mit Namen genannt, und beim Rückblenden auf die letzten verzweifelten Monate des Priesters hatte es geheißen, daß die vom Ekel genährte, selbstzerstörerische Wut Donissans eine ähnliche Unterredung fällig erscheinen ließe: »Mais l'heure était venue sans doute où l'œuvre cruelle porterait son fruit«"6). Auch der Roßhändler bietet etwas an, und zwar, genau betrachtet, nichts anderes als was Leverkühn verkauft wird, Hellsicht, Illumination. Von den klassischen Teufelsgaben »Science, Pouvoir, Richesse«1"), die noch Gilles de Rais und der erste Faustus zur Bedingung machten, scheint heutzutage ja nur mehr »Erkenntnis« gefragt zu sein. Donissan jedenfalls will einzig in Menschenseelen blicken und so die Gesetze des Bösen durchschauen lernen. Das wird ihm verheißen und gewährt. Bringt solche Luzidität dem deutschen Musiker wenigstens auf Zeit einen Gewinn, nämlich sein Werk, so schlägt dem Priester das Geschenk nur zum Bösen aus. Noch in der gleichen Nacht trifft er auf Mouchette und spricht sie vom Mord frei, weil auch das Kind in den Krallen des Herrn ist, dem er soeben begegnete. Aber indem er ihre persönliche Schuld leugnet, klagt er zugleich die ganze Menschheit an. Jetzt wird die »troupe humaine, [ . . . ] aux mille bras, aux mille bouches«68), die im Anfangskapitel schattenhaft versank, zur Rechen63) 64) 65) 66) 67) 68)
»Sous le Soleil de Satan«, »Doktor Faustus«, S. 333. »Sous le Soleil de Satan«, Ebd. S. 162. J.-K. Huysmans, »Là-Bas« »Sous le Soleil de Satan«,
S. 179, S. 178, S. 180. S. 159. (1891), Paris 1930, S. 87. S. 59.
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schaft gefordert. Und sogar die Toten weckt Donissan nodi einmal auf. Da sehen wir die Malorthy, die Brissaut, die Paully, die Pichón, die ganze Ahnenreihe Mouchettes auferstehen und gegen das Kind anfluten. Aber nicht in Fleisch und Blut erscheinen sie, sondern als personifizierte Sünden, » [ . . . ] mornes secrets, mornes mensonges, mornes radotages du vice, mornes aventures qu'un nom soudain prononcé illuminait comme un phare [ . . . ]« ββ ). Und im Gefolge der Familie, »ta tante Suzanne, ton oncle Henri, tes grand'mères Adèle et Malvine ou Cécile«, rückt die ganze Menschheit an, weicht zurück und bleibt erschöpft liegen. »Les avares faisaient une masse d'or vivant, les luxurieux un tas d'entrailles« 70 ). Mouchette spürt die Monotonie der Sünde, aus der es kein Entrinnen gibt. » [ . . . ] c'était comme si ce troupeau était venu manger dans sa main sa propre vie« 71 ), ein Gedanke, den abgewandelt schon Baudelaire geäußert hatte 72 ). Vor solchem Hunger flieht das Mädchen, ruft den Teufel und tötet sich. Am fatalen Ausgang dieses Romanteils wirkt dank Donissans »Totenerweckung« — der einzigen, die ihm gelingt — bereits die ganze Menschheit mit. Was Serenus Zeitblohm viel Raum und Mühe kostete, uns nämlich an Kaisersaschern wie an der Münchener Gesellschaft den morbiden Zustand der Welt glaubhaft zu machen, erreicht Bernanos sozusagen im Handstreich, und er begnügt sich nicht mit Stellvertretern, sondern beteiligt alle. Von hier aus reicht der Bogen zurück zum Prolog, wo der »troupeau« in totentanzähnlicher Zerstückelung für einen Moment gezeigt und dann vorläufig in die Nacht geschickt worden war. (Daß auch Th. Mann mit der Dämmerstunde bereits den Horizont tief aufreißen wollte, veranschaulicht sein Motto, der Beginn des II. Inferno-Gesanges: »Lo giorno se n'andava, e l'aer bruno toglieva gli animai che sono in terra dalle fatiche loro . . .«) Wie Dante, der beim Heraufbeschwören der »fautes mères« hinter die Szene tritt, nimmt Bernanos durch seinen hellsichtigen Priester das Letzte Weltgericht vorweg. Aber man könnte auch an die beiden Bruegel denken, von denen der jüngere einst Flaubert zur »Tentation de saint Antoine« inspiriert hatte, ein Werk, das dies und das mit unserer »Tentation« verbindet, während der ältere zu einer Untergangsvision Pate stand, die dem letzten Roman von Bernanos nahekommt. Vielleicht kannte er die Bilder der Niederländer nicht, obwohl ihn Durtals Beschreibung seines Druckes von »Les Vierges sages et les 69) 70) 71) 72)
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Ebd. S. 204. Ebd. S. 206. Ebd. S. 207. Ch. Baudelaire, »Les Fleurs du Mal«, L'Ennemi.
Vierges folles«73) natürlich auf das ganze Werk hätte neugierig machen können; bestimmt hat er den nicht ins Französische übersetzten Roman Kubins »Die andere Seite« nicht gelesen. Als Künstler, der in der christlichen Tradition zuhause ist und seinen Blick dem Ende widmet, zitiert er die Todsünden jedenfalls an wirkungsvoller Stelle. Von nun an heißt Donissan »le Saint de Lumbres«74). So hatte ihn sein Schöpfer ursprünglich geplant, so hat er ihn, wie viele Äußerungen zeigen, auch später immer verstanden. Indes, wenigstens der Vorgesetzte beurteilt den heimgesuchten Vikar zutreffend: er zieht ihn nach Mouchettes Tod sogleich aus der Seelsorge zurück.
III. Donissan hatte die sterbende Germaine gegen den Willen von Vater und Arzt dorthin getragen, wo im Mittelalter die Büßer ihre Schande öffentlich bekundeten: vor die Kirchentüre von Campagne. »De tels excès sont d'un autre âge, et ne se qualifient point«75), lautete Monsignores Verdikt zu dieser neuen Gewalttat. Er hatte audi angeordnet, daß Donissan nach Genesung von seiner »grave intoxication des cellules nerveuses« 76 ), einer Krankheit also, die bei anderem Ursprung doch ähnliche Symptome zeigte wie Leverkühns Leiden, ins Trappistenkloster von Tortefontaine eingewiesen würde. Erst fünf Jahre später gab man ihm eine kleine Pfarrstelle auf dem Lande, und dort begegnet uns der Priester im dritten Teil des Werkes. Wieder ist es Nacht. Am Fenster seiner armen Stube zu Lumbres hockend, lauscht Donissan dem Regen. Nicht geändert hat sich auch die Lebensstimmung des nun schon alten Mannes, der müde und traurig 73) J.-K. Huysmans, »Là-Bas«, S. 122. 74) So ist audi der dritte Romanteil benannt, dem Louis Chaigne »l'effet d'une légère descente« nachsagt. Um zu zeigen, worauf es eigentlich ankomme, beeilt er sich dann aber hinzuzufügen: »Mais seulement toutefois sur le plan littéraire« (a.a.O. S. 25). Diese zu Anfang charakterisierte Blickrichtung zeigen neben Chaignes nun schon in dritter Auflage erschienener Studie audi zwei weitere Arbeiten der jüngeren Bernanos-Forsdiung, die wir erst nach Abschluß dieses Kapitels einsehen konnten: Jessie Lynn Gillespie, »Le tragique dans l'œuvre de Georges Bernanos«, Genf und Paris 1960 und William Bush, »Souffrance et expiation dans la pensée de Bernanos«, Paris 1962. 75) »Sous le Soleil de Satan«, S. 232. 76) Ebd. S. 231. 31
ins Leere starrt. Und wieder hebt die weltumspannende Klage an: Des quatre coins de l'horizon accouraient vers lui les champs et les bois invisibles . . . et derrière les champs et les bois, d'autres villages et d'autres bourgs, tout pareils, crevant d'abondance, ennemis des pauvres, pleins d'avares accroupis, froids comme des suaires... Et plus loin encore les villes, qui ne dorment jamais77).
Am Ende dieser Nacht, in der Donissan zu sterben wünscht, bricht wirklich sein letzter Lebenstag an. Läßt der Erzähler ihn einsam und hilflos in der Dämmerung seines Beichtstuhls einschlafen, so füllt sich die bisher stets finstere Szenerie doch zuvor ein einziges Mal mit grellem Licht. Als »lumière douce«78) hatte es schon bei den nächtlichen Kasteiungen in seinem Herzen geschwelt, als »goldener Staub« war es bei der Teufelsbegegnung aufgeglommen, nun aber schießt es strahlend empor: » [ . . . ] ce délire de la connaissance qui perdit la mère des hommes, droite et pensive, au seuil du Bien et du Mal. Connaître pour détruire, et renouveler dans la destruction sa connaissance et son désir — ô Soleil de Satan! — désir du néant recherché pour lui-même, abominable effusion du cœur!«78) Auch draußen scheint die Sonne. Donissan ist zu einem an Hirnhautentzündung erkrankten Jungen ins Nachbardorf gerufen worden. Der Ortsgeistliche, ein kühler Kopf, der bisher das »votre Saint de Lumbres« immer nur ironisch ausgesprochen hatte, wird am Ende dieser Szene unter Tränen und Jauchzen wohl zwanzig Mal in die Worte ausbrechen: »Vous êtes un Saint! Vous êtes un Saint!«80) Donissan selber aber deutet den Vorgang anders: »Je ne suis pas un saint, [ . . . ] laissez-moi dire. J e suis peut-être un réprouvé .. .«81) Was ist geschehen? Beim Eintritt ins Zimmer lebt der Knabe nicht mehr. Seine Mutter wirft sich dem Priester zu Füßen. Er flieht, kehrt aber auf Bitten des Amtsbruders zurück. Dann schließt er sich mit dem Toten ein und versucht, was alle von ihm erwarten: »II élève le petit garçon comme une hostie. Il jette au ciel un regard farouche!«88) Im selben Augenblick hört der Priester hinter sich ein furchtbares Gelächter. Kein Wunder, denn fast wörtlich sind mit dieser Schilderung die Sekunden der Teufelsmesse zitiert: [. . . ] il prit au hasard un caillou du chemin, le leva vers le ciel entre 77) 78) 79) 80) 81) 82) 32
Ebd. S. 233. Ebd. S. 146. Ebd. S. 237. Ebd. S. 259. Ebd. S. 260. Ebd. S. 268.
ses doigts, prononça les paroles de la consécration, qu'il termina par un joyeux hennissement... [ . . . ] L'écho du rire parut retentir jusqu'à l'extrême horizon83).
Nicht nur dieses Hohngelächter des Satans, auch der entfesselte, höllisch pfeifende und flammende Garten, die völlig veränderte Haltung des Ortsgeistlichen zeigen deutlich, unter wessen Macht dieser heiße Tag steht. Später erkennt der Begleiter den Urheber seiner »Verzückung«, die ihn zu einem »homme inspiré, un de ces exorcistes légendaires«84) verwandelt hatte. Seine trunkenen Schreie, sein Niederknien, Soutane-Küssen, Weinen und Jubeln erinnern an jenen »Sankt Veitstanz«, dessen Erscheinen auch der Chronist Zeitblohm in einer »verständig-nüchternen modernen Stadt« zwar »sonderbar«, aber »möglich« fand85). »Mais Dieu ne se donne qu'à l'amour« 86 ), schließt der Autor seinen Kommentar zu diesem mißlungenen Wunder und ruft damit wieder die Erinnerung an jenen literarischen Bruder wach, der, wie Donissan nicht lieben »kann«, seinerseits nicht lieben »darf«, dessen engelgleicher Neffe Nepomuk Schneidewein sterben muß — auch er leidet an Hirnhautentzündung wie das »Opfer« unseres Romans —, weil des Onkels Blick kraft seiner Verschreibung »giftig und natterisch, am meisten für Kinder«87) gewesen ist. Nach diesem Scheitern an zwei kleinen Totenbetten sehen wir beide Helden nur noch ein einziges Mal. Leverkühn, »des Teufels Mönch«88), äußerlich durch einen grauen Bart verfremdet und im Ganzen vernachlässigt, trägt nun audi den priesterlich hoch geschlossenen Rock unseres alten, gebeugten Donissan — »saint de mon cœur«8*) hatte ihn der Teufel genannt - , der sich wie eine jener schmutzigen, verfallenden Mauern fühlt, »où le passant grave une ligne obscène«' 0 ). Läuft die vom Teufel gesetzte Frist für den deutschen Musiker erst im nächsten Jahre ab, so stirbt der Priester schon in wenigen Stunden. Er erfährt nichts mehr von der »Pilgerfahrt« des Pariser Intellektuellen Saint-Martin, der wie Saul Fitelberg in Thomas Manns Roman noch einmal die »Welt« verkörpert, jene Welt, der Bernanos sein nächstes 83) 84) 85) 86) 87) 88) 89) 90)
Ebd. S. 178. Ebd. S. 259. »Doktor Faustus«, »Sous le Soleil de »Doktor Faustus«, Ebd. »Sous le Soleil de Ebd. S. 235.
S. 52. Satan«, S. 268. S. 664. Satan«, S. 183.
33 3 Padberg
W e r k »L'Imposture« widmen wird. Es ist belanglos, herauszufinden, ob sich hinter diesem Schriftsteller ein Porträt von Anatole France verbirgt, wie mancher Kritiker vermutet. Bernanos will vielmehr noch einmal eine Kontrastfigur einführen, deren Geschwätzigkeit und Ehrfurchtslosigkeit die weitabgewandte Verschlossenheit des Priesters umso wirkungsvoller demonstriert. Er will auch den Leser noch einmal in Donissans Gemach eindringen lassen, damit er zum letzten Male die Geißeln und Marterwerkzeuge sieht, die ihr Teil dazu beigetragen hatten, den Priester in gewünschter W e i s e zu disponieren. Das bischöfliche Urteil über sein Verhalten beim Tode Mouchettes, solche »Exzesse« riefen eine vergangene Zeit wach, wäre vermutlich nach der Wunder-Szene wie auch beim Anblick dieses Stübchens wiederholt worden. Aber natürlich meinte Monsignore eine bestimmte Zeit, und zwar jenes späte Mittelalter, das auch bei Th. Mann seine wichtige Rolle spielt, indem Leverkühn, aus der Luther-Nietzsche- und BrockenGegend stammend, den altertümlich überlagerten Geburtsort nie wirklich verläßt, ihn nur gegen die »Abtsstube« des Hofes Schweigestill zu Pfeiffering eintauscht. Der Erzähler läßt darüber hinaus alle Schauplätze etwas von dieser vergangenen Luft bewahren, und analog dazu wählt er die Namen seiner Gestalten, von den Hallenser Theologen Kolonat Nonnenmacher, Ehrenfried Kumpf, Eberhard Schleppfuß über den Chronisten Serenus Zeitblohm bis zum Münchener Professor Helmut Institoris, dessen Namensbruder Heinrich einst den »Hexenhammer« ins Deutsche übersetzt hatte. Vor allem aber weist uns Th. Mann immer wieder auf die seelische Altertümlichkeit und mittelalterliche Gebundenheit seines Helden selber hin, der zunächst die »Gottesfakultät« erwählt und sich dann statt der Magie der Musik ergibt, deren »Zweideutigkeit« er schon mit fünfzehn Jahren erkannt hatte"). Sehen wir den geistig umnachteten Künstler kurz vor seinem Tod noch einmal, »die bleichen Hände [ . . . ] wie bei einer Grabfigur des Mittelalters auf der Brust gekreuzt« 92 ), so versetzt uns auch Bernanos mit seinen Ketten und Haken in die Zeit der Büßerzünfte. Ob diese Bedeutung dem Autor bewußt war wie dem Erzähler des deutschen Untergangs, von dem er sich wohl so weit distanziert hätte wie von Zola, bleibt zweitrangig. Jedenfalls ist auch Donissan mit jenen ins ausklingende Mittelalter zurückreichenden Zügen ausgestattet worden, die den neuen Doktor Faustus für teuflisches Unterfangen anziehend 91) »Weißt du, was ich finde? Daß Musik die Zweideutigkeit ist als System« (»Doktor Faustus«, S. 66). Diese ihre Begabung zur Parodie spiegeln denn auch alle seine Kompositionen — bis auf die letzte. 92) Ebd. S. 675.
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machen. Wir erinnern an beider Neigung zu Migräne und Ohnmacht, die aber weniger aus physischen Gründen rührte als — wie ihre Weltscheu und Kälte, ihr »Unverhältnis zu den Menschen« — aus Hochmut und Ekel. Hatte Donissan schon im ersten Gespräch dem Vorgesetzten Menou-Segrais seine »obstination« und seine Verachtung für den in gepflegterer Umgebung lebenden Priester gestanden, so war die versuchte Totenerweckung nur der ins Unermeßliche gesteigerte Ausdrude seines Stolzes gewesen. Wie Zolas Soldaten in »La Débâcle« nach Hause ziehen, kehrt nun Donissan vom Ort der Niederlage heim, während das »Stundenglas« ausläuft: Quelle est longue la route du retour, la longue route! Celle des armées battues, la route du soir, qui ne mène à rien, dans la poussière vaine! . . . Il faut aller, cependant, il faut marcher, tant que bat ce pauvre vieux cœur, — pour rien, pour user la vie, — parce qu'il n'y a pas de repos tant que dure le jour, tant que l'astre cruel nous regarde, de son œil unique, au-dessus de l'horizon. Tant que bat le pauvre vieux cœur93).
Aber mit ihm schleppt sich die ganze verlorene Herde der Menschheit, die der Priester ein letztes Mal und solange ihm noch zu leben bleibt, in sein Lamento einschließt. Auf umgekehrtem Wege wie Adrian Leverkühn kam er zu diesem extremen Jammer. Der deutsche Musiker distanziert zwar noch die nach Pfeiffering gepilgerten Freunde als die »Guten und Harmlosen, wenn nicht Unsündigen, so doch erträglich Sündigen« (die er darum »herzlich« verachtet, »aber inbrünstig« beneidet) von seiner eigenen großen Schuld'4), was man ihm als männlichstolzes, doch nur momentanes Befangensein anrechnen muß; denn im Werk, das die Summe seines Lebens bedeutet, in der Faust-Kantate hat er es besser gewußt: dort gibt es bezeichnenderweise keine Soli mehr. Chor- und Orchester-Sätze alterieren in diesem universellen De Profundis, das sich Monteverdischer Kunstmittel bedient, weil in der musikalischen Echo-Wirkung gleichsam auch Natur und Kosmos vom allumfassenden Schmerz mit ergriffen werden. Daß dieses »unsäglich schwermütige« Werk so viel historische Wirklichkeit vorwegnehmen sollte, konnte der Schöpfer freilich nicht ahnen. Aber der Leser begreift den Zusammenhang, denn der Chronist erzählt in diesem zeitlich doppelbödigen Roman von der Eigenart des Werkes, vom geistigen und körperlichen Tod seines Freundes, während Deutschland den teuf93) »Sous le Soleil de Satan«, S. 272 f. 94) »Doktor Faustus«, S. 658.
3»
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lisdien Vertrag endgültig einlöst, im »Schicksalsjahr« »schließen sich nun die Zeiten«95).
1945. So
Donissan dagegen hatte, wie der junge Leverkühn abstandwahrend von »eurer Musik«, lange von »euren Sünden« gesprochen. »Vous«, »votre bétail«, »votre troupeau« pflegten seine Haßtiraden auf das Böse zu beginnen, von dem er glaubte, man könne ihm beikommen, wenn es nur erst mit Gottes oder Teufels Hilfe richtig erkannt sei. Dann aber trafen wir ihn immer seltener beim Beten an, den Kopf wie Adrian Leverkühn in den letzten Jahren auf die rechte Schulter geneigt, fanden wir ihn weinend, zur Erde blickend. Schon vor dem Verzweiflungsakt am Krankenbett hatte er seine Erfahrung gemurmelt und herausgeschrieen — dreimal jeweils, als stünde der Christus-Verleugner Petrus hinter ihm — »Prince du monde [ . . . ] Prince du monde, voilà le mot décisif. Il est prince d e c e m o n d e , il l'a dans les mains, il en est roi«98). »Nous sommes vaincus, vousdis-je! Vaincus! Vaincus!«97) Jetzt heißt es n o u s . »II nous a tous pris, nous laisse tout nus, et met dans notre bouche une parole impie«98). Der alte Mann kapituliert, schließt sich endlich selber ein in die letzte Variation seiner lebenslangen »Weheklage«. Noch einmal greift sie aus »wie konzentrische Kreise, die sich vermöge eines ins Wasser geworfenen Steines, einer um den anderen, ins Weite bilden [ . . . ]«"), voller Trotz hie und da, aber mehr und mehr zurücknehmend (so wie Leverkühn in »Doktor Fausti Weheklage« Beethovens Freuden-Symphonie zurückgenommen hatte), in ein schluchzendes »Hélas« — »Ach, es soll nicht sein« —, in ein »Ah! misère« — »So ist es«, »Ich habe es nicht gewollt«100) — mündend. Wie im Werk des Musikers, das er »dem lieblich Instrument des Satans abgehört« 101 ) hatte, gibt es auch hier keinen Solisten mehr, der Chor, die sündige »Herde«, intoniert zum letzten Mal das alte Lied der Welt, während Donissan im dunklen Beichtstuhl sein Leben aushaucht: »[...] mornes litanies du péché, mots souillés depuis des siècles, ignoblement ternis par l'usage, passant de la bouche des pères dans celle des fils [ . . . ]«102). 95) 96) 97) 98) 99) 100) 101) 102)
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Ebd. S. 639. »Sous le Soleil de Satan«, S. 261. Ebd. S. 262. Ebd. S. 307. »Doktor Faustus«, S. 645. Ebd. S. 649, S. 650. Ebd. S. 666. »Sous le Soleil de Satan«, S. 275.
Bernanos hatte einen »Heiligen« aus seinem Priester machen wollen, dodi unter der Feder war er zum Auserwählten Satans geworden. Dürfen wir für ihn, dessen Sterbegebet sich zunächst an Gott, dann aber immer mehr an den Teufel wendet, auf Gnade hoffen? Die Frage scheint uns nicht müßig, denn es war ja eben dieser Erstlingsroman, der den Ruf begründete, auch Bernanos gehöre zum Renouveau Catholique. Um so merkwürdiger, daß der Text gar keinen Anhaltspunkt zu solcher Hoffnung gibt. Thomas Mann, dessen persönliche Voraussetzungen viel weniger Anlaß boten, eine ähnliche Frage überhaupt zu erörtern, läßt immerhin den letzten Cello-Ton der Weheklage »als Licht in der Nacht«103) stehen. Sein Chronist muß die Hände falten und für die arme Seele Deutschlands und Leverkühns beten, dem er, der Autor, außer viel Herzensnot das Thema des nächsten Romans »verdankt«, denn der Teufelsbündler hatte aus den Gesta Romanorum auch jene Legende komponiert, die wiederum einen Gnadenschein auf ihn selber werfen mochte, das Stück »Von der Geburt des seligen Papstes Gregor«, wo aus Sünde, Mord, Unzucht paradoxerweise — nämlich mittels himmlischer Fügung —· extrem Gutes hervorging. Donissan stirbt wie der Doktor Faustus des Volksbuches, wie Adrian Leverkühn »als ein böser und guter Christ«104), denn sein Erkenntnisdrang hat ihn zu Geschäften mit dem Teufel getrieben und damit Mouchette in den Tod. Doch er hat es sich auch sauer werden lassen, »nie geruget noch geschlafen«105), und die poetische Gerechtigkeit könnte ihm schon eine Belohnung im Jenseits gönnen. Aber Bernanos schweigt darüber. Wenn die Verschreibung des persönlichen Heils für die Rettung der übrigen vom Teufel wörtlich genommen worden ist, bleibt Donissan eine Chance, denn der höllische Partner pflegt seine Verträge akkurat zu erfüllen. Statt auf das Gelöbnis zurückzukommen, eliminiert der Erzähler den Gegensatz zwischen Beichtkindern und Priester durch das »nous« der letzten Klagen jedoch in solchem Maße, daß man alle dem gleichen Schicksal anheimgegeben glaubt. Der Teufel hat also in keinem Falle das Nachsehen. Die so gestiftete Gemeinschaft aber entspricht nicht dem verbindlichen Dogma. Sie ist die »condition humaine« eines Autors, der sich für die Möglichkeit der Rettung gar nicht, um so mehr aber für Destruktion und Vernichtung interessiert. Ihm gab der Beichtstuhl nur das Mittel an die Hand, sozusagen authentisch die Welt als Sündental zu deklarieren. Erfahrungen von Reue und Besserung, die gleichfalls zum Bußsakrament gehören, durfte Donissan dort jedoch nicht sam103) »Doktor Faustus«, S. 651. 104) Ebd. S. 646. 105) Ebd. S. 664. 37
mein, weil der Roman eben in einem umfassenden Lamento ausklingen sollte. Auf nichts anderes hatte es Thomas Mann abgesehen, wenn er seinen Musiker erst in »Doktor Fausti Weheklage« den Ausdruck finden ließ, der das Werk zum vollkommenen und gültigen Beitrag eines schweren Künstlerlebens stempelte. In »Sous le Soleil de Satan« ist das ständige Thema des Dichters nicht nur angerührt, sondern bereits in ganzer Fülle ausgebreitet. Die Helden scheitern, die verkommene Welt steht »in Endes Zeichen«. Zwar stürzt sie noch nicht zusammen wie das schuldige Land, dessen Städte während der Erzählung Zeitblohms kriegszerstört niederbrechen. Statt dessen zieht unser Autor nicht nur eine Ära, ein System, ein Volk zur Rechenschaft, sondern bereits die Todsünden der ganzen Christenheit, begnügt sich andererseits aber mit der Erwähnung gewisser Symptome, um die Baufälligkeit seines Universums anzudeuten. Erst der letzte Roman vollendet den Prozeß. Wörtlich genommen verdunkelt sich die grelle Sonne Satans zwar wieder. Die düster kolorierte Herbstkulisse des Artois umrahmt erneut die künftigen Schauplätze. Die Schlußszene von »Monsieur Ouine« zeigt jedoch, daß das böse Gestirn immer am Firmament gestanden hat: die Welt bleibt als ausgebrannt leere Wüste zurück.
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»Nouvelle Histoire de Mouchette« L'automne déjà . . . l'automne. Notre barque é l e v é e dams les brumes immobiles tourne vers le port de la misère, la cité énorme au ciel taché de feu et de boue. Arthur Rimbaud, »Une Saison en enfer«
1935 schrieb Bernanos seinem Verleger, er habe »eine Menge Mouchette-Geschichten im Kopf«1). Worauf dieses Bekenntnis hinaus will, zeigen alle künftigen Romane, in denen ein junges Mädchen die Hauptrolle spielt. Sie alle sind »Mouchette-Geschichten« insofern, als der Typus der »sous le signe du rêve« Geborenen 2 ), der Somnambulen, Blassen, geheimnisvoll Verwaisten ständig wiederkehrt. Fast alle diese Heldinnen enden durch Selbstmord. Im Vorwort zur »Nouvelle Histoire de Mouchette« weist Bernanos auf die Verwandtschaft hin. Sieht er sie auch nur in der Verlassenheit der neuen Romangestalt, in der »même tragique solitude« 3 ) seiner ersten Namensträgerin, so versteht sich eben aus diesem Umstand alles weitere fast von selbst. Wieder glaubt man im November zu sein. Die Handlung beginnt zwar an einem Märzabend, doch da ist kein »Frühlingserwachen«, weder im heftigen Sturm, »le grand vent noir [...] éparpille les voix dans la nuit«4), noch in Mouchettes spröd-verschlossener Kinderseele. Leitmotivisch wirbeln immer wieder tote Blätter auf: »[...] les feuilles mortes qui n'en finissent pas de tomber [...] une mince colonne de feuilles mortes monte vers le ciel, aussitôt rebattues par les trombes d'eau. [...] M. Arsène fouille le sol comme un chien, les feuilles mortes volent d'une extrémité à l'autre de la cabane« 5 ). Noch in der Todesstunde begleiten sie als unklare Vorstellung den Abstieg ins Wasser: »(Mouchette) cherchant vainement à rassembler les images éparses, incohérentes, pareilles à un tourbillon de feuilles mortes« 6 ). 1) 2) 3) 4) 5) 6)
Zitiert von Ο. B. Roegele im »Rheinischen Merkur« v. 24. 9. 1950. G. Bernanos, »Nouvelle Histoire de Mouchette« (1937), S. 1340. Ebd. S. 1264. Ebd. S. 1265. Ebd. S. 1264, S. 1272, S. 1275. Ebd. S. 1343.
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Diese Blätter, Symbol eines ewigen Herbstes, wiederholen in ihrem kleinen Wirbel nur den mächtigen Aufstand der Natur an diesem Abend, dem in einigen Stunden Mouchettes Untergang folgen wird. Sie ist aus der Gesangstunde fortgelaufen, verirrt sich — wohlgemerkt: verirrt sich »ivre de froid et de fatigue« 7 ) auf dem hundertmal gegangenen Schulweg — trifft Arsène, der sie vergewaltigt, und sucht am nächsten Morgen den Tod im Wasser. Ist diese Untat die einzige Ursache des freiwilligen Endes? Bernanos hatte unter dem 3. Juni 1936 seinem Tagebuch anvertraut: »Je voudrais essayer de montrer l'éveil désespéré du sentiment de la pureté chez une enfant misérable [. . ,]«8). Ein solcher Entwurf muß aber für ihn, wie wir sehen werden, den Ausgang schon implizieren. Die Vergewaltigung ist bei genauer Betrachtung auch nur das letzte Glied einer langen Kette von Demütigungen, und fast scheint es so, als hätte es dieser gewaltsamen Annäherung des betrunkenen Schmugglers nicht bedurft, um Mouchette ihrem schlimmen Ende entgegen zu treiben. Der Vernichtungsdrang des Mädchens wird jedenfalls nicht erst in dieser Nacht geboren. Von Anfang an fühlt sich die Halbwüchsige nur in Dunkelheit und Schmutz zu Hause. Sie kennt keine größere Wonne als nach Schulschluß den Kameradinnen fortzulaufen und, im Gebüsch versteckt, die anderen zu belauschen. Den letzten wirft sie gern eine Handvoll Dreck nach. Wenn Mouchette ihre besonders störrische Zeit hat, »ses mauvais jours«") wie die Lehrerin sagt, möchte sie sich buchstäblich mit dem Vieh im Schlamm wälzen. Besudelt taucht sie sonntags nach dem Hochamt aus dem Straßengraben auf, nur, damit sich die Leute über ihr schmutziges Kleid ärgern. Oft muß sie vor der Klasse als Exempel mangelnder Hygiene ihre Hände zeigen, die im Ansatz der Gelenke zwar noch zart, doch am Daumen bereits etwas deformiert und überhaupt schon ein bißchen runzlig und welk sind. Diese natürlich nicht arglos erzählten, sondern planvoll ausgewählten Einzelheiten charakterisieren auf indirekte Weise eine Gestalt, über deren genaues Aussehen wir wieder wenig erfahren. Sie summieren sich zum beherrschenden Zug, der Mouchette für die Mitwelt so schwierig, für den Autor aber so sympathisch macht: zum Bild eines auf Vernichtung zielenden Lebensekels. Er trifft den eigenen Körper, den das Kind aus Wut zerkratzt, ebenso wie das vermutlich einzige 7) Ebd. S. 1270. 8) Zitiert bei A. Béguin, »Bernanos par lui-même«, Collection »Ecrivains de toujours«, Paris 1954, S. 178. 9) »Nouvelle Histoire de Mouchette«, S. 1268.
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Schöne, Zweckfreie, mit dem Mouchette in Berührung kommt. »La musique me dégoûte« 10 ), gesteht sie der Lehrerin, singt absichtlich falsch, kehlig oder in übertrieben pikardisdier Mundart und klappert mit ihren Holzpantinen laut durch die Klasse, um den Gesang zu stören. Von solchen Ausbrüchen hören wir aber vor und nach dem Erlebnis mit Arsène. Auch die Demütigungen des Mädchens durchziehen die ganze Geschichte, überall wird sie zurückgestoßen. Der Vater nennt seine Tochter »espèce de malapprise« 11 ) und prügelt sie grundlos, die Mutter keift, die großen Brüder kommen betrunken heim und schimpfen, der Kleinste, schwachsinnig, macht sie irre mit seinem röchelnden Geschrei. Von unflätigen Bemerkungen der Schuljungen fühlt sich Mouchette geradezu verfolgt; wenn Kirmes ist und das Tagelöhnerkind im Gasthaus aushelfen muß, auch schon von den eindeutigen Wünschen der Erwachsenen. Arsène, der sie genau so kommandiert wie die übrigen Männer, ist ebenfalls betrunken und zwingt Mouchette zu trinken, ehe er sie ergreift. Damit könnte es genug sein, sollte nur ein einzelner »vom Elend« geprägter Mensch vorgestellt werden. Doch der Erzähler drückt diesen Stempel wieder auch der ganzen Umwelt auf. Er schildert die kinderreiche Familie, in der jeder sein Teil von Trinkervorfahren mitbekommen hat, die auf Lumpen schläft, ranzigen Speck ißt oder hungert, wo die Brüder, kaum schulentlassen, ihrerseits Trost im Schnaps suchen und sogar die Mutter sterbend noch nach der Flasche greift. Er beschreibt die zerfallene Hütte am Rande eines fauligen Weihers, deren Lehmmauern vom Frost geborsten auseinander klaffen, bis der meist arbeitslose Vater sie wieder notdürftig mit Reisig stopft. Noch der verstorbene Großvater wird herbeizitiert, weil er, dunkler Affairen wegen nach Guayana verbannt, zurückgekehrt, auf dem Jahrmarkt Possen gerissen und bis zum Todestag vor einem Spiegel, vielmehr einer Spiegelscherbe, Grimassen geübt hat. An der allgemeinen Misere nimmt das Reisig suchende Hutzelweibchen teil, das nur wegen seiner Geistesarmut in die Szenerie gefügt wird, und überhaupt alle Bewohner dieses ironischerweise »Saint-Venant« genannten Weilers, der früher als großer Landbesitz zusammengehörte, nun aber längst zerstückelt und zu Hunger-Parzellen auseinandergerissen worden ist. Ununtersdieidbar, »noirs et poilus comme des boucs, précocement bouffis de mauvaise graisse, les nerfs empoisonnés de café«"), müssen 10) Ebd. S. 1266. 11) Ebd. S. 1316. 12) Ebd. S. 1281. 41
sich diese Statisten mit einer raffenden Generalisierung des Autors begnügen. Sie nimmt leicht variiert die Aussagen über die »troupe humaine« des ersten Romans wieder auf, in denen sich gleichfalls eher tierische als humane Züge fanden, und schafft so erneut den wirkungsvollen Hintergrund für die Heldinnen, die sidi vergeblich aus dieser Herde zu lösen versuchen. »Vom Elend geprägt« sind noch die »lapins mal nourris, à peine plus gros que des rats«13), von denen wir hören, daß sie den sowieso armen Boden mit ihren Bauten unterminieren, ist selbst noch das häßliche Schulhaus, hinter dessen schmutzigen Fensterscheiben die Lehrerin mit rheumatisch entstellten Händen das — natürlich verstimmte ·— Klavier traktiert und aus ihm »une espèce de plainte mugissante« 14 ) zieht. Wieder spielen auch die Elemente dramatisch mit. Von saftigen Zweigen, die sich an diesem novemberlichen Märzabend im Sturm biegen würden, ist nicht die Rede, dafür aber von toten Ästen, die brechen und sogleich im gierigen Boden versinken. Die Erde hat etwas Tückisches. Als Mouchette über eine Pfütze springen will, packt sie zu: »[.. .] le sol se referme sur l'un des souliers avec un affreux bruit de gueule qui läppe«15). Barfuß rollt das Kind in einen Graben und nimmt so schon jetzt die Gebärde seines Sterbens vorweg. Aber nicht nur hier ist der Weg irreführend und morastig. Um den Zustand zu verallgemeinern, erzählt der Autor auch von Mouchettes früherer Wohnung in der Berbrocker Gegend, wo man sich des nachts nur mit Spürhunden nach draußen wagen konnte, »expert à flairer sous la croûte durcie la boue gluante, qui en dix minutes, pouce après pouce, aspire un homme«10). Zu diesen belastenden Momenten gesellt Bernanos drei Bilder des Todes, die auf das Kind verführerisch wirken müssen. In seiner Welt stirbt es sich ja sowieso ziemlich leicht, wenn wir an das qualvolle Leiden Emmas und das fast spielerisch vollzogene Ende der ersten Mouchette zurückdenken. Diese Szenen lassen gleichfalls die geheime Affinität des herumgestoßenen Mädchens zu Stille und Frieden des letzten Schlafes erkennen. Wie sonst erklärt es sich, daß die Vierzehnjährige nicht fortläuft, als der Schmuggler, von einem epileptischen Anfall getroffen, wie »tot« vor ihr zu Boden sinkt? Der eben gefühlte Schmerz, »un malaise, un vide, une nausée« 17 ), löst sich in diesem 13) 14) 15) 16) 17)
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Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.
S. S. S. S. S.
1269. 1267. 1270. 1278. 1274.
Anblick, und Mouchette, aus der man früher jeden Ton fast herausprügeln mußte, beginnt zu singen. Als Arsène erwacht, ist sie bestürzt, weidet sich dann aber am Geständnis des Wilddiebs, der den Landhüter im Handgemenge getötet zu haben glaubt. Doch Mathieu lebt. Er hat seinem Gegner sogar eine schwere — und oft gezeigte — Bißwunde zugefügt. Aber wieder ist Mouchette enttäuscht. Auch die rasch verfallenden Züge der Mutter, die noch in der gleichen Nacht stirbt, erschrecken sie nicht. Sie hört nur eine unbegreiflich zärtliche Stimme, und nun muß es dem Kind so scheinen, als schmelze diese nicht gekannte Weichheit der Mutter mit dem Tode zusammen, als würden nur in seiner Nähe früher unvorstellbare Liebkosungen leicht und selbstverständlich. Die Sterbende träumt derweil von einem jungen schönen Arzt mit schlanken Händen, die den Tod kennen . . . »Je comprends la mort. [. ..] Je comprends très bien aussi les morts«18), versichert die Leichenfrau, durch die Bernanos zum dritten Mal den Tod heraufbeschwört, gesteigert jetzt zum Versprechen eines Festes. Ihr kräftigstes Schimpfwort auf den Lippen, hat Mouchette die tote Mutter und die betrunkenen Männer verlassen, streift durchs Dorf und endet anscheinend zufällig ihren Gang bei der Glöcknerin. Dort aber wird sie geheimnisvollerweise längst erwartet: Si je ne t'ai pas parlé plus tôt, c'est parce que le temps n'était pas venu. Tout vient en son temps. A quoi bon tenter d'arrêter un cheval tant qu'il rue et mord? Lorsqu'il est bien las, bien rendu, voilà le moment de lui dire une bonne parole et de lui passer le bridón. Bêtes ou gens, tu n'en trouveras guère qui résistent à une bonne parole, à la parole qu'il faut1®).
Das ist sehr hellsichtig bemerkt von jemandem, der früher nie mit Mouchette gesprochen, ihr lediglich vor Monden einen Apfel geschenkt hat, wie ihn auch die Hexe oder Zauberin des Märchens gern an die »Schönen« verteilt. Daß es bei der Alten nicht mit rechten Dingen zugeht, hatte schon eine kleine Solo-Szene angedeutet, in der wir die Glöcknerin, schwarzgekleidet, an Krücken humpelnd, unverständliche Worte murmelnd, vor den Totenbetten des Dorfes sahen, wo sie nachts Wache hält, »[...] les paupières baissées, comme si elle ménageait ses forces ou son plaisir«20). Woher weiß die listige Eigenbrötlerin, daß Mouchette auf den Tod erschöpft ist, nicht mehr weiterkann? Genug, sie weiß es und spricht nun zu dem Kind wie zu einer Schlafwandlerin, wie zu einer Hypnotisierten, die man immer tiefer in ihren Traum 18) Ebd. S. 1331. 19) Ebd. 20) Ebd. S. 1327. 43
verspinnt. »A quoi bon la réveiller, que je me disais. N'a-t-elle pas déjà son plein de misère?«21) Das Mädchen staunt. Es hat wohl nie ein so sauberes Zimmer gesehen, nie einen so guten Duft empfunden, wie er den ordentlich gestapelten Leichentüchern entströmt. Etwas von Reichtum und Fülle ist in alledem. Hier wird man »ma petite«, »ma belle« genannt, hier hört man wunderbare Worte, keinen Trost zwar für ein Weiterleben ohne Mutter, aber etwas Verlockenderes. Zu Anfang der Erzählung hatte Bernanos die Schulmädchen ein Lied singen lassen: Espérez! . .. Plus d'espoir! Trois jours, leur dit Colomb, et je vous dô.o.nne un monde Et son doigt le montrait, et son œil pour le voir Scrutait de l'hô.o.rizon l'i.mmen . . sité prôo. fonde .. ,22).
Damals war Mouchette weggelaufen, jetzt aber lauscht sie gebannt, und ihr Herz füllt sich mit betörender Hoffnung. Als erster Mensch erzählt die Leichenfrau dem Mädchen eine Geschichte, und sie wählt ihren Stoff gut. Die »fameux articles du Réveil de l'Artois« mit ihren phantastischen Liebesschicksalen, von der ersten Mouchette als Traumnahrung gierig verschlungen, wären jetzt gar nicht am Platze. Was andere Unheilkünderinnen einst dem Götterhimmel Wagners zugerufen hatten, variiert die seltsame Alte auf ihre Weise. Sie singt nicht: »Traulich und treu / ist's nur in der Tiefe«"), aber sie versichert Mouchette: »Tout ce qui vit est sale et pue [...] Le jour de la mort de ta mère tu ne vas pas rentrer chez toi comme te voilà. Faut honorer un jour pareil, [...] c'est un grand jour [...] On devrait traiter un mort mieux qu'une fiancée, le dorloter, le bichonner, avant qu'il aille finir de se purifier sous la terre« 24 ). Die Todesbuhlerin erzählt von ihrem Heimatdorf im Gebirge, wo man monatelang die Sonne nicht sah, immer aber den nahen Friedhof vor Augen hatte, »un petit cimetière large comme la main, tu ne peux rien imaginer de plus joli«85), und gerät bei der Geschichte vom jung verstorbenen Schloßfräulein, deren strapaziöse Pflege die Alte statt anzustrengen eher gekräftigt hatte, immer tiefer in ihren Text. »A cause de notre amitié«26) schenkt sie Mouchette schließlich die ganze Hinterlassen21) Ebd. S. 1332. 22) Ebd. S. 1265 f. 23) Richard Wagner, »Das Rheingold«, 4. Szene, letzter Gesang der Rheintöchter. 24) »Nouvelle Histoire de Mouchette«, S. 1332, S. 1331, S. 1333. 25) Ebd. 26) Ebd. S. 1333 f.
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schaft des adligen Mädchens, lauter feine, zarte Sommerkleider, deren blaue und weiße Farbe nodi einmal den besonderen Rang der zur Nonne bestimmten Verstorbenen andeutet. Aber audi dieses Kind ist »vouée«. Mit seinem Paket verläßt es die Gauklerin, auf dem Herzen noch den Druck ihrer Hände, »deux petites bêtes grises à la poursuite d'une proie invisible« 27 ), die den Bund besiegelt haben. Ist das Leichentuch für die Mutter beigelegt? Dann hätte es die Glöcknerin wohl besser selber ins Trauerhaus getragen, wo sie sowieso die kommende Nacht im mysteriösen Zwiegespräch mit der Toten verbringen wird, dann hätte der Autor nicht schon die im Sturm aufgewirbelten toten Blätter des gestrigen Abends momentan »comme un voile funèbre« um Mouchettes schmächtige Gestalt legen dürfen. Er, der die vergangenen Stunden immer wieder mit einem »peine perdue«, »malédiction!«, »hélas«28) begleitete, wird das Kind jetzt auf seinen letzten Weg schicken. Vor einer verlassenen, mit Wasser gefüllten Sandgrube angelangt, läßt Mouchette ein Kleid des gleichaltrigen Schloßfräuleins durch die Hände gleiten. Da sieht sie plötzlich unter dem hauchzarten Gewebe ihre eigene Haut, die braun, ja schwarz durchschimmert. »Quelques secondes elle regarde cette main avec étonnement, puis avec dégoût, puis avec une sorte de terreur« 29 ). In diesem Augenblick, fährt der Erzähler fort, sei zum ersten Mal der Selbstmordgedanke in Mouchette aufgetaucht. Wir wollen ihm glauben, mit der Einschränkung freilich, daß er selber zunächst alle lauten und leisen Register gezogen hat, um seine Heldin dieser Krise entgegenzutreiben. Es ist auch der Moment, sich der zitierten Journal-Eintragung zu erinnern. Ein glücklicher Einfall, für das Erwachen der »pureté« das zarte Sommerkleid jenes »geweihten« adligen Mädchens auf der schmutzigen, schon welken Hand Mouchettes auszubreiten. Aber der Kontrast gilt nur einen Augenblick lang. Denn der Stoff ist von Nadeln zusammengehalten, die, »rouillées par le temps«30), die gleiche Farbe haben wie ihre eigenen Schuhe, und das Unglück, vielmehr der Autor will es, daß das feine Gewebe jetzt unter diese rostroten Pantinen gerät. »[...] et la brusque secousse la déchire de haut en bas«31). Ein Fetzen bleibt am Vorsprung hängen, als sich Mouchette neben dem Aushangschild voll 27) 28) 29) 30) 31)
Ebd. S. Ebd. S. Ebd. S. Ebd. Ebd. S.
1337. 1268, S. 1270, S. 1304. 1339. 1342.
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obszöner Schmierereien ins Wasser gleiten läßt, dem Tod, dem einzig Reinen, entgegen. Hat Bernanos diesmal literarisch ausgeführt, was er als seine Absidit skizzierte? Unter der Voraussetzung, daß das erwachende Gefühl der Heldin unweigerlich in den Tod münden mußte, daß Tod und Reinheit als Synonyma verstanden werden, kann man die Frage bejahen. Auf das Ende kam alles an, darauf hatte alles gezielt, die Vergewaltigung so gut wie der entfesselte Sturmwind, das Bellen ferner Hunde wie das Flüstern des regengesättigten Bodens, »son sanglot de cristal« 32 ). In Moudiettes Todesstunde waren als Vorstellung von den deformierten Händen des Vaters, der Brüder, der Lehrerin, sogar die »mille bras« des Prologs aus dem Schatten aufgetaucht, und um ein letztes Moment zu nennen, so hatte auch das Feuer in dieser Geschichte seine verheerende Rolle gespielt, sei es, daß der Erzähler mit ihm gespenstische Formen entwarf, die Säulenbildung der »feuilles mortes« nachahmte oder »mouches bleues«33) auf den Boden der Jagdhütte zeichnete; sei es, daß er uns in seinem Flackern die sowieso häßlichen Dinge noch grauenhafter verzerrte: die blutenden Kaninchen in Arsènes Rucksack, die Bißwunde, die in Schweiß gebadete, halbnackte Gestalt des Schmugglers, den epileptischen Anfall, später die blaue Zunge der sterbenden Mutter und ihre krampfhaft zuckenden Lider. Vom dürren Reisig nur kurzfristig gespeist, häufte sich die Glut rasch zu Asche, und ihretwegen vor allem hatte der Autor das Feuer wohl entzündet, damit Mouchette das Symbol der Vergänglichkeit durch ihre Finger rieseln und sich das Mal des Todes selber vor die Stirn zeichnen konnte. Aber nimmt man alles zusammen, die schwermütige Landschaft, das Elend im Elternhaus, die gewaltsame Annäherung Arsènes, die zweideutigen Geschenke der Leichenfrau — nichts vielleicht hatte Mouchette so in Bann geschlagen wie die »Cyclone«-Geschichte des Schmugglers, jene seltsame Erzählung, in der die gegenwärtige Nacht mit einer längst vergangenen Naturkatastrophe verschmolzen wurde, überraschend genau erinnerte sich der Epileptiker dieses Wirbelsturmes vor zwanzig Jahren, hinter dessen Ende bereits etwas von der Stille des letzten Erdentages zu spüren war: La diose s'est passée d'abord en mer, au large, à des milles et milles de nous, et elle est venue en suivant la côte des Anglais. A Boulogne, le ciel était si noir que les bourgeois sortaient dans la rue. Il s'est fait un grand silence, puis la mer, du côté de nord-ouest, 32) Ebd. S. 1270. 33) Ebd. S. 1278.
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figure-toi, la mer s'est mise à bouillir. Oui, tu aurais dit l'eau d'une casserole lorsqu'elle commence à chanter. Mais on n'entendait rien encore. On n' a même pas entendu grand-chose. On a seulement vu soudain les bâtiments de la douane entourés d'une vapeur, — pas une fumée, comprends bien — une vapeur. A croire que l'air bouillait, lui aussi. Et voilà que le toit des docks s'est soulevé lentement, lentement. De loin, ça ressemblait à une bête qui se gonfle, un dragon. Puis, la voilà encore, cette sacrée toiture, qui bat comme une voile, et monte dans le ciel, avec une charpente, vrac! Nous regardions, tu penses, nous — les gosses! Quand le cyclone a passé sur la ville, la terre a tremblé. Mais dans ce cas-là tu ne sens pas la force du vent: elle aspire, tu es dans le vide. Tu n'entendrais même rien du tout, n'était les briques des faîtes, les ardoises qui pètent de toutes parts, un vrai feu de salve. La ville et la mer fumaient ensemble34). Moudiette hatte redit, sich von dieser Geschichte beeindrucken zu lassen, denn mit ähnlichen W o r t e n schildert die Apokalypse das Ende der Welt 3 5 ).
34) Ebd. S. 1275 f. 35) Offenb. Joh. 13, 1; 16, 18 ff.
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»L'Imposture« — »Une Nuit« — »La Joie« 11. September, rue Toullier So, also hierher kommen die Leute, um zu leben, idi würde eher meinen, es stürbe sich hier. R. M. Rilke, »Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge«
Denkbar größte Verschiedenheit in der Wahl des Schauplatzes zeigen die beiden folgenden Werke. »L'Imposture« schildert das Leben des ungläubig gewordenen Priesters Cénabre und spielt in Paris. Die Erzählung »Une Nuit« führt ans Sterbebett eines vergifteten Matepflückers im mexikanischen Urwald. Zwei Kontinente also, und doch die gleiche Vision; zwei Welten — aber die nämliche Blickrichtung auf Verfall und Untergang. Mit »La Joie« kehrt sie ins gewohnte Provinz-Milieu zurück und findet dort im Verlöschen des Hauses de Clergerie ihr stellvertretendes Ziel. Erinnert man sich des ursprünglich beabsichtigten Romantitels »Les Ténèbres«, so rücken die beiden Geschichten freilich schon näher zusammen. Dunkelheit, Finsternis gibt das Dekor auch dieser fern voneinander situierten Werke ab, und natürlich ist es wieder die Nacht in Bernanosscher Pointierung, als Mitspieler, als Komplize des Bösen. Der Plural des später umbenannten Titels bleibt gleichfalls weiter bestehen, denn das Geschehen umfaßt nicht nur die eigentliche »Imposture« des Priesters. Es bezieht die dekadente Gesellschaft der Hauptstadt und schließlich sogar Paris selber als wesentlichen Gegenstand ein. Erst am Ende der Fortsetzung »La Joie« ereilt Cénabre, der nach der umständlich geschilderten, fast in Selbstmord mündenden Glaubenskrise zu einem Kongreß nach Deutschland reist, das Schicksal der Präsidentin dieser »Société internationale des études psychiques«. Wie Frau Eberlein, die ihren Verstand verloren hat, »une nuit d'hiver, au fond de son affreuse résidence de Schlestadt pleine de bêtes hallucinées« 1 ), verfällt auch der Abbé dem Wahnsinn. Es war vorauszusehen gewesen. Nach der dichterischen Konzeption dieses Romans wirkt die Sünde nämlich wie eine unaufhaltsam fortschreitende Geistes1) G. Bernanos, »L'Imposture« (1927), S. 377.
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krankheit, audi hier schon begleitet von den Symptomen jenes schleichenden Verfalls, der im »Journal d'un curé de Campagne« ihre Wirkungsweise als »cancer« demonstrieren wird. Abbé Cénabre beginnt also, sich zu vernachlässigen. Die Welt betrachtet ihn zwar weiterhin als untadeligen Kleriker und feinsinnigen Psychologen, er aber steigt von nun an mit Schuhen ins Bett, spuckt auf die Seidendecke und beschmutzt seine ehedem so sorgfältig gehüteten Folianten absichtlich mit Fettflecken. »Mon maître [...] devient sale. [ . . . ] Un homme si soigneux« 2 ),konstatiert die Putzfrau. Er, der stets die größte Distanz zu allen Menschen gehalten hat, ergibt sich jetzt dem Zauber der Verworfenheit. Wie sein junger, blaßäugiger Bruder in der barbarischen Natur von »Une Nuit« spürt, daß seine Enttäuschung, sein dégoût sich zum Erbrechen steigert, so sucht Cénabre seinen Lebensekel zu nähren: im dritten Teil des Romans begegnet er endlich einem Pariser Bettler, in dessen Lügengeschichten und hampelmannähnlichen Grimassen er fasziniert sein Spiegelbild erkennt, »ainsi qu'un reflet dans l'eau noire« 3 ). Mit diesem fortschreitenden Verfall der Hauptfigur — oft unterbrochen von langen abstrakten Exkursen über die Sünde, Abhandlungen, die der Komposition des Romans nicht zum Guten ausschlagen — könnte die Handlung enden. Bernanos aber läßt es nicht damit bewenden. Er erweitert den Ausblick auf Cénabres Welt, auf die Kreise von Journalisten, Schriftstellern, Wissenschaftlern und höherem Klerus, in denen der Abbé verkehrt. Zufällig sind es acht Repräsentanten, die den Querschnitt durch die korrupten Salons der Hauptstadt legen, aber nicht von ungefähr denkt man an die »Sept Vieillards« Baudelaires — und an den achten, den er nicht mehr ertragen zu können glaubte 4 ) —, an jene Spiegelungen des Bösen, Nächtlichen, Verfallenden also, die längst vor Bernanos dort wahrgenommen worden sind, wo es galt, den poetischen Reiz der Kapitale ins Greisenhafte, Untergangsreife zu wenden. Wie uns der Selbstmörder Pernichon, Redakteur der Kirchennachrichten, »d'une feuille radicale, subventionnée par un financier conservateur, à des fins socialistes« 5 ), von Anfang an als Moribunder gezeigt wird, so liegt auch die übrige Gesellschaft der Gescheiterten in den letzten Zügen. Aber nicht nur dies Strandgut verkommt, auch die Gesichter der Erfolgreichen sind bereits fast ohne Leben, sind — wie Spengler sagen würde — »auf einen Hintergrund 2) 3) 4) 5)
Ebd. S. 461. Ebd. S. 469. Ch. Baudelaire, »Les Fleurs du Mal«, Les Sept Vieillards. »L'Imposture«, S. 312.
4 Padberg
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von Stein abgestimmt« 6 ). Die Frage Cénabres an Pernidion »Vous croyez-vous donc vivant?« 7 ) enthält die Antwort schon in sich, und zwar für die ganze Gesellschaft. (Wenn dieser Romanteil in der ersten deutschen Übersetzung fehlt, so mag der Übersetzer Jakob Hegener davon ausgegangen sein, daß die Handlung selber durch ihn nicht weitergeführt wird. Der Verlag beweist jedoch mangelnde Einsicht in das »Thema« des Bernanosschen Romans, sonst ginge es nicht an, dem Leser diese freilich nicht erbauliche und in Gegenwart eines Bischofs schockierende Unterhaltung vorzuenthalten 8 '.) Prüft man das Gespräch dieser Diplomaten, Schriftsteller und Wissenschaftler, zwischen denen sich als einzige Dame Mme Jérôme aufhält, Verfasserin des »A mon Vainqueur« betitelten, ihrem Gatten gewidmeten, von einem Liebhaber finanzierten Gedichtbandes, so drückt sich in ihm nichts als Feindseligkeit, Intriganz und gegenseitige Bespitzelung aus. Aber auf die übrigens immer nur eben aufgenommenen und wieder fallengelassenen Gegenstände dieser Diskussion kommt es kaum an. Wichtiger ist die Deformation der Partner in häßlidie Einzelheiten, die sich als Glatzköpfigkeit, Fettleibigkeit und Aufgedunsenheit bei den einen, als giftiger Speichel, Blässe, Hüsteln und Blutspucken bei den anderen darbieten. Ob der Bischof von Paumiers seine fahlen Wangen streichelt, »ainsi qu'une fille met son rouge«*), ob Jumilhac mit steinblassen Händen eine zynische Bemerkung unterstreicht, ob Jérômes Stimme »grêle et fêlé« in Ziegengemecker ausartet oder M. Catani sein »sourire d'agonie« zeigt10), man gewinnt den Eindruck, nicht die Elite des französischen Geisteslebens sei hier versammelt, sondern eine Schar Halbirrer, Schwerkranker, debiler Narren, die, wie es von Catani gesagt wird, »à la race de ces moribonds éternels« gehört 11 ). Diese Wirkung zu verstärken kann sich der Autor gar nicht genug tun. Bei jeder Bemerkung seiner Gesprächspartner weist er den Leser erneut auf ihren physischen Zustand hin, der das Bild von lauter lebendigen Leidinamen suggerieren soll. Vollends ins Perverse stilisiert ist der Effekt am Ende des Kapitels, wenn wir das »Höllenhaus« des wegen seiner unsittlichen Bücher bekannten Sdirift6) Oswald Spengler, »Der Untergang des Abendlandes«, München 1922, Bd. 2, S. 117. 7) »L'Imposture«, S. 319. 8) Allerdings hat sich der Herausgeber später eines Besseren belehren lassen: 1956 erschien eine neue, ungekürzte Ausgabe des Romans. 9) »L'Imposture«, S. 384. 10) Ebd. S. 389, S. 409. 11) Ebd. S. 416.
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stellers Guérou betreten, wo ein zehnjähriges Mädchen in Strümpfen über einen staubigen Teetisch der Begierde Guérous entflieht und der Masseur Jules anschließend den trägen Kreislauf seines Herrn mit Hieben und Schlägen traktiert. Statt des klassischen Werkzeugs bedient er sich zwar eines nassen Handtuchs. Aber schon hier denkt man an die Peitsche des Herkules Bell aus einer anderen UntergangsVision, von der später die Rede sein wird12). Wie der amerikanische Konservenfleisch-Millionär verkörpert auch Jules das Böse: an den mit einer Säure nur schlecht entfernten Tätowierungen seiner mächtigen Arme erkennt man das Mal der Häftlinge von den Teufelsinseln. Eine höchst verwahrloste Gesellschaft, diese Pariser Akademiker. Indes, wäre man geneigt, Oswald Spenglers poetischer Behauptung zu trauen, nach der ihre Leblosigkeit durch den »Hintergrund von Stein« motiviert wird, so, als läge es an der Wüste von Stahl und Beton, daß hier Menschen hausen, »wie kein natürliches Wesen sie je geahnt hat«13), dann ist zwar auch Bernanos in der Darstellung seiner Pariser Romangestalten zum Teil einer ähnlichen Fiktion gefolgt, aber unter den »natürlichen Wesen« der Erzählung »Une Nuit« geht es nicht anders zu. Nur drei Menschen versammeln sich dort in der exotischen Hütte, die mit einer wilden Katze »à demi dépouillé de sa peau«14) als makabrem Zeichen geschmückt ist. Wie der einst kraftstrotzende Guérou von Weibern zugrunde gerichtet worden ist — »par des femelles, des garces [...] et qui n'ont pas l'âge, des vrais singes«15) — und nun gefällt auf seinem üppigen Bett liegt, so wird der Matepflücker Alahowigh fern im Urwald durch eine Frau ins Verderben gestürzt. Bisbillittas wegen hat er seinen weißen Kameraden ermordet, der sie mit mehr Erfolg liebte als der Mestize. Aus Rache dafür ist ihm ein übler Trank gebraut worden, und nun rinnt an seinem geschwollenen rotfleckigen Kinn der gleiche giftige Speichel entlang, der aus den bläulichen Lippen der Pariser Intellektuellen als dünner Faden rann. Er redet auch wie die totenähnlichen Hauptstädter, nämlich stotternd und sinnlos, und wenn jetzt der anwesende Europäer die Giftmischerin ermordet, selber aber so müde und von Ekel geschüttelt fortgeht, als habe er nur noch das eigene Ende zu vollziehen, so hebt sich natürlich die Spenglersche Antithese auf. Bei Bernanos handeln die Menschen gleich böse, ob in den Schluchten des »Steinkolosses Weltstadt«, der für Spengler »am Ende des Lebenslaufes einer jeden großen Kultur 12) 13) 14) 15)
Alfred Kubin, »Die andere Seite«, München 1909. O. Spengler, a.a.O. Bd. 2, S. 111. G. Bernanos, »Une Nuit« (1928), S. 23. »L'Imposture«, S. 439. 51
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steht«16), oder in jenen unerschlossenen Landstrichen, die man poetisch ihren »Anfang« nennen könnte. »L'Imposture« spielt als einziger Roman unseres Autors in Paris. »L'humide haieine de la ville encore ténébreuse se dissipait lentement, baissait comme une eau morte jusqu'au sol d'où l'air neuf la repoussait mystérieusement, sans doute jusqu'au fond des caves de fer et de ciment que n'échauffe jamais la générosité d'aucun vin«17). So etwa wird die Stadt erwähnt, oder man sieht Cénabre nachts um einen Platz seines Quartiers irren, die Straßen klingen hohl, die Bürgersteige sind naß, geschlossene, eiserne Rolläden strömen Kälte aus. »C'était comme une autre ville inconnue« 18 ), heißt es zu Recht, denn Paris ist das nicht, sondern ein kellerfeuchter, aus Stein und Zement gefügter, lebloser Hintergrund. Und es ist dodi auch wieder Paris, wie es sich seit Baudelaires »Tableaux« immer dann präsentiert, wenn aus seinem Aspekt die e i n e Seite herauskristallisiert wird, die den »état d'âme« des Betrachters spiegelt. Dann vermögen die Markthallen das Bild des Ganzen in sich zu verkörpern und Florent in ein großes »Leichenhaus« zu versetzen, dann gerinnt aus der Vogelperspektive des Friedhofs von Passy die weite Stadtlandschaft zu einer eisigen Steppe19), dann verirren wir uns mit Malte Laurids Brigge in »endlosen Mauern«, hinter denen es nichts gibt als Kreißsäle, Militärhospitäler, Kliniken und Armenhäuser 20 ), dann ist die Stadt nur eine Verlängerung des »Boulevard l'Enfer« des Esseintes, der in seinem Regen und Nebel die Häßlichkeit Londons erkennt — und auf die Englandreise verzichtet21) —, eine Weiterführung des »Boulevard Noir« Roquentins, an dem man nicht wohnen kann, da sein Klima »trop rude«, sein Boden »trop ingrat« ist22). Bernanos stilisiert Paris auf Baudelairesdie Weise, indem er »le végétal irrégulier« 23 ) von der Szene verbannt und einzig den »paysage de poutres, de fer et de moellons« 24 ) als Hintergrund gelten läßt. In dieser Kulisse streift Cénabre umher. Es kann nodi nicht spät sein, 16) O. Spengler, a.a.O. Bd. 2, S. 117. 17) »L'Imposture«, S. 378. 18) Ebd. S. 23. 19) Vgl. E. Zola, »Le Ventre de Paris«, »Une Page d'Amour«. 20) R. M. Rilke, »Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge«, Gesammelte Werke, Bd. 5, Leipzig 1930, S. 77. 21) Vgl. J.-K. Huysmans, »A Rebours«. 22) J.-P. Sartre, »La Nausée«, S. 43. 23) Ch. Baudelaire, »Les Fleurs du Mal«, La Destruction. 24) »L'Imposture«, S. 327.
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denn soeben erst hat die Nationalbibliothek geschlossen. Und doch hallt sein Tritt auf verödetem Pflaster, zieht er durch eine einsame Wüste. Fiele es dem pedantischen Leser ein, diesen mit fast Balzacscher Genauigkeit angegebenen W e g nachzuwandern, so würde sich ihm Paris zur gleichen Stunde ganz anders präsentieren. Nur bei Bernanos ist der Seinequai ausgestorben, die Rue Bonaparte menschenleer, die Rue de Luynes eine dürre, endlose Steppe, nur bei ihm dringt in diese Stille nichts als die Sirene eines Schleppers, dessen Todesschrei von einem unbekannten Tier in der Ferne aufgenommen wird. Niemanden trifft Cénabre während seines Marsches durch halb Paris als einen schläfrigen Polizisten, die an lange Mauern projizierten Schatten zweier später Zecher und jenen epileptischen Bettler, an den er sich ebenso »gebunden« fühlt wie Brigge an seinen hüpfenden Fremden25). Vor den fahlen Wänden aus Stein und Mörtel heben sich die Grimassen dieses Baudelaireschen »Vieillard« nur um so gespenstischer ab. Vermag Cénabre in ihm entzückt den Doppelgänger zu erkennen, so spiegeln die Fratzen und konvulsivischen Zuckungen des Bettlers doch auch noch einmal alle Entstellungen wider, die die Vertreter des Pariser Salons in immer neuen Umschreibungen darboten. Ja, der Tod ist zum Greifen nahe im Weichbild dieser Stadt, die sich wie ein hartes, kaltes, stummes Mineral gibt. Aber auch dort, wo Bernanos ihr, um mit Spengler zu sprechen, ein »Gesicht«, ein »Mienenspiel« verleiht, sagt er mit anderen Worten immer nur das Gleiche. Am Tage glotzt Paris dumm, in der Nacht stöhnt, wankt, klagt und röchelt die Stadt, selber eine Sterbende. Auch diese Terminologie hat Baudelaire vorweggenommen, wenn er die Straßen brüllen und heulen läßt w ), und man könnte an seinen Gedichten so gut wie an der Bernanosschen Prosa beweisen, daß jede Tageszeit ins gewünschte Todessymbol umzudeuten ist: die Morgenfrühe, weil sie die Schmerzen der Kranken unerträglich steigert, der Mittag mit seiner bleiernen, drückenden Schwüle und seinem schwefligen Licht, der Abend, hier wie dort Komplize des Verbrechers und des Todessüchtigen, indem er den Geruch von Gräbern mit sich führt. Das »Journal d'un Curé de Campagne« wird später ähnliche Aussagen auf die Industriestadt Lille beziehen, wo die finsteren, schmutzigen Straßen als ein einziger Hinterhof erscheinen. W i e Roquentin Bouville in Paris wiederfindet, so soll der Bernanossche Leser gleichfalls überall Stadt, Häßlichkeit und Untergangsreife quasi als Synonyma nehmen. Daß nicht nur die Kapitale, sondern eben jeder größere Ort diesen Charakter hat, wird ihm 25) R. M. Rilke, a.a.O. S. 84. 26) Vgl. Baudelaire, »Les Fleurs du Mal«, Les Aveugles, A une Passante.
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nodi einmal ausdrücklich versichert: »Pourquoi voudriez-vous qu'elles annoncent la joie, bâties dans la peine et la sueur? La liberté, puisqu'elles sont les forteresses où s'est réfugié, devant la rébellion des choses et des éléments, Adam vaincu? La vie — ces demeures transitoires, gardiennes seulement de nos os?«27) Beinhäuser sind alle Städte. Aus dem brausenden Leben von Paris hat Bernanos also durch geschickte Wahl der Ausschnitte, durch Pointierung und Umdeutung der Wirklichkeit eine Stätte der Verlassenheit, ein Sinnbild des Todes gemacht. W i e aber soll ihm das am Schauplatz von »Une Nuit« gelingen, im Urwald, dessen kaum auszubeutende Fruchtbarkeit ständig emporquillt, einem ewigen Frühling gleich? Nun, fand der Erzähler die »eaux mortes« seiner Artois-Erinnerung in der Weltstadt wieder, so wird er am Pazific die »feuilles mortes« der Moudiette-Gesdiidite entdecken. Nur wenige Hinweise auf den Handlungsort gibt er uns diesmal, doch schon aus ihnen formt sich ein Bild. Auch diese üppige Region ist für Bernanos nichts als ein Land der Verwesung. Spürte man in Paris die Sterilität des Steinkolosses, so wendet der Autor hier seinen Blick auf die »fécondités de la corruption«28). Da wimmelt und krabbelt es von fabulösen Insekten, Nagetieren, Raubtieren, die den Boden, »noir et vénéneux« 29 ), bearbeiten, da ist die giftige Erde übersät mit betäubend duftenden Pflanzen, vor allem mit jenen so gut ins Bild passenden »champignons phalliques«®0); da regnet es große weiße Blüten, die aber, mit der Wunde des Franzosen in Berührung gekommen, »ainsi qu'un petit tas de boue grise« 31 ) auf dem Boden zusammenschrumpfen und sogleich welken. Hitze strömt diese Erde aus wie der Asphalt zu Paris, sie klagt und stöhnt wie die Stadt, bläht sich und platzt »ainsi qu'une pâte qui fermente« 32 ), große Staubwolken aufwirbelnd. Hielten sich dort die Gerüche über Nacht — Gerüche aus Jodoform, Schweiß und Angst, wie Rilke sagen würde —, so lagert audi über dieser Wildnis ein schwerer Dunst »à l'odeur intolérable« 33 ). »Sacrée forêt de malheur«34), ruft der junge Franzose aus, der seine Energie in diesem Brutkasten schwinden fühlt, und er hat Recht, denn der Wind schwillt zu einer scharfen, zerreißenden Klage 27) »L'Imposture«, S. 327. 28) »Une Nuit«, S. 17. 29) Ebd. 30) Ebd. S. 17 f. 31) Ebd. S. 17. 32) Ebd. 33) Ebd. S. 20. 34) Ebd. S. 18.
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an, aber schlimmer ist noch, was sich unter der Oberfläche, »sous le hypocrite manteau de feuilles mortes (!)« abspielt 35 ). Tausende von aschfarbenen Insekten schlüpfen hervor, verschwinden, wie von Zauberhand geleitet, und krabbeln wieder heran. Sie fressen einen Leichnam auf, während in der Ferne der Schrei jener »bête inconnue«8®) aufzuckt, den wir schon im nächtlichen Paris vernahmen, auch er Symbol eines Schauplatzes, an den man nicht »um zu leben« reist, wie der junge Franzose, Waise und begütert wie René, vielleicht geglaubt hatte. Mit der Erzählung »Une Nuit« scheint Bernanos die Verwendbarkeit von Insekten und Nagetieren für sein zur Vernichtung drängendes Werk klar geworden zu sein. Von nun an tauchen sie immer häufiger auf. Der nächste Roman »La Joie« beispielsweise lebt ganz von der Fiktion, daß sich ein Haus mit Hilfe einiger Dutzend Nagezähne erledigen läßt. Aber die Unterstellung bleibt nur ein Bild, weil der Autor den Vergleich zwar konsequent durchführt, indem er die Bewohner und Gäste des Landhauses mit Ungeziefer und Ratten gleichsetzt, sie ständig am Geheimnis Chantals »nagen« und »fressen« läßt, doch dabei bleibt es auch. Das Mädchen wird gewiß von all diesen Wissenschaftlern und Psychiatern in die Enge getrieben. Ihr Tod indes ist gewalttätig: der russische Chauffeur ermordet Chantal. Und das normannische Gutshaus bleibt zwar einsam, ausgestorben zurück, doch in der Hitze löst sich nur der Kitt von den Fenstern, man sieht aber nicht, daß sich auch schon Ratten und Mäuse darüber hermachen. Diese Bemerkungen treffen die Ausführung, nicht das Thema des Romans, dem es wie immer um Auslöschung und Tod zu tun ist. Wir halten das Werk mitsamt seinem ersten Teil »L'Imposture« nach dem künstlerisch geschlossenen kleinen Mouchette-Roman für schwächere Arbeiten, wenngleich »La Joie« Bernanos den ersten literarischen Preis einbrachte 57 ). Sein Erzählertalent eignet sich offenbar nicht zur Darstellung der Freude, und man denkt unwillkürlich an eine angekündigte Sammlung von Geschichten Barbey d'Aurevillys: »Après les Diaboliques, les Célestes, si on trouve du bleu assez pur. Mais y en a-t-il?«38) Dieses Werk wurde bekanntlich nie geschrieben. Nach dem finsteren Beginn »Les Ténèbres« die Vertreibung der Schatten, die Auflösung in Licht und Freude, wenn, ja wenn der Erzähler, »qui distillait la vie dans son cœur, pour en extraire l'essence secrète, 35) 36) 37) 38)
Ebd. Ebd. S. 17. Prix Femina 1929. Schluß des Vorwortes zu »Les Diaboliques«.
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embaumée, empoisonnée« 39 ), einen helleren Standort finden könnte. Allein, wir sehen ihn wieder »accoudé à la table de marbre« 40 ), verdammt, wie Baudelaire sagte, »à peindre, hélas! sur les ténèbres« 41 ). Gleichviel, ob es an dieser Gebärde des Schreibenden liegt, daß die Vision nächtliche Konturen gewinnt — fast scheint es so, denn Baudelaire hat sich in seinen »Fleurs du Mal« immer wieder ähnlich porträtiert, und auch Barbey d'Aurevilly hat es zu Anfang des Romans »L'Ensorcelée« getan 42 ), die »Freude« bleibt ein Titel, sie strahlt nicht aus. übrigens erscheint die Vokabel nur selten im Roman, und wo sie einmal aufgenommen wird, folgt der »Abgesang« unmittelbar. Die einzige längere Naturbeschreibung dieses und des ganzen Bernanosschen Werkes überhaupt beweist, was wir sagen möchten: La joie du jour, le jour en fleur, un matin d'août, avec son humeur et son éclat, tout luisant ·— et déjà, dans l'air trop lourd, les perfides aromates d'automne — éclatait à chaque fenêtre de l'interminable véranda aux vitraux rouges et verts. C'était la joie du jour, et par on ne sait quelle splendeur périssable, c'était aussi la joie d'un seul jour, le jour unique, si délicat, si fragile dans son implacable sérénité, où paraît pour la première fois, à la cime ardente de la canicule, la brume insidieuse traînant encore audessus de l'horizon et qui descendra quelques semaines plus tard sur la terre épuisée, les prés défraîchis, l'eau dormante, avec l'odeur des feuilles taris43).
Schon bevor der in hellem Aufschwung beginnende Satz sein Prädikat erreicht, schwingt Herbstliches in der Luft, Hauch der Vergänglichkeit, und über die kostbare Schönheit dieses einzigen Tages breiten sich neblige Schleier. Am Schluß aber ist alles (bis auf die »eaux mortes«, die »feuilles mortes« der frühen Romane) eliminiert. Freilich meint der Titel nicht diese Freude, sondern die mystische Erhebung Chantals, doch auch ihr ergeht es kaum anders. Jetzt hat der Erzähler den Namen seiner Hauptperson geändert. Chantal wird auch die adlige Tochter eines ähnlich verkommenen Hauses im »Journal d'un Curé de Campagne« heißen. Gleichwohl tritt die Heldin so auf, wie Mouchette den Leser verließ, »ses cheveux cendrées« 44 ), und nicht nur diese Einführung erinnert an die beiden literarischen Schwestern. Auch Chantal de Clergerie, Verkörperung der Freude, ist triste, müde, er39) »Sous le Soleil de Satan«, S. 59. 40) Ebd. 41) Ch. Baudelaire, »Les Fleurs du Mal«, Un Fantôme. 42) Barbey d'Aurevilly, »L'Ensorcelée« (1854), Les oeuvres complètes, Bd. 2, Paris 1926, S. 57. 43) G. Bernanos, »La Joie« (1929), S. 552. 44) Ebd. S. 545.
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sdiöpft. Aus einem anderen Milieu stammend und mit schärferer Unterscheidungsgabe ausgerüstet, vermag sie sich über diesen Zustand Rechenschaft zu geben, und so hören wir immer wieder aus eigenem Munde, was der Erzähler in den früheren Werken mit physiognomischen Eindrücken umschrieb, daß sie ohne Kraft, auf den Tod erschöpft sei. Tatsächlich neigt Chantal noch mehr zu Ohnmächten als die erste Mouchette. Immer in solchen Anfällen erlebt sie dann ihre »Verzückung«, die uns unter diesen Umständen zu sehr mit jener Aura und Euphorie verschmolzen zu sein scheint, die sich Fjodor und das übrige, von ihm angestiftete Hauspersonal ersatzweise durch den Genuß von Rauschgiften zu verschaffen suchen. Hätte Bernanos seine Heldin nicht in solchem Maße erblich belastet — sie entstammt einer ähnlichen Familie wie des Esseintes, »la décadence de cette ancienne maison avait, sans nul doute, suivi régulièrement son cours«45), ihre Großmutter ist geistig umnachtet, die Mutter früh an »épuisement« und »ennui« gestorben, der hysterische Vater mißt sich dreimal pro Tag das Fieber — wäre Chantal kein nervöser Spätling, würde man bereitwilliger der beabsichtigten Deutung folgen. Die Voraussetzungen ihrer Ekstasen sollen ja religiösen, nicht medizinischen Ursprungs sein. Wenigstens einmal schildert der Erzähler diese Vision ausführlich. Er tut es in enger Anlehnung an Berichte, die wir von den »Klassikern« der katholischen Mystik besitzen, nur eben mit dem Unterschied, daß die etwa bei Therese von Avila oder Johannes vom Kreuz als »erste Stufe« erwähnte »unio obscura«, »desolatio«, »ariditas«, kein auszeichnendes Moment dieses Zustandes bilden, sondern Chantals Einsamkeit schlechthin charakterisieren und in gewisser Modifizierung alle Romanfiguren betreffen. Wenn sich die Heimgesuchte ihrer Leiblichkeit fast entkleidet, so folgt sie zwar einer uralten mystischen Verhaltensweise, doch könnte man, wie gesagt, dieses körperliche Verlöschen auch ihrer biologischen Erschöpftheit zugute halten. Aber gleichviel, warum Chantal solche übersinnlichen Erlebnisse hat, sehen wir einmal genau hin, was sie denn »schaut«. Nach unseren bisherigen Ermittlungen über den Autor verwundert es kaum, daß er seiner Heldin nicht die Herrlichkeit Gottes zeigt, ein Objekt, das tatsächlich der häufigste, wenn auch keineswegs einzige Gegenstand mystischer Visionen ist, den uns die einschlägigen Zeugnisse überliefern. Solche Bilder münden gemeinhin in höchste Seligkeit, in Wonne und Glücksteilhabe der »unio suavis«. Chantal dagegen »steigt« nicht, sondern fällt. »Littéralement, elle crut entendre se 45) J.-K. Huysmans, » A Rebours« (1884), Paris 1929, S. 2. 57
refermer sur elle une eau profonde« —• (so starb die zweite Moudiette) — »et aussitôt, en effet, son corps défaillit sous un poids immense, accru sans cesse et dont l'irrésistible poussée chassait la vie hors de ses veines« 49 ). Ganz ähnlich hatte Donissan im Novemberregen seiner Teufelsnacht empfunden, und wenn man die Illumination der beiden Helden ins Auge faßt, so schenkt sie dem Priester wie dem frommen Mädchen die gleiche Einsicht. Donissans Luzidität zeigte das Wesen der Menschheit als Sünde und unterschied noch in der gleichen Nacht die schon verwesten Gebeine von Mouchettes Ahnen nach ihren »fautes mères«, nach Habsucht, Geiz, Wollust. Die laut Dante schwerste aller möglichen Sünden aber personifiziert sich vor Chantal, wenn sie nun mit dem leidenden Christus gemeinsam des Verrats inne wird: »Car c'est à la trahison, qu'il pense, et elle y pense comme lui. C'est sur la trahison qu'il pleure, c'est l'exécrable idée de la trahison qu'il essaie veinement de rejeter hors de lui, goutte à goutte, avec la sueur de sang [.. .]«47). Nur wenige Schritte vor sich erblickt das Mädchen Judas selber, nicht den kleinen, verhungerten, schlauen Juden, der die Silberlinge mit schmutzigen Fingernägeln prüft — diese Momentaufnahme wird nur dem Leser gezeigt —, sondern in der Stunde, da sich sein Schicksal erfüllt, »qu'il fut dressé à jamais, fruit noir d'un arbre noir à l'entrée du honteux royaume de l'ombre, sentinelle exacte, incorruptible, que la miséricorde assiège en vain, qui ne laissera passer aucun pardon, pour que l'enfer consomme en sûreté sa paix horrible« 48 ). Da ist wieder der gewaltige Baum, den auch Donissan in der sonst völlig leeren Ebene seiner Teufelsbegegnung sah, diesmal ein riesiger Galgen, der den ganzen Himmel einnimmt, dann aber vor Chantals Augen zu schrumpfen beginnt, »un olivier noir et tordu«4"). Sie überschreitet das Hindernis im Schlußsatz der Vision, doch hat der Erzähler diesen Baum so ausführlich geschildert, die groben Narben an seiner Gablung, die grauen Schuppen, die verdorrte Flechte und seinen Panzer aus Moos und Borke, daß dem Leser von der verzückten »Schau« überhaupt nur dieser Galgen in Erinnerung bleibt, — (Bild jener Verwesung, die an Paris, am Urwald dargetan worden war) — und darüber das entsetzliche Haupt des Verräters. So erschafft Bernanos selbst dort, wo er seine Welt ins Mystische transformiert, nichts als eine Szene des Grauens. In der Judas-Erscheinung überhöht er noch einmal das Versagen aller Romanfiguren, der Clergerie, La 46) 47) 48) 49)
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»La Joie«, S. 681. Ebd. S. 684. Ebd. S. 685. Ebd. S. 686.
Pérouse, Cénabre, die nach ihrem mediokren Ausmaß gleichfalls der christlichen »Berufung« untreu geworden sind. Noch am gleichen Abend wird Chantal ermordet. Auf diesen Moment hatten viele Bemerkungen des Inhaltes hingewiesen, daß sich im Hause des Historikers schreckliche Dinge ereignen würden. Kursiv gedruckt und mehr als zehnmal in leichter Variierung wiederholt, bildete diese düstere Prophezeiung das Leitmotiv des Romans und ließ keinen Zweifel daran, daß das H a u s im Mittelpunkt alles Geschehens steht. Die Erzählung, fast ganz in Dialoge aufgelöst, leidet unter solchen meist nur gesprächsweise geäußerten Ahnungen. Dann und wann jedoch setzt der Autor das heraufziehende Unheil auch in sinnliche Wirklichkeit um. So etwa, wenn wir den homosexuellen, morphium- und trunksüchtigen Russen auf leisen Sohlen um Chantal streichen sehen, wenn die von ihm verdorbene Françoise ein Zettelchen unter ihrer Waschtischplatte versteckt, denn das einst gesunde Bauernmädchen sinnt auf Selbstmord, wenn die Speisen der normannischen Köchin kaum mehr angerührt werden, wenn das glühende Gras im Park brakige Flecken bildet oder wenn die Scheinwerfer des Autos kurz vor Fjodors Mord und Selbstmord in der finsteren Nacht so gespenstisch aufsprühen wie die Kontaktstangen an jener Münchener Straßenbahn, in der Rudi Schwerdtfeger seine letzte Fahrt antritt50). Abbé Cénabre stürzt vor den blutüberströmten Leichen ohnmächtig nieder. Damit vollendet sich der Prozeß seiner langsamen Vernichtung, der im Anfangskapital von »L'Imposture« begonnen hatte. Für die Sünde, äußerlich weiter den frommen Priester gespielt zu haben, nachdem er längst nicht mehr glaubte, wird er nun mit Wahnsinn geschlagen, mit jener Strafe also, die Dante seinen Fälschern erst in der Hölle zuteil werden läßt51).
50) Th. Mann, »Doktor Faustus«, S. 594. 51) V g l . »Divina commedia«, Inferno X X X .
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»Un Crime« Car si notre espèce doit périr, elle périra de dégoût, d'ennui. G. Bernanos, »Journal d'un Curé de Campagne«
Im Sommer 1934 schrieb Bernanos seinen einzigen Kriminalroman. Es geschah aus wirtschaftlicher Not. Er wollte diesmal etwas unternehmen, von dem er glaubte, daß es rasch fertigzustellen und bei der Beliebtheit der Gattung gut zu verkaufen sei1). Ein Motorradunfall hatte ihn 1933 für lange arbeitsunfähig und für immer zum Krüppel gemacht. In großer finanzieller Bedrängnis war die Familie 1934 auf die Balearen verzogen, wo das Leben billiger zu sein versprach. Während dieser Zeit arbeitete Bernanos auch an dem schon 1931 begonnenen »Monsieur Ouine« und am Roman »Un mauvais Rêve«, um dessen Schicksal er sich später nicht mehr gekümmert hat. Als Fortsetzung zu »Un Crime« geplant, war die Erzählung in ihrer ersten Fassung vom Verlag nicht angenommen worden. Albert Béguin hat sie posthum aus den Manuskripten des Autors rekonstruiert und veröffentlicht. Tagebuchaufzeichnungen und Briefe gewähren uns Einblick in die Entstehung des Kriminalromans. Dort zeigt sich, daß die Ansicht, ein leichteres literarisches Feld betreten zu haben, schon bald als Illusion erkannt wird. Bernanos streicht und schreibt um. Er erwähnt viele Kladden und Ausarbeitungen, die er später verwarf. Interessant ist also, was er dennoch nicht ausgemerzt hat. Im Kriminalroman ist bekanntlich alles einem Gesichtspunkt unterzuordnen, nämlich der Entdeckung der Tat. Im Zentrum steht demnach fast immer ein Detektiv, dessen rationale Analyse (Dupain) oder künstlerische Intuition (Father Brown) Schritt für Schritt zur Aufklärung führt und dabei dem Leser den Schlüssel zur eigenen Entdeckung nie aus der Hand nimmt. Bei Bernanos gibt es keinen Detektiv, und das Verbrechen bleibt unaufgeklärt. Nur der Leser erfährt durch einen Monolog der Täterin kurz vor ihrem Selbstmord, daß sie reuelos über ihr »crime fortuit« 2 ) nachdenke. Hier werden auch die möglichen Tat1) H. U. v. Balthasar erwähnt in seiner Bernanos-Monographie, daß der Autor gern Kriminalromane gelesen habe, vor allem Simenon. A.a.O. S. 56. 2) G. Bernanos, »Un Crime« (1935), S. 870.
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motive ausgebreitet. Angela tötete den unbekannten Priester vielleicht, weil sie Rache an einem anderen Geistlichen nehmen wollte, der ihre Mutter, eine ehemalige Nonne, verführt hatte. Die Mutter wird getötet oder begeht Selbstmord, damit ein wichtiger Zeuge verschwindet. Die Schloßherrin muß sterben, weil sie der noch nicht Vergessenen eine beträchtliche Erbschaft hinterläßt. ü b e r all diese Fragen erfahren wir nichts Endgültiges. Dem Autor scheint es auf etwas anderes anzukommen. »Un Crime« bezeichnet nur ungenau den Gang des Geschehens, denn tatsächlich handelt es sich um drei Verbrechen. Sie sind wahrscheinlich von der gleichen Person verübt worden, die nach dem ersten Mord die Soutane ihres Opfers anlegt und im schwarzen Ornat das Dorf erobert. »Monsieur Ouine«, ähnlich gekleidet, wird später den Ort Fenouille für sich gewinnen, wie man überhaupt die beiden Romane in vielen Momenten aufeinander beziehen kann. Die Haushälterin im Pfarrhaus verfällt Angelas Charme als erste. Auch die Burschen versuchen, ihr angenehm zu sein. Der Untersuchungsrichter ist sogar bereit, drei Tage Urlaub auf Ehrenwort zu geben, genug Zeit also für die Täterin zu verschwinden. Ein Ministrant endlich steht so im Bann des verkleideten Priesters, daß er mit ihm flieht und ihm bis zum freiwilligen Tod bedingungslos dient. Es ist eine böse Kraft, die von der Verbrecherin ausstrahlt, denn der Richter wird bald schwer krank, der Meßbube wirft sich aus Verzweiflung in einen Fluß. Doch über dem ganzen Dorf scheint ein Fluch zu lasten. Weshalb sonst sind die Menschen dort totenblaß, altern früh, haben blutleere Hände, stoßen Schreie der Angst aus, wenn sie sich begegnen? Unter Schwindelanfällen leidet der Gemeindevorsteher, an Nervenschwäche sein Schreiber. Der Staatsanwalt ist Morphinist und verdirbt die Mädchen des Ortes. Doch Spritzen dieser Art injizieren sich auch die Haushälterin auf dem Schloß und einfache Dorffrauen. Der Fuhrmann Mathurin wird als epileptisch und schwachsinnig geschildert, aber nicht nur er: »La montagne, chez nous, est pleine de ces oiseaux-là« 3 ), heißt es. Bernanos versäumt auch nicht, diese anscheinend ausnahmslos kranken Menschen zu vereinzeln. Die etwas deutlicher hervortretenden Personen sind nicht nur Waisen, sie haben überhaupt keine Angehörigen mehr. »Des palaces, oui! Des pensions de famille tant qu'on voudra, mais de famille point« 4 ), hören wir von der Schloßherrin. 3) Ebd. S. 781. 4) Ebd. S. 787.
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All diese Einzelheiten tragen zur Aufklärung des Verbrechens so wenig bei wie die Beschreibung des Pfarrhauses, »une maison presque sordide, d'ailleurs assez mal famée« 5 ), oder des Schlosses »d'une tristesse que ne réussit à égayer nulle saison, toujours la même sous le soleil ou l'averse, au centre de son jardin dévasté« 6 ). Wir erfahren noch mehr Einzelheiten: die Bäume dort sind immer entlaubt, Rost zerfrißt die Parktore, und der Garten selber ist mit Dornen und Unkraut zugewachsen. Unter einer Schicht von »feuilles mortes« findet man den Toten. Wie in der zweiten Moudiette-Geschichte kann man nicht einmal dem Boden trauen. Wir befinden uns jetzt zwar nicht im Artois, sondern im Gebirge unweit Grenoble. Diesmal haben Schneeschmelzen und Windhosen die Erde so bearbeitet, daß die Wege platzen, übrigens herrscht fast immer Nebel. Aber auch im dritten Romanteil, der in den Pyrenäen spielt, führt der Fluß fahlgelben Schlamm, sein Geruch ist »pourrissant« 7 ), auch hier blicken wir auf leere Zimmer, klaffende Fußböden, wurmstichige Betten, eingebeulte Hotelschilder, auch hier steigt grabeskühler Nebel auf. Der Wirt des Gasthofes, in dem der falsche Priester abgestiegen ist, erinnert mit seinen bösartigen Geschwüren an Pflanzenwucherungen. Auch dies ist also eine schauderhafte Gegend, nicht anders als der Tatort, nicht anders als die Heimat der Erbnichte. Als der Inspektor ihr einräumt: »Je comprends que vous ayez hâte de filer, ce pays est plutôt macabre«, antwortet sie tiefsinnig: »Monsieur, chez nous non plus ce n'est pas g a i . . . « ' ) Diese Hinweise mögen genügen, um zu zeigen, daß »Un Crime« kein Kriminalroman im Sinne der Gattung geworden ist. Diesmal scheint Bernanos sogar richtig in seinem Werk gelesen zu haben, denn am 15. Oktober 1934 heißt es in einem Brief: »J'ai commencé par vouloir écrire un roman policier, mais on est ce qu'on est«9). Sagen wir es deutlicher. Nicht die Entdeckung, nicht die Motivierung und Ausführung der Tat interessiert den Erzähler, sondern die Darstellung einer Welt, die reif ist für jegliches Verbrechen. Es bedarf nur einer kriminellen Belastung, damit ihr Zustand »neurotischer Unterteuft-
5) Ebd. S. 732. 6) Ebd. S. 745. 7) Ebd. S. 848. 8) Ebd. S. 847. 9) A. Béguin, a.a.O. S. 170.
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heit« 1 0 ) offenkundig w i r d . S i e e r w a r t e t i n s g e h e i m schon
»Monsieur
O u i n e « , auf d a ß e r ihr d e n T o d e s s t o ß v e r s e t z e 1 1 ) .
10) Th. Mann, »Doktor Faustus«, S. 52. 11) Ähnlichkeit mit dem Schloßgast weist als Anstifter des Bösen M. Ganse im nachgelassenen Roman »Un mauvais Rêve« auf, der wie »L'Imposture« unter Schriftstellern spielt. W e i l die W e l t sinnlos ist, tötet sich der junge Philipp, läßt sich Olivier von Mme Alfieri zum Genuß rauschstiftender Drogen verführen. Sie ermordet die Tante des Geliebten, dessen Spur sich an einem schmutzigen Hoteleingaing verliert. Audi unter diesem »gelblichen, ekelerregenden Himmel« deutet alles auf das nahe Ende. 63
»Journal d'un Curé de Campagne« Ich sehe dieses Elendes kein Ende als das Grab. Aus Werthers Brief vom 30. August 1771.
Käme es im 1936 erschienenen »Journal d'un Curé de Campagne«, dem schönsten, vom Autor am meisten geliebten, sogleich literarisch ausgezeichneten Roman 1 ), auf Tat und Handlung an, hätte der Schreiber recht, sich wie René zu entschuldigen, daß seine Geschichte fast nur Gedanken und Gefühle enthalte. Von der Notwendigkeit, den Blättern eine interessante Fabel anzuvertrauen, ist er jedoch dispensiert, weil der Autor ihm ein Schulheft vorlegt und ihn damit in sein ärmliches, nicht gerade von »Schnee und Schloßen«2), wohl aber von Regen und Wind umtostes Stübchen einschließt. Wir wollen sagen, daß Bernanos seine literarische Absicht diesmal schon durch die Form bekundet. Auch im Tagebuch bildet der Verlauf der Situationen das erzählerische Element, doch ist keines dieser Momente um seiner selbst willen da. Alles geht von der Stimmung des Schreibers aus und fällt in sie zurück. Mag er auch Rechenschaft von anderen Dingen geben, auf seine Person ist der Blick des Lesers gerichtet, seine Gefühle und Empfindungen geben den Kehrreim zu allen Strophen. Im Journal, dem das Heimlichste anvertraut wird, charakterisiert sich der Held nicht durch Taten, sondern durch seine Innerlichkeit. Solchen Niederschriften, die anscheinend zufällig sind — in Wirklichkeit aber so gewählt, daß aus jeder selbst alltäglichen Bemerkung immer klarer die Melodie eines Lebens tönt — glaubt der Leser trauen zu können, überdies schmeichelt er sich, dem Schreiber über die Schulter zu schauen, er genießt es, sein einzig würdiger Vertrauter zu sein. Das Tagebuch spiegelt noch eine andere, offenbar wichtige Illusion vor. Hier erzählt kein Autor rückblickend, vom festen Standpunkt aus, der das Ende schon kennt, vielmehr entwickelt sich alles erst allmählich, scheint zu Beginn des Romans noch jede Möglichkeit 1) Der Roman erhielt 1936 den »Prix du Roman de l'Académie Française«. 2) Brief Werthers vom 20. Januar 1772. Wir zitieren nach der Ausgabe: Goethes Werke, Bd. 6, Hamburg »1958. 64
freizugeben. Audi dadurch entsteht der Eindruck spontaner Nähe. Die Genauigkeit der Niederschriften wird durchstunden- oder Datenangabe verbürgt. Mit ihnen gewinnt das tatenarme gedankenvolle Dokument an Zuverlässigkeit, und der Leser läßt sich bereitwillig in die private Atmosphäre solcher Briefe und Tagebücher entführen, die nach Goethe »das Unmittelbare des Daseins aufzubewahren vermögen«. Wie der Schreiber die Welt auch umformen mag, er nimmt alles als Tatsache. Am Jahrestag des Beginns wollte unser Anonymus seine Aufzeichnungen verbrennen, aber natürlich erlebt er dieses Datum nicht mehr. Nur so kommt es zur Herausgabe der Blätter durch einen Editor. Wie im Falle des Wertherschen Briefwechsels ist damit der vertrauliche Charakter des Schriftstückes gewährleistet. Völlig unkorrigiert wird das Dokument vorgelegt. Der Herausgeber bemerkt genau, wo der Schreiber Zeilen durchgestrichen, wo er ganze Blätter herausgerissen hat. Wieviele Notizen sind auch vorhanden, die ihre Authentizität dadurch beweisen, daß sie den ungeschickten Verfasser lächerlich erscheinen lassen. Die Freundlichkeit der Gräfin beispielsweise verwirrt ihn derartig, daß er quer über den wunderbar gepflegten Rasen des Parks fortläuft. Stunden nach einem beabsichtigten Aufbruch sitzt der Curé immer noch am gleichen Fleck, weil er nicht weiß, wie man Abschied nimmt. Mit Tintengüssen versucht er die abgetragenen Stellen seiner Soutane zu übertönen. Kaum mehr fähig, das Fahrrad zu besteigen, gründet er einen Sportklub. Durch oberflächliches Lesen der Arzt-Überweisung gerät er statt zum berühmten Spezialisten in die schmutzige Praxis des verkommenen Doktor Laville. Mißverständnisse bringen ihm den Ruf eines Gewohnheitstrinkers ein. Auch diese treuherzigen Bekenntnisse sprechen für einen nicht redigierten Text und wecken die Teilnahme des Lesers an dem naiven, allen Intrigen wehrlos ausgelieferten Helden, der gleich Werther »Schritt vor Schritt [ . . . ] wie ein Kind«3) ins Verderben läuft. Soviel über Eigenart und Wirkung der gewählten Form. Warum aber hat Bernanos diesen Roman als Tagebuch geschrieben? Wir deuteten schon an, daß sich die reale Welt in keiner literarischen Gattung so beiläufig, so unmerklich umdeuten ließe wie im Journal. Darüber hinaus aber bringt der Curé alles für diese Aussageweise mit, wenn man die Voraussetzungen aus jener anderen berühmten Selbstdarstellung herleitet, die als Briefsammlung auf uns gekommen ist. Wie der Held dort ist unser Curé jung, einsam und stirbt früh, wie Werther kann er seine strömende Innerlichkeit nicht produktiv werden 3) Brief Werthers vom 8. August 1771. 5 Padberg
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lassen und läuft, vom »ennui« gepeinigt, »auf verwundeten Sohlen«4) durch eine trostlose Welt. Nirgendwo als an seinem Ruheplatz, den er täglich besucht, »qu'il pleuve ou vente«5), habe ihm die Idee zum Tagebuch kommen können, schreibt der Curé. Dort setzt er sich auf einen modernden Pappelstamm und schaut sein Dorf an. Der Ort liegt ähnlich wie Goethes »Wahlheim«, aber die beiden Betrachter sehen etwas völlig Verschiedenes. Werther überblickt »auf Einmal das ganze Thal«6), sein knospendes, quellendes Leben, tätige Menschen, spielende Kinder — und bald schon in der Ferne das Jagdhaus des Amtmannes, in dessen Bezirk sich das Bild der sommerlich blühenden Welt noch schöner widerspiegeln wird. Dem Curé dagegen erscheint sein Dorf »comme ramassé dans le creux de la main«7), er wird des Engen, Kümmerlichen unseres Daseins gewahr. Denn es ist Herbst, während der Held auf seinem überwucherten, einsamen Stamm hockt, und zwar schon der Herbst des zweiten Goethesdien Briefbandes, in dem auch Werther nicht mehr schreiben würde: »Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen«8), sondern »Meine Blätter werden gelb«9). Dem Curé kommen schon jetzt Todesahnungen. Er meditiert über die Vergänglichkeit wie René, der für solche Gedanken einen laut Chateaubriand noch in seinen Tagen gezeigten Felsblock als Refugium wählte. Von einem ähnlichen Stein aus hatte er einst das erleuchtete Fenster im düsteren Kloster am Meer, dahinter »dans une attitude pensive«10) seine geliebte Schwester erblickt, aber auch den Sturm auf den Wellen, Geborgenheit und Gefahr, Glück und Tod11). 4) Brief Werthers vom 30. August 1771. 5) G. Bernanos, »Journal d'un Curé de Campagne« (1936), S. 1060. 6) Brief Werthers vom 26. Mai 1771. 7) »Journal«, S. 1060. 8) Brief Werthers vom 10. Mai 1771. 9) Brief Werthers vom 4. September 1772. 10) Chateaubriand, »René« (1802), Classiques Garnier, Paris 1958, S. 236. 11) Auf einem Stein sitzend wird der Held der Mussetschen »Confession d'un enfant du siècle« zum erstenmal von der »maladie du siècle« ergriffen. Diese Beichte, genau 100 Jahre vor unserem Journal erschienen, illustriert die allgemeine Lethargie am Zustand Frankreichs nach den napoleonischen Kriegen. Dieses vom »ennui« erzeugte Leiden ist das gleiche, von dem Bernanos behauptet, es habe sich erst nach dem Weltkrieg 1914—18 ausbreiten können. Um das Ausgeschlossensein vom Leben der Gesellschaft anzudeuten, läßt auch Thomas Mann in den »Buddenbrooks« Morten Schwarzkopf »auf den Steinen« sitzen.
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Solche Kontraste, von denen die beiden vergleichbaren Werke leben, wie Frühling-Herbst, Beisammensein-Trennung, Liebe-Verzicht, als Entwicklung bei Goethe, als ständige Antithese im Erzählstil Chateaubriands, nutzt Bernanos nicht. Er zeigt fast stets die Kehrseite der Medaille, und wenn der Curé die »végétation parasite« des faulenden Pappelstammes manchmal hübsch, manchmal häßlich zu finden vorgibt, »selon l'état de mes pensées et la couleur du temps«12), so kann sich der Leser, kennt er nur erst die traurigen Gedanken des Schreibers und das ewige Regenwetter zu Ambricourt etwas besser, den Blick des Curé bei der Betrachtung leicht vorstellen. Einem normalen Spaziergänger wäre das Detail übrigens kaum aufgefallen; dem Tagebuchverfasser aber wohl, und er kehrt fast jeden Tag zu diesem Symptom des Verfalls zurück. Ist die melancholische Grundierung der Niederschriften durch den eben gekennzeichneten Ort verbürgt, so gibt es freilich auch im »Journal« gelegentliche Aufschwünge der Stimmung, die aber gleich wieder ins Triste mündet. Die Hoffnung des Curé auf die Gutwilligkeit der Jungen im Unterricht, auf die Lernfreude der Mädchen wird sogleich enttäuscht. Hatte er geglaubt, wenigstens im Schloß herrsche Frieden, so zeigt der Park schon bald stellvertretend das Elend auch dieser Familie. Der Gärtner harkt trockenes Laub zusammen, und der Anblick der von Herbststürmen geknickten Fichten stimmt bereits jetzt so traurig wie die abgeholzten Nußbäume den Goetheschen Briefschreiber bei seiner Rückkehr ins geliebte Tal18), wie die »fenêtres fermées ou demi-brisées«, die von Moos bewachsenen Treppen des Renéschen Familienbesitzes, nachdem er verkauft worden ist14). Was notiert der Schreiber außerdem in seinem »scrupuleusement exacte« geführten Tagebuch? Betrachten wir zunächst die Pfarrstelle des völlig isoliert lebenden Helden. Daß wir sie nur durch ein subjektives Medium kennenlernen, macht sich der Leser natürlich nicht klar. Er nimmt den Ausschnitt fürs Ganze und läßt sich von allem wie der Schreiber zum Schmerz stimulieren. Wie immer bei Bernanos herrscht auch in Ambricourt Endzeitstimmung. So wäre es in einer normalen Gemeinde zwar unwahrscheinlich, nimmt hier aber kaum mehr wunder, daß während der ganzen Zeit kein Kind geboren wird. Man muß das ausdrücklich betonen, denn wir sind ja wieder in einem notorischen Trinkerdorf, und nach der Erwähnung eines jener »bals de famille«, bei denen die Burschen 12) »Journal«, S. 1060. 13) Brief Werthers vom 15. September 1772. 14) »René«, a.a.O. S. 227. 67 5»
den kleinen Fabrikmädchen übermäßig viel Alkohol einflößen — der Curé wollte zwar protestieren, wagte es dann aber doch nicht — hätte Zola gewiß notiert: »II dut se faire beaucoup d'enfants, cette nuit-là« 15 ). Nein, es werden keine Kinder mehr geboren. Die Welt steht still wie in Kubins Traumreich. Wohl aber haben alle den Keim eines frühen Todes von alkoholsüchtigen Vorfahren geerbt, und so bleibt dem Curé kaum Zeit für etwas anderes als die vielen Krankenbesuche in seinem Sprengel. »J'ai le prétexte d'une visite, son épouse étant gravement malade, et ne quittant pas la chambre depuis des semaines. [ . . . ] J'avais perdu beaucoup de temps à Berguez, chez Mme Pigeon, toujours malade. [ . . . ] Je reviens très tard d'Aubin où j'ai dû visiter des malades« 18 ). Ähnliche Eintragungen ließen sich beliebig weiter zitieren. Von keinem dieser Kranken hören wir, daß er wieder gesund wird. Die Betroffenen stehen auch fast immer allein in der Welt. Schon der Großvater hatte das gleiche Leiden, schon Vater und Mutter starben daran, und der Curé muß sich mit all diesen Gestalten identifizieren, weil audi ihm die gleiche Belastung in die Wiege gelegt worden ist. Wie Werther angesichts des zum Verbrechen getriebenen Bauernknechtes könnte auch er schreiben: »Du bist nicht zu retten, Unglücklicher. Ich sehe wohl, daß wir nicht zu retten sind«"). Aber wieder sind die Aussagen verkürzt. Begegnen Werther die Menschen zweimal, damit er erfährt, daß alle in ihren Hoffnungen getäuscht werden, daß alles Glück in Unglück mündet, so fällt dieser Gegensatz im »Journal« fort. Von Anfang an ist kein Heil zu erwarten, durch das ganze Buch hin sehen wir den Priester an Krankenlagern, auf dem Friedhof, bei der Totenmesse. Was geschieht darüber hinaus, uns auf ein nahes Ende vorzubereiten? Nichts Kriminelles diesmal, keine »choses épatantes«. Der Haß schwelt unter der Oberfläche. Zunächst freilich lesen sich die Notizen darüber wie kleine, nebensächliche Schikanen. So findet der Curé etwa ein Zettelchen, auf dem Séraphita Dumouchel als »la chouchoute de M. le curé« 18 ) gezeichnet ist. Teilt er gutwillig von seinem Wein der Putzfrau etwas zu, bleibt die Flasche unberührt stehen, und Mme Pégriot erklärt zornigen Blicks, daß sie künftig nicht mehr im Pfarrhaus arbeiten wird. Nachts schleicht man durch den Garten, der Graf biegt vor dem Landpfarrer aus, im Schloß möchte man ihn bevormunden, hin und 15) 16) 17) 18)
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Emile Zola, »Germinal« (1885), Paris 1928, S. 172. »Journal«, S. 1047, S. 1108, S. 1139. Werther, »Der Herausgeber an den Leser«. »Journal«, S. 1053.
wieder trifft ein anonymer Brief ein, lauter vorläufige Randbemerkungen, aus denen sich nach dem Willen des Autors das Bild eines Dorfes »en révolte« zusammensetzt19). Von seinen Familien tritt nur das Schloß deutlich hervor. »Mme la comtesse a été parfaite«20), schrieb der unerfahrene Curé nach seinem ersten Besuch dort. Sie wahrt aber nur das Gesicht, denn das Liebesverhältnis des Grafen zu Chantals Erzieherin ist ihr ebensowenig ein Geheimnis wie der Standesgenossin in Barbey d'Aurevillys Erzählung, die ihren Mann, den comte Savigny, an die Kammerzofe Eulalie verloren hat21). Chantal erzählt dem Landpfarrer die düsteren Geheimnisse ihres Elternhauses. Sie schwört darüber hinaus, daß sie sich aus Haß entehren, die Geliebte des Vaters strafen will: »Je la tuerai ou je me tuerai!«22) Was vermerkt das Journal außerdem zu dieser Unterredung in der Sakristei? »L'aube montait lentement à travers les vitres crasseuses, une aube d'hiver d'une effrayante tristesse«23). Der Priester glaubt jetzt zum ersten Mal das wirkliche Gesicht einer Frau zu sehen. Der Leser aber erblickt schon eine Tote, indem er sich der eingefügten Erinnerung des Schreibers überläßt: » [ . . . ] accompagnant ma grandmère chez un vieux cousin défunt et laissé seul dans la chambre, j'ai soulevé le linceul et regardé ainsi le visage du mort«24). Nicht von ungefähr sind die beiden derweil ins Freie getreten, auf den Friedhof, »où l'herbe est si haute qu'on ne distingue plus les tombes, des tombes abandonnées depuis un siècle [ . . . ]«25). Solche szenischen Bemerkungen geben im Journal jeweils den korrespondierenden Rahmen zum eigentlichen Geschehen. Sie legen einen Schleier von Düsternis und Trauer auch über die Umwelt. Wenn der Curé jetzt beispielsweise zum Schloß eilt — als Vorwand dient ihm die Regelung von Totenmessen —, so fällt sein Blick auf den Parkrasen, »fermée par une muraille noire des pins, sous un ciel taciturne. C'était comme un étang d'eau croupissante«26). Die Schloßherrin wühlt in der Asche, ihre zerschlissene Mantilla fällt dabei zu Boden. Noch in 19) Vgl. Brief vom Januar 1935 aus Palma. Zitiert bei A. Béguin, a.a.O. S. 174. 20) »Journal«, S. 1059. 21) Vgl. Barbey d'Aurevilly, »Le Bonheur dans le Crime«, in »Les Diaboliques«, Paris 1874. 22) »Journal«, S. 1132. 23) Ebd. S. 1133. 24) Ebd. S. 1137. 25) Ebd. S. 1138. 26) Ebd. S. 1146. 69
dieser Nacht wird sie sterben. Doch sdion während sie dem Priester das Bekenntnis ihres nur im Haß auf die Lebenden, nur dem Gedächtnis ihres früh verstorbenen Sohnes gewidmeten Daseins macht, ehe sie ihre Halskette zerreißt und das Medaillon mit der blonden Locke des Knaben ins Feuer wirft, weiß der Curé: er ist in einem Trauerhaus. Durch den Tod der Mutter triumphiert Chantal zwar, denn die Erzieherin wird entlassen. Wir sehen sie später im verkommenen Zustand durchs Dorf irren. Aber das trotzige Gesicht der jungen Gräfin ist jetzt völlig versteinert. Der Vater bleibt als alter Mann zurück, übrigens hatte Bernanos, als er die Familie zum ersten Male vorstellte, von »deux petits garçons«27) gesprochen, die die nurse angeblich verehrten. Das war ein Versehen, denn natürlich darf kein männlicher Nachfahre überleben. Die Linie soll ebenso aussterben wie Clergeries Haus. In der deutschen Übersetzung fehlt dieser Satz denn auch zu Recht28). Wen lernen wir sonst noch kennen? Da ist Doktor Delbende, ein alter Eigenbrötler, dessen Praxis fast immer leer bleibt. Er untersucht den Curé wegen ständiger Magenbeschwerden, die er als Folge alkoholischer Erbbelastung diagnostiziert, und überweist den Patienten nach Lille, über den Arzt selber erfahren wir noch eine Menge Einzelheiten, »des choses presque incroyables, presque folles«28). Mit vierzehn Jahren hatte er, der eigentlich Missionar werden wollte, seinen Glauben verloren. Dann sagte man ihm eine glänzende Laufbahn als Mediziner voraus. Doch Delbende vergrub sich in dieses trübe Dorf und nahm seltsame Gewohnheiten an. So konnte man ihn gelegentlich schluchzend unter einem Kreuz finden, das er andererseits auch wieder verhöhnte. So zahlte er einer alten Frau elftausend Francs Schulden, weil der verhaßte Mehlhändler ihr Grundstück ergattern wollte. So hielt er einen Wilddieb aus, der sich gründlich über ihn lustig machte, nur weil er der beste Schütze des Dorfes war: »Tout cela mêlé dans sa chère vieille tête à des idées fixes, de véritables obsessions«80). Es würde nicht verwundern, wenn wir wie Werther »einige verzerrte Originale«31) zwischen dem Gros normaler Menschen fänden. Sonderlinge gibt es in jeder Pfarrei. Die Personenstandsliste von Ambricourt aber enthält — jedenfalls soweit wir sie durch das Journal kennenlernen — anscheinend lauter neurotische Typen. So muß man 27) 28) 29) 30) 31)
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Ebd. S. 1049. »Tagebuch eines Landpfarrers«, Köln und Ölten 1936. »Journal«, S. 1121. »Journal«, S. 1120. Brief Werthers vom 17. Mai 1771.
die mit einem Toten lebende Gräfin verstehen, ihre von Rachegedanken besessene Tochter, Séraphita, die dem Curé auflauert, den arbeitsscheuen Mitonnât, Dupréty, der allerdings in Lille lebt und dort seinen Traum vom tätigen Leben spinnt. Hat er selber das geistliche Amt verlassen, möchte er nun seine proletarische Geliebte in den Nachtstunden am liebsten Latein lehren. Nicht ohne Absicht sind diese »obsessions« zumindest in zwei Fällen sexuell gefärbt und haben als Wunschbild den Priester. Zwischen Delbende und ihm hatte sich sogleich eine unausgesprochene Sympathie gezeigt, die auf der gleichen Liebe zum Armen, Kranken, Aussätzigen beruht. Der Curé spürt, daß da jemand außerhalb der Kirche um die nämliche Anerkennung evangelischer Forderungen kämpft wie er, und auf ebenso verlorenem Posten. Der Eintragung vom Selbstmord des Arztes geht die erste Anmerkung des Editors voraus: »Une dizaine de pages déchirées manquent au cahier. Les quelques mots qui subsistent dans les marches ont été raturés avec soin«32). Hat auch der Curé wie René daran gedacht, sein Leben freiwillig zu enden? Die plötzlich ganz kargen Niederschriften, lauter verzweifelte Stoßzeufzer, sprechen dafür: »Encore une nuit affreuse, un sommeil de cauchemar. [ . . . ] Je ne tiens littéralement pas debout, ce matin. [ . . . ] Tout le jour, je n'ai eu en tête que des images d'enfance. Je pense à moi comme à un mort«33). Das Tagebuch wird am 25. November angefangen und bestimmt ein Vierteljahr geführt. Weitere Daten vermißt man aber ebenso wie das, was sie der Genauigkeit zuliebe beinhalten müßten, etwa Weihnachten, Neujahr, Frühlingsanfang. Wie ein einziger grauer Tag, nur skandiert von den Seufzern des Curé, soll das Journal vorüberziehen, ein Dokument der Monotonie unseres Daseins. Im Rhythmus rieselnden Sandes gleitet die Zeit dahin, leer, vergeblich. Asche knistert im Kamin, Regentropfen rinnen an Fensterscheiben, Tränen an den Wangen des Schreibenden herab, und der Curé spürt das Verzehren seiner Kräfte »dans le sable«34). Werther warf Blumen in den Fluß und sah sie forttreiben, René träumte den Wolken nach oder entblätterte einen Weidenzweig, dem Landpfarrer aber kommt immer wieder der Gedanke, daß alles »comme du sable« nutzlos verrinnt, ein glücklicher Vergleich, dem Leser das unaufhaltsame Verstreichen der Zeit »durch die fein-feine Enge« des Stundenglases zu suggerieren35). 32) 33) 34) 35)
»Journal«, S. 1114. Ebd. S. 1112, S. 1114. Ebd. S. 1053. Th. Mann, »Doktor Faustus«, S. 306.
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Ebenso überlegt ist das einzige Datum. Es fällt ja nicht allein mit dem Sterben der Natur zusammen, sondern audi mit dem Ende des Kirchenjahres, da das Evangelium von der Zerstörung des Tempels zu Jerusalem berichtet, die praefigurativ das Weltende meint — »qui legit, intellegat«, setzt Matthäus beschwörend hinzu 36 ) — und das Geschehen in größte Nähe rückt. Bei diesem Zeitpunkt bleibt das Journal sozusagen stehen, und wenn man, wie Gerhard Storz in seiner schönen Interpretation sagt, bei Werther »die dichte Abfolge von Daten oder die Abstände zwischen ihnen« als »Ablauf im Innern«, als »Gesundheit oder Störung« des Schreibers beurteilen kann 37 ), so sind ähnliche Messungen in unserem Journal schwierig, da auf Datenangabe verzichtet wird. Wohl aber lassen sich aus der Länge oder Kürze der Eintragungen, ihrem Rhythmus, ihrem manchmal auf Stichworte zusammengedrängten Satzbau Schlüsse ziehen. Von nun an muß sich der Herausgeber immer häufiger einschalten, weil Seiten aus dem Heft gerissen oder unleserlich gemacht worden sind. Der schon an dieser Stelle vermutete Selbstmordgedanke wird später noch klarer angedeutet: » [ . . . ] la plus grande déception de ma vie, car je ne saurais rien imaginer de pis, — m'a trouvé un moment sans résignation, sans courage, et la tentation m'est venu de .. .«38) In ähnlich düsterer Stimmung begegnet der Curé ein zweites Mal jemandem, der wie Delbende sein Freund hätte werden können. Diese Fahrt mit dem Neffen der Gräfin ist das einzige freudige Ereignis des ganzen Journals. Für eine halbe Stunde wenigstens scheint das blitzende Motorrad des Fremdenlegionärs den tristen Alltag zu überspielen. Sogar die Landschaft öffnet sich »ainsi que la porte d'un autre monde« 39 ). Allein, auch der Motorenlärm hatte wie ein wilder, verzweifelter Schrei geklungen, auch die Augen des jungen Adligen sind so blaß, daß man ihre Farbe nicht erkennen kann. Und es folgt jene Unterhaltung am Kamin, wo der Umschlag der Stimmung schon im Milieu sichtbar wird. Der Curé blickt in ein sich verzehrendes Reisigfeuer, »dans les cendres« 40 ). Olivier erzählt von verstorbenen Kamera36) Matthäus 24, 23. 37) G. Storz, »Goethe-Vigilien oder Versuche in der Kunst, Dichtung zu verstehen«, Stuttgart 1953, S. 27. Storz vergleicht im Kapitel »Zwei Beispiele des Tagebuch-Romans« unser Journal mit Werthers Briefen. Von Goethe ausgehend, enthält diese Untersuchung audi eine empfehlenswerte Interpretation des Bernanossdien Romans. Das Thema des um sich greifenden allgemeinen Verfalls wird jedoch nicht berührt. 38) »Journal«, S. 1184 f. 39) Ebd. S. 1213. 40) Ebd. S. 1215.
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den und kommt auf sich selber zu sprechen: »Moi, je m'en fous. [ . . . ] Je serai tué avant«41). Auch dieser letzte Ritter wird wie der Armenarzt bald das Feld räumen. Unser Curé aber reist in den nächsten Tagen nach Lille und kehrt nicht mehr heim. »Et puis il y a ce bienheureux cancer«, schrieb Bernanos während der Entstehung des Romans42). Es versteht sich, daß die Gestalt, die dem Autor lieb war wie wohl nur Hanno Buddenbrook dem seinen — auch ihn könnte man auf einem Pappelstamm finden, Modergeruch in der Nase —, nicht zu einem langen Leben verurteilt werden würde. (Huysmans' Härte, des Esseintes, der gleichfalls am Magen litt und überhaupt ein vom ennui gezeugter Bruder des Curé ist, nicht auszulöschen, hat Emile Zola dem Freund zu Recht angekreidet43).) Wie wäre es weiter gegangen mit unserm Journal-Schreiber, der die Welt nicht als Aufruf zur Tat, sondern als innere Melodie verstand, den sogar die Dinge verführerisch zur Trauer überredeten? Daß Bernanos ihn aber gerade am Krebs sterben läßt — einem Leiden, dem er selber 1948 zum Opfer fiel —, hat mancherlei Gründe. Einmal verknüpft er seinen Helden auf diese Weise unlöslich mit der Gemeinde, deren Bewohner, wie wir noch zeigen werden, von der gleichen Krankheit befallen sind. Blieb der Priester seiner Pfarrei Handlungen schuldig, so lebt er doch exemplarisch ihr Leiden mit, und durch das Ende schimmert etwas vom Opfer zu Golgatha. Dem Erzähler kam der »cancer« auch insofern entgegen, als er den Betroffenen lange in Unkenntnis läßt. Gerade aus diesem Umstand zieht er bewegende Wirkungen, da der Curé seine Mitmenschen richtig diagnostiziert, von sich selber aber so wenig weiß. Endlich wollte Bernanos dem Leser immer wieder Erbrechen, Übelkeit, Krämpfe, Schwindelanfälle vorführen, und auch aus diesem Grund eignete sich ein Magenkarzinom besonders gut. Doch selbst ohne medizinische Ursache wäre der Priester von seiner »nausée« befallen worden, und wenn schon zu der seelischen Disposition in Zola-Nachfolge eine ererbte Inklination zu physischer Auszehrung treten sollte, hätte der Erzähler ihre Symptome auch ganz anders schildern können. Zumindest für eine Weile wäre es möglich gewesen, sich eine neue Blüte vorzutäuschen, einen doppelten 41) Ebd. S. 1221. 42) Brief vom Januar 1936 aus Palma. Zitiert bei A. Béguin, a.a.O. S. 174. 43) »Le mieux pour lui serait de se laisser emporter par sa maladie d'estomac, puisque le monde ne lui paraît pas habitable. Votre dénouement, sa résignation à la bêtise de vivre, me le gâte un peu.« Brief Zolas vom 20. Mai 1884. Zitiert in J.-K. Huysmans, »Lettres inédites à Énrile Zola«, Genève—Lille 1953, S. 106. 73
Lebenshunger zu empfinden. Thomas Mann sorgte für diesen Effekt an der todgeweihten Rosalie von Tümmler, freilich nicht, ohne ihr zuvor die nötige Kindlichkeit, Naturfrömmigkeit und Sympathie mit dem Leben gegeben zu haben 44 ). Der Ekel des Curé, so sagten wir, verstehe sich zuerst aus psychischen Gründen. Sie sind mit all jenen Stimmungen zu umschreiben, die der Herausgeber von Werthers Briefen für den Tod seines Helden zur Verantwortung zieht, als »Unmuth und Unlust«, als »Ermattung«, »trübes Gemüth«, als »dumpfer Druck auf der Seele«, »Trauer, Mißmuth, gleichgültige Hingegebenheit«, als Gegenteil dessen eben, was zuvor das Strömende, heftig Pulsierende der Briefe ausgemacht hatte 45 ). Wie stolz aber sprach Werther von diesen Zuständen seines Herzens, das ihm als einzige Instanz galt. Wie treuherzig gab auch René nach langem Schweigen darüber Auskunft. Der Curé hebt an und stockt, beginnt wieder — und zerreißt die Blätter. Er mißtraut dieser inneren Melodie, die sich verströmen will, denn für ihn ist der »ennui« Sünde. Wie Werther möchte er in der genießerischen Traurigkeit, in der »Lust« an den eigenen Tränen untergehen, doch spürt er den teuflischen Hinterhalt, sich selber zu genügen. »C'est le plus riche des élixirs du démon, son ambroisie« 46 ). Und so schlägt der berauschende Selbstgenuß um in dégoût, in Ekel vor der eigenen Person. Die letzte Eintragung sagt noch einmal deutlich, wie die abgetragene Soutane, die schlechte Ernährung des Curé, der désordre im Pfarrhaus, der bis zum Sdiluß hinausgezögerte Arztbesuch zu verstehen waren: »II est plus facile que l'on croit de se haïr«47). Doch der überdruß greift auch um sich und notiert an Umwelteindrücken nur noch, was dieses Existenzgefühl reizt oder bestätigt. So erregt der zerrissene Handschuh der Erzieherin im Schreiber »un mouvement de dégoût« 48 ), so erscheint ihm das hübsche Gesicht Chantals wie Schmutz, spürt er mehr und mehr Verfallssymptome auf, die das Bild des modernden Pappelstammes in Erinnerung rufen. Gerade dieses Moment sollte im Tagebuch eines Priesters kaum einen solchen Raum einnehmen, und wenn schon, so sollte es bemerkt werden. Die Kritiker weisen aber nur auf das Fehlen der sakralen Stoffwelt hin 49 ). 44) 45) 46) 47) 48) 49) aucun 74
Thomas Mann, »Die Betrogene«, Frankfurt a. M. 1953. »Die Leiden des jungen Werther«, Der Herausgeber an den Leser. »Journal«, S. 1117. Ebd. S. 1258. Ebd. S. 1204. Luc Estarig schreibt dazu: »Le Journal, singulièrement, ne mentionne faste paroissal, fêtes liturgiques, sacrements. Et l'on s'étonne que la
Der Zustand des Dorfes, das gleichfalls »Bouville« oder genauer »BoueVillage« heißen könnte, ist ihnen entgangen. Für ähnlich häßlidie Bilder gibt es im Werk Goethes und Chateaubriands keine Entsprechung. Sogar des Esseintes' Talent, morbide Reize aufzuspüren, bedurfte noch des Umwegs über das Artifizielle oder Ausgefallene. Der Curé dagegen, ein Kind des 20. Jahrhunderts, braucht nur mehr das Nächstliegende zu vermerken, wenn er seiner »nausée« andere Namen geben will. Sartres zwei Jahre nach unserem Tagebuch veröffentlichtes Journal, dessen Titel schon sagt, wie es gelesen werden soll, kommt diesem modernen Lebensgefühl des Bernanosschen Helden am nächsten. Seine schmutzigen Boulevards begegnen uns hier als ungepflasterte, schlammige Dorf Straßen wieder. Selbst der sogenannte »chemin de Paradis« ist nichts als ein »sentier boueux entre deux haies« 50 ). Scheint in Roquentins Stadt einmal die Sonne, geschieht es, damit der Schreiber den Staub der Möbel, die fleckigen Fensterscheiben im Café Mably deutlicher erkennt. Führt uns der Curé in seine Kirche, sollen wir gewiß keiner Messe beiwohnen — Renés Erzählung enthält mehr Hinweise auf kultische Handlungen als das Priester-Journal •—, wir sollen die feuchtkalten Wände, die zerschlissene Altarwäsche, die qualmenden Kerzen, die verregneten Fensterscheiben sehen. (Auch in Ambricourt ist der Dachstuhl offenbar reparaturbedürftig, aber man läßt ihn verkommen.) Es ist etwas anderes, ob Werther sich Zuckererbsen pflückt, aufs Feuer stellt und sich hinzusetzt »sie manchmal umzuschüttein« 51 ) oder ob der Curé vom Briefträger beim Kartoffelschälen überrascht wird; ob Werther einer Jungfer am Brunnen das Gefäß auf den Kopf hebt oder ob der Landpfarrer Wassereimer von der Quelle schleppt, Die Idyllik der Goetheschen Szene wird noch durch den Hinweis auf Homer als begleitender Lektüre unterstrichen. Das andere dagegen ist der banale, für einen Priester peinliche Alltag, der auch Roquentin so erwähnenswert erscheint. Schildert er etwa ein Tischtuch, ist es aus messe, centre de toute vie sacerdotale, ne soit pas l'objet de la moindre confidence du fervent curé«. Présence de Bernanos, S. 178. Yves Congar O. P. bemerkt: »Le côté >curé de campagne« n'y existe pas vraiment et ceux qui souhaitaient l'y trouver, un peu sur la foi du titre, ont été généralement déçus. [...] Le »journal« [.. .] n'est pas un livre encourageant et, sans le partager, je comprends le sentiment de prêtres qui l'ont trouvé déprimant.« Essais et Témoignages, S. 89 f. 50) »Journal«, S. 1181. 51) Brief Werthers vom 21. Junius 1771.
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Papier wie der Kragen Doktor Lavilles, mit dem uns Bernanos bekannt macht, während er die Decke im Pfarrstübchen zwar aus Leinen, aber zerrissen sein läßt. Und natürlich sehen wir den Hausherrn gerade dann eine Flasche Wein umkippen, als er Besuch hat. Die schwarze Flüssigkeit auf dem Fichtenboden ist so ekelerregend wie die »flaque de bière jaune où flotte une bulle«52) im Café Mably. Von allen Farben, deren Nuancenwert des Esseintes einst so genau erforscht hatte, ist violett wohl am geeignetsten, den dégoût unserer Journal-Schreiber zu reizen. Nur darum erwähnt Roquentin die Hosenträger Adolphes, den Abonnement-Abschnitt des Autodidakten, nur darum zeigt Séraphita ihr Bein »couleur d'aubergine« 53 ). Doch auch ihr tintengefärbter Daumen und das schmutzige blaue Stirnband kommen noch zur Sprache, denn für die Tendenz der Notizen sind sie ebenso wichtig wie das Stück Papier, dem Roquentin seine Aufmerksamkeit schenkt: »Le trait rouge de la marge avait déteint en une buée rose; l'encre avait coulé par endroits. Le bas de la page disparaissait sous une croûte de boue«54). Mit ähnlichen Vergleichen könnte man fortfahren. Für viele andere Züge wollen wir nur noch das häufige Auftreten von Tieren bemerken, sei es, daß sie selber erscheinen oder daß sich die Autoren in solcher Gestalt erkennen. Natürlich sind es blutende, agonisierende Tiere, die wir erblicken. Doch selbst wenn Tauben über den Bahnhofsplatz von Ambricourt streichen, entsteht kein friedliches Bild. Man hört das Zischen ihrer Flügel »pareil à celui d'une immense faux«55). Ähnlich schreien die Möwen in Roquentins Aufzeichnungen. Als eine schwangere Frau ihren brutal aussehenden Partner darauf hinweist, entgegnet er gelangweilt: »C'est quelque chose qui a grincé« 56 ). Wie Vergleiche und Beobachtungen der beiden Schreiber entsprechen sich ihre Herzen. Denken sie beispielsweise an die Mitwelt, erscheint das eigene Leid nur noch einmal, aber ins Große projiziert. Von allen möglichen Szenen identifizieren sie sich natürlich mit den schmerzlichsten: »Et j'entendais aussi, je croyais entendre, à cette minute même, le gémissement arraché à tant de poitrines d'hommes, les soupirs, les sanglots, les râles — notre misérable humanité sous le pressoir, cet effrayant murmure ...«"), notiert der Landpfarrer. »Et 52) 53) 54) 55) 56) 57)
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»La Nausée«, S. 33. »Journal«, S. 1207. »La Nausée«, S. 22. »Journal«, S. 1121. »La Nausée«, S. 80. »Journal«, S. 1162.
moi je suis là, dans cette déserte rue et chaque coup de feu qui part d'une fenêtre de Neukölln, chaque hoquet sanglant des blessés qu'on emporte [...] répond à chacun de mes pas, à chaque battement de mon cœur« 58 ), versichert Roquentin. Unterschiedlich zwar scheinen die beiden Ausgestoßenen auf eben diese Mitwelt zu wirken, denn die Paare am Mittagstisch des Autodidakten verlieren bei Roquentins Anblick den Appetit, während die Arbeiter in der schäbigen Kneipe zu Lille über unseren Curé nur lachen. Die Reaktion der JournalSchreiber ist aber wieder die gleiche, dégoût, Ekel vor sidi selber. Diese Begabung, überall den aschfarbigen oder blutgetränkten Rüdestand der Welt zu gewahren, ihre Sonnenseite und Dynamik dagegen nicht zu empfinden, prädestiniert den Curé letztlich am meisten zur Führung eines Bernanosschen Tagebuchs. Nachdem der Erzähler ihn mit der doppelten Belastung, dem realen Krebsleiden und dem sündhaften »ennui« ausgestattet hat, kann er mittels seiner Feder die Welt so düster kolorieren, wie es dem eigenen Wunsch entspricht. ü b e r den Tod des Helden, der ihn in einem schmutzigen, mit alten Flaschen und Drogen-Kartons vollgepackten Abstellraum trifft, erfahren wir nur durch den Brief Duprétys an den inzwischen schwerkranken Pfarrer von Torcy. Der gedrechselte Handelsvertreter-Stil dieses Dokuments kontrastiert ebenso grausam zu den schlichten Notizen des Landpfarrers wie die schroffen Schlußsätze des Goetheschen Herausgebers zur einst so entzückten Diktion der Briefe: »Handwerker trugen ihn. Kein Geistlicher hat ihn begleitet« 58 ), übrigens stand auch am Sterbebett des Curé kein Priester. Sein letzter Blick fiel auf einen dunklen Hof »qui ressemble à un puits noir«60). Die Mauer, ein Lieblings-Symbol Sartres, schien sich eben im Morgengrau zu erhellen. Vom Schmerz irgendeines Menschen um den Tod dieses Verwaisten ist nicht die Rede. Auch seine Lebensgeschichte könnte schließen: »Demain il pleuvra sur Lille«91). Wäre Roquentin inzwischen verstorben und ginge es nach uns, so müßte der Bernanossche Held neben ihm, eine Reihe vor Werther, René, des Esseintes, begraben liegen. Der katholische Priester und der Sartresche Atheist waren sich ja durch die scharf gesteigerte Form ihres »ennui«, durch die ins Häßliche gekehrten Äußerungen, durch die Enge und Banalität ihres Lebensrahmens brüderlich nah, Generationsgenossen unseres Jahrhunderts. Doch der Curé hatte schöne 58) 59) 60) 61)
»La Nausée«, S. 82. »Die Leiden des jungen. Werther«, Der Herausgeber an den Leser. »Journal«, S. 1257. »Demain il pleuvra sur Bouville«, endet Roquentins Journal. 77
Augen und keine roten Haare wie Roquentin. Dieser Umstand, verknüpft mit seinem frühen Tod, sichert ihm eine stärkere, zumindest melancholischere Anteilnahme als dem Wissenschaftler in Bouville. »Was man ein Kind ist!«62) hätte der Priester gleich Werther ausrufen können; aber ein müdes, krankes Kind, dessen »Heiligkeit« vor allem im Ausharren, im Wiederversuchen und darin bestand, die enttäuschte Liebe in seiner Brust nicht sterben zu lassen. Dieser wenn audi schwache Herzton verleiht dem »Journal« jene Trauer, jenen Schmelz, der an die Bekenntnisse der Ahnen gemahnt. Und so trug denn der Landpfarrer seine Pelerine, die an einen »romantique allemand« erinnerte, ganz zu Recht83). In einem wesentlichen Punkte aber gehen seine Aufzeichnungen sogar über das Sartresche Journal hinaus. Dort wird zwar die Untergangs-Vision des Helden breit geschildert, doch sind die schlimmen Ereignisse erst in naher Zukunft zu erwarten, wenn sich die unheilkündenden Zeichen auch bereits so häufen wie etwa in den bisher interpretierten Romanen zusammen. Das Dorf des Landpfarrers, »condensé de notre pays«, nach einem Briefe des Autors 64 ), wird dagegen vor den Augen des Lesers ausgelöscht. Im Journal motiviert Bernanos auch das Schicksal Ambricourts und der Welt ausführlich. Als Kontrastfigur zum passiven, empfindungsreichen Curé lernen wir den robusten Pfarrer von Torcy kennen, der seinen müden Amtsbruder immer wieder aufzurichten versucht, wenngleich er selber in unbewachten Augenblicken ganz gebeugt einhergeht. Mit seiner Person gewinnt der Erzähler einen kräftigen Polemiker, hinter dessen Stimme der Pamphletist Bernanos zu vernehmen ist. Immer dort aber, wo der Zorn verschwebender Trauer weicht, lebt er in seinem Anonymus. Die Welt muß zugrunde gehen, weil sie nicht mehr christlich ist. Daß dieser »Sauerteig« seine Kraft verloren hat, wissen wir seit Donissans Erfahrungen im Beichtstuhl, seit der Stille auf Saint-Venants Straßen, wenn das Hochamt endete, seit der Leere der Kirche in Ambricourt. Jetzt aber läßt uns Bernanos auch wissen, wann der aktuelle Vorgang der »décomposition« begonnen hat. Schaut man genau hin, so wird die gleiche Klasse zur Rechenschaft gezogen, die Zola vor seinen Richterstuhl gerufen hat. Alles kommt vom Versagen der Bour62) Brief Werthers vom 8. Julius 1771. 63) Zu den literarischen Beziehungen zwischen Werther und Roquentin vergleiche man M. Kruse, »Philosophie und Dichtung in Sartres ,La Nausée'«, RJb. IX (1958), S. 214—225. 64) Brief vom Januar 1935 aus Palma. Zitiert bei A. Béguin, a.a.O. S. 174.
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geoisie. Sie ist der Armut, »le témoin de Jésus Christ«85), untreu geworden, als sie sich im 19. Jahrhundert — also zur Zeit der RougonMacquart — dem Mammon verkaufte, die Familien entchristlichte und zu den »fautes-mères« des Geizes und der Habsucht ihr Herz all jenen Lastern öffnete, unter denen jetzt die Helden der Romane als Erben biologischer Aushöhlung leiden. Wenn der Pfarrer von Torcy die weltumspannende »Pax Romana« heraufbeschwört, geschieht es nur, um den gegenwärtigen Zustand der Zerbröckelung entsprechend wirkungsvoll zu dokumentieren. Heute gibt es fast nur noch »imbéciles«, Laue, Mittelmäßige. Sicher hat Bernanos gewußt, daß ihnen auch schon der Haß Baudelaires, d'Aurevillys, Huysmans', Rimbauds gegolten hat, doch nimmt er keine Notiz davon, macht diese kümmerliche Gattung vielmehr ausschließlich zu seinen Altersgenossen. Sie ist zu Hause in Gelehrtenstuben, Schriftstellerzirkeln und Arztkreisen, Berufen also, die der anti-intellektuelle Erzähler stets mit parteiischer Schärfe verfolgt, nicht weniger jedoch auch in den nüchternen Backsteinbauten der Mehlhändler, Brauer und Grundstückspekulanten. Mit ihrer Mittelmäßigkeit siecht die Welt dahin. Deutet Bernanos den Zustand vor allem als Mangel an Christlichkeit, so ist die Adresse, an die er sich wendet, eben doch keine andere als die, der Zola die Schandflecke seiner Zeit zur Last gelegt hatte. Auch die Forderung Torcys, die künftige Gesellschaft nach den Prinzipien der Enzyklika »Rerum Novarum« Leos XIII. zu ordnen, hat vieles mit dem sozialistischen Zukunftstraum Zolas gemeinsam. Doch ob Kapitalismus, zerfallendes Christentum oder eine andere Begründung dienen muß, »die Lust am Untergang« 66 ) liegt in den Dichtern selber, und auf seine poetische Darstellung kommt es ihnen denn auch mehr an als auf die Art der Motivierung. »Ma paroisse est une paroisse comme les autres. Toutes les paroisses se ressemblent. Les paroisses d'aujourd'hui naturellement.« Mit dieser Gleichsetzung, die keiner objektiven Beobachtung entspricht, sondern wie die Erörterung der Schuldfrage eine dichterische Behauptung ist, hebt das Journal an. In ihr schwingt schon die Klage über unser uniformes Dasein mit, der fast jede weitere Eintragung 65) »Journal«, S. 1069. 66) »Die Lust am Untergang« heißt eine Schrift von Friedrich Sieburg, deren Untertitel »Selbstgespräche auf Bundesebene« den zeitkritischen Charakter belegen soll. A la Bernanos beginnt audi Sieburg mit der Dämmerstunde: »Abends gehen die Lichter hinter den fremden Fenstern an. Ich sehe in die Dunkelheit.« Hamburg 1954, S. 9. Ebenso poetisch setzt die »wissenschaftliche Geschichtsbestimmung« O. Spenglers im 2. Band ein: »Betrachte die Blumen am Abend ...« A.a.O. S. 5.
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Raum gibt. Sie ist der Cantus firmus des ganzen Romans, eine Melodie voll Trauer, Ohnmacht und Wehmut. »Ma paroisse est dévorée par l'ennui, voilà le mot. Comme tant d'autres paroisses. L'ennui les dévore sous nos yeux et nous n'y pouvons rien«"), setzt der Schreiber gesteigert nodi einmal nach. Damit ist das Leiden genannt und der Bezug zum Helden hergestellt, der ja all diese Symptome, wie wir gezeigt haben, so gut aus dem eigenen Herzen kennt. Nun aber muß das als Sünde deklarierte romantische Leiden sinnfällig gemacht werden. Der Autor bedient sich dazu verschiedener Bilder. Fand er im Rieseln des Sandes einen treffenden Vergleich, die nutzlos gleitende Zeit zu umschreiben, so läßt er den »ennui« zu einer »espèce de poussière«, zu einer feinen »pluie de cendres«68) werden. Jeder ißt, trinkt und atmet diesen Schmutz, ohne ihn zu sehen, ohne zu wissen, daß die graue Schicht schon alles überdeckt hat. Der Leser aber empfindet den Niederschlag wohl, denn wenn er die Menschen von Ambricourt sieht, erscheinen sie freudlos, gebückt, schlecht ernährt, müde von ihrer unsichtbaren Last. Nur einmal ist vom Spiel eines Kindes die Rede: Séraphita legt sich nieder, läßt Sand — oder jene »espèce de poussière« — in Augen, Nase und Mund rinnen und wünscht, daß dieses »jouer à la morte«") Wirklichkeit wäre. Jetzt versteht man auch, warum das Wetter zu Ambricourt immer feucht und neblig sein muß. Nicht allein der Herbst, aus dem wir nicht herauskommen, ist dafür verantwortlich, sondern auch die »Dunstglocke« der Sünde. Doch diese Wirkungsweise des Bösen genügt dem Erzähler noch nicht. Er nimmt die »fermentation d'un christianisme décomposé« 70 ) wörtlich und überträgt sie auf konkrete Beispiele. Wieder ist Zola das Vorbild, wenn die »offenen Wundstellen« und »infektiösen Geschwüre«71), als welche die Laster der Rougon-Macquart bezeichnet worden waren, hier als »plaie mystérieuse au flanc de l'espèce«, als »abcès naissant«, als »plaie toujours ouverte«") wiederkehren. Noch häufiger aber wird die Sünde einem bösartigen Tumor gleichgesetzt, und nachdem der Curé diese ihre schleichende Zerstörungskraft dem Tagebuch anvertraut hat, ist es nur wieder taktvoll — aber auch klug 67) 68) 69) 70) 71) 72)
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»Journal«, S. 1031. Ebd. S. 1032. Ebd. S. 1207. Ebd. S. 1032. H. Petriconi, »Das Reich des Untergangs«, Hamburg 1958, S. 54 f. »Journal«, S. 1126, S. 1107, S. 1128.
— von ihm, daß er die Krankheitsursache der vielen Pfarrkinder, die er zu besuchen hat, rücksichtsvoll verschweigt. (Sogar in einem Privatbrief leistete sich Bernanos diese poetische Identifikation von Sünde und Karzinom, als er 1926 schrieb: »Mon pauvre vieux père est atteint d'une de ces ignobles tumeurs qui m'ont toujours paru, plus qu'aucun autre mal, la figuration de Satan, le symbole de sa monstrueuse fécondité dans les âmes. Il a un cancer de foie . . ,«73>.) Um seine Welt, die seit Beginn des ersten Romans für diesen Augenblick präpariert worden ist, untergehen zu lassen, muß der Erzähler wie Zola eine optische Täuschung zu Hilfe nehmen. Das ist begreiflich, denn der Schauplatz liegt ja im Artois und in unserer Zeit. Hatte er am Anfang des Journals sein erschöpftes Dorf dahindämmern, in der Nacht verschwinden sehen, so war an dieser Stelle noch eine Hoffnung ausgesprochen worden. Wie der Kuhhirt seine Herde in den Stall trieb, so schien Ambricourt in den Träumen des Curé jemanden zu erwarten, der den Ort nach so vielen schmutzigen Nächten zu einem unvorstellbaren Asyl führen könnte. Von solch wunderbarer évasion ist später nicht mehr die Rede. Wenn der Schreiber auf seine Vision zurückkommt, entweicht das Dorf nicht mehr zu einer besseren Auferstehung, sondern ins Leere mündend. » [...] on dirait que la limpidité de l'air lui enlève peu à peu toute pesanteur, et lorsque le soleil commence à décliner, on pourrait le croire suspendu dans le vide, il ne touche plus à la terre, il m'échappe, il s'envole« 74 ). Kurz darauf heißt es: »Comme le village, ma prière n'a plus de poids, s'envole...« 7 5 ) Bei der Motorradfahrt mit Olivier flieht die Welt »d'une fuite oblique, éperdue« 78 ), und kurz vor seinem Ende notiert der Landpfarrer: »Le monde visible semblait s'écouler de moi avec une vitesse effrayante et dans un désordre d'images [...]«"). Ambricourt, Repräsentantin Frankreichs, geht ein in die Wolken, ins Nichts. Still wie der Curé im Armenviertel von Lille stirbt, erlangt auch die Welt ihren Frieden.
73) 74) 75) 76) 77)
Brief vom 17. Dezember 1926. Zitiert bei A. Béguin, a.a.O. S. 112. »Journal«, S. 1208. Ebd. S. 1209. Ebd. S. 1213. Ebd. S. 1241.
6 Padberg
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»Monsieur Ouine« Ça va vers sa fin. G. Bernanos, »Monsieur Ouine«
Wir haben im Laufe der Untersuchung zu oft auf die literarische Verwandtschaft zwischen Bernanos und Zola hingewiesen, um sie nicht wenigstens einmal genauer belegen zu müssen. Der letzte Roman gibt dazu die gewünschte Möglichkeit. Wenn wir »Monsieur Ouine« mit dem 4. Band der Rougon-Macquart-Serie, der ebensogut »Abbé Faujat« heißen könnte, in Beziehung setzen, geschieht es auch, um »La Conquête de Plassans« der allgemeinen Aufmerksamkeit zu empfehlen. Diese Erzählung scheint bislang kaum richtig gewürdigt worden zu sein. Selbst große Zola-Leser wie J.-K. Huysmans schweigen sich über den bonapartistischen Agenten aus. Auch in Heinrich Manns Essay 1 ) und in der von Marc Bernard verfaßten Monographie 2 ) findet man seinen Namen nicht einmal erwähnt. Dabei lohnt sich die Beschäftigung mit dieser Gestalt durchaus, denn hinter ihr steht niemand Geringeres als der Leibhaftige selber. Auch »Monsieur Ouine« ist eine Inkarnation des Bösen, den wir bereits als gewitzten Roßhändler kennengelernt haben. So wird das ganze Bemanossche Werk vom personifizierten Satan in einen beklemmenden Rahmen gefaßt. Die Anfangsszenen der beiden ohne Einleitung und sehr ähnlich beginnenden Romane — »Désirée battit des mains« 3 ), »Elle a pris ce petit visage à pleines mains« 4 ) — zeigen allerdings schon die unterschiedliche Komposition. In Plassans sehen wir die Mitglieder der Familie Mouret in ihr friedliches Heim zurückkehren, und ist auch Désirée geistig schwach, ein geliebter Kanarienvogel davongeflogen, wird Vater Mouret bereits jetzt durch seinen Weineinkauf in die Nähe der Irrenanstalt gebracht, die ihn später aufnimmt, kommentiert die Köchin seine Verspätung wütend mit einem »C'est que tout brûle« 5 ), 1) 2) 3) 4) 5)
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Heinrich Mann, »Zola«, in »Geist und Tat«, Berlin 1931. Marc Bernard, »Zola par lui-même«, Paris 1956. E. Zola, »La Conquête de Plassans« (1874), Paris 1927, S. 7. G. Bernanos, »Monsieur Ouine« (1948), S. 1349. »La Conquête de Plassans«, S. 10.
so sind diese unheilkündenden Vorzeichen dem Leser doch zunächst nicht klar. Er spürt, worauf es Zola ankommt, die familiäre Harmonie dieses Bürgerhauses. Philipps Augen in »Monsieur Ouine« dagegen sind schon beim ersten Auftritt erschrocken weit aufgerissen, schon riecht man Bleiweiß und Kitt, die sich in der Mittagshitze vom Fenster lösen. Der Roman setzt buchstäblich, da ein, wo das »Journal« endete. Aber die Untergangsvision wird nun nicht mehr mit dem vorsichtigen »il me semble« des Tagebuchschreibers angedeutet, sondern realistisch erzählt. Bereits auf der zweiten Seite heißt es: »L'étroite fenêtre s'ébranle lentement, vacille, puis s'allonge démesurément comme aspirée par en haut. La salle entière la suit, les quatre murs s'emplissent de vent, battent tout à coup comme des voiles ...«") Dieses unterschiedliche »Klima« wird verständlich, wenn man bedenkt, daß der Verderber im ersten Falle nodi nicht anwesend ist. Da der Roman durch mehrere Jahre hin spielt, kann sich Zola die Muße nehmen, den langsamen Veränderungen im Hause Mouret nachFaujats Eintreffen breiten Raum zu widmen und so den Kontrast zum Beginn von Kapitel zu Kapitel steigern, bis schließlich die Sippe des Abbé in den Betten der Besitzer schläft und Marthe Mouret nicht einmal mehr die Tür geöffnet wird. Monsieur Ouine dagegen wohnt schon seit mehreren Jahren in Fenouille, und wenn wir audi nicht genau wissen können, wie es dort vor seiner Einquartierung ausgesehen haben mag, so gibt doch der Zustand der Handlungsorte von »Un Crime«, in dessen zeitlicher Nähe große Teile des Romans entstanden, und die Verwahrlosung der übrigen Bernanossdien Schauplätze darüber einigen Aufsdiluß. Es war wohl mehr als ein Riß in der Zimmerdecke des Unterkunft bietenden Hauses, der ihm andeuten konnte, daß sein Feld günstig gelegen sei! Da die Handlung auf etwa zehn Tage zusammengedrängt ist, sehen wir also nur das Endstadium der Wirkungen. Diese gehen allerdings über den Erfolg Faujats hinaus. Plassans, die Heimat der Rougon, ist zum Sdiluß politisch erobert, die Gemeinde Ouine dagegen wird so systematisch vernichtet wie im Zolaschen Roman nur das Haus des Republikaners Mouret. Kein Wunder, denn die Sittengeschichte des Zweiten Kaiserreichs war voluminös geplant, und ihr Autor sparte sich nach den unbewußten Andeutungen der Köchin »C'est que tout brûle« und der Versteckspieler im Garten Mourets, die mit einem »II brûle, il brûle«7) die Nähe des gesuchten Taschentuches anzeigen, über den tatsächlichen Brand des Hauses den ganz großen Effekt nodi bis zum Ende des 19. Bandes »La Débâcle« auf: 6) »Monsieur Ouine«, S. 1349. 7) »La Conquête de Plassans«, S. 288.
6*
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»Paris brûle!« 8 ). Bernanos dagegen hatte sein Thema bereits in vielen Variationen abgehandelt, und so war es nur folgerichtig, daß jetzt eine Kommune im Mittelpunkt steht und als Gesamtheit untergeht. Die Auflösung des korrupten Dorfes wird sdion durch die Erzählweise angedeutet. Wie bei Zola schildert ein Außenstehender die Ereignisse. Er versagt es sich, polemisch einzugreifen, hält Distanz, wodurch die Begebenheiten statt der lyrischen Färbung des »Journal« einen Zug scheinbarer Objektivität gewinnen. Jetzt gibt es keine Haupthandlung mehr wie in Plassans, wo die Familie, genauer gesagt das Haus Mouret, den Mittelpunkt bildet, vielmehr ein Gemenge von episodischen Schicksalsfragmenten, die durch das geheimnisvolle Auftauchen der irren Schloßherrin an allen Orten miteinander verknüpft werden. Hinter diesen bruchstückhaften Szenen steht drohend der Schatten Ouines. Er selber erscheint nur viermal, während Abbé Faujat in jedem Kapitel entweder persönlich oder durch die um ihn kreisenden Gespräche der Familie Mouret und der Gesellschaft von Plassans zugegen ist. Freilich täuscht man sich über seinen Charakter weitgehend so wie über die Bonhomie Ouines, aber gelegentlich sickern doch Gerüchte über Vergangenheit und Auftrag durch, die indessen der Eroberung der Stadt keinen Abbruch tun, während der Pensionär im Schloß zu Néréis nie offiziell in irgendeinen Verdacht gerät. Nur Ginette bemüht sich, ihn zu denunzieren, aber ihr wird kein Glaube geschenkt. Der einsichtige Kommentar der Hebamme kommt zu spät. Ouine liegt schon auf dem Sterbebett. Von ihr erfahren wir auch, daß der Pensionär eines Abends »d'on ne sait où« angelangt ist. »Mais six semaines plus tard, c'était le roi de la maison« 9 ). Die entsprechende Besitznahme Faujats dauert sehr viel länger, sie bildet den Inhalt des Buches, während Bernanos sie schon voraussetzt. Er zeigt nur mehr die reifen Früchte der bösen Saat. Ouine benimmt sich nach dem Urteil des Dorfes tadellos. Niemand zweifelt seine Moral an, er sagt kein böses Wort, ist von großer Selbstbeherrschung und Hilfsbereitschaft. Allerdings kennt man ihn nicht sehr genau, denn der ehemalige Sprachlehrer verläßt das Schloß kaum mehr. Seine Lungen sind in ziemlich schlechtem Zustand. Er lebt so zurückgezogen wie Abbé Faujat, dem Zola wohl hauptsächlich darum seine Mutter zugesellt, damit kein Fremder Einblick in den intimen Lebensrahmen des Fremden gewinnen kann. Madame hütet das Obergeschoß des Hauses Mouret vor jedem neugierigen Auge. Wie ihr 8) E. Zola, »La Débâcle« (1892), Paris 1927, S. 558. 9) »Monsieur Ouine«, S. 1535. 84
Sohn sitzt auch Ouine »jour et nuit« hinter den Fenstern seines Stübchens, »il observe tout«10). Der Schloßgast ist altmodisch und schlicht gekleidet. In seinen stets gewichsten schwarzen Schuhen und dem bis zum Hals geknöpften Rock könnte man ihn »pour une sorte de contremaître« 11 ) halten, wirkte sein Gesicht mit den schlichten reinen Linien nicht so edel. In dieser Weise wird Ouine vorgestellt. Aber wenn es erlaubt ist, den möglichen Beruf schon jetzt in einen » c o n t r e m a î t r e « zu zerlegen, so fällt der Kontrast weg. Dieser Fremde versucht nicht nur in seiner Kleidung den Pfarrer von Fenouille zu imitieren — die ja Faujat durch sein Amt motivieren kann — er gleicht sich der klerikalen Sphäre in jeder Weise an, um seine antichristliche Gegenbildlichkeit zu verbergen. »C'est peut-être ce qu'ils appellent un saint?«12) fragt sich Steeny insgeheim. »Vous êtes un saint«13), sagt Félicité Rougon, die mit dem Abbé im Bunde steht, heuchlerisch zu Faujat. Aber mancher andere denkt das gleiche ohne Ironie, vielmehr ehrlich überzeugt vom exemplarischen Leben des Zolaschen Priesters. Wodurch verraten sich die beiden asketisch wirkenden Romangestalten dem Leser? Sie sind an verschiedenen Attributen der Hölle zu erkennen. »La haute figure noire du prêtre faisait une tache de deuil sur la gaîté du mur blanchi à la chaux«14), heißt es beim Erscheinen Faujats in Mourets Speisezimmer, und von nun an läßt sich Zola keine Gelegenheit entgehen, den mächtigen Schatten seines Abbé in die Räume des Weinhändlers, in die Straßen von Plassans und den Garten Mourets zu werfen, »sa soutane tachait de noir toutes les verdures« 15 ). Sie wird förmlich zum Hintergrund alles Geschehens. Ist ihre Farbe bei so häufiger Erwähnung schon ziemlich anrüchig, so könnte sie doch auch nur die Düsterkeit eines anderen »Pastor Brand« unterstreichen wollen oder als Solidarität des Priesters mit seinen sündigen Beichtkindern gelten. Eindeutig teuflisch wird der Spuk erst, wenn schwarz und rot wechseln, wenn etwa der stets in schwarzer Mönchskapuze auftretende Abbé de La Croix-Jugan, ein gleichfalls politisch intrigierender Amtsbruder, in Barbey d'Aurevillys Roman »L'Ensorcelée« einzig durch seine Augen Jeanne de Feuardent so ent10) 11) 12) 13) 14) 15)
Ebd. S. 1361. Ebd. S. 1362. Ebd. S. 1366. »La Conquête de Plassans«, S. 67. Ebd. S. 15. Ebd. S. 155.
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zündet, daß ihr Leben eine heimliche Hölle wird, »dont cette cruelle couleur rouge qu'elle portait au visage était la lueur« 16 ). Als Schwager und Schwester Trouche bei Mouret Wohnung nehmen, ein Vorgang, den die nun schon recht angeschlagene Marthe forciert, während sie sich vor der ersten Vermietung gesträubt hatte, hissen die beiden gleich die richtige Flagge. Die Fenster neben Faujats bleiben jetzt dauernd »de grands rideaux de calicot r o u g e « verhängt 17 ). Aber Zola ist noch kühner. Mittels einer optischen Täuschung läßt er den Priesterrock des Agenten zweimal in der Farbe des höllischen Feuers erscheinen. »Dans la poussière jaune du soleil qui entrait par la porte du jardin, sa soutane râpée semblait toute r o u g e « 1 8 ) , wird schon im ersten Kapitel behauptet. »II n'était pas beau au soleil, avec sa soutane toute r o u g e «1β), erzählt später Octave, den Mouret über seinen Mieter auskundschaftet. Im Schlußsatz des Romans huscht die böse Erscheinung ein letztes Mal vorüber: » [ . . . ] elle (Marthe) expira, en apercevant, dans la clarté rouge, la soutane de Serge«20). Dieser schlichte Ausgang, der lediglich die frühere Sonne in die »clarté« des brennenden Hauses verwandelt, die Stellung von Hauptwort und Adjektiv ändert, damit noch einmal den ganzen Roman zusammenrafft, die Herkunft des Bösen und sein Werk ins Bild rückt, aber auch schon den Titelhelden des nächsten Bandes und seine in anderer Weise problematische Soutane vorstellt, ist eines der unübertrefflichen Meisterstücke Zolas. Sorgfältiger noch sind die verdächtigen Eigentümlichkeiten Ouines versteckt. Man liest darüber hinweg, daß sein Stübchen r o t tapeziert ist, während die modernden Fichtenstämme vor seinem Beobachtungsstand »à la cime n o i r e « 2 1 ) geschildert werden. Dieser Farbkontrast kehrt unauffällig im Hut des Philologen wieder, jener steifen »Dohle«, die vor jedem Bewohner von Fenouille so höflich gelüftet wird wie der Schlapphut des Privatdozenten Dr. Schlappfuß zu Leipzig22). Dabei bemüht sich Ouine stets, die Innenseite des Hutes nicht zu zeigen. Sie nämlich verrät das Wesentliche: «Posée de biais sur le drap, la cloche de feutre laissait voir sa coiffre, jadis g r e n a t , un mince 16) 17) 18) 19) 20) 21) 22)
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Barbey d'Aurevilly, »L'Ensorcelée«, a.a.O. Bd. 2, S. 146. »La Conquête de Plassans«, S. 134. Ebd. S. 16. Ebd. S. 32. Ebd. S. 362. »Monsieur Ouine«, S. 1361 f. Vgl. Th. Mann, »Doktor Faustus«.
croissant r o s e , pareil à une gueule délicate« 23 ). So könnte freilich jede beliebige Kopfbedeckung aussehen, dodi als indifferenter Gegenstand käme sie wohl nicht wiederholt zur Sprache. Der Besitzer hält den Hut sogar im eigenen Stübchen stets auf den Knien, ja Steeny, nervös geworden durch das seltsame Milieu, bricht über dem Gedanken »coudie-t-il avec?«24) in einen Lachkrampf aus. Ouine versteckt seine Filzglocke ebenso sorgfältig wie Vautrin sein rotes Haar, und er hat Redit. Denn wenn ein paar senkrechte Stirnfalten die mittelalterlichen Teufelshörner ersetzen können 25 ), warum soll sich nicht auch die obligate Haarfarbe bei einem Glatzkopf in den Rand des wie die eigene Haut behandelten Hutes flüchten? Um den teuflischen Eindruck zu verstärken, läßt Bernanos schließlich die beiden Farben auch noch amKörper Ouines erscheinen: »Les joues venaient de s'enflammer à leur tour, et les plis épais du cou passaient du r o u g e vif à une espèce de b l e u livide«26). Deutlicher noch spürt man des Pudels Kern im Lachen Ouines, vielmehr in seinem Kichern, dem »Hihi! Hoho!« des Pferdehändlers, das sich weder aus der Atemnot des Lungenkranken noch aus belustigenden Ereignissen im Orte versteht. Wenn es in Fenouille jemals fröhlich zugegangen sein mag, so liegt das weit zurück. Jetzt ist alles Lachen verstummt, unbekannt geworden wie im Hause Mourets, wo die Neckereien des Vaters immer seltener werden, seitdem Faujat in Pantoffeln — der auch von Ouine bevorzugten Fußbekleidung — durch das obere Stockwerk schleicht. Immer wortloser verlaufen die Mahlzeiten, »on aurait dit un enterrement« 27 ), wie die nun schon recht dreiste Köchin meint. Der Urheber dieser tristen Atmosphäre läßt sich zwar nie zu einem Ouineschen Kichern hinreißen. Doch wenn Zola ihn eine seiner tückischen Bemerkungen, etwa »Madame, je suis à votre entière disposition« 28 ) oder »Mon paradis reste ouvert« 28 ) durch ein ironisches Zucken unterstreichen läßt, scheint uns dieser »sourire particulier« 80 ) ebenso verräterisch wie die Miene des Pensionärs. 23) »Monsieur Ouine«, S. 1368. 24) Ebd. 25) Vgl. Walter Pabst, »Satan und die alten Götter in Venedig«, Euphorion 49 (1955), S. 348. 26) »Monsieur Ouine«, S. 1463. 27) »La Conquête de Plassans«, S. 219. 28) Ebd. S. 67. 29) Ebd. S. 195. 30) Ebd. S. 173.
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übrigens hat Faujat, den Flaubert »sinistre et grand« 31 ) nennt, viel mehr Gesichter als Ouine. Kein Wunder, denn das Reich des Schloßgastes ist bereits erobert und er, der Parasit, schon im Anfang so gemästet, wie uns Zolas Abbé erst allmählich entgegentritt: »Voyez donc M. le curé; en voilà un qui engraisse!« meditiert Mme Paloque im 8.Kapitel, und der Autor bestätigt sie: »L'abbé Faujat, en effet, devenait superbe, toujours ganté de n o i r , la soutane l u i s a n t e «32). (Auch hier wieder der Farbkontrast. Die Soutane glänzt nicht etwa vor Alter, sie ist soeben erst gekauft worden.) Freundlich mit Kindern, zeigt sich Faujat rauhbeinig den Frauen gegenüber, da er glaubt, daß sie Brutalität lieben und im Beichtstuhl seine »main de fer«33) auf dem Nacken spüren wollen. Den Besuchern des Jugendkreises gegenüber ist er kameradschaftlich. » [ . . . ] ce fut comme une nouvelle incarnation« 34 ), kommentiert der Erzähler und läßt seinen Helden gleich darauf den Vätern und Ehemännern wieder zurückhaltend und höflich erscheinen. Ouine kann, wie gesagt, solcher Diplomatie entraten. Sein Kichern steigert sich endlich zum Hohngelächter und hallt weiter, als der Roman schon zu Ende ist, »c'était sans commencement ni fin«35). Doch nicht genug damit. In der Stunde ihres äußersten Niederganges ahmt die ganze Gemeinde dieses höllische Gezeter nach und läßt es wie der Komponist der »Apocalipsis cum figuris« zum » Tutti-Fortissimo« 39 ) anschwellen. (Längst vor dieser Szene war bei Thomas Mann die richtige Assoziation dort angeklungen, wo Zeitblohm über die oft gegenstandslose Lachtrunkenheit, »die reine Alberei« Leverkühns nachdachte und ihm jene bei Augustinus erwähnte Geschichte ins Gedächtnis kam, die von der unter Gelächter vollzogenen Geburt Chams berichtet. Das aber habe nur »mit Hilfe des Teufels« geschehen können 37 '.) Doch der Böse verrät sich nicht allein akustisch, er bringt auch aus der Hölle einen gewissen Geruch mit. Diesem Charakteristikum widmet Bernanos den breitesten Raum, ja, speziell damit macht er den Verfall des Ortes glaubhaft: in Fenouille stinkt es infernalisch. Noch 31) Brief Flauberts an Zola vom 3. Juni 1874. Œuvres complètes, Correspondance, Bd. 7, Paris 1930, S. 142. 32) »La Conquête de Plassans«, S. 173. 33) Ebd. S. 199. 34) Ebd. S. 174. 35) »Monsieur Ouine«, S. 1561. 36) »Doktor Faustus«, S. 502. 37) Ebd. S. 116
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bevor Ouine die Gretchen-Frage an Steeny richtet: »Honorez-vous Dieu, mon enfant?«, lenkt er die Aufmerksamkeit des Jungen schon behutsam und sich selber distanzierend auf den Zustand des Dorfes: »Aimez-vous les odeurs? Moi, je les haïs«38). Daß der Pensionär riecht, erfahren wir erst spät von der Hebamme, die dies ihrerseits von Florent wußte. Einige Wochen nach Ouines Eintreffen war der Gärtner gestorben. Warum? Nun, er als Einziger hatte offenbar sogleich den richtigen Instinkt gehabt: »Vous croiriez un curé. N'importe: sa tête ne me revient pas. II a même une drôle d'odeur, il sent le sauvage« 3 "). Auch Zola entlarvt seinen Abbé in dieser Hinsicht erst nach der Eroberung von Plassans. Mme de Condamin, »blessée de cette odeur acre«, stellt Faujat zur Rede: »Auparavant, lorsque vous tiriez votre mouchoir, il semblait qu'un enfant de chœur balançât un encensoir derrière vous.« Und der Autor referiert weiter: »La ville fut positivement terrifiée, en voyant le maître qu'elle s'était donné grandir démesurément avec la défroque immonde, l'odeur forte, le poil roussi d'un d i a b l e « 4 0 ) . Man hat André Gide als Schlüsselfigur zu Ouine verstehen wollen und sich dabei vor allem auf seine Abneigung gegen Gerüche berufen. Mag sein, daß er sie geteilt hat. Doch mußte von diesem Spezifikum sowieso die Rede sein. So will es nun einmal die literarische Tradition, der Bernanos auch im ersten Roman gefolgt war, als er den pikardisdien Roßhändler mit einer eigenen Atmosphäre umgab. Wenn der Rentier so oft auf seine Empfindlichkeit zurückkommt, geschieht es nur, den Leser oder sein Gegenüber auf jenen üblen Geruch hinzuweisen, mit dem er ja selber die Umwelt infiziert hat: Que de fois ai-je dû frotter, ciier, polir les carreaux rouges (!) avant que se dissipât cette odeur de m o i s i s s u r e et d'eau m o r t e qui sort des murs mêmes, empoisonne jusqu' à l'air dû jardin. J'ai dû curer les joints, pavé par pavé, les imbiber de chlore comme autant de petites plaies41).
Für den vierzehnjährigen Steeny gäbe es beim ersten Zusammentreffen mit dem Pensionär sicherlich interessantere Gesprächsthemen als diesen peinlich genau beschriebenen Schmutz, den man riecht, sieht und sogar hört: [ . . . ] la boue ainsi tordue par l'acide, la boue d'un siècle ou deux, tirée de sa longue sécheresse, n'en finissait pas de sortir petit à petit sous mes doigts, d'y éclater en grosses bulles grises. Je me 38) 39) 40) 41)
»Monsieur Ouine«, S. 1366. Ebd. S. 1535. »La Conquête de Plassans«, S. 308 f. »Monsieur Ouine«, S. 1362.
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couchais exténué, tout en sueur, avec encore dans l'oreille, ce claquement mou, horrible 42 ).
Ouine dagegen liegt sehr an der Unterhaltung. Er will ja seinen langerwarteten »Jünger« den Tod zu lieben lehren, übrigens schildert Zola den Endzustand des Hauses Mouret ganz ähnlich. Als der Besitzer aus der Irrenanstalt heimkehrt, heißt es: »Alors, il entendit la maison s'émietter comme un platras tombé de m o i s i s s u r e , se fondre comme un morceau de sel jeté dans une eau t i è d e «43). Aber nicht nur die Luft im Schloß wird von seltsamen Ingredienzien geschwängert. »Notre ami ne sent pas bon«44), berichtet Ouine vom Besitzer, der mit einem schweren Zuckerleiden auf dem Sterbebett liegt und eine penetrant süße Wolke von Honigdüften ausatmet. Ein ähnliches Gemisch entströmt den Leichentüchern des ermordeten Hirtenjungen, bei dessen Begräbnis die Luft so klebrig, dicht und schwer ist wie beim Untergang von Kubins Traumstadt. Durch Gerüche wird der Bürgermeister zum Wahnsinn getrieben. Seine legendär scharfe Nase, die in der Jugend des Brauers jedes Tierversteck witterte, spürt nun überall Unrat und Moder auf, sogar im Brunnenwasser, sogar in der Luft. Und wenn diese »obsessions« auch vorsichtshalber mit der erotisch wüsten Vergangenheit Arsènes und den daraus resultierenden, gleichfalls wollüstigen Träumen von Reinheit motiviert werden, so können diese krankhaft gesteigerten Eindrücke doch der Grundlage nicht ganz entbehren. W i e im Venedig Gustav Aschenbachs mit Karbol, so desinfiziert man hier mit Chlor. Auch dürfte der Erzähler nicht bei jedem Auftreten des Bürgermeisters so tief in seinen Text geraten, sollte sich der Leser nicht schließlich diesem feinen Geruchssensorium ebenso anvertrauen wie etwa dem ähnlich sensiblen Organ Rosalie von Tümmlers, die damit den »Atem der Natur« freilich in bewunderndem Genuß einsaugt45). Der anscheinend ehrenwerte Herr Ouine verrät sich zuletzt auch durch seine Lehre. »Je vous apprendrai à aimer la mort«, versichert er dem vaterlosen Steeny, »[. ..] vous apprendrez de moi à vous laisser remplir par l'heure qui passe«46). Das hatte abgewandelt schon ein Anderer gesagt, aber nicht mit solch prompter Wirkung. Der Junge, bisher nur auf der Jagd nach seinem Helden, seiner Zukunft, wird 42) Ebd. S. 1363. 43) »La Conquête de Plassans«, S. 340. 44) »Monsieur Ouine«, S. 1366. 45) Th. Mann, »Die Betrogene«, S. 20. 46) »Monsieur Ouine«, S. 1365, S. 1368. 90
unmittelbar davon berührt, daß »alles, was entsteht«, wert ist, »daß es zugrunde geht«. In seinem verwirrten und bald auch betrunken gemachten Kopf entscheidet er sich, an diesem Abend nicht heimzukehren. »D'ailleurs je hais ma maison: aujourd'hui ou demain, qu'importe? Tôt ou tard, il faudra bien que je traverse pour la dernière fois ce jardin ridicule, ses escaliers croulants, sa charmille et ses deux patûres rôties. Pour la dernière fois, je verrai la façade bête et blanche, ce cube que soleil ni pluie n'arrivent à fondre — et plaise au ciel que je retrouve à sa place une mare de chaux et de mortier« 47 ). Von nun an wird der Halbwüchsige müde und verzichtend dreinblicken, von nun an wird er jeden Tag das Mittagessen herunterschlingen und zu diesem Haus eilen, das ihn »ainsi que d'un frais linceul«48) in Schatten und Schweigen hüllt. Das Leben erscheint ihm »une maison vide«, und er träumt vom Wegzug der Vögel »vers quelque pays fabuleux« 4 '). Ähnlich durchschlagend istOuines Erfolg beim Pfarrer von Fenouille, den er nach dem unaufgeklärten Mord am Hütejungen ganz gegen seine sonstige Gewohnheit aufsucht. Bei der kirchlichen Aussegnung dieser Leiche predigt der Geistliche kurz darauf völlig unter dem Diktat des Pädagogen. Auch er gibt der Gemeinde ihren medizinischen Befund bekannt, denn in solchen Worten hatte Ouine zu ihm gesprochen, diesmal weniger die schmutzige als die sündige Welt voller Wunden ausbreitend und jedes Mitleid verbietend: »Souffrir avec. Pourrir avec plutôt!«50) Zunächst klagt der Pfarrer über seine Einsamkeit, die Ouine ihm soeben bewußt gemacht hatte. »Que suis-je parmi vous? Un cœur qui bat hors du corps, avez-vous vu ça, vous autres? Hé bien! J e suis ce cœur-là, mes amis·. Un cœur, rappelez-vous, c'est comme une pompe qui brasse le sang. Moi je bats tant que je peux, seulement le sang ne vient pas, le cœur n'aspire et ne refoule que du vent« 51 ). Der Besucher hatte gesagt: »II y a maintenant un cadavre dans chaque maison.« Aus seinem Munde klingt das so: » [ . . . ] l'idée est entrée en moi comme l'éclair, que notre paroisse n'existait plus, qu'il n'y avait plus de paroisse« 52 ). Der Pensionär hatte darauf hingewiesen, daß selbst das Übel den Menschen langweilig geworden sei. Der Pfarrer wiederholt 47) 48) 49) 50) 51) 52)
Ebd. S. Ebd. S. Ebd. Ebd. S. Ebd. S. Ebd. S.
1365. 1529. 1464. 1485. 1465, S. 1486.
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ihn folgendermaßen: »Et maintenant, le mal ne vous tient plus chaud«53). Nach seinen letzten Worten hält er wie ein Schüler am Ende der Lektion seufzend inne. Um die wahre Herkunft des Todesspruches zu unterstreichen, läßt der Erzähler just in diesem Moment den Stuhl Ouines »par petits coups réguliers« 54 ) auf den Steinfliesen knirschen, als gäbe er den Takt dazu an. Noch zurückhaltender bleibt Abbé Faujat im Hintergrund aller Veränderungen, die sich kraft seines Willens in Plassans vollziehen. Wir hören ihn kaum im Zusammenhang sprechen, und was er schließlich doch sagt, ist schwer zu verstehen. »II murmure«, »murmure-t-il« heißt es nach fast jeder knappen Bemerkung des Fremden. Gerade durch diesen Umstand verbürgt Zola die Unheimlichkeit seines Helden. Wir haben gezeigt, wie sich der böse Dämon bei Bernanos durch verstecktes Hohngelächter, durch die ihm eigene Atmosphäre, durch die zur Resignation mahnenden Worte charakterisiert. Sein Einfluß beschränkt sich natürlich nicht auf die beiden erwähnten Gesprächspartner. Ganz Fenouille leidet unter diesem Gast, übrigens liegt das Dorf dem Schauplatz des ersten Romans benachbart. Kam der Roßhändler damals aus Etaples, so gehen hier die jungen Männer nach Etaples ins Freudenhaus. Hat sich die Gegend seit jener Zeit verändert? Auch in »Sous le Soleil de Satan« gab es schon keine intakte Bürgerfamilie mehr, brach das Mobiliar des Marquis de Cadignan bereits zusammen, stand sein Schloß zum Verkauf bereit, klaffte eine Lücke im Kirchturm. Verfallen war die Wohnung der zweiten Mouchette, der Salon des Literaten Guérou, das Schloß im Kriminalroman, und um den Besitz des Grafen im »Journal« heulten verstümmelte Föhren. Fragt man sich also, was im letzten Werk von Bernanos bei gleicher Themenstellung an neuen Momenten auftritt, so muß man das Fehlen einer Haupthandlung und das gesteigerte Interesse an allen Verfalls-Symptomen erwähnen. Die Krebsgeschwüre des Bösen wucherten im »Journal« noch verborgen, nur dem Curé sichtbar, und das beeinträchtigte ihre literarische Wirkung. Fäulnis und Verfall, die sich vor den Augen des Lesers vollziehen, die er schauen und riechen kann, sind womöglich noch kräftigere Beweise einer nahen Auflösung. Beide Erscheinungen gehen in diesem Roman Hand in Hand und verbinden sich jeweils mit den genannten Gerüchen. Zu Beginn lehnt Steeny am Fenster seines Wohnzimmers. Es ist ein schwüler, gewittriger Augustnachmittag, und der Junge sieht aus »comme s'il allait 53) Ebd. S. 1490. 54) Ebd. S. 1487.
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vomir« 55 ). Er möchte das Haus mit den beiden lesbisdien Frauen fliehen, einen Meister suchen, der das wahre Leben kennt. Auf dem Dachboden, »le Purgatoire« genannt, scheint nodi ein Toter zu hausen, Steenys Vater, der absichtlich nach dem Weltkrieg nicht zu seiner Frau zurückgekehrt ist und dessen Hinterlassenschaft jene »odeur funèbre« ausströmt, der mit Eau de Cologne nicht beizukommen ist"). Diesen Geruch bemerkt der blaßäugige, geschwisterlose Knabe jetzt auch an den Fensterläden, »cela pue la céruse et le mastic, une odeur plus puissante que l'alcool où se mêle bizarrement l'haleine toujours moite des grands tilleuls de l'allée« 57 ), und es bedarf nur noch des kleinsten Hinweises von Seiten Ouines, damit ihm sein Haß auf dieses modernde Haus bewußt wird und er ihm in Gedanken den Todesstoß versetzt. Im Vergleich zur Wohnstätte des Sprachlehrers, in der sich Steeny noch am gleichen Abend umsieht, waren die Verfallszeichen an der elterlichen Villa allerdings gering. Dem Erzähler liegt soviel daran, Néréis als beherrschende Kulisse zu gewinnen, daß er dem Leser dreimal jenes Schloß beschreibt. »On raconte, en effet, que la maison tombe en ruine —le toit crevé, la pluie ruisselant de marcile en marche, en cascade, le vestibule croupissant, gorgée d'une eau noire que chaque pas fait jaillir du point des dalles«58). Ouine bestätigt diese Gerüchte über das verpönte Haus, in das niemand mehr geht. Er schildert dem Jungen seine detaillierten Maßnahmen gegen die »crasse séculaire«, die immer wieder durch die Tünche schlägt und »des caps, des golfes, des îles, toute une géographie mystérieuse« bildet59). Zu dieser Zeit liegt der Besitzer schon im Sterben, Ginette jagt gehetzt mit ihrer Stute über die Landstraßen. »La cachette est vide«, dennoch erscheint es ein drittes Mal, jetzt als Schrecknis für die robuste Hebamme, die Ouine zu Tode pflegt. Sie hält sich lediglich in der Küche auf und schläft in der Speisekammer. Nur manchmal, wenn sie sich Mut angetrunken hat, steigt die beherzte Frau ins erste Stockwerk, wo Ginettes letzte Möbel stehen. Die Wandschränke dort zeigen eine grauenhafte Unordnung, und es ist wieder ein hübscher verbindender Zug, daß wir ebenfalls erfahren, wie es in den Schränken des Mouretschen Speisezimmers aussieht, als François, der Irrenanstalt entflohen, dort seine Frau sucht: » [ . . . ] au bord d'une planche, un sac de papier 55) 56) 57) 58) 59)
Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.
S. S. S. S. S.
1349. 1355. 1349. 1358. 1361.
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gris, crevé, laissait couler des morceaux de sucre jusque sur le plandier. Plus haut, il aperçut une bouteille de cognac sans goulot, bouchée avec un tampon de linge.« Mouret steigt sogar auf einen Stuhl, um das Durcheinander genau zu betraditen: » [ . . . ] les bocaux de fruits à l'eau-de-vie tous entamés à la fois, les pots de confiture ouverts et sucés, les fruits mordus, les provisions de toutes sortes rongées, salies comme par le passage d'une armée de rats«60). InNéréis sind diese Tiere tatsächlich schon am Werk. »Le malheur est qu'ils sont tous percés, ainsi que les écumoires, de trous à souris et à rats, dont les crottes font sur les planches un tapis mou, qui a l'odeur sûrette de pommes mûres«61). Der Park vor Ouines Fenster ist zu diesem Zeitpunkt gänzlich verwildert. Steeny blickt auf die nahen vertrockneten Föhren, auf verdorrte Rasenflächen, über denen ein Raubvogel kreist. François Mouret erkennt seinen einst mit soviel Liebe gepflegten Garten überhaupt nicht wieder. »II lui semblait plus grand, et vide, et gris, et pareil à un cimetière. Les buis avaient disparu, les laitues n'étaient plus là, les arbres fruitiers semblaient avoir marché«62). Aus vertrockneten Budisbaumstauden stapelt er dann sorgfältig den Scheiterhaufen für sich und das lasterhafte Haus. Dieser äußere Verfall ist jeweils nur Abbild und Spiegelung des untergangsreifen Romanpersonals. Bernanos wählt drei Repräsentanten, deren Ende besonders stark zu ihrem einstmals normalen Leben kontrastiert. Der Schloßbesitzer beispielsweise hatte vierzig Jahre lang ein friedliches Jägerdasein geführt. Erst Ginette de Passemont, seine Geliebte, schien ihm den Gedanken eingeflüstert zu haben, einen Dichter, Denker oder Theosophen bei sich aufzunehmen, selber aber Musiker zu werden. Seit Ouines Auftreten war er dann zusehends kränker und verrückter geworden, und nun liegt der einst kraftvolle Mann in verdreckter Jägerkleidung auf dem Totenbett, »en pleine f e r m e n t a t i o n , saturée de sucre et d'alcool, un m o û t «"), wie der böse Sdiloßgast Steeny erzählt. Wir müssen sogar einen Blick auf das schmutzige Krankenlager werfen, wo Ginette ihren winselnden Mann von Zeit zu Zeit in die Hüften kneift. » [ . . . ] il faisait hihil avec une grimace« 64 ). Anthelme hatte seinen Traum vom Künstlertum nicht aufgegeben und sogar Land verkauft, um dafür eine Orgel anzuschaf60) »La Conquête de Plassans«, S. 339. 61) »Monsieur Ouine«, S. 1531. 62) »La Conquête de Plassans«, S. 338. 63) »Monsieur Ouine«, S. 1367. 64) Ebd. S. 1383.
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fen. Doch die Gläubiger waren so rechtzeitig aufmerksam geworden, daß es gar nicht zur Auslieferung des Instrumentes kam. Ähnlich fixen Ideen gibt sich der Bürgermeister hin. »Tiens, Malvina«, sagt er fast täglich zu seiner Frau, »j'aimerais autant d'être curé«65). Verschuldet wie der Schloßbesitzer und ein womöglich noch größerer Schürzenjäger als Anthelme, sehnt er sich nach Reinheit und erzählt allnächtlich seiner gleichgültigen Ehepartnerin alte Weibergeschichten. Ihn kann Ouine zwar nicht mit einem gärenden Most vergleichen, stattdessen befindet sich für den Sechzigjährigen die ganze übrige Welt »en pleine f e r m e n t a t i o n « . Mit Seife und Wassergüssen versucht Arsène, gegen diesen Geruch anzukämpfen. Zum Ärger seiner Frau sehen wir ihn halbnackt an sich bürsten und reiben, vergebens. Nach dem Begräbnis völlig irre geworden, läuft der Bürgermeister eines Tages im Pyjama zum Pfarrhaus. Während man ihn einschließt, um die Kleidung zu holen, entflieht Arsène für immer, und zwar durch die gleiche Öffnung, die Mouret Eintritt in sein verschlossenes Haus gewährt — durch die Kellerluke. W e i l die Familienlegende ein aristokratisches »de« vor den Namen gesetzt hat, hält sich Vandomne, der dritte Träumer, für etwas Besonderes. Freilich ist es mit seinem Geschlecht nicht mehr weit her. Man wohnt in einer bescheidenen Kate, Sohn und Schwiegersohn sind tot, der einzige Enkel läuft an Krücken, die Tochter ist mit einem trunksüchtigen Holzfäller und Wilderer verheiratet. Dennoch wird auch dieses Haus erst durch Ouines Verschlagenheit gänzlich vernichtet. Zu Unrecht des Mordes am Hirtenjungen bezichtigt, gibt der Schwiegersohn seiner Frau und sich selber den Tod. Damit sind die für das Böse anfälligsten Personen des Romans genannt. Sie ähneln sehr den Originalen zu Kaisersaschern und Perle") und haben natürlich die gleiche Funktion, nämlich einen Schauplatz zu repräsentieren, dessen Hysterie und Neurose den baldigen Untergang zwingend erscheinen läßt. Legitim gehören auch die Statisten ins Ortsbild, die nicht laut träumen, ganz gewiß aber doch schlafen. Sie können ihre Augen nur mehr mit Mühe öffnen, schlummern im Stehen ein, liegen hinter Hecken, erschöpft und kraftlos. Gearbeitet wird nicht mehr, es herrscht Nacht über Fenouille. Dieser Schlafzwang senkt sich nicht plötzlich herab wie in Kubins Traumreich; wir erinnern an die Müdigkeit der Mouchette-Heldinnen, an die Tagträume Donissans und des Schmugglers Arsène, an den Wunsch des Journal-Schreibers, seinen 65) Ebd. S. 1395. 66) V g l . Th. Mann, »Doktor Faustus«; A . Kubin, » D i e andere Seite«.
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ständigen Halb-Schlaf zu bezwingen. Doch auch dieser Zug erfährt im letzten Roman eine ebenso konsequente Steigerung wie jenes andere, von Beginn an vorhandene Moment, das die animalische Seite der Menschen ins Blickfeld rückte. H. Petriconis Arbeit über das gleiche Thema, deren Methode diese Untersuchung dankbar verpflichtet ist, legt dar, wie Kubin das Ende der Stadt Perle vorbereitet, indem er den Ort zu »einer Art Tierparadies« 67 ) verwandelt. Der phantastische Schauplatz gestattete eine solche Invasion endzeitlichen Grauens, die alte literarische Tradition darstellt, ohne weiteres. Bernanos dagegen hatte es sehr viel schwerer, die apokalyptischen Plagen über sein Dorf auszuschütten, das im Artois des 20. Jahrhunderts situiert ist. Aber auch er verzichtet nicht auf das »Standard-Repertorium« 68 ) für diese Zwecke, die Offenbarung Johannis. Zunächst also zitiert er möglichst viele reale Tiere herbei. Der normale Viehbestand der bäuerlichen Gemeinde wird nicht vorgeführt, statt dessen sehen wir Schwärme von Fliegen und Mücken, die am gewittrigen Flußufer, an Ouines Petroleumlampe, an Steenys Bierglas tanzen. Könnten diese Insekten noch als unangenehmes Attribut der heißen Jahreszeit gelten, so lagert über Fenouille ein Geruch, der an überreife Äpfel erinnert, aber von Ratten und Mäusen stammt. Steeny findet ihn überall wieder, »[...] même dans la campagne dévorée de soleil [. ..]«"), sogar in seinen mit Parfüm getränkten Kleidern. Nagetiere zerfressen das Schloß Néréis, unterminieren die Wege, so daß der Knabe vergeblich auf einen früher zur gleichen Stunde vorüberrasenden Lastwagen wartet. Derweil kreist ein Geier in der Luft. Vögel sind aber auch schon vom Himmel gefallen. Damit nicht genug, findet der Erzähler immer neue Vergleiche, die das überhandnehmen von Tierschwärmen suggerieren. Hélène Vandomnes Gedanken umkreisen Schuld oder Unschuld ihres Mannes »comme un vol d'immenses oiseaux« 70 ). Die Toten, seit Donissans Beschwörung im Werk anwesend, kommen »serrés autant qu'un vol de corneilles« auf den alten Vater zu. Man kann sie verjagen, aber sie erscheinen wieder, »pis que des rats«71). Erinnerungen winden sich wie Würmer oder surren wie fette Fliegen. Auf Steenys Bemerkung, die 67) 68) 69) 70) 71)
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H. Petriconi, a.a.O. S. 119. Ebd. »Monsieur Ouine«, S. 1544. Ebd. S. 1476. Ebd. S. 1430 f.
Hunde ausführen zu wollen, antwortet Ouine vieldeutig: »Promener les chiens! [...] Hélas! Il y a ici plus de chiens que vous n'en promènerez jamais, une belle meute!«72) Von ihnen sieht sich der Pfarrer in seinen Träumen aus dem Ort verjagt, der selber »une ruche en avril«73) genannt wird. Vor dem Begräbnis hören wir endlich einmal Kirchenglocken läuten. Aber sie schwirren wie riesige Wespen. Dieser Bilderreichtum, immer der gleichen Sphäre entnommen, doch von keinem Kritiker bemerkt, verbürgt dem Autor nodi nicht die gewünschte Wirkung. Und so gibt er jetzt auch seine Romangestalten selber als Tiere aus. »Tiens, Malvina, [...] je ne suis au fond qu'un cochon«74), meint der Sauberkeitsfanatiker Arsène, dessen dicke Nase wie ein Schweinerüssel im Schmutz suhlt. Steeny beißt die Erzieherin, die als Katze, häufiger noch als Schlange erscheint und sich entsprechend verführerisch auf dem Teppich windet, während ihre Freundin den geduldigen Nagetieren zugeordnet wird, die auch Mme Faujat zitiert hatte, als sie ihre Verwandtschaft charakterisieren wollte: »Iis prennent la maison, Ovide, ils ont des dents de rat«75). Von Haupt- und Nebenpersonen wird erzählt, daß sie sich am Boden wälzen, auf allen Vieren kriechen und ein hündisches Winseln vernehmen lassen. Mit dieser metaphorischen »Tier-Invasion« bereitet Bernanos die Kollektiv-Szene des Begräbnisses vor. Sie ist, genau genommen, das zweite Aufgebot von Menschenmassen im Werk unseres Autors, erinnert man sich der freilich längst gestorbenen und verwesten Ahnenversammlung, die, nach ihren Todsünden gruppiert, einst Mouchette bedroht hatte. Wörtlich genommen leben die Bewohner von Fenouille zwar noch, aber Menschen sind es nicht mehr, die da, mit dem apokalyptischen »Malzeichen des Tieres«76) gekennzeichnet, vor dem Sarg eine Herde bilden, all die Hunde, Katzen, Insekten, Frettchen, Schlangen, Löwen, Schweine und Tiger, desgleichen die bislang nicht genannten Dörfler, summiert als »ces bâtards d'Espagnols, noirs comme des mouches [...]«"). Eine entsprechende Umdeutung erfährt die Kirche. Sie ist dunkel und heiß »comme une étable«78), der rechte Ort für die Herde also, 72) 73) 74) 75) 76) 77) 78)
Ebd. S. 1364. Ebd. S. 1489. Ebd. S. 1395. »La Conquête de Plassans«, S. 304. Offenb. Joh. 13, 17. »Monsieur Ouine«, S. 1433. Ebd. S. 1482.
7 Padberg
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die sich denn audi aneinander drängt, während der Priester, angewidert vom Schmutz, den Tod seiner Gemeinde bekanntgibt: » [ . . . ] il n'y a [...] plus de paroisse, c'est fini, vous êtes libres. Vous êtes libres, mes amis. Cent fois plus libres que les sauvages et les païens, tout à fait libres comme d e s b ê t e s«79). Ein einziges hungriges Tier, stürzt sich die Menge nun folgerichtig auf sein Opfer Ginette. Der Anstifter dieser Enthumanisierung hat den Schauplatz bereits verlassen, als er sah, wie gut sich die Totenfeier für seine Zwecke anließ. Ganz Fenouille nimmt teil, was recht unwahrscheinlich wäre, handelte es sich nur um das Begräbnis des Hirtenjungen. Vielmehr sollte die Gemeinde einmal geschlossen im Zenith ihrer Vertierung gezeigt werden. Aber die Szene enthält noch eine Komponente, die nun allerdings auch mit den vom Priester genannten Wilden und Heiden zu tun hat. Bernanos folgt nur »der Regel«, wenn er »die letzte Stufe vor der endgültigen Auflösung« in einem »allgemeinen Bacchanal« darstellt 80 ). Ob ihm diese Bedeutung selber bewußt gewesen ist, bleibe dahingestellt. Gleichviel, auch hier bewährt sich die Vertrautheit mit den Romanen Zolas, der es, wie H. Petriconi anführt, in »Germinal« vorgezogen hat, »die sexuelle Raserei des Kultischen zu entkleiden« 81 ), und vielleicht mehr noch die Erinnerung an den »vieux maître« Barbey d'Aurevilly, der in »L'Ensorcelée« einen ähnlichen Hexensabbat gleichfalls an Stätten des Kultes — Kirche und Friedhof — verlegt hatte. Wie er muß Bernanos eine künstliche Dunkelheit schaffen, da die Begräbnisfeiern jeweils am Morgen beginnen, während Zola, Kubin, Thomas Mann im »Tod in Venedig«, Hermann Broch im »Versucher« — Autoren, die das gleiche Thema zur »ewigen Unterhaltung« gestaltet und umgestaltet haben — erst die Nacht heraufziehen lassen. Also flüchtet unser Erzähler mit Barbey in die dunkle Kirche. Kann er das Kubinsche Lagerfeuer nicht entzünden, so schaffen die unruhig flackernden Kerzen einen ähnlich gespenstischen Kontrast. Während der Friedhofsszene verschweigt Bernanos, daß wir uns wieder draußen befinden. Statt dessen erwähnt er die Zahl der Beteiligten. Es ist schwarz von Menschen wie bei der Bestattung in Blandielande und sozusagen doppelt finster, da alle in Trauerkleidern gekommen sind. Der Himmel hat sich bezogen. Bei Jeanne de Feuardents Begräbnis — sie ist wie unser Hirtenjunge aus dem Wasser gezogen worden, und wie bei ihm bleiben die näheren Umstände des Todes unaufgeklärt — verfinstern Raben die Sicht. 79) Ebd. S. 1486. 80) H. Petriconi, a.a.O. S. 123.
81) Ebd. 98
Beide Male ist die Menge vollzählig erschienen. Barbey d'Aurevilly verzichtet auf Alkoholgeruch, während Zola seine Meute statt Brot fünfzig Flaschen Genever erbeuten läßt, die sogleich »comme une goutte d'eau bue par le sable«82) hinuntergeschüttet werden. Auch Bernanos schickt die Gehröcke zunächst ins Wirtshaus, damit sie, betrunken und einmütig, ihren Todesspruch mit jenem höllischen Gelächter quittieren, das wir als äußersten Triumph Ouines bereits erwähnten: Car c'était bien ce rire, c'était le rire de la paroisse — mais quel rire! — de la paroisse retrouvée, de la paroisse déchue, mais unanime, qui faisait briller leurs yeux et leurs dents, tirant au fond de leur gorge on ne sait quel soupir rauque [ . . . ]8S).
Mag man bis hierher unserer Interpretation der Beerdigung skeptisch gefolgt sein, so enthält die Szene ein Moment, das sie vollends als Bacchanal ausweist. Natürlich kann es Bernanos nicht zur Paarung der Trunkenen kommen lassen wie Kubin, er muß auch auf die Trophäe der Germinal-Heldinnen verzichten. Wagte es Zola darüber hinaus, einzelne Körperteile seiner rasenden Frauen zu entblößen, etwa La Mouquettes üppige Rückseite im letzten Aufflammen der Sonne zu zeigen, so erscheinen bei Bernanos alle Menschen nackt. Zwar hatte er uns eben ihre Trauerkleidung beschrieben, gleichwohl läßt er den Priester, den einzig Nüchternen sozusagen, die wahre Sachlage erkennen, und so wichtig muß dieser Umstand sein, daß er dreimal erzählt wird, was bei einem ähnlich heiklen Moment nicht nur ausreichend, sondern fast schon zu viel ist. Im Halbdunkel erblickt der Geistliche »ces faces n u e s si pressées qu'elles faisaient comme un seul corps η u , la dégoûtante nudité de tout le village maudit se tordant auprès du cercueil.« — »De nouveau il crut voir se tordre sous ses yeux ce grand corps tout η u , tout vivant, ces flancs livides.« Und ein drittes Mal: »Les faces tournées vers lui à travers la brume légère flottaient au-dessus des corps échauffés, ne faisaient toujours qu'un seul corps n u [ . . . ]«84). Aber auch das gegenseitige Begehren deutet der Erzähler an. Nicht nur wegen der Enge und Dunkelheit drängen sich die Beteiligten aneinander, ein Element der Lust hat sie ergriffen: »[...] ils se pressaient les uns contre les autres, se cherchaient des coudes et des cuisses comme du regard [ . . . ]«85). Mit fünfhundert gierigen Kinnladen wird 82) 83) 84) 85)
E. Zola, »Germinal« (1885), Paris 1928, S. 350. »Monsieur Ouine«, S. 1495. Ebd. S. 1484, S. 1485, S. 1491. Ebd. S. 1495. 99
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dann das Opfer eingekreist. Die Frauen, traditionellerweise in schlimmster Verfassung bei solchen Débauchen, lassen unterdessen ein mänaden-artiges »glapissement« hören, während Ginette den Takt dazu schlägt. Im Schreckensschrei der Bedrängten, der »ainsi qu'un bruit de c y m b a l e s« 8e ) den Lärm übertönt, nennt Bernanos sogar das klassische Instrument des verruchten Festes. Mit dieser Szene hätte er seinen Roman schließen sollen, und wenn das Bacchanal nicht genügte, wäre der v o m Bürgermeister so o f t angedrohte Brand die einzig mögliche Steigerung gewesen. A b e r diese Idee blitzt nur durch das irre Hirn Arsènes, während Mouret sie v o r unseren A u g e n ausführt. Selbst Ouines Sterben kann kaum mehr Interesse erregen, denn es war ja klar, daß er sich auf die eine oder andere W e i s e aus der »Paroisse morte« — so der ursprünglich gewählte Titel — wegstehlen würde. Bernanos tut auch darin zuviel des Guten, daß er uns diesen Tod ausführlich beschreibt. Man glaubt, den Pensionär reden zu hören, und die nachträglich gegebene Erklärung, alles habe sich nur dem wieder betrunkenen Steeny so dargestellt, verfängt nicht. Zola ließ uns keinen Blick ins Innere A b b é Faujats tun. Er beschäftigt sich mit den Reaktionen der übrigen Romanfiguren. Das Herz des Anstifters aber blieb fremd — und erhöhte damit sein Geheimnis. In gleicher W e i s e hatte Balzac in » L e Curé de Tours« seinen rothaarigen Vertreter des Jesuitengeistes, A b b é Troubert, Barbey seinen unheilstiftenden A b b é de la Croix-Jugan vorgestellt. Diese drei, Inkarnationen des Teufels gleich unserem schwarzgekleideten Oberlehrer, bewirken das Böse und schweigen; Ouine dagegen redet wenigstens bei seinem letzten Auftritt zu viel. Ähneln sich die Auswüchse des Massenwahns in allen vergleichbaren Szenen — wir hätten ebenso gut Hermann Brochs Roman »Der Versucher« näher betrachten können, w o der Hexensabbat als Bergfest kaschiert und ein v o m Wanderprediger verzaubertes Mädchen getötet wird — so hat Ginette am meisten mit der »sorcière« in Blanchelande gemeinsam. Beide helfen wissend oder unwissend dem Verderber. Allein, w i e der Zuschnitt des Bernanossdien Romans entschiedener auf das bald fällige Ende hinweist als Barbey d'Aurevillys W e r k , so trägt auch die Schloßherrin apokalyptischere Züge. Mit ihr schüttet Bernanos eine solche Fülle schlimmster Plagen über Fenouille aus, daß selbst dem harmlosesten Leser ein Licht aufgehen muß. Diese zerlumpte, blasse, verkommene Frau entbehrt ganz des menschlichen Charakters, dafür aber vereinigt sie alle Tiergestalten in sich, die bislang gesondert von den Dorfbewohnern vertreten wurden: sie ähnelt 86) Ebd. S. 1499.
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der schleichenden Katze und dem verendenden Jagdhund, der listigen Wölfin, dem schmutzigen Insekt und dem Riesenvogel, der auf verwundeten Schwingen läuft. Sogar ihr Jagdwägelchen wird in einen Schreckensgeist verwandelt. Umgekippt sieht es als »insecte géant«87) wie jene Heusdirecken aus, die bei Johannes »Schwänze gleich den Skorpionen« haben 88 ). Die Herrin des Gefährts zeigt aber auch Ähnlichkeit mit der galoppierenden »Grande Vérole« des Esseintes' 8 '), und wie jene sowohl an den Tod als an die Luxuria der Patmos-Vision erinnert, gemahnt die wilde Stute Ginettes an das »falbe Pferd« und an das »sdiarlachfarbene Tier« der Geheimen Offenbarung 80 ). Hält uns Bernanos Szenen vor, wie Kubin sie in der entsprechenden Person Melitta Lampenbogens präsentiert, erfahren wir doch, daß die Schloßherrin einst von allen Junkern der Gegend begehrt worden ist, daß sie sich später anscheinend mit jedem Dorfburschen eingelassen hat. Auf diese leibhafte Anwesenheit der Luxuria, die wie kein anderes Übel dem Ende vorarbeitet, mochte Bernanos begreiflicherweise nicht verzichten. Sexuelle Unbotmäßigkeit hatte in seinem Werk immer mitgespielt, sei es in der frühen Schwangerschaft Germaines, in der Vergewaltigung der zweiten Mouchette, in den versteckten Lastern der Pariser Greise oder in den wüsten Träumen des Schürzenjägers Arsène. Die Hebamme nimmt sogar an, daß Ginette auch zu Monsieur Ouine enge Beziehungen unterhalten habe. Aber mag die scharf blickende Frau das Geschehen im übrigen zutreffend resümieren, in diesem Punkt irrt sie wohl. »M. Ouine se m o q u e des femmes«91), sagt Steeny, und so scheint es sich für den Teufel zu gehören. Vautrin, Abbé Troubert, Abbé de la Croix-Jugan, Faujat lieben die Frauen nicht. Wenn sie überhaupt etwas empfinden, ist die Neigung homoerotisch. Dieser Tradition folgte auch Bernanos bei der Teufelsbegegnung Donissans, wie er andererseits dem homosexuellen Fjodor satanische Züge verlieh. Wenn der nicht überführte Knabenmörder Ouine zu irgend jemandem amouröse Beziehungen unterhielt, dann nur zu Steeny. Wie nimmt die Außenwelt an diesen zum Untergang drängenden Geschehnissen teil? Nun, einmal, indem sie zerfällt — wir erinnern an den Zustand des Schlosses, des Elternhauses von Steeny, der Hütte des alten Vandomne — und zum anderen, indem sie sich verflüchtigt. 87) 88) 89) 90) 91)
Ebd. S. 1411. Offenb. Joh. 9, 10. Vgl. J.-K. Huysmans, »A Rebours«, Kap. VIII. Offenb. Joh. 6, 8; 17, 4. »Monsieur Ouine«, S. 1532.
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Spielte die Natur seit dem ersten Roman durch Maß- und Gewichtsveränderungen geheimnisvoll mit, so hat die Welt jetzt überhaupt keine statischen Gesetze mehr. Sie befindet sich in einer schwindelerregenden Bewegung, von der nicht länger als Halluzination eines kranken Betrachters gesprochen wird wie noch im »Journal«, sondern als realer Situation. Jetzt gibt es keinen ruhenden Pol mehr. In Fenouille schwanken und beben die Fenster, heben und senken sich die Hecken, flattern die Mauern, fliehen die Wege, schlagen die Bäume um sich, wird die ganze Landschaft »une palpitation de formes et de couleurs« 82 ). Jedes Ding ist Bernanos nun recht, das gewünschte Gleiten, Hüpfen und Jagen zu erzeugen. Er setzt metaphorisch sogar Morgenfrühe und Dämmerung in Bewegung und läßt in diesem allgemeinen Fluten zudem alle Augenblicke noch Ginettes wildes Gefährt vorübersausen, wodurch ein solches Strömen und Gegenströmen entsteht, daß die Welt buchstäblich nur mehr in Fetzen erscheint. »Und alle Inseln entflohen, und keine Berge wurden mehr gefunden« 83 ), sagt Johannes, dessen apokalyptisches »Rauchfaß« auch über Fenouille schwingt, denn es herrscht Nebel, wobei wir freilich doch erkennen sollen, daß sich die Erde wie ein Brustpanzer wölbt, wie ein Frosch emporspringt. Mit dieser endzeitlichen Verwirrung korrespondiert die Behandlung des Wetters. Dem Kalender nach sind wir in der Zeit der Rosenblüte, die Menschen wischen sich den Schweiß, »et la terre semble suer une encre plus noire encore« 84 ). Dennoch liegt der Wald von Saint Vast »sous la pluie d'hiver« 85 ), wirft der Polarsturm Klagen und Vögel vom Himmel. Es ist Sommer und Winter, trocken und naß, das Wetter selber eine Plage. Als rücke eine neue Sintflut heran, schüttet es aus allen Schleusen, dann trocknen die überschwemmten Wiesen in wenigen Stunden, und erneut zieht ein Gewitter herauf. Unheil künden auch die Geräusche an: kugelartig summen die Bienen, wie Pistolen krachen Ginettes Wagenräder, ihre Zügel zischen, als wären es Schleudern. Hatte Ouine dem Priester gesagt, daß Fenouille ein pfeifender, brodelnder Sumpf sei, so hören wir im Gegurgel des Bodens, im scharfen Pfiff des Sturmes diese Geräusche auf Schritt und Tritt wieder. Fast noch mehr aber hält es der Erzähler mit einem andern Laut, den Zola nur einmal erwähnt, als die Familie Trouche ihre roten Vorhänge zieht: »On entendit le grincement étouffé 92) 93) 94) 95) 102
Ebd. S. 1410. Offenb. Joh. 16, 20. »Monsieur Ouine«, S. 1434. Ebd.
de l'espagnolette«"). Wir dagegen vernehmen dieses »grincement horrible« immer wieder, nicht nur am Leder, an Wagenrädern, an den Schuhen der Kirchgänger, an Türen und Fenstern, sondern sogar an den Kinnladen der blutrünstigen Bacchanten. Neben dem schon charakterisierten Hohngelächter ist damit die andere Seite der Hölle, ihr »Heulen und Zähneknirschen«97) aufs beste gekennzeichnet. Betrachtet man die Mittel, die das Chaos zu Fenouille herbeiführen, so waren sie in geringerem Ausmaße auch früher schon verwendet worden. Das Schloß zu Néréis vollendet den bereits im ersten Roman angedeuteten Häuserverfall. Sturm und Regen rücken mit der Gewalt von Arsènes Cyclone-Geschichte heran. Entwich die Welt im »Journal« erschöpft ins Leere, zerbricht sie hier in einem rasenden Wirbel und hinterläßt jene Öde, die das letzte Bild zeigt. Im Feuer war der Planet in der frühen Erzählung »Dialogues d'Ombres« vernichtet worden, als sich Bernanos zum ersten Mal der von Zola geliebten optischen Täuschung bediente: »Par une longue déchirure à l'ouest, le ciel parut, d'un bleu pâle, et les flancs épais des nuages s'allumèrent tous à la fois«' 8 ). Dieses Bild kehrte versteckter bei der Schilderung der Stadt Paris in »L'Imposture« wieder. Der letzte Roman enthält den Brand nur als Drohung, als Vision des irren Bürgermeisters. Aber viele Blitze zucken unheilkündend durch den Nebel, der selber von seltsamer Abkunft zu sein scheint, denn er riecht gleichzeitig nach Wasserschwaden und Rauch. Audi umgibt eine zweideutige Helle den Ort. »Une lueur louche rampe autour du village, une espèce de brume au flanc roux que l'aube dissipe chaque matin, qui se reforme chaque soir, là-bas [...]«··). Vollzog Kubin das Ende der Traumstadt so rigoros, daß keine Spur zurückblieb, begnügte er sich in den Illustrationen zu G. Trakls »Offenbarung und Untergang«100) mit dem Bild eines verendenden Pferdes zwischen wimmelnden Mäusen, mit der Darstellung eines hungrigen Wolfes oder kreisenden Geiers — und erzielte ähnliche Wirkungen. Nicht von ungefähr zeigt sich uns der verwüstete, verwilderte Park zum letzten Male aus dem Fenster von Ouines Sterbezimmer, ein Garten wie der Mourets nach dem Brand: »L'herbe brûlée des allées a pris des tons fauves, et la brume de chaleur qui monte de la terre y 96) »La Conquête de Plassans«, S. 134. 97) Matth. 8, 12. 98) G. Bernanos, »Dialogues d'Ombres« (1928), S. 53. 99) »Monsieur Ouirae«, S. 1434. 100) Georg Trakl, »Offenbarung und Untergang«, mit 13 Federzeichnungen von Alfred Kubin, Salzburg 1947.
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dessine d'imperceptibles moires«101), ü b e r diesem toten Land schwingt ein Raubvogel. Satans Sonne hat Fenouille erledigt, in jene »steppe de cauchemar«102) zurückverwandelt, die das Schlußbild der ersten BernanosErzählung, »Madame Dargent«, geboten hatte. Nach der Vision der menschenleeren Steinwüste Paris, des verwesenden Urwaldes, des Totenhauses de Clergerie, des wolkenwärts entweichenden Landpfarrer-Dorfes nimmt der letzte Roman das früheste Untergangsbild wieder auf. Fenouille ist ein »Großer Friedhof unter dem Mond«. So hatte Bernanos schon 1938 in seinem berühmten Pamphlet die ganze Welt anvisiert, wobei dem Titel bereits zu entnehmen ist, daß es sich auch hier eher um eine poetische Deformierung als um exakt Kulturkritisches handeln muß103).
101) »Monsieur Ouine«, S. 1544. 102) G. Bernanos, »Madame Dargent« (1922), S. 14. 103) Vgl. G. Bernanos, »Les Grands Cimetières sous la Lune«, Paris 1938.
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Scfalußbemerkungen Am Ende der Interpretation angelangt, rufen wir nodi einmal ihren Ausgangspunkt zurück. Detaillierter als die Entgegnung auf Weinerts Schrift wird, so hoffen wir, die Untersuchung selber den Autor vom Renouveau Catholique distanziert haben. Freilich bewegt er sich mit seiner »paroisse« in einer Ordnung, die auch den Erzählern der erwähnten Gruppe als Koordinate gilt. Sie war aber die natürliche Größe für einen Schriftsteller, der seine Welt gerade am Versagen der Christenheit leiden lassen und durch ihre »fermentation« dem Ende zuführen wollte. Freilich spielen Geistliche eine hervorragende Rolle innerhalb des Romanpersonals, und eben dieser Umstand vor allem hat die Kritik irregeführt, hat sie die Werke schlechthin als »Priesterromane« lesen lassen. Dabei blieb unbemerkt, daß Bernanos, der den Klerus nicht liebte, mit der Wahl seiner Hauptfiguren etwas ganz anderes im Sinne hatte. Nicht die Problematik des Standes war sein Anliegen, sondern der Hirt ohne Herde, der einsame, vergebliche Rufer, dem sich die sündige Welt authentisch im Beichtstuhl offenbarte. Hier ließ sich eindrucksvoller als durch theoretische Erörterungen die »misère« des gegenwärtigen Daseins kundtun und die Schöpfung des Dichters zum untergangsreifen Jammertal erklären. Warum sonst nahm der Erzähler von der evangelischen Botschaft der »Neugeburt« keine Notiz? Im ganzen Werk gab es nur eine Konversion. Ihr folgte der Tod der Gräfin noch in der gleichen Nacht. Das vom Renouveau Catholique postulierte »l'art pour l'église et pour le salut« hätte aber gerade der Bekehrung Raum lassen müssen, wäre es dem Autor auf missionarische Ziele angekommen. Wie als Christen hätten seine Menschen auch als Bürger versagen und so das Ende durch einen Mangel an jenen Tugenden herbeiführen können, deren Fehlen von anderen Autoren für andere Untergänge verantwortlich gemacht worden ist. Die Auswirkungen der »Schuld« zeigen stets große Ähnlichkeit. Auf sie muß der Erzähler seine ganze Aufmerksamkeit richten. Nachdem er wie in unserem Falle die »décomposition« einer geistigen Institution als Thema gewählt hatte, blieb ihm noch alles zu tun übrig, das Motiv zu gestalten, die abstrakte Behauptung in poetische Realität umzumünzen. Also wurden die Sünden zu Krebsgeschwüren und Eiter105
beulen, die Menschen blaß und freudlos, starben Familien aus, standen Besitztümer zum Verkauf, griff die Fäulnis auf Pappelstämme, Flüsse, Häuser, Lebensmittel über, bis endlich der Leser an keine Regeneration mehr glauben konnte und sich ganz dem Geruchssinn Arsènes überließ: »D'ailleurs, tout le monde p u e , les hommes, les femmes, les bêtes, la terre, l'eau, l'air, que je respire, tout — la vie entière ρ u e«1). Bernanos hatte seit der ersten Zeile Partei gegen das Leben ergriffen. So schien ihm der Mond nur erwähnenswert, wenn er einen unheilkündenden Hof hatte, das Spiel eines Kindes lediglich, wenn es, »à la morte« hingekauert, Sand in denMund rieseln ließ. Mouchettes Stimme klang einmal rein, aber da sang sie vor dem bewußtlosen Epileptiker. Die Schönheit des Augusttages kam nur zur Sprache, weil schon jene »perfides aromates d'automne« spürbar waren, die seine Vergänglichkeit besiegelten. Selbst Chantéis mystische Vision endete im Schredcensbild eines modernden Galgens. Statt Blumen trug die Erde tote Blätter, die im letzten Roman gespenstisch wie Schweinerüssel schlürften. Sogar das Feuer begab sich der Möglichkeit, Symbol des Lebens und der Freude zu sein. Es zeigte nur deutlicher die schmutzige Umwelt und hinterließ jene Aschenhaufen, die das ganze Ende bildlich schon vorwegnahmen. Nicht genug mit dem ewigen Novemberregen, setzte der Autor auch das Verhängnis der Welt, ihren »ennui« in sichtbare Wirklichkeit um, ließ ihn als verderbenbringende »pluie de cendres« niederrieseln und hüllte die sowieso grau verschattete Welt nun vollends in die Farbe von Sack und Asche. Ist ein solcher Erzähler als »Diagnostiker« der heutigen Zeit und Gesellschaft anzusehen? Dann müßte die schon in den zwanziger Jahren schwerkranke, röchelnde Stadt Paris längst untergegangen sein, dann wäre der Artois eine Mondlandschaft. Zwar zeigen die kleinen »paroisses« dort typische Merkmale eines wirtschaftlichen Notstandsgebietes, von denen sich jeder, auf den Spuren unseres Autors reisend, leicht überzeugen kann, aber die Bewohner lieben und lachen, freuen sich und haben Kummer, wie die Menschen allüberall. Führe man weiter, immer noch bereit, die Wirklichkeit an der Literatur zu messen, der schmerzlichen Einsicht des Landpfarrers Glauben zu schenken: »Ma paroisse est une paroisse comme les autres. Toutes les paroisses se ressemblent...«, so müßte man doch irgendwo der Bernanosschen Prozession von Selbstmördern, Epileptikern, Trinkern, Morphiumsüchtigen, Sadisten, sexuell Pervertierten, Verbrechern und Mördern 1) »Monsieur Ouine«, S. 1440.
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begegnen. Statt dessen aber trifft man blühende Dörfer mit Menschen, nicht eben vorbildlich, doch nett und durchschnittlich, genau wie bei uns. Nein, nicht der objektive Beobachter analysiert in den Romanen die Welt, der Dichter schafft sich sein Universum und ruft d i e Gestalten ins Leben, die seine Vision ausdrücken. Nur von dieser Voraussetzung aus kann sich der Interpret dem Werke nähern. Dann bleibt ihm nichts weiteres zu tun, als aufzumerken, wenn der junge Mann im Zwiegespräch »Dialogues d'Ombres« seiner Partnerin gesteht: »C'est ainsi que je vous aime. [...] J'aime à vingt-trois ans cette ride de rien, presque invisible, ce plis à votre beau front, entre vos deux sourcils«8), hinzuhorchen, wenn Germaine Malorthy dem Dorfarzt bekennt, sie liebe ihn einzig seiner Laster wegen, sich zu erinnern, wenn der Lebensekel der zweiten Mouchette vor einem wie tot hingestreckten Schmuggler zur Ruhe kommt und der Landpfarrer täglich zu seinem »Wahlheim«, dem gefällten Pappelstamm, läuft. All diese Momente verraten die Neigung, den Geschmadc des Erzählers, und verknüpft man sie mit den Hinweisen auf den korrespondierenden Handlungsrahmen, ergibt sich zuletzt der Zuschnitt der Welt. Daß sie, diese illusionäre Schöpfung des Dichters, nur geschaffen wurde, um vor den Augen des Lesers wieder unterzugehen, war ihr schon vor die Stirn geschrieben, als sich der totentanzähnliche Reigen »aux mille bras, aux mille bouches« im ersten Roman bereits gruppierte und im Schatten versank. Da diese Sympathie des Autors mit dem Nächtlichen und Kranken durch alle Werke aufzuzeigen war, hielten wir uns nicht streng an die Chronologie seines Schaffens, sondern behandelten die »Nouvelle Histoire de Mouchette« nach der Geschichte ihrer Zwillingsschwester, während sie, 1937 veröffentlicht, zu den letzten Arbeiten von Bernanos gehört. Anders als Zola, der sich durch ein historisches Ereignis, nämlich den Kriegsausgang von 1870/71, in bezug auf seine geplante Familiengeschichte eines Besseren belehren ließ und nun die Ära Napoleons III. schlechthin als »Reich des Untergangs« deklarierte, verrät das Werk unseres Autors keinen Bruch in der Konzeption: Schon in »Sous le Soleil de Satan« prophezeit der Vikar: »II n'y a pas de paix ici-bas, [...] aucune paix, et dans un seul instant de vrai silence ce monde pourri se dissiperait comme une fumée, comme une odeur«3). Denkt man noch einmal an die Zola-Romane zurück, so ist unser Oeuvre freilich viel schmäler und nicht durch einen Stammbaum aufeinander bezogen, was andererseits die Tatsache 2) »Dialogues d'Ombres«, S. 41. 3) »Sous le Soleil de Satan«, S. 255. 107
nicht selbstverständlich macht, daß den Geschlechtern gar kein Höhepunkt konzediert wird, daß sogar ihre Vorfahren immer nur den schlechten Schnaps der Assommoir-Kunden getrunken zu haben scheinen. Streben die Rougon-Macquart zunächst empor und bringen es, während sie freilich biologische Kraft einbüßen, doch zu Macht und Ansehen, ist der Schicksalsraum der Bernanosschen Helden auf ein enges, fast immer kleinbürgerliches oder proletarisches Milieu reduziert. Würde man vereinfachend als Indiz der Zolaschen Weltschöpfung die Farben gold und rot nennen — noch in der finstersten GerminalSzene flammt ein Widerschein davon auf — so hießen die Grundtöne dieser Romane schwarz und aschgrau. Ein weiterer Unterschied zur Komposition der »Sittengeschichte« liegt auch darin, daß Bernanos den historischen Hintergrund des Geschehens eliminiert, wodurch die Romane kaum datierbar werden. Ihr Mangel an Lokalkolorit erschwert die Situierung, zwei Umstände, die dem Leser die Nachprüfung erschweren, andererseits aber die Verallgemeinerung des Erzählten erleichtern, woran dem Autor, wie die Erörterung der Schuldfrage zeigt, gelegen sein mußte. Er wollte ja vom Zustand einiger Artois-Dörfer auf die ganze Christenheit schließen lassen. Aber auch diese »Gemeinde« ist wie das Zweite Kaiserreich nur eine stellvertretende Größe, hinter der sich jeweils der Untergang der ganzen Welt abzeichnet. Diese Erkenntnis rückt unser Werk in einen großen Zusammenhang, begreift es als Gestaltung des Themas, das H. Petriconi »ein mythologisches« 4 ) nennt, weil »Gott und die Welt« daran beteiligt werden, daß die Erde, einmal erschaffen, nicht von ewiger Dauer sein kann. Zwar weiß jeder um diesen persönlichen und allgemeinen Hingang, aber er sucht nach Deutung, nach Rechtfertigung für das Gesetz — und findet sie in der Literatur. Ihr ist es vorbehalten, dem Thema bekannte oder imaginäre Schauplätze zu geben, sei es, daß bereits erfolgte Untergänge nachträglich aus dichterischen Motiven gestaltet werden — der Niedergang Roms ist hier das klassische Beispiel —, sei es, daß dem Dorf eines kränklichen Landpfarrers, eines tuberkulösen Schloßgastes die Rolle allgemeingültiger Repräsentanz zudiktiert wird. Mögen Ort, Zeit und Einkleidung wechseln, der »poetische Mechanismus« von Schuld und Sühne »liegt [...] offen zutage« 5 ). Gott und die Welt beteiligen, heißt in jedem Falle, Teufel und Tod herbeirufen, das Geschehen »sous le Soleil de Satan« verlegen. 4) Der Untertitel seiner Untersuchung lautet: »Bemerkungen über ein mythologisches Thema«. 5) Ebd. S. 11.
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Setzt man die künstlerischen Entfaltungen des Themas absolut, so leben wir seit mehreren tausend Jahren in der Endzeit. Diese Aktualität ist, aufs Ganze gesehen, zwar widerlegt, aber sie gilt doch für »die kleine Weile« jedes Menschenlebens. Bald werden wir nicht mehr sein. Versöhnt es da nicht, wenn diesem Tage der große Untergang bald folgt? Ein Trost muß wohl mit solchen Vorstellungen verknüpft sein, denn ihre literarische Darbietung hat immer wieder dankbare Leser gefunden. Aber das menschliche Herz fürchtet den Tod nicht nur, es sehnt sich gleichermaßen nach ihm. Es will ausruhen und nicht mehr schlagen. Hat man Baudelaires Gedicht »Any where out of the World« nicht wie des Esseintes auf dem Kaminsims stehen, so kennt jeder den Text doch zutiefst aus sich selbst. Daß Bernanos ihn gekannt hat, war schon zu vermuten, als bereits im Prolog des ersten Romans die Gestalten, ehe sie Kontur gewannen, von Dunkelheit verschluckt wurden. Dann wob er einen Schleier aus Traum und Schlaf um seine blassen Mädchen, ließ den Priester Donissan, den Schmuggler Arsène, die fromme Chantal in plötzlichen Ohnmächten von ihrer Lebensmüdigkeit ausruhen, den Landpfarrer früh in die »grande paix du soir«") einkehren. Dieser Todeswunsch griff, wie das Werk zeigte, als allgemeiner Vernichtungsdrang um sich, verwandelte die Welt des Autors in jene »pourriture et gangrène« 7 ), die des Esseintes nur an seinen exotischen Pflanzen, Monsieur Ouine dagegen an allem wahrnahm. Aber Bernanos bekannte sich auch in eigenem Namen zu diesem universellen Zerstörungswillen. 1933 schrieb er an einen uns unbekannnten Empfänger: » L ' a u r o n s n o u s a s s e z d é s i r é e , la f i n du Monde«8).
6) »Journal«, S. 1254. 7) »Monsieur Ouine«, S. 1492. 8) Brief vom September 1933 aus La Bayorre, zitiert bei A. Béguin, a.a.O. S. 117.
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