Das Rechtsgut des § 189 StGB [1 ed.] 9783428486199, 9783428086191


125 87 13MB

German Pages 146 Year 1996

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Das Rechtsgut des § 189 StGB [1 ed.]
 9783428486199, 9783428086191

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

KAI-UWE HUNGER

Das Rechtsgut des § 189 StGB

Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von Klaus Bernsmann, Hans Joachim Hirsch Günter Kohlmann, Michael WaIter Thomas Weigend Professoren an der Universität zu Köln

Band 20

Das Rechtsgut des § 189 StGB Von Kai-Uwe Hunger

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hunger, Kai-Uwe: Das Rechtsgut des § 189 StGB / von Kai-Uwe Hunger. Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Kölner kriminal wissenschaftliche Schriften ; Bd. 20) Zug!.: Köln, Univ., Diss., 1994/95 ISBN 3-428-08619-8 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 3-428-08619-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9

Vorwort § 189 StGB stellt denjenigen unter Strafe, der das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft. Obwohl diese Nonn eine der kürzesten Vorschriften des Besonderen Teils unseres Strafgesetzbuches darstellt, dürfte sie gleichwohl eine der systematisch umstrittensten sein. Dies wird dadurch belegt, daß wohl zu keiner anderen deutschen Strafvorschrift in bezug auf das geschützte Rechtsgut eine derart breit gefächerte Meinungsvielfalt existiert. So stellte der Strafrechtskommentar von Schönke/Schröder von der 14. Auflage 1969 bis einschließlich der 17. Auflage 1974 mehr oder weniger resignierend fest, .. daß diese mißglückte Vorschrift ohne Rest nicht zu interpretieren sei" . Tze-Lung ehen ist der Autor, der sich im Rahmen seiner deutschen Dissertation aus dem Jahr 1986 zuletzt ausführlich mit dieser Vorschrift befaßt hat. Er vertritt sogar den Standpunkt, daß § 189 StGB zugunsten einer zivil rechtlichen Ergänzung abgeschafft werden sollte. Die vorliegende Arbeit versucht - diesen Bestrebungen entgegenwirkend - darzulegen, daß § 189 StGB trotz seiner in der Praxis vielleicht untergeordneten Bedeutung eine für unser funktionierendes Strafsystem wichtige Rolle erfüllt und zum Ehrenschutz Verstorbener unerläßlich ist. Diese Wertung soll keinesfalls durch eine isolierte Betrachtung des Strafrechts erreicht werden. Beginnend mit der Untersuchung, wie die bedeutendsten Kulturvölker Beleidigungen oder Schmähungen gegen Verstorbene behandelt haben, werden die historischen Ursprünge von § 189 StGB dargelegt und dessen weitere Entwicklung bis zur Gegenwart aufgezeigt. Anschließend erfolgt eine Gesamtbetrachtung unserer Rechtsordnung, die weit über die Grenzen des Strafrechts hinausragt und verdeutlicht, wie in anderen Rechtsbereichen - und auch im Strafrecht - die Stellung des Verstorbenen unter Berücksichtigung postmortaler Schutzvorschriften zu definieren ist. Dieser Komplex wird durch eine Berücksichtigung der strafrechtlichen Regelungen unserer europäischen Nachbarstaaten abgeschlossen. Der internationale Vergleich zeigt, daß in zahlreichen Ländern ein postmortaler Ehrenschutz anerkannt ist, so insbesondere in Österreich und der Schweiz. Besondere Beachtung wird dann der verfassungsrechtlichen Entwicklung des postmortalen Persönlichkeitsschutzes anband der Wertentscheidungen von Art. 1 I GG LV.m. Art. 2 I GG zugemessen, wonach es mit dem verfassungsverbürgten Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde

6

Vorwort

unvereinbar wäre, wenn der Mensch, dem Würde kraft seines Personseins zukommt, in diesem allgemeinen Achtungsanspruch nach seinem Tode herabgewürdigt oder erniedrigt werden dürfte. Im Anschluß daran folgt eine intensive Auseinandersetzung mit den zu dem Rechtsgut von § 189 StGB vertretenen Meinungen, die durch die eigene Auffassung des Verfassers abgeschlossen wird. Diese eigene Wertung wird durch eine allgemeine Auslegung von § 189 StGB anband der anerkannten Auslegungskriterien (grammatikalische, systematische, teleologische und teleologisch-historische Auslegung) unter Berücksichtigung von § 194 StGB vorgenommen, die sich an der grundgesetzlichen Vorgabe als unserem höchstrangigsten Recht orientiert. Nach der Auffassung des Verfassers ist das geschützte Rechtsgut von § 189 StGB der zu Lebzeiten vorhandene Ehrbestand und der daraus resultierende Achtungsanspruch gegenüber jedem Einzelnen als Ausfluß der über den Tod hinaus fortwirkenden Würde des Menschen und damit die fortbestehende Ehre des Verstorbenen. Allhand des durch Auslegung dieser Norm gewonnenen Ergebnisses wird aufgezeigt, daß sich nur diese Wertung mit der verfassungsrechtlichen Vorgabe und den Wertentscheidungen anderer Rechtsbereiche, unter besonderer Hervorhebung des zivilrechtlich seit Jahrzehnten anerkannten postmortalen Ehrenschutzes, in Einklang bringen läßt, will sich das Strafrecht nicht bewußt von dem Gesamtzusammenbang unserer Rechtsordnung isolieren. Andererseits wird verdeutlicht, daß diese Rechtsgutauffassung Strafbarkeitslücken vermeidet und dadurch auch für die präventive Kriminalitätsvorbeugung eine positive und beachtliche Rolle spielen kann. Zur Abrundung und Effektivität des Ehrenschutzes ist es nach der Auffassung des Verfassers jedoch erforderlich, die Strafantragsregelung des § 194 11 StGB mit der Maßgabe zu erweitern, daß die Staatsanwaltschaft in gewissen Fällen ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung in Anlehnung an § 232 StGB und § 376 StPO bejahen können muß. Mit dieser Arbeit möchte der Verfasser dazu beitragen, daß § 189 StGB wieder die Beachtung findet, die ihr aufgrund der gesellschaftlichen Notwendigkeiten zusteht. Die vorliegende Abhandlung hat im Wintersemester 1994/95 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation vorgelegen. Rechtsprechung und Literatur sind bis zum Jahresende 1995 berücksichtigt.

Vorwort

7

Mein aufrichtiger Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans Joachim Hirsch, der die Arbeit angeregt und mit großem Engagement betreut hat. Ebenfalls möchte ich mich bei dem Zweitgutachter, Herrn Prof. Dr. Jürgen Seier, bedanken. Dank schulde ich nicht zuletzt meiner Mutter für ihre wertvolle schreibtechnische Unterstützung und Herrn Dr. Walter Scheerbarth für die Überlassung seiner unverzichtbaren EDV-Kenntnisse.

Neuss, im Januar 1996

Kai-Uwe Hunger

Inhaltsverzeichnis I.

Einleitung........................................................................

15

11. Historischer Ursprung des § 189.......................................... ... 17 1. Römisches Recht ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

2. Germanisches Recht .............................................. ...... ... 19 3. Griechisches Recht. .................. ................. ........... ...... .... 21 4. Die Gesetzgebung der deutschen Einzelstaaten bis zum Inkrafttreten des RStGB 1871 . ............. ................ .............. .... .... 22 a) Geschichtlicher Überblick....... . . . . . . . .. ........ . . .. ..... . . . . . . . . .. 22 b) Die Strafgesetzgebungen der deutschen Einzelstaaten . . . . .... . . . 24 aa) Strafgesetzbuch von Sachsen............. ....... ...... ......... 24 bb) Strafgesetzbuch von Württemberg ............................ 25 cc) StGB von Braunschweig .............. ............ .............. 25 dd) Hannoversches StGB ..... ..... ... ... ...... .. .................... 25 ee) Thüringisches StGB................... .... .. ........ ............. 26 ff) Strafgesetzgebungen von Einzelstaaten ohne ausdrückliche Strafbestimmungen in bezug auf Beleidigungen gegenüber Verstorbenen.................... ..................... 26 gg) Strafgesetzbücher von Hessen und Baden..... ........... .... 26 5. § 189 RStGB ........................................... ...... ............... 27 6. Die weitere Entwicklung bis zur heutigen Fassung von § 189 StGB .......................... ............................................... 29 a) Strafrechtsangleichungs-Verordnung vom 29.5.1943........... 29 b) Kontrollratsgesetz Nr. 11 vom 30. 1. 1946 .. ;..................... 30 c) 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 30.6.1960......... ........... 30 d) Einführungsgesetz zum StGB (EGStGB) vom 2.3.1974 ....... 30

10

Inhaltsverzeichnis

e) 21. Strafrechtsänderungsgesetz vom 13.6.1985 .................. 31

f)

Zusammenfassende Wertung............................ . ............ 31

III. Überblick über den Meinungsstand .................... .......... .... ........ 33 IV. Stellung des Verstorbenen in anderen Rechtsgebieten .................... 35 1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus zivilrechtlicher Sicht (§ 823 I BGB) ................................................. .............. 35 a) Herleitung und Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts .............................................................. 35 b) Das postmortale Persönlichkeitsrecht ... ......... ............ ...... 38 2. Vorschriften des Urheber- und des Kunsturheberrechts . ....... ...... 40 a)

§ 22 Kunsturheberrechtsgesetz ........ .. ............................ 40

b) § 64 Urheberrechtsgesetz... ... ................ ....... ........ ... . .... 41 c) § 83 Urheberrechtsgesetz.... ..... ..... ................. ......... ..... 41 3. Vorschriften des allgemeinen Zivilrechts .... ........... .. . ............. 42 a)

§§ 13011, 153 BGB ................................................... 42

b) § 168 BGB .. ..................................... .................. . .... 44 c)

§§ 1937, 2084, 2064ff BGB ......... ................................ 45

4. Öffentlich-rechtliche Vorschriften, die postmortalen Schutz entfalten, und die allgemeine Totenfürsorge .......... ..... .. . ..... ........ 47 a) Vorschriften des Feuerbestattungsrechts und die allgemeine Totenfürsorge .................................... ...... ... .... ...... ... 47 b) Bundesarchivgesetz und die Archivgesetze der Länder ..... ..... 49 5. Materiell strafrechtliche und strafprozessuale Vorschriften ......... 50 a)

§ 203 StGB ............................................................ 50

b) § 204 StGB -Verwertung fremder Geheimnisse-.................. 52 c)

§ 167a - Störung einer Bestattungsfeier - und § 168 StGB Störung der Totenruhe - .... ... ...... .... . . .. . . . . .... ... . . . ... ... . . . . . 52

d) §§ 87 (Leichenschau; Leichenöffnung); 89 (Umfang der Leichenöffnung); 159 (Unnatürlicher Tod) StPO ................ 53 e)

§§ 361 iVm. 29611 und 371 StPO .................................. 54

Inhaltsverzeichnis

11

6. Zwischenergebnis in bezug auf die Frage, inwieweit in unserer Gesamtrechtsordnung postmortale Ausprägungen vorhanden sind ..................... ..... .. ........ .............................. .. .... .. . 55 V.

§ 189 im Vergleich zu entsprechenden Regelungen in den europäischen Nachbarstaaten ................................................. 57

1. Schweizerisches StGB .................................................... 57 2. Österreichisches StGB ....... , . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .... . . . 58 3. Das StGB der ehemaligen DDR.. ... ... .... ......................... .... . 58 4. Das Ungarische StGB...................................................... 59 5. Das Belgische StGB................ ...... .. ... .... ........ ................. 59 6. Das Dänische StGB ................ ...... ...... ....... ..................... 60 7. Das Rumänische StGB....... .............................................. 61 8. Das Griechische StGB ......................... ............. ............ ... 61 9. Das Schwedische StGB ...................................... .............. 62 10. Das Spanische StGB .............. ........................................ 63 11. Das Italienische StGB...................................................... 63 12. Das Niederländische StGB................................................ 64 13. Das Norwegische StGB ................. .. ............... .......... .. ..... 65 14. Abschließende Betrachtung der Regelungen der Nachbarländer. ...

65

VI. Auseinandersetzung mit den verschiedenen Meinungen.................. 67 1. Das Pietätsgefühl der Angehörigen......................... ............. 67 2. Das Pietätsgefühl der Angehörigen und der Allgemeinheit......... 74 3. Die Familienehre . ........ ...... ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .... . . . .. . . . . 77 4. Wertvorstellungen der Bevölkerung über die Achtung Toter als Schutzgut des sozialen Friedens. ............................... .......... 79 5. Die übrigen genannten Auffassungen .................................. 80 VII. Eigene Wertung................................................................. 81 1. Aufgabe des Strafrechts unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen ......................................... 81 2. Ehrenschutz als Aufgabe unseres demokratisch legitimierten Rechtsstaates. . . . . . . . ...... . ......... .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . 83

12

Inhaltsverzeichnis

3. Die postmortale Erstreckung grundrechtlicher Schutzpflichten in Gestalt von Art. 1 I iVm. Art. 2 I GG .................................. 86 a) Das Schutzobjekt einer Rechtspflicht muß nicht notwendigerweise auch gleichzeitig "Berechtigter" sein.. ........... ....... 87 b) Der Würdeschutz des verstorbenen Menschen als nachwirkende Reflexwirkung des lebzeitigen Persönlichkeitsrechts.. ....... 89 c)

Inhalt und Umfang des postmortalen Würdeschutzes (unter Einbeziehung von § 189)............................................. 92

4. Die Auslegung von § 189 StGB ......................................... 93 a)

Sprachlich-grammatikalische Auslegung............ ............... 94

b) Die systematische Auslegung (Stellung von § 189 im StGB).. 101 c)

Die teleologische Auslegung............................ . ........... 102 aa) Die subjektiv-historische Methode............................ 103 bb) Die objektiv-teleologische Auslegung........................ 104 cc) Die objektiv-teleologische Auslegungsmethode als Gegenwartsaufgabe des Strafrechts................... . . . . . ... 105 dd) § 189 als Bestandteil einer einheitlichen Rechtsordnung.. 110 aaa) Postmortale Wertentscheidungen im Verfassungsrecht und anderen Rechtsgebieten ... . .. ... . . .. .. . ...... 11 0 bbb) Bedürfnis für die Existenz von § 189 in Abgrenzung zum Zivilrecht...................................... 11] ccc) Das Rechtsgut von § 189 ................................ 114 ddd) Stützung dieser Rechtsgutauffassung durch SteIlung und Auslegung...................................... 115 eee) Stützung des Rechtsgutes durch Zulassung des Wahrheitsbeweises..... ............ ......... .............. 115 fff)

Stützung dieses Recbtsgutes durch Vermeidung von Strafbarkeitslücken .. . .. . . . .. ... . . ... . .. .. . . . . ..... . . 116

ggg) Kein Widerspruch zur Antragsregelung des § 194 11 ............................................................. 123 hhh) Die Besonderheiten von § 194 Il S. 2 als Indiz zur Stärkung der hier vertretenen Rechtsgutauffassung . 126

Inhaltsverzeichnis

iii)

13

Bekanntmachung der Verurteilung nach § 200 StGB............................................. ........... 128

5. Abschließende Wertung .................................................. 129 VIII. Zusammenfassung der Ergebnisse in Leitsätzen......................... 137 Literaturverzeichnis ................................................................... 139

I. Einleitung Bei der Frage, welches Rechtsgut dem § 189 StGB! zugrundeliegt, handelt es sich um ein nach wie vor aktuelles Problem, das schon viele Jahre Ansatzpunkt für insbesondere theoretische Erörterungen bildet und fester Bestandteil der Lehrbuch- und Kommentarliteratur ist. 2 § 189 stellt denjenigen unter Strafe, der das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft. Der Streit über die Möglichkeit eines über den Tod hinaus fortwirkenden Persönlichkeitsrechts und die damit verbundene Ehrenfahigkeit des Toten bestimmt die Ansichten über das von der Vorschrift geschützte Rechtsgut. Praktisch relevant wird diese Auseinandersetzung insbesondere bei der Behandlung des Irrtums über den Tod, d.h. der Täter verunglimpft eine Person, die objektiv tot ist, die er subjektiv jedoch für lebend hält. Gleiches gilt für den umgekehrten Fall, wenn eine Person verunglimpft wird, die noch lebt, von der der Täter aber meint, daß sie tot sei. Wer die Ehre des Toten als geschütztes Rechtsgut ansieht, kommt zur Unbeachtlichkeit des Irrtums über den Tod, da sich die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener als ein Beleidigungsfall in Anlehnung an die §§ 185ff darstellt. Wer hingegen ein aliud-Verhältnis zwischen dem Rechtsgut des § 189 und dem Rechtsgut der allgemeinen Beleidigungstatbestände annimmt, gelangt konsequenterweise zur Straflosigkeit des Täters. Denn bei irriger Annahme, der Verunglimpfte sei tot, fehlt der subjektive Tatbestand in Form des Vorsatzes zur Verwirklichung für die objektiven Tatbestände der §§ 185ff. Für eine Bestrafung aus § 189 ist ebenfalls kein Raum, da mangels eines Verstorbenen der objektive Tatbestand dieser Norm nicht erfüllt ist und für keines der Delikte vom Gesetzgeber eine Versuchsstratbarkeit vorgesehen wurde.

1 §§ ohne nähere Bezeichnung sind solche des StGB. 2 LK-Herdegen, § 189 Rn. 1; SK-Rudolphi. § 189 Rn. 1; S/S/Lenckner. § 189 Rn. 1; LacknerlKühl, § 189 Anm. 1; Dreherffröndle, § 189 Rn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT Bd. I, § 25 VI; 0110, § 33 Anm. 1; Schmidhiiuser, BT Rn.23; Krey, Rn. 425; Slralerrwerlh, Schweiz. BT S. 112; Blei, BT § 24 11 Anm. 1; Bockelmann. BT Bd. 2 § 35 VII, S. 194.

16

I. Einleitung

Im wngekehrten Fall, in dem der Täter irrig annimmt, der Verunglimpfte lebt, liegt § 189 objektiv zwar vor, jedoch mangelt es am subjektiven Tatbestand, da der Täter keinen Verstorbenen beleidigen wollte (§ 16 I). Die §§ 185ff sind ebenfalls nicht gegeben, da es an einem tauglichen Beleidigungsobjekt fehlt, denn dieses ist verstorben. Unstreitig sind Verstorbene vom Schutzzweck der §§ 185-187 nicht erfaßt. 3 Folgerichtig ist festzustellen, daß das Delikt, das der Täter jeweils in seine Vorstellung und seinen Verwirklichungswillen aufgenommen hat, nicht verwirklicht werden kann. Die Straftat, die er objektiv begangen hat, ist mit seiner Vorstellung und seinem Verwirklichungswillen nicht deckungsgleich, was aus der Sicht des Rechtsgutes zwangsläufig zwn Freispruch führt. 4 Nach dem Grundsatz in dubio pro reo müssen diese Feststellungen auch dann geiten, wenn nicht ermittelt werden kann, ob die ehrenrührige Kundgabe vor oder nach dem Tod des Verunglimpften gemacht wurde. 5

3 Dreherffröndle, § 185 Rn. 17; Tenckhoff, JuS 88, 201; S/S/Lenckner, vor § 185 Rn. 2; Lackner/Kühl, vor § 185 Rn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT Bd. I, § 24 11 Rn. 13; WesseLs, BT I, 5. Kap. § 10 I unter 2. Rn. 458. 4 Diese (folgerichtige) Konsequenz wird von den Anhängern des aliud-Verhältnisses überwiegend auch gezogen - vgl. S/S/Lenckner, § 189 Rn. 3; Lackner/Kühl, § 189 Rn. 4; SKRudolphi, § 189 Rn. 7; Tenckhoff, JuS 88, 201; abw. Dreherffröndle, § 189 Rn. 4, der falctisch zu denselben Ergebnissen kommt wie die Vertreter derjenigen Ansicht, die die fortbestehende Ehre des Verstorbenen als geschütztes Rechtsgut von § 189 ansehen. A.A. auch Bockelmann, BT Bd. 2 § 35 VII, S. 194, der das Pietätsempfinden der Angehörigen und der Allgemeinheit als Schutzzweck dieser Strafnorm ansieht, aber dennoch aufgrund einer "Rechtsgutsverwandtschaft" mit den §§ 185fT den Irrtum des Täters rur unbeachtlich hält. 5 LK-Herdegen, § 189 Rn. 4; S/S/Lenckner, § 189 Rn. 3; Tenckhoff, JuS 88, 201; SKRudolphi, vor § 185 Rn. 7.

11. Historischer Ursprung des § 189 Das deutsche Strafrecht hat die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener als Delikt geregelt und für strafwürdig erachtet. Angesichts der Tatsache, daß das StGB fast ausschließlich nur Verhältnisse regelt, die lebende Menschen betreffen, ist § 189 eine gesonderte Stellung zuzusprechen. Ungeachtet dessen kann die Einstufung von ehrbeeinträchtigenden oder schmähenden Handlungen gegenüber Verstorbenen als verwerflich auf eine lange Tradition zurückblicken, da für eine Vielzahl von Kulturvölkern festzustellen ist, daß derartige Handlungsweisen nicht sanktionslos hingenommen wurden, sondern zum Teil erhebliche Konsequenzen nach sich zogen:

1. Römisches Recht Wie viele andere Völker verfügten auch die Römer über einen ausgeprägten Totenkult. Ausgehend von dem Glauben, daß der Einzelne auch nach seinem rein physisch wahrnehmbaren Ableben als Persönlichkeit in der bisherigen Weise weiterlebe, hatte der Totenkult eine besonders wichtige Funktion.! Den Ahnen wurden von der Familie Standbilder errichtet und bei besonderen Anlässen Opfer dargebracht. Man lud sie sogar zu Festmahlen ein und fertigte von ihnen Gesichtsmasken an, die bei Begräbnissen von auserwählten Personen getragen wurden. Den Verstorbenen selbst wurden Kleider, Geld, Schmuck, Lebensmittel in die Totenstätte mitgegeben; das Grab wurde als Art Wohnung angesehen, in welche der Verstorbene nach seinem Ableben einzieht, um dort eine andere und bessere, aber doch seinem früheren Leben entsprechende Existenz zu beginnen. 2 Solche Vorstellungen mußten demzufolge auch in Vorschriften zum Schutz von Verstorbenen ihren Niederschlag finden. Bei Grabschändungen, Totenfrevel und ähnlichen Delikten hatten die Römer spezielle Klagearten. 3

! Marquardl,

S. 340ff.

2 Marquardl, S. 340ff, 365ff; 378; MünchhaljJen, S.5 - daher findet sich auf damaligen Grabinschriften oft das Wort "domus".

3 Die actio sepuicri violati (0 47.12), sowie fiir die Fälle des Totenfrevels die actio iniuriarum. 2 Hunger

18

11. Historischer Ursprung des § 189

Unter den Schutzzweck dieser Klagearten fielen ebenso Injurien gegen den Leichnam,4 wie auch Angriffe auf den Körper des Verstorbenen. Weiterhin zählte man hierzu die Behinderung der Beerdigung eines Schuldners durch die Gläubiger, 5 um die Erben zur beschleunigten Zahlung zu veranlassen. Hintergrund dieses Deliktes war die Vorstellung, daß die Seele nach dem Tod solange umherirrt, bis der Leichnam begraben ist. Ein solcher Zustand galt als unerträglich und unwürdig und mußte die Rache des "umherschweifenden Geistes" befürchten lassen. 6 Vor diesem Hintergrund muß die Frage, ob eine Beleidigung Verstorbener selbst für möglich gehalten wurde, bejaht werden. Als Belege hierfür dienen hauptsächlich zwei im corpus iuris civilis enthaltene Stellen. 7 Beide Stellen bezwecken den Schutz der existimatio (dem römisch-rechtlichen Ehrbegriff) gegen Injurien. Dieser Ehrbegriff beruhte aber auf der Stellung des Einzelnen im Staat und wurde nur demjenigen zugesprochen, der sich im Besitz des römischen Bürgerrechts befand. 8 Daraus folgt, daß der Erblasser als ehrfähig angesehen worden sein muß, sollte ihm der Schutz der zitierten Stellen zukommen. Daß das Römische Recht dem Verstorbenen noch eine existimatio zusprach, läßt sich auch auf den im Römischen Recht enthaltenen Gedanken, daß sich die Persönlichkeit des Verstorbenen in seinem Nachlaß fortsetzt, zurückführen. 9 Demzufolge galt bei Verletzungen der existimatio des Erblassers dieser als unmittelbar und der Erbe als mittelbar verletzt lO • 4 Die iniuria corpori oder cadaveri facta (I. §§ 4.6.D.h.t). 5 Die sog. detentio cadaveris. 6 Die Gläubiger nutzten diese Vorstellung aus und verzögerten oder verhinderten die Beerdigung, um auf diese Weise die Erben zu einer beschleunigten Zahlung zu veranlassen. 7 I. I § 4 D de inj. et farn. lib.47,IO: "et si forte cadaveri defuncti fit injuria, cui heredes extitimus, injuriarum nostro nomine habemus actionern: spectat enim ad existimationem nostram, si qua ei fiat injuria. Idemque et si fama ejus, cui heredes extitimus, lacessatur"; sowie I. I § 6 eod.: "Quotiens autem funeri testatoris vel cadaveri fit injuria, si quidem post aditam hereditatem fiat, dicendum est heredi quodammodo factam (emper enim heredis interest defuncti existimationem purgare): quotiens autem ante aditam hereditatem, magis hereditati, et sie heredi per hereditatem adquiri" ... 8 Von Gemmingen-FürjeLd, S. 3.

9 MünchhaLffen, S. 6; von Gemmingen-FürjeLd, S. 4.

10 Von Gemmingen-FürjeLd, S. 4; Tze Lung Chen, S. 8f; so wohl auch KissLer, indem er auf S. 3 ausfuhrt: "der Erbe wird als verpflichtet erachtet, die Ehre seines Erblassers zu verteidigen"; differenzierend Abegg (in Beiträge zu der Lehre von strafbaren Handlungen in Beziehung auf Verstorbene im Archiv des Kriminalrechts 1844, S.465: "bei Injurien, die dem Leichnam zugefugt werden, besteht das KIagerecht aus dem Gesichtspunkt der mittelbaren Injurie. und bei Injurien gegen den guten Ruf des Erblassers besteht das KIagerecht unter dem Gesichtspunkt der Pietät - zitiert nach KissLer, S.3 Fn.2; a.M. AmsLer, S.15, welcher eine unmittelbare Beleidigung des Erben annimmt - zitiert nach von Gemmingen-Fürjeld, S.4, Pn.2; ganz ablehnend Mommsen, S. 785,786, der davon ausgeht, daß ein Verstorbener nicht selbst injuriert werden kann - nur bei

2. Gennanisches Recht

19

Die Verfolgung von Beleidigungen gegen Verstorbene geschah im Römischen Recht durch Erhebung der actio iniuriam durch den Erben, wobei es dem Kläger überlassen wurde, die Schwere der Ehrkränkung abzuschätzen und eine dementsprechende Geldsumme zu verlangen. Bei unverhältnismäßig hohen Forderungen konnte dieser vom iudex angemessen herabgesetzt werden. 11

2. Germanisches Recht Zu den Rechtsquellen, die auf die Rechtsauffassungen unserer germanischen Vorfahren Rückschlüsse erlauben, gehören das norwegische Gulathingsgesetz, die dänischen (das schonische Landschaftsrecht), schwedischen (Gutalagh), isländischen (Graugans) Rechtsbücher, sowie die auf königliche Anordnung zwischen dem 6. und 9. Jahrhundert aufgezeichneten Volksrechte. 12 In allen Aufzeichnungen sind Bestimmungen über Ehrkränkungen durch Worte enthalten. 13 Jedoch ergeben sich keine unmittelbaren Hinweise darauf, daß das germanische Recht die Möglichkeit einer Beleidigung Verstorbener anerkannt hätte. Insbesondere das ältere germanische Recht ist dadurch gekennzeichnet, daß über Injurien generell nur äußerst spärliche Aufzeichnungen vorhanden sind. 14 Im Unterschied zum Römischen Recht definierten die Germanen den Begriff der Ehre auf einer ganz anderen Grundlage. Dies resultierte daraus, daß sich das Wesen der germanischen Ehre in der Gemeinschaft begründete und damit in der Fähigkeit, an allem Gemeinschaftsleben teilzunehmen und Träger eines Gemeinschaftsgeistes zu sein. Der germanische Ehrbegriff hatte damit einen sozialen Charakter l5 und kann als der Maßstab angesehen werden, mit dem das Verhalten des Einzelnen in der Sippe bewertet wurde. Damit hatte der Begriff erbrechtlichen Angelegenheiten werde die Fiktion der Persönlichkeit auch auf die Injurie erstreckt. Seiner Ansicht nach habe als klagbare Personalverletzung nach dem ältesten Rechtsbuch nur das Vergreifen am Körper gegolten. 11 Zur streitigen Frage, ob neben dem Erben und unabhängig von dessen Willen auch Verwandten des Erblassers das Recht zugesprochen wurde, die Verfolgung in die Hand zu nehmen, vgl. bejahend Kissler, S.5 und 6; Abegg, S.470ff - zitiert nach von Gemmingen-FüTjeld, S.4 Fn.2; verneinend von Gemmingen-Füifeld, S.8ff, der ausschließlich die Erben als legitimiert ansah. 12 Z.B. die Lex Salica, Lex Ribuaria.

13 Z. B. führt das alte Gulathinsgesetz (M.c.47) eine Reihe von Schimpfworten an, die mit

Strafe bedroht sind. Graugans (c.105) erklärt es überhaupt für strafbar, einem einen anderen Namen als dem seinigen beizulegen und stellt es dem gleich, wenn man ihm einen Spottnamen gibt. 14 Kissler. S. 6; von Gemmillgell-FüTjeld. S. 12. 15 MünchhaljJen. S. 7; Kissler. S. 6f; von Gemmillgen-FüTjeld, S. 12. 2·

20

11. Historischer Ursprung des § 189

der Ehrverletzung bei den Gennanen eine viel engere Bedeutung, weil die Ehre im Unterschied zum römisch-rechtlichen Ehrbegriff viel subjektiver aufgefaßt wurde. Damit schieden bei den Gennanen bereits solche Beinträchtigungen als Ehrverletzungen aus, die sich nicht gegen das ideale Gut der Ehre in der Gemeinschaft richteten. Daraus ergibt sich aber auch zwangsläufig, daß man den Germanen kaum härter treffen konnte als ihn in seinem sozialen Stellenwert in der Sippe zu beeinträchtigen. In diesen Fällen verzichtete der Gennane darauf, den Rechtsweg einzuschalten, sondern verschaffte sich vielmehr selbst Genugtuung. 16 Aus gennanischer Sicht konnte von der sozialen Stellung einer Person jedoch nur gesprochen werden, solange sie der menschlichen Gesellschaft angehörte. Die Tatsache, daß der Verstorbene mit seinem Tode aus dieser menschlichen Gesellschaft ausschied, könnte daher dafür sprechen, daß nach gennanischem Recht ein postmortaler Ehreschutz nicht anerkannt wurde. In diese Indizienkette reiht sich ein, daß den Germanen auch das römischrechtliche Prinzip der Universalsukzession und ein hierdurch vennitteltes Fortleben der Persönlichkeit in dem Nachlaß fremd war. Vielmehr fiel nach gennanischem Recht das Vennögen einer Person nach deren Tod auseinander,17 so daß auch unter diesem erbrechtlichen Aspekt ein Fortwirken der Persönlichkeit nicht begründet werden konnte. Vor diesem Hintergrund wird dementsprechend auch überwiegend vertreten, daß bei den Gennanen Vorschriften zum Schutz Verstorbener nicht existierten und Angehörige oder Freunde des Verstorbenen - wie bei eigenen Ehrverletzungen - auch insoweit zur Selbsthilfe griffen. 18 Als stärkstes Indiz für die Richtigkeit dieser Auffassung dürfte sprechen, daß die Rechtsquellen keine Anhaltspunkte dafür bieten, daß im gennanischen Recht die Möglichkeit einer Beleidigung Verstorbener anerkannt worden ist. Andererseits wird aber ebenso die Meinung vertreten, daß auch nach Gennanischem Recht die Rechtsfähigkeit einer Person nicht mit deren Tode erloschen sei. 19 Für diese Auffassung sprechen die zum Teil strengen Vorschriften über Leichen- und Grabverletzungen20 sowie die Tatsache, daß 16 Osenbrüggen, Das Strafrecht der Langobarden S. 76: "Den Freien überließ man es selbst Hüter ihrer Ehre zu sein. "-zitiert nach Kissler, S. 7, Fußnote 3.

17

Von Gemmingen-Fürj'eld, S. 12.

18 Kissler, S. 6 und 7; Münchhalffen, S. IOf; Von Gemmingen-Fürj'eld, S. 12f. 19 Münchhalffen, S. 10; Schreuer, S. 153ff; Schläpjer, S. I Off - letztgenannter zitiert nach ehen, S. 27f. 20 Vgl. Münchhalffen, S. 10 m.w.N.

3. Griechisches Recht

21

der Tote nach Gennanischem Recht weiterlebte. 21 So wurden den Ruhestätten der Verstorbenen zwn Beispiel zahlreiche Gegenstände, insbesondere Waffen, beigelegt, die sie für das Weiterleben nach dem Tode brauchten (so insbesondere für die Helden von Walhalla). Ebenfalls sprechen für eine derartige Betrachtungsweise Überlieferungen aus alten Schriften, wie z. B.: "Odin flüstert der Leiche Balders ein Geheimnis ins Ohr" oder "Sigrun geht in den Hügel, wo Helgi begraben ist und verbringt dort die Nacht mit ihm. 22 Aufgrund des insoweit angenommenen Fortbestehen~ der Rechtsfahigkeit über den Tod hinaus wird daher teilweise davon ausgegangen, daß auch nach gennanischem Recht eine nachträgliche Ehrung oder aber auch Beschimpfung des Verstorbenen möglich war. 23

3. Griechisches Recht In bezug auf das Griechische Recht ist allgemein anerkannt, daß Schmähungen gegen Verstorbene unter Strafe gestellt wurden. Bereits in der solonischen Gesetzgebung24 gab es eine Dreiteilung von strafbaren Injurien: "Die Schmähung gegen Verstorbene", die "Schmähung in Heiligtümern" und "in den Gerichtshöfen". 25 Auch fand man häufig Grabinschriften, auf denen bei Beeinträchtigungen der Grabstätte durch Mutwillen oder Eigennutz Geldstrafe und Fluch angedroht wurden. 26 Die Verletzung des Grabes faßte man nach Griechischem Recht als Verbrechen auf, wobei die Höhe der Geldbuße "nach dem Willen des Ver21 Münchha/ffen, S. 9f. 22 Zitiert nach Münchha/ffen, S. 9. 23 So insbes. Schreuer, S. 153ff; Schliipjer, S. IOff - zitiert nach ehen . 24 Solon, der athenische Slaatsmann und Dichter, lebte zwischen 640 v.ehr. und ca. 560

v.ehr. und wurde 594 v.ehr. zum Mittler im Streit zwischen Adel und Volk gewählt und als Archon beauftragt, die soziale Neuordnung Athens durchzufiihren. Die wichtigsten solonischen Gesetze waren die Aufhebung der bestehenden Schulden, Verbot der Schuldknechtschaft. Aufzeichnung des geltenden Privatrechts und die Neueinteilung der Bürger in vier Klassen nach der Größe ihres Besitzes. 25 Hirzig. Hermann Ferdinand: Beiträge zur Geschichte der Injurien: besprochen von Knapp in der Zeitschrift fiir die gesamte Strafrechtswissenschaft Bd. 22 (1902), S. 602f, 608; Laue, S. 93. In bezug auf diese Injurien kann nicht davon ausgegangen werden, daß bereits zu diesem Zeitpunkt ein römischer Einfluß vorhanden war. 26 Die Geldstrafe fiel in älterer Zeit an die Gemeinde oder einen Tempel, seltener jedoch an die Nachkommen des Verstorbenen. Erst später in der Kaiserzeit fiel die Geldstrafe mit zunehmender Tendenz an den Fiskus.

22

11. Historischer Ursprung des § 189

storbenen" festgesetzt wurde, wobei man noch in der Kaiserzeit davon ausging, daß es in erster Linie der Groll des verletzten Toten war, der eine Sühne forderte. 27 Die Festsetzung der Strafe oblag dabei dem Eigentümer des Grabes, die zu ihrer Rechtsgültigkeit nicht zwingend eines Urteils bedurfte und ohne weiteres vollstreckt werden konnte, wenn nur der Anlaß gesetzmäßig war. 28

4. Die Gesetzgebung der deutschen Einzelstaaten bis zum Inkrafttreten des RStGB 1871 a) Geschichtlicher Überblick

Die ersten Rechtsquellen über die Beschimpfung Verstorbener treten in den Gebieten des späteren Deutschlands mit der zunehmenden Rezeption fremden Rechts auf. Geschichtlicher Hintergrund ist, daß Friedrich 11. im Jahre 1220 den geistlichen Fürsten und im Jahre 1232 zu Worms den weltlichen gegenüber auf den größten Teil der noch vorhandenen Königsrechte verzichtete und die Stellung der deutschen Landesherren stärkte, in dem sie die unumschränkte Hoheitsgewalt in ihren Gebieten erhielten. 29 Damit erlangten sie gleichermaßen die freie Verfügung über die ursprünglich dem König zustehenden nutzbaren Hoheitsrechte (Regalien) wie zum Beispiel die Zölle, das Münzrecht, den Bergbau und die Gerichtshoheit, 30 die bis dahin das Fundament der Reichsfinanzen vor der Einführung von Steuern darstellten. Durch diese Geschehnisse begünstigt, entwickelten sich immer mehr einzelne Städte zu selbständigen und politisch machtvollen Faktoren, die ihr schnelles Aufblühen einem aufstrebenden Handel und einer immer schwächer werdenden Staatsgewalt verdankten. 31 In den Städten nahm daher die Jurisprudenz eine besonders schnelle Entwicklung. Anstelle einer für alle geltenden einheitlichen Rechtsordnung traten immer mehr einzelne Kodifikationen in den Vordergrund, die zunehmend auch unter rechtlichen Fremdeinfluß insbesondere den römischen - gerieten. Die Rezeption fremden Rechts ist jedoch nicht auf eine Einzelursache allein, sondern vielmehr auf verschiedene Faktoren zurückzuführen. Zu einem 27 Lalle. S. 88ff. 93f; vgl. zum allgemeinen griechischen Verständnis KahrsledJ, Staatsgebiet und Staatsangehörige in Athen. 18 Lalle. S. 88ff. 92. 29 Dahm, S. 253ff; Schröder/von Künßberg. S. 678ff, 685ff. Im Gegenzug sicherte sich Friedrich 11. dadurch deren Hilfe für seine Pläne in Italien in Gestalt eines Ausbaues des sizilianischen Normannenstaates durch zentralisierte VelWaltung. Steuerreformen etc. 30 Dahm, S. 253ff (254).

31 COl/rad. S. 368f. Dahm. S. 253ff; Srhröder/voll KÜIIßberg . S. 678f[' 685ff.

4. Gesetzgebung vor Inkrafttreten des RStGB

23

erheblichen Teil wurde sie aber durch das Fehlen eines einheitlichen deutschen Rechts ermöglicht, so daß sich die Übernahme von Teilen bereits bestehender und etablierter Rechtsordnungen insbesondere aus praktischen Überlegungen anbot. In vielen Teilen der deutschen Gebiete fehlten zu Beginn des Mittelalters kodifizierte Rechtssysteme entweder überhaupt oder waren lückenhaft. Dies war auch der Grund dafür, daß weitgehend ein auf unsicherer Grundlage beruhendes Gewohnheitsrecht herrschte. 32 Deutsche Juristen begaben sich deshalb verstärkt zum Studium des römischen Rechts nach Italien, das sie anschließend in führenden Positionen im Bereich der Fürstenhöfe und der Gerichtsbarkeit auch zur Anwendung brachten. Auf diese Weise fand das römische Recht regional verstärkten Zugang in den deutschen Rechtskreis. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß die erste Vorschrift über die Beschimpfung Verstorbener in einem "Stadtrecht" ihren Niederschlag fand, nämlich in Art. 56 der Handfeste von Freiburg im Uechtland 33 aus dem Jahre 1249. 34 Demgegenüber findet sich in der Constitutio Criminalis Carolina, die Peinliche Gerichtsordnung Karls V. aus dem Jahr 1532,35 keine eigenständige Vorschrift zum Schutz vor Beleidigungen gegenüber Verstorbenen. Lediglich in Art. 110 existierte eine Bestimmung über Schmähschriften und eine gelegentliche Erwähnung der Beleidigung als solche. Ähnliche Vorschriften wie in Art. 56 der Handfeste von Freiburg im Uechtland finden sich später in den Satzungen der Graubündener Landschaft und der Gemeinde Avers (erneuert 1622) unter der Überschrift "Totenschmähen": "Item ist es auch gesetzt, daß niemand dem andern seine 32 Schröder, S. 783ff; Dahm, S. 112ff; Schröder/von Künßberg, S. 864ff. 33 Freiburg im Uechtland gehörte zum westlichen Gebiet der späteren Schweiz. 34 "Si quis burgensium usque ad mortem suam in quieta pace extiterit et vixerit - siquis uni talium ipso defuncto contradixerit, ne in cimiterio sepelliatur omnia dampna que propter contradicitionem illam heredibus defuncti venirent ipse contradictor et heredes sui heredibus defuncti tenentur emendare, cum banno trium !ibr. et sculteto similiter" - zitiert nach Kissler, S. 7f.

35 Die Peinliche Gerichtsordnung war das erste allgemeine deutsche Strafgesetzbuch und enthielt sowohl Strafprozeß- als auch materielles Strafrecht. Sie beruhte größtenteils auf der Bambergischen Halsgerichtsordnung aus dem Jahr 1507 und stellte eine Verschmelzung römischitalienischer und älterer deutscher Rechtsmaterie dar. Auf dieser Grundlage entwickelte sich das gemeine deutsche Strafrecht bis in das 18. Jh. Die Kriege während nahezu des gesamten 17. Jh. wirkten sich aber bereits auf die praktische Strafrechtshandhabung aus und bereiteten mit dem beginnenden Zeitalter der Aufklärung die Epoche des partikularen Strafrechts vor, die weitgehend das gesamte 18.Jh. charakterisiert und durch die Strafgesetzgebungen der deutschen Einzelstaaten gekennzeichnet ist.

24

11. Historischer Ursprung des § 189

abgestorbene freund oder wie sie ihm angehören möchten, weder schmähen noch vorwürflich anziehen solle, ob schon der Abgestorbene mit etwas Laster oder Mängel behaftet gewesen wäre. Wer solches übersieht, soll gestraft werden nach Obrigkeits Erkanntnuß"36 sowie in den Statuten der Gemeinden von Fürstenau und Ortenstein (erneuert 1702). Auch der Codex Maximilianeus Bavaricus civilis von 1756 enthält in Art. 4, Kapitel 17 § 11 folgende Textzeilen, die ohne weiteres Rückschlüsse auf einen postmortalen Schutz erlauben: "Stirbt der Injurierte, ehe und bevor er geklagt hat, so bleibt zwar 1mo die obrigkeitliche Straf gegen Injurianten nichts desto weniger bevor, 2do kann er auch von denen Erben actione legis Aquiliae wn die Schäden und Kösten belangt werden. Die Aestimations- und Widerrufs klage hingegen fällt 3M hinweg, es seye dann die Injurie erst nach dem Tod des Erblassers, entweder durch Mißhandlung seines Leichnams oder sonst anderweg gegen ihn verübt worden" . 37

b) Die Stra!gesetzgebungen der deutschen Einzelstaaten Die Rezeption fremden Rechts vollzog sich in den deutschen Einzelstaaten naturgemäß zeitlich sehr differenziert und zwn Teil mit unterschiedlicher Gewichtung. So weisen die Strafgesetzgebungen der Einzelstaaten über die Behandlung von Beleidigungen gegenüber Verstorbenen ein höchst unterschiedliches Bild auf. Überwiegend sind ausdrückliche Vorschriften vorhanden, die solche Handlungsweisen unter Strafe stellen, wobei in den meisten Fällen die Ehre des Verstorbenen selbst als das geschützte Rechtsgut angesehen wurde: 38 aa) Strafgesetzbuch von Sachsen So lassen sich etwa im Kriminalgesetzbuch von Sachsen aus dem Jahr 1838 und im Strafgesetzbuch von 1855 folgende Textzeilen finden: .... zu einem solchen Antrage sind auch berechtigt...bei Injurien gegen Verstorbene die Ehegatten, Verwandten und Verschwägerten in gerader Linie, sowie . . . . 39 oder "wegen Ehrverletzungen, welche einem Verstorbenen erst 36 Osenbrüggell, Das alamannische Strafrecht-zitiert nach KissLer, S. 8 Fn. 3.

37 Zitiert nach von Gemmingen-FüTjeLd, S. 21 Fn.

I. Dieser Passus ist ein Beleg dafür, wie sehr die römisch-rechtliche Denkweise in den jeweiligen Gesetzgebungen zum Ausdruck kam.

38 Hervorhebungen jeweils von mir. 39 Kriminalgesetzbuch für das Königreich Sachsen von 1838, Art. 203.

4. Gesetzgebung vor Inkrafttreten des RStGB

25

nLlch seinem Tode zugefügt werden, sind die Ehegatten, ,Verwandten und Verschwägerten in gerader Linie, wohin auch .... "40. bb) Strafgesetzbuch von Württemberg

Im StGB von Württemberg41 aus dem Jahr 1839 findet sich: "Bei Ehrenkränkungen gegen Verstorbene sind deren Erben zur Klage berechtigt. " ce) StGB von Braunschweig Das Kriminalgesetzbuch für das Herzogtum Braunschweig42 führt aus: "Bei Ehrenkränkungen wider Verstorbene sind die Ehegatten, ... zur Anzeige berechtigt. " dd) Hannoversches StGB Das Kriminalgesetzbuch für das Königreich Hannover4 3 enthält folgenden Passus: "Andere Ehrenkränkungen werden nur auf Verlangen des Beteiligten untersucht. Hierzu gehören jedoch, ... , sowie die Erben in Hinsicht der erst nLlch dem Tode des Erblassers verübten Ehrenkränkungen. "

40 StGB für das Königreich Sachsen von 1855 sowie revidiertes SIGB von 1868, Art. 246, Abs.4. 41 SIGB für das Königreich Württemberg aus dem Jahre 1839, Art.292, Abs.3. 42 Aus dem Jahr 1840. § 245 Abs.4. 43 Aus dem Jahr 1840. § 269 unter 11.

26

11. Historischer Ursprung des § 189

ee) Thüringisches StGB Das Strafgesetzbuch für die Thüringischen Staaten44 führt aus: "Zu einem solchen Antrag, .... , sind auch berechtigt bei Ehrverletzungen

1. .... . 2 ..... . 3 ..... .

4. gegen Verstorbene, die Ehegatten, die Verwandten .... " ff) Strafgesetzgebungen von Einzelstaaten ohne ausdrückliche Strafbestimmungen in bezug auf Beleidigungen gegenüber Verstorbenen Keine Strafbestimmungen über Beleidigungen gegenüber Verstorbenen enthalten das allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten von 1794, das StGB für das Königreich Bayern von 1813, das StGB für die preußischen Staaten von 1851 und das Kriminalgesetzbuch der Freien- und Hansestadt Hamburg von 1869. gg) Strafgesetzbücher von Hessen und Baden In den Strafgesetzbüchern von Hessen45 : "wer durch Handlungen, welche gegen Lebende verübt zur Klasse der Verleumdungen gehören würden, das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft oder ihn verächtlicher Eigenschaften oder Gesinnungen bezichtigt, wird auf Klage der Eltern, ... " und von Baden46 : "wer durch Handlungen, welche gegen Lebende verübt, zur Klasse der Verleumdungen gehören würden, das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, wird auf Anklage der Eltern .... " läßt sich erstmals die Formulierung "das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft" finden. Das zu schützende Rechtsgut kann hier aus dem Wortlaut nicht festgestellt werden. 44 Aus den Jahren 1850-1868 in Art. 193. 45 StGB für das Großherzogturn Hessen von 1841, Art. 321.

46 StGB für das Großherzogturn Baden von 1845, § 321.

5. § 189 RStGB

27

Als Zwischenfazit läßt sich aufgrund der weitgehend eindeutigen Formulierungen festhalten, daß die meisten Landesgesetzgebungen Ehrangriffe in bezug auf den Verstorbenen selbst für möglich erachtet und für strafwürdig erklärt haben.

s. § 189 RStGB Im Gebiet des Norddeutschen Bundes galten nach der Neuordnung der politischen Verhältnisse im Jahre 1867 zunächst acht verschiedene Strafrechtssysteme, die teilweise noch auf der Grundlage des gemeinen Rechts der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. aus dem Jahr 1532 beruhten. Daher war das Bedürfnis nach einer Rechtseinheit in der der Reichsgründung vorangehenden Epoche besonders stark ausgeprägt. 47

Am 15. Mai 1871 erhielt das deutsche Recht wieder ein einheitliches Strafgesetzbuch, das ganz in der Tradition des preußischen Strafrechts stand. 48 • 49 Daß gerade das Preußische Strafgesetzbuch als Richtlinie für die Gesetzgebung zum StGB für den Norddeutschen Bund und damit für die spätere Reichsgesetzgebung diente, fand seinen praktischen Grund darin, daß es sich bis dahin knapp 20 Jahre bereits in dem größten Staate des Norddeutschen Bundes als ein von keiner anderen Gesetzgebung übertroffenes Werk bewährt hatte. Außerdem war bereits 1849 im Preußischen Justizministerium der "Entwurf eines allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches" ausgearbeitet worden und andere Staaten des Norddeutschen Bundes hatten ihre Gesetzbücher ebenfalls nach Maßgabe des Preußischen StGB ausgerichtet, so daß keines der übrigen geltenden Strafgesetzbücher in einem auch nur annähernd gleichen Umfang zur Anwendung kam. 50 , 51 Da das Preußische StGB keine Vorschrift zum Schutz vor Beleidigungen gegenüber Verstorbenen aufwies, sah dementsprechend auch der Entwurf I des StGB für den Norddeutschen Bund eine solche Strafnorm nicht vor. 47 Nachdem im Jahr 1867 auch die Gesetzgebungskompetenz des Norddeutschen Bundes auf das Strafrecht ausgedehnt worden war, ersuchte Bismarck als Bundeskanzler den preußischen Justizminister um die Vorlage des Entwurfs rur ein gemeinsames StGB.

48 LK-Jeschek, Ein!. Rn. 44ff; DreherlTrändle, Ein!. Rn. I; MaurachlZipj, AT Bd.l, Rn. 22ff; Schuhert, GA 82, 191 ff, 202f. 49 Die Vorbereitungsarbeiten rur das preußische StGB von 1851 hatten bereits 1826 begonnen.

50 vg!. Motive zum StGB (E Ir) rur den Norddeutschen Bund, Steno Ber. 1870, III (An!.), S. 28: wie zur Entstehung des StGB von 1870 allgemein Schuber!, GA 82, 191 - 197, 202f. 51 Nach dem Beitritt der süddeutschen Staaten zum Norddeutschen Novemberverträge von 1870 in Versailles wurde das StGB des Norddeutschen Gesetz über die Reichsverfassung vom 16.4.1871 zum Reichsgesetz erklärt. vom 15.5.1871 (RGBI S.127) gab ihm die Bezeichnung: "Strafgesetzbuch Reich".

Bund durch die Bundes durch das Ein Reichsgesetz rur das Deutsche

28

11. Historischer Ursprung des § 189

Erst der Entwurf 11 beinhaltete eine solche Vorschrift, die unter dem Titel: "Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen" in § 165 in den 11. Abschnitt des StGB eingeordnet wurde. 52 Die Vorschrift lautete: "Wer das Andenken eines Verstorbenen dadurch beschimpft, daß er eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben zu seinen Lebzeiten verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet gewesen wäre, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern, der Kinder, oder des Ehegatten des Verstorbenen ein. " Die Motive zum Entwurf 11 von § 165 sahen folgende Begründung vor: "Das Recht eines Menschen auf Ehre kann als ein rein persönliches sein Leben nicht überdauern; ein Verstorbener kann somit nicht beleidigt werden, und eine Familienehre kennt das Gesetz nur insoweit, als sie mit der persönlichen Ehre der lebenden Familiengenossen zusammenfällt. Das Strafgesetz aber schützt berechtigte religiöse Gefühle gegen rohe Verletzungen, und wenn es die Störung des Gräberfriedens, den beschimpfenden Unfug an einem Grabe mit Strafe bedroht, so hat es dabei die Pietät der Lebenden im Auge. In demselben Geiste darf es seinen Schutz gegen frevelhafte Verletzung dem reinen und tiefen Gefühle nicht versagen, mit welchem der Überlebende seines verstorbenen Vaters, seiner Mutter, seines Kindes oder seines Ehegatten gedenkt. Wer das Andenken des Toten verleumderisch beschimpft, verwundet den Nachgebliebenen tiefer, als es vielleicht eine persönliche Beleidigung vermöchte. Das Gesetz muß daher auch hier einen Weg zu sühnender Genugtuung eröffnen ... 53 Der vom Bundesrat angenommene Entwurf III ließ Wortlaut und Stellung der Norm unbelassen. Die Reichtagskommission hingegen verlagerte die Vorschrift in den 14. Abschnitt über Beleidigungen und setzte den Strafrahmen von maximaler Freiheitsstrafe von 2 Jahren auf maximal 6 Monate herunter. Weiterhin wurde auf Initiative des Abgeordneten Lasker in der ReichstagsverhandIung vom 04.04.1870 der subjektive Tatbestand der Norm dahingehend verschärft, daß dolus eventualis nun nicht mehr ausreichte. 54

52 Kissler, S. 12; von Gemmingen-FüTjeld, S. 31; Münchhalffen, S. 15f.

53 Vgl. die Motive zum StGB für den Norddeutschen Bund S. 66. 54 Steno Ber. 1870 11 S. 652ff.

6. Die weitere Entwicklung bis zur heutigen Fassung von § 189 StGB

29

Danach lautete § 189 des RStGB: "Wer das Andenken eines Verstorbenen dadurch beschimpft, daß er wider besseres Wissen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben bei seinen Lebzeiten verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet gewesen wäre, wird mit Gefängnis bis zu 6 Monaten bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann auf Geldstrafe bis zu 900 DM erkannt werden. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern, der Kinder oder des Ehegatten des Verstorbenen ein." Die der Beschlußfassung vorausgehende Debatte beweist, daß die Ansichten über diesen Paragraphen sehr unterschiedlich waren. § 189 RStGB war Ausdruck eines langen gesetzgeberischen Ringens sowohl in bezug auf ein Strafbedürfnis als auch auf die systematische Stellung und letztlich auf das Rechtsgut selbst, das durch diese Vorschrift geschützt werden sollte. 55 Der historische Überblick zeigt hingegen, daß der Gedanke eines postmortalen Achtungsanspruchs ein geschichtlich über lange Zeit bekanntes Rechtsinstitut darstellt und nicht Ergebnis eines kurzzeitigen, plötzlichen Fremdeinflusses ist.

6. Die weitere Entwicklung bis zur heutigen Fassung von § 189 StGB a) Strajrechtsangleichungs- Verordnung vom 29.5.1943 Durch die Verordnung zur Angleichung des Strafrechts des Altreichs und der Alpen- und Donau-Reichsgaue (Strafrechtsangleichungs-Verordnung) vom 29.5.1943 erhielt § 189 des RStGB folgende Fassung: 56 "Wer das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

55 Vgl. Kissler, S. 13; Münchhalffen, S. 17ff. Kritisch über die tatsächliche Fassung von § 189 RStGB s. auch Mumm in "Der Gerichtssaal" Bd. 48 (1893), S. 197ff. 56 RGBI 1943, Teil I, S. 339f.

30

U. Historischer Ursprung des § 189

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern, der Kinder, des Ehegatten oder der Geschwister des Verstorbenen ein. Hat der Verstorbene sein Leben für das Deutsche Volk hingegeben, so ist die Strafe Gefängnis. Abs. 2 findet keine Anwendung. In besonders schweren Fällen ist auf Zuchthaus zu erkennen. " b) Kontrollratsgesetz Nr. 11 vom 30.1.1946

Aufgrund des Art. 1 des Kontrollratsgesetzes Nr. 11 vom 30.1.194657 wurde § 189 Abs. 3 aufgehoben, im übrigen war die Vorschrift weiter anwendbar. c) 6. Strajrechtsänderungsgesetz vom 30.6.1960

Das 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 30.6.196058 führte § 189 III in folgender Fassung wieder ein: "Hat der Verstorbene Antragsberechtigte im Sinne des Absatzes 2 nicht hinterlassen oder sind sie vor Ablauf der Antragsfrist gestorben, so entfällt das Erfordernis des Strafantrages, wenn der Verstorbene sein Leben als Opfer einer Gewalt- und Willkürherrschaft verloren hat und die Verunglimpfung damit zusammenhängt." d) Einführungsgesetz zum StGB (EGStGB) vom 2.3.1974

Durch das EGStGB vom 2.3.197459 wurden die Absätze 2 und 3 von § 189 gestrichen und eine veränderte, differenzierte Antragsregelung in § 194 aufgenommen, die in Abs. 2 wie folgt lautete: "Ist das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, so steht das Antragsrecht den in § 77 11 bezeichneten Angehörigen zu. Hat der Verstorbene keine Antragsberechtigten hinterlassen oder sind sie vor Ablauf der Antragsfrist gestorben, so ist kein Antrag erforderlich, wenn der Verstorbene sein Leben als Opfer einer Gewalt- und Willkürherrschaft verloren hat und die Verunglimpfung damit zusammenhängt." 57

Kontrollratsamtsblatt 1946, S. 55.

58 BGBI 1960, S. 478. 59 BGBI 1974, S. 486.

6. Die weitere Entwicklung bis zur heutigen Fassung von § 189 StGB

31

e) 21. Strafrechtsänderungsgesetz vom 13.6.1985 Aufgrund des 21. Strafrechtsänderungsgesetzes60 wurde die erst 1974 in § 194 11 neu gefaßte Antragsregelung wiedenun abgeändert und erhielt folgenden Wortlaut: "Ist das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, so steht das Antragsrecht den in § 77 11 bezeichneten Angehörigen zu. Ist die Tat durch Verbreiten oder öffentliches Zugänglichmachen einer Schrift ( § 11 III), in einer Versammlung oder durch eine Darbietung im Rundfunk begangen, so ist ein Antrag nicht erforderlich, wenn der Verstorbene sein Leben als Opfer der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verloren hat und die Verunglimpfung damit zusammenhängt. Die Tat kann jedoch nicht von Amts wegen verfolgt werden, wenn ein Antragsberechtigter der Verfolgung widerspricht. Der Widerspruch kann nicht zurückgenommen werden. " j) Zusammenfassende Wertung

Die materiell wichtigsten Neuerungen (alle durch die Strafrechtsangleichungs-Verordnung von 1943) sind somit darin zu sehen, daß heute nicht nur noch unwahre Tatsachen pönalisiert, sondern jegliche Äußerungen, die verunglimpfenden Charakter haben, unter Strafe gestellt werden, wofür ebenfalls im Gegensatz zur Fassung von § 189 RStGB dolus eventualis ausreicht. Größere Schwierigkeiten schien den jeweiligen Gesetzgebern jedoch die Regelung der Antragsbefugnis zu bereiten, da diese auffallend häufig verändert wurde, hingegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 189 in der Mehrzahl unverändert blieben.

60 BGBI 1985, S. 965, bekannt geworden unter dem Arbeitstitel "Auschwitzlüge". Der auf eine Initiative der Regierungskoalition zurückgehende Entwurf des Verbrechensbekämpfungsgesetzes 1994 (BTDrs 12/6853 vom 18.2.1992) sieht Erweiterungen bei den Straftatbeständen der §§ 130 und 131 vor, die das Leugnen der Judenvemichtung bereits nach diesen Vorschriften unter Strafe stellen. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz wurde vom Bundestag am 20.5.1994 verabschiedet. Am 15.6.1994 verweigerte der Bundesrat seine Zustimmung, so daß der Entwurf dem Vermittlungsausschuß vorliegt. Daher ist zur Zeit nicht absehbar, ob die Gesetzesinitiative in dieser Form eine parlamentarische Mehrheit erhalten wird. Vgl. kritisch zum Entwurf des Verbrechensbekämpfungsgesetzes Neumann, StV 94, 273ff.

111. Überblick über den Meinungsstand Bei kaum einer anderen Strafnonn im Besonderen Teil des StGB finden sich derart viele verschiedene Auffassungen über das geschützte Rechtsgut wie bei § 189. Im einzelnen werden folgende Ansichten zum Schutzgut dieser Vorschrift vertreten: 1

1. Das Pietätsgefühl der Angehörigen. 2 2. Das Pietätsempfinden der Angehörigen und der Allgemeinheit. 3 3. Die Familienehre. 4 4. Wertvorstellungen der Bevölkerung über die Achtung Toter als Schutzgut des sozialen Friedens. 5 5. Die postmortale Respektierung der menschlichen und sozialen Leistung des Verstorbenen. 6 6. Die fortbestehende Ehre des Verstorbenen. 7 7. Die Vorschrift des § 189 ist silll1entleert und sollte abgeschafft werden, da sie keine Funktion mehr erfüllt. 8 1 Wobei hier eine Beschränkung auf die modeme Literatur und Rechtsprechung erfolgt. 2 BayObLGSt 1949/51, 455f; MaurachlSchroederlMaiwald, BT Bd. I, § 25 Anm. I, 2 (Rn. 37f); Krey, BT I, Rn. 425, Fn. 82; Geppen, Jura 83, S. 580ff, 590; zum Teil abweichend DreherlTröndle, § 189 Rn. 1, der gleichzeitig auch die Menschenwürde als mitgeschütztes Rechtsgut ansieht. 3 OLG DüsseldorfNJW 1967,1142; Lackner/Kühl, § 189 Anm.1; Bockelmann, BT Bd. 2 § 35 VII, S. 194; unklar Wesse/s , BT 1 § 10 I 2 Rn. 458 und Blei, 11 § 24 11 1, § 26 III. 4

KohlrauschlLange, § 189 Anm. 1; Münchhalffen, S. 25ff, 28.

5 SK-Rudolphi, § 189 Rn. I; wohl auch Preisendanz, § 189 Anm. I. 6 SISILenckner, § 189 Rn. I und LK-Herdegen. § 189 Rn. I und 2, der die postmortale Respektierung dieser Werte aber als Ausfluß der fortbestehenden Ehre des Verstorbenen ansieht. 7 Hirsch, S. 125ff: LK-Herdegen, § 189 Rn. 1 und 2; 0110, GK StrafR § 33 Anm. 1; Schmidhäuser. BT 5123; Stratenwenh. BT des Schweiz. StrafR. S. 112.

8 Tze Lung Chen , S. 206. 222f; in Ansätzen auch Rüping , GA 77. 304f. Tze Lung Chen regt als Ersatz von § 189 die Aufnahme einer zivilrechtlichen Ergänzung an. 3 Hunger

34

ID. Überblick über den Meinungsstand

Bemerkenswert an dem strafrechtlichen Streit ist die Tatsache, daß die Frage, inwieweit und ob schützenswerte Rechte von Personen auch nach deren Tod noch vorhanden sind, nicht ausschließlich für den Bereich des Strafrechts, sondern für fast alle Rechtsbereiche des zwischenmenschlichen Zusammenlebens Wirkung hat. Der Tod einer Person zieht in der Regel einschneidende Veränderungen insbesondere für die nächsten Familienangehörigen nach sich und ist daneben von zahlreichen rechtlichen Fragestellungen begleitet. Im Rahmen dieser rechtlichen Problemgestaltungen zeigt sich, daß das lebzeitige Wirken des Verstorbenen mit seinem Tod nicht einfach von der einen Sekunde auf die andere in die Bedeutungslosigkeit fällt, sondern vielfach auch noch längere Zeit später juristisch bedeutsam ist. Im Rahmen der nachfolgenden Untersuchung wird dabei auch festzuhalten sein, daß außerhalb des Strafrechts weitgehend anerkannt ist, daß schutzwürdige Werte der Persönlichkeit den Tod überdauern, 9 deren Beeinträchtigung das Entstehen von Rechtsansprüchen bewirkt, die in nachfolgenden Gerichtsverfahren zugunsten des Verstorbenen auch geltend gemacht werden können.

9 Auf die einschlägigen Vorschriften wird später einzugehen sein.

IV. Stellung des Verstorbenen in anderen Rechtsgebieten 1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus zivilrechtlicher Sicht (§ 823 I BGB)

a) Herleitung und Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist definiert als einheitliches, umfassendes Recht auf Achtung und Entfaltung der Persönlichkeit! sowohl gegen den Staat, als auch im privaten Rechtsverkehr2 • Insbesondere für den Bereich des Zivilrechts ist heute allgemein anerkannt, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch nach dem Tode in seinem Wesen fortbesteht, obwohl vom Wortlaut der einschlägigen Norm des § 823 I BGB (im Gegensatz zu § 189) hierfür nichts ersichtlich ist. Der BGB-Gesetzgeber von 1896 hatte von der Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeits rechts gerade abgesehen und das Reichsgericht ein solches in ständiger Rechtsprechung nicht anerkannt. 3 Lediglich in AusnahmeflHlen konnte über § 826 BGB und über § 823 11 BGB iVm. einer einschlägigen spezialgesetzlichen Schutznorm, wie Z.B. § 22 KunstUrhG oder § 185 StGB, ein gewisser Schutz erreicht werden. Die damalige Rechtssituation bot zum Schutz der Persönlichkeit keine ausreichenden Schutz- und Abwehrmechanismen gegen ein Eindringen in die Intim- und Privatsphäre. Daher fehlte es z.B. an der Möglichkeit, der Verbreitung wahrer Tatsachen aus der Intimssphäre mit einer Unterlassungsklage entgegenzutreten, sofern nicht die Voraussetzungen des § 826 BGB gegeben waren. 4 Auch die technische Entwicklung mit immer neueren Mög-

1 BGHZ 13, 334; 106,229 (Briefkastenwerbung). 2 BGHZ 24, 72, 76; 27, 284; PalandJllhomas, § 823 Rn. 176f. 3 VgJ. RGZ 69, 401, 403; 79, 397; 94, I; 107,277,281; 123,312,320. 4 VgJ. demgegenüber heute z.B. OLG Düsseldorf NJW-RR 93, 1242, wonach auch das

Verbreiten einer wahren Tatsache Persönlichkeitsrecht darstel1en kann. 3'

einen

rechtswidrigen

Eingriff in

das

al1gemeine

36

IV . Stellung des Verstorbenen in anderen Rechtsgebieten

lichkeiten des Eindringens in den Privatbereich5 oder die Entwicklung der Massenmedien mit der Tendenz zu immer detaillierterer Infonnation über Personen des täglichen Lebens ließ die Gefahr der Schädigung von Betroffenen ständig größer werden. Nicht zuletzt aufgrund dieser Unzulänglichkeiten des Rechtsschutzes im Persönlichkeitsrecht, insbesondere im Bereich der Privatund Intimssphäre, ist es zu erklären, daß sich der BGH6 erstmals im Mai 1954 und seitdem in ständiger Rspr. von der Rspr. des Reichsgerichts abkehrte und das allgemeine Persönlichkeitsrecht als sonstiges Recht im Sinne des § 823 I BGB als Ausfluß der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung des Art. 1 GG iVm. Art. 2 I GG nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23.05.1949 anerkannte. 7 Der BGH ging dabei davon aus, daß die Art. 1 und 2 GG, in denen die Unantastbarkeit der Menschenwürde manifestiert und das Recht eines jeden auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit anerkannt und geschützt ist, sofern er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstößt, im Hinblick auf Art. 1 III GG Grundrechte gewährleisten, die sich nicht nur gegen den Staat und seine Organe richten, sondern auch im Privatrechtsverkehr gegenüber jedennann gelten. 8 Zwar gab es in der Literatur nicht wenige Stimmen, die aufgrund der generalklauselartigen Weite und Konkretisierungsbedürftigkeit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts diese richterliche Rechtsfortbildung scharf angegriffen haben. 9 Der Meinungsstreit erledigte sich jedoch praktisch dadurch, daß das BVerfG lO die Rspr. des BGH mit der Begründung billigte, daß sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Laufe der jahrzehntelangen Erörterung in der Wissenschaft durchgesetzt habe und zum festen Bestandteil der Rechtsordnung geworden sei. 5 Z.B. Abhörgeräte, Tonbandaufnahmen, Teleobjektive etc. 6 BGHZ 13, 334 (Leserbrief). 7 Ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 29. 10.1957 zur Neuordnung des zivilrechtlichen Persönlichkeits- und Ehrenschutzes, der vom Bundeskabinett verabschiedet, auch vom Bundesrat für unbedenklich erklärt und als Drucksache 111/1237 dem Bundestag vorgelegt wurde, kam jedoch auf Druck der Presse ("Maulkorbgesetz") nicht auf die Tagesordnung des Bundestages und wurde auch nie verabschiedet - vgl. Erman, Anhang 12 zu § 823, Rn. 4. 8 BGHZ 13, 334ff, 338; 24, 72ff, 76. 9 Vgl. Wolf, BGB AT (2. Aufl. 1976), S. 108ff, 113; Esser, SchuldR Bes. Teil Bd. 1I (4. Aufl. 1971), S. 397ff, 401; Giesen, NJW 71, 801 ff; Larenz, Lehrbuch des SchuldR Bd. 1I Bes. Teil (1972), § 72 III S. 471ff; MüKo-Schwerdlner, § 12 Rn. 156 und Fn. 767. 10 BVerfGE 30, 173 und BVerfGE 34, 269, daß sich im Rahmen seiner beschränkten Nachprüfungszuständigkeit nur mit der Verfassungsgemäßheit, nicht aber mit der Richtigkeit der Rspr. des BGH zu befassen hatte.

37

I. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Zivilrecht

Anzumerken bleibt, daß das nunmehr durch § 823 I BGB geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht jedoch mit dem erst später vom BVerfG entwickelten Grundrecht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht identisch ist. 11 Das Letztgenannte besitzt verfassungsrechtlichen Rang und kann daher vom Gesetzgeber nur in begrenztem Umfang beschränkt werden. Demgegenüber ist das private Persönlichkeitsrecht dem Zugriff des Gesetzgebers in vollem Umfang ausgesetzt. Die Verfassung beschränkt sich generell darauf, dem Gesetzgeber einen mehr oder weniger weiten Rahmen vorzugeben, in dem er tätig werden kann. Im Gegensatz dazu kann das einfachrechtliche Persönlichkeitsrecht erheblich weiter reichen, da es auch dann Anwendung finden kann, wenn kein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Sachzusammenhang besteht. Das verfassungsrechtliche Persönlichkeitsrecht überläßt es dem Gesetzgeber, wie der Persönlichkeitsschutz realisiert wird; etwa durch Maßnahmen im Bereich des Zivilrechts oder des Strafrechts. Die konkrete Ausgestaltung des Persönlichkeitsrechts ist daher nur eine der verfassungsrechtlich zulässigen Möglichkeiten. Die Reichweite des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsrechts ist daher geringer als die des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts. 12 Dieser aufgezeigte Unterschied wird allerdings dadurch erheblich relativiert, daß die Verkürzung des privatrechtlichen Persönlichkeitsrechts nicht gegen höherrangiges Verfassungsrecht verstoßen darf. 13 Eine weitere Steigerung des Persönlichkeitsschutzes ergab sich daraus, daß der BGH im Jahre 1958 14 dazu überging, bei schwerwiegenden Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und bei erheblichem Verschulden des Beeinträchtigenden über den Wortlaut des § 847 BGB (und in Widerspruch zu § 253 BGB) hinaus Schmerzensgeld zuzubilligen, wenn nur auf diese Weise ein angemessener Ausgleich durch den verursachten immateriellen Schaden zu 11 Das ergibt sich schon aus der Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Anderes könnte nur dann gelten, wenn das Grundrecht des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes unmittelbare Drittwirkung entfalten würde. Dies ist jedoch ebensowenig wie bei den meisten anderen Grundrechten der Fall. Eine Ausnahme gilt lediglich für das Grundrecht der Koalitionsfreiheit, da Art. 9 111 2 GG ausdrücklich Drittwirkung anordnet. Ansonsten bleibt eine unmittelbare Drittwirkung bei anderen Grundrechten auf Ausnahmefalle (sog. EinbruchsteIlen für das öffentliche Recht) beschränkt, vgl. BVerfGE 7, 198, 204f; E 30, 173,199; Dürig, in MaunzlDürig Art. 1 Rn. 127ff, 132; Hesse, § 11 11 2 Rn. 351ff; umfassend Stern, StaatsR IIl/l § 76. S. 1511ff. 12 Vgl. hierzu SchwerdJner, JuS 78, 289ff. 291; Brandner, JZ 83, 689. 13 Die tatsächlichen Unterschiede bei diesem Persönlichkeitsrechts halten sich daher in Grenzen.

unterschiedlichen

Verständnis

des

14 BGHZ 26, 349 - Herrenreiter; seitdem st. Rspr .. vgl. BGHZ 39. 124; BGH NJW 79. 1041; BGH NJW 85,1617, BGH NJW 93.781.

38

IV. Stellung des Verstorbenen in anderen Rechtsgebieten

erreichen ist. Diese Rspr. ist heute in der Literatur allgemein anerkannt und ebenfalls durch die Rspr. des BVerfG als verfassungsrechtlich zulässig gebilligt. 15, 16

b) Das postmortale Persönlichkeitsrecht Aufgrund dieses neu entwickelten Verständnisses des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, mit der Tendenz zur ständigen Erweiterung seines Schutzbereiches, war es nur noch ein relativ kleiner Schritt, auch ein nach dem Tode seines Trägers fortwirkendes Persönlichkeitsrecht anzuerkennen. Entstehungszeitpunkt des postmortalen zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts war die Mephisto-Entscheidung des BGH von März 1968,17 in der er ausführte, daß der Schutz der Persönlichkeit zwar nach dem Tode eine Einschränkung erfahre, die sich aus der Nicht-mehr-Existenz einer handelnden Person ergebe, der Schutz des Lebensbildes gegen grob ehrverletzende Entstellungen aber weiter bestehe. Das BVerfGI8 bestätigte dabei im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen das Mephisto-Urteil des BGH die vom 1. Senat vorgenommene wertende Heranziehung des Art. 1 I GG - Unantastbarkeit der Menschenwürde - zur Begründung eines Fortwirkens des allg. Persönlichkeitsrechts über den Tod hinaus, denn es sei mit dem verfassungsverbürgten Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde unvereinbar, wenn der Mensch, dem Würde aufgrund seines Personseins zukommt, in diesem allgemeinen Achtungsanspruch auch nach seinem Tod herabgewürdigt oder erniedrigt werden dürfte. Dementsprechend ende die in Art. 1 I GG aller staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, nicht mit dem Tod. 19 In Anlehnung an diese höchstrichterliche Rechtsprechung geht heute die absolut überwiegende Meinung im Zivilrecht davon aus, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht mit dem physischen Tode seines Trägers erlischt, 15 Pa/andJfIhomas, § 823 Rn . 200; Erman/Schiemann, § 847 Rn. 3; Slaudinger/Schäjer. § 823 Rn. 199; Jauemigffeichmann , § 847 Rn. 2; Degenharl, JuS 92, 361f; BVerfGE 34, 269ff; a.A. Giesen, NJW 71,801; MüKo-SchwerdJner, § 12 Rn.156; kritisch auch Medicus, Bürger!. Recht Rn. 615. 16 Zudem in § 97 II UrhG seit langem spezialgesetzlich geregelt.

17 BGHZ

50, 133ff.

18 BVerfGE 34, 269ff - siehe bereits oben. 19 BVerfG NJW 71, 1647.

1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Zivilrecht

39

sondern die schutzwürdigen Werte der Persönlichkeit die erlöschende Rechtsfähigkeit ihres Subjekts überdauern. 2o Als Einschränkung wirke das Persönlichkeitsrecht jedoch nicht zeitlich unbegrenzt fort, sondern das Schutzbedürfnis verschwinde in dem Maße, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblasse. 21 Eine analoge Anwendung des § 847 BGB mit der Folge eines Schmerzensgeldanspruches für die Beeinträchtigung des postmortalen Persönlichkeitsrechts wird hingegen zutreffend allgemein abgelehnt. 22 Dies ergibt sich bereits aus der Funktion des Schmerzensgeldes, durch die der Verletzte in die Lage versetzt werden soll, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten an anderen Stellen zu verschaffen, deren Genuß ihm durch die Verletzung unmöglich gemacht wurde. 23 Diese "Wiedergutmachungsfunktion" kann bei einem Verstorbenen mit Geld aber gerade nicht erreicht werden. Insoweit bleibt für das allgemeine Zivilrecht festzuhalten, daß im Bereich des § 823 I BGB ein postmortaler Persönlichkeitsschutz seit zahlreichen Jahren besteht. Zur Wahrung der Belange des Toten ist überwiegend anerkannt, daß zivilrechtliche BeseitigurIgs- und Unterlassungsansprüche zur Aufrechterhaltung und Wiederherstellung postmortalen Ehrenschutzes geltend gemacht werden können, wenn gröbliche Verletzungen vorliegen. 24 Insoweit ist der Erblasser sogar befugt, die Person des Wahrnehmungsberechtigten bestimmen. Hat er von dieser Möglichkeit zu Lebzeiten keinen Gebrauch gemacht, können diese Rechte von den Angehörigen treuhänderisch verwaltet und notfalls auch eingeklagt werden. 25

20 BGHZ 50, 133f (Mephisto); PalandJfIhomas, § 823 Rn. 160; Szaudinger/Schäjer, vor § 823 Rn. 45ff; § 823 Rn. 195ff; Erman, Anhang zu § 12 Rn. 93; JauemigfTeichmann , § 823 VIII A; a.A. MüKo-SchwerdJner, § 12 Rn. 208, 210: "der Ehrenschutz Verstorbener vollzieht sich allein nach § 189 StGB". 21 BGH JZ 90,39; Erman, Anhang § 12 Rn. 96; PalandJfIhomas, § 823 Rn. 180; 22 BGH NJW 74, 1371; Staudinger/Schäjer, § 823 Rn. 262; PalandJ/Heinn'chs, § 823 Rn. 180; MüKo-SchwerdJner, § 12 Rn. 210. 23 BGH GrZS 18,249; PalandJfIhomas, § 847 Rn. 4. 24 PalandJ/Heinrichs, § 823 Rn.180.

25 BGH NJW 90, 1986f m.w.N.; Soergel/Stein, § 1922 Rn. 23 m.w.N. ; vgl. hierzu auch Stein, FamRZ 86, S. 7ff, 18; Westermann, FamRZ 69, S. 561ff.

40

IV. Stellung des Verstorbenen in anderen Rechtsgebieten

2. Vorschriften des Urheber- und des Kunsturheberrechts Auch über den Bereich von § 823 I BGB hinaus gibt es eine Anzahl von zum Teil spezialgesetzlichen zivilrechtlichen Normen, die einen postmortalen Persönlichkeitsschutz beinhalten:

a) § 22 Kunsturheberrechtsgesetz Gemäß § 22 KunstUrhG26 erlischt das Recht am eigenen Bild nicht mit dem Tod des Abgebildeten; für die Dauer von 10 Jahren nach dem Tod bedarf es vielmehr zur Verbreitung oder Schaustellung des Bildnisses der Einwilligung der Angehörigen des Verstorbenen. Schutzzweck dieser Vorschrift ist das individuelle Recht am eigenen Bild und damit das ausschließliche Recht des Menschen, über die Verbreitung und öffentliche Schaustellung seines Bildnisses zu entscheiden. 27 Seinem Wesen nach ist dieses Recht kein Urheberrecht, sondern eine besondere Erscheinungsform des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. 28 Selbst die Einwilligung der Angehörigen in die Verbreitung der Abbildung der Leiche des Verstorbenen innerhalb der 10-jährigen29 Schutzfrist des § 22 S.3 KUG kann ihrerseits ihre rechtliche Schranke in dem Grundrecht der Menschenwürde aus Art. 1 GG und der Intimsphäre des Verstorbenen finden. 30 Damit eine wirksame Einwilligung überhaupt für das Verbreiten oder die öffentliche Zurschaustellung vorliegen kann, bedarf es der Einwilligung aller Angehörigen. 31 26 Das KUG vom 09.01.1907 wurde durch § 141 Nr. 5 UrhG vom 09.09.1965 mit Wirkung zum 01.01.1966 aufgehoben, soweit es nichl den Schutz von Bildnissen betrifft. Die Bestimmungen zum Schutz von Bildnissen sind daher nach wie vor in Kraft. 27 Der Bildnisschutz der §§ 22 - 24 KUG richtet sich zwar ausdrücklich nicht gegen das Herstellen von Bildnissen, sondern nur gegen das Verbreiten und öffentliche Zurschaustellen der hergestellten Bilder. In Lit. und Rspr. ist aber allgemein anerkannt, daß bereits die nicht gestattete Anfertigung eines Bildnisses eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen kann. (vgl. BGH GRUR 67, 205; OLG Frankfurt NIW 87, 1088; OLG Hamm GRUR 71, 84; Schricker, § 22 KUG/60 UrhG Rn. I; Hubmann, § 56 I 2. 28 Krüger-Nieland, in FS für Hauß, 215, 218ff; BGHZ \3,133,139

29 Wobei in schwerwiegenden Verletzungsfallen die Durchsetzbarkeit eines Unterlassungsanspruchs auch nach Ablauf der IO-jährigen Schutzfrist aufgrund des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bejaht wird - vgl. Schricker, § 22 KUG/60 UrhG Rn. 24 m.w.N. 30 Schmidl-Oslen, AfP 76, 22f, der die Sittenwidrigkeit einer solchen Einwilligung gern. §§ 134, 138 BGB betont. Dies hat die rechtliche Konsequenz, daß eine wirksame Einwilligung fehlt.

31 Wobei der Kreis der zustimmungspflichtigen Angehörigen der gleiche wie der von § 60 III UrhG (Ehegatte und Kinder, bei deren Fehlen die Eltern) ist.

2. Vorschriften des UrhG und des KUG

41

Abschließend sei darauf hingewiesen, daß Verhaltensweisen entgegen §§ 22, 23 KUG gern. § 33 KUG neben Geldstrafe sogar mit Freiheitsstrafe bedroht sind, so daß postmortale Verstöße in diesem Rechtsbereich erhebliche Sanktionen nach sich ziehen können. b) § 64 Urheberrechtsgesetz

Gern. § 64 I UrhG erlischt das Urheberrecht erst 70 Jahre nach dem Tode des Urhebers, wobei gern. § 64 II UrhG bei einem nachgelassenen Werk, das nach Ablauf von 60, aber vor Ablauf von 70 Jahren nach dem Tode des Urhebers veröffentlicht wird, das Urheberrecht erst 100 Jahre nach der Veröffentlichung erlischt. In Deutschland galt durch das preußische Gesetz gegen Nachdruck von 1837 nahezu 100 Jahre eine gesetzliche Regelschutzdauer, welche die Lebenszeit des Urhebers und 30 Jahre nach seinem Tod umfaßte. Im Rahmen der Urheberrechtsreform von 1965 war zunächst die Verlängerung einer Schutzfrist nicht geplant, nach längeren Beratungen wurde diese jedoch auf 70 Jahre ausgedehnt. 32, 33 Den insbesondere auf das Vorbild des Sacheigentums gestützten Forderungen nach einem zeitlich unbefristeten Urheberrechts schutz ist der Gesetzgeber nicht gefolgt. Eine Befristung des Schutzes entspreche dem Wesen des Urheberrechts, "weil Werke der Literatur, Kunst und Wissenschaft anders als körperliche Gegenstände ihrer Natur nach Mitteilungsgut sind und nach einer die geistigen und wirtschaftlichen Interessen des Urhebers oder seiner Erben angemessen berücksichtigenden Frist der Allgemeinheit frei zugänglich sein müssen. "34, 35 c) § 83 Urheberrechtsgesetz

Gern. § 83 I UrhG hat der ausübende Künstler das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seiner Darbietung zu verbieten, die geeignet ist, sein Ansehen oder seinen Ruf als ausübender Künstler zu gefährden. Zwar erlischt dieses Recht nach § 83 III UrhG mit dem Tod des Künstlers, jedoch erst 25 Jahre nach der Darbietung, wenn er vor Ablauf dieser Frist verstorben 32 Schricker, Ein!. Rn. 79; § 64 Rn. 17; vg!. a. MestmäckerlSchulze, § 64 Anm. I und 2. 33 Vg!. a. § 65 UrhG, wonach diese Frist von 70 Jahren noch deutlich länger ausfallen kann. 34 Amt!. Begrdg. BTDrucks. IV1270 S. 33. 35 In den USA und der Schweiz gilt eine Schutzfrist von 50 Jahren nach dem Tod des Urhebers; in Österreich und Frankreich (fur musikalische Werke) ebenfalls wie in Deutschland 70 Jahre - vg!. Schricker, § 64 Rn. 11 und 12.

42

IV. Stellung des Verstorbenen in anderen Rechtsgebieten

ist. § 83 III UrhG enthält eine Abweichung von der grundsätzlich vorgesehenen Schutzfrist des § 82 UrhG. Danach enden die persönlichkeitsrechtlichen Befugnisse des Leistungsschutzanspruches niemals vor dem Tod des Künstlers. Auf diese Weise trägt das Gesetz der im wesentlichen persönlichkeitsrechtlichen Natur dieses Anspruchs Rechnung. 36 Der Schutz des § 83 UrhG währt also stets, solange der Künstler lebt. Stirbt er vor Ablauf von 25 Jahren nach der Darbietung, endet der Schutzanspruch 25 Jahre nach der DarbietungY Soweit die Rechte aus § 83 UrhG nach dem Tod des Künstlers fortgelten, gehen sie auf die Angehörigen über. 38 Auch für das Geschrnacksmusterrecht wird ein Urheberpersönlichkeitsrecht anerkannt 39 , ebenso für das Patentrecht ein Erfinderpersönlichkeitsrecht. 40

3. Vorschriften des allgemeinen Zivilrechts a) §§ 1301/, 153 BGB

Doch auch sonst ist es dem Zivilrecht durchaus nicht fremd, daß zugunsten des physisch Verstorbenen Normen vorhanden sind, die dem zu Lebzeiten geäußerten Willen Rechnung tragen und damit zumindest indirekt postmortale Wirkung entfalten. Dies zeigt sich z.B. an § 13011 BGB, wonach es auf die Wirksamkeit einer Willenserklärung ohne Einfluß ist, wenn der Erklärende nach der Äußerung

36 Amt!. Begrdg. UFITA 45 (1965), 240/313.

37 Bubmann, § 54 III 7; MeslmäckerlSchulze, § 83 Anm. 3 - im Einzelfall wird bei Entfallen der Rechte aus § 83 UrhG durch Zeitablauf ein Rückgriff auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht vorgenommen, um der grundgesetzlichen Wertentscheidung von Art. I und 2 GG zu entsprechen - vg!. Krüger-Nieland, in FS für Hauß, S. 215, 222ff.

38 Siehe § 83 III 2 i.V.m. 60 III UrhG. Überwiegend wird in diesen Vorschriften keine erbrechtliche Regelung, sondern die Anordnung einer Wahrnehmungsbefugnis hinsichtlich des postmortalen Persönlichkeitsrechts, wie sie für das allgemeine Persönlichkeitsrecht charakteristisch ist, gesehen - vg!. Ulmer, § 123 VI unter 2.; Schricker, § 28, Rn. 14; 83, Rn. 21; Schack, GRUR 85, 352, 354 jeweils mit Nachweisen zu den anderen Ansichten: a) Schutz der Angehörigen und b) lediglich KlarsteIlung, daß mit dem Tod des Berechtigten das Urheberrecht des ausübenden Künstlers nicht endet. 39

Gamm, GeschmacksmusterG § 5 Rn. 8, 9.

40 KraßerIRuM/f, § 20 IV.

3. Vorschriften des allgemeinen Zivilrechts

43

stirbt. 41 Zwar bezweckt diese Vorschrift nach allgemeiner Auffassung vorwiegend den Schutz des Erklärungsempfangers, dem der Tod in aller Regel nicht bekannt ist;42 zumindest als Reflexwirkung wird dem rechtsgescbäftlichen Willen des Verstorbenen aber Rechnung getragen, indem der Gesetzgeber ermöglicht, dem rechts geschäftlich zu Lebzeiten Erstrebtem auch noch nach dem Tod zum Erfolg zu verhelfen. Darüber hinaus wird der Schutz des Erklärungsempfängers, im Vertrauen auf die "Noch-Existenz" seines Gegenübers nicht in eine nachteilige Situation zu geraten, indem er möglicherweise erhebliche Vorkehrungen und Aufwendungen trifft, bereits durch die Existenz von § 153 BGB wieder relativiert. Nach dieser Vorschrift wird das Zustandekommen eines Vertrages durch den Tod des Antragenden schon dann verhindert, wenn davon auszugehen ist, daß er in Kenntnis seines nahenden Ablebens einen anderen Willen gehabt und damit das Rechtsgeschäft zumindest in dieser Form nicht abgeschlossen hätte. 43 Spätestens durch diese Norm verlieren die Interessen der Erben und die des Erklärungsempfängers zugunsten des zu Lebzeiten vorhandenen Willens des Verstorbenen ihre Bedeutung. Sein mutmaßliches Interesse gilt nunmehr auch nach dem Tod als alleiniges Kriterium zur Entscheidung dieses Konfliktes. Nach dem insofern eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 153 BGB besteht die Annahmemöglichkeit des Antrags nämlich nur, wenn kein anderer Wille des Antragenden anzunehmen ist. Ein solcher Wille braucht kein realer, er kann auch ein hypothetischer sein und sich danach bestimmen, ob der Antragende bei Kenntnis von dem dazwischentretenden Ereignis den Vertrag noch geschlossen hätte. 44 Läßt sich der wirkliche Wille nicht feststellen, kommt es darauf an, welchen Willen er mutmaßlich nach den Umständen, der Art und dem Inhalt des Geschäfts gehabt hätte, wenn ihm das eintretende Ereignis bekannt gewesen wäre. 45

41 Eine gesetzliche Klärung der Wirksamkeit einer Willenserklärung nach dem Tod des Äußernden war erforderlich. weil mit dem Wirksamwerden der Erklärende an seinen geäußerten rechtlichen Willen gebunden ist (§ 145 BGB). 42 MüKo-Förschler, § 130 Rn. 9; Soergel/Hejermehl, § 130 Rn. 30 jeweils mit Verweis auf Mol. I S. 159 zu § 74 Entwurf I; BGH NJW 68, 496, 498.

43 In den Motiven (Mol. I S. 176) ging man davon aus, daß Vertragsanträge häufig aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen mit dem Tod nicht sinnlos werden. 44 Erman/Hejermehl, § 153 Rn. 9; SoergellWolj, § 153 Rn. 9f; SlaudingerlDilcher, § 153 Rn. 7. 45 SlaudingerlDilcher. § 153 Rn. 7; Erman /Hejermehl, § 153 Rn. 2; SoergellWolj. § 153 Rn. 9.10.

44

IV. Stellung des Verstorbenen in anderen Rechtsgebieten

Demgegenüber ist der entgegenstehende Wille des Antragsempfängers unbeachtlich, er braucht auch nicht den "anderen Willen" des Antragenden gekannt zu haben. 46 Die Wertung des Gesetzgebers ist damit die, daß der Antragende an seinem zu Lebzeiten geäußerten Willen nicht festzuhalten ist, wenn bei Abgabe seiner Erklärung davon auszugehen war, daß er diese bei Kenntnis seines Todes mit dem geäußerten Inhalt nicht vorgenommen hätte. Seinem wahren Willen soll demnach auch nach seinem Ableben noch Rechnung getragen werden, wozu in Einzelfällen eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich sein kann.47, 48 b) § 168 BGB

Auch mit der Einführung von § 168 BGB hat der Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, Rechtswirkungen erst nach dem eigenen Tod entstehen zu lassen. Entgegen dem mißverständlichen Wortlaut des § 168 BGB bestimmt sich das Erlöschen einer Vollmacht nach dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis, das durch den Tod des Vollmachtgebers in der Regel nicht erlischt. 49 Daher bleibt, wenn für sie nichts anderes bestimmt ist, auch die Vollmacht nach dem Eintritt des Todes bestehen. 50, 51 Nach dem Tod des Vollmachtgebers hat der Bevollmächtigte Vertretungsmacht für die Erben. 52 Insoweit ist zu berücksichtigen, daß der Geschäftsherr infolge des Erbfalles gewechselt hat und nunmehr auch Interessen der Erben zu beachten sind. 53 Da der Bevollmächtigte seine Rechtsmacht aber nicht von dem Vertretenen, sondern vom Erblasser ableitet, können seine Rechte weitergehend sein als die 46 SoergellWolj, § 153 Rn. 9, 10; SlaudingerlDilcher, § 153 Rn. 7; Erman/Hejermehl , § 153 Rn. 2.

47 In der zivilrechtlichen Literatur wird zur Erforschung des Willens eine erste Differenzierung in persönliche Geschäfte (§§ 514, 613,672 S. 2, 673, 675, 727, 1061, 1090 BGB) und sachlich bezogene Geschäfte vorgenommen - vgl. z.B. MüKo-Kramer, § 153 Rn. 4. 48 Zur weitergehenden streitigen Frage, ob dem Antragsempfanger analog § 122 BGB ein Schadensersatzanspruch zuzubilligen ist, vgl. SlaudingerlDilcher, § 153 Rn. 9 m.w.N. 49 PalandJ/Heinrichs, § 168 Rn. 1,4; s.a . MüKo-Schramm , § 168 Rn. 1, 17.

50 Liegt der Vollmacht ein Auftrag oder Geschäftsbesorgungsvertrag zugrunde, ergibt sich ihre Fortdauer über den Tod hinaus in der Regel aus §§ 168,672,675. 51 Vgl. die gleichen Rechtswirkungen auch aus § 52 IU HGB und § 86 ZPO. 52 BGH FamRZ 83, 447; PalandJ/Edenhojer, Rn. 16 vor § 2197.

53 MüKo-Schramm, § 168 Rn. 19 a.E.; ähnlich Medicus, Bürgerl. Recht § 16 V Rn. 399.

3. Vorschriften des allgemeinen Zivilrechts

45

der vertretenen Erben. Naturgemäß kann sich bei zuwiderlaufenden Interessen ein Spannungsverhältnis zwischen den Interessen der Erben und den Anordnungen des Erblassers im Rahmen der Bevollmächtigung ergeben. Dem Verhältnis zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigtem ist dabei durch Auslegung zu entnehmen, ob die Interessenbewertung des Erblassers auch über seinen Tod hinaus gelten sollte. Dann geht nach absolut überwiegender Auffassung sein Wille dem Interesse und dem Willen der Erben vor.54 Zwar kann der Erbe als Rechtsnachfolger insofern die Vollmacht grundsätzlich widerrufen. 55, 56 Solange das aber nicht geschehen ist, braucht der Bevollmächtigte weder die Zustimmung des Erben einzuholen, noch diesen zu informieren, um ihm Gelegenheit zu neuen Weisungen oder zum Widerruf zu geben. 57 Der Erblasser kann zu seinen Lebzeiten statt einer Vollmacht, die mit seinem Tod nicht erlischt, auch eine Vollmacht erteilen, die von vornherein auf seinen Todesfall beschränkt ist, d.h. erst beim Erbfall zur Entstehung gelangt. 58 c) §§ 1937, 2084, 2064fj BGB

Der gleiche Rechtsgedanke, daß für die Bestimmung rechtlicher Verhältnisse ausschließlich der zu Lebzeiten geäußerte Wille eines mittlerweile Verstorbenen maßgebend ist, findet sich insbesondere auch im Erbrecht in Gestalt der Testamentsauslegung wieder. 59 Die Auslegung soll dazu führen, den hinter dem Wortlaut des Textes stehenden wahren Willen des Erblassers zu erkennen und damit seinen 54 BGH FamRZ 85, 693, 696; BGH NJW 69, 1245, 1247; MüKo-Schramm, § 168 Rn. 20; SoergellLeplien, § 168 Rn. 34; differenzierend Erman/Brox, § 168 Rn. 5; a.A. Flume, § 51 5 b. 55 Insoweit erhält der Bevollmächtigte jedoch einen zeitlichen Vorsprung, der in der Regel zur Vollziehung des oder der Rechtsakte ausreichen dürfte - vgl. Schack, JZ 89, 612. 56 Unwiderruflichkeit nur dann, wenn sich der Erblasser selbst zu Lebzeiten unwiderruflich gebunden hat, z. B. bei schutzwürdigen Interessen auf Bevollmächtigtenseite selber. 57 BGH NJW 69, 1245, 1247; MüKo-Schramm, § 168 Rn. 20 - Einschränkungen ergeben sich insoweit nur unter dem Aspekt der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) oder der Sittenwidrigkeit. 58 So bereits RGZ 114, 354; wie auch BGH NJW 88, 2731 ; Erman/Brox, § 168, Rn. 5; MüKo-Schramm, § 168 Rn. 23 . Nach absolut überwiegender Auffassung bedarf diese Vollmacht auch nicht der Form der Verfiigung von Todes wegen. 59 Die Verfiigung von Todes wegen besitzt konstitutive Bedeutung, denn die vom Erblasser beabsichtigten Rechtsfolgen können erst durch die (Gestaltungs-) Erklärung in Kraft gesetzt werden.

46

IV. Stellung des Verstorbenen in anderen Rechtsgebieten

Anordnungen zum Erfolg zu verhelfen. 6o Zur Auslegung einer letztwilligen Verfügung sind auch über die Analyse des Wortlauts hinaus alle greifbaren Umstände heranzuziehen, um den dahinterstehenden Sinn zu ermitteln. Der wirkliche Wille hat auch gegenüber einem scheinbar klaren und eindeutigen Wortlaut Vorrang, wenn der Erblasser mit seiner Wortwahl einen vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichenden Sinn verbunden hat. 61 Hierdurch soll erreicht werden, daß einer Testamentsauslegung "nur nichts entgeht", wobei der Horizont des von der Verfügung betroffenen Vermächtnisnehmers oder Auflagenbegünstigten ebenso keine Bedeutung hat, wie der der eingesetzten Erben. 62 Sind die Formulierungen im Testament mehrdeutig oder unvollständig, kommen die Grundsätze der erläuternden bzw. ergänzenden Auslegung in Betracht, um auch in diesen Fällen dem Willen des Erblassers zum Erfolg zu verhelfen. Es wird in diesen Fällen ermittelt, was nach der Willensrichtung des Erblassers zur Zeit der Errichtung des Testaments als von ihm gewollt anzusehen ist, wenn er vorausschauend das spätere Ereignis bedacht haben würde. 63, 64 Teilweise wird in der Literatur sogar vertreten, daß der wahre Wille des Erblassers streng subjektiv unabhängig davon berücksichtigt werden dürfe, ob er in den Anordnungen der Verfügung von Todes wegen einen Ausdruck gefunden hat oder nicht. 65

60 StaudingerlOrte, § 2084 Rn. I; MüKo-Leipold, § 2084 Rn. I; BGHZ 86, 41. 61 BGHZ 94, 36,38; 86, 41, 45f; BayObLG NJW 92,322,323; OLG Zweibrücken NJWRR 89, 453f; Soergel/Loritz, § 2084 Rn. 16ff.

62 Einschränkungen ergeben sich lediglich, wenn sich der Erblasser bereits zu Lebzeiten in Gestalt eines Erbvertrages oder gemeinschaftlichen Testaments gebunden hat. In bezug auf beidseitige Verfiigungen gilt dann nicht § 133 BGB, sondern § 157 BGB, denn diese Verfiigungen sind dann auch unter Berücksichtigung des Empfangerhorizontes auszulegen, weil eine zweiseitige Leistung vorliegt. 63 MüKo-Leipold, § 2084 Rn. 25ff, 35ff; Soergel/Loritz, § 2084 Rn. 34ff. Die Zu lässigkeit der ergänzenden Vertragsauslegung ist seit RGZ 99, 82 allgemein anerkannt. Zwar gibt es keine unmittelbare gesetzliche Grundlage, doch wird auf die Privatautonomie des Erblassers verwiesen.

64 Maßgebender Zeitpunkt fiir jedwede Testamentsauslegung ist der Zeitpunkt der Errichtung. Zwar können spätere Äußerungen des Erblassers, aus denen sich ergibt. daß dem Testament nunmehr ein anderer Sinn als bei Errichtung beigemessen werden soll, nach überwiegender Auffassung nicht mehr berücksichtigt werden. Für den hierdurch Benachteiligten i.S.d. § 2080 BGB ergibt sich jedoch u.U. die Möglichkeit der Anfechtung des Testaments gern. §§ 2078, 2080, 2285, da § 2078 II im Gegensatz zu § 119 BGB auch Motivirrtümer als Anfechtungsgrund anerkennt - vgl. MüKo-Leipold, § 2078 Rn. 2lff m.w.N. Hierdurch läßt sich in manchen Fällen noch eine Korrektur erreichen, wenn der Erblasser bei Errichtung des Testaments von falschen Vorstellungen bzw. Vorgaben ausgegangen ist. 65 Brox, JA 84, 549, 555; MüKo-Mayer-Maly, § 133 Rn. 49 m.w.N. - praktisch relevant wird der Streit in Fällen, in denen der Erblasser zwar eine bestimmte Anordnung treffen wollte, diese jedoch aus irgendeinem Grund in der Erklärung nicht zum Ausdruck gekommen ist.

4. Öffentlich-rechtliche Vorschriften mit postmortalem Schutzgehalt

47

Steht fest, daß der Erblasser ein Rechtsgeschäft gewollt hat, das sich schließlich als unwirksam erweist, kommt eine Umdeutung gemäß § 140 BGB in Betracht. Ungeachtet der rechtlichen Gestaltung des Rechtsgeschäftes soll der wirtschaftliche Erfolg mit der Zielrichtung verwirklicht werden, die dem Erblasser von Anfang an vorgeschwebt hat. 66 Das Erbrecht läßt also fast nichts unversucht. um dem wahren Willen des Erblassers auch noch nach seinem Tod zum Erfolg zu verhelfen. Dies ist eine Wertentscheidung des Gesetzgebers und der Jurisprudenz, die keinesfalls zwingend ist, sondern auch anders hätte ausfallen oder geregelt werden können.

4. Öffentlich-rechtliche Vorschriften, die postmortalen Schutz entfalten, und die allgemeine Totenfürsorge a) Vorschriften des Feuerbestattungsrechts und die allgemeine Totenjürsorge Auch in öffentlich-rechtlichen Vorschriften kommt eine postmortale Anerkennung des Persönlichkeitsrechts zum Ausdruck. So bestimmt Z.B. § 2 I FeuerbestattG, daß sich die Art und Weise der Bestattung in erster Linie nach dem Willen des Verstorbenen richtet. 67 Die Bestattung des Leichnams wird als Bestandteil der Totenfürsorge gewohnheitsrechtlich den nächsten Familienangehörigen und nicht den Erben anvertraut, die gemäß § 1968 BGB nur die Kosten der Beerdigung zu tragen haben. 68 Jedoch kann der Verstorbene nicht nur die Reihenfolge ändern, in welcher die Angehörigen grundsätzlich zur Ausübung des Totenrechts berufen wären, vielmehr kann er das Totenfürsorgerecht den Angehörigen sogar insgesamt entziehen und insoweit treuhänderisch einen Dritten beauftragen. 69 Der treuhänderisch Berufene ist daher berechtigt, notfalls auch gegen den Willen der Angehörigen die Anordnungen und Wünsche des Verstorbenen 66 Sraudinger/Lorirz, § 2084 Rn. 64ff; Emum/SchmidJ, § 2084 Rn. 10. 67 Das vom 15.05.1934 stammende FeuerbestattG (RGBI I 380) gilt insoweit fort. als die einzelnen Bundesländer keine eigenständige Regelung getroffen haben. Doch selbst bei entsprechenden Regelungen der Länder sind die Grundsätze des Feuerbestattungsgesetzes in ihrem Kern auch dort erhalten geblieben. 68 Sraudinger/Marorzke , § 1922 Rn. 118; Soergel/Srein, § 1922 Rn. 18. ; OLG Zweibrücken NJW-RR 93, 1482fm.w.N. 69 BGH FamRZ 92, 657; OLG Karlsruhe MDR 90, 443 ; Widmann , FamRZ 92, 756, 760 auch unter Hinweis auf OLG Celle vom 10.01.1991 - 22 U 59/90; OLG Zweibrücken NJW-RR 93, I 482f.

48

IV. Stellung des Verstorbenen in anderen Rechtsgebieten

durchzusetzen. 70 DelUl es handelt sich nämlich nicht um ein eigenes Fürsorgerecht der Angehörigen, sondern um das über den Tod wirkende Recht des Verstorbenen auf Respektierung und Durchsetzung seiner Anordnungen als Ausfluß seines Persönlichkeitsrechts. 71 Beherrschender Grundsatz des Totensorgerechts ist die Maßgeblichkeit des Willens des Verstorbenen. Für die Wahl der Bestattungsart ist dies ausdrücklich in § 2 I FeuerbestattG geregelt. An die Art und Weise, wie der Nachweis des Erblasserwillens zu führen ist, werden keine hohen Anforderungen gestellt. So genügt sein formfreier , auch lediglich schlüssig geäußerter Wille. Läßt sich dieser nicht zweifelsfrei feststellen, kölUlen auch Tatsachen und Umstände ausreichen, aus denen ein bestimmter Wille des Verstorbenen hinsichtlich der Art und Weise seiner gewollten Bestattung mit Sicherheit ermittelt werden kalUl. 72 , 73 Ausnahmen gelten lediglich für die Feuerbestattung selbst, für die eine besondere Form der Willensäußerung erforderlich ist. 74 Werden nachträglich Umstände bekalUlt, daß Art und Ort der Bestattung im Widerspruch zu dem maßgeblichen Willen des Verstorbenen stehen, kalUl dies eine Umbettung rechtfertigen. 75 Hierbei ist jedoch sorgfältig abzuwägen, ob der hypothetische Wille des Verstorbenen nicht dahin geht, lieber an falscher Stelle begraben zu sein als in der Totenruhe gestört zu werden. 76 Die postmortale Respektierung des Verstorbenen umfaßt dabei auch die Befugnis, darüber zu entscheiden, welches Grabmal ausgewählt und welche Beschriftung vorgenommen wird. 77 70 BGH FarnRZ 92, 657; Widmann, FarnRZ 92, 759f.

71 Widmann, FarnRZ 92, 759. 72 BGH FarnRZ 92, 657; OLG Frankfurt NJW-RR 89, 1159; KG FarnRZ 69, 414; Soergel/Stein, § 1922 Rn. 19; Staudinger/Marotzke, § 1922 Rn. 120f; Palandl/Edenhojer. Rn. 9f vor § 1922. 73 Volljährigkeit ist hierfür nicht erforderlich - vgl. Soergel/Stein, § 1922 Rn. 19. 74 Gern. § 4 FeuerbestattG kann dieser Nachweis durch eine von dem Verstorbenen getroffene Verfügung von Todes wegen oder durch eine von dem Verstorbenen abgegebene mündliche Erklärung, die von einer zur Führung eines öffentlichen Siegels berechtigten Person als in ihrer Gegenwart abgegeben beurkundet ist, geführt werden. Eine unter Angabe des Ortes und Tages eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung des Verstorbenen ist ebenso ausreichend.

75 BGHZ 61. 238; Staudinger/Marotzke. § 1922 Rn. 127; Gaedke. S. 219ff. 76 OLG Schleswig NJW-RR 87, 72; OLG Oldenburg FarnRZ 90. 273; Gaedke, S. 219ff; Staudinger/Marotzke. § 1922 Rn. 127. 77 Gaedke, S. 121 ff; Palandl/Edenhojer. Rn. 10 vor § 1922.

4. Öffentlich-rechtliche Vorschriften mit postmortalem Schutzgehalt

49

Diese Grundsätze gelten spätestens seit Inkrafttreten des FeuerbestattG auch für die in einer Urnenhalle oder in einem Urnenhain beigesetzten Aschenreste des Verstorbenen, denn dieser hat den gleichen Anspruch auf postmortale Respektierung wie ein in der Erde beigesetzter Leichnam. 78 Ebenso gilt für den Bereich der Organentnahme, Sektion und der Widmung der Leiche für die Zwecke der Anatomie, daß der Erblasser berechtigt ist, über den Tod hinaus Verfügungen über seinen Körper zu treffen. Auch dieser sensible Bereich beruht auf dem Einwilligungsprinzip, so daß insbesondere der Verstorbene darüber bestimmen kann, was mit seinem Körper nach dem Tod geschieht. Liegt ein erkennbarer Wille vor, sind auch der Krankenhausträger und die betreffenden Ärzte daran gebunden. 79 Gegen diesen erklärten Willen wären auch - wie im Rahmen der Totenfürsorge - gegenteilige Erklärungen der Angehörigen unerheblich, da es sich insoweit um ein höchstpersönliches Recht handelt. 8o Lediglich bei fehlendem oder nicht feststellbaren Willen des Verstorbenen könnten die Angehörigen diesbezüglich Anordnungen treffen. 81 Das Recht, zu Lebzeiten Verfügungen über den Verwendungszweck des eigenen Körpers zu treffen, konkretisiert daher auch noch nach dem Tod die Pflichten der Nachwelt. 82

b) Bundesarchivgesetz und die Archivgesetze der Länder Der Bund und die weit überwiegende Zahl der Bundesländer haben seit Mitte der 80er Jahre eigene Archivgesetze erlassen, deren Regelungsinhalt die Abgabepflicht öffentlicher Stellen an die Archive des Bundes und der Länder ist. 83 Die Aufgabe der staatlichen Archive ist es unter anderem, Unterlagen auf 78 So bereits RGZ 154,269, 273ff. 79 Haas, NIW 88,2929, 293Ifm.w.N. 80 Haas, NIW 88,2929, 2931f.

81 BGHZ 9,145,149; OLG München NIW 76,1805; Soergel/Slein, § 1922 Rn. 20f; Laufs,

NIW 91,1516, 1519f.

82 Für den Bereich der ehemaligen DDR galt gern. Art. 9 I des Einigungsvertrages in den neuen Bundesländern die TransplantationsVO der DDR vom 04.07.1975 (GBI I S. 597) weiter. Gern. § 4 I dieser VO ist die Organentnahme bei Verstorbenen für Transplantationszwecke zulässig, wenn diese zu Lebzeiten keine anderweitige Festlegung getroffen haben. Diese Regelung ist verfassungsrechtlich nicht unbedenklich, da gern. Art. 143 I GG vom GG abweichendes Recht (in diesem Fall aufgrund der Wertung von Art. 1 i.V.m. 79 III GG) im Beitrittsgebiet nicht fortgilt und insoweit durchaus ein Verstoß gegen Art. I GG gesehen werden könnte - vgl. Schmidt-Didczuhn, ZRP 91, 264, 265. 83 Vgl. u.a. BArchG vom 06.01.1988 (BGBI I 62); ArchivG NRW vom 16.05.1989 (GVBI 302); BayArchG vom 22.12.1989 (GVBI 710); Schl.-H. ArchG vom 11.08.1992 (GVBI 444); HessArchG vom 18.10.1989 (GVBl 270). 4 Hunger

50

IV. Stellung des Verstorbenen in anderen Rechtsgebieten

deren Archivwürdigkeit zu überprüfen und als schutzwürdig erkannte Teile als Archivgut zu übernehmen, zu verwahren, zu erhalten, für die Benutzung bereitzustellen und zu veröffentlichen. 84 Nach Ablauf einer fast in allen Archivgesetzen einheitlichen Schutzfrist von 30 Jahren nach seiner Entstehung kann das Archivgut von jedermann eingesehen und genutzt werden. 85 Allerdings gelten für Archivgüter mit personenbezogenen Daten weitere besondere Schutzfristen, die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich bemessen sind. Unbeschadet der allgemeinen Schutzfrist darf dieses Archivgut erst 10 Jahre 86 bzw. 30 Jahre 87 nach dem Tod des Betroffenen benutzt werden. Die Schutzfristen können nur verkürzt werden, wenn der Betroffene selbst oder nach seinem Tod bei nicht entgegenstehendem Willen des Erblassers seine Angehörigen zu der Verwendung zugestimmt haben, soweit keine archivgesetzlichen Tatbestände vorliegen, nach denen eine Nutzung generell unzulässig ist oder versagt werden kann. 88

5. Materiell strafrechtliche und strafprozessuale Vorschriften a) § 203 StGB

Im Bereich des materiellen Strafrechts sind ebenfalls Vorschriften zu finden, welche die Vermutung nahelegen, daß ihnen ein fortwirkender postmortaler Persönlichkeitsschutz zugrundeliegt. Insbesondere ist auf § 203 StGB Verletzung von Privatgeheimnissen - hinzuweisen. Geschütztes Rechtsgut ist hierbei nach überwiegender Auffassung der persönliche Lebens- und Geheimnisbereich, der im Individualinteresse des

84 Vgl. § I BArchG. 85 Vgl. § 5 I BArchG; § 7 11 I ArchG NRW; Art. 10 III 1 ArchG Bay; § 6 11 1 ArchG BadWürtt; 15 12 Hess ArchG. 86 § 7 11 3 ArchG NRW; 1511 2 ArchG Hess; § 6 11 3 ArchG BadWürtt. 87 § 5 11 I BArchG; § 3 III 2 ArchG RhPf. 88 § 5 VI BArchG; 7 V ArchG NRW; 1011 ArchG Bay; 911 ArchG Schl.-H.; 6 VI ArchG BadWürtt - so z.B., wenn Grund zu der Annahme besteht, daß schutzwürdige Belange einer Person beeinträchtigt werden oder ein Verstoß gegen §§ 203f StGB vorliegen würde (s. § 7 V b und c ArchG NRW).

5. Strafrechtliche und strafprozessuale Schutzvorschriften

51

Betroffenen gerade von Trägem sozial bedeutsamer Berufe nicht verletzt werden soll, denen der Einzelne sich weitgehend anvertrauen muß. 89 Die Vorschrift dient damit in weiten Teilen der Verwirklichung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutzes der Persönlichkeit, selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche LebenssachverhaIte offenbart werden dürfen. 90 Soweit als Schutzgut teilweise auch das Allgemeininteresse in Gestalt eines allgemeinen Vertrauens in die Verschwiegenheit der Angehörigen bestimmter Berufe, der Verwaltung usw. stärker betont wird, erkennen die Vertreter dieser Auffassung jedoch zumindest auch einen gleichzeitigen Individualschutz an. 91 Für die h.M. spricht jedoch die systematische Stellung des § 203 im System des 15. Abschnitts des StGB: "Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs" , wie auch die zivilrechtIiche Entwicklung in bezug auf "das Recht auf informelle Selbstbestimmung" als Ausfluß des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Da insoweit aber auch die Vertreter der Gegenauffassung einen zumindest untergeordneten Persönlichkeitsschutz durch § 203 StGB anerkennen, soll an dieser Stelle auf eine Vertiefung verzichtet werden. § 203 IV bestimmt ausdrücklich, daß sich der Tod des Betroffenen nicht einschränkend in bezug auf die Verpflichtung des Trägers zur Wahrung der Geheimnisse auswirkt. Damit hat sich die früher umstrittene Frage, ob die Schweigepflicht über den Tod des Betroffenen fortdauert, erledigt. 92 Demzufolge sind die zum persönlichen Lebensbereich zählenden Geheimnisse als Nachwirkungen des Persönlichkeitsrechts geschützt. 93 In Rspr. und Lit. noch nicht abschließend geklärt ist lediglich die Frage, über welchen Zeitraum sich dieser postmortale Persönlichkeitsschutz erstreckt. Hier dürfte der allgemeine Grundsatz gelten, daß die Geheimnisse des Verstorbenen mit dem Schwinden der Erinnerung an ihn an Bedeutung 89 LK-Jähnke, § 203 Rn. 3,4, 14; DreherlTröndle, § 203 Rn. I; Lackner/Kühl. § 203 Rn. 1 jew. m.w.N. 90 Siehe insbesondere LK-Jähnke, § 203 Rn. 4 und 14 und auch Lacknerl Kühl, § 203 Rn. 1. 91 Vgl. statt aller S/S/Lenckner, § 203 Rn. 3 m.w.N.

92 Lackner/Kühl, § 203 Rn. 27. Zur Frage, ob § 203 IV nur die ohnehin geltende Rechtslage deklaratorisch wiedergibt oder eine echte Ausdehnung der Strafbarkeit enthält, siehe Schünemann. ZStW 90 (1978) 11, 60. 93 LK-Jähnke, § 203 Rn. 51. Nicht geschützt sind durch § 203 IV jedoch vennägensrechtliche Geheimnisse, da sie gern. § 1922 BGB im Zeitpunkt des Todes als Bestandteil des Vermögens auf den Erben übergehen. 4*

52

IV. Stellung des Verstorbenen in anderen Rechtsgebieten

verlieren,94 eine abschließende Beurteilung jedoch dem Einzelfall vorbehalten bleiben muß.

b) § 204 StGB -Verwertung fremder GeheimnisseDie vorstehenden Ausführungen gelten sinngemäß auch für § 204, da nach einhelliger Meinung der Schutzzweck dieser Vorschrift dem des § 203 entspricht. 95 § 204 11 erklärt die postmortale Schutzvorschrift des § 203 IV für entsprechend anwendbar. Der Tod einer geschützten Person spielt also weder für die Tatbestandsmäßigkeit noch für die Bestrafung des Täters eine Rolle. c) § 167a - Störung einer BestattungsJeier - und

§ 168 StGB - Störung der Totenruhe -

Weiterhin neigt man bei der Bestimmung des Schutzgutes zu § 168 neuerdings dazu, die Nachwirkungen des Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen zumindest als auch dem Schutzzweck der Norm zugehörig anzusehen. Nach verschiedensten Auffassungen sah man entweder das Pietätsempfinden gegenüber dem Verstorbenen und ihren Ruhestätten,96 das Pietätsgefühl nicht nur der Angehörigen des Verstorbenen, sondern auch das der Allgemeinheit,97 die Ehrfurcht vor dem Tode und das Pietätsempfinden98 oder Gedanken des Friedensschutzes99 von § 168 als geschützt an. Nicht wohl zuletzt aufgrund der Rechtsprechung des BVerfG und der Entwicklung im Zivilrecht scheint sich hier jedoch ein Wandel anzubahnen. Zumindest sind die Erwägungen über die Rechtsgüter von § 167a und von § 168 wieder in Bewegung geraten. JOO Am deutlichsten wurde kürzlich von

94 SISILenckner, § 203 Rn. 70; LK-Jähnke, § 203 Rn. 52f; BLei, BT § 33 V. 95 DreherITröndJe, § 204 Rn. 1; Lackner/KühL, § 204 Rn. 1; SISILenckner. § 204 Rn. 1; LK-Jähnke, § 204 Rn. 2. 96 Lackner/KühL, § 168 Rn. 1 unter Berufung auf Begr. zu § 191 E 1962, S. 346. 97 DreherffröndJe, § 168 Rn. I. 98 BLei, StratR

n § 36 vor I.

99 SK-RudoLphi, Rn. 3 vor § 166.

100 Vgl. DreherITröndJe, § 168 Rn. 1, la ab der 44. Autl.; SISlLenckner, Rn. 2 vor § 166; insbesondere aber LK-DippeL, § 168 Rn. 2, Fn. 7 - 9 und MaurachlSchroederlMaiwald. BT Bd. 2 § 62 I, Rn. 3 und 4.

5. Strafrechtliche und strafprozessuale Schutzvorschriften

53

Schroeder/Maiwald101 hervorgehoben, daß das Pietätsempfinden bei beiden Vorschriften allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen könne, da insbesondere bei § 167a eine Verletzung des Pietätsempfindens zur Erfüllung des Tatbestandes überhaupt nicht erforderlich sei. Vielmehr ist die Störung einer Bestattungsfeier auch dann strafbar, wenn die dazu abkommandierten Soldaten dies amüsant finden. Umgekehrt kann der Verstorbene über das Pietätsempfinden der Angehörigen hinweg Verfügungen treffen, so über seine Leiche,102 oder indem er für seinen Todestag ein "Hippie-Fest" an seinem Grab bestellt. 103 Bemerkenswerterweise setzen die §§ 167a, 168 im Gegensatz zu § 189 nämlich keinen Strafantrag der Angehörigen voraus, vielmehr handelt es sich um Offizialdelikte. Demzufolge ist die Auffassung, der Schutz des Verstorbenen selbst werde durch die §§ 167a, 168 nicht geschützt, in dieser Ausschließlichkeit nicht mehr gültig, zumal eine derartige Wertung eindeutig der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH(Z) zuwiderlaufen würde. So wird demnächst damit zu rechnen sein, daß die Nachwirkungen des Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen bei §§ 167a, 168 zumindest als erheblicher Bestandteil des Rechtsguts dieser Vorschriften anerkannt werden, wenn sie nicht sogar als alleiniger Schutzzweck anzusehen sind. 104 Zu diesen postmortalen Rechten des Verstorbenen zählt nämlich der Anspruch auf ein würdevolles Begräbnis ebenso wie die Wahrung seiner körperlichen Integrität nach dem Tode, soweit er zu Lebzeiten keine abweichende Anordnung (z.B. Einwilligung in die Organentnahme) getroffen hat.

d) §§ 87 (Leichenschau; Leichenöffnung); 89 (Umfang der Leichenöffnung); 159 (Unnatürlicher Tod) StPO Für das Obduktions- und Sektionsrecht ist ebenfalls allgemein anerkannt, daß der menschliche Leichnam Anteil an der dem Menschen zukommenden Würde hat und auch in bezug auf die menschlichen Überreste ein fortwirkendes Persönlichkeitsrecht besteht. 105 Den Anteil an der Menschenwürde verliert die Leiche nicht dadurch, daß sie in den Machtbereich der Anatomie gelangt. Daraus folgt, daß Obduktionen und Transplantationen 101 In Maurach/Schroeder/Maiwald, BT Bd. 2, § 62 I Rn. 3. 102 OLG Frankfurt 1Z 1977, 355. 103 Beispielsf.ille nach Maurach/Schroeder/Maiwald, BT Bd. 2, § 62 I Rn. 3. 104 Deutlich in diese Richtung gehend LK-Dippel, § 168 Rn. 2f und Maurach/

Schroeder/Maiwald, BT Bd. 2, § 62 I Rn. 3 und 4; ansatzweise auch S/S/Lenckner, Rn. 2 vor § 166. Vgl. hierzu bereits auch schon früher OLG München N1W 76, 1805. Konsequent zu Ende gedacht würden sich hieraus ebenso systematische Folgen ergeben, worauf Maurach/Schroeder/Maiwald, (a.a.O.) ausdrücklich hinweisen. 105 MaunzlDürig, GG Art. I Rn. 26; Stern, Staatsrecht Bd. III/l § 70 IV 4a; Bonner Kommentar zum GG Art. I Rn. 53; Peters, § 40 I.

54

IV. Stellung des Verstorbenen in anderen Rechtsgebieten

in menschenwürdiger Weise durchgeführt werden müssen, wobei dieser Achtungsanspruch unabhängig vom Willen etwaiger Angehöriger besteht. 106 Im Rahmen der Erforschung von Tötungsdelikten nimmt die StA ein überragendes Gemeinschaftsinteresse wahr und je gewichtiger und dringlicher ein Gemeinschaftsinteresse ist, desto stärkere Eingriffe in den Rechtsstatus Einzelner sind statthaft. Daher sind Eingriffe in den Leichnam eines Verstorbenen unter Einhaltung der §§ 87, 89, 159 StPO grundsätzlich zulässig, zumal sie in der Regel die einzige zuverlässige Möglichkeit sind, die Todesursache exakt zu bestimmen. Jedoch ist auch bei der Anordnung der Leichenöffnung der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten, so daß eine Leichenöffnung zu den mit ihr verfolgten Zwecken im Einzelfall unzulässig sein kann,107 was durchaus der Beurteilungskompetenz des Ermittlungsrichters im Rahmen von § 87 I iVm. 162 III StPO unterliegt. 108 Diese Verhältnismäßigkeitserwägungen werden teilweise aus Gründen der Rücksicht auf die Pietät der Hinterbliebenen und der Allgemeinheit, 109 des Totensorgerechts der Angehörigen 110 und des postmortalen Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen hergeleitet. III e) §§ 361 iVm. 296 Il und 371 StPO

In diesem strafprozessualen Zusammenhang ist auch auf § 361 StPO hinzuweisen, wonach der Antrag auf Wiederaufnahme eines bereits abgeschlossenen Strafverfahrens nicht durch den Tod des Verurteilten ausgeschlossen wird. Die Vorschrift ermöglicht damit, daß die durch eine fälschliche Verurteilung erfolgte Herabwürdigung des Ansehens zu Lebzeiten auch nach

106 Pelers, § 40 I. 107 KK.-Pelchen, § 87 Rn. 2; KMR-Paulus, § 87 Rn. 5; Koch, NJW 68, 1317. 108 KK.-Wache, § 162 Rn. 17; Koch. NJW 68, 1317; OLG Zweibrücken GA 1981. 418; OLG Düsse1dorf NStZ 90, 144: einschränkend bejahend Kleinknechl/Meyer-Goßner, § 162 Rn. 14: Schellenberg, NStZ 91, 72. 109 KMR-Paulus. § 87 Rn. 5. 110 Zimmermann, NJW 79, 569, 570f; Kleinknechl/Meyer-Goßner, § 87 Rn. 9. 111 Maiwald, NJW 78, 561. 565; Bieler. JR 76. 224, 225; vgl. a. Löwe/RosenberglDahs, § 87 Rn. 7. Diesbezüglich könnte auch zu erwägen sein. ob es dem postmortalen Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen nicht eher entsprechen würde, restlos aufzuklären, ob er nicht Opfer eines Tötungsdeliktes im Interesse einer etwaigen Strafverfolgung gegen den Täter geworden ist, als das Interesse an der Unversehrtheit seines Leichnams.

6. Vorhandensein postmortaler Schutzvorschriften in unserer Rechtsordnung

55

dem Tod des Betroffenen rückwirkend wieder beseitigt werden kann und erstrebt daher dessen Rehabilitation. 112 Auch kann die StA selbst gegen den Willen der Angehörigen die Wiederaufnahme des Verfahrens gern. § 296 II iVm. 361 StPO (analog) verlangen, um die Rehabilitation des Verurteilten zu erreichen. 113 Sonst müßte das Antragsrecht der Angehörigen gern. § 361 II StPO als lex specialis zu dem allgemeinen Grundsatz des § 296 IIStPO, daß die StA immer Rechtsmittel zugunsten des Angeklagten ergreifen kann, verstanden werden. Hierfür ist jedoch nichts ersichtlich, zumal der Schutzzweck der Vorschrift gerade leerlaufen würde, wenn keine Angehörigen vorhanden oder diese nicht gewillt wären, den Antrag vorzunehmen. Ausdruck des Rehabilitationsgedankens ist auch § 371 I StPO, denn nach dieser Norm erscheint der Verurteilte namentlich in der gerichtlichen Entscheidung selbst. 114

6. Zwischenergebnis in bezug auf die Frage, inwieweit in unserer Gesamtrechtsordnung postmortale Ausprägungen vorhanden sind Als Fazit läßt sich festhalten, daß ein postmortaler Schutz zugunsten des Verstorbenen in unserer Rechtsordnung durchaus verbreitet ist. Dieser wird einerseits dadurch erreicht, daß Normen vorhanden sind, die den Schutz des Verstorbenen selbst unmittelbar bezwecken, andererseits durch die Feststellung, daß der Gesetzgeber, die Rechtsprechung und die Literatur die Grundlagen dafür geschaffen haben, daß zu Lebzeiten getätigte rechtserhebliche Handlungen auch nach dem Tod des Handelnden noch Wirkungen entfalten und die Nachwelt binden.

112 KK-SchmidJ, § 361 Rn. I; LöwelRosenberglMeyer, § 361 Rn. I; Blei, NJW 57, 961 ; ansatzweise KleinknechtIMeyer-Goßner, § 361 Rn. 2. 113 KleinknechtIMeyer-Goßner, § 361 Rn. 2; KMR-Paulus, § 361 Rn. 2; KK-SchmidJ, § 361

Rn. 6; Löwe/RosenbergIGössel, § 361 Rn. 5; a.A. Peters, § 76 IV 2. 114 KK-SchmidJ, § 371 Rn. 2.

V. § 189 im Vergleich zu entsprechenden Regelungen in den europäischen Nachbarstaaten Auch ein Vergleich von § 189 mit den entsprechenden Regelungen des benachbarten europäischen Ausland zeigt deutlich, daß die Anerkennung eines postmortalen Persönlichkeitsrechts mit dem daraus resultierenden Ehrenschutz bei weitem kein unbekanntes Phänomen ist:

1. Schweizerisches StGB Das Schweizerische StGB vom 21.12.1937 beinhaltet in Art. 175 im Kapitel "Delikte gegen die Ehre" unter der Überschrift "Üble Nachrede oder Verleumdung gegen einen Verstorbenen oder einen verschollen Erklärten" folgende Formulierung: "Richtet sich die üble Nachrede oder die Verleumdung gegen einen Verstorbenen oder einen verschollen Erklärten, so steht das Antragsrecht den Angehörigen des Verstorbenen oder des verschollen Erklärten zu. Sind zur Zeit der Tat mehr als 30 Jahre seit dem Tode des Verstorbenen oder seit der Verschollenerklärung verflossen, so bleibt der Täter straflos". Zwar ist es angesichts des vorgegebenen Streitstandes in Deutschland auch in der Schweiz nicht ganz unumstritten, was das geschützte Rechtsgut dieser Vorschrift ist. Absolut überwiegend wird jedoch die Ehre des Verstorbenen als solches angesehen,! was sowohl durch den Wortlaut der Norm selbst wie auch dessen systematische Stellung unterstrichen wird. 2 Argumentativ wird ebenfalls schwerpunktmäßig darauf abgestellt, daß Persönlichkeitsrechte nicht zwingend mit dem Tode des Berechtigten untergehen, sondern bestimmte

! Schwander, Das Schweizerische StGB § 41 Rn. 601; Slralenwenh, BT 1 S. 112; ausführlich und m.w.N. Schubarrh, Kommentar zum Schweizerischen StGB, Art. 175 Rn. 2 und 3. 2 Für den Fall. daß der genaue Zeitpunkt des Todeseintritts nicht ermittelbar ist, wird im Zweifel davon ausgegangen, daß der Angegriffene bereits tot war - vgl. Schubarrh, Art. 175 Rn.

9.

58

V. § 189 im europäischen Vergleich

persönliche Güter, wie z.B. Leichnam, Ehre etc., als Individualrechtsgüter auch nach dem Tode verletzbar seien. 3

2. Österreichisches StGB V;

Im Österreichischen StGB von 1973 findet sich in § 117 folgender Absatz

"Richtet sich eine der in den §§ 111, 113 und 1154 mit Strafe bedrohten Handlungen gegen die Ehre eines Verstorbenen oder Verschollenen, so sind sein Ehegatte, seine Verwandten in gerader Linie und seine Geschwister berechtigt, die Verfolgung zu verlangen. " Angesichts des insoweit eindeutigen Wortlauts wird in der Literatur auch nur lapidar festgestellt, daß Verstorbene und Verschollene als ehrfähig anerkannt werden. 5

3. Das StGB der ehemaligen DDR Auch das ehemalige Strafrecht der DDR hat herabwürdigende Äußerungen in bezug auf Verstorbene unter Strafe gestellt. So lautete § 137 (Beleidigung) im 3. Kapitel "Straftaten gegen die Persönlichkeit" im 2. Abschnitt "Straftaten gegen die Freiheit und Würde des Menschen"; "Eine Beleidigung begeht, wer die persönliche Würde eines Menschen durch Beschimpfungen, Tätlichkeiten, unsittliche Belästigungen oder andere Handlungen grob mißachtet oder das Andenken eines Verstorbenen grob verletzt" . Dabei soll § 137 alle Handlungen erfassen, die eine grobe Mißachtung der persönlichen Würde eines Menschen darstellen, wobei dem Andenken eines Verstorbenen ausdrücklich der gleiche Schutz zugebilligt wird. 6

3 Vgl. Schubanh, Art. 175 Rn. 3. 4 In den §§ 111 ff sind die allgemeinen Beleidigungstatbestände geregelt. 5 Vgl. Kienapfel, Grundriß des Österreichischen Rechts Bd . 1 Rn. 965; LeukaujlSleininger, Kommentar zum Österreichischen StGB, § 117 Rn. 4; Foregger/Serini, Kurzkommentar zum Österreichischen StGB, § 117 unter V. 6 Kommentar des Staatsverlages zum Strafrecht der DDR § 137 Nr. 1 und 7; sowie Lehrkommentar des Ministeriums der Justiz zum Strafrecht der DDR Bd. 2 unter § 137.

5. Das Belgische StGB

59

4. Das Ungarische StGB Das Ungarische StGB von 1961 enthält unter dem Titel "Verbrechen gegen die Freiheit und Würde des Menschen" in § 268: "Die Verunglimpfung eines Verstorbenen oder seines Andenkens wird gemäß den in den §§ 2667 und 267 8 enthaltenen Unterscheidungen mit der dort vorgesehenen Strafe bestraft. " Gemäß § 270 11 ist jeder Angehörige zur Stellung eines Strafantrages befugt. Durch die Differenzierung in die Verunglimpfung eines Verstorbenen (selbst) auf der einen und die seines Andenkens auf der anderen Seite scheint naheliegend, daß der Verstorbene selbst als beeinträchtigungsfähig angesehen wird.

5. Das Belgische StGB In Kapitel V "Von der Verletzung der Ehre und der Wertschätzung der Person" hat der Belgische Gesetzgeber in Art. 450 formuliert: 9 "Die in diesem Kapitel aufgeführten Vergehen, die gegen Privatpersonen begangen werden, können mit Ausnahme der verleumderischen Anzeige nur auf Antrag der Person, die behauptet, verletzt zu sein, strafrechtlich verfolgt werden. Ist diese Person verstorben, ohne Anzeige erstattet oder darauf verzichtet zu haben, oder ist die Verleumdung oder üble Nachrede gegen einen Verstorbenen gerichtet, so kann die Strafverfolgung nur auf Antrag seines Ehegatten, seiner Abkömmlinge oder seiner gesetzlichen Erben bis zum dritten Grad einschließlich eintreten. " Die Wendung "gegen einen Verstorbenen gerichtet" läßt vermuten, daß hier auch der Verstorbene selbst beziehungsweise dessen Ehre oder Würde als beeinträchtigungsfähig angesehen wird, zumal Art. 450 nur die Verleumdung

7 § 266 enthält den Straftatbestand der Verleumdung. 8 § 267 enthält den Straftatbestand der Ehrenbeleidigung . 9 Siehe Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Übersetzung Nr. 75.

60

V. § 189 im europäischen Vergleich

und üble Nachrede pönalisiert, nicht aber jede Beleidigung in bezug auf Verstorbene.

6. Das Dänische StGB Im Dänischen StGB vom 15.04.193010 findet sich im 27. Kapitel unter der Überschrift "Friedensstörungen und Ehrenkränkungen" § 274 mit folgendem Inhalt: 11 "Wer beleidigende Äußerungen über einen Verstorbenen macht oder verbreitet, wird mit Geldstrafe oder, wenn Verleumdung vorliegt, mit Haft bestraft. Beleidigende Äußerungen, die erst 20 Jahre nach dem Tode gemacht werden, können nur verfolgt werden, wenn die Voraussetzungen des § 268 12 vorliegen. " Hier ergibt unmittelbar nur die systematische Stellung Hinweise auf einen individuellen postmortalen Schutz, sowie mittelbar die Tatsache, daß die beleidigende Äußerung "über" einen Verstorbenen gemacht wird, der lediglich 20 Jahre nach seinem Tod schützenswert erscheint. Daraus könnte geschlossen werden, daß der Verstorbene selbst als angreifbar aufgefaßt wird. Absatz 2 spricht jedoch eindeutig gegen den Schutz eines "Pietätsempfindens", da sich dieses im Rahmen einer zeitlich feststehenden Grenze einheitlich für alle Fälle kaum fassen ließe. Hier dürfte wahrscheinlich eher gemeint sein, daß der Ehrbestand im Lauf der Jahre mehr und mehr verblaßt und daher nicht als grenzenlos schutzwürdig erscheint.

10 Siehe Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Übersetzung Nr. 84. 11 Wobei unter Friedensstörungen der entsprechende § 202 des Deutschen StGB gefaßt ist. Vgl. hierzu § 263 : "Mit Geldstrafe oder Haft bis zu 6 Monaten wird bestraft, wer den Frieden eines anderen dadurch stört, daß er Nr.l: einen Brief erbricht. ... .. Nr. 2: sich ohne ausreichenden Grund Zugang zu den verschlossenen Behältnissen eines anderen verschaffl ... Nr. 3: öffentliche Mitteilungen über rein private häusliche Angelegenheiten eines anderen macht Nr. 4 .... .. . 12 § 268 : Ist eine Beschuldigung wider besseres Wissen erhoben oder verbreitet worden oder hatte der Täter keinen ausreichenden Grund, sie fiir wahr zu halten, so wird der Täter wegen Verleumdung mit Haft oder mit Gefängnis bis zu 2 Jahren bestraft. Ist die Beschuldigung nicht öffentlich erhoben oder verbreitet worden, so kann die Strafe bei milderen Umständen auf Geldstrafe ermäßigt werden.

8. Das Griechische StGB

61

7. Das Rumänische StGB Auch das Rumänische StGB13 enthält im 3. Kapitel unter "Vergehen gegen die Ehre" unter dem 1. Abschnitt "Verleumdung und Diffamierung"14 in Art. 511: "Wer auf irgendeine Weise das Andenken eines Verstorbenen beleidigt, begeht das Vergehen der Verunglimpfung des Andenkens eines Verstorbenen und wird mit Gefängnis von 1 Monat bis zu 3 Monaten bestraft. " Die Stellung der Vorschrift und der Wortlaut sprechen auch hier dafür, daß die Ehre des Verstorbenen als zumindest rnitgeschützt anzusehen ist, wobei der Ehegatte, die Verwandten in auf- und absteigender Linie, die Brüder und Schwestern und in Ermangelung derselben die Enkel gern. Art. 518 Strafantrag stellen können. Art. 518 legt dabei bereits im Wortlaut der Vorschrift selbst fest, daß die vorgenannten Personen keinen Anspruch auf irgendwelche Geldentschädigungen haben.

8. Das Griechische StGB Im Griechischen StGB vom 17.8.1950 15 findet sich in Kapitel V unter dem Titel "Strafbare Handlungen gegen die Ehre" in Art. 365 mit der Überschrift "Üble Nachrede über einen Verstorbenen":

"Wer das Andenken eines Verstorbenen durch grobe oder böswillige Beleidigung oder durch Verleumdung (Art. 363) verletzt, wird mit Gefängnis bis zu 6 Monaten bestraft. " Antragsberechtigt sind gemäß Art. 368 der überlebende Ehegatte und die Kinder des Verstorbenen und, wenn solche nicht vorhanden sind, die Eltern und Geschwister. In Art. 369 findet sich eine dem deutschen § 200 StGB Urteilsbekanntmachung - vergleichbare Regelung, die auch im Fall des Art. 365 anwendbar ist. Auch hier kann insbesondere aufgrund der systematischen Stellung davon ausgegangen werden, daß der Verstorbene selbst durch diese Vorschrift geschützt ist. 13 Siehe Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Übersetzung Nr. 81.

14 Dem erst im 2. Abschnitt die "Beleidigung" in Gestalt der Art. 5l2f folgt. 15 Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Sprache Nr. 59.

62

V. § 189 im europäischen Vergleich

9. Das Schwedische StGB Das Schwedische StGB vom 21.12.1962 16 weist ein differenziertes Bild in bezug auf den postmortalen Schutz von Verstorbenen auf, das im Ergebnis die Vennutung nahelegt, daß der Verstorbene selbst als Träger eines Individualrechtsgutes nicht in Betracht kommen dürfte. Zwar hat der schwedische Gesetzgeber den betreffenden § 4 in Kapitel 5 unter der Überschrift "Kränkungen der Ehre" eingegliedert, § 4 lautet jedoch: "Die üble Nachrede über einen Verstorbenen ist gemäß §§ 117 oder 2 18 zu bestrafen, wenn die Handlung für die Überlebenden kränkend war oder wenn sonst unter Berücksichtigung der seit dem Ableben verflossenen Zeit sowie der übrigen Umstände anzunehmen ist, daß sie den dem Verstorbenen zukommenden Frieden kränkt. " Anklageberechtigt sind der überlebende Ehegatte, die Abkömmlinge, der Vater, die Mutter oder die Geschwister, sowie der Ankläger (= StA) dann, wenn die Anklageerhebung aus besonderen Gründen unter dem Gesichtspunkt der Allgemeinheit erforderlich erscheint. Aufgrund der Fassung der Vorschrift ergeben sich hier mehrere Aspekte: zum einen zeigt die erste Alternative deutlich, daß in dem Schutzzweck der Vorschrift das Pietätsgefühl der Angehörigen maßgeblich enthalten ist, zum anderen ist durch die Ausgestaltung der zweiten Alternative erkennbar, daß dem Schutz der Totenruhe eine Bedeutung zukommt. Damit dürfte die schwedische Ausgestaltung der "üblen Nachrede über Verstorbene" der Rechtsgutsauffassung von Rudolphi nahekommen, der Wertvorstellungen der Bevölkerung über die Achtung Toter als Schutzgut des sozialen Friedens sieht. Jedenfalls spricht der Wortlaut dafür, daß die Vorschrift des § 4 Aspekte eines Pietätempfindens der Allgemeinheit beinhaltet. Dies zeigt sich auch in der Ausgestaltung der Antragsbefugnis dahingehend, daß der "Ankläger" entsprechend dem deutschen §§ 232 StGB, 376 StPO ein öffentliches Interesse bejahen kann, auch wenn kein Strafantrag von den Angehörigen gestellt wurde. Durch diese Konzeption hat der schwedische Gesetzgeber einen Rahmen geschaffen, der eine derartige Interpretation (Pietätsempfinden der Allgemeinheit als Schutzobjekt) auch tragen kann. Für das deutsche Strafrecht 16 Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Übersetzung Nr. 96.

17 Üble Nachrede. 18 Schwere üble Nachrede.

11. Das Italienische StGB

63

mit der Gestaltung von § 189 ergeben sich jedoch diese Vorgaben unter Berücksichtigung des Wortlauts, der systematischen Stellung sowie der Regelung der Antragsbefugnis gerade nicht.

10. Das Spanische StGB Das Spanische StGB vom 23.12.1944 19 weist keine Vorschrift in bezug auf die Verunglimpfung oder Beleidigung Verstorbener auf, die dem Bereich des Ehrenschutz zuzuordnen wäre. Lediglich im 5. Titel unter dem 1. Kapitel mit der Überschrift "Verstöße gegen die Gesetze über Beerdigungen und Grabschändungen" findet sich in Art. 340: "Wer die dem Andenken der Toten geschuldete Achtung verletzt und Gräber oder Grabstätten schändet oder irgendwelche die Leichen entweihende Handlung vornimmt, wird mit strenger Haft und Geldstrafe von ...... bis ..... . bestraft. " Auch hier zeigt sich, daß ein postmortaler Schutz des Verstorbenen lediglich als Reflexwirkung eines Achtungsanspruchs in bezug auf die allgemeine Totenruhe vorhanden ist, der jedoch Eigenschaften oder lebzeitigen Handlungsweisen der Toten selbst keinerlei Rechtsgutbedeutung zumißt. Dies wird dadurch unterstrichen, daß Art. 340 als Offizialdelikt ausgestaltet ist und damit eine Bestrafung vom Vorhandensein von Angehörigen oder deren Verhalten in bezug auf die Stellung eines eventuellen Strafantrages unabhängig macht.

11. Das Italienische StGB Im Italienischen StGB vom 19.10.193020 finden sich zunächst im Kapitel "Verbrechen gegen die Ehrfurcht vor Verstorbenen" in Art. 407f Vorschriften, die unter anderem das Schänden von Grabstätten und beschimpfende Handlungen auf Friedhöfen oder Teilen desselben unter Strafe stellen. Im Kapitel "Verbrechen gegen die Person" hat der italienische Gesetzgeber unter Art. 597 den Schutz Verstorbener hinter den "üblichen" Beleidigungstatbeständen der Art. 594ff aufgenommen:

19 Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Übersetzung Nr. 69.

20 Sammlung auBerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Sprache Nr. 90; Riz, Das Italienische StGB in deutscher Übersetzung S. 291f, 411.

64

V. § 189 im europäischen Vergleich

Stirbt der Verletzte vor Ablauf der für die Stellung des Antrags bestimmten Frist, oder handelt es sich wn eine Verunglimpfung des Andenkens eines Verstorbenen, so können die nahen Angehörigen sowie der an Kindes statt Annehmende oder Angenommene den Antrag stellen. In diesen Fällen und ebenso, wenn der Verletzte nach Stellung des Antrags stirbt, steht die in Absatz 2 des vorhergehenden Artikels bezeichnete Befugnis den nahen Angehörigen sowie dem an Kindes statt Annehmenden oder Angenommenen zu. Die Tatsache, daß im italienischen Strafgesetzbuch keine eigenständige Vorschrift zwn Ehrenschutz des Verstorbenen vorhanden ist, sondern lediglich die Regelung der Antragsbefugnis erstmals das "Andenken eines Verstorbenen" erwähnt, könnte dafür sprechen, daß die Verunglimpfung eines Verstorbenen der Beleidigung eines Lebenden in bezug auf die erfolgende Ehrbeeinträchtigung gleichgesetzt wird. Für eine derartige Auslegung spräche ebenso, daß auch der "an Kindes Statt Annehmende" zur Stellung des Strafantrages legitimiert ist, obwohl zwischen ihm und dem Verstorbenen zu diesem Zeitpunkt noch keine familienrechtlichen Bindungen bestehen. Jedoch lassen Wortlaut und Stellung dieser Norm auch andere Wertungen zu.

12. Das Niederländische StGB Der niederländische Gesetzgeber läßt im StGB vom 3.3.1881 21 offensichtlich erkennen, daß er einen Verstorbenen nicht für beleidigungsfähig hält. So ist Art. 270 folgendermaßen ausgestaltet: "Wer in bezug auf einen Verstorbenen eine Tat begeht, die, wäre dieser noch am Leben, als schriftliche Schmähung oder Schmähung gekennzeichnet werden würde, wird mit Gefängnisstrafe bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden bestraft. Dieses Verbrechen wird nur auf Antrag eines der Blutsverwandten oder Verschwägerten des Verstorbenen in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis zwn zweiten Grad oder seines Ehegatten verfolgt. " Die wnständliche Fassung des Art. 270 wäre nicht erforderlich gewesen, wollte man eine Ehre des Verstorbenen anerkennen. Wenn man nämlich von einer solchen Prämisse ausgehen wollte, wäre die Strafbarkeit von Ehrbeeinträchtigungen, wie sie für Lebende bereits pönalisiert werden, auch gegenüber Verstorbenen die logische Folge. Demzufolge hätte es der 21 Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Übersetzung Nr. 98.

14. Abschließende Betrachtung

65

tatbestandlichen Einschränkung "wäre dieser noch am Leben" überhaupt nicht bedurft, weil der (noch vorhandene) Ehrbestand eines Verstorbenen nur ein Spiegelbild des lebzeitigen Ehrbestandes sein kann. 22

13. Das Norwegische StGB Demgegenüber regelt § 252 des norwegischen Strafgesetzbuches23 die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener wiederum im Kapitel: "Straftaten gegen die Ehre" als Unterfall der Beleidigung. So lautet diese Vorschrift: "Die Handlungen, die in den §§ 247 und 248 mit Strafe bedroht werden, sind ebenso strafbar, wenn sie sich gegen das Andenken eines Verstorbenen richten. Die Bestrafung soll auf Geldstrafe beschränkt sein, soweit § 247 Anwendung24 findet, und mit Geldstrafe oder Haft bis zu drei Monaten geahndet werden, wenn § 248 verwirklicht ist. 25 Der Ehegatte, die Eltern, Kinder, Geschwister und Erben des Verstorbenen sind berechtigt, Strafantrag zu stellen und ein Verfahren einzuleiten. "

14. Abschließende Betrachtung der Regelungen der Nachbarländer Auch ein Vergleich mit benachbarten Ländern26 zeigt also, daß dort die Anerkennung eines postmortalen Ehrenschutzes durchaus verbreitet ist, wenngleich nicht alle Gesetzgeber der Nachbarländer diese Wertentscheidung getroffen haben. Es ist also "nichts besonderes" darin zu sehen, einen postmortalen Würdeschutz mit der Möglichkeit einer nach dem Tod eintretenden Ehrverletzung auch strafrechtlich anzuerkennen, zumal man sich 22 Folglich wird auch in der niederländischen Literatur davon ausgegangen, daß ein Verstorbener nicht mehr beleidigt werden könne, vgl. Noyon/Langemeijer/Remmelink, Art. 270 Anm. la: "Een overledene kan niet beledigd worden". 23 Schjoldager/Backer, The Norwegian Penal Code, 1961 New York, S. 100f.

24 § 247 des norwegischen StGB entspricht im wesentlichen dem im deutschen StGB in § 186 geregelten Tatbestand der üblen Nachrede. 25 § 248 des norwegischen StGB entspricht der Verleumdung im Sinne von § 187 des deusehen StGB. 26 So war naturgemäß insbes. in den ehemaligen Ostblockländern UdSSR, Tschechoslowakei, Polen, Bulgarien etc. das Persönlichkeitsrecht generell ein Stiefkind der rechtlichen Entwicklung und zum Teil sogar gänzlich unbekannt. Daher ist es nicht verwunderlich, daß auch ein postmortaler Ehrenschutz, von den vorgenannten Ausnahmen einmal abgesehen, weitgehend nicht existierte. 5 Hunger

66

V. § 189 im europäischen Vergleich

neben den genannten Ländern für den deutschen Bereich in Übereinstimmung mit der Auffassung des BVerfG, des BGH und gewichtiger Stimmen in der verfassungs- und zivilrechtlichen Literatur befindet. 27

27 In bezug auf den strafrechtlichen Bereich vgl. insbes. auch Hirsch, S. 125ff; LKHerdegen, § 189 Rn. 2; OtlO, GK StratR § 33 Anm. I; Schmidhäuser, BT 5/23.

VI. Auseinandersetzung mit den verschiedenen Meinungen Doch wie sieht es mit einem postmortalen Achtungsanspruch im Rahmen der Bestimmung des Rechtsgutbegriffs des § 189 aus? Die h.M. begnügt sich leider mit kurzen Begründungen, weshalb der Verstorbene nicht selbst Träger des Schutzgutes sein soll: ein Toter könne nicht mehr Träger eines Rechtsgutes sein; 1 bei einem Toten gehe es nicht mehr um den Schutz eines Geltungswsertes als Voraussetzung der Existenz und des Wirkens in der Gesellschaft;2 ein Toter sei weder schutzbedürftig, noch könne er überhaupt in irgendeinem schutzwürdigen Interesse verletzt werden. 3 Im Gegenzug ist zunächst jedoch zu fragen, ob die "ersatzweise" angebotenen Rechtsgüter einer kritischen Überprüfung standhalten:

1. Das Pietätsgefühl der Angehörigen Die wohl h.M. geht davon aus, daß das Pietätsgefühl der Angehörigen Schutzgut des § 189 sei.4 Die Vertreter dieser Auffassung wollen damit die persönliche Verbundenheit der Angehörigen mit dem Verstorbenen und damit die Intimität eines aus einer gemeinsamen Beziehung entstandenen Lebensbildes, das die Angehörigen von dem Verstorbenen als ihre Vorstellung von seiner Persönlichkeit gewonnen haben und bewahren möchten, schützen. 5

1 Maurach/Schroeder/Maiwald, BT Bd. I § 25 V I. 2 S/S/Lenckner, vor § 185 Rn. 2: § 189 Rn. I. 3 SK-Rudolphi, § 189 Rn. I.

4 BayObLGSt 1949/51, S. 459f; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT Bd. I § 25 V I; Krey, BT I Rn. 425. Pn. 82; Geppen. Jura 83, 580ff, 590; zum Teil abweichend DreherlTröndle, § 189 Rn. I. Im übrigen wären an dieser Stelle auch die Vertreter der Auffassung zu nennen. die weitergehend auch das Pietätsempfinden der Allgemeinheit als mitgeschützt ansieht. 5 Damit handelt es sich bei einer derartigen Auslegung des Rechtsgutes konsequenterweise um eine Art Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Angehörigen. 5·

68

VI. Auseinandersetzung mit den verschiedenen Meinungen

Zu ersten Wertungswidersprüchen kommt man jedoch schon, wenn man fragt, wie (materiell-rechtlich) mit dem Täter zu verfahren ist, wenn das Opfer keine Familie hinterlassen hat. Sollte die sozialethische Verwerflichkeit von tatbestandsmäßig vorliegenden Verunglimpfungen davon abhängen können, ob Angehörige überhaupt vorhanden sind oder nicht? Sollte hier der Täter mangels vorhandenen Schutzobjektes im Sinne des § 189 den Tatbestand dieser Vorschrift überhaupt nicht erfüllen können? Das Strafrecht übt keinen Selbstzweck aus, sondern hat die Funktion, die von der Rechtsgemeinschaft als schutzwürdig anerkannten Rechtsgüter durch Androhung und Verhängung von Strafen zu schützen. 6 Die Strafgewalt des Staates darf zum Schutz des Zusammenlebens in der Gemeinschaft jedoch nicht beliebig eingesetzt werden, sondern vielmehr nur dort, wo dies zum Schutz der Gemeinschaft unvermeidlich ist. Die Strafnorm stellt damit in dem großen Bereich der Wirkungsmöglichkeiten des Gesetzgebers die "ultima ratio" dar. 7 Eine für den Schutz der Rechtsordnung - wie in dem Fall des Fehlens von Angehörigen - nicht gebotene, aber dennoch durch die Strafandrohung von § 189 vorhandene, Rechtsfolge wäre aber ausgehend vom Rechtsgüter- und Gemeinschaftsschutz nicht gerechtfertigt und könnte daher als unnötig belastender, entbehrlicher staatlicher Eingriff nur rechtswidrig sein. 8 Es läge mithin ein Verstoß gegen den allgemeinen Grundsatz vor, daß es Strafvorschriften ohne Rechtsgutsbeziehung nicht gibt. 9 Dies hätte zur Folge, daß der Täter mangels Möglichkeit, das Rechtsgut des § 189 überhaupt verletzen zu können, im oben genannten Beispielsfall straflos bliebe, obwohl er objektiv dieselbe Tat verübt hat und das Vorhandensein strafantragsberechtigter Personen gerade nicht zum Tatbestand des § 189 gehört. IO Wenn eine Strafrechtsordnung aber vom Prinzip des Rechtsgüterschutzes ausgeht, II wäre es damit insbesondere systematisch unvereinbar, ein rechtsgutloses Delikt anzuerkennen, zumal angesichts des verfassungsrechtlich verankerten Bestimmtheitsgebotes ein Rechtsgut im strafrechtlichen Sinne bestimmt und

6

S/S/Stree, vor § 38 Rn. I.

7 BVerfGE 39, 1,47. 8 U